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Full text of "Geschichte der altdeutschen Dichtkunst in Bayern ..."

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*7- 


^7-  ^-  ^ 


y 


Geschichte 

der 

altdeutschen  Dichtkunst 

in 

Bayern« 


Herausgegeben  auf  ,^?^raa^l^    Veranlassung  und 

■it  Unterstützung  ^X^^rafU/   Seiner  Majestät 

des  Köxii^     ^^^     von  Bayern 

MAXIMILIAN  IL 

t 

von 
Ur.  V.  HoUand. 


Papier,  bmok  und  Verlag, von  Friedrich  Pustet. 

1862. 


Vorwort. 

Xm  Beginne  des  Jahres  1859  wurde  der  Verfasser  mit 
dem  Auftrage  von  Seiner  Majestät  dem  Könige  Maximilian 
betraut,  eine  „Geschichte  der  altdeutschen  Dichtkunst  in 
Bayern"  auszuarbeiten. 

Mit  grossen  Freuden  ging  der  Verfasser  gleich  an  das 
Werk.  Was  Wackemagel  für  die  Schweiz,  Zingerle  für 
Tyrol,  Toskano  del  Banner  fftr  Oesterrcich  und  zuletzt 
noch  Weinhold  für  die  Steiermark  im  Kleinen  gethan  haben, 
sollte  nun  auch  für  unser  Bayerland  in  weiterer  Weise 
geschehen.  Neue  mittelhochdeutsche  Dichter  lassen  sich 
freilich  nicht  mehr  finden,  die  bedeutendsten  derselben  sind 
bereits  erhoben  und  ihre  Werke  nach  den  besten  Handschriften 
in  kritischen  Ausgaben  vorhanden.  Sonach  schien  eine 
Verarbeitung  des  reichen  Materiales  zuuächst  unsere  Aufgabe. 
Das  Resultat,  welches  sich  daraus  ergab,  war,  die  historische 
Entwicklung  der  pichtung,  das  Entstehen,  Wachsen,  Blühen 
und  Vergehen  jeder  einzehien  Erscheinungsart  durchzufahren, 
dabei  jeden  Dichter  in  seiner  ganzen  Eigenthümlichkeit  zu 
zeigen  und  wo  möglich  immer  mit  seinen  eigenen  Worten 
reden  zu  lassen.  Dazu  erwies  sich  die  Technik  am  tauglichsten, 
genaue  Auszüge  und  abgekürzte  Prosaauflösungen  einzuschalten 
und  so  den  Mittelweg  zwischen  Original  und  Uebersetzung 
haltend,  zugleich  alle  die  Züge  hervorzuheben,  welche  fbr  das 
culturhistorische  Leben  des  Mittelalters  von  Belang  sind.  Ein 
weiteres .  Augenmerk  war  auf  unser  früheres  Heidenthum 
gerichtet  und  auf  dessen  durch  das  ganze  Mittelalter  fühlbaren 
Einfluss,  eine  Aufgabe,  welche  unseres  Wissens  ausser  Wolf- 
gang  Menzel,  noch  keiner  der  neueren  Literarhistoriker  durcb- 
gefbhrt  hat. 


Als  nach  Abfluss  der  bestimmten  Frist  das  ganze  Materiale 
gesammelt  und  bereits  mehrere  grössere  Bruclistücke  ausge- 
arbeitet lagen,  hätte  der  Verfasser  gerne  nach  die  Schätze  der 
inländischen  und  einiger  auswärtigen  Bibliotheken  durchsucht, 
um  die  aus  bayerischen  Klöstern  stammenden  Handschriften 
einer  eigenen  Betrachtung  zu  unterziehen.  Hindemisse,  deren 
Bewältigung  nicht  in  seiner  Macht  lag,  traten  inzwischen.. 
So  galt  es  denn  abzuschliessen  und  etwaige  neue  Entdeckungen 
dem  Spiele  des  Zufalls  zu  tiberlassen. 

Der  Verfasser  selbst  ist  weit  entfernt,  sein  Werk  für 
fehlerfrei  zu  erachten,  er  ist  überzeugt  und  freut  sich  darauf, 
von  der  Kritik  in  der  Folge  reichliche  Belehrung  zu  erhalten, 
doch  hofft  er  auch,  es  sei  Manches  mit  unterlaufen,  was 
vielleicht  in  der  Folge  zu  bleibender  Geltung  gelangen  könnte. 

Mit  demselben  Gefühle,  welches  mich  während  der  Aus- 
arbeitung des  ganzen  Werkes  beseelte,  schliesse  ich  jetzt 
dasselbe,  mit  dem  unbegränzten  Danke  gegen  den  hohen  Geber 
dieses  Auftrages,  der  wie  einst  seine,  im  Verlaufe  dieser 
Geschichte  vielfach  genannten  fürstlichen  und  herzoglichen 
Vorgänger,  in  walirhaft  königlicher  Weise  seine  milde  Hand 
aufgethan  hat,  zum  Schutze  der  Wissenschaft  und  Kunst. 
Möge  diese  Arbeit  ihr  Ziel  erreicht  haben,  welches  ich  mir 
vorgesetzt:  dem  bayerischen  Volke  die  Schönheit  und  Grösse 
seiner  Vergangenheit  in  einem  leuchtenden  Bilde  darzustellen! 

München,  Weihnacht  1861. 


Dr.  H.  Holland. 


Uebersicht 


EinJfitUBg.  Singen  und  Sagen.  Aelteste  Denkmäler.  Die  Sagen  von 
Kaiser  Karl  d.  Gr.  Heinrich  von  Kempten.  Riesen-,  Weifen-  und 
Schwanritter- Sage.    S.  1  —  40. 

Erstes  Buch.    Epische  Dichtung. 

A.  Bif  kKstfrliek-iateiBiscIie  DicktOBg.  Aelteste  Schrßibwelse ,  Kost- 
barkeit des  Materials.  Geschichte  einer  Handschrift,  Inhalt  des 
Rnodlieb.  Froumund,  Metellus  von  Tegernsee  und  andere  Dichter. 
S.  43  —  82. 

B.  VolkStkfiflilichc  EpCB.  Spielmannspoesie  und  Fahrende.  Herzog 
Ernst    Heinrich  der  Löwe.    Die  Nibelungen.    S.  83  —  107. 

C.  Rittfriickf  KUDStcpik.  Wolfram  von  Eschenbaeh,  sein  Leben. 
Parcival.  Sinn  und  Deutung  der  Gralsage.  Der  Titurel  und  der 
Graltempel  zu  Etal.  Wimt  von  Grävenberg  und  sein  Wigalois. 
Weitere  Dichtungen  dieser  Art.  Hadamar  von  der  Laber.  Poetische 
Erzählungen  und  gereimte  Novellen.  Ruedeger  der  Hunthover. 
St.  Martins  Nacht.  Aristoteles  und  Phyllis.  H.  Fressant.  —  Wernher's 
Helmbrecht    Rüdiger  von  Mflnerstadt  u.  s.  w.    S.  106  —  325. 

D.  HelllgfBSaSf  BBd  LegfBdfB.  Wolfram's  Willehahn.  St  Georg  von 
Reimbot  von  Dume.  Der  Madonnencnlt  in  Altbayem  und  die  schwarze 
Maria.    Drei  Lieder  von  der  Magd,  von  Wemher  u.  A.  S.  326  —  378. 

E.  Weitere  BestABdtkelle.  Der  antike  Sagenkreis.  —  Das  Lehrgedicht: 
der  Windsbecke  und  die  Winsbeckin.  Hugo  von  Trimberg.  —  Reim- 
chroniken.   Kaspar  von  der  Ron  und  Ulrich  Fürterer.    S.  379—400. 

Zweites  Buch.    Ljoische  Dichtung. 

A.  KIrckeBlied«  Aelterer  Ritus.  Singweise  und  Sängerschulen.  Lateinische 
Hymnen.  Deutscher  Kirchengesang.  Anthdl  der  Minnesinger.  Heriger. 
Walther  von  d^  Yogelweide.  Der  Mönch  von  Salzburg  u.  s.  w. 
S.  403  —  428. 


B.  MlnilfSAIlgf!  Lateinische  Lyrik;  Carmina  burana.  Der  Kürenberger. 
Dietmar  von  Eist.  Meinloh  von  Sevelingen.  Der  Barggrafe  von 
Rietenburg  und  Regensburg.  Spervogel  und  Heriger.  Endilhart  von 
Adelburg.  Wolfram  von  Eschenbach.  Günther  vom  Vorste.  Leutold 
von  Seven.  Heinrich  von  Frouwenberg.  Reinmar.  Walther  von  der 
Vogelweide.  Reinmar  von  Zweter.  Albreht  von  Johansdorf.  Bemger 
von  Horheim.  Neidhart  von  Reuenthal.  Suezkint  von  Timberg.  Der 
Brennenberger.  Hiltpolt  von  Schwangau.  Der  Tanhauser.  Konrad 
von  Kirchberg.  Der  Marggraf  von  Hohenburg.  Konradin.  Der  i^llde 
Alexander  u.  A.  S.  429  —  546.  —  Die  bayerischen  Herzoge  in, 
Beziehungen  zu  diesen  Sängern.  S.  547  —  556  u.  560  ff.  —  Ausklingen 
der  ritterlichen  Lyrik.  Die  fahrende  Diet.  Joh.  Holland.  Püterich 
von  Reicherzhausen.  Hans  der  Hesselloher.  Meistersänger.  S.  558  — 571. 

C.  Volkslied.     Liederbuch  der  Klara  Hätzlerin.    Augsburger  Singschule. 
Rosenplüts  histor.  Sprüche.    Handwerker.    S.  573  —  600.  • 

Drittes  Buch.    Dramatische  Dichtung. 

Entwicklung  des  kirchlichen  Drama.  Heidnischer  Jahrkreis. 
Dreikc^nigspiel  aus  Freising,  aus  dem  IX.  Jahrh.  Kindeimord,  XL  Jahrh. 
Osterspiele.  Das  ludas  de  adv€Btu  et  interitu  Aotichristi^  aus  Tegeni- 
see,  XIL  Jahrh.  Weihnachtepiel  und  das  ludus  paschalis  aus  Bene- 
dictbeueiii.  Das  hohe  Alter  der  Ammerganer  Passion  und  andere 
Darstellungen  dieser  Art.  Benedict  Debs  aus  Ingolstadt.  Uebergang 
der  Mystene^n  zum  weltlichen  Schauspiel.  Alte  dramatische 
Volksfeste.  Das  Georgenspiel  von  M.  Schtittenhelm  zu  Augsburg. 
Fastnachtspiele.  Hans  Folz.  Rosenplüt  und  iVndere.  S.^  604  —  654. 
Schluss  und  Nachträge. 


--^'«^*^- 


Einleitung. 


iUasselbe  Gesetz,  das  die  Geschichte  der  griechischen  Poesie 
ergeben,  ist  auch  auf  die  deutsche  in  Anwenduog  zu  bringen.  Wie 
sich  dort  in  den  Mhesten  Anfingen  eine  priesterlich-religiöse  Dichtung 
zeigt,  neben  welcher,  aus  den  ältesten  Heldenliedern  des  Volkes,  das 
nationale  Epos  hervorwuchs,  wie  dann,  nach  dessen  Verblühen,  die 
Lyrik  sich  erhob,  an  welche  sich  in  letzter  Folge  das  Draina  reihte:  so 
ist  dieser  dreifache  Entwicklungsgang  in  der  deutschen  Literatur  nach- 
weisbar und  spiegelt  sich  gleichfalls  bis  in*s  Einzelne  in  der  Geschichte 
der  mittelalterlichen  Dichtung  des  Ba/erlandes. 

Auch  hier  trefiFen  wir  zuerst  eine  priesterliche  Poesie,  die  aber  aus 
zwei  Faktoren  besteht,  denn  die  ältesten,  uns  erhaltenen  Reste,  sind 
theils  aus  rein  heidnischen  Reminiscenzen  zusammengesetzt,  theils  aus 
den  frühesten  Blüthen,  welche  die  neue  Lehre  des  Christenthums  auf 
dem  irischen  Boden  des  Volksthums  getrieben  hatte. 

Analog  der  griechischen  Epik  bildete  sich  auch  bei  uns  aus  den 
frühesten  Liedern,  welche  in  der  Erinnerung  des  Volkes  lebten:  das 
nationale  Heldengedicht,  welchem  eine  künstlerisch  ausgebildete  Dichtung 
zur  Seite  ging:  die  ritterliche  Kunstepik.  Beide  jedoch  umschwärmte 
eine  mitunter  voraus  greifende  oder  auch  nachfolgende  klösterliche 
Dichtung,  die  ui  fremder  Sprache,  in  der  ihr  vertrauten  lateinischen, 
den  heimathlichen  Geist  gebunden  hält. 

Wie  dann,  nachdem  die  grossen  Ahnen-Tha'ten  der  Vorzeit  aus- 
gesungen waren ,  doch  neu  nachgelebt  und  mitempfunden  in  einem 
bedeutsamen  Schaffen  und  Ringen,  die  Subjectivität  sich  geltend  macht 
und  der  Einzelne  selbst  in  und  mit  seinem  Liede  hervortritt,  so  erönhet 


die  lyrische  Dichtung  ihre  Bahn,  der  Minnegesang,  der  bei  genauerem 
Zuhören  gleichfalls  aus  verschiedenen  Tönen  besteht:  aus  dem  eigent- 
lichen Volksliede,  in  welchem  noch  häufig  die  alten  Traditionen  erklingen, 
aus  dem  religiösen  Gesang  oder  dem  Kirchenliede  und  den  ritterlichen 
Minneweisen. 

Und  wie  nun  die  Lyrik,  verklungen,  da  erhebt  sich  das  Drama, 
das  bereits  frühe  aus  dem  Traumleben  urgermanischer  Erinnerungen  her- 
ausgewachsen,  bald  aber  unter  die  Obhut  und  Pflege  des  lateinischen 
Klosterlebens  gerathen  war,  bis  es  jetzt  selbständig  losgerungen,  als 
nationales  Schauspiel  sein  Recht  begründete. 

« 

Der  geschichtliche  Verlauf  der  Dichtung  wiederholt  sich  in  dem 
fast  gleichzeitigen  Entwicklungsgange  der  bildenden  Kunst.  Nachdem 
unter  verschiedenen  Anläufen  der  selbständige  Styl  herausgewachsen, 
bringt  gegenüber  der  Epik  zuerst  die  Architektur  sich  zur  Geltung;  der 
Abschlüss  der  alten  Traditionen  des  Rundbogenstyles  entspricht  dem 
natiohalen  Epos,  während  die  ritterliche  Kunstdichtung  mehr  mit  den 
neuanhebenden  Spitzbogengesetzen  den  Vergleich  zulässt. 

Das  lyrische  Element  ist  der  Skulptur  parallelisirt,  die  im  XIII. 
und  XIV.  Jahrhundert  unstreitig  schon  ihre  Höhe  erreichte  und  mit 
ihrer  dreitheiligen  Dienstbarkeit,  im  Hause,  in  der  Kirche  und  an  den 
Prachtbauten  der  Fürstenhöfe,  gleichfalls  dem  subjectiven  Gesänge 
entspricht. 

Lidess  hat  die  gleich  darauf  zur  hohen  Ausbildung  gebrachte  Malerei 
in  ihren  dramatisch -objectiven  Momenten  mit  der  Geschichte  des  reli- 
giösen und  weltlichen  Schauspieles  gleichen  Schritt  gehalten.  — 

Was  nun  den  uns  zugewiesenen  Grund  und  Boden,  und  das  darauf 
hausende  Volk  betrifft,  so  ist  dessen  Begriff  durch  die  verschiedenen 
Jahrhunderte  wohl  immer  ein  anderer,  je  nachdem  die  Gränzen  sich 
ausgedehnt  oder  zusammengezogen,  je  nachdem  neue  Stämme  einge- 
mischt oder  frühere  ausgeschieden  wurden.  Die  vorschreitende  Geschichte 
wird  uns  demnach  immer  veränderte  Gränzen  nach  jeder  Richtung  hin 
vorschreiben,  wobei  die  heutigen  nur  in  so  weit  massgebend  sind,  dass 
wir  z.  B.  unmöglich  ein  Dichtergrab,  welches  im  jetzigen  Bayern  liegt, 
zu  übergehen  vermöchten,  selbst  auf  die  Gefahr  hin,  der  darinnen 
ruhende  Poet  habe  früher  mit  dem  eigentlichen  Kernlande  nur  in  flüch- 
tiger, durchziehender  Berührung  gestanden.  So,  den  doppelten  Gesichts- 


kreis  im  Auge  behaltend,  werden  wir  wohl  öfters  die  heute  nicht  mehr 
zum  bayerischen  Territorium  gehörige  Nachbarschaft  betreten  müssen, 
wenn  selbe  in  einer  Zeit  zu  uns. gehörte,  in  der  dichterische  Kräfte 
darinnen  lebten  und  schufen;  es  ist  das  det  einzige  Ausweg,  um  allen 
Ansprüchen  und  dem  historischen  Rechte  Genüge  zu  leisten,  und  wir 
erklären  dieses  im  Voraus,  um  später  weder  der  PiUgherzigkeit  noch 
einer  unstatthaften  Räuberei  geziehen  zu  werden.  Dass  ganz  entgegen- 
gesetzte Stämme  und  fremdliegende  Bezüglichkeiten  dabei  weniger  betont 
werden  können,  liegt  klar  in  der  Natur  der  Sache.  — 

Ein  Stück  jenes  Wächtervolkes,  das  einst  als  die  lebendigen  Mark- 
steine gegen  die  nachdrängenden  Slaven,  ^Is  die  Nachhut  auf  dem 
europäischen  Reisezuge  der  Gothen,  im  Osten  gestanden,  hatte  sich 
ans  dem  Böhmerwalde  gegen  die  Donau  ausgeladen,  das  Land  vom 
Kahlenberge  bis  zum  Inn  in  Besitz  genommen  und  sich  von  da  weiter 
ausgedehnt,  bis  an  den  Lech,  die  Donau  und  die  südlichen  Berge.  Die 
Springfiuthen  der  Völkerstürme,  die  hier  brandend  hereingeschlagen 
hatten,  waren  wieder  verlaufen;  nur  schwache  römische  und  keltische 
üeberreste  und  andere  herrenlose  Volkssplitter  verblieben,  mit  denen 
die  Baiwaren,  selbst  ein  verschiedenfarbig  eingesprengter  Knäuel,  hier 
stille  verwuchsen.  Es  war  kein  Volk  mehr,  nur  müdes  Trümmerwerk, 
das  widerstandslos  bald  unter  fremde  Obhut  sich  ergab.  Die  fremden 
Ankömmlinge  hatten  alte  Traditionen  aus  ihrer  ursprünglichen  Heimath 
mitgebracht,  heilige  Reste  des  urgermanischen  Götterglaubens  aus  der 
orientalischen  Völkerwiege,  die  durch  Singen  und  Sagen  fest  im 
Gedächtnisse  standen,  aber  von  Land  zu  Land,  mit  der  weiterschrei- 
tenden Entfernung  von  dem  ursprünglichen  Erbe,  durch  die  Generationen 
hindurch  unmerklich  umgekleidet,  abgenützt  und  wieder  neu  localisirt 
wurden.  Sie  sangen  von  ihren -alten  herrlichen  Göttern  und  hielten 
daran  fest,  so  dass  mancher  Heidenapostel,  der  mit  der  Friedensbot- 
schaft des  neuen  Krist  unter  die  erbitterten  Stämme  trat,  gezwungen 
war,  sich  der  herrschenden  Sitte  zu  beugen  und  seinen  Glauben  singend 
zu  verkünden,  sollte  er  willige  und  geneigte  Zuhörer  finden.  Und  sie 
nahmen  die  Lehre  vom  Heiland  der  Welt,  vom  grossen  Friedensfürsten 
und  dem  Friedekind  Gottes  gerne  an  und  Hessen  sich  taufen  —  aber 
nebenbei  ging  der  altehrwürdige  eingefleischte  Cult  fort,  halb  offen  am 
Tage  und  klüglich  christianisirt,  halb  aber  auch  im  nächtlichen  Dunkel 
und  in  unterirdischer  Heimlichkeit.     Unsere  Mythologie  ist  voll  solcher 

1* 


Zeugnisse  und  Panzers  treffliche  Beiträge, 0  das  köstliche  Büchlein 
des  Frhrn.  von  Leoprechting  aus  dem  Lechrain,*)  die  reichhaltigen 
und  umfassenden  Sammlungen  Schönwerths  aus  der  Oberpfalz,') 
dann  die  dankenswerthe  Combination  Quitzmanns,  ^)  sind  vorläufig 
ziemlich  ergiebige  und  erhebliche  Zeugen,  auch  dafür,  dass  die  letzten 
fliegenden  Fäden  der  alten  Ueberlieferuqg  nicht  selten  bis  in  unsere 
Tage  heraufreichen.  Und  inzwischen  gingen  bei  den  Baiwaren  die  Sagen 
von  ihren  alten  Herzogen  und  Fürsten,  von  ihren  grossen  Volksherren 
und  Heermeistem,  es  war  die  Genealogie  eines  zerfallenen  Hauses,  die 
sie  in  Gesängen  feierten  «nd  heilig  hielten  als  Trost  und  Vorbild  in 
den  Tagen  der  entschwundenen  Grösse.  Fest  lebte  aber  die  fröhliche 
Zuversicht,  die  alten  Götter  und  Herren  würden  wieder  kommen,  wenn 
die  Noth  aufs  höchste  gestiegen,  denn  was  einmal  lebenskräftig  gewirkt, 
könne  nimmer  zerfallen  und  in  den  Winden  verfliegen. 

So  ist  die  Götter-  uncl  Heldensage  des  Volkes  frisch  geblieben 
und  bildete  den  Blutumlauf  im  innersten  Herzen  der  Nation.  Nur  die 
Färbung  wechselte  mit  den  Jahrhunderten  und  die  Kraft  der  Pulsation, 
sie  ging  oft  schwach  und  kaum  mehr  fühlbar,  aber  dann  flammte  der 
Lebensstrom  wieder  auf  in  freudiger  Gährung. 

Aus  der  frühesten  Zeit  des  baiwarischen  Singens  sind  uns  nur 
zersprungene  Weisen  und  verlorne  Töne  geblieben.  Heilformeln  und 
Zaubersegen,  in  beinahe  unerkennbarer  Gestalt  und  herabgesunken  zu 
Kinderspiel  und  Aberglauben;  die  alten  Götter  gehen  noch  um,  oft  in 
sehr  fadenscheiniger  Gestalt  und  emigrantenhaft  herabgekommen,  ihr 
Himmel,  ihr  Hab  und  Gut  sind  vertrödelt  und  in  andere  Hände,  oft- 
an  den  Wenigstnehmenden  gekommen,  die  alte  Dogmatik  ist  Märchen 
und  Mythe  geworden,  indess  die  Sage  schon  auf  historischem  Grund 
und  Boden  Wurzel  gefasst  hat.  Es  ist  eine  mächtige  Poesie  in  diesem 
anscheinenden  Kindertand,  ein  Hauch  der  ehemaligen  Einfachheit  und 
Grösse  liegt  noch  darüber,  aber  auch  eine  sichere  Ahnung  und  traurige 


')  Bayerische  Sagen  und  Bräuche.     Beitrag  Kur  deutschen  Mythologie  von  Fr. 
Panzer.   IB.  München  1848.    II.  B.  1855. 

^)  Aus  dem  Lechrain.    Zur  deutschen  Sitten-  und  Sagenkunde,  von  Karl  Frei- 
herrn von  Leoprechting.    München  1855. 

^)  Aus  der  Oberpfalz.    Sitten  und  Sagen  von   Fr.  Schönwerth.    Augsburg 
1857-59.    3  Bände. 

^)  Die  heidnische  Religion  der  Baiwaren,  von  A.  Quitztnann.  Leipzig  1860. 


Klage  tönen  aus  der  frühesten  Tradition,  dass  dieses  Alles  nicht  so 
verbleiben,  sondern  einst  vergehen  und  fallen  müsse,  wenn  auch  mit 
der  fernen  Aussicht  auf  eine  bessere  Zukunft. 

Die  erste  Frage,  die  sich  ein  Volk,  wenn  es  herangewachsen  und 
zum  Bewusstsein  gekommen  ist,  stellt,  lautet  nach  dem  Herkommen 
der  Welt,  wie  sie  entstanden,  wo  sie  hergekommen,  ob  selbe  immer  so 
bestanden,  ob  selbe  bleiben  oder  ob  sie  wieder  vergehen  werde  gleich  • 
der  Herrlichkeit,  die  wir  darauf  geniessen.  Diese  Frage  hatten  sich 
zuerst  die  Hebräer  gestellt  und  Moses  setzt  ihre  Beantwortung  bedeut- 
ungsvoll seinen  fünf  Büchern  voraus.  Griechen  und  Römer  beschäftigten 
sich  sodann  damit  und  philosophirten  darüber.  Auch  die  Germanen 
hatten  eine  ursprüngliche  Tradition  der  Kosmogonie  überkommen,  die 
sie  in  ihre  Sprache  und  Bilcfer  übersetzten,  die  der  gewaltigen  Phan- 
tasie, der  urkräftigen  Vorstellungsweise  dieses  Volkes  entsprach.  Nur 
die  mosaische  Idee  des  Erschaffenseins  war  ihnen  abhanden  gekommen; 
sie  erhielten  selbe  durch  das  Christenthum  zurück,  doch  war  die  selbst- 
eigene Reminiscenz  zu  mächtig,  als  dass  sie  nicht  noch  ein  wenig  aus 
dem  Wessesbrunner  Gebet  *)  leuchten  sollte,  jenem  ersten  Denkmal 
unserer  Sprache  und  Dichtung ,  das  offenbar  ein  niederdeutscher  oder 
angelsächsischer  Mönch  in  dem  genannten  Kloster  ganz  in  der  alliteri- 
renden  Form  eines  heidnischen  Zauberspruches  niedergeschrieben  hatte.^ ) 
Er  hebt  damit  an,  wie  anfanglich  nichts  dagewesen  sei,  nicht  Erde, 
noch  Himmel,  nicht  Berg  noch  Baum,  nicht  Sonne,  noch  Mond  noch 
das  Meer:  nur  Gott  „der  Männer  mildester"  und  mit  ihm  manch  glor- 


')  Die  Form  Wessobronn  ist  falsch;  die  älteste  Urkunde  nennt  diesen  Ort 
Wezzinesbrunno,  d.h.  Brunnen  des  Wezzini:  vom  XII— XIV.  Jahrh.  erscheint 
dieser  Name  als  Wessesbrunn^  wie  das  Volk  heute  noch  spricht,  vgl.  Roth 
Oertlichkeiten.   111.  Hft.  Vorrede  S.  X. 

^j  Die  bis  zum  Jahre  1839  hierüber  erschienene  Literatur ^hat  Dr.  Kar!  Roth 
in  der  Vorrede  zu  seinen  deutschen  Predigten  8.  XV  fT.  zusammengestellt; 
wir  erwähnen  hier  nachträglich  nur  die  schöne  Besprechung  der  ersten  Aus- 

fabe  durch  die  Gebr.  Grimm  von  Görres  in  den  Heidelb.  Jahrb.  1813 
.337-53.  Uebersetzt  wurde  das  W.  Geb.  von  Dr  K.  Roth  (Denkmäler  der 
deut. Sprache.  1810.  S.  5)  und  Feussner:  die, ältesten  allit.  Dichtungsreste. 
Hanau  1845.  (vgl.  Schmeller  in  den  bayr.  Gelehrten -Anzeigen  1845. 
S.  590.)  —  Dieselbe  Handschrift  der  Münchner  Hof-  und  Staatsbibliothek 
enthält  zugleich  eine  Geschichte  der  Kreuzerfindung  (de  inqnisitione  vel  in- 
ventione  sanctae  crucis),  deren  Text  mit  Illustrationen  begleitet  ist^  die  zu  den 
ältesten  und  interessantesten  Bruchstücken  allbayerischer  Kunst  gehören.  Der 
Codex  hat  eine  Spanne  in  der  Höhe,  das  Pergament  ist  stark,  die  Schrift 
scheint  der  Periode  zu  entstammen,  da  die  langobardische  Schreibweise  der 
fränkischen  weichen  musste.  Schmeller  hat  bewiesen,  dass  der  Codex  vor 
814  geschrieben  wurde. 


reiche  Greister  waren  da.  Darauf  geht  der  Dichter  zu  der  Bitte  über, 
dass,  wie  Gott  durch  die  Schöpfung  sich  gnädig  erwiesen  habe,  er 
auch  jetzt  den  Flehenden  seiner  Gnade  theilhaft  machen  wolle.  Es  ist 
aber  in  so  weit  ein  wichtiger  Baustein  für  unsere  heidnische  Kosmogonie, 
als  der  Dichter  die  vor  dem  Anfang  aller  Welt  bestehende  ungeheuere 
Kluft,  in  welcher  weder  Erde  noch  Himmel,  weder  Sonne  noch  Sterne, 
weder  Licht  noch  Meer,  weder  Berg  noch  Baum  waren  —  fast  mit  den 
Worten  der  Edda  schildert,  wozu  noch  kommt,  dass  der  das  nordische 
ginnüngagap  (Kluft)  umschreibende  Ausdruck  ^ni  wiht  ni  was  enteo 
ni  wenteo''  sich  noch  in  dem  volksthümlichen  ^enten  und  wenteu  oder 
enten  und  drenten"  für  hüben  und  drüben,  findet. ') 

Es  ist  ein  merkwürdiges  Zusammentreffen,  dass,  wie  in  jeder 
Mythologie  der  Beginn  und  das  Ende  der  Welt  die  Hauptfragen  bilden, 
auch  die  christliche  Dichtung  damit  eingeleitet  ist.  So  erscheint  dem 
Wessesbrunner  Gebet  gegenüber  der  sogenannte  „Muspilli,"*)  welches 
eine  Schilderung  des  Weltendes  nach  der  Apocalypse,  daneben  aber 
unverkennbar,  selbst  bis  auf  die  Worte,  übereinstimmende  Züge  des 
heidnischen  Glaubens  enthält.  Nach  diesem  sollte  einst  beim  Nahen  der 
grossen  Götterdämmerung  die  G^sammtheit  der  Götter  und  Menschen 
den  Untergang  finden  in  einem  gewaltigen  Kampfe,  der  zwischen  den 
bis  dahin  niedergehaltenen  bösen  Urmächten  und  den  Göttern  entbrennt. 
Muspilli  selbst  ist  das  Muspelheim  der  Edda,  das  Feuerland,  der  Anti- 
christ streitet  an  der  Stelle  der  Riesen  mit  dem  Elias,  unter  dessen 
Gestalt  der  Donnergott  geborgen  ist,  denn  auch  er,  obwohl  siegend, 
wird  doch  schwerverletzt,  von  seinem  Blute  entbrennen  die  Berge,  und 
der  Wächter  an  der  Regenbogenbrücke  bläst  in  sein  Hörn. 

„Wenn  der  mächtige  König  das  Gericht  verkündet  (heisst  es  von 
Vers  35  an*),  zu  dem  da  kommen  soll  der  Geschlechter  jedes,  dann 
wagt  der  Menschenkinder  keines  das  Aufgebot  zu  versitzen.  Der  Men- 
schen jeder  muss  zu  dem  Gerichte.     Da  wird  er  vor  dem  Köniije  zu 


0  Qiiitzmann  S    193. 

^)  Das  Gedicht  ist  leider  nur  ein  Fragment,  welches  Seh  melier  in  einem 
Emmeramer  Ms.  entdeckte  und  zuerst  in  A.  Buchners  Beiträgen  zur  vater- 
ländischen Geschichte  1832.  I.  89  117  bekannt  gab  (auch  besonders  flbg^' 
druckt  mit  Facsimile).  Ueber  die  strophische  Form  vgl.  Bartsch  in  Pfeiffers 
Germania  111.  10  ff.   Mühlenhofr  in  Haupts  Zeitschrift.  XI.  381-93. 

')  Uebersetzt  von  A.  Vollmer  in  Roths  Beitr.  I.  147  ff. 


Rede  stehen  ober  das,  was  er  in  der  Welt  gewirkt  hat  (40).  Das  hörte 
ich  sagen  der  Welt  Rechtweisen ,    dass  der  Antichrist  da   mit.  Eliase 
streiten  werde.  Der  Ruchlose  ist  gewaffnet.  Dann  wird  unter  ihnen  der 
Streit  erhoben.    Die  Kämpfer  sind  so  stark,  die  Sache  ist   so  gfoss. 
Elias  streitet  fiir  das  ewige  Leben,   (45)  er  will  den  Gerechten  das 
Reich  stärken.     Desshalb  wird  ihm   helfen  Der  des  Himmels  waltet. 
Der  Antichrist  steht  bei  dem  Menschenfeinde,  steht  bei  dem  Satanase, 
der  ihn  verläugnen  wird.     Desshalb  wird  er  auf  der  Kampfstätte  ver-  , 
wundet  fallen  (50)   und  diesesmal   überwunden  werden.   •  Doch   glaubt 
mancher  der  Kirchenlehrer,   dass  auch  Elias  in   dem  Kampfe  verletzt 
werde !    Sobald  des  Elias  Blut  auf  die  Erde  träuft ,  so  entbrennen  die 
Berge,  kein  Baum  bleibt  stehen,  die  Flösse  vertrocknen,  (55)  das  Meer 
verzehrt  sich,  es  glüht  flammend  der  Himmel,  dei*  Mond  fällt,  es  brennt 
der  Erdkreis,  kein  Stein  bleibt  stehen  auf  der  Erde.     Es  fährt  dann 
der  Tag  der  Vergeltung  ins  Land,  fährt  mit  Feuer  die  Menschen  heim- . 
zusuchen.   Da  vermag  dann  kein  Blutsfreund  dem  andern  zu  helfen  vor 
dem  Muspilli.  ")   (60)    Wenn  die  breite  Erdfläche  ganz   verbrennt  und 
Feuer  und  Luft  Alles  dahinfegt:    wo   ist  dann  die  Mark,  um  die  man 
mit  seinen  Verwandten  stritt?    die  Mark  ist  verbrannt  ....  die  Seele 
steht  in  Angst,  (65)  weiss  nicht,  womit  sie  büsse.    Sofort  fahrt  sie  zur 
Hölle.    Desshalb  ist  es  für  den  Menschen  so  gut,  wenn  er  zu  dem  Ge- 
richte kömmt,  dass  er  der'  Sachen  jede  recht  richte.    Dann  braucht  er 
nicht  zu  sorgen,  wenn  er  zu  dem  Gerichte  kommt.    Nicht  weiss  der  arme 
Mensch,  welchen  Beobachter  er  hat,  (70)  wenn  er  durch  Bestechungen 
das  Recht  verkehrt;  dass  der  Teufel  verdeckt  dabei  steht.    Der  hat  in 
Rechnung  der  Sachen  jede,  wa^  der  Mensch  früher  und  später  Uebeles 
that,  auf  dass  ,er  es  Alles  sage,  wenn  er  zu  dem  Gerichte  kommt  (75) 
Es  sollte  darum   der  Menschen  keiner  Bestechung  annehmen.    Wenn 
dann  das  himmlische  Hörn  erschallt  und  der  Richter  sich  auf 
den  Weg  erhebt,   der  da  richten  wird  Tode  und  Lebende:   (80)  dann 
erhebt  sich  mit  ihm  der  ,Schaaren  grösste.    Die  ist  so  muthvoll ,  dass 
Niemand  mit  ihr  zu  streiten  vermag.  Dann  föhrt  er  zur  Gerichtsstätte, 
die  da  abgemacht  ist.    Da  ergeht  das  Gericht,  von  dem  man  von  jeher 
erzählte.    Dann  fahren  Engel  über  der  Erde  Marken,  (85)  wecken  die 
Völker,  weisen  sie  zur  Versammlung.    Dann  wird  der  Menschen  jeder 
von  dfem  Staube  erstehen,  sich  frei  machen  von  des  Grabes  Bürde.  Es 


*)  Vollmer  liest  Mutspelli. 


8 

wird  ihm  das  Leben '  zurückkehren  ,*  dass  er  Rede  stehen  könne  und 
nach  seinen  Thaten  gerichtet  werde.  (90)  «Wenn  nun  der  zu  Gerichte 
sitzt,  der  da  entscheiden  und  richten  wird  über  Tode  und  Lebende; 
dann  steht  um  ihn  der  Engel  Menge,  der  guten  Menschen  Kreis,  wie 
die  Sterne  glänzend.  Da  kommen  zu  dem  Gerichte  so  viele,  die  da  von 
der  Rast  ersteheö.  (95)  Da  vermag  der  Menschen  keiner  etwas  zu  ver- 
hehlen. Da  wird' die  Hand,  das  Haupt,  aller  Glieder  jedes  bis  auf 
den  kleinenFinger  sprechen  und  sagen,  was  er  unter  den  Menschen 
für  Mordthaten  verübte.  Es  ist  kein  Mensch  so  listig,  dass  er  da  etwas 
zu  erlügen,  (100)  dass  er  zu  hehlen  vermöchte  der  Thaten  eine,  dass 
sie  vor  dem  Könige  nicht  kund  gemacht  würde,  wenn  er  es  nicht  mit 
Almosen  zuvor  ausglich  und  mit  Fasten  die  Frevel  büsste**  etc. 

Das  Ganze  ist  leider  nur  ein  Fragment  von  beiläufig  212  Stäben, 
die  zudem  noch  manche  Lücke  bieten,  man  sieht  aber,  schon'  aus  dieser 
Probe,  dass  nichts  unbedeutend  daran  ist,  nicht  einmal  die  Erwähnung 
des  kleinen  Fingers,  denn  dieser  ist,  wie  aus  allen  Kindermärchen 
bekannt  und  wie  Rochholz  ')  in  seiner  sym\)olischen  Bedeutung  der 
Hand  dargethan  hat,  immer  noch  ein  Angeber  und  Ohrenbläser,  der 
Alles  ausplaudert  und  ins  Geschrei  und  an  den  Tag  bringt.  Fast  jede 
Zeile  ist  in  den  Eddaliedern  wieder  nachweisbar,  man  sieht,  wie  tief  die 
Erinnerung  an  das  Weltende  nach  heidnischen  Begriffen  eingeprägt  war 
und  noch  in  der  christlichen  Dichtung  die  Oberhand  hatte. 

Was  dieses  Gedicht  noch  ausserdem  interessant  macht,  ist  der  Um- 
stand, dass  es  in  den  leeren  Seiten  und  Rändern  eines  schönen  Büch- 
lein, das  von  Adalram')  zum  Geschenk  für  Kaiser  Ludwig  des  Frommen 
Sohn,  Ludwig  IL  oder  den  Deutschen')  bestimmt  gewesen,  einge- 
schrieben wurde.  Es  zeigt  von  einer  ungeübten  und  orthographisch 
nachlässigen  Hand,  und  die  Vermuthung  Schmellers  scheint  gar  nicht 
ungegründet,  es  sei  höchst  wahrscheinlich  König  Ludwig  der  Deutsche 
selbst  gewesen,  der  das  Gedicht  vielleicht  aus  dem  Gedächtniss  und  vom 
Hörensagen  daselbst  niedergekritzelt  habe.     Das  Buch  wurde  damals 


*)  Roch  holz:  Alemannisches  Kinderlied  und  Kinderspiel.  Leipzig  1857.  S.  106. 

')  Das  Büchlein  enthält  die  Sermo  St.  Augustini  de  symbolo  contra  Judaeos. 
Adalram  war  der  dritte  unter  den  firzbischöfen  von  Salzburg;  er  wurde 
821  erwählt  und  starb  836. 

')  Dieser  hielt  als  König  von  Bayern  vom  Jahre  828  an  in  Regensburg  Hof; 
vom  Jahre  843—76  wurde  er  König  von  ganz  Deutschland. 


dadurch  verunstaltet,  in  einer  Weise,  die  für  uns  heut  zu  Tage  jedoch 
mehr  Werth  hat,  als  der  lateinische  Sermon. 

Was  aber  so  lebendig  im  Volke  lebte,  muss  anderweitig  noch  zur 
Erscheinung  gekommen  sein;  dieselben  Gedanken  haben  sich  auch  in 
der  bildenden  Kunst  niedergeschlagen,  und  die  berühmte  Säule  in  der 
Krypta  zu  Freising  und  die  seltsamen  Steinskulpturen  am  bekannten 
Portale  des  Schottenklosters  zu  Regensburg  siad  die  Illustrationen  dazu, 
wie  Herr  Quitz mann  in  seinem  obengenannten  Werke  glücklich  nach- 
gewiesen hat.  *) 

Auch  die  Sage  vom  Yggdrasil,  dem  Weltbaum,  ist  uns  gewahrt, 
doch  durch  kein  schriftliches  Denkmal,  sondern  durch  die  nicht  minder 
bedeutungsvolle  mündliche  Ueberlieferung.  Zwar  ist  er  in  dem  kahl 
gewordenen  Birnbaum  der  Walserhaide,  nächst  welcher  der  bergentrückte 
Gott  in  kaiserlichem  Glänze  schläft,  weniger  kennbar,  desto  deutlicher 
aber  in  der  Oberpfalz  der  kalte  Baum')  bei  Leuohtenberg  mit  dem 
Quellenteich  (ürd)  an  seiner  Wurzel ,  von  einer  Vala  gepflanzt  und 
behütet;  alle  Anzeichen  des  letzten  Kampfes  der  lichten  Asengötter 
gegen  die  Feuerkinder  sind  dort  vereinigt;  auch  ist  die  Prophetie  von 
der  Wiederkehr  des  deutschen  Kaisers  und  einer  glücklicheren,  nach  dem 
Ende  der  Tage  eintretenden  Zukunft,  daran  geknüpft. 

Ist  das  Wessesbrunner- Gebet  mehr  psalmartiger  Natur,  so  hört 
man  aus  dem  Hei i and*)  das  alte  Schwertgeklirr  und  den  sächsischen 
Waffentanz;  aber  wir  haben  leider  keinen  Beweis,  dass  dieses  pracht- 
volle angelsächsische  Gedicht  damals  schon  bei  uns  Eingang  gefunden. 
Nur.  den  einen  Schluss  dürfen  wir  daraus  ziehen,  dass  die  ersten  Heiden- 
apostel, die  den  Baiwaren  die  Gnadenbotschaft  vom  Mensch-gewordenen 
Gottessohn  brachten ,  kaum  in  anderer  Weise  gepredigt  haben  werden. 
Emmeram  und  Hrodbert,  Korbinian,  Winfrid  und  Willibald, 
Alto  und  Winthir  und  wie  die  Träger  und  Verbreiter  der  neuen  Lehre 


')  Urreligioa  der  Baiwaren.  S.  2Q0  ff. 

^)  Schön  werth  III  339  ff.  Diese  merkwürdige  Steinlinde  ^steht  nahe  an  der 
von  Vohenstrau^s  nach  Wernberg  Ciihrenden  Strasse,  auf  dem  Grat  eines 
langgestreckten  Bergrückens,  der  ku  beiden  Seiten  ziemlich  steil  abfällt  und 
unten  rechts  das  liebliche  Lärauthal,  links  das  wildromantische  Thal  der 
schauerlichen  Pfk'eimd  bilden  hilfl^ 

')  Der  Codex  wurde  in  der  Stiftsbibliothek  zu  Bamberg  am  20.  Nov.  1794 
von  Professor  Gerard  Gley  entdeckt  und  1805  nach  München  abgeliefert,  vgl. 
dessen  Beschreibung  Ja  eck  die  Handschriften  zu  Bamberg.  1831.  I.  S. 
XXXVIÜ  ff 


10 

alle  heissen,  die  der  Baiware  io  dankbarer  Erinnerung  als  Heilige  ver- 
ehrt, sie  mussten  sich  bequemen,  das  Ghristenthum  den  starrköpfigen 
Heiden  mundgerecht  zu  machen  und  ihrer  Vorstellungsweise'anzupassen. 
Das  Ghristenthum  musste  ganz  und  gar  deutsches  Gewand  annehmen, 
sollte  es  beim  Volke  Eingang  finden. 

Die  Evangelienharmonie  des  Otfrid  von  Weissenburg  (c.  870) 
dagegen  kam  frühzeitig  zu  uns  und  ist  in  einer  Abschrift  erhalten,  die 
im  Auftrage  des  Bischof  Waldo  ")  zu  Freising  durch  den  Priester 
Sigfrid  gemacht  wurde.  ')  Otfrid  war  bekanntlich  ein  Schüler  des 
Hrabanus  Maurus  (zu  Fulda),  der  als  Erzbischof  von  Mainz  856  starb. 
Seiner  Mundart  nach  muss  Otfrid  am  Bodensee  zu  Hause  gewesen  sein, 
dafür  gibt  auch  der  Umstand  einen  Fingerzeig,  dass  er  sein  Gedicht 
neben  Liutbert  (dem  Erzbischofe  von  Mainz)  und  König  Ludwig  dem 
Deutschen,  auch  zweien  Mönchen  von  St.  Gallen,  Hartmuot  (f  872)  und 
Werinbert  widmete.  Es  ist  das  älteste  uns  erhaltene  Werk  deutscher 
Reimdichtung,  aber  schwerlich  die  wirklich  älteste  Reimdichtung  an 
sich.  Otfrid  bearbeitete  seinen  Krist  nach  den  Evangelien,  aber  im 
Tone  älterer  Volkslieder,  die  dadurch  verdrängt  werden  sollten; 
es  mussten  Lieder  vorhanden  sein,  die,  was  den  metrischen  Bau  betrifil, 
den  Strophen  Otfrids  gleich  kamen.  Vielleicht  liess  der  fromme  Waldo 
gerade  in  dieser  Intention  das  künstliche  Opus  abschreiben,  aber  gesungen 
wurde  es  doch  schwerlich  und  so  hatte  es  (abgesehen  von  dem  heutigen 
philologischen  Interesse)  für  die  damalige  Zeit  keinen  weiteren  Nutzen 
als  den  freilich  nicht  hoch  genug  anzuschlagenden  formellen,  indem  aus 
seiner  Strophe  später  die  kurzen  Reimpaare  der  höfischen  Epik  heraus- 
wuchsen. Sie  bestehen  aus  zwei  Langzeilen  und  vier  Halbzeilen,  jede 
zu  vier  Hebungen ;  von  den  dazu  gehörigen  Senkungen  dürfen  auch  eine 
oder  mehrere  fehlen,  ohne  dass  darum  der  Vers  geändert  würde;  der 
Reim,  oft  nur  Assonanz,  findet  sich. am  Ende  der  Halbzeilen,  immer 
zwei  verbindend.  Den  eigentlichen  Reim  bildet  die  letzte  Silbe,  doch 
wird  auch  zuweilen  die  vorletzte  bei  langen  Wurzelsilben  und  selbst  auch 
die  drittletzte  ^ei  kurzer  Wurzel  in  den  Gleichklang  hineingezogen ; 
solche  Reime  bilden  dann  stets  zwei  Hebungen. 


')  Bischof  Waldo  war  es  auch,  der  den  absrebrannten  Dom  zu  Freising  mit 
grossen  Kosten  wieder  herstellte,  vergl  Meichejbeck-Baumgartner. 
1854.  S.  52. 

^)  Die  Handschrift  ist  125  Blätter  stark,  die  lateinische  Vorrede  des  Dichters 
und  alle  Eingangsgedichte  fehlen  jedoch. 


11 

Die  Copie  des  Freisinger  Presbjrter  Sigfrid  gehört  zu  den  wenigen 
alten  Handschriften,  die  bereits  nach  dem  Ausgange  des  Mittelalters 
aas  ihrem  Schlafe  aufgeweckt  wurden  und  eine  Art  Geschichte  erhielten. 
Seb.  Frank')  der  berühmte  Kosmograph  und  Historiker  erzählt  (ins. 
Ghron.  Germ.  Augsb.  1538),  dass  der  Beatus  Rhenanus,  der  ann. 
1530  ^gen  Freising  in  die  liberey  des  hl.  Corbiniani  gezogen,  die  übrigen 
Bücher  Livii  zu  suchen,  alda  vnder  andern  ein  alt  gerümpt  Evangeli- 
buch gefunden  in  fränkischer  Zungen  geschriben  vor  600  jareu."*)  Die 
Handschrift  wurde  wieder  vergessen,  bis  sie  Herzog  Ernst  (der  1565 
zum  Bischof  erwählt  wurde)  von  ungefähr  in  einef  alten  Kiste  wieder 
fand;  er  sendete  sie  auf  Verlangen  an  seinen  Bruder,  den  Herzog 
Wilhelm,  der  sich  das  merkwürdige  Werk  in  einem  eigenen  Briefe 
vom  16.  Oktober  1580  zur  Ansicht  erbat,  worauf  es  wieder  von  München 
zurückkam.  Die  Handschrift  war  übrigens  später  auch  dem  berühmten 
Antiquar  Lazius,  unserem  bayerischen  Historiker  Wiguläus  Hund, 
dem  kaiserlichen  Bibliothekar  Lambeck  und  dem  Engländer  Hickes 
bekannt,  auch  Schilter,  Köhler  und  Kindlinger  in  seiner  An- 
weisung zur  Reiseklugheit  für  junge  Gelehrte  (1788)  sprachen  von  ihr. 
Zur  Zeit  der  Klosteraufhebung  wollte  sie  sich  lange  nicht  zeigen,  was 
dem  B.  v.  Aretin  vielen  Kummer  bereitete,  bis  er  sie  im  Juni  1803 
zu  Weihenstephan  glücklich  wieder  entdeckte. ') 

In  der  lateinischen  Vorrede  zu  seiner  Evangelienharmonie  wirft 
Otfrid  einen  schiefen  Blick  auf  diealtenHeldenlieder,  als  unnützes 
Geklingel  (sonus  inutilium  rerum)  und  auf  das  gleich  übel  beleumundete 
Volkslied;  natürlich  ist  ihm  das  alte  fröhliche  Weinlied  (Winileod) 
auch  ein  frecher,  weltlicher  Singsang  (cantus  laicorum  obscoenus),  an 
welchem  schrecklicher  Weise  selbst  gute  Nonnen  noch  Gefallen  fanden, 
obwohl  ihnen  doch  schon  ein  königliches  Edict  vom  Jahre  789  ernstlich 
verboten  hatte,  so  verfluchtes  Teufelszeug,  wie  Liebeslieder  und  der- 
gleichen abzuschreiben  oder  gar  einander  mitzutheilen  (winileodes  scri- 
bere  vel  mittere).  Wir  wären  ihnen  sicherlich  sehr  dankbar,  wenn  die 
frommen  Nonnen  ein  wenig  weites  Gewissen  gehabt  und  uns  trotzdem 


')  Sebastian   Frank  wurde   1501  ku   Donauwörth  geboren   und  starb  als 
Blichdrucker  und  SchriflstclI^r  zu  Basel  1545. 

^)  Er  hat  (Basel  1551)  einzelne  Stellen  herausgehoben  zum  Beweise  dafür,  ,^dass 
die  Franckeil  in  Gallia,  eben  zur  Zeit  Caroli  gemischt  teutsoh  haben  geredt.^ 

»)  Beiträge.   IV.  2  Hft.  S.  182. 


12 

doch  Allerlei  Ton  ihren  Herzensgeheimnissen  und  heimlichen  Freuden 
überliefert  hätten.  Aber  auch  die  Kirche  eiferte  gegen  die  bäuerischen, 
läppischen  und  teuflischen  Cantica  (rustica,  inepta,  diabolica)  und  zwar 
mit  Recht,  denn  es  lief  viel  böses  Heidenthum  mitunter,  das  nun  ein- 
mal ausgerottet  werden  musste  —  wenn  es  möglich  gewesen  wäre.  Denn 
als  man  von  den  alten  Göttern  und  ihren  Freuden  und  von  den  alten 
Helden  und  ihrer  Grösse  nicht  mehr  singen  durfte,  so  ging  das  zahn- 
lose Mütterlein  der  Maere  und  die  immer  noch  jugendschöne  Frau 
Sage  in  die  4ieimliche  Kinderstube,  und  die  Ammen  überlieferten  die 
uncanonisch  gewordenen  Erinnerungen  in  ihrer  Art,  bessernd  und  dem 
Zeitgeiste  und  dem  Fassungsvermögen  ihres  kleinen  Auditoriums  gemäss 
überarbeitet  —  in  ihrer  Art  auch  eine  biblische  Geschichte  für  die 
Ejuderwelt. 

Es  muss  aber  eine  Menge  vorotfrid'scher  Gerichte  in  deut- 
scher Sprache  gegeben  haben,  das  Kloster  Reichenau  hatte  im  Jahre 
821  allein  über  ein  Dutzend  davon  aus  der  mündlichen  Ueberlieferung 
'  aufgeschrieben.  Die  klugen  Mönche,  die  meist  von  weither  und  in  andern 
Zungen  redend,  gekommen  waren,  lernten  und  lehrten  daraus  die  deutsche  ' 
Sprache,  zu  der  sie  mühselig' ausserdem  Glossen  sammelten,  vielleicht 
auch  zum  Anbau  einer  deutschen  Grammatik  nach  Karl  des  Grossen 
Beispiel.  *)  Wenn  aber  eine  einzige  Abtei  so  viel  an  ähnlichen  Kost- 
barkeiten verwahrte,  wie  viel  muss  sich  anderwärts  des  Aufgezeichneten, 
und  gar  im  Munde  des  Volkes  Unaufgeschriebenen  damals  gefunden 
haben!')  Dafür  kam  freilich  auch  anderer  Ersatz  durch  die  Heiligen- 
legende; wir  haben  noch  ein  Lied  auf  den  hl.  Petrus  und  andere  Heilige 
(wovon  später  unter  dem  Abschnitt  der  Kirchenlieder  das  Betreffende 
zu  finden),  auch  vom  hl.  Ulrich  wissen  wir,  dass  das  Volk  sang,  aber 
es  war  zu  vulgär,  als  dass  die  lateinischen  Biographen  darauf  hätten 
Rücksicht  nehmen  mögen. '^)  Dafür  entschädigt  wieder  manch  anderes 
Bruchstück,  das  hinreichend  geeignet  ist,  ein  ganz  eigenes  Genre  auf- 
zuhellen, wie  z.  B.  das  Lied  auf  den  Eber,  welches  sich  in  einer  Hand- 
schrift des  X.  Jahrh.  zu  München  befindet,    die  um  ein  Säculum  älter 


')  Ein  Fragment  von  28  Zeilen  lateinischer  Reimverse  mit  gegenüberstehender 
UebersetK\ing  aus  dem  IX.  Jahrh.  aas  Tegernsee  hat  Oocen  in  Aretlns 
Beitr.  1806.  2   Hrt.  S.  130  (T.  abgedruckt. 

')  J.  Grimm,  Lat.  Gedichte.  S.  VIII. 

S)  Uhland  in  Pfeiffers  Germania.   IV.  45. 


13 

ist  als  dieselbe  TextanfzeichnuDg  za  St.  Gallen. ')  Man  sieht  daraus, 
dass  solche  Dinge  wie  Waldsamen  durch  Vögel  vertragen  werden  können, 
dass  eine  feste  Bestimmung  über  Heimathsberechtigung  nicht  getroffen 
werden  kann  und  dass  vielleicht  Manches  in  unsere  Gränzen  reicht,  was 
weit  ab  davon  später  aufgeschrieben  wurde.  .So  nehme  ich  gar  keinen 
Anstand,  hier  auch  des  H^ildebrandliedes  zu  erwähnen.  Wir  haben 
es  zwar  in  ältester  Fassung  nur  wie  es  im  Kloster  Fulda  zu  des,  Hra- 
banus  Zeiten  aufgeschrieben  wurde,  aber  der  Boden,  auf  dem  es  zuerst 
gesagt  und  gesungen  sein  musste,  ist  süddeutsch  und  die  Bemerkung  des  . 
Aventin,  dass  er  den  ^alten  Hildebrand^  noch  singen  hörte,  noch  mehr 
aber  die  Beliebtheit  der  Melodie,  welche  später  auch  auf  andere  Texte 
übertragen  wurde,  sind  redende  Beweise  dafür,  wie  einheimisch  und 
eingebürgert  aus  den  frühesten  Zeiten  es  bei  uns  gewesen  sein  musste. 

So  sind  wir  bei  der  Sage  angelangt.  Die  Dinge,  die  hier  zur 
Sprache  konmien,  haben  mit  der  Historie  selbst  wenig  zu  schaffen,  denn 
^die  Sage  geht  mit  anderen  Schritten  und  sieht  mit  anderen  Augen,  als 
die  Geschichte;"')  die  Sage  ist  um  so  viel  poetischer,  als  sie  gerade 
der  urkundlichen  Wahrheit  entbehrt;  in  demselben  Grade,  als  sie  dem 
strengen  Historiker  unnütz  und  entbehrlich  ist,  bildet  sie  ein  unver- 
äusserliches Kronjuwel  fär  die  Geschichte  der  Dichtung,  die  sich  weniger 
darum  bekümmert,  ob  ein  fraglicher  Herzog  oder  König  auch  zu  erweisen 
sein  könnte,  sondern  sich  willig  begnügt  mit  dem  Vorhandensein  eines 
Märchens,  das  häufig  doch  ein  älteres,  historisches  Recht  beanspruchen 
kann,  als  die  Historie  zu  begränzeh  vermag. 

Die  Baiwaren  erzählten,  sie  seien  aus  Armenien  eingewandert,  aus 
dem  Lande,  in  welchem  Noah  aus  dem  Schiffe  landete,  als  ihm  die 
Taube  den  grünen  Oelzweig  gebracht.  So  erzählt  der  Dichter  des  Anno- 
liedes ')  und  er  hat  mit  christianisirender  Treue  das  Gehörte  berichtet, 
denn  heut  zu  Tage  ist  noch  die  Sage  lebendig,  wie  einst  in  grosser  Noth, 
als  die  Wasser  bis  an  die  Spitzen  der  Berge  sich  erhoben,  ein  Trog  am 
Watzmann  gelandet,  daraus  ein  Mann  und  ein  Weib  gestiegen,  die 
zusammen  das  ausgestorbene  Menschengeschlecht  weitergepfianzt  Es  ist 


')  Uhland  Volkslieder.  I.  329. 

^)  Grimm:  Deutsche  Sagen.  II.  S,  V, 

')  Wackernagel  Lesebuch.  S.  179  u.  180  und  die  ^Kaiserchronik.^  vgl. 
Massmanns  Sagenerörlerungen  dazu  im  III.  B.  S.  472—77. 


14 

ganz  die  Sage  der  eddisch en  Sinfluth  aus  dem  Blnte  des  Urriesen 
Ymir,  die  in  der  nordischen  Fassung  vor  die  Erschaffung  des  Menschen- 
geschlechts gesetzt  ist,  es  ist  der  Riese  Bergelmir  und  sein  Weib,  von 
dem  das  neue  Hrimthursengeschlecht  stammt,  nur  baiwarisirt  und  an  die 
höchste  Spitze  des  neu  in  Besitz  genommenen  Landes  localisirt.  Das 
Zeichen  (Wappenbild)  der  Baiwaren,  setzt  der  poetische  Biograph  des 
hl.  Anno  bei,  sei  auch  die  Arche  auf  dem  Berge  Ararat  gewesen,  auch 
gebe  es  im  fernen  Indien  noch  Leute,  welche  deutsch  reden.  Weiter 
.  rühmt  er  den  Baiwaren  nach,  sie  seien  streitbar  und  tapfer  gewesen, 
und  gute  Waffenschmiede»  ihre  Schwerter  bissen  besser  als  alle  anderen, 
das  hätten  die  Römer  wohl  erfahren. 

Aus  der  Römerzeit  hat  .^ich  der  Epheu  der  Sage  nur  an  der  Teufels- 
mauer angewachsen  und  hier  und  dort  wo  Scherben  und  Mosaiken  im 
Grunde  liegen;  sie. sind  die  stummen  2^eugen  früheren  Lebens,  längst- 
vergessenen Handelns  und  Treibens.  Nur  die  ^  Kaiserchronik "")  hat  ein 
Lied  vom  Herzog  Adelger  eingeschaltet,  ein  Stück  der  bai warer 
Stammsage :  Der  römische  Kaiser  Severus  hörte,  dass  Adelger,  Herzog 
von  Bayern,  sich  unbotmässig  geberde,  berief  ihn  nach  Rom  und  liess 
ihm  hier  zur  Beschimpfung  Haar  und  Rock  kurz  schneiden.  Als  er 
wieder  nach  heim  kam  und  in  sein  Herzogthum,  musste  sich  das  ganze 
Volk  in  Trauer,  wie  sein  Herr,  kleiden  und  scheren,  denn  der  Bayern 
Gewohnheit  war  dazumal  allesammt  zu  dulden,  was  Einem  zu  Leid  ge- 
schehen. Darauf  habe  ihn  der  Kaiser  wieder  citiren  wollen,  aber  ein 
weiser  Mann,  den  Adelger  in  Rom  gelassen  hatte,  erzählte  dem  Kaiser 
in  Gegenwart  von  Adelgers  Boten  eine  Fabel :  Ein  Hirsch  frass  einem 
Manne  sein  Kraut  im  Garten  und  wurde,  als  er  zum  zweitenmale  kam, 
von  ihm  zer\v  irkt.  Aber  des  Hirsches  Herz  frass  unvermuthet  ein  Fuchs. 
Der  Mann  vermisste  das  Herzi  aber  sein  Weib  sagte  ihm:  der  Hirsch 
müsse  gar  kein  Herz  gehabt  haben,  sonst  wäre  er  nicht  zum  zweiten- 
male gekommen  und  hätte  sich  der  Gefahr  ausgesetzt.  Das  erzählte  der 
Bote  nach  seiner  Heimkehr  dem  Herzog  und  das  merkte  sich  Adelger 
und  ging  nicht  mehr  an  den  Hof  des  Kaisers.  Dafür  sicherte  er  unter- 
dessen sein  Land,  sandte  seinen  Markgrafen  Gerold,  dass  er  den 
Schwaben  die  Mark  wehrete,  dann  schlug  Graf  Rudolf  den  Böhmenkönig 


»)  Vgl.  Grimm  Deutsche  Sngen.  II.  11)2  ff.  .Massmann  in  der  ^Eos."  1825. 
Nr.  79  85  und  in  s.  Auseube  der  Kaiserchronik  1849.  I.  B.  S.  508-554. 
(v,  ß«41-715l)  und  III    B.  S.  7^    819. 


15 

nnd  der  Burggraf  Wimt  trieb  die  Hunnen  bis  an  die  Traun  zurück, 
Adelger  selbst  aber  leitete  sein  Heer  gen  Brixen;  einen  sommerlangen 
Tag  währte  der  Streit  gegen  die  Römer,  die  Bayern  drangen  mit  ihren 
scharfen  Schwertern  ein  und  sangen  das  Kriegslied,  da  vermoch- 
ten die  Welschen  nicht  mehr  zu  widerstehen ,  Severus  selbst  warf  das 
Schwert  aus  der  Hand  und  rief:  Rom ,  dich  hat  Bayern  in  Schmach 
gebracht,  nup  acht*  ich  mein  Leben  nicht  .länger !  Da  erschlug  Volkwin 
den  Kaiser  und  Herzog  Adelger  steckte  seinen  Schaft  in  die  Erde  neben 
dem  Haselbrunnen  und  rief:  dies  Land  hab'  ich  gewonnen  den  Bayern 
zu  Ehre;  diese  Mark  diene  ihnen  immerdar! 

Die  Sagen  von  Adelger  haben,  wie  die  Grimm  vermuthen,  zum 
wenigsten  theilweise  ältere  deutsch^  Gesänge  zur  Unterlage.  Paul  Dia- 
conus  (L  27)  sagt  ja,  dass  die  Baiwaren  so  gut  wie  die  Sachsen,  uralte 
Lieder  sangen.  Vieles  davon  ging  mündlich  lange  umher,  bis  die  späteren 
Dichter  ihre  neue  Form  darauf  drückten. 

Die  Quellen  der  Sage  beginnen  erst  eigentlich  mit  der  Geschichte 
der  Longobarden  reichlich  zu  springen  und  zu  rauschen;  kümmerlicher 
dagegen  unter  den  Merowingem,0  bei  den  Karolingern  ist  die  Sage  wie 
ein  grosser,  breiter  herrlicher  See  und  in  der  Ottonen-  und  Stauferzeit 
fliesst  sie  dahin  wie  ein  mächtiger  Strom. 

Paul  Diaconus  berichtet  prachtvolle  Historien  von  der  Abstammung 
und  Wanderung  der  Langobarden ;  sie  gehören  jedoch  nicht  hieher ;  doch 
dürfen  wir  die  schöne  Sage  von  Autharis  nicht  übergehen,  der  des 
König  Garibald  Töchterlein  Theodolind  (Dietlind)  freite  und  so  mäch- 
tige Hiebe  führte;  *)  weiter  erzählt  der  Diacon  (IH.  30)  wie  bei  ihrer 
Ankunft  in  der  Lombardei  ein  „Donnerkeil''  herniederfuhr,  der  von 
einem  Knechte,  der  „die  alte  Teufelskunst  noch  wohl  verstand,"  dahin 
gedeutet  wurde,  dass  die  Braut  und  Gattin  noch  Agilulfs  Gemahl  werden 
solle,  wie  dann  später  ein  Meerungeheuer  sie  überwunden  u.  dgl.  Auch 
die  Historie  vom  armen  Langobardetikönig  Desiderius  und  seinem 
schlauen  Sohne  Adelgis,*)  der  selbst  den  Kaiser  Karl  überlistete,  ist 
nicht  zu  übersehen. 


*)  Grimm  Deutsche  Sagen.  II.  S.  72. 

0  Grfmm  IL  40.  Zingerle  Sagen.  1859.  S.  388. 

^)  Grimm  11.  115. 


16 

Karl  der  Grosse  erkannte  den  Werth  der  deutschen  Sagen  und 
Heldenlieder  und  liess  sie  bekanntlich  sammeln.  Aber  auch  Karl  wurde 
bald  nach  seinem  Tode,  vielleicht  schon  bei  seinen  Lebzeiten,  Gegen- 
stand des  Heldengesanges.  Die  ersten  Anfänge  dieses  neuen  Sagenkreises 
müssen  auch  in  Frankreich  der  dejatschen  Zunge  angehört  haben,  deren 
sich  noch  lange  nach  Karl  die  vornehmen  Franken  bedienten.  Die  später 
in  fast  unübersehbaren  Zweigen  fortwuchemde  fränkische  Heldendichtung 
blühte  nur  in  nordfranzösischer  und  niederländischer  Sprache,  da  die 
hochdeutschen  Volksdichter  sich  bald  wieder  ausschliesslich  jenem  uralten 
Heldengesang  zuwandten,  den  auch  Karl  geliebt  und  gepflegt  hatte.  Erst 
als  um  die  Zeit  der  Kreuzzüge  der  romantische  Geist  auch  Deutschland 
ergriff,  wurden  das  Rolandslied  und  dann  noch  andere  Zweige  des 
kerlingischen  Epos  von  gelehrten  Dichtern  aus  französischen  Quellen  zu 
uns  herübergebracht.')  Von  Karls  Geburt,  seine  ganze  lange  Lebenszeit 
hindurch  bis  zu  seinem  Tode  und  darüber  hinaus,  ist  Alles  mit  Sage 
und  Mythe  überkleidet.  König  Rother  wird  als  Vater  Pipins  zu 
Karl  d.  Gr.  Ahnherrn  gemacht,  das  Baiwarenland  aber  rühmt  sich  der 
Geburtsstätte  des  grossen  Kaisers.  Mit  Paris,  Aachen,  Varghel,  Jopilla 
bei  Lüttich  und  Ingelheim,  die  sich  alle  um  den  Helden  streiten,  tritt 
eine  arme  Mühle  im  stillen  Waldgrunde  in  Nebenbuhlerschaft. 

Eine  halbe  Stunde  nördlich  vom  Würmsee  erhebt  sich  am  rechten 
Ufer  des  Würmflüsschens  ein  in  ctiesem  Hügellande  namhafter,  in  den 
See  mit  freier  Sicht  hinauslugender  Hügel,  welcher  der  Karlsberg ^) 
heisst  und  auf  seinem  Rücken  noch  die  schwachen  Reste  früherer  Wälle 
und  Mauern  trägt.  Eine  halbe  Stunde  abwärts,  in  einem  lieblich  idylli- 
schen Thaleinschnitt,  steht  an  dessen  linken  Ufer  die  sogenannte  Reis- 
mühle in  einer  mit  Erlen  umzogenen  Einöde.  In  dieser  Mühle  soll 
nun,  wie  Aventin  und  nach  ihm  sogar  noch  Westenrieder  *)  unbedenk- 


')  Simrock:  Kerlingisches  Sagenbuch.  1848.  S.  V. 

*)  lieber  den  Griiiidplan  der  Burg  Karlsher^  vgl.  Oberbayr.  Archiv.  II.  402— 
413.  Förioger  vermiithel,  dass  Karl  seihst  diese  Burg  erbaut  und  ihr  den 
Namen  gegeben  habe;  von  ihm  ging  sie  wohl  auf  die  späteren  deutschen 
Kaiser  als  Kammergut  über.  Mit  der  Sage  steht  sie  in  gar  keiner  näheren 
Verbindung,  als  höchstens  der  Nachwirkung;  hatte  hier  hart  gewohnt  und 
geweilt,  dann  ist  es  auch  klar,  warum  die  Sage  so  gute  Wurzel  fassen 
konnte.  — 

')  Bayerische  Geschichte.  1785.  Aventin  Annal.  III.  294.  vgl.  IV.  318.  Cbron. 
319.  —  Auch  Napoleon^  veranlas.st  durch  die  Pariser  Akademie,  suchte  den 
Geburtsort  Karl  des  Grossen  auf  der  Reismiihle  und  erkundigte  sich  während 
seines  ersten  Aufenthaltes  zu  Münclien  (vom  24—28.  Oktober  1805)  anf  das 
sorgfältigste  um  diesen  Ort.    Sutner  S.  94. 


17 

lieh  glaubten,  am  10.  April  des  Jahres  742  der  grosse  Karl  geboren 
se'n.  Die  Geschichte,  wie  das  zugegangen,  erzählt  ein  höchst  anziehender 
Prosa -Roman  aas  dem  XV.  Jahrhundert,  eine  Handschrift  aus  dem 
Mhereu  Kloster  Weihenstephan,  *)  die  sich  durch  deutliche  Abschreib- 
fehler  als  die  im  Jahre  1472  gefertigte  Copie  eines  verloren  gegange- 
nen Originals  erweist,  das  jedoch  wieder  auf  einem  französischen  Vorbilde 
beruhte. 

Wie  König  Pipin,  damit  die  Heiden  nicht  wieder  daselbst  würzen 
und  wachsen  möchten,  nach  'Deutschland  gezogen  war  und  auf  seiner 
Burg  zu  Weihenstephan,')  gelegen  auf  dem  Berg  bei  der  Stadt  Freising 
im  Baierland,  da  sandt*  ihm  der  König  von  Brittaia  oder  Kärling  eine 
Botschaft  von  seiner  Tochter  wegen  die  er  ihm  gerne  geben  wollt  zu 
einer  Hausfrau.  Da  berict^h  sich  Pipin  und  sandte  dem  König  von 
Kärling  sein  Bildniss  mit  der  Antwort,  dass  ihm  der  Herr  auch  der 
Jungfrauen  Gestalt  gemalt  sende.  Das  erhielt  denn  alsbald  der  Pipi- 
nos  und  es  gefiel  ihm  wohl  und  er  gab  seinem  Hofmeister  den  Befehl, 
das  Jungfräulein  ihm  heimzuholen.  Nun  war  aber  der  Hofmeister 
ein  mächtiger  rother')  Ritter  und  behauset  in  Schwaben  und  hätte- 
drei  Sühn  und  zwo  Töchter  und  die  jüngere  war  dem  Gemahl  etwas 
gleich,  das  gedacht  er  zu  nützen.  Also  bereitete  sich  der  rothe  unge- 
treue, Ritter  gar  herrlich  auf  die  Fahrt  und  ritt  hin  mit  den  Bothen 
und  mit  seinen  drei  Söhnen  und  seiner  nächsten  Freundschaft,  es  waren 
wohl  sieben  Ritter  darunter.  Und  sie  wurden  zu  Kärlingen  schön  em- 
pfangen und  ihnen  grosse  Ehre  entboten  von  dem  Kunig  und  der  Kunigin 


')  Hersiisgegebcn  von  J.  Chr.  Frhrn.  v.  Aretin.  München  1803.  vgl.  auch 
Sulner  m  der  Eos  1823.  Nro.  184-86;  188-93;  194-95;  dazu  die 
Einleitung  su  s.  Epos.    München  1835.  Wolters  Chronik  von  Bremen 

im  il.  Theile  der  Script,  rer.  germ.  von  Meibomius  enthält  gleichralls  die- 
selbe Sage.  Vgl.  Fr.  W 0 1  r  Leistungen  der  Franzosen.  1833  S.  63.  Grass e 
Sagenkreise  des  Mittelalters.  S.  289  und  W.  Menzel  Deut.  Dicht.  I.  45. 
Steub  Das  bayerische  Hochland.  1860   S.  SO  fT. 

<)  Ulrich  Fütrer  sagt  in  seiner  1478  geschriebenen  Erzählung  über  das  Her- 
kommen des  Hauses  Bayern,  Pipin  habe,  um  die  Hunnen,  Sachsen  und 
Böhmen  im  Zaum  zu  halten  und  der  Abgölterei  bei  den  heueroberlen  Völkern 
zu  steuern,  lange  Zeit  auf  seinem  Schlosse  zu  Weihenstephan  gewohnt. 
Brusihius  und  W.  Hundt  nennen  W.  ebenFalls  eine  Residenz  des  König 
Pipin.  —  Die  noch  vorhandenen  Gräben  zeuf^en  von  dem  grossen  Umfanffe 
des  ehemaligen  Schlosses,  das  schon  im  J.  746  zum  erstenmal  zerstört  wurde. 
Von  seinem  Aufenthalt  in  Bayern  zeigen  die  Ortscbaften:  Piping  an  der 
WOrn  bei  Pasing,  Pipinsried  tei  Altenmünster,  Pipinhausen  bei 
FreisiBg. 

')  D.  h.  rothhaarig,  womit  nach  miltelalteriicher  und  moderner  Volksmein- 
nor  Treulosigkeit  und  Falschheit  gekennzeichnet  seien. 


und  von  allen  Fürsten  und  Herren  des  Landes,  mit  Essen  und  Trinken, 
mit  Tanzen,  Schenken  und  Tmi'nieren.  Das  trieben  sie  lange  acht  Tag, 
dann  ging  es  an  ein  Scheiden.  Der  Eunig  selbst  geleitete  ßeine  Tochter 
'  mit  allen  seinen  Fürsten  and  Herren  einen  Tag  lang,  dann  empfohl  er 
sie  dem  falschen  Hofmeister  zu  seiner  Treue,  nahm  Urlaub  von  seiner 
Tochter  und  ritt  mit  etlichen  seiner  Fürsten  wieder  heim,  die  andern 
ritten  mit  ihr  weiter,  bis  dem  falschen  Grafen  gedäuchte,  sie  hätten 
genug  gereist  mit  ihm,  denn  es  sei  seines  Herren  .Willen,  dass  sie  nur 
auf  halben  Theil  mit  der  Jungfrau  ziehen  und  Keiner  über  das  halbe 
Ziel  mit  ihm  reise.  Da  nahm  jeglicher  besonderen  Urlaub  von  der 
schönen  Jungfrau  und  auch  von  dem  falschen  Grafen  und  empfahlen 
Ihm  die  Jungfraq  auf  seine  ritterliche  Treue.  Er  gelobte  ihnen  das  Alles, 
aber  sein  Herz  und  Sinnen  waren  falsch;  denn  alsbald  die  Fürsten  und 
Herren  einen  Tag  von  ihm  waren  auf  der  Wiederheimfahrt,  da  sandt* 
er  Botschaft  voraus  an  sein  Weib.  Und  da  er  nun  an  die  letzte  Tag- 
reise kam  die  er  ihm  hätt*  auserjcoren  zu  Mühlthal  —  wann  dieselbe 
Gegniss  recht  eine  Wildniss  was  und  lag  auch  nicht  auf  der  rechten 
Strass ,  als  man  noch  heute  die  rechte  Wahrheit  mag  erkennen ,  wer 
von  Weyhen-Stephan  gen  Kärlingen  oder  gen  Frankreich  will,  der  zuecht 
rechts  für  Augsburg;  aber  die  Strasse  war  ihm  recht  und  gut  seine 
Untreue  zu  vollenden  —  da  nahm  er  bei  Nacht  der  Jungfrauen  das 
Mahelfingerlein  (Verlobnissring)  und  ihr  Kleid  und  kleidet  seine  Tochter 
damit  und  seiner  Tochter  Kleid  überantwortet  er  zweien  Knechten,  dass 
sie  es  der  Jungfrauen  zu  dem  Bett  sollten  tragen  und  sie  weckten  vor 
Tag,  dass  sie  das  Kleid  anlege,  und  dann  sollten  sie  die  Jungfrau  in 
die  Wildniss  führen  und  sie  tödten  und  ihre  Zung  zum  Wahrzeichen 
/"  bringen,  und  musste  ihm  Jeder  drei  Eide  schwören,  darum  gab  er  ihnen 

gross  Gut. 

*f  Nun  ist  ein  Sprichwoft  —  fährt  der  Weihenstephaner  Chronist 
inzwischen  —  wer  Muth  hat,  der  zuecht  gegen  die  'Höll,  wer  aber  Ehr 
und  Frömmigkeit  haben  ^^lU,  der  nahm'  nicht  drei  Königreiche,  dass  er 
eine  solche  That  thät.  Da  nun  die  Jungfrau  mit  den  zwei  Knechten^ 
sollt'  vor  Tage  gehen,  erschrack  sie  gar  sehr,  die  Knechte  aber 
gaben  ihr  als  gute  Red,  dass  sie  ihnen  glaubte  und  mit  ihnen  gieng. 
Doch  graute  ihr  an  dem  Gang  und  sie  empfahl  still  in  ihrem  Herzen 
ihr  Ehr  und  Leben  dem  ewigen  Gott  und  es  kam  in  ihren  Sinn,  dass 
sie  ihren  Werkzeug  mit  ihr  nehme,  wann  sie  kunt  gar  weidlich  würken. 


19 

Und  sie  nafam  Gold  und  Seiden  und  auch  ein  kleines  Hündlein  folgte 
ihr  (mcch  ganz  mittelalterlicher  Frauensitte)  und  wollt  von  ihr  nicht 
scheiden.  Nun  nähert  sich  die  Scene  ganz  der  Genovefa-Geschichte,  die 
Knechte  lassen  sich  erbarmen ,  nur  das  Hündlein  wird  geopfert  und 
das  mit  seinem  Blute  getränkte  und  durchstochene  Unterpfaidt  und-  die 
Zunge  als  Währzeichen  überbi'acht.  ^) 

Dem  König  Pipino  aber  ward  des  Grafen  Tochter  zu  einem  ehe- 
lichen Weib  an  des  Kunigs  Tochter  statt  von  Kärlingen  gegeben ,  und 
er  hielt  Hof  und  Wirthschaft  nach  kuniglicher  Würdigkeit  und  die  Frau 
hätt  ihn  fast  lieb  und  er  sie  auch  hinwieder.  Und  sie  gebahr  ihm  einen 
Sohn,  der  ward  Leo  genannt,  den  Hess  er  zur  Schul  und  der  ward  als 
wohl  gelehrt,  dass  man  ihn  erwählt  zu  einem  Pabst  zu  Rom.')  Und 
sie  gebar  ihm  noch  zwei  Söhne,  der  eine  hiess  Wem r mann  und  der 
andere  Rapoth  und  auch  eine  Tochter  die  ward  genannt  Agnes.**) 
Da  aber  wurden  die  Heiden  dem  Kunig  Pipino  wieder  gar  gram  und  er 
musste  oft  mit  ihnen  streiten  und  auf  sie  ziehen  und  sie  zogen  hinwider 
auf  ihn,  wann  Böhmen  und  Sachsen  und  Ungarland  da  noch  als  un- 
gläubig was.  Aber  wie  viel  ihrer  waren,  so  gewann  er  ihnen  allzeit  ab 
und  lag  allweg  ob. 

Die  königliche  Jungfrau  aber  irrte  drei  Tage  im  Wald  und  ver- 
meinte schon  zu  sterben,  da  fand  sie  einen  Kohler,  der  gab  ihr  Brod 
und  Arbeit  und  da  er  nicht  mehr  im  Wald  zu  schaffen  hatte,  führt 
er  sie  zur  Reismühl  und  befahl  sie  dem  Müller  auf  seine  Treue; 
der  gab  ihr  ein  Kämmerlein  und  bereitet  ihr  ein  Polster  von  Moos. 
Damach  zog  sie  ihren  Werkzeug  herfür  und  nahm  ein  Theil  Goldes 
and  ein  Theil  Seiden,  damit  macht  sie.  schöne  Pörtel  (Borten)  und  als 
sie  das  Gold  und  die  Seiden  gar  hätt  verworcht,   bat  sie  den  Müller, 


^)  £ine  ihnliche  Erzählung  geht  auch  von  ^Frau  Hildegardin,  Hertzog  llil- 
debrandls  in  Schwaben  Tochter  und  Kayser  Karoli  Magnj  Gemahlin*^. die  Nie. 
Frischlin  dramalisch  bearbeitet  kat  (Gödeke  S.  323).  Hildegard,  die 
Stirierin  der  Ahlei  Kempten,  sollte  im  Walde  umgebracht  werden,  auch 
sie  halle  das  Glück  den  gedungenen  Mörder  zu  erweichen,  der  anstatt  ihrer 
Augen  die  eines  jungen  Hundes  zurückbringt,  vgl.  übrigens  Ju.1.  Zacher, 
die  Historie  von  der  Pralzgrafln  Genovefa.    Königsberg  I06O. 

*)  In  der  Kaiserchronik  (Mass mann  II.  343)  erscheint  der  Pabst  Leo  Hl. 
(795—816)  gleichfalls  als  Bruder  des  Kaisers 

')  Nach  U.  Fülrer  M^te  diese  Tochter  Martona  gebeissen  und  wäre,  an 
einen  tbeoren  Fürsten  in  Kurniwall  verheirathet ,  die  Mutter  Rolands,  dieser 
Blume  aller  ritterlichen  Ehren,  geworden, 

2* 


2D 

dass  er  die  Pörtel  sollt  hingeben  und  ihr  wieder  solchen  Zeug  bringen, 
dass  sie  mehr  würket  Das  thät  der  Müller  ihres  Bittens  wegen  und 
ging  gen  Augsburg  ')  und  stund  für  ein  reiche  Kramm.  Da  fragt 
ihn  die  Frau  in  der  Kramm:  guter  Mann,  was  war  dir  lieb?  Da 
zeigt  er  ihr  die  Pörtel.  Die  Frau  sprach:  guter  Mann,  wie  wilt  du  sie 
geben?  er  sprach :  liebe  Frau,  ich  weiss  nicht,  wie  ich's  geben  soll,  wann 
ich  ein  einfaltiger  Mann  bin ,  gebt  mir  auf  euer  Treu  darum  wes  sie 
werth  sin,  und  gebt  mir  herwider  solich  Ding,  da  man  mehr  solch 
Pörtel  daraus  mag  machen.  Da  sprach  die  Frau:  guter  Mann  du  hast 
mir  den  Kauf  hoch  genug  gesetzt  an  mein  Treu,  gab  ihm  Gold  und 
Silber  und  Seiden,  dass  sie  däucht  sie  hiet  ihren  Treuen  Genüg  tan,  gab 
ihm  auch  Geld  zu  seiner  Zehrung  und  sprach,  wann  die  Pörtel  bereit 
wären,  so  solle  er  sie  Niemand  zeigen,  sondern  ihr  wieder  bringen,  das 
gelobt  er  auch.  Und  wie  er  nun  heim  kam  und  der  Jungfrau  das  Werk- 
zeug gab,  da  ward  sie  gar  froh  und  workte  aber  als  lang  bis  das 
Seidenwerk  gar  verworkt  war,  da  bracht'  der  Müller  abermal  die  Pörtel 
der  Frauen  gen  Augsburg.  Die  gab  ihm  abermal  mehr  Zeug  und  eine 
gute  Zehrung.  Das  trieb  die  Krammerin  mit  dem  Müller  wohl  drei  Jahr, 
zuletzt  wollte  sie  doch  wissen,  wo  die  Frau  wäre,  so  die  dasigen  Pörtel 
machet,  wann  man  hie  zu  Land  nit  solche  Arbeit  könnt*  würken.  Das 
wollte  aber  der  Müller  nit  verrathen,  denn  es  war  ihm  von  der  Jungfrau 
verboten  und  um  das  wollt  er  die  Pörtel  schon  zu  einer  anderen  Kramm 
tragen.  Das  ersah  die  Frau  und  bracht*  ihn  wieder  zu  der  Kramm  und 
bat  ihn,  dass  er  die  Pörtel  Niemand  anfallet  denn  sie;  das  that  er  auch 
fürbaz  und  wer  die  Krammerin  fraget  von  wann  ihr  die  Pörtel  kämen, 
so  sprach  sie ,  man  brächt*  ihr*s  über  Meer.  '0  Also  ward  der  Müller 
reich  von  der  Jungfrauen  Arbeit  und  die  Krammerin  gab  desselbenmals 
dem  Müller  etliche  Gulden  zu  einer  Zehrung;  die  Jungfrau  aber  begehrt 
nit  mehr  davon  denn  ihre  Nahrung  und  wollt  auch  kein  bessere  Kost 
nit  denn  als  der  Müller  ass  und  däucht  sich  auch  zu  keiner  Arbeit  nicht 
zu  gut  und  begehrt  auch  nit  mehr,  denn  dass  sie  ihr  Lebtag  da  sollt 


0  Die  ganze  Sage  wird  auch  von  einer  in  der  Nähe  von  Augsburg  telegenen 
Mühte  erzählt;  auf  diese Scenerie  würde  die  j^nze  Geographie  des  Heisezugs 
besser  passen,  auch  das  Geben  des  Müllers  in  diese  Stadt,  der  vom  Mühl- 
Ihal  am  Siarnbergersee  aus  bis  nach  Augsburg  doch  einen  elwas  zu  ansehn- 
lichen Weg  hätte. 

')  Ein  Anklang  hieran  findet  sich  in  dem  ,Bu8ant^  (=7  .der  Falke)  in  van  der 
Hagens  Gesammt  Abent.  Nro.  XVI.,  aoch  da  kommt  die  verlassene  Königs- 
tochter zu  einer  Mühle  und  wirkt  künstliche  Borten. 


21 

* 

/ 

bleiben ,  wiewohl  sie  eines  Kunigs  Tochter  war.  Da  nun  die  Jongfraa 
mehr  denn  sieben  Jahr')  bei  dem  Müller  war,  fögte  es  sich,  dass 
Pipinos  jagte  und  sich  verirrte  in  der  Wildnuss,  -die  dazumal  von  Mähl- 
/thal  bis  gen  Weihenstephan  war,  und  er  verlor  zuletzt  auch  seinen 
Jfiger  und  Knecht  und  nur  «ein  Arzt  blieb  noch  bei  ihm^  der  war  sein 
Philosophus,  das  heisst  ein  Meister  und  Stemseher.')  Endlich  ersahen 
sie  Rauch  in  der  Ferne  und  fanden  den  Köhler,  der  sie  zu  dem  Müller 
leitete,')  wo  sie  sich  för  Kaufleute  ausgaben.  Dieser  herbergte  die  Gäste 
und  bereit*  ihnen  ein  Mahl  nach  dem  besten  so  er  hatte  und  konnte. 
Aber  sie  mussten  Wasser  trinken,  das  thaten  sie  gern,  da  sie  eine 
Herberg  hatten.  Wie  sie  gegessen,  da  wurd  sie  der  Müller  fragen  man- 
cherlei, als  noch  oft  ein  Wirth  thut  seinen  Gästen,  und  sie  antworteten 
ihm  so  viel  sie  konnten.  ^) 

Aber  dem  Herrn  Pipinus  gefiel  des  Müllers  Tochter  wohl  und  er 
trieb  allerlei  Schimpfred  mit  ihr.  Unterdem  ging  der  Stemseher  hinaus 
und  sah  zufallig  auch  das  Gestirn  an :  da  sah  er  daran,  dass  sein  Herr 
heut  auf  die  Nacht  bei  seiner  ehelichen  Hausfrau  sollt  liegen  und  die 
sollt*  von  ihm  gewinnen  ein  rechtes  Degenkind  und  dasselbig  Kind  sollt 
auch  60  mächtig  werden,  dass  die  Kuuige  der  Heiden  und  Christen 
mflssten  unter  ihm  sein.  Er  geht  hinein  und  sagt  das  dem  Herrn  also 
zu.  Da  sprach  der  Herr:  Wie  mag  das  gesein?  ich  glaub*  es  nit,  dann 
ich  mag  (kann)  ja  heut  nach  Weihenstephan  nicht  kommen.  Er  fragt 
den  Müller,  ob  er  nit  eine  fremde  Frau  bei  sich  hätt?  —  Der  Müller 
laugnet  und  sprach:  er  hätt*  keine.  Da  sprach  Kunig  Pipinus:  Lieber 
Müller,  so  leg  deiner  Töchter  eine  zu  mir;  es  soll  vielleicht  ihrer  eine 


*)  Ueber  diese  Zeilhestimmiinff  vgl.  Hocker  Stammsagen  der  Hohenzollern  und 
Weifen.  Düsseldorf  1857.  S.  17  und  Grimm,  Recht sallerl hü mer.  S.  214. 

')  Nach  U.  Fütrer  heisst  es,  der  Aslrologus  sei  zufällig  und  nicht  im  Dienste 
des  Herzogs,  gleichzeitig  zur  Mühle  gekommen,  habe  den  König  durch  seine 
Kunst  erkannt  und  ihm  seine  Dienste  angeboten. 

')  Hier  ist  die  Sage  schon  abgeschwächt;  in  dem  oben  genannten  Busant  ist 
es  ein  Hir9ch,  der  als  weisendes  Thier  den  Herzog  zur  Königstochter 
leitet.  Auch  das  nordfranzösische  Gedicht  des  Aden  es  (geb.  1240),  welches 
Paris  1832  herausgab,  hat  den  alten  Zug,  dass  (wie  in  der  Genovefasaffe) 
ein  Hirsch  den  Köniff  durch  die  Wildniss  zurBertha  führt  vgl.  Simrock: 
Hertha  die  Spinnerin.  Frankfurt  1853.  S.  144. 

*)  Nach  Fütrefs  Erzählung  hätte  der  Müller  von  dem  schönen  Gewirk  der 
Jungfrau  über  den  Tiseh  gebreitet  und  durch  die  schöne  Arbeit  habe  der 
König  gefragt,  wer  selbe  gefertigt  und  sei  so  auf  die  ^verelende^  Jungfrau 
gekommen;  der  Astrologus  macht  unterdessen  allerlei  judicia  und  complexion 
aus  den  aspecten  der  Gestirne,  und  die  Jungfrau  gibt* sich  zu  erkenoen. 


^ 

noch  mein  ehlich  Weib  werden,  mich  hat  Gott  heut  nit  umsonst  zu  dir 
geschickt.  Der  Müller  hört  das  ohne  Widerred; ')  dem  Herrn  ward  ein 
Bett,  wie  arme  Leute  liegen,  und  die  ältere  Tochter  ward  ihm  zugelegt. 
Der  Sternseher  ging  hinaus  und  sah,  dass  sie  nicht  sein  ehelich  Weib\ 
war  noch  werden  sollt.  Auch  die  jüngere  Tochter  erweist  sich  nicht  als 
die  rechte.  Da  stund  der  König  wieder  auf  und  wundert  ihn  von  den 
Dingen.  Da  sprach  der  Meister :  Müller,  du  sollst  uns  die  rechte  Wahr- 
heit sagen,  ob  nicht  drinnen  sei  eine  Frau  oder  Jungfrau  verborgen? 
Da  sprach  .der  Müller  zu  dem  Herrn,  wie  wohl  sieben  Jahr  eine  so 
schöne  Jungfrau,  wie  er  sie  mit  Augen  sonst  nie  gesehen  hätte,  bei  ihm 
war*.  Da  musste  sie  herfür  gehen;  dess  erschrack  sie  so  gar,  dass  sie 
alle  ihre  Färb  verlor.  Der  Herr  tröstete  sie  und  sprach :  Edle  Jungfrau, 
erschrecket  nicht  so  sehr,  ich  hoffe,  ihr  sollt  werden  mein  ehelich  Weib. 
Er  legt  sich  zu  ihr.  Der  Sternseher  kam  bald  wieder  herein  und  sprach : 
Es  leit  Kunigs  Rind  an  Kunigs  Arm  und  wird  auch  empfangen  ein 
rechtes  werthes  Degenkind  und  ist  auch  seine  rechte  eheliche  Hausfrau 
gewesen  vor  sieben  Jahren.  Seht  zu,  wie  war  da  die  kunigliche  Wirth- 
schaft  so  gar  mit  grosser  Armuth  zusammen  kommen;  daran  war 
schuldig  der  falsche  Hofmaister,  dass  er  des  edlen  Kunigs  Tochter  von 
Kerlingen  in  das  Elend  stiess! 

Und  der  edle  Kunig  Pipin  hatte  die  Nacht  mancherlei  zu  kosen 
mit  Perchten  seiner  edlen  Frauen ;  wie  sie  zu  dem  Müller  kommen  war' 
und  warum  sie  das  Uebel  nit  seit  geöffnet  hätte?  Da  that  sie  als  eine 
reine  Jungfrau,  die  keinen  Mord  wollt  stiften  aus  ihrem  reinen  Mund. 
Und  musste  ihr  der  König  auch  geloben,  dass  er  die  That  noch  lange 
nicht  wollt  rächen.  Des  Morgens  zeigt'  ihm  die  edle  Frau  Perchte 
das  Mahelfingerlein ,  das  er  ihr  gesendet.  Da  sah  er  die  rechten 
Wahrzeichen  ')  und   halste   sie  und  drückte  sie  treulich    an   seine 


*)  Ueber  diese  miUelalte Hiebe  Ehrung  der  Gäste,  denen  mit  aller  Bereitwillig- 
kert  die  eigene  Frau  oder  die  Töchter  zugelegt  wurden  vel.  K.  Wein  hold 
Die  deutschen  Frauen  im  Mittelalter.  Wien  1851.  S.  393.  —  Der  Müller 
scheint  keine  eigene  Hausfrau  gehabt  zu  haben ,  wenigstens  wird  ihrer  nir- 
gends in  der  Sage  erwähnt  und  auch  die  beiden  Töchter  erscheinen  hier  zum 
erstenmale.  —  Der  uns  i^anz  barbarisch  scheinende  Brauch  wurzelt  denn  auch 
in  einer  Zeit^  wo  das  Weih  dem  Germanen  noch  als  eine  Sache  galt^  durch 
dje  man,  gleich  wie  durch  Trank  oder  warme  Kleider  dem  Fremden  etwas 
Angenehmes  erweise.  Dieser  Zug  ist  gleichFalls  ein  nicht  unerheblicher 
Fingerzeig  für  das  hohe  Alter  unserer  Sage.  — 

*)  Der  Chronist  verstosst  hier  gef^en  seinen  eigenen  Bericht;  nachdem  er  kurz 
vorher  erzfiblt  hatte^  der  Hofmeister  habe  ihr  auch  das  Mah^I6ngerlein  abgo- 


23 

Brost.  Auch  zeigte  sie  ihm  die  Pörteln  und  auch  ihr  schmale^  Bett. 
Pipinus  aber  war  in  Freuden  und  befahl,  da  er  wollt  reiten,  dem  Müller 
seine  Frau,  Hess  ihm  und  der  Frauen  gar  eine  gute  Lez,  befreite  ihn 
auch,  dass  er  keinen  Zins  gab  von  der  Mühl  und  gebot  ihm,  so  die 
Frau  eines  Kindlein  genässe  und  es  wäre  ein  Deg^enkind,  dass  man  ihm 
brächte  den  Bolz,  war*  es  aber  ein  Dimlein,  dass  er  ihm  das  Fin- 
gerlein  (Ring)  brächte.  Die  Frau  aber  bat  ihn,  nimmer  zu  kommen, 
bis  das  Kind  geboren;  das  gelobt  er  und  nahm  liebreich  Abschied  von 
seiner  lieben  Frauen.  Auf  dem  Weg  gebot  er  dem  Meister  und  dem 
Knecht  bei  seiner  kuniglichen  Gewalt  und  ihrem  Leben,  dass  die  Sach 
also  bleib  bei  ihnen  verschwiegen,  das  gelobten  sie  bei  ihrem  Leben. 
Und  sie  ritten  aus  der  Wildniss  und  kamen  zu  der  Burg ,   die  jetzund 

Pähl  ist  genannt,  und  am  andern  Tag  wieder  heim  gen  Weihenstephan. 

• 

Frau  Perchte  aber  übernahm  sich  nicht  dass  sie  des  Landes 
Kunigin  war;  sie  worcht  ihr  Arbeit  besser  dann  zuvor  und  wollt  aiuch 
nit  besonders  essen  und  des  Müllers  Tochter  musst  alle  Nacht  bei  ihr 
liegen,  auch  bat  sie  Gott  emsiglich,  dass  sie  nur  lang  da  sollt  bleiben. 

Unterdessen  zog  die  Heidenschaft  wieder  auf  Kunig  Pipinas,  der 
aber  behielt  das  Feld  und  erschlug  und  fing  ihrer 'Viele.  Frau  Per  cht 
genass  eines  Sohnes,  der  vom  Müller,  als  wenn  er  sein  Kind  war, 
zu  der  Tauf  gebracht  uftd  nach  des  Vaters  Geheiss  Karel  genannt 
ward;  der  Müller  nahm  den  Bolz  und  bracht  ihn  dem  König  Pipino 
und  erhielt  gut  Botenbrod  und  Geld  genug.  König  Pipin  bekam  in 
Frankreich  Krieg  und  zog  dann  in  solchen  Händeln  drei  Jahr  lang  in 
Hispanien  um,  vergass  aber  seines  rechten  Gemahls  nit,  sondern  sandte 
den  Meister  heimlich  zu  ihr  auf  Botschaft.  —  Ein  Hauch,  wie  aus 
der  Zeit  wo  der  Heljand  gedichtet  wurde,  liegt  über  dem  Jugendleben 
Karls;  acht  deutsch  ist  es,  wie  das  Degenkind  als  Rosshüter  und  mit 
den  Knaben,  die  des  Viehes  auf  dem  Felde  hüteten,  aufivächst.  Bald 
ist  er  als  der  Oberste  unter  ihnen  angesehen  und  Richter  über  einen 
jungen  Dieb,  den  er  verurtheilt  an  offener  Strasse  mit  dem  Hals 
an  einen  Baum  gebunden  zu  werden.     Das  ürtheil   gefiel  ihnen  Allen 


nommen,  so  wäre  die  Königsiochter  jelzt  nicht  im  Stande  selbes  dem  König 
KU  zeigen.  Im  Geffentheil  wird  auch  in  der  ältesten  Fassung  der  Sa^e  das 
gleich  erwähnte  „Wahrzeiihen*'  die  Hauptsache  ffewesen  sein,  nämlich  der 
breite  Fuss,  der  Schwanenfuss  der  göttlichen  Jungfrau,  vgl.  die  spätere 
AusfOhrung. 


24 

wohl  und  Einer  unter  ihnen  bog  einen  kleinen  Baum  und  band  ihn  mit 
dem  Zaum,  den  der  Missethäter  gestohlen  hatte,  an  den  Gipfel,  ohne 
jedoch  dessen  Tod  zu  wollen,  da  sprang  ein  weisser  Haas  hervor 
und  dem  jagten  die  Kinder  nach.  Wie  sie  aber  wieder  zurückkamen, 
da  war  der  Knabe  erhängt.')  Der  Knab  war  eines  bösen  Mannes  und 
der  wollte  die  anderen  Knaben  auch  darum  tödten;  sie  legten  aber 
alle  Schuld  auf  Karl.  Da  nun  der  Müller  dess  inne  ward,  führt  er. 
Karolum  gen  Pähl  auf  die  Burg  zu  einem  Edelmaim,  der  Edelmann 
fing  den  Bauern  und  hielt  ihn  als  lang  im  Gefängnisse  bis  dass  er  dem 
Müller  und  dem  Knaben  gern  gut6n  Frieden  gab.  Karl  blieb  auf 
der  Burg  und  gewann  auch  hier  bald  das  Recht  in  einem  lächerlichen 
Handel;  der  Ritter  hatte  nämlich  für  jedes  Halsen  (Umhalsen),  das 
ihm  seine  Freundin  gewährte,  ihr  einen  Bifang')  aus  seinen  Hüben  und 
Höfen  verschrieben  und  darüber  schon  längst  sein  ganzes  Gut  verloren. 
Karl  entscheidet,  sie  solle  ihre  Bifänge  nur  nehmen,  aber  den  Grund 
und  Boden  nicht  berühren,  denn  davon  stehe  nichts  in  dem  gesiegelten 
Briefe;  da  sie  das  nicht  vermag,  so  ist  auch  ihr  Anspruch  verloren. 
Die  vordem  noch  rathlosen  Richter  wundem  sich  über  die  Weisheit  des 
zehnjährigen  Knaben  und  brachten  die  Rede  vor  den  König.  Karl  kam 
darauf  an  den  königlichen  Hof  und  diente  daselbst  dem  Herren,  aber' 
der  Hofmeister  und  die  Königin  waren  ihm  fast  gram.  Das  verstund 
der  König  wohl  und  mochte  das  Uebel  nicht  länger  verschweigen,  berief 
also  alle  Fürsten  und  Herren  zu  einem  Rath,  dazu  auch  den  Hofmeister 
mit  seinen  Söhnen.  Hier  legte  er  ohne  die  betroffenen  Personen  zu 
nennen ,  die  ganze  Geschichte  dar  mit  der  Frage ,  was  einem  Diener, 
der  seinen  Herren  also  betrüge,  gebühre.  Und  der  König  fragte  zuerst 
den  älteren  Sohn  des  Hofmeisters.  Der  sprach:  Gnädiger  Kunigl'hebt 
das  Ürtheil  an  einen  weisern,  denn  ich  bin.  Pipinus  aber  erwiderte: 
ich  hab*  an  dir  angefangen,  darum  frag*  ich  keinen  Anderen  vor  dir. 
Da  sprach  der  Ritter:  So  sprech  ich  auf  meinen  Eid,  ein  solcher  Mann 
ist  nicht  werth,  dass  ihn  die  Sonne  überscheine;  oder,  dass  er  in  dem 
Erdreich  faulen  soll,  oder  dass  er  in  dem  Weg  liege.  Man  soll  ihn 
binden  einem  Rosse  an  den  Schwanz  und  schleifen  aus  der 
Stadt  und  ihn  verbrennen.  —  Da  frug  der  König  auch  den  jüngeren    . 


*)  Ohne  historischen  Hintergrund  auch  in  Schwabeq  erzählt,    vgl    Birfinger 
und  Bück.  Volksthümliches.  1861.  I.  279. 

')  mbd.  bi-vanc,  das  zwischen  zwei  Furchen  eingefangene  Ackerbetl. 


25 

Sohn.  Auch  der  sprach:  bei  meinies  Bruders  Urtheil  bleib  ich.  Er 
fragte  fQrbass  und  so  viel  als  er  fragte,  die  nrtheileten  Alle  das  eme 
Urtheil.  Der  falsche  Mann  gestand  sein  Verbrechen,  aber  all  Bitten 
und  Vorsprach  verhalfen  ihm  nicht,  es  masste  sein,  wie  sein  eigener 
Sohn  am  erstenmal  geurtheilt  hatte,  also  that  man  ihm.  Und  die  Frau 
liess  der  Kunig  vermauern,  die  Kinder  aber,  die  er  davon  hatte, 
die  blieben  bei  ihm  nach  dem  Recht,  das  den  Kindern  zugehört  Dar- 
nach ritt  Kunig  Pipinus  mit  allen  seinen  Fürsten  und  Herren  zu  dem 
Muller  und  hiess  ihm  seine  Frau  Per  cht  überantworten  und  Zeigte  den 
Herren  da  ihre  Kammer  und  Bette  und  führte  sie  selbst  heim  gen 
Weihenstephan  und  hatte  da  ^ine  königliche  Wirthschaft  mit  seiner 
rechten  Frauen.  Da  ward  Karl  erst  inne,  dass  König  Pipin  sein  Vater 
wäre;  er  hätte  zuvor  geschworen,  es  wäre  der  Müller  sein  Vater  ge- 
wesen. Er  übernahm  sich  auch  nicht,  dass  er  des  Königes  Sohn  war 
und  that  gar  schön  gegen  seine  Brüder.  Die  Königin  gebar  noch  einen 
Sohn,  den  nannte  der  König  Karelmonio.  Sieben  Jahre  darauf  aber 
heimete  Gott  den  Kunig  Pipin  zu  seiner  Gnade.  Da  klagte  die  liebe 
Frau  Perchta  ihren  lieben  Herrn  so  sehr,  dass  sie  auch  liegerhaft 
ward  und  lange  siech  lag.  Und  da  der  König  starb,,  war  Karl  17  Jahre 
altO  ö.  s.  w. 

Eine  mit  dem  Weihenstephaner  Chronisten  beinahe  gleichzeitige 
Fassung  dieser  Sage  steht  auch  in  einer  ans  dem  Kloster  Seeon  stam- 
menden Handschrift  der  Münchner  Hof  bibliothek ')  als  Bestandtheil  einer 
bis  zum  Jahre  1469  reichenden  Chronik  der  Kaiser  und  Päbste,  pro- 
saisch nach  Enenkel,  Heinrich  von  München  und  Stricker.  Auch  Ulrich 
Fütrer  (auf  dessen  poetische  Thätigkeit  wir  später  zurückkommen 
werden)  erzählt  die  Sage  in  seiner  ziemlich  ungeschlachten  Weise  mit 
einigen  wenigen  Abweichungen. 

Im  Ganzen  liegt  ein  Mythus  zu  Grunde.  Schon  der  Umstand,  dass 
diese  Historie  überall  verbreitet  ist  und  ebenso  in  Frankreich,  wie  in 
Italien,  nur  mit  jedesmal  veränderter  Scenerie  und  anderer  Localisirung 
vorkommt,  lässt  darauf  schliessen.  Es  ist  der  alte  Mjrthus  yon  der 
strahlenprächtigen  Frau  Perchta,^)  die  obwohl  zur  dienenden  Magd 


')  Pipin  starii  76S  als  Karl  26  Jahre  zfihlte.  Bertha  f  783. 
')  Cod.  germ.  259.  vgl.  Föringer  Oherbajr.  Archiv.  II.  409 
';  Berla  =^  die  strahlende.  Roth  Beitr.  I.  201. 


26 

erniedrigt,  doch  m  ihrem  £leiid  das  Göttliche  nicht  völlig  abgestreift 
hat  an4  durch  ihre  Schönheit  und  darch  ihre  kunstvolle  Arbeit  wieder 
zu  Ehren  kommt.  Noch  lange  erinnerte  sich  das  Volk  der  vertrauten 
alten  Göttermutter,  iaher  das  Sprichwort  ^von  der  alten  guten  Zeit,  in 
der  noch  Bertha  spann.  ^  Da  aber  jede  Erinnerung  an  die  alten  Gott- 
heiten von  der  Kirche  verboten  war,  übertrug  man  sie  auf  geschicht- 
liche Personen.  Daher  spiegelt  sie  sich  in  der  angeblichen  Geburtsstätte 
Karl  des  Grossen;  hinter  seine  Geschichte  barg  sich  der  reine  heid- 
nische Mythus.  Sonst  hat  sie  auch  einen  grossen  Fuss  als  Spinnerin, 
das  ist  als  das  eigentliche  ^Wahrzeichen^  in  unserer  Fassung  schon 
verwischt,  aber  ihre  Kunstfertigkeit  erweist  sie  als  Wirkerin  von  Borten. 
Sie  ist  die  Himmelsgöttin  und  Erdmuttet,  welche  mit  Frau  Holla  zu- 
sammenfällt, sie  ist  zugleich  die  weisse  Frau  der  Karolinger.  Eine 
bedeutungsreiche  Siebenzahl  von  Jahren  verbringt  sie  in  der  Einöde,  an 
dem  lustigen  Wässerlein,  wo  sie  haust,  wie  im  Königssee  gleich 
einer  Schwanjungfrau,  arm  und  unscheinbar  für  die  sie  umgebenden 
Menschen,  nur  dem  Kundigen  ist  sie  in  ihrem  wahren  Wesen  erkennbar. 
Die ,  Himmelskönigin  finden  wir  hier  in  ihrer  zeitweiligen  Degradation 
noch  als  irdische  Königin,  ihre  göttliche  Kunst  ist  in  Bortenweberei 
übergegangen.  Später  sank  sie  noch  mehr  herab  zum  Kinderschreck 
und  Popanz,  wie  sie  auch  als  wilde  Frau  mit  zottigen  Haaren  erscheint, 
die  faule  Spinnerinnen  züchtigt,  indem  sie  ihnen  den  Flachs  am  Rocken 
zerzaust,  den  Leib  aufschneidet  und  mit  Heckerling  füllt  und  mit  einer 
Pflugschar  statt  der  Nadel  und  einer  Kette  statt  des  Zwirnes  den 
Schaden  wieder  zuflickt. ') 

So  ist  denn  der  schwere  Streit,  den  die  Historiker  lange  gekämpft, 
wohl  für  immer  entschieden,  wir  aber  haben  nichts  dabei  verloren, 
sondern  eines  der  schönsten  Frauenbilder  der  Mythologie  für  unsere 
Baiwaren  dadurch  gewonnen.  Aber  noch  andere  Sagen  gingen  von  Karl. 
Er  sei  ein  Riese  gewesen,  versichert  gleichfalls  der  Weihenstephaner 
Chronist,  er  habe  zehn  Schuh  in  der  Höhe  gemessen  und  seine  Brust 
sei  eine  Elle  breit  gewesen.  Unzweifelhaft  galt  früher  die  reckenhafte 
Bezeichnung  auch  von  ihm,  von  einer  Augenbraue  bis  zur  andern  sei 
eine  Spanne  und  lieber  noch  mehr  Zwischenraum  gewesen.  Auch  wollte 
man  wissen,  er  habe  allein  vier  Pferdlasten  getragen,  dafür  aber  auch 


i)*Grimiii  Deut.  Sagen.  I.  S.  359.  W.  Menzel  Deut.  Dichtung.  I.  146. 


27 

bei  jeder  Mahlzeit  einen  ganzen  Hasen  oder  zwei  Gänse  geschlungen, 
des  Tages  über  aber  nur  dreimalen  Wasser  mit  Wein  gemischt,  ge- 
trunken. 0  Femer  ging  die  Rede,  Gott  selbst  habe  ihm  zum  Kampfe 
gegen  die  Heiden  das  Schwert  „Trunkhart"  und  das  Hörn  „Olifant" 
durch  einen  Engel  vom  Himmel  geschickt,')  mit  dem  Auftrag,  beides 
an  Roland  zu  geben,  der  durch  die  Kraft  dieser  Waffen  alle 
Feinde  betäuben  und  besiegen  und  auch  nicht  eher  sterben 
würde,  als  bis  er  den  Tod  selbst  begehrte.  Wir  gehen  auf  keinen 
Fall  zu  weit,  wenn  wir  in  Wahrheit  Odins  eigenes  Schwert  und  das 
Gjallarhorn  darunter  vermuthen.  Karl  macht  auch  einen  fabelhaften 
Ritt,  zwar  nicht  durch  die  Luft  auf  dem  göttlichen  Sie ipnir,  hier  ist 
die  Mythe  bereits  ?jahm  geworden,  doch  ist  die  Strecke  von  Ungarn  bis 
Aachen  fiir  eine  dreitägige  Fahrt  zu  Ross  immer  noch  verdächtig  genug. 
Zehn  Jahre  treibt  er  sich  gegen  die  Heidenschaft  um,  da  sollte  Karls 
Gemahlin,  die  ihn  todt  glaubte,  eine  neue  Ehe  eingehen  mit  dem  König 
von  Engelland;')  aber  Gott  sendete  einen  Engel  an  Karl,  der  ihm  die 
Bedrängniss  seiner  Hausfrau  verkündet  und  ihn  zugleich  belehrt,  wie  er 
die  115  Rasten  bis  in  sein  Land  noch  vor  der  Hochzeit  zurücklegen 
könne.  Karl ,  nicht  an  Gottes  Wunder  zweifelnd ,  thut  wie  der  Engel 
irebietet  Am  nächsten  Morgen  kaufte  er  von  seinem  Schreiber  dessen 
starkes  Pferd,  sass  sogleich  auf  und  es  tJhig  ihn  in  einer  Tagreise  aus 
der  Bulgarei  über  Feld,  Moor  und  Haide,  bis  zur  Stadt  Rab;  am  fol- 
genden Tage,  noch  bei  Sonnenschein,  erreichte  er  Passau  (Pazzauwe), 
fand  dort  den  bezeichneten  Wirth,  der  ihn  freundlich  aufnahm;  als  am 
Abend  das  Vieh  heim  kam,  lief  auch  ein  schönes  Ross  in  den  Hof; 
Karl  ergriff  es  bei  der  Mähne  und  verlangte  es  von  dem  Wuthe.  Dieser 
wendet  ein,  es  wäre  noch  zu  jung  und  ungebändigt ;  Karl  aber  bestand 


')  Aretln  S.  82  ff. 

*)  Das  gesthah  zu  Regensburg;  wo  heute  die  sog.  Gelübdsäule  auf  der 
sof.  Predigt  sieht,  hat  ein  Engel  dem  Kaiser  das  Sehwert  überreicht.  Er 
erfocht  damit  einen  grossen  Sieg,  doch  fielen  ihm  aui-h  gegenüber  den  un- 
zählbaren Heiden  an  30^000  Ritter^  die  in  einem  HtJ^el,  dem  Siegberg,, 
bestallet  wurden.  Die  Stadt  feierte  das  Gedächtniss  der  Schlacht  alljährlich 
am  Namenstage  des  nie  canonisirten ,  vom  Volke  aber  immer  als  heilig  be- 
handelten Kaisers  durch  einen  (erst  zur  Reformationszeil abgeschafften)  Gottes- 
dienst in  der  sog.  Weihsanktpetercapelle  (deren  Erbauung  dem  Kaiser 
zugeschrieben  wurde,  an  ihrer  Steile  gründeten  die  Schotten  a.  1075  ihr 
Kloster),  der  von  1451  an  im  Nieder-Münster  abgehalten  wurde,  vgl.  Histor. 
Verein  der  Oberpfalz.  1845.  IX.  S.  17. 

•  •)  Aretin  S.  85  Jans  Enenkel  (ein  Wiener  t  c.  1250)  in  seinem  Welt- 
bnch.  vgl.  van  der  Hagen  Gesammt  Abent.  II.  615  ff.  Grimm  Deutsche 
Sagen    II.  105  ff.  Massmann  Kaiserchronik.  IH    1032. 


28 

darauf.  Der  Wirth  überliess  es  ihm  gern  f&r  viele  Grojdstücke,  oben- 
drein bot  ihm  Karl  sein  bisher  gerittenes  Pferd  zum  Leikauf. ')  Am 
dritten  Morgen  früh  bestieg  Karl  das  junge  Ross  und  es  trug  ihn  den- 
selben Tag  bis  vor  seine  Burg  zu  Aachen,  wo  überall  bereits  in  den 
Strassen  schon  Sang  und  Klang,  Tanzen  und  Springen  die  morgige  Feier 
verkünden.  Karl  übernachtet  heimlich  und  setzt  sich  am  frühesten  Tage 
auf  seinen  Königsstuhl  im  Dome,  wo  er  anfanglich  fär  ein  Gespenst 
gehalten,  dann  aber,  freudig  empfangen  wird. 

Dessgleichen  erzählte  man  von  einem  unheimlichen  Liebeszauber, 
der  ihn  an  die  Leiche  seiner  Frau  band,  bis  ein  Bischof  den  Zauber 
aus  ihrem  Munde  nahm,  worauf  die  Leiche  zusammenfiel.^)  Da  Karl 
so  strenges  Recht  übte,  das  Jeder  durch  das  Läuten  einer  Glocke  an- 
sprechen konnte,  so  soll  sogar  einst  eine  Natter  davon  Gebrauch  gemacht 
haben,  die  um  den  Klöpfel  sich  schlingend,  ihn  bewegte;  als  man  ihr 
zu  dem  Neste  folgte,  lag  breit  über  ihren  Eiern  eine  Kröte,  an  welcher 
der  Kaiser  das  Naturrecht  vollziehen  und  selbe  spiessen  liess.  ^)  Wir 
übergehen  die  duftige  Sage  von  Emma  und  Eginhard,  obwohl  sie  in's 
heutige  Bayern  hereinspielt.  —  Karls  ganzes  Leben  ist  ein  Märchen, 
'Alles  verwebt  mit  Träumen,  Engeln  und  Reliquienwundern;  selbst  das 
Unmögliche  wird  ihm  möglich,  seine  grossartigsten  Projecte  hielt  das 
Volk  fiir  ausgemacht  und  vollendet,  wie  denn  lange  Zeit  die  vielleicht 
nicht  unrichtige  Meinung  fest  stand,  der  Kaiser  habe  wirklich  im  Jahre 
793  von  Regensburg  aus,  durch  das  Altmühlthal  nach  Wirzburg  die 
Fahrt  gemacht  und  zwar  in  einem  Schiffe,  welches  stellenweise  ge-  ' 
tragen  werden  musste.  ^)  Karl  wurde  eine  Art  Artus,  umgeben  von 
einer  zwölfzähligen  Äsen  -  Tafelrunde  mit  dem  Rolandsrecken  an  der 
Spitze , ')    dessen  Waffen  und  Hörn  wir  als   unzweifelhaftes  Göttergut 


1)  Aufgeld  über  den  bedungenen  Preis,  zum  Vertrinken 

*)  Vgl.  Keller  Karlmeinel  v.  317  21  und  K.  Bartsch  Karlmeine^  ein  Bei- 
trag zur  Karlsage.    Nürnberg  1861    S.  43. 

')  Nach  der  ältesten  Fassung  im  111.  B.  der  Millheilunffen  der  antiquar.  Gesell- 
schaft zu  Züriih.  1846.   v.  d.  Hugen  Ges.  Abent.  11.  637  ff. 

*)  Ritler  von  Lang  im  Jabreshericht  des  hislor.  Vereins  in  Retzalkreis  für 
1830  und  Inland  1831.  S.  158  ff.  -  Das  ganze  HUtelalter  hindurch  blieb 
diese  Miniaturcopie  desSnezkanal  unvergessen,  Crusius  besuchte  die  vesli- 
gia  der  Graben,  und  Pastorius  wusste  im  Anfang  des  vorigen  Jahrhun- 
derts gleichfalls  davon.   (Franconia  rediv.  1702.  S.  375.) 

^)  Sehr  lehrreich  hiefür  ist  der  Carl  des  Strickers,   ein  über   12,000  Verse« 
umfassendes  Gedicht,  welches  K.  Bartsch  Leipzig  1857  herausffeff eben  hat 
und  das  sich  in  drei  Hand5chrinen  auf  der  Münchner  Bibliothek  befindet. 


29 

erklärt  haben.  Zuletzt  ist  er  noch,  wie  der  verwünschte  Gott,  in  den 
Untersberg  entrückt,  da  sitst  er  schlafend,  wie  sie  ihn  za  Aachen 
in*s  Grab  gesetzt,  mit  der  goldenen  Krone  auf  dem  Haupt  und  dem 
Scepter  in  der  Hand  ^ebenso  wie  im  Brunnen  auf  der  Feste  zuNüm- 
^f S) ')  Qod  sein  Bart  ist  um  den  Tisch  gewachsen ;  hat  er  die  letzte 
Ecke  zum  drittenmale  erreicht,  so  tritt  das  Ende  der  Welt  cfin.  Schon 
Viele  haben  ihn  dort  nickend,  wie  im  schweren  Traume,  gesehen,  lieber- 
haupt  ist  es  dort  herum  nicht  geheuer,  es  ist  eine  alte  heilige  Cukus- 
Stätte,  auch  wilde'Frauen  haben  sich  nach  dem  glaubwürdigen 
Brixner- Volksbuch')  in  den  Höhlen  angesiedelt,  Zwerge  treiben  daselbst 
ihren  Spuck  und  selbst  Riesen  wurden  gesehen,  wie  das  alte  Mänder 
im  Jahre  1645  unzweifelhaft  erlebt  und  beglaubigt  haben.  Das  Merk- 
würdigste ist  aber  die  Relation  des  LazarusAizner,  Stadtschreiber 
zu  Reichenhall,  der  im  Jahre  1529  selbst  sieben  Tage  lang  im  Unters- 
berg verweilt  haben  will. ')  Er  schildert  das  Innere ,  wie  eine  Mont- 
salvaz-Kirche,  als  einen  grossen  Dom  mit  200  Altären  und  30  Orgßln, 
wo  alle  Tageszeiten  und  verschiedene  Gottesdienste  von  den  Bergmön- 
chen und  einer  grossen  Masse  unterirdischen  Volkes  abgehalten  werden. 
Zwölf  Gänge  fähren  unterirdisch  hinüber  unter  dem  Königssee  nach 
nach  St.  Barthlme,  ^)  auf  Salzburg  in  die  Domkirche,  wo  von  den 
Geistern  mittemächtiger  Gottesdienst  gehalten  inrd  und  viele  Zeugen 
noch  leben,  die  den  Dom  nächtlicher  Weile  beleuchtet  gesehen  haben, 
item  Herr  Lazarus  Aizner  mit  seinem  Begleiter  bald  von  dem  Messner 
erwischt  worden  wären,  hätten  sie  sich  nicht  rechtzeitig  noch  hinter 
den  Stühlen  bei  der  grossen  Orgel  durch  die  Mauern  unter  die  Erde 
salviert,  von  wannen  sie  eingegangen.  Auf  gleiche  Weise  gehen  die 
Wege,  so  breit,  dass  immer  drei  und  drei  neben  einander  wandern 
können,  nach  Reichenhall  und  Feldkirchen,  auf  die  Gemein,  Seekirchen, 


')  Grimm  Deut.  Sagen.  I.  2a    Schönwerth  III.  d5a 

*)  Der  volIsISndige  Tilel  dieses  merkwürdigen,  bereits  von  den  Gebrfidern 
Grimm  in  ihren  y,Deut8rhen  Saffen"  ausgebeuteten  Büchleins  lautet:  Sagen 
der  Vorzeit ,  oder  ausführliche  Beschreibung  von  dem  berühmten  Salzburgi- 
schen Untersberg  oder  Wunderberg.  Wie  solche  Lazarus  Gitschner  (Aizner)^ 
ein  Trommer  Bauersmann  von  der  Pfarr  Berghaim,  vor  seinem  Tod  seinem 
Sohn  Johann  Gilschner  in  Gegenwart  mehrerer  geistlichen  und  weltlichen 
Personen  geofTenbaret,  und  dieses  alles  nach  seinem  Tod  bey  vorgenommener 
Inventur  schriftlich  vorgefunden  worden.  Brixen,  im  Jahre  1782.  40  S.  kl.  8^. 

')  Massmann  gibt  dessen  Bericht  iu  s  Ba irischen  Sagen  (München  1831. 
S.  42  tr.)  nach  einer  Handschrift  d(^  XVII  Jahrh. 

^  „Da  8|)rach  der  Mönch  im  Gehen  zu  mir:  Schau  Lazarus,  jelzo  gehen 
wir  tief  unter  dem  See.^ 


80 

• 

St.  Maximiliao,  auf  St.  Michael  in  die  Insel,  St  Zeno,  auf  Traunstein 
gen  Egg,  nach  St  Peter  und  Paul '  bei  Hajl  und  St.  Dionysien.  Allemal 
mündet  der  Weg  hinter  dem  Altar  in  der  Kirche,  wo  sie  Metten  singen 
und  wieder  zurückkehren.  Fünfmal  sieben  Jahre  lang  aber  musste  der 
Berichterstatter  schweigen  und  nur  dem  Pfarrherm  durfte  er  unterdessen 
die  Sach*  anzeigen  und  aufschreiben,  wie  er  auch  that,  auf  ein  grosses 
Pergamen.  Natürlich  sah  er  den  Kaiser  und  der  dabei  erhaltene 
Faustschlag,  der  ihm  sein  Lebenlang  verspürbar  blieb,  ist  ein  sicheres 
Rechtsalterthum ,  sich  die  Majestät  gehörig  einzubläuen  und  von  allem 
weiteren  Vorwitz  zu  lassen.  Auch  hat  ihm  der  Mönch  in  der  grossen 
Bücherei  unterschiedliche  uralte  Schriften  aufgeschlagen,  die  von  den 
nachfolgenden  Zeiten  sagen  und  der  brave  Schreiber  hat  Altes  wohl  in 
seinem  Haupt  behalten  und  niedergeschrieben  und  die  Yorhersagungen 
trafen  alle  zu  und  werden  es  nochthun,  wenn  nur  die  Jahrzahlen 
nicht  trügen  und  richtig  sind.')  —  Am  Walserfeld  steht  ein  dürrer 
Birnbaum,  wenn  der  zu  grünen  anhebt,  dann  wird  bald  eine  gräuliche 
Schlacht  geschehen,  wie  sie  schon  im  Muspilli  angedeutet  und  dem 
Weltuntergange  vorausgeht ;  sie  währt  drei  Tage,  wobei  den  Streitenden 
das  Blut  bis  an  die  Knie  reicht;  ein  Baiwarenfärst  aber  wird  siegreioh 
kommen  und  sein  Wappenschild  an  den  Baum  hängen.  Man  hat  ihn 
schon  dreimal  umgehauen,  aber  inuner  schlug  seine  Wurzel  wieder 
aus, ')  zuletzt  blühte  er  wirklich  nach  dem  Bericht  der  Augenzeugen  im 
Jahre  1848.  —  Dasselbe  aber  erzäiilen  schon  Johannes  von  Monte- 
villa  aus  dem  Thale  Josaphat  und  unser  Johannes  Schiltberger 
gleichfalls.  Die  Sage,  in  einer  viel  ursprünglicheren  Fassung  existirt  auch 
in  der  Oberpfalz,'}  wo  sie  ganz  im  Mittelpunkt  der  Mythe  erschebt 


*)  Auch  darf  nicht  vergessen  werden^  dass  Lazarus  Aizner  neben  dem 
Kaiser  Karl  auch  den  ^Kaiser  Fried  er  ich,  wie  er  einstens  von  dem 
Walserberg  verzückt  worden  ist^  und  noch  andere  Herren  und  Fürsten  sieht, 
als  den  Herzog  Alb  recht  von  Bayern  und  seine  Hausfrau,  den  Erz- 
bischof Leonhard  von  Keutschach  zu  Salzburg,  den  Herrn  Prälaten  von  St. 
Peter  und  Probsien  zu  St.  Zeno  n.  s   w. 

*)  Aehnliches  auch  im  klassischen  Allerthiim.  vgl.  Lasaul x  Philosophie  der 
Geschichte    1856.  S.  118  ff*. 

')  Schönwerth.  Ul.  319.  —  Zur  Zeit  des  Barthel  Regenbogen  war  die 
Sage  schon  auf  Kaiser  Friedrich  über^egannfen:  sein  viertes  Lied  im  grauen 
Ton  erzahlt,  wie  der  Kaiser  ohne  Schwertstreich  das  hl  Grab  gewinnt  und 
seinen  Sehild  an  den  dürren  Baum  hangt,  der  fortan  grünet:  das  ist,  laut 
der  Sibyllendichtung,  der  aus  dem  Paradiese  stammende  Baum,  welclier  sich 
nicht  in  Salomons  Tempelbau  fügen  wollte  und  zurückgelegt,  zum  Kreuzes-^ 
stamm  wurde,  an  welchem  neues  ewiges  Leben  blühte,  v.  d.  Hagen 
MS.  IV.  637  — 


81 

Daneben  gingen  aus  Karls  Zeit  noch  andere  Sagen,  so  berichtet 
z.  B.  Crusius  (iii  seiner  schwäbischen  Chronik  I.  330):  Einst  kam 
Karl  d.  6r.  anf  sein  Schloss  bei  Kempten  zu  seiner  Gemahlin  Hild- 
gard.  Als  sie  nun  über  Tisch  sassen  und  Mancherlei  von  der  Vorfahren 
Regierung  redeten,  während  ihre  Söhne  Pipin,  Carl  und  Ludwig  daneben 
Stauden,  hub  Pipin  an  und  sprach:  Mutter,  wenn  einmal  der  Vater 
im  Himmel  ist,  werde  ich  dann  König?  Carl  aber  wandte  sich  zum 
Vater  und  sagte:  Nicht  Pipin,  sondern  ich  folge  dir  nach  im  Reich. 
Ludwig  aber,  der  jüngste,  bat  beide  Eltern,  dass  sie  ihn  doch  möchten 
König  werden  lassen.  Als  die  Kinder  so  stritten,  sprach  die  Königin: 
Eueren  Zwist  wollen  wir  bald  ausmachen ;  geht  hinab  in  das  Dorf  und 
jeder  lasse  sich  eineu  Hahn  von  den  Bauern  geben.  Die  Kui^ben  stiegen 
die  Burg  hinab  mit  ihrem  Lehrmeister  und  den  übrigen  Schülern  und 
holten  die  Hähne.  Hierauf  sagte  Hildgard:  nun  las  st  die  Hähne 
mit  einander  kämpfen,  wessen  Hahn  im  Kampfe  siegt,  der  soll 
König  werden!  Die  Vögel  stritten  und  Ludwigs  Hahn  überwand  die 
beiden  anderen.  Und  Ludwig  erlangte  auch  wirklich  nach  seines  Vaters 
Tode  die  Herrschaft.     (Grimm  Deut.  Sagen.  IL  104.) 

Doch  fehlt  es  uns  nicht  an  ausdrücklichen  Zeugnissen,  dass  solche 
Kunden  auch  gesungen  wurden.  Im  Jahre  905,  unter  der  Regentschaft 
Ludwig  des  Kindes,  trug  sich  die  Geschichte  zu  mit  dem  Grafen  A  dal- 
bert  von  Babenberg.  Dieser  hatte  einen  Bruder  des  Königs  er- 
schlagen und  wurde  nun  in  seiner  Burg  belagert,  aber  lange  vergeblich, 
bis  er  durch  die  List  des  Erzbischof  Hatte  von  Mainz  zu  Falle  kam. 
Von  dieser  Untreue  des  Hatto  hörte  man,  wie  Otto  von  Freising  erzählt, 
lange  noch  auf  allen  Kreuzwegen  und  Malstätten  vor  dem 
Volke  singen.  Andere  Sagen  sind  mit  den  Liedern  verschollen,  wie 
die  von  Erbo*s  Wisent-Jagd,  die  vom  Spielzeug  der  Fahrenden  klangen« 
Andere  haben  sich  nur  in  Prosaauflösung  durch  die  Gunst  irgend  eines 
Chronisten  erhalten.  So  hatte  König  Heinrich  der  Finkler  einen  getreuen 
Recken,  Namens  Kuno,  der  aus  königlichem  Geblüte  stammte  und,  wenn 
auch  klein  von  Gestalt,  doch  gross  an  Herz  und  Muth  sich  erwies. 
Dieses  winzigen  Aussehens  wegen  gab  man  ihm  den  Namen  Kurzbold 
(Curzibolt-Dänroling) ;  er  war  aber  gar  kühn,  erschlug  einen  Löwen  und 
wurde  so  berühmt,  dass  das  Volk  von  ihm  sagte  und  sang.  Der 
St  Galler  Eckehart  schrieb,  von  ihm  gebe  es  viele  Sagen  und 
Lieder  (vulgo  concinnatur  et  canitur),  aber  er  liess  die  Erzählung  der 


\ 


32 

Begebenheiten  aus,  weil  zu  seiner  Zeit  (zweite  Hälfte  des  XI.  Jahrh.) 
die  Lieder  zu  allgemein  bekannt  waren. 

Ein  schönes  Spiegelbild  alter  Ritterlichkeit  und  ächter  deutscher 
Treue  ist  die  Geschichte  des  Heinrich  von  Kempten,  die  den  Poeten 
willkommenen  Stoff  bot.  Wir  erzählen  sie  hier,  obwohl  uns  nur  die 
spätere  Bearbeitung  durch  Konrad  von  Wirzburg  erhalten  ist  *) 

Der  mächtige  Kaiser  Otto  (unter  welchem  offenbar  der  Erste  seines 
Namens  gemeint  ist)  hatte  einen  schönen  langen  Bart,  den  er  sorgfältig 
pflegte  (er  zöch  in  vil  zarte)  und  was  er  bei  dem  Barte  geschwur,  das 
war  unwiederruflich.  Er  hatte  ^roetelehtez  har"  und  sein  Gremfithe  war 
böse  und  hart,  wer  etwas  wider  ihn  that,  dem  wurde  ohne  Gnade  der 
Tod  geschworen.  Einst  feierte  er  auf  der  schönen  Veste  zu  Baben- 
berg  das  Osterfest,  zu  welchem  viele  geistliche  und  T^eltliche  Fürsten 
und  Mannen  kamen.  Am  Ostertage,  während  der  Messe,  wurden  die 
Tische  bereitet,  Trinkgefässe  hingesetzt  (manik  schoene  trinkvaz)  und 
Brode  aufgelegt.  Nun  war  hier  auch  ein  wonniglicher  Knabe,  der  Sohn 
und  Erbe  des  Herzogs  von  Schwaben;  der  zarte  Knabe  ging  um  die 
Tische  und  nahm  in  seine  blanken  Hände  ein  lindes  Brod,  um  es  zu 
essen,  wie  Kinder  pflegen.  Das  gewahrte  der  jähzornige  Truchsess  des 
Kaisers,  er  lief  auf  den  Knaben  zu  und  schlug  mit  seinem  Stabe  den 
jungen  Herzog,  dass  er  niederstürzte  und  ihm  Scheitel  und  Haar  von 
dem  rothen  Blute  nass  wurden.  Das  ersah  der  mannliche  Ritter  Hein- 
rich von  Kempten,  der  Zuchtmeister  des  jungen  Herren,  den  er 
väterlich  liebte  und  hergeleitet  hatte :  er  gerieth  in  Zorn  und  schalt  den 
Truchsess ,  dass  er  so  unritterlich  eines  edlen  Fürsten  Frucht  schlage. 
Der  Truchsess  trotzte  auf  sein  Amt,  er  fürchte  ihn  so  wenig  als  der 
Habicht  das  Huhn.  Da  ergriff  Heinrich  einen  Stecken  und  schlug  ihm 
den  Scheitel  ein,  wie  ein  Ei,  dass  er  wie  ein  Topf  der  in  Scherben  geht, 
umkugelte.  Nun  kam  der  Kaiser,  sass  zu  Tische  und  sah  das  frische 
Blut  auf  dem  Estrich ;  zoniig  vernahm  er  die  That  und  verurtheilte  den 
Ritter,  der  die  Ehre  des  kaiserlichep  Hofes  zerbrochen,  zum  Tode. 
Heinrich  entschuldigte  sich  und  bat,  den  österlichen  Tag  und  die  hohe 
Versammlung  durch  Gnade  an  ihm  zu  ehren.     Der  rothe  Kaiser  aber 


')  Die  Gescbichle  erzählt  Crusius,  Königslioven  und  noch  die  Cölner 
Chrqnik  von  1499.  Conrad  von  Wirzhurg  brachte  sie  in  zierliche 
Verse  und  zwar  fiir  den  Herrn  von  Tiersherg,  Domprobst  zu  Strassburg. 
Heransiregeben  von  K  A.  Hahn  1838  und  in  v.  d.  Hagens  Gei.  Abent.  I 
63  -  83.  (Frei  benrbeilH  wurde  die  Dichtung  in  neuerer  Zeit  von  A  L. 
Folien.) 


33 

schwur  ihm  mit  grimmen  Herzen  den  Tod  bei  seinem  rothen  Barte.  Nun 
wusste   Heinrich,   wie  es  Init  dem  Eide  stand,    wollte  sich  aber  sein 
Leben  wehren,  sprang  also  zu  dem  Kaiser,  ergriff  ihn  bei  seinem  langen  . 
Barte,  zog  ihn  über  den  Tisch,  dass  alle  Speisen  niedergerissen  wurden, 
dem  Kaiser  die  Krone  in  das  Palas  C^aal)  fiel  und  er  vieler  Haare 
beraubt  wurde,  warf  den  Kaiser  unter  sich,  zuckte  ein  scharfes  Messer 
von  der  Seite,   würgte  ihn  am  Halse  (Kragen)  und  setzte  es  ihm  mit 
dem  Verlangen  um  Widerruf  und  Sicherheit  an  die  Kehle.    Er  würgte 
ihn,  dass  er  nicht  sprechen  komite.   Zwar  sprangen  die  Fürsten  schnell 
auf,   dem  zum  Tode  gefährdeten  Kaiser   beizustehen:     Heinrich   aber 
drohte  diesem  sogleich  den  Tod,  wenn  ihn  Einer  nur  zu  berühren  wage. 
Der  Kaiser  winkte  ihnen,  dass  sie  Alle  hinwegtraten  und  der  unverzagte 
Heinrich  zwang  den  Kaiser,  dass  er  mit  aufgehobenem  Finger  und^bei 
kaiserlicher  Ehre  gelobte,  ihn  unverletzt  fahren  zu  lassen.   Da  liess  ihn 
Heinrich  los.     Als  der  Kaiser  wieder  auf  seinem  reichen  Stuhle  sass, 
strich  er  Haar  und  Bart  und  gebot  Herrn  Heinrich,  dem  er  nur  Leib 
und  Leben  geschenkt  hatte,  sogleich  sich  von  hinnen  zu  heben  (nu  stri- 
chet iuwer  straze)  und  ihm  nie  mehr  unter  die  Augen  zu  kommen ;  ihr 
habt  „vil  harte  an  mir  geunvuoget,^  er  brauche  keinen  solchen  Scheer- 
meister,    der  ihm  Haut  und  Haar  unsanfte  ausgerissen.  —     Heinrich 
kehrte  heim  gen  Schwaben ,   wo   er   ein   reiches  Lehen   mit  Aeckem, 
Wiesen  und  Feldern  von  dem  Abte  zu  Kempten  als  Dienstmann  hatte, 
(v.  1 — 391.)  —  Darnach  über  zehn  Jahren  geschah  es,  dass  der  Kaiser 
„eins  grozen  urHuges**  pflog  jenseit  des  Gebirges  vor   einer  Stadt,    so 
lange,  dass  es  ihm  an  Leuten  fehlte  und  er  daher  alle  Lehensmänner 
des  deutschen  Reiches  schnelle  nach  Apulien  entbot.   So  ward  auch  'dem 
Abt  von  Kempten  ein  Bote  gesandt,   der  nun  alle  seine  Djenstmannen 
entbot  und  auch  Herrn  Heinrich  kommen  liess,   der  sich  jedoch  wegen 
der  kaiserlichen  Ungnade  weigerte  und  dafür  seine  beide  Söhne  senden 
wollte;  der  Abt  aber  wollte  seiner  nicht  entbehren  und  drohte  ihm  mit 
Entziehung  des  Lehen;    da  gehorchte  Herr  Heinrich  und  zog  Kühnlich 
öber's  Gebirge  zu  der  belagerten  Stadt  Dort  mied  er  jedoch  des  Kaisers 
Angesicht  und  schlug  seine  Hütte  etwas  seitab  von  dem  Heere.  Während 
er  sich  eines  Tages  in  einem  Zuber  badete,  sah  er,  wie  ein.Theil  der 
Bürger   aus  der  Stadt  dem   Kaiser  entgegenstapfte,    um  mit  ihm  zu 
„teidingen,**  *)  ihm  aber  einen  Hinterhalt  legten,  um  den  Kaiser  zu  er- 


')  Teidioiren,  toge»dingen,  einen  Tag  zu  einer  Verhandlung  anberaumen;  ver- 
handeln, unterhandeln,  Obereinkommen. 

3 


u 

sclilagen.     Da  liess  er  ^ baden  nnde  twahen,**   sprang  aus  dem  Zuber, 

• 

nahm  seinen  Schild  von  der  Wand  und  ein  gutes  Schwert  und  lief,  bloss 
'  wie  er  war,  dem  Kaiser  zu  Hülfe :  zerhaute  und  zerhackte  die  Feinde, 
schlug  Viele  todt  und  machte  Alle  flüchtig.  Dann  aber  lief  er  wieder 
in  das  Bad,  setzte  sich  nieder  und  badete  wicf  zuvor.  Der  Kaiser 
rannte  in  das  Lager  zurück,  sass  zoniig  im  Zelt  und  frug  nach  seinem 
nackten  Retter,  den  er  hoch  rühmte  und  kaiserlich  lohnen  wollte.  Alle 
aber  stunden  ^sumeliche^  und  wollten  ihn  nicht  nennen,  bis  ihm  der 
Kaiser  seine  Schuld  verziehen.  Da  verschwor  sich  der  Kaiser,  ihm 
gnädig  zu  sein,  selbst  wenn  er  seinen  Vater  erschlagen  hätte.  Nun 
nannten  sie  ihm  auch  den  Heinrich' von  Kempten  und  der  Kaiser  er- 
kannte, dass  nur  der  Held,  der  einst  seinen  Bart  raufte,  jetzo  nackt 
so  tapfer  für  ihn  streiten  mochte;  er  gab  ihm  seine  Huld,  doch  wollte 
er  ihn  vorerst  noch  erschrecken.  Er  liess  ihn  sogleich  holen  und  frug 
ihn  ^zornecklichen**  wie  er  sich  unterstünde,  ihm  unter  die  Augen  zu 
konimei]^  Heinrich  entschuldigte  sich  durch  das  Gebot  seines  Lehens- 
herrn und  betheuerte,  dass  er  dem  ungern  gefolgt  sei.  Da  lachte  der 
Kaiser,  dankte  ihm  laut  sein  Leben,  sprang  auf,  küsste  ihn  und  gab 
ihm  reiches  Lehen  zu  seiner  Huld :  So  erwarb  sich  der  kühne  Held  un- 
vergänglichen Ruhm  und  Reichthum  (v.  392 — 764).  — 

Sehr  viele  Städte  haben  ihre  Riesen-  und  Heldensage.  So 
ist  das  ^Goliath-Haus"')  zu  Regensburg  der  uralte  Zeuge  eines  in 
biblisches  Gewand  verkleideten  Riesenkampfes  und  Hans  Dollinger 
ist  ein  gleicher  liedergepriesener  Recke,')  und  selbst  ein  Schuster  findet 
sich  unter  den  Kämpen,  der  zu  L  a  u  i  n  g  e  n  schweren  Streit  und  Arbeit 
so  rühmlich  ausgefochten,  dass  sein  Angedenken  später  noch  in  mäch- 
tiger Bilderschrift  an  dem  merkwürdigen  Thurme  verewigt  ist,  ^)  Zur 
Zeit,  als  die  Heiden  bis  nach  Schwaben  vorgedrungen  waren,  rückte 
ihnen  der  Kaiser  mit  seinem  Heere  entgegen  und  lagerte  sich  unweit 
der  Donau  zwischen  Lauingen  und  dem  Schlosse  Fainiiugen.  Nach  meh- 
reren vergeblichen  Kämpfen  kamen  endlich  beide  Partheien  überein,  den 
Streit  durch  einen  Zweikampf  entscheiden  zu  lassen.  Der  Kaiser  wählte 
den  Marschall  von  Calatin  (Pappenheim)  zu  seinem  Kämpfer,  der  den 


')  Schuegraf:  Das  Goliath-Haus  zu  Regensburg.  1840. 

')  Sein  .n Wappen^  ist  ein  Straus  ein  Hufeisen  im  Schnabel  hallend,    vgl.  Be- 
.  Schreibung  des  bayer.  Kreises.  1703.  S.  233. 

')  Dieser  sog.  Honhurm  wurde  im  J.  1478  durch  den  damaligen  Sladtpfleger 
Imhof  erbfluf.  vgl.  (Hitlermayr)  Sagenbuch  der  Städte  Laningen  u.  s.  w. 


35 

Auftrag  freudig  überDahm  und  nachsann ,  wie  er  den  Sieg  gewiss  er- 
ringen möchte.  Indem  trat  ein  unbekannter  Mann  zu  ihjn  und  sprach: 
Was  sinnest  du?  ich  sage  dir,  dass  du  nicht  für  den  Kaiser  fechten 
sollst,  sondern  ein  Schuster  aus  H^nfwil  (später  Lauingen)  ist  dazu 
ausersehen.  Der  Galatin  versetzte:  Wer  bist  du?  wie  dürfte  ich  die 
Ehre  dieses  Kampfes  von  mir  ablehnen?  Ich  bin  St.  Georg,  Christi 
Held,  sprach  der  Unbekannte,  und  zum  Wahrzeichen  nimm  meinen 
Däumling.  So  sprechend  zog  er  den  Daumen  ans  der  Handund 
gab  ihn  dem  Marschall,  welcher  ungesäumt  damit  zqm  Kaiser  ging  und 
den  ganzen  Vorfall  erzählte.  Hierauf  wurde  befohlen,  dass  der  Schuster 
gegen  den  Heiden  streiten  sollte.  Detr  Schuster  übernahm  es  und  be- 
siegte glücklich  den  Feind.  Da  gab  ihm  der  Kaiser  die  Wahl  drei 
Gnaden  sich  auszubitten.  Der  Schuster  bat  erstens  um  eine  Wiese  in 
der  Nähe  von  Lauingen ,  dass  diese  der  Stadt  als  Gemeingut  gegeben 
werde;  zweitens,  dass  die  Stadt  mit  rothem  Wachs  siegeln  dürfe,') 
drittens  dass  die  Herren  von  Calatin  eine  Möhrin  als  Helmkleinod 
führen  dürften.  Alles  wurde  ihm  bewilligt  und  der  Daumen  St.  Georgs 
sorgfältig  von  den  Pappenheimern  aufbewahrt,  die  eine  Hälfte  in  Gold 
gefasst  zu  Kaisheim,  die  andere  zu  Pappenheim. 

Bekanntlich  verfasste  die  sächsische  Nonne  Hrotsvitha  ein  lateini- 
sches künstliches  Carmen  zum  Ruhme  Kaiser  Otto  L,  daneben  aber  gab 
es  überall  viele  Volks-  und  Soldatenlieder  (um  970,  Muratori 
m.  690),  die  den  Wiederhersteller  des  Reiches  lobten  und  priesen. 
Seine  Heldenthaten,  namentlich  gegen  die  Ungarn,  welche  er  für  immer 
in  die  Gränzen  i^arl  des  Grossen  zurückschlug,  frischten  die  alten 
Heldenlieder  und  Sagen  der  Völkerwanderung  und  älterer  Zeit  auf,  ins- 
besondere die  Nibelungen,  die  sein  Freund  Bischof  Pilgerim  von 
Passau,  offenbar  nicht  ohne  Nebenabsicht,  abfassen  liess.  •  Bevor  wir 
aber  darauf  eingehen,  müssen  wir  noch  die  Weifen  sage  in's  Auge 
fassen,  die  bedeutungsvoll  nach  Bayern  hereinspielt. 

Als  älteste  Spur  derselben  erscheint  die  Erzählung  des  Paul  War- 
nefried (1.  15),  dass  ein  böses  Weib  sieben  Söhne  geboren  und  selbe 
in  einen  Teich  geworfen  habe.    Wie  nun  zufallig  der  Langobardenkönig 


')  Nach  Reisach  (Neaburger  Taschenbuch  f.  1808.  S.  317)  erbat  der  Sieger 
dBS  Haupt  des  Riesen  oder  Mohren  zum  Stadtwappen;  das  älteste  Si^ill, 
welches  erhalten  ist,  stammt  vom  Jahre  1270  und  könnte  nach  der  Abbild- 
BQg  in  Reisach'i  Taschenbuch  eher  für  einen  Christuskopf  im  byzantinischen 
Style  gellen. 

3« 


36 

Agelmand  vorübergegangen  und  seine  Lanze  hineingehalten,  da  griff 
'eines  der  Kinder  mit  voller  Kraft  darnach,  wurde  vom  König  heraus- 
gezogen ,  nach  dem  triefenden  Schlamm  Lamisso  genani^t  und  erzogen. 
Das  war  ein  Knabe.  Als  er  herangewachsen,  kam  «r  mit  dem  König 
an  einen  Fluss,  dessen  üebergang  die  Amazonen  verwehrten.  Den  Streit 
sollte  ein  Zweikampf  entscheiden  und  Lamisso  warf  sich  von  der  einen, 
eine  tapfere  Amazone  von  der  anderen  Seite  in  den  Fluss  und  beide 
kämpften  schwimmend.  Aber  Lamisso  siegte  und  wurde  später  selbst 
König.  —  Ausgebildet  dagegen  erscheint  die  Sage  schon  bei  Crusius*) 
und  bei  weitem  näher  gerückt.  Da  war  ein  Graf  zu  Altdorf  und  Ravens- 
burg in  Schwaben,  der  hiess  Warin,  sein  Sohn  Isenbart,  Irmen- 
trut  aber  dessen  Gemahlin.  Es  geschah,  dass  ein  armes  Weib  unweit 
Altdorf  drei  Kindleiu  auf  einmal  zur  Welt  brachte,  das  erachtete  Irmen- 
trut  für  unmöglich  und  schmähte  die  Ehre  der  armen  Frau  öffentlich 
vor  ihrem  Herrn  und  Gemahl :  diese  Ehebrecherin  verdiene  nicht  anders, 
als  in  einen  Sack  gesteckt  und  ertränkt  zu  werden.  Nun  aber  geschah's, 
dass  ein  Jahr  darauf  die  Gräfin  selbst,  als  ihr  Gemahl  eben  ausgezogen 
war,  zwölf  Kindlein,  eitel  Knaben,  gebar.  Zitternd  und  zagend,  dass 
man  sie  ihres  eigenen  früheren  Redens  gemäss,  des  Ehebruchs  zeihen 
könne,  befahl  sig  der  Kellnerin,  die  andern  elfe  (denn  das  zwölfte 
behielt  sie)  in  den  nächsten  Bach  zu  tragen  und  zu  ersäufen.  Indem 
nun  die  Alte  diese  eilf  unschuldigen  Knäblein  in  ein  grosses  Becken 
gefasst,  in  den  vorbeifiiessenden  Bach,  die  Scherz  genannt,  tragen 
woUte,  schickte  es  Gott,  dass  der  Isenbart  selber  heimkam  und  die 
Alte  frug,  was  sie  da  trüge?  Diese  antwortete:  es  wären  Weife,  d.  h. 
junge  Händlein.  Lass  schauen,  sprach  der  Graf,  ob  mir  einige  zur 
Zucht  gefallen,  die  ich  hernach  ziehen  will.  Ei,  Ihr  habt  Hunde  genug, 
meinte  die  Alte  und  weigerte  sich,  ihr  möchtet  ein  Grauen  nehmen, 
sähet  ihr  einen  solchen  Wust  und  Unlust  von  Hunden.  Allein  der  Graf 
Hess  nicht  ab  und  zwang  sie  hart,  die  Kinder  zu  blossen  und  zu  zeigen. 
Da  er  nun  die  elf  Kindlein  erblickte,  wiewohl  klein,  doch  -von  adlicher, 
schöner  Gestalt  und  Art,  frug  er  heftig  und  geschwind :  wess  die  Kinder 
wären.  Und  als  die  alte  Frau  bekannte  und  ihn  des  ganzen  Handels 
verständigte,  wie  dass  nämlich  die  Kindlein  seinem  Gemahl  zustünden, 
auch  aus  was  Ursach  sie  hätten  umgebracht  werden  sollen,  befahl  der 
Graf  diese  Weifen  einem  reichen  Müller  der  Gegend,  welcher  3ie  auf- 


')  Grimm  Deut.  Sagen    11.  233  ff.    and  Grfisse  Sagenkreis  des  Mittelalters. 
S.  74  flr. 


37 

ziehen  sollte  und  gebot  der  Alten  ernstlich,  dass  sie  wiederum  zu  ihrer 
Frau  ohne  Furcht  und  Scheu  gehen  und  nichts  anderes  sagen  sollte, 
als:  ihr  Befehl  sei  ausgerichtet  und  vollzogen  worden.  Sechs  Jahre 
hernach  liess  der  Graf  die  elf  Knaben ,  adelich  geputzt  und  geziert  in 
sein  Schloss,  da  jetzt  das  Kloster  Weingarten  steht,  bringen,  lud  seine 
Freundschaft  zu  Gaste  und  machte  sich,  fröhlich.  Wie  das  Mahl  schier 
vollendet  war,  hiess  er  aber  die  elf  Kinder,  alle  roth  gekleidet,  ein- 
führen; und  Alle  waren  dem  Zwölften,  den  die  Gräfin  behalten  hatte, 
an  Farbe,  Gliedern,  Gestalt  und  Grösse  so  gleich,  dass  man  eigentlich 
sehen  konnte,  wie  sie  von  einem  Vater  und  einer  Mutter  stammen.  Da 
frug  der  Graf  feierlich :  was  doch  ein  Weib,  .die  so  herrlicher  Knaben 
elfe  umbringen  wollen,  för  einen  Tod  verschulde.  Machtlos  fiel  die  Frau 
dem  Grafen  zu  Füssen  und  flehte  jämmerlich  um  Gnade  und  da  auch 
die  Anderen  für  sie  baten,  so  verzieh  der  Fürst  ihrer  Einfalt  und  kind- 
lichen Unschuld^  aus  der  sie  das  Verbrechen  begangen  hätte.  Dei*  Graf 
aber  ordnete  zuin  ewigen  Gedächtniss,  dass  seine  Nachkommen  sich 
flirder  nicht  mehr  Grafen  zu  Altdorf,  sondern  Weifen  und  sein  Stamm 
der  Weifen  Stamm  heissen  sollten.  —  Ganz  genau  kehrt  die  Sage  im 
bayerischen  Walde  wieder,  nur  mit  einer  Sechszahl  von  Kindern,  auf 
der  bei  Regen  gelegenen  Veste  Weissenstein,  daher  stamme,  heisst 
es,  das  Geschlecht  derOrafen  von  Hund.  —  Die  Dodekalogie  ist  allein 
das  Mythische  an  dieser  Sage,  *)  die  übrigen^  offenbar  von  späterer, 
acht  volksthümlicher  Fassung  zeigt.  Andere  berichten :  der  Vorfahre 
dieses  Geschlechts  habe  sich  an  des  Kaisers  Hof  aufgehalten,  als  er  von 
seiner  Gattin,  die  eines  Söhnleins  genass,  zurückgerufen  wurde.  D»  sagte 
der  Kaiser  scherzweise:  Was  eilst  du  um  eines  Weifen  willen,  der 
dir  geboren  is^?  Der  Ritter  antwortete:  weil  nun  der  Kaiser  dem  Kind 
einen  Namen  gegeben,  solle  das  gelten  und  bat  ihn,  es  zur  Taufe  zu 
halten,  was  auch  geschah.  —  Eine  andere  Weifensage  wird  von  Herzog 
Balthasar  von  Schwaben  erzählt,  der  ein  Töchterlein  Herzog  Albans 
voü  München  zur  ^rau  hatte  und  da  sie  in  14  Jahren  kein  Kind  ge- 
wonnen ,  den  Sohn  eines  Jägers  unterschob. ') 

Eine  weitere  Weifensage  ist  die  von  Heinrich  und  seinem  gül- 
denen Wagen.')     Zu   Zeiten  König  Ludwigs   von  Frankreich  lebte  in 


*)  S  im  rock  Mythologie.  S.  194.     ' 

*)  Grimm  IL  237  nach  Lirer's  schwäb.  Chronilc. 

«)  Ibid.  n.  238. 


88 

Schwaben  Eticho  der  Weif,  ein  reicher  Herr,  und  seine  Gemahlin  war 
Jadith,  eine  Königstochter  ans  Frankreich.  Eticho  war  so  reich  und 
stolz,  dass  er  einen  goldenen  Wagen  im  Sohilde  führte  und  sein  Land 
weder  von  Kaiser  noch  König  in  Lehen  nehmen  wollte,  verbot  das  auch 
seinem  Sohne.  Dieser  aber,  dessen  Schwester  dem  Kaiser  Ludwig  dem 
Frommen  vermählt  war,  Hess  siclr  einmal  von  derselben  bereden ,  dass 
er  dem  Kaiser  ein  Land  abforderte  und  bat,  ihm  so  viel  zu  verleihen, 
als  er  mit  einem  güldenen  Wagen  in  einem  Vormittage 
umfahren  könne  in  Bayern.  Das  geschah.  Ludwig  aber  traute 
ihm  nicht  solchen  Reichthum  zu,  dass  er  einen  güldenen  Wagen  ver- 
möchte. Da  hatte , Heinrich  immer  frische  Pferde  und  umfuhr  einen 
grossen  Fleck  Landes  und  hatte  ein  goldenes  Wägelchen  in  den  Busen 
gesteckt.  Also  ward  er  des  Kaisers  Mann.  Darob  erzürnt,  nahm  der 
alte  Vater  ajwölf  Edelleute  zu  sich,  ging  wie  König  Herlaug  (in  der 
Sage  Harald  des  Schönhaarigen)  in  einen  Berg  und  blieb  darinen  und 
vermachte  das  Loch ,  dass  ihn  Niemand  finden  konnte.  Das  geschah 
bei  dem  Scherenzerewald,  darin  verhärmte  er  sich  mit  den  zwölf  Edel- 
leuten.  (Perz  Mon.  VH.  76L)  —  Diese  Art  und  Weise  der  Lan- 
deserwerbung kehrt  häufig  anderwärts  wieder,  z.  B.,  wie  ein  hungernder 
Sachse  sein  Grold  an  einen  Thüringer  um  einen  Rock  voll  Erde  verkauft 
(Grimm  deut.  Sagen  H.  65),  wie  Remigius  das  Land  umgeht,  während 
der  Frankenkönig  Ghlodowig  schläft  und  der  Wette  gemäss  eine  grosse 
Strecke  zu  seinem  Eigenthume  gewinnt  (ib.  H.  78),  wie  der  Spielmann, 
welcher  den  Kaiser  Karl  nach  Italien  geführt  hat,  so  viel  Landes  verlangt, 
so  weit  der  Schall  seines  Hernes  gehört  werden  kann.  (ib.  II.  111  ff.| 
Aehnliche  Kunde  geht  auch  von  dem  Augustinerkloster  Wettenhau- 
sen (zwischen  Ulm  und  Augsburg).  Es  wurde  982  von  zwei  Brüdern, 
Oonrad  und  Wernher,  Grafen  von  Rochenstain  oder  vielmehr  von  ihrer 
Mutter  Grertrud  gestiftet.  Diese  verlangte  und  erhielt  von  ihren  Söhnen 
so  viel  Landes  zur  Erbauung  einer  hl.  Stätte,  als  sie  innerhalb  eines 
Tages  umpflügen  könnte«  Dann  schaffte  sie  einen  ganz  kleinen  Pflug, 
barg  ihn  im  Kleide  und  umritt  dergestalt  das  Gebiet,  welches  dem 
Kloster  sonach  gehörte.  —  Der  goldene  Wagen  oder  der  Pflug*) 
gemahnt  an  den  Wagen  des  Frö  oder  der  Nerthus,  denen  die  Wagen, 
Schiff  und  Pflug  der  Holda,  Bertha,  Isis  und  Nehalennia  zur  Seite 
stehen.  —  In  einer  Variante  der  Sage  heisst  es,  Heinrich  habe  so  viel 


')  S  im  rock  Mythologie.    S.  399. 


88 

I 

Laodes  verlangt,  als.  er  zur  Mittagszeit,  während  der  Kaiser  schlafe, 
mit  einem  goldenen  Pfluge  umziehen  könne;  er  habe  sich  darauf 
einen  goldenen  Pflng  machen  lassen  und  selben  im  Gewände  geborgen; 
mit  immer  frisch  gewechselten  Pferden  durchjagte  er  eine  grosse  Strecke. 
Sein  Vater  aber  hatte  sich  mit  der  sagenhaften  Zwöifzahl  seiner  Ge- 
nossen in  einen  fierg  begeben,  habe  alle  Zugänge  versperrt  und  sei  da 
bis  an  sein  Lebensende  (c.  910)  verblieben.  Der  Scherenzerewald  wäre 
vielleicht  in  der  Nähe  von  Etal  zu  suchen,  dqpn  der  Bericht  setzt 
hinzu:  später  habe  einer  seiner  Nachfolger,  um  Gewissheit  dieser  Kunde 
zu  erlangen,  die  Gräber  auf  dem  Gebirg  suchen  und  die  Todtengcbeine 
ausgraben  lassen.  Darunter  aber  könnte  kein  anderer  als  Kaiser  Lud- 
wig der  Bayer  verstanden  sein,  der  bei  Gründung  seines  Klosters  Etal 
auffallend  viele  menschliche  Gebeine  fand.  Da  er  nun  die  Wahrheit 
völlig  daran  erkannt  hatte,  dass  hier  Etichos  und  seiner  Genossen 
letzte  Rast,  Hess  er  an  dem  Ort  eine  Gapelle  bauen  und  sie  da  zusam- 
men bestatten. ')  —  Eticho,  Edica  sind  nach  Grimm  (Gesch.  der  deut. 
Sprache  S.  327)  alte  Ausdrucke  für  Heisshunger  und  der  Hunger  kaim 
als  Hund,  Weif  und  Wolf  gedacht  worden  sein.  Auf  Eticho  aber  muss 
sich  eine  alte  Kunde  von  der  Herrschaft  seiner  Ahnen  über  das  Reich 
der  Unterwelt  und  des  Todes  übertragen  haben;  bei  seinem  Sohne  finden 
wir  den  Gregensatz,  die  Einwirkung  auf  das* Leben,  die  dem  nordischen 
Freyr  CErö)  zustand.  Wir  glauben  nicht  zu  irren,  sagt  Hocker, ')  wenn 
wir  annehmen,  dass  sich  der  Name  der  Weifen  von  ihrer  Beziehung 
zur  Unterwelt  herleite.  Alles  Glück  und  aller  Segen  ist  durch  die 
Fruchtbarkeit  des  Welfengeschlechtes,  sinnbildlich  durch  die  vielen  Kin- 
der  oder  die  jungen  Qnnde,  ausgedrückt. 

Ein  weiteres  Glied  der  Weifensage  ist  der  Schwanenritter,  der 
auch  bei  uns  vorkommt,  zwar  ohne  Namen,  ahei^  auf  der  Burg  von 
Hohenschwangan,  auf  der  einst  Weifen,  Staufer  und  Schyren  hausten. 
Die  Sage  bei  Schöppner')  stimmt  mit  jener  von  Cleve  ganz  überein.^) 


')  Daisenberger  Oberbayr.  Archiv.  XX.  59  fr.—  Eine  Ableitung  des  Namens 
Etal  von  Mons  Ettonis,  worunter  eben  dieser  Etbo  oder  Ethiko  gemeint 
sein  solle,  ist  unstatthaft. 

')  Stammsagen. der  Hohenzollern.  1857.   S.  49. 

')  Bayer.  Sagenbuch.  Nro,  478.  I.  188  und  Quitzmann  Heidenthum.  S.  83. 

*)  Den  Stoff  hat  auch  Conrad  von  Wirzburg  poetisch  liearbeitet;  er  lässt 
den  Zweikampf  unter  den  Augen  Karl  d.  Gr.  vollzogen  werden  und  führt 
so  in  anderer  Fassung  die  Schwanensage  in  den  Kreis  Karl  des  Grossen  ein. 
vgl.  Grimm^  altdeutsche  Wälder.  IH.  49-96.  Grimm  deut.  Sagen  IL  312 
and  J.  W.  Wolf  niederländische  Sagen.  Leipzig  1843.  S.  88, 


40 

Bayern,  Schwaben,  Franken  und  Hessen  besassen  dieselbe  Sage  und 
im  baiwarischen  Frankenlande  wie  im  alten  Lande  der  Ghattuarier 
begegnen  uns  ihre  Spuren,  unvergänglichen  Ephenranken  gleich,  die 
sich  an  einen  gewaltigen  Thurm  heften.  Ueberall  ist  ein  aus  dem 
Wasser  gekommener  Stammlfeld  der  Kern  der  Sage,  der  Wald  und  der 
Berg  vertreten  nur  das  Wasser,  den  Urquell  alles  Lebens,  wie  die  jun- 
gen Weifen  und  Hunde  auch  wieder  durch  die  im  Wasser  lebenden 
Kinder  mit  den  Schwanenringen  ersetzt  werden.  Beide  sind  mythoh)- 
gisch  eins. ') 

• 

Mit  dem  Schwanenritter  auPs  engste  verwandt  und  gleichfalls  ein 
Erbgut  der  Weifen,  ist  die  Sage  von  der  weissen  Frau,  jenem 
unheimlich  gewordenen  Wesen,  das  in  allen  Farben  fast  an  jeglichem 
Hofe  und  in  allen  grössei:en  Familien,  in  alten  Burgen  und  Schlössern 
spuckt.  Panzer  und  Schönwerth  haben  genügende  Belege  darüber 
gesammelt  und  Kuhn')  und  Hocker')  selbe  hinreichend  beleuchtet, 
dass  wir  es  hier  auch  mit  einem  ursprünglich  heidnischen  Mythus  zu 
thun  haben,  dem  das  Christenthum  nur  einige  äusserliche  Formen  ge- 
liehen, den  es  aber  nicht  vollständig  in  seinem  Sinne  umzugestalten 
vermochte. 

Nachdem  wir  also  die  frühesten  Reste  der  priesterlichen  Poesie, 
in  ihrem  theils  christlichen,  theils  heidnischem  Gewandt,  geschildert  und 
die  frühesten  Erinnerungen  besprochen  haben,  die  noch  in  der  Tradition 
des- Volkes  umgehen  und  entweder  in  wirklichen  Liedern  und  poetischen 
in  späterer  Zeit  dann  umgewandelten  Formen  oder  in  chronikalen  Prosa- 
auflösungen und  Nacherzählungen  auf  uns  gekommen  sind  —  wenden 
wir  uns  nun  zum  Verlaufe  der  eigentlichen  Dichtung  unseres  Mittelalters. 


*)  Den  mythischen  Hintergrund  der  Schwanrittersa^e  hat  W.Müller  in  Pfeiffers 
Germania  1856.  I.  418  —  410  treffend  nachgewiesen,     lieber  die  Schwanen- 
sage vgl.  weiter  van  der  Hagen  in  den  Abhandf.  der  Berliner  Akademie 
1846.  S.  564  ff: 

>)  In  Mannhardts  Zeitschrift  f.  deut.  Mythologie.  1855.  10.  368—92 

')  Stammsagen  der  Hohenzollern  und  Weifen.  Düsseldorf  1857. 


Erstes  ßuch. 


Episotie  Dich.timg'. 


Die  klösterlich-lateinisclie  Dichtung. 


Die  bis  jetzt  erwähnten  Denkmäler  hatten  grösstentheils  noch  sehr 
wenige  kunstvollendete  Form;  was  uns  erhalten  blieb,  verdankt,  viel- 
leicht einzig  nur  mit  Ausnahme  des  Otfried,  seine  Existenz  mehr  oder 
minder  dem  Zufall,  der  sie  aus  dem  Gehör  nachschrieb.  Es  ist  das 
volksthümliche  Singen  und  jSagen,  was  oft  in  seinem  wirklichen  Costüm, 
öfter  aber  nur  in  prosaischer  Auflösung  und  chronikalen  Reminiscenzen 
oder  in  späterer  poetischer  Fassung  uns  überliefert  wurde.  Waren  diese 
Lieder  alle  an  die  mündliche  Tradition  gebunden,  so  tritt  uns  hier  die 
von  Gelehrten  gepflegte  Dichtung  entgegen,  welche  bereits  in  eine  kunst- 
vollere Form  gebannt  ist  und  welche  nicht  mehr  durch  Gesang  und 
melodischen  Vortrag  weitergetragen  wird,  sondern  an  die  Schrift  und 
das  Lesen  gebunden  ist. 

Hier  ist  es  vielleicht  am  Platze,  vorerst  etwas  weniges  über  unsere 
älteste  Schrift  und  das  Schreibmateriale  zu  sagen.  Schon  in  den  frühe- 
sten Zeiten  war  eine  Buchstabenschrift  bekannt;  sie  war  kein  Geheim- 
niss  der  Priester,  sondern  wurde  nur  durch  die  Unbekanntschafl  der 
Menge  damit  zu  einer  heimlichen  Kunst.  Das  waren  die  Runen.  Si^ 
wurden  ebensowohl  fiir  bleibende  Aufzeichnungen ,  Rechtsbestimmungen 
und  Briefe  verwendet ,  wie  zur  Erforschung  des  Willen  der  Grötter  und 
zur  Weissagung.  Das  dabei  übliche  Verfahren  hat  Tacitus  mit  anschau- 
licher Deutlichkeit  geschildert.  Man  nahm  Zweigstücke  von  einem 
fruchttragenden  Baum  (und  zu  den  fruchttragenden  Bäumen  gehörte  auch 
die  Buche),  versah  sie  mit  gewissen  Zeichen,  streute  sie  aufs  Gerade- 
wohl über  den  Boden  und  deutete  die  aufgelesenen  Zweige,  jenen  Zeichen 
gemäss.  Wu*  haben  hier  Buchstaben  im  engsten  Sinne  des  Wortes, 
die  Stäbe  einer  Buche ,    die   eine  gewisse  Bedeutung  in   sich  tragen :  0 


^)  Diese  Erklärung  der  Buchstaben  gab  van  der  Hagen  (in  Büschinffs  Er- 
lihlungen  des  Mittelalters  1814.  I.  347)  in  einer  Anmerkung  zu  .«einer  Üeber- 
selxung  der  Edda-Lieder,  vgl.  ferner  Altdeutsche  Wälder.  1813.  S.  143. 


44 

nur  so  erklärt  sich  dieses  Wort;  nur  so  der  gothische  und  altnordische 
Stabs,  stafs  (littera),  das  hochdeutsche  Buch ;  nur  aus  jenem  Einritzen 
der  Zeichen  erläutern  sich  die  alten  und  heimischen  Benennungen  meljan 
und  writan,  pur  aus  dem  Hinwerfen  der  Stäbe  das  nlittel-  und  neuhoch- 
deutsche entwerfen,  d.  h.,  zeichnen;  aus  dem  Aufheben  derselben  das 
noch  gebrauchte  lesen.*)  Man  legte  die  Zeichen  aus,  wie  sie  nach 
und  .nach  aufgelesen  wurden,  indem  man  entweder  ein  Wort  aus  ihnen 
bildete  oder  den  Namen  eines  Buchstaben  in  Bezug  auf  den  fraglichen 
Gegenstand  brachte.  —  Der  alte  Brauch  hat  sich  erhalten,  zwar,  nur 
als  Kinderspiel  und  gar  zu  Pressburg,  aber  bei  einer  aus  Bayern 
eingewanderten  Bevölkerung!  Wie  unsere  Vorfahren  im  Ernste  um  die 
dunkle  Zukunft  zu  befragen ,  Zweigstücke  gespalten ,  die  Rinde  mit 
gewissen  Zeichen  versahen,  dann  sie  ausgestreut,  aufgelesen  und  jenen 
Zeichen  gemäss  gedeutet  haben,  so  machen  es  die  Kinder  in  Pressburg 
Wieselburg  und  bis  Komom  hinab  noch,  und  loosen  sich  auf  solche 
Art  zum  Kaiser,  Gefreiten  und  Gemeinen.  Auch  sind  die  dabei  übli- 
chen kauderwälschen  Sprüche  bemerkenswerlh.  J.  Schröer,  einer  der 
eifrigsten  Vorkämpfer  deutschen  Wesens  in  Ungarn,  fand  dort  einzig  nur 
bei  einer  Bevölkerung  bayerischen  Ursprungs  diesen  Brauch,  der  sich 
indess  weder  in  Altbayem,  noch  auch  Tirol  oder  Oesterreich ')  bis  jetzt 
zeigen  wollte  —  ein  neuer  Fingerzeig  und  Beleg,  wie  unendlich  Vieles 
im  Volksleben  begründet,  geborgen  und  erhalten  ist  aus  altehrwürdiger 
Vorzeit.  —  Von  der  alten  Runenschrift  selbst  sind  uns  nur  spärliche 
Reste  überkommen,  einige  in  Holz  geschnittene  gleichseitige  Runenstäbe, 
die  vielleicht  als  traditionelles  Symbol  richterlicher  Herrschaft  noch 
lange  nachgeahmt  wurden, ''^)  dazu  einige  Pergamenthandschriften,  wie 
jene  »aus  Tegernsee  und  Regensburg ^)  und  die  im  germanischen  Mu- 
seum zu  Nürnberg  aufbewahrten  nicht  unansehnlichen  Denkmäler;  die 
gothische  Schrift  bejiielt  nur  zwei  Zeichen  derselben  bei,  auch  im  Wes- 
sesbrunner  Gebet  steht  noch  eine  einsame  Rune ;  mehrere  Steininschrif- 
ten und  kostbare  Balken  sind  in  der  Oberpfalz  erst  vor  kmzer  Zeit  zu 
Grunde  gegangen ;  die  Haus-  und  Hofmarken,  die  seltsamen  Steinmetzen- 


')  Golh.  mdijan,  schreiben,  von  mel  Buchstabe,  PI.  imela  Schrift.  Altaichs. 
Angels.  writan,  AUhd.  rfzan,  Altnord,  rita  reissen,  ritzen,  schreiben.  Ahd. 
riz  Bachstabe.  Wir  gebrauchen  jetzt  reissen  und  Riss  vom  Zeichnen,  wie 
malen  schon  im  Althochdeutschen  und  schrtben  im  MHtelhochdeut.  auch 
pingere  ist  vgl.  W.  Wackernagel  Lit.  Gesch.  S.  12. 

»)  J.  Schröer  in  Wolfs  Zeitschr.  II.  187  ff. 

')  Eia  sehr  merkwürdiges  Exemplar  dieser  Art  hat  sich  in  das  )Vittelsbacber 
Museum  gerettet. 

^)  In  einer  iiS.  aus  dem  YIII.  Jahrb.  vgl.  W.  Grimm,  Runen.  1821.  S  111 
und  Lauth  Runea  Fudark.   Mönchen  1857.  S.  40  ff.  u.  45  ff. 


45 

seichen  an  Werken  der  Skulptur,  noch  mehr  aber  manche  Kribeskrabes 
der  Hexenzeit  und  Amuletenziffer  bilden  den  letzten  sinnlosen  Nachhall 
der  alten  Zeichensprache. 

Die  iremden  Aiönche  und  Jünger  des  hl.  Benedict  brachten  andere 
Sprache  und  andere  Schrift  zu  uns,  die  lateinische.  JMan  schrieb  nicht 
mehr  auf  Stein  oder  Holz,  sondern  auf  Pergament;  doch  zeigt  die 
Nachricht  des  Othlonus,  wie  er  in  Tegernsee  das  Schreiben  erst  auf 
Wachstafeln  lernen  musste,  dass  man  mit  dem  Pergament,  das  nur 
zu  kostbaren  Werken  verwendet  wurde,  sehr  sparsam  umging.  Es  stand 
hoch  im  Preise  und  wurde  mit  Silber  aufgewogen ,  auch  galt  dieses 
Material  statt  Silber  bei  zu  leistenden  Zahlungen.  So  schrieb  man  nur 
auf,  was  wirklich  ein  Recht  zum  Bleiben  hatte  und  auch  dieses  musste  im 
Falle  der  Noth  wieder  weichen  und  Besserem  Platz  machen.  Man-  griff 
dann  zu  dem  traurigen  Mittel,  ältere  Handschriften  wieder  abzukratzen. 
Solch'  ein  codex  rescriptus  ist  das  älteste  Todtenbuch,  das  Mortilogium, 
aus  Tegernsee;  auf  jeder  Seite  desselben  bemerkt  man  die  früheren 
Schriftzüge  und  Zeichffungen ,  welche  abgerieben  wurden,'  über  ihnen 
hat  dann  eine  spätere  Hand  die  Todtenliste  eingetragen.  Meginhalm 
ermahnt  seine  Schwestern,  dem  hl.  Quirin  den  gehörigen  Zins  zu  reichen, 
er  vergleicht  das  Pergament  geradezu  mit  Silber!  Um  ein  Messbuch 
gab  man  gerne  ein  gross  Stück  Landes :  Wiesen,  Weinberge  und  Wald. 
Da  die  Mönche;  besonders  die  zu  Tegernsee,  häufig  um  Gopien  ihrer 
Handschriften  «angegangen  wurden,  so  galt  es  mit  dem  kostbaren  Ma- 
terial zu  sparen  upd  keines  zu  verzetteln.  Auch  die  Dinte  (atramen- 
tüm)  war  ein  theuerer  Artikel;  als  die  Tegemseer  das  Glück  hatten, 
durch  ein  weiteres  Ingredienz  einen  neuen  Saft  zu  erfinden,  wurden  sie 
von  allen  Seiten  um  Dinte -bestürmt,  auch  wurde  der  schüchterne  Ver- 
such gemacht,  selbe  zu  entlehnen  und  geliehen  zu  erhalten!  Wie  rar 
überhaupt  das  ganze  Mittelalter  hindurch  dieses  Fabrikat  blieb,  zeigen 
die  Klagen  Petrarca^s,  der  in  der  Mitte  des  XV.  Jahrh.  erst  nach  vieler 
Mühe  zu  Lüttich  so  viel  Dinte  auftreiben  konnte,  als  er  zum  Ab- 
schreiben eines  dort  aufgefundenen  Manuscriptes  benöthigt  war. ')  Be- 
trachtet man,  diese  Schwierigkeiten ,  so  wird  man  erst  recht  von  Dank 
eifüllt  für  die  Opfer,  welche  die  Mönche  mit  den  Copien  der  alten 
Klassiker  gebracht  haben.  -  Schon  unter  Herzog  Theodo  wurden  zu 
St.  Emeram  viele  Bücher  abgeschrieben  und  prächtig  gebunden.  Die 
fränkische  Prinzess  Gisela  (Kysila)  welche  im  VIU.  Jahrh.  zu  Kochel 
den  Schleier  nahm,  war  nicht  allein  des  Lesens  und  Schreibens  kundig, 
sondern  brachte  selbst  einundzwanzig  Handschriften  mit  und  unterhielt 


■)  S.  Günthner  Gesch.  der  lit.  AnstaUen  in  Bayern.  1810.  I.  239  u.  363. 


46 

daza  noch  mit  forstlicher  Generosität  za  Benedictbeaem  (unter  Abi 
Waldram)  eigene  Gopisten,  deren  Namen  and  Bücher  ans  noch  erhalten 
sind,  es  waren  die  capellani  Engilhard,  Kadold,  Hrotpert,  Raoholf  und 
Tracholf.  B^nedictbenern  besass  schon  im  VIII.  und  IX.  Jahrh.  eine 
unvergleichliche,  ja  die  kostbarste  und  reichhaltigste  Bibliothek  in  Bayern. 
So  kam  es  denn  durch  die  fleissigen  Mühen  und  den  vielseitigen 
Tauschverkehr,  dass  das  Studium  der  Alten  schon  am  Ende  des 
X.  Jahrh.  wieder  durchgedrungen  hatte,  dass  man  die  Klassiker  las  um 
ihrer  Schönheit  willen  und  dass  man  sie  nachahmte,  so  gut  es  eben 
ging.  Zu  Wessesbrunn  las  man  damals  schon  den  Homer;  Nieder- 
alteich gelangte  bald  zu  einem  literarischen  Rufe,  Wolfold  errichtete 
zu  Benediotbeuern  eine  weitere  Schule  fQr  die  talentvollen  Kinder 
der  armen  Leibeigenen,  Ebersberg  besass  an  Gnmpo  einen  in  der 
klassischen  Literatur  wohl  erfahrenen  Mann;  unter  den  Domschnlen 
glänzte  jene  £rchanbert*s  zu  Freising,  ebenso  das  nahe  Weihen- 
stephan und  St.  Em  er  am  zu  Regensburg.  Die  Verdi^ste  det  Klö- 
ster Teg^rnsee  nnd  Scheyern  hat  J.  v.  Hefner  in  zwei  höchst 
interessanten  Abhandlungen  ausfuhrlich  beleuchtet') 

Auch  die  hohen  Herren,  die  Kaiser  und  Könige  setzten  sich  oft 
noch  in  ihren  alten  Tagen  an  den  Schreibtisch.  Karl  der  Grosse 
plackte  sich  und  schrieb  grosszügige  Buchstaben.  Otto  L  erlernte 
nach  dem  Tode  seiner  Gemahlin  Edgid  nothdürftig  das  Lesen.  Weiter 
kam  Heinrich  III.  Die  Bücherei  zu  Tegemsee  hatte  allgemach  unter 
den  Aebten  Gosbert,  Godhart  (t  1038),  Beringer,  Burkhard  (1013—17), 
Ellinger  (1019 — 56)  und  Seyfried  (t  1068)  so  ansehnlich  sich  ver- 
mehrt, dass  man  im  Jahre  1054  eine  ganze  eigene  kleine  Bibliothek 
an  Kaiser  Heinrich  lU.  als  Geschenk  senden  konnte  —  und  unter  diesen 
Büchern  waren  sogar  viele  mit  silbernen  und  goldenen  Buchstaben  ge- 
schrieben und  die  Einbände  ganz  unvergleichliche  Prachtexemplare  von 
getriebenem  Goldblech,  mit  Steinen,  Perlen  und  Elfenbein-Skulpturen 
besetzt!  Auch  Kaiser  Friedrich  I.  machte  eine  grosse  Bücherbestellong 
zu  Tegemsee ,  weil  er  gar  Rühmliches  von  der  vorzüglichen  Geschick- 
lichkeit der.  Mönche  gehört  hatte.  Die  Codices  aber  mussten  noch 
immer  hoch  im  Preise  stehen,  das  lehrt  z,  B.  der  Umstand,  dass  der 
Mönch  Ulrich  von  Benediotbeuern  im  Jahre  1074  erst  mit  Erlaubnis.« 
des  Abtes  Ratmund  und  des  ganzen  Convents  ein  Messbuch  an  einen 
Grafen  von  Botzen  für  einen  umfangreichen  Weinberg  vertauschte. ')  — 
Eine  Menge  Handschriften  wurden  entweder  von  Frauen  abgeschrieben 


*)  Jos.  V.  Hefner  im  Oberbayr.  Archiv    I.  ß. 

>)  Die  UrkHDfle  m  den  Mon.  Boic   VII.  i)2.   Obcrb.  Arch.  III.  315. 


4? 

oder  doch  im  Auftrage  derselben  uud  blieben  uns  einzig  durch  ihre 
Liebe,  Sorgfalt  und  ihren  Fleiss  erhalten.  Abgesehen  von  den  schrift- 
stellerischen Frauen,  wie  z.  B.  die  Heidenheimer  Nonne,  jene  berühmte 
Ungenannte,  welche  das  Leben  des  hl.  Willibald  verfasste^  so  gab  es 
eigene  Schönschreiberinnen,  die  nicht  allein  Schulmeisterdienste  verrich- 
teten, ')  sondern  auch  mit  eiserner  Beharrlichkeit  und  anerkennenswerthet 
Aufopferung  ihr  ganzes  Leben  hinter  dem  Schreibtische  verblieben.  Ein 
röhrendes  Bild  eines  so  thätigen  Schaffens  bietet  die  arme  Klausnerin 
Diemud  in  Wessesbrunn. ')  Ihre  Lebenszeit  fällt  in  die  Jahre  1067 
bis  1130..  Sie  war  in  froher  Jugend  schon  in  das  Kloster  zu  Wesses- 
brunn  gekommen  und  lebte  daselbst  trotz  ihrer  schwächlichen  Körper- 
constitution  (wie  die  Erhebung  ihrer  Gebeine  im  vorigen  Jahrhundert 
bewies)  nach  der  strengsten  Anachoretenregel  als  Eingeschlossene  (in- 
clusa),  bei  fortwährendem  Fasten,  die  Woche  drei  Tage  bei  Wasser 
and  Brod  (Fleisch  und  Wein  kam  nie  ftber  ihre  Lippen)  unter  Gebet 
and  die  Feder  in  der  Hand.  Als  sie  nach  diesem  kümmerlichen  Leben 
hochbetagt  starb,  hatte  sie  eine  ganze  Bibliothek  von  Abschriften  an- 
gefertigt, mehr  als  vierzig  Werke.  Davon  viele  von  bedeutendem  Um- 
fange, die  leider  zum  grösseren  Theile  verloren  gegangen;  der  uns  erhal- 
tene Rest  zeigt  von  einer  nicht  genug  zu  rühmenden  Sorgfalt,  sowohl 
was  die  Schönheit  der  Charaktere,  als  was  die  Reinheit  und  Zierlich- 
keit der  Ausfuhrung  anbelangt.  Dazu  hatte  sie  auch  von  ihrer  ver- 
mauerten Zelle  aus  einen  ausgebreiteten  Briefwechsel  geführt  und  war 
mit  den  bedeutendsten  Männern  ihrer  Zeit  in  literarischer  Verbindung 
gestanden.  Das  Kloster  wusste  den  Werth  der  von  ihr  gefertigten 
Handschriften  zu  schätzen ,'  nur  drei  derselben  wurden  in  der  Folgezeit 
veräussert.  Eine  Bibel,  die  sie  geschrieben  hatte,  wurde  ftir  ein  Land- 
gut am  Peissenberg  vertauscht,  ein  Missale  erhielt  der  Bischof  von 
Trier,  ein  anderes  der  Bischof  von  Augsburg,  eine  C!opie  der  Briefe  des 
hl.  Hieronymus  waren  werthvoll  genug,  um  in  Zeiten  der  Noth  an  das 
Kloster  3tambs  verpfändet  zu  werden,  von  wo  der  Band  nicht  mehr 
zurückkam.  Der  hohe  Preis  für  Handschriften  hielt  sich  bis  zur  Er- 
findung der  Buchdruckerkunst,  welche  den  Werth  der  Codices  so  herun- 
terdrückte, dass  Abt  Konrad  V.  (mit  dem  Beinamen  der  Ayrenschmalz, 
der  berühmte  Klostervisitator  f  1492)  420  Handschriften  um  1100 
Pfund  Pfennige  für  sein  Kloster  Tegemsee  erwerben  konnte.  Mit  der 
Bttchdmckerei  kam  aber  auch  ein  Zeitalter  der  Barbarei  über  die  armen 


')  Der  II.  Band  des  grossen  Hefa  er-  Alte  neckischen  Traclitenwerkes  zeigt 
drei  Bilder,  worauf  Frauen  dargestellt  sind,  wie  sie  das  Lesen  lehren,  vgl. 
auch  Weinhold  Die  deutschen  Frauen  im  MitlelalCer.  1851.  S.  91  ff. 

')  J.  T   Hefner  im  Oberb.  Arch.  I.  335—74. 


48 

alten  Mönchsschriften,  sie  wurden  unbarmherzig  zerschnitten  und  trotz 
der  schönsten  Initialen  und  des  kalligraphischen  Schmuckes  häufig  zum 
Einbinden  der  neuesten  t3rpographischen  Erzeugnisse  verwendet  Auf 
solche  Art  ging  ein  gut  Theil  der  vieljAhrigen  Mühen  unserer  guten 
Diemud  in  Trümmer,  auch  das  köstliche  Gredicht  der  Tegernseer 
Froumut  und  vieles  Atidere,  das  unersetzbar  und  f&r  inmaer.  verloren 
ist  Das  Pergament  hatte  schon  früher  durch  Erfindung  des  Lumpen- 
papiers seinen  Werth  verloren;  die  Brüder  Frick  und  Hanns 
Holbein  zu  Ravensburg  hatten  zu  Anfang  des  XIV.  Jahrh.  die  erste 
Papiermühle  etablirt  und  sich  dadurch  Reichthümer  gesan^nelt;  die 
erste  auf  Papier  ausgestellte  Urkunde  datirt  vom  Jahre  1301  und 
wurde  zu  Kaufbeuem  gefunden;  der  Ri^hm,  die  neue  Entdeckung  in 
Bayern  cultivirt  zu  haben,  fällt  auf  unsere  ehemalige  Vorstadt  Au,  wo 
bereits  1347  eine  Papiermühle  in  Thätigkeit  war, ')  indess  Nürnberg 
erst  1390  «ine  solche  errichtete,  nachdem  das  Leinenpapier  in  Spanien 
und  Italien  (1360)  schon  bekannt  geworden  wkr.  • 

Die  Sprache  des  zerfallenen  Römerreiches  hatte  als  i&s  Organ  der 
abendländischen  Kirche  einen  neuen  Aufschwung  gewonnen.  Da  in  der 
Folge  die  fränkische  Staatsform  sich  an  die  römische  anschloss,  so 
blieb  das  Latein^  auch  zum  politischen  Verkehr  unumgänglich  noth- 
wendig.  Durch  Karl  des  Grossen  Fürsorge  gewann  die  Literatur  schon 
seit  dem  Ausgange  des  VIII.  Jahrh.  nach  und  nach  eine  solche  Aus- 
dehnung, dass  der  rege  Geist,  der  vom  IX.  bis  XII.  Jahrh.  die  Mönche, 
Aebte  und  Schulen  belebte,  unsere  innige  Dankbarkeit  verdient.  Ohne 
den  Eifer  jener  Zeiten  für  die  weitläufigen  Zweige  der  Wissenschaften, 
wären  die  meisten  Werke  der  römischen  Autoren  für  uns  verloren  und 
die  Geschichte  jener  Periodeh  selbst  würde  für  uns  im  Dunkel  liegen. 
Dass  die  Literatur  damals  bloss  in  eleu  Händen  der  Geistlichen  lag, 
ist  ganz  natürlich,  da  kein  anderer  Stand  Bildung  besass,  um  sich  um 
solche  Dinge  zu  kümmern;  so  waren  die  Klöster  die  Asyle  der  Kunst, 
Wissenschaft  und  Kultur. 

Eine  nach  allen  Seiten  hin  durchgreifende  Aufnahme  der  alten 
Autoren  war  freilich  nicht  möglich,  weil  die  Theologie  noch  ihre  Durch- 
bildung erforderte,  dann  aber,  weil  auch  die  Werke  fehlten  und  die 
Böcher  schwer  zugänglich  waren.  Man  hielt  nur  einige  fest,  wie  Virgil, 
Horaz,  Ovid,  Lucan  und  Terenz;  für  Andere  legte  man  Lesebücher 
und  Encyclopädien  an.  Die  Klosterschulen  wurden  nach  dem  Muster 
der    alten   römischen  Schulen    angelegt.     Die  Republik    hatte  Redner 


')  Lipowsky  Gesch.  der  Vor^tiidl  Au    1816   S   6. 


49 

gebraacht,  desshalb  wurden  Rhetorik,  Grammatik  und  Philosophie  gelehrt 
: —  Ein  weiterer  Umstand,  der  die  lateinische  Sprache  als  die  herr- 
schende erhielt,  war,  dass  die  meisten  Mönche  aus  Italien  oder  Eng- 
land kamen ,  und  nur  durch  fleissiges  Zuhorchen  and  Niederschreiben 
des  Grehörten  (wodurch  wir  ihnen  die  vielen  Glossen  verdanken,  die 
uns  über  unsere  älteste  Sprache  Aufschluss  geben)  in  den  Stand  gesetzt 
wurden,  die  vorgefundene  Rede  des  Einheimischen  zu  erlernen  und  zu 
cultiviren.  Mochte  auch  Mancher  der  Fremden  noch  so  gdt  Deutsch 
verstehen,  so  blieben  ihm  doch  die  kauderwelschen  Mundarten  ein 
Räthsel,  gerade  so,  wie  wir  z.  B.  den  in  der  Hollentau  Qblichßn  Jargon 
kaum  mit  der  gespanntesten  Aufmerksamkeit  zu  erfassen  vermögen. 
Wollten  also  die  Geistlichen  die  ererbte  wissenschaftliche  Cultur  nicht 
aufgeben  und  zur  Unmündigkeit  des  Volkes  herabsinken,  so  mussten 
sie,  wie 'ein  moderner  Historiker  treflfend  bemerkt, ')  nothwendig  die 
lateinische  Sprache  beibehalten  und  es  konnte  ihnen  keine  andere  x\uf- 
gabe  gestellt  werden,  als  die,  aus  der  Volkssprache  allmählig  eine 
Schriftsprache  zu  entwickeln,  welche  reich  genug  wäre,  jene  von  aussen 
übertragene  Bildung  aufzunehmen.  Und  es  ist  wirklich  erstaunlich,  mit 
welchem  Fleisse  die  guten  Mönche  an  die  alten  Autoren  sich  geklam- 
mert haben,  wenn  man  bedenkt,  wie  müheselig  es  war,  Handschriften 
zu  erwerben  und  abzuschreiben ,  wie  häufig  bloss  die  Erlaubniss ,  eine 
Copie  anfertigen  zu  dürfen,  mit  dem  Opfer  anderer  Codices  bedingt 
wurde.  Die  sprechendsten  Zeugen,  was  in  jenen  Zeiträumen  von  den 
Geistlichen,  Mönchen  und  Nonnen  zur  Erhaltung  und  Fortbildung  der 
Literatur  gethan  wurde,  bieten  uns  die  alten  Kloster-  und  Stiftsbiblio- 
theken, die  bei  der  Saecularisaüon  von  ihren  stillen  Orten,  wo  sie  seit 
Jahrhunderten  herangewachsen  waren,  nach  München  central isirt  und 
dort  allgemach  aufgelöst  wurden.  Beinahe  eben  so  kostbar  sind  die 
hier  und  da  entdeckten  Originalcataloge  alter  Bibliotheken,  die  uns  z.  B. 
aus  Freising,  Scheyern  u.  s.  w.  glücklich  erhalten  blieben  und  vom  VI. 
bis  XIV.  Jahrh.  reichen.  Für  die  Geschichte  der  Literatur  und  der 
gelehrten  Schulen  sind  diese  vom,  höchsten  Werthe,  für  die  Geschichte 
der  Dichtkunst  jedoch  von  geringerer  Bedeutung,  indem  wir  daraus 
nur  die  wenigen  Muster  entnehmen  können,  nach  denen  man  damals 
den  Styl  zu  bilden  pflegte;  sonst  aber  ersehen  wir  daraus  hinreichend, 
was  und  wie  viel  wir  —  verloren  haben !  Vieles  wurde  von  den  Buch- 
bindern zu  Einbänden  verarbeitet,  Vieles  fiel  der  grossartigen  Ver- 
achtung zum  Opfer,  mit  der  die  Renaissance  und  die  flotte  Humanistik 


*)  Cholevius  Geschichte  der  deutschen  Poesie  nach  ihren  antiken  Elementen 
'    Leipzig  1854.  S.  14. 

4 


50 

die  frühere  Zeit  hochmüthig  betrachteten.  0  ^^  Schicksal  einer  ein- 
zigen Handj^iirift,  das  wir  später  erzählen  werden,  ist  leider  kein  ver-. 
einsamtes  geblieben. 

Dem  Latein  des  Mittelalters  darf  bei  aller  Ungelenke  und  Schwer- 
fälligkeit doch  eine  nicht  ganz  unterdrückte  Natürlichkeit  zugestanden 
werden.  Man  behalf  sich  bisweilen  wohl  mit  einer  beispiellosen  Nai- 
yetät,  aber  man  erreichte  bisweilen  auch  eine  gewisse  Zierlichkeit  und 
Eleganz,  freilich  im  Costüm  des  X.  und  XI.  Jahrhunderts,  die  yerhält- 
nissmässig  unserem  modernen  Französisch  hinreichend  zur  Seite  stehen 
konnte.  Es  finden  sich  noch  viel  mehr  ächte  Poeten,  als  im  XVI.  Jahrh^ 
wo  die  besten  Kräfte  in  erleuchteter  und  gehobener  Nachäfferei  der 
lateinischen  Poesie  vergeudet  wurden  und  die  Gelehrten  alle  aus  ihrem 
Aermel  fliessende  Hexameter  schütteten,  welchen  nichts  abging,  als 
wirkliche  Poesie,  Nationalität  und  die  Feinheit  des  Nachbildens. 

■ 

In  einer  Geschichte  der  baiwarischen  Dichtkunst  können  weder  die 
Aufschrift  über  dem  Emmeramsmünster  zu  Regensburg,  noch  die  Epi- 
taphien der  Aebte  von  Benedictbeuem ,  weder  die  Uebungen  Artrams 
und  Erchanfrids  noch  Ejos  und  des  philosophischen  Hrotrohc  von 
Tegemsee  Zulass  verlangen.  Es  sind  eben  keine  absonderlichen  Produkte 
der  Kunst,  und  sie  haben  nur  für  den  Kirchenhistoriker  Bedeutsamkeit. 
Selbst  die  Distichen  des  anonymen  Emmeramer  Poeten  aus  dem  IX.  Jhrh. 
lassen  die  Unbekanntheit  seines  Namens  nicht  beklagen,  er  führt  uns 
die  Reihe  der  Bischöfe  und  Erzbischöfe  von  Salzburg,  der  Bischöfe  von 
Regensburg,  Passau  und  Sehen  vorüber,  verewigt  die  Grabschriflen 
Yirgirs,  Arno*s,  Adalram*s  und  Luitphram*s  und  nennt  einen  fabelhaften 
Bischof  Aries  und  Baldo.') 

Von  grösserem  Interesse  dagegen  ist  die  Spruchweisheit  des  heil. 
Kolumban  (c  614),  die  Canisius  in  einer  HS.  zu  Freising  fand  und  im 
I.  Bande  seiner  Lect.  antiq.  abdrucken  liess.  Es  sind  zweihundert 
Hexameter,  in  denen  trotz  der  lateinischen  Fassung  doch  häufig  eine 
Alliteration  erklingt.     Einige  Proben  davon  genügen: 

Impleat  ipse  Dei,  qui  vult  sua  vota  venire. 
Vive  Deo  fidens  Christi  praecepta  sequutus. 
Sint  tibi  divitiae  divinae  dogmata  legis. 
Divitias  Domini  faciet  benedictio  ciaras. 
Corporis  exsuperat  vires  prudentia  mentis. 
Omnibus  est  mundi  melior  sapientia  gazis. 


')  Reichliche  Belege  bieror  z.B.  io  Arelin's  Beiträgen.  1806.  9SI.  S.2:K)— 59. 
^  Petz  Thesaurus  anecdot.  VI.  6  ff.  75  o.  a  W. 


51 
I 

Semper  amanda  quidem  est  rerum-  doctrina  bonaruni, 
Optimus  est  animos  Christi  vesütus  amore. 
Daemonas  adversus  magna  est  oratio  virtus. 
.  Ut  modeas  carum  noli  desistere  amicum. 
Morbi  causa  mali  nimia  est  qaaeconqne  volaptas. 
Tu  dare  ne  claudas  palmas,  et  prendere  pandas. 
Semper  in  ore  tuo  resonent  bona  yerba  salutis  etc. 

Er  soll  noch  Vieles  geschrieben  haben ,  gut  zu  singen  und  lehr- 
reich (multa  scripsisse  vel  ad  canendum  digf|a,  vel  ad  docendum  utilia), 
z.  B.  die  noch  erhaltene  Epistel  an  seinen  Schüler  Hunald  von  der 
Verächtlichkeit  des  Geizes  und  der  Habsucht  Gleichfalls  in  einer 
Freisinger  HS.  ist  der  poetische  Briefwechsel  des  Constanzer  Bischof 
Salomon  (f  919)  mit  seinen  baiwarischen  Amtsgenossen  D ad o  und 
Waldram  und  des  letzteren  Rückantworten  in  möglichst  gutgemachten 
lateinischen  Distichen  erhalten.  ^) 

Wichtiger  ist,  dass  beinahe  gleichzeitig  mit  dem  St.  Galler  Ecke- 
hard,  der  die« deutsche  Märe  vom  Walther  aus  Aquitanien  in  virgilische 
Verse  brachte,  auch  die  alten  Heldenlieder  von  Sigfrid  und  den  Nibe- 
lungen in  lateinische  Form  übersetzt  wurden.  •  Ein  Geistlicher,  Namens 
Konrad,  der  Schreiber  des  Bischof  Pilgrim  von  Passau  (t  991) 
hat  daran  die  Hand  gelegt,  doch  ist  durch  den  Verlust  dieses  Opus  der 
Poesie  wohl  schwerlich  ein  Schaden  entstanden.  Durch  Konrad  wurde 
der  Stoff  wahrscheinlich  in  ein  neues  Ganze  gefasst,  von  ihm  datirt 
auch  die  Localisirung  an  die  Donau;  doch  gehört  dieses  nicht  hieher, 
sondern  in  den  folgenden  Abschnitt.  Dafür  ist  uns  ein  anderes  Werk, 
obwohl  nur  im  höchst  lückenhaften  und  fragmentarischen  Zustand  über- 
kommen ,  das  aber  unsere  vollste  Aufmerksamkeit  verdient;  der 
Ruodlieb  des  Froumund  von  Tegemsee. 

Dieser  Froumund  ist  eine  höchst  merkwürdige  Persönlichkeit;  sein 
lange  Zeit  ungewisses  und  fahrendes  Leben  wird  nur  schlaglichterartig 
dnrch  seine  Briefe  und  einzelnen  Gedichte  erleuchtet,  aber  das  reicht 
genügend  hin,  um  ein  ganzes  Bild  jener  seltsamen  Zeit  zu  gestalten. 
Es  gab  unter  den  Mönchen  von  jeher  viele  leichtfertige  und  pflichtver- 
gessene Gesellen,  die  angelockt  vom  freien  Leben  der  fahrenden  Spiel- 
lente,  aber  dnrdh  eine  weitere  Bildung  ausgezeichnet,  ein  Vorbild  der 
später  in  so  traurigem  Lichte  erscheinenden  fahrenden  Schüler,  im  Lande 
herumzogen  und  theils  als  Spassmacher  und  Musikanten,'  theils  als 
bhrende  Lehrer,  Pädagogen  und  Schulmeister,    dann  aber  als  Poeten 


*)  Appendix  zum  I.  B.  Canisii  antiq.  Lect.  S.  15—54. 

4* 


52 

nnd  Tausendkünstler  im  Lande  herumstreiften.  Wie  Südfrankreiah  zur 
Blüthezeit  der  Lyrik  in  dem  Prior  des  Klosters  Montaudon  das  Beispiel 
eines  lustigen  Paters  liefert,  der  plötzlich  aus  dem  Kloster  verschwand 
und  als  Dichter  und  Sänger  das  Land  unsicher  machte ,  bis  er  zuletzt 
nach  langem  fröhlichen  Wanderleben  mit  vollem  Seckel  wieder  in  die 
heiligen  Hallen  demüthiglich  zurückkehrte  :0  So  gab  es  auch  in  Franken 
und  Bayern  allerlei  seltsame  Genies,  die  durch  keine  Regel  und  Orden 
zu  binden  waren,  zum  Verdruss  aller  Wohlgesinnten,  die  auf  Synoden 
und  Concilien  ihren  Unrauth  darüber  durch  unverblümte  Erlasse  wacker 
an  den  Tag  legten.  Ein  ähnlich^  unruhiges  Menschenkind  muss  unser 
Froumund  gewesen  sein.  Zwar  hatte  er  sich  vorbedacht  und  den  ent- 
scheidenden Schritt  in  bindende  Klostergelübde  wohlweislich  bis  in  seine 
späteren  Tage  verlegt,  aber  er  hielt  sich  doch  in  die  Nähe  der  Klöster, 
verkehrte  fleissig  mit  denselben,  wo  er  seines  klassischen  Wissens  und 
seiner  mannigfachen  Kenntnisse  wegen  gerne  gesehen  wai*',  strich  aber 
dann  wieder  weit  aus,  bis  er  endlich  im  Jahre  1017  doch  geruhte,  die 
oft  angetragenen  heiligen  Weihen  auf  sein  Haupt  zn  nehmen.  Wir  haben 
von  ihm  eine  sehr  nette  Correspondenz,  die  er  mit  dem  AbteGozpert 
in  Tegemsee,  dem  Magister  Meginhalm,  Ruotker  und  seinem  treu- 
geliebten Herzbruder  Pabo  in  versibus  et  prosa  flihrte.  Einmal  sehen 
wir  ihn  (um  990)  im  Kloster  Sancti  Magni  zu  Füssen,  ein  andermal 
treffen  wir  ihn  in  einen  ärgerlichen  Handel  verwickelt:  er  war,  sicher- 
lich unschuldiger  Weise  in  üblen  Verdacht  gerathen  nnd  verläumdet 
worden,  als  hätte  er  ein  Büchlein,  eine  Handschrift  gar  unsichtbar  ge- 
macht und  widerrechtlich  entfremdet,  wogegen  er  sich  feierlich  durch 
einen  Eid  zu  reinigen  strebte; ')  ein  andermal  sitzt  er  zu  Holzkirchen 
nnd  schreibt  einen  ernsthaften  Brandbrief  nach  Tegernsee,  der  Abt  möge 
doch  die  ganz  baufällige  und  dem  Einsturz  nahe  Kirche  zn  Holzkirchen 
einer  gründlichen  Restauration  unterziehen,  wozu  der  Zehent  eines  Jahres 
wohl  ausreichen  könne.  Als  dunn  der  wackere  Graf  Thiemo  die  Besitz- 
ungen des  Klosters  überfiel,  die  schwerbefrachteten  Schiffe  des  Klosters 
auspackte  und  überhaupt  so  umsichtig  ausräumte,  dass  nicht  einmal 
ein  Fischemetz  am  Tegernsee  zurückblieb,')  kostete  es  unserem  Fron- 

')  Vgl.  Weinhold  S.  359. 

')  Vgl.  Pez  Thesaiir.  VI.  S.  159:  ^Tristis  sum  nimis  (((chreii)t  er  an  AbtGoz- 
pert)  de  furto  libri  vesiri  supra  me  dicti.  Sed  expnrgare  me  cupio  lali  fas- 
cinorCi,  qualitercunqne  placet  Paterniiati.  Quid  plura?  PiDprio  ore  dico, 
meaque  manu  securus  suhsrribo  sie  dicens:  si  ego  P.  illum  vestrum  librum 
M.  quem  dicitis^  vel  furto  luli,  aul  ab  aliquo  furto  snblalum  suscepi^  vej 
qualicunque  modo  eum  babeo,  aut  habentem  seio,  corpns  et  sanguis  Domini 
nostri  Jesu  Christi,  quod  saepius  accipio,  quamvis  indignus , ,  Rat  mibi  ad 
condemnationem,  non  ad  redemptionem."^  — 

')  Preyberg  Gesch.  Ton  Tegernsee   1822.  S.  37.    Pez  S.  162. 


53 

mand  zwei  Briefe,  bis  er  ein  neues  Röckelein  zum  Schutze  gegen  die 
schneidende  Winterkälte  erhielt.  Als  Scholasticus  hatte  er  mit  ganzem 
Herzen  auf  di^s  Lehrfach  habilitirt  und  in  den  Klassikern  tüchtig  sich 
umgesehen;  er  drang  darauf,  im  Briefstyl  und  im  rednerischen  Aus- 
druck sich  nicht  das  Mönchslatein  des  Albericus,  sondern  jenes  des 
Tnllios,  Macrobius,  Sallnst  und  Terenz  zum  Muster  zu  nehmen;  dess- 
wegen  suchte  er  von  seinen  Freunden  den  Statins,  Juvenal,  Persius  und 
CSceros  Briefe  zu  erhalten,  noch  existirt  ein  Briefchen  von  ihm,  wo  er 
ein^n  verehrten  Confrater  dringend  ermahnt,  ihm  doch  endlich  seinen 
geliebten  Horaz  zurückzuschicken.  Er  opferte  eine  schöne  Abschrift  des 
Juvenal ,  um  sich  eine  Copie  von  der  Arithmetik  des  Boethius  einzu- 
tauschen ;  auch  Hess  er  zum  Beaten  seiner  Schüler  das  von  Remigius 
eigens  zu  den  Gedichten  des  Sedulius  angelegte  Wörterbuch  abschreiben 
u.  8.  w.  Dabei  war  er  selbst  poetisch'  schaffend  thätig,  er  besang  die 
Tugenden  der  bayerischen  Herzoge  und  ihre  Thaten  und  machte  ausser- 
dem noch  eine  stattliche  Anzahl  von  Gredichten,  die  wir  später  bei  der 
Lyrik  eines  weiteren  betrachten  werden  und  die  jedenfalls  werth  wären, 
'  einen  besseren  Herausgeber  zu  finden,  als  der  fleissige  Pez  gewesen. 
Auch  eine  Historia  monasterii  Tegemseensis  hatt^  er  begonnen,  worin 
er  eine  eigene  Vertrautheit  mit  der  deutschen  Sage  verrieth,  die  sich  in 
gleicher  Weise  zu  Ende  seines  Ruodlieb  documentirt.  ^  Es  war  in 
dem  bereits  berührten  Jahre  990 ,  als  eine  Geschichte,  die  er  vielleicht 
schon  limge  mit  sich  herumgetragen,  ihn  packte,  so  zwar,  das's  er  sich 
hinsetzte  und  an  seinen  guten  Freund  und  Helfer  in  derNoth,  den  Abt 
Gozpert  (+  1001)  einen  jovialen  Brief  in  zierlichster  Wendung  und  im 
elegantesten  Style  von  Stappel  liess:^)  Er  sei  jetzt  wirklich  etwelchen 
Pergaments  im  hohen  Grade  bedürftig,  es  gingen  ihm  stark  einige 
Sachen  im  Kopfe  herum,  die  er  in  Schrift  bringen  müss6,  aber  es 
mangele  ihm  gänzlich  an  Membranen  und  aus  der  ganzen  Geschichte 
würde  nichts,  wenn  nicht  der  gütige  Herr  mit  gewohnter  Freigebigkeit 
das  gehörige  Material  gütigst  übersenden  wolle.  Und  der  Brief  musste 
seine  Wirkung  gehabt  haben,  wirklich  kam  eine  gute  Anzahl  dauer- 
haften Pergaments,  zwar  nicht  vom  feinsten  Caliber,  auch  nicht  ganz 
gleichen  Formats,  aber  doch  gerade  recht,  und  sicher  im  höchsten  Grade 
erwünscht.  Und  der  Meister  begann  alsbald  zu  sinniren,  zu  dichten  und 
za  schreiben,  führ  mit  breiten  Strichen  oft  mitten   durch*s  Werk  oder 


*)  Sed  quia  spintuali  consolatione  vestra  parte,  si  dignamini,  noliimus  privari^ 
ad  utilitatem  spiritualis  et  lemporalis  exercitii  tliquas  membranas  nobis  dari 
precamor.  Nam,  ut  scitis,  libeoter  interdom  scnptitationis  immoror  studio. 
Sed  nunc  facultatem  scribendi  pergamenis  deficientifaus  non  babeo,  niai  vesirae 
Dianas  largiiione  tribuatur.^    Pez  Thesaurus.  VI.  159. 


54 

setzte  wohlbedachte  Besseruagen  darüber,    bisweilen   auch  irgend   eine 
Glosse  darunter,  als  Anhaltspunkt  für  etwaige  spätere  Erweiterung.  Das 
so  vollendete  Opus  musste  dann   nach  Tegemsee  gekomfiien   und  dort 
absonderliches  Wohlgefallen  gefanden  haben,  denn  es  scheint  eine  zier- 
liche Reinschrift    mit    gewissenhafter    Abzahlung    der   Verse    gemacht 
worden  zu  sein,  wie  das  Bruchstück  bezeugt,  das  zu  St.  Florian  gefun- 
den ward  und  das  in  seinen  Trümmern  ein  sprechender  Zeuge  ist  von 
demselben  Schicksal,  das  auch  das  Originalmanuscript,  den  ersten  Ent- 
wurf von  der  Hand  des  Dichters,    erreichte.     Es  gerieth  zur  Zeit  der 
neuerfundenen  Buchdruckerkunst  in  die  Hände  und  unter  die  Schere  eines 
hochmuthigen  Buchbinders,  der,  unberührt  vom  poetischen  Geiste  eines 
vergessenen  Werkes   und   ohne   Ahnung   einer    autographenjägerischen 
Bildung,  das  Ganze  tapfer  zerschnitt  um  den  schundigen  Erzeugnissen 
seiner  typographischen  Kunst  ein  dauerhaftes  Röcklein  überzuwerfen.  So 
war  das  aus  sonnenhellem  Herzen  mit  freudigster  Schöpferkraft  gesun- 
gene Lied  vernichtet  und  Niemand  wusste  mehr  davon.     Als  zur  Zeit 
der  Klosteraufhebung  die  Bibliotheken  heerdenweise  nach  München  wan- 
derten,   wurde  zufallig  ein  Pack  jener  damals  so  überzogenen  Bände 
auch  des  Mitnehmens  für  würdig  befunden.   Einige  kamen  in  die  Hände 
des  seligen  Do  cen,  der  die  Schrift  bemerkenswerth  fand,  einige  Streifen 
ablöste,  mit  nach  Hause  nahm,  selbe  säuberlich  in  ein  Buch  legte  und 
darüber  starb.   Der  grossgünstige  Zufall  fügte  es,  dass  Schmeller  bei 
der  Yertf-ödelung  des  Docen*schen  Nachlasses  das  Buch  mit  den  Streifen 
erstand  und  als  Nachfolger  Doceus  alsbald  weiter  Spuren  derselben  Hand 
von  Deckeln  und  Einbänden  löste,  so  dass  sich  allgemach  achtzehn  durch 
grössere  oder  kleinere  Lücken  zusammenhängende  Fragmente  ergaben. 
Als  das  Werk,  welches  durch  seinen  Haupthelden  den  Namen  Ruod- 
lieb  erhielt,   ruchb9.r  wurde,    fand  Hoffmann  von  Fallersleben  zu' St 
Florian  ein  aus  dem  XI.  Jahrh.  stammendes  Fragment,    das  sich  als 
der  einzige  Rest  einer  fleissigen  zierlichen  un<l  sogar  durch  rothbeige- 
setzte Zahlen  in  förmliche  Abschnitte  getheilten  Rein-   und  Abschrift 
erwies.    Schmeller  versuchte  darnach  eine  kritische  Ausgabe. ' )   Das  ist 
die  Geschichte  einer  Handschrift! 

Betrachten  wir  nun  den  Inhalt  derselben.  Was  die  Form  betrifft, 
so  ist  das  Gedicht  in  lustig  gereimten  Hexametern  geschrieben,  das 
Latein  derselben  ist  das  acht  mittelalterliche,  das  es  nicht  gar  zu  genau 
nahm  mit  der  Klassicität  und  im  betreffenden  Falle  selbst  neue  Wörter 
bildete  und  das  Deutsche  mit  anständigen  Endsilben  lateinisirte ,   ganz 


*j  Grimm  und  Schmeller  Lntein.  Gedichte  des  X.  and  XI.  Jahrb.  GöUingen 
1838.  S.  127—240  und  Nachträge  von  Schmeller  in  Haupts  Zeitschrift  I. 
401—423. 


55 

Dach  Belieben  and  jeweiliger  Nothdorft,  so  dass  selbst  Dncange^s 
Wörterbach  für  diese  mittelalterliche  Latinität  in  manchen  Fällen  als 
rathlos  erscheint. 

Mag  man  aber  anch  noch  so  sehr  den  klassischen  Standpunkt  der 
Sprache  festhalten,  so  viel  maSs  doch  zagegeben  werden,  dass  dieses 
Gredicht  durch  Beichthom  an  Erfindung,  konstreiche  Verkettung  der 
Begebenheiten  und  mitunter  ergreifende  wahrhaft  poetische  Darstellung 
hinlänglich  beweist,  wie  man  auch  um*s  Jahr  1000  so  ziemlich  wusste, 
nicht  blos  was  erbaulich,  sondern  auch  was  schön  und  unterhaltend  sei. 
Wir  erzählen  hier  die  Geschichte  nach,  so  weit  sie  sich  bei  den  häufigen 
Lücken  in  ihrem  Verlaufe  erkennen  lässt,  indem  wir  zugleich  alle  für 
das  volksgeschichtliche  Leben  bedeutsamen  Bilder  mit  besonderer  Be- 
tonung  hervorheben  und  zu  erläutern  suchen.  ' 

Ein  junger  Degen,  adelich  an  Leib  und  Seele,  hatte  schon  manchem 
Hen^i  gedient,  ohne  Lohn  zu  finden,  wie  er  ihm  gebührte.  Er  hatte 
ihre  Händel  immer  durchgefochten,  jedes  Werk  wacker  vollbracht  und 
in  vielen  Aventuren,  wie  in  Kriegen  und  Gejaiden  oftmals  Leib  und 
Leben  gewagt.  Das  lohnten  sie  aber  immer  mit  Undank  und  vergassen 
nach  der  Not,  was  sie  gelobt.  Auch  hatte  er  sich  ihretwillen  mit  Vielen 
verfeindet,  also  dass  er  nicht  mehr  im  Lande  bleiben  mochte;  das  sagte 
er  semer  Mutter  und  rüstete  sich.  Nur  einen  fi^ühzeitig  an  Arbeit  ge- 
wöhnten Knappen  nahm  er  mit  sich,  der  das  Reisegeräth  trug;  der 
hing  sich  Trinkflasche,  Schild  und  Köcher  um,  die  Lanze  führte  er  in 
der  rechten  Hand,  auch  band  er  einen  massigen  ^rodsack  auf.  Sein 
Herr  aber  trug  einen  glänzenden  Stahlhelm  und  ein  bis  an  den  Griff 
mit  Grolde  geschmücktes  Schwert;  vom  Halse  hing  ihm  an  einem  Hirsch- 
riemen  ein  Hörn,  das  war  aus  einer  Klaue  gewerkt  und  mit  Golde  be- 
schlagen, bliess  er  darauf,  so  hallte  es  gleich  einer  Busune.  Schwarz 
war  sein  Pferd  wie  eine  Kohle  ,  darunter  gepunktirt  ein  wenig  und 
glänzend,  geflochten  hing  die  Mähne  an  der  linken  Seite,  das  Gereite 
war  gefüge  für  einen  Ritter;  am  Sattel  sah  man  ein  aus  Leder  genähtes 
Gefäss,  das  von  süssem  Harze  duftete,  damit  der  eingegossene  Trank 
lieblicher  munde;  die  Decke  (cervical  modicellmn)  war  aus  Purpur  ge- 
schnitten. Sobald  er  darauf  sprang,  hub  das  Ross  sich  noch  höher,  als 
freute  es  sich  über  den  prächtig  darauf  sitzenden  Herrn.  Bald  voran, 
bald  nach  setzte  ^in  schnellfüssiger  Rüde  in  grossen  Sprängen,  vor  dem 
kein  Wild,  gross  oder  klein,  sich  bergen  mochte,  (v.  1 — 47.) 

Mit  nassen  Augen  küsste  er  die  Mutter^  gab  dem  Gesinde  Lebe- 
wohl, griff  in  die  Zügel  und  das  gespornte  Ross  flog  über  das  Gefilde 
gleich  der  Schwalbe.  Nachschauend  durch  das  Gitter  weidete  die  Mutter 
ihre  Augen,  das  Gesinde  stieg  ihm  nachzublicken  auf  die  Zäune,  überall 


66 

Schluchzen  und  thränenreiches  Seufzen ,  und  als  er  entschwunden,  er- 
hüben sie  neue  Wehklage,  wischten  das  thränengebadete  Antlitz  und 
traten  schnell  ins  Haus,  ihre  Herrin  zu  trösten.  Diese  unterdrückt  den 
tiefen  Schmerz  in  der  Brust  dadurch,  dass  äie  sich  Hoffnung  vorspiegelt 
und  ihr  Gesinde  tröstet,  während  ihr  selbst  weh  um's  Herz  ist  Nicht 
geringere  Sorge  drückt  indessen  auch  ihren  Sohn,  sinnend  darüber,  dass 
er  als  Fremdling  aus  der  eigenen  Heimath  in  das  Elend  flüchte,  wo  es 
ihm  vielleicht  auch  nicht  besser  ergehe.  Aus  tiefstem  Herzen  aufath- 
mend  bittet  er  unter  Thränen  zu  Grott,  ihn  nicht  zu  verlassen,  sondern 
ihm  zu  helfen  seiner  Trauer  Herr  zu  werden,  (v.  48 — 71.) 

So  kam  er  in  ein  Königreich, '>  wo  plötzlich  ein  Jäger  des  Königs 
sich  ihm  zugesellt.  Sie  grüssen  sich  wechselseitig.  Unser  Fremdling 
(Ruodlieb)  war  von  schönem  Wuchs  und  männlichen  Antlitz,  von  kräf- 
tiger Stimme,  und  ernst  in  der  Rede.  Der  Eingebome  fragt  nach  wer, 
woher  und  wohin ,  doch  unser  Held  ist  kurz  angebunden ,  so  dass  der 
Andere  schon  beinahe  bereut,  sein  Redegeselle  zu  sein.  Eines  mächtigen 
Herren  Bote,  denkt  .er  bei  sich,  könne  der  Ritter  nicht  sein,  dafür  sei 
sein  Gefolge  zu  gering;  will  er  an  den  Hof,  wer  bringt  die  Geschenke, 
wer  trägt  ihm  das  Schwert  nach?  Vielleicht  ist  es  doch  ein  edler 
Degen,  dem  es  übel  ergeht  und  der  tapfer  nach  Aventure  reitet.  Also  • 
hub  er  wieder  an:  Verdenkt  mir  nicht  mein  Fragen,  ich  möcht'  euch 
eher  nützlich  sein,  als  schaden.  Ich  bin  des  Königs  Waidmann,  er  hält 
auf  mich  und  hört  Keinen  lieber.  Hast  du  ob  schwerer  Fehde  deine 
Heimath  verlassen  und  willst  in  fremde  Lande  fahren  um  Ritterschaft, 
so  nimiy*  meinen  guten  Rath  an,  der  dir  nicht  schaden  mag.  Verstehst 
du  dich  auf  Waidmannswerk,  so  kommst  du  zu  guter  Stunde!  Es  liebt 
der  König  diese  Kunst  und  die  darin  Meister  sind.  Er  gibt  gar  gerne 
Gaben,  fast  täglich.  Nie  darfst  du  dich  um  Nahrung  oder  Gewände 
sorgen.  Sobald  er  schöne  und  schnelle  Rosse  erhält,  gibt  er  sie  uns, 
selbe  im  Laufe  zu  proben,  ob  sie  schnell,  bandbar  und  nicht  stutzig 
seien.  Wer  es  dann  am  meisten  nöthig  hat,  dem  schenkt  er  das  Ross.  . 
Für  Lebensunterhalt  darfst  du  nie  einen  Heller  ausgeben,    denn   nach 


'J  Dasselbe  ist,  wie  sich  später  ergibt,  Afrika.  Nun  klin^it  es  freiliib  selt- 
sam, dass  Ruodlieb  so  geradezu  aus  seiner -Heimoth  fortreitet,  ohne  dass  er 
über  ein  Wasser  zu  setzen  braucht.  Allein  das  darf  im  X.  Jahrb.  nocli  weni- 
ger verwundern,  als  im  XIII.,  wo  im  Wigalois  der  Bote  des  Königs  Artus 
au(h  trockenen  Fusses  von  England  nach  Spanien  läuft.  ]l|an  dürfte  übrigens 
dem  lateinisch  ffebildeten  Dichter  wohl  zutrauen,  dass  ihm  hier  irgend  eio 
anderer  passender  Name  beigefallen  sein  würde,  hätte  er  nicht  einer  be- 
stimmten, aus  dem  Leben  gewonnenen  Sage  folgen  wollen.  Jener  Name 
konnte  vor  den  Kreuzzügen,  wenn  nicht  doch  von  Gensericb,  doch  von  den 
Mauren  her,  den  Besiegern  der  spanischen  Gotben,  in  die  germnnische  Sage 
geratben  sein.  — 


57 

Wansche  wird  dir  gespendet  Ueber  Tisch  macht  er  die  Genossen  reich, 
scherst  mit  Reden  ond  schickt  uns  zu,  wa^  ihm  Gutes  vorgesetzt  worden. 
Dorch  Ehre  höhet  er  den  Lohn.  Willst  du  «inen  Treuebund  mit  ihm 
angehen,  so  schlag  in  meme  Rechte,  dass  nichts  uns  trenne  ausser  der 
Tod.  Wo  wir  immer  sein  mögen,  führe  Jeder  des  anderen  Sache  so 
wie  die  eigene,  und  noch  besser,  wenn  er*s  vermag,  (v.  72 — 112.) 

Jetzt  erßt  schenkte  ihm  der  Jüngling  Vertrauen  und  sprach :  ^Hin- 
reidiend  zeigst  du  mir,  Herr,  deine  Treue  und  dein  Rath  ist  löblich, 
meine  Sachen  stehen,  wie  du  errathen:  d^r  Pakt  soll  zwischen  uns 
geschlossen  sein.  Sie  gaben  sich  die  Hände,  und  wurden  bald  gut 
Freund,  küssten  sich  und  blieben  einmüthigen  Herzens. 

Während  sie  sich  weiter  besprachen,  kamen  sie  näher  der  Stadt, 
in  welcher  der  König  dem  Volke  Recht  sprach.  Sobald  sie  in*s  Lager 
getreten  und  Knappen  und  Pferde  untergebracht,  gingen  sie  zum  König. 
Wie  der  seinen  Jäger  ersah,  sprach  er:  ^ Woher  des  Weges?  bringst 
du  gute  Märe,  erzähle;  hast  du  im  Walde  Bären  oder  Eber  aufgespürt, 
auf  die  wir  jagen  möchten. '^  Er  aber  antwortete  ihm,  nicht  wie  seinem 
Herrn,  sondern  gleich  einem  Freunde:  ^Keines  v6n  beiden,  aber  einen 
Meister  darin  hab*  ich  aufgefunden  und  mitgebracht,  den  Jüngling  da, 
der  dir  gerne  dienen  will,  denn  er  hat  gute  Kundschaft  vom  Waidwerk, 
wie  ich  bereits  erprobt.  Willst  du,  wirst  du  es  selbst  finden.  Er  bietet 
dir  seine  Gaben  an  un4  wünscht  sich  in  deine  Huld.^  Eine  scheckige 
Bracke ,  die ,  eine  goldene  Kette  um  den  Hals  trug ,  hielt  er  in  der 
Linken (v.  113—141.) 

Nun  ist  eine  grosse  Lücke.  In  langen  Jahren  und  mit^  treuen  Dien- 
sten muss  sich  unser  Held,  der  erst  später  mit  Namen  Ruodlieb  genannt 
wird,  die  Huld  des  Königs  gewonnen  haben, ')  der  (wie  in  der  Folge 
hervorgeht)  über  Afrika  herrschte.  Der  Beginn  des  zweiten  Frag- 
mentes zeigt  Ruodlieb  als  Abgesandten  des  grossen  Königs  am  Hofe 
eines  anderen,  kleineren  Königlein,  dessen  Leute  unter  Anführung  eines 
ungenannten  Grafen  eingefallen  waren,  und  viele  Menschen  erschlagen, 
gefangen  und  verbrannt  hatten.  Hierauf  war  ein  Krieg  oder  doclr  eine 
Schlacht  zwischen  den  beiden  Völkern  entbrannt,  in  welcher  jene  An- 
greifer sammt  ihrem  Rädelsführer,  dem  Grafen,  gefangen  genommen  und 
vor  den  grossen  König  gebracht  wurden.  Dieser  aber,  statt  gleiches  mit 
gleichem  zu  vergelten,  hatte  die  Gefangenen  unter  die  Grossen  und 
Bischöfe  zu  sorgfaltiger  Pflege  vertheilt,  ja  sogar  den  Grafen  in  persön- 


')  Aus  einem  später  zu  Dachau  aurgefundenen  Fragment  (Seh melier  in 
Haopt''s  Zeitsrhr.  I.  400  ff.)  geht  hervor,  dass  Ruodlieb  sowohl  durch  kunst- 
reicoea  Fischfangi,  wie  auch  durch  seltene  Jägerkiihsle  den  König  in  Er* 
staaoen  setzte^ 


58 

liehe  Obhut  geDommen.  Und  nun  lad  er  darch  Raodlieb  ihren  König 
ein,  auf  demselben  Platze,  wo  die  Schlacht  geschlagen  worden  war,  mit 
ihm  zusammenzutreten,  da  sollten  sämmtliche  Gefangene  a^urückgegeben 
und  beide  Volker  auf  ewig  miteinander  yersOhnt  werden  J)  Das  ist  nun 
alles  in  Reden  eingekleidet  (das  Fragment  zählt  253  Verse),  die  der 
kleine,  von  des  grossen  Grossmuth  gar  sehr  gerührte  König  an  seine 
versammelten  RäUie,  dann  an  Rnodlieb,  und  in  solche,  die  Ruodlieb 
theils  an  jenen,  theils  nach  der  Heimkunft'  Bericht  erstattend,  an  seinen 
König  richtet.  Da  der  König  auch  .wissen  möchte ,  wie  sein  Bote  am 
fremden  Hofe  sich  sonst  noch  die  Zeit  vertrieben ,  erz&hlt  er  auf  er- 
götzliche Weise,  wie  anfänglich  der  oberste  Viztum  ihn  im  Schachzabel 
(scachornm  ludo)  zu  besiegen  versuchte,  wie  dann  auch  der  kleine  König 
trotz  dem  ehrfurchtsvollen  Sträuben  Ruodliebs ,  mit  ihm  gespielt  und 
wie  Ruodlieb,  mit  wahrem  Herzeleid,  erst  dem  Könige  und  dann  auch 
den  Hofleuten  ihr  gutes  Gold  abgewonnen  habe. 

I 

Hierauf  liess  der  grosse  König  allen  -denjenigen,  welche  Gefangene 
bei  sich  hatten,  entbieten,  sie  sollten  selbe  gut  kleiden,  die  Fussgänger 
beritten  machen  und  alle  neu  bewaffnen.  Den  vornehmen  Grafen  aber, 
der  den  ganzen  Handel  erst  angezettelt  hatte,  kleidete  er  in  kostbare 
Pfeile,  gab  ihm  ein  von  Gold  und  Edelsteinen  schimmerndes  Röckelein, 
um  so  aufgeputzt  seinem  Herrn  würdig  den  Wein  zu  credenzen;  auch 
schenkte  er  ihm  ein  kostbares  Pferd  mit  goldenen  Zügeln,  dazu  Panzer, 
Schwert  und  Helm  und  eine  scharfe  Lanze.  Selbst  seine  beiden  Knappen 
wurden  mit  seltsamen  Gewanden  beschenkt.  Boten  aber  gingen  in  die 
Lande  und  boten  alle  Vornehme  des  Reiches  an  des  Königs  Hoflager, 
auch  die  Bischöfe  und  Aebte  wurden  geladen. 

Daran  schliesst  sich  nun  das  dritte  Fragment,  das  wir  hier  aus- 
fuhrlicher zur  Charakteristik  des  Ganzen  nacherzählen.  Der  Sammel- 
platz war  ein  weiter,  rings  von  einer  Schaubühne  umschlossener  Hof, 
dessen  Mitte  gross  genug  war,  dass  die  höchsten  Personen  und  zwölf 
Prälaten  frühstücken  und  speisen  konnten.  Damit  hing  geg^n  Sonnen- 
aufgang ein  weites  Gezelt  zusammen,  von  dem  ein  gedeckter  Gang  in 
einen  anderen  Pavillon  (pavelun)  führte,  wo  auf  einem  Altare  Kreuz 
und  Diadem-  des  Königs  niedergelegt  waren.  Hier  betete  man  die  Tags- 
zeiten und  sang  Messe,  was  heute  gar  eilig  geschah,  dann  ward  der 
feindliche  König  zur  Zusammenkunft  gebeten.  Diese  findet  mitten  auf 
einer  B  r  ü  ck  e  statt,  und  der  Friede  wird,  unter  Mitwirkung  ^er  Priester- 


')  Bemerkenswerth  ist^  dass  beim  Abschied  vom  Könige  St.  Gertroden- 
Minne  getninken  wird  il.  162.  (ygl.  W o  1  f  Beitrage.  11.  106.  Grimnn 
S.  53.  Simroek  S.  403.) 


59 

Schaft,  geschlossen.  Es  ist  ein  merkwürdiges  Rechtsalterthnm  mit  feier- 
lichem Ceremoniell. ')  Sobald  die  beiden  Könige  auf  der  Mitte  der 
Brücke  sich  begegnet,  küssen  sie  sich  nnbesprochen  und  dann  küssen 
sie  der  Reihe  nach  das  ganze  geistliche  und  weltliche  Geleit  und  dieses 
sich  wieder  gegenseitig;  dann  erst  setzen  sich  die  beiden  Könige  zur 
Verhandlung,  um  die  Thorheit  ihrer  Völker  klüglich  gut  zu  machen.  Der 
grafliche  RädelstiQhrer  wird  in  seiner  reichen  Gewandung  zurückgegeben, 
hierauf  die  Gefangenen  ausgewechselt  und  durch  Eide  der  Friede  ge- 
festigt Dann  gingen  die  beiden  Könige  zum  Pavillon  und  frühstückten 
anter  grossen  Freuden.  Der  kleine  König  aber  gab  kostbare  Geschenke : 
(tinf hundert  Mark  Gold,  unzähliges  Silber,  hundert  köstliche  Pfeile, 
ebensoviele  Panzer  und  Stahlhelme;  zweimal  fönfzehn  gezäumte  Mäuler, 
ebensoviele  Waldesel  und  Kamelihiere,  zwei  Leoparden,  zwei  Löwen  und 
ein  allerliebstes  von  einer  Mutter  stammendes  Bärenpaar,  das  als  gar 
anmuthig,  zierlich  und  nett  gescUldert  wird;  schneeweiss  waren  sie  an 
den  Pfoten,  und  schwarz  an  den  Füssen,  sie  konnten  ein  Geföss  auf- 
heben und  menschenähnlich  auf  den  Füssen  gehen.  So1;>ald  Spielleute  die 
Saiten  rührten,  hüben  sie  an  zu  tanzen  und  stampften  den  Takt  mit 
den  Füssen ;  manchmal  sprangen  sie  hoch  und  warfen  sich  aufeinander, 
trugen  sich  wohl  auch  Huckepack,  setzlen  und  umarmten  sich  oder 
rangen,  bis  einer  zu  Boden  fiel.  Schwang  das  Volk  sich  im  Reigen,  so 
liefen  sie  herzu  und  reihten  sich  den  Spielweibern  an,  welche 
mit  lieblicher  Stimme  prächtig  sangen,  schlangen  in  die  schönen 
Hände  ihre  Tatzen,  traten  aufrecht  Schritt  für  Schritt  unter  wohlge- 
fälligem Brummen  den  Tanz  und  nnirden  auch  nicht  böse,  wenn  sie 
geneckt  und  gezaust  wurden.  —  Das  hübsche  Bild  des  lebendigen  Volks- 
'  lebens  ist  getreulich  wiedergegeben,  selbst  bis  auf  dieses  mittelalterliche 
Bärenspielztug,  das  der  Dichter  wohl  gesehen  haben  konnte.  Der  Bär 
war  im  Mittelalter  viel  häufiger  gezähmt  und  zur  Kurzweile  gehalten, 
was  freilich  oft  in  Rohheit  und  Unanständigkeiten  ausartete,  so  dass  die 
Kirche  fiir  gut  fand,  ernstlich  dagegen  einzuschreiten  und  wenigstens  den 


*)  Es  war  uraller  brauch,  dass  krie^Föhrende  Herrsclier  in  der  Mille  des  Flus- 
ses^ der  ihre  Reiche  schied,  gleiihsam  jeder  noch  auf  eigenem  Grund  und 
Boden  stehend^  für  den  Friedensbund  ziisammeniraren.  Das  älteste  Zeugniss 
hielel  Tacitus.  (Hisl.  V.  26.)  Das  gleiche  wiederholt  sich  923  beim  Frieden 
zwischen  Heinrieb  I.  und  Carl  dem  Einfältigen  von  Frankreich^  mitten  im 
Rheine;  dessgleichen  fand  1162  eine  solche  Zusammenkunft  der  Könige  Fried- 
rich und  Ludwig  statte  im  J.  1223  auf  einer  Insel  in  der  Donau  (Mon.  Boic. 
IV.  486)  und  noch  in  unseren  Tagen  beim  Frieden  von  Tilsit  trafen  sich 
Napoleon  und  Alexander  von  Russland  auf  dem  Memel  in  einem  Nachen. 
Häufig  finden  auch  Uebergaben  von  neuvermählten  Königstöchtern  auf  der 
Mitte  des  Grenzflusses  zweier  Gebiete  statt.  Nicht  unähnlich  sind  Zusammen- 
kfinfte  benachbarter  Köniffe  und  Zweikämpfe  beiderseitiger  Helden  auf  Inseln 
Freyberg  Gesch.  von  Tegernsae.  S.  141. 


60 

Geistlichen  die  Gregenwart  bei  solchen^  Spielen  strenge  zu  ODtersagen« ') 
Beigegeben  war  den  Geschenken  noch  an  goldener  Kette  ein  Lochs  — 
der  von  Wolf  und  Fuchs  abstammt  und  ans  dessen  Harn  ein  karfunkel- 
artiger Edelstein  gewonnen  wird,')  der  werUi  ist,  den  Ring  einer  Königin 
oder  eine  Königskrone  zu  schmücken  —  ein  kurznaaiger  Aflfe  mit  nack- 
tem Gemäss  und  geierartiger  Stimme,  und  eine  gestreifte  Meerkatze: 
Dinge,  von  welchen  man  freilich  keinen  Nutzen  sieht  (in  quibus  amba^ 
bus  nil  cemitur  ntilitatis).  Dazu  kamen  zwei  Psittiche,  ein  Babenpaar, 
Dohlen  und  Staaren,  die  Alles  nachplaudem  konnten,  was  sie  gehört. 
Jedem  Bischöfe  reichte  er  Ehrengaben,  den  Fürsten  aber  Panzer  und 
Helme,  goldverzierte  Busaunen  und  reiche  Pfeile.  Darauf  hielten  die 
Könige  Siesta  und  schliefen  ein  wenig;  hüben  aber  bald  wieder  im  Lager 
ihr  verbindliches  Zwiegespräch  an,  wobei  allen  Leuten  des  grossen  Königs 
reichlich  gespendet  lirard,  auch  die  Aebte  und  Mönche  in  den  Klöstern 
erhielten  Geschenke.  Der  grosse  König  nahm  aber  nichts  als  die  Tanz- 
bären fiir  sich  und  die  Elster  und  den  Staar  für  sein  Töchterlein.  Dann 
küssten  sie  sich,  gaben  sich  Yalet  und  ging  Jeder  in  sein  eigenes  Reich. 
Da  findet  Ruodlieb  plötzlich  einen  Boten  aus  der  Heimath  und  die  erste 
Frage  ist  nach  seinem  Mütterlein;  sie  sendet  ihni  einen  Brief,  den  sich 
der  Ritter  lesen  lassen  muss',  denn  diese  Kunst  stand  dem  adeligen 
Leben  ferne.  Alle  seine  Feinde,  die  ihm  Böses  gethan  und  deren  wegen 
er  die  Heimath  verliess,  sind  gestorben  oder  unschädlich  geworden,  die 
Anderen  haben  seine  Treue  eingesehen,  so  bittet  sie  ihn,  gleich  zurück- 
zukehren und  ihre  traurige  Sehnsucht  zu  enden.  Freudethränen  quellen 
dem  Ritter  über  sein  Antlitz;  zwar  trauern  alle  seine  Genossen  bei, der 
Kunde,  dass  er  wolle  von  hinnen  fahren,  denn  sie  hielten  ihn  gar  lieb 
und  werth  und  kannten  seine  Tugend  und  seine  Verdienste  um  das 
Reich.  Ruodlieb  aber  ging  mit  seinem  Freunde  zum  König,  umfasste 
weinend  dessen  Füsse  und  legte  ihm  den  Brief  seiner  Mutter  in  die  Hände. 
Der  bittet  ihn,  noch  eine  Woche  zu  bleiben,  um  ihn  in  dieser  Zeit  zu 
belohnen. 

Unterdessen  liess  der  König  vier  silberne  Gefässe  machen,  Schüs- 
seln ähnlich,  im  Umkreis  eine  Elle  gross,  zwei  flache  und  zwei  tiefe, 
deren  je  zwei  so  verbünden  wurden,  dass  sie,  von  aussen  mit  Speltmehl 
überkleistert,  wie  Brode  aussahen.  Das  eine  dieser  Gefasse  füllte  der 
König  mit  Goldstücken,  die  man  Besanten  (von  Byzanz)  nennt,  so  dicht 
an.  dass  er  kein  einziges  mehr  mit  dem  Hammer  hineintreiben  kann, 
damit  sie  nicht  etwa  bei  einer  Bewegung  erklingen.     Sobald  er  nach 


')  Wackernagel  in  Haupts  Zeitschr.  VI.  1B5  und  Weinhold  S.  356. 
')  Das  Hecept  dazu  wird  anjsfülirlich  beschrieben  v.  104—29. 


61 

Haas  komme,  dachte  der  König,  würde  sie  Raodlieb  brauchen  können, 
sich  aufzuhelfen  und  durch  Freigebigkeit  sich  Freunde  zu  machen.   Die 
andere  Schüssel  wurde  innen  abgetheilt  und  so  angefällt:   iri  den  einen 
Theil  der  Schüssel  legte  man  goldene  und  im  Feuer  erprobte  Besauten, 
auf  welchen  rings  eine  griechische  Schrift  ergraben  war,  auf  ddr  einen 
Seite  des  Kaisers  .Name,   auf  der  anderen   als  Sinnbild  seiner  Macht, 
wie  er  stehend  Einem  die  Hand  auflegt,  den  er  segnet.    Die  sollte  er 
den  Magen  und  Mannen  geben,  ihnen  zur  Freude,  dass  er  wohlbehalten 
zur  Heimath  gekehrt.    Gegenüber  der  Knetwand  der  so  mit  Münzen  ge- 
füllten Schüssel  legte  der  König  zwölf  köstliche B äuge,  *)  von  welchen 
acht  ganz  gediegen,  nicht  innen  hohl  oder  mit  Blei  ausgefüllt 
sind,  sie  stellen  Schlangen  vor,  die  an  den  Köpfen  sich  küssen  ohne 
durch  solche  Liebe  zu  schaden.    Jeder  dieser  Armringe  wog  ein  Pfund 
reinen  Goldes.     Die  zwei  Paar  übrigen  Armbänder  waren   im  Kreise 
gebogen  und  jeder  wog  ein  Mark.    Die  dienten  weniger  als  Schmuck, 
als  zum  Nutzen.   Dazu  legte  die  Königin  ihre  Brustspange,  ein  pracht- 
volles Werk,  nicht  mit  Hämmern  getrieben,  sondern  gegossen  und  ganz 
von  Gold.  Darauf  war  eia  Adler  geworkt,  der  eine  krystallne  Kugel  im 
Schnabel  trug,  auf  welcher  wieder  drei  Vögelchen  sassen,   leicht  und 
lebendig,  als  wollten  sie  sich  gerade  erheben  und  fliegen,   ein   breiter 
goldener  Reif  zog  sich  darum.   Femer  Hess  der  König  acht  Ohrgehänge 
in  die  Schüssel  legen;  viere  von   diesen  funkelten   von   verschiedenen 
Gremmen,  Amethisten  und  Berillen,  vier  andere  waren  nicht  mit  Edel- 
steinen bekränzt,  doch  so  kunstreich  geworkt,  dass  die  Kapseln  mit  den 
Perlen  klangen,   sobald  sich  das  Ohr  bewegt.     Auch  Hess  er  dreimal 
zehn  Fingerringe  machen  aus   schierem  Golde,    wie  kein  besseres  zu 
finden;   in  jeden  derselben  wurde  ein  Turmalin-,  oder  Hyazinth-  oder 
Berillstein  eingefügt.  Drei  dieser  Ringe  waren  des  Ritters  künftiger  Braut 
bestimmt,   klein  und  schmal,   wie  für  Frauen  sie  zu   tragen  geziemt. 
Nachdem  die  Schüsseln  mit  diesen  wahrhaft  königlichen  Gaben  gefüllt 
und  mit  Nägeln  zusammengeheftet  waren,  Hess  sie  der  König  mit  zähem 
Teig,  welcher  aus  feinem  Mehl  gemischt  und  geknetet  war,  überziehen 
und  zu  Brode  backen. 


')  Diese  goldenen  Ringe,  die  tim  Arm  und  Hals  getragen  wurden,  galten  als 
die  beste  Gabe^  die  gereicbt  werden  konnte,  und  bildeten  das  Verlangen 
aller  Helden,  Dienstmannen  und  Sänger j  als  stehende  Beinamen  hatten  die 
Könige  in  der  Dichtersprache  die  Benennungen  Baugvertheiler  und  Baug- 
brecher.  In  den  Schatzkammern  der  Fürsten  lagen  hunderte  dieser  vielbe- 
ffehrien  Soangen  aufgespeichert.  Als  Walther  von  Aquiianien  dem  Hunqen- 
Köoiff  entflieht,  nimmt  er  so  viele  Bauge  aus  dessen  Hort,  dass  er  dem 
FraoKeokönige  hundert  als  Ehrengabe  bieten  kann.  vgl.  Weinbold  d.  Fr. 
S.  454  flr  u.  Roth  Oertlichkeiten  I  306.  II.  525.  IH.  703.  Daher  auch  viele 
Namen,  wie  Baugolf,  Hringolf  u.  s.  w. 


62 

Als  der  Tag  kam,  an  welchem  der  Ritter  ziehen  wollte,  berief  der 
König  seine  Herzoge  und   Mannen   und   Hess  vor  ihnen  durch  seinen 
Schreiber  den  Brief  vorlesen,  welchen  Kuodlieb  erhalten.     Da  wurden 
Aller  Herzen  traurig,  dass  eines  so  treuen,  milden  und  gütigen  Herren 
sie  und'  der  König  fiirder  entbehren  sollten ;  sie  rathen  sogar  dem  König, 
ihn  durch  Gewalt  oder  Bitten  zurückzuhalten,  ihn  durch  eine  Gattin  zu 
fesseln  und  mit  Ehren  zu  bereichem.     Der  edle  König  aber  versetzte; 
„Das  sei  ferne,  Denjenigen  zu  kränken,  der  mir  nie  den  geringsten  Gram 
gereizt,  der  mich  vielmehr,  so  ich  zürnte,  n^ilde  machte  wie  ein  Lamm. 
In  allem  erwies  er  sich  voll  ungeschmälerten  Treuen;  schon  zu  schwer 
ist  für  ihn  das  lange  Bleiben  im  Elend  (in  der  J^remde),  wir  wollen  ihn 
zur  Heimath  entsenden."  Nun  rief  er  ihn  vor  sich  und  sprach:  „Ungern 
werde  ich  Dich  fahren  lassen,  mein  Freund!  denn  Du  warst  in  ganzen 
Treuen  mein  Dienstmann;    Keiner  ist  Dir  abgeneigt,  sondern  lieb  bist 
Du  dem  ganzen  Volke.     Sprich,  willst  du  lieber  Schätze  oder  Lehren 
der  Weisheit  zum  Danke  haben?"    Der  schwieg  eine  kleine  Weile  und 
versetzte:   „Besser  istfes,  man  entbehrt  des  Geldes,  als  eines  gesunden 
Sinnes,  wer  durch  gottesfürchtige  Weisheit  zu  blühen  strebt,  wird  immer 
Silber  und  Gold  haben.     Desshalb  kannst  Du  mich  leicht  ein  solches 
Wort  lehren,  das  mir,    so  ich  es  beachte  und  nicht  entehre,  goldener 
sein  wird  als  zehn  Mark  Goldes.    Niemand  raubt  es  mir,  feindet  mich 
an  oder  hasst  mich  wegen  desselben  und  kein  Mörder  wird  mich  darum 
in   einem  Hohlwege  tödten.     In  dem  Gewölbe  eines  Königes   müssen 
Schätze  sein,  damit  er  in  Ehren  stehe,  ein  Armer  hat  genug,  wenn  er 
gesund  und  stark  und  durch  Bravheit  thätig  ist.  Ich  verlange  nicht  nach 
Geld,  sondern  dürste  nach  Weisheit."  Als  der  König  diess  vernommen, 
nahm  er  ihn  beiseits  und  sprach  weiter:  „Jetzt  höre,  was  ich  Dir  aus 
der  Tiefe  des  Herzens  als  wahrer  Freund,  Dir  dem  Freunde  sage."  Und 
nun  ertheilt  er  ihm  zwölf  merkwürdige  Räthe:  zum  ersten,  nie  einen 
Rothhaarigen,  zum  trauten  Freunde  zu  nehmen;  wird  ein  splcher  zornig, 
so  gedenkt  er  nicht  mehr  der  Treue,  auch  ist  Keiner  so  gut,  dass  nicht 
einiger  Trug  in  ihm  wäre ;    wer  auch  nur  den  Finger  in  Pech  taucht, 
besudelt  sich  damit  und  kann  sich  kaum  mehr  dessen  entledigen.    Der 
zweite  Rath  geht  dahin,  dass,  wenn  gleich  der  Weg  durch  ein  Dorf 
noch  so  kothig  wäre,  man  doch  nie  durch  ein  Saatfeld  reiten  solle.  Bist 
Du  auf  der  Fahrt,  so  lautet*s  zum  dritten,  herberge  nie  da,  wo  ein 
alter  Mann  eine  junge  Frau  hat,  denn  auch  unschuldig,  ziehst  Du  Dir 
doch  schweren  Verdacht  zu.  Er  furchtet;  sie  hoflPt;  der  Zufall  wendet. 
es  so  unter  ihnen.   Sobald  aber  ein  junger  Mann  eine  alte  Frau  hat,  so 
bitte  Dich  getrost  zu  Gast,   dieser  fürchtet  Dich  nicht  und  diese  liebt 
Dich  nicht,  so  schläfst  Du  dort  sicher  ohne  Tücke. 


63 

f 

Yiertens:  Will  Dein  Nachbar  zum  Pflügen  seines  .Ackers  ein 
Pferd  von  Dir  und  Du  hast  eine  trächtige  Stute,  so  leihe  sie  ihm  nicht, 
denn  sie  wird  entarten  und  das  Fohlen  verderben,  wenn  sie  das  Aecker- 
chen  ebnen  wird. 

Fünftens:  Kein  Verwandter  sei  Dir  so  lieb,  dass  Du  ihn  zu  oft 
durch  Besuche  zu  belästigen  wagst;  was  selten  ist,  pflegt  werther  zu 
sein  als  was  man  immer  hat;  denn  schnell  verliert  bei  den  Menschen 
an  Werth,  was  man  immer  hat. 

Sechtens:  Lass  Deine  eigene  Magd,  und  war*  sie  auch  iioch  so 
schön,  nicht  vertraut  werden  mit  Dir,  gleich  Deiner  Frau,  damit  sie  Dich 
nicht  missachte  oder  Dir  hochmüthig  antworte,  auch  nicht  glaube,  dass 
sie  die  Herrin  des  Hauses  sein  dürfe,  wenn  sie  übernachten  oder  am 
Tische  sitzen  wird.  Isst  sie  und  übernachtet  sie  mit  Dir,  will  sie  be- 
ständig die  oberste  Gebieterin  von  Allem  sein.  Solches  macht  Dich 
verrufen  und  ziehet  Dir  Schmach  zu. 

Siebentens:  Wählst  Du  Dir  aus  des  Landes  Töchtern  die  Haus- 
frau, um  liebe  Kinder  zu  gewinnen,  dann  suche  Dir  ein  liebliches  Weib 
(cognoscibilem  mulierem)  und  nirgends  als  wo  die  Mutter  dir  es  rathet. 
Hast  Du  sie  gefunden,  dann  ziemt  es  sich,  sie  auf  jegliche  Weise  zu 
ehren  und  milde  zu  behandeln,  doch  sollst  Du  ihr  Meister  bleiben,  damit 
sie  mit  Dir  keinen  Streit  anzuheben,  wage;  denn  keinFehlSr  der  Männer 
ist  mächtiger,  als  wenn  sie  denjenigen  unterworfen  sind, 'denen  sie  ge- 
bieten sollen.  Und  wenn  sie  mit  Dir  auch  in  allen  Dingen  ein  Herz  und 
eine  Seele  wäre,  darfst  Du  ihr  doch  nicht  Alles  wissen  lassen,  damit 
sie,  von  Dir  späterhin  ob  eines  Fehlers  getadelt.  Dir  nicht  ebenso  Vor- 
würfe mache  und  Dir  nichts  sagen  kann,  wodurch  euere  gegenseitige 
Treue  und  Liebe  gemindert  werden  könnte. 

Achtens:  Lass  Dich  niemals  von  einem  so  heftigen  Zorn  über- 
fallen, dass  Du  die  Rache  nicht  über  Nacht  verschieben  könntest,  be- 
sonders wenn  die  Sache  zweifelhaft  und  nicht  so,  wie  Du  behauptet 
hast,  sein  könnte;  vielleicht  freust  Du  Dich  am  Morgen,  dass  Du  Dir 
Zügel  angelegt. 

Neuntens:  Habe  nie  einen  Streit  mit  Deinem  Herrn  und  Meister, 
denn  sie  überragen  Dich,  wenn  nicht  mit  Recht,  doch  an  Macht.  Auch 
zahle  für  sie  nichts,  weil  Du  eiT  sicher  verlieren  wirst.  Bittet  er  Dich 
za  zahlen,  dann  ist  es  besser,  dass  Du  es  gibst,  weil  er  sonst  eine 
Schuld  auffinden  wird,  vermittelst  welcher  er  Dir  ebensoviel  nehmen 
kann.  Beides  geht  dann  verloren  und  er  wird  weder  danken  noch  das 
Gut  zurückgeben.  Er  wird  sagen  „Habe  Dank!^  sobald  Du  von  ihm 
ausgeplündert  worden;  dann  verneige  Dich  und  lobe  den  Herrn,   dass 


64 

Da  gesund  mit  dem  Leben  davon  kommen  magst  and  schlage  Deinen 
Schaden  für  nichts  an. 

Zehntens:  Niemals  sei  Dein  Weg  irgendwohin  so  eilig,  dass  Da 
an  einer  Kirche  vorbeigehest,  ohne  Dich  ihren  Heiligen  zu  empfehlen 
and  Dich  zu  segnen.  Wo  aber  geläutet  Csic  ubi  pulsetar)  und  eine  Messe 
gesungen  wird,  steige  vom  Pferde  und  laufe  noch  schneller  als  dieses, 
damit  Du  Dich  des  allgemeinen  Friedens  theilhaflig  machen  kannst  Das 
verlängert  nicht  den  Weg,  es. wird  ihn  Dir  sogar  abkürzen.  Du  wirst 
sicherer  reisen  und  weniger  einen  Feind  furchten. 

Eilftens:  Widerstrebe  nicht,  so  Jemand  um  Christi  Willen  Dich 
dringend  bitten  sollte,  die  Fasten  zu  brechen ;  denn  Du  brichst  sie  nicht, 
sondern  wirst  die  Gebote  erfüllen. 

Endlich  zwölftens:  Hast  Du  Saatfelder  an  den  Heerstrassen,  so 
ziehe  keine  Gräben ,  um  das  Zertreten  Deiner  Saaten  zu ,  verhindern, 
denn  dadurch,  dass  man  die  Gräben  umgeht,  entsteht  gerade  durch  das 
Wandern  des  Volkes  auf  dem  trockenen  Boden  von  beiden  Seiten  ein 
Weg;  hättest  Du  keinen  Graben  gezogen,  würdest  Du  viel  geringeren 
Schaden  gehabt  haben. 

Hiemit  ist  „der  äventiure  wurf  ^espilt  und  ir  begin  gezijt,^')  denn 
diese  seltsamen  Rathschläge  zeigen  das  Gerippe  der  Dichtung  und  lassen 
zugleich  ahn^,  wie  viel  vom  ganzen  Werke  verloren  ist,  denn  ohne 
Zweifel  mussten  sie  im  Verlaufe  der  Abenteuer  sämmtlich  zur  Anwendung 
kommen.  Es  ist,  wie  in  der  Räthseldichtung,  ein  gleich  uralter  Zug; 
wer  denkt  dabei  nicht  an  die  Lehren,  die  jung  Parcival  bei  seinem  Aus- 
zug von  seiner  Mutter  Herzeleide  und  dem  alten  Ritter  Gurnemanz 
empfangt,  an  die  Lehren  des  Winsbecke  und  an  die  Weisheit,  die  der 
taktvolle  Sänger  der  Frithjofs-Sage  dem  König  Bele  in  den  Mund  legt. 
Besonders  überrascht  die  Einstimmung  altnordischer  Sage.  In  der  Edda 
werden  Asträdh  von  Niall  heilraedhi  ertheilt,  am  allernächsten  aber  liegen 
die  acht  Räthe  des  weisen  Hösundr  an  Heidhrek,  unser  f^lniler  Rath  jst 
fast  ganz  Hösundr*s  dritter.  Der  übermüthige  Heidhekr  geht  aber  immer 
darauf  aus,  seines  Vaters  Lehren  zu  vereiteln.  Einzelnes  findet  sich  in 
Märchen  und  anderen  Dichtungen  zerstreut  wieder,  so  wird  im  57. 
Kindermärchen  vor  Galgenfleisch  und  Brunnenrand  gewarnt,  and  die 
Warnung  vor  dem  JElothhaar  ist^ief  in  unserer  Mythologie  begründet*) 
Auch  das  begegnet  oft,  von  den  ältesten  Legenden  bis  zum  Gang  nach 


•)  Parcival  112.  9. 

*)  Die  alte  Volksmeinnng  ^ilt  heute  noch  bei  uns;  rolhhaarige  Leule  sind  voii 
Gott  fi^eEeichnet,  sind  bös  und  falsch ;  Judas  Ischariot  habe  auch  rolhe  Haare 
getragen  (warum  dieser  aber  so  gedacht  wird  vgl.  Wolf  Beilrage  I.  64). 
Winit  von  Gravenberg  eiferte  löblich  gegen  diesen  Aberglauben. 


66 

dem  E^seDhammer,  dass  ein  frommer  Fr  idolin  während  dem  Gebet  in 
der  Capelie  einer  grossen  Grefahr  entrinnt.  Die  siebente  Lehre  scheint 
wie  im  Hinblick  auf  das  Nibelungenlied ;  die  eilfle  ist  ein  ftir  den  Dich- 
ter, der  ja  dem  Benedictiner-Orden  angehört,  gefahrlicher  Ausspruch; 
die  zwölfte  gemahnt  an  Morolf  658.  Kehren  wir  aber  zu  unserer  Ge- 
sehichte  zurück. 

Als  der  König  so  geendet,  fahrte  er  Ruodlieb  aus  der  Kemnate, 
trat  in  den  Pallas  vor  den  Mannen  auf  den  Thron  und  lobte  des  Ritters 
Bravheit,  wozu  A^le  beistimmten.  „Gehe  nun  zurück  in  die  Heiraath, 
reich  an  Ehren ,  besuche  Deine  Mutter  'und  Dein  ganzes  Gut  und  sieh 
zu,  ob  Du  dort  bleiben  magst  und  ob  Deine  Herren  ihr  Versprechen 
halten  wollen.  Täuschen  sie  Dich,  so  mögen  sie  auch  gleiches  von  Dir 
erfahren;  diene  Keinem,  der  knauserig  und  unedel  gesinnt  ist.  Behagt 
es  Dir  dort  aber  nicht,  so  komm  wieder  zu  mir,  den  Du  als  denselben 
finden  wirst,  wie  ich  Dich  jetzt  entsende.*^  Darauf  gab  er  dem  vor  ihm 
stehenden  Edelknecht  einen  Wink  und  sagte  ihm  heimlich  in's  Ohr,  der 
Kämmerer  sollte  jene  Reisetaschen  bringen,  in  denen  die  bekannten 
Brode  mit  den  Kostbarkeiten  sich  befanden.  Als  die  Taschen  kamen, 
sprach  der  König:  „Mein  Lieber!  zerbrich  doch  diese  beiden  Brode 
nicht  eher,  als  bis  Du  zu  Deiner,  Dir  so  lieben  Mutter  kommst;  unter 
ihren  Augen  schneide  das  kleinere  an,  das  grössere  aber  erst,  wenn  Du 
am  Hochzeitstage  mit  Deiner  Braut  niedersitzest,  davon  kannst  Du 
dann  nach  Belieben  Deinen  Freunden  geben,  damit  sie  auch  erfahren, 
von  welcher  Art  unser  Brod  zu  sein  pflegt.**  Lebewohl  sagend  und  ihn 
dreimal  küssend,  ging  der  König  mit  Seufzen  hinweg.  Nun  küssten  ihn 
die  Anderen  unter  Thränen,  das  Volk  geleitete  ihn  schluchzend  bis  zum 
Ross.  So  fuhr  er  fort,  sein  Knappe  zog  ein  Saumthier  nach.  Drei  Tag- 
rasten weit  gab  ihm  sein  treuer  Freund  noch  das  Geleite  bis  an  die 
Marken  des  Reiches,  da  schieden  sie  traurig,  jeder  wieder  in  sein  Land. 

Als  er  sich  schon  seinem  Vaterlande  wieder  zu  nähern  begann, 
trifft  er  auf  einen  Rothkopf,  der  sich  ihm,  nachdem  er  gegrüsst  und 
gefragt  hatte,  welchen  Weg  und  wohin  er  zu  fahren  gesonnen,  zudring- 
lich anschloss.  Der  Ritter  bewies  sich  abweisend  genug  und  erwiedert 
klug:  Der  Weg  sei  für  Alle,  Ihr  könnt  gehen,  wohin  Ihr  wollt.  Der 
Rothkopf  plappert  und  plaudert  unverdrossen  weiter,  obwohl  der  Ritter 
stille  schweigt.  Es  wird  heiss;  Ruodlieb  legt  den  Mantel')  ab  und 
bindet  ihn,  wie  gewöhnlich,  hinter  sich  fest.     Sogleich  fährt  das  dem 


■>  Die  Cappa^  das  gewöhnliche  Reisekleid,  ein  kurzes  mantelartiges  Gewand, 
das  zugleich  mit  einer  Kapuze  das  Haupt  verhüllte;  sie  wurden  mehr  von 
Frauen  getragen,  doch  auch  von  Männern,  vgl.  Wein  hold  S.  H96  u.  449. 
cf.  Wigalois. 

5 


66 

Kothkopf  durch  den  Sinn,  sich  desselben  zu  bemächtigen ,  und  bei  der 
nächsten  Gelegenheit,  als  sie  eben  die  Pferde  an  einem  Wasser  tränken, 
nestelt  er  hinter  dem  Ritter  richtig  -die  Riemen  los,  zog  den  Mantel 
weg  und  barg  ihn  unter  dem  Sattel,  bis  er  vom  Wasser  zurückritt,  dann 
sprang  er  vom  Pferde  und  mächte  sich  irgendwo  zu  thun,  den  Mantel 
in  seinen  SacR  zu  stecken.  Dann  kam  er  wieder  nach  und  hub  nach 
einiger  Zeit  ganz  unschuldig  an :  Ist  mir  doch,  als  hättest  Du,  Bester, 
früher  hinter  Dir  einen  Mantel  gehabt,  ich  wundere  mich,  ihn  nicht 
mehr  zu  sehen.  Darauf  versetzte  der  Andere,  es  komme  ihm  auch 
wunderlich  vor,  wahrscheinlich 'habe  er  ihn  bei  der  Tränke  verloren,  es 
sei  dort  auch  Etwas  unter  dem  Wasser  geschwommen.  Der  Rothe  räth 
gleich  dahin  zurückzukehren,  Ruodlieb  aber  stellte  sich,  als  läge  ihm 
nichts  daran. 

Gegen  Abend  nähern  sie  sich  einem  Flecken,  durch  welchen  die 
breite  und  sehr  schmutzige  Strasse  sich  zieht.  Indessen  wird  das  über 
600  Verse  haltende  Fragment  allgemach  unlesbar  und  bricht  verstümmelt 
ab;  es  scheint,  dass  auch  der  Ritt  durch  ein  Saatfeld  mit  zur  Sprache 
kam,  wenigstens  kann  der  gleichfalls  lückenhafte  Beginn  des  IV.  Frag- 
ments darauf  bezogen  werden.  Darauf  nähern  sich  die  beiden  Gesellen 
einem  Flecken,  wo  sie  übernachten  wollen.  Der  Rothkopf  fragt  einen 
redseligen  Hirten,  ob  und  wo  sie  hier  herbergen  könnten,  und  dieser 
erwiedert,  dass  hier  wohl  ein  ganzes  Fähnlein  untergebracht  werden 
könne,  am  besten  aber  würden  sie  bedient  bei  einem  ganz  jungen 
Mann,  der  unlängst  eine  schon  ältliche  Witwe  zur  Ehe  genommen  habe 
und  vorher  ein  ganz  armer  Kerl  gewesen  sei.  Als  nackter  Armer, 
um  ein  Stück  Brod  bettelnd ,  erzählt  der  Hirte  weiter ,  sei  der  Mann 
zum  vorigen  Gemahl  der  Frau  gekommen,  durch  allerlei  fleissige  Dienste, 
Brauchbarkeit  und  Verlässigkeit  habe  er  das  Vertrauen  des  knauseri- 
gen Alten  in  dem  Maasse  gewonnen,  dass  ihm  endlich  die  Aufsicht 
über  die  ganze  Wirthschaft  und  nach  dem  Tode  des  alten  Lasters 
sogar  die  Hand  der  Witwe  zu  Theil  geworden  sei.  Er  verdiene  auch 
alles  Glück  durch  seine  Gastlichkeit  und  Milde  gegen  Reiche  und  Arme. 
Der  Rothkopf  aber  fragt,  ob  kein  Alter  da  wäre,  der  eine  junge  schöne 
Frau  hätte?  Der  Hirte  weiss  auch  darüber  Auskunft  und  nennt  Einen, 
der  ein  junges,  thörichtes,  leichtfertiges  Dimlein  geheirathet  habe,  die 
ihm  nun  auf  ärgerliche  Weise  mitspiele. 

Ruodlieb  und  der  Rothkopf  müssen  nun  jeder  nach  seiner  Art 
Herberge  gesucht  haben,  denn  im  nächsten  (fünften)  Fragment  finden 
wir  den  Ritter  auf  der  Nachtherberge  im  Hause  jenes  jungen  Gemahls 
einer  ehrenwerthen  Matrone  aufs  allerbeste  und  freundlichste  bewirthet. 
Hochfahrend  und  polternd  hat  sich  der  Rothkopf  dagegen  bei  dem  alten 


67 

Affen  einquartirt,  und  mit  dem  jungen  Weibe  sich  verständigt.  Sie 
treiben  es  ziemlich  bunt,  sowohl  in  Gegenwart  des  Alten,  der  freilich 
lächerlich  hässlich  geschildert  wird,  als  auch  wie  sie  glauben  hinter 
seinem  Rücken,  obwohl  er  sie  heimlich  belauscht.  —  Die  Nacht  in  diesem 
Hause  mnss  eine  schreckliche  gewesen  sein;  zwar  ist  uns  nichts  davon 
erhalten,  aber  das  nächste  VI.  Fragment  führt  uns  unmittelbar  in  die 
Folgen  ein:  Unter  den  Gebeten  des  herbeigeholten  Geistlichen  haucht 
der  offenbar  vom  Rothkopf  auf  den  Tod  misshandelte  Alte  seine  Seele 
aus.  Am  frühen  Morgen  sammelt  sich  das  Volk  vor  der  Kirche,  denn 
der  Ruf  des  nächtlichen  Verbrechens  erscholl,  auch  der  Richter  begibt 
sich  dahin  mit  seinen  Beisitzern; ')  die  weinenden  Kinder  des  Todtcn 
und  die  beiden  Schuldigen  werden  herbeigeholt,  derRothe  erregt  durch 
sein  schändliches  Lächeln  den  Abscheu.  Auf  die  Frage,  warum  er  den 
Altep  so  gemartelt  habe,  gibt  er  an,  derselbe  habe  ihm  die  vorderen 
Zähne  eingeschlagen,  bloss  weil  er  neben  dessen  Frau  gesessen,  die  er 
fälschlich  für  seine  Nichte  ausgibt.  Aber  der  Richter  examinirt  weiter, 
er  scheint  mehr  zu  wissen,  es  musste  ein  schändlicher  Rumor  die  Nacht 
über  gewesen  sein.  Der  Rothe  lügt  sich  auf  die  Frau  aus,  da  er  in  die 
Enge  kommt;  diese  aber  zerfliesst  in  Thränen  und  bekennt  ihre  Schuld, 
für  die  sie  gerne  büssen  will.  Hängt  mich  und  verbrennt  mich  nach 
drei  Tagen  und  streut  die  Asche  in's  Wasser,  dass  ja  nichts  von  mir 
in  der  Welt  bleibt;  schlagt  mich  in  ein  Fass  und  schreibt  mein  Ver- 
brechen darauf,  dass  die,  so  es  finden,  mich  rinnen  lassen')  und  ich 
den  Fischen  und  Krokodillep  zum  Frasse  diene;  verbrennt  mich,  oder 
versenkt  mich  im  Sumpfe ,  ich  werde  es  freudig  aushalten ,  um  nicht 
dem  ewigen  Feuer  zu  verfallen.  Da  fasst  Mitleiden  das  Volk  und  die 
Schöffen,  sie  schenken  ihr  das  Leben,  sie  aber  verlangt,  man  solle  ihr 
Nase  und  Mund  verschneiden,  dass  wenn  der  Kiefer  gräulich  die  Zähne 
bleckt  Keinen  mehr  sie  zu  küssen  gelüste,  und  brennt  mir  kreuzweise 
die  Wangen,  dass  Jeder  mit  Schauder  meine  Schuld  erkenne.  Doch  gab 


')  Wir  erhalten  hier  eine  Schilderung  der  Gerichlsbarkeit,  wie  sie  dieKlosler- 
vöglc  im  Tinghause  zu  Warngau  oder  zu  Tegernsee  selbst  ^innerhalb  der 
pruke""  übten  und  der  Dichter  oftmals  gesehen  haben  musste.  cf.  Frey  berg 
Gesch.  von  Tegernsee.  S.  139. 

*)  Es  ist  die  alle  Sitte  (Grimm  R.  A.  710)  Verbrecher  und  Todle  auf  steuer- 
lose Schiffe  zu  setzen  und  dem  Zufall  Preis  zu  geben;  doch  galt  das  Ein- 
schlagen in  Fässer  sonst  gewöhnlich  bei  uns  nur  den  Selbstmördern;  man 
packte  sie  in  ein  Fass ,  schrieb  oben  und  unten  darauf  „lass  rynnen ,  lass 
rynnen"*  und  warf  dieses  in  fliessendes  Wasser.  Wir  haben  viele  Nachrich- 
ten, dass  solche  unheimliche  Fässer  auf  dem  Inn,  der  Isar  und  der  Amper 
binabgeschwommen.  vgl.  Fö ringe r  überb.  Arch.  1844.  S.  407.  —  Die 
Frau  will  also,  zum  Zeichen  ihrer  thätigen  Reue  und  aufrichliffen  Basse  in 
der  erniedrigenden  Weise  eines  Selbstmörders  nach  ihrem  Tode  noch  be- 
handelt sein. 


.')^ 


68        . 

sie  der  Richter  frei,  dass  sie  ihren  Kindern  künftig  eine  Mutter  unA 
keine  Stiefmutter  sei.  Ihre  schönen  Gewände  und  jeglichen  Schmuck 
zog  sie  ab,  legte  sich  aus  Aschentuch  ein  Kleid  an,  schor  ihr  langes 
Haar  ab,  machte  Stricke  daraus  und  schlug  sich  schwärende  Striemen, 
bedeckte  mit  Hadern  das  Haupt,  dass  mir  die  Nase  heraussah,  lernte 
den  Psalter,  ass  trocken  Brod  und  trank  trübes  Wasser,  ging  Winter 
und  Sommer  barfüss,  schlief  auf  Stroh,  ein  Reisigbündel  unter  dem 
Haupte.  Der  frühe  Morgen  traf  sie  schon  an  des  Gatten  Grab,  wo  sie 
oft  schweissgebadet  und  thränenübergossen  zusammenbrach ;  fleissig  kam 
sie  zur  Kirche,  Niemand  sah  sie  mehr  lachen,  Weinen  bedünkte  sie  süss. 

Wie  nun  aber  das  Gericht  über  den  Rothkopf  ergehen  soll,  fordert 
dieser,  man,  solle  vorerst  seinen  Gefährten  vorrufen,  das  geschieht  durch 
Ruodliebs  Wirth,  der  in  der  Versammlung  anwesend  ist.  Der  Richter 
fragt  den  JBerbeigekommenen :  hoher  Ritter ,  ist  dieser  Mann  dein  Ge- 
seile,  oder  ist  er  es  nicht .... 

Da  bricht  unser  Faden  neuerdings  ab.  Sollten  nun,  wie  man  wohl 

■ 

annehmen  darf,  auch  die  übrigen  jener  Lehren  auf  ähnliche  Weise  zur 
praktischen  Nutzanwendung  gekommen  sein,  so  wäre  jetzt  eine  Aventüre 
mit  der  Befolgung  des  vierten  Rathes  (dessen  Anwendung  auf  Ruodlieb 
freilich  schwer  zu  begreifen  ist),  dessgleichen  der  fünften  Lehre  zu 
erwarten.  Es  scheinen  diese  Stellen  verloren,  da  wenigstens  das 
nächste  Fragment  (VU.)  nichts  derartiges  durchblicken  lässt.  Das  sehr 
verstümmelte  Blatt  enthält  nur  eine  Klage,  dass  auch  die  höchste 
Schönheit  verwelke,  dann  ist  von  einem  Ritt,  Gesang  und  Tanz,  auch 
von  einer  verzehrenden  Sehnsucht  die  Rede. 

Da  kommt  ein  zu  St.  Florian  aufgefundenes  Blatt  zu  Hilfe  CVIH.), 
das  in  äusserst  lieblicher  Weise  die  Einkehr  unseres  Helden  bei  einem 
jungen  Neffen  schildert,  und  zwar  noch  nicht  im  Hause  seiner  Mutter, 
sondern  bei  einer  Witwe,  die  ein  holdseliges  Töchterlein  hat,  an  welcher 
Ruodliebs  Mutter  Pathenstelle  vertrat.  Das  Mägdelein  hat  grosse  Freude 
an  zahmen  Vögeln,  unter  denen  besonders  redselige  Staare  sich  hen^or- 
thun.  Sie  hatten  kein  Futter  in  ihren  Häuschen,  sondern  heischten  sich 
das  Futter  selbst  durch  das  Gitter,  wenn  sie  Hunger  hatten,  sonst 
blieb  ihnen  die  Kost  verwehrt,  wenn  sie  nicht  artig  baten.  Gar  klug 
plapperten  sie  und  konnten  auch  das  „Vater  unser ^  bis  zu  „der  du 
bist  im  Himmele,  le,  le,  le^  recitireu,  was  ihnen  die  Schwester  Statza 
CStäsi,  Anastasia)  beigebracht  hatte.  Unterdessen  fanden  sich  auch  zwei 
Harfner  (harpatores)  ein,  die  schauerlich  spielten,  so  dass  Ruodlieb 
sich  zur  Hausfrau  mit  der  Frage  wandte,  ob  sie  denn  keine  Harfe  sonst 
im  Hause  habe,  und  sie  hat  eine  überaus  treffliche  (melior  qua  non 
erit  ulha),    auf  welcher  ihr  seliger  Herr  (heros,   entsprechend  dem  un- 


69 

wiedergeblich  schönen  mhd.  helt)  früher  spielte  (symphoniavit)  und  deren 
Klänge  ihre  alte  Liebe  wieder  beleben ;  keiner  hat  sie  seit  seinem  Tode 
beröhrt. 

Sie  brachten  ihm  die  Harfe ;  er  griff  hineiii  gewandt 

Bald  mit  zwei  Fingern,  bald  mit  der  ganzen  Hand 

Und  spielte  Gang'  und  Läufe  so  deutlich  und  klar 

Und  sang  ein  Lied  von  Minne,  dass  Allen  wohl  zu  Muthe  war. 

Wer  Hand  und-  Fuss  im  Reigen  sein  Leben  nicht  bewegt, 

Dem  ward  doch  bei  der  'V^eise  die  Lust  zum  Tanz  erregt. 

Lauschend  horchen  selbst  die  Harfner;  so  spielte  er  drei  kunst- 
reiche Weisen,  da  bat  die  Wirthin  noch  um  eine  vierte,  fröhliche,  um 
einen  Reigen,  den  das  Töchterlein  mit  dem  Junker  tanze.  Wir  geben 
die  folgende  Stelle  lieber  in  Simrock's  Ueberti'agung ,  der  denn  mit 
congenialer  Freiheit  dichtend,  das  zerfetzte  £pos  meisterhaft  zu  einer 
kleinen  Novelle  gestaltete,  die  Rüdiger  von  Bechelaren  seinen  Gästen 
zum  besten  gibt ')    Ruödlieb 

hub  an  zu  spielen  und  sang  ein  Lied  dazu, 
Es  hätte  hüpfen  mögen  daa  Kalb  in  der  Kuh. 
Vom  Tische  frohlockend  sprang  die  schöne  Maid 
Und  schwang  sich  gefällig  und  hob  mit  Anstand  das  Kleid. 
Da  kam  ihr  entgegen  der  schnelle  Jüngling  froh 
Die  Meidende  zu  suchen,  die  ihn  doch  ungern  floh. 
Er  kreiste  wie  der  Falke,  da  sie  -der  Taube  glich; 
Meint'  er  sie  zu  haschen,  entschlüpfend  wandte  «ie  sich. 
Sein  Tanzen  war  ein  Fliegen,  zu  schweben  schien  die  Magd ; 
Nun  hatt'  er  sie  gefunden,  das  holde  Wild  erjagt. 
Sie  reicht  die  Hand  ihm  willig  und  beut  ihm  den  Kranz, 
Doch  schnell  dem  Geneckten  entflieht  sie  wieder  im  Tanz. 
Nie  sah  man  bess're  Tänzer  und  nie  ein  schöner  Paar, 
Alle  Gäste  klagten  als  er  zu  Ende  war. 

Man  glaubt,  der  Tegernseer  Dichter  habe  mit  den  neumos  agitare 
digitis,  manibus  variare,  variare  pedibus  (was  gerade  die  Tegernseer 
Handschrift  besonders  gibt)  unmittelbar  den  Bauerntanz  vor  Augen  ge- 
habt, wie  er  heute  noch  am  St.  Bartelmä-Tage  auf  den  abgelegenen 
Höhen  der  benachbarten  Vallep  mit  urweltlicher  Bravour,  oder  mit 
grösserer  Glätte  als  gewöhnliches  „Schuhplatteln**  an  den  Ufern  des 
See's  selbst  aufgeführt  wird. ') 

M  Vgl.  Simrock^  Amelungenlied  III.  Tbl.  (oder  VI.  B.  des  Helddnbucbs.) 
*)  Lew«ld  gibt  in  der  Allgem.  Zeitung  Beil.  238  vom  26.  August  1859  eine 


70 

Hierauf  setzen  sie  sich,  aufgemuntert  van  der  Mutter,  welche  die 
beiden  Leutchen  gerne  beisammen  sieht,  an  ein  Spielbrett  und  spielen 
um  ihre  Ringe.  S  i  e  will,  wer  dreimal,  e  r,  wer  auch  nur  einmal  gesiegt, 
soll  des  anderen  Ring  haben. ')  Bald  und  gerne  hat  jedes  ein  iSpiel 
und  seinen  Ring  verloren: 

„Sie  werden  dem  zu  Theile,  der  dreimal  obgesiegt.^ 
Ef  sprach:  Verloren  habe,  wer  einmal  nur  erliegt. 
Sie  war"  es  auch  zufrieden,  warf  und  gewann  das  Spiel. 
Gern  gab  den  Ring  der  Jüngling,  dem  zu  verlieren  geAeK 
Das  Mägdlein  in  der  Freude  des  Sieges  gab  nicht  acht; 
Da  hatt'  auch  sie  ihr  Ringlein  verloren  unbedacht. 
Sie  zog  ihn  von  dem  Finger,  ihr  Kummer  war  nicht  gross, 
Sie  Hess  ihn  freundlich  rollen  dem  jungen  Mann  in  den  Schooss. 

Unterdessen  (Fragm.  IX.)  erkundigt  sich  Ruodlieb  bei  der  Hausfrau 
nach  seiner  Mutter,  sie  will  derselben  die  Freudenbotschaft  senden,  dass 
ihr  Sohn  den  folgenden  Abend  endlich  in  ihren  Armen  sein  werde. 
Dem  verliebten  Pärchen  aber  verstreicht  die  Zeit  kurzweilig  im  an- 
ziehenden Spiel  um  Ring  und  Herz  und  Hand,  dreimal  ist  sie  ihm,  drei- 
mal er  ihr  verfallen;  glühende  Neigung  hat  sich  über  Tani:  und  Spiel 
entsponnen.  Leider  ist  die  Folge  wieder  zerschnitten,  so  zwar,  dass  nur 
die  zweite  Hälfte  der  Yerszeilen  erhalten,  aus  denen  sich  zur  Noth 
herauslesen  lässt ,  dass  Ruodlieb  auf  dem  Heimwege  den  von  seiner 
Mutter  ihm    entgegengeschickten  Dienern    begegnet.     Dort  steht   auch 


treffliche  Schilderung  dieses  wirkllth  schwer  zu  beschreibenden  Tanzes  und 
bemerkt  dabei  ganz  richtig :  ^Es  ist  nur  ein  Vorurlheil,  wenn  man  den  Tanz 
der  Südvölker  Enropa's  graciöser  nennt.  ^Auch  unser  gestrampFter  Gebirgs- 
ländler  ist  ^raciös,  und  kräftiger  spricht  sich  gewiss  keiner  aus.  Man  kann 
nichts  lieblicheres  sehen,  als  wenn  das  Mädel  aus  den  Armen  ihres  Ruhen 
entschlüpft,  sich  mit  niedergeschlagenen  Blicken  wie  eine  surrende  Spinde! 
so  um  sich  selbst  dreht,  während  er,  der  Bub,  im  Gefühl  seiner  Mnnnes- 
herrlichkeit  und  des  Siemes  im  voraus  gewiss,  in  die  Mitte  des  Kreises 
springt,  den  die  drehenden  Mädchen  bilden,  und  nun  das  Strampfen,  das 
Klatschen,  das  Taktschlagen  auf  Schenkel  und  Waden,  das  Jauchzen  mit 
künstlerischer  Sicherheit  vollbracht  wird,  wobei  der  Tänzer  die  sich  weit 
weg  von  ihm  drehende  Tänzerin  niemals  aus  den  Augen  verliert,  um  im 
rechten  Augenblick  wieder  auf  sie  hinzufliegen,  sie  in  den  Arm  zu  nehmen 
und  mit  ihr  herumzuwälzen.  Ehe  er  diess  aber  wagt,  stürzt  er  schnell  vor 
ihr  auf  die  Kniee  und  dann  erst  umschlingt  er  sie.  Es  liegt  eine  starke  Sinn- 
lichkeit darin,  gleichwie  im  Saltarello,  Fandango  und  Bolero,  nur  das  Che- 
valereske  des  Südens  fehlt."*  —  In  gleicher  Weise  und  man  möchte  sagen, 
phantastischer  und  prächtiffer,  wird  am  Bartelmätage  in  der  Valien  getanzt, 
wo  der  in  jahrelangen  Hüben  abj^ehärtete  Jäger  von  seinen  Felsen  hernieder- 
steigt  und  die  sonst  von  der  Welt  ganz  abgeschiedene  Sennerin  den  einzigen 
fröhlichen  Tag  im  Jahre  begeht. 

■)  Roch  holz,  Kinderspiel.  1657.  S.  434.     Auch  Bride  spielt  mit  Ep'pe  um 
ein  Fingerlein.    vgl.  rieid hart  herausgegeben  von  Haupt.  S.  42.  12. 


71 

bereits  ein  junger  Diener  auf  der  Warte,  der  einer  Dohle  noch  den 
Gruss  ^Ruodlieb  here,  curre,  venique^  beibringt  und  endlich  die  Ankunft 
des  mit  seinen  Begleitern  aus  dem  Wald  hervortauchenden  Gebieters 
freudig  verkündet.  Ruodlieb  badet  mit  (Fragm.  X.)  seinem  Neffen,  und 
dann  gehen  sie  im  Hause  der  Mutter,  deren  Tischgenossin  sonst  nur  die 
Dohle  war,  zur  Tafel.  Nach  dem  Mahle  geht  RuodKeb  in  die  Kemenate 
der  Mutter,  lässt  den  Reisesack  (rohd.  mahle)  mit  den  Pfeilen  und  Kost- 
barkeiten, die  er  in  den  zehn  Jahren  seiner  Abwesenheit  erworben^  nebst 
den  beiden  Broden  bringen ,  die  ihm  der  König  verehrt  hatte ,  damit 
auch  die  Mutter  sehen  könne,  wie  gut  afrikanisches  Brod  schmecke.  Als 
er  das  eine  anschneiden  will,  widersteht  es  dem  Messer,  er  schabt  den 
MehlQberzng  weg  und  es  zeigt  sich  dem  Staunenden  das  helle  Silber, 
und  nachdem  er  die  Nägel  abgefeilt,  die  Fugen  geöffnet,  der  Schatz  von 
glänzendem  Golde.  Mit  Thränen  im  Auge  bricht  Ruodlieb  in  Worte 
des  Dankes  gegen  den  königlichen  Spender  aus. 

Später,  wie  es  scheint,  wieder  mit  seinem  Neffen  zu  seiner 
Gevatterin  und  ihrer  Tochter  zurückgekehrt  (XI.  XII.)  legt  Ruodlieb 
zur  Verwunderung  der  Wirthin  und  der  vom  Söller  herab  zuschauenden 
Jungfräulein,  zur  Freude  des  Neffen  und  der  herbeieilenden  Köche, 
Proben  seiner  Kunst,  Fische  zu  fangen,  ab,  indem  er  sie  durch  ein 
Pulver')  ^e  verrückt  macht,  so  dass  sie  mit  einem  Stöckchen  an*s 
Land  gejagt  werden  können.  Hier  ist  die  Aufzählung,  der  ausgelegten 
Fische,  grösstentheils  unter  deutschen,  noch  ganz  das  Gepräge  des 
zehnten  Jahrhunderts  tragenden  Namen,  wie  sie  auch  dermalen  im 
Tegem-  und  andern  unserer  oberbayerischen  Seen  vorkommen,  von 
Interesse  (XIII.  II — 21.):  Hier  werden  aufgezählt  der  Hecht  und 
Ruffolk  (Rufus),  ihrer  Gefrässigkeit  wegen  der  Wolf  unter  den  Fischen 
genaoot  (qui  sunt  in  piscibus  hirpus»  pisces  namque  vorant,  illos  ubi 
prendere  possunt),  ferner  die  Brachse  fPhrahsina),  der  Lachs  (Lahs), 
Karpfe  (Charpho),  die  Schleie  (Tinco),  dann  Barben  (Barbatulus), 
Orfen  (Orvo),  Alnt,  Nasen,  beide  gar  grätenreich  (qui  bini^nimis 
intos  sunt  acerosi)  Rutten  (Rubeta)  und  Gründling  (Fundicola), 
rothe  und  weisse  Forellen  (Truta  mhd.  Forahana)  grossköpfige 
Koppen,  der  an  den  Flossen  verkrüppelte  Aal  und  der  gewaltige 
Waller  (Walsa),  Aschen  (Asco)  und  Renken  (Rinanch),  zwei  ganz 
feine  Leckerbissen  (ambo  dulces  nimis  in  comedendo),,  dazu  der  am 
Rücken  wie  eine  spitze  Nadel  stechende  Appäuss  (Agapuz,  ut  ucus 


')  Aus  baglossa,  Farrenzunge,  das  im  Volksleben  überhaupt  als  ein  ^gar  fUr- 
nehmes  Kraut^  berühmt  ist  und  zum  Kugelfeslmncben  ^  Srhatzsuchen  und 
Hexenfahrten  unumgänglich  nothwendig  ist.  vgl.  Zingerle  Volksmeinungen. 
S.  eZ.  102.  124.    Alpen  barg  S.  408.    Grimm  Ü,  1160  u.  1161. 


72 

in  dorso  pungit  acutus)  und  noch  viele  andere,  die  der  Dichter  selbst 
nicht  kennt  (praeterea  roulti  pisces  mihi  non  bene  noti).  ^) 

Hierauf  lässt  die  Wirthin  ihre  schöne  Tochter  zur  Tafel  herab- 
holen, an  welcher  Ruodliebs  Neffe  ihr  zur  Seite  sitzt.  Wir  erkennen 
hier  ein  nettes  Bild  einer  mittelalterlichen  Tafel  und  ihrer  Freuden. 
Die  Tischgenossenschaft  ergözt  sich  an  den  Künsten  eines  braven 
Hundes,  der  in  einem  der  Diener  richtig  den  Dieb  erkennt,  welcher  ein 

« 

paar  silberne  Steigbügel  gestohlen  hatte,  der  Wicht  bekennt  die  That 
und  gibt  die  Bügel  heraus,  die  der  Hund  der  Eigenthümerin  zurückstellt 
Dann  verzieh  ihm  Ruodlieb  und  hiess  dem  Hund,  sich  dem  Kerl  zu 
Füssen  legen  und  um  Verzeihung  bitten,  dass  er  ihn  so  angefallen,  das 
that  er ,  sprang  auf  dessen  Geheiss  auf  und  vertheidigte  den  Burschen 
sogar,  als  die  Anderen  versuchsweise  und  nur  zum  Scheine  ihn  mit 
Stockschlfigen  bedrohten.  Als  sie  manche  Tracht  gegessen  und  wacker 
getrunken  hatten,  wurde  das  »Wasser  gereicht,  doch  gab  es  keine  Kir- 
schen, dafür  brachten  Knaben  frische  Erdbeeren  in  Schaalen  und  hasel- 
bastenen Körbchen.  Dann  kleiden  sie  sich  festlich,  der  Ritter  und  der 
Neffe,  wobei  dieser  das  jüngst  gewonnene  Ringlein  nicht  vergisst. 

Endlich  hat  (Fragm.  XIY.)  nach  förmlicher  Zustimmung  und  in 
Gegenwart  aller  desshalb  von  Ruodlieb  gebetenen  Freunden  und  Ver- 
wandten, denen  es,  wie  ihm,  darum  zu  thun  ist,  dass  der  edle  Jüngling 
den  Armen  einer  schändlichen  (auf  unseren  Fragmenten  früher  noch 
nicht  berührten)  Buhlerin  gerissen  werde,  die  feierliche  Verlobung  des 
letzteren  mit  der  Gevatterin  schönem  Töchterlein  statt.  Der  Bräutigam 
reicht,    ein    uralter   Rechtsbrauch,')    seiner  Braut  den  Trauring   am 


')  J.  C.  Weber  die  Fische  in  Bayern,  1851,  zählt  S.  46  un(er  Tegernsee  fol- 
gende Arten  auf:  Saibling,  Lachsforelle ,  Forelle,  Hecht,  Karpfen,  Barben, 
Brachsen,  Rtilten,  Ailel,  Rothnuge,  Nase,  Koppen,  Pfrillen,  Grundein,  Lau- 
ben, Kressling,  Biirslling.  —  Die  von  unserem  Dichter  genannte  Phrah- 
si  na  sind  unsere  Brachsen,  vg-l.  Seh  melier  bayr.  Wörlerb.  I.  250;  der 
Orvo  ist  unsere  Orfe,  auch  Rülhling,  Goldkarpf  (b.  W.  I.  105);  Alnt=Ailel, 
AllI,  Al»l,  Alet,  Allt,  dem  Karpfen^eschlecht  an^ehörig  (ib.  I.  52),  Naso 
(ib.  II  705),  Truta,  mhd.  Forahana,  franz.  truile,  Forelle;  in  capile  grandis 
capito  mag  wohl  die  dickköpfigen,  froschmäuliffen  Koppen,  auch  Groppen 
vorstellen.  Bei  dem  Aal  heisst  es  als  nähere  Beschreibung:  post  öefiener 
alis  labilis  anguilla  ~  Per  caput  horrida  Wolsa,  ist  unser  Waller  (silunis 
glanis),  auch  Welse  genannt.  Asco,  die  zur  Familie  der  Lachse  gehörige 
Asche  (b.  W.  I.  22),  welche  den  Ueberi^ang  zum  Karpfen  bildet  und  in  den 
Klosterzeiten  als  „Rheingraf  unter  den  Fischen*^  galt.  Rinanch  (b.  W.  III. 
102)^  der  Renke,  zu  den  Salmen  gehörig  (Gangfisch);  Rubeta,  Rutten,  Rap- 
pen (b.  W.  III.  118.  170).  Am  n*emdeslen  klingt  der  Agapuz,  (ib.  I  88) 
Apeiss,  Appäuss.  der  nach  des  Dichters  näherer  Beschreibung  auf  unseren 
Stichling  (Weber  S  39)  passen  könnte.  Der  Anfangs  genannte  Rufus  ist 
ein  Raubaal  (Aalraupe),  RuITolk  (J.  1.  Frisch  Wörterb.  1741),  auch  Rupe, 
•  niederdeutsch  Quappe. 

>)  Derselbe  wiederholt  sieh  noch  im  XII.  Jahrh.  in  der  Verlöbnissformel  «ines 


7^ 

Schwcrtliefte^);  heitere  Reden,  von  ihrer  Seite  mit  unbegreiflicher 
Naivetät  und  grossem  Ernste  zurückgegeben,  werden  gewechselt.  Nach- 
dem der  Dichter  noch  die  von  Ruodlieb  dem  Pärchen  gemachten  kost- 
biuren  Geschenke  aufgezählt,  überlässt  er  sie  ihrem  Schicksal  — • 
qualiter  inter  se  cpncordent,  quid  mihi  curae? 

Es  scheint,  dass  dais  frfUiere  Verhältniss  des  Jönglings  mit  der 
angedeuteten  Buhlerin,  dessen  Darstellung  uns  ganz  verloren  ist,  sich 
auf  die  sechste  unter  den  zwölf  Lehren  bezogen  habe,  die  Ruodlieb 
diesesmal  gerade  nicht  an  sich  erproben  mnsste,  aber  an  seinem  Neffen 
in  nützliche  Anwendung  zu  bringen  Gelegenheit  hatte.  Demgemäss  wäre 
die  Reihe  nun  an  der  siebcnteri.  Im  XV.  Fragment  finden  wir  nach 
einer  Lücke  unseren  Helden  wieder  im  Hause  der  Mutter,  die  ihm 
vorstellt,  wie  sie  nun  alt  und  schwach  werde  und  wie  sehr  sie  wünsche, 
dass  auch  er  nicht  ohne  einen  Erben  bleibe;  dass  er  sofort  die  Ver- 
wandten und  Freunde  versammeln  und  nach  ihrem  Rathe  sicli  eine 
ebenbtirtfge  Gattin  wählen  möge.  Er  tdllföhrt.  Unter  dem  Vorsitze  der 
Mutter  hat  eine  solche  Versammlung  statt  und  er  wird  auf  ein  Dämchen 
hingewiesen,  die  durch  Adel  und  hohe  Tugend  vor  allen  werth  sei,  des 
Helden  Gattin  zu  werden.  Eine  neue  Lücke  verhindert  jedoch  zu  ent- 
scheiden, ob  wirklich  hier  wieder  eine  Anwendung,  und  zwar  der 
siebenten  unter  den  zwölf  Lehren ,  eingeflochten  sei.  Nach  späterem 
scheint  es,  dass  Ruodlieb  jene,  von  der  Mutter  und  den  Freunden 
gerühmte  Treffliche,  vielleicht  von  seiner  Begegnung  mit  dem  Rothkopfe 
her,  besser  kennt,  und  um  sich  folgsam  zu  zeigen,  zwar  einen  Vertrauten 
Absendet,  der  die  Schöne  um  ihre  Hand  angehen,  zu  gleicher  Zeit  aber, 
und  ohne  dass  der  Bote  es  selbst  so  recht  weiss,  zum  entschiedensten, 
von  ihr  ausgehenden  Nein  bestimmen  soll.     Im  XVI.  Fragm.   erfahren 


freien  Schwaben.  Nachdem  der  Bräutisram  iiuler  dem  Zeichen  von- sieben 
Handschuhen  seinen  Schutz  und  seine  Habe  der  Braut  zu  seinem  und  ihrem 
Rechte  mit  seinem  VoJl>^'erthe  gegen  ihren  N'ollwerlh  verloht  und  verwettet 
hat,  nimmt  der  gekorene  Vormund  der  Frau  ,,diu  wete  (Pfänder)  unde  die 
frouwen  unde  ain  swert  unde  ein  guldin  vin<^erlin  unde  aiiien  phennich  iinde 
aiu  roantel  unde  ain  huot  ouf  duz  swert,  daz  vingerlin  »n  di  hilzen 
(Schwertgrilf)"^  und  überantwortet  die  Frau  dem  Mnnne,  indem  er  spricht: 
Hiermit  befehle  ich  mein  Mündel  (muntatde)  eurer  Treue  und  Gnade  und  bitte 
euch  bei  der  Treue^  mit  der  ich  sie  euch  befehle,  ihr  wollet  ihr  ein  rechter 
Vogt  und  ein  gnädiger  Vogt  sein  und  ihr  kein  S(  hiechler  Vormund  werden. 
Massmann  Kleine  Sprachdenkmale  S.  1 79.  Ueber  die  Bedeutung  der  Schwer- 
ter bei  Hochzeiten  v^l.  Grimm  RA.  167  u.  426  undQuitzmann  Die  heid- 
nische Religion  der  Bajuwaren.  18(i0.  S.  73  u.  75. 

')  Sponsus  at  extraxit  ensemve  piramide  tersit. 
Annnlus  in  capulo  fixus  fuit  aureus  ipso. 
AfTert  quem  sponsae  sponsus,  dicebal  et  ad  se, 
^Annnlus  ut  digitum  circum  capit  undique  totum, 
Sic  tibi  stringo  fidem  .firmam  vel  perpetualem, 
Hanc  servare  mihi  debes  aut  decapitari.^ 


74 

wir  den  Verlauf  und  Erfolg  dieser  Sendung ,  einmal  und  in  zum  Theile 
verstümmelten  Versen,  vom  erzählenden  Dichter,  dann  aber  nochmal 
und  vollständiger  als  heiteren  Bericht,  denn  der  Abgesandte  an  RnodUeb 
erstattet  Die  Schöne  hat  ihn  überaus  freundlich  empfangen  und  ihm 
nach  allerlei  verfänglichen  Fragen  .  über  seine  Landsmänninnen  fUr 
Ruodlieb  den  zärtlichen  Bescheid  gegeben ,  den  der  Dichter ,  um  die 
überschwängliche  Verbindlichkeit  wiederzugeben,  mit  ihren  deutschen 
Worten  selbst  aufgeputzt  hi^t: 

die  illi  nunc  de  corde  fideli, 
tantundem  liebes,  quantum  veniat  modo  loubeis, 
et  volucrum  wunna  quot  sunt,  sibi  die  mea  mrnna 
graminis  et  flomm  quantum  sit,   die  et  bonorum.^) 

Auf  diese  Worte,  die  als  zärtliches  Ja  gelten  können,  nimmt  der 
schelmische  Bote  Abschied,  bleibt  aber  eine  Weile  wie  in  Verlegenheit 
stehen  und  entschuldigt  sich,  wie  er  vergessen  habe,  ein  kleines  von 
Ruodlieb  fiir  sie  mitgebrachtes  Greschenk  zu  überreichen.  Freudig  erhält 
sie  ein  Büchschen,  das  er  aus  dem  Tasche!  zieht ,  und  eilt  es  zu  öfinen 
an's  Fenster.  Darin  findet  sife,  wohl  eingewickelt  und  vielfach  versiegelt, 
ein  Kränzlein,  Strumpfbänder,  verschiedene  LiebespfÄnder ,  die  ihr  bei 
der  (vermuthlich  auch  auf  einem  der  yerlornen  Fragmente  erzählten) 
Aventüre  mit  einem  clericus  abhanden  gekommen  waren.  Wüthend  geht 
sie  auf  den  Boten  los,  der  feierlich  bekennt,  er  habe  nicht  gewusst, 
was  das  versiegelte  Gebünde  enthalten  und  gibt  ihm  den  erwünschten 
Bescheid:  r.Sag'  deinem  Freunde,  gab'  es  weiter  keinen  Mann  als  ihn, 
und  brächt  er  mir  auch  die  ganze  Welt  zum  Brautschatz,  ihn  nahm* 
ich  nimmermehr!**  —  Nun  werd'  ich  wohl,  sagt  Ruodlieb,  da  er  den 
Bericht  vernommen,  eine  Braut  mir  wählen  müssen,  die  nicht  heimlich 
einen  Andern  liebt. 

Von  nun  an  aber  scheint  plötzlich  das  Gedicht  und  zwar  leider 
fast  am  Ende  der  geietteten  Ueberbleibsel  einen  neuen  Aufschwung, 
und  nicht  etwa  wie  das  vom  Herzog  Ernst  (dessen  Heimath  vielleicht 
auch  in  Tegernsee  zu  finden)  in's  Abenteuerliche  überhaupt ,  sondern 
sogar,  ganz  im  Style  des  Hug-  und  Wolfdietrich,  in  die  Nebel- 
höhen der  germanischen  Heldensage  zu  nehmen.')     Ruodliebs  Mutter 


')  Sie  sprach:  „In  Treue  grüsse  du  mir  den  trauten  Mann 

Und  sag  ihm  soviel  Liebes  als  Laubes  bat  der  Tann, 
Als  Wonnen  haben  Vögel,  soviel  der  Minne  mein, 
Soviel  das  Gras  hat  Aehren,  soviel  soll  seiner  Ehre  sein  1^ 

')  Desshalb  verwendete  denn  auch  Simrock,  der  an  diesen  Fragmenten  mit 
bewunderunffswtirdig  bildender  Phantasie  seine  Hand  anlegte,  das  Folgende 
zu  seiner  ^kcken  Ausführt'^  im  Heldenbudi. 


75 

wirkt  so. viele  christliche  Werke  der  Milde  gegen  Arme  und  Witwen, 
Waisen  und  Pilgrime,  dass  Gott  ihren  Sohn  beglücken  will  vor  Vielen 
und  ihr  dieses  in.  einem  merkwürdigen  Traume  andeutet.  Sie  sieht, 
wie  der  Sohn  zwei  Eber,  die  an  der  Spitze  einer  Heerde  wilder  Ba- 
chen ihn  anfallen,  mit  seinem  Schwerte  erlegt.  Hierauf  erblickt  sie 
ihn,  sitzend  im  Wipfel  einer  hoben  Linde,  um  ihn  her  auf  den  Aesten, 
seine  Streitgenossen.  Bald  darauf  fliegt  eine  schneeweisse  Taube  herbei, 
eine  köstliche  Krone  im  Schnabel ;  sie  legt  die  Krone  ihm  auTs  Haupt 
und  setzt  sich,  Küsse  gebend  und  empfangend,  auf. seine  Hand.  Drei 
Tage  wartet  die  Mutter,  dann  erst  erzählt  sie  dem  Sohne  davon. ')  -^ 
Im  nächsten  Fragment  (XVII.)  liegt  ein,  wahrscheinlich  nach  schwerem 
Kampfe  überwundenes  Zwergelein,  gebunden  zu  des  Helden  Füssen. 
„Tödtest  du  mich  nicht,  spricht  der  Gezwerg,  und  lösest  mir  die  Hände, 
so  zeig'  ich  dir  zweier  Könige  Hort^  die  mit  dir  kämpfen  werden, 
Immunchs  und  seines  Sohnes  Hartunchs.  Beide  wirst  du  erschlagen; 
des  Reiches  einzige  Erbin,  Heriburg,  die  schöne  Maid,  wirst  du  ei*werben, 
aber  nicht  ohne  viel  des  Blutes,  thust  du  nicht,  was  ich,. so  du  mich 
losgebunden,  dir  rathen  werde^^^  Unverkennbar  ist  hier  eine  mit  dem 
Traume  von  den  beiden  Ebern  und  der  weissen  Taube  übereinstimmende, 
noch  deutlicher  und  sogar  namentlich  ausgesprochene  Darlegung  dessen, 
was  im  weiteren  Yerlaufe  der  Dichtung 'vorkommen  .musste,  leider  aber, 
falls  sie  überhaupt  vollendet  wurde,  verloren  scheint.  Hier  folgt  nur 
noch ,  wie  Ruodlieb  den  Zwerg  nicht  losbinden  will ,  weil  er  Wort- 
bröchigkeit  besorgt,  worauf  dieser  antwortet,  nicht  wie  das  Geschlecht 
der  Menschen  gehe  das  der  Zwerge  mit  Betrug  um  und  de^shalb  sei  es 
auch  von  Siechthum  frei  und  so  langen  Lebens.  Endlich  bietet  er  bis 
zur  vollen  Erföllung  seinß  Gattin,  ein  anmuthiges,  zierliches  Weibchen, 
das  er  aus  der  Höhle  herbeiruft,  dem  Zweifelnden  als  Geisel  aii. 

Die  beiden  Fragmente  (XVJII.  und  XIX.^,  welche  sich  noch  vor- 
fanden, bieten  in  ihrer  Lückenhaftigkeit  keinen  bestimmten  Sinn.  Jeden- 
fieüls   aber   ist  uns   durch    die  Barbarei    der  Tegernseer  Herren  selbst, 
die  im  XV.  Jahrh.  die  guten  Pergamente  zerschnitten,  um  ihre  Schar- 
teken damit  einzubinden,  ein  kostbares  Werk  in  seinem  ganzen  Umfange 
verloren  gegangen,  denn  der  Held  unseres  Gedichtes  ist  wirklich  keine 
fingirte    Person,    sondern   auch    durch    andere    Stellen    gesichert.     So 
erscheint   im  Eggenlied')    ein   Kunig  Ruoflieb   (da  wo  die  Geschichte 
I       ^s  berühmten  Schwertes  Eckesachs  berührt  wird,  das  dem  ersten  Be- 


')  Norh  jetzt  gilt  der  Glaube,  dass  die  Traume  erst  wahr  werden,  wenn  man 
drei  Tage  lang  nicht  davon  spricht. 

')La8sberg  S.  30.  Sir.  82. 


76 

sitzer  von  einem  wilden  Gezverge  verstohlen  worden  war)  und  auch  sein 
Sohn  Herbert  wird  genannt.  In  der  aus  deutschen,  d.  h.,  in  Deutsch- 
land geschriebenen  Quellen  zusammengestellten  Wilkina  Saga ')  wird 
(cap.  XL)  bei  deVselhen  Gelegenheit  von  Ekisax  gesagt,  dass  es  Alfrikur 
(Alberich)  der  Zwerg  seinem  Vater  im  Berg  gestohlen  und  es  dann 
dem  König  Rozeleif  (Roseleif,  Rutseleif)  gegeben  habe,  der  es  bewahrte, 
bis  der  junge  Rozeleif  es  trug  und  Manchen  damit  erschlug.  Die  Iden- 
tität zwischen  Rozeleif  und  Ruotliep,  welchem  ein  äheres  Hrödleif, 
Hrodlaibs  zu  Grunde  hegen  wird,  ist  bei  Gleichheit  aller  übrigen  Um- 
stände wohl  kaum  zu  bezweifclui 

Der  idyllische  erste  Theil  unserer  Dichtung  erinnert,  wie  schon 
Schmeller  bemerkt  (S.  222)  auffällig  an  Herzog  Ernst,  von  dem 
vielleicht  schon  im  X.  Jahrh.  eine  lateinisch  gereimte  Bearbeitung 
existiren  mochte,  der  zweite  Theil  aber  desto  auffallender  an  die  Wunder 
des  lombardisch'en  Sagenkreises,  der  uns  leider  in  keiner  so 
frühen  Fassung  erhalten  ist.  Es  ist,  wie  J.  Grimm  treffend  bemerkt, 
kein  gewöhnliches  Talent,  was  sich  hier  allenthalben  kund  gibt  und 
durch  die  Unbequemheit  einer  fremden  Sprache  bricht;  so  viel  feines 
Gefühl,  solches  Geschick  eine  verschlungene  Sage  zu  ergreifen,  durchzu- 
föhren  und  auszustatten,  hätte  man  um  diese  Zeit  noch  nicht  erwartet. 
Während  der  lateimsche  Dichter  des  Walthariliedes  die  deutsche  Quelle 
durch  seine  Bearbeitung  schon  verflachte  und  schwächte,  braucht 
Froumunds  kühne  Darstellung  ihre  Gleichnisse  nicht  aus  einem  Vor- 
bilde zu  borgen,  sondern  kann  sie  selbst  erfinden.  Wie  lebhaft  z.  B. 
sind  die  Vergleiche  des  Tanzes  mit  dem  Flug  der  schnellen  Schwalbe 
und  dem  Kreisen  des  Falken.  Von  den  Vertrauten  und  täglichen 
Dienern  des  Königs  wird  gesagt,  ihr  Geflüster  schwebe  um  die  Ohren 
des  Königs,  wie  unter  dem  Waldbaume  das  Geräusch  der  Eicheln  bei 
jedem  Luftzug  vernehmbair  ist  Eine  künstlerisch  und  fast  dramatische 
Spannung  der  Gegensätze  ist  zu  bewundern,  wie  z.  B.  von  einem  stillen 
Haushalt,  der  durch  den  Tod  eines  Geizhalses  in  volle  Befriedigung 
ausgeschlagen  ist,  das  Gedicht  sich  zu  dem  leichtfertigen  Leben  einer 
jungen  Stiefmutter  wendet,  die  zuletzt  in  rührender  Reue  ihren  Fehltritt 
büsst.  Wie  schön  und  wahr  ist  die  Mutter  gezeichnet,  die  dem  schei- 
denden Sohne  nachschaut  durch  das  Gitter,  und  wie  das  Gesinde,  um 
dem  lieben  Heren  noch  länger  zu  folgen,  auf  die  Zäune  klettert  und 
wie  treue  zeigt  sich  der  gute  Sohn,  als  er  nach  zehn  Jahren  den  heimath- 
liehen  Boten  findet  und  die  erste  Frage  an  ihn  nach  der  Mutter  stellt. 
Wie  hübsch  und  gleichfalls  der  Erfahrung  abgelauscht  ist  d^r  Zug,  wo 


')  V.  d.  Hagen  1855.  I.  S.  152. 


77 

« 

bei  dem  Gastmahl  die  Kinderchen,  Erdbeeren  bieten.  Walirhaflig,  das 
so  lange  nur  als  unwirthbares  Eisfeld  verrufene  Zeitalter  der  mittel- 
lateinischen Dichtung  birgt  einen  Liederfrühling  unter  der  starren  Decke, 
der  herrlich  und  verheissungsvoll  hervorbricht,  ein  Bürge  daför  ist  diese 
Dichtung,  die,  wäre  sie  vollständig  erhalten,  grösseres  Aufsehen  erregte, 
aJs  Alles  was  wir  noch  in  dieser  Weise  haben.  — 

Nach  einem  solchen  Vorgänger  ist  alles  trocken  und  fttrblos,  wir 
begnügen  uns,  den  Regensburger  Otho  ganz  einfach  nur  zu  nennen, 
der  einen  Dialog  de  tribus  quaestionibus  (de  divinae  pietatis  agnitione, 
judiciorumque  divinorum  diversitate,  nee  non  de  varia  bene  agendi  facul- 
täte)  femer  ein  Buch  de  cursu  spirituali  und  de  adroonitio'ne  clericorum 
verfasst  hatte,  er  dichtete  auch  ein  lateitiisches  Reimwerk  de  doctrina 
spirituali .  in  39  kurzen  Kapiteln.  0 

Der  Subdiacon  Walther  zu  Speyer,  der  unter  Abt  Balderich 
(t  987)  und  Kaiser  Otto  III.  Zeiten  florirte,  Verfasste  in  Prosa  und 
Versen  die  Acta  St.  Christophori;*)  Walther  war  ein  eminentes  Genie, 
der  in  der  Gelehrsan^keit  über  Alles  ragte,  in  Poeticis  aber  fast  Allen 
die  Palme  entriss;  keiner  hat  in  seiner  Zeit  glänzender  geschrieben. 
Auch  einen  Grafen  Arnold  oder  Arnolf  von  Vphburg  treffen  wir 
unter  den  klösterlichen  Poeten,  der  c.  1031  zu  Regensburg  ein  Carmen 
in  vitam  St.  Emerami  schrieb,*)  es  besteht  aber  nur  aus  wenigen  Zeilen 
und  ist  mehr  bine  Buchstabenspielerei  und  Rarität,  als  wirkliche  Dichtung. 
Der  Panegyricus  ad  Heinricum  III.  imperatorem  des  Wippo  steht  nach 
einer  Augsburger  Handschrift  bei  Canisius.*)  Fast  gleichzeitig  mit  dem 
Waltharius  und  Ruodlieb  wird  ein  Lied  von  den  Wundem  Christi,  vom 
Scbolasticüs  Ezzo  zu  Bamberg  zu  nennen  sein.  Ezzo  wird  im  Leben 
des 'Bischof  Altmann  von  Passau')  als  ein  „vir  onmi  sapientia  et  sei- 
en tia  praeditus^  geschildert,  der  auf  einer  Pilgerfahrt  des  Bischof  Günther 
von  Bamberg  nach  Jerusalem  im  Jahre  1065  eine  „cantilenam  de 
miraculis  Christi  patria  lingua  nobiliter'^  componirt  habe,  von  Ezzo 
war  jedoch  bloss  der  Text,  von  einem  Anderen  die  Weise  dazu.  Bischof 
Rupert  zu  Bamberg  besang  den  Krieg  Heinrich  IV.  gegen  die  Sachsen. 
Auch  der  berühmte  Historiker  Otto  von  Freising  (geb.  1109  t  H58) 


')  Bei  ?ez  III.  2.  431—82.    Von  Ihm  ferner  noch  eine  Sprit hwörtersfinimliin^,, 
eine  Predigt  auf  dea  Aposlelliig,  ein  über  visionum  nnd  ein  Leben  des  heil. 
Wolfgang,  gleicbfails  rhyl misch  eingeleitet. 

«)  Pcz  II.  3.  29—94  u.  99-122  und  Disserl."  isagog.  p.  l  (f. 

^  Ib.  IV.  2.  37. 

^)  Antiq.  lectiones.  Ingolstadt  1602.  II.  192-203. 

^)  Verfasst  zw.  1125     41.    Pez  Script.  Rer.  Austr.  I.  117.    vgl.   Docen  in 
HormayKs  Archiv.  1822.  S.  263, 


78 

soll  lateinische  Verse  gemacht  haben,  wenigstens  enthält  die  Sprach- 
sammlung von  Alain  de  Tlsle  welche  Barthius  und  Almeloven  heraus- 
gegeben, an  40  Nummern  kleine  lateinische  Verse,  als  deren  Dichter 
ein  Otto  genannt  wird.  Aber  die  Verse  enthalten  nur  Gemeinplätze,  aas 
denen  sich  nichts  Weiteres  schliessen  lässt. ^)  Massmann  schreibt 
unserem  Otto  den  Heraclius  zu,  den  er  nach  dem  Französischen 
gedichtet  haben  soll  und  wovon  eine  HS.  in  der  Münchner  Bibliothek 
liegt,  die  Annahme  ist  aber  nach  WackernageP)  unstatthaft.  Unter 
den  Dichtem  erscheint  auch  eine  Frau,  Rheinhildis,  1156,  Aebtissin 
des  Klosters  Bergen')  in  Franken,  sie  soll  nach  Pastorios  die  ganz 
lyrischen  und  doch  grammatikalisch  -  doctrinären  Charakter  tragenden 
Verse  gemacht  haben: 

0  pie  grex,  cui  coelica  lex,  et  nulla  doli  fex 

Ipse  Sion  mons,  ad  patriam  pons,  atque  Dei  fons 

Qui  via,  qui  lux,  hie  tibi  sit  dux,  alroa  tegat  crux, 

Qui  placidus  ros,  qui  stabilis  dos,  virgineus  flos, 

nie  tegat  te,  protegat  et  me,  semper  ubiquö.  — 

« 
Ein    gleichzeitiges  Gedicht    in    lateinisch    gereimten  Versen    von 

Saladins  Eroberung  des  ^^elobten  Landes  im  JiGthre  1187  nach 
einer  HS.  der  Münchner  Bibliothek  findet  sich  in  Aretins  Beiträgen 
1806.  9  St.  S.  297—300.  Das  gleichfalls  halb  epischen.  Charakter 
tragende  Kampfgespräch  zwischen  Phyllis  und  Flora^)  Caas 
dem  Codex  der  Cannina  burana)  über  die  Vorzüge  ihres  Geliebten,  das 
sich  ebensosehr  durch  die  anschauliche,  belebte  Dai^tellung,  als  durch 
besondere  Schilderung  der  clericalen  Unsitten  und  des  ritterlichen  Lebens 
des  XII.  Jahrh.  auszeichnet,  ist  leider  defect,  so  dass  der  Streit  unent- 
schieden und  die  artige  Erzählung  unvollständig  gelassen  wird.  —  Ein 
merkwürdiges  Werk  ist  Günther's  ^Ligurinus,**  welches  in  .die  Zeit 
von  1186 — 1200  zu  setzen  wäre.  Der  angebliche  Dichter  singt  in  10 
langathmigen  Büchern  und  in  fliessenden  Hexametern  beredt,  oft  unter 
angenehm  eingestreuten ,   nur  allzu  gelehrten  Bildern ,   lauter  bekannte 


•)  B.  Huber  Giro  von  Freising.  1847   S.  75. 

>)  Wackerna  gel  Lit.  Gesch.  S   181.  Anmerk.  26. 

')  Bergen  das- Frauen  Closter  Benedictiner  Ordens  zum  hl.  Kreuz,  in  diePflcg 
Herspruck  gehörig.  Ist  an  776.  von  Bildrnde,  des  Bayerfiirslen  Berlholdi 
Gemahlin  gebauet,  hernach  an.  1095.  gar  abgekommen  und  46  Jahr  öde  ge- 
lej^en.  Als  es  nun  wieder  aurgebanet  gev^esen,  hat  es  Churfürst  Otto  Hein- 
rich, Pfaizgrafe  bei  Rhein  an.  1546  reformiren  lassen  und  ist  die  erste  Evan- 
gelische Aebtissin  i^ewesen  Margnretha  von  JMuhr.  (Pastorius  Franconia 
rediv.  1708.  S.  447.) 

^)  Aretin  Beiträge.  1806.  9  St.  S.  301     9. 


79 

Begebenheiten,  z.  B.  von  Otto  von  Witteisbach,  den  Sturm  auf  die 
Veroneser  Klause  n.  s.  w. ;  der  Titel  ist  von  den  Kämpfen  Friedrich  T. 
gegen  die  Mailänder  (Xiigures)  geschöpft.,  Das  Werk  erweist  sich  bei 
genauerem  Zusehen  als  ein  baarer^  versi6cirter  Auszug  aus  Otto  von 
Freising  und  den  eigentlichen  Greschichtschreibem  Friedrichs,  sonst  ist 
es  inhaltsleer  und  arm  und  die  Yermuthung  Grimms,  das  Opus  sei 
erst  im  XVI.  Jahrh.  und  zwar  durch  Conrad  Geltes  entstanden, 
hat  ziemlich  viel  Ueberzeugendes,  zumal  wenn  man  bedenkt,  dass  davon 
gar  keine  HS.  existirt,  dass  es  im  Mittelalter  selbst  nirgends  genannt 
oder  bekannt  ist  und  dass  es  erst  zu  Conrad  Celtes  Zeiten  auftauchte, 
wo  es  mit  dem  Virgil  bald  gleiches  Ansehen  errang  und  als  Schulbuch 
tractirt  wurde.  *) 

Alle  diese  bisher  genannten  Produkte  sind  zu  verschiedenartiger 
und  mit  Ausnahme  des  Ruodlieb  zu  wenig  anziehender  Natur,  als  dass 
sie  eine  andere,  als  chronologische  Zusammenstellung  Und  Folge  erleiden 
möchten.  Wir  beschränken  uns  demnach  nur  auf  zwei  Persönlich- 
keiten ,  die  noch  einiges  Interesse  zu  erwecken  vermögen ,  die  eine  ist 
Conrad  von  Scheyern,  die  andere  der  vielgerühmte  Meteil us  von 
Tegemsee ,  welche  zwar  früher  genannt  zu  werden  verdient  hätte ,  mit 
dem  wir  jedoch  lieber  unsere  Darstellung  der  klösterlich  -  lateinischen 
Epik  beschliessen. 

Ueber  die  literarischen  und  beziehungsweise  auch  die  poetischen 
Leistungen  des  Klosters  Scheyern,  namentlich  aber  über  .den  Mönch 
Konrad,  mit  dem  ehrenden  Beiwort  des  Philosophus,  hat  J.  v. Hefner 
zwei  anziehende  Abhandlungen  verfasst.  *)  Bereits  unter  dem  ersten 
Abte  Erchinbold  (f  IUI),  da  das  Kloster  noch  seinen  Sitz  zu 
Vischbachau  hatte,  blühten  die  Schulen  und  der  Zudrang  der  jungen 
Adeligen,  die  man  der  Abtei  zur  Erziehung  anvertraute,  war  so  gross, 
dass  der  Abt  um  weitere  Localitäten  umschauen  musste.  Zu  Konrads 
Zeiten  las  man  (1241)  in  den  Schulen  Seh  eye  ms  die  klassischen 
Autoren;  Cicero,  Horatius  und  Andere  wurden  abgeschrieben  fiir  den 
Schulgebrauch.')  Conrad  war  ein  eminenter  Mann  von  der  vielseitigsten 
Bildung,  von  so  mannichfaltigem  Wissen  und  Können,  dass  es  unbe- 
greiflich erscheint,   wie    ein   Mensch  so  Verschiedenartiges  in  solcher 


')  Die  in  die  bayerisscbe  Geschichte  einschlagigen  Stellen  hat  Ludewi^  in 
sein  \^Bi]ch  vom  bayr.  Hause^  verarbeitet,  vgl.  Grimm  Gedichte  auf  Frie- 
derich 1.  den  Slaofer.    1844.  S.  14. 

*)  Oberb.  Archiv.  II.  91  IT.  u.  155  ff 

*)  Der  Lebrkurs  dauerte  15  Jahre,  wobei  den  Zöglingen  freistand^  nach  voll- 
endeter Lehrzeit  entweder  das  Orden'* kleid  7.11  v^'ählen  oder  in  die  Welt 
KurUckzntreten. 


»9 

Trefflichkeit  zn  umfassen  verstand;  vielleicht  ist  die  Zeit  nahe,  wa  unser 
Philosophus  ebenso  in  viele  Theile  zerspringt,  wie  der  angebliöhe 
Wernher  von  Tegemsee!  Als  Historiker  war  Konrad  durch  sein 
Chronlkon  ausgezeichnet,  nicht  minderes  Lob  verdienen  seine  Cataloge; 
in  Anbetracht  der  Chorographie  erwarb  er  sich  durch  sein  Saalbach 
Verdienste  um  Bayern.  Sein  Planiglobium,  die  Darstellung  der  Zonen 
u.  s.  w.,  machen  ihn  als  Geographen  schätzenswerth.  Für  seine  Kennt- 
nisse  in    der  Theologie    und  Philosophie    spricht  die  Mehrzahl    seiner 

,  Schriften;  seine  Wissenschaft  in  der  Arzneikunst  documentirte  er  durdi 
anatomische  Zeichnungen^  seine  Kenntniss  der  Botanik  beweisen  die 
Abbildungen  der  Pflanzen  und  die  Angabe  ihrer  Heilkräfte;  prachtvolle,  . 
zierliche  .Handschriften  zeigen  ihn  als  kunstvollen  Copisten  und  geist^ 
vQNen  Illustrator,  indem  er  3ilder  dazu  schuf  und  Zeichnungen  malte, 
die  nach  Composition  und  Ausfuhrung  neben  dem  Besten  seiner  Zeit 
sich  sehea  lassea  durften.  Dazu  kommt  noch  eine  Unzahl  zierlicher 
Reime  und  Gedichte,    die  er  seinen  Bildern  beizuschreiben   beliebte') 

,  und  die  fliessend,  lebendig  und  klar  vom  fleissigen  StuditTm  der  Alten 
zeigen,  deren  Schriften  er  mit  eben  so  grosser  Liebe  las,  als  er  sie 
(was  sein  Lucanus  glossatus,  die  officiorum  libri  Cicero's  und  die  Ser- 
mones  des  Horaz  bezeigen)  mit  unermüdlichem  Eifer  abschrieb.  Dessun- 
geachtet  ist  sein  Ruhm  als  Dichter  nie  absonderlich  gross  geworden, 
er  wuchs  nie  zur  Sonnenhöhe  des  Metellus,  der  von  den  Humanisten 
des  XVI  Jahrh.  auf  die  Arme  genommen  und  vergöttert  wurde,  indess 
der  Dichter  des  Ruodlieb  in  beinahe  unrettbare  Nacht  verschwand. 

Die  um's  Jahr  1060  gedichteten  Quirinalia  des  Tegernseer 
Metellus')  bilden  einen  biographischen  (in  vielfach  wechselnden 
Formen  ganz  nach  Horaz'schen  Vorbild  gehaltenen)  Oden-Cyclus,  ein 
lyrisches  Epos  auf  den  hl.  Quirinus ,  worin  bald  in  einen  historischen 
Excurs  ausgehend,  aber  noch  immer  in  gebundener  Rede  erzählt  wird, 
wie  das  Christenthuni  nach  Noricum  gekommen,  von  den  Stiftern  des 
Klosters  Tegernsee ,  wie  der  Heilige  den  Störern  seiner  Ruhe  erscheint 
und   selbe  verscheucht,    indem    er  Feuer    um    sich    wirft,')    wie    sein 

I)  Das  von  ihm  verrnssle  Liber  matulinalis  (in  gr.  Fol)  enthält  z.  B.  ein  Gedicht 
über  die  30  Dinare,  irm  die  Christus  verkauft  v*  iirde,  v*'ie  sie  zu  dpii  Zeiten 
des  assyrisihen  Königs  Ninus  geprägt  wurden  und  vtas  dann  ihre  weitere 
nuinismalisrlie  niognipliie  gewesen;  ein  anderes  Gedicht  handelt  vom  Holz 
des  hl.  Kreuzes^  diis  nach  einer  im  Mittelalter  allgemein  bekannten  Legende 
aus  dem  Paradiese  stammte  u.  s.  w.  Darauf  folgen  Versus  de  Henoch  et 
llelia.  quomodo  et  uin  vivant  und  noch  viele  andere  nützliche  Reime  zu 
biblischen  Darstellungen  u    dgl.  . 

')  Theilweise  abgedruckt   im  Anhang  der  von  H.  Canisiiis    Ingolstadt  1601    ' 
herausgegebenen  antiq.  lect.  I.  37—151. 

*)  Vgl.  auch  die  Tiroler  Sagen  von  Zingerle.  1859.  S.  35.7. 


81 

Leichnam  nach  Noricnm  kam ')  und  eine  heilsame  Quelle  entsprang, 
von  dessen  Tumba  und  Crypta")  u.  s.  w.  Das  Folgende  ist  ein  ganz 
versificirtes  Mirakelbnch,  häufig  frisch  und  gut  erzählt,  dessen  Werth 
unschätzbar  wäre,  wenn  der  Dichter  sich  der  deutschen  Sprache  bedient 
haben  würde,  das  aber  so  kaum  von  den  Philologen  die  gehörige  Wür- 
digung erfahren  wird.  Metellus  erzählt  in  dem  das  eigentliche  Werk 
an  Umfang  weit  übertreffenden  Epilog  von  den  Wundern  des  fieiligen, 
vie  Blindgebome  sehend  geworden  und  allerlei  Presten  des  Leibes  und 
der  Seele  hier  geheilt  wurden,  wie  die,  so  den  Leib  des  Heiligen  nach 
nimünster  übertragen  wollten,  mit  Blindheit  geschlagen  wurden,  von 
einer  Matrone,  die  nicht  in  die  Kirche  gelangen  konnte,  dann  eine 
Historie,  die  ganz  so  lautet,  wie  ühland's  Ballade  ^der  Waller,**  von 
einem  Fremden  nämlich,  der,  weil  er  den  Oheim  erschlagen,  mit  eisernen 
Banden  kam  und  hier  in  der  Ostemacht  durch  den  Tod  Erlösung  fand; 
von  anderen  Kirchen,  die  St.  Quirin  zu  Ehren  anderswo  erbaut  wurden 
und  anderen  Dingen,  worüber  sich  schon  Av entin  (Chron.  S.  117») 
ärgerte. ') 

Daran  reiht  sich   ein  Pack  Eclogen,  Bucolica  Quirinalia'*) 
betitelt,  in  denen  dialogisirende  Hirten,  wie  Meliböus,  Tityrus,  Menal- 
cas  u.  A.    verschiedene  Geschichten    von  Preisvieh   und    Votivstücken 
erzählen,  die  dem  Heiligen  gelobt  wurden  und  wobei  es  allerlei  auffallge 
Ereignisse  abgegeben,    z.  B.  von  einem  schönen  Kälblein,   welches  ein 
Cauer  dem  hl.  Quirin  versprochen,   aber  wieder  in  die  Heerde  gesteckt 
liatte,    worauf  in  ^iner  Nacht  der  ganze  Viehstand  zu  Grunde  ging 
und  nur  das  einzige  Votivstück  am  Leben  blieb;  oder  von  einem  Stier- 
lein, das  dem  Helligen  versprochen,    aber   zwei  Jahre   lang  doch  nicht 
abgeliefert  wurde,  bis  es  dann  gerade  am  Tage  des  Heiligen  zwei  Wölfe 
zerrissen  u.  dgl.     Wir   staunen  dabei   wirklich  über  die   Naivetät  des 
Dichters    der  fast  ein  Jahrtausend  vor  G essner  solche  Dinge,    aber 
Ranz  im  emsthafl  christlichen  Sinne  zu  machen  wagte  und  dadurch  von 
der  undankbaren  Nachwelt  die  Vergünstigung  erlangte ,    mit  dem  neu- 
modischen Idyllendichter  den  unzweifelhaften  Nimbus  der  Vergessenheit 
zö  gemessen.     Diese  Dinge  sind  alle  recht  schön ,    nützlich  und  löblich 
ftr  ihre  Zeit  gewesen  —  vielleicht  kommt  später  eine  mitleidige  Seele, 


')  Im  Jahre  754.  vgl.  Oefele  Script.  II.  55. 

')  Vgl.  Hefner  Oberb.  Archiv.  I.  33. 

*)  Biie  HS.  aus  dem  Ende  des  XV  Jahrli.:  ^Von  dem  wirdigen  Kloster  ku 
Tegernsee  wie  es  gepawt  wert  vnd  wie  der  Künig  vnd  Marlirer  Sant  Quirin 
wert  gebracht  von  Rom  in  diese  Lande  her  gen  Tegernsee"^  befindet  sich  ku 
Stuttgart,    vgl.  Oberbayr.  Archiv.  IX.  141. 

^Canisius  S.  152-84. 

6 


82 

die  hiefur  die  gehörige  uns  voriänfig  aber  noch  fehlende  Theilnahme  zu 
erwecken  weiss.  Uns  ^st  vom  Standpunkte  der  Germanistik  nur  das 
Eine  merkwürdig,  dass  der  Heilige  auch  Pferde  geschenkt  erhielt') 
und  dass  der  Erlös  einer  Kuh  als  Wachsopfer  dargebracht  wurde. 

Die  deutschen  Gedichte  jedoch,  die  Me teil us  gelegentlich  erwähnt, 
sind  leider  verloren,  wenn  nicht  der  Herzog  Ernst  davon  eine  Aus- 
nahme bildet. 

Fast  jedes  Kloster  hatte  einen  Dichter,  der  die  Vorzüge  seines 
Münsters  besang,  wie  Hludwig  für  Wessesbrunn  und  Gehard  für 
Metten  dasselbe  gethan  haben,  so  schlug  in  Mansee  Luithold  die 
Harfe  zum  Preise  des  Ortes.  Adam,  ein  Mönch  zu  Aldersbach, 
schrieb  1250  sogar  eine  Moraltheologie  in  Hexametern  —  wer  aber 
mag  heut  zu  Tage  diese  Poeten  lesen? 


')  Canisius  S.  119  u.  120. 


B. 


Volksthümliclie  Epen. 


Nachdem  längere  Zeit  fast  nur  in  lateinischer  Sprache  gedichtet 
worden  war,  trat  mit  dem  XII.  Jahrh.  der  deutsche  Vers  wieder  in 
sein  Recht  ein  und  zwar  in  verjüngter  und  verbesserter  Gestalt.  Das  . 
alte  Singen  des  Volkes  hatte  unterdessen,  nicht  geschwiegen,  die 
Heldenlieder  waren  immer  noch  lebendig,  sie  waren  ein  beinahe  unver- 
wüstliches Erbgut.  Wer  sie  zuerst  gesungen,  weiss  Niemand,  Keiner 
kann  sagen,  wer  sie  erfunden  hätte,  wer  sie  weiter  gepflegt,  wer  sie  . 
neu  gesungen;  die  form  wechselte  mit  der  langsam  sich  umbildenden 
Sprache,  aber  der  alte  Inhalt  blieb.  Darum  ist  uns  kein  Name  gewahrt, 
denn  Keiner  kontite  sie  als  sein  Eigenthum  in  Anspruch  nehmen.  — 
Fahrende  Singer,  Spielleute  waren  es,  und  die  arme  ^faihrende  Diet,** 
welche  den  Hort  der  Nation  in  gebrechlichen  Händen  trugen. 

Zwar  hatte  der  fromme  Ludwig  die  von  seinem  Vater  müheselig 
veranstaltete  Liedersammlung  wieder  vernichtet;  sie  klangen  ihm  gar 
zu  heidnisch  und  waren  ihm  desshalb  verhasst,  so  sind  sie  uns  dem 
Wortlaute  nach  verloren;  ihr  Sinn  aber  ist  uns  erhalten,  in  Märchen 
und  Sagen,  Liedern  und  Sprüchen,  die  aus  dem  Volksmunde  nicht 
auszurotten  waren  und  nur  desto  wuchernder  gediehen,  je  mehr  sie  von 
aussen  Vm-folgung  erlitten.  Wenn  nach  Aventin's  Zeugniss  die  Bauern 
»einer  Zeit  noch  vom  Berner  sangen,  und  in  dieser  beliebten  Tonart 
noch  immer  Lieder  gedichtet  wurden,  so  sind  das  nur  die  letzten  leben- 
<iigen  Nachklänge  des  uralten  Heroenliederbuches,  das  Ludwig  zwar 
verbrennen,  aber  nicht  aus  den  Herzen  löschen  konnte. 

Wir  haben  wohl  zu  unterscheiden  zwischen  dem  eigentlichen 
Volksgesang,  den  weiteren  naheverwandten  Spielmannsliedern 
und  der  mehr  in  künstlerisches  Gewand  übergegangenen  Heldenpoesie, 
ßas  Nibelungenlied  z.  B.  wurde  '  gerade  durch  die  neue  Fassung  dem 
Volke  entfremdet,  es  wurde  in  der  uns  überlieferten  Form  nun  gelesen 
'^nd  Eigenthum  der  Gebildeten ,  während  die  alten  ächten  Lieder  noch 
i^öaer  auf  Märkten  und  in  Schenken  und  beim  fröhlichen  Treiben  des 
Volkslebens  beliebt  waren  und  verlangt  wurden. 

6* 


84 

Betrachten  wir  nun  diese  drei  Gnindtypen  der  volksthtimlichen 
Dichtung,  die  sich  beinahe  durch  das  ganze  Mittelalter  zieht  und  lange 
neben  und  unter  der  folgenden  hößschen  Poesie  einhergeht. 

Die  älteste,  dem  Volke  eigene  Sangesweise  ist  sicherlich  der 
Lerchenschlag  des  Jod  eins. ')  Das  in  frischer  Alpenluft  aufjubelnde 
Herz  tönt  darinnen  seine  Freuden  und  Regungen  aus.  Niederziehend 
mehr  an  die  Vprberge  und  in's  Flachland  auslaufend,  kommt  das 
Schnaderhüpfel,  das  baiwarische  Distichon;  wie  jeder  Sommer  neue 
Alpenblumen  blühen  und  welken  lässt,  erweckt  er  auch  in  Scherz, 
Spott  und  Liebe  neue  Gesänge  und  lässt  sie  wieder  verwehen.  Sie 
fliegen  in  zahlloser  Menge  hin  und  her  bei  Zitherspiel  und  Tanz.  Ver- 
wandten Ursprung  und  ähnliches  Schicksal  haben  die  Schmählieder, 
welche  oft  viele  Strophen  zählen  und  nach  eintöniger  Melodie  gesungen 
werden.  Irgend  ein  komischer  Vorfall,  wo  sich  Einer  lächerlich  gemacht, 
gibt  den  Stoff,  einige  Burschen  «etzen  sich  in  den  langen  Winterabenden 
zusammen  und  machen  ein  Gedicht  daraus,  welches  dem  Betreffenden 
und  dann  der  Reihe  nach  Jedem,  der  es  hören  will,  vorgesungen  wird. 
Diese  Lieder  wechseln,  sie  entstehen  und  verwehen  mit  der  Zeit,  das 
Interesse  daran  schwindet,  so  wie  ein  Vorfall  neuen  Stoff  liefert 
Manche ,  die  vor  wenigen  Jahren  beliebt  waren ,  sind  jetzt  vergessen. 
Anderer  Natur  Bind  die  Trut^reime,  mit  denen  zwei  tüchtige  „schnei- 
dige^ Burschen  einander  gegenüber  anbinden ,  und  nicht  selten  sich 
stundenlang  trotzend,  angefeuert  durch  das  schallende  Gelächter  ihrer 
Umgebung,  einen  poetischen  Ring-  und  Wettkampf  bestehen  und  ihre 
geistige  Kraft  und  den  stechenden  Witz  und  den  beissenden  Spott  so 
lange  bewähren,  bis  der  eine  besiegt  und  völlig  geschlagen  ist  Es  ist 
etwas  reckenhaftes  in  dieser  volksmässigen  Poesie,  die  bisweilen  schliess- 
lich wohl  auch  in  thatkräftiger  bäuerischer  Ritterlichkeit  endet.  Das 
ist  im  Volksleben  von  jeher  so  gewesen,  das  alte  Leben 'lässt  sich 
aus  dem  heutigen  leicht  herausfühlen  und  wer  daran  noch  zweifeln 
sollte,  dem  setzen  wir  ein  Schnaderhüpfel  entgegen,  das  fast  vor  tausend 
Jahren  an  den  Ufern  des  Tegernsees  gesungen  wurde,*)  das  sich  glück- 
licher Weise  bis  auf  unsere  Tage  erhalten  hat,  und  jetzt  auch  nicht 
anders  lauten  könnte. 


*)  Vgl.  über  das  volkslliümliche  Singen  und  dessen  Aller  Qnilzmann  Heiden- 
Ihiim.  S.  234.  251.  262. 

')  DA  bist  m!n,  ich  bin  d!n: 
des  soll  du  gewis  sin. 
du  bist  beslozzen 
in  mlnem  berzen: 
verlorn  ist  daz  sliizzeltn: 
du  muost  imi\ier  drinne  stii. 


^     35 

Neben  diesem  Volksgesange ,    der    ebenso   gut  die  Grundlage   der 
Lyrik  wie  der  EpHt  bildet,  treten  die  eigentlichen  .Spielleute  auf,  die 
aus  ihrem   Singen   ein   Gewerbe  bilden   und  als  unruhige  Wandervögel 
umherziehend,  ein  schnellverrauchtes  Leben  fuhren.  Viel  Gesindel  läuft 
mit  unter  dieser  Rubrik,    Gauckler  und  Springer  und  Gaucklerinnen, 
Kerle  mit  Meei^wundern  und  fremden  Thieren,  Spassmacher  und  Pup- 
penspieler, die  den  alten  Hildebrand  mit  Docken  aufführten,')  dann 
die  fahrenden  Schüler,   die  unter  dem  Vorwande,  sich  zum  geist- 
lichen Stande  zu  bilden,  herumstreunten,  in  Backstuben  übernachteten, 
in  Zechen  und  Herbergen  lagen,   Teufelsbannerei  trieben,    überall  aber 
böse  Streiche  verübten    und  als  ein   wahrer  Landschadeii  das   dumme 
Volk  mit  ihren  Kniffen  brandschatzten.  Dazu  kamen  noch  die  Kleriker, 
die  des  ewigen  Psalmodirens  müde,   über  die  Klostermauern  sprangen, 
Vorbilder  des  Pfaffeu  vom  Kahlenberg,  die  mit  Schwanken  und  lustigen 
Einfallen,  auf  gut  Glück  in  der  Welt  weiter  trieben.    Den  Mittelpunkt 
bilden  die  fahrenden  Spielleute,')  die  mit  Musik  und  Gesang  den 
Festlichkeiten  und  Jahrmärkten  nachzogen  und  von  den  Ueberreslen  der 
Mahlzeiten    rvgl.  König  Eother.  v.  1871   ff.)   und  freiwilligen  Spenden 
der  Ergötzten  sich  nährten.  Ein  solcher  Vortrag  heisst  bald  ^cantilena,^ 
bald  „versus,^  bald  ^ludus"  oder  ^jocus,  rumor,  fabula,**  je  n«ach  seinem 
tragischen,    komischen,    mythischen    oder  der  Thierfabel   entnommenen 
Stoffe,  woraus  die  deutschen  Namen   Lied  und  Leich    zu   entnehmen 
sind.     Sie  wurden   dem  Volke  auf  Plätzen  und  Kreuzwegen  gesungen, 
sie  erschollen  an  offenen  Strassen   und  Wegscheiden,    sie  wurden  dem 
Reichen    über   seinem   Gastmahl    vorgespielt  und  vorgetragen. ')    DajS 
ivaren  also  die  Volkssänger,  die  den  Hort  der  alten,    in  der  Tradition 
lebenden  Lieder    und  Heldensagen  trugen,    die    davon    sangen    und 
sagteb,    die  von  Dorf  zu  Dorf,  von  Stadt  zu  Stadt  die  Künden  und 
Mären  trugen,  für  bescheidene  Gabe  leiernd  und  singend.     Die  Schil- 
derung,   die -der  schwäbische  Marne r^)    im  XUI.  Jahrh.   von  diesem 
nicht  beneidenswerthen  Handwerk  gibt,    passt  ganz   wohl  auch  in  die 
frühere  Zeit.    Singe  ich  den  Leuten  vor  (sagt  er),  so  will  Jeder  etwas 
anderes:    der  erste  will   vom   Berner  Dietrich   hören,    der  andere  v^m 
König  Rother,  der  dritte  will  den  Sturm  auf  Reussen,  der  vierte  Egge- 


*)  Eine  Abbildung  dieses  Puppenspieles,  welches  noch  Praelorius  (i  1680) 
in  seiner  Weltbeschreibung  erwähnt,  sieht  schon  im  horliis  cleliciarum  der 
Herrad  von  Landsperg  (Aebtissin  zu  Hohenburg  im  tlsass).  i  1195. 

'i  ScIinurrDreifer  und  Dudelsackbläser  „snarrenzaere^  Walther'v.  d.  Vogelw. 

*)  Zeugnisse  dafür  in  der  Vorrede  zum   II.  B.   der  Deutschen  Sagen   der  Ge- 
brüder Grimm. 
^)  1246-67.  V.  d   Hagen  Minnesänger.  U.  251.  Nro,  XV*  3lr*  20. 


86       ' 

harts  Noth,  der  fönfte  von  Frau  Krimhilt,  sie  verlangen  von  Heime 
und  Witig  zu  hören,  Sigfrids  und  Egges  Tod,  ein  an&erer  will  Liebes- 
lieder, an  denen  sich  der  nächste  langeweilt  und  dafilr  einen  Rundgesang 
mit  „nu  sust,  nu  so,  nu  da,  nu  dar,  nu  hin,  nu  her,  nu  dort,  nu  hie" 
verlangt,  Mancher  hätte  gerne  „der  Nibelunge  Hort*  u.  s.  w. 

Diesem  ungeschliffenen  Wesen  gegenüber  erscheinen  nun  feinere 
Poeten,  die  das  edle  Metall  von  den  Schlacken  sonderten,  ihr  Gepräge 
daraufdrückten  und  so,  obwohl  mit  geminderter  Kraft,  ein  selbstän-»- 
diges  Ganze  herstellten,  das  auf  künstlerische  Vollendung  mehr  Anspruch 
erheben  konnte.  Es  sind  Compositeure ,  Zusammenföger ,  die  mit  den 
widerspenstigen  Stoffen  ihre  liebe  Noth  haben,  dabei  ist  ihr  Geschäft 
ein  wenig  lohnendes,  denn  sie  wagen  nicht  ihren  Namen  an  das  Werk 
zu  bringen,  das  so  gross  vor  ihnen  steht  und  das  sie  nicht  erfunden^ 
nur  aus  dem  Formlosen  neugestaltet  haben.  Sie  selbst  singen  nicht 
mehr,  ihre  Vortragsweise  ist  höchstens  eine  Art  Recitativ,  welches  aber 
bald  ganz  dem  Schreiben  und  Vorlesen  Weicht.  Es  mussten  also  gebil- 
dete Leute  sein,  Männer,  die  in  den  Klosterschulen  etwas  gelernt  hatten, 
oder  gar  Kleriker  selbst,  die  vielleicht  an  den  schönen  Erinnerungen 
ihrer  Jugend  zehrten.  Man  sieht  ihnen  den  Nutzen  und  die  Zucht  an, 
die  sie  aus  der  Beschäftigung  mit  der  lateinischen  Sprache  erlernt 
hatten.  Sie  wussten  die  grössere  Regelmässigkeit  der  lateinischen  Sprache 
zu  schätzen  und  wollten  diese  Errungenschaft  nun  auch  der  deutschen 
Sprache  angedeihen  lassen.  Früher  war  beim  Rhythmus  den  Senkungen 
wenig  Aufmerksamkeit  zugewendet  worden.  Sie  waren  zwischen  den 
regelm^sigen  Hebungen  nach  Belieben  entweder^  vervielfältigt  worden 
oder  ganz  ausgefallen.  Jetzt  wurden  immer  mehr  nach  lateinischen 
und  französischen  Mustern  auch  die  Senkungen  nach  bestimmter  Regel 
eingeschaltet.  So  bildete  sich  im  XUI.  Jahrh.  der  deutsche  Jambus 
und  Trochäus.  Und  neben  dem  festeren  Rhythmus  tritt  nun  auch  eine 
bestimmtere  Eintheilung  nach  Strophen.  Selbst  das  gleichmässige  fort- 
laufende Epos  bequemt  sich  jetzt  zur  Strophenabtheilung ,  es  entsteht 
die  vielgebrauchte  sogenannte  Hei  den  Strophe.  Sie  besteht  aus  vier 
Laftgzeilen,  wovon  die  drei  ersten  sieben,  die  vierte  acht  Hebungen 
haben.  Ihre  Langzeilen  selbst  bestehen  aus  zwei  Theilen,  wovon  der 
erste  reimlos,  der  zweite  gereimt  ist.  Als  aber  die  deutschen  Dichter 
immer  mehr  Fertigkeit  im  Reim  erlangten,  so  wurde  er  auch  am  Ende 
der  ersten  Hälfte  der  Langzeile  in  den  Heldenstrophen  angewendet.  *) 
Zur  weiteren  manchfaltigen  Ausbildung  des  Strophenbaues  trug  aber 
besonders  der  hohe  Aufschwung  bei,  den  die  Lyrik  nahm.    Da  wurden 


* 

')  Scholl  and  Pfeif fpr  Oeut.  LH.  1855.  I.  S.  XII, 


87 

■ 

in  den  verschiedensten  Tönen  die  Lieder  ausgebildet  und  jeder  Dichter 
wollte  Meister  in  einem  eigenen^  Tone  sein. 

Was  nun  die  Zeit  des  Heldeiigesanges  vor  der  höfischen  Dichtung 
betrifft,  so  fehlen  uns  ?war  sichere  Angaben  und  Urkunden,  dass  diese 
Sagenkreise  in  Bayern  ihre  Gestaltung  erhielten,  dass  sie  aber  existirten, 
dürfen  wir  unbedenklich  annehmen,  jüngere  Nachrichten  aus  dem  XV. 
bis  XVI.  Jahrh.  berichten  wenigstens,  dass  sie  auf  unserem  Boden 
ganz  und  gar  eingebürgert  waren,  sodann  ^ber  gränzt  unser  südlicher 
Landesstrich  so  nahe  an  den  Loitibardischen  Sagenkreis,  dass  es  gan^ 
anmöglich  zu  sein  scheint,  derselbe  sollte  nicht  schon  frühzeitig  zu  uns 
herübergespielt  haben.  Vorerst  ist  Dietrich  von  Bern  der  erkorne 
Liebling  der  volksmässigen-  Epik.,  der  älteren  sowohl,  welche  die  Poesie 
der  Fahrenden  höfisch  verfeinerte,  als  der  späteren,  wo  diese  wieder 
zum  Meister-  und  Bänkelgesange  hinabstieg:  in  ihm  hat  sich  der  alte 
germanische  Donnergott  geborgen  und  seine  alten  Mythen  auf  ihn  über- 
tragen; er  kämpft  in  Tirol  mit  Zwergen,  Riesen  und  Drachen.  Sodann 
kam  der  mächtige  Wolfdietrich  bald  nach  Bayern;  wir  haben  die 
Nachricht,  dass  das  alte  von  Tagmünden  dem  Bischof  von  Eichstätt 
geschickte  Buch ,  aus  welchem  das  spätere  Gedicht  entnommen ,  auf 
Anlass  einer  Aebtissin  von  St.  Walpurgis  daselbst,  von  zweien  Meistern, 
welche  den  Ton  dazu  erfunden,  gesungen  und  gesagt  worden.')  Ecken- 
ausfahrt, Sigenot  und  Laurin  wurden  zuerst  in  Bayern  gedruckt 
und  letzterer  ist  nach  Roths  Vermuthen^)  in  Bayern  gedichtet,  darinnen 
wird  die  „Kampfheit"  genannt,  so  heisst  eine  Gegend  bei  Furt  im 
^bayerischen  Walde,"  hart  an  der  böhmischen  Grenze;  und  Aventin 
(Chron.  1580)  schreibt  ^vom  Kunig  Laurin,  von  welchem  wir  noch 
viel  singen  und  sagen,  seyn  alte  Reimen  ein  gantz  Buch  voll  noch 
vorhanden,  doch  auff"  poetisch  art  gesetzt."*)  Das  acht  volksmässige 
Buch  von  Salomon  und  Morolf  hat  Gregor  Hayden  und  ^war 
Dach  einem  lateinischen  Original  bearbeitet  und  dem  Landgrafen 
Friedrich  von  Leuchtenberg  (in  der  Oberpfalz)  zugeeignet.**)    Es  sind. 


')  V.  d.  Hagen  Grundriss.  S.  8.    Minnesänger.  IV.  223. 

^  Dr.  Karl  Roth  Dichtungen  des  deut.  Mitlelallers.  1845.  S   150. 

*)  Ferner:  „Die  von  Tyrol  oni  Oschland  (Etschland)  zeigen  noch  den  Harnisch 
König  Lareyns,  vnd  der  gemein  Mann  solls  jhnen  glauben,  dass  ers  sey." 
in  Tirol  sind  auch  (Zingerle's  Laurin.  1B50.  S.  XI.)  drei  Rosen^ärlen,  in 
Lana,  dann  bei  Algund  und  auf  dem  Schiern,  wo  überhaupt  Riesen  und 
Zwergen  hausen.  —  Das  Gedicht  vom  Rosengarlen  (HS  auch  in  Mün- 
chen) hat  K.  Bartsch  nach  der  Pommersfelder  HS.  des  XiV.  Jahrh.  heraus- 
gegeben. Wien  1859  (und  im  IV.  Bd.  von  Pfeifrera  Germania). 

^)  Docen  im  11.  St.  von  v.  d.  Hagens  Museum.  HS.  aus  dem  XV.  Jahrh.  zu 
München ;  28  Blätter  in  Fol.  mit  Salomons  Jagd  beginnend. 


88 

wie  J.  Grimm  sagt,  im  Gedächtniss  der  Sänger  fortgepflanzte, 
endlich  aus  dem  Munde  des  Letzten  nur  roh  und  ungenau 
für  den  Druck  oder  eine  blosse  Niederschrift  aufgefasste 
Lieder.  Die  Sagen  von  den  Amelungen,  vom  ßemer  Dietrich,  vom 
Franken  Sigfrid  und  den  Burgundenkönigen ,  kurz  alle  historischen 
Lieder  wurden  zu  Tänzen  gesungen.  Denn  was  irgend  sich  ereignete, 
ward  in  ein  Lied  gebracht;  das  ganze  Mittelalter  tanzte  und  war  so 
tanzlustig ,.  dass  sogar  eine  Tanzkrankheit  zum  Ausbruch  kam.  In  den 
Osterspielen  tanzten  die  Ritter  singend  zu  dem  Grabe,  das  sie  bewachen 
sollten,  die  lärmende  Judenschaar  tanzte  zum  Pilatus,  auch  die  Lands- 
knechte sprangen  den  Reihen  bis  auf  Prinz  Eugen  herab  und  selbst  der 
Tod  führte  in  ausgelassener  Lust,  trommelnd  und  pfeifend,  den  Reigen. 
—  Albrecht  von  Kemenaten  und  Kaspar  von  der  Röhn  sind 
die  offenkundigen  Namen,  welche  die  letzte  Hand  an  die  alten  Lieder, 
gelegt  haben. 

Ein  sehr  bedeutsamer  Zug  ist  es,  dass  alle  Namen,  welche  in  der 
alten  germanischen  Stamm-  und  Heldensage  auftreten,  sich  in  den 
mittelalterlichen  Taufnaihen  und  ebenso  in  den  Ortsbenennungen*) 
wiederfinden.  Ingo  und  Irmino,  die  Söhne  des  Mannus,  Sigi  und  Skilto, 
die  Söhne  Odins,  Gram,  der  Sohn  Skilto's,  Heimo,  Fasolt,  Witolt, 
Iring,  Wato  und  seine  Söhne,  der  Schmidemeister  Wieland  und  sein 
Bruder  Eigil,  Wielands  Sohn  Wittich,  Mimr,  sein  Lehrmeister,  War- 
mund und  üffo,  Kipiho  und  alle  Helden  der  Gibiche,  Weisungen, 
Nibelunge  und  Amelungen  $ind  durch  entsprechende  Eigennamen  und 
Ortsnamen  in  den  ältesten  baiwarischen  Urkunden  vertreten. 

Ein  Held,  der  so  eigentlich  durch  die  Volkssage  aufgewachsen  ist, 
dann  aber  von  derlateiuischen  und  von  der  ritterlichen  Epik  in 
gleicher  Weise  durch  mehrere  Jahrhunderte  in  Anspruch  genommen 
wurde,  ist  unser  Herzog  Ernst.  Die  Sage  davon  soll,  sei  es  nun  in 
gebundener  oder  freier  Rede,  zuerst  im  Kloster  von  St.  Gallen  aufge- 
schrieben oder  abgefasst  worden  sein;  wenigstens  gibt  Fugger  in 
seinem  Ehrenspiegel,  die  leider  nicht  documentirte  Notiz,  dass  einer 
der  Mönche  daselbst  den  Herzog  Ernst  gedichtet  habe.')  Von  da- 
musste  das  Lied  oder  Buch  nach  Tegernsee  gekommen  sein,  was  bei 
dem  literarischen  Verkehr  der  beiden  Benediktinerstifte  leicht  denkbar 


')  Vgl.  Gotthard  lieber  die  Ortsnamen  in  Oberbayern.  Ein  Programm  tum 
Janresbericht  desLyceiims  zu  Freiaing,  1849,  und  Quitzmann  Heidentbum. 
1860.  S.  139. 

^)  Haupt  (Zeitschrift  Vll*  193  ff.)  vermuthel,  das  niederländische  Bach  sei  das 
älteste,  nach  ihm  habe  ein  Geistlicher  erst  das  lateinische  Opus  gekünsteil 
und  auch  das  oberdeutsche  Gedicht  sei  aus  jener  Quelle  geflossen. 


89^_ 

ist  Die  erste  zuverlässige  Nachricht  und  ausdrückliche  Nennung  findet 
sich  in  einem  Briefe  des  Grafen  Berthoid  II.  von  Andechs,  der 
gar  wohl  auch  ein  Familien interesse  an  der  Sache  haben  konnte  und 
desshalb  im  Jahre  1 180  an  den  Abt  Ruprecht  (1155 — 86)  um  eine 
Copie  von  diesem  Buche  anhielt. ')  Dass  es  in  deutscher  Sprache 
geschrieben  sein  konnte,  lässt  sich,  wie  man  glaubt,  aus  dem  noch 
erhaltenen  Schreiben  entnehmen. 

Bald  darauf  findet  sich  schon  ein  grosses  Gedicht  von  5560  deutschen 
Versen,  welches  Heinrich  von  Veldecke  nach  einer  zu  Babenberg  (v.3631) 
gefundenen  lateinischen  Quelle  gereimt  haben  soll,  indess  beinahe  gleich- 
zeitig ein  Geistlicher  zu  Magdeburg  ein  aus  acht  Büchern  und  4000  ' 
Hexametern  bestehendes  Opus  daraus  fertigte  und  seinem  1199  einge- 
setzten Erzbischof  Albrecht  dedicirte.  Von  da  an  häuften  sich  die 
Bearbeitnngen  in  deutscher,  wie  auch  in  lateinischer  Sprache  und  Prosa, 
bis  auf  Kaspar  von  der  Röhn  herab,  der  mit  seinem  Heldenbuch 
(1472)  das  Thor  der  mittelalterlichen  Epik  schloss.  Desto  reicher 
wucherte  dajs  prosaische  Volksbuch,^)  das  in  unzähligen  Aullagen 
mit  dem  Volkslied  e  wetteiferte,  dessen  Ton  gar  beliebt  war  und 
durch  neu  untergelegte  Texte  bis  auf  die  neuere  Zeit  gebracht  wurde. 

Was  den  in  allen  erdenklichen  Formen  gefeierten  Helden  betrifft, 
so  ist  über  seine  Person  die  Historie  noch  nicht  einig.  Der  wahre 
Ilerzog  Ernst  hat  nämlich  schon  einen  älteren  gleichnamigen  Vorgänger 
gehabt,  von  dessen  ganz  ähnlichen  Schicksalen  eine  gleichlautende  Tra- 
dition auf  den  späteren  überging,  der  obendrein  noch  einen  jüngeren 
I^achfolger  nach  sich  brachte.  So  streiten  sich  eigentlich  drei  gute 
Namen  um  die  Ehre,  die  historische  Berechtigung  in  diesem  grossartigen 
Fabelwerke  zu  gemessen. 

Den  ersten  Anspruch  erhebt  Graf  Ernst  aus  Bayern,  der  nebst 
dem  fränkischen  Grafen  Wernher  im  Jahre  837  an  Kaiser  Ludwigs 
Hofe  blühte  und  im  Jahre  865,  auf  Hochverrath  beklagt  und  seiner 
Würden  beraubt ,  auf  seinen  Gütern  starb. ')  Nach  diesem  Vorläufer 
tritt  Herzog  Ernst  II.  von  Schwaben  mit  besserem  Kochte  auf  diesen 
poetischen  Boden,   der   Stiefsohn    Kaiser  Konrad  IL  des  Saliers,    der 


■)  Rogo  affabilitatem  et  pietatem  tiiam,  schreibt  G.  Berthold^  sicut  bene  confido 
de  te,  ut  annuere  digiieris  petitioni  meae  et  concedas  mihi  libellom  teuto« 
nicum  de  Herzogen  Ernsten^  donec  velocius  scribatiir  mihi,  quo  per- 
srripto  continiio  remiltetnr  tibi.    Pez  VI.  B.  II.  13. 

')  Historie  von  Herzog  Ernst.  Augsburg  b.  A.  Sorg.  Incnnab.  s  a.  vgl.  Sim- 
rock  Volksbücher.  III.  269-^361. 

')  Vgl.  Nachtrage  zu  Görres  Volksbüchern  in  den  Heidelberger  Jahrb.  1808. 
S.  411. 


90 

seine  Mutter  Gisela  geheirathet  hatte.  Bei  ihm  kann  aber  von  keinem 
bayerischen  Herzoge  im  Sinne  der  Agilolfinger,  Weifen  oder  Witteis- 
bacher die  Rede  sein,  denn  der  schöne  Sagenkreis  spielt  nur  nach 
Bayern  herein,  der  Held  aber  ist  seiner  Abstammung  nach  ein  Ost- 
bayer oder  Oesterreicher. ')  Er  zerfiel  mit  seinem  Stiefvater  über  das 
Königreich  Burgund  (auf  welches  er  von  mütterlicher  Seite  nähere 
Ansprüche  als  der  Kaiser,  der  es  wirklich  besetzte,  hatte),  Hess  sich 
in  den  Jahren  1026,  1027  und  1030  in  sehr  bedenkliche  Verschwör- 
ungen und  Fehden  gegen  Konrad  ein, ')  worauf  er  geächtet  wurde ,  da 
er  den  Rückempfang  Schwabens  und  selbst  den  angebotenen  Besitz  des 
Herzogthum  Bayern  mit  der  Auslieferung  seines  treuen  Freundes  Wer- 
ner (Wezilo,  Wesilo)  von  Dyburg  nicht  erkaufen  wollte.  Unstät  in  den 
Schluchten  des  Schwarzwaldes  umherirrend,  wurde  er  doch  vom  Grafen 
Mangold  (Vogt  von  Reichenau)  angegriffen  und  in  blutiger  Schlacht  mit 
seinem  Freunde  Werner  erschlagen.  Erst  nachdem  Bann  und  Acht  von 
ihm  genommen,  gestattete  man  seine  Beerdigung  in  der  Marienkirche 
zu  (Konstanz,  obwohl  eine  gegentheilige  mit  der  Volksüberlieferang 
zusammenstimmende  Ansicht  den  Herzog  auf  dem  sogenannten  Rossstall 
in  Mittelfranken  begraben  wissen  will. ') 

Andere  nahmen  einen  bayerischen  Herzog  Ernst,  Adelheids  Sohn 
und  des  Otto  I.  Stiefsohn  in  die  Geschichte  auf,  obwohl  diese  zwar 
von  einer  Kaiserin  Adelheid,  (Tochter  Rudolf  II. 'Königs  von  Burgund 
und  Wittwe  des  König  Lothar  von  Italien)*)  nichts  aber  von  einem 
Sohne  desselben  mit  Namen  Ernst  weiss. 

Auch  die  Dichtung  schwankt  hin  und  her,  so  finden  wir  bei  dem 
angeblichen  Veldecke  den  rothbärtigen  Kaiser  Otto,  ind^ss  Kaspar 
v.  d.  R.  an  einen  Friedrich  festhält,  dabei  aber  wohlweislich  den  ganzen 


*)  Böttiger  im  VIII.  Jahresbericht  des  hislor.  Vereins  v.  Mittelfranken.  1838. 
S.  35. 

')  Im  J.  1022  zerstörte  er  das  Schfoss  Pappenheim  im  Altmühlthale^  welches 
unrern  dem  ihm  gehörigen  Weissenburg  am  Sand  liegt. 

')  Ge^en  Bötti^er  suchte  der  Bibliothekar  Huscher  in  Ansbach  (IX.  Jahresb. 
S.  27)  f^iaubwiirdig  zu  machen,  dass  man  die  Leiche  doch  hieher  auf  den 
Rossstall  (Rossdal)  überbracht  haben  könne.  Vom  Rossstirll  exislirt  auch 
eine  besondere  Sprunj^sage:  daselbst  habe  (erzählt  eine  Aufzeichnung  von 
lfil7)  einst  ein  Pferd  eine  Glocke  ausgescharrt^  darum  man  dann  dieses 
Kirchlein  gebaut;  .^ilem  dasselb  Pferd  sey  von  der  Spizeu  ausserhalb  der 
'allen  Wahl,  von  Felsen,  darinnen  man  die  Fussslapfen  vor  drei  Jahren  noch 
weisen  können,  und  von  einem  Maurer  im  Sieiubrechen  verworlfen  v^orden, 
biss  gen  Raitersaich,  auf  einen  Sprung  gesprungen,  und  von  Raitersaich 
ffen  Gottmannsdorf,  dahin  man  das  Kirchlein  erbauet.^  Noch  im  J.  1779  sab 
wtistendorfer  „die  Spitz  beim  Wagner  Bernthal.^  Archiv  für  Mittel - 
franken.  1838.  S.  30. 

4)  Vgl.  Klemm  Die* Frauen.  1856.  111   261-71  u.  359.. 


91 

politischen.  Handel  so  schnell  wie  möglich  übergeht.  Ausführlicher 
wagt  sich  der  ältere  Eprker  auf  den  historischen  Boden ,  hier  wird  die 
Nürnberger  Veste  erobert  und  Regensburg  belagert,  obwohl  auch  die 
Hauptstärke  des  Dichters  auf  die  abenteuerliche  Fahrt  des  Herzogs 
gerichtet  ist,  zu  welcher,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  die  Geschichte 
des  Herzog  Heinrich   des  Löwen  den  Stoff  geliefert  hatIO 

Der  Inhalt  des  Herzog  Ernst  ist  beiläufig  folgender:  Der  Herzog 
wird  bei  seinem  Stiefvater  als  Verräther  angeschwärzt  und  zwar  durch 
einen  Pfalzgi*afen  Heinrich;  Ernst,  seiner  Vogtei  entsetzt,  zieht  auf 
Ritterspiel  umher,  da  fällt  der  Pfalzgraf  in  seine  Lande  und  nimmt  ihm 
Burgen  und  Mannen;  während  er  Nürnberg  belagert-,  überfällt  ihn  Herzog 
Ernst,  der  ihm  bei  Würzburg  ein  Treffen  liefert,  wobei  der  Pfalzgraf 
unterliegt  Ernst  will  zum  Kaiser,  um  sich  zu  rechtfertigen  und  triflFt 
auf  den  ungetreuen  Pfalzgrafen ,  .  dem  er  das  Haupt  abschlägt.  Die 
Ermordung  des  Kaiser  Philipp  durch  Otto  von  Witteisbach  spielt  hier 
vielleicht  unbewusst  mit.  Nun  wird  Herzog  Ernst  geächtet  und  es 
entspinnt  sich  eine  Belagerung  zu  Regensburg,  die  mit  der  Uebergabe 
der  Stadt  endet.  Ernst  aber  rüstet  sich  mit  seinen  Getreuen  zu  einer 
Wallfahrt  zum  heiligen  Grab,  da  er  es  nicht  mit  ansehen  kann,  wie 
sein  Land  durch  den  Kaiser  verwüstet  wird.  Sie  fahren  durch  die 
Bulgarei  nach  Griechenland,  wo  sie  gastlich  ausgerüstet  werden,  doch 
zerschlägt  ein  Sturm  seine  Flotte  und. nur  mit  einem  Schiffe  landet  er 
an  einem  unbekannten  Reich,  wo  die  geschnäbelten  Menschen  hausen, 
die  eine  Jungfrau  aus  Indien  geraubt  haben.  Er  erschlägt  viele  der 
Schnabelleute  und  geräth  auf  der  Weiterreise  in's  Lebermeer,  von 
dein  kein  Entkommen  möglich.  Eingenäht  in  Häute,  lässt  er  sich  von 
den  Greifen*-}  an's  Land  tragen,  worauf  dann  eine  Bergfahrt  durch 
unterirdische  Gewässer  ihn  mit  fünf  seiner  Genossen  in  das  Reich  der 
einäugigen  Ariinaspen  bringt,  wo  ihm  guter  Empfang  wird  und  Herzog 
Ernst  sich  dem  Könige  nützlich  macht.  Ernst  bekriegt  die  benachbarten 
Plattfüsse,  die  über  Busch  und  Moor,  wo  weder  Mann  noch  Ross 
gehen  können,  laufen  und  bei  Unwetter  die  Füsse  in  die  Höhe  recken 
and  sich  damit  schirmen;  weiter  bekämpfte  er  die  Leute,  die  gar  keine 
Kleider  haben,  sondern  nur  mit  ihren  langen  Ohren  sich  decken,  er 
schafft  sodann  den  armen  Pigraäen  Ruhe,  indem  er  die  ihnen  gefähr- 
lichen Vggel  erschlägt,  zuletzt  endlich  bändigt  er  auch  noch  die  benach- 
barten Riesen.  Herzog  Ernst  bekommt  auf  solche  Art,  wie  im  Märchen, 
der  Reihe  nach  allerlei  seltsame  Menschen,  denn  von  allen  diesen  Rari- 


*)  Vgl.  W ackern a gel  Lit.  Gesch.  S.  182. 

')  Vgl.  Grfisse  Sagenhafte  Naturgeschichte  des  Mittelalters,  cap.  IX. 


92 

täten  nimmt  er  ein  Exemplar  mit  sich.  In  einem  Mohrenfiyshiff,  das 
Kaufiahrtei  treibt,  fahrt  er  heimlich,  aus  Sehnsucht  nach  dem  hl.  Lande« 
davon  und  kommt  zu  Christen,  denen  er  gegen  die  Sarazenen  beisteht; 
der  Riese,  den  der  Herzog  mitgenommen,  kommt  ihnen  dabei  gut  zu 
statten,  mit  seiner  Stange  erschlägt  der  Starke  mehr  als  Tausend;  auch 
Herzog  Ernst  und  sein  treuer  Wetzel  vollbringen  Wunder  der  Tapfer- 
keit ,  sa  dass  die  Heiden  überwältigt  werden  und  Friedenspfänder  zu 
geben  gezwungen  werden.  Dabei  ist  es  vielleicht  eine  acht  deutsche 
Reminiscenz,  wenn  der  Dichter  sagt,  dass  die  Hejden  ihre  Götterbilder 
auf  vierräderigen  Karren,  mit  Meerrindern  bespannt,  in  die  Schlacht 
fuhren.  Ueher  Babylon  zieht  Herzog  Ernst  endlich  nach  Jerusalem,  wo 
er  über  ein  Jahr  am  hl.  Grabe  bleibt  und  mit  den  Sarazenen  sieb 
ruhmreich  herumschlägt,  so  dass  die  Kunde  davon  auch  an  den  Kaiser 
und  Frau  Adelheid  gelangt;  sie  schreibt  ihrem  Sohne  und  bittet  um 
seine  Heimkehr;  so  wendet  er  alsbald  zurück,  kommt  am  Christabend 
nach  Babenberg,  fällt  dem  Kaiser  in  der  Mette  zu  Füssen,  erhält 
Verzeihung  u.  s.  w. 

Das  Gedicht  hat  in  der  Anlage  einige  Aehnlichkeit  mit  Ruodlieb, 
der  ja  auch  von  Te^ernsee  seinen  Ausgang  genommen.  Wie  Ruodlieb, 
so  entflieht  Herzog  Ernst  aus  dem  Vater  lande ,  jeder  von  beiden  dient 
dann  einem  mächtigen  König  mit  grossen  Treuen,  jeder  wird  von  seiner 
Mutter  wieder  in  besseren  Zeiten  zurückgerufen.  Was  bei  Ruofllieb  in 
wohlbewusster  poetischer  Zierlichkeit  geschieht,  ist  im  Herzog  Ernst 
rauh,  roh  und  ungeheuerlich,  namentlich  die  Begegnisse  mit  den  märchen- 
haften Menschen,  so  dass  er  wie  der  erste  Robinson  Crusoe  erscheint, 
doch  steht  in  diesem  poetischen  Hintergrunde,  von  dem  sich  unser  Held 
immer  so  stattlich  abhebt,  noch  viel  mehr.  Auf  das  Volk  hatte  das 
Unglück  und  der  Heldenmuth  eines  Herzog  Ernst  einen  tiefen  Eindruck 
gemacht.  Die  Schicksale  der  verschiedenen  Träger  dieses  Namens 
häuften  sich  auf  einen,  der  rein  gewaschen  von  allen  Verbrechen,  nur 
im  Heiligenscheine  der  Ritterlichkeit,  Freundschaft  und  Treue  erschien. 
Je  mehr  dieser  ein  Held  der  Dichtkunst  wurde,  erhielten  alle  Begeben- 
heiten seines  Lebens  eine  sinnvolle  Deutung  und  wurden  mit  allem 
Schmucke  der,  in  der.  nächstfolgenden  Zeit  durbh  die  Kreuzzüge  vor- 
züglich auf  das  Morgenland  gerichteten  Einbildungskraft,  bereichert 
Daraus  entstand  eine  ausf%ihrliche  Sage,  die  den  Recken  in's  Morgen- 
land führt  und  ihn  mit  allen  Schrecken  der  Natur  und  mit  unnatürlichen 
Menschen  kämpfen  lässt,  worin  überall  das  Unglück,  das  er  wirklich 
erlebte,  anschaulich  gemacht  ist.  Jene  Ungeheuer  sind  seine  Veträther, 
der  finstere  Berg  ist  sein  Gef&ngniss,  ein  Greif  entfuhrt  ihn  durch  die 


93 

Wolken ,  das  ist  sein  Ehrgeiz ,  sein  Schiff  strandet  im  Lebermeer ,  das 
ist  der  gewaltige  Kaiser  o.  s.  w.') 

Ein  unserem  Herzog  Ernst  ebenbürtiger  Sagenheld  ist  Heinrich 
der  Löwe.  Sein  vielbewegtes  Leben  musste  zur  märchenhaften  Ge- 
staltung mitwirken.  Er  hatte,  wie  Wenige,  den  Wechsel  des  Glückes, 
die  Härte  des  Schicksals,  die  Untreue  und  den  Undank  der  Menschen 
erfahren,  ihm  fehlte  im  Glücke  nur  der  Königstitel  und  im  Unglücke 
Alles,  selbst  die  Freunde!  Auf  zwanzig  mit  Ruhm  gekrönte  Jahre  folgten 
fünfzehn  andere  voll  Unglück;  nun  erblickte  man  diesen  Fürsten  nie 
anders,  als  verfolgt,  unterdrückt  und  umherirrend,  von  Unglücksfällen 
zu  Grunde  gerichtet.  Selbst  seinem  Gegner,  dem  Kaiser  Friedrich«  L 
entfielen  Thränen  über  den  Fall  und  die  schreckliche  Veränderung 
"Heinrich's.  *)  Eine  spätere  Handschrift  auf  der  Bibliothek  zu  Wolfen- 
büttel, die  auch  sein  Bildniss  wiedergibt, ')  enthält  folgenden  Reim: 

Ich  bin  genannt  Heinrich  der  Lew, 
ein  küner  Helt  gerecht  und  trew, 
Von  der  Elb  his  an  den  Rein, 
Vom  Harz  bis  an  die  See  war  mein. 

Und  seine  Herrschaft  hatte  sich  wirklich  einmal  vom  adriatischen 
bis  an*s  baltische  Meer,   vom  Rhein   bis  über  die  Elb^e  erstreckt! 

Für  uns  hat  er,  besonders  als  Gründer  der  Stadt  München,  eine 
bohe  Bedeutung.  Zwar  haben  wir  in  der  Tradition  sehr  wenig  Notiz 
erhalten;  einzig  der  steinerne  Löwe,  das  Wahrzeichen  am  Leinwand- 
iLeller  nächst  dem  Münchner  Rathhause  und  dann  die  Legende  des 
grossen  Onuphrius  am  Eiermarkt  hängen  mit  Herzog  Heinrich 
zusammen.  Desto  mehr  wusste  das  Mittelalter  davon  zu  erzählen,  zu 
singen  und  zu  sagen.    In  Schwaben  und  am  Rhdne,  sodann  in  Braun- 


')  Menzel  Gesch.  der  Deutschen.  1843.  S.  239. 

')  Vgl.  Patje:  recherches  sur  les  causes  de  la  f^randeur  et  des  r^vers  de  Henri 
le  l.ioii.  Hannover  1786.  Ueberselzt  von  A.  Fr.  John:  Die  Grösse  und  Her 
Fall  Heinrich  des  Löwen,  nach  Anleitung  der  Geschichte  mit  philosoplilscliem 
Auge  betrachtet.    Regensburg  1786.  S.  130. 

^)  Von  der  äusseren  Gestalt  Heinrichs  sagt  Otto  Morena,  ein  Italiener  und  Zeit- 
genosse desselben:  Erat  Henrirus.Dux  Saxoiiiae  mediocriter  magnus,  bene 
compositus ,  viribus  corporis  Valens^  magnus  facle^  oculis  magnis  et  nigris, 
('«pillis  quoque  quasi  nifl-ris,  albis  loloris,  in  diviliis  atqne  potentia  pollen<, 
genere  uobilissimus  et  fdiae  quondam  Lotbarii  imperatoris  (ilius  Der  Maler 
der  Wolfenbiittler  HS.  hat  ihm  erhabene  Gesichtszüge  gegeben,  grosse  Nase, 
grosse  Augen,  volle  Wangen,  doch  blasser  Farbe,  lockiges  Haar;  sein  Haupt 
i4  mit  einem  Fürstenhute  bedeckte,  von  vtelchero  Federn  herabwallen.  — 
Der  sog.  Codex  Aureus  zu  St.  Veit  bei  Prag  stellt  seine  Vermählung  mit 
Mathilde  dar;    das   Bild  ist  gleichzeitig   und  wohl   Portrait;   Heinrich  trägt 

glattes,  in  der  Mitte  gesiheiteltes  Haar  und  einen  vollen  runden  Bart.  (Eine 
opie  davon  ist  im  Witlelsbacher  Museum.) 


94 

schweig  und  Mitteldeutschland,  selbst  in  Oesterreich,  hatte  die  Heldensage 
einen  strahlenden  Nimbus  um  ihn  geworfen  und  ihn  dem  unvergleich- 
lichen Herzog  Ernst  an  die  Seite  gestellt.  Was  nun  dazumal  in  allen 
deutschen  Landen  umging,  sollte  das  bei  uns,  an  einer  Stelle,  wo  der 
Löwe  ^)  selbst  geweilt^  keinen  Nachklang  gefunden  haben?  Es  bleibt 
kein  Zweifel:  dieselbe  Rede  und  Sage  ging  auch  in  unserer  Stadt,  aber 
sie  ist  jetzt,  wie  noch  so  manches  gute  Frescobild  unter  dem  Weiss- 
quast  der  Vergessenheit  verborgen ;  lasst  uns  ein  wenig  die  alte  Tünche 
abklopfen  und  das  sagengefeierte  Bild  steht  wieder  vor  uns,  ohne 
besondere  Restauration  zu  bedürfen! 

Die  älteste  uns  erhaltene  Fassung  stammt  leider  erst  aus  dem 
XV.  Jahrb.,  doch  ist  der  alte  Hauch  darinnen  gänzlich  gewahrt.  Die 
Stuttgarter  Bibliothek  verwahrt  ein  mit  Bildern  geschmücktes  MS., 
welches  ein  Gedicht  von  98  sieb^enzeiligen  Strophen  enthält,  welches 
Michel  Wyssenher  vielleicht  um  das  Jahr  1474  in  die  vorliegende 
Form  gebracht  hat,  welches  aber  nach  Worten  und  Reimen  ofifenbar 
einer  früheren  Zeit  angehört.  *)  Das  Buch  hebt  an :  „von  dem  edlen 
Herrn  von  Braunschweig,  als  er  über  Meer  fuhr." 

Man  sagt  uns  von  grossen  Fürsten  und  Herren,  wie  die  vor 
manchen  Jahren  um  Ehren  und  Würdigkeit  geworben  und*  um  Aben- 
teuer viel  fremde  Lande  durchsucht.  Darum  so  muss  ich  melden  auch 
von  einem  Fürsten  lobesam,  von  Braunschweig  genannt.  Dem  kam  des 
Nachts,  als  er  bei  seiner  liebsten  Frauen  lag,  in  Träumen  vor,  er  sollte 
das  heilige  Land  besuchen,  dafür  gewinne  er  dann  Lob,  Ehre  und  auch 
Dank.  Die  Frau  sprach  mit  freundlichen  Augen  und  weinenden  Bitten 
dagegen,  denn  das  Scheiden,  wo  zwei  gern  bei  einander  sein,  ist  eine 
schwere  Pein.  Er  spraph  zu  seiner  Franen  schön,  umfing  sie  zu  der- 
selben Stunde  und  schnitt  ein  golden  Fingerlein  entzwei:  das  behalte 
allerliebste  Frau,  dabei  sollt  ihr  mein  gedenken. 

So  bereitete  sich  mit  seinen  unverzagten  Knechten  der  werthe 
Degen  und  schied  fröhlich  von  Land  und  Leuten  mit  gutem  Willen, 
befahl  sich  unterwegs  in  Gottes  Gewalt  und  auch  der  lieben  Mutter, 
dass   sie    sein   sollten    pflegen.')     Damit  kamen  sie  an  das  Meer.     Da 


' )  Den  Beinamen  hatte  er  nicht  nur  wegen  seines  aus  dem  Orient  mitgebrachten 
Löwen ,  sondern  wegen  seines  unerschrockenen  Aluthes  und  seiner  grossen 
Leibcsslärke^  wie  ein  Chronist  sogt :  Leo  cognominatns  oh  egregia  fada. 

^)  MHSsmann  Denkmäler.  1828.  L  122  —  37.  vgl.  Büsching:  Volkssa^en, 
Märchen  und  Legenden.  1S12,  S.  213—43,  mit  Nachweisungen  und  einem 
allen  reichhalligen  Gediilile  S.  411)  51.  Grundriss.  S.  ISn.  —  Grat  er: 
Iduua  und  Hermode.  1813.  Mit^ikheilHge  zu  Nro.  26.  —  Citirt  ist  das  Ge- 
dicht jedoch  schon  in  Weck  herlins  Beiträgen.  S.  75.  Nach  einem  Volks- 
liede  auch  in  Grimms  Detit.  Sagen.  11    241  (f. 

^)  Vgl.  über  den  Kreuzzug  Heinrich  des  Löwen:  N.  J.  P.  Schmidt  dissertalio 


95 

I 

hielt  ein  Schiffmaan  einen  Rie]  bereit,  der  ward  gut  mit  Habe  versorgt; 
darauf  stiessen  sie  von  Land  mit  Schalle  und  sangen  das  alte:  ^In 
Grottes  Namen  fahren  wir.^  Als  der  Herre  das  grausame  Wasser 
ansah,  schlug  das  Elend  ihm  unter  die  Augen  und  es  graute  ihm,  wie- 
wohl er  ein  kühner  Held  war;  aber  er  gedachte  an  Ehre,  Gut  und 
Ritterschaft  und  an  sein  Gelübde ;   so  gewann  er  wieder  Manneskrafl. 

Nun  fuhr  er  manchen  Tag  im  Jahre  auf  dem  wilden  Meer,  wo  sie 
keines  Landes  gewiibr  wurden,  bis  dass  ein  grosser  Sturmwind  kam, 
der  trieb  sie  alle  an  einen  Platz,  da  mussten  sie  also  stille  liegen  und 
mochten  weder  hinter  noch  fort.  In  grossem  Kummer  rief  er  Gott 
getreulich  aq  einen  Winter  und  Sommer  lang,  bis  alle  Speise  und  Rost 
7,erraun,  und  alle  Rnechte  von  gross  Hunger  und  Leid  verdarben.  Zu- 
letzt blieb  Niemand  mehr  übrig  im  Schiff,  als  der  Herr,  ein  Rnecht  und 
des  Herren  Pferd;  das  Elend  that  ihnen  gar  weh;  der  Rnecht  zog  des 
Herren  Schwert,  stach  das  Pferd  allda  zu  Tod  und  zog  ihm  von  Hun- 
gersnoth  die  Haut  ab.  Das  wurde  ein  Greif  gewähr,  der  kam  mit 
solch  grimmen  Zorn  zu  dem  Schiffe  geflogen,  dass  der  Fürst  erschrack. 
Der  Greif  war  gross  und  ungeheuer  und  brachte  ihnen  Ungemach.  Sie 
•  legten  das  Pferd  an  ein  Ende,  da  schlug  er  seine  Rlauen  ein,  führt'  es 
fort  behende  und  bracht'  es  seiner  jungen  Brut  in's  Nest.  Der  Herre 
ging  mit  dem  Rnecht  zu  Rathe:  „Nun  wird  es  an  uns  beide  gehen. 
Wir  machen  ein  Loos;  welcher  von  uns  verliert,  der  stellt  sich  zuerst 
dem  Greifen  dar.**  Sprach  der  Rnecht:  „Ach  lieber  Herr,  warum  muthet 
ihr  mir  das  zu;  das  wäre  mir  eine  Schande  und  gross  Unrecht,  dass 
ich  mit  Euch  sollt'  loosen,  so  war'  ich  nicht  ein  getreuer  Dienstmann. " 
Den  von  Braunschweig  aber  reoete  es  nicht  so  sehr  um  Leben  und-  Gut, 
als  um  die  lieben  Rinder  und  seine  allerliebste  Frauen:  „Ich  han  es 
mir  selber  gethan;  da  sie  mich  bat  zu  aller  der  stunde,  dass  ich  da- 
heimen  bleiben  sollt  und  ich  ihrem  Willen  und  Rath  keine  Folge  gethan, 
80  muss  ich  auch  dagegen  nehmen,  was  es  mir  zu  leiden  gibt.  So 
nähe  mich  in  die  Pferdeshaut,  auch  will  ich  mein  gutes  Schwert  bei 
mir  haben,  wo  mich  Gott  oder  der  Greife  hinträgt.^  Dem. Rnecht 
dünkte  das  am  besten ;  er  nähete  ihn  also  ein.   Gldch  darauf  kam  der 


hislorico  -  geographica  exponens  Henrici  Leonis  iler  bierosolymitan.  Helm- 
stadt 1711.  4*.  Herm.  Korneri  Chron.  ap.  Eccardiim.  II.  733—40.  Lach- 
mann Gesch  der  Stadt  Braunschweig.  S.  42.  —  Crnmer  (Jiiheljahr  1776. 
S.  3)  erzählt,  Heinrich  habe  am  Marialichtmesstage  1171  zu  Regens  bürg 
mit  den  Seinen  das  SchiflT  bestiegen ,  auf  welchem  er  öfters  zwischen  den 
Steinklippen  in  die  grösste  Lebensgefahr  geralhen,  desswegen  er  auch  die 
Donau  verlassen  habe.  -  Ein  kostbares,  mit  Gold  reich  verziertes  Kleid,  so 
ihm  der  türkische  Sultan  verehret,  habe  er  nach  seiner  Rückkehr  zu  christ- 
licher Allarzierde  angewendet  etc. 


96 

Greife  zu  dem  Schiffe  geflogen,  begehrte  der  Haut,  in  welcher  der  Herr 
stille  wie  schlafend  lag,  schlug  seine  Klauen  ein  und  trug  das  seinen 
Jungen ,  dass  sie  es  essen  möchten ,  in  das  Haus.  Dann  hnb  sich  der 
Alte  wieder  hinweg.  Die  Jungen  setzten  sich,  einer  nach  dem  andern 
darauf,  und  kneipten  darauf  los  also  hart,  dass  der  Herre  vermeinte, 
er  müsse  verderben  und  kläglich  sterbeh  als  ein  Schelm  (Vichstöck, 
Aas);  da  gab  ihm  Gott  den  Muth,  sich  aus  der  Haut  zu  schneiden 
und  das  Schwert  zu  ziehen;  er  schlug' die  Jungen  eines  nach  dem 
anderen  zu  tode  und  schnitt  ihnen  die  Klauen  ab;  die  hangen  noch  zu 
Braunschweig  in  der  i^dt. ') 

Nun  sah  er  um  sich,  wo  er  in  der  Welt  wäre,  gewahrte  aber  nichts 
als 'Himmel  und  Wald,  auch  fürchtete  er  sich,  wenn  der  alte  Greif 
wieder  käme  und  seiner  gewahr  würde,  dass  er  ihm  sein  Leben  nehmen 
würde.  Gross  und  hochgelegen  war  dtts  Nest,  davon  war  nicht  zu  Thal 
zu  kommen,  dann  in  einer  Klamm,  da  stieg  er  mit  den  Greifenklauen 
sich  an  den  Felsen  haltend,  hinab.  Unten  war  weit  und  breit  Wildniss; 
da  ass  er  Wurzeln  und  Beeren.  Darauf  ging  er  also  lange,  bis  er  ein 
gross  Geschrei  von  wilden  Thieren  vernahm,  da  gewahrt'  er  durch  dicke 
Hecken  einen  Lintwurm  und  einen  Lewen  in  Streit.  Erst  verbarg  sich 
der  Herr  hinter  einem  Baum  und  sah  zu,  wie  der  Lintwurm  dem  Leo 
zustellte  und  Feuer  nach  ihm  warf,  dann  aber  sprang  er  dem  edlen 
Thiere  zu  und  nahm  das  Schwert  in  die  Hand.  Sobald  das  der  Leo 
innen  ward,  sprang  er  vor  den  Herreu  und  neigte  sich  dem  edlen  Fürsten 
zart.  Wie  der  Fürst  das  von  dem  Löwen  sah,  dass  er  Freundschaft  zu 
ihm  begehre,  da  lief  der  Herre  zur  stund  den  Lintwurm  an,  schlug  auf 
ihn  mit  ganzen  Kräften  und  grimmen  Zorn;  aber  kein  Streich  wollte 
haften  auf  ihmy  denn  er  war  eitel  Hörn,  da  gab  Gott  seine  Hülfe  dazu, 
dass  er  ihn  in  den  Rachen  hineinstach,  so  tödteten  sie  den  Lintwurm 
geschwinde.  Nun  war  der  Herre  von  der  Arbeit  siech  und  müde,  da 
grub  der  Leo  Wurzeln  aus  der  Erden  und  auch  viel  guter  Kreuter  und 
bracht'  sie  dem  Werthen ;  ging  auch  fiirder  mit  ihm  getreue ;  was  er 
an  Hasen  und  wilden  Thieren  fing,  die  bracht'  er  dem  Herren j  der 
sie  geass. 

Also  ging  der  Fürst  manche  Zeit  in  der  Wildniss,  der  Löwe  wollte 
von  ihm  nicht  weichen  und  war  ihm  stets  zur  Seite.'  So  kamen  sie 
an  ein  Wasser,  gross  und  breit.  Hier  flocht  der  Herr  nach  bester 
Kunst  eine  Hürde,   legte  das  auf  das  Wasser  und  nahm  heimlich  von 


')  Die  ^GreifenklBuen^  waren  im  MillelaKer  ein  höchst  heliebtes  Trinkffc- 
fäss.  hine  angebliche  GreifenklHiie  befindet  sich  auch  in  der  Reichen  Ca- 
pe II  e  zu  München  als  Reliquieng^efäss.  v^l.  .1.  v.  H  e  fn  e  r  Gelehrten  Anzeigen« 
1816.  S.   145  ff.  lind  Cnriosilälen.  1811    I.  359  ff. 


97 

seiDem  Löwen  xiie  Flucht,  denn  er  fürchtete,  käme  der  zu  ihm  auf  die 
Hürde,  er  brächt*  ihn  um  das  Leben.  Der  Löwe  aber  sprang  ihm  nach, 
als  er  zwei  Speeriängen  vom  Lande  war  und  drang  auf  die  andere 
Seite  der  Hürde.  Das  schnelle  Wasser  trieb  sie  zu  einem  Berge,  wo 
dasselbe  zu  einem  finsteren  Loch  hineinging.  Dachte  der  Fürst:  ^nnn 
kommen,  Arbeit  und  Elend,  die  ich  daheim  begehrt,  nun  hilf  du,  kaiser- 
liche Magd  Afaria!^  i^nen  Tag  und  eine  Nacht  fuhr  der  Fürst  in  dem 
finsteren  Loch,  dass  ihm  keines  Lichtes  Schein  ward,  bis  er  einen  hellen 
Karfunkel  ersah,  der  leuchtete,  als  fiihrte  er  zur  bitteren  Hölle.  Der 
Herr  stach  mit  dem  Schwert  fröhlich  darnach,  däss  ein  Stück  in  die 
Hürde  sprang.  Von  des  klaren  Steines  Glast  gewann  der  Herre  da 
grosse  Freude.  Das  Wasser  aber  trieb  ihn  weiter,  bis  er  aus  dem  Berge 
kam;  da  fiel  er  auf  die  Kniee  nieder  und  bat  Gott,  er  möchte  ihn  zu 
Leuten  bringen,  ging  darauf  ein  wenig  fürbass  und  sah  eine  Burg  vor 
sich;  fröhlich  pocht  er  an  dem  Thore,  der  Pförtner  erschrack,  als  er 
einen  Mann  mit  einem  Lewen  sah,  schloss  wieder  zu  und  ging  vorerst 
am  anzufragen  hinauf.  (Hier  hat  das  Manuscript  ein  naives  Bild: 
Heinrich  und  der  Leo  vor  der  Burg,  aus  der  drei  „gesnebelte  Leute ** 
herausschauen.)  Die  Herren  gewährten  Audienz.  Der  Herzog  ging 
hinauf  mit  dem  Löwen  an  der. Hand  und  sah  die  seltsamen  Herren, 
einen  nach  dem  anderen  an,  sie  hatten  alle  lange  Schnäbel.  Die  Stelle 
lautet  mit  der  köstlichen  Plastik  des  Anschauens: 

Er  hat  den  lewen  in  der  hende, 

Die  herren  hetten  all  zu  mall 

Lange  snebbel  manig  falt. 

Von  Brtineczwick  der  edelle  fiirst 

Eynen  nach  dem  andern  ane  sach. 

Sye  worden  ye  also  sere  fragen 

Von  mancher  hande  geschieht. 

Er  künt  es  yn  auch  nit  gesägen, 

Wan  er  verstund  der  sprach  nicht.  * 

um  nun  doch  eine  Verständigung  zu  erzwecken,  brachten  sie  eine 
deutsche  Fraue  her,  die  von  ungefähr  auf  der  Burg  war;  ihr  that  der 
Herre  kund,  wie  es  um  seine  Sache  gelegen  wäre  und  er  mit  solcher 
Noth  daher  gekommen.  Dann  trug  man  ihm  Speise  und  Kost  vor  nach 
desselben  Landes  Sitte  das  beste,  so  man  da  wusste.  Die  Fraue  aber 
hielt  sich  freundlich  zu  dem  Herrn,  das  verdross  die  Geschnäbelten 
sehr,  dass  sie  Freundschaft  zu  ihm  gewann;  Einer  stiess  den  Andern 
an,  und  wollten  ihn  schlagen :  da  hatzte  er  den  Löwen  an  sie,  der  riss 
die  ^Schnäbelmüller*  zusammen,  wer  ihm  nahe  kam ;  mit  lauter  Stimme 


98 

schrie  der  Löwe,    dass   es  in  der  Burg   erhallte;    er  und  sein   Herr 
schlugen  sie. 

Daraufkam  er  unter  das  wüthende  Heer,    wo  die  bösen 
Geister  ihre  Wohnung  haben;  einer  davon«  graus  und  ungeheuer, 
begegnete  ihm.     Da  fragte  der  Herr  mit  harter  Beschwörung,    wie  es 
um  Kinder   und  Frau   daheimen   stünde   und  der  Geist  gab  grimmig 
zornige  Antwort:    ^ Braunschweiger ,   du  sollst  wissen,   deipe  Frau  will 
nehmen  einen   andern  Mann.^     Darob   erschrack   der  edle  Fürst   hart 
und  beschwor  den  Geist  fürder,  aber  bei  Gottes  Kraft  und  seiner  grossen 
Marter,    dass  er  ihn  mit  dem  Löwen  vor  sein  Schioss  bringen  müsse» 
Der  aber  machte  zur  Bedingung,   ob  er  sich  ihm  und  seinen  Gesellett 
dann  zu  eigen  geben  wolle,  wenn  er  ihn  vor  das  Schloss  stelle,  daeu  auch 
seinen  lieben  starken  Löwen  nachtrage.  Dahingegen  setzte  der  edle  Fürst 
die  Gelobniss,  dass  erst,  wenn  der  Geist  ihn  schlafend  finde«  er  sich  zil 
eigen  geben  wolle.  Der  G^ist  lud  den  Herren  ohn*  allen  Schaden  auf«  fuJut* 
ihn  wieder  in  sein  Land  jund  satzte  ihn  vor  seiner  Burg  ab :  ^finde  ich  dich 
also  schlafend  —  du  weisst  wohl,  was  du  mir  versprochen  hast!  Niui  will 
ich  dir  auch  deinen  Löwen  bringen. '^  Der  Geist  schwang  sich  in  korzfer 
Stund  manche  Meile;  da  er  schier  zurück  war-,  da  war  der  edle  FursC 
entschlafen.    Gott  aber  hatte  ihn  allzeit  in  der  acht,   also  begann  d^r 
Löwe  laut  zu  schreien,  davon  der  Fürst  erwachte,  geschwinde  warf  der 
Geist    den  Leo    nieder    und   stob   schmähend  über  den  Betrug  davon. 
Der  Fürst  aber  war  von  Herzen  froh,    dass  ihm  Gott  geholfen.    Mami 
und  Frauen  kamen  herzu,  das  Wunder  zu  schauen;  der  Fürst  war  mit 
langem  Haar  utnhangen,  recht  ob  er  ein  wilder  Mann  und  Waldbmder 
wäre.    Die  Maere  kam  auch  auf  die  Veste  und  seiner  lieben  Fraa  zu 
Gehör,  wie  sollich  fremde  Gäste  da  aussen  stunden  vor  dem  Thor,  die 
gar  geisterhaft  gestaltet.     Auf  stund  die  Frau  mit  ihren  Dienern  und 
ging  zu  ihnen  hinaus  viel  balde.   Sie  aber  erkannte  ihn  nicht,  hiess  ihn 
hereinzulassen,   das  Thier  aber  nicht.     Dagegen  sprach  der  Fürst,   er 
wolle  lieber  das  Leben  lassen,  als  sich  von  dem  Leo  trennen,  der  ihm 
in  Liebe  und  Leid  und  grossen  Nöthen  beigestanden.    Da  gingen  beide 
ein  und  man  thät  ihnen  gütlich.    Der  Herr  mit  dem  langen  Barte  sah 
seine  Frau  gar  freundlich  an,  wollt*  sich  aber  dicht  melden,  bis  er  sah, 
wie  es  erginge.   Viel  Herren  kamen  dort  her  geritten,  die  zur  Hochzeit 
geladen  waren,    man  empfing  sie  wohl  mit  schönen  Sitten,    und  satzte 
sie,  Grafen,  Bitter  und  Freie,  je  nach  ihrem  Adel,  an  den  Tisch;    sie 
wurden  fröhlich  und  begannen  zu  lachen,  ihr  Begehren  war:  der  Wald- 
bruder solle  ihnen  Possen  vormachen.    Drei  oder  vier  Knechte 
«  waren  gleich  bereit,  sie  liefen  im  Hause  hin  und  her,  den  Herren  und 
das  Thier  zu  holen.   Der  Frauen  Kämmerer  aber  sprach :   Bruder,  sag 


99 

nns  Dun  neue  Märe,  wie  es  in  fremden  Landen  bestellt,  ihr  dünket  mich 
ein  weit  gewanderter  Mann ;  habt  ihr  von  miserem  Fürsten  gehört  oder 
vernommen?  Sprach  der  Fürst:  ^Ich  hab'  es  alles  wohl  gehört,  sagt' 
ich  euch  die  Wahrheit  recht,  so  glaubt  ihr  nicht  meiner  Worte;  ich 
habe  ihn  vor  kurzer  Frist  gesehen,  er  konunt  schier  wieder  heim  zu 
Lande  und  ist  auch  frisch  und  wohl  gesund;  er  war  mein  Wandels- 
genoss  und  hab  von  ihm  vernommen,  käme  ich  in  sein  Land  und  vor 
seine  Burg  und  Schloss,  er  habe  eine  Tochter  und  einen  jungen  Herren, 
die  sollt*  ich  ihm  grüssen  und  auch  sein  Fraue,  der  er  alles  Gut  und 
Ehre  getyaut.^  Da  wollten  sie  ihn  noch  um  mehr  befragen,  er  aber 
sprach:  „Ich  kann  euch  nichts  sagen,  Frauen  haben  langes  Haar, 
wer  es  merken  will  and  das  aus  den  Augen  und  aus  dem  Herzen 
ist  noch  ein  wahres  Wort.**  Die  Frau  sah  ihn  immer  länger  und  schärfer 
an,  dann  bot  sie  ihm  zu  trinken ,  er  aber  liess  das  halb  getheilte  Fin- 
gerlein in  das  Trinkglas  sinken,  da  leuchtete  es,  als  sie  es  wieder  zu 
Hand  bekam,  wie  ein  Adamas,  sie  hub  es  behende,  ein  Theil  war  dem 
andern  gleich!  Laut  auf  schrie,  sie:  „Weh!  aller  meiner  Ehre!  Ich  han 
wieder  das  Gemachel  funden,  meinen  lieben  Mann  und  lieben  Herrn.  ^ 
Ohne  Missewenden  ging  sie  zu  dem  edelen  Fürsten,  empfing  ihn  mit 
ganzen  Treuen  gar  lieblich:  „Genade  mir,  edler  Herre.mein,  ich  will 
büssen  was  ich  an  Euch  verbrochen,^  Da  sprach  der  edle  Fürste  zÄrt : 
„Schweiget,  schöne  Frau,  nehmt  es  Euch  nicht  an  so  hart,  wir  wollen 
es  bei  dem  besten  bleiben  lan,  weil  ihr  noch  euer  weiblich  Ehre  habt; 
hätt*  ich  die  also  versäumt,  ich  weiss  nit,  wie  es  gangen  wäre.^  Da 
nun  die  Märe  hörte,  der  die  Frau  wollte  genommen  haben,  da  ging  er 
vor  den  Fürsten  lobesam  und  sprach:  „Ich  gebe  mich  ganz  in  euere 
Gewalt,  thut  mit  mir,  was  Ihr  wollt.''  Der  edle  Fürst  aber  sprach  gar 
balde:  „Wäre  ich  in  fremden  Landen  verdorben,  so  wärest  du  mein 
Mötwil  gewesen,  hast  du  hie  heimen  nach  Ehren  geworben,  so  trage 
ich  dir  nichts  nach;  ^ein  Urtheil  ich  über  dich  finden  kann,  bleib  bei 
mir;  vor  als  nach,   als  ein  getreuer  Dienstmann. ^ 

Also  kam  der  Fürst  mit  Gottes  Hilfe  in  seinem  Lande  wieder  in 
sein  Gut  und  Ehre.  Darauf  lebt*  er  noch  sechs  und  zwanzig  Jahre  mit 
seiner  Frau.  Da  nun  die  Zeit  und  der  Tag  kam,  dass  der  Herre 
sterben  sollte,  ^)  da  erhub  der  Leo  die  grösste  Klage,  wie  kein  Mensch 
noch  erhört  hat.  Er  legte  sich  zu  ihm  auf  das  Grab  und  kam  nimmer 
von  dannen,  bis  er  auch  sein  Leben  aufgab.  Darum  ward  zur  Urkunde 
ein  hobscher  Leo  zu  Braunschweig  auf  dem  Schlosse  gegossen  und  auf- 


')  Heinrich  starb  am  6.  August  1195  zu  Braunschweiff,  ohne  je  auf  die  baye- 
riseben  Lande  ausdrücklich  Verzicht  geteistet  zu  haben. 

7» 


100 

gerichtet.  —  Vielleicht  behielten  davon  die  bayerischen  Herzoge  das 
Mittelalter  hindurch  die  Vorliebe  bei,  einen  tüchtigen  zahmen  Löwen 
an  ihrem  Hofe  zu  halten. 

•  Die  Sagen  vom  Herzog  Ernst  und  Heinrich  dem  Leo  sind  in 
einander  übergegangen,  wer  von  beiden  die.Priorität  in  Anspruch  nehmen 
kann,  ist  unbestimmbar;  nur  die  Fahrt  durch  die  Luft  ist  eine  selb- 
ständige Zuthat;  merkwürdigerweise  ist  es  hier  nicht  der  Teufel  selbst, 
der  ihn  transportirt ,  sondern  der  Herzog  geräth  unter  das  wilde  Heer 
und  ein  dienstbarer  Greist  desselben  übernimmt  die  Beförderung,  die, 
wie  Cäsarius  von  Heisterbach  ausführlicher  erzählt,  in  Wuotans  Mantel 
vor  sich  geht. ')  Die  Sage  trägt  einen  e:ar  treuherzigen  Charakter  und 
ging  auch  in  ein  Weitverbreitetes  prosaisches  Volksbuch  über.  Das  Ganze 
ist  wie  Görres  treffend  sagte, ')  im  Geiste  der  altsteinemen  Ritterbilder, 
die  auf  den  Grabmälem  mit  gefalteten  Händen  knieen,  während  oben 
aufgehangene  Strausseneier ,  Greifenklauen  und  Seeungeheuer  in  dem 
dunkeldämmemden  Gewölbe  schweben  und  von  den  Thaten  im  hl.  Lande 
als  stumme  Zeugen  erzählen. 

Von  dem  Einfluss  des  Braunschweiger  Hofes  auf  die '  Poesie,  wird 
im  nächsten  Abschnitte  die  Rede  sein.  Wir  beschränken  uns  hier  auf 
das  Nibelungenlied,  das  Kronjuwel  der  volksthümlichen  Epen,, 
welches  bald  nach  dieser  Zeit  zum  Abschlüsse  kam  und  in  letzter 
Instanz  nach  Bayern  fallt. 

Der  innerste  Kern  und  der  Grundgedanke  der  Sage  ist  mythisch 
oder  wenn  man  lieber  will,  ein  Stück  der  allerältesten  Tradition:  Was 
der  Thrakisch- hellenische  Linosgesang  für  die  Griechen,  was  die  Ma- 
nerosklage  für  die  Aegypter,  ist  das  Nibelungenlied  und  die  Klage  für 
die  Germanen  und  Sachsen:  dass  ein  wunderbar  ausgerüsteter,  herrlicher 
Held,  in  der  Sonnenhöhe  des  Glückes,  einen  plötzlichen,  tragisdien 
Untergang  erlitten,  der  dann  ein  ganzes  Menschengeschlecht  mit  nach- 
gezogen habe.  Es  ist  die  Urtradition  aller  Völker,  nur  individuell  über- 
kleidet, von  deYi  Jahrhunderten  neu  gestaltet  und  in  historischer  Zeit 
neu  localisirt. 

Die  Vermuthung  ist  nicht  gewagt,  dass  unter  den  von  Karl  dem 
Grossen  gesammelten  Heldenliedern  des  deutschen  Volkes  auch  Sigfrids- 


')  Vgl.  über  diese  Heimkehrsagen  Grimm  Mytb.  980.  Wolf  Beiträge  I  4  ff. 
und  dessen  Zeitschrift  I.  63.  Simrock  Myth  219  ff.  Schambacb  und 
Müller  Niedersächs.  Sagen.  389  ff.  Mensel  Odin.  S.  94  ff  Rocbhols 
Schweizersagen.  II.  114.  -  Auch  der  edle  Möringer  wird  schlafend  auf  den 
Heimathboden  versetzt,    vgl.  üb I and  in  Pfeiffers  Germania  IV.  95. 

')  .1.  Görres  Volksbücher.  I80a  S.  90. 


101 

lieder  gewesen  seiti  mögen.')  Er  mochte  sie  zoiiächst  von  den  Sachsen 
erhalten  haben,  denn  auf  dem  hessischen  und  westfälischen  Boden  hatte 
die  Sage  zuerst  wieder  Wurzel  geschlagen. ')  Als  aber  Karl  dahin  das 
Schwert  und  das  Kreuz  brachte,  zog  ein  Theil  der  unbeugsamen  alten 
Häuptlinge  und  ein  gut  Theil  des  Volkes  weiter  nördlich,  fuhren  über 
die  See  und  fanden  eine  stille  Insel,  wo  sie  sich  wieder  fühlten  als  das 
was  sie  waren,  als  freies  Volk,  und  als  solches  dachten  sie  zu  leben 
and  zu  sterben,  treu  ihrem  alten  Olauben  und  den  alten  Göttern.  Aber 
das  Ghristenthüm  kam  auch  nach  Island  und  die  starrköpfigen  Heiden, 
die  erst  davor  geflohen  waren ,  Hessen  sich  gerne  taufen ,  doch  den 
alten  Glauben  behielten  sie  noch  lange  nebenbei  und  ihre  ehernen  Sitten 
ond  ihre  alten  Lieder,  die  dann,  fast  um  dieselbe  Zeit  als  auch  in 
Deutschland  derselbe  Stoff  seinen  Abschluss  gewann,  von  einem  christ- 
lichen Bischof  gesammelt  und  in  Schrift  gebracht  wurden,  ehe  der  Hort 
des  verschwimmenden  Volkes  völlig  verflog.  Das  ist  die  Edda,  die  eine 
Hälfte  des  entzweigebrochenen  Ringes  der  Volksüberlieferung  ist,  der 
an  das  in  deutschen  Landen  erhaltene  andere  Erbstück  merkwürdig  passt 
and  selbes  zu  einem  Ganzen  ru!)det  ergänzt  und  vollständig  macht. 

Die  in  deutschen  Landen  zurückgebliebenen  Trümmer  waren  in 
andere  Marken  tibergetragen  und  weiterverschleppt;  es  ging  ihnen  wie 
den  anderen  Dogmen  des  alten  Götterglaubens,  die  im  veränderten 
Gewände  umgingen  und  fortlebten,  verschiedenartig  localisirt  und  zeit- 
gemäss  säcularisirt. 

Das  grosse  Dunkel,  das  über  diesem  heimlichen  Entwicklnngs- 
prozess  liegt,  wird  durch  die  Nachricht  plötzlich  erhellt,  Meister 
Konrad,  ein  Schreiber  des  Bischof  Pilgrim  von  Passau,  habe  die 
Lieder  zuerst  In  lateinische  Form  gebracht.  Er  hatte  an  diesem  Stoffe 
dasselbe  gethan.  Was  Eckkehart  zu  St.  Gallen  mit  dem  Waltharius  und 
der  Ruodliebsänger  zu  Tegernsee  mit  deutschen  Stoffen  versucht  hatten : 
den  heimathlichen  Stoffen  ein  künstlerisches  Gewand  im  Sinne  der  ihnen 
zu  Gebot  stehenden  Bildung  überzuwerfen,  sie  zu  veredeln  und  zu  heben 
and  dem  bevorstehenden  Verfalle  zu  entreissen.  Aber  unser  Stoff"  hatte 
zu  viel  Lebenskraft  in  sich,  er  brach  sich  durch  und  rang  sich  frei  und 
gestaltete  sich  selbständig  neu  zu  einem  Ganzen  auch  ohne  die  fremde 
Hülfe  der  Gelehrten.  Aber  etwas  blieb  et  doch  hängen  an  der  neuen 
Erde  r    von  da  an  schreibt  sich  der  Zug  durch  das  Bayerland  und  die 


')  Timin  das  Nibelungenlied  nach  DarstelfuDg  und  Sprache  ein  Urbild  deutscher 
Poesie.  Halle  1852.  S.  56. 

')  ^gl*  die  ausgezeichneten  und  ausgebreiteten  Studien  von  Rassmann:   Die 
deatoche  Heldeoaage  und  ihre  Heimalh.  Hannover  1857  u.  1858.  2  Bde. 


102 

Einführung  der  Hennen,  die  an  Stelle  der  frttheren  Marben  treten  mussten. 
Die  Reise  der  Nibelungen  in's  Uannenland  ist,  wenn  man  se  sagen  darf^ 
die  Literaturgeschichte  des  Liedes  selbst.  Sie  zeigt  von  der  über  die 
deutschen  Marken  hinausfluthendcn  Verbreitung  und  von  der  lebendigen 
Aufriahme,  von  dem  Uebergehen  in  wirkliches  Leben  und  von  dem 
letzten  Uebertragen  auf  historische  Personen.  Wie  dieses  erreicht  war, 
stand  der  flüssige  Stofif  fest  und  verhärtete,  es  gab  Sprünge  und  Risse 
dabei,  denn  die  Materie  war  in  der  langen  Zeit  eine  leichtere  geworden 
und  fremdartige  Influenzen  hatten  nicht  zum  Vortheil  dflCrauf  gewirkt 

lieber  den  Schreiber  des  Passauer  Bischofs  sind  die  Gelehrten  in  so 
weit  einig  geworden,  dass  seine  Arbeit  in  der  Zeit  von  970  bis  984  ge- 
schehen sein  müsse. ')  Dieses  sein  Werk  wurde  die  Grundlage  des  uns 
überlieferten  Gedichtes,  welches  aber  seitdem  zum  mindesten  viennal  über- 
arbeitet wurde.  Den  ältesten  Theil  bildet  unstreitig  der  Sachsenkrieg,  dar- 
auf kam  Konrad,  ein  w  eiterer  Poet  machte  die  Märe  wieder  deutsch,  Einer 
fügte  die  Klage  hinzu  und  der  letzte  goss  endlich  um's  J.  1200  die  Form 
darüber,  in  welcher'uns  das  Werk  heute  noch  vorliegt.  Doch  ist  auch  hier 
wieder  ein  verzweiflungsvoller  Umstand  dabei,  wir  haben  leider  keine  von 
irgend  einer  Autorität  beglaubigte  Yulgata ;  von  den  bis  jetzt  bekannt  ge- 
wordenen siebenundzwanzig  Handschriften  (worunter  jedoch  kaum  zehn 

vollständige  sich  befinden)  sind  die  meisten  durch  Auslassungen,  Will- 

*  .1 

kührlichkeiten ,  wohlgemeinte  Verbesserungen  und  Ungereimtheiten  der 
Abschreiber  so  entstellt,  dass  der  bessere  und  uns  erreichbar  ältere 
Text  nur  mit  Mühe  und  nach  vielen  Irrwegen  aus  acht  zum  grösseren 
Theile  defecten  Handschriften  zu  gewinnen  war.  *) 

Die  Gelehrten  und  voraus  Lach  mann,  der  nun  einmal  zum  Ho- 
meriden-Wolf  an  den  Nibelungen  werden  wollte,  hatten  sich  alle  mög- 
liche Mühe  gegeben,  die  „ältesten  Lieder^  aus  dem  Epos  wieder  zu 
gewinnen  —  das  ist  aber  ein  vergebliches  Bemühen  und  ein  nutzloses 
Reconstruiren.  Dass  solche  dem  Gedichte  zu  Grunde  liegen ,  ist  kein 
Zweifel,  der  häufig  noch  herausklingende  Stabreim  allein  wäre  schon 
ein  Beleg  dafür, ^)  aber  selbe  wieder  zu  gewinnen,  ist  unmöglich,  sie 
sind  verschmolzen ,  verhämmert  und  überarbeitet ,  der  geistige  Gewinn 
aber  wäre  jedenfalls  unerheblich,  denn  über  die  Edda,  die  unsere  Sage 


'j  Holtzmann  Untersuchungen  über  das  Nibelungenlied.  Stuttgart  1854.  S.  125 
Q.  130. 

')  Vgl.  Holte  mann  das  Nibelangenlied  in  der  ältesten  Gestalt^  nebst  den  Ver- 
änderungen, des  gemeinen  Textes  und  Wörterbuch.  Stuttgart  1857. '(Darnach 
sind  au(»  unsere  späteren  Citate  der  Stropbeozählung.) 

')  0.  Vi! mar  R^ste  der  Alliteration  im  Nibelungenliede.  1845.  4P. 


,  \ 


103 

in  unvergleichlich  mehr  prägnanter  Form  und  mit  älterem  Erzgehalte 
gibt,  ist  doch  nicht  hinauf  oder  hinauszukommen.  Lachmann  gegenüber 
hatte  bereits  W.  Müller,  W.  Menzel,  van  der  Hagen  und 
Holtzmann  an  der  Idee  eines  grossen  Dichters  festgehalten,  der 
zu  den  herrlichsten  Geistern  der  Nation  gehöre,  der  über  dem  mäch- 
tigen  Werke  sich  selbst  vergessen,  der  sich  aber  in  dem  ritterlichen 
%>ielraanii  Volker  abgespiegelt  habe  u.  dgl.  Andere  dagegen  hielten  den 
Dichter  für  eine  höchst  roittelmässige  Capacitat,  etwa  für  einen  Bänkel- 
säBger  und  herum&eddnden  Blinden.  Die  Wahrheit  liegt  in  der  Mitte. 
Die  letztere  Ansidit  aber  möchten  wir  wohl  nur  bildlich  gebraucht  wissen, 
insofern  der  Dichter  über  die  ursprüngliche  Bedeutung  seines  Stoffes 
wirklich  bliod  war  und  von  dessen  innerstem  Kern  keine  Ahnung  mehr 
haben  konnte;  doch  immerhin  gehörte  noch  eine  höchst  respektable 
Kraft  dazu,  um  den  bereits  sich  auflösenden  und  in  Trümmer  bröckeln- 
den ^Stoff  zusammenzufassen  und  im  Ganzen  zu  festen,  so  dass  er  trotz 
den  verlorenen  ßruchtheilen  noch  mit  eiserner  Geschlossenheit  vor  uns 
steht.  Aber  gerade  desswegen,  weil  der  Poe't  nicht  aus  dem  eigensten 
Innern  schaffen  und  gestalten,  weil  er  das  Ueberlieferte  nicht  als  sein 
erfundenes  Eige'lithum  behandeln  konnte,  desswegen  ist  uns  auch  kein 
Name  gewahrt;  es  ist  derselbe  Fall,  wie  bei  manchem  deutschen  Mün- 
sterbau, wo  über  dem  Plane  und  der  Ausfuhrung  so  vielerlei  Hände 
thätig  gewesen  seil)  mochten,  dass  kein  Einziger  das  vollendete  Werk  für 
seine  eigene  einzige  Schöpfung  auszugeben  im  Stande  gewesen  wäre.  — 

Wie  ein  alter  Königspalast,  an  dem  Jahrhunderte  gebaut  haben, 
steht  das  gewaltige  Lied  der  Nibelungen  vor  uns ;  aus  grauer  Heidenzeit, 
wurzelnd  und  verwachsen  in  der  Mythe,  stammt  das  Fundament,  dessen 
Geschie\)e  selbst  die  philosophische  Geologie  vergeblich  zu  enträthseln 
bestrebt  gewesen.  Darauf  hat  sich  in  den  folgenden  Dynastien  das 
Mittelwerk  erhoben:  byzantinischer  Schmuck,  Säulenwerk  aus  vorkaro- 
lingischer  Zeit  und  Rundbogenstyl  standen  etwa  zusarnünen;  erst  als  ui 
der  Folge  neuer  Anbau  hinzugekommen,  neue  Thürme  angeschossen  und 
der  allseitigen  Buntfarbigkeit  zu  viel  geworden,  hat  der  letzte  Besitzer 
daran  gedacht,  eine  einheitliche  Fa^ade  über  das  so  Zusammengetragene 
and  Zusammengewachsene  zu  werfen  —  und  so  ist  es  uns  heute  noch 
erhalten.  Doch  Ward  beim  letzten  Um-  und  Ueberbau  wohl  Vieles,  was 
dem  Totalüberblick  und  Eindruck  im  Wege  gestanden,  niedergerissen 
und  abgetragen  und  nur  dem  kundigen  Auge  sichtbar  erscheinen  noch 
innen  im  Bau  die  früheren  Wege,  Stege  und  Gänge,  die  anst  anders- 
wohin gefahrt  haben  und  nun  plötzlich  verschwinden.  Der  letzte  Dichter 
der  Nibelungen  war  kein  feingebildeter  Architekt  nach  unseren  Begriffen, 
auch  kein  gemeiner  geistlosef  Handlanger,  aber  ein  tüchtiger  Maurer- 


104 

meister,  der  eben  desshalb  doch  etwas  mehr  Bleibendes  und  Praktisches 
hinzustellen  wusste,  als  der  gute  im  Formelwesen  der  klassischen  Idea- 
lität bßfangene  Meister  Conrad. 

Wh'  wären  nicht  abgeneigt,  das  zweifelhafte  Verdienst,  die  heid- 
fiische  Historie  christianisirt  zu  haben,  auf  seine  Rechnung  zu  stellen. 
Er  vermenschlichte  die  fast  überirdischen  Heldenfiguren  etwas,  Hess  sie 
zur  Kirche  gehen,  setzte  seinem  Bischof  ein  schmeichelhaftes  Gredächt- 
niss  damit,  mehr  aber  vermochte  er  kaum,  ausser  der  schon  angedeu* 
teten  Uebertragung  auf  die  bayerische  und  weiter  benachbarte  Geo- 
graphie; die  in  den  nächsten  Jahrhunderten  folgenden  Ueberarbeit^ 
costümirten  dann  die  hohen  Frauen  und  Recken  gewissenhaft  nach  dem 
Schnitte  und  Geschmacke  ihrer  Zeit,  die  sie  gerade  vor  Augen  hatten, 
kleideten  sie  zeitgemäss  und  schliffen  die  ehedem  alliterirenden  Stäbe 
zur  schönen  glatten  Nibelungenstrophe,  wobei  Manches,  was  gar  zu  sehr 
die  alte  ungebärdige  Unbändigkeit  an  sich  trug,  noch  weislich  geglättet 
qnd  eben  gemacht  wurde« 

Betrachten  wir  noch  einmal  den  Passauer  Schreiber  und  dessen 
Bischof  Pilgrim.  Letzterer,  welcher  in  den  Jahren  970 — 991  wirklich 
auf  dem  kirchlichen  Stul^le  sass,  tritt  zu  unserer  Ueberraschung  in  den 
Nibelungen  und  in  der  Klage  als  handelnde  Person  auf,  ja  er  ist  sogar 
zu  einem  Verwandten  der  alten  burgundischen  Könige  gemacht  und  mit 
Attila  in  eine  anachronistische  Constellation  gebracht.  Wie  ist  das  zu 
erklären?  Das  konnte,  wie  Holtzmann  klar  darlegt,  *)  nur  von  einem 
Dichter  geschehen,  der  den  Bischof  kannte  und  der  zu  einer  Einmisch-* 
ung,  zu  der  alle  innere  Veranlassung  fehlte,  eine  äussere  hatte.  Ist  das 
Zeugniss  der  ^Klage^  acht,  dass  nämlich  Pilgrim  durch  seinen  Schreiber 
Konrad  die  Sage  habe  aufzeichnen  lassen,  dann  ist  es  sehr  begreiflich, 
dass  dieser  zugleich  seinem  Herrn  und  Gönner  ein  Denkmal  setzen 
wollte  und  desshalb  eigenmächtig  und  gewaltsam  einen  Bischof  Pilgrim 
von  Passau  in  die  Sage  einmischte.  Von  diesem  erdichteten  Pilgrim 
rühmte  er,  dass  er  ein  Oheim  der  burgundischen  Könige  war:*)  damit 
wollte  er  anzeigen,  dass  der  historische  Bischof,  sein  Herr,  mit  Königen 
verwandt  war;  von  dem  erdichteten  Pilgrim  erzählt  er,  dass  er  Krim- 
hild  ermahnt  habe,  ihren  Gemahl,  den  Hunnenkönig  Etzel,  für  das 
Christenthum  zu  gewinnen;*)  damit  wollte  er  in  poetischer  Weise  den 


')  Untersuchungen  S.  121. 

')  Frau  Uote,  die  Mutter  derBurgunden  und Kriemhilds,  ist Pifgerins Schwester 
(Str.  1456). 

')  Str.  1357:  der  biscbof  minnekitche  von  sfner  nifleln  schiet; 
das  81  den  kttnic  bek^rte,  wie  vast  er  ir  das  riet. 


105 

Antheil,  den  der  historische  Pilgrim  durch  die  Unganikönigin  Sarolta 
an  der  Bekehrung  der  Ungarn  hatte,  verherrlichen ;  die  Ungarn  waren 
seit  der  Lechfeldschlacht  (955)  für  die  Deutschen  keine  gefurchteten 
Teufel  mehr,  sondern  zahmgemachte  Heiden,  die  durch  eine  christliche 
Königin  civilisirt  werden  sollten.  Endlich  wird  in  der  Klage  von  dem 
erdichteten  Pilgrim  berichtet,  dass  er  aufs  sorgfältigste  alle  Nachrichten 
über  die  alte  Sage  aus  dem  Munde  der  Spielleute  gesammelt  und  auf- 
gezeichnet habe;  damit  will  der  Dichter  preisen,  dass  der  historische 
Pilgrim  wirklich  zum  ersten  Male  die  alte  Sage  durch  ihn  habe  auf- 
schreiben lassen.  Die  Worte,  welche  dem  erdichteten  Pilgrim  in  den 
Mand  gelegt  werden:*)  v.  3464  ff. 

ez  ensol  niht  so  beliben 

ich  wil  allez  läzen  schriben 

die  stürme  unt  der  recken  ndt 

unt  wie  si  sin  beliben  U)t, 

wie  ez  sich  huob  unt  wie  ez  kam 

unt  wie  ez  allez  ende  nam.  — 

darzuo  so  wil  ich  vrä^n 

von  iegeliches  mägen, 

ez  s!  wip  oder  man, 

sweF  iht  davon  gesagen  kan.  — 

da  vinde  ich  wol  diu  maere, 

wand  ez  vil  übel  waere 

ob  ez  behalten  würde  niht: 

es  ist  diu  groeziste  geschiht 

diu  zer  werlde  ie  geschach  — 

cüese  Worte  dürfen  unbedenklich  dem   historischen  Pilgrim   zugegeben 
werden.  Wenn  nun  der  Dichter  sich  den  Schreiber  des  Bischof  Pilgrim 
von  Passau  nannte,  so  konnte  hier  absichtlich  der  historische  vqn  dem 
erdichteten  Bischof  nioht  unterschieden  werden ,   und  wenn  dieses  auch 
nicht  der  Fall  war,    konnte  doch  derjenige,  welcher   im  Anfange  des 
XIIT.  Jahrh.  die  Klage  schrieb  und  gewiss  von  dem  historischen  Bi- 
schof nichts  wusste,  sehr  leicht  die  Sache  so  auffassen  und  darstellen, 
als  ob  der  Dichter  Konrad  nach  den  Berichten  des  Spielmanns  (König 
Etzels)  die  Sage  aufgeschrieben  habe.     Auf  diese  Weise  gibt  Holtz- 
mana  über   die  Einmischung  Pilgrims  eine   sehr  natürliche  und   voll- 
kommen befriedigende  Erklärung.    Der  Dichter  hat,  wie  das  die  mittel- 
alterlichen Künstler  und  Bildhauer   gerne   übten,    das  Portrait  seines 
Herren  als  passendes  Compliment  auf  eine  ideale  Figur  gemalt,  er  hat 


>)  Ausgabe  von  Vollmer.  1843.  8.  326. 


-  106 

dasselbe  gethan,  wie  mancher  Maler,  der  seinen  bayerischen  Herzog 
unter  der  Gestalt  seines  Naraenspatrones  abconterfeite ,  ohne  desshalb 
damit  aussprechen  zn  wollen,  das'b  der  fragliche  Herr  wirklich  ein  Hei- 
liger gewesen. 

Dass  der  Dichter,  welcher  die  letzte  Hand  an  das  Lied  gelegt  hat, 
ein  Bayer  gewesen,  kann  wohl  füglich  nicht  behauptet  werden.  Zwar 
wird  das  Bayerland  oft  genannt,  nicht  nur  die  Boten  Eitzels  ziehen  mit 
Rüedeger  ungefährdet  durch  auf  der  Fahrt  nach  dem  Rhein  zur  Werb- 
ung (Str.  1197),  auch  die  bräutliche  Wittfe  kommt  auf  ihrer  Reise 
über  die  Donau  und  herbergt  mit  ihrem  Ingesinde  zu  Pledelingen 
und  Passau.  (Str.  1321  ff.)  Pledelingen  (Str.  1324)  wo  Kriemhild 
Gemach  erhäh  und  bewirthet  ist ,  wäre  vielleicht  das  an  der  Isar  ge- 
legene Plattling;')  zu  Passan  sind  Kanfleute  (Str.  1325),  welche 
die  Frau  schön  empfangen,  die  Nibelungen  waren  unterdessen  aber  nicht 
beraubt  worden.  Wärbel  und  Swämmeltn  ftihren  später  wieder  durch 
an  den  Rhein  (Str.  1456  ff.);  auch  ein  ^vogt  m  Beyerlande  Gelpfrät^ 
wird  genannt  (Str.  1582),  durch  dessen  Marken  die  Burgunden  reiten. 
Gelpfrät  hat  weiter  unten  einen  Bruder  Namens  Else,  der  eine  Mark 
an  der  Donau  hat,  hier  ist  der  Ferge,  den  der  grimme  Hagen  erschlägt 
und  auf  dessen '  Schiffe  er  die  Helden  in  das  „unbekannte  Land^  hin- 
übersetzt; hier  aber  schon  nicht  mehr  aof  bayerischem  Boden  ist  der 
Spuck  mit  den  Meerweibern,  den  Schwanjaogfrauen, ')  die  Adrians 
Kind  den  Untergang  prophezeien,  hier  macht  Hagen  die  Probe  und  wirft 
den  Kapellan  ins  Wasser,  der  allein  aus  der  dem  Untergang  geweihten 
Reisegesellschaft  mit  dem  Leben  davonkommt.  Die  Strassen  in  Bayern 
sind  unsicher;  räuberisches  Volk  wohnt  da  nnd  die  Helden  reiten  mit 
dem  Schild  vorsichtig  vor  dem  Leibe.  (Str.  1640.)  Das  Alles  kann  ein  * 
Bayer  nicht  von  seinem  Lande  gesungen  haben,  das  war  naehbarliche 
Meinung.  Die  Bayern  galten  das  ganze  Mittelalter  hindurch  als  böse 
Leute,  streit-  und  trinklustig  und  räuberisch;  i^Uein  sie  mochten  sich 
trösten  mit  dem  Leumund  der  Schwaben,  Franken,  Hessen  und  Oester- 
reicher,  der  in  vielen  Dingen  noch  übler  lautete;  die  Burgunder  wären 


')  Die  ^eojsrraphi sehen  Rilhsel  und  Lücken  d^s  Liedes  würden  jedoch  durch  diese 
Annphme  nur  vermehrt;  Plaltling  liegt  auf  der  rechten  Seite  und  dazn 
noch  weitab  von  der  Donau,  auch  Passau  liegt  auf  der  rechten  Seile;  also 
müssten  die  Nibelungen  die  Donau  schon  früher  passirt  haben  und  doch 
setzen  sie  hinter  Passau  zuerst  über  den  Fluss:  wie  wären  sie  also  von 
OsterFranken  herübergekommen?  Der  Dichter,  der  so  gegen  das  Geogra- 
phische verstösst,  kann  kein  Bayer  gewesen  sein. 

^)  Eine  hetsst  Hadeburc  (Str.  1571),  die  andere  Winelint  (Str.  1575).  vi^l. 
Grässe  Beiträge  zur  Literatur  und  Safe  des  Mittelalters.  Dresden  1850. 
S.  38  fr.  Ueber  das  Verwandeln  der  Walkyren  in  Schwäne  ibid.  S.  85  ff. 
Simrbck  Mythologie.  ^.  391. 


107 

sogar  ganz  sicher  gereist,  hätte  Ha^en  nicht  Todtschlag  zuvor  geübt, 
so  massten  sie  sich's  gefallen  lassen,  angerannt  zu  werden.  Gel p trat 
wird  später  ^on  Dancwärt  erschlagen.  (Str.  1654.)  Auf  der  Reisetour 
vom  Main  (Möune)  wird  noch  Swanfelt  in  Osterfranken  genannt 
(Str.  1561)  und  später  unter  Passau Moe ringen  CStr.  1631)  „clä  dem 
Elsen  vergen  was  der  lip  benoinen''  und  die  Helden  übersetzten.  Der 
Name  eines  bayerischen  Recken,  Am el rieh,  der  einer  Feindschaft 
wegen  aus  Bayern  floh  und  bei  dem  Fährmann  lebte,  ist  gleichfalls 
gewahrt.  *) 

Die  ehedem  so  berühmte  Hohenemser  Münchner  Handschrift,  die 
Lach  mann  seiner  Edition  zu  Grund  gelegt  hatte,  ist  unterdessen  durch 
Holtzmanns  Forschungen  ihres  guten  Rufes  verlustig  geworden,  da 
er  evident  nachgewiesen  hat ,  dass  sie  den  ^hlechtesten  Text  bietet ; 
glücklicher  ist  die  Pergament -Handschrift,  welche  Wiguläus  Hund  zu 
Prunn  bei  der  Altmühl  fand  und  im  J.  1575  an  die  Münchner  Bibliothek 
schenkte;  sie  wird  in  zweiter  Reihe  neben  der  sog.  Lassberg'schen  Hand- 
schrift, die  durch  die  neueste  itritik  wieder  uugetheiltes  Ansehen  ge- 
niesst,  zugelassen,  leider  bietet  auch  sie  zum  grösseren  Theile  (von  Str. 
268  an)  schön  den  überarbeiteten,  gemeinen  Text. 

Das  Nibelungenlied  berührt  uns  hier  nicht  weiter.  Aber  das  eine 
ist  doch  bemerkenswerth ,  dass  gerade  mitten  im  Mittelalter,  an  der 
Grenze  unseres  Landes  in  der  üeberfahrt  der  Nibelungen,  noch  einmal 
die  alte  Mythe  auflodert.  Die  Donau  ist  der  Todesstrom  für  die  Bur- 
gündenhelden ,  die  Fahrt  geht  hinüber  in  das  „unbekannte  Land,*") 
wie  der  Dichter  selbst  sagt.  Ihr  Charon  ist  der  schreckliche  Hagen,  der 
Alle  ganz  allein  überfahrt.  Er  ist  der  Riese  Hrymr  mit  allen  Nifl- 
heimem  im  Todtenschifl'  Naglfäri  und  eins  mit  dem  Riesen  Loki,  der 
Muspels  Söhne  fährt.  Vielleicht  ist  das  Hiunen-  und  Heunenland 
selbst  im  Namen  das  Todtenreich,  da  Heune  im  Ostfriesischen  noch  die 
Leiche  heisst  und  bei  uns  d6r  Freund  Hain  den  Tod  bedeutet?  Hagen 
aber  ist  im  Namen  selber  des  Todes  Stachel  und  Hacken  und  sein 
steter  Gefährte  Volker,  der  Fiedler,  spielt  zum  Todtenreigen  auf,  er 
wäre  der  Spielmann  Egdir,  welcher  fröhlich  zur  Verwüstung  harfenirt! 

')  H.  Haa^  bat  in  seiner  At>h8ndlun|(  über   ^^e  Nibelungen   in  ihren  Bezieh- 

iinffeo   zur  Gescbicbte  des  MiUelalters'^   (Erlangen  1860)    viele    interessante 

AnKnüprungspunkte  gefunden,  doch  sind  viele  seiner  Erklärungen  allzu  ge- 

'  sucht  und  manche,  z.  B.  dass  Wirnt  von  Grävenberg  der  Dichter  des  Liedes 

sein  müsse,  völlig  b^IMos. 

')  Str.  1607 :  Hagene  Yfi%  dd  meister,  des  fuort  er  über  sanl 

vil  manegen  küenen  recken  in  daz  unkunde  laut. 


0. 

Ritterliche  Kunstepik. 


Nachdem  beinahe  die  ganze  frühere  Zeit  grösstentheils  an  EUinner- 
ungen  gezehrt,  werden  wir  nun  mit  dem  Beginne  des  XIII.  Jahrhonderts 
plötzlich  in  das  Leben  selbst  geführt,  das  sich  uns  aufthut  mit  einer 
Frische  und  Natürlichkeit,  die  überraschend  auf  den  Beschauer  wirken. 
Wie  durch  einen  Zauberschlag  nimmt  das  in  den  Kreuzzügen  gross 
gewordene  Ritte rthum,  welches  in  fremden  Landen  eine  Weltbildung 
genossen  hatte,  plötzlich  die  Poesie  auf,  die  seitdem  nur  in  den  Händen 
der  andersredenden  Mönche  und  unter  den  fahrenden  Spielleuten  eine 
stille  scheue  Pflege  gefunden  hatte.  Am  Hofe  Friedrichs  des  RothbarU 
unter  dem  Einflüsse  seiner  bnrgundischen  Gemahlin  Beatrix  und  am  Hofe 
Heinrich  des  Löwen,  unter  dem  Schutze  seiner  normannisch-englischen 
Gemahlin  Mathilde,  wurde  die  Dichtung  gepflegt.  Auf  ihre  Veranlassung 
hat  ein  Geistlicher,  der  Pfaflfe  Kuonrät,  das  Rolandslied  aus  dem 
Latein  übertragen  (1173  —  77);  der  Löwe  mochte  vielleicht  in  der 
Heerfahrt  Karls  d.  Gr.  nach  Spanien  ein  Vorbild  seines  eigenen  Zuges 
nach  Palästina  erblickt  haben:  ein  anderer  Dienstmann  desselben  Her- 
zogs, Namens  Eilhart  von  Oberg,  welcher  1189 — 1207  urkundlich 
erscheint,  bearbeitete  zuerst  den  „Tristant^  nach  einer  französischen 
Quelle,  vielleicht  aus  derselben,  die  Gottfried  von  Strassburg  in 
der  Folge  durch  sein  Epos  ganz  zu  einem  deutschen  Gemeingut  erhob. 
Von  Eilhart's  Heldengedicht  sind  nur  kleine  Fragmente  erhalten,  die 
HofFmann  von  Fallersleben  1821  zu  Magdeburg  entdeckte; ')  ein  Bruch- 
stück hat  K.  Roth  zu  Regensburg  gefunden. ')  So  waren  die  welschen 
Stoffe,  in  ihrer  Mitte  König  Artus,  nach  Deutschland  gekommen,  wo 
sie  schnell  Wurzel  fassten.  Die  Herzoge  zu  Landshut,  die  Grafen  von 
Bogen  und   Babenberg,    die  von  Andechs   und  Andere,    wurden    den 


*)  Vier  Oclavblätter.    vgl.  Fundgruben.  I.  231. 

')  Dr.  Karl  Roth  Bruchstücke  des  Jansen  £ninkel.  1851. '^.  37. 


109 

Dichtern  hold,  eine  nahmhafte  Anzahl  der  erlauchten  Herren  und  Grafen 
^ffen  selbst  in  die  Saiten  und  die  Geschichte  des  Minneliedes  hat  eine 
stattliche  Reihe  adeliger  Sänger  im  Bayerlande  aufzuweisen. 

Bisher  hatte  die  volkstbümliche  Saga  gewaltet,  nun  tritt  das  Wort 
Aventiure  aus  dem  Romanischen  in  unsere  Sprache  über.*)    Ausser 
dem  ursprünglichen  Sinn  von  Ereigniss,  Vorgang,  bedeutet  es  zugleich 
die   Darstellung    und   Erz&hlung   des  Vorganges,    dann   Aufzeichnung, 
Schrift,  Buch,  das  was  dem  Dichter  für  seine  Erzählung  Gewähr  leistet, 
woraus  er  sie  schöpfte,  also  gleichbedeutend  mit  unserem  heutigen  Be- 
griff ^Greschichte.^  Wolfram  gebraucht  die  Aventiure  nach  Hartmanns 
Beispiel,  indem  er  sie  zuerst  als  Frau  Aventiure  personificirt: ')  sie 
erscheint  plötzlich  vor  dem  Hause  des  Dichters  und  fordert  Einlass,  in 
seines  Herzens  engen  Raum  will  sie  herbergen.  Andere  nennen  sie  eine 
sfisse,  werthe  Frau,  wohlgeboren  und  reich,  man  soll  in  ihren  Hulden 
zu  bleiben  suchen;  sie  wird  als  ein  höheres  Wesen  geschildert,  das  im 
Lande  umzieht,  sich  zu  Gaste  „ze  flure^  laden  lässt,  sie  sitzt  am  Heerd 
nieder  und  erzählt.  Es  ist  die  alte  Göttin  der  Dichtkunst,  die  im  neuen 
Gewände  erschien,  heinrisch  ward  in  den  deutschen  Landen,  die  dann 
später  mit  dem  Verfall  der  höfischen  Dichtkunst  als  „Frau  Abenteuer^ 
bei  den  Spmchsprechern  weilte  und  zuletzt  sich  in  die  „heilige  Muse^ 
der   Humanisten   übersetzen   lassen  und   mit  der   antiken  Zopfperücke 
patzen  musste. 

Deijenige  Dichter  aber,  dem  sie  in  unserer  Heimath  ihre  milde 
Hand  aufs  Haupt  legte  und  den  sie  mit  ihrem  reichsten  Segen  begna* 
dete,  dass  er  fortan  geht.  Einer  der  Ersten  unter  den  grössten  Sängern 
der  Welt,  geschmückt  mit  unvergänglich  grünem  Kranze,  ist  Wol  fram 
von  Eschenbach. 

Wie  sich  einst  sieben  Städte  um  die  Ehre  stritten,  die  Wiege 
Homers  in  ihrer  Mitte  gehabt  zu  haben,  so  stellt  sich  bei  uns  eine 
gleidie  Anzahl  von  Ortschaften  heraus,  die  mit  mehr  oder  minderer 
Rührigkeit  die  Heimath  Wolframs,  der  von  einem  Eschenbach 
seinen  Beinamen  erhalten,  ftlr  sich  in  Anspruch  nehmen.  Daisen ber- 
gers ^geographisches  Handlexicon'^  vom  J.  1811  kannte  deren  sechs,') 


')  Vgl.  die  schöne  Abhandlung  Grimms.     Berlin  1842. 

')  Parc.  433,  1  ff.  „Tuol  üf^  wem?  wer  sil  ir? 

,.ich  wil  inz  herze  hin  zuo  dir.^ 
80  gert  ir  zengem  rüme. 
„waz  denne,  belibe  ich  kume? 
mtn  dringen  soitu  selten  klagn: 
ich  wil  dir  nu  von  wunder  sagn.^ 
jft  Sil  irz,  frou  Aventiure?! 

')  S.  35:    Escbenbach  Stadt  zwischen  AmbergMind  Baireulh.  E.  bei  Erding, 
Erlbacb,  Hersbruck,  der  Markt  bei  Weiden  und  die  SladI  bei  \^1nd8heim. 


110 

im  J.  1851  nannte  dieselbe,  Quelle  nur  mehi*  fünf,')  Dr.  Karl  Roth 
dagegen  weiss  deren  sogar  acht. aufzuweisen. ')  Von  diesen  haben  jedoch 
nur  das  fränkische  Eschenbach  und  jenes  in  der  Oberpfalz  ernst- 
lich um  ihr  Vorrecht  sich  angenommen,  nachdem  die  Schweizer  Con- 
jecturen  unhaltbar  geworden  waren.  Zwei  namenlose  Ritter  zankten  sich 
später  1831  im  ,.Innlaud^  herum,  der*  Eine  denuncirte,  dass  in  der 
Kirche  des  zwischen  Spalt  und  Herrieden  gelegenen  Städtchens  Eschen- 
bach  der  dortige  Thürmer  den  Alterthumsfreunden  ^mit  keckem  Finger 
ein  aussen  eingemauertes,  geringes  Denkmal  eines  «chlichten  Bürgerlein, 
mit  dessen  Steinbild  und  verdorbener  deutscher  Sct^ft,  als  Begräbniss- 
stätte und  wahrhaftes  COnterfei  des  berühmten  Wolfram^  zeige,  obwohl 
dort  einige  alte  Epitaphien  oder  Todtenschüde ,  aber  keine.  Spur  von 
dem  angeblichen  Begräbnisse  Wolframs  zu  sehen.  ^>  Dem  gegenüber 
erhob  sich  eine  Stimme  aus  der  Oberpfalz ,  welche  gewissenhaft  die 
Sage  constatirte,  wornach  die  zwischen  Amberg  und  Baireuth  gelegene 
Provinzialstadt  Eschenbach  der  sichere  Geburtsort  des  Sängers  ^i.  ^) 
Die  Kämpfenden  trennte  Mass  mann  durch  sein  Siegesgebot,^)  indem 
er  auf  seinen  früheren  Artikel  in  der  ^Eos**  verwies ,  der  Mch  jedoch 
nicht  des  Nachschlagens  verlohnt,  um  dort  (Jahrgang  1828.  Nro.  25. 
S*  99)  die  leere  Schwätzerei  über  Wolfram  und  Hadamar  von  der 
Laber  nachzulesen.  Später  entschied  Seh  melier^)  einmal  für  allemal 
massgebend  zu  Gunsten  der  Franken,  und  der  Streit  galt  als  vollendet, 
bis  König  Maximilian  hochsinnig  beschloss,  dem  Dichter  ein  grossartiges 
Denkmal  aufzustellen.  Das  brachte  die  Oberpfälzer  neuerdings  zum  Be- 
wusstsein,  dass  sie  bereits  im  Jahre  1823  die  Erlaubniss  zur  Errichtung 
eines  Monumentes  nachgesucht  und  erhalten,  bis  dato  aber  wieder  darauf 
vergessen  hatten.  Also  erhob  sich  ein  Ungenannter,  welcher  ^im  Archive 
zu  Eschenbach,  Erbendorf  und  Kemnath  die  merkwürdigsten  Ausschlüsse 
über  Geburt,  Tod  und  Begräbuiss  des  Pa^^^ivalsängers^  gefunden  haben 
wollte,    in  einem. passenden  Organ , ^)  worin  er,    natürlich  mit  weiser 


')  Stadt  zwischen  Amberg  und  Bairealh;  Weiler  bei  Erding,  Stadt  bei  Ans- 
bach, Dorf  bei  Erlbach,  Weiler  bei  Hersbruck. 

^)  Nach  dem  Postlexicon  für  Bayern  vom  Jahre  1818  gibt  es  acht  Ortscharten 
dieses  Namens,  und  zwar:  Eschenbach  Dorf  in  Unlerfranken,  Stadt  Eschen- 
bach und  Windischeschenbach  in  Oberpfalz,  Eschenbfirh  P/arrdorf  bei  Hers- 
bruck, ferners  in  Mitlelfranken :  Eschenbach  Dorf,  Ldgr.  Markt  Erlbach^ 
Obereschenbach  Stadt,  Mifleleschcnbach  Pfarrdorf,  Untereschen  bach  Dorf. 
Ausser  diesen  sind  in  Bayern  noch  viele  Orte,  die  ähnliche  Namen  röhren^ 
und  zwar:  1  Eschbach,  1  Eschberg,  3  Eschelbacb,  1  Eschelberg,  1  Eschel- 
dorf,  4  Eschenau,  1  Eschenberg,  1  Esselbach,  3  Essenbach  u.  s  w. 

»)  S.  192.        *)  S.  654.        *)  S.  686. 

^)  Seh  melier  über  Wolframs  von  Eschenbach  Heimatb,  Grab  und  Wappen, 
gelesen  in  den  Sitzungen  der  Akademie  am  3.  Februar  1837. 

^)  UnterhaHungsblatt  zur  Kegensbnrgeit  Zeitung.  1859.  Nro.  15. 


111 

ZoruckhaltaDg  seiner  archivalen  Eatdeeknngen ,  die  oberpfWzische  Ab- 
stammiing  des  Dichters  vertheidigte. 

Da  nun  beide  Partheien ,  die  oberpfalzische  sowohl ,  wie  die  frän- 
kisdie,  ihr  gutes  Recht  zur  weiteren  Schlichtung  unseren  Händen  an- 
vertrauten, der  Schreiber  aber  in  vorurtheilsloser  Bereitwilligkeit  mit 
Eiasichtnahme  der  Akten  und  umständlicher  Briefwechselei  und  zahl- 
losen Verhörungen  unter  böswilligen  Mystificationen  ein  gut  Theilder 
ihm  zugewiesenen  Arbeitszeit  opferte,  so  wird  sich  die  Wahrheit  wohl 
herausstellen,  wenn  auch  auf  Kosten  einer  Parthei,  denn  beide  strittige 
Theile  können  unmöglich  gleiche  Anrechte  haben  und  die  Wahrheit  wird 
kaum  in  einer  versöhnlichen  Mitte  liegen. 

Die  letzte  Arbeit  des  vortrefflichen  Archivar  Oesterreicher  zu 
Bamberg  war  eine  Biographie  Wolframs,    über  welcher  ihn  der  Tod 
überraschte,  ehe  er  selbe  nur  tfaeilweise  vollenden  konnte.  Seine  vorge- 
fasste  Idee  war,  den  Dichter  fUr  die  Oberpfalz  zu  vindiziren;  so  schrieb 
er  desshalb  am  11.  November  1636  aa  den  Magistrat  der  oberpf&lzi- 
sehen  Stadt  Eschenbach,   er  sei  nahe  daran  und  habe  bereits  unUDg- 
liche  Bel^e  gefunden,  erbitte  sich  aber  weitere  Quellen  —  der  leidige 
Fehler  war  nur  in  dem  Umstände ,  dass  es  ihm  nicht  gelang  über  das 
Jahr  1398  hinanfzukommeo,  das  im  mindesten  um  anderthalb  Saecula 
unter  dem  Dichter  lag!    Vergeblich  suchte  Oesterreicher  des  Dichters 
Surg  und  Schloss,  wo  nichts  zu  finden  war!    seine  voreiligen  MitthetJ-^ 
imgen  aber  lebten  in  der  regen  oberpfölziscfaen  Phantasie  fort  und  ge- 
staHeten  sich  zu  einem  gaofisea  NebelbiMe.  So  kam  denn  zu  Anfang  des 
Jahres  1860  an  den  Verfasser  die  Märe«  es  seien  früher  in  dem  zwischen 
Baireuth   und  Amberg  gelegenen  Eschenfoach  zwei  Kirchen  gestanden, 
kut  aneinander,  von  denen  die  eine,  dem  heiligen  Wolf  gang  geweiht, 
in  der  theueren  Zeit  oder  kurz  nachher  ungefähr  zwischen  den  Jahren 
1816 — 20  abgebrochen  worden,  dabei  sei  der  Grabstein  des  berühmten 
„Minnesängers,^  auf  dem  sich  eine  Pflugschaar  als  Wappenbild  befunden, 
(kurch  den  Maurermeister  Orosch  herausgenommen,  zerschlagen  and  in 
das    nene   Schulhaus  vermauert  woixieii;    noch  jetzt  finde  der  Name 
Wolfram  dort  sehr  häufiges  Vorkommen   als  Geschlechtsname,    auch 
eiistire  in  der  Stadt  ein  Wolframs -Hof;  die  Bürger  aber  seien  heute 
noch  erbötig,  zur  Steuer  der  Wahrheit  ihr  Schulhaus  abzubrechen  und 
aaf  ihre  Kosten  neu  au&ubauea,  bloss  um  den  Grabstein  ihres  gefeier- 
ten ^Minnesängers^  wieder  zu  gewinnen ;  noch  lebten  Leute,  welche  den 
Stein  ehedem  gesehen  u^  s.  w.  Als  nun  der  Verfasser  sich  auf  genauere 
Becherehen  verlegte»  war  nach  acht  Ta^en  der  ^^grossiiiächtige^  Grab- 
stein des  Dichters  schon  ersichtlich  kleiner  geworden,  aber  er  hing,  wie 
es  bestimmt  hiess,  ehedem  über  einem  eingemauerten  Weihbronnkessel, 


112 

und  soll  nichts  mehr  davon  zu  lesen  gewesen  sein,  als  Wolfram  —  tmd 
Pflugscharen  darauf. 

Nun  citirt  der  ehrenwerthe  Herr  Pütrich  von  Rei eher ts hau- 
sen, der  seiner  Zeit  die  noble  Passion  hatte,  nicht  nur  möglichst  vi^le 
Gedichte  und  Handschriften  zu  sammeln,  sondern  nebenbei  selbst  Verse 
zu  machen  und  auch  zu  Dichtergrabstätten  zu  wallen  und  dort  seiner 
poetischen  Andacht  zu  pflegen^  dass  das  von  ihm  geschaute  Epitaphium 
in  ^unser  Frauen  Münster''  gestanden;  die  oberpfälzische  „Wolframs- 
oder Wolfgangskirche''  wäre  somit  im  Voraus  misscredidirt,  auch  wenn 
es  keine  lebenden  Zeugen  gäbe,  die  sich  unmöglich  erinnern  können, 
dass  in  den  Jahren  1809  — 1821  im  oberpfälzischen  £schenbaoh  eine 
Kirche  eingerissen  worden  sein  sollte. 

Was  ferner  den  angeblichen  Grabstein  mit  einer  Pflugschar  betrifft 
-  neben  welcher  nachträglich  bemerkt  „das  nicht  mehr  erinnerliche 
Sterbejahr  des  Dichters  ganz  deutlich  eingemeisselt  zu  sehen  gewesen^ 
—  SO'  entscheidet  dieser  Umstand  nichts  weiteres,  als  dass  wir  ^u  den 
sechs  bereits  bekannten  unterschiedlichen  Wappen  der  verschiedenen 
Eschenbache  noch  ein  siebentes  hätten ,  das  aber  heraldisch  sonst 
nirgendwo  weiter  sich  vorgefunden !  Auf  tias  Gerede,  dass  in  der  ge- 
nannten Stadt  heute  noch  viele  Familien  den  Namen  Wolfram  führen, 
ist  kein  Werth  zu  legen ,  denn  derselbe  kommt  in  anderen  Gegenden 
Bayerns  ebenso  häufig  vor,  wie  die  Monumenta  boica  und  die  Codices 
jeden  Bisthums  sattsam  erweisen.  Was  aber  den  WolfVams-Hof  betriflt, 
auf  den  sich  die  beliebte  Conjectur  am  sichersten  zu  stützen  glaubte, 
so  liegt  mir  durch  die  Vermittelung  des  gelehrten  Oberlieutenant  Schue- 
graf  (tl861)  ein  Brief  der  zeitweiligen  Besitzerin,  Fr.  Louise  Freyinn 
von  L  i  n  d  e  n  f  e  1  s  vor,  woraus  hervorgeht,  dass  der  besagte  Hof  nicht 
in  der  Stadt,  sondern  zwei  Stunden  Weges  entfernt  davon  sich  befinde, 
wie  auch,  dass  das  Schloss  im  Jahre  1817  eine  halbe  Ruine  gewesen 
und  die  wenigen  Papiere,  welche  die  Lindenfels'sche  Familie  betrafen, 
bei  einem  Brande  am  30.  August  1859  zu  Grunde  gegangen.  Wären 
selbe  auf  den  mittelalterlichen  Dichter  bezüglich  gewesen,  so  hätten  die 
Oberpfälzer,  —  an  ihrer  Spitze  Herr  Oesterreicher,  lange  genug  Zeit 
gehabt,  selbe  zu  finden!  Der  Wolframshof  aber  ist  znfaHig  viel 
älter  als  unser  Dichter,  er  hat  seinen  Namen  nicht  vom  Eschenbacher, 
sondern  von  Wolfram  I.,  dem  ältesten  Sohne  des  kinderreichen  Grafen 
Adalbert  oder  Babo  von  Babenberg.  *)  Somit  sind  wir  denn  in  die 
traurige  Lage  versetzt,  den  guten  Oberpfälzern,  falls  sie  nicht  mit 
besseren  Gründen  bestehen  können,  vorläufig  alles  Anrecht  auf  unseren 
Dichter  zu  versagen. 

')  Vgl.  Haas  Nibelungen.  18H0.  S   88. 


113 

I  — — — — ^_. 

Glficklicher  sind  dagegen  die  Franken,  obwohl  auch  sie,  falls  der 
gegenwärtige  Augenschein  allein  entscheiden  sollte,  sicherlich  zu  kurz 
kämen,  denn  die  im  Jahre  1858  mehrtägig  gepflogenen  Untersuchungen 
des  Herrn  Hofbauinspectors  Riedel  und  des  Herrn  Oberst  v.  Spruner 
blieben  ohne  Erfolg.  Aber  wir  haben  ältere  Quellen,  die  zwar  nioht  in 
angetrübter  Reinheit  fliessen,  aber  doch  in  Ermanglung  anderer  Urkun- 
den  vorläufig  unserer  Beweisführung,  die  aus  dem  Werke  des  Dichters 
selbst  die  meiste  Nahrung  empfängt,  vorausstehen  mögen. 

Der  genannte  wackere  Herr  Jacob  Pütrich   hatte  auf  seinem 
Schlosse  zu  Reichertshausen')    (das  in  wenig  veränderter  Gestalt 
noch  jetzt  den  Reisenden  begrtisst,   der  auf  der  Strasse  von  München 
nach  Neuburg  oder  Ingolstadt  anderthalb  Stunden  ob  Pfaffenhofen  in  das 
belebte  Thal  der  Jim  niedersteigt)  bekanntlich  einen  grossen  Schatz  von 
deutschen  Dichterw^erken  zusammengesammelt.   Selbst  in  der  Reimkunst 
sich  versuchend,  schrieb  er  im  Jahre  1462  einen  „EhrenbrieP  an  Frau 
Machthild,  die  Schwester  des  Pfabsgrafen  Friedrich  und  Witwe  des  Grfn. 
Ludwig  zu  Würtemberg  (sodann  Gemahlin  des  Erzherzog  Albrecht  VI. 
von  OesteiTeich) ,   worin   er  seine  im  Verlaufe  von  vierzig  Jahren  auf 
weiten  Reisen  ^nach  Rom,  Ungarn  und  Brabanf  angesammelte  Biblio- 
thek näher  beschreibt  und  von  einzelnen  Dichtern  das  ihm  wissenswerth 
scheinende  verzeichnet.    Nachdem  er  schon  früher  unseres  Wolfram 
gedacht,  kommt  er  in  der  127.  Strophe  auf  ihn  zurück,*)  der  hochbe- 
rnhmt  in  deutschen  Landen  und  seines  Gleichen  nicht  habe,    sein  edel 
Gebein  liege  begraben  und  besargt  im  Markte  Eschenbach  in  unserer 
Frauen  Munster,  wo  sein  erhabenes  Grab  und  besunder  Epi- 
taphium war,  dessen  Jahrzahl  und  Farben  jedoch  damals  schon  unleser- 


*)  Welsch:  Reichertsbofen,  Markt  und  Landgericht.  £in  Beitrag  zur  Gescbichle, 
Topographie  und  Statistik  von  Pfalzbayem.    Landshut  1802.  S.  9. 

*)  Verjfl    Duellius  excerpt.  genealog.   1725.   S.  265  — 84.   —    AdelunjfJ. 
Pütrich.  Leipzig  1788.  Neu  abgedruckt  durch  Karajan  in  Haupt's  Zeifschr. 
VL  31—59.  Str.  127:  darumb  sey  imer  Ehr  I  und  Lob  gesagt  Wolfram  der 
Hochbekannt    mit  tichtes  Kbunst  sorar  in  t^utschen  weiden  |  das  Im  ballt  nit 
geleicbet  j  Ich  main  von  Eschenbarii  vnd  Pleinfelden.    Str.  128:   Begraben 
vnnd  besarkht  |  ist  sein  gebain  das  edbi  in  Eschenbach  dem  Marckht  |   in 
vnnser  Frauen  Minster  hat  er  Sedl  |  erhabens  grab  sein  schilt  darauf  erzeu- 
gt I  Epitafinm  besunder   |  das  vnns  die  zeit  seins  Sterbens  gar  abtreuget 
(abtreugen  =  abwischen,   verwischen).     Str.  129:    Vefwappent  mit  ainem 
Hafen  i  im  Schilt  auf  Helm  begarb  (=  ganz  und  gar,  oben  und  unten)  ]  ja 
müest  er  schnelle  drafen  |  der  unns  erfur  derselben  clainot  färb  |  ein  Pusch 
auf  Helm  der  Hafen  hat  vmbraiffet  I  als  mir  das  kham  zu  melde  I  mein  fart 
dahin  mit  Keulen  wert  geschwaifTet.    Str.  130:  In  manig  Khürchen  ferte  | 
suecht  ich  den  Ritler  edT  |  zwainczig  meillen  herte  |  rait  ich  dahin,  das  wag 
ich  alsz  ein  medl   (—  gering,   für  nichts,   von  made,  Wurm;    medl,   das 
WUrmchen  —  Kleinigkeit)   |  darumb  das  ich  die  stat  seiner  grebnusz  sähe  | 
vnnd  durch  mein  Pedt  andechtig  \  in  fronem  Reich  Im  Gott  genedig  jähe. 

8 


114 

lieh  geworden  waren.  Pütrich,  der  an  zwanzig  Meilen  weit  eigens  dem 
Dichter  zu  liebe,  diese  Kirclifahrt  ritt,  sein  Begräbniss  zu  sudieu  und 
andächtig  zu  beten  daselbst,  sah  sein  Wappenschild  noch,  einen  Hafen^ 
im  Schild,  der  Heim  bekrönt  mit  einem  Hafen  und  mit  einem  Busch 
^umbraifef 

Die  Stelle  hat  viele  Arbeit  gemapht,  man  glaubte,  Pötrieh  habe 
falsch  gesehen  oder  schlecht  geschrieben,  es  müsse  offenbar  ein  Affe 
gewesen  sein,  dieweil  eine  Familie  Eschenbachs  wirklich  ein  solches 
Thier  mit  Scheermessern  im  Wappen  führe,  doch  fand  Schmeller  glücke 
lieber  Wß'se  ergiebigen  Aufschluss,  obwohl  der  sonst  auch  in  anderen 
Fällen  unzuverlässige  Maler  der  Pariser  Handschrift  die  Scheermesser 
auf  Schild,  Helm,  Banner  und  auf  die  ^kovertiure^  des  Rosses  gesetzt 
hat.  Die  Münchner  Bibliothek  besitzt  nämlich  ein  prachtvoll  gemaltes 
und  ganz  herrlich  ausgestattetes  Wappenbuch,  das  Conrad  von  Grü- 
nenberg von  Constanz  in  den  Jahren  1480 — 93  „aus  alten  Blättern, 
Büchern  und  Gemälden  der  Gotteshäuser"  zusammentrug,  welches  ganz 
dasselbe  Wappen  zeigt,  das  Pütrich  beschreibt:  nicht  bloss  im  (goldenen) 
Schilde,  sondern  auch  auf  dem  Helme  einen  (rothen)  Topf  oder  Hafen 
mit  einem  Giessschnabel  am  Bauche  und  einer  bogenförmigen  Handhabe 
über  der  Mündung;  aus  der  Mündung  des  oberen  Hafens  stehen  fünf 
Gilgen  oder  Maiglöcklein  hervor,  das  ist  wohl  der  „Busch,  der  den 
Hafen  hat  umbraifet."  Dabei  ist  nach  dem  „Wigalois"  des  Wirnt 
von  Grävenberg  (des  gleichzeitigen  Nachbars  unseres  Dichters),  der 
bekannte  Vers  ')  gesetzt:  „Wolfram  Freyher  von  Eschenbach,  layen 
mund  nie  baz  gesprach,  ain  Frankh."  Ein  deutliches  Zeichen,  dass 
wenigstens  poch  im  XV.  Jahrh.  über  des  Dichters  Heimath  kein  Zweifel 
obwaltete. 

In  Wolframs  Dichtungen  selbst  finden  sich  verschiedene  Aeosser- 
nngen,  die  auf  dessen  Heimath  und  Leben  allerlei  Schlüsse  erlauben 
können.  Da  ist  z.  B.  gleich  jehe  vielberiihrte  Stelle  (Parc.  121,  7), 
wo  er  sich  selbst  einen  Bai  er  nennt  und  mit  gatmüthigem  Lächeln 
ihnen  nicht  absonderlich  feines  Geschick  einräumt,  zugleich  aber  nach- 
rühmt, dass,  wenn  Einer  die  gewöhnliche  Grenze  überwunden  habe,  an 
dem  ergebe  sich  dann  ein  Wunder,  der  wird  ein  ganz  ausgezeichneter 
Mann ! ')    Er  thut  das  in  einer  Einschaltung,  wozu  im  Gange  des  Ge- 


•)  Pfeiffer  S.  163:  daz  lop  g\t  her  Wolfram, 

ein  wtse  man  von  Eschenbach. 
sin  lierxe  ist  ganzes  sinnes  dach: 
leien  munt  nie  baz  gesprach. 

^)  121,  7  ff. :   ein  <pris  den  wir  Beier  trago, 

muoz  irh  von  Wäeisen  sagn: 


115 

dichtes  wohl  keine  Veranlassung  lag,  indessen  wird  der  Dichter  dazu 
wohl  seine  Gründe  gehabt  haben,  die  uns  freilich  mehr  zu  errathen 
bleiben. 

Wie  aber  kam  Wolfram   dazu,    sich  selbst  zu  den  Bayern  zu 
zählen,  da  er  doch  ein  Franke  war?    Seh  melier  nimmt  an,  dass  der 
Landstrich,  von  welchem  bei  dieser  Frage  die  Rede  ist,   zur  Zeit  dos 
Dichters  zum  sogenannten  Nordgau'  (besser  vielleicht  Nordbayern 
genannt)  gehörte,    wie  er  vierhundert  Jahre  früher  noch  zu  Thüringen 
gezählt  hatte.    Ob  der  später  in  den  Maingegenden  angenommene  poli- 
tische Name  Franken   auch   für  den   mehr   der  Donau  zu  liegenden 
Nordgau  vor  sechshundert  Jahren  schon  so  üblich  gewesen  sei,  als  später- 
hin,   da  (1329)  der  östliche  Theil  dieses  Tummelplatzes  wechselnder 
DynsLsten  zu  Gunsten   der  Pfalzgrafen  bei  Rhein   unter   dem  speciellen 
Namen  der  Pfalz  abgetrennt  wurde ,  wäre  jedoch  erst  noch  durch  Ur- 
kuaden  bestimmter  nachzuweisen.     Yerwandtschafts  -   und  Erbschafts- 
Verbindungen  mit  den  Herzogen  und  Dynasten  südlich  der  Donau, sind 
bei  den  verschiedenen  Dynasten  des  westlichen  Nordgau  gewiss  eben  so 
gat  vorauszusetzen,   als  bei  denen  des  östlichen  Nordgau.     Und  wenn, 
freilich  etwas  später,  nämlich  im  Jahre  1284  eine  offenbar  im  Nordgau 
^legene  Ortschaft  vermuthlich  im  Gegensatz  zum  windischen  Eschen- 
l>ach,  das  bayrische  Eschenbach  genannt  wird,  so  sieht  man  ^i'enig- 
fitens  die  Möglichkeit,  wie  auch  unser  Dichter   sich  unter  die   Bayern 
liabe  rechnen  können. ') 


die  sint  toerscfaer  deune  beierscb  her^ 
'    unt  doch  bt  manltcber  wer. 

swer  in  den  zwein  landen  wirt 

ffefiioffe,  ein  wunder  an  im  birt  vgl.  dazu  W.  Wackernagel 
in  Haupfs  Zeitscbrin  VI.  255  über  die  Spottnamen  der  Völker.  Die  Bayern 
schienen  vor  Zeiten  eben  nicht  beliebt  und  es  hing  ihnen  noch  mancher 
Schimpf  an;  sie  galten  (nach  den  Nibelungen)  für  räuberisch  gegen  durch- 
ziehende Fremde,  für  j^eizig,  trunksüchtig,  doch  stand  ihr  kriegslustiger 
tapferer  Sinn  ^ch  in  hhren.  Dagegen  hatten  die  Sachsen,  Hessen  und 
Schwaben  auch  unliebe  Anhängsel. 

')  Der  Nordgau  stand  schon  von  der  frühesten  Zeit  her  in  vielseitiger,  politi- 
scher Verbindung  mit  Bayern,  wie  er  denn  wohl  hur  von  seiner  Beziehung 
auf  Bayern  den  Namen  haben  kann.  Sagt  doch  auch  Wolframs  Zeitgenosse, 
der  Geheimschreiber  der  Kaiser  Conrad  III.,  Friedrich  I.  und  Heinrich  VI., 
Gotfrid  von  Viterbo  in  s.  Pantheon:  ,^Bavaricus  fluvius  vulgo  Radiantia 
dicius,  Norica  nira  fovens  .  .  /  vgl.  Seh  melier  in  den  Abhandl.  der  plii- 
lolog.- Philosoph.  Klasse.  1837.  S.  203.  Dagegen  behauptet  H.  Haas  (Nibe- 
lungen. 1860.  S.  27),  dass  das  heutige  Eschenbach  zu  Wolframs  Zeilen 
frankisch  gewesen,  dass  Wolfram  aber  aus  dem  im  Landgericht  Hersbruck 
gelegenen  üschenbach,  welches  Bischof  Gundekar  von  Eichst ütt  1059  weihte, 
ffestammt  und  erst  später  ins  Deutschordenshaus  zu  Eschenbach  üliergesiedelt 
habe,  auch  deutscher  Ritter  gewesen  und  desshalb  in  der  Kirche  daselbst  lie- 
graben  worden  sei.  —  Die  Nachrichten  zur  Geschichte  dieses  an  der  Pegnitz 
Kelegenen  Eschenbach  hat  jedoch  Dr  Barack  (Nürnberg  1859)  auf  das  fleis- 
figste  gesammelt,  ohne  von  unserem  Dichter  die  leiseste  Spur  zu  fuiden. 

8* 


116 

Wir  wissen  also,  dass  Wolfram  in  einer  Frauenkirche  begraben 
lag;  nun  hat  aber  nur  das  zwischen  Ansbach  und  Gunzenhausen  gele- 
gene Eschenbach,  das  sich  erst  neuerlich  von  einem  Markt  zur  Würde 
einer  Stadt  erhoben  hat,  ein  solches  Monster,  auch  stimmt  es  ganz 
richtig,  wena  Pätrich  von  Reichertshausen  sagt ,  er  habe  (offenbar  von 
seinem  Schlosse  aus  gerechnet)  gut  zwanzig  Meilen  weit  dahin  zu  reiten 
gebraucht,  nachdem  er  den  edlen  Ritter  bereits  früher  auf  allerlei  weit- 
schweifigen Kirchfahrten  gesucht  hatte;  das  heisst  wohl  nichts  anderes, 
als  dass  er  vorher  in  manch  anderes  Eschenbach  geritten  war,  ohne 
die  gewünschte  Kunde  zu  erhalten ,  bis  er  endlich  zu  Eschenbach ,  dem 
Markt  nächst  Pleienfelden  in  unserer  Frauen  Münster,  das  geschilderte 
Denkmal  fand.  Dazu  passt  denn  auch  ganz  und  gar  die  benachbarte 
Scenerie,  die  Wolfram  bisweilen  in  seiner  Dichtung  durchblicken  lässt,  er 
nennt  einen  Grafen  von  Wertheim,  mit  dem  er  in  besonders  freund- 
lichen Beziehungen  gestanden,  er  kennt  die  Burgen  zu  Wildenberg 
und*Abenberg,  er  weiss  von  dem  lustigen  Leben  zu  Trüdingen 
und  vom  rüstigen  Treiben  der  Kauftnannsfrauen  zu  Tolenstein,  er 
rühmt  die  Blechhauben  von  Berat2haüsen  und  den  Rcgfengbürger 
Zindel,  er '  kennt  die  ganze  Umgebung  von  Nürnberg,  er  ist*  zu 
Nördlingen  bekannt  und  am  Lech  fei d;  das  Alles  liegt  in  schöner 
Runde  um  den  genannten  Markt  und  drängt  so  die  unwillkührliche 
Vermuthung  auf,  der  Dichter  müsse  ein  gut  Theil  seines  Lebens  hier 
verbracht  haben. 

Das  Frauemnünster  zu  Eschenbach  hatte  schon  Seh  mal  1er  1337 
untersucht,  in  neuester  Zeit  haben  Riedel  und  Spruner  als  Verehrer 
des  alten  Sängers  dahin  eine  neue  Kirchfahrt  gemacht,  leider  ohne  die 
geringste  Spur  zu  finden,  denn  die  Kirche  wurde  in  den  Jahren  1460 
biij  1470,  also  bald  nach  Pütrich's  Besuch,  ganz  umgebaut:  dass  bei 
solchen  Gelegenheiten  Alles ,  was  sich  an  Gräbern ,  Grüften  und  Grab- 
mälem  im  Innern  befand,  mehr  oder  weniger  gelitten  habe,  ja  ganz 
beseitigt  oder  vielleicht  noch  1749  bei  der  Hinzufugung  einer  Seiten- 
kapelle verloren  worden  sei,  ist  leicht  begreiflich. 

Pütrich  nennt  ihn  einen  edlen  Ritter,  Grünenberg  hat  schon 
einen  Freiherm  daraus«  gemacht,  das  lag  aber  jedenfalls  noch  der 
Wahrheit  näher  als  die  grundlose  Behauptung  des  Ritter  von  Lang,') 
Wolfram  sei  gar  ein  Kleriker  und  Magister  der  freien  Künste  gewesen. 
Die  Vermuthung,  Wolfram  sei  nicht  der  erstgeborne  Sohn  seines  Hauses 
gewesen,  hat  viel  für  sich  und  wird  durch  des  Dichters  Klage  über^  die 
Ungerechtigkeit  des  Erstgeburtrechtes,  womit  die  Geschichte  Gahmurets 


)  Im  IV.  Jahresbericht  des  hislor.  Vereins  im  Rezalkreise.  1834.  S.  6—10; 


117 

anhebt,  unteratützt.     ^Leider  ist  auch  auf  deutscher  Erde  ein  Ort,  wie 
ihr  ohne  mich  ohnehin  schon  wisst,  wo  dieses  seltsame  Ding  (ein  fremdiu 
zeche)    herrscht ,    dajss  der  älteste  Bruder  des  Vaters   ganzes  Erbtheil 
erhält  zum  Unheil  der  jüngeren."  (5,^4 — 21.)   Vielleicht  kam  er  später 
zum  ganzen  oder  theil weisen  Besitz  von  Land  und  Erbe,    denn  er  hat 
ein  Haus,  wo  man  ihn  als  Herrn  behandelt/)  aber  auch  das  war  küm- 
merlich bestellt   upd    nicht  selten   entgleitet    ihm   ein  bitteres  Lächeln 
oder  ein  Jammerruf  über  seine  Noth ,    vor  der  selbst  die  Mäuse  davon 
laufen,  weil  sie  bei  ihm  nichts  zu  (bissen  fanden ;  er  selbst  hat  darinnen 
oft  solch  Ungemach  erduldet,  wie   die  Hungersnoth  zu  Pelrapeire  war. 
Auch  ist  er  kein  guter  Küchenmeister.  (637,  2.)  —  Im  Wartburg-Kriege 
heisst  es.,  Wolfram  sei  zu  Masfeld    (bei  Meiningen)  durch  den  Grafen 
Poppo   von  Henneberg  Ritter    geworden  und  da  dieser  im  J.  1190  zu 
Palästina  an  einer  Seuche  starb,    so   kam   Herr  Dr.  Ludwig  Lang') 
in    seiner    übrigens   liicht  unverdiepstlichen  Jugendschrift    darauf,    den 
Dichter  jenen  Kreuzzug  des  Kaiser  Barbarossa  mitmachen  zu  lassen  — • 
eine  poetische  Licenz,  zu  der  übrigens  die  Dichtungen  Wolframs  nicht 
die  geringste  Veranlassung  geben.  Er  war  ein  Ritter,  der  sich  aufTjost 
und  Speerbrechen  wohl  verstand,    der  seine  Freude  daran  hatte,    fest 
im  Sattel  zu  sitzen  und  wacker  sich  zu  tummeln  (Parc.  75,  21),  Schil- 
des-Amt  ist.  seine  Art  (115,  11),  wie  ernstlich  diese  Amtirung  gemeint 
urar,  beweist  die  Stelle  im  Willehalm  384,  17.    Unter  seinen  fahrenden 
Hittern,   die  planlos  auf  grossen  Abenteuern  umherschweifen,  jeden  in 
Stahl-  und  Waffenkleid  Entgegenkommenden  anreiten,    um  die   über- 
mnthigen   Kräfbe    im    Speerstechen    und    sausenden    Schwertkampf  zu 
messen,   hat  er   mit   sichtlicher  Vorliebe  sicherlich  sein  eigenes  Leben 
aus   jüngeren   Jahren   abgeschildert.     Er    war    ohne    Zweifel    oftmals 
^soldier**  (Parc.  201^  4),   das  heisst  im  besoldeten  Gefolge  eines  vor- 
nehmen Herren,  mit  dem  sich  dann  eine  weitere  Freundschaft  entwickelte, 
wie  mit  dem  Grafen  von   Wertheim,    oder  im  Dienste  einer  hohen 
Frau,    wie  der  Marggräfin   von  Heitstein,    von  der  er  mit  wenigen 
Zügen  ein  leuchtendes,  herrliches  Bild  entwirft.  (Parc.  403,  29  ff.) 


')  184,  24.  Doch  geschieht  es  ihm  seilen,  dass  des  Abends  oder  Morgens  eine 
Magd  vor  seinem  Bette  sitze,  seiner  zu  pflegen.  554,  4. 

')  Wolfram  von  Eschenbarh.  Historischer  Roman  von  Dr.  Ludwig  L a  n  g.  Stutt- 
gart b.  Scheitlin.  1859.  Dessgleichen  behauptet  auch  H.  Haas  in  seiner 
Abhandlung  über  die  Nibelungen  (Erlangen  1860.  S.  28^  mit  grosser 
Sicherheit,  dass  Wolfram  den  dritten  Kreuzzug  unter  Friedrich  Barbarossa 
1189  mitgemacht  habe;  er  stellt  seine  Meinung  mit  überraschender  Sicherheit 
als  etwas  bereits  Ausgemachtes  hin,  ohne  dafür  den  geringsten  Bele^  zu 
geben.  — 


118 

Betrachten  wir  die  im  Parcival  oder  Willehalm  erwähnten  histori- 
schen Personen,  mit  denen  Wolfram  in  persönliche  Berührung  gekommen 
war,  näher,  so  möchte  wohl  die  so  eben  genannte  edle  Frau,  deren 
Schönheit  über  die  ganze  Mark  leuchtete,  wenn  sie  von  ihrer  Burg 
herniederstieg,  die  erste  Stelle  einnehmen.  Bei  ihr  muss  Wolfram,  als. 
„garzün,*'  oder  wie  wir  neuhochdeutsch  sagen  würden,  als  „Page,"  die 
feine  ritterliche  Sitte  und  adelige  Höfischheit  erlernt  haben,  die  ihn  zierte 
wie  der  gute  Ton  deinen  Nachbar  Wirnt  von  Grävenberg,  den  dieser 
auf  der  Plassenburg  gewonnen  hatte.  An  ein  Liebesverhältniss  ist  dabei 
nicht  zu  denken,  üeber  die  darunter  zu  verstehende  Persönlichkeit 
herrschte  unter  den  Commentatoren  lange  verschiedene  Meinung;  van 
der  Hagen  hielt  sie  für  die  Mutter  des  Minnesingers  von  Hohenburg, 
weil  sonst  in  Wolframs  Nähe  keine  Marggrafen  vorkommen  und  das 
von  Wolfram  gleichfalls  genannte  Wildenberg  zu  Hohenburg  gehört 
habe.  Dagegen  hat  M.  Haupt')  die  früher  schwankende  Lesart 
H ei t stein  festgestellt;  den  Namen  trägt  ein  dritthalbtausend  Fus« 
hoher  Berg  im  sogenannten  bayerischen  Wald,  in  der  Gegend  von  Cham, 
wo  auch  noch  Trümmer  einer  Burg  erhalten  sind.  Die  genannte  Marg- 
gräfin wäre  demnach  die  Gemahlin  Berhtolds  von  Cham  und  Vohburg') 
(welcher  1204,"  also  um  dieselbe  Zeit,  in  der  Wolfram  den  achten  Ge- 
sang seines  Parcival  dichtete,  starb);  diese  war  eine  Schwester  des 
Herzog  Ludwig  von  Bayern  und  hiess  Elisabeth.  Wolfram  musste  mit 
ihr.  in  persönliche  Berührung  gekommen  sein,  da  er  bald  darauf  aus- 
drücklich bemerkt,  dass  er  nur  Frauen  preise,  die  er  wirklich  mit 
Augen  gesehen,  (404,  8.) 

Ein  prächtiger  Herr,  der  im  Essen  und  Trinken  eine  gute  Klinge 
hieb,  möchte  der  gute  Grafvon  Wertheim  gewesen  sein.  Wolfium 
gedachte  seiner  unwillkürlich,  wie  er  die  grosse  Hungersnoth  zu  Pel- 
rapeire  schilderte:  da  wäre  mein  guter  Graf  von  Wertheim  auch  ungern 
mit  dabei  gewesen,  sagt  er  drollig,  wie  hätte  der  bei  solcher  Löhnung 
bestehen  können!  Die  Stelle  lautet  (184,  4):  ^mm  herre  der  gräf  von 
Wertheim  waer  ungern  soldier  da  gewesn;  er  möht  ir  soldes  niht 
genesu,"  was  Simrock  fröhlich  wiedergibt:  ^Mein  Herr,  der  Grafvon 
W^theim,  war'  ungern  Landsknecht  da  gewesen;  wie  möcbt*  er  bei 
dem  Sold  genesen?''  An  die  ursprüngliche  Meinung  der  Exegeten  dieser 
Stelle,  dass  der  Dichter  sich  in  einem  Subordinationsverhältnisse  zu 
diesem  Herrn  befunden  habe,^)  glaubt  heut  zu  Tage  Niemand  mehr,  man 


')  Zeitschrift  f.  dent.  Alterthum.  1859.  XI.  44. 
')  Vgl.  Weslenrieder  Beiträge.  VI.  30  IT. 


')  Herr  Dr.  Alexander  Kaufmann,   der  das  lebensarcbiv  zu  Weribeim  ord- 


119 

hat   endlich   eingesehen,    dass  Wolfram    das  verf&ngliche  ^min  herre^ 
auch  da  gebrauchte,  wo  er  nie  in  Abhängigkeit  gestanden.  Unter  Wert- 
heim    ist    die    bekanntermassen   an    das   Bistham  Wirzburg  grenzende 
Grafschaft  zu  denken ,    die  Grafen    von  Wertheim  hatten    übrigens  in 
dem  mittel  fränkischen  Eschenbach  Besitzungen , ')    sie    waren  es  aucl), 
die  um  die  Mitte  des  XIII.  Jahrh.  das  deutsche  Ordenshaus  zu  Eschen- 
bach gründeten.     Der  eigentliche  Name   des  angedeuteten  Herren,    den 
Wolfram  nicht  gerade  absonderlich  lehrreich  fiir  die  Nachwelt  gehalten 
haben  muss,  wäre  auch  gleichgültig  verblieben,  hätte  nicht  Aschbach 
in  seiner  „Geschichte  der  Grafen  von  Wertheim"  (Frankfurt  1843)  die 
Unvorsichtigkeit  'gehabt ,    die  wichtige   Stelle   zu  übersehen ,    was  von 
Seiten  des  Herrn  Donaueschinger  Domänen- und  Hofrathes  Dr.  Warn- 
könig zu  hartstylisuten  Erörterungen  führte,  die  im  Nürnberger  An- 
zeiger des  Germanischen  Museums  (1856.  Nro.  11  und  1857.  Nro.  1) 
ausgefochten  wurden,  zum  Danke  der  Leser,  die  jetzt  noch  immer  nicht 
die  Beruhigung  geniessen,    zu  wissen,    ob  jener  Herr  der  Graf  Poppo 
der    erste,    oder  Graf  Poppo    der  zweite  dieses  Namens  gewesen  sei. 
Auch  der  weitere  Unstern  war  dabei,  dass  Einer  der  streitenden  Helden 
den  besagten  Wertheimer  Grafen,  welchen  der  Dichter  als  einen   recht 
gemächlichen    und   grösstentheis   mit  gutem  Appetit  behafteten  Herren 
zeichnet  —  als  ^  einen  kriegslustigen,  schlagfertigen  Kämpen  ansah,  der 
jederzeit  bereit  gewesen,  gegen  Sold  für  fremde  Sache  das  Schwert  zu 
fuhren!^    Aschbach  entschied  sich  nachträglich  für  Poppo  IL,  „unter 
dessen  Führung  Wolfram   von  Eschenbach    wohl    auch  vorübergehend 
ritterliche  Kriegsdienste  gemacht^  habe.     Alexander    K  aufm  an    aber 
hält  seine  Privatansicht  nach  besser  an  Poppo  I.  fest,  der  im  Jahre  1160 
seinem  Vater  Gerhard  in   der  Regierung  folgte,    und  1183  eine  Fahrt 
nach  dem  Morgenlande  machte,    während   deren   längerer  Dauer    sein 
Sohn  die  Grafschaft  verwaltete  bis   zur  Rückkehr  des  Vaters,    worauf 
sie    beide    gemeinsam    die   schweren   Lasten   des    gräflichen  Regiments 
trugen,  bis  der  Vater  gegen-  das  Jahr  1212  aus  dem  Leben  schied.'.) 


nete,  fand  nach  einer  gütigen  MiUheilung  (vom  26.  Januar  166Q)  keine  Spur, 
dass  je  ein  Eschenbach  Lenenträger  von  Wertheim  gewesen.  Dagegen  sieht 
fest^  dass  die  Grafen  von  W.  noch  im  XIV.  Jahrh.  Besitzungen  eu  Gschen- 
bach  hatten. 

')  Domm  Geschichte  von  Escheubach.  1860.  S.  3. 

')  Die  Grafen  von  Wertheim  sind  ein  gutes  Säcülum  nach  dem  Tode  des  Dich- 
ters noch  für  dessen  Familiengeschichte  von  Belang  befunden  worden.  Es 
exiatirt  nämlich  eine  Urkunde  vom  Jahre  1328,  in  welcher  Graf  Rudolf  von 
Wertheim  und  dessen  Hausfrau  Elisabeth  —  in  Anbejrachl,  dass  ihre  Vor-* 
deren  sind  die  Stifter  des  Hauses  zu  Escbenbach  und  auch  die  Pfarrei  dazu 

Sben  —  ferner  auf  Verwenden  ihrer  lieben  Muhme  Elisabeth  von  Hohen- 
ic^  des  Bruders  Heinrich  von  Hennenberg,  ihres  Onkels,  Pflegers  zu  Neun-* 


120 

An  einer  anderen  Stelle  wird  vorübergehend  des  Schlosses  Aben- 
berg gedacht.  WieParcival  in  die  Gralbarg  kommt,  heisst  es  (227,  7  AT): 
„In  die  burc  der  küene  reit,  üf  einen  hof  wit  unde  breit,  durch  schimpf 
(Kurzweile,  Ritterspiel)  er  niht  zetretet  was  (da  stuont  al  kurz  gröene 
gras:  da  was  bühurdiem  vermiten)  mit.baniern  selten  Überriten,  also 
der  anger  z' Abenberg.^  Andere  Lesearten  lauten  „zuo  obenberg**  und 
„datze  babenberch.^  Der  Sinn  dieser  Stelle  kann  wohl  nur  sein,  dass 
auf  dem  Anger  zu  Abenberg  kein  Ritterspiel  getrieben  wurde  und  also 
hohes  Gras  wuchs.  Ein  gleichnamiges  Schloss  und  Städtphen  Abenberg 
liegt  nahe  bei  Eschenbach ,  zwischen  Windsbach  und  Roth ,  es  gehörte 
ehedem  zum  Bisthum  Eichstädt  und  war  im  XIL  Jahrh.  der  Sitz  eines 
Grafengeschlechtes.*)  San-Marte  (U.  ä07)  vermuthet,  sie  hätten  im 
Krieg  der  Gegenkönige  Philipp  und  Otto  (1202—1204)  ihr  Schlösslein 
verloren;,  dass  die  Familie  nicht  in  absonderlich  glücklichen  Verhält- 
nissen sich  befunden,  soll  daraus  hervorgehen,  dass  (nach  dem  Wart- 
burgkriege)  der  Landgraf  Hermann  von  Thüringen  die  zahlreichen 
Töchter  des  Hauses  zu  sich  genommen. 

Ein  mehr  behagliches  Leben,  so  dass  der  wackere  Graf  von  Wert- 
.  heim  dort  auch  theilnehmen  mochte,  musste  zu  Truhendingen*)  ge- 
führt worden  sein.  Wolfram  erwähnt  dasselbe  mit  einem  einzigen  Neben- 
blicke bei  der  bereits  öfters  erwähnten  Nothschilderung  zu  Pelrapeire: 
(184,  24)  ^ein  Trühendinger  phanne  mit  kraphen  selten  da  wschrei: 
in  was  der  selbe  dön  enzwei';*^  das  heisst  also  kurzweg:  Keine  Pfanne 
hörte  man  von  Krapfen  erschreien,  wie  das  zu  Truhendingen  wohl  immer 
der  Brauch  war,  wo  fleissig  gebraten,  gesotten  und  gebacken  wurde. 
Darüber  gibt  es  verschiedene  Erklärungsversuche.  Voraus  ist  in  Betracht 
zu  ziehen,  dass  in  einer  kaum  sechsstündigen  Entfernung  um  Eschenbach 


brnnnen,  und  ihres  Oheims  Berhtold  von  Hennenhergf,  Comthurs  zu  Nürnberg 
—  alle  ihre  Lehen  zuEschenbach  dem  deutschen  Hause  schenk- 
ten, nämlich  die  zwei  Höfe,  die  Heinrich  von  Eschen  bach,  und  den 
Hof,  welchen  Friederich  von  Eschenbach  zu  Lehen  hatten.—  Ein 
schüchterner  Literäi^  Historiker  hat  irgendwo  die  interessante  Verrouthung 
auszusprechen  gewagt^  ob  die  genannten  Heinrich  und  FriederKh  vielleicht 
Kindeskinder  unseres  Dichters  gewesen;  bereits  ist  auch  hierüber  von 
corapetenter  Seile  eine  umfangreiche  Abhandlung  in  Aussicht  gestellt. 

*)  In  R.  v.  Lang's  Regesien  (S.  58  fT.)  findet  sich  ein  Rapoto  coroes  de 
Abenberg  a.  1157,  1158  und  1160;  ein  Conradus  Comes  de  Auvenberg, 
1161,  der  Sohn  des  vorgenannten,  neben  welchen^  1165  auch  ein  ßrnder 
Fri^derich  genannt  wird  1167,  1190,  1192,  1194,  1196,  1199. 

')  Bereits  750  erscheint  urkundlich  ein  Drutelinga,  was  aber  wahrscheinlich 
Treuchtlinffen  ist;  im  J.  836  ein  Truthmuntiga ;  a:  1053  Trahemontingen  (AI- 
•  tentruhenoingen^  am  Orselbach;  a.  1153  Trnhielfingen.  R.  v.  Lang  Regesta 
circuli  Rezalensis.  Nürnberg  1837.  S.  9.  29  etc. 

')  Andere  Lesearten  lauten  Iruhendingare,  trühendinger,  dnihendinger,  True- 
hender,  drubunder. 


121 

die  Orte:    Hohen-  Alten-  und  das  Städtchen  Wasser-Trüdin- 
gen  liegen.      Das   letztgenannte  Städtchen   aber  ist   heute   noch  durch 
seine  Krapfen  bekannt.  *)    Die  Krapfen  ^schreien,''  wenn  man  den  Teig 
iQ*s  heisse  Schmalz  legt ,   wo  sie  gebacken  werden ,    wie  noch  heut  zu 
Tage  der  Volksdialekt  die  Bratwürste  schreien  lässt.')  —  Die  Anderen 
aber  meinen,  die  Pfanne  habe  absonderlich  im  Grafeuschlosse  geschmort, 
wo  der  Dichter  häufig  gute  Gastfreundschaft  genossen  habe.  Beide  An- 
sichten haben  unzweifelhaft  Vieles  für  sich.     Die  Grafen  von  Truhen- 
diogen')  hatten  um  die  Zeit,  wo  Wolfram  dichtete,  noch  grosse  Güter 
und  Besitzungen ,    darunter  auch  ein  schönes  Bergschloss  und  Amt  im 
Marggrafenthum  Anspach;   sie  müssen  aber  schauerlich  gewirthschaftet 
vhaben,   denn  bald  darauf,   schon  am  Ende  des  XLU.  Jahrh.  waren  sie 
genöthigt,   ein   Schloss    und  Gut  nach  dem  anderen  zu  verkaufen,    so 
dass   im  Beginn  des  XIV.  Jahrh.   die  Burggrafen  von  Nürnl^erg,  die 
Grafen   von  Oetting  mid   das  Hochstift  Wirzburg   alle  ihre  Ländereien 
an  sich  gebracht  hatten.  Dieser  schnelle  Verfall  eines  so  reichbegüterten 
Oeschlechts  ist  zn  auffallig  und  könnte  leicht  auf  die  Vermuthung  führen, 
die  Herren   hätten    früher   mit   übermüthiger  Lustbarkeit  ihr  Hab  und 
Gut  verprasst.    Wir  gestehen  gerne,  dass  dies  nur  ein  Ehifall  ist,  der 
£iber  durch  die  unten  verzeichneten  grossartigen  und  sicherlich  nothge- 
cLningenen  Verkäufe  an  Unwahrscheinlichkeit  verlieren  kann.^) 


')  Bericht  des  hislor.  Vereins  im  Rezatkreis.  1833.  S.  9. 

M  Hoffmann  im  Nürnberger  Album.  1852.  S.  65. 

')  Ein  Adelbrebt  de  Truhendingen  erscheint  a.  1142  (R.  v.  Lang  Regesta 
1837.  S.  46);  8  1147  Adelbertus  de  Truhendingen  und  1151  (S.  49.  51). 
1152:  H  ermann  US  sacerdos  de  Truohlegiugu  (S.53):  1152.'  Adalberlus 
corhes  de  Truhendingen,  Vogt  des  Heidenheimer  Klosters  (S.  53)  ward  von 
Pabal  Euis^n  III.  belobig  dass  er  den  Abt  bei  der  Reformation  des  Klosters 
so  löblich  unterstützt  habe;  in  der  Folgezeit  erscheint  neben  Albert  immer 
sein  Bruder  Friederich  1153,  1157,  1163,  1165,  1169  und  letzterer  wird 
1167  als  ein  sehr  harter  Mann  bezeichnet;  weiler  kommen  abwechselnd  die 
Beiden  vor:  1172,  1174,  1180,  1183,  1181,  1186,  1190,  1193  u.  1194  u  s  w. 

^)  Ein  Graf  Fridrich  von  Druhendingen  verkauft  a.  1280  die  Vogtei  Burck- 
bernheim  um  12,500  Pf.  Heller  an  den  Burggrafen  Friederich  von  Nürn- 
berg. (Pastorius  Prancon.  rediv.  1702,  S.  387.)  —  1299  wurde  das  Schloss 
Neuen  bürg  von  Graf  Friedrich  von  Tr.  um  1200  Pf.  Heller  an  das  Hoch- 
»tifl  Wirzborg  verkauft  (IX.  Bericht  des  bist  Vereins  f  Millelfronken.  1839. 
S.  20.)  —  a.  1807  hat  ein  Graf  von  Tr.  einen  Theil  des  Marktes  Bergel 
an  die  Burggrafen  verkauft  um  60  Pf.  Heller,  den  anderen  Theil  erwarben 
die  Grafen  von  ßaldern  a.  1412  um  1 1,500 fl.  —  Die  Stadt  Leutershausen 
(am  Ursprung  der  Altmühl)  und  das  Amt  Colenberg  verkaufte  1314  Graf 
Friederich  von  Tr.  dem  Burggrafen  von  Nürnberg  «m  6,200  Pf  Heller  (Pa- 
storias  S.  413) ,  1318  bekamen  die  Burggrafen  auch  das  Schloss  Colenberg 
(CoImbergV).  —  Wasser-Trü dingen,  eine  Stadt  im  Ries,  4  Meilwegs 
voD  Ono)tzbach  gelegen ,  war  erstlich  derer  Grafen  von  Tr. ,  darnach  derer 
Grafen  von  Oettingen:  von  diesen  kam  sie  an  die  Herren  von  Holienlohe, 
welche  es  a.  1361  ap  die  Herrn  Burggrafen  zu  Nürnberg  verkauft.  (Pastorius 
S.  435.)  —  Hohen-Drudingen  und  Heidenheim  wurden  a.  1366  von 


122 

An  einer  anderen  Stelle  (230,  12)  nennt  er  Wildenberg  und 
sagt,  dass  man  dort  nie  so  grosse  Feuer  gesehen  habe,  wie  sie  auf  der 
Gralburg  brannten:  ^sö  gröziu  fiwr  sit  noch  e  sach  nimen  hie  ze 
Wildenberc.**  Die  Münchner  Handschrift  hat  Wildeberg.  Bestimmt  geht 
daraus  hervor,  dass  der  Dichter,  als  er  die  Stelle  schrieb,  sich  daselbst 
befunden  habe.  Van  der  Hagen  glaubte,  das  Wildenberg  gehöre  zu 
Hohenburg  an  der  Lauterach ;  doch  findet  sich  auf  der  Karte  in  dieser 
Nähe  kein  Wildenberg  noch  Wildburg;  nur  das  alte  Schloss  Velburg 
liegt  unweit  an  der  schwarzen  Laber.  Wildenberge  oder  Wildenburge 
gibt  es  in  Franken  unzählige.  £in  verdächtiges  Schlosd  solchen  Namens 
liegt  auch  auf  einer  bewaldeten  Höhe  bei  Beilengries,  zwischen  Dietfhrt 
und  Riedenburg.  S i m  r  o c k-  jedoch  hält  alles  weitere  Suchen  ffir  unnütz; 
Wolfram  bezeichne  das  Nest  offenbar  als  arm  und  da  der  Dichter  häufig 
über  die  eigene  Armuth  zu  scherzen  liebt,  so  konnte  er  hier  sein  eigenes 
^hus,^  seine  Burg  meinen.  Da  nach  Lachmann's  gründlicher  Chrono- 
logie der  fünfte  Gesang  des  Parcival  bald  nach  dem  Jahre  1203  ge- 
dichtet ist,  schatten  wir  einen  Anhaltspunkt,  dass  der  Dichter  vielleicht 
im  Winter  von  1203  auf  1204  hier  gesessen  habe. 

Sehr  bedenklich  ist  der  Handel  mit  den  Tolensteiner  Kauf- 
weibern, von  dem  Wolfram  vorübergehend  (409,  5  ff.)  spricht;  er 
wurde  unseres  Wissens  noch  niemals  beleuchtet.  Wir  selbst  haben  dess- 
halb  alle  möglichen  Mittel  aufgeboten  und  nach  allen  Seiten  briefliche 
und  mündliche  Nachrichten  eingezogen,  die  unsere  erste  Vermuthung, 
es  sei  damit,  wohl  nur  ein  Faschingtrummel  und  ernst  gewordener 
Mummenschanz  gemeint,  zu  bestätigen  scheinen.  —  Gawan  hat  bei 
dem  amurösen  Aventeuer  mit  der  schönen  Antikonie  ejne  kleine  Be- 
lagerung durch  die  ehrsamen  Bürger  auszuhalten,  wobei  ihm  die  min- 
nigliche  Jungfrau  so  wacker  beisteht,  dass  die  Kaufirauen  zu  Tolenstein 
in  der  Fasching  auch  nicht  besser  gestritten  haben  können.  Die  Königin, 
sagt  Wolfram,  „streit  da  meisterliche,  bi  Gawan  si  werliche  schein, 
daz  diu  koufvi^ip  ze  Tolenstein  an  der  vasnaht  nie  baz  gestriten: 
wan  si  tuontz  von  gampelsitten  (der  Narrheit  zu  Liebe)  unde  müent 
an  not  ir  lip.^  Aber,  setzt  Wolfram  tadelnd  hinzu,  ^swa  harnaschraraec 
wirt  ein  wip  (wenn  sich  eine  Fran  harnischschrammig  macht),  diu  hat 
ir  rehts   vergezzen"    (das   ist   mit    reiner    Frauenzucht    unvereinbar). 


dem  ßayer-Fürslen.  an  dio  Burggrafen  su  Nürnberg  um  17,Q0Q  fl.  verkauft 
lind  :i0  Jahr  hernacli  sind  vollends  alle  Lehen  von  dem  Grafen  Oswald  von 
Driihendin^en  an  die  Burggrafen  kommen,  (ib.  S.  406.)  Zulelzl ,  wnrde  noch 
die  alte  Herrschaft  Truhendini^en  1371  von  denen  Grafen  von  Hohen- 
lohe  und  von  denen  von  Berlichingen  tanquam  haeredibus  an  die  Herren 
Burggrafen  zu  Nürnberg  nm  33,000  Pf.  Heller  verkanfl.  (ib.  S.  433.) 


123 

Tolenstein,  vier  Stunden  von  Neuburg  an  der  Donau  entfenft,  ist  ein 
sehr  alter  Ort,')  auf  einem  römischen  Pfahl  werk  erbaut  und  einer  der 
vier  alten  Märkte  im  Altmöhlthale.  Hier  sassen  nach  Spangen  berg 
(Adelspiegel  1591.  I.  281.)  die  Grafen  von  Hirsperg,  die  um  1300 
aosstarben.')  Spangenberg  widmet  (I.  455)  einen  eigenen  Abschnitt 
^den  streitbaren  Weibern**  und  erzählt  alle  ihm  bekannten  Fälle,  'wo 
die  Weiber,  namentlich  in  der  Schweiz  und  in  Schwaben,  ihren  Männern 
in  schweren  Kriegshändeln  wacker  beistanden.  Auch  der  Burgerfrauen 
von  Ulm  wird  Erwähnung  gethan ,  wobei  auf  des  Franc.  Irenicus 
(eigentlich  P.  Andr.  Oldenburger)  exegesis  Germaniae  (Nürnberg  1518) 
verwiesen  wird,  doch  findet  sich  dort  (lib.  IV.  cajp.  GXIII)  nichts  über 
unsere  Tol^nsteinerinnefi.  Schmeller  (Bayr.  Wörterb.  I.  569)  citirt 
die  Stelle  bloss  wegen  des  Wortes  Fasnacht,  gibt  aber  sonst  keinen 
Attfischlnss.  Die  vom  verstorbeneu  Doraprobst  Po  p  p ,  (welcher  der 
grdndlichste  Specialhistoriker  des  Eichstätter  Territoriums  war)  gesam- 
melten Urkunden,  geben  über  den  fraglichen  Handel  gar  keinen  Auf- 
scfaluss;  auch  von  den  heute  öoch  dort  umgehenden  Sagen')  gehört 
nichts  hieher.  Wichtig  jedoch  erscheint  die  durch  gütige  Vennittelung 
des  Herrn  E.  Jörg  von  Herrn  Professor  Suttnef  (in  Eichstätt)  erhal- 
tene Notiz,  dass  daselbst  und  in  des  Umgegend  frühör  allerei  Faschings- 
bräuche  mit  der  sogenannten  L  ö  1 1  getrieben  wurden,  einer  Strohpuppe, 
welche  in  den  Fasnachtstageu  öffentlich  herumgeführt  und  darauf  ver- 
urtheilt  wurde,  nachdem  man  ihr  vorerst  alle  lächerlichen  Streiche,  die 
im  Laufe  des  vergangenen  Jahres  stattgefunden ,  Vorgeworfen  und  auf- 
gebürdet hatte;  die  Posse  gab  dann  gewöhnlich  Anlass  zu  ernsthaften 
Raufereien,  wesshalb  sie  abgeschafft  wurde.  "*)  „Vielleicht  waren  Zwei- 
kämpfe u.  dgl.  in  alter  Zeit  zu  Tolenstein  die  Rechtsmittel,  mit  welchen 
die  beim  Löllgericht  zu  Fasnacht  angeklagten  Käuflerinnen  sich  ver- 
theidigen  mussten."  Interessanter  sind,  wie  Herr  Suttner  weiter 
schreibt,  allerlei  benachbarte  Erzählungen,  in  denen  Spuren  von  W^eiber- 


,')  Tolenstein  gehörte  früher  zum  Kloster  Baring  (Baringi),  einem  bis  in  die 
Zeilen  Tbassilo*s  hinaufrerchenden  Stift  mit  den  Resten  einer  wunderschönen 
byzantinischen  Kirche;  K.  Heinrich  vergable  am  15.  April  1007  den  Ort  als 
Seelgeräth  für  seine  Gemahlin  Kunigunde  den  dortigen  ßenedictiueni.  Mon. 
boic.  XXVIII.  326. 

^)  Von  da  kam  es  an  die  Freiherren  von  Heydeck,  die  das  Scbloss  an  Bischof 
Albert  von  Eichstatt  verkauften.   Paslorius.  Franc,  rediv.  1702.  S.  394. 

')  Schöppner  Bayr  Sagen  Mro.  1163'verseicbnet  bloss  ein  gespenstiges  Ge- 
lage in  der  Christnacht. 

^)  Journal  von  und  für  Franken.  Nürnberg  1793.  VI.  193  u.  194.  —  PJwas 
Aehnlicbes  berichtet  Panzer  II.  510  aus  K brach  (hei  Bamberg)^  der  Bö II 
ist  dort  eine  wirkliche^  nur  verlarvte  Person  und  hat  vor  einem  a  u  s  z  w  ö  I  f 
auserlesenen  Jungfrauen  bestehenden  Gericht  einen  eigenen  Anwalt. 


124 

< 

kämpfen  «vorkommen,  z.  B.  in ' dem  Pfarrorte  Pfraunfeld,  einige 
Stunden  von  fiichstätt,  und  der  Filiale  Hagau  in  der  Pfarrei  Wolfer- 
stadt  bei  Wemding.  Dort  hatten  (and  in  Hagau  soll  die  Sitte  noch 
bestehen)  die  Weiber  in  der  Kirohe  die  Evangelienseite  inne  und  zwar, 
wie  es  hiess,  desshalb,  weil  zur  Zeit  der  Reformation  die  Weiber  ihre 
Männer  mit  Gewalt  zwangen,  katholisch  zu  bleiben.  Die  Ursache  aber 
muss  doch  eine  andere,  vielleichjt  ältere  sein,  denn  es  ist  gewiss,  dass 
Pfrauenfeld  nie  lutherisch  werden  konnte  und  dass  Hagau  wirklich 
längere  Zeit  hindurch  refbrmirt  war.  Betrachtet  man  ferner ,  dass  zo 
Tolenstein  schon  im  XIII.  Jahrh.  ein  höchst  bedeutender  Handels- 
verkehr war, ^)  so  wäre  es  leicht  anzunehmen,  dass  die  reichen  Kaof- 
frauen  in  der  Fasching  einen  übermöthigen  Handstreich  versucht  hätten ; 
ihr  Runimel  wäre  dann  ein  ^vrouwen  tumei"^  gewesen,  wie  dergleichen 
in  Dichtung  und  Greschichte  häufig  genug  vorkommt.')  Wie  tapfer 
vertheidigt  nicht  Kyburg  (in  Wolfram's  „Willehalm'')  mit  ihren 
Frauen  die  Festung  Oranse  gegen  die  Heiden!  Im  Jahre  1211  ward  zu 
Treviso  ein  Kampfspiel  aufgeführt,  «wo  die  Frauen  ihre  hölzerne 
Burg  mit  Blumen,  Obst  und  Backwerk  gegen  die  anstürmenden  Ritter 
vertheidigten.  Ein  ernstes  Frauentumier  zu  Lagny-sur-Marne  schildert 
Hues  d'Oisy;  die  Frauen  schienen  eben  auch  neugierig  zu  erfahren,  wie 
die  Streiche  und  Stösse  thun,  deren  die  Ritter  ihretwegen  sich  rühmten. 

Weiters  erwähnt  Wolfram  das  Lechfeld,  das  er  mit  dem  Burghof 
des  Zauberschlosses  vergleicht,  (Parc.  565,  3.)  und  das  er  aus  den 
glänzenden  Tagen,  die  dort  König  Philipp  (1196  und  1197)  am  „Gun- 
zenle''  hielt,')  aus  eigener  Anschauung  kennen  konnte,  er  nennt  Nörd- 
1  i  n  g  e  n,  *)  wo  sie  breite  Flaschenschwingen  handhaben ;  die  Blechsturm- 
hauben von  Beratzhausen  an  der  Laber  (ein  Bemhartshüser  huot 
Will.  397,  4.);  er  lobt  den  Zindel  von  Regensburg  (Parc.  377,  30.) 
wo  treflfliche  Seidenwebereien  waren,  er  ist  an  der  Donau  überhaupt 
bekannt,  auch  am  Bodensee  (Willehalm  377,  5),  kennt  den  ganzen 


>)  In  einer  Urkunde  vom  J.  1309  (Falkenslein  Cod.  diplorn.  £ysteU.  p.  145) 
werden  die  Handelsrechte  des  Marktes  Tolenstein«  der  damals  npcn  nii-bl 
dem  ßischof  von  Eichstätl 'gehörte,  besonders  reservirt.  £s  heissl  nämlich: 
möge  Tolenstein  eichst  attisches  Lehen  oder  Allod  der  allen  Grafen  von 
Hirschberg  sein  ^so  sollen  doch  all«  die,  die  zu  Tolnstein  gewesen  sind,  in 
unserer  Stadt"  Eichstütt  vor  KaufTen  und  Verkaufen  keinep  Zoll  ^eben ,  als 
er  vor  mit  Gewohnheit  bey  dem  seligen  Grafen  von  Hirschberg  herkommen 
ist  '^  Diese  besondere  Reservirungf  scheint  anzudeuten ,  dass  noch  1309  der 
Handel  Tolensteins  ein  namhafter  war. 

')  Vgl.  v.  d.  Hagen  Gesammt  Abent.  Nro.  XVII. 

^)  Vgl.  Pfeiffer  Germania.  I.  81  ff, 

^)  Vgl.  die  Anmerk.  zu  Willehalm  295,  16. 


125 

Sand  um  Nürnberg,")  worunter  die  ^anze  Gegend  von  Neumarkt, 
Pleinfeld,  Weissenburg  und  Nürnberg  bezeichnet  ist.  Weiter  weiss  er 
vom  Turnier  zu  Kizzingen  (Will.  385,  26),  er  sah  die  verheerten 
Weinberge  zu  Erfurt')  und  weiss  noch  von  der  Niederlage  des  Weif 
vor  Tübingen  1164.*)  Er  nennt  den  Schwarzwald,  Spessart 
and  Odenwald,  er  ist  am  Rheine  gewesen,  kennt  das  Tuch  von 
Gent  80  gut,  wie  den  Wein  von  Botzen,  auch  die  Malerschule  zu 
Köln  und  Ma strich*)  hat  er  kennen  gelernt  und  ihrer  Erwähnung 
ist  zu  danken,  dass  wir  überhaupt  in  dieser  Zeit  von  der  Ebcistenz  der 
Schilder  allda  Kunde  empfingen;  er  muss  auch  Einsicht  genommen 
haben,  von  dem,  was  sie  schufen,  und  hat  ein  gebildetes  Auge  für  Kiinst, 
wie  das  aus  seinen  Schilderungen  mehrfach  hervorgeht,  am  sprechend- 
sten aber  gerade  aus  einem  Wächterliede ,  wo  er  die  dort  berührte 
Situation  wie  fiir  einen  Maler  gemacht  erkennt.  Dort  konnte  er  auch 
schon  mit  Heinrich  von  Veldecke  zusanmeugetroifen  sein,  dem 
Vater  der  mittelhochdeutschen  Epik,*)  den  er  so  lieb  gewann,  (dass 
er  vielleicht  zu  ihm  sich  verhält,  wie  Walther  zu  dem  von  Hagen  au) 
den  er  dann  zu  Thüringen  fand  und  dessen  allzufrühen  Tod  er  immerdar 
beklagte  (Parc.  404,  28).  Wolfram  war  also  auf  ritterlichen  Fahrten 
Weit  hemmgekommen,  er  kann  seine  Knabenzeit  auf  Heitstein,  seine 
Jugend  unten  am  Rheine,  (oder  wie  Herr  Lang  will,  in  Palästina  und 
Frankreich)  verbracht  haben,  im  reiferen  Mannesalter  kam  er  durch 
Thüringen  in  seine  Heimath  zurück,  wo  er  seine  grossen  Dichtungen 
b(>gann,  zuerst  einer  Frau  zu  Ehren,  den  Parcival,  sodann  den  Wil- 
lehalm,  mit  dem  ihn  (spätestens  um  1214)  der  Landgraf  Hermann 
von  Thüringen  betraute;  er  unterzog  sich  der  Nachdichtung,  aber  sicht- 
lich mit  gedrückter  Seele,  in  der  noch  ein  grösseres,  farbenreicheres  Bild 
lebte,  nämlich  der  Titurel,  den  er  auch  mit  neu  auflebender  Dichter- 
kraft und  einem  glänzenden  Feuer  begann,  die  aber  nur  zu  bald  mit 
dem  Leben  erlöschen  sollten.  Von  seinem  muthigen  und  jedenfalls  viel- 
bewegten ritterlichen  Leben,*)  tritt  einzig  der  Aufenthalt  am  Hofe  zu 
Thüringen  klarer  hervor, ')  aber  auch  nur  auf  einen  Moment,  dann  ver- 


')  Vgl.  die  Anmerk.  zu  Willehalm  426,  28. 

*)  Vgl.  die  Aomerk.  zu  Parc.  379,  18. 

*)  Die  Steile  bezieht  sich  auf  Weif  VII.,  der  am  5.  September  1164  mit  2200 
yBüB  einen  Sturm  auf  die  Burg  Tübingen  Mnlernahm;  darunter  war  »uch  der 
Narggraf  Berhiold  von  Vobburg.    Vgl.  Haupt  Zeitscbrift.  XI.  46. 

*)  Parc.  158,  13  dazu  vgl  das  Weitere  ia  unserer  Darslelinng  der  L^rik. 

»)  Vgl.  W^incbalro  T6,  24. 

*)  Auch  in  der  Steiermark  scheint  er  absonderlich  vertraut,    Vgl.  Parc.  496, 

15  flr.  und  498,  21  fT. 
^  Ungefähr  zvtiichen  1204  —  1207.     Spangen berg  in  seinem  Adefspiegel, 


m 

schieiern  ihn  wieder  die  Wolkenbiidungen  der  Sage.  Er  hatte  dort,  wie 
sich  unzweifelhaft  herausstellt,  viele  Aergerlichkeitea  mit  dem  unver- 
schämt zudriugenden  Völklein  der  Fahrenden,  so  dass  er  aus  aufrich- 
tigem Herzen  dem  milden  Landgrafen  einen  tüchtigen  Keye,  oder  einen 
Heinrich  von  Reisbach  als  Senneschall  wünscht,  der  den  Burschen 
Rechtzeitig  den  Rücken  fege;')  biemit  stimmte  er  mit  Walther  völlig 
überein,  aber  auch  nur  in  diesem  Punkte,  sonst  gingen  ihre  Wege  aus- 
einander. Wolfram  war  der  Mann,  der  ein  Ross  zu  reiten  und  in  den 
Schranken  Ritterpreis  zu  erjagen  wusste,  Walter  mehr  ein  feinerer 
Hofgeselle,  der  das  Talent  zur  Prinzenerziehung  in  sich  trug  und  dess- 
halb  von  dem  Ritter  mehr  als  fahrender  Sänger  und  Spielmann 
über  die  Achsel  angesehen  ward;  dazu  kam  noch,  dass  auch  ihre  poli- 
tischen Ansichten  auseinander  gingen,  denn  Walther  stand  in  den 
Diensten  der  kaiserlichen,  Wolfram  aber  hielt  sich  frei  vom  Fürsten- 
dienste und  stand  zu  der  päbstlichen  Partei.  Aber  auch  mit  den  übrigen 
Dichtern,  die  hier  Gelass  hatten  und  dem  Gesindel  der  fahrenden  Reimer 
und  Schreiber  gab  es  oftmals  Spähne,  helle  Funken  und  Feuer,  wie  das 
aus  dem  „Wartburgkriege"  deutlich  hervorgeht.  Zwar  ermangelt  dieses 
Gedicht,  wie  man  nun  endlich  zur  gründlichen  Einsicht  gekommen«  ftHes 
weiteren,  streng  historischen  Bodens,  es  ist  wenn  man  so  sagen  darf, 
nur  eine  litenatur-historische  Epe,  von  einem  der  Nachzügler  des  alten 
höfischen  Gesanges  mit  einer  an  meistersängerische  Breite  streifenden 
Unbehaglichkeit  und  vei-worrenen  Unkunst  gefertigt,  die  E  d  d  a  des  Thü- 
ringer Lebens;  doch  im  Ganzen  sind  die  darin  auftretenden  Figuren 
kräftig  und  mit  uuläugbarer  Wahrheit  gezeichnet,  ganz  herrlich  voraus 
unser  Wolfram ,  der ,  obwohl  er  ein  Ritter  ist  und  sein  will ,  doch  als 
ein  Dichterkönig  erscheint,  ausgeröstet  mit  tieferem  Wissen,  durch- 
dringendem Scharfsinn  und  mächtiger,  grandioser  Phantasie.  Wolfram 
hatte  überhaupt  umfassenderes  Wissen  und  gründlichere  Bildung,  als  die 
meisten  der  ihn  umgebenden  Zeitgenossen,  einzig  und  allein  mit  Gott- 
fried von  Strassbnrg  vergleichbar,  den  er  aber  acht  ritterlich  als  Meister 
und  Büchergelehrten  unter  sich  fühlte.  Zwar  hat  bis  heute  immer  die 
Meinung  gegolten,  Wolfram  sei,  wie  er  selbst  versichert,  des  Schreibens 
und  Lesens  nicht  kundig  gewesen.  Ich  erlaube  mir  aber  anderer  Ansicht 


1591.  11  184  nennt  iintef  den  „gelahrten  Adeligen  zw.  i200->190()  Albredit 
von  liollensladt  nnd  Ollo  von  Lomsdorff,  Bisrhnr  von  Passiita  1250,^  dann 
lieissl  es  weiler :  ^Umb  dise  Zeit  nnd  kurlz  zuiior  hat  auch  gelebt  WolfTrani 
von  Kscheiiliadi^  der  freye  lichter  und  deutsche  Poet^  welcher  unter  «ndern 
auch  das  (jedicht  gcmarht  hat  von  Ganiuret  viirl  dessen  Soo  Herrn  Parcirall, 
ist  lang  an  Landgraff  Hermanns  zu  Ttiiiringen  HofT  geA^  e&en,  sonderlich  ann. 

•)  297,  1()— 30. 


127 

ZQ  sein 9  obwohl  ich  mich  der  grossen  Gefahr  aussetze,  gegen  den 
wissenschaftlich  eingebörger ten  Aberglauben  der  Gelehrten  zu  Verstössen, 
der  immer  schwerer  auszurotten  ist,  als  der  abergläubische  Hausbedarf 
des  Volkes  und  des  gemeinen  Mannes. 

Man  hat  ftSr  Wolframs  Unkunde  des  Schreibens  und  Lesens  immer 
die  einzelne  Zeile  ausParcival  (115,27)  citirt,  wo  er  keinen  Buchstaben 
zu  kennen  vorgibt  (ine  kan  decheinen  buochstap),  ohne  jedoch  die  ganze 
SteHeJns  Auge  zu  fassen,  die  einen  anderen  Sinn  enthält.  Es  ist  die 
Einleitung  zum  dritten  Gesang*  Der  Dichter  behauptete  darinnen  in  der 
Erbitterung  gegen  Eine,  es  gebe  keine  so  treuen  Frauen  mehr,  wie  Par- 
civals  Mutter  gewesen;  nun  sucht  er  den  Schaden  in  der  nachträglich 
dazu  gedichteten  Einleitung  wieder  gut  zu  machen,  er  widerruft  theil- 
weise  und  mit  Umzügen  und  gesteht,  er  würde  den  Frajien  wolil  Allerlei 
noch  erzählen,  doch  könnten  sie  es  für  Schmeichelei  halten,  er  aber 
wolle  keine  mit  seinem  Gesänge  gewinnen,  sondern  seine  Art  sei 
Schildesamt,  er  gebe  nichts'  um  die  Minne  ein^r  Frau,  die  nicht  mit 
Schild  und  Sper  errungen.')  Er  mache  keine  Bücher,  er  kenne  keinen 
Buchstaben,  wenn  man  diese  Aventiure  fiir.  ein  Buch  halte  (mit  dem  er 
sich  bei  den  Frauen  einschmeicheln  könnte)  i  so  sässe  er  lieber  nackt 
im  Bade,  Schildesamt  ist  meine  Art  und  nicht  Büchermacherei  zur  Lieb- 
lingslectüre.  Es  ist  das  ein  Hieb,  wie  Wolfram  so  viele  ftihrt;  auf  die 
gelehrten  Poeten  seiner  Zeit,  die  wie  Gottfried  von  Strassburg  und 
Andere,  eigentliche  Studien  gemacht  hatten,  die  gelehrte  Meister  waren 
ohne  jedoch  das  ritterliclie  Waifenwerk  zu  treiben.  Diesen  Federfiichsem 
gegenüber  ist  er  der  Mann  von  Eisen,  ihnen  gegenüber  behauptet  er 
ironisch,  gar  nichts  zu  verstehen,  gar  keinen  Buchstabeii  zu  kennen ;  an 
den  Büchergelehrten  reibt  er  sich,  wo  er  nur  kann. 

Zugegeben  aber,  ich  habe  diese  absichtlich  ziemlich  modern  nadi- 
erzählte  Stelle  missverstanden,  so  spricht  gegen  meine  erste  Behauptung 
die  sonst  in  zweiter  Reihe  aus  dem  Willehalm  citirte  Stelle  2,  18  gar 
nicht.  Er  sagt  darinnen,  dass  er  aus  den  Bücheni  seine  Kunst  nicht 
gelernt  habe,  sondern,  wenn  er  wirklich  solche  besitze,  selbe  ihm  sein 
Geffihl,  sein  gerader  Sinn  gegeben. 


')  So  hat  ihn  auch  der  Maler  der  Pariser  Handscbrift  dargestellt:  Ganz  im 
Panzerhemd,  darüber  einen  blauen  Wappenroi k  und  ein  mächtiffes  Sch^^ert 
umgegürtet,  auf  dem  Haupte  trägt  er  den  zu  ,,Schimpr  und  ßnhurl"  ?eh6- 
riffen  Helm^  in  der  einen  Hand  hült  er  den  Schild,  in  der  andern  die  Lanze 
mit  dem  Fähnlein;  daneben  hält  ein  Gar^un  das  Ors  (Slreilross),  welches 
(resattelt,  gezäumt  und  mit  einer  Koverlüre  bedeckt  ist.  —  v|rl.  72,  21  wo 
der  Dichter  sagt ,  e  r  sitze  viel  lieber  auf  dem  Hengst ,  als  dass  jer  sich  in 
den  Gries  siechen  lasse. 


128      ' 

Der  behäbige  Ulrich  von  Lichtenstein  erwähnt  eines  Schrei- 
bers, der  ihm  sein«  heimlichen  Briefe  las  und  schrieb,  der  reiche  Wim t 
von  Grävenberg  beruft  sich  auf  einen  gebildeten  Knappen,  der  ihm 
zur  Seite  stand :  Nie  ist  aber  bei  Wolfram  davon  die  Rede.  Dazu  be- 
denke man ,  dass  bloss  das  Material  zu  schreiben ,  das  Pergament  zu 
so  einem  Gedichte,  theuer  zu  stehen  kam  und  ein  ganzes  Capital  erfor- 
derte! Er  hätte  sich  bei  seiner  Armuth  keinen  Schreiber  zu  halten 
vermocht  Zwar  spuckt  in  den  Ritterromanen  und  in  den  Köpfen  ihrer 
Verfasser  und  Leser  durchweg  der  Burgpfaflfe  als  derjenige,  der  Alles 
schrieb.  Nun  waren  aber  von  den  Minnesängern  bei  weitem  die  Meisten 
nicht  reich  genug,  um  sich  ein  solches  Gesinde  zu  halten,  mancher 
hatte  kaum  selbst  das  Hebe  Brod,  zählte  zur  ^gemden  diet,^  zum  be- 
gehrenden, landfahrenden  Volk  und  zog  von  Burg  zu  Burg,  sang  um 
Kost  und  Herberge,  trieb  allerlei  Künste,  darunter  nicht  selten  Päda- 
gogik und  Schul meisterei ,  wobei  Lesen*  und  Schreiben  die  Hauptsache 
war,  und  sie  sollen  nicht  zu  schreiben  verstanden  haben?  Und  selbst 
die  reichen  Dichter  des  Mittelalters  sollen  immer  dictirt  haben?  Lieder 
und  noch  weniger  epische  Gedichte,  lassen  sich,  wie  Bechstein  gelegent- 
lich bemerkt,  nicht  dictando  dichten  wie  ein  Ronmn  von  Hackländer, 
denn  die  beflügelte  Phantasie  des  Poeten  eilt  mit  dem  Fluge  der  Ge- 
danken unendlich  weit  dem  Gänsekiel  des  Schreibers  voraus. ') 

Nun  ist  aber  Wolfram  gar  nicht  so  ungebildet.  Er  ist  nicht  nur 
der  französischen  Sprache  mächtig,  sondern  gebraucht  mit  Vorlielie 
verschiedene  Redensarten  und  Worte,  ja  seine  Quelle  selbst,*  auf  die  er 
sich  nicht  selten  beruft,  ist  eine  französische ;  noch  mehr,  er  kennt  auch 
die  bedeutendsten  Dichtungen  seiner  Zeitgenossen,  nimmt  Rücksicht 
darauf,  fiihrt  ihre  Meinungen  und  Ansichten  an ,  spöttelt  zeitweise ,  er 
ist  sogar  mit  der  alten  deutschen  Heldensage  und  den  Nibelungen  be- 
kannt ^)  und  mit  vielen  anderen  Dingen,*)  die  er  aus  seinem  französi- 
schen Vorbild  nicht  haben  kann :  Das  Alles  kann  er  nicht  vom  Hören- 
sagen  wissen  und  behalten  haben,  dazu  gehört  doch  Autopsie  und  eigene» 
Lesen.  Wenn  er  aber  das  vermag,  versteht  er  auch  zu  schreiben.   De« 


')  Bechstein  ,^Ueber  das  Selbstschreiben  rülerlicher  und  anderer  Personen  iin 
Mittelalter^  im  Organ  für  Autographensammler.  1H59.  Nro.  2.  S.  19. 

^)  Die  deutschen  Namen  Fridebrant^  Isenhnrl,  Herlinl^  Hernant,  Scbiltunr,  Hiii- 
teg^r,  WolHiart  und  Rumold^  der  Küchenmeister  der  Nibelnngen  (Parc.  420, 
22—30)^  dazu  das  norwegische  Groenlnndsfylki  hat  Wolfram  unmöglicli  aus 
seiner  franz.  Quelle. 

')  Darauf,  dass  ihm  im  Wartburgkriege  eine  genaue  Kenntniss  und  ein  tiefes 
Studium  der  heil.  Sriirift  zugeschrieben  wird,  ist  bei  der  Unzuverlässigkeit 
dieser  QueWe  nichts  zu  geben,  es  wäre  nur  ein  indirecter  Beweis,  dass  man 
damals  kein  Bedenken  trusr.  unserem  Dichter  die  vollen  Kenntnisse  eines 
Meisterpfaffen  zuzuschreiben. 


129 

malenden  Schönsclireibeni  gegenüber  führte  WoHräm  sicherlich  einen 
ritterlichen  Hausbuchstaben,  an  den  ich  aufrichtig  lieber  glaube,  als  an 
eine  so  übermenschliche  Genialität,  ein  ganzes  solches  Epos  wie  am 
Schnürchen  aus  dem  Gedächtniss  zu  ziehen.  —  Dazu  kommt  noch  ein 
nicht  unerheblicher  Umstand,  mit  ^ dem  wir  unsere  ketzerische  Neuenmg 
beschliessen.  Wolfram  hat  bekanntlich  erst  vom  fünften  Gesänge  an 
eine  durch  dreissig  theilbare  Verstumme  durchgeführt;  er  lernte,  wie 
M.  Haupt  *)  vermuthet,  diese  Art  der  Abtheilung  vielleicht  durch 
Hartmanns  ^Iwein,^  der  eben  im  iiinfben  Gesänge  auch  erwähnt  ist.  Die 
vorhergehenden  Gesänge  suchte  Wolfram  dann  durch  Ueberarbeitung  und 
Einschaltungen  in  Einklang  zu  bringen.  Aach  das  wäre  ein  weiterer 
Beleg  ftlr^die  Elementar-Bildung  des  Dichters,  die  dieser  aber  nach  der 
Meinung  unseres  schreibseligen  Jahrhunderts  nicht  besessen  haben  darf, 
bloss  aus  dem  Grunde,  um  dadurch  als  ein  noch  grösseres  Genie  be- 
wundert werden  zu  können. 

■ 

So  sehr  er  sich  aber  auch  als  Ritter  gebahren  mochte,  so  kam  es 
doch,  dass  er  einer  Frau  zu  Liebe  die  Aventiure  des  Parcival  dichtete 
und  vollendete.*)  (827,  250  So  sehr  er  zuerst  die  heimliche  Liebe  in 
seinen  Wächterliedem  verherrlichte,  er  griff  doch  bald  zur  Ehe  und  be- 
mitleidete die  Helden,  die  nur  mit  Gefahr  des  Leibes  und  der  Ehre  zu 
der  Geliebten  schleichen  dürfen  und  beim  Morgengrauen,  durch  Wächt^r- 
ruf  geweckt,  wieder  heimlich  verschwinden  müssen.  Ein  offenkundig 
Gemahl  kann  süssere  Minne  geben!  *)  Dass  seine  Ehe  mit  Kindern 
gesegnet  gewesen,  hat  Simrock  mit  fein  poetischem  Takte  aus  der  Innig- 
keit geschlossen,  mit  der  Wolfram  solche  Freuden  schildert,  doch 
scheinen  ihm  nur  die  Töchter  am  Leben  verblieben  zu  sein,  wenigstens 
klingt  aus  der  Klage  des  greisen  Gurnemanz  der  volle  Vaterschmerz 
ober  den  Verlust  seiner  Söhne.  Desto  wärmer  ist  die  Schilderung  der 
Mädchengestalten,  die  ihm  mit  ausnehmender  Zartheit  gelingt.  Wie 
kostbar  ist  das  Bild  der  kleinen  Obilot,^)  wie  reizend  das  der  unschul- 
digen Sigune  im  Titurel,  oder  jenes,  wie  die  Kinder  kriechen  und  an 
Stühlen  das  Aufstehen  lernen,   ebenso  wie   das  Ringelschnellen   (Parc. 


')  Zeitschrirt.  XI.  49. 

')  Vgl.  287,  14.  Auch  er  ist  durch  ein  Weib  in  Minnenot,  wie  Parcival  beim 
Anblick  der  Blutslropfen,  doch  ist  ihm  die  Minne  zu  hebr  (292,  10  ff.),  um 
sie  in  Zornes  Hilze  desshalb  zu  schelten. 

')  216,  28  gedenkt  er  ausdrücklieb  seiner  Frau;  er  würde  sein  Weib  ungenie 
in  ein  so  grosses  Volksgedränge  .bringen,  wie  das  um  König  Artus  war. 

^)  „Ich  gestehe  sogar  —  sagt  Simrock  —  dass  ich  in  der  schönen  Episode 
von  der  kleinen  Obilot  die  Rede  des  alten  Lippaut,  wo  er  sich  darüber 
Iröslel.  dass  er  keinen  Sohn  und  nur  zwei  Töcnter  habe,  niemnls  obne  das 
Gefühl  lesen  konnte,  dass  der  Dirbler  bier  seinem  eigenen  Herzen  Luft  mac-be.** 

9 


130 

368,  12),  das  offenbar  dem  heimischen  Leben  abgelauscht  ist,  auch 
gedenkt  er  bestimmt  seines  Töchterlein,  c^as  noch  mit  Puppen  spielte^ 
als  er  am  Willehalm  dichtete.  (33,  24.)  Sonst  findet  sich  nur  noch 
eine  Andeutung  an  seinen  Bruder,  mit  dem  er  ein  Herz  und  eine 
Seele  gewesen  sein  muss,')  und  an  seine  Schwester.  (686,  30.) 

Noch  einer  anderen  Seltsamkeit  ist  zu  erwähnen,  die  vielleicht,  wie 
unsere  Annahme  von  den  Kenntnissen  des  Dichters,  zweifelschweres  Be- 
denken  erregen  wird :  Wolfram  hat  uns ,  wahrscheinlich  selbst  unbe- 
wusst  und  ohne  davon  unsere  heutige  Vorstellung  zu  haben,  die  Kunde 
vom  Schiesspulver  überbracht.  Er  gibt  bei  der  Beschreibung  von 
Pelrapeire  ein  lebhaftes  Bild  einer  mittelalterlichen  Städtebelagemng, 
die  auch  Wirnt  im  ^Wigalois"  nachahmend  wiederholt.  Die  Einwohner 
sind  in  Hungersnoth ;  doch  ist  6s  möglich,  dass  in  die  ganz  von  Feinden 
umschlossene  Stadt  ein  fremder  llitter  behaglich  einreite.  Die  Bürger 
hatten  unterdessen  gegen  den  Feind  neuerdings  ihre  Stadt  in  Verthei- 
digung  gesetzt  (Parc.  205, 17  ff.):  sie  nahmen  lange  Bäume  und  stiessen 
starke  Stecken  darein,  ^n  Seilen  und  auf  Rädern  gingen  grosse  Stämme, 
auch  hatten  sie,  gleichfalls  auf  Rädern,  allerlei  Geschütz:  „^ebenhohe" 
und  ^mangen,"  auch  ^igeP  und  „katzen**  in  den  Gräben.  Zwei  Schiffe 
aber  hatten  das  „beiden seh  wilde  fiur''  in's  Land  gebracht,  mit 
dem  man  die  Gegenwerke":  des  Feindes  verbrennen  konnte.  Simrock 
macht  „griechisches  Feuer''  daraus.  Vielleicht  wäre,  obwohl  die  Version 
überraschend  genug  aussieht,  doch  njcht  zu  viel  gewagt,  in  dieser  Stelle 
unser  späteres  „Schiesspulver"  zu  vermuthen.  Die  ersten  Spuren  der 
Feuerwaffen  laufen  auf  das  von  maurischer  Bevölkerung  bewohnte  Süd- 
spanien hin  und  der  räthselhafte  Marco  Graeco  hat  nach  seinemim 
XII.  Jahrhundert  verfassten  liber  ignium  die  Bestandtheile,  das  donner- 
artige Knallen  und  die  Alles  niederschmetternden  Wirkungen  dieser  Er- 
findung wohl  gekannt;  die  erste  Jahrzahl,  in  der  mit  Bestinuntheit  von 
Donnermaschinen  bei  der  Belagerung  von  Zaragoza  die  Rede  ist,  lautet 
1117,  bereits  im  Jahre  1150  hatten  die  Schiffe  des  maurischen  Königs 
von  Tunis  eiserne  Geschütze  und  Bombarden  an  Bord,  womit  sie  in  den 


')  Ein  nicht  unerheblicher  Umstand  ist,  dass  der  Markt  Esebenbach  (der  Name 
Eskenbach  erscheint  urkundlich  zuerst  1144.  vg-l.  R.  v.  Lang,  Regesla. 
1837.  S.  46.  Im  .1.  1157  wird  die  Kirche  in  Eskenbach  genannt  und  1164 
Eskinebach)  an  den  Deutschritterorden  kam,  der  freilich  zu  Woirram's 
Zeiten  erst  im  Entstehen  begriffen  war:  dorh  besass  dieser  Orden  urkund- 
lieb  im  J.  1268  daselbst  ein  Haus.  Dabei  wird  ein  Burkard  von Escbenbacb 
genannt  nnd  1269  sein  Bruder  Min  ward,  die  vom  Kloster  Hailsbronn  mit 
Giitern  zu  Adelberndorf  (AlberndorO  belehnt  werden.  Später  treten  noch 
mehrere  so  zugenanqte  Herren  auf,  Anfangs  des  XIV.  Jahrh.  auch  ein  Ul- 
rich von  Eschenbach,  der  eine  Alexandreis  verfasste,  wovon  weiter  unten 
in  dem  Abschnitt  über  den  antiken  Sagenkreis. 


131 

> 

Seetreffi^n  Donner  mit  Flammen  schössen.  Sollte  nun  die  Annahme  UD-< 
statthaft  sein,  Wolfram  habe  dmxih  den  seltsamen  Weg,  den  die  Gral*^ 
dichttmg  (der  Sage  hach)  aus  Spanien  durch  Frankreich  genommen, 
liieiiiit  auch  zugleich  die  Kunde  von  dieser  Erfindung  ^des  heidnischen 
wilden  Feuers^  tiberkommen :  0  so  $nden  sich  doch  in  Deutschland 
selbst  nur  zu  gute  Belege  für  die  Kenntniss  des  Pulvers,  denn  durch 
diese  Gewalt  hatte  man  schon  im  XII.  Jahrhundert  (beinahe  gleichzeitig 
mit  den  maurischen  Kriegen  und  Belagerungen)  das  Gestein  in  Rani- 
mehsburg  bei  Goslar  gesprengt  und  dieser  Bergwerksgebrauch  gab  Ge- 
legenheit,'  dass  ein  Sohn  Heinrich  des  Löwen  im  Jahre  I2Q0  auf  eben 
diese  Weise  die  Mauern  eines  feindlichen  Schlosses  damiederwarf.  *) 
Bemerkenswerth  sind  auch  die  Namen  der  Belagerungs-  und  Vertheidig-* 
imgs- Werkzeuge :  Igel  und  Katzen;  ^Katze^  erklärt  Müller  für  das 
Oerüst,  worauf  die  ^  bilde  ^  steht  und  eine  Glosse  übersetzt  das  mit 
testudo;  häufig  aber  wurden  später  kleine  Kanonen  un4  Mörser  so  be- 
nannt und  da^  Volk  liebt  heute  noch  die  Benennung  ^Katzenköpfe^  fiir 
Heine  Böller. 

Nach  den  Untersuchungen  von  Wolframs  Biographen  f%llt  seine 
Lebenszeit  zwischen  II 75 — J26I;  das  letztgenannte  Jahr  hat  W. 
Wackemagel  (Lit.  Gesch.  S.  177)  annähernd  angenommen,  doch  ist  die 
Zahl  zu  hoch  gegriffen,  da  der  Tod  sicherlich  schon  zwischen  121 9 — 
1225  fiel;  die  Zeit  seiner  Geburt  ist  ebenso  ungewiss.  —  Was  wir  von 
ihm  haben  sind  einigt  Minnelieder,  die  wir  später  in  der  Lyrik  be- 
sprechen werden,  femer  der  Parcival,  den  wir  hier  so  ausführlich 
wie  möglich  nacherzählen,  dazu  zwei  Fragmente  aus  dem  leider  unvoll- 
endeten Titurel  und  das  Leben  des  heil.  Wilhelm,  der  unter  der 
Rubrik  der  Marien-  und  Heiligenlegenden  seine  Stelle  gefunden. 

Von  keiner  Dichtung  des  XIII.  Jahrhunderts  haben  sich  so  viele 
Handschriften  (freilich  grösstentheils  nur  in  Brachstticken)  erhalten,')  wie 
von  dem  Parcival,  diesem  grossartrgen  Epos,  das  zugleich  zu  den  ersten 
Werken  gehört,  welche  zur  Zeit  der  neufiindenen  Buchdruckerkunst  auf 
solche  Weise' vervielfältigt  wurden;  trotzdem  aber  wurde  es  dQch  noch 
1678  abgeschrieben. 

Die  Zeit  der  Entstehung  ist  durch  Lachmanns  Forschungen  (S.  XIX) 
ziemlich  sicher  gestellt.  Der  dritte  Gesang  ist  nach  Hartmanns  ^Erec* 
gedichtet,  der  fünfte  Gesang  nach  Ilartmanns  ^Iwein,"  der  siebente 


I)  Wozu  die  dunkle  Stelle  Parc.  496,  11,  noch  mehr  aber  532,  5:    ^mit  ge- 

schöze  und  mit  fiure^  bezogen  werden  könnten. 
>)  Vgl.  Rudhart  histor.  Taschenbuch  f.  1851.  S.  61  ff. 
*)  Vgl.  die  «weite  Ausgabe  von  Lach  mann.  Berlin  1854.  S.  XV  IT. 

9» 


132     . 

bald  nach  1203,  den  sechsten  setzt  Lachmann  nach  dem  Sommer 
des  Jahres  1204.  In  den  Nibehmgen  und  im  Tristan  wird  auf  den  ersten 
Gesang  angespielt,  Wimt  von  Gravenberg  kennt  bereits  den  zweiten 
und  den  dritten,  den  sechsten  aber  nicht»  Im  ^welschen  Gast^  (der  nach 
der  Mitte  des  Jahres  1215  fällt)  wird  der  Parcival  edlen  Jünglingen  vor- 
gestellt, er  musste  also  längst  schon  vollendet  gewesen  sein. 

Wolfram  arbeitete  nach  einer  französischen  Quelle.  Er  selbst  nennt 
seinen  Gewährsmann  Kyöt  (416,  10)  und  beruft  sich  auf  ihn.  Sim- 
rock  vermuthete,  dieser  Kyöt  sei  ein  fingirter  Name,  und  Rochat 
suchte  zu  beweisen  Wolfram. habe  vielmehr  nach  den  „Contes  del  GraaP^ 
des  Chrestien  de  Troyes')  gedichtet.  Aus  diesem  durch  abschre- 
ckende Länge  und  Weitschweifigkeit  ausgezeichneten  Romane,  aus  diesem 
Gewirr  unverständlicher  und  schlechtverbundener  Fabeln  habe  er  sich 
seinen  Stoff  geholt,  denselben  künstlerisch  zurecht  gerichtet  und  die  von 
den  Welschen  ganz  verflachte  Gralsage  geistig  belebt,  indem  er  sie  im 
eigentlichen  Sinne  verdeutschte ,  wobei  er  stellenweise  seinem  Vorbilde 
beinahe  wortgetreu  folgte,  dann  aber  mit  freischaffender  Kraft  ausbie- 
gend, das  Ganze  durch  eigene  Zuthaten  und  Erfindungen  neugestaltete 
und  nach  selbst  erfundenem  Plane  zu  einem  neuen  Werke  abrundete. 
Das  ist  das  Resultat  von  Rochats  Untersuchungen. 

Dagegen  hat  der  hochverdiente  San-Marte  in  seinen  ^Parci- 
val-Studien^  (1861)  die  Behauptung  aufgestellt ,  dass  dieser  Kyöt 
keine  Fiction  des  Dichters  sei,  sondern  dass  der  wirkliche  Guiot  von 
Provins,  der  freidenkende  Kluniacensermönch,  Wolframs  Vordichter 
gewesen.  Was  jedoch  Einem  oder  dem  Andern  gehört,  lässt  sich  nicht 
entscheiden,  bevor  Kyöts  Gedicht  wieder  aufgefunden  ist;  bis  dahin 
muss  uns  genügen,  was -Wolfram  uns  überliefert  hat.  Chrestien  ver- 
hält sich  wahrscheinlich  zu  Kyöt,  wie  Albrech&  von  Scharfenberg  zu 
Wolframs  „Titurel.^ 

Wir  erlauben  uns  hier  nur  noch  einen  Seitenblidk  auf  die  Geschichte 

* 

der  Gralsage  zu  werfen,  die  trotz  ihres  fabelhaften  Gewandes  doch 
eine  innere  Wahrheit  birgt.  Der  Ursprung  derselben  fuhrt  in  das  mär- 
chenvolle  Spanien.  Flegetanis,  der  ein  Heide  von  Vaterseite,  von 
der  Mutter  ein  Jude  aus  salomonischem  Geschlecht  gewesen,  der  wohl 
Bescheid  wusste  um  jeglichen  Sternes  Gang,  habe  zuerst  über  den  Gral 
geschrieben ;  das  heisst  wohl  nichts  anderes,  als  dass  orientalische  Mythe 
und  hebräische  Weltanschauung  sich  in  der  Sage  vereinigt  und  wieder- 
gespiegelt haben.  Diese  Märe  habe  nun,  wie  es  weiter  heisst,  Kyöt, 
ein  in  heidnischer  Schrift  wohlbewanderter  Meister,  auf  dem  Markt  zu 


')  Vgl.  A.  Rochat  in  Pfeiffers  Germania.  III.  81—120  u.  IV.  414  ff. 


133 

Toledo  gefunden  und  nach  proven^alischer  Weise  umgedichtet;  diese 
erhielt  endlich  durch  Wolframs  Hand  einen  Zusatz  von  acht  deutscher 
Mythe  eines  Theils  und  anderen  Theils  unläugbare  Beziehungen  auf  die 
sinnbildlichen  Ueberlieferungen  der  geistlichen  Ritterorden  und  Tempel- 
herren. Drei  Völker  also,  jedes  von  dem  anderen  ganz  und  gar  an 
Sitte,  Charakter  und  Sprache  verschieden,  und  manche  Generation,  haben 
an  der  Sage  mitgearbeitet.  Orientalische  Mythe  und  Weltanschauung 
hatten  sich  vereinigt,  zuletzt  ist,  nachdem  noch  ein  verschwommener 
Rest  deutschen  Heidenthums  dazu  getreten^  die  Ghristiani^irung  erfolgt, 
die  keimend  und  ahnungsvoll  schon  im  Stoffe  lag  und  so  trat  das 
Ganze  im  ritterlichen  Gewände  des  Mittelalters  aus  Wolframs  Haupt. 
Derselbe  Process  ist  auch  im  Verlaufe  der  gleichzeitigen  Kunstgeschichte 
zu  Tage  gekommen:  der  Spitzbogenstyl  hat  gleiche  Wanderschaft  ge- 
macht von  den  Mauren  in  Spanien,  durch  Südfrankreich  nach  Deutsch- 
land. Auch  daran  haben  drei  Völker,  jedes  von  dem  anderen  gan^  uad 
gar  an  Sitte,  Charakter  und  Sprache  verschieden,  in  derselben  Weise 
gebaut  und  die  Deutschen,  wie  in  der  Poesie,  so  auch  in  der  Architectur, 
die  schönste,  höchste  und  eigenthümlichste  Construction  erfunden. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  dem  nach  seinem  Haupthelden  Parcival 
betitelten  Werke  selbst,  das  wir  ausführlich  und  meist  mit  den. eigenen 
Worten  des  Dichters  nacherzählen,  der  das  gesammte,  nur  im  Ritter- 
tbnm  und  in  Frauenminne  athmende  und  in  höchster  Blüthe  befindliche 
Leben  seiner  Zeit,  nach  aussen  und  innen,  mit  solcher  Treue  und 
Gewissenhaftigkeit  darstellt,  als  wenn  er  es  darauf  angelegt  hätte,  die 
Trachten,  Sitten  und  Gebräuche  nicht  minder  als  den  Glauben,  die  Ge- 
sinnung und'  die  höchsten  Ideen  einer  schnell  vorüberrauschenden  Glanz- 
periöde der  Nachwelt  in  einem  dauernden  Spiegel  zu  fesseln. 

•  I.  Der  Dichter  beginnt  mit  einer  schwierigen  Einleitung,  in  welcher 
die  Treue  gegen  Gott  und  Menschen,  der  Untreue  und  dem  Zweifel  ent- 
gegengesetzt und  vor  der  Unstätigkeit  gewariit  wird.  Ist  der  Zweifel  des 
Herzens  Nachbar,  so  muss  es  der  Seele  sauer  werden.  Goschmähet 
zugleich  und  geziert  ist  solch  ein  Mann,  er  gleicht  der  Elster,  die  auch 
schwarz  und  weiss  (als  agelstern  varwe  tout).  Gleichwohl  mag  ein 
solcher  noch  fröhlich  werden,  denn  Himmel  und  Hölle  haben  an  ihm 
Theil.  Wer  der  Unstäte  (Untreue)  Greselle  ist,  der  trägt  ganz  und  gar 
schwarze  Farbe,  doch  fest  hält  sich'  an  der  weissen  (blanken)  der 
mit  stätigen  Gedanken.  Freilich,  fahrt  er  fort,  ist  dieser  Vergleich  (diz 
vliegende  bispel)  ^iimben  liuten  gar  ze  snel,  sine  mugens  niht  erdenken,^ 
denn  es  fährt  vor  ihnen  wie  ein  aufgeschreckter  Hase  (rehte  alsam  ein 
schellec  hase),   sie  freuen  sich  am  Scheine  und  glauben  den  Träumen 


134 

1 

eines  Bünden.  Doch  kann  dieser  trübe  leichte  Schein  nicht  lange  dauern 
und  seine  Freude  bleibt  immer  kurz.  Wer  mich  in  der  höhlen  Hand 
raufen  will,  wo  niemals  Haar  wuchs,  der  greift  fehl.  Das  geht  Männer 
und  Frauen  an,  soll  ich  Euch  aber  beide  schildern,  das  würde  ^ein 
langez  maere.''  Hört  lieber,  bricht  nun  der  Dichter  ab,  was  die  Aven- 
tiure  sagt,  die  Euch  von  Lieb  und  Leide  wissen  lässU  Die  Märe,  die 
ich  Euch  erneue,  meldet  von  g^possen  Treuen,  von  rechter  Weiblichkeit 
und  Mannes  Mannheit. ')  So  geht  er  vom  Lobe  seines  im  Beginn  der 
Märe  noch  ungebornen  Helden  (den  ich  hie  zuo  hän  erkorn,  er  ist  mae- 
reshalp  noch  ungeborn)  zur  Geschichte  seines  Vaters  über. 

Nach  dem  Tode  Gandeins  des  Königs  von  Anjou  (Anschouwe)  fiel 
das  Reich  nach  dem  Rechte  der  Erstgeburt  auf  seinen  Sohn  Galoes,') 
der  seinen  jüngeren  Bruder  Gahmuret')  zwar  einlud,  am  Hofe  zu 
bleiben,  was  dieser  aber,  um  fremde  Lande  zu  durchfahren,  ablehnt; 
er  habe,  spricht  Gahmuret,  noch  sechzehn  Knappen,  von  denen  sechse 
sogar  Eisengewan J  tragen ,  gebt  mir  dazu  vier  Kinde  von  guter  Zucht, 
so  will  ich  mich,  wie  früher,  wieder  in  die  Fremde  wenden.  Der  Bruder 
gewährte  ihm  jedoch  mehr,  als  er  verlangte:  fünf  auserwählte  Rosse, 
theuere  Goldgefö^se  (manec  tiwer  goltvaz  und  mangen  guldinen  kloz), 
fiillte  ihm  auch  vier  Reiseschreine  (soumschnn),  gab  ihm  allerlei  Ge- 
steine  und  wohlgekleidete,  gutberittene  Knappen.  Seine  Mutter  fügte 
beim  zärtlichen  Abschied  vier  Kisten  mit  unverschnittenen  Pfeilen  und 
köstlichen  Sammt  hinzu,  nnd  eine  Freundin  sandte  ihm  von  Liebeswegen 
ein  tausend  Mark  werthes  Kleinod.  Urlaub  nahm  nun  der  Weigand, 
sein  Sinn  stand  darauf,  keines  anderen  Königs  oder  Kaisers  Dienstmann 
zu  werden,  als  nur  des  höchsten,  der  über  die  meisten  Lande  herrsche. 
Nun  sagte  man  ihm,  zu  Bagdad  (Baldac)  wäre  ein  so  gewaltiger  Mann, 
dass  ihm  zwei  Drittel  der  Erde  oder  gar  noch  mehr,  unterthan  wäre; 
sein  Name  war  so  hehr,  dass  er  bei  den  Heiden  nur  der  Baruch 
(bäruc,  der  Gesegnete,  Gebenedeite)  hiess,  selbst  Könige  waren  seine 
Mannen,  er  war  fiir  die  Heiden,  was  der  Pabst  in  Rom  für  die 
Christen^  ^) 


')  Vgl.  Lach  mann  über  den  Einffang  desParcivat  in  den  Abhandl.  der  Berliner 
Akademie.  1835.  S.  227  ff.  KI  öden  im  Jahrbuch  der  Berliner  Gesellschaft 
für  deutsche  Sprache.  V.  222  ff.  und  Rührmnnd  m  s.  Programm.  Potsdam 

•  1845.  S.  14  ff. 

')  u.  ')  Vgl.  San-Narte  über  die  Eigennamen  im  Parcival,  in  Pfeiffers  Germania. 
II.  S.  400  ff. 

^)Lndolf  von  Suchen,  der, seit  dem  Jahre  1836  fünfmal» und  dann  noch  1350 
Pilgerfahrten  nach  dem  heil.  Lande  machte,  erzählt  in  seinem  Buche:  Iter  ad 
terraro  sanctam.  cap.  LXX.  von  der  Stadt  Bagdad:  In  civitate  Baldoch  sunt 
dltiores  et  nobiliores  suh  coelo  mercatores,  nee  in  aliqno  loco  orientis  tot 


135 

Nun  war  der  Baruch  damals  bedrängt  von  einem  babylonischen 
Brüderpaare,  Pompejns  und  Ipomidön/)  denen  er  Ninive  entrissen  hatte; 
da  kam  der  junge  Anjou  in*s  Land  und  nahm  beim  Baruch  Dienst  und 
Sold.  Er  trug  auf  seine  Kovertur  (kovertiure,  Satteldecke)  geschnitten 
einen  Anker  von  lichtem  Hermelin  als  Wappen,  ebenso  auf  Schild  und 
Gewand ;  grüner  als  Smaragd  war  sein  Reitzeug  (gereite)  und  achmad- 
f&rbig;  ^wäpenroc  und  kursit**  (Korsett)  waren  von  Seide  mit  herm^lin 
Ankern  und  goldenen  Fäden  benäht.  Seine  Anker  aber  hatten  noch 
nirgends  Grand  geschlagen,  der  Herre  trug  diese  heraldische  Zier  (disen 
wäpenlichen  last)  immer  weiter;  wer  weiss  wie  viele  Lande  er  durch- 
ritt nnd  in  Schiffen  umfuhr,  ^ich  sag*  Euch  bei  meinem  Eid  und  auf 
ritterliche  Sicherheit  nur  was  die  Aventinre  spricht,  dass  nämlich  seine 
männliche  Kraft  den  Preis  behielt  in  der  Heidenschaft,  zu  Marroch 
(Marokko)  und  in  Persia,  seine  Hand  erwarb  auch  anderswo  zu  Dämasc 
and  H41ap  (Haleb)  und  wo  es  Ritterschaft  gab,  zu  Aräbie  und  rings 
aroher,  dass  Niemand  mehr  mit  ihm  Gegenstreit  wagte,  solchen  Ruf 
gewann  er.  Sein  Herze  rang  nach  Preise,  dass  aller  Anderen  Thun 
zerstob.^  Ein  Sturm  verschlägt  ihn  in  den  Hafen  von  Patelamunt,  der 
Hauptstadt  des  Königreiches  Zazamank.')  Als  er  angesegelt  kam,  trafen 
ihn  viele  Blicke;  von  der  Stadt  bis  zum  Meere  waren  Grezelte  geschla- 
gen nnd  zwei  gewaltige  Heere  gelagert.  Er  beschliesst,  da  er  die  Noth 
der  Stadt  sieht,  Dienste  zu  nahmen.  Neugierig  liegen  die  Frauen  in  den 
Fenstern  und  beschauen  seinen  Aufzug. 

Gahmurets  Einzug  ist  pompös:  voraus  ziehen  zehn  Säumer  und 
zwanzig  Knappen  reiten  nach,  dann  folgte  sein  Gesinde,')  Garzuue, 
Köche  und  Knaben,  zwölf  Pagen  (zwelf  wol  geborner  kinde)  ritten  nach 
den  Knappen  mit  Zucht  und  süssen  Sitten,    darunter  auch  Sarazenen, 


ut  il^i,  nee  tarn  molla  diversarum  reriim  mercimonia.  £t  in  hac  civilate  etiam 
calipha,  id  est  successor  Machmeli,  cui  sarraceni,  ut  christiani  Papae,  suc- 
ceason  St.  Petri,  per  omnia  ohediunt,  habilabat  quondam. 

^).  14^  2:  ^Zw^n  bruoder  von  Babylon.^  Unter  diesem  Babylon  ist  hier  wahr* 
scbeinlich  wirklich  jene  Stadt  in  Chaldäa  gemeint,  in  welcher  die  Juden  ihre 
Gefangenschaft  erduldeten.  Sonst  dachte  man  darunter  wohl  nur  an  das  ägyp- 
tiscfae  Babylon,  eine  Festung^  welche  ausgewanderte  Babylonier  zur  Zeil  der 
persischen  Könige  (Memphis  fast  gegenüber)  anlegten.  Die  Römer  hatten 
hier  Standquartier.  Amni  belagerte  diese  Festung  im  J.  639  und  erbaute 
dabei  das  arabische  Lager  Fostat  (Zelte)  auch  Misr  genannt ,  woraus  im  X. 
Jahrb.  die  machtige  Stadt  Kahira  entstand,  deren  Namen  von  dem  regieren- 
den Planeten  Mars  entnommen  wurde,  vgl.  Deycks:  Ueber  ältere  Pilger- 
fahrten nach  Jerosalero   Münster  1848.  S.  19. 

')  Berühmt  das  ganze  Mittelalter  hindurch  oh  den  daher  bezogenen  Seidenstoffen- 
vgl.  NibeJangen  (Holtzmann.  1857)  Str.  370. 

»)  „sin  bovel  man  dort  vor  ersach«*  18,  22.    vgl.  350,  29  u.  408,  3.    bovel  = 
die  Dienerschaft  eines  Fürsten,  seine  Leute. 


_JL36 

darnach  zog  mau  acht  mit  Zindal ' )  überdeckte  Rosse,  das  neunte  trog 
seinen  Sattel,  seinen  Schild  trug  ein  Knappe.  Nach  diesem  ritten  Po- 
sauner, ein  Tambour  schlug  und  warf  viel  hoch  seine  Trommel,  Flöten- 
spieler (floitierre)  fehlten  nicht,  auch  drei  gute  Fideläre  hatte  er.  Sie 
eilten  nicht  zu  sehr,  Gahmuret  «,ber  und  sein  Schiffmann  (marnaere) 
zogen  zuletzt. 

„Moere  und  Moerinne"  (vinster,  so  diu  naht,  schwarz  wie  die  Nacht 
17,  24)  sah  da  der  Ritter,  überall  hingen  an  Thüren  und  Wänden  zer- 
brochene und  sperdurchstochene  Schilde,  Angst  und  Jammer  überall; 
in  die  Fenster,  nahe  der  Luft,  hatten  sie  manch  wunden  Mann  gebettet« 
der  doch  selbst  durch  den  Arzt  nicht  mehr  genesen  konnte ;  man  sah 
es,  d'ass  sie  vor*m  Feind  gewesen  und  so  geht  es  noch  Jedem  der  mfigern 
flieht.  Viel  Rosse  zog  man  herein,  durchstochen  und  verhauen.  Auch 
viel  Frauen  sah  er  da  yon  rabenschwarzer  Farbe.  Der  Burggraf  der 
Stadt  nahm  ihn  freundlich  auf,  ein  arbeitseliger  Mann,  der  manchen 
Stich  und  Schlag  hatte  vollfuhrt,  auch  fand  er  viele  Ritter,  die  ihre 
Hand  in  Binden  und  die  Häupter  voll  Schrunden  trugen  und  dennoch 
Ritterschaft  pflagen.  Der  Burggraf  stellte  ihm  Hab  und  Gut  zur  Ver- 
fügung, führte  ihn  auch  zu  seiner  Frau,  die  Gahmureten  küsste  „des 
in  doch  wenc  gelüste."^  Der  Marschall  eilte  zur  Königin  und  heischte 
gutes  Botenbrod,  denn  die  Götter  hätten  die  grosse  Noth  zu  enden, 
einen  Ritter  gesendet.  „Sieh  doch  zu,  erwiedert  die  Königin,  und  mache 
dass  er  mich  spreche,  heute  haben  wir  Frieden,  der  Herr  soll  zu  mir 
heraufreiten;  oder  soll  ich  hin?  Wüsste  ich  nur,  ob  es  ihn  nicht  ver- 
driesst,  dass  er  andere  Farbe  hat,  als  wir.  Ob  mir  die  Meinen  rathen 
ihm  Ehre  zu  bieten  ?  Geruht  er  mir  zu  nahen,  wie  soll  ich  ihn  empfan- 
gen? ist  er  so  wohlgeboren,  dass  mein  Kuss  nicht  sei  verloren. **  — 
Fraue,  sagt  der  Marschall,  er  ist  von  königlichem  Geblüt  (für  küniges' 
künne  erkant)  dafür  verpfand'  ich  mich  mit  meinem  Leib;  Euere 
Fürsten  sollen  sich  rjßich  kleiden,  wenn  wir  angeritten  kommen,  sagt 
das  auch  Eueren  Frauen;  so  bring'  ich  Euch  den  werthen  Gast,  der 
werther  Tugenden  nie  gebrach,^  —  Gahmuret  kleidet  sich  schnell  in 
kostbare  Gewände,  darauf  seine  Anker  von  arabischem  Golde  waren 
und  bestieg  ein  Ross,  von  dem  er  einst  vor  Babylon  einen  Ritter  ge- 
stochen. So  ritt  er  hinauf,  und  stieg 'vor  dem  Saale  ab.  Da  waren 
viele  feingekleidete  Ritter;  feine  Kinder  je  zwei  Hand  in  Hand,  liefen 
vor  ihm  her;   auch  wonniglich  gekleidete  Frauen  fanden  sich  ein.    Der 


')  19,  2.  ZindAI  eine  leichte  Seide,  die  schon  im  fX.  Jabrh.  in  den  verschie- 
densten Farben  bei  uns  getragen  wurde  vgl.  Wein  hold  Deutsche  Frauen. 
1851.  S.  425.  Später  er\\ähnt  Wolfram  im  Parc.  877,  30  den  ^Regens- 
burger  zinddl.^ 


187 

Königin  aber  fügten  ihre  Augen  hohe  Pein,  als  si^  den  Anjou  ersah. 
Sein  Antlitz  war  so  minniglich,  dass  ihr  Herz,  war  es  ihr  lieb  oder  leid, 
sich  gegen  ihre  Gewohnheit,  ganz  erschloss.  Ein  wenig  trat  sie  ihm 
^tgegen,  liess  sich  küssen  von  dem  Gast  und  nahm  ihn  bei  der  Hand;  ,  * 
gegen  den  Feind  gewendet  sassen  sie  auf  einer  gesteppten  Sammtdecke, 
die  über  weiche  Kissen  lag  (uf  ein  kultr  gesteppet  samit  dar  undr  ein 
weichez  pette  lac)  in  das  Fenster.  Gibt  es  etwas  lichteres  als  den  Tag, 
dem  freilich  glich  die  Königin  nicht,  gar  ungleich  war  die  Schöne  der 
thanigen  Rose,  denn  ihre  Farbe  ist  schwarz.  Sie  erzählt  ihm  ihre 
Herzensnoth.  Der  Mohrenkönig  Eisenhart  von  Assagog  war  itn  reinen 
Minnendienste  Belakanen*s  und  auf  ihren  Wunsch  zum  Beweise  seiner 
Ergebenheit  und  Kühnheit  ohne  Rüstung,  schutzlos  auf  Abenteuer  ge- 
ritten, als  ihn  sein  Nebenbuhler  Prothissilas,  gleichfalls  ein  Fürst  Bela- 
kanens,  im  ritterlichen  Lanzenspiel  erschlug;  Belakanen  aber  traf  der 
ungerechte  Verdacht,  ihn  verrathen  zu  haben.  Nun  zog  det  Schotten- 
könig Friedebrand  (dessen  Oheim  Tankains,  des  Erschlagenen  Vater  war) 
seinen  angeblichen  Mord  zu  rächen,  mit  vier  Genossen  über  Meer  und 
bestürmte  Patelamunt  vor  acht  Thoren,  während  die  anderen  acht  der 
Mohr  RassiJig  von  Assagog,  ein  Vasall  Eisenbarts,  bedrängte.  Frieäe- 
brand  war  mit  (dem  auch  im  ^Tristan^  genannten)  Morhold  wieder 
heimgezogen,  um  sein  eigenes  Land  zu  schirmen,  sein  Heer  aber  bedroht 
noch  die  Stadt  der  Mohrenkönigin. 

Gahmuret  reitet  durch  die  Stadt  und  beschaut  sich  die  Ver- , 
theidignngsanstalten ;  da  sieht  er,  dass  die  Belagerer  einen  durch- 
stochenen Ritter  in  der  Fahne  führen,  die  Belagerten  hingegen  das  Bild 
ihrer  Königin,  welche  zwei  Finger  der  rechten  Hand  zum  Eide  ausge- 
streckt hält,  dass  sie  an  Eisenbarts  Tode  unschuldig  sei.  —  Als  die 
müde  Sonne  ihren  Glanz  bereits  eingestellt,  ritt  er  zurück  um.  bei' seinem 
Wirthe  die  Mahlzeit  einzunehmen;  da  kam  auch  die  Königin  mit  ihren 
Jungfrauen  herab,  zu^  schauen,  ob  man  des  Ritters  wohl  pflege,  kniete, 
was  ihm  leid  war,  selbst  nieder  und  zertheilte  die  Speisen,  von  denen 
Reiher  und  Fisch  genannt  werden,  auch  kredenzte  sie  ihm  den  Trank; 
am  Ende  des  Tisches  sass  sein  Spielmann  und  dem  gegenüber  sein 
Kappelan. 

Schüchtern  wagt  Gahmuret,  der  die  Königin  schon  während  des 
erstens  Begegnens  minniglich  ins  Aug  gefasst,  die  Bemerkung,  dass  sie 
ihm  mehr  Pflege  erweise ,  als  er  verdiene ,  sie  aber  wollte  das  nicht 
lassen,  wendete  sich  selbst  dahin,  wo  seine  Kinder  sassen  und  ermun- 
terte sie  zum  Essen,  das  machte  die  Junkherrlein  (Juncherrelin)  der 
Königin  hold.  Auch  zum  Tische  des  Wirthes  und  der  Burggräfin  ging 
sie,  hob  den  Becher  and  empfahl  ihnen  den  Gast,  dann  ritt  sie  wieder 


138 

hinweg;  goldene  Leuchter  (kerzstal)  mit  vier  Lichtern  trag  man  ihr  vor. 
Nun*  bettete  man  den  edlen  Gast,  und  seine  Kinder  um  ihn  herum,  er 
aber  lag  durch  die  strenge  Minne  ohne  Schlaf  bis  an  den  Morgen,  wo 
ihm  sein  Kappelan  Messe  sang.  Dann  wafluete  er  sich,  nahm  den  blanken 
Helm  mit  dem  Anker  darauf  und  bestieg  sein  Ross,  das  von  Eisen  ein 
Dach  trug,  und  ritt  Tjoste  *)  zu  suchen.  Vom  Fenster  sah  ihm  die 
Königin  nach.  Schnell  hat  er  die  Anfahrer  der  feindlichen  Heere  über- 
wunden und  in  Sicherheit  genommen,  zuerst  den  Herzog  Hiuteger  von 
Schottland,  dann  Gaschier  von  Normandie,  nur  vor  Kaylet  wich  er 
zurück,  'denn  „er  war  siner  muomen  (Muhme)  suon,**  und  auch  dieser 
will  nicht  mit  ihm  streiten,  da  er  seinen  Namen  erf&hrt;  dann  nimmt 
Gahmuret  den  Mohrenfürsten  Razalic  gefangen.  Hiemit  sind  die  Heere 
ihrer  Anfuhrer  beraubt  und  der  Krieg  entschieden ;  dem  siegreich  Heim- 
kehrenden reitet  die  Königin  entgegen,  nahm  sein  Ross  am  Zaume  und 
entwafftiete  'ihn  (si  entstricte  der  fmtälen  bant),  *)  führte  ihn  in  ihr  Ge- 
mach und  auf  ihr  ^wol  geh^ref*  Bettelein  und  erwies  ihm  sogleich  eine 
heimliche  Ehre  (ein  heinlichiu  ^re).  Niemand  war  da,  die  Jungiranen 
gingen  vor  die  Thüre  und  schlössen  sie  ab ;  da  pflag  die  Königin  süsser 
Minne,  obgleich  si&  von  ungleicher  Farbe  waren.  Die  in  der  Stadt  aber 
opferten  ihren  Göttern.  Die  gefangeneil  Fürsten,  depen  Belakane  ihren 
neuen  Gemahl  vorsteUt,  Hess  er  frei,  grosse  Gabe,  als  wüchse  das  €rold 
auf  den  Bäumen  (als  al  die  boume  trüegen  golt)  wurde  vertheift ;  Braut- 
,  lauf  und  Hochzeit  kam  zu  Stande ,  Isenhart  aber  ward  königlich  be- 
stattet. 

Aber  nur  zu  frühe  ergreift  ihn  die  Sehnsucht  und  obwohl  das 
schwarze  Weib  ihm  lieber  war  als  sein  eigener  Leib,  so  macht  er  sich 
nach  drei  Monaten,  von  einem  Schiffer  aus  Sibilje  (Sevilla)  geführt, 
heimlich  davon ;  die  Frau  fand  in  ihrem  Beutel  (biutel)  einen  französi- 
schen Brief,,  worin  er  ihr  die  Gründe  seines  Scheidens  und  zugleich 
seine  Genealogie  erörterte  und  seine  Rückkehr  in  Aussicht  stellte,  wenn 
sie  jsich  taufen  lasse.  Die  Königin  brach  in  Jammer  ans  und  tröstete 
sich,  gleich  der  Turteltaube,  auf  dem  dürren  Zweige  der  Hoffnung.*)  Zur 


V)  Tjoste  heisst  der  Zweikampf,  der  immer  zu  Pferde  mit  dem  Speer  angefan- 
^eu,  nötbigeo  Falls  aber  auch  zu  Fuas  mit  dem  Schwerte  fortgesetzt  wird; 
auch  gilt  das  Wort  für  den  Lanzensloss  alleio,  z.  B.  „eine  ridiiu  tiost^  = 
ein  wohl  angebrachter,  herrlicher  Sto^^ 

')  Vgl.  Anmerk.  zu  256,  9 

^)  57,  lO:    „ir  freude  vaut  den  dürren  zwic, 
als  noch  diu  turleltübe  tuet 
diu  het  ie  denselben  muot: 
swenne  ir  an  trütscheft  gebrast, 
ir  Iriwe  kös  den  dürren  ast. 
Die  Turteltaube  gilt  von  jeher  bei  den  Dichtem  als  Sinnbild  der  treaea  Liebe 


139 

rechten  Zeit  endlich  gebar  sie  einen  Sohn,  dessen  Farbe  wunderlicher 
Weise  schwarz  und  weiss  zugleich  war.  Mit  Freuden  ktisst  sie  ihn  immer 
anf  seine  blanken  Maie  und  nannte  ihn  Feirefiz  von  Anjou.  Der 
ward  em  i^waltswende'*  (Waldvertilger),  so  fleissig  brach  er  Speere  und 
zerstach  die  Schilde,  doch  blieb  seine  Farbe  gleich  der  Elster. 

n.  Nach  jahrelanger  Meerfahrt  landet  Gahmuret  zu  Sevilla ,  wo 
er  seinen  Vetter  Kaylet  vergeblich  aufsucht,  da  dieser  nach  Kanvolei^ 
nach  Ritterschaft  gefahren;  dahin  macht  er  sich  auch  auf,  nachdem  er 
sich  zuerst  noch  in  Toledo  ein  Hundert  neue  Speere  feestellt.*)  Die 
Königin  Herz el<]{y de,  nachdem  sie  an  ihrem  Hochzeitstage  selbst  gleich 
auch  Witwe  geworden  war,  hatte  die  vornehmsten  Ritter  aus  allen 
Landen  einladen  lassen,  im  Turnier  um  ihre  Hand  zu  kämpfen,  die  mit 
den  beiden  Königreichen  Waleis  und  Norgals  dem  zu  Theil  werden 
sollte,  der  den  höchsten  Preis  im  Kampfe  erringen  würde.  Gahmuret 
sieht  auf  einem  von  der  Stadt  durch  einen  Strom  (darüber  ging  eine 
^schifprücke^)  getrennten  Plane  die  Gezelte  aufgeschlagen,  dazu  Hess  er 
auch  sein  Pavillon  (poulün)  s.etzen,  an  dem  dreissig  Säumer  getragen. 
Darauf  ritt  er  in  die  Stadt  mit  Posanern,  Fiedlern,  Tamburen  und 
Flötenspielern,  die  eine  Reisenote  bliesen.  ^)  Der  weithe  Degen  legte  ein 
Bein  vor  sich  über  das  Pferd,  zwei  Stiefel  trug  er  an  den  blossen 
Beinen;')  sein  kleiner  Mund  glänzte  wie  Rubin;  sein  Haar  war  so  weit 
man  es  vor  dem  Hute  sehen  konnte  „lieht  reideloht,"  grünsammten  der 
Mantel,  mit  schwarzem  Zobel  besetzt,  sein  Hemde  blank.  Wie  er  die 
'  Königin  erblickt,  durchzuckt  es  ihn  (derzuct  im  neben  sich  sin  bein), 
aufrichtete  sich  der  Degen  wie  ein  gehrendes  Federspiel,,  höher  steigt 


imd  Unscbuld^  darun   Jkäi  si  der  galten  nilit.^    (Münchner  Handschrift  des 
XU.  Jahrh    vgl.  Preifrer  in  Haupts  Zeitschr.  I.  287.) 

')  Diese  Speere  sind  wo!  gemdlen  mit  grüenen  zinddlen:  iesliches  hete  ein 
banier,  dr!  härmlD  anker  dran;  61,  25  wird  erwähnt,  «dass  die  Knappen  die 
Speer  transportirten ,  je  Tünfe  zusammengebunden  und  den  sechsten  in  der 
Hand  tragend. 

'j  die  hellen  puslnen  * 

mit  krache  vor  im  gdben  döz . 
von  würfen  und  mit  siegen  gröz 
zw^n  tambüre  ffdben  schal : 
der  galm  übr  ai  die  slat  erhal. 
der  dön  iedoch  gemischet  wart 
mil  floytieren  an  der  vart: 
ein  reisenote'si  bliesen, 
nn  sulen  wir  nit  Verliesen, 
wie  ir  h£rre  komen  st: 
dem  rilen  videlaere  hl.    63,  1     12. 

^)  d6  leite  der  degen  wert  ein  bein  für  sich  orez  phert,  zw^n  stiwdl  über  blö- 
zia  bein.  Dieses  Trafen  der  Stiefel  an  den  nackten  Beinen  kommt  auf  mittel- 
alterlichen Bildern  öfters  vor. 


140 

sein  Muth  deo  herrlichen  Preis  zu  gewinnen,  um  den  manch  Ritter  die 
Furt  hinterm  Ross  auf  dem  Gries  (fürt  hinderm  ros  dfine  grieze)  suchen 
muss.  Hier  findet  er  auch  Kaylet  und  andere  Herren  wieder.  Die  zum 
Turnier  anwesenden  Ritter  haben  sich  in  zwei  Partheien  gestellt,  je  nach- 
dem sie  in  der  Stadt  oder  draussen  auf  dem  Felde  liegen.  Alle  die 
Haupthelden  werden  namentlich  aufgezählt.  Schon  am  Vorabende  beginnt 
der  Kampf  mit  einem  Vesperspiel  (diu  vesperie).  In  den  ersten  Tagen 
streiten  nur  einzelne  Ritter  miteinander;  der  Edelmuth  und  die  feine 
Weise,  mit  welcher  Gachmuret  die  zahlreich  besiegten  Gegner  behandelt, 
steigert  die  Neigung  der  Königin  zu  ihm.  Seine  prächtige  Wappen- 
kleidung, sowie  sein  Ross,  das  schier  bis  an  den  Huf  gewappnet  ist 
■  (gewäpent  vaste  unz  üf  den  huof),  werden  ausführlich  geschildert.  Da 
war  grosser  Drang,  Furchen  wurden  glatt  wie  eine  Tenne,  mit  Schwer- 
tern kämmten  sie  sich,')  ein  Wald  von  Speeren  ward  verschwendet; 
der  Braten  ward  mit  Schlegeln  und  Keulen  mürbe  gemacht,  ihre  Haut 
trug  schwarzer  Beulen  und  Quetschungen  genug.  Die  Werthen  zwang 
die  Minne ,  dass  manch  schöner  Schild  und  wohlgezierter  Helm  in  den 
Staub  kamen,  manch  werther  Mann  fiel  »in  Gras  und  Blumen. 

Während  Gahmuret  rastet  erscheint  eine  Gesandtschaft  der  Königin 
Ampflise  von  Frankreich,  die  dem  Helden  einen  französischen  Minne- 
brief und  ein  Ringlein  überbringt  und  an  das  frühere  Versprechen,  selbe 
zu  heirathen  gemahnt.  Eine  andere  Botschaft  kündet  ihm  den  Tod 
seines  Bruders  Galoes,*)  wodurch  nun  die  Krone  von  Anjou  auf  ihn 
föllt.  Aber  auch  Herzeloyde,  die  Königin,  hat  nun  ein  Recht  an  Gah- 
murets  Hand,  denn  e  r  hat  das  Beste  gethan  in  diesen  Tagen  und  fallt 
nach  den  Bestimmungen  des  Turney  ihr  als  Gatte  anheim.  Gahmuret, 
erschüttert  durch  den  Schmerz  über  die  Kunde,  da^s  sein  Bruder  ge- 
storben, zu  der  sich  bald  darauf  die  Nachricht  vom^Tode  seiner  Mutter 
gesellt,  von  zwei  Seiten  zugleich  dringend  um  seine  Hand  beworben,  von 
der  gesammten  Ritterschaft  bestürmt,  sich  der  Königin  Herzeloyde  zu 
vermählen,  ausserdem  noch  von  Gewissensbissen  über  seine  treulose 
Flucht  von  dei«  schwarzen  Mohrenkönigin  gepeinigt,  bringt  eine  Nacht  in 
Jammer  und  Zweifel  hin.    Am  anderen  Morgen  geht  Herzeloyde  in,  das 


')  y,inil  swerten  vil  gekemmet/  73,  6  und  75,  6—10:  ^den  wart  da  uAlünt 
ir  brAt  mit  treten  und  mit  kiulen,  ir  vel  truoc  swarze  biulen,  die  held  ge- 
hiure  derwurben  qnaschiure.^  In  gleich  drastischer  Weise  sagt  ein  spateres 
Landsknechtlied  von  der  Paviaschlacht  (Sechsteln  Deut.  Museum.  I.  135)^  dass 
bei  diesem  Reigentanz  viel  versaltzen  ward.,  mau  habe  mit  langen  Spiessen 
angerichtet  und  mit  Hellebarten  gesrhmalzen. 

^)  Gahmuret  hat  davon  schon  während  des  Kampfes  eine  Ahnung,  weil  einer 
der  Fürsten  des  Landes  Anjou  dessen  Wappenschild  umgekehrt^  mit 
emporgerichteter  Spitze  trägt. 


141 

Lager,  wo  sie  schon  Tags  vorher  anf  Teppichen,  die  mit  frischen  Binsen 
überstreut  waren,  gesessen  hatte  nnd  macht  vor  der  Ritterschaft  ihr 
Recht  geltend;  wie  aber  auch  die  Boten  seiner  Jugendfreundin  Amphlise 
deren  Herrlichkeit  zu  rühmen  sich  bestreben  mögen,  wie  auch  Gahmuret 
ausweichen  mag  und  selbst  seine  Vermählung  mit  der  schwarzen  Heiden- 
frau gesteht,  seine  Bedenken  werden  widerlegt  und  er  muss  dem  Aus- 
spruch der  von  Herzeloyde  berufenen  Ritter  sich  unterwerfen.  Der  Fall 
wird  streng  rechtlich  verhandelt  und  darauf  das  ürtheil  zuhand  gespro- 
chen :  *)  dass  die  Königin  den  Ritter ,  der  hier  Preis  errungen,  haben 
müsse.  Gahmuret  bedingt  sich  dagegen  unbegrenzte  Freiheit  nach  Ritter- 
schaft zu  fahren,  denn  ehe  er  davon  abstünde,  verliesse  er  lieber  wieder 
Leute  und  Land ;  Herzeloyde  sagt  ihm  das  zu  und  verkehrt  durch  ihre 
Minne  all  seinen  Kummer  in  Freude.  Die  Hochzeit  wird  mit  Pracht 
gefeiert  und  alle  Fürsten  und  auch  das  „vamde  volc*^  reich  begabt. 
Sein  Anker  hat  nun  endlich  doch  Grund  geschlagen,  also  vertauscht  er 
das  Wappen  und  lässt  den  Panther,  den  sein  Vater  trug,  wieder  auf 
den  Schild  schlagen.  Ritt  er  zum  Streit,  so  zog  er  ein  weissseiden  Hemde 
der  Königin  über  die  Rüstung  (daz  was  sins  halsperges  dach),  und  sie 
legte  dasselbe  wieder  an  ihren  Leib,  wenn  er  es  zerstochen  und  zerhauen 
zurückbrachte.  So  hatte  et  bereits  achtzehn  derselben  zugerichtet,  als 
ihm  Botschaft  kam,  der  Baruch  sei  wieder  von  dem  babyloiflschen 
Brüderpaar  mit  Heereskraft  überzogen;  Gahmuret  eilt  ihm  zu  Hilfe. 
Schon  harrt  Frau  Herzeloyde  sehnsüchtig  ein  halbes  Jahr  lang  auf  seine 
Rückkehr,  da  brach  ihrer  Freuden  Klinge  mitten  in  dem  Heft  entzwei. 
Sie  sieht  ein  ängstigendes  Schreckbild  im  Traume:  Blitze  und  Donner- 
strahlen fahren  auf  sie  hernieder  und  versengen  ihr  Haar,  ein  Greif 
packt  ihre  Hand,  dann  verJLchrt  sich  der  Traum,  sie  glaubt  eines  Dra- 
chen Amme  zu  sein,  der  ihr  den  Leib  zerreisst  und  dann  plötzlich  fort- 
fliegt. Mit  einem  Schrei  des  Entsetzens  fährt  sie  auf,  ihre  Jungfrauen 
springen  ihr  bei;  da  naht  Tampanis,  der  kluge  Meisterknappe  ihres 
Mannes,  und  erzählt,  wie  Gahmuret  im  Kampfe  durch  heidnischen  Ver- 
rath  gefallen  und  vom  Baruch  zu  Baldac  herrlich  und  christlich  begraben 
worden  sei.  Zum  Beweis  seiner  Kunde  überbringt  er  das  Hemde  und 
den  tödtlichen  Speer.  — 

Herzeloyde  ergreift  unsäglicher  Jammer,  sie  will  das  blutige  Hemd 
anlegen,  wie  sie  sonst  gethan,  die  Fürsten  aber  nehmen  es  ihr  und  be- 


')  Wie  in  Ruodlieb  (v^l.  obea  S.  67  Anm.  1.)  ein  SchÖfTenj^ericht ,  so  ist  hier 
eine  riUerliche  GerichlssitKuog  erkennbar.  Kläger  und  Beklagler  tragen  ihre 
Sache  vor  und  dann  halt  der  den  Handel  teilende  Vorsitzer  der  Reihe  nach 
die  Umfrage  an  jeden  Einzelnen  der  heim  Hie  üf  gebant,  wodurch  sich 
mittelfi  Stimmenmehrlieit  das  Urtheit  ergibt. 


142 

graben  es  mit  dem  Speer  in  dem  Münster,  wie  einen  Todten.  Vierzehn 
Tage  darauf  genass  die  Königin  eines  Sohnes,  den  sie  herzend  in  die 
Arme  nahm  und  kosend  nur  immer  ^bon  ßz,  scher  fiz,  bS&  fiz^  nannte. 
Seufzen  und  Lachen  gehen  zugleich  aus  ihrem  Munde,  indess  des  Her- 
zens Jammerthau  in  Thränen  auf  den  Knaben  regnet. 

« 

So  ist  ^der  äventiure  wurf  gespilt  und  ir  begin  ist  gezilf  da  der 
zur  Welt  geboren,  dem  diese  Märe  erkoren.  Von  seines  Vaters  Leben 
und  Tod  habt  Ihr  bisher  vernommen,  nun  soll  Euch  ferner  Kunde  kom- 
men, wie  aucJi  der  Sohn  erwuchs  an  Kraft,  ob  man  ihn  gleich  vor 
Ritterschaft  barg.  Herzeloide  nämlich,  so  hebt  der  durch  seine  Lieblich- 
keit üuübertreftiiche  III.  Gesang  an,  bezog,  ganz  in  Jammer  verloren 
über  des  Gatteu  Verlust,  die  Wildnis«  von  Soltane,  wo  sie  reuten  und 
pflügen  Hess,  allen  Leuten  aber  bei  Leib  und  Leben  befahl,  nie  von 
Ritterschaft  zu  sprechen,  damit  ihr  Herzenskraut  nicht  davon  eiiiihre 
und  ihr  entrissen  wurde.  Nur  „bogen  unde  bölzelin"  durfte  er  sich 
schneiden  und  die  Vögele  schiessen,  die  er  fand.  Wenn  er  aber  ein 
Sangvögelein  traf,  so  weinte  er  und  raufte  sich  die  Haare.  Sein  Leib 
war  klar  und  helle.  An  einem  Bache  auf  dem  Plan 


118,  • 

13.  twuog  er  sich  alle  morgen, 
erne  künde  niht  gesorgen, 

15.  ez  enwaere  ob  im  der  vogelsanc, 
die  süeze  in  sin  herze  di*anc : 
daz  erstracte  im  siniu  brüstelin. 
al  weinde  er  lief  zer  künegin. 
so  sprach  si  ^ wer  hat  dir  getan? 

20.  du  waere  hin  üz  iif  den  plan."* 
em  künde  es  ir  gesageu  niht, 
als  kinden  lihte  noch  geschiht.') 


Wusch  er  sich  alle  Morgen; 
Noch  wusste  nicht  sein  Sinn   von 

Sorgen: 
Es  sei  denn  um  der  Vögel  Saug 
Dess  Süsse  ihm  zu  Herzen  drang. 
Da  schwoll  die  kleine  Brust  ihm.  Hin 
Lief  weinend  er  zur  Königin, 
Doch  fragte  sie:  was  ihm  gescheh*n? 
So  wusst'  er  Rede  nicht  zu  stehen, 
Wie's  oft  bei  Kindern  noch  geschieht. 


)  ..So  geht  es  Kindern  noch  in  unseren  Tagen  ^  Auch  im  Kinderlehen  Mel- 
(hior  Diepenbro.ck's  lag  solch  ein  Ahnen  und  Heimweh  ^£r  sehnte  sieb 
nach  einem  fernen,  dunklen  Etwas.,  das  ihm  die  Erde  nicht  bieten  konnte. 
Und  wenn  er  von  sich  selber  S8<{^te,  dass  er  als  kleiner,  muthwilliger  Jnnge 
oft  stundenlang  weinte^  ohne  einen  anderen  Grund  Air  seine  Thränen  angeben 
zu  können,  als  dass  er  Langeweile  habe,  so  war  es  ja  eben  dieses  GefUhl 
des  Ungenü^eiis,  das  schon  in  der  Seele  des  Knaben  lag,  wenn  er  in  den 
Wipfeln  der  höchsten  ßüume  liegend  über  den  äusserslen  Rand  des  Horizonts 
hinwes^z.ublicken  \  erlangte.^  Vgl.  dessen  Biographie.  Breslau  1859.^.21.  - 
An  öhnlicben  reizenden  Zügen  aus  dem  dentsihen  Kinderleben  sind  auch  die 
neueren  Dichter  sehr  reich,  z.  B.  J.  P.  Richter  in  Quintus  Fixlein,  Leben 
des  Schulmeister  Wutz,  in  der  unsichtbaren  Loire  IL  370,  im  Jubelsenior. 
Vgl.  dazu  Ernst  Wagnir*8  Kiuderjahre  und  A  v.  Arnim  in  Traugotts 
Erinnerungen  aus  seiner  Jugend  (im  ersten  Bande  der  Gräfin  Dolores), 


143 


dem  maere  gieno  si  lange  nach, 
eins  tages  si  in  kapfen  sach 
^5.  üf  die  boome  nach  der  vögele 

sobal. 
si  wart  wol  innen  daz  zeswal 

von  der  stimme  ir  kindes  brüst 
des  twang  in  art  nnd  sin  gelust.» 

frou  Herzeloyde  kert  ir  haz 
an  die  vögele,  sine  wesse  um  waz: 

119, 

si  wolt  ir  schal  verkrenken. 
ir  bdlinte  unde  ir  enken 

die  hiez  si  vaste  gähen, 
Togele  wfirgn  und  vahen. 
5.  die  vögele  wären  baz  geriten :') 
etsliches  sterben  wart  vermiten : 
der  bleip  da  lebendic  ein  teil, 
die  Sit  mit  sänge  wurden  geil. 

Der  Knappe  sprach  zer  künegin: 
10.  ^was  wizet  man  den  vogelin ?^ 

er  gert  in  frides  sa  zestunt 
sin  maoter  kost  in  an  den  mont: 
diu  sprach  ^wes  wende  ich  sin 

gebot, 
der  doch  ist  der  hoehste  got? 
o.suln  vögele  durch  mich  freude 

14n?« 
der  knappe  sprach  zer  muoter 

säo: 
„öwÄ  muoter,  waz  ist  got?^  — 
„sun,  ich  sage  dirz  äne  spot, 

er  ist  noch  lichter  denne  der  tac, 
C^.  der  antlitzes  sich  bewac 
nach  menschen  antlitze. 
sun,  merke  eine  witze, 
und  fl^he  in  umbe  dine  not : 
sin  triwe  der  werlde  ie  helfe  bot 


Frao  Herzeleide  sorgenwach 
Ging  lang*  umsonst  dem  Wesen  nach. 
Bis  sie  den  Knaben  einst  ersieht. 
Wie  ganz  verloren  er  in  Träumen 

Den  Vöglein    lauschet  auf  den 

Bäumen. 
Nun  wohl  erkennend,  wie  ihr  Sang 
Des  Söhnleins  Herz  ßo  sehnend 

zwang 
Schwur  Hass  den  bösen  Vögeln  sie. 
Und  dass  ihr  Singen  nie  mehr  hie 

Ihr  Kind  betrübe,  sandte  Knechte 
Sie  aus,   die  Vöglein  gut*  und 

,    schlechte 
Zu  fangen  all*  und  umzubringen. 

Doch  Vöglein  waren  gut  beritten, 
So  dass  nicht  Alle  den  Tod  erlitten. 
Etliche  blieben  doch  ami  Leben 
Um  nur  noch  süsseren  Sang  zu  er* 

heben. 
Der  Knabe  d*rauf  zur  Königin  sprach : 
„Was  stellt  man  doch  den  Vöglein 

nach?'' 
Er  bat  um  Gnade  fQr  sie  zur  Stund. 
Die  Mutter  küsst*  ihn  auf  den  Mund 
Und  sprach:   ^Was  wende  ich  sein 

Grebot, 
Der  doch  ist  der  höchste  Gott? 
SolFn  Vögel  um  mich  Trauer  ein- 

pfah*n?'' 
Der  Knabe  sprach  zur  Mutter  dann: 

„Sage,  Mutter,  was  ist  das  öott?'^ 
„Mein  Sohn,   ich  sage  dir*s  ohne 

Spott, 
Er  ist  viel  lichter  als  der  Tag, 
Der  einst  Angesichtes  pflag 
Nach  des  Menschen  Angesicht. 
Sohn,  vergiss  der  Lehre  nicht. 
Und  fleh*  ihn  an  in  deiner  Noth, 
Dess  Treu*  der  Welt  stets  Hilfe  bot. 


*)  Rehen  hat  iirsprunglirh  den  Sinn  von  sclinell  beMegen^  sich  fertig  und  auF- 
macben;  im  Niederdeut,  noch  för  spozierengehen  gebrüiit-hheh :  daher  auch 
das  Adv.  gereile  r=  mit  Fertigkeit,  leicht  und  schnell. 


144 


25.  s6  heizet  einr  der  helle  wirt: 
der  ist  swarz,  nntriwe  in  niht 

verbirt. 
von  dem  kSr  dine  gedanke. 
und  och  von  z^ivels  wanke." 

sin  mouter  underschiet  im  gar 
daz  vinster  unt  daz  lieht  gevar. 

120, 

darnach  sin  snelheitverrespranc. 
er  lernte  den  gabilötes  swanc, ') 
da  mit  er  mangen  hirz  erschöz, 
des  sin  muoter  nnd  ir  volc  genoz. 

5.  ez  waere  aber')  oder  snö, 

dem  wilde  tet  sin  schiezen  wS. 
nun  hoeret  fremdiu  maere. 
swennerrschdz  daz  swaere 

des  waere  ein  mdl  geladen  genuoc, 

1 0.  als  unzerworht  hin  heim  erz  truoc. 

Eins  tages  gieng  er  den  weide- 

ganc 
an  einer  halden,  dia  was  lanc : 
er  brach  durch  blates  stimme  en 

zwic*) 
da.  nähen  bi  im  gienc  ein  stic: 

15.  da  hört  er  schal  von  huofslegen. 
sin  gabylöt  begunder  wegen: 

dö  sprach  er  ^was  h&n  ich  ver- 

nomn? 
wau  wolt  et  nu  der  tiuvel  komn 
•    mit  grimme  zomecliche! 
20.  den  bestüende  ich  sicherliche. 
min  muoter  freisen  von  im  sagt* 

ich  waene  ir  eilen  si  verzagt.'* 

alsus  stuont  er  in  strites  ger. 
nu  seht,  dort  kom  geschuftet  her^) 


Ein  anderer  heisst  der  Hölle  Wirth, 
Der  schwarz,  Untreu  nicht  meiden 

wird: 
Von  dem  kehre  deine  Gedanken, 
Sowie   auch   von  des  Zweifels   ' 

Wanken.  ** 
Seine  Mutter  unterschied  ihm  gar 
Was  finster,  was  licht  und  klar. 

D'rauf  fröhlich  er  zum  Walde  sprang. 
Er  lernte  des  Jagdspeeres  Schwang, 
Womit  er  manchen  Hirsch  erschoss 
Davon   die    Mutter   und   ihr  Volk 

genoss. 
Ob  offen  die  Erd*,  ob  bedeckt  mit 

Schnee, 
Dem  Wilde  that  sein  Schiessen  weh. 
Nun  aber  vernehmt  die  seltne  Mär: 
3isweilen  schoss  er  die  Last  so 

schwer, 
Dass  es  einem  Maulthier  wäre  genug. 
Was  er  nnzerlegt  nach  Hause  trug. 
So  ging  er  auch  an  einem  Tag 

Nach  seiner  Art  dem  Waidwerk  nach, 
An  einem  Borghang  niederschweifend 

Und  auf  dem  Blatt  dem  Wilde 

pfeifend. 

Da  hört  er  Schall  von  Hufes  Schlägen: 

Sogleich  begann  er  den  Speer  zu 

wägen 

Und    sprach:    ^Was  haV  ich  ver- 

nonmien? 

Will  etwa  jetzt  der  Teufel  kommen 

Voll  argen  Grimms  und  zomiglich? 

Den  bestünde  ich  sicherlich. 

Die  Mutter  zwar  Schreckliches  von 

ihm  sagt, 

Mich  diinkt,  sie  ist  wohl  auch  ver- 
zagt"   • 
So  stand  er  da  in  Streitbegehr. 

Sieh',  da  trottirten  Ritter  her 


')  ^abil6t,  gabylöt,  ein  kleiner  wahrscheinlich  zweizjnkiger  Jagdspiess,   fraox. 
javelöt,  von  gabele^  Gabel.  Vgl.  Diez  Roman.  Wörterbuch.  18o3.  I.  173. 

')  ftber  =  unbedeckt,  schelos ;  aber  =  aufgethautes  Erdreich ;  äbera  ^  aufgeben. 

3)  Bei  Spervogel:  „mit  dem  blare  glten.""  Hagen  11.  375.  (3  Str.  1.) 

^)  schiuften,  im  Galopp  ansprengen.  Vgl.  noch  Parcival  161,  21.  299^  2. 


14ß 


26.  dri  ritter  nach  wansche  var, 
von  fuoze  uf  gewäpeiit  gar. 
der  knappe  wände  sunder  spot. 
daz  ieslicher  waere  ein  got. 
d6  stuont  ouch  er^nit  langer  hie,' 
in  den  pTiat  viel  er  üf  siniu  knie. 

12L 

lüte  rief  der  knappe  sän 
^hilf,  got:  du  mahl  wohl  helfe 

hän.** 


Drei  Ritter  im  hellen  Wafifenglanz 
Von  Kopf  zu  Fuss  gewappnet  ganz. 
Der  Knabe  wähnte  sonder  Spott 
Dass  ihrer  jeder  war'  ein  Gott. 
D'rura  stand  er  aucht  nicht  länger  hie 
Er  warf  sich  in  den  Pfad  anfs  Knie. 

Mit  lauter  Stimme  rief  er  gleich : 
^Hilf  Gott,  du  bist  wohl  Hilfe  reich !" 


Während  der  Vordere  noch  zürnte,  dass  der  Knabe  im  Wege  lag, 
sprengte  bereits  auf  emem  schönen  Pferde  (kastelän)  *)  der  GrafÜlter- 
lec-Kamahkarnanz  ganz  gewaffnet  und  mit  verbautem  Schilde  heran. 
Er  wollte  zweien  Rittern  nach,  die  eine  Frau  aus  seinem  Lande  geraubt 
hatten.  ^Wer  irret  (versperrt)  uns  den  Weg?'*  ftihr  er  den  Junker  an. 
Doch  d  e  m  schien  auch  er  wie  ein  Gott  gethan ,  da  er  nie  so  Lichtes 
zuvor  gesehen.  Sein  Wapp^nrock  erglänzte,  kleine  goldene  Schellen^) 
erklangen  an  seinen  Stegreifen,  ebenso  sein  rechter  Arm,  wenn  er  ihn 
bewegte.  Er  fragt  nach  den  Rittern,  ob  sie  nicht  voröbergefahren ;  der 
Knabe  aber  hielt  ihn  immer  noch  für  Gott,  weil  ihn  Frau  Herzeloyde 
als  leuchtend  geschildert  hatte.  Also  sprach  er  wieder  sein  früheres 
Oebet.  Der  Fürste  sprach:  «Ich  bin  nicht  Gott,  doch  leist'  ich  gerne 
sein  Gebot;  sähest  Du  recht,  Du  würdest  in  uns  nur  vier  Ritter  er- 
bKcfcen.''  Der  Knabe  aber  fragte  gleich  förbass :  „Du  nennst  da  Ritter? 
Was  ist  das?  hast  Du  selbst  keine  Gotteskraft,  wer  kann  denn  geben 
Ritterschaft ?"  ^Das  thut  der  König  Artus;  kommt  Ihr  mal  zu  ihm, 
Jangherr,  der  kann  Euch  ehrlichen  Ritters  Namen  geben,  Ihr  seid  wohl 
ritterlicher  Art. '^  Dabei  besah  er  ihn,  an  den  Gott  so  gute  Kunst  ver- 
wendet ,  dass  seit  Adams  Zeit  nie  ein  Menschenkind  (mannes  värwe) 
besser  gerathen  wat.  Da  hub  der  Knabe,  die  Panzerringe  betastend, 
wieder  an,  dass  sie  lachen  mussten:  ^Ei  Ritter  gut!  was  hast  du  so 
y\e\e  Ringe  (vingerlin)  an  deinen  Leib  gebunden,  dort  oben  und  hier 
Unten;  ich  sah  doch  meiner  Mutter  Frauen  auch  Ringel  an  Schnüren 
tragen  (miner  muoter  juncfrouwen  ir  vingerlin  an  snüeren  tragnt),  die 
Qicht  so  in  einander  ragen.    Wozu  ist  da&  gut,  was  dir  so  wohl  steht 


')  Ib  Parc«  wird  kastello  überhaupt  sehr  häufig  genannt ;  die  beliebtesten  Pferde 
kaiD%p  damals  aus  Spanien^  namentlich  aus  Ka&tilien,  daher  spanisch  castel- 
lano.    Vgl.  Pfeirrer  das  Rosa  im  Altd.  1855.  S.  27. 

^)  Die  Schellen  trftgt  auch  Segramors  vgl.  287,  1  -4.  Die  Sitte  mit  Schellen 
die  Kleider  za  behiniren,  blieb  wohl  von  den  Heusehreckenzügen  der  Ungarn 
zorttck;  ihre  am  Lechfeld  gefangenen  und  erschlagenen  Fürsten  halten  so 
den  Saum  ihrer  Gewände  besetzt.  Vgl.  Falke  Deutsche  Trachten  und  Mode- 
weit  1858.  I    149 

10 


146 

und  ich  nicht  herunter  zu  zwicken  vermag?'^  Da  wies  der  Ritter  ihm 
sein  Schwert  und  sprach:  y, Nun  sieh,  wer  an  mich  Streites  gehrt,  des- 
selben wehr'  ich  mich  mit  Schlägen ,  gegen  die  seinen  aber  muss  ich 
das  an  mich  legen,  gegen  Schuss  unc}  Stich  muss  ich  also  waffnen  mich.^ 
Schnell  aber  sprach  der  Knabe:  ^Trügen  die  Hirsche  solches  Fell,  so 
verwundete  sie  nicht  mein  Gabylöt,  das  mir  schon  manchen  fällte.^ 
Die  Ritter  zürnten ,  dass  er  mit  des  Knappen  ünerfahrenheit  sich  ver- 
hielt. Der  Fürst  sprach:  ^Gott  hüte  dein!  0  weh!  war'  deine  Schön- 
heit mein!  dir  hätte  Gott  nach  Wunsch  gegeben,  hättest  du  auch 
Verstand  genug  (ob  du  mit  witzen  soldest  leben),  aber  diese  Oottes- 
kraft  liegt  dir  fern!^  So  ritt  er  mit  den  Seinen  weiter  und  kam  bald 
im  Walde  zu  einem  Felde,  wo  flerzeloydens  Leute  pflügten,  säeten  und 
mit  starken  Ochsen  eggten ;  sie  gaben  ihm  über  die  Flüchtlinge  verzagt 
Antwort  und  fürchteten  den  Zorn  der  Königin,  wenn  der  ^uncherre,^ 
der  heute  Morgen  mit  ihnen  gelaufen  war  als  die  Mutter  noch  schlief, 
die  Ritter  gesehen  hätte.  Dem  Knaben  aber  galt  es  gleich,  wer  nun 
die  Hirsche  schoss,  er  hüb  sich  zur  Mutter  und  sagt'  ihr  die  Maere. 
Da  fiel  sie  vor  Schreck  ohnmächtig  (unversunnen)  nieder.  Als  sie  wieder 
zu  Sinne  kam,  fragte  sie  gleich,  wer  ihm  ^von  ritters  orden^  gesa^ 
^Mutter,  ich  sah  viier  Mann,  lichter  kann  Gott  nicht  sein,  die  sagten 
mir  von  Ritterschaft,  Ar^s'  königliche  Kraft  soll  mich  zu  Schildesamt 
keren.""  Da  hub  sich  neuer  Jammer;  doch  sie  ersann  eine  List,  ihn 
von  seinem  Willen  zu  bringen.  Der  gute' Knabe  in  seiner  Einfalt  bat 
aber  die  Mutter  gleich  um  ein  Pferd.  Sie  beschloss ,  ihm  selbes  nicht 
zu  versagen,  aber  ein  recht  armseliges  zu  geben.  „Die  Leute  spotten 
immei'  gerne,  also  soll  mein  Kind  Narrenkleider  an  seinem  lichten  Leibe 
tragen,  wird  er  gerauft  und  geschlagen,  so  kommt  er  mir  sdion  wieder.^ 
—  0  weh!  des  jämmerlichen  Truges !  —  Die  Frau  nahm  Sacktuch,^) 
schnitt  ihm  Hemde  und  Bruch,  die  ein  Stück  bildeten  und  als  „toren 
kleit^  galten;  eine  Gugel  kam  darauf  und  zwei  „ribbalin^  schnitt  man 
aus  frischen  Vauhen  Kalbshäuten  nach  seinen  Beinen. ')     So  bedauerte 


')  Drillich,  Sackleinwand. 

*)  Die  Bruch,  i)ruoch,  ursprünglich  nur  die  Bekleidung  der  Oberschenkel,  gilt 
noch  im  Volke  für  die  kurze  Hose,  gugel  ist  Kaputze  (brudere,  tut  üwere 
kugelen  ahe,  bei  Hermann  von  Fritzlar  Pfeiffer  S.  83,  25);  auch  Kappe, 
Narrenkappe  mit  Schellenohren.  —  al  frisch  rdch  kelbertn  von  einer  hdl  zwei 
ribbaltn  iidch  stnen  beinen  wart  gesnitn.  f27,  7—9.  Die  ribbaltn  sind  Bund- 
schuhe der  einfachsten  Art^  wie  sie  schon  in  den  fröhesten  Zeiten,  bis  io 
das  spätere  Mittelalter  im  armen  Volke  üblich  waren  und  noch  in  Italien  ge- 
tragen werden.  Man  fand  dergleichen  im  J.  1817  i»  einem  Jorfmoor  von 
Ostfrieslaud  an  einer  Leiche;  sie  bestunden  ans  einem  Stücke  uBgeg«rbteo 
Leders,  das  mit  Riemen  über  dem  Fuise  zustmmeiigehaUeii  war,  di«  durch 
Löcher  längs  des  Fussblattes  gezogen  wurden. 


147 


ihn  Jeder,  wer  den  Knaben  sah.    Dann  gab  sie  ihm  noch  gute  Lehren 
anf  den  Weg  mit: 


127, 

15.  an  angebanten  sträzen 
soltu  tunkel  fürte  läzen: 
die  sihte  mid  lüter  sin, 

da  solte  al  balde  riten  in. 
du  8olt  dich  Site  niten, 

20.  der  werlde  grüezen  bieten, 
op  dich  ein  grä  wise  man 
zuht  wil  lern  als  er  wol  kan, 
dem  söltu  gerne  volgen, 
and  wis  im  niht  erbolgen. 

25.  sun,  \ä  dir  bevolhen  sin, 
swä  da  gaotes  wibes  vingerlin 
mügest  erwerben  unt  ir  gruoz, 
daz  nim:  ez  taot  dir  kumbers 

baoz. 
da  solt  zir  kasse  gähep 
and  ir  lip  vast  umbevähen : 

128, 

daz  git  gelücke  and  höhen  maot, 
op  si  kiaschc  ist  unde  gnot. 


Du  sollst  auf  ungebahnten  Strassen 
Die  dunklen  Furten  liegen  lassen; 
Doch  siehst  du  seicht  sie,  hell  und 

rein, 
So  reite  nur  getrost  hinein. 
Auch  sollst  du  guter  Sitte  pflegen. 
Die  Leute  grüssen  auf  den  Wegen, 
Und  wenn  ein  grauer,  weiser  Mann 
Dich  Zucht  will  lehren,  nimra's  ja  an, 
Verarg'  ihm  nicht,  was  er  dir  sprach. 
Vertrauend  thu',  und  gern  darnach. 
Dann,  Sohn,  lass  Dir  empfohlen  sefn : 
Wo  gutes  Weibes  Riagelein 
Du  kannst  erwerben  und  ihr  Grüssen, 
Da  nimm's!  es  kann  Dir  Leid  ver- 
süssen. 
Magst  Da  auch  ihren  Kuss  erlangen 
Und  herzlich  ihren  Leib  umfangen. 

Das  gibt  Dir  Glück  und  hohen  Muth 
Ist  anders  keusch  sie  und  auch  gut. 


Dazu  sollst  du  wissen,  dass  der  stolze  Lähelin  deinen  Fürsten 
j&ngst  zwei  deiner  Lande  abgefochten,  und  einen  deiner  Fürsten,  Tur- 
keniäls  getödtet.  ,,Das  räch'  ich  Mutter,  will  es  Gott!  ihn  verwundet 
noch  mein  Gabilot  !^ 

Des  Morgens  da  der  Tag  erschien,  liess  die  Sehnsucht  nach  Artus 
den  Knaben  nicht  länger  warten.  Frau  Herzeloyde  küsste  ihn,  lief  ihm 
Doch  so  lange  nach,  als  sie  ihn  sehen  konnte  und  wie  er  entschwunden,^ 
da  fiel  die  allen  Falsches  reine  Frau  zu  Erde  und  der  Jammer  schnitt 
ihr  das  Leben  ab.    * 

So  ftihr  auf  lohnergiebige  Fahrt  die  Wurzel  aller  Güte,  wozu  alle 
treuen  Fi*auen  dem  Knaben  Heil  wünschen  sollen.  Der  aber  nahm  auf 
den  Forst  von  QrizIjanO  den  Weg  und  fand  gleich  Gelegenheit,  die 
weisen  Lehren  seiner  Matter  anzuwenden  —  freilich !  in  seiner  Art  und 
sämmtUch  auf  verkehrte  Weise. 


*)  Der  Wald  von  BrizljAn  ist  eine  unsichere  Gegend^  wo  sonst  allerlei  Spuck 
begegnet,  denn  Merlins,  des  Zauberers  Grab,  ist  darinnen.  Vgl.  v.  d.  Hagen 
Germania.  1841.  IV.  13. 

10* 


m 


129, 

3.  er  koni  an  ein  bach  geritn. 
den  hete  ein  han  wo]  überschritn : 

swie  da  stuonden  bluomen  unde 

gras, 
10.  durch  daz  sin  ilaoz  so  tunkel  was, 

der  knappe  den  fürt  dar  an  ver- 

meit. 
den  tag  gar  derneben  reit, 

alsez  sinen  witzen  tochte. 

er  beleip  die  naht  swier  mochte, 

15.  unz  im  der  lichte  tag  erschein. 

der  knappe  huob  sich  dan  al  ein 


Er  kam  an  einen  Bach  geritten. 
Den  leicht  ein   Hahn    hätt^    über- 

schtitten; 
Doch  da  sein  Strom  so  dunkel  schien. 

Denn  Gras  und  Blumen  umschatte- 
ten ihn. 
Ritt  ifeber  den  ganzen  langen  Tag 

0 

Geduldig  der  Knabe  dem  Bächlein 

nach, 
Eh*  er  hindurch  zu  reiten  wagte. 
Streng   folgend,   wie   die  Mutter 

sagte.  — 
Die  Nacht   verbracht'  er,    wie  er 

konnte. 
Doch    als  der  Morgen    zu   grauen 

begonnte. 
Ersah  eine  Fuhrt  er,  licht  und  klar. 


zeime  fürte  Idter  wol  getan. 

Jenseits  des  Baches  war  auf  dem  Plane  ein  kostbares  Grezelt  auf- 
geschlagen, von  dreifarbigem  Sammt,  hoch  und  breit,  die  Näthe  mit 
goldenen,  Borten  belegt,  auch  hing  ein  lederner  Ueberzug  (ein  liderfn 
huot)  daneben,  den  man  bei  Regen  daiiiber  decken  mochte.  Hier  ruhte 
die  schöne  Jeschüte,  Frau  des  Herzogs  Orilus  de  Laiander. 

130,  , 

3.  Diu  frouwe  was  entsläfeh.  i  Die  Frau  war  entschlummert;    im 

Schlummer  doch 
si  truoc  der  minne  wäfen,  *)        Trug  sie  das  Waffen  der  Liebe  noch : 
5.  einen  munt  durchliuhtic  r6t,       |  Einen  Mund,  durchleuchtig  roth, 
and  gemdes  ritters  herzens  not.  j  Für   erobernden  Rittersmann  Her- 

zensnoth. 


innen  des  diu  frouwe  slief, 
der  munt  ir  von  ein  ander  lief: 
der  truoc  der  minne  hitze  fiur. 

10.  sus  lac  des  Wunsches  äventiur. 
von  snewizem  beine 
nahe  bi  ein  ander  kleine, 
sus  stuonden  ir  die  liebten  zene. 
ich  waen  mich  iemen  küssens  wene 

15.  an  ein  sus  wol  gelobten  munt: 
daz  ist  mir  selten  worden  kunt. 


Während  die  Schöne  schlief 
Der  Mund  ihr  von  einander  lief: 
DerschufderMinneGluthundFeuer! 
So  lag  das  schöne  Abenteuer! 
Schneeweiss,  wie  von  Elfenbein, 
Zusammen  dicht  gefugt  und  klein, 
So  standen  ihr  die  lichten  Zähne. 
Mich  gewöhnt  man  nicht,  ich  wähne 
An  einen  so  wohl  gelobten  Mund: 
Solch  Küssen  ward  mir  selten  kund. 


')  wdfen  kann ^  hier  sowohl  Schwert  oder  Waffe  überhaupt,  als  aocli 
Wappe  bedeuten,  obwohl  die  erste  Bedeutung ^  ihres  schönen  poeUaclieB 
Sinnes  vorzuziehen  wäre,  d.  h.  obwohl  ichlafend,  trug  die  schöne  Frau 
doch  ihr  Schwert  und  die  Waffen  der  Minne. 


Ihr  ^ deckelachen **  von  Zobel,  die  ihr  -htiffelin**  decken  sollte,  hatte 
3ie  der  Hitze  wegen  von  sich  geflossen,  als  ihr  Herr  (wirt)  sie  alleine 
liess.     Gott  selber  workte  ihren  süssen  Leib;   lange  Anne  und  blanke 
Hände  hatte  die  Minnigliche.     Als  der  Knappe  nun  ein  Fingerlein  an 
ihrer  Hand  ersah ,  fiel  ihm  der  Rath  seiner  Mutter  ein ,    die  ihm  der 
Frauen  Ringe  wohl  empfohlen  hatte;   also  sprang  er  schnell  von  dem 
Teppiche  an  das  Bett.     Die   süsse  Reine  erschrack  unsanft,    als  der 
Knappe  in  ihren  Armen  lag,   beschämt  und  ohne  Lächeln  sprach  die 
züchtereiche:     „Wer  hat  mich  geunehret?  Juncherre,   Ihr  wagt  allzu- 
viel; wählt  Euch  doch  ein  ander  Ziel.^  Wie  sie  auch  klagte,  er  zwang 
ihren  Mund  an  den  seinen,  drückte  die  Herzogin  an  sich  und  nahm  ihr 
ein  Fingerlein ;  auch  ersah  er  eine  Spange  an  ihrem  Hemde,  die  brach 
er  sich  ungefüge.     Die  Fraue  hatte  nur  Weibes  Wehr,  ihr  war  seine 
Kraft  ein  ganzes  Heer.     Da  rangen   sie,    bis  der  Knappe  endlich  ob 
Hunger  klagte.     Sie  sprach:    „Mich  sollt  Ihr  nicht  essen,    wäret  Ihr 
klug,  Ihr  suchtet  Euch  andere  Speise;  dort  steht  Brod  und  Wein  und 
auch  zwei  Rebhühnere,')   die  Juhgfrau,    cüe  das  brachte,    hat  sicher 
nicht  an  Euch  gedacht.     Er  ass  nun   einen  guten  Kropf  und  zog  zwei 
'schwere  Trünke.    Der  Frau  aber  bedünkte,   er  treibe  sein  Wesen  gar 
zu  lange,  sie  wähnte,  er  wäre  ein  ^garzün,"  dem  der  Verstand  abhanden 
gekommen;   ihre  Zucht  kam  in  Verlegenheit,  also  sprach  sie:    „Junc- 
herre, Ihr  sollt  mein  Fingerlin  hie  lassen  und  meine  Spange,  hebt  Euch 
hinweg,  denn  kommt  mein  Mann,  so  müsst  Ihr  Zorn  erleiden,  den  Ihr 
besser  meiden  möchtet."   Der  aber  versetzte:  „Was  furcht'  ich  Eueres 
Mannes  Zorn?    doch  schadet  Euch   das   an    den  Ehren,    will   ich  von 
hinnen."     Damit  ging  er  wieder  an  das^  Bette,  küsste  sie  nochmals  zu 
ihrem  Leidwesen   mid  ritt  ohn*  Urlaub   von   dünnen,    doch   sprach   er 
noch:  ^Gott  hüte  Dein!  also  rieth  mir  die  Mutter  meinP    Schon  war 
er,  froh  des  Raubes,  eine  gute  Weile  weg,  als  der  Fraue  Gemahl  zurück- 
kehrte und  im  Grase  die  Tritte  gewahrend  und  das  ärgste  vermuthend, 
zornig  losbrach.     Sie  beschwor  ihre  Unschuld  mit  wasserreichen  Augen 
Und  erzählte  den  wahren  Sachverhalt,   er  aber,  in  unerbittlichen  Zorn 
entbrannt,  entschlägt  sich  aller  freundlichen  Gemeinschaft  mit  ihr,  reikst 
ihr  Schmuck  und  Sammt  vom  Sattel  und  zwingt  sie,  in  elendem  Ge- 
wand, mit  einem  Strick  von  Bast  statt  der  Zügel,    auf  einem  elenden 
Klepper  weiter  zu  ziehen,    den  Knappen  einzuholen.     Weinend  schied 
die  Frau  aus  dem  Zelte,  in  ihrem  Jammer  wünschte  sie  sich  den  Tod. 

So  eilte  sie  dem  Knappen  nach,   der  davon  keine  Ahnung  hatte ;^ 
wer  ihm  imnäer  in  den  Weg  kam,   den  grüsste  er  und  setzte  richtig 


)  fwrdHsekto,  vom  Franz.  perdrix;  sonsl  auch  rephuonitn,  kleines  Rebhuhn. 


160 

bei,  das8  es  ihm  seine  Matter  so  geratbeD.  Hernieder  reitend  an  einer 
Halde  hört  unser  täppischer  (törscher)  Knabe  den  Klageruf  einer  Frauen^ 
stimme;  er  wendete  dem  Schall  nach  und  fand  eine  Jungfrau,  die  ihre 
langen, braunen  Zöpfe  jammernd  sich  ausraufte')  und  einen  erschlagenen 
Ritter  in  ihrem  Schoosse  liegen  hatte.    (Es  ist  Sigüue  und  der  ]^lter 
Schionatnlander.)    Er  grüsst  nach  seiner  Mutter  Lehre  und  fragt  nkch 
dem  jämmerlichen  Fund  in  ihrem  Schoosse   und  wer  die  Wunden  ge- 
schlagen:   ^Wer  hat  ihn  erschossen,  geschah^s  mit  einem  Gabilot?  iob 
will  gerne  mit  ihm  streiten.^  So  sprechend  griff  gleich  der, gute  Knabe 
(der  noch  die  Pfänder  trug,  die  er  von  Jeschüten  brach)  nach  seinem 
Köcher  mit  den  scharfen  Gabildten.     Sie   aber  erwiderte;    ^Du  bist 
wahrlich  tugendlicher  Art;    geehrt  sei  Deine   süsse  Jugend  und  Dein 
minnigliches  Antlitz;  Du  wirst  wahrlich  noch  säldenriche.  Diesen  Ritter 
aber  traf  kein  Gabylot,  er  fiel  im  Tjost.^    Als  sie  nach  seinem  Namen 
fragt  und  er  treuherzig  antwortet,  man  habe  ihn  zu  Hause  immer  mir 
„bon  fiz,   scher  fiz,   beä  fiz^  genannt,   so  weiss  sie,    dass  ihr  Ver- 
wandter ParziväJ  vor  ihr  steht>  dessen  Mutter  ihre  Mqhme  ist    ^Dein 
Vater,  so  belehrt  sie  ihn,  war  ein  Anschevin  (Anjou),  von  Mutter  Seite 
bist  Du  ein  Waleis,    Kanvoleiz  ist  Deine  Heimatfa  und  Noi^äls  Dein' 
.  Reich,  wo  Du  zu  Kingriväls  Krone  tragen  sollst    Für  Dich  ward  dieser 
Fürst  erschlagen,   der  stets  Dein  Land  vertheidigte  und  nie  die  Treue 
Versehrte.    Zwei  Brüder  thaten  Dir  Leides  an ,   zwei  Lande  nahm  Dir 
Lä^elin,    und  diesen  Ritter  hier.   Deinen  Vetter,    Du  junger  schöner 
(vlaetic)  süsser  Mann,  erschlug  Orilus  im  Tjost^  (und  zwar  zur  selben 
Zeit,    während  Parcival  dessen   süsse  Gemahlin  so  tölpisch  behandelt 
hatte).  Parcival,  der  von  dem  engeren  Zusammenhang  gar  keine  Ahnung 
hat>  schnaubt  nach  Rache;  Sigüne  aber,  die  für  das  Leben  des  Knaben 
bangt,   ist  klug  und  weist   ihm  fälschlich  andere  Wege.     So  fahr  er 
weiter;  wer  ihm  aber  entgegen  ging  oder  ritt  (widergienc  od  widerreit) 
Ritter  oder  Kaufmann,   die  grüsste  er  alle  mit  dem  Beisatz,   das  sei 
seiner  Mutter  Rath.^) 


*)  ^üzer  swarten  brach/  s warte  die  (behaarte)  Kopfhaut 

*)  Die  Lehren  der  Mutter  bezogen  sieb  (wie  Reiche!  richtig  bemerkt)  «of  die 
Vermeidung  der  nächsten  Gefahren,  wiesen,  was  dem  weiblichen  Herzen 
Herzeloydens  am  nächsten  la^,  auf  das  reine  Glück  der  Liebe  und  enpfabien 
ihm  reine  „Zucht.^  Und  es  ist  wirklich  rührend,  dass^  wie  sehr  auch  der 
unerfahrene  Jüngling  bei  seinem  Eintritt  in  die  Welt  durch  die  wörtliche 
Befolgung  der  mütterlichen  Gebote  irren  mag,  seine  Fehler  «doch  nur  das 
kindliche  Vertrauen,  das  reine  Gemüthe  des  unschuldigen  Knaben  zeigen.  Das 
Unglück  Sigunens  greift  ihm  so  mächtig  an's  Herz,  wie  das  kindlich  unge- 
stüme Fragen  verrath,  dass  er  kaum  zur  Antwort  Zeit  lässt. 


151 

Gegen  AUbnd  ersah  ansere  gatinüthige  Einfelt  (der  tampheit  geb6z) 
ermodet  ein  Haas,  das  einem  groben,  habsüchtigen  Fischer  gehörte, 
und  da  ihn  dieser  ohne  ^phenninge  oder  phant^  nicht  herbergen  will, 
80  zieht  Parcival  die  goldene  Spange  und  verspricht  sie  dem  Flegel, 
wenn  er  ihn  morgen  zn  Artus  Tafelrunde  weise.  Auf  dem  Wege  dahin, 
nahe  vor  Nantes,  verläset  ihn  der  Bauer  C^il^Q)  Lünamel)  unter  nich-^ 
tigern  Vorwand  und  Parcival  reitet  allein  weiter.  Kein  treuer  Curneväl') 
hatte  ihn  erzogen,  von  Gurtoisie  (kurtdsie)  wnsste  er  ni<dits,  von  Bast 
war  sein  Zaum  und  sein  elendes  ^phärdelin^  strauchelte  öfter  und  fiel 
(daz  tet  von  strdchen  manegen  val).  Auch  war  sein  Sattel  überall  un«- 
besohlagen  mit  neuen  Ledern,  von  Sammt  oder  Häimelin  sah  man 
nichts,  der  Mantelschnüre  bedurfte  er  nicht,  anstatt  Sukenie  und  Sur- 
kot*)  trug  er  sein  Gabyldt  Sein  Vater  war  vor  Kanvoleiz,  traun! 
besser  gekleidet.  Da  begegnete  ihm  ein  Ritter,  der  Basensohn  des 
König  Artus,  Herr  Ith^r  von  Gaheviez,  der  rothe  Ritter  genannt,  denn 
AUes,  was  man  an  ihm  sehen  konnte,  war  roth,  roth  ^blt  sein  Ross, 
dessen  Kopfputz ')  und  sammtene  Kovertür,  feuerroth  sein  Schild,  roth 
sein  Korsett  (kursit)  und  weit  genug,  roth  war  sein  Schaft,  roth  sein 
Speer,  roth  hatte  auch  auf  sein  Begehr  sein  Schwert  der  Schmied  ge- 
röthet,  ohne  die  Schärfe  zu  verlöthen.  Zwar  war  seine  Haut  blank, 
aber  roth  sein  Haar.  ParciviU  grüsst  i^n  in  seiner  Weise:  ^Grott  schütze 
Guch!  so  neth  es  die  Mutter  mir!*^  —  ^Gott  lohne,  Junch^rre,  Euch 
and  ihr^  antwortet  der  Ritter,  der  einen  kunstvollen  Becher  von  rothem 
Golde  ^)  in  der  fiand  hält  Er  war  an  Artus  Hof  gekommen,  um  Erb- 
ansgruch  an  das  Land  geltend  zu  machen  und  hatte  deshalb  einen 
goldenen  Becher  Weines  der  Königin  Ginov^m  in  den  Sohooss  gegossen, 
den  Becher  aber  mitgenommen.   Da  er  den  Knaben  bereit  sieht,  in  die 


')  KBrnevsl  hiess  der  Erzieher  Tristans. 

>)  145:  ^für  suknt  und  für  siirköt.^  Sukenie  ist  eine  Art  Oberkleid^  ebenso 
wie  der  weilärmelij^e  Surkot.    Vgl.  Weinbold  Deut.  Fr.  S.  447. 

')  ^stn  ors  was  röl  unde  snel,  »1  röt  was  stn  gtigerel.**  giigerel  (von  gngefe) 
ist  eine  Erhöhbng  auf  der  Spitze  des  Pferdkopfes  ^  ein  i^bmuck,  der  sieb 
nocb  bei  unseren  Scblittenpferden  erbalten  bat.  Vgl.  J  Grimm  zu  Reinh. 
1338.  -  Scb melier  bayr.  Wörlerb.  II.  25. 

*)  „al  r6t  von  golde  öf  siner  bant,  stuont  ein  köpf  vil  wol  ergrabn."*  —  Kopf 
^  nind^eformter  Becber,  Pokale  bei  Hermann  von  Fritzlar,  PfeiiTer  16S  lo 
der  Geschichte  der  Pilgrime.  Das  Mittelalter  liebte  seltsame  Gefässe  (trank 
ja  selbst  Luther  noch  am  liebsten  aus  einem  Krüglein.,  das  eine  Nonne  vor- 
stellte) und  voraus  in  dieser  Form,  die  aus  dem  urgermaniscben  Schädel- 
Irunk  sich  verfeinert  und  gebildet  hatte.  In  St.  Oswalts  Leben  wird  ein 
solches ^efass  (genannt  ^Genthe  I.  298),  ferner  bei  VVackernaffel  Leseb. 
2.  Aufl.  8.  17Ö,  37:  ^silberlne  napphe,  guldtne  chopphe''*—  241,  22:  ,,di 
goldinen  eopfe.  die  stiherinen  nepfe/  —  Im  Weinschwelg  ibid.  575,  6: 
,,er  wolde  näpf  noch  kopbe  niht.^  —  Steinmar  (v.  d.  Hagen  MS.  H.  154): 
„köpfe  unde  schüzzel  wirt  von  mir  unz  an  den  grünt  erlochen.^ 


152 

Stadt  zu  reiten ,  trägt  er  rhm ,  durch  dessen  Schönheit  *f&r  ihn  einge- 
nommen, diese  Botschaft  an  Artus  auf:  er  harre  hier,  bis  der  König 
oder  seine  Ritter  ihm  den  Becher  wieder  abkämjpfen  und  seinen  An- 
spruch mit  ihm  ausfechten  würden.  Kaum  hat  Parcival  die  Stadt  be- 
treten, als  ihm  schon  die  Kinder  neugierig  nachlaufen;  mit  Hilfe 
Iwänets,  eines  Knappen,  der  ihmKumpanie  angeboten,  gelangt  er  bald 
zu  Artus.  Der  ganze  Hof  staunt  über  die  Schönheit,  wie  über  die  Bot- 
Schaft  des  Knaben,  der  mit  Holdseliglieit  die  BRte  an  König  Artus  stellt, 
ihn  sogleich  zum  Ritter  zu  machen ,  denn  ihm  sei  gesagt,  dass  er  das 
wohl  vermöge,  auch  solle  er  ihm  das  Gewand  des  rothen  Ritters 
schenken,  er  sei  bereit,  es  ihm  abzukämpfen.  Da  Artus  ihn  vorläafig 
auf  den  folgenden  Tag  verti'östet,  wird  er  ungeduldig  und  gaggerud  wie 
eine  Trappe  platzt  er  los:  könne  er  des  Ritters  Rüstung  nicht  bekom- 
men, so  frage  er  nichts  nach  königlichen  Gaben,  „die  gibt  meine  Mutter 
mir,  die  doch,  mein*  ich,  auch  eine  Königin  ist.^  Der  König  zaudert 
noch  über  das  •wunderliche  Verlangen,  doch  Keye,  der  Seneschall,  über- 
redet ihn ,  es  geschehen  zu  lassen  als  einen  Scherz,  der  ja  doch  keine 
ernstlichen  Folgen  haben  könne:  „l»asst  ihn  auf  den  Plan!  Wollt  Ihr 
zurück  den  Kopf,  hier  ist  die  Geisel  dort  der  Topf,0  vergönnt  es  dem 
Kind  ihn  umzutreiben,  so  lobt  man  es  vor  den  Weihen.  Er  muss  noch 
manchen  Stoss  ertragen,  noch  manche  Ruthe  wird  ihn  schlagen,  ich 
sorg^  nicht  um  ihr  Leben:  man  soH  Hunde  um  Ebershaupt  geben. ^  — 
So  macht  sich  denn  wirklich  Parcival  mit  seinem  schlechten  Rösslein, 
ohne  andere  Waffen,  als  seine  kindischen  Jagdspeere,  in  seinem  Thoren- 

m 

gewande  auf,  den  rothen  Ritter  zu  bestehen.  Von  einer  Laube ')  sieht 
ihm  Iwänet,  von  den  Fenstern  sehen  ihm  die  Frauen  und  Ritter  nach. 

Nun  hatten  damals  ein  gewisser  Herr  Antanor  und  die  Königin 
Cunnewäre  de  Lalant,  die  Schwester  von  Orilus  und  Lähelin  (die  Paf- 
civals  Reichen  so  viel  Abbruch  thaten)  ein  seltsames  Gelübde  durch- 
einander. Sie  hatte  geschworen.  Niemanden  ein  holdseliges  Lächeln  zu 
zeigen,  bis  sie  den  erblicke,  der  auf  Erden  den  höchsten  Preis  erringe, 
and  An tonor .dagegen:  nicht  eher  zu  sprechen,  als  bisGunneware  lachen 
werde.  Wie  sie  nun  den  schönen  Knaben  ausreiten  sieht,  da  erlachte 
ihr  minniglicher  Mund.  Das  macht*  ihr  den  Rücken  ungesund.  Denn 
Keye,  der  SeneschalP)  fasste  sie  bei  ihren  krausen  Haaren,  wand  ihre 


')  Wolfram  wendet  das  bekannte  Kinderspiel  bildlich  an,  wo  der  Kreisel,  aodi 
Topf  genannt,  mit  der  Peitsche  (Geissen  umgetrieben  wird.  Vgl  Rochhols 
Allemannisclies  Kinderspiel.  1857.  S.  4l9. 

^)  Altane,  Umgang  am  Hause,  £ngl.  lobby.  Vgl.  spater  Wigalois. 

^)  Keye  und  Keie,  der  scheneschlanl  (San-Marte  Germ.  II.  396),  eine  in  ritter- 
lichen Dichtungen    (s.  B.  im  Iwein  des  Hartmaan   v.  d   Aoe  and  auch   im 


1S3 


klaren  Zöpfe  sich  um  die  Hatad  und  „spancte  se  äne  tfirbänt;"^  ihrem 
Rftcken  ward  kein  Eid  gestabt/)  doch  ward  ein  Stab  so  d*ran  gehabt 
bis  sein  Sausen  ganz  versohwang,  tlass  er  Kleid  und  Haut  durchdrang. 
Dann  sprach  der  Unkluge:  ' 


152, 

^iwerm  werdem  prfse 

ist  gegebn  ein  smaehiu  letze: 

ich  pin  sin  vängec  netze, 
5.  ich  soln  wider  in  inch  smiden, 
daz  irs  enpfindet  uf  den  liden. 
ez  ist  dem  künge  Artus 
üf  sinen  hof  unt  in  s!n  hüs 

so  mauec  werder  man  geriten» 

10.  durch  den  ir  lachen  hat  vermiten, 
und  lachet  nu  durch  einen  man 
der  niht  mit  ritters  fuore  kan.** 


Eine  schmähliche  Kost  mnss  ich  Euch 

reichen, 
Dastf  von  Euch  möge  die  Hohfahrt 

weichen, 
Und  Ihr  empfindet  an  Eurem  Leibe 
Wie  mit  Erfolg  ich  sie  vertreibe. 
Es  ritten  der  Männer  so  viele  werthe 
Am  Hofe  des  Königs  ein  und  aus, 
Und  doch  betrat  noch  Keiner  das 

Haus, 
Dem  Euer  Mund  nur  ein  Lächeln 

bescherte. 
Nun  aber  belacht  ihr  vermessen 
Einen  Knaben,  von  Thorheit  besessen,^ 
Der  nimmer  gewonnen  Ritterpreis, 
Ja,  der  von  Ritterschaft  gar  nichts 

weiss!  — 


Geschieht  im  Zorn  was  allerhand,    doch  nie  war'   ihm   vor  dem 

Reich  ein  Schlag  zuerkannt  worden  auf  diese  Magd,   die  sehr  beklagt 

wurde.     Nun,    da  auf  Cunnewäre's  Lachen  auch  Antonor  zu  sprechen 

wagt,  fahrt  er  zornig  den  „scheneschlant'*  an,   der  aber  auch  ihm  fiir 

das  erste  Wort  den  Braten  mürbe  macht   und   mit  den  Fäusten  hinter 

die  Ohren  schlägt.    Das  Alles  sah  Parcival  beim  Ausreiten  mit  an,  er 

griff  öfters  zum  Gabylot  und  hätte  dem  zuchtlosen  Keye  sicherlich  einen 

Schuss  gesendet,   wäre  das  Gedränge  um   die  Königin  nicht   so  gross 

gewesen. 

Noch  harrt  der  rothe  Ritter  auf  Antwort;  Parcival  sagt  ihm,  dass 
N'iemand  in  Nantes  mit  ihm  zu  streiten  Lust  habe:  ^Du  aber  gib  mir 
d^as  Ross,  auf  dem  Du  sitzest  und  Deine  Rüstung,  denn  Artus  hat  sie 
rEair  geschenkt,  um  darinnen  Ritter  zu  werden.**  —  ^Ich  glaube  gar, 
v-^rsetzt  lächelnd  der  Ritter,  Artus,  der  Dir  so  schnell  hold  geworden, 
Y^^SLi  Dir  am  Ende  gar  noch  mein  Leben  geschenkt.'*     Da  der  Knabe 


wüschen  Gast)  vielitensniite  Persönlichkeit.    Wolfram  lässt  ihn  spiler  in  mil- 
derem Lichte  erscheinen.  Vgl.  Sachse  über  den  Ritter  Kei.    Berlin  1860. 

*)  «Itaben  einen  eit^  wird  sowohl  von  dem  gesa^,  der  dem  Anderen  dieEides- 
fonnel  vorsagt,  als  von  dem,  der  sie  nachspricht.  Vgl.  Wigalois.  Wir  legen 
bei  Doctor- Promotionen  bekanntlich  noch  den  Eid  auf  die  Stäbe  ab. 


154 

indesB  zudringlicher  wird  und  das  Ross  des  Rothen  beim  Zftgel  packt,  , 
stösst  er  ihn  sammt  seinem  Rösslein  mit  dem  umgekehrten  Lanzenschaft 
zu  Boden,  &o  dass  dem  Knappen  das  Blut  ans  der  Haut  dringt.  Par- 
cival  jedoch  springt  zornig  auf  und  wirft  sein  Gabylot  so  glöcklieh,  das« 
es  zwischen  Helm,  Barbier  und  Härsenier')  durch  das  Auge  bis  in  den 
Nacken  drang  und  der  treue  Mann  (der  valscheit  widersatz)  todt  hin- 
fiel. Sein  Fall  machte  mancher  Frau  nasse  Augen.  Parcival,  in  seiner 
Tumbheit,  kehrt  ihn  nach  allen  Seiten,  um  ihm  die  Rüstung  abzuziehen, 
weder  Helraschnüre  noch  Schinnelier  *)  wusste  er  zu  lösen  oder  abzu- 
zwicken, so  oft  er  es  versuchte.  Das  Streitross  und  das  Pferdelein  er- 
hüben  so  grosses  Gewieher,  dass  es  Iwänet,  der  vor  der  Stadt  um 
Grat)en  stand,  hörte  und  da  er  Niemand  darauf  sitzen  sah,  eilte  er, 
Parcival  zu  liebe,  hinaus.  Da  fand  er  Ith6m  todt,  Parcival  aber  in 
dummen  Nöthen.  ^Gott  lohne  Dir  Dein  Kommen,  sagt  Parcival,  nun 
rathe  mir,  was  ich  da  thn*,  ich  komme  ihm  nicht  bei,  wie  bring*  icVs 
ihm  ab  und  an  mich.**  —  ,^Das  kann  ich  Dich  wohl  lehren,"  antwortet 
der  stolze  Iwänet,  entwaffnete  den  Todten  und  bekleidete  damit  den 
Lebenden,  der  noch  schwer  an  Thorheit  trägt  Umsonst  bemerkt  ihm 
Iwanet,  dass  solche  Bundschuhe  nicht  zu  ritterlicher  Kleidung  passen, 
aber  Parcival  weigert  sich  die  Ribbalfn  abzustreifen*  was  ihm  seine 
Mutter  gab,  soll  nicht  von  ihm  kommen.  So  zog  er  die  lichten  Eisen- 
hosen darüber,  Iwänet  spannte  ihm  die  goldenen  Sporen  an  und  strickte 
ihm  an  das  Schinnelier  bevor  er  ihm  den  Halsberg  bot.  Nicht  lange 
währte  es,  so  sah  man  den  ungeduldigen  Parcival  von  Fuss  auf  wohl 
gewapent.  Dazu  will  er  seinen  Köcher,  doch  begreift  er,  dass  die 
Gabylote  nicht  der  Ritterschaft  ziemen.  Daför  gürtete  ihm  Iwänet 
ein  scharfes  Schwert  um  und  lehrt  ihm  selbes  zu  ziehen;  auch  wider- 
rieth  er  ihm  je  zu  fliehen.  Dann  zog  er  des  Todten  Ross  herbei, 
das  hohe  lange  Beine  hatte  und  Parcival  sprang,  ohne  die  Stegereife 
zu  gebrauchen,  in  deü  Sattel.  Weiter  lehrt  ihm  nun  Iwänet,  unter  dem 
Schilde  sich  künstlich  zum  Schaden  des  Feindes  zu  gebahren;    er  bot 


')  155,  7:   dd  der  heim  uol  dia  barbier 

sich  locheten  ob  dem  harsnier^ 

dorchz  ouge  in  sneil  dez  gabyldl, 

unt  durch  den  nac  .  .  . 
Härsenier  ist  die  das  Haupt  unmittelbar  bedeckende  Haube,  auf  welche  dann 
erst  der  Helm  gesetzt  wird,  an  ihr  ward  auch  diu  barbier  befestigt^  die 
unter  dem  Helm  befindliche  Bedeckung  des  Gesichtes  (in  welcher  zwei  Lö- 
cher für  die  Augen  ausgeschnitten  sind  —  Mttller  mhd.  W.)  Vgl.  Part. 
265,  27.  598,  1.     W.  Wh.  408,  6. 

• 

*)  schinnelier,  scinrtAlfer^  vom  Ital.  schiniere  und  dieses  wieder  vom  deutschen 
sdiin^  ein  Band  am  Helme,  besser  aber  der  hintere  Theil  der  Bewaffnung, 
Rückstück  eines  Harnische^. 


155 

ihm  den  Spew,  dessen  Nstzeii  ParoiYal  gleiohfaHs  erst  erftihren  oinsste. 
So  sass  er  endlich  da,  wie  ihn  kein  Maler  ron  Köln  oder  von  Mastricht 
besser  malen  könnte.')  Er  dankt  seinem  Freunde,  bittet  das  goldene 
Gefäss  dem  König  Artns  znrüdcznbringen  und  za  sagen,  er  wolle  noch 
rächen,  dass  seinetwegen  eine  Jungfrane  geschlagen  worden,  und  fährt 
nun  von  dannen. 

Iwftnet  aber  brach  Blumen  über  den  trefflichen  Ither  von  Gaheviez, 
stiess  den  Stiel  eines  Gabylotes  in  die  Erde,')  nachdem 'er  zuvor  durch 
die  Schneide  in  Kreuzesform  ein  Holz  gedrückt,  and  machte  dann  in 
der, Stadt  die  Kunde  bekannt,  darob  manche  Frau  verzagte  und  man- 
cher Ritter  weinte.  Allgemeiner  Jammer  erhob  sich,  man  holte  den 
schönen  Todten  ein,  die  Königin  selbst  ritt  ihm  entgegen  und  Hess  auch 
das  Heiligtham  vortragen.  Die  ganze  Tafelrunde  klagt;  königlich  wird 
er  bestattet;  sein  Harnisch  brachte  ihn  um's  Leben.  — 

Das  Pferd  aber,  das  Parcival  ritt,  pflag  solcher  Sitte,  dass  es  die 
grösste  Mühe  nicht  verdross,  es  gerieth  nie  in  Seh  weiss,  ob  es  über 
Felsen  oder  gestürzte  Bäume  (ronen)  ging,  wer  zwei  Tage  darauf  sass, 
brauchte  es  nur  um  ein  Loch  enger  zu  gürten.  Gewapent  ritt  es  „der 
tombe  man"  den  Tag  so  weit,  wie  ^s  ein  Kluger  nicht  in  zwei  Tagen 
ereilte;  es  ging  meist  im  Galopp,  selten  im  Trab. 

Gegen  Abend  gewahrt  er  einen  Thurm  und  bald  mehrere,  die  ihm 
allgemach  wie  er  sich  näherte  dem  Boden  zu  entwachsen  scheinen,  er 
meinte, König  Artus  habe  das  gesäet,  könnte  doch  meiner  Mutter  Volk 
so  bauen,  ihre  Saat  gedieh  nie  so.  Herr  dieser  fiurg  ist  Gnrnemanz 
de  Gräharz,  den  Parcival  unter  Weges  bei  einer  Linde  ganz  alleine 
sitzend  findet  Üebel  gelang  es  dem  ermüdeten  Knappen  den  Schild  zu 
schwingen  und  ritterlich  zu  salntiren ,  dafür  spricht  er  gleich,'  wie  seine 


*)  158,  13:'  als  uns  diu  dventiure  gieht, 

von  KölDe  noch  von  Mdstrieht 

kein  schüttere  entwürfe  in  baz 

denn  alser  üfem  orse  saz. 
Diese  Stalle,  deren  Wichtigkeit  ffir  die  Geschichte  der  Malerei  bereits  Pr. 
Schlegel  bekannte,  beweist,  dass  eine  Kölner  Schule  der  Malerei  Fast  200 
Jahre  vor  van  Eyck  schon  ganz  allgemein  berühmt  war,  so  dass  der  Dichter 
sie  vorzugsweise  als  Beispiel  nennen  konnte  und  zvi^ar  ein  Dichter  im  süd- 
lichen Deutschland,  der  also  in  ziemlich  weiter  Entfernung  von  jenen  Städten 
einheimisch  und  wohnhaft  war.  Es  wäre  jedoch  nicht  unwahrscheinlich,  dass 
Wolfram  persönlich  mit  den  dortigen  Meistern  bekannt  geworden,  denn 
er  hat,  wie  wir  bei  einer  Stelle  seiner  Minnelieder  bemerken,  einen  bewun- 
demnffswürdigen  Blick  und  ein  wahres  Genie  für  bildende  Kunst,  wie  auch 
der  Plan  zum  Grallempel  beweist,  den  wir  unserem  Dichter  ganz  vindiciren. 

*)  Niebt  sowohl  als  ein  „Marterl,^  d.  h.  ein  Zeichen,  dass  hier  ein  Mensch  eines 
gäben  Todes  gestorben,  sondern  um  die  Stelle  vorläufig  zu  bezeichnen,  und 
diss  der  Leichnam  unberührt  liegen  bleibe,  bis  man  ihn  feierlich  einboje. 


15< 

Mutter  ihm  geheissen,  Rath  za  nehmen  von  dem  der  grane Locken  hat; 
daffir  will  ich  Euch  dankbar  sein.  Der  Fürst  warf  einen  Sperber  von 
der  Hand,  seine  goldenen  Schellen  klangen,  so  schwang  er  sich  als 
Bote  gleich  in  die  Borg,  von  der  viele  Juncherren  kamen,  den  Gast  zn 
empfangen  nnd  Gremach  zu  schaffen.  Da  ergibt  sich  neue  Noth,  nur 
mit  Mühe  bringt  man  den  Knaben  da2n,  vom  Pferde  zu  steigen:  ein 
König  habe  ihn  Ritter  geheissen,  entgegnet  er,  und  was  ihm  auch 
darauf  geschehe,  er  gehe  nicht  herab.  Als  sie  ihn  dami  in  einer  Ke- 
menate entwappneten  und  die  Ribbalin  nnd  das  Thorengewand  erblick* 
ten,  erschracken  sie  und  melden  es  dem  Ritter,  der  selbst  hingeht  und 
ihm  die  Quetschungen  und  Wunden,  die  ihm  die  Rüstung  verursacht, 
verbindet;  darauf  ass  Parcival  mit  grosser  Lust  und  schlief  die  Nacht, 
ohne  sich  umzuwenden.  Am  Morgen  »teht  ein  Bad  bereit ')  und  neue 
prächtige  Gewände,  die  ihm  herrlich  stehen,  liegen  auf  seinem  Bette. 

Zuerst  föhrt  ihn  der  Wirth  zur  Messe  und  lehrt*  ihn! ,  was  zum 
Heil  der  Seele  dient:  opfern,  sich  segnen  und  gegen  den  Teufel  sich  zu 
bewahren;  darauf  erzählt  Parcival  beim  Frühstück  offenherzig  Alles, 
wie  er  von  der  Mutter  zog,  von  Ring  und  Spange,  wie  er  den  Harnisch 
gewann,  den  det*  Ritter  wohl  kannte  und  tief  darüber  erseufzte.  Dann 
begann  Gumemanz  ernst  und  liebreich:  „Ihr  redet  wie  ein  Kind;  föhrt 
die  Mutter  nicht  immer. im  Munde  und  haltet  Euch  an  meinen  Rath: 
Legt  nie  die  Scham  von  Euch ,  habt  Erbarmen  mit  der  Noth  und  seid 
dem  kummerhaften  werthen  Mann  zur  Hilfe  bereit,  denn  so  Einer  ist 
übler  daran  als  die  nach  der  Thüre  gehen  wo  das  Fenster  steht  Seid 
bescheiden  unter  allen  Verhaltnissen,  das  rechte  Maass  sei  Euer  Orden, 
lasst  allen  Unfug,  fragt  nicht  allzuviel,  versagt  aber  nidit  bedachte 
Gegenrede,  Ihr  mögt  hören  und  sehen,  spähen  und  merken. 
Paart  Erbannung  mit  Kühnheit  (vrävel);  wer  im  Streite  Euch  Sicher- 
heit bietet,  die  nehmt  und  lasst  ihn  leben.  So  oft  ihr  die  Waffen  ab- 
legt, wascht  Augen  und  Hände  vom  Rost  des  Eisens,  so  seid  Ihr  schönei. 
Seid  mannlich  und  wohlgemuth,  das  ist  zu  werthem  Preise  gut,  haltet 
die  Frauen  in  Ehren,  das  theuert  jungen  Mann,  gebt  nie  dem  Wankel- 
muth  Euch  hin:  das  ist  rechter  mannlicher  Sinn,  obwohl  Ihr  sie  leicht 
belügen  könntet,  was  Euch  aber  kein  Lob  einbringt.  Auf  Strauchwegen 
und  Katersteig  (ungeverte  und  hämit  *)  erblühen  nur  üble  Händel ;  ver- 


')  Die  hübsche,  ausführliche  Schilderung  166,  25  —  167,  HO.  Einen  lehrreichen 
Commentar  dazu  gibt  das  Bild  der  Pariser  HS.  wo  Herr  Jacob  von  Warte 
von  vornehmen  Fräuleins  gebadet  wird.  Vgl.  v.  d.  Hagen  in  den  Abhaodl. 
der  Berliner  Akademie.  1852.   S.  825  und  Tafel  III. 

^)  hdroit  eigentlich  Umsjiunung,  Behausoag. 


JÄ7 

wirkt  Ihr  die  ncahre  Minne,  so  habt  Ihr  immer  Schmach  und  Pein. 
Nehnit  Euch  auch  das  zu  Herzen,  was  ich  Euch  von  Weibes  Orden 
sagen  will.  Mann  und  Weib  sind  Eins,  wie  die  Sonne  und  der  Tag, 
die  man  nicht  scheiden  kann,  sie  blühen  aus  einem  Kern;  das  merket 
Euch  wohl.** 

Parcival  dankte  verneigend.  Von  der  Mutter  sprach  ,er  nicht  mehr, 
hielt  sie  aber  fest  im  Herzen.  „Nun  lernt  aber  auch  Kunst  und  ritter- 
liche Sitten!  ich  sah  schon  manche  Wand,  an  der  ein  Schild  besser 
hing  als  Euch  am  Hals.  Es  ist  noch  Zeit,  also  in*s  Feld!  Bringt  sein 
Ross  und  mir  das  meine  und  jedem  Ritter  das  seine,  auch  die  Junker 
sollen  kommen,  jeder  mit  einem  starken  Schaft.''  So  ging  es  auf  den 
Plan  hinaus ,  wo  mit  Reiten  Kunst  geschah ,  er  lehrte  seinen  Gast 
mittelst  Sporen  im  Galop  (walap)  fliegen,  auf  den  Gegner  schwenken, 
rechte  den  Schaft  zu  senken  und  den  Schild  zum  Tjost  vor  sich  zu 
nehmen.  Dann  tjostirten  sie  und  der  ^jungelic**  setzte  einen  starken 
Ritter  richtig  hinter  das  Ross,  und  zielte  so  wadcer  auf  die  vier  Nägel 
des  Schildes,  dass  er  der  Reihe  nach  Fünfe  niederstach  und  die  Splitter 
über  das  Feld  flogen,  und  Gurnemanz,  der  an  seinen  Söhnen  viel  Leid 
erfahren,  in  der  Freude  über  diesen  jugendlichen  Helden  sich  ganz  ver- 
jungte  und  neu  auflebte.  Wie  sie  darauf  Abends  zu  Tische  gehen,  wo 
auch  des  Wirthes  Töchterlein,  die  schöne  Liäze  erscheint,  mahnt  er 
vorerst  noch  stichelnd  den  Gast,  ihr.  kein  Fingerlein  und  Spange  zu 
nehmen;  doch  darf  er  sie  küssen.  Die  Beiden  sitzen  vor  dem  Vatf^r 
zusammen,  mit  ihren  blanken  Händen  schnitt  sie  dem  Gaste  vor. 

Vierzehn  Tage  blieb  er  noch  hier,  dann  glaubt*  er,  dass,  ehe  er 
in  Franenarmen  erwärmen  dürfe,   er  sich  zuerst  in  ritterlichen  Thaten 
l^ewähren  müsse,  so  bittet  er  denn  eines  Morgens  um  Urlaub  und  Gur- 
nemanz gewinnt,  neuen  Gram  in*s  Herz,  da  er  nun  in  Parcival,  den  er 
vielleicht  gerne  mit  Liäze  verbunden  hätte,    seinen  vierten  Sohn  ver- 
loren sieht    Parcival  aber,  der  das  wohl  merkt,  verspricht  wieder  zu 
l^ommen,    wo    ihm    der  Vater  dann   wohl   die  schöne  Maid  gewähren 
"^rerde.  — 

IV.     Die  Unterweisung  des  alten  Ritters  Gurnemanz,  welcher  die 
XLebren  seiner  Mutter  erweitert,  ergänzt  und  berichtigt  hat,   verursacht 
^inen  tiefen  Eindruck  auf  den  Jüngling;  nun  sind  ihm  die  Angen  plötz- 
lich aufgethan ,  staunend  und  verwirrt  findet   er  sich  in  .  einer  neuen, 
*  xinbekannten  Welt.    Gedanken,  die  bis  dahin  schliefen,  regen  unruhvoll 
3ein  Herz  auf;  es  ist  ein  neuer  Lebensabschnitt  ftlr  ihn  eingetreten 


168 


179,  , 

18.  im  war  diu  wite  zenge, 

und  oucti  diu  breite  gar  ze  smal : 

elliu  grüene  in  dühte  val, 

sin  röt  harnasch  in  dühte  blanc 


Ihm  war  die  Weite  zu  eoge, 
Und  auph  die  Breite  gar  zu  schmal, 
Al)e  Grüne  däucht  ihm  fahl, 
Sein  rother  Harnisch   däucht   ihm 

weiss. 


So  täuschte  sein  Herz  die  Augen,  seit  er  der  Einfalt  ledig  ward 
(Sit  er  tumpheit  äne  wart) ;  die  Gahmurets-Art  Jiess  ihm  nicht  die  (Je- 
danken  nach  der  schönen  Liäze,'  die  ihm   „gesellecliche"  P^hre  sonder 
Minne  geboten.    Er  liess  sein  Ross  nach  Belieben  laufen  auf  den  unge- 
bahnten Waldwegen,    doch  ritt  er  wenig  irre,   sondern  gelangte  durch 
wilde  Gebirge  in  das  Königreich  Br6barz  da  schon  der  Tag  zum  Abend 
bog.    An  einem  lustigen  Wasser  herniederreitend  kam  er  an  die  Stadt 
Pelrapeire,   die  König  Tarapenteire  an  sein  Kind  vererbt  hatte.     Wie 
ein  wohlbeviderter  und  geschnittener  Bolz  von  der  Armbrust,  so  schoss 
das  Wasser  dahin,  über  das  eine  schaukelnde  Brücke  führte.  An  dreissig 
Ritter  standen  drüben,  die  unseren  Parcival  für  ClämidS  hielten  und  um 
Kampf  anriefen,    sich  aber  schnell  von  dannen  machten,   als  Parcival 
übersetzte.     Er  pocht  an  einer  Pforte  und  rief,   bis  eine  Jungfrau  am 
Fenster  erschien ,   ihn  der  Königin  meldete  4ind  dann  einliess.  .  In  den 
Strassen  stand  viel  Volk,    alle  bewehrt.    Schleuderer  (slingaere)   und 
Edelknechte  (patelierre), ')  viel  scharfe  Schützen  (arger  schützen  harte 
yil),   auch  sah  er  kühne  Kriegsknechte  ^)    mit  langen  starken  Lanzen, 
auch  fand  sich  mancher  Kaufmann  mit  Beilen  (haschen ')  und  Gaby- 
loten.    Der  Marschalc  bricht  ihm  Bahn  auf  den  Hof,  der  wohl  gerüstet 
war:  Thürme  über  Kemenaten,  Kriegs-  und  Schut^häuser  (perfrit^)  und 
Erker  waren  so  viele  da,  wie  Pardval  nie  geschaut.    Allenthalben  er- 
schienen zu  Fuss  und  zu  Ross  Ritter,  die  ihn  begrüssen,  aber  jänmer- 
lich  aussahen,  aschenfärbig  und  fahl  wie  Leim.  «Mein  .Herr,  der  Graf 
von  Wertheim,*)   fügt  Wolfram   bei,    wäre   da  ungern  in   Dienst 
(soldier)  gewesen.    Der  Mangel  (zadel)  fügte  ihnen  Hangers  Pein,  sie 


')  Patelier,  patelirre  vgl.  bechelier  und  watschelier,  Edelknappe,  junger  Ritter; 
SimrocK  gibt  das  mit  Schiff^soldaten.  Baccalaria  ist  im  Provenz.  ein  kleines 
Gütchen,  das  seinen  Besilzer  nur  nolbdttrflig  ernihrl,  so  dass  er  durch  ao- 
deren  Dienst  noch  für  sich  sorgen  muss. 

*)  Sarjande  (nach  Benecke  von  servientes  abzuleiten,  mit  dem  Französ.  sergenl 
verwandt),  ihre  eigentliche  Bewaffnung  ist  hier  die  Lanze;  im  Wigalois 
tragen  sie  auch  gabylot  und  atiger,  buggeler,  swert  und  bogen. 

')  hdsche,  hftsche,  Hacke,  Beil.    . 

**)  wIchhQs,  Krieffshaus,  perfrit,  vgl.  bercvrit,  bfirc-vrit,  beflfh)y,  ein  befiBstigter 
Thurm,  zuweilen  auch  mit  einer  Glocke  versehen.  Vgl  Wigalois,  10978. 

»)  Vgl.  oben  S.  1 18  IT. 


159 

hatten  weder  Rftse,  Fleuch  noch  Brod  und  Hessen  das  Zfthnenstfli^n 
(zenstöreD)  und  schmatzten  auch  keinen  Wein  mit  ihrem  Mnnde  wenn 
sie  tranken,  der  Wanst  (wambe)  war  ihnen  niedergesunken,  ihre  Hüften 
hoch  und  mager,  eingeschrumpft  wie  ungarisch  Leder  lag  ihnen  die 
Haut  um  die  Rippen,  der  Hunger  hatt*  ihnen  das  Fleisch  benommen. 
Dazu  zwang  sie  der  werthe  KOnig  Brandigän,  weil  Clämidd  vergeblich 
geworben.  Aus  Zuber  und  Kanne  goss  sich  selten  der  Meth  und  keine 
Truhendinger  Pfanne  hörte  man  von  Krapfen  erschreieii. ')  Doch,  fährt 
der.  Dichter  humoristisch  über  seine  eigene  Annuth  fort,  darf  ich  ihnen 
das  nicht  verdenken  ohne  „harte  kranken  sin^  zu  verrathen: 


184, 

29.  wan  da  ich  dicke  bin  erbeizet 
und  da  man  mich  herre  heizet, 

185, 

da  heime  in  min  selbes  hds, '} 
da  wirt  gefreut  vil  selten  müs. 
wan  diu  müese  ir  spise  stein : 
die  dörfte  niemen  vor  mir  heln : 

• 

5.  ine  vinde  ir  offenltche  niht. 
alze  dicke  daz  geschiht 
mir  Wolfram  von  Eschenbach: 
daz  ich  dulte  alsolch  gemach. 


Denn  wo  ich  oft  bin  eingekehrt, 
Und  wo  man  mich  als  Herren  ehrt, 

Daheim  in  meinem  ^ignen  Haus 
Freut  auch  sich  selten  eine  Maus« 
Die  Maus  muss  ihre  Speise  stehlen ; 
Die  braucht  man  nicht  vor  mir  zu 

hehlen. 
Ich  finde  keine  offen. 
Zu  oft  hat  das  betroffen 
Mich  Wolfram  von  Eschenbach, 
Zu  erdulden  solch  Gemach. 


Die  Ritter  schämen  sich  desshalb  beinahe  den  edlen  Gast  zu  em- 
pfangen,  der,    nachdem  er  sich  an  einem  Brunnen  gesäubert^   nur  um 
so  herrlicher  strahlte.    Man  breitete  ihm  Teppiche  unter  eine  schattige 
Zjinde  und  bot  ihm  schöne  Gewände,    dann  laden  sie  ihn  zur  Köpigin 
Condwir  ämürs,   die  ihm   der  Sitte   gemäss  den   rothen  Mund  zum 
K^usae  bietet.    Sie  sitzen  zusammen,  aber  ParcivaV  schweigt.    In  seines 
Herzens  tiefem  Grunde  regen  sich  schwere  Gedanken;  wie  er  früher  zu 
Nantes  in  jedem  Ritter  einen  Artus  wähnte,  so  sinnt  er  nun  nach,  wie 
^es  werthen  Gamemanz  Kind  hie  und  dort  zugleich  sein  könne  (Liäze 
i.st  dort,  Liäze  ist  hie).     Doch  war  Liäzens  Schöne  nur  ein  Wind  in 
Vergleich  mit  der  die  hie  sass,  an  welcher  Gott  keinen  Wunsch  vergass. 
>ie  glich  der  thauigen  Rose,  die  aus  ihrem  Bälgelein  CKnospe)  weiss 


')  1S4,  24:  „ein  TrUhendinffer  phanne  mit  krsphen  selten  dd  ersihrei:  in  was 
der  selbe  dön  enswei.^  Vgl.  oben  S.  121.  HobentruheodiDgen  war  ein  im 
Mfirkgrafentlium  Anapach  gelegenes  Bergschloss  und  Amt,  das  früher  eine 
GrafschafI  war  nod  nach  dem  Tode  der  Brüder  Otto  und  Konrad  theils  an 
die  Barggrafen  vou  Nürnberg,  theils  1366  an  das  Kloster  Lanckheim  gelangte. 

*)  das  h6m  ist  neift  die  ganze  Burff  mit  allen  ihren  einzelnen  Gebunden  und 
HöCeo,  alias  was  innerliaH)  der  Ringinaaer  liegt.  Vgl*  Ben  ecke  Wigalois. 
S.  628.     ^ 


m 

und  roth  bricht«  Das  fügte  dem  Gaste  grosse  Noth,  deoa  seiae  Zneht 
war  nianulich  seit  Guri^emanz  ihn  von  der  Einfalt  schied  und  alles  an*- 
nöthige  Fragen  widerrieth  —  so  sitzt  sein  Mund  nun  ohne  WorU  Die 
-Königin,  die  nicht  weiss ,  wie  sie  das  Schweigen  zu  deuten,  beginnt  die 
Rede  und  erfahrt  mit  Freuden,  dass  der, Ritter  von  ihrem  Verwandten 
komme,  denn  Gumemanz*  Schwester  war  ihre  Mutter.  Sie  bittet  Parcival 
in  Greduld  hier  vorlieb  zu  nehmen.  Ihre  Oheime,  Kydt  und  Manphiljöt, 
die  nach  Schoisianei^  Tod  sich  des  Schwerts  begeben  haben  und  als 
Einsiedler  befriedet  im  Gebirge  wohnen;  senden  ihr  einige  Lebensmittal, 
mit  denen  das  schwache  Volk  gelabt  wird.  Pairdval  geht  zu  Bette,  sein 
Lager  ist  ganz  königlich  bereitet  und  die  ganze  Nacht  über  brennen 
davor  bessere  Kerzen  als  von  Schaub.  ^  In  der  Nacht  aber  schleicht 
sich  die  Königin,  nicht  von  Minne,  welche  die  Maid  zum  Weib  macht, 
sondern  von  Kummer  und  Noth  getrieben,  im  weissseidenen  Nachtge- 
wände/  einen  fothsammtenen  Mantel  umgeschlagen,  nach  Parcivals  Ke- 
menate, kniet  auf  dem  Teppich  vor  ihm  nieder  und  bittet  unter  Thränen 
um  seinen  Beistand.  Parcival  verweist  ihr  vor  ihm  zu  knien,  er  bietet 
ihr  sein  Lager  und  will  selbst  anderswo  Ruhe  suchen,  da  setzt  sie  sich 
mit  dem  Beding ,  mit  ihr  nicht  zu  ringen  Qsie  nicht  zu  berühren) ,  bei 
ihm  nieder;  den  Frieden  versprach  er,  und  so  schmiegt  sie  sich  an 
sein  Bette. 

War  es  nun  gleichwohl  schon  spätem  so  krähte  doch  kein  Hahn, 
denn  die  Hahnenbalken  (hanbonme)  standen  lauge  schon  leer,  weil  der 
Mangel  die  Hühner  herabgeschossen.  ^^Sag*  ich  Euch  meine  Klage, 
beginnt  die  Frau,  so  fUrchte  ich,  sie  wendet  Euch  den  Schlaf.  Mir  hat 
der  König  Clämide  und  sein  Seneschal  Kingrnn  Burgen  und  Land  verr 
wüstet  bis  gen  Pelrapeire.  Mein  Vater  Tampenteire  starb  und  Hess  mich 
als  arme  Waise  zurück  in  grosser  Noth  (in  vorhteclichen  vreisen). 
Magen,  Fürsten  und  Mannen  starben  mir  in  der  Wehr  zuni  g^össten 
Theil.  Wann  mag  ich  Aermste  froh  werden?  Ich  bin  so  weit  gekommen, 
dass  ich  mich  selbst  tödten  will,  ehe  ich  mein  Magetum  gebe  und  Qa- 
mides  Weib  werde,  denn  seine  Hand  erschlug  mir  Schenteflflm,  dessen 
Herze  hohen  ritterlichen  Preis  trug,  der  Mannes  Schöne  ein  blühend 
Reis,  den  Bruder  Liäzens.^  Liazens  Name  macht  dem  dienstbereiten 
Parcival  neuen  Kummer.  Sein  hoher  Muth  sank  ihm  (sin  höher  muot 
kom  in  ein  tal)  und  seine  Minne  zu  Liäzen  berieth  ihn  so:  ^Fraue, 
kann  Euch  Etwas  trösten?^  -^  ^Ja  Herre,  wenn  ich  von  Kingrdn  er- 
löst würde;    er  fällte  mir  im  Tjost  viele  Ritter,   und  kommt  morgen 

')  seboup,  Strohwische,  gewundenes  $lrob,  dts  uim  Brenoen 'bestimml  ist^  Ssn- 
Marte  überseUt  „FirhteDSfOIhBe.'^  Vgl.  auch  Koarad  von  WirÜMirg.  Euffel- 
bart  V,  4781,  ^ 


161 

wieder;  er  wähnt,  sein  Herr  müsse  in  meinem  Arme  liegen;  aber  lieber 
spränge  ich  von  meinem  hohen  Palas  nieder  in  den  Graben.^  Da  ver- 
spricht •  Parcival ,  es  mit  Kingrün,  er  sei  ein  J^Vanzose  oder  Bretone 
(Franzoys  oder  Bertün)  anfzanehmen  und  getrost,  ohne  dass  es  Jemand 
gewahr  wird,  schlich  sie  wieder  zurück. 

Als  der  Sonnen  Glast  durch  .die  Wolken  drang ,  klangen  die  Kir- 
chenglocken und  das  Volk  ging  zum  Münster,  wo  der  Königin  Kapellan 
ihr  und  dem  Gaste  den  Grottesdienst  sang.  Nach  dem  Segen  waffnet 
sich  Parcival  und  begegnet  bald  dem  feindlichen  Heere,  dem  Kingrün 
voransflog.  Dieser  und  der  Sohn  des  König  Gahmuret  nahmen  einen 
solchen  Anlauf  (poinder) ,  dass  beider  Rosse  von  dem  Tjost  gürtellos 
wurden,  die  Darmgürtel  brachen  und  die  Pferde  in  die  Hachsen')  sassen. 
Dem  Senneschall  war,  als  ob  ein  Schleuderwerkzeug  (pfeteraere)  mit 
Würfen  über  ihn  käme ;  sechse  hatte  er  früher  abgeworfen  und  nun  kam 
Parcival  mit  seiner  ^ellenthaften  hant^  über  ihn.  Sie  griffen  zu  den 
Schwertern,  schon  trug  Kingrün  in  Arm  und  Brust  Wunden,  da  erklang 
ihm  ein  Schlag  durch  den  Helm,  Parcival  zwang  ihn  nieder,  setzte  ihm 
an  die  Brust  das  Knie  und  bot  zum  ersten  Male  Sicherheit,  wenn  der 
Senneschall  an  Artus  Hof  zu  der  Jungfrau  sich  begebe,  die  bei  seinem 
Ausritt  geschlagen  worden  war. 

Die  junge  Königin  empfängt  den  heimkehrenden  Sieger,  der  heute 
zum  ersten  Male  Schwerterstreit  so  tapfer  geübt,  mit  Jubel  umarmt  sie 
ihn  und  drückt  ihn  fest  an  den  Leib  mit  der  Betheuerung,  keines  An- 
deren Weib  j^nals  werden  zu  wollen.   Auch  die  Bürger  sind  ihm  hold 
«od  bereit  Treue  zu  schwören.     Gleichzeitig   ersah  man  vom  Thurme 
zwei  braune  Segel ,  deren  Kiele  wohl  mit  Speise  beladen  waren ,    was 
einen  freudigen  Aufruhr  erregt.     Parcival  bezahlt  die  Ladung  doppelt 
ond  den  Burgern  träufelte  es  nun  auch  wieder  in  die  Kohlen.     „Nun 
wäi*  ich  auch  gern  Söldner  hier,^   sagt  der  Dichter.    Niemand  trank 
mehr  Bier  (hier),  sie  hatten  vollauf  Wein  und  Speise,  doch' gab  Parcival 
iv-ohl  acht,  dass  ihre  speiseentwöhnten  Mägen  nicht  in  Ueberfiille  cüber- 
kjrüpfe)  genossen.    Darauf  jiielt  er  mit  der  Königin  das  Beilager,  doch 
unschuldig  waren  die  Beiden,  dass  er,  den  mau  den  rothen  Ritter 
sss,  der  Königin  ihr  Mfigdthum  liess,  sie  aber  am  Morgen  ihr  Haar 
^£ix;h  Frauensitte  hinaufband;')  Burgen  und  Land  legte  die  jungfräuliche 


*  J  197,  8:  „ietweder  ors  üf  hähseo  saz;^  hahse,  die  Hachse,  bei  uns  noch  in 
dem  volksihQmlicheir  ,,Haxen  ^ 

^  )  202,  25:  Jr  boubet  bant."^  Es  war  Sitte,  dass  die  junge  Frau,  die  als  Braut 
noch  das  langfliessende  Haar  getragen  hatte,  am  Morien  nach  der  Braut- 
Dacht  ihre  Haartracht  änderte;  sie  schürzte  das  lose  Haar  zusammen  und 
legte  die  Frauenbinde  um  die  Stirne,  sie  „band  ihr  Haupt^  war  der  Ausdruck 

11 


162 

Braut  (magetbaeria  brüt)  ihrem  Herzenstraat  in  die  Hand.  Zwei  Tage 
waren  sie  so  in  anschuldiger  Liebe  glücklich,  erst  in  der  dritten  Na^ht, 
nachdem  Parcival  öfter  das  Umfahen,  von  dem  ihm  seine  Matter  und 
Gumemanz  gesprochen,  bedacht,,  dass  Mann  und  Weib  untrennbar 
wären,  umfingen  sie  sich  zärtlich  und  ^in  war  wol  und  niht  ze  we.* 
Nur  Clämide  tobt  draussen  im  Schmerz  der  Verzweiflung,  wie  er  einen 
Anderen,  nach  seiner  Meinung  gar  den  {ther  von  Kükunerlant  (dessen 
Rüstung  Parcival  trug)  im  Besitz  des  geliebten  Weibes  weiss,  so  fordert 
er  den  glücklichen  Nebenbuhler  zum  Zweikampf  und  verspricht  mit 
seinem  Heere  abzuziehen,  wenn  er  hier  unterliegen  sollte.  Er  muss 
auch  wirklich  nach  vergeblicher  Wehr,  und  obwohl  bisher  ungewohnt 
zu  Flehen,  um  Sicherheit  bitten  und  von  Parcivals  mildem  Sinne  das 
Leben  um  Knechtschaft  bei  Cunnewäre  nehmen,  ,da  er,  wie  sein  Senne- 
schal  nicht  zu  Gurnemanz  gehen  will,  denn  auch  er  hatte  einen  seiner 
Söhne  erschlagen.  Die  von  der  Tafelrunde  aber  waren  mit  König  Artus 
zu  Dianazdrün  versammelt  um  den  „pfinxtac*^  zu  begehen;  da  gab  es 
mehr  Zeltstangen  als  Bäume  im  Spessart  (Spehteshart);  ein  ganzes  Heer 
von  Frauen  lag  unter  den  Reiselachen,  denn  jede  Frau  glaubte,  sie  ver- 
liere den  Preis,  wenn  sie  nicht  ihren  „ämis^  bei  sich  hätte.  Ich  brächte, 
fugt  der  Dichter  bei,  meine  Frau  ungeme  in  so  grosses  Gedränge 
(216,  28).  Hier  hatte  die  Ankunft  des  Senneschal,  noch  mehr  die  des 
berühmten  Clämide,  grosse  üeberraschung  erregt. 

ZuPelrapeire  ward  das  verwüstete  Land,  das  nun  Parcival  regierte, 
neu  bestellt,  Freude  und  Schall  erhob  sich;  sein  Schwäher  Tampenteire 
Hess  ihm  lichtes  Gesteine  und  rothes  Gold,  das  vertheilte  er;  mit  vielei 
Bannern  und  neuen  Schilden  ward  das  Land  geziert  und  fleissig  Ritter- 
spiel getrieben.  Die  junge,  süsse  werthe  Königin  aber  hatte,  was  ihr 
Herz  wünschte,  ihre  Minne  blühte  ohne  allen  Wank,  sie  hatte  seinen 
Werth  erkannt  und  er  war  ihr  so  lieb,  wie  sie  ihm.  Da  bat  eines 
Morgens  der  Werthe  um  Urlaub,  um  zu  schauen,  wie  es  um  seine  Mutter 
stehe,  vielleicht  treffe  er  unterwegs  auch  manches  Abenteuer,  seiner 
Holden  zur  Ehre.  Er  war  ihr  zu  lieb,  um  ihm  etwas  zu  versagen,  so 
schied  er  von  allen  seinen  Mannen.  Wir  lassen  ihn  nun  reiten  und  wer 
es  gut  mit  ihm  meint,  der  wünscht  ihm  Heil,  denn  er  geht  hoI;Ler  Pein, 
vielleicht  auch  Freude  und  Ehre  entgegen. 


dafür.  —  Statt  der  Mor^enfabe  jedoch,  die  der  Mann  der  Braut  xu  ffebe^^ 
häUe,  legi  hier  sie,  die  Königin,  Burgen  und  Lande  ihrem  Gatten  m  di-^^ 
Hand.  -  Merkwürdig  ist,  dass  Wolfram  hier  die  kirchlidhe.  Einaegnun^^^ 
wahrseheinlich  weil  selbstverständlich,  nicht  erwähnt. 


168 

V.   Parchral  ritt  an  dem  Tage  so  weit,  wie  kanm  ein  Vogel  er«- 
ffi^n  mag,  mid  kam  Abends  an  einen  See,  wo  ein  Waidmann  geankert 
liatte,  den^  der  See  gehörte.   Parcival  wendet  sich  an  den  Fischer,  der 
lierrlieh  gekleidet  war  und  einen  Pfauenhut  trug,  mit  der  Frage  nach 
einer  Herberte,   der  aber  erwiedert,  dass  er  im  Umkreis  von  dreissig 
Heilen  nnr  e^n  Haus  wisse,  das  er  aber  gut  empfehlen  könne:  „kommt 
Tbr  glücklich  ohne  Irre  hin,  so  bin  ich  selbst  Euer  Wirth.^     Parcival 
folgt  den  bezeichneten  Wegen  und  gelangt  an  die  Burg,   die  wie  ge- 
drechselt sich  erhob,  so  dass  dem  Feinde  nur  der  Weg  durch  die  Luft 
bleibt,  kämen  alle  Völker  der  Welt,  sie  könnten  ihr  in  dreissig  Jahren 
kein  Brod  abnehmen.    Ein  Knappe  ruft  ihn  am  Graben  an  und  lässt 
erst  auf  die  Antwort,  dass  ihn  der  Fischer  hergewiesen,  die  Zugbrücke 
nieder,  und  Parcival  ritt  in  einen  weiten  Hof,  wo  das  hohe  Gras  nicht 
niedergetreten  war  und  deutlich  zeigte,    dass  das  fröhliche  Spiel   4^8 
Buhurdiren  und  Bannerreitens,  wie  auf  dem  Anger  zu  Abenberg, 0 
seit  langer  Zeit  nicht  stattgefunden.  Die  Ritter  empfingen  ihn  und  kleine 
JnnchSrrefin^  sprangen  in  Masse  herbei,  nahmen  den  Zaum,  hielten  den 
Stegreif,  und  halfen  ihm  herab,  die  Ritter  führten  ihn  in  sein  Gemach, 
wo  er  mit  Zucht  entwapent  ward;  er  wusch  sich  und  sah  aus  roiimig- 
lich  wie  der  Tag;  einen  Mantel  von  arabischen  Pfeilen,  den  die  Königin 
Repanse  de  schoye  getragen,  legte  man  ihm  um.   In  dem  Palas,  wohin 
sie  gingen,  hingen  hundert  Kronen  mit  Kerzen  hernieder,  auch  brannten 
kleine  Kerzen   an  der  Wand.     Hundert  Betten   mit  Polstern  (kulter) 
standen  da,   auf  denen  je  vier  Gesellen  niedersassen ,   schöne  Teppiche 
lagen  davor.  Drei  viereckige  Feuerrahmen  waren  von  Marmor  gemauert, 
darauf  Aloeholz  brannte;   wer  hat  je  so  grosse  Feuer  hie  zu  Wilden- 
berg*) gesehen?     An  das  mittlere  setzte  sich  auf  ein  Spannbette  der 
traarige  Wirth,  er  und  die  Freude  schienen  in  Fehde  gekommen  zu  sein: 
Der  Jammerreiche,  der  seiner  Siechheit  wegen  grosse  Feuer  und  warme 
K.leider  nöthig  hatte,  liess  Parcival  an  seine  Seite  sitzen;    Zobel  und 
I^elze  trug  er  unter  dem  Mantel,   von  denen  der  geringste  Balg  noch 
stbar  war,  auf  dem  Haupte  trug  er  eine  theuere  Mütze  mit  arabischen 
orten  und  einem  Rubinknöpflein. 

Als  die  Ritter  sassen,   sprang  ein  Knappe  zur  Thüre  herein  mit 
iner  von  Bhite  tropfenden  Lanze  (glavie)^    deren  Anblick  im  ganzen 
Weinen  und  Klagen   brachte;    er  trug  den  Speer  an  den   vier 
"^Wänden  umher   und   sprang  dann  zu  derselben  Thüre   wieder  hinaus. 
13arattf  öffnete  sich  am  Ende   des  Saales  eine  stählerne  Thür  und  es 


*)  327,  7  fr.   Vgl  oben  S.  120. 
*)  230,  12.  Vgl.  oben  8.  122. 


164 

erschienen  zuerst  zwei  liebliche  Jungfrauen,  blumenbekränzt,  die  goldene 
Leuchter  (l^erzstal)  mit  brennenden  Lichtem  brachten,  das  war  die 
Gräfin  von  Tenabroc  und  ihr  Gespiel,  jede  trug  einen  braun  scharla- 
chenen  Rock,  der  mit  zwei  Gürteln  schön  geschürzt  war.  Nach  ihnen 
kam  eine  Herzogin  und  ihr  Gespiel,  die  zwei  Stollen  0  ^on  Helfenbein 
brachten  und  unter  Verbeugungen  vor  den  Wirth  setzten.  Darauf  kamen 
wieder  acht  andere,  von  denen  die  eine  Hälfte  grosse  Kerzen,  die  andere 
eine  kostbare  Tischplatte  aus  edel  Gestein  trugen,  diese  hatten  gras- 
grüne Röcke  von  Sammt  aus  Azagouc,  wieder  Andere  trugen  auf  Hand- 
tüchern zwei  Messer,')  die  obwohl  von  Silber,  doch  Stahl  durchschnitten 
hätten ,  vier  Kinder  Jeuchteten  ihnen  vor.  Darauf  nahten  sich  andere, 
in  fremdländische  Stoffe  gekleidete  Frauen .  und  endlich  erschien  die 
Königin  Bepanse  de  schoye,  die  auf  einem  grünen  Achmardi  (arabischen 
Seidenzeug)  den  Wunsch  des  Paradieses  trug;  ^daz  was  ein  dinc,  daz 
hiez  der  Gral,"  der  alle  Erdenwünsche  zu  ^enden  vermag.  Vor  ihm 
trug  man  sechs  lange  Gläser  mit  brennendem  Balsam;  dann  neigten 
sich  Alle,  sie  setzte  das  Gefäss  vor  den  Wirth  und  stellte  sich  in  die 
Mitte  ihrer  Gespielen,  so  dass  sie  zu  jeder  Seite  deren  zwölfe  hatte. 

Nun  trat  zu  je  vier  Rittern  immer  ein  Kämmerer  init  einem  gol- 
denen Becken  und  einem  Junker,  der  eine  weisse  Twehle  (Handtuch) 
trug,  hundert  Tafeln  brachte  man  herein  und  setzte  je  eine,  vor  der 
werthen  Ritter  vier,  weisse  Tischlachen  kamen  darauf.  Als  der  Wirth 
Wasser  nahm,  wusch  sich  auch  Parcival,  knieend  hielt  ihnen  ein  Grafen- 
söhn  das  seidene  Handtuch.  Zwei  Knappen  schnitten  knieend  vor,  zwei 
Andere  trugen  Trank  und  Speise  dar,  Auch  zog  man  vier  Wagen  (kar- 
räschen)  mit  goldenen  G^fassen  herum,  hinter  jedem  ging  ein  Schafiher 
(schriber,  Tafelaufseher)  nach,  der  auf  Alles  gehörig  acht  hatte.  Hundert 
Knappen  nahmen  sittsam  von  dem  Grale  das  Brod  in  weisse  Tücher 
und  vertheilten  dasselbe  an  den  Tafeln.  Vor  dem  Grale  aber  stand 
augenblicklich  bereit  was  Einer  nur  wollte,  ob  kalte  oder  warme  Speise, 
Wild  oder  Zahm,  denn  er  gab  Alles  nach  Wunsch  in  Fülle.  In  kleinen 
Goldgefässen  fand  sich  Salz,  Pfeffer  und  Agrass,')  der  Genügsame  wie 


*)  „stölleltn"^  V.  Stolle,  Stütze,  Fuss,  Gestell. 

')  Scharfsinnige  Exegeten  wollen  hierin  eine  Anspielung  auf  Wolframs  Wappen 
finden,  weil  die  oberpfalzischen  Eschenbache  zwei  Scheermesser  in  ibreai 
Schilde  führen  (obwohl  unser  Putrich  von  Reichertshausen  eines  Topfes  er- 
wähnt); dagegen  wire  ungesuchter  die  einfache  Sitte  des  Mittelalters  im  Auge 
zu  behalten,  wo  selbst  bei  den  grössten  Tafeln  Messer  und  Gabeln  immer 
zu  den  Seltenheiten  gehörten.  Doch  ist  der  Gebrauch  dieser  Messer  in  der 
Folge  ganz  deutlich  angegeben.    Vgl.  490,  20  ff .      . 

')  ^agraz"^  Stachelbeersaft  oder  sonst  eine  Art  sauerer  BrOhe,  vom  mitlellateiD. 


165 

der  Fresser  fanden  genug.  Morass,  Wein  und  rothen  Sinopel  —  wonach 
den  Napf  jeglicher  bot,  das  konnte  er  trinken.  So  wurde  von  dem  Gral 
die  Gesellschaft  bewirthet.  Obwohl  Paroival  den  Reichthum  (die  richeit) 
und  das  grosse  Wunder  sieht,  so  wagt  er  doch  keine  Frage,  um  nicht 
gegen  die  Zuöht  zu  Verstössen,  denn  treulich  rieth  mir  Gumemanz 
(bedenkt  er  bei  sich)  ich  sollte  nicht  nach  Allem  fragen;  man  wird 
mich  wohl  noch  bescheiden  und  dann  höre  ich  ohne  Frage,  wie  es  um 
diese  Leute  (massenie)  steht.  Während  er  sich  noch  bedenkt,  ward 
dem  Wirthe  ein  Schwert  gebracht,  dessen  Scheide  (pale)  tausend  Mark 
werth  sein  mochte,  der  Griff  (gehilze)  daran  war  ein  Rubin  und  die 
Klinge  versprach  grosse  Wunder.  Das  schenkte  der  Wirth  seinem  Gaste 
und  sprach:  „Herre!  ich  brauchte  dieses  früher,  bevor  mich  Gott  so 
schwer  am  Leibe  verletzt  hat,  oftmals,  nun  mög*  es  Euch  ersetzen, 
wenn  Ihr  hier  nicht  wohl  gepflegt  sein  solltet.  Habt  Ihr  einmal  seine 
Art  erprobt,  so  führt  Ihr  es  sicherlich  immerdar  in  jedem  Streite.^ 

Weh!  dass  er  auch  da  keine  Frage  that,  denn  als  er  das  Schwert 
empfing,  ward  es  ihm  doch  nahe  gelegt  zu  ft'agen.  Auch  jammert  mich 
der  süsse  Wirth,  der  seines  Ungemaches  nicht  verliert  —  durch  eine 
Frage  wäriB  ihm  Rath  und  Hilfe  geworden!  Nun  war  die  Mahlzeit  zu 
Ende,  die*s  anging  trugen  das  Gerüste  wieder  fort,  man  belud  die  vier 
Wagen,  jedes  Fräulein  that  wieder  ihren  Dienst,  erst  die  letzten,  dann 
die  ersten.  Vor  dem  Wirthe  und  Parcival  neigte  sich  die  Königin  und 
alle  die  Jungfrauen  und  trugen  zur  Thüre  hinaus,  was  sie  hereinge- 
bracht. Parcival  blickte  ihnen  nach  und  ersah  gerade  noch  durch  eine 
Thüre  den  allerschönsten  alten  Mann  auf  einem  Spannbette ,  wie  er 
noch  keinen  gesehen  hatte.  Wer  der  war,  mit  dem  Wirth,  der  Burg 
und  dem  Land,  mach*  ich  eiii  andermal  Euch  bekannt.') 


agresta,  Trauben-  und  Obstsyrup,  der  unseren  heuligen  Senf  repräsentirt.  - 
möraz,  mörz,  Maulbeerwein.  —  Sinopel,  Wein  von  Sinope. 

*)  Wer  der  selbe  waere,  des  Freischet  her  nÄch  raaere.  dar  zuo  der  wirf,  sin 
burc,  sin  lant,  diu  werden!  iu  von  mir  genant,  her  ndch  so  des  wirdet  zlt, 
bescheidenllchen ,  dne  strlt  unde  an  allez  Für  zogen,  ich  sage  die  senewen 
äne  bogen,  diu  senewe  ist  ein  bispel.  nu  dunket  iuch  der  böge  snel:  doch 
ist  sneller  daz  diu  senewe  jaget,  ob  ich  iu  rehte  hin  gesaget,  diu  senewe 
ffelichet  maeren  sieht:  diu  dunkent  euch  die  liute  reht.  swer  iu  sa^et  von 
der  krfimbe,  der  wil  iuch  leiten  ümbe.  swer  den  bogen  gespannen  siht,  der 
senewen  er  der  siehte  gibt,  man  welle  si  zer  hinge  erdenen  s6  si  den  schuz 
muoz  menen.  swer  aber  dem  sin  maere  schiuzet,  des  in  durch  not  verdriu- 
zet:  wap  daz  hdl  dd  ninder  slat,  nnd  vil  gerümecllchen  pfat,  zeinem  ören 
In,  zem  andern  Für.  min  arbeit  ich  gar  verlür,  op  den  min  maere  drunge: 
ich  sagte  oder  sunge,  daz  ez  noch  paz  vernaeme  ein  hoc  odr  ein  ulmiger 
stoc.    d42,  1-30. 


166 

Lasst  nur  bescheidentlich  ohne  Streit 
Der,  Sag*  ihren  Lanf,  und  gönnt  mir  Zeit. 
Denn  als  ein  Gleichniss  für  mein  Erzählen 
Mass  ich  die  Sehne  am  Bogen  wählen. 
Dünkt  schnell  der  Bogen  Ench,  schneller  bleibt 
Doch,  was  die  Sehne  des  Bogens  treibt. 
Die  Sehne  gleicht  den  schlichten  Sagen, 
Die  graden  Weges  zum  Schluss  Euch  tragen, 
Und  die  sind  eben  rechten  Gresellen 
Die  den  Kopf*  nicht  gern  an  Gedanken  zerschellen. 
Doch  führt  Euch  der  Sänger  halb  um  im  Kreis  — 
Was  mag  er  wollen  damit,  wer  weiss? 
Soll  der  Bogen  den  Pfeil  zum  Ziele  jagen 
Zum  hohen,  so  müssen  die  graden  Sehnen 
,  Sich  angespannt  zum  Winkel  dehnen. 
So  soll  auch  der  Dichter  singen  und  sagen 
Um  Euch  wie  den  Pfeil  zum  Ziele  zu  tragen. 
Wen  solche  Biegung  will  verdriessen 
Der  will  mit  gerader  Sehne  schiessen. 
Und  möchte  mich  einer  zu  sich  laden, 
Dass  auf  gemächlichen,  graden  Pfaden  — 
Zu  dem  Ohr  hinein,  zum  andern  hinaus  — 
Der  Sag*  er  folge  —  er  lass  mich  zu  Hans; 
Denn  bei  ihm  niuss  Kunst  und  Arbeit  misslingen. 
Was  ich  auch  sagen  mag  und  singen. 
Es  würde  besser  ein  Bock 
Oder  ein  Ulmenstock 
Meines  Liedes  Sinn  durchdringen! 

Parcival  bot  dem  Wirth  gute  Nacht  und  wurde  von  einem  Theil 
der  Ritter  zu  seinem  Bette  geleitet^  das  gar' prächtig  mit  Pfeilen  und 
Teppichen  belegt  und  von  brennenden  Kerzen  erleuchtet  war.  Jung- 
herren eutschuhten  ihm  die  Beine  und  zogen  ihm  hilfreich  das  Gewand 
ab  und  Parcival  sprang  schnell  in  die  Decklachen,  als  vier  klare  Jung- 
frauen, deren  jeder  ein  Knappe  vorlenchtete ,  erschienen,  die  ihm 
Morass,  Wein  und  Lautertrank  und  in  einer  Serviette  schönes  Obst 
wie  aus  dem  Paradiese,  knieend  anboten.  Parcival  trank  und  ass  noch 
ein  wenig  und  plauderte  mit  ihnen,  die  ihn  gar  gerne  ansahen,  dann 
gingen  sie,  die  Jungherrlein  setzten  die  Kerzen  auf  den  Teppich  und 
hüben  sich  hinweg,  da  sie  ihn  schlafen  sahen. 


167 

Wie  seine  Müitter  in  jener  Nacht  vor   sie  Gahinurets  Tod  hörte, 

von  bösen  Träomen  gequält  war,  so  hat  auch  Parcival  quälende  (Je- 

sichte,  von  Schwertschlägen  und  Lapzenstichen,    so  dass  er   angstvoll 

Adern  und  Gebein  voll  Schweiss^  erwachte,  als  der  Tag  gerade  durch 

die  Fenster  sah.     Da  sich  aber  die  Kinde  noch  nicht  fanden,  ihm  das 

Gewand  zu  reichen,  so  schlief  er  wieder  ein  bis  in  den  hellen  Morgen. 

Nun  sah  er  seine  Waffen  und  die  beiden  Schwerter,  das  seine  und  das 

t  Greschenk  des  Wurthes  vor  sich  liegen,  sprang  verwundert  auf,  waffneffc 

sich  selbst,  weil  ihm  Niemand  half,  und  ging  hinaus,  wo  sein  Ross  mit 

Schild  und  Speer  schon  angebunden  stand.   Aber  das  ganze  Schloss  ist 

leer,  er  mag  rufen  wie  er  will ,  Niemand  naht ,  nur  im  Grase  sieht  er 

Sporen,  dass  Alles  heute  schon  ausgefahren  sein  müsse.   Die  Pforte  ist 

auf  und  viele  Stapfen  gehen  hinaus,  die  Brücke  war  hinabgelassen,  da 

ritt  er  hinüber.   Ein  verborgener  Knappe  aber  zog  schi^ell  das  Seil  der 

Schlagbrücke,  dass  fast  sein  Ross  zu  Fall  gekommen  wäre.     Und  wie 

Parcival  sich  wandte,   um  zu  fragen,  kam  ihm  die  zornige  Rede  des 

Knappen  zu:  ^Ihr  seid  eine  Gans!  hättet  Ihr  den  Mund  gerührt')  und 

den  Wirth  befragt!  nun  bleibt  Euch  grosser  Preis  versagt!"     Parcival 

schrie  um  weitere  Erklärung,  der  Knappe  aber,  recht  als  schlief  er  im 

Gehen,  schlug  die  Pforte  zu.   Zu  frühe  scAied  er  hinweg,  der  schweren 

Z\ns  geben  muss  von  Freuden,  die  ihm  nun  ferne  bleiben.  Die  bitteren 

Sorgen  sind  gedoppelt,    da  er  den  Gral  fand,  mit  seinen  Augen,  ohne 

Hand  und  ohne  Würfel  (äne  würfeis  ecke).  Parcival  dachte,  sie  wären 

heute  frühe  zu  Streit  ausgeritten,  und  beschloss  den  Hufspuren  zu  folgen, 

die  sich  aber  bald  zu  seinem  Leide  verloren.     Darauf  hört  er  eine 

klagende  Frauenstimme.    Sie  kam  von  einer  Frau,  die  auf  einer  Linde 

sass ')  und  einen  todten,  gebalsamten  Ritter  in  ihren  Armen  hatte.  Es 


')  247,  28:  ^möht  ir  geröeret  hdn  den  flaiis^  —  flans  =  Maul,  Schnurre;  noch 
in  dem  mundarilkhen  Verbum  fJennen  mit  der  neueren  Bedeutung,  den 
Mund  zum  Lachen  oder  Weinea  verziehen,  erhalten. 

^)  Das  Mittelalter  liebte  die  Sitte,  in  den  Gipfeln  von  grossen  Bäumen,  insbe- 
sondere der  Linden  und  Eichen,  Gerüste  mit  Gelänpern  zur  Aussicht  in  die 
Weite  und  eine  Art  Sommerhäuschen  zu  bauen,  auf  denen  man  sich  ver- 
gnügte, schmauste,  trank  und  von  denen  herab  häufig  auch  Prediger  zum 
Volke  sprachen,  z.  B.  jener  berühmte  Bruder  Berthou)  vergl.  J.  Grimm 
Wiener  Jahrb.  d.  Lit.  1825.  B.  32.  S.  203.  König  Marks ,  wie  er  Tristan 
und  Isolde  belauscht,  sjtzt  auf  so  einer  Linde  über  dem  Brunnen.  So  ist 
■ach  dastr)>af  der  Linde  sitzen^  Sigunens  gemeint,  wobei  noch  in  Betracht 
komnrit,  dass  dieser  Baum  der  Liebe  besoaaers  heilig  ffalt.  Vffl.  Wolf  Bei- 
träge. L  168  (T.  —  Die  Sitte  wurzelte  wahrscheinlich  im  alten  Göttercult, 
der  ja  am  liebsten  seine  Bilder  auch  in  die  Bäume  setzte.  — -  Vgl-  Per  na  u 
Hundert  und  Eins.  S.  47.  Burg  holz  er  (Beschreib,  v  München  1796.  S.  433) 
sah  noch  im  englischen  Garten  solche  kleine  Sommerhäuschen  auf  Baum- 
stämmen und  der  so^  ^chinesische  Thurm^  ist  nur  eine  ganz  in's  Moderne 
und  Grossartige  getriebene  Uebersetzung  des  alten  Brauches.  Ebenso  waren 


168 

ist  wieder  seine  Muhme  Sigune,  die  es  erst  nicht  glauben  will,  als 
Parcival  erzählt,  er  habe  auf  einer  nahen  Burg  übernachtet,  denn  hier, 
im  Umfange  von  dreissig  Meilen  wurde  je  weder  Holz  noch  Stein  zu 
einem  Hause  verschnitten;  nur  eine  Burg  steht  darinnen,  die  reich  an 
allen  Ueberflüssen  der  Erde,  die  aber  Keiner  finden  kann,  wenn 
er  ausgeht  sie  zu  suchen;  nur  unwissend  kann  man  ihr  nahen; 
Munsalvaesche  ist  sie  genannt  und  Terre  de  Salvaesche ')  heisst 
das  „royäm"  darin  sie  liegt,  das  der  alte  Tyturel  seinem  Sohne  Frimutel 
vererbte ;  dieser  hinterliess  vier  Kinder,  die  wohl  reiche  Habe  aber  auch 
Elend  genug  besitzen,  einer  davon  habe  jedoch  um  Gott  die  Armuth 
gewählt,  der  heisst  Trevrizent;  sein  Bruder  Anfortas  kann  weder 
reiten,  noch  liegen  oder  stehen,  der  ist  auf  Munsalvaesche  Wirth;  wäret 
Ihr,  fährt  Sigune  fort,  dahin  gekommen,  so  wäre  ihm  vielleicht  Rath 
geworden.  Und  wie  nun  Parcival  grosse  Wunder  gesehen  zu  haben 
bejaht,  und  sie  ihn  an  der  Stimme  wieder  erkennt,  bricht  die  Arme  in 
Freuden  aus:  „Sahst  Du  den  Gral?  und  den  Wirth  den  Freudenleeren? 
lass  hören  liebe  Märe,  ist  sein  Jammer  gestillt.  Du  bist  der  glücklichste 
Mann  von  der  Welt. '^  Parcival  ist  erstaunt,  sie  so  verändert  zu  finden 
und  rathet  ihr  den  Todten  begraben  zu  lassen,  da  gewahrt  sie  das 
köstliche  Schwert,  welches  %t  mit  sich  föhrt  und  das  ihres  Ritters  ist: 
„Trebuchetes,  ein  Schmied  von  edlem  Geschlecht,  hat  es  geworkt,  es 
hat  die  Gabe,  dass  es,  wenn  auch  noch  so  zerschlagen,  in  dem  Brunnen 
Lac  bei  Karnant  wieder  ganz  wird;  doch  bedarf  das  Schwert  ^wol 
Segens  wort^ ')  und  das  furchte  ich,  hast  Du  dort  gelassen ;  hat  es  aber 
Dein  Mund  gelernt,  so  wächst  und  kernt  immer  der  Salden  Kraft  an 
Dir,  so  wird  die  Krone  des  Heiles  Dein  eigen.  Du  hast  den  Wunsch 
auf  Erden!  Hast  Du  der  Frage  ihr  Recht  gethan?''  Wie  nun 
Parcival  antwortet,  dass  er  nichts  gefragt  habe,  da  bricht  sie  in  Janmier 
aus:  „Ihr  sähet  doch  die  Wunder,  sähet  den  Gral,  die  schönen  Frauen, 
sähet  die  Königin,  das  schneidende  Silber,  den  blutigen  Speer!  O  weh! 
was  kommt  Ihr  zu  mir,  unseliger,  verfluchter  Mann.    Hättet  Ihr  Euch 


in  Holland  (wie  aus  einer  Novelle  A.  v.  Arnims  ersichtlich)  in  den  Wirtbs- 
gärten früher  auf  den  Linden  Gerüste  erbauet,  auf  denen  ein  Theil  der  Gäste 
sich  abgesondert  belustigen  konnte. 

')  Terre  de  Salvaesche  =  Land  des  Heiles;  Munsalvaesche  =  Berg  des  Heiles 
und  der  Rettung,  der  heilige  Berg,  Tempel  des  Heiligthums.  —  Im  spateren 
Titurel  wird  M.  als  „der  bebalten  berff^  gedeutet,  denn  er  sei  behalten,  ver- 
wahrt, unzugänglich  gewesen  vor  Juden,  Christen  und  Heiden. 

')  254,  10.  Der  Ausdruck  ist  hier  nur  bildlich  von  dem  sonst  üblichen  Bespre- 
chen und  Besegnen  des  Schwertes  genommen^  was  später  in  Festmacben^ 
Waffensalben  und  sog.  „Passauerkunst^  überhaupt,  überging.  Vgl.  Altd. 
Blätter.  II.  266  AT.  und  Rochholz  in  Wolfs  Zeitscbrifl.  IV.  125.  Dagegen 
Wigalois  V.  4390  ff. 


169 

des  Wirthes  erbarmt  and  ihn  am  seine  Noth  befragt,  Gott  hätte  ein 
Wunder  gewirkt;  jetzt  lebt  Ihr,  aber  an  Saelden  todt!*  —  Parcival 
will  es  wieder  gat  machen,  sie  aber  schickt  ihn  fort,  er  sei  keiner  Rede 
mehr  werth. 

Dass  er  Fragens  war  so  lass,  als  er  bei  dem  traorigen  Wirthe 
sass,  das  rente  den  Helden  nun  sehre.  Durch  seine  grosse  Klage  und 
den  heissen  Tag  war  er  in  3chweiss  genetzt;  er  band  also  den  Helm 
ab  and  löste  die  Vinteilen.')  Dann, kam  er  auffrische  Spur.  Vor  ihm 
ging  ein  wohl^eschlagenes  Ross  (ors)  und  ein  unbeschlagenes  Pferd 
(barfuoz  phäret),  das  eine  Frau  trug;  das  Pferd  sah  elend  aus,  man 
hätte  ihm  wohl  durch  die  Haut  die  Rippen  zählen  können;  ein  Halfter 
von  Bast  lag  daran,  bis  auf  den  Fuss  schwang  ihm  die  Mähne,  die 
Augen  tief,  die  Gruben  weit;')  das  Gereite  war  schmal,  Geschelle  und 
Sattelbogen  zerstückt  und  elend.  Der  Gürtel  (surzengel)  der  Frau  war 
em  Seil,  Aeste  und  Dornen  hatten  ihr  Hemde  zerrissen,  so  dass  ihre 
helle  Haut,  weisser  als  ein  Schwan,  durchleuchtete;  sie  hatte  nichts  an 
als  Hadern  (knoden),  wo  diese  fehlten,  litt  sie  von  der  Sonne,  und 
doc)i  war  ihr  Mund  roth,  man  hätte  wohl  Feuer  daraus  geschlagen; 
wo  man  sie  anreiten  wollte,  war  sie  bloss;  doch  hätte  Jeder  Unrecht, 
der  sie  schelten  wollte,  nur  durch  ihre  21ucht  trug  sie  so  unverdienten 
Hass,  weiblicher  Güte  hatte  sie  nie  vergessen.  Doch  was  sag  ich  so 
viel  von  ihrer  Armuth?  Ich  nähme  solch  blossen  Leib  statt  vielen  wohl- 
gekleideten  Frauen!  Parcival  grüsste,  sie  erkannte  ihn  gleich:  ^Ich 
habe  Euch  schon  gesehen  und  grosses  Leid  geschah  mir  dadurch ;  möge 
Gott  Euch  mehr  Freude  und  Ehren  geben,  als  Ihr  um  mich  verdient 
habt ;  nun  ist  mein  Kleid  ärmer,  als  Ihr  mich  vordem  gesehen.  Wäret 
Ihr  mir  damals  nicht  genahet,  so  hätte  ich  jetzt  Ehre  ohne  Streit.^ 
Dabei  weinte  sie,  dass  sie  ihr  ^brüstelin  begoz^  und  suchte  sich  mit 
Händen  und  Armen  zu  bedecken.  Parcival  erkennt  sie  nicht  mehr  und 
bietet  ihr  sein  Uebergewand  (kursit),  sie  bittet  ihn  jedoch,  um  sein  und 
ihr  Leben  zu  retten,  gleich  hinweg  zu  reiten.  Parcival  aber  setzt  den 
Helm  wieder  auf  und  strickt  sich  die  Vinteilen  um,  und  da  sein  Ross 
gegen  das  Pferd  Gewieher  erhob,  so  wendete  der  vor  der  Fraue  Rei- 
tende um  und  sprengte  herbei:  Herzog  Orilus  selbst,  dessen  Rüstung 
so  ausfuhrlich  geschildert  wird,    dass  man  sieht,  der  Dichter  zeichnet 


')  256,  9:  ,.er  enslricte  die  viDteilen  sin;^  viDU»Ie,  venUille,  der  unlere  Theil 
des  Helmes,  der  den  Mund  bedeckte  und  geöffnet  werden  konnte;  so  fand 
Koorad  auf  dem  Lechfeld  955  den  Tod,  als  er  sirh  kühlen  wollte. 

*)  Sonach  galt  wohl  eine  kurze  Mähne  (diu  man)  für  schön,  eben  durften  die 
Aurengruben  (ffruoben)  nicht  gross  und  tief  sein,  die  Augen  nicht  tief  liegen. 
Vgl.  P.  Pfeiffer  Das  Ross.  S.  5,  20. 


\ 


170 

genan  nach  dem  Leben,  wie  die  alten  Maler  aach  ihre  reiche  Mitwelt 
and  Mitlebenden  abschilderten.  Seinen  Helm  hatte  Meister  Trebochet 
geworkt,  sein  Schild  war  zu  Toledo  gescimiiedet,  kräftig  waren  Rand 
nnd  Buckel  daran ;  die  Pfeile  aus  denen  er  „knrsit  and  wäpenroc^  trog, 
waren  za  Alexandrien  gewirkt,  die  Decke  aas  harten  Ringen  zuTena- 
broc  geschaffen,  auch  di^ Eisendecke  mit  einem  theaeren  Pfellel  über- 
zogen, Hosen,  Halsberg  und  Härsenier  waren  reich,  doch  nicht  schwer, 
in  manch  eiserne  Schiene  (in  iseriniu  schillier)  war  der  kühne  Mann 
gewapent ;  zu  Soissons  (Sessün)  war  i^eine  Platte  geschlagen,  das  Pferd 
hatte  sein  Bruder  Lähelin  in  einer  Tjost  von  Brambäne  abgejagt. 

Parcival  war  bereit  und  ritt  galopptrend  (mit  walrap)  dem  Herzog 
entgegen ,  der  auf  dem  Schilde  einen  Drachen  und  eine  gleiche  Zier  auf 
den  Helm  gebunden  hatte,  auch  befanden  sich  kleine  goldene  Drachen  mit 
eingesetzten  Augen  von  Rubin  auf  dem  Rocke  und  der  Decke.  Sie  nahmen 
den  Anlauf  und  splitterten  ihre  Lanzen,  dass  man  es  nicht  schöner 
hätte  sehen  können.  Frau  Jeschüte  rang  die  Hände,  denn  die  Freuden- 
lose  gönnte  Keinem  Schaden.  Die  Pferde  badeten  im  Schweisse,  jeder 
wollte  den  Preis,  die  Schwerter  blitzten  und  Feuer  sprang  aus  den 
Helmen,  denn  die  Besten  waren  aneinander  gekommen,  fest  sassen  die 
Beiden  und  vergassen  der  Sporen  nicht.  Preis  verdient  hier  Parcival, 
dass  er  sich  also  wehren  kann  vor  hundert  Drachen  und  einem  Mann! 
Der  Drache,  der  auf  Orilus*  Helm  lag,  wurde  versehrt,^  dass  der  lichte 
Tag  durchschien  und  manch  edel  Stein  ausbrach.  Frau  Jeschüten  ward 
ihres  Mannes  Gruss  mit  Schwertes  Gewalt  wieder  erobert.  Die  Ringe 
an  den  Knieen  zerstoben,  obgleich  sie  eisern  waren,  so  schoben  sie  an 
einander.  Orilus  war  zornig ,  weil  er  wähnte,  seiner  Fraue  sei  Gewalt 
geschehen^  sie  habe  ihre  Reinheit  und  ihren  Preis  mit  einem  anderen 
„amis''  geunehret;  so  wurde  denn  der  Kampf  so  heftig,  dass  er  ohne 
Sterben  kaum  abzugehen  schien.  Orilus  war  dem  jungen  Parcival  im 
Schwert  überlegen,  das  gab  ihm  Muth  ihn  zu  fassen,  doch  Parcival 
umfing  auch  ihn,  zuckte  ihn  aus  dem  Sattel  und  schwang  ihn  wie  eine 
Garbe  Haferstroh  unter  den  Arm,  sprang  mit  ihm  vom  Ross  und  presste 
ihn  über  einen  Baumstamm ')  und  da  Orilus  noch  nicht  daran  will. 


')  265,  17:  y,und  dructe  in  über  einen  ronen.^  Der  Ran,  der  Ron,  die  Ronen 
(8ch melier  III.  92)  sind  nach  heutigem  Sprachgebrauch  Baumstämme,  6\m 
besonders  vom  Wind  sammt  den  Wurzeln  ausgerissen  wurden  und  wegen  Uo— 
mögiichkeii  der  Abführurfg  oder  sonst  im  Walde  oder  auf  dem  Berge  onbe— 
nOtzt  liegen  bleiben,  daher  auch  die  Ron  (falsch  Rhön)  benannt.  Dr.  K.  RotH 
Beiträge.  XIII.  120.  Merkwürdige  Ueberreste  aus  uralter  Zeit  finden  sic^ 
heute  noch  im  Regnils-  und  Mainffrunde;  Dr.  Theodor i  io  Bamberg  um^t 
neuerdin^  Dr. Schnitzlein  in  Erlangen  schrieben  über  diese  vaterländisch^ 
botanische  Seltenheit,  die  armen  Leuten  häufig  als  Brennmaterial  dient 


171 

seiner  Fran  die  alte  Bold  zu  gewähren »  so  drückt'  ihn  Parcival  an 
sich,  dass  des  Blutes  Regen  dnrch  die  Barbiere  sprang.     Da  gab  der 
Held  nach»  aber  von  seiner  Frau  will  er  nichts  wissen,  er  bietet  dem 
Parcival  die  Hälfte  seines  Lances  und  verspricht  sein  eigenes  Herzog- 
thom  von  ihm  als  Lehen  zu  nehmen,  nur  möge  er  ihm  erlassen,  diesem 
Weibe  je  wieder  hold  zu  werden.     Da  setzt  Parcival  dazu  die  weitere 
Bedingniss,    der  Herzog  solle   zu  einem  Mägdelein  bei  König  Artus 
lahren,  die  seinetwegen  mal  geschlagen  wurde,  wo  nicht,  so  werde  er 
Her  erschlagen.    Und  Orilus,  der  doch  noch  zu  leben  wünscht,  leistet 
den  Eid  und  die  Frau  empfängt  freudig  wieder  den  ersten  Kuss  von  des 
Oatten  blutigen  Lippen.    Darauf  ritten  die  Dreie  vor  eine  Klause  im 
Pelsen,  wo  Parcival  auf  ein  Reliquiarium  (heiltuom)  einen'  Eid  ablegt 
ther  das  Beginnen ,  das  er  kindischer  Weise  an  der  Herzogin  verübt 
und  ihre  Unschuld,   er  gibt  auch  den  Ring  zurück,  den  er  glücklicher 
Weise  noch  hat,  indess  die  Spanne  thöricht  verthan  (vertäu)  war.  Und 
der  Herzog  stiess  das  Vingerlein  wieder  an  ihre  Hand,  küsste  sie,  be- 
kleidete sie  mit  seinem  eigenen' Wapenrock  und   freute  sich  nun   erst 
seiner  Niederlage.    Obwohl  er  Parcival  mitnehmen  will,  so  schlägt  es 
dieser  aus ,    worauf  Orilus  allein  mit  seiner  Frau  zu  seinem  Gefolge 
zurückkehrt,   das  über  die  Versöhnung  hoch  erfreut  ist. 0    Parcival, 
welcher  an  der  Klause  (die  ihm  unbekannter  Weise  Trevrizent  bewohnte, 
der  aber  gerade  abwesend  war)  einen  bunten  Speer  angelehnt  fand  (den 
der  wilde  Tauriän  hier  vergessen),  eignete  sich  denselben  zu. 

Mit  Freuden  erfi&hrt  Orilus,  dass  die  Tafelru;ide  ganz  nahe  jiuf 
dem  PlimizoSl  lagere ;  er  macht  sich  also  mit  seiner  versöhnten,  glück- 
lichen Gattin,  die  nun  wieder  prächtige  Kleider  trägt^  dahin  auf,  nach- 
dem sie  gebadet  und  genügsam  getafelt.  Artus  sass  gerade  nach  Tische 
in  der  Mitte  der  Tafelrunde,  als  Orilus  allein  mit  Jeschuten  angeritten 
kam;  er  fährt  noch  seine  zerschlagenen  Waffen  und  legt  den  zertrüm^- 
merten  Sdiild  in*s  Gras,  um  die  ihm  angewiesene  Dame  zu  suchen,  und 


')  Von  vorzüglicher  und  unnachahmlicher  Schönheit  ist  die  iStelle,   welche  das 
GIfick  dieser  Frau  ausdriiekt  und  die  Refl^on  de?  Dichters  über  die  Liebe: 

272,  7:.  dd  lac  frou  JeschQte 

al  weinde  bt  ir  trüte, 

vor  liebe,  unt  doch  vor  leide  niht, 
10.  als  guotem  wtbe  noch  geschiht. 

ouch  ist  genuogen  liuten  kunt, 

weindiu  ougn  hdnt  süezen  munt, 

dd  von  ich  m^r  noch  sprechen  wil. 

gröz  liebe  ist  Freude  und  jdmers  zil. 
15.  swer  von  der  liebe  ir^  maere 

treit  üf  den  seigaere, 

oberz  immer  wolde  wegn, 

ez  enkam  niht  anderr  schanze  pflegn. 


172 

ist  nicht  wenig  überrascht  in  ihr  seine  Schwester  Connewäre  zn  finden, 
«die  ihn  schon  von  weitem  an  seinem  Wappen,  den  Drachen,  erkannte. 
Sie  führt  die  lieben  Gäste  in  ihr  Gezelt,  das  an  einem  Brannen  stand, 
auf  ihrem  Pavillon  (poulün)  war  ein  Drache  mit  einem  Apfel  in  den 
Klanen  zu  sehen,  vier  Seile  hielten  ihn,  recht  als  ob  er  lebendig  fliege 
und  das  Zelt  mit  sich  in  die  Lüfte  ftlhre.  Keye  aber,  der  nnn  immer 
mehr  Hass  gewann,  wie  die  Bewondemng  des  unbekannten  rothen 
Bitters  stieg,  bat  den  Kingrdn,  den  Dienst  bei  Orilus  zn  übernehmen« 
er  wusste  wohl  warum. 

VI.  Parcival  hat  die  Bewunderung  des  ganzen  Hofes  in  so  hohem 
Grade  erworben,  dass  Alle  den  König  bestürmen,  den  rothen  Ritter 
Aufzusuchen  und  in  den  Kreis  der  Tafelrunde  aufzunehmen,  da  seine 
Thaten  ihn  den  besten  Rittern  der  Tafelrunde  ebenbürtig  machen.  Artus 
gewährt  gern  den  Wunsch,  doch  da  er  die  Kampflust  seiner  Ritter 
kennt,  nur  unter  der  Bedingung,  dass  Keiner  sich  von  dem  Zuge  eigen- 
mächtig trenne  und  abgesondert  Abenteuern  nachjage,  denn  manch 
feindliches  Land  würden  sie  durchziehen  müssen,  wo  leicht  durch  Zer- 
splitterung  ihrer  Kräfte  der  Ruhm  der  Massenie  Schaden  erleiden 
möchte.  — 

Unser  Held  war  inzwischen  in  der  Irre  herumgeritten  und  am 
anderen  Morgen  unvermerkt  in  die  Nähe 'der  Plimizoel  gerathen.  Es 
hatte  in  der  Nacht,  obwohl  im  Mai  oder  um  die  Pfingstenzeit,  geschneit 
und  ein  Falke,  der  den  Jägern  äes  Artus  entflohen  war,  vor  der  Kälte 
Schutz  suchend,  sich  zn  ihm  gesellt.  Wie  Parcival  am  Morgen  pfadlos 
weiter  reitet,  fliegt  eine  grosse  Schaar  von  Gänsen  mit  hellem  Geschrei 
auf,  der  Falke  stiess  hurtig  unter  sie  und  schlug  ihrer  eine  herunter, 
dass  sie  gerade  unter  dem  Ast  eines  Stammes  (ronen  ast)  sich  «bergen 
mochte.  Aus  ihrer  Wunde  fielen  auf  den  Schnee  drei  Blutstropfen^ ') 
die  dem  Parcival  nnn  ein  wunderliches  Spiegelbild  vor  Augen  führen. 
Wer  hat,  gedachte  er,  seinen  Pleiss  gewandt  an  diese  klare  Farbe? 
fürwahr,  sie  gleicht  nur  dir  Cundwierämürs ;  Gott  macht  mich  an  Gnaden 
reich,  da  ich  hier  dein  Gleichniss  finde.  Geehret  sei  Gottes  Hand  und 
seine  ganze  Schöpfung!  Das  Weiss  und  Roth  vergleicht  er  der  Farbe 
ihres  Angesichtes  und  er  gedenkt  jener  Nacht,  in  der  sie  hilfeflehend 
vor  ihm  kniete  und  zwei  Zähren  an  ihren  Wangen,  die  dritte  ihr  am 


')  282,  21:  ^dri  bluoles  zäher  röt.^  Die  Stelle  kommt  auch  bei  Chrestiens  de 
Troyes  vor,  vgl.  Rochat  in  PfeiflTers  Germania  111.  96.  Zu  vergl.  dazu 
Grimm  Altd.  Wälder.  1^13.  I.  Simrock  Mylh.  270.  Wolf  Beitr.  IL  18  ff. 
Roch  holz  Aarg.  Sng  I.  86  ff.  II.  51.  Alpen  bürg  Tiroler  Mythen  S.  370. 
Zingerle  Sagen.  1859.  S.  185. 


^78 

Kinne  hingen.  So  verfiel  er,  von  der  starken  Minne  Macht  bezwungen,  in 
Gedanken  und  wie  im  Traum  starrt  er  auf  Schnee  und  Blut.    So  ge- 
wahrt ihn  ein  Garzon  Cunnewarens,  der  nach  Lalant  sollte,  und  oline 
zu  wissen,  dass  das  seiner  Herrin  Ritter,  hub  er  sich  wieder  heim  und 
hetEte  die  Bitter  auf:   da  draussen  warte  Einer  auf  Streit,   die  ganze 
Tafelrunde  sei  entehrt,  wenn  ihn  keiner  bestehe.    Aufmachte  sich  so- 
gleich der  stets  streitbegierige  ganz  berserkerhafte  Segramors,^   er 
lief  und  sprang,  denn  seine  Lust  an  Kampf  .war  so  gross,   dass  man 
ihn  binden  musste,  wo  er  solchen  zu  finden  wähnte  oder  er  wollte  dabei 
sein.  Nirgend  ist  der  Rhein  so  breit,  dass  der  Held,  wenn  er  am  andern 
Ufer  Streiten  sähe,  sich  nicht  hineinstürzte,  unbekümmert  ob  das  Wasser 
wann  odei^  kalt  wäre.     Sein  Ross  sprang  über  hohe  Stauden ,   als  er  < 
ausritt,   dass  die  goldenen  Schellen  an  Ross  und  Reiter  wie  an  einem 
Falken  erklangen.')    Parcival  aber  stand  noch  immer  im  Banne  der 
Minne  und  hörte  nicht  des  Ritters  Drohen ,    erst  als  sein  Pferd  durch 
eine  Wendung  die  Stelle  aus  dem  Blick  brachte,  kam  er  wieder  zu  sich 
Xind   empfing  den  Tjost  so  kräftig,   dass  er,   ohne  den  in   der  Klause 
mitgenommenen  schön  bemalten  Speer  zu  brechen,  den  Ritter  aus  dem 
Sattel  warf,  der  übel  gemuthet  zur  Tafelrunde  zurückhumpelte,  indes» 
Parcival,  gleich  wieder  von  der  Minne  bestrickt,  sich  im  Anschauen  der 
Blutstropfen  verlor.    Auch  unser  Dichter  ist,  wie  er  selbst  klagt,  durch 
«in  Weib  in  solcher  Noth,  doch  ist  ihm  Frau  Minne  zu  hoch  und  hehr, 
^m^  sie  in  Zornes  Hitze  desshalb  zu  schelten.') 

Darauf  ritt  der  stolze  Keye  hinaus  und  versetzte  dem  Parciva),  da 
dieser  seine  Rede  nicht  zu  hören  schien,  mit  dem  Schaft  einen  Schlag 
^kas  Haupt;  das  Ross  wendete  und  Parcival  kam  zu  sich:  hn  Galopp 
sprengten  sie  auf  einander  los.  Keye  brach  zwar,  wie  er  richtig  mit 
^en  Augen  bemessen,  dem  Waleisen  ein  weites  Fenster  in  den  Schild, 
<9iber  der  Senneschall  stürzte  doch  vom  Gegenstoss  so  mächtig  über  die 
^Rone,  unter  welche  die  Gans  geflüchtet  hatte,  dass  Mann  und  Ross 
ü^oth  litten;  der  Mann  war  wund,  das  Ross  lag  todt.  Keye  zerbrach 
^won  diesem  Falle  den  rechten  Arm  und  das  linke  Bein;  Gurten,*) 
«Sattel  und  Greschelle  waren   zerrissen,   so  vergalt  der  Waleise   zwei 


')  Stn-Marte  Germ.  II  396. 
')  ,^an  möht  in  wol  geworren  hdn 

287.  zem  fasdn  inz  domach  (Dornicht) 

swems  ze  suochen  waere  gdch, 

der  fünde  in  bt  den  schellen: 

die  künden  lüte  hellen. 

^)  292,  13:    „doch  sli  ir  (Frou  minne)  mir  ze  wol  geborn,   das  gein  iu  min 

kranker  zom  immer  solde  bringen  wort." 
'*>  aurtengel,  von  dem  Franz.  suraangle,  der  Obergurt. 


174 

Schläge  mit  einem  Schlag,  die  welche  die  Magd  seinetwegen,  und  den 
er  selber  heate  erfahren  hatte.  Keye  war  aber,  wenn  auch  ein  Auf- 
passer (merkaere),  doch  ein  getreuer,  kühner  (ellenthaft)  Mann;  er 
meinte  es  gut  mit  seinem  Herrn  und  schirmte  ihn  gerne  durch  seine  ^ 
Rauheit;  ein  Hagelschauer  war  er  f&r  die  Falschen  (valsche  diet)  und 
stach  sie  schärfer  als  die  Bienen.  Ein  solcher  Keye  oder  auch  ein 
Heinrich  von  Reisbach')  meint  Wolfram,  war*  jedem  Fürsten  zu  wün- 
schen, Toraus  dem  Landgrafen  Hermann  von  Thüringen,']!  an  dessen 
^of  es  von  Schmarotzern  wimmelte,  so  dass  sein  Ingesinde  besser  Aus- 
gesinde hiesse. 

Da  der  Plimizo^l  nahe  genug  lag,  um  die  Vorgänge  zu  sehen,  so 
'holte  man  Herrn  Keye  und  trug  ihn  zu  König  Artus.  Darauf  ritt  Gä- 
wän  hinaus,  aber  ohne  Sporen  und  Schwert,  eigentlicih  mehr  um  nur 
zu  sehen  wer  denn  der  Ritter  wäre,  Parcival  achtete  seiner  nicht,  denn 
Frau  Minne  hatte  es  ihm  wieder  angethan.  Da  Gäwän  keine  Antwort 
erhält,  folgt  er  den  Augen  Parcivals  und  die  Blutstropfen  im  Schnee 
gewahrend,  merkt  er  sogleich,  dass  hier  die  Minne  mit  iiii  Spiel  sein 
müsse,  deren  Wesen  und  Macht  er  nur  zu  wohl  an  sich  selbst  erfahren. 
Ein  seidenes  mit  gelbem  Zindal  gefiittertes  Tuch  von  SArin  schwang  er 
über  das  Blut  und  schnell  kommt  Parcival  wieder  zu  sich.  Verwundert 
hört  er  von  Gäwän,  dass  er  so  grosse  Ritterschaft  an  Segramors  und 
Keye  geübt;  er  begrüsst  den  Helden  froh,  dessen  ruhmvollen  Namen 
er  bereits  kennt,  und  da  ihm  dieser  versichert,  dass  Keyes  Unbilde 
vollständig  gerächt  sei  und  Frau  Cunneware  durch  seinen  Dienst  die 
glänzendste  Genugthuung  erhalten  habe,  entschliesst  er  sich,  Gäwän  an 
den  Hof  des  König  Artus  zu  folgen.  Das  ganze  Lager  erhebt  sich  bei 
der  Kunde,   dass  der  rothe  Ritter  da  sei;  Cunneware,  Orilus  und  Je- 


')  Dieser  Heinrich  von  Reisbach  wurde  eine  Zeit  lanff  irriger  Weise  mit 
dem  tugendhaften  Schreiber  verwechselt.  Die  Herren  von  Reisbach 
sind  nur  in  der  bayerischen  Rillerschaft  nachgewiesen,  ein  Reisbacb  (Rispach) 
liegt  an  der  Vils  in  der  Gef^end  von  Landshut,  ein  anderes  am  Fasse  des 
Wendelstein.  Heinrich  von  Reisbach  mag  wohl  am  Hofe  eines  bayerischen 
Herzogs  sirenge  Zucht  geübt  haben,  konnte  aber  um  die  Zeit,  wo  Wolfraai 
diesen  Gesang  dichtete,  kaum  mehr  am  Leben  sein.  Vgl.  Haupt  Zeitscbrift. 
VL  187  ff. 

')  Das  lebendige  Getümmel  am  Hofe  dieses  milden  Fürsten  schildert  Wall  her 
(Lachmann  S  20,  4  15),  der  sich  biUer  darüber  beklagt:  ,,£in  Zoff  fahrt 
ein,  der  andere  aus,  so  geht  es  Tag  und  Nacht,  ein  Wunder  ist's,  cwss  da 
noch  Jemand  hört^  u.  s.  w.  Unter  dem  Schutze  Hermanns  (1195  — 1215) 
vollendete  Heinrich  von  Veldecke  hier  seine  Eneit;  auf  seinen  Anlas«  be* 
arbeitete  Wolfram  den  Willehalm,  für  ihn  übersetzte  1210  Albrecht  von 
Halberstadt  die  Ven/t^andlunffen  des  Ovid.  Auch  Wolfram  klafft  im  Wille— 
balm  IX.  417,  22  ff.  über  die  Zudringlichkeiten  an  diesem  Höre,  dass  wer^ 
ein  Ross  geschenkt  haben  wolle,  sich  bei  Zeiten  einfinden  müsse.  Tgl. 
8.  125  ff. 


175 

Schuten  an  der  Hand,  geht  dem  Helden  entgegen  und  empfängt  ihn  mit 
feinster  Sitte,  sie  reicht  ihm, köstliche  Gewände;  ein  dem  Mantel  gerade 
noch  fehlendes  Schnürlein  zuckt  sie  aus  ihrem  eigenen  Kleide  und  zieht 
es  ein;  einen  grünen  Smaragd  hing  sie  ihm  an  den  Hals,  auch  gab 
8ie  ihm  einen  theueren  Gürtel  mit  Steinen  und  Thierbildem  geschmückt. 
Nach  der  Messe  kam  König  Artus  mit  allen  Rittern  und  dem  zerbläu- 
ten  Antanor.  , 

Artus  hatte  die  Sitte,  nie  zu  essen,  bevor  eine  Aventüre  geschah 
oder  gemeldet  ward,  nun  war  aber  heute  genug  geschehen.    Ein  Pfeile 
aus  Acrat^n  in  der  Heidenschaft  diente  als  Tischtuch,  es  war  nach  der 
Sitte  der  Tafeler  rund  geschnitten,  denn  ihre  Zucht  erlaubte  ihnen  nie» 
von  einem  Ehrensitze  (gegenstuol)  zu  sprechen,    die  Sitze  waren   alle 
gleich.     Auch  die  Frauen  kamen  herbei,   voraus  Frau  Gynover,  die 
dem  Ritter  ihren  Kuss  bietet.    In  die  allgemeine  Freude  aber  schldgi 
plötzlich  eine  schreckliche  Botschaft.   Eine  Jungfrau  ritt  heran  auf  einem 
Maulthier,  das  hoch  wie  ein*  ,.kästel&n,^  dabei  aber  mit  verschnittener 
Nase  (nassnitec)  und  verbrannt,    einem  ungerischen  Pferde  gleichsah; 
ihr  Zaum  und  Gereite  waren  reich  und  kunstvoll.     Die  Maid  verstand 
sich  wohl  auf  die  Kunst,  alle  Sprachen  wusste  sie,  Latein,  Heidnisch 
vnd  „Franzoys,^  auch  Dialektik  (diäletike),  Geometrie  (jeometrf)  und 
Astronomie  waren  ihr  bekannt;  sie  hiess  Cundrie  und  Surziere^) 
war  ihr   Zuname.    Ein  Brautlachen, (brutlachen)  von  Gent,   blauer  als 
Lasur,  trug,  sie  und  eine  Reisekappe  nach  französischem  Schnitt  (wol 
gesniten  al  nach  der  Franzoyser  siten) ,  darunter  hatte  sie  gute  Pfeile 
an  ihrem  Leib,  ein  neuer  Pfauenhut  (pfaewin  huot)  von  Lunders^  ge- 
füttert mit  Plialt,  hing  an  einer  Schnur  auf  ihrem  Rücken.    Ihi'e  Bot^ 
Schaft  (ir  maere)  war  eine  Brücke,  die  Jammer  über  Freude  trug,  lieber 
den  Hut  schwang  sich  bis  auf  das  Maulthier  ihr' langer  Zopf,  der  war 
schwarz  und  schweineborstenartig ,  ihre  Nase  die  eines  Hundes  (si  war 
genaset  als  ein  hunt) ,   spannenlang  standen  ihr   aus  dem  Munde  zwei 
Eberzähne,   die  Augenbrauen   schwangen    sich  in  Zöpfen  gleich   einer 
Haarschnur  nieder.   Dem  Dichter  thut  es  leid,  so  eine  Schilderung  von 
einer  Fraue  machen  zu  müssen.    Ohren  hatte  sie  wie  ein  Bär  und  ihr 
Antlitz  war  rauh.     Eine  Geissei  führte  sie  in  der  Hand,  die  hafte  sei- 
dene Schwenkel  und  der  Stiel  war  ein  Rubin.  Ihre  Hände  waren  affen- 
farbig,  die  Nägel  nicht  zu  licht  und  wie  Löwenklauen.   Um  ihre  Minne 
ward,  traun!   selten  ein  Tjost  gethan.     So  reitet  sie  an  die  Tafel  vor 
König  Artus  und  sprach  ihn  französisch  an:  die  Besten  aus  allen  Län-* 
dem  Sassen  hie  in  Würdigkeit,  aber  ein  Falscher  nimmt  Theil  an  der 


*)  Vgl.  San-Marte  Ober  diese  Eigennamen  in  PfeifTera  Germania  IL  393. 


176 

Tafelrnnde,  der  ihren  Preis  sinken  macht:  Herr  Parcival,  den  ihr  den 
rothen  Ritter  nennt.  Dann  zu  ihm  selbst  gewandt,  gibt  sie  ihm  unter 
Weinen  und  Händeringen  ihren  Flach,  weil  er  den  traurigen  Fischer, 
der  frende-  und  trostlos  neben  ihm  sass,  nicht  durch  eine  Frage  erlöst 
hätte.  „Nie  war  grösserer  Trug,  rief  sie  aus,  an  so  schönem  Leibe. 
Ehrloser  Mann!  gab  Euch  doch  der  Wirth  ein  Schwert,  das  Ihr  nie 
verdient  hattet,  saht  Ihr  .doch  vor  Euch  den  Gral  und  das  schneidende 
Silber  und  den  blutigen  Speer.  Doch  statt  zu  fragen,  ward  Ihr  stonmi, 
Ihr  seid  des  HöDenhirten  Spiel.  Ihr  Glück  verwiesener,  Heilverbannt^, 
Ihr  seid  an  Ehre  lahm  und  schwank  und  an  Würdigkeit  so  siech,  dass 
Euch  kein  Arzt  mehr  Heil  gewähren  kann.  Hättet  Ihr  doch  zu  Mun- 
salvaesche  gefragt !  An  Euerem  Bruder  Feirefiz  ^ )  ist  die  Kraft  nicht 
verdorben ,  die  Euer  beider  Vater  trug  und  Gahmurets  Herz  hat  nie 
Falschheit  betreten.^  Der  schrecklichen  Jungfrau  blutet  selbst  das  Herz, 
dass  sie  solche  Botschaft  entrichten  muss,  sie  windet  die  Hände  und 
eine  Zähre  schlägt  die  andere.  Dann'ab^  wendet  sie  sich  wieder  an 
den  Wirth  und  sagt  ein  herrliches  Abenteuer  an  als  eine  Aufgabe  fär 
den  Tapfersten:  Vier  Königinnen  und  vierhundert  Jungfrauen  sind  auf 
auf  Chateau  Marveil  (Schastel  marveil>  gefangen;  wer  sie  befreit,  mag 
hohe  Minne  finden.  Dann  reitet  sie  weg  ahne  Urlaub,  häufig  noch 
zurückblickend  und  in  die  Klageworte  ihre  Trauer  kleidend: 


„ay  Munsalvaesche,  jämers  zil! 
we  daz  dich  niemen  troesten  wil!" 


„Weh  Monsalväsch,   du  Jammers 

Ziel, 

Weh,    dass  dich  Niemand  trösten 

will!'* 


Schwer  ist  der  arme  Waleise  bekümmert;  was  half  ihm  seines 
kühnen  Herzens  Rath,  seine  wahre  Zucht  und  Mannheit?  Er  schämte 
sich  seiner  Thaten.  Doch  blieb  die  rechte  Falschheit  von  ihm  ferne; 
denn  Scham  gibt  Preis  zu  Lohne  und  ist  die  Krone  der  Seele.  Cunne- 
wäre  und  alle  Frauen  weinten  über  ihn.  Aber  schon  naht  wieder  neue 
Noth.  Kaum  ist  Cundrie  hinweg,  so  sprengt  ein  fremder  Ritter  herzu; 
sein  Schild  ist  unbekannt,  den  Helm  band  er  nicht  ab;  in  seiner  Hand 
trug  er  das  Schwert,  doch  in  der  Scheide.  „Gott  erhalte  den  König 
Artus,  hebt  er  an,  und  alle  Frauen  und  Herren,  die  ich  hier  schaue, 
ich  biete  Allen  Gruss,  nur  Einem  nicht,  dessen  Hass  gegen  mich  ergehen 
mag.  Das  ist  Herr  Gäwän,  der  sich  so  weit  verging,  dass  er  recht 
nach  Judasart  meinen  Herrn  grüssend,  ihn  ermordete.  Läugnet  er  das, 
so  mag  er  sich  mit  Kampf  befreien  von  heute  über  den  vierzigsten  Tag, 


')  D.  h.  das  Feenkind  ibid.  S.  40J. 


177 

wo  ich  ihn  entbiete  vor  deti  König  von  Ascalun  in  die  Hauptstadt  nach 
Schanpfanzün.^  Vergeblich  bietet  sich  Gäwäns  Bnider,  der  stolze  B^ar- 
cors  fossföllig  vor  seinem  Bnider,  als  Greisel  des  Kampfes  (kampffichez 
^sel);  ArtQs  kann  die  Unthat  seines  Neffen  nicht  glauben  und  zürnt  ob 
80  schwerer  Beschuldigung,  auf  welcher  der  Landgraf  Kingrimursel, 
denn  so  heisst  der  fremde  Ritter,  besteht.  GÄwän  selbst  muss  sie  leug- 
nen, dennoch  nipamt  er  den  Kampf  an,  um  seine  Ehre  zu  reinigen  und 
verspricht,  am  bestimmten  Tage  zu  erscheinen.  So  wendet  denn  der 
Fremde  sein  Ross  und  scheidet  aps  dem  Plimizoei. 

Durch  Cundrie  vernahm   man   zuerst  Parcivals   Namen  .  und  Ge- 
schlecht. Alle  trauerten,  die  von  seinem  Vater  gehört  hatten  und  seine 
Familie  kannten,  am  meisten  aber  Glämide ,  der  ja  durch  Parcival  bei 
Pelrapeire  die  Minne  und  Hand  Cundwierämürs  verloren  hatte  und  dess- 
halb  um  Parcivals  Hilfe  bittet,  um  Frau  Cunwäre  de  Lalant  zu  erlan- 
gen, was  er  auch  erreichte.  Die  Königin  von  Janf^ise  aber,  eine  Heidin, 
welohe  durch  Cundrie  von  Parcivals  Bruder  hörte,   erzählt  diesem  nun 
von   Feirefiz,  ')    dessen  Land    sie  durchreist  hat  und  dessen   Haut 
merkwürdiger  Weise  weiss  und  schwarz  ist;   er  werde  in  der  Heiden- 
schaft wie  ein  Gott  angebetet;  Niemand  hat  noch  seinen  Tjost  ausge- 
halten,  kein  milderer  Mann  ward  je  geboren.     Parcival  ist  untröstlich 
und  sieht  kein  I^eil  mehr  vor  sich,   bis  er  den  Gr§.l  wieder   gefunden 
habe.   Er  begreift  nun,*  dass  er  den  weisen  Rath  des  Gurnemanz  wieder 
so  wenig  tersUuiden,  ebenso   wie  er  die  Räthe  seiner  Mutter  verkehrt 
befolgt  hatte.    Parcivsd  scheidet  sich  von  der  Tafelrunde,  Artus  sucht 
ihn  zu  trösten.    Frau  Cunnewäre   führt  ihn  an  der  Hand  und  Gawan, 
deüi  gleichfalls  ohne  sein  Verschulden  ein   gefährlicher  Zweikampf  be- 
vorstand, nimmt  küssend  von  ihm  gar  herzlichen  Abschied:  „ich  weiss 
xvohl,  Freund,  dass  auf  Deiner  Fahrt  Dir  mancher  Kampf  nicht  zu  er- 
sparen,  Gott  gebe  Dir  Glück  dazu!"  —  ^Weh!   was  ist  Gott?^ 
^rwiedert  Parcival   in  ganz  anderem  Sinne  als   damals,    wo  er  an  die 
JMLutter  mit  kindlichem  Herzen  und  Vertrauen  die  nämliche  Frage  gestellt. 
X>enn  jetzt  hat   ihn   sein  unbewusst  verschuldetes  Geschick  in  düstere 
2weifel  gestossen.   ^  War*  Der  gewaltig,  solchen  Spott  gab*  er  uns  Beiden 
Kiicht  fürwahr.  Seit  ich  mich  versinne,  war  ich  Ihm  unterthan;  nun  will 
S.ch  Ihm  den  Dienst  widersagen,    hat  Er  Hass,    den   will   ich  tragen, 
freund,  in  Deiner  Kampfeszeit  möge  Dich  em  Weib,  an  der  Du  „kiusche 
v^t  wIpBche  güete^  erkannt  hast,  behüten ;  ich  weiss  nicht,  ob  ich  Dich 
je  wieder  sehe,   meine  Wünsche  mögen  an  Dir  wahr  werden!''     „Da 

\ 

')  328,  5  flr. 

12 


178 

ergienc  ein  trdrec  scheiden.^  —  Gäwän  aber  bereitete  sich  vor  anf  den 
König  von  Ascalün.  Alte  harte  wohlgediegene  Schilde  (er  achtete  aaf 
ihre  Farbe  nicht)  brachten  ihm  Kaufleute  anf  Säumern,  und  er  erwarb 
ihrer  drei,  nicht  um  billigen  Preis ; .  auch  wählte  er  sidi  sieben  Rosse, 
zwölf  scharfe  Speere  mit  starken  Schäften  aus  heidnischem  Moor  erwarb 
er^  nahm  Urlaub  und  fiihr  mit  unverzagter  Mannheit.  Artus  gab  ihm 
reichen  Sold,  lichte  Gesteine  und  rothes  Grold  und  Silbers  manchen 
Sterling  (staerlinc).  Ekubä,  die  junge  Heidin  (aus  Janföse)  schiffte  sich 
ein  und  das  Volk  kehrte  vom  Plimizoel.  Ich  fährte  die.Märe  gerne  fort, 
sagt  der  Dichter,  wenn  es  mir  gebieteil  wollte  ein  Mund,  den  aber 
kleinere  (ander)  Füsse  tragen  als  mir  im  Stegreif  dienen  (dan  die  mir 
ze  Stegreif  wagent).  -^ 

Eine   oberflächliche  Betrachtung  könnte  es  auffallend  finden,    dass 
Parcival   bloss  wegen  Unterlassung  einer  einfachen  Frage  so  schweren 
Fluch  und  sogar  Sündenschuld  (473, 15)  auf  sich  geladen  habe.   Dess- 
halb  mflssen  wir  uns  noch  einmal  die  ganze  Situation  vergegenwärtigen. 
Durch  die  verkehrte  Befolgung  der  Lehren  des  weisen  Gurnemänz  hat 
er  allen  und  jeden  Anstand  beleidigt.  Wie  freundlich  war  ihm  der  Wirth 
entgegengekommen,  der  den  Helden  eigens  mit  der  Bemerkung  zu  sich 
auf  sein  Ruhebett  setzt,  er  wolle  ihn  nicht  wie  einen  fremden  Gast  be- 
handeln;   so  hatte   er  ihn   denn  auch   durch   ein   kostbares  Geschenk 
geehrt,  und  Parcival  hörte  die  erschütternde  Traüerklage  der  Templeisen 
beim  Erscheinen  des  blutigen  Speeres,  sah  das  schwere  Siechthum  seines 
liebevollen  Wirthes,  sah  die  unbegreiflichen  Wunder  des  Grals,  die  jeden 
Anderen  dazu  gebracht  hätten,  über  so  aussergewöhnliche  Vorgänge  zu 
fragen.     Aber  über  der  sogenannten  Zucht,   über  der  Weltbildung, 
war  unserem  Parcival  der  natürliche  Edelmuth   eines  einfältigen 
Menschen   abhanden    gekommen,    er  hatte,    bisher  ein  Kind  des 
Glückes,  den  Gipfel  erreicht  —  und  den  Augenblick  nicht  zu  benützen 
verstanden:  so  wird  er  in  den  tiefsten  Jammer,  dessen  ganzer  Umfang 
ihm  noch  unübersehbar  ist,  hinabgeworfen,  er  zerfällt  mit  Gott  und  der 
Welt,   nur  ein  Bild,   das  seiner  geliebten  Fraue,   ist  ihm  glücklicher 
Weise  unerschüttert  verblieben.     Durch  herben  Schmerz  muss   er  nun 
geläutert  und  zur  Einsicht  gelangen,   dass   sein  trotziges  Behan*en  auf" 
seiner  Schuldlosigkeit  der  letzte  und  grösste  Fehler  seiner  Einfalt  war^ 
So  ist  denn  der  erste  Theil  des  Gedichtes,  den  man  billig  ^von  der' 
Tumbheif  nennen  könnte,  meisterlich  abgerundet.  Mit  richtigem  Bück- 
führt  jetzt  der  Dichter  zur  künstlerischen  Gegenwirkung  einen  anderei^^ 
Helden  in  sein  Gedicht  ein,  der  neben  Parcival,  indess  dieser  grollencS- 
in  der  Irre  reitet,  in  den  Vordergrund  tritt,  ihm  aber  n^r  zur  Foli^ 


179 

dient  und  dessen  höhere  Richtung  noch  in  volleres  Licht  setzt.')  Gawan 
hat  sich  bereits  als  erprobte  Held  bewiesen  und  durch  die  herzliche 
Theilnahme  an  Parcivals  Geschick  unsere  Neigung  zum  vora.us  gewon- 
nen; er  hat  in  der  thateoreichen  Welt  den  Ehrenpreis  errungen,  so 
tritt  auch  an  ihn  die  Prüfung,  wenn  er  gleich  von  jenem  stürmischen 
Sehnen  nach  einem  übermenschlichen  Ziele  ferne  ist.  Durch  die  Bot- 
schaften Cnndriens  und  Kingrimursels  reissen  die  vielfach  verschlungenen 
Fäden  wieder  nach  den.  verschiedensten  Seiten  auseinander  und  es  thut 
sich  in  neuen  reizenden  Verschlingungen,  die  doch  unvermerkt  der 
Lösung  zuführen,  eine  neue  Welt  der  wunderbarsten  Abenteuer  auf. 

Vn.    Gäwsln  begegnet  auf  seinem   Zuge  plötzlich    einem  Heere; 
Harnische  und  schwer  beladene  Wagen  wurden  von  Mäulem  geschleppt, 
wunderlicher  Krämertross  fuhr  hinterher,    auch  Frauen  sah  man  dar- 
unter,  von  denen  manche  den  Gürtel  ihrer  Minne  schon  ein  Dutzend- 
mal  verpfändet  hatte  und  anderes  Gesindel,   dem  das  Hängen  (wfde) 
besser  gewesen  wäre,  als  werthes  Volk  zu  verunehren.    Auf  die  Frage 
G^wtins,   welche ^Bewandtniss  es  mit  diesem  Kriegszuge  habe,  erzählt 
ihm  ein  Knappe:    Als  der  Herr  dieses  Landes,  der  König  Schaut,  auf 
dem  Todbette  lag,  berief  er  die  Fürsten  des  Reiches  zu  sich  und  empfahl 
ihnen   semen  noch  unmündigen  Söhn  Meljanz,    den   er  insbesondere 
seinem  treuesten  Vasallen,  dem  Herzog  Lyppaut  von  B^ärosche,  zur 
Erziehung  anvertraute.     Bald  darauf  schloss  der  Tod  seine  Augen  pnd 
Lyppaut  nahm  den  jungen  Meljanz  zu  sich  pa,ch  Beärosche,  wo  er  wie 
ein  geliebter  Sohn  gehalten  und  mit  den  Töchtern  Lyppauts,    Namens 
Obie  und  Obilöt  gemeinsam  erzogen  ward.     Al^  der  Knabe  heran- 
^vmchs,  entwickelte  sich  in  ihm  eine  Neigung  zur  älteren  Tochter,  Oble, 
«M>  dass  er  sie  um  ihre  Minne  bat   Sie  aber  wies  ihn  mehr  überrascht 
«Is  beleidigt,   höhnisch  zurück;   zornig  verliess  der  Jüngling  die  Burg 
wind  begab  sich  zu  seinem  Oheim,  dem  König  Poydiconjunz  Von  Gors, 
^er  mit  vielen  Rittern  und  Dienstmannen  auch  sogleich  bereit  war,  den 
"wenneintlichen  ehrgeizigen  Plänen  Lyppauts  zu  begegnen,    und  gegen- 
"värtig  ist  das  Heer  im  Begriff,  feindlich  gegen  BSärosche  zu  ziehen. 

Gäwän  ist 'unentschlossen,  ob  er  sich  hier  betheiligen  soll,  er  be- 
sorgt in  den  Kampf  verwickelt  zu  werden  und  dann  gar  den  Tag  des 
2weikampfes  zu  versäumen.    Doch  war  hier  nicht  tlurchzukommen,  so 
^lieschliesst  er  denn  einstweilen  zuzuschauen  und  da  Niemand  im  Heere 
"ihn   anruft,    wendet   er  sich   gegen  die  Stadt.     Hier  sind  die  Thore 


')  Vffl.  Rührmunds  AbhandliiDg  über  Gawaa  in  v.  d.  Hagens  Germania.    X. 
17-  25.  und  in  seinem  Programm.  Potsdam  1849. 

12* 


180 

bereits  vermauert,  die  Thürnie  wohl  verwahrt  ood  an  jeder  Zinue  ein 
Armbrustschütze.  Er  reitet  bergauf  und  lagert  sich  unter  den  Bäumen 
bei  der  Burg.  Die  Menge  seiner  Säumer,  die  zahlreiche  Dienerschaft 
und  die  prächtigen  Decken  und  Kissen,  die  er  für  sich  ausbreiten  lässt, 
erregen  die  Aufmerksamkeit  von  Lyppauts  Gemahlin  und  Töchtern, 
welche  sich  so  nahe  über  ihm  in  dem  Palas  befinden ,  dass  er  ihre 
Reden  hören  kann.  Besorgt  fragt  die  Herzogin ,  ob  der  Ankömmling 
wohl  Hilfe  bringe;  die  kleine  Obilöt  erklärt  ihn  für  einen  gar  minnig- 
lichen  Ritter,  den  sie  gerne  annehnien  wollte,  dieses  verdriesst  Obie 
und  obwohl  sein  Aeusseres  gar  nicht  darauf  schliessen  lässt,  so  erklärt 
sie  ihn  doch  für' einen  Kaufmann  oder  Wechsler  (wehselaere ),  der  hier 
gute  Geschäfte  machen  wolle.  — 

Lyppaut  hat  seine  Freunde  zu  Hilfe  gerufen,    doch  will  er  nicht 
selbst  gegen    den  Sohn   seines  ehemaligen  Lehnsherrn   und  Gebieters, 
wie  bitteres  Unrecht  er   auch   an  ihm  übe,    die  Waffen  in  die  Hand 
nehmen.     Inzwischen  erbrechen  die  Bürger  ihre  Thore  und  ziehen  aus 
und  es  beginnt  die  Schlacht  im  Felde.  Meljanz  fliegt  im  Felde  siegreich 
hin  und  her  und  Obie  folgt  ihm  mit   unverwandten  Blicken,    denn  je 
mehr  er  den  Gefahren  sich  aussetzt  und  rühmlich  besteht,   desto  leb- 
hafter muss  sie  sich  gestehen,   dass  sie  ihn  liebe,   aber  desto  wider- 
williger sieht  sie  auf  Gäwan;  sie  kann  der  Lust  nicht  widerstehen,-  über 
ihn  zu  Obilöt,  die  sich  seiner  ernsthaft  annimmt,  laut  zu  spotten  und 
endlich  gar  einen  Garzün  abzuschicken,  der  fragen  solle,  ob  die  Rosse 
ihm  feil  wären  und  ob  er  jn  seinen  Saumschreinen  gutes  Kramgewand 
habe,  das  die  Frauen  ihm  abkaufen  wollten.  Gäwän  aber  empfängt  den 
Knappen  mit  solchen  Blicken,  dass  er  seine  Botschaft  nicht  zu  sagen 
wagt  und .  der  mit  Maulschellen  (mülslege)   bedrohte  Wicht    (ribbait) 
schleunig  zurückläuft.  Obie  aber  ruht  nicht,  sie  schickt  zum  Burggrafen 
Scherules  mit  dem  Befehl,  er  solle  den  Kaufmann  unter  den  Oelbänmeu 
im  Graben,  der  nur  gekonunen  sei,  die  Leute  zu  betrügen,  fest  nehmen. 
Scherules  aber  erkennt  bald,  dass  er  es  mit  einem  edlen  Ritter  zu  thun 
habe  und  ladet  ihn  auf  das  Höflichste  ein,   Herberge  zu  nehmen  und 
trägt  sich  selbst  als  Marschalc  an.  Gäwän  zieht  vergnügt  in  die  Stadt; 
doch  die  übellaunige  Obie   ruht  noch   nicht,    sie  sendet  ein  Spielweib 
(spilwip)  und  verdächtigt  den  Ritter  als  einen  Falschmünzer  (valschaere), 
dessen  man  habhaft  werden  müsse  und  Lyppaut  wäre  beinahe  darauf 
eingegangen,   hätte  ihn  Scherules  nicht  glücklicher  Weise  noch  eine» 
Besseren  belehrt;  so  bittet  Lyppaut  selbst  den  Ritter,  den  er  nun  aoclB. 
als  werthen  Gast  willkommen  heisst,  um  Beistand  in  seiner  Noth;  aber* 
Gäwän,  besorgt  sein  Wort  nicht  einlösen  zu  können,  wenn  ihm  hier  eiiB- 
Unfall  begegne,  bittet  um  Bedenkzeit  über  Nacht    Rückkehrend  findet 


181 

Lyppant  »eine^  OWlÄt,  die  mit  des  Burggrafen  Töchterlein  mit  Ringlein 
spielt; ')  sobald  sie  erfährt,  dass  der  Ritter  weder  zu-  noch  abgesagt 
habe^  beschliesst  die  Kleine  selbst  zu  ihm  zu  gehen.  — 

Gräwän  sprang  auf,  als  sie  in   seine  Kemenaten  kam,   setzte  sich 
zu  der  Süssen  und    dankte,    dass  sie  ihn  der  Schwester  gegenüber  in 
Schutz  genommen.     Die  junge    klare   Magd   sprach:     ^ Gott   mag   es 
mir  bezeugen,  Herre,  dass  Ihr  der  erste  Mann  seid,   der  mein  Rede- 
geselle ward;  ist  meine  Zucht  dadurch  gewahrt,   so  habe  ich  Freuden, 
denn  meine  Meisterin  sagte  mir:  die  Rede  sei  des  Sinnes  Dach.    Herr, 
ich  bitte  Ekich  und  mich,  denn  wahrer  Kummer  lehrt  mich  dieses,  Ihr 
seid  mir  darum  nicht  minder  hold,  denn  ich  fahre  doch  auf  der  ^mäze" 
Pfad,  da  ich  zugleich  mich  selber  bat.     Ihr  seid  in  Wahrheit  Ich,  wie 
auch  die  Namen    sich,  theilen;   nehmt   meines  Leit)es  Namen  und   seid 
nun  Magd  und  Mann  zugleich.    Thut  Ihr  meiner  Bitte  Gewähr,  so  will 
ich  Euch  herzliche  Minne  geben.  »  Habt  Ihr  mannliche  Sitte,    so  dient 
Ihr  mir  wohl,  denn  ich  bin  *es  werth;    lasst  Euch  nicht  beirren,   dass 
mein  Vater  wohl  schon  Freunde  und  Magen  hat,  die  ihm  dienert,  nein, 
dient  uns  beiden  um  meinen  Lohn.**  —    Gäwän  deutet  ihr  an,  dass  er 
durch  sein  Wort  schon  gebunden  und  sich  dessen  nicht  begeben  könne, 
was  ihre  Minne  betreffe,  so  musste  sie  wohl  noch  Oinf  Jahre  älter  sein 
ehe  sie  solche  geben  könne.  Doch  gelobt  er  dem  ^freuwelin^  ihretwegen 
die  "Waffen  zu  trage«,  doch,  ftlgt'  er  scherzend  bei:  ^In  Euerer  Hand 
55ei  mein  Schwert,  will  Jemand  Tjost  von  mir,  so  sollt  Ihr  reiten  und 
sti'eiten,  und  wenn  mau  auch  mich  kämpfen  sieht,  so  müsst  doch  Ihr 
CS  sein.*  —  Sie  sprach:  ,.Das  ist  nicht  schwer;   ich  bin  Euer  Schirm 
und  .Schild  und  Euer  Herz  und  Euer  Trost,  seit  Ihr  tnich  vom  Zweifel 
erlöst  habt;  ich  bin  Euer  Geselle  und  Geleite;  meine  Minne  soll  Euch 
IKriede  geben.  Ich  bin  Wirth  und  Wirthin  und  will  im  Streite  bei  Euch 
«ein."     Er  hielt  ihr  Händelein  zwischen;  seinen  Händen  während  sie  so 
sprach,  dann  machte  sie  sich  auf  um  ihm  ein  Kleinod  zu  bereiten  und 
liub  sich  mit  ihrer  Gespielin  von  dannen.   Gäwän  aber  sprach:  „Werdet 
nur  ein  wenig  älter,  so  kann*s  nicht  fehlen,  dass  Euretwegen  noch  genug 
Speere  verschwendet  werden." 

Unterwegs  aber  kommen  dem  Töcbterlein  des  Burggrafen  doch  leise 
bedenken,   was  sie  dem  Ritter  eigentlich  denn  geben  könnten,   da  sie 


')  368,  12:  ^dia  zwei  snalten  vingerün;"  dasselbe  Kinderspiel  Ringlein- 
schnellen ,  einen  am  Faden  aufgehängten  Ring  nach  einem  Hacken  an  "  der 
Wand  schnellen,  nennt  Wolfram  auch  im  Willehalm  VII.  327,  7 :  „daz  waer 
dhi  kurKwUe  sin,  als  ein  kint  daz  snellet  vingerltn.^  Rochholz  Kin- 
derspiel. S.  434.  Auch  in  Strickers  ^slegel.**  Vgl.  v.  d.  Hagen  Gesammt. 
Abent.  II.  S   418.  v.  819. 


182 

gar  nichts  als  Pappen  (locken)  haben;  ist  die  meine  schöner,  sagt  sie 
zu  Obilöt,  so  gebt  sie  ihm  in  Göttesnamen,  ich  werde  sie  schon  ver- 
schmerzen. ^)  Da  begegnet  ihnen  Lyppaut,  der  sein  Töchterleia  zu  sich 
aufs  Pferd  hebt,  ihr  Gespiel  nimmt  ein  anderer  Ritter  auf.  Sie  klagt 
dem  Vater,  dass  sie  nichts  dem  Ritter  zu  schenken  habe,  er  sei  ihr 
lieber  als  je  ein  Mann  einer  Magd  geworden.  Lippaut  fiihrt  sein  kostbares 
Kind,  für  dessen  Besitz  er  Gott  dankt,  zur  Herzogin,  die  gleich  kost^ 
bare  Stoffe  kommen  lässt,  daraus  schnitt  man  ihr  ein  goldbrokaten 
Kleid,  dessen  Aermel  dann  Gäwän  als  Kleinod  (daz  was  ir  prisente) 
auf  seinen  Schild  nagelte ,  indess  Obilöt  desshalb  an  dem  einen  Arme 
bloss  ging.  In  der  Nacht  verstärkt  sich  noch  die  Besatzong  der  Stadt 
durch  massenhafte  Zuzüge  von  aussen,  in  den  Gassen  war  grosses  Ge- 
wühl, auch  sah  man  viele  Banner  (banier),  Helme  und  farbige  Speere 
im  Mondenscheine  glänzen;  gar  kostbar  waren  die  Streiter  gekleidet,  so 
dass  Regensburger  Zindel ')  kaum  noch  Werth  hatte.  Den  jungen  Tag 
begrüsste  ein  anderer  Ton  als  Lerchensang,  die  Speere  krachten  recht 
wie  ein  Wolkenbruch  (wölken  riz),  da  erhallte  manch  reicher  Tjost  als 
würfe  man  ganze  Kastanien  in  grosse  Gluth  (als  der  würfe  in  grdze 
gluot  ganze  castäne).  Gäwän  und  der  Burggraf  (schahteliur)  Hessen 
sich  zuerst  eine  Messe  singen,  dann  ritten  sie  aus.  Poydiconjunz  kam 
mit  solcher  Heeresmacht,  dass,  wäre  im  Schwarzwald  jede  Staude  ein 
Schaft,  dort  nicht  mehr  Waldes  zu  sehen  wäre  als  hier  in  seiner  Schaar. 
Mit  sechs  Fähnlein  (vanen)  ritt  er  zu,  und  seine  Posaunen  bliesen,  als 
ob  es  donnere.  Ich  weiss  es  nicht,  ob  ein  Halm  unzerstampft  blieb,  der 
Erfurter  Weingarten ')  zeigt  heute  noch  von  ähnlicher  Noth,  welche  die 

0  Die  köstliche  Stelle  lautet  372,  17:  . 

,^wes  habt  ir  im  ze  gebne  wdn? 

sft  daz  wir  niht  wan  tockeo  hdn, 

sin  die  mtne  iht  schoener  baz. 

die  gebt  im  dne  mtDeii  haz: 

dd  wirt  vil  w^ue  ndch  gestriten^^ 
Die  Kinderpuppen  waren  sehen  auf  dem  grierhischen  Markte  stehende  Artikel 
wie  auf  dem  unsrigen  und  hatteu  genau ,  M-ie  die  unserigeu ,  bemalte  Holz- 
und  Porzellangesichter.  (Rochholz  S.  364.)  Das  Wort  Puppe  kam,  wenih 
nicht  durch  die  Römer,  doch  durch  Frankreich  zu  uns  (vffl.  Urimm  111.57)^ 
nachdem  das  Spielzeug  längst  im  altnordischen  Leben  beKannt  M-ar;  im  IX^ 
uud  X.  Jahrb.  finden  sich  schon  viele  Bdege  darür.  Im  Willehalm  I.  33,  21 
erwähnt  Wolfram  ausdrücklich  die  Tocke  seines  Töchterlein. 

')  377,  30  ff  :  ,^ein  Reffenspurger  zindal.  dd  waer  ze  swachem  werde  vor 
Bedrosche.^  Der  Zindal  war  (ebenso  wie  der  bes.  im  Wigalois  oft  genannte 
l*imit)  ein  leichter  Seidenstoff,  der  schon  im  IX.  Jahrb.  in  den  verschieden^ 
^^ten  Farben  bei  uns  getragen  wurde  (Weinbold  Deutsche  Frauen.  S.  425)^ 
^fkm  öftesten  fand  er  sich  roth,  auch  gelb,  blau,  grün,  schwarz  und  weissJ 
Am  besten  wurdß  er  in  Italien  zu  Lucca,  in  Spanien  zu  Granada  gefertigt^ 
auch  kam  griechischer  Zindel  die  Donau  herauf,  Regensburg  lieferte  gleidi- 
falls  diesen  Stoff  in  vorzuglicher  Güte.    Vgl.  oben  S.  136.  Anm. 

')  879,   18;    „Erffurter  wtngarte  gibt  von  treten  noch  der  selbco  not« 


188 

Hofe  anrichteten.  —     Es  g«b  scharfe  Tjoste  und  mancher  Mann  ward 

famter  das  Robs  auf  den  Acker  gesetzt,  manch  Rosslein  (vole)  lief  ohne 

seinen  Meister.    Gawän  sprengte  mitten  hinein  und  stach  einen  jungen 

Herrn  herab,  dem  der  Knappe  diente,  welcher  dem  Gäwän  gestern  so  artig 

die  Märe  gesagt,   wie  der  Zwist  entsponnen;    Gäwän  erkennt  ihn  und 

gab  ihm  das  Pferd  zurück,  das  er  seinem  Herrn  abgejagt  hatte.  Meljanz 

selbst  aber  stritt  überaus  tapfer,  seine  Hand  zerklob  viel  vester  Schilde 

und  brach  starke  Speere.    Da  nahm  Gäwän  einen  seiner  guten  Speere 

von  Angram,  von  denen  er  ein  Dutzend  noch  auf  demPlimizoöl  gekauft 

hatte  und  tjostirte  mit  Meljanz :  sie  prallten  zusammen,  dass  die  Helden 

beide  hinter  ihren  Rossen  standen,  dann  droschen  sie  sich  mit  Schwer-  ' 

tern  die  Garben,  dass  die  Stücke  davon  flogen,  einen  Speerstich  bekam 

Meljanz  in  den  Arm,    dann  zuckte  ihn  Gäwän  nieder  und  zwang  ihm 

Sicherheit  ab.   Viele  die  hier  um's  Leben  kamen,  büssten  schwer  Obiens 

Zorn !     Meljanz  kämpfte  weiter  fort,   obwohl  sein  Schild  kaum  mehr 

handbreit  war,    wurde   aber  bald   wieder  niedergeworfen  und  manches 

Jloss,  dem  kein  Hafer  mehr  schmeckte  (maneg  ors,  daz  sit  nie  gruose 

«nbeiz),  trat  ihm  auf  das  Kleid,  da  erging  der  Rosse  Sehelmetag,  dar- 

viach  die  Geier  Behagen  haben.   Das  Beste  im  innern  Heere  hatte  der 

TUtter  der  kleinen  Obilöt  gethan,  im  Feindesheer  aussen  aber  ein  rother 

bitter,   der  alle  von  ihm  gefangenen  Ritter  in  die  Stadt  sendet,  sich 

^egen  Meljanz  auszuwechseln,  vermöchten  sie  das  aber  nicht,  so  sollten 

sie  ihm  den  Gral  suchen  helfen;  da  den  aber  Keiner  weiss,  so  schickt 

er  sie  nach  Pelrapeire ,  um  dort  der  Königin  zu  sagen ,  sie  kämen  im 

Auftrage  dessen,    der  dort  einst  ihrethalben  mit  Kingrun  und  Clamide 

gestritten,    stets  sei  ihm  nach  dem  Grale  weh  und  nach  ihrer  Minne. 

Darauf  vertheilt  er  die  erbeuteten  Rosse  an  die  Knappen   und  behält 

nur  eines  mit  kurzen  Ohren,  Namens  Ingliart  fQr  sich,  da  sein  eigenes 

verwundet  ist,  und  reitet  weiter  auf  seiner  arbeitvollen  Bahn. 

Gawan  löste  den  Aerrael  vom  Schilde  *)   und  sandte   ihn   durch- 
stochen und  zerhauen  an  Obilöt,  die  ihn,  wie  er.  war,  an  ihren  blanken 


inane^  orses  fiioz  die  släge  böt.^  Als  König  Philipp  und  Otto  mit  einander 
um  die  deutsche  Kaiserkrone  stritten^  war  der  Landj^raf  Hermann  von  Thü- 
ringen bis  zum  Herbste  1204  auf  des  Letzteren  Seite.  Obwohl  von  Philipp 
zur  Unterwerfung  fehracht.  wandte  er  sich  doch  wieder  1202  zu  Otto. 
Philipp  zog  desshalb  aufs  Neue  nach  Thüringen,  Hermann  rief  aber  die 
ßöbmen  zo  Hilfe  und  belai^erle  1203  nach  Pfingsten  den  l^önig  Philipp  zu 
Erfurt  89  hart,  dass  er  sich  kaum  retten  konnte.  Da  die  Spuren  davon  noch 
sichtbar  waren,  als  Wolfram  diesen  Theil  des  Parcival  dientete,  so  sdbliesst 
Lehmann  (Walther  v.  d.  Vogelw.  S.  146)  daraur.  dass  er  nicht  lange  dar- 
auf^ vielleicht  im  Sommer  1204,  nach  Eisenach  gekommen  sei. 

M  Derffleicben  Dioge  aps  Fraueoband  trugen  die  Ritter  gar  gerne   auf  dem 
Schnde  oder  als  Helmsier.    So  kaufte  ein  Ritter  einem  Bettler,  dem  die  hl. 


184 

Arm  legte  und  mit  Freuden  vor  der  Schwester  zeigte,  die  sidi  darQber 
ärgerte.  Meljanz  aber  wicd,  obwohl  ein  Gefangener,  dooh  mit  aller 
Ehrfurcht  empfangen,  so  dass  Alle  vor  ihm  stehen,  während  er  sein 
ritterliches  Mahl  geniesst.  Da  kommen  die  von  dem  rothen  Ritter  ab- 
gesendeten Grefangenen  und  in  der  Schilderung,  diie  sie  von  ihrem  Gegner 
machen,  eckepnt  .Gawan  seinen  Freund  Parcival  und  dankt  Gott,  dass 
er  heute  nicht  mit  ihm  feindlich  zusammengerieth.  Der  junge  Meljanz 
aber  erkennt,  wie  ungerecht  sein  feindliches  Beginnen  gegen  Lyppaut 
gewesen  sei,  und  bittet  den  Burggrafen  Scherules  dringend,  ihm  die 
Gunst  seines  zweiten  Vaters  wieder  gewinnen  zu  helfen.  Obildt  jubelt 
laut  beim  Anblicke  Gawans,  er  drückt  sie  wie  eine  Puppe  an  seine 
Brust  und  schenkt  ihr  seinen  Gefangenen  Meljanz,  die  klug  genug  ist, 
ihn  ihrer  Schwester  als  Herrn  und  Amie  zu  übergeben.  Wahrhaftig! 
Gott  sprach  aus  ihrem  jungen  Munde  und  Frau  Minne,  die  Alles  ver- 
mag, fachte  die  Liebe  der  Beiden  wieder  an,  dass  Obie  mit  Weinen 
Meljanzens  Wunde  küsste  und  ihn  ihren  Herren  nannte.  Mit  Freuden 
ward  die  Hochzeit  begangen.  Gawan  aber,  der  keine  Zeit  verlieren 
darf,  zog,  trotz  der  Thränen  der  kleinen  Obildt,  die  so  gerne  ihn  be- 
gleitet hätte,  von  dannen  upter  den  dankbaren  Segenswünschen  Lyppauts 
und  seiner  Genossen. 

Vni.  Nach  mancher  Tagfahrt  durch  rauhe,  unwegsame  Gebirge, 
wohin  ihm  Lyppaut  Speisevorrath  durch  seine  Jäger  vorausgesendet  hatte, 
durch  Wälder  und  Moore  steigt  Gawan  in  das  Land  Askalon  hinab.  In 
einer  grossen  Ebene  ersieht  der  Held  eine  schöne  Burg  im  Sonnen- 
schein, so  herrlich,  dass  Aeneas  zu  Karthago  keine  schönere  sehen 
mochte ;  sie  gehört  dem  König  Vergulaht ,  dessen  Vater  Gawan  auf 
heimtückische  Weise  ermordet  haben  soll.  Vergulat  stammte  von  den 
Feien,  daher  war  er  von  ausserordentlicher  Lieblichkeit,  ebenso  wie 
seine  Schwester.  Gawan  triflft  ihn  gerade  mit  seinen  Rittern  auf  der 
Falkenbeize  und  wird  auf  das  freundlichste  ersucht,  voraus  zum  Schlosse 
zu  gehen,  wo  seine  schöne  Schwester  ihn  aufs  Beste,  pflegen  werde;  er 
selbst  werde  in  Kurzem  ihm  folgen.  Antike  nie,  so  ist  ihr  Name, 
hätte  wohl  mit  der  Markgräfln  von  Heitstein  wetteifern  können,  deren 
Schein  über  die  ganze  Mark  leuchtete.  ^)   Gawan  ritt  von  einem  Ritter 


Elisabeth .tynen  ihrer  Aermel  vom  Rocke  geschenkt  hatte,  denselben  gltkh 
mit  schwerem  Gelde  ab  and  steckte  ihn  auf  den  Helm.  Vgl.  meine  Ausgabe 
des  St.  Eisben  Leben  in  F.  Pocci  „Altes  und  Neues.''  II.  15.  Die  Aermel 
worden  häufig  erst  bei  dem  jedesmaligen  Gebrauche  des  Kleidei(  an  den  Rock 
angeschnürt  und  angeheftet.    Vgl.  ^Weinhold  S.  430.  442  etc 

')  „ir  Site  und  ir  sin  war  geltch  der  marcgHlvin  (404)  diu  dicke  vonme  Heit- 
stein ttber  al  die  marke  schein."^    Die  lesearten  haben  Aitsleine,  ReitsteiD, 


185 


begleitet  auf  den  Palas,    and   wurde  dahin  gebracht,  wo  die  Königin 
Antikonie  sass.     0  weh!  dass  der  weise  Mann  von  Veldeke'>  so  früh 
erstarb,  der  würde  sie  besser  gelobt  haben !  Als  Gawan  die  Magd  ersah 
ging  er  näher  und  sagte,  was  ihr  der  König  melden  liess.    Sie  antwor- 
tete:    ^Herr,  tretet  näher,   meiner  Züchte  Meister  das  seid  Ihr!   nnn 
gebietet  nnd  lehret.     Kann   ich  Euch   die  Weile   kürzen   so  sollt  Ihr 
gebieten;   da  der  Bmder  Euch  so  wohl  empfohlen  hat,    so  küsse  ich 
Euch,  wenn  ich  küssen  soll.     Nun  gebietet  nach  Eurem  Dünken  über 
mein  Thnn  oder  Lassen.^   Mit  grosser  Zucht  stand  sie  vor  ihm.  Gawan 
siurach:  ^Fraue,  Euer  Mund  ist  so  kusslich  (so  küssenlich  getan),  dass 
ich  den  Gmss  gerne  mit  Euerem  Kusse  gelten  mag.^    Ihr  Mund  war 
heiss,  voll  (dick)  und  roth,  daran  bot  Gawan  den  seinen  und  es  erging 
ein  ungastlicher  Khss,  d.  h.  inniger  als  es  einem  Gaste  eigentlich  ge- 
golten hätte.   Zu  der  züchtereichen  Maid  setzte  s^ch  der  werthe  Degen, 
der  sich  wohl  auf  süsse  Rede  verstand.  Oft  musste  er  seine  Bitte,  sie 
ihr  Versagen  erneuern,  auch  bat  er  sie  Genaden  viel.   Sie  aber  sprach : 
^Herr,   wenn  Ihr  klug  seid,   so  mag  es  Euch  genug  dünken.    Ich  bot 
£ach  um  meines  Bruders  willen,  wie  es  Ampflise  meinem  Oheim  Gab- 
joinret  nie  besser  bot,  ich  habe  wohl  schon  ein  Loth  zugewogen,  weiss 
SAch  nicht,  Herre,   wer  Ihr  seid,   dass  Ihr  nach  so  kurzer  Frist  nach 
meiner  Mimie  begehrt.^    Gawan  antwortete:  ^ Wollt  Ihr  wissen,  woher 
ich  sei,  so  hört  Fraue,  dass  ich  bin  meiner  Base  Brudersohn,  wollt  Ihr 
Tinir  genaden,   so  säumt  nicht  lange  meiner  Herkunft  wegen,  denn  die 
ist  der  Eueren  völlig  gleich.^    Eine  Magd  schenkte  ihnen  ein  und  ging 
Unaus,  andere  Frauen,  die  erst' da  sassen,  dachten  auch  daran,  was 
sie  dranssen  zu  pflegen  hatten  und  gingen,  auch  der  Ritter,  der  ihn  her- 
gebracht, war  längst  hinweg.     Da  gedachte  Gawan,  dass  den  grossen 
JStranss  oft  ein  kleiner  Aar  fangen  könne;  er  umschloss  sie  inniglich  mit 
den  Armen  und  durch  die  Liebe  kamen  sie  in  solche  Notb,  dass  bald 
ein  Ding  geschehen  wäre,   hätten  es  üble  Augen  nicht  ersehen.     Ein 
alter  Ritter  kam  herein  und  erkannte  Herrn  Gawan  und  schrie:  ^Heia^ 
hei!  der  Ihr  meinen  Herrn  erschlagen,   Ihr  thut  nun  auch  der  Tochter 
Gewalt!"     Den  Waflfenruf  hörte  das  Gesinde,  das  bald  herauf  drang. 
„Nun  rathet  Herrin,  wie  wehren  wir  uns,  sprach  Gawan,  hätte  ich  nur 
mein  Schwert.*     Die  Jungfrau  zieht  ihn  in  einen  Thurm,  der  bei  ihrer 
Kammer  steht  und  hofit,  dass  der  Sturm  vorübergehe.  Nun  aber  drang 


Hertstein.    Dagegen  bat  M.  Haupt  die  Leseart  Heitstein  festgestellt.    Vgl. 
oben  S.  118. 

')  Heinrichs  vontVeldecke  BItilhezeit  fällt  zw.  1173—1184.  Wolfram 
kannte  ihn  sicherlich  vom  Hofe  des  milden  Landgrafen  von  Thüringen.  404, 
28:  ^6vr£,  daz  so  fruo  erstarp  von  Veldeke  der  wfse  man!  der  künde  se 
baz  gelobet  hAn.^ 


186 

schon  das  Volk  (bovel '}  herein  aus  der  Stadt,  sie  lärmten  nnd  schrien 
und  drangen  gegen  die  Thüre;  Gawan  stand  innerhalb  and  riss  einen 
Riegel  aus  der  Mauer ,  mit  dem  er  seine  arge  Nachbarschaft  oft  znm 
Weichen  brachte,  die  Königin  snchte  nach  einer  Wehr  gegen  die  Stür- 
menden, endlich  fand  sie  Schachzabelgesteine  ^)  und  ein  Spielbrett,  das 
an  einem  eisernen  Ringe  hing,  das  brachte  sie  Gawan ;  auf  diesem  vier- 
eckigen Schild  ward  nuti  ein  ander  Schach  gespielt!  Die  Fraue  aber 
warf,  ob  es  nun  König  oder  Thurm')  war,  die  grossen  schweren  Steine 
gegen  das  Volk,  wen  ihres  Wurfes  Schwang  erreichte,  der  stürzte  wider 
seinen  Willen.  Die  reiche  Königin  stritt  da  so  ritterlich  bei  Gawan, 
dass  die  Kauffrauen  zu  Tolenstein  zur  Fastnacht  auch  nicht 
.  besser  stritten,  ^)  doch  diese  thun*s  aus  Narrethei  (von  gampelsiten)  und 
mühen  ohne  Noth  ihren  Leib ;  wenn  ein  Weib  Schrammen  von  Harnisch 
trägt,  die  hat  ihren  Bernf  vergessen.  Doch  Antikonie  bewies  hier  zu 
Schanfanzdn  ihre  Treue  und  vergoss  Thränen  im  Streik».  Hätte  er  nur 
Müsse  gehabt  die  Magd  recht  zu  schauen,  ihr  Mund,  ihre  Augen  und 
ihre  Nase  waren,  wie  der  Dichter  mit  seinem  übermüthigen  Bilderwitz  • 
sagt,  schönefr  als  die  eines  Hasen  am  Spiesse ;  rainnegehrendes  Gelüsten  . 
konnte  ihr  Leib  wohl  gereizen,  ihr  saht  sicherlich  noch  keine  Ameise, 
cHe  besseren  Gelenkes  pflag  als  sie  da,  wo  ihr  Gürtel  lag.  Das  gab 
ihrem  Gesellen  Gawan  auch  männlichen  Muth,  obwohl  ihm  kein  anderes 
Gedinge  als  der  Tod  in  sicherer  Aussicht  stand;  doch  kümmerte  sich 
Gawan  wenig  um  die  Feinde,  er  fällte  ihrer  Viele.  Unterdessen  erschien 
König  Vergulaht  und  Gawan  fand  einige  Rast,  doch  nur  bis  der  König 
gewappnet  war.  Da  kam  derselbe  Mahn,  der  ihn  kurz  zuvor  bei  Artus 
so  kampflich  angesprochen,  der  Landgraf  Kyn gr im ursel;  Gawans 
Noth  ging  ihm  so  durch*s  Herz,  dass  er  die  Hände  rang,  denn  er  hatte 
ihm  seine  Treue  zu  Pfand  gesetzt,  dass  er  Frieden  haben  sollte  bis  ihn 
ein  Einzelner  im  Streit  bezwungen.  Zornig  trieb  er  die  Leute  vom 
Thurme ,  da  aber  der  König  neuen  Sturm  befahl ,  sprang  der  treue 
Landgraf  zu  Gawan  und  erklärt  dem  Bedrängten  beizustehen ;  so  kommt 


*)  Bovel  cf.  oben  S.  135.  Anm.  3. 

0  408,  20  fr.:  „schfichzabelgesteine  iint  ein  bret,  daz  an  eine  isenfnem  ringez 
bienc.^  Das  Schacbspiel  findet  sieb  in  Deutschland  schon  sehr  frühe;  es  ge- 
hörte zu  dpn  ritterlichen  Vollkommenheiten,  den  sieben  probetates,  als  da 
hiessen :  Reiten,  Schwimmen,  Scbiessen,  Ringen,  Vogelbehee,  Schachspiel  ond 
—  versificari!  im  Wigelois  werden  hölzerne  Schachfiguren  genannt;  diese 
im  Pareival  waren  wahrscheinlich  von  Metall  Vgl.  übrigens  Massmann 
Geschichte  des  mittelalterlichen  und  vorzugsweise  des  deutschen  Schachspiels. 
Quedlinburg  1839. 

')  roch,  auch  rok,  rocke,  ist  der  wandelnde  Thurm  oder  Elephant.  Mass- 
mann S.  87.  ~ 

4)  409,  5  fr.    Vgl.  oben  S.  122  ff. 


187 

endKch  WaffenstUlAtand  zuwege^  obwohl  Yergalat,  der  noch  nicht  weiss, 
dass  Gawan  am  Morde  seines  Vaters  ganz  nnschnldig  ist  (denn  das 
hatte  ein  anderer  Mann  gethan),  lange  nicht  nachgeben  will.  Antikonte 
dankt  mit  Thränen  dem  wackem  Landgrafen  für  die  Rettang  des  wer- 
then  Gastes,  der  ihrer  Pflege  übergeben  wird.')  Kyngrimorsel  hält  es 
nunmehr  mit  seiner  Ehre  unTertrftglich ,  dass  er  hier,  wo  das  von  ihm 
yerheissene  sichere  Geleit  auf  so  schmähliche  Weise  gebrochen  ward, 
seinen  Kampf  mit  ihm  ansfechte  und  Beide  vereinigen  sich,  dass  er 
über  ein  Jahr  zu  Barbigoel  abgehalten  werde.  Vergalaht,  einigermassen 
in  Verlegenheit,  was  er  mit  Guwan  beginnen  soll,  erzählt,  er  sei  neulich 
im  Forst  Laehtamris  von  einem  unbekannten  Ritter  niedergestochen 
worden,  der  ihn  verpflichtete,  den  Gral  zu  suchen  und  wenn  er  ihn  in 
Jahresfrist  nicht  fände,  sich  der  Königin  von  Pelräpeire  zu  stellen.  Nun 
scheint  es  den  Rathgebem  des  Königs  thunltch,  die  Erfüllung  dieses 
Gelübdes  dem  Gawan  zu  übertragen,  wodurch  man  sich  seiner  auf  eine 
schickliche  Weise  entledige.  Gawan  nimmt  den  Antrag  an;  mit  Jammer 
scheidet  er  sich  von  der  schönen  Antikonie  und  reitet  auf  seinem  Rosse 
Gringuljet  dem  Gral  und  grossen  Wundem  entgegen,  indes«  sein  Ge- 
folge (in  dem  sich  acht  kleine  Magen  oder  Nefien  befinden,  die  ihm 
dienen)  nach  Barbigol  geht,  von  wo  er  Meljanz  weiter  an  den  Hof  des 
König  Artus  geleiten  soll. 

• 

IX.  In  reizender  Weise  beginnt  der  Dichter  den  neunten  Gesang 
mit  einem  Zwiegespräch  zwischen  sich  und  der  Frau  Aventüre,  die  an- 
pocht und  in   des  Dichters   Herz   Einlass  verlangt.     „Thut  auf !^  — 


*)  Inzwischen  ergreift  auch  Wolfram  die  Gelegenheit,  sich  auf  seiife  Quelle  zu 
berufen;  er  aari,  dasa  Kyöl  weniffsteos  einen  in  unserer  Geschichte  ganz 
unhedeutendenMann ,  Namens  Liduamus^,  so  nenne  und  fährt  dann  weiter 
416,  21  ff.: 


Kyöt  !a  schantiure  hiez, 
den  sin  kunst  des  nibt  erliez, 
er  ensunge  und  spraeche  86 
d#8  noch  ^enuoge  werdent  frö. 
Ky6t  ist  ein  Provenzdl, 
der  dise  dventiur  von  Parzivdl 
heidensch  geschriben  sach. 
swaz  er  en  franzoys  dd  von  ge- 
sprach, 
bin  ich  nibt  der  witze  laz, 


daz  sage  ich  tiuscben  fUrzbaz. 


Kyot  le  Chanteur,  dem  war 

Wohl  die  Kunst  offenbar, 

So  zu  sinken  und  zu  sprechen^ 

Dass  nie  der  Dank  ihm  darf  gebrechen. 

kyot  ist  ein  ProvenzaK 

Der  die  Mar'  von  Parzival 

Fand  in  arabischem  Buch. 

Wie  er^s  französisch  ttbertnig^ 


So  wird*s,   wenn  mir  der  Sinn  nicht 

fehlt. 
Von  mir  im  Deutschen  nacherzählt. 

Lachmann  (Vorrede  S.  XX)  sieht  in  dieser  Stelle  eine  Anspielung  auf  Chri- 
stians von  Troyes,  der  immer  vermeidet,  die  Personen  der  Fabel  mit  Namen 
ZQ  nennen.  Wolri^m  nennt  den  Fürsten  Liddanus  dessbalb  mit  ausdrück- 
licher Berufung  auf  seine  Quelle ,  weil  der  Prosa  -  Roman  ihn  nur  beiläufig 
bezeichnet. 


188 

^„Wem?  wer  seid  Ilir?'*^  -r  ^Ich  will  in's  Herz  hinein  zn  Dir!*'  — 
^ „So. begehrt  Ihr  in  einen  engen Ranm.^^  —  „Was  thut's?  über  Hiein 
Drängen  sollst  Da  nicht  klagen:  loh  will  Dir  nun  Wunder  erzählen.^ 
—  „Ah!  seid  Ihr  es,  Frau  Aventiure?  was  macht  der  Werthe? 
ich  meine  den  guten  Parcival,  den  Cundrie  mit  unsüssen  Worten  nach 
dem  Gral  jagte.  Voq  Artus  schied  er  sich,  wo  fUirt  er  nun?  sagt  uns 
die  Märe,  ob  er  an  Freuden  verzagte  oder  hohen  Preis  gewann?  Sagt 
uns,  was  von  seinen  Händen  geschah,  ob  er  Munsalvaesche  geschehen 
und  den  beklagenswerthen  Anfortas?  Gebt  uns  Trost  durch  Euere  Gfite, 
ob  e^  von  Jammer  ist  erlöst.  Erzählt  uns  von  Parcivai,  der  Euer  Herre 
und  ^uch  der  meine.  "^ 

Nun  thut  «ns  die  Aventiure  bekannt,  er  habe  viele  Länder  durch- 
fahren (erstrichen)  zu  Ross  und  in  Schiffen  auf  der  See,  w^  ihm  immer 
in  den  Weg  kam,  Landsmann  oder  Blutsfreund,,  den  bestand  er  im 
Tjost.  Wer  Preis  von  ihm  borgen  wollte,  der  kam  in  Sorgen.  Ekidlich 
kam  er  an  eine  Klause,  ohne  Weg  ritt  er  über  Ronen  vor  das  Fenster, 
um  nach  der  Strasse  zu  fragen;  wie  die  Gegenrede  von  einer  Frauen- 
stimme kam,^stieg  er  gleich  ab,  band  sein  Ross  und  den  zerstochenen 
Schild  an  einen  Ast  und  trat  an  das  Fenster:  eine  bleiche  Jungfrau  in 
einem  härenen  Hemde  erhebt  sich  vom  G«bete,  sie  trug  den  Psalter  in 
der  Hand  und  am  Finger  ein  goldenes  Ringlein  mit  einem  Ranzenden 
Granat;  sie  ladet  den  Fremdling  ein,  sich  draussen  auf  die  Bank  zu 
setzen.  Parcival  spottet  über  das  Ringlein,  er  habe  stets  gehört,  dass 
Klausner  und  Klausnerinnen  Amprschaft  meiden  müssten.  Da  erklärt 
sie  ihm,  wie  sie  diesen  Mahbchatz  (mähelschaz)  von  einem  lieben  Manne 
trage,  der  ihr,  vor  sie  seine  Minne  gewann,  durch  Orilus  erschlagen 
worden;  drinnen  liege  ihr  Geliebter  begraben  und  ihr  Leben  schwindet 
dahin  in  Traner  über  dem  Sarge  des  Geliebten,  dem  sie  vor  Gott  in 
treuer  Ehe  verbunden  ist.  „Idi  bin  hier  selbander,  Schionatulander  ist 
das  eine,  und  das  andere  bin  ich,^  sagte  sie.  So  findet  er  denn  aber- 
mals seine  Muhme  Sigune,  die  er  ii:\  ihrer  abgehärmten  Gestalt  nicht 
mehr  erkannt  hätte..  Nun  zieht  auch  er  das  Härsenier  ab,  dass  sie 
sein  Angesicht  erkenne.  Ihre  erste  Frage  ist,  wie  es  mit  dem  Gral  stehe. 
„Ach  Muhme,  klagt  der  werthe  Held,  ich  sehne  mich  nach  meiner 
Gattin,  dem  schönsten  Weib,  und  doch  lässt  mich  die  Sorge  um  den 
Gral  nicht  los,  der  noch  immer  ungesehen  ist.  Und  Du,  liebe  Niilel, 
machst  meinen  Kummer  noch  schwerer,  weil  Du  mich  anfeindest.^  — 
„Nun  helfe  Dir  dessen  Hand,  der  allen  Kummer  kennt,^  antwortet  die 
Gute,  und  ihren  Groll  verschwörend  weist  sie  dem  Helden  die  Spur, 
auf  welcher  die  Gralbotin ,  die  ihr  alle  Samstag  Nachts  Speise  bringt, 
vor  Kurzem  erst  weggeritten  ist,  vielleicht  kannst  Du  sie  noch  ereilen. 


189 

Sogleich  nahm  er  Urlaub  and  ritt  den  Stapfen  nach,  die  bald  wieder 
v^r^hwanden;  so  war  der  Gral  aufs  Neue  verloren! 

Bald  kam  ihm  ein  Rittersmann  entgegen,    sein  Haupt  war  unbe- 
deckt,  sein  Wappenrock  kostbar  und  der  Harnisch  darunter  glänzend, 
80  war  er  bis  zum  Kopf  geröstet.    ^Herre,  spricht  er  den  Parcival  an, 
es  ist  mir  leid,  dass  Ihr  in  meines  Herren  Wald  dringet,  Munsalväesche . 
ist  nicht  gewohnt,  dass  ihm  Jemand  so  nahe  reite,   es  sei  denn,  dass 
er  siegreich  streite  oder  solche  Busse  (wandel)  biete,  die  vor  dem  Wald 
Tod  heisst.^ ')  Er  trug  einen  Helm  mit  einem  Gebäude  von  seidenen 
Schnüren,  einen  scharfen  Speer  (glaevie)  mit  neuem  Schaft.    So  ritten 
sie  denn  kräftig  gegen  einander.     Parcival  traf  den  Strick  der  Helm- 
schnur,   der  Templeise  aber  traf  ihn  da,    wo  man  im  Ritterspiel  den 
Schild  trägt;  sie  stiessen  so  mächtig  zusa!mmen,  dass  der  Ritter  rück- 
wärts vom  Rosse  stürzte  und  über  eine  Halde  in  das  Thal  fiel.     Par- 
cival aber  vermochte  sein  Pferd  nicht  mehr  zu  halten,  es  stürzte  hinab 
und  der  Held  wäre  mit  hinabgefallen,  hätte  er  sich  nicht  an  dem  Ast 
einer  Zeder  erhalten,    worauf  er  bald  wieder  festen  Grund  unter  die 
Beine  brachte.  Sein  Ross  aber  und  der  Andere,  der  sich  unten  wieder 
^on   dannen   hub,    kamen  in    den   Abgrund.     Parcival  nahrti  froh  das 
ledige  Ross  des  Templeisen  für  den  verlornen  Speei^  und   ritt  planlos 
"weiter.     Ihm  gebrach  der  Gral,  das  war  sein  Leid.  — ^ 

Der  Wochen  Zahl ,  wie  lange  Parcival  weiter  ritt,  weiss  ich  nicht. 
Eines  Morgens,  als  gerade  noch  dünner  Schnee  lajg,  begegnete  ihm  tief 
im  Walde  ein  alter  Ritter  mit   seiner  Frau.     Sie   trugen  grobe  graue 
IRöcke  auf  dem  blossen  Leib;    zwei  Jungfrauen,  seine  Kinder,  trugen 
dieselbe  Watt,  Alle  aber  gingen  barfuss.  Der  Ritter  sah  aus,  als  wäre 
er  des  Landes  Herr;  neben  den  Frauen  liefen  kleine  Bracken  (bräcke- 
lin) ;  *)  demüthig  gingen  der  Ritter  und  die  Knappen  auf  der  Gottes- 
fahrt.   Der  alte  Herr  ist  überrascht,  heute  einen  Ritter  gewaflhet  und 
hoch  zu  Ross  zu  finden,    der  die  heiligen  Tage  nicht   ehre   nach    der 
Sitte.    Aber  Parcival  antwortet:  ^Herr,  ich  weiss  nicht,  wie  das  Jahr 
imd  die  Zahl  der  Wochen  steht  und  wie  die  Tage  heissen,  ich  diente 


')  Wo  man  den  Gral  sieht,  ist  kein  Sterben  möglich,  man  kennt  es  auf  der 
Gralburg  und  ihrem  Gebiete  nicht,  vor  dem  Walde  ist  eben  die  Welt,  wo 
der  Tod  so  Hause  ist.   (443,  20.) 

')  Die  Vorliebe'  der  Frauen  fUr  ihre  Hündchen  zeigt  sich  darin  «m  besten,  dass 
sie  selbe  sogar  am  Charfreitag  auf  der  Gotlesfahrt  mit  sich  führen ;  sie  hatten 
sie  immer  um  sich  und  selbst  auf  ihren  Grabsteinen  mussten  die  treuen  Be- 
gleiter noch  abffebildet  werden.  Fast  in  allen  epischen  Gedichten^  wie  im 
Tristan,  im  Wigalois,  noch  mehr  in  den  Hinnesdngern ,  spielen  sie  eine 
nicht  unbedeutende  Rolle.  Vergl.  Weih  hold  Deutsche  Frauen  S.  84  und 
Wackernafel  in  PfeifTeri  Germanii.  IV.  144  AT. 


190 

einst  Einem,  der  hiess  Grott,  ehe  Der  so  Bchm&Michen  Spott  über  mich 
verhängte,  da  mein  Sinn  doch  nie  von  ihm  wankte;  man  sagte  mir, 
er  helfe  gern,  an  mir  aber  ist  seine  Hilfe  verzag  ^  Dagegen  versetzte 
der  grane  Ritter:  ^ Meint  Ihr  den  Gott,  den  die  Magd  gebar?  glaabt 
Ihr  an  seine  Menschwerdung  (mennescheit)  und  an  das,  was  er  heute 
um  uns  erlitt,  wesshalb  man  diesen  Tag  begeht,  so  steht  Euch  der 
Harnisch  übel  an.  Es  ist  heute  der  Karfreitag,  dessen  alle  Welt 
obwohl  in  Leid  befangen,  sich  billig  freuen  mag,  denn  ward  je  grossere 
Treue  offenbar,  als  die  Gott  an  uns  beging,  als  man  ihn  an  das  Kreuz 
hing?  Habt  Ihr  die  Taufe  empfangen  und  seid  nicht  ein  Heide,  so  ge- 
denkt dieser  Zeit.  Njcht  weit  von  da  ist  ein  heiliger  Mann,  der  kann 
Euch  von  Sünden  scheiden,  dahin  reitet.^.  Der  Alte  lud  ihn  auf  die 
Fürbitte  seiner  schönen  Töchter  vorerst  ein,  sich  in  seinem  Gezelt  und 
Schlafliaus  (.slavenien  hüs)  zu  erquicken,  welches  er  alljährlich,  wenn 
er  um  Gottes  Marter-Zeit  durch  diesen  Wald  führ,  immer  mit  Lebens- 
mitteln mitführte.  Allein  Parcival ,  theils  weil  er  neben  den  schönen 
Kindern  nicht  zu  Fusse  gehen  will,  dann  weil  er  Den  hasst,  den  jene 
minnen,  nimmt  Urlaub  und  reitet  trübe  weiter.  Da  gedachte  er  an  die 
Grösse  und  Allmacht  des  Schöpfers  der  Welt  und  ob  der  Gewaltige 
nicht  doch  vielleicht  noch  seinen  Jammer  wende?  ist  heute  sein  hilfe- 
reicher Tag,  SO/  helfe  Er,  wenn  Er  helfen  mag  und  löse  mich  aus  meiner 
Sorgenhaft.  So  wandte  er  sein  Ross  um  und  ritt  hin  woher  er  ge- 
kommen war;  die  Jungfrauen  mit  dem  greisen  Ritter  blickten  dem  Vor- 
überreitenden aufmerksam  nach.  Ist  Gottes  Kraft  so  hehr,  denkt  der 
Arme,  dass  Gethier  und  Menschen  sie  offenbaren,  so  will  ich  ihn 
preisen;  Ihn  weise  mir  dieses  Kastilian.  So  sprechend  legt  er  die  Zügel 
dem  Ross  frei  über  die  Ohren  und  spornte  es  an,  dass  es  gehe,  wohin 
es  mag.  Wirklich  trägt  es  ihn  auch  bald  nach  Fontane  la  salvätsche, 
eben  jene  Klause ,  die  der  fromme  Trevrizent  bewohnt  und  in  welcher 
er  bereits  früher  die  Unschuld  Jeschutens .  auf  dem  Reliquienkästchen 
gegen  Orilus  beschworen  hat. 

Hier  erfahrt  nun  Parcival  die  verhohlne  Märe  von  dem  Gral.  Ver- 
gebens hätte  mich  Einer  früher  darum  befragt,  zu  hehlen  bat  mich*s 
Kyöt  nach  der  Aventiure  Gebot,  bis  davon  zu  sprechen  Zeit  Nun 
erzählt  Wolfram  kurz,  wie  Flegetänis  (der  von  väterlicher  Seite 
her  aus  heidnischem,  von  der  mütterlichen'  Seite  aber  aus  salomoni- 
schem Geschlechte  stammte)  zuerst  von  dem  Gral  in  den  Sternen 
las  und  davon  geschrieben  habe,  das  Buch  habe  dann  der  wohlbekannte 
Meister  Kyöt  zu  Toledo  (Dölet)  verworfeii  gefunden,  der  habe  darüber 
in  lateinischen  Büchern  viel  nachgesucht  und  der  Lande  Chroaikea  ge- 


leseo,   bis  er  ^ze  Anschoawe^  die  Märe  fand  von  ihren  Anherren  bis 
auf  Tyturel  und  Anfortas.  ') 

Damals  traf  Parcival  den  Klausner  nicht  daheim,  jetzt  aber  findet 
er  ihn  und  der  fromme  Mann  ist  ebenfalls  nicht  wenig  erstaunt,  am 
heutigen  Tage  einen  Mann  in  Waffen  zu  erblicken.  Doch  ladet  er  ihn 
ein,  in  seine  Klause  zu  treten;  das  Ross  wird  unter  einer  Felsenwand 
geborgen  und  nothdürftig  gefuttert,*)  dann  führt  ihn  der  Wirth  in  eine 
Gruft,  wo  glühende  Kohlen  lagen  und  der  von  Frost  durchschauerte 
Mann  sich  wärmte;  darauf  gingen  *ie  in  die  andere  Grufl,  wo  der 
Klausner  seine  Bücher  hatte  und  ein  nach  des  Tages  Sitte  entblösster 
Altar  stand,  darauf  stand  die  Kapsel,  die  Parcival  gleich  erkannte.  Er 
erzählte,  wie  er  darauf  geschworen  und  damals  auch  einen  bemalten 
Speer  mitgenommen  habe.  Trevrizent  erinnert  sich  dessen  Abhanden- 
kommens und  Parcival  erfährt,  dass  seither  fünfthalb  Jahre  und  drei 
Tage  vergangen!  Nun  weiss  ich  erst,  bricht  Parcival  klagend  aus,  wie 
lang  ich  aller  Freuden  bar  und  bloss  irre ;  in  der  ganzen  Zeit  sah  mich 
kein  Auge  wo  eine  Kirche  oder  ein  Münster  steht,  ich  suchte  nichts 
als  Streit;  auch  trage  ich  grossen  Hass  gegen  Gott,  {lätte  er  seine 
Kraft  an  mir  erwiesen,  so  sässe  nicht  meine  Freude  so  tief  in  der 
Sorgen  Grund  festgeankert.  Trevrizent  erseufzte  tief:  „Ihr  sollt  besser 
auf  Ihn  vertrauen  lernen,  sprach  er,  nun  sagt  mir  aber,  wie  dieser  Hass 
sich  anfing.     Seine  Hilfe  ist  Allen  unversagt;  Er  selbst  ist  die  Treue 


>)  V.  d.  Uagen  fand  im  J.  1817  zu  Neapel  (vgl.  Briefe  in  die  Heimatli.  Breslnii 
1819.  111  168  ff.)  eine  alte  italische  Pabst-  und  Kaisercbronik ,  welche  er- 
zählt^ dass  um  das  Jahr  1239  ein  Jude  zu  Toledo  im  Weinberge,  in  einem 
ausgehöhlten  Steine  ein  Buch  gefunden,  das  Hebräisch,  Griechisch  und  La- 
teinisch von  den  drei  Wellaltern  handelte,  von  Adam  bis  zum  Antichrist  mit 
der  Weissagung,  dass  im  dritten  Weltalfer  Christus  von  einer  Jungfrau  ge- 
boren und  dieses  Buch  unter  König  Ferdinand  111..  von  Kastilien  gefunden 
werde:  worauf  der  Jude  sich  mit  den  Seinen  teufen  liess.  Dabei  ist  ange- 
merkt^ dass  sich  etwas  Aehn liebes  schon  unter  Heinrich  VI  gefunden  habe! 
—    Uan  sieht  daraus  deutlich^  wie  jede  Sage  bemüht  ist,  sich  historisch  zu 

gestalten  und  wie  sie  mit  jedem  Schritte  verjüngt,  sich  immer  an  neue 
amen  anzule^n  pOegt.  —  Im  Wartburgkrieg  (S  im  rock  1858.  S  195)  hat 
Z  a  b  u  1  ö  n  ^ein  Jude  von  der  muoter  art ,  ein  beiden  vaterhalp  ,^  der  Erste 
^der  sich  Asiromle  ie  underwant^  in  den  Sternen  gelesen,  dass  der  Heiland 
nach  zwölfhundert  Jahren  kommen  werde,  darüber  habe  er  ein  Buch  ge- 
schrieben, das  er  aber  in  ein  Erzbild  schloss,  das  mit  aufgehobener  Keule 
(klüpfel)  die  Schrift  hütete.  Virgilius  habe  aber  doch  das  Buch  gewonnen, 
aus  dem  er  seine  Kunst  schöpfte.  (Hier  ist  die  Sage  bereits  ganz  dem  bor- 
nirten,  meistersöngerlichen  Handwerksverstande  mundgerecht  gemacht,  wie 
denn  dieser  Theil  des  Wartburgkrieges  zn  dem  unerquicklichsten  überhaupt 
gehört.) 

^  Mit  ^jrrazzach  unde  varm  ;^  grazzach  =  Nadelholzsprossen,  Zweige  von  Fich- 
ten, Tannen,  Eiben,  die  zu  Futter  und  Streu  ven^endet  werden;  varm,  dem 
Parrenkraut  entsprechend. 


198    ' 

und  Wahrheit.  Wer  Euch  zürnen  siebt,  könnte  Ekch  am  Hirne  krank 
halten;  denkt  an  Lucifers  Beispiel!  Als  der  zur  Hölle  fahr  (-faor  die 
hellevart),  da  nahm  der  Mensch  den  Anfang,  Gott  workte  ihn  aus 
Erden,  aus  Adam  brach  er  die  EVa,  die  uns  das  Ungemach  brachte, 
dass  sie  d^n  Schöpfer  überhörte  und  unsere  Freude  verdarb.  Als  dann 
Adams  Sohn ,  Käin ,  das  erste  Blut  an  seinem  Bruder  vergoss,  verlor 
die  Erde  ihr  Magdthuiö,  seitdem  ist  Zwietracht  in  der  Welt.  Dennoch 
wandte  Gott  sein  Antlitz  nicht  von  der  sündigen  Menschheit,  sondern 
erschuf  eine  zweite  jungfräuliche  Mutter,  aus  d^ren  reinem  Schoosse 
der  neue  Gottmensch  geboren  ward :  nu  prüevt  wie  rein  die  meide 
sint:  got  was  selbe  der  meide  kint.  Wehe  dem,  der  noch  sündige 
That  begeht!  wandelt  bei  Ihm  der  Sünden  Schuld  ab!  wendet  Euer  Ge- 
müthe  zu  Ihm.  Sagt  mir,  welche  Noth  Euch  drückt.''  —  Parcival  er- 
öffnet ihm  nun :  die  grösste  Sorge  komme  ihm  daher,  dass  er  den  Gral 
nicht  finden  könne,  und  darnach  bekümmere  ihn  am  meisten  die  Sorge 
um  sein  liebes  Weib.  Das  lobt  Trevrizent^  denn  die  Liebe  der  Ehe- 
gatten sei  Gott  ein  Wohlgefallen;  den  Gral  zu  suchen  sei  aber  ein 
vergebliches  Bemühen,  und  nun  erfährt  Parcival  erst  vollständig,  welche 
Bewandniss  es  damit  habe. 

Die  ganze  wehrliche  Ritterschaft  auf  Munsalvaesche  lebt  durch 
den  Gral,  ")  der  solche  Kraft  hat,  dass  der  Phönix  auf  ihm  sich 
verbrennt  und  verjüngt  wieder  in  die  Lüfte  steigt.  War'  einem  Menschen 
noch  so  weh,  er  könnte  doch  an  dem  Tage  nicht  sterben,  an  wei- 
chein er  den  Gral  gesehen,  sieht  ihn  Einer  zweihundert  Jahre 
lang,  ;so  ergraut  ihm  nicht  ein  Haar  und  er  verbleibt  in  jugendlicher 
Schönheit.  Alljährlich  am  Karfreitag  schwingt  sich  eine  Taube  vom 
Himmel,  die  eine  kleine  weisse  Oblate  auf  den  Stein  legt,  davon  em- 
pfängt er  seine  Kraft^  Alles  zu  spenden,  was  unter  dem  Bimmel  fliegt,, 
läuft  und  schwebt.  Der  Gral  beruft  die,  welche  er  in  seinem  Dienste- 
haben will,  durch  eine  Schrift,  welche  verschwindet,  wie  sie  gelesen  ist. 


*)  Der  Gral  ist  aus  eioem  Steine,  der  4t>9^  7  lapsit  exillts  (offenbar  ein  J«spi8> 
genannt  wird.  Das  Wort  grdl  wurde  auf  die  verschiedenste  Weise  zu  deuteiB 
gesucht,  am  richtigsten,  wenij^stens  seinen  symbolischen  Beziebungeo  ent- 
sprechend, ist  die  freilich  bereits  längst  antiquirte  Deutung  Kanne^s  (Chrj— 
slus  im  alten  Testamentes.  102),  der  das  Wort  mit  dem  hebräischen  garalela 
(praeputium)  in  Verbindung  bringt,  da  ja  das  Blut  bei  der  Beschneiduoj^  dad 
Vorbild  des  Versöhnungsblutes  Christi  gewesen.  Vgl.  übrigens  S  ßoisse^ 
ree  in  seiner  Abhandl.  über  den  Graltempel  in  den  Abhandl.  der  Akademie- 
S  319  u.  323.  Die  Genueser  bekamen  im  J.  1101  bei  der  Einnahme  von 
'  Cäsarea  eine  Schüssel  (il  sacro  catino),  woraus  Christus  das  Abendmahl  ge- 
halten haben  soll ;  sie  war  von  sechseckiger  Gestalt  und  galt  für  Smarard^ 
der  sich  jedoch  später  nur  als  Glasfluss  erwies.  Vgl.  auch  Gör  res  in  des 
Einleitung  zum  Lohengrin  über  den  orientalischen  Einfluss  auf  die  Aasbild— 
ung  der  deutschen  Sage.     - 


198 

Alle  die  dort  erwachsene  Leute  sind,  kamen  als  Kinder  dahin  und 
glücklich  die  Mutter,  deren  Kind  in  des  Grales  Di^st  kommt,  denn 
sie  sind  vor  sändlichen  Schanden  immerdar  behütet,   scheiden  sie  aus 

dem  Leben,  so  wird  ihnen  dort  der  Wunsch  zu  Theil. ') 

• 

Diejenigen  Engel ,    die    beim  Kampfe  Lucifers  gegen  die  Trinitas 
sich  nicht  entschieden  hatten  und  neatral  blieben,  weder  zu  Gott  noch 
zum  Teufel  hielten,  wurden  verurtheilt,  den  Stein  zu  halten,  bis  er  zur 
Zeit   der  Erlösung    auf  die  Erde  kam.     Als  das  Christenthum 
sich  verbreitete,  trug  ein  Engel  auf  Gottes  Befehl*)  den  Gral 
zu  dem  jungen  und  frommen  K^öhige  Titurel,   der  von  nun 
an  mit   seinen  Nachkommen   Hüter  und  Pfleger   des    heil. 
Grales  sein  sollte.  Nachdem  dieser  lange  Jahre  diesem  Amte  vor- 
gestanden (denn  er  ist  der  schöne  alte  Mann,  den  Parcival  auf  einem 
Spannbette  am  Siechthum  des  Podagra  (pogrät)  liegen  sah)  trat  er  das 
Königreich  seinem  Sohne  Frimutel  ab,   der  darauf  im  Kampfe  für 
den  Christenglauben  den  Tod  fand.   Nun  fiel  das  Reich  und  die  Pflege 
des  Grals  auf  seinen  ältesten  Sohn  Anfortas;  von  seinen  vier  übri- 
gen Kindern  widmete   sich  Trevrizent  dem  Dienste  des  Grals;    die 
äkeste  Schwester,    Tschoysiäne,   wird  mit  dem  Herzog  Kyöt  von 
Katelange  vermählt,   dem  sie  ein  Töchterlein,  die  schöne  Sigune 
schenkt ,    dessen  Geburt  sie  aber   nur  wenige  Stunden  überlebt.     Die 
zweite  Tochter,    Herzeloyde,   war  dem  Könige  Kastis  zur  Ehe  ge- 
geben, der  aber  schon  am  Tage  der  Vermählung  starb.    Später  errang 
sie  im  Turnier  zu  Kanvoleis  der  edle  Gahmuret  zum  Weibe,    durch 
den  sie  Parcivals  Mutter  ward.   —    Die  jüngste  Tochter  Frimutels, 
Repanse  de  schoye,  ist  noch  unvermählt;  sie  lebt  bei  ihrem  Bruder 
Anfortas  auf  Munsalvaesche,  und  nur  von  ihr  lasst  sich,  nach  Tschoy- 
siänens  Tode ,    der    heilige  Gral    tragen ,   wie  Parcival  bereits  ersah. 
Dieses  hohen  Amtes  ist  überhaupt  nur  die  reinste  Magd 
Würdig,  jedem  anderen  Sterblichen   ist  das  Gefäss  unan- 
tastbar.   Eine   zahlreiche    Ritterschaft    dient    dem   Grale, 
die  Templeisen;    sie  wehren  jeden  Unwürdigen  von  dem  Walde 
ab,  in  dessen  Mitte  die  wunderbare  Burg  liegt.  Es  war  ein 
Glück,  dass  Parcival  das  erstemal  so  unangefochten  hinkam ;  das  zweite 
tnal  war  er  richtig  auf  einen  Templeisen  gestossen,  den  er  im  Tjost  so 
gefahrlich  bestand.  Vermählt  auf  Munsalvaesche  zu  leben  ist  nur  dem 


')  471,  14:  „so  Wirt  in  dort  der  wünsch  gegebo/  eine,  acht  ur^rmanische 
Vorstellung  der  enigen  Seligkeit.  — 

')  Das  Aosrübrlicbe  darüber  in  dem  leider  von  Wolfram  nicht  mehr  vollende- 
ten Gedichte  Titurel. 

13 


Könige  des  Grals  gestattet,  damit  das  Herrschergeschlecht  sich 
fortpflanze.  Wird  aber  ein  fremdes  Land  herrenlos,  und  sehnt  es  sich 
nach  einem  Fürsten,  so  zeigt  der  Gral  in  seiner  Schrift  den  Namen 
des  Ritters,  der  dahin  als  König  ziehen  soll  (vgl.  den  XVI.  Gesang: 
Loherangrin) ,  dort  darf  er  sich  vermählen,  aber  nicht  seine  Herkunft 
melden.  Die  Jungfrauen  auf  Munsalvaesche  dürfen  sich  zwar  auch  ver- 
mählen, wie  Herzeloydens  Beispiel  zeigt,  müssen  aber  dann  die  Burg 
verlassen.  Nie  dürfen  Hochfahrt  und  Unzucht  dem  reinen 
Ge fasse  nahen;  jeder  Ritter  muss  Frauenminne  verschwören;  rein, 
züchtig  und  demüthig  müssen  der  König,  die  Terapleisen  und  alle  Frauen 
sein.  Wehe!  dass  dieses  An  fort as  mal  vergass,  wesshalb  er  es  mit 
gränzenlosem  Jammer  büssen  muss.  Denn  als  er  eins^  in  voller  Jugend^ 
blüthe  auf  Aventiure  zog,  um  durch  Ritterthaten  einer  minniglichen 
Freundin  zu  diesen  und  ^  Amor''  sein  Kriegsgeschrei  .war  (amor  war  sin  krie, 
478,  30),  stiess  er  auf  einen  fremden  heidnischen  Ritter,  rannte  ihn  an 
und  tödtete  ihn,  ward  aber  von  seinem  Speere  in  der  Hüfle  (heidruose) 
verwundet,  so  zwar,  dass  die  vergiftet  hohle  Lanze  in  der  Wunde  ab- 
brach, die  sich  als  unheilbar  zeigte.  Das  Uebel  stieg  mit  jedem  Tage ; 
ein  giftiger  Eiter  entquoll  ihr  unaufhörlich;  alle  natürlichen  und  über- 
natürlicheii  Mittel  der  altdeutschen  Apotheke  werden  zur  Heilung  auf- 
geboten ;  Alles,  was  man  in  Büchern  gelesen  hatte  (swaz  man  der  arzet- 
buoche  las),  wurde  versucht:  Wasser  aus  den  vier  Flüssen  des  Para- 
dieses, da«  Reis,  das  die  Sybille  dem  Aeneas  zum  Schutze  in  die 
Unterwelt  mitgegeben  hatte  (für  helles  ungemach)  gegen  den  Dunst  des 
Phlegeton  (für  den  Flegetönen  rouch),  das  Blut  des  Pelikan  (pellicanus), 
mit  dem  er  seine  Jungen  nährt,  das  Herz  des  Mägde-Reinheit  prüfen- 
den Einhorns*)  und  der  Karfunkelstein,  der  ihm  unter  seinem  Himbeine 
wächst,  Alles  was  man  gegen  giftige  Wurme  und  Schlangenbiss  an 
Kräutern  und  Würzen  weiss,  Nardensalbe,  Theriak  (uut  waz  gedriakelt 
was),  der  Rauch  von  lignum  Aloe  —  Alles  vergeblich.  Ein  Arzt  ge- 
wann wohl  die  Splitter,  aber  die  Wunde  selbst  blieb  unheilbar.  Bei 
gewissen  Constellationen  erhöht  sich  der  Schmerz  auf  das  höchste,  eine 
geringe  Linderung  gewährt  dann  dem  unglücklichen  Könige  nur  die  ver- 
giftete Lanze  selbst,  denn  lag  er  im  heftigsten  Fieberfroste  und  senkte 
man  die  Spitze  derselben  in  die  Wunde,  so  erwärmte  sich  sein  Blut^ 
von  der  Hitze  des  Giftes;  der  Frost,  der  aus  der  Wunde  schlug,  legte 
sich  jedesmal  wie  Glas  an  und  dieses  ist  so   giftig,   .dass  sogar    der 


^)  monlcims.  V^l.  Munter  Sinnbilder.  1825.  S.  41.  Grass e  zur  saffenhafteD 
Naturgescbicme  des'Hittelallers,  in  dessen  ^BeitrAgen.^  1^0.  8.  w— 71  a. 
Menzel  Symbolik.  I.  230. 


185 

onverbrennbare  Asbest')  in  Flammen  aufschlägt,  wenn  etwas  darauf 
ftllt.  Nor  dorch  die  beiden  silbernen  Messer  (die  der  schon  früher  ge- 
nannte kunstreiche  Schmied  Trebouchet  geworkt  hat,  die  wir  auch  zu 
Mnnsalvaesche  nach  der  bhtigen  Lanze  vortragen  sahen)  kann  das  Eiter 
abgeschabt  werden.  Der  König  ist  so  elend,  dass  er  nicht  Hegen,  noch 
stehen,  auch  nicht  sitzen  kann,  er  vermag  nur  zu  lehnen,  seine  einzige 
Erquickung  ist,  auf  dem  SeeBrumbäne,  wo  Parcival  ihn  zuerst 
antraf,  zu  fahren,  wo  die  Sösse  und  Linde  der  Luft  den  Kranken  stärkt* 
und  labt;  davon  erscholl  die  Märe,  dass  er  eiik  Fischer  sei.  Endlich 
erschien  am  Gral  eine  Inschrift ,  welche  die  anscheinend  geringfügige 
Bedingung  setze ,  dass ,  wenn  ein  Ritter  nach  Munsalvaesche  komme 
und  unaufgefordert  und  vor  Ablauf  der  ersten  Nacht  frage,  wie  der 
König  zu  diesem'  Leid  gekommen  sei,  so  solle  es  ein  Ende  haben;  die 
Krone  des  Grales  gehe  aber  auf  den  Ritter  über.  —  Trevrizent  zog 
sich  nun  in  die  Wüste  als  Klausner  zurück  und  betete  Tag  und  Nacht 
zu  Grott,  den  ersehnten  Ritter  nach  Munsalvaesche  zu  senden;  er  ge- 
lobte Grott  für  die  Rettung  des  Bruders  ewige  Entsagung  von  aller 
Ritterschaft  (das  theuerste  und  liebste  wa»  er  kannte!)  und  entschlug 
sich  alles  Fleisches  und  Weines;  doch  wird  dadurch  nur  die  Klage  der 
Templeisen  vermehrt,  denen  nun  auch  die  HoJBTnung  sÖbwand,  dass 
Trevrizent  sich  des  halbverwaisten  Reiches  annehmen  werde.  —  Täglich 
tragen  sie  den  König  vor  den  Gral ,  um  durch  dessen  Anschauen  den 
Tod  von  ihm  abzuwehren.  Endlich  erscheint  ein  Ritter  auf  der  Burg  -^ 
aber  in  Ein&lt  unterlässt  er,  obwohl  sogar  reich  beschenkt,  die  Frage! 
So  erklärt  sich  der  Jammer  Sigunens,  da  ParciviU  ihr  «eine  Anwesen- 
iieit  zu  Munsalvaesche  und  dass  er  die  verhängnissvolle  Frage  unter- 
lassen habe,  mittheilt,  so  die  Verwünschung  der  treuen,  gräulichen 
Gralbotin  auf  dem  Plimizo^l. 

Trevrizent  bemerkt  am  Sattelzeuge  von  Parcivals  Pferd  eine  Turtel- 
taube, das  Zeichen  der  Templeisen  und  fragt,  ob  er  Lähelin  sei,  der 
erst  kürzlich  hier  einen  Templeisen  erschlagen  habe.  Parcival  kann  das 
glücklicher  Weise  verneinen,  doch  fällt  ihm  nun  schwer  aufs  Herz,  wie 
flurch  seine  Hand  der  Ritter  Ith^r  von  Gaheviez  das  Leben  verloren. 
A  der  Kunde  davon  bebt  Trevrizent  zurück,  denn  nun  weiss  er  erst, 

der  ist,  den  er  vor  sich  hat :  Herzeloydens  Sohn,  sein  eigener  Neffe! 
^ber  Parcival  stürzt  aus  Leid  nur  wieder  in  neues  Leid;  denn  er  hört 
nun,  dass  er  in  Ither  seinen  leiblichen  Vetter  erschlagen,  noch  mehr, 
dass  er  das  Herz  seiner  Mutter  durch  sein  Scheiden  von  ihr  gebrochen 


*)  •spind6,   davon  soll  nach  Tilurel  auth  die  Arche'Noä  erbaut  gewesen  sein 
der  Schild  des  Feirefiss  isl  gieichfalls  von  dieieni  Holse. 

13* 


196 

hat,  dass  er  der  Drache  gewesen,  der  ihren  Leib  zerfleischt  und  dann 
durch  die  Lüfte  entflohen  sei,  wie  der  Traum  vor  seiner  Gebart,  es  ihr 
zeigte.  Wehe!  ruft  er,  ewiges  Wehe  über  mich!  Auch  das  Königthom 
des  Grals  könnte  mich  nun  meinem  Jammer  nicht  entreissen;  wehe! 
wie  schwere  Schuld  habe  ich  auf'  midi  geladen!  Anfortas,  den  ich  so 
treulos  in  sein  Elend  zurückstiess,  kann  mir  nimmer  vergeben.  Trevri- 
zent  aber  spricht  dem  Verzagenden  mit  kräftigem  Trostesworte  zu  und 
weist  ihn  auf  Den  wieder  hin,  welcher  der  Quell  und  der  Ausfluss  aller 
Hilfe  und  alles  Erbarmens  ist  und  der  ihm  allein  in  seinem  Kammer 
Trost  und  Kraft  verleihen  kann.  Durch  treue,  liebevolle  Ermahnungen 
sucht  er  ihn  im  rechten  Glauben  zu  befestigen. 

Der  Dichter  hat  das  Alles,  was  wir  hier  mehr  in  einem  Gusse 
gegeben  haben,  mit  kunstvoller  Steigerung  in  einzelne  Wechselreden 
eingekleidet,  die  den  Vorhang  über  die  früher  noch  unklaren  Vorgänge 
nur  allgemach  lüften,  dann  aber  plötzlich  eine  überraschende  Uebersicht 
des  ganzen  Elendes  gewähren,  das  über  seinen  Helden  hereingebrochen. 
Fünfzehn  Tage  verweilt  Parcival  bei  dem  treuen  Klausner,  ^krut  unde 
würzelin'^  waren  unterdessen  ihre  beste  Speise.  Sein  Herz  wendet  sich 
wieder  zu  Gott,  den  er  so  schmählich  verleugnet  hatte ;  er  scheidet  von 
Trevrizent  mit  dem  Tröste,  Grott  werde  dem  reuigen  Sünder  vergeben 
und  ihn  endlich  wohl  4ioch  das  hohe  Ziel,  nach  dem  nun  erst  so  recht 
sein  Herz  sich  sehnt,  und  sein  geliebtes  Weib  wieder  finden  lassen.  — * 
So  hat  sich  an  dem  Helden  nun  Treue  und  Untreue  „paniert,^  sonst 
hätte  er  ja  nicht  zur  Probe  berufen  sein  können,  er  gleicht  nun  völlig 
der  Elster,  schwarz  und  weiss;  sobald  er  sich  ganz  zum  Weissen  oder 
dem  Lichte  kehrt,  d.  h.  sobald  die  Treue  den  vollen  Sieg  gewinnt,  ist 
seine  Aufgabe^  erreicht. 

* 

X.  Unterdessen  ist  das  Jahr  verflossen,  nach  dessen  Ablauf  sich 
Gawan  zum  Zweikampf  mit  Kyngrimursel  zuBarbigoel  vor  dem  König 
Meljanz  stehen  solltcr.  Beide  Kämpfer,  sowie  auch  Vergulaht,  sind  er- 
schienen, das  Missverständniss  löst  sich  inzwischen  noch  vor  Beginn 
des  Kampfes,  es  fand  sich,  dass  nicht  Gawan,  sondern  der  Graf  Eh- 
cunaht  den  Kingrisin  (Vergulahts  Vater)  meuchelmörderisch  erschlagen 
habe  und  dass  sogar  Vergulaht  mit  Gawan  blutsverwandt  sei.  In  Frieden 
trennen  sie  sich,  um  jeder  auf  eigenen  Wegen  nach  dem  Gral  zu 
forschen. 

Eines  Morgens  fand  Gawan  im  Felde  ein  Boss,  das  Frauenreitzeug 
(frowen  gereite)  trug,  an  einen  Baum  gebunden,  dazu  einen  Schild, 
dem  durch  Tjost  ein  weites  Fenster  eingeschnitten  war,  hinter  der  breiten 
Linde  sass  eine  Frau,  die   einen  verwundeten,   todtsiechen  Ritter  im 


197 

Anne  hat;  Gawan  sieht,  dass  das  Blat  sein  Herz  belästigt,  er  schälte 

desshalb  eifi  Zweiglein  der  Linde  und  Hess  dadurch,  wie  aus  einem  Rohr 

der  Frau  das  Blut  aus  der  Wunde  sangen,  wodurch  der  Ritter  wieder 

zu  sich  kam  und  die  Sprache  gewann.    Er  erzählt,  wie  er  hier  in  der 

Nähe  der  Burg  Ldgroys  von  einem  Ritter  Lishoys  Gwelljus  angerannt, 

verwundet  und  seines  Pferdes  beraubt  worden  sei.     Gawan,  nachdem 

er  die  Wunde  mit  der  Kopfbinde  (houbtgewant)  der  Frau  verbünde» 

und  einen  Wundsegen')  darüber  gesprochen,  ritt  weiter  und  sah  bald 

die  stoke  Burg  Ldgroys  vor  sich.   Bei  einer  Quelle  sitzt  eine  reizende 

Fraue»  der  wohl  nach  Condwirämür  der  Preis  der  Schönheit  gebührt. 

Es  ist  Orgeldse  de  Ldgroys,  die  Herrin  dieses  Landes.     Gawan  be- 

grösst  sie  mit  höfischer  Rede,  wird  aber  indess  sehr  spitz  abgefertigt; 

wollt  Einer  seine  eigenen  Augen  auf  eine  Schleuder  bringen,  sie  kämen 

vielleicht  zu  sanfterem  Wurfe,  als  ihm,  der  seine  kranke  Gier  auf  andere 

Minne  walzen  lassen  solle.  Trotzdem  bietet  sich  Gawan  als  Gefangener 

in  ihren  Diensten  zu  leben.  Wohl,  entgegnet  die  Frau,  doch  sei  er  ein 

Thor,  wenn  er  je  auf  Dank  von  ihr  hoffe;  Ihr  mögt  wehrlich  leben  und 

doch  wohl  Schande  eijagen,  mein  Dienst  bedarf  keines  Zagen.  So  holt 

mir  denn  über  den  hohen  Steg  aus  dem  Baumgarten,  in  dem  die  Leute 

singen,  tanzen  und  flöten,  mein  Pferd.    Gawan,  der  nichts  sieht,  wo 

er  sein  floss  anbinden  könnte,  bittet  die  Frane,    es  ihm  unterdessen 

zu  halten.     Wie  er  ihr  die  Zügel  hinreicht,  verweist  sie  ihm,  daas  er 

glauben  könne,   sie  werde  ihre  Hand  dahin  legen,    wo  eines  Mannes 

Hand  geruht;   erst  nachdem  der  minnegehrende  Mann  versichert,  d.iss 

er  dieses  noch  nie  berührt,  fasst  sie  das  äusserste  Ende  des  Zügels. 

Die  schönen  Ritter  und  Frauen  aber,  die  sich  in  dem  Baumgarten  mit 

Singen,  Tanzen  und  Saitenspiel  ergötzen,   beklagten  alle«  den  Gawan, 

der  durch  den  Trug  dieser  listigen  Frau  wohl  in  grosse  Fährlichkeiten 

verleitet  werde,  ein  alter  Ritter,  der  an  einer  Krücke  lehnte,  weinte 

^ogar,  als  er  Gawan  zu  dem  Pferde  gehen  sah:  ,. Verflucht  sei  unsere 

Benin,  die  manch  werthen  Mann  um*s  Leben   bringt,    seht  zu,   dass 

eie  Ekich  nicht  höhne,  deren  Süsse  sauer  ist,  recht  wie  ein  Schauer  bei 

Sonnenschein.'^     Gawan  löste  das  an  einen  Oeibaum  gebundene  Pferd 

mit  kostbi^em  Grereite;   als  er  es   zurückbrachte,  hatte  die  Frau  das 

Oebände  unter  dem  Kinn   mit  der  Hand  gelöst  und  auf  das  Haupt 

gelegt;   wenn  eine  Frau  sich  also  trägt,    hat  sie  wohl  Schalkheit  im 

Sinne.   Mit  Sohmährede  dankt  sie,  lässt  sich  auch  nicht  von  ihm  aufs 


')  Dergleichen  haben  sich  in  Ffille  erhalten.  Ein  lateinischer  Wundseeen  ans 
dem  XIII.  Jahrh.  mitgelheilt  von  Leyser  in  Haupl's  Altd.  Blatt.  Tl.  323. 
Vgl.  Wolf  Beiträge  I.  254  IT  und  dessen  Zeitschrin.  I.  277  ff.  U  117. 
ftBlot  stehe  still  und  gerinn^  etc.  111.  326  ff. 


198 

Pferd  heben,  sondern  springt  selbst  hinauf  und  befiehlt  dem  HeMeh, 
ihr  voran  zu  reiten,   dass  sie  einen  so  achtbaren  Gesellen  nicht  ver- 
liere.    So  ungeselliglich  fuhr  sie  nüt  Gawan.     Ueber  die  lichte  Haide 
reitend  nahm  Gawan   eine  Staude  wahr,   deren  Wurzel   für  Wunden 
heilsam  sind,  eilends  sprang  er  nieder  und  grub  sie  aus;  sie  aber  fand 
darin  nur  neuen  Stoff  zum  Spotte:  ^Ist  mein  Geselle  Arzt  und  Ritter 
zugleich?  es  mag  ihm  recht  gut  stehen,  hat  er  gelernt  Buschen  feil  zu 
tragen/    Er  belehrt  sie,  dass  die  Würze  für  öinen  Ritter  gehöre,  den 
er  vorher  wund  gefunden.     Da   kommt  eilig  ein  ganz  ungeheuerlicher 
Knappe  daher;    er  hiess  MalcrSatiure ,   Cundrie  la   surziere   war   sein 
schönes  Schwesterlein;  er  hatte  Eberzähne  im  Munde  und  langes  bor- 
stiges Haar  wie  ein  Igel.  Beide  Geschwisterte  hatte  die  Königin  Secun- 
dille,  die  Feirefiz  erworben  hatte,  an  Anfottas  gesendet,  um  durch  sie 
zu  erkunden,    ob  der  Reichthum  des  Grals  den  ihres  Landes,   wo  die 
Gebirge  von  Gold  und  Sand  und  Kiesel  in  ihren  Strömen  edle  Steine  sind, 
übertreffe.     Anfortas  aber  hatte  damals   diesen  Knappen  an  Orgeluse 
verschenkt,   als  er  in  ihren  Diensten  die  böse  Wunde  empfing.     Mal- 
crSatiure    auf  seinem   kläglichen  Klepper  schimpft  zornig  auf  Gawan, 
dass  er  seine  Herrin  entfuhren  wolle ;   Gawan  reisst  ihn  desshalb  bei 
den  Haaren  von  seinem  Thiere ,    wird  aber  von  Orgeluse   neuerdings 
verlacht,  als  er  sich  an  de;s  Burschen  Igelborsten  die  Hand  blutig  ver- 
schneidet Sie  kehrten  weiter,  indess  das  Pferd  mitlief,  und  kamen  an 
die  Stelle ,  wo  der  wunde  Ritter  lag ,  der  den  Gawan  gleich  vor  dem 
tragerischen  Weibe  warnt,  die  an  dem  Tjost  schuld  ist,   bei  dem  er 
beinahe  das  Leben  verloren  hätte.  Gawan  verbindet  ihm  mit  der  Wurzel 
die  Wunde,  der  Kranke  aber  sehnt  sich  nach  einem  nahen  Spital,  er 
bittet  dessh^b  den  Gawan ,   der  Frau  auf  das  Ross  zu  helfen  und  ihn 
hinter  sie  zu  setzen;   sie  aber,  heimlich  im  Einverständniss  mit  ihrem 
Manne,  sprengte  davon  wie  sie  oben  sass,    indem  sich  zugleich  der 
Ritter  auf  Gawans  gutes  Kastilian  schwang.     Orgeluse  verlacht  aufs 
neue  ihren  Ritter :  als  sie  ihn  zuerst  sah,  habe  er  ein  Ritter  geschienen, 
dann  sei  er  Wundarzt  geworden  und  nun  gar  ein  Fussknecht  (garzün). 
Der  wunde  Ritter  aber  kehrt  wieder  um  und  gibt  sich  unter  Schmäh- 
reden als  Uijäns  (frirste  üz  Punturtoys)    zu  erkennen,  jet^t   lohne  er 
ihm  den  Dienst,  den  ihm  Gawan  früher  erwiesen,  dann  eilte  er  wieder 
davon.  Urjäns  ward  nämlich  von  Gawan  ergriffen,  als  er  eine  Jungfrau, 
die  bei  Artus  Botschaft  zu  werben  hatte,    mit  Gewalt  um  ihr  Magd- 
thum  brachte;  schon  war  ihm  das  Leben  abgesprochen  und  ihm  ohne 
blutige  Hand ')  das  Hängen  an  einer  Weide  zuerkannt  (daz  m«i  winden 


')  yidne  bluotige  hand,^  der  Tod  „ohne  blutige  Htnd,^  d.  h.  darch  Hiogen  fs 


199 

iolt  ein  ris,  dur  «n  im  sterben  wurd  eriLant),  als  ihm  Gawans  Färbitte 
das  Leben  schenkte,  unter  dem  Beding)  dass  er  vier  Wochen  lang  mit 
den  Hunden  des  Königs  aus  einem  Troge  essen  musste.  Das  machte 
den  £lenden  so  zornig  auf  Gawan.  Dieser  ^zählt  den  ganzen  Vorgang 
aosfuhrlich  seiner  angebeteten  Orgelüse«*die  zwar  darob  nicht  besser 
gegen  Gawan  gesinnt  wird,  doch  dem  Urjäns  noch  eigene  Strafe  dafftr 
in  Aosaicht  stellt.  Gawan  sieht  nun  keinen  anderen  Rath  zum  Fort^ 
kommen,  als  seine  Waffen  dem  eleqden  Rosslein  des  Malcr^atiure,  das 
der  Wicht  irgend  einem  armen  Bäuerlein  (viläne)  gestohlen  zu  haben 
schien,  aufzubürden,  er  selbst  wagt  es  nicht  zu  besteigen,  weil  er  der 
Mfthre  den  Röcken  zu  brechen  befürchtet;  so  zog  er  sie  am  Zaume 
nach  und  Orgelüse  spottet  nun  seiner,  ob  er  vielleicht  £jramgewand 
feil  f&hre;  Arzt  und  Krämer!  hütet  Euch  vor  meinen  Zöllnern  auf  dem 
Wege!  Auch  diesen  Spott  nimmt  Gawan  willig  hin,  dem  ihre  Blicke 
eine  ganze  Maienzeit  vorzauberten,  denn  Amor  und  Cupido  und  ihre 
Mutter  Venus  pflegen  mit  Geschossen  und  Feuer  (mit  geschöze  und  mit 
fiure  532,  5)  Minne  zu  geben,  die  aber  den  Dich^r  nicht  geheuer 
(ungehiure)  bedünkt.  Wahre  Minne  ist  immer  Treue,  Cupido  aber 
schiesst  nur  mit  flüchtigem  Pfeile. 

Gawan  besteigt  endlich  die  Mahre,  so  durchreiten  sie  einen  Wald, 
hinter  welchem  eine  stattliche  Burg  erscheint,  aus  deren  Fenster  wohl 
an  vierhundert  Jungfi*auen  schauen.  Kaum  haben  die  Beiden  einen  FIuss 
Übersetzt,    als   ein  Ritter  auf  Gawan   lossprengt;    Gawan   ist   seines 
Kleppers  wegen  in  Sorgen ,  wie  er  ein  Lanzenrennen  auszuhaken  ver- 
möge, indess  ist  der  Kampf  unvermeidlich ;  beim  Zusammenstoss  brachen 
fieiden  die  Lanzen  und  der  besser  berittene  Mann  strauchelte,  so  dass 
er  mit  Gawan  auf  die  Blumen  zu  liegen  kam.   Aufspringend  griffen  sie 
^u  den  Schwertern  und  zerhauten   sich  die  Schilde  zu  Spähnen,    zwei 
^^tarke  Schmiede  würden  wohl  von  solcher  Arbdt  müde.     Gawan ,  ein 
linier  Ringer ,  zwang  endlich  den  Jüngling  unter  sich,  der  sich  als  Li- 
Bchoys  Gwelljus   erweist,    der  dem  Urjans  bereits  so   Übel  mitgespielt 
liatte.     Gawan  denkt  nicht  daran,  ihm  Sicherheit  abzunehmen,  er  ist 
^m  erstaunt,  in  dem  Rosse  des  Besiegten,  das  er  sich  rechtmässig  an- 
eignen darf,  seinen  geliebten  Gringuljete  wieder  zu  finden,  der  ihm 
Icurz  zuvor  von  Urjans  gestohlen  worden  war,  der  es  aber  unterdessen 
9chon   wieder   an  Lischoys  verloren  hatte.     Aber  noch  einmal   erhebt 
Xischoys  Gwelljus  den  Kampf,  Funken  sprühten  unter  ihren  Schwertern 


einen  Baum,  war*  im  Mittelalter  eine  viel  schmählichere  Strafe^  als  enthauptet 
zu  werden;  die  dafür  substituirte  folgende  Strafe  ist  gleichfplb  entehrend 
f«nDg<    Grimm  RA.  688. 


200 

und  weit  trieben  sie  sich  auf  dem  Plan^  un,  bis  Gawan  ihn  mit  Kraft 
unter  sich  warf  und  ihm  nur  das  Leben  schenkte,  weil  Lischpys  sich 
als  einen  Verehrer  Orgelosens  bekannte.  Unterdessen  kommt,  einen 
jnngen  Falken  (ein  müzersprinzelin)  auf  der  Faast,  der  Herr  des  Schiffes 
v6n  dem  anderen  Ufer  herüber;  er  hatte  ein  Lehenreeht,  wonach  ihm 
alle  Rosse  der  hier  auf  dem  Anger  and  im  Bereich  jener  Borg  besiegten 
Ritter  anheimfallen,  demgemäss«  wollte  er  da«  eben. wieder  erbeutete 
Ross  Gawans  in  Ansprach  nehmen.  Gawan  bestreitet  ihm  jedoch  sehr 
bestimmt  sein  Anrecht,  denn  dieses  herrliche  Ross  Gringuljete  habe 
ihm  heute  morgens  noch  jijehört,  sei  ihm  durch  Uijans  gestohlen  worden, 
von  dem  es  Lischoys  gewann;  der  Schifimann  möge  sich  die  Mfthre 
und  den  besiegten  Ritter  nehmen  und  durch  diesen  sich  bezahlt  machen. 
Damit  ist  der  Fährmann,  der  ein  guter,  verständiger  Rittermann  ist, 
gerne  einverstanden,  er  ladet  ihn  ein,  bei  ihm  Herberge  zu  nehmen ;  sie 
setzen  fiber  den  Flüss,  Mann  und  Ro3s,  Lischoys  freilich  sehr  traurig 
Ober  sein  Unglück,  das  ihm  nun  nicht  mehr  erlaubt,  jemals  wieder 
vor  Or^eluse  ^u 'erscheinen.  Das  Haus  des  Fährmanns  (veije)  ist  so 
gut,  wie  es  kaum  König  Artus  hat;  in  einer  Kemenate,  deren  Estrich 
mit  frischen  Binsen  und  Blumen  überstreut  ist,  entwaffnet  ihn  das 
Töchterchen  des  Hausherren  and  der  Sohn  des  Wirthes  trug  als  Knappe 
weiche  Kissen  an  die  Wand  und  legte  einen  Teppich  darüber«  darauf 
Gawan  sitzen  sollte,  auch  ein  Polster  (kultern)  voy  rothem  Zindal.  Sie 
tafeln  und  essen  allerlei  gute  mittelalterliche  Leckerbissen  und  Schlück- 
lein,  darauf  wird  dem  Helden   ein  köstliches  Bette  bereitet. 

XL     Gawan  erwacht  sehr  frühe  am  andern  Morgen  und  geht  in 
den  Baumgarten,  nicht  wenig  verwundert,  dass  die  Jungfrauen  in  dem 
nahen  Schlosse  nicht  schlafen,   sondern  alle  hernieder  schauen,  ihrer^ 
scheint   eine  Menge   und   viere  davon  haben  das  Ansehen  von  Köni^ 
ginnen.  Als  er  des  Wirthes  Töchterlein  beiragt,  was  es  mit  dem  Schlosse 
f&r  eine  Bewändniss  habe,  bricht  diese  in  Thrän^n  aus,  auch  der  ritter- 
liche Fährmann  ringt  über   dieser  Geschichte   die  Hände.     Gawan  ist 
nämlich  zu  Terra  marveile  und  die  Burg  ist  das   Kastei  Mar- 
vale  (Schastel  marveile),  das  schon  vielen  Rittern  das  Leben  gekostet 
hat;   der  Wirth  bittet  ihn,   sich   nichts  mit  der  Burg  zu  schaffen  zu 
machen,  erst  gestern  habe  er  Einen  übergesetzt,  der  Herrn  Ither  von 
Gaheviez  vor  Nantes  erschlagen,  fünf  Rosse  von  Rittern,  die  er  sämmt- 
lich  dort  auf  dem  Anger  bezwang  und  nach  Pelrapeire  sandte,  habe  er 
von  ihm  erhalten,  allein   dieser  Ritter  habe  nicht  nach   den  Frauen, 
sondern  nur  nach  dem   Gral   geforscht.     Mit  Freuden  vehiimmt   hier 
Gawan  Nachricht  von  Parcival,  kann  aber  nicht  mehr  darüber  erfahren; 


20t 

aUein,  da  es  ihm  nim  klar  ist,  dass  dieses  die  Barg  sei,  ^o  die  vier 
Königinnen  und.  vierhundert  Jangfrauen  in  schmählicher  Haft  gehalten 
werden,  zu  d^en  Erlösung  die  Gralbotin  auf  dem  Plimizo^l  alle  Tafel- 
runder  aufgeboten  hat,  so  will  er  das  Abenteuer  bestehen.  Der  Wirth 
versichert  ihm,  dass,  wenn  er  den  Sieg  erringe,  er  Ben*  dieses  ganzen 
Landes  werde,  er  reicht  ihm  einen  dicken  und  harten  Schild  und  Gawan 
lässt  sieh  Wi^en.  Vor  dem  Thor  "^itze  ein  K^rämer,  bei  dem  solle 
der  Ritter  sein  Boss  lassen  und  vielleicht  kf^ufen  was  er  brauche. 
Gawan  reitet  hin,  unter  der  Klage  seiner  treuen  Herberggeber,  auf  alle 
kommenden  Gefahren  gehörig  aufmerksam  gemacht.  Als  er  an  die 
Pforte  kommt,  erstaunt  er  über  den  Reichthum,  der  in  dem  Kram  lag. 
Die  Bude  (der  kräm)  war  mit  Saromt  ausgeschlagen,  viereckig,  hoch 
und  weit,  was  aber  darinnen  lag,  war  so  kostbar,  dass  es  weder  der 
Bäruc  von  Baldac  noch  der  Katolikus  von  Ranoulat,  selbst  mit  Hilfe 
des  Griechenstaates,  kaum  hätten  bezahlen  könften. ')  Der  Kramer  ist 
gleichfalls  überrascht,  hier  einmal  einen  Ritter  unter  seinen  Kunden 
zu  sehen,  denn  so  viele  Jahre  er  schon  hier  sitze,  es  sei  nie  ehi  Mann 
gekommen,  nur  die  Fraueii  hätten  bei  ihm  gdcramt.  Hat  Euch,  so  fragt 
er  den  Gawan,  der  Fährmann  Plippalin6t  hergewiesen?  so  wird  Euer 
Kommen  sicherlich  von  mancher  Fraue  gepriesen.  Lasst  Euer  Boss  bei 
mir.  —  Gerne ,  entgegnet  Gawan,  nur  wage  ich  es  beinahe  nicht.  Euer 
Anerbieten  anzunehmen,  denn  nie  fand  mein  Pferd  einen  so  reichen 
Marschalk. 

Gawan  ging  weiter  in  das  Schloss,  er  fand  es  gar  wohl  im  Stande 
baulicher  Wehr,  in  der  Mitte  lag  ein  Anger,  nicht  so  gross  wie  das 
Lechfeld,*)  viele  ThÜrme  ragten  über  die  Zinnen;  das  Dach  des 
Palas  war  färbig  und  bunt  wie  Pfauengefieder,  weder  Regen  noch  Schnee 
konnte  den  Glanz  schädigen.')  Innen  war  der  Palas  geziert  und  wohl 
ausstaffirt  (gefeitieret),  die  Fenstersäulen  schön  gemeisselt  (wol  ergrabn) 
und  Gewölbe  darüber  gesprengt  (dar  üf  gewelbe  höhe  erhabn).  Eine 
Unzahl  Betten  standen  darinnen  und  wohlgenähte  Decken  darauf,    wo 


')  Der  Catholicus  ist  der  Patriarch  von  Armenien,  der  seit  1150  seinen  Sitz  in 
Hrhomgla  (d.  i.  Römerburg)  oder  Kalaherrum  am  Euphrat  hatte.  Wilken 
Kreuuüge.  Vif.  42.  Die  Anspielung  mit  den  v Kriechen^  bezieht  sich  auf  die 
Eroberung  Conslantinopels  ourch  die  kreuzziehenden  Franken  1204 ;  es  ward 
dabei  eine  unermessliche  Beute  fremacbt.  Die  (Cunde  von  der  Plünderung  des 
Griecbenstaiites  musste  um  die  Zeit^  als  Wolfram  am  Parcival  dichtete,  in 
Deutschland  wohl  schon  bekannt  sein,  weil  sie  Wolfram  zu  dieser  Bemerk- 
ung veranlasst. 

')  dfö,  3:  ,,enmiltien  drüf  ein  anger:  das  Lechvelt  ist  langer.^  Vgl  oben 
S.  124. 

')  Bunte^  glasirte  Ziegel  wie  an  der  Münchner  Ludwigs- und  Auerkirche^  der 
Elisabethenkirche  zu  Breslau  und  dem  Stephansiburm  in  Wien, 


2(f2 

sonst  die  Frauen  sasseh,  die  aber  avsgeganigen  waren.  Oawan  besali 
sich  den  Palas  nnd  kam  durch  eine  offene  Thüre  In  eine  Kemenate,  in 
welcher  er  hohen  Preis  erwerben  oder  erliegen  sollte.  Auf  dem  spiegel- 
glatten Estrich  stand  das  Bette  (Lit  manreile),  von  dem  ihm  schon 
sein  Wirth  erzählt  hatte  (561,  24),  dass  es  ^von  Marroch  der  Mah- 
muraelin^  trotz  seiner  Reichthümer  nicht  kaufen  könnte.  Es  lief  auf 
vier  Rollen  (schfb.en')  von  Rubin  *mit  dem  Wind  um  die  Wette.  Der 
'  Estrich  war  yon  Jaspis,  Chrysolith  und  Sardin  (Clinschor  hatte  das 
listige  Werk  erdacht)  und  so  schlüpfrig,  dass  sich  Gawan  kaum  auf 
den  Füssen  halten  konnte.  So  oft  er  an  das  Bette  trat,  fuhr  es  davon, 
da  bedachte  er  sich,  obwohl  ihm  der  Schild  l&stig  fiel,  den  ihm  der 
Wirth  dringend  empfohlen,  und  sprang  glücklich  mitten  darauf:  Nun 
ist  aber  nichts  mehr  der  Schnelligkeit  zu  vergleichen,  mit  der  es  her- 
umfuhr und  gegen  die  Wände  stiess,  und  ein  Donner  erdröhnte,  als  ob 
alle  Posaunen  der  Welt  in  Hungersnoth  bliesen.  Gawan  deckte  sich 
mit  dem  Schild  und  rief  zu  Grott  in  dieser  Noth ,  endlich  hielt  das 
Bette  mitten  im  Zimmer,  von  jeder  Wand  gleichweit  entfernt.  Da  be- 
gannen fünfhundert  verborgene  Schleudern  (stabeslingen)  runde,  harte 
Wassersteine  nach  ihm  zu  schwingen,  dass  er  sich  mit  dem  Schilde 
kaum  zu  decken  wusste  und  nie  so  schnelle  Würfe  gefühlt  hatte.  Darauf 
fingen  mehr  als  fünfhundert  Armbrüste  an,  ihre  Bolzen  auf  das  Bette 
zu  sohiessen,  auch  diese  waren  bald  verschnurrt  Xv^rsnurret) ,  doch 
hatten  ihn  Steine  und  Pfeile  hier  und  da  gequetscht  (zequaschiert)  und 
durch  die  Panzerringe  geschnitten,  (}och  wähnte  er  die  Noth  sei  vor- 
über, als  durch  die  Thüre  ein  starker  Bauer  trat,  der  schrecklich  aus- 
sah: Er  trug  ein  Gewand  (surköt)  und  eine  Mütze  (bönit)  von  Fisch- 
haut ')  und  zwei  weite  Hosen  von  demselben  Stoff,  und  einen  Klobeo 
in  der  Hand,  dessen  Keule  grösser  war  als  ein  Krug.  Gawan,  obwohl 
müde,  richtete  sich  auf,  ihn  mit  dem  Schwerte  zu  empfangen,  doch 
zog  sich  der  Rüpel  zurück,  als  er  den  Ritter  noch  am  Leben  fand. 
Gawan,  schlug  sich  eben  von  dem  Schilde  die  Schäfte,  die  fast  überall 
durchgedrungen  waren ,  als  er  ein  Brüllen  vernahm ,  gleich  als  ob 
zwanzig  Trommeln  (trummen)  zum  Tanze  geschlagen  würden,  und  ein 
Löwe,  hoch  wie  ^in  Ross,  hereinsprang.  Hunger  hatte  ihn  grimmig 
gemacht,  zprnig  lief  er  den  Mann  an  und  schlug  eine  Tatze  durch  den 
Schild;  Gawan  hieb  ihm  .ein  Bein  ab,  dass  das  Thier  nur  mehr  auf 
drei  Füssen  sprang,  das  vierte  aber  im  Schilde  hängen  blieb;  das  Blut 
nässte  den  Estrich ,  auf  dem  Gawan  nun  festen  Fuss  fassen  konnte. 
Oft  sprang  er  mit  bleckenden  Zähnen  an  den  Gast,  seine  Nase  schnaubte« 


')  Wein  hold  Deutsdie  Fnrae*.  S.  428. 


•  208 

doch  gelang  es  Gawao,  ihm  einen  Stich  durch  die  Brost  zu  versetzen, 
dass  er  todt  niederstranchelte.  Gawan,  immer  noch  in  der  Erwartung, 
dass  das  Bett  seine  wahnsinnige  Rondfkhrt  wieder  beginne,  wagt  sich 
nicht  niederzolegen ;  sein  Haopt  war  betäubt  ron  den  Würfen  und  seine 
Wanden  bluteten,  schwindelnd  brach  er  zusammen,  sein  Haupt  lag  auf 
dem  Löwen,  der  Schild  entfiel  ihm,  er  lag  da  wie  ohne  Leben. 

So  fand  ihn  eine  Jungfrau,  die  heimlich  zur  Thüre  hereinspähte. 
Sie  meldete  das  ihrer  Herrin  Arnive,  Diese  lugte  erst  oben  zum 
Fenster  herein  und  sandte  dann  zwei  Jungfrauen  hinab,  zu  schauen, 
ob  der  Ritter  noch  am  Leben  wäre.  Sie  banden  ihm  d,en  Helm  und 
die  Fintalen  (fintalen)  ab,  rauften  ein  wenig  Zobel  aus  und  hielten*s 
ihm  vor  die  Nase,  da  fanden  sie  erst,  dass  er  noch  athme,  holten 
also  frisches  Wasser,  schoben  ihm  ein  Fingerlein  geschickt  zwischen 
die  Zähne,  gössen  ein  wenig  Wasser  nach  und  mählich  mehr,  bis  er 
die  Augen  aufschlug.  Der  R\tter  dankt,  ihm  ist  es  nur  leide,  dass 
sie  ihn  so  „ungezogenliche'^  liegend  fanden,  und  will  sich  aufmachen, 
seine  Wunden  Einem  zu  zeigen ,  der  sich  darauf  verstehe ,  •  aber  die 
Königin  Arnive  bereitet  indess  selbst  schon  die  Salben ;  an  einem  guten 
Feuer  spreiteten  sie  ihm  einen  Teppich  und  entkleideten  ihn  dann 
sorglich  und  zart  seiner  Rüstung,  dass  er  sich  dessen  nicht  durfte 
schämen;  da  fanden  sich  denn  mehr  als  fünfzig  Wunden!  Die  alte 
Königin  Arnive  nahm  Diktam ')  und  warmen  Wein,  mit  blauen  Zindal 
strich  sie  das  Blut  aus  den  Wunden  und  verb/and  sie;  wo  er  durch  des 
Helmes  Beulen  Quetschungen  hatte,  verwendete,  sie  dieselbe  Salbe.  „Ich 
helfe  Euch,  sprach  sie,  Cundrie  la  surziere  besucht  mich  oft,  was 
Arznei  (erzenie)  zu  heilen  yermag,  das  lehrte  sie  mich;  diese  Salbe 
ist  selbst  von  Munsalvaesche.^  Gawan  ward  bei  diesem  Namen  froh, 
sein  Bewusstsein  kehrt  zurück  und  die  Schmerzen  lindem  sich  durch 
der  Salbe  Kraft.  Arnive  aber  legte  ihm  eine  Wurzel  in  den  Mund 
und  er  fiel,  wohleingehüllt  mit  Decken,  in  süssen  Schlaf,  nur  bisweilen 
kam  ein  Frost  über  ihn,  dass  er' zu  hetschen  und  zu  niesen  begann,') 
was  von  der  Salbe  \y)i*1^6n  zeigte.  Stille  gingen  indessen  die  Frauen 
auf  und  zu,  nie  ward  ihm  besserer  Dienst  bekannt ;  gegen  Nacht  nahm 
die  Königin  die  Wurzel  aus  dem  Munde,  da  erwachte  er  gestärkt  und 
trank  und  ass  mit  Freuden.  Er  spähte  unter  den  Frauen  und  sehnte 
gich  nach  Orge]üse,  bis  er  wieder  entschlief. 


*>  DioUimnuni,  ein  Kraut,  dessen  schon  Cicero  und  Virgil  erwähnen  und  dem 
die  KrafI  zugeschrieben  wird,  Pfeile  aus  den  Wunden  su  ziehen. 

^  561,  4:    .daz  er  heschte  unde  nös;*^   heschen  schluchzen,   daher  Heischer, 
Schluchzer.    Schmeller  B.  W.  S.  353.   Willehalm.  65,  2. 


204 

Xn.  Viel  grössere  Nöth  als  diese  Aventsnre  —  ein  fifentthier 
wäre  zu  schwer  beladen  mit  der  Last  der  anf  Gawans  Herze  abge- 
schossenen Pfeile  —  schnf  dem  edlen  Ritter  seine  OrgeMse,  die  seine 
mit  Zagheit  sonst  unbekannten  Gedanken  gefangen  nahm.  Nachdem 
der  Dichter  der  Fraa  Minne  ihr  Unrecht  verwiesen,  wendet  er  wieder 
zum  weiteren  Verlaufe  seiner  Erzählung.  Ungeduldig  wand  sich  Gawan 
auf  seinem  Lager,  so  dass  öfters  sein  Verband  zerriss,  mit  dem  Morgen 
sprang  er  von  seinem  blutbefleckten  Lager,  fand  neue  Kleider  vor  sich, 
die  ihm  sehr  willkommen  waren  und  schritt  hinaus,  <ien  reichen  Palas 
zu  beschauen.  So  kam  er  auch  zu  einer  Warte  empor,  wo  eine  wun- 
derbare, spiegelklare  Säule  stand,')  die  Clinschor  aus  Feirefizens  Landen 
der  Königin  Secundille  gestohlen  hatte.  Darinnen  sah  er  weitum  alle 
Lande  abgespiegelt  und  die  Leute  darinnen  gehen  und  reiten.  Während 
er  noch  das  Wunder  prüfte,  gesellte  sich  die  alte  Amive  mit  ihrer 
Tochter  Sangive  und  zweien  Enkelinnen,  I  ton  je  und  Cundrie  dazu; 
selbfönfte  setzen  sie  sich  und  schauen,  was  die  klare  Säule  rings  ab- 
spiegelt, als  Gawan  plötzlich  in  ihr  eine  Frau  mit  einem  fremden  Ritter*) 
reitend  ersieht.  Ueberrascht,  ob  ihn  die  Säule  nicht  getäuscht,  wendet 
er  sich  nach  dem  Fenster  und  erkennt  in  der  Dame  seine  Orgelüse- 
Wie  die  Nieswurz  auf  die  Nase,  so  wirkte  der  Anblick  auf  sein  Herz, 
dazu  kommt  noch,  dass  Gawan  durch  den  glücklichen  Sieg  Herr  des 
Schlosses  geworden ;  ,,wer  wagt  also  hieher  mit  Streitbegier  zu  kommen?** 
fragt  Gawan;  er  verlangt  seine  Rüstung;  trotz  ihren  Thränen  müssen 
sie  ihn  wappnen,  dann  holt  er  sein  Pferd  bei  dem  Kramer  und  fiihrt 
heimlich  hinweg,  obwohl  noch  so  schwach,  dass  er  kaum  im  Stande 
ist,  seinen  durchlöcherten  Schild  zu  tragen.  In  einem  breiten  Kahne 
(ussiere)  setzt  ihn  der  Fährmann  über.  Da  galopierte  alsbald  der 
Türkowite  daher,  er  traf  nur  die  Helmschnüre  Gawan»,  dieser  aber 
fasste  ihn  mit  dem  kurzen  starken  Speer  am  Barbiere,  dass  der  Helm 
wegflog  und  der  als  unbesiegbar  gepriesene  Türkowite  dalag  zur  Freude 
des  Fährmanns,  der  gleich  seinem  Rechte  gemäss,  das  Pferd  des  Be- 
siegten pfändet.  Die  schöne  Orgeliise  spottet  aber  doch  über  Gawan, 
der  auf  seinem  wie  ein  Sieb  durchlöcherten  Sl^hilde  noch  die  abge- 
schlagene Löwentatze  trägt.  Die  Grossthaten  auf  dem  Lit-marveile 
könnten   ihn  wohl  aufblähen,    aber   er  irre  sich  sehr,    wenn  er  hoffe. 


*)  Das  Itinerarium  Benjamins  von  Tudela  (1171)  klingt  in  der  Erwähnung  der 
Spiegelsaule  in  Alexandrien  wundersam  mit  dem  Spiegel  zu  Scbaslel  -  mar- 
veille  zusammen.  San -M arte  II.  36S.  £in  ähnlicnes  KunsIstOrk  will  auch 
Johannes  von  Montevilla  auf  seiner  VS22  begonnenen  Weltfalirt  g«- 
sehen  haben  und  der  Münchner  Jobannes  Scbildberger  (herausgegeben 
von  Neumaun.  1859.  S.  119)  erzählt  gleicbfalls  davon. 

*)  Arntve  nennt  ihn  einen  Türken,  torkoyte  594,  3. 


206 

da4aroh  ihre  Minne  zn  erringen ;  alles  was  sie  ihm  erlaubt,  ist  mit  ihfr 
aof  neuen  Preis  zu  reiten.  Gawan  schickt  den  Türken  durch  Plippa* 
linot  in  das  Schloss  und  reitet  mit  Orgeluse  weiter,  zum  Januner  der 
Frauen,  die  von  oben  zusahen  und  den  Bitter  herzlich  bedauern. 

Als  sie  eine  Rast  geritten,  verlangt  Orgeluse,  dass  ihr  der  Bitter 
einen  Kranz  aus  dem  Beise  eines  Baumes  bringe,  der  jenseits  über 
einer  tiefen  Schlucht  stand ,  thue  er  das ,  dann  dürfe  er  ihrer  Minne 
begehren.  Glücklich  in  dieser  Voraussicht  wagt  Gawan  den  Sprung 
mit  semem  Bosse.,  das  aber  am  Ufer  drüben  stürzt,  so  dass  Gawan^ 
der  sich  zuerst  au«  den  Wirbeln  hebt.  Mühe  hat,  seinen  schwimmenden 
Speer  und  dann  das  treue  Gringuljet  ans  dem  Wasser  zu  ziehen.  Dann 
ersah  er  den  Baum,  und  brach  den  Kranz  und  setzte  ihn  auf  seinen 
Helm  (der  kränz  wart  sins  helmes  dach).  König  Gramoflanz,  der 
sonst  nur  gegen  Zwei  oder  Mehrere,  nie  aber  gegen  einen  Einzdnen 
zu  streiten  pflegte,  ritt  bun  Herrn 'Gawan  an  und  stellt  ihn  wegen  der 
Verletzung  d^s  Baumes  zu  Bede.  Gromaflanz  ist  nicht  gewaffnet, 
sondern  trägt  einen  Pfauenhut  und  grünsammten  Gewand,  sein  Mantel 
hing  vom  Pferde  zu  beiden  Seiten  hernieder,  dass  er  fast  die  Erde 
berührte;  er  erklärt  dem  Gawan  die  ganze  Sachlage.  Orgeluse  nährte 
Rache  gegen  Gramoflanz,  der  ihren  früheren  Geliebten,  Cidegast  im 
Tjost  erschlagen  hat;  desshalb  suchte  sie  längst  einen  Bitter,  der 
jenen  im  Kampfe  bestünde,  und  Gawan,  der  Lischoys  und  den  Turko- 
witen  besiegt  und  das  Wunder  zu  Schastel-marveile  bestanden,  scheint 
ihr  hlezu  dienlich.  Der  König  kündigt  sogleich  dem  dreisten  Fremden 
den  ihm  bevorstehenden  Kampf  an;  da  er  bemerkt,  dass  dieser  jetzt 
Herr  der  verzauberten  Burg  sei,  bittet  er  ihn,  ungeachtet  der  H^aus- 
forderung,  ein  kleines  Fingerlein  an  ItonjS  zu  überbringen  und  sie  zu 
fragen,  ob  sie  seiner  noch  gedenke;  diese  sei  die  Tochter  des  König 
Ldt,  der  seinen  Vater  Iröt  erschlagen  habe;  dennoch  zwinge  ihn  die 
innigste  Liebe  zu  seiner  Tochter  hm.  Ldt  sei  bereits  verstorben,  dennoch 
trage  er  Bache  gegen  ihn  im  Herzen  und  hoffe  sie  an  seinem  Sohne 
Gawan  noch  zu  vollführen !  —  Staunend  entdeckte  Gawan,  dass  Itonje 
und  die  süsse  Cnndne,  die  er  bei  der  Spiegelsäule  gesehen,  seine 
Schwestern,  Sangive  seine  Mutter  und  die  alte  Amive  seine  Grossmutter 
ood  Mutter  des  König  Artus  ist.  Nun  nennt  er  auch  dem  Gegner 
seinen  Namen,  verspricht  zugleich  die  seltsame  Botschaft  an  seine 
Schwester  Itonjd  zu  werben  und  trotzdem  mit  seinem  zukünftigen 
Schwager  zu  kämpfen;  sie  kommen  überein,  ihren  Handel  auf  den 
sechszehnten  Tag  auf  dem  Plane  zu  Jdflanze  auszufechten  und  als 
Kampfrichter  den  König  Artus  und  von  beiden  Seiten  eine  tüchtige 
Anzahl  Bitter  und  schöner  Frauen  einzuladen.     Gramoflanz  verspricht 


206 

fönfzehnhandert  schöne  Franen  zu  bringen,  Gawan  habe  deren  auch 
eine  klare  Schaar  auf  Schastel-marveile  und  König  Artus  bringe  wohl 
auch  ein  Tfaeil  mit.  Dass  Gawan  erst  jetzt  iron  dem  Dasein  seiner 
Schwestern,  seiner  Matter  und  Grossnmtter  hört,  darf  nicht  befremden, 
da  sie,  als  er  noch  ein  Kind  war,  plötzlich  zur  grossen  Betrübniss  des 
König  Artus  und  des  ganzen  Hofes,  auf  unbegreifliche  Weise  ent^ 
schwanden  waren  und  seitdem  nicht  die  geringste  Spur  von  ihnen  ent^ 
deckt  ward,  trotz  der  Gralbotin  Gundrie,  die  ja  so  häufig  auf  dem 
verzauberten  Schlosse  zukehrte. 

Gawan  lehnt  die. Einladung,  den  Gramoflanz  nach  seiner  Haupt- 
stadt Rösche -Sabbins  zu  begleiten,  ab  und  wendet  zur  geliebten 
Orgeluse  zurQck,  die  seiner  noch  am  anderen  Ufer  des  Wassers  harrt 
Und  Gringuljet  nahm  dieSesmal  den  Sprung  so  weit^  dass  Gawan  nicht 
zu  Falle  kam,  doch  sprang  dem  Ross  eine  Gurte.  W&hrend  Gawan 
desshalb  absteigt,  eilt  ihm  Orgeluse  entgegen,  wirft  sieh  ihm  zu  Füssen 
und  bittet  unter  vielen  Thrftnen  um  Vergebung  dessen ,  was  sie  an 
ihm  verschuldet  habe.  Durch  Gramoflanz,  der  Qidegast  ihr  entrissen, 
sei  sie  aller  Freuden  ledig  geworden ;  um  ihn  zu  rächen,  habe  sie  den 
besten  Ritter  gesucht,  und  in  ihm  erkannt;  ob  er  ihre  Rache  auszu- 
fahren werth  genug,  habe  sie  darch  ihren  Hohn  seine  Treue,  und  durch 
ihre  Ritter  Lisehoys  Gwellius  und  den  Turkowiten  seine  Tapferkeit 
geprüft,  und  wie  Gold  im  Feuer  habe  er  sich  bewährt.  Nun  sei  sie 
ganz  sein  eigen,  er  möge  über  sie  gebieten,  denn  es  leide  keinen 
Zweifel , '  dass  er  siegreich  aus  dem  Streite  zu  Jöflanze  hervorgehen 
werde.  Gawan  hebt  sie  gerührt  auf  das  Ross  und  bittet,  sogleich  auf 
das  Schloss  zu  ziehen,  um  heute  noch  die  Hochzeit  zu  begehen,  ^wozn 
sie  bereit  ist  unterwegs  erzählt  sie  dem  Helden,  weinend  bei  dem 
Namen  Cidegast's,  wie  nach  dessen  Tode  Anfbrtas  sich  um  ihre  Minne 
beworbenf,  allein  in  ihrem  Dienste  so  verwundet  worden  sei,  dass  er 
heote  noch  im  trostlosen  Siechthume  liege.  Dieser  habe  ihr  auch  die 
köstlichen  Waaren  (daz  krämgewant  von  Thabronit)  geschenkt,  die 
zu  Schastel-marveile  feil  geboten  würden.  Diese  aber  habe  Clinschor 
vorläufig  unter  dem  Beding  an  sich  genonunen,  dass  sie  denjenigen, 
der  sein  Abenteuer  auf  der  Burg  bestände  und  den  Sieg  im  Kampfe 
fände,  minnen  müsse,  wolle  der  aber  ihre  Minne  nicht,  dann  gehöre 
der  Kram  von  Neuem  ihr.    Nun  gehöre,  er  ihnen  beiden.    Viele  Ritter 

■ 

habe  sie  in  Dienst  genonmien,  um  an  Gramoflanz  Rache  zu  nehmen, 
Keinen  aber  hätte  sie  lieber  gewonnen,  als  einen  rothen  Ritter, 
dem  sie  fünf  ihrer  Ritter  nachgesendet  habe ,  um  ihn  zu  prüfen ,  er 
habe  sie  aber  alle  fönfe  aus  dem  Sattel  gesetzt,  sie  habe  ihm  ihre 
Hand  und  ihr  Land  als  Lohn  für  seine  Dienste  geboten,  er  aber  habe 


gesagt,  66  harre  seiner  daheim  ein  lieberes  and  schöneres  Weib,  die 
Ktoigin  von  Pelrapeir;  er  tracl\te  nicht  nach  anderer  Minne,  sondern 
suche  den  Gral.  So  ist  denn  Parcival  wieder,    wie  zu  Beörosche 

und  gleichsam  nur  im  Hintergründe  von  Gawans  Heldenthaten ,  zum 
Vorschein  gekommen,  nicht  mehr,  als  gerade  nöthig  war,  ihn  über  all 
den  Aventiuren  seines  glücklichen  Nebenbuhlers,  nicht  aus  dem  Ge- 
d&chtnisse  »i  yerlieren.  Schon  zieht  sich  das  ganze  Gedicht  wie  eine 
grossMTtig  angelegte  Fuge,  enger  und  enger  und  föhrt  in  kunstgerechter 
Anlage  einem  überraschenden  Schlüsse  entgegen.  Man  könnte  füglich 
von  da  an,  wo  Parcival  von  Trevrizent  belehrt  und  reuig  scheidet,  den 
dritten  Theil  von  dem  Heiie  (saelde)  benennen.  Kehren  wir  wieder 
zu  dem  minneseligen  Paare. 

Als  Gawan  und  Orgeluse  (die  Herzogin  von  Ldgroys)  der  Burg 
nahen ,  ziehen  die  Ritter  Clinschors  mit  reichen  Bannern  ihrem  neuen 
Gebieter  entgegen  und  Alle  huldigen  dem  herrlichen  Paare;  die  gute 
Bdne,  das  Töchterlein  des  ritterlichen  jPergen  Plippalinöt,  küsst  ihm 
Stegreif  und  Fuss ;  während  der  Ueberfahrt  über  den  Fluss  essen  die 
Geliebten  zwei  gebratene  Lerchen')  und  zwei  blanke  Kuchen^)  die 
B^ne  in  einer  Zwehle  und  etwas  Wein  gebracht  hat,  eine  sehr  frugale 
Mahlzeit,  wie  denn  bereits  früher  Gawan  bei  ihrem  Vater  auf  ähnliche 
Weise  bewirthet  worden  war.  Sie  bequemten  sich,  das  Wasch wasser 
vor  dem  Essen  gleich  aus  dem  Flusse  selbst  zu  nehmen,  mit  Freuden 
trinkt  Gawan  aus  <fem  Becher,  den  der  Geliebten  Mund  berührt  hatte. 
Die  Ritter  reiten  einen  kunstvollen  Buhurt;  Orgeluse  fragt  nach  dem 
Ritter,  der  gestern  vom  Ross  gestochen  wurde.  Plippalinöt  hat  ihn 
in  Verwahr,  er  will  ihn  gerne  los  geben,  wenn  er  die  „Schwalbe* 
(swalw  =  Harfe)  erhält,  die  früher  Secundille  besass  und  Anfortas  an 
Orgeluse  sandte ;  sie  verspricht  ihm  gerne  die  Harfe  (härfe)  und  schenkt 
ihm  das  ganze  Kramgewand  dazu.  Auf  Schastel-marveile  werden  alle 
Anstalten  zur  Hochzeit  gemacht;  die  Wunden  des  Ritters  fanden  so 
die  beste  Pflege. 

Schon-  unterwegs  hatte  Gawan  mit  Orgeluse  verabredet ,  dass  sie 
seinen  Namen  nicht  nennen  oder  verrathen  dürfe.    Er  verpflichtet  einen 


■)  622,  8:  galander^  Hsubeniercbe.  —  Plippalinöt  scheint  keine  andere  Jagd- 
barkeit ffehabt  zu  haben  i,  ausser  dass  sein  Falke  biswjeilen  auf  eine  Lerche 
stiess.  V||l.  oben  544,  13  und  später  5M),  29  wo  die  ^anze  Tischgesellschaft 
Toriieb  nimmt  mit  drei  Galandern,  von  denen  Gawan  einen  eigens  der 
Wirthin  sendet  I  —  £in  oberpfalzisches  Sprichwort  sagt,  an  Mariä-Lichlmess- 
tage  müssen  neun  Gevattersleute  an  einer  Lerchenzonge  essen. 

*)  622,  10:  wastel  (vgl.  oben  551,  6)  auch  gastet  vom  roman.  mtial,  ein 
«ogesioertes,  trockenes^  fladenartige«  Bröd,  auch  baipbrot,  Halbbrod.  Vgl. 
Grimm  Gf.  Rudolf.  S.  84.    Willebalm  136,  6. 


i 


208 

Knappen  eidlich  zum  Stillschweigen  über  seinen  Namen  mid  seine  Her^ 
kunft^  daim  nimmt  er  Dinte  and  Pergament  (tincten  mid  permint)  and 
schrieb  mit  fertiger  Hand  (schreip  gefooge  mit  der  hant)  an  König 
Artus,  ihn  und  die  ganze  Tafelrunde  nach  Jöflanze  ladend.  Obwohl 
der  Brief  kein  Siegel  (insigels)  trug,  standen  doch  genug  Warzeichen 
darinnen,  dass  man  sah,  wer  ihn  geschrieben.  Strenge  schärfte  er 
dem  Knappen  ein,  den  Witz  nicht  zu  verrathen,  Nieknanden  zu  sagen, 
wer  s^in  Herre  sein.  Zwar  macht  die  alte  Amive,  überaus  neugierig 
wer  der  Herre  sei,  einen  leisen  Versuch,  die  Treue  des  Knappen  zu 
bestechen,  aber  der  Bursche  weiss  seinen  Eid  zu  bewahren  und  fUurt 
ohne  ihr  zu  antworten,   von  dannen. 

XIII.  Gawan  hat  tief  in  den  Tag  hinein  geschlafen.  Unterdessen 
wurde  der  Saal  geschmückt,  Tapeten  (rückelachen)  >n  die  Wände 
gehängt,  Teppiche  gelegt  und  ringsum  an  den  Seiten  weiche  Polster 
gebreitet.  Darauf  lässt  Gawan  ^  den  Turkowiten  und  Lischoys  herauf- 
holen, beschenkt  sie  mit  kostbaren  Gewanden  und  Orgeluse  kündet 
ihnen  die  Freiheit  an.  Da  Gawan  seine  Schwester  Itonj§  unter  den 
Frauen  noch  nicht  kennt ,  so  lässt  er  sich  selbe  von  der  Bene  weisen, 
setzt  sich  zu  ihr  und  forscht  ganz  heimlich,  wie  es  um  ihr  Herze  steht, 
dann  bringt  er  die  Werbung  und  das  Ringlein  des  Gramoflanz  an, 
worüber  die  süsse  Jungfrau  in  der  reinsten,  unschuldigen  Blüthe  der 
Jugend,  weiss  und  roth  wird  zugleich  und  Gawan«  von  seinem  Schwe- 
sterlein  entzückt,  Noth  hat,  das  Geheinmiss,  dass  er  ihr  Bruder  sei, 
an  sich  zu  halten.  Bei  der  folgenden  Tafel  weiss  der  Dichter  nicht 
Bescheid  zu  geben,  welche  Speisen  aufgetragen  worden,  denn  er  sei 
kein  guter  Küchenmeister,  dafür  schildert  er  aber  den  Abend,  wo  ein 
ganzes  Heer  von  Kerzen  strahlte,  ziemlich  ausführlich,  wie  die  Ritter 
und  Frauen  sassen  und  die  folgende  Kurzweile,  so  dass  ein  recht  leb- 
haftes Bild  mittelalterlichen  Hoflebens  sich  gestaltet.  Als  man  die 
Tische  fortgetragen,  fragt  Gawan  nach  guten  Fidelaeren;  nun  waren 
viele  Knappen  da,  die  sich  auf  Saitenspiel  wohl  verstanden,  doch 
strichen  sie  alle  alte  Tänze,  von  den  neuen,  die  uns  nun  aus 
Thüringen  kamen,    ward  noch  wenig  vernommen.')    Ritter 


')  Obwohl  sonst  Sitifreti  und  Tanzen  unzertrennlich  war,  so  scheinen  hier  die 
Lieder  doch  gefehlt  zu  haben;  die  Tanz  weisen  der  Minnesähger  sied 
wohlbekannt.  Die  neuen  Tanze,  die  damals  (Wolfram  dichtete  dieses  3och 
spätestens  um  1211)  aus  Thüringen  kamen,  entstanden  vielleicht  durch  Wallher 
V.  d.  W.  bei  den  reichen  und  glänzenden  Festen  des  Hofes  zu  Eisenacb,  wo 
Sänj^er  und  Spiellente  aller  Art  immer  offene  Thfiren  fanden.  —  Die  Art  oud 
Weise  dieses  hier  aufgefuhrfen  Tanxes  erklärt  sich  sehr  schön  durch  die 
Fresken  anf  Sckloss  Rmikelslein  in  Tirol  (Gezeichnet  von  Ijni.  Se^Ios,  mit 
Erläuterungen  von  Zingerle,   herausgegeben   von  dem  FerdiaiDdeon   sii 


209 

und  Franen  waren  wohl  ^underparrieret^  im  Tanze,  man  .sah  da  Je 
zwischen  zweien  Frauen  einen  Uaren  Ritter  gehen.  An  Freuden  reich, 
an  Sorgen  arm,  vertrieben  sie  mit  Rede  die  Stunden,  bis  der  ungedul- 
dige Gawan,.  Allen  leider  zu  früh,  den  Nachttrunk  aufzutragen  befahl. 
Er  und  Orgeluse  wurden  von  Argive  in  eine  Kammer  gefährt,  wo  Oa- 
wan  der  Minne  pflag  und  wie  der  Dichter  sagt,  die  rechte  Hirschen- 
wurz  ^)  fand,   die  ihm  half,    dass  er  alle  Schmerzen  vergass. 

Nun  hört  aber ,  wie  unterdessen  der  Knappe  seine  Botschaft  bei 
König  Artus  bestellte.  Er  traf  frühmorgens  die  Königin  in  der  Kapelle, 
andächtig  den  Psalter  betend ;  der  Knappe  warf  sich  ihr  zu  Füssen  und 
übergab  den  Brief,  dessen  Schrift  sie  gleich  erkannte.  Sie  heisst  aber 
dem  Knappen  die  Einladung  öffentlich  anzubringen  und  so  einzurichten, 
als  ob  er  wie  aus  dem  Feuer  gerade  in  die  Tafelrunde  «pringe,  was 
dieser  einige  Stunden  später  ganz  geschickt  vollftihrt,  in  den  Hof 
stürmt  und  die  ganze  Tafelrunde  in  Bewegung  bringt.  Doch  verschwieg 
er  klugs  selbst  der  Königin,  wo  Gawan  sei.  Er  gewinnt  die  Zusage 
des  König  Artus  und  kehrt  zurück,  wo  Amive  neuerdings  seine  Ver- 
schwiegenheit in  Versuchung  fiihrt,  ohne  etwas  herauszubringen. 

Nun  erfährt  auch  Gawan  von  der  Königin  Amive  die  Wundermäre 
dieses  Scldosses.  Cl  i  n  s  öhor  nämlich,  ein  Neffe  des  Virgilius  von  Neapel,*) 
war  einst  ein  Herzog  von  Capua  (Caps),  wohlgelitten  bei  Männern  und 
Frauen,  bis  ihn  König  Ibert  von  Siciliien  zur  Strafe  des  Ehebruchs 
mit  seinem  Weibe  Iblis,  mit  einem  Schnitt  zum  Kapaun  machte.  Dieser 
Schimpf  machte  ihn  zum  Menschenfeind;  in  Persien  lernte  er  Zauberei 
und  erwarb  sich  Gewalt  über  alle  guten  und  bösen  Wesen  zwischen 
Himmel  und  Erde,  ausser  deijen,  die  Gott  beschirmen  will.  König  Iröt 
von  Rösche  Sabines   (der  Vater   des  Gramoflanz)  schenkte  ihm   einen 


SU  loDsbrnck  1858.)  Ejnes  dieser  Freskenbilder,  dus  wohl  zu  d^n  ältesten 
des  merkwürdigen  Schlosses  gehört,  zeigt  einen  höfischen  Tanz,  ganz  wie 
ihn  Wolfram  beschreibt :  stets  zwischen  zwei  Frauen  sieht  man  einen  klaren 
Ritter  gehen,  es  ist  eine  lange  Kette,  die  paarweise  verschränkt^  mit  schlei- 
fenden Tritten  den  Umgang  hält,  zwei  Spielleute  rühren  dazu  die  Saiten. 

')  643,  28:  hirzwurz,  Hirsrhschwamm.  Giflmorchel,  phallus  impudicus,  von 
Alters  her  ob  seinen  heilsamen  Kräften  in  Ehren  rehalten.  Vgl.  Grimm 
Alldeut  Wälder.  II.  49  ff.  (von  einem  fahrenden  Schüler.) 

^  Ueber  den  Zauberer  Virgilius  vgl.  v.  d  Hagen  Briefe  in  die  ileimath 
III.  181  ff.  und  dessen  Erzählungen  und  Märchen.  1825.  1.  153—205,  ferner 
Genthe.  Leipzig  1855.  Bartsch  in  Pfeiffers  Germania.  IV.  237  ff.  und  K. 
L.  Roth  ib.  IV.  257—97.  Rührmund  in  v.  d.  Hagens  Germania  IX.  30  ff. 
vermuthet.,  dass  Clinschor  eine  freie  Copie  von  Ahälards  (1079— '1142)  Hi- 
storie sei,  eine  Hypothese,  für  welche  freilich  sehr  einleuchtende  Vergleiche 
voritegen :  auch  die  ganze  landschaftliche  Schilderung  von  Terre  marveile 
(v^onach  E.  Ziller  eine  Karte  entworfen)  entspricht  der  Umgegend  des  Klo- 
sters Paraklet,  was  auch  A.  v.  Humboldt  für  überraschend  erklärte. 

14 


Berg  mit -.acht  Meilen  im  Umkreis^  wo  er  Oastel-marveile  erbaate,  viele 
Frauen  und  Ritter  aus  der  Christenheit  und  Heidenschaft,  namentlich 
die  vierhundert  Frauen  and  vier  Königmnen  von  Artus  Hofe  dahin 
entführte,  und  Burg  und  Land  dem  verhiess,  der  das  Abenteuer  des 
Wbnderbettes  bestehen  würde.  Das  sind  aber  nur  geringiiigige  Sachen 
(kleiniu  wunderlin)  in  Vergleich  mit  den  starken  Wunderwerken,  die 
er  an  vielen  Orten  aufgerichtet.  Gawan  aber  sei  jetzt  vor  seinen 
Künsten  sicher,  seit  er  den  Zauber  der  Burg  gebrochen.  Amive  bittet 
ihn,  sie  und  die  mitgefangenen  Frauen  und  Bitter,  die  sämmtlich  der 
böse  Clinschor  hieher  magisch  entfuhrt,  in  ihre  Heimath  zu  entlassen, 
was  Gawan  bereitwillig  zugesteht.  Noch  während  des  Gespräches  sieht 
Gawan  das  Heer  des  Königs  Aitus  anziehen,  von  farbigen  Speeren, 
Bannern  und  Rossen  ist  das  Feld  ganz  überdeckt,  prächtige  Gezelte 
(herbergen)  werden  in  einem  weiten  Kreise  geschlagen.  Gawan  lässt 
seinem  Wirthe  Plippalinot  durch  Bene  (welche  die  versprochene 
Schwalbe  (swalwe)  mitnimmt),  gleich  entbieten,  alle  Kähne  (kocken)  und 
Schalten  (ussiere)  auzuschliessen,  dass  der  Herr  an  diesem  Tage  nicht 
überzusetzen^  vßrmöge.  Dann  beschenkt  Gawan  alle  Sarjanden,  Ritter 
und  Frauen  also  reichlich,  als  wollte  er  nicht  länger  leben;  starke 
Säumer,  schöne  Frauenpferde  und  Harnische  vertheilte  er  an  die  Ritter- 
schaft, vier  werthe  Ritter  ordnete  er  als  Kämmerer,  Schenke,  Truch- 
sässe  und  Marschalk.  Sein  Zug,  den  zu  entwickeln  eine  ganze  Tagrast 
kaum  hinreichte,  ging  aus:  Auf  Säumern  lagen  Reisegewand')  und 
Kammerkleider,  Harnische,  Helme  und  Schilde,  manch  schönes  Kastilan 
ward  am  Zaume  gezogen,  jeder  schönen  Fräue  aber  ritt  ein  werther 
Ritter  zur  Seite.  So  zieht  Gawan  durch  das  Lager  des  Artus  und 
umgibt  dessen  Zelt  mit  einem  Kranze  von  Frauen.  Artus  und  Frau 
Ginover  kommen  hervor,  ihn  zu  begrüssen ,  die  Königin  fiihrt  ihn  mit 
den  Vornehmsten  in  das  Gezelt,  während  Artus  im  Kreise  umherreitet, 
um  auch  die  Frauen  mit  ihren  dienenden  Rittern  zu  bewillkommen. 
Wie  er  in's  Zelt  zurückkehrt,  stellt  ihm  Gawan  in  Amiveu  Utepandra- 
gons  Witwe  und  Mutter  des  Artus,  in  Sangiven  König  Lots  Witwe 
(zugleich  also  die  Schwester  des  Artus  und  Mutter  Gawans) ,  in  ItonjS 
und  der  schönen  Cundrie  die  Töchter  König  Lots  und  Sangivens  vor, 
wodurch  er  sich  der  alten  Amive  als  Enkel  zu  erkennen  gibt  und  ihre 
Neugierde  vollkommen  befriedigt.  Da  ward  viel  Küssens  gethan!  um 
den  Glanz  der  Versammlung  zu  höhen,  werden  auch  Orgelusens  Ritter 


')  669,  5:  kappelen  unde  kamergewant ;  ein  Ueberset&er  gibt  das  erstere  mit 
•Kirchenscbmuck"  obwobi  die  kappelen  ofTenbar  nichts  anderes  sind^  als  die 
den  Gegensatz  zum  kamergewana  bildenden  Reisekappen.  Vgl.  J.  Falke 
Trachten.   I.  117. 


211 

und  die  von  ihr  gefangenen  Britten,  welche  die  Herzogin  frei  gibt,  her- 
beigeholt. Gawan  bezieht  mit  den  Seinen  das  für  sie  aufgeschlagene 
Lager.  Am  Morgen  ziehen  die  von  Logroys  heran  und  schlagen  gleich- 
falls Lager;  Ortus  aber  schickt  Boten  nach  Rosohsabbins,  um  Oramo- 
flanz  zum  Kampfe  einzuladen.  Gawan  waffnet  sich  und  reitet  hinaus, 
um  sich  zum  Kampfe  zu  üben,  da  stösst  er  an  dem  Wasser  Sabins 
auf  einen  Ritter;  von  demselben  werthen  Manne  habt  ihr  wohl  früher 
schon  vernommen  —  die  Märe  ist  nun  an  den  rechten  Stanmi  ge- 
kommen ! 

XIY.  Röther  als  Rubin  war  das  Kleid  des  Ritters  und  die  Decke 
seines  Rosses,  sein  Schild  war  ganz  durchstochen,  auch  hatte  er  einen 
Kranz  von  dem  Baume,  den  Gramoflanz  hütete,  auf  seinem  Helme,  der 
ganz  fremde  Zimierde  trug.  Gawan  ritt  auf  ihn  los  und  sie  kamen  so 
aneinander,  dass  sie  beide  mit  den  Rossen  niedersassBU.  Dann  zogen 
sie  die  Schweriner  und  arbeiteten  auf  einander,  dass  die  Scherben 
(fechirben)  der  Schilde  nur  so  über  das  grüne  Gras  flogen.  Wehe! 
wenig  gewonnen  und  viel  verloren  hat,  wer  hier  den  Preis  erringt,  nur 
Klage  bringt  ihm  der  Sieg,  denn  die  Helden  sind  nahe  gesippt  und 
ihre  Treue  hatte  noch  nie  eine  Scharte  bekommen ;  wer  auch  den  Preis 
gewinnt,  dessen  Freude  verfallt  doch  der  Sorge. ')  Leider  war  Niemand 
da,  der  sie  geschieden  hätte.  —  Unterdessen  fanden  die  Boten  das 
Heer  des  König  Gramoflanz,  das  nahe  am  Meere,  auf  einem  grossen 
Plane  meilenbreit  lagerte.  Schon  begann  es  unter  Posaunenschall  gegen 
Joflanze  aufzubrechen.  Hell  klingelte  es  von  den  Frauenzäumen  (von 
frouwen  zoumen  klingä  klinc),  denn  Brandelidelin  hatte  seinem  Neflfen 
dem  König  Gramoflanz  allein  sechshundert  klare  Frauen  zugefiihrt.  Er 
selbst  wafihete  sich  gerade,  als  die  Boten  kamen  und  schöne  Frauen 
zogen  ihm  die  Eisenschuhe  an  (schuoten  isrin  kolzen  an  den  künec), 
als  er  zu  Pferde  sass,  trugen  zwölf  gleichfalls  berittene  Jungfrauen 
einen  Baldachin  an  langen  Schäften  über  ihm.  Die  Vorstellungen,  die 
der  weise  und  höfische  Artus  ihm  durch  seine  Boten  hatte  machen 
lassen,  um  die  Feindschaft  mit  seinem  Neffen  beizulegen,  waren  ver- 
geblich. Rückkehrend  treffen  die  Boten  auf  Gawan,  der  ün  Kampfe 
mit  einem  fremden  Ritter  nahe  daran  ist,  zu  erliegen;  erschreckt  rufen 
sie  ihn  beim  Namen  —  und  der  überlegene  Gegner  schleudert  sein 
Schwert  weg  und  bricht  unter  Klagen  in  Thränen  aus :  ^Unselig  bin  ich, 
dass  meine  schuldige  Hand  jemals  solchen  Streit  bestand,    hier    zeigt 


')  6bO,  16:    ^von  swem  der  prtf  dd  wirt  genomeu,    des  f^eude  ist  drumbe 
sorgeo  pfant.^ 

14* 


212 

sich  aufs  neue,  dass  mein  altes  Wappen  das  Leid  ist,  das  mich  von 
der  Freude  scheidet  Ich  bin's  dein  Neffe  Parcival !  -"  Gawan  vermochte 
kaum  mehr  sich  zu  halten,  er  schwindelte  und  sank  nieder.  Ein  Jnn- 
kerlein  des  Artus  sprang  ihm  unter  da»  Haupt,  band  ihm  den  Helm 
ab,  und  schwang  ihm  mit  dem  weissen  Pfauenhute  Wind  unter  ^ie 
Augen;  des  Kindes  Fleiss  gab  dem  Gawan  wieder  Kraft,  ^chon  nahte 
sich  von  beiden  Seiten  viel  "Volk ,  der  Kampfplatz  wurde  abgemessen, 
und  die  Schranken  (zil)  mit  glänzenden  grossen  Bäumen  eingestossen. 
Gramoflanz  hatte  diese  Kosten  auf  sich  genommen.  Der  Bäume  waren  ^ 
hundert,  fünfzig  auf  jeder  Seite,  alle  farbig  und  glänzend  bemalt.  Nie- 
mand durfte  sonst  in  den  ausgestellten  Raum,  der  vierzig  Rennien ') 
beträgt. 

Gramoflanz  will  mit  dem  erschöpften  Gawan  jetzt  nicht  kämpfen, 
sondern  heisst  ihn  ruhen  und  die  Entscheidung  auf  morgen  versparen, 
dagegen  will  Parcival,  der  noch  frisch  und  ohne  Wunden  ist,  seinen 
Vetter  sogleich  vertreten,  doch  schlägt  Gawan  sein  Anerbieten  aus. 
Mit  Freuden  wird  Parcival  von  der  Tafelrunde  und  dem  König  Artus 
empfangen,  hatte  er  ja  weitumher  den  höchsten  Preis  erslritten,  aber 
der  Held  will  nicht  unter  die  Frauen,  sie  alle  müssten  noch  des  Fluches 
gedenken,  der  ihm  auf  dem  Plimizoel  zu  Theil  geworden  und  nur 
widerstrebend  föhrt  ihn  Gawan  zu  den  Königinnen,  die  ihn  küssen  und 
selbst  Orgeluse,  die  noch  nicht  vergessen,  dass  er  ihre  Minne  früher 
verschmäht  hatte,  muss  ihm,  obwohl  ungern,  den  Ehrenkuss  bieten,  und 
Parcival,  anfanglich  scheu  und  befangen,  ward  wie  ein  Wort  das  andere 
gab,  wieder  froh  und  verlor  seine  Blöde  aus  dem  Herzen.*)  Parcival 
bittet  die  Tafeler,  ihm  wieder  zu  ihrer  Genossenschaft  zu  verhelfen,  von 
der  ihn  ein  seltsames  Wunder  vertrieben,  dann  aber  wendet  er  sich 
an  Gawan  und  bittet  ihn  heimlich,  fiir  ihn  kämpfen  zu  dürfen,  da  er 
gerne  den  Stolz  des  König  Gramoflanz  brechen  möchte  und  desswegen 
sich  auch  den  Kranz  von  dem  Baume  genommen  habe.  Da  aber  Gawan 
entschieden  ablehnt,  begibt  sich  Parcival  zur  Ruhe,  nachdem  er  zuvor 
noch  seine  Waffen  sorgfaltig  untersucht  und  jeden  fehlenden  Riemen 
'  hatte  ergänzen  lassen,  auch  einen  neuen  Schild  besorgte  er.  Am  Morgen 
aber  ritt  er  heimlich  qiit  einem  guten  Sper  von  Angram  hinaus,  fand 
den  König   bereits,    und    vor  der 'Eine    zum   Andern  noch  ein  Wort 


')  poynder  ist  der  zum  Anrennen  des  Bosses  nötbige  Raum ..  das  Wort  ^It 
dann  auch  für  das  Anrennen  selbst  und  zuletzt  noch  als  Längenmaass.  rf. 
Ben  ecke  Wigalois.  S.  679  tf. 

')  Die  filr  Deutscbthümler  freilich  schreckliche  Stelle  lautet  696^  15 :  Parxival 
der  cllre  wart  der  Ine  vftre  überparlieret,  daz  wart  gecondwieret  ellin  schäm 
Os  sime  herzen  dö:  Ine  blükeit  wart  er  vrö. 


218 

% 

gesprochen,  hatte  schon  Jeder  den  Anderen  durch  den  Schild  gestochen, 
dass  die  Splitter  in  der  Luft  wirb,elten.  Beide  verstanden  den  Tjost 
und  anderen  Streit  gar  wohl,  auf  dem  weiten  Anger  wurde  der  Thau 
zerführt,  und  die  Helme  mit  scharfen,  schneidenden  „Ecken**  berührt 
Schade  um  die  Blumen,  die  sie  am  Anger  zertraten,  noch  leider  ist 
mir  um  die  Helden,  die  ohne  Zagheit  Noth  duldeten. 

Unterdessen  sang  ein  Bischof  im  Zelte  des  König  Artus  Messe, 
wobei  alle  Ritter  tmd  Frauen  gewaffnet  und  beritten  zugegen  waren,  . 
nach  dem  Segen  (dö  der  benditz  was  getan)  w-aflnete  sich  Gawan.  Da 
kommt  die  Nachricht  von  den  beiden  Kämpfern.  Gramoflanz  der  lange 
verschmäht  hatte,  mit  einem  Mann  allein  zu  kämpfen,  glaubt  nun 
sechs  gegen  sich  zu  haben,  so  gewaltig  dringt  Parcival  auf  ihn  ein; 
oft  warfen  die  Recken  die  Schwerter  hoch  aus  der  Hand  und  wechselten 
die  Klingen.')  So  empfing  der  König  saueren  Zins  fär  den  Kran2. 
Artus  und  Gawan ,  dann  anderer  Seits  Brandelidelin  mit  noch  zweien 
Anderen  reiten  barhaupt  dahin  und  trennen  die  Kämpfenden,  als  der 
köhne  Waleise  gerade  daran  war,  den  Sieg  zu  gewinnen.  Nun  bietet 
Gawan  dem  König  einen  Tag  Ruhe  an,  ebenso  wie  Gramoflanz  ihm, 
gestern  gethan,  und  dankbar  muss  der  todmüde  Mann  diesen  Aufschub 
annehmen.  Dem  Parcival  aber  wurde  laut  der  Preis  zuerkannt,  'dass 
er  das  beste  gethan. 

Gawan  hatte  der  guten  Bene  aufgetragen,  seiner  Schwester  nicht 
zu  sagen,  wie  sehr  ihn  Gramoflanz  hasse,  doch  hatte  aber  Intonje  schon 
gestern  die  Augen  ihrer  Dienerin  verweint  gesehen  und  nun  erfäh^  sie, 
dass  der  Handel  ihres  Geliebten  mit  ihrem  Bruder  sich  nicht  scheiden 
lassen  solle.  Das  Mägdelein  ist  in  der  bittersten  Angst,  denn  mag 
der  Bruder  siegen  oder .  der  Freund ,  so  muss  ihres  Lebens  Freude 
zergehen.  In  ihrer  Herzensangst  wendet  sie  sich  durch  Arnivens  Ver- 
mittlung an  Artus,  welcher  dem  Kampf  zu  wehren  verspricht,  als  er 
aas  dem  Minnebrief  des  Königs,  den  die  kluge  Bene  zur  rechten  ^eit 
herbeischafft,  ersieht,  dass  es  diesem  mit  Itonje  Ernst  ist.  Der  Brief 
aber  lautet')  (nach  Simrocks  Uebersetzung) : 


' )  Ein  Ueberresl   der  altnordischen  Fechterkunst ;    die  kainpfkundigen  Helden 

SfleUen  im  hitiigsten  Gefechte  Schwert  und  Schild  in  die  Luft  zu  werfen, 
eides  mit  den  entgegengesetJifeqiHinden  aufzufaniren  und  dann  links  weiter 
zu  fechten;  hier  tauschen  sie  ihre  Waffen.  Vgl.  Wein  hold  Altnord.  Leben. 
1856.  S.  297.    Dasselbe  thut  auch  lll^let  im  Ka^npfe  mit  Laertes. 

^)  Von  derselben  Zartheit  ist  auch  die  Stefle  in  Graf  Rudolf  (Grimm  E.  17.18) 
wo  der  Ritter  dem  töchterlein  des  beidnisehen  Königs  Halap  seine  Liebe 
erklärt. 


214 


716, 

Ich  grfieee  die  ich  grüezen  sol, 
da  ich  mit  dienste  gr&ezen  hol. 

frouwelin,  ich  meine  dich, 
fiit  da  mit  tröste  tröstes  mich. 
5.  anserminnegebentgeselleschafb: 
daz  ist  Wurzel  miner  frenden  kraft, 
din  trdst  für  ander  tröste  wigt, 
Sit  din  herze  gein  mir  triwen  pfligt 
du  bist  slöz  ob  miner  triwe 
10.  unde  ein  flust  mins  herzen  riwe. 

din  minne  git  mir  helfe  rät, 
daz  deheiner  slahte  untät 
an  mir  nimmer  wirt  gesehn, 
ich  mac  wol  diner  güete  jehn 

15.  staete  äne  wenken  sus, 
a]s  pdlus  artanticus 
gein  dem  tremuntane  stßt,  *) 
der  neweder  von  der  stete  göt: 
unser  minne  sol  in  triwen  st^n 

20.  unt  niht  von  ein  ander  g^n. 
nu  gedenke  ane  mir,  werdiu  magt, 
waz  ich  dir  kumbers  hän  geklagt: 
wis  diner  helfe  an  mir  niht  laz. 
ob  dich  ie  man  durch  minen  haz 

25.  von  mir  welle  scheiden, 
so  gedenke  daz  uns  beiden 
diu  minn  mac  wol  gelönen. 
du  solt  froun  eren  schönen, 
und  läz  mich  sin  din  dienstman: 
ich  wil  dir  dienen  swaz  ich  kan. 


.  Ich  grosse  der  ich  schulde  Oruss, 
Ihren  Gruss  mit    Dienst  erwerben 

muss. 
Fräulein,  ich  meine  Dich, 
Da  Du  mit  Trost  willst  trösten  mich. 
Uns*re  Lieb*  ist  nicht  zu  scheiden: 
Sieh'  da  die  Wurzel  meiner  Freuden ! 
Kein  Trost  ist,  der  dem  Tröste  gleicht, 
Dass  sich  Dein  Herz  zu  meinem  neigt. 
Du  bist  der  Schlüssel  meiner  Treue; 
Nun  flieht  mich  Kummer,  flieht  mich 

Reue. 
Deine  Minne  gibt  mir  Hülf  und  Rath, 
Dass  keiner  unlautem  That 
Gedanke  wird  an  mir  gesehen. 
Zu  Deiner  Güte  will  ich  fleh*n 
So  stät  und  so  unwandelbar 
Wie  der  Polarstern  immerdar 
Nach  dem  Nordpol  sich  dreht 
Und  nimmer  von  der  Stelle  geht. 
So  stät  soll  uns*re  Minne  stehen 
Und  nimmer  auseinander  geh*n. 
Nun  bedenke,  süsse  Magd, 
Den  Kummer,  den  ich  Dir  geklagt. 
Und  sei  zu  helfen  nimmer  lass. 
Hegt  mir  Jemand  solchen  Häss, 
Dass  er  Dich  von  mir  will  scheiden. 
So  bedenke,  dass  uns  beiden 
Einst  noch  Minne  Lohn  gewähre. 
Thu*s  allen  Frau'n  zur  Ehre, 
Und  lass  mich  sein  Dein  Dienstmann : 
Ich  will  Dir  dienen  wo  ich  kann. 


Artus  weiss  nun  hinreichend,  wie  er  daran  ist,  er  bescheidet  die 
Boten,  schickt  Benön  mit  ihnen  und  lässt  Gramoflanz  zu  sich  laden, 
welchem  B^äkurs,  Gawans  und  Itonjes  Bruder,  entgegenreitet.  Durch 
die  Aehnlichkeit  mit  diesem  erkennt  Gramoflanz  die  Geliebte ,  die  er 
jetzt  zum  erstenmale  sieht.  Artus  und  Brandelidelin  beschliessen  die 
Sühne  zu  schliessen,  auch  Orgelnse  muss  ihrem  Grolle  gegen  Gramo- 
flanz entsagen,  obwohl  die  Erinnerung  an  den  geliebten  Cidegast  ihr 
Thränen  in  die  Augen  treibt,  als  sie  ihrem  Feinde  den  Yersöhnungskuss 
reichen  muss.  Der  König  entsagt  allen' Ansprüchen  wegen  seines  Vaters 
Ermordung.     Darauf  wird  GramoJhMps^i  init  Itonje ,    Lischoys    mit    der 


1/-. 


4( 


*)  Polarstern,  Italien.  Tramontana.     Vgl.  den  Minnesinger  von  Scbwanfraa 
XXXIl.  2.  und  Tanhoser  Vlll. 


215 

^Aitoen  Caodrie  and  Sangive  mit  dem  Turkowiten  vermählt  und  die  Feier 
inräohtig  begangen,  zamal  da  Orgeluse  auch  ihre  Vermählung  mit  Gawan 
bekannt  macht  and.  Gramoflanz  9ein  ganzes  Heer  herbeizieht  nnd  jedem 
Fürsten  ein  Sonderlager  aufsqhlagen  heisst.  Nor  ein  Mann  lebt  bei 
dem  allgemeinen  Jabel  in  Sorgen  —  Paroival  gedachte  an  sein  Gemahl 
oiid  ihre  reine  Süsse.  Wie  hat  doch  die  Minne,  seit  ich  weiss  was  sie 
ist,  an  mir  gethan?  Gott  gebe  diesen  Schaaren  Frende,  ich  will  von 
dannen  fahren.  •  So  griff  der  freudenflüchtige  Mann  nadi  seiner  Rüstang 
and  zog  am  frühen  Morgen  von  dannen. 

XV.  Vor  dem  Walde  traf  er  einen  heidnischen  Ritter,  def  war 
so  reich  ausgerüstet,  dass  es  der  Dichter  in  seiner  Armuth  kaum  sagen 
kann.  Sein  Wappenrock,  der  voll  edler«Steine  liegt,  ist  zu  Agremontein 
(zAgremuntin)  von  Salamandern  0  ™  Feuer  geworkt,  auf  dem  Helme 
trägt  er  ein  Ecidiemon,  ^)  das  alle  giftigen  Thiere  vertreibt;  mit  fünf- 
undzwanzig wehrlichen  Heeren,  von  denen  jedes  andere  Farbe  und 
Sprache  föhrt,  so  dass  keines  das  andere  versteht,  hat  er  in  einem 
wilden  Hafen  bei  dem  Walde  geankert.  Allein  ritt  er  nun  nach  Aven- 
tiure.  Der  Unbekannte  stürzte  auf  Parcival  los  und  ist  zornig,  dass 
sein  Gegner  den  Tjost  im  Sattel  anshäh,  dann  griffen  sie  zu  den  Klingen 
und  versuchten  manchen  neuen  Kreis,  bis  sie  endlich  von  den  Rossen 
springen  und  den  Kampf  zu  Fusse  fortsetzen.  „Thasme  und  Thabronit*' 
ist  das  Feldgeschrei  des  Heiden,  der  dem  Getauften  wehe  thut.  Mit 
Kunst  schwängen  sie  die  Arme,  dass  aus  den  Helmen  das  Feuer  lohte 
und  von  ihren  Schwertern  der  Wind  fuhr.  Gptt  schütze  Gahmuretens 
Kind!  ruft  der  Dichter  doppelsinnig  aus.  Dem  Heiden  gibt  die  Minne 
Kräfte  auch  trägt  er  edle  Steine,  die  s^ine  Stärke  vermehren.')  Parcival 


')  7^,  23  ff.:  der  wdpenroc  gap  plaiiken  schio.  ime  berse  zAgremunlin  die 
wörme  salam  ander  in  worklen  zein  ander  jn  dem  TieiKen  ßure.  lieber 
diese  kostbaren,  durcb  Salamander  (^eweblen  Stoffe  vgl.  Wigalois  7435 — 
7455  und  Ulrich  von  dem  Turlin  in  s.  Wilhelm  von  uranse  1.  91  IT. 
und  Titurel  40>  311.  Das  XVII  Jabrh.  brachte  dano  eine  eigene  Salaman- 
droloflfia  von  Wurfbainius,  Nürnberg  1683.  Vgl.  ferner  ß e n e ck e  Wig. 
S.  470—79.  San*Marte  I.  64917.  Grässe  Zur  rabelbafleo  Naturgeschichte 
des  Mittelalters  in  dessen  Beitragen.  1851.  Fried  reich  Symbolik.  1859. 
2$.  617.  —  Die  Sage  vom  spinnenden  Salamander  mag  aus  einer  verwirrten 
Kunde  vom  Seidenwurm  und  vom  Asbest  combinirt  sein,  aach  scheint  nach 
Marco  Polo  der  Salamander  (oder  samanirit)  ebensowohl  der  Name  eines 
Minerals  als  eines  Thieres. 

')  736,  10:  ,,er  Iruog  onch  uF  dem  helme  ein  ecidemön:  sweihe  würm  sint 
eiterhan,  von  der  selben  tierlines  krafi  hdni  si  lebens  decheine  vrist.,  swenn 
ez  von  in  ersmecket  ist.^  Das  fabelhafte  Thier  ist  bereits  481,  8  bei  Aofortas 
Krankheit  unter  den  giftigen  Schlangen  aufgeHihrt ,  auch  wird  eine  Land- 
schaft oder  Stadt  Hiidemonis  683,  W  genannt.  Simrock  (S.  815)  halt  den 
Namen  für  entstellt  aus  Agathodämon. 

')  Schon  die  Orphiker  (Ritter  Vorhalle  der  europäischen  Menschheil)  glaubten 


216 

i 

I 

denkt  nur  an  seine  Gattin  and  den  Gral;   da  zerbricht  ihm   aber  da^ 
Schwert,   als  der  Fremde  von   dessen  gewaltigem  Streiche  aofs  Knie 
gesanken  war.  Edelmfithig  benützt  der(  Heide  dieseu  Vortheil  nicht,  er 
sieht,  dass  sein  ebenbürtiger  Gegner   aach  ohne  Schwert   fortkämpfen 
würde,  so  bietet  er  ihm  in  französischer  Sprache  Ruhe  und  Rast  an 
und  nennt  seinen  Namen  Feirefiz  Anschevin.   ^Woher  seid  Dur  ein 
Anschevin?  versetzt  Parcival ;  das  Land  mit  seinen  Burgen  und  Städten 
ist  mein,  seid  so  gut  Herre,  Euch  einen  anderen  Namen  zu  kiesen.  Ist 
Einer  von  uns  beiden  ein  Anschevin,    so  bin's  wohl  ich;    doch  ^eiss 
ich,  dass  in  der  Heidenschaft  mir  ein  Bruder  geboren  wurde,  lasst  mich 
Euer  Antlitz  sehen,  Herr,  ich  verschwöre  des  Streites,  bis  Ihr  «wieder 
gewapnet  seid.**  —    ^Und  stünde  ich  auch  bloss,   versetzt  der  Heide, 
habe   ich   doch   ein   Schwert,    das   Euch  zu   schaffen  machte   und   Ihr 
keines,^  so  sprechend  warf  es  der  Edle  weit  von  sich;  ^nun  sage  mir 
aber,  wie  Dein  Bruder  aussehen  soll?"  versetzt  der  Heide  weiter,  und 
da  Parcival  durch  Eclcubä  erfuhr,')  er  sehe  weiss  und  schwarz  aus,  wie 
ein  beschrieben  Pergament,   so  nehmen  die  Beiden  zugleich  Helm  und 
Hersenier  ab  und  endeten  im  Kusse  ihren  Hass.     Feirefiss  sagt  seinea 
Göttern  Dank,  dass  sie  ihn  hergeführt,  mit  brüderlichen  Treuen  bittet 
er  den  Parcival,  das  Ihrzen  zu  lassen  und  ihn  zu  dutzen,')  n^as  aber 
der  Bruder   im  Gefühl  seiner  Jugend  und   Armuth   ablehnt;    Feirefiss 
will  ihn  mit  sich   nehmen   und  verspricht  ihm  zwei  reiche  Lande,    die 
ihm  sein  Vater  hinterlassen;    um  diesen  zu  suchen  hat  ec  die  grosse 
Reise   aus  der  Heidenschafl  unternommen  und   bricht  nun  in    Thräneo 
aus,    als  er  von  Parcival  dessen  frühen  ritterlichen  Tod  erfahrt.     Mit 
derselben  feinen  dialectischen  Redekunst,   wie  der  Dichter  in  höfischer 
Zierlichkeit  die  kleine  Obilot  zu  Gäwan  sprechen  Hess,  schildert  Wolfram 
hier  die  Freude  des  Feirefiss,  der  in  Parcival  nun  sein  anderes  Ich  ge- 
funden hat.  *)    Parcival  ladet  seinen  Bruder  (dessen  Heer  ruhig  in  den 


an  einen  Einfloss  der  Edelsteine  auf  den  Menschen.  Vffl.  Moseum  fOr  altd. 
Li»,  u.  Kunst.  1811.  11.52—145:  Bösching  Ueber  die  Kräfte  der Edelsleioe 
nach  dem  Glauben  des  Mittelalters;  der  Smaragd  Terleihe  gutes  Gedacht- 
niss,  Karfunkel  stillt  das  Blut  und  gibt  Weisheit;  der  Saphir  Friede 
and  Einigkeit,  der  Chrysolit  ist  gut  gegen  die  Sucht,  Klappersleinie 
wider  den  Durst,  Carniol  hilft  gegen  Zorn  u. s  w.  Vgl.  unten 791,  1— JO. 

•)  Oben  328,  5  ff. 

.')  749,  21:  daz  er  irsens  in  erliese  und  in  duzenitche  hieze. 

<)  752,  5  ff.    0  wehe!  ist  mein  Vater  todt!  niFt  Feirefiss  aus,  so  habe  ich  in 
•  kurzer  Zeit  Freude  verloren  und  Freude  gefunden;  wahrlich I   mein  Vater, 
Du  und  ich,  wir  sind  Eins,  wenn  wir  auch  Dreie  scheinen 


„mtt  dir  selber  bdstu  hie  gestritir. 
gein  mir   selbn    ich  kom   Af  strtt 

geritn, 


Mit  Dir  selber  hast  Du  hier  gestritten. 
In  den  Kampf  mit  Mir  kam  icn  geritten. 


217 


Sdiiffen  zn  bleiben  gewohnt  ist)  an  den  Hof  des  König  Artos,  wohin 
der  Heide  nm  so  lieber  geht ,  da  er  von  den  schönen  Frauen  hört.  — 
Indessen  hatte  man  auf  Schastel-raarreile  dc^n  Kampf  in  der  Spiegel- 
säole  wahrgenommen  und  kam  den  Beiden  freudigst  entgegen  und  Feire- 
fiss  wird  auf  das  beste  aufgenommen,  nicht  nur  um  des  Bruders  willen, 
sondern  weil  auch  sein  eigener  Ruhm  im  Kreise  der  Bretaneisen  gar 
wohl  bekannt  war,  die  Frauen  fanden  ihn  um  der  seltsamen  Male 
seines  Leibes  willen  nur  um  so  interessanter.  Sie  nahmen  im  Zelte 
Gawaos')  Rast,  der  sie  entwappnen  und  das  Mahl  bereiten  lässt.  Nach 
der  Mahlzeit  kommt  König  Artus  hinzu,  den  Gast  zu  begrüssen.  Ihm 
erzählt  zuerst  Feirefiss  und  hierauf  Parcival  in  langer  Reihenfolge  alle 
die  Namen  der  Grafen,  Herzoge  und  Könige,  die  sie  bezwungen  haben. 
Die  Qberans  reiche  Rüstung  des  Feirefiss,  die  dieser  von  der  Königin 
Secundille  hat,  wird  allgemein- bewundert.  Artus •  berieth  ein  grosses 
Festgelage  fiir  den  kommenden  Tag,  die  Frauen  glänzten  und  mancher 
Ritter  strich  ein  blumenreiches  Schapel  auf  sein  Haar,  Messe  ward 
gesungen  und  Buhurd  gethan,  schon  sass  man  an  der  fröhlichen  runden 
Tafel  —  da  erschien  wieder  die  gräuliche  Gralbotin,  aber  nicht  so 
furchtbar  wie  früher,  sie  schwingt  sich  vor  Parcival  von  dem  Pferde, 
fUlt  ihm  zu  Füssen  und  bittet  weinend,  ihr  die  Schuld  und  die  frühere 
Fluchbotschafl  zu  verzeihen:  „0  wohl  Dir,  Gahmurets  Sohn,  ruft  sie 
aus,  Gott  will  Gnade  an  Dir  thun!  und  Feirefiss  soll  um  meiner  Herrin 
Secundille  wegen  willkommen  sein!^  Eine  Inschrift  erschien  an  dem 
Grale  (zu  derselben  Zeit  als  Parcival  mit  seinem  Bruder  kämpfte  und 
das  Schwert  über, dessen  Leben  schon  geschwungen  war;  vgl.  744,14), 


mich  selben  hat  ich  gern  erslagn : 
done  kundeslu  des  niht  ^erzaffn, 
dune  wertest  mir  min  selbes  Tip. 
Jupiter,  diz  wunder  schrlp: 
dtn  kraft  tet  uns  helfe  kuont, 
daz  se  unser  sterben  understuont. 


Mich  selber  hätr  ich  gern  erschlagen. 
Du  aber  schütztest  ohne  Zagen 
Vor  mir  selber  mich  In  Dir. 
Sieh  Jupiter^  diess  Wunder  hier! 
Zu  Hilfe  kam  uns  Deine  Kraft 
Und  löst"  uns  aus  des  Todes  Haft. 


I)  Von  da  an  verschwindet  Gawan  nai-h  der  Oekonomie  des  kunstreichen 
Werkes;  er  war  nur  eine  Folie,  die  der  Dichter  für  seinen  HeMen  brauchte. 
Er  ist  ja  mir,  wie  Rührmund  treffend  bemerkt,  die  Verkörperung  eines 
weltlichen  Ritters,  dessen  höchstes  Princip  die  Ehre,  nicht  wie  bei  Parcival 
die  weltüberwindende  Demuth  ist,  und  dessen  Religiosät,  zwar  frei  von 
Schwärmerei ,  aber  auch  ohne  tiefere  Begründung ,  sich  in  den  Schranken 
conventioneller  Formen  befriedigt  und  vor  beunruhigenden  Zweifeln  sicher 
fühlt.  In  diesem  Sonnenscheine  der  vornehmen  Welt  wandelnd,  beobachtete 
er  als  Ritter  leicht  in  allen  seinen  Handlungen  Maass  und  Schicküchkeit  und 
doch  ist  er  der  Verläumdung  ausgesetzt  und  des  Mordes  fälschlich  a'ngeklagt, 
und  doch  kommt  er  in  Gefahren,  wie  bei  der  schönen  Antikonie,  an  denen 
Parcival  ffleichsam  unhewusst  ruhig  vorüberzog.  Auch  das  unwürdige  Be- 
nehmen der  Obie  und  der  erst  spflter  in  besserer  Gestalt  sich  zeigenden 
Orgelose  bat  er  zu  ertragen!  nnd  welche  Hühsale,  welche  schweren 
Kimpfe,  sogar  mit  Zauberkunst  und  Ungeheuern! 


218 

die  ihm  nunmehr  die  Krone  menschlichen  Heilem,  die  Herrschaft  fiber 
den  Gral  verheisst.  Freudenthränen  quellen  dem  vielgepififten  Helden 
aus  den  Augen.  Sie  verkündet  ihm  weiter,  dass  seine  Gattin  Gondwi- 
ramur seine  Genossin  sein  und  der  eine  der  ZwiUingssöhne ,  die  sie 
ihm  nach  seiner  Ausfahrt  geboren,  Loherang rtn^  gleichfalls  mitge- 
nommen werden,  der  andere  aber,  Kardeiz,  in  des  Vaters  Reichen 
König  sein  solle.  Sogleich  solle  er  sich  aufmachen  und  ihr  folgen, 
auch  wird  ihm  gestattet,  einen  Gesellen  mitzunehmen,  wozu ' er  seinen 
Bruder  Feirefiss  bittet.  Parcival  aber  erzählt  Allen,  was  er  einst  von 
Trevrizent  vernommen,  dass  Niemand  den  Gral  im  Streit  erringen  könne, 
wenn  Gott  ihn  nicht  erwähle;  so  Hessen  denn  die  Tafler  darnach  die 
Fahrt.  Feirefiss  aber  schrieb  vorher  noch  an  sein  Heer  und  Hess  reiche 
Geschenke  bringen,  die  är  grossm&thig  und  verschwenderisdi  an  AUe 
vertheilt 

XVI.  Unterdessen  litt  Anfortas  jammervolle  Pein,  oft  bat  er  die 
Ritterschaft,  ihm  den  Gral  nicht  zu  zeigen,  dass  er  sterben  könne,  auch 
ersann  er  die  List,  oft  vier  Tage  lang  die  Augen  vor  dem  Grale  ge- 
schlossen zu  halten,  dann  aber  zwang  ihn  doch  wieder  die  Schwäche, 
ihn  zu  schauen.  Vergebens  bot  man  zur  Linderung  seiner  Noth  Alles 
auf,  räucherte  mit  süssen  Gewürzen,  legte  duftige  Früchte  auf  den 
Boden,  die,  wenn  man  darauftrat,  brachen  und  die  Luft  erfüllten.') 
Die  Stollen  an  seinem  Spannbette  waren  von  Viperhom,  ^)  auf  den 
Polstern  lagen  verschiedene  Würzen,  das  Pfeil,  darauf  er  lehnte,  war 
nur  gesteppet  und  nicht  genäht,  die  Matraze  (matraz)  darunter  von 
Palmatseide,  Stränge  von  Salamandergewebe'  hatte  das  Bette  als  Gur- 
ten, auch  war  es  voll  besetzt  mit  Fdelsteinen  (deren  Aufzählung  eine 
gans^e  Strophe  791,  1 — 30  fallt),  die  zu  Heil  und  Gesundheit  gut  und 
kräftig  sind;  so  fristete  man  künstlich  sein  Leben,  vertrauend  auf  die 
Verheissung,  -dass  doch  noch  ein  Retter  aus  dieser  Noth  erscheinen 
werde:  da  naht  abermals  Parcival.  £^  legt  die  Waffen  ab  und  nimmt 
mit  seinem  Bruder  einen  Trunk,  dann  tritt  er  vor  den  König,  der  ihn 


')  Die  Eslrichböden  der  Burgen  waren  sonst  gewöhnlich  nnr  mit  Stroh^  Schilf, 
Blumen  und  Laub  bedeckt,  worunter  sich  wohl  auch  zur  Erde  geworrene 
Ueberresle  von  Speisen  u.  s.  w.  mischten,  was  im  ffewöhnlicben  Leben  oft 
lange  liegen  blieb;  nur  Könige  und  Fürsten  Hessen  ihre  Gemächer  öfter  be- 
legen; dass  der  Fährmann  Pnmpalinot  sein  Gemach  bei  Gawans  Ankunft  mit 
Teppichen  bespreitet  (549,  25),  ist  eine  ungewöhnliche  Aufmerksamkeit 

^)  790,  9:  ^am  spanbelte  die  Stollen  atn  wdren  vipperhoroto;'^  San -Harte 
übersetzt  die  Stelle :  das  Bett  ruhte  auf  bomenen  SchlangenfllMea,  Simrock : 
Als  Stollen  an  dem  Spanobett  sah  man  aus  Hom  gedrehte  Scblengeo;  doch 
scheint  darin  eher  eine  Anspielung  auf  das  durch  uogetreae  Miaoe  erlittene 
Ungemach.    Vgl.  Fried  reich  Symbolik.  S   605. 


M9 

am  dea  Tod  bittet,  wozu  er  Sun  nur  sieben  Nftobte  und  aoht  Tage  den 
Anblick  des  Grales  zu  entziehen  brauche,  denn  aach  jetzt  darf  er  noch 
nicht  sagen,  was  Parcival  zu  thun  habe.  Dieser  aber  wirft  sich  drei- 
mal betend  vor  der  Trinitat . nieder  und  fragt  dann:  ^ocheim,  waz 
wirret  dier?"  und  Der  durch  St.  Silvestern  einen  Stier  lebendig  machte') 
und  Lazarum  auferstehen  liess,  half,  dass  Anfortas  gesund  ward  und 
wohl  genass  und  wieder  schön  und  g)&nzend  wurde. 

Indessen  war  auch  an  die  treue  Condwiramur  die  Freudenbotschaft 
ergangen,  die  sie  nach  Munsalvaesche  berief.  An  demselben  Stätte,  wo 
Pareival  einst  durch  die  drei  Blntstropfbn  im  Bann  gehalten  ward  und 
auch  S^;ramors  den  Sattel  räumte,  hatte  siß  über  Nacht  in  ihrem 
Gezelte  gesdilafen  und  Pareival,  dem  ihr  Kommen  gemeldet  ward,  eilt 
ihr  entgegen,  nachdem  er  zuvor  noch  bei  Trevrizent  zugesprochen;  dort 
am  frühen  Morgen  findet  sie  der  theuere  Mann  und  wer  zählt  seiner 
Freuden  Zahl,  als  er  die  treue  bei  ihren  beiden  Söhnlein  sah  und  ihr 
Ohm,  der  alte  Kiot,  auf  die  Decke  schlug  und  sie  erweckte.  Schndl 
schwang  sie  das  Deckelachen  um  sich ,  sprang  auf  den  Teppich  und 
kösste  ihren  Gemahl:  „So  hat  das  Glück  Dich  doch  noch  mir  gesendet, 
Du  Freude  meines  Herzens!  ruft  sie  willkommend  aus,  nun  sollt  ich 
zürnen,  kann  aber  nicht;  Heil  der  Stunde  und  dem  Tag,  die  dieses 
Umfangen  brachte,  davon  mein  Trauero  krank  werden  muss,  ich  habe 
non.den  mein  Herze  gehrt  und  die  Sorge  hert  ein  Ende.^  Da  erwach- 
ten auch  die  Kindelein,.  die  auf  dem  Bette  bloss  lagen  und  Pareival 
küsste  ^ie  minniglich.  I^iot  lässt  sie  forttragen,  schickt  dann  auch  die 
Frauen  und  Jungfrauen  hinweg,  die  Kämmerer  schlugen  die  Zeltwände 
zu  und  Pareival  lag  in  süsser  Kurzweile  bis  an  den  vollen  Tag.  Darauf 
ward  Messe  gesungen  und  Kardeiz  gekrönt,  zwei  kleine  Hände  verliehen' 
viel  Land;  darauf  zogen  die  von  ihm  belehenten  Mannen  mit  ihrem 
Herrn  nach  Hause.  Pareival  fragt  die  Templeisen  nach  einer  Klause, 
die  hier  herum  liegen  müsse  und  durch  welche  ein  Bach  fliesse;  sie 
kennen  selbe  wohl  und  der  Weg  geht  nahe  vorbei,  sie  finden  aber  die 
Klausnerin  Sigune  bereits  todt,  noch  auf  den  Knieen  liegend  über  des 
Geliebten  Sarge,  von  dem  Pareival  den  Stein  heb^n  und  Sigune  dazu 
legen  liess,  dass  die  beisammen  wären,  dem  Sigune  im  Leben  nur  jung-« 
frauliche  Minne  (magtuoraliche  minne)  gegeben  hatte.  An  der  Hand  der 
Gattin  erscheint  auf  Munsalvaesche  der  neue  König;  ein  überraschend 
feiner  und  offenbar  dem  Leben  abgelauschter  Zug,  den  der  Dichter  hier 
anbringt,  ist  es,  wenn  der  kleine  Loherangrin  seinen  schwarzen  Ohm 
nicht  zu  küssen  wagt:     Nach  dem  festlichen  Empfange  Condwiramurs 


'V  795,  30.   Vgl.  die  schöne  Legende  des  Conrad  von  Wirzbnrg. 


220 

wird  der  6ml  hereingetragen.  Alles  wiederholt  sich  wie  bei  PttrcivaW 
ersfer  Anwesenheit,  nur  dass  er  jetzt  König  ist  und  Anfortas  neben 
ihm  ritzet,  auch  fehlt  die  Lanze  und  überall  herrscht  Freude.  Feirefiss. 
sieht  als  fleide  den  Gral  nicht  (obwohl  er  gewahrt,  wie  eine  unsicht- 
bare Macht  Alles  spendet),  aber  dessen  Trägerin,  Repanse  de  schove 
nimmt  sein  Herz  so  gefangen,  dass  er  des  Essens  und  Secundillens  ver- 
gisst  und  seine  falschen  Götter  abschwören  will,  weil  die  Jungfrau  den 
rechten  Gott  hat.  Hilft,  mir  die  Taufe  zur  Minne?  fragt  Gahmurets 
heidnischer  Spross  seinen  Bruder,  als  ihm  dieser  zur  Taufe  räth,  und 
Parcival  verspricht  ihm  seine  schöne  Muhme,  den  er  nun  auch  zu  dutzen 
wagt,  da  er  als  König  des  Grals  ebenfalls  so  reich  ist.  Schon  am 
nächsten  Morgen  wird  der  von  Zassamank,  nach  kurzer  Belehrung, 
durch  einen  alten  Priester  getauft,  der  schon  manch  heidnisch  Kindelein 
in  den  Weihnapf  getaucht  hatte.  „Lindert  das  mein  Ungemach,  spricht 
der  Heide,  so  glaub'  ich  was  ihr  befehlt;  Bruder,  an  den  Gott  der 
Muhme  will  ich  glauben  und  an  sie.'*  Nach  der  Taufe  sieht  er  nun  den 
Gral  und  empfängt  durch. Anfortas  und  Parcival  als  Pathengeschenk 
die  herrliche  Trägerin  desselben.  Eine  Schrift,  die  am  Gral- erscheint, 
verordnet  hierauf,  dass  wer  künftig  aus  den  Templern  in  fremde  Länder 
gesendet  werde,  um  ihnen  dort  zu  helfen  und  beizustehen,  seinen  Nanien 
und  seine  Herkunft  nicht  nennen  dürfe,  so  lange  er  dort  weile. 

Gerne  hätte  Feirefiss  seinen  Schwager  Anfortas  öder  den  kleinen 
Neflfen  Loherangrin  mit  in  das  Morgenland  mitgenommen,  da  er  von 
hier  nach  eilf  Tagen  mit  seiner  Fraue  weiter  zieht ;  bei  der  Ankunft  im 
Hafen  erfahrt  er  von  seinem  Heere,  dass  .die  Nachricht  von  Secundillens 
plötzlichem  Tode  eingetroffen.  Nun  erst  wird  Repanse  ihrer  Reise  gant 
froh.  Zu  Tabronit,  das  man  bei  uns  Indien  heisst,  wurde  sie  gekrönt 
und  gebar  einen  Sohn^  welcher  der  Priester  Johannes  0  genannt 
wurde,  später  über  Indien  herrschte  und  seinen  Namen  auf  alle  Nach- 
folger im  Reiche  übertrug.  Die  treue  Gralbotin,  welche  das  Ehepaar 
nach  dem  Morgenlande  begleitet  hatte,  bringt  die  Kunde  vom  Ge- 
schehenen und  dem  Glücke  des  Bruders  und  seiner  Gemahlin  nach 
Mnnsalvaesche  und  trug  oft  Botschaft  hin  und  wieder.  Anfortas  aber 
blieb  im  Dienste  des  Grals  und  kämpfte  darin  noch  *mahch  ritterlichen 
Kampf,  Trevrizent  aber  blieb  seinem  Gelöbniss  treue  und  warb  auch 
femer  in  der  Einsamkeit  um  die  Gottes  Minne. 


')  Die  Sage  vom  Priesler-König  Johannes  erzählt  gleichfalls  Monlevill«. 
.Varco  Polo  und  unser  Johannes  Schiltberg^r,  der  Glaube  an  ihn  gvit  allge« 
mein^  so  dass  sojj^r  noeh  König  Emanuel  von  PoiHui^al  dem  WelUimsef^ter 
Vasco  de  Gama  die  ehrrurchtsvollsten  Aufträge  an  ihn  aufgab.  Ueber  die 
historische  Grundlage  vgl  Schrö/dl  in  Wetzer  und  Welte^s  Kirchen lexikoo. 
V.  783  ff. 


281 

Loherangrin  erwuchs  zu  einem  stattlichen  Ritter.  Zur  selben  Zeit 
;ass  in  Brabant  eine  Frau,  von  der  edelsten  Zucht  und  Tugend,  zahl- 
-eich  umworben  von  Fürsten  und  Herren,  deren  Hand  sie  jedoch 
;ämmtlich  verschmähte,  die  nur  der  empfangen  sollte,  welchen  Gott 
selbst  ihr  senden  würde.  Da  zog  eines  Tages  ein  silberweisses  Schwanen«- 
[>aar  einen  Ritter  im  leichten  Nachen  in  den  Hafen  von  Antwerpen,  in 
lern  sie  den  von  Gott  gesandten  Gebieter  des  verwaisten  Landes  erkennt. 
Es  ist  Loherangrin.  Er  unterwand  sich  des  Reiches  und  ihrer  Hand, 
loch  nur  mit  dem  Beding,  dass  die  Frau  nie  nach  seiner  Heimkunft  forsche. 
Liebliche  Kinder  entsprossen  dem  Bunde;  die  Frau  aber  vergass  einst 
ihres  Versprechens;  die  verbotene  Frage  nach  der  Herkunft  ihres  Gatten 
raubte  ihr  diesen,  denn  alsbald  kamen  die  Schwäne  wieder  gezogen  und 
nahmen  ihn  auf  immer  mit  sich  fort.  Ein  Schwert,  ein  Hom  und  einen 
Bing  Hess  er  zurück;  lange  noch  herrschte  sein  Geschlecht  glücklich 
in  dem  Lande. 


Die  Märe,  setzt  Wolfram  schUessend  bei,  kam  aus  der  Provenz/e 
Id  deutsche  Lande  und  ich  will  davon  nicht  mehr  sprechen,  als  dort 
der  Meister  sprach. 


827, 

15.  siniu  kint,  sin  hoch  gesiebte 
han  ich  in  benennet  rehte, 
Parziväls,  den  ich  hän  bräht 
dar  sin  doch  saelde  het  erdäht. 

swes  lebn  sich  s6  verendet, 
SO.  daz  got  niht  wirt  gepfendet, 
der  sdle  durch  des  libes  schulde, 
und  der  doch  der  werlde  hulde 
behalten  kan  mit  werdekeit, 
daz  ist  ein  nütziu  arbeit., 
t5.guotiu  wip,  hänt  die  sin, 
deste  Werder  ich  in  bin. 
op  mir  decheiniu  guotes  gan, 

Sit  ich  diz  maer  volsprochen  han. 

ist  daz  durh  ein  wip  geschehn, 
diu  muoz  mir  süezer  worte  jehn. 


Des  Helden  Kinder,  sein  Geschlecht 
Lehrt*  ich  euch  erkennen  recht; 
Ihn  selber  bracht*  ich  an  den  Ort, 
Wo  Heil  ihm  blühet  immerfort. 

Wess'  Leben  so  sich  endet, 
Dass  Gt>tt  nicht  wird  gepföndet 
Der  Seele  durch  des  Leibes  Schuld, 
Und  er  dennoch  sich  die  Huld 
Der  Welt  erhielt  mit  Würdigkeit, 
Der  blieb  vom  rechten  Ziel  nicht  weit. 
Mich  sollten  billig  gute  Frauen, 
Verständ'ge^  desto  lieber  schauen, 
Wenn  noch  ein  Weib  mir  freundlich 

lacht, 
Weil  ich  diess  Werk  zu  Schluss  ge- 
bracht. 
Geschah  das  einer  Frau  zu  Ehren, 
Die  soll  mir  süssen  Dank  gewähren. 


Das  ist  der  Inhalt  dieser  Epopöe,  die,  was  das  Formelle  be- 
,  von  der  höchsten  Vollendung  zeugt.  Es  ist  wunderbar  gebaut, 
^e  ein  deutscher  Dom,  nichts  ist  daran  vergeblich  oder  entbehrlich, 
^lles  dient  der  Oekonomie  des  grossen  Ganzen,  kein  Ton  ist  umsonst 


2sa 

angespielt,  jede  selbst  die  kleinste  E}pisode  hat  ihre  Berechtigung  und 
findet  ihre  Lösung,  das  Werk  zeigt  einen  einheitlichen  Plan,  es  trägt 
sich  selbst    in   seiner  Construction ;    die  Bogen  sind    herrlich  gewölbt, 
die  Gnrtiingen  sinnreich  gespannt,    es  ist  ein   organisches  Ganze  yoII 
Schönheit   in    seiner    TotaJwirkang ,    voll    reizenden    wohldurchdachten 
und  verschlungeneu  Details,  das  helfend  ineinander  greift  und  in  reizen- 
der Abwechslung  weiter  leitet  und  die  architektonische  Einheit  in  pla- 
stischer Wirkung  nur  desto  voller  und  klarer  hervortreten  lässt. ')  Mit 
der  dem  Epos  eigenthümlichen  Dramatik,  welche  zuerst  eine  glänzende 
Exposition  verlangt,    dann  mit  besonnener  Ruhe  den  Knoten  schürzt» 
der  sich  nach  allen  Richtungen  glänzend  und  gegen   den  Schluss  hin 
sogar  rasch  löst,  ist  die  Dichtung  angelegt  Die  Sprache  ist  originell, 
reich  an  Gedanken  und  Bildern,   die  oft  von  einem  seltsamen  Ueber-> 
muth,  von  einer  wahren  Bravour  und  humoristischer  Kürze  belebt  sind. 
Wolfram  hat,  wie  Göthe  und  Rückert,  die  bedeutsamsten  Worte  gerade 
in  den  Reim  verlegt,    daher  diese  Originalität  und  Kraft  in  Gedanke 
und  Form.     Reiner  wurde  der  Reim  nie  gehandhabt,   als  von  Hart- 
man!) von  der  Aue,  Waltber  v.  d.  Vogelweide  und  in  dritter  Reihe 
von  Wolfram,  der  in  den  Tag^liedern  und  im  Titurel  geradezu 
unübertrefflich  ist;  selbst  Göthe  und  der  formbefiissene  Platen  stehen 
ihnen  nach. 

Was  aber  den  Sinn  dieser  Dichtung  betrifft,  so  wurden  der  Reihe 
nach  überreiche  Erkläruugsversuche  aufgestellt.  Symboliker  und  Mythe- 
logen  erprobten  daran  ihren  Witz,  vergeudeten  ihr  Combinationstalent 
und  überstürzten  sich  in  abenteuerlichen  Gonjecturen,  dass  selbst  der 
Schwindelfreieste  Beschauer  unwillkührlich  seine  ruhige  Fassung  verlieren 
könnte.  Während  die  Einen  darinnen  die  ketzerische  Prädestinations- 
lehre witterten  und  die  anderen  wie  G  ö  s  ch  e  I ')  die  Lehre  von  der 
Gnadenwahl  und  der  Rechtfertigung  aus  dem  Glauben  allein  ohne 
Werke,  als  einen  Vorläufer  der  Reformation  gefunden  haben  wollten; 
bezogen  dagegen  Vi  1  mar  und  Sepp  die  Fabel  auf  die  äussere  Gre- 
schichte  des  Christenthums  mit  deren  mystischen  Gehalt,  auf  Johapnis 


')  Rührmaad  hat  io  Hauprs  ZeiUcbrift  VI.  465—478  sogar  den  cfartmologi- 
schen  Zusammenhang  der  einzelnen  Begebenheiten  dargelegt,  wodurch  9er 
Vorwurf,  Wolfram  habe  oft  bloss  Begebenheiten  an  Begebenheiten «  ohne 
inneren  Zusammenhang,  ohne  Ziel  und  Beweggründe  planlos  aneinander 
gereiht,  glänzend  widerlegt  wird.  Vgl.  dessgleichen  Rührmuods  sch^Vae 
Arbeit  in  Herrig^s  Archiv.  1657.  XX11.  Bd.  S.  233-  95. 

*)  K.  F.  Göschel  Die  Sage  vom  Parcival  und  vom  Gral.  Berlin  1855  und 
Reichel  Studien  su  Wolframs  Parcival   Wien  1866. 


228 

Schüssel,*)  Äbeadmalkelchv  Speer  des  Longinus;  sie  wägten  so  hohen 
Schwung,  dass  sie  im  Parätal  selbst  ein  Bild  des  Erlösers,  des  Welt- 
heilandes sehen.  Die  Dritten,  die  sonst  an  der  rechten  Stelle  kein  ab- 
sonderlich feines  Gehör  verriethen,  hörten  hier  plötzlich  den  Nachklang 
heidnischer  Mythen.  Alle  aber  erkannten  die  überansgrosse  Schwierig- 
keitv  den  Gmndgedanken  des  Gedichtes  fest  zu  fassen,  dazu  aber  auch 
gaaz  beseheidentlieh  den  unvergleichlichen  Werth  ihrer  eigenen  Ideen. 
Unstreitig  wurde  in  das  Gedicht  mehr  hineingelegt,  als  der  Dichte 
selbst  im  Sinne  trug,  der  übrigens  in  mittelalterlicher  Dialektik  nicht 
unerfahren  war  und  mit  ritterlicher  Kühnheit  sein  theologisches  Lehr- 
gebftade  sich  zurechtgeritten  hatte.  Ein  speoifisch  christlicher  Haupttheil 
kann  niemals  abgewiesen  werden ,  ebenso  weni^  der  notorisch  bretoni- 
sche Einflnss  und  die  Beziehungen  zum  Templerorden.')  ^iGewiss  werden 
wir  fernerhin  (sagt  San-Marte  U.  250)  nicht  mehr  nöthig  haben,  nach 
gnostischen  Ketzereien  und  einer  templerisohen  Geheimlehre  zu.  forschen, 
um  die  mystische  Bedeutung  des  Grals,  die  ihm  der  Dichter  beilegt, 
zu  ergründen;  und  ebenso  wenig  in  dem  Reiche  des  Grals  ein  Reich 
der  Seligen  oder  gar  eiiv Todtenreich,  vielmehr  nur  das  dichterische 
Ideal  eines  geistlichen  Ritterordens  erblicken  dürfen,  das  im 
Tempelherrenorden  am  Ende  des  XU.  Jahrh.  der  damaligen  Welt  fast 
verwirklicht  schien.^  Gör  res  ^)  bezeichnete  die  Greschichte  vom  hei«- 
ligen  Gral  als  die  epische  Fortsetzung  der  Apooryphen .  des  neuen 
Testaments,  die  Templeisen  sind  ihm  die  Kirchenväter  dieser  Legende, 
die  smaragdene  Schale  ein  S3rmbo1  der  Eucharistie,  die  nach  der  Sage 
zum  erstenmale  in  dem  Becher  abgehalten  worden  war.  Der  Gral  ist 
ein  Tischlein-deck*-dich  und  3tein  der  Weisen  zugleich,  dervdie  Wünsche 
geschweigt,  des  Wissens  Durst  stillt  und  den  Frieden  der  Seele  unge- 
trübt erhält.  Niemand  sieht  ihn,  denn  nur  die  Erwählten,  welche  zu 
allen  Zeiten  gegen  unheilig  Leben  kämpfen;  seine  Zeichnung  vermag 
^Keines  Mund  oder  Zunge  je  zu  deuten,  aus  ihm  wird  Alles  gewährt, 
aUo  auch  dem  Verderben  gewehrt^  und  somit  durchdringt  er  den 
iSchauenden,  so  lange  er  den  Anblick  mit  reinem  Herzen  geniesst,  mit 
ewiger  Jugend.  Die  Symbolik  des  göttlichen  Steines,  der  vom  Hinunel 
gesandt,  den  Seinen  im  Glück  des  Paradieses  Genüss,  im  Leiden  Trost 
Hjid  Linderung  verschafft,  der  Unsichtbar  dem  Ungetauften  und  nur  den 


*)  S  im  rock  Einleituag  zu  s.  Psrcivalübersetzung.  3   Aufl.   1857.  S.  776. 

^)  Vgl.  die  trefBichen  ^Parcival-Studien<^  San-Marte*s  1861.  H.  228  ff. 
über  den  hl.  Gral  /und  sein  Reich  nnd  über  die  Beziehungen  zum  Templer - 
Orden.  II.  248  AT.  Das  Buch  kam  uns  leider  erst  su,  nachdem  unsere  Arbeit 
schon  vollendet  war. 

">)  J.  Göj-res  Wallfabrl  nach  Trier.  1S4&.  S.  54  IL 


« 


284 

Händen  der  Unschuld  tragbar  ist,  der  sieb  seine  Diener  und  Dienerin- 
nen schon  in  der  Kindheit  wählt,  die  glQcklichen,  die  des  Lebens  volles 
Genüge  und   dereinst  des  Himmels  Krone  erlangen;    der   sich    durch 
keines  Menschen    angestrengtes  Forschen   auffinden  und   durch    keines 
Helden   eigenwillige  Kraft  erstreiten  lässt,    sondern  nur   die  Berufenen 
aufnimmt  —  ist  so  ziemlich  unzweifelhaft.')    Der  Gralkönig   ist  in 
seiner  Weise  ein  Nachfolger  des  Hauptes  der  Apostel ,  ist  er  ja  dock 
auch  ein  Fischer  und    Anfortas    wird  ausdrücklich  und  do{^lsinnig^ 
le  roi  pecheur  genannt;   seine  Krankheit  aber  könnte   trotz  Wolfiram& 
päbstlicher  Gesinnung,  doch  eine  politische  Diagnose  zulassen!')  Par— 
cival  aber,  dieser  neue  herrliche Odysseus,  der  unvergleichliche,  lichte 
gemale  Held,  über  dessen  ganzes  Leben  —  von  frühester  Zeit,  wo  ihn 
der  Gesang  der  Vögelein  zum  Weinen  bringt,    bis  dahia,    wo  ihn  eia 
Siedler  „vom  zwfveP   belehrt  und  er  mit  aller  Kraft  dem  Heile,    der 
„saelde^.  nachstrebt,  bis  er  endlich  als  König  in  der  ewigen  Herrlichfcät 
einreitet  —  ein  geheimnissreiches  Halbdunkel  ausgebreitet  liegt,  ist  io 
seiner  Trilogie  von  Glaube,   Zweifel  und  Wissen  der  Repräsentant  der 
Menschheit  selbst..   Der  ritterliche  Dichter  hat,  nicht  wie  sein  roman- 
hafter Biograph  annimmt,  sein  äusseres  Leben,  sondern  seinen  inneren 
Entwicklungsgang  abgeschildert,   er  hat  sein  eigenes,  erfahrungsreiches 
Gemüths-  und  Glaubensleben  abgespiegelt,  sein  Held  ist  die  Frucht  und 
theuere  Hinterlassenschaft  alles  dessen,    was  seinem  Herzen  einst  ^ lieb 
und  heilig  war,    was   er   verlor  und  was  er  auf  weiten  Wegen  mühe- 
seliger  Prüfung  wieder  errang.     Ausdrücklich   stellt  er  den  Hauptge- 
danken an  die  Spitze  seines  Werkes:  er  will  zeigen,  wohin  der  Zweifel 
den  Menschen  führe,  was  ihn  Veranlasse,    wie  er  verhütet  oder  gelöst 
werden  könne.')    Er,   der  in  seinem  unbefangenen  kindlichen  Glauben 
erst  erschüttert  und  dann  durch  schwere  Schläge  ganz  herausgeworfen, 
irrend  und  der  Welt  verfallen,  Gott  absagt  und  im  hochmüthigen  .TroUa 
Welt  und  Menschen  zugleich  verachtet,  dessungeachtet  aber  immer  nodi^ 
treu    und   redlich   und  mit  allen  Kräften  nach  der  Wahrheit  trachtet: 
kehrt  den   Hochmuth    durch  Demuth   ^legend,    plötzlich    um,    dem 

— '■ I 

')  Die  tiralfeier  erkennt  auch  San- Harte  in  seinen  Studien  1861.  II.  247  als 
Symbol  der  Eucharistie. 

')  Dagegen  gibt  Spanffenberg  in  s.  Adelspie^el,  Schmalkalden  1591^  II.  172 
eine  seltsame  Andeutung,  als  läge  dem  Gedicht  die  Geschichte  Ludwig  des 
Frommen  zn  Grunde,  er  sagt:  ^sondc^riich  bat  Wolffram  von  Escheobacfa 
das  beste  darbey  gelban  (unter  den  Sängern  am  Hofe  des  Landgrafeo  Her- 
mann von  Thüringen),  welcher  dann  auch  das  grosse  Buch  von  Kön.  Loya, 
das  ist,  von  Luduico  Pio,  Keyser  Karlen  des  grossen  Son,  Reim  weise,  doch 
sehr  Poelisch  und  verdeckt  geschrieben.^  — 

^)  Rübrmund  in  s.  Programm.  Potsdam  1845.  S.  12. 


225 

Höchsten,  Ewigen  ohne  Rast  and  Ruhe  nachfragend,  bis  er  endlich  zam 
ewigen  Besitz  des  seligsten  Friedens  gelangt.  Man  sieht,  es  ist  die 
ewig  alte  und  neue  Geschichte  des  inneren  Menschenlebens,  wie  es  zn 
allen  Zeiten  in  erhabenen  nnd  starken  Seelen  sich  kämpfend  offenbart. '3 
Der  Kern  ist  aber  überkleidet  mit  einem  Reichthnm  der  Phantasie  und 
einer  Anmuth  des  Witzes,  wie  sie  Ariosto  gehandhabt, ^  und  in  einen 
Tiefsinn  getaucht  und  mit  einer  farbenprächtigen  Gluth  überstrahlet, 
wie  sie  nur  Dante  in  seiner  göttlichen  Comoedie  und  Calderon  in  seinen 
Autos  an  den  Tag  legten. 

Die  dem  Gedichte  zu  Grunde  liegende  ideale  Wahrheit  hat  Wolf- 
ram'mit  realistischer  Meisterschaft  ausgeführt.  Er  stellt  uns  wirkliche 
Menschen  vor;  daher  seine  gesunde  Kraft  und  der  völlige  Mangel  aller 
Sentimentalität.  Der  Parcival  ist  ein  treues  farbenreiches  Gemälde  des 
höfischen  Lebens  wie  des  Volksti^ibens;  der  Hof  der  Mohrenkönigin 
und  selbst  der  Baruch  zu  Bagdad  —  es  sind  deutsche  Ritter  i^nd 
Edelfrauen.  Die  grosse  Treue  der  schwarzen  Belakane  zu  ihrem  ent- 
wichenen Gatten;  Herzeloydens  rührende  Mutterliebe;  der  Schmerz 
des  alten  ritterlichen  Gumemanz  über  den  Verlust  seiner  Söhne;  die 
hochherzige  Yasallentreue  des  Fürsten  Lypaut;  Trevezent,  der  das 
liebste,  sein  schönes  ritterliches  Leben  mit  der  Armuth  eines  Einsiedel 
vertauscht,  um  fär  fremde  Schuld  zu  büssen;  Sigunens  klare  Treue,  die 
über  das  Grab  reicht,  ein  Spiegelbild  der  ächtesten  deutschen  Liebe; 
Gawans  höfisch  abgeschliffene  und  gleichwohl  warm  fühlende  Persön- 
lichkeit, leichtbewegten  Herzens,  von  unverbrüchlicher  Freundestreue, 
der  für  Ritterlichkeit,  feine  höfische  Sitte  und  Ehre  glüht;  neben  ihm 
die  gutherzige  Dankbarkeit  des  schlichten  Fährmanns  und  seiner  lieb- 
lichen Tochter  Bene,  Itonjes  herzlich  ergebene  Dienerin;  der  natur- 
wüchsige Heide  Feirefiss  —  und  was  sonst  noch  für  sprechende  Cha- 
raktere auf  den  Schauplatz  treten,  an  denen  unser  Epos  einen  beispiel- 
losen Reichthum  hat,  von  dem  Haupthelden  gar  nicht  zu  sprechen, 
dessen  Entwicklungsgeschichte  die  Hauptsumme  der  ganzen  Dichtung 
ausmacht  —  sie  Alle  sind  so  verschieden  von  einander  und  doch  ver- 
wandt durch  den  unverkennbaren  Familienzug,  deutschen  Wesens, 
welches  überall  deutlich  an  den  Tag  legt,  dass  der  JDichter  von  der 
Natur  Act  genommen. 

Es  wird  wenige  Dichter  geben,  die,  wenn  man  ihr  Vorbild  aufge- 
funden hat  und  ihnen  gegenüberstellt,  nicht  verlieren.  Zu  diesen 
Glücklichen   gehört  Wolfram.     Er  folgte   im  Wesentlichen  dem  Laufe 


■)  Eicheodorff  Gesch.  der  poetischeo  Litemtur  Deutschlands.  Paderboru  1857. 
I.  58 

15 


286 

seiner  Quelle,   kürzte  als  besonuener  Wanderer  hier  einen  Schlangen- 
pfad,    weilte   dort  mit  Wohlgefallen  an  malerischen  Punkten,    beutete 
dann,  als    ein    feiner    Kenner    die    lieblichen ,     die    romantischen    and 
schauerlichen  Partien  der  Landschaft  aus,  vertiefte  sich  in  religiöse  und 
moralische  Betrachtungea.und  gab  so  der  Welt,    indess  er  ein  blosser 
Nachbildner  zu  sein  schien,  in  der  That  ein  selbststäudiges  Kunstwerk. 
Seine  Schreibweise ,    die  oft  die  seltsamsten  Bilder  und  Vergleiche  mit. 
einem  Anflug   von  Ironie  und  sichtlicher  Uebertreibung  zuaammenfasst» 
ist  knapp  und  bündig.     So  sagt  er  z.  B.  ^ihrer  Freuden  Klinge  brach 
mitten  im  Heft  entzwei"  für;  ihre  ganze  Freude  war  dahin,  oder  ^sein 
Traum  wurde  ihm  um  den  Saui;n  mit  Schwertschlägen  gesteppt"  (245,  9) 
für:    er   träumte   von  Schwertschlägen,    oder   ^die   müde  Sonne  hatte 
ihren  lichten  Blick  hin  zu  ihr  gelesen"    (32;  24)    für:    es  war  Abend 
geworden.     Der   Ausdruck:    ^.wenn   ein  Teufel  so   den  Preis  behalten 
hätte  an  kühnen  Helden,  so  würden  ihn  die  Frauen  wie  Zucker  essen^ 
(5t),  12  ff.)')  und  der  Vergleich  von  Antikonie*s  schönem  Wüchse  mit 
einem  Hasen   am  Bratspiesse  (409,  26)    oder  einer  Ameise  (410,  4) 
sind  burleske  Wendungen,  welche  unvermerkt  übergehen  in  seine  beliebte 
Manier  zu  spotten,    über   die   er   selbst  einmal,    als  über  seine   alt» 
achlimme  Gewohnheit  (min  alt  unfuoge)  Klage  führt  (487,  12);    eben 
dahin  gehören  auch  seine  muthwilligeu  Vergleiche,    z.  B.  Frau  Herze- 
loyde  gab  einen  Schein,  dass,  wenn  die  Kerzen  erloschen  wären,  doch 
von  ihr  noch   Licht   genug   da  wäre   (84,  15);     aus  Frau  Jeschutens 
rothen  Munde  hätte  man  wohl  Feuer  schlagen  können  (257,  20),  oder 
die  Schwärze   der  Belakane    sah  Gahmuret  för  die  Sonne  an  (91,  6). 
Oft   genug    schaut    der  Dichter    selbst    scherzend   aus    seiner   eigenen 
Dichtung  heraus,  er  möchte  keine  solche  Mähre  reiten,  auch  nicht  wie 
Segramors  im  Schnee   liegen  (289,  10);    gerne    nähme    er  von    den 
schönen  Töchtern,    die   mit  dem  Vater  wallfahrend  dem  Parcival   im 
Walde  begegnen,    einen  Kuss  der  Sühne,    wenn  er  etwas  an  ihnen  zu 
rächen  hätte  (450,  4);   als  Condwiramur   zu  Repanse  tritt,   da  nndet 
er  es  bedauerlich,  dass  er  nicht  statt  der  Reisemüden  die  Arbeit  über- 
nehmen  dürfe,  ihren  rothen  Mund  mit  Küssen  in  Noth  zu  bringen  (807, 9). 
Und   zwischen    den   unzähligen   persönlichen  Randglossen  und  kleinen 
Bemerkungen  erlaubt  er  sich  an  geeigneten  Stellen  ^uch  längere  Ab- 
schweiftmgen  und  reflectirende  Arabesken ,    in  welchen  sein  gediegener 
Charakter  am  liebenswürdigsten  zu  Tage  kommt,    z.  B.  wenn  er  über 
die  alte  Untreue  der  Frau  Minne  klagt,    die  schon  manches  Weib  um 


0  Aebuliche  Ausdrücke  auch  bei  Neidhart,  Ausgabe  von  Haupt  S.  41 .  S5 
und  42,  31. 


227 

ihren  Preis  gebracht  und  manchen  Herren  an  seinem  Mann  und  man- 
chen Freund  an  seinem  Gesellen  zum  Verrathe  getrieben  habe  (291, 1  ff.); 
und  wenn  er  in  der  schönen  Stelle,  wo  er  rechte  Minne  nur  mit 
wahrer  Treue  vereinbar  findet  (532,  10:  reht  minne  ist  wäriu 
triuwe),  zugleich  die  bequeme  Lehre  von  Amors  blind  treffenden  Ge- 
schossen zurückweist,  s|)richt  sich  in  diesen  ürtheilen  derselbe  sittliche 
Ernst  aus ,  der  ihn  hin  und  wieder  satyrische  Blicke  auf  die  bereits 
sehr  lockeren  Sitten  seiner  Zeit  werfen  lässt.  — 

Der  ^Parcival''  wurde,  wie  wir  bald  sehen  werden,  in  der  Folge 
auf  viele  Dichter  von  mächtigem  Einfluss;  di^  zahlreichen  Handschriften 
und  vielen  Fragmente  davon  beweisen,  dass  er  das  ganze  Mittelaltei' 
hitfdurch  und  bis  zum  Ausklingen  desselben  ein  vielgelesenes  Buch 
blieb.  PQttrich  von  Reiohertshausen  kannte  seiner  Zeit  allein  an  dreissig 
verschiedene  Abschriften^  von  denen  jedoch  leider  die  wenigsten  zu- 
sammenstimmten; fast  alle  bedeutenden  Poeten  berufen  sich  stellen- 
weise auf  ihn  und  selbst  die  spftter  folgenden  guten  Meistersänger  sehen 
gläubig  zu  ihm  hinauf ,  als  emem  Sterne  erster  Grösse,  als  strahlen- 
dem ewigem  Hort  des  Gesanges.  Er  gehörte  zu  den  wenigen  auser- 
lesenen Werken,  welche  die  neu  erfundene  Buchdruckerkunst  in  ihren 
Schutz  nahm  und  die  schöne  erste  Ausgabe  von  1477  ist  jetzt  ein 
kostbarer  Incunabelschatz  der  Bibliotheken.^')  In  der  Mitte  des 
XVIII.  Jahrh.  machte  ein  Schweizer  den  unglücklichen  Versuch,  das 
könstleri^he  Panzergeflecht  altdeutscher  Reimknnst  in  Hexameter  um- 
zagiessen  (Zürich  1753),  aber  schon  dreissig  Jahre  darauf  gab  Müller 
denParcival  in  seiner  alten  Gestalt  zum  ersten  Male  heraus,  natürlich 
ohne  Kritik  oder  absonderliches  Sprachverständniss,  welches  der  neueren 
Zeit  vorbehalten  blieb,  die  denn  in  Lachmann*s  Editionen,  Berlin  1833, 
2.  Aufl.  (durch  M.  Haupt)  1854,  den  Höhepunkt  erreichte.  Im  Jahre 
1833  machte  San-Marte  den  ersten  Versuch,  das  Gedicht  dem  mit 
der  mittelhochdeutschen  Sprache  wenig  vertrauten  grösserem  Publikum 
in  einem  gedrängten  Auszug  vorzuführen,  worauf  1836  seine  erste 
Uebersetzung  und  1841  der  dazu  gehörige  zweite  Band  mit  den  schönen 
noch  immer  höchst  anerkennenswerthen  Abhandlungen  über  die  Werke 
und  das  Leben  desl)ichters  folgte.  Später  machte  sich  auch  Simrock 
an  eine  Uebersetzung.  Die  San-Marte*s  liest  sich  frei  und  fliessend,  doch 
weicht  er,  um  den  vollen  Eindruck  eines  congenialen  Schwunges  wieder- 
zugeben, bbweilen  bedeutend  aus,  auch  misslang  ihm  manche  Stelle, 
die  er  jedoch,  den  Dichter  unablässig  im  Auge  behaltend,  später  nach 


')  Gedruckt  von  Günther  Zainer  zu  Augsburg.  1477. 

15* 


Möglichkeit  in  <}er  neuen  Auflage  zu  bessern  suchte.     Simrock  dagegen 
hat  mit  steifer  Gewissenhaftigkeit  Zeile  för  Zeile  wiederzugeben  versucht, 
eine  Arbeit,  die  mit  unübersehbaren  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  hatte. 
Bei  seinem  Verfahren  war  es  denn  unumgänglich  nöthig,  viele  der  alten 
Fachausdrücke  für  Waffen,  Geräthe,  Kleider  und  Stoffe  wörtlich  wieder- 
zugeben und  durch  angehängte  Anmerkungen  zu  erörtern^  Dadurch  und 
bei  der  grossen  Treue  am  wörtlichen  Ausdruck  hat  das  feinere,  G«f&hl, 
trotzdem  dass  Simrock   durch   und  durch  ei^e  poetische  Natur  ist  (ich 
erinnere  hier  nur  an  das  unvergängliche  Meisterwerk  seines  Heldenbuchs), 
erheblich  gelitten  und  namentlich  die  feine  Humoristik,  wo  der  Dichter 
mit  schalkischem  Lächeln  durchblickt,    ist  bös  zu  Schaden  gekommen, 
so  dass  gerade  alle  fröhlicheren  Parthien,   die  San-Marte  so  glücklich 
wiedergab,  indem  er  die  Leser  in  die  heiterste  Freudigkeit  des  Originals 
versetzte,  in  grauer  Farblosigkeit  erscheinen.     So  viel  aber  steht  fest, 
dass  San-Marte  dem  Dichter  alle  Herzen  geöfinet  hat  und  noch  gewinnen 
wird  und  dass   die  Simrock^sche  Bearbeitung,    trotz  ihren  Härten,    in 
kurzer  Zeit  doch  drei  neue  Auflagen  erlebte!     Ausser  den  genannten 
wurden  noch  mehrere  Versuche  gemacht ,  eine  allen  Anforderungen  ge- 
nügende Uebersetzung  herzustellen;    das  Erheblichste   davon  haben  wir 
unterwegs  schon  benützt  und  verzeichnet,  andere,  wie  z.  B.  die  K rü- 
ge r*schen  Proben  sind  besser  mit  Nacht  und  Nebel  zu  bedecken.     Am 
meisten  thäte  ein  tüchtiger  Commentar  noth;    wir  haben  unsere    pro- 
saische Inhaltsangabe   so  viel    wie    möglich   mit  des  Dichters  eigenen 
Worten  zu  geben  und  das  Ungewöhnlichste  dabei  zu  erklären  vecsucht; 
vielleicht  wäre  es  möglich,  auf  diese  Weise  dem  Original  mehr  Freunde 
zuzuföhren,   als  auf  dem  sonstigen  Wege  der  pedantischen  Lesearten-r 
krämer.     Doch.muss  es  auch  solche  Käuze  geben  und  wir  sind  ihnen 
dankbar,  nur  nicht  immer  odec  überall. 

Von  Wolfram's  ^Willehalm**  wird  im  folgenden  Abschnitt  die 
Rede  sein,  wir' haben  es  hier  noch  mit  dem  Titurel  zu  thun,  von 
dem  nur  zwei  Gesänge  aus  der  Hand  des  Dichters  auf  uns  gekommen 
sind. ')  Der  eine  behandelt  in  künstlichem  Strophenbau  die  Genealogie 
der  Gralkönige  von  Titurel  herab  durch  ihre  Verzweigungen;  den 
Haupttheil  bildet  die  überaus  zarte  Liebe  der  schönen  uns  bereits  so 
wohl  bekannten  Sigune  zu  Schionatulander.  Sie  hatte  ihren  Anfang 
genommen  um  die  Zeit,  als  Pompejus  und  Ipomidon  vor  Bagdad  den 
Baruch  bedrängten.    (L  73.)     Schionatulander   hatte    früher    als    der 


')  Der  Text  ia  Laehmanns  Wolfram.  1854.  S.  391  —  420.  UeberaeU^  voo 
Bfiachioff  io  dessen  findhlonffen  des  Mittelalters.  1814.  I.  S.  421  ff.  nod 
bei  Simrock  S.  711-52. 


229 

Liebesbote  Gahmurets  bei  der  Königin  Anflise  f^edient,  bei  dieser  Ge- 
legenheit erfxihr  er,  wie  es  am  die  Minne  stehe,  die  nun  über  den 
jnngen  Helden  kam  mit  ihrer  ganzen  Gewalt  ond  welche  bewirkt,  dass 
der  Leu  nicht  so  schwer  träumt  im  Schläfe,  als  der  junge  Ritter  in 
seinen  wachen  Gedanken.  Sigune  ist  noch  em  Kind :  wer  sie  sah, 
dem  schien  sie  wie  Maienglanz  bei  thaunassen  Blumen  (er  k6s  si  för 
des  meien  blic,  swer  si  aiach,  bi  tounazzen  bluomen  Str.  32);  Ehre 
und  Heil  blühten  aus^  ihrem  Herzen;  was  zu  vollem  Lobe  gehört  bei 
reinem  Weibe,  dess'  war  nicht  eines  Haares  breit  vergessen  an  ihrem 
süssen  Leibe.  Der  stolze  Gahmuret  erzog  sie  und  seinen  Boten  in 
seiner  Kemenate ;  da  ergriff  sie ,  so  junge  noch ,  schon  die  Minne.  0 
wehe!  ruft  der  Dichter,  sie  sind  noch  zu  jung  zu  solchen  Aengsten: 

Str. 49.  Weh,  Minne,  was  verschonet  nicht  deine  Kraft  die  Kinder! 

Einer,  delr  nicht  Augen  hat,  würde  dich  doch  spüren,  ein  Blinder; 

Zu  vielfach,   Minne,  bist  du  stäts  gewesen; 

Alle  Schreiber  schrieben  deine  Art  nicht  aus,  noch  dein  Wesen. 

Str.  50.  Auch  den  Mönch  im  Kloster  übenvindet  Minne, 

Sie  zwingt  den  Einsiedel  selbst  zu  gehorsamen  Sinne: 
Keine  Regel  hält  sie  dann  im  Zaume; 

Sie  zwingt  den  Ritter  unterm  Helm;  ihr  genüget  an  dem  engsten 

Räume.  . 

Str. 51.  Der  Minne  Macht  bewältigt  die  Nähe  wie  die  Weite; 

Minne  hat  auf  Erden  Haus ;  in  den  Himmel  gibt  sie  gut  Geleite. 
Minn'  i^t  allwärts,  ausser  in  der  Hölle. 

Der  starken  Minne  lahmt  die  Kraft,  wird  Wankelmuth  und  Zweifel 

ihr  Geselle. 

Mit  entzückender  Naivetät  fragt  das  unschuldige  Kind,  was  denn 
die  Minne  sei:  ^Minne?  ist  das  ein  Er?  kannst  Du  mir  Minne  deuten? 
ist  das  eine  Sie?  und  kommt  Minne  zu  mir,  wie  soll  ich  sie  empfan- 
gen?*) Hat  sie  die  Tocken  lieb?  fliegt  sie  mir  auf  die  Hand  oder  ist 
sie  wild  und  muss  ich  sie  locken?^  —  „Fraue,  versetzt  Schionatulan- 
der,  ich  habe  vernommen  von  Frauen  und  Mannen,  Minne  kann  auf 
Alt  und  Jung  den  Bogen  so  meisterlich  spannen  (so  schuzltchen  spannen), 


■)  Sir.  64:  „Minne,  ist  daz  ein  er?  mahl  du  minn  mir  diuten?  ist  das  ein  sie? 
knmet  mir  minn,  wie  sol  ich  minne  geirioten?  (triuten  =  zärtlich  lieben, 
minnen .  liebkosen ,  herzen  und  küssen ,  umarmen)  muoz  ich  si  behalten  bl 
den  tocken?  od  fliuget  minne  ungeme  Of  haut  durh  die  wilde?  ich  kan 
minn  wol  locken.^ 


880 

• 

da8s  sie  mit  Gedanken  tödtlich  schiesset,  sie  trifft  ohne  Fehlen  Alles 
was  läafl,  kriecht,  fliegt  oder  fliesset.  Bisher  kannte  idi  sie  nur  vom 
Hörensagen  (von  maeren),  sie  wohnt  aber  in  den'  Gedanken«  wie  ich*8 
selber  an  mir  erfahre,  wie  ein  Dieb  stiehlt  sie  mir  die  Frende  aus  dem 
Herzen.''  Noch  langö  reden  die  Kinder  in  reizender  Weise  darüber, 
endlich  bricht  das  knospende  Mägdelein  in  das  Greständniss  aas:  ^Ich 
bin  dir  holt,  getriwer  friunt:  nu  sprich,  ist  daz  minne?  Eher  brennen 
alle  Wasser,  ehe  die  Liebe  meinerseits  verdirbt!^  —  Aber  Schiona-. 
talander  soll  sie  anter  Schildes  Dach  verdienen;  also  zieht  Sigonens 
Herzenstraat  mit  Gahmaret  nach  dem  Morgenlande,  ans  Sehnsaeht  nach 
der  Geliebten  wird  der  Knabe  krank: 

Str.  86.  Wenn  andere  Janker  aaf  Feldern  und  Strassen 

Turnierten  and  rangen,  so  masste  er's  vor  Herzweh  unterlassen; 

An  allen  Freuden  Hess  ihn  Minne  siechen. 

Aufstehn  lernt  ein  Kind  am  Stuhl ;  erst  aber  mass  es  hin  kriechen. 

Silr.87.  Nun  traj|  er  hohe  Minne!  so  muss  er  auch  denken 

•Den  Sinn  empor  zu  richten,  und  aller  Falschheit  fem  ab  lenken, 
Die  Ehre  in  der  Jugend  wie  im  Alter; 

Eh  mancher  Fürst  das  lernte,  man  lehrte  einen  Bären  eh  den 

Psalter. 

Gahmuret,  der  seinen  Kummer  bemerkt,  stellt  ihn  zur  Rede  und 
verheisst  ihm,  als  er  seine  Liebe  zu  Sigunen  bekennt,  Beistand  und 
Fürsprache.  —  Im  nächsten  Fragmente  finden  wir  die  zwei  Geliebten 
im  Walde  unter  einem  Zelte;  Schionatulander  hat  einen  schönen 
Bracken,  Namens  Gardeviaz  (Hüte  der  Fährte)  gefangen,  der  dem 
Herzog  Eckunat  gehört,  der  Hund  hat  ein  unvergleichliches  Seil  um  den 
Hals,  darauf  eine  ganze  Aventiure  steht,  die  Buchstaben  sind  Edelsteine. 
Während  Schionatulander  mit  einer  Federangel  (vederangel)  im  nahen 
Bach  Aschen  und  Forellen  (äschen  unde  vörhen)  fängt,  reisst  sidh  das 
Thier  los  und  bricht  eine  Fährte  witternd,  durch;  Sigune,  die  den 
Hund  vergeblich  hiüten  will,  hat  sich  durch  das  Brackenseil  die  ganze 
Hand  geschunden,  so  wie  es  einem  Lanzenbrecher  geschieht,  wenn  .vom 
Gegenstoss  der  Schaft  im  Saus  durch  die  blosse  Hand  fährt.  Sie  be- 
steht nun  darauf,  Schionatulander  müsse  ihr  das  Thier  wieder  schaffen, 
um  die  merkwürdige  Aventiure,  die  auf  dem  Brackenseil  steht,  ganz  zu 
lesen,  sie  muss  es  haben,  sie  knüpft  sogar  ihren  Besitz  an  diese  Be- 
dingung. Hiemit  schliesst  das  Fragment;  -wir  wissen  bereits  aas  dem 
Parcival,   dass  der  Geliebte  nur  allzubald  das  Leben  verlor. 


231 

Den  Stoff  hat,    offenbar  nach   französischem  Vorbild,    tiber  ein 
halbes   Jahrhundert    später,     ein   anderer    Dichter    aufgenommen    and 
höchst  phantastisch  durchgeführt,   Herr  Albrecht  von  Scharffen- 
berg,    den  wir  hier  gleich  anreihen,   um  die  Gralsage  abzuscMiessen 
und    später   nicht   noch   einmal   darauf  zurückkommen    zu    müssen.  *) 
Scharffenberg  war  wohl  kein  Bayer ,  *)   aber  er   dichtete    im  Auftrage 
Herzog  Ludwig  des  Strengen.     Wenigstens  geht  dieses  bestimmt  ans 
den  Bruchstücken    hervor,    die   Sulpiz    Boisser^e    zu   Heidelberg 
fand.*)   San-Marte  (H.  290)  vergleicht  sein  Werk  treffend  mit  einer 
herrlichen,  grossartigen,  romantischen  Gebirgsgegend,  die  man  in  Regen- 
wetter und  Nebelsturm  durchwandert;  jedes  Einzelne  erscheint  triefend 
schwer,  unbehaglich;    die  Feme  ist  im  Detail  unklar  und  getrübt;  der 
Foss  klebt  fest  im  leimigen,  aufgeweichten  Boden  einer  formlosen  Sprache; 
arbeitet  sich  ab  im  Sumpfe  der  unabsehlichen  Strophenhaide ;  man  ringt 
mit  dem  Domgeflecht  enormer  unverdauter  Gelehrsamkeit  und  abstruser 
Mystik;    dennoch  gewährt  es,   mit  dichterischem  Geist   seine  Parthien 
hü  Grossen  und  Ganzen   angeschaut,    grossartige   bedeutsame  Formen 
Und  Ansichten,  und  einen  fruchtbaren  Kern  zu  reicher  Entfaltung,  wenn 
nur  ^diu  habende  zange^  mit  WoMVams  Tiefblick  sich  findet,  die  seine 
Schale  zu  sprengen  ^eiss. 

Für    uns   ist   die  Einleitung  und  noch  mehr  die  Beschreibung  des 
Graltempels,  den  Titurel  baute,  von  Belang. 

In  Cappadocien  breitete  sich  ein  hohes  edles  Geschlecht  mit  könig- 
lichen Ehren  aus.     Sennabor  hiess  der  Stammvater,    der  lebte  zur 
Zeit   als  Jesus   von  Judas  verrathen   ward.     Einer   seiner  Söhne  hiess 
Parille,   dem  Vespasian   seine  Tochter  Argiisille   zur  Gemahlin  gab 
xuhI  Frankreich  ward   ihm   zum  eigenthümlicheil  Königreiche   gegeben, 
nachdem  er  dem  Kaiser  bei  der  Belagerung  von  Jerusalem  mitgeholfen. 
Mit  den  Heiden  zu  Galizien  und  Saragossa  in  Krieg,  ward  er  von  ihnen 
vergütet  und   hinterliess    einen   Sohn  Titurisone,    die   Krone  aller 
Kinder!   Wie  Wetterschauer  ward  er  den  Heiden  und  ein  böser  Nach- 
tbar, sein  Feldgeschrei  war  ^mon  joie!*^   Titurisone  vermählte  sich  mit 
£ligabe!,   von  Arragon,  Tochter  der  Bonifante  und  d^s  Königs  Tibery 


*)  Gedruckt  zu  Augsbarg  a.  1477  bei  Günther  Zainer.  307  Blätter.  Ausgabe 
von  K.  A.  Hahn.  Quedlinburg  1842.  6207  Strophen.  BmchMcke  von  Dr. 
Karl  Roth.  Landshut  1843. 

*)  Dagegen  kommen  in  Preisiiifer  Urkunden  von  1252  drei  Scharfenberge  vor 
oiid  rwar  ein  Leirpold,  Wilhelm  (t  1292)  und  Heinrich.  (Hagen 
MS.  IV.  303  u.  306 ) 

')  Abhandlungen  der  Münchner  Akademie.  1835.  S.  308  —  392.  VergL  da^^u 
Wackernagel  S.  196. 


232 

von  Arragon.  Schön  war  sie  und  voll  Tugenden ,  und  wenn  sie  ihn 
nennen  und  ob  seiner  ritterlichen  Tugenden  preisen  hörte,  so  dünkte  sie 
diess  ein  Grössen  der  Engel,  wenn  sie  aber  den  Werthen  ansah,  so 
schwelgte  sie  in  den  Freuden  des  Paradieses.  Mit  dieser  zog  er  dp^nn 
über  Meer  zum  heiligen  Grabe ,  wo  sie  Gott  ein '  golden  Bild  weihten 
und  einen  Erben  erflehten.  Darauf  ward  ihnen  ein  Sohn  geboren,  ein 
Engel  aber  kündete  ihnen  an,  dass  Gott  diesen  Sohn  besonders  in  seine 
Huld  nähme.  Ein  langes  ritterliches  Leben  werde  er  führen,  strenge 
Arbeit  erdulden,  die  Christenheit  gegen  Heiden thum  mit  Ueberkraft 
vertheidigen  und  zum  Lohne  soll  sein  Leib  sich  in  den  Glanz  der  Sonne 
kleiden.  Als  ihn  ein  Bischof  taufte,  wurden  zuerst  die  weisen  „meister 
von  nature^  befragt  und  sie  nannten  das  Kind  Titurel,  also  da^s  es 
5  Buchstaben  vom  Vater  und  2  von  der  Mutter  Namen  hatte ,  denn 
das  Kind  sei  zwei  Drittel  dem  Vater,  ein  Drittel  der  Mutter  eigen. 
Nur  nach  Ritterschaft  stand  sein  Gremüthe,  weniger  auf  Granmuatica 
und  die  Kunst  der  Bücher,  die  er  lieber  sparen  mochte.  Doch  hörte 
und  las  er  viel  von  der  Minne,  die  unsichtbar,  aber  siegreich  und  ge- 
waltig über  die  Erde  fahrt.  Seine  Mutter  bat  ihn,  sich  ja  vor  ihr 
strenge  zu  hüten  und  so  kam  es,  dass  er  vor  ihrem  Namen  sich  kreuzte 
und  segnete,  worüber  die  Leute  zu  lachen  begannen.  Befragt  gab  er 
an,  dass  die  Lesung  des  Ovid  ihm  einen  Abscheu  vor  der  Minne  bei- 
gebracht habe,  sie  scheine  ihm  ein  Geist  der  Hölle,  doch  merke  er, 
dass  sie  vielen  Leuten  gar  Freund  und  guter  (Jeselle  sei.  Der  Meister 
aber  belehrte  ihn:  die  Minne,  wohl  zu  unterscheiden,  denn  Minne  (Lust 
und  Lieb)  müsse  man  zff  allen  Dingen  haben ;  vor  Allem  müsse  man 
Gott  minnen  und.  durch  diese  Minne  sich  von  allen  Sünden  rein  halten; 
eine  aber  heisse  man  Minne,  die  verpfände  die  Glückseligkeit  und  hasse 
Grott  und  wer  ihr  nach'gehe,  der  müsse  sein  Gericht  leiden.  —  Viele 
Heiden  überwand  der  Junge  in  Spanien  und  wohin  er  kam,  verbreitete 
er  Freude,  wie  ein  Kühle  spendender  Baum,  wie  ein  erfrischender 
Brunnen  und  wie  süsse  linde  Luft  und  die  Sorge  schwand  in  seiner 
Gegenwart,  er  erfreute  wie  Königsgrüssen  die  Verurtheilten.  Er  aber 
blieb  demüthig  und  machte  es  nicht  wie  die^Thoren,  die  auf  Händen 
gehen  und  doch  Füsse  haben,  die  Stroh  dem  Rind  gleich,  statt  Semmel 
essen  und  sich  lieber  in  heisse  Gluth  als  auf  Blumen  betten. 

So  lebte  Titurel  in  hohen  Tugenden;  da  ward  ihm  ein  Engel  vom 
heil.  Gral,  dem  ewige  Freuden  beiwohnen,  gesendet,  dass  er  ihm  diene. 
Ein  Berg  San-Salvator  in  Salvaterre  (den  man  erblickt  in  Arragonien,  am 
Eingange  von  Spanien')  lag  mitten  allein  in  einem  Walde,  der  sich  sechzig 


')  Dicht  an  dem  Thal  von  Ronce?a]   und  der  grossen  Heerstrasse,   die  von 


m 

Tagrasten  rund  heram  ausdehnte.  Süsse  Gesänge  tönend,'  wie  er  (Titnrel) 
noch  nie  gehört,    fährt  ihn    der  Engel   dorthin.     Wild,    steinig   nnd 
nnfruchtbar  war  die  Wildniss  und  Geklüft,    verwachsen   mit  Farren, 
Cypressen,  Cedem,  Myrrhen  und  Triazandel  und  mannigerlei  Gehölze, 
woraus  die  Arche  Noä  erbaut  war,  so  vielerlei  Holz  war  da,  dass  man 
dasselbe  in   hundert  Jahren  nicht  alles  aufzählen  könnte.     Montsalvaz 
hiess  der  Berg,    d.  h.  ein   „behalten^  Berg,    denn   er  war  behalten') 
vor  Jtf^len,  Christen  und  Heiden,  und  was  darum  war,  lag  in  Frieden 
gebannt  vor  allen  argen  Dingen.     Mit  Mauern  und  Thürmen   umgab 
Titnrel  den  Felsen,  auf  welchem  er  Paläste  erbaute,  indess  das  Inge- 
sinde einstweilen   in  Zelten   lagerte.     Der  in   den   Lüften  schwebende 
Qnü,    denn  damals  lebte  noch  Keiner,   der  ihn   zu  tragen  würdig  ge- 
iresen  wäre  und  unsichtbare  Eqgel  hielten  ihn  daher  schwebend,   ver- 
schaffte Alles  durch  seine  heUige  Kraft,    was  zum  Bau    erforderlich 
i^ar.     So  erhob  sich  das  Schloss,    welches  Parcival '  fand  und  welches 
Beschildert  wird,    wie   auf  der  Drehbank  gedrechselt  und  also  sicher, 
Jass    der  Feind   nur   durch   die  Luft  sich  hineinschwingen  könnte  und 
lelbfit  alle  Völker  der  Welt  hätten,    so   sie  dasselbe  gemeinsam  bela- 
gerten, in  dreissig  Jahren  noch  kein  Brod  daraus  erobert.') 

Aber  Titurel  wollte  för  den  Gral  auch  einen  Tempel,  und  begann 
lie  beilige  Kapelle  zu  Montsalvaz  aus  wunderwürdigem  Edelgestein,  aus 
[jrold  nnd  dem  Aloeholz  nach  der  Kunst  des  Pythagoras  und  Hermes 
rrismegistus  zu  bauen.  Eines  Morgens  fand  er  den  Aufriss  des  Tem- 
pels  auf  dem  dazu  bestimmten  Räume  von  göttlicher  Hand  entworfen, 
^ine  Rotunde  von  72  Chören')  (Kapellen),  aussenher  dann  8  Ecke 
3also  zwei  sich  kreuzende  Schiffe  darüber)  und  vorgeschossen  war  jeder 
Chor  besonders.  Auf  eherne  Säulen  gewölbt  war  das  Werk  „so 
$pähe^;  innerhalb  ausgeziert  mit  grosser  Reichheit;  an  Säulen  und 
Pfeilern  waren  ergraben  und  gegossen  viel  kostbare  Bilder,  lächelnde^ 
Engel  im  Freudenfluge,  so  dass  ein  „törscher  Bayer **  wohl  schwören 
cnöchte,  dass  sie  bei  Leben  wären.  (Hahn  Str.  326.  Boiss.  8.)   Ausser- 


Frankreich  gen  Gallizien   und  Composlella  führt.     Vgl.   Gör  res  Lohengrin 
S.  XL 

■)  behalten  =  beschirmt,  nnzugänglich ;  der  Tempel  zu  Mekka  bat  aucb  den 
Namen  der  unverletzliche,'  unnahbare.    S  a  n  -  M  a  r  t  e  II.  367. 

')  Vgl.  oben  Parcival  226,  14  if. :  „diu  bnrc  (was)  an  veste  niht  betrogen,  si 
stuont  reht  als  si  waere  gedraet.  ez  enflüge  od  bete  der  wint  gewaet,  mit 
Sturme  ir  nibt  geschadet  was.  vil  tüme,  manec  palas  da  stuont  mit  wunder- 
licher wer.  op  si  suochten  elliu  her,  sine  gaeben  für  die  seihen  not  ze  drt- 
zec  jdren  niht  ein  bröt.^ 

')Hahn  Str.  323.  Boisseröe  5.  (S.  327.)  Vgl.  Agincourt  Architektur. 
Taf.  43,  I.  der  runde  Odinstempel  bei  Upsala  in  Schweden. 


284 

4 

dem  worden  ergraben,  erhanen  and  ergossen  viele  Bilder,  Oncifixns 
und  unser  Frauen ,  und  schön  gezierte ,  meisterliche  Altäre ,  erhabene 
Reichheit  ward  begonnen  (H.  328.  B.  lÖ.)  Eine  namentliche  AufEähl- 
ung  der  Edelsteine  in  ihrer  symbolischen  Bedeutung  und  unschätzbaren 
Grösse  folgt.  Grüner  Sammt,  an  Ringe  befestigt,  schützte  die  Zierde 
vor  Staube;  sang  der  Priester  Messe,  so  wurde  der  Vorhang  durch 
eine  seidene  Schnur  von  den  Heiligthümem  zurückgezogen;  vom  Ge- 
wölbe brachte  ein  Engel  ein  Handtuch  hernieder,  ein  Rad  ffthrte  ihn 
wieder  empor,  von  einer  schwebenden  Taube  geleitet.')  Aus  edlen 
Crystallen  und  ^ nicht  mit  Aschenglas  verspannen^  waren  die  Fenster, 
worauf  Gott  und  dem  Grale  zu  Ehren  mannigfache  Gebilde  mit  edelem 
Gesteine  von  lauter  reiner  Farbe  ausgelegt  waren,  damit  man  des  Pinsels 
weniger  bedurfte,  so  dass  der  Dichter  den  Farbenglanz,  die  Pracht 
und  die  Menge  der  verschiedenfarbigsten  Gemmen  (gimme-EJdelsteine) 
nicht  genug  preisen  kann  und  es  eine  sonderliche  Augenwonne  war, 
wenn  die  Sonne  durch  die  Fenster  glänzte.  (H.  336 — 344, )  Von  Gold 
ward  das  Bild  der  Sonne,  von  Silber  das  Bild  des  Mondes  gearbeitet 
und  künstlich  gingen  beide  nach  den  Bewegungen  am  Himmel,  doch 
war  das  Triebwerk  den  Augen  verborgen.  Goldene  Zimbeln  verkündeten 
mit  süssem  Getön  die  sieben  Tagzeiten.  Manches  Mark  Goldes  hatte 
es  nöthig,  um  die  vier  Evangelisten  daraus  zu  schaffen.  —  Die  Chöre 
standen  in  die  Runde,  der  Altar  aber  war  jedesmal  so  gesetzt,  dass 
der  Priester,  wenn  er  Gottes  Ehre  in  der  Messe  feierte,  das  Antlitz 
gegen  Orient  kehrte.  Unter  den  Kapellen  war  eine  mit  aller  Zierde 
schön  geschmückt,  da  sie  dem  heil.  Geiste,  dem  Patron  des  Tempels, 
geordnet  war,  die  nächste  Kapelle  war  der  heiligen  Maid,  der 
Mutter  des  Kindes,  geweiht,  die  dritte  dem  Johannes  und  seinen  andern 
eilf  Genossen.  —  Aussen  waren  Skulpturwerke  angebracht  ,•  welche 
darstellten,  wie  die  Templeisen  täglich  verwappnet  und  unverdrossen 
ritterlich  stritten  in  grosser  Härte  zu  Dienst  dem  heOigen  Grale,  damit 
man  ihn  ^vor  arger  dief*  bewahre.')  Die  Ecken  der  Chöre  waren  rund 
nach  aussen  gedreht  und  die  Meister  hatten  Reben,  Laub  und  man- 
cherlei  Gezwerge  und  Meerwunder  als  Bilderschmuck  (Thierfratzen)  an- 
gebracht, worüber  das  unverständige  Volk  sich  lustig  macht.  (B.  60.) 


')  H.  335.  B.  17  Ein  mecbanisclies  Kanstslfitk ,  die  Tanbe  ist  ein  Snmbfld 
des  hl.  Geistes  in  der  Messe,  der  Engel  hob  steh  nach  den  Ofüertoriom  in 
die  Höhe,  anspielend  an  das  Gebet  der  Kirche.  —  Eine  alle  Sitte  erbeiscbte 
an  den  Seilen  der  Altäre  in  einer  gewissen  Höhe  Vorhange*  anzebriiigeD, 
welche  in  Ringen  an  Stangen  hingen. 

')  B.  49.  —  Ein  solcher  Ritler  war  dem  Parcival  begegnet,  afs  er  YOir  Sigonens 
Klause  wegritt.    Vgl.  Parc.  443,  7  AT. 


235 

Ueber  je  «wei  Chören  erhob  sich  ein  Glockenhaas,  ebenso  köstlich 
geschmückt,    wie  der  Tempel.     Die  Knöpfe  des  Daches  waren  grosse 
Rubine,  darauf  hohe,   schneefttrbene ,  krystallene  Kreuze  standen,  auf 
jedes  Kreuz  war  ein  ^Idener  Adler  gelöthet;    in  der  Mitte  stieg  ein 
köstlicher   Thurm    empor,    dessen   Knopf  ein  Karfunkel,    der,    weit 
leuchtend,  die  Templeisen  Nachts  zur  Burg  leitete,  als  zur  rechten  Her- 
berg, wenn  sie  sich  im  Walde  verspäteten.     Zwei  Glocken ,  mit  Kunst 
gedreht  (zwo  glocken  waren  gedräl  mit  kunste  B.  62.)    mit  Klöpfeln 
von  Gtolde  hingen  darin ,  die  abwechselnd  zum  Tempel ,    Convent ,    zu 
Tisch   oder  zum  Streite  sangen  und  klangen.    In  Mitten  des  Tempels 
stund  ein  überreiches  Werk,  Gott .  und  dem  Gral  zu  Ehren  (zur  minne) 
schön   erbaut,    den  Tempel   im  Kleinen  vollkonrnden  darstellend,    nur 
dass  die  Chöre  ohne  Altäre  waren;    dreissig  Jahre  lang  arbeitete  man 
daran.     Nur  ein  Altar  war  darinnen;  anstatt  der  Glockenhäuser  (die 
den  Tempel  aussen  umgaben)  standen  in  diesem  inneren  Abbild  reiche 
„ziborie**')  mit  Bildern  von  Heiligen  geziert,   denen  Spruchbänder  mit 
ihrer  Lebensgeschichte  aus  dem  Munde    gingen    (darinne   der  heiligen 
bilde;  jegliches  brief  da  sagte  sein  historie);  in  diesem  besonders 
heiligem  Gemach  ward  der  heilige  Gral  aufbewahrt.    (Das 
Ganze  wäre  demnach  eine  Art  Sakramenthäuschen.)   An  den  Pfeilern, 
worauf  die  Schwibbogen  ruhten,  stunden  die  vier  Evangelisten,  darüber 
war  ein  Smaragd  zu  einer  Scheibe  geschliffen   und    darin  mit   Kunst 
ein  Lamm  geschmelzt,  welches  ein  rothes  Kreuz  trug.') 

Zu    jedem  Chor    des  Tempels   führten  zwei  goldgitterne.  Thüren, 
flazwischen  ein  Altar  und  ausserhalb  darüber  war  eine  Kanzel  auf  zwei 
Spindelsäulen  stehend.    An  den  Chören  stunden  Säulen,  darüber  Bogen 
^ngen,  darauf  goldene  Bäume,  hoch  begrünt,  mit  Vögeln  besetzt  ^die 
friedlich  beisammen  sassen^;  die  Bogen  waren  mit  Reben  durchwunden, 
je  zwei  und  zwei  wandten  sich  nach  oben,    gingen  nach   der  Biegung 
^on   einander  und  senkten   sich  über  die  Stühle  ein  Klafter  lang  hin- 
unter; unten  Rosen  und  Blumen,  Gewinde  und  Stauden  aller  Art,  farbig 
nnd  geschmückt,  die  Reben  von  Goldje ;  das  Laub  tönte  wenn  ein  Lüft- 
chen den  Tempel  dm-chzog,  süss  und  klar,  recht  als  ob  tausend  Falken 
»ait  ihren  Schellen  sich  in  die  Lüfte  schwängen.     (H.  38L  B.  79.)  ^) 


')  Das  Wort  ciboriiim  bedeutet  in  der  christlichen  Archäologie  zunächst  den 
'    aaf  vier  ins  Quadrat  gestellten  Säulen  ruhenden  Boldachin  eines  Hochaltares. 

')  Vgl.  Parc.  105,  22:  den  man  noch  mdlet  für  daz  lamp,  und  ouchz  kriuze 
in  sine  kidh. 

')  Ein  ähnliches  Klingspiel  war  im  Tempel  Salomons  an  den  Säulen  Jachin 
und  Boaz  mittelst  aiiffebrachter  Granatäpfel ;  ebenso  zu  Dodona ;  ein  anderes 
an  dem  berühmten  Grabmal   des  etrusKischen  Königs  Porsena  in  Clusium; 


236 

Auch  die  Zweige  der  Reben  waren  mit  Engelgestalten  bedeckt,  die  sich, 
hin^  nnd  herschwankend,  lieblich  bewegten.  Am  herrlichsten  nnd  schön- 
sten  war  der  hohe  Chor  geschmückt:  Reben  und  Engel  waren  so 
künstlich  bereitet,  dass,  wenn  mit  Kunst  durch  Bälge  Wind  in  sie  ge- 
leitet ward,  sie  hoch  und  leise,  je  nachdem  die  Masse  der  Luft  war, 
die  der  Meister  in  sie  blies,  ertönten  und  sjch.in  den  Gesang  der 
Priester  melodisch  mischten.  Wie  dieses  die  Templeisen  Alles  sahen, 
schlugen  sie  an  die  Brust  und  riefet  einstinmiig  in  Verwunderung :  Viel 
lie^r  Gott!  da  Du  uns  schon  hier  so  viel  Ehre  verliehen,  was  kannst 
Du  uns  denn  im  Himmel  noch  geben  ?  —  wo  es  dennoch  aber  hnndert- 
tausendmal  schöner  ist    (H.  385.  B.  83.) 

Gefässe  mit  brennendem,  gelben  und  rosenfarbigen  Balsam  hingen 
auf  jedem  Chor ,  von  Engeln  an  unsichtbaren  goldenen  Strängen  ge- 
halten. Da  man  Balsams  genug  hatte,  achtete  man  den  Aufwand  nicht 
hoch ,  doch  wollten  die  Templeisen  die  gute  Gewohnheit  des  Kerzen- 
lichts auch  nicht  entbehren  und  so  hielten  denn 'Engel  hier  gewundene, 
dort  stabformig  platte  Kerzen  auf  den  Kanzeln  und  an  den  Mauern, 
goldene  Kronen  mit  vielen  Lichtern  hingen  herab  und  in  Speerhöhe  ein 
schwebender  Engel  darüber,  recht  als  wollt*  er  die  Krone  in  die  Lüfte 
fuhren. 

I 

Welcherlei  Stimme  im  Tempel  erklang,  sie  ward  von  der  Edelkeit 
der  Steine  und  durch  die  Höhe  und  Weite  verlängert  und  der  Wieder- 
hall war  gleich*  dem  Grüssen  der  Waldvögelein  im  Maien.  —  Drei 
Pforten  standen  gegen  Mittag,  Untergang  und  Norden,  von  lauter 
rothem  Golde,  meisterlich  mit  Gesteine  getäfelt  und  mit  Schlössern 
aussen  und  innen  ausgestattet,  die  Pforten  aber  waren  so  ^geheret^ 
mit  grosser  Künste  Auf\¥and  und  Reichheit,  dass  es  war  wie  eine  Laube 
in  fünf  Zeilen  weit  von  einander,  so  dass  wir  hier  an  die  prächtigen 
Eingänge  au  altdeutschen  Domkirchen  erinnert  werden,  wo  der  Bogen 
seiner  ganzen  Tiefe  nach  reihenweise  hintereinander  in  mehrere  Rippen 
und  in  reich  mit  Skulpturen  verzierte  Hohlkehlen  abgetheilt  ist  und  so 
über  der  eigentlichen  Thüre  eine  Laube  bildet.  *)  .  Der  Palast  und  die 
Dormenter  lagen  gegen  Mittag  und  ein  Kreuzgang  inzwischen.  (H.  ^367. 
B.  92.)  — 


ebenso  lies«  AugusUis  den  Gipfel  des  capitolinischen  Jupitertempels  mit  Glo- 
cken umhängen :  wohl  ein  Symbol  von  dem  Einklänge  der  Welt  ood  der 
Harmonie  der  Sphären.  Vgl.  Lasaulx  Das  pelasgiscne  Orakel  des  Zeos  xn 
Dodona.   Wiraburg  1840.  S.  12. 

')  Diese  kuDstreicben  Portale  wurden  in  der  Steinneixeospracbe  aueh  ^Laobeo*^ 
genannt. 


287 

Hoch  innen,  über  der  gegen  Occident  gelegenen  Pforte  (H.  371. 
B.  96.)  stand  ein  süsstönend  Orgelsang,  da  man  za  Hochgezeiten 
das  Amt  mit  verherrlichte.  Das  war  ein  Baum  aus  rothem  Golde  mit 
Laub;  Zweige  nnd  Aeste  ganz  voll  solcher  Vögel  sass,  deren  Stimme 
man  überaß  als  die  besten  lobt,  von  Bälgen  ging  darin  ein  Wind,  dass 
jeglicher  sang  nach  seiner  Weise,  einer  hoch,  der  ander  nieder,  je  nach 
der  Schlüssel  Leite;  der  Wind  war  her  und  wieder  in  den  Baum  ge- 
weiset mit  Arbeite;  swelcherlei  Vogel  er  wollte  Stangen  (=  stupfen,  in 
Bewegung  setzen),  der  Meister  wohl  erkannte  den  Schlüssel,  je  dar- 
nach die  Vögel  sangen.  *)    Auf  den  Aesten  standen  aussen  vier  Engel, 


*)  Aehnliche  Orgelwerke  scheinen  wirklich  existirt  zu  haben:  man  denke  an 
die  Platane  des  Xerxes,  dann  an  das  Kunstwerk ,  das  der  Sohn  des  Michael 
Baibus.  Theophilus,  am  Höre  von  Bjzanx  herstellen  liess.  Eine  griechische 
'  Gesandtschaft,  welche  im  J.  916  an  den  BoF  des  Chalifen  Moetedir  kam,  be- 
staunte gleichfalls  einen  Wunderbanm  aus  Gold  und  Silber,  mit  achtzehn 
Aeslen ;  auf  den  Zweiten  und  zwischen  den  goldenen  und  silbernen  Blättern 
Sassen  Vögel  aus  gleichem  Metall,  die  Aeste  bewegten  sich  und  die  Töne 
der  gefiederten  Singer,  welche  durch  inneren  Mechanismns  hervorgebracht 
wurden,  hallten  im  Saale  wieder.  (Flügel  Gesch.  der  Araber.  Leipzig  1840. 
II.  211.)  KOnsIliche,  goldene  Bfiume  waren  in  den  Palästen  asiatischer 
Köniffe,  arabischer  Chalifen  und  byzantinischer  Kaiser  zur  Bewunderung  der 
fremden  Abgesandten  häufig.  (Vgl.  Wiener  Jahrbücher.  B.  123  S.  39.)  Die 
ersten  Orgeln  kamen  unter  Pipin  aus  Griechenland  zu  uns;  die  Baiwaren 
brachten  es  im  Orgelbau  bald  zur  Vollkommenheit.  (Günthner  Gesch.  der 
lit.  Anstalten  in  Bayern.  1810.  1.  S.  135.)  Zu  Augsburg  stellte  Bischof 
Wicterp  die  erste  Orgel  auf.  (M.  Welser  Chron.  von  Augsb.  1595.  II.  30.) 
Während  die  Orgeln  aus  £ngland  für  jede  Pfeife  einen  eigenen  Blasbalg- 
treter  nothwendig  hatten,  so  dass  an  einer  Orgel  oft  70  starke  Männer 
arbeileten,  erfand  ein  unbekannter  Künstler  zu  Freisin^  eine  bedeu- 
tende Vereinfachung.  Pabst  Jobannes  VIII.  (872  -  82)  schrieb  desshalb  an 
den  Bischof  Anno  von  Freisin^^  ihm  einen  solchen  Meister  ganz  abzulassen 
oder  doch  wenigstens  für  einige  Zeit  nach  Rom  zu  schicken.  In  den  mhd. 
Dichtungen  spielen  so  phantastisch  überkleidete  Orgelbäume  eine  grosse 
Bolle ;  im  W  a  r  t  b  u  r  g  k  r  i  e  g  (S  i  m  r  o  ck  S.  98)  legt  Klinffsor  unserem  Wolf- 
ram ein  Räthsel  vor  von  dem  Baume  in  Gottes  Garten,  dessen  Wurzeln  öer 
Hölle  Grund  dnrcbgangen,  dessen  Wipfel  an  Gottes  Thron  rühre,  von  Aesten 
ist  der  Garten  ganz  umfangen ,  in  voller  Zierde  prangt  der  Baum ,  belaubt 
in  reicher  Schöne;  dazwischen  sitzen  Vöffelein,  die  singen  süssen  Sanir  in 
Stimmen  klar  und  fein,  vielfach  ist  ihre  Kunst  und  ihr  Getöne,  darauf  folgt 
Wolframs  Deutung  Str.  73  und  74.  —  In  Gott  Amur  (Gent he  1.  424) 
trä^  Frau  Minne  eine  schöne  Krone  von  Gold  und  Edelstein  und  mancher 
kleine  Vogel  sass  darauf  und  darüber  schwebte  ein  ffoldener  Adler  und  es 
war  Alles  so  künstlich  gemacht,  dass  die  Vö^l  alle  sangen,  wenn  der 
Wind  wehte.  Das  führt  uns  zu  anderen  mechanischen  Spielereien  über,  die 
bestanden  haben  müssen,  denn  ans  der  Phantasie  allein  können  die  Poeten 
doch  nicht  Alles  erfunden  haben,  sie  mussten  wirklich  ähnliche  Vorbilder 
vor  Augen  haben.  Wie  Morel f  verkleidet  zur  Königin  Salome  kommt  und 
mit  ihr  Schach  spielt,  stiess  er  einen  goldenen  Fingerring,  den  er  über  die 
See  mitgebracht,  an  die  Hand,  darauf  war  mit  grosser  Kunst  eine  Nachtigall 
gearbeitet  und  die  hnb  an  und  sang,  dass  es  süss  erhallte,  die  Königin  sah 
den  Ring  so  unverwandt  an,  dass  Morolf  ihr  unterdessen  einen  Ritter  und 
zwei  Bauern  stahl  nnd  so  das  Spiel  gewann.  (Geuthe  IL  35.)  Im  Schlosse 
des  Heidenkönigs,  zu  dem  Wolfdietricb  kommt,  steht  eine  Linde  mit  72 
Aesten  und  singenden  goldenen  Vögeln.     Der  Riese  Metwin   im    König 


288 

jeglicher  führte  ein  Hom  von  Golde  in  seiner  Hand,  in  das  sie  mit 
grossem  Schalle  bliessen,  indess  sie  mit  der  anderen  Hand  winkten, 
recht  in  der  Weise:  „Wohlauf  ihr  Todten  alle!^  Nicht  ferne  davon 
stand  das  jüngste  Gericht  in  Gussarbeit  (H.  375.  B.  100.);  die  Mahn* 
ung  ward  damit  bezweckt,  dass  „je  nach  der  Süsse  geht  ias  Sauren; 
darum  soll  man  in  Freuden  immer  gedenken  an  dasselbe  Trauren.*'  Im 
Fussboden  wareil  Fische  und  Meerwunder v eingelegt  und  ergraben,  die 
fuhren  recht,  als  ob  sie  wilde  wären,  auch  überfingen  Crystalle  den 
Estrich,  so  dass  es  aussah,  als  wogte  unten  ein  mit  Eise  bedeckter  See, 
ih  welchem  man  durchscheinen  sah ,  was  von  Fischen ,  Thieren  und 
Meerwundem  Streit  und  Sturmes  viel  geschähe. ')  Von  einem  Bischof 
ward  der  Tempel  geweiht.  Der  Dichter  aber  wäre  nicht  zufrieden,  wenn 
ein  solcher  Tempel  zum  Preise  der  heil.  Jungfrau  gebaut  würde ;  dann 
müsste  er  noch  viel  prächtiger  sein  und  zum  mindesten  den  Umfang 
einer  Meile  und  ftLnf hundert  Kapellen  haben! 

Der  Plan  zu  diesem  Bauwerk  war  sicherlich  schon  in  Wolframs 
Titurel ;  Albrecht  von  Scharfienbergs  zügellose  Phantasie  hat  selben  nur 
weiter  ausgebildet. und  in  den  neuen,  zeitgemässeu  Spitzbogenstyl  über- 
setzt. Was  Wolfram  noch  im  byzantinisch-romanischen  Styl  dachte,  ein 
gleichschenkeliges  Kreuz  in  einer  Rotunde  mit  Chören,  die  rund  waren 
und  gedreht,  wie  die  alten  Thürmcheu  und  Thore  in  den  mittelalterr 
liehen  Sigillen  und  Miniaturen,  hat  Albrecht  bereits  ganz  gothisirt.  Die 
grandiose  Idee  entstand  aber  nicht  allein  in  der  Seele  eines  Poeten, 
sondern  wurde  wirklich  ausgefiihrt,  freilich  nicht  so  grossart^g  und  in 
einem  bescheidenen  Maassstabe,  desto  mehr  aber  vielleicht  im  Sinne 
Wolfi'ams.  Aus  den  von  S.  Boisser^e  aufgefundenen  Fragmenten  geht 


Orendel  (v.  d.  Hagen  1814.  S.  X.)  bat  einen  neunzehneckigen  Helm,  ^- 
schmückt  mit  vier  goldenen  Stangen ,  worauf  Buchslaben  eingegraben  sind, 
darüber  trägt  er  eine  goldene  Krone  mit  einer  goldenen  Linde,  auf  welcher, 
durch  einen  Blasebalg,  Vöffelein  sangen  und  ein  Rad  mit  Schellen 
erklang;  unter  der  Linde  lag  ein  Löwe,  Drache,  Bär,  Eber  und  wilder  Mann. 
Der  Ursprung  dieser  Dinge  erscheint  aber  immer  im  Orient.  Der  berühmte 
englische  Reisende  Montevilla,  der  (ein  halbes  Jahrhundert  nach  dem  Ve- 
netianer  Marco  Polo)  im  J.  1322  von  St.  Alban  ausfuhr  und  1372  tu  Lflilicb 
starb,  sah  am  Hofe  des  grossen  Chan  von  Cathey  etwas  Aehnlirhes:  da 
flogen  Vögleinf  von  Golde  und  sangen  und  ist  das  wunderlichste  und  schönste 
Spiel,  das  ^e  gesehen  ward;  als  Montevilla  den  Meisler  darum  befragte,  so 
erhielt  er  die  Antwort:  die  Christen  hätten  nur  ein  Aug^  und  die  Anderen 
sind  Alle  blind.  Montevilla  hätte  aber  doch  gar  gern  ^etlich  tail  yob  den 
Sachen^  erFahren.  ^Do  sprach  der  maister  zu  mir,  daz  ers  verhaisseo  biet 
dem  gut  der  nimmer  stirhet,  daz  ers  chainem  mensche  leret,  es  wir  denn 
ainen  seiner  suR."^  Aus  der  von  Michael  Velser  zu  Augsburg  1409  ge- 
machten Uebersetzung.    Cod.  germ.  332.  BL  75. 

')  In  den  Kirchen  der  romanischen  Banperiode  fanden  sich  wirklich  hänfig  der- 
gleichen Estriche,  woge^  schon  der  hl.  Bernhard  eiferte.  Die  Darstellnnf 
hängt  mit  der  Yolkstradition  zusammen.  Vgl.  Roch  holz  Schweizersagen.  L  6. 


289 

hervor«  dass  Albrecht  von  Soharffenberg  im  Auftrage  und  mit  Unter- 
Stützung  Herzog  Ludwig  des  Strengen  den  Titurel  dicbteter  und  zwar 
nach  Wolframs  fiüherer  Anlage.  Davon  musste  sein  Sohn,  Kaiser 
Ludwig  der  Bayer  noch  wissen,  wenigstens  scheint  ziemlich  wahr- 
scheinlich, dass  Ludwig  mit  seinem  Stift  zu  Etal  nichts  anderes  im 
Sinne  hatte,  als  eine  Gralbnrg  zu  realisiren. ') 

Ludwig  der  Bayer  hatte  aus  Italien  ein  unter  ganz  seltsamen  Um- 
ständen  erhaltenes  Madonnenbild   mitgebracht     Das  Volk  erzählt 
heute  noch,  er  habe  es  vom  Himmel  herab  erhalten,  ein  Engel  habe 
es  ihm  gebracht;  Niemand  kenne  den  Stoff,  aus  dem  es  gefertigt;  nur 
von   den  Reinen  und  mit  keiner  schweren  Sfinde  belasteten  Menschen 
lasse  es  sich  tragen  und  heben,  noch  jetzt  werden  damit  vielfache  Ver- 
suche gemacht,  wie  weit  Einer  im  Stande  der  Gnade  sich  befinde.   Das 
Bild  wurde  bald  der  Mittelpunkt  einer  Wallfahrt,  dicke  Mirakelbüoher 
melden  von  den  dort  gespendeten  Wundergaben ,  alle  Krankheiten  des 
Leibes  und  der  Seele  werden  geheilt,  welcherlei  Presten  Einer  auch  mit 
sich  bringt,    er >, wird  nach  einem  andächtigen  Gebete  vor  dem  Bilde 
Ijesand.     Das  Alles  ab^r   sind  auch  die    Eigenschaften  des 
Grales. 

Für  das  auf  geheimnissvolle  Weise  vom  Himmel  herab  erhaltene 
Geschenk  suchte  Kaiser  Ludwig,  wie  König  Titurel,  eine  Stelle;  am  Ein- 
Q^ange  seiner  Lande,  in  einer  noch  ungelichteten  Bergwildniss,  wo  einst 
einer  seiner  Vorfahren  der  Weifenherzog  Ethiko  in  der  Einsamkeit  ver- 
schwunden sein  sollte,  suchte  er  die  Stätte,  die  ihm,  wie  dem  alten 
Titurel,  im  prophetischen  Gesichte  angesagt  wird.  Ein  Engel  führt  den 
Titarel ,  beim  Kaiser  ist  es  sein  weisendes  Ross ,  das  an  der  bezeich- 
aeten  Stelle,  im  Quellenthal  der  Ammer,  zu  dreienmalen  in  die  Knice 
Fallt.  Und  das  Montsalvaz  ist  derselbe  Berg  desHeiles  und  der 
Rettung,  wie  das  vom  Kaiser  ersonnene  £^-tal,  das  Thal  des  Gelöb- 
nisses, der  Verheissung  und  des  neuen  Bundes.  Die  Baugeschichte  von 
Ktal  ist  fast  dieselbe,  das  Volk  lagert,  dort  in  Zelten  und  der  Kaiser 
errichtet  den  Bauleuten  kleine  Häuschen  und  über  dreissig  Jahre  dauert 
öer  Bau.  Aber  der  Kaiser  wollte  keinen  Tempel  mit  72  Chören,  er 
hielt  sich  an  die  ältere  Tradition  Wolframs  und  War  mit  einer  zwölf- 
eckigen Rotunde  zufrieden.  Wie  Montsalvaz  so  ist  Etal  auf  Säulen 
^^ewölbt,  die  zopfige,   vom  guten  Babenstuber')  in  der  Reiiaissance 


*)  SpätermaGhte  Kaiser  Karl  IV.  aaf  dem  Karlstein  in  Böhmen  einen  ähnli- 
cnen  Versuch. 

^)  Babeostnber  Hiatoria  Etalensis.  München  1694,  deutsch  von  P.  R  Haim< 
linger.  München  1696. 


240 

davoB  gemachte  Beschreibung  zeigt  nns  den  Grralteitipel  in  voller  Blfithe, 
obwohl  dieser  Historiograph  nicht  mehr  das  ursprüngliche  Werk  ganz 
vor  sich  sah,  da  es  im  XVI.  Jahrh.  bereits  argen  Schaden  erlitten 
hatte.  An  der  Stelle  des  Kreuzbaues  ist  die  Idee  der  Rotunde  vorherr- 
schend geblieben.  Wie  im  Graltempel  zu  Montsalvaz  so  stand  auch  zn 
Etal  ein  Abbild  im  Kleinen  inmitten  des  Tempels,  es  ist  die  Säule,  in 
ihr  der  Altar  mit  dem  ßilde  der  Gottesmutter  als  Mittelpunkt  des 
Ganzen,  von  da  aus  verschneiden  sich  die  Gewölbe  über  den  Säulen- 
gängen und  Pfeilern,  an  deren  Fuss  der  alte  ^sitz  mit  meure^  als  der 
von  Babenstuber  ausdrücklich  genannte  ,,braite  Krantz  oder  Maaerbank^ 
umherläuft.  Der  Schmuck  der  Etalerkirche  an  ,,  Zierathen,  künstlicheo 
Maschen,  erheblich  Lauberen  und  Fruchtgehängen  ^  entspricht  ganz  der 
reichen  Ausstattung  des  Titureltempejs,  selbst  die  Gitter  nennt  Baben- 
stuber ausdrücklich,  den  Chor  des  Johannes  und  seiner  Genossen :  auch 
des  Thurmes  ist  gedacht;  die  Lage  aber  ebenso  rechte  gegen  Oriente, 
gegen  Mittag  liegt  das  Kloster  und  die  Dormenter,  gogen  Westen  aber 
ist  die  ,. Ausfahrt,^  das  Portal  und  darüber  die  Orgel,  die  heute  noch 
als  etwas  Einziges  und  Unvergleichliches  im  Rufe  steht,  mithin  früher 
anders  gewesen  sein  muss,  da  sie  sich  als  ein  ganz  gewöhnliches  Werk 
erweist,  dem  nur  die  gute  Akustik  zu  Hilfe  kommt.  In'  dieses  Kloster 
legt  aber  der  Kaiser  eine  weltliche  und  geistliche  Ritterschaft  und  gibt 
ihnen  eine  so  seltsame  Regel,  dass  die  Geschichte  aller  Mönchsorden 
nichts  Aehnliches  aufi^uweisen  hat  und  dem  Leser  der  alten  herzigen 
Urkunde  der  Gedanke  unwillkührlich  aufsteigt,  der  Kaiser  habe  eine 
Gralritterschafl  und  Templeisen  im  Sinne  gehabt. ') 

Wenden  wir  nun  zur  älteren  Zeit  wieder  zurück,  so  treffen  wir 
unter  den  ritterlichen  Dichtem  auf  WirntvonGrävenberg,  der 
nicht  nur  als  Nachbar  Wolframs  erscheint,  sondern  offenbar  vom  Par- 
civalsänger  influenzirt,  ein  langes  Epos  vom  Wigalois  nach  einem 
welschen  Vorbild  dichtete. 

Auf  dem  Wege  von  Nürnberg  nach  Baireuth  liegt  auf  einer  Höhe 
bei  Grävenberg  die  Burg  des  Ritters  in  Trümmern,  der  einst  Wirnt 
von  Grävenberg  zubenannt  war.')     In  seiner  Jugend  lebte   er  zu 


>)  Der  weitere  Nachweis  mit  Pläoen  und  Rissen  in  meiner  Schrift:  KaiMr 
Ludwig  der  Bayer  und  sein  Stift  zu  Etal.  Ein  Beitrag  zur  Kunst-  und 
Sagenfreschichte  des  Mittelalters.  (Zur  Begrttssunff  der  deutschen  Geschicbts* 
und  Alterthumsfjrscher  in  München.)  München  1860. 

*)  Dieses  Stadtchen  gehörte  frOher  den  gleichnamigen  Grafen;  kam  im  XV. 
Jahrh.  durch  Kauf  an  Nürnherg  und  erhielt  durch  Kaiser  Karl  IV.  die  Stadt- 

Serechtiflrkeit.    Der  Markgraf  Achilles  eroherte  1449  das  Schloss  sowohl  alfl 
as  Stidtcheu,  in  welchem  500,  Mann  Nürnberger  lagen.    Er  war  der 


241 

Plassenburg  am  Hofe  des  Herzog  Berthold  zugcDannt  von  Meran,  *) 
der  wegen  seiner  feinen  Sitte  beröhmt  war  und  in  vielen  mittelhochd. 
Dichtungen,  wie  im  Wolfdietrieb,  König  Rother  u.  s.  w.'  als  Herzog 
Berchtung  oder  Bechtung  im  Rufe  der  nobelsten  Erziehungskunst  stand. 
Bei  seinem  im  Jahre  1204  erfolgten  Tode  war  Wim t  selbst  zugegen;') 
der  Eindruck  muss  ein  für  Wimt  unvergesslicher  gewesen  sein,  denn 
später  noch*  schilderte  er  in  ergreifender  Weise  die  Weheklage^»  die  von 
edlen  Frauen,  Bertholds  Töchtern  und  Schwestern,  darüber  erhoben 
wurde.  Hier  ohne  Zweifei  war  es,  dass  Wimt,  Wie  der  junge  Parcival 
bei  Gumemanz,  ritterliche  Känste  erlerate  und  jene  feine  Sitte  gewann, 
die  wohlthuend  und  acht  adelig  an  ihm  hervorsticht.  Er  war  eine  acht 
adelige  Natur,  sinnig  und  liebenswürdig,  der  gerne  in, Reflexionen  sich 
erging  und  mit  behaglicher  Breite  raisonnirte,  dabei  aber  fest  im  Leben 
stand,  sich  elegant  zu  kleiden  wusste  und  das  Waidwerk,'  Spiel  und  die 
Ritterschaft  übte,  der  er  wie  Segramors  gehie  und  wäre  es  noch  so 
weit  gewesen,  nachzog.  Einen  grossen  Reiz  auf  seine  poetische  Gestalt- 
ungskraft muss  HarUnann  von  der  Aue  geübt  haben,  dessgleichen  auch 
Wolfram  von  Eschenbach,  mit  welchem  er  unzweifelhaft  persönlich 
verkehrte. 

Nun  sagt  er  zwar  selbst,  dass  sein  fast  12,000  Verse  umfassender 
Wigalois  sein  erstes  ^der  Welt  zur  Minne^  gedichtetes  Werk  sei; 
doch  ist  das  keine  Jugendarbeit,  denn  der  überall  sich  kundgebende 
Ernst,  die  gereifte  Erfahrung  und  Kenntniss  des  menschlichen  Herzens 
und  der  Welt,  das  verständige  und  besonnene  Urtheil  ist  offenbar  das 
Resultat  eines  gereiften  Lebens.')    Den  Stoff  zu  seinem  Gedicht  hatte 


welcher  inr  Sturme  die  Mauern  erstieg.  Im  Albertinischen  Krieg  1552  litt  es 
gleichfalls  bedeutend  und  1567  brannte  es  grösstentbeils  ab.  1630  plünderten 
es  die  Croaten  aus  und  am  12.  und  15.  Sept.  1632  nahmen  es  die  Wallen- 
stein'srhen  Truppen  ein  und  legten  es  vollends  in  Asche.  In  der  Nähe  befand 
sldi  frtiher  auch  eine  Kapelle  zum  beil.  Michael.  Vgl.  Heller  Muggendorf 
und  Umgebung.    1829.  S.  75. 

*)  Dieser  Fabelhafte  Herzogstilel  der  Grafen  v.  Andechs  hat  mit  dem  tirolischen 
Meran  nichts  gemein.,  sondern  stammt  von  einer  dalmatischen  Landst-lNift 
Maronia',  Marinia,  Mirania.,  Meriuiia  (=  Seeküsle),  welche  jedoch  dieses 
Grafengeschlecht  nie  in  Wahrheit  besass.  Vgl.  Leo  Vorlesungen.  1861.  111. 
571  ff. 

')  H.  Haas  in  s.  Abbandl.  über  die  Nibelungen  1860.  S.  31  lässt  unseren 
Dichter  am  Hofe  Bert  hold  H.  von  Andechs  und  Plassenburg,  welcher  1151 
slarb^  aufwachsen^  und  zwar  auf  der  Plassenburff.  Dass  Wimt  bei  dem 
im  J.  1204  (Haas  hat  ear  1806!)  erfolgten  Hinscheiden  Berthold  IV.  gegen- 
wärtig g^w^en^  erklärt  er  dami  so,  dass  Wimt  ein  Jugendgenosse  des- 
selben und  mit  dem  Meran'schen  Hause  verwandt  geweseq.  Dass  Haas 
den  Grävenberger  ^  für  den  Dichter  der  Nibelungen  halt,  ohne  aber  dafür 
einen  Beweis  beizubringen,  haben  wir  bereits  oben  erwähnt.  Es  muss  aber 
Berthold  lU.gewesea  sein,  denn  Berthold  IV.  starb  12481 

'/  Dr.  Karl  Roth  (Beiträge  I.  208)  war  so  glücldich,   in  einer  Urkunde  vom 

16 


\ 


242 

ihm  ein  welscher  Knappe  erzählt,  er  fasste  ihn  treu  in*s  Gredächtniss 
und  begann  selben  wieder  zu  filmen  mit  ganzen  niawen  rimen.^  Die 
Hanptereignisse  wurden  gewissenhaft  wiedererzählt,  so  zwar,  dass  er 
sich  bisweilen  mit  seinem  Knappen  stritt  (v.  596),  ob  sich  die  Sache 
denn  auch  wirklich  so  verhalte;  Nebenumstände  und  NebefbpersoneD 
wie  z.  B.  der  Graf  Hoyer  von  Mansfeld  wurden  besonderen  Veran- 
lassungen gemäss,  eigens  eingeflochten,  Tracht  and  Farbe  wurde  ein«- 
heimisch  und  ganz  aus  dem  ihn  umgebenden  deut^hen  Leben  genonunen. 
Dass  in  der  Erzählung  ein  mythischer  Kern  stecke,  daran  dachte  Wimt 
so  wenig,  wie  der  letzte  Sänger  der  Nibelungen.  *)  So  erhalten  wir 
denn  abermals  ein  frisches,  lebensvolles  Bild  der.  damaligen  Zeit  nach 
allen  Richtungen,  von  Sitte,  Tracht  und  Ritterthum,  worauf  wir  in  d^ 
folgenden  Nacherzählung  des  Gedichtes  das'  besondere  Augenmerk  wenden 
Wollen. 

Eigenthümlich  in  der  äusseren  Technik  des  Dichters  ist  der  drei- 
fache Reim,  mit  welchem  er  längere  Absätze  zu  schliessen  pflegt;  man 
könnte  das  vielleicht  als  den  Vorläufer  der  Strophe  ansehen,  die  später- 
hin für  erzählende  Gedichte  mit  besonderer  Vorliebe  gewählt  wurde. 

War*  ich  doch,  beginnt  der  Dichter  in  der  schönen  Einleitung,  so 
begabt.  Alles  nach  Herzensdrang  erzählen  zu  können,  nun  fehlen  mir 
aber  leider  die  Sprache  (zunge)  und  der  scharfe  Sinn,  dass  ich  der 
Rede  nicht  Meister  bin  die  ich  zu  sprechen  Willen  habe ;  doch  war  ich 
von  meinen  jungen  Tagen  auf  immer  gcflissen  wie  ich  mit  meiner  Rede 
verdiente,  dass  die  Weisen  ihren  Gruss  mir  sollten  gewähren.  —  Bisher 
war  seine  Kunst  verborgen,  nui)  aber  möchte  er  mit  seiner  Kunde  den 
Leuten  die  schweren  Stunden  versüssen.  Ich  sag*  Euch  eine  Märe,  wie 
ich  sie  erhalten  habe;  zwar  getrau*  ich  mir*8  nicht  zur  ganzen  Wahr- 
heit zu  bringen,  doch  möcht'  ich  bedingen,  dass  ihr  „durch  iuwer  hö- 
vischeit  dem  tihtaer  des  genade  seit,  der  ditze  hat  getihtet,  mit  rimen 
wol  berihtet,  wan  ditz  ist  sin  erstez  werk.^  Er  hat,  der  Welt  zur 
Minne,  mühsam  gestrebt  mit  ganzem  Sinne  dass  er  sich  ihren  Gruss 
gewinne ! 

Hierauf  hebt  er  mit  der  Erzählung  an   und   rollt  gleich  eine  leb- 
hafte Schilderung  mittelalterlichen  Burgenlebens  auf.     Der  milde  König 


Jahre  1172  unseren  Dichter  als  Zen^en  aurzufinden.  Pfeiffer  hat  aus  ioDerea 
Gründen  den  Nachweis  geliefert,  dass  der  ^Wigalois^  in  die  Jahre  1208 ~ 
1210  falle.  Nehmen  wir  nun  an,  dass^Wirnt  bei  der  erwäbnlen  2eug9€haft^ 
22  Jahre  7ühlte  (was  sicherlich  der  Fall  war),  so  wäre  der  Dichter  im  J. 
1150  geboren  ond  sein  erstes  Werk  fiele  (mit  1206)  in  das  Alter  von  ;' 
Jahren. 

')  V^l.  Menzel  Lit.  Blatt.   1817.    S.  277  IT.   wo  die  Sage  anf  die  dnreh  dei 
Thierkreis  wandelnde  Sonne  gedeutet  ist. 


243 

Artus  hatte  eine  Burg  zu  Karidol*)  auf  einem  Plan,  ein  grosser  Forst 

Cforeis)  stiess  daran,   in   dem  er   gerne  spazieren  (baneken)  ritt  oder 

mit  Hunden  jagte.     Durch  den  Wald  floss  ein  Wasser,   das  auch  die 

eine  Seite  der  Burg  berührte,  darinnen  sassen  viele  Fürsten  und  Gäste, 

die  um   Ehre  stritten;    mit  grosser  Reichheit,    die  gastlich  zu  Gebote 

stand,  war  sie  berathen.  Inmitten  der  Burg  lag  das  Haus  des  Königs,  in 

dem  er  nach  alter  Sitte  die  Gäste  empfing;  wohl  tausend  Ritter  hatte 

er  täglich  zum  Gesinde,  von  dem  jeglicher  so  reich  an  Rossen  und  Ge- 

wanden,  an  Bargen  i^nd  Landen  war,  dass  ihm  nichts  gebrach.    Dazu 

hatte  er  manchen  Gast,  den  er  mit  allem  Möglichen  selbst  versah  (den 

er  voq  smer  baut  beriet),  oft  löste  er  den  Recken  sogar  die  Pfslnder. 

Der  Palas  der  Königro  wai*  von  verschiedenfarbigem  Marmelstein  gebaut, 

n>th,  braun,  blau  (weitln)  und  gelb;  auch  war  er  von  laubigen  Bäumen 

umgeben  (sinewel  beliewet  umbe  und  umbe  wol)  und  voll  reicher  Frauen; 

viele  Mägde  dienten  ihr  säuberlich,   auch  waren  solche  dabei,  die  sich 

auf  Saitenspiel  verstanden  „daz  hörte  man  zallen  stunden  in  den  gewel- 

ben   schellen,  die  kleinen  hunde  bellen^  die  rigen  (springende  Wasser) 

vast^  klingen,  manegen  vogel  singen  in  den  liewen')  (Lauben)  überall, 

^alander  (Lerche)  unde  nahtegal  jeglicher  sine  stimme  sanc;^    Lange- 

Weile  hatten  sie  nie. 

Nun  pflag  der  König,  wie  wir  bereits  aus  dem  Parcival  wissen,*) 
iler  Sitte,  dass  er  Morgens  nie  zu  Tische  sass,  ehe  er  eine  Aventiure 
vernommen.  Nmi  war  es  eines  Tages  gekommen,  dass,  obwohl  sie  bis 
aach  Mittag  gewartet  hatten,  doch  keine  Aventiure  geschah.  Das  gab 
ftkt  das  Ingesinde  eine  rechte  Klage;  wie  sie  an  der  Warte  standen, 
ersahen  sie  endlich  einen  schönen  Ritter  antraben,  der  den  Frauen  un- 
erkannt blieb;  einen  Speer  führte  er  in  seiner  Hand,  in  Scharlach  war 
fvekleidet,  sein  Pferd  war  roth ;  sein  Haar  grau  (gemischet  unde  reit), 
ritt  an  die  Mauer  und  bat  die  Königin,  einen  Gürtel  anzunehmen 
nd  bis  zum  anderen  Tage  zu  behalten,  wolle  sie  selben  aber  nicht,  so 


')  Dieses  Karidöl  hält  Ben  ecke  S.  G30  für  Carlisle  in  Cumberlund,  %vo  nach 
allgemeiner  Sage  Artus  jede  Pfinj^stenzeit  auf  das  glänzendste  Hof  zu  hallen 
pflegte,  wahrscheinlicher  ahjer  hat  Wirnt  selbes  (wie  im  Iweln)  in  der  Bre- 
tagne jfedachl.  Gewiss  hat  die  ursprungliche  Erfindung  (wenn  sie  aus  Wales 
stammt)  den  König  Artus  auch  in  Kngland  wohnen  lassen^  atier  Wirnt  folgte 
ofTenlHir  einer  französischen  Bearbeitung«  und  wenn  er  seinen  Helden  von 
Caridoel  oadi  Corenlin  reiten,  oder  den  König  Artus  sein  Hoflager  in  Nan- 
tasan  liallen  lässt,  so  muss  er  sich  die  Residenz  des  Königs  auf  dem  Fest- 
lande  vorgestellt  haben ;  dafür  zeigen  auch  die  übrigen  französ.  Ortsnamen. 

*J  liewen  erklärt  Benecke  durch  Lauben,  Baudissin  glaubt  eine  erhöhte 
Warte,  Söller  oder  Erker  annehmen  zu  'dürfen.  —  Unser  Volk  nennt  die 
jedes  Landhaus  noch  umgehenden  halboffenen.  Alanen  gleichfalls  Lauben. 

*•>   Parc.  309,  5. 

16* 


044 

hole  er  ihn  Morgens  als  ein  Held  durch  Streit  auf  Leben  und  Tod 
zurück.  So  sprechend  legte  er  den  Gürtel  auf  den  Speer,  reichte  d^r 
Fraue  seine  Gabe  hinauf  und  kehrte  wieder  in  den  Wa|d  zu  seinem 
Knappen.  Den  Gürtel  hatte  die  Königin;  der  Riemen  war  niender  leer 
von  Gesteine  noch  von  Golde;  als  sie  ihn  umband,  »gewann  sie  stracks 
Stärke  und  Weisheit,  verstand  alle  Sprachen,  ihr  Herz  ward  Freuden 
voll  und  jedes  Spiel,  das  man  begann,  war  ihr  bekannt,  gar  keine 
Kunst  gebrach  ihr.  Das  müss  wohl  ein  reicher  König  sein,  dachte  sie, 
ging  von  ihrem  Erker  und  Hess  den  Gäwein  zu  sich  bitten,  um  ihm  die 
Aventiure  vorzulegen.  Als  er  davon  und  wie  es  mit  dem  Gürtel  stehe, 
vernommen  hatte,  that  er  wie  die  Weisen  thun  „eine  wile  saz  er  swt- 
gende,*  dann  sprach  er  mit  ^bedähtem  muote:  Fraue,  das  wäre  ein 
boesez  maere,  wenn  ihr  den  Gürtel,  er  mag  noch  so  gut  sein,  ni<At 
zurückgeben  würdet;  ihr  dürft  Eueren  hohen  Muth  um  kein  Geschmeide 
oder  Gut  niederlassen,  dazu  seid  ihr  zu  reich.  Kommt  der  Ritter  mor- 
gen; wie  er  versprochen  hat,  so  muss  er  bestanden  weisen.** 

Gäwein  ging  zum  Gesinde  ui1d>sagte  ihnen  die  Geschichte;  darüber 
wurden  alle  froh.  Am  anderen  Morgen  kam  richtig  der  tugendhafte 
Gast,  vollständig  gewaffhet.  Er  ritt  einen  rothen  Streithetigst  Cavit), 
der  in  schönen  Sprüngen  ging,  sein  Helmkleinod  (zitnier)  war  eine 
Krone,  „ein  groz  rubin  dar  inne  lac.  diu  kröne  lühte  als  der  tac  von 
golde  und  von  gesteine.  sin  wäfenroc  von  borten  was,  ein  samit  grüeoe 
alsam  ein  gras  iiras  ze  der  banier  gesniten;^  auf  seinem  Schilde  lag  ein 
goldener  Aar  auf  lazurnem  Grunde.  ^3  So  kam  er  zu  der  Mauer,  wo 
er  die  Königin  fand,  sogleich  band  er  seinen  Helm  ab  und  satzt  ihn 
auf  den  Sattelbogen ,  au  die  Mauer  leint*  er  seinen  Speer  und  bat  die 
edle  Frau,  die  Gabe  zu  behalten;  sie  aber  Hess  4en  Gürtel  auf  sein 
Knie  niederfallen,  er  fing  ihn  mit  der  Hand.  Als  er  die  Frau  zürnen 
sah,  sprach  er  vernehmlich:  „Wer  da  höfischen  Streit  suchte  der  ge- 
winne mit  Mannheit  den  Gürtel  von  mir,  dess  hat  er  Ehre,  soU  ich 
nicht  meinen  Speer  an  der  Porte  hier  zerbrechen."  Darauf  band  er  den 
Helm  auf  und  ritt  vermessentlich  vor  das  Haus  auf  den  Plan.  Die  von. 
der  Tafelrunde  riefen  aber  einmüthig:  „wä  nu  schilt  unde  sper!  har— 
nasch  unde  örs  her!''     Keye,  der  uns  bereits  bekannte  Seneschal, 


der  erste,  der  den  Schild  zu  Halse  nahm,  aber  zornig  kam  er  zurück.  ^^» 
unter  den  Augen   der  Königin  wa^  er    niedergestochen  worden.     DeK^^r 
nächste  war  Didones,  dann  Segramors,  der  tugendreiche  Meljanz,  knr^: — Tf 
alle  Ritter  der  Tafelrunde  wurden  abgesetzt  und  mancher  Mann  lag 


')  der  was  von  röten  golde  gar 
das  ander  von  llzOre  (Japia  lazuli). 


245 

dem  Felde,  der  das  jsonst  nicht  gewohnt  war,  das  grüne  Gras  war  ganz 
mit  Schilden  bedeckt  und  die  Rosse  liefen  ledig,  als  wäre  da  ein  Ge- 
stöt  *(8tuot) ;  Mancher,  der  schön  hinaosgeritten  war,  .wurde  sogar  her- 
eingetragen. Der  unbekannte  Ritter  kehrte  zu  seinem  Knappen  zurück 
und  streifte  sein  Panzerhemd  ab  iq  den  Schild  (selbe  schutter  sin  isen- 
gewant  in  den  schilt).  Frau  Ginovere  aber  und  ihre  Massenie  hatten 
grosse  Noth  und  Klage  wie  nie  vordeih.  Da  waShete  sich  Herr  Gawein, 
sass  auf  sein  ^ors,^  nahm  Schild  und  Speer,  ritt  durch  das  ^  bürge tor^ 
und  stapfte  sanfte  hinaus,  ihm  war  nicht  ^gäch.^  Die  wachbaren 
Knappen  melden  dem  rothen  Ritter  die  unerwartete  Ankunft,  .dieser 
röstete  sich  and  legte  den  Gürtel  an,  ohne  dessen  Kraft  es  ihm,  wie 
dem  Dichter  bedäucht,  wohl  misslungen  wäre.  Nun  erhalten  wir  eine 
ausführliche  Schilderung  eines  ritterlichen  Zweikampfes :  Gespornt  spran- 
gen die  Rosse  zusammen,  jeder  hatte  zum  Ziel  den  Hals  des  Gegners 
unter  dem  Kinn  erkoren  (ir  ietweder  hh  eikom  den  andern  under  daz 
kinnebein),  da  hub  sich  unter  ihnen  ^em  harte  schoeniu  riterschaft,'^ 
Beiden  barst  der  Schaft  zu  Stücken ;  nun  mussten  sie  die  Schwerter  von 
den  Seiten  zücken  „dö  hnop  sich  s^hoenez  striten^  zwischen  ihnen 
beiden;  wer  sollte  sie  scheiden,  wo  Keber  sonst  zugegen  war?  Sie 
stiegen  ab  (erbeizten)  auf  das  Gras,  um  die  ^osse  zu  schonen;  beide 
hatten  ganze  Kraft  und  fochten  meisterlich.  Mir  ist  es  leid  zu  sagen, 
dass  Herrn  Gawein  es  jemals  übel  ergangen,  doch  wäre  ihm  der  Un- 
glimpf  (laster)  nie  geschehen  ohne  den  Gürtel  den  jener  trug;  der 
Steine  Kraft  ihn  niederschlqg,  davon  der  Gast  den  Sieg  gewann.  Der 
fing  ihn  und  ftlhrte  ihn  in  sein  Zelt.  Als  er  Sicherheit  gegeben,  ritten 
sie  weiter  durch  den  Wald.  Bei  König  Artus  aber  glaubte  man,  Ga- 
wein wäre  erschlagen,  da  Keiner  zugesehen  hatte. 

Die  Beiden  ritten  wphlgemuth  von  dannen  und  kamen  in  ein 
wildes  Land;  der  Herre  band  den  Gürtel  ab,  da  er  drohende  Gefahr 
(iVeise)  vor  sich  sah  und  sprach  zu  Gawein:  „Herr  und  lieber  Geselle, 
seilet  ihr  dieses  Waldgefalle  und  die  Steinwände?  wir  müssen  hinan- 
reiten; nehmt  den  Gürtel  und  behaltet  ihn  bis  an  Eueren  Tod,  er  sichert 
Euch  vor  aller  Noth,  denn  dass  Ihr  siegelos  geworden,  geschah  durch 
seine  Kraft.  Ihr  habt  Euer  ganzes  Leben  grosse  Mannheit  geübt  und 
man  hat  Euch  den  Preis  rechter  Ritterschaft  gegeben,  nie  aber  glaubte 
ich,  dass  mir  die  Ehre  durch  meine  Kraft  zugefallen,  denn  das  hat 
unzweifelhaft  der  Steine  Kraft  gethan;  nun  könnt  Ihr  alle  Schrecken  der 
Welt  ohne  Angst  bestehen.^  Mit  Treuen  neigte  sich  der  Held,  dankte 
und  schloss  den  Gürtel  freudig  um  sein  Eisengewand:  „dö  het  ouch  er 
zehant  wol  dnzec  rtter  manheit.**  Von  da  zogen. sie  den  Berg  hinab 
und  kamen  in  blühendes,  aber  ganz  unbewohntes  Gartenland,  sie  ritten 


246 

bis  an  den  dreizehnten  Morgen ,  der  sie  in  des  Ritters  eigenes  Reich 
brachte.  Da  war  die  schönste  und  beste  Burg,  die  mati  sehen  mochte, 
eine  weite  Stadt  lag  vor  dem  Thor  und  tiefe  Gräben  davor,  ein  Bkum- 
garten  umgab  das  Haus,  den  ein  fester  Haag  umfriedete.  Der  König 
hiess  Herrn  Gawein  willkommen:  ^Dies  Land  ist  mein  vom  Walde  bis 
an  das  Meer.^  Am  Burgthor  standen  edle  Knappen,  Ritter  und  Knechte, 
die  sie  nach  Gebühr  empfingen ,  geselliglich  nahm  der  K^nig  Herrn 
Gawein  an  der  Hand,  man  band  ihm  den  Helm  ab  und  ffthrte  ihn  an 
gut  Gemach.  Abschüttete  er  sein  Eisengewand,  Hess  sich  baden  und 
in  weisse  Linnen  (linwaete)  kleiden.  Eine  Jungfrau  nähte  ihn  in  einen 
Pfellin-Rock,")  der  mit  Hermmpelz  verbrämt  (gefurrieret)  war,  einen 
gleichen  Mantel  legte  er  darüber.  Nach  der  Mahlzeit  führte  ihn  der 
König  in  die  Kemenate  zur  Königin,  dort  sah  er  die  allerschOnste  Maid, 
die  unter  allen,  die  damals  lebten,  nicht  ihlres  gleichen  hatte.  Ihr  Anzog 
ist  bis  in's  Detail  mit  einer  Sorgfalt  beschrieben,  die  wohl  vermnthen 
lässt,  der  Dichter  habe  solche  Tracht  selbst  oft  genug  vor  Augen  gehabt. 
Sie  trug  einen  weiten,' aus  rothen  und  grasgrünen  Saitimtstreifen  zu- 
sammengesetzten und  mit  Gold  gezierten  Rock,  der  war  gefurrieret  mit 
viel  grossem  Fleiss,  das  Futter  weisser  Harm;  meisterlich  gefllltelt  (ge- 
rigen) zeigte  sich  das  Hemd,  von  feinster  weisser  Seide  Qiit  goldenen 
Näten.  Auch  trug  die  Magd  einen  Gürtel,  der  war  eine  Borte  von  edlem 
Gesteine,  aus  grünem  Smaragd  war  die  Spange  (rinke),  wohl  ergraben 
Von  Golde  ein  Aar  darauf  und  mit  Schmelzwerk  zierlich  eingelegt  (mit 
gesmelze  harte  waehe),  das  Werk  war  gar  kunstreich,  die  Schliessen 
bildeten  wilde  Thiere.  Zwischendurch  war  der  Gürtel  mit  Perlen  und 
Edelstgestein  bedeckt,  nie,  nur  in  Dichtergedanken  (Dichtergebilde  abge- 
rechnet „geworht  ane  zungen'*)  sah  ich  so  Kostbares!  vornen  leuchtete 
ein  Rubin,  der  jedem  mit  seinem  süssen  Scheine  sein  Ungemach  benahm. 
Einen  weiten  langen  Mantel  hatte  die  Magd  umgelegt  (gevangen),  der 
war  ^genagelt  wol  mit  golde^  und  bezogen  mit  köstlichem  Hermelin 
(vedere  harmin),  darin  aus  Fischhaut*)  Mond  und  Sterne  geschnitten 
waren,  mit  Hermelinschwänzen  (herminzagel)  war  sie  innen  voll  bestedit. 
Das  Pelzwerk  (vedere)  aber  deckte   das  allerbeste  Siglat*)  von  der 


')  Obs  Anziehen  der  Kleider  war  mit  Einschnüren  verbunden,  wie  hei  den 
heuligen  Schntirmiedenu  so  dass  bei  eiligem  Ausziehen  die  Naht  aur^rissen 
werden  niusste.  Vgl.  Wein  hold  S.  446  u.  Benecrke  S.  440.  « 

^)  Diej$e  blaue  Fischhaut  ^schinat^  genannt,  aus  welcher  moud-  und  slcrnrör» 
mige  Stücke  in  den  Hermelinpelz  eingeseift  waren,  wird  als  aus  ,.U>eruc*" 
gebracht,  angegeben.  Nach  Konrad  (Trojan.  Kr.  <:0210)  lebte  der  Fiäih  im 
einem  Flusse,  der  aus  dem  Paradiese  kommt.    Ben  ecke  S.  442. 

')  „SigUt"^  ein  persisches  Wort,  das  einei  kostbaren  SeidenslolT  mit  einge- 
webtem  Golde  bezeichnet;  Gottfried  braucht  «prelle^  nnd  y^sigfAl"^  als  gleich- 


247 

Welt.  Aooh  waren  die  Häftel  (tassel ')  ohne  Fehle,  roth  und  gelb,  ein 
mit  heidnischer^Kunst  geschnittener  Ametist  und  Jachant.  Ein  Zobel 
reichte  ihr  bis  auf  die  Hand,  der  war  schwarz  und  breit,  grau  und  roth 
gemischt,  ^e  noch  manche  Frau  ihn  trägt  Von  i^rem  ^houbetloche^ 
(da.  man  beim  Anziehen  die  Kleider  über  den  Kopf  warf.  vgl.  Wein- 
faold  S.  429)  war  Gott  Amor  meisterlich  ausgeschnitten,  recht  als  ob 
er  lebte,  einen  goldenen  Strahl  hielt  er  in  der  rechten  (zeswen)  Hand, 
in  der  anderen  die  Fackel;  das  Werk  war  wunderfein  aus  einem  nur 
bohnengrossen  Karfunkelsteine  geschnitten;  Nachts  warf  er  hellen  Schein, 
tagüber  glänzte  er  wie  Gold;  ^dä  hafte  si  ir  bnosom  mite  nach  der 
Kärlinge  site.''  Ein  SchapeP)  trug  die  Maget,  das  war  blau  und  gelb, 
roth,  braun  und  weiss;  darap  lag  viel  grosser  Fleiss  von  Golde  und 
Seide.  Wer  sie  nm  ihre  schöne  Kleidung  neiden  wollte,  der  beginge 
eine  Thorheit,  „denn  es  bringt  ja  Keinem  Schaden,  was  ich  auf  sie 
geladen  von  Seiden  und,  von  Borten  und  Geziferde  —  mit  Worten !  Ihre 
Zöpfe  waren  gebunden,  mit  Golde  wohl  bewunden  bis  an  des  Haares 
Ende,  solch  kaiserlich  Gebäude  trug  die  reine  Magd.^  Ihr  Haar  war 
fein  und  goldfarbig  (goltvar  unde  reit) ;  ihr  Scheitel  weiss  und  nicht  zu 
breit.  Eben  und  klar  (luter)  war  ihre  Haut  (Vel)  und  im  gehörigen 
Verhältniss  gemischt  (von  rosenvarwe  wize  getempert),  ihre  Brauen  braun 
und  schmal,  darneben  hingen  ihr  rothgoldfarbige  Löcklein  herab.  Wen 
sie  gütlich  mit  ihren  klaren  lachenden  Augen  ansah,  der  vergass  alles 
früheren  Leides.  Zur  weiteren  Frauenschönheit  gehört  auch  die  Schil- 
derung ihrer  Ohren:  diese  waren  weiss,  rund  (sinwel)  und  kleine,  wie 
von  Elfenbeine  vom  Wunsch  ersonnen,  nach  rechtem  Maasse  geschweift 
und  hohl,  am  ganzen  Leibe  aber  war  sie  so  gethan,  als  hätte  sich  der 
Wunsch  ganz  in  ihre  Gewalt  geneigt. ')    Ihr  Mund  war  so  Wohlgestalt 


bedeutend,  sie  waren  aber  verschieden     Benecke  S.  703.    Wein  hold  D.   . 
Frauen.  S.  423. 

*)  ^tassel^  der  Knopf,  der  in  eine  Schleife  oder  in  einen  Ring  fasst  und  zam 
Ziisammenhallen  diente.  Benecke  S.  7^0  u.  442.  Der  ,.jdchant^  ist  ein 
rolher  Edelstein,  vielleicht  der  Hyacinlh. 

-*)  3chapel  ursprünglich  wohl  nichts  als  der  Hut  (Weinhold  D.  Fr.  S.  462), 
und  (ia  dieser  häufig  bekränzt  war,  auch  Blumensihapel,  allmählig  nannte 
man  auch  den  Kranz  oder  das  Krönlein  alleine  so.  In  der  Mundart  ist  das 
Wort  erhalten.  So  treffen  im  Bregenzerwald  (cf.  Oppermann.  1859.  S.  12) 
die  Jungfrauen  noch  bei  Bittgängen,  Hochzeiten  und  Taufen  das  ^Schä- 
pele,"^  kleine  Kronen,  die  oft  über  hundert  Gulden  kosten,  da  sie  aus 
FilegränaHieitv  von  Silber,  Gold^  bei  Reicheren  wohl  auch  mit  Halbedelsteinen 
oder  ächten  guten  Steinen  besetzt,  bestehen. 

^)  Den  Inbegriir  veo  Heil  und  Seligkeit,  die  Erfüllunff.  aller  Gaben,  liebten  die 
mbd.  Dichter  mit  einem  einzigen  Worte,  dessen  Beaeutung  sich  nachher  ver- 

'  engerie,  anszudrücken,  das  war  dar  Wunsch,  der  häufig  auch  personißcirt 
erMjieint,  ebenso  wie  die  Frau  Aventiure  und  Frau  Minne  oder  Frau  Saelde. 
Vgl.  Grimm  Mythologie.  S.  127  If. 


248 

und  roinniglich,  das&  Einer,  der  in  der  Todesstunde  ihn  küssen  dürfte, 
alle  Noth  vergässe.  Ihre  Zähne,  eben  und  kleine,  aus  viel  lauterem 
Beine  waren  zusamroengestecket,  ihr  Mund  hielt  sie  bedecket  mit  rosen- 
farbener  Röte,  auch  war  ihre  Kehle  rundlich  und  harmweiss,  ein  breiter 
Zobel  ging  darum,  der  nur  zu  wenig  sehen  Hess.  —  Trügen  mich  nicht 
die  Sinne,  so  musste  unter  ihrem  Hemde  die  schönste  „creatiure''  d«r 
Welt  sein;  Frau  Saelde')  hatte  geschwol-en,  immer  bei  ihr  zu  blei- 
ben, wen  diese  zum  Gesellen  nimmt,  der  muss  ohne  Wandel  sein.  Sie 
war  ohne  Falsch,  lauter  wie  ein  Spiegelglas.  Das  nahm  der  Ritter  an 
ihr  wahr;  er  minnte  sie  ihrer  grossen  Schöne  wegen  von  Herzen. 

Der  Wirth  bat  Herrn  Gawein,  ihm  ritterliche  Sicherheit  zu  leisten 
—  und  wie  dieses  geschehen  war,  trug  er  dieses  schöne  Mägdelein  ihm 
kurz,  uud  gut  zu  rechter  Ehe  an.  Das  setzte  seiner  Freude  die  Krone 
auf,  ihm  war  der  Tag  ganz  ^österlich  geschoenet;^')  sie  aber  nahm  den 
schönen  Mann  gerne  und  vertrauensvoll,  doch  weinte  sie,  obwohl  sie  ihr 
Oheim  zu  trösten  suchte  —  sie  war  nämlich  des  Königs  Schwester 
Tochter.  Da  der  Segen  ward  gethan,  umfing  er  sie  küssende,  dann 
gingen  sie  schlafen;  ihnen  geschah  vordem  so  liebe  nie. 

Das  reine  Weib  wurde  ihm  lieb  wie  sein  eigener  Leib.  So  ruhte 
er  nach  seiner  Fahrt.  Auch  das  Ingesinde  hatte  an  dem  Gaste  grosse 
Freude,  weil  er  der  Arbeit  nie  verdross  womit  er  Einem  gedienen  mochte. 
Viel  Ritterschaft  gab  es  da;  mit  Hunden  und  Federspi^l  ritt  der  Gast; 
sein  Name  war  tugendvoll  und  unvergleichbar  zierte  er  so  des  Königs 
Land. 

Nun  befand  sich  auf  der  Veste  des  Königs  ein  aus  Gold  gegossenes 
Glücksrad,')  es  stand  mitten  auf  dem  Saale  und  ging  auf  und  nieder, 
daran  waren  Bilder,  wie  ein  Mann  geformt.  Sanken  die  Einen  mit  dem 
Rade  nieder,  stiegen  die  Anderen  wieder  auf,  so  ging  es  um  und  um. 
Das  hatte  ein  Pfaffe  gemeistert.  Es  sinnbildete,  wie  es  dem  Wirthe  nie 
an  einem  Dinge  misseging,  denn  das  Glück  folgte  ihm. 


')  «saelde^  ist  Gutes  aller  Art ^  womit  ein  Mensch  gesegnet  ist:  als  persön- 
liches Wesen  gedacht^  die  Geberin  alles  Guten,  die  Segensgöttin. 

^)  österlich  =  wonniglich,  der  ostertac  =  der  schönste  wonoevollsle  Tag: 
daher  oft  hei  den  Minnesängern  der  schöne  Ansdriuk  ffir  die  Gelieble:  au 
meines  Hertens  Oslerlas-f  du  meiner  Freuden  Ostertagl  -^  Ostern  galt  als 
das  grösste  Fest  der  Christenheit,  so  heisst  jeder  Imhe,  selige,  fröhliche 
Tag  ein  Oslertag. 

')  Das  Glücksrad  spielt  nicht  nur  in  alten  Miniaturen,  wie  s.  B.  in  den  Illu- 
strationen  zu  den  Carmina  burana,  oder  an  mitt'elallerlic4ien  Portalen  als 
symbolisches  Ornament,  eine  Rolle,  auch  die  Dichter  beziehen  sich  faaufir 
darauf,  z.  B  H.  v.  Rinkenb'erg  (1291—1340),  der  ein  Glücksrad  mit  i 
Bildern  beschreibt.    Vgl.  v.  d.  Hagen  MS,  l  310.  Str.  13. 


.      249 

lieber  ein  halbes  Jahr  war  vergangen,  da  sehnte  sich  Gawein  nach 
der  Massenie  seiner  Tafelrunde.  Er  ging  zu  seinem  Weibe  and  erbat 
sich  Urlaab  auf  drei  Tage  von  dannen  za  fahren;  er  tliät  die  Löge, 
wml  er  förchtete  sie  zu  sehr  zu  betrüben,  wenn  er  ihr  gestände,  dass 
er  auf  länger  fortwolle.  Sie  bat  ihn  mit  Mattersorgen,  seine  Reise  denn 
doch  noch  zu  verschieben:  ^lieber  henre  min,  belibet  hie,  daz  ist  nun 
rat.  min  dinc  mir  angestlichen  stät;  däz  seht  ir.  unde  wLzzet  wol,  daz 
ich  grozen  kumber  dol  (Kummer  trage)  von  miner  swaere  die  ich  hän^ 
berre,  ir  sult  hie  bestin  unz  ir  beseht  wiez  mir  erge.  ee  kumt  vil  lihte, 
daz  ir  ö  niht  wider  komt,  ichn  s!  genesen.^  ihm  war  leider  unbekannt, 
dass  Niemimd  ohne  des  Königs  Geleite  in  das  Reich  kommen  konnte^ 
hätte  er  das  früher  vernommen,  ihm  war*  es  auf  der  Fahrt  anders  er- 
gangen. So  benahm  er  ihr  die  Angst,  gelobte  Minne  und  Treue,  bat  sie 
es  Niemanden  wissen  zu  lassen  und  versprach  in  kürzester  Zeit  zurück- 
zukommen, küsste  sie,  sass  auf  sein  Ross,  nahm  heimlich  sein  Eisen- 
gewand  und  ritt  die  Strasse  gegen  den  Wald.  Nun  will  ich  Wunder 
sagen,  denn  was  er  erst  ritt  in  12  Tagen,  dazu  brauchte  er  jetzt  ein 
halbes  Jahr.  —  Zu  Caridoel  brachte  seine  Ankunft  grosse  Freude,  die 
Maere  davon  flog  von  Haus  zu  Haus ;  er  setzte  sich  zu  den  Frauen  und 
erzählte  ihnen  Allerlei,  doch  nicht  Alles;  auch  wollte  er  nicht  turaieren 
wie  früher,  und  hatte  Sehnsucht  nach  seinem  Weibe,  ihn  zwang  der 
Minne  Noth.  Heindich  rief  er  seinem  Knappen  und  stahl  sich  davon, 
doch  ritt  er  wohl  ein  ganzes  Jahr  durch  alle  Liande,  die  vor  den  Bergen 
Hegen  — ■  es  blieb  verlorne  Arbeit,  denn  Niemand  kann  ohne  den  Gürtel 
in  das  Land  kommen,  diesen  hatte  er  aber  bei  seiner  Frau  gelassen! 
Als  er  das  erfuhr,  ward  sein  Jammer  gross ;  betrübt  kehrte  er  zu  Artus 
zurück  —  an  dem  Tage  war  es  schon  zwei  Jahre,  dass  sein  Weib  ge- 
nesen. Lasten  wh*  den  Ritter  und  sagen  wie  es  dem  Kinde  erging.  Die 
gute  Mutter  liess  es  keinen  Tag  von  sich  und  pflag  dasselbe  selbst  mit 
Liebe.  In  einem  Jahre  wuchs  es  mehr  als  ein  anderes  in  zweien;  man 
lehrte  es  spat  und  früh  Gewissen  und  Güte,  auch  war  sein  G^müthe 
zu  allen  Tugenden  feste,  er  that  pie  anders  ah  das  beste.  So  ging  es 
bis  in*s  zwölfte  Jahr.  Die  besten  Ritter  unterwunden  sich  seiner  da, 
lernten  ihn  reiten,  gehen,  mit  Züchten  sprechen  und  stehen.  Gott  gab 
ihm  in  seiner  Jugend  schönen  Leib  und  ganze  Tugend,  die  behielt  er 
bis  an  sein  Ende;  Allen  war  er  dienstwillig,  wer  Gabe  an  ihm  suchte, 
dem  reichte  er.  Hatten  ihn  die  Ritter  buhurdieren  und  stechen,  die 
starken  Speere  zerbrechen,  schirmen  und  schiessen  lassen,  dann  nahmen 
ihn  wieder  die  Frauen.  Seiner  Tugenden  wegen  gewann  man  ihn  vor 
Allen  lieb.  Wohl  ihm,  dass  er  das  verdienen  kann,  dass  ihn  die  Welt 
gerne  sieht  und  dass  man  ihn  zu  den  Besten  zählt.    Nur  das  trübte 


\ 


250 . 

seine  Tage,  dass  man  von  seinem  Vater,  vpn  dem  er  so  viel  vernommen 

* 

hatte,  nicht  wussto,  ob  er  noch  am  Leben  wäre;  tagendlich  begann  er 
zu  seiner  edleu  Mutter,  die  ihn  ans  der  Tanfe  hatte  erhoben  und  sprach: 
^Fraue,-  gebt  njir  Eueren  Segen  und  Euere  Hold!  Gott  wolle  Euer 
pflegen  und  Euch  bewahren!  Ich  will  von  hiiinen  fahren  und  in  meiner 
Jugend  erwerben,  da^ss  man  mich  mit  Recht  bass  erkenne  als  einen 
anderen  Mann,  wie  mein  Vater  hat  gethan.  Was  soll  mir  mein  starker 
Leib,  wenn  ich  mich  in  diesem  Lande  verliege  wie  ein  Weib?  icli  will 
den  sehen,  von  dem  nrir  immer  Tugend  ond  Mannheit  gesagt  ist  Das 
ist  mein  Vater,  Herr  64wein ;  ich  will  nicht  wiederkommen,  bis  ich  ihn 
gesehen  habe,  gönnt  mir  das,  Hebe  Mutter,  inir  sagt  eine  ifeste  Zuver- 
sicht (min  gedinge),  dass  ich  ihn  wieder  bringe,  Gott  gebe,  dass  es 
mir  gelinge.**  — 

Da  seine  Mutter,  Frau  Flörie,  seinen  Ernst  rechte  ersah,  sprach 
sie:  ^Lieber  Sohn,  du  weisst  wohl,  dass  wir  seiner  zwanzig  Jahre  ge- 
harrt haben,  darauf  kannst  du  abnehmen,  dass  er  wiedergekommen 
wäre,  wenn  er  noch  lebte;  ich  kannte  seirie  Treue  wohl,  ganzer  Treue 
war  er  voll.  O  wehe !  dass  ich  ihn  mir  je  zum  Freunde  erkor,  weil  ich 
ihn  verlor  so  wunderlich,  ich  weiss  nicht  wie.  Seines  Gleichen  war  nie 
und  wird  nimmermehr  geboren.  Soll  ich.  ihn  also  verloren  haben,  so 
muss  ich  immer  Jammer  und  Noth  leiden  bis  an  meinen  Tod.  Herre 
Gott,  der  Jungfrau  Kind !  da  Dir  die  Herzen  offen  sind  und  alle  Willen 
aufgethan,  Kaiser,  Herre,  reiner  Christ!  da  Dir  nichts  verborgen  ist 
und  ohne  Dich  nichts  werden  mag,  lass  mich  noch  erleben  den  Tag, 
dass  ich  den  sehe,  den  ich  trage  in  meinem  Herzen  alle  Tage  mi 
Jammer  und  mit  Klage.  "^  An  ihren  Gebärden  zeigte  es  sich  wohl,  d 
ihr  Herr  Gawein  lieb  war  wie  ihr  eigener  Leib.  Sie  bat  den  Söhn  z 
bleiben,  der  aber  sprach :  ^ Wie  soll  mein  Name  erkannt  werden, 
ich  nicht  in  andere  Lande  reite,  wie  mein  Vater  thatt  Lasst  ab  mi 
pieren  Bitten,  ich  will  verdienen  der  Besten  Gruss  und  dass  man  mic 
erkennen  muss  oder  ich  verliere  meinen  Leib,  davon  bringt  mich  Ni 
mand  ab.**  -^  9)Herr  und  lieber  Sohn,  sprach  die  Mutter,  wenn  ich  di 
liicht  erwenden  kann ,  so  nimm  diess  Kleinod ,  behalt  es  bis  an  deiii< 
Tod  ond  sei  sicher  vor  aller  Noth.  Das  ist  ein  Gürtel,  den  mir  dei 
Vater  Hess  als  er  von  mir  ging  und  wieder  kommen  wollte,  auf  meiitoi. 
Seele  befahl  er  mir,  dass  ich  ihn  dir  gebe,  wenn  du  erwachsen  und  v 
hinnen  wolltest.  Bewahre  ihn  aber  so ,  dass  ihn  Niemand  gewahrte 
Heiss  weinend  gab  sie  ihn  dar,  er  küsste  sie  und  neigte  sich  vor  i 
nahm  dann  Urlaub  und  ritt  davon. 

Frau  F16rie  stand  in  grossem  Jammer,  wie  die  thun,  denen 
Herzeleid  geschieht;  ihr  Kummer  verhehlte  sich  nicht  länger«  da  siel 


251 

reiten  sah.  '  Mit  grosser  Klage  sprach  sie:  ^0  weh!  ich  viel  armes 
Weib!  was  soll  mir  Leib  und  Gat?  Jugend  und  Schöne,  öewissen  (Er- 
fahrung) und  alle  Tugend?  Ich  habe  den  theuersten  Mann  verloren,  den 
je  ein  Weib  zum  Fretinde  gewann  und  nun  mein  einzig  Kind!  Herr 
&ott!  da  Dir  alle  Dinge  unterthan  sind  und  ohne  Dich  nichts  bestehen 
kann,  so  befehle  ich  um  Deinen  Tod  heute  in  Deinen  Segen  mein  Kind, 
dass  Du  semer  wolltest  pflegen  auf  dieser  Fahrt;  bes<ihirme  ihn  vor 
grosser  Noth  und  sende  ihn  mir  gesund  wieder.*^  Während  dieser  Klage 
ritt  er  nieder  von  dem  Hause  durch  die  Stadt;  alles  Volk  erbat  ihm 
Heil;  das  schuf  ihm  seine  Trefflichkeit,  denn  er  war  erfahren  und  hilfe- 
bereit, den  Schlichten  schlicht  und  den  Weisen  klug.  *) 

Der  Jüngling  aber  wusste  noch  nicht,  wohin  er  kehren  sollte; 
während  er  in  solchen  Sorgen  ritt,  kam  ihm  auf  dem  Wege  ein  Gar- 
zün  entgegengelaufen,  dessen  Gewand  so  genau  beschrieben  wird,  dass 
die  mittelalterlichen  Costümiers  und  Trachtenjäger  gleichfalls  etwas 
daraus  lernen  könnten,  wollten  sie  überhaupt  solche  Quellen  benützen. 
Er  trug  einen  Schapperun")  aus  FritscHal  gemacht,  mit  rothseidenem 
Zindel  (zendale)  war  er  gefurrieret,  sein  Hut  mit  Blumen  und  Laub 
geziert,  so  lief  er  in  dem  Staube.  Von  rothen  Stoffen  CJ*öten  seites  von 
der  grau)  trug  er  ein  Röoklein,  mit  grossem  Fleisse  geschnüret  (gebri^et), 
iveisse  Schuhe  hatte  er  an  den  Händen,  den  Stab  gebrauchte  er  nach 
Garzunea- Sitte  um  seinen  Lauf  zu  fördern.  Seine  Hosen  waren  gut; 
zwei  geschnürte  Bundschuhe  ,trug  er.  Da  ihm  der  Ritter  nahe  kam, 
zog  er  ehrbar  seinen  Hut;  der  Junker  grüsste  und  fragte,  wessen  Gar- 
zun  er  wäre?  Er  sprach:  ^Des  allerbesten  Herrn,  der  je  ein  Königreich 
hatte,  des  Königs  von  Britanien.  Der  hat  mich  nach  Hispanien  (Ispanje) 
um  Ritter  ausgesendet,  denn  der  König  von  Engelland  hat  ein  Turnei 
angenommen,')  nun  sollen  die  Ritter  vor  sein  Haus  nach  Karidol 
kommen,  da  erwartet  König  Artus  ihrer  dreitausend;  desshalb  bin  ich 
auf  dem  Wege  (durch  daz  hau  ich  mich  uz  erhaben).^  Der  Junker 
sprach:  ^Sage  mir  mehr,  wie  es  an  seinem  Hofe  steht ?^  —  „Herr!  an 
keinem  Hofe  besser,  da. ist  grosse  Ritterschaft  und  Alles  in  Ueberfalle, 
was  man  zu  Freuden  gehrt.    Kommt  Ihr  dahin,  so  werdet  ihr  gewährt. 


*)  er  was  gewizzen  unde  guot 

den  tumpen  lump,  den  w!<en  fruot.   (Ausgabe  von  PreifTer.  40,  26.) 

')  Der  Schappet-un  (scbaprDn)  ist  ein  kleiner  Mantel  fnit*  einer  Kapufze;  Fri- 
Iscbal  (frilschdle)  eiti  kostbarer  tbeuerer  StoflT,  der  serner  gelben  rarbe  wegen 
beliebt  war  und  meist  aus.  Gent  kam.  • 

*)  D.  h.  eine  Heerfabrt  geröstet.  Die  Kriege  zwiscben  Artus  und  den  Sacbsen 
sind  wohl  als  bistoristische  Wahrheit  anzunehmen,  sowie  auch, ^,  dass  > die 
stammverwandten  Völkerschaften  auf  dem  festen  Lande  den  Britten  ge^en 
ihre  Feinde,  die  Sachsen,  beistunden.  B  e  n  e  ck  e  S.  446. 


_M__ 

was  Ihr  nur  ersinneD  mögt.  Zweifelt  nicht  daran,  denn  ich  weiss  es 
wohl.^  Der  Junker  liess  sich  den  Weg  weisen  und  kam  am  nennten 
Tage  an.  Er  ritt  in  den  Hof  von  Karidol.  Da  sah  er  bei  einer  Linde, 
(die  man  so  gerne  in  den  Burgen  pflegte)  einen  breiten,  vierkantigen 
Stein  liegen,  rothe  und  gelbe  Striemen  durchzogen  ihn,  der  andere  Theil 
war  blau  und  lauter  wie  Spiegelglas.  So  grosse  Tugend  war  an  dem 
Steine,  dass  kein  falscher  Mann  die  Hand  daran  bringen  konnte.  Der 
Gast  aber  ritt  zu  der  Linde,  haftete  sein  Pferd  an  einen  Ast  und  setzte 
sich  mitten  auf  den  Stein '  -^  sein  Herze  war.  ohne  Falsch  und  Bosheit. 
Wer  je  Untugend  begangen,  vermochte  dem  Steine  nicht  auf  Klafter- 
länge  zu  nahen,  sie  fanden  Alle  Widerstand,  so  sie  sich  ihm  nähern 
wollten.  Noch  nie  war  es  geschehen,  dass  Jemand  demselben  näher 
gekommen  wäre,  ausser  allein  der  König,  der  ohne  Wandel  war,  selbst 
Gawein  kam  nicht  weiter  daran,  ab  mit  der  Hand,  denn  er  hatte  es 
verwirkt ,  als  er  einst  eine  edle  Magd  wider  ihren  Willen  zum  Weinen 
und  Schreien  brachte.')  Solche  Ungeschlachtheit  hatte  er  von  seiner 
Kindheit  an  bis  zu  seinem  Tode  nimmer  begangen  und  doch  konnte  er 
nicht  an  den  Steiil. 

Da  man  den  Knappen  auf  dem  Steine  sah,  gab*s  freilich  eine 
Aventiure  für  den  König  Artus  zu  melden,  augenblicklich  sprang  ein 
Ritter  zum  König  und  die  Ritter  eilten ,  das  unerhörte  Ereigniss  (ge- 
schichte)  zu  sehen.  Auch  die  Frauen  kamen  neugierig  herzu.  ,.Der 
ist  es  werth,  dass  wir  ihn  empfangen,  sprach  der  König,  was  er  von 
mir  verlangt,  das  ist  ihm  gewährt  und  will  er  bei  mir  bleiben,  so  be- 
halte ich  ihn  nach  seinem  Rechte. "  —  Dem  Jungherren  aber  war  es 
unbekannt,  wie  es  mit  dem  Steine  beschaffen  war.  Als  er  den  König 
kommen  sah,  erhob  ix  sich  mit  edler  Geberde;*)  Artus  hiess  ihn  will- 
kommen, ebenso  die  Königin  und  die  gan2e  Massenie,  denn  sie  fonden 
an  ihm  nur  Liebes  und  Gutes.  Auf  die  Frage  des  Königs,  wohin  er 
wolle  oder  wer  er  wäre,  erwiederte  er:  ^Gwi  von  Gälois  ist  mein  Name,.«^  ^i 
das  Land  ist  beschlossen  (unzugänglich)  aus  d^m  ich  stamme,  Ench^r^ 
habe  ich  zum  Herrn  erkoren,  wenn  Ihr  mich  zu  behalten  geruhet;  miLV  ^ 
meinem' Dienste  wollte  ich  erwerben,  wa;5  ich  verlange,  ob  ich  der  Ehrei*"^^ 
werth  wäre  hier.  Ritter  zu  werden.  ^ Aller  Freuden  Ueberkraft  habe  i 


•)  Vielleicht  auf  die  im  Parcival  (407,  2  ff.)  erwähnte  Avenl iure  anspielend,  di**-     f 
IM  SchnrnpfenKon  sich  ereignet.  —  Gawans  Leben'  ist  aber  nach  dem  Paniv^^^' 
ein  anderes,    denn  bekanntlich  heirathele  e^  dort  bald  darauf  die  schöne  ^ 
Orgeluse. 

'')  sin  gebaerde  diu  was  saeleclich:  « 

die  hende  habet  er  für  sich 
vil  harte  gezogonllcbe. 


in  kaner  Zeit  an  Euerem  Hofe  gefunden.^  Der  König  gewährte  ihm 
die  Bitte  und  beikhl  ihn  an  Herrn  Gawein;  die  Beiden  aber  erkannten 

m 

sich  nicht.')  Herr  Gawein  unterwand  sich  mit  seiner  Lehre  des  Knaben, 
dess  gewann  er  Froitimen  und  Ehre :  den  Besten  war  er  underthaq,  ab- 
wies er  stets  den  falschen  Mann,  keinen  Guten  er  zum  Feind  gewann. 
Dem  König  ward  er  ^ heimlich^  und  diente  ihm  täglich  auf*s  beste: 
denen  von  der  Tafelrunde  war  er  Allen  viel  bereit,  zu  Turnieren  ritt 
er  mit  ihnen  und  wo  man  Mannheit  beging ,  da  versäumte  er  sich  nie, 
sondern  war  der  vorderste  ah  der  Schaar ,  dass  Alle  ihn  wahrnahmen. 
Seine  Mannheit  war  wirklich  gross,  dazu  genoss  er  das  GIfick,  dass 
ihm  viel  selten  raisseging,  denn  er  haltte  Gott  immer  vor  Augen,  der 
die  Seinen  nie  verlässt.  Als  der  König  seine  grosse  Tüchtigkeit  erfuhr, 
freute  er  sich  Verwundert  und  gebot  ein  grosses  Fest  Chdchztt)  da  der 
Knappe  das  Schwert  nahm.  Er  war  der  Ritterschaft  wohl  werth,  die 
empfing  er  auch  mit  Freuden  da.  Die  Königin  sandte  ihm  dazu  sechs 
Ritterkleider  von  Scharlach  und  Pfeile.  Herr  Gawein  gab  ihm  ein  gutes 
Streitross, ')  der  König  Viess  ihm-  zwölf  Knappen.  Am  Pfingsttage  nahm 
der  Knappe  das  Schwert  in  der  Messe,  die  Pfaffen  gaben  ihm  den 
Segen,  dann  görtete  sich  der  Degen  ein  Schwert  um,  wie  nie  ein  Mapn 
ein  besseres  gewann ,  das  ihm  seither  aus  grosser  Noth  half  und  dal 
er  bis  an  seinen  Tod  behielt,  das  hatte  er  auch  von  Gawein  er- 
halten. Der  milde  König  selbst  reichte  ihm  den  Schild  und  einen 
Schaft.  Darauf  hub  sich  grosse  Ritterschaft  und  schönes  Buhurdieren 
mit  reichen  Bannern  an.  So  ward  Herr  Wigalois  ein  Mann  mit  Ritter- 
schaft auf  dem  Plan,  der  König  hatte  an  ihm  wohlgethan. 

r 

Nach  dem  Buhurd  erhub  sich  grosser  Schall  von  allerlei  Saiten- 
spiel. Flöten  un4  Tamburen  tönten  wider  einander;  der  milde  König 
föhrte  den  werthen  Junker  zur  Tafelrunde  und  gab  ihm  nun  der  Tafler 
Recht  und  iStat,  wie  ihn  die  Massenie  gebeten  hatte;  auch  gab  er  ihm 
neuerdings  zum  Gesellen  den  allertherfersten  Ritter  —  Herrn  Gawein. 
Den  Spielleuten  gab  man  da  Pferde,  Silber  und  Gewand,  alle  wurden 
reich  von  den  Gaben,  lobten  den  Ritter  und  die  Hochzeit  und  spielten 
um  die  Wette  vor  der  Tafelrunde,  man  gab  ihnen  aHen  Wirthschafl 
und  was  sie  brauchten  in  Fülle.  Das  dauerte  14  Tage  nach  Pfingsten, 
da  nahmen  die  .Gäste  endlich  Urlaub.     König  Artus   Hess  aber  vorher 


*)  Die  schöne  Stelle  lautet  $  45,  13—16:  ,,d6  Was  ander  in  zwein  diu  gröze 
triuwe  unbekant,  die  kint  ie  ze  vater  vant :  ir  deweder  erkant  den  andern  dl.^ 

>)  Vgl.  Pfeiffer  Das  Boss  im  Alldeutschen.  1855.  S.  3. \,rav1t^  =  Streitross. 
Das  9,pferl^  ist  meist  den  Frauen  eigen,  das  ^ors^  (faros,  ros,  ors)  ist  des 
Rittere  Sitreitross;  doch  blH  fast  keiner  der  mhd.  Dichter,  Wolfram  vielleicht 
ausgenommen,  diesen  Unterschied  fest. 


^_ 

ia.seioen  Saal  (mupshüs)')  allerlei  ^angeschröte^  Pfeile^)  bringen  und 
maDches  Stuck  Sammt,  roth,  gr&n,  häormin  und  bunt,  dazu  gab  er 
manches  Pfund  den  Gästen  und  schöne  Rosse.  Es  war  eine  Hochzeit, 
dass  Alle  froh  wurden.  ' 

Nun  ereignete  sich  bei  der  nächsteo,  Sonnenwende,  als  der 
König  noch  bei  Tische  saas,  dass  eine  reiche  Magd  mit  einem  Zwerg- 
lein hofelich  auf  einem  blanken  Pferde  in  den  Saal  ritt,  wo  die  Ritter 
noch  bei  Essen  und  Trinken  sassen.  Das  Gezwerge  bub  ein  Lied  so 
wonniglich  an,  dass  Alle  ihrer  selbst  vergassen;  es  stund  hinter  ihr 
auf  dem  Pferd  und  legte  der  Jungfrau  beide  Hände  auf  die  Achseln. 
Diese  hatte  ein  scharlachen  Kappen ')  an,  auch  war  sie  so  wohlgethan, 
dass  Alle  sie  lobten;  ihr  Haupt  war  ungebunden,  ihre  Zöpfe  wob)  mit 
Golde  bewunden ;  Schleier  (slahte)  oder  Gebftnde  trug  sie  nicht. 

Sie  ist  yon  ihrer  Herrin  abgesendet,  von  der  berühmten  Tafel- 
runde einen  tapferen  Ritter  zu  einem' unerhörten  Abenteuer  zu  erbitten. 
Sogleich  trat  Wigalois  vor  und  verlangte  dazu  Urlaub,  der  ihm  auch 
nach  einigem  Widerstreben  bewilligt  wird,  die  Jungfrau  wurde  über  den 
Ritter  aber  so' zornige  dass  sie  schweigend  von  dannen  ritt,  denn  sie 
flirditete,  dass  seine  Kindheit  so  grosser  Arbeit  nicht  gewachsen  wäre. 
Indeas  brachten  ihm  die  Knappen  Ross,  Harnisch  und  Speer,  auch 
einen  schönen,  kohlschwarzen  Schild,  in  dessen  Mitte  ein  goldenes  Rad 
erhaben  war,  auch  trug  er  ein  gleiohes,  wie  er  bei  seinem  Ohm  in  dem 
Saale  gesehen  hatte,  auf  seinem  Helme,  ein  reiches  Banner  ward  ihm 
an  den  Speer  gebunden.  Die  Königin  sandte  ihm  einen  golddurcfa* 
schlagenen  Waffenrock,'  Gawein  gibt  ihm  herzlichen  Abschied  mit  guten 
Rathschlägen.  So  ritt  er  der  Jungfrau  nach,  die  ihn  aber,  selbst  auf 
die  Fürbitten  des  Zwergleins  hin,  noch  nicht  besser  behandelt,  denn  ihr 
wäre  Herr  Gawein  lieber  gewesen. 

Zuerst  führt  sie  ihn  zu  einem  Ritter,  der  mit- gar  wunderlicher 
Sitte  Gäste  empfangt,  jeder  muss  vorerst  mit  dem  Wirth  auf  dem  Felde 
streiten,  überwindet  der  Gast  den  Burgherrn,  dann  hat  der  Fremde  die 
beste  Aufnahme;  sticht  ihn  aber  der  Wirth  nieder,  so  muss  der  Gast 
nakt  und  bloss  ohne  seine  Habseligkeiten  scheiden.  Das  Haus  war  so 
nahe,  dass  man  von  ihm  aus  den  Gast  reiten  sehen  konnte,  da  wartete^^ 
der  Wirth   nicht  länger,    Hess    sich  seinen  Harnisch   bringen  und    seil 


')  «^muoshas^  ein  grosser,    gewöhnlich  ein  besonderes  Gebäude  ausoiachendei 
Saal  zum  Speisen  und  anderen  grossen  Versammlungen. 

')  schroten  (geschröten)  =  zuschneiden. 

')  Die  ^kappe^  ist  ein  weites  (Jebergewand  mit  Aermeln,  besonders  aurBetseitf^ 
von  Frauen  getragen.    Vgl.  Benecke  S.  629.  Weinbold  S.  449  n.  ol 
Parcival  669,  5. 


255 


A  mit  eitler  ^gröpiere*'  bedeckt  war,  ')  sprang  darauf  und  die 
liefen  mit  Schild  und  Speer  nach  aus  dem  Barggraben,  sie 
schon  Alle  reich  zvi  werden.  Der  Gast  band  den  Helm  auf, 
sich  voQ  der  Strasse  gegen  de»  Wirth  und  ^liezen  zuo  einan* 
swaz  diu  ros  mohten  gevam^;  der  Junge  stach  seinen  Speer, 
anderthalb  Klafter  lang  den  Gegner  durchdrang;  als  er  fiel, 
i  sein  Gresinde;  die  Jungfrau  aber  trachtete  mit  dem  Ritter 
1  kommen.  Einem  Wasser  folgend  hörten  sie  eine  Nachtegal 
md  gelangten  in  einen  Wald.  Dort  schuf  das  Gezwerge  der 
G«maoh,  indem  er  grünes  Xaub  sammelte  und  ihr  auf  das 
;tete.  Nach  einer  Weile  erklang  eine  klägliche  Stimme ,  als 
einer  den  Tod.  Wigalois  beschloss  dem  Schalle  nachzureiten, 
t  was  wol  halbiu  hin  uud  schein  der  mane  gegen  dem  tage.^ 
war  raub  und  enge,  durch  Domen  und  Gedränge  fuhr  er  wohl 
le;  da  sah  er  zwei  starke  Riesen  bei  einem  Feuer  sitzen,  die 
ne  Frau  entfährt  und  wollten  ihren  Willen  mit  ihr  haben,  der 
te  sie  mit  beiden  Armen  an  sich  «gedrückt;  sie  jammerte  und 
rosse  Klage.  Sie  war  aus  Artus*  Hause  zu  Karidol  geraubt, 
[  Ritter  wussten  dort  nicht ,  wohin  sich  die  Riesen  gewendet 
ler  ganze  Hof  trauerte  darob.  —  Das  Ungemach  der  Jungfrau 
I  Ritter  an's  Herz.*)  — 


(1  ouch  dehein  biderbe  man 
;erne  übersehen 
;in  schade  mac  geschehen 
I  reinem  wibe 
les  mit  sinem  übe: 
nin  Site  und  ouch  min  r^t. 
z  diu  werlde  fröude  hat 
:  uns  von  den  wiben.  • 
te  wir  vertriben 
m  naht  und  unser  leit 
it  ir  saelekheit? 
lüde  waere  enwiht 
3  wir  der  wibe  niht. 
:  ir  genaedic  wesen! 
hten  an  si  niht  genesen.— 
.hte  der  nter  guot: 
was  ie  vil  wol  gemuot, 
)iderbe  gerne  tuot. 


Es  soll  auch  keio  biderber  Mann 
Jemals  mit  Willen  meiden, 
Wo  irgend  Schaden  und  Leiden 
Einem  reinen  Weibe  geschehen. 
Mit  aller  Kraft  ihr  beizustehen. 
Das  ist  meine  Sitte  und  mein  Rath. 
Denn  was  die  Welt  an  Freuden  hat 
Das  kommt  uns  von  den  Weihen. 
Wie  sollten  wir  vertreiben 
Die  langen  Nacht'  und  unser  Leid 
Als  durch  ihre  Lieblichkeit? 
Ja,  ohne  Weiber  in  der  Welt 
War'  unsre  Freude  sclilecht  bestellt! 
Gott  woU'  ihnen  allzeit  gnädig  sein, 
Nie  möchten  wir  ohne  sie  gedeih'n. 
Das  bedachte  der  Ritter  gut. 
Denn  er  trug  stets  gerechten  Muth 
Wie  allzeit  der  Biderbe  thUt 


erc,  croiipi^re,  die  Decke  über  das  Pferd,  auch  der  Schwanzriemen  am 
.   Pfeiffer  S.  21,  48. 

ffer  S.  57,  27  ff. 


Er  nahm  sein  Ross ,  Brkor  einen  Riesen ,  der  am  Feuer  gass  und 
stach  ihm  den  Speer  durch*s  Herze,  der  Andere  zerrte  sich  einen  grosseü 
Ast  von  einem  Baame,  so  kamen  sie  hart  an  einander;  der  Riese  trieb 
den  Ritter  damit  in  ein  dickes  Hag,  es  gab  Schläge  aaf  beiden  Seiten; 
der  Riese  empfing  der  Wanden  Tiel,  so  trieben  sie  des  Todes  Spiel 
bis  der  Tag  aufging,  da  erhielt  der  Riese  eine  Wunde,  die  ihm  seine 
Kraft  benahm.  Dess  ward  der  Ritter  siegehaft,  in  seine  Gewalt  mussl6 
er  sich  geben,  dass  er  ihm  das  Leben  lasse,  darüber  schwur  er  einen 
Eid  die  Magd  ohne  Leid  dem  König  Artus  nach  Karidol  wieder  io*s 
Haus  zu  bringen  und  dort  zu  bleiben,  bis  er  nachkomme. 

Zu  den  Zeiten  war  es  noch  Sitte,  dass,  wer  einen  Eid  brach,  von 
der  Welt  wie  ein  todsiecher  und  aussätziger  Mann  geflohen  ward ;  man 
musste  seine  Bürgschaft,  sei  ^  Einem  nun  lieb  oder  leid,  halten  oder 
an  Ehren  todt  liegen,  „des  waere  ouch  noch  der  werlde  u6t!^  —  Die 
reine  Magd  hatte  sich  verweint  und  zerklagt,  dass  sie  kaUm  noch  leben 
mochte,  doch  ward  ihr  der  Trost  der  Heimreise;  den  Todten  Hessen 
sie  liegen;  der  Riese  beklagte  ohne  massen  seines  lieben  Gesellen 
Tod;  endlich  nahm  der  Riese  Urlaub  und  fuhr  mit  der  Jungfrau 
nach  Britanien ,  wo  an  Artus  Hofe  die  Massenie  gar  froh  wurde  und 
dem  Ritter,  es  treu  gedachten.  —  Wigalois  aber  folgte  weiter  semer 
immer  noch  zornigen  Führerin,  was  er  auch  Mannheit  beging,  sie  wollte 
selbe  nie  preisen;  er  bat.  die  Frau,  auch  diesen  Tsg  mit  ihr  reiten 
zu  dürfen,  denn  er  pflog  solche  Zucht  und  Demuth,  dass  er  nie  wider 
ihren  Willen  zu  einem  Werke  schritt ,  ehe  er  die  Erlaubniss  dazu  von 
ihr  erbeten.  Auch  unterstüzte  ihn  das  Gezwerge.  Nun  lief  gerade  ein 
Hündlein  (bräkelin)  ahnen  in  den  Weg,  wie  es  kaum  ein  schöneres 
gab,  es  glänzte  überall,  ein  Ohr  daran  war  fahl ,  das  andere  blutroth. 
Dess  freute  sich  die  Magd,  der  Ritter  fing  es  ihr  zu  Gefallen  und  legte 
es  auf  ihr  Kleid.  Das  war  nach  mitteifa  Morgen.  Während  sie  sorglos 
einem<  finsteren  Tann  entgegenritten,  kam  ein  grosser  Mann  daraus 
hervor,  kohlschwarzhaarig  und  jede  Locke  mit  Seide  und  Gold  bewun- 
den; sein  Rock  war  schwarz,  yon  Blumen  fQhrte  et  einen  Hut,  in  grünep 
Tymit')  war  er  gekleidet;  einen  mit  Riemen  wohl  bewundenen  Knüttel 
trug  er  an  der  Hand;  ich  wähne,  er  war  mit  Hunden  in  den  Wald 
geritten.  Zornig  fuhr  er  die  Jungfrau  an,  als  er  sein  „hundelin^  ersah; 
er  befahl  dem  Ritter  den  Hund  niederzulassen  und  drohte,  ihm  den 
Leib  ungesund  zu  machen.  ^Die  Rede  ziemte  besser  einem  Weibe, 
versetzt  Wigalois,  ich  wähne,  er  ist  gar  nicht  Euer,  und  wir  geben  ihn 


0  ^tymü^  eil  Seidenstoff,  im  Tristaa  wird  ein  solcher  von  brauner  Farbe  ge- 
nannt. Vgl.  Weinhold  S.  425. 


257 

Be  Rede  and  Drohen  nicht ^  Da  kehrte  der  Herr  zornig,  ^swaz 
s  mohte  gevam^  über  das  breite  Feld  and  kam  bald  wieder 
lat  nachgalopiert  (gewälopieret).  Sein  Helm  war  mit  einem 
n  von  Härmin  geziert,  Schnabel  and  Füsse  golden,  ebendasselbe 
m  (wäfen)  fährte  er.  Der  }ui{ge  Ritter  bemerkte  sein  Kommen, 
rdasRoss  fester,  sass  gleich  wieder  aaf,  nahm  es  mit  den  Sporen' 
im  mit  solcher  Kraft  an,  dass  er  ihn  mit  dem,  Speere  durchstach, 
shaflb  des  Gegners  aber  zerbrach,  so  dass  Wigalois  gar  keinen 
m  nahm.  Befreit  war  das  ^hundelin  von  der  justiure/  ^Die 
n  waren  da  noch  sielten ,  drum  blieb  er  auf  dem  Felde  liegen^ 
ler  Dichter  mit  einem  Wolfram'schen  Witz.  Der  Ritter  heftete 
bOss  an  einen  Dorn;  das  war*  in  diesen  Zeiten  verloren  gewesen, 
ebten  nur  Wenige,  die  ^s  nicht  mitnähmen;    auch  den  Harnisch 

man  heute  und  dazu  alle  seine  Habe.  Das  war  damals  gegen 
tte,  wer  das  gethan,  hätte  seine  Ehre  verloren  und  nimmer  zu 
schalt  kommen  dürfen.  Würde  das  heute  noch  gelten,  so  bliebe 
;ht  stete  alles  ritterliche  Recht.  Wer  nun  kaum  Knecht  ist,  will 
Jtter  spielen,  da  müssen  die  Werthen  der  Bösen  entgelten ;  drum 
man  jetzt  kaum  andere  als  böse  Gesellen.  Gott  müsse  diejenigen 
,  welche  dem  Schwert  geben,  der  das  ritterliche  Leben  nicht 
kann  und  der  von  seinem  Geschlecht  (künne)  nicht  dazu  geboren 
^as  alte  Recht  haben  wir  verloren,  das  war  ehedem  gut,  so  sagt 
mit  Falsch  und  Bosheit  ist  es  nun  leider  niedergelegt.   --    Welch 

Klagen  in  dieser  Zeit! 

Us  er  den  Sieg  nahm,  wie  es  Helden  geziemt,  da  ritt  die  gute 
mit  ihrer  Gesellschaft  über  Berg  und  Thal ,  wo  mannig  Stimme 
e.  Hier  sahen  sie  eine  Jungfrau  ganz  alleitie  reiten.  Damals  war 
5h  gewöhnlich,  dass  eine  Jungfrau,  sie  wäre  arm  oder  reich,  un- 
)lten  und  ohne  Leides  zu  gewärtigen,  reiten  konnte,*  wohin  sie 
.  Das  war  Sitte,  wo  man  eine  reiten  sah,  dass  ihr  Niemand 
s  nachsprach;  nun  ist  die  Welt  lügenhaft  und  Leute  und  Land 
Zacht  Wäre  Eine  auch  noch  so  unbescholten,  so  gibt  es  doch 
hte  Leute,  die  ihr  Etwas  anhingen.')  Jetzt  mag  eine  Frau  keinen 
:t  aas  ihrem  Hause  thun,  so  reden  sie  ihr  übel  nach,  wie  ich 
fahren.  Man  gafft  die  Falschen  an;  wer  die  Leute  verspotten 
dem  lächeln  wir  zu.   Weiss  Gott,  wir  thätep  besser,  sie  immer- 


line  shaben  ir  doch  ein  kläpfelln  mit  worten  und  mit  vlre:^  Klapf  bedeutet 
Bn  Si'hiill ,  der  vom  Srblage  herrührt  (Klapp ,  Klatsch)  und  daher  ßgürlich 
BD  kleines  Schlag  oder  Stoss,  den  man  der  Ehre  einer  Frau  beibringt.  — 
eher  das  Reiaen  der  deutschen  Frauen  vgl.  W.einhold  S.  395. 

IT 


258 

dar  zu  flieheD.  Wer  immer  böse  Maerie  säet  von  den  gnten  Weiben, 
der  möge  freudelos  und  jammervoll  sein  bis  an  sein  Ende,  ^wan  si 
sint  äne  wende  der  werlde  ein  vi!  süezez  spil,  got.gebe  in  saelde  and 
fröuden  vil!  des  ich  in  iemer  wünschen  wil." 

Wie  schon  gesagt,  so  ritt  die  Magd  allein  mit  grosser  Klage.  Ihr 
Pferd  war  gut,  bis  auf  die  Knie  reichte  seine  blutrothe  Mähne.  Ihr 
Reitzeug  war  von  Gold  und  Gesteine,  ihr  Rock  von  Pliat,')  von  rothem 
Siglat  hatte  sie  eine  Kappe  an ,  ihr  schwanenweisser  Mantel  war  mit 
Pelz  gefurrieret  und  mit  Zobel  geziert,  ihre  geflochtenen  Zöpfe  .goltvar 
uüde  reit"  reichten  bis  auf  den  Sattel,  dai-auf  hatte  sie  einen  Hut, 
breit  und  mit  Pfauenfedern  aufgeputzt.  Ihr  Herze  war  Jammers  voll, 
sie  klagte,  weinte  und  schrie  jämmerlich. 

Wigalois  wollte  sich  mit  seiner.  {Gefährtin,  die  ihm  inuner  noch  nicht 
zutraute,  dass  er  die  ungeheuere  Aventiure  bestehen  könne,  berathen,  ob 
er  die  Jungfrau  anreden  solle,  sie  aber  bemerkte  ihm  kurz,  er  könne  nach  ^ 

seinem  Belieben  thun.   Da  Hess  er  sein  Rösslein  in  Sprüngen  zu  der  Maid         A 
gehen,  die  unvergleichlich  schön  war,  selbst  ein  Thor  hätte  darauf  ge-        — 
schworen,  dass  sie  von  königlicher  Abkunfl  (küneges  künne).   An  ihrer      — a* 
reichen  Watt  zeigte  sich,  dass  sie  mit  Armuth  nichts  zu  thun  hatte.    Viel     M^\ 
gezogentliche  fragt'  er  nach  ihrem  Kummer.  „Ich  sah  schon  \iele  Ritter,    ,«^-, 
versetzt  sie  darauf,  denen  mein  Leid  zu  Herzen  ging,  die  es  mir  aber 
doch  nicht  zu  erwenden  vermochten.. Beiläufig  drei  Meilen  von  hier,  trefft- 
ihr  viele  Ritter,  die  dort  (ich  weiss  nicht,  ob  ihr  davon  wisst)  jeglichei 
mit  seiner  Freundin  zusammengekommen   sind.     Der  König  von  lrlan< 
hatte  nämlich  das  schönste  Pferd,  das  ich  je  sah,  dahin  geschickt  un< 
einen  redekundigen  Papagei    (sitech,  der  wol  sprach  swaz  er  sprechei 
wokle) ,  dieser  jsass  in  einem  goldenen  Hause ,    das  mehr   als 
Pfund  kostete.     Das  Werk  war  fein  und  nfeist^rlich  gemacht  und  hin[ 
am  SattelUbgen.     Ihr  meint  wohl,   ich  sage  zu  viel,   aber  es  ist  doclrÄ'-b 
wahr.     Die  Sattelbogen  waren  von  weissem  Helfenbein,   mit  Gold  unc^-^^ 
Gesteine  gefüllt.     Das  Pferd  hatte  einen  goldenen  Zaum,  was  die  Büge^ — ^^' 
sollten  «ein ,    das  waren  goldene  mit  grossem  Fleisse  gewirkte  Borten 
die  Knöpfe  waren  aus  weissen  Perlen  gemacht.     Das  Pferd  selbst 
weiss  wie  ein  Schwan,  sein  linkes  Ohr  aber  und  dieM&hne  zinoberfart=^f 
das   rechte  Ohr  schwarz    wie  Kohle;    ein   schwarzer  Streif  lief 
Rücken  hinab  bis  auf  den  Schweif  (zagel)  der  war  fahl,  lang  and  breL 


*)  ,)pllAt^  ein  kostbarer  SeidenslofT.  Ein  überaus  herrlicher,  in  der  grossen  IniSi^ 
von  einem  Zwerge  mit  Zauberkünsten  gewebter  Fliat^    ans  dem   der  Ro^A 
und  Monlel  der  Helena  verfertifft  war,  wird  von  Konrad  von  Winbury  iai* 
Trojan.  Krieg  besehrieben.  -^  Oeber  ,^iglAt'*  vgl.  oben  S.  246.  Anm.  3. 


259 

«  

Das  zog  man  unter  die  Franen,  die  in  einen  Ring  stehen  mussten,  dahin 
hiess  mafi  die  Ritter  gehen  und  die  Frauen  betrachten,  welche  für  die 
Schönste  erklärt  wurde,  die  sollte  das  Pferd  haben,  desshalb  hatte  der 
König  von  Irland  selbes  dahin  geschickt.  Als  sie  sich  nun  umgesehen 
hatten,  erklärten  sie  mich  als  die  Schönste  unter  ihnen  und  mir  gebühre 
der  Gewinn.  Das  freute  mich.  Man  überantwortete  mir  das  Pferd, 
den  Sitech  und  was  darauf  lag,  «nebst  einem  alten  Zwerge,  der  es  pflag. 
Wie  ich  das  nun  zu  mir  nahm,  kam  ein  grosser  rother  Ritter,  der  das 
^böne  Pferd  mir  verbot,  es  mit  Gewalt  nahm  und  seiner  Freundin 
gab.  Das  war  allen  Rittern  leid;  er  aber  pfiag  solcher  Mannheit,  dass 
ihn  Niemand  zu  bestehen  wagte,  so  zog  er  es  unbestritten  fort  und  ich 
ritt  von  hinnen ;  das  ist  mein  Klage  und  thut  mir  weh.  Der  Sitech 
schrie  jämmerlich  wie  mit  Menschenverstand ,  als  er  vermerkte ,  dass 
ihn  der  rothe  Ritter  nahm,  den  schalt  er  und  war  ihm  gram,  er 
klagte  um  mich,  das  hörte  ich  wohl.  Die  Ritter  aber  bleiben  noch 
l)is  morgen  zusammen,  dann  scheiden  sie  sich.  Herre  Gott,  mit  Deiner 
Kraft  richte  mir  nun  mein  Leid!  (sprach  die  Magd)  das  sei  Dir  gesagt, 
weil  Jeder  seine  Noth  Dir  klagt.  ^ 

Wigalois  will  trotz  dem  Abnuihnen  der  Jungfrau^  die  seiner  Jugend 
wegen  für  ihn  furchtet,  den  Ritter  bestehen,  er  fragt  nach  der  Richtung 
des  Weges  und  nun  reiten  alle  Drei,  das  Zwerglein ^  die  Magd  und 
der  Mann.  Mit  mancher  guter  Maere  vertrieb  er  ihr-  den  Gram  und 
kürzte  die  Stunden ;  so  kamen  sie  nahe,  dass  sie  den  Schall  der  Ritter 
vernahmen.  Im  Gefielde  waren  überall  Gezelte  (pavelüne)  aufgeschla- 
gen, hier  sah  man  schöne  Waffen  tragen,  dort  turpierten  Einige.  Andere 
schermten , ')  sie  sahen  buhurdieren ,  die  Knappen  justieren ,  tanzen, 
singen ,  schiessen  und  springen ;  aller  Arten  Ritterspiel  gab  es  da  in 
Fülle  mit  lustigem  Lagerleben. 

Wigalois  Hess  sich  von  der  Jungfrau  weisen,  wo  der  rothe  Ritter 
1^.  Mit  Freuden  that  sie  es  und  sprach:  ^Seht  hin!  da  steht  ein 
schönes  Gezelt  von  roth  und  blauem  Sammt  und  prächtig  mit  Gold 
geziert.  Der  Ritter  ist  reich,  wie  man  an  seiner  Habe  sieht.  Was 
ich  von  ihm  Leides  habe,  das  ändere  der  liebe  Gott!  Nahe  bei  ihm 
steht  meiner  Niftel  Zelt,  die  ist  des  Königs  Tochter  von  Persia;  bei 
ihr  war  ich,  bei  ihr  wollen  wir  bleiben,  die  kann  uns  mit  Freuden  die 
Zeit  vertreiben,    denn  das  versteht  sie  und  macht  sich  den  Leuten  be- 


*)  ..srhermen^  schirmen,  einen  Angriff  abwehren,  im  Fechten  die  Hiebe  des 
Gegners  mit  dem  Schilde  auffangen^  sich  in  dieser  Kunsl  üben.  —  f.ju8lierea^ 
für  Ijoslieren. 


260 

I 

lieht.  Sie  sieht  uns  gerne,  das  weiss  ich  wohl,  denn  ihr  Herz  ist 
Allen  willfährig.^  Freudig  ritten  sie  über  den  Plan,  an  schönen  Zelten 
vorüber,  die  Kunde  erhob  sich,  dass  die  Jungfrau  gekommen,  die  wider- 
rechtlich ihr  Pferd  verloren,  auch,  wesshalb  der  Ritter  dabei  sei;  überall 
liefen  die  Leute  herzu,  sie  zu  schauen.  Das  persische  Königstöchterlein 
aber  sass  in  ihrem  Gezelt  und  Hess  sich  von  einer  schönen  Magd  aus 
einem  Buche  die  Maere  vorlesen,  wie  Troja  zerstört  war,  Aeoeas  sich 
von  dannen  stahl,  wie  ihn  Frau  Dido  empfing  und  weiter,  wie  Euch 
oft  schon  gesagt  ist.  Indessen  kam  ihre  Niftel  an ,  da  las  man  nicht 
weiter  (daz  maere  man  do  beliben  lie);  ihr  Empfang  war  herzlich.  Der 
Ritter  wurde  bewundert,  der  sich  so  mannhaft  unterwanden.  Die  Frauen 
banden  ihm  alle  Riemen  auf,  er  schüttelte  sein.  Eisengewand  und  den 
Schild  auf  das  Gras.  Auch  bereitete  man  ihm  nach  seinem  Willen 
schnell  ein  Bad,')  auch  schöne  Kleider  von  Pfeile  und  Rosate')  gab 
man  ihm,  denn  die  Frauen  waren  wohlberathen  aus  ihrem  Lande  ge- 
fahren, kannten  keinen  Mangel  und  ihre  Milde  war  ohne  Schande. 

Sobald  Wigalois' gekleidet  war,  sass  er  auf  und  ritt  wo  er  den 
rothen  Ritter  fand ;  die  Magd,  welcher  da$  Unrecht  geschehen  war,  hielt 
er  an  der  Hand ,  beide  traten  vor  ihn  in  .sein  Gezelt,  wo  er  voniehm 
auf  einem  reichen  Polster  (kulter)  in  ^siner  ämien  schoze^  lag.  Der 
Sitech  aber  stand  vor  ihm  und  sprach  als  er  die  Jungfrau  sah:  ^Will- 
kommen, liebe  Frau  mein  !  ich  sollte  rechtlich  Euch  gehören,  mit  Gewalt 
bin  ich  Euch  benommen,  wie  das  gekommen,  das  richte  Gott,  denn  er 
stand  immer  zum  Rechten.*^  Das  gab  dem  Ritter  frischen  Muth  und 
Trost  war  stets  in  Nöthen  gut;  wie  mannhaft  auch  ein  Herze  sei  und 
hat  es  nicht  guten  Trost,  es  verzagt  doch  vielleicht.  Wer  aber  seinen 
Kummer  Einem  klagt,  der  ihm  nie  Gutes  gönnte  oder  ihn  nicht  getrö- 
sten kann,  der  dünkt  mir  kein  weiser  Mann.  —  Sie  pflogen  scharfe 
Wechselrede.  Der  Ritter  trug  rothen  Bart  und  feuerfarbnes  Haar; 
dazu  bemerkt  der  Dichter  gegen  einen  damals  schon  verbreiteten  und 
heute  noch  umgehenden  Aberglauben*): 


')  Das  Baden  war  im  Miltelaller  so  beliebt^  dass  es  selbst  im  offenen  Lager- 
leben nicht  eiilbebrt  werden  konnte  und  alle  Anstalten  dazu  innmer  bereit 
waren;  vgl.  oben  S.  33  bei  Heinrich  von  Kempten  und  spfiter  unter 
Tanhauser. 

')  ^rösdt^  kostbarer  Seidenstoff,  vielleicht  von  der  Farbe  oder  den  eingewebten 
goldenen  Rosen  so  genannt. 

*)  Vgl.  oben  S.  62,  wo  die  erste  Lehre,  die  Ruodlieb  von  dem  afrikani^ — - 

sihen  Könige  bekam,  dabin  lautet,  sich  vor  Rolhhaarigen  in  Acht  su  ndiinen^ - 

Wirnt  erhebt  sich  hier  und  später  noch  öfter  gegen  alle  aberglaubiscbei 

Volksmeinungen. 


261 


von  den  selben  hoere  ich  sagen 

daz  si  valschiu  herze  tragen. 

des  gelonben  han  ich  niht. 

swie  man  den  getriuwen  siht, 

ii^  swelher  varwe  er  schinet, 

s!n  herze  sich  dgch-pinet 

üf  triuwe  undß  df  güete. 

ob  ein  valscher  blöete 

als  ein  rose  diu  da  st^t, 

dz  im  doch  niwan  valschez  gSt, 

swie  sin  här  ist  getan: 

ist  et  er  ein  getriuwer  man, 

dia  varwe  im  niht  geschaden  kan. 


Von  sothanen  hör*  ich  sagen 
Dass  sie  falsche  Herzen  tragen: 
Den  Glauben  aber  heg'  ich  nicht. 
Der  Gute,  wie  man  ihn  auch  ersieht. 
Von  welcher  Färb'  er  möge  sein, 
Sein  Herze  strebt  doch  allein 
Nach  Treu'  und  echter  Güte; 
Und  ob  ein  solcher  blühte 
Wie  im  Garten  ein  Rosenbeet, 
Aus  seinem  Munde  nie  Böses  geht; 
Wie  auch  sein  Haar  sei  ihm  gethan, 
Ist  er  sonst  nur  eirt  Biedermann 
Die  Färb'  ihm  nimmer  schaden 

kann ! 


Der  Graf  war  stolz  und  reich ,  an  Mannheit  glich  ihm  Keiner, 
schon  Mancher  hatte  durch  ihn  seinen  Leib  verloren ,  ^  von  Mannesveit 
war  er  geboren  und  Graf  Hojir  genannt. ')  üm>  Ritterschaft  war  er 
weit  in  die  Fremde  gefahren.  Ehren  und  Gut  haltte  er  viel  erworben. 
Zu  Hispanien  war  er  wohlbekannt,  obgleich  in  Sachsen  geboren;  es  war 
ihm  ^unmaere"  sich  einen  Tag  daheim  zu  verliegen,  weil  mit  Gemäch- 
lichkeit Niemand  grosse  Ehre  erwerben  mag.  Von  rechtswegen  soll 
verderben,  wer  daheim  sich  verliegt  und  sich  zu  aller  Zeit  befleisst, 
dass  seinem  Leibe  sanfte  sei.  Wer  Ehren  will  erjagen,  der  muss  sich 
Arbeit  unterziehen:  „ez  wirt  vil  selten  hirz  erjeit  mit  släfendem  hunde; 
träges  wolves  munde  geschiht  von  spise  selten  guot.'^*)  Dagegen  war  er 
wohl  auf  der  Hut;  der  Degen  wähnte  den  Ritter  zu  überwinden;  er  hätte 
80  grosse  Ritterschaft  nicht  an  ihm  erwartet.  Sie  beschieden  sich  auf  den 


')  ^Der  tapferste  und  männlichste  Held  seiner  Zeit^  hoch  und  stark  von  Leihe, 
von  Muthe  unverzagt  und  wie  ein  Leu  beherzte"  dabei, aber  auch  hochfah- 
rend^ Übermüthig  und  trotzig,  war  Graf  H  o  y  e  r  Von  M  a  n  n  s  f e  I  d  ^  der  im 
J.  1115  in  der  blutigen  Schlacht  bei  dem  Weifesholze  von  dem  Grafen  Wip- 
precht von  Groitsch  erlegt  v^urde.  Ihn  hatten  die  Sachsen  mehr  gefürchtet 
als  des  ganze  Heer  des  Kaisers  und  sein  Tod  war  die  Losung  zu  einem 
entscheidenden  Siege.  Lange  noch  lebte  sein  Andenken,  mit  Wundem  aus- 
ffeschmiickt,  im  Gedachtnisse  des  Volkes.  Man  erzählte  von  ihm^  seine 
Mutter  sei  vor  seiner  Gehurt  gestorben,  und  er  habe  ohne  fremde  Hilfe  sich 
zur  Welt  entwunden,  daher  sei  sein  Spruch  j?ewesen:  ^^Ich,  Graf  Hoyer, 
ungeborn,  heb'  noch  keine  Schlacht  verlorn.^  Noch  im  Anfange  des  voHften 
Jahrhunderts  war  unweit  des  Weifesholzes  ein  Stein  zu  sehen  ^  in  welchen 
Graf  Hoyer  vor  der  Schlacht^  aus  der  er  nicht  mehr  zurückkehrte^  hinein- 
griflT,  mit  den  Worten :  ^So  wahr  ich  in  diesen  Stein,  wie  in  einen  Waitzen- 
tfig  greife,  so  wahr  will  ich  diese  Schlacht  geviiuoen."  Unser  Dichter  ver- 
salzte diesen  sagenJterühmten  Recken  mit  poetischer  Verherrlichung  an  den 
Hof  des  König  Artus.  Später  nahm  man  das  für  haare  Münze  und  setzte  ihn 
als  einen  Ritter  der  Tafelrunde  in  den  Mannsfeld*schen  Stammbaum.  Vgl. 
Benecke  S.  4.51  u.  W    Menzel  Gesch.  d.  Deutschen.  1843.  S.  277. 

^)  Vgl.  dazu  W  ins  hecke  Str.  42  von  der  schlafenden  Katze  (vohe),  der  keine 
krage  Maus  ins  Maul  l$uft. 


262 

nächsten  Morgen  nach  der  Messe,  dort  den  Handel  aasEnkfimpleo.  Di« 
Kunde  von  dem  Ritter  flog  weitum  und  die  Leute  beteten,  dass  Grott 
seinen  jungen  Leib  friste  und  behüte.  Getrost  ging  ihm  die  Nacht 
hin.  Des  anderen  Morgens  wafFnet  ihn  die  Königin  von  Persia  und 
viele  Frauen  in  sein  Eisengewand  und  führten  ihn.  zu  einer  Messe  ^von 
den  driu  genendeu''  d.  h.  den  dreien  Personen  in  der  Gottheit,  «u 
Ehren  der  heil.  Trinität.  Als  die  Messe  gesungen  ward,  drängten  sich 
die  Ritter  um  ihn  und  trösteten  ihn  als  einen  Mann,  dem  die  Welt 
Gutes  gönnt.  Drauf  brachte  man  ihm  sein  mit  einer  „kovertiure"  be- 
decktes Ross.  Manch  reicher  Segen  ward  ihm  gegeben.  Freudig  sprang  er 
auf  das  Ross,  den  Schild  reichte  ihm  die  Königin,  den  Speer  die  schöoe 
Magd.  Nun  kam  der  Ritter  gegen  ihn;  iVUes  war  roth  was  er  hatte.  Auf 
seinem  Schilde  war  der  Tod  viel  gräulich  gemalt,  ^wichä,  herre,  wichä!* 
riefen  die  platzmachenden  Garzunen  alle  die  vor  ihm  liefen;  sie  waren 
gewohnt,  dass  er  siege.  Sie  machten  den  Ring,  die  Ritter  nahmen  die 
Rosse  mit  den  Sporen,  mancher  Speer  wurde  verloren  in  kurzer  Zeit;  der 
Rothe  hatte  zum  erstenmale  seines  Gleichen  gefunden.  Dem  jungen 
Ritter  ward  ein  starkes  Speer  an  die  Hand  gegeben,  das  kehrte  er  an 
den  Weigand  nach  seines  Vaters  Lehre,  er  stach  ihn  also  gewaltig 
von  dem  Pferde  auf  das  Gras,  dass  ihm  die  Sprache  verging.  Das 
war  ihm  vordem  nie  geschehen. 

Er  sprang  von  dem  Rosse,  der  Graf  kam  wieder  zu  Sinnen,  spranjj 
auf  und  lief  ihn  an.  Das  hätte  er  früher  ändern  können,  als  der  nuch 
lag;  nun  bekam  er  unnöthiger  Weise  desto  mehr  Schläge  von  ihm. 
Fast  hätte  er  durch  seine  Nachsicht  über  sich  den  Tod  verhängt,  wie 
das  Mancher  thut,  der  aus  hohen  Muth  seines  Feindes  schont,  während 
der  es  ihm  mit  dem  Tode  lohnt,  wenn  er  es  vermag.  Da  ging  es 
Schlag  auf  Schlag;  Keiner  blieb  dem  Anderen  schuldig.  Der  Gra 
schlug  den  Ritter  bis  an  des  Kreises  Ende.  Da  zerrissen  die  Fraue 
ihr  Gebäude  vor  Leide,  ihr  Jammer  scholl  über  die  Haide  und  di 
Magd  betete  laut  zu  Gott.  Als  der  werthe  Degen  die  Klage  der  Fraue 
hörte,  begann  er  grimmig  zu  hauen,  Schild  und  Eisen  schlug  er  ihm 
aus  der  Hand  und  trieb  ihn  wieder  durch  den  Kreis.  Man  sah  d 
Blut  von  den  starken  Wunden  niederfallen,  so  wurde  er  von  dem  junge 
Ritter  überwunden.  Nur  um  das  Versprechen  sein  Geheiss  zu  voll — 
führen,  Hess  er  ihm  das  Leben:  das  Pferd  müsse  er  wieder  geben  un(9> 
den  Sitech  ohne  Dank.  Die  Leute  aber  freuten  sich,  da«s  ihm  Alle^ 
so  wohl  gelang.  Mit  grossem  Schalle  fährte  die  Königin  von  Persia 
ihn  zur  Ruhe  in  ihr  Gezelt,  alle  Ritter  begleiteten  ihn  und  freuten  sicl^ 
über  des  Rothen  Fall.  Dem  Grafen  aber  trug  er  auf,^mit  seiner  Frenndir^ 


•263 

m  Artus  zu  ziehen  und  dort  auf  ihn  zu  warten :  Sagt  nur,  der  Ritter 
mit  dem  Rade  sende  Euch.  Auf  die  Bemerkung  des  Gefangenen ,  dass 
iber  mancher  Ritter  ein  Rad  führe,  nennt  Wigalois  ihm  noch  seinen 
Ißxizen  Namen,  worauf  sie  fröhlich  auseinander  schieden,  nachdem  Graf 
tlojir  seine  Freude  auf  das  Wiedersehen  aussprach  und  dass  er  das, 
^as  ihm  hier  begegnet  sei,  sich  nicht  a]s  einen  Makel  anrechne.')  So 
Mshieden  sich  Alle  da.  Vergeblich  bittet  ihn  die  Königin  von  Persia 
md  ihre  schöne  Niftel,  der  er  zu  ihrem  Rechte  verholfen,  mit  ihm  zu 
d^heu;  er  schlägt  es  aus,  da  ja  seine  Ehre  davon  abhängt,  das  Aven- 
;eDer  in  Corentin  zu  bestehen.  Die  vornehme  Maid  bittet  ihn,  doch 
wenigstens  das  Pferd  und  Alles,  was  darauf  lag,  mit  dem  Sitech,  anzu- 
lehmenv  sie  habe  genug  und  brauche  es  nicht;  da  Wigalois  zögerte,  trieb 
ue  das  Ross  mit  Schlägen  davon,  nun  musste  er  es  haben,  denn 
iie  Jungfrau  nahm,  es  wäre  ihm  lieb  oder  leid,  kurz  Urlaub  und  ritt 
ron  danneu.  Der  Ritter  aber  schenkte  Alles,  Pferd,  Zwerg  und  Papagei 
der  Jungfrau^  der  er  auch  das  Hundelin  gewonnen  hatte.  Sie  freute 
sich  so  reicher . Gabe ,  zweifelte  aber  immer  noch,  ob  die  Krafl  des 
jungen  Ritters  ausreichen  werde. 

Im.  Weiterreiten  erzählt  das  Gezwerge  ein  schönes  irisches  Mär- 
chen; hiei'mit  kürzt  es  ihnen  den  Tag,  weil  man  mit  guten  Maeren  und 
mit  reinen  Weihen  die  Zeit  wohl  vertreiben  mag.  Da  zeigt  sich  in  der 
Ferne  ein  Gezelt,  es  war  hoch  und  weit,  gelb  und  roth  an  einer  Seite, 
an  der  anderen  weiss  und  blau,  ein  ^hirzgehürne"  von  Golde  war 
daraufgesteckt,  die  Schnüre  mit  starken  Keilen  gestreckt,  auch  sah 
man  in  zwei  Zeilen  fünfzig  Speere  darum  gesteckt.  Auf  dieses  zogen 
sie  los.  Dem  Herrn  des  Zeltes  war  darunter  auf  das  Gras  ein  reicher 
Kulter  mit  zweierhande  Pfeilen  gebettet;»  wie  er  die  Gesellen  anreiten 
sah,  empfing  er  sie  wohl-  Als  er  vernommen,  warum  der  Held  auf  so 
sqhwere  Aventiure  ausreite,  will  er  ihm  selbe  aus  Mitleid  um  seine 
Jugend  streitig  machen,  er  trägt  ihm  Zweikampf  an  und  wer  von  Bei- 
den siegt  und  nicht  todt  liegen  bleibe,  der  ziehe  frei  nach  Corentin. 
Das  dünkte  Herrn  Wigalois  gut  und  er  dankte  dem  Wirthe;  dieser 
jjab  dem  Ritter  die  Hälfte  seiner  Speere,  öein  bestes  Ross  und  sechs 
Knappen.  Da  es  nun  Essenszeit  war, .  so  gab  ihm  der  Ritter  Wirth- 
schaft,  darauf  bettete  man  ihn  unter  das  Gezelt  auf  Laub  und  Gras; 
manch  guter  Kulter  ward  auf  das  Laub  gedeckt,  darüber  zog  man 
weisse  Leilachen;  die  Knappen  hielten  Wache  die  Nacht  bis  zum  Tage; 


')  «dat  wir  mit  rröuden  einander  müezen  sehen!  swaz  mir  von  iu  ist  geschehen 
des  wil  ich  niht  laster  hAn.^ 


264 

im  nahen  Walde  sangen  die  Nachtegallen,    dass   es  Einem  das  Herz 
erfreute. 

Da  „nach   sinem  site,  als  er  ie  pflac**    der  Tag  nach  der  Nacht 
erschien ,    hatten   die   Knappen    schon   Sattel  und   Kovertiure   auf  die 
Pferde  gelegt,  Harnische,  Schilde  uijd  Speere  bereitet;   die  Herren  be- 
gannen an  ihrer  Schlafstätte  sich  anzukleiden;    darnach   sprachen  sie 
ihr  Gebet  und  befahlen  beide  ihre  Noth  an  Grott,    denn  ihrer  Einem 
stand  der  Tod  durch   den   Anderen  bevor;    dann  Hessen  sie  sich  von 
ihren  Knappen  waffnen.    Dem  Eigenthümer  des  Zeltes  aber  wurde  leid 
zu  Muthe,  er  mochte  jetzt  der  Ehre  wegen  nicht  vom  Streite  abstehen, 
er  ahnte  den  Tod.    Er  Hess  sich  den  Schild  reichen,  sass  auf  das  Ross, 
die  Knappen  brachten  ihm  zwei  Schäfte  von  Eibenholz  (ywfn)  mit 
starken  Speeren;  dann  gingen  die  Ritter  von  einander,  um  ihren  Puneiz» 
zu  machen  und  kehrten  geger/  einander  wieder.    Die  Speere   drückten 
sie  nieder,    durch  die  Schilde  auf  die  Brust  stachen  sie  so  gewaltig, 
dass  die  Schäfte  zerbrachen.     Dann  nahmen   sie  *zwei  andere  Speere, 
denn  sie  hatten  auf  einander  Ger,    so  senften  kehrten    sie  zusammen, 
dass  das  Eisen  von   den  Schäften  brach,    das  Gold    stäubte  von  den 
Schilden  auf  das  Gras.     An  Beiden  war  ganze  Kraft  und  Mannheit; 
keiner    hatte   noch  so  starke  Ritterschaft  geübt;    in  kurzer  Zeit  ver- 
stachen sie  die  Speere  gar.    Zuletzt  reichte  man  ihnen   zwei    eschene 
Schäfte,   weil    leider  Einer   todt  auf  der  Stelle  bleiben  fl||llte.     Herr 
Wigalois  bat  den  Ritter  weiter  in's  Feld  zu  kehren,   aber  daran  hatte 
dieser  selbst  schon  gedacht.     Als  sie  wieder  zusammensprengten,  hielt 
Gaweins  Spross  den  Speer,  wie  es  ihm  der  Vater  gelehrt  und  er  durch- 
stach den  Gegner,  dass  man  ihn  todt  auf  das  Gras  fallen  sah.    Grosse 
Klage  erhub  sich   da  über  des  Ritters  Fall,    und   er  war   ihrer  wohl 
werth,  denn  er  hatte  immer  gestrebt,  dass  ihm  der  Ehren  Krone  noch 
werde  fiir  seine  Arbeit  —  da  hat  ihn  der  Tod  hingelegt,  als  er  noch 
ofte  thut.      Er  niedert  manchen  hohen  Muth    „unt  zefnoret  die  richeit, 
diu  lange  zesamene  ist  geleit:  er  git  ouch  ie  nach  liebe  leit.**  Wigalois- 
beeidete  die  Knappen  zum  König  Artus  zu  fahren  und  dort  zu  bleiben, 
bis  er  nachkomme.     Sie   nahm^   ihres  Herren  Ross  und  Gewand  und. 
banden  das  auf  die  Pferde;    den  Todten  Hessen  sie  aber  nicht  auf  der 
Walstatt  liegen,  Herr  Wigalois  bat  sie,  ihn  zur  Kirche  zu  bringen  und 
^seiner  mit  Almosen  und  Messen  zu  gedenken,   was  sie  seiner  Seele  zi» 
Tröste  thun  könnten,  das  sollten  sie  sich  fleissen.    Ihm  aber  sollten  sie^ 
nichts  nachtragen  (niht  harte  wizzen)  um  ihres  Heben  Herren  Tod,  e^- 
sei,   wie   sie  selbst  sahen,   aus  Noth   geschehen.     Das  tbaten  sie  wi^ 
er  gebot. 


265 

< 

Nach  solchen  Proben  mag  die  Magd  endlich  sein  Geleit  vertragen; 
DUO  erzählt  sie  ihm  auch  die  angeheaere  Maere,  um  die  es  sich  handelt 
Herr  Rdaz  von  Glois,  der  dem  Teufel  fiir  böse  Zauberlist  Leib  und 
Leben  verschrieb,  hat  den  rechtmässigen  König  Korntin  vertrieben  und 
erschlagen ;  dessen  Töchterlein,  das  damals  erst  drei  Jahre  alt  war,  ist 
unterdessen  zur  allerschönsten  Jungfrau  erwachsen  und  lebte  mit  ihrer 
Mutter  Gamanje')  auf  Schloss  Königsberg;  wer  das  Land  Korntin 
wieder  erobert,  soll  ihre  Hand  erhalten;  mit  der  Schilderung  jener  Güte 
und  Schönheit  spornt  die  Magd  den  Ritter  noch  besser' an.  Die  Botin 
hat  sich  bereits  einen  Plan  ausgedacht,  wie  die  4^entiure  gelingen 
müsse:  „Jeden  Tag  kommt  nämlich  vor  die  Burg  ein  sehr  schönes  Thier, 
an  das  „unser  herre  Krist  sinen  fitz  geleit,^  das  trägt  auf  seinem  Haupte 
zwei  schwarze.  Homer  und  darein  ist  eine  goldene  Krone  gewachsen,  in 
seinem  Munde  hat  es  Hitze,  dass  Niemand  ohne  Schaden  ihm  nahen 
mag,  viele  fromme  Ritter  hat  es  schon  in  den  Tod  geleitet.  Wollt  ihr 
es  bestehen,  so  merkt  genau  seine  Spur.  Abwäits  vom  Haupte  ist  es 
geschaffen  wie  ein  Leopard  (liebart).  Es  hat  sich  einen  Weg  erkoren, 
der  nur  mir  bekatint  ist,  das  ist  ein  Steig,  der  in  das  Land  durch  den 
Wald  von  Korntin  geht,  darauf  inüsst  Ihr  ihm  folgen.'' 

Sie  sprachen  noch.,  da  ersah  er  schon  die  schöne  Burg  vor  sich 
liegen,  auch  kam,  wie  in  Streitbegehr,  ein  Ritter  hastig  g6gen  ihn 
geritten ;  der  hatte  ein  gutes  Ross,  einen  weissen  Halsberg  und  darüber 
einen  grünen  Wappenrock,  auf  dessen  beide  Seiten  ein  Rehbock  von 
Sammt  geschnitten  war,  sein  reicher  Helm  war  mit  einem  rothen  Tuch 
(kein)  darum  sieh  ein  weisser  Hänninstreif  zog,  überdeckt,  oben  war 
eine  goldene  Schüssel  eingesteckt,  daran  man  ihn  als  ^truchsaeze'^ 
erkennen  sollte:  grasgrüner *Ti mit  war  an  den  Speer  gebunden,  einen 
neuen  Schild  fahrte  er,  darauf  war  das  Thier  gemalt,,  von  dem  ich 
Euch  sagte,  dass  es  ihn  leiten  sollte.  Mit  Lazur  und  Gold  war  es 
meisterlich  gefüllt.  Das  war  ihr  Wappen  zu  Roymunt  ^ze  tiusche 
Künegesberc.^  —  Das  war  natürlich  auch  wieder  ein  ganz  ausge- 
zeichneter Ritter,  so  zwar,  dass  die  Jungfrau  ihrem  Helden  rathen  will, 
ihn  fahren  z^  lassen,  denn  es  könnte  ihm  etwa  misslingen.  Da  fährt 
aber  Wigalois  auf: 

daz  waere  ein  slac  i      ...  das  wäf  ein  Schlag 

aller  miner  ^ren  |  Aller  meiner  Ehren, 

ond  solde  ich  von  im  k^ren,  j  Wollt*  ich  jetzt  von  ihm  kehren; 


*)  DJe^e  GamiiHJe  ist  nnch'uneiilrütliselt:  Kenecke  S  585  halt  sie  für  eine 
Frau  v^o  Amenes  Hofe;  Gervinus  hält  sie  für  Lariens  Mutter  Amene: 
PFeirrer  S.  328  will  das  Wort  als  eine  Bezeichnung  des  weiblichen  Hof- 
staats verstanden  haben. 


266 


Sit  ich  nach  riterschefte  var. 
des  himels  keiser  mich  beyar! 


ich  wil  benamen  gern  im  dar. 


Denn  all  mein  Wmisch  ist  nach  Gre- 

fahren. 

Des  Himmels  Kaiser  möge  mich 

wahren ; 

Ich  will  bei  Gott,  gleich  wider  ihn 

fahren ! 


So  kehrte  er  über  die  Haide.  Beide  Herren  begannen  die  Schilde 
vor  die  Knie  zu  nehmen,  neigten  vor  einander  die  Schäfte  und  sti^ssen 
mit  grosser  Krafl  zusammen;  sie. verstachen  beide  also  ritterlich  ihren 
Speer,  dass  Niemand  entscheiden  konnte,  wer  den  ;seinen  besser  verthan 
hätte.  Der  Truchsess  aber  schwenkte  wieder  zum  Ritter,  fing  seinen 
Zaum  sehr  freundlich  auf  und  hiess  ihn  willkommen,  weil  er  in  ihm 
nun  den  Ritter  erkannte,  den  die  Magd  zu  bringen  ausgesendet  war 
und  der  ihr  bereits  so  schönen  Grewinn  erworben  hatte.  So  zogen  sie 
in  die  Burg;  Ritter  und  Knechte,  jeglicher  nach  seinem  Rechte,  empfin- 
gen den  Ritter  und  die  Magd,  Alle  freuten  sich  über  ihn.  Die  edle 
Magd  ging  zu  ihrer  Fraue  und  rühmte  die  Tüchtigkeit  ihres  Helden, 
erzählte  von  ihrer  Reise  und  rühmte  alle  Noth  in  der  ihr  Geselle  ge- 
stritten, auch  Hess  sie  ihrer  Frauen  alle  Kleinode  sehen,  die  Herr 
Wigalois  ihr  gewann.  Das  Gezwerg  brachte  das  Pferd  und  den  Sitech 
und  das  Hündlein  und  da  schätzte  man  ^daz  gereite "^  und  das  Vogel- 
haus wohl  auf  tausend  Pfund.  Die  Magd  erhob  des  Ritters  Preis,  sie 
lobte  ihn  vor  ihren  Jungfrauen  in  allen  Weisen,  wie  er.  Helme  und 
Schilde  zerhaue;  das  hörte  die  Wirthin  gerne  an  uqd  dankte  (gna- 
dete) der  Jungfrau  ob  „der  ängestlichen  arbeit,'*  die  sie  auf  der  Fahrt 
erlitten.  n 

Die  Drei,  die  schöne  Larie,  ihre  Mutter  und  die  Magd  beriethen 
sich  nun,  wie  man  den  Ritter  empfange,  dass  er  guten  Willen  gewinne. 
Vorerst  mnssten  die  Frauen  ihre  schönsten  Kleider  anlegen;  der 
Truchsess  führte  den  Ritter  einstweilen  in  den  Garten,  wo  er  sein 
Eiäengewand  unter  eine  grüne  Linde  schüttete  und  sich  kühlte  und  ruhte. 
Nerejä  (so  hie.ss  die  Magd,  welche  den  Ritter  hergebracht  hatte)  trug 
reiches  Gewand  und  schneeweisses  Linnen  her,  daä  ihm  die  schöne 
Larte  zu  Liebe  sandte  (sie  hatte  es  aus  Syrie  weit  über  See  erhalten  > ; 
zu  ihm  sass  sie  auf  den  Klee.  So  kleidete  sich  der  kühne  Mann.  Zwei 
Scharlachhosen  strich  er  an  die  Beine.  Wie  stattlich  strahke  er  durch 
Geburt  und  Mannheit:  ^gewizzen  unde  saelekeit  het  got  mit  filze  an 
in  geleit.'"'  -—  Als  der  Ritter  nach  Müh  und  Gefahr  (arbejt)  so  minnig- 
liche  Gabe  empfing,  dankte  er  Gott  und  ging  mit  der  Jungfrau  ,vor.  die 
edle  Königin,  wo  sie  auf  ihrem  Saale  sass.  ^ouwi,  higrre  got!**  was  er 
da  schöne  Frauen   fand!    Die  waren  prächtig  gekleidet,    jegliche  nach 


267 

Rang  und  Geschlecht,  fünfzig  an  der  Zahl,  doch  v^erdienen  nur  zwanzija^ 
davon  ganz  besondere«  Lob,  die  an  Geburt  und  Gebahren,  Schönheit 
und  reicher  Tracht  so  hervorragten,  wie  man  jetzt  also  herrliche  J'raucn 
unter  keinem  Gesinde  mehr  findet!  Er  begann  umzuschauen,  nahm 
ihrer  aller  rechte  wahr  und  fand  sie  nach  Wunsch  wohlgestaltet;  ihre 
Treff lichkeit  (saelde)  war  mannigfalt  an  Leib  und  an  ^gewizzen,  des 
)e$ten  si  sich  fiizzen  för  einander  alle  da/  Was  man  ihm  aber  von 
^'ran  Lariens  Schönheit  gesagt  hatte,  das  war  Alles  wahr;  Gott  hatte 
leinen  besten  Fleiss  an  sie  gelegt,  ^an  übe  unde  an  saelekheit  diu  reine 
ör  si  alle  was  geliutert  als  ein  Spiegelglas,  hie  vand  er  sines  herzen 
>luot.  beidiu  lip  unde  rauot  gab  er  ir  tougenlichen  C^eimlich)  da." 
->au  Minne  fing  den  Ritter  und  zog  ihn  in  ihren  Hag  C^amit)  gtwalj- 
iglich  ohne  Streit,  dass  er  sich  nicht  mochte  erwehren,  er  mus&te  ihr 
sichern  und  schwören  zu  thun,  was  ihr  däuchte  gut.  Zu  Geisel  musste 
?r  ihr  den  Willen  (muot)  geben  und  sein  Herze ,  dass  die  Beiden 
iiussten  sein  ihre  Gefangene  bis  an  ihren  Tod.  Was  man  ihm  zu  thun 
lebot  für  sie,  das  dünkte  ihm  Alles  leicht,  wie  sehr  ihm  auch  das 
Herze  brach,  da  er  die  Schöne  zum  ersten  sah. 


Er,  der  sonst  ein  Heer  in  die  Flucht  schlug  und  manchen  from- 
men Ritter  fing,  konnte  sich  der  Frau  Minne  und  ihrer  Stärke  nicht 
erwehren.  Hie  Hess  er  seine  Seele  bei  der  wohlgethanen  Maid,  ihre 
grosse  Schöne  gewann  ihn,  dass  er  ihrer  nie  vergass,  weil  sie  sein 
Herze  so  besass  mit  Jammer^  wie  ihm  nie  mehr  von  einem  Weibe 
weher  geschah.  Dieser  Macht  war  er  ungewohnt,  desto  ärger  war  sie 
ihm.  Die  Königin  ging  ihm,  ihre  Tochter  Larie  an  der  Hand,  entgegen, 
sie  empfingen  ihn,  wie  man  liebe  Freunde  empfangen  soll,  darnach 
^ässten  ihn  die  Frauen  alle;  grosse  Freude,  doch  ohne  Schall,  hub 
sich  da  mit  Züchten.  Die  Fraue  hiess  ihn  sitzen  und  klagte  ihm  ihr 
Herzeleid.  Wigalois  ist  bereit  in  den  Tod  zn  reiten  and  die  grössten 
Gefahren  zu  bestehen,  da  er  schon  von  Nereja  weiss,  dass  Land  und 
Magd  mit  Mannheit  zu  erwerben  sind:  „daz  tuot  mir  sanfte  unde  wol 
swaz  leides  mir  da  von  geschihf  Die  Fraue  sprach:  „Ich  verläugne 
2S  nicht  (ichn  hils  iuch  nilrt)  was  ich  zugesagt  habe  (gevestent) :  be- 
siegt Ihr,  wie  ich  zu  Gott  hoffe !  den  Heiden,  so  gebe  ich  sie  Euch  mit 
Mannen  und  Magen.**  Da  wollte  er  gleich  von  dannen  reiten  ohne 
Säumniss,  die  Magd  aber  bat  ihn,  noch  über  Nacht  zu  bleiben.  Das* 
gab  ihm  Freude  und  Kraft,  weil  er  die  Schöne  gerne  sah.  Mit  grossen 
Züchten  sprach  er:  ^Ibr  sollt  gebieten  über  mich,  denn  was  Ihr  wollt, 
da»  tbue  ich  (Pfeiffer  S.  110,  26  ff.); 


waeren  min  ellia  riebe 
80  daz  ich  keiser  waere, 
der  ^ren  ich  enbaere 
ö  ich  verlieze  iwer  gebot, 
ir  sult  ez  läzen  äne  spot 
daz  ich  iuch,  frouwe,  minne: 
wand  ir  habt  mine  sinne 
gevangen  und  daz  herze  min: 
diu  müezen  bi  iu  iemer  sin 
mit  triuwen  biz  an  minen  töf 


2«K 


Ob  mir  als  Kaiser  anterthan 
Alle  Land'  und  Reiche  wären, 
Ich  wollt*  ihrer  gern  entbehren 
Eh'  ich  verneint'  Euer  Gebot. 
Ihr  sollt  mir's  gönnen  ohne  Spott 
Dass  ich  Euch,  Fraue,  minne; 
Denn  Ihr  habt  meine  Sinne 
Gefinngen  und  das  Herze  mein: 
Die  müssen  allzeit  bei  Euch  sein 
Bis  zu  des  Lebens  letztem  Ziel.^ 


Er  fiel  ihr  mit  erhobenen  Bänden  zu  Fössen  und  sprach:  ^Mein 
Leib  muss  sich  nach  Eueren  Gnaden  verenden,  verliere  ich  den  Leib 
auf  dieser  Fahrt ,  so  tliut  es  mir  herzlich  wohl ,  weil  es  för  Euch  ge- 
schieht.** Er  küsste  der  Maid  den  Fuss  vor  Freuden  uqd  ergab  sich 
ihr.  ^Gott  gebe  Euch  Hilfe  und  Rath,^  sprach  die  wohlgethane  Magd, 
hiess  den  Ritter  aufstehen  und  zeigte  ihm  tnit  den  Augen,  obwohl  si 
vor  der  Mutter  schwieg,  dass  er  ihr  lieb  sei,  wie  das  Leben.  Da 
pflegen  noch  die  reinen  Frauen,  dass  sie  in  die  Herzen  sehen  un 
darinnen  suchen  und  spähen  durch  des  Mannes  Augen.  Bier  folgt  di 
schöne  Stelle  über  die  Augensprache  (S.  111): 


wan  swaz  daz  herze  tougen 
wider  den  friunt  valsches  hat, 
daz  ouge  ez  niemer  verlät 
ezn  meldez  mit  dem  blicke, 
ez  wenket  harte  dicke 
an  im  üf  unde  nider 
und  zucket  sich  vil  gähes  wider, 
ezn  siht  niht  göetlichep  dar, 
niwan  daz  ez  neme  war 
ob  iht  ze  merken  an  im  si. 
da  erkennet  die  valschen  bi, 
als  ich  mich  versinnen  kan: 
swä  diu  ougen  einander  an 
lange  sehent  äne  wanc, 
daz  der  herze  und  ir  gedanc 
mit  triuwen  zuo  einander  stat; 
8wa  abe  der  blic  so  schiere  ergät 
da  enist  niht  ganzer  triuwen  bi, 
^ezn  kome  also  daz  ez  si 
daz  sin  die  liute  werden  gewar: 
so  läze  er  sin  sehen  gar 

ern  blicke  denn  undenvilen  dar. 


Denn  wo  sich  schlimme  Tücke 
Im  Herzen  hat  versteckt. 
Da  wird's  im  Auge  bald  entdeckt 
Das  lässt  nicht  ab  und  sagt  es  an. 
Es  winkt  bei  einem  falschen  Man 
Und  zuckt  die  Augenlider 
Viel  hastig  auf  und  nieder. 
Solch'  Auge  nimmer  freundlich  lac 
Und  hält  vorsichtig  Wacht 
Ob  nichts  zu  merken  an  ihm  sei — 
Den  Bösen  erkennt  Ihr  dabei; 
Denn,  wie  ich's  Euch  versichern  kanr 
Wo  die  Augen  einander  an 
Lange  schauen  ohne  Wanken, 
Da  wisst,  dass  Herz  und  Gedank 
In  Treu'  einander  entgegen 
Wo  aber  das  Auge  scheu  sich  sen 
Da  ist  die  Treue  nicht  vollkoram 
Es  wäre  denn  also  gekommen 
Dass  Lauscher  in  dem  Wege 
Dann  wagt  es  nimmer  scharf 

späh'n. 
Und  nur  verstohlen  hin  zu  seh' 

(v.  426 


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269 

So  gesdiah  denn  sfisses  Spiel  und  Knrzweile  von  süsser  Augen- 
weide, dass  Jedermann,  und  hatte  er  noch  so  grosses  Leid,  doch  hätte 
genesen  müssen.  Darauf  ward  ihnen  ^geseit  si  solden  üf  ezzen  gän. 
den  riter  hiez  man  üf  stän  von  der  kurzwile.  ez  dfthte  in  wol  ein  mite 
dö  er  von  ir  ze  tische  gie.  groezer  ere  enböt  man  nie  weder  ^  noch 
Sit  deheinem  man,  als  im  mit  wüleu  da  wart  getin.^  Da  sie  fröhlich 
gegessen  und  dann  noch  zasammengese&sen  waren,  gaben  ihm  die 
Fraaen  gute  Nacht.  So  hatte  der  Tag  ein  Ende.  In  einem  wonnig- 
lichen Saal  ging  Herr  Wigalois  schlafen;  da  sah  er  von  der  Burg  zu 
Lhal  eine  Brunst  in  dem  Walde:  er  forschte  gleich,  wo  das  sein  möchte. 
Sie  sprachen:  ,.Das  ist  zu  Komtiu,  da  unser  Herre  nahm  den  Tod;  da 
bort  man  Jammer  und  Noth  die  lange  Nacht  bis  an  den  Tag;  doch 
steht  das  Haus  immer  wieder  unversehrt.  Das  Wehegeschrei  dauert 
die  ganze  Nacht,  tagsüber  ist  Alles  «tili.  Es  ist  uns  eine  Sorge,  dass 
wir  dem  Dinge  noch  nicht  auf  die  Spur  kamen  (dass  wir  noch  nicht 
gesehen  mochten,  wo  oder  wie  es  geschieht),  es  spuckt  schon  an  zehn 
Tahren  und  was  Nachts  verbrennt,  steht  Morgens  doch  unversehrt  da. 
Ein  breites  Moos  und  ein  See  hat  das  Haus  ganz  umfangen,  Niemand 
kam  seither  mehr  dahin;  auch  geht  nur  ejn  Weg,  der  mit  Stein  wänden 
beschlossen  und  behütet  ist,  so  dass,  Jeder,  der  dahin  kehrt,  es  schwer 
zu  büssen  hat,  es  sei  denn,  dass  Einen  das  Thier  leitet;  wer  nach  der 
Aventiure  fährt,  den  bringt  es  dahin.  Der  aber  theile  sein  Gewinn 
mit  wem  er  wolle  (fügt  der  Aufschluss  gebende  Truchsess  bei)  ich  will 
sein  Geselle  nimmer  werden,  ich  weiss,  wie  es  darum  steht. ^  Herr 
'Wigalois  vertraute  aber  auf  Gott,  bot  Allen  gute  Nacht  und  ruhte  bis 
zum  Morgen ;  seines  Rosses  man  mit  Fleisse  pflag,  es  ward  da  trefflich 
t)eschlagen;  sein  Eisengewand  trug  man  in  ein  Fegefass  (vegevaz),  wo 
man  es  so  fleissig  fegte,   dass  es  blank  wurde  wie  Eis. 

Frühe  wecken  den  Ritter  mihnigliche  Sorgen  und  Sehnsucht;  dem 
leil.  Geist  zu  Ehren  Hess  er  eine  Messe  ^hgen  und  bat  Gott  durch  die 
Teine  Magd  um  Sieg.  Als  das  Amt  gethan  war  und  der  Pfaffe  gehen 
"wollte,  stund  der  Ritter  und  bat  um  den  Segen  „als  wir  zer  noete  hiuto 
pflegen. '^  Der  Priester  kam  eilig  wieder,  mit  grosser  Inbrunst  (jämer) 
Iniete  er  vor  dem  Altare  mit  Gebet.  Wir  erhalten  hier  eine  nicht  un- 
interessante genaue  Beschreibung  einer  Schwertsegen-Ceremonie.') 
£ine  Reliquienkapsel  (kefsen)  nahm  er  von  der  Stätte  voll  von  Heilig- 


*)  Vers  4.390  ff.  Pfeirrer  $.  115  -  Vgl.  oben  Pn-cival  254,  10.  Ein  Nach- 
ball der  allen  Siegeswaffen^  die  ehedem  Wiiolan  verlieh,  wm  sich  allgemach 
bis  auf  Freikugeln  und  Passauerkunst  auswuchs,  die  besonders  durch  Kaspar 
NeitiMrt  .1611  m  BlOihe  kam. 


270 

• 

thnmes;  von  Elfenbein  war  die  eine  HUfle,  die  andere  atis  GroW  und 
Gesteine.  Der  Priester  aber  war  gar  ein  würdiger  Herr  (äne  meil  und 
ledic  aller  bosheit),  sein  Haar  grau  und  roth,  sein  Bart  lang  und  breit; 
reich  war  er  gewandet,  sein  Pelz  von  feinem  Grau,  mit  blauem  Sammt 
stattlich  bezogen  und  spannenbreit  mit  einem  Zobel  ^gevideret^;  er 
trag  einen  Mantel  von  Luchsfell,  mit  Siglat  bedacht.  Alle  schwiegen; 
der  junge  Degen  neigte  sich  und  empfing  den  Segen  mit  Heillhum  und- 
mit  Munde.  Manches  Auge  wurde  roth.  Der  Priester  haftete  um  sein 
Schwert  einen  Zettel  (strihte  im  umb  sin  swört  einen  brief)  der  gab 
ihm  festen  Mnth,  der  war  fiir  allen  Zauber  gut.  Das  dankte  er  ihm 
und  befahl  sich  Gott.  Darnach  ward  er  durch  einen  Boten  zum  Inibiss 
genifen ,  der  jedoch  für  die  bevorstehende  Arbeit  nicht  sehr  gross  war; 
hierauf  ging  er  zu  den  Frauen  und  nahm  Abschied;  sein  festes  Herz 
Hess  er  bei  der  schönen  Maid,  ihr  krankes  Herze  nahm  er  mit.  Nun 
sagt  mir,  wie  sein  werde  Rath  der  nie  ein  krankes  Herze  hat,  wenn 
er  zum  Streite  reiten  soll?  Da  hilft  die  Minne  zu  aller  Zeit. 

Er  neigte  sich  vor  den  Kinden,  von  Mann,  zti  Mann.  Nur  ein 
Wunsch  begleitete  ihn,  da  er  sich  waffnete;  Frau  Larie  sandte  ihm 
eine  Gabe,  die  sein  Herz  erfreute,  das  war  eine  Tasche  von  Pfeile,  ein 
Brod  lag  darin ,  das»  von  Würzen  so  grosse  Kraft  hatte ,  dass  Einen 
der  Hunger  verlässt,  wie  er  es  nur  an  den  Mund  bringt.  Sieben  Nächte 
hätte  er  in  einem  Walde  zubringen  können  ohne  andere  Nährung,  wenn 
er  davon  nur  ein  wenig  genoss;  dafür  sagte  er  der  Geberin  Herzensdank 
(gnadet  ir  wol  tüsent  stunt).  Nun  kam  ein  Bote  und  sagte,  wie  das 
Thier  vor  die  Burg  gekommen  wäre  und  gegen  den  Wald  ginge.  Herr 
Wigalois  ritt  balde  mit  schwerem  Herzen  vor  das  Thor  und  sah  das 
Thier  gegen  den  Wald  fliehen.  Da  beschleunigte  er  die  Fahrt;  als  er 
es  erreichte,  spielte  das  schöne  Thier  mit  ihm  wie  ein  Hund,  aus  Freude, 
dass  er  gekommen  war;  darauf  eilten  sie  auf  engen  Wegen  mehr  den 
zwölf  Meilen  bis  der  Wald  ein  Ende  hatte.  Bei  einem  Fels  kamen  sie 
an  das  Burgthor,  welches  mit  so  tiefen  Gräben  umgeben  war,  dass  die 
Stimme  eines  Menschen  aus  der  Tiefe  herauf  nicht  mehr  gehört  würde, 
Ueber  mächtige  Pfeiler  ist  eine  Brücke  geschlichtet;  an  den  Pfeilern 
war  ein  Fallthor  (slegetor)  angeheftet,  das  Hess  der  Pfortner  (portenäfere) 
gleich  nieder,  als  das  Thier  der  Brücke  zulief;  dann  ging  er  wieder 
ins  Haus  zurück,  denn  er  kannte  dessen  Flammenhauch  (sinen  blast 
sd  grözer  hitze  vol)  gut;  was  es  anhauchte,  brannte  gleich  ,,als  ein 
mies,"  Steine  und  Eisen  wie  Stroh.  Dem  Thiere  ritt  er  nach  in  das 
Land  Korntin.  Das  war  überall  wohl  gebaut;  wie  eine  Hand;  Wein- 
wuchs lag  auf  Berg  und  Hügel.  Hier  sah  er  ein  trauriges  Turnei:  in 
kurzer  Weile  wurden  viele  Speere  verstochen^  die  starken  Schilde  zer- 


271 

brocheii ,  sie  jagten  und  wichen  recht  wie  sie  sollten  und  vergalten  es 
daiin  flugs  wieder  mit  Stichen  und  Schlägen.  Zwischen  zwei  breiten 
Wegen  begab  sich  das  (was  diu  storie).  Der  Ritter  waren  gerade 
hundert  und  drei.  Man  hörte  da  nur  immer  ^we!  We!''  von  ihren 
krojiren; ')  Herrn  Wigalois  bedünkte,  als  ob  es  nicht  rechte  Leute 
wären,  iWe  Ritterschaft  schien  ihm  verdächtig,  ihre  Wappen  waren 
alle  kohlschwarz  und  zinnoberrothe  Feuer  darein  gemalt.  Seine  Mann- 
heit  und  sein  Sinn  zwangen  ihn ,  hier  seiner  lieben  Amie  Larie  wegen 
einen  Speer  zu  verthuu;  er  begann  also  «.zevalier^O  ^u  schreien.  Ein 
Ritter  kam  und  Wigalois  versticht  einen  Speer,  aber  Eisen  und  Schaft 
fingen  gleich  Feuer,  auch  hielt  sein  Pferd  die  Hitze  nicht  aus,  sondern 
drängte  weiter.  ^Herr  Grott!  gedachte  Wigalois,  wie  steht  es  hier  um 
diese  Ritterschaft,  dass  Eisen  und  Schaft  gar  verbrennen!  möchte  doch 
wissen,  wa«  das  fÄr  Leute  sind  und  welches  Leben  sie  führen. ** ')  Die 
Unheimlichen  erfreuten  ihn  nicht,  er  sah,  Gott  habe  ihnen  dieses  Leben 
nur  zur  Busse  gegeben  und  ritt  seinem  Thiere  nach  vor  das  Haus  von 
Komtin.  Das  Land  war  reich,  die  Mauer  glänzte  wie  Glas,  lauter  und 
reine  von  edlem  Marmorsteine  war  sie  gebaut;  innen  lag  ein  unbe- 
deckter Palas  von  klaren  Krystallen  gewölbt,  so  dass  man  Alles  sah, 
was  darinnen  war.  Vor  dem'Thore  lag  ein  Anger,  tlarauf  stand  (dar 
üf  was  gebeizet)  ein  Baum,  von  dessen  süsser  BItithe  reiner  Duft  (smac) 
ging.  Dahin  lief  das  Thier  und  verwandelte  sich  alsbald  in  Menschen- 
gestalt: Nun  hatte  es  Zöpfe  wie  ein  Weib,  Leib  und  Kleid  schienen 
Sonnenlicht,  sein  Haupt  war  schön  mit  der  Krone  geziert  die  das  Thier 
getragen.  So  Seltsames  hatte  Wigalois  in  seinem  Leben  noch  nicht 
geschaut.  Er  erschrack  und  sprach:  .Herr  Gott!  was  soll  das  sein?* 
Er  wollte  zu  dem  Manne  hin,  da  ward  der  Anger  durch  eine  unsicht- 
bare Wand  abgeschlossen  und  unerreichbar  (beslozzen  mit  gotes  tougen). 
Er  mühte  sich  vergeblich  dem  Manne  zu  nahen.  rS^g  a^u,  sprach  er, 
ob  Du  ein  Mensch  bist  und  an  Christus  glaubst,  und  wie  es  um  Dein 
Leben  stehe,  jetzt  ist  Dir  wohl,  aber  Dir  war  wehe,  wenn  ich  mich 
recht  versinne.  Gott  hat  Wunder  an  Dir  gethan,  erst  warst  Du  ein 
Thier,  nun  bist  Du  ein  Mann.* 

Er  antwortete :  ^D  e  n  Du  mir  genannt  Den  habe  ich  stets  bekannt 
und  glaube,    dass  Er   der  wahre  Krist  immer  war  und  immer  ist  und 


M  ,,kroijireii^  nannte  man  das  beim  Zweikampf  oder  Turniere  übliche  Rufen. 
')  Scbevalier^  Cavalier. 

^)  Es  isl  ein  in  der  heuligen  Volkssage  noch  wiederkehrender  Zug ,  dass  feu- 
rige RiUer  miteinander  streiten,  vgl.  fiirlinger  u.  Bück  Volksthümliches 
«es  Sdiwahe«.  1861    I.  2«5. 


272 

dass  ohne  ihn  nichts  genesen  mag*.  Ich  habe  leider  seinen  Schlag  und 
Zorn  verdient;  meine  arme  Seele  ist  verloren,  will  £r  mir  nicht  gnädig 
«ein.  Nur  ^u  dieser  Stunde  habe  ich  täglich  Ruhe ;  ich  war  Herr  über 
dieses  paradiesische  Land,  Leute  und  Gut  waren  mir  unterthan,  da 
gab  mir  Gott  so  guten  Muth,  dass  ich  die  Armen  hieher  immer  kommen 
Hess,  so  viel  ich  ihrer -fand,  beric^th  ich  sie  eigenhändig  mit  Speise. 
Seit  zehn  Jahren  kam  ein  Wurm  in  dieses  Land ,  der  es  bis  an  das 
wilde  Moos  veirwüstete ;  Mann  und  Ross  trug  er  fort,  von  dem  Gestank, 
der  ihm  aus  dem  Halse  geht,  verdürbe  ein  Heer;  wer  ihn  besteht,  der 
hat  den  Tod  an  der  Hand.  Dich  hat  Gott  hergeschickt,  dass  Du 
uns  erledigen  sollst;  dadurch  erwirbst  Du  Dir  den  Sold,  der  Dich  immer 
froh  macht:  meine  Tochter  Larie  und  das  Land  Rorntin.  Ja,  um  Dir 
noch  mehr  zu  sagen  (fahrt  er  mit  ganz  dantesker  Schilderung  iu 
seiner  Erzählung  weiter)  die  Ritterschaft ,  die  Du  eben  an  der  Strasse 
gesehen,  ist  unvergleichlich  reich  an  Qual,  sie  brennen  immerdar  in 
der  Hölle  Fpuer.  Ruhe  ist  ihnen  selten.  Sie  wurden  Alle  bei  mir 
erschlagen ,  als  der  ungetreue  Mann  mir  Lebep  und  Land  abgewann. 
Rdaz  von  Gloys  heisst  er;  viel  edle  Degen  erlagen  von  seiner  Hand, 
sie  haben  so  gestritten,  dass  sie  diie  Ehre  verloren  und  den  Tod  von 
seiner  Hand  erhielten.  Sein  Haus  liegt  hier  nahe.  Wie  kühn  er 
sei,  den  Wurm  durfte  er  doch  nicht  bestehen,  obgleich  er  täglich  dei 
Schaden  sehen  musste,  den  er  seinen  Leuten  that^  Der  schöne  Mani 
brach  von  dem  Baume  eine  Blüthe  und  gab  sie  dem  Ritter,  dann  könne^^^  ® 
ihm  der  ,,boese  smac^  nicht  schaden;  an  dem  Burgthor  stecke  «ine-.^^  ^ 
GIävie,')  die  ein  Engel  brachte,  wider  die  schützt  kein  Hörn, 
noch  Eisengewand.  Im  hintersten  Indien  ist  ,,einer  slahte  stal,^  dei 
ist  so  hart,  dass  er  den  Stein  rechte  schneidet  ^ais  ein  zein^;*)  dabei 
ist  die  ,,glävie^;  sie  steckt  in  der  Steinwand;  nimm  sie,  Held, 
reite  auf  die  Haide,  da  weidet  der  Wurm  am  Abend.    Was  sich 


')  „glävie^  Lanze,  wohl  auch  nur  die  angeschariete  'stählerne  Spitze  s  o.  S.  16^ 

*)  Die  Stelle  lautet:  in  der  innern  Indtd 

dd  ist  einer  sldhte  sldl^ 
daz  hdt  von  gofde  röliu  mdl 
und  ist' so  harte  daz  ez  den  stein 
rehte  snfdet  als  ein  zein. 

Ohne  Zweifel  ist  das  kein  von  Di« hterphanlasie  (^eschafTeiies  Wunder,  son- 
dern man  kannte  im  XIII.  Jahrh.  bereits  den  indischen  Stahl,  der  scbon  liei 
Griechen  und  Römern  in  hohem  Ansehen  stand  und  durch  den  Levantischea 
Handel  im  Miltelaller  nach  Deutschland  kam.  Damals  war  die  Kunst  den  Stab! 
so  zu  harten,  dass  er  Stein  und  Eisen  schneidet,  bei  uns  noch  unbekanat. 
Noch  in  der  Mitte  des  XVi.' Jahrh.  machte  es  grosses  Aurseben,  als  iler 
Grossherzog  Cosmus  (1555)  die  Kunst  einer  solchen  Slahlhariung  auffand.  Die 
^röliu  mal  von  golde^  sind  vi'abrscheinlicb  nur  Verzierungen,  ^als  ein  zeio,*^ 
'  es  durchschneidet  den  Stein,  als  wenu  er  nur  ein  dünues  Stäbchen  wire. 


278 

Lebendiges  z^igt,  Leute  oder  Vieh,  das  trägt  er  hin.  Niemand  kann 
EU{  Flacht  denken,  denn  Alles  ereilt  das  wilde  Thier  wie  im  Spiele.  Mit 
ketnem  Geschosse  ist  es  zu  versehren;  auch  gibt  es  kein  ^gesmide,'' 
las  den  Wurm  verletzt,  ausser  der  ^glävie.^  Sonst  liegt  er  in  einem 
tiohleo  Steine,  von  wo  ihn  nichts  verlockt.  Gelingt  es  Dir  auch,  ihn 
KU  erschlagen,  so  verlierst  Du  doch  so  viel  Kraft  dadurch ,  wie  vordem 
nie;  bedenke  das  wohl  zuvor. ^ —  Nun  erfahrt  auch  Wigalois,  dass  der 
io  gerühmte  und  leuchtende  Held  Gawein  sein  Vater  sei.  ^Dir  mösse 
Saide  und  Ehre  geschehen,  sprach  ^diu  sdle^  weiter;  nun  aber  beginnt 
die  Zeit,  dass  ich  bis  morgen  Früh  in  dem  Hause  brennen  soll,  ist 
die  Zeit  vorbei,  so  ist  mir  eine  Stunde  wohl;  ich  büsse  schon  ins 
zehnte  Jahr,  darnach  bin  ich  meiner  Sünden  ledig.  Du  aber,  Held,  sollst 
in  Deinem  Gebete  der  viel  armen  Schaar  gedenken,  die  vor  mir  in  das 
Haus  fährt  und  leider  noch  unerlöst  isty  Du  bist  ihre  Hülfe  und  ihr 
Trost  und  erhältst  hohen  Lohn,  wenn  Du  den  Heiden,  dessen  Leid  ich 
lange  mit  Leide  trug,  besiegest.  Gegen  Treu  und  Glauben  schlug  er 
mich,  als  ich  ihm  meine  Dienste  bot,  so  kam  ich  in  diese  Noth  und 
litt  mein  armer  Leib  den  Tod.^ 

Da  kam  die  jämmelt'liche  Schaar  wieder  angeritten ,  bei  welcher  er 
irorhin  seinen  Speer  verstochen,  sie  stiegen  Alle  ab,  als  sie  an  den 
Anger  kamen,  nahmen  den  Speer  auf  die  Achsel  und  zogen  einer  nach 
öem  anderen  in  das  schöne  Burgthor  ein.  Wigalois  aber  nahm  die 
^^ävie,**  die  in  der  Felsenwand,  wie  in  einer  Tanne  haftete;  der  auf 
^em  Anger  aber  ward  wieder  in  Thiergestalt  verwandelt  und  ging  wieder 
in  das  Haus,  das  von  seinem  Hauche  hellauf  erbrannte. 

Indem  Wigalois  weiter  ritt,  fand  er  eine  Steige,  die  ihn  an  einen 
See  brachte.  Da  schrie  ein  Weib  jämmerlich  um  Hilfe,  mit  ^gezaitem 
fajebende"  lag  sie  auf  dem  Gras,'  rang  ihre  weissen  Hände  und  zerraufte 
ihr  Gewand  und  ihre  Haare.  Ihr  Leib  war,  wo  man  ihn  sah,  wie 
^hnee  (ir  lip  was,  swä  er  blähte,  alsam  ein  sne),  ihre  Brust  aber  mit 
IBlnt  unterlaufen,  sie  hatte  mit  Schlagen  und  iRaufen  ihren  Leib  ver- 
dorben. So  lag  die  Arme;  der  lichte  Tag  war  ihr  wie  Nacht,  sie  hörte 
^nd  sah  nicht  mehr  vor  Herzeleid.  Der  grosse  Wurm  Pfetän  hat  eben, 
odfi  sie  mit  Federspiel  ritten,  ihren  Mann  geraubt,  selbvierte  trug  er 
Shn  hin  mit  den  Rossen,  als  wäre  es  nichts.  .Ich  ritt  zu  beizen  alleine 
^^oraus^  so  entkam  ich  dem  Tod, ^  erzählt  die  Arme.  Wigalois  folgt 
gleich  der  Spur  nach,  vorher  nahm  er  jedoch  aus  der  Tasche  noch  das 
ISro4  and  das  Blümelein,  um  sich  durch  Speise  und  Geruch  zu  stärken. 
^-Scbon  war  es.  nahe  der  Nacht,  er  trabte  einen  Berg  hinab,  da  hörtt' 
^  schwere  Aeste  fallen,  und  die  Bäume  brachen,  wo  der  Wurm  hin- 
schleifte; was  er  mit  seinem  Zagel  begrief,  brs^ch  er  Alles  nieder.  Bald 


274 

sah  der  Kühne  das  ungefüge  Vieh,  den  Wurm  Pfetdn  ^eiBÜchen^  gelMO, 
solch  ungeheuere  ^.kreatiure'^  war  nie  geschaut:  Sein  Haupt  var  uu- 
massen  gross,  schwarz  und  rauh,  der  Schnabel  klafterlang  und  ellenbreit, 
vorne  zugespizt  und  schneidig,  wie  ein  neugescMiffener  Sperr.  In  seinem 
Rachen  (giele)  hatte  er  lange  Zähne  wie  ein  Schwein,  fiberall  breite 
hömene  Schuppen,  vom  Haupte  hinab  stund  ihm  ein  scharfer  Grat, 
wie  das  Krokodill  hat,  womit  es  die  Schiffe  spaltet  (als  der  kokodrille 
hat  d$  er  die  kiele  kliubet  mite).  Der  Wurm  ^hdt  nich  wurmes  site 
einen  laugen  zagel,^  damit  hielt  er  die  vier  geraubten  Ritter,  die  kaum 
noch  lebten.  Mit  drei  Ringen  hielt  er  sie,  bis  er  sie  essen  wollte.  Eiuea 
Kamm  hatte  er ,  wie  ein  Hahn ,  sein  Bauch  war  grasgröa ,  die  Augen 
roth,  die  Seiten  gelb,  rund  war  der  Wurm  wie  eine  Kerze,  sein  scharfei 
Grat  war  fahl,  zwei  Ohren  trug  er  wie  ein  Maulthier,  sein  Äthem  abei 
stank  mehr  als  lange  in  der  Sonoe  liegendes  Aas;  dazu  hatte  er  Grei 
fenftisse,  aber  rauh  vrie  ein  Bär  und  schöne  Fittiche  gleidi  Pfauenge 
fieder.  Sein  Hals  bog  sich  hernieder  ins  Gras,  seine  GkirgeP) 
knorrig  (knurren)  gleich  eines  Steinbocks  Hörn. 

Der  Ritter  betete  zu  Gott  gegen  deü  ireisen  Wurm,  nahm 
beiden.  Händen  die  ^glävie^  und  stach  den  Schaft  bis  an  die  Hand 
Wurm  ins  Herz.     Von  seinem  Brüllen  erhallte  der  Wald,    der  W 


schlug  um  sich,  dass  die  Bäume  barsten.     Schnell  wendete  der  Ritte: 


sein  Ross,  der  Wurm  liess  die  Ritter  los,   kehrte  ihm  nach  und  hatU — ^e 
ihn    bald    ^ervarn^;    er  zerrte  ihm   ab    das   Eisen,    die  Panzerring ^^^ 
^begunden   risen   als  waere  ez   ein   dürrez  strö^;   er  nahm  dem  edle   ^a? 
Ritter  Kraft  und  Sinn,  drückte  ihn,   da^s  ihm  das  Blut  aus  Nase  mL.  W 
Ohren  sprang,    dann    warf  er   ihn  wie  einen  Ball  an  den  See  hinal^  ; 
Schild  und  Eisengewand  waren   an  ihm   zerdrückt,   doch  hielt  er  dm^ 
Schwert  noch  fest.     Der  Tod  hatte  an  sein  Leben  nahe  gezückt,  aodi 
das  schöne  Ross  lag  bei  ihm  „zerzerret  unde  zebrochen.^ 

Die  drei  Ritter,  die  der  Wurm  eingeringelt  hatte,  waren  erdrückt, 
der  Manh  jener  Frau  aber,  die  des  Wigalois  Erbarmen  erregt  hatte, 
lebte  noch ;  als  sie  ihn  wiederfand ,  lachten  und  weinten  ihre  Aogen  zu 
gleicher  Zeit.  Da  ihre  Burg  nahe  lag,  so  Hess  sie  die  Todten  auf  Roaw 
heben  und  dahin  tragen.  Aber  der  Rittetr«  der  den  Wurm  erschlagen, 
ist  nicht  zu  finden,  die  Gräfin  Moral  (so  hiess  der  Herre)  versprach 
grosse  Gabe  dem,  der  ihr  Kunde  bringe.  Ein  armes  Weib,  das  mit 
ihren  sechs  hungernden  Kindern  am  See  fuhr  und  ein  Mann,  der  aus- 
ging. Gras  zu  schneiden,  finden  den  Ritter  wie  todt  liegen  und  zieheo 
ihm  seine  Waffen  ab,  die  Frau  fand  auch  den  herrlichen  Gürtel,  rollte 


')  .drozze^  Drossel,  Hals. 


i 


275 


isammen  und  steckte  ihn  heimlich  za  sich;  so  „eDtnacten^  sie  ihn 
Da  er  noch  einige  Lebenszeichen  gibt,  so  räth  die  Frau,  ihn  völlig 
Lten,  schleifte  ihn  an  den  See  und  wollte  ihn  ertränken,  was  der 
gerade  noch  verhinderte  (S,  140,  9  flF.): 


ouch  noch  ein  übel  wfp 
danne  dehein  man: 
si  niht  bedenken  kan 

r  dar  nach  kümftic  si. 

lein  wip  diu  sint  fr! 

Übels:  daz  weiz  ich  wol: 

liu  herze  sint  guotes  vol. 

I,  der  daz  verdienen  kan 

i  ein  edeliu  frouwe  an 
güetlfchen  siht. 

»et  er  da  anders  niht, 

ut  ez  in  doch  verre  baz 
ob  er  verdienet  daz, 
n  ein  onedele  wIp 

gaot  unde  Ifp. 

si  fröude  wellent  geben 
lac  vil  deste  gerner  leben, 
n  man  die  frouwen  sol 
läze  haben  wol: 

daz  gtt  vil  süezen  zol. 


Es  ist  ein  böses  Weibsbild  eben 
Viel  schlimmer  noch,  als  je  ein  Mann, 
Weil  sie  nicht  ermessen  kann 
Ihrer  ewigen  Seele  Gefahr. 
Die  edlen  Frauen  sind  frei  und  baar 
Von  allem  Uebel,  das  weiss  ich  wohl, 
Ihr  Herz  ist  jeder  Tugend  voll. 
Und  wohl  dem  der^s  verdienen  kann 
Dass  eine  reine  Frau  ihm  gann. 
Ihn  auch  nur  freundlich  anzuschauen : 
Und  erwürb'  er  von  ihr  nichts  wei- 
ter, traun. 
So  ist  er  zehnmal  mehr  beglückt. 
Als  hätte  ihn  mit  Fleiss  berückt 
Ein  schlechtes,  verbuhltes  Weib, 
Und  bot'  ihm  Gut  und  Leib.  — 
Wem  sie  Freude  wollen  geben 
Der  mag  viel  selig  allzeit  leben. 
Dcsshalb  man  die  Frauen  soll 
Ohne  Maass  ehren  und  halten  wohl, 
Ihr  Lohn  der  gibt  viel  süssen  Zoll. 


Jnterdessen  wird  Wigalois  doch  gerettet.  Graf  Moral  hatte  mehrere 
n  in  der  Nähe,  auf  einer  derselben  waren  mehrere  Jungfrauen  im 
ischeine  noch  ausgegangen,  die  das  Blinken  des  weissen  Halsberges 
ondscheine  wahrnahmen,  und  da  man,  wie  allbekannt,  über  das 
er  besser  hört,  so  lauschte  Eine  von  ihnen  und  gewahrte,  wie  das 
Weib  .den  Ritter  so  „entnacte,^  dass  kein  Faden  an  ihm  blieb; 
3r  „schämte  sich  niht  hares  groz,''  denn  er  hörte  und  sah  nicht, 
schöne  Gestalt  erweckt  das  Mitleid  der  Alten,  sie  giesst  ihm 
Wasser  ein,  das  war  seine  ganze  Stärkung.  Sorglich  ihren  Fang 
rgen,  dass  sie  ihn  unbemerkt  zu  ihi'er  mit  Rohr  und  Reisig  ge- 
rn Hütte  brächten,  ruderten  (fiuzzen)  sie  leise  ans  Gestade  und 
i  den  Harmasch  in  ihr  Gemach.  Das  ersah  nahebei  eine  der 
n ,  ging  nach  und  lugte  durch  den  Zaun  hinein ,  da  sah  sie  den 
Helm,  Schild  und  Eisengewand,  eine  Fackel  leuchtete  dazu;  sie 
;en  den  Fang  fttr  mehr  als  tausend  Pfund  an  und  hielten  sich  für 
^eu.  Ein  bellender  Hund  vertrieb  die  lauschende  Frau  zu  ihren 
elen,  welche  sie  ausschalten,  leise  gingen  sie  zu  ihrer  Herrin 
fy    welche  den  Verlust  des  mannhaften  Ritters  beklagte,    morgen 

18* 


276 

solle  das  Landvolk  mit  dem  Kreu?/ einen  Lobgang  durch  den  Wald 
halten,  weil  Gott  sie  von  dem  Teufel  erlöste,  mit  allen  Leuten  wolle 
sie  dann  nach  denj  Ritter  suchen.  Sie  beschrieb  sein  Pferd  und  die 
Rüstung  genau,  er  habe  einen  weissen  Halsberg  und  kostbaren  Helm 
gehabt,  auf  dem  sich  mitten  ein  Rad  befand,  welches  umlief,  wenn  er 
buhurdirte; ')  feiner  Zobel  lag  als  Decke  über  den  Helm  und  eine 
schmale  goldene  Leiste  über  den  Augen,  darunter  leuchtete  der  Helm 
hell  wie  Glas;  von  Goldbrokat  (genageltem  pfelle)  war  sein  Waifenrock, 
schwarz  der  Schild  und  ein  goldenes  Rad  darauf,  das  hatte  sich  die 
Frau  wohl  gemerkt.  ^Er  war  sicherlich  ein  Ritter  der  Tafelrunde,  von 
der  ich  einmal  einen  Ritter  sah,  der  wohl  hundert  Speere  zerbrach  und 
zwölf  fromme  Ritter  fing.  Damals,  als  ich  jenen  Ritter  sah,  war  ich 
noch  ein  Kind  (erzählt  die  Fraue  weiter)  und  das  Stechen  geschah 
vor  meines  Vaters  Hause,  der  Ritter  hiess  Gawein;  an  seinem  Schilde 
sah  man  ein  goldenes  Bild  der  Tafelrunde,  darin  war  ein  weisser  Hirsch 
gemalt  (von .  kriden)  auf  einem  goldenen  Berge.  Das  gleiche  Wappen 
sah  ich  jetzt  an  dem  Ritter,  der  nicht  erschrack,  für  mich  in  den  Tod 
zu  reiten  und  ohne  den  Ihr,  m^in  lieber  Herre,  todt  \äget,^  —  Da  erwog 
die  schöne  Magd,  was  sie  gesehen,  kniete  vor  ihrer  Herrin  nieder  und 
erzählte  alles.  Die  Frau  beschloss  gleich  zu  der  bezeichneten  Hütte  zu 
gehen,  die,  wie  das  Frühere,  so  ausfuhrlich  geschildert  wird,  als  hätte 
der  Dichter  ein  selbst  erlebtes  Erreigniss  vor  Äugen.  Sie  fauden-den 
Mann  am  Feuer  sitzen ;  bittere  Armuth  war  bei  ihm  zu  Hause ;  Armutfa 
und  Elend  sind  meist  beisammen  und  nur  die  Freude  hält  es  mit  den 
Reichen.')  Da  sass  er  und  sann,  wie  er  die  goldene  Zier  heimlich 
verkaufen  könne.  Unterdessen  kamen  sie  „für  den  gl^t*  und  verlängten 
Einlass  bei  seinem  Leben.  Das  arme  Weib  erkannte  ihre  Herrin  und 
öffnete  erschrocken  über  so  ungewohnten  späten  Besuch.  Der  Bauer 
warf  sich  auf  die  Ercle,  überantwortete  den  Raub  und  versprach  sie 
zu  dem  Ritter  zu  führen.  Freudig  gab  sie  ihm  dreissig  Huoben  zu 
eigen  und  Hess  ihn  das  beste  Haus  auswählen.  So  gewann  der  Arme 
frohen  Muth,  Heil  und  Segen.  Nun  beginnt  der  Dichter  ein  dialdLti- 
sches  Zweigespräch,  wie  sonst  die  Minnesänger,  z.  B.  Ulrich  von  Lich- 
tenstein, zwischen  Herz  und  Verstand  zu  führen  beliebten.  Da  fragt 
mich  mein  armer  Verstand  (kranker  sin,  des  ich  gar  äne  zwivel  bin): 


*)  Aehnliche  Kiinsilichkeiren  müssen  wirklich  bestanden  heben,  der  Riese  Melwin 
hat  einen  solchen  Helm.  \^\,  o.  S  237  in  der  Beschreibung  äes  Grallempels. 

')  ez  h^t  diu  gröze  armuot 
zno  im  gehQset  in  dem  gl6t, 
da  selten  fröude  bi  besllt. 
diu  armuot  mit  jdmcr  lit: 
diu  rlcheit  allez  fröude  gtt. 


277 


Sag  an,  Wii^it,  ist  das  wahr:  mag  Jemand  ohne  Gut  der  Welt  genehm 
sein?  Darauf  erwidere  ich  meinem  Zweifel:  Gewiss,  ja,  so  dünkt  es 
mich.  —  Mit  Verlaub  (entriuwen)  ich  wähne  anders.  Was  frommt  Dir 
Leib  und  Muth,  bist  Du  gar  ohne  Habe?  —  Nun  höre,  das  will  ich  Öif 
sagen,  wie  ich  mir  die  Gunst  der  Welt  bejagen  will  (v.  5765  ff.) : 


„ich  wil  zuo  den  besten  gen 
und  wil  mit  miner  kunst  begen 
and  mit  mfnen  zühten  daz 
daz  ich  in  gevalle  baz    - 
danne  ein  guoter  rtcher  man, 
der  deheiner  slahte  ^oge  kan.^ 

^daz  lä  sln'"^  sprach  der  sin. 

^sit  ich  dir  so  nüt^e  bin, 

ich  frum  dich  als  ich  beste  kan: 

dan  gezwivel  niemer  an.'-' 

der  rede  wart  ich  harte  frö 

und  behabte  iedoch  den  strit  also, 

daz  werder  ist  ein  sinnic  man 

dem,  der  in  erkennen  kan, 

danne  ein  man,  der  allen  rat 

äne  ganze  sinne  hat. 

die  rede  ir  mich  niht  liegen  lät!  — 


^Ich  will  zu  den  Besten  dringen, 
Und  will  mit  meiner  Kunst  erzwingen 
Und  meiner  Zucht  und  Sitte  das: 
Dass  ich  ihnen  gefalle  bass 
Als  ein  schwerreicher  Mann,* 
Dem  Gott  nicht  Wort  und  Änmnth 

—  ^Wohlan  denn  (sprach  der  Sinn) 
Und  wenn  ich  Dir  so  nütze  bin. 
Will  ich  Dir  helfen  wie  ich  kann 
Da  zweifle  femer  nimmer  d'ran.**  — 
D6r  Rede  war  ich  herzlich  froh 
Und  entschied  die  Frag*  also: 
Dass  werther  sei  ein  kluger  Mann 
Dem,  der  ihn  erkennen  kann 
Als  wer  alle  Schätze  hat 
Doch  keinen  Verstand  und  Rath; 
Ihr  aber,   macht  mein  Wort  zur 

Thatf  — 


Unterdessen  hatte  Wigalois  sich  aufgerichtet  und  an  einen  dürren 
Storren  gelehnt,  der  arme  Mann  weiss  selbst  nicht  mehr,  wer  er  sei, 
zum  Glück  fand  er  die  Tasche  mit  dem  Brod  und  der  Blüthe  und  nun 
erinnerte  er  sich  an  Larie  mit  lautem  Jammer.  Seine  Klagen  hört  die 
edle  Frau,  welche  unterdessen  auf  einem  Schiffe  ausgefahren  war,  den 
Ritter  zu  suchen;  er  barg  sich  mit  Mies  und  Gras;  sie  zog  sogleich- 
ihren  eigenen  Pelzrock  aus  und  führte  deä  Ritter  auf  ihr  Schloss,  wo 
Alles  hinzueilt,  um  den  Helden  zu  sehen,*  der  den  Wurm  erschlagen. 
Dort  ward  ihm  gute  Pflege  uqd  Gemach,  dass  er  sein  Siech thum  über- 
wand, doch  hatte  er  nicht  nur  den  Verlust  seiner  Waffen,  sondern  auch 
den  seines  unschätzbaren  Gürtels  zu  »beklagen,  den  ihm  der  Dichter 
wahrscheinlich  desshalb  nicht  mehr  zukommen  lässt,  um  ihn  auch 
überwinden  und  die  darauf  folgenden  Siege  des  Helden  im  desto  helleren 
Lichte  seiner  persönlichen  Tapferkeit  leuchten  zu  lassen. 

Wie  er  nun  einmal  traurig  dasaSs ,  den  Kopf  in  die  Hand  ge- 
senkt, ')    gab    ihm   die   Frau  ein  werthvolles  Streitross   (besser  denne 


')  daz  siht  euch  noch  ein  iesltch  man  mit  lihter  kunst  dem  andern  an  daz  stn 
herze  swaere  Ireit,  ^wenner  in  sine  ha nt  leit  daz  houbet  und  ez  geneiget  hAt. 


278 

hundert  marc)  und  ein  Eisengewand,  das  sehr  berühmt  war  und  eine 
eigene  Geschichte  hatte.  Dreissig  Jahre  lang  hatten  die  Zwerge  daran 
geschmiedet,  Könige  hatten  sich  darum  bekriegt,  bis  es  in  den  Besitz 
des  Grafen  Moral  kam,  der  es  in  einem  eigenen  Sack  (sarbalc)') 
aufbewahrte.  Als  Wigalois  mit  diesem  sich  waffnete ,  ward  sein  Herz 
wieder  stark  und  unerschütterlich  wie'  zuvor.  Der  Wirth  band  ihm 
eigenhändig  den  Helm  mit  dem  goldenen  Rade  auf,  an  seinen  Speer 
heftete  man  einen  rothen  Sammt,  das  bedeutete,  dass  er  an  diesem 
Tage  in  den  Tod  reite.  Der  Wirth  wollte  ihm  auoh  einen  Schild  mit 
einer  Greifenklaue  geben,  doch  behielt  Wigalois  lieber  den  seinen  bei, 
um  als  Ritter  der  Tafelrunde  erkannt  zu  werden.  Sein  Waffenrock  war 
freilich  durchstochen  und  zerrissen,  doch  trug  er  ihn  seiner  Frau  zu 
Ehren.  Das  süsse  Weib  heftete  ihm  weinend  das  Schwert  um  und  bat 
Gott  für  ihn;  glücklicher  Weise  hieljt  Wigalois  nicht  auf  Aberglauben, 
detm  die  meisten  Ritter  wähnten  Unglück  zu  haben,  wenn  sie  d 
Schwert  aus  Frauenhändea  erhielten.')  Wigalois  hatte  keinen  ^nnge 
lonbe^  weder  im  Hause  noch  auf  dem  Felde,  es  war  ihm  gleich,  w 


ihm  Morgens  entgegenkam,')  oder  wie  oft  eine  Krähe  schrie,  wie  vie 
Sperber  (musaere)  ihn  umflogen ,  mit  ähnlicher  Bosheit  und  Aberglau 
ben  rauben  wir  uns  nur  die  fröhliche  Zuversicht  (saelekheit).  Wigaloi 
bat  den  Wirth,  die  „glävie**  zu  suchen  und  bis  zu  seiner  Wiederkeh 
aufzubewahren,  so  ritt  er  auf  einem  blutrothen  Ross  (daz  was  in  ^tne 
varwe  gar  rebte  röt  als  ein  bluot)  weiter  in  das  Land  „ze  Glois,^ 
der  Heide  sass.  Sein  ^gemüete'^  ftigte  es,  dass  er  die  Strasse  übersabrv 
und  in  einen  Wald  gerieth,  wo  viele  gefällte  Bäume  und  „ganze  ronen**^ 
lagen, ^)  dass  er  absteigen  und  sein  Ross  ziehen  musste,  dann  setzt 
er  auf  einem  Flosse  über  ein  Wasser ,  worauf  ihn  aus  einem  hohle 
Steine  ein  ungeheuerliches  Weib  anlief;  sie  war  schwarz  und  raah 
ein  Bär,  grosse  Schöne  und  holde  Gebärde  war  ihr  theuer;  ihr  Haar 
lang  und  ungeflochten  schwang  sich  ihr  um  Bug  und  Hüften ;  ihr  Haupt 
war  gross,    flach  ihre  Nase,    wie  Kerzen   flammten  ihre  Augen;    ihre 


'i  sfirhalc,  der  lederne  Sack,  worin  der  Harnisch  aufbewahrt  wurde.  Vcryl. 
Grimm  Hildebrandslied.  S.  10. 

<)  Wein  hold  Deulschc  Frauen.  S.  394. 

')  ^sw8K  im  des  morgens  wider  gi«/  ein  bekannter  Jägeraberglaube,  der  Bei- 
5ende  nimmt  vom  Begej^nen  mit  Schafen  oder  Schweinen  gute  oder  iihle 
Vorbedeutung.  Schon  Bonifacius  eiferle  dagegen  (Fehr  Aberglaube  Aes 
MitlelHllers.  1857.  S.  69),  ebenso  gegen  die  Beobachtnng  der  Glucks-  oder 
Unglück.<(vögel ;  die  Krähen  gellen  in  Tirol  häufig  als  Hexen.  Vgl.  Alpen- 
burg  Mythen.  S.  258.  Zingerle  Volksmeinungen.  S.  47.  -  Der  ^mOsaere'^ 
ist  eine  geringe  Art  der  zur  Jagd  abgerichteten  Vögel. 

*)  Die  Nennung  der  Boneo  weist  auf  den  fränkischen  Boden.  Vgl.  oheo 
S,  170.  Parc.  265,  17. 


Brauen  waren  lang  and  graa,  grosse  Zähne,  weiten  Mund  hatte  sie 
and  Handsohren,  die  spannenbreit  niederhingen.  Ihr  Rücken  schien 
verkrümmt  and  auf  dem  Herzen  trug  sie  einen  Höcker  (hover)  wie  ein 
Hot.  Trüge  Einer  ftlr  sie  hoben  Math,  der  hätte  wohl  nicht  Frau 
^Entten^  gesehen,  von  der  Herr  Hartman  (von  der  Aue)  behauptet^ 
sie  sei  (wie  ihm  sem  Meister  gesagt  hat)  die  schönste  Magd  zu  Karidol. 
Greifenklauen  trug  sie  an  allen  Fingern;  „rote  und  linde  ballen ')  die 
omn  an  schoenen  frouwen  siht^  hatte  sie  nicht  „si  wären  ir  herte  als 
einem  bem.^  Wem  sie  ihre  Minne  gewähren  wollte,  das  wäre  ein 
saneres  Rosen  (sürez  trüten).  Die  wonnigliche  Fran  „Jeschüte'^  war 
ihr  wenig  gleich ,  die  Parcival  eines  Tages  überfiel ,  wie  sie  in  ihrem 
Zelte  schlief,  der  ihr  Ring  und  Spange  nahm  ond  sie  küsste  an  den 
rothen  Mand,  „als  in  lerte  dia  muoter  s!n.^')  Die  Beiden  sahen  sich 
gleidh  wie  eine  Biene  (bin)  einer  rf^^^^l  ^^^^^  war  ungeheuer  und 
Jeschdte  wanderhold  (s5  was  Jeschüten  tiure  swaz  frouwen  Kbe  missezara). 
Dieses  Lob,   setzt  der  Dichter  bei,  gibt  ihr  wenigstens  „her  Wolfram 

ein  wtse  man  von  Eschenbach; 

sin  herze  ist  ganzes  sinnes  dach, 

leie^  munt  nie  baz  gesprach.  •*    (v.  6346.) 

Das  Weib  däachte  ihm  unsüsse.   Krumme  Füsse  und  starke  Beine 

hatte  sie,  so  war  sie  gestalt;  „ein  kurziu  naht  diu  machet  in  alt,  swer 

bf  ir  solde  sfn  gelegen:   so  süezer  minne  künde  si  pflegen.^    Sie  hiess 

die  starke   Rdel    und  war  so    „freislfchen  sne),^    dass  ihr  kein  Thier 

entrann.    Ferdz  hiess   ihr  Mann,   den    erschlug  Flqjir   von   Belamunt, 

indem  er  sich  mit  ihm  in's  Wasser  stürzte.  —  Sie  lief  Herrn  Wigalois 

an,  ihre  Stärke  war  wie  ein  Heer ,    dess   versah  sich  der  junge  Ritter 

nicht,    der  esigar  nicht  der  Mühe  werth  hielt,    gegen   das  Weib  sein 

Schwert  zu  ftihren ;  die  Teufelin  (tiuvelin)  trug  ihn  fort  wie  einen  Sack, 

dass  ihm  sprechen  und  regen  verging;  sie  brach  ihm  das  Schwert  von 

der  Seite,  zog  ihm  das  Eisengewand  ab,  band  ihm  mit  einer  Weide  die 

Hände  auf  den  Rücken  und  zerrte  ihn  an  den  Haaren  über  die  Stämme. 

Im  Begiiffe  ihn  zu  tödten,  wieherte  des  Ritters  Pferd,  das  erschreckte 

die  Riesin,    denn  sie  glaubte,   der  Wurm,   der  sie  schon  oft  von  ihrer 

Höhle  versprengt  hatte   und  den  sie  allein  fürchtete,    sei  in  der  Nähe. 

Gott  aber,    zu  Dem  der  Ritter  in  der  Noth  betete,    verliess  ihn  nicht, 

die   starke  Weide   „da  er  mite  gebunden  was  nach  diebes  site^   löste 

aieh,    sein  erster  Griff  war  nach  seinem  Sehweite,  das  er  nahe  liegen 


')  Weiche  ErhÖhnug  der  Fingerspitzen,  die  als  grosse  Schönbeil  galten. 
>)  Vgl.  Oben  S.  148  (T.   Parc   131,  1  (T. 


280 

sah,  er  kfisste  es  und  begrüsste  selbes  acht  ritterlich  mit  feierlichen 
Worten.^)  Dani^  ging  er  an  den  See,  zog  sein  Ross  auf  den  Floss  und 
^schielt  sich  mit  einem  aste  über  daz  breite  wazzer  hin,^  fand  einen 
Steig  und  ritt  weiter  gegen  Glois.  Da  stiess  er  auf  einen  Ritter  mit 
sechzig  starken  Speeren,  dessen  Pferd  mit  einer  grasgrünen  und  blut- 
roten Sanimtkovertiure  bedeckt  war,  im  Schildbuckel  trug  er  ein^  goldene 
Blume  auf .silberweissem  Grunde,  als  Wappen  aber  eine  gleissende 
Säule,  worauf  ein  Götzenbild  (Machmet)  sass,  dehn  er  war  ein  Heide. 
Auch  tnig  derselbe  Teufelsgeselle  (tievels  trüt)  eine  Löwenhaut  über 
den  Halsberg  und  auf  seinem  Helme  einen  eigrossen  Rubhi;  seine 
Gestalt  war  langarmig  und  kurzbeinig  nach  Zwergenart,  doch  stritt 
nicht  leicht  Jemand  besser  als  er.  Das  war  der  K5nig  Karrioz, 
seine  Mutter  war  ein  „wildez  wip,**  daher  sein  kurzer  Leib  so  rauh- 
haarig und  stark.  Einem  Manne  war  er  wie  ein  Heer;  Löwen  fing 
und  erschlug  er  mit  blosser  Hand.  Karrioz  leiarte^)  dort  zwischen 
den  Speeren,  das  war  ihm  ^vil  ungemach^^  als  er  diesen  Ritter  sah 
so  kühne  (fräveliche)  reiten;  zornig  nahm  er  den  ersten  Speer,  der* 
zunächst  Stack  und  wendete  sich  gegen  Wigalois,  der  sich  der  Ritter- 
schaft freute,  kunstgerecht  schlugen  sie  den  Speer  unter  die  Arme, 
die  Rosse  trugen  sie  kräftig  zusammen,  dass  sie  mit  „rtcher  tjosf*  die 
Speere  verthaten.  Ohne  ein  Wort  zu  verKeren,  nahmen  ^ie  den  zweiten 
Speer,  denn  der  Heide  zürnte,  dass  ihn  sein  Kämpfgenoss  bestand; 
wieder  splittern  die  Speere  in  der  Luft  (daz  ir  ietweders  schaft  gebro- 
chen in  die  lüfte  spranc)  und  die  Rosse  in  die  Knie  sassen  (die  hahsen 
taten  nider) ;  so  verstachen  sie  die  Speere ,  dass  die  Schilde  kaum 
mehr  zu  brauchen  waren,  dennoch  war  ihr  Muth  unversehrt  Der  Heide 
nahm  einen  stählernen  Kolben,  der  ihm  am  Arme  hing,  in  beide  Hände 
und  ritt  gegen  Wigalois,  der  keinen  Tritt  zurückwioh,  sondern  das 
Schwert  zog  und  auf  den  Rubin  schlug,  dass  es  Funken  gab,  ihm 
frommte,  dass  er  zu  Ross  besser  streiten  konnte  als  der  kurze  Maiin. 
So  währte  es  bb  an  den  Abend,  da  schlug  Wigalois  dem  Zwerge  eine 
tiefe  Wunde    durch  den  Stahlhut  und  stach  ihn  dann  du)rdi  die  Brust, 


')  V.  6514  fr.  6  wo!  mich,  swerl,  das  ich  dich  hao!  nn  enist  weder  wip  noch 
man,  der  mich  binde  dne  wer.  Af  dinem  knöpfe;  ich  <itis  «wer:  die 
wtle  ich  swert  (ragen  wil.  ez  st  in  ernesl  ode  in  spil,  daz  ez  niemer  m^r 
geschiht,  swd  min  oiige  ihl  des  sihl  daz  mtnem  Übe  geschaden  mite«  irhn 
sliihe  iedoch  den  Ersten  slac  dem,  daz  ungfhiure^t.  dilz  was  alter  Iriiiwen 
Tri,  ez  biet  mir  anders  widersa^t.  ezn  wirt  hie  na  nie  m^r  geklaget,  sil 
ich  min  swerl  wider  hftn.  —  Eine  ähnllihe  Schwerlrede  im  Walt  her  von 
Aqnilanien.    Vgl.  (irimm  Rechlsalterlhümer.  S.  165  u.  166. 

')  ,,leisiren..^  die  Bedeulung  dieses  der  Reitkunst  zugehörigen  Wortes  scheint 
.zu  sein  mit  verhängten  Zügeln  reiten,  oder  vom  Pferde  gebraucht,  im  votten 
Laufe  rennen. 


281 

dass  ^r  schreiend  (Ynort  und  oymS)  davon  sprengte,  von  seiner  Flacht 
wirbelte  der  Staub,  in  einem  aas  der  Erde  dringenden  Nebelringe  ver* 
schwand  der  Todtwunde.  Wigalois  war  aber  wie  mit  Pech  äberträuft, 
seine  lichten  Waffen  waren   schwarz  und  sein  Boss  wie  eiq  Pechstein. 

Weiterreitend  auf  der  Strasse  kam  er  an  ein  marmelsteinemes 
Thor,  vor  dem  efn  auf  Säulen  stehendes  eisernes  Rad  umlief,  das  ein 
durch  das  faule  Moor  rinnendes  Wasser  umtrieb;  doch  ging  es  kräftig 
genug,  um  Niemanden  darch  das  Thor  zu  lassen.  Das  hatte  der  Roaz 
gemeistert  und  mit  scharfen  Schwertern  und  Kolben  beschlagen.  Ver- 
geblich versachte  der  Degen  durchzukommen,  das  Rad  behütete  die 
Pfo^;  unterdessen  rückte  hinter  ihm  ein  Nebel  an,  zwei  Speerschäfte 
hoch,  so  dass  sich' Wigalois  wie  in  einem  Gefangniss  (vancnüs)  befand: 
vor  ihm  wirbelte  das  Rad,  hipter  ihm  schwoll  (stoup)  der  Nebel,  der 
das  grüne  Laub  välbte.  Auf  solche  Weise  war  er  gefangen ;  er  stieg 
vom  Pferde  und  rang  die  Hände ;  sitzend  auf  einem  Steine,  das  Haupt 
in  die  Hand  geschmiegt,  den  Zaum  des  Rosses  am  Arme,  begann  er 
zu  schläfern,  nachdeni  er  noch  Gott  um  Hülfe  gebeten  —  und  „der 
süezen  meide  kint**  half  ihm :  ein  Wind  schlug  den  Nebel  in  das  Wasser 
nieder  und  das  ward  dadurch  also  dicke,  dass  ein  Schaft  darinnen 
stecken  geblieben  wäre,  denö  (S.  177): 


gute  ist  niht  zu  swaere 
noch  ze  groz  slner  kraft. 

Er  hat  in  siner  meisterschaft 
alle  kreatiure 
böse  unde  tiure. 


Nichts  ist  für  Gt)tte8  Liebe 

Zu  klein,  noch  Seiner  Macht  zu 

schwer. 
Er  regiert  das  Heer 
Aller  lebendigen  Creatur, 
Ob  gering,  ob  edel  von  Natur, 
die  himel  Stent  in  sfnem  gebot:      i  Die  Himmel  steh*n  in  seinem  Grebot, 
aller  dinge  ist  er  got  '  Aller  Dinge  ist  Er  Gott 

and  diu  oberiste  kröne.  '  Und  allerhöchste  Krone, 

swer  nach  slriem  lone  1  Wer  nach  Seinem  Lohne 

gpdienet,  der  ist  der  Saelden  kint.    Gedienet,  der  ist  des  Heiles  Kind, 
ze  tröste  sande  er  im  den  wint.     j  Zum  Troiste  sandt'Erihm  den  Wind. 

»  * 

AJso. stand  das  Rad  stille.     Wie   aus  schweren  Träumen  wachte 

Wigalois  auf,  das  Ross  schnaubte  upd  scharrte,  «inen  Laden  nahm  er, 

legte  ihn  in  das  Rad  und  zog  das  Pferd  darüber.    Als  er  drüben  war, 

sagte  er  Gott  viel  grossen  Dank,  dann  schwieg  der  Wind,   der  Nebel 

stieg  zmn  Hi^iniel,    das  Wasser  floss   wieder  und  trieb  das  Rad  um. 

Während  Wigalois  sorgenvoll  weiter  ritt,  lief  ihn  ^ein  fremdiu  kreatiure** 

an,  die  hatte  ein  Hundshaupt,  lange  Zähiie^  weiten  Mund,   tiefe  fiam- 

tuende  Augen,  abwärts  war  di^  Gestalt  wie  ein  Pferd,  zwischen  Gürtel 

Und  Haupt  wie  ein  Mann  geschaffen.   Breite,  steinharte  Schuppen  waren 


m 


ihr  gewachsen,  durch  die  kein  Waffen  schnitt  ^waz  gesdiepfde  ez  waere, 
dazu  kan  ich  in  niht  gesagen.^  Einen  grossen  ehernen  Hafen  trug  sie, 
ans  dem  sie  ein  könstliches  Feuer  warf,  welches  Bein,  Eisen  und  Stein 
verbrannte  und  selbst  wie  Stroh  noch  im  Wasser  flammte.  Diese  Krea- 
tur -  warf  nun  auf  Wigalois  Feuer,  das  Pferd  brihinte  sogar,  dass  dessen 
Blut  zur  Erde  rann.  Wigalois  bot  gegen  den  Wurf  den  Schild,  da  ent- 
zündete sich  ^das  bret^  und  verbrannte  ihm  vor  der  Hafid,  ebenso  sein 
'  WadFenkleid.  Endlich  gelang  es  ihm  doch,  deip  Ungeheuer  ein  Bein  ab- 
zuschlagen und  eine  tiefe  Wunde  z^  versetzen,  so  dass  der  ^välant^ 
heulend  in  den  Nebel  entfloh;  mit  dessen  verlorenem  Blute  heilte  der 
Held  seine  Wunden.  —  Man  sieht,  dass  der  Dichter  an  dem  Ungeheuer- 
lichen seine  Freude,  hat,  während  Wolfram  „der  weise  Mann  von  Eschen- 
bach^  sparsam  damit  umging  und  von  dieser  Kost  nur  so  viel  bot«  als 
ihm  gerade  für  sein  Werk  zuträglich  und  erheblich  schien.  Das  fühlte 
endlich  auch  Wirnt  und  staunt  hier  selbst  über  die  ungeheuere  Arbeit^ 
die  er  seinen  Helden  vollbringen  lassen  muss.  ^ 

Als  darauf  „der  möne  üz  den  wölken  steic  und  sin  schfn  gar  Idter^ 
wart"  sah  der  Degen  das  schöne  Kastei  von  Glois  vor  sich.  Zwei  weitem 
Thore  von  schwarzem  Marmor  waren  an  die  Burg   „gepfilaeret,^    der* 
andere  Theil  der  Mauer  war  grasgrün  und  roth  von  Marmor  Und  miC: 
Golde  „geparrieret,''  *)  auch  geglättet  (geliutert)  wie  ein  geschliffener' 
Stein  (äcstein).    Im  Mondlicht  glänzte  Alles  wie  Spiegelglas.    Vor  denv 
Thore    stand  eine  grosse  eherne  Säule,  wie  man   sie  nirgends  in  der* 
Welt  findet  als  in  Korinth,  die  war  ganz  lauter  und  regenoogenfärbig^ 
dass  man   sich  darinnen  sehen  konnte.     Das  muss  man  überhaupt  deu 
Heiden  m  Korntin  lassen,  dass  sie  sich  wohl  auf  die  Kunst  verstanden . 
Oben  war  ein  Rubin  eingefügt  wie  ein  Hut,    der   wonniglichen  Schein 
gab  und  wie  ein  Stern  leuchtete.    Diese  Säule,  die  unter  einer  Linde 
stand,   war  von  zwei  grauen,  über  hundert  Jahre  alten  Ritter  behütet, 
die   breite  Barte  und   bortendurchflochtene   weisse   Haare  hatten,    sie 
sassen  auf  einer  Stufe  (grede),    ihre  Schilde  waren  am  Thore  aufge- 
hängt.  Mit  ihnen  entspinnt  sich  ein  Streit,  in  dem  der  eine  Ritter  er- 
schlagen wird,   der  andere  aber  ergibt  sich  und  schliesst  mit  Wigalois 
treue  Freundschaft,  um  ihn  in  die,  Burg  zu  bringen.    Nach  seinem  Ge- 
beiss  schlägt  Wigalois  den  ehernen  Ring  an  das  Thor  und  es  hallt  durdi 
die  Burg,  als  ob  die  Welt  in  Feuer  stünde;  mit  Zorn  scbloss  man  das 
Thor  auf,   so  dass  Wigalois  in  Erwartung  der  bösen  Dinge  ein  Kreuz 
schlägt. 


M  Ist  durch  kein  deutsches  Wort  ausEudröiken ,  der  Sinn  aber:  durch  Gegen- 
selzung  sbsl^chend  machen,  sich  „abheben^  hissen. 


^3 

Die  Maaer  war  innen  golden  nnd  voll  e^len  Gresteines,  eine  lieb- 
liche Augenweide.  Wigalois  hatte  kaum  Zeit  dieses  zu  bemerken,  so 
zuckte  ein  Blitz,  als  sollte  die  Burg  vergehen  und  es  wurde  so  finster, 
dass  man  die  Hand  nicht  mehr  vor  den  Augen  sah.  Er  wähnte  sich 
dem  Tode  nahe,  zog  sein  schönes  Schwert  und  stellte  sich  wie  ein  Bär. 
Da  kamen  zwölf  säuberliche  Mägde  hervor  mit  brennenden  Kerzen,  in 
bunten,  sammtenen  Gewanden  (vil  guotiu  kleider  heten  si  an  von  bunt 
und  von  samite,  an  ietwederre  Site  geteilet  gel  unde  röt);  sie  grussten 
ihn  nicht,  stellten  sich  aber  so  auf,  dass  er  sie  sehen  konnte  und  gingen 
dann  in  einen  Palas;  wie  er  ihnen  nachfolgen  wollte,  sprang  aus  einer 
steinwnrfweiten  Pforte  der  Röas  heraus,  vor  ihm  ging  eine  Wolke,  in 
welcher,  wie  Alle  mit  Ausnahme  des  Wigalois  sehen  konnten,  ein  Teufel 
steckte,  dem  sich  der  Burgherr  mit  Leib  und  Seele  zu  eigen  gegeben 
hatte  und  der  ihm  daför  Tag  und  Nacht  diente.  Roaz  hoflfte  auf  seines 
Teufels  Beistand,  der  junge  Mann  aber  war  festgemacht  (gewamet)  mit 
einem  „briefe,  dem  im.  wart  gestricket  an  siner  vart  umbe  sin  swert 
mit  gebete  und  mit  dem  kriuze,  daz  er.  tete  für  sich,  do  er  ze  dem  tor 
in  gie.^  Wigalois  hoffte  sich  leicht  zu  erwehren,  doch  verrechnete  (über- 
dähte)  er  sich. 

Das  Thor  wurde  geschlossen.  Wie  ein  Gigant  schritt  Röaz  in  seinen 
Waffen  einher,  ein  achreckliches  Schwert  fiihrend  (des  ecke  nach  dem 
tdde  sneit)  und  einen  Schild,  daran  ein  Mann  auf  seinem  Rücken  genug 
zu  tragen  gehabt  hätte,  er  wäre  gerade  recht  gewesen  um  eine  Brücke 
über  einen  Bach  abzugeben;  daran  sah  man  von  Lazur  und  Gold  ^inen 
scheusslichen  Drachen  gemalt.  Ueber  die  Brünne  trug  er  einen  weissen 
Halsberg  von  heidnischer  Arbeit,   von  breiten  Homplatten  gefügt  (von 
breiten  blechen  hürnin)  und  mit  Edelsteinen  bespickt.     Sein  Helm  war 
von  detnselben  indischen  Stahle  wie  die  ^glävie**   (die  in  dem  Drachen 
stocken  blieb)  und  härter  als  Krystall;    um  den  Helm  ging  eine  zwei 
Pinger  breite  goldene  Leiste,   darauf  ^mit  gesmelze  was  in  geleit  ein 
adamas,^  ein  goldener  „tracke"  war  darauf  gemeistert,  recht  als  ob  er 
lebte  und  auf  dem  Helm  sässe;  seine  ^Wnhosen^  waren  gut.  Nach  ihm 
kam  sein  Weib,  Frau  Japhfte,   welcher  von  Mägden  grosse  gewun- 
dene Kerzen  vorgetragen  wurden ;  die  Maide  gingen  zwei  und  zwei  neben- 
einander, über  die  Mäntel  hingen  ihre  mit  Borten  und  Seiden  wohlbe- 
wundenen  Zöpfe  herab,  sie  mussten  sehr  schöne  sein,  denn  der  Dichter 
ftkgt  bei:  ^swer  von  in  solde  liden  trüten  unde  minne,  dem  waeren  sine 
^nne  wol  getiuret  da  von.^   Neben  je  zweien  ging  „vil  süeze  videlnde^ 
esin  Spiclmann,    von   denen   Keiner  um  einen  Wink   falsch  die  Griffe 
setzte  (der  deheiner  dem  andern  nie  einen  grif  übersach),   zuletzt  (ze 
aller  jungist)  folgte  Japhite  unzweifelhaft  die  schönste  von  Allen.     Sie 


284 

trug  einen  mit  Pfeile  überdeckten  Zobel  (den  ihr  Herr  weit  fiber  die 
See  gebracht  and  den  Salamander  im  Feuer  gesponnen  hatten  0  und 
eine  goldene  Krone;  an  ihr  war  Ehre  und  reine  Sitte  und  nicht  der 
geringste  Mackel,  nur  dass  sie  nicht  getauft  war.  Sie  sass  auf  einetn 
mit  Polstern  (betten)  und  Teppichen  (tepeohen)  überdeckten  hohen  SiU^ 
(bracke). 

Roaz  gebot  seinen  Leuten,  dass  ihm  Niemand  mit  Rath  oder  That  * 
beistehen  dürfe,  ginge  es  wie  es  ginge  —  das  war'  auch  heute  noch 
gute  Sitte.  Die  Beiden  gerathen  ganz  gewaltig  an  einander;  R6az  trieb 
den  jungen  Helden  mit  grimmen  Schwertschlägen  hin  und  her,  dass  er 
vor  Frau  Japhitcn  in  das  Knie  brach,  der  gedachte  aber  der  schönen 
Larie  und  blieb  dem  Heiden  nichts  schuldig;  er  stach  ihm  eine  Wunde 
in  das  Bein;  sie  trieben  sich  um,  dass  nichts  mehr  von  den  Schilden 
übrig  blieb  ausser  den  Riemen;  so  fochten  sie  die  lange  Nacht,  ohne 
dass  sich  Jemand  dazwischen  legte  und  von  ihren  Helmen  die  Funken 
flogen.  Wigalois  nahm  des  Heiden  wahr  und  spaltete  (kloup)  ihm  Brünne 
und  Eisengewand,  durch  die  Brust  schlug  er  ihm  eine  starke  Wunde, 
dass  er  sich  dem  Tode  musste  ergeben.  So  endet  sich  das  Leben  der 
Welt,  Freude,  Gut  und  Ehre  bleibt  ihnen  so  wenig  als  mir  des  Kaisers 
Krone,  nur  wer  nach  Gottes  Lohne  in  dieser  Welt  gedient  hat,  der 
fährt  seliglich  wenn  an  ihn  die  Z^it  kommt,*  dass  er  nicht  länger  leben 
soll.     Möge  auch  uns  so  geschehen! 

Als  Frau  Japhite  ihren  Mann  todt  ersah ,  erkrachte  ihr  Herz  wie 
ein  dürrer  Ast,  sie  zerriss  ihr  seidenes  Gewand,  warf  sich  über  ihn  ujad 
schrie  so  jämmerlich,  dass  es  Jedermann  erbarmen  musste.  Sie^  ban4 
ihm  den  Helm  ab  und  drückte '  den  Todten ,  der  ganz  zerhauen  (ver- 
schroten) und  mit  Blute  beronnen  war,  mit  ihren  weissen  Armen  an 
sich,  küsste  ihn  jämmerlich  weinend  und  raufte  sich  die  Haare  au$  (ir 
här  si  üz  der.swarten  brach):  ^Owe,  Roaz,  vil  lieber  man,  von  dfnem 
tode  bin  ich  tot.  du  waere  mtn  herze  und  min  llp,  ich  din  herze  und  dfn 
wfp.  wir  heten  beidiu  einen  muot:  swaz  ich  wolde  daz  duht  dich  guot: 
swaz  du  woldest,  daz  wolde  ouch  ich.  nu  hat  der  ganze  wille  sich  von 
diqem  tode  gescheiden  zwischen  uns  beiden .  sft  diu  herze  ie  was  min 
und  aller  min  wille  din,  so  sol  dfn  tot  min  tot  ouch  sfn.^  So  kehlte 
die  Fraue,  obwohl  eine  Heidin,  doch  ihre  ganze  Treue  an  ihn,  wie  sie 


')  Vgl.  oben  Parc.  735,  21  f.  —  Die  Salamander  üben  in  einem  hohlen  bren- 
nenden Berge  in  Asia  ihre  Seidenkunst.  Dem  Wurme  ^^Salamandrä"^  hat  Go^ 
ein  wunderseltsames  Leben  im  Feuer  gegeben ,  wie  wir  In  den  ,,baochen** 
lesen.  Alles  Andere  aber  verbrennt  in  dem  Berge  zn  Pulver.  (Wigalain 
V.  7440  IT.) 


286. 

die  Minne  lehrte,  denn  ^ herzeliebe  ist  arbeit,  ir  ende,  bringet  herzeleit;* 
hier  liegen  Viere  beisammen  todt,  zwei  Seelen  und  zwei  Körper.  So 
fögt  es  die  Minne:  ^diu  twinget  manic  herze,  ir  ende  ist  jäniers  snierze 
als  ich  in  hie  bescheide;  liep  zerg^t  mit  leide.*  0  weh  dirT*od!  dabist 
ein  Hagelschlag  (hagel)  und  dein  Stachel  (zagel)  ist  viel  bittere  Rene; 
dein  Sehloss  und  dein  Grebände  beschliessen  so,  dass  die  Augen  davon 
nass  werden.  —  Der  Dichter  erzählt  indess  kurz  das  frühere  Leben  des 
R6az  und,  verspricht  mehr  davon  auf  ein  ander  Mal. 

Aber  auch  Wigalois  lag  wie  todt,  nur  der  alte  Ritter,  der  vorerst 
an  der  Pforte  sass  und  ihm  Freundschaft  angetragen  hatte,  stand  ihm 
bei;  er  hiess  Graf  Ad  an.  Dieser  band  ihm  das  Häi*senier')  vom 
Haupte,  da  kam  Wigalois  wieder  zum  Leben.  Die  anwesenden  Frauen 
erhüben  über  des  Roaz  Fall  solche  Klage,  dass  der  Dichter  selbe  nur 
mit  dem  Jammer  zu  vergleichen  weiss,  den  der  Tod  des  edelen  Fürsten 
von  Meran  erregte. ')  So  thaten  damals  ^frouwen  wolgetan,  gebom  von 
der  höchsten  art  diu  ie  in  der  werlde  wart,*  als  hätte  die  liebe  Sonne 
ihren  Schein  verloren.  Ich  weiss  es  nicht  zu  sagen,  ob.  mein  Herz  nach 
so  viel  Gram  je  ganz  gesunden  mag.  Da  hörte  ich  manchen  grossen 
Schlag  von  reiner  Frauen  Herzen  ^diu  truogen  jamers  smerzen  umbe 
des  edeln  fürsten  tdt."  Ist  seine  Seele  vielleicht  in  Noth,  so  erlöse  sie 
(da  nim  si  üz)  viel  reiner  Krist!  „herre,  nim  dfner  geschepfde  war  i 
dan  si  verzwtvele  gar!  Got  müeze  im  dort  genaedic  s!n!  Nu  wil  ich  an 
die  rede  mtn  wider  grtfen  da  ich  die  lie.* 

Roaz  wurde  augenblicklich  vom  Teufel  geholt,  der  technische  mittel- 
hochdeutsche Ausdruck  dafür  ist:  ^zehant  von  der  tievel  schar  ver- 
stoln;*  das  schien  auch  dem  Grafen  Adäh  unheimlich,  so  dass  er  die 
Heidenschaft  verfluchte  und  nach  der  Tauf^  begehrte  (zem  toufe  wart 
dem  gräven  gach).  Besondere  Aufmericsamkeit  wird  dem  poropösein  Be- 
gräbniss  Japhitens  zugewendet.  Man  trug  sie  vor  das  Thor  und  legte 
'sie  In  einen  rotben  Jächant,  der  Sarg  stand  auf  zwei  ehernen  Säulen, 


')  daz  baersenier,   eine  Bedeckung  des  Kopfes  unler  dem  Helm;   im  Parciva! 
h&ufig;  „von  ringen  stark  gesteppei  ein  hersenier  der  knnig  fuert.^  Tiiurel 

*J  Das  war  Herzog  Bert  hold  von  Meran  i,  der  im  Jahre  1204  verstarb.  An 
seinem  Hofe  zu  Plassenburg  hatte  ^Wirni  von  Gravenberg  wahrscheinlich 
Ailtefdienst  und  feine  Sitte  gelernt.  In  ergreifender  Weise  schildert  er  den 
Schmerz  dieser  edlen  Frauen  „geboren  von  der  höchsten  Art;^  die  eine 
der  fürstlichen  Töchter  war  Gertrud,  die  Königin  von  Ungarn  (die  Mutter 
der  hl.  Elisabeth),  die  zweite  König  Philipp  Augusts  von  Frankreich  vielge- 
liebte. Gemahlin  Äff n es,  die' dritte  die  Herzogin  Hedwig  die  Heilige  von 
Qresiaa,  Gemaliliii  lleinrich  des  BiKigen  und  die  vierte  Mathilde  Aebtissin 
von  Kilsingeo.  Vgl  oben  $.241. 


Gläser  mit  Balsam  brannten  dabei,  Gahmnret  konnte  vor  Bagdi^  nicht 
kostbarer  bestattet  wordein  sein.'}  Um  den  Sarg  lag  ein  grosser  goldener 
Reif  (vingerlfn)  daran  ein  verschlungenes  Bändepaar  als  Zeichen  der 
Treue  (dar  Un  was  ir  triuwe  schin,  zwo  hende  nach  der  triuwe).  Auf 
den  Jächant  wurde  mit  goldenen  Buchstaben  ein  ^Spitäflum  gesmelzet,^ 
welches  auf  „heidensch  und  franzois^  Kunde  gab  (man  vant  gebrievet) 
wie  sie  starb  von  Herzeleide.  Auch  stellte  man  ein  goldenes  Rauchfass 
darauf,  darinnen  immer  wohlriechende  ^thymiämata^  brannten.  Nach 
der  Beisetzung  (da  diu  bevilde  wart  getan)  gingen  die  Frauen  und  das 
Gesinde  zu  Herrn  Wigalois  und  ergaben  sich  in  sein  Gebot ,  zeigten 
ihm  auch  Alles,  was  von  Silber  und  Gold  vorhanden;  das  vertraute  er 
dem  Grafen  Adän.  Wigalois  ging  in  eine  Kemenate,  liess  sich  die 
Wunden  waschen  und  verbinden  und  speiste,  nachdem  er  eine  Weile 
vorher  geschlafen,  dann  aber  bestieg  er  ein  Kastelan  und  ritt  im  Ga- 
lopp (walap)  und  Carriere  (rabfn),  wobei  er  (wie  Hartmaon  von  der 
Aue  in  der  Weiilgartner  Handschrift  abgebildet  ist)  die  Schenkel  lustig 
gegen  die  Mähne  fliegen  liess  (die  schenke!  stne  ze  rehte  fliegen  gein 
der  man).  So  kehrte  er  wieder  zur  Burg  zurück,  wo  ihm  Graf  Ad&n 
mit  sechs  Fidelären  entgegen  ging  ^die  wolden  im  sine  swaere  mit  ir 
videlen  vertrtben.  do  begunden  si  ez  rfben  (streichen)  mit  künsteclfchen 
griffen  biz  im  was  gar  entsliffen  (ent\^ichen)  diu  swaere  von  dem  herzen 
sin."  Doch  sehnte  er  sich  nur  noch  mehr  nach  seiner  schönen  Amie; 
also  liess  er  sich  wieder  waffnen  und  ritt  nach  Iraphas  zu  dem  Grafen 
Morale,  von  wo  er  gestern  Morgens  ausgefahren  war:  da  war  ^michel 
fröude,"  Saitenspiel  aller  Arten,  man  hörte  Posaunen  und  „blasen 
n&ch  der  beiden  site.  da  s)uogen  unde  würfen  die  tambüre'}  mit 
behendekheit,"  dass  die  ganze  Burg  wiederhallte.  Die  Frauen  um- 
armen ihn  und  trugen  ihn  aus  dem  Gedränge  empor.  Boten  gingen  in 
alle  Lande  und  entboten  die  Fürsten  nach  6  Wochen  zu  erscheinen. 
Wigalois  schrieb  einen  Brief  an  seine  Amie,  der  „war  besigelt  ander 
eiüfita  adamas  in  ein  guldfn  vingerlfn."  Der  Graf  übernimmt  selbst  die 
Besorgung  des  Briefes  und  reitet  desshalb  mit  300  Mannen  nach  Roi- 
munt.  Als  der  Graf  vor  seines  Herrn  Amien,  die  schöne  Larie  kam, 
legte  er  den  Mantel  ab  und  übergab  den  Liebesbrief^  der  mit  mittel- 
alterlicher Zierlichkeit  vom  Dichter  vielleicht  selbst  mal  in  zarCen  Liebes- 
sachen gewechselt  wurde,  er  lautet  folgender  Massen  (S.  224) : 


»)  Vgl.  Pare.  107  u.  108.   Vgl.  oben  S.  241. 

*)  ^der  tamhur^  ein  Instrument  für  rauschende  Musik ;  es  worde  tamburinarfi|r 
eniporgeworfea  ^man  warf  die  lambiir  enbor  mit  sieg«»  ;^  -  ^der  tambur^ 
beisst  der  ein  solches  Instrument  schiigt. 


287 


ijk  mioem  leide,  ' 
Wunsches  ougenweide 

und  der  Saelden  spil. 
ehe  ich  ieroer  grüezen  wil 
n  minneclfchen  Ifp. 
in  iacb  für  elliu  wip 
l  mir  ze  löne. 

fröuden  kröne 

Larie^  daz  sit  ir. 
»inet  und  empfahet  von  mir 

kröne  und  iuwer  lant. 
At  min  saelde  und  mfn  hant 
^et  und  diu  gote8  kraft. 
i  lind  rehte  geselleschaft 
(ist  ich  iu  mit  staetekeit. 
lerze  iu  wäre  roinne  treit: 
in  als  iuwer  wille  gert. 

s6  biderbe  und  «6  wert, 
met  unde  heilet  mich, 
^evangen  bin  ich, 
ir  ligent  iwerin  hant. 


Trost  in  meiQem  Leide, 
Des  Wunsches  Augenweide 
Seid  Ihr  und  der  Saide  Ziel. 
Mit  Lieb  ich  allzeit  grüssen  will 
Euren  minniglichen  Leib. 
Ich  hab'  Euch  über  alle  Weib' 
Erwählet  mir  zum  Löhne; 
Meiner  Freuden  Krone 
Fniu  Larie,  das  seid  Ihr. 
Nun  kommt  und  empfahlt  von  mir 
Euere  Krone  und  Euer  Land, 
Das  hat  mein  Glück  und  meine  Hand 
Befreit  und  Gottes  Kraft. 
Treue  und  rechte  Gesellenschaft 
Gelob'  ich  Euch  mit  Stetigkeit; 
Meine  Lieb'  ist  echt  für  alle  Zeit 
Ich  bin,  wie's  Euer  Wille  begehrt: 
Dünk*  ich  Euch  gut  genug  und  werth, 
So  kommt  und  heilet  mich; 
Euer  Gefangener  hier  bin  ich; 
Mich  hält  umschlungen  Euer  Band. 


Mehr  hatte  er  nicht  geschrieben  —  sie  steckte  das  Gold  an  ihre 
.  ^Uf  stuont  diu  maget,  vil  gezogenlfche  neic  sie  des  herren  bot- 
.  und  antwurt  ir  vil  endehaft.^  „Genäde  nHnes  herren!^  sprach 
3r  soll  nicht  länger  Kummer  tragen,  ich  gebe  ihm  Hilfe  und  Räth 
Deinen  Leib  zum  Lohne,  hätte  ich  tausend  Kronen,  die  sollten  ihm 
:han  sein,  er  bat  so  viel  um  mich  gethan,  dass  ich  ihm  gerne 
1  will  im  Ernste  und  im  Spiel,  wie  er  wünschen  mag.  Was  sein 
an  mir  suchet  hat  «er  geftmden;  ich  heile  ihm  seine  Wunden  und 
ihm  solcher  Minne  Tbeil,  dass  sein  Herz  Iroh  werden  wird.  Ich 
fi  sagen  überlaut:  Er  war  doch  meines  Herzens  Traut;  ich  hatte 
lir  zu  Liebe  erkoren ,  er  war  mir  zum  Tröste  geboren ,  wohl  der 
T,  die  ihn  gebar.  Nach  seinem  Willen  und  um  seine  Liebe  folge 
rohin  er  will.  Wenn  mein  Mund  je  anders  spricht,  das  ist  nicht 
s  Herzens  Wort,  denn  das  hat  er  bereits  bei  sich  und  das  seine 
e  bei  mir.  Derselbe  Wechsel  geschah  bereits,  als  wir  uns  scheiden 
en.**  Sie  weinte  vor  Freuden  und  zeigte  in  Wahrheit,  wie  lieb  ihr 
eld  war.  Sie  verlangte  nach  Komtin  zu  fahren  und  Alle  stimmten 
denn  sie  hatten  das  Land  seit  10  Jahren  nicht  mehr  gesehen. 
le  Pferde  und  reiche  Gewände  wurden  den  Frauen  zur  Reise  ge- 
t,  die  Saumtbiere  mit  Kostbarkeiten  beladen  u.  s.  w.  Die  alte 
in  (akfrouwe)  Am^nä')  tiberliess  die  Burg  ihrem  Truchsess  Azza- 


•  hier  die  Fürttin  deullicb  mit  Namen  genaniil  ist,    Am^nfl,  so  scheint 


WS 

« 

dac.  Die  Reise  von  Roimunt  nach  Joraphas  will  'der  Dichter  nicht  genau 
beschreiben,  er  sagt  aber  doch  beiläufig  genug  davon :  Voraus  ritten  die 
Köche,  darauf  der  Garzun  der  Fraue,  Namens  Schandalec  mit  seinen 
Gesellen  und  Küchenknaben,  die  grosse  KräueP)  trugen.  Nach  ihnen 
trieb  man  die  Säumer,  darauf  zog  eine  Schaar  von  Knappen  die  Uosse, 
ihnen  folgte  das  Gesinde,  darnach  ritten  die  Frauen.  Sie  trugen  Reise- 
kappen von  braunem  Scharlach ;  mit  Spass  (mit  schimpfe)  und  Lachen 
kürzten  die  Ritter  sich  die  Fahrt;  je  zweien  war  eine  Frau  befohlen, 
der  sie  mit  Fleisse  pflagen.  Alle  waren  heiter,  zwei  „busüne"  schwiegen 
selten ,  der  Wiederhall  erklang  von  Berg  und  Thal.  Zuletzt  ritt  Frau 
Larie,  welche  „des  Wunsches  Äventiure,  der  Saelden  kr§atiure  und  der 
fröuden  kränz*  genannt  wird.  Ihr  Gereite  funkelte  von  Gold  und  G.e— 
steine,  einen  Papagei  trug  man  ihr  nach.  Sie  ritt  auch  das  schon 
Pferd,  das  Wigalois  auf  dem  Plane  erstritten.  Ihr  zunächst  ritt  di 
Magd,  die  den  Ritter  gebracht  und  ihre  Mutter,  ihre  Pferde  werde 
von  Rittern  geführt;  Graf  Moral  führte  (zonmde)  Frau  Larien.  De 
schnelle  Läufer  (quec  loufe)  Schandalec  war  vorausgeeilt  und.  sagte 
gutes  Botenbrod  das  Kommen  det  Jungfrau  dem  Ritter  an,  der  ihr  ent — 
gegenzieht.  Ihr  Antlitz  blüht  wie  eine  Rose,  vor  Freude  wechselte 
Wigalois  die  Farbe  wie  er  sie  erblickt:  ^diu  minne  het  sin  herze  ver- 
suiten:  ir  wipUch  kiusche  unde  ir  schäm  machte  si  rdt  und  dar  näcfa 
bleich;  ir  ganziu  varwe  ir  entweich,  do  si  den  helt  bi  ir  sach.*  Ihre 
Wechselreden  sind  ausserordentlich  zierlich  und  liebevoll  verbindlicL 
Darauf  ritten  sie  zur  Burg,*  wo  die  Ritter  zu  buhurdieren^begajinen;  die 
Schilde  schallten  und  manchen  Ritters  Knie  schwoll  im  Gedränge;'  die 
Strasse  ward  zu  schmal  von  dor  edelen  Ritterschaft.  Manche  Lanze 
ward  gebrochen;  hätten  sie  Harnische  gehabt,  es  wäre  wahrhaftig  ein 
Turnei  geworden,"*)  die  Ritter  tummelten  ihre  Rosse,  ihre  Schilde  bliebea 
wenig  ganz.  Dazu  übten  die  Spielleute  ihre  Kunst  und  zwei  Posaunen 
wurden  ^vil  kreftecllchen*  vor  dem  Thor  geblasen;  grosse  Freude  fand 
man  von  dem  Schalle.  Wigalois  aber  vermied  ,, durch  sine  zuht  der 
wären  minne  fruht,  daz  er  ir  minne  niene  enpflac,  noch  bt  der  schoeoen 
niene  lac  unz  daz  er  si  le  staete  nam  (bis  er  sie  zur  Ehe  nahm> 


das  oben  (Pfeifrer  S.  105^  37)  gebrauchte  Game nje  kein  Eigenname  zu 
sein ;  vielkiihi  b/edeutet  es  nur  den  weiblichen  Hofstaat  allein,  (vgl.  Pfeifler 
S.  328.) 

')  „der  Kroql,^  Kräuel,  eine  grosse  Gabel  mit  gebogenen  Zinken. 

')  Der  Dichter  bestätigt  das  ganz  feierlieh  ironisch:   „desn  wirf  in  defaein  eit 

Sestabet;*^  den  Kid  stabeV  ist  der  technische  Ausdruck  llir  den  BecrilT 
es  vorgesagten^  von  dem  Schwörenden  nachzuspreclienden  Eides.  .Also 
wörtlich:  darüber  wird  Euch  nicht  förmlich  geschworen^  oder  freier:  das 
glMbt  Ihr  mir  wob!  ohne  Eid. 


289 

Zu  dem  festgesetzten  Hoftage  kamen  die  {geladenen  Fürsten  alle: 
Rial,  der  König  von  Jeraphtn  kam  auf  Elefanten  (helfande),  drei  andere 
Fürsten  kamen  von  Medärte,  in  tiefer  Trauer  um  ihres  Herren  Tod 
ritten  sie  auf  elenden  (kranken)  Gäulen,  trugei\Haar  und  Bart  yyUnge- 
schom  und  ungetwagen,^  auch  führten  sie  eine  goldene  Bahre  im  Schilde. 
Femer  kam  mit  grosser  Herrlichkeit  Frau  J&lamte  gefahren,  welcher 
Wigalois  das  Pferd  wieder  gewonnen  hatte,  sie  hatte  mit  ihrer  Gesell- 
schaft das  Frauenthum  verschworen  (ir  wipheit  verkom)  und  Männer- 
sitten (riterschaft)  an  sich  genommen;  sie  hatte  goldene  Schellen  an 
ihrem  Reitzeug  und  eine  Menge  von  Grafep  und  Herzogeii  im  Gefolge; 
ihr  Zelt  war  von  Sanunt,  das  hatte  ^ein  starkiu  olbende^  0  hergetragen. 
Auch  zwei  asiatische  Könige  kamen,  Zaradech  und  Panschafar,  um  ihr 
Schwesterlein,  die  schöne  Japhtte  zu  holen,  die  sie  leider  schon  todt 
und  begraben  fanden.  Ob  da  Ritterschaft  ward  vermieden?  wahrlich 
nein !  sie  trieben*s  noch  besser  denn  anderswo ;  denn  da  ritt  der  Salden 
Gespiel,  die  süsse  Magd  Larie  ^des  Wunsches  ämte;  ävoy,  wie  stolz- 
Itehen  sl  reit!''  Sie  trug  rothenSammt,  ihr  Mund  brannte  wie  ein  kost- 
barer Rubin.  Gott  hatte  sie  der  Welt  gebracht,  als  Ihm  in  Freuden 
stand  der  Muth.  Nie  erschloss  sich  schönere  Blüthe  (gebluote),  dann 
ihr  lichtes  Antlitz:  Mein  Herze  kann*s  nicht  erdenken,  noch  nach  Ge- 
bühr mein  Mund  preisen.  Als  sie  zum  Hofe  geritten  kam,  stritten  zwei 
lichte  Farben  an  ihr,  Roth  und  schneeig  Weiss,  doch  behielt  die  Röthe 
die  Oberhand ,  denn  es  war  Sommerszeit.  Neben  ihr  ritt  Herr  Wiga- 
lois ^der  triuwen  stam.^  Zwölf  Tag»  dauerte  die  „wirtschafte  und  die 
Anwesenheit  der  Fürsten,  dann  erst  begann  die  Hochzeit.  Die  Zeit  über 
behielt  sie  ^ir  kiusche  also,  daz  diu  nie  besprochen  wart.^  Bereits 
früher  (v.  9247)  rühnite  der  Dichter  von  seinem  Helden  und  der  Fran 
Larie:  ^der  zweier  kurtosfe  sich  ze  dem  Wunsche  hdt  geweten;  si 
wären  niender  üz  getreten :  ir  zuht  stuont  an  der  mäze  zU,  des  wurden 
si  gepriset  vil.^  Der  Sinn  dieser  im  Hochdeutschen  unübersetzbaren 
Stelle  ist  äusserst  zierlich,  „weten^  heisst  jochen,  zu  einem  Dinge  weten 
also:  sich  mit  ihm  unter  ein  Joch  bringen,  wie  wir  auch  jetzt  noch 
sagen  ^iu  einem  Joche  ziehen. ^  Sonach  wäre  die  Lösung:  ihre  Gour- 
toisie  kam  dem  Wunsch  (Ideal)  gleich,  keines  von  Beiden  hatte  die 
Grenze  des  Rechten  überschritten,  ihre  feine  Zucht  (Sitte)  hielt  immer 
das  rechte  Maass.  Ein  geistvoller  Commentator,  der  um  unsere  alte 
Dichtung  zuerst  verdiente  Ben  ecke  (S.  491)  macht  ausdrücklich  auf- 
merksam,  wie  diese  kleine  Stelle  ein  überraschendes  Licht  auf  die  hohe 
Bildung  des  Dichters  wirft.  Wahre  Höflichkeit,  die  sich  selbst  nichts 


^)  olphant  =  Elefant,  ol bände  =■  Kpmeel, 


290 

vergibt,  immer  verbindlich  erscheint  and  nie  in  fade  Schmeichelei  aus- 
artet, setzt  einen  so  feinen  Sinn  und  solche  vollendete  Uebung  voraus, 
dass  sie  allenthalben  und  zu  allen  Zeiten  eine  höchst  seltene  Erscheinung 
ist.  War  es  der  Hof  de«  Herzogs  von  Meran,  wo  Wimt  diese  H5fischhett 
kennen  lernte,  so  war  dieser  Hof  mehr  als  irgend  einer  ^ze  dem  wünsche 
geweten!** 

Bei  der  Hochzeit  wurden  dem  Ritter  die  Waffen,  in  denen  er  so 
siegreich  gekämpft  hatte,  vorgetragen,  die  Braut  setzte  ihm  die  Krone 
auf,  er  legte  sein  Ringlein  in  ihre  Hand.  Darnach  hob  sich  grosser 
Freudenschall,  die  Truchsessen  thaten  unter  Posaunenschall  ihr  Amt, 
die  Tambure  warfen  ihr  lärmendes  Spiel,  es  gab  eine  ungeheuere 
^Wirthschaft.*'  Nach  Tisch  gingen  die  Brautleute  endlich  in  ihr  (Je- 
mach  und  trieben  das  süsseste  Spiel  bis  an  den  Tag.  Am  Morgen 
darauf  sang  man  ihnen  eine  Messe,  auf  dem  Wege  dazu  gab  es  eifi 
so  grosses  Gedränge ,  dass  die  Kämmerer  das  neugierige  Volk  mit 
Schlägen  zurücktreiben  mussten,  um  nur  Platz  zu  erhalten ;  ein  Bischof 
predigte  darauf  mit  so  süssen  Worten ,  dass  d^  gute  Graf  Adan  sich 
'  taufen  liess,  ebenso  die  Jungfrauen  des  Roaz. 

De;*  Jubel  aber  steigt  auf  die  Spitze,  als  plötzlich  Gawein,  den 
Wigalois  heimlich  geladen  hatte,  mit  einem  stattlichen  Zuge  erschien. 
Nun  erst  erkannten  sie  sich.  Wigalois  hatte  seinen  Brief  mit  einem 
Siegel  geschlossen,  welches  Gawein  von  seiner  Frauen  her  kannte;  vor 
Freuden  liefen  ihnen  die  Zähren  bis  aufs  Kleid,  als  Gawein  dem  Sohne 
von  seiner  Mutter  erzählte.  Gawein  selbst  staunt  über  die  Schönheit 
Lariens,  Alles  was  er  bisher  Schönes  gesehen  hat,  das  macht  sie  zu 
nichte;  „ich  han  bisher  den  Ziegel  ftr  Glas  angesehen,  sagt  Gawein, 
Du  bist  der  wahre'  Edelstein  sehnsüchtiger  Minne ;  ich  gönnte  Dich 
Keinem  lieber  als  dem,  der  Dich  nun  haben  soll;  Ihr  habt  meinen 
Rath  und  Beistand  so  lang  ich  lebe;  ich  zähle  es  mir  zur  grössten 
Gnade  (gebe)  von  unseres  Herrn  Barmherzigkeit,  dass  er  mir  mein  . 
Herzeleid  durch  Euch  Beide  benommen  hat.^  Frau  LaHe  befliss  sich 
mit  Geberden  und  mit  Worten,  ihm  ihre  Freude  zu  beweisen ,  zärtlich 
bescheinte  sie  ihm,  dass  sie  sein  Töchterlein  sein  wolle,  sie  nannte  ihn 
ihr  Väterchen  (vaterlln3-  So  wurden  sie  ein  Herz  und  Sinn,  die  vor- 
dem in  Drei  geschieden  waren. 

Die  Hochzeit  währte  mit  Tanz,  Spiel  und  Tumei  schon  zwölf  Tage, 
da  kam  plötzlich  ein  Garzun  in  den  Saal  gelaufen,  der  sich  die  Haare 
raufte  und  jämmerlich  geberdete,  er  hatte  nur  Schuhe  und  Hosen 
(niderwät)  und  sonst  keine  Kleider  an,  einen  blutigen  Speer  brachte 
er,  mit  dem  der  König  Amire  von  Libiä  vor  Namür  und  zwar  durch 
Lidn  in  einer  Jostiure  -erschlagen  worden  war.    Er  rief  wehe  (wäfen) 


über  den  grossen  Mord  und  die  G^wak,  die  an  seinem  Herrn  geschehen 
war.  Der  Erschlagene  ist  ein  Verwandter  von  Fraa  Larien,  worüber 
diese  in  Ohnn^acht  fällt. 

Wigalois  ladet  Herrn  Lion  zum  Kampfe;  dem  Garzun  bot  er 
Kleider,  die  derselbe  aber  nicht  annahm,  denn  er  wollte  in  Herzeleid 
leben  bis  Gottes  Gericht  über  den  Frevler  ergangen  wäre;  also  schied 
er  wieder  zu  dem  Todten,  der  noch  auf  dem  Felde  lag  und  nur  durch 
seine  beiden  Windhunde  (winde)  vor  Vögeln  und  Wild  behütet  wurde; 
sein  Pferd  war  an  4en  Ast  einer  Linde  gebunden,  sein  Schild  über  ihn 
gelegt  „nach  des  landes  gewonheit,'^  das  Schwert  lag  unter  seinem 
Haupte ;  es  war  schon  der  siebente  Tag,  dass  er  erschlagen ;  die  treuen 
Thiere  waren  bei  ihrem  Herrn  verhungert.  Die  schöne  Frau  aber  des 
Erschlagenen,  Ltamöre  mit  Namen,  schnitt  sich  die  Zöpfe  ab,  der 
Regen  floss  ihr  von  den  Augen  über  die  Wangen,  sie  riss  sich  den 
goldschimmernden  Sammt,  den  Hermelinpelz  und  alle  ihre  Kleider  ab  und 
fiel  in  so  jänmnerliche  Tobsucht  (tobeheit),  dass  man  ihr  Hüter  geben 
masste.  Was  ihren  schönen  Leib  umgab,  biss^  sie  ab,  so  trieb  sie  es 
sieben  Tage,  während  welcher  Zeit  Lion  ihr  oftmals  seine  Hand  anbot, 
dann  starb  sie. 

Während  Lion  noch  um  «ie  klagte,  kam  der  Bote  von  Komtin 
und  naante  ihm  die  lange  Reihe  von  Wigalois*  Mannen  und  Lehens- 
trägem, die  alle  mit  ihm  zu  kämpfen  begehrten. 

Der  Dichter  aber,  nachdem  er  noch  lange  das  Lob  und  den  Preis 
der  treuen  Minne  erhoben,  fasst  sich  kurz,  daz  der  Maere  nicht  gar  zu 
viel  werde.  Er  gibt  einen  Feldzug ,  den,  die  schöne  Lade  mitmachen 
darf;  desshalb  lässt  ihr  Wigalois  ein  „harte  schoenez  kasteP  massig 
hoch  und  rund,  auf  einem  Elefanten  herrichten,  das  mit  seidenen  Ta- 
peten und  Pfeilen  ausgeputzt  wird  und  in  der  Mitte  ein  seidenes  Fliegen-  • 
netz  (mückennetze)  hat;  auch  ein  mit  duftigem  Balsam  gefiillter  Krystall 
hängt  herab,  der  an  Süsse  „bisem  und  spicä  nardl^  übertraf;  gegen 
Ungemüthe  und  jegliche  Sucht  half  seine  Salbe.  Sie  war  besiegelt  in 
einem  Rubin,  der  in  der  Nacht  leuchtet  „diu  salbe  ist  tiure  und  unbe- 
kant;  man  bringet  si  von  des  Alten  laut  vil  verre  üz  der  heidenschafl;'* 
ihre  Kraft  erhält  sie  von  solchen  Würzen,  die  man  mit  Golde  aufwägt. 
Das  Netz  war  gestickt  und  mit  goldenen  Schellen  behängt;  die  Wände 
des  Kasteis  (Gezeltes)  waren  mit  Betten  „umbe  und  umbe  beleit,  von 
riehen  pfellen  gulter  breit  wären  dar  üf  gestrecket, "  die  Wände  und  das 
Haus  mit  Blumen  bestreut ;  auoh  waren  überall  Fenster,  dass  der  Tag 
durchscheinen  konnte.  Darinnen  ritt  Frau  Lade  mit  ihren  zwölf  Mäg- 
den, die  grünsammtene  Kleider  und  weite  Mäntel  trugen  und  Blumen- 
kränze auf  den   Häuptern   hatten.     .Diu  gespil  der  Saelden^  trug,  ein 

19» 


292 

seidenes  Hemde,  weiss  wie  ein  Schwan  und  Schuhe  von*  guten  Borten. 
Ihr  Kleid  war  aus  einem  Pfeile  „gelpfer  danne  ein  gluot^  gesehnitten, 
Rock  und  Aermel  lang,  wohl  bezogen  ^näch  der  Franzoiser  siten^  und 
mit  offenen  Näthen, ')  dazu  trug  sie  einen  Gürtel  (riemen)  von  Iberne, 
der  vom  Schein  der  lichten  Steine  wiederstral^lte,  in  der  Schliesse  war 
ein  Rubin  und  darauf  ein  Drache  ergraben ;  ihr  Fürspan,  damit  sie  den 
Busen  haftete,  war  gleichfalls  ein  Geschmeide  mit  Edelsteinen,  zwei 
Löwen  und  einen  Aar  vorstellend.  Vor  den  Frauen  lagen  vier  Worf- 
zabel  und  Kurrier')  von  Helfenbeine,  denn  damals  spielten  noch  die 
Frauen  mit  edelem  Gesteine  und  nicht  mit  Holz,  wie  heut  zu  Tage 
(v.  10585),  auch  hatten  sie  allerlei  Kurzweile  von  Saitenspiel,  worauf 
sich  die  Frauen  verstanden.  Vier  Grafen  hüteten  das  Kastei  und  hundert 
Ritter  begleiteten  den  Elefanten,  voraus  aber  zog  dasf  Heer  des  König 
Rial,  der  führte  sechs  Elefanten,  die  Thürme  und  Stnrmhäuser  trugen,') 
ihnen  folgten  tausend  Ritter  und  fünftausend  Saijanden^)  mit  Lanzen, 
Schilden  (buckeler),  Schwertern  und  Bogen.  Mehr  als  zwanzig  Fuder 
Speere  führte  man  ihnen  nach,  Gabilot  und  Atiger')  trugen  die  Sar- 
jande ;  die  Nachhut  bildeten  treffliche  Schützen  mit  starken  Bogen,  unter 
die  Herr  Wirnt  selbst  nicht  hätte  reiten  mögen.  Auch  die  Schatzkanuner 
des  Königs  wurde  von  einem  Heifant  nachgetragen,  dazu  viele  Hütten 
und  Gezelte  und  die  Kaufleute  trieben  starke  Mäuler  und  Kamele  vor 
sich  her,  die  Speisen,  Kostbarkeiten  und  theuere  Gewände  schleppten« 
So  machten  sie  die  Fahrt 

Als  sie  am  zwölften  Tage  „nach  des  boten  widersagen ^  ankamen, 
wurde  der  König  Am  Ire  gebalsamt  in  einem  edlen  Steine  auf  eine  Sank 
gelegt,  dass  er  über  Stadt  und  Heer  zu  sehen  war.  Sie  fanden  ritter- 
liche Wehr  „al  umbe  und  umbe^  auf  dem  Graben,  nach  innen  (einhalp) 
lag  die  Stadt  am  Meer.  Eine  starke  Mauer  umfing  sie  und  ein  tiefer 
Graben,  durch  den  ein  klares  Wasser  floss;  Thürme,  Sturmhäuser  and 
Erker  (tüme,  bercfrit,  ärker)  standen  zahllos  auf  der  Mauer,  gutes 
Geschoss  und  Steine  waren  hinau%etragen  und  Alles,  was  den  Tod  gibt: 


*)  Vgl.  Weinbold  Datsche  Frauen.  S.  440  u.  446. 

')  wurfzabel  =  Trictrac.  kurrier,  zum  Brettspid  gehörig.  Vgl.  Ben  ecke 
S.  639.    Biiudissin  S.  338. 

')  wikhds  unde  bercfrit;  ersteres  ein  Blockbaus,  letzleres  ein  Thiirm  nit 
Sturmglocken. 

'^)  sarjant^  scherge,  serffent,  Kriegsmann  zu  Fuss;  bei  der  Belagerung  reiten 
200  Sarjanden  auf  6  Helfen  und  scbiessen  blutige  Zäher  durch  das  liisen- 
gewand;  sie  konnten  weichen  und  stehen,  mit  Streite  gegt^  den  Feind 
gehen,  also  waren  sie  gelehrt. 

')  ^abtlöt,  ein  kleiner  Wurfspiess^  aus  Parcival  als  KinderwaRe  bekannt ;  atig^ 
(m  der  Stuttgarter  HS.  nattag^r)  ein  kurzer  eiserner  Wurfspiess;  beides 
sind  keine  ritterlichen  Waffen. 


293 


„pfeteraere  önde  gröze  mangen')  mit  grozen  biochen*  waren  vorräthig, 
die  man  schnell  niederfallen  lassen  konnte,  wenn  Jemand  an  der  Mauer 
ging.  —  Die  Belagerung  wird  sehr  ausHihrlich  beschrieben,  vor  jedes 
der  acht  Thore  legt  sich  ein  edler  Herr  mit  einer  anderen  Abtheilung 
des  Heeres;*  in  gefahrloser  Entfernung  wird  Rlr  Frau  Larie  und  ihre 
Mägde  ein  grosses,  kostbares  Gezelt  errichtet,  das  bei  Regen  durch 
einen  ledernen  üeberzug  geschützt  werden  konnte ; ')  auch  war  ein 
Markt  aufgeschlagen,  wo  man  Alles  kaufen  konnte,  Speisen,  Gewände 
und  Schmuck,  grosser  Schall  von  ^holler-bläsen*")  geschah,  dazu  hörte 
man  fernen  Glockenklang  ans  der  Stadt.  Die  Belagerer  schuhten  ihre 
Eisenhosen  an  (ir  tsenhosen  schuohtens  an) ,  dann  ging  jeder  Christen- 
mensch, wie  sich  gebührt,  die  Messe  zu  hören. 

Nach  dieser  Schilderung  des  rüstenden  Lagerlebens  kommt  eine 
sehr  lebendige  Beschreibung  einer  mittelalterlichen  Schlacht :  Die  Porten 
wurden  aufgethan,  aus  jeder  flog  eine  Fahne,  f&nflmndert  streitbegierige 
Ritter  folgten  nach  (v.  10931  ff.):  , 


si  heten  alle  geneiget  ir  sper. 
man  dorft  niht  ruofen  y^herd!  her!'' 

wan  si  karten  gegen  der  schar 
da  si  der  herre  ndmen  war. 
die  schilte  drnhten  si  an  sich, 
mit  spem  wart  di  manic  stich 
gefnimet  durch  daz  isengewant 
daz  ski  daz  herze  dar  under  enpfant. 
die  uzem  wdren  gegen  in  komen 
und  heten  alle  ir  ors  genomen 
ze  beiden  siten  mit  den  sporn, 
die  beide  treip  der  grimme  zom 
ze  dem  strite  und  mänlichiu  gin 
durch  heim  und  durch  härsenier 
mit  joste  da  maneger  wart  erslagen. 

man  sach  die  tmnzäne  ragen 

durch  die  schilte  alniuwe. 

sine  brdchen  niht  ir  triuwe: 

beidenhalb  was  widerboten. 

man  sach  vil  manegen  heim  roten 

von  bloote  de  e  lüter  was. 

die  ringe;  rim  als  ein  glas 


Sie  hielten  Alle  gesenkt  den  Speer. 
Man  durfte  nicht  rufen :  ^Her !  hie- 

her!« 
Denn  sie  stürmten  auf  die  Schaar 
Wo  sie  des  Ernstes  nahmen  wahr. 
Die  Schilde  drückten  sie  an  sich : 
Mit  Speeren  ward  da  mancher  Stich 
Gebohrt  durch  Eisengewand, 
Dass  das  Herz  ihn  darunter  empfand. 
Die  Belagerer  waren  herangekommen 
Und  hatten  scharf  ihr  Ross  genommen 
Von  beiden  Seiten  mit  den  Sporn. 
Es  trieb  die  Helden  grimmer.  Zorn 
Zum  Streit  und  tapfre  Kampfesgier 
Durch  Helm  und  Härsenier 
Ward  Mancher  da  im  Tjost  er- 
schlagen. 
Man  sah  die  Schäfte  ragen 
Durch  Schilde,  starke  und  neue; 
Keiner  brach  die  Treue, 
jeder  schlug  ohn'  Aufgebot. 
Viel  mancher  Held  ward  roth 
Von  Blut,  der  erst  noch  glänzend  was. 
Die  Ringe  rollten  wie  Glas 


*)  Werkzeuge^  mit  denen  man  grosse  Steine  schleudert. 

')  ^Yon  leder  ein  huot  hienc  da  b!  der  daz  gezelt  machte  frt  des  reffens,  s6  er 
nider  göz;^  eine  ähnliche  Vorrichtung  auch  im  Parc,  129,  24.  Vgl.  o.  S.  148, 

*)  „der  holer^  ein  pfeifenartiges  Blasinstroinent 


m 


von  Stichen  und  von  starken  siegen, 
da  lac  vi)  manic  werder  degen^ 
gehurtet  unde  geslagen  nider, 
dem  niemen  raohte  gehelfen  wider, 
die  innern  entwichen  fiir  diu  tor. 
dd  huob  sich  solich  striten  vor 
daz  daz  bluot  nider  goz 
und  durch  die  wäfenröcke  flöz. 
mit  siegen  den  andern  niemen  trouc. 

daz  viur  üz  den  helmen  slouc 
gemischet  mit  bluote  daz  was  rdt. 
Sicherheit  dd  niemen  bot. 
dd  was  dehein  gevatetschafb : 
ez  schiet  niwan  des  todes  kraft 
mit  vil  vientlichen  siegen, 
allenthalben  bi  den  wegen 
sach  man  die  wunden  töunde  ligen 
die  des  bluotes  wären  ersigen, 
und  vil  manegen  toten 
der  sere  was  verschroten, 
mit  diu  het  sich  der  stürm  erhaben, 
die  sarjande  an  den  graben 

mit  antwerke  giengen, 

dar  üf  si  enpfiengen 

diu  bloch,  s6  man  diu  vallen  lie. 

daz  geschöz  als  diu  snie  gie 

und  die  würfe  under  daz  her. 
d6  mischten  sich  ir  beider  wer 
über  den  graben  unz  daz  raer. 


Von  Stichen  und  von  harten  Schlägen. 
Da  lag  viel  mancher  werthe  Degen 
Schwergetroffen  darnieder 
Und  erstand  nicht  wieder. 
Die  Innern  wichen  zurück  an'sThor: 
Da  hub  sich  solches  Kämpfen  davor 
Dass  sich  in  Strömen  das  Blut  ergoss 
Und  dm'ch  die  Wappenröcke  floss., 
Mit  Schlägen  Keiner  den  Anderen 

trog; 
Das  Feuer  aus  den  Helmen  flog 
Gremischt  mit  Blute,  das  war  roth; 
Sicherheit  da  Keiner  bot. 
Da  galt  auch  keine  Freundschaft: 
Es  schied  allein  des  Todes  Kraft 
Mit  viel  feindlichen  Schlägen. 
Allenthalben  an  den  Wegen 
Lagen  die  Wunden  sterbend  da 
Dem  Verbluten  nah, 
Und  Todter  noch  weit  mehr. 
Durchstochen  und  verhauen  schwer. 
Zugleich  erhüben  sich  die  Stürme 
Zum  Graben  Hess  man  am  Fuss  der 

Thürme 
Die  Dachgerüste  bringen, 
Auf  denen  die  Sarjande  fingen 
Die  Bloche  so  man  niederwarf. 
Wie  Schneegesöber,  so  dicht  und 

scharf 
Schoss  man  Steine  auf  das  Heer: 
Da  mischte  sich  beiderseits  die  Wehr 
Ueber  den  Graben  bis  an  das  Meer. 


Die  Elefanten  mit  Kriegsthürmen  (w!khus)  drängten  nach,  die  Sar- 
jande spielten  mit  Geschossen  und  Steinen  des  Todes  Spiel ;  ein  ganzer 
Wald  von  Lanzen  ward  verschwendet.  Selbst  Frau  Marine  reitet  in 
den  Streit  und  holt  sich  Gegner  heraus,  die  sie  besiegt  und  in  Sicher- 
heit nimmt,  bis  sie  vom  Herzog  Golopear  ans  Kriechen  erschlagen  wird, 
doch  rächte  sie  der  Graf  Adän. 

So  dauerte  es  sechs  Wochen  lang;  täglich  hörte  man  neue  Klagen: 
dort  liegt  Der  wund  und  Jener  erschlagen!  Eines  Morgens  ritt  Herr 
Lion  aus  und  forderte  Herrn  Gawein  zu  einem  Tjoste,  er  wähnte,  ihn 
schon  in  der  Hand  zu  haben.  Bald  gesellen  sich  andere  Ritter  dazu 
und  ein  allgemeiner  Kan?pf  entbrennt.  Wigalois  that  Wunder  der  Tapfer- 
keit, im  Gedränge  arbeitete  er  sich  bis  zu  Gawein  gerade  in  dem  Augen- 
blicke, als  dieser  Herrn  Lion  erschlug.   Da  floh  das  Heer  in  die  Stadt, 


295 

die  Saijande  drangen  naeh^  grosser  Schall  erhnb  sich  von  der  Flucht, 
die  Fremden  störmten  nach,  die  Strassen  wurden  enge,  es  gab  ein 
tödtliches  Gewühl.  Wigalois  erbot  sich,  die  Bürger  am  Leben  zu  «lassen, 
wenn  sie  sich  ergeben  wollten,  da  schwur  ihm  die  ganze  Stadt  Treue; 
er  gab  ihr  einen  Hauptmann,  der  des  Landes  waltete  und  Hess  Geisel 
stellen.  Das  Herzogthum  Namdr  wurde  dem  Grafen  Moral  mit  dem 
Zepter  Ku  Leben  gegeben.  Die  Burger  zahlten  dreissigtausend  Mark, 
davon  erhielten  die  Fürsten  so  viel  sie  wollten ;  die.  Grefangenen  wurden 
nach  Belieben  geschätzt,  den  Kranken  aber  gutes  Gemach  bereitet  und 
ihre  Wunden  verbunden,  auch  HerrGawein  war  unter  denselben;  Lion 
ward  schön  bestattet.  Den  König  Amire  trug  man  dahin,  wo  Frau  lah- 
mere in  ihrem  Sarge  besiegelt  l&g,  eine  schwere  goldene  Krone  wurde 
dabei  aufgehängt  und  die  Bürger  mussten  darüber  eine  Kapelle  von 
Manuel  erbauen.  Wigalois  gebot  gutes  Gericht  uud  Frieden  bei  Strafe 
des  Weidenstranges  (bi  der  wide);  dann  kehrte  er  heim  und  entliess 
seine  Helfer;  mit  Gold  und  Gesteine  füllte  man  ihnen  die  Schilde. 

Auf  der  Heimfahrt  begegnete  ihnen  ein  Garzun  ^des  rock  was  gel 
unde  brün  in  einander  geparrieret,"  auf  dem  Haupte  trug  er  ein  ^bluo- 
min  schapele'*  und  einen  elfenbeinernen  Stab  in  den  Händen.  Er  brachte 
Herrn  Wigalois  die  Trauerkunde,  dass  seiner  Mutter  aus  Gram  um  die 
Flucht  ihres  Gatten  und  den  Verlust  ihres  Sohnes  ihr  Herz  gebrochen. 
In  der  Stadt  zu  Roidach  hatte  man  sie  vor  zwölf  Tagen  begraben. 
Der  Garzun  übergab  ihm  ein  Ringlein  von  ihr,  darauf  stand  geschrie- 
ben: ^owß,  geselle  (Gatte)  und  ouch  min  kint!  von  iu  min  varwe  ist 
worden  blint,  mip  rötez  golt  gar  überzint.**')  Diese  Mäere  störte  alle 
Siegesfreude.  Vater  und  Sohn  ergehen  sich  in  Klagen;  Gawein  gelobt 
ehelosen  Stand  und  nur  im  Falle  der  Noth  noch  Waffen  zu  tragen.  — 
Zwölf  Tage  dal'nach  kamen  sie  nach  Nantasan  zu  König  Artus,  wo  sie 
icht  ritterlich  empfangen  wurden;  Frau  Ginovere  bestieg  mit  ihren 
«^rauen  sogar  den  Heifant,  um  Frau  Larie  zu  begrüssen,  die  durch 
hre  Schönheit  alle'  Herzen  gewann*  Aber  Wigalois  drängte  weiter  nach 
5[omtin;  doch  gab  ihm  Gawein  noch  gute,  goldene  Lehren  und  kehrte 
iarauf  nach  Nantes  zurück. 

Wigalois  lebte  mit  seiner  Frau  noch  viele  Jahre  in  Freuden,  sie 
;ebar  ihm  einen  Sohn,  Namens  Lifort  Gawanides,  dessen  „wunderliche 
jescbihte''  jedoch  dem  Dichter  zu  „wilde,  ze  kramp  und  ze  swaere'' 
kind,  um  sie  in  ein  Gedicht  zu  bringen,  doch  wäre  „daz  maere  höher 
^inne  ein  zil,^  ihr  sollte  sich  ein  „künstiger  man^  annehmen,  der 
,, wildin  wort^  zähmen  kann,   denn  „fremdiu  maere  und  fremde  namen 


')  Figfirneh  für:  ftieine  Freade  isl  getrübt;  ycntnat. 


•  296 


hat  diu  aventiure.^  Wer  sie  gerne  dichten  will,  dem  weise  ich  den 
Weg:  aufgeschrieben  besitzt  sie  ein  Mann,  der  wohl  von  der  wälscheo 
Zange  ^n  die  deutsche  zu  dichten  versteht ;  mich  hat  von  ihr  ^yer- 
dmngen  min  krankiu  kunst  und  min  sin.^  So  bin  ich  davon  geschieden. 
Wie  schwach  aber  meine  Kunst  auch  sei,  fände  ich  £inen,  der  mich 
dazu  ermuthigte,  ich  möchte  wohl  wieder  ein  Ganzes  leimen  mit  neaen 
Reimen.  Doch  —  die  Welt  hat  keine  Freude  mehr  daran;  ihr  höchstes 
Leben  steht  mit  Grimme:  das  ist  Ritters  Orden!  Ich  bin  wohl  irre 
geworden,  dass  der  Welt  Freude  sinkt  und  ihre  Ehre  hinkt. 

Ich  will  meine  Maere  vollenden,  wie  sie  mich  ein  Knappe  wissen 
Hess  und  zu  dichten  gunnte.  Nur  von^  seinem  Munde  empfing  ich  die 
Aventiure,  so  entging  mir  wohl  Manches.  Doch  will  ich  meine  Sitine 
an  eine  andere  Maere  wenden,  die  besser  von  mir  erreicht  wird.  Wiga- 
lois  und  sein  Weib,  lebten  in  Reichheit  und  Ehren  ohne  alle  Missewende 
schöne  bis  an  ihr  Ende.*  Ihr  reines  Leben  verdiente  hie,  dass  sie 
Gottes  Gnade  da  empfingen,  wo  tausend  Jahre  sind  wie  ein  Tag: 


deheins  herzen  sin  gemezzen  mac 

der  fröude  niht  geliche 
diu  ist  in  himelriche. 
dar  uns  ouch  got  gesende 
äz  disem  eilende! 


Kein   menschlicher  Geist  ermessen 

mag 
Die  Wonne,  der  Nichts  gleich 
Droben  im  Himmelreich! 
Dahin  uns  auch  Gott  einst  sende 
Aus  dieser  Welt  Elende! 


hie  hat  daz  buoch  ein  ende. 

Ob  unser  Wirnt  noch  dazu  gekommen  sei,  da^  Vorhaben,  auf 
das  er  sich  so  innig  freute,  auszuführen  und  mit  frischem  Muthe  und 
mit  neuen  Reimen  eine  zweite  Maere  zusammenzuleimen,  ist  wohl  sehr 
in  Frage  zu  stellen,  wenigstens  findet  sich  nirgends  die  leiseste  An- 
deutung. Ja  es  scheint  sogar,  wie  Pfeiffer  scharfsinnig  bemerkt,  als 
ob  er  unterlassen  habe,  seinem  Werke  die  letzte  Feile  zu  geben. ') 

Von  seinem  weiteren  Leben  ist  nichts  mehr  bekannt:  eine  Bam- 
berger  Urkunde  vom  Jahre  1217  bringt  einen  Namen,  der  vielleicht 
auf  unseren  Dichter  schliessen  lässt. ')  Es  ist  eine  Jahrtagstiftung  des 
Bischof  Ekebert,  dabei  stehen  als  Zeugen  unter  Anderen  ein  Otto  von 
Phaphenhoven ,  Eberhart  de  Frensdorf,  Ailbrecht,  Wirt,  Otto  de 
Trupach  u.  s.  w.  Dieser  Ailbrecht  heisst  in  einer  anderen  Urkunde  Ail- 


*)  Dagegen  glaubt  jedoch  H.  Haas  (Nibel.  5.  32)  eine  neue  Conjeetor  wagen 
zu  müssen,  die  dahin  lautet,  der  Wigalois  sei  schon  ums  Jahr  1212  einer 
Umdichtuog  unterlegen;  er  bleibt  aber  auch  daFtir  den  Beweis  schuldig. 

*)  Hormayr  Beiträge  zur  Geschichte  Tirols.  Wien  1801.  IP.  S.  296. 


297 

brecht  de  Zwernetz;  also  ist  auch  bei  Wirt  ein  Gutsname  voraaszQ- 
setzen  und  dass  dieser  Grävenberg  gewesen  sein  möge,  erhält  dadurch 
eine  besondere  Wahrscheinlichkeit,  dass  der  anf  ihn  folgende  Zeuge, 
Otto  de  Trupach,  der  nächste  Nachbar  war,  denn  Ober-,  Mittel-  und 
Unt^r-Trupach  liegen  seitwärts  links  auf  der  Strasse  von  Grävenberg 
nach  Betzenstein. ') 

Weiteres  über  den  Dichter  wissen  wir  nur  noch  aus  einer  Er- 
zählung des  Konrad  von  Wirzburg:  „der  werlde  16n,***)  da  sie 
unseren  Wimt  zum  Gegenstande  hat.  Sie  ist  offenbar  erst  nach  seinem 
Tode  gedichtet,  denn  der  Ton  lautet  wie  auf  ein  vollendetes  Leben, 
auch  könnte  man  abnehmen,  dass  Wimt  sehr  alt  geworden,  obwohl 
gleich  wieder  (v.  146)  von  dem  „jungelinc''  die  Rede  ist.  —  Vernehmt 
ihr  weltlichen  Minnerlein  —  hebt  Konrad  an  —  wie  es  einem  Ritter 
erging,  der  nach  dem  Lohne  der  Welt  rang: 


Sin  leben  was  s6  vollebraht 
daz  sin  zem  besten  wart  gedäht 
in  allen  tiutschen  landen, 
er  hete  sich  vor  schänden 
allia  siniu  jdr  behuot. 
er  was  hübisch  unde  fruot, 
schoene  und  aller  tugende  vol. 
swä  mite  ein  man  zer  werlte  sol 
bejagen  höher  wirde  pris, 
daz  kmide  wol  der  herre  wfs 
bedenken  unde  betrahten. 
nan  sach  den  vil  geslahten 

iz   erweltiu  kleider  tragen. 
MFsen,  beizen  unde  jagen 
lande  er  wol  und  treip  sin  vil. 
chachzabel  unde  saitenspil 
laz  was  sin  kurzewile. 
iraer  Ober  hundert  mile 


Sein  Leben  war  so  vollbracht 
Dass  sein  aufs  beste  ward  gedacht 
In  allen  deutschen  Landen. 
Er  hatte  sich  vor  Schanden 
Air  seine  Zeit  bewahrt. 
Gebildet  war  er  und  kluger  Art, 
Schön  und  jeder  Tugend  voll. 
Womit  vor  der  Welt  sich  soll 
Ein  Mann  erjagen  höchste  Preise 
Das  konnte  der  Ritter  in  aller  Weise 
Klüglich  wohl  erachten. 
Man  sah  ihn  stets  nach  Anmuth 

trachten 
Und  auserwählte  Kleider  tragen: 
Birschen,  beizen  und  jagen 
Konnt^  er  und  trieb  dess  viel. 
Schacbzabel  und  Saitenspiel 
Das  macht'  ihm  kurze  Weile :  — 
Ja  war'  ihm  über  tausend  Meilen 


*)  Dazu  kommt  noch^  dass  es  für  den  Bisrhof  Eckeberf ,  der  im  Kloster  Michels- 
berg,  oberhalb  Bamberg,  für  seinen  Vater  Herzog  Bertold  von  jMeran  und 
seine  Schwerter,  seligen  Gedächtnisses.»  die  Königin  Gerfrud  von  Ungarn, 
emen  Jahrtag  sliflet,  besonders  viichti^  sein  mussle..  ober  seine  spM  er- 
rollte  Pflicht  (früher  war  er  wegen  Ermordung  Kaiser  Philipps  verbannt) 
solche  Zeugen  auszusuchen,  welche  Diener  seines  Vaters  und  bei  dessen  Tode 
anwesend  waren. 

*)  Docen  in  Arettns  Beilr.  1806.  II.  8t.  S.  168  AT  und  Mise.  I.  56  AT.  Be- 
necke  S.  LV  — LXIV.  v.  d.  Hagen  Gesemmlabenleuer  und  F.  Sachsens 
schöne  Abhandlung  daritber.  Berlin  1^57.  —  Eine  Handschrift  vom  J.  1284 
auf  der  Mflncbner  Bibliolbek. 


298 


gezeiget  im  ein  ritterschafb 
dd  waer  der  herre  tugenthafl 
mit  guotem  willen  hin  geriten 
und  haete  gerne  da  erstriten 
nach  lobe  df  höher  minne  solt. 
er  war  den  vrouwen  also  holt 
die  wol  bescheiden  wären, 
daz  er  in  sinen  jdren 
mit  lange  wemder  staete 
in  so  gedienet  haete, 
daz  alliu  saeldenhaften  wip 
sinen  wünneclichen  lip 
lobten  unde  pristen. 

als  uns  diu  buoch  bewisten 
und  ich  von  im  geschriben  vant 
so  was  der  herre  genant 
her  Wirnt  dd  von  Grävenberc. 


Gesagt  von  einer  Ritterschaft, 
Er  wäre'mit  frischer  Kraft 
Und  gutem  Willen  hingeritten 
Und  hätte  freudig  da  gestritten 
Um  Lob  und  edler  Minne  Sold. 
Er  war  den  Frauen  also  hold 
Dass  er  in  seinen  Jaiiren 
Solchen  die  wohlgezogen  waren 
Mit  dauernder  Treue  froh 
Stets  gedienet  ulso 
Dass  alle  wohlgesinnten 
Frau'n  von  Herzen  ihn  minnten 
Und  rühmten   ihn  mit   höchsten 

Preisen.  — 
Wie  uns  die  Bächer  beweisen 
Und  ich  von  ihm  geschrieben  fand 
Ward  der  Ritter  genannt 
Herr  Wirnt  von  Grävenberg. 


So  hatte  er  ^elliu  siniu  jar  wertlichiu  werch  gewirchet .  und  sin 
herze  tobete^  nach  der  Minne.  Nun  sass  der  Gute  ^ines  Tages  in 
seiner  Kemenate  und  hatte  sich  die  Zeit  bis  zum  Abend  mit  einem 
Büchlein  vertrieben,  in  dem  viel  süsse  Rede  über  die  Minne  gesch^eben 
stand,  da  erschien  ihm  plötzlich  eine  wunderschöne  Frau,  die  noch 
herrlicher  war  als  alle  „gottinne,"  die  weiland  der  Minne  pflagen.  Ihr 
Antlitz  leuchtete  spiegelklar,  dass  das  ganze  Gemach  wiederstrahlte. 
Was  man  an  schönen  Frauen  rühmt,  das  übertraf  ihr  Leib  bei  weitem. 
Auch  war  sie  kostbar  gekleidet,  so  dass  gar  Niemand  solche  Gewände 
bezahlen  könnte ,  wenn  sie  auch  feil  wären.  Der  Ritter  erschrack  so 
heftig  über  diese  Erscheinung,  dass  er  die  Farbe  wechselte,  auf  sprang 
er  und  empfing  sie  so  schöne  er  konnte:  ^Frouwe,  sit  got  wiHekomen! 
swaz  ich  von  wiben  hän  vemomen  der  Überguide  sit  ir  gar!"*  Darauf 
sprach  die  Frau  mit  Züchten:  \Viel  lieber  Freund!  Gott  lohne  Dir! 
Erschrick  nicht  so  sehr  vor  mir,  ich  bin  ds,  dieselbe  Frau,  der  Du 
früher  und  jetzt  noch  gedient  hast,  um  die  Du  Seele  und  Leib  gewagt, 
weil  Du  mir  so  viele  Jahre  getreu  gewesen,  darum  bin  ich  hergekom- 
men, dass  Du  nach  Herzenslust  mich  beschauest,  wie  schöne  ich  sei  und 
vollkommen."  Das  bedünkte  den  edlen  Herrn  aber  wunderlich,  dass 
ihn  die  Fraue,  die  er  nie  gesehen  hatte,  ihren  Dienstmann  nannte, 
ihrer  Schönheit  willen  erbietet  er  sich  als  Knecht  bis  auf  den  Tod  ihr 
zu  dienen  und  fragt  nach  ihrem  Namen,  ob  er  denselben  vielleicht  schon 
gehört  habe.  „Dass  Du  mir  unterthänig  bist,  darfst  Du  Dich  nicht 
schämen,  entgegnet  sie  darauf,  denn  unter  meiner  Krone  stehen  Kaiser 
mid  Könige ,   Grafen ,  Freie  und  Herzoge  haben  mir  ihr  Knie  gebogen 


299 

und  mein  Gebot  geleistet,  denn  ausser  Gott,  der  allein  gewaltig  über 
mir  ist,  fbrchte  ich  Niemand.  Die  Welt  bin  ich  geheissen;  nun  sei  der 
lange  begehrte  Lohn  gewährt,  hie  bin  ich,  nun  schaue  mich  an!^  Da 
kehrt*  sie  ihm  den  Rücken  zu  -:—  der  war  überall  voll  abscheulicher 
Schlangen,  voll  Kröten  und  Nattern,  ihr  Leib  voll  Blattern  und  Ge- 
schwüre, Fliegen  und  Ameisen  zehrten  daran,  in*8  Fleisch  hatten  sich 
die  Maden  bis  auf  die  Knochen  eingeüressen,  unleidlicher  Gestank  bro** 
delte  von  ihr,  statt  des  reinen  Kleides  war  hier  nur  schlechtes  Aschen- 
tach  zu  schauen,  ihr  lichter  Schein  war  in  Aas  verkehrt.  Dann  zog 
sie  von  dannen.  Der  Ritter  aber  war  wie  umgewandelt,  verliess  Weib 
und  Kinder,  nahm  das  Kreuz  auf  sein  Gewand,  hub  sich  über  das 
wilde  Meer  und  half  dem  edlen  Gottesheer  gegen  die  Heidensohafl 
streiten.  Das  that  er  so  fleissig  sagt  Konrad  mit  einer  Walther*schen 
Wendung,  dass,  als  ihm  hier  der  Leib  erstarb,  seine  Seele  ihm  dort 
genass.  — 

Verstehen  wir  die  Sage  recht,  so  hatte  Wimt  offenbar  schwere 
Krfahrungen  in  der  Welt  und  an  ihrer  Treue  gemacht,  er  mosste  furcht^ 
bar  enttäuscht  und  aus  seinem  schönen  freudigen  Lebdn  aufgeschreckt 
worden  sein,  dass  er  selbst  Weib  und  Kinder  Hess  und  zum  schweren 
Streite  in's  Elend  (in  die  Fremde)  fuhr.  .  Conrad  von  Wirzburg  aber 
Kat  mit  dieser  kleinen  Erzählung,  in  der  er  einen  inneren  Vorgang  oder 
ein  äusseres  Erlebniss  des  Dichters  in  poetischer  Bildung  verkleidete, 
ein  Meisterwerk  seiner  Kunst  geliefert;  in  warmen  Zügen  schildert  er 
ans  den  noblen  Dichter,  so  dass  sein  ganzes  Bild  mit  seinen  Freuden 
und  Entsagungen  in  herzgewinnender  Weise  vor  uns  steht.  —  Die 
Bistoriker  sind  darin  übereingekompien,  dass,  da  der  letzte  Kreuzzug, 
den  Wirnt  mitgemacht  haben  kann,  im  Jahre  1228  aahub,  demzufolge 
der  Wigalois  ungefähr  in  den  Jahren  1210 — 1212  entstanden  seiq  müsse. 
Dass  er  von  seiner  Kreuzesfahrt  nicht  mehr  zurückgekehrt,  scheint 
Konrad  angedeutet  zu  haben ;  auch  Rudolph  von  Ems ,  der  seine 
Chronik  freilich,  erst  1240  schrieb,  gedenkt  seiner  als  eines  längst  Ver- 
storbenen. ') 

Der  Wigalois  aber  mussfe  sich  einer  grossen  Theilnahme  und  Ver- 
breitung erfreut  haben,  denn  abgesehen  von  den  verschiedenen  Hand- 
schriften, die  sich  j;u  Köln,  Stuttgart,  in  Mecklenburg,')  in  der  Schweiz 


*)  Spaagenberg  rühmt  in  s.  Adelspiegel  11.  197:  ,^Bernhard  von  Graiien- 
berg,  so  sonst  auch  Wim  icke  vnd  Wirnt  genaodt  wird,  ein  gelahrter 
vnd  belesener  vom  Adel,  so  viel  Historien  Reimweise  beschrieben  vnd  vnter 
denselben  auch  das  Gedicht  von  Herr  Wiglois  vom  Rade  vnd  dem  roten 
Grauen  Hoiero  xu  Manssrcldt."^ 

'j  Lisch  in  den  Mecklenburg.  Jahrb.  VII.  225. 


800 

und  in  den  Niederlanden  fanden,  fehlt  es  aach  nicht  an  Zeugnissen,  die 
des  Dichters  und  seines  Werkes  lobend  gedenken.  Noch  im  XV.  Jahr- 
hundert, als  die  Sprache  desselben  schon  unverständlich  geworden 
war,  machte  sich  ein  Ungenannter  darüber,  das  liebgewordene  Buch  in 
neue  Form  zu  fibertragen  und  schuf  1472  ein  Volksbuch  in  Prosa 
daraus,  das  später  oftmals  gedruckt  ^  und  auch  in  die  ^das  Buch  der 
Liebe''  ')  betitelte  Romansammlung  aufgenommen  wurde.  Aus  der 
Prosafibersetzung  hatte  unser  braver  Münchner  Maler  Ulrich  Fütrer 
gegen  das  Ende  des  XV.  Jahrh.  einen  neuen  Auszug  veranstaltet,  den 
er  dem  zweiten  Theile  seiner  im  Versmaasse  des  Titurel  geschriebenen 
Sammlung  von  Ritterbüchern  einverleibte.')  Auch  im  Dänischen  und 
Isländischen  hatte  der  Wigalois  im  XVI.  Jahrh.  Eingang  gefunden, 
sogar  eine  jüdisch-deutsche  IVavestie  kam  zu  Stande,  die  Josel  von 
Witzenhausen  mit  der  ganzen  Bravour  eines  Bänkelsängers  ver- 
fasste.  *•) 

Im  Jahre  1819  (Berlin  bei  Reimer)  veranstaltete  der  als  Lehrer 
Jacob  Grimms  bekannte  und  in  seiner  Zeit  hochverdiente  6.  Fr. 
Benecke  (f  1844)  die  erste,  namentlich  durch  ihre  Erläuterungen 
werthvolle  Ausgabe,  worauf  Franz  Pfeiffer  einen  kritisch  hergestell- 
ten Text  (Dichtungen  des  deutschen  Mittelalters.  Leipzig,  1847.  VI.  B.) 
und  W.  6f.  von  Baudissin  (Leipzig  1848.  bei  Brockhaus)  eine 
flüssige  Uebertragung ,  von  welcher  unsere  Leser  hier  manche  Probe 
gefunden  haben,  folgen  Hessen. 

Ueberblicken  wir  noch  einmal  das  Gedicht,  so  stellt  sich  das 
Ganze  klar  als  eine  Copie  des  Parcival  heraus,  mit  dessen  Dichter 
unser  Wimt  ebensowohl,  wie  mit  dem  Verfasser  der  Lehren  des 
Winsbecke  bekannt  gewesen  sein  musste.  Gawein  spielt  ganz  die 
Rolle  Gahmuret's , .  er  geht  eine  Ehe  ein  und  verlässt  seine  Frau  aus 
Lust  an  Aventiure^  wie  Gahmuret  auch  mit  Herzeloyde  thut;  der  aus 
dieser  Ehe  hervorgegangene  Sohn  ist,  wie  dort  der  Parcival,  hier  der 
Wigalois,    der  Held  der  Fabel.     Es  gibt  überall    secundäre  Naturen, 


*)  Augsburg  1493.  Strassburg  1519.  Frankfurt  s.  a.  und  1561,  1586.  Nürnberg 
1653  und  1661.    Vgl.  G  öd  ecke  Grundriss.  S.  116. 

3)  1587.    Neue  Ausgabe  Berlin  1778.  II.  B.  —    Neu  bearbeitet  von  Simrock 
in  dessen  Volksbüchern.  1846.  III.  419—196. 

')  Docen  Beiträge.    IX.  B. 

*)  Wann  dieses  Machwerk  zum  erstenmale  ^druckt  warde,  ist  nDbekannt, 
doch  gedenkt  desselben  schon  Wa^enseil  ins.  ,^Belehrnnff  der  jüdisch- 
teutschen  Red-  und  Schreibart^  (Königsberg  1699),  von"  wo  dasselbe  in  die 
^^Erzählungen  aus  dem  Heldensaal  aller  deutscher  Nation^  (Danzir  178(^  über- 
ging. Vgl.  V  d  Hagen  im  Museum  für  altd.  Lit  1809.  I.  556  (T.  —  Auch' 
eine  spanische  Bearbeitung  des  Wigalois  »islirt.  Vgl.  Beneek^  S.  XXV. 


801 

die  eine  Anregung  von  aassen,  eines  Vorbildes,  an  das  sie  sich  an- 
lehnen können,  bedürfen,  um  zur  eigenen  Productivität  zu  gelangen 
so  auch  Wimt,  der  erst  iiu  reiferen  Alter  zur  Poesie  kam.  Wie 
Wolfram  sich  gerne,  wiewohl  massig,  in  Schilderung  prächtiger  Ge- 
wände und  feiner  Zucht  ergeht,  so  hat« Wirnt  häufig  Alles  überboten 
und  häuft,  wie  er  selbst  sagt.  Niegesehenes  auf  seine  HaujHpersonen. 
Die  phantastischen  Abenteuer  6awan*s  im  Parcival  überbot  Wimt  mit 
einem  ganzen  Dutzend  ähnlicher,  nur  noch  mehr  ungeheuerlicher  Ar- 
beiten, die  Gawans  SprössUng,  im  Style  des  Vaters  zu  vollbringen 
.hatte.  Die  Gralbotin  Kundrie  ist  ihm  für  sdine  Riesenirau  als  Modell 
gefressen,  -auch  den  Rohas  (Parcival  496,  15)  bringt  er  wieder,  aber 
in  spuckhafter  Gestalt.  Nur  eine  schöne  goldene  leitende  Idee  hat  er 
nicht,  sein  £pos  ist  ein  tolles  mittelalterliches  Nebeneinander,  wie  bald 
auch  die  Maler  die  verschiedenartigsten  Begebenheiten  neben  einander 
in  ein  Bild  zu  gruppieren  beliebten;  seine  Aventiure  ist  nicht  gebaut, 
sondern  nur  lose  aneinander  gereiht,  dabei  pocht  er  aber  immer  auf 
seinen  Gewährsmann,  den  welschen  Knappen,  der  vielleicht  eine  gut  er- 
fundene Figur  ist.  Auch  in  der  äusseren  Form  nähert  sich  Wimt 
seinem  Vorbilde;  wie  Wolfiram,  freilich  erst  nachdem  seine  Dichtung 
weiter  vorgeschritten  war,  ein  bestimmtes  Maass  von  dfeissig  Zeilen 
in  einen  Abschnitt,  fasst,  so  macht  Wimt  gleichfalls  eigenthümliche 
Abschnitte,  die  er  jedesmal  durch  einen  dreifachen  künstlichen  Reim 
bescbliesst.  —  Es  muss  ein  noch  unentdeckter  Verkehr  mit  den  Beiden 
bestanden  haben,  Wolfram  war  für  Wimt  von  demselben  Einfluss, 
wie  der  Wigaloisdichter  auf  den  später  zu  besprechenden  Winsbecke 
ausgeübt  hat.  Dass  Wolfram  übrigens  des  Wirnt  nicht  erwähnt,  ist 
völlig  klar,  da  Letzterer  erst  au  sein  Werk  ging,  als  der  Parcival' 
schon  vollendet  war.  — 

An  den  Parcival  oder  an  die.  von  den  Welschen  ziemlich  frivol 
behandelte  Artussage  lehnt  sich  ferner  Heinrich  von  dem  Türlin, 
der  in  seinem  über  30,000  Verse  umfassenden  Werke  „der  aventiure 
kr^ne^  den  Chrestiens  de  Troyes  zu  Gmnde  legte.*)  Das  Gedicht  muss 
etwa  nach  1220  und  vor  1242  entstanden  sein.  Scholl  theilt  Wacker- 
nag eis  Annahme,  dass  der  Dichter  aus  Steyer  war;  dagegen  hat 
Dr.  Karl  Roth  den  Namen  (Heinricus  apud  portulam)  in  einer  Ur- 
kunde des  Reichsstifts  Niedermünster  zu  Regensburg  vom  Jahre  1240 
aufgefunden.     Den  Stoff  holte  sich  der  Verfasser  aus  der  französischen 


>>  Dia  cr6oe,  von  Heinrich  von  dem  türitn.  Iiemasgeg.  von  Srholl.  Sliitigart 
1852.  XXVII.  B.  der  Stutigiirl.  Pirbl.  Zingerle  in  Pfeiffers  Germania.  V, 
468  ff 


302 

Quelle,  in  Form  and  Behandlang  hatte  er  den  Wigalois  zum  Moste 
genommen,  doch  kannte  er  auch  Wolfram,  Hartmann,  Reinmar  de 
Alten  und  Ditmar  von  Eist.  Gervinus  hat  ein  allzustrenges  UrtheiL 
darüber  gefallt,  doch  ist  die  Fülle  der  Aventiuren  zu  übersättigen 
,  als  dass  wir  des  Weiteren  darauf  eingehen  können ;  *  was  Heinrich  vo 
Gawanjs  Abenteuern  erzählt,  stimmt  theilweise  mit  dem  Parcival  genau 
überein,  auch  geht  Gawan  den  Gral  zu  suchen  und  findet  ihn  wirklich. 
Tn  der  Folge  werden  wir  unserem  Heinrich  von  dem  Türlin  noch  einmal 
begegnen,  da  er  einen  Theil  des  Willehalm  seiner  wohlwollenden  Be- 
handlung unterzog.  — 

Die  Sage  vom  Schwanenritter  (die  auch  Konrad  von  Wirz- 
burg  bearbeitete)  haben  wif  bereits  früher  erwähnt.  Im  Lohengrin,0 
den  nach  Ettmüller  (Handbuch  S.  220)  Heinrich  Frauenlob  verfasst 
habeth  soll,  treten  Heinrich  I.,  Giselbrecht,  Herzog  von  Lothringen  und 
Bischof  Ulrich  von  Augsburg  auf,  die  als  Zeitgenossen  Lohengrins  an- 
gegeben werden;  das  Gedicht  schliesst  mit  einer  kleinen  deutschen 
Geschichte  bis  zum  Tode  Heinrich  H.  und  der  heil.  Kunigunde.  Auf- 
fallend ist  (v.  7617)  das  Lob  des  Bayerlandes;  vielleicht  stand  der 
Poet  in  Beziehung  zu  Herzog  Heinrich  von  Niederbayem.  (1253—90.) 

'  Daran  reihen  wir  eine  Anzahl  anderer  Werke  und  Dichter,  die 
sich  entweder  durch  frühere  Abschriften  bei  uns  eingebürgert  haben  oder 
deren  Verfasser  mit  mehr  oder  minder  gesicherten  Rechte  Ansprüche 
auf  Landsmannschaft  erheben.  Die  goldene  Geschichte  von  Mai  und 
Beaflor*)'  ist  uns  in  einer  Handschrift  vom  Jahre  1284  erhalten; 
.der  Tandarius  und  Florbidel  des  steyerischen  Plaier')  kam 
frühzeitig  zu  uns,  ebenso  der  Daniel  von  Blumenthal  des  Strickers, 
der  als  Lehensmann  des  Klosters  Reichersberg  (1190)  unsere  Grenze 
in  derselben  Weise  streift,  wie  er  mit  dem  wirren  Knäuel  seiner  Aben- 
teuer die  Artus-  und  Pareivalsage  berührt.  Ulrich  von  Zazikoven 
galt  nach  Wackemagels  Urtheil,  dem  sich  anflängKeh  noch  (xödeke 
anschloss,  für  einen  Bayer,  bis  ihn  Pfeiffer  (Germ.  H..  496)  in  den 
Thurgau  bleibend   verwies.     Auch    Konrad  von  Wirzborg   wurde 


')  Aiisgahe  von  Görres  1813  und  Rückert  Leipzig  1858.  (XXXYI.  Bd.  der 
Bib).  der  ges.  dent.  Kit.)  LelKlerer  selzt  die  Zeil  seiner  Enisfehiing  zwischen 
1276—90. 

')  Herausgegeben  im  Vif.  B.  der  Dicblungen  des  dculsdien  MidelaKers.  Leipzig 
1848.     Ueberselzl  und  erklärt  von  Job.  Wehrle.  Freiburg  1856. 

^)  Pfeiffer  (German.  IL  500)  sucht  Plaiers  Heimalh  im  Salzhurrischen ;  uoler 
den  Zeugen  einer  zu  S4.  Zeno  bei  KeicheiihaU  1305  «usgesIdHen  Urkunde 
erscheint   ^lier  Cbuurat  der  PJHyer  ^ 


303        , 

t&r  fiaset  in  Ansprucli  genommen;  WackernageP)  fand  nämlich  in  der 
^ Spiegelgasse ^  zu  Basel,  wo  der  Dichter  wohnte  nnd  am  31.  Augast 
1287  mit  seiner  Frau  und  zweien  Töchtern  an  einem  Tage  gestorben 
sein  soll,  ein  Haus,  das  den  Namen  Wirzburg  föhrte;  er  schloss  daraus, 
dass  Konrad  davon  seinen  Namen  erhalten  habe;  das  Haus  trägt  den 
Namen  aber  erst  in  einer  späteren  Urkunde,  eine  über  die  Todesjahr- 
zahl des  Dichters  hinaufreichende  Nachricht  über  dieses  verhängnissvolle 
^domus  <)uondam  magistri  Cunradi  Wirzeburg^  ist  jedoch  noch  nicht 
aufgefunden.  Sonach  wäre  es  immer  noch  defikbar,  dass  der  als  vagus 
oder  ,.gernder  man"  landflüchtig  herumziehende  Dichter  von  dieser 
Stadt  wohl  xien  Namen  habe,  indess  seine  Werke  unter  dem  Protectorat 
fremder  Bfirger  und  wohlwollender  Herren  später  entstanden.  Da  der 
Streit  noch  lange  nicht  ausgefoctiten  und  sub  judice  scheint,  da  Herr 
Denzinger  mit  weiteren  Belegen  uachzurticken  gesonnen  sein  soll,*)  so 
mag  es  Herr  Wackernagel,  der  hier  ohnehin  schon  genug  Lücken  und 
Fehler  nachzuweisen  haben  wird,  gleichfalls  verzeihen,  wenn  Conrad 
obwohl  ganz  kurz  unter  den  bayerischen  Poeten  in  einer  heutigen  Li-, 
terärgeschichte  verzeichnet  wird.  Nach  den  alten  Grenzen  des  Landes 
gehört  er  uns  ohnehin  auf  keinen  Fall  an,  auch  sind  seine  Werke  alle 
in  der  Fremde  und  auf  die  Bestellung  anderer  Leute  entstanden,  nur 
zwei  Stoffe,  vom  Heinrich  von  Kempten  und  die  schöne  Novelle  von 
Wirnt's  Lebensende  gehen  uns  ihrer  heimathlichen  Beziehungen  wegen 
an;  aber  auch  dazu  will  der  Dichter  seinen  Stoff  aus  Büchern  erhalten 
haben,  wenn  anders  auf  diese  stereotype  Redensart  etwas  zu  geben  ist. 
Herr  Blicker  von  Steinach  (1211— 1228)  mit  seinem  „ümbehang** 
gehört  in  die  heutige  Rheinpfalz.')  Dagegen  wäre  ein  anderer  Dichter 
AI  brecht  von  Kemenaten  vielleicht  noch  flir  uns  zu  gewinnen. 
Er  gehört  in  das  XIII,  Jahrb.;  von  ihm  sind  nach  Haupt  (Zeitschrift 
VI.,  520—29)  das  Ecken lied  und  der  Sigenot,  dazu  auch  der 
Goldemar;  Haupt  sah  einen  Schwaben  oder  Thurgauer  in  ihm, 
Stalin  (H.  764)  gibt  ihm  die  Heimath  zu  Kaufbeuem,  Zingerle 
fand  eine  solche  Familie  auch  in  Tirol ,  Bayern  aber  hat  eine  Unzahl 
von  Ortschaften,  die  diesen  Namen  tragen  und  selbst  das  heutige 
„Nymphenburg"  fiührte  bis  zur  gloriosen  Zopfzeit  ehedem  den  ehrlichen 
Namen  Kemenaten.'*)  Später  erscheint  ein  Johann  von  Wirzburg, 
der    als   Nachahmer  Gottfried's  von  Strassburg,    in    den  Diensten  des 


*)  Iq  der  GermaDi«.  111.  257-  66  und  dagegen  H.  Denzinger  eliendas.  lY. 
113-115. 

')  Derselbe  starb  indessen  1862. 

')  Pfeiffer  Zur  deutschen  Li't.  Gfsdi.  Slullgart  1855.  S.  5—28. 

^)  Oberb.  Archiv.  Vf.  366. 


J 


804 

Grafen  Albrecht  van  Heyerloh  (wahrscheblich  za  Esslingen)  im  J.  1314 
eine  Maer  von  ^Wilhelm  von  Osterriche^  vollendete,  in  welcher  er 
das  österreichische  Fürstenhaus  verherrlichte.*)  Alle  diese  Dinge  ge- 
hören jedoch  grösstentheils  gar  nicht  hieher,  wir  erwähnen  sie  nur,  um 
einigen  ängstlichen  Gemüthem , '  die  uns  mit  ihrer  guten  Meinang  oft 
heillos  in  die  Irre  geführt  haben,  gerecht  zu  werden  und  selbe  unsere« 
unzweifelhaflen  Dankes  zu  versichern.  — 

Da  unsere  Vorfahren  immer  von  dem  ihnen  zunächst  liegenden  Leben 
ihre  Bilder  nahmen,  so  machten  sie  auch  aus  der  Minne  entweder  ein 
Kloster,  in  dem  die  Minnerlein  in  weltabgeschiedener  Verschollenheit  und 
Alles  vergessender  Innigkeit  einander  leben,  oder  sie  machten  einen  Krieg 
daraus  oder  gar  eine  Burg,')  die  von  wackeren  Rittern  standhaft  erstritten 
werden  muss,  noch  lieber  aber  nahmen  sie  das  Beispiel  von  der  Jagd,  was 
Hadamar  von  der  Laber^)  zu  einem  eigenen  Gedicht  in  der  künstliche 
Titurelsprache  ausgedehnt  hat  Die  grosse  Anzahl  der  erhaltenen  Hand- 
und  Abschriften,  die  Ruhmredigkeit,  mit  der  man  im  XV.  Jahrh.  und 
, späterhin  des  Dichters  gedachte  und  ihn  sogar  mit  Wolfram  gleich- 
zustellen beliebte,  zeigen  von  dem  wiederhallenden  Anklang,  den  dieses 
Opus  geweckt  und  gefunden  hatte.  Der  Umstand,  dass  Wignläus  Hund 
im  Jahre  1676  auf  dem  früher  den  Laberern  gehörigen  Schloss  Prann 
(an  der  Altmühl)  eine  (nun  in  München  befindliche)  Handschrift  des 
Nibelungenliedes  üand,  möchte  auf  den  Sitz  unseres  Dichters  schliessen 
lassen,  dessen  Familie  jedoch  weit  verzweigt  was,  ebenso  wie  der  Name 
Hadam&r,  den  wahrscheinlich  immer  die  Erstgebornen  derer  von  der 
Laber  ftihrten.  Demnach  ist  der  Versuch,  den  Dichter  nach  fester 
Jahrzahl  und  Persönlichkeit  zu  bestimmen,  ziemlich  schwierig.  Ein 
Hadamar  von  der  Laber  vermählte  sich  1294  mif^Agnes,  der  Tochter 
des  Ulrich  von  Abensberg;  er  könnte  der  Autor  unseres  Gedichtes  sein, 
das  in  die  ersten  Jahrzehende  des  XIV.  Jahrh.  fällt.  Sicherlich  lebte 
er  am  Hofe  Kaiser  Ludwig  des  Bayer, ^)  in  seinem  Opus  üennt  er 
wenigstens  den  greisen  Ludwig  von  der  Teck,  der  mit  dem  Kaiser  ver- 
kehrte und  1328  in  einer  kaiserlichen  Urkunde  erscheint,  worin  Luoca 
zu  einem  Fürstenthuui  erhoben  wird. 


•)  Stimulier  H»ii(Jliiich.  S.  229.   Wackernagel  S.  107.  Gödeke  S.  74. 

')  So  i.  B.  die  .Miniiebiirg  des  Meisfer  Egen  von  Bamberg.  (HS.  in  Wien  und 
Heidelberg ) 

')  Heraiisgegehtin  von  Seh  melier.  XX.  ß  der  Publ.  des  liCerar.  Vereins. 
Sliiilgart  1850. 

^)  Ein  .Hadamar  von  der  I.nber  war  aurh  im  Dienste  Ludwig  des  Sirengen,  und 
unferschrieb  inii  Konradin  die  Sliflungsiirkunde  von  Fürsfenfeld  ood  die 
Begabung  Seligenihals.  1266. 


Der  Verdacht  ist  vielleicht  nicht  ungegrttndet,   dass  Hadamar  ein 
leider  fiir  uns  verlorenes,  schönes,  hohes  and  kunstvoUendetes  Vorbild 
genommen  h^tte,  er  verhält  sich  zu  einem  unbekannten  froheren  Dichter, 
wie  Albrecht    von  Scharfenberg    zu  Wolfram.     Eine  so  tantologische. 
Phantastik,  eine  solch  mühevoll  sich  hinwälzende  Allegorie  kommt  nicht 
aas  einem  Gosse,  entsteht  nicht  ans  der  Seele  eines  Menschen,  ond 
wenn  er  auch  der  verschrobenste  Kaoz  wäre;    so  etwas  ist  nor  dorch 
ein  Bessermachenwollen  möglich,  dem  dann  der  breiteste  Zopf  im  Nacken 
sitzt.     Wir  können  mit  einem  vom  Standpunkt  des  Xin.  Jahrh.  röck- 
schaoendem  Beispiel  kühnlich  behaupten,  dass  Wolfram's  Titnrel,  wie 
er  mit  ^grandioser  Einfachheit  in  der  Seele  des  E^schenbachers  entstan- 
den, ein  romanischer  Kirchenbao  gewesen,   der  von  der  nachfolgenden 
Spitzbogenkonst  dorchbrochen  und  gothisirt  wurde ;   da  Wimmelt  Alles 
von  Zien'athen,  Knäufen  und  Knäufchen,  von  Laubwerk,  ausgeladenen 
Ornamenten  und  gebogenen  Fialen  und  gewundenen  Thürmchen.   Hada- 
xnar's  Arbeit  aber  macht  eher  noch  den  Eindruck  eines  gotbischen  Domes 
der  in  gutgemeinter  ^Verschönerung''  mit  Renaissancestil  überkleistert 

Albrecht  von  Scharffenberg  und  Hadamar  von  der  Laber 
^^varen  geistesverwandt  und  hatten  sich  im  Leben  sicherlich  zusammen- 
^efonden^  der  eine  stand  vielleicht  schon  an  der  Grenze  des  Lebens,  der 
^uidere  im  vollen  Jugendmuthe,  zwei  ganz  congeniale  Geister  und  höchst 
'tertiäre  Naturen.     Das  Unglück  will  freilich,   dass  Hadamar*s  Dicht- 
«jng  in  keiner  gleichzeitigen  Handschrift  erhalten  ist;  die  Kopisten  haben 
^^^e  zur  Strafe  eigenwillig  Hand  angelegt  und  so  ist  kaum  eine  Strophe 
in  allen  Handschriften  dieselbö  verblieben.     Schraeller's  Ausdauer  ver- 
mochte eine  Vulgata  herzustellen  und   darnach  gestaltet  sich   beiläufig 
fx>lgender  Inhalt:     Eines  Morgens  reitet  der  Minnejäger  aus,   um  sein 
liieb  zu  finden,  und  folgt  dabei  einzig  seineYn  Herzen,  das  ihn  auf  die 
Spur  bringen  soll.     Ausser  diesem  personificirten  Herzen  sind  mit  ihm 
c3ie  von  Knechten  geführten  Hunde:    Golöcke,  Lust,  Liebe,  Genade, 
"Wille,  Wunne,  Trost,  State,  Treue,  Harre,  neben  welchem  Rudel  im 
"heiteren*  Verlaufe  nocfi  allerlei  andere  ähnliche  personificirte  oder  viel- 
xnehr  canificirte  Jagdgesellen  sowohl  guter  als  schlimmer  Art  eine  Rolle 
spielen.   Bei  einem  erfahrnen  Waidmann,  dem  ersten  der  ihm  begegnet, 
^rbolt  er  sich  Raths  über  sein  Beginnen.  Das  Herz  findet  eine  Fährte; 
^ie  Spur  ist  die  eines  hohen  preiswürdigen  Wildes.    Demselben  nahe 
gekommen ,  entrinnt  aber  dem  Jäger  das  Herz  und    wird  'vom  Wilde 
^verwundet.    Es  zeigen  sich  Wölfe,  d.  h.  Auflauerer  und  Angeber.  Von 
kleinen  Hunden  verlassen  und  weil  das  Pferd  ein  Eisen  verloren,   zu 
^^8  laufend,  begegnet  er  einem  zweiten  Waidmann,  einem  ehrenhaften 

20 


306 

Greise ,  mit  dem  ein  langes  Gespräch  gefthrt  wird ,  während  Wille, 
State  und  Treue,  das  wunde  Herz  voran,  das  edle  Wild  verfolgen, 
welches  endlich  mit  Wunne  und  Fröude  von  unserem  Jäger  erreicht 
.wird.  Wie  verzaubert  steht  er  vor  denaselben  und  erdreistet  sich  nicht 
Enden  auf  es  zu  lassen.  Da  bringen  die  Wölfe  ^alle  Hunde  zur  Flucht, 
das  Wild  entrinnt  ^in  des  Herren  Wildbann.*  Der  blöde  Jäger  muss 
von  der  Fährte  lassen.  Sein  Herz  ist  nur  noch  tiefer  verwundet.  Aber- 
malige Begegnung  mit  einem  dritten,  einem  in  Sachen  der  Minne  wenig 
blöden  Waidmann,  zu  dem  sicfh  ein  vierter  gesellt.  Bittere  Klagen 
unseres  Helden  über  das  erfahrene  Missgeschick,  und  dass  er  vor  der 
Zeit  ergrauen  müsse,  Klagen,  in  die  sich  gleichwohl  die  Hoffnung 
mischt,  treues  Ausharren  werde  das  hohe  Wild  denn  doch  noch  endlich 
gewinnen  helfen. 

Es  scheint,  der  Dichter,  der  zum  besten  damaligen  Adel  gehörte, 
habe  darinnen  die  Geschichte  einer  geheimen  Liebe  zu  einer  höher 
stehenden  Person  des  Hofes  verherrlicht,  der  Name  der  Gefeierten 
wäre  aus  den  Anfangsbuchstaben  der  689.  Strophe  als  Katharina  zu 
entziffern. 

An  diese  Klage  reiht  sich  ein  in  denselben  Strophen  abgefasstes 
Zwiegespräch:  der  Minnenden  Zwist  und  Versöhnung,  das 
auf  eine  befriedigende  Lösung  der  waidmännischen  Aventiure  schliessen 
lässt.  Auch  dieses  ist  ganz  chevaleresk  und  die  Ehre  der  Frauen  der 
das  Ganze  durchklidgende  Grundton.  Das  ist,  wie  schon  Gervinus 
bemerkt  hat,  das  Anziehende  bei  Hadamar,  dass  unter  dem  eintönigen 
Fluss  des  Ganzen  bisweilen  die  überraschendsten  Bilder  und  Gleichnisse 
auftauchen,  eine  ganz  neue  Art  von  Weiber- Achtung  und  Vergötterung; 
liebliche  und  gemöthvolle  Züge,  wie  sie  nur  das  Volkslied  hat. 

Daran  schliesst  sich  noch  ein  drittes  Gedicht:  der  Minne  Falk- 
ner, darin  die  Geliebte  als  Edelfalke  verherrlichet  wird.  Das  Vorbild 
blieb  nicht  ohne  Nachfolge;  auch  Suchenwirt  versuchte  sich  im  ähn- 
lichen Genre  und  Wolfgang  Sedelius  zu  Tegernsee  schrieb  1545 
eine  geistliche  Hirschjagd;  man  sieht,  Hadamar  war  ein  Vor- 
läufer des  Theuerdank,  wenigstens  ist  was  poetische  Dinge  betrifft, 
von  Kaiser  Ludwig  IV.  bis  auf  Maximilian  L  den  letzten  Ritter,  keine 
grosse  Kluft.  — 

Neben  den  grossen  episohen  Romanen  erscheint  eine  Anzahl 
kleinerer  poetischer  Erzählungen  und  gereimter  Novellen,  die 
sich  entweder  in  eigenen  Sammlungen,  oder  in  Mischbänden,  auch  hie 
und  da  wie  angehängte  Codicille  oder  als  selbstständige  Büchlein  er- 
halten haben.     Die  grösste  Mannigfaltigkeit  des  Stoffes   ^ird  in  ihnen 


307 

angetroflfen ,  fast  alle  aber  sind  die  sprechenden  Zeugen  einer  sinken- 
den Kunst  und  noch  mehr  eines  bereits  faul  gewordenen  Lebens.  Da 
eine  Anzahl  davon  namenlos  überkam,  viele  auch  erst  später  das 
Indigenat  bei  uns  erhielten,  so  ist  die  patriotische  Frage  dabei  eine  sehr 
schwierige. 

Ruedeger    der   Hunthover,    der    um  1290    ein  1200  Verse 
langes  Gedicht  von  dem  Schlägel  verfasste, ')  ist  für  Bayern  vindicirt 
worden.      In    vielen  Städten    und  Märkten,    auch    in   Franken*)  und 
Schwaben,  findet  sich  ein  Schlägel  aufgehängt  und  zwar  zu  gemischten 
Gebrauch   fiir  Männer   und  Frauen;    es    sind  Städtewahrzeichen,    die 
heat  zu  Tage   einen  sehr  humoristischen   Beigeschmack  haben,   früher 
aber  sicherlich  eine  höhere  und  edlere  Bedeutung,   dass   die  Stadt  dem 
Gotte  Donar  geweiht  sei ,   aussprachen. ')     Ein  Hundshof  ^)  findet  sich 
in  Franken  bei  Burgebrach ,   dessgleichen  bei  Mitterfels ,   bei  Rain  und 
in    Niederbayem,    wo   nach   Schöppners  „Sagenbuch*  die   Schlegelge- 
schichte wiederkehrt.     Ein  Mann,    der   seinen   Kindern  zu   frühe   sein 
"Vermögen   übergeben   hat  und  von   diesen  dafür  elend  behandelt  wird, 
^^reiss  sich  dadurch  bessere  Pflege  zu  erwerben,*  dass  er  vorgibt,   noch 
grosse  Schätze  zu  besitzen;  die  nach  seinem  Tode  geöffnete  Kiste  ent- 
liält  jedoch  nur  einen  Schlegel  mit  der  Aufschrift:    wer  je  so  närrisch 
sei,  dass  er  alle  seine  Habe  den  Kindern  gibt,  so  dass  er  selber  Noth 
leidet,  dem  soll  man  hiemit  den  Schädel  einschlagen.     Die  Lehre  geht 
dann  nebenbei  in  allerlei  Variationen  auch  auf  die  Ehemänner  über. 

Ein  sehr  altes  in  alten  und  neuen  Sprachen  oft  erneutes  Maere  ist 
c^as  vom  Schpeekind  (des  snöwes  sun)  das  wir  aus  vielen  Gründen 
tf^r  Bayern  gleichfalls  in  Anspruch  nehmen  können.  Denn  abgesehen 
<^von  dass  die  Münchner  Bibliothek  eine  Handschrift  besitzt,*)  so  ist 
c3er  älteste  Dichter,  der  die  Historie  in  deutsche  Verse  gebracht  hat, 
der  Strickers,  der  als  Lehensmann  des  damals  noch  zu  Bayern  ge- 
liörigen  Klosters  Reichersberg  erscheint;   zuletzt  hat  sich  derselbe  Stoff 


*)  V.  d.  Hagen  Gesammlabenf.  II.  Nr.  49  ii.  dessen  Minnesinffer.  IV.  615.  — 
K.  Roth  (Beilr.  II.  101)  weist  eine  solche  Ortschaft  südöstlich  von  Regens- 
burg urkundlich  nach,  ebenso  den  Namen  des  Dichters,  der  mit  dem  Ver- 
fasser der  ,,Heidin^  dieselbe  Person  zu  sein  scheint. 

^)  Die  Sitte  Wurde  oolizeiTich  abgedcbaffl.  Vgl.  Journal  von  und  ftir  Franken. 
NtSrnberg  1793.  VI.  193. 

')  J.  Grimm  in  Hauptes  Zeitschrift.  V.  72  IT. 

^)  Der  Ort  muss  früher  ursprünglich  Huninc-hof  geheissen  haben,  das  bedeutet 
Hof  der  Hüninffe,  d.  h.  aer  Kinder  von  Nat-bkommen  eines  Hun,  d.  h.  eines 
Manned,  der  Hun  hiess  oder  ein  ^Hunne*^  viar  und  von  den  grossen  Heu- 
schreckentügen  dieses  Volkes  im  Lande  sitzen  geblieben  war. 

')  Darnach  in  v.  d.  Hagens  Gesammtahent.  Nr.  47. 

20* 


308 

auch   als  Volkserzählung  erhalten ,  ^)    so  dass  wir  sie  mit  gatera  Gre — 
wissen  hier   erzählen  dürfen.     Ein  Kaafinann  fuhr  nach  Gewinn  fibec^ 
Meer  und  kam  in  ein  fernes  Land,  wo  er  so  guten  Kauf  fand,  dass  ez:* 
drei  Jahre   dort  blieb  und   erst  im  Ende  des  vierten  Jahres  heimkam» 
Sein  Weib  empfing  ihn  minniglich,  ein  zweijähriges  Kindlein  ging  aber 
mit  ihr.     Auf  seine  Frage,  wem  es  gehöre,  erzählte  die  Frau,  wie  sie 
voll  sehnsüchtigen  Verlangens  nach  ihrem  Gemahl  einst  zur  Winterszeit 
in  ihr  Gärtlein  gegangen ,    da  habe  ihr  nach  einem  Eiszapfen  gelüstet, 
den  habe  sie  gegessen  und  davon  das  Kindlein  empfangen.   Eine  andere 
Variante    lässt   die  Frau  eine  Schneeflocke   mit   dem    gleichen  Erfolg 
geniessen.')     Der  Mann  meint,    es  werde  wohl  so  sein  und  übernimmt 
das  Kind.     Er  lehrte   den   Knaben   jagen   mit  Hunden   und  Habichten 
(hebechen)  und  allerlei  Federspiel,  dazu  Schachzabel,  artig  (mit  zühte) 
sprechen  und  schweigen,  harfen,  rotten  und  geigen  und  allerhand  Saiten- 
spiel  und  viele  andere  Kurzweile.     Hierauf,  nach  zehn  Jahren,  ging  er 
abermals  zu  Schiffe  und  nahm  seinen  Sohn  Eiszapf  mit  sich.  Er  wurde 
in  ein  schönes  Land  verschlagen,  wo  er  einem  reichen  Kaufmanne  das 
Schneekind  als  Waare  anbot  und  um  dreihundert  Mark  verkaufte;  damit 
fuhr  er  heim.     Seine  Hausfrau  empfing  ihn  wieder  minniglich,  auf  ihre 
Frage  nach  dem  Kinde  erzählt  er,   wie  das  Schneekind  in  dem  heissen 
Lande,  unter  der  sengenden  Sonne  wunderbarlicher  Weise  zerschmolzen. 
So  ward  eines  falschen  Weibes  List  billig  überboten. 

Dem  Strickers  werden  ferner  noch  einige  gereimte  Novellen 
zugeschrieben,  wie  der  Richter  und  Teufel  und  der  nackte 
Köni^;')  ein  ächter  Schwank  aus  dem  Volksleben  aber  ist  „Sente 
Mertines  naht.***)  Er  gibt  ein  prachtvolles  Bild,  wie  die  Martins- 
gans  ehedem  gefeiert  wurde.  Der  vielbesungene  Braten,  worüber  neben- 
bei bemerkt,  auch  tüchtige  Predigten^  existiren,^)  war  ehedejn  ein 
Wuotansvogel  und  blutete  bei  den  grossen  Julschmäusen;  die  Sitte  blieb 
an  dem  herkömmlichen  Tage  haften  und  ging  so  auf  den  heiligen  Bischof 
über,  der  sich  dieses  Attribut  gefallen  lassen  musste,  obwohl  dieses 
Thier  in  seinem  Leben   gar  keine  Rolle    spielte.  •)     Unsef e  Vorfahren ' 


')  Um  Millenberg  am  Maine  vgl.  Seh  melier  Mundarten     S.  449. 

')  Die  befruchtende  Kraft  des  Schnees  spielt  in  vielen  Sagen  eine  Rolle.    Vgl 
Hocker  Stamrosagen.  1857.  S.  67. 

^)  V.  d.  Hagen  Nro.  69  u.  71.  Erstere  auch  als  Volkserzahlung  erfaalleR,  vgl. 
Schmeller  Mundarten.  S.  447. 

<)  Hagen  IL  S.  457-62.  214  Verse. 

^)  J.  Gräler  1588.  4®  u.  M.  deFahris:  eine  schöne  Nützliche  Predigt  wamaib, 
viie  und  was  gestalt  wir  S.  Martins  Gans  ossen  sollen.  Thierbaupten  1595  4^ 

«)  J.  V^.  Wolf  Beitr.  zur  deut.  Mytbol.  I.  47  ff.  Menzel  Symbolik.  II.  112  0: 


809 

waren  eben  mit  einer  zähen,    historischen  Anhänglichkeit  aasgerüstet, 
namentlich  bei   allen  denjenigen  Dingen,    die   wie  Essen   und  Trinken 
den  Leib   und   die  Seele   zusammenhalten.     Wie  ernstlich  selbst  noch 
das  spätere  Mittelalter   darin   za  Weric  ging,    zeigt  der  altbayerische 
Martinsgansgesang  unseres  Orlando  di  Lasso,')  eine  meisterhafte  Com- 
Position ,   die  in  weinseliger  Behaglichkeit  etwas  angetrunken  durch  die 
Tonarten  schwankt,  aber  im  Bewusstsein  der  grossen  Bedeutung  dieses 
Tages  sich  anständig  auf  den  Fössen  zu  halten  strebt  und  mit  humori- 
stischer Feierlichkeit  einen  Choral  anhebt,  der  denselben  heiteren  Ein- 
dmck  hervorruft,  wie  das  Kyriesingen  in  der  Wiener  -  Meerfahrt.    Der 
von  Orlando   überlieferte  Text   trägt  jedenfalls  ein  älteres  Martinslied 
in  sich:  ^das  ist  St.  Martins  Vögelein,  dem  können  wir  nit  feind  sein. 
Lass  umegan  in  Gottes  Nam!  Trinken  wir  gut  Wein  und  Bier  auf  die 
gsotten  Gans,  auf  die  braten  Gans,   auf  die  junge  Gans,  dass  sie  uns 
nit  schaden  mag!-^  —  Strickers  Erzählung  versetzt  uns  in  eine  reiche 
obderennsisch^  Bauernstube,    wo  der  Maier  mit  seinem  Gesind  in  der 
Martinsnacht  schlemmt  und  sie  so  viel  guten  Weines  trinken,  dass  alle 
iron. Sinnen  kommen.     Das  benützten  schlaue  Diebe,  brachen  ein  Loch 
m  seinen  Stall  und  der  Verwegenste  schlüpfte  hinein.     Da  fingen  aber 
die  Hofhunde  (hohrarte)  zomiglichen   an  und  bullen,    dass   der  Wirth 
38  hörte,  ein  Licht  nahm  und  zum  Stalle  ging.    Der  Dieb  konnte  nicht 
»ntrinnen,  warf  rasch  sein  Gewand  ab,   so  dass  er  nakt  dastand,   als 
ier  Wirth  eintrat,  und  so  machte  er  über  ihn  und  seine  Rinder  mehr 
^8   zwanzigmal  das  Kreuz  und  murmelte  dazu  wie  seinen  Segen.    Er 
Brinkte  dann  dem  Wirth  näher,  sagte  ihm,  er  sei  St.  Martin  und  segne 
sein  Gut  zur  Vergeltung  des  Weines,   welchen  er  am  Martinsfeste  ge- 
spendet habe.    Zugleich  habe  er  (der  Heilige)  seine  Rinder  gegen  ein- 
dringende Diebe    behütet   und    wolle  fürder  all   seine  Habe  bewahren, 
dmm  möge  der  Wirth  getrost  sein  Fest  fortsetzen.  Der  trunkene  Bauer 
«reint^  vor  Freuden,  pries  sich  glücklich,  dass  der  Heilige  ihn  so   ge- 
«rördiget  habe,    löschte   das  Licht   und   ging  wieder  ins  Haus.     Hier 
verkündete    er   die  Erscheinung   und    forderte  Alle   auf,    in    honorem 
Sancti  Martini  fÜrder  zu  trinken:    er    würde    selbst   seinen  Hühnern 
schenken,    wenn   sie  Wein  trinken  könnten.    Sein  Weib  musste  einen 
Riten  Käs  auftragen,  damit  der  Wein  desto  besser  hinabging  und  man 
%rauk  auf  sein  und  seines  Weibes  Leibes  und  Seelenheil  und  vor  allen 
^dem  guoten  sant  Mertine  ze  liebe  unt  ze  minnen^   so  viel,    bis  Alle 
^nnlos  lagen.    Unterdessen    trieb    der  Dieb  alle  Ochsen  und  manche 
Kühe    hinweg.     Als   der  Wirth  seinen  Bausch    verschlafen   und   am 


')  t  3.  Juni  1594. 


310 


Morgen  in  den^  Stall  ging,  fand  er  ihn  leer  und  klagte  seinem  Gesinde, 
das^  Martinas  alle  Rinder  genommen  habe;  er  wolle  ihm  nnn  keinen 
Becher  mehr  schenken;  er  heulte  und  alle  seme  Kinder  tnit  ihm.  Sein 
Weib  aber  schalt  ihn  selber  ein  Rind ,  dass  er  den  Heiligen  gesehen 
zu  haben  wähnte.  So  hatte  er  Schaden  und  Schande,  beklagte  jedoch 
mehr  jenen  als  diese. 

Die  ehemalige,  aus  dem  XIV.  Jahrh.  stammende  Regens  bur- 
ger Handschrift,  welche,  nachdem  sie  frühe^  gerade  noch  recht- 
zeitig copirt  worden  war,  darauf  im  Jahre  1809  verbrannte,  *)  ent- 
hielt in  554  Versen  eine  Märe  von  Aristoteles  und  Phyllis,*) 
die  später  (1551)  auch  Hans  Sachs  in  eine  muthwillige  ^comedi^ 
gebracht  hat.  ^Künik  Filippns,  der  in  Kriechen  was  gesezzen^  lies« 
seinen  Sohn  Alexander  durch  den  weisesten  Meister  Aristoteles  erziehen 
und  gab  beiden  mit  ihrem  Gesinde  ein  besonderes  Haus  mit  einem 
schönen  Garten;  da  lehrte  der  Meister  dem  jungen  Knaben  ^die  buooh- 
staben  ABcdeee,^  das  ging  ganz  gut^  bis  Alexander  die  schone 
Phyllis,  eine  Jungfrau  der  Königin,  ersah,  da  .entbrannte  er  in  Gluth 
und  sein  „lernen  was  verirret  gar'';  in  tausend  Jahren  bezwang  die 
Minne  nie  so  eines  Mannes  Herze,  er  tobete  nach  ihr;  die  Schöne 
erwiederte  seine  Liebe  und  so  fanden  sich  die  Geliebten  in  Freundschaft 
und  Treue  bald  in  dem  Baumgarten.  Das  vermerkte  jedoch. der  Meister, 
strafte  den  Jungen  mit  Schlägen  und  Worten  und  hütete  ihn  auf*8 
beste;  doch  half  Alles  nicht,  denn  ihre  Herzen  schwebten  „in  vröuden 
gar  hohe  alsam  ein  adel  ar.^  N^un  ging  Aristoteles  zu  dem  Könige 
und  klagt*  ihm  die  Märe;  der  König  drohte  dem  Fräulein  mit  Strafe, 
die  wohlgethane  Phyllis  aber  betheuerte  ihre  IJnscbuld,  die  auch  von 
der  Königin  anerkannt  wurde;  so  begnügte  man  sich,  die  beiden  Lie- 
benden scharf  zu  beobachten  und  auseinander  zu  halten.  Alexander 
sass  zornig  und  „brummende  als  ein  ber'^  an  der  Schule,  die  leidvoU^ 
Phyllis  jedoch,  schön  wie  die  lichte  Sonne,  sann  auf  Rache.  Sie  ging 
in  ihre  Kemenate,  legte  ein  „sidin  swenzelin^  an  ihren  zarten  Leib 
und  über  aiese  Schleppen  eipen  blanken  Hermelinpelz,  „sazte  uf  ir 
haubet  einen  zirkel  von  golde,  der  was  smal,  geweht  mit  hohem  «inne^ 
die  besten  gimmen  lagen  zwischen  dem  gesteine^;  darauf  beschaute  sie 
sich  in  ihrem  Spiegelglas  und  als  sie  nichts  mehr  zu  bessern  fand,  stieg 
die  Schelmin  leise  frühmorgens  mit  ihren  schneeweissen  Füssen  in' den 
Baumgarten  hinab  „üireht  gelich  dem  sperwaere  und  gestrichet  als 
ein  päpegän^    und   Hess  ihre  Augelein  umbe  gehen  wie  ein  Falke  auf 


h 


*)  Vgl.  V.  d.  Hagen  Ges.  Abent.  Hl.  780. 
»)'EbendM.  I.  S.  21-35. 


311 

dem  Aste,    hab  ihr  seiden   Kleidchen   (svenzelin)  wohl  bis  über   die 
blanken  Kniee,  mn  Blumen  darein  zu  lesen  und  am  Brunnen  im  thaui- 
gen  Gras  herumzupatschen.     Das  gewahrte  kaum  der  alte  Herr  Magi- 
ster,   als  er  audi   schon  wie  ein  Gimpel. an  der  Leimruthe  hing;    die 
Schöne  aber  sprang  noch  lustiger  unter  den  Biuthen  umher,  warf  dem  ^ 
alten  Herrn  wohl  eine  Handvoll  Blumen  in-  sein  Fensterchen,    so  dass 
das  weise  Meisterlein  sich  nicht  mehr  verwusste  und  ihr  zwanzig  Mark 
Gppides  bot,  könnt'  er  eine  Nacht  mit  ihr  verträumen.    Nun  wusste  sie 
wohl,  wie  er  an  ihr  einen  Affen  gefressen  hatte   (daz  er  an  si  vereffet 
was),  versagte  ihm  also  ihr  Magdtum,  wenu  er  sich  einen  Sattel,  der 
in  der  Nähe  hing,  auflegen,    mit  ihrem  Gürtel  sich  .aufzäumen  und  so 
von  ihr  durch  den  Garten  reiten  Hesse.     Nun  ist  es  von  jeher  so  ge- 
wesen, dass  Weiberlist  über  die  grösste  Weisheit  siegte ;  ihr  zärtliches 
Scbmoicheln,    Singen,    Tanzen  und  Springen  brachte  mit  Weinen  und 
X«achen  den  alten  Gauch  so  weit,  dass  er  sich  von  der  Minne  satteln, 
zäumen  und  reiten  liess:    die  Heizende  sass  auf  ihm,  ein^n  blühenden 
Hosenzweig  in  der  Hand  und  sang  ein  süsses  Minnelied ,    während  der 
^aue  Tattel  auf  allen  Vieren  durch  den  Garten  trabte;    dann   sprang 
sie  ab,    verhöhnte   ihn  weidlich,    dass  seine  hundert  Jahre  wieder  zu 
sieben  geworden  und  wünschte  ihn  zum  Teufel,  indess  sie  fröhlich  von 
plannen  lief.     Das  Alles   aber  hatte    die  Königin  mit  ihren  Jungfrauen 
-von  der  Zinne  aus  gesehen,   so  ward  die  grosse  Schmach  dem  Könige 
und    dem    ganzen  Hofe   kund    und  erscholl  überall.     Also   packte  der 
^eise  Mann,  dem  Schimpf  und  Spotte  zu  entfliehen,  nach  einer  Woche 
«eine  Bücher,  Kleider  und  Habe  und  fuhr  bei  Nacht  heimlich  auf  einem 
£chifflein  davon  nach  einer  Insel,  da  blieb  er,  machte  ein  grosses  Buch 
und    schrieb   daran  von  den  Listen  der  schönen,    ungetreuen  Weiber. 
Manchem  haben  sie  schon  Leib  und  Leben  verkehrt,    wer   sich  an  sie 
liing.     Ich  bin,    schliesst    der  Dichter,    ^des  komen  über  ein,    daz  da 
Tür  niht  gehelfen  kan ,    wan  daz  ein  iegelich  wise  man ,   der  gerne  äne 
Treisen  st,  si  ir  gesell esphefte  vrt   und  vliehe  verre  von  in    dan;    wan 
anders    niht   gehelfen    kan."  —     Das   Histörchen   blieb   übrigens  das 
ganze  Mittelajter  hindurch   bei  uns  und  unseren  Nachbarn   sehr  leben- 
dig-)   und  wurde    sogar   gerne  in  Plastik  und  in  Malerei  ausgeführt; 
man  i^ah  dergleichen  Darstellungen  auf  Tischtüchern,  auf  der  Steinplatte 
eines  Tisches  und  noch  in  den  Kupferstichen  des  XV.  Jahrh. 

Eine  Wirzburger  Handschrift,  die  sich  in  die  Münchner  Bibliothek 
gerettet  hat,    enthält  ehe  süddeutsche  Dorfgeschichte:    „daz  bloch^ 


*)  So  spielt  z.  B.  Hugo  von  Montfort  öfters  darauf  an.    Ein  Fastn  acht  spiel 
darüber  bei  Keller  Nro.  128. 


312 

(der  Block,  trnncns),  die  v.  d.  Hagen  aater  dem  Tite]:  Ehestaad» 
Tod  und  Hochzeit  in  seine  Sammlong  aufgenommen  hat  Eb  behan- 
delt die  Zähmang  eines  bösen  Bauern,  der  mit  seiner  guten  Frau  in 
Unfrieden  lebte,  sie  raufte  und  schlug,  dass'sie  mal  wie  todt  liegen 
blieb.  Eine  Nachbarin  ^  welche  den  ganzen  folgenden  Handel  anstiftet, 
geht  ihm  auf  das  Feld  nach  und  erzählt  ihm ,  dass  seine  Frao  gestor- 
ben; vergnügt  darüber  gibt  er  ihr  reichlichen  Botenlohn  und  will  nicht 
eher  nach  Hause,  als  bis  sie  begraben.  An  ihrer  Stelle  wird  nun 
wirklich  ein  angekleideter  Block  begraben,  die  Frau  aber  heimKch  zq 
der  Nachbarin  gebracht,  wo  sie  durch  gute  Pflege  bald  wieder  ihre 
frühere  Schönheit  und  Jugend  erhält,  so  dass  sie  dem  vermeintlichen 
Wittwer  nach  fünf  Wochen,  als  er  bereits  daran  denkt,  eine  neue 
Hochzeit  zu  halten^,  zugeführt  werden  kann.  Er  bemerkt  anfänglich 
die  Täuschung  nicht  und  lebt  glücklich  mit  ihr,  und  auch  dann  noch, 
als  ihm  der  ganze  Hergang  enthüllt  wird.  Das  Gredicht  ist  weder  ab- 
sonderlich witzig,  noch  geistvoll  durchgeführt,  wozu  schon  die  Spitze 
fehlt,  weil  der  rustikale  Kerlgar  keine  Reue  empfindet. 

Ein  ähnliches  culturhistorisches  Spectakelstück  ist  die  heilsame 
Maere  „wie  ein  man  sin  wip  bat,  daz  si  nach  sinem  tode  ine  man 
waere;^  die  aber,  ebenso  wie  eine  andere  Anzahl  kleiner  poetischer 
Erzählungen  keinen  Anspruch  erheben  kann,  hier  berücksichtigt  zu 
werden,  denn  ihre  Entstehung  ist  nicht  an  Bayern  geknüpft  und  der 
einzige  Umstand,  dass  sie  später  mit  Wirzburger  Handschriften  nach 
München  kamen,  ist  doch  bei  namenlosen  Sächelchen  zu  weitläufig. 

Dagegen  darf  die  Historie  „von  den  ledigen  wiben^  nicht 
übergangen  werden.  Der  Dichter  nennt  sich  Hermann  Fresisant  von 
Augsburg  und  seine  776  Verse  lange  Reimerei  sein  „erstes  (iedicht,^ 
das  er  übrigens  nur  nach  einer  älteren  Vorlage  breiter  ausgesponnen 
hat.')  Interessanter  ist  es,  das  heute  noch  gangbare  Kindermärchen 
von  den  drei  Wünschen  (dri  wünsche)  in  früherer  Fassung  zu 
sehen'):  Ein  Mann  klagte  seinem  Weibe  bitterlich  ihrer  beider  Ar- 
muth,  da  er  doch  nieht  wisse,  wie  er  sich  gegen  Gott  versündigt  habe; 
auch  sie  ist  sich  keiner  Schuld  bewusst,  so  beschliessen  sie  Grott 
reicht  ernstlich  Tag  und  Nacht  zu  bitten,  sie  reich  und  glücklich  zu 
machen.  Und  das  thaten  sie  so  lange,  bis  Gott  den  Engel  des  Mannes 
herabsandte,  der  ihn  belehrte,  er  müsse  nicht  um  Gut  bitten,  weil  er 
dergleichen  ohnediess  erhalten  hätte,   wenn  es  ihni  beschieden  und  zn- 


*)  Erhalten  in  einer  bandscbriftlichen  Sammlong  von  1447,  Hagen  Nro.  35. 
»)  Hagen  II  258-^59.  238  Verse. 


318 

träglioh  wäre*  Da  der  Mann  aber  aaf  seiner  Bitte  bestand,  so  bemerkt 
ihm  der  Engel  dagegen,  dass  der  Mensch  dann  selbst  die  Schuld  tragen 
müsse,  wenn  er  das  anv«*diente  Gl&ck  wieder  verliere.  Er  gab  ihm 
drei  Wünsche,  die  unfehlbar  erfüllt  würden,  und  der  Mann  ging  über^ 
glücklich  heim,  sich  mit  seinem  Weibe  zu  beratheir.  Er  schlug  vor: 
einen  grossen  Berg  Groldes,  mit  einer  festen  hohen  Mauer  umher  gegen 
das  Vieh;  oder  einen  Schrein,  der  immer  voll  bliebe,  wie  viel  man 
daraus  auch  nehme.  Das  Weib  bat  ihn  zuvor  um  einen  der  drei 
Wünsche  und  als  er  ihr  gewährt  war,  wünschte  s  i  e  sich  ein  so  schönes 
Kleid ,  wie  es  noch  niemals  eine  Frau  auf  der  Welt  getragen  habe : 
und  auf  der  Stelle  war  sie  damit  bekleidet.  Drob  schalt  sie  der  Mann, 
dass  sie  nur  an  sich  gedacht  habe,  während  sie  doch  zugleich  alle 
anderen  Frauen  hätte  bekleiden  können  und  verwünschte  ihr  das  Kleid 
in  den  Leib,  damit  sie  satt  davon  würde.  Auch  dieser  Wunsch  ward 
erfüllt:  das  Kleid  fuhr  dem  Weibe  sogleich  in  den  Leib  und  that  ihr 
so  wehe,  dass  sie  fürchterlich  schrie.  Die  Bauern  liefen  alle  herbei 
und  das  Weib  klagte  ihnen,  dass  ihr  Mann  es  ihr  angethan  habe.  Da 
drohten  sie  ihm  und  zückten  Messer  und  Schwert,  wenn  er  sein  Weib 
nicht  wieder  erlöse.  Es  blieb  ihm  nichts  anderes  übrig,  als  sie  durch 
den  dritten  und  letzten  Wunsch  von  ihrer  Qual  zu  befreien.  So  waren 
die  drei  Wünsche  schmählich  verbracht  und  beide  überwiesen,  dass  sie 
kein  Gut  verdienten.  Doch  gab  man  dem  Manne  die  meiste  Schuld 
und  er  ward  so  der  Leute  Spott,  dass  er  Gott  um  den  Tod  bat  und 
auch  vor  Leid  verdarb  und  starb.  Der  Dichter  aber  beschliesst  mit 
der  Betrachtung:  es  gebe  dreierlei  Thoren  (die  toren  sint  drier  slahte): 
solche,  die  weder  wissen,  noch  können  (die  niht  sinne  haut  gewunnen, 
diu  enwizzen,  noch  enkunnen);  solche,  die  nicht  wissen  wollen  (die  an- 
dern wellent  wizzen  niht);  und  solche,  die  wohl  wissen  und  können, 
jedoch  das  üebelste  thun  und  nur  nach  Gut  und  Freude  trachten,  ohne 
der  Seele  zu  gedenken  (swaz  vröude  er  hat,  swie  rieh  er  ist,  und  ist 
der  heilige  Krist  sin  vriunt  niht  alters  eine,  s6  hilft  ez  allez  Jcleine, 
swaz  er  vriunde  und  guotes  hat,  swenne  er  vriunde  und  guot  lät,  ist 
im  diu  sele  danne  uugenesen,  s6  ist  er  le  ein  tor'  gewesen.  Swer  die 
sele  niht  emert,  der  ist  ein  töre,  swie  er  vert.  Ezn'  hat  nie  man  wisen 
muot,   wan,   der  Gotes  willen  tuot). 

Von  dem  hochmüthigen  Bauernstolze,  der  auch  einmal  Ritter  spielen 
möchte  und  dieses  Leben  von  der  elendesten  Seite  des  Stegreifs  und 
Buschkleppers  fasst,  zeugt  der  Helmbrecht  desWernher,  der  sich 
selbst  einen  herumgartenden  Zugvogel  (gartenaere)  nennt ')    Das  Ge- 


*)  Die  fast  2000  Verse  iiiiir88send&  Dichtuog  ist  herausgegeben  nach  der  Am- 


SU 

dicht,  welches  später  in  Oesterreich  umgearbeitet  warde,  ftllt  bald 
nach  NithartsO  Zeit;  es  ist  eine  Dorfgeschichte  im  engsten  Sinne 
des  Wortes,  mit  grauser  Wahrheit  und  einer  beinahe  ganz  Volkslieder- 
massigen  Behandlung.  Der  Inhalt  folgt  hier  ausführlicher ,  denn  der 
Verlauf  spielt  ganz  auf  fränkischen  oder  baTerischen  Boden  und  wurde 
erst  später  in  Oesterreich,  wo  die  ,.6äuhünere^  schon  längst  ihr  Un- 
wesen trieben,  neuerdings  localisirt. 

Eines  Bauern  Sohn,  Namens  He  Im  brecht  trug  lang  fliegendes 
rothes  Haar  und  darauf  eine  Haube,  die  ein  ausgesprungenes  Nönnlein 
überaus  künstlich  mit  Bildern  benäht  hatte,  denn  mitten  darauf  befanden 
sich  Sittiche  und  Tauben  und  andere  Vögele,  als  ob  sie  aus  dem  Spessart 
(spehthart)  flögen ,  auf  der  einen  Seite  ersah  man  die  Belagerung  von 
Troja  und  wie  Aeneas  in  den  Kielen  entrann,  auf  der  linken  standen  König 
Karl,  Roland,  Turpin  und  Olivier  im  Kampfe  gegen  die  Heiden,  zwischen 
deq  Ohren  sah  man  wie  Frau  Heikens  Söhne  vor  Ravenna  (Raben)  durch 
Herrn  Witig  erschlagen  wurden  und  den  Diether  von  Berne.  Verbrämt 
war  die  Haube  mit  der  Darstellung  eines  ritterlichen  Tanzes :  zwischen  je 
zwei  Frauen  ging  ein  Ritter,  der  sie  an  den  HändeA  führte,  ebenso 
zwischen  je  zwei  Maiden  ging  ein  Knabe  an  ihren  Händen,  daneben 
standen  die  Fiedler.*)  Helmbrechts  Schwester,  Gotelint,  hatte  der 
Nunnen,  die  ^ durch  ir  hübscheit  üz  ir  zelle  was  entrunnen"  dafür  eine 
Kuh,  und  die  Mutter  Käse  und  Eier  die  Fülle  gegeben.  Gotelint  gab 
ihrem  Bruder  auch  so  feines  weisses  Linnen,  dass  wohl  sieben  Weber 
davongelaufen  waren,  ehe  es  fertig  ward;  die  Mutter  gab  ihm  gleich- 
falls so  guten  Zeug,  wie  nie  ein  „snidaere**  verschnitten  hatte,  nebst 
dem  feinsten  Schafspelz,  dazu  ein  Kettenwams  (keten  wambis),  ein 
Schwert,  einen  Güitel  Cgnippe) ')  und  eine  Tasche.  Dazu  braucht  er 
noch  einen  Oberrock  (warkus)  und  die  in  den  Jungen  vergaffte  Mutter 
kapft  gleich  das  feinste  blaue  Tuch  dazu:    darauf  stunden  am  Rücken 


hraser  HS.  von  Bergmann  im  85.  B.  der  Wiener  Jahrböcber^  1839,  daoo 
in  Haupfs  Zeilschrift.  IV.  318-85  u.  bei  Hagen  lU   282-335. 

')  Also  bald  nach  1234  Und  vor  1250  noch  in  die  Lebzeiten  Kaiser  Friedrich  11.  _  VI. 

')  ^\e  zwischen  zwein  frowen  stuont,  als  si  noch  bf  tanze  tuoni,  ein  rilter  an^r^  'O 
ir  hende:  dort  an  enem  ende  ie  zwischen  zweio  ndeiden  irie  ein  knahe  dei 
ir  hende  vie.  dd  stuonden  videlaere  bi."^    Es  ist  dieselbe  Tanzsilfe,  wie  sii 

Wolfram  von  Eschenbach  beschreibt  und  wie  sie  auch  auf  den  ältesten  Pres-      

ken  des  Schlosses  Runkelstein  abgebildet  ist,  eine  Tour  de  mtins,  die  nil^^^|^ 
den  langschnabeligen  Schuhen  sehr  feierlich  gegangen  wird.     Vergl.  obei 
S.  208  Anm.  1. 

')  Dieses  Wort  ist  ein  Beleg,  wie  wenig  unsere  Sprachwissenschaft  iu 

Dioffen  vermag  und  einig  ist.  Haffen  gibt  ^^gnipe"^  mit  Gürtel,  Hanp 
denkt  sich  einen  Dolch  darunter  nna  Grimm  meint ,  es  gehöre  zur  Tascoi 
und  müsste  eine  Knipptasche  sein,  ein  Taschel,  das  sich  scnKesst,  saknippl. 


^sa 


^e 


S15 

Vom  Nacken  bis,  zum  GHkrtel ,  dicht  aneinander  goldene  Knöpflein  und 
ebenso  waren  vom  am  Koller  (goUier)  vom  Kinn  bis  zur  Schnalle 
(rinken)  silberweisse  Knöpfe!  genäht;  so  war  er  nun  der  Allervor- 
nehmste  zwischen  Hohenstein  und  Haldenberg.')  Sein  Busen  war  mit 
<)rei  Krystallknöpfeh  geschlossen,  auch  war  der  Gauch  ganz  mit  ^knö- 
pfelinen^  übersäet,  die  gelb,  braun,  grOn,  blau,  roth,  schwarz  und  weisss 
schimmerten,  so  dass  beim  Tfinze  die  Weiber  und  Mägde  ihn  minniglich 
ansahen.  Da  wo  der  Aermel  am  Mieder  hängt  (da  der  ermel  an  daz 
muoder  gat)  war  er  mit  Schellen  behangen,  die  wenn  er  an  dem  Reihen 
sprang,  den  Weibern  in  die  Ohren  klangen.  Lebte  nur  noch  Herr 
Nithart,  er  könnte  Euch  alles  das  viel  besser  sagen.')  Manches 
Htrhn  und  manches  Ei  wurde  noch  verkauft,  bi^  sie  ihm  Hosen  ^nd 
Mne  Stiefel  von  Korduan')  anschafften.  So  will  der  Oaach  an  den 
Hof;  vergebens  mahnt  ihn  sein  Vater  an  der  Erde  zu  bleiben,  vergeb- 
lich bietet  er  ihm  des  Nachbar  reiches  Töchterlein  zum  Weibe,  der 
übermüthige  Junge  besteht  auf  seinem  Vorhaben ,  und  so  kauft  ihm 
endlich  der  nachgiebige  Alte,  nachdem  seine  Schilderung  des  Hof  lebens 
in  den  Wind  geredet,  einen  theueren  Hengst;  doch  rathet  er  ihm  sorg- 
lich seine  Haube  und  Locken  zu  böten,  er  fürchte  ihn  zuletzt  am  Stabe, 
von  einem  Knaben  geführt,  wieder  zu  sehen:  lieber  möge  er  daheim 
Wasser  trinken,  als  für  Raub  Wein  kaufen;  lieber  österreichisches 
Klamirre  (klamirre),**)  Brei  und  Roggen  mit  Haber  gemischt  essen, 
als  dem  Wirthe  für  eine  Hanne  oder  Gans  ein  geraubtes  Rind  oder 
Pferd  geben  und  fremde  Fische  speisen.  Der  Sohn  hiess  den  Vater 
Wasser  trinken,    Geislitze  (gfsKzze)*)  und  Haberbrod  essen:    er  ver- 


')  ^.Höhenstein^  ist  von  Karajan  (bei  Haupt  IV.  319)  als  die  fränkische,  ao 
der  PegnilK,  nordöstliih  von  Nürnberg  gelegene  Burg,  nachgewiesen,  die  im 
XIII.  Jahrhundert  f.ur  Advocatie  der  Sliiufer  gehörte  und  die  Konradin  am 
24.  Oktober  1266  tm  Augsburg  an  Herzog  Ludwiff  von  Bayern  verkaufte. 
,^HaIdenberc^  aber  liegt  am  Lech,  %v('ischen  Liclilenberg  und  Landsberg, 
das  (nach  dem  Geograph,  stalist.  topogr.  Lexicon  von  Bayern.  Ulm  1796.  11. 
191)  7iUm  Bisthum  Augsburg,  Rentamt  München  und  Pflegegericht  Landsberg 
gehörte;  es  lag  auf  einem  ansehnlichen  Befg  am  Lech,  wbt  drei  Stock  hoch 
und  mit  einem  Tburme  versehen,  von  wo  die  Aussteht  besonders  gegen  den 
FIuss  berühmt  ytht  ;  es  halte  doppelte  Ringmauern  und  vt  urde  später  von  den 
bayerist  hen  Herzogen  bei  der  Reigerbeize  oder  bei  den  auf  dem  nachbarli- 
chen Lecfafeld  abgehaltenen  Lustlagern,  besucht.  Auch  Irieh  sich  Kaiser  ^ 
Maximilian  gerne  hier  herum  auf  der  Enten-  und  Falkenjagd.  Im  Mittelalter 
führte  «in  berühmtes  bayerisches  Adelsgeschlecht  von  diesem  Schlosse  den 
Namen.  -  Der  Sinn  dieser  Stelle  also  ist:  Selten  hat  ein  Bauer  von  Norden 
bis  Süden,  hoch  oben  von  Franken  bis  hinab  an  das  Ende  des  Lechfeldes, 
an  sein  Gewand  solchen  Fleiss  gewendet. 

')  Nftbart  eiferte  immer  gegen  dieses  sich  adelig  gebehrdenwollen  der  Bauern, 
die  langes  Haar,  ritterliche  Waffen  und  höfische  Kleider  trugen. 

^)  ,.spargolzen.^    Nithart:  spurgalzen   (MS.  HL  278.) 

*)  u.  5)  V.  d.  Hagen  IH.  B.  S.  LXXVIII  glaubt  beide  *Worte  aus  dem  Slavi- 
sehen  erklären  zu  müssen,  auch  M.  Haupt  weiss  nichts  damit  anzufangen, 


816 

lange  Wein,  Hühner  und  Semmeln.  Das  römische  Taufbuch  sage  (mao 
list  ze  Rdme  an  der  phaht)  ein  Kind  nehme  des  Pathen  (toten)  Tagend 
an;    so  habe  er  von  seinem  Pathen>    einem  edlen  Ritter,    den  hoch- 
vertigen  Sinn   angenommen.     Umsonst  erhebt  der  Vater   einen  recht- 
schaffenen Mann   niederer  Geburt  über  ein  Königskind  ohne  Ehre  und 
Tugend;  im  fremden  Lande  würde  jener  auch  f&r  edelgeboren  gelten: 
>  darum,  wolle  er  edel  sein,  möge  er  auch  edel  thun.  Der  Sohn  gibt  ihm 
recht  und  will  desshalb  fort.    Der  Vater  aber  schalt,  dass  er  das  Böse 
für  das  Beste  wähle   und  fragte  ihn  noch,  wer  besser  lebe,  Der,  den 
Alle  segnen,  oder  Der,  dem  sie  fluchen.     Als  der  Sohn  richtig  darauf 
antwortet,  heisst  ihn  der  Vater  eben  desshalb  "beim  Pfluge  bleiben,  so 
fromme  er  Armen  und  Reichen,  der  Landbau  kröne  den  König.     Der 
Gauch   aber  spottet  der  Predigt,  die  wohl  ein  Heer  über*s  Meer  (zur 
Kreuzfahrt)    treiben   möchte,^)    wie    es    ihm  aber  auch  ergehe,    seine 
weisse  Hand  komme  nimmer   an  den  Pflug.     Noch  einmal  warnt  den 
Ungerathenen  der  Vater,  welcher  tr&umte:  wie  der  Sohn  zwei  Lichter 
in  der  Hand  hielt,  welche  durch  das  ganze  Land  leuchteten;  wie  ihm 
früher  von  einem  Manne  geträumt,  den  er  heute  als  Blinden  sah;  wie 
der  Sohn  ihm  mit  einem  Stelzfusse  und  einem  Armstummel  erschienen; 
wie   er   hoch  über  einen  Wald  geflogen,    ihm  aber   ein  Fittich    abge- 
schnitten wurde;    endlich,  wie  er  an  einem  Baume  anderthalb  Klafter 
hoch   über  dem  Grase  schweb^   und  über  seinem  Haupte  rechts  ein 
Rabe  und  links  eine  Krähe  ihm   das  struppichte  Haar  strählten.     Der 
Sohn  ritt  aber  unbeirrt  durch*s  Gatter  davon.     Nun  könnte  man  lange 
davon  erzählen,  wie's  ihm  erging.    Er  kam  auf  eine  Burg,  deren  Wirth 
stets  in  Händeln   lag    und    desshalb    gern   streitbare  Männer  behielt; 
Helmbrecht   trat    in  sein  Gesinde    und   ward   im  Rauben  bald  so  ge- 
schickt,   dass  er  Alles  in  seinen  Sack  stiess,    selbst  was  ein  Anderer 
hätte  liegen  lassen;   er  Hess  dem  Manne   nicht  eines. Löffels  werth,  er 
nahm  Wamms  und  Schwert,    Mantel  und  Rock,    Kühe,    Rinder  und 
Kälber  und  dem  Weibe   den  Rock   und  selbst  das  Hemd  (pfeit)  vom 
Leibe.  So  floss  sein  Schifflein  das  erste  Jahr  nach  Wunsche ;  von  jedem 
Gewinne   ward  ihm  der  beste  Theil.     Da   sehnt  er   sich  nach  seinen 
<  Magen,  nimmt  Urlaub  und  fahrt  nach  seinem  väterlichen  Heim. 

Hier  laufen  ihm  die  Dienstboten  entgegen  und  heissen  dpn  ^Junk- 
herr''  Gott  willkommen;  vornehm  dankt  der  nun  fremdländisch-spre- 
chendfe  Wicht,  der  seine  Muttersprache  verlernt  zu  haben  vorgibt,  d 
lieben  \,kindekin^;    die   Umarmung   der   Schwester  erwiedert    er   mi 


')  Dieser  Spolt  bezieht  sich  aaf  die  vielbesprochene  Kreuzfahrt  Kaiser  Friedritb  11 

(1228.)  ♦ 


817  • 

„gritii  vester,**  begrfisst  den  Vater  romanisch :  ^D6d  sal**  (Gott  helf !) 
und  die  Matter  gar  „beheimisch^  mit  „dobra  yträ!^  (guten  Morgen). 
Verwondort  sehen  die  Aeltern  einander  an,  die  Mutter  meint,  er  sei  ein 
Böhme  (B^heim)  oder  Wende  (Wint)  geworden,  der  Vater  hält  ihn  flir 

^  4 

einen  ^Walch,^    die  Schwester  aber  glaubt,    er   könne  seines  Lateins 
wegen  wohl  gar  ein  Pfaffe  geworden  sein,  während  der  Knecht  ihp  des 
„kindekin^   wegen   Itlr   einen  Sachsen  oder  Brabanten  halten  möchte. 
Helmbrecht  aber  kauderwelscht  weiter:    ^ey   was  sakent  ir  gebürekin 
und  jenez  gun§rte  wif?  min  parit,  minen  klaren  lif  sol  dehein  gebürik 
man   zwäre  nimmer  gripen  an/     Darüber   erschrack  der  Vater,  (der 
ihn  erst  gebeten  hatte,  ihm  doch  deutsch  zu  sagen,  ob  er  wirklich  sein 
Sohn   sei,   er  wollte  ihm  gerne  selbst  dafiir  sein  Pferd  wischen)    und 
Brbot  ihm  gebratene  Hühner,    wenn   er  wirklich  sein  Sohn  wäre:    wo 
dicht,  so  möge  er  gen  Böheim  oder  Windisch  Land  fahren,  auch  dem 
F^affen  gebe  er  nur  sein  Gebühr;  und  hätte  er  Fische  die  Fülle,  doch 
^&be  er  sie  nimmer  einem  Sachsen  oder  Brabanter,  und  ein  Welscher 
LÖnne  bei  ihm  nur  verzehren,  was  er  mitbringe,    er  habe  weder  Meth 
loch  Wein:  drum  möge  der  Junker  bei  den  Herren  bleiben.   Nun  war 
^8  schon  spät:  der  Knabe  bedachte,  dass  kein  Wirth  in  der  Nähe  sei 
—  also  gab  er  sich  als  „sun  und  kneht^  zu  erkennen,  der  Vater  ver- 
angt  aber  als  Wahrzeichen  noch   die  Namen   seiner  vier  Ochsen  und 
iTst  wie  Helmbreoht  die  merkwürdigen  Namen    ^Uwer,  Raeme,   Erge 
ind  Sunne^  herzuzählen  vermag,  hiess  ihm  der  Vater  Thür  und  Thor 
iflfnen  und   erbot  ihm   alles  im  Hause.     Das  Pferd  wurde  abgesattelt 
sin   phärt  wart  enphettet)  und  der  Bursche  besser  behandelt ,    als  es 
reiss  Gott!  sonst  dem  Dichter  begegnete.  Die  Mutter  hiess  die  Tochter 
aafen  und  ein  Polster  und  weiches  Kissen  herbeizuholen,  dass  sie  ihm 
an  warmen  Ofen  unter  den  Arm  legten,    wo    er  gemächlich  wartete, 
»is    das  Essen   bereit   war.     Und   nun   trugen  sie  ihm  auf!    die  erste 
Pracht  war:  ^ein  vil  kleine  gesniten  Krüt,  da  bi  lac  ein  guot  fleisch,^ 
lann  kam  fetter  Käse,  eine  feiste  Gans,   gross  wie  eine  Trappe,  am 
^piesse  gebraten,  femer  ein  gebratenes  und  gesottenes  Huhn  und  an-^ 
leres,  was  ein  Herr  gerne  nähme  auf  der  Jagd.  Hätte  der  Vater  Wein 
gehabt,    der  hätte  getrunken  werden  müssen,   so  verwies  er  aber  auf 
leinen  klaren  Quell,  dem  nur  der  zu  „Wankhüsen^ ')  zu  vergleichen 
lei.     Ueber  Tisch  fragt  er  nach  des  Sohnes  Lebensweise  bei  Hofe  und 
erzählte  im  schönen  Gegensatze  und  redselig,  zuvor  sein  eigenes  Jugend- 


*)  Der  Ort  Wanghausen  liegt  in  dem  früher  zu  Bayern  gehörigen  Innvierlei, 
wo  unser  Poel  vielleicht  dieselbe  Erfahrung  >vie  Wallher  von  der  Vogel- 
weide zu  Tegernsee  ffemachl  halle  und  in  seinen  Hrwarlungen  als  fahrender 
Mann  enttäuscht  worden  war. 


318 

leben,  wie  der  Grossvater,  Meier  Helmbrecht,  ihn  mit  Eiern  und  K&se 
nach  Hofe  geschickt  and  er  dort  hofeliche  und  frendige  Ritter,  nicht 
solche  Schälke  wie,  jetzo ,  gefunden ,  welche  den  Frauen  dienten  mit 
Buhurdieren,  dann  mit  hochfertigem  Gesänge  an  den  Tanx  traten,'  zu 
welchem  ein  Spielmann  mit  seiner  Geige  anhab;  da  stunden  auf  die 
Frauen  und  die  Ritter  gingen  ihnen  entgegen  und  nahmen  sie  bei  der 
Hand,  das  gab  wonnigliche  Augenweide  von  Frauen  und  Ritterschaft. 
D$inn  kam  Einer  und  las  vom  (Herzog)  Ernst,  *)  oder  jeder  that 
sonst,  was  er  mochte,  schoss  mit  dem  Bogen  oder  jagte  und  pirschte. 
Die  Treulosen  und  Schmeichler  aber  wurden  nicht  bei  Hofe  gelitten. 
Nun  erzähle  Du  aber,  wie  es  jetzt  steht.  Das  will  ich  herzlich  gerne 
thun,  sagt  Helmbrecht,  der  Sohn,  nun  heis6t  es  am  Hofe  der  Herren: 
^trinkä,  herre,  triukä,  trincf  trinc  daz  uz,  so  trinke  ich  daz.  wie  möht 
uns  immer  werden  baz?^  (wie  könnt'  uns  wohler  sein!)  Nicht  mehr 
bei  schönen  Frauen,  sondern  beim  feilen  Weine  sieht  man  die  Herren, 
ihr  Sinnen  vom  Abend  bis  zum  Morgen  steht  nur  darauf,  dass  er  nicht 
ausgehe  und  gut  s^  und  ihre  Minne  heisst  nun :  „Viel  süsse  Schenkin 
(litgebinne),  fall  uns  den  Humpen  (rtiaser),  nur  ein  Affe  oder  ein  Narr 
nimmt  fiir  guten  Wein  ein  Weib.**  Lägen  and  Trügen  ist  Hofsitte, 
Ehrabschneider  (swer  den  man  mit  guoter  rede  versniden  kan)  und 
Lästerzungen  (swer  schiltet  schalcBche)  gelten  ftr  tugendhaft;  die  alte 
Sitte  ist  im  Bann,  Weibern  und  Männern  ein  Spott  und  verabscheut 
wie  der  Henker  (als  ein  hähaere).  —  Da  klagt  der  Vater :  Wehe,  dass 
die  alten  Tumei  nun  so  -verschlagen !  ehedem  galt  der  Turnierruf 
(kroyieren):  „heyä,  fitter,  wts  et  M!"  nun  kroyiert  man  duiich  den 
Tag:  „Jage,  jage!  stich,  stich!  schlag!  stammele  den!  schlag'  jenem 
den  Fuss,  diesen  die  Hand  ab!  henke  jenen!  nimm'  von  diesem  Reichen 
hundert  Pfund  Lösegeld!*  —  Dem  vom  weiten  Ritte  Ermüdeten  breitet 
die  Schwester  in  Ermanglung  der  Leilachen  ein  „niwewaschen  hemde** 
über  das  Bette,  wo  er  bis  in  den  hellen  Morgen  hinein  (unz  ez  hdhe 
wart  betaget)  schlief.  Darauf  vertheilte  er  seine  vornehmen  Geschenke, 
die  er  vom  Hofe  mitgebracht  hatte,  dem  Vater  gab  er  —  einen  Wetz- 
stein, eine  Sense  (segense),  Hacke  und  Beil,  der  Mutter  einen  Fuchs- 
pelz, den  er  einem  Pfaffen  abgezogen;  Gotelinde  erhielt  ein  seidei 
Gebäude  (Kopfputz)  und  eine  Borte ,    die   er   einem  Kramer.  a^ej 


dem  Knechte  gab  er  Rienienschuhe  und  der  Dirne  (friwib)  ein  Haupttuct^B^h 
mit  rothen  Bändeln,  die  sie  gerade  brauchen  konnte.  Ob  er  die  Sacheo»  -*i 
geraubt  oder  gestohlen  — .  verhehle  ich  ungern,  sagt  der  Dichter. 


')  Das  «He  N'olksbiich  von  Herzog-  Üriist.    Vgl.  oben  S.  8S  ff. 


819 

Sieben  ganzer  Tage  blieb  der  Knappe  da ,  die  ihm ,  da  er  nicht 
langfingerte,  wie  ein  Jahr  däachten.  Wie  er  sich  beurlauben  will, 
mahnt  ihn  der  Vater  zu  bleiben  und  die  Hofweise  zu  lassen;  er  sei 
lieber  ein  Bauer,  als  ein  armer  Hofmann,  der  keine  Grundsteuer 
(huobegelt)  hat  und  immer  auf  Leib  und  Leben  reiten  muss  mit  der 
fröhlichen  Aussicht ,  dass  ihn  die  Femde  fangen ,  stümmeln  und 
höhen.  Der  Sohn  aber  dankt  für  die  Bewirthung;  weil  er  eine  Woche 
lang  keinen  Wein  getrunken,  habe  er  den  Görtel  schon  um  drei  Löcher 
enger  geschnallt  (des  gürte  ich  drier  loche  an  der  gtirtel  min  hinhinder) ; 
er  muss  sich  wieder  mit  Rindfleisch  mästen:  Ein  Reicher,  den  er  einst 
über  seines  Goten  (Pathen)  Saat  reiten  gesehen,  der  müsse  das  nun 
mit  Rindern,  Schafen  und  Schweinen  btissen,  ein  Anderer  hat  es  ihm 
auch  zu  Leid  gethan,  dass  er  Brod  zu  Krapfen  gegessen,  ein  Anderer 
hat  beim  Mahle  sitzend  den  Gürtel  niedergelassen,  und  wieder  Einer 
gar  den  Schaum  vom  Biere  aus  dem  Becher  geblasen:  Das  könne  er 
Alles  leider  nicht  ungerochen  lassen  und  wenn  ein  Bischof  sich  bittend 
in's  Mittel  legte,  zuni  mindesten  koste  es  Hof  und  Rinder.  —  Unser 
Held  gehört  zu  der  geförchteten  und  verrufenen  Bauernschaft ,  die 
Edelhöfe  und  Burgen  niederwarfen,  und  mit  Feuer,  Brand  und  Mord 
raubten  und  brandschatzten,  ein  übermüthiges  Treiben,  das  auch  der 
Strickers  in  der  „Maere  von  den  Gäuhühnem,**')  gezeichnet  hat. 

Der  Vater  wünscht  noch  zu  wissen,  wie  seine  Gesellen  und  Lehr- 
meister heissen ;  sie  haben  wie  die  Landsknechte  in  den  Passionsspielen, 
ganz  famose  Namen,  die  damals  wirklich  üblich  waren  und  wogegen 
schon  Bruder  Berthold  von  Regensburg  (1225)  eiferte,  wie  Lämmer- 
schlind  (Lemberslhit)  und  Schlickenwieder  (Slichenwider),  bei 
ihnen  ist  er  zur  Lehre  gegangen;  seine  Schulmeister  sind  Höllensack 
(Hellesac)  und  Rütteldenschrein  (Rütelschrin),  Kühefrass  (Küe- 
fr&z)  und  Mischenkelch  (Müschenkelch),  sein  Geselle  heisst  Wolfs- 
gaume  (Wolfesgnome) ,  der  selbst  seineti  nächsten  Verwandten  und 
war'  es  im  Februar,  keinen  Faden  am  Leibe  Hesse,  sein  lieber  Freund 
Wolfsdrüssel  öfiuet  alle  Schlösser  und  Eisenhalten  ohne  Schlüssel, 
dazu  kommt  noch  Herr  Wolfsd^rm,  der  seinen  ehrenwerthen  Namen 
selbst  von  der  (Zigeuner-)  Herzogin  Nönarre  Narrie  erhielt,  weil 
er  nie  Stehlens  satt  wird,  und  so  geneigt  ist  zum  Bösen,  wie  die  Krähe 


')  Heraasffegeben  von  Fr.  Pfeiffer.  Wien  1859  u.  in  s.  Germania  VI.  ^457  ff. 
Unter  dem  tropologischen  Ausdruck  ^Gäuhühner''  sind  die  Bauern  gemeint 
(das  Gäu  ist  im  Gegensalze  vom  Gebirg  und  Stadt  das  ebene  flaihe  Land); 
sie  heissen  spöttweise  so  von  den  im  Mittelalter  Qblirlien  Zinshtihnern  ^  die 
sie  zu  Lichtmess  und  Michaeli  entrichten  mussten^  wie  in  Schwaben  die  Vas- 
nachthühner  gereicht  v^erden  mussten.  Diese  Hühner,  meint  der  Strickers, 
seien  ungesund  und  schwer  zii  verdauen  und  kommen  theuer  zu  sieben!  — 


f 


820 

zur  Saat.  Nan  möchte  der  überrs^chte  Vater  auch  den  Spitznamen 
seines  wohlgezogenen  Kindes  wissen  and  siehe,  der  Knabe  nennt  sich 
mit  stolzeni Bewusstsein  Schlindsgau  (Slintezgeu),  der  Bauern  Schreck; 
er  drücke  ihnen  die  Augen  aus,  haue  ihnen  den  Rücken,  binde  sie  m 
einen  Ameisenstock ,  zwicke  ihnen  mit  Zangen  .  den  Bart  aus ,  reisse 
ihnen  die  Schwarte  aus,  zermalme  ihnen  die  Glieder,  hänge  sie  an  den 
Flechsen  (sparradern)  auf  und  nehme  alle  ihre  Habe:  ihrer  zwanzig 
und  mehr  könnten  nicht  gegen  zehn  solche  Gesellen  bestehen.  Der 
Vater  warnt  und  mahnt  an  die  Schergen,  Hebnbrecht  droht  aber,  nicht 
mehr  das  väterliche  Heim  vor  seinen  Gesellen  zu  frieden,  zugleich 
eröffnet  er,  dass  er  seine  Schwester  Gotlind  seinem  Freunde  Länuner- 
schlind  versprochen  habe,  der  ihr  zur  Morgengabe  drei  in  einem  Berge 
(tobel)  versteckte  schwere  Säcke  biete,  einer  voll  feinen  Linnens,  die 
Elle  wohl  fünfzehn  Kreuzer  werth,  im  anderen  liegen  Schlder,  Böckel 
und  Hemden  und  im  dritten  allerlei  kostbare  Stoffe,  wie  ^Fritschäl, 
Bränät,^  Scharlach,  Pelze  und  Zobel.  Das  Alles  verscherze  ihr  der 
VÄler,  wenn  sie  eines  widerwärtigen  Bauern  Weib  werde.  Und  dw 
tugendliche  Kind  verläugnet  ihre  Eltern,  wirft  ihnen  eheliche  Untreue 
vor  und  bittet  ihren  Bruder,  ihr  den  Länunerschlind  zu  verscdiaffeo, 
dann  sause  ihre  Pfanne,  sei  ihr  Wein  gelesen,  ihr  Bier  gebraut,  ihr 
Korn  gemalen  und  ihr  Schrein  gefüllt;  auch  bringe  sie  ihm  alles,  was 
ein^  starkes  Weib  haben  soll.  Heimlich  verspricht  die  edle  Gotlind,  die 
auch  von  edlem  Geblüt  stammen  will,  zu  entfliehen  und  dieser  gelobt,^ — ^ 
ihr  einen  Boten  zu  senden  und  ihre  Hochzeit  so  auszurichten,  d^ 
Wämmser  und  Röcke  dabei  ihr  zu  Ehren  verschenkt  würden. 

Nun  ward  wieder  manche  Wittwe  und  Waise  beraubt,  damit  Lim- 
merschlind   und  Gotelint   auf  dem  Brautstuhle  sässen  (den  brintestiMKl^^ 

besäzen).     Speise   und  Trank   ward  von   weit  und  breit  zusammenge 

bracht,  so  dass  die  Hochzeit  des  König  Artus  und  der  Frau  Ginevnt.  ^i 
wovon  Heinrich  vondemTürlin  in  ^der  aventiure  kröne**  erz&hlt,  eiteL-^ 
Wind  dagegen  war.  Gotelind  wird  entboten  und  findet  sich  ein, 
Bräutigam  geht  ihr  entgegen  und  heisst  sie  als  Frau  Grotelint  will 
kommen,  freundliche  Blicke  gehen  hin  und  her,  und  Lemberslint 
seinen  Bolz  mit  gefiigen  Worten  gegen  Gotelinde,  die  das  ihrem  liel 

sten  galt  aus   weiblichem  Munde  so  gut  sie  konnte.     Mit  nibdmigien^ '^ 

hafler   Feierlichkeit    stellt  ein  kundiger  Greis  das  Paar  in  den  Rin^^r^ 
und  fragt  Jedes  dreimal,  ob  sie  sich  wollten,  dann  gab  er  sie 
worauf  alle  sungen  und   der  Bräutigam  seiner  Gesponsin  auf  den 
trat.     Das  Hochzeitmal  ist  ganz  feierlich  gerüstet,  die  einzelnen  Ki 
pane  haben  die  fürstlichen  Aemter  übernommen,  Schlindsgau  ist  Mi 
schalk,   Schlickenwieder  Schenke,    Höllensack  ist  Truchsess,    der   di 


*    •  321 

Gästen  die  Sitze  anweist,  ^Rüttelschrein  Kämmerer,  Kühfrass  der 
Küchenmeister  brachte  Gesotten  nnd  Gebraten,  Müschenkelch  gab  das 
Brod,  und  die  Uebrigen  machten  ihren  schönen  Namen  Ehre  und  leerten 
Schässel  und  Becher,  als  wenn  es  der  Wind  hinwegwehte  und  der  Hand 
nichts  mehr  zu  nagen  fand.  Es  bewährt  sich  der  Spruch,  dass  der 
Mensch  gierig  schlinge,  wenn  ihm  das  Eiide  nahe.  Bange  Ahnungen 
fiberschleichen  die  Braut  als  ob  Unheil  drohe,  es  graut  ihr,  schon 
bereut  sie  die  Eltern  verlassen  zu  haben  und  iHirchtet  die  Strafe  ihres 
Frevels. 

Als  sie  noch  eine  Weile  gesessen  und  die  Spielleute  von  der 
Braut  und  dem  Bräutigam  ihre  Gabe  empfingen,  nahte  der  Richter 
selbfunfte  nnd  überwand  die  zehne;  wer  in  den, Ofen  nicht  entrann, 
schlof  unter  die  Bank,  sie  fuhren  drängend  durcheinander  und  wer  nicht 
ratfloh,  den  zog  der  Schergenknecht  bei  den  Haaren  hervor,  denn  der 
kühnste  Dieb,  der  sonst  wohl  mit  Dreien  fertig  würde,  kann  sich  eines 
Sdiergen  niqht  erwehren,  und  wäre  der  sogar  lahm;  so  wurden  sie 
gebunden,  der  Braut  wurde  das  Kleid  abgerissen,  man  fand  sie  nach- 
mals übel  zugerichtet  hinter  einem  Zaune.  —  .Die  bösen  Gesellen 
wurden  zum  hängen  verortheilt  und  mussten  ihre  (gestohlene)  Bürde 
zum  Richtplatz  fuhren.  Lämmerschlind  hatte  zur  Bräutigams  Ehre 
nur  zwei  Rindshäute  am  Halse,  sein  Schwager  trug  deren  drei.  Für- 
sprecher wurden  ihnen  nicht  gegeben.  Neun  wurden  gehängt,  dem 
Helmbrecht ^ aber  die  Augen  ausgestochen,  eine  Hand  und  ein  Fuss 
abgebaut:  So  wurde  Yater  und  Matter  gerochen.  Wehklagend  geht 
der  Blinde  an  einer  Wegscheide  von  Gotelinden,  und  ein  Stab  und  ein 
Knecht  leitete  ihn  nach  dem  Hause  des  Vaters,  der  ihn  spöttisch  mit 
,d6d  sal,  her  blindeken!^  begrüsste,  ihn  nach  Welschland  ziehen  hiess, 
ihm  Brod  versagte  und  durch  einen  Freimann  mit  Schlägen  austreiben 
zu  lassen  drohte.  Vergeblich  fleht  er ,  ihn  im  Hause  herumkriechen 
zu  lassen  und  ihn  zu  erhalten ,  weil  die  Landleute  ihm  so  gram  wären, 
dass  sie  ihn  umbrächten;  der  Vater  verhöhnte  ihn,  hält  ihm  seine 
prahlerischen  Reden  vor  und  das  mit  seiner  Ausrüstung  vergeudete 
Geld,  er  erinnerte  ihn  an  die  erfüllten  drei  Träume,  deren  auch  der 
vierte  folge,  hiess  die  Thür  verriegeln  und  trieb  mit  Schlägen  den 
Knecht, des  Blinden',  um  den,  der  es  nicht  werthVwäre  von  der  Sonne 
beschienen  zu  weiden  (der  sunnen  haz)  hinwegzuftihren.  Die  Mutter 
gab  jedoch  ihrem  Kinde  ein  Brod  in  die  Hand  und  damit  musste  der 
Blinde  weiter  hinken.  Ueberall,  wo  er  hinkam,  verhöhnten  ihn  die 
Bauern:  ^hähä,  diep  Hehnbrecht!  betest  du  gebouwen,  s6  züge  man 
nü  niht  blinden  dich!«  — 


21 


322 

So  litt  er  ein  Jahr  lang  Noth.  Endlich*  kam  er  unter  Baaem,  die 
er  früher  ausgezogen  hatte,  sie  rächen  sich  nun:  hiessen  ihn  mit  Schlä- 
gen seine  Hanhe  wahren,  was  der  Scherge  ihm  davon  übrig  gelassen 
hatte,  das  lag  nun  in  kleinen  Stücken  am  Boden,  die  zerfetzten  Vogel- 
bilder, 0  zugleich  mit  seinen  ausgerauften  Locken,  so  dass  er  ganz  kahl 
dastand.  Dann  liessen  sie  ihm  seine  Beichte  sprechen,  gaben  ihm 
Brosamen  zum  Schutze  gegen  das  Höllenfeuer 'J  und  hingen  ihn  au 
einen  Baum.  So  bewährte  sich  der  letzte  Traum  des  Vaters.  Hieaiit 
sei  jedes  selbstherrische  Rind  gewarnt.  Auf  den  Strassen  uud  Wegen 
ward  die  Wagenfahrt  gefriedet  als  Helmbrecht  an  der  Weide  hing. 
Gibt  es  noch  junge  „Helmbrechtel,^  die  kommen  auch  an  die  Weide. 
^Swer  iu  ditze  maere  lese,  bittet  daz  im  got  genaedic  wese  unde  dem 
tihtaere,  Wemher  dem  gartenaere.^  — 

Ein  1440  Verse  umfassendes  Büchlein  mit  dem  Titel  Irregang 
und  Girregar  hat  ein  sonst  nicht  bekannter  Dichter  Rüdiger  von 
Münerstadt  am  Röngebirge  (also  ein  Nachbar  und  Landsmann  un- 
seres  später  aufgeführten  Heldenbnchsängers  Kaspar)  geipacht.')  Der 
für  die  Sittengeschichte  sehr  bedeutsame  Inhalt  ist  hier  nicht  nacher- 
zählbar, man  glaubt  kaum,  welch  gaukelhafler  Unsinn  durch  Beschwör- 
ungen, Messungen  und  allerlei  abergläubische  Betrügereien  mit  Dumm- 
köpfen getrieben  wurde.  Derselbe  Poet  ha^  in  einer  anderen  Maere 
mit  meistersängerischer  Breitmauligkeit  und  handwerksmässig  trockenen 
Humor  als  Meister  Irregang  seine  Kunstfertigkeiten  der  Reihe  nadi 
aufgezählt,  die  jans  ein  vollkommenes  Bild  eines  fahrenden  Ritters  und 
Spielmannes  gewähren:  Ich  kann  ^ sagen  unde  singen,  loufen  und  sprin- 
gen,'* bei  allen  Teidingen  gut  fürsprechen,  einen  Wein  kosten,  ein 
Hazard  (hashart)  auf  einem  Brett  gewinnen  und  verlieren,  Medi  ans 
Honig  machen,  schöne  Tischlacken  wirken;  ich  bin  der  Bücher  kundii 
(wise)  besser,  als  mein  Meister,  ich  ^kan  mit  einer  schaer  wol  di 
pfelle  gesniden,"  zweien  Gesellen  ihren  Gewinn  theilen,  Wunden  mi 
Salben  heilen,  Wagen  bauen  und  ein  Schwert  schmieden,  welch« 
Kaiser  Friedrich  sicherlich  mit  Ehren  führte;  der  Dichter  kann  ferne 
(wie  Hartmann  von  Starkenberg  in  der  Pariser  Handschrift  abgebi 
ist)  ritterliche  Schmiedekünste:  einen  Hut  machen,  einen  Schild  bemalen 
einen  Ritter  rüsten  (wol  gerwen),  in  Harnasch  reiten,  stechen,  streitei 


')  ^s6  breit  als  ein  phenniiic  beleip  ir  niht  beinaoder.  sileche  und   galander^ 
sparwaere  und  (ürteltüben,    die  gendlen  df  der  hüben,  werden  geslreof 
den  wec.  hie  lac  ein  loc,  dort  ein  flee  der  bflben  und  des  bdres^  ii*  s  w. 

^)  „einer  begunde  brecben  ein  brosemen  von  der  erden :  dem  vil  gar 
gap  er  si  zeiner  stiuwer  für  daz  hellefiuwer. 

')  Ges.  Abenl.  Nro.  55. 


»28 

Qod  tarnUren,  Schachzabel  nnd 'Brettspiel;  ich  kann  Jedem  gute  Ant- 
wort geben,  femer  Schneiden  und  weben,  eine  Wiese  mähen,  einen  AeKer 
täen,  ein  Rind  anjochen,  Teig  kneten,  einen  Faden  zwirnen  ond  „uz 
einer  dirnen  ein  vrouwen  wol  machen^;  mit  einem  Hunde  Hasen  jagen, 
ein  Hönilein  blasen,  einen  Wald  Allen,  ein  Heer  siegreich  machen  (also 
aach  Passanerkunstl),  Mfihlsteine  und  Kampräder  laufend  machen, 
Hioser  bauen,  Pfeninge  schlagen,  Glocken  giessen,  Armbrust  schiessen, 
\aatt  er  ist  ein  Factotum  —  aber  oben  weil  er  Alles  könne,  so  hat  der 
Kaiser  ihm  ^harpfen,  videln  unde  rote^  verboten,  denn  er  würde  ftberall 
nur  Unheil  bringen,  weil  er  Irregang  heisse.  So  geht  er  als  ein  hofe- 
lieber  Knabe  von  einem  Lande  zum  anderen  und  suche 
durch  Mancherlei  seinen  Unterhalt. 

Es  ist  das  sprechendste  aber  zugleich  traurigste  Bild  eines  armen 
Fahrenden  und  sein  Spruch  ein  Vorläufer  des  tautologischen  Unsinns 
der  Hut-Künstler,  Feuerfresser  und  Nadelspeier,  die  bereits  auf  unseren 
Jahrmärkten  zur  Seltenheit  werden.-  Die  schöne  hohe  noble  Zeit  des 
höfischen  Singens  ist  weit  überholt,  das  ritterliche  Leben  ist  alltäglich 
geworden  und  die  feine  Minne  in  ordinäre  Sinnlichkeit  und  nackte  öe- 
roeinheit  übergegangen,  die  nun  die  bürgerliche  Yerfiihrung- und  bauen- 
sehe  Gewaltthat  Ar  sich  in  Anspruch  ninmit.  Daher  auch  eine  gute 
Aivzahl  widerlicher  Pfaffenstreiche  und  Cochonerien,  alle  fett  ausgemalt 
und  mit  stickender  Behaglichkeit  überzuckert,  die  wir  um  so  lieber 
ftbergehen,  weil  die  Dichtkunst  daran  wirklich  kefinen  Antheil  hat 

Viel  poetischer  rind  dagegen  die  romantischen  Sagen  von  der 
Frauen  Treue;  von  solchen,  die  selbe  ihrem  Gatten  gehalten  oder  ge- 
brochen, die  fälschlich  angeklagt  und  ungerecht  vemrtheilt  wurden  und 
im  BewBSstsein  ihrer  Unschuld  die  schwere  Strafe  geduldig  ertragen  bis 
ihr  erlittenes  Unrecht  doch  an  den  Tag  kanli,  oder  von  solchen  Frauen, 
die  wie  St.  Kanegund  zu  Bamberg,  ihr  Recht  mit  wuaderwürdigen 
Gk)tteszeichen  beglaubigten.  Andere  Sagen  gehen:  wie  Frauen  hinter 
dem  Blkdien  ihres  Gatten  gesündigt,  oder  den  ihre  Buhlerei  verschmäh- 
enden Ritter  verlämndend  um*s  Leben  brachten  —  wie  gerade  die 
deutsdie  Kaisiersage  davon  beinahe  bis  zum  lEckel  überfliesst.  Aber 
auch  weisse  Schatten  tauchen  auf,  wie  jener  der  reinen  Maria  von 
Brabant,  die  unter  dem  strengen  Ludwig  unschuldig  verblutete. 

'  Ein  schöner  Preisgesang  zur  Bhre  der  Frauen  ist  die  Historie  von 
den  beiden  Kauflenten,  die  ein  Ruprecht  von  Wirzburg,') 
zwar  nach  einem  französischen  Vorbilde  aber  mit  deutscher  Innigkeit 
gemacht   haben    soll.      Der   sonst  nicht   bekannte  Dichter  ersucht  als 


*)  Hagea  Ges.  Abent.  Nro.  68.  946  Verse. 

2V 


% 


824 

^thörichter  Knabe^  Eingangs  um  Nachsicht  mit  seinem  „Bftehleiu«^ 
dessen  Sprache  und  Reimweise,  namentlich  mit  dem  dreireimigen  Schloa« 
der  Absätze,  an  das  XIII.  Jahrh.  erinnert.  Diese  Erzählung  findet 
sich  übrigens  wie  eine  über  die  ganze  Erde  verbreitete  Pflanze,  fast 
bei  allen  Völkern,  nor  dass  ihr  Wachsthom  und  ihre  Blflthe,  je  nach 
den  Himmelstrichen,  bisweilen  buntfarbig  und  öppig,  bisweilen  eintöniger 
und  nüchterner  hervortritt  Sie  geht  tief  in*s  heimathliche  Morgenland  ^ 
und  nach  Indien  iurück ;  wie  sie  dort  mit  d^  beimischen  Göttersagf 
verwachsen  ist,  so  hat  selbst  im  christlichen  Abendlande  nodi  die 
römisch-keltische  und  griechische  Mythologie  an  ihr  gehaftet. 

Dagegen  verhalten  sich  die  Schwanke  der  folgenden  Zeit  wie  die 
Produkte  eines  Schnurranten  oder  Meister  Irregaogs;  manche  habea 
den  guten  Namen  Conrads  von  Wirzbnrg  irrthümlich  überkom- 
men, weil  ihr  Verfasser  in  Wirzburg  gewesen  sein  mosste,  dazu 
obendrein  Kuonrat  und  zwar  der  arme  Knonr&t,  der  seines 
Zeichens  ein  Fiedler  war  und  nach  Wagenseils  Bericht  gai^  Geiger, 
oder  nach  Anderen  Jäger  hiess.  Die  eine  480  Verse  umfassende 
Reimerei  trägt  den  Titel  alten  Weibes  List')  und  erweist  sich  als 
ein  eckelhaftes  M&chwerk,  wie  eine  Kupplerin  ihren  Seckel  zu  f&llen 
weiss,  indem  sie  den  Domprobst  Heinrich  von  Rotenstem  in  die  Netze 
einer  Frau  zu  locken  sucht;  zum  Glück  wird  der  geistliche  Herr  durch 
dringende  Amtsgeschäfte  am  Stelldichein  verhindert,  die  Alte,  aber,  am 
die  Dame  nicht  vergeblich  bestellt  zu  haben,  packt  den  nächsten  besten 
Mann  von  der  Gasse  auf  und  erwischt  den  Gemahl  jener  Donna,  der 
von  der  schnellgefassten  Gemahlin  nun  mit  Backensireichea  empfangen 
wird,  wobei  die  Schuldige  ihre  Bolle,  als  habe  sie  seine  Treue  nor  auf 
die  Probe  stellen  wollen,  sehr  unverschämt  zu  Ende  spielt  Das  Ganze 
ist  widerlich  und  gemein,  ebenso  wie  die  halbe  Bim,')  die  gleich- 
falls unserem  zweiten  Konrad  zugeschrieben  ^bleiben  mag,  obwohl  v.^  d. 
Hagen  keinen  Zweifel  hatte,  sie  dem  „berühmten  Konrad  von  Wirz- 
burg^ zu  unterschieben.  Die  von  Keller  1855  herausgegebenen  Er- 
zählungen') enthalten  aus  den  altdeutschen  Handschriften  zu  Ulm, 
Wirzburg,  Nürnberg,  Regensburg  und  München  Alles  Hiehergehörige, 
dazu  manchen  Namen  von  zweifelhaftem  Werthe,  z.  B.  den  eines^Layd- 
niz  Fröschel  und  Hanns  Ramminger,  auch  ein  Heinrick 
Kaufringer  hat  Vom  Jahre  1464  dergleichen  hioyterlassen ,  and  der 
berühmte  Alb  recht  von  Eib  (f  1485)  in  seinem  Ehebüchlein;  ans 


')  Hagen  I.  193—205.  Auch  dramatisch  behaadelt  von  Jacob  Ayrer. 

')  fibendas.  I.  211-24.  510  Verse. 

>)  XXXV.  B.  der  Bibl.  des  lit.  Vereins  in  SluUgart. 


325 


welchem  theil weise  Göthe  den  Stoff  zu  den  ^Unterhaltungen  dentsoher 
Ansgewanderten^  entlehnte.')  —  Der  Gürtel  (borte)  des  Diete- 
rich von  Glaz,  eines  vermuthlich / mährischen  Dichters')  wird  hier 
nur  genannt,  weil  ihn  ein  Herr  Eonrad  von  Oettingen,  der  daran 
besonders  Grefallen  gefunden  haben  musste,  im  Jahre  1478  zu  Augs- 
burg abschrieb.  — 

Bald  nach  Erfindung  des  Buchdruckes  und  der  Feuerwehr,  gleich- 
zeitig im  geheimen  Bunde  mit  der  allgemeinen  Ausbreitung  der  klassi- 
schen Literatur,  als  neue  Wege  nach  neuen  Welten  gebahnt  wurden 
und  die  Reformation  den  mittelalterlichen  Glauben  zusammenwarf,  war 
die  Ritterzeit  und  die  ritterliche  Dichtung  abgethan. 


/)  Albrecht  von  Eib  war  beider  Rechte  Doctor,    Archidiakon  zu  Wirabarg 
und  Domherr  zu  Bamberg  und  Eichstedt.  Vgl.  v.  d.  Hagens  Germania.  IX. 

217  ir. 

')  Hagen  Ges.  Abenl.  Nro  XX. 


D. 


Heiligensage  und  Legenden. 


Ebenso  lebendig  wie  die  Lieder  von  lobebären  Helden  und  Recken, 
von  gewaltigen  Heerfahrten  und  Waffenthaten  klangen,  ebenso  er- 
zählte die  Tradition  von  den  ersten  Boten,' welche  die  Lehre  des  süssen 
Krist  den  Heiden  überbrachten.  An  den  früheren  Cultusstätten,  die  sie 
gestürzt,  liess  das  Volk  ihr  Andenken  leben,  allgemach  mischten  sich 
die  Erinnerungen  und  der  atte  Gott  und  der  neue  Heilige  gingen  oft 
seltsam  in  einander  über ,  hatten  ja  auch  sie  Ungeheueres  vollbracht 
und  nicht  selten  Drachen  und  Lintwürme  erschlagen!^)  Solch  eine 
wahrhaft  heldenhafte  Gestalt  war  St.  Severin,  dessen  Herkunft  in 
Dunkel  gehüllt,  dessen  ganzes  Leben  aber  eine  Kette  von  anff&iligen, 
überraschenden  Erscheinungen  bildet.  Er  hatte  dem  Herulerhftuptling 
Odoaker  seinen  künftigen  Ruhm  vorhergesagt,  als  der  hochgewachsene 
Recke  gebeugt,  um  nicht  an  die  Decke  der  Zelle  zu  stossen,  bei  ihm 
eingetreten;  von  weit  und  brei«  strömten  ihm  die  Kranken  zu.  Hohe 
und  Geringe,  und  rühmten  geheilt  auf  dem  Heimwege  seine  Wunder- 
kraft, die  selbst  noch  aus  dem  Grabe  leuchtend  und  erwärmend  drang, 
dass  die  Siechen  und  Krüppel  genassen,  was  Wunders  also  wenn  dem, 
der  den  Menschen  in*s  Herz  sah  und  ihre  Gedanken .  im  voraus  wusste, 
wenn  dem  die  Thiere  gehorchten,  die  Vögel  die  Hölzer  zum  Bau 
schleppten  und  Bären  seinen  Bündel  trugen  ?  Das  Volk  gibt  ihm  heute 
noch  den  Drachen  zur  Seite,  den  er  erschlug,  es  erzählte  damals  wie 
heute,  dass  der  Heilige  die  Heuschrecken  bannte,  wie  er  bewirkte, 
als  ein  anderer  Elias,  dass  die  Kerzen  der  Christen  sich  von  selbst 
entzündeten  und  wie  über  dem  Betenden  eine  Lichtsäule  schwebte. 
Weniger  weiss  das  Volk  von  St.  Rupert  zu  erzählen,  der  noch  all- 
jährlich  bei  der  grossen  Wintersonnenwende  den   heil.  Nikolaus') 


')  So  St.  Severin,  St.  Mang,  Pirmin  u.  v.  A. 

')  Ein  handschrirtliches  Bruchstttck  einer  gereimten  mittelhocfadeatscben  L 
dieses  Heiligen  aus  Nürnberg  in  Pfeiffers  Germania.  lY.  241  (T. 


827 

begleitet!  An  St.  Emeram,  der  so  schmähKch  zu  Helfendorf  gemar- 
telt  wurde,  zeigt  ein  Grottesgericht  seine  Unschuld,  und  sein  Leichen- 
schiff läuft  die  Isar  hinab  und  rann  dann  stromaufvirärts  von  selbst  gen 
Hegensburg.  ')  St.  Erhard  soll  trockenen  Fusses  über  die  Isar  ge- 
^ngen  sein,  im  Gotteshause  zu  Frauenberg  bei  Landshut  Christenlehre 
und  Predigt  gehalten,  auch  eine  Brodweihe  hinterlassen  haben,  welche 
l)is  auf  den  heutigen  Tag  an  seinem  Feste  vorgenommen  und  das  Brod 
irider  alle  Krankheiten  ausgetheilt  wird.  ^)  St.  Korbini  an  hat  eine 
Xinde  gepflanzt,  die  jetzt  zu  den  flinf  grössten  Bäumen  in  Deutschland 
|B;ehört  und  von  neun  Männern  kaum  umspannt  werden  kann,  an  das 
Xeben  dieses  Baumes  soll  Freisings  Schicksal  geknüpft  sein.^)  Ebenso 
^ht  seltsame  Rede  von  St.  Pirmin  und  dem  grossen  Apostel  Boni- 
facius,  von  St.  Virgilius  zu  Passau,  von  Sidonius,  Walto, 
l^ilibald  und  Wunibald  u.  s.  w.  Besonders  beachtenswerth  sind 
die  Thiere,  welche  als  Symbole  die  Heiligen  begleiten,  sie  sind  auch 
eine  Art  Heraldik,  ein  geistliches  Heerzeichen  und  nicht  selten  aus 
vorchristlicher  Zeit  herübergeholt.  Eigene  Aufinerksamkeit  wäre  auch 
den  Klostersagen  zu  schenken;  die  Stifter  der  meisten  Münster,  z.  B. 
xa  Beuern  und  Tegern,  werden  als  Riesen  geschildert  und  abge- 
malt, und  die  an  den  genannten  Orten  oder  zu  Grafrath  verwahrten 
Gebeine  zeigen,  dass  sie  wirklich  hochgewachsene  Recken  von  über- 
menschlicher Grösse  gewesen  sein  müssen. 

Auch  von  vielen  sagenhaften  Töchtern  und  Frauen  Karl  des  Grossen 
und  seiner  Nachfolger  erzählt  die  Legende,  so  von  einer  hl.  Hilde- 
gard, welche  eine  Nachbildung  der  schönen  Legende  der  hl.  Crescentia 
scheint,  St.  Amalberga  wird  in  Beziehung  zu  dem  Kaiser  gebracht 
die  Fusstritte  der  frommen  Gertrudis  sieht  man  noch  in  den  Wellen 
des  Mains;*)  auch  Richardis  die  zweite  Gemahlin  des  dicken  Karl 
gehört  hieher!*)  Aus  Frankreich  kam  die  Klausnerin  Edigna*)  zu 
uns,  die  zu  Puech  in  einer  Linde  lebte  und  heute  noch  im  guten  An- 
denken des  Volkes  lebt,  wie  St.  Afra,  Walburga,  Mechtildvon 
Diessen,  St.  Notburg,  Kunegund  und  vor  Allen  die  räthselhafte 
St.  Kümmerniss,  die  noch  jetzt  aller  Erklärung  spottet  und  keinem 
Hagiographen  die  Schleier  alle  gelüftet  hat.    Dazu  ist  auch  St.  Alto 


■)  Panzer  I.  220^23.    Menzel  Symbol.  I.  299.    Quitzmann  S.  60. 

*)  Panzer  I.  119.    Wiese nd  Topographie.  1858.  S.  237. 

')  Sigbart  Von  Mönchen  nach  Lahdsbut.  1859.  S.  50. 

*)  Herr  lein  Sagen  des  Spessart.  S.  113. 

^)  f  18.  Sept.  896.  Vgl.  Grimm  RechtoaUerlbümer  S.  912  u.  Klemm  Frauen, 

1866.  III.  257.    Bavaria  I.  309. 
')  f  1109.    Panzer  I.  61.  II.  49.    Wolf  BeHr.  I.  170, 


328 

nicht  zu  vergessen,  aus  dessen  Schädel  das  dankbare  Volk  noch  all- 
jährlich seine  Minne  trinkt,  ebenso  wie  die  Himschaale  des  hl.  Seba- 
stian zu  Ebersberg  und  des  St.  Vitalis  zu  Kloster  Au  oder  des  St 
Humbert  in  Franken  zu  ächten,  urgermanischen Reminiscenzen  diesen 
müssen.  Ungeheueres  Ansehen  geniesst  StLeonhard,  der  als  eherner 
„Wtirdinger^  das  Heidenwerfen  an  sich  verüben  lassen  muss,  dazu  St. 
Onnphrins  und  Christoph^  welch  letzterer  schon  öfters  bei  Feaers- 
gefahr  seiner  Stadt  München  persönlich  zu  Hilfe  kam,  sodann  der  liebe 
heil.  Heinrich  und  St.  Sebald,  der  mit  Eiszapfen  zu  heizen  im 
Stande  war.  Das  Volk  erzählt  Vieles  und  oft  unendlich  Schönes  und 
Rührendes  von  seinen  lieben  Heiligen  Grottes;  die  Kirche  hat  nie  einen 
Glaubensartikel  daraus  gemacht,  sondern  hierin  Jedem  seinen  beliebigen 
Antheil  frei  gelassen,  wir  berichten  nur,  was  firüher  gesagt  und  ge- 
sungen wurde  und  sich  bis  heute  vererbt  hat.  Man  wird  vielleicht 
daraus  einen  Vorwurf  erheben,  dass  wir  im  Leben  der  Heiligen  auch 
Poesie  gefunden,  als  wenn  gerade  die  Kirche  und  der  mit  ihr  zusam- 
menhängende Glaube  von  den  Philistern  praedestinirt  sein  sollte,  nur 
dürren  Rationalism  zu  bieten.  Das  Volksleben  enthält  heute  poch  eine 
reichere  Fülle  von  Poesie,  als  alle  unsere  staubigen  Bibliotheken  ver- 
wahren. 

'  Halten  wir  jedoch  nach  den  in  irgend  eine  künstlerische  Form 
gebrachten  Denkmälern  Umschau,  so  ist  das  durch  Albertus  (nach 
Berno  von  Reichenau)  in  deutsche  Reime  gebrachte  Leben  des  hl. 
Ulrich  namentlich  fiir  die  Zeit  seiner  Entstehung  (im  letzten  Drittel 
des  Xn.  Jahrhunderts)  von  hoher  Bedeutung.')  Hier  haben  wir  einen 
der  wenigen  a\if  uns  gekommenen  früheren  Versuche  in  der  vaterlän- 
dischen Kmist,  welche  die  folgenden  grossen  Dichter  erst  zur  vollen 
Blüthe  brachten.  Es  ist  ein  behutsames  Anschmiegen  an  das  lateinische 
Vorbild  ersichtlich,  mit  ängstlicher  Vorsicht  hält  der  Dichter  sich  von 
allen  weiteren  Umblicken  zurück  und  nur  bisweilen  wagt  er  zu  Füssen 
des  Heiligen,  auf  dem  starren  Goldgrund,  einige  Pinselstriche  der  Poesie^ 
einigen  grünen  Rasen  mit  schüchternen  Blumen  anzubringen.  Der 
Dichter,  der  die  Verdeutschung  auf  Bitten  seiner  frommen  Nonnen 
machte,  war  wohl  ein  Benedictiner  des  Klosters  St.  Afra  zu  Augsburg 
das  mit  Bildern  ausgezierte  Büchlein  ist  vielleicht  des  Verfassers  eigene 
Hand-  und  Prachtexemplar,  das  zu  emer  Verehrung  bestimmt  war.*) 


')  Herausgegeben  von  Seh  melier.  München  1844. 

^)  Nach  der  Vermulhang  des  Dr.  Karl  Roth  (Beitr.  I.  39)  jedoch  masste  da 

eine  Klosterfrau  geschrieben  haben;    doch  bat  Roth  die  H6.  nie   "^^ 

und  zieht  seinen  Schluss  nur  aus  den  Fdilern  der  Schreibong. 


82» 

Dfts  Gedicht  ist  darch  die  ft-eie  Bewegung  der  Sprache  and  durch 
die  immerhin  anerkennenswerthe  Leichtigkeit  des  Vortrages  lieblich 
und  anziehend;  es  erzählt,  wie  das  Kindlein  auf  den  Rath  eines  l^lg- 
rims,  der  im  gastfreien  elterlichen  Hause')  herbergte,  entwöhnt  ward^ 
irie  dem  Knaben  durch  die  inclusa  (bezlozzen  klosenaerin)  Wiborada 
<Wibrilt)  seine  Zukunft  vorausgesagt  wurde  und  dass  er  in  einer  Stadt, 
die  an  einem  zwei  Lande  theilehden  Wasser  liegt,  Bischof  werden 
solle.  Seine  Rede  ist,  wie  der  Dichter  mit  einer  ritterlichen  Figur 
^bt  ^  gezieret  und  mit  wisheit  wol  gezimieret;^  wenn  er  als  Bischof 
müde  war,  ruhte  er  nicht  auf  Federbetten,  sondern  er  suchte  y,stuol- 
lachen  oder  teppiche,^  darauf  hielt  er  dann  ein  „slAfelin.^  Während  er 
IMefcse  las  erschien  einst,  wie  das  Volk  heute  noch  zu  Augsburg  eN 
2ählt,  Gottes  Hand  sichtbar  und  segnete  das  Opfer.  Die  Lechfeld- 
«chlacht,  wie  die  Ritter  mit  Schwertern  streiten  und  die  Geschosse 
jregendick  an  die  Schilde  fliegen,  electrisirt  den  Dichter  ein  wenig,  da 
üitzt  der  Heilige  ^üf  ein  ors,  schiltes  und  helmes  er  virgaz,^  nur  eine 
-Stole  legte  er  sich  an,  so  fuhr  er  wie  Josua  in  den  Streit.  Von  der 
selbständigen  Dichterkraft  des  Uebersetzers  zeugen  nur  die  Verse  der 
^Einleitung  und  des  nicht  unerheblichen  Epilogs. 

Solche  Heilige ,  die  mit  ritterlicher  Gewalt  in  die  Feinde  spreng- 
ten, die  das  Waffenhandwerk  trieben  und  sich  auf  Tjost  und  Hofisch- 
lieit  verstanden»  brauchte  das  Mittelalter  und  die  Zeit  der  Kreuzzüge. 
Daffir  durften  sie  aller  sentimentalen  Frömmigkeit  entbehren,  wenn  sie 
nur  schneidige  Recken  waren,  konnten  sogar  ein  wenig  da  und  dort 
über  die  Schnur  hauen,  aber  Ritter  mussten  sie  sein.  Ein  sehr  lehr- 
reiches Beispiel  ist  der  Willehalm  des  Wolfram  von  Eschen- 
bach, ^f^i  dem  wirklich  von  Heiligkeit  gar  nichts  zu  verspüren,  er  ist 
nebenbei  ein  Frauenräuber,  der  seine  Geliebte  entfährt  hat.  Haben  ja 
auch  König  Oswald  und  König  Orendel  dasselbe  gethan  und  den 
Preis  ihrer  Mannheit  dadurch  nur  getheuert! 

Betrachten  wir  demnach  dieses  seltsame  Gedicht,  das  wohl  einige 
Ausführlichkeit  verträgt,  da  es  noch  nicht  völlig  übersetzt  wurde  und 
sich  seither  meist  einer  acht  stiefmütterlichen  Behandlung  erfreute. 
Wolfram  beginnt  mit  einer  kurzen  Einleitung,  in  der  er  Gott  und  den 
Heiligen,  zu  deren  Ehren  er  ja  sein  Werk  anhebe,  um  Hilfe  und  Ejraft^ 
bittet;  dabei  bemerkt  er  auch,   da«s  er  dem  Landgraf  Hermann  von 


')  Ulrich  Btamml  aus  dem  Geschleehte  der  Grafen  voo  Ky))arff  und  warde  zn 
Dillingen  880  geboren*.  Vgl.  (Mittermayr)  Sagenbuch^  1849,  S.  75,  wo 
gleiehralls  aus  dem  Jugendieben  Ulrichs  eine  Sage  berichtet  wird. 


880 

Thüringen  den  Stoff  dazu  verdanke.  Nehmt,  was  ich  euch  biete,  willig 
an,  lasst  die  Aventüre  an  den  heimischen  Herd  (in  hds  ze  Aare)  und 
behandelt  sie  gut  als  Gast. 

1.     Graf  Heinrich  von  Narbön  hatte  sieben  Söhne,   die  er  aber 
einem  Pflegekinde  zu  Liebe,  alle  von  Burgen  und  Holen  verstieBs  und 
an  den  Hof  des  Kaiser  Karl  sandte ,    dass  sie  dort  auf  hoben  ritter- 
lichen Preis  dienten.  Der  erste  hiess  Wilhelm  (GwillÄms),  der  andere 
Bertrams,  der  klare  süsse  Buo\nin  war  der  dritte  Sohn,  Heinrich  hiess 
der  vierte,  Amalt,   Bemart  und  Gybert.     Was  sie  an  Leid  erduldet 
und  an  Freude  genossen,  das  bleibe  hier  ungesagt,  wir  wenden  uns  nur 
zu  Willehalm.   Wie  sich  dieser  des  Dienens  unterzog,  manch  hoch- 
herziges Gemfith  mit  Freuden  erfüllte  und  wie  er  in  der  Folge  Ära- 
bellen  erwarb,  das  setzt  der  Dichter  als  bekannt  voraus.     Arabel  war 
nämlich  eine  Heidin,   die  Willehalm  ihrem  Manne  entführt  hatte;    sie 
liess  sich  taufen  und  wurde   von   da  an   Gyburc  genannt.    —    Ihr 
früherer  Gemahl,   König  Tybalt  von  Arabien,   beklagte  jedoch  sehr 
den  Verlust  ihrer  Minne.  Um  sie  zu  rächen,  zog  er  mit  einem  grossen 
Heere  nach  Frankreich.     Dieses   führte  König  Terramer  (Arabellens 
Vater)  an,  auch  begleiteten  ihn  sein  Bruder  der  Perserkönig  Arofei  mit 
seinen  zehn  Söhnen;    femer  Tybalt,    sein  Schwager,    dann  der  König 
Halzebier  und   Wele   andere   dienstbare  Fürsten   und  Herren   aus   dem 
weiten  Afrika  und  Asien,  mit  zahlreichen  Schiffen  und  vielen  Tausenden 
zu  Ross  und  zu  Fuss.  Nachdem  sie  gelandet,  schlugen  sie  weithin  über 
Berg  und  Thal  ein  grosses  prächtiges  Lager  auf  den  Ebenen  von  AH- 
tschanz,  sie  flehten  zu  ihren  Göttei^  Mahmet  und  Tervigant,  ihnen  die 
an  Tybalt  geschehene  Schmach   rächen    zu  helfen   und  es  begann  ein 
Kampf,  dass  selbst  ein  steinhartes ')  Herz  davon  erzittert  wftr^.'>  Aber 
auch  Willehalm  hatte  seine  Streiter  gesammelt;    da  kamen  mit  ihren 
Mannen   und  Söldnern   Witschart,   und  Gßrart   von  Blavi,    der    - 
Pfalzgraf  Bertram,    der  klare  Jüngling  Vi  vi  ans,    des  ^marcgräven 
swester  kint^  Myle,    femer  Jozeranz   und  Hüwesen  von  Meilanz   und 
viele  Andere.  Es  war  ein  Heer  von  ^zweinzec  tüsent  Mann,**  das  sich 
bei  Orange  zusammenfand,   von  Provenzalen,   Burgundern  und  eigent- 
lichen Franzosen  (der  rehten  Franzoys).    In  Angesicht  des  Feindes,  der' 
mit  glänzenden  Banieren  unter  seidenen  und  kostbaren  Zelten  lag,  hält^ 


*)  Die  Stelle  12,  16:  ,,ein  herze  daz  von  fliose  ime  donre  gewahsen^  ist 
mehr  als  steinhart,  dnss  seihst  ein  Herz  aus  einem  „Donnerkeile^ 
dessen  hätte  erbarmen  müssen.     Man  hielt  die  Meteorsteine  oder  „Teufels 
finger*^  für  Kiesel,   die  mit  dem  Blitze  niederfahren  and  von  ihn  erseo 
würden. 


$81 


der  „maregfAvie^  Willehalm  eine  standhafte  Christenrede  an  seine 
Helden.  Posaunenschall  von  Seite  der  Heiden  verkündet  den  beginnenden 
Kampf,  ihr  Schlachtgeschrei  ist  Tervigant,  der  Getauften  Ruf  dagegen 
ist  Monschoy.  '3     Und  es  beginnt  die  Schlacht: 

19, 


3.  Hie  der  stich,  dort  der  $lac ; , 
jener  saz,  dirre  lac. 

5.  die  ze  beder  sit  da  tobten 
gein  strit,  die  wftm  geflöhten 
10  ein  ander  sere. 

do  gienc  ez  an  die  refe 
von  den  x)rsen  üf  die  erden. 

10.  beiden  der  werden 

l^rC  da  manec  hundert  tot. 
die  getouften  dolten  not, 
e  si  die  schar  durhbrächen. 
die  beiden  sich  des  rächen 

15.  maulich  und  unverzagt, 

daz  ez  mit  jdmer  wart  beklagt 
von  den  gotes  soldieren. 

sold  ich  si  zimieren 

von  richer  kost,  als  si  riten, 
20.  die  mit  den  getouften  striten. 
sd  mües.ich  nennen  mangia  laut, 
tiare  phelle  drüz  gesant 
von  wiben  durh  minne 
mit  spaeblichera  sinne. 
25.  die  beiden  beten  kursit, 
als  noch  manec  frinndin  git 

durch  gezierde  ir  amise. 
nftch  dem  eweclicbem  prise 
die  getouften  strebten: 
die  wile  daz  si  lebten, 

20, 

Die  beiden  schaden  dolten 
und  die  getouften  holten 
flust  unde  Kummer, 
man  gesach  den  liebten  summer 

6.  in  sd  maneger  varwe  nie, 
swie  vil  der  meie  uns  brihte  ie 
fremder  bluomen  underscheit: 
manec  storje  dort  geblüemet  reit, 


Hier  der  Stich  und  dort  der  Schlag! 
Jener  sass  und  dieser  lag! 
Die  beiderseits  zum  Streite  mocbt()n 
Taugen  da,  sind  nun  verflochten 
In  einer  anderen  Beschwerde: 
Denn  an  ein  Stürzen  ging  es  nun 
Von  den  Rossen  auf  die  Erde. 
Bald  sah  man  manche  Hundert  ruh*n 
Der  werthen  Helden  am  Boden  todt. 
Es  hatten  die  Getauften  Noth 
Die  Scbaaren  zu  durchbrechen. 
Die  Heiden  säumten  nicht,  zu  rächen 
Muthig  sich  und  unverzagt, 
Dass  es  mit  Jammer  ward  geklagt 
Von  den  Gottessöldnern.  —  Wollt' 

ich  nun 
Den  prächtigen  Aufzug  kund  Euch 

thun 
Von  denen,  wie  sie  da  ritten. 
Die  mit  den  Getauften  stritten: 
So  müsst'  ich  nennen  InancbesLand^ 
Aus  dem  von  Frauen  durch  Minne 
Mit  kunstgebildetem  Sinne 
Kostbare  Stoffe  sind  dargesandt. 
Die  Heiden  trugen  Ueberkleid, 
Wie  manche  Freundin  zum  Schmuck 

noch  heut 
Es  dem  Geliebten  pflegt  zu  schenken, 
Doch  an  den  ew'gen  Preis  nur  denken 
Die  Getauften  in  ihrem  Streben, 
Die  Heiden  Schaden  erkauften 

Von  jenen  bei  ihrem  Leben; 
Doch  holten  auch  die  Getauften 
Sich  Kunimer  und  Verlust  genug.  — 
Nie  mit  so  reichem  Farbenschmuck 
(Wie  viel  an  seltner  Farbenpracht 
Der  Mai  auch  jemals  uns  gebracht) 
Sah  man  den  Sonuner  licht  verbreitetl 
Geblümt  dort  mancher  Haufe  reitet 


'>  Hon  joie,  der  eigentliche  Feldruf  der  franz.  Könige  war:  mon  joie  St.  Denys. 


382 


gelich  gevar  der  heide. 

10.  nu  gedenke  ich  mir  leide, 
sol  ir  got  Trevigant 
si  ze  helle  l^än  benant. 

si  mohten  under  hundert  man 
einen  küme  ziser  hän: 

15.  des  wart  ir  lieht  anschoawen 
ungefuoge  verhouwen. 
si  warn  ir  lebens  milte: 
swä  mans  ftne  schilte 
traf,  da  spürte  man  diu  swert 

20.  s6,  daz  manec  heiden  wert 
da  der  orse  teppech  wart, 
mit  swerten  was  vil  ungespart 
ir  höh  gebende  snevar : 
drunde  äne  harnasch  gar 

25.  war  da  manec  edel  houbet, 
daz  mit  tode  wart  betoubet. 
ouch  frumten  si  mit  kiulen 
durh  die  helme  alsölhe  biulen, 
des  unter  der  getouPten  diet 
vil  maneger  von  demieben  schiet. 


An  Farbe  gleich  dejr  baaleo  Haide. 

Ich  denke  d*ran  jnit  Leide, 
Wie  um  ihren  Glauben  anTervigant 
Sie  werden  zur  Hölle  hingesandt! 
Unter  hundert  Mann  oder  mehr 
Ist  kaum  einer  in  Eisenwehr; 
Da  ward  ihr  glänzendes  Anschauen 
Gar  ungefüge  zerhauen. 
Freigebig  waren  sie  mit  dem  Leben ! 
Wo  man  sie  ohne  Schilderheben 
Traf,  da  spörte  die  Degenschneide 
Man  so,  dass  mancher  tap^e  Heide 
Zum  Fussteppich  den  Rossen  ward. 
Mit  Schwertern  ward  da  nicht  gespart 
Hir  hoher  schneefarbiger  Turban; 
Darunter  manches  edle  Haupt 
Ward  seinem  harnischlosen  Mann 
Zum  Tode  betäubet  da  geraubt. 
Doch  schlugen  auch  sie  mit  Keulen 
Durch  die  Helme  solche  Beulen, 
Dass  viele  von  den  getanftenSchaaren 
Mussten  das  Leben  lassen  fahren. 


Zuerst  fallt  durch  Willehalm  der  Sohn  des  Kator  (fiz  Eator) 
Pynel,  dagegen  f%hrt  TerramSr  auf  seinem  Ross  Brahftne  Wilhelm« 
Schwestersohn  Myle  nieder;  Halzebiers  Heer  Hess  mehr  Baniere  wehen,«,  j«, 
als  eine  Barke  tragen  könnte.  Mit  neußn  Schaaren  eilt  Nöupatris«  ^, 
König  von  Oraste  Gentesfn  in  den  Kampf;  gegen  diesen  wendet  siel 
Vivianz,  Wilhelms  anderer  Schwestersohn,  den  die  Königin  Gyburc  er- 
zogen und  dessen  Herz  sich  nie  schied  von  durclilauchtigem 
Auf  sein  Banier  war  ein  Amor  gestickt  (gesniten).  Er  schlug  den  Nön- 
patris  durch  den  gekrönten  Helm,  so  dass  er  des  Lebens  vergassr 
mancher  Held  ward  durchstochen  „daz  imz  geweide  üz  der  tjost 
satel  hienc.*'  Die  Heiden  stürzen  zur  Rache,  andere  christliche  Fürstc 
zur  Hilfe  herbei;  genug  Franzoysaere  erwürben  da  ^des  libes  tot,  de 
sSle  vride,''  aber  auch  die  Heiden  fielen;  als  Terramör  den  Tod 
Nöupatris  erfahrt,  ruft  er  neue  Schaaren  herbei  mit  Tybalt,  Ehmereir 
und  Arofei  von  Persyä,  der  Dichter  sagt  da  ausdrücklich,  die 
seines  Töchterlein  *)  sei  bei  weitem  nicht  so  schön  wie  die  Wappe 
rocke  und  Pfeile,  die  hier  in  der  Sonne  erglänzten.  Es  scholl  vod^^n 
Pauken  und  Tamburen,  von  Posaunen,  Floytieren  und  von  Speergekract^^^- 
In  Terramdrs  Heere  befindet  sich  der  König  Margot  von  Pozzida&t, 


u 


')  33,  24:    mtner  tohter  tocke 

ist  rnioAch  so  achoene. 


33? 

\ 

m&  nahe  am  Ende  der  Welt  liegt,  dass  Niemand  weiter  anzubauen  ver- 
mag (dk  nieman  Akrbaz  bdwes  pfliget)  nnd  wo  der  Tagessteme  so  nahe 
aufgeht,  da«s  man  ihn  mit  den  Händen  erreichen  zu  können  glaubt. 
Margot  hatte  auch  den  K5tiig  Gorhant  mit  hergefiihrt,  dessen  Land  am 
Ganges  (Ganjas)  liegt,  wo  das  Volk  gehümt  und  ohne  menschliche 
Stimme  ist,  ihr  Ton  gleicht  dem  der  Leithunde  und  einer  Kälbermutter; 
sie  streiten  mit  „stählinen  kolben^  isu  Fuss,  und  doch  sind  die  hürnenen 
Lieate  so  schnell,  dass  sie  dem  Wilde  und  den  Rossen  gut  folgen 
können.  Wilhelms  Helm  war  ze  Totel  geworkt,  sein  Schwert  hiess 
Schoyüs^,  sein  Pferd  Pusät;  die  getoofte  Diet  eknpfing  den  Feind,  wer 
von  den  Chrüsten  starb,  gewann  das  ewige  Leben  (der  sSle  sigeniinft). 
Vom  Tosen  der  Posaunen,  den  Pauken  und  Tamburen  und  dem  heid- 
niacfaen  Schlachtruf  erhub  sich  so  grosser  Schall,  dass  (nach  der  mittel- 
Elterlichen  Meinung,  und  wie  Wolfram  schon  im  Parcival  als  Gleichniss 
gebraucht  hat)  neugebome  Löwen  davon  zum  Leben  hätten  erwachen 
mOssen,  die  todt  geboren,  erst  durch  das  Gebrüll  ihres  Vaters  zum 
Leben  erweckt  werden. ')  Wie  die  lichte  Sonne  einen  Nebeltag  durch- 
s<^neidet,  so  ^durhUuhteclich^  stritt  Willehalm,  der  mit  seinem  guten 
Schwerte  das  Gedränge  lichtete  und  dünne  machte,  wo  es  enge  war. 
Vivians  hörte  ein  Getöse,  als  ob  das  Meer  in  seinen  Grundtiefen  er- 
bebte, als  das  ^eer  Gorhands  kam.  Als  ob  ihn  der  Wind  fährte,  stürmt 
er  hinein,  der  ^^phallenzgräve^  Bertram  ihm  nach  mit  dem  Schlacht- 
ruf Munschoy.  Ihnen  wirft  sich  Terram^r  und  Halzibier  entgegen; 
Vivians  aber  erschlägt  sieben  Heidenkönige;  da  streckt  i^m  Halzibier 
der  cMre  (mit  reidbrunem  hftre  und  spannenbreit  zwischen  den  Brauen,') 
mit  den  Kräften  von  sechs  Männern)  darnieder  und  führt  acht  christ- 
liche Fürsten,  Bertram  und  Gaudin,  Gaudiers  und  Kiblin,  Hünas  und 
Gerart,  Sansön  und  Witschart,  die  mit  dem  Markgrafen  verwandt 
schienen,  aus  der  Schlacht  gefangen  foft,  um  sich  ihrer  zur  Auswechs- 
lang gegen  Arabelle  zu  bedienen.  Der  Kampf  geht  über  dem  Leibe  des 
Vivians  fort ;  der  Held  komnlt  erst  später,  nachdem  sich  das  Getümmel 
nach  einer  andern  Seite  hin  verzogen,  wieder  zu  sich,  findet  sein  wundes 
tioss,  hebt  sich  kräftelos,  doch  ohne  seinen  Schild  zu  vergessen,  hin- 
auf nnd  ritt  zu  einer  beschatteten  Quelle,  die  ihm  ein  Engel  zeigte; 
nur  so  lange  wünscht  er  noch  zu  leben,  bis  er  seinen  Oheim  gesehen 
cmd  dieser  ihm  sage,  ob  er  seine  Zucht  je  gebrochen,  weil  so  schwere 
dnthat  über  ihn  erging.     Der  lichte  Engel  Kerubin  tröstet  ihn  zwar. 


*)  40,  5:  es  noblen  lewea  weif  genesen,  der  geburt  mit  töde  ie  muose  weseo: 
daz  leben  in  gtt  ir  valer  galm. 

^)  Eine  allgemein  belieble  Hyperbel  zur  Bezeichnung  der  reckenhaflen  Stärke, 
Vgl.  Y.  d.  Hagen  König  Orendel.  1844.  S.  XIV. 


334 

docfa  sinkt  Vivians  wie  todt  darnieder.  Unterdessen  ging  die  Sdilacht 
fort.  Nicht  ohne  Kummer  sieht  Willehalm  das  grosse  Leicfaenfeld,  aaf 
dem  so  viele  von  seinen  Magen  liegen :  ^freade  und  hdher  muot,  spricht 
er/ir  beidiu  siget  mir  ze  tal,  wie  wSnec  min  ist  an  der  zal!  sint  mtn^ 
mäge  tot  belegen,  mit  wem  sol  ich  na  freade  pflegen?  dar  zao  mid 
eUenthafte  man.  so  grözen  schaden  nie  gewan  dehein  färste  min  gen^z. 
nu  st^n  ich  ireode  und  helfe  btöz.  Selbst  dem  Kaiser  Karl«  fthrt  er 
fort,  wäre  solch  ein  Verlust  zu  gross  und  der  meine  wird  von  dem 
nicht  Sberwogen,  den  er  zu  Runzeväle  erlitt;  ej  Gybui^,  süeziu  Kö^ 
nigin»  wie  schweren  Zins  gibt  nun  mein  Herz  Ar  deine  Minne!  denn 
ich  bin  ^mit  jdmers  last  vast  überladen!^  Mit  ^Monschoy!^  kehrten  die 
Getauften  wieder  in  den  Feind:  ^als  durch  die  dicken  müre  brichet  der 
btckel  und  zimberman  den  zwick el  bliwet  durch  den  herten  nagel/  'so 
fuhr  das  Schwert  Scho3rÜ8  mit  Hagelschlägen  unter  die  Unglätfbigeti; 
nachdem  Willehalm  noch  viele  von  ihnen  niedergemacht,  reitet  er  jedoch 
über  das  Gebirge  davon. 

U.  Auf  der  Höhe  hielt  der  Markgraf  sein  Boss  an  (er  enthielt 
dem  orse>  und  sah  „hin  wider  dez  lant  nfe  unde  nider:^  Berg  und  Thal 
um  Aljschanz  war  mit  zahlloser  Heidenschafb  überdeckt  und  die  Baniere 
schienen  wie  ein  grosser  Wald,  und  die  Rotten  zogen  hin  und  her 
Sein  Zorn  entbrannte  über  die  Unzahl  der  Sarrazin;  es  galt  nach 
Oransche  zu  eilen,  ehe  es  die  Heiden  etwa  einnehmen.  Sdn  braunes 
Haar  war  plötzlich  weiss  eingesprengt,  als  hätte  es  darauf  geschneit. 
Wie  er  nun  an  den  Steinwänden  sein  Pferd  den  Abhai^  gegen  das, 
Wasser  Larkant  hinabführt,  findet  er  plötzlich  den  Schild  des  werthen 
Vivianz,  ganz  zerschlagen  von  Wurfgeschossen  (hdtschen),  Keulen, 
Bogen  und  Schwertern,  der  Markgraf  erkannte  ihn  nur  mehr  an  den 
Borten,  und  als  er  darauf  den  Jüngling  selbst  am  Boden  iand,^  brach 
er  mit  nazzen  ougen  in  Klagen  aus:  „min  herze  muoz  die  jdmers  suht 
an  freude  erzenie  tragen.  Wäre  ich  doch  mit  dir  erschlagen,  so  hätte 
ich  Ruhe;  warum  verschlingst  du  mich  nicht,  Erde*  dass  ich  bald  dir 
gleich  werde,  der  ich  von  dir  stamme!  Tod!  nimm  hin  den  Theil  von 
mir;  könnte  ich  schleichen  (sliefen)  wie  der  Fuchs,  dass  nie  beschiene 
mich  der  Tag!  Was  Freude  in  meinem  Herzen  lag,  das  ist  todt  hin- 
ausgefahren. Tod!  warum  willst  du  meiner  noch  sparen?  ich  lebe  noch, 
doch  bin  ich  todt!^  Vor  Jammer  Hess  ihn  all  seine  Kraft,  er  sank 
vom  Rosse.  Als  er  nach  einer  Weile  wieder  zu  sich  kam  (bi  einer 
wüe  er  sich  verran)  erhub  er  neuen  Jammer,  kniete  sich  über  Vivians, 
band  ihm  den  verhouwen  heim  ab  und  legte  das  wunde  Haupt  in  seinea 
Schooss:  „Seit  Adams  Zeiten  (sitAdftmes  rippe  wart  g^qadiet  ze  einer 


/ 


835 

magt)  bjst  Du  ein  Bild  aller  ^Tagend.  Solche  Sfisse  lag  an  Deinem 
I/eibe,  dass  des  breiten  Meeres  Salzgeschma^k  zockersttss  sein  müsste, 
wienn  man  nur  einen  Zehen-  von  Dir  hineingeworfen.  *)  Wehe !  wie  ein 
Vogel  s!n  vogelin  ammet  nnde  brttetet,  so  hat  Dioh  die  Königin  Gyburc 
erzogen;  nun  wird  das  sorgsame  Weib  nach  Dir  mit  Jammer  betrogen.^ 
Während  er  lange  noch  so  klagte,')  erseufzte  und  streckte  sidi  der 
Wunde  plötzlich  in  seiner  Todesnoth  und  als  er  die  Augen  aufschlug, 
erkannte  er  seinen  Oheim,  wie  es  ihm  der  Engel  verheissen  hatte.  Die 
erste  Frage  des  Markgrafen  ist,  ob  er  Beistand  gehabt  und  gebeichtet 
(»praech  du  bfhte)  habe,^  dass  er  vor  Gott  (fiik*  die  TrinitAt)  freudig 
treten  könne,  und  ob  er  da«  Brod  habe  daz  a)le  suntage  in  Francriche 
gewihet  Wirt,  das  der  Priester  mit  Grotteskraft  segnet  und  daz  gnot  ist 
^r  der  sdle  t6t.  Eii^  Abt  von  St.  Germdn,  f&hrt  Willehahn  fort,  gab 
es  mir  jüngst,  in  mfner  taschen  ichz  hie  hftn;  empfange  es  zu  Deiner 
«Seele  Heil.  Vivianz  bittet  ihn  um  Gottes  Leichnam,  indem  er  sich 
<lemOthig  mit  dem  guten  Schacher  vergleicht;  nach  der  Kommunion 
Terscbied  er  und  ein  süsser  Duft,  wie  wenn  .lignum  alö^  im  Feuer 
l>rennt,  entstund  als  Leib  und  Seele  sich  trennten. 

Willehalm  wollte  die  Leiche  des  geliebten  Schwestersohnes  auf  dem 
Hesse  mit  sich  nehmen,  bald  aber  wurde  er  von  unbekannten  Männern 
angerannt,  er  legte  also  den  Todten  nieder,  vertheidigte  sich  bis  es 
ihm  gelang,  sich  den  Verfolgern  durch  die  Büsche  zu  entziehen;  so 
lehrte  er  zu  Vivians  zurück,  verbrachte  weinend  die  Nacht  bei  ihm 
und  setzte  am  folgenden  Morgen  seinen  Weg  fort,  leider  ohne  den 
Todten  mit  sich  nehmen  zu  können.  Die  Heere  hatten  Frieden  gemacht 
Und  die  Gesunden  hatten  mit  Todten  und  Verwundeten  genug  zu  thun; 
sorgfältig  spähten  die  Heiden,  ob  sie  unter  den  Gefallenen  nicht  noch 
lebende  Christen  fänden,  um  sie  umzubringen.  Da  Willehalm  durch  das 
feindliche  Lager  musste,  so  ritten  fünfzehn  Könige  gegen  ihn,  Ehmereiz 
Ton  Todjeme,  Gyburgs  eigener  Sohn,  voran  um  den  ersten  Tjost  zu 
thun.  FönfzAn  Speere  wurden  auf  den  Markgrafen  verstochen,  der  sein 
gutes  Schwert  Schoidse  den  Königen  wacker  um  die  Helme  klingen 
Hess,  so  dass  ihrer  sieben  erlagen,  die  Uebrigen  aber  die  Flucht  er- 
griffen.   Darauf  rückten  Nugruns  von  Liwes,  der  König  Tenebruns  und 


*)  69,  11:   sölh  süexe  an  dtine  übe  lac: 
des  breiten  mers  salzes  smac 
mOese  a1  zukerroaezig  sin^ 
der  d!n  ein  z^hen  würfe  drin., 

*)  f^mit  jlimer  er  sus  panste.  d6  heschte  iinde  ran  sie  der  wunde  Itp  in 
siner  schöz.^  pensen  =>  denken,  sprechen;  hischen,  haschen  =  schlucozen, 
niesen;  reosea,  rfiuspern,  sich  strecken.  Vgl.  Parc.  581,  4. 


336 

Arofei  von  Persyä  gegen  Willehalm ,  sie  waren  prachtvoH  gfBschmfickt, 
so  dass  der  Dichter  seines  Lehrers  von  Veldecke  gedenkt, ')  der  sie 
besser  hätte  beschreiben  können.  Wie  Schmiede  auf  den  Amboss,  so 
schlugen  sich  die  Helden;  zuerst  f&Ut  der  König  Tenebruns;  am  hef- 
tigsten wird  der  Kampf  mit  Arofei ;  ihm  brachen  von  der  hortedicheo 
vart  die  Riemen,  so  dass  die  Panzerhose  (diu  iserhose)  am  GQrt«! 
(lendftier)  aufging  und  das  Bein  bloss  wurde;  Willehalm  hieb  ihm  den 
^blanken  dichschenkel^  ab,  so  dass  er  vom  Pferde  störzte.  Vergebau 
bot  er  dreissig  Elefanten  (helfende),  die  er  zu  Alexandrien  hatte,  er 
versprach  so  viel  Gold ,    als  sie  nur   tragen  könnten ,   nach  PAris  zu  ^ 

schicken,  allein  der  Markgraf  dachte  an  Yivianzes  und  seiner  Freunde  ^ 
Tod  und  erschlug  ihn,  nahm  seine  i'eichen  Waffen,  um  so  ^verkleidet  ^^ 
sicher  durch  die  Feinde  zu  kommen,  auch  das  Ross  Volantin  des  Ge-, .  — , 
fallenen  nahm  er,  weil  sein  Pferd  Puzzftt  schwer  verwundet  war,  das 
ihm  jedoch  noch  immer  freiwillig  folgte.  So  erreichte  der  Unverzagte 
Oranscbe,  das  bereits  umlagert  war;  zwar  erkannte  man  ihn  unter  den 
Heiden,  wesshalb  es  noch  einen  schweren  Kampf  galt,  dann  aber  kam 
er  doch  glücklich  unter  die  Mauern,  wo  ihn  Steven,  der  Kapelan, 
ob  der  Pforte  stand,  ersah  und  Lärm  gegen  ihn  erhob;  erst  nacl 
hartem  Widerstände  von  Seite  seiner  eigenen  Leute  führen  sie  il 
misstrauisch  vor  seine  Gemahlin,  die  ihn  jedoch  gleich  nachdem  er  dei 

Helm  abgelegt  *)  an  seiner  Narbe,  die  er  im  Dienste  Kaiser  Karls  er — - 

halten,  erkennt  und  mit  Freuden  begrüsst,  doch  erregte  der  Verlust  de^-^^ 
Vivianz  und  der  übrigen  To4ten  grosse  Klage. 

Unterdessen  rückte  Terramßr  bereits  vor  die  Stadt,  es  sah  aus^^sas, 
als  kämen  alle  Bäume  des  Spessart  (Spehtshart)  mit  Fahnen  (mi'^^K:it 
zendäl  behangen)  angerückt  und  Oransche  ward  umlegt,  als  ob  eii^  -^° 
wochenlanger  Regen  nichts  als  Ritter  herniedergegossen  hätte  (al^  ol^-^^ 
ein  Wochen  langer  regen  niht  wan  riter  güzze  nider). 

Nachdem  Gyburc  die  Wunden  Willehalms  mit  einer  (auch  schor  ^^o 
im  Parcival  erwähnten)  Salbe  aus  geldsürtem  dictam,  Weinessig  (vini 
ger)  und  Bohnenblüthe  verbunden  und  der  Held  in  ihren  Armen 
geruht  hatte ,  machte  sich  Willehalm  verkappt  in  der  Heidenrflstun^r"^f 
Arofels  wieder  durch  das  feindliche  Heer  hinaus,  um  seiner  bedrängte^^^o 
Stadt  auswärtige  Hilfe  zu  verschaffen. 


')  76,  24. 

^  92,  12:  der  heim  und  diu  goufe  \\Hrt  Of  gastrici  und  ah  gezogD.    goiife         /W 

die  unter  dem  Helm  getrogene  B^ckenhaulK.%    an  der  auch  das  Panterfac^  — ^ 
eingehängt  wurde. 


33t 

lll.  Fünf  Tage  lang  ziehen  neue  Schaaren  vor  Oransche  zusamtncn  | 
Terramer,  ärgerlich  über  die  Verluste  und  dass  er  die  Stadt  noch  nicht 
habe,  liess  der  Gyburc  in  der  Nacht  drei  Dinge  entbieten:  sie  in  das 
Meer  zu  versenken  mit  einem' schweren  Stein  an  der  Kehle,  „oder  daz 
ir  fleisch  unde  ir  bein  ze  pulver  wurden  gar  verbrant,"  oder  dass  sie 
Tybald  eigenhändig  an  einen  Ast  hängen  wolle.  Sie  aber  dankt  dem 
Vater  für  so  ungastliche  Anmuthung;  so  wird  die  Belagerung  weiter 
geführt  und  die  wohlbekannten  Vorrichtungen,  um  eine  Stadt  zu  stür- 
men, vorgeschoben:  „driboc  und  mangen,  ebenhoeh  üf  siulen  langen, 
Igel,  katzen  und  pfetraere."  Gyburc  wehrt  sich  wacker  dagegen  und 
lässt  sogar  die  Todten  ipit  Helm  und  Schild  auf  die  Zinnen  stellen,  um 
ihre  Mannschaft  dem  Feinde  gegenüber  zahlreicher  erscheinen  zu  lassen. 

Unterdessen  eilt  Willehalra  nach  Orleans  (Orlens),  wo  er  mit  den 
Bürgern,  die  ihn  für  einen  Kaufmann  halten  und  Zoll  von  ihm  erheben 
wollten,  in  gefährlichen  Streit  geräth,  zum  Glück  entrinnt  er  dem 
Handel  und  findet  seinen  Bruder'  Arnalt,  der  ihm  Hilfe  verspricht  und 
ihn  nach  Munleün  reiten  heisst,  wo  ein  grosser  Hofbag  des  Königs  ange- 
sagt ist  und  Willehalm  seine  Eltern  und  Brüder  finden  werde.  Nachdem 
Willehalm  in  einem  Kloster  bei  Mönchen  übernachtet,  ritt  er  nach  Mun- 
leün, wo  bereits  Franzosen  und  Engländer,  Burgunden,  Fläminge  und 
Brabanter  lagen;  doch  empfing  ihn,  weil  man  ihn  nicht  kannte,  keiner 
nach  höfischen  Sitten,  so  dass  er  sich  allein  unter  einen  Oelbaum 
und  eine  Linde  setzte,  und  den  Helm  und  die  Rüstung  selbst  abband; 
doch  sahen  Alle  nach  ihm  ob  seinen  fremdländischen  Pfeilen  und  dem 
heidnischen  Gereite.  Seine  Schwester  allein  erkennt  ihn  vom  Fenster 
aus  und  theilt  das  ihrem  Gemahl^  dem  König  Ludwig  in  missliebiger 
Weise  mit:  „Glaub*^  gar,  das  ist  mein  Bruder  Willehalm,  sagt  die 
Gute,  der  den  Franzosen  einen  jämmerlichen  Handel  angestiftet  hat; 
nun  will  er  gewiss  ein  neues  Heer  gegen  die  Heiden  werben;  macht 
die  Thüre  zu  und  haltet  sie  fest,  wenn  er  auch  klopft."  So  that  man 
denn  auch  und  Willehalm  ^der  truric  man,"  musste  selbst  sein  Ross 
halten.  Da  näherte  sich  ihm  ein  Käufmann,  Namens  Wimär,  und  lud 
ihn  höchst  verbindlich  zu  sich.  Willehalm,  eingedenk  der  Noth  seiner 
Gemahlin,  verschmäht  die  kostbaren  Polster  und  Kissen  und  verlangt 
sich  auf  Gras  und  Klee  zu  „walgen  als  ein  rint."  DerWirth  liess  sieden 
und  braten,  ein  Pfau  ward  aufgesetzt  mit  den  auserlesensten  Brühen 
(salsen),  ein  Kapaun,  Fasan,  in  Gallert  die  Lampreten  (in  galreiden 
die  lampriden),  Willehalm  aber  nimmt  nichts  davon,  denn  er  hat  ge- 
lobt, nur  Wasser  und  Brod  zu  gemessen,  bis  er  seiner  Gemahlin  Hilfe 
gebracht.  Der  Wirth  reicht  ihm  nun  hartes  Weissbrod  *)  und  den  Trank 

')  hertiu  waslel.    Vgl.  Parc.  «22,  10. 

22 


338 

der  Nachtigall,  davon  ihr  süsser  Schall  werther  ist,  dann  ob  sie  Wein 
von  Botzen  tränke.  Der  Markgrafe  legte  sich  in  das  Gras,  kann  aber 
vor  Zorn  über  die  elende  Aufnahme  am  königlichen  Hofe  nicht  schlafen 
und  beschliesst,  es  ihnen  tüchtig  einzutränken;  am  Morgen  rüstet  er 
sich  und  reitet  auf  seinem  Pferd  Volatin  aus  der  gastlichen  Herberge 
des  Kaufmanns,  der  unterdessen  schon  bei  Hofe  die  Kunde  verbreitet  hat, 
wer  der  Ritter  sei;  daher  \iird  Willehalm  bei  seiner  Ankunft  daselbst 
neugierig  empfangen  und  mit  Freundschaftsbezeugungen  umdrängt  Er 
sagt  ihnen  tüchtig  seine  Meinung  über  ihr  unhöfisches  Benehmen;  auch 
der  König  und  die  Königin  beobachten  ihn  heimlich,  sie  wünschten  ihn 
lieber  nach  Känach  oder  Assim,  oder  in  die  Hitze  zu  Alamansur^ 
lieber  wüssten  sie  ihn  eingefrören  in  Scandindviä  oder  gar  auf  der  Insel 
Palake  im  Lebermeer.  Unterdessen  kam  sein  Vater  Heimrich  mit  seiner 
Gemahlin  Irmschart  von  Paveie  nebst  grossen  Gesinde  und  siebentausend 
Rittern  und  wurden  schön  empfangen;  da  gedachte  Willehalm,  es  zu 
wagen,  trat  vor  den  König,  mahnte  ihn  an  den  Segen,  den  Gott  ihm 
gewährt  und  an  die  Hilfe,  durch  die  er  ihm  die  römische  Königskrone 
verschafft;  sieben  Jahre  habe  er  gestritten,  ohne  Vater,  Matter  oder 
Brüder  gesehen  zu  haben.  Da  sprangen  seine  vier  Brüder  Bertram, 
Bnos  von  Kumarzi,  Schubert  und  Bernart  auf  und  umfingen  ihn,  und 
der  König  erkennt  dankbar,  was  Willehalm  an  ihm  gethan  habe  und 
bietet  Lohn  und  Lehen  dafür,  nur  Willehalms  Schwester,  die  Königin, 
bricht  in  Schmähungen  aus  und  erzürnt  Willehalm  so,  dass  er  ihr  die 
Krone  vom  Haupte  brach  und  zur  Erde  in  Trümmer  schlug,  sie  bei  den 
Zöpfen  ergrifi*  und  ihr  das  Haupt  abgeschlagen  hätte,  wäre  ihre  Mutter 
Irmenschart  nicht  dazwischen  gedrungen;  so  gelingt  es  ihr,  in  die  Ke- 
menate zu  entfliehen,  wo  sie  sich  erst  hinter  dem  starken  eisernen  Riegel 
sicher  fühlt.  König  Ludwig  (Löys)  wäre  lieber  zu  Etampes  oder  Paris 
oder  zu  Orleans  (Orlens)  gewesen,  gemer  denne  da  bi  im!  Willehalm 
erzählt  seinen  Eltern  das  Elend  zu  Oransche,  drei  starke  ^'karräsche 
(vierräderige  Wagen)  unde  ein  wagen  möhtenz  wazzer  niht  getragen, 
daz  von  der  riter  ougen  viel;"  Heimrich  selbst  vermag  sich  kaum  auf- 
recht zu  halten.  Alle  sagen  ihm  Hilfe  zu,  indess  es  dem  schönen 
Töchterlein  des  Königs,  Namens  Alyze  gelingt,  den  zornigen  Oheim  zu 
besänftigen  und  mit  seiner  Schwester  zu  versöhnen;  selbst  Irmenschart, 
Willehalms  Mutter,  will  Harnisch  tragen  und  mit  Schwertern  hauen. 

IV.  Obwohl  künec  Löys  wegen  der  seiner  l^rau  widerfahrenen 
Misshandlung  sehr  zürnte,  so  gelang  es  doch,  ihn  zu  versöhnen,  wozu 
die  Königin,  die  nun  ihr  Unrecht  einsah,  selbst  am  meisten  beitrug;  so 
sagt  er  denn  endlich  Hilfe   zu   und  gibt,    während  die  Schaaren   sich 


339 

sammeln,  ein  prächtiges  Fest,  wobei  Willehalm  freilich  immer  nnr  Brod 
und  Wasser  geniesst,  dabei  aber  unbegreiflicher  Weise  zehn  Tage  lang 
anshält,  indess  wie  er  wohl  weiss,  seine  geliebte  Gyburc  in  ihrer  Stadt 
aufs  dringendste  belagert  wird. 

Während  Willehalm    eines  Abends    mit    der  schönen  Alyze   am 

Penster  sass  und  die  Jungen  unten  zu  zweien  und  vieren  im  Tjostieren 

sich  übten,  ^hie  mit  poynder  rtten,  dort  mit  püschen  striten,^  auch  mit 

«Springen,  Speerschiessen  und  Wettlaufen  sich  tummelten,    und  grosses 

Oeschrei  und  Lärmen  unter  den  Knechten  war,  nahm  Willehalm  eines 

Knappen  wahr,    der  mit  der  ICrafl  von  sechs  Männern  begabt,    einen 

grossen  „zuber  wazzers  vol^  allein  trug;    er  versah  Küchendienste  und 

^war   80   stark,    dass  er  eine  Last,    die    drei  Mäuler  getragen  hätten, 

zwischen  den  B|inden  wie  ein  Kissen   (küsselin)  trug;    sein  Haar  und 

dünnes  Grewand  hatten  Kücheniarbe.   £r  hätte  in  jeder  Beziehung,  nach 

seiner  Abstammung  wie  nach  seinem  Werthe,  eine  bessere  Behandlung 

verdient;  aber  das  Gold,  sagt  der  Dichter  sehr  schön,  erweist  sich  erst 

^8  acht,  wenn  es,   auch  in  einem  Pfule,   nicht  rostet  und  der  Gränät 

jächant    zeigt   gerade  dadurch   seine  Kostbarkeit,   dass  er,    selbst  in 

schwarzen  Russ  geworfen,    sein   schönes   Roth    nicht  verliert.     Solch 

^urch  Noth  verdeckte  Tugend  pflag  auch  der  küchenrussige  Rennewart. 

"Wisst  ihr,  wie  der  Adelaar  seine  Jungen  erprobt  (versichert  siniu  kleinen 

^Dt)?  Sind  sie  den  Schaalen  entschlüpft,  so  sucht  er  das  Beste  heraus, 

nimmt  es   sanft  zwischen  den  Klauen    und  hält  es    gegen    die  Sonne; 

^eht  es  nicht  in  dieselbe,  so  lässt  er  das  verzagte  aus  dem  Neste  fallen. 

•So    macht  er  es  auch  mit  allen  andern   und  wenn  es  tausend  wären; 

^^elches  dann  mit  beiden  Augen  fest  in  die 'Sonne  sieht,  das  erkennt  er 

als  das  seine  an.     Rennewart,   der  starke  Mann,    war  wohl  in  des 

^aren  Nest  erzogen,  nicht  daraus  geworfen,  sondern  herabgeflogen  und 

^uif  ^inen   dürren   Ast  gekommen.     Wie  er  nun  so  durch*s   Gedränge 

^ng,  geschah  ein  Stoss,  der  den  Zuber  umstiess;  geduldig  fiillte  er  ihn 

Qrbermals.'    Wie  er  aber  von  denen  zu  Ross  und  zu  Fuss  wieder  ward 

.^vil  gehardieret  unt  also  gepungieret,  daz  sin  voller  zuber  swaere  wart 

^ber  wazzers  laere:^    da  packte  der  Starke  einen  Knappen   und  warf 

Slin  an  eine  Steinsäule,  dass  derselbe,   als  war*  er  durchfault  von  dem 

"^77arfe  gar  zersprang.     Nun  erhob  sich  darüber  grosses  Gedräng,  bald 

flohen  Alle  vor  ihm  und  liessen   Uin   alleine.     Der   König,  der  auch 

umgesehen,  erzählt  hierauf,    wie  er  den  Burschen,   der  eigentlich  edler 

-A^bkonft  ist,  schon  als  Kind  von  Kaufleuten  erhalten,  die  ihn  im  Per- 

^erlande  gekauft  und  über  die  See  gebracht  hatten,  wie  der  Kerl  aber 

seither  nicht  dazu  gebracht  werden  konnte ,    dass  er  sich  taufen  Hesse 

%^er  das  Christenthum  angenommen  hätte.     Der  Markgrafe  bittet  sich 

ZV 


^40 

den  Kerl  aus  und  der  König   gewährt  ihm  endlich  auf  besondere  Ver^ 
Wendung  Alyzens.     Willehalm  Hess   ihn   kommen  und  sprach  ihn  erst 
französisch,  dann,  da  er  darauf  nicht  antwortet,  auf  heidnisch  an,  denn 
er    hatte   während    seiner  Gefangenschaft    in  Arabien  die  chaldäische 
Sprache  gelernt.     Das   verstand   der  Kauz  wohl.     Ich  bin  aus  Mecka, 
sagte  er,  wo  Muhameds  heiliger  Leib  noch  in  den  Lüften  schwebt,  hätte 
er  mir  von  dieser  unwürdigen  Behandlung  geholfen,  dann  wäre  ich  nicht 
an  seiner  Hilfe  verzagt,   nun  will  ich  wohl  zu  dem  Krist  halten,   dem 
auch   du   unterthänig  bist.     Seit  ich  hieher  verkauft  wurde,   habe  ich 
smaehlich  arbeit  geduldet:  der  König  selbst  wollte  mich  bekehreir,  aber 
die  Taufe  war  nicht  nach  meinem  Geschmack  (nu  ist  mir  der  touf  niht 
geslaht).     So  lebt*  ich  hier  anders,  als  bei  meinem  reichen  Vater;  ich 
schäme  mich  so  elend  zu  leben.     Den  Markgrafen  freute  es,  dass  der 
junge  unverzagete   und  noch  bartlose  Mann   trotz   einem  also  smaeh- 
lichem  leben  noch  nach  Zucht  und  Würdigkeit  strebte   und  nahm  den 
Sarrazin   in  Dienst.     Irmenschart   übergab   die  ganze  Ausrüstung  zi 
Heerfahrt  einem  Juden  vx>n  Narbon;    Rennewart  bekam  gute  Gewandes- 
und  eine  mit  starken  stählernen  Spangen  wohlbeschlagene  Stange.  Ni 
den    zehn  Tagen   erhub  sich   Heimriches   Sohn  wohl   ausgestattet  miv  ^t 
seinem  Heer,    nur   des   Markgrafen  junger  starker  sarjant   war   übeK^-^1 
daran,  sie  hatten  ihm  in  der  Küche  noch   sein  Gewand  und  Haar  be — -^s- 
sengt,  den  Schimpf  rächt  er  mit  Riesen -Humor,  stach  mit  der  Stange  :se 
.durch  die  Kessel,  zerbrach  die  Häfen,    kaum  dass  der  Küchenmeister: 
seinem  Zorne  entrann.     Die  Stange  verräumten   sie  ihm,    während  e 
in  der  Nacht  schlief:    also   stiess   er  mit  den  Füssen  die  Thüren 
und  erschlug  den  Küchenmeister  bis  er  seine  Stange  fand,  die  er  freodi, 
^als  ein  swankele  gerten^  von  Hand  zu  Hand  warf,  indess  er,  wie 
Hunden   ein  wildes   Thier,   von   den  Soldaten  sprang.     König  Ludwi^Kdg 
(Roys  Loys)  blieb   zurück,    empfahl   aber  dem  Heer  den  von  seine^^i^JD 
Vater   stammenden  Schlachtruf  Munschoy   auf  das  Beste.     Der  jun^^^^ 
Rennewart  beurlaubte  sich  bei  dem  Könige  und  der  Königin,  dann  gioBi^sg 
er   in   den   Baumgarten  zu   der  schönen  Alyze,    die  theilnahmvoll  dt 
Ungemach  beklagte,  das  er  von  ihrem  Vater  erlitten  hatte  und  ihn 
ihrem  Vater  zu  verzeihen;  das  Mägdlein  steht  auf  und  lässt  sich  v( 
ihm  zum  Abschiede  küssen,    und  Rennewart  neigte  sich   vor   ihr 
den  anderen  Frauen. 

Unterdessen  machte  in  der  sorclichen  Zeit,  wo  Gyburc   selbst 
WaJSen  trug  (dicke  wäpen  truoc)  ihr  Vater  öfters  Versuche,  sie  wi< 
zu  gewinnen.     Es    setzte    während    eines  Waffenstillstandes    (in  ei: 
fride)  scharfe  Reden  ab,   in   denen  Gyburc  mit  seltenem  Verstandst  i^ 
ihr  Christenthum  wacker  den  heidnischen  Ansichten  gegenüber  verit^^i- 


341 

digte.  Der  V.  Gesang  ist  ein  gut  Stück  mit  solchen  Religionsdisputen 
eingeleitet.  Doch  herrscht  in  ihrer  unerschütterlichen  Beharrlichkeit 
eine  wohlthuende  Milde,  sie  oder  vielmehr  der  Dichter,  kann  nicht 
glauben,  dass  alle  Heiden  des  Teufels  seib  sollten.  Der  wilde  Tybalt 
drohte,  nur  Ehmerenz  wehrte  ihm  ab,  Terramör  aber  warb  heute  mit 
Flehen  und  morgen  mit  Drohungen  ^gein  siner  lieben  tohter;"  doch  ver- 
mocht' er  sie  nicht  zu  überlisten  und  sie  hielt  Oransche.  Der  Leicheh- 
geruch  ist  unerträglich  (der  smac  von  töten  was  da  gröz,  unt  sus  von 
manegen  äsen.)  Auch  hatte  Oransche  viele  Breschen  (viel  dermasen) 
erlitten  mit  Würfen  von  ,den  mangen  und  von  den  dribocken.''  Sie 
spielten  wahrlich  nicht  mit  Token.  Die  Heiden  beschliessen  noch  einen 
nächtlichen  Sturm  zu  wagen  uqd  dann  sich  vorläufig  zur  Erholung 
zurückzuziehen.  Mit  vereinter  Kraft  brechen  sie  auf  die  Stadt  los,  e^ 
gelincrt  Feuer  zu  legen.  Unterdessen  rückt  Willehalm  mit  seinem  Heere 
heran  und  erblickt  die  herzbrechende  Not  schon  von  weitem,  ^der  himel 
unt  daz  mer  beidiu  wären  fiuric  var.^  Mit  Rennewart  und  anderen 
Erlesenen  eilt  er  voraus  um  mit  einer  Buhurt  an  die  Heiden  zu  kommen. 
Er  begrüsst  seine  Gyburc,  die  wacker  von  der  Mauer  streitet,  in  heid- 
nischer Sprache,  die  Freude  macht  sie  ohnmächtig,  dann  Hess  sie*  ihn 
durch  das  Thor  herein.  Unterdessen  merkten  die  Heiden  die  Ankunft 
des  Herrn,  und  zogen  sich  gegen  das  Meer  zurück,  indess  das  römi- 
sche Heer  vor  der  Stadt  ein  grosses  Lager  schlägt,  das  ausfuhrlich 
geschildert  wird.  Nun  konnte  Gyburc  auch  den  Waffenrock  von  ihrem 
hamaschrammigeu  Leibe  legen,  ihre  Jungfrauen  dürfen  ihre  besten 
Kleider  anziehen  ^-und  sich  feitieren ;  Teppiche ,  Kissen  und  Polster 
wurden  in  den  Pallas  gebreitet  und  die  Gäste  wohl  gepflegt.  Doch  be- 
klagte  man  auch  die  gegenseitigen  Verluste  an  Verwandten  und  Freun- 
den, und  Gyburc  weint  helle  Thränen,  wird  aber  mit  einer  freuden- 
reicheren Zukunft  getröstet.  Es  sind  lange,  kunstreiche  Reden  und 
Zwiegespräche,  die  jedoch  mehr  ermüden  als  fesseln. 

VI.  Des  Markgrafen  Gelübde,  nur  Brod  und  Wasser  zu  nehmen, 
bis  er  Gyburc  aus  der  Noth  erlöst,  ist  vorüber,  er  ass  und  trank  nun 
^vil  gerne  swaz  man  für  in  traoc.**  Grosses  Aufsehen  bei  den  Bur- 
gunden,  Bretonen,  Flamen  und  Engeländern,  den  Brabantern  und  Fran- 
zosen erregte  sein  kluger  Knappe  Rennewart,  der  ^sin  ungefuegez  ris  in 
der  hende  als  einen  trunzün**  (wie  einen  Lanzensplitter)  trug;  er  hatte 
seine  schwere  Stange  an  einen  Marmorpfeiler  gelehnt  und  schaute  so 
wild  drein,  dass  Jedermann  ihn  fürchtete,  seine  Haut  (vel)  war  besweizet 
und  voll  Staub,  und  doch  glänzte  er  wie  die^touwio  spitzio  röse^  wenn 
^sich  ir  rdher  balc  her  dan  klübt:   ein   teil  ist  des  noch  dran,  wirt  er 


342 

vor  roste  immer  vri,  der  beide  glänz  wont  im  ouch  bf  Seit  er  von 
Mualeun  gescbieden,  sprosste  ibm  der  Bart,  zwar  zäblte  er  noch  nicht 
so  viele  Jabre  um  auf  einen  Bart  Anspruch  zu  machen,')  Alyzens  Kuss 
hatte  dazu  beigetragen.  Er  leuchtete  durch  den  Waffenschmntz  (rost)  so 
glänzend,  wie  der  junge  Parcival,  da  ihn  Karnabkarnanz  in  dem  Walde 
fand,  mit  dem  er  auch  das  noch  gemein  hatte,  dass  er  gleichfalls  noch 
nicht  ^näch  arde  arzogn"  und  um  die  „edelkeit**  betrogen  war.  Gyburc 
gesteht  „min  herze  gibt  etswes  üf  in,  dar  umbe  ich  dicke  siufzic  bin 
Sit  hiute  morgen  daz  i'n  sach.''  Sie  ahnt,  dass  er  mit  ihr  verwandt 
sei,  „ich  muoz  im  antlützes  jeheu  als  eteslich  min  geslähte  hat.  min 
herze  mich  des  niht  erlät,  ichn  si  im  holt,  icbn  weiz  durch  waz.''  Nach- 
dem er  auf  Willebalms  Gebeiss  sich  gewaschen ,  darf  er  sich  an  der 
Tafel  zu  den  Füssen  der  Königin  setzen,  und  Rennewart  setzte  sich 
mit  Züchten  und  wurde*  roth  über  den  guten  Platz.  Obwohl  die  Königin 
höber  sass,  so  ragte  er  doch  über  sie  hinaus,  es  schien,  als  ob  die 
Beiden  Abdrücke  von  einem  Siegel  wären  (als  op  si  bede  waeren 
lif  ein  insigel  gedrucket) ,  sie  sahen  sich  zum  Verwechseln  gleich  (man 
ersaebe  den  man  wol  für  daz  wip),  hätte  er  «nicht  ein  Bärtchen  (gran) 
gehabt.  Mit  „moraz,  win  und  clärete^  pA^g  in&n  seiner  ^r  wohl,  auch 
stopfte  er  sich  wacker  die  Backen.')  Unterdessen  rückten  und  hoben 
die  Knappen  an  seiner  Stangen,  bis  sie  dröhnend  niederstürzte;  da 
sprang  Rennewart,  vom  ungewohnten  Weine  erhitzt,  auf,  packte  seine 
Watfe  und  schlug  damit  nach  Einem,  „daz  dez  fiwer  üz  der  siule  spranc 
hohe  üf  gein  dem  dache.  ^  Entsetzt  drängten  sich  die  Knappen  nach  der 
Tbüre,  schlugen  die  Tischläcben  zusammen  und  sprangen  hinaus.  Nach- 
dem der  Markgrafe  noch  zu  seinen  Leuten  binausgeritten ,  um  selbst* 
nachzusehen ,  dass  sie  nicht  über  Mangel  zu  klagen  hätten ,  ging  er 
auch  mit  Gyburc  zur  Ruhestatt,  wo  er  und  die  Königin  solcher  Minne 
pflagen,  dass  vergolten  ward  beiderseitig,  was  ihnen  der  Streit  auf  Ali- 
schanz  an  Magen  und  Mannen  hatte  geschadet.  Selbst  die  Spenden  des 
Grales  hätten  die  grossen  Verluste  nicht  aufzuwiegen  vermocht.  Wie 
aber  Gyburc  „mit  kiuscher  güete  so  nähe  an  sine  brüst  sich  want,''  da 
war  sie  es,  die  er  zu  Entgelt  erkos  für  Alles,  was  er  je  verlor.  Ihre 
Minne  thut  ibm  solche  Hilfe,  dass  des  Markgrafen  trauriger  Muth  mit 
Freuden  durchwirkt  (undersnitn)  war.  So  weit  sind  von  ihm  die  Sorgen 
entritten,  dass  s\e  kein  Speer  erreichen  könnte. 


')  271:    Em  bete  der  jfir  doch  niht  so  vil,  diu  reichent  gein  des  hartes  zii.: 
Alyzen  kus  hat  in  gequelt. 

')  275:   Er  verschoup  als6  der  wangen  want  mit  sptse,  dier  vor  im  da  vant, 
dazz  drin  niht  dorfte  snlen. 


343 


280, 

nach  trurn  sol  freude  etswenne 

.  komn. 
so  hat  did  freude  an  sich  genomn 

15.  einen  vil  kekanten  site, 

der  man  und  wiben  volget  mite : 

wan  jämr  ist  unser  urhap 
mit  jdmer  kom  wir  in  daz  grap. 
ine  weiz  wie  jenez  leben  erget: 

!0.  alsus  diss  lebens  orden  stet, 
diz  maer  bi  freuden  selten  Ist. 
ich  müeste  haben  gnoten  list, 
swenne  ich  freude  drinne  funde, 

8wie  wol  ich  uu  guotes  gunde 
5.  den  die  mir  niht  hänt  getan 
und  mir  niht  tuont:  die  sint  erlän 

von  mir  kumberlicher  tat. 

« 

ein  wiser  man  gap  mir  dep  rAt : 
daz  ich  pflaege,  swenne  ich  möhte, 
sölher  güet  diu  mir  getöhte 

81, 

üzerhalp  der  yalschen  wise: 
des  inöht  ich  komen  ze  prise. 
Dar  an  ouch  nieraen  sol  ver- 
zagen, 
er   enmüze  freude    und    angest 

tragen. 
S.  swer  zaller  zit  mit  freuden  vert, 

dern  wart  nie  gemach  beschert, 
ja  sol  diu  manlich  arbeit 
werben  liep  unde  leit. 
die  zw^ne  gesellecliche  site 
O,  ouch  der  wären  wipheit  volgent 

mite, 
Sit  daz  man  freude  ie   trdrens 

jach 
zeinem  esteriche  und  zeime  dach, 
nebn,  hinden,  für,  zen  wenden. 

^öz  trdm  sol  niemen  sehenden: 


Nach  Trauer  soll  Freud'  einmal  wie- 
derkehren ; 
So  sah  man  auch  die  Freude  be- 
währen 
Einen  altbekannten  Brauch,   • 
Dem    Männer   und  .Frauen    folgen 

auch.  — 
Beim  Ursprung  man  uns  Jammer  gab ; 
Mit  Jammer  geh'n  wir  in  das  Grab. 
Ich  weiss  nicht,  wie  jenes  Leben 

geht; 
So  dieses  Lebens  Regel  steht. 
Die  Sorge  selten  bei  Freuden  weilt; 
Viel  feiner  Witz  musste  mirzugetheilt 
Sein,  dass  ich  Freuden  d'rin  finden 

könne ; 
Wiewohl  ich  alles  Gute  gönne 
Denen^  die  mir  es  nicht  gethan 
Und  auch  jetzt  nicht  thun.  —  Ich 

wiir^  ihnen  schenken. 
Und  der  bösen  Thaten  nicht  mehr 

gedenken.  — 
Gerathen  hat  mir  ein  weiser  Mann : 
Dass  ich  in  meinem  Gemüthe 
Mich  befleissige  solcher  Güte, 


Die  sich  fern  hält  von  falscher  Weise; 

Dadurch  könnt'  ich  kommen  zu  Preise. 
Es  niuss  auch  Niemand  gleich  ver- 
zagen. 

Wenn  neben  Freud'  er  auch  Angst 

soll  tragen. 

Wer  in  Freuden  schwebt  zu  allen 

Stunden, 

Hatniebehagliches  Glück  empfunden. 

Ja,  es  muss  die  mannliche  Arbeit 

Zu  beiden  fuhren,  zu  Lieb  und  Leid. 

Die  beiden  sind  auch  in  Geselligkeit 

Verbunden  mit  wahrer  Weiblichkeit, 

r 

So  wie  man  stets  von  der  Freude 

sprach : 

Sie  sei  der  Trauer  Estrich  und  Dach, 

Daneben,  dahinter,  davor  und  wand- 

ringsum. 

Niemand  vergeh  in  Trauer  d'rura ! 


344 

15.  wan  hat  si's  iemen  noch  erwert, 
bi  sfner  freude  ez  nÄhe  vert 


Denn  hat   sie  ib  recht  ihn   mitge- 

ifoinaien, 

So  ist  er  der  Freude  am  nächsten  ge- 
kommen. 


So  pflag  der  Markgraf  Kurzweile  und  sein  Heer  lag  auch  schöne 
und  hatte  gut  Gemach.  Rennewart  trieb  sich  den  ganzen  Tag  geschäftig 
mit  Laufen  und  Springen  bis  zur  Vesperzeit,  doch  war  er  nicht  so  un- 
gefüge wie  zu  Munleüu,  beim  Anbruch  der  Nacht  suchte  er  die  Küche 
und  legte  sich  schlafen,  als  lindez  wanküsselin  nahm  er  die  harte  Stange 
unter  das  Haupt.  Ich  wähne,  sagt  der  Dichter,  dass  seiner  Schwester 
Sohn  Poydjus,  der  König  von  Vriende,  besser  gebettet  war,  wenn  er 
schlafen  wollte,  als  hier  sein  Oheim.  Wer  doch  die  rechte  Märe  wüsste, 
wie  das  edle  Kind  von  Ammenbrust  verstolen  wart  und  von  Reichthum 
in  Armuth  kam.  Das  Kindel  kauften  Kaufleute,  von  ihnen  hörte  er, 
dass  sein  Vater  von  neun  Reichen  die  Krone  trug,  in  Nord  und  Süd, 
in  Ost  und  Westen  seien  ihm  die  höchsten  Sarrazin  unterthan,  zwei 
seiner  Schwestern  trügen  Kronen,  und  zehn  Brüder  von  ihm  herrschten 
über  Lande.  Die  Kaufleute  lehrtert  ihm  franzoys  und  brachten  ihn  dem 
römischen  König  (dem  der  roemscher  kröne  pflac).  Solche  Klarheit  lag 
an  dem  Kinde,  dass  man  in  Wahrheit  ni^  ein  schöner  Antlitz  gesehen 
seit  dem  Tage,  an  welchem  Anfortas  durch  die  Frage  genass.  Die 
Kaufleute  aber  drohten  dem  Kinde,  Niemanden  zu  sagen,  woher  er 
stamme.  Anfangs  hielt  ihn  der  künec  Loys  sehr  gut,  man  gab  ihn  der 
schönen  Magd  Alyze  zum  Gespiel,  wovon  die  stille  Neigung  sich  erhob, 
die  bis  an  ihren  Tod  währte.  Da  er  sich  aber  gegen  die  Taufe  wehrte, 
„do  muos  er  von  der  ere  Alyzen  gesellekeit  varn,  und  mit  smaehen 
werken  ringen.''  Der  Knappe  trug  seinem  Vater  und  seinen  Magen  Hass, 
dass  sie  ihn  nicht  lösten,  aber  sie  wussten  ja  nicht,  wohin  er  gekommen 
war.  So  verloren  viele  seiner  hohen  Magen  durch  ihn  selbst  das  Leben, 
da  seine  Hand  viele  Siege  der  Christenheit  errang.  Doch  that  ihm 
Alyzens  Minne  wohl,  sie  wird  ihn  im  Kampfe  zu  Heldenthaten  be- 
geistern. 

Den  Köchen  war  angesagt,  eine  grosse  Mahlzeit  zu  bereiten  und 
viele  Kessel  hingen  desshalb  über  starke  Feuer.  Da  nahm  der  Küchen- 
meister  einen  glühenden  Brand  und  versengte  dem  schlafenden  Renne- 
wart den  Flaum,  so  dass  ihm  auch  ein  Theil  des  Mundes  verbrannte. 
Seine  Bosheit  warb  ihm  aber  Unheil ;  der,  dem  er  so  seinen  Schlaf  ver- 
störte, band  ihn  wie  ein  Sclfitf  an  allen  Vieren  und  warf  ihn  unter 
einen  Kessel  in  den  Rost,  dass  er  des  Lebens  da  ward  erlöst.  Wenn 
^ hör  Vogel weid  von  braten  sanc,"  sagt  Wolfram  mit  schauerlichem  Witz 


315 

anspielend  anf  das  schneidige  Spottlied  Walthers  (»wir  snln  den  kochea 
raten  etil''  Lachmann  S.  17),  so  war  hier  ein  Braten  gar  dick  und 
lang ,  und  seine  Frau ,  zu  der  er  so  holdes  Herze  trug ,  hätte  daran 
sicherlich  genug.  Mit  Angst  flohen  die  anderen  Köche,  „si  vorhtn,  diu 
zeche  gienge  an  sie,  dort  vl6h  ein  Koch,  der  ander  hie.  si  Inogeten  durch 
die  want  dar. in'*  und  hörten  wie  der  jtinge  Rennewart  um  seinen  Bart 
klagte:  ^Nun  wähnte  ich  armer  Mann  frei  von  Banden  zu  sein,  seit 
mich  der  römische  König  verschenkte!  wüsste  mein  Herr,  wie  es  mir 
ginge,  er  wurde  mich  beklagen.  Meinen  Bart  haben  sie  mir  angezündet, 
den  die  auf  meinen  Mund  gesäet  hat,  die  mir  Mitgift  (stiure)  auf  diese 
Fahrt  mit  Kusse  gab.  „den  selben  hart  hdt  üz  mime  kinne  noh  mer  gezogn 
ir  minne,  dan  miner  kurzen  zite  jär,  oder  die  schlechte  Behandlung  ihres 
Vaters  (oder  dan  der  smaehliche  vfir  des  mich  ir  vater  wente).  .^Ich 
getrüwe  ir  wol,  si  sente  um  mich,  ze  swelher  zit  si  sach  daz  der  künc 
sin  zuht  an  mir  zebrach,  und  ich  spehte  die  gelegeheit  der  riterlichen 
arbeit  in  tumeyn  nnde  in  striten,  dar  ich  lief  ze  mangen  ziten,  wie  man 
ein  ors  mit  künste  rite,  gein  wiben  gebären  ouch  die  site.  swenn  ich 
was  bi  werdeclicher  won,  ik  sluoc  man  mich  mit  staben  von.  Diss 
landes"  herre  ist  geschant,  daz  mich  sin  koch  s6  hat  verbrant,^  dazu 
sind  auch  in  mir  des  kräftigen  Terramerers  Kinder  gehöhnt,  von  denen 
zehn  in  weiten  Reichen  Krone  tragen;')  wie  würden  diese  mein  Elend 
rächen!  Mich  würde  der  König  vop  Cordes  beschützen,  dem  Hap  und 
Suntsn,  Gofgo*zäne  und  Lumpin,  Poy  und  Tenabri  unterthan  sind." 

Als  es  tagen  begann  und  die  Sonne  durch  die  Wolken  brach,  ritten 
die  Fürsten  auf  und  man  sang  ihnen  Messe,  aber  das  Essen  war  nicht 
bereit.  Der  Markgrafe  klagte  über  Rennewarts  Missgeschick  und  sandte 
die  Königin,  seinen  Zorn  zu  besänften.'  Sie  ging  selbst  zur  Küche, 
lihrte  ihn  in  eine  Kemenate,  „da  snidaere  näten  maneger  slahte  wdpen- 
deif  und  bot  ihm  bessere  Kleider  an;  dann  fragt  sie  ihn  nach  seiner 
lerkunflU  lässt  ihn  zu  sich  sitzen  und  schlägt  einen  Theil  ihres  Mantels 
im  ihn  —  eine  so  hohe  Gunst,  dass  der  „arme  bätschelier''  die  hohe 
*^rau  bittet,  das  zu  lassen,  wa%  selbst  für  einen  Ritter  viel  zu  gnädig 
i?^äre.  Da  sie  sagt,  sie  thue  das  um  ihres  geraeinsamen  Gottes  Willen, 
o  erklärt  sich  Rennewart  als  ein  Sarrazin,  er  sprach:  „mir  sint  dri 
;ot  erkant,  der  heilige  Tervigant,  Mahumet  unde  Apolle."  Seufzend 
iarüber  fragt  Gyburc  nach  seinen  Eltern  und  Geschwisterten ,  er  aber 
irinnert  sich  nur  seiner  Schwester,  mit  welcher  Gyburc  in  ihrer  Jugend 
Heimlichkeit  gehabt  haben   müsse;    er  ahnt,    dass   sie    einen    Vater 


*)  Die  Namen  dieser  seiner  Brüder  sind  Fdbors,  Ulreiz,  M§1arz^  Malalras,  GlO' 
riaXi,  Babsigwei7.i,  Carrtax,  Malreiz^  Merabjax  und  Morgöanz. 


I 


34« 

\ 

% 

'  gehabt.  Gyburc  fragt  ihn,  ob  er  dem  Markgrafen  beistehen  wolle  und 
der  Knappe  verspricht  es  um  so  lieber,  da  es  ihn  absondert icl|| gelüstet, 
sich  an  den  Heiden  zu  rächen.  So  bekömmt  er  nun  kostbare  Waffen 
und  ein  herrliches  Schwert,  so  breit  und  stark,  wie  es  zu  Nördlingen') 
keine  Flaschschwinge  (dehsschit)  gibt,  doch  ist  ihm  seine  Stange  lieber, 
da  das  Schwert  ^siner  grözeü  kraft  zeringe^  däucht  Gyburc,  daz  cldre 
wip,  waffnete  ihn  mit  ihren  Jungfrauen,  die  den  Unbändigen  dann  in 
ihre  Gesell ekeit  nahmen  und  die  Zeit  zu  kürzen  begannen. 

Darauf  spricht  der  Markgrafe  die  Fürsten,    Grafen  und  Rotten— 
meister  an  und  der  alte  Heimrich  verspricht  nun   seinem  Sohne   dafür 
zu  entgelten,   dass  er  ihn  früher  zurückgesetzt  habe,   dessgleichen  ge~ 
loben  seine  Brüder  ihm  beizustehen.   Darauf  stund  auch  Gyburc,  durcW 
welche  ja  die  ganze  Noth  geschah,   auf  und  sprach  mit  Züchten,  si^ 
verlangt  dass  der  Tod  des  jungen  Vivianz  gerächt  werde,   dabei  ab^m 
nimmt  sie  die  Heiden  nach  Möglichkeit  in  Schutz,  denn  der  erste  Mana:^  ^^ 
den  Gott  gemacht  habe',  sei  ein  Heide  gewesen,  auch  Elias  und  Ekioc' 
dessgl eichen  Nöe  ^der  in  der  arken  genas, ^  auch  Job  hiess  ein 
und  sogar  die  drei  Könige  Kaspar,   Melchior  und  Balthasdn; 
ist  zu  eVkennen,    dass  nicht  alle  Heiden  des  Teufels  wären  (zer 
sint),   alle  Kinder  seit  Eva's  Zeit  wären  überhaupt  als  Heiden  zu  t>« 
trachten  und  selbst  das  getaufte  Weib  trägt  heute  noch  einen  Heid< 
bis  das  Kind  die  Taufe  empfangen,   nur  die  Juden  begehen  ihre  T&.miM.'tfe 
mit  einem  Schnitte.  So  waren  wir  alle  Heiden  ehedem;  tlem  Fromnoi^^D 
aber  thut  es  weh,  wenn  von  dem  Vater  die  Kinder  zu  den  Verdamiimt>^n 
gezählt  werden.  Wer  je  rehte  erbarmekeit  truoc  erbarme  sich  über    &m^. 
Was  nun  Euch  .auch  die  Heiden  gethan  haben  ^  so  bedenkt  doch,  dLsi-ss 
Gott  selbst  denen  verzieh,  die  seinen  Leib  getodtet  haben.   So  gibt  ^Sr 
seinen  Kindern  Lohn,  wenn  sie  auch  Seiner  vergessen! 

309, 

sin  erbarmede  nchiu  minne 

elh*u  wunder  gar  besliuzet, 

des  triwe  niht  verdriuzet, 
15.  sine  trage  die  helfecliche  ha*nt 

diu  bede  wazzer  unde  lant 

vil  küiisteclich  alrerst  entwarf, 

und  des  al  diu  creatiure  bedarf 

die  der  himel  umbe^weifet  hat. 
20.  diu  selbe  [hant]  die  pläneten  lät 


Seiner  erbarmenden  reichen  Li< 

entfliesseÄ» 

Alle  Wunder  sonder  Maasseu; 
Seine  Treue  kann  es  nicht  verdriess^" 
Zu  helfen  mit  hilfreicher  Hand, 
Die  beides,  Wasser  und  auch  Lar*^ 
Zuerst  mit  weiser  Hand  entwarf 
Dess  alle  Kreatur  bedarf. 
Die  der  Himmel  umkreiset. 
Dieselbe  Hand  den  Planeten  wei^*^ 


%. 


•)  295,16.  Lesearten:  Nördeling,  Nördlinff, Nordelinge,  NordeliogeD, Nordliof*"^'^ 
dehs  schilp  deskeschit,  dechscheit,  decke  sohlt. 


> 


847 


ir  poyoder  vollen  gäben 
bediu  verre  und  nahen. 
8wie  si  nimmer  uf  gehaldent, 
si  warment  onde  kaldent: 
25.  etswenne*z  !s  si  schaffent: 

dar  nach  si  boume  saffent, 
so  diu  erde  ir  gevidere  rßrt 
nnde  si  der  meie  lert 
ir  moze  abus  volrecken, 
nach  den  rtfen  blnomen  stecken. 

310. 

Ich  diene  der  künsteclfchen  hant 

für  den  beiden  got  Tervigant: 
ir  kraft  hat  mich  von  Mahumeten 
crnders  toufes  zil  gebeten. 
5.  des  trag  ich  mtner  mäge  haz ; 

und  der  geteuften  umbe  daz: 
durh  menneschlicher  minne  gtt 


si  waenent  daz  ich  fbogte  disen 

strit. 
deswär  ich  liez  ouch  minne  dort, 
.  and  grözer  richeit  manegen  bort, 

und  sohoeniu  kint,  bi  einem  man, 
an  dem  ich  niht'  geprüeven  kan 
daz  er  kein  untat  ie  begienc, 
sid  ich  krön  von  im  enpfienc, 
.  Tybalt  von  Aräbi 
ist  vor  aller  untaete  vr!: 
ich  trag  al  ein  die  schulde, 
durh  des  hoehsten  gotes  hulde, 
ein  .teil  ouch  durh  den  markis. 


"-  der  bejaget  hat  so  manegen  pris. 

ey  Willalm,  rehter  punjur, 

daz  dir  mfn  minne  ie  wartsosür! 
^waz  werdet  diet  uz  erkorn 
in  dtme  dienste  hänt  verlorn 
^•ir  Itp  genendecltche! 

der  arme  und  der  riebe,. 


Die  Bahnen  an,  in  Femen  und  Nähen 
Den  vorgeschriebenen  Lauf  zu  gehen. 
Wie  unaufhaltsam  ihren  Kreis 
Sie  vollenden,  gibt  ihre  Kraft 
Wärm'  und  Kälte ;  sie  schaffen  das 

Eis, 
Sie  giessen  in  den  Baum  den  Saft, 
Und  Blumen  nach  dem  Reife  spenden, 
Wenn  die  Erde  ihr  Gefieder  schlägt, 
Um  ihre  Mause  zu  vollenden, 
Sie  dieser,  von  dem  Mai  erregt. 


Ich  diene  der  Einen,  der  kunstreichen 

Hand, 

Statt  dem  Heidengo tte  Tervigant; 

Ihre  Kraft  hiess  durch  der  Taufe  Segen 

Mich  ab  den  Glauben  Afahoms  legen. 

Desshalb  trag*  ich  den  Hass  der 

Meinen. 

Doch  denGretauften  will  es  scheinen, 

Als  ob  durch  menschlicher  Minne 

Begier 

Ich  diesen  Streit  entflammet  hier. 

Wahr  ist's,  ich  Hess  auch  Minne  dort, 
Und  grossen  Reichthums  manchen 

flort, 
Und  schöne  Kinder  bei  einem  Mann, 
Dem  ninmier  ich  beweisen  kann, 
Dass  Untbat  er  an  mir  beging. 
Seit  ich  von  ihm  die  Krön'  empfing. 
Tibald  von  Arabien  sei 
Von  aller  Unthat  gesprochen  frei*. 
Ich  trag'  allein  die  Schuld 
Durch  des  höchsten  Gottes  Hnld, ' 
Und  theils  auch  durch  den  Marquis 

gezwungen, 
Der  so  manchen  Preis  sich  hat  er- 
rungen. 
Weh,  Wilhelm,    rechter  bon  jour, 

weh  mir. 
Da  meine  Liebe  so  verderblich  Dir! 
Wie  werthe  Männer  auserkoren 
Haben  ihr  edles  Leben  verloren 

•  

In  Deinem  Dienst.  —  Ihr  Reich'  und 

Arme, 

0  glaubt  es,    dass  mit  tiefstem 

Harme 


348 


na  geloabt  daz  iwerr  mäge  flust 
mir  sendet  jämer  in  die  brüst: 
fiir  war  min  vruude  ist  mit  in 

tot.^ 


Eurer  lieben  Verwandten  Verlust 
Beschwert  jammervoll  meine  Brost. 
Fürwahr,  meine  Freud'  ist  mit  ihnen 

todt!'* 


Die  Thränen  brachen  ihr  aus  den  Augen;  Gybert,  Willehalms 
Bruder,  sprang  auf  und  umarmte  die  Königin.  Darauf  gingen  die  Fürsten 
zur  Tafel,  dabei  auch  Rennewart  mit  seiner  Stange  erschien ;  mancher 
Fürst  suchte  selbe  zu  heben,  alldn  nur  Willehalm  bringt  sie  bis  an's 
Knie  empor;  Rennewart  aber  regierte  sie  wie  ein  Besenreis  (sumer- 
late).  Darauf  wurden  die  Gezelte  abgenommen  und  das  Heer  gerottieret, 
das  ganze  Feld  erglänzte  von  Bannern.  Gyburc  sieht  mit  ihren  Jung- 
frauen vom  Fenster  aus  dem  Abzüge  nach. 

Vn.  Rennewart  interessirte  sich  sehr  zu  sehen,  wie  dieser  den 
Schild  zu  H9.1se  nahm,  ein  Anderer  den  Helm  aufband,  und  wie  Posten 
(wartman)  und  Vorhut  (snndrrotte)  nach  dem  Feinde  gesandt  wurden. 
Als  ^si  warn  wol  raste  lanc  gevarn"  traf  Rennewart  den  Markts,  der 
verwundert  nach  der  Stange  fragt;  Rennewart  schämte  sich  und  es  be- 
däuchte  ihn  gro^e  Unehre,  dass  er  selbe  wie  das  Essen  über  dem 
Gegaffe  vergessen  hatte;  sogleich  will  er  sich  auf  die  ^widerreis"  machen^ 
selbe  zu  holen.  Der  Markts  aber  sendet  einen  Boten  darnach  und  die 
Stange  kam  auf  einem  Karren  mit  der  Nachhut 

Sie  lagerten  die  Nacht  über,  am  Morgen  zündeten  sie  die  Her- 
berge an; ')  Rennewart,  der  fleissig  herumläuft,  um  Alles  zum  Heerzag 
gehörige  zu  beschauen ,  vergisst  abermal  seine  Stange;  das  nimilit  «r 
beinahe  für  eine  Waniung,  gegen  die  Seinen  nicht  zu  kämpfen,  doch 
bleibt  er  der  schönen  Alyze  Tillen  dem  Markgrafen  getreu.  Als  er 
endlich  unter  den  verbrannten  Trümmern  seine  Stange  findet,  war  sie 
wohl  „swarz  als  ein  ander  brant,^  aber  nun  auch  ^vestr  und  zaeher."  Der 
Markgrafe  spricht  noch  einmal  seine  Fürsten  und  Leute  an,  von  denen 
in  Angesicht  des  Feindes  ein  Theil  schwankend  wird,  sie  möchten  lieber 
daheim  in  Turneyn  den  Preis  behalten,  als  sich  hier  den  feindlichen 
Pfeilen  aussetzen.  Willehalm  wehrt  diesen  Hilfsvölkern  des  römischen 
König  Löys  den  Abzug  nicht,  die  anderen  aber  redet  er  ernstlich  an  : 


322, 

„den  endelosen  pris 
5.  werben t  die  nu  da  sin  belibn. 
dine  werden t  nimmer  vertribn 


„Den  ewigen  Preis 
Erhalten,  die  hier  treu  geblieben: 
Diese  werden  nimmer  vertrieben 


1)  318,  21:    dd  die  hülfen  von  loube  mit  röre  und  von  schoube  (S(roh)  vi'Arn 
verbrunn  und  begründen  brinnen. 


349 


Von   der  dorchslagenen  zeswen 

hant, 
diu  fiir  diu  hellecltchen  pfant 
ame  kriuce  ir  bluot  durh  uns  ver- 

goz. 
10.  die  selben  hant  noch  nie  verdröz, 
swerz  mit  einvaltem  dienst  erholt, 
si  teilt  den  endelosen  solt. 
die  belibene  sint  zer  saelde  er- 
weit, 
swer  die  schalen  vor  hin  dan 

schelt, 
15.  der  siht  alreste  den  *kemen. 
noch  hiute  sule  wir  lernen 
wie  diu  gotes  zeswe  uns   lones 

gieht. 
dehein  steme  ist  s6  lieht, 
em  förbe  sich  etswenne. 
20.  enruocht,  lAt  sin :  waz  denne, 

sint  uns  die  iidrslihtaere  ent- 

riten? 

sint  diu  wfp  da  heime  in  rehten 

siten, 

si  teilnt  in  drumbe  sölhen  haz, 

daz  in  stüende  hie  beltben  baz. 

25.  wir  muogen  hie  Sünde  büezen 
und  behalten  werder  wtbe  grüe- 

zen.'' 


Von  der  durchbohrten  rechten  Hand, 

Die  für  das  höllische  Pfand 

Am  Kreuz  ihr  Blut  uin  uns  vergoss. 

Dieselbe  Hand  noch  nie  verdross, 
Dem  Lohn  zu  geben  in  Ewigkeit, 
Der  Dienst  in  Einfalt  ihr  geweiht. 
Die  Verbliebenen  sind  zum  Heil  er- 
wählt! 
Wer  von  der  Frucht  die  Schaale 

schält 
Der  sieht  erst  ihren  Kern. 
Erfahren  werden  wir  noch  heut 
Wie  die  Gottes  -  Rechte  Lohn  uns 

beut. 
Es  ist  so  licht  kein  Stern, 
Dass  er  mitunter  nicht  tröbe  sei. 
Vertraut!  Vergesst!  —    Was  ist 

dabei, 
Dass  diese  Haarspalter  vgn  dannen 

geritten  ? 
Sind  die  Frauen  daheim  von  rechten 

Sitten 
So  spenden  si#  d'rob  ihnen  solches 

Hassen, 
Dass  besser  die  Flucht  sie  hätten 

gelassen. 
Wir  wollen  hier  die  Sünde  büssen 
Und  behalten  werther  Frauen 

Grtissen.** 


Unterdessen  waren  die  Flüchtlinge  bis  in  die  Enge  von  Petit-Pont 
gekommen,  als  Rennewart  ihnen  begegnete  und  so  zornig  auf  sie  ein- 
drang, dass  ihrer  gleich  fünfundvierzig  todt  lagen,  denn  er  sparte  seine 
Stange  wenig ;  sie  sehen  ihr  Unrecht  ein  und  lassen  sich  von  ihm  zurück- 
führen. Der  Markgrafe  redet  sie  ernst  an:  auch  Petrus,  des  „himels 
portonoys,^  habe  den  Heirn  dreimal  verläugnet  und  dann  doch  tapfer 
vertheidigt,  so  sollten  auch  sie  nun  Mannheit  beweisen.  Er  gab  ihnen 
wieder  ihre  Fahnen.    Rennewart  ist   ihr   Führer  und    sein  Name   ihr 

Heergeschrei. 

« 

Kun  trägt  uns  der  Dichter  in  das  heidnische  Heerlager,  das 
sich  in  neun  Schaaren  unter  den  betreffenden  Anfuhrern  ordnet;  auch 
hier  gibt  es  viele  Reden  und  Gegenreden.  Terranier  wird  feierlich  und 
höchst  ceremoniell  von  seinen  Königen  gerüstet  (356,  1  —  357,  12), 
die  Heiden  spotten  des  „zouberaere  Jesus;''  König  Kalopeiz  liess  allein 


350 

achthundert  Posaunen  blasen.  Es  beginnt  die  Schlacht,  deren  Schilder- 
ung, ein  unvergleichliches  Meisterwerk,  den  ganzen  Vlll.  Gesang  in 
Anspruch  ninlmt  Alle  die  Schaaren  und  Anführer,  und  diese  wieder 
mit  ihren  Rüstungen,  Rossen  und  Waffen  werden  genau  und  mit  male- 
rischem Detail  beschrieben;  kühne  Bilder  erheben  das  Ganze  za  einem 
höchst  bewegten  Leben,  so  heisst  es  z.  B.  (373,  21  ff.):  das  war  ein 
Handel  mit  Borgen  und  Kaufen;  ^etsltches  wäge  was  so  snel,  daz  sin 
sancte  nidr  unz  in  den  tot.^  Die  Bogen  schnatterten  wie  die  Störche  im 
Nest.  Hurtd !  wie  nun  der  Streit  begann,  und  mit  Tjostiure  die  Splitter 
(trunzüne)  in  die  Luft  spritzten!  die  Sdiwerter  klangen  durch  die 
Helme,  genug  guter  Rüstungen  und  kostbarer  Stoffe 0  wurden  dorcb- 
hauen.  Solcher  Streit  geschah  allhier,  dass  selbst  Alles  „swaz  man  von 
Etzeln  ie  gesprach  und  ouch  von  Ermenrlche^  unvergleichlich  ist  mit  dem 
Tage  üf  Alischanz.  Wie  in  einer  Presse  sind  die  Christen  und  Heiden 
an  einander:  ^daz  was  ein  witer  notstal,  mit  swerten  verrigelet,  manee 
lehn  wart  da  übersigelet  mit  des  tddes  hantveste^  (391,  24).  Wenn 
man  den  Rhein  und  die  Rhone  vierzehn  Tage  lang  schwellte  und  dann 
die  Dämme  wegnähme,  sagt  der  Dichter  (in  dem  IX.  Gesang,  in 
welchem  die  Schilderung  der  Schlacht  weiter  geht),  so  gäbe  es  kein  so 
grosses  Wasser,  wie  Terramer  die  Christen  umfluthet,  die  jedoch  wohl 
zur  Wehr  waren ;  dft  einzelnen  Kämpfe  werden  ausführlich  beschrieben. 
Rennewart  allein  sluoc  werder  künege  fünf  aus  Zorn,  weil  Terramer 
den  Grafen  Milon  von  Nivers  niedergerannt,  so  zwingt  er  einen  Theil 
von  Halzebier*s  Schaaren  zu  den  Schiffen  an  das  Meer  zurück,  die  von 
Nubiem  gehütet  waren; 'nun  tönt  von  den  Schiffen  auch  der  Schlacht- 
ruf Munschoye,  denn  der  pfallenzgräve  Bertram,  der  früher  mit  seinen 
Genossen  gefangen  w^rd,  lag  in  denselben.  Rennewart  sprang  an  Bord 
und  stürzte  Manchen  hinab,  brach  die  Dielen,  zwang  die  ^von  Nublant 
diu  baut,  armisen  und  fsenhalten)  aufzuschliessen  und  befreite  die  Ge- 
fangenen: Bertram  und  Gerart,  Hüwes  unde  Witschart,  Sansön  und 
Gaudin,  Hüwas  von  Sanctes  und  Gibelin.  Ehe  diese  Hamasch  ge- 
wannen, verlosch  manchem  Sarrazen  sein  Lebenslicht.  Bald  hatten  sie 
Waffen,  nur  fehlten  ihnen  noöh  die  Pferde,  die  Rennewart  unklug  dar- 
niederschlug und  erst  auf  Bertrams  Rath  verschonte;  so  wurden  sie 
auch  beritten;  „lantgräf  von Dümgen  Herman  het  in  ouch  lithe  ein  ors 
gegebn,^  das  pflag  er  sein  Leben  lang,  zumal  bei  so  grossem  Streite, 
wenn  der  Begehrende  bei  Zeiten  kam.  Rennewart  war  allenthalbeh  und 
kam  überall  zu  Hilfe.  Schon  war  die  Reichsfahne,  die  Iwdn  von  Rheims 


*)  z.  B.  403,  23:  man  sah  dd  wunder  gogelen  von  tieren  und  von  vögelen  dt' 
manegen  helme  veste,  bdum,  zwt,  unde  ir  este  mit  kosle  geflörieret  u.  s.  w. 


•851 

(Roems)  trug,  in  Gefahr,  als  Rennewart  auf  die  Ungläubigen  eindrang, 
diese  wehrten  sidi  aber  so,  als  ob  die  Ritter  vom  Himmel  fielen,')  an 
ihrer  Spitze  d^r  alte  künec  Purrel  von  Nubtant,  dessen  ^bart  gräWer 
was  dan  der  tuft.**  Er  war  wunderliche  gewapeut.  Sein  halsperc  und 
schilt  waren  aus  der  grasgrünen  Haut  des  Wurmes  Neitün  gemacht,  die 
härter  ist  als  Adamas;  sein  Helm,  den  kein  Schlag  noch  Stich  durch- 
dringt, ist  aus  der  regenbogenfarbigen  Schwarte  des  Wurmes  Mnntunzel 
gemacht;  es  waren  kunstgerechte  Leute,  die  solche  Bewafihung  werk- 
ten, wie  man  sie  auf  dem  Sande  selten  findet.')  Grosser  Schade 
geschah  von  ihm  und  seinen  Leuten,  sie  hauten  sich  eine  breite  Strasse 
durch  die  Getauften,  Rennewart' sprang  in  den  Ring  und  schlug  gegen 
den  König  emen  ^alsö  starken  swanc,^  dass  die  Stange  an  der  undurch- 
dringlichen Röstung  zersprang  und  die  Trümmer  in  die  Luft  splitterten; 
doch  lag  der  König  unversunnen  und  das  Blut  rann  ihm  aus  den  Ohren 
und  der  Nase.  Mit  der  Faust  schlug  sich  Rennewart  weiter,  „stns 
edelen  swertes  er  vergaz  in  der  scheiden  an  der  siten.'^  Den  König  trug 
man 'auf  einem  Schilde  aus  dem  Getümmel.  Mit  Jajnmer  sieht  Terra- 
mer  die  Noth  und  wirft  sich  nun  mit  seinen  Mannen  mitten  in  den 
Kampf;  ihm  begegnen  der  Markgrafe  Willehalm  selbst,  seine  Brüder 
und  der  Vater  Heimrtch.  Terramer  schlug  den  Markgrafen  durch  den 
Helm,  aber  auch  Willehalm  macht  ihn  wund,  so  dass  er  auf  sein  Schifi' 
(tragamunt)  gebracht  werden  muss.  Die  Schlacht  ist  entschieden;  die 
Heiden  lösen  sich  in  wilde  Flucht  nach  ihren  Schiffen  auf.  Das  Schlacht- 
feld  bot  einen  traurigen  Anblick:  ^^da  was  gewunnen  und  verlorn;  ets- 
liche  heten  vreude  erkorn:  so  heten  die  andern  jämers  hört,  daz  was 
der  site  hie  unt  dort  an  den  selben  ziten  ime  her  an  allen  siten.  swen 
da  leben  liez  der  tdt,  swie  gröz  wart  anders  da  des  not,  der  hete  sich 
selben  funden .  iesUcher  sfnen  künden  suochte  uf  dem  wal  und  üf  der 
sjä  (auf  dem  Wege).  s6  vant  der  stnen  vater  da,  so  vant  der  sinen 
bruoder  hie :  sd  vant  der  herre  sfnen  man.  mer  vindet  der  wol  suochen 
kan,  denn  der  suochens  sich  bewigt  und  durch  sin  trächeit  stille  ligt.^ 
Die  Armen  wurden  reich.  Jeder  konnte  nach  Belieben  nehmen.  Jeder 
and  mehr  als  er  erwartete;  auch  fanden,  sich  kostbare  Leckerbissen 
ind  Speisen  aus  den  feinsten  Landen,  die  mit  ihren  ^sundemamen^  nicht 
aufzuzählen   sind ,    auch   mancherlei  Getränke  von  ^kostenltcher  ahte : 


*)  425,  10:  die  gelouHen  rtler  wdnden  daz  dd  »nllen  Hier  flzeib  luft 

^)  426,  28:  ez  wdren  spaehe  Hute,  die  worhlen  sölhe  sarv^at,  der  man  üf  dem 
Sande  wenic  hdt.  Der  Sand  beisst  die  ganze  Gebend  von  Neiimarkt,  Rolh, 
Pleienfeld,  Weissenburg  nnd  um  Nürnberg.  Auch  Bruder  AVernber  sagt 
df  den  sant  ze  Niirnberff,  der  Marner  kennt  Nürenber^  und  den  sant.  Aber 
aoeh  Sigfrid  reitet  ze  Wormse  üf  den  sant.  Nib.  /2  und  Haupt  Neid-> 
bart.  S.  XL. 


352 

mdraz,  wfn,  sinöpel,  Kipper  und  Yinepopel;  gBleschet  nach  der  hitze 
wart  da  maneger,  daz  s!n  witze  niht  gein  Salomoue  wac.  etslicher  tranc 
daz  gar  s^n  leit  mit  liebe  nam  ein  ende.  Die  de  Wirtschaft  da  besazen, 
den  was  almeistic  lazen  zer  4dr  od  sus  zem  verhe.  vant  man  da  rede 
twerhe,  diu  wart  smorgens  Übte  sieht.  ^  Alles  fand  gut  Gemach  und 
war  zufrieden  ttnd  Mancher,  der  eine  grosse  Wunde  hatte,  achtete  selbe 
doch  kaum  für  Bremsenstich  (als  'einer  brämen  kraz).  Am  folgenden 
Morgen  wurde  ^diu  reine  kristenliche  diet,^  die  auf  dem  Felde  das  Leben 
verloren,  begraben  und  die  Edelen  auf  Bahren  gelegt  und  reich  balsa- 
mirt,  um  in  ihre  Heimath  gebracht  zu  werden. 

Erst  auf  dem  Rückzuge  wird  Rennewart  vermisst.  Willehalni  ist 
ganz  untröstlich  und  geberdet  sich  ^näch  wibes  siten,*'  kaum  dass  ihn 
•Bernart  von  Brabant  zu  trösten  vermag;  überall  wird  nach  Rennewart 
gesucht,  allein  er  ist  nicht  unter  den  Todten,  vermuthKch  war  er  bei 
der  Verfolgung  bis  an  die  Schiffe,  gefangen  genommen  und  in  seine 
Heimath  zurückgebracht  worden,  wenn  er  nicht  etwa  in  den  Wellen 
ertrank.  -—  (Erst  bei  Ulrich  von  Türheim,  der  Wolframs  Werk  besser 
zu  machen  glaubte,  kommt  unser  Held  wieder  zum  Vorschein  und  hei- 
rathet  auch  seine  schöne  Alyze.)  Man  hatte  fünfundzwanzig  heidnische 
Fürsten  zu  Gefangenen  gemacht,  der  Markgraf  nahm  von  ihnen  Sicher- 
heit, auch  gab  er  die  Erlaubniss,  die  hohen  gefallenen  Heiden  schön 
aufzuheben,  dass  kein  Wolf  oder  Rabe  ihnen  schade,  sie  mit  Balsam 
wohl  zu  ^beraten  und  zu  arömäten  und  küneclfche  zu  baren.''  Der  König 
Matribleiz  nahm  sie  mit  sich.  So  wurde  das  Provenzälen  Land  von  den 
Heiden  geräumt. 

Der  Willehalm  ist,  ^was  das  Formelle  betrifft,  das  feinste  Werk 
unseres  Dichters,  wenn  es  auch  unsere  Theilnahme  nicht  so  sehr  zu 
fesseln  vermag,  als  seine  anderen  Epen.''  ^)  Was  aber  den  inneren 
Gehalt  betrifft,  so  steht  er  weit  unter  dem  Parcival.  Alle  dem  Sagen- 
kreise Karl  d.  Gr.  angehörigen Dichtungen,  wie  das  Rolandslied  und 
die  Historie  von  den  Haimonskindern  sind  ungeheuerlich  and  roh. 
Wie  empörend  ist  z.  B.  im  Willehalni  das  ungeheuere  Elend,  das  der 
Heilige  durch  die  Entführung  seiner  Frau,  die  selbst  nicht  mehr  jung 
gewesen  sein  kann,  über  sein  Land  und  seine  Mannen  bringt,  wie 
unerträglich  die  Misshandlung,  die  Willehalm  seiner  Schwester'  ange- 
deihen  lässt.  Während  Parcival  und  sein  weltliches  Ebenbild  Gawan 
voll  ritterlicher  Zucht  und  Höfischkeit  erscheinen  und'  die  Schläge,  d\ 
jener  zuchtlose  Senneschal  einer  Frau  versetzt,  den  jungen  Parcival  z 


•)  Eftmüller  Ilondbuch.  S.  1?)7. 


8Ö8 

persönlichar  Bacbe  reizen :  prügelt  hier  der  heilige  Held  seine  spöttische 
Schwester  md  bleibt  dann  zehn  Tage ,  obwohl  wii  steten  Fasten ,  bei 
den  Ritterfesten,  indess  seine  agene  Stadt  und  seine  innigstgeKebte 
Gattin  die  schwerste  Belagemag  aiiszabalten  hat.  Und  Rennewart,  der 
eulenspiegelmässige  Riese  and  Hofnarr,  der  heimliche  Prinz  nndSpass- 
maeher!  das  AU^  zeigt  denüich  die  Flegeljahre  des  Frankenvolkes» 
die  zwar  schon  verrauscht  waren,  deren  Macht  aber  immer  noch  so 
nachhaltend  und  gross  blieb,  dass  selbst  ein  so  feinfühlender  Dichter 
wie  Wolfram,  sich  nicht  davoQ  fr^  halten  konnte. 

Destb  näher  ^g  der  Stoff  jfur  die  kleineren  Geister,  auf  die  er  eine 
reizen4e  Anziehungskraft  ausüben  ohisste..  Den  ersten  Theil  der  fran- 
zl^sisöhen  Quelle  ^  den  Wolfram  -absiichtlidx  wegliess ,  die  Entfiibrong 
Arabelens,  ihre  Taufe  und  Yermäblung  mit  Willehalm  bearbeitete 
Ulrich  yoo  dem  Türlin, ')  indi^ss  beinahe  gleichzeitig  Herr  Ulrich 
von  Türheim'),  den- «Rennewart''  breit  schlug  und  zu  einem  eigenen 
Opus  verhämmerte.  Die  beiden  Ulriche^  jedenfalls  zwei  ganz  congeniale 
Schöngeister  upd  Verseschmiede  hatten  früher  öfter  das  Unglück,  mit 
einander  verwechselt  oder  gar  in  eine  Person  zus^nimengewor£en  zu 
werden.  Nun  weiss  man  genau,  dass  der  erstgenannte'  die  ^ Milde ^ 
des  König  Ottokar  vop  Böhmen  (1253 — 1278)  genoss,  indess  der 
andere,  ein  aufrichtiger  Schwabe  aus  Ober-Thörheiip  bei  Wertingen  und 
ein  armer  Ritter  seiner^  Unterhalt  von  dem  leichtsinnigen  Könige  Hein- 
rich VII.  (dem  Staufer)  bezog»  dessen  liebste  Gesellschaft  aus  Jägern, 
Falknern,  Spassmachern  und  ähnlichen  Gesellen  a  la  Rennewart  bestand. 
Als  nun  Heinrich  im  Jahre  1235  verhaftet,  abgesetzt  und  nach  Apulien 
abgeführt  ward  und  endlich  gaf  in  der  Gefangenschaft  starb  (1242), 
da  war  unser  Ulrich  zwar  bis  zum  Tode  betrübt,  tröstete  sich  aber 
bald  wieder ,  als  er  mit  anderen,  mildthätigen  Herren  bekannt  wurde. 
Denn  Otto  d.^r  Bogner,')  ein  Augsburger  Bürger,  brachte  ihm  aus 
der  Abtei  St.  Denis,  ein  französisches  Werk  über  Willehalm,  das  er 
gleich  zu  bearbeiten  begann  (1242),  nachdem  er  schon  früher  ein 
glücklicher  Weise  verlorenes  Buch  Clies  gedichtet  und  sogar  am 
Tristan  gestümpert  hatte.  Ulrich  war,  als  er.  den  Reiinewart 
begann,  schon  bejahrt,  doch  dichtete  er  noch  „eines  .guten  Weibes 
willen^;    die  dadurch  verherrlichte  Dame  war  wahrscheinlich  Adelheid 


*)  1252-  1279.  Von  ihm  auch  ^der  dvenliure  kröne^  cf.  obeo  S.  301. 

*)  fai  Aufiburger  Urkunden  1^6—1246  nachgewiesen. 

*)  Dieser  Otto  der  Bogenaere ,  von  dtm  Dlrich  sa^  „er  sitzet  ze  Ouffspnrc  in 
der  stat"^  ist  als  Zeuge  in  einer  Urkunde  des  Bischof  Siboto  von  Aufshurg 
in  X  12S7  ffenaant  und  kommt  später,  im  J.  1246,  -noch  einmal  vor.  Lach- 
mann  S.  XLI. 

23 


\ 


854 

▼OD  Erringen,  welche  ihren  Gatten  Chnonrat  von  Erringen,  der  ülridi*9 
bester  Freund  war,  im  Jahre  1231  durch  den  Tod  verior.  Wohl  merkte 
der  Poet  bisweilen  seine  Weitschweiügkeit  und  legte  dann  die  Arbeit 
weg,  besann  sich  aber  bald  wieder  eines  besseren  und  nahm  seine 
^ Dichtung^  wieder  auf,  die  uns  aus  Ironie  des  Schicksals  weder  ganz 
noch  acht  überkommen  sollte.  Wir  haben  nur  eine  verftlschte,  spätere 
Abschrift,  welche  ein  sprachknndi^r  Mann,  östfränkischer  Abkunft,  etwa 
ein  Mönch  zu  Heilsbronn,  zwischen  1280  und  1300  anfertigte  und  das 
ostfränkische  Idiom  vorherrschen  Hess.')  — 

Wolframs  Willehalm  muss  unter  seinen  Zeitgenossen  grosses  An- 
sehen genossen  haben.  Nach  einem  Fragment  in  der  MQnchner  Biblio- 
thek zu  schliessen,  wurde  schon  im  XIII.  Jahrb.  der  Versuch  gemacht« 
selben  in*s  Lateinische  zu  übersetzen.  Wie  der  Parcival  auf  den  Wimt, 
so  wirkte  der  Willehahn  auf  einen  anderen ,  den  bayerischen  Herzogen 
zu  Landshut  nahe,  stehenden  Dichter,  der  statt  des  fremdländischen 
Heiligen  einen  acht  vaterländischen  Namen  zur  Verherrlichung  gewann. 

Bei  unseren  mittelalterlichen  Vorfahren  stand  St.  jGreorg  abson- 
derlich in  Ansehen.  Daizu  verhalf  ihm  die  dankbare  Reminiscenz  an 
den  ehedem  göttlichen  Wuotan,  der  unstreitig  unter  der  Grestalt  des 
christlichen  Heiligen  noch  geraume  Zeit  seine  Verehrung  in  Anspruch 
nahm.  Als  St.  Em  er  am  an  den  bojarischen  Hof  nach  Regensburg 
kam  (649—652)  fand  er  bereits  einen  Altar,  *)  welchen  sein  Vorgänger 
St.  Rupert,  zu  Ehren  dieses  englischen  Ritters  und  zwar  an  der  Stelle 
eines  früher  dem  Drachentödter  Apollo  gehörigen  Tempels  errichtet 
hatte.  Hier  siedelte  sich  Emeram'  in  seiner  aus  Weiden  geflochtenen 
Betzelle  an  und  bald  erhob  sich  eine  Krypta  darüber,  die  zu  den  älte- 
sten Bauresten  des  Bayerlandes  gehört.')  Damit  hing  auch  ein  nntei' 
Bischof  Erhard  (c,  680)  aufgeblühtes  Frauenklösterlein  zusammen,  das 
vor  dem  Ablaufe  des  ersten  Jahrtausends  durch  die  verwittwete  Her- 
zogin Judith  von  Bayern   zu   einem  freiadeligen  Stifte  sich  entwickelte. 

Wie  ehedem  der  schlachtenlenkende  Gott,  so  ritt  St.  Jörg  in  ritter- 
licher Rüstung  und  erlegte  vom  Pferde  herab  den  Drachen ;  wie  ehedem 
diese  Begebenheit  im  Tempel  zu  Delphi  ihre  mimische  Darstellung  fand, 
so  ward  auch*  die   christliche  Legende   dramatisirt  und  bis  auf  unsere 


')  Ausgabe  der  Regensburger  Fragmente  durch  Dr.  Karl  Roth.  1836.  Dia 
Fragmente,  welche  F.  A.  Reuss  zu  Kitxingen  fand  (Von  den  Heidentlialea 
der  Kreuzfahrer  im  heil.  Lande.  Kilzingen  1839)  scMnen  giekhfaUs  wor 
Rennewart-Literatur  zu  gehören«     « 

')  Mausol.  St.  Emeram.  S.  14. 

*j  Panzer  Beitr.  L  Sr  122  o.  Quitznann  heidnische  Reliffiooder  Baiwarea.  ^  ^ 
1860.  S.  148. 


855 

Tage  im  Volksleben  erhalten. ')  Die  nnOberwindlich  machende  Brünne 
cles  Oottes  ging  buchstäblich  in  das  gegen  Wunden  schützende  Sieg-» 
hemd  und  das  festmachende  Georgenhemd  über,  ebenso  wie  die 
Macht,  seinen  Kriegern  gntes,  schönes  Wetter  za  senden,  diie 
ehedem  zu  Wuotans  wohlth&tigen  Spenden  gehörte. ' )  Meist  erschien 
er  auf  weissem  Ross  in  den  christlichen  Heerhanfen  mid  jagte  ganze 
Gresohwader  der  Ungläubigen  daron,  so  ward  er  im  Krenzzuge  vom 
J.  1190  unter  der  bayerischen  Reiterei  bei  Philomene  gesehen  und  vom 
Grafen  von  Helfenstein  allsogleich  erkannt  An  den  häufig  vorkom- 
menden „Schimmelcapellen^  war  aussen  das  Pferd  des  Heiligen  ange- 
malt, das  bevorstehende  Kriegsföhrlichkeiten  nicht  selten  durch  nächt- 
liches Gewieher  voransverkündete.  Ludwig  von  Thüringen  hatte  das 
St.  JOrgenpanier  unmittelbar  vom  Himmel  herab  erhidten,  das  fortan 
das  Heerzeichen  der  Reichsritterschaft  wurde,  ^)  dem  Grafen  von  Pap- 
penheim gab  der  Heilige  sogar  den  Daumen  aus  der  Hand  (vgl.  oben 
S.  35),  der  dann  zu  Kaisheim  aufbewahrt  wurde,  zu  Bamberg 
zeigte  man  das  vom  Himmel  gefallene  Schwert  dieses  Heiligen,^)  zu 
München  aber  ward  von  den  frommen  Herzogen  im  Jahre  1496  eine 
.gBruderschafl^  aufgerichtet^)  und  noch  zur  Zeit  des  dreissigjährigen 
Krieges  und  weiter  beigab  galt  die  Meinung,  dass  Jeder,  der  einen 
<Mannsfe)d'schea)  ThaM*  mit  dem  Bilde  des  ^hl.  Rottmaister^  bei  sieh 
trage,  vor  allen  feindlichen  Anfällen  ledig  3ei.^) 

Bei  so  bewandten  Umständen  konnte  es  nicht  fehlen,  dass  die 
3Poesie  sich  dieses  Gegenstandes  bemächtigte,  zumal  da  eine  grosse 
Anzahl  prosaischer  Legenden  existirte,  die  ein  höchst  phantastisches 
Material  hinlänglich  in  sich  trugen  und  nur  der  dichterischen  Gestaltung 
2U  warten  schienen.  Diese  ward  ihnen  durch  unseren  wackeren  Rein  bot 
iron  Dume  der  unmittelbar  im  Auftrag  des  Herzog  Otto  des  Erlauchten 
imd  dessen  Gemahlin  das  Werk  begann  und  in  6000  gut  gezählten 
"Versen  glücklich  vollendete.'). 


')  Das  Weitere  hierüber  in  der  folgendeo  Geschichte  des  Dramt. 

>)  Vgl.  Wolf  Beilr.  I.  54. 

*)  Vgl.'ll.  Zieffelbauer  bislor.  Nacbricht  von  der  St.  Georgenfahne,  so  vor 
Zeiten  der  deutsche  Adel  in  Religions-  und  Reichs  -  Kriegen  gefübret  hat. 
Wien  1735  bei  J.  A.  Schmidt  ßuchbändjer  aus  Nürnberg. 

^)  Keysslers  Reisen.  111.  B.  S.  1365 

>)  Gesetse  oncTRegeln,  Ablass  undGebeth  der  hl.  Brudersihafl  des  St.  Georg  etc. 
Miacheo  bei  Lucas  Strmb.  1600.  12<^. 

^  F.  Sterzinger:  Versncb  den  Aberglauben  zu  stürzen.  München  1785. 
Anbang  Nro.  193. 

# 

*)  Handschriflen  zu  München,  in  Wien  vom  J.  1376,  zu  Zürich  aus  dem  XV  Jahrb. 
und  viele  Bruchstücke.  Anzeiger:  IV.  186.  Eine  Auflösung  daraus  in  Prosa  in 

23» 


856 

Vom  Leben  des  Dichters  weiss  man  wenig«  Sein  Grebnrtoort  ist 
nach  Pfeiffers  Vermuthang  *)  das  in  der  Mähe  von  StrauUng  befind- 
liche Schloss  Wildtfaarn  an  der  Isai*.')  Er  nennt  sich  einen  Schreiber 
und  Dichter  des  Herzog  Otto  (1231 — 53)  der  zu  Laadshut  Hof  bieh 
und  den  Sängern,  unter  ihnen  vornehmlich  ^em  Tanhanser,  gastliche« 
Gelass  und  Herberge  bot.  Der  Name  Reinbot 's  erscheint  einmal  io 
einer  Straubinger  Urkunde  vom  Jahre  1240,  und  Ort,  Jahr  und  die 
Beziehung  auf  den  Herzog  «teilen  ausser  allen  Zweifel,  dass  dieser 
Reinbot  mit  unserem  Dichter  ein  und  dieselbe  Person  sei.  «Von  der 
seinem  Aufenthaltsort  zunächst  liegenden  Scenerie  nennt  er  einmal  den 
Chiemsee  (v.  1717),  das  Kloster  von  Geisenfeld  (v.  5296)  und 
den  Markt  Werd,  mit  dem  weder,  ^ie  Hoffinann  von.FalleralebeD 
glaubte,  die  Leopoldstadt  bei  Wien,  noch  nach  Schmeller*s  Vermuthung 
das  Städtchen  Donauwörth  gemeint  sein  kann,  sondern  einfach  der  alte 
Marktflecken  W  e  rt  (Wörth)  an  der  Donau,  zwischen  Regensburg-  und 
Straubing,  der  in  Urkunden  des  XIL  bis  XI Y.  Jahrh.  häufig  .vorkommt 
und  zum  ganzen  Gesichtskreis  Reinbot*s  am  besten  passt.  Er  begaoo 
sein  Werk  noch  vor  der  Mitte  des  XIII.  Jahrb.  und  zwar  nach  einer 
bisher  vergeblich  gesuchten  lateinischen  oder  französiscäien  Quelle^  wobei 
er  sich  die  Behandlungsweise  des  Heinrich  jfpu  Veldecke  und  Hart* 
mann*s  von  der  Aue,  die  somit  wohl  am.  Q((fe  zu  Landshut  fleissig 
gelesen  waren,  vorzüglich  aber  Wolfram's  grossartige  Manier  zum  Muster 
nahm.  Er  ahmt,  so  weit  es  seine  Selbstständigkeit  und  Fähigkeit  erlau- 
ben, alle  Eigenheiten  des  Eschenbachers  nach  und  der  ^  Willehalm  ^  ist 
ebenso  mustergültig  und  einflussreich  für  Rein  bot,  wie  4er  «Parcival^ 
auf  Wirnt  von  Grävenberg  wirkte. 

Reinbot  beginnt  damit,  dass  er  erzählt,  wie  der  werthe  Herzog 
und  sein  viel  reines  Weib,  die  hohe  edle  Fürstin  (die  beide  ihren 
Sinn  auf  würdigliches  Leben  gesetzt  haben  und  nach  ewiglichem  Lohne 
streben)  dem  Dichter  den  Auftrag  geben,  ein  Buch  in  deutscher  Sprache 
von  dem  lieben  Herren  St.  Georgen  zuzurichten.  So  ist  ihm  denn  Otto 
sein  Landgraf  von  Thüringen,  wie  Wolfram  von  jenem  den  Willehalm, 
so  habe  er  für  seinen  Herrn  nun  dieses  Buch  vorgenommen,    das  er 


dem  durch  A.  Koberger  1488  zu  Nürnberg  gedrucklen  Leben  der  liebtio  Heiligen 
Gottes.  Sommertheit.  Bl.  6—11.  —  Bereits  im  J.  1749  kündeIeJustus  Moser 
in  Osnabrück  eine  commentirte  Herausgabe  dieses  Gedichtes  an,  die  jedoch 
unterblieb;  der  erste  Druck  geschah  durch  v.  d.  Hagen  Deutsche  Gedichte 
d<»  Mittelalters.    IbOS.     1.  B.    Nro.  5.    recensirt  von  Docen  in  Sdidlings 


allgem.  Z^lschrift.  1813   S.  216-31. 
fer  schon  lange  vorbereitet 

')  Neue  Jenaer  lit.  Ztg.  1842.  S.  1002. 

'>  Dum  hei  Siosheim.  (Dr.  K.  Roth) 


Eine  neue  Ausgabe  bat  Frans  P  f eif- 


857 

gerne  besser  geziert  und  etwas  beraasgeputzt  hätte,  aber  die  Herzogin 
habe  ihm  aufgetragen,  bei  dgr  Wahrheit  zu  bleiben  und  nichts  mit 
Lügen  zu  gefloiyren!  Vielleicht  geht  das  Buch  dann  über  alle  deutsche 
Lande,  Ton  Tirol  bis  Bremen  und  von  Presburg  bis  Afetz.  Desshalb^ 
und  dass  er  es  r^cht  gut  machen  möge  zu  Ehren  des  hohen  Heiligen, 
ruft  der  Dichter  seine  Hilfe  an. 

Nun  musste  die  Herzogin  ihren  Mann  wohl  kennen,  weil  sie  es 
für  nöthig  fand,  ihn  ernstlich  zu  mahnen,  mit  der  Wahrheit  nicht  gar 
zu  sparsam  umzugehen,  das  heisst,  seine  eigene  Phantasie  hübsch  im 
Zaume  und  frei  von  Zuthaten,  an  der  Quelle  zu  halten,  sie  wusste 
vielleicht,  dass  doch  genug  noch  mit  unterlaufen  werde.  Und  hierin  hat 
der  Herre  Reinbot  sein  Möglichstes  gethan.  Wie  die  Maler  des  XIV. 
und  XV.  Jahrhunderts  die  lieben  Heiligen  Gottes ,  gleichsam  um  sie 
für  ihr  armseliges  Leben  auf  dieser  Welt  zu  entschädigen,  meist  in 
prächtigen  Gewanden,  schimmernd  von  Gold  und  edlem  Gesteine,  dar- 
stellten, so  schilderten  denn  auch  die  Poeten  des  XIH.  und  XIV.  Jährh. 
mit  verschwenderischer  Freigebigkeit  ihre  heiligen  Seiden  und  staflfirten 
sie  aus  ganz  im  mittelalterlichen  Gewände  der  sie  umgebenden  Sitte. 
Eben  dadurch  gewinnen  diese  Dichtungen  und  Bilder  heut  zu  Tage  fiir 
uns  einen  so  heiteren  Reiz  und  eine  lebenswarme  Anziehung,  weil  das 
damalige  Leben,  freilich  mit  poetischer  Freiheit  potenzirt,  so  -wahr  und 
kräftig  daraus  spricht.  In  diesem  Style  ist  natürlich  St.  Georgus  ein 
reicher  Markgrafe  in  Palästina,  dem  es  so  gut  geht,  dass  ihm  selbst 
die  eigenen  Brüder  nachrühmen,  er  sei  zu  höchst  auf  des  Glückes 
Rad'-)  gekommen,  möchte  er  auch  lange  darauf  sich  halten  und  das 
Rad  ihm  immer  stille  stehen!  (v.  193).  Wie  wilde  Falken  auf  kleine 
Vögelein  so  stürzte  er  sich  mit  seinen  beiden  Brüdern  auf  die  Sara- 
cenen  (die  hier  der  Dichter  mit  einem  acht  mittelalterlichen  Anachronis- 
mus in  das  III.  Jahrh.  versetzt  und  immer  mit  Heiden  und  Götzen- 
anbetern zusammenwirft)  und  zwang  auf  drei  Tagweiten  die  Heiden 
sich  taufen  zn  lassen,  darauf  trennen  sie  sich,  zwei  Brüder,  Theodorus 
und  Demetrius  fahren  zu  dem  Spaniol,  Georgius  aber  nach  Cappadocieu ; 
das  geschah  im  Jahre  neunzig  und  zweihundert  nach  Christus,  um  die 


')  Es  ist  das  ein  io  der  Oicblong  wie  in  der  Kunst  damals  häufig  angewendetes 
ßild.  Ein  Glücksrad  mit  vier  Bildern  beschreibt  Johtinnes  von  Rinprgenherg, 
V.  d.  Ha^en,  MS.  l  340.  Sir.  13;  in  die  Carmin«  burana  ist  ein  5ol(;hes 
ffemalt,  eine  ffrosse  Rolle  spielt  es  auch  als  Skulpturwerk  an  miltelall erheben 
Domen;  v^l.  Wackernaffel  in  Haupt*s  Zeilschrift  VI.  134  u.  W.  Menzel 
d.  Dicht.  1.  184  ff.  Ein  Glücksrad  schildert  auch  Meister  Sigeher  verjrl. 
Haxen.  MS.  11  363.  Nro.  IV.  Str.  1.  —  Bruder  Wernher  gebraucht  den- 
selben Ausdruck  wie  Reinbot:  Hagen  HI.  16.  Str.  22:  ^nO  sizzet  er  üf 
gelükkes  rade.^ 


358 

Zeit,  als  Maroellus  em  Pabst  hiess , ')  dass  Geoijns  eine  Unsahl  Sar- 
racin  bei  den  Griechen  erschlug,  so  dasQ  der  Salneckere  um  Hülfe  in*« 
lateinische  Land  sandte  (wo  Dioclecianos  und  Maximian  Könige  waren) 
gegen  deti  Ritter ,  der  für  die  Frennde  sanft  wie  ein  Laromelein ,  aber 
scharf  wie  ein  Eber  gegen  die  Heiden  sei ;  er  schlägt  Löwen  and  Bären, 
grosse  Drachen  und  Lintworme  (v.  466),  wie  Wolkenbrach  stfirmt  er 
einher.  Die  beiden  Könige  rüsten  nun  eine  Heerfahrt  gegen  den  Helden, 
der  ,Ruf  davon  kommt  auch  nach  Spanien,  wo  die  Brüder  Greorgs  mit 
grossen  Schätzen  beschenkt,  sich  gleich  verabschieden,  um  ihrem  Bruder 
zur  Hülfe  zu  eilen.  Wie  sie  ihn  nach  langer  Seefahrt  and  dreitägigem 
Ritt  nach  fünfjähriger  Trennung  zu  Melle  treffen,  fand  ein  Umfahen 
statt,  dass  wahrhaftig  Herr  Hemrich  von  Yeldeckyn,  Wolfram  und  der 
von  Aue  zu  schwach  wären,  um  die  Freude  recht  zu, schildern,  wie  sie 
dort  ergie  (695) !  Georjus  aber  besteht  darauf,  an  den  Hof  des  König 
Dacian  zu  fahren  und  dort  für  Christus  seinen  Glauben  zu  bezeugen, 
vergeblich  mahnen  ihn  die  Brüder  ab,  er  schenkt  ihnen  seine  Lande 
und  scheidet  von  ihnen,  indem  er  bloss  sechzig  reich  bekleidete  Ritter 
mit  sich  nimmt. 

Mit  ganz  altdeutscher  Pracht  und  Herrlichkeit  erscheint  er  an 
Dacians  Hofe  (1495  ff.).  Posaunen,  Schirmellen,  helle  Homer,  Flöten, 
Tamburen  und  Saitenspiel  lässt  er  sich  vorausmusiciren ,  so  dass  sein 
Aufzug  mit  siebzig  reichgeschmückten  Rossen  grosses  Gaffen  macht,  er 
hat  ein  Gezelt,  wie  es  der  Dichter  nie  zu  Wörth  gesehen  (1553)  und 
Gahmuret  vor  Zazamang  nicht  einmal  besser  hatte,  auch  goldene  Köpfe 
(Pokale)  und  Schalen  hatte  er,  in  denen  er  dem  König,  der  selbst  zum 
Empfange  des  Unbekannten  hinausgeht,  den  Trank  bietet  (1565);  acht 
Tage  lang  wird  Alles  von  dem  Helden  bewirthet,  der  seinen  Namen 
jedoch  verschweigt.  Darnach  Hess  er  die  Seinen  heimfahren  und  das 
Gezelt  seinen  Brüdern  bringen ,  er  behielt  nur  seinen  Schreiber  und 
einen  Knappen  bei  sich,  dazu  je  das  zehente  Ross  und  Harnisch,  Schilt 
und  Schwert.  Am  nächsten  Morgen  geht  der  stolze  Jüngling  ganz 
alleine  an  des  Königs  Ring,  wohin  durch  öffentlichen  Aufruf  Alle  zur 
Marter  entboten  wurden,  die  an  Maria  und  Jesus  hielten,  Mantel  and 
Wappenrock  wirft  er  weg,  nur  den  Schild  behält  er  bei,  der  ein  rothes 
Kreuz  auf  weissem  Felde  zeigt  und  mit  zweihundert  Rubinen,  jeder  in 
der  Grösse  eines  halben  Eies,  geschmückt  ist,  so  tritt  er  in  den  Kreis, 
bekennt  sich  freudig  als  einen  Christenmann  und  fordert  Alle,  sei's  zu 
Rosse  oder  zu  Fuss,  gewappnet  oder  bloss,  die  gegen  Jesas  und  Maria 
sind.     Wie  nun  der  König  Dacian  darauf  erwiedert,  das  sei  eine  Rede, 


*)  Marcellinos  296-304. 


359 

die  der  Markig  (Jreari  von  PaDastin  nicht  „hochwirdiger«*  thun  könnter, 
bekennt  auch  der  Held  seinen  Namen,  da  umarmt  ihn  der  König  und 
bietet  sich  selbst  ihm  zum  Kämmerer  an,  wenn  er  den  Christenglauben 
Hesse;  aber  da  könnte  man  leichter  den  Ghiemsee  auf  den  Setten 
leiten')  (1717),  ehe  Daciau  seinen  Mahomet  und  Geoijns  seinen  Gott 
Hessen.  Da  die  süsse  jElede  ihn  nicht  dazi;  brachte ,  dem  Gott  Apollo 
zu  opfern,  Hess  der  König  den  Marggrafen  fahen,  in  einen  Thurm  legen 
und  mit  starken  Riemen  krumm  binden.  Dem  Gefangenen  aber  erscheint 
der  süsse  Jesus  tröstend  und  ein  Glanz  ging  aus  heller  als  die  Sonne, 
dass  Alle  glaubten,  der  Thurm  brenne,  so  dass  der  Kaiser,  der  teufli- 
sche Zauberei  vermeinte,  St.  Georjen  gleich  wieder  holen  und  nachdem 
er  ihn  mit  Stecken  hatte  schlagen  lassen,  was  dem  Heiligen  wie  ein 
linder  Thau  bedauchte,.  in  ein  armes  Haus  führen  Hess,  wo  selbst  die 
Katzen  und  Mäuse  nichts  zu  beissen  gefunden  hätten  (1886).*)  „Der, 
so  mit  fünf  Broden  ein  ganzes  Heer  gespeiset  hat,  dass  man  noch  in 
Körben  davon  trug,  der  den  Daniel  speiste,  wird  mich  nicht  Hungers 
sterben  lassen,^  versetzt  Georg.  —  In  diesem  Hause  war  kürzlich  der 
Mann  gestorben,  das  Weib  hatte  weder  Fleisch  noch  Milch  oder  Brod, 
an  Meth,  Wein,  Fische  oder  Wildpret  gebrach  es  gänzHch,  Aloeholz 
ward  wohl  nie  verbrannt;')  die  Frau  fürchtete  sich  vor  Georjus,  weil 
ein  so  minniglicher  Sehern  von  ihm  ausging,  wie  von  einem  Engel. 
Sie  hat  zwei  Götter,  den  Herkules  und  Apollo;  Georjus  bedeutet  ihr 
desshalb,  dass  essihr  füglich  schlecht  gehe,  weil  sie  nicht  den  rechten 
Gott  habei  diese  beiden  können  ihr  nichts  geben.  Durch  einen  Engel 
belehrt,  umfasst  Georjus  nun  des  Firstes  Säule  (den  Tragbalken  des 
Hauses)  n4t  den  Armen  und  augenblicklich  wandelt  sie  sich  in  einen 
zwölf  Ellen  langen,  breitästigen,  blühenden  Baum  (wie  ihn  seither  und 
früher  kein  Mai  noch  bekleidet  hat)  obgleich  draussen  der  Wald  falbe 
stand  und  Winter  war.  Und  kaum  hat  der  Held  'Grott  daf&r  gedankt, 
so  steht  auch  eine  Tafel  da,  mit  einer  weissen  Twele  überspreitet  und 
herrlichem  Essen  besetzt,  wozu  er  die  erstaunte  Frau  einladet,  Fasanen, 
Fische  und  süsse  Brühe,^)  Wein,  Syropel  und  Meth  kamen  dazu  vom 
Baume  herab  und  das  Obst  und  das  Brod  hatten  solche  Art,  dass  sie 
nach  Allem  schmeckten,  was  man  sich  erdenken  mochte ;  dazu  trug  di^ 
Frau  noch  mehr  von  dem  Ti^be  als  da  war.  Wie  nun  Georjus  ihr 
krankes  Kind  gesegnet  und  gesundet  hat,  da  verkündet  sie  die  Freuden- 


')  Docen  liest  Jeten,    ein  Jetlenbach  ist  bei  Krtiburg,   ein  Jettenbery 
bei  Reichenball. 

»)  Vgl.  Parc.  186,  2. 

»)  Vgl.  Parc  230,  11. 

^  ▼.  2068:  morat;  für  m6raz? 


J 


maere  in  dep  Stadt  and  das  zuströmende  Volk  sieht  überrascht  den  im 
Schnee  grünenden  Baum  in  dem  die  Vögelein  singen.  Aach  Dacian 
mit  der  Kaiserin  und  noch  sieben  anderen  Königen ,  von  denen  jeder 
eine  besondere  Sprache  hatte,  laufen  herzu,  um  das  Wunder  anzu- 
schauen, so  dass  um  den  Stuhl  zu  Aachen  nie  ein  solch  Gedränge  war, 
wie  hier  um  St.  Georien  (2176).  Der  König , Dacian  sieht  natörlich 
auch  hierin  nur  Zauberei  und  verspricht  dem  G^orjus  mehr  unterthao 
zu  machen,  als  alle  deutschen  Lande,  wenn  er  sich  bekehren  und  dem 
Apollo  opferen  wolle,  und  Georjos  verspricht  dieses  wirklich  för  den 
nächsten  Morgen.  Der  Kaiser  ist  desshalb  so  entzückt,  dass  er  den 
Fuss  des  Markgrafen  küsst  und  dessen  Entschluss  in  der  ganzen  Stadt 
ausschreien  lässt;  Geoijus  ist  so  fröhlich,  dass  ihm  das  Herz  erkracht; 
die  Königin  führt  ihn  mit  ihrer  viel  blanken  Hand  in  ^hre  Kemenate, 
wo  eine  Jungfrau  Apollos  Preis  zu  einer  welschen,  d.  h.  dreisaitigen 
Fiedel  sang;  weder  früher  noch  später  geschah  einem  Ritter  so  hohe 
Ehre,  die  Kaiserin  setzte  sich  zu  ihm  nieder,  nach  französischer  Sitte 
(2487),  eine  klare  Jungfrau  goss  ihm  wie  ein  Kni^ppe  das  Wascbwasser 
über  die  Hände  und  die  Schwester  der  Kaiserin  selbst  schenkt  ihui 
knieend  den  Wein  in  einem  Kopf  von  Rubin.  Nach  dem  Essen  begehrt 
die  Kaiserin  das  Nähere  über  Juden,  Heiden  und  Christen  zu  wissen 
und  nun  gibt  ihr  Georjus  Kunde  von  dem  hohen  König  Alüssimns, 
der  Alpha  et  O  ist  und  dessen  Wunder  er  ihr  in  einem  an  die  Räthsel 
des  Wartburgkrieges  grenzenden  Gleichniss  vorlegt,  auf  dessen  Wieder- 
gabe wir  hier  der  Länge  wegen  (v.  2530 — 2666)  verzichten  müssen, 
das  aber  in  seiner  mystischen  Auslegung  und  Deutung  die  Kaiserin  för 
das  Christenthum  so  weit  gewinnt,  dass  sie  am  anderen  Tage  die  Taufe 
erhält,  indess  Georjus  den  Heidengott  zu  schänden  machte.  Auf  des 
Markgrafen  Geheiss  ist  sogar  ein  kleines  Kind  im  Stande,  das  Götzen- 
bild mit  einer  Ruthe  vor  die  Versammlung  zu  treiben ,  wo  der  inne- 
wohnende Dämon  für  den  wahren  Gott  Zeugniss  geben  mnss  und  die 
Bildsäule  in  Stücke  zersprengt. 

Nun  ergehen  eine  Unzahl  von  Quälereien  und  Torturen  über  den 
Markts,  aus  denen  er  immer  wieder  unverletzt  hervorgeht  und  dadurch 
neue  Schaaren  f&r  das  Christenthum  gewinnt.  Auch  die  Kaiserin  be- 
steht entsetzliche  Martern,  die  jedoch  Gott  durch  St.  Georjus 
wieder  heilt,  bis  ihr  endlich  das  Haupt  abgeschlagen  wird,  nachdem  si 
zuvor  dem  Palastinäer  noch  vorausgesagt,  er  werde  erst  nach  sieben 
halb  Jahren  sein  Leben  verlieren. 

Nun  hiess  ihn  der  Kaiser  in  vier  Stücke  zersägen  und  in  eine 
tiefen  Pfuhl  werfen,  aber  ein  Cherubim  und  der  heil.  Michael  brachtei 
die  reine  Seele  wieder  zu  dem  Leichnam  und  der  Markgrafe  ist 


86t  ' 

da,. viel  schd&er  als  vorher,  leuchtend  wie  ein  Engel  (v.  4739),  nnd  so 
schön,  dass  eine  Nonne  von  Geisenfeld,  *)  wenn  sie  ihn  gesehen  hätte, 
vergessen  haben  würde,  znr  Mette  zn  gehen.  Er  wirkten  der  Folgezeit 
ense  erstaanlicbe  Menj^  von  Wundem  und  gewinnt  ganze  Massen  zum 
Ghristenthum.  Sodann  lässt  Dacian  nach  einem  grossen  Ochsen  ein 
Bild  giessen  (5620),  das  innen  voll  scharfer  Pfeile  war,  darein  wurde 
G^oijns  gelegt  und  von  einem  hohen  Berge  zu  Thal  gerollt;  als  das 
Bild  herabgekommen  war,  zersprang  es  und  er  ging  daraus  hervor,  wie 
St.  Sebastian  ganz  mit  Pfeilen  l)estossen ,  die  er  jedoch  abschüttelte 
(ausbrach),  ohne  dass  ihm  ein  Leid  davon  geschah.  Darauf  gab  ein 
Herr,  Namens  Athanasius,  den  Rath,  dem  Heiligen  die  Nägel,  in 
denen  dei^  Zauber  stecke,')  abschlagen  und  Dornen  hineinstossen  zu 
lassen,  gibt  ihm'  das  nicht  Todes  Lohn,  so  wolle  er  sich  taufen  lassen. 
Es  geschah,  aber  Georjus  hatte  keine  Schmerzen,  die  Dornen  fielen 
heraus  und  die  Nägel  waren  wie  vorher  klar  und  lauter  und  Athana- 
sius  liess  sich  taufen.  So  gewann  er  noch  Unzählige  für.  den  Christen- 
glauben ,  hohe  Herren  und  Könige ;  nur  Dacian  bleibt  ein  halsstarriger 
Heide,  der  dem  Heiligen  endlich  nach  siebenjähriger  Marter  das  Haupt 
abschlagen  lässt.  Um  kurz  zu  sein,  so 'war  von  den  Tagen  seit  Chri- 
stus Geburt  kein  „mertelaere''  so  gross  als  Sente  Georjen  von  Pallastin. 
Georg  bat  für  den ,  der  ihn  enthauptete ,  zuvor  noch  um  Verzeihung, 
dass  auch  ihm  die  Seligkeit  werde.  Den  Dacian  aber,  der  Pharaonis 
Bruder,  der  Hölle  Luder  und  Gaukelspiel  gescholten  wird,  verbrannte 
ein  starkes  Feuer;  des  Marggrafen  Seele  empfing  der  Engelfürst  Michael 
und  führte  sie  fröhlich  „in  des  Btimmels  Saal"  (6089). 

Das  ist  der  Inhalt  dieses  Gedichtes,  an  dem  dieselbe  naive  Innig- 
keit zu  bewundern  ist,  mit  der  bald  darauf  die  Maler. ihre  Heiligen 
abschilderten,  auch  muss  die  poetische  Tiefe  des  Christentbums  aner- 
kannt werden,  wie  es  Georg  gegenüber  der  Kaiserin  enthüllt,  trefflich 
sind  die  ritterlichen  Kriegsscenen  und  grässlich  die  gehäuften  Marter- 
stücke erzählt.  Zwar  ist  der  Stoff  wenig  fruchtbar,  der  Dichter  liess 
sogar  jene  Legende  vom  Drachenstich,  die  dem  Ganzen  erst  einen  acht 


*)  v.  5297:  ^eyn  nonne  von  Gisiirelt.^  Geisenfeld,  Markt  zwischen  Ingol- 
stadt und  Landshul,  an  der  Jim;  wo  sich  ein  Benedictiner  -  Frauenkloster 
befand. 

*)  Der  Dichter  hat  dem  römischen  Heiden  die  urgermanische  Ansicht  von 
dem  mit  Fingernäffeln  möglichen  Zauber  unterlegt,  man  schrieb  Runen  auf 
die  Nä^el  zu  allerlei  Zweck;  Zaubbrrunen  stehen  auf  dem  Nagel  der  Norne. 
Vifl.  Simrock  1,  171.  Noch  Geiler  von  Keisersberg  eiferte  gegen  das  Be- 
schreiben und  Beschauen  der  Pingernägel.  Vergl.  Roch  holz  Kinderspiel. 
S.  107.  Mit  einem  Fingernagel  wird  der  Teufel  überlistet.  Alpen  bürg 
Mythen.  S.  282.  • 


1 


362 

volksthümlichen  Reiz  gibt,  hinweg ,  vielleicht  durch  die  ernste  Mahnniii^ 
der  Herzogin,  das  Werk  nicht  auf  eigene  Fanst  za  gefloriren,  and  be- 
hielt nur  eine  leise  Andeutung.')  Reinbots  ganzes  Gedicht  besteht  grOss- 
tentheils  ans  langathmigen  Wechselreden.  Demnngeachtet  ist,  wie  schon 
Docen  herausfühlte,  der  Styl  durchgängig  gross  gehalten  aod  nidit 
ohne  poetischen  Aufwand,  zuweilen  hat  das  Werk  den  Schwing  einer 
Hymne;  lyrische  Stellen  sind  nicht  selten,  so  bildet  z.  B.  die  oben 
witgetheilte  Erscheinung  des' Heiligen  in  der  Hütte  der  armen  Frau, 
wo  er  bewirkt,'  dass  die  dürre  Säule  zbm  grünen,  frnchtreichen  Baume 
erblüht,  eine  liebliche  Idylle;  fast  einzig  in  ihrer  Art  ist  die  Klage 
seines  Bruders  über  Georgs  Entschluss,  sich  der  Woth  Diocletians  hin- 
zugeben (V.  729 — 853),  sie  ist  ganz  im  tragischen  Sinne  gedichtet 

Die  schöne  Legende  von  St.  Silvester,  die  Koarod  von 
Wirzburg  für  einen  Herrn  Luitolt  von  Rötenlein  fertigte,  wagen  wir 
nicht  für  Bayern  in  Anspruch  zu  nehmen,  ebenso  ist  sein  Gedicht  von 
St  Alexius  für  zwei  Baslärbürger  Johannes  von  Bermeswill  und 
Heinrich  Iselin  bearbeitet;  dagegen  haben  wir  die  lateinischen  Quellen 
in  Prosa -Handschriften  aus  Regensburg  und  Schäfllam  und  andere 
poetische  Bearbeitungen  z.  B.  ein  148  lateinische  Hexameter  haltendes 
Bruchstück  aus  St  Ulrich  in  Augsburg  aus  dem  XIV.  Jahrb.; ')  ein 
deutsches  Gedicht  in  1100  Versen  gleichen  Inhalts  besass  der  Pfarrer 
Andreas  Hirn  zu  Erlbach  bei  Regensburg  in  einer  seitdem  wie  es 
scheint  verschollenen  Handschrift,^)  eine  weitere  Bearbeitung,  die  des 
Schweizer  Jörg  Zobel  (von  St  Gallen)  ist  in  einer  Münchner  Hand- 
schrift vom  J.  1455  erhalten,  welcher  sich  eine  andere  vom  Angsborger 
Jörg  Breining  aus  dem  Jahre  1488  anschliesst»^)  Das  rührende 
Bild  lebenslänglicher  Märtyrergeduld,  welche ^  der  Heilige  (von  reichen 
Eltern  geboren,  von  einer  lieblichen  Braut  scheidend,  in  freiwillig  über- 
nommener Erniedrigung  unter  den  härtesten  Lebensentbehrungen  ond 
noch  herbereu  Seelenschmerzen)  bis  zum  Tode  erlitt,  der  ihm  die  Fülle 
der  ewigen  Freuden  erschloss,  ergriff  mit  seiner  acht  poetischen  Wirkung 
die  alte  und  neue  Zeit.  Auch  Göthe  wies  auf  den  rein  dichterischen, 
edel-menschlichen  Gehalt  der  Legende  hin,  aus  der  bald  ein  Volksbuch 
und  ein  Volkslied  wurde.  Ich  war  höchlich  überrascht,  als  eines  Abends 
mein  lieber  Freund,  der  Historienmaler  Andreas  Mayer  ein  in  wenigen 


')  V.  466.  —  Die  Christen  zu  Beirat  geigen  heut  zu  Tage  noch  die  Höhle  on^ 
den  Platz,  wo  der  Drache  gebaust  und  der  Kampf  stattgefunden  haben  soll 

')  Hassmann  Alexius.  S.  29  u.  176—79. 

')  Gräler  Iduna  und  Hermode.  1812.  Nro.  14. 

«)  Gör  res  Heisterlieder.  1817.  S.  294—310.     « 


I 


3« 

TSaen  bestebendes  Lied  anhob  und  zwar  in  der  seltsamen ,  zitterigen 
Weise,  wie  er  sie  einst  als  Hüterbnb  von  einem  zahnlosen  alten  Mütter- 
lem  auf  den  Bergen  seines  heimathlichen  Allgäu  gelernt  hatte.  Alexios 
wto  bereits  im  Xu;  Jahrh.  ein  Volksheiliger  geworden,  längst  vor  der 
Caaoiiisation  doreh  die  Kirche;  nach  der  Anschauung  des  Mittelalters 
idifttzte  das  Bild  dieses  Heilige  die  ^wohner  eines  Hanses  gegen 
6ewitt«r,  Donner  nnd  Wassemoth;  solche  Holzschnitte,  die  an  den 
Thüren  angeklebt  wurden,  sind  aus  der  Zeit  von  1443  noch  erhalten. 
In  Bayern  worden  ihm  auch  Kirchen  geweiht,  .so  befand  sichz.  B. 
neben  dem  alten  Leprosenfaause  zu  Neustift  bei  Freising  eine  dem  heil. 
Alezius  geweihte  Kirche.  Erst  im  Jahre  1697  wurde  sein  Sterbetag 
sls  kiiühUdier  Feiertag  festgesetzt ') 

Eine  gleichwirkende  Anziehungskraft  übte  das  schöne  Buch  von 
Barlaam  und  Josaphat,  welches  Rudolf  von  Ems  bearbeitete 
(1220—1223),  die  Münchner  Handschrift  ist  vom  Jahre  1248;  die 
beste  Handschrift  seines  Wilhelm  von  Orlens  stammt  aus  dem 
Kloster  Schönthal  bei  Waldmünchen.  Die  seltsame  und  höchst  phan- 
tastische Geschichte  von  St  Oswald  ist  in  Bayern,  noch  mehr  aber 
im  benachbarten  Tirol  eingebürgert;  die  Legende  von  St.  Fridolin 
hat  Pfeiffer  (in  Hagens  Germania  IX.,  207  ff.)  mitgetheilt;  die  Frag- 
mente einer  Dichtung  des  XIV.  Jahrh.  über  den  heil.  Antonius,  und 
Ewar  in  bayerischer  Mundart,  wurden  zu  Regensburg  abgelöst,^)  ein 
Jörg  Zobel  hat  1455  ein  Leben  des  heil.  Eustachius  geschrieben. — 

Wir  sind  der  bereits  in  der  Einleitung  angedeuteten  religiösen 
Dichtung  noch  einige  in  diesen  Zeitraum  gehörige  Andeutungen  schuldig. 
^on  dem  Bischof  Günther  von  Bamberg  (1057 — 65)  wissen  wir,  dass 
sr  durch  einen  seiner  ^phaphen,^  Namens  Ezzo  ein  „gutes  Lied^ 
nadien  liess,  das  von  solcher  Wirkung  gewesen  sein  soll,  dass  Viele, 
ladidem  sie  dasselbe  gelesen ,  der  Welt  entsagten  und  in  ein  Kloster 
pngen.  Von  diesem  Kanonikus  Ezzo  heisst  es  femer  in  der  Bio- 
praphie  des  Bischof  Altmann  von  Passau,  er  habe  an  der  1065  von 
jrunther  veranstalteten  WaUfahrt  ins  gelobte  Land  Theil  genommen 
md  auf  der  Reise  eine  ^cantilenam  de  miraculis  Christi'^  in  deutscher 
Sprache  geschrieben.')     Gleichfalls  unter  den  poetischen  Bestrebungen 


')  Die  lateinifcbe  Kirebe  verehrt  den  Hei1i|ren  am  17.  Juli,  die  Griechen  am 
17.  Märe,  als  an  welchem  Tage  seine  Gebeine  durch  Pabst  Innocenz  1.  in 
•in  anderes  Grab  gelefft  worden  sein  sollen  Conrad  von  Wirsbnrg  versetst 
seine  Beerdigung  auf  den  17.  September. 

*)  Im  AnbiDf  su  Roth  Bmchstacke  der  Kaiserchronik.  S  61—66. 

*)  Diemer  Deutsche  Gedichte  des  XI.  und  XU   Jahrb.  1849.  S.  819  IT. 


364 

dieser  früheren  Zeit  verdient  die  Uebersetzang  des  hohen  Liedes 
genannt  zu  werden,  die  Williram  antemahm;  Er  war -von  GreboK 
ein  Franke,  bildete  sich  unter  Lanfranous,  kam  als  Scholastik us  oaeh 
Bamberg  und  starb  als  Abt  des  Klosters  Ebersberg  (f  5.  Mai  1086) 
nachdem  er  diese  Stelle  seit  1048,  also  37  Jahre  lang  rahm  voll  be- 
kleidet hatte.')  Williram  hatte  zuerst  eine  Ahnung  des  tieferen  poe- 
tischen Sinnes,  der  in  dem  Salomonischen  Preisgesange  der  Liebe  liegt, 
er  übersetzte  ihn  also  in  Prosa  und  gab  eine  Auslegung  in  deutscher 
Sprache  dazu,')  welch  letztere .  bald  wieder  in  lateinische  Hexameter 
und  auch  in  das  Niederdeutsche  überging.^)  Seine  Auslegung  ist  von 
einer  mystischen  Einfalt  getragen,  die  kein  Bestreben  kennt,  als  in  die 
Geheimnisse  der  Gottheit  hhieinzuschauen  und  die  Finstemiss  der  Seele 
aus  dem  ewigen  Lichtquell  zu  erhellen.  — 

Hier  ist  es  nun  an  der  Stelle  des  Marien  Cultes  und  der  daraus 
erblühten  Dichtung  Erwähnung  zu  thun.   Der  Mariencult  hatte  bei  den 
Deutschen  eine  bereits  ältere,  sittlich  nationale  Grundlage  in  der  Ehre, 
die  unsere  Vorfahren   mehr  als  alle  anderen  alten  Völker  den  Fraueu    . 
zuerkannt   haben.  ^)     Wurde    die  Jungfräulichkeit   schon    von  unseren  ^ 
heidnischen  Vorfahren  als  etwas  Heiliges  erkannt  (daher   die  strengen^ 
Gesetze,  welche  sie  bewahrten,  daher  der  weitverbreitete  Glaube,  nacl 
welchem   einer    reinen   Jungfrau   selbst    das   Unmögliche    möglich    seil — 
sollte),  so  erliielt  dieser  schöne  Zug  ältester  Zeit  eine  ganz  neue  Stutze 
im  Christenthum,  welches  die  wunderbare  Lehre  brachte  von  der  jung — 
fraulichen  Gottesmutter,  die,  wie  Walther  singt,  „Den  gebar,  der  sic=! 
schuf;    „ihr  Vater  war  ihr  Kinde,**    das  in  der  Krippe  ruhte,   „juu^ 
als  Mensch,    als   Gott  so  alt.^     Dieses   hochheilige  Wesen,    welches 
menschlich  zugleich  und  göttlich ,   die  schmerzen  reichste  auf  Erden  und 
die  allerseligste  Auserwählte  zugleich  war,  die  als  schwaches  Weib  den 
Allmächtigen  trug,    ward  als  Born   der  Gnade   aufgefasst  und  gefeiert 
als  die  ewige  Minne,  deren  Süsse  nie  endet,  als  die  lebendige  Mittlerin 
und  Ftirsprecherin  zwischen  ihrem  Sohne  und  der  sündigen  Welt. 

Der  Madonnencult  in  Bayern  ist  so  alt,  wie  das  ChristenthoD 
selbst,  ihr  zu  Ehren  wurden  die  älteste  Kapelle  zu  Fr  ei  sing  und  jeiM» 
heute   noch  so   berühmte   zu    Altötting    geweiht.     Die  einmütkigeo 


')  Panlbiiber  Gesch.  von  Ebersberg.  1847.  S.  355  ff. 

0  Lit.  Angabe  in  Weckberlin's  Beiträgeo.  1811.  S.  37  ff.  Hagen's  Gemm- 

IV.  153.  V.  143.  Gödeke  Grundriss.  $.18        .      ' 
*)  Zuerst  gedruckt  zu  Leyden.  1598.  Ausgabe  von  Hoffmano  von  P allere 

leben.  1827. 

«)  Vgl.  desshalb  Wein  hold  Die  deutschen  Franen  im  Mittelaller.  Wien  l^^- 
S.  162  fr.  Menzel  Deut.  Dichtung.  I.  258  IT. 


365 

• 1 

Naduichten  über  diese  Wallfahrt  lauten :  ^  Altötting  soll  dereinst  eine 
Stadt  gewesen  sein,  in  welcher,  an  der  Stelle  der  heutigen  Kapelle 
eiQ  den  sieben  Planeten  geweihter  Heidentempel  gestanden;  die  Bauart 
und  Gestalt  desselben  scheint  dieser  Meinung  einen  Grad  von  Glaub- 
würdigkeit zu  geben,  indem  selbe  eine  achteckige  Rotunde  bildet  und 
innen  mit  sieben  gewölbten ,  in  den  Mauern  umlaufenden  YertieAmgen 
versehen  ist^  in  welchen  die  sieben  Planeten  ihren  Sitz  gehabt  haben 
sollen«  indess  die  i^;hte  Wand  ßh  Portal  offen  blieb.  St.  Rupert  habe 
die  Götterbilder  hinausgeworfen ,  den  Tempel  zu  unserer  lieben  Frauen 
Ehre  geweiht  und  im  Jahre  696  das  heute  noch  ersichtliche  Gnaden- 
bild aufgestellt.  Die  Kapelle  wurde  912  ausgebrannt,  und  erst  1053 
durch  Heinrich  den  UI.  wieder  hergestellt,  offenbar  in  ihrer  früheren 
Gestalt,  wobei  der  alte  Grund  und  Unterbau  ganz  derselbe  blieb.  Aus 
dieser  Zeit  stanmit  das  schöne  romanische  Portal;  später,  mit  der 
Aufnahme  der  Wallfahrt  wurde  das^  Langhaus  hinzugefügt.  Ist  es  ein 
Zufall,  dass  hier  immerdar  sieben  grosse  ^ ewige ^  Lampen  brannten? 
Man  hat  die  Zahl  auf  dieSacramei!ite  bezogen;  wohl.  Aber  diese 
ewigen  Lichter  brennen  vor  dem  Madonnenbilde  und  dieses  ist  i^chwarz.') 
Dass  dieses  nicht  vom  Rauch  und  Qualm  seine  schwarze  Patina  erhal- 
ten habe,  darüber  waltet  kein  Zweifel,  da  sich  auch  anderwärts  solche 
schwarze  Madonnen  finden;  die  Kunsthistoriker  nahmen  desshalb  den 
Ausweg  und  fanden  die  Erklärung  ^im  hohen  Liede,^  wo  die  schöne 
Freundin  ob  ihrer  Ebenholzfarbe  in  schwelgerischen  Bildern  gepriesen 
wird.  Das  Problem  ist  aber  dadurch  noch  lange  nicht  gelöst.  St  Rupert 
hatte  sicherlich  keine  Zeit,  den  schwerköpfigen  Heiden  Vorlesungen 
Ober  das  hohe  Lied  zu '  geben  und  kunstsymbolische  Exegesen  und 
mystische  Deuteleien  im  gelehrten  Kathederton  zu  halten  oder  zu  schrei- 
ben; es  schien  sogar  rathsam,  die  gesunden  Barbaren  mit  dem  Preis- 
gesang  der  glühenden  Liebe  nicht  bekannt  zu  machen,  da  es  ja  die 
Glaubensboten  überall  darauf  abgesehen  hatten,  den  in  dieser  Beziehung 
nur  allzu  naturwüchsig  und  vollsäftig  ausgebildeten  Germanen  ihre 
Sinnlichkeit  etwas  zu  zügeln  und  möglichst  einzugränzen.  Das  ging 
aber  am  schwersten ,  sie  nahmen  ohnehin  noch  genug  mit  in  das  Chri- 
stenthum  hinüber  und  bürgerten  es  zuversichtlich  ein.  Es  muss  also 
ein  ganz  anderer  Grund  dafür  gesprochen  haben,  mit  der  Farbe  des 
Bildes  etwas  anzudeuten,  was  zu  dem  früheren  Heiden  selbstverständ- 
lich sprach.     Wie,    wenn  hier   früher  das  schwarze  Bild  der  Erdgöttin 


*)  Vgl.  Kopolt  Gesch.  von  Altötting.  1815.   S.  8. 

*)  Auch  zu  Teising  ist  eine  ^schwarze  Maria.^    Vgl.  Kurze  Geschichte  def 
sei.  Jungfrau  3  aria  zu  Teising.  Laudshut  1827. 


366 

• 

gestanden  hätte?  Die  Heidenapostel  änderten  an  den  alten  Chltosst&tten 
oft  nur  sehr  wenig.  Setzten  sie  ja  auch  den  heil.  Martin,  wie  er  reitend 
mit  dem  Schwerte  den  Mantel  theilt  an  die  Stelle  Waotans^  der 
ja  auch  reitend  gedacht,  dessen  Wahrreichen  der  Mantel  war  und 
der  des  Schwertes  mächtig  sein  musste. ')  Und  der  Heide,  in  dessen 
Tempel  das  Bild  des  Heiligen  an  die  Stelle  des  alten  Gottes  gesetzt 
wurde,  fand  unmöglich,  einen  grossen  Anstoss  an  der  Veräoderang, 
zumal  wenn  ihn!  bedeutet  wurde,  dass  das  Früliere  nur  der  prophe» 
tische  Vorläufer  für  die  in  der  Fülle  der  Zeiten  eingetroffene  Ver- 
heissung  sei.  So  setzte  auch  St.  Rupert  mit  feinem  Takte  an  die  Stelle 
der  früheren  Göttin  das  Bild  der  jungfräulichen  Gottesmutter,  liess  ihr 
aber  die  alte  Farbe  ihres  Prototyps,  mit  der  zugleich  alte  frflhereii 
Gnaden  in  potenzirten  Spenden  anf  den  gläubigen  Verehrer  übergingen. 
Daher  kommt  es  denn  auch,  dass  an  solchen  Wallfahrtsorten  Vieles 
mit  unterläuft,  was  mit  dem  reinen  Sinne  des  Christenthumes  unTer- 
träglich  scheint,  aber  älter  als  das  Christenthum  ist  und  so  mit  der  - 
acht  menschlichen  Natur  verwacksen,  dass  es  davon  nicht  mehr  ge — 
trennt  werden  kann. 

Eine   weitere  Analogie    finden    wir   in    unseren   Volkserzählongei^ 
von  den  Wanderungen  der  Himmlischen  auf  der  Erde,  namentlich 
in  den  Legenden  von  unserer  lieben  Frau,  die  voll  thaudufliger  Schön- 
heit glänzen')  und  Grimma  Wort  bewahrheiten,    dass  keine  aodi 
Poesie  dergleichen  aufzuweisen  habe.     So  findet  sich  unsere  liebe 
wie  Freyja  auf  der  Wanderung,    theilt  mit  Wuotan  das  Kleid,    stel^tf 
bei  der  Gebort  wie  eine  Norne   dem  Kinde  begabend  zur  Seite  oncf 
vermittelt  den  Ehesegen,  hilft  in  Armuth  und  Elend,  belohnt  reiehlicJk 
und  straft  milde,  wohnt  dann  gleich  den  Göttern  wieder  im  Berge  oder 
mit  ihrem  Bilde  im  Baume  oder  in  ihrer  goldenen  Himmelsbui^. 

Sehr  schön  und  treffend  sagt  Schönwerth  bei  dieser  Grelegenheit: 
„Waren  die  heidnischen  Germanen  in  ihrer  Naturfrische  und  unverderb- 
ten Jugendkraft  von  der  Vorsehung  berufen,  die  Träger  des  Christen- 
thums  und  der  christlichen  Weltordnuug  zu  werden,  so  waren  sie 
anderseits  durch  die  hohe  Achtung,  in  der  bei  ihnen  das  Weib  stand, 
geneigt  gemacht.  Alles,  was  ihr  Gottesbewusstsein  des  Anmuüiigeu  tmd 
Huldvollen  darbot,  auf  die  göttliche  Mutter  und  Jungfrau  zu  über- 
tragen.^ 


')  Der  schöne  Nachweis  in  J.  W.  Wolfs  Beiträgen.  I.  38  ff. 

')  Man  vergleiche  z.  B.  die  wahren  Perlen  von  Poesie,  die  Schönwerth  v"* 
der  Oberpfalz  III.  311—23  beigebracht  hat. 


867 

Der  Karien-Cult  aber  erhielt  seine  eigentliche  Blöthe  mit  den 
Kreozzügen  und  der  Entwicklang  der  ritterlichen  Kanstpoesie.  Es  ist 
die  minniglicbe  Courtoisie  des  Möndulebens  und  der  Klosterregel.  Wie 
erst  das  heitere»  fröhliche^  reiche  Treiben  der  damaligen  Ritterwelt,  die 
bante  Pracht  des  französischen  Südens  mit  lebhaften«  gl&henden  Farben, 
in  Heerfahrten  and  Kriegszügen  an  uns  vorübergeeilt  ist,  roll  Saiten- 
spieles and  Gesanges:  so  gehen  ihnen  die  Legenden  und  kirchlichea 
Sagra  zur  Seite,  eingezogen  wie  demüthige  Wallbrüder,  mit  Muschel- 
hat and  Pilgerstab,  einsam  und  allein  im  leisen  Gebete,  mit  dem  frei- 
willig armen  Leben,  allen  Freuden  der  Welt  gerne  entsagend. 

Der  Presbyter  Botho  des  Benedictinerkloster  Prieflingeu  bei 
Regensborg  hatte  bereits  im  XII.  Jahrhnndert  ein  über  de  miracolis 
St  Mariae,  eine  ganze  Sammlung  von  Marien-Legenden  gedichtet;  be- 
deutender ist  jedoch  die  ^Mariade^  des  angeblichen  Wernher  ^^toii 
Tegemsee,^  ein  Poem ,  das  früher  einfach  „drin  liet  von  der  maget*^ 
hiess,  bis  dessen  erster  Herausgeber,  der  tapfere  Oetter  (1802)  ent- 
sprechend der  Klopstockschen  „Messiade^  den  pompöseren  Titel  erfand 
■od  zugleich  den  Unsinn  in  die  gelehrte  Welt  brachte,  dass  der  Ver- 
fissser  Wernher  „von  Tegemsee^  geheissen  habe.'j 

Der  gute,  seither  Alschlicher  Weise  immer  von  Tegernsee 
zugenannte  Wernher,  wurde  als  ein  Universal  -  Genie  betrachtet 
und  Günthner  in  seiner  Gesöhichte  der  literarischen  Anstalten  in 
Bayern  und  nach  ihm  Kugler  in  einer  eigenen  Dissertation  nnd  zum 
Ueberflusse  noch  in  einer  sentimentalen  Novelle,  haben  ihm  alles  Mög- 
liche, was  damals  im  Kloster  geleistet  wurde,  zugeschrieben.  Er  soll 
nicht  nur  eine  Anleitung  zur  geistlichen  Poesie  (rhythmomachia) ,  ,^in 
lateinisches  Schauspiel,  eine  ebenfalls  lateinische  Frühlingssequenz, 
einige  deutsche  Lieder  und  weiss  Gott  was  noch  Alles  geschrieben 
haben,  weiter  sagten  sie  von  ihm,  er  sei  in  den  verschiedensten  Autoren 
gründlich  belesen  gewesen,  die  Peptinger*sche  Tafel  sei  sein  Werk, 
dazu  machten  sie  ihn  zum  Maler  und  zierlichen  Briefschreiber,  er  habe 
vorzügliche  Dintenrecepte  gewusst,  eine  nette  Hand  geschrieben,  und 
f&r  die  Bereicherung  der  Rlosterbibliothek  gesorgt  Ja  noch  mehr  wusste 
man  von  ihm  zu  fabeln:  auch  ein  sehr  feinfühliger  Staatsmann  wäre 
er  gewesen,  dabei  ein  wenig  lüderlicher  Natur,  was  man  ihm  als  Poeten 
»1  gute  halten  müsse,  überdiess  in  der  Liebe  weder  unerfahren  noch 
ganz  unglücklich;  und  wie  dann  das  Alter  kommt  da  resignirt  er  sich 


')  Des  Priesters  Wernher  driu  liet  von  der  maget.  Nach  einer  Wiener  Hand- 
schrifl  mit  den  Lesarten  der  übrigen,  herausgeg.  von  Julius  Feifalik. 
Wien  1800  bei  Gerold   XXX  u.  19S  S.  S\ 


888 

einen  Winkel  d^s  Klostergartens  mit  allerlei  wohUieehendeu  und  offici- 
nellen  Kräutern  zu  bepflanzen, 0  ^^^  er  1197  stirbt 

Die  ganze  Verwirrung  kommt  daher,  dass  dfei  M&hner  dieses 
Namens  im  Kloster  Tegernsee  lebten.  Der  eine  war  als  Künstler 
(Anaglypha)  berühmt  in  Verzierungen  mit  Grold  und  Silber,  dessgleichen 
auch  als  Glasmaler  (er  lebte  von  1068  —  1091),  ein  zweiter  versah 
die  Stelle  eines  thesaurarius  und  camerarius  (t  1199),  ein  dritter 
endlich  hat  sich  als  diaconus  und  scholasticas  in  verschiedenen  codicibos 
eingeschrieben  (t  1197).  Diesem  letzteren  schob  man  nun  grossmüthig 
nicht  nur  den  interessanten  Tegernseer  Briefcodex  mit  Allem,  was  er 
enthält  zu,  sondei-n  man  bezog  auch  alle  Andeutungen  in  den  Briefen 
jener  flandschrUl,  die  vielleicht  bis  auf  die  Liebesbriefe,  nur  als  stylis- 
tische Uebungen  zu  betrachten  sind,  auf  ihn  und  construirte  sich  daraas 
seine  vermeintliche  Lebensgeschichte.  So  wurde  Werüher  der  Dichter 
des  berühmten  Osterspieles  von  der  Ankunft  des  Antichrist,')  der  la- 
teinischen Frühlingssequenz  und  zugleich  der  deutschen  Verse,  Welche  in 
die  Liebesbriefe  jener  HandsckriH  mit  eingeflochten  sind.  Zum  Ueber* 
flusse  wollte  Docen  (der  im  Vers  1140  das  wort  ^ewangeliste^  mit 
„ewangelier^  verwechselte  und  selbes  statt  auf  Matthäus  auf  unseren 
Dichter  beziehend,  mit  diaconus  übersetzte!)  in  einem  Bruchstück 
des  Marienlebens  (welches  er  für  Wernher's  ursprüngliches  Werk  und 
für  seine  eigene  Hand  hielt)  und  in  dem  genannten  Epistolarcodex  ein 

und  dieselbe  Hand  erkennen.  >  . 

» 

Wernher  war,  wie  er  in  seiner  „Mariade, **  die  man  füglicher  die 
,jdriu  liet  von  der  maget^  nennen  sollte,  selbst  sagt,  kein  Mitglied 
eines  Klosters,  sondern  ein  Weltpriester  (v.  1136  und  4812);  über  die 
Entstehung  seines  Werkes  erzählt  er  (v.  4809  ff.),  dass  ein  Freund, 
Namens  Manigolt,  ihn  gastlich  beherbergt  und  nicht  eher  aus  seinem 
Hause  entlassen  habe,  bis  das  Gedicht,  zu  dem  er  ihm  überdiess  auch 
den  Stoff  geliefert,  vollendet  war.  Dass  der  Dichter  ein  Bayer  war,  ist 
durch  Reim  und  Sprache  gewiss ,  dass  aber  das  Gedicht  im  Kloster 
zu  Tegernsee  entstanden  sein  solle,  ist  kaum  glaublich,  ja  sogar  un- 
möglich, selbst  wenn  Wernhers  Freund  der  dortige  Abt  Manigolt  war. 
Dieser,  aus  dem  schwäbischen  Hause  der  Grafen  von  Bergen  stammend 
und  der  Bruder  des  Bischof  Dietbot  von  Passau  (1172 — 1190),  wurde 
1183  Abt  zu  Kremsmünster,  sodann  1189  Abt  zu  Tegernsee  und  dar- 
auf 1206  Bischof  von  Passau,  wo  er  auch  am  9.  Juni  (11.  Mai)  12lS 


')  Freyberg.  S.  290. 

')  Vgl.  den  späteren  Excurs  darüber  in  der  Geschichte  des  Drtm«. 


'     369 

Starb.  Wernher  dichtete  aber  sein  Werk  im  Jahre  1172^)  und  konnte 
sonach  xün  diese  Zeit  nichts  mit  Tegemsee  zu  schaffen  haben;  wahr- 
scheinlich kam  das  Gedicht  bloss  durch  seinen  edelmüthigen  Beschützer 
später  in  das  genannte  Kloster.  Vielleicht  gibt  der  Umstand  einen 
Fingerzeig^  dass  in  einer  Passauer  Urkunde  des  Bischof  Dietbald  vom 
Jahre  1 173  ein  capellanus  Wernherus  unter  den  Zeugen  erscheint.  Auch 
die  Bilderhandschrift  des  Marienlebens  in  Berlin  kann  nicht  vom  Dichter 
stammen,  da  der  Text  bereits  verdorben  ist,  die  Miniaturen  aber  gar 
nicht  zu  Wemhers  Gedicht  verfertigt,  sondern  einem  anderen  entnom- ' 
men  zu  sein  scheinen,  weil  die  auf  den  Bildern  angebrachten  Verse 
durchaus  nicht  dem  Gedichte  angehören.  — 

Wernher  arbeitete  nach  jenem  dem  Matthäus  fälschlich  zugeschrie- 
benen  Evangelium  de  nativitate  Mariac,  er  nahm  daraus  das  That- 
s&chliche  der  Erzählung,  das  er  künstlerisch  gruppirte,  weiter  ausmalte 
und  ausdeutete.  Die  Aufgabt,  die  er  sich  gestellt  hat,  ist  vor  allem 
die  Erbauung  seiner  Leser:  sein  Werk  ist  eine  ^rede,"  ein  ^buoch,** 
das  er  ^sagen  und  schrfben^  will,  es  ist  zum  Lesen  bestimmt,  man 
soll  es  abschreiben  und  weiter  senden;')  er  fügt  an  dl«  Erzählung  inuner 
die  geistliche  Auslegung  (diu  bezeichenunge)  wie  in  der  Predigt,  er 
denkt  sich  dabei  seine  Leser,  besonders  die  Frauen,  .als  Hörer  dieser 
Predigt')  und  spricht  sie  ganz  im  Tone  einer  solchen  an  mit  ^mtniu 
k.int,  ir  liebe  alle  sant;^  vorzügliches  Gewicht  Legt  er  vor  Allem 
Aof  die  Wahrheit  dessen,  was  er  erzählt  und  daher  kommen  dann  die 


')  In  Folge  einer  unrichtigen  Berechnung  wurde  früher  das  Jahr  1173  häufig 
angegeben;  Wernhef  sagt  (v.  4862  fT.),  er  liabe  seine  Lieder  gedichtet,  als 
Kaiser  Friedrich  I.  gegen  Polen  zog.  Diesen  Zug  setzte  man  auf  1173,  wäh- 
rend er  in  der  That  inV  Jahr  1172  fällt;  so  stimmt  diese  Bemerkung  Wem- 
hers  genau  zu  den  unmittelbar  vorangehei^den  Zeilen,  wo  er  das  13.  Jahr 
nach  dem  Ausbruche  des  Schisma  (1159,  also  1172)  als  das  Jahr  der  Ab- 
fassung seines  Gedichtes  angibt.  Auf  dasselbe  Jahr  führt  eine  andere  Stelle 
(v.  4^6  f.),  welche  nur  in  der  am  wenipten  verdorbenen  HS.  (im  Archive 
des  deutschen  Ordens  zu  Wien)  steht  und  in  Mjelcher  der  Dichter  die  Voll- 
endung seines  Werkes  in  das  zweiundzwanzigste  Regierungsjahr  Friedrichs  I. 
(erwählt  1150)  setzt.  Ueberdiess  ni»nnt  Wernher  das  Jahr  1172  ausdrücklich 
in  einer  durch  den  Reim  gesicherten  Stelle  (v.  4809),  welche  zwar  in  der 
Berliner  HS.  fehlt,  aber  doch  auch  in  den  Fragmenten  erhalten  ist,  die 
Moue  zu  St.  Peter  im  Schwarzwalde- auf  einer  aus  Nürnberg  stammenden 
HS.  fand.  Vgl.  Fcifalik  S.  XXIII. 

*)  Dass  dieses  auch  fleissig  geschah  und  wie  sehr  man  es  in  Ehren  hielt,  be- 
weisen die  in  wohlmeinender  Weise  verschönerten  und  mit  Bildern  ausge- 
statteten Abschriften;  Feifalik  citirt  auch  ein  altböhmisches  Marienleben, 
das  so  auffallende  Uebereinstimmungen  mit  Wernhers  Dichtung  zeigt ,  dass 
es  nach  diesem  gearbeitet  sein  muss. 

')  Im  Mittelalter  kam  es  auch  vor,  dass  gereimte  Lebenden  auf  der  Kanzel  ge- 
lesen wurden  .  vielleicht  ein  Nachklang  jener  Practik  der  alten  Heidenapostel, 
die  oft  gezwungen  waren,  die  Märe  vom  Evangelium  zu  singen,  um  die 
starrköpfigen  Heiden  zu  gewinnen. 

24 


370 

Drohungen  gegen  die  Verächter  dieses  Baches  und  die  Verheissungen 
und  Versprechungen  für  jene,  welche  es  in  Ehren  halten.')  Daneben 
ist  auch  auf  die  Unterhaltung  sein  Augenmerk  gerichtet,  er  will  ein 
Epos,  ein  geistlichejs  Epos  (diu  geistlichen  liet)  dichten,  er  will  wirklich 
^sagen  unde  singen,^  desswegen  nennt  er  auch  jeden  der  drei  Theile 
seiner  „rede^  ein  „liet,^  und  daher  kommt  auch  der  Titel,  den 
Wemher  seinem  ganzen  Werke  gibt,  indem  er  es  ^driu  liet  von  der 
maget**  (v.  4870)  und  ^driu  liet  von  unser  vrouwen''  benennt. 

Der  Dichter  ist  sich  seines  Zweckes  nicht  allein  wohl  bewusst,  er 
hat  auch  einen  klaren  Plan  för  die  künstlerische  Anordnung  des  Stoffes; 
das  erste  Lied  (v.  1 — 1124)  berichtet  von  den  Eltern  der  Jungfrau; 
hier  ist  er  noch  steif  und  ohne  absonderliche  Eigenthümlichkeit ;  er  hält 
sich   so   treu  an   seine  Quelle,    dass  kaum  einige  deutsche  Zuge  zum 
Vorschein  kommen  z.  B.  wie  Anna  auf  einem  Berge  vor  dem  Burgthore 
auf  ihren  Gemahl  Joachim   wartet,    der  mit  seiner  Schaar  über  Feld 
geht  (v.  870).  Der  Dichter  erwärmt  erst  allgemach  im  zweiten  Liede 
beim  Jugendleben  der  heil.  Jungfrau.    Dreijährig  und  ohne  sich  umzu- 
sehen, geht  Math   zum  Tempel,    wo  auch  Töchter  von  Königen  und 
Herzogen  erzogen  wurden  (v.  1474);  keine  Frau  kann  so  viel  Leinwand 
und  Seiden  weben,  wie  das  Kind  spielend  vollbrachte.     Jeden  Morgen 
bis  zum  Imbiss   betet  sie,    dann   half  sie  den  Frauen  wenn  sie  an  ihr 
Werk  sassen  bis   zur  None,   dann  las  sie  vor  dem  Altar  den  Psalter 
bis  zur  Vesper;    Gabriel  brachte  ihr  täglich   das   Himmelsbrod,    alle 
Speise  aber  gab  sie  den  Armen.    Hätte  der  Dichter  auch  ^eine  zunge 
diu  sam  ein  wäfen  chlunge,^  so  könnte  er  doch  nicht  sagen,  wie  herr- 
lich die  Magd  sich  entfaltete.    Ein  vornehncier  Herr  will  sie  flir  seinen 
Sohn  gewinnen  und  bietet  ihren  Genossinen  Silber  und  rothes  Gold  und 
edel  Gesteine,  wenn  sie  das  Kind  seinem  Sohne  geneigt  machen  könnten. 
Nun  dringt  auch  der  „pyschof*'  auf  ihre  Vermählung,   ihre  Weigerung 
soll  ein  Gottesgericht  entscheiden.     Alle  Unverheiratheten  werden  vor 
den  Tempel  entboten,  «ie  erscheinen  „mit  pfelltnen  wat  und  rtchlich  ge- 
zieret, igellcher  mit  stnem  geverten.    si   brähten  alle  gerten.**     Dabei 
erschien  auch  durch  den   Befehl   gezwungen    „ein  grfser  man,    JosSp 
genant:  der  was  ein  witewaere  alt  unde  swaere,  bloede  sines  libes,  der 
gerte  niht  wibes.  der  brähte  ein  chleinez  gertelm  durich  die  gehorsam 
sfn.*'    Am  ^frithoP  warten  sie  auf  das  Ordal.  Wie  Joseph  die  aufge- 
blühte Gerte   empfangt,    hebt  sich  eine  Taube    „ein  vil   wünneclicher 


*)  So  heisst  e^  i.  B.  v.  2545  dass  in  keinem  HBUse,  wo  die  hl.  Jungfrau  und 
dieses  ihr  Lohgedichi  in  Ehren  gehalten  werde^  je  ein  krummes  oder  blindes 
Kind  zur  Welt  komme,  noch  enie  Seele  ewiglich  verloren  gehen- könne. 


871 

rogel"  davod  in  die  Höhe;  der  zitternde  Mann  (pideminde  man)  niuss 
sich  auf  eine  Krügge  lehnen,  so  bittet  er  den  Bischof  ihn  seines  Alters 
mhig  geniessen  za  lassen;  vergeblich  schlägt  er  einen  seiner  Söhne  vor 
and  verspricht  dem  ^iliagedine^  dann  Mahlschatz  (inahelschatz)  zu 
geben.  Maria  aber  wird  acht  deutsch  in  den  Ring  geführt,  da  steht 
(wie  der  Dichter  mit  reizender  Einfachheit  sagt)  da«  Mägdelein  wie  auf 
der  grünen  Wiese  eine  Blume,  die  aus  einem  Dom  leuchtet,  Zähren 
fallen  ihr  ^von  den  wangen  üf  die  wät**  und  die  Worte  der  schönen 
Lilie  (lilye)  sind  gar  inniglich  beweglich  (v.  1823  —  64).  Joseph,  der 
obgleich  hochbejahrt,  doch  seines  Geschäftes  wegen  noch  weit  reiten  und 
fahren  (v.  1886)  muss,  übergibt  die  Magd  fiinf  zuverlässigen  Frauen*) 
zu  Hut,  Wart  und  Pflege,  mit  ihnen  geht  sie  nach  Josephs  Herberge 
zu  Caphernäum,  das  am  Meere  gelegen.  Joseph  ist  ein  Schiffzimmer- 
mann, er  versteht  ^schef  und  gallen**  wohl  zu  bereiten.^)  —  Die 
„templi  pontifices^  bedachten  indess,  warum  die  sechs  Magedin  also 
müssig  sein  sollten  und  sandten  „den  edelen  wfben  purpur  unde  siden; 
varbe  maiiiger  hande  si  in  oudi  dar  sanden  zuo  dem  chirchgeruste,  so 
st  werches  gelüste,  daz  si  des  begunden  so  si  beste  chunden.  die  priester 
sanden  ouch  dar  wol  'gepursten  bar  (Flachs) ,  daz  st  den  spünnen  ze 
der  chirchen  gezierde  unt  wünne.  dö  wart  ir  strit  gröz;  die  vrouwen 
würfen  ir  löz,  welihen  purper  unt  die  sfden  nnder  in  soldeh  beliben,  üf 
swelich  daz  löz  quaeme,  daz  sr  daz  beste  naeme,  unde  dar  an  worhte: 
den  ruhen  har  si  vorhten.  Dö  geviel  daz  löz  üf  daz  kint,  von  dem  alle 
vrouwen  sint  gezieret  unde  gesegenöt,  daz  ir  siden  grüene  unde  röt  in 

0 

ir  banden  beliben.  also  sach  man  si  gesigen,  daz  diu  ander  schar  muoste 
spinnen  den  har.  daz  beleip  niht  äne  nit.  daz  verweiz  in  der  engel  sit, 
daz  si  dehein  unminne  böten  gerf  der  ^üniginne,  wan  si  von  rehter 
schulde  böte  gotes  hulde.*'  (v.  2022.)  Unnachahmlich  zart  ist  die  Ver- 
kündigung des  Engels,  die  in  Nazareth  geschieht,  das,  wie  im  Heljand, 
als  Burg  gedacht  ist.  Das  Mägdelein  ist  unwissend  wie  ein  Kind  und 
begreift  in  holder  Unschuld  nicht  die  ungeheuere  Grösse  dessen,  was 
der  Engel  ihr  verkündet,  dei*  voll  unaussprechlicher  Ehrfurcht  sie  belehrt. 
Man  glaubt  ganz  ein  altes  Bild' vor  sich  zu  sehen,  wie  es  die  späteren 
gaten  Meister  gemalt  haben.  Dann  folgt  der  Besuch  bei  der  „niftel 
ElyzJabötb,^  die  aach  auf  einem  Berge  sass;  eine  scharfe  Strasse  mit 
harten  Steinen  führt  dahin;  Maria  „kuste  die  hüsvrouwen  mit  lachinden 
OQgen  unt  mit  lüter  minne.  die  mit  der  küniginne  wären  dar  gegangen. 


*)  Maria  darf  sich  selbe  auswählen,  sie  heissen  Rachel,  Rebeki,  Sephorä,  Abi- 
g§d  und  SQsanne. 

^)  V.  1956  und  2598:    er  lehrte  ^stne  iunger  zimbern  gröze  kiele  daz  si  niht 
zevielen.^ 

24* 


3?2 

die  wurden  ouch  wol  enpfangen.''  Das  dritte  Lied  (v.  2579 — 4912) 
erzählt  die  Bosheit  der  Juden ,  als  ihnen  die  göttliche  Maere  von  dem 
Horte,  den  Maria  trug,  bekannt  ward,  schon  freuen  sie  sich  das  Paar 
zu  steinigen,  wenn  das  Got;tesgericht  ergangen:  siebenmal  wird  Joseph, 
nachdem  er  das  gesegnete  Wasser  (aqua  zelötipie  oder  aqua  potaciönis 
V.  2889  und  2929)  getrunken,  um  den  Altar  geführt,  aber  er  bleibt 
gesund  und  ebenso  besteht  die  Wunderbare  Jungfrau  das  Ordal  zum 
Staunen  der  Judenleute.  Darauf  wird  das  Ausschreiben  des  Augustus 
erzählt  unÖ  wie  alle  „fiwersmide  spieze  unde  sper  verslnogen**  damit 
ein  „chrefliger  fride**  bleibe  in  allen  Reichen;  die  Reise  nach  Bethle- 
hem wird  erzählt  und  wie  dort  in  einem  Steine  (in  einer  Höhle)  der 
Gottessohn  zur  Welt  kommt  Arme  Leute,  die  ^gröze  kolben  unde 
bogen  ^  tragen  und  des  Viehes  pflegen,  erfahren  zuerst  die  Gnadenbot- 
schaft; sieben  grosse  Zeichen  geschehen  an  diesem  Tage  (in  ChrisÜ 
nativitAte).  Acht  Tage  darauf  Hess  sich  der  kleine  Krist  ^besniden^ 
und  darum  sollen  wir  „twingen  unde  zamen  des  libes  gelust  in  sinem 
namen.^  Eine  gar  schöne  Episode;  bildet  die  Ankunft  der  heil,  drei 
Könige :  In  derselben  Zeit  waren  in  der  Gegend  von  ^Kaldeä  drie  edele 
künige  uf  einem  tagedinge^  um  gütiglich  unter  einander  die  Grenzen 
ihrer  Reiche  auszumachen:  ^dö  kom  der  gotes  steme  mit  micheler 
chrefte^  und  die  Könige  verstanden  „daz  in  der  schepfaere  dk  mit  ge- 
kündet waere.  zuo  der  verte  was  in  gäch.  dromedarft^s  si  gewunnen,  die 
helde  sich  üf  swungen;  daz  zeichen  (wistuom  v.  3928)  flior  in  allez 
vor,**  und  gab  ihnen  durch  die  bi'eite  Welt  das  Geleite.  Bei  ihrer  An- 
kunft zu  Jerusalem  erzählen  die  ^mägi^  dem  Herodes,  wie  dass  sie  um 
„daz  kindeP  heimzusuchen  ferne  hergefahren  vom  Ende  der  Welt  (wir 
sin  gevarn  verren,  da  diu  werft  hat  ende).  Sie  finden  darauf  das  Kind 
und  bringen  ihm  mit  Lobe  und  Gesänge  ihre  Opfergaben,  die  auch 
symbolisch  gedeutet  werden:  „der  eine  truok  in  der  haut  ein  goltmesse') 
wol  gebraut;  da  mit  bedüte  er  die  kraft  unt  sin  höhe  herschaft,  der 
ander  gab  den  wirouch,  für  unsem  herren  kniet  er  ouch;  da  mite  uns 
kunt  wart,  daz  er  waere  ein  ewart.  der  dritte  hin  für  gähte,  mirren  er 
dem  kinde  brähte;  dd  bezeiget  er  mite  sineu  tot,  wan  e  was  site,  swft 
man  toten  begniob,  daz  man  die  mirren  dar  truog.  dd  mit  si  sine  gäete, 
sinen  gewalt,  sin  diemüete  habent  wol  beslozzen,  das  habent  si  wol 
genozzen.^ 

Der  Dichter  fügt  seiner  Erzählung,  ganz  im  Predigertone,  allemal 
gleich  eine  Auslegung  hinzu,  ebenso  wie  wir  die  Deutung  der  Evangelien 
bei  Bruoder  Berhtold   von  Regensburg  sehen.     Maria  opfert  beim 


•  • 


')  messe  ein  unbekanntes  Gewicht  oder  gollmasse  =  Goldklumpen. 


873 

Kirchgang  eine  grosse  Kerze  und  zwei  Turteltauben,  das  bedeutet:  „ez 
sulen  unser  sinne  sain  die  kerzen  brinnen  in  geistlichem  flure  und  unser 
sele  ze  sdure  sule  wir  wesen  alle  sam  diu  tübe  äne  galle;  so  wirt  uns 
gegeben  daz  ^wige  leben,  daz  wir  danne  beschouwen  äne  ende  mit  der 
vrouwen.*  —  Ganz  ausführlich  ist  der  Kindermord  geschildert.  Wie  die 
Maere  geflogen  kam,  dass  Herodes  von  den  Königen  betrogen,  begann 
er  vor  Leide  wie  wüthig  zu  schreien,  er  liess  ihnen  nachreiten  und  alle 
Kinder  ^swaz  mannes  bilde  hete^  um  Bethlehem  tödten.  Joseph  aber, 
von  einem  Engel  geleitet,  entfloh  mit  der  Mutter  und  dem  Kinde  ^verre 
in  Egyptum  under  die  heidenische  diet.^  Herodes  aber  ^dertumbe  hiez 
do  rennen  umbe,  die  sinen  wüetriche  hiez  er  grimmecliche  diu  degen-i 
kint  Verliesen,  swd  si  möhten  kiesen  die  bi  zweien  iären  von  ir  muoter 
komen  wären,  a  bymätü  et  infrä.  —  Die  boten  sich  üf  swungen,  in  die 
pnrch  si  drangen  diu  Bettlehem  was  genant;  si  taeten  freise  bekant 
mit  grimmegem  hazze .   si  liefen  in  die  gazzen ,  diu  swert  si  enbarten 
Centblössten),  den  herten  tot  si  garten:  si  raktens  bi  den  vahsen  (Haaren) 
diu  kint  ungewahsen,  diu  houpt  si  in  abe  sluogen..  —  si  liefen  ze  wette 
von  bette  ze  bette,   von  flure  ze  flure  in  der  purkmüre  in  selben  ze 
schänden,  si  traogen  an  ir  banden  diu  pluotegen  wäfen,  rehte  alsam  ze 
den  schäfen  die  wolfe  zuo  springent  unz  si  si  nider  bringent :  also  tobe- 
ten   die  diebe  ir  herren  ze  liebe."  —    Arme  und  Reiche  wurden  er- 
schlagen:   ^si  gedähten  an  des  küniges  wort,   mit  flize  stiften  si  daz 
mort;  si  zukten  si  ze  fluste  den  müetren  ab  der  brüste,  si  polten  an 
die  wente  die  füeze  und  ouch  die* heute.  —  do  weinten  vil  genöte  die 
müeter  die  dai:  sähen,   si  begunden  sich  roufen  unt  slahen.  des  sint  si 
nü  gesellen  des  tiefeis  in  der  helle.*'  Herodes  aber  begann  so  zu  siechen 
^daz  üf  den  petteziechen  swebte  pluot  unde  wark  (Eiter);  diu  suht  sich 
niht  verbark  diu  im  den  lip  schütte.''  £s  stank  der  unwerthe  Mann  an 
allen  seinen  Gliedern,    ^mit  den  nagelen  zarte  er  sine  Mt;   die  wisen 
arzate  künden  im  niht  geraten  mit  würzen  noch  mit  salben ;  er  prach 
sich .  allenthalben  üzen  unde  innen ^    endlich  brach  er  in  Tobsucht  aus 
und  erflel  sich  von  einem  Wendelsteine.  0  So  ftihr  er  in  die  Hölle,  wo 
er   ewiglich  brennen  muss.  —     Von   nun  an   eilt  der  Dichter  flüchtig 
darch   das  ganze  Leben  Jesu.     Der  grosse  Gegensatz  von  Sünde  und 
Erlösung,  Teufel  und  Gott,  ein  Ringen  und  Kämpfen  der  weltgebieten- 
den Mächte  bildet  den  Hintergrund,  von  dem  sich  die  magdliche  Gestalt 
Mariens  voll  Demuth  und  Liebreiz  wie  eine  zarte  Idylle  abhebt.  Möchte 
^daz  heilige  magedin  unser  forspreche^  sein  (v.  4790  ff.)  ^nü  geruoche 


')  Wendelstein  =;  Schnecke,  turris  in  quam  per  circuitum  ascendilur,  Wendel-  ' 
treppe. 


874 

si  anser  potschafb  bringen  fUr  die  gotes  chraft;  der  si  niht  venihet, 
wan  er  si  hat  gewibet  und  gesegent  ob  allen  wiben  mit  sin  selbes  übe. 
wir  sitzen  oder  st^n,  in  ir  helfe  snl  wir  gen,  wir  trinchen  oder  ezzen, 
wir  sulen  ir  niht  vergezzen,  wir  slafen  oder  wachen  wir  snlen  an  allen 
Sachen  die  höhen  nnt  die  reinen  flogen  unde  meinen , ,  daz  si  in  dem 
himilriche  den  engein  uns  geliche,  daz  wir  si  loben  da  in  etemmn  et 
ultra.  ^  Zum  Schluss  erzählt  Wernher,  wie  er  dazu  gekommen  sei, 
diese  drei  Lieder  zu  dichten,  was  wir  bereits  Eingangs  erwähnt  haben, 
ef  legt  uns  die  Liebe  zu  Gott  noch  warm  an's  Herz  und  beschliesst 
mit  unnachahmlicher  Fröhlichkeit: 

„nä  ruofet  in  inrechlichen  an, 

swanne  sin  muoter  in  an  uns  man, 

daz  er  uns' eilenden 

sine  helfe  geruoche  senden 

unt  sine  engelische  schar, 

diu  uns  leite  unde  bewar 

und  uns  bringe  an  die  stat 

ubi  cum  pätre  regnat 

et  spiritü  paraclitö, 

daz  unser  stimme  vil  frö 

müeze  singen  immer  me  ' 

Gloria  tibi  domine!'* 

Das  Urtheil  MenzeTs  ist  ganz  trefifend,  wenn  er  sagt  (I.  270): 
^Das  Gedicht  hat  noch  eine  gewisse  Schlichtheit  und'  Strenge,  es  ist 
noch  nicht  so  durchsüsst  und  blumenreich  wie  die  späteren,^  Man  sieht 
deutlich,  es  ist  noch  nicht  lange  her,  dass  die  Sprache  von  der  Alli- 
teration sich  "losgerissen,    und  es  ist  hier  der   muthige   und   glückliche 
Versuch,  sich  ausserhalb  der  Kirchenlätein-Sprache  auf  eigene  Füsse  zu 
stellen.     Die  Form  und  namentlich  der  Reim,    der  noch   die  UnvoU' 
kommenheiten   des  XII.  Jahrh.  zeigt  und  sich  manchmal  mit  blosser 
Assonanz  zufrieden  gibt,  haben  sich  noch  nicht  zur  Feinheit  der  ho&^. 
sehen  Metrik  durchgerungen.    Das  Werk  ist  trotz  der  Ueberarbeitaog 
unserer  höchsten  Anerkennung   und  Bewunderung  würdig,   es   ist  ei^ 
kunstvoll  angelegtes,  wohlgegliedertes  und  durchdachtes  Ganze.  Die  Et" 
Zählung  ist,    wie  Feifalik  (dem  wir  die  eingehendste  Untersuchui'^^ 
über  dieses  Gedicht  und  eine  trefüiche  Textausgabe  verdanken)  bemer^^ 
einfach  und  klar,  voll  naiven  Glaubens  und  voll  inniger  Hingebung  ^^^ 
das  Geschehene ;  obwohl  wir  uns  in  einer  ganz  wunderbaren  Welt,  unt>^^ 
lauter  ausserordentlichen  Begebenheiten  befinden,  so  erscheint  uns  dc^'^ 
alles  ganz  naturgemäss  und  wahrhaftig,    denn  der  Dichter  weiss  c^^^ 


375 

^ « 

massYoIlem  Takte  seine  Wandergeschichten  zu  wählen  und  sie  mit  kind- 
licher Gläubigkeit  vorzutragen:  So  unterscheidet  er  sich  auf  das  vor- 
theilhafleste  von  den  späteren  Dichtern  mit  ihrem  unleidlichen  Schwulste 
und  mit  ihren  stammelnden  Liebkosungen  deV^  Jungfrau,  mit  ihren  ge- 
häuften wunderbaren  und  wunderlichen  Begebenheiten  und  scholastischen 
Erörterungen. 

Ein  merkwürdiges  Seitenstück  dazu  bildet  das  Marienleben  des 
Bruder  Philipp,  welcher  in  der  zweiten  Hälfte  des  XIII.  Jahrh.  in 
der  steyrischen  Karthause  Seiz')  lebte  und  dichtete.  Auch  dieses  ist, 
nach  den  Handschriften  zu  schliessen,  schon  frühe  bei  uns  in  Bayern 
bekannt  und  viel  gelesen  worden.')  Die  Münchner  Bibliothek  allein 
besitzt  sechs  Handschriften  davon,  ein  dem  XV.  Jahrh.  angehöriges 
Bruchstück  zeigt  von  einer  HS.,  die  vielleicht  in  der  bei  Augsburg  ge- 
legenen Earthause  Buxheim  geschrieben  wurde. 

Beide  Werke,  das  des  Kartheuser  Philipp  und  jenes  Wemher's, 
sind  zwar  der  heil.  Jungfrau  bestimmt,  allein  Bruder  Philipp  berichtet 
ihre  völlige  Lebensgeschichte  bis  zu  ihrer  so  rührend  geschilderten 
Himmelfahrt,  da  Wemhers  Plan  nur  bis  an  die  Geburt  des  Heilandes 
reicht;  die  Erzählung  des  bethelehemischen  Kinderraordes  war  bloss 
durch  die  Erscheinung  der  Magier  motiviert,  bei  der  Flucht  und  dem 
Aufenthalt  in  Aegypten  werden  keine  von  den  vielen  Wundern  und 
Zeichen,  die  Philipp  hat,  berührt;  statt  ihrer  werden  am»  Schlüsse  des 
Gedichts  nur  noch  die  Erscheinungen  erzählt,  die  bei  der  Geburt  des 
Heilands  sich  zutrugen.  Das  zeigt  unstreitig  von  Wernhers  Einsicht; 
die  Reise  der  heil,  drei  Könige  und  der  Kindermord  schlies$en  sich  aiu 
nächsten  an  Christi  Geburt  an ,  die  Begebenheitep  auf  der  Flucht  ge- 
hören schon  mehr  seinem  Wandel  auf  Erden  an,  der  von  Wemhers 
Plan  ausgeschlossen  war.  Bei  Philipp  stellt  das  Qanze  eine  gleich- 
massig  fortgehende  Erzählung  dar,  die  ihre  Unterscheidungszeichen 
gewissermassen  nur  in  Rubriken  hat,  Wernher  eignet  sich  mehr  zu 
einem  Panegyriker,  vielmal  tritt  er  aus  der  Erzählung  in  bewundernde 
Lobpreisung  heraus;    Ja  sein  Gedicht  zeigt  sogar  eine  mehr  künstleri- 


*)  Sie  ist  die  älteste  Karlhause  in  Deutschland  und  schon  1163  gegründet. 

^)  A retin  Beitr.  1806.  7  St.  S.  66  ff.  Roth  Dichtungen  des  deut.  Mittelalters 
1845.  S.  149.  Ausgabe  von  Rückert  im  34.  B.  der  Bibl.  der  deut.  Nat.  Lit. 
Quedlinburg  1858.  übersetzt  von  W.  Sommer.  Münster  1859.'  Doss  Bruder 
Philipp  ein  Steyrer  war,  lasst  sich  nicht  beweisen,  er  dichtete  hier  bloss, 
seine  Heimath  war  wahrscheinlich  in  Mittel-  oder  Nordostdeulschland ;  er 
widmete  seine  Arbeit  "den  Deutschen  Herren  in  Preussen.  Vgl.  K.  Wein- 
hold Mittheilungen  des  histor.  Vereins  für  Steiermark.  1857.  VII.  S.  181. 
Philipp  arbeitete  nach  der  vita  B.  Mariae  virsrinis  et  Salvatoris  roetrica.  V^l. 
Massmahn  Heidelberger  Jahrb«  1824.  S.  1184, 


376 

sehe  Bildang,  als  das  Philipp*sche,  es  ist  in  drei  Lieder  abgetheilt,  hat 
einen  lebhafteren  Schwang  und  eine  glänzendere  Sprache ,  doch  ist 
Philipp  in  seiner  einfachen  Darstellung  ebenso  anschaulich,  man  erkennt 
leicht  die  Einfalt  und  Ruhe  der  alten  Maler  darin,  wie  ein  milder  Glanz 
schwebt  der  fromme  Sinn  des  Dichters  über  das  Ganze,  nur  die  stillen 
Scenen  zu  beleuchten.*)  Denn  man  darf  hier  nicht  die  strahlende  Welt 
der  Handlungen  und  Leidenschaften  der  antiken  Poesie  erwarten,  aber 
auch  ebenso  wenig  die  trübe  Schwermuth  Ossianischer  Klagen.  Nor 
stille  Freude  und  leise  Sehnsucht  umfängt  das  reine  Bild,  welches  un- 
sere Vorfahren  in  Herz  und  Sinn  begleitete  auf  der  Ungewissen  Fahrt 
zu  Christi  Grabe  und  dort  auch,  wo  weltliche  Ehre  in  ritterUehen 
Kampfspielen  zu  erringen  war. 

Von  Mariae  Himmelfahrt   (unser  vrouwen  hinvart)  erzählt  Kon- 
rad von   Heimes  fürt    um  das  Jahr  1210  nach   einer   lateinischen 
Quelle,    mit  fromnaer  Wärme,    ohne  sich  in  Einzelheiten  zu  verlieren, ^^ 
dazu  in  der  gewandten  Form  und  ifast  ganz  in  den  reinen  Reimen  der:^  ^r 
höfischen  Poesie;   Einiges  scheint  sogar  mit  Gottfried's  Antithesenspief^^sel 
wetteifern  zu  wollen.')     Konrad   war   ein  Geistlicher  aus  dem  ottingi — ^- 
schen  Dorfe  Heimesfuit,  Heimenesfart,  nun  Hainsfahrt.     Pfeiffer  glaub^ci^t 
ihm  auch  die  „Urstende^*)  zuschreiben  zu  müssen.     Ist  Wackernagel  ^^Els 
Vermuthung  gegründet,    dass   der  von  Heimsfurt  und  Fussesbrun 
ein  und  dieselbe  Person  sei ,  *)    dann   fiele  ihm  auch   das   ungeheue 
P a s s,i 0 n a  1  und  das  liebliche  Büchlein  von  der  Kindheit  Jesu  z 
—  Die  in  den  achtziger  Jahren  des  XIII.  Jahrh.  entstandene  Golde 
Schmiede    des    Konrad    von    Wirzburg*)    besitzt  die  Münchn 
Bibliothek  in  zwei  Handschriften  von  1350  und  1360.    Mit  einem  na 
liegenden  und  später  noch  häufiger  gebrauchten  Gleichniss  stellt  er  si 
als  einen  in  seiner  Werkstätte  arbeitenden  Schmied  dar,  aber  er  schmi 
det  nicht  gemeines  Eisen  im  Feuer,  er  bearbeitet  als  ein  kunstreich 
Mann  edles  Gold,  und  das  Gleichniss  wird  erweitert,  indem  er  die  zxuM^ 
Vortrage  der  Dichtung  nöthigen  Glieder  des  Leibes  sein  Werkzeug  uk:»-^ 
die  Zunge  seinen  Hammer  nennt.   So  arbeitet  er  ein  Lobgedicht  auf  Ä-^c 
Jungfrau  Maria,  welches  ihre  Eigenschaften  und  Tugenden  verherrlicl::^^ 
und  in  so  weit  ein  religiöses  Lehrgedicht  ist,  als  es  zugleich  versucft^^ 


')  Vgl.  Docen  Mise.  IL  65-98  u.  103-108. 

')  Pfeiffer  in  Haupfs  Zeitschrift.  VIII.  156—200. 

>)  Gedruckt  in  Hahn  Gedichte  des  XII.  und  Xlll.  Jahrh.    Quedlinburff 
S.  108-128. 

')  Wackernagel  Lit.  Gesch.  S.  161.  Anmerk.  51  u.  S.  170. 

*)  Herausgeg.  von  W.  Grimm.  2.  Aufl.  1840. 


I 

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377 

die  'höchsten  Mysterien  des  christlichen  Glaubens  in  Bildern  and  Sym- 
bolen auszudrücken.  Dieses  sind  die  Edelsteine,  die  der  Dichter  in  ein 
Schatzkästlein  sammelt,  oder  zu  einem  schimmernden  Geschmeide  in 
das  Grold  seiner  Rede  fosst,  wie  Betkügelchen  an  einen  Rosenkranz. 
Sie  sind  in  willkührlicher  oder  zufalliger  Ordnung  litaneienartig  anein- 
andergereiht; er  sagt  wenig  vom  Leben  der  heil.  Jungfrau,  dessgleichen* 
erwähnt  er  schliesslich  nur  kurzes  von  dem  Tode  Christi. 

Mit  einem  aufrichtigen  Bedauern,  hinter  dem  nur  seine  billige 
Eitelkeit  versteckt  ist,  klagt  er,  seinem  Gegenstand  nicht  gewachsen  zu 
sein  und  doch  hofft  er  heimlich ,  seinen  Vorgänger ,  den  angeblichen 
Gottfried  von  Strassburg,  zu  überflügeln.  Obwohl  Konrad  im  klang- 
reichen  Silbenmaass  zurückbleibt,  so  verdient  er  doch  insoweit  den 
Yorzug,  als  er  sich  der  tändelnden  Wortspiele  enthält;  trotzdem  lässt 
er  kalt;  ihm  fehlt  die  Wahrheit  Walthers. 

Kbnrads  Bilder  und  Gleichnisse  sind  nicht  von  seiner  Erfindung, 
er  hat  nur  eine  vielhundertjährige  Tradition  verarbeitet,  die  aus  der 
hl.  Schrift,  oder  aus  auffallenden  Erscheinungen  der  Natur  und  aus  den 
Kirchenvätern  schöpfte;  die  Hauptschwere  beniht  auf  der  üeberzeugung, 
dass  das  neue  Testament  in  dem  alten  vorgebildet  sei.  So  bringt  er 
der  Hauptsache  nach  Alles  in  kurzen  Beziehungen  vor,  wie  die  mittel- 
alterlichen Dramen  und  das  Ammergauer  Passionsspiel  heute  noch  mit 
den  stummen  „Vorbildern"  thun.  Das  gibt  bisweilen  die  tiefsinnigsten 
GleichnisBe,  die  beziehungsreichsten  Darstellungen,  dann  aber  wieder 
das  Abgeschmackteste  und  den  reinsten  Zopf. 

Wir  sind  nun  an  der  Gränze  angelangt,  wo  Dichtkunst  und  prunk- 
hafte Raritäten  und  Schaustücke  in  einander  übergehen.  Dazu  gehören 
die  im  XII.  Jahrhundert  entstandenen  Wanderungen  durch  Himmel  und 
Hölle,  welche  der  Regensburger  Presbyter  Alber  verfasste,')  ferner  das 
Büchlein  von  der  Tochter  Sions,  welches  der  Franziskaner  Lam- 
precht zu  Regensburg  in  der  zweiten  Hälfte  des  XIII.  Jahrh.  dichtete; 
Den  Sänger  hatte  in  der  Jugend  des  Teufels  Rath  zu  wüsten  Leben 
verführt:  xla  riss  ihn  die  Gnade  zurück  und  er  lief  in  den  Port  des 
Klosterlebens  ein.  Den  San'^  widmete  er  dem  Provinzial  Bruder  Ger- 
hard, der  ihm  auch  den  Stoff  dazu  gegeben  hatte.")  Es  trifft  mit 
dem  (wahrscheinlich  älteren)  Gedichte,  welches  0.  Schade  herausge- 
geben und  S  im  rock  übersetzt  hat,')  stellenweise  merkwürdig  überein. 


')  Habn  Ged.  des  XII.  u.  XIII.  Jahrb.  S.  41-66. 

<)  0.  Schade  daz  biioehlin  von  der  tobterSyon.  Berlin  1849.  S.  13.  Welker 
Heidelb.  Jahrb.  1816.  S.  714    17.   Hoffmann  Fundgrul)en.  I.  307-17. 

*)  Bonn  1851.  —    Das  Gedicht  vom  Franziskaner  Lamprecbt  von  Regensburg 
kannte  noch  Pütrich  von  Reicherzbausen.  Str.  113. 


378 

SO  dass  dieselbe  lateinische  Quelle,  wo  nicht  gar  genaue  BekanntAohaft 
mit  dem  Mhefen  Werke  vorauszusetzen  ist. 

Hieher  rechnen  wir  auch  die  Legenden  vom  Leben  der  Väter,') 
ein  Leben  Christi,')  in  einem  Bruchstück  von  540  Versen  er- 
halten, das  zwar  der  Handschrift  nach  aus  deih  XIV.  Jahrhundert 
'stammt,  ohne  Zweifel  aber  in*s  XH.  Jahrh.  hinaufreicht  Sodann  die 
mystischen  Historien  vom  Baum  des  Lebens')  und  der  Sibyllen- 
Weissagung,  ^)  von  Lucifer  und  Jesus  ^)  und  dem  Sturze  der 
Engel,  femer  eine  Anzahl  Marienwunder,  Judengesohichten,  von  Martyr- 
kindern  und  allerlei  Seltsamkeiten,  die  wir  kurzweg  mit  einem  Gedidit 
von  der  Offenbarung  Johannis  beschliessen ,  welches  Heinrich 
Hellär  zu  Westfalen  im  XIII.  Jahrh.  mit  23,000  Versen  reimte, 
welches  aber  einem  altbayerischen  Kapellan,  dem  Heinrich  Gesler 
zu  Mässenhausen  bei  Freising  von  solchem  Interesse  schien,  dass  er  es 
abschrieb  und  seine  Arbeit  am  6.  Dezember  1432  auch  glticklich  voll- 
endete. •) 


*)  Die  Regensbur^er  Bruchstücke  in  Roth:    Dichtungen  des  dent.  MittelBlters. 
1845.  S.  39-57. 

>)  Pfeiffer  in  Haupfs  Zeitschrift.  V.  17  fT. 

')  Davon  drei  HS.  in  München.  XV.  Jahrh. 

^)  Dessgleichen  in  drei  HS.  zu  München;    auch  gedruckt  1492  von  M.  Ayrer 
'  zu  Bamberg. 

')- Ein  Bruchstück' von   542  Versen.    Mass  mann  in  Hagen's  Germania.    IX. 
171-80  XV.  Jahrh.  (vor  1453). 

«")  Roth  Beiträge.  I.  33.  • 


Weitere  Bestandtheile 

unserer  mittelalierliclien  Epik  sind  1)  die  dem  antiken  Sagenkreis 
angehörigen  Dichtungen.  Das  Römerthum  war  von  den  Germanen  zuerst 
im  Centrum  selbst,  dann,^  als  es  sich  wieder  erhoben  und  die  Adler 
sogar  in*s  deutsche  Land  getragen  hatte,  endlich  auch  da  niedergetreten 
worden,  aber  es  wucherte  fort  und  Hess  den  Stachel  zurück.  Das  Barbaren- 
volk wurde  von  der  unbewusst  vererbten  Bildung  civilisirt,  die  klassische 
Literatur  wucherte  in  den  Klöstern  heunlich  und  offen  fort,  wurde  von 
den  Dichtern  mit  deutscher  Innigkeit  genährt  und  erwuchs  nach  einigen 
Jahrhunderten  plötzÜch  zu  einer  das  deutsche  Volk  ganz  erdrückenden 
Macht.  Von  dem  antiken  Einfluss  zeigt  die  ganze  klösterliche  Dichtung, 
selbst  die  ersten  Anfänge  der  ritterlichen  Epik.  Virgilius,  „der  werthe 
Heidenmann,  ^  ward  das  ganze  frühere  und  spätere.  Mittelalter  hindurch 
gelesen,  er  stand  an  Ansehen  den  Kirchenvätern  und  Heiligen  gleich 
und  erschien  in  der  divina  comoedia  der  altdeutschen  Bühne  häufig  als 
Prologist  und  Exeget  der  Handlung,  ebenso  als  Zauberer,  der  einen 
eigenen  Dunstkreis  von  Sagen  über  sich  zusammenzog.  Seine  Aeneis 
kam  sogar  als  Loosbuch  in  Gebrauch,  das  man  4n  allen  Fällen  des 
Lebens  aufschlug,  um  Rath  und  Hilfe  sich  zu  erholen  und  aus  den 
zufallig  gefundenen  Sprüchen  die  Zukunft  zu  deuten. 

Heinrich  von  Veldecke^)  nahm  den  dankbaren  Stoff  bald  auf,  der 
sich  in  minder  oder  mehr  treuen  Nachbildungen  als  selbstständiger 
pTrojanerkrieg"  immer  mehr  ausbreitete  und  mit  Konrad  von  Wirzburg,*) 
der  darüber  starb,  bereits  den  anerkennenswerthen  Umfang  von  49,860 
Versen  erreichte.  Mächtiger  noch  wirkte  auf  die  mittelalterlichen  Dichter 
die  Geschichte  von  Alexander  dem  Grossen ,  die  auf  jedes  der  alten 
Völker  seinen  Zauber  ausgeübt  hatte.  Mit  dunkeln,  heiligen  Klängen 
zieht  die  Sage  vom  Alexander  von  Volk  zu  Volk  herüber,  jedes  suchte 


0  J.  Aeneis  in  einer  Perg.  HS.  des  XIV.  Jahrh.  zu  Müocheq. 
>)  Vgl.  Ausgabe  von  Keller.  1B58. 


380 

sich  den  Helden  aufs  beste  zu  acclimatisiren.  Die  Aegypter,  um  die 
Schmach  der  Unterwerfung  unter  ein  fremdes  Joch  von  sich  abzuwenden, 
stellten  ihn  dar  als  den  rechtmässigen  Nachfolger  des  Nectanebus;') 
schwerer  dagegen  that  sich  der  persische  Dichter,  da  die  Yolkstraditioo 
über  die  Zeit  der  Deraüthigung  todt  war  und  die  Sage  sich  zu  den 
siegenden  Feinden  wenden  musste;  dafür  fassten  ihn  die  Juden  schon 
mit  religiösen  Beziehungen  ganz  wie  einen  Sohn  Israels  auf,  bekannt 
ist  z.  B.  die  Talmudsage  von  dem  Paradiesesstrome  und  dem  Schädel, 
den  die  Wächter  des  Heiligthumes  dem  Alexander  als  Wahrzeichen 
geben  wollten.*)  Die  Griechen  hatten  ihren  Pseudo-Callisthenes;  die 
Deutschen  aber  fassten  ihn  durchgängig  als  prophetischen  Vorläufer 
des  christlichen  Heldengeschlechts.  Er  hatte  die  Völker  bekämpfL, 
welche  den  heiligen  Kindergarten   der  Menschheit,    das  Grab  und  die 

• 

Wiege  der  neuen  Welt  umschlossen  hielten   und  gegen  die  ankämpfen- 
den Schaaren  vom  Niedergange   piit  Löwengrimme  vertheidigteu.     Die 
aus    der  Kreuzfahrerzeit  aufgerüttelte  Phantasie  schlug  ihn  zum  deut- 
schen Ritter   und    warf    den   Nimbus  eines   germanischen  Helden  über 
ihn.   Hatten  ja  auch  die  Welschen  und  die  Deutschen  im  heissen  Mor— 
genlande  schwere  Aventiuren  bestanden,  nicht. allein  mit  Gewürme  undi 
Skorpionen,  Löwen,  Ebern  und  Elfanten,  sondern  auch  mit  Leuten,  di^ 
noch  schrecklicher  waren,  als  die  Affen  und  die  Pest,  als  Tod  und  TeufeB 
In   der  Sage   von   dem  vorchristlichen  Recken   fanden   sie   ihr  eigen« 
Leben  mit  den  ungeheuerlichen  Heerfahrten  wieder. 

Der  älteste  Alexander,    den  wir  in  deutscher  Sprache  haben,   i: 
als  eine  wörtliche  üebersetzung  aus  dem  Französischen  nac^^gewiesen ; 
nach  Holtzmann's  Untersuchungen  fällt  auf  Lampert  von  Her: 
feld  der  unabweisbare  Verdacht,  die  Translation  dieses  enormen  Reii 
romanes  gefertigt  zu  haben,    derselbe    Lampert,    der  seither  iranm^r 
falschlich  von  AschafFenburg    (wo  er  jedoch   nur  die  Weihen  erhaltea 
hatte)  zugenannt  wurde,*)  wäre  aber  auch  der  Verfasser  des  Anno- 
liedes (1085).     Das  unvollendete  Alexanderlied   des  Rudolf  von  Ems 
ist  nach   einem   lateinischen   Werke  bearbeitet;    dasselbe    ist  in  einer 
einzigen  aus  dem  XV.  Jahrh.  stammenden  Handschrift  in  der  Münchner 
Bibliothek   erljalten,    die  leider   wieder  defect   ist,    denn  von   den  10 


'J  Der  bereits  341  Aegypten  veriiess^  indcss  Alexander  356  der  vorchri^llidin 
Zeilrethnung  geboren  ward. 

')  Diese  Sage  findet  sich  nebenbei  bemerkt  jranz  beim  Mainzer  Fraueolob, 
der  sie  wohl  von  hebräischer  Tradition  auf  deutschem  Bodeu  gehört  babeo 
konnte. 

')  Preiffer  in  Menzels  Lit.  Blatt   1856.  Nro.  18. 

^)  A   Holtzmann  in  PfeilTers  Germ.  II.  47. 


881 

Büchern  sind  nor  die  ersten  6  vorhanden. ')  Die  Alexandriade  des 
Berhtold  von  Herbolzheim  (im  W^T^^^gischen) ,  der  im  Dienste 
Qerhtolds  V.  von  Zähringen  (f  1218)  stand,  scheint  verioren.  Später 
kommt  noch  eine  Alexandreis  in  XL  Büchern  von  einem  Ulrich  von 
Eschenbach,  der  das  Original  werk  des  Walther  von  Castilone  ver- 
deutschte.')  ^  Ulrich  hat  das  Ganze  dem  Erzbischof  von  Salzburg, 
Friedrich  II.  von  Walen  (1270 — 1284}  dedicirt;  vielleicht  stehen  die 
Ritter  Eckehart  von  Dobringen  und  Outrat,  die  den  Dichter  (einluden, 
nach  Prag  zu  ^hen,  auch  in  Beziehung  zu  diesem  i  Werke,  der  Dichter 
aber  w^oUte  von  dem  Lande  in  dem  er  eingeboren  und  „von  demlewen^ 
nicht  lassen.  Pti trieb  von  Reicherzhausen  (Stn  105)  erwähnt  der- 
selben. Ob  dieser  Eschenbach  (ich  armer  Vlriche  bin  genant  von 
eczebach)  ein  Nachkömmling  Wolfram*s  gewesen,  ist  unbestimmbar; 
vielleicht  war  er  ein  Geistlicher,  wenigstens  ist  er  in  einer  dÄ*  Vati- 
canischen  Handschriften  als  bresbyter  bezeichnet  —  Im  XV.  Jahrh. 
übersetzte  der  berühmte  Arzt  Dr.  Johannes  Hartlieb^)  auf  den 
Wunsch  des  Herzog  Albrecht  III.  den  Pseudo-Kallisthenes  in*s  Deutsche, 
auch  das  Buch  des  Ovidius  „von  der  liebe^  übertrug  er,  welches  1482 
gedruckt  erschien. 

Daran  reiht  sich  am  fiiglichsten  2)  das  Lehrgedicht.  Je  laxer 
die  Moral  wurde,  desto  lieber  sprach,  las  und  reimte  man  von  jeher 
davon.  Längst  war  ja  kein  Stand  von  dem  Krebsschaden  der  Sitten- 
losigkeit  mehr  frei,  auch  nicht  der  geistliche,  worüber  schon  Walther 
die  zürnende  Geissei  des  Spottes  geschwungen  hatte. 

> 

Da  nun  bei  den  Spaltungen  der  Gesellschaft  in  eine  Menge  kleiner 
Korporationen,  bei  den  noch  nicht  ausgeglichenen  Kämpfen  der  Gegensätze 
zwischen  dem  Alten  und  Neuen-s  in  dem  Gähren  und  Hin-  und  Her- 
wogen, Zeit  und  Sinn  för  grössere  Dichtungen  gebrochen  waren,  so  ergriff 
die  Menge  um  so  begieriger  kleinere  Gedichte,  die  nicht  viel  Zeit  raubten, 
die  leicht  fasslich  waren  und  einen  zeitgemässen ,  praktischen  Werth 
hatten.  Kein  Wunder,  dass  ein  zahlloses  Heer  kurzer  Sprüche  in 
Umlauf  kamen,  dass  die  Reime  des  Freidank,  die  Lehren  des  weisen 


')  Pragmeote  anderer  HS.  in  Hagens  Germania.  X.  105  fT. 

^)  Dieser  Magister  Pliilippus  Giiallher  a  Casfellione  (Cnsfellionäiis)  sciirieb  als 
Probst  an  der  Domkirche  zu  Doroik  seinen  Alexander;  die  Anfanffsbiitli- 
Stäben  seiner  10  Bücher  erj^eben  den  Namen  Gnillermus,  der  1f76-~]2n| 
auf  dem  erzbischöflichen  Thron  zn  Rheims  sass. 

')  Dr.  Johannes  Hart  lieb  war  bereits  1438  ein  berühmter  ArS^l,  er  lebte  noch 
um  1456.  Vffl.  das  Verzeicbniss  seiner  Schriften  im  Bayerischen  Musenberg. 
179«    III   B. 


382 

Cato*)   und  die  Rathschläge  des   Aristoteles  Inederholt  hervorge- 
sucht und  modernisirt  wurden^ 

Zu  den  merkwürdigsten  Erscheinungen  des  Lehrgedichts  gehört 
der  sogenanntfte  Winsbeke  oder  wie  man  die  aus  achtzig  zehnzeiligen 
Strophen  bestehenden  Weisheitsregeln  föglicher  benennen  kOnnte:  des 
vater  lere.  Die  Entstehungszeit  ist  nicht  festgesetzt,  Einige  schwanken 
zwischen  dem  Jahre  1210,  Andere  beanspruchen  die  Mitte  des  XIII. 
Jahrhunderts.  Auch  über  den  Dichter  ist  kein  fester  Anhalt  zu  ge- 
winnen. Dass  es  zu  Zeiten  Friederichs  Barbarossa  ^n  Bayern  eine 
angesehene  Familie  Winsbecke  gegeben  uqd  dass  ^der  Vater  dem 
Sohne  des  Kaisers  als  Erzieher  beigestanden,^  während  seine  Frau, 
die  Winsb eckin,  „dem  Frauenzimmer  vorgesetzt  gewesen,**  ist  eine 
Fabel.  Uebrigens  ist  der  Name  ganz  richtig  nach  dem  fränkischen 
Städtchen  Winsbach')  abgeleitet  und  findet  sich  auch  in  Urkunden 
von  den  Jahren  1,138  und  1310.  —  Pfeiffer*)  glaubt  aus  einigen 
Stellen  schliessen  zu  dürfen,  der  Winsbecke,  der  Wirnts  von  Grä- 
venberg  nächster  Nachbar  und  Landsmann  war,  habe  dessen  Wiga- 
loid  gekannt,  ja  es  scheint  sogar,  als  ob  dessen  Gedichte  die  väter- 
lichen Lehren  zu  Grunde  lägen,  die  Gawein  am  Schlüsse^)  seinem  Sohne 
gibt.  Jedenfalls  herrscht  zwischen  beiden  eine  merkwürdige  Ueberein- 
stimmung,  die  nicht  bloss  zufällig  sein  kann.    Auch  an  Walt  her  von. 


der  Vogelweide   finden    sich  merkwürdige  Anklänge,  so  dass  man  ver 
sucht  sein  könnte,    demjenigen  Dichter,    welcher  die  von  Haupt  un 
Lachmann  ausgeschiedenen  unächten  Lieder  Walthers  verfasste, 
die  Lehren  des  „  Winsbecke  **  zuzuschreiben. 

Der  Winsbelfe')  ist  ganz  kunstlos  eingeleitet:  Ein  weiser  Mani 
hatte  einen  Sohn,  der  ihm  überaus  lieb  war,  dem  wollt*  er  rechte 
geben.     Vorerst  wird   ihm  die  Liebe  zu  Gott  empfohlen:    Minne  GoVf^ 
inniglich,    so   kann*s   dir   nie   übel  ergehen,    Er  hilft  aus  aller  Noth 


^t 


*)  Ein  MS.  des  ^Cato^  (eine  Sammlung  lateinisch  abgefasster  Lebensregeln,  di«^^ ^ 
schon  Nolker  übersetzt  hatte)  besass  der  Pfarrer  Andreas  Hirn  zu  ErlbacS^j* 
bei  Res-ensburg;  444  Verse  abi^ednickt  in  Grat  er 's  Iduna  und  Hermode-^^^* 
1812.  Nro.  II  u.  15.  Vgl.  Aretin's  Beiträge.  1806. 

')  Windsbach,  Städtchen  und  Schloss  im  Landgericht  Heilsbronn  in  Mitfeirran " 

ken,  zwischen  Ansbach  und  Schwabach  gelegen  und  nicht  viel  über  6  Ueilerfl^J" 
von  Gräfenberg  entfernt.    Es  gehörte  anfänglich  den  Grafen  von  Dornberj^ÜP^ 

•   und  Oettingen,  dann  den  Freiherren  von  Heydeck.,    von  denen  es  1392  ar^    " 
die  Burggrafen  von  Aürnberg"  kam.     (Pastorius  Francouia  rediviva.  HC 
S.  437.) 

«)  Wigalois  S  XVIL 

4)  Pfeiffer  S.  393,  17  ff. 

s)  Vgl.  v.  d.  Hagen  MS.  L  364  ff.  IV.  311  ff.  ferner  in  Pfeif fer's  Ansgal 
der  Weingartner  Liederbandschrift.  1843.  u.  in  einer  bes.  Ausgabe  von 
Haupt  Leipzig  1845. 


883 

* 

en  schau*  das  Narrenspiel  der  Welt  an,  wie  sie  ihre  Getreuen, 
[t,  was  sie  zuletzt  zum  Lohne  wiegt,'  das  ist  zu  leicht;  wer  ihr 
llen, dienen  will,  der  ist  an  Leib  und  Seele  todJ)  Merke  dir,  dass 
<eben  wie  ein  brennendes  Kerzenlicht  schwindet  von  Tag  zu  Tage, 
1  richte  hier  dein  Leben,  dass  die  Seele  dort  gut  fehre;  wie 
an  Gut  auch  dein  Name  wirt,  du  nimmst  nichts  mit  in's  Grab, 
a  linnen  Tuch.*)  Gieb  Ihm,  der  dir  hat  gegeben  und  aller  Gabe, 
3walt  ^er  git  dir  noch  ein  iemerleben  und  ander  gäbe  manicvalt, 
.nne  loubes  hat  der  walt.  und  wilt  du  koufen  disen  hört,  in  sinen 
i  dich  behalt  und  sende  guote  boten  für  die  dir  dort  vähen  witen 
5  daz  der  wirt  versiahe  die  ttir**  (4.)  Alle  Weisheit  ist  nichts, 
lan  nicht  Minne  zu  Gott.  (5.)  —  Geistliches  Leben  halte  in 
,  kümmere  dich  nicht,  wie  die  Pfaffen  leben,  folge  ihren  guten 
m  nach,    auch  wenn  ihre  Werke  krumm  wären;    von  jeheV  war 

Layen  Sitte,  den  Pfaffen  Hass  zu  tragen,  die  versündigen  sich 
schwer;  sei  ihnen  hold  und  sprich  ihnen  nur  Gutes  nach  (7.)  — 
er  wärmsten  Liebe,  der  reinsten  Treue  und  Hochachtung  spricht 
er  Vater  seinem  Sohne  von  den  Frauen,  es  ist  der  feinste  höfische 
ganz  die  Courtoisie  Wolfram's  und  Wirnt's:  Gibt  dir  Gott 
'^eib  nach   seinem  Lobe    zu  rechter  Ehe ,    so   halte   sie   lieb  wie 

Leib  und  mache,  dass  euer  beider  Wille  aus  einem  Herzen 
(und  fuege  daz  iuwer  beider  wille  g&  uz  einem  herzen).  Trage 
Hnglein  (minnevingerlfn)  nicht  offen  zur  Schau,  was  zweien  recht, 
:  drei  zu  viel  (daz  zwein  ist  reht,  ze  wf t  ist  drin) ;  auf  die  Klatsch- 
1.  (züngelaere)  die  zwischen  Freunden  nach  Judasart  hin  und  her 
,  achte  nicht.  Willst  du  deinen  Leib  zieren,  so  minne  und  ehre 
i'rauen,  ihre  Tugend  hat  uns  noch  immer  die  Sorgen  verscheucht, 
id  der  Wonne  ein  blühender  Stamm,  davon  wir  alle  abstammen; 
at  weder  Zucht  noch  rechte  Scham,   der  das  an  ihnen  nicht  er- 

er  ist  ein  Thor  und  hätte  er  sonst  auch  Salaraonis  Weisheit. 

„Sun ,  si  sint  wunne  ein  berendez  lieht, 

an  eren  unde  an  werdekeit 

der  werlte  ein  fröuden  zuoversiht: 

nie  wiser  man  daz  widerstreit. 

ir  nam  der  eren  kröne  treit : 


sieh  der  werlle  gougel  an,  wie  si  ir  voller  trieben  kan  und  waz  ir  I6n, 
jungest  ist:  daz  soll  du  siniiecifche  verslan.  si  wigt  ze  I6ne  swiudiu  161: 
r  ir  ze  willen  dienen  wil.  derst  libes  und  der  sSle  161.  (Str.  2.) 

ch  der  damaligen  Sitte,    die  Leichen  nicht  in  einen  Holzsarg  zu  legen 
idern  bloss  in  ein  Tuch  zu  hüllen  und  Kalk  darauf  zu  schütten. 


f 


384 

diu  ist  gemezzen  nnd  geworht 

mit  tugenden  volleclichen  breit, 
genäde  got  an  luis  begie, 
do  er  im  engel  dort  geschuof, 

daz  er  si  gap  fiir  enge!  hie.''  (12.) 

Nun  kannst  du  noch  gar  nicht  wissen,  „waz  eren  an  den  wiben 
lit,"  möchtest  du  aber  die  glückliche  Zeit  erleben,  wo  ihre  Güte  die 
Freude  gibt,  so  kann  dir  in  dieser  Welt  nimmer  Besseres  widerfahren. 
Ich  will  dich  lehren  einen  Trank:  lass'  ihn  dir  zum  Heile  dienen,  so 
wird  deine  Tugend  nie  krank  und  wäre  dein  Leben  auch  noch  so  lang: 
leg'  in  dein  Herz  ein  reines  Weib  mit  steter  Liebe  ohne  Wank,  so 
verjagt  ihre  weibliche  Güte  dir  wie  ein  Gegengift  allen  Kummer.' 
Frauenliebe  ist,  sagt  der  Dichter  in  einem  treffenden  Bilde,  wie  eh 
Schild,  der  den  Mann,  der  ihn  ritterlich  zu  gebrauchen  weiss,  schöi 
zu  Halse  steht,  freilich  nimmt  ihn  ein  dummer  Mann,  so  ist  der  Schih 
unschuldig,  willst  du  ihn  nicht  zu  Tugend  und  Treue  an  den  Hal^  s 
nehmen,  so  steht  er  dir  übel  und  hinge  besser  an  einer  Wand.  Da-  s 
Bild  gemahnt  an  Parcival  (173,  15),  der  kurz  vorher  (Str.  18)  ajxcWl  h 
vom  Winsbecke  berührt  war,  indem  er  an  Gahmuret  verweist  ^der  vo  — iO 
des  schiltes  werdekeit"  das  Herz  der  schwarzen  Mohrenkönigin  erobertzizae 
(der  moerin  in  ir  herze  brach),  üebergehend  vom  Bild  zu  der 
gibt  der  Vater  dem  Knaben  überhaupt  um  ritterliche  Dinge  Unterweisun, 
als  einer  im  Waffenwerk  Erfahrener,  der  selbst  Manchen  aus  den  Satt^— ^J 
hob:  ^nim  des  gegen  dir  komenden  war  und  senke  schöne  dinen  scha^t^ft 
als  ob  er  si  gemälet  dar  und  lä  din  ors  mit  meisterschaft;  ie  iTaz  nmi^d 
baz  rüer  im  die  kraft;  ze  nageln  vieren  üf  den  schilt  da  sol  din  sj^-^r 
gewinnen  haft  od  da  der  heim  gestücket  ist:  die  zwei  sint  rehtiu  ritt^a^ 
mal  und  üf  der  tjost  der  beste  ist."  Kleide  dich  in  Zucht  und  rei^^e 
Tugend,  so  hast  du  bei  Hofe  das  beste  Gewand.  Pflege  deiner  Zun^^'i 
dass  sie  nicht  aus  den  Angeln  fahre:  „schiuz  rigel  für  und  nim  ir  wafc-J*.* 
gezoumet  rehte  sf  din  zorn'';  wird  sie  dir  Meister,  so  setzt  sie  d»^h 
in  Gottes  Zorn.'  Besser  Ist  zweimal  zu  zielen  als  blindlings  drein^ci- 
schlagen  (bezzer  ist  gemezzen  zwir  danne  verhoweu  äne .  sin),  das  Wo ^ 
„mac  niht  hinwider  in  und  ist  doch  schiere  fiir  den  munt"  (25.).  D^r 
Schein  hält  nicht  la^ge,  ebenso  wie  aufgelegte  Schminke  (geribenio 
schöne)  wo  der  Schaden  bald  durchblickt.  Es  gibt  Käppelein  (helekäpp«0 


')  ^Sun,   will  du  erzente  nemen,    icli  wil  dich  Idren  einen  tt-anc:    \M  din  ^'c 
saelde  wol  ffczemeo,  du  wirdest  selten  fugende  kranc,  dfn  leben  sf  kurs  od 
ei  st  lanc.  leg  in  din  herze  ein  reinez  wip  mit  staeter  liebe  sunder  waof' 
ist  ez  ao  n^erdekeit  verzasret,  als  der  drlakelz  eiter  (uot  ir  wiplieh  gdf^^ 
dirz  verjaget.^  (14)  driakelz  =  Tberiak,  Gegengift,  eiter  (ahd.  eilar)  z=Gifi> 


385 

die  ganz  gut  kleiden,  wenn  man  sie  recht  zu  tragen  versteht,  zieht  man 
sie  aber  ab,  so  sieht  man  erst,  was  {^iner  darunter  hat.  Wie  Rost  das 
Eisen  und  den  Stahl  schädigt,    so.  unbescheidener  Spott.    Wahre  den 
Freund,    der  dir  mit  Treuen  beigestanden,    und  sei  im  Zorne  nicht  zu 
schnell,   Mass   zu  halten  bringt  Ehren  und  Werthigkeit.     Dem  Vogel 
der  zu  frühe  aus  dem  Neste  fliegen  will   und  so  „den  tumben  kinden^ 
zum  Spiele  wird,  ist  unbesonnene  Rede  vergleichbar,  die  du  besser  nie 
begonnen  hättest')  (32).  —    Wer. sich  selbst  ehren  will,    der  nehme 
getreuen  Rathes  wahr;    wer  seinen  Rath  gibt,    ohne  dass  man  darauf 
hört,  wer  tauben  Ohren  predigt,   der  verliert  nur  seine  Zeit,  der  thut 
einen   Schlag  ins  Wasser   (ez  ist  in  einen  bach  ein  slac).     Der  Satz, 
dass  wer  mit  dreissig  Jahren  noch  ein  Thor,  für  sein  Leben  ein  Narre 
bleibe,  lebt  heute  noch  als  Dreispruch.')    Untreue  führte  wie  im  Ein- 
gang zum  Parcival  auseinander  gesetzt  ist ,    zur  Hölle  und  ist  rechte 
Judasart.  Sei  keuscher  Worte  und  steten  Muthes,  trage  gegen  Nieman- 
den Neid  noch  langen  Hass;    zwei  böse  Nachbarn  sind  Hochfahrt  und 
Habsucht,  an  denen  das  Süsse  sauer,  wird;   wer  diese  in  seinem  Hause 
hegt,  beherbergt  den  Teufel.    Willst  du  es  gut  haben,   so  rühre  dich, 
der  schlafenden   Katze    läuft  keine   kluge  Maus   in*s   Maul    (ez  loufet 
selten  wisiu  mus  släfender  vohen  in  den  munt).')  Müssiggang  (luoder) 
und  Spiel  bringen  Leib  und  Seele  zu  Fall ,    sie  machen  den  breitesten 
Acker  schmal  (si  roachent  breite  huoben  smal). 

swer  lebt  an  ere  in  frier  wal, 
der  wirt  den  werden  schiere  unwert 

und  hüset  in  dem  Affental. 
swer  also  vliuset  sine  habe 
mit  disen  swachen  fuoren  zwein, 
der  laege  baz  in  eime  grabe. 

Drei  Dinge  muss  man  im  Hause  haben:    Gut,    Milde  und  Zucht; 
bietest  du  es  fröhlich  den  Leuten,  so   thut  dein  Brod  dem  Empfanger 


*)  Ein  Wort  der  Lehre  —  nimm  es  mit 
In*s  Leben:  Halt  die  Zunge  fest; 
Denn  ungewogene  Rede  fliegt 
Unflügger  Vogel  aus  dem  Nest. 
Doch  noch  ein  zweites,  besnVes  Wort: 
Halt'  deine  Seele  fromm  und  rein, 
So  wird,  was  deinem  Mund  entfliegt, 
Nie  ein  unflügger  Vogel  sein.   £.  M.  Arndt. 

')  Wer  mit  zwanzig  Jahren  nichts  kann,  mit  dreissig  nichts  weiss  und  mit 
vierziff  nichts  ist,  der  lernt  nichts  mehr  und  wird  nichts  mehr.  —  Der  Volks- 
witz lässt  die  Tyroler  und  Schwaben  erst  mit  vierzig  Jahren  klug  werden. 

')  Vgl. :   ez  wirt  vil  selten  hirz.  erjeit 

mit  sldfendem  hunde.  Wigalois  2883.  JTeirrer  S.  77. 

25 


\ 


386 

wohl  i  hast  da  aber  diese  Tagenden  nicht ,  so  reitet  ein  Gast  gerne 
weiter,  wenn  er  noch  so  nass  and  müde  wäre.  Wer  so  mit  Tagenden 
sein  Hans  pflegt,  der  ist  Grott  and  der  Welt  werth  and  müsste  er  aach 
an  einem  Stabe  kriechen.  Wer  Gottes  Lohn  und  der  Welt  Habedank 
behalten  kann,0  ^^^  ^^^  ein  gntes  Gewerbe.')   Dann  heisst  es  weiter: 

Str.  52. .  Sun,  zwei  wort  erent  wo!  den  man 
der  sich  wil  ören  mit  den  zwein 
s6  daz  er  si  behalten  kan. 
daz  eine  ist  Ja,  daz  ander  Nein, 
wie  zieret  golt  den  edelen  stein? 
also  tuont  wariu  wort  den  lip. 

er  ist  nicht  fleisch  unz  ail  daz  bein,  *) 
dem  also  slipfic  ist  der  sin, 
swä  er  sin  Ja  geheizen  hat, 

daz  er  sin  Nein  da  schrenket  in. 

Str.  53.  Sun,  fliuch  daz  dich  iht  binde  ein  baut, 
daz  ist  gestricket  in  der  mäht 
daz  du  gebunden  bist  zehant 
vor  gote  in  krefteclicher  aht. 
swer  wirt  in  sine  stricke  bräht 
so  daz  in  vindet  da  der  t6t, 

we  im  daz  sin  ie  wart  gedäht! 
daz  bant  ist  der  gediente  ban: 
der  klemmet  in  der  helle  als6 

daz  Judas  nie  solch  klam  gewan. 

Ein  solcher  Mensch,    der  weder  kalt  noch  warm  ist,    hat  keioeo 
Theil  mehr  an  der  Christengemeinde  und  dem  Heil ,  seine  wunde  Seek 
wird  nimmer  heil,  selbst  seine  guten  Werke,  Almosen  und  Gebet,  haben 
keinen  Werth  mehr.  —  Ein  bitteres  Kraut,  von  dem  der  Sohn  gleich- 
falls gewarnt  wird,   ist  die  Acht,  der  Bann.     Aber  der  Vater  will  ein 
Ziel  setzen    (der  mäze  ein  zil  gestozen  si),    denn   der  Sohn  ist  doch 


»)  Vgl.  Wallher  8,  4  ff. 

')  den  riebet  wol  sin  ackerganc  (51).  ackerganc  =  Ackerbau^  lroprsrh:dis 
Gewerbe,  das  man  treibt.  Sprichwort:  Des  Herren  Tritt  den  Acker  dOofK 
des  Herren  Aug*  das  Vieh  verjüngt. 

')  d.  h.  er  ist  nicht  ^anz  und  gar,  was  er  sein  solj;  er  ist  kein  g'anzer  Mioo. 
Walt  her  sagt  (67,  31)  von  der  falschen  Minne,  sie  sei  ^.niht  visch  noz  ao 
den  grdt.^  Dagegen  sagt  Gottfried  von  Strassburg :  Christus  ist  Fisch  «oos 
üf  den  grät.""  Haupt  S.  66.  v.  d  Ha^en  MS.  IV.  312.  —  I>er  Lancfgnf 
Ludwig  von  Thüringen,  der  Gemahl  der  hl.  Elisabeth,  ward  wesen  der  Irtofi 
und  Wahrhaftigkeit  seiner  Rede,  seiner  unzw^felhaften  Ja  und  Nein  wege> 

Serühmt,  ebenso  Richard  von  Euffland.     Die  Quelle  dieser  Ausdrficke  i^t 
latlh.  V.  37.  . 


387 

nicht  im  Stande,  Alles  auf  einmal  zn~  verdauen  (du  enmaht  ez  allez 
niht  getragen),  wenn  er  von  allen  Käthen  nur  drei  nahe  beim  Herzen 
behalte,  so  sei  es  schon  gut :  Lass  nie  Gottes  Minne,  sei  wahrhaft  und 
zftchtig  sonder  Wank,  so  nimmt  noch  manche  Tugend  ihren  Ursprung 
von  den  dreien.  Der  Sohn  hat  den  Vater  vollkommen  verstanden,  er 
ist  zwar  npch  ein  Kind ,  aber  er  sieht  doch  schon  ein,  dass  die  Welt 
ein  Narreuhaus  ist  und  dass  nur  Der  glücklich  zu  preisen,  der  sich 
bis  zum  Ende  bewährt,  0  so  macht  er  dem  Vater  den  Vorschlag,  zur 
Sühne  seiner  Sünden  sein  Hab  und  Eigen  auf  ein  Spital  zu  legen,  frei- 
willig ziehe  er  dann  mit  ihm  ein,  um  daselbst  fem  vom  Truge  dei^ 
Welt  nur  für  das  süsse  Himmelland  sich  vorzubereiten.  Freudenthränen 
überströmen  die  Wangen  des  Vaters,  wie  das  der  Dichter  unübertreff- 
lich zart  gibt:  „dz  ougen  muost  er  wangen  baden:  von  herzeliebe  daz 
f^eschach^;  sie  sprechen  noch  eine  schöne  erbauliche  Wechselrede  und 
der  Vater  beschliesst  mit  der  Versicherung,  dass  er  den  Vorschlag  auch  . 
ausgeführt  und  ;nit  seinem  eingebornen  Sohne  das  Spital  bezogen  habe,  * 
welches  sie  selbst  zum  besten  der  Armen  mit  ihrem  Vermögen  aufgerichtet. 
Das  Gedicht  muss  sich,  wie  auch  die  vielen  Handschriften  be- 
zeugen, eines  grossen  Beifalls  erfreut  haben,  selbst  bis  auf  den  acht 
mittelalterlichen  Schluss,  der,  so  wie  sich  Wimt  von  Gralenberg  der 
Welt  entzieht,  gleichfalls  viele  Nachahmung  gefunden  haben  mag.  ') 
Man  copirte  den  Gedanken,  indem  man  ihn  zugleich  ^auf  weibliche 
Verhältnisse  übersetzte  und  so  gestaltete  sich  offenbar  voa  einem 
anderen  und  schwächeren  Dichter  die  sogenannte  Winsbekin  oder 
„Der  muoter  lere.^  Eine  Zeit  lang  glaubte  man  freilich  treuherzig, 
dass  auch  des  Winsbecken  Frau  Verse  gemacht  habe  und  zwar  in 
seiner  Manier.  Das  Gedicht  ist  viel  schwächer,  redseliger  und  ärmer 
an  Gedanken,  dessungeachtet  aber  doch,  wie  Klemm  treffend  be- 
merkt, ')  ein  schönes  Denkmal  mütterlicher  Erziehungsweisheit,  die 
auf  innige  Liebe  gegründet,  die  Schätze  der  Erfahrung  dem  Kinde  mit- 
tbeilt.  Die  Mutter  preist  den  süssen  Tag,  an  dem  sie  ihre  liebe  Toch- 
ter geboren,  deren  Anblick  ihr  wie  Maienzeit  ist;  immerdar,  sagt  sie, 
sollen  wir  Gott  loben ,  der  also  reiche  Gabe  ^gibt.  Qie  Tochter  gelobt 
min,  Gott  zu  ehren  und  Vater  und  Mutter  Gehorsam  zu  leisten.  Die 
Mutter  bittet  Gott  und  seine  liebe  Mutter,  dass  er  ihr  Kind  bewahren 


')  Str.  60:  „ez  ist  ein  lop  ob  allem  lobe,  der  an  dem  ende  rehte  tuot.^  Vgl. 
data  Waltber  (67,  6):  ezn  wart  nie  lobelfcher  leben,  swer  so  dem  ende 
fehle  tuot. 

')  Noch  im  Jahre  1644  citirte  Mosch erosch  in  s.  „Philander  von  Sitlewalt^ 
I.  969  ganze  Stellen  daraus. 

')  G.  Klemm  Die  Frauen.  Dresden  1855.  B.  11.  S.  110. 

25* 


388 

möge.  Da  verlangt  die  Tochter  den  Rath  der  Matter  und  diese  beginnt 
ihre  Belehrung,  indem  sie  ihr  Kind  zuerst  ermahnt,  zwar  ^hochgemuot,* 
aber  doch  mit  Züchten  zu  leben:  ^sö  ist  din  lop  den  werden  guot  und 
stät  din  rosen  kränz  dir  eben,  den  6re  gemden  soltu  geben  ze  rehte 
dinen  werden  gruoz  und  laz  in  dinem  herzen  sweben  schäm  unde  maze 
üf  staeten  pin;  schiuz  wilder  blicke  niht  ze  vil  swä  löse  merker  bi  dir 
sin."*  Das  Mädchen  frÄgt  gleich,  wie  die  wilden  Blicke  .beschaffen  seien, 
die  sie  nicht  schiessen  lassen  dürfe;  das  sind  solche  (erwiedert  die 
Mutter,  welche  am  Hofleben  Erfahrungen  gemacht  hat),  die  unstäte'die 
Augen  hin  und  herfliegen  lassen,  und  kein  Mass  beweisen,  das  merken 
die  Aufpasser  gleich  und  ihr  Lob  ist  dann  nur  Ungewinn,  es  sei  viel 
besser,  die  Augen  im  Zaume  zu  halten.  Das  erkennt  denn  auch  diie 
Tochter,  so  jung  sie  auch  noch  ist  (swie  kleine  ich  h&n  der  järe  zal), 
und  stimmt  der  Mutter  bei,  dass  die,  so  ihte  Augen  wie  einen  Ball 
herumwerfen ,  nicht  im  Saal  der  Zucht  wohnen  könnten ;  darum ,  fährt 
die  Mutter  fort,  solle  sie  nicht  allein  weise  Worte  im  Munde  führen, 
sondern  auch  in  ihrem  Thun  nicht  dumm  sich  zeigen  und  die  Tugend 
üben  und  so  das  Lob  der  Guten  erstreben.  Wirst  du  dann  älter,  so 
wird  deiner  Schönheit  wegen  mancher  Wald  verschwendet,  d.  h.  ein 
ganzer  Wald  von  Speeren  gebrochen.  Das  führt  zu  der  Belehrung,  wie 
die  Jun^rau  sich  den  Männern  gegenüber,  die  um  ihre  Gunst  werben, 
benehmen  '  «md  wie  sie  die  süssen  Worte  der  missewendigen  Männer 
aufnehmen  soll.  Das  Mägdlein  kennt  bereits  die  Lieblingsredensart  der 
Männer:  „wip  hänt  kurzen  muot,  da  bf  doch  ein  vil  langez  har*;  leider 
thun  Viele  so  und  machen  das  Sprichwort  wahr;  sie  versichert,  dass 
ihr  die  Schmeichelworte  der  Männer  nichts  anhaben  würden  und  dass 
sie  um  so  fester  sein  werde;  es  wären  wähl  die  Frauen  theilweise  daran 
selbst  schuld,  wenn  sie  von  den  Männern  betrogen  würden.  *)  Die  Mutter 
freut  sich,  ihr  Kind  auf  dem  rechten  Wöge  zu  sehen  uad  ermahnt'  sie, 
dabei  zu  verbleiben,  sich  aber  doch  zu  hüten,  dass  die  Minne  sie  nicht 
blind  mache,  denn  der  Gewalt  der  Minne  seien  schon  viele  weise  Herzen 
erlegen. 

Das  Mägdlein  hat  von  der  Kraft  der  Minne  noch  keine  Kunde, 
sie  sei  von  ihrem  Strahl  noch  nie  wund  geworden.  Die  Mutter  aber 
zeigt  ihr,  dass  die  Minne  gar  gewaltig  sei  und  hätte  ein  Herz  auch 
hunderttausendmal  mehr  Kraft,  sie  würde  doch  siegen;  sie  hat  viel 
starke  Herzen  schon  erstiegen,  selbst  König  Salomo,  trotz  aller  seiner 
Weisheit,    sei   unterlegen.     Sollte  die    Liebe   ihr  Herz    (in  Fesseln) 

» 

')  swiez  umbe  der  manne  unslaete  var,  wir  wtp  wir  soften  vester  s!n^  ob  icbt 
in  hulden  sprecben  tar,  und  (rtieffen  in  gemeinen  haz  die  niht  ir  zuht  an 
uns  bewarnt:  si  schönten  aoser  deste  baz.  (Str.  19.) 


389 

schmieden,  so  vermöge  sie  sich  m'mroer  dessen  zu  erwehren,  aasser 
wenn  Gott  allein  sie  befrieden  wolle.  Da  sprichst,  Matter,  antwortet 
das  Kind,  «als  wenn  dich  ihre  Kraft  berührt  hätte.  Wie  kräflereich 
aber  ihre  Macht  sei,  ich  komme  nicht  unter  ihre  Gewalt,  eher  lass' 
ich  mich  za  Grabe  tragen.  Allein  was  soll  ich  thati,  wenn  sie  doch 
kommt? —  Die  Matter  gibt  zu,  dass  sie  hiebevor  in  ihren  jungen 
Tagen  von  der  Minne  gefangen  gewesen,  sie  werde  aber  nicht  viel  davon 
sagen.  Indessen  ^swen  hdhiu  Minne  twingen  gert,  d^r  niuoz  unfuoge 
lazen  gar  uöd  mache  sich  den  werden  wert.''  Nun  wendet  die  Tochter 
ihren  Sinn:  bin  ich  dir  desto  lieber,  wenn  die  Minne  mein  Herze  be- 
gehrt,  so  thu*  mir  deinen  Willen  kund,  ich  will  darnach  thnn  und  fahre 
ich  wohl,  so  ist  die  Ehre  dein;  ^ich  hän  gerihtet  mtnen  muot,  swaz 
dir  dar  an  gevallet  wol,  daz  mich  daz  allez  dünket  guot.^  Die  Mutter 
entgegnet:  Vermagst  du  ein  keusches  Herz  zu  tragen ,  so  musst  du 
Lob  und  Ehre  han;  vergönnt  dir  die  Minne  dieses  nicht,  will  sie  dich 
zwingen  einen  Mann  zu  minnen,  der  trefBich  ist  und  Ehren  werth,  so 
soll  er  doch  von  dir  ungewährt  bleiben.  —  Ich  will ,  antwortet  die 
Tochter,  dir  heilig  versprechen  (ich  wil  dir  des  min  triuwe  geben),  dass, 
wenn  die  Minne  mich  zu  zwingen  droht,  ich  dich  bitte,  mich  mit  Riemen 
zu  binden.  0 

Ich  werde  dich  nicht  hüten,  sagt  die  Mutter,  das  muss  dein  steter 
Wille  thun.  Fremde  Hut  schadet  nur  und  bringt  Unehre;  „ein  reinez 
wip  in  tugenden  wert,  diu  wol  ir  §re  hüetenJcan  tmd  niht  wan  staeter 
triwen  gert,  die  sol  man  selbe  hüeten  lan,**  jede  andere  Hut  ist  um- 
sonst und  wohl  leichter  ein  wilder  Bär  zu  zähmen.  Doch  lassen  wir 
jetzt  die  Hute  fahren  „und  sprechen  von  der  Minne  m§."  Das  Kind, 
das  immer  noch  ihre  Mutter  über  alles  geliebt  hat,  weiss  hierüber 
gleichfalls  noch  nichts  und  stellt  die  mit  dem  Titurel  an  Unbefangenheit 
wetteifernde  Frage:  ^nu  sage  mir  ob  diu  Minne  lebe  und  hie  bi  uns  üf 
erde  si  od  ob  uns  in  den  lüften  swebe.^  Die  Mutter  sagt  darauf  dem 
Kinde,  was  der  weise  Mann  Ovidius  von  der  Minne  kund  thut,  sie  heisse 
Frau  Venus,  mache  süsse  Herzen  wund,  gesunde  sie  und  mache  nach  ihrem 
Willen  sie  abermal  siech;  so  ist  sie  rastlos:  „daz  ist  ir  wehsei  zaller 
stunt.  ir  willen  niht  entrinnen  mac :  si  vert  unsihtic  als  ein  geist ,  si  hat 
niht  ruowe  naht  noch  tac/  Die  Mutter  preist  nun  die  Herrlichkeit  und 
Tugend  der  Minne.  „Ich  wil  dir,  liebiu  tohter,  mö  von  werder  Minne 
tugende  sagen,  wie  ez  umb  ir  gelaeze  ste;  si  mac  ein  herze  niht  getragen 
daz  mit  Untugenden  ist  beslagen:  da  enwil  si  äne  zwivel  niht  benahten 


')  pOb  mich  diu  Minne  Ües  nibt  erldl,  si  welle  Iwin^en  mir  den  sin  wirs  danne 
ir  fcühten  wol  an  atdt^  vil  liebiii  muoter,  so  ger  ich,  ob  do  die  Yolge  aehest 
an  mir,  das  du  mit  riemen  bindest  mich.^  (Str.  28.) 


J 


390 

inne  noch  betagen:  ez  mnoz  gereinet  innen  sin  ^  daz  si  üzen  klopfe 
dran:  ist  im  alsd,  si  sitzet  drin.''  Nun  möchte  die  Tochter  wissen,  was 
sie  za  thnn  habe,  wenn  sie  sich  in  die  Schule  der  A(inne  begeben 
wolle.')    Die  Mutter  sagt  ihr  drei  Regeln.   Zum  Ersten: 

^ein  wip  diu  lobes  und  eren  si, 
diu  nide  ein  ander  drumbe  niht 

diu  ouch  si  missewende  vri.  (Str.  43.) 
Diu  ander  regel  uns  lere  git 
(nu  merke  waz  ich  welle  sagen), 
wir  suln  uns  vlizen  alle  zit 
daz  wir  den  wisen  wol  behagen, 
und  vliehen  ungemuote  zagen 
die  wibes  ere  grämic  sint 

und  eiter  in  den  zungen  tragen, 
besniden  sinneclich  diu  wort 
und  grüezen  da  wir  grüezen  suln: 

sieh,  daz  ist  wibes  eren  hört.  (Str.  44.) 
Diu  dritte  regel  uns  leret  daz 
wir  sin  in  zühten  wol  gemuot, 
gar  äne  nit,  gar  äne  haz, 
wiplicher  site,  wipliche  guot, 
dar  under  tugentlichen  fruot 
sin  wir  dem  rate  staete  bi, 

sd  decket  uns  der  Saelden  huot, 
daz^uns  kein  weter  selwen^  mac; 
mit  eren  wir  ze  bette  gen 

und  ane  sloyger  an  den  tac.  (Str.  45.) 

Somit  sind  diese  monita  materna  an  das  Thema  gelangt,  das  den 
Hauptinhalt  des  Fräuenlebens  bildet  und  der  Poet  bricht  ohne  weiteren 
novellistischen  oder  romantischen  Anhang  ab.  Das  Gedicht  ist  mehr 
interessant,  als  erquicklich  und  steht  hinter  dem  Winsbecke  wie  eine 
schwache  Copie  weit  zurück. 

Daran  reihte  sich  die  Hofzucht  des  Tanhäuser,')  welche  hart  an 
der  Grenze  steht,  wo  der  höfische  Sang  zu  Ende  neigt.  Der  Stand, 
welcher  bisher  der  Träger  der  weltlichen  Bildung  und  Poesie  gewesen 


*)  ^isl  ez  dtn  wille  und  ouch  dtn  rdt,  ob  si  mich  in  ir  schuole  neme,  so  l^r^ 
michjr  reglet  so  daz  es  mir  wol  an  Iren  zeme.^  (4^.) 

*)  selwen  =  entfärben,  beschmutzen,  sloyger  =  s!6ir,  sIeiger  ^  Schleier. 

*)  Davon  unter  den  Lyrikern. 


891 

war,  tritt  nun  in  den  Hintergrund  und  das  bürgerliche  Element,  weldies 
durch  den  ungeheueren  Handel  und  Verkehr,  durch  Luxus,  Verschwend- 
ung und  Wohlleben  des  Adels  in  den  Städten  zu  einer  vorher  nie  ge- 
ahnten Kraftentwicklung  gedieh^  übernahm  von  dem  sinkenden  Ritterthum 
die  Pflege  der  Literatur  und  zwar  mit  einer  auf  dem  gelehrten  wie  unge- 
lehrten Handwerk  gleich  lastenden  Kunstlosigkeit.  -Der  erste  Vertreter 
dieser  Richtung  und  zugleich  ein  Vorläufer  des  folgenden  Meistersing- 
sangs und  der  handwerklichen  Reimerei,  ist  Hugo  von  Trimberg. 
Geboren  zu  Wema  oder  Weren  (dem  heutigen  Wemfeld)  im  Wirz- 
burgischen,  hatte  er  sich  bis  zum  magister  scholarum  am  Collegiatstift 
Gangolf  in  der  Tewrstat  0  .  (später  Steiuweg,  jetzt  Königsstrasse)  in 
Bamberg  emporgearbeitet  und  war  dann  in  seinen  Würden  sitzen  ge- 
blieben. Im  Besitze  einer  kleinen,  nicht  unansehnlichen  Bibliothek  von 
zweihundert  Werken,  begann  er  nebenbei  zu  dichten  und  verfasste  sieben 
deutsche  und  fünf  4ateinische  Opera;  von  ersteren  ist  uns  nichts  er- 
halten, denn  sein  y,Sammler^  war  ihm  schon  früher  in  Trümmer 
gegangen  und  verunglückt;  von  seinen  lateinischen  Schriften  hat  sich 
das  interessante  Registrum  multorum  auctorum  classicorum  erhalten 
und  die  Laurea  sanctorum,  die  zu  den  im  Mittelalter  in  grosser 
Anzahl  vorhandenen  Kaiendarien  gehört,  welche  gar  nichts  Merkwür- 
diges bieten.  Sein  Hauptwerk,  das  er  noch  im  hohen  Alter  begann,  ist 
der  viel  gepriesene  und  jetzt  wenig  gelesene  Renner,  der  für  uns  sehr 
lehrreich  zur  Kenntniss  der  damaligen  Verhältnisse  werden  kann,  wenn 
man  mit  Vorsicht  dabei  zu  Werke  geht  und  den  Umstand  nicht  aus 
dem  Auge  verliert,  dass  hier  ein  grämlicher  alter  Mann  seine  mitunter 
wandelbaren  und  launenhaften  Ansichten  auslegt.  Das  Leben  hatte  ihm 
nicht  absonderlich  erfreulich  mitgespielt;  über  ein  halbes  Menschenalter 
war  er  seiner  Schule  vorgestanden,  arm,  ohne  ergiebiges  Einkonmien, 
mit  starker  Familie  gesegnet,  war  es  ihm  nicht  gelungen,  sich  gegen 
den  Mangel  vorzusehen  und  er  musste  in  seinen  alten  Tagen,  als  schon 

* 

allerlei  Gebrechen  über  ihn  eingerückt,  noch  bei  christlichen  und  wirk- 
lichen Juden  borgen,  denn  die  schöne  Erwartung,  im  hohen  Alter  vom 
Erlös  seiner  Bücherey  ^näch  der  alten  lerer  site^  seine  Nothdurft  zu 
erwerben,  scheint  ihm  gleichfalls  misslungen  zu  sein.  So  griff  er  denn 
hochbetagt  noch  nach  einer  literarischen  Arbeit,  die  vielleicht  ehrenvoll 
und  gewinnbringend  sein  sollte  —  was  Wunder,  wenn  dabei  kein  ab- 
sonderlich rosenfarbener  Humor  ihm  die  Feder  führen  konnte.  Zudem 
hatte  sich  das  ganze  Leben  merklich  geändert,  so  dass  wir  an  dem 
ohnehin  nicht  zukunftsfreudigen  Dichter  noch  die  weise  Mässigung  und 


>)  Jack  Haodschrinen.  1832.  II.  B.  S.  XV. 


392 

rückhaltende  Besonnenheit  anzuerkennen  hätten ,  denn  er  hat  immerhin 
heitere  Laune  genug,  um  über  sich  selbst  den  Scherz  zu  machen :  vier- 
undsechzig Jahre  sei  er  zur  Schule  gegangen,  habe  aber  noch  immer 
nicht  die  Anfangsgründe  jener  Kunst  gelernt,  welche  die  Welt  verachtet 
und  zum  Himmel  emporhebt. 

Auch  sein  Geist  war  nimmer  so  mächtig,  wie  ehedem ;  mit  zwanzig 
Jahren  konnte  er  Alles,  was  er  hörte  oder  las,  behalten;  mit  vierzig 
Jahren  habe  er  noch  zweihundert  Verse,  deutsche  und  lateinische,  auf 
drei  Tage  behalten;  was  er  aber  in  seinen  alten  Tagen  dichte,  das 
müsse  er  sofort  niederschreiben ,  sonst  verschwinde  es  ihm  zur  Hälfte 
aus  dem«  Gedächtnisse. 

Man  hat  die  Abfassung  des  Renners  beiläufig  nach  dem 
1280  gesetzt;*)  da  Hugo  mit  siebenundsiebzig  Jahren  noch 'dichtete,  8< 
wäre  seine  Lebenszeit  zwischen  1235  und  1315  festzusetzen.  t)en  Namej 
trägt  das  Werk  nicht  davon  ^dass  es  in  alle  Lande  rennen  soll,"  ^^i^  e 

die  geschmacklose  Erfindung  eines  späteren  Copisten  aufbrachte,  sondei n 

Hugo  hat  ihm  den  Namen  ^Renner"  wohl  desshalb  beigelegt,  weil  m^r 
gleich  einem  flüchtigen  Rosse  bald  dahin,  bald  dorthin  eilt,  ohne  fest^^n 
Plan  und  eigentliches  Ziel.     Es  ist  kein  einheitliches  Gedicht,    sonde:^m 
ein  grosses  Sammelwerk  von  Betrachtungen,  Beispielen,  Sprüchen  u^z^d 
Maximen;  die  Poesie  oder  Reimkunst  dient  ihm  nur  zur  Besserung  u^m^d 
Erbauung  der  Menschen,  zur  Belehrung  und  Erhebung  zu  Gott    De^^-s- 
halb  ist  ihm   die  ritterliche  Epik   ein   Dorn  im  Auge   und  selbst  (i«r 
Parcival  bekommt  einen  Hieb,  weil  er  dessen  ethische  Bedeutung  nimncm^r 
erkannte;    die  übrigen  Giedichte,  wie  Erec,  Iwein  und  Tristan,  Köi^ig 
Rother  und  Wigalois,   sogar  die  Aeneis  werden   kurzweg  abgewandelt 
und  die  weibischen  Leser  gescholten,  die  über  die  Mühen,  Nöthen  cicci 
Arbeit  der  alten  Recken  oft  mehr  klagen  und  weinen  als  ^über  unseres 
Herren  heilige  Wunden." 

Dass  er  auf  die  Pfaffen  und  Ritter  seiner  Zeit  nicht  gut  zu  spre- 
chen ist,  erklärt  sich  von  selbst;  aber  er  greift  nicht  die  Institutiooen 
an,  sondern  nur  die  ungesunden  Auswüchse  und  die  kranke  Practik ;  den 
Schattenseiten  stellt  er  allemal  auch  ein  entsprechendes  Lichtbild  gegen- 
über. *)     Mit   edler   Schonungslosigkeit    tadelt   er   die    Dummheit   der 


\ 


')  Gedruckt  wurde  dasselbe  in  einer  späteren  Ueberarbeitung.  Frankfurt  lb49, 
—  Herausgegeben  vom  histor.  Verein  zu  Bamberg  18:53  —  35,  nach  ä^ 
achteren  HS.  zu  Erlangen  vom  J.  1347.  —  Die  Münchner  HS.  hat  G.  Vo^e^ 
staine^  1430  geschrieben;  eine  andere  daselbst  slamml  ans  ^egeasovg 
vom  J.  1440.  » 

')  Vgl.  die  schönen  Aufsätze  von  Jan  icke  in  Pfeiffers  Germania  U.  363-77 
und  besonders  V.  385—400. 


893 

* 

Pfaffen  und  ihre  Missbräuche,  die  et  vom  Institat  der  Kirche  genau  zu 
unterscheiden  weiss.  Wir  bedQrfen,  sagt  er,  die  Unterweisung  der  Pfaffen 
(Weltgeistlichen)  und  Klosterleute ,  die  uns  Gott  mit  ihrer  Lehre  und 
ihrem  Leben  zu  Spiegeln  gegeben  hat.  Thut  ihrer  einer  übel,  so  soll 
uns  das  nicht  irren:  folgt  nur  der  guten  Lehre  nach;  widerstrebt  ihnen 
nicht,  wenn  sie  um  der  Zucht  willen  euch  Busse  auferlegen;  sie  haben 
es  vor  Gott  zu  verantworten  und  müssen  euretwegen  Tag  und  Nacht  in 
Sorgen  sein.  Wenn  tausend  Pfaffen  heute  geweiht  werden,  so  sind  sie 
dennoch  Menschen  und  gleich  mir  Fleisch  und  Bein:  die  blosse  Weihe 
reinigt  sie  noch  nicht;  nur  priesterliche  Zucht  und  Gesinnung  verleiht 
die  wahre  Kraft.  Hat  ein  Priester  einfaltige  Sitten,  so  nehmen  daran 
viele  Leute  Anstoss,  der  Pfaff  isf  gleich  einer  Scheibe,  nach  de^  man 
schiesst;  das  Volk  achtet  auf  seine  Lebensweise;  desawegen  soll  er  der 
Welt  ein  gutes  Beispiel  geben  und  bösen  Dingen  Widerstand  leisten. 
Wenn  auch  die  Priester  ungleich  sind,  so  ist  doch  ihr  aller  Amt  rein 
durch  die  Gnade,  die  Gott  uns  und  ihnen  zum  Heil  zu  geben  befohlen 
hat  Selbst  wenn  ein  Priester  aller  Welt  Sünden  auf  sich  geladen  hat, 
dennoch  ist  die  Messe  rein :  seine  Missethat  schadet  ihr  nicht ;  von  Gott 
allein  geschieht  Gnade.  —  Nur  wahrer  innerer  B^uf,  innige  Liebe  zu 
Gott  und  dem  Erlöser  und  Verachtung  der  weltlichen  Dinge  soll  Pfaffen 
und  Mönche  zur  Wahl  ihres  Berufes  leiten.  Wer  um  der  Ehre  willen 
oder  um  gutes  Leben  zu  haben,  Pfaffe  oder  Mönch  geworden  ist,  dem 
wird  Honig  bitter  und  Gifl  süss.  Wer  in  ein  Kloster  gehen  will ,  der 
sollte  vorerst  sieben  Jahre  unter  Noth  und  Angst  einem  Hauswesen 
vorgestanden  haben:  dann  wird  ihm  erst  das  Klosterleben  gut  dünken, 
da  er  jetzt  vieler  Sorgen  enthoben  ist;  dann  bereut  er  auch  seinen 
EnCschluss  nicht  Das  Kloster  ist  eine  Stätte  ftir  reines  Leben  und  in- 
brünstige Andacht;  welcher  Mensch  diese  zweie  nicht  hat  ^der  ist  niht 
visch  unzuf  den  grät* ')  Pfaffen  und  Mönche  sollten  einander  behilf- 
lich sein,  statt  dessen  tragen  sie  Hass  gegen  einander.  Der  Grund  der 
allgemeinen  Verkommenheit  liegt  in  dem  Streben  der  Geistlichkeit  nach 
Reichthümern ,  in  der  Vergeudung  des  geistlichen  Besitzthums  durch 
Kriege,  in  der  Unwissenheit  der  Kleriker  (von  denen  mancher  nicht 
versteht,  was  er  singt  oder  liest),  in  dem  Schacher  mit  geistlichen 
Stellen  und  der  Verleihung  von  hohen  geistlichen  Aemtem  an  Kinder. 
Die  ersten  Bischöfe  der  Christenheit  haben  fast  alle  dei\  Märtyrertod 
erlitten.  Wer  thäte  jetzt  noch  dergleichen?  Pfaffen  und  Layen  nehmen 
was  sie  bekommen  können,,  beide  fällen  gleicher  Weise  ihren  Seckel. 
Pfaffen,  Mönche  und  Nonnen  eifern  den  Kaufleuten  nach  und  trachten 


')  Vgl.  oben  S.  286.  Anmerk.  3. 


394   ' 

mehr  darauf,  wie  sie  Geldgeschäfte* machen,  als  wie  sie  Tugend  in  hei- 
ligei)  Büchern  finden.     Ein  böses  Beispiel  ist  es  für  die  Welt,  wenn  es 
Pfaffen  gibt,    die  sieben  Pfarren   auf  einmal   haben,  ')   und  Mancher 
nähme  deren  noch  mehr.  Auch  ist  es  Unrecht,  unmündige  Kinder,  noch 
ehe  sie  das  erforderliche  Alter  und  die  nöthige  Einsicht  gewonnen  haben, 
mit  Gottes  Gaben  reich  zu  machen  und   ihnen  Pfarren  und  Pfründen 
zu  geben.   Hugo  ist  von  der  Wichtigkeit  des  päbstlichen  Amtes  durch- 
drungen :  leichter  stünde  das  Reich  zehn  Jahr  lang  ohne  König  als  der 
Stuhl  zu  Rom  nur  ein  Jahr  ohne  Pabst  (daz  daz  rieh  an  künec  waere 
zehen  jär,    waer  niht  s6  swaere  als  ob  der  stuol  ze  Rom  ein  jar  an 
bähest  ist,  die  rede  ist  war)";  aber  wie  die  Könige,  so  leiden  auch  die 
Päbste  an  Hoffahrt  und  Habsucht. und  mit  Geld  lässt  sich  Alles  in  Rom 
machen.   Nicht  besser  ist  das  Leben  der  hohen  Herren  und  des  Adels. 
Früher,  da  noch  Zucht  und  Ehre  bei  grossen  Herren  war,  ward  „manec 
edel  kint^  in  fremde  Länder  gesandt,    auf  dass  es  Anstand  und  Ehr- 
barkeit lernen  solle;  jetzt  aber  haben  die  Herren  so  bösQ  Sitten,  dass 
ein  Edelmann  sein  Kind  ebenso  gut  in   eine  Schenke  schicken   könnte^ 
h\s  zu    den   Herren.     Hofleute   trachten   heutzutage    wenig   nach   dem 
Himmel;    ein  Gerechter  mag  sich  mit  Fürsten  nicht  einlassen;    selten 
ist  ein  einfacher  Mann   am  Hofe  geblieben.     Mich  wundert,    was  der 
predigen  wollte,  der  sich  unterfinge  Hofgesinde  zu  bekehren.  ^  So  lange 
ihre  Habsucht  «ind  ihr  Ehrgeiz  Rechnung  finden,   so   lange   folgen  sie 
dem  Hofe  nach.   Viele  Herren  haben  lieber  einen  falschen  Schmeichler, 
als  einen  Mann,  der  es  redlich  mit  ihnen  meint.  Wer  Gott  von  Herzen 
lieb  hat,  den  nimmt  man  selten  in  den  Rath  der  Fürsten.     Am  Hofe 
ist  manches  Mannes  Seele  zu  Grunde  gegangen  und  mn  denselben  Ver- 
lust hat  auch   mancher  ein  Bisthum  erhalten.     So  äussert   sich  unser 
Hugo  über   das  damalige  Hofleben    und  sein   Raisonnement  entspricht 
ganz  den  unlieben  Schilderungen,   die   unseren  Lesern   wohl  noch  ans 
dem  ^Helmbrechf  erinnerlich  sind. 

Nach  den  heutigen  Grenzverhältoissen  hat  auch  der  berühmte 
Fabeldichter  B  o  n  e  r  für  uns  eine  Beziehung.  ^)  Auf  die  Einladung  des 
im  Jahre  1320  aus  Schwaben  auf  den  fürstbischöflichen  Stuhl  gewählten 
Johann  von  Guttingen  soll  Boner  von  Bern  nach  Bamberg  gekommen, 


>)  boes  bilde  iiimt  die  werft  daran  ^  wan  manic  pfafT  hdl  siben  pfarre  und  i^ 
doch  so  gar  ein  narre,  der  im  noch  ein  lih  cd  7wi.o^  er  naem  vil  üble  oucb 
sie  darzuo. 

')  In  Kwei  Papierhandscbrinen  aus  dem  XV  Jahrb.  ^  eine  davon  mit  Bild^ 
aus  der  ßibl.  von  St.  Emeram  zu  Regensburg  auf  der  Münchner  Bibliotbei' 
Ausgabe  von  Franz  Pfeiffer.  Leipzig  1844.  (IV.  ß.  der  Dicht,  des  deot 
mtlelalters.) 


395 

dort  zam  Scholaster  am  Dom  ernannt,  aber  bereits  1324  mit  seinem 
bischöflichen  Gönner  wieder  abgetreten  sein. ')  Das  von  ihm  bearbei- 
teta  Fabelbuch  wurde  aus  einer  bis  dahin  in  Bamberg  befindlichen 
Handschrift  im  Jahre  1461  durch  Albrecht  Pfister  allda  gedruckt') 
Von  diesem  Drucke  ist  das  einzige  übrige  Exemplar  auf  der  Bibliothek 
zu  Wolfenbüttel.  Da  der  Fürstbischof  Johann  von  Guttingen'  sehr  viel 
zur*  Erhaltung  jener  Domschule  that ,  welcher  kurz  zuvor  noch  Hugo 
von  Trimberg  vorgestanden  war,  so  wäre  es  wahrscheinlich,  dass  Boner 
einen  Theil  seiner  Fabeldichtungen  far  die  Schule  entworfen  hätte, 
zumal  da  es  auch  auffallend  ist,  dass  Bamberg  eine  eigene  Handschrift 
besass,  obwohl  die  Fabeln  sehr  schnell  und  weit  verbreitet  wurden. 
Boners  Fabeln  sind  nach  seiner  eigenen  Angabe  bloss  aus  dem  Latei- 
nischen übersetzt  und  zwar  zu  drei  Theilen  aus  Avian  und  aus  dem 
versifizirten  Romulus  oder  Anonymus  von  Nevelet,  zum  vierten  Theile 
aus  anderen  La,teinem.  Sie  zeichnen  sich  durch  natürliche  prunklose 
Einfalt  aus,  wie  im  Nachklange  der  Blüthezeit  unserer  mittelhoch- 
deutschen Dichtung.  — 

Darauf  lassen  wir  ä)  kurz  noch  die  Reim  Chroniken  folgen.  Sie 
gingen  zwar  nicht  aus  dem  Epos  hervor,  sondern  traten  an  die  Stelle 
deutscher  Sagen;  doch  ist  ein  Nachklang  der  epischen  Poesie^  in  ihnen 
nicht  zu  verkennen.  In  erster  Reihe  erscheint  die  KaiserchroniTc.'). 
Die  Mundart  derselben  ist  entschieden  bayerisch.  Hier  haben  wir  Ge- 
legenheit, eine  seither  üblich  gewordene  Unrichtigkeit  zu  berichtigen. 
Der  Name  „Kaiserchronik'*  steht  in  gar  keiner  Handschrift,  sondern 
rührt  von  -D  o  c  e  n  her ,  geht  also  über  das  ^rste  Jahrzehent  unseres 
Jahrhunderts  nicht  hinaus;  die  passendste  Benennung  wäre:  „der 
kunige  buoch,'*  die  auch  durch  2  HS^  gesichert  ist.  Sie  ist  eine  Samm- 
lung yop  Legenden  und  Historien,  die  bis  auf  Kaiser  Lothar  IL  reicht, 
beiläufig  um  1150  entstanden  sein  mag  und  seitdem  zum  öfteren  um- 
gearbeitet wurde.**)  Gleiches  Ansehen  genoss  im  Mittelalter  die  Welt- 
chronik des  Rudolf  von  Ems,  welche  nach  1347  von  Heinrich 
von  München  neu  aufgepommen  und  überarbeitet  wurde,  indem  er 
Stellen  aus  den  Werken  Rudolfs  und  Enenkels  und  bald  in  mehr,  bald 
minder  wöitlichem  Auszuge  Konrads  Trojanerkrieg,  Strickers  Karl,  den 


>)  Vgl.  Jäck  Beschreibung  der  Handschrinen  II.  B.  S   XX11I  u.  III.  B.  S.  VIII. 

')  88  Blätter  kl.  Fol.  mit  Holzschnitten. 

')  Pghs.  XIIL  Jalfrh.  4»  132  Blatter  Cod.  germ.  37.  Die  Geschichte  dieser  HS. 
in  Roth  Bruchstücke  der  Kaiserchronik.  1843.  S.  VH.  ~  Eine  andere  HS. 
hat  später  Christoph  Tegernseer  1594  zusammengeschrieben. 

«)  Ausgabe  durch  Mvssmann.  I.  B.  1849.  (v.  1  -  9248.)  H.  B.  (v.  9249  - 
18,578.)   III.  B.  1854.  (mit  lit.  Nachweis.) 


396 

hl.  Wilhelm  und  Anderen  darin  zusammentriig.  So  war  die  auf  ähn- 
lichem Wege  entstandene  ^ Kaiserchronik  ^  im  Geschmack  der  Zeit  un- 
förmlich überboten.  ')  —  Auf  dem  Schlosse  Runkelstein  in  Tirol,  wo 
der  kunstsinnige  Conrad  Vintler  (der  Dichter  des  ^Tugenbuches")  in 
poetischer  Einsiedelei  mit  seinem  Oheim  Nicolaus  hauste,  finden  wir 
Ende  des  XIV.  Jahrh.  einen  Hans  Sendlinger,  welchen  er  aus 
Bayern  berufen  hatte  und  der  ihm  dort  als  Capellan  und  Buchabschreiber 
diente;  derselbe  verfasste  auch  eine  Reimchronik,  welche  sich  als  eine 
freie  Uebersetzung  von  Gottfrieds  von  Viterbo  ^Pantheon**  heraus- 
stellt.') Er  hat  natürlich  dazu  ^ein  tail  getichtet.^  ^Die  wunderlich- 
sten Märchen  (sagt  ZiugerleJ  werden  hier  als  Wahrheiten  aufgetischt, 
Thatsacheo,  von  denen  man  sehr  wenig  weiss,  werden  in's  Breite  ge- 
sponnen; Personen,  die  in  früherer  Zeit  lebten,  werden  auf  lächerliche 
Weise  bis  auf  die  letzte  Pore  beschrieben.  *)  Gerade  diese  Schilder- 
ungen sind  das  Unnatürliche  und  Widerliche  und  geben  Zeugniss  vom 
tiefen  Verfalle  der  Kunst.  Dagegen  verrathen  manche  Stellen  wirklich 
Gemüth  und  einen  poetischen  Anflug,  z.  B.  die  Beschreibung  der  Gottes- 
mutter unter  dem  Kreuze  ihres  Sohnes. "  Da^s  der  Poet  aus  München 
war,  sagt  er  selbst  bestimmt,  ebenso,  dass  er  die  Arbeit  auf  die  Auf- 
forderung Heinrichs,  Landgrafen  von  Thüringen,  gemacht  habe.  Der 
Schluss  lautet :  „Do  diser  kaiser  Fridreich  starb  do  waz  von  gotes  purd 
zwelf  hundert  vnd  vierzehen  jar.  Do  waz  von  angeng  der  werlt  pisher 


')  Massmann  III.  95.  Heinrich  von  Beierlant  der  sich  niht  anders  bat 
genant^  von  München  üz  der  werden  slaf.'  Vgl  Wackerna  gel  Lil 
Gesch    S.  175. 

^)  Vgl.  Zingerle  über  den  Aniheil  Tirols  an  dbr  poetischen  fJationaUileralur 
im  MillelaTler.  Innsbruck  1851.  8.  15.  Ders.  Freskencycliis  aiiT  Schloss  Riin- 
kelslefn.  Innsbruck  1858;  Ferner  in  Hau pt*s  Zeitschrift  X.  257  und  im  An^ 
Zeiger  des  germ.  Mus*  1859.  §.  41  über  die  Familie  der  Senllinger. 

'j  So  wird  z.  B.  die  Schönheit  Maria's  beschrieben :  An  irr  sei  mit  tutenden 
reich  also  waz  die  magt  wunnikleich  und  wol  getan  an  irem  leib  sie  wai 
die  schönes!  aller  weih.  Vi!  weiz  war  si  9chÖn  und  plank  nicht  ze  charz 
noch  ze  lauk.  ir  leib  waz  schön  und  wol  irevar  an  allen  stacht  wandet  gar, 
ir  pra  prann  und  smal  und  wol  ge'an  ir  hirnschal.  Gel  und  goltvar  waz  ir 
har  alz  die  geschrin  sagt  für  war,  ir  zöpf  iank  f^röz  und  sieht  wol  gefloch- 
ten und  ^erehl.,  ir  äugen  ah  ein  cherzenlicht  daz  man  in  lust  gern  siehL 
nicht  ze  groz  noch  ze  klein  und  wol  gleich  den  edlen  slain  der  Saphirus 
ist  genant  oder  gleich  dem  Jachfint;  daz  weiz  waz  ir  do  milchvar  und  glaiz 
als  einem  adlar.  Ir  nas  war  sieht  und  wol  getan  und  aller  stacht  wandeis 
an^  ir  mund  waz  auch  minnikleich  und  Huzusehen  Wunnikleich^  ir  lebs  (Lef- 
zen, Lippen)  rot  und  rosenvar  rain  an  allen  geprcsten  gar^  ir  zend  waren 
sieht  all  geleirh.und  wol  gerecht,  weiz.  schön  und  gar  rain  ffeleich  dem 
weiz7.en  hellfenpain.  Ir  >Väu^el  warn  lilienvar  dar  nnl^r  hat  sich  gemischel 
dar  alz  rot  rosenvarb  ir  schein  davon  wurden  die  wän^lein  i^ezierl  als  ein 
lilien  plat  und  alz  ein  rosen  darauf  gesät.  Ir  chinn  daz  waz  sinibel  (sinewel) 
und  weiz  alz  ein  semel  mel^  enmitten  ^'«e  ein  grüblein  durdi  4«l  chinn  da- 
von fein,  gezierd  dester  grözzer  warz  und  ir  untlütz  stunt  des  paz;  ir  halz 
weiz,  ir  kel  plank,  nicht  ze  tick  ze  mazzen  Iank. 


397 

sechs  tausend  vnd  vierhundert  vnd  XlV.  jar.  Auch  hat  ditz  Puch  ge- 
schriben  vnd  volpracht  Haintz  Sentlinger  von  München  vnd  ein 
tail  getichtet  Vnd  ist  gar  volpracht  dö  man  zalfvon  Christes  gepurd 
tausend  jar  drew  hundert  jar  vnd  in  dem  vier  und  neunzigsten  Jar  an 
der  Etsch  auf  dem  Runkelstain  pei  meinem  herren  Niclas  dem  Vintler. 
In  dem  moned  Junius  an .  dem  drewzehenden  Tag,  do  waz  der  tag  S. 
Antony  confes  de  Padua."  ') 

Ausserdem  trifft  auf  den  bayerischen  Boden  jetzt  auch  die  kleine 
Kastler  Reim- Chronik,  deren  Verfasser  Abt  zu  Kastei  war  von 

» 

1323 — ^^56.  Es  sind  jedoch  nur  790  Verse.  ^)  Auch  hier  spuckt  eine 
fabelhafte  Urgeschichte,  es  heisst,  dass  die  Leute  vom  See  Meothide 
eingewandert  (v.  67)  und  bei  ihrer  Ankunft  im  „Nortgew^  (v.  93)  und 
im  Nortwalt  (v.  96)  noch  mehr  wilde  Thiere  denn  Menschen  angetroffen 
hätten  u.dgl.  Eiae  Rottenbucher  HS.  aus  dem  XIV.  Jahrh.  enthält 
eine  Chronik  der  röm.  Päbste  und  Könige  in  deutschen  Versen.')  Hieher 
gehört  auch  die  Geschichte  des  Klosters  Waldsassen,  eigentlich 
die  Entstehung  desselben  in  deutschen  Reimen  aus  dem  XIV.  Jahrh.**) 
Schmeller  hält  das  Büchlein,  welches  mit  15  ganz  frischen  volksthüm- 
lichen  Strophen  beginnt,  dann  aber  in  Spruchsprecher-Manier  übergeht, 
für  einen  poetischen  Versuch  des  Abtes  Johann  N.  Grübel  (1329 — 
1339),  der,  ein  gebomer  Thüringer,  in  Paris  studirt  hatte,  dann  Abt 
zu  Ossek  in  Böhmen  war  und  von  da  nach  Waldsassen  kam.  Er  war 
sehr  baulustig  und  besass  ein  gesellschaftliches  Talent;  docK^gibt  sein 
Reimwerk  keinen  grossen  Begriff  von  seinem  poetischen  Vermögen  in 
der  Muttersprache.  Zuletzt  ist  noch  zu  erwähnen  die  Geschichte  der 
Konstanzer  Kirchenversammlung,  welche  unter  dem  Titel  „des  Concils, 
Grundveste**  1418  von  Thomas  Prischuch  aus  Augsburg  dem  Kaiser 
Sigismund  zugeeignet  wurde.*)  lieber  andere  kleine  Geschiclitserzähl- 
.ungen  wird  unter  dem  historischen  Volkslied  in  der  Folge  die  Rede  sein. 

Den  Schlussstein  der  epischen  Dichtung  des  Mittelalters  machen 
zwei  grosse  Sammelwerke,  das  eine  vom  Kaspar  von  der  Roen, 
das  andere  von  dem  Münchner  Ulrich  Fütrer  oder  Fürte r er. 


*)  Das  MS.  von  305  dreispaKigen  Pergumentblänern  in  Fol.  mit  Bildern  ist  im 
BesiU  des  Herrn  Johann  von  Vinller  in  Bninecken. 

')  Abg^edruckt  mit  liislor.  £rörleruugen  in  Freybergs  ges.  Si-hririen.    1828. 
II.  455-88. 

')  Ar  et  in  Beiträge.  II.  B.  4.  S(.  S.  75. 

*)  Herausgegeben  von  Schmeller  im  X.  B.  der  Yerhandl.  des  histor.  Vereins 
von  Oberpfalz  und  Regensburg.       * 

»)  Wackernagel  S.  222. 


398 

Kaspar  von  der  Roen  Hat  (mit  Hilfe  eines  anderen  Genossen, 
der  die  alten  Av^tiuren  nach  Belieben  kiirzte  und  zustutzte)  einen  Codex 
zusammengeschrieben,  welcher  für  den  Herzog  Balthasar  von  Mecklen^ 
bürg  bestimmt  war.  Schon  die  Ueberschriften  zeigen  davon,  wie  weit 
die  Heldensage  verblichen  und  beinahe  bis  zur  Unkenntlichkeit  entstellt 
war.  Die  Sammlung  enthielt:  1)  den  Ortney  (Ortnit),  2)  Wolf- 
dietrich, 3)  Ecke  (Eckenausfahrt),  4)  der  Rosengart  zu  Wur- 
micz  (Rosengarten  zu  Worms),  5)  das  merwuuder,  6)  Sigenot, 
7)  der  wunderer  (oder  Etzels  Hofhaltung),  8)  Hertzog  Ernst, 
9)  Laur%in,  10)  Dietrich  und  seine  Gesellen,  11)  der  vater 
mit  dem  sun  (d.  h.  das  Hildebränddlied).  Die  durch  Schönheit  und 
Sorgsamkeit  ausgezeichneten  Theile  dieser  Handschrift  (Nro.  3.  4.  6 — 9) 
fallen  auf  die  Rechnung  unseres  Kaspars  von  der  Iloen,  der  sich  selbst 
einen  Franken  und  aus  ^munerstat^  ( Münnerstadt)  gebürtig  nennt;  er 
schrieb  seinen  Theil  im  Jahre  1472.  Ob  jedoch  der  Herzog  das  viel- 
leicht durch  seinen  Kanzler  Dr.  Antonius  Grunewald  (aus  Nürnberg) 
bestellte  Manpscript  wirklich  erhalten  habe,  ist  zweifelhaft,  da  der  Codex 
sich  zu  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  noch  zu  Nürnberg  und  zwar 
1714  im  Besitze  des  Thomasius  befand,  von  dem  er  an  Gottsched  und 
zuletzt  in  die  Dresdner  Bibliothek  gelangte.  *) 

Während  das  Sammelwerk  des  Kaspar  von  der  Roen  die  alten 
volksthümlichen  Heldensagen  zum  Abschlüsse  bringt,  hat  Ulrich  Für- 
terer  alle  Romane  vom  Gral  und  der  Tafelrunde  in  einen  Cyclus 
gebracht,  der  durch  nichts  als  die  überall  angewendete  Titurelstrophe 
zusammenhängt.  Ulrich  war  Maler,')  Poet  und  Chronist;  für  Herzog 
Albrecht  IV.  von  Bayern  (1475  t  1508)  schrieb  er  1478—1481  eine 
Chronik  in  Prosa.')  Es  ist  etwas  rührendes  daran,  wie  ein  Mann  bür- 
gerlicher Herkunft,  im  pompösen  Versmaass  des  Titurel,  eine  ganze 
Reihe  alter  Rittergedichte  umzuarbeiten  wagt,  unbekümmert  um  den 
Beifall  der  ganzen  Welt,  wenn  er  nur  die  Beistimmung  seines  hochver- 
ehrten Fürsten,  Herzog  Albrecht  IV.  und  etwa  des  damals  schon  sehr 


*j  Vgl.  die  inleressanle  Untersuchung  ober  Kaspar  von  der  Roen  und  die  Ge- 
schichte dieser  HS.  von  Zarncke  in  Pfeiffers  Germania.  1.  53—63. 

')  Im  Jahre  14()5  malte  ein  Meister  Ulrich  Fülerer  im  Kloster  Tegernsee  in  der 
Kapelle  des  heil.  Andreas  und  der  daran  stossenden,  im  Kapitetzimmer  und 
im  oberen  Stockwerke  des  Klosters  (Günthner  III.  296)  und  erhielt  für 
diese  Fresken  von  dem  Abte  Konrad  V.  als  Honorar  41  Pfund  Pfenninge 
(=  2112  Gulden).  -  Kurier  Gesch.  der  Malerei  II.  192.  —  In  der  Wiener 
Bibl.  werden  ihm  die  Bilder  in  einer  HS.  „von  Ereck  und  Enite"^  vom  Jahre  ^ 
1517  zugeschrieben.  Büsching  v^öchentl. Nachrichten.  II.  155.  —  Ueber  den' 
Namen  Fütrer  =  Fütterer  vgl.  Roth  Beitr.  I.  212. 

')  Vgl.  Würlhmann  Oberbair.  Archiv.  V.  48—86. 


899 

betagten  Pütrich  von  Reicherzhausen  erhielt,  der  ja  ein  so 
grosser  Liebhaber  dieser  Literatur  war,  dass  er  in  ihren  Formen 
stümperte  und  klimperte,  wenn  er  auch  nicht  einmal  unseren  Ulrich  er- 
reichte. Wie  hoch  der  Fflrterer  seinen  ti*efHichen  Fürsten  geachtet  und 
geehrt,  geht  aus  dem  langen  Prologe  hervor,  den  er  seinem  Lanzilot 
vorausschickte.')  Die  alten  ritterlichen  Zeiten  waren  dahin,  aber  in 
Ulrich  lebte  noch  das  Andenken  und  die  Sehnsucht  nach  ihnen,  doch 
die  Sprache  und  die  Sinnesart  wareo^  anders,  das  KleeUatt  der  Minne, 
Höfischkeit  und  Aventiure  grünte  nicht  mehr.  Ulrich  sieht  staunend  an 
sein  Vorbild,  Albrecht  von  Scharfenberg  hinauf,  den  er  einen  Riesen 
nennt,  während  er  selbst  nur  ein  Zwerg  sei  in  der  Kunst  Ulrich -s 
Bildersprache  ist  mit  der  des  armen  Weinsberger  Webers  Michel  Be- 
heim  verwandt;  aus  dem  Tiegel  der  Kunst  will  er  das  Ehren -Insigel 
seines  Herzog  Albert  giessen,  am  Stein  der  Kunst  will  er  seiner  Zung 
^  grabstiehl  ^  wetzen  „daz  sy  durchgrab  vil  süsser  wört,  wann  dazu  hört 
(gehört)  nicht  schaufei  noch  der  pickl.^  Nie  hat  seinen  edlen  Herrn  des 
Lasters  Dom  geritzt  „seiner  Ehre  Fahne  darob  er  hohe  wedelt;'^  bei  ' 
seiner  Geburt  hatte  die  „Unart  ihre  Schanz  verloren^  u.'8.  w. 

Ulrichs  ungeheuere  Arbeit  enthält  1)  den  Trojanerkrieg  und  Argo- 
nautenfahrt, 2)  Merlin,  3)  Gamuret  und  Gaudin,  4)  Tschiotanulander 
und  Sigune ,  5)  Parcival ,  6)  Lohengrin ,  7)  Flores  und  Wigalois ,  S) 
Seyfnd  de  Ardimont  (der  mit  den  Nibelungen  und  dem  gehörnten  Sigfrid 
nichts  gemein  hat),  9)  Melerans  von  Frankreich  und  Dydomeye,  10) 
Ibain  (Iwein),  11)  Per^ybein,  12)  Poytislier  aus  Indien,  13)  den  unge- 
heueren Lanzelot. ') 

Gleichzeitig  lebte  auch  Meister  C  o  n  r  a  d  Paumann,  von  Fürterer 
gewöhnlich  „maister  Conrad^  genannt,  der  blindgeborne  Organist  und 
Lautenspieler,  der  an  der  Spitze  von  Herzog  Albrechts  Capelle* stand 
und  dessen  Grabstein  noch,  am  Südportale  der  Frauenkirche  zu  München 
sichtbar  ist;  mehr  von  ihm  in  der  Folge.  — 

So  haben  wir  denn  die  Geschichte  der  epischen  Dichtung,  von  ihren 
frühesten  Anfangen  aus  den  nationalen  Stoffen ,  durch  die  klösterliche 
Pflege,  in  die  ritterliche  Kunstentwicklung  und  höchste  Blüthe,  von  da 
weiters  zum  schnellen  Verfall  in  leerer  Abenteuerlust,  Allegorie  und 
Didaktik,  bis  zu  ihrer  spateren  Nach-  und  Abblüthe  verfolgt.  Bald  nach 
der   Erfindung    der  Buchdruckerkunst,    mit   der  Ueberhandnahme  des 


*)  Abgedruckt  durch  Docen  in  Areliiis  Beitr.  IX.  B.  S.  1212-25. 

>)  Beschreibung  der  kostbaren  HS.  in  Aretin  Beitr.  1803.  4  St.  S.  49  fT.  Vgl. 
Ha^en  im  Neuen  Lit.  Anzeiger.  1808.  Nro.  4  und  Aretin  fit.  Handbuch 
f..  die  bayr.  Geschichte.  I.  161-- 74. 


400 

Feuergewehr,  gleichzeitig  im  geheimen  Bunde  mit  der  allgemeinen  Aus- 
breitung der  klassischep  Bildung,    als  neue  Wege  nach  neuen  Welten 
gebahnt   wurden    und   die   baufällig  gewordene   kirchliche  Disciplin  die 
ersten  Stösse  bekam ,  war  das  Mittelalter ,  das  Ritterwesen  und  dessei 
Poesie  bei  uns  abgethan.     Nur  .in  den   romanischen  Ländern ,   wie  ii 
Italien,   fand  in  dieser  späteren  Zeit  des  XV.  und  XVI.  Jahrhundei 
die  künstliche  Ritterdichtung  noch  eigenthümliche,  ft'eilich  mehr  hum( 
ristische  Ausbildung.  In  Spanien  begeisterte  ein  achtes  altes  Ritterbu< 
mit  den  daran  gereihten   äussehweifeitdsten  Ritterromanen,  den  scharf      ^ 
sinnigen  Landjunker  zum    erhabenen,   tragikomischen  Wahnsinn , 
versunkene  Ritterthum  wieder  zu  beleben ,   welches  schon  mit    ^dei 
Ritter  ohne  Furcht  und  Tadel  ^   erschossen  ward.    Die   voü  gemeint^^ji 
allegorisciien  Ritterromane  Frankreichs  und  Englands  konnten  die  ye:xr-- 
rauschte  Zeit  noch   weniger  zurückrufen  und    heraufbeschwören,    vL^i 
weniger  als  das  ebenfalls  allegorische  Gedicht,    das  der  letzte  deutscl^e 
kaiserliche  Ritter  von  seinem  eigenen  Leben  gedichtet,  dieses  vermoelit 
hatte.     Mehr  hätte  dieser  Kaiser  gewirkt,  wäre  sein  schon  zum  Druck 
vorbereitetes  Unternehmen,  die  uralten  vaterländischen  Heldendiehtun^en 
und  ächten   Rittergedichte    zu   erneuem,    zur  Ausführung   gekommen. 
Wie  ehedem  der  Lichtensteiner   als  Culturhistoriker  des   Miunelebens 
seine  tollen   PhantßrStereien  beschrieb,   so  griff  jetzt  die  eiserne  Faust 
selbst  zu  der  Feder  und  schrieb  ihr  eigenes  Lebensbild,  das  eines  starken 
Selbsthelfers  in  der  Reichsnoth  dor  wüsten  Fefadezeit. 


\ 


Zweites  Buch. 


Lyrisclie  üiclitiiiig'. 


26 


A. 

Kirchenlied. 


Es  gab  mal  eine  Zeit,  wo  die  Literaturgeschichte  glaubte,  ein 
deutsches  Kirchenlied  habe  vor  dem  XVI.  Jahrh.  gar  nicht  existirt  und 
der  Volksgesang  beim  Gottesdienste  sei  erst  eine  Errungenschaft  der 
Reformation.  Zusammenhängend  mit  dieser  Meinung  herrschte  auch  die 
Ansicht,  es  hätte  vor  der  Wittenberger  Uebersetzung  keine  deutsche 
Bibel  gegeben.  Beide  Meinungen  sind  jetzt  glücklicher  Weise  antiquirt 
und  in  die  Rumpelkammer  des  ehemalig  gang  und  gäben  Aberglaubens 
verwiesen,  wo  jedoch  noch  Platz  genug  fiir  weitere  „historische"  Ueber- 
lieferungen  sein  soll.  Der  Protestantism  mag  mehr  auf  den  Gesang 
im  Betsaal  und  im  Hause  gehalten  haben,  vielleicht  nur,  nm  sich  auch 
darin  von  der  alten  Kirche  zu  unterscheiden.  Eine  tausendjährige 
Erfahrung  weist,  dass  alle  religiösen  Streitigkeiten  auf  das  Kirchenlied 
fordernd  einwirkten,  die  Neuerer  pflegten  immer  durch  Lieder  ihre  Mein- 
ungen zu  verbreiten  und  die  Anhänger  der  Kirche  suchten  ihnen  auf 
dieselbe  Weise  entgegen  zu  wirken. ')  Dass  das  deutsche  Mittelalter 
des  Volksgesanges  aber  gänzlich  entbehrt  habe,  war  nie  zu  erweisen, 
im  Gegentheil,  w  haben  für  das  Vorkommen  desselben  allerlei,  in  das 
höchste  Alter  hinaufreichende  Nachrichten  und  Quellen. 

.Unstreitig  hatte  das  Volk  schon  beim  Dienste  seiner  alten  Götter 
den  Gesang  geübt,  »ebenso  wie  den  Tanz.  Wenn  die  Sangeslust  so  mit 
dem  Leben  verwachsen  war,  dass  ein  Heidenapostel  erst  Gehör  finden 
konnte,  als  er  die  Lehre  vom  Friedekind  Gottes  singend  zu  verkünden 
begann:  warum  sollte  die  deutsche  Kirche  gerade  diese  Sitte  ausge- 
schlossen haben ,  da  sie  so  Vieles  fortbestehen  Hess.    Nur  das  Tanzen 


*)  Vergl.  Hölscher  Das  deutsche  Kirchenlied  vor  der  Rerormalion.  Mit  alten 
Melodien.  Münster  1848.  S.  69  ff,  Hihirius  von  Poitiers  und  Ambrosius 
wurden  durch  die  Arianer  veranlasst,  Hymnen  für  den  Kircbeiigesang  zu 
dichten ;  Ephräm  der  Syrer  durch  die  gnostiscben  Lieder  des  Bardesanes  und 
Harmonius;  Clemens  von  Alexandrien  durch  die  unchrislliclien  Lieder  des 
Paulus  von  Saniosala  u.  s.  w. 


26^ 


404 

wurde  nicht  in  die  neue  Liturgie  hinübergelassen;   aber   die  alten  Er- 
innerungen tauchtep  immer  wieder  auf,    das  Langgewohnte  lässt  sid^ 
nicht  augenblicklich  abstreifen ;  die  vielen,  immer  wiederkehrenden  Ver — 
böte  gegen  das  Reihen  in  der  Kirche,  beweisen,  wie  schwer  es  hält,  alt^ 
Gewohnheiten  zu  unterdrücken  und  endlich  ganz  vergessen  zu  machen. 

Die  grössten  Verdienste  um  das  Kirchenlied  hat  Pabst  Gregor  de^i 
Grosse, ')   indem  er  nicht   nur  eigene  Hynmen  dichtete  und  Gesäng^^ 
setzte,    sondern  auch  alle  zu  seiner  Zeit  üblichen  Kirchenlieder  eigei^. 
händig  sammelte,  verbesserte,  nach  dem  Jahrescyclus  ordnete  und  n^] 
Tonzeichen  versah.     Sein  authentisches  Antiphonar  stand  zu  Rom   ii] 
hoher  Verehrung,   gleich  einem  Schatze  bewahrte  man  dasselbe  nebeo 
dem  Altar  der  hl.  Apostel,  an  einer  Kette  befestigt,  und  es  galt  in  der 
Folgezeit  den  Sängern  aller  christlichen  Völker  als  einzige  Norm  und 
Richtschnur  im  Kirchengesauge.  Von  da  kamen  die  Sangesmeister  nacb 
Frankreich  und  Britannien   und  später  mit  dem  heil.  Bonifacius  nach 
Deutschland ,  wo  dieser  Apostel  an  allen  Bischofsitzen  und  Klöstern,  zo 
Fulda,   Eichstätt  und  Wirzburg  Sängerschulen  anlegte.    Ebenso  hatten 
Korbinian  zu  Freising,  und  St.  Gallus  und  Pirminius  zu  St.  Gallen  niKi 
in  der  Reichenau  diese  Kunst  eingeführt  und  gepflegt.   Die  Musik  aber 
kam  zu  Freising  so  in  Blüthe,  dass  der  Ruf  davon  nach  Italien  erscholl 
und    Pabst  Johann  VIIL    sogar   bayerische    Orgelspieler   von  Freising 
nach  Rom  berief. 

Die  Kirche  hatte  die  lateinische  Sprache  mitgebracht;  der  kleine 
Theil  des  Volkes  von  römischer  Abkunft,  welcher  selbe  noch  ver- 
stand, liess  selbe  sich  ruhig  gefallen,  der  andere  Theil  machte  die 
deutsche  Zunge  geltend.  Karl  der  Grosse  hatte  sich  römische  Sänger 
verschrieben,  von  denen  Roman  auf  der  Reise  erkrankte  und  zu  St 
Gallen  zurückblieb ,  wo  er  eine  eigene  Sängerschule  gründete  und  von 
weit  und  breit  Schüler  erhielt,  welche  die  neue  Kunst  in  ihre  Heiniath 
zurücktrugen. ')  Karl  der  Gr.  verlangte  im  Jahre  789 :  das  Gloria  und 
Sanctus  solle  von  den  Gläubigen  gleichzeitig  mit  döm  Priester  gesungen 
werden.  Sonst  begnügten  sie  sich  wohl  mit  emem  litaneienartigen  Be»- 
pondiren,  wobei  die  Männer  begannen  und  die  Frauen  das  eintönige 
„Kyrieles^  nachsangen.  So  „leiseten^  sie  bei  Bittgängen  und  Unujügen, 
beim  Empfange  von  Heiligthümeni  und  Martyrergebeinen,  beim  Auszog 
zum  Kampfe  und  mitten  in  der  Schlacht;  ebenso  war  die  Ankunft  bober 


")  Geb.  540.  Pabst  von  590-004. 

')  Vgl.  das  schöne  Werk  von  P.  A.  Seh u biger:  Die  Sin^erschule  St.GtX^ 
vom  VIII  —  XII.  Jahrb.  Ein  Beitrag  zur  Gesanggescbichle  des  MitteliKefS* 
Einsiedeln  1858. 


405 

Herren  und  K5nige  in  einem  Kloster  immer  mit  feierlicher  Procession 
und  Gesang  verbanden.  Wie  die  Nachricht  vom  Besuche  des  Königs 
oder  Herzogs  im  Kloster  erscholl,  verstümmelten  sich  die  Mönche  auf 
ein  Zeichen  des  Abtes  in  pler  Kirche,  kleideten  sich  da  je  nach  ihrem 
kirchlichen  Range  mit  dem  Klerikalornate  und  die  Sakristane  ordneten 
die  Procession  unter  festlichem  Klange  der  Glocken.  Voraus  zogen  zwei 
Kreuzträger  und  derjenige  in  ihrer  Mitte,  der  das  Weihwasser  trug; 
ihnen  folgte  ein  drittes  Kreuz  von  zwei  Rauchfassträgem  begleitet,  dann 
nach  einander  drei  Kleriker ,  von  denen  jeder  ein  Evangelienbuch  trug 
und  zugleich  von  zyei  Acolythen  ^begleitet  wurde.  An  diese  schlössen 
sich  je  zwei  und  zwei  die  Conventbrüder  an,  denen  die  Knaben  des 
Klosters  mit  ihren  Lehrern  sich  reihten,  nach  diesen  folgte  der  Abt, 
welchem  sich  paarweise  der  Chor  der  übrigen  Mönche  anschloss.  Alle 
zogen  schweigend  einher,  bis  sie  zur  bestimmten  Stelle  kamen,  wo  der 
"König  ihrer  harrte.  Hier  bot  ihm  der  Abt  das  Weihwasser  dar,  dann 
reichte  er  ihm  das  Evangelienbuch  zum  Kusse  und  incensirte  ihn.  Unter 
dem  Geläute  aller  Glockert  ertönte  der  Gesang  und  der  Zug  bewegte 
sich  in  die  Kirche  zurück.  Dazu  wurden  meist  eigene  Gesänge  gedichtet 
und  neue  Melodien  gesetzt. ')  Froumunds  Festgedicht  zum  Empfange 
des  Kaiser  Heinrich  zu  Tegerngee  wurde  wahrscheinlich  auch  in  solcher 
Weise  vorgetragen.  —  Als  der  heil.  Bischof  Willibald  die  Gebeine 
seines  Bruders,  des  heil.  Wunebald  (t  761  als  erster  Abt  des  von  ihm 
gestifteten  Benedictinerklosters  Heidenheim  am  Hahnenkam)  im  J.  777 
erheben  liess«  wurden  die  Reliquien  unter  dem  Psalmengesange  der 
Mönche  und  dem  frohlockenden  Kyrie  eleison  des  Volkes  zur  neuen 
Grabstätte  begleitet  und  feierlich  beigesetzt.')  Ebenso  geschah  es  mit 
St  Quirins  Ueberresten  zu  Tegemsee.  Als  nach  dem  Tode  des  heil. 
Ulrich  an  seinem  Grabe  ein  Wunder  geschah,  sang  dds  Volk  sein  altes 
Kyrie,  Vährend  die  Geistlichkeit  ihr  Te  Deum  laudamns  begann.^)  Die 
Heiligen-Legende  rouss  überhaupt  frühzeitig  sclion  Stoff  zu  Liedern  ge- 
geben haben;  so  wundert  sich  Eckehard  (der  Ueberarbeiter  des  Wal- 
tharius),  dass  die  Biographen  des  hl.  Ulrich  Manches  als  zu  allgemein 


')  So  wurde  Karl  der  Kahle  829  und  Kaiser  Lothar  838  in  der  Reichenau  be- 
willkommC,  ebenso  Ludwig  der  Deutsche  zu  St.  Gallen;  der  zum  Empfang 
Ludwig  des  Dicken  (883)  gefertigte  Cantus  ist  erhalten.  (Schubiger.  S.  32.) 

')  Hoffmann  von  Fallersleben  Geschichte  des  deutschen  Kirchenliedes  bis 
adf  tipthers  Zeit.  1854.  S.  13.  —  Die  Leichname  St.  Wunibalds  und  seiner 
Schwester  Walburga  wurden  am  21.  Sept.  870  von  Heidenheim  nach  Eich- 
statt  gebracht;  der  Schrein  mit  St.  Wunibalds  Gebeinen  aber  nach  3  Tagen 
wieder  nach  Heidenheim  geführt;  St.  Walburgens  Ueberreste  aber  in  der  hl. 
Kreuzkirche  verwahrt.    Vgl.  Popp  Ausbreitung  des  Christenthums.  1845. 

')  Hoffmann  S.  19. 


406 

bekannt  hielten  und  desswegen  mit  Stillschweigen  tibergingen,  was  von 
demselben  im  Volke  gesagt  und  gesungen  ward.')  Das  älteste  deutsche 
Lied,   welches  uns  aus  dem'  FX.  Jahrb.  erhalten  ist,  besteht  aus  drei 
Strophen  auf  den  heil.  Petrus,    die    sich   ia    einem  Freisinger  Codex, 
finden,  der  den  Coramentar  des  Hrabanus  Maurus  über  die  Genesis  ent^ 
Hält.  ^)  Es  lautet  genau  nach  der  Handschrift  und  Dr.  K.  Roth's  Ent- 
zifferung (der  wir  einzig  eine  andere  Abtheilnng  und  Längenbezeichnun^ 
geben): 


l.TJnsar  trohtin  hat  farsalt 
sancte  petre  giuualt, 
daz  er  mac  ginerian 
ze  imo  dingenten  man. 


JQnser  Herr  hat  übergeben 
Sant  Peter  (die)  Gewalt 
dass  er  kann  erhalten  (retten) 
(den)  auf  ihn  hoffenden  Mann ! 


Kirie  eleyson,  christe.  eleyson! 


2.  Er  hapet  ouh  mit  vuortun 
himilriches  portünf 
dar  in  mach  er  skerian 
den  er  uuili  nerian. 


Er  hält  auch  mit  Worten 
(des)  Himmelreiches  Pforte, 
darein  kann  er  schaaren 
den  er  will  erhalten. 


Kirie  eleyson,  christe  eleyson! 


3.  Pittemes  den  gotes  trut 
alla  samant  uparlüt, 
daz  er  uns  tirtänen 
giuuerdo  ginäden. ') 


Bitten  wir  den  Gottes-Freund 
Alle  gesammt  überlaut 
dass  er  uns  Missrathene 
würdige  der  Gnade. 


Kirie  eleyson,  christe  eleyson! 

Das  Pergamentblatt,  worauf  die  Verse  stehen,  ist  abgerieben  und 
durchlöchert  und  war  schon  verbogen,  als  die  Schrift  darauf  kam;  die 
Zuge  desselben  sind  gleichzeitig  mit  dem  Coramentar,  doch  schwerlieh 
von  der  nämlichen  Hand.  Fast  alle  Silben  sin(i  mit  Neomen 
(Tonzeichen)  versehen;  das  Lied  wurde  also  nach  der  damaligen 
Sitte  von  Mehreren  vorgesungen  und  vom  Chore  der  Gläubigen  respon- 
dirt.  Diese  Notation  hatte  Roman  zu  St.  Gallen  gelehrt,  sie  war  von 
da  bis  auf  Guido  von  Arezzo  in  die  ganze  abendländische  Kirche  über- 
gegangen. Man  deutete  die  Höhe  und  Tiefe  der  Töne  in  ihre  verschieden- 
artigen Beugungen  durch  eigenthümliche  Figuren  an,   die  aus  Punkten, 


')  HoFFmann  S.  25  u.  Uhland  In  PFeiffers  Germania.  IV.  45. 

*  Zuerst  von  Docen  bekannt  gemacht  In  Aretins  Beitr.  1806.  II.  St.  $■  H^ 
u.  in  dessen  Miscell.  I.  4.  Facsimile  bei  Nassmann  AbscbwörunifsFormelo. 
1839.  S  137  Roth  Denkmäler.  1940.  S.  X  u.  30.  Uhland  I.  809.  Doceo 
und  Roth  halten  OtFrid  für  den  VerFasser,  doch  hat  HoFFmann  S.  32 
Bedenken  dagegen. 

')  Str.  3.  firtun  (mhd.  vertuon  =  verthun)  übel  und  zum  Verderheh  gescbi^' 
fen,  missrathen,  verwünscht,  giuuerdd,  conj.  Präs.  von  gewirddo,  wirdoo. 


407 

Strichen,  Häckchen  und  Häfichen,  Halbkreisen  und  Querstrichen  von 
mannigfachster  Form  zusammengesetzt  waren.  Sicherlich  hatten  diese 
Zeichen  ihren  Ursprung  in  den  Accenten  der  gewöhnlichen  Schrift.  Wie 
diese  nämlich  in  sprachlicher,  ,so  veranschaulichten  die  Neumen  (deren 
Schubiger  achtundzwanzig  unterscheidet)  in  musikalischer  Beziehung 
dem  Auge  das  Steigen  und  Fallen  und  die  Beugung  der  Stimme.  Neu- 
matizare  oder  Neumare  hiess  einen  Text  mit  Tonzeichen  versehen, 
in  Melodie  setzen,  co^poniren.  Roman  erfand  auch  eine  neue  Notations- 
weise durch  Buchstaben,  die  er  den  alten  römischen  Tonzeichen  bei- 
fügte; dazu  fügte  er  noch  verschiedene  schriftliche  Hilfsmittel ;  vermöge 
derselben  konnten  die  Schüler  mit  Bestimmtheit  die  Anzahl  der 
Töne  erkennen,  die  zu  jedem  Worte  und  zu  jeder  Silbe  gehörten,  ja 
selbst  da^  Steigen  und  Fallen  der  Stimme,  und  bei  einzelnen 
Tonzeichen  oder  Buehstaben  war  sogar  die  Tonhöhe  durch  die  Be- 
schaffenheit der  Neumen  angegeben.  Fem  er  wurden  selbst  Verzier- 
ungen, die  einzelnen  Stellen  zukonmien,  auch  bei  vielen  Gesängen  die 
Tonarten  und  die  Differenzen  ihrer  Psalmodie  durch  jene 
Zeichen  bestimmt.  So  bedeutend  und  vortheilhaft  jedoch  die  Winke 
waren,  welche  diese  Tonschrift  den  Sängern  gab,  so  konnte  sie  doch 
unmöglich  einzig  genügen,  die  Reinheit  des  Gesanges  auf  eine  längere 
Dauer  hin  zu  erhalten j  weil  sie  niemals,  auch  selbst  nicht  beim  kürze- 
sten Gesangstücke,  die  Höhe  und  Tiefe  der  Töne  genau  und  vollständig 
zu  bestimmen  vermochte.  Zur  Erhaltung  der  Reinheit  bedurfte  es  noch 
nothwendig  der  mündlichen  Tradition  und  der  Gründung  einer  Schule, 
wie  man  solche  im  Mittelalter  an  allen  unseren  bischöflichen  Sitzen  und 
in  Klöstern  trifft.  Unter  der  Mitwirkung  tüchtiger  Gesanglehrer  wurden 
die  Melodien  der  Gesänge  durch  vieljährigen  Unterricht  und  durch  fort- 
dauernde Uebung  dem  Gedächtnisse  der  Schüler  eingeprägt  und  so  auf 
die  Nachkommen  fortgepflanzt.  Dass  übrigens  die  neumatische  Ton- 
schrift, besonders  wenn  sie  mit  den  Roman'schen  Buchstaben  versehen 
war,  nicht  nur  bedeutende  Dienste  leistete  und  dem  Gedächtnisse  des 
Sängers  in  vielen  zweifelhaften  Fällen  als  Weg^^eiser  diente,  sondern 
auch  heute  dazu  tauge,  die  Aechtheit  mancher  alten  Gesänge  zu  prüfen 
und  darüber  mit  grosser  Gewissheit  zu  entscheiden,  kann  unmöglich 
geläugnet  werden. 

Die  Einführung  des  römischen  Gesanges  bei  allen  Stiften  hatte  das 
Concil  von  Aachen  (803)  angeordnet;  ein  späterer  Capitularbeschluss 
verpflichtete  alle  Mönche,  diesen  Gesang  vollständig  und  ordnungsgemäss 
beim  Officium  sowohl  zu  Tag-  als  Nachtzeit,  vorzutragen.  Da  ertönten 
nun  in  jedem  Kloster  tagtäglich  in  mannigfacher  und  genau  geordneter 


m 

Abwechslung  die  ehrwürdigen  Weisen^der  leiten  Psalmodie;  da  eröflfbete 
in  mitternächtlicher  Stande  der  Feierklang  des  Invitatorinms:  Venite 
exultemus  doraino,  den  Dienst  der  Nachtvigilien ;  da  wechselten  die 
ausgedehnten,  fast  traurigen  Melodien  der  Responsorien  mit  dem  ein- 
förmigen Vortrage  der  Lectionen ;  da  wiederhallten  in  den  Räumeli  des 
Tempels  an  Sonn-  und  Festtagen  als  Schluss  des  nächtlicheo  Gottes^ 
dienstes  die  erhebenden  Klänge  des  ambrosianisch^n  Lobgesanges;  di 
begannen  mit  der  aufsteigenden  Morgenröthe  di%  Gresänge,  des  Morgen- 
lobes  (matutina  laus),  aus  Psalmen  und  Antiphonen,  Hymnen  und  €re- 


beten  bestehend ,  ihnen  folgten  in  abgemessener  Unterbrechung  di< 
übrigen  kanonischen  Tagzeiten;  da  ward  das  Volk  täglich  durch  dei 
Introitusgesang  zur  Theilnahme  an  den  heiligen  Mysterien  eingeladen 
da  hörte  es  in  lautloser  Stille  die  um  Erbarmung  rufendei^  Töne  d< 
Kyrie,  erfreute  sich  a,n  den  Festtagen  an  dem  einst  von  den  Engel -an 
angestimmten  Gesänge  des  Gloria;  da  vernahm  es  beim  Graduale  dm'< 
Melodien  der  Sequenzen,  die  in  hochjubelnden  Wechselchören  die  da^- 
maligen  Festtage  verherrlichten ,  und  darauf  die  einfachen ,  recitati^^- 
ähnlichen  Klänge  des  Symbolums ;  da  fühlte  es  sich  beim  Sanctus  hiar^- 
gerissen,  in*s  Lob  des  Dreiraalheiligen  in  deutscher  Sprache  einzi 
stimmen  und  die  Erbarmung  jenes  göttlichen  Jianmies  anzuflehen,  d 
die  Sünden  der  Welt  hinwegnimmt.*  Das  waren'  die  Gesänge,  die  v< 
der  Mitte  des  IX.  Jahrh.  an  in  unseren  Klöstern  an  festlichen 
Ferialtagen  in  genau  bestimmter  Aufeinanderfolge  ertönten. 

Es  kann  nicht  in  unserer  Aufgabe  liegen,  die  altrömische  Hymc&o- 
logie,  wie  sie  hauptsächlich  in  Italien  durch  Ambrosius,  Gregor  und 
Prudentius  erblühte,  zu  schildern,  auch  nicht  die  wuchernde  Fülle,  <iie 
im  Mittelalter  heranwuchs  und  die  Moiie  in  drei  tüchtigen  Bänden  fikus 
mehr  denn  fünfzig  Bibliotheken  gesammelt  hat.')  Uns  berührt  nur,  '«ras 
davon  auf  Bayern  fallt.  Die  ihrem  Namen  nach  bekannten  Dichter,  es 
sind  aber  deren  nur  wenige,  folgen  voraus;  eine  grosse  Anzahl  "Von 
ihnen  ist  jedoch  vergessen  oder  über  ihren  Werken  ungenannt  verbliel^^n- 
Zu  den  ältesten  gehört  wohl  der  bereits  aus  dem  ersten  Abschnitte  li^'' 
wohlbekannte  Tegemseer  Metellus,  der  Sänger  des  hl.  Quirinu».  Ilim 
zunächst  in  der  Zeit  folgt  Bischof  Heribert  von  Eichstätt  (1023  — 
1042),  der  sechs  lateinische  Gesänge  verfasste,  auf  das  hl.  Kreuz,  SL 
Walburg,  Willibald,  Stephan  und  alle  Heiligen;  der  in  natali  St.  L  ^d- 
rentii  lautet  (Moue  lü.  389): 


')  V^l.  Schlosser  Die  Kirche  in  ihren  Liedern  durch  alle  Jahrbunderte.  1^^* 
^     S  im  rock  Lauda  Sion.     F.  J.  Mone   Lateinische  Hymnen  des  Mittelalteri' 
1853^55. 


409 


1.  Conscendat  nsque  sidera 
coelique  pulset  mtima 
VQZ  atqne  cantQs  omniam 
te  denm  coUaadantium. 

2.  Adest  namqne  festiritas 
et  dies  venerabilis, 

in  qna  coelampro  meritis 
Laurentius  ingressnsest. 


3.  Ipse  dignetnr  dominum 
rogare  clementissimum, 
ut  ab  aeternis  ignibus 
nos  salves  et  daemonibas; 

4.  Qui  snperasti  .ignibus 
et  impiis  tortoribus 
devictis  saevis  hostibus 
nunc  gaudet  in  coelestibus. 


Heribert  setzte  auch  die  Melodien  und  Hess  sie  öffentlich  singen; 
seine  Hymnen  sind  so  einfach,  dass  man  sie  für  üebersetzungen  deutscher 
Kirchenlieder  halten  könnte.  Viele  lateinische  Gedichte  hat  der  Mönch 
Othlo  zu  St.  Emeram  ia Regensburg  gemacht.  (XI.  Jahrh.)  Mone  gibt 
von  ihm  einen  Hymnus :  de  natali  domini  (I.  53)  und  einen  anderen :  de 
Omnibus  sanctis  (111.  6).  Gleichzeitig  mit  den  Genannten  ist  Arnold 
von  Voh'burg,  der  zwei  Lieder  auf  St.  Emeram  sang;  das  erste  im 
sapphischen  Maasse  mit  6  Strophen  beginnt :  Christe,  cui  justos  hominum 
favores;  das  andere  (Hymnus  te  decet  domine  etc.)  hat  10  vierzeilige 
Strophen.  Auf  den  heil.  Ulrich  hat  der  Augsburger  Abt  Udalscalc 
(+  1151)  einige  Sequenzen  gemacht.')  Unter  den  Liederdichtem  kann 
hier  Conrad  von  Scheyern  wiedergenannt  werden,  von  ihm  stammt 
ein  Gedicht  über  die  Geschichte  der  dreissig  Silberlinge  und  fiber  das  hl. 
Kreuz;  zu  den  Antiquitäten  des  Josephus  Flavius  hat  er  einen  langen 
Hymnus  eingeschrieben  und  in  der  historia  scholast.  einen  auf  die  hl. 
Jungfrau.  Auch  Albertus  Magnus,')  der  grosse  Philosoph  und 
„Meister^  in  allen  Dingen,  der  wie  die  Sage  eVzählt,  den  Plan  zum 
Colner  Dome  entworfen,  erscheint  unter  den  Dichtem  mit  einem  ganzen 
Psalterinm  Mariae,  das  er  vielleicht  in  der  lieben  Einsamkeit  auf  seinem 
Schlösslein  zu  Stauf  componirte,  wo  er  von  den  Sorgen  des  bischöfli- 
chen Regimentes  von  Regensburg  gerne  ausruhte  und  allerlei  tiefsinnigen 
Studien  und  Künsten  oblag.  Eine  Handschrift  des  Psalteriums,  die  noch 
ins  dem  XUJ.  Jahrh.  stammt,  liegt  zu  Darmstadt,  eine  andere,  jüngere 
;;XV.  Jahrh.)  besass  das  Kloster  Tegemsee,  von  wo  selbe  nach  München 
^am.  In  weiterer  Folge  muss  der  Mönch  von  Salzburg  vorausgenannt 
srerden,  der  als  Uebersetzer  und  deutscher  Liederdichter  eine  ehrenhafte 


')  Seh  melier  S.  V.  —  Ein  deutsches  Lied  auf  den  hl.  Ulrich^  das  nach  den 
Anfangswörtern  der  Strophen  den  Namen  „Priederirh  Herr  von  Zollern, 
Bischof  von  Augsburg^  erffibt«,  bei  Hof f mann  S.  478;  der  so  Gefeierte 
war  Domderhant  zu  Slrassbnrff^  ein  Frennd  Geilers  von  Kaisersberg,  wurde 
1486  Bischof  SU  Augsburg  und  starb  1505. 

')  Geb.  1193  zu  Lauinffen  t  zu  Cöln  15.  Nov.  1280.  Vgl.  S  ig  hart  Leben  und 
Wisseoschafl  des  Albertus  Magnus.  1857. 


410 

Stelle  in  der  Geschichte  der  kirchlichen  Poesie  behauptet^  Dass  er  auch 
lateinische  Carmina  fertigte,  ist  durch  ein  künstliches  Marienlied ')  be- 
glaubigt,  welches  derselbe  als  Gegengabe  für  ein  deutsches   an  Peter 
von  Sax  nach  St.  Gallen  sandte;    es   macht  aber  keinen   absonderlich 
poetischen  Eindruck,  denn  abgesehen  davon,  dass  der  Text  durch  man— 
cherlei  Verderbnisse  dunkel  un^  schwerve^'ständHch  geworden,  so  zeig^ 
die  gezwungene   und   unbeholfene  Behandlung  von  der  EinwirkuDg   dewc 
deutschen  Meistersängerei,  welche  gegen  die  Gewandtheit  und  Rlarhei"^ 
der  älteren  Lieder,  namentlich  von  französischen  Verfassern,  sehr  ab — 
sticht.  Von  grossem  Einfluss  auf  Bayern  muss  ein  Oesterreicher  gewese^^ 
sein,  Konrat  von  Heimburg,  Prior  der  Karthause  zu  Gaming;  ^ 
lebte  unter  Kaiser  Karl  IV.   Seine  Gedichte  waren  sehr  verbreitet,  di. 
Klöster  Andechs   uhd  T^gernsee  besassen    eigene  Sammlungen   davo«:] 
Von  ihm  gab  es  Hynmen:    de  trinitate,   de  passipne  Christi  und  ei^K 
salutatio  Jesu,  einen  lateinischen  Leich  auf  die  Freuden  Maria,  eine  Um- 
Schreibung  des  salve  regina  und  ein  Gedicht:   annulus  beatae  virginis; 
ferner  einzelne  Gesänge  auf  die  zwölf  Apostel ,  sodann  auf  St.  Agatha. 
Anna  und  ein  Qlosseqlied  auf  die  hl.  Barbara ;    auf  St.  Elisabeth  und 
Ursula,  Gregor,  Georg  und  Nicolaus,  auch  eines  auf  den  hl.  Columbao, 
dessen  Name  ein  irischer  Diminutiv  von  co^un,   Taube,   er  heisst  also 
der  Taubenmann,  vir  columbinus.   Ob  der  marianische  Grusspsaiter  des 
Babo,  der  in  einer  Tegernseer  HS.  des  XV.  Jahrh.  erhalten  ist,  nicht  , 
durch  dessen  Verfasser   einer  früheren   Zeit  angehört,   ist  unbestimmt 
Damit  ist  die  namentliche  Aufzählung  der  mittelalterlichen  lateinischen 
Kirchenlieddichter  in  Bayern  erschöpft.     Dagegen  ist  uns  wirklich  eine 
Unzahl  lateinischer  Hymnen   überkommen;    fast    auf  jedem  Blatte  in 
Mone's  Sammlung  springen  uns  die  Schätze  aus  vaterländischen  Hand- 
schriften und  Bibliojtheken  entgegen,  aber  wer  kennt  die  (Jeschichte  dieser 
Handschriften,  wo  und  wann  entstanden  sie,  wer  waren  ihre  Scbreihcr 
und  noch  mehr,  wer  waren  die  Verfasser  dieser  Lieder?  die  in  dem- 
selben Maasse  über  die  Grenzen  und  iq  die  Lande  hinausgingen,  als  sie 
hereingekommen  waren.     Viele  sind  unstreitig  viel  älter  als  ihre  Auf- 
schreibung, die  nur  wieder  die  Copie  eines  älteren  Originales  war.    Am 
sichersten   werden   wir   den  speciellen  Anforderungen    gerecht    werden, 
wenn  wir,   abgesehen  von   den  Liedern  auf  Gott  und  die  hl.  JungfraU' 
bloss  an   die  Gedichte  uns   halten,    die  auf  die  ersten  Glaubensboten, 
Städte-  und  Stiftspatrone  des  Bayerlandes  gemacht  wurden .  und  aof  die 
späteren  so  zu  sagen  importirten  Heiligen ,    deren  Verehrung  bei  mis      i 
festen  Fuss  fasste.   Dabei  ist  es  sicherlich  erlaubt,  auf  die  betreffenden 


■)  Hone  II.  329. 


( 


411 

deotschen  Lieder  gleich  jetzt  Bedacht  4u  nehmen,  um  später  nicht  eigens 
wieder  darauf  zurückkommen  zu  müssen.  ' 

Die  Handschriften  des  X.  Jahrh.  enthalten  ein  Lied  auf  alle  Hei- 
lige: ^Christe,  nostra  nunc  et  semper  cleraens  vota  suscipe"  (Mone 
in,  26);  es  ist  wohl  im  X.  Jahrh.  geschrieben,  aber  nach  Form  und 
Inhalt  älter;  in  dem  Style,  wie  man  ihn  im  V.  und  VI.  Jahrh.  band-  . 
habte;  der  Stabreim  klingt  noch  durch,  bei  jeder  Strophe  findet  sich 
ein  wiederholter  Rundreim :  „Psallat  plebis  sexus  omnis  voce  corde  car- 
mina!**  Ferner  finden  wir  einen  Hymnus  an  Gott  (S.  18),  auf  den  Ge- 
burtstag eines  Märtyrers  (S.  150),  der  im  Heiligenleben  bekanntlich 
immer  der  Todestag  ist,  tiur  Johannes  der  Täuffer  macht  eine  Ausnahme; 
ein  Lied  auf  den  heil.  Blasius,  das  seiner  richtigen  Quantität  wegen 
noch  in's  V.  Jahrh!  gehört,  aber  erst  in  späterer  Aufschreibung  erhalten 
ist  (S.  240),  ein  Paar  auf  die  heil.  Juliana  (S.  345)  *und  St.  Ste- 
phan us  (S.  505),  der  im  folgenden  und  noch  jra  XIV.  neu  besungen 
wurde. 

Auch  im  XI.  Jahrh.  findet  sich  ein  Hymnus  ^de  omnibus  sanc- 
tis**  in  9  Strophen  (M.  III.  13),  worin  Maria,  Michael,  Johartnes, 
Petrus  und  Paulus,  Emeram,  Benedict  un^  Felicitas  besonders  genannt 
werden;  er  hat,  wie  fast  alle  aus  dieser  Zeit,  Tonzeichen  darüberge- 
schrieben und  wurde  zu  St.  Emeram  in  Regensburg  gemacht.  Vielge- 
feiert war  St.  Andreas,  schon  im  VI.  und  "VIL  Jahrh.  in  Kärnthen 
besungen,  dann  bei  uns  (Diem  sacrati  hominis.  6  Str.) ;  mehrere  Lieder 
fanden  sich  zu  Salzburg,  auch  in  niederdeutschen  Zungen  ertönt  sein 
Lob  (XV.  Jahrh.  Mone  III.  104).  Sodann  sind  die  heil.  Bekenner 
(in.«  154),  Bartholomäus  (122),  Agapitus  (174),  Columban 
(256),  St.  Mang  (401),  Othmar  (471)  und  Ruodbert  (493)  be- 
dacht, auf  St.  August  in  gibt  es  viele  Lieder  (XIL  Jahr,  zu  Bamberg, 
XV.  Tegernsee  und  niederdeutsch),  noch  mehr  auf  die  hl.  Katharina 
(350),  die  nach  diesem  Vorrath  zu  schliessen,  im  Mittelalter  in  höchster 
•Verehrung  gestanden  haben  muss.  Ihr  Name  ward  gewöhnlich  Katerina 
geschrieben,  bei  den  Griechen  mit  dem  ägyptischen  Artikel  (ai)  Aika- 
terina  und  darnach  bei  den  Russen  Ekaterina.  Die  Form  Catharina  mit 
Beziehung  auf  xccd^aQQg  (rein)  war  im  früheren  Mittelalter  nicht  ge- 
bräuchlich, kommt  aber  später  mit  der  anderen  bisweilen  vor.  Aus  dem 
Gesang  auf  St.  Quirin  ^ieht  man  deutlich,  wie  das  Volk  (communis 
vox  plebis),  die  Chorknaben  (popellus),  die  Weltgeistlichkeit  (clerus)  und 
die  geistlichen  Orden  (monachi)  daran  Theil  nahmen. 

Reiche  Ausbeute  gewähren  die  Münchner  Handschriften  aus  dem 
XII.  Jahrh.  Es  gibt  viele  Gesänge  auf  die  unschuldigen  Kinder 
(ÜI.  34),  St.  Thomas  (128),  Dionysius  (auch  aus  dem  XV.  Jahrh. 


412 

266.)  Der  Gesang  (S.  289)  auf  St.  Em  er  am  hat  wieder  Neameu,  die 
Melodie  ist  ^heilweise  in  fiigirter  Musik,  daher  keine  Sequenz,  sondern 
Antiphone;  zwei  andere  Lieder  hatte  Arnolt  von  Vohburg  schon  im 
vorausgehenden  Jahrh.  gemacht.  St.  Heinrich  war  zu  Bamberg  viel- 
gefeiert (XV.^in  Tegemsee),  ebenso  Lambertus  (386)  und  Maria 
Magdalena.')  St.  Martha  war  als  Drachentödterin  besungen  (Se- 
quenz aus  dem  Xn.  Jahrh.  zu  München,  XV.  zu  Bamberg);  St  Martin 
zu  Salzburg  (431),  Mauritius,  Otto  und  Nicolaus  (Bamberg);  die 
Mönchner  3ibl.  verwahrt  auf  letzteren  sogar  drei  griechische  Lieder  von 
Theodorus  Prodromos  (462)^  auch  zwei  deutsche  aus  dem  XIV.  Jahrh. 

Im  XIIL  Jahrh.  musste  iie  deutsche  Sprache  schon  mehr  über- 
hand genommen  haben,  denn  unter  allen  Handschriften  ans  dieser  Zeit 
finden  sich  in  Mone's  Sammlung  nur  zwei  verzeichnet,  welche  lateinische 
Hymnen  enthalten,  die  eine  ist  eiti  gereimtes  ChorofBcium  ans  Bamberg 
auf  die  heil.  Kunegund  (III.  383),  die  andere  geht  auf  St.  Vitus 
(III.  556).  Dagegen  ist  das  XIV.  Jahrh.  schon  wieder  reicher.  Ein  Lied 
„dulce  melos  etc.^  begrüsst  alle  Heiligen  (die  Melodie  ist  in  der 
Münchner  HS.  beigeschrieben,  H.  23),  ein  anderes  den  heil.  Paulus; 
auch  existirt  ein  deutsches  Reimgedicht  auf  diesen  Heiligen,  welches 
der  Mundart  nach  in  Oberfranken  verfasst  sein  kann  (o  auzerweltez 
gotez  vaz.  85).  Neben  dem  lateinischen  auf  Johannes  den  Evangeli- 
sten, existirt  auch  ein  deutsches  Gedicht,  welches  jedoch  älter  scheint 
als  die  Handschrift  (HI.  114),  auch  ein  niederdeutsches  hat  Mone(lI7) 
aus  dem  XV.  Jahrh.  zu  München  gefunden.  St.  Anna  wurde  zu  Bam- 
berg verehrt  (186)  und  St.  Kilian  zu  Wirzburg,  auf  ihn  hat  der 
Scholasticus  Johannes  Galliens,  der  um  1340  lebte,  in  der  fran- 
zösischen Form  der  Troparien  gedichtet  (381).  St.  Gereon,  eigentlich 
ein  rheinländischer  Heiliger,  ist  erst  mit  einer  Handschrift  nach^iünchen 
gekommen;  daför  war  St.  Leonhard  ein  ächter  Volksheiliger,  er  hat 
desshalb  auch  ein  deutsches  Stossgebet  (399): 

0  herre  sand  Liehhart, 

gote*)  lieber  unde  zart, 

ich  man  dich  aller  der  saelichkeit, 

die  got  hat,  herre,  an  dich  gelait 

in  hymel  oder  auf  erden 

hilf,  dass  ich  müge  werden 


' )  Das  ^Speculum  poenitentiae  d.  i.  Leben  Mariae  Magdalenae/  München  1609, 
enthält  ein  Gedicht  anf  diese  Heilige,  welches  dem  Sl«bat  mater  nachge- 
ahmt ist. 

^)  gote  =  göte,  Pathe,  Beschützer. 


413 

taylhaftig  gotes  genaden. 

meine  not  unt  meinen  schaden, 

den  ich  von  aünden  trage, 

ich  dir  mit  triwen  chlage. 

na  laz  dich  iz,  herre,  erparmen, 

mit  pit  umb  mich  vil  armen  • 

menschen  got  den  guten, 

daz  ich  aoz  seinen  hüten 

chome  chaine  stände, 

daz  mir  ieht  werde  chande 

des  tiefeh  not,  der  helle  pein, 

des  hilf  mir  dnrch  diu  triwe  dein 

dorchx  nnsem  herren  Jesu  Christ, 

der  mit  got  dem  vater  ist 

ond  mit  dem  heiligen  geiste 

in  ganzer  vollaiste.  amen.  — 

St.  Margaret  ist  ein  paar  mal  mit  latein.  Versen  bedacht,  ein 
rländisches  Gedicht  auf  dieselbe  steht  in  einem  Brevier  zu  Aschaffen- 
(406). 

Aus  dem  XV.  Jahrh.  haben  wir  auf  den  hl.  Jacobus  maj.  einen 
ms  ans  Tegemsee  (hujus  diei  gloria),    der  weitverbreit  war  (III. 

auf  St.  Achatius  (gleichfalls  aus  Tegemsee,  163),  auf  St.  Aga- 
die  Patronin  in  Feuersgefahr  (175),  St.  Agnes  (aus  Tegemsee, 

St.  Albert  (t  1306.  Mone  DI.  182,  aus  Bamberg),  zwei  auf 
»arbara  (215)  und  verschiedene,  Altere  und  jöngere  Lieder  aus 
hen,  Thierhaupten  n.  s.w.  auf  St.  Benedict  (signifer  invictissime), 
ie  Stndentenpatronin  St.  Cäcilia  (246),  St.  Christoph  (248) 
(tarken  Riesen,  der  vom  Volke  die  höchste  Verehrang  genoss,  drei 
r  auf  die  hl.  Clara  (250)  und  den  segenkräftigen  St.  Koloman 
,  einundzwanzig  Strophen  auf  St.  Corbinian,  Dorothea  (HS. 
imberg)  München  und  Wirzburg)  und  St.  Elisabeth,  die  beson- 
von  den  bayerischen  Fürsten  Verehrung  genoss,  denn  ihre  Mutter 
Iraut,  die  Gemahlin  des  König  Andreas  von  Ungarn)  war  eine 
:er  des  Herzog  Berhtold  von  Meran,  und  von  einer  Enkeltochter 
i  nämlichen  König  Andreas  stammten  die  niederbayerischen  Herzoge 
Daher  ward  in  der  Folge  die  wunderwürdige  Frau,  welche  1236 

heilig  gesprochen  wurde,  lange  Zeit  die  vorzüglichste  Schutz- 
nin  der  bayerischen  Herzoge,  sonderlich  derer  von  Niederbayern 
line  Menge  Altäre  und  wohlthätige  Stiftungen  wurden  ihrem  Namen 


414  '    ^ 

zur  Ehre  errichtet.'.)  Auf  Franciscus  haben  wir  mehrere  Lieder, 
eines  aus  Tegernsee  und  ein  niederländisches  (304  flf.),  auf  St  Gregor 
(aus  Tegernsee) ,  den  Patron  der  kleinen  Schulen  und  Schüler,  auf  St. 
Monica,  Nicolaus  Tolentinus,  Procop,  Ulrich  (aus  Thier- 
haupten),  Ursula  (Stadtbibl.  zu  Nürnberg),  Vincentius-und  Gum- 
pert;  auf  letzteren  hat  das  Wirzburger  Missale  von  1484  einen  eigenen 
Hymnus,  da  er  Patron  der  Stiftskirche  zu  Ansbach  war. 

Fleissigen  Sammlern  wären  die  alten  Messbücher  noch  ganz  'be- 
sonders zu  empfehlen,  insofern  es  sich  um  lateinische  Hynmen  überhaupt 
handelt,  wir  haben  zu  unserem  Zwecke  nur  das  Freiainger  vom  Jahre 
1492  (gedruckt  von  PL  Radolt)  und  das  Eichstätter  vom  Jahre  1486 
(gedr.  von  M.  Reyser)  durchsucht;  ')  -  doch  fanden  sich  die  schönsten 
Hymnen  schon  durch  ältere  Handschriften  in  Mone's  Sammlung  ver- 
treten und  die  wenigen  neuen  möchten  vielleicht  doch  zu  wenig  Anspruch 
auf  Dichtkunst  oder  Poesie  erheben  können. 

Aus  dem  XVI.  Jahrh.  hat  Mone  nur  mehr  vier  Hymnen  aus  den 
bayerischen  Bibliotheken :  auf  St.  C o s m a s  und  Damian,  Deodat, 
Hieronymus  und  Libaria;  ein  anderer,  auf  St.  Marinus  und 
Anian  ist  zu  Wilparting  seit  „unfurdenklichen  Zeiten'*  in  Uebung. 

Man  darf  nicht  vergessen,  dass  diese  lateinischen  Hymnen  nichts 
mehr  von  der  Metrik  des  klassischen  Heidenthoms  haben,  sie  bewegen 
sich  vielmehr  in  den  Formen  des  deutschenLiedes,  sind  gereimt 
und  verrathen  auch  in  einzelnen  Ausdrucksweisen  die  deutsche  Gemüth- 
lichkeit.  Der  innigen  Durchdringung  des  älteren  christlichen  lateinischen 
mit 'dem  jüngeren  deutschen  Elemente  entspricht  die  unnachahmliche 
Schönheit  und  der  vollendete  Wohllaut  jener  kirchlichen  Hymnen,  die 
eben  desshalb  so  fremdartig  den  Dichtungen  der  klassischen  Latinität 
gegenüberstehen,  aber  auch  eben  so  schwer  in  rein  deutsche  Worte 
übertragen  werden  können.  Das  vorzüglichste  darin  hat  jedenfalls 
Schlosser  geleistet. 

Wenden  wir  zur  deutschen  religiösen  Lyrik  zurück,  so  zeigt  sich 
im  XII.  Jahrb.,  eben  so  wie  in  der  Epik  und  im  Minnegesang,  der 
Beginn  freierer  flegung.  Die  Sprache  hatte  sich  durchgearbeitet  und 
herausgebildet ,  *  die  -Kreuzzüge  hatten  neues  Leben,  gebracht  und  die 
Anschauungsweise  erweitert.  Der  Cyclus  des  Kirchenjahres  bot  der 
Sangeslust  hinreichenden  Stoif.     Vorerst  die  Weihnachtszeit;    ein' 


')  Ritter  von  Lang  Baier.  Jahrb.  1816   S.  98. 

')  Dazu  gehören  das  Bamberger  Missale  1490;  das  Augsburffer  1491  (E.  Rot- 
dolt),  Passauer  1491  und  1491  (E.  Ratdolt),  Salzburger  1492  (gedruckt  von 
J.  Stüchs  SU  Nürnberg). 


416         . 

• 

uraltes  Herkommen  ist,  dass  ein  Paar  Kinder  singend  vor  den  Häusern 
und  Thüren  standen,  sie  recitirten  einige  Strophen,  die  vom  Herberg- 
Suchen  des  hl.  Joseph  und  Marxens  handeln,  oder  eineü  V^echselgesang 
vom  „Kindlein  wiegen, **  dann  kamen  die  Stembuben  mit  dem  Wahr- 
zeichen der  hl.  Magier.  Ein  schönes  Weihnachtlied  wird  dem  Sper- 
vogel  zugeschrieben, ')  welches  S im  rock  jedoch  dem  gleichzeitigen 
Heriger  beilegt: 


Er  ist  gewaltig  und  stark 
Der  zu  Weihnacht  geboren  ward ; 
Das  ist  der  heilige  Christ.' 
Ihn  lobet  Alles,  was  da  ist 
Bis  auf  den  Teufel  alleine : 
Durch  seinen  grossen  Uebennuth 

Ward  ihm  die  Hölle  zu  theile. 
In  dör  Höir  ist  übler  Rath: 
Wer  seine  Heimath  da  hat. 
Dem  leuchtet  nie  der  Sonne  Licht, 
Des  Mondes  Schimmer  frommt  ihm 

nicht, 
Noch  die  lichten  Sterne. 
Ihn  martert  Alles,  was  er  sieht: 

Wohl  war'  er  nun  im  Himmel  gar 

zu  gerne. 
Im  Himmelreich  ein  Haus  steht. 
Zu  dem  ein  Pfad  von  Golde  geht. 
Von  Marmor  sind  die  Säulen  dort. 
Die  zierte  unser  Herr  und  Gott 
Mit  edelm  Gesteine. 
Da  wird  Niemand  aufgethan 

Er  sei  von  allen  Sünden  denn  gar 

reine. 
Wer  gpme  zu  der  Kirche  geht 
Und  da  lautem  Sinnes  steht, 
Der  mag  wohl  fröhlich  leben. 
Ihm  wird  zuletzt  gegeben 
Der  Engel  Gemeine. 
Wohl  ihm,  dass  er  geboren  ward ! 

Im  Himmel  ist  das  Leben  schön 

und  reine. 


Er  ist  gewaltic  unde  starc, 
der  ze  wfhen  naht  gebom  wart, 
daz  ist  der  heilige  Krist. 
ja  lobt  in  allez  daz  dir  ist, 
niewan  der  tievel  eine: 
dur  sfnen  grözen  übermuot 

so  wart  irae  diu  helle  ze  teile. 
In  der  helle  ist  michel  unrät. 
swer  da  heimüete  hat, 
diu  sunne  schlnet  nie  s6  lieht, 
der  mäne  hilfet  in  nicht, 

noch  der  lichte  steme. 
ja  müet  in  alle;z  daz  er  siht. 
ja  waer  er  da  ze  himel  also  gerne. 

In  hiraelriche  ein  hüs  stat: 
ein  guldin  wec  dar  in  gät: 
diu  siule  die  sint  marmelfn.: 
die  zieret  unser  trehtfn 
mit  edelem  gesteine. 
dA  erkumpt  nieman  in, 

em  si  vor  allen  sünden  also  reine. 

Swer  gerne  zuo  der  kirchen  gät 
und  äne  nit  da  inne  stat, 
der  mac  wol  froeBchen  leben, 
dem  wirt  ze  jungest  gegeben 
der  engel  gemeine, 
wol  in,  daz  er  ie  wart! 

ze  himel  ist  daz  leben  also  reine. 


Die  Vorstellung  des  Dichters  vom  Himmel  ist  eine  noch  ganz 
heidnische:  ein  goldener  Weg,  die  Regenbogenbrücke  flihrt  hinauf  in 
das  Haus,  das  von  Säulen  getragen  und  mit  Gesteine  getäfelt  ist; 


')  Haupt  Minnesangs -Frühlinff.    Leipzig  1857.    S.  28.    S  im  rock  Lieder  der 
Miutfesinger.  1857.  S.  67.    Uor(inann  S.  36. 


416 


ebenso  ist  die  HöUe  ganz  deutsch.  Auch  die  nachfolgende  schöne  Strophe* 
die  ein  Gebet  heissen  könnte,  gehört  hieher. 


Die  Kräuter  des  Waldes, 

Die  Erze  .des  Goldes 

Im  tiefsten  Abgrunde, 

Du  hast  davon,  Herr,  Kunde, 

Sie  steh*n  in  deinen  Händen; 

Alles  himmlische  Heer 

Das  sänge  nimmer  Deinen  Preis 

zu  Ende. 


Würze  des  waldes. 
und  erze  des  goldes 
und  elliu  apgründe 
diu  sint  dir,  herre,  künde  : 
diu  Stent  in  diner  hende. ' 
allez  himeleschez  her 

dazu  möht  dich  niht  volloben  an 

ein  ende. 


Zwei  andere  Sprüche  Herigers  sind  österlichen  Inhalts: 


Der  Marter  Christus  sich  ergab, 
Er  liess  sich  legen  in  ein  Grab. 
So  wurde  Gott  der  Menschen  Schild, 
Die  Christenheit  erlöst  er  mild 
Von  der  Hölle  Gluten. 
Er  thut  es  nicht  zum  andermal: 

daran  gedenke  Böser  so  wie  Guter. 
Am  österlichen  Tage 
Erhob  sich  Christ  vom  Grabe, 
König  aller  Kaiser, 
Vater  aller' Waisen, 
Sein  Handgebild  er  löste. 
In  die  Hölle  schien  ein  Licht, 

dass  er  seine  lieben  Xinder  tröste. 


Krist  sich  ze  marterenne  gap, 
er  lie  «ich  legen  in  ein  grap. 
daz  tet  er  dur  die  goteheit: 
da  mite  löst  er  die  kristenheit 
von  der  heizen  heUe. 
er  gettiot  ez  niemer  m^r. 

dar  an  gedenke  swer  söder  weiie. 
An  dem  österlichen  tage 
dö  stuont  sich  Krist  uz  dem  grabe, 
künec  aller  keiser 
künec  aller  weisen, 
sin  hantgetat  erlöste, 
in  die  helle  schein  ein  lieht: 

do  kom  er  sinen  kinden  ze  tröste. 


Zu  den  ältesten  Osterliedern  gehört  unstreitig  das  freudige: 
„Christ  ist  erstanden!^  das  um  vieles  älter  ist,  als  die  erste  aus  dem 
Xin.  Jahrh.  stammende,  uns  erhaltene  Aufzeichnung.  Auch  das  fol- 
gende ist  älter  als  die  Handschrift,  welche  dem  XIV.  Jahrh.  (in  der 
Nürnberg.  Stadtbibl.)  angehört,  der  Text  wird  von  Ho  ff  mann  in  das 
XII.  Jahrh.  gesetzt.     Er  lautet: 

An  dem  oesterlichen  tage 

Maria  Magdalena  gieng  ze  dem  grabe. 

waz  vant  si  in  dem  grabe  stan? 

einen  engel  wol  getan. 

Der  engel  gruzt  sie  in  der  zit: 

den  du  suchest  vil  saeligez  wip, 

er  ist  erstanden  von  dem  tot, 

den  du  salben  woltöst. 

Maria!  ruft  er.ir  zehant. 

da  kante  si  ir  heilant, 

si  sah  in  in  aller  der  gepaere 

sam  er  ein  gartenaere  waere. 


41^ 

Dafür,  dass  solche  Lieder  anch  öffentlich  gesungen  wurden,  hat 
Hoftnann  (S.  39  ff.)  viele  Beweise  aus  gleichzeitigen  Autoren  gesam- 
melt, fiir  uns  ist  das  Zeugniss  des  Reichersberger  Propstes  G  erhöh*) 
von  Interessfe,  der  ungefllhr  um  1148  in  seinem  goldenen  Commentar 
der  Psalmen  schreibt,  dass  im  Munde  der  weltlichen  Gottesstreiter 
Gottes  Lob  allgemeiner  werde,  denn  es  sei  Keiner  im  ganzen  christ- 
lichen Reiche,  der  die  hässlichen  weltlichen  Lieder  öffent- 
lich zu  singen  wage,  sondern  die  ganze  Welt  jubelt  Christus  Lob 
auch  in  Liedern  der  Volkssprache,  am  meisten  unter  den 
Deutschen,  deren  Sprache  zu  wohlklingenden  Liedern  geeig- 
neter ist.  Das  Volk  sang  bei  allen  feierlichen  Gelegenheiten;  als 
Herzog  £mst  vom  Gestade  stösst,  singen  seine  Ritter,  sie  isingen  beim 
Eindringen  in  die  Burg,  wie  sie  gegen  das  Thor  rücken,  wie  sie  auf 
dem  Flosse  fahren  und  beim  Anzug  der  Heiden. 

In  der  folgenden  Zeit  der  höfischen  Dichtung  ist  es  einzig  unser 
Walther  von  der  Vogelweide,  der  unter  den  Minnesingern  mit 
tiefgefühlter  wahrer  Religiosität  dichtet.  Wie  Walther  in  seinen  Kreuz- 
liedem  die  Hilfe  Gottes,  seines  Sohnes,  Mari$t*s  und  der  Engel  anruft, 
Christi  Leiden  vor  Augen  stellt  und  überall  in  seinen  ernsten  Gedichten 
den  Glauben  und  die  Gottesminne  als  das  höchste  verkündet,  vergisst 
er  auch  sonst  nicht  des  Gebetes,  obwohl  er  bereut,  dass  es  so  selten 
geschieht.  Er  segnet  seinen  Ausgang  durch  ein  schönes  Morgengebet:') 

Mit  Segen  lass  mich  heut  erstehen, 
Herr  Gott,  in  Deinem  Schutze  geh'n 
Und  reiten,  wo  hinaus  mpin  Weg  sich  kehre; 

Herr  Christ,  an  mir  gib  an  den  Tag 
Was  Deiner  Güte  Kraft  vermag. 
Und  steh'  mir  bei  zu  Deiner  Mutter  Ehre, 

Wie  ihr  der  Engel  half,  der  gute. 
Und  Dir,  der  in  der  Krippe'  ruhte. 
Jung  als  Mensch,  als  G^tt  so  alt. 
Demüthig  vor  dem  Esel  und  dem  Rinde 
(Und  doch  mit  himmlisch  treuem  Sorgen 
Hielt  Dich  Gabriel  geborgen 
Vor  Gefahren  mannigfalt): 

So  schütz*  auch  mich,  dass  man  nicht  falsch  mich  finde. 
Noch  gegen  Deine  Liebe  kalt. 


')■  Probst  seit  1132.  +1169. 

>)  Lachmann  24,  18  fT.    Simrock  I.  128. 

27 


418 

Ein  grosser  Lobgesang  auf  den  dreieinigen  Gott  und  Maria,  voll 
Vorbilder  und  Beziehungen  aus  dem  alten  Testament,  zugleich  mit  der 
zürnenden  Rüge  des  unchristlichen  Lebens  in  der  Christenheit,  ist  der 
Leich,  der  an  die  Spitze  seiner  Sammlung  gestellt  ist.  Ein  anderes 
schönes  Marienlied  lautet: 

Maria,  Magd,  du  hochgelobte  Frau,  du  süsse, 
Ililf  mir  zu  deines  Kindes  Ruhm,  dass  meine  Sund*  ich  büsse. 
Hochschwellend  Meer  der  Gnade,  Tugend,  aller  Güte, 
Der  süsse  Gottesgeist  aus  deinem  edlen  Herzen  blühte. 
Dein  Schöpfer,  Vater,  Kind  ist  zu  dir  eingegangen: 
üeil  uns  Allen,  dass  du  Ihn  empfangen! 
Den  Höhe,  Breite,  Tiefe,  Läng'  umfinge  nimmermehr. 
Dein  kleiner  Leib,  mit  süsser  Reine  barg  ihn  der; 
Vor  allen  Wundern  ist  diess  Wunder  her: 
Der  Engel  Königin,  du  trugst  ihn  ohne  Schmerz  und  Bangen. 

Ausser  Walther  aber  isty  wenigstens  unter  den  Minnesingern,  die  zo 
Bayern  gehören.  Keiner  zu  finden,  der  absonderlich  mit  religiöser  Dicht- 
ung sich  befasst  hätte,  denn  der  einzige  Süsskind  von  Trimberg, 
der  unter  Allen  als  der  tiefsinnigste  Denker  sich  erweist,  ist,  wie  wir  in 
der  Folge  sehen  werden,  ein  Jude;  Heinrich  von  Rugge  hat  wohl 
einen  Leich  gedichtet,  der  in  einer  HS.  aus  dem  Kloster  Benedictbeaern 
steht,  *)  allein  ich  wage  desshalb  nicht  den  Dichter  für  ein  Landeskind 
zu  erklären,  ebenso  wenig  wie  den  Hartwig  von  dem  Hage*)  oder 
Johann  von  Franken  stein,')  und  nur  die  im  Kloster  zu  St. Stephan 
lebende  Nonne  „die  arme  Engelbirn,""*)  die  (c.  1200)  zu  Augsburg 
vielleicht  als  Inclusa  oder  «closenaerin^  ihrer  inniglichen  Beschaulichkeit 
oblag,  mag  mit  einem  31  Strophen  langen  klosterjungfräulichen  Minne- 
lied (viel  werthe  3eele  halt  dich  werth)  hier  verzeichnet  stehen.  Bruder 
ßerhtold,  der  grosse,  berühmte  Prediger,  hielt  viel  auf  das  Singen 
und  muntert  selbst  in  einer  seiner.  Reden  die  Anwesenden  aufj  wenn 
Einer,  der  sich  darauf  verstünde,  doch  einen  neuen  Sang  machen  wollte; 
das  Singen  weltlicher  Lieder  aber  war  ihm  unangenehm*)  und  schien 
ihm  weniger  löblich.     Er  erwähnt  auch  das  alte  Pfingstlied:  . 


')  Docen  in  Schelling's  Zeitschrirt  von  und  Für -Deutsehe.    1813.    S.  452"^- 
V.  d.  Hagen  MS.  Nro.  44  und  Haupt  96—111. 

0  Die  sieben  Tagszerten  vom  Leiden  Christi ;  im  Museum  für  altd.  Lit  11.  26^* 

')  Vom  Leiden  Christi,    c.  1300.  -    Ein  524  Zeilen   langes  Gedichl  aber  die 

Deutung  der  Messgebräuche,  dem  letzten  Drittel  des  All.  Jahrb.  angehörig. 

aus  Benedict  heuern,  durch  Pfeiffer  in  Haupts  Zeitschrift.  L  270—^. 

^)  Bei  Seh  melier:  St.  Ulrich.   S.  VH!— XII. 
^)  Die  Stelleu  bei  Hof f mann  S.  57. 


419 

Nan  bitten  wir  den  heiligen  Geist 
um  den  rechten  Glauben  allermeist, 
dass  er  uns  behüte  an  unserm  Ende, 
wenn  wir  heim  solleh  fahren  ans  diesem  Ellende 
Kyrieleis. 

„Er  ist  ein  sehr  uützh'cher  Sang,  fügt  Bruder  Berhtold  bei;  ihr 
ihn  je  länger  je  lieber  singen  und  sollt  ihn  mit  ganzer  Andacht 
mit  innigem  Herzen  zu  Gott  empor  singen  und  rufen.  Er  war  sehr 
ruter  Fund  und  ein  nützlicher  Fund,  und  es  war  ein  weiser  Mann, 
das  Lied  gedichtet  hat."  Im  Titurel  des  Albrecht  vonScharfen- 
wird  ein  anderes  Lied  erwähnt:  „Wohl  auf  ihr  Todten  alle!** 
hes,  wir  wissen  aber  nicht  bei  welcher  Gelegenheit,  mit  Orgelbö- 
img  gesungen  wurde.  Das  alte  Ereuzlied,  welches  so  häufig  bei  der 
ihrt  vom  Lande  auf  dem  Meere  angestimmt  wurde,  lautet  nach  einer 
ebner  HS.  vom  Jahre  1422  also: 

In  gotes  namen  varen  wir, 
siner  gnaden  geren  wir. 
nü  helfe  uns  diu -gotes  kraft 
und  daz  heilige  grap, 
da  got  selber  inne'  lac.  ^ 

Kyrieleis. 
Sanctus  Petrus  der  ist  gut, 
der  uns  vil  siner  gnaden  tut: 
daz  gebiutet  im  diu  gotes  stimme, 
froelichen  varen  wir: 
nü  hilf  uns  edle  Maria  zu  dir.  etc. 
froelichen  unverzeit. 
nü  hilf  uns  Maria  reme  meit. 
Sanctus  Petrus  won  uns  bi 
swenne  wir  sullen  sterben, 
mache  uns  aller  Sünden  fri 
und  läze  uns  niht  verderben, 
vor  dem  tiuvel  uns  bewar, 
reiniu  meit  Maria, 
und  vüer  uns  an  der  engel  schar! 
sd  singe  wir  allelnia. 
Alleluia  singe  wir 
dem  werden  got  von  himelrich, 
daz  er  uns  mit  sinen  engein  kroene. 
Kyrieleis  christeleis. 

27» 


420 

s5  helfe  uns  der  heilige  geist 

nnd  der  heilige  Krist, 

der  aller  werlte  ein  vater  ist.  etc. 

t 

Eine  freilich  nicht  sicher  verbürgte  Urkunde  aus  dem  Jahre  1323^ 
erzählt,    dass   beim  Gottesdienste  in  Bayern  deutsch  gesungen  worder» 
sei.  *)     Dass  der  Clerus  indess   bisweilen  \iel   lieber  weltliche  Lieden^ 
statt  der  geistlichen  Tagzeiten  sang,  geht  aus  Conrads  von  Megen — 
berg*)  ^Buch  der  Natur"  und  aus  der  öfters  schon  berührten  Liede 
Sammlung   der   Benedictbeurer  Klosterherren    hervor.      „Die    Prälat 
und  Pfaifen  singen  ihre  Tägzeiten  nicht,    klagt  Konrad;    wollte  Gotrr: 
dass  sie  sprächen  mit  Andacht  und  nicht  weltliche  Lieder  sänken!    ^^^ 
aber  singt  der  eine  den  Frauenlob,  der  andere  den  Marner,  der  dritte  d  «^ 
starken  Poppen.    Der  Poppen  ist  so  viel  worden,  dass  sie  der  Gott^  ^ 
häuser  Gut  und  Ehre  verpoppeln.'' *)    Einen  schöneji  Gegensatz  bilcÄc/ 
die  Lieder  des  armen  Münchs  von  Salzburg,  der  nicht  allein  \'i^e 
der  berühmtesten  alten  Kirchenhymnen  übertrug,    sondern  auch  eig^Mie 
Weisen  dichtete  und  in  Musik  setzte,  die  also  sicherlich  gesungen  wurdew, 
denn  alle  ^  sind  mit  Noten  versehen  und  viele  durchcomponirt.  Er  war  ein 
Benedictiner ;    die  Lambacher  und  Münchner  Handschriften  nennen  ihn 
Johannes,    andere  dagegen  Hermann;    er  wurde  dabei  von  einem 
Laienpriester  Martin  unterstützt,  welcher  vielleicht  den  musikalischen 
Antheil  dabei  hatte.  Sie  arbeiteten  nach  dem  Wunsche  und  Willen  des 
Salzburger  Erzbischofes ,   Pilgrim  von  Puchhain   (+  1396),    der  auch 
•  römischer  Legat  war  und  seinen  Dichter  mit  einer  Ritter-Pfründe  be- 
lohnt haben  soll.     Diese  Lieder  "*)  sind  wie  ein  Klostergarten ,   da  ist 
Alles   voll  reicher  Blüthen  und  lieblicher  Blumen ,    aber  träumerische 
Einsamkeit  liegt    darüber,    man   hört    das  Bächlein  rauschen  und  die 
summenden  Bienen  und  nur  ein  Paar  Waldvögelein,  die  sich  aus  der 
Welt  hereingeschwungen,  zwitschern  um  die  Wette  mit  dem  ÖrgeltoD, 
der  aus  der  Ferne  durch  die  Stille  herübergeht,  in  offenen  Kreuzgangen 

•)  Hoffmann  S.  75. 

^)  Von  ihm  auch  zwei  Hymnen  auf  den  heil.  Erhard,  als  er  im  J.  1342,  vöilif 

gelähmt  an  allen  Gliedern,  von  Wien  nach  jtegensburg  fuhr  und  dort  m 
rabe  des  Heiligen  Hilfe  suchte  und  fand;  ebenso  ist  von  ihm  ein  lat.  Lobge- 
sang auf  die  hl.  Jungfrau,  und  ein  lat.  Reimwerk:  „Planctus  ficciesiae  in  Ger- 
mania/^ 1337.  Conrad  stammt  aus  dem  bayerischen  Franken,  aus  Maioburg 
bei  Schweinfurl;  er  wurde  1309  geboren  und  lebte  als  Domherr  zu  Regens- 
bürg,  wo  er  mehrere  lateinische  Werke  schrieb  und  14.  April  1374  starb. 
«)  Ausgabe  von  Pfeiffer  1862.  8.  197.  Sein  Ruch  der  Natur,  wdcbe» 
1349—50  entstand  und  1475  gedruckt  wurde,  ist  die  erste  deutsche  Nator- 
geschichte. 

')  Nach  der  Münchner  HS.:  Pfeiffer  in  Haupfs  Alld.  Rlält..n.  325—49  ood 
in  Kehr  ein  Kirchen-  und  religiöse  Lieder  aus  dem  XH— XV.  JabrbuBdert 
Paderborn  1853.  S.  125  fl". 


421 

!■  I  V 

• 

weht  weihrauchduftige  Luft  uud  an  den  Wänden  sind  mystische  Bilder 
mit  eckigen  Falten,  spitzen  Schuhen  und  dem  Heiligenscheine  angemalt. 
Wer  je  in  das  Geheimniss  der  altdeutschen  Malerei  eingedrungen  und 
ihre  mehr  gefühlten  als  richtig  gezeichneten  Gestalten  lieb  gewonnen 
hat,  dem  werden  auch  diese  Lieder  zu  Herzen  klingen.  Doch  biegen  sie 
leider  schon  zu  meistersängerischör  Ueberkünstlichkeit  der  Form  aus, 
sie  stammen  sichtlich  aus  der  Zeit,  wo  das  höfische  Singen  verblüht 
war  und  die  Kunst  mit  lang  fortgesponnenen  Reimen  sich  ven^lkend 
bog,  wie  die  ehedem  so  schlanken  Fialen  der  Gothik  zu  Krümmungen 
sich  senkten.  Dafür  aber  geht  oftmals  die  Anschauung  unseres  Mönches 
über  den  von  Walt  her  und  Conrad  von  Wirzbprg  gezogenen  Kreis 
des  religiösen  Gesanges  hinaus,  besonders  in  den  Marienliedem ,  deren 
auch  hier  eine  grosse  Zahl  sieh  findet,  und  entschädigt  so  durch  den 
Inhalt  für  die  ebenso  in  der  Ärchitectur  jener  Zeit  schon  fühlbaren 
Formgebrechen.  In  einem  der  lieblichsten  Lieder  schenkt  der  Mönch 
der  reinen  Maid  Maria  ein  gülden  Fingerlein  (Ringlein),  woran  mit 
sechserlei  Edelgestein,  als  Perlen,  Topas,  Smaragd,  Rubin,  Saphir  und 
Diamant  dei;  iName  Jhesus  eingesetzt  steht.  Er  beginnt  seine  Widmung 
mit  den  Worten  voll  Liebe  und  Demnth: 

Wie  ich  in  Sünden  bin  verpflicht, 
Wie  wenig  Gut's  von  mir  geschieht. 
Wie  kranke  Kunst,  wie  schuöd's  Gericht: 
Jedoch  der  Trost  mein  Herz  aufriebt' 
Dass  nie  ein  Mensch  ward  so  vernicht'. 
Der  dir  mit  ganzer  Treu'  zuspricht, 
Ihn  tröst'  dein  jungfräulich  Gesicht. 
Also  schenk'  ich  dir,  Mutter  klare. 
Das  Ringlein  zu  dem  neuen  Jahre. 

Und  nun  schildert  er  nach  den  Edelsteinen  seines  Ringes  immer 
je  zwei  Monate  zusammenfassend,  den  Kreislauf  des  Jahres,  in  seiner 
Zusammenstimmung  mit  dem  kirchlichen  Festkreise,  in  kurzen  und 
treffenden  Zügen,  ein  Beweis  von  tiefem  Verständniss  dieser  innigen 
Verschlingung  von  Natur  und  Gnade  auch  in  jener  Zeit.  So  sagt  er 
vom  Mai  und  Brachmaien  (Juni) :  *) 


')  Einer  besonderen  Andacht  und  mystischen  Betrachtung  des  Leidens  Christi 
war  der  Monat  Mai  gewidmet;  die  Mystiker  sollen  diese  Sitte  eingeführt 
hahen.     V^l.  das  alte  Lied:    y,Wer  nu  wolle  meyen  ^on^    bei  Hol  seh  er 

•  D.  deut  Kirchenlied.  1848.  Nro.  29.  S.  82.  —  Noch  heutigen  Tages  wird  in 
vielen  Dorfgemeinden  ein  Maienhaum  aufgerichtet  und  mit  den  Leidenswerk- 
zeugen  ffeschmückt.  Vgl.  Ludwig  Aurbachers  Anthologie.  1831.  S.  238 
und  Horfmann  S.  127  fT.^  dazu  wurden  eigene  Lieder  gesungen. 


I 


422 

Der  Mai  mit  dem  Brachmeien  geit  (gibt) 

Smaragdes  grüne  Zeit; 

Mit  Wiederstreit 

Erklingt  der  Vöglein  Schall, 

Jegliches  sein  Gemahel  freit: 

Berg,  Anger,  Heide  Weid 

Gar  lästig  leit  ' 

Bedeckt  mit  Laub  und  Gras. 

Deiu's  Kindes  Auffahrt  nahm  du  wahr, 

Der  Tröster  lehret  gar 

Zwölfboten  Schaar 

Der  Welt  Sprach  überall. 

Ihr  Lehr'  bracht  uns  der  Salden  Nähr'  (Nahrung)  — 

Maid,  hilf  uns  fröhlich  dar. 

Keusch,  grün  gevar  (gefärbt) 

Daran  nie  kein  Dorn  war. 

Mach,  dass  ein  jeglich  Mensch  bejag'  (zu  erwerben  suche) 

Andacht  an  Gottes  Leichnams  Tag,') 

Dass  man  ihm  also  sing*  und  sag' 

Und  ihn  mit  solcher  Zier  umtrag', 

Dass  es  ihm  wohl  von  uns  behag*; 

Dass  uns  die  höllische  Pein  nicht  nag, 

Dein  Hilf,  Maria,  das  vermag. 

Dess  bitt  Johannes  keuscher  Leib, 

Denn  heil'ger  Kind  getrug  nie  Weib. 

In  solch  sinnig  zarter  Weise,  die  mit  der  für  unsere  Leser  nöthigen 
Modemisirung  bereits  viel  von  ihrem  frischen  Hauch  verloren,  föhrt 
dieser  Mönch,  der  uns  als  Zeitgenosse  Oswalds  von  Wolkenstein  und 
als  trefflicher  Pfleger  der  religiösen  Poesie  in  Mitten  des  Verfalles 
doppelt  -theuer  sein  muss,  in  seinen  Hymnen  das  ganze  Kircheojahf 
vorüber;  am  öftesten  hat  er  Maienlieder  gesungen.  Von  unwiedergeb- 
licher  Schönheit  ist  das  ^Ave  Maria  desMönichs,^  wo  er  die  Madooo» 
auffordert  ihr  göttliches  Kind,  wenn  sie  selbes  mit  seligen  Küssen  an 
ihre  Brust  drückt,  dann  selbes  auch  zu  mahnen,  der  Er  der  Menschen 
nicht  vergesse  und  immerdar  bei  ihnen  sei: 

d  wie  gar  selge  küssen  druckt 
dein  mund  an  iündleins  mund 
dö  er  sich  an  dein  brüstlein  smukt 


')  Derselbe  wurde  im  BisUium  FrdsiDg  im  J.  1264  zum  erstenmale  beginftn* 


428 

vnd  saugt  an  deinem  herzen, 

man  in  an  kintlich  scherzen. 

sprich:  bis  (sei)  mit  in  all  stund.  (Kehrein  S.  130.J 

Der  Einfluss  des  Münchs  von  Salzburg  war  sicherlich  ein  grosser, 
denn  eine  Menge  Lieder  wurden  in  seinen  Weisen ,  in  seiner  Manier, 
in  seinem  „Tone"  in  der  Folge  nachgedichtet  und  nachgesungen,  und 
waren  noch  lebendig  und  m  Uebung,  als  die  Klara  H  ätz  lein  im 
XV.  Jahrh.  ihr  Liederbuch,  von  dem  wir  beim  Volkslied  in  der  Folge 
hören  werden,  zusammenschrieb.  Andere  Marien iieder  und  Sprüche  des 
XrV.  Jahrh.  hat  Mone  aus  der  Münchner  Bibliothek  gesammelt*)  und 
Franz  Pfeiffer  einige  geistliche  Minuestücke  aus  dem  XIIl  —  XIV. 
Jahrh.  *)  Es  gab  goldene  ABCTs  ^)  und  Reimspielereien  und  geistliche 
Wiegenlieder  und  anderen  Kram,  ascetischen  Unsinn  und  klosterfräuliche 
Spielereien  von  allen  möglichen  Arten.  Wie  angesehen  diese  Dinge  im 
Volke  waren,  beweisen  die  ihnen  zugeschriebenen  Wunderkräfte.  In  der 
Münchner  HS.  der  Lieder  des  Mönchs  von  Salzburg  heisst  es  vom 
^Stabat  mater:"  Wer  das  ohne  Todsünde  mit  Andacht  bisweilen  spricht 
den  lässt  unsere  liebe  Frau  in  kein  g^oss  Herzenleid  nit  kommen.  Bei 
dem  Hymnus  „Christe,  qui  lux  es  et  dies**  wird  bemerkt:  Wer  den 
mit  Andacht  bei  der  Nacht  spricht,  den  könne  der  Teufel  nicht  an- 
fechten und  kein  schwerer  Traum  zufallen.  Der  Pfingsthymnus  „Veni 
Creator  spiritus"  bei  Tag  und  Nacht  gesprochen,  soll  gegen  allen  Scha- 
den durch  Feinde  wahren.  Den  Hymnen  wurden  also  ganz  dieselben 
Kräfte  zugeschrieben,  welche  man  biblischen  Büchern,  namentlich  dem 
Evangelium  Johannis  und  einigen  Psalmen  und  noch  lieber  dem  Virgil 
zulegte.  Glaubte  man  doch,  jede  Schrift  geistlichen  Inhalts  besitze  auch 
eine  schätzende  und  rettende  Kraft,  und  die  drei  Lieder  des  Wem- 
her'schen  Marienlebens  wurden  dafür  als  Tieilsam  empfohlen ,  dass  eine 
Frau  rasch  ihres  Kindes  genesen  werde,  welche  es  während  ihrer  Noth 
in  der  Rechten  halte.*)  Wohl  ein  Beweis,  dass  unsere  Vorfahren,  so 
lange  sie  noch  Heiden  gewesen  waren,  zu  ähnlichen  Dingen  ihre  Zu- 
flucht genommen  hatten. 

.  Ein  schönes,  herzinniges  Lied  enthält  eine  Münchner  HS.  vom  J.  ' 
1347,*)  es  klingt  wie  aus  der  tiefsten  Frauenseele: 


')  Mone  Hymnen.  II.  S.  134.  136.  178.  309.  413. 

^  Altdeutsche  Blatter.  11.  359-73. 

')  Hoffmann  S.  240. 

^)  \gl  Weinhold  Weihnachtspiele  und  Lieder.  S.  379. 

^)  Bei  Hoffmann  S.  92. 


424 

l.Wer  hilft  mir,  daz  ich  den  begrife, 
nach  dem  min  herze  sich'  versent, 
daz  er  mir  nimmer  me  entwiche? 
ich  han  sin  leider  nit  gewent, 
daz  ich  in  nit  behalten  hän. 
wie  dick  er  sich  mim  herzen  erbiatet, 
iedoch  trib  ich  in  als  hin  dan. 

Wer  die  warheit  welle  minnen, 

der  volge  Jesu  Christi  lere, 

so  wirt  er  des  vrides  innen. 

2.  Jesus,  din  vil  süeziu  minne 

diu  hat  verwunt  daz  herze  min. 

nach  dir  florijerent  all  min  sinne, 

daz  herze  min  nim  zu  dir  hin, 

und  ziuh  mich  üz  min  selbes  grünt! 

wenn  sich  da  geist  mit  geist  vereinet, 

all^rst  ist  mir  diu  friuntschafl  kunt.  Wer  die  warheit  etc. 

3.  Jesus,  ist  din  minne  iht  süeze, 
die  läz  du,  herre, '  wizzen  mich, 
daz  ich  ir  noch  empfinden  müeze, 
so  kan  ich,  schepfer,  loben  dich, 
du  bist  ein  gnädenrichez  vaz: 

wem  dii  dich,  herre,  selber  schenkest, 

wie  künd  dem  immer  werden  baz?  Wer  die  warheit  etc. 

4.  ^Dü  sumest  dich  ein  teil  ze  lange, 
des  wirst  du  selber  wol  gevar. 

nü  kum  her  zu  der  engel  gesange 
und  zu  der  reinen  meide  schar! 
wenn  mich  diu  sele  da  ersiht, 
wie  klär  ich  bin  in  driveltigem  schine, 
so  sumet  si  sich  lenger  niht.^ 

Wer  die  warheit  welle  minnen, 

der  volge  Jesu  Christi  lere, 

so  wirt  er  des  vrides  innen. 

Darauf  passt  die  Stelle  des  Hugo  von  Trimberg,  wo  er  in 
seinem  „Renner^  C^.  11080  ff.)  sagt:  ^der  laien  leise  durch  tiatscfaiQ 
laut  sint  einveltec  und  baz  bekant  danne  manec  kunst,  üf  die  geleit  ist 
groziu  kost  und  arbeit.^  Es  ist  das  beste  Zeugniss  Ar  das  geistliche 
Lied  an  der  Grenze  des  XIII.  und  XIY.  Jahrhundert:  Einfachheit  and 
warmes  Geföhl,  inniges  Durchdrungensein  von  dem  Glauben  an  die  U. 


425 

Geschichte  und  die  Wahrheit  des  Evapgelioms,  der  frische  Klang  der 
Volksweise,  das  waren  und  sind  für  immerdar  die  Factoren  und  Grund- 
bedingungen des  geistlichen  Liedes. 

In  der  wfisten,  durch  Partheiungen  aller  Art  aufgeregten  Zeit  des 
Xlll.  und  XrV.  Jahrhunderts  kamen  die  Geissler.  Regengüsse  und 
üeberschwemmongen  hatten  an  vielen  Orten  Misswachs  herbeigeführt, 
es  folgten  Theuerung  und  Hungersnoth  und  bald  gesellte  sich  zu  diesen 
Leiden  die  morgenländische  Pest,  der  „schwarze  Tod^^  eine  Krankheit, 
die  sich  vom  Süden  Deutschlands  .  bis  tief  nach  Norden  erstreckte  und 
die  volkreichsten  Städte  und  Gegenden  nienschenleer  machte.  Um  diese 
2jeit  trat  die  höchst  merkwürdige  Erscheinung  der  Geissler  auf;  Schaaren 
von  Laien  zogea  als  Büssende  umher,  geisselten  sich  und  sangen  geist- 
liche Lieder.  Fast  alle  Chroniken  im  deutschen  Reich  wissen  davon 
zu  erzählen.  Anfangs  traten  sie  mit  strenger  Zucht  und  höchst  er- 
greifenden Ritten  auf.  Heinrich  Stero,  Möach  von  Altaich,  schildert 
sie  also:  „Ihre  Bussübung  war  hart  zu  erleiden,  schrecklich  und  er- 
barmungswürdig anzusehen,  denn  sie  entblössten  ihren  Leib  vom  Gürtel 
an  aufw^ärts  und  hatten  ein  eigenes  Kleid  an,  womit  sie  den  unteren 
Theil  des  Körpers  bis  auf  die  Füsse  bedeckten,  und  damit  Keiner  von 
ihnen  erkannt  würde,  gingen  sie  mit  verhülltem  Kopfe  und  Gesichte 
einher.  Sie  zogen  je  zwei  und  zwei  oder  je  drei  und  drei,  wie  die 
Geistlichen,  hinter  einer  Fahne  oder  einem  Kreuze,  und  schlugen  sich 
selbst  mit  Geissein  dreiunddreissig  Tage  hindurch  und  einen  halben, 
zum  Andenken  an  die  Zeit  der  Menschheit  unseres  Herrn  Jesu  Christi 
auf  Erden,  täglich  zweimal  also  lange,  bis  sie  ihre  Gesänge,  die  sie 
vom  Leiden  und  Tode  des  Herrn  gedichtet,  um  die  Kirche  herum  oder 
in  der  Kirche  vollendet  hatten,  wozu  zwei  oder  drei  die  Vorsänger 
machten;  dabei  stürzten  sie  bald  zur  Erde  nieder,  bald  streckten  sie 
die  nackten  Arme  gegen  Himmel  empor,  ohne  Rücksicht  auf  Schmutz 
oder  Schnee,  Kälte  oder  Hitze.  Ihre  jamraerwürdigen  Gebärden  und  die 
harten  Geisselungen  bewogen  nun  viele  zu  Thränen  und  zur  Annahme 
derselben  Busse.  Weil  aber  diese  Bussübungen  weder  von  Rom,  noch 
von  irgend  einer  Person  von  Ansehen  ausgingen,  so  geriethen  sie  bald 
bei  einigen  Bischöfen  und  dem  Herzog  Heinrich  von  Bayern  (f  1290) 
in  Misscredit  und  liessen  in  Kurzem  nach,  so  wie  jede  Sache,  die  An- 
fang zu  sehr  übertrieben  wird."  So  weit  der  Bericht  des  Altaicher 
Augenzeugen.  Die  Züge  waren  anfänglich  ungehindert  das  Land  auf 
und  nieder  gegangen,  wie  früher  die  Kinder  bei  den  Kreuzzügen  sieh 
zusammengefunden  hatten,  so  fuhren  auch  junge  Knaben  und  Kinder 
Land  auf  Land  ab  die  Geisseifahrt ;  als  man  aber  endlich  müde  wurde, 
die  Geissler  nicht  mehr  mit  Sang  und  Klang  empfing,  nicht  mehr  mit 


426 

Glocken  entgegen  stürmte  jind  jsie  nicht  mehr  zum  Imbiss  in  die  Häuser 
lud,  blieben  sie  allgemach  aus.  In  der  Gegend  von  Freising  spuckten 
sie  schon  in  den  Jahren  1260  und  1262  zum  Verdruss  der  Herzoge, 
die  sie  ausweisen  Hessen.  Später,  im  XIV.  Jahrh.  kamen  sie  wieder. 
Die  Grundidee,  für  die  Sünden  ihrer  Zeit  und  der  Welt  zu  büssen,  war 
wirklich  eine  überraschende ;  bald  aber  nahm  allerlei  Unfug  überhand« 
so  hörten  z.  B.  die  Meister  der  Brüderschaft  bald  allgemein  Beicht,  als 
ob  sie  Priester  wären  und  '  waren  nur  Laien ,  absolvirten  die  Sünder 
und  ignorirten  die  von  der  Kirche  ausgehende  Sündenvergebung  ganz 
und  gar,  sie  meinten,  dass  die  Bluttaufe  der  Geisselung  die  Sakramente 
und  allen  anderen  Cultus  üb^üssig  mache;  die  „Brüder^  verschlim- 
merten sich,  wie  es.  bei  allen  menschlichen  Institutionen  zu  ge- 
schehen pflegt,  zusehends,  allerlei  Gesindel  lief  ihnen  zu  und  Manche 
wurde  gehangen,  kurz,  die  Fürsten,  der  Kaiser,  der  Pabst  und  die 
Pfaffen  erhoben  sich  dagegen  und  die  Fahrten  hörten  endücb  auf,  nach- 
dem sie  an  34  Jahre  gedauert  hatten. ')  Sie  sangen  deutsche  Lieder 
von  grosser  Einfachheit,  jedoch  mit  wenigen  Aenderungen  überall  die- 
selben. — 

Das  XV.  Jahrh.  ist   überaus   reich   an  geistlichen  Liedern,   noch 
mehr  an  ganz  populär  gewordenen  Uebersetzungen  der  alten  lateinischen 
Kirchenhymnen.    Höffmann  (S.  124)  fand  in  der  Nürnberger  Stadtbib- 
liothek ein  schönes  mystisches  Mailjed  (Wer  nu  wolle  meien  gen).   Ein 
anderes  Weihnachtlied  (S.  165)  hat  Docen  bereits  in  seinen  Miscella- 
neen  (II.  246)  mitgetheilt  (Ein  kintlein  ist  geboren),  hieher  gehört  auch 
das  fröhliche  Osterlied  „Freuet  euch  alle  Christenheit*'  (Hoffm.S.l  73) 
und  das  Himmelfahrtslied  „Christ  fuhr  gen  Himmel '^  während  welchem 
eine  Statue  des  Heiland   in    das    Kirchengewölbe    gezogen   und   darauf 
allerlei  Unfug  verübt  wurde.  ^)  In  Betreff  der  Uebersetzungen  verweisen 
wir  auf  Höffmann,^)  der  alles  Hiehergehörige  bereits  sorgfaltig  ao« 
den  HS.  gesammelt  hat.     Durch  Lieder  auf  bestimmte  heilige  ist  St 
A 1  e  X  i  u  s  und  Jacob   von  Compostella  '')   ausgezeichnet ,    ebenso  St. 
Wolf  gang;*)   in  einem  merkwürdigen  „Mariengruss"   hat  die  Dich- 
terin ihren  Namen  in  die  ersten  Buchstaben  der  Strophen  versteckt,  ond 


')  Die  hauptsächliche  Literatur  darüber  ist  in  meiner  Lit.  Gesch.  1853. 1.  103  IT. 
verzeichnet. 

})  Vgl.  meine  Gesch.   der  Mönchner  Frauenkirche     1859.    S.  88  ff.    Panier 
Beiträge  II.  1281. 

S)  S.  286.  287.  307.   314.  324.  33a  (Fange  lingua  von  1422)  335.  341.  346. 
347.  367. 

^)  Uhland  Nro.  30ä  S.  1033  u.  Hoffmann  S.  216. 

»)  Höffmann  S.  475.  (XVI.  Mrb.) 


427 

ergibt  sich  folgende  akrostichische  Dedication:    ^Margareta  sponsa 
Christi.«  0 

In  der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrh.,  noch  mehr  aber  mit  dem 
Aufleben  des  Volksliedes  im  XVI.  Jahrb.,  kam  der  Gesang  der  geist- 
lichen Lieder  sehr  in  die  Höhe,  ja  er  schoss  sogar  zu  üppig  in  Samen; 
man  dichtete  weltliche  Lieder  auf  ^geistig^  am  und  benätzte  die  alten 
wohlbekannten  Melodien ;  man  machte  Wächte r Hede r  geistlich,  ebenso 
wie  man  geistliche  travestirte  und  aus  dem  ^Verbum  bonum  et  suave" 
ein  übennüthiges  KneipHed  machte.  Man  wagte  sich  sogar  zur  Ver- 
geistlichung  an  die  künstlichsten  und  schlüpferig^ten  Stoffe  und  brachte 
sie  mehr  oder  minder  glücklich  unter  anständige  neue  Texte  von  oft 
sehr  barocker  Natur.  Ein  solch  umgekünsteltes  Lied  (aus  der  Regens- 
burger Stadtbibliothek)  lautet  z.  B.: 

L  Ein  l^um  stet  auf  der  beiden, 

es  mag  wol  Jesus  sin, 

darumb  trag*  ich  gross  leiden, 

dass  ich  nit  bei  im  bin ; 

darumb  da  wil  ich  meiden 

alle  diese  weit, 

mein  eigen  wil  ich  lassen 

wol  durch  die  enge  Strassen. 

wöl  auf  die  beiden  gross. 

2.  Die  beide  die  ich  doch  meine 
die  ist  keiner  andern  gleich, 
sie  ist  nit  hie  auf  erden, 

sie  ist  im  himelreich: 
darin  da  blüet  ein  blüemlein, 
das  gibt  ein  Hechten  schein, 
ach  gott!  m(ycht  es  mir  werden, 
darumb  so  wolt  ich  geben 
das  junge  leben  mein. 

3.  Gab  ich  mein  junges  leben 
um  got,  den  schepfer  mein, 
sein  reich  wolt  er  mir  geben, 
wie  möcbt  mir  bass  gesein! 
er  hat  umb  uns  erlitten 

ein  scharpfen  bittem  tot, 
und  ritterlich*  gestritten, 
sein  reich  hat  er  vermitten, 
dass  er  uns  brächt  aus  not. 

')  MilgelheiU  von  Docen  in  Gräters  Iduna.  1812.  Nro.  50. 


428 

4.  Sol  ich  die  weit  verlassen, 
das  acht*  ich  sicher  klein, 
ich  will  mich  fürbass  keren 
zu  Jesu  Christ  allein: 
er.kan  die  sei  erfreuen 
und  ist  ir  höchster  trost 
and  wil  ir  wenden  kummer 
and  grOnet  winter  and  summer, 
das  säst  kein  blum  nit  tut. 

5.  Daramb,  ir  jonge  herzen, 
halt  euch  in  grosser  hat! 
dass  ir  nit  leidit  verscherzen 
das  edel  blüemlein  gut; 
wan  er  doch  nichts  begeret 
wan  unser  sei  allein: 
daran  solt  ir  gedenken 

und  unser  jugent  schenken    v 
dem  edlen  blüemelein! 

So  war  denn  der  weltlich  -  geistliche  Gesang  und  das  Kirchenlied 
schon  lange  vorbereitet  und  ausgewachsen ,  als  die  Reformation  kam 
und  mit  kluger  Berechnung  die  volksthüniliche  Sangeslust  für  ibre 
Zwecke  gestaltete.*)  Sie  hatte  dabei  noch  den  Vortheil,  statt  der  bereits 
ausgebrauchten  und  zur  Neige  gehenden  mittelhochdeutschen  Sprache, 
ein  neues  mundgerechtes  Idiom  zu  bringen,  das  der  geheimen  sächsi- 
schen Kanzelei,  das  nun  siegreich  durchdrang,  indess  die  Sprechweise 
des  Mittelalters  schnell  versank  und  erlosch. 


*)  Vgl.  Kehrein  Gesehichie  des  Kirchenliedes.  Wirsburg  1858.  S   14  (T. 


B. 

Minnesang. 


Wie  die  Epik  unseres  Mittelalters  mit  einer  klösterlich-lateinischen 
Dichtung  eingeleitet  ist,  so  läuft  auch  dem  ritterlichen  Minnesang 
eine  lateinische  Lyrik  voraus,  unter  welcher  jedoch  häufig,  wid  aus 
einer  Eisdecke,  das  deutsche  Lied  schüchtenn  hervorbricht  und  nur  eines 
belebenden  Sonnenstrahles  wartet,  um  in  reinster  Blöthe  übermuthig 
hervorzuschiessen. 

Hier  begegnet  uns  zuerst  eine  bereits  liebgewonnene  Persönlichkeit, 
der  traute  Sänger  des  Ruodlieb,  der  treffliche  Poet  Froumunt 
von  Tegernsee.  Wir  haben  von  ihm  noch  ein  Büchlein  mit  vierzig 
seiner  kleineren  Gedichte,  darinnen  auch  verschiedene  von  ihm  ge- 
schriebene poetische  Episteln. ')  Seine  Poemata  sind  mitunter  Eingeb- 
ungen der  heitersten  Laune,  z.  B.  das  Epitaph  auf  seine  sei.  Mutter 
Jlisa  (Pez  S.  172),  ein  anderes  geht  an  seinen  Freund  und  confrater 
Pabo,  an  dem  er  mit  zärtlicher  Liebe  hing,  ein  anderes  Mal  schreibt 
er  an  seinen  Abt  pro  calgis  hirsutis,  quamtumvis  vilibus,  auch  die  früher 
schon  berührte  Rechtfertigung  gegen  Diejenigen,  welche  ihn  immer  be- 
drängten die  hl.  Weihen  des  Priesteramtes  auf  sein  Haupt  zu  nehmen 
(Pez  S.  169),  findet  sich  hier..  Zu  anderer  Zeit  begrüsst  er  den  Bischof 
Liutold  von  Augsburg,  oder  die  Ankunft  des  Herzog  Heinrich  von 
Bayern')  zu  Tegernsee,  wobei  er  sich  als  Dichter  vom  Fach  zu  er- 
kennen gibt  und  ihm  zum  Abschied  einen  Segenswunsch  auf  glückliche 
Reise  .und  Wiederkehr  nachsendet;  noch  einmal  werden  derselbe  Hein- 
rich und  dessen  Bruder  Bruno  besungen  und  dann  dessgleichen  ver- 
schiedene Aebte,  wie  Peringer,  Meginhalm  u.  A.,  natürlich  Alles 
noch  in  hexametrischen  Caesurreimen.  Erst  in  dem  berühmten  Epistolar- 


*)  SiebcDundzwaDzig  davon  hat  Pez  in  s.  Thesaurus  anecd.  1729  VI.  B.  S  167 
—199  aufffenommen.  —  Froumunt  schrieb  auch  ein  Buch  de  Noricum  origine. 
Pez  III.  3.  493. 

*)  Kaiser  Heinrich  11.  der  Heilige,'  Herzog  von  Bayern,  f  1024.  vgl.  oben  S.  405. 


430 

oodex  aus  dem  Kloster  Tegernsee,  welchen  ein  dortiger  W] er nher, 
aber  nicht  der  Marienlieddichter ,  zusammengeschrieben  hat,  wagt  sich 
die  deutsche  Sprache  schüchtern  hervor,  und  die  lateinischen  Liebes- 
briefe eines  Mädchen,  ')  die  mit  zierlicher  Geschwätzigkeit  allerlei 
deutsche  Brocken  mit  untermengen,  enthalten  auch  das  erste  Minnelied, 
jenes  berühmt  gewordene  älteste  Schnaderhüpfel  (vgl.  oben  S.  84): 

Ich  bin  dein,  du  bist  mein 
Des  sollst  du  gewiss  sein 

Du  bist  beschlossen 
In  meinem  Herzen 

Verloren  ist  das  Schlü sselein : 
So  musst  du  immer  drinnen  sein. 

Von  da  an  bis  zum  Abschluss  jenes  in  seiner  Weise  ganz  einzigen 
Codex,  der  die  sogenannten  Carmina  burana  enthält,  ist  ein  weiter 
Schritt.  Unterdessen  war  im  ganzen  deutschen  Reich  die  Zeit  der 
Minne  schon  aufgegangen,  Ritter,  Herren  und  Bauern  sangen,  man  sang 
in  Burgen  und  Städten!  warum  nicht  auch  in  der  Klosterzelle,  im 
hochgewölbten  Refectorium,  im  stattlichen  Keller?  Von  solchen  Dingen 
hatten  die  Mönche'  von  Benedictbeuern  im  XIII.  Jahrh.  «ine  schöne 
Sammlung  angelegt,  aus  welcher  zuerst  Aretin,  Docen^)  und  v.  d. 

Hagen,  schöpften,  bis  Seh  melier  endlich  das  Ganze  publicirt  hat') 

* 

Auch  diese  Carmina  singen  von  Lenz  und  Liebe,  auch  sie  sind  Minne- 
lieder, zwar  nicht  in  der  Sprache  der  gewöhnlichen  Laien,  sondern 
jener  Gebildeten,  die  damals  theils  clerici  waren,  theils  nur  so  genannt 
wurden.  Es  waren  wie  man  unbedingt  zugeben  kann,  klassisch  gebil- 
dete Herren,  diese  Mönche,  sie  hatten  in  ihren  Mauern  der  alten 
Literatur  eine  Freistätte  und  warmen  Heerd  gegeben  und  lasen  ihren 
Virgil  so  gut,  wie  ehedem  die  zu  St.  Gallen,  und  exegesirten  dann 
denselben  zwar  nicht  vor  edlen  Herzoginnen ,  aber  doch  vielleicht  mit 
Fürstenkindem  oder  anderen  respectablen  Damen.  Sollte  da  die  schwere 
Minnenoth  der  Königin  Dido  nicht  ihre  Herzen  theilnehmend  berühren? 
sollte  die  holde,  schöne  Frau  Venus  keines  Liedleins  mehr  würdig  sein? 
Sie  sangen  wacker  und  mitfuhlebd  darauf  los  und  dass  keine  Theorie 
ohne  Praxis  sei,  so  begaben  sie  sich  in  den  Dienst  der  Frau  Königin 
Minne,  nachdem  der  Tochter  Syon  ihr  Recht  geschehen.  Erst  finden 
wir  Nachklänge  der  Kirchenhymnen   in  zarten,    rundquellenden  Tönen 


')  Abgedruckt  bei  Haupt  Minnesaugs  Frühling.  1857.  S.  221  ff. 

')  Dopen  in  Aretins  Beilr.  IX.  B.  S.  1310  AT. 

')  Bibliothek  des  lit.  Vereios  zu  Stullgart  XVi.  B.  1647. 


431 

und  ächte,  geistliche  Lieder,  wie  denn  auch  ein  Weihnacht-  und  Oster- 
spiel ,  aaf  das  wir  später  zurückkommen  müssen,  dann  aber  ist  es  der 
deutsche  Minnegesang,  der  aus  den  lateinischen  Strophen  klingt  und 
der  bisweilen  auch  in  deutscher  Sprache,  obwohl  etwas  sparsamer,  sein 
Haupt  erhebt.  Ausser  den  Liebesliiedern,  welche  die  Mehrzahl  aus- 
machen ,  finden  sich  aber  auch  Stücke  ganz  anderen  als  moralischen 
und  religiösen,  nämlich  mythologischen  und  geschichtlichen  Inhalts. 
Schon  die  erste  Dlustration  vom  Rade  der  Fortuna  zeigt  eine  laconische 
Auffassung  alles  Wechsels  in  der  politischen  Welt,  heute  mir,  morgen 
dir!  also  schwingen  sie  auch  die  Geisse!  über  die  zuchtlosen  Fürsten 
(Fol.  7)  und  die  geldhungerige  Priesterherrschaft;  Ernstes  und  Scherz- 
haftes, Heiliges  und  stark  Profanes  ist  durcheinander  gewirbelt:  Becher- 
freuden und  Trinkturniere , .  Würfelspiel ,  Langepuff,  Schachzabel  und 
andere  Spiele  müssen,  wie  auch  die  lehrreichen  Miniaturbilder  weisen, 
scharf  in  üebung  gewesen  sein,  der  Codex  gibt  eigene  Officia  im  geist- 
lichen Ton  darüber,  auch  Psalmen  und  Bibelstellen  sind  für  handfeste 
Zecher  in  leichtfertigster  Weise  travestirt;  das  ^eoce  quam  boitum''  hat 
sich  aus  dem  Munde  dieser  Herren  bis  auf  unsere  Tage  erhalten!  Eine 
mildere  Anschauung  hält  das  Buch  nur  für  eine  Anthologie,  welche  die 
frommen  Mönche,  jedoch  schwerlich  aus  aseetischem  Eifer  od^r  aus  Lust 
an  cnlturhistorischen  Studien  gesammelt,  zusammengeschrieben  und  so 
zierlich  ausgemalt  und  mit  der  Notation  (Neumen)  versehen  haben. 
Vielleicht  hat  es  ein  fahrender  Schüler  gethan,  einer  de  vagorum  ordine, 
der  seiner  schönen  Hand  und  Kunstfertigkeit  wegen  hier  eine  Zeit  lang 
Grelass  gefunden  hatte.  Es  wirft  aber  doch  ein  eigenthümliches  Licht 
auf 'die  damalige  Klosterzucht,  die  man  für  eine  sehr  freisinnige  und 
aufgeklärte  zu  halten  versucht  sein  könnte.  Der  Volkssage  nach  waizt 
utid  spuckt  ein  guter  Theil  dieser  ehemaligen  Klosterinsassen  noch  auf 
der  Benedictenwand ,  wohinauf  sie  wegen  allerlei  Dingen  gebannt  sein 
sollen.  Doch  muss  man  keinen  zu  grämlichen  Maassstab  anlegen,  in 
dieser  mittelalterlichen  Leichtfertigkeit  und  Lüderlichkeit  liegt  doch  noch 
eine  gewisse  Kindlichkeit  und  fast  möchte  man  sagen,  eine  unschuldige 
Naivetät,  die  von  hellem  Farbensinne  und  offenem  Leben  zeigt;  wir 
sind  trotz  aller  eitlen  Prüderie  und  affectirter  Sittlichkeit  sicherlich  um 
keinen  Schritt  besser  geworden. 

Aus  den  wenigen  deutschen  Strophen  geht  deutlich  hervor,  wie 
der  Liedersamen  über  die  Lande  getragen  ward  und  überall  kräftig 
Wurzel  fasste;  es  finden  sich  hier  Strophen  Otto*s  von  Botenlau- 
ben, Heinrichs  vonMorungen,  Bruchstücke  ausNithard,  Wal- 
ther von  der  Vogelweide,  Reinmar  dem  Alten,  Dietmar  von 
Aste  a.  A.    Es  sind  Klänge,  die  so  ganz«  an  die  Frühlingsfrische  des 


432 

Minnesanges  and  Volksliedes  erinnern,  wenn  z.  B.  (Fol.  54,  6)  die  Weise 
sich  anhebt: 

^Ich  lob  die  lieben  frowen  rotn 

vor  allen  gnten  wtben, 

mit  dienst  wil  ich  ir  staete  s!n, 

und  immer  staete  beliben. 

sie  ist  als  ein  Spiegelglas, 

sie  ist  gantzer  tagende  ein  adamas, 

vnd  schoener  zaechte  ist  sie  so  vol 

von  der  ich  Chamber  dol."    oder 
Ir  roter  rosenvarwer  mant 
der  taet  mich  senen  dicke, 
ir  ougen  brehent  ze  aller  stunt, 
sam  Stern  darch  wölken  blicke. 
Mins  herzen  leben  ir  hant 
gebanden  hat  an  ellia  bant; 
min  oage  sach  nie  schoener  wtp. 
ein  engel  ist  ir  Itp. 

Mhi  leben  stat  in  ir  gewalt,  ' 

daz  sol  si  wol  bedenken 

lazze  mich  mit  froeaden  werden  alt. 

ich  wil  in  nimmer  wenken 

wil  si,  ich  lebe  wol, 

daz  diene  ich  immer  swie  ich  sol, 

gebiatet  si,  ich  Hge  tdt. 

Sus  leide  ich  wernde  not. 

Die  reine  schöne  Freade  an  der  Natar  leachtet  wohlthätig  her^' 
z.  B.  Fol.  70,  6: 

Ich  wil  den  samer  graezen,  Ich  sih  die  lichte  haide 

s6  ich  besten  kan,  in  graener  varwe  stän, 

der  winder  hat  mir  hiure  dar  saeln  wir  alle  gaben 

laides  vil  getan,  die  samerzit  emphähen; 

des  wil  ich  in  raofen  des  tanzes  ich  beginnen  so-^ 

in  der  vrowen  ban.  wil  es  in  niht  versmäfaeu. 

oder  (Fol.  61):   Ich  gesach  den  samer  nie, 

daz  er  so  schöne  dühte  mich: 

mit  menigen  blnomen  wol  getan, 

dia  haide  hat  gezieret  sich, 

sanges  ist  der  walt  so  vol, 

dia  zit  dia  iaot  den  kleinen  vogelen  wol. 


433 

Selbst  die  lateinischen  Lieder  sind  himmelweit  verschieden  von  der 
len  Nichtigkeit  der  späteren  Humanisten  (Fo].  72,  6): 

Suscipe  Flos  florem    quia  flos  designat  amorem. 
Jllo  de  flore     nimio  sum  captus  amore. 
Hunc  florem,  Flora    dulcissima,  semper  adpra, 
nam  velut  aurora    fiet  taa  forma  decora. 
Florem  Flora  \ide,    quem  dum  videas,  mihi  ride. 
Florem  Flora  tene,     tua  vox  cahtus  philomene. 
Oscula  des  flori    rubeo  flos  convenit  ori. 
Flos  in  pictura    non  es  flos,  immo  figura; 
Qui  pingit  florem     non  pingit  floris  odorem. 

Auch  ganz  volksthümliche  Anklänge  "werden  laut,  z.B.  (Fol.  71): 

Ich  wil  triiren  varen  län,  ^ 

uf  die  heide  sulwir  gän, 

vil  liebe  gespilen  min, 

da  seh  wir  der  blumen  schin. 

Ich  sage  dir,  ich  sage  dir 

mein  geselle,  chum  mit  mir. 

Sueziu  minne,  raine  min, 

mache  mir  ein  chrenzelin, 

daz  sol  tragen  ein  stolzer  man, 

der  Wol  wiben  dienen  chan. 

ebendas.  Der  winder  zeiget  sine  chraft 

den  bluomen  unde  der  weide, .      — 
zergangen  ist  ir  groziu  chrafb, 
daz  chlaget  uns  diu  heide. 
W§  tuot  in  rife  unde  ouch  der  snÄ 
davon  stat  val  der  gruone  kl§ 
die  vögele  swigent  gegen  der  zft, 
si  lebent  in  grozen  sorgen, 
durch  daz  der  vrost  in  chelte  git, 
des  ligent  si  verborgen. 

Hier  würde  man  schwerlich  das  bekannte  Spottlied  suchen  (Fol.  60): 

Waere  diu  werlt  alle  min 
von  deme  mere  unze  an  den  Rin, 
des  wolt  ich  mich  darben, 
däz  diu  künegin  von  Engellant 
läge  an  minen  armen ! 

28 


434 

Diese  Königin  von  EngeUand  aber  ist  die  reiche,  schöne  und  leicht- 
fertige Alienor  vcm  Poitou,  die,  1124  geboren,  auf  dem  Kreuzzoge  von 
1147  and  1148  manchem  Deutschen  bekannt  geworden  war  mid  als 
Gemahlin  Heinrichs  IL  von  1154 — 1204  Königin  von  England  war! 

Andere  Dinge  hätte  Kaiser  Heinrich  VI.  oder  Konradin  auch  nicht 
besser  gemacht,  wie  z.  B.  (Fol.  61)  das  kunstlose: 

Ich  bin  keiser  äue  kröne 

vnd  äne  laut:  daz  meine  ich  an  dem  muot, 

ern  gestuont  mir  nie  so  schonä. 

Wol  ir  libe,  diu  mir  sanfte  tuot: 

daz  machet  mir  ein  vrowe  guot. 

ich  wil  ir  iemer  mere  dienen 

ich  engesah  nie  wip  so  wol  .gemuot 

f 

Auch  die  gemtithliche  Schalkheit,  die  verblümt  andeutet  und  ^ 

nichts  gesagt  haben  will,    aber  dennoch  eine    tüchtige  Intention  liat, 

Prügel  auszuthdlen^  kommt  erbaulich  und  leise,  in  Freidanks  Art,  ao- 
gerückt  (Fol.  110,  6): 

Diu  mucke  muz  sich  sere  muen, 

wil  si  den  ohsen  uberluen. 
Gienge  ein  hunt  des  tages  tusent  stunt 

ze  kirchen,  er  ist  doch  ein  hunt. 
Ez  dunket  mich  ein  tumber  sin 

swer  waent  den  oven  abergin. 
Swa  ich  waiz  den  wolwes  zant, 

da  wil  ich  hueten  miner  haut, 

daz  er  mich  niht  verwunde. 

Sin  bizzen  swirt  von  gründe. 
Der  lewe  sol  auch  nimmer  lagen, 

wellent  in  die  hasen  lagen. 
Diu  fliug  ist,  wirt  der  somer  haiz, 

der  chuenste  vogel,  den  ich  waiz. 
Der  bremen  liochgezit  zergät, 

s6  der  äugest  ende  hat. 
Die  chevem  vliegen  unverdaht, 

des  vallet  maniger  in  ein  paht. 
Die  froesche  tuent  in  selben  schaden, 

wellent  si  den  storchen  ze  hüse  laden. 
Die  \nsen  kunnen  wol  verstin 

waz  ich  tdre  gesprochen  han.  —  ja 


435 

Man  könnte  einen  wohldafligen  Straus&  aus  diesen  Liedern  binden ; 
wie  sehr  verschieden  diese  Blumen  auch  an  Farbe  und  innerem  Werthe 
sind,  ein  eigeuthtimlicher  Reiz,  der  ihnen  unverjvümmert  bleibt,  liegt 
darin,  dass  sie  lebendiges  Zeugniss  geben  von  der  Weise,  in  der  man 
oft  vor  mehr  als  einem  halben  Jahrtausend,  klagend  und^  jubelnd  sich 
ausgesprochen  hat  über  Gefühle,  Freuden  und  Leiden,  die  ein  altes 
llerkommen  sind  und  ein  stetes  Dableiben  haben  unter  den  Kindern 
der  Menschen. 

Wir  sind  mit  der  Besprechung  dieser  Gedichte,  die  das  Kirchen- 
lied sowohl,  wie  den  Minnesang  und  das  Volkslied  in  sich  fassen,  der 
historischen  Reihenfolge  vorausgeeilt.  Von  allen  diesen  Dingen  ist  kein 
Verfasser  bekannt,  es  ist  herrenloses  Gut,  das  zusammengetragen  w  urde, 
ein  Schatz  poetischer  Opferpfennige,  der  sich  glücklicher  Weise  auf  uns 
vererbt  hat.  Die  Carmina  burana  sind  ebenso  ein  Sammelsurium  wie 
der  Tegemseer  Epistolarcodex  und  das  spätere  Liederbuch  der  Klara 
Hätzlerin.  Wenden  wir  jetzt  von  den  unbekannten  Poeten  zu  den  guten 
Namen,  die  neben  der  Milchstrasse  am  mittelalterlichen  Himmel  sich 
glänzend  hervorthun. 

Wenn  man  ein  Volk  als  Individuum  betrachten  kann,  so  sind  die 
Kreuzzüge  für  die  ganze  Nation  das  gewesen,  was  die  Reiselust  ist  in 
einem  jungen,  selbständig  gewordenen  Menschen.  Ks  ist  der  von  einer 
Idee  durchblitzte  dunkle  Drang  nach  djpr  weiten  Ferne,  es  ist  die  selige 
Wanderlust  in  fremde  Lande,  mit  goldenen  Träumen  von  Abenteuern 
und  einem  poch  zu  findenden  Glücke  —  das  er  vergeblich  auswärts 
sucht  und  zurückgekehrt  erst  in  der  eigenen  Heimath  entdeckt. 

Wie  Sigfrid,  der  gewaltige,  nachdem  er  die  Nibelunge  besiegt  und 
den  unermesslichen  Schatz  an  edlem  Gestein  und  rothem  Golde  dem 
finsteren  Geschlechte  Schilbungs  abgewonnen,  Land  und  Leute  in  Besitz 
genommen,  das  Gezwerge  gebunden,  den  Drachen  erschlagen  und  grosse 
Heerfahrten  vollendet  —  sich  der  beglückenden  Minne  hingibt,  die  ihm 
^aufgeht  wie  das  Morgenrqth  aus  Wolken,^  so  beginnt  auch  jetzt  die 
liebliche  Maienzeit  und  schallt  auf  allen  Burgen  und  Städten  aus  fröh- 
lichen, sehnenden  Herzen  in  anmuthigen  Liedern.  Vom  Thunersee  bis 
2ur  Insel  Rügen,  vom  adriatischen  Meere  bis  nach  Brabant  ziehen  sich 
<lie  Strassen  des  altdeutschen  Gesanges,  überall  duich  Fürstenhöfe  und  » 
JEütterburgen,  Städte  und  Klöster,  wo  Sangesfreunde  und  Sänger  hausen 
imd  herbergen.  Die  bayerischen  Herzoge  blieben,  wie  wir  sehen  werden, 
liierin  .nicht  zurück,  sie  boten  gerne  die  Hand  zu  einem  Werke,  gaben 
gastliches  Gelass  und  lösten  noch  öfter  einen  der  fahrenden  Gesellen 
aius  der  Noth. 

28* 


436 

Man  kann  auch  im  Minnegelsang  eine  Entwickelang  unterscheiden. 
Zuerst  ist  es  die  Zeit  der  ersten  Liebe,  die  sich  leise  hervorwagt,  die 
mit  den  rothen  Blumen  erwacht  und  mit  dem  jungen  Laube  des  Waldes 
grünt  und  mit  den  Vögeleiu  der  Frühlingszeit  jubelt  und  singt;  nur 
schüchtern  und  verschämt  hebt  sie  sich  an  mit  wenigen  Tönen  und  spar- 
samen Bildern,  die  immer  sorglich  von  der  Natur  entlehnt  sind,  es  ist 
entweder  der  Frühling  oder  Sommer,  der  Herbst  oder  Winter,  welche 
der  Eingang  des  Liedes  schildert.  Weil  der  Frühling  im  Freien  um  die 
Linde  den  Reihen  führt,  so  jauchzt  die  Minne  dem  Erwachen  entgegen, 
der  Liebesschroers?  klagt  den  bunten  Blumen,'  den  singenden  Vögeln, 
dem  grünen  Gras  sein  Leid;  der  Wald,  der  Klee,  die  klare  Sonne, 
klein  Waldvögelein,  voraus  die  Frau  Nächtigall,  dazu  Rosen  ubd  Lilien 
müssen  des  Sängers  Empfindung  aussprechen. 

Das  ist  eigentlich  der  ganze  Apparat  des  Minneliedes,  der  sich  im 
Verlaufe  gleich  bleibjt,  aber  die  Leidenschaft  wagt  sich  bald  lebhafter 
und  ungestümer  hervor,  das  Wächterlied  öfihet  der  schönen  Freude  die 
Thore  und  die  jubelhde  Lust  und  die  heiterste  Fröhlichkeit  oder  das 
verzagendste  Leid  springen  daraus  hervor;  es  ist  Sommer  geworden  und 
die  Sonne  der  Lieder  steht  mit  Walther  von  der  Vogelweide  auf  ihrer 
Höhe,  von  der  ein  rascher  Niedergang  bemerkbar.  Zwar  klingt  bisweilen 
noch  der  alte  reine  Ton  hervor,  aber  die  Sinnlichkeit  hat  mit  der  All- 
täglichkeit Platz  genommen,  der  höfische  Sang 'geht  in  bäuerliche  Ge- 
meinheit über,  das  Nackte  tritt  offen  hervor  und  so  sinkt  denn,  trotz 
den  Bestrebungen  der  Besseren,  da  eine  Schwalbe  keinen  Sommer 
macht,  das  Ganze  mit  dem  veränderten  Leben  zur  niedrigen  (Jewöhn- 
lichkeit  herab,  die  Singenden  verlegen  sich  vom  Lieben  auTs  Loben 
und  da  auch  dieses  keinen  Gewinn  mehr  bringen  will,  aufs  Lehren  und 
Schelten,  der  Gesang  erstidit  unter  den  Händen  der  Spruchsprjecher 
und  Reimschmiede  und  nur  die  handwerksmässige  Zunft  der  Meister- 
singer ist  noch  so  glücklich,  ihren  Altenweibersommer  für  den  frühe- 
ren, längst  entschwundenen  Lenz  zu  halten. 

Den  Reigen  des  ritterlichen,  höfischen  Minnesanges  eröffnet  der 
von  Küren b erg.  Er  ist  überhaupt  einer  unserer  ältesten  mittelhoch- 
deutschen. Dichter;  man  fand  es  sogar  wahrscheinlich,  dass  der  Küren- 
berger  eine  Person  mit  dem  Verfasser  des  Nibelungenliedes,  mit  dem 
#  oben  genannten  Meister  Konrad  sei.  ^  Dann  müssten  aber  auch  die 
Lieder,  die  wir  jetzt  unter  seinem  Namen  besitzen,  aus  der  Sprache 
des  X.  in  die  des  XH.  Jahrb.  übertragen  sein.  Doch  wäre  es  immer- 
hin wahrscheinlich,  dass  der  Kürenberger  mit  im  Spiele  und  vielleicht 


1)  Holtzmann  Untersuchungen  über  das  Nibelungenlied.  S.  76  ff.  131 


437 

der  Vwletzte  gewesen,  der  die  Hand  an  da«  grosse  Lied  gelegt,  ehe 
es  um  1200  zum  Abschluss  oder  zur  letzten  Ueberarbeituug  gekommen. 
Merkwürdig  ist,  dass  der  Mß,ler  der  Pariser  Handschrift  oder  der 
sogenannte  Manessen')  den  Sänger  in  der  Wechselrede  mit  der  Ge- 
liebten darstellt  und  desshalb  um  dieses  auszudrücken,  beiden  Personen 
Spruchbänder  aus  dem  Muhde  gehen  lässt; ')  er  muss  also  ein 
älteres  Bild  vor  sich  gehabt  und  copirt  haben,  da  eine  so  naive  Schil- 
derung des  Gespräches  in  der  Zeit,  wo  diese  Liedersammlung  bewerk- 
stelligt und  illustrirt  wurde,  nicht  mehr  üblich  war  und  die  Sänger  ihre 
Rollen  (briefe)  in  den  Händen  hielten  oder  nebenan  als  fliegende  Zettel 
angemalt  erhielten. 

Seine  aus  15  kurzen  Strophen  bestehenden  Lieder^)  zeigen  den 
üebergang  der  epischen  Dichtungsart  in  die  lyrische  und  zwar  durch 
Inhalt,  Form  und  Behandlung,  die  sich  oft  ganz  dramatisch  ausspricht. 
Er  beginnt  mit  dem  Gespräche  der  Geliebten  mit  dem  Boten:  ,,bitt' 
ihn,  sagt  sie,  'dass  er  mir  hold  sei  wie  vordem  und  mahn*  ihn  an  unsere 
letzte  Rede  von  neulich"  (waz  wir  redeten  dö  ich  in  ze  jungest  sach). 
Bald  darauf  hat  sie  über  die  Merker  und  Aufpasser  zu  klagen  (7,  19 — 
26),  er  aber  tröstet  und  gibt  ihr  den  Rath,  ihn  unter  fremden  Leuten 
gar  nicht  anzusehen,  so  wisse  dann  Niemand  wie  es  mit  ihnen  beiden 
bestellt  sei  (10,  1—8): 

s6  lä  du  dfniu  ougen  g^n 
an  einen  andern  man, 

son  weiz  doch  lützel  ieman 
wiez  undr  uns  zwein  ist  getan. 

Auf  der  Zinne  stehend  hört  sie  nächtlicher  Weile  seinen  Gesang 
und  sie  kennt  des  Kürenbergors  Weise  wohl;  er  soll  sie  minnen 


*)  Diese  Sammlung  der  mlKelbochdeulschen  Dichter,  welche  der  edle  Rudiger 
von  Manesse  (1280—1325)  und  sein  Sohn  (1296-1328)  zu  Zürick  zusam- 
menschreiben und  mit  vielen  Bildern  ausschmücken  Hess,  heissl  govöhnlich 
nach  der  Familie  die  Manessen  HS.  oder  nach  ihrem  jetzigen  Aufbewahr- 
ungsorte, die  Pariser  HS. 

')  Hagen:  Minnesänger  IV.  109.  —  Diese  grosse^  von  Fr  H.  v.  d.  Hagen 
besorgte  Ausgabe  der  Minnesinffer,  welche  zu  Leipziir  1838  in  vier  slarken 
Quartoänden  erschien^  dehen  endiicb  Berlin  1856  der  fünfte  Band  (mit  Kiipfer- 
tafeln)  folgte,  wird  in  der  Folge  immer  kurzweg  als  Hagen  MS.  citirt,  die 
römische  Zahl  bedeutet  den  Band,  die  arabische  die  Seiten,  Strophen  und 
Verszeilen  stehen  dann  in  Klammern. 

')  Nach  Wackernagels  Ordnung  bei  Hagen  MS.  I.  97  und  bei  Haupt  des 
Minnesangs  Frühling.  Leipziff  1857.  Nro.  \l.  S.  7  - 10.  (Wir  citiren  in  der 
Folge  dieses  Werk  kurz  als  Hpt.  H.  7—10;  wobei  die  römische  Zahl  immer 
die  dortige  Reihenfolge  des  Dichters,  die  arabischen  Ziffern  die  Seite  und 
die  Zeilen  bedeuten.)  Die  Lieder  in  Kürenbergers  Weise  sind  sämmllich 
übersetzt  von  Simrock  Lieder  der  Minnesinger.  £lberfeld  1857,  S.  39—42, 
(S  im  rock  MS.) 


438 


oder  das  Land  räumen,  versetzt  sie  darauf;  da  ruft  er  dem  Knappen 
sein  Ross  und  Eisengewand  zu  bringen,  offenbart  ihr,  dass  er  Nachts 
an  ihrem  Bette  gestanden,  ohne  sie  la  wecken,  wesshaib  sie  ihn  schilt, 
weil  sie  doch  kein  wilder  Eber  (ber)  zu  sein  glaubt;  er  aber  spottet' 
ein  Weib  und  ein  Federspiel  würden  leicht  zahm  und  kirre  —  und  reitet 
von  dannen ;  die  Arme  denkt  weinend  jedoch  immer  an  ihren  Gesellen, 
von  dem  sie  nur  die  Lügner  geschieden;  in  ihrer  traurigen  Einsamkeit 
verwelkt  ihre  Farbe,  wie  einem  Röslein  geschieht,  das  Vom  Strauch 
(dorn)  gerissen: 

Swenne  ich  stan  ^.leine 

in  ratnem  hemde  (=  tunika,  Rock), 
und  ich  gedenke  ane  dich, 

ritter  edele, 
80  erbliuget  sich  min  varwe 

als  r6se  an  dorne  tuot, 
und  gewinnet  mir  daz  herze 

vil  roanegen  trurigen  muot. 

In  ihrem  Schmerze  macht  sie  sich  Luft  mit  einem  ganz  reizenden 
Liede,  worin  sie  den  Vergleich  aus  dem  Vorwurfe  des  Geliebten  selbst 
nimmt.  Einleitend  mit  der  schweren  Erfahrung,  dass  ihr  das,  was  sie 
am  liebsten  möchte,  nie  zu  theil  werde,  gebraucht  sie  das  Bild  von 
einem  Falken,  den  sie  über  ein  Jahr  lang  gezähmt  hat,  das  ist  ein 
edler  Mann,  dem  es  vielleicht  früher  übel  ging,  dem  sie  das  Gefieder 
wohl  mit  Golde  bewand ;  da  hob  er  sich  viel  hohe  —  und  ging  davon. 
Seitdem  sah  sie  ihn  noch  einmal,  er  führte  noch  die  seidenen  Riemen 
am  Fusse  und  sein  Gefieder,  sein  Gewand  war  noch  golden  und  schön 
~  da  bricht  sie  aber  sclmell  ab  mit  dem  Wunsche-,  dass  Gott  Alle 
zusammensende,  die  gut  beisammen  wären! 


Er  hdt  mir  .an  dem  herzen 

vil  dicke  we  getan 
daz  mich  des  gelüste 

des  ich  nicht  mochte  hdn 
noch  niemer  mac  gewinnen. 

daz  ist  schedelich. 
Jon  mein  ich  golt  noch  silber: 

ez  ist  den  Hüten  gelich.  — 
Ich  zöch  mir  einen  valken 

mere  danne  ein  jär. 
dd  ich  in  gezamete 

als  ich  in  wolte  hän, 
and  ich  im  sin  gevidere 

mit  gölte  wol  bewant. 


Er  hat  mir  im  Herzen 

gar  manchmal  weh  gethan, 
Dass  mich  des  gelüstete 

was  mir  nicht  werden  kann 
Und  was  ich  nie  gewinne; 

der  Schade,  der  ist  gross. 
Nicht  mein*  ich  Gold  und  Silber, 

von  den  Leuten  rede  ich  bloss.  - 
Ich  zog  mir  einen  Falken 

länger  als  ein  Jahr, 
Als  ich  ihn  nuii  gezShmet 
nach  meinem  Willen  gar 
Und  ich  ihm  sein  Gefieder 

mit  Golde  wohl  bewand: 


439 


er  haop  sich  üf  ,vil  höhe 

und  floug  in  anderiu  lant. 
Sit  sach  ich  den  valken 

schone  fliegen: 
er  fuorte  an  sinem  fuoze 

sidine  riemen, 
und  was  im  s!n  gevidere 

alröt  galdm. 
got  sende  si  zesamene 

die  gerne  geliebe  wellen  sin. 


Da  hob  er  sich  viel  hohe 

und  flog  in  andere  Land*. 
Seit  sah  ich  wieder  den  Falken, 

stolz  war  sein  Fing  und  hoch. 
Er  führte  an  seinem  Fusse 

die  seidenen  Riemen  noch, 
Auch  war  ihm  sein  Gefieder 

noch  überall  voll  Gold: 
Gott  sende  die  zusammen 

die  sich  lieb  sind  nnd  hold. 


Ich  gestehe,  dass  ich  diesen  Klagegesang  der  verschmähten  und 
verlorenen  Liebe  nie  ohne  die  grösste  Rührung  lesen  konnte;  wie  edel 
und  gross  der  Dichter  hier  eine  hohe  Frauenseele  geschildert  hat!  und 
ihren  gerechten  Schmerz  über  die  Undankbarkeit  des  Treulosen,  dem 
sie,  wie  nur  leise  bildlich  angedeutet  ist,  so  viel  Gutes  gethan  und  auf- 
geholfen hatte,  dass  es  ihm  später  noch  gut  ging,  als  er  sie  schon 
lange  verlassen  hatte.  Die  Zartheit  des  Ganzen  erinnert,  abgesehen  von 
dem  gebrauchten  Bilde  des  Falken  (denn  ein  solches  Kriterium  wäre 
allein  zu  unstatthaft),  an  den  Nibelungendichter,  der  mit  sparsamer 
Kunst  nnd  mit  den  wenigsten  Zügen  doch  in  herzinnigster  Weise  die 
Frauen  zu  schildern  weiss ;  das  Lied  ist  wie  ein  Klagesang  der  Frau 
Bmnhilde,-  auf  welche  übrigens  die  ganze  Situation  trefflich  passt.  Denn 
Sigfrid  war  zuerst  auf  dem  Isensteine  gewesen  und  hatte  die  schöne 
Walkürenjungfrau  geminnt,  sie  dann  verlassen;  das  Wiedersehen  des 
alten  Geliebten  im  Gefolge  des  brautwerbenden  Königs  Günther  mag 
ihr  den  Jammerruf  erpressen.  Es  ist  das  nur  ein  Einfall  und  der  lyri- 
sche Ausdruck  so  allgemein  wie  möglich,  doch  ist  so  eine  Yermuthung 
nicht  gerade  unzulässig,  man  könnte  sogar  weiter  gehen  und  das  Stück 
für  eine  Ballade  halten,  die  sich  aus  dem  grossen  Gyclus  abgelöst  hat; 
die  UnWahrscheinlichkeit  verschwindet,  wenn  man  den  Dichter  mit  dem 
Kibelungensänger  in  eine  Person  zusammengebracht  hat.  Man  wagte 
den  undankbaren  Versuch ,  die  ältesten  Lieder  ans  den  Nibelungen 
lieranszuarbeiten,  sollte  es  dann  so  unerlaubt  sein,  dem  grossen 
Epos  ein  Lied  wieder  zufahren  zu  wollen,  zumal  an  einer  Stelle,  die 
gerade  durch  ihre  Lückenhaftigkeit  beweist,  ,wie  viel  von  der  alten 
Composition  ausgefallen  seio  muss.  —  Auch  die  Form  ist  sehr  lehr- 
reich. Die  epische  Stanze,  die  auch  der  (fragliche)  Kaiser  Heinrich  VI. 
(1191  —  97)  durch  innere  Reime  gebrochen  hat,  ist  hier  nur  durch 
Einschnitte  getheilt  und  dazu  ist  die  schliessende  Halbzeile  durch  einen 
Fuss,  wie  im  Nibelungenliede  verlängert.  Diese  „Kürenberger  Weise, ** 
welche  in  dem  genannten  Epos  noch  bisweilen  als  Ueberlieferung  er- 
scheint,   zeigt  deutlich,   wie  dieses  und  andere  verwandte  Heldeplieder 


440 

>  ■  ' 

vor  ihrer  Em^uerong  und  weiteren  Ausbildung  am  Ende  des  XII.  Jahrh« 
ausgesehen  haben  mögen. 

,  Man  hat  im  Körenberger  den  ritterlichen  Spielmann  Volker  von 
Alzey  finden  wollen:  seine  Ueimath  liegt  uns  aber  näher,  man  braucht 
sie  nicht  am  Rheine  zu  suchen ,  sie  findet  sich  an  der  Donau. ')  Der 
Kürnberg  ist  ein  Waldgebirge,  eine  Stunde  westlich  von  Linz,  das  steil 
gegen  die  Donau  abfällt  und  auf  einer  seiner  Spitzen  die  Trümmer 
einer  Burg  trägt.  Hier  waren  die  Herren  von  Kürnberg  sesshafb,  die 
schon  vor  der  Trennung  Oesterreiöhs  von  Bayern  erscheinen  und  zwar 
in  einem  Passauer  Saalbuch  vom  Jahre  II40  und  in  einer  Salzburger 
Urkunde  von  1150. 

Ein  anderer  dieser  Sänger,  der  auch  nach  Bayern  gehört,  ist  Herr 
Dietmar  von  Eist.  Der  wahre  Sachverhalt  mit  diesem  Dichter  wäre 
unerklärbar,  wenn  mau  an  der  von  Lachmann  aufgestellten  Behauptung 
festhalten  wollte,  dass  kein  Lied  unserer  Minnesänger  über  das  Jahr 
1170  hinaufreiche.  Doch  scheint  gerade  unser  Dietmar  wie  gemacht 
dazu,  die  ]liachmann*sche  Conjectur  als  einen  blossen  Einfall  umzastosseo. 
Deim  Dietmar  von  Eist  steht  schon  1142  im  Schenkungsbuch  der 
Propstei  Berchtesgaden,  ferner  1143  und  1148,  im  Jahre  1159  in  einer 
Urkunde  des  Bischof  Konrad  von  Passau,  und  im  J.  1170  im  Saalbach 
des  Klosters  Adersbach;  ein  Jahr  darauf  war  er  bereits  hochbetagt 
gestorben  und  zwar  wahrscheinlich  kinderlos,  da  seine  nicht  unbeträcht- 
lichen Besitzungen  an  seine  Schwester  Sophia,  die  an  einen  EngUbert 
von  Schonheringen  vermählt  war,  übergingen.')  Wenn  man  also  nicht 
annehmen  will,  er  habe  noch,  aus  dem  Grabe  gesungen,  so  bleibt  nichts 
Anderes  übrig,  als  entweder  zuzugeben,  dass  unsere  Lyrik  über  1170 
hinaufreicht,  oder  zu  beweisen,  dass  alle  unter  Dietmars  Namen  über- 
lieferten Lieder  diesem  fälschlich  unterschoben  wären.  Da  sich  aber 
(wie  auch  M.  Hpt.  herausfühlt)  unter  diesen  absonderlich  drei  durch 
ihre  alterthümliche  Form  auszeichnen ,  so  ist  jene  von  Lachmann  so 
willkürlich  gezogene  Schranke  bereits  durchbrochen.  Das  erste  dieser 
Lieder  lautet  (33,  15  ff.):*) 


')  Vgl.  Karajan's  Mittheilungen  bei  Hpt.  229. 

>)  Hpt.  S.  215  u.  246,  vgl.  dazu  Pfeiffer  Germania  111.  505  —  Die  Stamn- 
bürg  der  Herren  von  Eist  lag  in  der  Riedmark  auf  einem  Berge  Ewisriiei 
Ried  und  Wartberg,  der  noch  jetzt  den  Namen  Altaist  trägt. 

')  Nach  Simrock  MS.   S.  46: 

Abi,  nun  kommt  die  schöne  Zeit,  der  kleinen  Vögelein  Gesangs 
Es  grünet  wohl  die  Linde  breit,  vergangen  ist  der  Winter  lang. 
Nun  sieht  man  Blumen  wohlgethan,  an  der  Haide  üben  sie  den  Schein, 
Davon  wird  manches  Herz  erfreut :  so  sollt  auch  meins  getröstet  seio. 


441 

Ahi  nu  kämet  uns  diu  zit,     der  kleinen  vogelline  sanc. 

ez  gruonet  wol  diu  linde  breit,    zergangen  ist  (Jer  winter  lanc. 

nu  siht  man  bluomen  wol  getan    üeben  an  der  beide  ir  schüi. 

des  wirt  vil  manic  berze  frp:     des  selben  troestet  sieb  daz  min. 

Uf  der  linden  6ben6    da  sanc  ein  kleinez  vogellin. 

vor  dem  walde  wart  ez  lüt:     do  huop  sieb  aber  daz  herze  min 

an  eine  stat  da'z  e  da  was.     ich  sach  die  rösebluomen  stan: 

die  manent  mich  der  gedanke  vil     die  ich  hin  zeiner  frouwen  hän. 

Ich  bin  dir  lange  holt  gewesen,     frcuwe  biderbe  unde  guot. 

wie  wol  ich  daz  bestatet  hän!     du  hast  getiuret  mir  den  muot. 

swaz  ich  din  bezzer  worden  si,     ze  h^le  müez  es  mir  ergän. 

machestu  daz  ende  guot,    so  hast  duz  allez  wol  getan. 

„Ez  dunket.mich  wol  tusent  jär     daz  ich  an  liebes  arme  lac. 

sunder  äne  mine  schult     fremedet  er  mich  manegen  tac. 

Sit  ieh  bluomen  niht  ensaeh     noch  enhorte  der  vogel  sanc, 

Sit  was  mir  min  fröide  kurz     und  oueh  der  jämer  alze  lanc.^  — 

Die   Unruhe   der   Minne   drückt   sich  in   einem  Wechselgespräche 
aus:  wenn  die  ganze  Welt  schläft,  so  lässt  dem  Dichter  doch  die  Sehn- 
sucht nach  seiner  Schönen  keine  Ruh£  (so  al  diu  werlt  ruowe  hdt,  so 
magjch  eine  entläfen  niet.  daz  kumet  von  einer  frouwen  schoene.    32, 
9. 10);  er  sendet  also  den  Boten  zu  ihr  und  lässt  dem  schönen  Weibe 
sagen,   wie  es  ihm  ,,äne  mäze  w§  tuot^   dass  er  sie  so  lange  meide; 
darauf  lässt  sie  zurücksagen:    er  möge  sich*s  nicht  gar  zu   sehr   zu 
Herzen  nehmen,  es  gehe  ihr  aber  auch  nicht  besser.  —    Das  Warten 
macht  das  Minnerlein  ungeduldig,  er  verzweifelt,  ob  er  das  Ziel  seiner 
Wünsche  auch  erreiche  uud  glaubt  in  jungen  Jahren  sterben  zu  müssen 
(34,  23  ff.): 

ein  rehtiu  liebe  mich  betwanc 
daz  ich  ir  gap  daz  herze  min: 
des  werdent  mir  diu  jär  so  lanc, 
sol  ich  von  der  gescheiden  sin: 


Oben  auf  der  Linde  Zweig  sang  ein  kleines  Vögelein, 

Vor  dem  Walde  \i*ard  es  laut :  Da  winkte  mir  das  Herze  mein 

An  einen  Ort,  wo  ich  einst  war:  ich  sah  da  Bosenblumen  stehn: 

Die  mahnten  der  Gedanken  mich  zu  einer  Frauen  ausersehn. 

Ich  war  dir  lange  Jahre  hold,  du  meine  edle  Herrin  gut. 

Wie  war  das  wohl  an  dich  gewandt!  geedelt  hast  du  mir  den  Muth. 

Was  ich  gebessert  ward  durch  dich,  das  müsse  mir  zum  Heil  ergehn, 

Und  machst  du  noch  das  Ende  gut,  so  ist  mir  wohl  an  dir  gescbehn. 

,,Es  dünket  mich  wohl  tausend  Jahr,  dass  ich  an  Lieles  Arme  lag, 

Gänzlich  ohne  meine  Schuld  meidet  er  yiich  manchen  Tag. 

Seit  ich  Blumen  nicht  mehr  sah,  noch  borte  kleiner  Vögel  Sang, 

War  alle  meine  Freude  kurz,  dabei  der  Jammer  allzulang.^ 


442 


des  waen  min  leben  niht  lange  sie. 
ich  verdirbe  in  kurzen  tagen : 
mir  tuot  ein  scheiden  also  w3! 

Sie  hat  ihm  das  Herz  aus  dem  Leibe  genommen,  was  ihm  fr&ber, 
so  viel  er  auch  Frauen  sah,  nie  begegnete';  was  er  vordem  für  Freude 
hielt,  ist  gegen  diese  Minne  ^ein  krankiu  wunne**  (35,  8).  —  Dagegen 
klagt  dann  wieder  die  Verehrte,  dass  die  Welt  nach  altem  Brauch  ihr 
übel  mitspiele:  „diu  werlt  noch  ir  alten  site  an  mir  begdt  mit  nide" 
(36,  5);  sie  wollen,  dass  den  besten  Freund  sie  meide.  Endlich  aber 
hat  er  sie  umfangen:  da  steht  ihm  das  Herz  in  Freuden!  Die  Welt 
hatte  ni§  ein  schöneres  Weib,  ruft  er  glückselig  aus.  Der  uns  Alle 
werden  hiess  hat  an  ihr  nichts  vergessen;  sie  ist  „leides  ende  und  liebes 
tröst  und  aller  fröide  ein  wünne !   (36,  32.) 

Darauf  folgt  (37,  4)  wieder  eine  Ballade  oder  ein  GenrebildcheD 
im  älteren  Style; 


Ez  stuont  ein  frouwe  alleine, 
und  warte  über  haide, 
unde  warte  ir  liebe, 
so  gesach  si  valken  fliegen, 
„so  wol  dir,  valke,  daz  du  bist! 
du  fliugest  swar  dir  liep  ist: 
du  erkiusest  in  dem  walde 
einn  boum,  der  dir  gevalle. 
also  hdn  ouch  ich  getan: 
ich  erkös  mir  selbe  man: 
den  weiten  miniu  ougen. 
daz  nident  schoene  frouwen. 
ow^  wan  länt  si  mir  inin  liep? 
jo  engerte  ich  ir  deheiner  trütes 

niet.^ 

In  der  Folge  wird  sie  sogar 

So  we  dir,  sumerwunne! 
daz  vogelsanc  ist  geswimden: 
als  ist  der  linden  ir  loup. 
jdrlanc  mir  truobent  ouch 
miniu  wol  stenden  ougen. 
min  trüt,  du  solt  gelouben 
dich  anderre  wibe: 
wan,  helt,  die  solt  du  miden. 
do  du  mich  6rst  saehe, 
dö  duhte  ich  dich,  zewäre, 

s6  rehte  minneclich  getan: 
des  man  ich  dich,  lieber  man!^ 


Eine  Frau  stand  alleine 
Und  blickte  über  die  Haide, 
Und  blickte  nach  dem  Lieben; 
'Da  sah  sie  Falken  fliegen: 
„So  wohl  dir,  Falke,  dass  du  bist! 
Du  fliegst  wohin  dir  lieb  ist. 
Du  suchst  dir  in  dem  Walde 
Einen  Baum,  der  dir  gefalle. 
Also  hab*  auch  ich  gethan:. 
Ich  ersah  mir  einen  Mann, 
Den  erwählten  meine  Augen; 
Das  neiden  andre  Frauen. 
0  weh,  so  lasst  mir  doch  mein  Lieb: 
Ich  stellte  ja  nach  eueren  Liebsten 

nicht* 


etwas  eifersüchtig  (37,  18  flF.): 

I  „So  weh  dir,  Sommerwonne! 
Der  Vogelsang  ist  geschwundeD, 
Also  ist  der  Lind  ihr  Laub. 
Künftig  trüben  sich  mir  auch 
Meine  Augen,  die  klaren. 
Mein  Lieb,  du  sollst  dich  wahren 
Vor  allen  anderen  Weibern: 
Die  jBollst  du,  Held,  vermeiden. 
Als  du  zuerst  mich  hast  gesehnt 
Da  deucht  ich  dich,  willst  du's  ge- 

stehn, 
Geschafiien  also  minniglich: 
Lieber  Mann,  dess  mahn*  ich  dicb!^ 


448 

t 

Endlich  kam  es  an  ein  Ende,  darnach  sein  Herze  rang,  er  wurde 
ihr  anteithän ,  wie  das  Schiff  dem  Steuermann  bei  spiegelglatter  See 
(swenne  der  wftc  sin  ünde  also  gar  gelözen  hat)  so  höh  ^vn\  ruR  er 
jubelnd  aus;  nun  wird  ihr  die  winterlange  Nacht  endlich  kurz  und  ihm 
geht  ihre  Schöne  auf  wie  der  Sonne  Schein. 

Das  dritte  von  den  seltsamen  Liedern ,  die  unbestritten  zu  den 
ältesten  gehören,  die  uns  überkommen  sind,  könnte  beinahe  als  Vor- 
läufer der  Wächterlieder  betrachtet  werden,  insoferne  hier  die  Frau 
selbst  da«  Weckeramt  übernommen  hat  über  ihren  Herzenstraut  („frie- 
det =  Freund,  (Jeliebter,  gleichbedeutend  als  Schmeichelname  mit  dem 
schönen  «helt'')  S.  39,  18  ff:«) 

^Släfest  du,  min  friedel? 

wan  wecket  unsich  leider  sojiiere. 

ein  vogellin  so  wol  getan 

daz  ist  der  linden  an  daz  zwt  gegän.** 

^Ich  war  vil  sanfte  entläfen: 

nu  rüefestu  kint  Wäfen  wäfen! 

liep  dne  leit  mac  niht  gesin. 

swaz  du  gebiutst,  daz  leiste  ich,  friundin  min.** 

Die  frouwe  begunde  weinen. 

^dn  ritest  hinne  und  Mst  mich  einen. 

wenn  wilt  du  wider  her? 

owe  du  fuerest  mine  fröide  dar."  — 

Unerklärbar  ist  das  in  der  Weingartner  Handschrift  eingemalte 
Bild^  welches  in  dem  Manessencodex  noch  weiter  ausgeführt  ist.')  Eine 
hofelich  gekleidete  Frau  mit  wallenden  Haaren,  ein  Bräckelein  auf  dem 
Arme,  tritt  aus  ihrem  Schlosse,  um  mit  einem  Ranfrnann  zu  kramen, 
der  eben  angelangt  sein  mag  und  seine  Waaren  ausgelegt  hat.  Sein 
Maulthier  trägt  einen  Köcher  mit  Gabiloten,  über  einer  Stange  hat  er 
seltsam  gestaltete  Taschen,  Bürsten,  Gürtel,    einen  grossen  Ring  und 


')  S im  rock  45:  .Schläfst  du  noch,  mein  Leben? 

Es  ist  wohl  Zeit  uns  eu  erheben. 
Ein  Vögelein  so  wohlgethan 
Hebt  auf  dem  Lindenzwei^  zu  singen  an.^ 
y,  ,,Ich  schlief  so  sanft,  dein  Werken 
So  eiliff,  ist  mir,  Kind,  ein  Schrecken. 
Lieb  ohne  Leid  mag  nimmer  sein: 
Was  du  gebietest,  leisf  ich,  Freundin  mein.^^ 
Die  Frau  begann  zu  weinen: 
^Du  reitest,  ßssest  mich  alleine. 
Wann  kommst  du  wieder  her  zu  mir? 
Weh,  meine  Freude  nimmst  du  fort  mit  dir.^  — 

»)  Hagen  V.  223  ff.  u.  Taf  XIIL 


444 

• 

allerlei  andere  unerkenübare  Handelsartikel  aufgehängt,  sie  ist  im  Be- 
griff einen  perlengestickten  Gürtel  einzuhandeln,  wozu  er  ihr  eine  vier- 
eckige Schnalle  ohne  Dorn  bietet.     Der   Krämer  ist  ein   korzloekiger 
Jüngling,   mit  einem  breitkrempigen  Judenhute,    er  trägt  eiaen  Mantel 
über  dem   enggegürteten  Aermelrock;    so   erscheint  er   ganz   als   um- 
ziehender Kramer,  nqr  der  Wappenschild  darüber  bezeichnet  den  Ritter. 
Da  sich  in  Dietmar*s  Gedichten  gar  kein  Anlass  zu  solch  einer  Illo- 
stration  findet,   so  bliebe   die  Sache  unverständlich,    wenn  man  nicht 
annehmen  könnte,    dass  an   den  beiden  Handschriften  mehrere  HInde 
gearbeitet  haben.   Jedenfalls. hat  die  Weingartner  Handschrift  ein  An- 
derer geschrieben  und   ein  Anderer  mit  Bildern   ausgeschmückt;   der 
Maler,  der  vielleicht  von  den  Liedern  nicht  mehr  wusste,  als  ihm  der 
Auftraggeber  daraus  mittheilte,  irrte  sich  in  den  Blättern  und  setzte 
hieher  sein,  für  den  später   folgenden  Brennenberger  componirtes 
Bild,    denn  diesen   erblicke  ich  in    dem  Bilde,   wie   er  in   verkappter 
Gestalt  der  schönen  Königin  von  Frankreich  seine  Waaren  anbietet  Der 
Maler  der  Manessen  aber  kannte  die  Weingartner  HS.  und  copirte  un- 
bekümmert, wie  denn  gerade  dieser  Dlustratcur  sich  die  grössten  Frei- 
heiten herauszunehmen  wagte   und   namentlich  in   heraldischen  Dinges 
mit  unverzeihlicher  Sorglosigkeit  nach  Belieben  verfuhr. 

Ihm  zunächst  erscheint  Herr  Meinloh  von  Sevelingen.  Die 
edlen  Herren  von  Sevelingen  (heute  Söflingen  ^oder  Sefiingen)  bei  Ulm 
gehörten  zu  den  Dienstmanneu  der  Grafen  von  Dillingen;  ein  Meinlob 
von  Sevelingen,  vielleicht  der  Sohn  oder  Enk^  unseres  Dichters,  er- 
scheint 1237  —  40  in  Urkunden  als  Truchsess  (dapifer  et  miles)  des 
genannten  GrafeDgeschlechtes. ')  Die  Familie  aber  muss  bald  ausge- 
storben sein,  weil  schon  in  der  Mitte  des  XIU.  Jahrh.  die  Burg  Seve- 
lingen an  das  Kloster  der  kurz  erst  entstandenen  EHsabethmennneo 
kam.  Das  Wappen  derer  von  Sevelingen  zeigt  drei  Löwenköpfe  mit 
goldenen  Ejronen  im  schwarzen  Feld.  Das  Bild  in  den  Manessen  stdlt 
den  Dichter  als  reichen  Jüngling  dar,  wie  er  seine  Lieder  in  einer  Rolle 
(briefe)  einem  edlen  Fräulein  überbringt  und  entspricht  ganz  dem  ruhi- 
gen Inhalte  der  diesem  Dichter  zugetheilten  zwölf  Strophen,')  die  eine 
höchst  einfache  Liebesgeschichte  wiederspiegeln:  Da  der  Dichter  das 
Lob  der  schönen  Frau  hört,  so  fährt  er  nach  ihr  aus  und  findet  seine 
Erwartungen  übertrofl^n;  er  hält  es  der  Aufpasser  und  Merker  wegen 


')  Hpt.  231.  Von  diesem  Meinloh  wissen  wir  auch,  dass  er  im  Jahre  1240  de« 
Abte  Richard  von  Kaisheim  eine  enorme  Portion  Käse  und  zwar  um  20  Itfk 
Silbers  verkauft  habe. 

>)  Hpgen  1.  219  u.  220.  IV.  156  ff.  Hpt.  III.  11-15.  Simrock  48. 


445         . 

(Über  die  alle  diese  Dichter  anfänglich  zu  klagen  haben)  für  unklug, 
lange  um  ein  Weib  zu  werben;  er  hat  sie  zu  der  Seinen  erwählt  und 
sie  gefällt  ihm  so  wohl,  dass  er  sogar,  wenn  er  unterdessen  sterben 
müsste  und  dann  wieder  lebendig  würde,  doch  um  sie  würbe  (Hpt.  13, 
1  —  13): 

Ich  bin  holt  einer  frouwen: 

ich  weiz  vil  wol  umbe  waz. 
stt  ich  ir  gunde  dienen, 

si  geviel  mir  ie  baz  und  ie  baz. 
ie  lieber  und  ie  lie  lieber 

so  ist  si  zallen  zften  mir, 
ie  schoener  und  ie  schoener: 

vil  wol  gevallet  si  mir. 
sist  saelic  zallen  eren, 

der  besten  tugende  pfliget  ir  Ifp. 
stürbe  ich  nach  ir  minne, 

und  wurde  ich  danne  lebende, 

so  würbe  ich  aber  umb  daz  wip. 

Die  Frau  dagegen  klagt,  dass  die  Merker  schon  wissen,  dass  sie 
seine  Freundin  sei  und  ihr  das  ärgste  nachreden,  würden  ihr  aber  auch 
die  Augen  ausgestochen,  ihre  Sinne  könnten  ihr  doch  zu  keinem  ande- 
ren Manne  rathen,  der  zwar  noch  etwas  jung  sei,  doch  gebe  es  andere 
Frauen,  die  sie  desshalb  beneiden ;  die  ihn  durch  ihre  Schuld  verloren, 
sollten  nach  Belieben  darüber  trauern.  Nach  einer  kleinen  Episode 
scheint  sich  beider  Wille  gut  gefügt  zu  haben.  —  Mein  loh  ist  in  seiner 
uralten  Kunstlosigkeit ,  die  ihn  Auqh  der  Foria  nach  dem  Kürenberger 
gesellt,  ebenso  in  seiner  ruhigen,  immerhin  aber  doch  etwas  dialecti- 
sehen  Bescheidenheit,  sehr  liebenswürdig. 

In  der  weiteren  Reihenfolge  treffen  wir  auf  den  Burggrafen  von 
Rietenburg.  Das  gleichnamige  Stammschloss  bei  Kellheim  an  der 
Altmühl  liegt  längst  in  Trümmern.  Das  Geschlecht,  das  ehedem  darin 
hauste,  reicht  weit  hinauf«  Von  dem  Grafen  Babo  mit  seinem  fabel- 
haften Ehesegen,  der  acht  Mägdelein  und  dreissig  oder  gar  zweiund- 
dreissig  Söhne  »gewann  (welch  letztere  er  alle  dem  Kaiser  Heinrich  1. 
darstellte)  sang  noch  zu  Äventius  *  Zeiten  das  Volkslied.  Unter  ihren 
Nachkommen  haben  die  Grafen  Heinrich  und  Otto  (um  1179),  mit 
welch*  Letzterem  der  Stamm  erlosch,  auf  die  unter  diesem  Namen  über- 
lieferten wenigen  Strophen  Anspruch. ')        , 


')  Uageu  I.  218.  IV.  155-56.   Hpt.  V.  18  ff. 


.        446 

Das  Wappen   der   Rietenborger  iat:     ip  silberaem   Schilde   ein 
schwarzer  Schrägbalken,    von  drei  rothen  Rosen  mit  silberneo  Batzen 
begleitet;    das  Kleinod:    ein    geschlossener  silberner  Flog   mit  dem 
schwarzen  Schrägbalken  und  den  drei  Rosen  wie  im  Schilde. ')     Das- 
selbe entspricht  sO'  ziemlich  dem  in  den  Manessen  gemalten;   das  Bild 
dazu  stellt  die  herkömmliche  Sendung  des  Liedes  durch  einen  Boten  dar; 
der  Graf,  in  rothem  Mantel  und  blauer  Niederwatt  sitzt,  die  eine  Haod 
aufs  Schwert  gestützt,   in  der  anderen  Hand  eine  Schi'iftrolle,  welche 
ein  Garzun,  mit  kurzem  Jagdmesser  an  der  Seite,  von  ihm  empfangt. 

Der  arme  Herr  hat,  wenigstens  nach  seinen  Liedern  zu  schliesseo, 
viel  Ungemach  erlebt  Erst  stund  ihm  sein  Gemüthe,  nie  so  hoch,  als 
da  er  erfuhr,  dass  er  ihr  zu  Hulden  gedient  (18>  13) : 

ich  fiirhte  niht  ir  aller  drö, 
s!t  si  wil  daz  ich  sf  frö^ 

er  hörte  ein  Maere ,  dass  Minne  der  allerbeste  Trost  sei , .  eine  wahre 
Seligkeit '^  die  niemals  eine  schimpfliche  Strafe  nach  sich  bringe;  ganz 
standesherrlich  drückt  er  sich  hierüber  aus,  dass  die  Minne  nie  ^^harn- 
schar  erkös.^  ^)  Unter  Harmschar  ist  keine  bestimmte  Strafe  zu  denken, 
das  Wort  kann  von  jeder  gelten,  obgleiqh  es  die  Strafe  vornehmer  und 
edler  Männer  war ,  die  wegen  Verletzung  des  Lehenrechtes  mit  Sattel- 
und  Huudetragen  belegt  werden  konnten ; ')  die  Minne  aber  hat  unser 
Burggrafe  als  ein  Lehen  von  der  Geliebten  ertheilt,  betrachtet.  —  Di^ 
Zeiten  ändern  sich ,  die  Huldin  will  ihn  auf  die  Probe  stellen  und  er 
freut  sich  darüber ,  dass  er  nun  wie  das  Gold  in  der  Gluth  sich  be- 
währen könne  (19,  17),  es  muss  ihm  aber  doch  zu  viel  geworden  sein, 
denn  er  fahrt  von  dannen  und  sie  will  nichts  mehr  von  ihm  wissen. 

Seine  Lieder,  die  reine  Reime  haben,  aber  ungleich  gemessen  sind, 
haben  eine  gewisse  Nüchternheit,  kaum  dass  die  „nahtegal ^  und  die 
rothen  Blumen  etwas  conventionell  hereinsehen  können. 

Aus  dem  Umstände,  dass  der  Spervogel  bei  ihnen  gastete, 
könnte  man  annehmen,  dass  diese  Bm'ggrafen  den  fahrenden  Sängen 
geneigt  waren  und  freundliche  Herberge  boten/)  Wir  begegnen  ihnen 
noch  einmal  und  zwar  unter  dem  Titel  eines  Burggrafen  vodR^ 


')  Siebmacher  IL  10.  Nro.  4. 

*)  Ich  hörte  wfleut  sagen  ein  maere, 
daz  ist  min  aller  bester  tröst; 
wie  minne  ein  saelekeit  waere 
unde  harnschar  nie  erkös.  (18,  25  ff.) 

')  Grimm  Rechtsallerthümer.  S.  681. 

4)  Hpt.  25,  28  und  S  237. 


447 

gensburg/)  der  höchst  wahrscheinlich  mit  dem  vorhergehenden  ein 
and  dieselbe  Person  sein  könnte;  zum  mindesten  stammen  der  Burggrafe 
von  Regensborg  und  der  von  Rietenbnrg  aus  gleicher  Familie,  denn 
Regensburg  war  ein  Lehen  des  Bayemherzoges,  welches  die  von  Rieten-  * 
barg  bis  zu  ihrem  Erlöschen  trugen.  Dass  ihnen  verschiedene  Wappen 
beigemalt  sind,  darf  nicht  beirren,  denn  als  Regensburger  Barggraf 
föhrt  er  hier  mit  Recht  das  Wappen  der  Stadt:  die  silbernen  Schlüssel 
im  rothen  Felde,  als  solcher  hat  er  auch  „daz  fridgericht  und  daz 
schulthaizampt;^  in  der  Ausübung  dieser  Rechte  sitzt  er  in  der  Pariser 
HS.  abgemalt  auf  dem  Throne,  hinter  ihm  stehen  zwei  Knappen  als 
Schwerthalter  und  vor  ihm  sind  mehrere  Leute,  die  sich  Recht  spre- 
chen lassen.  Im  Ausgange  des  Xu.  Jahrh.  gibt  es  drei  burggräfliche 
Bruder  von  Rietenburg,  die  l^öhne  des  Landgrafen  Otto  IV.,  von  denen 
einem,  Namens  Heinrich  (f  1184)  diese  beiden  Lieder  zugesprochen 
werden.  Sie  sind  sehr  einfach,  in  der  bekannten  Form  und  mit  dem 
stereotypen  Inhalt:  Wechselrede  der  Geliebten  mit  ihrem  Ritter,  herz- 
Ucfaes  Gedenken  ihres  minniglichen  ^umbevangen,^  Klage  über  unbe-  . 
rofene  Aufpasser  und  sehnendes  Weh  über  „unsenflez  scheiden.^  — 

Kaum  eili  Bayer ,  aber  daselbst  zeitweise  wohlbekannt ,  ist  der 
rathselhafte  Spervogel,  ein  Meister  der  Spruch  Weisheit.  Ob  nun 
dieses  der  wirkliche  Name  des  Dichters,  oder  ob  er  nicht  etwa  nur 
daher  entnommen  ist,  weil  der  Dichter  sich  in  einem  Spruche  auf  seinen 
Gesellen  Spervogel  bezieht,  neben  welchem  jedoch  auch  ein  Her- 
gßr^  erscheint,  welchen  Simrock  (S.  61)  als  Heriger  zu  Ehren 
gebracht  hat,  ist  ein. nicht  zu  entwirrender  Knäuel;  dazu  kommt  noch 
die  Malerei  in  den  Manessen,  wo  der  Dichter  abgebildet  ist  mit  einem 
Speer  in  der  Hand,  an  welchem  viele  Vögel  stecken.  Wer  er  nun  auch 
sei,  so  viel  ist  gewiss,  dieser  kluge  wortweise  Mann  trieb  sich  in  Bayern  . 
um ,  er  kann  am  Hofe  der  Rietenburger  Grafen  und  zu  Gräfensteinberg 
(bei  Gunzenhausen)  beim  milden  guten  Wem  hart  auf  Steinberg 
gefunden  werden,  welch  letzterer  all  sein  Gut  hingab,  wie  einst  Rüdiger, 
der  so  ruhmvoll  zu  Bechelaren  sass  und  der  Mark  hütete.  Auch  bei 
dem  Grafen  von  Oettingen,')  dem  würdigen  Erben  der  Stein- 
berger,  muss  Spervogel  mit  seinem  Unsichtbaren  Heriger  gegartet 
haben,  der  eine  ähnliche  Persönlichkeit  war  und  auf  historische  Exi- 
stenz vielleicht  mehr  Anrecht  hat,  als  der  bilderwitzige  Namr  des 
Spervogel. 


*)  Hagen  I.  171.  IV.  480—84.  Hpt.  16  u.  232. 
*)  Hpt.  25,  24  ff. 


448 

Der  unter  diesem  Namen  verkappte  Spruchdichter  muss  weit  her- 
umgekommen sein,  er  kennt  auch  die  Heldensage  von  den  Nibelungen 
so  gut  wie  vom  Fronte  von  Dänemark ;  seine  Sprüche  sind  jedoqh  immer 
aus   dem  ländlichen   und   häuslichen   Leben    genommen,    von    zahmen 
und   wilden  Thieren ,    einzelne  Züge    oder   kleine   Parabeln    sind  ganz 
im  Geiste  der  alten  mährchenhaften  Thiersage  z.  B.  vom  Wolf  wie  er 
des  Schachspieles  vergass  als  ein  Widder    dazu  kam,   wie   er  in  das 
*  Kloster  ging  und  die  Schafe  hüten  sollte,  sie  aber  würgte  und  dann  des 
Pfaffen  Rüden  beschuldigte  ,(Hpt.  27,  27  ff.),  wie  zwei  Hunde  um  ein 
Bein  stritten  und  der  schwächere  knurrend  den  anderen  es  nagen  sah , 
(28,  6),     Sehr  merkwürdig  ist  eine  andere  Stelle,   wo  der  Dichter  in 
t^ezug  auf  seine  Kunst  das  Gleichniss  gebraucht,  dass  die  Maler  durch 
Carricaturen  übel  gelungener  Bilder  mit  Recht  zu  Tbesseren  Werken  an- 
reizen;') wessen  Malz  aber  (fährt  er  in  der  Nutzanwendung  fort)  erst 
noch  auf  der  Darre  liegt  ^der  lobe  mein  Bier,   bis  er  sieht,  wie  ihm 
seine  Würze  gerathe.^  —  Die  Kunstgeschichte  erhält  daraus  einen  bis- 
<  her  noch  nicht  beachteten  Fingerzeig  über  diese  frühe  und  eigene  Art 
von  Zerr*  und  Fratzenbildern ,  dazu  ist  durch  das  angehängte  Beispiel 
der  Boden  angedeutet,   worauf  der  Dichter  damals  sich  bewegt  haben 
mag:  das  gute  Hopfen-  und  Bierland  an  der  Donau. 

Vom  Endilhart  von  Adelburg  odei*  Adelnburg  ist  nur  durdi 
eine  einzige  Handschrift  ein  kurzes  Lied  und  eine  Strophe  erhalten,  in 
welch  letzterer  sein  scrupulöses  Gewissen  zum  komischen  Ausdruck 
kommt:  ob  das  wohl  der  Seele  schade,  wenn  ein  werther  Leib  mit 
Treuen  um  ein  Weib  wirbt,  wie  noch  Mancher  thut?  Ich  möchte  wohl 
einen  Eid  darauf  ablegen,  dass  es  gut  wäre;  erregt  es  aber  die  Un- 
gnade des  Himmels  (ist  aber  ez  ze  himele  zorn),  so  kommen  die  Bösen 
alle  dahin  und  die  Biderben  sind  gar  verloren.  Sonach  erscheint  es  ihm 
doch  das  Beste,  sich  einer  Frau  zu  ergeben,  die  et  bittend  und  grOssend 
anspricht  (Hpt.  148,  9—16): 

Saelden  fruht,  der  ougen  süeze, 
gunet  mir  der  arebeit 


>)  Entwerfen  ist  ein  spaeber  list, 

da  beeret  spotten  zuo, 

al  ndch  der  ougen  speben; 

ich  waene,  rebt  der  maier  ist, 

ob  einer  misset  uo, 

daz  ez  die  andern  sehen 

und  spottens,  niht  dur  minuen  haz 

er  scbepfe  siniu  bilde  baz. 

swer  malzes  pfligt,  die  wtle  ez  ligt  dur  derren  üf  dem  slAte, 

der  lobe  mta  hier,  unz  er  beseite,  wie  im  sin  wuerze  gerdte. 
Hagen  11.  375.  Str.  3,  2. 


449 

daz  ioh,  frowe,  in  dienen  raüeze. 
daz  wirt  mir  ein  saelikeit 
ioh  wil  iemer  dar  iuch  Sren 
ellk  wip. 

niemasn  kao  mfai  leit  verkdren 
äne  got  wan  iuwer  Hp. 

Lange  wollte  sich  der  Dichter  nirgends  urkundlich  auffinden  lassen, 
endlich  gelang  es,  selben  in  dem  Engilhart  von  Adelenburc  zu  entdecken, 
der  zur  Zeit  des  Abtes  Regenbote  von  Weihenstephan  (11 74 — 82)  einen 
Kauf  bezeugt;  im  J.  1200  kommt  er  in  einer  Urkunde  des  Markgrafen 
Berhtold  von  Vohbui*g  für  das  Kloster  Reichenbach  vor;  im  J.  1202 
in  einer  Urkunde  för  Waldsassen  und  noch  im  September  1230  treffen 
wir  ihn  im  Lager  bei  Anagni,  eine  Urkunde  Kaiser  Friederich  II.  be- 
zeugend. *) 

«  Die  beiden  Diditer  Hartwic  von  Rute  und  Bligger  von 
Stein  ach  können  nur  dem  Namen  nach  erwähnt  werden.  Die  Familie 
des  Ersteren  findet  sich  schon  vor  der  Mitte  des  Xu.  Jahrh.  in  Tegern- 
seer  und  Salzburger  Saalbüchem ,  ')  unser  Dichter  scheint  jedoch  ein 
wenig  sp&ter  zu  sein;  die  wenigen  Lieder')  zeigen  ihn  ganz  unsinnig 
yerliebt  (sd  mich  der  piinnende  unsin  ane  gSt.  117,  33).  Bligger  von 
Steinach  ist  aus  der  Oberpfalz,  wo  er  urkundlich  von  1184 — 98  er- 
scheint,^) also  }n  einer  Zeit,  wo  das  Land  noch  nicht  zu  Bayern 
gehörte.  Von  ihm  ist  auch  das  epische  Gedicht  ^der  umbehang^ 
CTeppich)  und  zwar  vor  1207  gedichtet  *) 

Die  Heidelberger-,  Weingartner-  und  Pariser  Handschrift,  dazu 
die  des  alten  Parcival  in  München,  liefern  zusammen  acht  Lieder 
Wolframs  von  Eschenbach.  Es  sind  grösstentheils  Tage-  und 
W  ä ch  t  e  r  1  i  e  d  e  r ,  als  deren  Erfinder  Wolfram  gelten  muss,  wenn  auch 
Aehnliches  bereits  bei  den  Provenzalen  nachweisbar  üblich  gewesen  sein 
mag.  Sein  ESgenthum  wenigstens  bleibt  es,  dass  der  Hüt^  den  Lieben- 
den auf  der  Zinne  wacht,  wenn  auch  das  morgendliche  Scheiden  schon 
vor  Wolfram  in  Deutschland  gesungen  ward. 


>)  Hpt.  S.  287    (Hagen  IV.  254.) 

*)  Ein  Hirt  wie  de  Route  im  TegernseerJSaalbuch  ^ter  Abt  Konrad  (1134 
—1155),  im  Saalbiicb  zu  Wdbenstephan  unter  Abt  Gttntber  (1147—56),  im 
Saalbuch  von  St.  Peter  eu  Salzburg  uuter  Abt  Balderich  Cf  1147),  im  Saal- 
buch von  Baumburg  nm  1150.  Hpt.  S.  276. 

»)  Hpt.  XV.  116  u.  117. 

<)  Hpt.  XVI.  118  u.  119  u.  277.  Hagen  Nro.  58.  (s.  Wappen  ist  eine  Harfe.) 
M  Pfeiffer  Zur  deutschen  Lit  Gesch.  1855.  1—28  u.  Germania  U.  502. 

29 


450 

Es  herrschte  närolioh  im  minniglichen  Leben  damals  die  Sitte,  dass 
die  Fraae  dem  in  ihrem  Dienste  befindlichen  Ritter  zaweilen  eine  Nacht 
in  ihren  Armen  gewährte,  wenn  er  sich  eidlich  verpflichtete,  sich  nichts 
weitet  als  einen  Knss  zo  erlauben. ')  Zwar  mag  es  zum  öfteren  vorge- 
kommen sein,    dass   so  ein  Ritter    auch   eidbrüchig  warde  gegen  die 
tugendlichen  Gesetze  seiner  Dame,   im  Ganzen  aber  muss  der  Brauch 
lange  Zeit*in  grosser  Reinheit  geübt  worden  sein,  denn  das,  was  da- 
mals höfischer  Ton  war,  hat  sich  bei  unserem  Landvolk  und  noch  mehr 
in  Steiermark  und  Tirol  zum  Aergerniss  der  Geistlichkeit  bis  auf  den 
heutigen  Tag  erhalten,  und  die  Erfahrung  lehrt,  dass  die  meisten  dieser 
Besuche,  wenigstens  in  manchen  Gegenden,    in  allen  Ehren  ablaufen. 
Dazu  waren,  damit  die  Aufpasser  und  Merker  nichts  gewahren  und  den 
Leumund  der  Frau  nicht  verderben  könnten,  treue  Wächter  nöthig,  die 
beim  ersten  Grauen  des  Tages  die  Glücklichen  weckten,   auf  dass  der 
Begünstigte  noch  im  Dämmerlichte  unbemerkt  sich  von  dannen  zu  hebeo 
vermochte.    Sobald  nun  die  mittelalterliche  Poesie  sich  der  Liebe  zu- 
wandte, konnte  die  Entdeckung  dieser  anmuthigen  Situation  nicht  aas- 
bleiben und  die  Lyrik  ergriff  die  Gelegenheit  mit  ihren  lieblichsten  und 
feurigsten  Tönen. 

Diese  Lieder  sind  dem  ganzen  Sachverhalte  nach  von  äusserster 
Realistik;  was  das  Sängerlein  vielleicht  im  minniglichen  Kreise  ab 
seines  Herzens  innerste  Empfindung  nicht  gesungen  hätte,  wagt  sich  d» 
in  anscheinender  Objectivität  und  oft  sogar  in  episch  erzählender  oder 
fast  dramatisch  vorschreitender  Weise  heraus.  .  Wenn  Levin  Schückiog 
ganz  treffend  von  Gottfrieds  ^ Tristan^  sagt,  er  führe  „auf  schmalem 
Pfade  durch  nackte  Seltsamkeiten,^  so  ist  in  den  Wächter-  und  Tage- 
liedern die  Grenze  auch  nicht  enger  gezogen.  Davon  zeigt  gleich  das 
erste  Lied  Wolframs,  das  uns  das  ganze  Treiben  lebendig  vorf&hrt:') 

Den  Morgenblick  bei  Wächters  Sang  ersah  eine  Frau,  da  sie  traot 
an  ihres  werthen  Freundes  Arme  lag;  davon  verlor  sie  viel  süsser 
Freuden.  Ihre  Augen  wurden  nass.  Sie  sprach:  ^0  wehe  Tag!  Wild 
und  zahm  freut  sich  deiner  und  sieht  dich  gerne,  ich  aber  nicht;  vie 
soll  es  mir  ergehen !  Nun  kann  nicht  länger  bei  mir  bestehen  msk 
Freund:  den  jaget  von  mir  dein  Schein!''  Mit  Kraft  drang  der  Tag 
durch  die  Fenster,  die  Läden  waren  geschlossen;  doch  half  es  nicht. 
Dess  ward  ihnen  Sorge  kund.  Die  Freundin  den  Freund  fest  an  sich 
zwang,  ihre  Augen  die  begossen  beider  Waagen.  So  sprach  zu  ihm  ihr 
Mund:  ^ Zwei  Herze  und  einen  Leib  haben  wir  gar  ungeschieden,  unsere 


')  Vgl.  Weinbold  Die  deotscben  Frauen.  S.  174  ff. 
*)  Lach  mann  Wolfram  von  Esdienbach.  S.  3. 


451 

Treue  fihrt  miteinander,  der  grossen  Liebe  bin  ich  gar  verhert,  wann 
80  da  kommst  und  ich  zu  dir!^  Der  traurige  Mann  nahm  Urlaub  also 
bald.  Sie  rückten  nfther.  Weinende  Augen,  süssen  Frauenkuss  beschien 
der  Tag.  Das  war*  ein  Anblick  für  einen  Maler  (ruft  der  Dich- 
ter): ^ir  munde,  ir  brüste,  ir  arm,  ir  blankiu  bein.^  Dur  beider  Liebe 
trug  viele  Sorgen.  Sie  pfla^en  Minne  ^än  allen  haz.^  —  Die  Stelle 
ist  auch  für  die  Geschichte  der  Kunst  von  Belang,  schon  im  Parcival 
hat  Wolfram  die  Maler  von  Köln  und  Mastrich  genann^;  *)  solch  einem 
„Schilter''  meint  er  mit  achtem  Künstlerblick,')  müsste  so  eine  Gruppe 
malenswerth  erscheinen!  Und  wirklich  musste  schon  dainals  dergleichen 
Genre  existilt  haben,  denn  noch  vor  dem  Jahre  1250  klagte  Albertus 
Magnus')  bitter  über  solche,  die  in  ihren  Zimmern  unehrbare  Bilder, 
Tanzende  u.  dgl.  haben. 

Mit  grossem  gewaltigen  Wurfe  beginnt  ein  anderes;  „Seine  Klauen 
hat  der  Tag  durch  die'  Wolken  geschlagen,  ^)  er  steigt  auf  mit  grosser 
Kraft,''  singt  der  treue  Wächter  auf  der  Zinne.  Er  sehe  ihn  täglich 
so  kommen,  setzt  er  bei,  den  Tag,  der  den  werthen  Mann,  den  ich 
heimlidi  einliesa,  der  Gesellschaft  entwenden  will.  Diese  leise  Mahnung 
hat  die  Frau  darinnen  gehört  und  entgegnet:  „Wächter,  du  singst,  was 
mir  manche  Freude  nimmt  und  meine  Klage  mehret;  täglich  bringst  du 
mir  inuner  vor  dem  Morgen  Märe,  die  mich  wenig  freut,  die  könntest 
du  mir  wohl  verschweigen ,  das  gebiet*  ich  dir  bei  deiner  Treue  und 
lohne  es  dir,  so  gut  ich  kann:  so  bleibet  hier,  mein  Geselle.*  —  Aber 
der  Wächter  mahnt:  „Er  muss  von  hinnen  balde  und  ohne  Säumen» 
gib  ihm  nun  Urlaub,  süsses  Weib.  Lass  ihn  darnach  heimlich  immerfort 
minnen,  so  behält  er  Ehre  und  Leib.  Er  gab  sich  in  meine  Treue,  dass 
ich  ihn  wieder  brächte  hindan.  Nun  ist  es  Tag:  Nacht  war  es,  als  du 
mit  Umfangen  (mit  druck  an  brüst)  und  Küssen  ihn  mir  abgewannst. **  — 
„Singe,  was  dir  gefällt,  Wächter  (entgegnet  die  Frau),  aber  lass'  den 
hier,    der  Minne    brachte    und  Minne    empfing.     Von   deinem  Schälle 


')  Vgl.  oben  S.  125  o.  155  Parcival  (156,  13). 

M  Aach  Wall  her  von  der  Vogelweide  (Lach  mann  54, 17)  versieht  sich  auf 

Frauenschönheil. 
')  Vgl.  Sigharl  Leben  und  Werke  des  Albertus  Magnus.  1857.  S.  126. 

^)  Es  isl  ein  prächtiges  Bild ,  das  trotz  Einem  unserer  besten  Ck)mme~ntaioren 
Dichl  von  —  Viehauslreiben  hergenommen  sein  kann,  sondern  der  Dichter 
denkt  den  siegenden,  mit  Kraft  aufsteigenden  Tag  wohl  als  einen  Adler  oder 
Löwen,  der  die  Klauen  durch  die  Wolken  schlägt  und  sie  bei  Seite  wirfl^ 
wie  die  Sonnenitrahlen  sieffreich  durch  die  nächtlichen  Gewölke  dringen. 
Auch  Shakspeare  sagt  (Julie  und  Romeo  111.  5): 

Nig^ht's  candles  are  bumt  out,  and  jocund  day 
Stands  tiploe,  on  the  misty  monnlam  lops. 

29» 


452 

erschracken  ich  und  er.  Noch  ging  kein  Morgenstern  auf  für  ihn,  der 
nach  Minne  kam,  noch  leuchtet  nicht  des  Tages  Licht;  du  hast  ihn 
mir  oft  schon  aus  den  blanken  Armen  genommen,  doch  aus  dem  Herzen 
nicht. '^  —  Von  den  Blicken,  die  der  Tag  durch  das  Glas  that  und  des 
Wächters  Mahnung  erschrack  sie  um  den,  der  bei  ihr  war.  Noch 
einmal  zwang  sie  ^brust  an  brüstelfn,^  mit,  Küssen  gab  ihm  die  Minne 
Lphn.«^  — 

In  Ganzen  wiederholt  sich  so  ziemlich  immer  dasselbe,  dass,^  wenn 
der    ^tagende  glasf*    durch    die  Wolken   dringt,    die  Fraue   über  die 
Mahnung  des  Wächters  ihre  Klage  erhebt,  dass  dann  die  Buhlen  noch 
einmal  des  süssesten  Minnespieles  pflegen:    ^gar  heimlich  smacken,   ir 
briistel  drucken  und  mer  dannoch^    und    dann    der    lobenswerthe  Held 
weiter  fUhrt.     ^ Könnt*  ich  ihn    doch  in   meinen  Augen  bergen!^    ruft 
einmal  die  Frau  und  flucht  dem  Tage  (gevluochet  wart  dem  Tage),  oie 
kam  ein    ^truric  scheiden  also  snel.^     Aber  in  Treuen   will  der  Ritter 
seines  Hortes  gedenken:  ich  will  nun  reiten,  ^d)n  wlplich  güete  sf  mto 
schilt  kiut  hin  und  her  und  her  ntLch  zallen  ztten,^  und  mit  der  innig- 
lichen Bitte:   ^nu  kum  schier  wider  üf  rehten  tröst^  wird  dem  Glfiek- 
lichen  der  Abschied  ertheilt. 

Doch  hat  Wolfram  auch  andere,  eigentliche  Minnelieder,  voo 
solcher  Pracht,  Fülle  und  Gluth,  die  jeden  Uebersetzer  auf  treue  Wie- 
dergabe im  voraus  verzichten  lassen ,  z.  B. 

Ursprfnc  bluomen,  loup  üz  dringen, 
und  der  luft  des  meigen  urbort  vogel  ir  alten  ddn : 
etswenn  ich  kan  niuwez  singen, 
s6  der  rlfe  ligt,  guot  wlp,  noch  allez  an  dfn  16n. 
5.  die  waltsinger  und  ir  sanc 

nach  halben  sumers  teile  in  niemens  öre  enklanc. 

Der  bliclichen  bluomen  glesten 
sol  des  touwes  anehanc  erliutem,  swk  si  sint: 
vogel  die  hellen  und  die  besten, 
10.  al  des  meigen  zft  si  wegent  mit  gesan^  ir  kiDt. 
^6*  slief  niht  diu  nahtegal : 
nU  wache  abr  ich  und  singe  üf  berge  und  in  dem  tal. 

Min  sanc  wil  genäde  suooben 
an  dich,  güetlich  wfp:  nu  hilf,  stt  helfe  ist  worden  nAt 
15,  dtn  lön  dienstes  sol  geruöhen, 

daz  ich  iemer  Mute  und  biute  nnz  an  xaHnen  tot. 

l&z  mich  von  dir  nemen  den  trdst 

daz  ich  üz  minen  langen  klagen  werde  erldst 


458 

Gnot  inp,  mac  m!n  dienst  eirinden, 
20.  ob  d&n  helfeKeh  gebot  mich  frOiden  welle  wem, 

daz  min  trürep  mfieze  swinden 

und  ein  liebez  ende  an  dir  bejagen  m!n  langez  gern? 

din  gQetlfch  geläz  mich  twanc 

daz  ich  dir  beide  singe  al  kurz  od  wiltu  lanc. 
25.        Werdez  wfp,  dfn  süeziu  gtiete  ' 

'  und  dIn  minneclicher  zom  hat  mir  yil  froide  erwert. 

mäht  du  troesten  min  gemüete? 

wan  ein  helfelichez  wort  von  dir  mich  sanfte  ernert. 

mache  wendic  mir  min  klagen, 
10.  so  daz  ich  werde  gröz  gemuot  bt  minen  tagen.') 

Mit  stillem  Hoffen  wendet  sich  der  Dichter  in  einem  anderen  Liede 
sine  Frau,  die  sein  Herze  auch  „in  vinster  naht^  durchschaut: 
leicht  erscheint  doch  für  mich  noch  ein  lichter  Tag,  denn  schon 
sere  Wunder  sind  geschehen.  So  wenig  wie  der  Storch  die  Saaten, 
dige  ich  die  Frauen ;  ungern  würde  ich  ihren  Hass  auf  mich  laden, 
m  sich  eine  an  mir  vergeht  —  ich  lass'  es  beruhen  und  pflege 
le  Zucht.  —   Dann  aber  wendet  er  sich,  nachdem  er  selbst  früher 

Katerweg  gewarnt  hat,  vom  Wächterliede  ab  und  besingt  die 
che  Liebe,    die   gefahrlose  Freuden   gewährt.     „Wie  Saures   nach 

Süssen  folgt,  so  singst  du  den  Helden  zur  Klage  auf  ihre  Minne. 

Minne  uud  weiblich  Grüssen  also  empfing,  dass  sie  sich  scheiden 
$en,  wenn  du  es  ihnen  rathest  und  der  Morgenstern  aufging,  da 
eige  Wächter  und  singe  nicht  gerne  davon ;  das  ist  nicht  absonder- 
rühmlich.  Wer  es  je  so  bekam,  dass  er  bei  der  Liebsten  lag  den 
lern  unverborgen ,  der  braucht  nicht  am  Morgen  heimlich  hinweg- 
bleichen  und  sein  armes  Leben  bewachen  zu  lassen.  Er  harrt 
l  des  Tages,    denn   ein   offenkundig  süss  Gemahl  C^in  offen  süeze 


^  1^2.  Das  Sprossen  der  Blumen^  das  Hervordringen  des  Laubes  und  die 
Luft  des  Maien  erweckt  den  Vögeln  ihren  alten  Ton.  urbar  Ertrags  adj. 
»nsgebend,  die  Lehensabgaben  entrichtend^  urborn  Verb,  hervorthun, 
sehen  lassen,  zeigen.  —  v.  3.  eteswenne  irgend  einmal.  —  v.  4.  so  der 
rlfe  1i{^,  d.  h.  im  Winter,  hb  aber  kann  auch  im  Winter  und  noch  immer 
70n  Dir  unbelobot  Neues  singen.  —  v.  6.  nach  der  Hälfte  des  Sommers.  — 
V.  7.  blicllch  glänzend,  blinken,  glesten,  von  glast,  glänzen.  —  v.  8.  des 
louwes  anebanc  =  die  Tbautropfen  an  den  Rlumen.  erliutern  =  erhellen« 
irerschönern.  —  v.  10.  wegen  scnwingen,  wiegen.  —  v.  15.  geruochen  eines 
Dinges  =  es  für  gut  finden,  annehmen.  —  v.  16.  daz  beziehet  sich  auf  das 
ils  neulr.  gebrauchte  dienet.  -  v.  19.  ervinden  befinden,  erfahren.  -  v  20. 
wem  Eines  eines  Dinges  »  Einem  etwas  gewähren.  —  v.  23.  feldz  Bild- 
ung.» Gestalt.  —  v.  24.  dass  ich  dir  singe  sowohl  ganz  kurze,  oder^  willst 
du,  lange  Lieder.  ~  v.  26.  erwem,  erwehren.  —  t.  27.  mäht,  von  mügen, 
können.  —  y.  !^  ernenn  erhalteo. 


454 

Wirtes  wip)  kann  solche  Minne  geben.^  Ako  nahm  «ich  der  Dichter 
wohl  selbst  ein  süsses  Weib;  über  sein  Familienleben  sind  oben  (S.  129) 
m  seiner  Biographie  einige  Vermnthungen  eingestreut 

Mit  Wolfram  vielleicht  gleichzeitig  wäre  Herr  Günther  von  dem 
Vorste  zu  setzen;  er  könnte  zwar  ein  Oesterreicher  sein,  doch  stimmt 
sein  Wappen  zu  dem  der  alten  bayerischen  Forster  von  Wildenforst: 
drei  herzförmige  Blätter  in  goldenem  Felde.  ^  Im  Bilde  der  Pariser 
Handschrift  sitzt  der  Dichter  auf  blnmiger  Aue  unter  laubigeu  Standen 
neben  einem  Fräulein,  der  er  eine  Gabe  bietet.  Seine  sechs  Lieder') 
sind  alle  in  der  altern  Art  des  Minnesanges;  er  lebte  in  der  ersten 
Blüthe  Walthers  von  der  Vogelweide  sowie  Wolframs.  Er  minnet  und 
klagt,  ohne  dass  die  Geliebte  davon  weiss,  er  achtet  sich  nicht  würdig, 
ihr  sein  Herzeleid  zu  sagen,  doch  hat  er  ^ein  Tröstelein :^  dass  der 
Beständigkeit  gut  Ende  verheissen  ist  (II.  4.);  dieser  Ausdruck  erinnert 
wörtlich  an  das  ^troestelin^  Walthers  (66,  2.),  indess  das  fünfte  Lied 
Günthers,  eine  23  strophige  Ballade  mit  dem  Kehrreim: 

Es  nahet  dem  Tage, 

Wenn  sich  zwei  Liebe  scheiden,  die  haben  herzeleide  Klage 

'an  Wolframs  Wächterlieder  erinnert.  Herr  Günther  ist  der  erste  in 
diesem  Genre,  der  sich  darin  versucht,  die  ganze  Geschichte  zweier 
Liebenden  darzustellen.  Schliesslich  erzählt  er  einen  Traum. 

Auch  Leutold  von  Seven  hat  ein  Wächterlied  gedichtet,  es  ist 
nach  Wolfram, V  der  Dichter  aber  gleichzeitig  mit  Walther  zu  setzen. 
Leutold  galt  lange  für  einen  Tiroler,  doch  gehört  er  zu  dem  freiherr- 
lichen in  der  Gegend  von  Passau  ansässigen  Geschlechte  von  Hagenao, 
das  in  Freisinger  Urkunden  von  1176—1190  zu  tage  tritt;  ein  Leutold 
von  Hagenau  und  sein  Sohn  bezeugen  die  Schenkung  ihres  Gutes  in 
dem  Dorfe  Sewen   an   die  Abtei  Weihenstephan    (bei  Freising).*)  — 


')  Ztr  dieser  Familie  gehören  wahrscheinlich  ein  Alber,  Waller  und  Swicker 
von  Yorst,  welche  1259  in  einem  Vertrage  des  Bischof  Berhlold  von  Baa- 
berg  mit  Albert  von  Hals,  betreffend  das  Kloster  Oslerhoven  bei  Passau, 
Bürgen  Alberts  sind,  dessen  Stammhaus  Hals  gegenüber  von  Passan  fiegl. 
Dessgleichen  Heinrich  von  Vorst,  der  1268  eine  Sühne  desselben  Albert  voa 
Hals  zwischen  dem  Abt  Dietrich  von  Aldersbach  und  Ortoir  von  Weng  u 
Aldersbach  bezeugt.  Hagen  IV.  478.  -  Auch  hier  ist  der  Maler  der  la- 
nessen  willkürlich,  denn  die  Forster  von  Wildenforst  haben  nie  ein  anderes 
Wappen  gerührt  als  im  silbernen  Schilde  einen  rothen,  ausgerissenen  Lin- 
denbaum mit  fünf  rolhen  Blättern. 

*)  Hagen  n.  164-68. 

')  Hagen  lY.  490  u.  757.  -*  In  seiner  Nähe  nuiss  auch  der  sogenannte  Herr 
Friedrieb  der  Knecht  (Hagen  Nro.  108)  gestanden  haben^  LeotöMs 
Lieder  stehen  in  der  Heidelberger  Liederhandschrift  unter  Friedridil 


458 

Uebrigens  tnuM  der  Dichter  kein  angenehmer  Herr  gewesen  sein  und 
mit  seinen  Zeitgenossen  mannigfach  gehäckelt  haben,  auch  muss  sehr 
Vieles  von  ihm  verloren  gegangen  sein,  den  Reinmar  der  fidelaere ') 
rdhmt  von  ihqt  so  viel,  dass  es  beinahe  verdächtig,  wie  helle  Ironie 
klingt:  Herr  Leutold  von  Seven  singe  besser,  als  irgend  Jemand  auf 
der  Welt,  alle  seine  Verwandten,  seine  Vettern  und  Basen,  Schwieger, 
Schwäher  und  Schwager  können  es  ihm  bezeugen,  er  singt  Tagelieder, 
Klagelieder  und  Gedächtnisslieder  (hug^liet),  Zuglieder,  Tanzlieder  und 
Leiche  kann  er  machen,  er  singt  Kreuzlieder,  Zwinglieder  (twingliet) 
Scherzlieder  (schimpfliet) ,  Lobe-  und  Rügelieder  wie  ein  ganzer  Mann ; 
mit  hoher  Kunst  kürzt  er  den  Leuten  das  lange  Jahr,  so  dass  ^wir 
Alie^  gerne  still  sind,  wenn  Herr  Liutolt  sprechen  will;  Niemand  darf 
sich  im  Sänge  gegen  ihn  erheben,  er  singt  alle  lebenden  Meister  nieder 
and  der  muss  erst  noch  geboren  werden,  der  ihn  übertreffen  soll.  — 
Der  Witz  ist  hart,  bitter  und  stachelig,  vielleicht  aber  doch  verdient, 
wir  danken  dieser  Stelle  die  AufzäUung  und  Kenntniss  aller  damals  übli- 
chen Liederarten.  Das  erste  von  seinen  drei  noch  erhaltenen  Liedern 
folgt  hier  in  freier  Erneuerung: 

Es  maiet  in  dem  Walde  und  auf  der  grünen  Heid*, 

Da  mag  von  Kummer  trösten  die  süsse  Augenweid. 

Ich  hab*  für  all  den  sehnenden  Muth 

Trost  gar  keinen 

Als  den  einen 

Dass  mir  meine  Fraue  ist  gut 

Wohl  dem,  der  sich  da  tröstet  am  Sang  der  Vögelein 

Der  sein  Herze  freuet  an  lichter  Blumen  Schein, 

Er  hat  an  den  beiden  überreiche  Wahl 

Blumen  springen 

Vögelein  singen 

Mit  wonniglichem  Schall. 

Mehr  als  alle  Blumen  freut  mich  ihre  Huld, 

Die  meine  sehnende  Minne  benimmt  der  Ungeduld; 

Hei!  da  mag  ihr  wonniglicher  Dank 

Freude  senden, 

Kummer  wenden 

Und  die  Sorgen  machen  krank.  — 

Dagegen  ist  Herr  Heinrich  von   Frouwenberg,    wenigstens 
dem  W^ippen  nach,    nicht  mit  dem  bayerischen  Geschlecht  derer  von 


■)  Hagen  III.  830. 


« 


f 


456 

Frauenberg  (bei  Freising)  vereinbar, ')  Von  ihm  haben  sieh  nur  fttof 
Lieder  (allein  durch  die  Pariser  Handschrift)  erhalten.  Er  sang  im 
Frauendienst  und  war  dem  Bilde  gemäss  ein  Lanzenbrecher  und  wi^ 
das  Wächterlied  verräth,  auch  ein  Minnedieb.  Er  bewegt  sich  leicht  in 
jambischen,  trochaischen  und  daktylischen  Rythmen. 

Mit  mehr  Recht  könnte  Reinmar  der  alte,  oder  der  von 
Hagen  au  genannt,  für  einen  Bayer  gelten.  Während  Wackemagel 
noch  zwischen  Elsass  und  Bayern  schwankt,  entscheidet  sich  Haupt  für 
die  erstere  Landschaft.*)  Wir  haben  jedoch  in  Bayern  acht  Ortschaf- 
ten,  die  den  Namen  Hagenau  ^agen ;  eine  urkundliche  Nachweisung  ist 
nur  desshalb  schwierig,  weil  der  Sänger  meist  ausser  Landes,  am 
österreichischen  Hofe  sich  hielt.  Seine  zahlreichen  Lieder  sind,  wie 
Uhland  schön  bemerkt,  einfach  und  innig,  sie  athmen  eine  sanfte 
Schwermuth;  er  hat,  wie  er  einmal  singt,  die  Minne  noch  stets  in 
bleicher  Farbe  gesehen,  auch  äussert  er.  Mancher  werde  nach  seinem 
Tode  klagen,  der  jetzt  leicht  seiner  entbehre.  Und  wirklich  haben 
.  wir  eine  Trauerstrophe  Walters,  aus  der  man  deuten  zu  dürfen  glaubte, 
dass  die  Beiden  nicht  auf  das  freundlichste  auseinander  gegangen;  doch 
versichert  er  uns ,  hätte  Reinmar  auch  nichts  gesungen ,  als  die  eine 
Rede:  ^St)  wohl  dir  Weib,  wie  rein  dein  Name!*^  so  hätte  er  doch 
verdient,  dass  alle  Frauen  stets  f&r  seine  Seele  bitten  worden«'  Auch 
der  Tristansänger  Gottfried  betrauerte  Reinmars  Tod  in  herzinnigster 
Weise;  nachdem  er  die  Liederdichter  den  Nachtigallen  vergleicht,  die 
ihre  Sommerweise  singen,  fragt  er,  wer  künftig  würdig  sei,  diesen 
Nachtigallen  die  Paniere  vorzutragen,  seit  der  von  Hagen,au  ver- 
stummt ist;  wer  soll  die  lebende  Sohaar  jetzt  fähren  und  weisen?  Doch 
tröstet  er  sich  bald  wieder,  denn  die  Meisterin  ist  gefunden,  die  von 
der  Vogelweide.  Hei!  wie  die  über  die  Haide  mit  hoher  Stimme 
schallet!  was  Wunders  sie  stellet!  wie  spähe  (kunstvoll)  sie  organieret! 
wie  sie  ihren  Sang  wandelieret!  Die  soll  der  anderen  Leiterin  sein, 
die  weiss  wohl  so  man  suchen  soll  der  Minne  Melodie. 

Sollte  es  uns  bei  späterer  Grelegenheit  audi  nicht  gelingen,  den 
alten  Reinmar  ßir  unser  engeres  Vaterland  zu  gewinnen ,  so  bleibt  er 
doch  als  Walthers  Lehrmeister  von  hoher- Bedeutung  für  uns. 

Keiner  unserer  Dichter  wurde  so  viel  gerühmt,  genannt  und  ge- 
feiert, wie  der  süsse  Liedermund  Walthers,    über  Keinen  wurde  so 


')  Hagen  IV.  106  u.  I.  95  u.  96. 

*)  Wackernagel  LH.  Gesch.  S.'  240.  Hpt.  XX.  150-204  o.  287  ff.  Hagea 
IV.  137—44.  8.  Charakteristik  in  Görres  Meisterlieder.  S.  X.  o.  Uhland: 
Wallher  v.  d.  V.  S.  107. 


.     457 

▼iel  üDd  hftofig  mit  der  tossersten  Rnrzsiditigkeit  geschrieben,  wie  Ober 
Walther,  dessen  Leben  in  seinen  Liedern  so  reich  vor  uns  liegt,  indess 
gerade  jede  urkundliche  Nachricht  über  ihn  verflogen  und  verschollen 
ist.  Eine  Teste  Angabe  über  die  Ze|t  seiner  Geburt  und  sein  Jugend- 
leben, so  viel  auch  die  Späteren  seiner  gedenken,')  ist  nicht  zu  ge- 
winnen, das  Jahr  seines  Todes  ist  ungewiss,  so  dass  sein  Leben, 
zumal  in  Anbetracht  der  verschiedenartigen  Versuche,  ihn  für  dieses 
oder  jenes  Land  zu  geiriimen,  zu  einem  Märchen  geworden.  Die  späteren 
Meistersänger,  welche  ihm  die  Ehre  anthaten,  ihn  als  Einen  ihres 
Gfeichen  und  als  Stifter  ihrer  ^holdseligen  Kunst^  zu  betrachten,  haben 
ihn  zu  einem  Landesherm  aus  Böhmen  gemacht');  in  neueren  Zeiten 
suchte  man  ihn  für  die  Schweiz  und  den  Thurgau  zu  vindioiren,  zu- 
letzt nahmen  ihn  die  Oesterreicher  in  Anspruch  und  nur  die  Ehre,  sein 
Grab  zu  besitzen,  sollte  Bayern  verbleiben,  was  jedoch  wieder  mit 
schweren  Anfechtungen  verbunden  war.  In  Wahrheit  jedoch  ist  Herr 
Walther  ein  Franke  von  Geburt,  wie  das  klar  aus  dem  Spruche". vom 
Nürnberger  Hoftag  hervorgeht,')  wo  er  den  fränkischen  Adel  unsere 
Fürsten  nennt  Eine  Vogelweide  (althochd.  Fogilweida)  wo  Jagdvögel 
abgerichtet  und  zahme  Tafelbissen  gehegt  wurden,  war  sein  väteriiches 
Heim.  Viele  vereinsamte  Weiler  und  abgelegene  Höfe,  sogenannte  Ein-^ 
öden,  meist  mitten  im  Walde,  tragen  noch  in^  unserem  Fi^nken  ähnliche 
Namen.  **)  In  so  einer  stillMi,  nur  vom  Gesänge  der  Vögel  belebten 
Waldeinsamkeit  hat  Walther,  wie  der  träumerische  Parcival,  seine 
Kindheit  verlebt  und  dort,  im  Verkehr  mit  den  gefiederten  Bewohnern, 
sei  es  des  väterlichen  Hauses  oder  des  umgebenden  Gehölzes,  mag  die 
Lust  zum  Gesänge  in  dem  kindlichen  Herzen  zuerst  geweckt  worden 
sein.     Als  dem  Rpaben  das   kleine  Besitzthum  seines  Vaters  keinen 


*)  Melchior  Golds  st  von  Haiminsfeld  ist  wohl  der  tetzte,  der  in  s.  Replicatio 
pro  Sac.  Imperii  Ordinibos.  Hannover  1611.  S.  281  noch  Sprüche  aoseres 
Dichters  citirL  Einzelne  Strophen  auch  im  ^Philander^  des  Moscherosch. 

*)  Wagenseil  Von  der  Meistersinger  holdseliger  Kanst.  Altdorf  1697.  S.506. 

*)  Yjrl  die  treffliche  Abhandlung  Pfeiffers  Wieti  1860  S  8  und  in  dessen 
^Germania^  V,  1. 

*)  I.  B.  Vogelaich,  — berg  (4  mal),  — bninn,  -dorf,  — bühel,  —dorn,  —egg 
2mal),  -haag,  — mühle  (4),  -öd  (4),  — ried  (3),  -  san»  (19),  -anger, 
— stitt,  —stein,  -stock,  -thal  (2),  — wald,  — than,  -  wehe  und  —wohl; 
ferner  nicht  bloss  solche  allgemeine,  sondern  dem  Vogelw  eide  ganz  analoge 
Namen:  Yogelau  (2),  Yogelgarlen,  Vo^elheerd  (8),  Vogelhof  (4).  Pfeiffer 
S.  20  u.  Daisenberffer  geogr.  Lexikon.  Ibll.  S.  150.  —  Wichtiger  ist, 
dass  in  Herzog  Ludwig  des  Reichen  Zeit  der  Name  Vogel  weider  noch 
\orkommt.  Am  Freitag  vor  Leonbard  1462  bekennt  Herzog  Ludwig  zu  Re- 
irensbarg,  dass  er  dem  Hanns  Vogelweider  für  20  Fuder  und  2  Eimer 
Osterwein  770  Gulden  schulde.  Oberbayr.  Archiv  IX.  387.  —  Am  «amslag 
nach  Vitus  1463  unterzeichnet  der  Herzog  einen  Dieostbrief  fOr  Leonbard 
Vogelwaider.   ib.  IX-  392. 


458 

# 

Baom  mehr  bot,  zog  Walther,  der  keinen  andern  Namen  hatle,  als 
dass  man  ihn,  wie  der  Trachsesse  von  St  Gallen  ganz  treffend  sagt 
„e  von  der  Vogelweide  nande,^  *)  vielleicht  als  ^garzün^  eines  edlen 
Herren,  hinaus  in  die  Fremde.  Ip  Oesterreioh,  am  glänzenden  Hofe 
der  Babenberger,  lernte  er  dann  die  Kunst  des  Gesanges^  das  höfische 
„singen  und  sagen^  (Lachmann  S.  32,  14)  und  zwar  in  der  Schale 
seines  Landsmannes,  des  alten  Reinmar  vonHagenan,  in  dessen  Tönen 
er  mehrere  seiper  Lieder  dichtete.  Möglich ,  dass  der  Meister  wenig 
Ekwartnngen  von  seinem  Schüler  hegte  und  dass  sie  nicht  in  bester 
Stimmung  von  einander  schieden,  obwohl  Walther  in  liebevoller  Dank- 
barkeit  seiner  gedachte  und  bei  dessen  Tode  sang/.-  Das  ist  wahr, 
Reimar,  nair  ist  nun  sicherlich  mehr  Leid  um  Dich,  als  du  am  mich 
trögest,  wenn  du  noch  labtest  und  ich  war*  gestorben.  (83,  1  ff.) 

Zuerst  stand  Walther  bei  Herzog  Friedrich,  dem  Katholischen, 
in  Gnaden.  Mit  ihm  muss  er  auf  dem  Kreuzzug  von  1196 — 1198 
gewesen  sein,  an  welchem  unter  Anführung  Konrads,  des  Erzbischofs 
von  Mainz,  die  Herzoge  von  Oesterreich,  Känithen,  Meran,  Thüringen, 
Brandenburg,  die  Erzbischöfe  vom  Bremen  und  Köln  und  auch  der 
Bischof  von  Wirzburg  theilgenommen  haben. ')  In  diese  Zeit  setze  ich 
das  muthwillige  Lied,  wo  er  vor  der  Fahrt  sein  Hab  und  Gut  vertbeilt 
(60,  34  ff.):  ^ttein  Unglück  schaffe  (vermache)  ich  denen,  so  an  Haas 
und  Feindschaft  ihre  Freude  finden,  dazu  alles  mein  Unheil  (unsaelikeit), 
was  mich  an  Kmnmer  drückt,  sollen  die  Lügner  haben,  ^min  unsinnen 
schaff  ich  den  die  mit  velsche  minnen^  und  den  Frauen  mein  nach 
HerzeUebe  sehnendes  Leid.  Dass  sein  Lieb  um  ihn  sich  gräme,  ist 
ihm  schon  recht,  sie  soll  es  aber  nicht  zu  sehr  zu  Herzen  nehmen, 
wenn  er  wiederkonune,  geht  Alles  anders  und  gut^  Hieher  gehört  dann 
auch  das  Kreuzlied  ^Vil  süeze  waere  minne^  (S.  67,  22  ff.)  und  jenes 
„Allererst  lebe  ich  mir  werde,  stt  min  sündic  ouge  siht  daz  here  lant 
und  euch  die  erde^  etc.  S.  14,  38  ff.)  Als  es  nun  auf  dem  Heimwege 
geschah,  dass  sein  edler  Herre  starb  (f  16.  April  1198,  dass  er  „an 
der  Seele  genass  und  ihm  der  Leib  erstarb^  S.  19,  30.),  da  wurde  des 
Dichters  Freude  in  Trauer  verkehrt,  er  selbst  gebraucht  das  treffende 
Bild,  wie  er  das  Haupt  hängen  lasse  bis  auf  die  Knie  und  sein  stolzer 
Kranichstritt')  in  schleichenden  Pfauengang  sich  verwandelte.   Aber  er 


')  Lachmann  S.  106. 

^)  Pfeiffer  S.  33  u.  34. 

^)  Uhland  (S.  15)  nimmt  die  „Kraniche^  för  Schnabelscbohe ,  doch  isl  daail 
Dar  der  stolze  Schritt  gemeint  ver^l.  v.  d.  Hagen  Gesamml  Abeot  111.  52. 
Irregang  and  Girregar  v.  318:  nnt  den  vaezen  Ilse  begnnde  er  vil  wtlea 
von  ein  ander  schrlten;  dikke  trat  er  oach  wider,  nlch  gemecltchen  silM« 
alles  ndch  mit  kranches  schriteu  v.  336  a.  Freidank  30,  13. 


459 

kam  gleich  wieder  an  einen  wannen  Herd  (ich  bin  vH  wol  ze  fiore 
komen)  beim  Staufer  Philipp,  welcher  nach  dem  Tode  seines  Bruders 
Heinrich  YL  nach  Deutschland  gezogeti  war  (1107)  und  sich  um  die 
Krone  bewarb.  Walther  war,  nachdem  er  sich  ihm  schon  durch  die 
Strophe  „Ich  hörte  ein  wazzer  diezen**  (8,  28)  empfohlen  hatte,  .  bei 
seiner  Krönung  zu  Mainz  und  auch  bei  der  Weihnachtsfeier  zu  Magde- 
burg (1198)  wo  er  das  griechische  Kaisertöchterlein  Irene  ^)  die  ,. süsse 
Taube  ohne  Galle,  die  dornenlose  Rose"  hinter  ihrem  Gemahle  schlei- 
chend einhergehen  sah  (19,  5  ff.)  —  Walther  hatte  in  verbindlicher 
Weise  seinen  neuen  Herrn  begrösst  und  grosse  Erwartungen  von  ihm 
gehegt,  die  aber  nur  zu  balde  enttäuscht  wurden.  Philipp,  der  sich  fast 
arm  schenkte,  war  nicht  so  milde  (freigebig)  gegen  unseren  Dichter, 
als  dieser  wünschen*  mochte,  so  dass  Walther  es  für  gut  fand,  ihm  das 
sprichwörtlich  gewordene  Beispiel  des  milden  Saladin,  nach  dessen 
Ansicht  die  Hände  eines  Königs  durchlöchert  sein  sollten  (19,  23),  und 
des  König  Richard  von  Engellant  vorzuhalten.')  Als  dieses  jedoch 
nicht  verfing  und  der  unselige  Hader  der  Gegenkönige  begann,  war 
Walther  seinem  Herrn  schon  weiter  entfremdet,  hielt  aber  mit  politi- 
scher Klugheit  zu  keiner  Partei,  sondern  gab  mit  neutralem  Anscheine 
dem  „jungen  Pabste^  (Innocenz  lü.)  die  Schuld  und  Hess  seinen  Klagen 
unter  der  Maske  eines  „alten  Klausners"  Luft. ')  Dann  ging  er  an 
den  lebendigen  Hof  des  Landgrafen  Hermann  von  Thüringen,  wo  man 
wenig  von  der  schlimmen  Zeit  verspürte,  und  das  ungefiige  Treiben, 
Drängen  und  Wogen  aber  nur  zu  bald  den  Dichter  verdross:  „Wer 
zufällig  an  den  Ohren  siech  ist,  der  bleibe  weg,  sonst  wird  er  ganz 
betäubt;  ich  drang  so  lange  zu,  dass  ich*s  nicht  mehr  vermag.  Eine 
Schaar  fährt  aus,  die  andere  ein,  so  geht  es  Tag  und  Nacht;  gross 
Wunder  ist's,  dass  da  noch  Jemand  hört: 

Der  Landgraf  ist  so  hoch  gemuth 

Dass  er  mit  stolzen  Helden  seine  Habe  verthut; 

Deren  Jeglicher  wohl  ein  Kämpe  wäre 


0  Die  Tochter  des  griechischen  Kaisers  Isaac  Angelus  (früher  Braut  des  Prin« 
zen  Tancred  von  ^icijien).  Sie  wurde  die  Mutter  sweier  rrtibverslorbenen 
Prinzen  und  Prinzessinnen-,  wovon  die  zweite  später  Königin  von  Spanien 
war  und  die  jüngste,  Beatrix,  den  Gegenkaiser  Otto  IV.  zum  Gemahl  bekam. 
Nach  der  Ermordunff  ihres  Gemahls  entwich  sie  nach  der  Burg  Stauffen,  wo 
sie  bald  starb,    cf.  Crusius  Oratio.  Tübingen  1593. 

>)  Vgl.  L.  Ernst  Die  Minnesänger  als  politische  oind  sociale  Partei.  Güstrow 
1817.  S.  21  fr. 

')  Opel  (mto  gttoter  klösenaere.  Ein  Erklärungsversuch.  Halle  1860)  vermnthet 
jedoch,  Walther  habe  unter  dem  ^klösenaere^  den  Konnd,  Bischof  von 
Halberstadt  und  von  1208  25  Mönch  in  Sichern  (Sittichenbacfa)  hei  Eislehen 
verstanden. 


460 

^mtr  ist  stn  höhiu  fiiore  knnt: 

und  gälte  ein  fiioder  guotes  wfnes  tüsent  pfiint 

dA  ßtüende  onch  niemer  ritters  beoher  laere.**  (S.'20,  15.) 

Auch  Wolfram  von  Eschenbach  verweilte  damals  alldort,  fühlte  sich 
aber  gleichfalls  unbehaglich,  trotz  aller  Freigebigkeit,  mit  der  Rosse 
(Willehalm  417,  22)  und  alles  Mögliche  verschenkt  wurden.  Wolfram 
meint  (Parcival  297,  16  flf.)  dem  Thüringer  wäre  ein  tüchtiger  Sene- 
schal  noth ,  so  ein  handfester  Keie ,  der  das  zuchtlose  Völklein  recht- 
zeitig durchzubläuen  verstünde,  sogar  Herr  Walther  müsse  den  Goten 
und  Bösen  ein  fröhliches  Gesicht  zeigen. ')  Walibher  hatte  überhaupt 
dort  mancherlei  Unannehmlichkeiten  zu  bestehen,  wie  den  verdriess- 
lichen  Handel  mit  Herrn  Gerhard-  Atze,')  so  dass  er  sich  gerne  hin- 
wegsehnte. Auch  das  Verhältniss  mit  Wolfram  muss  nicht  absonder- 
lich warm  geworden  sein ,  denn  der  Parcivalsänger  stand  auf  der  Seite 
der  päbstlichen  Parthei  (Otto  von  Braunschweig),  indess  Walther  in 
seiner  politischen  Färbung  immer  npch  zu  Philipp  hielt;  sie  geriethen 
^nnzanfte^  aneinander  und  Wolfram  gab  später  noch  manchen  scharfen 
Stich.')  Walther  ging  zu  Kaiser  Otto,  obwohl  er  den  Marggrafen  von 
Meissen  lieber  unter  der  Krone  gesehen  hätte,  der  ihm  um  diese  Zeit 
eine  Liebesgabe  des  Herzog  Ludwig  von  Bayern  überbracht  hatte ,  mit 
welch  Letzterem  Walther  bereits  früher  zusammengekommen  sein 
musste. 

Hier  kommen  wir  zu  den  Beziehungen,  in  welchen  Walther  mk 
Bayern,  mit  dessen  Fürsten  und  Herren  gestanden.  Zuerst  traf  er  wohl 
auf  Weif  VI.  von  Bayern  (Oheim  des  Herzog  Leopold  von  Oesterreich) 
der,  zugleich  Herzog  von  Spoleto  und  Marggraf  von  Toskana,  nach 
dem  Tode  seines  einzigen  gleichnamigen  Sohnes,  seine  italienischen 
Güter  an  Friedrich  L  gegeben  hatte  (1196)  und  darauf  zu  Memmin^ 
gen  ein  eher  schwelgerisches  als  mildes  Leben  führte,  bis  er  bekehrt, 


■)  „gaolen  tac,  boes  unde  guot.^    Parc.  297,  25. 

')  Der  merkwürdige  Rechtsfall  ist  folgender:  Herr  Gerbard  Atze  bat  Hern 
Waltber  za  Eiseaacb  ein  Pferd  erscbossen ;  Walther  klagt  auf  Entscbidif- 
ong ,  das  Pferd  war  .wohl  dreier  Marke  werth.  Gerhard  Atze  weicht  aMr 
damit  aus,  dass  er  behauptet:  das  getödfete  Boss  sei  mit  dem  Pferde  bluts- 
verwandt, das  einst  ihm,  dem  Beklagten,  den  Finger  zu  schänden  gebissea. 
Dagegen  schwört  nun  Herr  Waltber,  dass  die  Pferde  sich  gar  nicht  kaoa- 
ten.  82,  11  ff.  u.  104,  7  ff. 

'^)  e  B.  Willehalm  286,  19,  wo  Wolfram,  der  so  oft  ober  die  eigene  Annolli 
sich  eriustigt,  mit  Bezugnahme  auf  Waltbers  Spruch  vom  Braten  ond  den 
Köchen  (Lach mann  17, 11)  auf  dessen* Hungerleiderei  derb  anspielt.  Die 
Rolle,  die  unserem  Waltber  im  „Wartburgkriege^  zuffelheili  wird.,  ist  flkr 
seine  Geschichte  nicht  maassgebend,  da  das  Gedicht  selbst  aller  btstorisc-bcn 
Unterlage  entbehrt;  übrigens  ist  Walthers  Charakter  gut  aufgeliisst 


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reoig  und  blind  im  76.  Jabre  unter  dem  Beistände  des  Bisohof  Uda- 
sehalk  starb')  nnd  im  Stifte  zu  Steingaden  begraben  wurde.  Walther 
war,  da  er  seine  ^Milde*'  preist  und  mit  seinem  Neffen  zosammenstelit, 
sieh^rlich  früher  bei  ihm,  da  Weif  bereits  1191  verschied,  der  Spruch 
(Lachm.  S.  35)  aber  später  gedichtet  ist. 

Sodann  war  Walther,  vielleicht  beim  ersten  Wegziehen  von  Wien, 
durch  Altbayern  geritten  und  hatte,  von  der  heute  noch  befahrenen, 
von  Rosenheim  über  Miesbach  nach  T5lz  fuhrenden  ^Kreuzstrasse^ 
abbiegend  (dar  k^rte  ich  mer  dan  eine  mile  von  der  sträze«S.  104), 
sich  nach  Tegernsee  gewendet,  dessen  Gastlichkeit  man  ihm  gerühmt 
hatte  (wie  wol  daz  hus  mit  eren  ste):  doch  fand  er  daselbst  gegen 
alle  Erwartung  keine  absonderlich  freundliche  Aufnahme:  statt  Weines 
ward  mir  Wasser  -also  nazzer  muost  ich  von  des  münches  tische 
scheiden.^  Die  Zeit,  wann  dieses  gesehen,  ist  schwer  zu  bestimmen, 
es  kann  unter  Graf  Manegold  (1189 — 1206),  der  als  Dichterfreund 
schon  früher  den  Mariensänger  Wem  her  in  seinen  Schutz  genommen 
hatte,  oder  unter  Abt  Berchtold  (1206 — 17)  gewesen  sein,  beide 
aber  waren  in  diesem  kunstsinnigen  Kloster')  den  schönen  Wissen- 
schaften hold.  Die  Sache  bliebe  unerklärlich,  wenn  man  nicht  zwei 
Umstände  berücksichtigt.  Entweder  fiel  Walthers  Besuch  nach  jener 
Zeit,  wo  Herzog  Ludwig  von  Bayern  und  Otto  Graf  von  Valley  das 
Kloster  überfallen  und  durch  Raub  und  Brand  beschädigt  hatten,  also 
dass  die  Mönche  selbst  Noth  litten  und  gegen  heischende  Gäste  über- 
haupt weniger  gastlich  waren,  oder  der  böse  Empfang  war  durcl\ 
den  Dichter  selbst  hervorgerufen  worden,  der  freiere  AnsichteA  mitge- 
bracht hatte,  als  dazumal  gerade  im  Kloster  regierten.  Er  brauchte 
ihnen  nur  den  Spruch  vom  Herrn  Stock  (34,  14  ff.)  zu  recitiren,  um 
mit  Schaden  abzufahren!  —  Man  nahm  die  Kl^^e  Walthers  wörtlich 
und  glaubte,  er  habe  nur  einen  Schluck  Wasser  bekonmien  und  sei 
gleich  weiter  geschickt  worden  —  ich  glaube  aber,  Walther  habe  hier 
herum  länger  sein  Wesen  getrieben  und  habe  sich  erst  beim  Weg- 
ziehen in  seinen  Erwartungen,  schöne  Gewände,  ein  neues  Rösslein  oder 
klingenden  Lohn  zu  erhalten ,  getäuscht.  Was  dazu  verleitet ,  einen 
längeren  AufenthiJt  Walthers  zu  Tegernsee  anzunehmen,  ist  der  Um- 
stand, dass  die  in  dem  benachbarten  Kloster  Beuem  geschriebenen 
Carmina  burana  drei  Strophen  enthalten,   die  nur/Versungene  Bruch- 


1)  15.  Dez.  1191.   Vgl.  V.  Lang  bayer.  Jahrb.  1816.  S.  35. 

*)  Dessen  Verdienste  im  Bereiche  der  Poesie,  Kunst  und  V^issenschaft  J.  v. 
Hefner  sehr  anziehend  geschildert  hat:  Qberb.  Archiv.  I.  15->-35  und  in 
dessen  eigener  Monographie.  1838.  S.  30  (f. 


462 

stücke  von  Walther^schen  Liedern  smd.  Das  erste  igt  der  Anfiuig  det 
Krenzliedes,  der  in  seiner  Umstellung  deutlich  zeigt,  wie  es  durch 
singende  Tradition  von  Tegem  nadi  Beuem  gekommen,^)  dem  beide 
Klöster  standen  in  reger  Verbindung  and  selbst  dramatische  Sdiaii- 
stücke  wandelten  von  Tegemsee  in  die  Nachbarschaft  hinüber,  wo  sie 
weitere  Pflege  fanden ,  wie  wir  später  bei  der  Geschichte  des  Dramas 
mit  einem  hübschen  Beispiele  belegen  können.  Die  beiden  anderen 
Stellen,  welche  die  Carmina  burana  bewahrt  haben  (S.  190  und  205), 
bilden  die  dritte  Strophe  des  schönen  Maienliedes  „Müget  ir  schouwen, 
waz  dem  meien  Wunders  ist  beschert?^  (Lachm.  S^  51.)  und  die  erste 
Strophe  einer  Liebesklage  (ib.  51,  37),  worin  der  Dichter  klagt,  dass 
er  jetzt,  da  er  den  Schaden  habe,  auch  noch  zum  Gespött  eines 
rothen  Mündleins  geworden  sei!*)  Es  sind  die  Trümmer  verschleppter 
Lieder,  welche  später  aus  der  Erinnerung  noch  aufgeschrieben  und  so 
erhalten  wurden,  vielleicht  die  Reste  einer  an  den  Ufern  des  Tegemsee 
selbst  erlebten  und  gesungenen  Aventiure. 

An  einer  anderen  Stelle    gedenkt    er    eines  Geschenkes,    welches 
ihm  ^der  stolze  Missenaere**  vom  Herzog  Ludwig  vom  Fürstentag  (1212) 
aus  Frankfiirt  brachte.     Er  nennt  es  „ein  lieht,***)  eine  Kerze.   Auch 
diese  Stelle  wurde  buchstäblich  genommen,  Simrock  und  Jacob  Grimm 
hielten  an  dem  Brauche  fest,  dass  man  jetzt  noch  z.  B.  bei  kirchUehen 
Umgängen  an  Leute,  sie  besonders  zu  ehren,  Kerzen  austheile  —  als 
ob  der  Dichter  durch  ein  so  wettschichtiges  Geschenk  in  so  absonder- 
liche Freude  hätte  versetzt  werden  können?    Wilhelm  Grimm   da- 
gegen und  Lach  mann  nahmen  es  bildlich,  es  bedeute  den  strahlenden 
Schein   der  Gnade   des  Gönners  und   die  glänzende  Gabe   selbst.     Die 
Kerze  war  sicher  nur  die  ooerflächliche  Begleiterin  eines  anderen  Ge- 
schenkes, wie  denn  jetzt  noch  häufig  bei  besonderen  Benedictionen  dem 
Geistlichen   em  Kerzchen  mit  einem  unten  eingedrückten  Geldgeschenk 
behändigt  wird.    Der  Herzog  Ludewig  aber,    dem  der  Sänger   daftr 


*)  C«riniiia  barana  ed.  Seh  melier  S.  72:  „Na  lebe  ih  mir  alrest  werde,  lü 
min-«undic  ouge  sihet  daz  schone  lant^  Dagegen  bei  Lachm.  S.  14:  \| Aller- 
erst lebe  ich  mir  werde,  stt  min  sündic  ouge  siht  daz  h^re  lant  etc.^ 

*)  Röter  mant,  wie  du  dich  swachesll 
Ift  dln  lachen  stn 

Scham  dich  daz  dA  mich  au  lachest 
ndch  dem  schaden  mtn. 
ist  daz  wol  getdn? 
ow6  so  verlornet*  stände, 
sol  von  minnecllchem  munde 
solch  unminne  ergdnl  (52,  6.) 

')  Lachmaon  S.  18,  15. 


V   468 

lülen  mögliohen  Segen  in  freudiger  Dankbarkeit  .nachwünscht, ^)  (dass 
sein  Hund  und  sein  Schoss  kein  Wild  verfehle  und  sein  Hörnlein  ihm 
nur  zu  Ehren  blase)  war  der  1231  ernsordete  Kellheimer,  der  sonst 
bei  WaHher  nicht  vorkommt,  obgleich  der  Dichter  mit  ihm  früher  zu- 
sammengetroffen sein  mnsste. 

Auch  ein  Graf  von  Andechs  und  zwar  jener  Berthold,  der  später 
Erzbischof  zu  Kolocsa  und  1218  Patriarch  von  Aquileja  wurde  und 
im  Mai  1251  starb,  hatte  ihm  früher  Liebes  erwiesen;  Walthermachte 
seine  Bekanntschaft  nicht  im  Orient,  da  der  Spruch,  in  welchem  er 
sein  Lob  spricht,  zwischen  1219 — 23  gesetzt  wird,  Walther  aber  gerade 
in  dieser  Zeit  mit  ihm  in  Wien  zusammengekommen  sein  konnte. 

Als  Walthers  Erwartungen  von  der  Grossmüthigkeit  R.  Otto*s 
sich  gleichfalU  nicht  erfüllten,  sang  er  ihm  ein  beissendes  Spottlied 
und  ging  wieder  nach  Oesterreich,  wo  Herzog  Leopold  VE.  lustigen 
Hofhielt  und  Alles  hingab,  als  wo|Ie  er  nicht  Iftnger  l^ben,  reiche 
Kleider,  Silber  ungewogen  und  Rosse,  als  ob  sie  Lämmer  wären,  ver- 
schenkte, dazu  aber  selbst  muthwillige  Reigenlieder  sang,  ganz  so, 
wie  in  der  Folge  sein  Sohn  Friedrich  zu  des  Tanhäusers  Zeiten.  Aber 
Walther  kam  zu  keiner  guten  Stunde:  Ihm  war  des  Glückes  Thor 
versperrt  (S.  20.)«  es  half  kein  Reden  und  kein  Klopfen:  ^ein  grösser 
Wunder  gibts  nicht  mehr,  es  regnet  um  mich  ringsumher,  mich  Aber 
trifft  von  Allem  nicht  ein  Tropfen.^  Dazu  kam  noch,  dass  der  feine, 
höfische  Gesang  schon  einem  freieren  volksthümlichen  Wesen  oder  Un- 
wesen Platz  gemacht  hatte,  so  dass  der  feinföhlende  Walther  in  dem 
ausgelassenen  ächten  Wiener-Leben  sich  nimmer  behaglich  fand.  In- 
dessen machte  Leopold  auch  eine  Kreuzfahrt  und  Walther  gastete  an 
anderen  Höfen  in  Kärnthen  u.  s.  w.  begrüsste  noch  einmal  seinen  Herrn 
bei  der  glücklichen  Heimkehr  (1219),  und  suchte  dann  den  K.  Fried- 
rich auf,  dem  er  sein  Leid  begreiflich  machte,  wie  er  mit  seiner  reichen 


0  Mir  hit  ein  lieht  von  Franken 
der  stolze  Mtssenaere  brdbt; 
das  vert  von  Ladewt^e. 
ichn  kan  ims  niht  gedauken 
8Ö  wol  als  er  mtn  hat  gedäht, 
wan  daz  ich  tiefe  ntge. 
kfind  ich  swdz  ieman  guotes  kan, 
daz  teilte  ich  mit  dem  werden  man, 
der  mir  so  höher  ßren  f^an, 
got  mfieze  ouch  im  die  stnen  m^ren. 
ZOO  flieze  im  aller  saclden  fluz, 
niht  wildes  mtde  stnen  schnz, 
stns  hundes  louf,  sina  homes  doz 
erhelle  im  und  erscbelle  im  wol  näeh  ^ren. 


464    ' 

Kunst  doch  auch  einen  eigenen  Herd  verdiente,  damit  er  nicjit  immer 
auf  der  GauckeUuhre  umherzutreiben  habe;  gar  zu  gerne  erlebte  ich*8, 
fugt  er  bei,  dass  auch  mir  Gäste  käoäen. 

Friederich,  gerade  mit  den  Vorbereitungen  zu  seifcier  Raiiilkhrt 
beschäftigt,  beschenkte  den  Dichter  erst  mit  dreissig  Mark  imd  setzte 
ihn  dann,  wie  Daffis^  in  einer  anziehenden  Schrift  glaubwürdig  dar- 
gelegt hat,  zum  Zuchtmeister  seines  achtjährigen  Söhnleins  Heinrich  VIL 
der  bereits  als  erwählter  König  zum  Herrscher  praedestinirt,  miter  der 
Vormundschaft  des  fromm^  Erzbischofs  Engelbrecht  von  Köln , ')  die 
Reichsregierung  angetreten  hatte.  Das.  achtjährige  Königlein  brauchte 
ausser  jseinem  geistlichen  Pflegevater  sicher  noph  viel  mehr  eines  be- 
sonderen Erziehers  und  Zuchtmeisters,  der  ihn  fest  unter  der  täglidien 
Aufsicht  hatte.  Dass  Friedrich  IT.,  selbst  ein  Dichter  und  Sängerfreund, 
unseren  Walther,  der  sich  ihm  gerade  im  passenden  Augenblicke  darbot, 
zu  einem  solchen  Amte  verwendete,  ist  im  hohen  Grade  gerechtfertigt, 
wenn  man  weiss,  wie  der  Gesang^  und  das  Saitenspiel  und  die  Kunst 
der  dichterischen  Rede  mit  zum  Unterrichte  der  fürstlichen  und  der 
edlen  Jugend  gehörten;')  Friederich  durfte  auch  sonst  noch  von  der 
Leitung  des  lebensweisen  Dichters  den  günstigsten  Einfluss  auf  die 
Charakterentwicklung  seines  Sohnes  hoffen.  Walther  trat  sein  Amt  mit 
hohen  Erwartungen  an,  aber  sein  Zögling  machte  sie  bald  zu.  Schanden. 
Lange  hielt  der  Dichter  die  ^Ungeftlge''  des  Knaben  aus  und  setzte 
sich  über  das  Leid  hinweg,  das  ihm  der  Ungerathene,'der  für  die  Rathe 
schon  zu  gross  (du  bist  dem  besmen  leider  alze  gröz  101,  25)  und 
fiir  das  Schwert  zu  klein  war,  verursachte,^)  endlich  aber  erschöpft« 
sich  seine  Geduld  und  er  machte  sich  mit  isoroigen  Worten  Luft: 
^Selbwahsen  kint,  du  bist  ze  kramp !  nü  si  diu  schuole  meisterlös  aa 
miner  stat:  ich  kaa  dir  niht^^)    Wie  Pfeiffer  vermuthet,    so  fand 


*>  A.  D äff  18  Zur  Lebensgescbichte  Walthers  v.  d.  Vogelweide.  Berlin  1854. 

*)  Wahrend  Walther  in  König  Heinrichs  Umgebung  war,  hatte  er  hinreicfacad 
Gelegenheit,  mit  firzhischof  Engelbrecht  auf  so  vertrauten  Fuss  zu  konnea, 

'  dass  sie  sich  dutzten  (84,  28),  war  ja  der  Erzbiscbof  auch  eis  Dlchtg^oaie 
Wallhers. 

')  Wackernagel  Lit  Gesch.  &  109. 

*)  101,  28:   ich  hdn  mich  selben  des  te  tump 
das  ich  dich  ie  so  höbe  wdc. 
ich  bare  dtn  unffefüe&^e  in  friundes  schöz 
mtn  leit  baut  ich  ze  beine 
minen  nig^e  ich  ndch  dir  brach. 

^)  Im  November  1225  vermählte  sich  der  vierzehnjibrii^  Knabe  mit  der  twaa- 
zigjahriffen  Tochter  des  Herzog  Leopold  von  Oesterreich,  Mar^reta,  nacbden 
er  das  Töchterlein  des  Böhmenkönigs  und  sogar  die  Vorschläge  des  Köaigs 
von  England ,  der  seine  Schwester  sur  Ehe  anbot ,  abgelehnt  hatte.  Daraaf 
bezieht  sich  der  Spruch  Wallhers  (1,02,  5)  worin  er,  anscheinend 


465 

der  Bruch  im  Jahre  1224  statt,  um  die  Zeit  des  Hoftages  zu  Nürn- 
berg, den  Walther  nicht  als  Fahrender,  sondern  schon  vom  eigenen 
Hofe  reitend,  besucht  hatte. ')  Friederich  hatte  ihm  also  schon  fiüher 
das  Lehen  verliehen,  worüber  der  Dichter  so  in  Freude  gerieth,  dass 
er  sein  Glück  yor  aller  Welt  verkünden  möchte  (28,  31).  Dieses  Lehen 
bestand,  wie  sich  freilich  nur  aus  spätem  Urkunden  des  XTV.  Jahrh. 
folgern  lässt,  aus  einem  Hofe  zu  Wirzburg,*)  wo  nun  ^er*  Dichter 
auf  eigenem,  Grund  nnd  Boden  sass,  mit  objectiver  Ruhe  und  Unab- 
hängigkeit den  Lauf  der  Welt  betrachtete  und  mit  unerschrockener 
Freimüthigkeit  kritisirte.  So  sehr  Walther  auf  den  Pabst  zürnte,  so 
mahnte  er  den  Kaiser  doch  zum  öfteren  zur  Gottesreise  in  das  heil. 
Land:  ^Bot,  sage  dem  Kaiser  seines  armen  Mannes  Rath  und  dass 
ich  keinen  besseren  weiss:  er  fahre  bald  und  komme  bald  wieder^  (S,  10), 
auch  das  schöne  Kreuzlied  ^Viel  süeze  waere  minne''  (S.  76)  könnte 
hieher  bezogen  werden,  wo  er  die  Christen  auffordet,  Leib  und  Gut  für 
das  ewige  Leben  hinzugeben  und  sich  dem  heiligen  Heer  zu  schaaren. 
Und  als  der  Kaiser  immer  noch  zauderte  und  der  Pabst  (Gregor  IX.) 
bereits  den  Bann  über  ihn  gelegt  hatte  und  obendrein  ungewöhnliche 
Naturerscheinungen  zu  Tage  traten,  hub  Walther  mit  vier  gewaltigen 
Strophen  den  Weheruf  an.  (S.  13,  5  ff.)  0  weh!  beginnt  er  mit  dop- 
pelsinniger Anspielung  auf  den  verheerenden  Sturm  im  September  1227 
und  das  }»äbstliche  Interdict,  es  kommt  ein  Wind  mit  Grimm  über  die 
Königreiche  gefahren,  Waller  und  Pilgerime  klagen  darüber!  Bäume 
und  Thürme  liegen  von  ihm  zerschlagen  und  ^starken  Hüten  wäet  er 
zhoobet  abe,^  drum  sollen  wir  zu  Gottes  Grab  uns  flüchten.  In  der 
ergreifenden  zwdten  Strophe  klagt  Walther  über  den  Verfall  des  deut- 
schen Ansehens  (ow^,  waz  ^ren  sich  ellendet  tiuschen  landen!)  und 
droht  denjenigen  mit  dem  Verluste  des  ewigen  Lohnes,  die  ^witz  unde 
manheit,  darzuo  silber  unde  golt^  haben  und  doch  mit  Schanden  hie 
bleiben,  d.  h.  sich  der  Fahrt  nicht  anschliessen ;  ein  solcher  verliert  der 
Engel  und  der  Frauen  Huld,  ist  ein  armer  Mann  vor  Gott  und  der 
Welt  und  muss  ihren  Spott  fiirchten.  Owe,  heisst  es  weiter,  wir  sind 
aus  Trägheit  zwischen  zwei  Stühle  niedergesessen,  d.  f.  gedankenlos  und 
kurzsichtig  haben  wir  Alles  verscherzt,    uns  hat  der  kurze  Sommer 


allffemeio,  die  guten  Frauen  warnt,  vor  Kindern  ihr  j  a  su  bergen,  damit  es 
nicht  sum  Kinderspiele  werde,  Minne  und  Kindheit  „sint  ein  ander  gram.^ 

■)  Germania  B.  V.  S.  11  u.  18  ff, 

*)  Der  zur  Vogelweide  benannte  Hof  liegt  im  heutigen  Elefantenfffisschen  und 
ist  durch  eine  Gedenkt^rel  ausgezeichnet;  ein  anoerer  war  in  der  Hörleins- 
ffasse^  beide  im  Sanderviertel.  Vgl.  Reuss.  1843.  S.  7.  (Auch  ein  „zum 
Vogelgesang^  benannter  Hof  befand  sich  im  Mainviertel.) 

30 


466 

betrogen,  wo  wir  mit  den  Grillen  sangen,  statt  mit  der  Ameise  wett* 
zneifern.  Aber  das  war  vom  Anbeginne  der  Welt  schon  so,  dass  die 
Thoren  die  Weisen  schalten;  nna  sieht  man. wohl,  wer  Recht  hatte.  — 
So  weh  dir  Welt,  ruft  er  ein  anderes  mal  (S.  21.)»  wie  lasterlich  steht 
es,  die  Sonne  hat  ihren  Schein  verkehret,  überall  hat  die  Untreae 
ihren  Samen  ausgeworfen,  das  Kind  ist  gegen  den  Vater,  Bruder  gegen 
Bruder  und  selbst  diejenigen  in  den  Kappen,  so  uns  den  Weg  zum 
Himmel  weisen  sollten,  trügen;  Gewalt  regiert  und  das  Recht  verliert 
vor  Gericht.  Auf!  ihr  habt  zu  viel  geschlafen! 

Uro  diese  Zeit  besuchte  d^r  Dichter  noch  einmal  seine  väterliche 
Heimath,  die  grüne  Einsamkeit,  wo  er  zur  Welt  gekommen,    denn  so 
nehme  ich  das  wehmuthvoUe  Gredicht,    das  Lacbmann  ganz  an*s  Ende 
der  Walther*schen  Liedersammlung  setzt,    das   aber  jedenüalls  früher 
gehört,  da  der  Dichter  schliesslich  den  Wunsch  ausspricht,  die  Grottes- 
fahrt  über  See  mitmachen  zu  können,    die  ihm  aber  als  etwas  Fern- 
liegendes oder  Unmögliches  erscheint.    Das  Gedicht  erhält   nur   voHen 
Sinn,   wenn  wir  es  so  fassen,    dass  der  Dichter  darinnen  seine  Em- 
pfindungen beim  Wiederbetreten  der  alten  Waldeinsamkeit,   wo   er  als 
Knabe   (da  ich  von  kmde  bin  erzogen)  am  Vogelherde  aufgewachsen, 
fiustönen  lässt.    Aber  wie   findet  er  dieselbe?    Alles  Terändert !   Nun 
weiss  er  erst,    dass  er   alt  geworden   und   das  Leben  liegt  wie  eis 
Traum   hinter  ihm;    verbrannt  (vereitet)   ist  das  Feld,   verhauen  der 
Wald  und  nur  das  Wasser  fiiesst,   wie  ehedem;    die  meine  Gespieleo 
waren,  die  sind  träge  und  alt,  und  Mancher,  der  ihn  ehe  wohl  kannte, 
grüsst  ihn  kaum  mehr.    Denke  ich  an  die  früheren  wonniglichen  Tage, 
sie  sind  verrauscht,    wie  ein  Schlag  in's  Meer!    „iemer  m^re  onwe!^') 
Wo  ich  hinschaue,    da  ist  Niemand  firoh,    selbst   die  Jagend  traoert, 
Tanzen  und  Singen  vergeht  vor  Sorgen;  kein  Kristenmensch  sah  je  w 


0  Ow6  war  sint  verswundeft  alliu  tntiiiu'jAr! 
ist  mir  min  leben  getroumet,  oder  ist  ei  wftr? 
das  ich  ie  wdnde  dat  iht  waere,  was  daz  iht? 
dar  ndch  hAn  ich  gesllifen  und  enweiz  es  niht. 
nü  bin  ich  erwaht,  nnd  ist  mir  unbekanl 
daz  mir  hie  vor  was  kündic  als.mtn  ander  hant. 
liut  unde  lant,  dd  ich  von  kinde  bin  ertogen, 
die  sind  mir  frömde  reht  als  ob  ez  st  gelogen, 
die  mtne  gespilen  wftren,  die  sint  traege  unt  alt. 
vereitet  ist  das  velt,  verhouwen  ist. der  walt: 
wan  daz  daz  wazzer  fliuzet  als  ez  wllent  fl6z, 
für  wdr  ich  wände  min  Unglücke  wurde  gröz. 
mich  grüezet  maneger  trdffe,  der  mich  kande  £  wol. 
diu  weit  isl  allenthalben  ungenduen  vol. 
als  ich  gedenke  au  manegen  wünneclichen  tac, 
die  mir  sint  empf^llen  gar  als  in  daz  mer  ein  slac^ 
iemer  mdre  ouw6.    u.  s.  w. 


467 

jämmerliche  Schaar,  auch  die  Tracht  der  Weiber  hat  sich  verändert 
(du  merket  wie  den  froawen  ir  gebende  stat)  und  die  stolzen  Ritter 
tragen  bäuerisches  Gewand;  unsanfte  Briefe  sind  uns  von  Rom  gekom- 
men, dass  selbst  den  freien  Yogelen  die  Lust  benommen.  Wer  auf 
dieser  Welt  Wonne  sucht,  der  hat  jene  dort  verloren;  „iemer  m§r 
ouwe!''  Wir  sind  vergiftet  und  mitten  im  Honig  sitzt  die  bittere  Galle. 
Die  Welt  ist  aussen  schöne,  grün  und  roth,  innen  aber  todtfinster. 
Wer  sich  von  ihr  verleiten  liess,  der  sehe  sich  um  nach  Trost,  dieweil 
er  sich  noch  mit  ein  klein  wenig  Busse  von  grosser  Sünde  lösen  kann; 
daran  gedenket  ihr  Ritter,  die  ihr  lichte  Helme  und  harte  Panzer- 
ringe traget,  veste  Schilde  und  geweihte  Schwerter.  Wollt'  Gott,  ich 
wäre  des  Sieges  werth,  so  wollt*  ich  nothig  Mann  verdienen  reichen 
Sold,  doch  denke  ich  nicht  an  irdisch  Gut,  sondern  möchte  die  Krone 
des  Heiles  tragen;  könnt*  ich  die  liebe  Reise  in  die  Ewigkeit  bestehen, 
so  wollt'  ich  „wohl  mir^  singen  und  nimmermehr  ,,owe!^ 

Das  ist  der  Sinn  und  Inhalt  dieses  Liedes,  das  nur  gezwungen 
auf  einen  Kreuzzug  Walthers  bezogen  werden  kann;  spricht  ja  der 
Dichter  doch  die  Ritter  an,  die  in  Stahl  und  Waffen  gehen,  zu 
denen  er  nicht  gehört,  mit  denen  er  es  aber  gerne  halten  möchte.  £r 
trog  also  keine  Wafien  mehr,  wie  er  sich  in  seinem  Leben  überhaupt 
wenig  damit  befasst  haben  wird.  Und  was  hätte  auch  der  alte  kraftlose 
Mann  jetzt  gethan  auf  einer  mühevollen ,  schwierigen  Kreuzfahrt ,  die 
ohnehin  so  langsam  yor  sich  ging ,  dass  der  Dichter  ihr  Ende  kaum 
mehr  erlebt  hätte,  er  müsste  denn  zurückgekommen,  sich  hingelegt  haben 
und  gleich  verschieden  sein.  Die  „unsanften  Briefe,  die  uns  von  Rom 
her  gekommen^  brachten  die  Nachricht  von  dem  Banne  des  Kaisers, 
der  ob  seines  langwierigen  Zaudems  in  den  Verdacht  gerathen  war,  es 
heimlich  mit  den  Erzfeinden  der  Christenheit  zu  halten.  So  ist  das 
Lied,  das  Walther  in  der  eigenen  Heimath  (da  ich  von  kinde  bin  er- 
zogen) sang,  der  sicherste  Beweis,  dass  er  nicht  an  dem  Zuge  Thei) 
^genommen  habe.  Er  ist  nun  alt  und  geht,  wie  er  in  sehr  künstlich 
gebauten  und  mit  klingelnden  Zwischenreimen  spielenden  Strophen  sagt, 
an  einem  Stabe  (66,  33),  arm  zwar,  doch  der  Werthen  Einer,  der 
dadurch  bei  den  Biderben  nichts  verliert,  sondern,  wenn  ihn  auch 
die  Welt  verspottet,  nur  gewinnt.  Sein  Rock  ist  schleissig,  wie  sein 
Hauymd  grau  sein  Bart  geworden. ')  Vierzig  Jahre ,  oder  noch  mehr. 


lauym 
auiy 


haUlH'  von  der  Minne  gesungen ,  ^)  nun  gibt  ihm  die  Welt  den  Lohn 


')  Diese  Stelle  findet  sich  freilich  in  einem  von  Lachmann  S.  XVIII  als  unicht 

•usgeschiedeoen  Liede. 
*)  S.  66,  37  ff.  Daraus  ergibt  sich  ein  Anhaltspunkt  zur  beiläufigen  Bestimmung 

30* 


468 

ond  treibt  ihr  Narrenspiel  (gampelspil)  mit  ihm.  Ich  hatte  mir  ein 
schönes  Bild  vom  Leben  gemacht,  das  zerfloss  aber  in*8  leere  Blau 
(daz  ftior  ine  weiz  war),  ich  weiss  nicht,  wohin,  Daft  und  Glanz  ver- 
ging und  die  Lilienfarbe  ward  kerkergrau  (karkelvar.  68,  2).-  Er  streift 
hier  an  einen  Gedanken,  den  er  gleich  noch  weiter  ausfährt,  und  den 
Conrad  von  Wirzburg  zu  einer  eigenen  Novelle  verarbeitete  (vergl. 
oben  S.  297  ff.).  Es  ist  der  Abschied  voj  der  Welt ,  die  als  Eigen- 
thümerin  einer  Schenke  gedacht  ist,  welcher  der  Teufel  als  Wirth 
vorgesetzt  ist,  dem  man  zuletzt  die  Zeche  bezahlen  muss.  Die  schöne 
y,Frau  Welt^  ist  als  der  Inbegriff  aller  sinnlichen  Freude,  Lust  und 
Begierde  gefasst,  ihr  gegenüber  erscheint  die  ewige  Heimath  als  die 
Herberge,  auf  welche  der  Dichter  unverrückt  lossteuert  (100,  24  ff.): 
Frau  Welt,  du  sollst  dem  Wirthe  sagen,  dass  ich  ihn  ganz  befriedigt 
(vergolten)  habe,  alle  meine  Schuld  (min  groeste  gülte)  ist  abgetragen, 
dass  er  mich  von  der  Kreide  wische  (von  dem  brieve  schabe;  brief- 
Schuldbuch).  Wer  ihm  was  soll,  der  mag  wohl  sorgen,  eh*  ich  ihm 
lange  schuldig  blieb,  eh*  wollt  ich  bei  einem  Juden  borgen ;  er  schweigt 
bis  an  den  einen  Tag,  dann  aber  nimmt  er  sich  ein  Pfand  (s6  wil 
er  danne  ein  wette  hau)  so  jener  nicht  bezahlen  kann. 

Bleibe  doch  bei  mir,'  Walther,  erwiedert  die  Welt,  du  zürnest 
mir  ohne  Noth,  gedenke,  was  ich  dir  Ehren  bot,  iqh  war  dir  steta  zu 
Willen,  wenn  du  was  erbatest,  mir  ist  es  inniglichen  Leid,  dass  du  es 
nur  so  selten  thatest ;  bedenke  dich ,  du  lebst  hier  gut  und ,  kehrst  da 
ganz  dich  von  mir  ab  (sd  du  mir  rehte  widersagest),  4u  wirst  aie 
wieder  wohlgemuth. 

Frau  Welt,  Versetzt  Walther,  ich  hau  zu  viel  gesogen,  mich  zn 
entw^nen  ist  es  Zeit;  die  Zärtlichkeit  deiner  süssen  Freuden  hat  mich 
betrogen ,  so  lang  ich  dir  in  die  Augen  sah ,  war  dein  Anblick  wahr- 
haftig wunderbar,  doch  war  der  Schaden  alsoviel,  als  ich  von  rückwärts 
dich  ersah,  dass  ich  dich  immer  schelten  will. 

Darauf  replicirt  die  Frau  Welt:  Wenn  ich  dich  nicht  erwendeo 
kann,  so  thu*  mir  eines  doch  zu  liebe:  gedenke  an  manchen  Ucfateo 
Tag  und  schau  nur,  wenn  dir  die  Zeit  zu  lange  wird,  nach  mir  biswei- 
len noch  zurück. 

Das  würd*  ich  herzlich  gerne  thun,  schliesst  der  Dichter,  alleio 
ich  färchte  deine  List   (Mge- Hinterhalt)  vor  der  sich  Niemand  kann 

seiner  Geburtszeit.  Wenn  Walther  hier  von  sich  sagt,  dass  er  schon  vierxig 
Jahre  oder  mehr  gesungen  habe,  und  wenn  uns  seine  Spur  mit  den  Jahr« 
1228  verschwindet,  so  hat  er  wohl  schon  in  den  letzten  achtziger  Jahrea 
des  XII.  Jahrb.  gedichtet.  Setzt  man  seine  Geburt  zwanzig  Ja&e  frflbcr, 
etwa  zwischen  1165  und  1170,  so  fiel  seine  Jugend  mit  der  des  böfiscfaea 
Gesanges  zusammen. 


469 

bewa])ren.     Gott  geV  dir  Fraue,    gute  Nacht  —   ich  will  zu  meiner 
Herbei^e  fahren!  —  «  ' 

Walther  muss  bald  um  1228  gestorben  sein  oder  wenigstens  nicht 
mehr  gedichtet  haben,   da  sich  kein  weiteres  Lebenszeichen  mehr  ver- 
ibigen  lässt. ')      Nachweisbar   ist  nur   sein  Begräbniss  im  Lustgärtlein 
(lusemgarten)  des  neuen  Münsters  zu  Wirzburg.  Eine  lateinische  Inschrift, 
die  nur  mehr  in  einer  Copie  vom  J.  1350  erhalten  ist,  nannte  ihn  die 
Blume  der  Wohlredenheit;  ein  Beisatz*)  nennt  ihn  kurzweg  einen  miles; 
er  war  trotzdem  aber  kaum  adeliger  Herkunft,    sondern    bürgerlicher 
Abstammung;  das  Wappen,  das  ihm  der  Maler  der  Pariser  Handschrift 
beilegt ,    ist  seiner  Herkunft  und  früheren  Beschäftigung  entsprechend : 
in   hellrothem  Felde  ein  viereckiger   Käfig,    mit  gelben  Rahmen    und 
einem  weissen  Gitterchen ,    unter   welchem  ein  grüner  Vogel  schreitet. 
Ein  gleicher  Vogelkäfig  ist  auch  auf  seinen  Helm  gesetzt,    der  ebenso 
wenig  wie  das   beigemalte  Schwert,    für  eine   adelige  Herkunft  geltend 
gemacht  werden  kann. ')  Walther  gebrauchte  die  Waffen  wohl  nur  auf 
dem  Kreuzzuge  und  dann  honoris  causa  als  des  Kaisers  Lehensmann; 
die  Bezeichnung  miles  hat  er  nicht  seiner  Abstammung,  sondern  einzig 
seines  Lehens   wegen;    dass   er  aber  sonst,    wie  etwa  Wolfram  von 
Eschenbach,    des   ritterlichen  Speerbrechens    und  Tjostirens   gepflogen 
hätte,    davon  findet  sich  in  seinen  Liedern  keine  Spur.  —    Die  Sage 
erzählt,  er  habe  im  letzten  Willen  verfügt,    dass  auf  seinem  Leichen- 
steine   täglich    die  Vögel   gefüttert   und   getränkt  werden   sollten   und 
desshalb  vier  Tröglein  darauf  einhauen  lassen;    das  Stiftskapitel   aber 
habe  in  der  Folge  diese  Vogel  weide  der  Nachtigallen  in  eine  Schnabel- 
weide der  Dompfaffen,  Flocken  genannt,*)  verwandelt,  die  am  Jahres- 
tage Walthers  eine  Anzahl  weisser  Brödchen  geschenkt  erhielten.  Doch 
mangelt   auch    hievon  eine  urkundliche  Bestättigung ,    es   müsste  denn 


*)  Ulrich  von  Sinffenher/,  der  Trucbsess  von  St.  Gallen,  ein  Schüler  Watthers 
(MS.  IV.  230  ff)  beklagt  Walthers  Tod  in  folgender  Strophe:  „Uns  ist  un- 
seres  Sanges  Meister,  den  man  sonst  von  der  Vogelweide  nannte,  auf 
die  Fahrt,  die  auch  uns  allen  nach  ihm  bevorsteht.  Wie  viel  er  der  Welt 
erkannt  hat,  was  frommt  es  nun?  Sein  hoher  Sinn  ist  kraftlos  worden. 
Wünschen  wir  ihm  nun  um  seines  werthen  höfischen  Sanges  willen,'  da  ihm 
seine  Freude  entschwunden  ist,  dass  sein  der  süsse  Vater  mit  Gnaden  pflege.^ 

*)  Ren  SS  S.  13»  —  Der  bjstor.  Verein  von  Unterfranken  setzte  dem  Dichter 
ein  Denkmal,  welches  am  25.  August  1843  enthüllt  wurde.  Vgl.  Album  für 
die  Inauguration  des  Denkmals  etc.  Wirzburg  1843.  —  Eine  Handschrift  von 
Walthers  Liedern,  welche  der  Universitätsbibliothek  zu  Wirzburg  gehörte, 
verkaufte  der  frühere  Bibliothekar  Feder  nach  England.  (Mittheilung  von 
Dr.  Kar!  Roth.  3(.  VIII.  59) 

')  In  dem  Bilde  der  Weingartner  Liederhandschrift  ist  weder  Helm  noch  Schild 
beigegeben.  -Auch  Uhland  zweifelt  an  der  adeligen.Herkunft  Walthers. 

*)  Oberthür  Minne-  und  Meistersänger  aus  Franken.  1318.  S.  29, 


470 

Walthers  Jahrtag  mit  auf  den  7.  Oktober  gefallen  sein ,  an  welchem 
Tage  zu  Ehren  des  Miterbauers  Bischof  Adalbert  unter  alle  Kapitolan) 
und  Vicare  eine  Semmelspende  gereicht  wurde. 

Simrock*)  hat  seine  Lieder  als  Frauen-,  Herren-  und  Got- 
tesdienst zusammengefasst  und  diese  Bezeichnung  ist  im  hohen  Grade 
treffend.  Was  immer  nur  an  Minnelust  und  Minneleid  durch  das  Herz 
eines  Dichters  ziehen  kann,  das  hat  er  im  reichsten  Grade  empfunden 
und  erlebt,  und  diese  Zustände  und  Geföhle  schildert  er  mit  der  zar- 
testen Reinheit  und  innigsten  Klarheit;  eine  rührende  Unschuld  und 
heitere  Naivetät  tönt  aus  seinen  Liedern,  dass  er  mit  keinem  seiner 
Zeitgenossen  verglichen  werden  kann.  Platen  sagt,  um  sein  ganzes 
Lob  gebührend  zu  schreiben,  müssten  Paradiesesvögel  ihre  Kiele  spen- 
den! Ein  hoher  Adel  und  eine  Tüchtigkeit  seiner  Anschauungsweise 
übergoldet  seine  Sprüche;  er  ist  nie  gemein,  selbst  wenn  er  an  die 
schmale  Grenze  der  Sinnlichkeit  geräth,  wie  ^unter  den  Linden^  und 
an  der  wunderklareu  Stelle,  wo  er  die  Geliebte  im  Bade  belauscht, 
'  auch  da  ist  er  rein  und  unverletzend,  und  «ntwischt  ihm  je  mal  etwa 
ein  Zötelein,  so  ist  es  zart  und  unanstössig,  dass  es  ein  sehr  eingeweih- 
tes Vetständniss  der  damaligen  Sprechweise  erfordert,  um  den  zwie- 
falligen  Sinn  zu  entdecken. 

Sein  Minneleben  ist  ein  duftiger  Garten  voll  Lilien  und  Roseo, 
seine  Sprache  voll  untadeligen  Wohlklanges,  sein  Reim  von  mustergil- 
tiger  Strenge,  sein  Singen  durchweg  ^hovelidh**;  er  ist,  wie  wir  heot 
zu  Tage  sagen  würden,  ein  Mann  vom  feinsten  Ton  und  von  vollendeter 
Lebensart  im  besten  Sinne  des  Wortes.  Wie  kannte  Walther  das 
weibliche  Herz !  mit  allen  seinen  Schattirungen ,  vom  zartesten  SefaneD 
und  Schwellen  bis  zum  schwersten  Minneleid  (113,  31  ff.),  denn  sogar 
in  jener  *Zeit,  als  sein  Glück  in  höchster  Blüthe  stand  und  er  ein 
hohes  Weib  in  Liebe  trug,  verging  ihm  nie  ein  halber  Tag  in  ganzen 
ungetrübten  Freuden  (42,  7.)  Er  selbst  schildert  sich ,  dass  er  gerade 
nicht  der  allerschönste  sei  (ich  bin  aller  manne  schoenest  niht.  115,36), 
mein  Gesicht  ist  nicht  absonderlich  wohlgethan  (wie  stät  mir  min 
houbet!  dazu  ist  niht  ze  wol  getan.  116,  5.),  ein  klein  wenig  feines 
Benehnlen  (ein  lützel  fuoge)  glaubt  er  zu  besitzen,  sonst  aber  ist  seine 
Schönheit  nur  ein  Wind;  weiss  Gott,  was  Wunders  und  Zaubers  die 
Frauen  an  mir  ersehen  haben!  Dass  er  jedoch  eine  Frau  zu  seinem 
liebeigenen  Weibe  errungen  hätte,  ist  nicht  zu  erweisen.     Er  war  weit 


')  Die  Gedichte  Waltbers  v.  d.  V.  übersetzt  und  erläutert  von  K.  S im  rock 
und  W.  Wackernage!.  Berlin  1833  2  Thie.  2.  Aufl.  1852.  Eine  nnge- 
niessbare  Uebertragung  erschien  von  Koch.  1848  und  eine  ähnliche  voo  G. 
A.  Weiske;  Halle  1852. 


471 

' • 

heramgefabren  auf  unrohigea  Wanderzügen,  sagt  er  ja  doch  selbst, 
dass  er  von  der  Elbe  bis  an  den  Rhein  gekommen  und  dass  er  von 
der  Seine  bis  an  die  Mar,  und  vom  Po  bis  zur  Trave  und  bis  nach 
Ungarn  hinab  (56,  38),  die  deutschen  Frauen  aber  als  die  besten  in 
der  Welt  erkannt  habe.  Als  er  spät  am  eigenen  Herde  zur  Ruhe  kam, 
war  er  wohl  zu  alt  und  gebrechlich,  als  dass  er  es  noch  gewagt  hätte,  ' 
zur  Ehe  zu  greifen,  wenn  er  gleich  den  schönen  Weibenr  bis  an  sein 
Ende  hold  verblieben. ') 

Was  seinen  Herrendienst  betriflft,  so  möchte  sich  bei  genauerem 
Zuschauen  wohl  bisweilen  einige  Unstetigkeit  ergeben,  trotzdem  ist 
er  immer  nobel  und  fein,  selbst  da,  wo  er  um  „Milde**  heischen  muss; 
ging  es  ihm  auch  noch  so  übel,  so  nahm  er  doch  nie  ein  getrage- 
nes KJeid  (63,  3)  und  wendete  sich  mit  Unmuth,  wo  die  „Fahrenden** 
habsüchtig  zudrangen  und  mit  vollen  Händen  empfangen  wurden.  ^  So 
oft  er  sich  auch  enttäuschte ')  und  manchen  Mann  half  von  der  Noth 
(120,  35),  der  es  ihm  dann  übel  entgalt,  so  spielte  ihm  doch  sein 
Poetenherz  wieder  einen  neuen  Streich  und  er  zog  mit  leerem  Seckel 
weiter.  —  Seine  politische  Meinung  von  Kaiser  und  Reich  ist  eine 
grosse  und  schöne;  er  war  der  erste  Dichter,  der  mit  ungetrübter 
Ruhe  und  schneidendem  Ernste  über  das  Liebeslied  hinausging  und 
rathend,  warnend  and  strafend  seine  Stimme  erhob  im  politischen  Ge- 
triebe des  Tages,  der  die  Leiden  seines  Volkes  fühlte  und  den  Muth 
hatte,  Fürsten  Lehren  zu  geben ')  und  seine  Sprüche  gegen  diejenigen 
zu  schleudern,  welche  er  als  die  Urheber  der  Zwietracht  hasste.  Freilich 
war  er  nicht  frei  und  zum  öftem  richtete  sich  sein  Lob  und  Tadel  erst 
nach  der  Freigebigkeit  oder  Kargheit  des  Gebers^  oftmals  folgte,  wie 


>)  Weiske  im  Weimar.  Jahrbuch.  1851.  1.  357  fT.  glanbt  in  Walthers  Leben 
seien  zwei  Liebesverbiltnisse  nachweisbar,  das  eine  zu  einer  Jungfrau  nie-- 
deren  Standes,  das  andere  zu  einem  verbeirathelen  Weibe  hoben  Standes. 
Doch  ist  der  Versuch,  alle  Lieder  um  diese  beiden  Gestalten  zu  fruppiren 
und  der  daraus  gefolgerte  Roman  (S.  362—68)  etwas  zu  gesucht  und  gewagt. 

')  ich  bin  ein  wunderlicher  man 
daz  ich  mich  selben  niht  enkam 
verstau  und  mich  so  vil  an  frömde  liute  Iftze.  104,  26. 

^}  z.  B.  Ihr  Fürsten,  tugnet  eure  Sinne  mit  reiner  Güte, 

seid  gegen  Fremde  sanft,  gegen  Feinde  tragt  ein  Hocbgemüthe, 
stärket  Recht  und  danket  Gott  der  grossen  Ehren, 
dass  mancher  Mensch  sein  Leben  und  Gut  muss  euch  zum  Dienste  kehren: 
seid  milde,  seid  friedvoll,  lasst  in  Würde  euch  schauen, 
so  loben  euch  die  reinen,  süssen  Frauen. 
Scham,  Treu\  Erbarmen,  Zucht,  die  sollt  ihr  gerne  tragen ; 
minnet  Gott  und  richtet,  was  die  Armen  klagen, 
glaubt  nicht,  was  euch  die  Lügenmäuler  sagen, 

und  folget  gutem  Rathe,  so  möget  ihr  im  Himmelreiche  bauen  (wohnen). 

36,  11  ff. 


472 

es  das  fahrende  Leben  mit  sich  bringt,   der  Flach  oder  die  spottende 
Stichrede  erst  aus  der  sicheren  Frt^istätte  bei  behäbigeren  Herren,  die 
lebten  und  leben  Hessen,   bisweilen  kämpfte   er  auch  mit  Nebelbildem 
und  stand  im  zweifeligen  Wahne  seiner  Zeit  befangen;  aber  sein  Sinn 
war  immer  gut  und  der  Wurf  gross,   sein  Blick  klar  und  viele  seiner 
Genossen   an  Takt  und  Schärfe  überragend.     Walther  war  durchweg 
Ghibelline,  wie  nach  ihm  Dante^  indem  er  neben  dem  heftigsten  Zorne 
gegen   den  Pabst   die  frömmste  Gottesminne  sang.     Es  empörte  sein 
innerstes  Gemüthe,   dass  die  Päbste  im  Interesse  der  welschen  Nation 
die  deutsche  zu  zerreissen  bemüht  waren , ')  aber  auch  die  weltlichen 
Fürsten  befriedigten  ihn  nicht,  er  erkennt,  dass  es  ihnen,  dem  gewal- 
tigen Innocenz  gegenüber,   an  Genie  gebrach.     An   den   Kleinen  rügt 
er  überall,  dass  sie  g^rn  des  Kaisers  los  seien,   um  vom  Reich  weg- 
zuraffen, was  jeder  einzelne  vermöchte.  So  in  der  Strophe  (29,  15  ff.) 
wo  er  die  geheime  Freude  der  deutschen  Fürsten  züchtigt,  als  sie  ver- 
nommen, Friedrich  IL  wolle  zum  hl.  Lande  fahren  (Kristes  reise  varn)' 
„Ir  fürsten,   die  des  küneges  gerne  waeren  äne,   ir  sult  in  stne  straze 
varen  lan; 

belibe  er  dort,  des  got  niht  gebe,  s6  lachet  ir; 

kom  er  uns  friunden  wider  heim,  so  lachen  wir!^ 

•  Die  Stühle,  auf  welchen  sonst  Weisheit,  Adel  und  Alter  gewaltig- 
lich  sassen,  stehen  leer  (102,  6),  desshalb  hinket  das  Recht  und  trauert 
die  Zucht  und  siechet  die  Scham.  Viele  Herren  sind  wie  die  Gaukler 
rgougelaere),  die  Taschenspielerei  treiben  (37,  34  ff.),  der  spricht:  Sich, 
was  ist  unter  diesem  Hute?  du  hebst  ihh  auf,  da  steht  ein  wilder 
Falke ;  thu*s  noch  einmal,  so  bläht  sich  ein  stolzer  Pfou  darunter,  zmn 
dritten  male  ist*s  ein  Meerwunder,  am  Ende  aber  ist*s,  so  oft  man  es 
auch  wiederhole,  immer  nur  die  alte  Krähe.  Ich  kenne  deine  falschen 
Gaugelbüchsen,  war*  ich  dir  ebenstark,  ich^  schlüge  sie  dir  an^s  Haupt! 
—  Walther  rügt,  den  üebermuth  und  die  Zuchtlosigkeit  der  Pfaffen 
(10,  25),  die  ihm  gleich  widerlich  sind,  wie  die  Mannweiber  und  wei- 
bischen Stutzer:  ^manllchiu  wtp,  wfplfche  man,  pfofliche  ritter,  ritter- 
liche pfaffen,  alte  junch^rren  und  junge  althörren**  (80,  20u.  9,  16  ff.)» 
kurz  das  ganze  altkluge,  vornehm  sein  wollende  Gesindel. 

Seine  Hand  ballt  sich  aber  nicht  allein  zum  Zorne,  sondern  faltet 
sich  auch  im  innigen,  heilig  frommen  Gebet;  seine  Marienlieder,  der 
wundersame  Leich  auf  die  hl.  Jungfrau  und  das  Kreuzlied  zeigen  von 


*)  W.  Mendel  D.  D.  I.  333.  —  Vgl.  auch  deo  Aufsatz  von  Barthel:  ^Die 
Opposition  gegen  die  Hierarchie  in  der  deut  Lit.  des  XI11.  Jahrb.  in  der 
Zeitschrift  f.  bistor.  Theologie.  1845  und  L.  £rnst  S.  47  ff. 


473 

seiDer  Religiosität  nnd  überrascheDden  Tiefe.  Wie  schön  heisst  es  von 
dem  kleinen  Krist,  der  in  der  Krippe  liegt  rj^'^g^i'  mensch  ont  alter 
got**  (24,26)  und  von  der  Engelkönigin,  deren  reiner  Leib  Den  umfing, 
Den  Höhe,  Breite,  Tiefe,  Länge  nie  umgreifen  mochte  „er  ist  dfn  kint, 
dtn  vater,  unde  dtn  schepfäere**  (36,  25).  Wie  selig  ist  er,  seit  er  das 
Land  darinnen  Grott  viel  menschlich  inne  ging,  selbst  gesehen;  wie 
ernst  rastet  er  sich  zu  seiner  Fahrt  in  die  ewigä  Heimath.  Er  ist,  wie 
ein  neuer  Dichter  von  ihm  sagt,  *)  treu  und  rein  wie  eine  Taube,  mit 
scharfen  Falkenkrallen  fiir  das  Schlechte  und  süss  singend  wie  Amsel 
uqd  Nachtigall:  das  sind  die  Vögel,  die  Herr  Walther  weidet!  Dabei 
ist  er  bescheiden  und  sinnig  wie  er  sich  selbst  darstellt  in  einem  Liede 
(8,  4  ff.),  wo  er  mit  überschlagenen  Beinen,  das  Haupt  und  die  Wange 
in  die  Hand  gestützt,  d^itzt,  denkend,  wie  man  Ehre,  fahrendes 
Hab  und  Hut  und  Gottes  Huld  zugleich  erwerben  könne,  ohne 
dass  Eines  durch  das  Andere  Schaden  leide.')  (8,  4. ff.) 

So  liegt  denn  Walthers  Leben  vor  uns,  vom  Anfang  bis  zum  Ende 
spiegelklar  ausgebreitet,  fürwahr  ein  herrliches  Leben,  von  dem  er 
getrost  selbst  sagen  mochte,  es  gebe  nichts  besseres,  als  wenn  man 
sich  bis  zum  Ende  bewähre,')  und  worauf  das  eigene  Wort  im  vollsten 
Grade  anzuwenden:  „sin  lop  ist  nicht  ein  lobelin!^  (35,  3.) 

Nächst  Walther  ist  Reinmar  von  Zweter  unstreitig  der  be- 
deutendste unserer  politischen  Dichter  dieser  Zeit.  Seine  Wirksamkeit 
fiel  damals  aber  nicht  nach  Bayern;  von  Geburt  ein  Rheinländer,  in 
Oesterreich  gebildet  und  erzogen,  lebte  er  zu  Prag,  von  wo  er  wieder 
an  den  Rhein  ging ;  nur  sein  Grab  ist,  mit  Verschiebung  der  Gränzen  an 
Bayern  gekommen.*)  Leopold  Homburg  von  Rotenburg  (an  der  Tauber), 
der  in  der  Mitte  des  XIV.  Jahrh.  einen  Spruch  „von  den  altc^  Singern" 
machte  und  in  der  Wirzburger  Liederhandschrift  dicht  hinter  Walther 
nnd  Reinmar  folgt,  hat  uns  die  Nachricht  überbracht,  dass  „Reinmar  von 
Zwetel  an  dem  Rheine"  zu  Franken  in  Esfeld  begraben  liege.  Nun  gibt 
es  drei  Ortschaften  dieses  Namen,  alle  im  heutigen  Kreise  von  Unter- 


0  Johannes  Schrott  DichtnngeD.  1860.  S.  113. 

*)  So  haben  ihn  anch  die  Pariser-  und  die  Weingartner  Liederhandschrift  ab- 
gemalt;  ebenso  Gassen  im  neuen  Königsbau  zu  Mönchen.  Vgl.  Kunst- 
blatt. 1836.  Nro.  11  und  Raczynski  Gesch.  der  neueren  deutschen  Kunst. 
1840.  II.  236.  £in  „Bildniss"*  Walthers  gibt  der  Berliner  Musenalmanach 
von  M.  Veilh  f.  18dl. 

')  ezn  wart  nie  lobeltcber  leben 

swer  so  dem  ende  rehtä  tuot.    (67,  6.) 

4)  V^l.  Uhland:  'Walther.  S.  109.  Hagen  IV.  487.  Wackernagel  8.  210. 
Gödeke  Grandriss.  S.  40. 


474 

franken  und  Aschaffenborg ;  eines  im  Landgeridht  Ochsenflirt,  westlich 
von  dieser  Stadt,  die  beiden  anderen  im  Landgerichte  Königshofen, 
unweit  der  Gränze  von  Sachsen-Meiningen,  an  der  kleineren  Qoetie  der 
fränkischen  Saale«  Welches  jedoch  von  dieisen  dreien  unserem  Dichter 
die  letzte  Rast  gewährte ,  konnte  trotz  der  verschiedensten  Anfragen 
und  Erkundigung  nicht  in  Erfahrung  gebracht  werden. 

Sicherer  ist  uns  fierr  Albreht  von  Johansdorf.   Die  Familie 
kommt  zuerst  in  Baraberger  Urkunden  vom  Jahre  1172  und  1188  und 
bald    darauf  auch   in  Passau  vor,   wo    1201    ein  Albrecht  unter  den 
Ministerialen  des  Bischof  Wolfk er  und  1204  als  Zeuge  unter  demselben 
Bischöfe  erscheint,    dessgleichen  1209  in  einer  Urkunde  des  Passauer 
Bischofs  Manegold;    derselbe  Name  kehrt  in   Passauer  Urkunden  von 
1247,  1253  und  1256  wieder.')  Da  die  Weingartner  Liederhandschrift 
sein  Wappen   vergass,    so  hat   der  Maler  der  Mänessen   ein  solches 
nächgetragen,    welches  jedoch  dem  bekannten  bayerischen  Greschlecht 
nicht  zukommt.  Der  Maler  hat  sich  den  Sänger  jugendlich  gedacht;  in 
der  Weingartner  HS.    geloben    sich   die   Geliebten    mit   aufgehobenen 
Händen  ihre  Treue,  in  den  Mänessen  findet  ein  ^umbefahen  und  trio- 
ten^  ein  Umarmen  und  Kosen  statt,')  das  Fräulein,  in  einem  mit  Pelz 
gefurrierten  Mantel,    hat  ihren  Arm  um  seinen   Nacken  geschlungen, 
seine  Rechte  streicttelt  ihr  Wängelein. 

Der  Sänger  hat  einen  Kreuzzug  mitgemacht,')  entweder  die  Meer- 
fahrt Herzog  Leopolds  1217  oder  Kaiser  Friedrich  H.     ^Ich  hän  dnr 


»)  Hpl.  267.   Hagen  IV.  252-54  u.  757. 

*)  Hagen  V.   11  u.  J253.    s.  Lieder  bei  Hpl.  86  —  95.    Hagen  I.  321-25 
UI.  329. 

^)  Vgl.  dazu  diese  merkwürdigen  Strophen  bei  Hagen  I.  322  (IV.  1.  2): 
Die  hinnen  ziebn,  die  sagen  durch  GoU 
dass  Jeriisolem  der  reinen  Stadt  und  auch  dem  Lande 
Hilfe  noch  nie  nöthiger  ward. 
Die  Klage  wird  der  Dummen  Spott, 
sie  sprechen  Alle,  war**  es  unserm  Herren  ande  (ärgerlich) 
er  rächte  es  ohne  ir  aller  Fahrt. 
Nun  wollt  bedenken,  dass  er  litt  den  grimmen  Tod; 
der  grossen  Marter  war  ihm  auch  viel  gar  unnoth, 
nur  dass  ihn  erbarmte  unser  Fall: 

wenn  nun  sein  Kreuze  und  sein  Grab  nicht  will  erbarmen^ 
die  sind  von  ihm  die  saeldenarmen  (d.  h.  sie  verlieren  dadurch  ihr  Heil). 
Nun,  welchen  GIfruben  will  der  han, 
und  wer  soll  ihm  zu  Hilfe  kommen  an  seinem  Ende, 
der  GoU  wohl  hülfe  und  thut  es  nicht? 
So  weit  ich  mich  versinnen  kann,        > 

wenn  ihn  nicht  gar  ein**  ehhaft'  Nolh  davon  erwende,  (daran  hindert) 
so  glaub'  ich,  dass  er's  übersieht,  (mitzuziehen  verachtet) 
Nun  lasst  das  Grab  und  auch  das  Kreuze  ruhig  liegen: 
die  Heiden  wolPn  in  einer  Rede  an  uns  siegen, 
dass  Gottes  Mutter  keine  Maget  sei: 


47& 

got  daz  kriaze  an  mich  genommen  und  vär  d&  bin  durch  mtne  misse- 
t4t;^  Gott  möge  ihn  irieder  glückKch  zartickeführen,  denn  ein  Weib 
hat  desshalb  grossen  Kammer,  würde  sie  sich  unterdessen  von  ihm 
kehren,  so  möchte  er  lieber  ^ verfahren **  (86,  25  ff.);  nie  that  dem 
heil.  Lande  die  Hilfe  mehr  Noth  (89,  23);  er  ist  sich  keiner  ^ös- 
seren  Schuld  bewusst,  die  er  nicht  lassen  will,  als  dass  er  ein  Weib 
über  Alles  in  der  Welt  liebe  (90,  14).  Wer  aber  Minne  minniglich 
trägt  ohne  Falschheit,  das  ist  vor  Gott  keine  Sünde;  für  zwei  treue 
Gelieben  will  er  gerne  zur  Hölle  fahren  (89,  4),  d.  h.  er  ist  sicher, 
dass  er  desshalb  nicht  dahin  komme.  Als  die  „wolgetane^  das  Kreuz 
auf  seinem  Mantel  sah  (87,  13 ff.),  fragt  sie  ihn,  wie  er  das  vereinen 
wolle,  über  Meer  fahren  und  doch  bei  ihr  zu  bleiben?  er  tröstet  sie, 
wer  dem  ^beilegen  grabe'^  helfe  und  falle,  dessen  Seele  werde  „mit 
schalle  ze  himele  keren;^  doch: 

mich  mac  der  tot  von  ir  minnen  wol  scheiden,         ^ 

anders  nieman:  des  hän  ich  geswom. 

em  ist  m!n  vriunt  niht,  der  mir  si  wil  leiden. 

wand'  ich  zeiner  vröide  si  hau  erkom. 

swenne  ich  von  schulden  erame  ir  zom, 

so  bin  ich  vervluochet  vor  gote  als  ein  beiden. 

si  ist  wol  gemuot  und  ist  vil  wol  geborn. 

heileger  gott,  wis  genaedic  un»  beiden! 

— \ 

Er  bittet  die  Minne,  ihn  eine  Weile  sunder  Liebe  zu  lassen:  du 
hast  mir  gar  den  Sinn  benommen,  kommst  du  wieder  zu  mir,  wenn  ich 
die  reine  Gottesfahrt  habe  vollendet,  so  sei  doppelt  willkommen;  willst 
du  aber  nicht  aus  meinem  Herzen  scheiden,  was  voraussichtlich  der 
Fall  sein  wird  (daz  vil  Ifhte  unwendic  doch  geschiht),  so  will  ich  sie 
im  Herzen  mitfuhren ;  er  bittet  Gott  den  halben.  Lohn  der  Geliebten 
zukommen  zu  lassen.  (94,  25  ff.) 

Er  ist  überhaupt  ein  gar  treuherziges  Minnerlein;  schon  von  Kind 
her  hat  er  die  Geliebte  gekannt  und  über  Alles  werth  gehalten;  doch 
hat  es  viele  Kämpfe  und  Mühen  gegeben  und  oftmals  hat  er  „Weh" 
gesungen,  nun  aber  will  er  dem  ein  Ende  machen  und  nur  mehr  „Wohl 
mir**  singen ; ')  es  war  ein  glücklicher  Frühling  und  soll  einen  schönen 
Sommer  geben  (90,  32  ff.),  ganz  im  beliebten  Geschmack  dieser  Singere : 


wem  diese  Red*  nicht  nahe  an  sein  Herze  fälfi, 

weh!  wohin  bat  sich  der  gesellt! 
„ein  ^hafle  not"  ist  ein  recblsgiltiges  Hinderniss  z.  B.  Gefängniss,  Krankheit 
oder  der  Tod  eines  nahen  Verwandten  n.  s.  w. 

')  90,  16.    Vgl.  dazu  Walther  v.  d.  V.  125,  10.      • 


476 

Wlze  r6te  rösen,  Uäwe  blaomen,  grüene  gras, 
brdne  gel  nnd  aber  rot,  dar  zno  des  kldwes  blat, 
von  dirre  varwe  wunder  ander  einer  linden  was. 
dar  üfe  sangen  vögele,  daz  was  ein  schoenia  stat 
karz  gewahsen  bi  ein  ander  staont  ez  schöne, 
noch  gedinge  ich,  der  ich  vil  gedienet  hän, 
daz  si  mir  es  löne. 

Bald  darauf  gab  sie  ihm ,  im  Style  der  französischen  Minnehöfe, 
die  verfängliche  Frage,  ob  es  nicht  unbeständig  wäre,  wenn  ein  Mann 
sich  heimlich  zweien  Frauen  als  eigen  gelobte   und   die  Entscheidung 
lautet  —  es  sei  den  Männern  erlaubt,  den  Frauen  aber  nicht!  (S.  89, 
9 — 20.)  Das  wäre  in  der  ersten  höfischen  Zeit  unerhört  gewesen.  Doch 
muss  der  Dichter  keinen  Gebrauch  davon  gemacht  haben,  er  versichert 
ihr  feierlich,  seine  erste  Liebe  sei  auch  die  liebste  und  letzte,  and  wer 
mehr  miiAe,  wie  so  Mancher,  der  minne  keine,  ob'schon  er  klagt,  er 
wisse  nicht,  von  wem  es  sein  Lehen  sei,  dass  ihm  kein  Hei)  geschehe 
(86, 1 — 24).   Ein  anderes,  kunstvolles  (lied  in  sieben  Strophen  enthält 
ein  verwickeltes  Wechselgespräch,  die  Geliebte,  welche  er  zufällig  alleine 
findet,   beklagt  sich,    dass  seine  süssen  Töne   sie  verleiten  nnd  seine 
Worte  sie  verwunden  wollen,  zuletzt  wird  ihm  doch  Lohn  und  Freode 
verheissen.  (93,  12ff.j  Er  aber  stellt  Alles  ihr  anheim  (91,  15  ff.): 

Der  ich  diene  und  iemer  dienen  wil, 
diu  sol  mine  rede  vil  wol  verstan. 
spraeche  ich  mere,  des  ward  alze  vil. 
ich  wil  ez  allez  an  ir  güete  län. 
ir  genaden  der  bedarf  ich  wol. 
und  wil  si,  ich  bin  vrö; 

und  wil  si,  so  ist  m!n  herze  leides  vol. 

Ein  anderes  Lied  (91,  22 — 35)  ist  eine  strophische  Wechselrede: 
er  sagt,  er  wisse  wohl,  wie  sich  die  Minne  anhebe,  aber  nicht,  wie 
sie  ende,  s  i  e  erwiedert  sehr  inniglich  und  schön : 

Swä  zwei  h^rzeliep  gefriundent  sich 
nnde  ir  beider  minne  ein  triowe  wiit,  ' 
die  sol  niemen  scheiden,  dunket  mich, 
al  die  wile  unz  si  der  tot  verbirt. 

Käme  sie  in  den  Fall,  ihren  Freund  zu  verlieren,  sie  würde  Zeit 
ihres  Lebens  nimmer  froh,  —  Dass  er  auch  in  der  Fremde  ihrer  ge- 
dachte und  ihr  Lieder  sang  auf  der  Gottesfahrt,  geht  wohl  ans  den 
wenigen  Zeilen  (S.  92,  7 — 13)  hervor.  Wer  von  ihr  käme  and  erzähltet 


477 

m  er  auch  nur  ihren  N^men  hörte,  der  könnte  ihn  ein  ganzes 
inm  Ffeonde  haben,  und  hätte  der  auch  Raub  und  Brand  an 
ifibt.  (S.  91,  36  ff.)  Der  grösste  Jubel  einer,  liebeglühenden  Seele 
,  aus  dem  feurigen  Liede,  welches  als  das  schönste  aus  seiner 
poetischen  Hinterlas^nschaft  unvergänglich  bleiben  und  in  seiner 
den  Leichtigkeit  alle  Herzen  erfreuen  wird  (92,  14 ff»): 

Der  al  der  werlte  fröude  g!t, 

der  troeste  mU  gemüete. 

m!n  iröude  an  der  vil  schoenen  l!t 

nach  der  min  herze  wüetet. 

scheide,  frouwe,  disen  strk, 

der  in  minem  herzen  lit, 

mit  reines  wibes  güete. 

Du  nim  daz,  frouwe,  in  dinen  muöt 

und  tuo  genaedeclichen 

gein  mir.  unsanfte  mir  daz  tuot, 

und  sol  ich  von  dir  wichen. 

du  lä,  gein  mir  den  dinen  haz; 

son  mac  mir  niemer  werden  baz, 

wan  in  dem  himelriche. 

Unde  solde  ich  iemer  daz  geleben 

daz  ich  si  umbevienge, 

sd  mües  min  herze  in  fröiden  sweben. 

swenti  daz  also  ergienge, 

so  wurde  ich  von  sorgen  fri 

(ir  genäde  stänt  da  bi), 

ob  si  mir  des  verhienge. 

Diu  Saelde  hdt  gekroenet  mich 

gein  der  vil  süezen  minne. 

des  muoz  ich  iemer  6ren  dich, 

vil  werde  küniginne. 

swenne  ich  die  vil  schoenen  hän,  * 

son  mac  mir  niemer  missegän. 

sist  aller  güete  ein  gimme. 
Geprüevet  hftt  ir  röter  munt 

daz  ich  muoz  iemer  mdre 

mit  fröiden  leben  zaller  stunt, 

swar  ich  des  landes  k6re. 

also  hAt  si  geldnet  mir. 

gescheiden  hat  mich  niht  von  ir 

frou  zuht  mit  süezer  töre. 


478 

Ein  fröhlicher,  muthwilliger  Gesell  ist. Herr  Bernger  von  Hör- 
heim; der  lange  Zeit  für  einen  Westfalen  gelten  musste,  dessen  Familie 
jedoch  in  Bayern  and  Schwaben  sich  finden  lAsst.  *)  Zwar  ist  es  ihm 
nie  absonderlich  gut  ergangen  and  er  schwört  ^daz  niemea  groezern 
kumber  hat  noch  iiiene  wart  so  trdric  man^  (115^  14),  doch  lässt  er 
den  Kummer  nicht  anfkonamen,  sondern  verhüllt  ihn  hinter  allerlei 
Narrentheidinge :  er  glaubt  zu  fliegen,  die  ganze  Welt  sei  sein  eigen,  er 
läuft  so  schnell,  dass  ihm  kein  Thier  entrinnen  könne  •<->  aber  das  ist 
alles  erlogen,  setzt  er  im  B^frain  bei  und  ich  bin  schwer  wie  Blei,  t^on 
der  Minne  ist  ihni  so  lieb  geschehen,  dass  er  seine  Seligkeit  austobeD 
möchte,  er  will  den  grössten  Wald  durchspringen  bis  er  seiner  Freuden 
Herr  geworden,  aber  —  warum  lüge  ich  armer  Gauch,  ich  weiss  gar 
nicht  was  ich  singe;  will  ich  die  Wahrheit  gestehen,  so  ward  mir  nie 
übler  (mir  wart  nie  wirs).  Ebenso  steht  es  mit  seiner  minniglichen 
Herrin,  die  seinem  Kummer  ein  E^de  macht  -^  doch  dauert  auch  das 
noch  Is^nge.  ' 

Vielleicht  hat  er  Gnade  gefunden,  wenigstens  zeigt  eine  Abbildung 
den  jugendlichen  Rftter ,  wie  er  rosenbekr&nzt  und  das  Schwert  in  der 
Hand,  seinem  Fräulein  (welches  ein  Brackelein  im  Arme  trägt)  den 
Abschied  bietet.  >Später  beklagt  er  den  Tod  eines  Königs,  der  König 
Wilhelm  IL  von  Sicilien  und  Apulien  (t  16.  Nov.  1189)  gewesen  sein 
kann;  in  Folge  dessen  König  Heinrich  Vf.  ein  grosses  Heer  nach  Apolien 
sendete,  wobei  Bemger  theil  genommen  haben  soll.  Seine  Lieder  werden 
nach  dem  Ende  des  XII.  Jahrh.  gesetzt,  doch  ist  hingegen  sein  Reim- 
spiel für  diese  Zeit  wieder  zu  künstlich. 

Mit  Neidhart  von  Reuenthal  tritt  die  Lyrik  des  XIII.  Jahrh. 
in  ihren  Wendepunkt.  Pie  Gegeusäte^  scheiden  sich  uugeföhr  um  1220. 

Der  Inhalt  der  älteren  Lieder  ist  den  jüngeren  gegenüber  unstreitig 
der  tiefere  und  ernstere.  Man  fühlt  es  ihnen  an,  wie  das  Gefdhl  der 
Liebe,  welches  sie  besingen,  aus  tiefster  Seele  hervorquillt;  das  oft 
gesagte  in  ihnen  ist  dennoch  wieder  neu  in  dem  neuen  Liede,  weil  es 
aus  unmittelbarer  Empfindung  heraus  so  zart^  so  innig  erlebt  gesungen 
wird.  Nirgends  tritt  dieses  sichtlicher  hervor,  als  in  Wolframs  Lie- 
dern, nirgends  ist  es  zu  so  künstlerischer  Durchbildung  gekommen,  als 
bei  Walther;  Reinmars  schwermüthige  Klagen,  auch  Botenlao- 
bens  ernste  Abschiedslieder  haben  diesen  Charakter,  selbst  der  leicht' 
müthigere,  sinnliche  Gottfried  von  Strassburg  macht  keineAns- 
nähme,  wie  denn  auch  sein  ^Tristan,  ^  von  dem  unergründlichen  Zauber 


*)  Hpt.  275  u.  112-15.  Hagen  1.  319-81.  IV.  251-^2. 


479 

durchglüht,  eben  dieses  nie  befriedigte  immer  von  neuem  und  immer 
unwiderstehlicher  heraufdringende  sehnsüchtige  Ringen  darstellt.  Die 
ganze  Zeit  aber  bietet  uns  das  Bild  eines  unglaublich  rasch  anschwel- 
lenden Aufblühens  und  eines  eben  so  schnellen  Absterbens.  Wie  ernst 
hat  schon  Walther  über  den  Verfall  der  Zucht  und  die  überha^dneh- 
mende,  wuchernde  Sittenverderbnisa  zu  klagen.  Wie  schnell  das  in 
seinem  Keim  so  heimlich  zarte  Wesen  der  Minne  zur  alltäglichen  Ge- 
meinheit sich  hinneigte,  beweist  sehr  anschaulich  das  Frauen-Buch  des 
Ulrich  von  Lichtenstein,  der  als  de{  Literaturhistoriker  des  Minne- 
liedes überhaupt  hingestellt  werden  könnte.  Die  Lyrik  hielt  sich,  wie 
wir  an  den  später  folgenden  Namen  sehen  werden,  noch  länger  auf  der 
feineren  Höhe,  nebenbei  aber  weicht  doch  bereits  die  Tiefe  der  Em- 
pfindung und  es  tritt  eine  leichtere,  leichtsinnigere  und  sogar  gemeine 
Lebensanschauung  uns  entgegen.  Die  Gefühle  werden  nun  mit  mehr 
schillernden  Farben  gemalt,  aber  in  demselben  Maasse  geht  die  wahre 
Innigkeit  verloren.  Die  Klagen  scheinen  nur  noch  auf  der  Oberfläche 
der  Gefühle  zu  spielen  und  die  Dichter  spielen  conventioneil  damit;  sie  ' 
hören  auf  uns  wirklich  zu  rühpen  und  bald  ftihlt  man  nur  mehr  ein 
lästiges  Einerlei. ') 

Neidhart  (1217—45)  ist  nun  eigentlich  so  recht  der  natürliche 
Sohn  des  alten  Minnedienstes,  er  {st  die  gross  gewordene  Jugendsünde 
des  poetischen  Frauencultes,  seine  Poesie  trägt  den  Makel  unehelicher 
Abkunft.  Ich  nehme  auch  keinen  Anstand,  ihm  eine  ähnliche  persön- 
liche Descendenz  zuzumuthen.  Er  ist  kein  Ritter,  aber  voll  aristokra^- 
ti^hen  Zornes  über  die  Bauern,  deren  schöbe  Weiber  und  Töchter 
jedoch  nur  für  ihn  geschaffen  scheinen;  er  ist  kein  Ritter,  aber  doch 
halbadeliges  Blut,  «in  falscher  Spross,  der  mit  einem  Maierbofe  abge- 
speist wurde ,  in  dem  aber  die  alte  Natur  steh  regte  und  der  desshalb 
nie  mehr  ganz  ins  L^ben  passte.  Er  hat  ein  kleines  Gut,  das  Riuwen- 
thal  heisst.  Ein  solches  findet  sich  bei  Vilsbiburg  oder  Landshut,  auch 
bei  Braunau;  das  erstere  möchte  ihm  am  sichersten  zuerkannt  werden. 
Zwar  war  man  früher  geneigt,  selbes  als  ein  höchst  ideales  Besitzthum 
zu  betrachten,  zumal  da  der  Sänger  selbst  ein  Wortspiel  damit  macht,*) 
man  stellte  es  mit  dem  Freudenthal  im  jüngeren  Titurel  und  mit 
Hadlaub*s  Siuftenheim  und  Sorgenrein  als  allegorischen  Witz 


*)  Vgl.  die  schöne  Darstellung  Liliencrons  in  Haupts  Zeitschr.  VI.  112. 

*)  Ausgabe  von  M.  Haupt.   1B58.    5,  32  ff.:    ,,Swie  Riuwental  mtn  eigen  st, 
ich  bin  doch  diesen  «umer  aller  rtitner  sorgen  frt.^  -     Später  41,  32  ver- 

S eicht  er  in  einer  (trotz  Haupts  Erklärung  S.  146)  immer  noch  nnferstfind- 
;ben  Weise,  sein  Riuwenthal  mit  Siena.  ~  H^gen  IV.  437.    Wacker- 
nagel  in  Pfeiffers  „Germania^  V*.  318. 


480 

zofiammen;  docl)  warum  sollte  es  in  demselben  Lande,  wo  es  eine 
Vogelweide. mid  Sehn  abelweide  gab,  wo  Herren  von  Sälden- 
hoven  lebten  und  sp&ter  sogar  ein  Nymphe nbnrg  und  Bretzen- 
heim  existirte,  nicht  auch  damals  schon  ein  Reuentbai  gegeben 
haben,  zuknal  wenn  der  Name  als  mehrfach  vorkommend  heute  noch 
belegt  werden  kann.  Er  trieb  sich  eine  gute  Zeit  in  seiner  Heimath  und 
wahrscheiqlich  auch  am  Hofe  zu  Landshut;  aber  er  machte  es  zu  bunt, 
verthat  seine  Habe  und  vermochte  sich  der  mit  Recht  erzfimten  Nach- 
barschaft gegenüber  nicht  mehr  zu  halten,  so  wanderte  &r  nach  Oester- 
reich,  wo  es  ihm  anfinglich  sehr  gut  gegangen  zu  haben  scheint,  docb 
verdarb  er  sich  auch  hier  das  Spiel  und  kehrte  in  seinen  alten  Tagen 
nach  Bayern  zurück. 

Von  keinem  der  gleichzeitigen  Dichter  sind  uns  so  viele  Lieder 
erhalten,  wie  von  ihm,  keiner  genoss  einer  solchen  Popularität.  In  letz- 
terer Beziehung  wäre  er  dem  obderennsischen  FranzStelzhammer 
zu  vergleichen;  Beide  drangen  so  in  das  Volk,  dass  sie  einer  ganzen 
Gattung  von  Tänzen  und  Weisen  ihren  Namen  gaben;  wo  jetzt  noch 
im  Lande  ob  der  Enns  zur  Zither,  zunfWeinglase  oder  zuin  Tanze  ein 
naturgetränktes  .kräftiges  Lied  ersQhallt,  sei  es  von  welchem  Verfasser, 
es  heisst  ein  ,.Stelzhammer.^ ')  In  gleicher  Weise  galten  damak  die 
Ntd harte  als  die  beliebtesten  Reihen  im  Volke;  den  ^Knappen  von 
Reuenthal^  traf  dabei  nur  das  Unglück,  dass  eine-  Unzahl  voii  Liedern 
auf  seinen  Namen  kam  und  dass,  da  er  in  diesem  Artikel  allerlei  ge- 
leistet hatte,  gerade  das  Aasgelassenste  und  am  meisten  Unflätige  unter 
seiner  Firma  lief.  Zuletzt  wurde  mit  ihm  noch  ein  späterer  Ritter  ver- 
wechselt, Herr  Nit hart  Fuchs,  der  am  Hofe  Otto  des  Fröhlichen 
(f  1339)  lebte  und  am  Singerthore  der  Stephanskirche  zu  Wien  be- 
graben liegt,  dessen  Schwanke,  ganz  im  Style  des  ^Pfaffen  vom  Kalen- 
berg^  zu  Wien  1568  erschienen.*)  Erst  Ben  ecke,  und  nach  ihm 
Wackernagel')  und  zuletzt  M.  Haupt  haben  die  ächten  Lieder  nach 
Möglichkeit  ausgeschieden.  Was  von  ihnen  dem  höfischen  Gesänge  an- 
gehört, ist  von  einer  couventionellea  Oberflächlichkeit  des  G«f&hles 
nicht  freizusprechen;  Niemand  wird  die  Minne^trophen  der  Winter- 
lieder sehr  tief  oder  ergreifend  finden.   Desto  höher  steht  er  dagegen 


*)  Vergl.  H.  Lorm  Wiens  poetische  Schwingen  und  Federn.  Leipsif  1847. 
S.  215. 

')  Dieser  mnsste  für  den  Dichter  herhalten,  wie  sein  arg  verstümmeltes  Grab- 
mal bezeugt:  eine  liegende,  männliche,  schwertumgürtele  Gestall,  mit  spitser 
Mütze,  zu  den  Füssen  ein  Löwe,  das  Wappenschild  mit  einem  Fuchs  zur 
Seite;  das  Gesiebt  ist  rachsüchtig  abgeschlagen. 

')  In  Hagen s  Minnesingern.  Vgl.  VL  436-42. 


481 

in  den  Frflhlingsliedern,  mit  denen  er  sicherlich  auf  das  Volk is- 
lied  von  höchstem  Einflösse  war. 

Die  FrQhüngslied^r  sind  insgesammt  zn  Reigen  und  Tanz  gesangen. 
Sie  entsprechen  der  uralten  Maifeier  und  ihrer  wonnigen^  Lust:  Alles 
jauchzt  der  erwachenden  Natur  entgegen,  man  zieht  hin  unter  die 
Linde,  tritt  an  den  Reihen  und  springt  ihn  dann:  einer  heisst  der 
krumme  Reihen,  wobei  die  Tanzenden  zeitweise  insgesammt  hinken 
(60,  29),  auch  gibt  es  einen  Hoppeldai  und  Troialdei,  welcher 
, selbe  zweifle^  getanzt  wird,  ein  anderer  heisst  Wanaldai  (65,  38) 
und  «treirös^  ein  Tanzlied  (48,  20);  Drei  geigen  dazu  und  der  Vierte 
pfdft  (63,  30)  die  Tanzlustigen  haben  eigene  Vortänzer: 

Randolt,  Gunthart,  SSbant,  Walfrit,  VrSne 

die  Sprüngen  da  den  reien  vor,  ie  einer,  dar  nAch  zw6ne. 

deis  Diethöch  Uolant  unde  Jednnc 

sprang  da  mangen  geilen  sprunc, 

an  des  hant  spranc  Eldne  (31,  35  ff.) 

Insbesondere  aber  sind  es  die  Mägdelein,  die  schmucken,  über- 
müthigen  Bauerndirneii,  die  dem  von  Reuenthal  zulaufen  und  an  seiner 
Hand  den  Reihen  springen  wollen;  wie  er  seine  Lieder  erhebt  eilen, 
fliegen  ihm  alle  Herzen  zu,  die  Mägde  geben  ihm  ihre  Kränzel  und  was 
sie  sonst  haben,  dass  er  sie  seine  „geilen  Sprünge^  lehre.  Und  sie 
lernen  seine  hohen  Sprünge,  obwohl  manche  Mutter  warnt:  Sprünge  wie 
man  die  Mägde  zu  Bette  trägt  (S.  23),  worauf  später  immer  die  Wiege 
folgt  Aber  Alle  sind  verblendet  und  vernarrt  in  ihn,  er  bezaubert  sie, 
wie  der  Rattenfänger  von  Hameln,  dass  sie  ihm  blindlings  folgen  und 
bisweilen  verliert  selbst  eine  ehrsame  Matrone  noch  den  Kopf.  Gleich 
das  erste  Lied  (3,  1 — 21  und'Simrock  S.  280)  ist  so  ein  Genrebild: 
die  Alte  springt  wie  ein  Kitzlein,  sie  will  an  die  Hand  des  Knappen 
von  Reuenthal;  vergeblich  opponirt  die  Tochter,  die  Mutter  aber  be- 
hauptet ohne  ihn  nicht  leben  zu  können;  eine  andere  (4,  31)  thut 
es  noch  allen  Jungen  zuvor,  obwohl  sie  schon  Tag  und  Nacht  mit  dem 
Tode  gerungen  hatte.  Meist  steht  doch  die  Mutter  zurück,  aber  er  muss 
sich  höchst  liebenswürdig  zu  machen  gewusst haben,  so  klagt  z.B.  eine: 

liebiu  muoter  h^re 

nftch  mir  so  klaget  er  sere, 

sol  ich  im  des  niht  danken? 

er  spricht  daz  ich  diu  schoenste  si 

von  Beiem  unz  in  Vranken.  (4,  30.)  — 

.   Heide I  Anger  und  Wald  stehen  in  Freuden,  sie  haben  ihr  bestes 
Gewand  angezogen  (diu  habent  sich  bereitet  mit  ir  aller  besten  wAt)« 
P  31 


482 

die  ihnen  der  Mai  ge^iracht;  der  Mai  hat  sogar  ^brieve^  (23,  11)  ge- 
sendet (ein  damals  bei  den  Geisslem  und  vorhergehend  in  den  Kreoz- 
zügen  sehr  beliebter  Artikel),  die  Jedermann  hören  kann,  wer  da  will: 
^Seien  wir  Alle  froh  mit  Schalle :  der  Sommer  ist  in  die  Lande  gekom- 
men. Nun  ans  den  Stäben  ihr  stolzen  Kind !  lasst  euch  auf  der  Strasse 
sehen!  hin  ist  der  scharfe  Wind  und  auch  der  viel  kalte  Schnee;  hebt 
euch  balde  zu  dem  Walde,  wo  bereits  die  Vögelein  singen,  denen  ehe- 
bevor  wehe  war.     Legt  gleichfalls  euer  bestes  F^iergewand  an   und 
schauet  hinaus,  um  auf  der  Aue  die  Blumen  zu  brechen.^  (5,  8 — 31.) 
Dass  dieses  häufig  im  Sinne  des  6öthe*schen  ,,Rö6lein  auf  der  Baiden* 
geschah,  könnte  man  schon  aus  Walt  her  vermuthen,  Neidhart  aber 
sagt  es  ganz  unverblümt  heraus  und  gebraucht  dabei  noch  zotige  Bilder 
zum  Ueberfluss.     Seine  Lieder  wetteifern  an  Uebermuth,  der  Lenz  nift 
zum  Reihen  (reiet  da  die  bluomen  sint)  und  die  Dimlein  sind  um  keineü 
Preis  zurückzuhalten,  sie  springen  klafterlang  (7,  6);  vergeblich  warnt 
die  Mutter  vor  dem  Maulmacher  (trüger) ,  der  ihr  nur  zu  einer  Wiege 
verhelfe;    das  Töchterlein  meint  aber,   dass  eben  desshalb  die  Weiber 
da  wären;   die  Mutter  greift  zur  Züchtigung  der  Widerspenstigen  nach, 
einem  Rechen,   den  ihr  aber  das  Kind  entwindet:   da  gab  es  Stösse! 
Und  würde  man  ihr  die  Füsse  zusammenbinden,  sie  käme  doch  hinaus, 
sagt  eine  andere,  und  rauft  sich  mit  der  Mutter,  dass  es  ein  Loch  in 
den  Aermel  gibt. 

Der  Wald  hat  seinen  Kram  für  d^n  Mai  aufgeschlagen  (9,  25), 
die  Königin  Minne  erscheint  ganz  höfisch  und  verwundet  (wie  Amor) 
mit  ihren  Strahlen  bis  auf  den  Tod  (10,  4  ff.): 

diu  hat  mit  ir  sträle 

mich  vermundet  in  den  tot; 

von  senender  not 

lide  ich  mange  quäle. 

si  ist  von  rotem  golde,  niht  von  stAle ; 

an  min  herze  schdz  si  zeinem  mftle. 

Die  Minne,  fahrt  Neidhart  fort,  zwinge,  dass  man  sich  unter  Lachen 
verzehrt,  wenig  schläft  und  oft  in  Trauer  wacht.  Aber  alles  Leid  eodet 
unter  der  grünen  Linde.  In  einem  anderen  Genrebilde  (24,  13  ff.)  sacht 
die  Mutter  ihrer  Tochter  vergeblich  die  Kleider  zu  versperren,  das 
tanz-  und  sprüngsüchtige  Kind  erbricht  den  Schrein,  nahm  den  Rod 
mit  den  vielen  kleinen  Falten,  auch  einen  schmalen  Riemen  und  warf 
sich  dem  von  Reuenthal  alsbald  iu  die  Arme.  Sie  putzen  sich  meist 
wie  eme  Tocke  zum  Tanz  und  Ballspiel,  setzen  ein  „rdaeokrenzel^  aa( 
bewinden  das  Haar  mit  Seiden  und  ziehen  rothe  Schulze  (golM)  an. 


483 


Eine  andere  Matter  bemerkt  ihrer  Tochter,  dass  der  junge  Meier  ein 
Aage  auf  sie  habe,  aber  die  Dirne  verachtet  wie  im  „He  Im  brecht^ 
den  „gebäwer^  (giezet  mir  den  meier  an  die  versen),  sie  will  einen 
Ritter  haben,  der  als  gewaltiger  Minnedieb  renommirt.  Er  macht  immer 
neue  Eroberungen  (15,  21  ff.  und  S im  rock  S.  288  ff.): 


Ine  gesach  die  beide 

nie  baz  gestalt 

in  liehter  ougen weide 

den  grüenen  waH. 

an  den  beiden  kiese  wir  den  meien. 

ir  mägde,  ir  sult  iuch  zweien, 

gein  dirre  liebten  sumerzit 

in  hohem  muote  reien. 
Lop  von  mangen  zungen 
der  maie  bat. 

die  bluomen  sint  entsprungen 
an  manger  stat 

da  man  e  Beheine  künde  vinden. 
gelonbet  stänt  die  linden, 
sicii  hebt,  als  ir  wol  habt  vernomen, 

ein  tanz  von  höfischen  kinden. 
Die  sint  sorgen  dne 
und  vröuden  rieh, 
ir  mägde  wolgetdne 
und  minneclich 
zieret  iuch,  daz  iu  die  Beier  danken, 

die  Swdbe  und  die  Vranken. 
ir  briset  iuwer  hemde  wiz 

mit  siden  wol  zen  lanken. 
„Gein  wem  solt  ich  mich  zäfen?'' 
so  redete  eine  maget. 
„die  tumben  sint  entslAfen. 
ieh  bin  verzaget, 
vreude  und  Sre  ist  al  der  werlde  un- 

maere; 
die  man  sieht  wandelbaere; 
deheiner  wirbet  umbe  ein  wip 

der  getiuwert  waere." 
„Die  rede  soltd  behalten^ 
sprach  ir  gespil. 
„mit  vröuden  sul  wir  alten, 
der  manne  ist  vil 
die  noch  gerne  dienent  guoten  wiben: 
lijs  solhe  rede  beltbe;i. 
ez  wirbet  einer  umbe  mich 

der  trdren  kan  vertriben. 


Ich  sah  noch  nie  die  Haide 

So  Wohlgestalt, 

In  lichter  Augenweide 

Den  grünen  Wald. 

An  den  Beiden  spüren  wir  den  Maien. 

Ihr  Mägdlein  sollt  euch  zweien. 

Dem  lichten  Sommer  zum  Empfang 

in  hohem  Muthe  reihen. 
Lob  von  manchen  Zungen 
Der  Maie  hat. 

Die  Blumen  sind  entsprungen 
An  mancher  Statt 
Wo  man  früher  keine  mochte  finden; 
Belaubet  steh'n  die  Linden. 
Darunter  soll  sich  bald  ein  Tanz 

von  höfischen  Maiden  winden. 
Ihrer  Sorg*  ist  minder, 
Sie  freuen  sich. 
Ihr  wohlgethan^u  Rinder, 
Und  minniglich, 
Ziert  euch  so,  dass  euch  die  Baiern 

danken, 
Die  Schwaben  und  die  Franken, 
Und  schmücket  euer  weisses  Hemd 

mit  Seiden  an  den  Flanken. 
„Wem  trüg'  ich  schöne  Kleider?* 
Sprach  eine  Magd. 
^Die  Jungen  schlafen  leider; 
Ich  bin  verzagt: 

Freud*  und  Ehre  sind  der  Welt  zu- 
wider, 
Kein  Mann  ist  treu  und  bieder. 
Um  Eine,  diß.  ihm  Ehre  brächte, 

wirbt  nun  Keiner  wieder.* 
^„Die  Rede  kss  nur  fahren, 
(Sprach  ihr  Gespiel) 
Wir  kommen  froh  zu  Jahren; 
Männei"  sind  viel 

Die  noch  guten  Frauen  dienen  gerne; 
D'rum  sei  die  Rede  ferne. 
Um  mich  wirbt  Einer  lange  ßchon« 

von  dem  ich  Freude  lerne.*  * 

31* 


484 


„Den  soltü  mir  zeigen, 

wier  mir  behage, 

diu  gürtel  si  dm  eigen 

diecb  umbe  trage. 

sage  mir  sinen  namen,  der  dich 

minne 
s6  tugentlichen  sinne, 
mir  ist  getroumet  hint  von  dir, 

din  muöt  der  ste  von  hinne.^ 
„Den  si  alle  i^ennent 
von  Riuwental, 
und  sinen  sanc  erkennent 
wol  über  al, 
der  ist  mir  holt,  mit  guote  ich  im 

des  Idne. 
durch  sinen  willen  schöne 
so  wil  ich  brisen  minen  lip. 

wol  dann,  man  Hütet  nöne!" 


„Den  solldt  du  mit  zeigen 

Wie  er  mir  behaue: 

Der  Gürtel  sjBi  dein  eigen, 

Den  ich  an  mir  trage. 

Sag  mir  seinen  Namen,    der  dich 

minnen 
Will  mit  geheimen  Sinnen. 
Mir  träumte  diese  Nacht  von  dir, 

du  wollest  uns  entrinnen.^ 
n  ,9 Den  sie  alle  nennen  ^ 

Von  Reuenthal, 
Und  seinen  Sang  erkennen 
Wohl  überall. 

Der  ist  mir  Lold.  Mit  Gut*  ich  ihm 

das  lohne. 
Mit  einer  Blumenlcrone 
Zier  ich  mich  gern  utn  seinethalb. 

Doch  fort,  man  läutet  None!^* 


In  solcher  Weide  verlaufen  die  meisten  Reihen;  dazu  gibt  es  auch 
Spmmerlieder  und  Herbstklagen;  fast  alle  a,ber  haben  die  y,gogel- 
heit  der  dörper^  d.  h.  die  Tölpelhaftigkeit  und  Streitsucht  der  Bauern 
untereinander  zum  Gegenstande,  auch  erzählt  der  Dichter  manch  ärger- 
liches Begegniss  mit  ihnen.  Die  einleitenden  Strophen  dazu  sind  immer 
von  unbeschreiblicher  Anmuth  und  Naivetät,  sie  gehören  mitunter  zu 
den  lieblichsten  Seiten  der  ganzen  mittelhochdeutsdhen  Lyrik;  sie  ent- 
halten eigentlich  keine  Beschreibung  des  Frühlings ,  sie  suchen  nicht 
nach  neuen,  auffallenden  Zügen,  nicht  nach  üppiger  Malerei,  sondern 
sie. sind  so  einfach  wie  das  Gefiihl  der  Wonne  selbst,  in  deren  Zanber- 
kreis  sie  den  Hörer  emporheben  wollen;  Herr  von  Liliencron  ver- 
gleicht sie  sogar  mit  einer  Aeolsharfe,  die  in  ihren  wenigen  gleichge- 
stimmten Saiten  dennoch  die  wunderbarsten  Harmonien  erklingen  lässt 
Nach  solchem  Eingang  wird  man  dann  mit  jener,  der  besten  Volka- 
poesie  eigenthümlichen  Weise  mitten  in  die  darauf  folgende  Scene  hin- 
einversetzt, die  leider  mitunter  ziemlich  derber  Natur  ist.  Und  doch 
klingt  durch  die  bald  lustigen,  bald  sehnsüchtig  tändelnden  Reden  und 
Gegenreden  hindurch  der  zuerst  angeschlagene  Frühlingston  leise  nach.  0 

Ganz  anderer  Natur  sind  die  Neidhart*schen  Winter  lieder.  Weil 
man  nicht  draussen  sich  drehen  kann,  so  treibt  man  sich  in  den  Sta* 
ben,  wo  sich  eine  grosse  findet  und  ergeht  sich  — ^  in  höfischen  Tänzen: 
^Der  leide  Winter,  der  jung  und  alt  verdriesst,  hat  u^s  der  wonniglicheo 
Blumen  viel  benommen,  welch*  Rath  wird,  den  kleinen  Vögelein t  onbe- 


')  Liliencron  bei  Hpt.  Zeitscbrin  'S.  95. 


485 

sangen  steht  der  Wald,  das  kommt  Alles  von  des  Reifes  Ungnade ;  die 
Nachtigallen  sind  alle  weggeflogen,  doch  —  Megenwart  ha^  eine 
weite  Stabe  nnd  seiner  Tochter  ist  es  aach  recht,  sagt  es  also  ein* 
ander,  Künegnnde  mag  auch  gerne  tanzen,  Gisel  gehe  zar  Juten 
und  mache  dass  Elle  mitgehe,  vergesst  Hädewig  nicht;  ich  rathe 
allen  guten  Weihen  überall ,  dass  sie  hochgemuthen  Mannen  holdes 
Herze  tragen;  wozu  sind  sturmartige  Hauben  (tehtier)  ohne  ein  Collier 
^umbe  den  kragen;  wip  sint  sicher  ambe  des  houbet  her  gewesen ,  so 
daz  in  daz  niemen  brach.  ^  Darauf  bricht  beim  Tanz  eine  Prügelei  los» 
mit  Dreschflegeln  schlagen  sich  die  stolzen  Bauern  auf  die  Glatzen,  die 
Weiber  fahren  sich  in  die  Haare;  den  Tänzerinnen  werden  die  Kleider 
niedergetreten.  Einer  aber,  den  Neid  hart  überhaupt  nicht  leiden  kann, 
Namens  Engel  mär  hat  das  Unglück  einer  schöneit  Tänzerin,  der 
Friderün,  ihren  Spiegel  zu  zerbrechen,  eine  Ungeschicklichkeit,  die 
der  Dichter  nie  vergisst,  die  ihn  wurmt  und  die  er  immer  wieder  \ind 
wieder  erzählt.  Wir  bekommen  bei  dieser  und  anderen  Gelegenheiten 
eine  hübsche  Anzahl  von  Namen  aufgezählt;  da  es  doch  von  Interesse 
ist  zu  wissen,  welche  Napien  damals  bei  den  Bäuerinnen  absonderlich 
beliebt  waren,, so  ist  es  vielleicht  erlaubt,  selbe  aus  den  bayerischen 
Liedern  des  Dichters  zusammen  zu  stellen.  Wir  treffen  hier  ausser  den 
Obengenannten  eineAdelheit  (18,  21)  und  Ave,  Engelboltes  Tochter, 
eine  Bride  (Frau  Breide  im  ^Orendel^)  und  Berht'el,  Diemuot, 
Ermelint,  Gundrät,  Geppe,  Guote,  Hiltrüt  (31,26),  Hickä, 
Hilda,  Heilke  und  ein  viel  schoenez  kint  Hiltburc,  Irmengart 
(11,  1),  Jute,  Jiuteline  und  Jutel,  Liukart,  Richilt  (29,  10), 
Schelle,  Trüte,  Uotelhilt  (28,24),  Vrömuot,  Wierät,  Wen- 
de Imuot  (29,  5)  und  Wentel.  *)  Noch  zahlreicher  sind  die  Namen 
der  stolzen  Bauern:  Amelunc,  Adelvrit,  Adelger,  Adelber, 
Anze,  Adelhdne;  Beremuot,  Batze,  Biterolf,  Berewin; 
Drunkhart;  Engelmär,  Engelram,  Engeldich,  Engelbolt, 
Engelber,  Engelwftn,  Enzemann,  Eberwin,  Eberolt,  Ek- 
kerich,  Elsemuot,  Erkenfrit,  Ellenhart,  EgeloWe,  Erken- 
preht,  Eppe;  Frideliep;  Gunderam,  Geneliup,  Giselbolt; 
Hetzemann,  Hiltewin;  Luthör,  Lanze;  Mangelt,  Megen- 
goz,  MerJienbreht;  Otegfer,  Oezekint  der  dumme;  Ruoze, 
Regeüwart,  Rüele;  Sigemftr,  Sigelöch;  Uozeman  der  rothe, 
Undelhart,    Uodelrich,    Uodelger;    Wagegrim,   Willebort, 


1 


)  Unter  den  unachten  Liedern  finden  sich  zur  Ergänzung  noch  folgende  Frauen- 
ntmen:  Adel,  Diemel,  Elsemuot,  G^rhilde,  Gotelint,  G^rtrüt, 
Gtsel,  Hetze,  Heilwlc,  Herebrfrc,  Hüte,  Irmel,  Jlsmuol, 
Kunze,  Hetze,  Merkis,  Meregart,  Prlsel,  Werlint  und  Wilbirc 


486 

4 

Watke  and  Willepreht.*)  Viele  davon  sind  nralt,  andere  aas  oder 
an  die  deatschä  Heldensage  klingend  and  von  volksthümlichen  Heroen 
and  Helden  stammend;  immerhin  sehr  lehrreiche  Fingerzeige,  wie  tief 
solche  Dinge  im  Volksleben  eingewarzelt  und  herausgewachsen ! 

Diese  Herren -Bauern  tanzen  nun  des  Winters  in  der  Stube,  wo 
Einer  eine  dazu  geeignete  Spielstube  (53,  25)  hat,  seltener  im 
Wirthshaus  (bervrit.  60,  9  u.  174):  Räumt  Schemmel  und  Stähle  weg, 
singt  Neidhart,  tragt  die  Schrägen  hinaus!  und  sie  tanzen* dann ,  dass 
durch  die  Fenster  der  ^galm**  geht  und  man  der  Hitze  wegen  die  Thür 
öffnen  muss.  Man  tritt  nach  der  (Jeige  (37,  3)  und  der  Tanz  wird 
gross:  „man  sach  da  die  tenze  riselieren;^  auch  singt  Einer  vor 
(39,  28) ;  wenn  die  Vortänzer  schweigen  so  treten  sie  ein  „hovetänzel* 
nach  der  Geige  (40,  24),  da  sah  man  grosse  Ridewanzen  „daz  war 
geiler  getelinge  wünne!^")  Die  Bauern  aber  legen  selbst  beim  um- 
gehenden Tanze  ihre  Schwerter  nicht  ab  (54,  34),  obwohl  sie  Kleider 
nach  der  Hofsitte  tragen,  mit  Seide  benäht  (68,  7)  und  Tach  aas 
Oesterreich  (60,  13);  Einer  hat  eineTreie,  die  ist  von  „barkäne,  grüene 
alsd  der  klö,**  dazu  ein  isenhemde",  und  geht  brummende  (limmende) 
als  ein  Bär;  sie  treten  mit  den  Sporen  den  Weihen  die  seidenen 
Kleider  durch  und  richten  vielen  ünfiig  an,  worin  aber  der  Dichter 
selbst  nicht  zurückbleibt.  In  den  Stuben  werden  auch  Spiele  aufgeführt, 
das  Bickel-  oder  Prittelspiel  wird  von  jungen  Leuten  gefibt  (36, 
26),  dessen  will  Küenzel  Meister  sein,  er  verbietet  Lachen,  Sprechen 
und  Winkelsehen;  es  gibt  ausdrücklich  einen  Bickelmeister  (49,  18); 
auch  fuhrt  man  mit  Schlitten  auf  das  Eis  (kint,  bereitet  iach  der  sliten 
df  doÄ  is.  38,  9). 


0  Ebenso  sind  aus  den  unächten  Liedern  beiliufig  folgende  Bauernnamen  u 
ergänzen:  Adelold,  Amenoll,  Bernhart,  Bezzel,  Brezzel,  Berb- 
tram,  Bezeman,  Baldentrit,  Berhtold,  Diemen,  Durinkharte, 
£inwtc,  Einmuot,  Ekeman,  Erkenbolt,  Ezzel,  Elefrtd,  Fride- 
breht,  Frouther,  Frideliep,  Gumpreht,  Gözbrehl,  Giselbrebt, 
Golehold,  Gabelmann,  G6zwfn,  G6ze,  HiUebolt,  Herold,  Hei- 
leg^r,  Hidmdr,  Holerswam,  Herr  Heb enslrlt  von  Höben vels  der 
jungte,  Heinzel,  Ilsunc,  Irenfrit,  Irenb er  von  Botenbrunnen,  Irniel- 
stein,  Krumpolt,  Küenzel,  Liutwtn,  Leppe,  Lenk,  Lumpolt, 
Limmenzdn,  Liutfrit,  Liutolt,  Merbot,  Merkel  und  Merkelfa, 
Pilgerfn,  Ranze,  Riutolt,  der  lange  Rehewin,  Rumpolt,  Reppe, 
Roswin,  Sleppe,  Schrenk,  Sigelolt,  Sigehart,  Tratwln,  Valke, 
Vorhtliep,  Werenher,  Wenk,  Wezzel,  Walbreht,  Werffaat, 
Wate;  das  unechte  Gedicht  S.  XXXII  nennt  allein  52  solch  „öde  Gäuche,'' 

*)'  Den  hehren  Gang  macht  Neidhart  mit  den  volltönig  malenden  Versen  licher- ' 
lieh:  „si  gieng^en  alle  tage  als  ein  gesmirter  wagen,  eben  unde  Ilse,  aiht 
bedrungen  daz  in  diu  swert  üf  den  versen  klunj^en.^  (55,  28  fS.)  Man  bbsi 
sich  dabei  erinnern,  dass  der  ritterlichen  Sitte  ein  leiser,  abgemessener  Gaor 
für  den  Ausdruck  innerer  Hoheit  galt,  so  singt  Walther  von  Philipp  aid 
Irene :  „er  trat  vil  Ilse,  im  was  niht  ffdch ;  im  sTeich  ein  höhgebomio  klüie- 
ginne  nich.^  (Walther  19,  11  u.  Grimm  Graf  Rudolf.  S.  25.) 


487 

Gleich  das  erste  Winterspiel  findet  zu  Wttenbrüele,  Weiden- 
brühl  statt;  da  Engelmftr  dabei  eine  Rolle  spielt,  so  ist  das  Lied  in 
Bayern  gedichtet.  9,Wer  uns  dort  ein  W^idenbrühl  nachwiese,  föhrte 
uns  in  die  Gegend,  wo  I^eidharts  heimischer  Wohnsitz  zu  finden  wäre. 
(Haupt  S.  138.)'  Es  findet  sich  nun  gerade  kein  Weitenbrfihl,  wohl- 
aber  ein  Weiden  buhl  bei  Aurbach  nächst  Moosburg,  was  zu  Neid* 
harts  Heimath  ganz  gut  passen  könnte.  Neidhart  ist  anfänglich  zu 
Riuwental  noch  unberathen  und  alleine;  er  spricht  später  von  seiner 
Frau  oft,  es  ist  aber  nicht  erweisbar,  dass  er  seine  Gattin  darunter 
meine. 

Unter  den  Winterliedem  kommen  auch  ganz  höfische  Strophen  vor, 
die  an  und  für  sich  sehr  schön  sind,  bei  genauerem  Zuhören  jedoch 
ihre  künstliche  Entstehung  nicht  verläugnen  können;  z.B.  (42,  34  ff.): 

Uf  der  linden  liget  meil. 

da  von  ist  der  walt  des  loubes  dne 

und  diu  nahtegal  ir  herze  twinget. 

wirt  81  mir,  s6  hftn  ich  heil, 

diech  dd  meine:  deist  diu  wolgetäne, 

diu  mir  min  gemüete  dicke  ringet. 

wol  ir,  daz  äi  saelic  sl! 

swer  si  minnet,  der  belibet  sorgen  vn. 

Doch  steckt  hinter  der  mit  ganz  höfischen  Redensarten  Gefeierten 
nur  eine  ordinäre  Bauernraagd,  die,  wie  dem  unsterblichen  Ritter  von 
der  Mancha,  doch  ^seines  Herzens  Königin*  (48,  6)  ist;  er  mahnt  ganz 
ernsthaft,  dass  sich  Niemand  an  den  Frauen  vergehen  soll  und  übt 
dann  selbst  eckelhafte  Schweinerei,  wie  die  Aventiure  beim  Flachsbre- 
chen und  viele  andere  zum  üeberdruss  beweisen.  Doch  regt  sich  auch 
bei  ihm  ein  besseres  Selbst,  er  ist  nahe  daran  den  Fehl  einzusehen, 
der  auf  der  Seite  der  leichtsinnigen  Männer  liegt  (71,  24  ff.): 

Do  man  wibe  minne  gegen  der  manne  minne  wac 

innerthalp  des  herzen  tür, 

dö  wac  mannes  minne  vür. 

nüne  kan  sich  gegen  der  wibe  minne  niht  gewegen. 

ich  enweiz  ab  niht  wen  ich  der  schulden  zihen  mac, 

der  die  wären  schulde  hdt 

zweier  dinge  uns  abe  gftt, 

daz  wir  man  niht  kiusche  sin  noch  rehter  wdge  pflegen, 

^diu  geliche  trage 

herzenliebe  gein  der  minne. 

ir  sult  wizzen,  swaz  iu  iemen  sage, 


^ 


488 

•     I 
— <■ 

er  gewan  nie  -herzen  küneginne, 

der  niht  enwirbet  daz  er  gnoten  wSben  wol  behage. 

Reiner  wibe  minne  tiawert  höher  manne  mnot 

ist  ir  triuwe  nunnecllch, 

deist  in  beiden  lobelfch. 

wol  im  der  gein  wiben  dner  staete  hüeten  kan. 

valscheldsiu  minne  waere  beidenhalben  goot: 

wol  dem  herzen  daz  st  treit. 

dem  Wirt  stner  arebeit 

wol  gelönet.  disia  maere  merket,  gaote  man. 

stt  den  wiben  holt, 

lät  in  herze  nnd  ongen  lachen. 

k  snlt  wizzen,  >ller  Kriechen  golt 

möhte  ein  herze  niht  so  vrö  gemachen 

s6  reiner  wibe  minne.  deist  ein  vreadebemder  seit. 

Aber  er  hütete  seiner  State  nicht  nnd  behidt  keine  trene  Minne; 
er  verliert  immer  sein  besseres  Selbst,  er  ist  der  Heine  seiner  Zeit, 
der  es  mit  Matter  und  Tochter  zugleich  hält  and  der  nor  in  Unbe- 
ständigkeit beständig  ist.  Wie  in  Ulrich  von  Lichtenstein  die  Verkehrt- 
heit, so  gipfelt  in  Neidhart  die  Fäalniss  and  Lüderlichkeit  der  Minne- 
einger. 

Ueberraschend  ist  es,  ihn  plötzlich  auf  einer  Kreuzfahrt  za  finden. 
Er  muss  sie  in  jungen  Jahren  gemacht  haben.  Früher  glanbte-man,  er 
habe  mit  Herzog  Ludwig  von  Bayern,  dem  Kellheimer,  die  Fahrt  nach 
Damieta  gemacht,  denn  Ludwig  überlebte  den  schimpflichen  Verlost 
dieser  Stadt  und  kam  im  September  I22I  nach  überstandener  Geisel- 
schaft wieder  zurück.  Nun  soll  er  an  dem  Zuge  Leopold  VII.  von 
Oesterreich  nach  Syrien  und  Damiata  (1217 — 19)  theil  genommen  haben, 
den  viele  Bayern  begleiteten.')  Neidhart  singt  eine  fröhliche  Reiseoote 
'  (11,  8  ff.): 

Ez  gruonet  wol  diu  beide 
mit  niuwen  loube  stät  der  walt: 
der  winder  kalt 
twanc  si  s6re  beide, 
diu  zSt  hftt  sich  verwandelöt. 
,  min  sendiu  not 

mant  mich  an  die  guoten  von  der  ich  unsanfte  scheide. 


0  Wackernagel  bei  Hagen  IV.  437  u.  Hpt.  S.  106. 


489 

^In  dieser  Zeit  singen  die  Vögelein,  ich  thäte  es  auch  gerne  nnd 

e  Freunde  wüssten  mir  dafür  Dank,  nicht  aber  die  Welschen,  die 

gar  nicht  darauf  achten:  ^sö  wol  dir,  diutschiu  zunge!^  Er  sendet 

Boten  ab,  mit  der  Meldung  an  die  lieben  Freunde  und  die  „mei- 

ane,^   dass  sie  bald  über  die  See  heimzukehren  gedächten,    dass 

inen  unterdessen  ganz  j&nmierlich  ergangen  sei.  Gott  lasse  uns  bald 

lieben  Tag  erleben,  dass  wir  heim  zu  Lande  streichen!^    Leopold 

i  die  Heimreise  am  L  Mai   I2I9  angetreten.     Das  Frühlingslied 

t  ganz  gut.    Der  Zustand  des  Heeres  ist  ein  sehr  trauriger,  da  es 

guten  Theil  erschlagen  ist:    ^daz  her  ist  mer  dan  halbez  mort^ 

23).  ^Wir  möchten  gerne  reihen  und  tanzen  und  manchen  weiten 

itt  springen,  ehe  wir  aber  daheim  in  Bayern  herumstolziren  (g^swan- 

sollten  wir  erst  nach  Oesterreich  gelangt  sein!"     Auf  der  Rück- 

lässt  ihm  die  Tanz-  und  Liederlust  schon  keine  Ruhe  mehr  (13, 8): 

Komen  sint  uns  die  lichten  tage  lange: 

alsd  sint  die  vögele  mit  gesange.  ^ 

die  habent  ein  niuwez  vunden, 

daz  sis  nie  vor  mangen  stunden 

baz  begunden. 

Die  den  winder  sendes  herzen  wären, 

den  gestuont  der  muot  vor  drizec  jftren 

nie  ringer  danne  hiuwer. 

mägde,  ir  nemt  des  meien  stiuwer  (Lohn); 

zogt  ab  iuwer. 

Junge  mägde  und  alle  stolze  leien, 

ir  sult  iuch  gen  dem  lieben  sumer  zweien: 

so  ist  wünne  in  allen  riehen. 

ir  sult  iuch  ze  vröuden  strichen. 

Iftt  dar  wichen. 

Kint,  Ut  iu  den  reien  wol  enblanden, 

loeset  iuwer  herze  üz  senden  banden 

mit  snellen  sprangen  ringen. 

ich  hoere  von  der  vögele  singen 

den  walt  erklingen. 

Er  sendet  den  lieben  Boten  heim  zu  Lande;  all  sein  Trauern  soll 
Ende  haben,  denn  wir  nahen  dem  Rheine  und  die  Freunde  sehen 
Pilgrimme  gerne!     Der  Rhein  bezeichnet  nicht  eine  Rheingegend, 
lern  Deutschland. 

Bote,  nü  sage  den  kinden  an  der  strdze 
daz  si  niht  enzümen  üz  der  mäze. 


4^ 

wir  Silin  ein  ninwez  brinwen, 

dar  Qftch  si  die  vinger  kiawen,     ' 

an  der  trinwen. 

Bote,  nü  sage  dem  liebgenaemen  vnbe 

daz  ze  wünsche  gät  sd  wol  min  schibe^ 

du  sage  ze  Landesbuote, 

wir  leben  alle  in  hohem  mnote,    . 

niht  unvruote. 

Der  Wind  war  ihm  also  günstig  geworden,  seine  Glückskngel  oder 
sein  Glücksrad  (schibe)  hat  sich  gedreht  und  er  kehrt  fröhlich  in  seine 
Heimath  zurück.  Hier  trieb  er  das  alte  Unwesen,  machte  Eroberungen 
und  ärgerte  die  Bauern,  deren  schöne  Weiber  und  Töchter  er  gehörig 
vexirte.  Endlich  hat  er  sein  Hab  und  Gut  verthan  und  obendrein  die 
Gunst  des  Herzogs  ^verspielt ;  da  siedelte  er  nach  Oesterreich  hinüber 
und  machte  sich  an  den  reichen  „  Ostermann  ^  (75,  2)  Friedrich  H.  zü- 
genannt  der  Streitbare,  der  allerlei  Sängerlein  an  seinen  Hof  gezügelt 
hatte,  z.  B.  den  Bruder  Wernher,  Pfeffel,  den  Tanhauser  und 
andere  Spielleute  und  fahrendes  Volk.  Er  wurde  gut  empfangen  and 
spricht  von  einem  silberreichen  Schrein,  den  er  erhalten  habe,  zu  dessen 
Aufbewahrung  und  Sicherhaltung  der  gute  Herr  ihm  aber  auch  noch 
ein  Haus  schenken  muss.  Und  nun  fliesst  seine  Dankbarkeit  in  poeti- 
tischer  Uebertreibung  über:  nie  hat  er  reichere  Gabe  von  Fürstenhand 
erhalten,  er  will  seines  (Friederichs)  Lobes  Kämpe  sein  (73,  21)  und 
sein  Lob  wohl  sprechen  und  ^ngen,  dass  es  laut  vom  Rheine  bis  eot 
Elbe  schallt.  Es  beginnen  die  alten  Händel  mit  schmucken  Bauem- 
dimen.  Die  Getelinge  und  Dörper,  die  Geburen  und  Gauhünere  waren 
hier  aber  noch  übermüthiger  als  in  Bayern ;  sie  trugen  enge  mit  Draht 
gesteifte  Röcke  (treien)  und  enge  Schaperune,  rothe  Hüte,  Schnallen- 
schuhe (rinkelohte  schuohe),  schwarze  Hosen  und  Handschuhe,  dazu 
natürlich  auch  Waffen,  Schwerter,  Helme  und  Beckenhauben,  Stunn- 
hüte  u.  dgl.  Neidhart  gibt  ganz  eingehende  und  genaue  Beschreibungen 
darüber.  Da  er  sich  an  ihnen  gehörig  rieb,*  kam  er  oft  sattsam  ins 
Gedränge.  So  hat  ihn  auch  der  Maler  der  Manessen  dargestellt: ') 
Neidhart,  jugendlich  wie  alle  diese  Sänger,  vielleicht  als  Ausdruck  ihrer 
ewigen  Jugend,  einen  Perlenkranz  auf  dem  lockigen  Haupt,  in  langem 
zierlich  gegürteten  Rocke,  hebt  den  rechten  Arm  mit  den  drei  aosge- 


')  Htgeo  IV.  436  und  V.  40  u.  266.  Ttf.  XXXVI.  Dts  beliehte  Thema  wurde 
im  aV.  Jahrh.  auch  dramatisch  bearbeiiet^  wie  Meidhart  die  Bauern  äfft 
Vergl.  Keller  Fastnachlspiele.  I.  B.  Nro.  53.  (S.  393—467);  es  spielt  u 
Zeiselmauer. 


491 

streckten  SefawnrfiDgern  empor  nnd  hält  die  Linke  abwehrend  vor  die 
Bmst,  indess  sein  pelzgefütterter  Mantel  über  die  Schnltem  zurück- 
fallt. Vier  Bauern  umgeben  ihn,  sie  haben  alle  kurzes  Gewand,  das 
nur  bis  zum  Knie  reicht ;  die  beiden  zur  Rechten  sind  jugendlich,  einer 
im  quergestreiften  Rocke  hebt  die  Linke  mit  warnendem  Zeigefinger 
gegen  ihn  auf;  der  andere  mit  runder  Mütze,  gestrfcheten  Hosen  und 
kurzem  Rocke  mit  halben  weiten  Aermeln  darüber,  einen  Dolch  und 
einen  Seckel  an  der  Seite,  fasst  mit  der  Linken  Neidharts  aufgehobenen 
Ellenbogen  und  bedeutet  ihm  mit  der  Rechten.  Die  beiden  anderen 
älteren  Getelinge ,  mit  scharfen ,  schadenfrohen  Gesichtern ,  schwarzen 
Kappen  und  langen  Schwertern  an  den  Seiten  machen  ähnliche  Beweg- 
ungen. Sie  tragen  gesteppte  mit  Draht  durchnähte  Wämser  und  hohe 
Halskragen,  Brustbleche  u.  s.  w.  AUe  aber  sind  gelockt,  wie  der  Dichter, 
der  neben  ihrer  Herrentracht  besonders  ihre'  Lockenpflege  schilt  und 
ihnen  mit  der  lange  in  Oesterreich  erwarteten  Ankunft  des  Kaisers 
Friedrich  n.  (1236)  droht,  dass  er  die  Zucht  herstellen  und  den  Dörpem 
die  langen  Locken  wieder  verschneiden  werde.  Der  Wappenschild  über 
dem  Bilde  ist  weislich  leer  gelassen. 

Herr  von  Liliencron')  stellte  die  Vermuthung  auf,  dass  unter 
der  Maske  der  Bauern  Niemand  anders  zu  suchen  sei,  als  des  Dichters 
eigene,  höfische  Umgebung.  Das  ist  aber  ein  unhaltbarer  Einfall.  Wenn 
auch  nicht  Alles  für  baare  Wahrheit  in  Neidharts  Liedern  zu  halten 
ist,  so  gingen  sie  doch  zum  guten  Theil  aus  wirklichen  Anlässen  hervor, 
seine  Bauern  tragen  zu  gut  das  Gepräge  der  geilen  d.  h.  übermüthigen 
Getelinge,  die  wir  aus  Strickers  ^Gäuhühnern*  und  dem  „Helmbrecht* 
zur  Genüge  kennen,  sie  sind  zu  sicher  nach  dem  Leben  gezeichnet, 
als  dass  mau  sie  für  Masken  seiner  höfischen  Umgebung  hätte  halten 
können.  Neidhart  hatte  überhaupt  wenig  am  Hofe  zu  thun,  wo  er  hofirt 
and  minnesingerisch  thun  will,  da  ist  meist  auch  formelle  Leerheit;  er 
ist  entschieden  unglücklich,  wenn  er  sich  in  der  höfischen  Tonart  be- 
wegen soll,  dagegen  spricht  eine  überraschend  wohlthuende  Frische 
nnd  Genialität  aus  den  Liedern,  die  für  seine  und  in  seiner  ihm  zu- 
sagenden Umgebung  entstanden  sind.  —  Aber  auch  bei  dem  reichen 
^  Ostermann  **  vermochte  er  sich  nicht  in  die  Länge  zu  halten.  Der 
Herzog  hatte  ihn  behauset  (behüset)  wie  den  Tanhauser  und  zwar  zu 
Melk  (Medelike),  er  trieb  sich  aber  immer  auf  den  Dörfern  umher  und 
nennt  deren  eine  grosse  Menge,  die  seine  Streiche  sahen.  Natürlich 
lohnten  ihm  die  bösen  Herren -Bauern  dort^  wie  in  Bayern,  spielten 
ihm  übel  mit  und  vertrieben  ihn.  Vielleicht  machte  •  er  es  »einem  Mae- 


>)  In  Hpts  Zeitschrifl  S.  105. 


492 

cenas  zu  arg,  wenigstens. ist  das  folgende  Gleichniss  als  ein  s^  deut- 
licher Bettelbrief  anziiseb<»n  (84,  32  ff.) : 

Swer  einen  vogel  haete 

der  mit  sänge  dur  daz  jär 

stnen  willen  taete, 

dem  solt  er  underwilen  zuo  dem  vogelhdse  sehen 

und  gaebe  im  guote  spise; 

sd  künd  oucli  der  selbe  vogel 

singen  süeze  wise, 

so  müeste  man  dem  vögele  guoter  meisterschefte  jehen. 

sunge  er  sinen  sanc 

immer  schone  gegen  dem  meien. 

so  solte  man  in  sumer  und  den  winter  tüte  heien.  (pflegen) 

guoter  handelunge  wizzen  onch  die  vögele  danc. 

Es  mass  verstanden  und  ein  neues  heiliges  Loblied  Ci^  frönekdre 
ein  lobeliet)  daliir  gesungen  worden  sein,  davon  der  edle  Geber  „in 
dem  paradise  wite  erkant^  werden  sollte. 

'  Selbst  wie  ihm  das  Haar  ergraut  ist  (93,  2)  nnd  das  Alter  ihn 
von  der  Jugend  scheidet  (95,  36),  kann  er  die  alt^n  Gewohnheiten 
noch  nicht  lassen  und  eine  Stänkerei  mit  Bauern,  Dörpem  und  Grete- 
Ungen  gilt  ihm  nächst  ihren  Dirnen  als  höchste  Seligkeit. 

Einmal ,  nachdem  er  an  dreissig  Jahre  ges^ngen »  zieht  er  seine 
poetische  Bilanz  und  da  ergibt  sich,  dass  er  achtzig  neue  Weisen 
im  Frauendienst  gesungen ;  eine  andere  Zählung  bringt  noch  eine  höhere 
Ziffer  heraus. 

Zuletzt  kam  er  auch  beim  reichen  „Ostermano^  in  Verruf  durdi 
einen  Ungensdnnten  und  Neidhart  zog  wieder  nach  Bayern,  wenigstens 
geht  das  aus  einem  Liede  (103,  15)  ziemlich  deutlich  hervor,  in 
welchem  auch  Erzbischof  Eberhard  von  Salzburg  genannt  wird.  Neid- 
hart freut  sich  der  Steiermark  endlich  den  Rücken  zu  kehren  und  seine 
alte  Geliebte  im  „BeierJant^  wieder  zu  sehen.  Sein  Leben  ist  mit 
diesem  Gesänge,  der  in*s  Jahr  1234  zu  setzen  wäre,  gewiss  noch  nicht 
nicht  abgeschlossen,  doch  fehlen  alle  Quellen  zu  weiteren  Conjecturen. 

Unter  den  von  Haupt  als  unächt  ausgeschiedenen  Liedern,  die 
entweder  durch  rhythmische  Leibschäden  oder  den  fehlerhaften  Reim 
nicht  als  geistige  Kinder  Neidharts  anerkannt  werden  können,  befinden 
sich  sicherlich  viele,  die  in  Bayern  entstanden  und  hier  Heimatbsbe- 
rechtigung  ansprechen  könnten,  denn  kein  Dichter  hatte  so  viele  Nach- 
treter  und  Nachahmer  wie  dieser,  ein  sprechender  Beweis,  welchen 
Anklang  seine  Manier  gefunden  haben  musste.  Allein  es  wäre  ein.ver- 


498 

meftsener  Emfall,  hieröber  bindetide  Versuche  anstellen  zu  wollen.  Wich- 
tiger, aber  in  unbestimmbare  Fefne  abführend,  wäre  die  Untersuchung 
des  Neidhart*schen  Einflusses,  den  dieser  auf  die  Entwicklung  des  Volks- 
gesanges  ausgeübt  hat.  —  % 

Nach  den  heutigen  Gränzen  gehört  in  unser  poetisches  Gebiet 
femer  Herr  Suezkint  von  Trimberg,  ein  Jude,  der,  um  in  der  histo- 
rischen Reihenfolge  zu  bleiben,  hier  seine  Stelle  haben  mag.')  Er  findet 
sich  urkundlich  zu  Wirzburg  in  der  Stadt.  Hier  verkauft  das  Dietricher 
Spital  im  Jahre  1218  dem  Juden  Suezkint  eine  Hofstätte  am  Rigol 
mit  dem  Beding,  dass  er  einen  steinernen  Kanal  auf  seine  Kosten  zu 
bauen  habe;  darüber  entstand  später  ein  Prozess,  der  1225  durch  den 
Domprobst  Otto  geschlichtet  wurde.  Dieser  Vorgang  ist  auch  in  der 
Manessenhandschrift  vorgestellt.  Suezkint  erscheint  in  reicher  Tracht, 
mit  langem  Bart  und  dem  herkömmlichen  spitzen  gelben  Hut  ')  vor 
dem  Spitalstiftsherren,  der  mit  klerikaler  Umgebung  in  infulirter  Herr- 
lichkeit auf  seinem  Throne  sitzt.  Suezkint  beschreibt  sich  selbst  auf 
ähnliche  Weise  (v.  2>  wo  er  sagt:  er  wolle  fürder  wie  ein  alter  Jude 
leben ,  sich  den  greisen  Bart  lang  wachsen  lassen ,  tief  unter  einem 
Hute,  mit  langem  Mantel  demüthig  einhergehen,  mit  seinen  Künsten 
nicht  mehr  der  i  Thoren  Fahrt  ziehen ,  sondern  die  Höfe  det  Herren 
fliehen,  die  ihm  doch  nichts  gebeif,  „unt  selten  m§  gesutgen  hoveltchen 
sanc.**  Er  war  sicherlich  ein  Arzt,  ein  „weiser  Meister  von  natura" 
wie  mau  sie  nannte  9  seine  ziemlich  an  das  Gebiet  der  Raritäten- 
Dichtung  streifende  Strophe  von  der  umständlichen  Bereitung  der 
Tugend-Latwerge,  deren  Büchse  der  Leib  ist  (wol  im,  des  llp  der  lat- 
werten  bühse  st)  documentirt  mit  allerlei  technischen  Ausdrücken  wenig- 
stens  die  Kenntniss,  wenn  auch  nicht  die  Uebung  der  Arzneikunde  (I.  2) ; 
Mit  fünf  Pigmenten  soll  die  „latwerfe**  gemenget  sein,  die  gut  ist  gegen 
die  Wunden  des  Schimpfes  und  die  Sucht  der  Schanden;  Treue  und 
Zucht,  Milde  und  Mannheit  gehört  darein;  die  Mäze  soll  es 
pulvern;    dann  gibt  es  einen  Balsam  (bals)  o7>  allen  Speisen:    Ehrife 


')  Vgl.  Htgen  II.  258  u.  IV.  b'Sß  und  Archiv  des  histor.  Vereins. für  Unter- 
franken.  1852.  XII.  2.  Hft.  S   137. 

')  Es  ist  wirklieb  lächerlich,  wie  die  verschiedenen  Concilien  des  lliUelAlters 
von  zehn  zu  zehn  Jahren  neue  Einfälle  in  BeirefT  der  Juden  hallen.  Das  4. 
laleran.  Concil  von  1215  dringt  auf  die  alle  Sitte,  dass  die  Juden  Unter- 
scheidungszeichen tragen,  man  bestand  auf  einem  hohen  gelben  Hut;  das 
Concil  zu  Narbonne  verlangle  1227  ÖBgetea  eine  runde  Scheibe  aus  Rohr 
an  der  Brust;  das  Concil  zu  Vienne  126?  schärfte  neuerdings  den  spitzen 
Hut  ein,  das  Concil  zu  Ravenna  1311  schrieb  eine,  safranfArbige  Scheibe  vor, 
welche  die  Männer  an  der  Brust«  die  Frauen  gar  am  Kopfe  tragen  sollten. 
Später  beliebten  die  geistlichen  Höfe  die  seltsamsten  Modeii  vorzuschreiben. 
Vgl.  Himmelstetn  im  Unterfränk.  Arcb.  1S52.  9'Hft.  S.  148  fr. 


494 

genannt  —  Sehr  schön  ist  seine  Ansicht  über  adeliges  Tban  und  edle 
Gebart:  Wer  adelig  that,  den  will  ich  f&r  edel  halten  wenn  auch  sein 
Adel  ohne  Brief  wäre;  wo  sich  Untugenden  zu  dem  Adel  mischen,  da 
wird  das  adeliche  Kleid  zu  Hadern;  wer  ;sich  der  Untugenden  schämt 
und  nur  nach  dem  Besten  strebt  und  sich  zusammennimmt,  wer  mit 
anderen  Worten  als  ein  wahrer  Mensch  sich  beweist:  den  heisse  ich 
adelig  auch  wenn  er  nicht  von  hohem  Namen  stammt.  — ^  Als  einen  sehr 
edlen  Menschen  kennzeichnet  ihn  auch  folgende  schöne  und  wirklich 
ergreifende  Strophe  (I.  3): 

Wenn  ich  gedenke,  was  ich  war  und  was  ich  bin 

Und  was  ich  werden  muss  —  so  ist  all*  meine  Freude  dahin, 

Und  wie  die  Tage  meines  Lebens  laufen  von  mir  geschwinde. 

Und  ist  das  nicht  ein  Jammer  und  Seufzer  bringende  Noth 

Dass  ich  von  Tag  zu  Tage  muss  furchten  den  Tod 

Der  mich  dann  bringt  in  der  unreinen  Würmer  Gesinde? 

Wie  kann  ich  da  noch  froh  sein, 

Wenn  ich  das  Alles  betrachte? 

So  han  ich  an  dem  Herzen  mein 

Michel  grosser  Achte 

Wie  dass  mein  Seel*  dort  Kummer  doL  (leide) 

Mit  Sünden  war  ndr  eh'  so  wohl: 

Allmächtig  Herre!  Du  bist  aller  Gnaden  voll: 

Hilf  mir,  dass  mein  Seele  dort  vor  Dir  Gnade  finde! 

Es  ist  der  Frühlingsschrei  aus  der  Tiefe  eines  wahrhaft  beküm- 
merten Herzens,  welches  tief  betrübt  ist,  dass  man  nie  recht  weiss, 
wohin  die  Seele  komme,  wenn  der  Tod  den  Leib  ermahnt,  dass  er  vom 
Leben  kehre  (IV.  1);  damit  ergreift  er  in  seiner  einfachen  Kürze  mehr 
als  viele  Sängerlein  mit  ihrem  minniglichen  Geklimper.  Aus  seinem 
Lob  Gottes  klingt  derselbe  grosse  Geist  wie  aus  Lord  Byrons  hebräi- 
schen Melodien  (III.  I): 

Künig  herre,  hochgelopter  Got,  waz  du  vermaht, 

du  liuhtest  mit  dem  tage  unt  vinsterst  mit  der  näht, 

da  von  diu  werlt  vil  vröude  unt  mowe  hat 

Künig,  aller  eren  dir  noch  nie  gebrast, 

wie  den  tac  du  zierest  mit  der  sunnen  glast, 

und  ouch  die  naht  dtns  mänen  lieht  wol  stät, 

du  bemest  himel  mit  den  stem, 

din  Schönheit  ie  mer  mag  gewem, 

du  hast  ze  geben  g4be  vU«  der  niht  zergät 


495 

Ebenso  schön  ist  das  Lob  einer  reinen  Frau  (III.  2),  die  ihres 
Mannes  Krone  ist  und  ihn  werther  macht ;  mit  der  er  seine  Jahre 
glücklich  vollbringt  und  sich  der  Sünden  und  Schande  erwehrt;  ihr 
hohes  Lob  ninmit  es  wohl  mit  der  Menge  auf!  —  Doch  muss  es  ihm 
oft  schlecht  ergangen  sein:  Er  bittet  die  Milden  um  Abhilfe  gegen  den 
bösen  Wicht,  der  ihn  an  Speise  und  Kleidern  sch&dig«;  er  stellt  seine 
dürftige  Haushaltung  in  derselben  Weise  dar,  wie  der  Tanhauser;  Heb- 
auf und  Findenichts  thun  ihm  viel  Leides,  Herr  Bigenot  von 
Dafbian  ist  ihm  feindlich  und  H^rr  Dünnehabe  schafit  ihm  Unge- 
mach, seine  Kinder  weinen  oft,  da  sie  böse  Schnabel  weide  haben. 
So  muss  er  sich  seiner  Haut  wehren!  Unangenehm  ist  hier  eine  An- 
spielung auf  „den  gesuoch^  zu  treffen,  so  nannte  man  damals  den  Geld- 
wacher  durch  hohen  Zins.  „Es  ist  gut,  fügt  er  darauf  bei,  dass  der  Esel 
kein  Hoi*n  hat  und  dass  das  Krokodill  nicht  alle  Leute  beissen  kann;^ 
k&me  es  auf  die  Diebe  an,  so  dürfte  keine  Thüre  verschlössen  sein.^ 
Er  erzählt  auch  eine  unverblümte  Fabel  (VI.),  worin  der  Wolf  sich 
entschuldigt,  dass  er  durch  Raub  den  Hunger  stillen  muss,  weil  er  kein 
Geld  hat  Speise  zu  kaufen:  er  sei  nun  einmal  dazu  geboren  und  nicht 
80  schädlich  als  die  Falschen  in  ihrer  Weise  —  er  hätte  auch  sagen 
können,  wie  jene  4ie  in  Schafskleidern  einhergehen  u.  s.  w. 

Dagegen  führt  uns  Herr  Reinmar  von  Brennenberg,  kurz- 
weg der  Brenneberger  genannt,  an  die  Donau  zurück.  Doch  sind 
die  Beiden,  der  historische  Reinmar  und  der  volksthümliche  „Brenne- 
berger** wohl  zu  unterscheiden,  obwohl  ihre  Schicksale  verwandt  und 
in  einander  übergegangen  sind. 

Von  den  nach  der  Burg  Brennenberg  bei  R^gensburg  benannten, 
später  auch  zu  den  Grafen  gezählten  Edlen  erscheint  schon  1162,  1171 
and  1174  ein  Kuno,  1193  ein  Wimt  als  Zeugen  in  Regensburger,  und 
1216  ein  Gebhard  in  Alderspacher  Urkunden.  Des  Letzteren  Sohn  ist 
nrahrscheiulich  jener  Reinmar,  der  als  bischöflicher  Truchsess  1224  und 
ipäter  noch  fungirt  Mit  seiner  Gemahlin  Adelheid  hat  er  einen  gleich- 
falls Reinmar  genannten  Leibeserben,  der  für  unseren  Dichter  zu 
balten  ist.  Dieser  jüngere  Reinmar  wurde,  aus  unbekanntem  Aulasse,  mit 
mehreren  seiner  Mannen  von  den  Regensburgern  erschlagen ;  das  geschah 
^wahrscheinlich  im  J.  1256.^)  Reinmar  hatte  auch  einen  Bruder,  Namens 
Bruno,  der  ihn,  ebenso  wie  seine  Mutter  Adelheid,  überlebte.   Dieser 


')  In  demselben  Jahre  an  dem'  unglückseligen  18.  Februar,  verlor  ein  Fräulein 
Heike  von  Brennen berg,  vermulhjich  die  Scbwesler  des  Dichters,  ihr 
Leben  zu  Donauwörth  und  zwar  mit  ihrer  unschuldigen  Herrin,  der  schönen 
Herzogin  Maria  von  firabant.  Heike  yswöe  nath  der  Sage  von  dem  Herzog 
ermordet,   nach  Anderen  vom  llangoldensteine  bioabgetl&fxt. 


496 

Brano  war  Kanonikns  und  trat  dem  Bischof  von  Regensbnrg  sein  Schloss 
Brennenberg  unter  den  Bedingungen  ab,  dass  der  Bischof  den  Tod- 
schlag Reinmars  räche,  doch  behielt  er  sich  die  Nutzniessung  vor  and 
setzte  überhaupt  noch  die  Klausel,  dass  das  Schlösslein,  wenn  er,  der 
Herr  !^uno  nämlich,  etwa  wieder  weltlich  würde  und  Leibeserben  ge- 
wänne, dieselben  die  Burg  und  das  Truchsessenamt  haben  sollten.  Viel- 
leicht verga;8s  der  Bischof  die  Rache  und  Busse  und  so  gereute  deo 
Herrn  Bruno  auch  sein  Versprechen,  er  gab  den  Kanonikus  auf,  wurde 
wieder  ein  Laie  und  nahm  ein  Weib  um  sdnen  Stamm  fortzupflanzen, 
was  ihm  auch  so  weit  gelang,  dass  abermals  ein  Reinmar  erschien,  mä 
dem  aber  1325  die  Familie  erlosch.')  — 

Das  Gemälde  in  den  Manessen  *)  stellt  die  Ermordung  unseres 
Reinmar  dar :  jugendlich,  im  einfachen  langen  Rock«,  mit  einem  Waid- 
^messer  im  Gürtel,  steht  er  in  Mitten  von  vier  unritterlichen  Männern 
in  kurzen  Röcken,  mit  eisernen  Sturmhüten  und  kurzen  Schwertern,  der 
Eine  hat  ihn  am  Arme  gepackt  und  holt  mit  dem  Schwerte  aus,  ein 
Anderer  stösst  ihm  die  Waffe  von  rückwärts  in  den  Kopf,  dass  das 
rothe  Blut  herausspritzt,  der  Dritte  hält  ihn  beim  Haar  und  rennt  ihm 
das  Schwert  in  die  rechte  Seiten  ein  Vierter  dringt  mit  erhobener 
Waffe  heran.  Hier  ist  offenbar  ein  Ueberfall  und  Mord  dargesteUt,  der 
von  den  Regensburger  Bürgern  gesühnt  werden  sollte. 

Unter  seinen  Liedern  ist  eine  durch  die  Heidelberger  HS.  einzig 
gewahrte  Strophe  sehr  merkwürdig,')  in  welcher  er  den  Tod  seiner 
bedeutendsten  Zeitgenossen  beklagt:  seinen  Freund  Singenberg  (den 
Truchsess  von  St.  Gallen  und  Schüler  «Walthers) ,  sodann  den  alten 
Reinmar,  femer  den  Wialther  von  der  Vogelweide,  zu  dessen 
Schüler  er  sich  bekennt,  Neuenburg,  Rugge,  unsern  JohannsdorC 


0  Mit  diesem  Lelzlffenannten  haben  Oocen  und  Wackernagel  uoiercB 
Dichter  ver^^echselt.  Vgl.  Hagen  I.  83;)— 38  u.  IV.  278—84.  Ettmfiller 
Handbuch  S.  262. 

*)  Sein  Wappen  sind  drei  brennende  Berffe  im  silbernen  Sdiild,  dasselbe  lahrea 
heut  zu  Tage  die  Grafen  von  Lerchenreld. 

*)  Hagen  III.  451  oder  vielmehr  334  (auch  bei  Hpt.  S.  261): 
Wl  sint  nu  alle,  die  von  minnen  sungen  6? 
sie  sint  meistelic  tot,  die  al  der  werlde  fröude  Kunden  machen, 
von  Sente  Gallen  friumt,  dln  scheiden  tuot  mir  w4; 
du  riuv^'es  mich,  dtns  Schimpfes  maneger  künde  wol  gelachen; 
Reinmdr,  dtns  sanges  maneger  gert, 

ich  muoz  dich  klagen  und  minen  meister  von  der  Vogelweide, 
von  Niuvtenburc  ein  herre  wert 

unde  von  Rucke  Heinrich  sungen  wol  von  «innen  beide., 
von  Jöhansdorf  und  euch  von  HAsen  Fridertch^ 
die  sungen  wol,  mit  sänge  wdrens  hovelkh. 
Walther  von  Metz,  RubSn  und  einer  der  hiex  Wahsmuoi; 
von  Gnoianberc  Uoürtch,  der  liute  vil  dU|  singen  dAhle  giiot. 


497 

.Hasen,  Walther  von  Metze,  Rubin,  Wachsmuth  and  Guten- 
burg. Er  hatte  also  ausgebreitete  Bekanntschaft;  den  Burggrafen 
von  Rietenburg  nennt  er  nicht,  den  kannte  er  vermuthlich  nicht 
mehr,  der  war  9chon  lange  todt. 

Der  Grundton  von  Reinmars  Gedichten  ist  die  Klage  über  lang- 
jährig unbelohnten  Minnedienst ;  doch  bleibt  er  ihr  ergeben,  sein  Abend- 
segen und  Morgengebet  gehören  seiner  lieben  Frau  (I,  3).  In  dem  fol- 
genden schönen  Maienliede  (III.)  lobt  er  nicht  allein  alle  Frauen, 
sondern  preist  auch  sich  glücklich  über  die  Wahl  seiner  Herrin,  die 
ihm  in  des  Herzens  Grund  gekommen ,  deren  Schönheit  und  Tugenden 
er  vor  allen,  so  weit  er  auch. im  Lande  umfahre,  erhebt: 

Der  meie  ist  komen  gar  wunneclich 

mit  maneger  hande  schoene, 

der  walt  ist  niuwes  loubes  rieh, 

in  vröut  der  vogelin  doene, 

sie  habent  wunneclichen  schal 

vor  in  diu  liebte  nahtegal, 

der  sanc  ich  hohe  kroene. 

Jung  und  alte,  sit  gemeit, 

lind  sprechet  wol  den  vrouwen, 

von  in  kumt  alle  saeleceit, 

ir  mügt  sie  gerne  schöuwen, 

und  solt  in  iemer  wesoa  holt; 

sie  gebent  wunnebemden  solt: 

ir  lop  is  wol  erbouwen. 

Gedenke,  sinnic,  saelic  man, 

an  reiner  wibe  guete, 

waz  si  wirde  muegen  han. 

ir  lop  in  eren  bluete, 

und  ist  ouch  gar  durhliuhtic  ganz, 

alsam  der  liebten  sonnen  glänz: 

sie  gebent  hoch  gemuete! 

Darauf  folgen  (1 V.)  zehn  sonettehartige  Strophen,  deren  Form  den 
Namen  des  Brennen  bergers  erhielten;  er  verherrlicht  die  Geliebte  in 
blühenden  Bildern: 

Str.  1.  Ir  muut  der  liuhtet,  als  der  liebte  rubin  tuot, 

wan  er  hat  sich  gejunget,  als  der  f^nix  in  dem  fiure, 
er  ist  noch  heizer,  danne  ein  sinder ')  von  der  gluot. 


*)  siiider  =  HtmtnerscIiUig,  Melallsi-hlaike. 

32 


498 

und  eitet  (brenDt),  als  eines  trachen  kel,  sm  lachen  ist  gehiore 

(anmothig); 
er  geneistet  (sprühet),  als  ein  fiurstein  sne], 
wan  solt*  min  munt  sin  zuuder  s!n,  biz  ez  die  minne  enpfienge, 
er  brinnet,  als  ein  vakel  hei, 

und  get  uf,  als  ein  roeseltn;  wie  wol  ez  mir  ergienge! 
da  draejet  (duftet)  üz  ein  baisam,  der  dez  hat  gewalt, 
*    der  wider  junget  unde  wirt  ouch  niemer  alt, 
swem  sie  wont  mit  (rehten)  triuwen  stetelichen  bi, 
dem  wahset  niemer  grawez  här,  und  wirt  ouch  aller  sorgen  m— 
Str.  2.  Wol  raieh,  daz  diu  vil  saeldenriehe  ie  wart  gebom» 

diu  mit  bernden  tugenden  hat  ir  lip  so  wol  gekroenet! 

sie  ist  min  bluende  rose,  ^ewahsen  sunder  dorn; 

seht,  von  ir  schoene  waeren  vil  wol  drizec  laut  beschoenet! 

sie  sunnen  blick,  sie  meien  schin, 

sie  vogel  sanc,  min  hohster  trost,  in  suezer  ougenweide, 

sie  erliuhtet  gar  daz  herze  min, 

swä  ich  der  laude  bin,  sie  ist  doch  min  zuoversiht  in  leide. 

ja  sie  ist  lobes  kröne  ob  aller  vrouwen  schar, 

ir  lop  sich  helle  swinget  witen  her  und  dar, 

von  ir  tugenden,  die  sint  also  lobelich:    - 

swä  mit  man  kroenet  vrouwen  lip,  der  weiz  ich  niender  ir  gelich. 

Er  ist  glücklich  die  Wonnigliche  zu  sehen  und  freut  sich  immer 
des  Tages,  wo  sie  ihm  wie  ein  Engel  erschienen  und  noch  scheint.  Sie 
ist  mein  Tag,  mein  Morgenroth  und  Sonnenaufgang,  meine  Maienzeit 
und  höchste  Freude!  ei!  wohl  mir!  wohl!  immer  mehr  wohl!  wenn  mir 
die  Schöne  zu  Theil  wird. 

Str.  4.  Wohl  mir  des  Tages,  da  mir  allererst  ist  worden  kund, 
Was  hoher  Tugende  und  reiner  Ehre  an  den  Frauen  läge! 
Es  kam  ein  Weib  all  mitten  in  meines  Herzens  Grund, 
Da  riethen  mir  die  Sinne,  dass  ich  ihrer  schöne  pflege, 
Dass  mich  von  nun  an  keine  Noth 

Von  ihrem  Trost  und  von  ihren  Genaden  nimmer  konnte  scheiden, 
Mich  wendet  Niemand  als  der  Tod ; 

Ihren  minniglichen  Leib  den  kann  mir  Niemand  mehr  verleiden; 
Sie  ist  mir  lieb  und  geliebet  mir  für  alle  Weib, 
Sie  ist  mir  lieber  als  mein  eigener  Leib, 
Sie  ist  mir  ohne  Maass,  das  spreche  ich  oflfenbar, 
Sie  ist  meine  lichte  Rose  roth  und  auch  meine  spielende  Soooe 

klar. 


499 

7.  Die  ich  aus  aller  Welt  zur  Herrin  hab  erkorn, 

Zu  hohen  Freuden  mir,  zur  Wonne  wie  zum  Heile, 

Die  hat  auf  mich  gewendet  ihren  Hass  und  ihren  Zorn : 

Ich  mu88  verderben,  wird  mir  nicht  ihr  holder  Gruss  zu  Theile. 

Sie  Reine,  besser  viel  als  gut  (bezzer  danne  guöt) 

Sie  höchstes  Ziel  der  Zärtlichkeit,,  sie  Krön*  ob  allen  Frauen, 

Was  sie  allein  mir  Leides  thut 

Und  Niemand  sonst,  den  Fehler  einzig  mag  man  an  ihr  schauen. 

Ja  die  reme  süsse  sanfte  Mörderin  (mordaerin), 

Mein  Herz  ist  doch  bei  ihr,  wo  ich  des  Landes  bin. 

Ihr^  Zucht,  ihr  hohes  Lob  ich  stets  zum  Besten  mass: 

Wie  selten  sie  gedenke  mein,  in  Treuen  ich  sie  nie  vergass. 

8.  Ihr  Weisen  merket,  wie  mir  Armen  ist  geschehn: 
Ich  bin  mit  ganzem  Leibe  wunderlich  entzweigetheilet. 
Wo  ich  halb  nur  bin,  da  wähnen  sie  mich  ^anz  zu  sehn 

Und  Niemand  sieht  mich  dort,  wo  doch  mein  bester  Theil  ver- 
weilet. 
Die  Liebe  hat  mein  Herz  dahin, 

Das  ist  mein  bester  Theil:  es  weilt  bei  meiner  lieben  Frauen; 
/  So  lass  ich,  wo  ich  leibhaft  bin, 
Männer  und  Frauen  nur  den  Schein  des  ganzen  Wesens  schauen. 
Geschah  an  Einem  solche  Theilung,  wie  an  mir? 
Ich  bin  ja  leider  ganz  so  wenig  dort  als  hier 
Und  bin  doch  Beides  wiederum  so  hier  als  dort: 
Wer  mich  nun  suchen  will,  wie  findet  der  mich  und  an  welchem 

Ort? 

Str.  10  und  11  enthalten  einen  Dialag  zwischen  Liebe  und  Sohön- 
^  den  4er  Dichter  sodann  bescbliesst  Str.  12:  dass  beide  so  zusam- 
\  passen,  wie  der  lichte  Bubin  in  dem  klaren  Golde,  ja  noch  schöner 
EU*;  glücklich  derjenige,  welcher  beide  vereint  findet  und  wo  £^e  sich 

ganzer  Stätigkeit  einem  Manne  gefreundet: 

„Schoene  unde  Liebe  ist  ein  minnecliches  wip, 
Schoene  unde  Liebe  ist  mins  herzen  leitvertrip, 
Schoene  unde  Liebe  machet  al  min  trören  laz: 
die  Schoene  glt  mir  hohen  muot,  diu  Liebe  tuot  dem  herzen  baz.^ 

Der  Ritter,  der  so  lange  um  ungewährte  Liebe  sang,  der  dann 
)st  klagte,  dass  die  Minne  wie  eine  Mörderin  an  ihm  gehandelt  habe, 

selbst  bekennt  ein  zweigetheiltes  Leben  zu  fahren,  das  dann  plötz- 
i  auf  noch  unaufgeklärte  Weise  ein  schnelles  Ende  fand,  da  der 
iger  wirklich  ermordet  wurde :  Das  Alles  half  wacker  zusammen,  um 

32» 


500 

an  ihni  ein  Beispiel  im  Lande  zu  haben,    wie  man   schon    längst  in 
Frankreich  und  Italien  erzählte;    die  fremde  Geschichte  ging  ganz  auf 
den  Brennenberger  über,  in  dessen  Familie  überhaupt  ein  blutiger  Geist 
waltete :  Heinrich  der  Löwe  hatte  einen  Brennenberger  viertheilen  lassen 
und  das  Volk  sang  davon:    ^man  legt  den^Brennberger  auf  den  Tisch 
und  schnitt  ihn  auf  gleich  einen  Fisch  ;^    die  Heike  von  Brennenberg 
fand  zu  Donauwörth  ein  unverschuldetes  Ende  und  unser  Dichter  wurde 
zu  Regensburg  erschlagen.  So  gestaltete  sich  später,  ein  Volkslied  über 
unseren  Dichter   (ebenso  wie  über  den  Tanhauser):    wie  der  Brennen- 
berger viel  von  einer  schönen  Frau  gesungen,  deren  eifersüchtiger  Mann 
ihn  getödtet,    ihm  das  Herz   ausgeschnitten  und  seiner  Frao  zu  essen 
gegeben  und  ihr  dann  den  Gräuel  geoffenbart  habe,  worauf  diese,  ihre 
Unschuld  betheuernd  und  fortan  aller  Speise  entsagend,  am  eilften  Tage 
stirbt  und  der  Mann  sich  ersticht.  ')    Ein  späterer ,  Meistergesang  des 
XV.  Jahrh.  versetzt  den  Brennenberger  nach  Wien;  er  ist  ein  Ritter, 
der  am  Hofe  des  Herzogs  von  Oesterreich   lebt  und  dessen  Frau  als 
das  schönste  Weib  der  Welt  in  seinen  Liedern  feiert;   auf  ihr  Gebot 
zieht  er  jedoch  nach  Paris,  um  durch  den  Augenschein  zu  entscheiden, 
ob  die 'Königin  von  Frankreich  nicht  schöner  sei;   als  Krämerin  ver- 
kleidet') findet  ef  Zutritt  und  Gnade  bei  derselben,  die  ihn  12  Nächte 
beherbergt  und  jede  Nacht  bei  einer  ihrer  zwölf  Fräulein  schlafen  lässt, 
die  Krämerin  aber  verräth  sich  nicht  als  Mann,  nur  als  sie  endlich  bei 
der   Königin  selbst   schlafen  soll,    da  entweicht   der  Vielgeprüfte  und 
bringt  seiner  Herzogin   den  Preis  der  Schönheit  nach  Wien,    worauf 
bald  das  schaurige  Ende  folgt  Simrock  hat  den  alten  Meistergesang 
ausgezeichnet  nachgedichtet.*)  — 

In  abgeschiedener  Bergeinsamkeit,  in  der  äussersten  Ecke  des  Ledi- 
thales  stand  die  Burg  der  Schwan  gauer,  die  später  in  Trümmer  fiel, 
von  unserem  Könige  aber  in  unvergleichlicher  Schöne  neu  erhoben  nod 
wieder  belebt  wurde.  Aus  dieser  den  Weifen  treu  ergebenen,  weitver- 
zweigten Familie  erscheint  Hiltbolt,  der  zweite  seines  Namens,  unter 
den  Sängern  unseres  Mittelalters.  Er  hatte  noch  zwei  Brüder:  Hein- 
rich und  Konrad,  mit  denen  er  zuerst  urkundlich  als  Zeuge  auftritt 
bei    dem    Friedensschlüsse    des    Grafen  Albrecht  von  Tirol    mit  dem 


')  Grimm  deut.  Sagen.  II.  207—12,  wo  die  Erzählung  ausführlich  nach  xwd 
Meistergesängen  des  XV.  Jahrh.  gegeben  iM. 

')  Das  Lied  vom  Brennenberger  ist  natürlich  viel  älter  als  der  Meisrerge$»B|ri 
der  Maler  der  Mänessen  vtusste  davon  und  wollte  den  Brenneher^  ^ 
Krämerin  darstellen,  malle  aber  sein  Bild  zu  Herrn  Dietmar  von  Aist^  (" 
dem  es  gar  keinen  Bezug  hat.    Vgl.  oben  S.  443. 

^)  Simrock  Lieder  der  Minnesinger.  1857.  S.  250-59. 


501 

Brixoer  Bischöfe  Berhtold  (Augsburg  3.  März  1221).  Dabei  waren 
auch  der  Dichter  Konrad  von  Winterstetten  und  zwei  aus  dem 
Geschlecbte  derer  von  Nifen.  Vier  Jahre  darauf  begegnen  wir  ihm 
wieder  im  Geleite  seiner  Brüder  zuSchongau,  um  da  mit  (}en  übrigen 
hiezu  erwählten  Schiedsrichtern  den  Streit  über  die  Kirche  zu  Peiting 
zwischen  den  Klöstern  Steingaden  und  Raitenbuch  beizulegen.  Am 
11.  November  1228  war  er  zu*  Glurns  in  Tirol,  um  als  Zeuge  und 
Bürge  zwischen  Bischof  Berhtold  von  Chur  und  dem  Tiroler  Grafen 
Albrecht' an  dem  Friedensschlüsse  mitzuwirken,  der  in  Gegenwart  ihrer 
Vasallen  und  Ministerialen  verhandelt  wurde.  Am  12.  Oktober  1234 
ist  er  zu  Augsburg.  Als  dann  Schwigger  von  Reichenberg  am  5.  Nov. 
1236  in  Prntz  alle  seine  Güter  an  den  Grafen  von  Tirol  als  erbliches 
Lehen  verhandelte,  stand  Hiltbolt  (mit  seinem  Bruder  Heinrich)  dem 
Rechtshandel  bei,  auch  war  er  gegenwärtig,  als'  seine  Niftel  Ghristina 
von  Fronhofen  den  26.  April  1240  eine  Schanknng  an  das  Kloster 
Steingaden  machte.  Im  Jahre  1254,  den  13.  September  finden  wir  ihn 
zum  letztenmale  und  zwar  bei  einem  friedlichen  Vertrage  zu  Innsbruck.*) 
Von  ihm  sind  zweiundzwanzig  Lieder  erhalten,  die  obwohl  aus  der 
besten  Zeit  des  höfischen  Singens,  doch  etwas  Gemachtes  und  Conven- 
tionelles  an  sich  tragen;  bisweilen  aber  ist  er  heiter,  sinnig  und  herz- 
lieh.  Er  erzählt,  wie  er  früher  wohl  Vieren  sich  zu  eigen  bot,  nun 
minne  er  Eine,  und  davon  hat  er  viel  grössere  Noth,  denn  je,  nun  erst 
erkennt  er  die  Minne  (II.  2): 

Ez  ist  ein  wunder,  mir  wart  nie  so  we, 

dd  ich  wol  vieren  vür  eigen  mich  bot, 

nü  minne  ich  eine,  unt  deheine  ander  m6, 

und  ist  nach  der  einen  noch  grözer  mfn  not. 

danne  sie  waere  von  minnen  als  ie: 

ez  war  ein  spil,  damit  ich  ün;ibe  gie : 

nd  erkenne  ich  minne,  die  erkande  ich  e  nie. 

Ihr  ergibt  er  sich  auf  Gnade  zu  dienen,  sie  ist  die  erste,  die  ihn 
fing  (in.  4).  Doch  muss  es  ziemlich  lang  gewährt  haben,  .bis  er  Er- 
hörung fand  und  in  Gnaden  angenommen  wurde,  er  hatte  oft  Stunden 
der  Verzweiflung,  er  fürchtet  sich  vor  ihrör  Ungnade  wie  das  Kind  vor  . 
der  Ruthe  (VIII.  2).  Nun  sucht  er  sie  durch  sein  Lob  zu  gewinnen ; 
mit  einem  an  Walther  erinnernden  Ausdruck  behauptet  er  vom  Po  bis 
zum  Rheine  nach  den  Besten  gesucht  zu  haben  und  darunter  ist  sie  die 


*)  Muffat  Geschiebte  voo  Hobeoschwao^ao.  1837.  S.  39 If.  Hormayr  histor. 
Tascheobuch.  1842.  S.  298-309  und  dessen  ^Goldene  Chronik  von  Hohen- 
schwangau.**  Hagen  I.  280-84.  IV.  190-92  u.  V.  247.  Taf.  XXH, 


502 

Erwählte!  (X.  1.)  Da  aber  immer  noch  die  gehoffte  Antwort  von  ihrer 
Seite  ausbleibt,  da  sie  so  beständig  im  Versagen  ist,  so  wird  er  todt* 
traurig  (XIV.  1);  dessungeachtet  gibt  er  die  Hoffnung  nicht  auf  (XVII), 
wenn  sie  nur  erst  seinen  guten  Willen  einsehen  wollte  (XVIII).  Mit 
äusserster  Einfachheit  singt  er  (XXI): 

Kalte  rifen  unde  sne, 

so  diu  zergänt,  so  kumt,  als  e, 

beide,  bluomen  unde  kle: 

unzergangen  ist  min  not,  der  wirt  ie  mS. 

Swie  man  siht  die  beide  stau, 

wiz,  alder  sumerlich  getan, 

mir  enwil  min  leit  zergän : 

daz  klage  ich  der  schoenen,  von  der  ich  ez  han. 

Sie  bleibt  unerschütterlich  wie  der  Polarstern  (Tremundan.  XXII.  2); 
endlich  aber  erhört  sie  ihn,  doch  mag  sie  ihm  eine  Kreuzfahrt  auferlegt 
haben.  Damals  war  die  Sitte  häufig,  dass  der  Bräutigam  vorerst  noch  auf 
gut  Gluck  über  das  Meer  musste.  Vor  der  Fahrt  schwören  sie  sich  Trene, 
wie  die  Weingartnör  HS.  abgebildet  hat.  Als  der  Herzog  Weif  im  nahen 
Peiting  die  Kreuzesfahne  vor  dem  Altare  schwang,  stand  Hiltbolt  von 
Schwangau  in  seinem  Geleite  und  stiess  dann  mit  zu  dem  Zuge  des 
Herzog  Leopold  von  Oesterreich  und  des  König  Andreas  von  Ungarn, 
den  auch  Hiltbolts  Schwäger,  Herzog  Otto  von  Meran,  Bischof  Egbert 
von  Bamberg,  der  Neidhart  u.  A.  begTejteten. 

Er  kehrte  glücklich  zurück  und  wurde  wohl  empfangen :  Zwischen 
zwei  Frauen  tanzend  ist  er  in  den  Manessen  abgemalt;  in  voller  Rüst- 
ung, den  geschlossenen  Stechhelm  mit  dem  Schwan  als  Zimier  noch  aof 
dem  Haupte,  als  käme  er  eben  vom  Ritterspiel,  tritt  der  Schwangaaer 
in  eine  Halle;  kaum  dass  er  die  Hände  von  den  Panzerringen  entschoht 
hat,  führen  ihn  zwei  Fräulein  mit  Blumenschapelin  auf  den  wallenden 
Locken,  zum  Tanze,  ein  junger  Fidelaere,  die  viersaitige  Geige  strei- 
chend, geht  voran.  Es  ist  ein  höfischer  Tanz,  der  bereits  im  Parcival 
geschildert  ist,  wie  zwischen  zwei  lichten  Frauen  ein  klarer  Ritter  mit 
schleifenden  Schritten  den  Umgang  hält.  Der  Schwangauer  hat  aoch 
einen  Reihen  gesungen  und  zwar  für  zwei  liebliche  Frauen,  Elle  und 
Else,  von  denen  eine  die  Verehrte  sein  mag  (FV): 

Ich  wil  der  lieben  aber  singen, 
.der  ich  ie  mit  triuwen  sanc, 
üf  genäde  und  üf  gedingen 
daz  mir  truren  iirerdo  kranc, 
bi  der  ich  also  schöne 


503 

an  einem  tanze  gie, 
ir  zaeme  wol  die  kröne, 
so  schoene  wip  wart  nie. 

Elle  und  Else  tanzent  wol, 

dez  man  in  beiden  danken  sol. 
Ine  gesach  so  tugentliche 
vrouwen  nie,  dez  muoz  ich  jehen, 
noch  sd  rehte  minnekliche; 
swaz  ich  vrouwen  hän  gesehen, 
der  ist  sie  vor  in  allen  • 

gewaltig  iemer  min, 
.  sie  muoz  mir  wol  gevallen 
sie  süezer  saelden  schfin. 

Elle  und  Else  tanzent  wol  etc; 
Saelic  si  diu  süeze  reine, 
saelic  si  ir  roter  munt, 
saelic  si,  die  ich  da  meine  ^ 
saelic  si  s6  süezer  vunt, 
saelic  si  diu  süeze  stunde, 
saelic  si,  daz  ich  sie  ersach, 
saelic  si,  ^do  sie  mich  bunde, 
diu  bant  sie  noch  nie  zerbrach. 

Elle  und  Else  tanzent  wol  etc. 

Die  Geschichte  fuhrt  uns  später  noch  einmal  und  zwar  unter  trau- 
rigeren Verhältnissen,  nach  Schwangau  zurück.  —  In  entgegengesetzter 
Richtung,  an  den  breiten  Ufern  des  Innstromes  zu  Rosenheim  treffen 
wir  auf  einen  anderen  Dichter.  Dieser  sog.  Kunz  von  Rosenheim 
aber  ist  ein  höchst  unsicherer  Herr,  denn  abgesehen  davon,  dass  das 
bayerische  Rosenheim  urkundlich  erst  im  Jahre  1234  erwiesen  werden 
kann,  0  so  finden  sich  die  wenigen  unserem  Kunz  beigelegten  Lieder 
auch  bei  Anderen,  wie  bei  Heinrich  von  Veldecke,  Künzingen 
und  Singe nberg,  und  selb^  das  einzige  Li^d,  in  welchem  er  im  Style 
dieser  älteren  Sangesmeister  klagt,  dass  Nienmnd  mehr  des  Sanges  froh 
ist,  wobei  er  warnt,  die  holden  Frauen  zu  schmähen,  die  aller  Mutter 
sind  und  Manchen  beglücken  ^)  —  auch  dieses  Lied  wird  in  der  Heidel- 


')  01(0  Titan  von  Hefner  Chronik  von  Rosenheim.  1860.  S.  23  ff.  Doch  ist 
Rosenheim  um  diese  Zeit  ein  mit  Höfen  und  Schwaigen  iHngnbenes  Schk)ss, 
welches  den  Grafen  von  Wasserburg  gehörte.  Die  1234  genannte  Burg 
Rosenheim  war  vielleicht  schon  1180  herzoglich  geworden,  als  Bavern  an  das 
Haus  Witteisbach  kam.  Vgl.  Koch -Stern  fei  d  der  in  s. '^Cullurhislorischen 
Skizzen""  München  1861  S.  60  ff.  gleichfalls  unseren  Sänger  vergass, 

')  Hagen  H.  335. 


504 

berger  Liederhandschrifl  einem  völlig  unbekannt^D  Hugo  vonMfiln- 
dorf  zugeschrieben,  der  nach  dem  Urtheil  eines  gewiegten  Historikers 
wirklich  aus  unserem  niederbayerischen  Mfihldorf  sein  dürfte,   wo- 
selbst schon  1213  der  Herr  Bischof  Eberhard  von  Salzburg  eine  Urkunde 
untei  schrieb. ')     Dagegen   hielt  der   Maler   der  Manessen,    der  seinen 
eigenen  Kopf  hatte,  an  der  wirklichen  Existenz  unseres  Kunz  fest  und 
nahm  keinen  Anstand,  uns  denselben  persönlich  vpr  Augen  zu  führen 
und  zwar  in  einer  recht  hübschen  Situation:')    Es  ist,   wie  bei' Kon- 
radin, ein  Jagdbild.  Obwohl  der  Maler  diesesmal  mit  keinem  ritterlichen 
Wappen  freigebig  ist,  so  stellte  er  ihn  doch  als  einen  behäbigen  Guts- 
oder Standesherren  dar:  von  stattlicher  Gestalt,  jugendlich,  mit  einem 
zierlichen  Jagdhute  (woran  eine  moderne  Vorrichtung  fliegt,  um  ihif  fest 
zu  halten),  im  kurzen,  engen JRöcklein,   ein  Täschel  und  Waidmesser 
am  Gürtel,  hält  er  auf  dem  Faistling  einen  Falken,  dem  er  eine  Wachtel 
zeigt,    die  das  Bräckelein   aus  dem  Kornfelde  aufgejagt  hat;    in   dem 
Felde  arbeitet  eine  anmuthige  Schnitterin,  mit  langen  Locken  unter  dem 
leichten  Hute,  an  der  Linken,  welche  das  Korn  zusammen fasst ,  trägt 
sie  einen  Handschuh,    mit  der  Rechten  schwingt   sie  die    heute   noch 
gleichgestaltete  Sichel. 

Bisher  gelang  es  nicht  den  kurzweg  als  der  Dürner  bezeichne- 
ten Dichter  mit  festeren  Belegen  in  Bayern  nachzuweisen,  als  Hagen 
gethan  hat. ')  Das  Bild  zeigt  zwei  im  Lan^enrennen  gegen  einander 
ansprengende  Ritter,  dem  Einen  scheint  ein  Fräulein  die  Lanze  aas 
der  Hand  genommen  zu  haben,  um  fbr  ihn  zu  kämpfen;  von  den 
Zinnen  der  Ringmauer,  von  den  Lauben  des  Hauses  schauen  vier  andere 
Jungfrauen  zu.  Das  Wappen  ist  eine  Glocke  unter  einem  Kirchthurm- 
dache,  auf  welchem  ein  goldener  Hahn  steht;  der  andere  Ritter  fiihrt 
einen  rothen  Schild.  Der  Thurm  scheint  allerdings  den  Namen  zu  be- 
rechtigen. Es  gab  alte  fränkische  Herren  und  Grafen  von  Durne,  Düme, 
die  jedoch  schon  im  XIII.  Jahrh.  ausstarben,  auch  lebten  im  folgenden 
Jahrhundert  bayerische  Herren  dieses  Namens,  die  z.  B.  da«  Kloster 
Reichenbach  am  Regen  in  der  Oberpfalz  begabten,  auch  erscheint  hier 
ein  gleich  alter  Ort  Durn.  Vielleicht  wäre  an  eine  mit  dem  Dichter  des 
hl.  Georg  (vgl.  oben  S.  356)  verwandte  Familie  zu  denken.*) 


0  Hagen  seut  unseren  Kunz  von  Rosenheim  um  1230.  (IV.  643.) 

>)  Hagen  lY.  643  und  Y.  269.  Taf.  XLHl. 

S)  IV.  646  und  II.  336. 

^)  Auch  gab  es  im  Hochslif!  EichstSH  alte  Erbmarschalle  Dürner  von  Döri, 
Dürn  ist  ein  Burgstall  nächst  Dietfufth;  ihr  Wappen  ist  im  goldenen  Schilde 
ein  springender  schwarzer  Widder,  das  Kleinon:  ein  Apfelbaum  mit  vier 
rolhen  Aepfeln,  oder  ein  grüner  Stamm  mit  rothen  Kosen.    W.  Utfnd  di* 


505 

Sein  aa8  5  troch^ischen  Strophen  bestehendes  Lied  zeigt  von  guter 
Zeit,  ist  in  Sprache  und  Reim  untadelig,  der  Inhalt  natürlich  amurös. 
Die  Minnigliche  ist  sein  Mai  ioi  Winter ,  weiss  ist  ihr  Fell ,  roth  die 
Wangen  und  das  süsse  Mündelein,  blank  ihre  Kehle,  ihr  falbes  Haar 
ist  ihm  lieber  als  das  grüne  Laub ;  <r  ihm  geträumte  ein  wonniglicher 
Traum:  wie  ein  Rosenbaum  mit  zwei  blühenden  Aesten  ihn  umfangen 
habe,  darunter  fand  er  Violen  und  Rosenduft;  ein  solches  Umfangen 
liesse  er  sich  halbe  Tage  )ang  gerne  gefallen.  Ihr  Lachen  bringt  meinem 
Herzen  Freude,  ihre  Augen  erleuchten  meines  Herzens  Grund,  ihre 
rosenrothen  Lippen  vermöchten  ^inen  Siechen  zu  heilen. 

Das  Leben  vieler  Minnesinger  ist,  mehr  oder  minder  auffallend  in 
die  Sage  verflochten.  Wie  ein  Schatten  wandelt  Heinrich  von  Ofter- 
dingen  unter  seinen  Zeitgenossen,  durch  den  räthselvollen  Klingschor 
noch. mehr  gehoben,  der  mit  ihm  die  luftige  Mantelfuhre  von  Ungarn 
nach  Eisenach  besteht.  Dem  Wirnt  von  Grävenberg  liess  man  die  Frau 
Welt  erscheinen,  des  edlen  Brennebergers  Herz  seine  geliebte  Herrin 
verzehren,  den  Frauenlob  von  Frauen  zu  Grabe  tragen  und  den  Hügel 
mit  Wein  verschwemmen,  Walther  von  der  Vogelweide  setzt  die  Vögelein 
in  sein  Testament  und  gedenkt  ihrer  mit  Speise  flir  ewige  Zeiten.  Lange 
sang  das  Volkslied  vom  edlen  Möringer,  indiess  Andere,  wie  die  spruch- 
weisen  Spervogel,  Heriger  und  der  Windsbecke,  noch  immer  jeder  per- 
sönlichen Erscheinung  spotten.  Der  merkwürdigste  dieser  unfa^sbaren 
Gesellen,  dessen  Name  in  alter  Zeit  durch  die  verschiedenen  Volkslieder 
und  in  unseren  Tagen  durch  Richard  Wagner*s  Tondichtung  wieder  in 
Aller  Mund  gekommen,  ist  derTanhauser.  Die  Sage  hat  einen  ver- 
hängnissvollen romantischen  Nimbus  über  ihn  gebreitet;  sein  Leben  aber, 
das  einzig  aus  seinen  kraus  durcheinander  geworfenen  Liedern  einige 
Anhaltspunkte  gewährt,  ist  in  beinahe  undurchdringliches  Dunkel  gehüllt. 
Vielleicht  ist  das  Dickicht  doch  zu  durchbrechen  und  der  fahle  Dämmer- 
schein etwas  zu  lichten. 

Seit  unvordenklichen  Zeiten  singt  und  sagt  das  Volk,  ')  wie  einst 
ein  guter  ^fränkischer  Ritter,^  Tanhauser  genannt,  am  Fusse  desHörsel- 


gegen  gibt  ihnen:   im  bliiuen  Schild  eine  gelbe  Zwergstrasse.  —    Das  dem 
ichter  in  den  Manessen   beigelegte  Wappen    findet  sich  nirgends  und  ist 
offenbar  eine  Erfindung  des  Malers. 

1)  Die  meisten  Volkslieder  hat  Grass e  in  s.  Abhandlung  über  den  Tanhauser 
(1846;  2.  Aufl.  1861)  und  Uhland  Volkslieder  I.  1032  verzeichnet.  Das 
Lied  in  Kornmann's  Mons  Veneris.  Frankfurt  1614  S.  127—32  steht  schon 
bei  Hagen  IV.  429  und  in  der  2.  Anfl.  bei  Grasse.  —  L.  Bechstein, 
der  in  s.  Thörinffer  Saffenhuch  (Wien  1858)  überhaupt  keine  Quelle  näher 
bezeichnet,  erzählt  die  Maer  von  Danhäuser  nach  J.  Agricola's  ^^Sprichwörter" 
und  gibt  das  Lied  angeblich  „in  seiner  ursprünglichen  Gestalt  als  fliegendes 
Blatt/  S.  126  fr. 


506 

berges  in  iier  Dämmerung  vorüberziehend ,  *)   eine  Höhle  gesehen  und 
an  derselben   eine  Fraue,  wie  er  ehebevör  nimmer  geschaut:    das  war 
Frau  Venus  selber.    Sie  sang  ihm  zu  und  lud  ihn  ein ,  in  ihre  Höhle 
zu  kommen   und  mit  ihr   die  Freuden  der  Liebe  zu  theilen.     Er  aber 
konnte  der  süssen  Lockung  nicht  ^widerstehen,  hörte  auch  nicht  auf  die 
innere  Stinuüe,  welche  ihn  verwarnte  den  Bitten  der  heidnischen  Göttin 
zu  folgen,  sondern  ging  mit  ihr  in  den  Berg  und  blieb  bei  ihr.  So  war 
ein  Jahr  vergangen  —   nach  Anderen   wären  es  sieben  Jahre  wie  ein 
einziger  Tag  gewesen  —  da  ward  die  Stimme  des  Gewissens  wach  und 
er  begann  zu  klagen :  ^Mein  Leben  ist  mir  worden  krank,  ich  ma^  nit 
länger  bleiben,  nun  gebt  mir  Urlaub,  Fräulein  zart,  von  eurem  stolzen 
Leibe ;^  er  rang  darnach  sich  Gott. zu  versöhnen,  die  Sünden  zu  beich- 
ten und  wo  möglich  Vergebung  derselben  zu  erlangen.     Und  so  bat  er 
die  schöne  Frau,  ihn  ziehen  zu  lassen,   denn  seines  Bleibens  sei  nicht 
mehr  bei  ihr,    sie  bedünke  ihm  «ine  Teufelinne.    Sie  aber  wollte  ihn 
nicht  lassen,  sondern  gemahnte  ihn  an  alles  Gute,  an  alle  Liebe,  die 
er  hier  genossen,   lockte  ihn  zu  neuem  Minnespiel  und  versprach  ihm 
sogar  eine  ihrer  Frauen  zu  seinem  ehelichen  Weibe,  auf  dass  diese  ihn 
immer  fesseln  möge*    Tanhauser  aber  liess  sieh  nicht  halten,  sondern 
schlüpfte  mit  Hilfe  der  hl.  Jungfrau  aus  dem  Berge;  von  einem  Priester 
ging  er  zum  anderen  und  wollte  Ablass  haben  für  sein  unheiliges  Leben, 
aber  keiner  mochte  ihm  solchen  gewähren.  Alle  sagten,  nur  der  heilige 
Vater  in  Rom  könne  ihm  verhelfen  die  Schuld  zu  büssen,  die  er  durch 
seine  Gemeinschaft  mit  dem  bösen  Geiste  auf  sich  geladen.  So  fnhr  er 
denn  in  Jammer  ubd. in  Reuen  gegen  Rom,   warf  sich  dem  Pabst  zn 
Füssen,  gestand  ihm,  wie  er  ein  ganzes  Jahr  bei  Frau  Venus  im  Berge 
zugebracht  und  jetzt  um  Busse  flehe,   damit  er    wieder  der  Wohltbat 
des  Ghristenthums  theilhaft  werden  könne.     Der  Pabst  aber  stiess  ihn 
zornig  von  sich  und  sprach:   Wann  dieser  dürre  Steck e^n,    den  ich 
in  der  Hand  halte ,  wieder  grünen  und  blühen  wird ,   dann  werden  dir 
auch  dmne  Sünden  vergeben  sein.   Und*  damit  wandte  er  sich  von  ihm, 
Tanhauser  aber  zog  aus  der  Stadt  ia  Jammer  und   in  Leid^  und  ge- 
dachte: So  mich  der  milde  Krist  und  seine  heilige  Mutter  nicht  wieder 
annehmen  wollen,  so  ziehe  ich  wieder  in  den  Berg,  ewiglich  und  ohne 


')  Die  Erzählung  folgt  hier  theilweise  nach  Grass e,  der  selbe  oßenbar  nor 
zu  romanhafl  behandelt  hat;  auch  W.  Menzel  D.  Dicht.  I.  306  folgi  ihn 
hierin;  dass  der  Tanhauser  durch  Thüringens  Gauen  zur  Wartburg  gezogen, 
wo  Landgraf  Hermann  viel  edle  Ritter  und  Sänger  znm  (angeblichen)  Wart- 
burgkrieg:e  sammelte  und  dass  dieser  den  Tanhauser  auch  dabei  haben  wollte 
u.  s.  w.  ist  offenbar  neuere  Zuthat,  denn  keine  frühere  Quelle  nennt  die 
Wartburg,  auch  nicht  die  deutschen  Sagen  der  Grimm  I.  246,  die  nadi 

•    Praetorius  „Blocksberg^  und  Agricola's  „Sprichwörtern^  eriählen. 


5ft7 

Ende  zu  meiner  Fran  Venus.  Mit  Freuden  und  OottwUlkommen  (Uhlacd 
Str.  24)  ward  er  empfangen.  Darnach  wohl  an  dem  dritten  Tag  ersah 
der  Pabst  mit  Schrecken,  wie  der  Stab  anhub  zu  grünen,  da  sandte 
er  Boten  in  alle  Lande,  wohin  der  Tanhauser  war*  kommen.  Der  aber 
war  ^verfahren^  und  schon  wieder  im  Berg  und  muss  darinnen  bldben 
bis  an  den  jüngsten  Tag. 

Seitdem  warnt  der  treue  Eckart ')  Jeden  der  dorthin  kommt, 
hineinzugehen,  dass  ihm  nicht  also  geschehe. 

Gleichwohl  erzählen  doch  alte  Mären,  wie  später  noch  mancher 
Bitter  sich  von  Frau  Venus  verführen  lassen.  So  sei  z.  B.  Herr  Hein- 
rich, der  Sohn  des  Herzogs  von  Limburg,  auTder  Sucherfahrt  nach 
seinem  verlorenen  Schwesterlein  in  tlasLaod  der  Frau  Venus  gerathen, 
wo  er  bleiben  musste,  bis  er  durch  seinen  Schwager  befreit  ward.  Ebenso 
wird  der  schwäbische  Ritter  Hermann  von  Sachsenheim  wegen  seiner 
Minneschuld  durch  einen  Zwerg  in  den  Venusberg  entführt,  wo  Eckart 
sein  Wamer  und  Fürsprecher  im  Minnegericht  gegen  die  böse  Mörin') 
ist,  welche  sehr  viel  bei  der  Frau  Venus  gilt,  deren  Gemahl  aber  der 
Tanhauser  aus  Frankenland  ist. 

Legt  man  den  Maassstab  der  klassischen  Philologie  an  unsere 
Mythologie,  so  entsteht  immer  nur  Verwirrung.  So  ging  es  auch  hier. 
Man  fand  die  Tanhausersage  mit  dem  homerischen  Liede  vonOdysseus 
und  der  Kalypso  verwandt,  indem  beide  Frauen,  dort  Frau  Venus,  hier 
die  Kalypso ,  ihren  Helden  behalten  wollen ,  .  diese  aber  dort  durch 
Mana,  hier  durch  Minerva  befreit  werden.')  Das  ist  aber  auch  Alles, 
denn  der  tragische  Haupttheil  der  deutschen  Sage,  die  verzweiflungsvoUe 
Rückkehr  in  den  Venusberg,  hat  in  der  Antike  keine  Parallele.  Gutzkpw 
hatte  eine  leise  Ahnung,  dass  unter  der  Frau  Holle  des  Hörseiberges 
doch  etwas  Anderes  gemeint  sein  könne,  als  die  Repräsentantin  einer 
Venuswirthschaft  ä  la  Paiis.  Und  A.  Becker  äusserte  gelegenheitlich 
bei  Besprechung  ded  Wagnerischen  Operntextes :  ^)  ^  es  ist  nur  zufällig 
und  verräth  gelehrten  Einfluss ,  dass  Frau  Holle  im  Liede  Frau  Venus 
heisst.^  —  Frau  Venus  war  sicherlich  früher  eine  deutsche 
Wasser-  oder  Waldfrau,  eine  Elbe,  wie  Frau  Hulda  und 
erst  die  Renaissance,  die  freilich  theilweise  schon  über  den  Fall  von 
Trapezunt  hinauf  datirt,  machte  wie  Mannhardt  treflfend  bemerkt,') 


*>  Grösse  S.  28  (1.  Aufl.)  Grimm  Deat.  Sagen.  I.  9  u.  402. 

')  Die  schwarze  Brunhilde  (Krimhild)  aus  dem  RosengarteD. 

')  Mone  Anzeiger.  V.  168. 

4)  Ib  der  Allgem.  Zeitung.  1855.  Nro.  236.  S.  3763. 

')  Mannhardt  Mythenforscbungen.  S- 264.  -  Die  heidnische  Mythe  mit  legen- 
denhafter Deutung  bereits  in  \V.  Menzel:  Odin  S.  311.  ' 


508 

aus  Fran  Hulla  ^eine  gelehrte  Uebersetzang^  in  Frau  Yenas,  wie  denn 
nach  dem  nenen  Geschmack  alle  nnstrre  deutschen  Sagen  lateinisirt 
wepden  mussten. 

Auffallend  ist  es  zuerst,  dass  die  Sage  in  ganz  Deutschland  ver- 
breitet und  überall  localisirt  ist.  Wir  haben  bereits  zwei  weitere  Bei- 
spiele angeführt.  Ebenso  hatte  ein  Herr  von  Schnewburg  ')  gleich- 
falls mit  Frau  Venus  im  Berge  Umgang  gepflogen  und  begann  seiner 
Verbrechen  wegen  den  Tod  zu  fürchten  und  Vergebung  von  Gott  zu 
wünschen.  Auch  er  hört  dieselbe  Rede:  eher  soll  der  Stab  Rosen 
tragen,  als  dass  Verzeihung  werde.  Traurig  sei  er  hierauf  nach  heim 
gekehrt,  wie  er  aber  das  Thal  hinauf  nach  seinem  Schlosse  geritten,  da 
sei  seitwärts  der  Eingang  in  den  Venusberg  offen  gestanden  und  eine 
Stimme  habe  ihm  gerufen,  sich  hineinzustürzen;  das  habe  er  auch 
gethan  und  sei  fortan  nicht  mehr  gesehen  worden.  Nach  zwei  Jahren 
aber  habe  jener  Stab  wirklich  Rosen  getragen,  nun  seien  Boten  gelau- 
fen, dem  Ritter  die  Verzeihung  Gottes  zu  künden,  allein  sie  hfttten  aaf 
der  Schnewburg  nur  die  Wittwe  desselben  angetroffen,  und  als  diese  im 
Berge  nachgraben  Hess,  habe  man  den  Herrn,  no<rh  auf  seinem  Pferde 
sitzendi  gefunden.  • 

Im  hohen  Grade  seltsam  ist  das  Wunder  mit  dem  blühenden  Stabe. 
^Derbabst  hat  einen  Stecken  weiss,  der  ward  von  dürrem  Zweig* 
heisst  es  in  dem  einen  Liede. ^)  In  einem  anderen:  „der  babst  het  am 
steblin  in  seiner  band  und  das  war  also  dürre;  als  wenig  das  steblein 
gronen  mag  komstu  zu- Gottes  hnlde.'^')  Nach  Anderen  wäre  es  ein 
„weisser  Stab.^  Nun  ist  es  aber  doch  auffallend,  wie  der  Pabst  im 
Volksliede  dazu  kommt,  einen  dürren  Zweig,  Stecken  oder  Stab  in  der 
Hand  zu  halten,  denn  bekanntlich  tragen  die  Päbste  keinen  Hirten- 
stab. Grässe  erinnert  an  die  altnordische  Sitte  der  sogenannten  Neid- 
stangen; wo  man  einen  Pferdeschädel  auf  eine  Stange  steckte;  mit  einem 
Holz  die  Kinnladen  aufsperrte  und  nach  der  Gegend  hinrichtete,  wo  der 
Feind  wohnte,  dem  man  zu  schaden  wähnte.  (Grimm  Myth.  1854.  II. 
626.)  Allein  das  ist  ebenso  irrig  hieher  zu  beziehen,  als  zu  glauben, 
der  heil.  Vater  habe  sich  gerade  auf  seinen  Stab  gestützt;  denn  der 
Pabst  hat  gar  keinen.  Wie  er  darum  kam,  erzählt  man  in  Altbayem 
und  Schwaben  so :  Zu  St.  Peters  Zeiten  sei  mal  ein  Bischof  zu  dem 
Apostelfiirsten  nach  Rom  gekommen  mit  der  Bitte,  einen  Verstorbenen 
wieder  in*s  Leben  zu  rufen ;  nun  habe  aber  St.  Peter  gerade  selbst  bin- 


')  Bei  Freiburg  im  Breisgau.  Vgl.  Schreiber  Tsschenbucb.  1839.  S.  348. 
')  Bei  Kornmann  S.  130  Str.  19.   • 
')  Uhlaod  Str.  20. 


509 

zugehen  nicht  die  Zeit  gehabt,  daher  gab  er  dem  Bischof  seinen  Stab, 
um  selben  über  den  Todten  zu  legen,  der  dadurch  lebendig  wurde.  Seit 
ihn  aber  St.  Peter  weggegeben,  hat  keiner  seiner  Nachfolger  mehr  einen 
Stab  geführt.  *)  —  Ein  anderer  Erklärer  meint,  der  Pabst  habe  Tan- 
hausers  Pilgerstab  genommen ,  da  kein  Grund  einleuchte ,  wesshalb  er 
einen  solchen  Stab  schon  in  der  Hand  gehabt.  Das  wäre  flir  unsere 
Losung  giltiger.  Unerklärlich  aber  bliebe  noch  immer  die  Unerbittlich- 
keit  des  Pabstes,  der  selbst  in  dem  angeblichen  Handel  des  Grafen  von 
Gleichen,  nachdem  dieser  bei  Lebzeiten  seiner  deutschen  Hausfrau  in 
der  Fremde  eine  Heidin  geheirathet  hatte,  doch  dazu  noch  seine  Ein- 
willigung gegeben  haben  soll.')  Diese  Unerbittlichkeit  muss  ausserhalb 
christlicher  Beweggründe  gesucht  werden. 

Hauen  wir  einmal  durch  eine  kühne  ConjectiSir  den  ganzen  Knäuel 
durch,  so  werden  sich  die  einzelnen  Theile  wohl  entwirren  lassen.  Im 
Ganzen  liegt  einfach  eine  Blbengeschichte  vor.  Bekanntlich 
lieben  diese  Geister  die  Menschenkinder  und  suchen  selbe  durch  allerlei 
Mitte],  durch  weisende  Thiere  sowohl,  wie  durch  Gesang  und  Tanz  zu 
ihrem  Umgang  zu  verfuhren.*)  Aber  dem  Sterblichen,  der  in  ihre 
Bande  gefallen,  graut  bald  vor  dem  unheimlichen  Wesen,  denn  er  will 
Fleisch  von  seinem  Fleische,  Blut  von  seinem  Blute;  also  rafft  er  sich 
auf  und  entflieht  und  gebt  zum  Priester  des  Frö  oder  der  Frauwa ; 
dieser  erschrickt  und  wagt  den  Bann  nicht  zu  lösen,  wenn  nicht  der  Gott 
selbst  ein  Zeichen  gibt;  der  Büsser  aber  wagt  nicht,  das  Ordale  abzu- 
warten, verzweifelnd  kehrt  er  zum  Berge  zurück  und  scheidet  sich  selbst 
aus  dem  Leben. 

Es  ist  der  alte  Glaube,  dass,  wer  die  Götter  geschaut,  es  mit  dem 
Leben  bezahlen  müsse,  es  ist  dieselbe  Geschichte  wie  mit  Sigurd  und 
Brynhilde,  die  unzäligemal  und  doch  unsterblich,  immer  aufs  neue  im 
Märchen  wiederkehrt.  Aehnliche  wunderschöne  Sagen  hat  Fries  in 
Unterfranken  gefunden^)  und  Schön werth  in  der  Oberpfalz.  Eine 
merkwürdige,  ganz  hieher  bezügliche  Geschichte  von  jungen  Bayern  und 


')  Der  Sliib  wird  anffeblicb  zu  Trier  aufbewahrt  Vgl.  Schreiber  Das  ur- 
sprüngliche Alter  der  Bislhtimer  Trier,  Cöln  und  Lüftich.  Trier  1860.  S.  18 
u.  19.  Auf  den  Bildern  in  den  römischen  Katakomben  ist  Christus  und  Petrus 
allein  mit  Stäben  abgebildet  und  keiner  der  folgenden  Pübsle  trägt  dort 
einen  Stab. 

')  Eine  ähnliche  Romfahrt  zum  hl.  Vater  mit  gleich  seltsamen  Ordal  bei  Schön- 
wert h  Sitten  und  Sagen  der  Oberpfalz.  I.  114. 

')  J.  W.  Wolf  Beiträge  zur  deutschen  Mythologie.  II.  233  ff.:  „Der  elbischen 
Jungfrauen  Streben  geht  oft  dahin,  die  Liebe  schöner,  edler  und  tapferer 
menschlicher  Männer  zu  gewinnen;  die  Art  und  Weise,  wie  sie  dieses  aus- 
führen, ist  verschieden.*^ 

«)  Mitgetheilt  in  J.  W.  Wolfs  Zeitschrift,  l  26  ff. 


519 

Schwaben  erzählt  auch  Caesarias  von  Heisterbach.')  —  Halda 
ist  .eine  Dienerin  der  Frouwa,  eine  WaMfrau;  Tanhanser  selbst  aber 
ist,  dem  Namen  nach  nur  ein  Waldhäusler,  der  im  Walde  wohnt,  der 
im  Tann  gehaust  hat.  Später,  mit  dem  Verglimmen  des  Heidenthums, 
ward  die  Sage  allmählig  christianisirt,  Frau  Hulda  die  „lichtgemale*' 
Elbe,  sank  zur  Teufelinne  und  Hexe  herab,  der  heidnische  Priester,  mit 
derrBiud-  und  Lösegewalt,  der  den  weissen  Stab  in  der  Hand  trägt, 
an  dem  das  Gottesgericht  sich  bewährt,  ging  folgerecht  in  den  „heil. 
Yater^  über,  dem  die  höchste  Gewalt  gegeben.  Nun  wird  auch  das 
Blüthentragen  eines  dürren  Stabes  erklärlich.  Es  galt  för  ein 
uraltes  Ordal,  das  sich  schon  auf  lY.  Mosis  17,  8  stützt,  wo  erzählt 
wird,  wie  Aarons  Stab  Blüthen  und  Mandeln  getragen  habe  —  ein  bei 
den  mittelalterlichen  Dichtem  (Walther,  Conrad  v.  W.  u.  A.)  sehr  be- 
liebtes Symbol  der  heil.  Jungfrau.  —  Aehnliches  erzählen  rabbinische 
Legenden  vom  Stabe  Mosis.  Durch  ein  gleiches  Stabwunder  wird  Joseph 
als  der  von  Gott  der  hl.  Jungfrau  bestimmte  Gemahl  bezeichnet.  Es 
wiederholt  sich  in  der  schwedischen  Tradition,  auch  hier  schneidet  der 
Priester  dem  spielenden  Neck  die  Hoffnung  ab :  „Ehe  wird  dieser  Rohr- 
stab, den  ich  in  der  Hand  halte,  grünen  und  bldlien,  als  du  Erlösung 
erlangst;^  trauernd  wirft  der  Neck  die  Harfe  hin;  der  Priester  reitet 
fort  und  bald  beginnt  sein  Stab  in  Laub  und  Bhithe  auszuschlagen;  da 
kehrt  er  um,  dem  Neck  das  Wunder  zu  verkünden,  der  nun  die  ganze 
Nacht  über  fröhliche  Weisen  spielt.^)  Die  Sagen  von  den  blüthen- 
tragenden  Stäben  kehren  wieder  in  Hessen,  Oesterreich,  Bayern,  Tirol 
und  Schwaben.') 


')  Vgl.  Wolf  Beilr.  11.  255;  die  ebendaselbst  S.  256  ff.  aus  Vincenlius  bello- 
vacensis  folgende  Hislerie  hat  bereits  Komma nn  in  s.  Mons  Veneris  f614 
S.  77—81  aufgenommen. 

2)  Grimm  Myth.  888. 

')  In  Hessen:  vgl.  E.  Lynker  Nro.  270.  S.  193.  —  Vernaleken  Mythen 
und  Branche  des  Volkes  in  Oesterreich.  Wien  185d.  S.  117—19.  —  In 
Bayern:  vgl.  Las  au  Ix  Philosophie  der  Geschichle.  1857.  S.  119.  Zin- 
gerle  in  der  Germania.  V.  125  r.  dazu  ffehörl  folffende  Sage  aus  Seefeld 
in  Tirol:  Vor  vielen  Jahrhunderlen  war  dem  ^waltiffen  £delherrn  OswaM 
Milser  eingefallen ,  sich  vor  allem  Volke  auf  eigene  Weise  zu  erhöben  und 
am  grünen  Donnerstaff  die  Communion  in  einer  grossen  Hostie  reichen  m 
lassen.  Kaum  lag  indessen  der  götllicbe  Leib  auf  der  Zunge  des  thörichteo 
Sünders,  so  brach  unter  demselben  der  Boden,  worauf  er  kniete,  ein  und 
bis  an  die  Brust  versank  der  Frevler.  Vergeben«:  klammerte  er  sich  an  die 
Stufen  des  AllareS;  sie  wichen  unter  seinen  Händen.  Der  erschrockene  Prie- 
ster, der  ihm  schnell  die  Hostie  aus  dem  Munde  nahm,  rettete  den  Edei- 
herrn^  dieser  aber  wanderte  stehenden  Fusses  in  das  Kloster  zu  Stamms  und 
beschloss  dort  sein  Leben  in  Rene  und  Busse.  Sein  Weib,  das  dem  Wunder 
keinen  Glauben  schenken  wollte,  vor  dessen  Augen  jedoch,  ein  Wahrzeichen 
der  schauerlichen  Begebenheit,  drei  Rosen  am  verdorrten  Stocke 
aufblühten,  entrann  dem  Schlosse  und  endete  verzweifelnd  in  der  Wild- 


511 

Der  Venusberg  in  Uff  hausen  sowohl,  wie  der  am  Hörselberg 
in  Thüringen  und  wo  sich  sonst  ein  solcher  findet,  waren  Cultus- 
statten  der  Frouwa,  Rosengärten  der  holdseligen  Göttin,  heilige  Wälder, 
wo  ehedem  die  Holde  ihren  Gottesdienst,  ihren  Preis,  ihre  Verehrung 
erhielt.  Damm  sind  sie  heute  noch  als  Hauptversammlungsort  der 
Hexen  verdächtig;')  von  hier  aus  zieht  noch  „die  wilde  Jagd,^  den 
treuen  Eckart  an  der  Spitze,  der  die  Begegnenden  aus  dem  Wege 
weist  oder  sie  ermahnt,  sich  niederzuwerfen;')  in  ihrem  Gefolge  zieht 
auch  FrauHulda.  Dann  aber  sitzt  sie  wieder  zurückgedrängt  im  Berge,* 
Mher  war  sie  ausserhalb  desselben,  ebenso  wie  ihre  nun  bergentrück- 
ten Genossen,  die  alten  Götter,  Kaiser  und  Helden.  Der  Hörselberg 
gilt  ^eit  alter  Zeit  als  Sitz  der/Hulda,  als  Strafort  der  verdammten 
Seelen  (Mannhardt  S.  264),  in  ihm  befindet  sich  sogar  das  Fege- 
feuer.') So  hat  die  Sage  sich  christianisirt  uud  das  alte  Eiben- 
reich ist  zum  Teufelsspuck  herabgesunken.* 


niss.  —  In  Schwaben  (vgl.  Volksthtimliches  ans  Schwaben,  von  Bir fin- 
ge r  und  Bück.  1861.  I.  319)  wird  ^nz  i>edeutungsvoll  erzähU,  dass  der 
dürre  Banm,  an  den  eine  ynschuldige  als  Hexe  gebunden  wurde,  nach  ihrem 
Tode  erblühe.  Vgl.  dazu  Aie  blühenden  Lanzen,  Legende  tras  dem 
Leben  Karl  d.  Gr.  nach  der  Kaiserdironik  in  W.  Menzels  Taschenbuch. 
1826.  S.  137. 

*)  Grimm  Myth.  887.  1004  u.  1230.  Nach  der  Münchner  Handschrift  Cod. 
bav.  2197  (Mone  Anz.  VH.  426),  die  verschiedene  Inquisitiones  enthält, 
^welche  auf  mehrerley  Personen  böser  Verdacht,  der  Hexerei  willen  einge- 
tiolt  worden  a.  1620,**  heisst  der  „Venesberg"  das  „Paradies,"  wohin  die 
Unholden  fahren.  —  Anderes  vom  Hörselber^  in  Bech Steins  Thüringer 
Sagen.   S.  130  if.  ' 

')  Der  dem  wilden  Heere  voraus:?iehende  Eckart  findet  sich  auch  als 
namenloser  Mahner  im  benachbarten  Tirol.  Ein  Mann  lauft  dem  wüthenden 
Heere  voraus  und  schafft  die  Leute  aus  dem  Wege  oder  heisst  sie  sich 
niederzuwerfen.  Die  dort  häufig  fahrenden , Kutschen  hat  Zingerle  (Sa^en. 
1859.  S.  12)  richtig  als  einer  Göttin  angehörend  erklärt:  wer  davor  nicht 
zu  Boden  fällt  und  dadurch  seine  Verehrung  bezeigt,'  wird  mit  dem  Tode 
bestraft  oder  entführt. 

')  „Von  dem  Horselherg  bey  Isanach  in  Thüringen"  heisst  es  bei  Korn  mann 
Mons  Veneris.  1614.  S.  374:  „Dieser  Berg  ist  in  Thüringen  nicht  weit  \on 
Isenach,  ist  berühmt  von  nachfolgenden  Geschichten.  Es  war  ein  Königin 
von  Engellandt  mit  Namen  Renischwi^,  welche  als  jhr  Herr  König,  der  jhr 
auss  dermassen  lieb  war,  dann  er  sie  auss  einem  geringen  Geschlecht  zu 
einer  Königin  vmb  jhfer  Tugent  willen  erwehlet  hat,  gestorben  war,  wolle 
sie  die  Trew  an  jhm  auch  nicht  vergessen,  sondern  gab  nach  seinem  Tod^ 
viel  Almusen,  Hess  vor  seine  Seel  viel  Gebet  thun,  vnd  vermeynet  jhreti 
Herren  damit  eines  auss  der  Peyn  vnd  Fegfewr  zu  erlösen,  da  wardt  ge- 
sagt, dass  jhr  Herr  sein  Fegfewr  im  Landt  zu  Thüringen  in  einem  Berg, 
der  Horselherg  genent,  bette,  in  diesem  Berge  hörten  die  Innwohner  offt- 
mals  jämmerlich  Geschrey  von  den  Seelen  oder- Geistern  so  darinnen  lagen, 
Harumb  wardt  er  von  jhnen  genant  Horselherg,  daselbst  vnter  dem  Berge, 
bawet  die  Königin  ein  kleine  Kirch  vnnd  einDorfT  darbey,  vnd  nante  es 
Sathansstälte ,  dann  Ihr  die  bösen  Geister  allda  erschienen  waren,  das  Dorff 
wirdt  jetZHiidt  Sattelst edt  genant,  in  diese  Kirclie  gieng  die  Königin  mit 
jhren  vnnd  sonstigen  heyligen  Jungfrawen,  ofTt,  bettete,  gab  Almusen  vnnd 


512 

Die  Sage  hat  dreifache  Entwicklang  erlebt.  Ursprönglich 
war  sie  eine  rein  heidnische.  Dann  christianisirte  sie  sich  mit  vielen 
anderen  Genossen.  Da  mochte  man  denn  erzählen,  dass  ein  Ritter  vom 
Christenthum  abgefallen  and  zum  alten  Heidenglaaben  zarückgetreten 
war  (wie  denn  solle  Rückfälle  nicht  vereinzelt,  sondern  z.  B.  in  Thü- 
ringen in  Fülle  wirklich  vorgekommen);  er  hatte  eine  stille  Gemeinde 
gefunden,  wo  der  alte  Galt  }n  sinnlichster  Weise  ausgeartet  blühte  und 
geübt  ward.  Aber  er  sieht  sein  Verbrechen  ein  und  sehnt  sich ,  dem 
heidnischen  Wesen  gegenüber,  nach  der  Wohlthat  des  Christenthums. 
Dass  vielleicht  in  der  Sage  selbst  ^ein  Ausdruck  der  Sehnsucht  nach 
dem  alten  fröhlichen  Heidenthum^  sein  mag,  ist  nicht  zu  läugnen;  so 
erscheint  sie  nun  (nach  Menzel  und  Grässe)  als  ^der  Ausdruck  des 
verführerischen  Reizes  and  des  Absehens  zugleich,  den  das  alte  Heiden- 
thum  den  Christen  einflösste.^  —  Zuletzt  übertrug  sich  die  Sage  auf 
unseren  Dichter,  der  seinem  Namen  und  seinem  Leben  nach  wie  wir 
bald  sehen  werden,  hinreichend  Berührungspunkte  bot. 

Wie  sich  um  den  gleichzeitigen  Albertus  Magnus,  weil  er  mehr 
wusste  als  andere  Mensdienkinder,  und  wie  sich  später  über  den  Erz- 
zauberer Faust  ein  Sagennimbus  zusammenzog,  der  aus  viel  älteren 
Erzählungen   bestand,    als  diese  Personen  waren   auf  welche  sie   sich 
niederliessen ,    weil  sie  ihrer  Natur    nach   anscheinend    glaubwürdigen 
Anhalt  boten,  so  gab  auch  das  leichtfertige  Leben  unseres  Minnesingers 
hinreichend  Stoff  zu  sehr  bedeutsamen  Muthmassungen ,   um  die  uralte 
Sage  auf  ihn  zu  übertragen.     Er  hatte  sich  mit  schönen  Weibern  und 
Frauen  überall  umgethan  wie  ein  Don  Juan,   und  seiner  Heldenthateo 
im  Liede  sich  gerühmt;    er  war  ja  auch  ein  Stück  Faust,   der  zwar 
nicht  mit  dem  Teufel  doch  mit  der  Göttin  der  Sinnlichkeit  einen  Bund  . 
geschlossen  zu  haben  schien.  Einzelne  der  Minnesänger  hatten  nm  diese 
Zeit  wohl  schon  von  der  Frau  Venus  gehört  und  citirten  sie  in  ihren 
Liedern,   der  Tanhauser  aber  kannte   (vielleicht  von  dem  Aufenthalte 
bei  Kaiser   Friedrich  II.  in  Italien  her  oder  aus  dem  von  AI  brecht 
von  Halb  er  Stadt  verdeutschten  Ovid)  den  ganzen  heidnisch -klassi- 
schen Olymp;  zuletzt  war  er  auf  des  Kaisers  Seite,  auch  noch  ein  eif- 
riger  Ghibelline:    Grund  genug  also,   um  ihn  mit  dem  Pabstthum  in 
schiefe  Stellung  zu  bringen.  Das  Volkslied  nennt  den  Pabst  Urban,  und 
es  stimmt  wirklich  etwas  mit  seiner  Geschichte  üb^rein,  dass  allerdings 


thel  andere  gute  Wert-k  für  jhres  Herren  See!  biss  an  jhr  Ende.  —  Vnad 
Anno  1398  erhüben  sich  am  hellen  Tag  drey  grosse  Fewr  in  der  LhA)  bcy 
Isenarh^  vnnd  da  sie  ein  weil  gebrauten,  kamen  sie  zusammen  vad  tbeillett 
sich  Mieder,  vnnd  fuhren  alle  zu  dem  Horselberg,  darOher  worden  16.  Maaa 
abghört,  die  es  gesehen.^  — 


513 

in  der  Zeit  von  12^4-68,  also  in  Tanhäusers  alten  Tagen,  ein  Pabst 
Urban,  dieses  Namens  der  vierte,  auf  dem  römischen  Stuhle  sass.  Im 
Ganzen  ist  der  Name  des  Pabstes  ziemlich  gleichgiltig,  wenn  er  nicht 
doch  Tielleicht  einen  Fingerzeig  geben  sollte  för  die  Zeit,  in  welcher 
das  Lied  auf  den  damals  schon  verschwundenen  Tanbauser  sich  histo- 
risirte.  Das  Entlibucher  -  Volkslied  hat  als  Zeichen  seiner  uralten 
Abkunft  gleich  im  Beginne  eine  doppelte  Alliteration,  ')  die  anderen 
Volkslieder  wurden  besonders  in  der  Peformationszeit  sehr  beliebt  urid 
in  unzähligen  fliegenden  Blättern  verbreitet  wegen  der  damals  gar  will- 
kommenen Pointe  mit  dem  Pabst.  —  Unser  bayerischer  Chronist,  der 
ehrenveste  Johannes  Turmair,  von  seinem  Geburtsort  Aventinus 
genannt,  hat  durch  seine  Combination  merkwürdigen  Durcheinander  und 
Schwulst  über  Tanhauser  zusammengebracht;  wir  danken  ihm  aber  die 
Kunde,  dass  der  „alt  Danheuser'*  zu  seiner  Zeit  noch  fleissig  gesungen 
ward ;  die  Tonweise  war  sehr  beliebt  und  ging  desshalb  auf ^  viele  andere 
Texte  über,  ebenso  wie  der  Ton,  in  dem  man  den  alten  Hilde^^rand 
siagt.  Auifal lender  Weise  weiss  Aventin  auch^  dass  Tanhauser  „bis 
an  Egypten,  durch  Asien  und  Syria  gereist, '^  obgleich  in  seiner  fabel- 
haften Zusammenstellung  mit  der  Amazonenkönigin  weniger  darauf  zu 
achten  ist,  als  dass  er  ihn  auch  yor christlich  setzt!  W^nn  Aventin 
„den  alten  Tanhauser"  zu  seinen  Zeiten  ebensowohl  wie  das  Lied  vom 
alten  Hildebrand  singen  hörte  und  ersteres  mit  diesem  zusammenstellt, 
80  steht  uns  nichts  im  Wege,  dem  Liede  dasselbe  hohe  Alter,  wie 
dem  vom  alten  Heermeister  Hildebrand  zu  vindiciren;  der  Name  des 
Pabstes  aber  ist  von  gar  keiner  Bedeutung.  Den  Tanhauser  fiir  den 
Verfasser  der  Lieder  zu  erklären,  worin  seine  eigenen  Schicksale  be- 
schrieben werden,  ist  ganz  unzulässig,  dann  müsste  auch  der  edle 
Brennenberger  das  Gedicht  gemacht  haben,  das  von  seinem  tragi- 
schen Ende  singt. 

Was  unseren  Dichter  selbst  betrifft,  der  leider  jeder  anderen 
Namensbezeichnung  entbehrt,  so  wird  er,  wie  wir  bereits  oben  den 
„Tan- hause r**  erklärt  haben,  schwerlich  sehr  vornehmen  Adels  ge- 
wesen sein.  Zwar  gab  es  verschiedene  Edelgeschlechter  dieses  Namens 
in  Oesterreich  undBayem,  in  Franken,  der  Oberpfalz  und  in  Schwaben, 
aber  keines  ihrer  Wappen  stimmt  mit  dem,  welches  wenigstens  der 
Maler  der  Pariser  HS.  unserem  Dichter  beizulegen  für  gut  hielt:  ein 
quergetheilter,  oben  schwarzer  und  unten  goldener  Schild  und  auf  dem 
Helm  zwei  mächtige  Fänge.     Wenn   man   weiss,    dass    in   den   alten 


')  Bei  Uliland  I    770:  ^Wele  gross  wonder  schauen  will, 

der  gang  in  grünen  wald  usse/* 

33 


514 

Wappenbüchern  die  Heraldik  aller  theüeren  Juden  und  Heiden  von 
Adam  her  ebenso  genau  verzeichnet  und  abgebildet  ist,  lUs  jener 
ritterlichen  Sänger  und  Recken  von  K'6n\fi  Artus  Tagen  her,  so  wird 
man  auch  auf  die  diplomatische  Zuverlässigkeit  der  Manessen  keinen 
grossen  Glauben  mehr  geben. 

Das  Volkslied  nennt  ihn  einen  fränkischen  Ritter;  ')  wir  wissen 
sonst;  nur,  dass  er  sich,  wahrscheinlich  nicht  mehr  allzujung,  unter 
Friedrich  dem  Streitbaren  einen  Hof  bei  Wien  errungen. 

Von  seinen  sechszehn  Liedern  gibt  der  Reiseleich  (V)  zuerst  ober 
sein  früheres  Leben  Aufschluss ;  er  schildert  darinnen  seine  Kreuzfahrt, 
die  er  vielleicht  unter  Friedrich  II.  (1228)  unfernahm;  dabei  legt  er 
seine  weitere  Lätider-  und  Völkerkunde  in  ganzer  Breite  aus.  Als 
Landfahrer  und  Kreuzritter  ist  er  in  den  Manessen  abgemalt:  ein  junges, 
schönes,  edles  Gesicht,  mit  dem  ersten  Flaum  am  Kinne,  auf  dem 
Haupte  eine  grüne  Gelehrtenmütze,  von  der  nach  rückwärts  ein  schützen-r 
der  üeberhang  gegen  die  Sonnenstrahlen  fallt;  im  langen,  weiten,  hell- 
grünen Rocke,  ohne  Gürtel  steht  er  da,  eine  hohe  noble  Gestalt,  die 
oflFene  Linke  sinnig  von  der  Brust  abgewandt,  mit  der  Rechten  den 
weissen  Mantel  emporhebend,  der,  vorne  oflFen,  am  Halse  sich  schliesst, 
rechts  vor  der  Brust  ein  grosses,  gleichschenk eliges  rothes  Kreuz.') 

Er  weiss,  dass  Sicilien  dem  Kaiser  nnterthan  sein  soll  und  wie 
man  die  Frauen  zu  Palermo  (III.  15)  behandeln  kann;  zu  Rom  hat  er 
oft  den  «Vogt**  gesehen,  er  kennt  allerlei  wunderliche  Sitten  der  Sarden 
(V.  8),  vermuthlich  fuhr  er  durch  oder  an  Italien  hin,  in  seinem  Liede 
auf  der  Seefahrt  (XIII.)  preist  er  Jeden  glücklich,  der  auf  den  Gefilden 
von  Apulien  beizen  und  pirschen  kann.  *y    Dess  darf  man  mich  nicht 


')  Daisenbergers  geofraph.  Handlexicon  von  1811  verzeidinet  9 Ortscbaftee 
unter  dem  Namen  Tannausen:  bei  Burgau,  Freising,  Heideck,  Hemao, 
Landau  an  der  Isar,  Moosburg,  Scbongau,  Schwandorf  und  Spalt.  Eio 
Tanehusen  bei  Gunzenbausen  erscheint  urkundlich  1195.  Ein  Dorf  und 
Schloss  Dannbausen  hat  Friederich  Bischof  zu  Eychstatt  a.  1385  an  df5 
Stifft  erkauft  (Pastorius  Franconia  rediv.  1702  &  393.)  Ein  kleiner  Markt 
Tanbausen  liegt  zwischen  Aujrsburg  und  Krumbach.  Menzel  im  „Odin* 
cilirt  Faber  eva^at.  I  153.  III.  221,  der  die  Geschichte  erzählt  und  den 
Riller  herleitet  „de  Danhusen  villa  prope  Dünkelspficbel.**  Eio 
Danhäuserberg^isl  im  Ficht elg^ebirg^:  Panzer  I.  130  u  II.  426.  Auch 
ein  Danheuser- Weyer  ist  in  der  Oberpfalz  bei  Waldsassen,  wenigstens 
citirt  Helfrecht  (Fichlelgebirff  1799.  S.  259)  denselben  „aas  einem  ange- 
druckten Ber^büchlein  vom  Jahre  1648.^ 

')  Früher  hat  Hagen  (IV.  424)  ein  schwarzes  Kreuz  gesehen,  in  V.  264  p'bt 
er  glaubwürdiger  ein  rothes  an.  Die  Abbildung  ebendas.  Taf.  XXXV  zeigt, 
wie  die  übrigen  Copien,  von  keiner  besonderen  Treue.  (Eine  einzig  mnster- 

filtige  Arbeit  dieser  Art  hat  E.  Fe  11  n er  mit  den  Copien  der  WeingaHoer 
iederbandschrift  im  V.  B.  der  Publ.  des  lit.  Vereins  zu  Stuttgart  geliefert.) 

')  Wol  im,  der  nü  beizen  sol  |  se  Fülle  uf  dem  gevilde  I  |  der  birset ,  den  ist 


515 

zeihen,  sagt  er,  ich  beize  weder  mit  Winden  noch  mit  Falken,  ich  mag 
Füchse  nicht  gelagen,  man  sieht  mich  anch  nicht  folgen  nach  Hirschen 
and  nach  Binden,  ich  trage  kein  Schapel  von  Rosen,  anch  darf  man 
meiner  nicht  warten,  wo  der  grüne  Klee  steht,  noch  mich  in  Gärten 
suchen  bei  wohlgethanen  Kinden,  denn  ich  schwebe  auf  der  See.  Ich 
bin  ein  arbeitselig  Mann ,  der  nirgends  kann  bleiben ,  denn  heute  hie, 
morgen  anderswo.  Wo  litt  Einer  so  grosse  Noth?  zu  Creta  war  ich 
dem  Tode  nahe,  wenn  Gott  mich  nicht,  doch  erlöst  hätte.  In  einer 
Nacht  schlug  ihn  der  Wind  an  einen  Stein,  die  Ruder  zerbrachen,  die 
Segel  zerrissen  und  flogen  über  die  See,  die  Marner  (Schiffer)  alle 
schrieen,  das  währte  bis  an  den  sechsten  Tag  dass  die  Stürme  aus  der 
Berberei  und  Türkei  wehten.  Mein  Wasser  das  ist  trübe,  mein  Zwieback 
(piscot)  ist  hart,  das  Fleisch  versalzen,  schimmelig  der  Wein,  Rosen- 
duft wäre  mir  lieber  als  der  Geschmack,  Erbsen  (zisem)  und  Bohnen 
geben  mir  nicht  hohen  Muth.  Ahi !  wie  selig  ist  der  Mann,  der  fiir  sich 
mag  reiten !  Zum  Schlüsse  nennt  er  die  zwölf  Winde  der  Windrose, 
deren  Namen  zu  erfahren  er  freilich  nicht  die  Heimath  verliess,  durcih 
Gott  sei  er  ausgefahren  und  nicht  um  diese  Frage,  wie  wehe  ihm  auch 
geschieht! 

Ein  andermal,  in  seinen  alten  Tagen  singt  er  von  seinem  geographi- 
schen Wissen  und  seiner  Welterfahrenheit  ganz  gewaltig  (V).  Er  hat  vom 
König  von  Marokko  gehört,  der  im  Kaukasus  (Goucasals)  goldene  Berge 
hat,  doch  trug  ihn  sein  Wille  nie  dahin,  wie  reich  der  auch  sei.  Vom 
Köni^  von  Persien  hörte  er  Wunder  sagen  und  von  dem  noch  gewaltigeren 
in  India,  doch  hörte  er  die  Heiden  den  König  von  Latrize  beklagen  und 
den  Soldan  von  Sitrican.  Dagegen  hat  er  den  Herrn  der  Berberei  selbst 
gesehen,  und  kannte  den  Pilat  von  Zazamank,  der  auch  zu  Babilonie 
gelobt  wird  ob  seiher  Güte.  Nach  Aiexandrien  hat  er  keinen  Gedanken 
und  der  König  von  Baldak  soll  mit  keinem  Besuche  Tanhausers  beehrt 


ddipit  wol,  I  der  siht  8Ö  vil  von  wilde ;  i  elc.  des  darf  man  mich  nicht  zthen, 
ich  beize  oucb  niht  mit  winden,  |  in^  beize  ouch  nih(  mit  valken,  in'  mac 
niht  viihsen  geld^en;  |  man  sieht  ouch  mich  niht  volgen  nach  hirzen  unt 
nach  binden ;  |  mich  darf  ouch  nieman  zihen  von  rösen  schapel  tragen ;  |  man 
darf  ouch  m!n  niht  warten,  |  d^  st^t  der  grüene  kid.  |  noch  suochen  in  dien 
garten  i  b!  wol  getftnen  kinden :  ich  sviebe  äf  dem  s^.  |  Ich* bin  ein  erbeit- 
saelic  man  |  der  niene  kan  bellben,  |  wan  binle  hie,  morne  anderswan  -^  \  sol 
ich  daz  iemer  triben ,  |  des  muoz  ich  dicke  sorgen ,  |  swie  yroelich  uh  dft 
sioffe,  I  den  ftbent  unt  den  morgen  |  war  mich  daz  weter  bringe,  |  daz  ich 
mich  s6  gevrisle,  üf  wazzer  und  öf  lande,  i  daz  ich  den  1?p  gevüere  unz  üf 
die  selben  stunt,  |  ob  ich  den  liuten  leide  in  also  snoedem  gewnnde,  |  s6 
Wirt  mir  diu  reise  mit  vreise  vil  wol  kunt.  daran  solde  ich  gedenken,  die- 
wlle  ich  mich  vermac:  |  in'  mag  im  niht  entwenken,  |  ich  muoz  dem  wirte 
gelten  vil  gar  Af  einen  lac.  |  —  Wd  leit  ieman  so  gröze  not  etc. 

33* 


516 

werden.  Viel  hat  er  vom  König  Cometiu  (aus  dem  WigaJois?)  gehört; 
ihm  ist  bekannt,  dass  der  Jordan  an  Thomad  (Dömas?  Damaskus)  vor- 
übergeht! nach  Jerusalem  im  Cornetal  ist  er  gekommen  und  Nicosia 
(Encolie)  im  Cyperland  ist  ihm  kund.  In  Armenien  war  er  in  Lebens- 
gefahr,  vorüber  an  Antiochien  kam  er  nach  Türgis,  *)  da  waren  der 
Tätern  (Mongolen)  viel ,  von  denen  er  singen  will ;  der  Vattan  *)  mit 
seiner  Milde  zwang  die  Griechen.  Zu  Sainckke  sass  ein  Montfort;  zu 
Konstantinopel  war  eine  grosse  Meerfey.  Was  er  mit  der  grossen  Meer 
feie  zu  Constantiuopel  meint,  ist  unverständlich,  wenn  nicht  hier  eine 
Verwechslung  mit  Cypern  obwaltet,  wo  damals  nach  Richard.«  Löwenherz 
Eroberung  (1191)  das  französische  Haus  der  Lusignan  herrschte,  in 
welchem  die  Fee  Melusine  heimisch  war,  deren  Name  nur  eine  Umsetz- 
ung von  Lusignan  bildet.  Der  Montfort  ist  eine  Verwechslung  mit  Mont- 
ferrat,  die  Markgrafen  von  Montferrat  erwarben  durch  die  Heirath 
Reinhers  mit  einer  Tochter  des  Kaisers  Emanuel  (1179)  das  Königreich 
Thessalonich  ^  und  herrschten  bis  1305.  Salnekke  ist  das  auch  im 
Hug-  und  Wolfdieterich  genannte,  heutige  Saloniki.  Dann  nennt  er  noch 
die  Rumanie,  wo  Troja  stand,  Künis,  wo  die  Weiber  und  nicht  die 
Männer  erben,  daran  stossen,  wie  er  vom  Hörensagen  weiss,  die  Bul- 
garei  und  die  Valven  (I.  10)  in  Tanagran,  worüber  die  Ungarn  und 
Reussen  klagen.  Der  Böhme,  der  mit  dem  (deutschen)  Reich  einhellig 
sein  (wie  Sicilien  dem  Kaiser  gehorchen)  soll,  ist  wohl  Ottokar,  der  Sohn 
König  Wenzels  I.  —  Kerlingen  (Frankreich)  steht  in  gutem  Frieden, 
dabei  ist  Engel land",  das  den  Dichter  auf  Artus  bringt.  Wer  die  fünf 
starken  Königreiche  von  Spanien  nicht  weiss,  ist  ein  Kind,  sie  sind 
Portugal,  das  unmassen  reiche  Galizien,  Airagon,  Kastilien  und  Na- 
varra,  wer  sie  sehen  will,  der  fahre  dahin,  so  muss  er  mir  die  Wahrheit 
zugestehen.  In  der  Nähe,  bei  Orense,  wird  an  den  Kampf  Terramers 
gegen  die  von  Champagne  (Schampuneisen)  gedacht;  Oravil  so  den 
Burgen  grosse  Noth  schuf,  ist  vielleicht  Arabele,  später  wird  auch 
Vivianz  genannt;    der  Tanhauser  hat  mal  beiläufig  vom  hl.  Willehalm 


')  Tiirgis,  die  Türkei,  das  türkische  oder  ikonische  Reiche  das  dumals  ost^ärU 
von  den  Mongolen  und  Tiilern  bedrängt  wurde  ^  wie  es  westlich  Griechen- 
land bedrängte. 

')  Den  ^Vattan,  der  gar  mit  siner  mille  Kriechen  twank""  erklärt  Hagen  (IV. 
424  auf  Raumer  gestützt)  als  Vatazes,  auch  Kaiser  von  Nicäa  genannt,  weil 
die  vom  Kaisersluhle  zu  Constantinopel  durch  die  Franken  verdrängten  Koni- 
nenen  sich  dort  behaupteten.  Unter  diesen  war  Vatazes^  König  Friedrichs  11. 
Tochternlann  (1235),  dem  Kaiser  Balduin  11.  (seit  1*^28)  durch  Macht  und 
List  sehr  gerährlich  und  hatte  seinem  Schwiegervater  die  Huldigung  ver- 
sprochen, wenn  die  Franken  aus  Constantinopel.,  das  er  1238  vergeblich  be- 
lagerte^ vertrieben  würden^  was  anrh  bald  nach  seinem  Tode  (1235)  durrb 
den  ersten  Paläologen  Michael  geschah  1261. 


517 

(vgl.  oben  S.  230  ff.)  gehört.  Vieiine  hat  viele  Legisten  (Rechtsgelehrte), 
aber  von  'der  Kunst  Astronomie  und  Nigromantie  zu  Toledo  will  er  nichts 
lernen,  nicht  gut  ist  Zauberei.  Fern  liegt  Hibernia  mit  vielen  glaubens- 
treuen Schotten;  zu  Norwegen  bedarf  man  gegen  die  Kälte  wohl  guter 
Kleider.  In  Dänemark  scheint  Tanhauser  auch  bei  König  Erich  (1242 
— 1250)  ')  zugesprochen  zu  haben  (VI.  14).  Dann  lenkt  er  auf  den 
Helden  von  Oesterreich  über,  bei  dem  er  gesessen  War,  und  auf  den 
Fürsten  von  Bayerland,  der  sicfi  wohl  mit  Königen  vergleichen  mag,  nie 
sah  ich  einen  so  milden,  noch  so  reichen,  so  recht  lobelichen  Fürsten. 
Nun  hat  er  genug  erzählt  und  die  Tanzlust  beginnt  wieder;  Her  zu  mir 
an  den  Reihen,  du  Gute,  Klare  und  Süsse!  ihr  Mund  brennt,  wie  ein 
Rubin  im  Sonnenglast;  und  Tanhauser  spielt  mit  den  Flotirern,  Harf- 
nern und  Tamburaeren  um  die  Wette,  bis  ihm  über  dem  Heia  hei !  die 
Saiten  zerbrechen,  was  dem  Fidelaere  alle  Wochen  geschieht. 

Er  war  weit  herumgekommen  in  der  Welt,  hatte  vieler  Herren 
Länder  gesehen,  war  in  Noth  und  Ungemach  gerathen  und  hatte  endlich 
an  Herzog  Friedrich  dem  Streitbaren  (den  letzten  Babenberger),  dessen 
Milde  schon  so  viele  unserer  Sänger  erprobten,  einen  freigebigen  Herrn 
gefunden.  Nun  war  dieser  ein  Charakter,  der  nicht  absonderlich  makel- 

« 

los  in  der  Geschichte  dasteht,*)  aber  der  dankbare  Tanhauser  erhebt 
wie  alle  diese  Speichellecker,  doch  sein  Lob  in  glänzender  Weise  bis  zu 
den  Sternen,  denn  er  gab  ihm  einen  schönen  Hof  bei  Wien  und  ein  Gut 
in  Hinperg:  ^ze  Wiene  hat'  ich  einen  hof ,  der  lac  so  rehte  schone, 
Liupoltsdorf  war  därzuo  min ,  das  leit  bi  Luchse  nähen ;  zo  Himperc 
hat'  ich  schoene  guot'  (XIV.  5).  „Er  ist  unsere  Wonne,  singt  er  von 
ihm  (I.),  alle  schönen  Frauen  am  Rheine  fragen  nach  ihm  und  auf  den 
Alpen  sogar  lobt  man  ihn  und  die  Seinen.  Traurige  Herzen  werden 
froh,  wenn  er  den  Frauen  den  Reigen  vorsingt,  da  helfe  ich  ihm  und 
singe  zu  allerlei  Zeit  genie  den  Maien.  Versuch'  es  Einor,  ihn  besser 
ZQ  loben  als  ich.**  Und  wirklich  war  Friederich  (wie  man  aus  Ulrich's 
von  Lichtenstein  „Frauendienst "  weiss)  nicht  nur  gerne  bei  Ritterspiel, 
sondern  sang  selbst  den  Frauen  den  Maienreigen  vor ')  und  vielleicht 
sind  selbst  die  Schlussverse  in  diesem  Lie'de  des  Tanhausers  ein  Tanz- 
lied des  Herzogs. 


»)  Der  Siels  milde  König  Erich  VI.  trug  den  Zunamen  der  Plogpfenning^ 
weil  er  zu  seiner  KreuKPahrt  nach  Liefland  eine  Abgabe  von  jedem  PflUge 
erhob;  man  nannte  ihn  später  auch  den  Heiligen,  weil  sein  Leichnam  zwei 
Monate  nach  seiner  Ermordung  noch  frisch  gefunden  wurde. 

>)  W.  Menzel  Geschichte  der  Deutschen.  4.  Aufl.  S.  337. 

»J  Anch  Neidhart  erzShIt,  wie  der  Herzog  beim  Reihen  der  schönen  Bäuer^ 
innen  des  Sanges  pflag. 


518 

Aber  nur  za  bald  Iiatte  er  den  Tod  (1246)  seines  Sanges-  und 
Tanzgeföhrten,  der  sein  grösster  Wohlthäter  war  (Gott  lohne  ihm  dafür! 
XIV.  5)  zu  beklagen  (VI.);  von  nun  an  scheint  es  ihm  wieder  übel 
ergangen  zu  seui.  Die  schönen  Weiber,  der  gute  Wein,  der  leckere  Im- 
biss  und  zweimaliges  Baden  in  der  Woche  ^  brachten  ihn  um  sein  Hab 
und  Gut  (XIV.  3).  Erst  verpfändete  erVohlgemuth  seinen  Besitz  und 
verlor  ihn  gänzlich,  da  er  ihn  nicht  mehr  zu  lösen  vermochte;  seine  im 
Glücke  ehedem  zahlreichen  Freunde  wendeten  ihm  den  Rücken ;  da  zog 
er  wieder  als  Fahrender  weiter,  wie  er  sich  selbst  komisch  schildert 
(XVI.  6): 

„Min  söumer  treit  ze  ringe  gar,  min  pferit  gät  ze  swäre, 

die  knehte  min  sint  ungeriten,  mfn  malhe  (Tasche)  ist  worden  laere; 

min  hüs  daz  stat  gar  äne  dach,  swie  ich  darzuo  gebäre, 

min  Stube  stet  gar  äne  tür,  daz  ist  mir  worden  swaere. 

min  kelr  ist  ingevallen,  min  küche  ist  mir  verbrunnen, 

min  Stadel  stät  gar  äne  baut,  des  höus  (Heu)  ist  mir  zerronnen; 

mir  ist  gemaln  noch  gebachen,  gebruwen  ist  mir  selten; 

mir  ist  diu  wät  ze  dünne  gar,  des  mag  ich  wol  entgelten; 

mich  darf  durch  (min)  geraete  niman  niden,  noch  bescheiten.  ^ 

* 

Er  möchte,  wie  er  in  ejner  etwas  unklaren  Strophe  (XTV.  1)  sagt, 
wohl  auch  ein  Landesherr  sein,  damit  er  etwas  von  dem  ans  Welsch- 
land gebrachten  Golde  bekommen  hätte.  Dennoch  fährt  er  vomehiü 
verschmächlich  weiter,  wolle  er  nichts  von  dem  vielen  Gute,  das  ander- 
seits aus  Thüringen  kommt,  wo  er,  wie  unerfahren  er  auch  sei,  dod 
leicht  einen  freigebigen  Herren  fände  (swie  tumb  ich  si,  ich  vinde  da 
den,  der  mich  gehielte  schone),  lieber  will  er  immerdar  arm,  fest  an 
der  Krone  halten  und  dem  Könige  wohl  sprechen,  ohne  zu  wissen  wann 
er  ihm  lohne.  Das  war  also  kurz  nach  Herzog  Friedrichs  Tode,  nach- 
dem Pabst  Innocenz  IV.  die  Wahl  eines  neuen  deutschen  Königs  anstatt 
des  entsetzten  Königs  Friedrich  H.  betrieben  und  angeblich  grosse 
Summen  über  Venedig  nach  Deutschland  gesandt  hatte,  wodorch  der 
Landgraf  Heinrich  von  Thüringen  sich  Anhang  gewann  und  1246  an 


')  Das  Baden  war  im  Mittelalter,  wo  man  wie  beut  zu  Tage  noch  in  verschie- 
denen Gegenden,  sehr  sparsam  mit  dem  Wechsel  der  Wäsche  umging,  vid- 
beliebt  und  notbwendig.  Weinhold  hat  in  seinem  schönen  Buche  über 
„die  deutschen  Frauen^  S.  343  das  Betreffende  über  die  mittelallerlicliea 
Böder  zusammengetragen.  Die  gute  Gewohnheit  hielt  sich  lange ;  noch  ioi 
Jahre  1470  erhielt  der  Zimmermeisler  Heinrich  von  Straubing,  der  dea 
schweren  Dachstuhl  auf  unser  Frauen  Münster  zu  München  setzte,  soaotig- 
lich  von  der  Stadt  acht  Pfenniffe  Badereld  ausbezahlt.  Vgl.  meine  Geschidite 
der  Münchner  Frauenkirche.  1859.  S.  16. 


519 

Hiipmelfahrtstage  (17  Mai)  zu  Hochheim  bei  Wirzborg,   doch  nur  von 
geistlichen  Fürsten  erwählt  wurde. ') 

Schon  früher  musste  der  zu  Wien  1237  verstorbene  Bischof  Engel- 
brecht von  Babenberg  (VIF.  32)  zu  seinen  Gönnern  gezählt  haben,  auch 
dessen  Neflfe,  der  im  Jahre  1248  ermordete  „junge  Fürst  von  Meran" 
Otto  U.  (VI.  11),  dessgleichen  die  bereits  1242  ausgestorbenen  Grafen 
von  Bogen  bei  Straubing  (VI.  13).  Jetzt  wendete  er  sich  wahrscheinlich 
an  den  Hof  Herzogs  Otto  des  Erlauchten  zu  Landshut,  dessen  schmuckes 
Schlösslein  im  Rufe  einer  gastlichen  Sängerherberge  stand;  hier  sang 
ehedem  der  Neidhart,  hier  dichtete  Reinbot  von  Durne  seinen 
hl.  Georg,  mit  dem  er^  dem  herzoglichen  Paare  nach  Würdigkeit  ein 
Denkmal  setzte.  Zwar  mochte  es  hier  zu  Landshut  nicht  wohl  räthlich 
sein,  den  bekannten  Leich  zum  Preise  Friedrich  des  Streitbaren  anzu- 
stimmen, da  Herzog  Otto  schwere  Händel  mit  des  Tanhausers  früherem 
Schutzherm  gehabt  hatte.  Im  Ganzen  aber  verband  sie  dieselbe  Ge- 
sinnung, denn  auch  Herzog  Otto  (1231  —  53)  hielt  standhall  gegen 
Pabst  und  wider  Gegenkönige  zum  Kaiser.  Dieser  hatte  ihn  nach  Fried- 
rich des  Streitbaren  Tode  zum  Statthalter  von  Oesterreich  eingesetzt 
und  König  Konrad  hatte  sein  (im  Jahre  1226)  efstgebomes  Töchterlein 
Elisabeth  geheirathet  (Herbst  1246),  die  so  Konradins  Mutter  wurde. 
Tanhauser  scheint  längere  Zeit  zu  Landshut  verweilt  zu  haben,  er  singt 
vom  Herzog  (V.  16): 

^Der  üz  Beierland  mac  sich  ze  künigen  wol  geliehen, 
ich  gesach  nie  vürsten  me  so  muten,  noch  so  riehen, 
so  rehte  lobelichen, 

Heia!  Tanhüsaere,  nü  la  dich  ie  mer  bi  im  vinden 
gar  an  allen  wandet  din!  so  liebest  dich  din  kindeu 
und  mac  dhi  leit  verswinden. 

Ob  er  aber  bis  zu  Otto's  Tode  allda  verblieben,  ist  ungewiss, 
doch  rühmt  er  Otto*s  Söhne,  Herzog  Heinrich  von  Niederbayern  und 
Ludwig  den  Strengen  (VI.  33  u.  34): 

Uz  Beierlant  ein  vürste  wert, 

den  grüeze  ich  mit  gesange; 

sin  herze  manger  eren  gert; 

dez  milte  muoz  mich  belangen. 

Sin  bruoder  heizet  Ludewic, 

der  hat  der  tugende  ein  wunder  .  .  . 


')  Leo  Vorlesaogen.  1861.  Ul  563  ff. 


520 

• 

Doch  musß  ihn  abbald  wieder  seiue  Zugvogelnatur  zu  unstatem 
Wandern  (heute  hie,  morgen  anderswo.  XIII.  2)  weiter  getrieben  haben. 
Vielleicht  wendete  er  sich  an  den  jungen  Grafen  von  Abenberg,  eioeo 
der  beiden  letzten  fränkischen  Grafen  dieses  Namens,  mit  denen  auch 
Wolfram  von  Eschenbach  wohl  bekannt  war.  Auch  ein  „Hüc  der 
Twingaere,'*  der  zu  den  alten  Grafen  von  Tübingen  gehörte,  steht  auf 
des  Tanhäusers  namhafter  Liste,  von  der  wir  noch  den  Herzog  Heinrich 
von  Brabant  ausheben ,  der  in  französischer  Sprache  dichtete ,  indess 
sein  Sohn,  der  liederkundige  Herzog  Johann  die  deutsche  Sprache  zu 
Brabant  zu  pflegen  begann. .  Zum  Schlüsse  rühmt  er  den  Herzog  von 
Brandenburg,  der  kein  ariderer  ais  unser  Minnesinger  Otto  mit  dem 
Pfeile  sein  kann  und  der  seit  1266  mit  seinen  drei  Brüdern  gemein- 
sam die  Mark  regierte.  Tanhauser  fordert  dann  Frau  Ehre  auf,  ihn  zu 
Lobes  achtenden  Herren  zu  weisen  und  will  einen  Fürsten  nennen, 
dessen  Gruss  und  Lachen  ihm  Freude  gewährte,  dessen  Mund  reine 
und  dessen  Wort  süsse  ist,  davon  reine  P>auen  das  Beste  haben  — 
aber  er  bleibt  uns  dessen  Namen  schuldig. 

Von  seinem  Ende  weiss  man  nichts,  auch  nicht  wo  er  gestorben, 
doch  scheint  er  das  «Regiment  Rudolphs  von  Habsburg  (1273)  nicht 
mehr  erlebt  zu  hstben.  Dass  es  ihm  aber  oft  noch  übel  erging,  steht 
nicht  in  Zweifel,  denn  er  mochte  weit  des  Weges  fahren,  bis  er 
einen  Herren  fand  —  der  sein  Lob  bezahlte.  Bisweilen  kamen  ihm 
dann  in  der  Noth  die  Erinnerungen  an  die  guten  Tage,  da  er  wohl- 
habend war  und  holde  Freunde  um  sich  hatte,  die  ihm  redlich  halfen, 
sein  Hab*  zu  verthun  und  ihm  dann  den  Rücken  kehrten.  Nun  bin  ich 
doch  derselbe,  der  ich  vor  zwanzig  Jahren,  ruft  er  aus  (XU.  1),  ich 
bin  Gast  und  selten  Wirth,  mein  Leben  ist  unstäte.  Mit  Freuden  ge- 
denkt  er  an  Nürnberg,  wie  sanfte  ihm  da  war!  ')  Ich  that  viel 
Manches  hie  bevor,  was  mich  nun  reuet  sehre,  bätt*  ich  gewusst,  was 
ich  nun  weiss,  leicht  hätte  ich  nun  mehr,  aber  ich  kannte  mich  damals 
nicht, ^)  das  muss  ich  jetzt  entgelten!  (XII.  2.)  Zu  dem  Hanse,  das 
er  sich  nun  selbst  baut,  helfen  ihm  der  Unrat  (Mangel)  und  Herr 
Schaffenichts,  einer  heisst  Seltenreich  (ein  gar  guter  Wirthsname 
aus  den  späteren  Weihnachts-  und  Fastnachtsspielen,*)  der  eine  Carri- 


')  Ueber  diese  ^uten  Tage  zu  Nürnberg  vgl.  Ritter  von  L  a  n  g '  Jahrbücher  ni 
1218  und  1219. 

')  Dieselbe  Klage  führt  auch  Walther  (104,  26):  ,.icb  bin  ein  wunderlicher 
man,  daz  ich  mich  selben  niht  enkan  verstau  und  mich  so  vil  an  frönde 
liute  Idze.^ 

«')  Vgl.  Weinhold  Weihnachtsspiele  S.  143  u.  144  und  Wackernagei  über 
die  deutschen  Appellativnamen  in  Pfeiflers  ,,Germania.^  V.  291. 


521 

catttr  der  schönen  ^saeWenrich^  in  sich  schHesst),  der  Zadel  (Gebre- 
chen) und  der  Zweifel  sind  mein  spätes  Gesinde;  Herr  Schade  und 
Herr  Umbereit  finden  sich  oll  bei  mir;  wird  mein  Haus  von  solcher 
Massenie  vollbracht,  so  schneit  es  mir  sicherlich  in  den  Busen.  Die 
Schilderung  erinnert  beinahe  an  die  Edda,  wo  die  Wohnung  derTodten- 
gottin  Hei  nur  noch  mehr' unheimlicher  geschildert  wird. 

Von  den  Liedwn  des  Tanhanser  sind  wahrscheinlich  nur  die  wenig- 
sten auf  uns  gekommen,  denn  er  wird  in  emem  so  langen,  vielbewegten 
Leben  doch  mehr  gesungen  haben,  als  die  Paar  Tanzlieder  und  Lob- 
sprüche, denn  eigentlich  minnesl^gerische  Weisen  finden  sich  nur  i^ei 
oder  drei,  das  übrige  ist  verweht  und  verflogen,  auch  mag  er  sonst 
allerlei  Handwerk  getrieben  haben,  vielleicht  auch  etwas  Hofmeisterei 
und  Erziehungskunst,  von  der  die  später  zu  besprechende  ^Hofzucht^ 
ein  artiges  Elxerapel  wäre. 

Offenbar  war  er  mit  seinem  Fürstenlob  ein  Vorläufer  der  späteren 
Spruchsprecher  und  Reimdreher,  die  an  den  Höfen  mit  dem  Verfall  der 
ritterlichen  Sangeskunst  Platz  gewannen.  Wenigstens  ist  es  verdächtig, 
dass  er  bei  den  Meistersängern  in  so  gutem  Andenken  verblieben  und 
dass  diese  wirklich  einige  seiner  Töne  oder  Weisen  bewahrt  haben.  Er 
selber  klagt  (XIV.  2),  dass  er,  was  freilich  Niemand  weiss,  keine  guten 
Töne  könne,  die  zu  den  Höfbn  Eingang  schaffen;  gäbe  mir  Jemand 
solche,  so  sänge  ich  von  hofelichen  Dingen,  dann  sänge  ich,  fahrt  er 
fast  bitter  und  ironisch  heraus,  ohn*  Unterlass  von  schönen  Frauen,  ich 
sänge  von  der  Heide,  von  dem  Laub  und  Maien,  ich  sänge  von  der 
Sommerzeit,  vom  Tanz  und  auch  vom  Reihen,  ich  sänge  vom  kalten 
Schnee,  von  Regen  und  Wind,  von  Vater,  Mutter  und  Kind,  vort  Kegel 
und  Flederwisch  ^^  wer  aber  löst  mir  die  Pfänder?') 

Im  reizenden  Jugendleben  des  nachmaligen  Gralkönigs  Titurel 
wird  uns  erzählt,  wie  sich  der  Kleine  immer  gesegnete  und  bekreuzte, 
wenn  er  von  der  Minne  hörte.  Befragt  darüber  erwiedert  Titurel,  dass 
die  Lesung  des  Ovidius  ihm  einen  solchen  Abscheu  vor  der  Minne  bei- 
gebracht habe,  sie  scheine  ihm  ein  Geist  der  Hölle,  doclf  merke  er  wohl 
auch,  wie  sie  vielen  Leuten  gar  Freund  und  guter  Geselle  sei;  nur  mit 


')  Ich  solde  wol  ze  hove  sin,  dd  horte  man  min  singen : 
nü  irret  mich,  das  nieman  weiz,  in'  kan  niht  guoter  doene. 
der  mir  die  gaebe,  so  sunge  ich  von  hovellchen  dingen, 
ich  sunge  verrer  unde  baz  von  allen  vrouwen  schoene; 
ich  sunge  von  der  heide,  von  ioube  unt  von  dem  meien, 
ich  sunge  von  der  sumerzfk,  von  tanze  und  ouch  von  reien ; 
ich  sunge  von  dem  kalten  snß,  von  regen  unt  von  winde, 
ich  sunge  von  dem  vater  unt  der  muoter,  von  dem  kinde: 
wer  loeset  mir  diu  prani?'Wie  w^nig  ich  der  viodel 


,  522 

MQhe  vermag  ihm   der  Lehrer   zu  erklären,    wie   die  Minne  wohl  za 
unterscheiden,    denn  Minne   müsse   man  za  allen  Dingen  haben;    vor 
Allem  müsse  man  Gott  minnen  nnd  durch  diese  Minne  sich  von  allen 
Sünden  rein  halten;    eine  aber  heisse  man  Minne,  die  verpflUide  die 
Glückseligkeit  nnd  hasse  Gott,   wer  ihr  nachgehe,  der  müsse  sein  Gre- 
rieht  leiden.  —     £s  ist  kein  Zweifel,   dass  der«Tanhaaser  die  letztere 
Art  sehr  genau  kannte  und  ihre  Wege  ging.     Dazu  hatten  ihm  wahr- 
scheinlich die  (schon  1210)  durch  Albrecht  von  Halberstadt  verdeutsch- 
ten Metan[H)rphosen  den  ganzen   klassischen  Olymp  aufgeschlossen  und 
in  das  durch  seinen  Farbenzauber  bestrickende  leichtsinnige  Leben  der 
alten  Götterwelt  eingeführt.     Denn  er  kennt  die  alten  Gottheiten  vom 
Hörensagen   ziemlich  sicher,    auch  schwebten   ihm  die   G^talten  der 
deutschen  Heldensage  vor  und  dazwischen  das  ganze  Personal  der  Aeneide, 
so  dass   es  in  seinem   Leiche  zum   Preise  der  Frauen  wie  auf  einem 
buntwimmelnden  Fasching  durcheinander  fahrt.  (IV.)     Zuerst  nennt  er 
Isolde,  Diane,  Medea  uüd  Frau  Pallas,  Juno  und  Dido,  Latrieia,  Pa- 
latrica  (die  den  Frauen  viel  der  Kinder  stahl),  Helena,  Amarodia,  Frau 
Anevant  schufen,   dass  Troja  zerstört  ward;   dazwischen  wirft  er  die 
aus  Hartmann  von  der  Aue  bekannte  Lunete  und  gibt  ihr  auch  einen 
Vater  Namens  Willebrand,  dann  spricht  er  wieder  vom  Apfel  der  Venus, 
wie  Paris  sein  Leben   desshalb  verlor  und  Menelaus  tod  lag;    Sybilla 
war  ein  listig  Weib,    die  in'  allen  Dingen  kluge  Frau  Blanschiflur  ist 
schuld  ßxi  des  Waleisen  langen  Exil.     Dann  kommen  die  Ritter:    dem 
Gawan  gibt  er  das  Wappenbild  Tschonatulanders;   Iwein  wird  genannt 
und  Sarmena  (?)    der    über  Gahmurets  Müssiggang   klagt;    Lanzelot, 
Parcival,  Hektor  und  Achill  und  der  Graal   zu  Raridol  rollen  alle  ihm 
durcheinander,    auch    Priamus    und   Thisbe    sind    ihm   bekannt    Die 
Dichtung  vom  Zauberhorn,    welches  an  Artus    und  Ginover  Hof  zur 
Prüfung  kam,  und  die  Geschichte  von  dem  verhängnissvollen  Zauber- 
mantel, „der  in  un.wandelbare  Frau  beschloss'^  (IX,  3)  und  das  leicht- 
fertige Leben  am  Hofe  des  Artus  prostituirte,  erzählt  umständlich  unser 
wackerer    He io rieh    von    dem    Türlin    in  der  Aventiure  Krone; 
Tanhauser  weiss  hinreichend  davon.    Mancher  Name   ist  auch  bis  znr 
Unkenntlichkeit  entstellt.     Nach  all  dem  bunten  Schnickschnack,  wobei 
die  heimische  Heldensage  noch  ihren  richtigen  Antheil  hat»  hebt  er  däs 
Lob  seiner  schönen  ,,Creatiure'^  an,  die  sich  eine  ziemlich  genaue  Zer- 
gliederung und  Aufzählung  ihrer  Reize  gefallen  lassen  muss,    bis  ihm 
über  dem  Singen  und  Springen  der  Fiedelbogen  wieder  entzwei  reisst; 
doch  ist  er  hier  wenigstens  in  der  Sprache  völlig  deutsch,  während  er 
sich  ein  andermal  mit  welschen  Reimen  auf  das  sonderbarste  ausstafBit 
hat.  (IQ.)    Er  beschreibt  das  Begebniss  mit  einer  Frau  in  einmal  bach- 


523 

durchrieselten  Forste  und  die  fremdländischen  Worte,  mit  denen  er  sich 
aufputzt,')  passen  ganz  gut  zu  dem  wunderlichen  Thun,  das  durch  die 
Verhüllung  nur  noch  anziehender  erscheint. 

Das  alles  sind  unbändige ,  in  Sinn  und  Form  freie ,  muthwillige 
Reigen  und  Tanzlieder;  nicht  so  naturwüchsig  und  frisch,  wie  jene  des 
Neidhart,  aber  in  ihrer  Intention  ganz  ebenbürtig  Das  ganze  Minne- 
leben war  jetzt  herabgekommen  und  gemein  sinnlich  geworden.  Die 
unschuldige  Zeit  der  ersten  Liebe  war  vorüber;  es  war,  wie  bei  solchen 
Naturen,  die  sich  nicht  immer  in  idealer,  geistiger  Objectivität  erhalten 
können,  die  geflährKche  Sentimentalität  plötzlich  in,  die  reele  Welt  des 
Genusses  umgeschlagen.  Nur  zweimal  taucht  beim  Tanhauser  der  edlere 
Ton  der  alten  Minnesänger  empor:  das  eine  ist  ein  Maienlied  (VII.) 
zum  Preise  der  Guten,  die  ihm  am  Herzen  liegt  und  ein  anderes  (XV.) 
aus  seinen  alten  Tagen:  er  habe  lange  den  lieben  Kinden  zu  Liebe  bei 
den  Linden  gesungen ,  das  aber  habe  sich  verkehrt  und  der  Sänger 
finde  keine  Ehre  mehr;  so  bittet  er  denn  die  Reine  um  Trost. 

Wie  im  Entwicklungsgange  der  Kunst,  so  geht  es  auch  mit  der 
Dichtung  und  mit  der  Liebe.  Wie  hoch,  wie  rein  ist  z.  B.  der  Ma- 
donnencult  und  dessen  Ideal  in  den  frühesten  Bildern,  wie  keusch  und 
züchtig  ihre  Darstellung,  gleich  jener  Minne  ^die  nicht  zu  sprechen  wagt 
und  in  ihrer  Noth  das  Haupt  beugt  ,und  der  Geliebten  sich  neigt  bis 
auf  den  Fuss.-^  Bald  aber,  nachdem  selbst  der  himmlische  Klosterbruder 
die  Geissei  gebraucht,  um  sich  in  der  Höhe  seiner  reinen  Anschauung 
zu  halten ,  sinkt  der  Cult  ins  Leibliche  und  die  guten  Meister  wissen 
mehr  die  Verherrlichung  der  mütterlichen  Pflichten  oder  gar  nur  die 
Reize  ihrer  Geliebten  den  profanen  Augen  der  Welt  preiszugeben.  So 
war  das  Minnewesen  bereits  ein  Venusdienst  geworden  und  so  passt 
auch  die  Sage  nur  zu  treffen^  auf  den  Tanhauser.  Bei  Walther  ist  es 
noch  ein  unschuldiges  Spiel,  wenn  er  die  Hälmchen  zieht  über  die  Ge- 
liebte (66,  10),  beim  Tanhauser  ist  es  offenkundiger,  er  rühmt  sich 
pompös  seiner  Siege,  nur  geschah  es  bisweilen,  dass  er  an  die  unrechte 
gerieth,  die  ihn  wacker  abfahren  Hess,  was  er  dann  unter  komischen 
Bildern  verbirgt  und  seine  Verehrte  der  Launenhaftigkeit  anklagt  — 
eine  Untugend,  die  von  den  Frauen  ausgehend,  den  Minnedienst  früh- 
zeitig untergrub.')  „Freunde  (singt  er  bitter)  helfet  mir  der  Lieben 
danken,  der  ich  um  hohen  Preis  singe,  guten  Trost  habe  ich  von  ihr; 
sie  gehrt  des  Apfels,  den  Paris  der  Göttin  gab,  bringe  ich  ihn,  so  mag 


')  z.  B.  von  amüre  seit  ich  ir, 

daz  vergalt  sie  dulze  mir.  etc. 

")  Vgl.  Weiohold  DeuUche  Frauen   S.  166  ff. 


524 

ich  heissen  ihr  Amie.  Sie  will  von  mir  bloss  den  liehten  Polarstem 
(Trerauntanen.  VIII).  Ich  soll  ihr  bringen  den  Salamander  und  machen, 
dass  die  Rhone  von  der  Provence  bei  Nürnberg  gehe  und  die  Donau 
in  den  Rhein,  gelingt  mir  das,  so  thut  sie,  was  ich  will.  Sag'  ich  ja, 
so  spricht  sie  nein.  Zergeht  der  Mäuseberg  gleich  Schnee,  so  lohnet 
mir  die  Reine;  Aljes,  was  mein  Herze  begehrt,  ist  gewährt,  wenn  ich 
ihr  auf  einen  See  ein  Haus  von  Elfenbein  baue;  ich  soll  ihr  bringen  ans 
Galiläa  den  Berg,  darauf  Herr  Adam  sass.  Ein  Baum  steht  in  India, 
den  will  sie  von  mir  han ;  ich  soll  den  Gral  gewinnen,  dessen  PArcival 
pflag,  anch  nach  Noa's  Arche  trägt  sie  Begehr:  lieia  hei'  brächte  ich 
die,  wie  lieb  ich  dann  wäre! ') 

Ja  hiute  und  iemer  mßre  ja, 

heil  alle  und  aber  ja, 

zichent  herze  wäfenä! 

wie  tuot  mir  diu  vil  guote ! 

daz  sie  mich  niht  machet  vrö. 

dez  ist  mir  we  ze  muote  (IX,  3). 

Meine  Frau  fahrt  er  weiter  fort  (X),  der  ich  so  viel  gedienet  han, 
will  lohnen  mir;  sie  will,  dass  ich  den  Rhein  wende,  dass  er  nicht  mehr 
vor  Coblenz  gehe;  mag  ich  ihr  den  Sand  von  der  See  bringen  darinnen 
die  Sonne  zur  Ruhe  geht,  so  will  sie  mir  gewähren.  Ich  muss  dem 
Monde  seinen  Schein  benehmen,  wenn  ich  sie  haben  soll;')  vermag 
ich  rings  um  3ie  Erde  einen  Graben  zu  ziehen,  gelingt  es  mir  zu  fliegen 
vne  ein  Staar  und  hoch  mich  zu  schwingen  wie  ein  Aar,  so  thut  sie, 
was  ich  nur  begehre.  Verthäte  ich  tausend  Speere  auf  einmal,  wie 
Herr  Gahmuret  vor  Kanvoleis  mit  reichem  Tjost,  so  thut  sie,  was  ich 
lange  erfleht.  Könnte  ich  der  Donau  ur\d  der  Elbe  den  Fluss  nehmen, 
so  thut  sie  mir  wohl;  ich  brauche  ihr  nur  den  Salamander  aus  dem 
Feuer  zu  bringen,  so  will  die  tiebe  mir  lohnen;  kann  ich  Sommer  und 
Klee,  Regen  und  Schnee  verwenden,  so  geschieht  mir  Liebe  von  ihr. 


')  Midi  vröut  noch  baz  ein  lieber  wdn  den  ich  von  der  scboenen  hin:  |  so 
der  Miuseberc  zerg^  |  sam  der  sne^  s6  lönet  mir  diu  reine;  |  alles  des  min 
herze  ffert,  |  des  bin  i^h  an  ir  gewert^  |  minen  willen  tuot  si  gar,  i  büwe  ich 
ir  ein  büs  von  helfenbeine ,  i  swd  si  wil ,  (kf  einem  s^ ,  |  s6  habe  ich  ir 
vriuntschaft  und  ir  hnlde^  |  brinfi^e  ich  ir  von  Galil^  |  her^  Sn'  alle  scbalde,| 
einen  berc^  gevüege  ich  daz,  |  dd  her  Addm  üfe  saz,  i  heid,  hei,  daz  vi'sere 
aller  dienste  ein  übergulde!  i  Ein  bouro  stdt  in  Indian  |  gröz^  den  wil  si 
von  mir  hän;  |  minen  willen  tuot  si  gar,  |  seht,  ob  ich  \fz  allez  ber  ge- 
winne. I   etc. 

')  Etwas  Aehnliches  weiss  bereits  Walther  (52,  53  IT): 

möhte  ich  ir  die  slerne  gar 
mdnen  unde  sunnen  . 

zeigene  hdn  gewunneii, 
daz  waer  ir,  so  ich  iemer  wol  gevar. 


525 

Ich  hab'  den  Math 

Was  sie  mir  thnt 

Das  soll  mich  Alles  dünken  gut. 

Sie  nahm  die  Ehr'  an  mir  in  Hut. 

Die  Reine!  — 

Ausser  Gott  alleine 

So  weiss  die  Fraue  Niemand,  die  ich  meine! 

Dabei  ist  es  wirklich  widerlich,  dje  schönen  alten  Worte  von  min- 
ni<^lichen  Fraue,  süsser  Treue,  reine  Weib  u.  s.  w.  nur  als  spöttische 
Redensarten  und  Lockvögel  in  seinem  Munde  zu  hören. 

Die  Vermuthung,  der  Tanhauser  habe  in  Wien,  Landshut  oder 
anderswo,  wie  Walther  von  der  Voi^elweide,  bei  hartköpfigen  Buben 
Pädagogik  getrieben,  gewinnt  durch  eine  264  Zeilen  lange  Reimrede 
einige  Begi-ündung,  welche  des  Tanhause.rs  Hofzucht  genannt  und 
dem  Dichter  zugeschrieben  ist  —  mit  welchem  Rechte  ist  fraglich. ') 
Der  Tanhauser  hat  als  ero  tüchtiger  Lebemann  sicherlich  sich  auf  feine 
Sitte  verstanden  und  könnte  Manchen  in  seinen  guten  oder  schlimmen 
Tagen  darnach  gezogen  haben;  dass  er  aber  seine  grosse  Zucht  in  sol- 
ches Reimwerk  gebracht  haben  soll,  ist  nicht  recht  dankbar.  S^tzt  ihr 
euch  zum  Essen,  so  sollt  ihr  zuerst  sprechen:  ^ Gesegne  uns  Jesus 
Christus,'*  auch  der  Armen  nicht  vergessen;  dann  geht  es  hofineister- 
lieh  mahnend  weiter:  mit  dem  Löffel  und  aus  den  Schüsseln  nicht  zu 
saufen,  sich  nicht  über  die  Schüssel  zu  halten  wie  ein  Schwein  oder 
zu  schmatzen,  auch  die  abgenagten  Stücke  nicht  wieder  zurückzulegen, 
Senf  und  Salz  nicht  mit  den  Fingern  zu  nehmen,  sich  in  das  Tischlach 
nicht  zu  schneuzen  oder  die  Sach'  an  die  Hand  zu  reiben;  während 
man  noch  Speise  im  Munde  hat,  nicht  darein  zu  trinken  wie  ein, Vieh, 
auch  sei  es  gut,  vorerst  den  Mund  zu  wischen  „daz  du  besmalzest  niht 
den  traue,**  auch  sei  es  anständig,  beim  Schneidon  den  Finger  nicht 
auf  das  Messer  zu  legen  wie  die  Kürschner  thun  (als  ein  kürsner  pfliget). 
Auch  sollt  ihr  die  Kehle  während  des  Essens  nicht  mit  blosser  Hand 
jucken,  geschieht  es  aber  dennoch,  so  nehmet  hofelich  das  Gewand  und 
ju(^ket  damit,  das  ziemt  bass.  Zugaffer  sind  immer  da,  die  solche  Un- 
zucht vermerken.  Auch  soll  man  mit  dem  Messer  nicht  in  den  Zähnen 
sturen  oder  den  Unflat  aus  den  Ohren  nehmen.     Dessgleichen  eifert  er 


*)  Die  Handschrifi  davon  ^urde  1393  zu  Innsbruck  copirt  und  befindet  sich  nun 
in  Wien.  Vgl.  HpTs  Zeilschrifl  VI.  488-96  u.  VII.  174.  Von  da  an  gibt 
es  in  diesem  Artikel  eine  reiche  Literatur,  welcher  flrrösslenlheils  der  alte 
^Cato^  zu  Grmide  liegt  und  welche,  durch  die  einzelnen  Jahrhunderte  ver- 
folgt, eine  reiche  Ausbeute  für  cullurhistorische  Studien  bieten  würde. 


526 

löblich  gegen  jedes  Uebennass  in  Speise  und  Trank  u.  s.  w.  Ein  Schritt 
weiter  —  und  wir  stehen  schon  bei  ^Tölpels  Bauemmoral,^ ')  die  jeden- 
falls  unflätiger  aber  dafür  auch  mit  mehr  Humor  dasselbe  Thema  be- 
handelt und  in  ihrer  Art  mehr  zu  lachen  gibt,  dabei  oft  wörtlich  die- 
selben Lehren  wiederholt,  wenn  auch  in  wahrhaft  magenumwendender 
säuischer  Weise. 

Das  letzte  Gedicht  (XVI.)  welches  van  der  Hagen  verzeichnet, 
ist  ein  an  die  Weisheit  des  ^Wartburgkrieges''  gemahnender  Räthsel- 
spruch.  Endlich  theilt  die  Jenaer  HS.  unserem  Tanhauser  noch  ein 
grosses,  aus  vier  mächtigen  Strophen  bestehendes,  sehr  schönes  Gedicht, 
zu,  *)  welches  in  tröstlicher  Weise  von  der  Umkehr  und  Rückkehr  des 
Dichters  Zeugniss  gibt,  von  seinem  reuigen  Sinn  und  dem  tiefen  Ver- 
trauen auf  Gottes  Huld  und  Gnade,  der  ihm  die  Sünde  büssen  lässt  und 
verzeihet. 

Die  aus  dem  XV.  Jahrhundert  stammende  Colmarer  Lieder- 
handschrift*) enthält  Bl.  785  ff.  vier  Lieder  ^in  Tanhusers  hanpt 
ton  od  gülden  tone.''  Das  erste:  ^gelickes  wer  mir  not,  wo  ich  der  land 
hinker"  ist  ein  dem  Tanhauser  in  den  Mund  gelegtes  Lied,  worin  er 
um  seine  Sünden  klagt ,  von  seinen .  Reisen  in  ganz  sinnloser  Weise 
erzählt  und  darüber  jammert,  dass  ihn  Frau  „Fenes**  mal  gegrüsst. 
Die  folgenden  beiden  ^Maria  himel  hort^  und  „wer  soll  myn's  endes 
*  pfligen ,  wenn  ich  von  hinnen  muss"  sind  durch  ihren  frischen  Anfjing 
ausgezeichnet,  worauf  aber  bald  wieder  das  dürrste,  meistersängerliche 
Gereime  folgt,  von  dem  das  vierte  „man  hat  uns  prophezyt**  gani 
voll  ist. 

Fassen  wir  nun  Alles  zusammen,  so  haben  wir  im  Tanhauser  einen 
Mann  vor  uns,  der  früher  schon  die  weite  Welt  erfahren,  der  gute  und 
böse  Tage  in  Fülle  erlebt,  bei  welchem  Wohlleben  und  Noth  gewechselt. 


*)  Scheible  Schaltjahr.  I.  137  ff. 

')  Hagen  III.  48.  Hieher  gehört  auch  ein  Zwiegespräch,  welches  der  Tan- 
hauser mit  der  Frau  Welt  Führt  und  welches  dem  bekannten  Abschiede 
Walthers  v.  d.  V.  nachgebildet  scheint  (Keller  Fast  nachtspiele.  Nro.  121. 
46.  B.  der  Publ.  des  lit.  Vereins.  S.  47—53) ;  in  rührenden  einfachen  Klagen 
trachtet  der  traurige  Büsser  nach  dem  Heile  und  weiss  seinen  Weg,  Ton 
dem  ihn  die  Welt  trotz  aller  Schmeichelei  nicht  zu  wenden  vermag. 

')  Dieselbe  war  erst  Eigenthum  der  Schusterzunft  zu  Colmar,  kam  bei  derea 
Auflösung  1789  in  die  Hände  J'feffels^  von  da  nach  seinem  Tode  1S09  durch 
dessen  Erben  in  den  Besitz  des  Buchhändlers  Neukirch  in  Basel,  worauf 
endlich  am  28  Oktober  1857  die  Münchner  Hof-  und  Staatsbibliothek  den 
Codex  vom  Buchhändler  Georg  in  Basel  für  1866  fl.  40  kr.  en»'arb.   (Cod 

ferm.  4997.)  Diese  Handschrift,  welche  856  doppelspaltige  Blitter  ziblt  und 
598  gebunden  wurde,  enthält  viele  wirkliche  Lieder  der  Minoeaanger,  aber 
oft  in  ganz  veränderter  und  oft  zur  völligen  Unkenntlickeit  abgesdiliffMiea 
GesUlt. 


527 

der  bei  vielen  Fürsten  und  Herren  zn  Gaste  sass  and  nach  einem  lan- 
gen, unruhigen  Wanderleben  von  Italien  bis  Dänemark,  von  Spanien 
bis  nach  Oesterreich,  hinreichend  aufgeklärt  über  seine  eigene  Thorheit 
und  die  Untreue  der  Welt,  sich  zu  Gott  wendet  vor  seinem  Scheiden. 
Wir  haben  oben  die  Pupkte  beiührt,  welche  es  möglich  scheinen  lassen, 
dass  eine  glaubbar  viel  ältere  Sage  auf  ihn  sich  übertragen  und  end- 
lich haften  bleiben  konnte.  Das*  Zusammenwachsen  der  Mythe  unfl 
Sage  ist  kaum  an  einem  schöneren  Beispiel  nachzuweisen.  Desto 
unerklärlicher  ist  die  Behauptung  Zander *s,')  der  mit  unhaltbaren 
Hypothesen  zu  beweisen  sucht,  die  Sage  vom  Tanhauser  sei  erst  aus 
den  Lebensereignissen  des  Dichters  entstanden:  Der  Tanhauser  sei  auf 
seiner  Kreuzfahrt  wider  seinen  Willen  in  entlegene  asiatische  Gegenden 
und  in  ein  Liebesverhältniss  mit  einer  muhamedanischen  Prinzessin 
verstrickt  worden  und  bei  ihr  ein  Jahr  oder  mehr  verblieben.  Ueberdruss 
oder  Reue  wollten  ihn  in  den  Schoss  seiner  Kirche  zurückführen  und 
er  pilgert  nach  ^om.  Aber  die  Kirche  oder  deren  Oberhaupt  verwirft 
ihn,  so  wendet  er,  ein  aus  der  Christenheit  ausgestossener  und  gebann- 
ter, sich  zu  seiner  muhamedanischen  Geliebten  in  das  Morgenland  zu- 
rück, worauf  keine  Kunde  mehr  zu  uns  gedrungen,  indem  er  dort  ver- 
schollen und  gestorben  ist.  So  weit  Herr  Zander  mit  seiner  unbe- 
greiflichen Erklärung,  die  eine  neue  Tanhauser-Biographie  erfindet,  um 
eine  ihm  unverständliche  Sage  darnach  erklären  zu  können.  Dann  wäre 
natürlich  das  ganze  übrige  Leben  Tanhausers,  das  von  seinem  Kreuz- 
zuge und  den  Querfahrten  an  den  Fürstenhöfen  Deutschlands  ziemlich 
klar  vorliegt,  nur  eine  Fabel!  Mit  solchen  Versuchen,  die  nicht  einmal 
mehr  in  einem  Romane  erlaubt  sein  können,  wird  unsere  Wissenschaft 
nicht  gefordert.  — 

Wie  der  Tanhauser,  so  weiss  der  Graf  Kon  r  ad  von  Kirchberg') 
von  der  Frau  Venus,  ja  er  kennt  sogar  die  heisse  Fackel  des  Amor 
(L  3),  Wenn  doch  ihr  rothes  Mündlein  meinen  Kummer  wenden  wollte, 
zwei  lichte  Wängelein  wären  gut  gegen  sehnende  Nofh  und  ein  minnig- 
liches  Umfahen.  Wäfen,  herre  jo!  wenn  ihr  rother  Mund  mir  ein 
Küssen  leihen  wollte!^    Die  Stelle   erinnert  auffallend  an  Walther;') 


1)  Fr.  Zander  Die  Tanhäuser-Sage  und  der  Minnesänger  Tanhfiufer.    Königs- 
berg 1858.  4». 
»)  Hagen  I.  23  ff.  IV.  55  ff. 

*)  Wallher  54,  7 :  si  hdt  ein  kussfn,  daz  ist  röt : 

gewönne  ich  daz  für  mtnen  munt, 
86  stüende  ich  (d  von  dirre  n6t 
und  wnere  ouch  iemer  md  gesunt. 
dem  si  daz  an  sin  wenffel  legt 
der  woaet  dd  gerne  iilnen  bt: 


528 

anderes  verräth  Neidhart'schen  Einfluss.  Die  Geliebte  weiss  nicht,  was 
Minne  sei,  da  will  er  ihr*s  lehren,  die  Lösung  ist  aber  nicht  so  anschal- 
dig  wie  Signnens  Frage  im  Titurel,  sondenf  streift  an  die  in  v.  d. 
Hagens  ^Gesammt-Abenteaem^  häufig  vorkommenden  Geschichten.  Das 
frischeste  unter  seinen  Gedichten  ist  ein  Mailied  (V.): 

,  1 .  Auf,  der  Mai  kam  in  das^  Land, 

Der  da  löst  der  Sorgen  Band: 
Kinder,  Kinder,  seid  gemahnt, 
Mannigfalte  Wonne  kommt  zu  schauen. 

Auf  der  lichten  Haide  breit 
Sind  die  Blumen  ausgestreut 
Wie  ein  Teppich  weit  und  breit: 
So  erscheint  er  grünen  Waldesauen. 

Da  höret  man  die  Nachtigall 
Auf  dem  blühenden  Reise 
Singen  wonniglichen  Schall. 
Berg  und  Thal 
Hat  der  Mai  bekleideti  sich  zum  Preise. 

Freuet  euch,  ihr  Jungen, 

Die  Blumen  sind  entsprangen. 

Nun  singet  den  Reihen 

Und  seid  fröhlich  froh  des  lichten  Maien! 

2.  Auf  denn  Kinder,  Paar  und  Paar 
Geh  die  freudenreiche  Schaar 
Nach  dem  Anger  rosenklar. 
Wo  die  Blumen  aus  dem  Grase  dringen. 

Leget  an  der  Ehre  Kleid: 
Wo  sich  Lieb  bei  Liebe  freut, 
Gibt  der  Mai  viel  Sössigkeit. 
Lauschet,  lauschet,  wie  die  Vögel  singen! 

Wie  das  sanft  den  Ohren  thut: 
Freut  euch,  stolze  Laien. 
Sah  ich  doch  der  Maien  Bluth 
Nie  so  gut: 
>  Lasst  dabei  uns  tanzen,  lasst  uns  reihen. 

Freuet  euch,  ihr  Jungen  etc. 


ez  Smecket,  s6  manz  iender  regt. 

alsam  ez  vollez  balsmen  st. 

daz  so!  si  llben  mirt: 

awie  dicke  86  siz  wider  wil,  so  gebe  icbz  ir. 


529 

3.  Wohl  auf,  Rose,  Gepe,  Hiliegart, 
Geri,  Gnote  traut,  an  die  Fahrt! 
Vröude,  Anne,  Ellin,  Igel  zart, 

Rese,  Engel,  üedelhilt,  Beate,  Gisel,  Uote. 

Diemuot,  Wille,  Gözze,  Irmellin, 
Klare,  Wonne,  Ite,  Minne,  Tilije  Fin, 
Hezze,^Mezze,  Salme,  Katrin, 
Kristin,  Berhte,  Liebe,  Adelgunt,  Vite,  Guote, 

Mije,  Soffie,  Else,  üedelsint, 
Sidrat,  Künigunt,  Pride, 
'  Heilwik,  Hüte,  Lügge,  Edellint, 
Herburk-'Kind, 
Krete,  Saluet,  Elide,  Hille,  Juzze,  Hemme,  Fide: 

Freaet  euch  ihr  Jungen  etc. 

4.  Ei,  was  säumst  du,  junger  Mann? 
Komm  und  kommt  ihr  all  hindann 
Zu  den  Kindern  auf  dem  Plan! 

Allem  Trauern  wird  die  Kraft  benommen. 

Siecher  Mann  wird  bald  gesund. 
Der  von  Minne  wurde  wund; 
Mancher  rosenfarbne  Mund 
Lockt  ihm  Lust  ins  Herz,  das  muss  ihm  fronmien. 

Wo  man  Blumen  viel  und  Klee 
Findet  in  den  Auen: 
Da  sind  wieder  ohne  Weh 
Heur  wie  eh 
Aufgedrungen  in  des  Maien  Thauen. 

Freuet  euch  ihr  Jungen  etc. 

5.  Ei,  die  Liebe,  wo  sie  sei. 
War'  ich  heut  ihr  nahe  bei. 
Seht,  so  würd'  ich  sorgenfrei, 

Die  mir  lifeb  war  stets  vor  allen  Dingen. 

Fröhlich  in  des  Maien  Bluth 
Brach  ich  ihr  den  Schattenhut 
Ueber  alle  Güte  gut 
Ist  sie  ja,  ihr  Lob  so  will  ich  singen 

Gern  um  ihren  Habedank. 
Keusch  und  Tadelsreine 
Ist  die  Liebe  sonder  Wank. 
Ohne  Dank 
Sing*  ich  der  Geliebten,  die  ich  meine. 

Freuet  euch,  ihr  Jungen  etc. 

34 


530 

Wir  erhielten  da  eine  hübsche  Blumenlese  mittelalterlicher  Frauen- 
namen! Der  Dichter  hat  diese  Manier  des  poetischen  Katalogisirens 
von  den  volksmässigen  Singeni,  den  Neidhart  an  der  Spitze,  erlernt 
Ohne  Weibes  Hilfe,  sagt  er  VI.  3,  kann  Niemand  froh  werden  noch 
hohen  Muthes  reich;  er  will  der  Fraue,  die  ihn  mit  Unminne  quält, 
als  Dienstmann  zu  eigen  sein. 

Graf  Konrad  von  Kirchberg  erscheint  1255  in  einer  ülmer  Ur- 
kunde; das  gleichnamige  Schloss  dieser  Familie  stand  an  der  Jller. 

Ein  vielbewegtes  und  politisch  bedeutsames  Leben  hatte  der  Mark- 
graf Berthold  von  Hoheaburg  (an  der  Lauterach)  geführt.')  Er 
stammt  von  den  Markgrafen  des  Nordgau,  welche,  zunächst  gegen  die 
heidnischen  Böhmen  gerichtet,  mit  Ernst  L  (Ludwig  des  Frommen 
Tochtermann)  beginnen,  der  sich  mit  seinem  Eidam  Karltnann  gegen 
dessen  Vater,  Ludwig  den  Deutschen ,  verband  und  dessen  Geschichte, 
in.  Vermischung  mit  Ernst  V.  und  Herzog  Ernst  von  Schwaben,  die 
Grundlage  zu  den  im  X[T.  und  XHL  Jahrh.  entstandenen  Gedichten 
vom  Herzog  Ernst  von  Bayern ')  abgab.  Von  seines  Enkels  Ernst's  DI. 
Brüdern  ist  Leupold  der  Stammvater  der  Grafen  von  Scheyem  und 
Witteisbach,  und  Aribo  der  Grafen  von  Seon  und  Burghausen,  von 
dessen  Tod  auf  der  Jagd  durch  ein  Wisend  (Büffelochs)  noch  zu  An- 
fang des  XIII.  Jahrh.  das  Volk  in  Liedern  sang. ')  Ernst  V.  ward 
von  Kaiser  Otto  I.  (mit  dessen  abtrünnigem  Sohne  Ludolf  er  es  hielt) 
seines  Landes  verlustig  nnd  flüchtig,  nachmals  wieder  begnadigt.  Ernst  VI. 
besass  um  1028  bestimmt  das  Gebiet  von  Hohenburg,  Ernst  IX.  wird 
zuerst  in  einer  Urkunde  von  1138  Graf  von  Hohenburg  genannt;  er 
war  Kaiser  Friedrichs  L  Kriegsgefährte  und  Begleiter.  Mit  ihm  (nach 
1162)  und  seinem  Bruder  Friedrich  wäre  der  Mannstamm  ausgestor- 
ben, nachdem  beide  schon  um  1147  ihr  Schloss  Hohenburg  mit  allen 
Dienstmannen  dem  Bischof  Heinrich  von  Regensburg  zugeeignet  hatten. 
Dennoch  hinterliess  Friedrich  von  Hohenburg  eine  Wittwe  Mechtild 
von  Andechs,^)  welche  sich  1210  mit  dem  Höchstifte  Regensburg 
dahin  einigte,  dass  die  Grafschaft  Hohenburg,  ihre  Morgengabe,  ihren 
etwaigen  männlichen  Nachkommen  zweiter  Ehe,  zu  Lehen  verbleiben 
sollte.  Sie  vermählte  sich  hierauf  mit  dem  Markgrafen  Diepold  von 
Vohburg.   Dieser,  auch  der  letzte  seines  Stammes,  war  K.Heinrichs  VI. 


*)  Vgl.  Th.  Ried,  genealog.  diplomat.  Geschichte  der  Grafen  von  Hobenburf. 

Markgrafen  auf  dem  Nordgau.  Kegensburg  1812  und  IIa  gen  IV.  68  fT 
')  Vgl.  oben  S.  89  and  Ried  S.  17  IT. ' 
*)  Vgl.  oben  S.  3J. 
«)  Ried  S.  43  AT. 


531 

I 

Feldherr,  erhielt  von  ihm  die  Sicilische  Grafschaft  Acera,  führte  nach 
dessen  Tode  (1197)  den  Oberbefehl  des  deutschen  Heeres  nnd  die 
Statthalterschaft,  und  besiegte,  nach  mehreren  Niederlagen,  1205  den 
Grafen  Walther  von  Brienne,  der  als  Gatte  der  ältesten  Tochter 
Tancreds,  Albinia,  die  Herrschaft  in  Anspruch  nahm,  aber  mit  dem 
Leben  aufgeben  musste.  Der  Markgraf  hatte  noch  viel  mit  den  un- 
ruhigen Baronen  des  Landes  zu  kämpfen ,  bis  K.  Friedrich  IL  selbst 
die  Regierung  antrat,  mit  dem  er  bald  darauf  (1212)  nach  Deutsch- 
land heimkam.  Hier  ward  seine  Macht  durch  die  Vermählung  mit 
Mechtild  noch  ansehnlich  vermehrt;  er  heisst  seitdem  in  Urkunden 
1212—25  abwechselnd  Markgraf  von  Hohenburg  und  wurde  1226  auch 
in  der  Erbgruft  der  Hohenbjirger  begraben.  Er  bekam  vier  Söhne, 
Berthold,  Otto,  Diepold  und  Ludewig,  von  denen  der  erste 
immer  kurzweg  als  der  Markgraf  von  Hohenburg  erscheint  und 
mit  unserem  Dichter  ein  und  dieselbe  Person  ist.  Auf  ihn  passen  auch 
alle  diese  geschichtlichen  Beziehungen  in  den  Liedern! 

Dieser  Berthold  von  Hohenburg  war,    wie  sein  Vater,  ein  bedeu- 
tender und  mächtiger  Mann,  ein  Heer-  und  ReichsfÖhrer  der  Staufer 
in   Deutschland   und    noch    mehr   in   Italien.     Durch   König   Konrads 
Gemahlin  (Konradins  Mutter  Elisabeth   von  Baiern)  dem   Kaiser- 
hause verwandt,  war  er  1237  mit  seinem  Bruder  Diepold  Edelknabe 
an  dem  prachtvollen  Hofe  Friedrich  H.,  dann  sein  Vertrauter  und  Feld- 
herr in  Italien,  und  nach  des  Kaisers  Tode  (1250,   dessen  Testament 
er  unterschrieb)   Konrads   tapferer  Vertreter  in  Italien;    mit  Manfred 
(Konrads   Stiefbruder)    eroberte    er   1251  Avellino  in   den  Abruzzen, 
unterhandelte  für  Konrad  mit  Pabst  Innocenz  lU.  und  wurde  in  politi- 
schen Dingen  auch  nach  Griechenland  gesandt.    Berthold  heirathete 
eine  Vaterbruderstochter  der  Mutter  Manfreds,    Namens  Isolde,    und 
war  durch  Gunst  und  Vergabung  des  Königs  gewaltig  im  Lande.'  Nach 
Konr^ds  Tode  (1254)  erhielt  er,  bereits  Oberfeldherr  durch  den  letzten 
Willen  des  Königs  die  ganze  Reichs  Verwaltung  beider  Sicilien  in  Kon- 
radins Namen  (dessen  Aussöhnung  mit  dem  Pabste  ihm  sehr  empfohlen 
worden),   übergab  sie  aber  bald  an  Manfred.     Beide    wurden  hierauf 
1254  vom  Pabst  Innocenz  FV.  gebannt,  erkannten  noch  in  demselben 
Jahre    dessen  Lehensherrschaft    an    und    wurden    von    ihm    bestätigt, 
namentlich   Berthold    in    der  Grafschaft   Montescaglioso   und   anderen 
Schankungen  Konrads.     Zugleich    erhielt  Berthold    die  Würde   eines 
Grossmarschalls  von  Neapel  und  Sicilien ,  mit  ansehnlichen  Einkünften 
und  freiem,    standesmässigem  Unterhalt  am  damals  in  Neapel  befind- 
lichen päbstlichen  Hofe ;  auch  seine  Verwandten  wurden  mit  Ländereien 
belehnt.    In  dem  bald  darauf  zwischen  Manft'ed  und  dem  Pabste  aus- 

84* 


532 

gebrochenen   Kriege,    blieb  fierthold    mit  seinen  Brüdern  Otto  und 
Ludwig  (der  bereits  von  K.  Konrad  die  Barg  Monteforte  besass)  auf 
Seiten  des  Pabstes;    besonders  thätig  erschien  Otto  auf  dem  Kampf- 
platze, wurde  aber  bei  Foggia  (Ende  1254)  aus  dem  Felde  geschlagen. 
Wenige  Tage  darnach  starb  der  Pabst  in  Neapel,  und  Berthold  wirkte 
hier   hauptsächlich  mit  zur  schleunigen  Wahl  Alexander  IV.,  der  ihm 
sogleich   die  Schaqkungen  seines  Vorgängers  bestätigte,   das  Erbrecht 
derselben  sogar  auf  Seitenverwandte  ausdehnte  und  noch  das  Herzog- 
thum  Amalfi  hinzufügte.     Otto    wurde    mit    der  Grafschaft  Catanzak 
belehnt.  Bei  der  Fortdauer  des  Kampfes  mit  Manfred  musste  der  Pabst 
den  stets  ihres  Vortheils  wahrnehmenden  Hohenburgern  an  8000  Unzen 
Goldes  verschreiben  und  ihnen  Grayina  und  Bolenta  einräumen,  damit 
sie  sich  aus  den  Einkünften  allmählich  bezahlt  machten.  Berthold,  der 
vom  Papste  der  Mutter  Konradins  zu   dessen   Bevollmächtigten   vor-   * 
geschlagen  wurde,   führte  das  päbstliche  Heer  gegen  Manfred,    erfand 
zum  Schutze  hölzerne  Kriegsmaschinen  in  dreieckiger  Gestalt,  die  immer 
aufrecht  standen,  wie  sie  auch  gewälzt  wurden,  eroberte  Trani,  Baroli 
u.  a.,  unterhandelte  durch  Isolde  mit  Manfred,    und  wollte,    da  dieser 
ihm  nicht  mehr  traute,   den  Kardinal  Octavian,    der  in  Foggia  einge- 
schlossen war,  entsetzen,   wurde  aber  von  Manfred  aus  einem  Hinter- 
halte  überfallen  und  völlig  besiegt.     Der  Kardinal  musste  nun  Frieden 
eingehen,  in  Folge  dessen  die  Hohenburger  von  Manfred  begnadigt  und 
in  ihre  Herrschaften  wieder  eingesetzt  wurden.  Als  aber  der  Pabst  den 
Frieden  nicht  bestätigte  und  ein  Graf  von  Wasserburg  am  päbstlicben 
Hofe  Manfreds  Gesandten  heimlich  zu  wissen  that,   dass  Berthold  mit 
seinen  Brüdern -und  andern  Baronen  des  Königreiches  eine  Verschwör- 
ung gegen  ihn  angezettelt,  liess  Manfred  die  Hohenburger  sogleich  ver- 
haften und  hielt  am  2.  Febr.  1256  zu  Baroli  eine  Reichsversammlong, 
in.  welcher  die  des  Hochverraths  Angeklagten  überwiesen  und  einstimmig 
zum  Tode  verurtheilt  wurden.    Manfred  verwandelte  diese  Strafe  gnädig 
in  ein  lebenslanges  Gef&ngniss:  es  scheint  jedoch,  dass  sie  bald  heim- 
lich aus  dem  Wege  geräumt  wurden,  weil  schnell  darauf  eine  Urkunde 
tom   21.  März  1258   den  endlichen  Heimfall  der  Ve^te  Hohenburg  an 
Regensburg  durch   den  Tod  aller  vier  Brüder  bezeugt.    Auch   seioen 
gleichnamigen  Enkel ,  der  Manfreds  Tochter  Gannaro   ehelichen  sollte, 
musste  dasselbe  Schicksal  getroffen  haben.  Die  reichen  Güter  der  Hohen- 
burger kamen    zum  Theil   auch  an  Bamberg,   und  1296  belehnte  der 
Bischof  Berthold  den  Herzog  Ludwig  von  Baietn  mit  der  Stadt  Amberg 
und  allen  ihm  durch  den  Tod  der  vier  Brüder  erledigten  Lehen. 

Wir  haben  hier  ein  reiches  diplomatisches  Leben  vor  uns^  Berthold 
ist  unter  den  Minnesingern  derjenige,  der  sich  wohl  zuhöchst  hinaofiMdnriiH 


533 

delte,  der  als  Yertrauensroann  des  deatschen  Königs  und  dessen  Stell- 
vertreter, mit  den  höchsten  Würdenträgern  verkehrte  nnd  nebenbei  auf 
sein  eigenes  Wohl  hinreichend  bedacht  war,  bis  ihn  plötzlich  das  blutige 
Verhängniss  erreichte,  das  auf  alle  Deutsche  in  italienischen  Landen 
lauerte  und  alsbald  wieder  ein  schönes,  blutjunges  Leben  erjagen  sollte. 
Der  Hohenburger  Markgraf  erscheint  allerdings  bisweilen  in  zweifel- 
hafter Beleuchtung;  doch  war  seine  Stellung  als  Vertreter  Konradins, 
zwischen  dem  gewaltigen,  allen  Staufern  feindseligen  Pabst  und  dem 
verwandten,  auf  eigene  Herrschaft  bedachten  Manfred,  eine  sehr  schwie- 
rige. Er  war  ein  tapferer  und  kluger  Kriegsmann ,  der  zwischen  den 
ärgsten  politischen  Händeln  noch  Zeit  für  Saitenspiel  und  minnigliche 
Tändelei  fand. 

Das  Conterfait  des  Hohenburgers  im  Manessencodex  weist  auf  eine 
in  der  Feme  lebende  Geliebte  hin:  der  Markgrafe  sitzt,  hat  ein  rothes  . 
pelzgefüttertes  Kleid  an,  nnd  übergibt  einem  vor  ihm  stehenden  Garzun 
seine  Lieder  in  einem  abriefe**;  hinter  ihm  hängt  das  Ritterschwert 
friedlich  am  Nagel,  das  Wappen  aber  hat  der  Maler  wieder  aus  eigener 
Phantasie  dazu  gemacht. ') 

Berthold  hatte,  mit  dem  mannigfach  befreundeten  Manfred  (der 
bald  nach  ihm,  1268  durch  den  gräulichen  Anjou  sein  Leben  verlor) 
auch  die  Liebe  zur  Dichtkunst  gemein;  wenn  es  wahr  ist,  dass  Man- 
fred eine  ganze  Schaar  deutscher  Singer  und  Spielleute  um  sich 
hatte,  so  könnten  des  Hohenburgers  Lieder  auch  wohl  in  Wälschland 
gesungen  sein.  Wenigstens  sagt  er  (VL  I),  dass  er  dem  Könige 
(Konrad)  überall  den  Leib  hinfuhren  wolle,  dass  sein  Herze  aber  doch 
zurückbleibe,  das  hat  für  ewige  Zeiten  eip  Weib,  von  der  es  selbst* 
unser  Herrgott  nicht  vertreiben  könnte. 

Wohl  denen,  sagt  er,  die  von  guten  Weihen  gut  sprechen  (L  1), 
wohl  mir,  dass  ich'  ein  so  schönes  und  reines  Weib  zu  einer  Frauen 
habe  (IL);  dafür  macht  ihm  das  Scheiden  grosse  Pein  und  auch  ihr 
thut  es  so  wehe,  dass  sie*s  nicht  überleben  zu  können  und  dem  grimmen 
Tode  rufen  zu  müssen  glaubt;  er  erzählt  sodann,  dass  er  dem  Pabste 
von  ihr  und  seiner  Liebe  gesprochen  und  dieser  eingesehen  habe,  er 
roinne  ein  Weib  mit  ganzer  State  (III,  3.),  Gott  war  gewiss  viel  sanften 
Muthes  als  er  das  reine  Weib  schuf,  die  das  beste  ist,  was  der  Dichter 
je  gesehen  hat.     Unter  seinen  wenigen  .Liedern,    die  zur  Abwechslung 


*)  Hagen  V.  2?0.  Tar.VIII.«  (38).  Nach  Siebmacher  11.  11  u.  Falkenstein 
Nordgau  U.  359  ballen  die  ItHrkgrufen  von  Hobenburg  im  silbernen  Stbilde 
einen  gesrbobenen  ^olben  Qnerbiilken ,  als  Kleinod  einen  gesi  blossenen  sil- 
bernen Flug  mit  des  Si  bildes  Bild.  Sonst  wird  als  Wappen  aucb  no  b  ein 
rolher  Löwe  genannt,  der  vom  Manessen-Maler  beigefügte  ist  nicbl  zu  finden. 


584 

% 

auch  unter  anderen  Namen  vorkommen  (ein  übrigens  bei  den  kleinen 
^oeten  häufig  wiederkehrender  Umstand,  der  einen  Literarhistoriker 
zur  gelinden  Verzweiflung  bringen  könnte)  findet  sich  ein  schönes  Wäch- 
terlied, welches  Graf  Pocci  in  der  alten  Weise  der  Minnelieder,  com- 
ponirt  hat;*)  es  Jautet  (Simrock.  S.  26):  ^ 

Wächter:      Ich  wach  um  eines  Ritters  Leib 
Und  deine  Ehre,  schönes  Weib: 
Weck'  ihn,  Fraue! 
Gott  gebe,  das  ist  mein  Begehr, 
Dass  er  erwiacht  und  Niemand  mehr. 
Weck'  ihn,  Fraue! 
Nicht  säumig  seid: 
Es  ist  nun  Zeit; 

Ich  bitte  nicht  um  seinethalb  allein: 
Willst  du  ihn  bewahren, 
So  lass  ihn  fahren: 

Verschläft  er  sich ,  die  Schuld  ist  einzig  dein. 
Weck'  ihn,  Fraue! 

Die  Frau:     „Ach  müssest  du  unselig  sein, 

'     Wächter,  und  all  das  Wecken  dein! 
Schlaf,  Geselle! 
Dein  Wachen  war  wohl  alles  gut; 
Dein  Wecken  mir  gar  unsanft  thut. 
Schlaf,  Geselle! 
^  Hab'  ich,  Wächtersmann, 

Dir  doch  nichts  gcthan 
Als  Gutes,  und  doch  fögst  du  mir  die  Pein: 
Du  mahnst  des  Tages 
Dass  du  verjagest 

Viel  süsse  Freuden  von  dem  Herzen  mein. 
Schlaf,  Geselle!''  — 

Wächter:      Wie  gern  ich  dir  den  Zorn  vertrage. 

Der  Ritter  scheide  vor  dem  Tage. 

Weck'  ihn,  Fraue! 

Er  wagt'  es  auf  die  Treue  mein. 

Da  befahl  ich  ihn  den  Ehren  dein. 

Weck'  ihn,  Fraue! 


')  Vergl    Sechs  alldeutsche  Minnelieder,   als  FrühlingSjpruss  1835;    conponift 
(bereits  \82ß)  von  Franz  Gf.  von  Pocci.  München  in  der  lit.  arlisk  Anstalt 


585 

Du  selig  Weib, 
Mass  er  den  Leib 

Verlieren,  sind  wir  beide  mit  verlorn. 
Ich  sing,  ich  sage, 
Es  naht  dem  Tage: 

Nun  weck*  ihn,  denn  ihn  wecket  doch  mein  Hörn: 
Weck'  ihn,  Fraue! 

Am  Ende  und  an  der  Neige  des,  Minnasanges  steigt  noch  eine 
schöne  jugendliche  Gestalt  auf,  sein  Lockenhaupt,  das  einst  die  Krone 
getragen  und  verloren  hatte,  ist  blutig,  es  ist  , König  Konrad  der 
junge,  der  arme  Konradin I'^ ')  In  dem  nahe  bei  Landshut  gelegenen 
Schlosse  Wolfstein')  war  der  letzte Staufer  geboren  (25. März  1252), 
dessen  kurzes  Leben  eine  Kette  von  Leid  und  verlorenen  Freuden 
bildet.  Der  erlauchte  Otto  hatte  den  Enkel  kaum  gesehen,  so  schloss 
er  auch  schon  unter  dem  Beistaude  des  heiligmässigen  Bpder  Berh- 
told,  des  berühmten  Predigers,  viel  zu  frühe  die  Augen.  Kaum  zwei- 
jährig wurde  Konradin  bereits  vaterlos;  so  lebte  er  mit  der  Mutter 
Elisabeth  bei  seinem  Oheim  Herzog  Ludwig  auf  der  Hochhuet  (Trau snitz) 
bei  Landshut,  an  einem  Hofe,  wo  ehedem  so  feine  Sitte  geherrscht  und 
durch  Otto's  ^ Milde''  viele  hungerige  Sänger  und  arme  ^Fahrende"  zu- 
gingen und  weilten.  Hier  war  Reinbot  gesessen  und  hatte  seinen  St. 
Georg  zusammengemacht,  hier  hatte  der  Neidhart  offenes  Gelass  und 
derTanhauser  ein  Asyl  gefunden,  Konradin  konnte  den  letztgenann- 
ten in  zarter  Jugend  noch  gesehen  haben,  da  derselbe  auch  der  Her- 
zoge Ludwig  und  Heinrich  gedenkt.  Von  da  zog  dann  Elisabeth  mit 
Konradin  nach  München.  Welchen  Eindruck  musste  es  auf  die  Seele 
des  vierjährigen  Knaben  gemacht  haben,  als  der  jähzornige  Oheim  seine 
unschuldige  Gattin,  die  schöne  Maria  von  Brabant  in  eifersüchtiger 
•  Wuth  auf  dem  Mangoldensteine  (18.  Febr.  1256)  enthaupten  liess!  Ein 
Edelfräulein  der  Herzogin,  die  Heike  von  Brennenberg,  das 
Schwesterlein  des  unglücklichen  Sängers,  hatte  der  strenge  Ludwig 
erdolcht  \\vA  sodann  der  Hinrichtung  seiner  Gemahlin  zugeschaut,  un- 
empfindlich gegen  den  Jammer  der  schönen  Frau,  die  ihm  ihre  reinen 
Hände  bot  und  nur  noch  ein  Küssen  und  Umhalsen  von  ihrem  Gatten 
erbat, ')  dem  Konradins  Mutter  zu  Füssen  lag,  mit  Thränen  um  Mariens 
Leben  bittend! 


')  Als  Erbe  von  Sicilien  wurde  er  König  genannt  und  zwar  mit  dem  Beisatze 
der  junge  oder  der  Stau  Ter  zum  Unlersthiede  von  seinem  Vater;  erst 
die'Wälsiben  haben  den  Cbunradin  aus  ihm  gemacht. 

*»  Wiesend  Topographie  von  Landshut.  1858.  S.  236. 

')  Vgl.  die  darauf  bezüglichen  Strophen   des  Meister  Stolle,    welche  weiter 


fi36 

Als  sich   Konradins  Mutter  ein   Paar  Jahre   darauf  zu  München 
(6  Okt.  1 259)  an  den  Grafen  Meinhard  IV.  von  Görz  und  Tirol  ver- 
mählte,  ward  Konradin  als  überzähjiges  Stiefkind  hinausgeschickt  auf 
seine  weifischen  Stanomgüter.  Hier  trieb  er  sich  zu  Ravensburg,  Buchom 
und  in   anderen   kleinen  Städten    am  Bodensee   um.     Er  war   in  der 
Nähe  seines  wahrhaft  väterlichen  Vormundes,    des  Bischof  Eberhart 
von  Constanz,    von    dem    er   vielleicht   sein   schönes  Latein    erlernte. 
Auch  lebte  er  am  Hofe  seiner  treuen  Kämmerer  zu  Arbon,  der  Brüder 
Markward  und  Volkraar  von  Kemenaten,  welch  letzterer  der  Poesie  und' 
den  Poeten  hold  war,  wenigstens  loben  ihn  Kelin  und  Meister  Ru- 
melant  von  Schwaben  und  Rudolf  von Montfort  rühmt  ihn  gar 
als  meisterlichen  'Dichter.     Hier  lebte  Konradin  in  Freuden  und  Fröh- 
lichkeit, der  Jagd  und  ritterlichen  Künsten  ergeben.    So  ist  er  in  den 
Manessen  abgemalt:     Der   fast  mädchenhafte  Jüngling  mit   schwarzen 
Augen  und  Brauen,  kurzen   blonden  Locken,    auf  denen  der  goldene 
Kronenreif  mit  den  drei  Lilien  sitzt,  im  einfachen  langen  grünen  Röck- 
lein mit  goldenem  Halssaum  und  steinblitzendem  Gürtel  reitet  auf  einem 
den  grünen    Hügel  hinangaloppirenden  apfelgrauen  Jagdrosse.     Sattel, 
Steigbügel,  Gebiss  und  Zaumschmuck  sind  golden,  die  Zügel  roth  und 
schwarz.  Fürbüge  und  Decke  sind  roth  ^  seine  Schuhe  schwarz.  An  den> 
Händen  trägt  er  grosse  weisse  Fäustlinge,  er  hat  so  eben  einen  weissen 
Falken  nach  einem  Vögelein  in  die  Luft  geworfen.    Nebenan  springen 
bellende  Bräckelein. ')    Ihm  zunächst  jagt  ein  anderes  Herrlein  einher, 
einen  weissen  Perlenkranz'  in  den  fliegenden  Flachsen,    rothgekleidet, 
>  den  scharfen  Falken  auf  der  Faust:    vielleicht  Friedrich  von   Oester- 
reich,  sein  treuer  Freund  und  Schicksalsgenosse  in  Lust  und  Leid. 

Von  ihm  haben  sich  zwei  minnigliche  Lieder  erhalten ,  acht  im 
Style  der  Zeit;  wenn  auch  vielleicht  nicht  gerade  ganz  aus  seinem 
Munde,  so  sind  sie  doch  so,  dass  man  es  gerne  glauben  möchte. 
Sie  klagen   zart    und   innig,     dass   die    Geliebte    ihn   seines   Kindes- 


unten  folgen.  Dagegen  hat  Söftl  (Ludwig  der  Slreni^e.  1857.  S.  95  (T.)  lo 
beweisen  gesucht,  dass  die  eiofache  Thatsache,  der  Herzog  habe  seine  Ge- 
muhlin  eulhaiiplen  lassen,  durch  die  Sage  in  den  folgenden  Jahrhunderleo 
erst  zu  einer  Gräiiellhat  ausgemalt  wurde;  er  findet  es  wahrscheinlich (S.  101), 
dass  Herzog  Ludwig  ^ar  nirht  dabei  anwesend  gewesen,  sondern  vom  Lager 
bei  Augsburg  aus  den  Befehl  zur  Hinricbinng  übereilt  gegeben  habe.  Jeden- 
falls ist  Meister  Stolle  sehr  genau  von  dem  Vorgantre  unterrichtet,  er 
spricht  wie  ein  Augenzeuge  und  nennt  die  ungetreuen  Kälhe  Ludwigs,  6it 
ihn  dazu  verleitet. 

*)  Als  WHppen  ist  ihm  das  silberne  Kreuz  des  Königreiches  Jerusalem  beige- 
mHlt,  das  ihm  durch  seine  Grossmnller  Jolanthe  gebührt;  doch  bat  der 
Maler  keinen  Helm  mit  Ziniier  darübergesetzt,  weil  Konradin  noch  nicbl 
Scbwertleile  empfangen  hatte. 


537 

alters  entgelten  lasse,  nnd  dass  er  selbst  noch  nicht  wisse,  was  Minne 
sei.  Man  war  begierig,  wer  die  Besungene  sein  möchte  und  erfand 
sogar,  dass  Konradin  bereits  1266  vermühlt  worden  sei,')  doch  ist 
von  einer  Wittwe  Konradins  nichts  bekannt,  noch  mehr,  die  angebliche 
Brigitta,  die  ihm  zuerkannt  wurde,  das  Töchterlein  des  Markgrafen 
Dietrich  von  Meissen,  war  noch  gar  nicht  auf  der  Welt,  da  ihr  nach- 
maliger Vater  der  Markgraf  Dietrich  erst  in  dem  Jahre  heirathete,  wo 
Konradin  fiel.  Sind  übrigens  die  beiden  Lieder  von  Konradin,  so  mag 
man  billig  staunen,  wie  wacker  sich  das  gute  Kind  schon  in  den  da- 
maligen Ton  hineingearbeitet  hatte.  Er  brennt  vor  Noth  und  verzagt 
vor  Leide  über  ihren  rothenMund,  der  ihn  ganz  der  Sinne  beraubt; 
sie,  der  er  vor  allen  Frauen  gedienet  hat,  will  ihn  verderben  lassen! 
„Würde  sie  meine  Treue  fassen,  so  wäre  mein  Trauern  klein"  —  aber 
seine  Freude  ist  todt,  da  ihn  nicht  Weibes  Güte  tröstet.  Das  andere 
lautet  im  ähnlichen  Styl  (nach  Simrock): 

].  Ich  freue  mich  der  Blumen  roth. 
Die  nun  der  Mai  uns  bringen  will. 
Die  stunden  eh*  in  grosser  Noth, 
Ihnen  schuf  der  Winter  Kummers  vi61. 
Entschädigen  mag  der  Mai  uns  wohl 
Mit  manchem  wonniglichen  Tage: 
D*rum  ist  die  Welt  nun  freudenvoll. 

.2.  Was  hülfe  mir  die  Sommerzeit 
Und  diese  lichten  langen  Tage? 
Nur  eine  Frau  mir  Trost  verleiht. 
Von  der  ich  grossen  Kummer  trage: 
Sie  will  mir  geben  hohen  Mnth, 
Sie  thäte  tugendlich  daran, 
Wenn  meine  Freude  würde  gut. 

3.  Wenn  ich  mich  von  der  Lieben  scheide. 
So  ist's  um  all  mein  Glück  gethan, 
0  weh,  so  sterb'  ich  fast  vor  Leide, 
Dass  ich  es  je  mit  ihr  begann. 
Ich  weiss  nicht,  Frau,  was  Freuden  sind: 
'Mich  lässt  die  Liebe  sehr  entgelten 
Dass  ich  an  Jahren  bin  ein  Kind. 


')  Die  in  Längs  Regesien  HI.  273  desshalb  verzeiihnele  Urkunde  bedarf  wohl 
einer  Prüfung. 


538 

Während  indess  Eonradin  so  seines  jangherrlichen  Lebern  p8ag, 
sang  das  Volk  Spottreime,  beissende  Lieder  und  Schnatterhaogen  aof 
die  Sorglosigkeit  und  Gutmüthigkeit  des  jungen  Königs,')  der  von  seinen 
Verwandten  wacker  benutzt  und  ausgezogen  wurde. 

Wir  treffen  ihn  häufig  in  rechtsmässigen  Handlungen;  er  verleiht 
Privilegien  und   Rechte,    zu   denen   er  keine  Gewalt   hatte,    verkauft 
und  verpfändet  Besitzungen,  die  mitunter  längst  nicht  mehr  sein  eigen 
waren,  von  seinen  lauernden  Verwandten  verleitet,  die  dann  ihr  Recht 
schon  durchzuschlagen  hoffen.    Am  14.  April  1263  bestätigte  Konradin 
im  Kloster  Steingaden  auf  Bitte  des  Abtes  Borthold  alle  vom  Her- 
zoge Weif  und  seinen  übrigen  Ahnen  ertheilten  Privilegien.    Unter  den 
Zeugen  war  auch  ein  Bruder  des  früher  genannten  Hiltpolt  von  Schwan- 
gau,   Namens  Kontad.     Derselbe  stand  dem  jungen  Könige  in  Treuen 
zur  Seite.     Er  jbegleitete  den  eilQährigen  Konradin   nach  ^^m  Kloster 
Wiltau,  wo  der  junge  Fürst  den  16,  April  desselben 'Jahres  vor  den 
Grafen  von  Tyrol,  Eschenlohe,  Rotteneck  und  anderen  Edlen,  im  Falle 
seines  Ablebens  ohne  rechtmässige  Erben,    seinem   lieben  Oheim  und 
Erzieher,  dem  Herzoge  Ludwig  von  Bayern  alle  seine  Besitzungen,  die 
ihm  noch  erbrechtlich  und  eigenthümlich  zugehörten,  mit  allen  Lenten, 
Rechten,  Ehren  und  Würden- zum  rechtmässigen  Eigenthum  vermachte. 
Von  hier  aus  begab  sich  Konradin   nach  dem   Kloster   Raitenbnch 
und  genehmigte  am  20.  April  1263  nicht  nur  den  Verkauf  einer  Mahle 
in  Schongau  (welche  Volkmar  von  Kemenaten  und  Schwigger  von  Mindel- 
berg  von  ihm  zu  Lehen  getragen,  aber  schon  1256  sammt  allem  Zuge- 
hörigen um  45  Pfund  Augsburger  Münze  an  das  genannte  Kloster  sb- 
getreten  hatten),  sondern  nahm  auch  am  Tage  darauf  das  Kloster  selbst 
in  seinen  besonderen  Schutz  und  bestätigte  ihm  alle  Rechte  und  Frei- 
heiten. Beiden  Verhandlungen  wohnte  Konrad  von  Sqhwangau  als  Zeuge 
bei.     Am  nächstfolgenden  Tage  (22.  April)  kam  Konradin   selbst  auf 


')  Der  sogenannte  Bruder  Wernher,  ein  armer  fahrender  Mann,  surJile  sieb 
dagegen  durch  ein  ungeheucheltes  Lob  seiner  Milde  su  einpfehlen: 

Ich  bin  wohl  Ober  des  edlen  Königs  Milde  froh, 

darin  er  lelit  und  dabei  öbl  so  lugendlicbe  Güle, 

daxon  sein  Lob  von  Schulden  sieigl  und  hohe  sieht. 

Des  edlen  Käsers  Kind  will  ich  euch  zeigen  so: 

und  slönde  ein  ganzer  Wald  von  Tugenden  in  milder  BIntbe, 

der  könnle  nimmer  vollausiraffen  die  Tugend,  die  er  begehrt; 

er  ist  ein  laut  ertragender  Baum, 

der  Obst  mit  Willen  reret  (ausstreut); 

ihr  aller  Milde  ist  j^egen  die  seine  gar  ein  Traum, 

sein*  Hand  viel  Mamhem  sein  Gülle  (Linkommen)  mehret. 

Blich  jammert  nur,  dass  ich  allein  dies  nie  von  ihm  genoss; 

es  liegt  an  seiner  i>1ilde  nii-hl;  mein  Unglück  das  ist  leider  alteo  gross. 


539 

die  Schwanenburg,  wo  er  dem  Hugo  von  Montalban  die  ihm  von  seinem 
Vater  K.  Konrad  IV.  verliehenen  Güter  um  Schamitz  bestätigte. 

Darauf  ging  er  an  den  Bodensee  und  zu  seinen  treuen  Kämmerern 
nach  Arbon,  wo  er  in  sorgloser  Unbefangenheit  seine  Tage  verbrachte 
und  den  Bürgern  den  Blutbann  schenkte,  was  er  auch  am  Tage  aller 
Heiligen  1266  zu  Schongau  rechtskräftig  vestete.  An  den  jungen  König 
aber  erging  die  Mahnstrophe  des  Marners,  seine  Erbreiche  wieder 
einzunehmen,  der  Krone  seiner  Vorfahren  sich  würdig  zu  halten  und  die 
Macht  im  deutschen  Reiche  zu  mehren.  ^Gott  hat  ihm  den  Leib  (Leben, 
Gesundheit,  Kraft  und  Wohlgestalt)  und  schon  in  der  Kindheit  so.  viel 
Beil  (Schönheit  und  Geist)  verliehen,  dessen  er  sich  nicht  tiberheben 
soll.  Ehret  die  Ritter,  minnet  die  Frauen  und  vergesst  uns  arme  fah- 
rende Leute  nicht  (!).  Euch  vorgesteckt  ist  ein  hohes  Ziel,  seht  Euch 
vor  und  um  und  spielt  es  aul^  der  Ehre  Spiel,  gedenkt  an  Euere  Alt- 
vorderen, deren  so  Mancher  die  Krone  trug  bis  ihn  der  Tod  vom  Leben 
schied.  Wer  Euch  dient,  dem  sollt  Ihr  n^it  Gnaden  bereit  sein.  Euch 
sei  der  Wittwen  und  der  Waisen  Kummer  leid,  habt  die  Deutschen 
werth;  in  Eurem  Herzen  minnet  Gott,  so  thut  er  für  Euch,  was  Ihr 
begehrt;  verdient  Akkers  (Akkon)  und  Sicilien,  Schwaben  habt  Ihr 
ohnedies  schon,  dazu  das  Egerland  (das  Friedrich  1.  erheirathete)  und 
Nürnberg:  ')  WilFs  Gott,  so  kommt  auch  die  Krone  von  Rom  auf 
Euer  Haupt!«' 

Noch  einmal  kam  der  junge  König  auf  das  schöne  Schwanen- 
schloss:  Hier  war  es,  dass  Konradin  im  Monate  August  des  Jahres 
1267  Abschied  nahm  von  seiner  Mutter,  ehe  er  in  die  wälschen  Lande 
und  sein  frühes  Grab  zog.  Eine  zahlreiche  Versammlung  hoher  Gaste 
hatte  sich  zu  Schwangau  eingefunden:  Konradins  Stiefvater,  der  Graf 
Mainhard  von  Görz  und  Tirol,  sein  lieber  Ohm  der  Herzog  Ludwig  von 
Bayern,  die  Grafen  Berthold  und  Heinrich  von  Eschenlohe,  viele  Ritter 
und  Edle  waren  zugegen,  bereit,  ihm  auf  dem  Zuge  nach  Italien  zu 
folgen  und  sein  heiliges  Anrecht  auf  Neapel  und  Siciliei>  mit  den  Waffen 
geltend  zu  machen.  Es  muss  ein  Scheiden  gewesen  sein,  schver  und 
traurig,  wie  das  des  jungen  Giselher  zu  Bechlaren;  ahnungsvoll  sieht 
die  Mutter  das  Unheil  voraus,  am  Tage  des  Scheidens  von  ihrem  Sohne 
sucht  sie  ihr  banges  Vorgefühl  durch  eine  fromme  Handlung  zu  er- 
leichtern ,  om  die  himmlischen  Mächte  zu  gewinnen  oder  zu  versöhnen, 
indem  sie  dem   Nonnenkloster  in  Volldepp  —  Zollfreiheit  gewährte. ') 


')  Das  schon   1112  Reichsstadt  war,  auch  1173  die  Reirbskleinode  Mwahrle 
und  besonders  von  den  Slaufer-Königen  häufig  bewohnt  ward. 

*)  Datum  in  casiro  Swanegowe,  exeunle  Auguslo.  d.  h.  21.  August  1267. 


540 

Meister  Sigeher  aber,  der  wahrscheinlich  wie  d^r  Marner  die  milde 
Hand  gehörig  gefehlt  hatte,  sang:  Ein  Staufer  soll  heuer  noch  höher 
steigen  als  vorig  Jahr  und  mit  dem  Schwerte  um  Ehre  streiten,  wie 
Alexander!  *)  — r 

Ueber  Bregenz  war  Konradin  mit  seinen  Begleitern  und  einem  zahl- 
reichen Heere  nach  Italien  gegangen  und  am  20.  Okt.  1267  in  Verona 
angelangt.   Herzog  Ludwig  forderte  von  seinem  lieben  Neffen  neue  Ent- 
schädigung für  den  auf  diesem  Zuge  bestrittenen  Aufwand  und   Kon- 
radin,  der  ihm   schon  zu  Eschenlohe  am  16.  April  1263  und  darauf 
noch  einmal  am  24.  Oktober  1266  zu  Augsburg  alle  seine  Erb-  und 
Lehengüter  sowohl  in  Deutschland  als  in  Italien  geschenkt  hatte,  wusste 
sich  in  seiner  Verlassenheit  nicht  anders  zu  helfen,  als  demselben  tun 
3000  Mark  Silbers  (kölnischen  Gewichts)  Dinge  zu  verpfänden,   über 
die  er  eigentlich  keine  Gewalt  hatte:  die  Augsburger  Stadt- Vogtei,  das 
Schlösslein   Schwabeck    nebst   der  Strassenvogtei  über  die  Leute  und 
Güter  der  Stadt  und  Diözese  Augsburg,  die  Vogtei  über  die  St.  Manger- 
Klosterleute  und  Güter  zu  Füssen,   endlich  einen  Berghof  (curia  supra 
montem)  in  der  Gegend  von  Hohenschwangau  mit  den  nahen  Dörfern 
und  allen  Gerechtigkeiten. ')    Unter  dem  Vorwand,  dass.  der  gedrohte 
Bann    des   Pab^es   weiter    mitzureisen   nicht   gestatten  wolle ,    wurde 
hierauf  Konradin  von  seinem  Ohm,  der  zurück  nach  Bayern  ging,  dem 
lieben  Gott  und  seinem  Schicksal  befohlen  —  wobei  auch  noch  einige 
Hoffnung  der  übriggebliebenen  Erbschaft  war.  Nicht  allein  die  besungene 
unminnigliche  Frau,    sondern  Alle  Hessen   es  ihm  reichlich   entgelten, 
dass  er  an  Jahren  noch  ein  Kind!  — 

Sein  freudiger  Empfang  zu  Rom  unter  Gesang  und  Tanz,  sein 
glänzender  Siegeszug  auf  das  Kapitol  sind  eine  um  so  leuchtendere  Er- 
scheinung, als  der  grauenvolle  Fall  unmittelbar  darauf  folgte  und  die 
Verkündigung  des  Pabstes  erfüllt  ward,  dass  der  Jüngling  wie  ein 
Lamm  zur  Schiachtbank  gehe.  An  der  Richtstätte  zu  Neapel  wurde 
später  eine  Porphyrsäule  aufgerichtet  und  ein  Kapital  aus  dem  Marmor 
gemeisselt,  welcher  am  29.  Oktober  1268  als  Block  gedient  hatte.  Man 
baute  über  die  Stätte  eine  Kapelle  und  die  Rede  ging,  die  Wände  seien 
beständig  feucht  geblieben,  zum  Zeichen  des  unschuldigen,  um  Rache 
schreienden  Blutes.  In  der  Neuzeit  ward  die  Kapelle  —  in  ein  Kaflee- 
haus  umgewandelt,  die  Säule  und  das  Kapital  in  eine  andere  Kirche 
verschleppt ;  auf  letzterem  ist  ein  Lorbeerkranz  eingegraben,  die  Jahr- 


')  Hftgen  II.  261.  (VII.  5.) 

•  ')  Miiffal  ßeschreiliiing  und  Geschichte  von  Hohenscbwatigaii.   1837.  S.  4t  IT. 
fiiHer  voü  lang  Jahrb.  1816.  2>.  189. 


541 

zahl  1268,  ein  unerkennbar  gewordener  Wappenschild  und  etwas,  das 
wie  ein  Handschuh  aussieht.')  Sollte  das  eine  Erinnerung  sein  an  den 
Handschuh,  welchen  Konradin  vor  seiner  Hinrichtung  dem  blutgierigen 
Anjou,  welcher  sie  mit  ansah,  zur  ewi(?en  Fehde  hinwarf  und  wodurch 
er  den  Schwiegersohn  seines  Oheims  C^önig  Manfred),  den  Peter  von 
Arragonien  zu  seinem  Nachfolger  ernannte?  Heinrich  Truchsess  von 
Waldburg  überbrachte  das  Kleinod  und  Peter  zog  ihn  an  und  ge- 
brauchte ihn  so  gut,  dass  er  Sicilien  und  sein  Enkel  Alphons  auch 
Neapel  gewann;  von  diesem  könnte  dann  Konradins  Denkmal  stammen. 
Von  Konradins  letztem  Ende  gingen  aber  damals  in  Italien  und  bald 
in  Deutschland  die  schönsten  Sagen:  Wie  der  junge  König  mit  seinem 
Freunde  Friedrich  am  Schachspiele  sitzend,  das  Todesurtheil  ruhig  ver- 
nommen, aber  den  Kanzler  Robert  von  Bari  heftig  gescholten,  weil  ein 
König  nicht  von  seinesgleichen  gerichtet  werden  könne ;  wie  Graf  Robert 
von  Flandern  den  Kanzler,  nach  Verlesung  des  Urtheils,  unter  den 
Augen  des  Anjou  niedergestochen;  wie  Konrads  Mutter  die  Hinrichtung 
mit  ansehen  musste')  und  vergeblich  ein  schweres  Lösegeld  für  die 
Leiche  des  Sohnes  bot,  die  unbeerdigt  liegen  bleiben  musste,  bis  die 
guten  Karmeliten  endlich  heimlieh' selbe  begruben;  wie  Friedrichs  Haupt 
vom  Rumpfe  fliegend ,  noch  Ave  Maria  rief  und  Konradin  es  aufhob 
und  kösste;  und  wie  der  Scharfrichter  endlich  selber  von  einem  andern 

« 

Bfittel  umgebracht  wurde,  damit  er  sich  nicht  rühmen  könnte,  so  viel 
edles  BluC  vergossen  zu  haben. ')  Auch  sei  ein  Adler,  vom  Himmel 
herabgeschossen,  habe  seine  Fittiche  durch  das  Blut  gezogen  und  sich 
damit  wieder  in  die  Lüfte  geschwungen,  Blutrache  drohend. 

Tief  und  unheilbar  schnitt  in  alle  Gemüther  der  Fall  des  letzten 
Staufers.  Welsche  Sänger  sogar,  wie  der  edle  venetianische  Troubadour 
Bartheiemi  Zorgi,  hielten  ihren  Groll  nicht  zurück,  ebenso  klagten 
die  Proven^alen  Paulet  von  Marseille  und  Aicarts  del  Fossat, 


*)  Konradins  Grabstein  mit  lafeinisrher  Inschrift  M-ird  in  der  Kirche  del  Car- 
mine  gezeigt :  im  KreiiKgan^^e  steht  an  einem  Pfeiler  die  steinerne  Bildsäule 
einer  Frau,  die  eiiien  Beutel  in  der  Hand  halt.  Diese' Frau  soll  Konradins 
Mutter  sein,  die  nach  Neapel  kam,  ihn  loszukaufen,  aher  ver^ehlich,  worauf 
sie  das  Lösegeld  den  Knrmelitern  v eihte.  Die  (lesihichle  weiss  hievon  je- 
doch nirhts.  —  In  dankbarer  lirinneniojf  pn  die  Verdienste  der  Slaufer  um 
die  Witteisbarher,  liess  der  König  ftlaximilian  II.  (noih  als  Kronprinz)  dem 
unirlück liehen  Konradin  ein  schönes  Denkmal  in  Neapel  erriihlen,  welches 
in  Marmor  den  Ueldenjüngling  nach  Thorwaldsen*s  Modell  darstellt  Sölll 
S.  47. 

>)  Das  ist  jedoch  unrichtige  da  Elisabeth  die  Schrerkerishots«  haft  auf  der  Hoch- 
buet  (Trausnitz)  zu  Landshnl  erhielt.  Sie  gründete  zur  Lrinnerung  an  ihren 
armen  Sohn  1272  das  Cisterzienser-Stifl  Slams  in  Tirol  und  wurde  daselbst 
1273  begraben. 

•)  Vgl.  V.  d   Hageo  Briefe  in  die  Ueimalb.  1819.  UI.  265  ff.  u.  MS.  V.  99. 


ft42 

und  anter  den  Deutschen  der  Meissner,  der  sogenannte  Schulmei- 
ster von  Esslingen  *)  und  der  wackere  Reimchronist  Ottokar, 
das  Volk  klagte  und  sang  noch  lange  davon,  auch  die  bayerischen 
Herzoge  hatten  ein  recht  aufrichtiges  Bedauern  und  Herzog  Heinrich 
von  Niederbayem  erklärte  den  Kardinälen  bei  der  Thronbesteigung  des 
Pabstes  Gregor  XI.  (1271):  Der  Tod  de&  Herrn  Vetter  Konradin  thne 
ihm  zwar  noch  wehe,  aber  er  habe  sich  selbst  in*s  Unglück  gestürzt, 
nachdem  er  wider  den  Willen  des  heiligen  Vaters,  wider  den  wohlge- 
meinten Rath  des  Oheims  Ludwig,  unreif  an  Jahren,  schwach  an  Kräf- 
ten, ohne  Hilfe  verbündeter  Freunde,  frevelnd  sich  der  Gefahr  aufge- 
opfert! — 

Berthold  von  Hohenburg  und  Konradin  sind  die  Vertreter  der 
Nachblüthe  der  höfischen  Poesie,  ihnen  schliesst  sich  noch  Herr  Kuon- 
rat  von  Birkenbach  bei  Abensberg  oder  Forchheim  gelegen  ao. 
Sprache  und  Inhalt  sind  wie  aus  den  besten  Tagen  des  Minnesangs, 
doch  erscheint  Konrad  erst  1260  in  Urkunden.') 

Was  sonst  noch  von  minnesängerischen  tarnen  hier  erwähnt  werden 
kann,  ist  wenig  bedeutend.  Ein  fahrender  Singer  vielleicht  noch,  der 
Meister  Alexander,  oder  der  wilde  Alexander  genannt,')  d.lL 
der  wundersame,  von  seinen  bilderreichen,  räthselhafi^n  Gedichten.  Er 
stammte  vermuthlich  aus  der  Umgegend  von  Burgau,  zwischen  Ulm  und 
Augsburg.  Er  vergleicht  Burgau  mit  ^Galois,''  wohin  Herr  Gawan  den 
Weg  nicht  wiederfinden  konnte:  ebenso  habe  er  zu  Burgau  vergeblich 
hineinzukommen  versucht,  man  versagte  ihm  Gruss  und  Antwort  nnd 
die  Leute,  die  schweigend  heraussahen,  hatten  ihren  Herrn  so  versperrt, 
als  ob  es  der  König  Ermenrich  und  er  (der  Dichter)  der  zornige  Ecke- 
hart wäre.  ^)    Es  ist  also  eipe  Anspielung  auf  Wimts  „Wigalois'^  und 


')  Der  alle  Meisner  mahnt  den  Pabst  „das  Oberhaupt  der  Well,''  an  seinco 
Eid  dem  römischen  Reiche  zu  heICen,  und  die  denlsrhen  Forstes 
an  eine  Kaiser>v8hl  um  nicht  fürder  durch  Habgier  ..die  deutsche  ZllO)r^ 
der  alle  Weil  dienen  sollte/  im  ihrem  Rechte  zu  kranken;  auch  nicbl  ibr 
Erbe  in  fremde  Lande  zu  gehen ,  sondern  an  den  erbarmungslosen  Tod  des 
jungen  Konrad  Zu  denken,  vor  dem  noch  allen  deutschen  Fürsten  schaudert 
—  Der  Schulmeister  von  Esselingen  singt  in  seinen  Spotlliedero  tof 
König  Rudolf  von  Habsburg:  ,.Der  Scharle  (Karl  von  Anjou)  habe  ■■ 
beide  Sicilien  drei  Spiele  auf  den  Tod  angeslellt:  das  erste  Jaut*  genaool, 
hat  der  Prinz  (Machlfrid ,  Manfred,  Konradins  Oheim)  mit  Land  und  Lebet 
verloren;  das  zvceile  ^^von  Haupt  oweht'^  ffenanfit,  hat  König  Konradii 
verloren;  zu  dem  drillen  „hacke  nach!'^  hat  Köni^  Rudolf  keine  Lost,  wefl 
ihm  der  Scharle  darin  zu  slark  isl.^  -  Dagegen  ervt artete  Meister  Conrad 
von  Wirzburg  immer  noch  von  König  Rudolf  diese  Heerfahrt 

>)  Hagen  HL  408.   IV.  760. 

')  Hagen  IV.  665. 

^)  Her  Gdwtn  stte,  noch  strfize  vant, 
do  er  ze  GAlois  in  daz  lant 


54S 

Beldenboch.  Das  als  so  Dngastlich  geschilderte  Burgau  war  der 
alter  Markgrafen,  nach  deren  Abgang  1075  die  Grafen  von  Biber- 
Schelklingen  and  Rockenstein  es  besassen,  bis  K.  Rudolf  es  1282 
Schwaben  seinem  Sohne  verlieh. 

» 

Eines  seiner  Räthselgedicbte  enthält  mancherlei  geschichtlSöhe  Zöge, 
1  Deutung  jedoch  sehr  schwierig  ist:  Ein  Hirte  band  einen  tollen 
1  los,  so  dass  viele  Schafe  geschoren  und  gebissen  auf  dörrer  Heide 
q;  ein  Licht  erlosch  hierauf  zu  Mainz  und  ein  Adler  flog  traurig 
;k,  doch  tröstete  ihn,  dass  in  Apulien  eine  listige  Schlange  starb; 
Khein  erwarb  der  Elbe  Minne  durch  eine  Taube  zu  Braunschweig; 
^olf  in  Schwaben  freute  sich  der  Missethat,  dass  in  Bayern  ein 
ges  Maulthier  auf  unrechtem  Pfade  geht. ')  Mit  dem  vom  Hirten 
ilassenen  tollen  Hund  ist  vielleicht  der  Böhme  Albert  (vormals 
herr  zu  Passau)  gemeint ,  welchen  Gregor  IX.  mit  dem  grossen 
benbann  gegen  Friedrich  II.  nach  Deutschland  sandte  (1239 — 40), 
)r,  besonders  von  Bayern  aus,  seine  Bannbullen  losliess,  gegen 
te,  Forsten  und  Bischöfe  den  Fluch  aussprach,  welche  das  InteN 
gegen  'den  Kaiser  nicht  vollstreckten.  Sehr  öberraschend  sind  die 
ipruche  der  dadurch  Betroffenen,  welche  mit  dem  vom  ^wilden 
ändert  gebrauchten  Bildern  wörtlich  zusammentreffen :  Bischof  Kon- 
von  Freising  sagte:  ^der  Pabst  mag  seine  italienischen  Schafe 
sren,  uns  (deutsche  Bischöfe)  aber  hat  Gott  eingesetzt,  dass  wir 
Wachthunde  die  Wölfe  in  Schafskleidern  von  unseren  Schafen  ab- 
(n.^  Der  Erzbischof  Eberhard  von  Salzburg  schrieb  an  den  stark- 
ligen  Herzog  Otto  von  Bayern  ^er  möge  den  grössteu  Schuft,  der 


hin  wider  rtlen  wolde: 

so  mac  ßiirtfoii  GAlois  wol  s!n, 

dd  kund*  idi  nie  gekomen  tn; 

doch  versiu'hl"  iz,  als  iih  solde. 

mi^  warl  da  ffriioz  und  rede  verzigen, 

sie  sl^lien  h'nOz  iinde  swfgen, 

und  helen  ir  herren  so  verspart 

und  telen  alle  dem  geluh 

als  es  waere  kOnic  Ermenrfch, 

unde  ich  der  zornfc  Eikehart. 

')  Ein  Hirle  entband  seinen  tollen  Hund; 
davon  gehl  hesdior'n  und  unffesund 
manth  Schaf  out*  dürrer  Weide. 
Ein  Licht  erlosch  ze  Muinze  sider; 
da  flog  ein  Aar  mit  Leide  nieder, 
doch  kam  ihm  Trost  nach  Leide. 
Zu  Fülle  eine  listige  Schlange  erstarb; 
der  Elbe  Minne  der  Rhein  erwarb, 
das  ffigle  eine  Taube  zu  RraunscbM^eig. 
Sii'h  freute  der  Wolf  der  Missethat 
in  Schwaben,  dass  in  Bayern  gabt 
ein  stetig  Maulthier  unrechten  Steig. 


544 

auf  zwei  Beinen  einhergehe,  den  verpesteten  Schurken  Albert,  aas 
Bayern  verjagen  und  keine  Schlange  in  seinem  Busen  nähren.^  Der 
Kaiser  endlich  schrieb  aus  Italien  an  die  deutschen  Fürsten :  ^Ich  will 
der  Heerde  ihren  Hirten ,  dem  Volke  seinen  Bischof,  der  Welt  ihren 
geistlichen  Vater  wiedergeben;  ich  will  dem  wölfischen  Tyrannen  seine 
Heuchlermaske  vom  Antlitze  reissen.'^  —  Auf  diese  Verhältnisse  scheint 
auch  der  Schluss  des  Gedichtes  zu  deuten,  dass  der  Wolf  in  Schwaben 
sich  der  Missethat  freute;  denn  Albert  ging  1242  durch  Franken 
und  Schwaben  nach  Lyon,  wo  Innocenz  IV,  den  Kaiser  absetzte.  *)  — 
Das  stätige  Maultfaier  in  Bayern  auf  unrechtem  Wege  wäre  dann 
unser  Herzog  Otto,  welcher  anfangs  dem  päbstlichen  Nuntius  nach- 
gab. Da«  zu  Mainz  erloschene  Licht,  das  den  Aar,  unter  welchem 
man  den  kaiserlichen  Adler  verstehen  müsste,  betrübte,  soll  nach 
Hagen*s  Interpretation,  der  Erzbischof  Sigfrid  U.  sein,  der  erst  gegen 
den  Kaiser  war,  dann  auf  dem  Reichstag  zu  Eger  (1240)  mit  KOnig 
Wenzel  von  Böhmen  und  den  sächsischen  Fürsten  txi  ihm  übertrat 
und  1249  starb.  Die  listige  Schlange  in  Apulien  wird  auf  Gregor  X. 
gedeutet;  das  letzte  Gleichniss  aber,  von  der  Minne,  Welch*e  zwischen 
dem  Rhein  und  der  Elbe  durch  eine  Taube  zu  Braunschweig  ge- 
stiftet worden,  kann  nur  Irmengärd  sein,  welche  mit  dem  Mark- 
grafen Hermann  IV.  von  Baden  vermählt  wurde  und  von  mütterlicher 
Seite  mit  Herzog  Otto  verwandt  war. 

Die  meisten  seiner  Sprüche  sind  voll  verblümter  und  wohlbemän- 
telter  Anspielungen;  dass  es  ihm  zu  Burgau  noch  schlechter  ging  als 
Herrn  Walther  zu  Tegernsee,  erklärt  sich  ganz  leicht  aus  deai  dama- 
ligen Partheigetriebe.  Wo  er  von  der  Minne  spricht,  herrscht  eine  die 
Neige  des  höfischen  Gesanges  scharfbezeichuende  Roccocco- Anschauung: 
Ihr*  Wappen  ist  ein  nacktes,  blindes  und  gekröntes  Kind  in  rothem 
Felde ,  das  in  einer  Hand  einen  goldenen  Pfeil ,  in  der  anderen  einen 
Brand  und  zwei  Schwingen  zum  schnellen  Flug  ausbreitet:  Wen  die 
Minne  bekriegt,  den  bestürmt  Amor,  der  Könige  König,  mit  kindischer 
Tücke;  blind,  wüthend  und  nackt  spielt  er,  im  blutrotlien  Felde  der 

*)  Albert  soll  1247  oder  1252  von  den  Passauer  Bürgern  lebendig  gesrhoDdei 
worden  sein,  doch  ist  diis  nur  eine  Sage,  die  aus  dem  Pasft'ier  Wappen 
entstand.  Dieses  stammt  aus  dem  Jahre  1189,  wo  Bisrhof  Wolfher  mit  Bar- 
barossa nach  Palästina  zog;  da  seine  Krieger  so  tapfer  geic^n  die Saraseaen 
fochten,  liess  er  auf  seine  Fahne  einen  hlutrothen  Wolf  malen.  Später 
als  man  die  Wappensage  nicht  mehr  verstand,  bezoff  man  dieses  auf  dea 
angeblich  geschundenen  Albert  von  Böhmen.  Vgl.  Schreiber  Ollo  der  Er- 
lauchte. im\,  8.  246 u.  292  und  Leo  Vorlesungen.  IH.  561.  Albert  stamiate 
übrigens  aus  einem  allen,  mit  den  Grafen  von  Wasserburg  und  den  Edlea 
von  Parsberg  verwandten  Adelsgeschlechte  in  Bayern;  er  verlebte  einen  Tbeä 
seines  Lebens  in  Böhmen  und  war  der  czechischen  Sprache  kundig,  wc~~ 
halb  er  auch  den  Namen  Albert  der  Böhme  erhielt. 


545 

Wunden  und  des  Todes,  sein  Feldgeschrei  ist  Ach  und  Weh.  Die  Minne 
gibt  kurze  Freuden  und  lange  Leiden;  der  Dichter  bittet  sie,  ihn  zu 
tödten,  sie  aber  beruft  sich  auf  ihr  urkundliches  Recht,  ihren  Brief. 

Merkwürdig  ist,  bei  diesen  Dichtem  auch  ein  theoretisches  Be- 
wusstsein  ihrer  Kunst  zu  finden.  Wolfram  von  Eschenbach  spricht  sich 
sehr  bestimmt  aus,  dass  er  seine  Kunst  nicht  gelernt,  nicht  aus  den 
Büchern  habe,  sondern  dass  sie  eine  Qabe  sei  und  das  Gefühl  und  sein 
gerader  Sinn  seine  Lehrmeister.  Ebenso  hat  der  „wilde  Alexander^  eine 
bedeutsame  Ahnung  von  der  Heiligkeit  und  Würde  der  Dichtkunst:  wie 
Dichten,  Singen,  Saitenspiel  und  Tanz  durch  der  Welt  Be- 
triebsamkeit und  sündhafte  Schuld  vom  Königshause  herabgekommen  sei 
in  schnödere  Hände,  dass  armes  Volk  sich  der  Kunst  angenommen  und 
djafür  von  den  Herren  fahrende  Habe  erhielt ;  wer  nun  die  Kunst  diesen 
Singem  wieder  entwinden  will,  der  soll  Saitenspiel  üben,  neue  Lieder 
singen  und  an  Hochzeiten  (festen)  springeti  wie  König  David  vor  der 
Bundeslade  (d.  h.  mit  dem  Saitenspiel  vortanzen);  so  erheben  sich  die 
Künste  wieder:  „dünkt  euch  das  aber  ein  schämlich  Leben  und  könnt 
ihr  es  nicht,  so  sollt  ihr  denen  geben,  .die  sich  der  Kunst  haben  ange- 
nommen.'^ —  Dieser  Gang  der  Kunst,  welche  so  zunächst  auf  den  hei- 
ligen und  königlichen  Harfner  und  Tänzer  David  zurückgeführt  wird, 
gilt  hier  zunächst  auch  für  die  heimischen,  mit  Kaiser,  Königen  und 
Fürsten  anhebenden  Singer.  —  Wenn  hierauf  Fuchs  und  Dachs  um 
Einfalt,  Rind  und  Esel  um  höfische  Sitte,  Hund  und  Schwein  um  Rein- 
heit wetteifern,  so  stellen  diese  Bestien  das  unreine,  ungesittete  Volk 
dar,  welches  „tugendlos  um  unverdientes  Lob  streitet;  wenn  Einer  ein 
Kunstlein  kann,  so  will  er  alsbald  ein  Hofmann  sein.'^  Solch 
schnödes  Hofgesindel,  welches  unverschämt  und  gierig  zudringt,  wird 
bald  ausführlicher  beleuchtet  werden;  hatte  ja  schon  Walther  darüber 
zu  klagen. 

Von  den  Minnesingern  und  Dichtem ,  welche  an  der  Grenze  der 
höfischen  Lyrik  stehen,  sind  nur  noch  wenige  spätere  Namen,  aus  der 
Zeit  der  Nachblüthe  uifd  des  Verglimmens  aufzuzählen.  Ob  der  üren- 
heimer')  zu  der  im  XH.  und  XIII.  Jahrh.  vorkommenden  gleich- 
namigen Familie  am  Inn  gehört  habe,  ist  unbestimmbar;  er  lobt  den 
Grafen  Otto  von  Anhalt  und  nennt  sonst  keinen  von  den  unseren  Herren. 
Graf  Albrecht  von  Haiger  loh  aus  Schwaben  ist  nur  vorübergehend 
zu  erwähnen,  insofeme  er  dem  Herzog  Otto  von  Baiem  viele  verdriess- 
liche  Händel  bereitet  hatte  und  inletzt  von  dem  Heere  des  Herzog  Otto 
auf  seiner  Burg  zu  Linstetten  erschlagen  ward  (1295).*)  — 


>)  Hagen  IV.  712.       »)  Ebendts.  IV.  86  ff. 

35 


•  646 

In  weiter ^erne  folgen  zwei  andere  adelige  Sänger  nach:  Hugo  Vlll. 
von  Montfort')  und  Oswald  von  Wolkenstein.  Der  erstere 
hatte  Güter  am  Bregenz  und  einige  im  Allgäu,  die  er  jedoch  bald 
abtrat,  so  dass  wir  ihn  nicht  zu  den  bayerischen  Dichtem  zählen 
können,  der  andere,  Oswald  von  Wolkenstein')  in  Tirol,  kam 
nur  flüchtig  nach  Baiem.  Er  hatte  fast  die  ganze  damals  bekannte 
Welt  ^ erfahren,'^  d.  h.  durchreist  und  war  in  seinem  höchst  abenteuer- 
lichen Leben  durch  alle  möglichen  Schicksale  gekugelt.  Herzensangele- 
legenbeiten  brachten  ihn  zuerst  nm  die  Zeit  des  Constanzer-Concils 
nach  Baiern;  die  schöne  Margaretha  von  Schwangau  hatte  die  Minne 
dieses  neuen  Odysseus  gewonnen,  glühende  Lieder  entquollen  ihretwegen 
seiner  Seele;  vielleicht  hat  ausser  Rücke  rt  kein  deutscher  Dichter  das 
Thema  der  reinen  Liebe  so  unendlich  durchgespielt,  als  Oswald,  freilich 
sinnlicher  nach  dem  Geiste  seiner  Zeit,  aber  gewiss  mit  ebenso  grossem 
tautologischem  Eifer.  Später,  im  Jahre  1423,  wurde  Oswald  von  den 
tirolischen  Bündnern  nach  Baiern  und  Deutschland  geschickt,  um  die 
Reichsfürsten  gegen  den  Herzog  Friedrich  von  Tirol  einzunehmen.  Nach- 
dem er  zuerst  bis  in  den  hintersten  Theil  des  Grädner-Thalcs  vor 
Herzog  Friedrich  hatte  flüchten  müssen,  zog  er  heimlich,  nur  von  einem 
berittenen  Knechte  begleitet,  zuvörderst  nach  Salzburg,  fröhlich  wie 
der  Vogel,  der  seinem  Käfig  entronnen,  mit  der  Hoffnungsleichtigkdt 
eines  dichterischen  Gemüthes.  Kaum  hatte  der  Erzbischof  s^ine  Ankunft 
erfahren,  als  er  ihn  sogleich  in  seinen  Pallast  einladen.  Hess.  Es  erregt 
Staunen,  wie  der  bald  60  jährige  Mann,  der  auf  Krücken  gehen  musste 
und  durch  Leiden  aller  Art  verwittert  war,  mit  dem  fröhlichsten  Muthe 
in  die  Kreise  des  vielbewegten  Lebens  trat.  Gesang  und  Saitenspiel 
^aren  überall  hin  seine  Begleiter  und  zugleich  das  natürlichste  Mittel, 
seinen  eigentlichen  Reisezweck  zu  verbergen.  '  Die  kostspieligen  Tafeb 
des  Erzbischofes  und  die  Ehren,  welche  ihm  allenthalben  zu  Theil  wor- 
den, behalten  ihm  weniger,  als  4as  heimliche  Eiuverständniss  der  Salz- 
burgs Regierung  mit  den  Plänen  des  «Kaisers.     Unter  sicherem  Geleite 


1)  Geh.  1357;  dichlete  von  l.)96  an.  f  4.  April  1423  zu  Pfannberg.  Yergl 
Weinliold  in  den  Millheilungen  des  hislor.  Vereins  für  Steiermark.  1857. 
VII.  127—80.  Sein  Scliloss  im  Allgäu  ist  ganz  zerfallen  und  verschwondea. 
Vgl.  Schrank  bayer.  Keise.  1786.  S.  166 

*)  Geb.  1367  f  2.  August  1415.  Seine  Minnelieder  wurden  in  neuerer  Zeil, 
schon  1801  von  Röllig  in  Wien,  neu  nach  den  allen  Melodien  ireselxt 
Vgl.  Graiers  Iduna  1812.  S.  188;  sein  Portrait  in  Hormair*s  Tascfaeob.  1S24 
und  in  Lewaids  Tirol.  1831.  S.  160.  Vgl.  Beda  Weber:  Tirol  uod  die 
Reformation.  1841.  S.  413  fT.  Eine  Ausgabe  seiner  jGedichle  besori^la  B. 
Weber  1847.  Vgl  dazu  dessen:  Oswald  von  Wolkenslein  und  Friedet  bM 
der  leeren  Tasche.  1850  Zingerle:  Tirols  Aniheil  an  der  poetischen  Natio- 
nal-Lileratur  ini  MillelMlter.  1851.  S.  11.  Kine  kurze  Uebersicht  seines  merk- 
würdigen Lebens  in  meiner  Ut.  Gesch.  18&3.  h  142—48. 


547 

verKess  er  Salzburg  and  brach  nach  München  aof.    Bier  hatte  er  eine 
Zusammenkunft  mit  Wilhelm   von   Starkenberg,    der  mittlerweile   aus 
seiner  Haft  zu  Greifenstein   entwischt  war.    Die  bayerischen  Herzoge, 
Ernst  und  Wilhehn,  zeigten  sich  gern  bereit,  gegen  Tirol  im  Interesse 
Sigmunds    und    den    verfolgten  Landesherren  Dienste  zu  leisten.     Ein 
grosses  Fest,  welches  die  Münchner  Ritterschaft  den  tirolischen  Gästen 
gab,  erhöhte  durch  die  erlesenste  Frauenblüthe  bei  Gesang  und  Saiten- 
spiel Oswalds  Freude  über  das  Gelingen  seiner  diplomatischen  Wander- 
ung.    In    Augsburg    und  .Ulm    wurde   er   überall    mit  f^esten    und 
Tänzen  bewillkommt;   von  da  zog  er,  «überall  mit  gleichen  Ehren  em- 
pfangen, nach  Heidelberg  and  Köln  und  über  Nürnberg  zurück.  Unter- 
dessen  hatte  ihm   Friedrich  den  Yorsprung  abgewonnen,    und  Oswald 
fiel  auf  der  Rückkehr  vom  Nürnberger  Reichstag  (1426)  in  der  Gegend 
des  Bodensees  in  die  Hände  von  Friederichs  Spähern,  die  ihn  aufpackten 
und  gefangen  legten;    erst  am    1.  Mai  1427  kam   zu  Innsbruck  eine 
Versöhnung  mit  Herzog  Friedel  zu  Stande. 

Es  könnte  vielleicht  auffallen,  dass  von  unseren  bayerischen  Ferren 
und  Herzogen  noch  so  wenig  die  Rede  gewesen.  Wir  haben  indess 
sorgsam  Alles  gesammelt  und  sowohl  in  der  Epik,  als  auch  wo  sich 
Gelegenheit  bot,  in  der  Lyrik  die  gehörigen  Stellen  erwähnt.  Von 
Heinrich  den.  Löwen,  durch  die  verschiedenen  geistlichen  Höfe,  von  den 
einzelnen  adeligen  Geschlechtem,  die  z.  B.  unserem  Wolfram  iind 
Walther  Liebes  und  Gutes  erwiesen,  von  den  edlen  Herren,  bei  denen 
der  Spervögel  und  Tanhauser  gastete,  bis  zu  der  fiirstlichen  Milde,  die 
auf  ,der  Hochhut  bei  Landshut,  München  und  Donauwörth  waltete,  Hesse 
sich  doch  eine  ansehnlich^  Reihenfolge  zusammenstellen.  Indessen  kommt 
trotzdem  bei  den  Minnesingern  noch  wenig  Erhebliches  vor.  Die 
Vornehmeren  von  ihben  dichteten  in  eigenen  Angelegenheiten  oder 
standen  sonst  in  freundlichen  Beziehungen  zu  den  Höfen;  das  eigent- 
liche Loben  und  Preisen  jedoch  kommt  erst  mit  den  sogenannten 
^Fahrenden^  auf,  die  von  der  Hand  zum  Munde  lebten  und  nfit» 
hohlen,  unf^llbaren  Händen  ihre  Sprüche  sich  bezahlen  Hessen. 

Det  erste,  der  von  einem  solchen  gehrenden  und  fahrenden  Manne 
genannt  wird,  ist  Ludwig  der  Kellheimer  und  sein  Sänger  der 
sogenannte  Bruder  Wernher.  Er  gehört,  wie  man  vielleicht  aus 
dieser  Bezeichnung  schliessen  könnte,  keinem  Orden  an,  sondern  ist  ein 
Laye,  wie  er  sich  selbst  als  solchen  bekennt;  er  ist  ein  Wallbruder, 
der  durch  das  Kreuz  zur  grossen  Biüderschaft  der  Wallfahrer  gehörte, 
eben  nur  als  Pilger,  kaum  als  Krieger.  Als  Pilger,  das  Bündel  auf  dem 
Rücken,  den  Stab  in  den  Händen,  ist  er  abgemalt,  gerade  im  Begriffe, 
einem  reichgekleideten  Ehepaare  Maere    zu    sagen.    Voni  ihm  ist  ein 

35» 


548 

Klagelied  auf  Ludwig  den  Kellheimer  gedichtet,  der  im  September  1231 
ermordet  wurde:  mit  ihm,  sagt  er,  ist  dem  Kaiser  und  dem  Könige  ein 
Helfer  erschlagen,  er  habe  das  Reich  so  in  Ordnung  gehalten,  dass 
alle  deutschen  Lande  befriedet  waren.  Wenn  Wernher  hinzufügt,  dass 
er  auch  den  völligen  Verlust  des  heiligen  Landes  über  Meer  abgewen- 
det habe,  so  bezieht  sich  das  darauf,  dass  Herzog  Ludwig  1221  im 
Namen  des  Kaisers  dorthin  Hilfe  brachte,  aber  den  Unfall  des  christ- 
lichen Heeres  und  den  Verlust  von  Damiette  konnte  er  doch  nidit 
verhindern.  Unklar  ist,  wie  Herzog  Ludwig  zwischen  Pabst  und  Kaiser 
Sühne  gestiftet  haben  soll,  wenigstens  war  er  nicht  unter  denen,  welche 
den  Vertrag  von  St.  Germano  1230  zu  Stande  brachten.  Deutlicher 
ist,  dass  er,  wie  Wernher  sagt,  den  König  bei  der  rechten  Ehe 
(Gesetz,  Bund)  erhielt,*)  insofern  er  den  eigenmächtigen  Schritten  König 
Heinrichs,  die  zur  Empörung  führten,  kräftig  entgegentrat,  daher  der- 
selbe falschlicher  Weise  auch  des  Mordes  bezüchtiget  ward,  dem  aber 
gerade  dieses  Gedicht  widerspricht,  so  wie  einer  andern  Angabe,  dass 
der  Kaiser  den  Mörder  gedangen  habe : ')  es  war  ein  Blödsinniger,  den 
der  Herzog  beleidigt  hatte. 

Wernher  war  um  so  glücklicher  bei  dem  Herzog,  einem  milden 
Herren  ^der  Hülfe  Schein^  erfahren  zu  haben,  als  er  von  bösen  Leuten 
oft  Spottes  allzuviel  erduldete  und  oft,  während  er  sang,  hinter  sich  in 
seine  Ohren  den  Hohn  hören  musste  (III,  18.  Str.  10);  er  war  aber 
selbst  ein  Scheltender  und  oft  recht  bösmaulig  giftig.  Wernher  war 
kein  Bayer,  er  lebte  in  Steyer,  Oesterreich  und  Bayern;  dass  er  aber 
von  vielen  Dingen  wusste,  beweist  z.  B.  das  halbdunkle,  bildliche  Ge- 
dicht (III,  12.  Str.  10):  Ein  ehedem  gebranntes  Pulver,  das  der  Teufel 
aus  Bayerland  brachte,  rieb  ein  Schalk  (Knecht)  unter  salzen  Brod 
und  streute  es  auf  die  Rinder-Trifft,  dass  alle  davon  starben,  so  dass 
^uns^  die  Ehrenpflüge  stille  liegen,  doch  haben  ^wir^  noch  vier 
Thiere,  ein  Moyn,   ein  Irch,   einen  Hirsch  und  ein  Rind,  die  wohl 


>)  Jung  und  alt,  arm  und  reich,  helfet  mit  mir  klagen 

des  Fürsten  Tod  aus  Bayerland;  wer  soll  uns  nun  ergetzen 

der  grossen  Treue,  die  man  stetigliche  an  ihm  fand? 

Dem  Kaiser  und  dem  Könige  ist  Hülfe  an  ihm  erschlagen; 

er  konnte  das  Reich  also  berichten  und  also  besetzen, 

dass  er  ohne  allen  Schaden  stand  über  Jedem 'deutschen  Land. 

Das  Land  über  Meer  wäre  gar  verloren 

ohne  seine  starken  Rälhe. 

Der  Pabst  und  der  Kaiser  hatten  grossen  Zorn: 

die  Sühne  machte  er  mit  Treue  slfite. 

er  schuf  auch,  dass  der  König  blieb  an  seiner  rechten  £h : 

wie  er  es  hier  verdienet  hat,  Gott  gebe,  dass  es  ihm  dort  bass  ergehl 

Hageo  IIL  19.  Str.  4  4 

*)  Vgl  W.  Schreiber  Otto  der  Erlauchte   1861.  S.  18. 


.    549 

ZU  einem  Pfluge  genügten,  wenn  sie  gleichen  Strang  ziehen  wollten, 
Irch  aber  ist  hüftelahm.')  Mit  diesen  Thieren  ist  wohl  eine  heraldi- 
sche Anspielung  gemacht,  zu  den  beiden  ersten  räthselhaften  Namen 
erhielten  wir.  im  Helmbrecht  bereits  einige  weitere  Analogien. 
Wemher  scheint  auf  den  verderblichen  Krieg  (1223 — .34)  zwischen 
Bayern  und  Oesterreich  anzuspielen ,  als  Herzog  Friederich  der  Streit- 
bare, im  Bunde  mit  K.  Heinrich,  das  angrenzende  Land  des  bayerischen 
Herzoge  Otto  verheerte,  worauf  dieser ,  mit  dem  Könige  versöhnt,  des 
Herzogs  Land  ob  der  £ns  schrecklich  verwüstete.  Bruder  Wemher 
war  auch  mit  dem  Grafen  Heinrich  von  Ortenburg  (c.  1240) 
bekannt  und  scheint  dessgleichen  sjch  zu  Nürnberg  aufgehalten  zu  haben. 

Ein  Graf  Konrad  von  Oettingen  wird  von  Rudolf  dem 
Schreiber")  beklagt;  der  wackere  Graf  habe  in  drei  Jahren,  seit  er 
Ritter  ward  und  bevor  er  Deutschland  verliess,  das  grösste  Lob  erwor- 
ben. Vermuthlich  ist  damit  der  Graf  Konrad  von  Oettingen  gemeint, 
>i^elcher  durch  Heirath  die  Landgrafschaft  Niederelsass  erwarb;  ein 
Sohn ,  oder  ein  Enkel  von  ihm ,  Namens  Ludwig ,  wird  auch  von  dem 
jungen  Meissener  gepriesen. 

Herzog  Otto  der  Erlauchte  (1231  — 1253)  ist  schon  durch 
Reibet  von  Durne,  vom  Tanhauser  und  Anderen  als  Sänger- 
freund bekannt ;  Meister  Friedrich  von  Sonnenburg  ist  unter  den 
Minnesängern  der  bedeutendstie  Herold  seines  Ruhmes.  Seine  Heimath 
ist  noch  nicht  ermittelt,  viele  Gründe •  sprechen  jedoch  für  Tirol;  er 
dichtete  jedenfalls  schon  vor  1253  und  war  1287  bereits  gestorben. 
Er  war  weit  in  Deutschland  herumgekommen  und  sass  wahrscheinlich 
eine  gute  Zeit  lang  am  bayerischen  Hofe,  bei  mehreren  Herzogen. 
Herzog  Otto  wird  überschwänglich  gepriesen  als  Grundveste  und 
Schmuck  der  Christenheit,  Leitstab  der  Ehre,  Hand  der  Gerechtigkeit, 
Adamas  der  Treue,  Blüte  der  Tugenden  und  fruchtbare  Balsamrebe, 
wie  sich  an  seinen  edlen  Kindern  zeige.    Seine  Tochter    Elisabeth 


')  £in  Pulver  weiland  ward  gebrannt, 
das  schof  ein  Knecht  auf  Rinder  Tod, 
und  säte  es  auf  die  Weide,  auf  dje  man  die  Rinder  trieb; 
er  rieb  es  unter  gesalzen  Brot: 
der  Teufel  bracht'  es  aus  Baierland 

und  si-huf,  dass  da  der  guten  Rinder  wenig  am  Leben  blieb. 
Davon  uns  leider  sind  erlegen 

die  Ehrenpflüge,  seit  dass  uns  die  Ochsen  sind  verstorben. 
Wir  han  noch  viere:  wollten  die  nur  gleichweis  pflegen 
der  Zöge,  so  wfiren  wir  an  Baue  nicht  verdorben; 
ein  Moyn,  ein  Irch,  ein  Hirsch,  ein  Rind,  also  die  viere  sind  genannt  ^ 
d'^ran  hätten  wir  für  einen  Pflug  genug,  nur  dass  uns  Irch  an  Lenden  ist 

verlahmt. 

>)  Hagen  lY.  550. 


560 

worde  an  König  Konrad  vermählt  (1246),  der  Sonnenburger  nennt  sie 

die  Kaiserin  und  Königin    von  Rom.     Ihre  Brüder,   Lud^wig  n.  und 

Heinrich  I.  sind  ihm,  wie  dem  Tanhauser,    gleichfalls  bekannt;    sie 

waren  des  Vaters  tapfere  Gehülfen  im  Kriege   gegen   den  böhmischen 

Ottokar  und  wurden  Angesichts   des  Heeres,    zu  Oetting  am  Inn,    tu 

Rittern  geschlagen  (1253),    kurz  vor  Otto 's  frühem  Tode.    Sodann 

kannte  der  Sonnenburger  das  ungarische  Königskind  Elisabeth,  König 

Bela's  Tochter,  welche  bei  Lebzeiten  Herzog  Otto's  mit  seinem  jüngeren 

Sohne    Heinrich  vermählt   wurde  und  welche   1271    starb.     Femer 

kannte  er  die  Herzogin  Maria  von  Brabant,    die  Vaterschwester 

Herzog  Johannes  von  Brabant,  welche  im  August «1254  Herzog  Ludwig 

des  Strengen  Gattin   wurde  und    kaum    zwei  Jahre  darauf  ihr  Leben 

auf  unschuldige  Weise  verlor.  Der  Sonnenburger  nennt  femer  die  Fürstin 

selbst,    die  Herzogin  Mutter   Agnes,    welche  1267  und  ihre  beiden 

Töchter:  Sophie  (geb.  1236,    1259  mit  dem  Grafen  von  Hirschberg 

vermählt  f  1289)  und  Agnes,   die  als  Nonne  im  Anger  Kloster  za 

München  im  Rufe  der  Heiligkeit  starb.  —     Von  Herzog    Heinrich 

in  Niederbayern  aber  rühmt  er,  er  sei  ohne  Falsch  und  Wank,  schlicht 

wie  ein  Lineal,   er  sei  ein  Spiegel  aller  Tugenden  gegen  Gott  mid'die 

Welt,    seine  Milde  ohne  gleichen,    er  habe  den  guten  Namen,   davon 

Salomon  spricht,  erworben;  sein  Lob  leuchte  vor  anderen  Fürsten,  wie 

der  Morgenstern   vor  den    kleinen  Sternen.  —     Von  Bayern   zog   der 

von  Sonnenburg  an  den  von   vielen  deutschen  Siqgeren  besuchten   und 

besungenen  Hof  nach  Prag,  er  rühmt  den  König  voh  Böheimland. 

Herzog  Ludwig  der  Strenge,  der  zu  Mönchen  Hofhielt,  wurde 
schon  oben  (S.  231)  mit  dem  Titureldichter  in  Verbindung  gebracht; 
er  ist  der  ^Beier  prinz  duc  Loys  et  Palatinus,^  wie  es  in  den  von 
Boisser^e  entdeckten  Heidelberger  Fragmenten  des  jüngeren  Titorel 
heisst.  Bei  den  mit  seinem  Bruder  Heinrich  im  J.  1255  vorgenom- 
menen Theilung  hatte  Ludwig  Oberbayem  und  die  Pfalz  mit  der 
Kurwürde  und  dem  Reichsviertel  fiir  sich  behalten.  Während  des 
Interregnums  v.  1256 — 73  war  er  Reichsverweser  und  darauf  bezieht 
sich  die  Strophe,')  worin  Ludwig,  der  im  römischen  Reich  nicht  seines 
Gleichen  habe,  ein  hochgeadelter  Aar  genannt  wird,  der  mit  seinem 
weiten  Fittich  die  kleineren  Vögel  (Fürsten)  in  Schwaben,  Bayern 
und  Franken  beschirmen  und  dessen  Banner  (sin  gevidere)  man  von 
Oesterreich  bis  Flandern  herrlich  flattern  (swanken)  sehe.  In  diese 
Zeit  muss  also  auch  der  jüngere  Titurel  fallen,  den  ich,  durch  BoisserCe 


*)  Boisser^e  S.  391.  Vffl.  dazu  Wackernagel  Lit.  Gesch.  S.  196  o.  Pfeif- 
iers  Germania.  VI  247 


55t 

und  San-Marte  vierf&hrt^  in  meiner  Abhandlang  über  ^Kaiser  Ludwig 
den  Bayer  und  sein  Stift  zu  Etal"  (1860)  leider  noch  jünger  gemacht 
hatte,  worüber  mich  Franz  Pfeiffer  zu  Wien  an  der  angeführten  Stelle 
seiner  Grennania  freundlichst  belehrte,  wofür  ich  ihm  liier  meinen  inni- 
gen Dank  ausspreche. 

Ludwig  hatte  das  namenlose  Unglück,  seine  unschuldige  Gattin 
in  einem  Anfalle  von  blinder  Eifersucht  und  wüthenden  Zornes  ent- 
haupten zu  lassen.  In  zwei  gewaltigen  Strophen  ruft  Meister  Stolle 
(der  zw.  1250 — 75  blühte)  Wehe  über  diese' rasche,  unselige  That:') 

0  weh!   heute  und  immerfort  Waffen  sei  geschreit  (gerufen)! 

so  wehe  dem  Tage,  so  weh  der  Nacht,  so  weh  der  feigen  Zeit, 

so  weh  dir,  gar  verschämte  Frucht 

aus  Bayerland ,  wie  hast  du  dich  geschändet 

an  einer  hochgelobeten  Frauen,  die  weithin  war  erkannt  (berühmt), 

von  Königes  Künne  war  sie  geborn,  geheissen  von  Brabant: 

Ihr'  weiblich  Ehre,  ihr'  weiblichp  Zucht, 

ihr'  weiblich  Freude,  die  hast^u  erwendet  (vernichtet). 

Sie  ist  nun  an  der  Märtyrer  Statt, 

so  wie  die  gute  heilige  Katharein, 

die  liess  sich  flechten  auf  ein  Rad, 

für  ihren  süssen  Gott  litt  sie  viel  manche  schwere  Pein : 

So  ist  der  edelen  Herzoginne  Seele  vor  Gott  erkoren, 

da  sie  gar  ohne  Schuld  mit  wahrem  Morde  hat  ihr  Leben  verloren. 

Bei  allen  meinen  Tagen,  fährt  er  in  seifaer  zürnenden  Strafrede 
weiter,  vernahm  ich  noch  nie  so  grossen  Mord;  wehe,  dass  der  Bayer- 
herr an  Tugend  und  an  Würdigkeit  sich  so  bloss  gemacht  hat,  Gott 
schände  die,  so  ihm  den  Rath' gegeben  haben,  die  zweie:  der  von 
Isolsried  und  der  von  Brockenberg  haben  zu  dem  lästerlichen 
Werk  gerathen,  sie  verdienten  auf  eii\(Bm  Roste  (Hürde)  verbrannt 
zu  werden! 

^nü  muget  ir  hoeren  jämer  klagen, 

sie  bat  ir  herren  kusses  &  irme  ende^: 

^sol  ich  nu  sin  von  iu  erslagen, 

des  muezet  ir  vil  dikke  winden  s6re  iuwer  hende; 

ich  läze  ez  an  der  megede  sun,  daz  ich  unschuldik  bin: 

der  tdt,  den  ich  nü  liden  muoz,  der  wirt  noch  iuwers  heiles  ungewinn."*) 


»)  Hagen  III.  Str.  16  u.  17. 

*)  Nun  möfret  ihr  hören  Jammer  klagen: 

sie  bat  ihren  Herrn  um  ein  Kuss  vor  ihrem  Ende 


552 

Hätte  der  Dichter,  der  vielleicht  ein  fräheres  Landeskbd  der 
Uliglücklichen  Maria  von  Brabant  war,  die  Reue  des  Herzogs  erfahren, 
der  sich  so  zergrämte,  dass  er  über  Nacht  ergraute  und  durch  werk- 
tbätige  Busse ,  gutes  Regiment  und  fromme  Stiftungen  die  rasche  That 
zu  sühnen  suchte, ')  er  hätte  sicherlich  noch  eine  dritte,  versöhnende 
Strophe  hinzugefügt.  Auffallend  ist,  dass  der  Diqhter  so  genaue  Kunde 
hat,  wie  ein  Augenzeuge  spricht  und  die  bösen  Rathgeber  des  Herzogs 
namentlich  zu  bezeichnen  weiss.  Der  eine  gehörte  wahrscheinlich  zu  den 
alten  bayerischen  Edlen  von  Brück eberg,  sesshaft  ;s wischen  Moos- 
burg und  Landshut,  von  welchen  ein  Albert  1253  und  Konrad  1259 
in  den  herzoglichen  Urkunden  vorkommen;  der  andere,  Isol  oder 
Isolsried,   ist  unseres  Wissens  noch  nicht  belegt. 

In  acht  meistersängerischer  Weise  wird  der  Herzog  vom  Meister 
R um e laut  gepriesen:')  Wie  durch  schwarze  Nacht  licht  das  Mor- 
gengrau dringt  und  dann  das  Himmelblau  der  klaren  wolkenlosen  Luft 
init  lichter  Sonne  Glazt  geziert  wird,  so  ist  geschönet  und  gezieret  das 
Bayerland  mit  einem  Fürsten,  der  uns  Gehrenden  und  manch  an- 
derem Gaste  noch  die  Pfänder  löset!  er  ist  von  allem  Falsche 
klar,  wie  die  Luft,  in  allen  Treuen  erprobt,  des  römischen  Reiches 
erster  Kieser  an  der  Kür,  zu  Layenfursten  ist  er  Schlüssel  undThür: 
^Ludewik,  herzöge  unt  pallenz  gräve  genennet. **  Der  hülfsbedürflige 
Meister  Rumelant  hatte  also  eine  gnädige  Aufnahme  gefunden,  und  war 
wohl  aus  der  Herberge  erlöst  und  mit  etlichen  Pfund  Pfennigen  be- 
schenkt worden.  Das  andere  Gedicht  enthält  eine  leise  Anspielung  auf 
das  grausige  Ende  der  Maria  von  Brabant  oder  vielmehr  auf  die  Trauer 
des  Herzogs  darüber :  Ich  kann  (sagt  der  Reimschmied  mit  einem 
schiefen  Seitenblick  auf  Konrad  von  Wirzbm-g,  der  sein*Lob  auf  K. 
Rudolf  in  solcher  Weise  erhoben),  ich  mag  des  Fürsten  Edelkeit  nicht 
im  Vergleiche  messen  mit  Thieren  oder  Würmern,  noch  mit  Vögeln 
oder  Fischen ,  denn  er  ist  eiji  Mensch ,  ein  Mann ,  ein  Ritter  und  ein 
Held.  Es  hat  viel  grosser  Würde,  ist  ein  gerechter  Christ,  von  hoch- 
gefursteten  Ad(§l,  reich  und  auserwählt;  ichVill  von  Aaren,  Falken  und 

„Soll  ich  nnn  sein  von  Euch  erschlagen, 

so  müsst  Ihr  oft  noch  schmerzvoll  ringen  Eure  Hände; 

mein  Zeuge  ist  der  Jungfrau  Sohn,  dass  ich  unschuldig  bin: 

der  Tod,  den  ich  nun  leiden  muss,  der  wird  noch  Eures  Heiles  Ungewinn.'^ 

')  So  entstand  z.  B.  1266  das  Kloster  zu  Fürstenfeld.  Vgl  Söltl  StifU 
ungen  der  Willeisbacher.  1858.  S.  34.  —  Doch  genügte  das  ihrem  Bruder 
Heinrich  III.  von  Brabant  noch  nicht,  sogar  sein  £)hn  und  Enkel  Johann  I. 
und  11.  drangen  fortwährend  auf  Genugthuun^  und  noch  Ludwigs  Sohn  Ra- 
dolf.musste  sich  1308  verpflichten,  an  Manens  Grabe  zu  DoDauwörlh  eine 
heil.  Messe  und  ein  ewiges  Licht  zu  stiflen  und  bei  einem  Kreozzuge  nach 
dem  hl.  Grabe  oder  gegen  die  Preussen  vier  Ritter  mitzusenden. 

*)  Hagen  IIL  55.  Str.  13. 


553 

LeueD,  von  Leoparden  und  Panthern  schweigen,  damit  will  ich  mein 
Lob  nicht  verblauen  (verdunkeln;  oder  verbleien  =  schwer  machen), 
männliches  Lob  geziemt  ihm,  dass  all  sein  Trauern  weiche  (sieg^), 
^ein  Lob  hat  durch  die  Welt  viel  Strassen  und  Steige  gebahnt,  dass 
ihm  Frau  Ehre  neige;    das  ist  seiner  Tugenden  Lohn. 

Elisabeth,  Konradins  Mutter,  wurde  bereits  öfters  genannt,  z. 
B.  vom  Sonnenburger  und  Boppo;  ihres  ersten  Gemahls,  des 
König  Konrad,  wird  vorübergehend  vom  Meister  Sigeher  ge- 
dacht.') Dieser  Meister  S  ige  her  war  ein  auf  seiner  Kunst  herum- 
reitender bürgerlicher  Singer,  er  war  in  Preussen,  lobte  den  König 
Wenzel  L  (Wazlab),  der  ohne  Unterschied  Franken,  Thüringen  und 
Schwaben  reichlich  bezahlt'  habe,  er  preist  den  König  Ottokar  von 
Böhmen;  vorübergehend  erwähnt  er  den  Staufer,  unter  welchem  Kon- 
radins Vater  verstanden  sein  muss ,  den  er  in  beliebter  Weise  mit 
Alexander  vergleicht. 

Der  unbekannte  Dichter  des  Lohengrin,')  dessen  Abfassung 
in  die  Zeit  von  1276—1290  gesetzt  ist,  hat  (V.  7617)  ein  Lob  des 
Bayerlandes  eingeflochten,  welches  vielleicht  eine  Beziehung  zu  Herzog 
Heinrich  von  Niederbayern  (1253 — 90)  vermuthen  lässt.  Deut- 
licher spricht  der  bereits  erwähnte  von  Sonnenburg  und  der  fahrende 

• 

Boppo.  Die  Rede  ging,  Boppö  sei  Student  gewesen,  nachmals  Magister 
geworden,  habe  fast  ganz  Deutschland  auf  Sangeskunst  durchzogen,  er 
sei  auch  nach  Dänemark  gekommen  u.  dgl.;  er  wurde  sagenhaft  be- 
rühmt durch  seine  angebliche  Stärke,  auch  yon  seinem  Ende  muss  selt- 
same Maere  gegangen  sein.  Er  war  ein  armer,  landfahrender  und 
gehrender  Mann,  er  selbst  sagt,  dass  seine  Armuth  unheilbar  sei;  nur 
wenn  das  Unmögliche  geschieht,  wenn  Herzog  Meinhard  von  Kärnthen 
und  Tirol  sein  Land  verliert,  wenn  Herzog  Heinrich  aus  Bayerland 
keine  Milde  mehr  übt,  wenn  der  Schwarzwald  ausbrennt,  Wirzburg  des 
Weines  mangelt  u.  s.^  w.,  dann  ende  auch  seine  Ammth. ')  Daraus  ist 
abzunehmen,  dass  der  zweite  Gemahl  der  Königin  Elisabeth  auch  z\x 
Boppo*s  Wohlthätem  und  Gönneni  gehörte ;  sein  Lob  für  Herzog  Hein- 
rich ist  fein  und  schmeichelhaft  genug. 

Bei  seinem  Sohne,  Herzog  Otto  von  Niederbayem  (t  1312)  hatte 
der  Frauen  lob  zugesprochen;  er  rühmt,  dass  es  ihm  nie  an  Ritter- 
schaft gebrach,^)   ferner  preist  er  einen  Ludwig  Grafen  von  Oet- 


')  Hagen  IV.  663.  11.^361.  (II.  Sir.  2.) 

^)  Herausgegeben  von  Rückert.  36.  B.  der  Bibl.  d.  ges.  deut.  Lit   Leipzig  1858* 

»)  Hagen  II.  884.  (Str.  IV.) 

4)  Haffen  III    126  (Str.  64)  u.  IV.  731  und  Etlmöller:  Heinrich  Frauenlob. 
1843.  16.  B.  der  ges.  deat.  Nat.-Lit.    Er  starb  1317  zu  Mainz. 


554 

« 

tingen,  welches  nur  der  vierte  dieses  Namens,  der  am  1295  lebte, 
sein  könnte.  Bedeutender  ist  sein  schöner  Sprach  aaf  Bruder  Berhtold 
von  Regensburg,')  den  berühmtesten  Prediger  seiner  Zeit  Dieser 
stammte  aus  einem  Regensburger  Rathsgeschlechte  und  hiess  eigentlidl 
Lech.  Im  Barfüs^^erkloster  daselbst  empfing  er  zuerst  durch  den 
gleichfalls  berühmten  Mystiker  Bruder  David  von  Augsburg')  die 
Weihe  zum  höhereu  Geistesleben ;  er  weckte  in  seinem  Schüler  den 
mächtigen  Drang  nach  äusserer  Wirksamkeit  Ergriffen  von  feuriger 
Begeisterung  trug  Berhtold  den  in  einsamer  Zelle  gewonnenen  Geist 
christlicher  Lehre  hinaus  in  die  Welt,  um  dem  zur  Zeit  der  Kaiser- 
und  Pabstwirfen  oft  ganz  verlassenen,  nach  Trost  und  Erbarmung 
dürstenden  Volke  das  wahre,  einfache  Ghristenthum  zu  verkünden.  In 
den  uns  erhaltenen  Reden  weht  ein  eigenthümlich  poetischer  Hauch. 
Seit  dem  Jahre  1247  hatte  er  die  Lande  vieler  Völker  durchzogen, 
überall  predigend  und  das  Wort  Gottes  in  reiner  Lauterkeit  freudig 
verkündend.  Wir  begegnen  ihm  zuerst  im  Graubündtnerland ,  woher 
vielleicht  der  Irrthun)  entsprang,  er  sei  Schweizer'scher  Abkunft  gewe- 
sen; 1250  war  er  zu  Augsburg,  ein  Jahr  darauf  zu  Regensburg.  Gleich- 
zeitige Chronisten  melden,  dass  oft  mehr  t^h  60,000  Menschen  vor 
seiner  Kanzel  versammelt  gewesen,  er  predigte  auf  Wiesen,  oder  von 
hohen  Bäumen  herab,  von  den  Linden,  auf  welchen  nach  mittelalter- 
licher Sitte  häufig  Gerüste  oder  kleine  Altanen  zur  Aussicht  angebracht 
waren;')  ein  Augenzeuge  versichert,  der  Prediger  habe  immer  ein  Feder- 
chen an  einem  Faden  herabgelassen,  dadurch  den  Luftzug  bemessen, 
und  darnach  seine  Richtung  genommen,  so  dass  er  von  den  grössten 
Massen  des  vor  ihm  lagerdden  Volkes  imtner  leicht  verstanden  werden 
konnte.  Im  November  des  Jahres  1253  strömte  das  Landvolk  ans  dem 
Isarthale,  von  der  Vils  und  def  Pfettrach  und  aus  den  Holzländen  in 
Landshut  zusammen,  um  die  Worte  seines  houigfliessenden  Mundes  zo 


■)  (Jeher  Bruder  Berhtold  vgl.  K  Roiji  Deutsche  Predigten.  1839  S.  9  aod 
Schuegraf  ehendas.  S.  80  84.  s.  Predij^ten  hat  Kling  (1^21)  modernisfri 
heraiiss^egeben^  eine  krilisthe  Ausgabe  ist  von  Pfeiffer  vorhereilet.  Berh- 
told halle  vier  Geschwislerle ;  sein  Bruder  l^larquard  kommt  1^3  als 
Biirifer  zu  Rei^enshur^  in  einer  Urkunde  vor;  seine  Schwester  Elisabetli 
stand  im  Rufe  der  ^rrösslen  Frömmiirkeit  und  wurde  desshalh  bei  ihrem  Tode 
am  8.  Juni  1292  neben  ilirem  Bruder  in  der  Kapelle  des  hl.  OnupHrins,  ia 
Miuorileuklosler  zu  Re«?en.shurg,  begraben.  •-  Lin  anderer  Bruder  b'ess 
gleichfalls  Berhtolt  und  war  zu  Resreusbur|(  verhe'ralhel;  1259  wird  sock 
ein  Sifrid  (genannt,  gleichfalls  ein  Bruder  des  Predigers. 

^)  Geb.  zw.  1210-20.  f  1*271  zu  Augsburg.  Er  war  nicht  allein  Biograph  vmA 
spekulativer  M>stiker.  sondern  aurh  in  der  Rechtswissenschafl  sehr  eifahrea, 
wenigstens  glaubt  Pfeiffer  (Haiipts  Zeits  hrift  IX.  R.)  dass  Bruder  David 
an  der  Vbfassunir  des  Si-hwabenspiegels  wesentlich  belheiligi  war. 

»)  Vgl.  oben  S.  167. 


655 

hören ;  er  wohnte  bei  Otto  dem  Erlaachten  anf  der  Hochhat  und  stand 
dem  mit  päbstlichem  Banne  belegten  Streiter  mit  allen  kirchlichen 
Tröstungen  bei,  als  er  am  29.  November  1253  aas  dem  Leben  schied. 
Brader  Berhtold  predigte  (]lann  in  Böhmen ,  darchzog  Oesterreich  and 
1263  Mähren  and  Ungarn,  überall  wie  ein  Apostel  verehrt.  Dem  Barg- 
und  Bannerherren  von  Andechs  weissagte  er  den  Untergang  seines 
Schlosses;  das  Sterben  seines  Lehrers,  des  Brader  David,  sah  er  in 
einem  gleichzeitigen  Gesichte  während  einer  Predigt,  hielt  inne,  ver- 
kündete dessen  Todesnoth  und  forderte  zum  Gebete  ftir  den  Scheiden- 
den auf.  Bruder  Berhtold  starb  dann  am  St.  Luciatage  1272  zu 
Regensburg.  Der  Grundcharakter  seiner  Reden')  ist  schlichte  Einfalt; 
in  ruhiger  Klarheit  aber  aus  dem  'ganzen  Innern,  aus  dem  Innersten 
fluthend ,  geht  seine  Rede  dahin ,  wie  ein  grosser  herrlicher  Strom, 
Alles  mit  sich  führend,  denn  das  Wort  kommt  von  Einem,  der  aus 
dem  Volke  geboren ,  zum  Volke  redet.  .  Das  dankbare  Volk  vergass 
seiner  nicht,  lange  blieb  sein  Gedächtniss  gefeiert  und  gewahrt,  wie 
das  eines  Heiligen ;  endlich  verblich  auch  dieses  und  selbst  sein  Grab 
ist  in  Vergessenheit  gekommen. 

Frauenlob  aber,  der  ihn  oft  gehört  haben  mochte,  dichtete 
später  folgenden  Spruch,"  der  in  die  damaligen  Zeitverhältnisse  einen 
tiefen  Einblick  gewährt  und  hier  mit  Recht  folgen  kann,  da  er  zum 
rühmlichen  Gedächtniss  eines  Mannes  gehört,  wie  das  Vaterland  nicht 
in  jedem  Saeculum  aufzuweisen  hat. 

Swaz  bruoder  Berhtolt  je  gesprach  vor  manegam  jdr, 
deist  allez  war; 
wan  je  ze  disen  ziten 
siht  die  weit  man  striten 

wider  daz  reht  ze  aller  stund  in  den  landen  witen. 
ez  sint  niht  künige  unt  vürsten  mer,  die  vride  unt  suone  machen. 
Der  herren  kriec  der  wil  diu  laut  verdierben  gar. 
nu  nemet  war, 

wie  sich  die  weint  nu  stellen, 
veigen  je  gesellen ; ') 

der  tiuvel  sehende  ir  lip,  die  nü  anders  niht  enwellen. 
ach  herre  got,  daz  klage  ich  dir,  diu  weit  wil  sere  swachen. 
Swie  hie  iif  erden  der,lip  gevar 


')  Sie  wurden  von  einem  seiner  Schüler  fnifffesrhriehen.  Der  Heidelberger 
Codex,  welcher  die  Predigten  Bruder  Berblolds  enlliält,  wurde  im  Auftrage 
der  frommen  Pfdzgrafin  hlisabelb  von  BAyern  1370  geschrielien. 

')  d.  h   sich  dem  (ewigen)  Tode  Geweihten  vereinigen. 


556 

her,  vater,  nim  der  s61e  war. 
diu  weit  ist  gar 
an  trinwen  bar 

jedoch  sd  suln*  wir  sorgen  dar: 
vor  gotes  geriht  dd  stSnt  z^wö  schar, 
'  diu  ein  hftt  grözes  leides  vil,  diu  ander  in  vrOuden  lachen. 

Bruoder  Bcrhtolde  tet  &  got  gröz*wunder  kunt, 
durch  sinen  mnnt 
sprach  got  von  himelriche 
also  wirdiclichc: 

„die  dinc,  diu  vor  gesehen  sint,  noch  schehnt  tegeliche; 
diu  weit  diu  nimt  an  triuwen  abe  unt  treit  ein  valsch  gemfiete.^ 
Er  sprach:   „diu  swert  diu  werdent  wider  einander  gAn, 
man  siht  dfstdn, 
daz  niemen  volget  m^re 
vater  noch  muoter  löre, 

die  alten  sint  der  jungen  spot,  swar  der  lande  ich  kSre ; 
diu  weit  diu  solt  versinken  gar:    so  nert  uns  gotes  güete. 
Meineider  der  ist  worden  vil. 
nu  merke,  waz  ich  dir  sagen  wil: 
roub  noch  enstil, 
du  niht  vehil. 

du  sage  dem  pries ter  üf  ein  zil, ') 
wan  ez  ist  niht  ein  kindes  spil: 
swer  siner  schult  ze  bihte  komt,  der  vliuht  der  helle  glüete.^ 

Man  vindet  bruoder  niht  als  bruoder  Berhtolt  was. 
nit  unde  haz 

den  tragent  ouch  die  pfaffen; 
Völlen  unde  laffen*) 

des  pfiegent  sie  ze  aller,  zit;   wir  sin  niur  ir  aflfen. 
sie  tragent  uns  bösiu  bilde  vor,  war  nach  suln  wir  uns  rihten? 
„Niht  sehet  an  ir  werc,  ir  sehet  an  ir  wort: 
diu  sint  der  hört; 
sie  tuon  ouch  swaz  sie  wellen.^ 
vinden  wirs  zer  hellen 

daz  überwinden  wir  nie  mer;  darnach  suh  wir  stellen') 
wir  suln  verdienen,  daz  wir  komen  ze  gotes  angesichte.^ 


*)  d.  h.  beichte  vollständig,  verheimliche  nichts, 

')  Schwelgerisch  essen  und  mit  der  Zunge  schlürfend  trinkeii. 

')  Darnach  trachten. 


557 

>  » 

Da  hilf  ans,  himelkunigtn 

du  milder  genAde  ein  voller  schrln, 

ach,  bit  daz  dfn* 

trüt  kindeltn 

daz  ez  ans  tao  sin  helfe  schfn. 

in  helle  grande  ist  sdre  p?n: ') 

Maria,  azerwelte  vruht,  du  solt  uns  zu  dirpflihten.  — 

Wir  haben  den  ganzen  Entwicklungsgang  der  ritterlichen  Lyrik 
verfolgt.  £rst  waren  es  hohe,  adelige  Herren ,  welche  die  süssen  Töne 
anschlugen  und  ein  standesherrliches  Spiel  damit  trugen.  Dann  folgten 
die  eigentlichen ,  von  •  Gott  mit  der  reichsten  Sangesgabe  begnadig- 
ten Dichter,  die  aber,  nie  absonderlich  mit  irdischen  Schätzen  be- 
dacht ,  ruhelos  auf  Wanderzfigen  und  an  den  Höfen  herumfahren ,  bis 
sie  irgend  eine  stille  Hast  gefunden;  sie  sind  selten  adeligen  Stammes, 
aber  kundig  aller  Weisheit  und  gelehrt  in  mannigen  Dingen.  Aber  nur 
zu  bald  entartet  ihr  Treiben,  sie  legen  sich  vom  Lieben  aufs  Loben, 
vom  Preis  der  Frauen  auf  den  Herrendienst,  nicKt  mehr  die  Minne, 
sondern  die  Milde  der  Fürsten  ist, ihr  Hauptthema;  Preis  und  Schelte 
richten  sich  darnach,  wie  der  in  Rede  stehende  sich  erwiesen,  ob  er 
mit  offenen  Händen  an  die  zudringende  Landplage  gespendet  oder  das 
heillose  Gesindel  ausgejagt  habe.  Schon  bei  der  Schilderung  der  volks- 
thümlichen  Epik  hatten  wir  Gelegenheit,  die  arme  fahrende  Diet 
aufzufahren,  die  sich  zur  Zeit  des  höfischen  und  ritterlichen  Singens 
aus  allen  Ständen  recmtirte  und  höchst  ansehnlich  vermehrte,  bis  sie 
über  der  ausgehenden  Dichtung  sogar  die  Oberhand  erhielt  und  den 
Platz  behauptete.  Diese  „Sänger**  drangen  bei  grossen  Festen,  Reichs- 
tagen ,  Schwertleiten  der  Fürsten ,  bei  Tumeyen  und  Hochzeiten  unge- 
stüm an  die  Höfe  und  vor  die  Burgen,')  ergötzten  mit  allen  möglichen 
Künsten  das  Volk,  spielten  die  Tanzreihen  und  sangen  darzu,  fiüllten 
ihren  knurrenden  Magen  und  den  immer  leeren  Seckel  und  zogen  mit 
einer  Schelte  und  Fluchrede  ab,  wenn  ihre  Hoffnungen  nicht  erfüllt 
wurden.  Wie  diese  Leute  dann  zu  loben  wussten,  haben  unsere  Fürsten 
erfahren,  von  ihrer  Flegelei  gibt  der  wilde  Alexander  ein  erheb- 
liches Beispiel,  noch  mehr  der  B  o  p  p  o  mit  seiner  Schimpferei  auf  den 
Meisner,*)  um  von  näher  liegenden  Beispielen  zu  schweigen.  Was 
diese  Leute   nebenbei  für  Handtierung  trieben,    hat   der    Kanzler^) 


*)  Pein  der  Schmerzen. 

*)  Vgl.  Walthers  Schilderung  vom  Hofe  zu  Thttringen.  Lach  mann  20,  4  IT. 
und  Wolframs  Klagen  im  Parc.  297,  16  ff. 

')  Hagen  IL  884    Str.  III.  2. 

0  Hagen  D.  390  (8).     In  einer  Reihe  altdeutscher  Predigten  aus  dem  XIV. 


558 

gezeichnet:    sie  gingen  nach  Brod,    waren  Masiker,  Gaukler,  Puppen- 
spieler und  Betrüger,    fülirteu  Bären  und  seltene  Thiere  mit  sich,    die 
ihre  Kunststücke   machten,    oder  producirten    sich    im   Style    unserer 
Herculesse    und   Feuerfresser    auf    den  Jahrmärkten.     Einer  lebt  vom 
Betrug,  sagt  der  Kanzler,  der  zweite  vom  Spiel,  ein  anderer  lögt  sich 
an  den  Höfen  herum,  der  vierte  sei  ein  Seiltänze;*  (ein  gumpel  man), 
der  fünfte  spiele  den  Narren,  der  sechste  lebe  vom  Spotten  und  Schel- 
ten, der  siebente  handle  mit  alten  Kleidern,  der  achte  sammle  Federn, 
der  neunte  thue  Botendienste ,    der   zehnte   lebe  von  der  Löderlichkeit 
seines  Weibes,  seiner  Tochter  oder  Magd.     In  den  Bildern,  welche  der 
Mönch  Conrad  von  Scheyern  um  das  Jahr  1240  zum  Josephus  Fla- 
vius  malte,  findet  sich   auch  das  Conterfait  einer  Seiltänzerbande :  in- 
dem  einer  dem  anderen  auf  dem  Nacken  sitzt,  thürmt  sich  eine  Pyra- 
mide von  drei  Männern  auf,,  der  oberste  ist  eben  im  Begriff,  über  ein 
Seil,    das   von    zwei   Nebenstehenden   gehalten  wird,    zu   spongeo.O 
Walther   von    der  Vogel  weide    hat  unter  dem  Bilde  eines  Gauklers 
das  unstete  Gemüthe  eines  charakterlosen  Menschen  gezeichnet;')    es 
ist  kein  Zweifel,  dass  er  ebenso  gut  wie  Conrad  der  Phitosophus  der- 
gleichen Dinge  gesehen  hat.  Ernennt  auch  die  ^snarrenzaere**  (80,33), 
d.  h.  die  Dudelsackbläser  und  Schnurrpfeiffer,    im  Parcival  beim  Ein- 
züge der  Fürsten,  werden  oft  genug  Tamboure  genannt,  die  ihre  Trom- 
meln hoch  werfen  und   mit  Schalle  schlagen,    dazu   Flötenspieler   und 
Fiedelaere,    auch   eine   Harfe   (Schwalbe)   kommt  vor;    bei  Neidharts 
Reigen  spielt  der  Suraber  mit,    es  gab  Holiblä^er  und  Virtuosen   aller 
Art.  —     Der    kaum    dem   Namen    nach    gekannte   Meister   Kelin 
(1246 — 72)*)  schilt  zwar  die  fahrenden  Schmeichler  der  Herren,    ist 
aber  selbst  so  ein  fahrender ,   bedürftiger  Singer ,    der  nicht  einmal  ein 
Pferd  besitzt.    Er  hatte  in  Schwaben,  wie  er  ruhmredig  bekennt,  gute 


Jahrh.  kommt  bei  der  Ausleennf?  des  BHumes  im  Traume  Daniels  unter  an- 
deren auch  die  Sielle  vor:  welih^  ist  diu  fruclil  auf  dem  paum?  Sieh^  dat 
ist  der  Sünder,  der  den  spilleufen  gibt  ezzen  und  trinchen  durch  weltleicbfo 
ruom,  und  daz  sieJn  dar  umb  lobent  vor  der  weit.  Docen  in  Hormeyr's 
Anbiv.  1821.  S.  214  und  Hoffmann  S.  73. 

.')  Oberbayr.  Archiv.  II.  171. 

>)  Lachmann  37,  34  IT.: 

leb  habe  Herrn  gekannt,  die  wie  die  Gaukler  Maaren, 
Im  Täuschen  und  Betrügen  gar  behendigliih  erfahren;  • 

So  einer  spricht:  Was  ist  v^ohl  unler  aiesem  Hute? 
Nun  heb'  ihn  auf:  da  steht  ein  wilder  Falk  in  stolzem  Muthe. 
Heb*  auf  den  Hut:  Da  bläht  einTfau  sein  bunt  Gefieder: 
Heb*  feuf:  da  blickt  ein  Meerwunder  hernieder: 
Zuletzt  war's  eine  Krähe  nufi,  so  oft  das  auch  geschah  elc.    Ich  keoae 
falsche  Gaukelbüchse  etc. 

•)  Hagen  IV.  70a 


559 

Aufnahme  gefunden,  es  sind  aber  kaum  drei  Ehrenmänner  daselbst,  doch 
fand  er  sie  richtig  heraus;  er  kennt  auch  die  Besten  am  Rheine;  in 
Bayern  lebte  er  gemächlich  und  in  Osterfranken  am  Maine,  dann  wandte 
er  sich  wieder  nach  Bayern,  wo  die  Edlen  sich  vor  seiner  Schelte  hüten 
mögen;  endlich  trabte  er  nach  Wien.  Das  Mittelalter  kannte  nicht 
allein  fahrende  Ritter,  d.  h.  solche,  welche  auf  Aventiuren  planlos 
amherschweiften,  wie  Gahmuret,  Parcival  und  Gawan,  auch  fahrende 
Sänger,  die  wie  Morolf  von  sich  sagt,  auf  Erwerb,  von  der  Hand 
zum  Mund  die  Länder  durchzogen,  denen  sich  fahrende  Spielleute, 
fahrende  Frauen  und  mit  dem  Aufkoromen  der  Universitäten  auch 
die  fahrenden  Schüler  anschlössen,  die  später  nur  von  den  g ar- 
tenden Landsknechten  an  Unverschämtheit  und  Zudringlichkeit 
noch  übertroffen  werden  konnten  Es  gibt  über  die  fahrenden  Schüler 
eigene  Gedichte,  z.  B.  von  Johann  von  Nürnberg,')  sie  spielen 
in  vielen  kleineren  Gedichten  eine  bedeutende  Rolle,  verstanden  sich 
aufs  Teufelsbannen,  noch  besser  aufs  Betrügen  und  Stehlen,  trieben 
allen  möglichen  Unfug  und  brandot^hatzten  das  arme  Volk  unter  dem 
Vorgeben,  auf  Geistlich  studieren  zu  wollen.  Vergeblich  wurden  diese 
scholares  vagantes  schon  im  Ende  des  XIII.  Jahrh.  von  den  bayerischen 
Synoden  verboten  und  die  dagegen  Handelnden  mit  dem  Kirchenbanne 
belegt,')  umsonst  eiferte  das  Salzburger  Concil  von  1274  dagegen  und 
bestimmte,  dass  Keiner,  der  mal  in  ihrem  Orden  (secta)  gewesen,  je 
ein  geistliches  Amt  erhalten  könne  —  sie  waren  so  wenig  auszurotten, 
wie  die  Gaukler,  Tänzer  und  Tänzerinnen,  Spassmacher  und  Springer, 
welche  die  Stadt  Regensburg  im  Jahre  1308  bei  Strafe  eines  Pfundes 
Pfenninge  aus  dem  Burgfrieden  verbannte  —  aber  vergeblich. 

Das  glorioseste  Zeugniss,  wie  unverschämt  dieses  fahrende  Volk 
an  den  Höfen  zudrang ,  geht  aus  den  Rechnungen  des  bayerischen 
Herzogs  Albrecht  von  Nieder bayern  hervor.  Zwar  stammt 
dieser  Beleg  aus  einer  späteren  Zeit,  erst  aus  dem  Jahre  1392, 
allein  es  mag  früher  auch  nicht  besser  gewesen  sein.  Wir  entnehmen 
daraus  nur  die  „Verehrungen,**  welche  fahrende  Leute,  Pfeiffer,  Spiel- 
leute, Fiedler  und  Gaukler  erhielten:')  „Am  Sonntag  nach  Con%'er- 
sionis  Pauli  des  Ernfelser  Fiedlern  geben  1  Pfund.  Am  Montag 
nach   Purificationis    beatae    Mariae,    Sorgnicht  dem  Sprecher,  1 


■)  306  Verse;  in  den  Altdeut.  Wäldern.  II.  49—59;  aas  der  ersten  Hälfte  des 
XIV.  Jahrh. 

')  Lipowsky  Gesch.  der  Schulen  in  Bayern.  1825.   S.  126. 

*)  Freiberff  Ges.  Schriflen.  182*^.  II.  146  ff.  Aus  dem  Rechnungsbuche  des 
Wolfbarl  Hellt ampt,  Prolooolarius  illuslris  priocipis  Alberti  junioris  infer. 
Bavariae. 


560 

Pfund.     Am   Freitag    nach   Valentin!    des    Massenhauser    Pfeiffer 
1  Pfund.    In  die  Mathiae  apostoli  einem  varenden  Schuler  geben, 
genannt  Letus  Georius,  60  Pfenninge.     Am  Mittwochen  vor  Invo- 
cavit  einem  des  vonSaltzburg  Pfeiffer  geben  1  Guidein.  Am  Pfintztag 
darnach   Li e bei    dem  Pfeiffer  geben,    dass  er  damit  sollt  ausrichten 
all  Spielleut,    die  hie   bei  dem   Hof  gewesen  waren,    3  Pfund!     Am 
Suntag  Reminiscere  zweien  Fiedlern,    einer  war  Herzogen   dementen 
Knecht, 'der  andere  des  Bischof  von  Trient,  6  Schillinge.    Am  Samstag 
vor  dem  Palmtag  Hanns!  dem  Pfeiflfer  des  Markgrafen  Johann  geben 
1  Pfund.     In  die  Paschae  einem  Landfahrer,  der  über  die  heilige  Zeit 
hie  bei   meinem  Herrn   gelegen  war,    geben  1  Pfund  Pfenninge.     Am 
Mondtag  nach    dem  Sonntag  Jubilate  des   von   Wirttenberg  PfeiflTem 
geben  1  Pfund.     Am  Sonntag  vor  Ascensionis  dmn.  des  Bischofs  von 
Gostnitz  Fiedler  geben  3  Schillinge.^  Dann  kommt  ansehnliches  ^Boten- 
brod,"   welches   den  Herolden  fremder  Herren  verabreicht  wurde  und 
gleich  darauf  heisst  es  weiter:    In  die  Viti:  Pöndel  dem  Fiedler  de« 
Landgrafen,  der  meinem  Herrn  von  äem  von  Otting  gesandt  war,  geben 
1  Pfund.     In  die  Petri  einem  fahrenden  Mann,  einem  Gaukler,  geben 
24  Pfenninge,  eodem  die:    „drein  varenden  firawen"  16  Pfenninge.  Am 
Montag    vor  Margarete  einem  fahrenden  Schüler  geben  32  Pfenninge, 
eodem  die:  zweien  Fiedlern  des  Bischof  von  Prag,  geben  60  Pfenninge. 
An  Pfintztag  nach  Alexi:  Liendl  weilant  des  Römischen  Kunig  i^inger 
geben  1  Pfund.    Am  Mondtag  nach  Laurentius  dem  Singer  des  Römi- 
schen Kunigs,   Bruder  Lautenslaher  geben  60  Pfenninge.     Eodem 
die:  einem  Landfahrer  mit  einem  jungen  Knaben,  einen  Lautenschlager, 
geben  36  Pfenninge.  In  die  Bartholomäi :  dem  Irrgang  Sprecher  (!)*) 
geben  l  Pfund.     In  vigilia  nativitatis  beatae  Mariae:   des  Markgrafen 
Knecht  von  Baden  mit  einer  Rotten,  geben  1  Pfund.    Am  Pfintztag  vor 
exaltatione  sanctae  crucis:   Herzog  Johannsen   des  Römischen  Kunigs 
Bruder  seinem  Fiedler,    dem  Ghuntzen,    1  Pfund,   eodem  die:    dem 
Rappel  Hertzog  Stephans  Fiedler  und  seinen  Gesellen  geben  1  Pfund, 
item:  einem  Knaben  mit  einer  Fiedeln  geben  '24  Pfenninge.   Am  Montag 
darnach   einem  Vagans,    genannt   Vakundus,    geben  60  Pfenninge. 
Am  Pfintztag  vor  Mathäi  apostoli:  des  Kunigs  von  Frankreich  Herol- 
den und  einem  Gesellen  mit  ihm,  geben  2  Ffund    item:   des  Rawssen- 
gruner  Knecht  mit  einer  Fiedeln  geben  60  Pfenninge.    In  die  Ruperti: 
dem  Suchensin  und  seinen  Gesellen  geben  4  Pfand!  so  hat  man 
ihn  gelöst  aus  der  Herberg  von  dem  Hunermair  mit  7  Schillingen 
und  6  Pfenningen.')    Eodem  die:  dreien  Windisch  Pfeifiern  geben  60 

*)  Vgl.  oben  S.  322  Meister  Irreging  (Rüdiger  von  Müoerstadt ?> 
')  Ebendas.  S.  148. 


m 

Pfebdoge.  Am  Bfiltwoobeii  vw  Mioheli:  d^  Maaeeohamer  fijuedkt 
mit  einer  Fiedeln  gthen  32  PfemuDge  item:  Görgen,  des  Tonioger 
Knecht,  mit  einer  Fiedel,  geben  €0  Pfenainge.  Am  Samstag  vorlficbeli: 
einem  fahrenden  Ma^n,  einem  Gaokler,  geben  32  Pfenninge,'  item: 
sweien  Fiedlern  des  Herzogs  Heinrich  von  Braonscbweig  (Brwnsvinkch) 
Knaditen,  geben  6  Sehillinge.  An?  Mondtag  darnach  dem  Sprecher 
des  Johanneen  von Xiichteastein,  genannt  Peter  lob  den  frummen 
60  Pfenninge.  Am  Freitag  vor  Ephiphaniam  dnin^  Ortel  dea£rnfeUer 
FiecHer  geben  60;  Pfuminge.  ^  Pfiniztag  nach  Erhardi;  Mariigrafen 
Procopen  von  M&hren  Fiedlern  geben  6  Schillinge.  Am  Suntag  nach 
ErhanU:  ^  einem  HoH&nder,  einem  Landfahrer,  der  maagerlay  geradik* 
Aeit'Vnd  pfti;st  konde^  1  Pfuod.  Am  Freitag  vor  Ckmvi&rstonis  St 
Panli:  Vim  Heraegea  Friedericbs  Pfeiffem  geben  1  Pfunde  Des  Burkt- 
jpBim  Knecht  mit  einer  Avente^iT  geben,  1  Pfand  n.  s/w« 

^  Die  Leote  dpAogten  sich,  vie  man  ans  der  Zeitfolge  siebt  mid  g^iben 
onander  ^  Thür  in  (tie  Hand;  die  Aasgaben  betrugen  in  kurzer  ^eit, 
BOT  fiür  %  fahßtnde  Lfeute  die  nidit  unerhebliche  Summe  von  33.  Pfund 
und  52  Pfinunngen  -— •  und  das  in  Silberf  die  Pfenninge  waren*  ^siberin.^ 
Diese  Yerehraagin  waren  höchst  bedeutend,  ihr  Werth  wächst,  wenn 
man  bedenkt^  daisfi  niaoh  einem  vollen  Jahrhundert ,^  in  welchem  der 
Grekieura  be<tentend  gestiegen,  d.  h.  sidi  verringert  hatte,  der  Bauntei-r 
ster  der  MünehBef  Frmienkirche,  Herr  Jörg  von  Hoselbaoh^  für  die 
Arbeit  eines  ganzen  langen  Sommertages  nur  28  Pfenninge  erhielt,  so 
dass  maoobar  Schnorrant,  der  an  der  herzoglichen  Tafel  hoflrte  und 
daflkr  mit  60^ Pfenningen  beschenkt  wurde,  leicht  das  Doppelte  oder 
Drei&che  in  einw  Viertelstunde  erhielt  von  dem,  was  der  wackere  Meister, 
der  2ugl^h  den  ganzen  Bau  ersann^  leitete  und  werkthätig  ausführte,  in 
einem  ganzen  langen  Sonraiertage  Verdiente! 

In  Herzog  Albr^cbts  Rechnungen  kommt  der  Pfeiffer  Liebl,  der 
ehemalige  Singer  am  Ht^  des  KOnig  Wenzel,  am  häufigsten  vor;  er 
mnsste  in  die  herzogliehen  Dienste  auf  der  Hodihuet  (Trausnitz)  ge«> 
kommen  sem,  einmal,  nachdem  er  mit  seinen  Gesellen  bei  einem  Tanze 
des  Herzöge  ^gehovirt^  hatte,  bekamen  sie  extra  zum  ^Vertrinkend 
18  Pfenninge;  ein  anderes  Mal  erhalten  sie  ein  neues  Wintergewand, 
wozd  man  18  Ellen  Tuchs  brauchte,  ein  Drittel  zu  13  Pfenningen, 
facit  3  Pfund  und  68  Pfenninge.  Einmal  wird  er  mit  einer  „Aven- 
iewr^  nach  Prag  geschickt  und  bekommt  6  Ellen  neues  Tuch  zur 
Ausrüstung»  was  5  Schillinge  und  6  Pfenninge  kostet.  Neben  ihm 
scheint  auch  ein  gewisser  Haider  hier  sesshaft  gewesen  zu  sein.  Von 
grossem  Interesse  ist  die  Nachricht  über' den  Sachensinne,  der  hier 
am  27.  März  1392  mit  seinen  Gesellen  durch  die  Milde  des  Herzogs 

86 


Mi 

MLB  der  Kreide  kafn  and  eine  stattliolie  Yerehraog  obeiidrein  eriiielt 
Er  war  ein  Fahreoder,  wie  der  Oesierreiehkohe  Sachenwirt  und  der 
Teichner;  sein  Leben  wird  an  die'Qrenze  den  XIV.  und  XY.  Jahrk 
gesetzt.  Er  reimte  wafarsoheinHcb  ebenso  viele  Lob-  and  Strafreden, 
wie  Andere  seines  Gleichen;  aach  hat  man  noeb  13  Lieder,  die  amen 
Namen  tragen,')  dazu  verfasste  er  ein  ^Minnegeri<iht''  ood  einen  ^Streit 
der  Minne  mit  dem  Pfennige^  d.  h.  ein  witziges  KainpfgespriLch  zwi* 
sehen  Liebe  und  Geld. 

Die  Art  und  Weise,  wie  diese  Smger  ^ihr  Sach^  an  den  Hftfea 
vortragen,  erhellt  aus  dem  Schwanke  des  GrÖnenwald*)  der  in  den 
Diensten  des  Herzog  Wilhelm  von  München  stand.  Die  GesoUdite 
spielt  ftlr  den  uns  gemessenen  Z^traom  wohl  etwas  zu  sp&tj  mag  aber 
ihrer  lebrfeiohen  AnsehaoUchkeit  wegen  doch  hier  stehen:  ^Anf  «nem 
Reichstag  zu  Aagsparg  gsdiaeh  ein  goeter  schwank  von  einem  Singer 
an  des  Herzog  Wilhelmen  vonMflnchen  Hof.  £r  was  ein  bernempter 
Mttsictsis  vnd  Componist,  hiess  mit  seinem  Namen  N.  Grünenwald. 
Er  was  ein  guter  Zechbruder  >  nam  nit  fiir  got,  was  jnie  an  seines 
gnädigen  Fürsten  vnd  Hei*ren  Tisch  fürtragen  ward«  sondern  sucht  jm 
anderstwo  guet  Geselsohafl,  so  «eines  gefallens  vnd  köpfe  waren,  mk 
jme  dapfer  dempften  vnd  zechten  t  kam  so  weyt  hynein,  daz  alle  Schen- 
ken vnd  was  er  in  barem  gelt  mit  jme.  dahinbracht,  in  naszer  waar  vnd 
gueten  Bisslein  dahin  ginge ,  noch  must  die  Maws  bi^  getauft  werdea. 
Er  macht  dem  Wirt  bey  acht  Gulden  an  die  Wand.  In  snmma,  es 
kam  auf  die  letzt  dahin,  dass  der  Herzog  von  Mtknchen  sampt  andern 
Fürsten,  Herren  vnd  Städten  aufbrechen  wollten.  Der  Wirt  eifnhr  die 
Sacb,  kam  zu  dem  guten  Grünenwald  vnd  fordert  sein  ausständige  SehnkL 
^Lieber  Wirt,  sagt  Grünen wald,  ich  bitt  Enoh  von  wegen  goter  vnd 
freundtlicher  Gesellschaft,  so  wir  nu  lang  zusammen  gehabt,  lasseot 
die  Sach  auf  diesmal  also  beruhen,  bisz  ich  gen  München  komm,  denn 
ich  bin  yetzt  zumal  nit  verfosst,  wir  haben  dodi  nit  so  gar  weyt  zu- 
sammen. Ich  kanns  Euch  aikag  schfeken,  dann  ich  hab  nock  KJeynot 
vnd  Gelt  zu  München,  das  mir  die  SchuM  für  bezalen  möcht^  lynl^ 
gOnne  Dir  (jott,  sagt  der  Wirt,  mir  ist  aber  damit  nicht  geholfißn:  So 
wüllen  sich  meine  Gläubiger  mit  Werten  nit  bezalen  lassen,  nändiek 
tUe,    von  denen  ich  Brot,  Wein,    Fleisch,  Sali:,  ^Schmalz  vnd  ander 


1)  Fiscbirt^s  FraDkrurl  er  Archiv.  III.  223—48.  Hsltsas  Liedsribocii  der 
Klara  Hülzleto.  S.  92  und  Aufsess  Anzeiger.  18d2.  S.  213. 

^)  Der  Sthwank  findet  sich  im  Roll  wage  nbödi  lein  des  Meister  Jörf 
Wickram,  Sfadlschreibers  zu  Burckbaim  bei  Kofmar  (1557)  nad  ie  der 
Einleilnag  cnvi  Wnuderborn  1806.  von  C.  BrenlanO'  und  Acbiai  von 
Arnim  nacbenäblt:  „Ein  gueler  Sihlemmer  dichtet  ein  LiedleiB,  d>ai 
ward  sein  Wieri  betaK  voq  den  Ptt^gera.^ 


563 

Speyss  kaufen  vnd  bekominen  mnss,  es  rauss  aÜeweg  Bargelt  da  sein: 
komm*  ich  auf  den  Fischraarkt,    sehen  diebischer  bald,   ob  ich  vmb 
Bargelt  oder  auf  Borg  kaufen  wöll;    nimm  ich's  auf  Borg,    muss  ich's 
doppel  bezalen.   Ir  Gesellen  aber  setzt  Euch  zum  Tisch,  der  Wirt  kann 
Euch  nit  gnug  auftragen,    wenn  jr  gleichwol   nit   ein    pfenning  in  den 
Teschen  habt.   Darumb  merke  mich  eben,  wess  ich  auf  dissmal  gesinnet 
bin.    Willt  Du  mich  zalen,  mhr  Hail,  wo  nit,  will  ich  mich  den  nächsten 
zu   meines   gnädigen   Forsten    und   Herren    von  München    Secretairen 
verfugen,    derselbig  wirt  mir  wol  Weg  vnd  Steg  anzeygen,    damit  ich 
bezalt  werd.**    Dem  guten  Grönenwald  was  der  Spiess  an  den  Bauch 
gesetzt,  wusst  nit  wo  aus  oder  wo  an,  dann  der  Wirt,  so  auch  mit  dem 
Teufel  zur  Schul  gangen,  was  jm  zu  scharf.  Er  fing  an  die  allersfisse- 
sten  und  glattesten  Wort  zu  geben,  so  er  seine  Tag  je  gestudiert  vnd 
erdenken  mocht,    aber  alles  was   vmb    sonst.      Der  Wirt  wollt'  sich 
keioswegs  nit  geschweygen  lassen  vnd  sagt;  ^,5 Ich  kenn  nit  viel  vmb- 
stend.  Glatt  geschliffen  ist  bald  gewetzt.  Du  hast  Tag  vnd  Nacht  wollen 
voll  sein,  den  besten  Wein,  so  ich  in  meinem  Keller  gehabt,  hab  ich 
Dir  müssen  auftragen.     Darum   darf  es  nur  nicht  viel  Maewss.    Hast 
Du  nicht  Geld,  so  gib  mir  Deinen  Mantel,  dann  so  will  ich  dir  wol  ein 
Zeitlang  borgen :  Wo  du  aber  in  bestimmter  Zeit  nit  kommst,  wird  ich 
den  Mantel    auf  der  Gant    verkaufen   lassen;    diss  ist  der  Bescheide 
mit  einander.***     „Wohlan,  sagt  Grünen wald,  ich  will  der  Sachen  bald 
Rath  finden."     Er  sass  nieder,  nahm  sein  Schreybzeug,  Papyr,  Fäder 
und  Dinten  und  dichtete  ein  achtstrophiges  Liedlein,  in  welchem  seine 
Noth  buöhstäblich,  ganz  der  Wahrheit  gemäss  geschildert  war,  \de  ihm 
der  Wirt   den  Mantel  gepfUndet   habe   u.   s.  V.     Diss  Liedlein    fasst 
Grünenwald  bald  in  sein  Kopf,    ging  an  des  Fuggers  Hof,    Hess  sich 
dem  Herrn  ansagen :    Als  er  nun  für  jne  kam  ,  thäte  er  sein  gebühr- 
liche Reverentz.  Demnach  sagt  er:    „Gnädiger  Herr!  ich  hab  vernom- 
men,   dass  mein  gnädiger  Fürst  vnd  Herr,    allhie   aufbrechen  vnd  auf 
München  zuziehen  will.    Nun  hab'  ich  je  nit  von  hinnen  können  schei- 
den,  ich  hab'  mich  dann  in  Ewer  Gnaden  abgeletzt.     Hab  Deren  zu 
lieb   ein  newes  Liedlein  gedieht,    so  Ewer  Gnad  das  begert  zu  hören, 
wollt  ich's  Deren  zu  letze  singen.**  Der  gut  Herr,  so  dann  von  Art  ein 
demütiger  Herr  was,  sagt:    „„Mein  Grünen  wald,  ich  wills  gern  hören, 
wa  seynd  Deine  Mitsinger,   so  dir  behilflich  sein  werden, 
lass  sie  kommen.****  —  „Nein,  gnädiger  Herr,  sagt  er,  ich  muss  allein 
ftingen,    dann   mir    kann    hierinn  weder  Bass    noch  Discant 
helfen.**  —     „„So   sing  her,****  sagt  der  Fugger.    Der  gut  Grünen- 
wald hub  an  vnd  sang  sein  Lied  mit  ganz  frölicher  Stimm  heraas.  Der 
gut  Herr  verstand  «ein  Krankheit  badd,  tnainet  aber  nit,  daz  der  8ach 

86* 


564 

so  gar  w&r,  wie  er  ia  seün  Singen  zu  verstehn  geben  hat,  dammb 
schickt  er  eilends  nach  dem  Wirt.  Als  er  nun  die  Wahrheit  erAihr, 
bezalt  er  dem  Wirt  die  Schald,  errettet  dem  Grüneqwald  seinen  Mantel 
vnd  schenkt  jhm  eine  gute  Zehrang  darzae ;  die  nahm  er  mit  Dank  an, 
zog  demnach  sein  Strass.  Disem  Grünenwald  kam  sein  Kunst  auf 
diessmal  gar  wol,  sunst  het  er  sein  Mantel  hinder  jn  lassen  mösseo 
vnd  nackent  aus  Augspurg  gezogen  sein.  Dammb  Kunst  nimmer  zq 
verachten  isf  — 

Aehnliche  Vorkommnisse  mnssten  auch  früher  schon  an  der  Tages- 
ordnung gewesen  sein,  wofür  wir  nur  zu  unzweideutige  Andeutungen 
gefunden  haben.  In  Betreff  des  Vortrages  d^r  Lieder  geht  aber  hervor, 
dass  diese  häufig  als  Terzett  oder  Quartett  und  vielleicht  in  sehr  könstr 
lichen  Weisen  vorgetragen  wurden.  Doch  gab  es,  von  den  früheren 
Zeiten  her  auch  solche,  die  nie  sangen,  sondern  nur  sprachen,  so 
Einer  ist  z.  B.  der  Fr  ei  dank,  der  lange  genug  falschlich  f&r  ein  und 
dieselbe  Person  mit  Walther  von  der  Vogelweide  gehalten  wurde,  bis 
endlich  Pfeiffer  den  schneidenden  Unterschied  hervorhob  und  ihre 
völlige  Verschiedenheit  zeigte.')  In  der  Folge  kamen  eigene  Sprudn 
Sprecher,  die  meist  dem  bürgerlich  gelehiten  Stande  angehörten 
und  an  den  Höfen,  theilweise  als  Ehrenholde  und  ^Persevante^  ihre 
Wappenkunst  und  Genealogie  trieben.  Ein  solcher  ist  der  öster- 
reichische Teichner  und  Peter  Suchenwirt,')  welch  letzterer  hier 
erwähnt  wird,  weil  er  einmal  einen  festen  Hieb  auf  die  bayerischen 
Herzoge  führt.  In  dem  artigen  Spruche  yondem  Pfenninge,  wo  er 
das  Geld  in  der  Person  eii^s  alten  weitgereisten  und  überall  bekannten 
Mannes  auftreten  lässt,  der  dem  fahrenden  und  gehrenden  Dichter  be- 
gegnet und  ihm  Aufschlüsse  gibt  über  verschiedene  Länder  und  Städte, 
kommt  er  (v,  193 — 209)  auch  nach  Payrlant;  der  Pfenninc  will  bei 
ihnen  einkehren,  bei  welchen  er  lange  schon  zu  Gaste  gewesen,  obgleidi 
ihm  dort  nie  Ruhe  und  Rast  gegönnt,  sondern  Arme  und  Glieder  zer- 
schlagen wurden.  Er  macht  dann  einige  dunkle  Anspielungen  daraa( 
dass  die  Herzoge,  vielleicht  ob  den  endlosen  Fehden  und  Krie^ 
geldarm  geworden;  sie  verkauften  auch  an  Kaiser  Karl  IV.  einigie 
Städte  und  den  österreichischen  Herzogen  die  Ansprüche  auf  Tirol 
Der  Spruch  passt  auf  die  Jahre  1358  —  1379  und  auf  Albrecht  von 
Holland,  den  Sohn  Kaiser  Ludwig  des  Bayer. 


*)  Vgl    Franz  Pfeirfer:  Zur  deutschen  Litertlurgescfaichle.  18&5.  8.  37  f.  •• 
in  ••  ^Germtnit.'^  II.  129  ff. 

*)  £r  lebte  am  1400.  Ausgabe  von  Primitser  1927«  &  93  ff.  «.  289. 


565 

Ein  PerseTant  nnd  Elirenholt  gleich  ihm  war  Johann  Holland 
Von  Eggenfelden,  der  in  Diensten  des  Herzog  Ludwig  stand  nnd  1424 
im  Auftrage  des  kaiserlichen  Kanzlers  Kaspar  Schlickhens  einen  grossen 
Sprach  zu  Ehren  des  bayerischen,  riTtermässigen  Adels  zusammen- 
reimte. *)  Er  muss  ein  lustiger  Herr  gewesen  sein,  der  immer  bei  ge- 
sundem App^  verblieben  und  ein  durstiges  Leberlein  hatte,  denn 
ausser  den  sechs  Sprachen  die  er  kann ,  ^)  rCkhmt  er  sich  sein  Lebtag 
selten  geikstet  zu  haben : 

^dann  von  natur  iz  ich  gern  frue, 

und,  ob*s  mich  Inst,  drinckh  ich  darzue, 

wie  es  dann  von  Alter  herkhomen  ist,  , 

darbey  bleib  ich  zu  aller  frist. 

Mit  neurung  ist  mir  nit  woll, 

ich  wurd  die  Woch  ehe  achtmal  voll. 

Demgemäss  ist  er  auch  abgemalt,  von  ansehnlichem  ehrenfesten 
Umfaag,  mit  ktngschnäbeligen  Schuhen,  den  kaiserlichen  Adler  auf 
dem  goldenen  Wappenrock,  schwertgegttrtet ,  denn  er  ist  ^ein  Knab 
der  Waffen  und  des  Adels  Kind,**  in  der  einen  Hand  den  Herolden- 
Stab)  in  der  anderen  das  Barpttlein  haltend.  Trotz  unserer  etwaigen 
Verwandtsch^t  kann  ich  ihm  jedoch  keine  absonderliche  Bedeutung 
in  der  Geschichte  der  Dichtkunst  einrftumen,  wenn  auch  seine  handfesten 
Tumierreime  dem  Grenealogen  willkommen  sein  inögen.  Der  Niederlän- 
der Willem  von  Hildegaertsberghe,  der  zeitweise  am  Hofe  Albrechts 
von  Bayern  (f  14Q4)  und  Wilhelms  (f  1435)  sich  aufhielt  und  dessen 
,,spoken^  Hoffmann  ven  Fallersleben  (Horae  Belg.  1.  88.  VI. 
201)  Ar  die  besten  der  ganzen  Gattung  ansieht,  darf  hier  nicht  ver- 
gessen werden.  Einen  Spruch  zum  Lobe  der  bayerischen  Fürsten  hat 
Hans  von  Wehste  mach  zusammengereimt,')  der  jedoch  ebenso 
wenig  wie  der  wackere  Jacob  Püterich  von  Reicherzhauseri  mit 
der  Poesie  zu  schaffen  hat,^)   obwohl  er  sich  einen   nicht  unlieblichen 


')  Abffedruikt  in  R.  Duellius  excerpta  genealogica.  Leipzig  1725.  S.  249  ff, 
und  von  da  in  den  Verhandlungen  des  histor.  Vereins  für  Niederbayern. 
1861.  VII.  117  AT.  Die  einen  besseren  Text  enthaltende  HS.  liej^t  jedoch  zu 
Herzogenburg  und  enthält  zugleich  den  £hreobrief  des  Pülrich  von  Rei- 
cherzbausen. 

')  Latein,  Teutsch  und  Polan, 
Franlzösisch  und  Ennj^elisch^ 
Darneben  guet  Vngerisch. 

-"*)  Rudhart  Histor.  Taschenbuch.  1850/51.  Der  Dichter,  der  seinen  Spruch 
«och  für  sangbar  hielt,  war  wahrscheinlich  kein  Adelii^er,  sondern  nannte 
sich  nach  seinem  Geburtsorte,  dem  Pfarrdorfe  Westernach  am  gleichnamigen 
Flösschen,  in  der  Herrschaft  Mindelheim  gelegen. 

^)  A delang.  Leipzig  1788.  4^     Anmerkungen  dazu  gab  Docen  in  Aretint 


66i 

— i 

Poeten  nennen  lasfea  mochte.  Er  schjrieb  m  J«  1463;  bereu»  ßfr  Jahre 
alt,  einen   bereits   oben  S.  113    bei;ührten  ^Ehrenbrief*   an  die  Pfak- 
^räfin  Mathilde,    in   welchem    er   sein   UteraturgeschichtlicbeS    Wissen 
niederlegte  und  zwar  ^m  des  von  Laber  gemainen  Ton."  Das  Verzeich- 
uiss  seiner  vielleicht  nicht  imiper  auf  die  ehrlichste  Weise  ges^immeltea 
Bibliothek   ist  von  grossem  Interesse,    besonders   durch   die   zwischen 
durch  eingestreuten  Nachrichten  über  die  früheren  Dichter,  die  beson- 
ders in  Betreff  unseres  Wolfram  von  Eschenbach  von  Belang  geworden 
sind.  Gegen  das  Ende  seines  Ehrenbriefes  fällt  er  jedoch  ans  der  Rolle, 
er  wollte  bloss  von  seiner  Gedichtsammlung  reden  und  nennt  mehrere 
prosaische  Werke,  z.  B.  die  vierundzwanzig  Alten  des  Otto  von  Passan. 
Er  liatte,  wie  Hugo  von  Trimberg,  vierzig  Jahre  lang  an  seiner  Bücherey 
gesammelt,  und  war  zwischen  Ungarn  und  Brabant  weit  umher  gefahren, 
auch  am  Grabe  des  edlen  Ritters  von  Montevilla  zu  Lüttich  gestanden. 
Er  bekennt  offenherzig,   die  Bücher  überall  als  sein  Eigenthmn  ange- 
sehen und  Manches  ^durch  Leihen^  erworben  zu  haben,  doch  jagte  er 
nur  auf  alte  Bücher,  die  neuen  galten  ihm  gar  nichts.     Grossmflthig 
verlieh  er   sie    auch  wieder  und  zog  sich  vom  seHgen  Jan  von  Sditi 
den  Spott   dafär  zu,    dass   er   (Püterich)  der  Bftoher  gern  vergessen 
wollte,  wenn  man  ihm  nur  d«n  Sack,  darin  er  sie  verliehen,  wiedergäbe; 
er  muss  also  sehr  kostbare  Einbände  besessen  haben,  d.  h.  solche  gold- 
und  perlenbesetzte  Bücherbeutel,  wie  man  sie  noch  aof  niederländiacheD 
Bildern  sieht.     Auch  klagt  er  über  die  losen  Schälke  am  Hofe,  deren 
er  fünfe  und  darunter  den  Kanzler  Rosler  namhaft    macht,    dass  sie 
ihn  manchmal  nach  einem  alten  Buche  auf  den  Heizweg  schickten,  ein 
Erlebniss,   dass  seither  wohl  manchen  Sammler  noch  getrolfen  hat.  — 
Ulrich  Füterer  wurde  schon  beim  Ansklingen  der  ritterlieh-episdien 
Dichtung  genannt,    hier  ist  nur  noch  eines  fröhlichen  Sängers  zn  ge- 
denken, eines  Neidhart  in  nener,  verjüngter  Auflage :   Hans  des  Hes- 
se Hoher.    Was  man  von  seiner  Familie  weiss,  ist  korz  Folgendes: 

Sein  Vater  Nikolaus  der  Hesselloher  war  1418  Richter  zn 
Wolfrathshausen ,  dann  1433  Zöllner  der  Herzoge  Ernst  und  Wilhelm 
zu  München,   endlich  Pfleger  zu  Pähl,   wo    er   1453  starb  und   nebst 


Beiträgen.  IX.  B.  S.  1198  1209.  Vgl.  Hagen  IV.  883  ff.  nnd  Ktrajas 
in  Haupts  Zeitsctirift.  VI.  31  ff.  (mit  dem  besseren  Text).  Die  Handsdnifl« 
aus  welcher  Duell ius  excerp.  geneal.  1725.  S.  285—84  den  Ebreobrief 
copirte,  war  damals  Eigenthum  des  Klosters  Sl  Andreae  an  der  Traisea, 
eines  der  aUesteo  ffeistlichen  Stifte  Oesterreicbs  unter  der  finns,  tos  da  kaa 
dieselbe  1783  an  das  Cborberrenslift  Hereogenbuscb ;  unler  PfitridM  Bilde 
steht:  Jacob  Fütricb  nennt  man  mich, 

Id  Reichertzhaosen  hauset  ich. 

Ein  Poet  Teutscb  nit  unlieblich. 


887 

seiiMr  efadichefi  Würtliiii  Margaretiia  Lungin  in  der  Kirche  begraben 
worde^  Er  hatte  zwei  Söhne  Andreas  und  Hans;  der  erstere,  wel- 
dier  am' Hofe  zu  Mönchen  in  seiner  Jagend  als  Edelknecht  gedient 
hatte,  folgte  ihm  in  dem  Amte  zu  Pähl.  Hans  aber  moss  sich  lange 
onstät  herumgetrieben  haben;  W.  Hand  erzählt  in  seinem  Stammbuch 
Ton  ihm:  er  habe  ^^idele  deutsche  Lieder  gemacht,  lächerlich  und  artig, ^ 
unter  anderen  eines  auf  eine  Bauernhochzeit:  ^Von  äppiglich  Ding 
80  wollen  wir  heben  an^  ')  und  ein  anderes:  ^Häusel  Heseloher,  wie  lang 
wilt  du  närrisch  sein!^  und  eines,  das  er  als  Freier  einer  Jungfrau  von 
fldlenslein  fertigte:  y,Eß  taget  von  dem  Hölenstein.^  Das  müsste  eine 
Tochter  des  Hannsen  von  Hölen&tein  gewesen  sein;  der  Hölenstein  bei 
Brannenburg  war  ehedem  ein  ritterlicher  Sitz,  der  nun  in  ein  Bauern- 
gut herabgesunken  ist.  Ob  er  die  Minnigliche  erhalten  habe,  ist  unge* 
wiss,  es  müsste  schon  um  1437  gewesen  sein.  Im  Jahre  1450  ver- 
ehelichte er  sich  mit  Anna  Schondorferin  von  Pähl  und  erhielt  in  der 
Folge  zwei  Töchter,  I*^amens  Barbara  und  Anna. ')  Die  beiden  Brtlder 
finden  sich  ein  paar  Mal  urkundlich:  einmal  kauften  sie  etliche  Güter 
-vom  Augsburger  Domcapitel;  die  andere  Urkunde  ist  vom  J.  1460: 
die  Herzoge  Johann  und  Sigmund  (Söhne  Albert  HI.}  verschreiben  den 
Brüdeni  Andreas  und  Haas  Heselloher  die  Pfiegschaft  Pähl  sammt  dem 
Un^elde  auf  ihre  Lebenszeit  für  die  treuen  Dienste,  die  sie  ihrem 
Ahnherrn  Ernst  L,  ihrem  Vater  und  ihnen  selbst  geleistet  haben.  Von 
ihren  gefreiten  Sitzen,  die  sie  auf  Pähl  und  auf  Rosse Isberg  hatten, 
wurden  sie  laut  Herzog  Albrechts  Landtafel  ^in  die  Landtavel  beschrie- 
ben und  dienten  dem  Fürsten  selbander  wohl  bewappnet  und  bezeucht 
mit  zwey  Pferden.^  Wann  Andreas  starb,  ist  ungewiss,  da  sein  Grab- 
stein beim  letzten  Kirchenbau  entrückt  und  zerbrochen  wurde;  er  liegt 
jetzt  umgewendet  unten  an  den  westlichen  Stufen  der  Stiege,  welche 
zum  Gottesacker  fuhrt  und  nur  sein  Name  ist  noch  ersichtlich.  Hans  ^ 
folgte  ihm  in  der  Pflegschaft  nach;  1466  erscheint  er  schon  allein  in 
landrichterlicher  Thätigkeit.  Am  Mittwoch  vor  St  Magdalena  1469 
siegelt  Rudolph  von  Schondorf  den  Uebergabsbrief  des  Hans  Heselloher, 
Land-  und  Stadtrichters  zu  Weilheim,  gemäss  welchem  Kaspar  Hechen- 
kirchner  von  Königsdorf   dem  Kloster  Fölling  ein  Holz,    genannt  die 

*)  Nach  Seh  melier  8  Abscbrin  tb^edruckt  bei  U  bland  I.  ^53  (f3  Strophen), 
wo  auch  die  weitere  Lit.  aus  alten  gedruckten  Liederbüchern  verzeii-bnet  ist, 
und  in  Hormayr^s  histor.  Taschenbuch.  1831.  S.  243  ff. 

*)  Die  Barbara  wurde  1470  mit  Hans  Scbellenberg'zu  Weilheim  verbei- 
rathet;  sie  brachte  ihm  als  Milf^in  den  Sits  Pähl  zu.  Die  Anna  ehelichte 
Wolf  Aeresinffer  zu  Dürgonfeld  148.5;  beide  Eheleute  stifteten  im  Kloster 
Bernried  für  sich  und  ihre  Verwandten  einen  Jahrlag.  Anna  starb  1499. 
Oberb.  Archiv.  IX.  JW  a.  248. 


688 

Wannen,  verkauft.^)  Im  folgenden  Jafare  1470  starb  &um  der  Basel- 
loher,  wahrscheinlich  zu  Pähl.  Eine  Denksäale  aas  Granit,  9  Fiiss 
hoch,  am  westlichen  Abhang  von  Rösselsberg  v^kfindet  das  irormaKf^ 
Dasein  der  Heselloher  auf  dem  Rösselsberge.  Ihr  Wappen,  das  die 
Rösselsberger  beibehielten  (ein  doppelter  Pferdskopf  in  weissem  Soliild) 
findet  sich  nebst  der  Jahrzahl  1483  aaf  dieser  Säule,  wie  aach  aof 
alten  Oefen  im  Schlosse  Rösselsberg. 

Als  Dichter  steht  der  Heselloher  weit  unter  Neidhart,  doch  ist  m 
gleich  unbändig,  fföblidi  und  ein  Freund  des  Bauernl^bens»  Auch  er 
schildert  den  bäuerlichen  Hochmuth,  der  selbst  beim  Tanse  gepanzert 
einherritt,  böse  Händel  anföngt,  worauf  sich  eine  tQehtige  Prügelei,  em 
Scharmützel  und  Dreschen  anhebt,  das  mit  Löchern  in  den  Köpfen 
und  blauen  Flecken  endet.  —  Von  einer  nothigen Bauernhochzeit,  die 
in  eine  arge  Prügelei  übergeht,  singt  der  Spruch  von  Mayr  Betzen.*) 
Der  Mayr  Betz  will  seine  Buhte  heirathen,  dazu  kommen  nun  die  dör^ 
perlichen  Zeugen  wie  Schollentritt,  Herman  der  Hufischmied, 
Cunrat  Plattenkopf,  Mair  Nasztropff,  Völcklin  der  Schnaufer 
u.  s.  w.  Der  Bräutigam  erhält  von  der  Braut  einen  Bock  and  eiir 
Kalb,  eine  falbe  Kuh,  zwei  Bienenstöcke,  ein  Schwein  und  ein  Blassel, 
Frau  Metz  aber,  seine  Zukünftige,  erhält  zwei  angesäte  Jaucherte  Feld, 
drei  Malter  Haber ,  einen  Hahn  mit  vierzehn  Hennen  und  fünf  Pfbnd 
Pfenninge.  Viele  Gäste  kommen  zur  Hochzeit  mit  ächten  Bauemnamen, 
wie  Cnntzlin  der  Genszbluora  und  Albrecht  Rindschuch.  Nach  der  Braot- 
nacht  gehts  zur  Kirche,  wo  der  Bräutigam  unterwegs  tüchtig  abgeraoft 
und  geschlagen  wird,  wie  es  die  Sitte  verlangte.  Nabh  der  Trauung 
kommen  viele  Freunde  der  Braut  und  nun  hebt  ein  Schlingen  and 
gieriges  Fressen  an:  Rüben  mit  Speck  werden  verschlungen,  dass  den 
Bauern  Kinn  und  Hände  triefen,  darauf  Würste  und  Muss  noil  grossen 
Brocken,  die  neidische  Gefrässigkeit  ist  prächtig  gezeichnet.  Darauf 
geben  die  Gäste  recht  nothige  Geschenke,  einer  einen  alten  blauen  Hot, 
der  ihm  ehedem  vier  Haller  gekostet,  einer  eine  Schwinge ,  einen  alten 
Kamm,  der  reichste  ein  Spiegelein,  ein  neu  hänfen  Aermeltuch,  einen 
Kübel ,  eine  alte  Juppen ,  eine  hölzerne  Kandel ,  zwei  alte  Bundschuhe, 
eine  ungewaschene  Hose  u.  dgl.  erhält  das  Paar  geschenkt.  „Wendio 
der  dieth  gab  ain  hennen,  die  was  siech,  und  sprach:  se  hin,  prewti- 
gam,  ich  wölt  sy  selbes  gessen  hau,  doch  hab  ich  dirs  ersparf  Alle 
aber  schreien  und  juchzen  und  der  Spielmann  muss  pfeiffen.  Da  stür- 
men Alle  zu  der  "Linde  und  springen  auf  dem  Stroh,    bis   einem  die 


')  Obcrtayr.  Archiv   V.  229.  IX.  27.  X.  262. 

')  Hai  tan  s  Liederbuch  der  Maria  HdUlein.  S.  259  ff. 


569 

HoiB^  niedei^eht  und  er  xnaamiiieDstilnt,  im  Falten  hai  er  eine  Jmig- 
ftau  triedergestoMen  und  dieser  ein  SpiiBgelein  zerbrochen,  da  verlai^n 
die  aaderea  Schadenersatz  und  daröber  geiit  nun  eine  blotige  Prügelei 
los,  die  mit  einer  allgemeinen  Niederlage  endet.  —  Das  (ranze  ist  mit 
fester,  sicherer  Hand  gezeichnet,  und  mit  spöttischem  Mnlliwillen  be^ 
lebt,  wie  es  unser  Haans  der  Hesseil  ober  aoeh  nicht  besser  hfttte 
maeheo  können.  --  Seine  muntere  Laone  und  sein  lastiger  MathwiUe 
ei^ssen  sieh  noch  in  allerlei  Reimen  and  Liedern ,  die  jedoeh  nodi 
IflHner  behaglicher  sind,  als  das  Geklimper  der 

Meistersänge r.  Die  Anfangs  so  süsse,  im  Alter  herbe  Pflanze 
des  >Iianesanges  verholzte  gänzlich  and  schlag  mit  den  Singsohulen  ^a 
Nürnberg  and  Augsburg,  Ulm,  Regensburg  und  München  in 
die  uuerquicklichste  Reimerei  über.  Man  erfand  Satzungen ,  nach  wel- 
chen gedichtet  werden  musste,  Tabulatur  genannt,  man  machte  den 
Werth  ein'es  Gedichtes  abhängig  von  reinen  Aeusserlichkeiten,  von  dem 
engeren  Anschliessen  an  die  einmal  angenommenen  Formen ;  man  zwang 
armselige  Gedanken  in  mühevoll  zusammengeflickte  Stollen  und  Gegep- 
stollen  mit  ihrem  Abgesange;  wer  so  ein  hölzernes  Geflieht  regelrecht 
und  wohlgeschnitzt  vollendet  hatte,  der  trug  es  singend  vor.  Die  Merk e^ 
sassen  und  sahen  wohl  auf  die  zwei  und  dreissig  Regeln;  grifi'  der  Ton 
in  den  eines  anderen  Meistars  nicht  ein  so  weit  vier  Silben  sich  er<- 
streckten,  so, ward  er  abenteuerlich  benamset  und  der  Singer  unter 
seltsamen  Ceremoniell  zum  Meister  gekrönt.  Nach  einer  aus  dem  XV. 
Jahrh.  stammenden  Münchner  Handschrift,  die  solche  Meistergesäoge, 
Fabeln,  kleine  Histörchen,  Weinsprüche  und  geistlicBe  Lieder  enthält,*^ 
sang  man  ,,im  groben  don^  oder  in  des  Regenbogs  langen  Ton,  in  des 
Fraweplobs  grün  don,  femer  in  dem  Atspis  Ton  „Aspis  ein  wurm  gCf- 
haissen  ist^;  auch  der  Marner,  Conrad  von  Wirzburg,  sogar  der 
Walt  her  v.  d.  Vogel  weide  mussten  sich  Berufungen  auf  ihren  Namen 
gefallen  lassen,  denn  die  guten  „Meister"^  behaupteten,  dass  ihre  „hold- 
selige Kunst^  schnurgerade  von  den  ^zwölf  alten  Siogeren^  abetamoM. 
Unter  diesen  Erfindern  neuer  Töne  ragen  der  Holzanger  (in  des 
Hultzing  hofdon)  der  Ernpot  und  Meister  Stein  he m  oder  Stein- 
hein hervoi*,  auch  des  Le sehen  Tagweis  wurde  berühmt  und  die 
Schlüssel  weise  des  Fritz  Ketner,  der  unter  den  12  alten  Nürnberger 
Meistern  thront;  ein  anderer  heisst  Konrad  Härder.  Andere  beliebte 
Xonweisen  waren:  in  des  Munich  von  Salzpurk  don,  in  fraw  eren 
don,  des  Tanhausers  haubt-don,  der  lange  Regenbogen;  desRegen- 


')  Vgl.  Doceo  io  Aretins  Beitrftgen.  IX.  1128  AT. 


m 

bog  blaner  don,')  desMn  BrieAreise  undZvgton;  es  gab  eisen  ligeldoo, 
einen  profeten  don  des  Friedrich  Kettner,  beliebt  waren  des  Mnsea* 
plüt  gol  deiner  and  des  Heinrichs  Ton  Müglin  langer  don.  Zo  Mtachen 
gab  es  anch  eine  y^Poetenschule,^  die  sich  jedoch,  mit  Anstand  za 
reden,  nicht  fiber  die  nothdtkrftigste  Sduilnmsterei  erhob.  Emer  dieser 
Namen  ist  Hanns  Seudlinger  1410  und  Fr.Hammerl  1438,  später 
erscheint  Chr.  J^no  von  Hyrzweil,  beider  Rechte  Lioentiat  and  Poet 
der  I5bl.  und  fürstlichen  Stadt  München,  der  dea  Boccaccio  andCioere 
fibersetzte,  femer  der  poetische  Decan  Meldiior  Kretz  (f  1554),  d^ 
Leinweber  Leonhard  Nonnenpeckh,  welcher  der  Lehrmeister  des 
jungen  Hans  Sachs  wurde,  der  zo^  Mönchen  sein  erstes  Lied  zum  Preise 
Gottes  dichtete;  der  Stadtschreiber  Sigmund  Scheidenreisser  fiber- 
setzte 1537  zuerst  den  Homer,  Andreas  Vinkh,  Hieronymus  Ziegler 
und  der  unglückliche  Martinus  Balticus.  Der  ein  armseliges  Wander- 
leben führende  Weinsberger  Weber  Michael  Behaim  kam  wohl  auch 
in  unsere  Stadt  und  hinterliess  eine  ansehnliche  Anzahl  seiner  Reime. 
Zu  ihm  gehört  der  Meistersänger  Ulrich  Wiest  zu  Augsburg  1449, 
dessen  Straflied  gegen  die  Bischöfe,  die  mit  dem  Almosen  ihre  Kriege 
und  weltlichen  Gelüste  bestreiten,  in  der  Folge  sehr  berühmt  geworden.*) 
Gleichfalls  ein  Augsburger  ist  Jörg  Brei n in g  (1488),  der  ein  Lied 
auf  den  hl.  Ulrich  (7  Strophen  in  des  Regenbog  langem  Ton)  und  den 
hl.  Alexius  (19  Strophen)  dichtete;  auch  fabrizirte  er  viele  Lieder,  von 
denen  er  die  Freude  genoss,  eine  Anzahl  zu  seinen  Lebzeiten  noch  ^ 
gedruckt  zu  sehen. ')  Der  bedeutendste  jedoch  ist  unstreitig  der  Nürn- 
berger Hans  Rosenplüt,  dem  wir  eine  Menge  der  heitersten  Wein- 
segen, gurgelnder  Zechersprüche,  Trinklieder,  weiser  Priameln,  dann  die 
unter  dem  Titel  des  Klopfan*)  bekannten  I^eujahrsredeu ,  Fabeln, 
historischen  Spräche  und  Fastnachts'piele  verdanken,  von  denen  das 
meiste  in  die  folgenden  Abschnitte  gehört. 

Wirft  man  einen  Blick  auf  die  ganze  Entwicklang,  vom  Beginne 
des  Minneliedes  bis  auf  diese  ehrsamen  Meister  herab,  so  Ueibt  als 
lelztgiltiges  Urtheil  die  grosse  Trilogie  von  Blüthe,  Reife  nnd  Verfall 


')  Bsrtbel  Regenbogen,  angeblich  ein  Schmied  von  Ulm  (?),  gab  sein  Hand- 
werk auf  und  zog  su  Anfang  des  XIV.  Jahrh.  nach  Mainz,  un  sich  naiar 
Frauen  lob  „zu  bilden."^ 

*)  Bei  U  bland  Nro.  165. 

')  Gräters  Idnna.  1812.  S.  190.  Massmann  Alexius.  S.  ff.  Fünf  gar, nflta- 
lirhe  fruchtbare  Lieder,  gedruckt  durch  Lucas  Zeissenmair  «i  Wcssohnm- 
1503.  40.    Wacker  na  gel  Bibliographie.  S.  459  ff. 

*)  Oskar  Schade  im  II.  B.  der  Weimarer  Jahrb.,  bes.  abgedruckt  und  Ter- 
mehrt  Hannover  1855. 


671 


iml&iigbar  und  der  kfinstlerische  Werth  der  gaten  Meistersänger  er- 
scheint als  ein  h5dist  zweifelhafter.  So  lange  die  Dichterschole  in  der 
Sonnennähe  der  Begeisterung  gestanden,  war  der  Wein,  der  in  ihr 
gewachsen,  auch  süss  und  feurig,  er  fiel  ab,  als  das  Gestirn  der  reined 
Minne  niederging,  zuletzt  brauten  sie  sich  ein  saueres  Bier  und  tran- 
ken, mit  vielen  breiten  Worten  einander  zur  Holdseligkeit  auffrischend, 
damit  einen  kühlen  Rausch  sich  zu. 


c. 

Volkslied. 


Neben  dem  höfischen  Minnesang  und  dem  dichterischen  Treiben  des 
hölzernen  Handwerks  treibt  das  Volkslied  seine  fröhlich  rankenden 
Sprossen.  Das  Volkslied  ist  doppelter  Natur :  insofeme  es  aus  dem 
ewig  jung  bleibenden  volksthüralichen  Singen  und  Sagen  hervorgewach- 
sen, ist  es  immer  mehr  epischer  Natur;  daneben  macht  sich,  eine 
Zwillingsschwester  des  ritterlichen  Minnedienstes,  das  subjective  lyrische 
Gefühl  geltend,  welches  in  unerschöpflich  wechselnden  Formen  Leid  und 
Freude,  Trauer  und  Jubel  ergiesst 

Das  lyrische  Volkslied,  weicheis  wir  sdion  oben  (in  der  Einleitung 
zur  Yolksthömlichen  Epik)  angedeutet  haben,  trägt  kein  anderes  Zeichen 
seines  Herkommens,  als  die  provinzielle  Mundart,  aber  auch  dieses  ist 
unsicher  und  trügerisch,  da  diese  Liedertön^  von  Land  zu  Lande  flogen. 
Nie  ist  der  Singende  mit  Namen  genannt,  bisweilen  haben  es  ein  Paar 
Bergknappen  (Hauer)  gemacht,  die  gar  wohl  gesungen  bei  Meth  und 
kühlem  Wein,  und  es  ist  etwan  der  Wirthin  ihr  Töchterlein  dabei  ge- 
sessen, oder  es  haben^s  drei  gute  frumme  Landsknecht  „gethan,^  zwei 
Alte  und  ein  Junger,  ein  freier  Reitersknab,  oder  es  ist  überhaupt  allen 
schwarzbraunen  Mägdelein  zu  lieb  gemacht  und  gesufigen  zu  einer  guten 
Nacht.  Viele  sind  mit  so  zarter  Verschämtheit  und  mit  ruhigem,  all- 
mähligen  Entfalten  der  Herzensempfindungen  gedichtet,  dass  man  deut- 
lich sieht,  wie  die  Frauen  die  Hand  mit  im  Spiele  und  den  grössten 
Antheil  daran  gehabt  haben. 

Was  die  Bestimmung  für  unser  bayerisches  Vaterland  insbesondere 
erschwert,  ist,  dass  sie  zur  Zeit  ihrer  Entstehung^  nicht  in  Schrift 
kamen,  sondern  in  naturwüchsiger,  mündlicher  Ueberlieferung  verbliebe. 
Was  später  davon  aufgeschrieben  wurde  und  in  den  älteren  Lieder- 
büchern unserer  Bibliotheken  sich  erhalten  hat,  das  kommt  meist  audi 
anderwärts  vor,  denn  das  wahre  Volkslied  hat  keine  geographische 
Heimath,  ebensowenig  wie  es  sich  an  eine  Zeit  binden  lässt.  Mit  necki- 


573 

scher  Genialitit  osd  wahrha^  verfähreriscber  l^beodigkeit  tritt  es  4^ 
gelfthrt^n  Wesei;)  und  dem  ernsthaftigen  Uandw^rk  entgegep,  die  Plastik 
der  Bilder  verführt  bis  zur  Keckheit,  man  tauscht  Raum  und  Zeit, 
man  legt  einen  Ort  zwischen  Weihnachten  und  Pfingsten,  man  schweigt 
einen  Arm  lang  still,  und  dieser  sichere  Wurf ,  der  das  Colorit  der 
Musik  überlässt,  wirkt  wie  Gervinus  treffend  bemerkt,')  besser  als  die 
gl&nzendste  Farbengebung  der  Minnesinger  bei  unsicherer  Zeichnung.  ^In 
diesen  Liedern  fühlt  man  den  Herzschlag  des  deutschen  Volkes:  hier 
offenbart  sich  all  seine  düstere  Beiterkeit,  all  seine  nfirrische  Vernunft; 
hier  trommelt  der  deutsche  Zorn,  hier  pfeift  der  deutsche  Spott,  hier 
perlt  der  ächte  detitsche  Wein,  hier  küsst  die  deutsche  Liebe,  die 
manchmal  noch  köstlicher  ist,  als  ersterer«**  *)  Die  Natur  hat  wieder 
die  Oberhand  erhalten  und  die  Liebe  ist  zur  Staffage  geworden;  hier 
versenkt  sich  ein  Mädchen  bis  in  die  lebendige  Unterhaltung  mit  der 
Haselstaude,  der  „Frau  Häselin,*^  hier  blüht  treue  Liebe  im  Vergiss- 
meinnicht '')  und  in  dem  Kräutlein  „Schabab*  die  Verschmähung;*)  sie 
brauchen  nicht  zu  sagen,  das»  die  schöne  I*^atur  sie  beglückt,  sie  be- 
schreiben auch  nicht  auf  gut  meistersängerisch  die  Schönheit  der  Ge- 
liebten nach  ihrer  Länge  und  Breite,  Röthe  und  Weisse,  Glätte  und 
Zartheit,  sondern  wenn  der  Singende  das  rotbe  Mtindlein  v^rmiaal  oder 
besitzt,  wenn  ihm  die  sofaoee^weisse  Hand  gereicht  oder  verweigert  wird, 
so  ermisst  man  leicht  aus  seiner  Freude  oder  seinem  Leide,  wie  schön 
und  werth  ihm  Beides  ist.  Wie  in  der  ritterlichen  Diobtubg  so  ist  auch 
hier  die  Liebe  der  Quell  und  das  Grundthema  der  mtisten^  dann  aber 
gibt  es  Gassenhauer,  Reuter-  ^)  und  Bergliedlein,  neue,  weltliche  Texte 


>)  III.  307. 

')  H einrieb  Heine  Gesch.  der  neueren  schönen  Lit.  in  Deutsrbl.  1833.  II.  B. 

')  Vgl.  Grimm  Altdetit.  Wilder:  Bedeutung  der  BIvmen  und  BliTter.  I.  137. 

^)  Gervinus  nennt  das  Seht  bah  ein  ^gefabeltes  Kraut, ^  es  exislirt  aber 
vi'irklit-h  unter  diesem  Namen  und  die  bolani^cbe  B(;zeichnung  dafür  lautet 
Achillea  ptarinita. 

>)  Vgl.  t,  B.  aus  einer  Münchner  HS.  (XV.  Jahrh.)  bei  DMand.  I.  394  u.  1016. 
—-  Einer  der  fröhlithslen  die>er  Art  ist  der  freilich  eli^na  spätere  Jörg 
Gral'f,  aus  dem  Ries  gebürtig,  er  trat  als  Landsknecht  in  Kaiser  Maximilians 
Kriegsdienste,  bi!$  er,  der  Bruder  aller  Landsknechte,  wegen  einer  Wunde 
aus  dem  Orden  scheiden  musste;  er  lebte  zu  Augsburir,  Nürnberg  und 
Slrassburg,  wo  er  um  1523  gestorben  sein  soll.  Anfänglich  in  volksthüm- 
lichen  Weisen  dichtend,  bequemte  er  siih  später  mehr  tur  Meist ersängerei. 
Vgl.  0.  Schade  im  Weimar.  Jahrb.  IV.  1856.  S.  41^  /f.,  wo  auch  die 
histor.  und  landschaftlichen  Anklänge  erläutert  sind.   Von  ihm  ist  das  flotte: 

Gelobt  sei,  der  sam  ersten  erdacht 
dasz  man  in  der  münz  die  hiller  macht: 
.  er  hitCs  gar  wel  besunnen,  • 

mir  ist  gar  oft  all  meiue  münz 
biss  auf  drei  hiller  zeiruaoen 


574 

nach  alten  geistlichen  "V^^eisen,  JägerKeder,  Zefefieripfüche  ond  Wein- 
segen voll  sprudelnden  Hnmor^  z.B.  die  des  Hans  Rosenpl fit: ^) 

Da  bist  meiner  Zungen  ein^  sftsse  Naschung 
Und  bist  meiner  Kehle  eine  reine  Abwaschung; 
Du  bist  meinem  Herzen  ein  edel  Zufliessen 
Und  meinen  Gliedern  ein  heilsam  Begiessen 
Und  schmeckest  mir  bass  dean  alle  die  Brunnen» 
Die  aus  den  Felsen  je  sein  gerunnen. 
Wenn  ich  kein  Dutten  nie  gemer  gesach» 
Behuf  dich  Gott  vor  St,  Urban«  Plag,  *) 
Und  beschirm*  mich  auch  vor  dem  Sträuchen 
Wenn  ich  die  Stieg*  soll  hinauf  tauchen, 
Dass  ich  aaf  meinen  Füssen  bldb 
Und  fröhlich  heim  geh*  zu  meinem  Weib 
Und  Alles  das  wisse,  was  sie  mich  frag. 
Nu  behfit  dich  Gott  vor  Niederlag! 
Du  seist  hinnen  oder  do  aussen, 
Gesegen  dich  Gott  und  bleib  nicht  lang  aussen« 

odor:    Nun  gesegne  didi  Gott,  du  allerliebster  Trost! 
Du  hast  mich  oft  von  grossem  Durst  erlost 
Und  jagst  mir  alle  meine  Sorge  hinweg. 
Und  machst  mir  a)te  meine  Glieder  keck. 
Denn  do  machst  manchen  Bettler  fröhlich 
Der  alle  Nacht  leit  auf  einem  bösen  StrobUcb«' 
So  machest  du  tanzen  Mfinche  und  Nunnen, 
Die  es  nicht  thäten,  tränken  sie  Brunnen; 
So  machst. du*s  manchem  Handwerksmann, 
Dass  er  in  einem  zerrissenen  Kleid  muds  gan; 
Die  alten  Bauern  in  den  Dorfen 
Deren  hast  du  manchen  in  den  Koth  geworfen 
Wann  sie  sich  nesteln  an  ein  Weinreben: 
Das  sei  dir  Alles  vor  Gott  vergeben, 
Und  ich  geben*  dir  beim  päbstlichen  Bann 
Du  seiest  bei  Frauen  oder  bei  Mann, 
So  komm  herwieder  zu  rechten  Zeiten 
Wenn  ich  den  Mund  oft  in  die  Schwemm*  mvtss  reiten. 


*)  Htupl  Altdeot.  BIfifier.  I  401  (T. 

*)  Sl.  Urban  ist  der  Fatron  der  Winzer  und  der  Weinbauer;  St.  Urbaas 
Plage  die  Trunkenbeti  und  das  Podagra.  Der  Tag  dieses  Heificeo  wurde 
im  J&lsass,  ion  Etschland  and  in  Franken  besonders  gefeierr.  Die  Rfimbergcr 


WS 

Der  Wein  wird  bei  Harpfen,  Geigeo,  Tanzen  ond  Baden  immer 
Tom  Dichter  zu  Gast  geladen,  er  ist  der  Tiöster  der  Pilgram  auf  den 
Wallwegen,  er  ist  der  Tröster  der  Lahmen  nnd  Blinden,  doch  steht 
auch  die  Warnung  dabei:  9,Wer  dein  zuviel  an  die  Ohren  hengt,  der 
hat  sein  Weisheit  aoss  geschenkt.^  Rosenplüts  Zecherwitz  hat  mehr 
von  der  Plauderhaftigkeit  des  alt^  Abu  Seid  als  von  der  Schenken- 
weisheit des  Mirza  Schaffy.  Doch  ist  es  immerhin  lehrreich,  unsere 
Vorfahren  zu  beobachten,  wie  sie  vor  vierhundert  Jahren  hinter  der 
Kanne  sich  gebehrdet  haben  und  dabei  aufthauten: 

Nun  grüsse  dich  Got,  du  lieber  Trunk! 
Ich  war  dir  holt,  da  ich  war  Jungk : 
So  will  ich  im  Alter  nicht  von  dir  weichen; 
Ich  will  dir  Nacht  und  Tag  nachschleichen, 
Und  wo  du  bist,  da  bin  ich  gern. 
Wenn  ich  kann  krawsen  und  Becher  leren 
Und  auch  wol  slawehen  aus  dem  Glas. 
Das  lernt  ich  wol  do  ich  junk  was; 
Doch  dunkt  mich  ich  thu*  im  Alter  auch  Recht. 
Alle  meine  Freunde  haben  dich  nie  verschmeht 
Wann  du  zewhest  an  dich  als  der  manghet. 
Mancher  zu  mittage  zu  dir  get 
Der  kaum  von  dir  kumpt  zu  mittemacht. 
Das  haben  dein  suese  zug  gemacht: 
Und^  wurffest  du  ir  2^hen  des  Nachts  in  das  Kot  emieder, 
•  So  gingen  sie  doch  des  Morgens  alle  gern  hinwider 
Und  suchen  sollich  lieb  und  freuntschafl  zuder  (zu  dir) 
Sam  werest  du  ir  leiplicher  Bruder. 
Alle  Juden,  Heiden  und  Christen,  die  piten 
Duz  Got  beschawem  wolle  und  befrieden 
Den  Stock  und  die  Reben,  daran  xlu  hangest 
Wenn  du  so  lieblich  vor  mir  prangest, 
Wiei  mochte  ich  dir  das  ymmer  versagen. 
Ich  nrosste  dich  herein  giesseu  in  mein  Kragen. 

Ein  anderer  Erguss  der  Hans  Rosenplütlichen  Laune  lautet: 

Nu  gesegen  dich  Gott,  du  edele  Leibsalb! 
Da  ertzneyest  mich  allenthalb, 


hielten  einen  eigeaeD  Unsag  (Abbildung  in  Roth^s  Nfirnb.  Toscbenb.  1812. 
1  233).  wobei  der  ^heilige  Bischof^  auf  eitlem  Schimmel  rili  und  wenn 
es  ao  oem  Tirffe  regwAe^  jedesmal  in  den  dar  St  Lorenskirebe  gegenüber 
befindlicben  Wassertrog  geworfen  wurde. 


&7g 

Wann  da  bist  ein  gesonter  Syropel ! 

Der  Reyser  von  Constantinopel 

Und  der  grosse  Kan  von  Kathey 

Und  der  Priester  Johann,  die  yeicheo  drey: 

Die  mochten  dein  Adel  nicht  vergelten: 

Solt  ich  dich  dann  dorurob  schelten? 

Kein  Hochtzeit  vard  nie  so  gross, 

£ist  du  nicht  darauf,  so  ist  sie  bloss 

An  Freuden  und  an  Frolichkeit. 

Gelobt  sei  der  Stocks  der  dich  do  treyt! 

Man  sagt  von  kühlen  Brunnen  im  Mayen 

Wenn  Mann  und  Frawen  darüber  reyen: 

Kumest  du  nicht  dar  mit  vollen  Flaschen^ 

So  schlägt  alle  Freude  in  die  Aschen! 

Und  wäre  der  Pabst  zu  Tisch  gesessen 

Und  sollte  der  Kaiser  mit  ihm  essen 

Und  hätfen  vor  sich  dreissig  Gericht' 

Noch  war'  es  alles  zumal  vernicht' 

Wenn  du  nicht  gegenwärtig  wärst;  v 

Und  wo  du  meiner  Hülf  begehrst, 

So  müssen  dir  dienen  all'  meine  Glieder: 

Nun  gesegen  dich  Gott  und  kum*  schier  herwieder. 

Wie  früher  Einer  zu  Benedictbeuem  alle  Lieder,  deren  er  habhaft 
werden  konnte,  in  einen  Codex  zusammenschrieb  (vgl.  ob^n  S.  430  die 
cannina  burana),  so  veranstaltete  eine  Frau  zü  Augsburg,-  Namens 
Clara  Hätzlerin,  wahrscheinlich  im  Auftrage  des  Jörg  Roggen- 
burg,') eine  ähnliche  Sammlung  aus  ihrer  Zeit,  die  sie  mit  dem  Jahre 
1471  vollendete.')  Es  ist  ein  starker  Foliant  von  363  Blftttem,  den 
die  Schreiberin  zusammentrug,  die  man  seither  fär  eine  Nonne  hielt, 
die  aber  schwerlich  diesem  Stande  angehört  haben  kann.  Denn  abge- 
sehen davon,  dass  ein  Nönnlein  dergleichen  lustige  und  häufig  auch 
säuische  Lieder  mit  ihrer  Hand  kaum  copiren  würde,  so  wäre  auch  der 
Beisatz  ihres  vollen  Namens  unerklärlich,  da  es  herkömmliche  Sitte 
war  und  ist,    dass  die  Klosterjungfrauen  bd  dem  Eintritt  in  die  6e- 


')  Er  malle  mit  ungesihickten  Federsirirhen  sein  WappeD  hlaetii  und  sduieb 
dazu:  ^llem,  daz  poch  ist  Jörir  Roggenburg,  ^er  esz  hab,  der  bn  jais 
wyder  werden.    Anno  dorn.  1470.^ 

*>  Maob  der  nun  zu  Praff  befindlichen  HS.  heranefegebeB  von  IL  Bailaos. 
Quedlinburg  1810.  (VTlI.  B.  der  BibK  der  ges.  deut  Nai.-LÜ.)  EiM  ihm 
Sanmlnng  ist  in  Münchea,  die  von  der  Prager  HS.  der  Clan  Bitsieria  be- 
deutend abweichi. 


577. 

iflbdä  mit  der  Welt  auch  ihres  früheren  Namens  sich  begeben,  es  müsste 
nm*  eine  ausgespningene  Nonne  gewesen 'sein,  wie  jene,  welche  Helm- 
brechts Haube  sdckte  und  mit  Händearbeit  ihr  Leben  fristete;  dann 
wäre  der  zweideutige  Inhalt  auch  völlig  begreiflich.  ^ 

Das  Bach  oder  vielmehr  die  darin  aufbewahrte  Dichtung,  trägt 
doppelte  Signatur.  Ein  Theil  schleicht  noch  in  den  alten  Geleisen  der 
mittelalterlichen  Poesie  fort,  ist  aber  im  Vergleiche  mit  dersejhen  matt 
und  unerquicklich;  doch  sind  auch  schon  neue  Wege  eingeschlagen,  die 
als  Ausgangspunkte  für  die  Richtungen  der  darauf  folgenden  Zeit  zu 
,  betrachten  sind,  als  die  Keime  der  später  aufblühenden  Blumen. 

Voraus  stehen  die  erzählenden  Minnelieder,  in  welchen   der  Sinn 
Ar  die  äussere  Natur,   für  Liebe  und  die   menschlichen  Empfindungen, 
für    alles   Objective   oft    sehr    prägnant    hervortritt ,    dieses    geschieht 
jedoch  im  Gewände   der  Erzählung,    welche   ebenso   an  dialektischer 
Plauderhaftigkeit  leidet  wie  an  meistersängerischer  Breite  des  laufenden 
Fadens.  Die  Handlung  spielt  sich  mit  handwerksmässiger  Steifheit  ab, 
dazu  kommt  eine  gewisse  Monotonie,  die  namentlich  immer  in  der  Ein- 
leitung empfindlich  ist.     Der  Poet  geht   spazieren  oder  auf  die  Jagd, 
verirrt  sich  in  einen  schönen  Garten  Ojier  in  einen  Wald  und  begegnet 
einer  &belhäft  schönen  Frau,  entzückt  redet  er  sie  an  u.  dgl.  Ein  hüb- 
sches Genrebildchen  ist  das  Folgende:  ')     Als  der  erzählende  Dichter 
einst  aus  der  Kirche  konmat,  blickt  er  zufällig  in  des  Pfarrers  Gemach 
und  gewahrt  da  eine  junge  Frau,  welche  kniend  vor  dem  Pfarrer  beichtet 
Neugierig  horcht  er.     Der  Pfarrer  fragt  die  Frau,   ob  sie  nicht  Buhl- 
schaft treibe  und  als  sie  es  bejaht,  so  ermahnt  er  sie,  selbe  fahren  zu 
lassen,  da  keine  ohne  S^nde  sei.    Allein  sie  erwideit,  dass  die  Liebe 
zu  ihrem  Knaben  keine  Sünde  sein  könne,    da  er  nichts  anderes  ge- 
denke, als  wie  er  ihr  zu  Willen  lebe,  und  sie  züchtig  und  ehrsam  liebe. 
Der  Pfarrer  meint  zwar:   Gott  habe  geboten,   man  solle  Ihn  allein  im 
Herzen  lieben  und  von  weltlicher  Liebe  lassen,  sie  aber  versetzt:  Gott 
habe  auch  geboten,   man  solle  seinen  Nächsten  wie  sich  selbst  lieben, 
also  belehrt  sie  ihn,  wie  die  Liebe  zu  ihrem  Gesellen  sie  beglücke  und 
wie   dieser  wiederum  ihretwegen  nach  Sittsamkeit,    Frömmigkeit  und 
Ehre  strebe.     Die  Ehe  und  Ritterschaft  seien  -die  kräftigsten  Orden, 
ohne  Buhlschaft  würde  es  anders  stehen,  die  Liebe  treibt  den  Geliebten 
zu  Reisen  und  Thaten;    es  stünde  schlimm    um  die  Christenheit  ohne 
Hebende  Ritterschaft.     Der  Priester  erklärt  sich  für   überwunden   und 
ermahnt  sie  zur  Treue;    sie  verspricht  es,  wenn  ihr  der  Geselle  treu 
bleibe,  auf  ewig.     Der  Pfarrer  wundert  sich  darüber,  dass  sie  nach  so 


')  Haltans  S.  115-22. 

37 


.578 

vielen  Lobeserhebangen  an  ihres  Gesellen  Liebe  zweifeln  könne;  sie 
bittet  ihn  um  Vergebung  dieser  Schuld  und  geht  Der  Dichter  aber 
preist  solche  Treue ,  schmäht  auf  die  Klaffer  und  wünscht  den  Beiden 
Glück  und  Freude.  —  Ein  andermal  (S.  143)  fahren  zwei  Frauen  Krieg, 
ob  es  besser  sei,  Liebe  zu  üben  oder  ohne  Liebe  zu  bleiben;  es  ist  ein 
dialektischer  Streit,  den  die  Frau  Minne,  die  Schulmeisterin  der  Liebe, 
angezettelt  hat.  Es  komnlen  nun  allerlei  Verhältnisse,  gereimter  und 
ungereimter  Natur  zur  Sprache,  schwere  casuistische  Fälle  and  symbo- 
lische Fragen,  z.  B.  was  die  verschiedenen  Blätter,  Espen,  Linden  und 

'  Eichenlaub  bedeuten,  Hagedorn  und  Wegweis  u.  s.  w.  Dess^ichen  findet 
sich  die  schon  früher  von  Conrad  von  Wirzburg  bearbeitete  schöne 
,, Herzmäre''  in  einer  neuen  Behandlung.  (S.  173  ff.)  Ein  andermal 
(S.  187  ff.)  wird  der  Wankelrauth  der  Männer  gegeisselt,  aber  auch  von 
4er  untreue  der  Weiber  sind  abschreckende  Beispiele  (wie  ain  muoter 
ir  dochter  pulen  lernet.  S.  305)  gegeben.  Dazu  kommen  idlegorische 
Erzählungen,  in  denen  sich  mehr  oder  minder  glücklich,  der  Eäaflnss 
der  kliassischen  Literatur  verspüren  lässt,  Frau  Venus  und  ihr  ganzes 
Hofgeschwader  tritt  zu  Tage  und  wandelt  personi&cirt  in  der  Welt  um- 
her, den  Menschen  unter'  verschiedenen  Umständen,  im  Traume,  auf  der 
Jagd,  auf  Spaziergängen  erscheinend.  Alles  meist  mit  armseliger  Er- 
findung. 

Ohne  Vergleich  erquicklicher  ist  das  eigendiche  Liebe 8-Li«d, 
das  in  der  Handschrift  den  zweiten  Theil  bildet,  vom  Herausgeber  aber 
voraus  gesetzt  wurde.  Der  grössere  Theil  hat  noch  alle  Gegenstände 
mit  dem  Minnegesang  des  XIH.  Jahrhunderts  gemein.  Der  Singende 
erfreut  sich  noch,  wie  früher,  der  Natur,  des  Frühlings  und  besonders 
des  Maien,  des  Sommers  und  des  Herbstes,  der  rothen  Blnnien,  de« 
Thaues,  des  grünen  Angers  und  des  Waldes;  es  gibt  nodi  Tage*  und 
Wächterlieder^  der  Sänger  buhlt  noch  um  die  Gunst  seiner  Angebete- 
ten, schildert  mit  überflüssiger  Wählerei  ihre  inneren  nnd  äusseren  Vor- 
züge und  Reize,  preist  seine  ]]|ienstleistungen,  seine  Treue,  seinen  Eifer 
an,  wagt  aber  nicht  den  Namen  der  Gefeierten  kund  zu  thun,  f&rditet 

'den  Tag  und  die  bösen  Klaffer,  beschwört  sie  nur  um  eine  kleine  Huld, 
um  einen  Blick,  um  eine  Umarmung  ihrer  schneeweissen  Hände  und 
auch  um  mehr,  damit  sein  Herzeleid  für  lange  Zeit  Beruhigung,  er 
selbst  Kraft  zur  Beharrlichkeit  in  seiner  Liebe  fände.  Die  Lieder  sind 
sinnlicher,  nackter  und  freier  geworden,  ebenso  wie  die  Sprache  an  Be- 
weglichkeit und  die  Phantasie  an  Ausdehnung  zugenommen  hat,  das 
feinste,  zarteste  und  gröbste  liegt  nahe  beisammen,  die  früher  conven- 
tionelle  höfische  Sprache  ist  zu  einer  Redensart  verschliffen,  herabge- 
kommen und  gemein  geworden,  darum  verlautet  manches  viel  platter, 


579 

• 

wie  denn  statt  des  ininniglichen  Firlefanzes  die  ^buhlende  Liebe.^  und 
^Buhlerei^  sich  gefunden  hat.  Ueberraschend  ist  die  Fülle  der  Tage- 
und  Wächterlieder,  die  bis  in  die  gewöhnlichste  Gemeinheit  hemieder- 
steigen;  desto  kräftiger  reagirt  dagegen  das  eigentliche  Volkslied, 
das  mit  brunnenklarer  Lauterkeit  wie  ein  muthwilliges  Wässerlein  durch 
das  lustige  Grün  geschwätzig  dahinplätschert ,  indess  das  ganze  Erbe 
des  Mittelalters  nur  durch  künstliches  Druckwerk  in  Bewegung  erhalten 
wird.  — 

Natürlich  finden  sich  in  der  Sammlung  der  Klara  Hätzlerin  viele 
Gedichte  von  bekannten  Sängern,  häufig  mit  dem  Beisatz  ihres  Namens; 
merkwürdiger  Weise'  sogar  aus  der  Blüthezeit  der  Lyrik ;  so  hatten  sich 
einige  Marienlieder  des  frommen  Mönchs  von  Salzburg  bis  auf  diese 
Zeit  Jierab  erhalten  (S.  257  u.  302),  Sprüche  des  Freidank  und  das 
Fresslied  Neidharts  (S.  69),  obgleich  in  etwas  zeitgemässerer  Weise 
mit  modemisirtem  Texte;  daneben  zwei  Sprüche  von  dem  österreichi- 
schen Teichner,  von  Peter  Suchenwirt,  von  dem  unstäten  Fah- 
renden Suchensinne,  den  wir  bereits  oben  (S. 560 ff.)  begegneten,  vom 
Meistersänger  Muscablüt,  vom  tiroler  Eulenspiegel  aller  Ritterlich- 
keit, dem  weitgereisten  Grafen  Oswald  von  Wolkenstein,  femer 
von  Hermann  von  Saöhsenheim,  Hans  Rosenplüt  und  dem 
sonst  weiter  unbekannten  Jörg  Schilcher  und  Kalten pach  (S.  283). 
Das  Liederbuch  der  Klara  Hätzlerin  ist  also  eine  Art  lyrische  Antho- 
logie')  und  gibt  einen  Einblick  in  die  ihr  erreichbare  Literatur  und  in 
den  Geschmack  jenes  Herren,  in  dessen  Auftrag  sie  den  Codex  zusam- 
menschrieb. Auch  die  Sittensprüche  des  sogenannten  Cato  und  einige 
Spruchweisheit  des  Freidank  liaben  hier  Platz  gefunden,  dazu  eine 
niedliche  Sammlung  von  Sprüchen  und  P riamein.  ^)  Den  leeren 
Rand  der  Blätter  aber  benützte  die  Schreiberin,  um  epigrammati- 
sche Denkreime  einzutragen,  von  denen  je  zwei  meist  so  zusammen- 


')  Andere  lehrreiche  Sammlungen  dieser  Art  sind  dieWirzburffer  Hand- 
schrift, heschrieben  von  Rottmann  in  Ast:  Zeitschrift  f.  Wissenschaft 
n.  Kunst  Landshut  1806.  I.  B.  4.  Hft.  S.  94-98;  in  Hagen'sllS.  IV.  901  ff. 
und  in  dessen  Ges.  Abent  III.  765  —  770,  dessgleicben  von  Dr.  Ruiand. 
Ferner  die  aus  dem  Anfange  des  XVI.  Jahrb.  stammende  Papierbandschrift 
auf  der  Regensburger  Stadthibliotbek  (vergt.  Mone  Anzei^r  VII. 
493  ff.  Ha^en  Ges.  Abent.  III.  794  fT.)  und  die  Heidelberger  Lieder- 
handschrift,  welche  1516  zu  Augsburg  entstand. 

^)  z.  B.  No:  du  solt  sein,  ob  dem  tisch  ain  adler,  vf  dem  veld  ain  leo,  vf  der 
gassen  ain  pfaw^  in  der  kirchen  ain  lamb,  in  dem  pett  ain  äff!  —  oder: 
Ain  zäun  wert  drey  jar,  ain  hund  wert  drey  zäun,  ain  pferd  drey  hund,  ain 
mensch  wert  drey  pferd^  ain  esel  drey  menschen,  ain  schneeffans  drey  esel, 
•in  kraw  drey  genns,  ain  hirsz  drey  krawen,  ain  aich  drey  nirsz,  ain  hel- 
fant  wert  drey  aichen.  —  Eine  Unzahl  Priameln  finden  sich  in  einer 
Münchner  Handschrift:  die  Anfänge  verzeichnet  bei  Keller  Fastnachtspiele 
III.  1162  ff. 

3r» 


580 

Stehen,  däss  Lob  und  Tadel,  der  letztere  oft  ziemlich  schinatzig,  ein- 
ander gegenübergesetzt  sind.   — 

Walther  von  d^r  Vogelweide  und  Reimar  von  Zweter  waren  die 
ersten  politischen  Dichter,  die  mit  unerschütterlicher  Freimüthigkeit 
ihrem  edlen  Zorne  in  kunstvollen  Sprüchen  und  Strophen  Luft  machten. 
In  derselben  Weise  ging  auch  der  Volksgesang ,  welcher  in  seiner  epi- 
schen Vorschule  immerdar  nur  von  edlen  Fürsten  und  Heroen  der  Vor- 
zeit gesungen  hatte,  bald  auf  den  geschichtlichen  Boden  der  Gegenwart 
über  und  es  entstand  das  historische  Volkslied,  dem  auch  als- 
bald das  politische  Lied  folgte.  So  wie  die  Sage  zur  Geschichte 
sich  verhält ,  so  steht  auch  das  Volkslied,  was  Thatsachen  betriflt, 
ohne  Zweifel  hinter  der  Urkunde  zurück;  aber  das  Lied  gibt,  was  die 
Urkunde  viel  weniger  kann,  das  Licht  oder  den  Schatten  an,  in  welchem 
siclf  Personen  und  Handlungen  in  der  Meinung  der  Mitlebenden  abge- 
spiegelt haben.')  Und  welch  eine  Macht  die  Meinung  sei,  und  wie  sie 
viel  öfter  die  Mutter  als  die  Tochter  der  That  sei ,  das  lehrt  fort  und 
fort  die  Geschichte.  Das  regelrechte  poetische  Verdienst  wird  bei 
solchen  Producten  natürlich  immer  weit  zurückstehen.  Eines  der  älte- 
sten ist  das  Lied  von  den  beiden  Heinrichen.  ')  Den  Inhalt 
bildet  der  Empfang  der  beiden  Heinriche  oe^  Kaiser  Otto  L  und  eine 
nach  dem  Gottesdienste  folgende  Berathung  Otto*s  mit  Heinrich  von 
Bayern.  Ueber  das  Geschichtliche  haben  sich  Grimm  und  Docen*) 
verbreitet,  das  Formelle  daran  zeigt,  dass  die  Dichtung  sich  kaum  aos 
den  Eierschalen  der  Latinität  befreit  hat,  denn  die  erste  Hälft«  der  Lang- 
zeile ist  immer  in  lateinischer  Sprache  abgefasst.  Später  kommt  das 
SpotXlied  auf  K.  Ludwig  den  Bayer.  Es  enthält  136  Verse  und 
stammt  aus  den  Jahren  1334 — 40;  der  verunglückte  Anschlag,  welchen 
Kaiser  Ludwigs  Feldhauptmann ,  der  Graf  Rudolf  von  Hohenbnrg,  anf 
die  Stadt  Feldkirch  machte,  bot  die  Veranlassung  dazu.  Das  Gedicht 
ist  aber  für  uns  nur  in  so  ferne  von  Belang,  als  der  Sänger,  der  offen- 
bar  bei  Feldkirch  zu  Hause  war,  die  Münchner  Frauen  spöttelnd  be- 
klagt, weil  ihre  Männer  in  das  Feld  ziehen  sollten  (v.  99);  sonst  hat 
der  Spruch  für  uns  keine  Bedeutung.^)     Daran  reiht  sich  der  Spruch 


')  Vgl.  Schineller  in  der  Einleitung  zu  Körners  histor.  VoTksliedern.  1810. 

^)  Nach  Wackernagels  Herstellung  in  HofTmaons  Fundgruben.   I.  340. 

')  Docen  in  Homayr's  Archiv.  1823.  S.  532:  Hertog  Heinrich  L  voo  Bayern. 
Sohn  Kaiser  Heinrichs  des  Vogelstellers,  lebte  mit  seinem  älteren  Bruder 
Kaiser  Ollo  längere  Zeit  in  Unmeden,  bis  Beide  auf  Bitten  ihrer  Mntler,  der 
Irerflicben  Mathilde;  wieder  ausgesöhnt  wurden;  Heinrich  erhielt  durch  de« 
Kaiser,  nach  Herzog  Bertholds  Tode^  im  Jahre  947  das  Herzogthnin  Bayern 
und  starb  nach  einer  unruhigen  Regierung  952, 

4)  Lassberg  Leidersaal.  1825.  HL  121-24. 


^1 

von  der  AH  in  ger  seh  lacht  1422')  upd  das  Lied  von  der  Belage- 
rung Bambergs  1435,  ')  dessen  Dichter  sich  einen  Hoffer  nennt, 
der  am  ein  Gewand  bittet. 

Hieher  gehören  auch  die  Lieder  von  Tanhauser  und  Brennen- 
berger,  welche  bereits  oben  ihre  Würdigung  erfuhren,  ferner  vom 
Jadenmord  zu  Deggendorf  1337,')  vom  edlen  Möringer,'*)  vom 
verwegenen  Stegreifritter  Eppele  von  Gailingen  (+  1386)  und  von 
dessen  mythischem  Spruöge  über  den  Main,  zu  Wirzburg  oder  von  der 
Nürnberger  Stadtmauer,*)  sein  Rösslein  ist  ein  Wanschpferd  und  die 
letzte  Metamorphose  oder  Incarnation  des  göttlichen  Sleipnir;  hieher 
gehören  der  Nürnberger  Schüttensa  nie  n*)  und  die  Klage  über  das 
unglückliche  Ende  der  schönen  Agne*s  Bernauer')  u.  s.  w. 

Das  eigentliche  politische  Lied  beginnt  mit  dem  Krieg  der 
Fürsten  und  Städte  (1450)-/)  der  Oichter  sagt:  der  Böse  habe 
den  Samen  der  Zwietracht  ausgesäet,  die  hochfärtigen  Stande  vertreiben 
den  Adel  und  feinden  die  Geistlichkeit  an ;  sie  nennen  sich  das  römi- 
sche Reich  und  wären  doch  nur  Bauern,  welche  hinter  der  Thüre  stehen 
müssten,  sobald  die  Fürsten  hervorträten.  Trompeten  und  Pfeifen  habe 
ihnen  König  Sigismund  erlaubt,  welche  doch  nur  dem  Adel  zukämen 
und  Bürger  und  Bauern  übermüthig  gemacht  hätten.  Jetzt,  fährt  er 
fort,  trügen  sie  Mardei-pelze ,  früher  hätten  sie  noch  mit  Fuchspelzen 
vorlieb  genommen,  damads  hätten  sie  auch  stinkende  Stiefel  gehabt. 
Aach  ihre  Weiber  tragen  gleich  den  adeligen  Frauen  mit  Hermelin  ver- 
brämte Kleider.  Klöster  and  Kirchen  haben  sie  geplündert  and  zer- 
stört, selbst  das  hl.  Sacrament  haben  sie  nicht  verschont.  Am  ärgsten 
geschah  dieses  im  Böhmerland ;  Michel  Behaim  und  der  RosenplüU 
welche  als  Augenzeuge  dabei  waren,  können  davon  erzählen.  Nachdem 


')  Hormayr  Taschenb.  1832.  S.  125 

')  Heller  Die  Altenburg  bei  Bamberg.  1828.  S.  131. 

^)  Hormayr  Tasehenb.  1832.  S.  145.  Körner.  1840.  S.  227.  Schels  in  den 
Verhandl.  des  bist.  Vereins  von  Niederbayern.  VI.  243  ff. 

4)  Grimm  Deut.  Sagen.  H.  253  ff.   (Jhland  Nro.  298. 

*^)  Hormayr  Archiv.  1831.  S.  445.  Heller  Muggendorf  und  Umgebung.  1829. 
S.  178.  Körner  S.  195  ff.  Uhland  I.  1014.  Gödeke  Grundrias.  S.  258 
u.  269.  Den  Sprung  zu  Wirzburg  besingt  der  eekrönte  Dichter  Ma^.  J  ob. 
Lorieb  von  Hadamar.,  welcher  im  Gefolge  des  Landgrafen  Philipp  des 
Grossmüthigen  von  Hessen  1541  die  Stadt  Wirzburg  passirte;  er  sah  das 
angeblich  zur  Erinnerung  gesetzte* Steinkreuz,  ebenso  der  Reimacb mied  Job. 
Episcopius  1569. 

«)  Uhland  I.  315. 

*)  Vgl  Hobeneicher  in  der  Eos.  1825.  Nro.  123. 

")  Hormayr  Archiv.  1832.  S.  27.  Taschenbuch.  1832.  S   24  ff.«u.  im  Lieder« 
buch  der  HäUlerifl,  Haltens  S.  39—41.   (Uhland  Nro,  166.) 


588 

in  dem  obengenannten  Gedicht,  die  Fürsten ,  welche  för  den  Glauben 
gegen  die  Städte  das  Schwert  zogen,  aufgezählt  sind,  kommt  folgender 
Vers  (V.  85—90) : 

Augspnrg  hat  ain  weisen  rat! 
Das  brüfb  man  an  ir  kecken  tat 
Mit  singen,  tichten  und  claffen. 
Sy  band  gemacht  ain  sing  schul 
Vnd  setzen  oben  uf  den  stul 
Wer  übel  redt  von  pfaffen. 

Die  Meisterschulen  zu  Augsburg  und  Nürnberg  entstanden  im  XV. 
Jahrhundert  Das  Gedicht  scheint  von  einem  Geistlichen  herzurühren, 
dem  es  ein  grosses  Herzeleid  ist,  dass  die  Bürger,  welche  er  Bauern 
schimpft,  über  den  Adel  obsiegen,  wesshalb  er  auch  am  Schlüsse  deren 
Verderben  wünscht: 

Gelück  bestand  dem  adel  bey, 
verpewt  den  pawern  ir  geschray! 
wünsch  ich  von  ganzem  herzen, 
daz  sy  sich  vor  dem-  adel  schmiegen 
vnd  nicht  gewynnen  an  den  kriegen 
dann  rew,  laid  vnd  schmerzen. 

Die  Gedichte  im  Liederbuch  der  Hätzlerin  fallen  in  die  Zeit  der 
Kaiser  Karl  FV.  bis  Friedrich  III.  oder  bayerisch  gesprochen,  von  Herzog 
Johann  (t  1397)  bis  Albrecht  IV.  (t  1508).  Die  Democratie  erhielt 
bereits  1349  in  Nürnberg  durch  Geissbart  und  Pfauentritt  und 
in  Augsburg  nach  dem  Misslingen  von  1303  in  den  Jahren  1352  und 
1368  durch  den  witzigen  Weber  Johannes  Weiss  die  Oberhand. 
Obschon  Karl  IV.  die  alten  Geschlechter  wieder  einsetzte,  sassen  doch 
nach  wenigen  Jahren  die  Handwerker  abermal  im  Rathe.  Es  gährte 
überall  furchtbar;  noch  kläglidier  gestalteten  sich  die  Verhältnisse  unter 
dem  (1400  abgesetzten)  K.  Wenzel.  Ritter  und  Städte  lagen  in  offener, 
blutiger  Fehde;  die  Städte  waren  zum  Selbstbewusstsein  ihrer  Kräfte 
gelangt  und  schlössen  Bündnisse,  ebenso  der  Adel  (Löwenbund).  Ueber* 
lUl  Gährung  und  Unruhe;  in  Bayern  die  blutigen  Händel  Caspar  des 
Torringers  mit  Herzog  Heinrich. 

Bürger  und  Bauern  hatten  sich  auf  Kosten  des  Adels  gehoben, 
hatten  den  Handel  an  sich  gebracht,  hatten  Reichthümer  aufgehäuft, 
einen  Glanz,  eine  Kraft,  einen  Stolz  entfaltet,  welche  den  Adel  zu 
Neid ,  Feindschaft  und  entnervenden  Kämpfen  verleiteten.  0     Je  Q^hr 


0  Vgl.  dM  Gedieht  Ritler  and  Bauer  in  Docens  Mfscetf.  1807.  11.  9tt  a. 


m 

m 

der  Adel  mit  den  Fürsten  im  Bunde  die  Bürger  za  demütlrigen  sachte, 
je  mehr  er  sich  bei  seinem  Versinken  in  Armuth  nnd  Hilflosigkeit  auf 
Oewalt,  Raab  und  Plündening  legte:  desto  kräftiger  rührten  sich  die 
Bürger,  desto  selbständiger  kämpften  sie  hinter  ihren  eigenen  Mauern 
auf  eigene  Faast  für  ihre  Freiheit  and  ihr  Recht 

Wir  haben  oben  in  der  merkwürdigen  Aeusserung  über  die  Augs- 
burger Singschule  einen  clericalen  Schmerzensschrei  vernommen,  es  ist 
vielleicht  gut,  im  Gegensatze  dazu  die  Singschule  selbstredend  einzu- 
führen, wie  sie  sich  im  Jahre  1449  äusserte: 

Die  arm  gemain  die  waist  nit,  was  sie  tut, 
vergeust  des  kriegs  unschuldiglich  ir  plut, 
ich  bitt  dich,  herr,  hab  uns  in  demer  hut! 
wann  die  häupter,  die  cristenhait  regiem 
und  die  den  haiigen  glauben  solten  ziem, 
die  sieht  man  in  dem  krieg  den  raien  fürn: 
bischof  von  Menz  der  fürt  den  raien  vor, 
ich  lobt  es  bass,  sung  er  daheim  im  kor 
and  lugte,  daas  er  gieng  das  recht  gespor. 
Der  bischof  von  Babenberg  tanzt  im  nach, 
bischof.  von  Aistett  springt  den  raien  auch, 
dem  almusen  ist  zkriegen  worden  gach; 
vil  haüger  vätter  haben  den  glaaben  gmert 
und  haben  gross  volk  zum  Christenglauben  kert: 
der  glaub  durch  sie  wirt  widerumb  zerstört, 
o  herre  gott!  das  laid  tu  ich  dir  klagen, 
ich  hab  gehört  man  vinds  durch  die  weissagen: 
es  kum  darzu  dass  p&ffen  werden  ersehlagen! 

Als  im  Beginn  des  Xm.  Jahrh.  die  Sitte  aufkam,  dass  man  für 
die  Spendung  der  heiligen  Sacramente  bestimmte  Taxen  entrichten 
sollte,  damit  der  arme  Clerus  seine  Abgaben  nach  Rom  leichter  be- 
streiten könne :  da  hatte  Walther  mit  heiligem  Zommuthe  seine  Stinune 
erhoben  und  die  armen  Bettelorden  hatten  sich  zuerst  auf  die  Seite  der 
unruhigen  Köpfe  gestellt  und  die  „Wohlthaten  Gottes**  ohne  „Pfennige'' 
gespendet.  Bald  aber  wurden  auch  diese  Democraten  des  Christenthums 
in   den   allgemeinen  Strudel    gerissen  und   gaben    sich    den  weltlichen 


bei  Uhltnd  I.  Nro.  133.  Dazu  das  Treiben  des  Ulrich  Schwarz  in 
Augsburg,  der  sich  Öfters  zur  Wfirde  des  Börffermeisters  schwindelte,  bis 
er  1478  darch  den  Strang  gerichtel  wurde.  Vffl.  das  Lied  auf  den  durch 
Hm  1477  gemordeten  Hanns  Yittel,  mitgetheill  von  Massmann  in  den 
Bayr.  Annalen.  1833.  S.  1140. 


684 

• 

Interessen  der  anderen,  vomehmen  Orden  bin.  Zwar  war  die  ^udoqh 
stische  Neuerung  bald  wieder  unterdrückt  worden,  der  Klerus  aber  hatte 
die  Welt  nun  einmal  lieber  gewonnen,  als  das  Gottesreidi  und  die 
adeligen  Bischöfe  trieben  ritterliches  Spiel  und  Waidwerk  um  die  Welle 
mit  der  verkommenem  Busohklepperschaft.  Wie  tief  die  ^Pfaflfheit"  her- 
abgekommen war,  zeigt  ein  einziges  Exempel.  Als  Herzog  Albrecht  III., 
dieser  wahrhaft  fromme  Herr,  die  verweltlichten  Klöster  reformiren  und 
desshalb  den  ausj^ezeichneten  Abt  Konrad  V.  mit  dem  Zunamen  der 
Ayernschmalz ,  von  Tegernsee  nach  Mönchen  kommen  Hess  (1448),*) 
waren  in  einer  Nacht  die  Augustinerherren  ans  Angst  vor  dem  braven 
Visitator  aus  ihrem  Kloster  verschwunden  und  binnen  drei  Tagen  aus 
der  Stadt,  ns^h  Augsburg  und  Ulm  entflohen,  so  dass  der  stattliche 
Klosterbau  völlig  verlassen  stand.  Durch  Herzog  Albrechts  Bemühungen 
und  seinen  redlichen  Willen  kam  allgemach  wieder  eine  bessere  ^Pfaff- 
heit^  zu  Stande,  wo  aber  sein  Arm  nicht  hinreichte,  da  Wucherte  das 
Unwesen  ärger  denn  je,  und  Ulrich  Wiest  sang  in  seiner  verlästerten 
Singschule  zu  Augsburg  im  J.  1449  mit  Recht: 

Den  gaistlichen  ist  almusen  nit  gegeben, 
dass  si  der  cristenhait  söln  widerstreben, 
si  ftiren  uaordentlioben  ir  leben: 
das  almusen  tumieret  nnde  stichst, 
das  almusen  das  hadert  unde  ficht, 
das  almuaen  treibt  alle  nngeschioht. 
Das  almusen  das  ludert  unde  spilt, 
das  alnmsen  das  raubet  unde  atilt, 
das  almusen  kainer  büberei  bevilt, 
das  ahnasen  hovieret  nnde  singt, 
das  almusen  alle  unrecht  verbringt, 
das  almusen  das  jaget  und  baist  (beizt) 
das  almusen  das  krieget  unde  raist, 
das  almusen  wittwen  und  waisen  naist. 
Das  almusen  die  beste  pferte  reit, 
das  almusen  die  lindeste  bette  leit, 
es  hat  den  grössten  woUust  in  der  zeit, 
das  almusen  das  tregt  die  besten  wat, 
das  almusen  die  beste  klaiuet  hat, 
ich  kan  nit  vinden  wa  es  gschriben  stat; 


')  BurghoUer  Beschreibung  von  München.  1796.  S.  212.    Westen  rieder 
Beitrage.  V.  38  ff. 


•    _M6 

das  almoaen  das  jseucht  die  zftrtate  leib, 

das  almoseu  das  pfligt  der  schönsten  weib, 

ich  roain  dass's  kain  lerer  znm  rechten  schreib  etc. 

Unter  dem  Almosen  sind  nicht  allein  die  Bettel orden  verstanden, 
sondern  auch  die  zahllosen  Wohlthätigkeitsanstalten ,  die  neben  den 
Rlöstem  der  allgemeinen  Noth  steuern  sollten  und  derselben  höchst 
hilfreich  unter  die  Arme  griffen,  auch  die  Anzahl  der  angeblichen  Arrauth 
und  wirklich  Nothdörfligeu  so  segensreich  vermehrten,  dass  ein  schreck- 
liches Proletariat  und  eine  unabsehbare  Landplage  entstand.  Die  Ge- 
schichte der  Wohlthätigkeitsanstalten  einer  einzigen  Stadt,  z.  B.  von 
Straubing,  ')  gibt  hierin  einen  wahrhaft  erschrecklidie9  Einblick:  die 
Armnth  und  der  Uebermuth  wurde  nur  gefüttert  und  grossgezogen.  Erst 
die  neuere  Zeit  wusste  dieser  brennenden  Frage  von  ftirehterlicher 
Tragweite  eine  neue  Behandlungsweise  abzugewinnen. 

Alle  Fragen  der  Zeit  laufen  in  Rosenplüts  Sprüchen  zusammen, 
er  ist  der  beste  Repräsentant  aller  damaligen  Bewegungen.  Er  hatte 
den  Zug  des  Reichsheeres  gegen  die  Hussiten  mitgemacht  und  schildert 
die  unglückliche  Niederlage  und  schmähliche  Flucht  von  T  ach  au  und 
Tauss  (14.  August  1431)  als  Augenzeuge.')  Es  klingt  wie  Ironie, 
Wenn  er  die  verbündeten  Fürsten  vorerst  prahlerisch  unter  sich  reden 
lässt,  wie  sie  der  Husserey  zu  Leibe  gehen  wollten  und  wie  sie  dann 
beim  Anblick  der  Feinde  allen  Muth  vertieren  und  in  kopfloser  Eile  ihre 
Rettung  suchen.  Am  schönsten  lässt  er  den  Herzog  Albrecht  von 
Bayern,  den  Bischof  von  Franken  und  Wirzburg  sprechen;  mit  einem 
Gebet  för  die  vielen  Erschlagenen  endet  er  dann  sein  ^ Gedicht.^  Noch 
schärfer  ist  der  andere  „Spruch  von  Beheim,"*)  der  auf  das  Bit- 
terste die  Uneinigkeit  der  ausgezogenen  Fürsten  tadelt,  die  alle  vorerst' 
in  Ruhmredigkeit  sich  ergingen,  die  zu  erobernden  Städte  im  voraus 
unter  sich  theilten  und  beim  Anzüge  der  Hussiten  immer  gleich  Fersen- 
geld gaben: 

Do  wurden  die  forsten  alle  zu  toren 

Vnd  fluchen  ee  sie  ye  kein  veinde  gesahen; 

Solt  got  das  nicht  von  in  versmahen 


')  VgL  G.  Kolb.  Straubing  1858.  Die  Stadt  Mürnher^  hatte  1467  wie  Ro- 
senplöt  in  seinem  Spruch  beschreibt,  fünf  Almosen;  in  München  gab  es 
anch  ein  reiches  Almosen;  Über  das  damalige  Beftelwesen  ^ibt  das  über 
Vagatorum,  Augsburg  1509  und  Hoffmann  von  Fallersieben  im  Weimarer 
Jabrb.  1856.  IV.  65  ff.  sehr  lehrreiche  Aufschlösse, 

*)  Znm  erstenmale  gedruckt  aus  der  Dresdner  HS.  in  Jordan:  Pas  Königthum 
Georgs  von  Podebrad.  Leipzig  1861.  8.  414—21. 

•)  Ebenda».  8.  421-27. 


59»         * 

Vnd  waren  doch  alle  durieh  g ot  aaskatnen, 

Ynd  suchten  dannoch  nur  ireh  fmmen 

Wie  yeder  mocht  seinen  peutel  füllen. 

Daramb  wir  got  bitten  sullen 

Dass  er  der  cristenheit  donunb  nicht  plag 

Dass  manig  fbrst  so  schentlich  flag 

Die  alle  treulose  wurden  an  got 

Dass  die  Bussen  aus  in  triben  iren  spot 

Dass  got  mocht  getrauert  haben  vnd  der  engel. 

Er  habe  manch  freien  Fussgänger  gesehen,  der  gerne  sein  Leben 
gewagt  hätte,  hätte  man  ihm  nur  Erlaub  gegeben.  Er  wollte  gerne  deo 
Fürsten  ihr  Lob  geben,  doch  habe  er  Keinen  gesehen,  der  solches 
Verdiente: 

Denn  ist  das  nicht  eine  grosse  Schand: 
Dass  Alle  zogen  aus  dem  Land 
Eh'  sie  ein  Schloss  oder  Stadt  gewonnen? 
Ich  förcht',  sie  haben  einen  Faden  gesponnen 
Daran  hängt  Jammer  und  Herzeleid. 

Mit  einem  Stossseufzer  an  die  reine  Mutter  und  Maid  Maria,  dau 
wir  nicht  im  unrechteq  Glauben  ertrinken  und  dass  der  ewige  Vater 
mt  semer  himmlischen  Massenie  helfe,  schliesst  der  tiefbekümmerU 
Dichter, 

Ein  anderer  späterer  Spruch  behandelt  den  Kri^  der  Fanten, 
Städte  und  Bürger  unter  sich.')  Er  beschreibt  den  Zug  der  Stadt  NöriH 
borg  und  ihren  Sieg  über  den  Markgrafen  Alln'echt  Achilles,  der  eher 
den  Beinamen  eines  wilpes  Germaniae  als  den  des  edlen  und  offenes 
Achill  verdiente.  Der  diesem  Fürsten  gegebene  Beiname  und  eine  ge- 
wisse ritterliche  Tüchtigkeit  haben  ihn  zwar  mit  einem  glänzendes 
Nimbus  umstrahlt,  der  gegen  seine  nicht  wenigen  Schattenseiten  lange 
verblendete,  bis  ihn  neuere  Forschungen  jenes  fabelhaften  Scheines 
entkleideten,')  den  nur  die  markgräflich  brandenburgi^chen  Scribenten 
um  ihn  gehüllt  hatten. 

Die  Veranlassung  zu  diesem  Stadtfehdezug  war  beiläufig  folgende: 
Die  Erwerbung  der  Brandenburger  Mark  hatte  den  Burggrafen  von  Nürn- 
berg schweres  Geld  gekostet  und  sie  zum  Verkaufe  der  burggrSflicheD 
Rechte  und  Besitzungen  geneigt  gemacht.  Als  es  dann  dem  Burggrafen 


')  Von   Nürnberger  Rayss.     Ein   Programm   fon   Locbser.    Nttraberf 
1819.   4». 

*)  Vgl.  Höfler  in  s.  Einleitung  zu  Eybs  Denkwördigkeiteo.  1840. 


587 

Hanns  geschah,  dass  ihm  der  bayerische  PjSeger  tu  Lanf,  Christoph 
Leininger  seine  Bnrg  verbrannte,  worüber  der  Bnrggrafe  sich  so  grämte, 
dass  er  noch  in  demselben  Jahre  verstarb  (1419),  so  beschloss  sein 
Bmder,  der  Markgrafe  Albrecht,  Burg  und  Gerechtsame  an  die  Stadt 
NQmberg  zu  verkaufen,  was  am  27.  Juni  1427  om  120^000  Galden  zn 
Stande  kam.  Später  gereute  den  Markgrafen  wieder  der  Handel  and  er 
beschloss,  die  Stadt  mit  Waffengewalt  dahin  zu  bringen,  dass  der  Kauf 
rückgängig  und  Nürnberg  zu  einer  markgräflioh  brandenburgischen 
Landstadt  gemacht  würde.  Desshalb  wurde  die  ganze  Madit  des  hohen- 
zoUerischen  Hauses  im  Frankenland,  die  ganze  Verwandtschaft  und 
Freundschaft;  der  ganze  Adel  Frankens,')  viele  am  Rheine  und  in 
Schwaben  aufgeboten,  die  der  Stadt  absagten,  mit  Ausnahme  des  Herzog 
Albrecht  von  Bayern,  der  nach  dem  Tode  der  Agnes  Bernauer  mit  der 
Prinzessin  Anna  von  Braunschweig  sich  schnell  vermählt  hatte.  Dagegen 
war  Herzog  Otto,  der  Sohn  Kaisef*  Ruprechts,  der  in  Mosbach  hauste, 
auf  der  Seite  des  Markgrafen.  Letzterer  zog  aber,  als  es  zum  Treffen  kam, 
sehr  bedeutend  den  Kürzeren,  indem  er  von  der  wohlgerüsteten  Stadt  ge- 
schlagen wurde.  So  viel  genügt  als  historische  Introduction,  um  unseren 
Dichter  nun  reden  zu  lassen.  Dieser  ruft  zuerst  Gottes  friedreiche  Gnade 
an.  Er  wolle  seiner  Erbarmung  Wolke  rieseln  lassen  und  seines  Zornes 
Hagel  von  der  unfriedlichen  Welt  abwenden  und  das  heilige  Reich  hand- 
haben, dass  es  nicht  unterdrückt  werde,  sondern  bei  dem  Rechten 
bleibe.  Der  Adel  sei  zwar  eine  scharfe  Ruthe,  die  sie  um  ihrer  Sünden 
willen  strafe,  doch  sollten  nur  die  Bürger  zusammenhalten,  so  könnten 
sie  wohl  noch  gewinnen.  Das  dabei  gebrauchte  Gleichniss  ist  von  der 
damals  üblichen  Art,  die  Augen  der  Würfbl  oder  Karten  zu  zählen, 
hergenommen:  möge  nur  Taus  Es  (der  niedere  Bürgerstand)  sieh  an 
Kotter  drei  (den  höheren  Bürger-  oder  Mittelstand)  fest  anhalten,  so 
können  sie  doch  gegen  Ses  Zink  (den  Adel  und  die  Fürsten)  das 
Spiel  gewinnen. ')  Gott  blicke  doch  immer  von  den  Zinnen  seiner  Gruade 
herab,  halte  das  Schiff  der  Frommen  vom  Ertrinken  zurück  und  sei 
ewig  barmherzig  gegen    die  von  ihrem  Unrecht  Zurückkehrenden,  am 


')  Der  bei  Gelegenheit  des  Turniers  oder  Gesellenstechens  sm  28.  Februar 
1446  voo  der  Stadt  entfaltete  Prunk  mochte  den  heimlich  lodernden  Grimm 
des  Landadels  nicht  wenig  angefacht  haben,  so  dass  dieser  später  zur  De- 
müthigung  der  Stadt  gerne  die  Hände  bot. 

')  Es,  Daus,  Drey,  Rätter  oder  Guater,  Zinck,  Ses  ist  aus  dem  Fran- 
tösischeo  verkauderwelscht.  £«  ist  das  frans.  As,  Daus  (denx)  die  Zwei 
im  Würfel  und  auch  in  der  deutschen  Karte;  figürlich  bedeutet  Daus  Es 
das  gemeine  Volk,  Quater  Drei  den  Mittelstand.  Ses  Zink  Standesper- 
sonen; daher  das  Sprichwort  von  Contributionen :  Daus  Es  hat  nichls,  Ses 
Zink  gibt  nichts,  Quater  Drei  muss  herhalten.  Desgleichen  Ses  oder  Es,  aut 
Caesar  aut  nihil. 


588 

Ende  werde  doch  Boch  Recht  gesprochen  werden.  Dies«  mögen  sieh 
die  von  Nürnberg  merken,  sich  an  das  Recht  halten  am  nicht  zu  fallen« 
wiewohl  die  Stadt  wie  ein  Pferch  sei,  am  welchen  zweiuadzwanzig 
Wölfe  laufen  and  lauem ,  bis  sie  die  Schäflein  draussen  haben.  Diese 
Wölfe  sind  laater  grosse  und,  kleine  Fürsten,  welche  den  Schafen  schriit- 
lich  abgesagt  hatten :  es  sind  vier  HohenzoUern,  ein  -Zähne  bleckender 
Wolf  von  Bayerp  (Fürst  Otto  zu  Mosbach,  t  1461),  zwei  von  Eich- 
stätt  (Bischof  Johann  von  Eych)  und  Bamberg  (Anton  von  Rotenhan), 
einer  von  Mainz,  drei  von  Braonschweig ,  ebenso>'iele  von  Stettin,  zwei 
von  Meckelnburg,  von  Limbach  und  Wirtemberg.  Dagegen  haben  die 
Nürnberger  einen  kräftigen  Beistand  an  den  Eidgenossen,  den  Schweizern 
mit  den  langen  Spiessen,  so  dass  sie  auf  acht  Meilen  in's  (xeviert  (weit 
vnd  da  preyt  vnd  lanck)  ihre  Feinde  mit  Feuerbesen  abkehren  kannten. 
Rosenplüt  beabsichtigt  keineswegs  einen  Bericht  vom  ganzen  Krieg 
m  geben,  er  hebt  nur  drei  ruhmreiche  oder  doch  vortheilhafte  Kriegs^ 
thaten  der  Nürnberger  hervor,  unterlässt  aber  natürlich  alle  dazwischen 
fallenden  Gefechte.  Es  ist  ihm  allein  um  das  Hauptgefecht  bei  Rednitz- 
heim  zu  thun^  das  den  grössten  Theil  seines  Gedichts  einnimmt  und 
dem  er  höchst  wahrscheinlich  selber  beigewohnt  hat  Er  gibt  ein  sehr 
genaues  Gemälde  der  Schl^acht,  ganz  in  derselben  Weise,  wie  die  spa- 
teren Maler  AUdorfer,  Schäufelin  oder  Feselen  ihre  Alexander- 
züge und  Perserkriege  dargestellt  haben.  Der  reisige  2^ug  der  Nnro- 
berger,  ihre  Wagenburg  wird  einem  Thier  verglidien,  das  aaszieht  ond 
Stein,  Blei  und  I^eile  ausgibt,  welche  Ritter  und  Knechte  einnehmen; 
Niemand  konnte  es  noch  niederwürgen;  sein  Rüssel  bestand  aas  taosend 
Büchsen-  und  Armbrustschützen,  zwei  tausend  Spiesser  waren  söne 
zwei  Seiten,  sein  Zagel  sechshundert  Reiter  und  achthundert  Schweizer 
sein  Herz.  Dieses  Thier  zog  von  Abenberg  (28.  April  1450),  wo 
es  der  Maritgraf  mit  tausend  Mann  angreifen  wollte;  aber  vor  der 
Stellung,  welche  das  '^hier  annahm,  wichen  die  Gegner;  der  Anschlag 
des  Markgrafen  zerbrach,  ilas  Thier  zog  ungejagt  heim,  was  dem  Mark- 
grafen so  leid  that,  dass  er  mit  Trauern  seinen  Rittern  klagte,  er  hätte 
viel  lieber  ein  Auge  verloren.  Weil  aber  das  Thier  nicht  innen  liegen 
wollte,  zog  es  bald  wieder  aus,  zuerst  gegen  die  Stadt  Spalt.  Das 
blieb  dem  Markgrafen  nicht  verschwiegen,  er  bot  Jung  and  Alt  auf, 
um  dem  Thier  nachzustreben;  mit  400  Pferden  rannte  er  in  Späh  ein; 
da  wandte  sich  das  Thier  zom  Heimzug,  aber  ohne  sich,  wie  er  gehofft 
hatte,  zu  fürchten  und  spie  (pfuchzte)  ihn  an  mit  den  grossen  Büd&sen 
auf  den  Karren ,  dass  er  nicht  bestehen  mochte ,  sich  zurückzog  und 
das  Thier  bei  «mem  Wasser  erwartete.  Er  Hess  hier  eine  Wagenborg 
^schlagen ,    in   die   er  5000  Bauern  stellte  und  gedachte  es  wie  in  einer 


589 

i 

Falle  zu  fangen.  Der  Markgraf  mahnet  seine  RittersehafI ,  mannhaft 
zu  sein ,  sich  nicht  betören  und  von  den  Schweizern  keinen  leben  zu 
Tassen,  die  müssten  die  ersten  sein  in  den  Sack!  seine  einzige  Sorge 
ist,  die  Gegner  möchten  nicht  bleiben,  da  seine  Anzahl  gegen  die  ihrt^ 
doppelt  sei.  Allein  die  Nürnberger  Hanptleute  thatert  wie  wackere 
(fromme)  Leute ,  ohne  Feiern  und  Ruhe  kamen  sie  wieder  zu  ihren 
Schaaren  und  redeten  sie  an,  sich  zu  rüsten,  der  Feind  halte  vorne 
auf  sie,  nun  sollten  sie  beisammenbieiben.  Da  schrieen  AHe:  das  walt 
Gott!  Hessen  das  Vieh  vor  sich  hin  treiben  und  zogen  nun  auf  die 
Feinde  und  diese  wiederum  mit  zwei  Spitzen  auf  sie.  Wir  wurden  ihrer 
bei  Zeit  gewahr,  sagt  Rosenplüt,  und  sahen  sie  gegen  uns  glitzern.  Da 
rief  der  Schweizer  Hauptmann :  Wer  nun  thun  will  als  ein  reclitet 
Mann ,  der  soll  Föss'  und  Hände  regen ;  ich  merke  der  Feinde  Vor- 
haben; das  wollen  wir  mit  Grottes  Hilfe  brechen.  Man  liess  also  die 
Feinde  ganz  nahe  herankommen  und  schoss  plötzlich  auf  die  stolE 
prangenden  ^reysigen^: 

da  ward  unter  uns  ein  solichs  Krachen 
von  mangem  harten  Büchsenschuss 
dass  ihnen  und  uns  verging  das  Lachen 
zu  Hembach  an  des  Wassers  FJuss. 

Eben  war  die  Sonne  am  Untergang,  die  Feinde  aber  hieltet)  sich 
fest,  bis  ihrer  dreiundzwanzig  ^p  den  Sätteln  klebten,  d.  h.  getroffen 
waren.  Der  Markgraf  wollte  warten ,  bis  sie  sich  verschossen  hätten 
und  dann  die  Schweizer  auseinander  treiben,  ein  Ritter  aber  protestirte 
dagegen :  7,Herr!  lasst  uns  nicht  so  jämmerlich  morden,  hört!  sie  schiesset^ 
je  länger,  je  mehr;  sie  sind  zu  lauter  Teufeln  worden,  gegen  sie  hilft 
weder  Kreuz  noch  Segen,  noch  Harnisch  von  Stahl  und  Eisen;  zH- 
tfeüi  nehmen  die  Schweizer  Niemand  gefangen ,  darum  lasst  uns  von 
hinnen  wenden,  der  grimme  Zorn  hat  sie  befangen,  sie  werden  den  Adel 
morden  und  schänden.^  Da  wichen  sie  das  Wasser  hinab,  die  Nüm-^ 
berger  ihnen  nach.  Doch  brachte  das  Bitten  tind  Flehen  des  Mark- 
grafen sie  dahin,  dass  sie  sich  hinter  eine  Kirche  zogen.  Aber  wir 
schickten  ihnen  bleierne  Schlehen  (pleyem  sieben,  v.  2d9),  und 
trieben  sie  mit  Schüssen  wieder  stromaufwärts  bis  auf  eine  Aue.  Fünf- 
mal musste  die  Ritterschaft  weichen.  Nun  sagte  ei^j  weiser  Ritter: 
„Först^  edler  Herr,  glaubt  mir,  ich  gönne  euch  Ehre  und  Gut,  aber  die 
Feinde  begehren  den  Kampf  noch  viel  stärker  als  wir.  Sie  haben  euch 
vorher  schon  einmal  gestraft,  lasst  euch  nicht  so  sehr  nach  ihnen 
dürsten.  Für  einen  Hasen  ist  es  nützer  und  ehrlicher  zu  weichen,  als 
zu  sterben  von  den  Hunden.   Ihr  habt  sie  lange  gesucht  und  seid  ihnen 


590 

I  « 

t 

Qa(dige8chlichen ;  ich  woUte,  ihr  hättet  sie  nie  gefunden.^  Nim  schrie  der 
Markgraf:  ^Hilf  Ritter  St  Georg!  Gott  nod  die  Heiligeo  habeo  mein 
vergessen!^  Er  eUte  zur  Wagenburg  und  rie^  ihnen  zu  entweichen,  um 
ipenigstens  ihr  Leben  davon  zu  bringen.  Da  begann  die  eiligste  Flucht, 
so  dass  wenn  Einem  ein  Aug  entfallen  wäre,  er  sich  nicht  darnach 
gebückt  haben  würde.  Im  Gedränge  gingen  Viele  zu  Grunde.  Sie  ent- 
wichen nach  Roth,  der  Markgraf  nach  Scbwabach,  die  eingebrocheof 
Nacht  wehrte  der  Verfolgung.  Hätten  wir  nicht  zu  hoch  geschossen,  so 
wäre  nicht  die  Hälfte  davon  gekommen,  aber  auch  so  hatten  sechi 
Priester  die  ganze  Nacht  \  hindurch  zu  thun ,  den  Verwundeten  Grottes 
Leichnam  und  die  «heiligkeit^  zu  bringen.  Die  Nürnberger  behaupten, 
nur  einen  Todten  gehabt  zu  haben  und  einen  anderen  durch  eigene 
Hand  verloren  zu  haben,  die  Feinde  zählten  118  Tode.  Es  war  also 
damals  schon  so  wie  heut  zu  Tage.  Rosenplfit  jubelt,  dass  der  Wolf 
vor  den  Schafen  habe  üticbten  müssen;  die  Hauptleute,  welche  dabd 
waren,  sind  natürlich  namentlich  aufgezählt.  Die  Fürsten  machten  aas 
Nürnberg  selbst  ein  Raubhaus,  in  welches  sie  während  des  Krieges 
2300  Gelange  und  28000  Kühe  einbrachten;  dadurch  blieben  die 
Lebensmittel  stets  wohlfeil,  das  Pfund  Fleisch  kostete  5  Heller,  um 
ein  Ei  (oder  wie  man  jetzt  sagen  würde,  für  einen  gebratenen  Apfel) 
kaufte  man  sich  so  viel  gekochte  Speise,  dass  man  sich  satt  essen 
konnte. 

Dieses  Hauptgefecht,  welches  Rosei^üt  mit  genauen  Details  wie 
ein  Augen-  und  Ohrenzeuge  beschreibt,  war  das  letzte  Zusanmientjreffeoi 
in  welchem  der  Markgraf  seine  Kräfte  nait  der  Stadt  mass.  Am 
6.  Juli  1450  wurde  durch  kaiserliche  Commissarien  ehi  Stillstand  ge- 
macht und  es  kam,  wenn  auch  zu  keinem  eigentlichen  Frieden,  doch 
zu  einem  friedlichen  Stillstand.  — 

Das  Fürstenlob  repräsentirt  Hans  Rosenplüt  der  Schneppe- 
rer')  mit  dem  schönen  i^Nruche  auf  den  trefflichen  Herzog  Ludwig 
den  Reichen,  von  Landshut.*)  Die  Einleitung  dazu  ist  ganz  gut  mei- 
stersingerisch: Eines  Morgens,  als  der  Tag  gerade  sein  Fenster  öffinete, 
sei  der  Dichter  in  ein  hohes  Gebirge  spaziert,  wo  er  zwischen  den 
Felsen  eine  wunderschöne  Zwergin  fand,  die  ihm  wie  ein  Engel  von 
Himmel  bedäuchte.  Sie  spricht  ihn  an  und  fragt,  wer  er  sei  und  Rosen- 


')  FrOber  hielt  msa  den  Roseoplüt  dieses  Beinamens  weisen  für —  einen  Bader, 
von  der  Si-hneppe  beim  Aderlassen;  doch  halle  schon  das  ^snipensnap^  ans 
dem  Wartburgkrieg  zur  Deutung  fuhren  können.  Es  bedeutet  einen  redseif- 

fen  Menschen,  wie  man  heute  noch  ein  plappermäuliges  Kind  scberswaoe 
ch  nippschnapp  Schnepper  er  nennt. 

*)  Zum  ersten  male  abgedruckt  in  J  o  r  d  a  n :  Gebrg  von  Podebrad.  Leipzig  1861 
S.  408— '1 4, 


5»! 

]^  respoodirt,  ei^  trage  fremde  Abenlewer*)  zn  Fakten,  Heiren, 
Königen  ood  Kaisern,  er  er&rsche  ihre  Wappen,  um  sie  nach  Adama 
Ehre  zu  >,plasaoiren  und  aach  ihre  Färb  zn  difidiren,^  an  ihren  Höfen 
suche  er  seine  Nahrcuig.  Er  gibt  sieh  also  f&r  einep  i^prnchsfwecheri 
Eäirenhok  und  Persevant  aus,  der  mit  cKplomatischen  Noteu  vid- 
leicht  im  Interesse  oder  Dienste  seiner  Stadt,  an  verschiedene  Höfe 
gesandt  wurde  und  in  äokher  Eigenschaft  auch  nach  Landshut  gelLom^ 
men  war#  Die  Zwergin  fragt  ihn  ntäi  W€ater.  ob  er  Oberhaupt  noeii 
einen  lebenden  Fürsten  wisüe,  der  nach  den  drei  höchsten  Dingen  etrebe: 
nach  Ritterschaft,  ad^er  Ehre  und  dei*  mit  Schild  und  Speer  den 
Frauen  zu  liebe  ^ecfae  und  tmmiere;  wisse  ier  er  einen  solchen,  so 
solle  er  ihr  dessen  Farben  plasonhren.  Nun  nimmt  Rosenplüt  die  Backen 
roll,  behauptet  in  heiteren  Reimen  die  halbe  Welt  durchreist  zu  haben, 
aber  weder  in  Indien  beim  Priesterkönig  Johannes,  noch  beim  grossen 
Kan  von  Kathey,  oder  im  KaißerthniA  Von  IVebisunda,  weder  beim 
König  Suldan,  auch  nicht  in  Spanien,  Frankreich,  England  oder  Italien 
Oberhaupt  auf  dem  weiten  Erdkreis  Vom  Orient  bis  zum  Niedergang, 
keinen  zweiten  gefunden  zu  haben,  der  mit  Herzog  Ludwig  von  Landshut 
zu  vergleichen  wäre,  der  ganz  einzig  die  Blumien  der  Ehre  sei  und  ihr 
Korn  ausdresche; 

Sein  schilt  empfing  nye  mackel  noch  mayl, 
Der  stet  gehalbirt  zu  zweyteyl 
Halb  weiss  halb  pla  schon  gerawttirt 
Und  in  einundtzwanzig  teyl  gedifidirt, 
Auch  sieht  man  auf  seinem  Helm  sitzen 
So  leblich  als  man  mocht  malen  vnd  snytzen 
Zwischen  zweyen  Angeln  einen  gelben  leon 
Mit  roter  zungen.sam  er  wolle  geon. 

Smner  Ehren  Bolt2  ist  wohl  befiedert;  wenh  er  sich  mit  Worten 
verbunden,  so  löste  er  den  Knoten  nie.  Neunzig  Tag  ist  dieser  Herre 
zu  F^lde  gelegen  Und  hat  Krieg  geführt,  ohne  eines  Bauern  Scheune 
oder  Haus  abzubrennen,  von  den  gefangenen  Bauern  habe  er  nie  eine 
andene  Schätzung  gekommen,  als  dass  er  sie  wieder  nach  heim  liess 
und  ihre  Felder  bauen  hiess;  den  Stiften  zu  Bamberg  und  Wirzburg 
habe  er  wieder  zu  ihren  Rechten  verhelfen;  -er  ist  ein  Hintreiber  aller 
Uebel  und  aller  Seligkiiit  Hergeber.  Allen,  die  ihm  beigestanden  haben 
den  Krieg  zu   beenden ,    sei  Gottes  Lohn :    dem  hochw.  Bischof  und 


0  Derselbe  Ausdrack  findet  sich  in  d^  oben  bieröbHen  RechDun^en  des  Herzogs 
Albrecbl,  Liebe  wird  mit  einer.  Abentewr  nach  Prag  gesohicki. 


592 

Gardina]  von  Aa^sborg  und  (km  ^hrBamen  weisen  Ratb  von  Nürnberg, 
aaoh  Marlq^af  Albrecht  habe  die  ewige  Rnhe.  Anöh  dem  hochgeboren 
Herzog  Wlftehn  von  Sachsen  ist  Adel  und  Ehl^  zugewachsen ;  der  hat 
an  dem  Rocken  gesponnen  und  getreulich  zum  Frieden  mitgearbeitet, 
dass  das  ^mordiseh  wetter^  ward  gestillt.  Gott  möge  es  ihm  vergelten, 
•wenn  er  an  seiner  letzten  Rechnung  liege  wo  aHes  B5se  und  Oute  un- 
versdiwiegen  bleibt  Gott  sprenge  seiner  Gtoaden  Segen  aach  auf  dei 
Bischof  von  Franken,  der  gleichfalls  bei  der  ^Riehtigung^  (zu  Roth)  am 
Mondtag  vor  St  Johannestag  1460  mitgearbeitet 

Mein  Got,  mein  Herre,  mein  wiUiger  Sterfoer 

Halt  auf  die  helKschen  Yalcken  udd  Sperber, 

Die  üllen  Selen  noch  sweymen  vnd  schiessen, 

Teyl  mit  Dein  vnschuldigs  Plutvergiessen 

Vnd  lasse  die  Armen  zu  gnaden  komen 

Die  in  der  Reise  haben  Schaden  genumen 

One  Reue,  one  Reicht  vnd  x)ne  alle  Puss, 

Lads  auf  sie  regen  deiner  Gnaden  Guss 

Herre  durch  Dein  Sterben,  das  Du  tetat 

Des  Du  noch  nve  verschuldet  hetst! 

Herre  gib  Gewalt  vnd  gut  Gericht 

Den  Fürsten  hie  in  meinem  geticht 

Gib  in  ein  Goncluss  ia  allen  iren  Dingen 

Das  ein  yeder  Te  deum  laudamus  werde  singen. 
*  Herre,  gib  in  sterk  als  dem  Sampson, 

Gib  in  Grehorsam  als  dem  Abraham, 

Gib  in  Andacht  als  Jeromias.  (Jechonias?) 

Gib  in  Lanngkleben  als  Fsechyas, 

Gib  in  Manheit  als  dem  Gedeon, 

Gib  in  Reichtum  als  dem  Salomon, 
Gib  ihnen  Zucht  wie  dem 'Kaiser  Otto,  sende  ihnen  Mahnung  wie  dem 
Lot,  dass  sie  vor  Ungtöck  fliehen,  mache  ihre  Ehe  wie  die  des  Zacha- 
ria6,  gib  ihnen  ein  Alter  wie  das  des  Nöah,  und  die  Weislieit  des 
DanieU  dass  jeder  Land  und  Leute  regiere  wie  Herzog  Gottfried  von 
Belgien,  lass  sie  nicht  Hoffart  fallen,  verleih'  ihnen  Reue  wie  KMg 
David  pflog,  gib  ihnen  überhaupt  alle  Vorzüge 

Dass  sie  besleheu  vor  den  zwölf  Mannen 

Da  vor  man  spricht  das  letzt  Urtheil, 

Mach*  sie  von  allen  ihren  Sünden  heil 

Und  behüt  sie  dort  vor  ewigen  Soeben ') 

')  mbd.  soeben  (v.  siechen)  sollte^  krinkticb  sein;  behftle  sie  von  dem  Ewiges 
Siecüthum  oder  Tode. 


698 

Weoa  sie  Dein  Gebot  je  haben  gebrochen.    » 

Lasse  sie  Deines  unschuldigen  Sterbens  geniessen 

Und  aller  Mftrtyrer  Blutvei^essen, 

Und  gib  Dich  ihnen  an  ihr^n  Ende 

Zu  Speise  aus  des  Priesters  Hände 

Damit  man  ewiglich  dort  geniest. 

Das  bitt  ich  Dich  Herr  Jesu  Christ 

Durch  alle  Dein  väteriich  Gut* 

So  hat  gedieht  Snepperer  Hans  RosenplQt.  —  ^ 

Unterdessen  war  1453  Byzanz  gefallen;  es  dauerte  lange,  bis  man 
In  Deutschland  das  ungestüme  Vordringen  des  Islam  begriff,  das  in 
politischer  wie  wissenschaftlicher  Weise  för  uns  von  der  höchsten  Be- 
deutung wurde.  Rosenplüt  erging  sich  in  seinem  ^Vassnachtspiel*") 
in  übermüthigen  Scherzen ;  ernster  ist  sein  Lied  ^von  den  Türken,** 
welches  in  39  fiinfzeiligen  Strophen  sehr  feine  Anspielungen  auf  die 
deutschen  Zustände  enthält  und  sicherlich  mit  seinem  Sarkasmus  auf 
ganz  andere  Kreise  berechnet  war,  als  das  Fastnachtspiel,  welches  einzig 
an  den  hausbackenen  Spiessbürgerverstand  des  süssen  nürnberger  Pöbels 
appellirte,  der  Alles  gehörig  mit  Schweinerei  versetzt  haben  musste, 
um  es  geniessbar  und  unterhaltlich  zu  finden.  In  diesem  Liede  ^)  inahnt 
er  den  (deutschen)  Adler,  sich  vorzusehen,  die  Türken,  die  ihm  die 
Federn  zu  zausen  verstünden,  seien  ausgeflogen  und  die  Zeiselein  und 
Meisen  hätten  sich  dazugesellt;  die  Türken  sind  im  Griechenlande^ 
flügge  geworden:  Gott  gebe  euch,  Herr  Adler,  Glück  und  lasse  euere 
Flügel  wachsen: 

Die  Turcken  haben  gesammelt  einen  Haufen 
Und  wollen  grosser  Vögel  zwen  beraufen; 

Herr  Adler,  seid  weise! 

Der  Eooh  ist  wohl  strafens  werth 

Versalzet  er  die  Speise. 

Haben  dieselben  Vögel  die  Plattengeier  und  Ungetauften  abgerauft, 
so  werden  sie  euch  dann  rupfen,  das  Bier  wird  erst  durch  den  Hopfen 
bitter!  Schweigt  nicht  so  lange,  Herr  Adler!  man  harzet  den  Bogen 
vor  man  geigen  will;  mit  Fluchen  ist  nichts  gethan;  das  Kind  fürchtet 
die  Ruthe  nicht  bis  es  selbe  gekostet  hat.  Die  Turcken  haben  schon 
Junge  ausgeheckt:  die  grossen  Plattengeier  spotten  euer,    Herr  Adler, 


*)  la  Gottscheds  nöthigen  Vorralh.  II.  28.  Tieck  Deut.  Theater.  1817.  I.  dw 
Keller  Fastna< hispiele   1853.  I.  288-304  u.  Jordan  S.  394-402. 

*)  Jordan  S.. 402—8. 

38 


594 

ebenso  die  Kanzelschreier;  die  Turcken  werden  den  ^beschorenen 
Kittel^  wohl  am  seine  Hoffart  strafen.  Unter  alleiMei  Vogelbildem  bringt 
er  die  fürstliche  Habgier  gegen  die  Städte  zur  Sprache,  welche  den 
unaaslöschlichen  Hass  der  beiden  unteren  Stände  gegen  den  hohen 
steigerte  und  die  furchtbare^  Nothwehr  der  Niederen  sowie  die  Hintan- 
setzung alles  sonst  natürlichen  GehorsamsgefUhles  zur  Folge  hatte. 
Er  fordert  den  Kaiser  mit  scharfen  Gleichnissen  zum  Durchgreifen  auf: 
Besen,  Schwert  und  Hobel  zu  gebrauchen.  Die  Gottesliebe  ist  wie  Schnee 
zergafigen.  Der  Antichrist  thut  wirklich  Unrecht,  j^etzt  nicht  zu  kommen. 
Die  Ehre  des  höchsten  Königs  sucht  Niemand,  darob  ward  Nabucho- 
douosor  schon  verflucht ;  der  Halm  gibt  das  Korn  nicht,  bis  der  Schlägel 
über  ihn  kommt: 

Die  trew  die  wonet  nymmer  bey  den  höchsten, 
der  reichtum  wil  die  armut  nymmer  trösten. 

nyemant  heylt  die  wunden, 
I   got  slahe  dann  mit  seinem  slegel 

darein  und  ertzeig  sein  macht  hie  unden! 

Friedlicher  ist  sein  Spruch  von  Nürnberg')  (aus  dem  Jahre 
1447),  dessen  Inhalt  wir  hier  gerne  nacherzählen,  deim  er  gereicht  ja 
zum  Lobe  einer  biederen,  deutschen  Stadt,  welche  damals  der  bedeu- 
tendste und  ansehnlichste  Punkt  in  Mitteldeutschland  war  und  vielleicht 
geeignet  gewesen  wäre,  die  Herzkammer  des  ganzen  Reiches  zu  werden. 

0  Nürnberg,  du  viel  edler  Fleck,  ruft  er  aus,  deiner  Ehren  Bolz 
steckt  an  dem  Zweck,  deine  Weisheit  hat  ihn  geschossen  und  die 
Wahrheit  ist  in  dir  entsprossen.  Du  hast  einen  weisen  Rath,  eine 
gehorsame  Gemein  und  eine  wohlgezogene  Priesterschaft,  die  mit  sol- 
cher Haft  gebunden  ist,  dass  keiner  über  die  Schnur  kaufen  darf.  Die 
besonderen  Vorzüge  der  Stadt  sind  ft)nf  grosse  Almosen:  das  ^der 
zwölf  Brüder^ ; ')  das  zweite  die  beiden  Findelhäuser ;  "*)  das  dritte  die 
Sundersiechen ,  ^)  die  in  der  Marterwochen  geistig  und  leiblich  gespeist 
und  bekleidet  werden;  das  vierte  ist  die  Aussteuer  armer  braver  Jnng- 


*)  Herausgegeben  als  Programm  von  Lochner.  Nürnberg  1854.  ~  Ein  spa- 
teres Lol]^edicbt  auf  Nürnberg,  aus  dem  Jahre  f490  von  dem  Metilersio|er 
Kunz  Hass  hat  Barack  berausgeffeben ,  Nürnberg  1858;  er  bildet  eiae 
Ergänzung  und  Nachtrag  zu  Rosenpifit. 

>)  Gestiftet  1388  von  Conrad  Mendel;  das  Haus  wurde  schon  1381  gebast. 

')  Sie  stehen  bereiU  1365  im  Testament  des  Berthold  Tücher. 

^)  Gestinet  1394. 


595 

franen;*)  das  fünfte  ist  das  ^osse  Almosen')  för  Haasarme,  an  die 
jeden  Sonntag  vor  der  Tagmess  312  LaibBrod  und  624  Pfand  Fleisqh 
vertheilt  werden;  dasselbe  gemessen  156  Arme.  Dann  rühmt  der 
Sprachsprecher  die  sieben  Kleinode  der  Stadt:  das  erste  ist  die  drei- 
fache Man  er  and  der  Graben,  in  welchem  fbnf  Wagen  nebeneinander 
fahren  können,  die  Mauer  hat  187  Thärme,  wohl  mit  Büchsen  ver- 
sehen, dass  manchen  Büchsenmeister  darnach  gelüsten  mag,  die  Feinde 
aus  ihnen  zu  empfangen;  Mancher  mag  sich  wohl  verwundern,  dass 
die  von  Nürnberg  bei  so  stattlicher  Rüstung  sich  so  vieles  langmüthig 
gefallen  lassen,  doch  hat  ihre  grosse  Weisheit  den  Nutz  und  Frommen 
stets  im  Auge,  der  aus  dem  Frieden  entspringt;  Mancher  begehrt  sie 
wohl  zu  vertilgen  und  lechzt  mit  den  Zähnen  nach  ihnen,  brummt  sie 
an  und  bisse  sie  gerne,  wenn  er  nicht  fürchtete,  trocken  geschoren  zu 
werden  (vorcht  er  sich  nicht  for  truckem  schem).  Das  zweite  Kleinod 
ist  der  Wald,  aus  dem  seihst  ein  altes  Weib  oder  eine  Ra^spinnerin 
sich  leichtlich  an  einem  Tage  so  viel  Holz  nach  Hause  schaffen  kann, 
dass  sie  auf  zwei  Tage  Brod  im  Hause  hat.  Das  dritte  Kleinod  ist  ein 
Steinbruch,')  aus  dem  manche  hohe  Kemenate  aufgebaut  wurde, 
die,  stünde  sie  auf  einem  Berge,  für  eines  Fürsten  Herberge  gelten 
könnte.  Das  vierte  ist.ein  Kornhß-us,  dann  wird  der  schöne  Brun- 
nen*) gerühmt  und  sechstens  die  Pegnitz,  die  po  breit  hi ,  dass 
kein  Hirsch  darüber  springen  könne,  sie  fliesst  mitten  durch  die  Stadt, 
säubert  dieselbe  und  treibt  67  Mühlräder,  die  alle  innerhalb  der  Mauer 
*  arbeiten,  kein  Fürst  sei  im  Stande,  wenn  er  denen  von  Nürnberg  auch 
noch  so  sauer  (feindlich)  sei,  dass  er  eines  der  Räder  stelle.  Das 
siebente  und  kostbarste  Kleinod  ist  ein  Nagel  und  ein  Stück  vom  Kreuze 
Christi,  ebenso  „das  heilige  wahre  Eisen  von  dem  Speer,  das  man  Gott 
in  die  Seite  stiess,**  dazu  fünf  Spitzen  aus  der  Dornenkrone.  Diese 
Heilthüraer  werden  zu  Nürnberg  gezeigt,*)  denn  Gott  selbst  hat  sie  der 
Stadt  zugeeignet  und  auch  Kaiser  Sigmund,  der  das  ganze  Reich 
durchzogen,  aber  nirgend  eine  Stadt  wie  Nürnberg  gefnnden  habe,  ihre 
Weisheit    und  Wahrheit   habe  ihm  wie   eine  süss  klingende  Saite  ge- 


>)  Gestiriet  von  HilpoU  Kress  1427. 

^)  Gestin«t  von  Burkhard  Sayler  am  Sonntag  vor  St.  Veitstag  1388. 

')  Bei  Möffeldorf^  hinter  dem  sog.  Schmaussenbuck  ^  an  der  Gritz  und  t>ei  der 

Bochenklinge  gelegen. 
*)  Gleii'hzeiliir  mit  der  Frauenkirche  (1355  —  61)  von  Schonhover  errichtet. 

Vergl.  Kettberg  Nörnbergs  Kunstleben.    1851.    S.  35     Das  eiserne  Gitter 

fertigte  1586  Paul  Köhn.  (Heaberg  8.  176 ) 

&)  Von  diesen  Heilthümern  und  ihrem  Vorweisen  erzählt  auch  eine  merkv^ür- 
dige  IncunaheU  ^edr.  zu  Nürnberg  1487.  -  Sie  \%'urden  auf  einem  eigenen 
Gest^l  an  dem  Schoppierischen  Hause  mn  Pischmarkt  gezeigt. 

38* 


596 

schienen,  die  oft  vor  ihm  haUte  und  desshalb  habe  er  ihnen  das  Hei- 
ligthnm  befohlen.  Alle  mögliche  Kunst  und  Wissenschaft  ist  zu  Nfimberg 
zu  finden: 

Vnd  hat  ein  man  gros  lieb  vnd  gunst 
V.   190.     zu  hübscher  maisterlicher  Kunst 

vnd  hat  nach  allen  künsten  sein  frag, 

sucht  er  im  peheimer  land  zu  Prag 

vnd  auch  in  Österreich  zu  Win, 
.    sucht  er  nach  dem  zierckel  vnd  hoch  lien 
195.     vnd  sucht  in  polaw  und  in  preussen 

vnd  in  grossen  nog&rten  vnd  hochen  reussen. 

vnd  zu  kanstantinopel  in  krichen: 

Noch  fint  er  nicht  wahrhafl^igKchen 

daz  er  mit  suchen  hab  ein  feir. 
200.     Sucht  er  in  egipten,  zu  alkeir 

vnd  auch  in  hohen  Indian 

vnd  an  dem  hoffe  brister  Johan, 

noch  ist  sein  suchen  nich  gebis. 

Such  er  in  Frankreich  zu  pariss, 
205.     vnd  in  der  höchsten  schul  athenis 

vnd  sucht  phisica  Orienis 

vnd  sucht  grammaticam  priscians 

vnd  sucht  die  Weisheit  salomonis 

vnd  sucht  dy  loyacum  aristotilis 
210.     vnd  sucht  geometriam  euclidis 

vnd  sucht  rhetoricam  thuliy 

vnd  prakticam  Pitagori 

vnd  sucht  boety  musicam 

vnd  ptholomeus  astronomyam 
215.     die  kunst  find  er  in  Nürnberg  all, 

dazu  noch  die  Kunst,  in  siebenerlei  Metall  zu  arbeiten.  Daran  reibt 
sich  der  ausgebreitete  Handel,  den  Nürnberg  treibt 

vnter  der  ganzen  Himels  deck, 

die  ingber  vnd  die  pfefferseck 

vnd  alle  speczerey  von  edler  kraft 

vnd  was  man  zeit  für  kawfmaschaft 

das  hat  alles  zu  nflmberg  sein  nyderla^, 

so  dass  man  nicht  weiter  zu  suchen  braucht.  Sieben  Sprachen  gibt 
e&  in  der  Christenheit,  wohin  die  mit  Kaufmannschaft  und  Gewerbe 
ziehen  und  ans  diesen  Landen  mit  sauerer  Mühe  ihi*e  Nahrung  gewin- 


5»7 

nen:  Ungaria,  Solarvonia,  Tflrkei^  Arabia,^  Gr«oia,  Francia  und  Saxonia. 
Die  der  Stadt  eigeothümliche  KaDSt  des  Rothscbmidthandwerks')  hat 
seine  eigene  Stelle  (v.  241 — 256): 

Viele  Meister  find  ich  in  Nürnberg,  ' 

Deren  sind  ein  Thei)  auf  dem  Rothschmidtwerk, 

Dergleichen  in  aller  Welt  nicht  lebt 

Was  krencht  oder  leuft,  schwimmt  oder  schwebt, 

Mensch,  Engel,  Vogel  oder  Fisch,  Wurm  oder  Thier 

Und  alle  Creatur  in  leiblicher  Zier, 

Und  alles  das  aus  der  Erden  mag  spriessen, 

Dessen  Gleichen  können  sie  aus  Messing  giessen 

Und  keinerlei  Stück  Ist  ihnen  zu   schwer. 

Ihr  Kunst  und  Arbeit  ist  offenbar 

In  manchen  Landen  fern  und  weit. 

Seit  ihnen  Gott  solche  Weisheit  verleiht 

So  sind  sie  wohl  werth,  dass  man  sie  nennt 

Und  für  grosse  künstliche  Meister  erkennt. 

Denn  Nimrod  solche  Meister  nie  gewann 

Der  den  Thurm  liess  bauen  zu  Babilon. 

In  den  folgenden  Versen  (257 — 84)  wird  das  Lob  eines  Mannes 
erhoben,  des  einzigen,  der  im  ganzen  Gedicht  durch  namentliche  Be- 
zeichnung geehrt  ist;  er  heisst  Meister  Eonrad  Paumann,  der 
kunstreiche  Organist  von  St  Sebald,  der  obwohl  er  einen.  Mangel  an 
seinem  Gesicht  hat,  dennoch  durch  die  Gnade  Gottes  ein  Meister  über 
alle  Meister  in  der  Musik  ist.  Würde  man  einem  Meister  seiner  Kunst 
wegen  krönen,  so  sollte  er  wohl  eine  goldene  Krone  tragen.')  Dieser 
seiner  Zeit  so  gefeierte  Tonkünstler  war  blind  geboren,  dess  frühe  ver- 
waisten Knaben  hatte  sich  der  edle  Lirich  Grundherr  und  später  dessen 
Sohn  Paulus  angenommen  und  seine  wunderbare  Begabung  für  Musik 
ausbilden  lassen.    Lo ebner  fand  über  den   bisher  völlig  unbekannten 


^)  Bereits  f336  girb  es  Messinffsehmiede  zu  Nörnberg;  1405  kommen  die  Roth- 
sefamiede  unter  diesem  Handwerksnamen  vor.  » 

')  V.  266  ff. :  .  mit  contra  tenor  vnd  mit  faberdon  |  mit  primi  tonas  tenorirt 
er  I  auf  elamy  so  sincopirt  er  |  mit  resonanczen  in  accutis  |  ein  trawrichs 
hercz  |  würt  freyes  mules  1  wen  er  auss  ottaf  discantirt  |  vnd  quint  ynd  vt 
xusamen  resamirt  |  vnd  mit  proportiones  in  gravibus  I  Respons  antifTen  vnd 
introitos  {  Impin  seonenoen  vnd  responsoria  I  das  tregt  er  als  in  seinem  me- 
moria I  ym  was  plicetnm  oder  gescfaaczt  |  vnd  was  für  mascam  wirt  ge- 
schaest  |  In  kores  amtum  kan  er  aussen  |  runde!  muteten  -kan  er  slugmaus- 
seo  I  sein  baubt  ist  ein  solchs  gradual  |  In  gemessem  cantum  mit  solcher 
xal  I  das  got  bat  selbs  genotirt  der  ein  j  wo  ma^  ein  besser  meisler  s^in  | 
der  vmb  ich  nürnberg  preis  vnd  lob  |  wan  sie  leit  allen  steten  ob  |. 


5<>8 

Meister  glüoklicherweise  die  erste  Urkunde, '>  ia  wdcher  Konrad  Pan- 
mann,  im  J.  1446  als  Organist  zu  St.  Sebald,  verspricht,  ohne  &laal>- 
niss  sich  nicht  von  der  Stadt  trennen  za  wOllen;  anch  gedenkt  er 
seiner  genannten  Wohlthäter  ausdrücklich.  Doch  erhielt  er  1450  vom 
Rath  auf  sein  Ansuchen  die  Erlaubniss  zu  reisen  und  sein  musikalisches 
Talent  auch  auswärts  zu  zeigen;  er  erwarb  in  Italien  an  den  knnst- 
liebenden  Fürstenhöfen  Anerkennung,  Belohnung  und  sogar  den  Ritter- 
schlag und  kam  endlich  an  die  Spitze  der  Kapelle  Herzog  AlbrechU 
von  Bayern,  *)  in  welcher  Stellung  er  an  St.  Pauli  Bekehrungstage  1473 
zu  München  starb.  Sein  schönes  Epitaph,  links  am  Brautportai  der 
Frauenkirche,  rühmt  ihn,  als  den  ^kunstreichst  aller  Instrument  und 
der  Musica  Meister,^  auf  dem  Steine  ist  er  orgOlspielend  abgebildet, 
umgeben  von  Laute,  Harfe,   Fiedel  und  Flöte.  • 

Nachdem  Rosenplüt  so  Nürnbergs  Ehre  gerühmt,  zählt  er  die 
heiligen  Städte  auf;  er  weiss  deren  jedoch  nicht  mehr  denn  fönf: 
Jerusalem,  weil  es  durch  Christi  Blut  und  seinen  heiligen  Leichnam 
geheiligt  ist;  Rom,  weil  \iele  Pabste  und  sieben  Apostel  dort  begra- 
ben liegen,  Trier,  weil  dort  die  zehntausend  Ritter  erschlagen  sind, 
Cöln,  weil  diese  Stadt  durch  das  Blut  der  eilftausend  Jungfrauen  ge- 
heiligt ist,  endlich  Nürnberg,  weil  darin  von  Priestern  so  grosser 
heiliger  Gottesdienst  begangen  ^rd;  wenn  Einer  über  das  Gebot  tritt, 
so  muss  er  fort  und  ohne  alle  Fürbitte  heisst  es:  Gehe  mit  Gott! 
Auch  findet  sich  daselbst  manch  schriflweiser  Mann,  der  des  Himmels 
Wort  auf  der  Kanzel  verkündigen  kann,  so  dass  mancher  Sünder 
wieder  zu  Gottes  Dienst  gereizt  und  gelockt  werde.  Darum  heisse  er 
mit  Recht  die  Stadt  heilig;  der  sei  nicht  weise,  welcher  Nümbei^ 
schmäle.  Rosenplüt  behauptet,  alle  deutschen  Lande  durchsucht  zu  haben, 
(ich  han  all  dewczsche  land  durchsucht),  doch  finde  er  in  keiner  Stadt 


>)  S.  29  fr  u.  Histor.polit.  Blatter.  1859.  34.  B.  S.  388.  -  Die  Grabschrin  laotal: 
Anno  MCCCCLXXIIl.  an  Sant  Pauli  Bekenmgs  Abent  ist  gestorben  und  bie 
begraben  der  kunstreicbist  aller  Instrument  und  der  Musika  Meisler  Coa- 
rad  Paumann  Riter.  purtig  von  Nirnberg  und  plinter  gttboren.  Das  Gott 
Gnad.  —  Wie  man  aus  dieser  Grabschrin  1474  und  1476  macben  koonle 
und  den  ^Paulmaifn^  für  einen  ^gebornen  Ritter^  ausgeben,  ist  unbegreif- 
lich. Trotz  Lot-hners  Erhebung  und  trotz  dem  an  der  Münchner  Frauen- 
kirche aller  Welt  sichtbaren  Epitaph  erschien  doch  no^h  ein  ^PaulmanB"^ 
im  Programm  des  Mikncbner  Jubiläumsfestes! 

')  Kaiser  Friedrich  111.  beschenkte  ihn  mit  einem  f^ldbrokatenaa  Kleide,  etnen 
Sobwerle  nit  goldenem  Behäng  und  mit  einer  goldenen  Kette;  ebenso  war 
der  Herzog  von  Ferrara  sehr  freigebig.  Albrecht  III.  gab  ihm  eineii  Jahr- 
rehalt  von  80  rhein.  Gulden.  Paumann  hinterltess,  da  er  mit  Margarelba 
Weichsserin  von  Nürnberg  verbeirathet  war,  eine  Familie  vnd  Yide  awge* 
zeichnete  Schüler. 


rieben  refqnoirte  Klöster ')  wie  zo  N&rnberg»  in  denen  Tag  und  Nacht 
dem  König  der  Ehren  def  engMeche  Lobgpsang  dargebracht  werde.  Hierzu  ' 
werden  die  KJostergeistliohen  durdi  den  weisen  Rath  nnterstlltzt.  Wer. 
daher  von  Nürnberg  Qbel  rede^  sei  ein  Gauch  und  verdiene  nieht  weise 
sa  heissen,  üble  Nachrede  sei  überhaupt  eine  versahene  Speise. 

Noch  etwas  gebe  es  in  Nürnberg,  was  das  Allerweiseste  sei,  das 
in  einer  Stadt  gefanden  werden  könne.  Gesetz  und  Ordnung  werde, 
wo  man  mehr  Hirten  habe  als  einen,  oft  zertrennt;  in  Nürnberg  sei 
nur  ein  Hirte,  der  mit  der  Heerde  (mit  dem  viech)  nie  stolzirt,  son- 
dern so  treulich  gehütet  habe,  früh  und  spät^  dass  kein  Ungeziefer  sie 
vergiften  konnte,  wie  oft  auf  hohen  Stiften  geschehen  sei  und  auch  bei 
einfältigen  Zünften,  da  der  Teufel  oft  seinen  Samen  säe,  so  dass  Mord 
und  Jammer  aosgebrütet  werde;  bei  vielen  Hirten  werde  oft  übel  ge- 
hütet Der  Hirt  sei  der  weise  fQrsichtige  Rath,  der  Tag  und  Nacht, 
ftüh  und  spät,  getreulich  hüte  über  alle  Gelehrte  und  Laien;  er  könne 
das  nicht  besser  erklären,  als  wo  viel  Aare  (Adler)  auf  dem  Zaune 
sitzen,  da  haben  die  Hühner  nimmer  guten  friedlichen  Raum. 

Schliesslich  folgt  nochmals  Nürnbergs  Lob  wegen  seines  klugeti 
Benehmens  nach  Aussen,  das  auf  die  Erhaltung  des  Friedens  gerichtet 
sei.  Er  lobe  nicht  auf  blossen  Schein,  sondern  aus  Kenntniss  und 
Erfahrung.  Ihre  Ehre  habe  noch  nie  gehinkt,  und  wie  übel  man' ihnen 
auch  nachgesprochen,  noch  habe  man  ihr  Siegel  nie  zerbrochen,')  noch 
an  irgend  wem  ihr  Geleit  zertrümmert.  Im  Garten  des  Friedens  wächst 
Glück  und  Seligkeit;  wo  Unfriede  ist,  da  hagelt  es  und  schauert;  eine 
jede  Creatur  trauert,  wenn  sie  in  Unfried  ihre  Speise  suche.  Darum 
heisse  er  die  von  Nürnberg  weise,  weil  ihnen  der  Friede  so  recht  wohl 
schmecke.  Der  Esel  schlägt  gegen  den  Müller  nie  aus,  er  schlage  ihn 
denn  vorher,  dass  es  ihn  anmuthe.  ^So  hat  geticht  Snepper  Hans 
rosenpluet.**  •)  — 


>)  Rosenpitit  dichtete  seinen  Spruch  1447,  ein  Jahr  darauf  1448  hatte  Albrecht  III. 
die  grosse  Klosterrerormation  zu  München  in  Arbeit.  —  Im  Vergleich  zu 
anderen  Städten  herrschte  zu  Nürnberg  grosse  Sittlichkeit  und  Zucht  auch 
unter  der  Geistlichkeit;  Lochner  (S.  32)  citirt  dasu  das  Urtheil  des  Conrad 
Celtes.  , 

>)  Das  Zerbrechen  der  Siegel  war  eine  Erklärung  der  Unwfirdigkeil. 

')  Andere  Sprüche  und  kleine  muthwillige  und  lascive  Erzählungen  von  Rosen« 

glüt  bei  Keller  Fastnachtspiele.  S.  1083:  Von  den  sechs  Aerzten.  - 
.  1098:  Die  Reich.  -^  S.  1103:  Der  Kalender.  -  S.  1107:  Die  Klag  vom 
Woir.  —  S.  1115:  DisputatK  mit  eim  Juden.  —  S.  1124:  Von  einem  Ein- 
siedler und  der  Welt  Lauf.  —  S.  1135:  Die  Handwerker.  -  S.  1139:  Von 
einer  edlen  Kaiserin  zu  Rom.  —  S.  1152:  Von  ^dem  Mfissiggänger.  — 
S.  1158:  Von  einer  meisterlichen  Predigt  —  S.  1172:  Von  einem  fahren- 
den Schüler  n.  s.  w. 


Ueberblickt  man  noch  einmal  den  Verlaaf  der  Epik  ond  Lyrik,  so 
'  ergibt  sich ,  dass  die  Poesie  von  ritterlichen  Höfen  in  derselben  Weise 
m  den  Bürgern  überging ,  wie  die  bürgerliche  Macht  von  den  Rittern 
aof  die  Stftdte  kam.  Der  Adel ,  der  einst  des  Sanges  gepflogen  nnd 
die  Sänger  genährt  und  beherbergt  hatte,  hatte  non  auf. andere  Dinge 
^u  denken.  Einst  hatte  er  den  süssen  Weisen  gekinscht  und  sie  selbst 
geübt,  jetzt  griff  er  nach  dem  Schwerte;  aber  es  war  nicht  wie 
in  den  Kreuzzügen,  ftU*  ein  hohes,  fernes  IdeiJ,  sondern  es  war  eia 
wüstes  Buschklepper tham  nnd  Strauchdiobtreiben,  Niederwerfen  der 
Kaoflente  und  offener  Raub  und  Mord.  Die  Schilderungen  im  Helm^ 
brecht  sind  nur  zu  wahr,  und  der  Eppele  von  Gailingen  gab  es  gar  viele. 
Ruhte  das  Schwert,  so  gab  es  Trinkgelage,  Jagd  und  Prasserei,  dazu 
passte  der  Hofnarr,  aber  nicht  der  Sänger.  Man  verscUoss  ihnen 
das  Thor.  Wohl  zogen  noch  einige  Zugvögel  umher;  aber  elend  und 
annselig,  wie  ihr  Lohn,  ist  auch  ihr  Thun  und  ihr  Leben,  nur  die 
Spruehaprecher  und  Lobhudler  machten  noch  ihr  Glück  und  fanden 
Gehör. 

Desto  willkommener  hiessen  die  Bürger  den  Gesang,  sie  pflagen 
der  Kunst  —  so  gut  sie  selbe  erfassten  und  verstanden.  Gott  segne 
das  ehrbare  Handwerk! 


Drittes  Buch. 


Dramatieche  Dichtimg', 


Das  mfttelalterliche  Drama  ist  aas  dem  kirchlichen  Grottesdienst 
und  aas  dem  fröhlichen  frischen  Volksleben  herausgewachsen.  Demge- 
mäss  ist  es  doppelter  Natur;  es  zerfUlt  in  das  religiöse  Schauspiel, 
die  sogenannten  Mysterien,  und  in  die  Comödie,  ans  der  sich  unser 
heutiges  Theater 'entwickelte. 

Die  Geschichte  des  religiösen  Schauspiels  ist  mit  der  Kurche  ver- 
knüpft, es  erstand  aus  ihrer  Liturgie,  gerade  wie  bei  den  Griechen. 
Wie  zuerst  die  Jungfrauen  am  Orakel  des  pelasgischen  Zeus  zu  Do- 
dona  ^dem  allmAchtigen  Baumeister  der  Welt  und  dem  freondlicheq 
Herdgenossen  der  Menschen*^  ihre  Hymnen  sangen,  ')  so  erscheinen  in 
den  frühesten  Anfängen  der  Mysterien  die  als  Frauen  verkleideten 
Priester ,%  die  in  der  Kirche  zum  Grabe  Christi  wallen,  vom  Engel 
die  Kunde  seiner  Auferstehung  vernehmen  und  mit  dem  Freuden- 
gesange  ^Christ  ist  erstanden^  zum  Altare  zurückkehren.  Wie  bei 
den  Festen  des  Dionysos  der  Chor  zuerst  seine  Reigen  zu  den  wech- 
selnden Strophen  fährte  und  die  Geschiente  des  Gottes  mimisch  darge- 
stellt wurde,  so  that  auch  das  christliche  Drama  dessgleichen ,  wobei 
der  Tanz  lange  Zeit  sein  tausendjähriges  Recht  behaupten  wollte  und 
nur  mit  Mühe  unterdrückt  werden  konnte. 

Die  E}ntstehungsgeschichte  der  griechischen  Dramatik  bildet  über- 
haupt zum  ersten  christlichen  Schauspiel  eine  merkwürdige  Analogie. 
Dionysos  war  (wie  der  Mythus  berichtet,  der  durch  die  Cadmus-Colonie 
um  1500  vor  Christus  nach  Griechenland  kam  und  an  das  ungefkhr 
um  eben  diese  Zeit  dem  Volke  Israel  gegebene  Mosaische  Gesetz 
erinnert)  der  Sohn  des  höchsten  Gottes  und  einer  sterblichen  Mutter, 
also  der  von  dem  Menschen  im  tiefsten  Innern  seines  Herzens  ersehnte 
Mittler  zwischen  Gott  und  Menschen,  zwischen  Geist  und  Sinnlichkeit; 
er  war  der  menschgewordene  und  in  die  Sphäre  der  Sinnenwelt  herab- 


'j  Vgl.  Lasaulx  Das  pelasgiscbe  Orakel  des  Zeus  sa  Dodona.  1841    u.  H.All 
Theater  uod  Kirche.  1846. 


604 

* 

steigende  oder  vielmehr  mit  jedem  neuen  Frühling  aufs  Neue  erstehende 
und  sich  offenbarende  Gott,  der  durch  das  von  ihm  dargereichte  (Je- 
schenk,  den  Wein,  den  Menschen  es  möglich  machte,  auf  kurze 
Stunden  wenigstens  die  alltägliche  Welt  zu  vergessen  und  sich  in  die 
Seligkeit  des  Grötterhimmels  hineinzuträumen.  Auf  den  heiligen  Bergen 
entsprang  die  Quelle  der  Poesie,  der  lyrischen  wie  der  dramatischen; 
hoch  sprang  die  crystallne  Säule  empor,  in  ihr  spiegelte  sich  das  ganze 
Wissen  und  Glauben  des  Volkes  und  seiu  ganzer  Schatz  religionsphi- 
losophischer  Vorstellungen  und  Ideen  lag  zu  Grunde.  Wie  aber  der 
Quell  am  Bergeshang  lustig  hinabrann,  da  trübten  sich  die  Wellen,  bis 
sie  Blut,  Erde  und  Unrath  führend;  hiuabpolterten  und  über  ihre  Ufer 
ausgetreten,  in  die  Ebene  sich  verloren.  Was  aber  gleichsam  nur  ein 
ahoungsreiches  Vorspiel  gewesen  im  Jugendalter  der  Menschheit,  was 
eingehüllt  und  bis  zur  Unkenntlichkeit  vermummt,  der  Materie  wieder 
anheimgefallen  war,  das  war  mit  dem  Christenthum  Wahrheit  gewor- 
den,  das  hatte  die  Kirche  mit  heiligender  Kraft  und  alldurchdringender 
Liebe  aufgenommen.  Der  verwelkte  alte  Naturcult  bekam  einen  neuen 
Festcyclus  und  die  verschollene  alte  Kunst  wurde  der  früheren  Berech- 
tigung beim  Gottesdienste  zurückgegeben.  Wenn  das  Judenthom  den 
Drang  nach  Wahrheit  auf  Kosten  der  Rechte  der  sinnlichen  Natur 
befriedigte,  indem  der  Mensch  sich  hier  durch  eine  weite  Kluft  von  der 
Gottheit  getrennt  sah,,  so  stillte  das  Heidenthum  das  Verlangen  nach 
dem  sinnlich  Schönen,  aber  auf  Kosten  der  Wahrheit,  indem  hier  die 
Götter  zwar  hemiederstiegen,  aber  genauer  in*s  Auge  gefasst,  doch  nur 
todte  Steinbilder  verblieben ,  denen  die  schaffende  Phantasie  allein  ein 
problematisches  Leben  und  eine  träumerische  Herrlichkeit  verlieh.  Die 
starre  Wahrheit  des  Judenthums  mosste  sich  mit  den  Formen  der 
sinnlichen  Schönheit  befreunden  und  das,  was  im  Heidenthum  nur  der 
verklingende  Rest  einer  ehemals  ergangenen  VerHeiesang  war,  mosste 
Wahrheit  werden,  dann  er^  konnte  die  Sehnsucht  des  Menschen  nach 
beiden  Seiten  hin  befriedigt  erscheinen.  Das  geschah  im  Christenthum 
mit  dem  Dogma  von  dem  Gott  *-  Menschen ,  welches  einerseits  die 
Wahrheit  des  Judenthums  bestättigte,  andererseits  aber  dem  Bedürfiiiss 
der  sinnlichen  Nator,  Theil  zu  haben  an  dem  Göttlichen,  Genüge  leistete. 
Die  Künste  hielten  nun  alle  ihren  Einzug  in  das  Heiligthmn,  sie  hatten 
jetzt  erst  ihre  volle  Berechtigung  erhalten,  sie  nahmen  ihre  Stellung 
am  Altare  und  um  denselben  ein,  und  audi  das  Drama  wurde  bei  der 
Feier  in  reichlichem  Masse  zugelassen.  An  die  Stelle  des  um  den 
Opferaltar  gezogenen  früheren  Naturcyclus,  ordnete  sich  um  den  Altar- 
tisch des  heiligen  Mahles  das  Kirchenjahr,  die  Woche  und  der  Tag  mit 
seinen  Gebetstunden  und  unblutigen  Opfern  zu  einem  mehr  and  mehr 


m6 

dramatisch  gestalteten  Gottesdienste,  der  pndlieh  zu  eiheirt  formlicb 
symbolisch-liturgisclien  Drama  ward,  das  die  DarsteHung  des  Erlösungs- 
werkes zum  Inhalt  hatte  und  wovon  sich  erst  späterhin  die  Darstelt- 
ongen  einzelner  Theile  desselben,  namentlich  die  Geborts-  und  Passions^ 
geschichte  unseres  Erlösers,  als  Gegenstand  besonderer  Darstellungen, 
abzweigten  und  weiter  ausbildeten. 

Der  Mittelpunkt  des  altehristlichei)  Gottesdienstes ,  das  Officium 
der  Messe-^,  ist  ganz  dramatisch  geordnet;  sie  ist  eine  dramatische 
Gedächtnissfeier  und  eine  unblutige  Wiederholung  des  grössten  und 
heiligsten  Weltsohauspieles,  des  Leidens  und  Todes  Christi,  worin  alle 
einzelnen  Theile  den  Fortgang  dieser  grossen  Opferhandlung  darstellen, 
die  sich  gleichsam  in  fünf  Acten  vor  dea  Augen  der  anwesenden  Mit- 
opfemden  eütwickelt.  ^  Zuerst  im  Introitus  bis  >.um  Credo  die  Vor- 
bereitung und  Heiligung  des  Opfernden,  der  dett  heiliget  Berg  besteigt, 
dann  bis  zum  Canon  die  Oblation,  hierauf  in  der  Wandlung  bis  zum 
Pater  noster  die  unblutige  Opferfeier  selbst,  darauf  die  Grablegung  in 
der  Communion  und  endlich  am  Schlüsse  die  Danksagung  und  der 
Segen;  ferner  die  handelnden  Personen,  der  Priester  und  die  ihm  beim 
Hochamte  assistirenden  Leviten  und  das  Volk,  sie  sind  stets  im  leben- 
digen Wechselverkehr,  einander  anredend  und  antwortend ;  alle  einzelnen 
Theile,  die  Farbe  und  Gestalt  der  priesterlichen  Kleidung  und  des 
Altares,  ja  die  Grundform  und  der  Bau  der  ganzen  Kirche  selbst  -^ 
Alles  ist  symbolisch;  auch  die  Vesper  mit  ihrem  mehr  reflectirenden, 
lyrischen  Charakter  stellt,  dem  Chor  der  alten  Tragödie  vergleichbar, 
mit  ihren  Antiphonen,  Capiteln  und  Responsorien  eine-  Wechselhand- 
hing  des  Priesters  Tor,  der  am  Altare  als  Chorage  mit  dem  Volke 
des  Opfers  waltet.  Man  denke  sich  dazu  noch  die  dem  lebhafteren, 
prachtliebenden  Charakter  des  Orients  eötprechende  ür- Liturgie  des 
heil.  Chrysostomus:  Und  das  grossardgste  und  erschütterndste  Drama 
ist  fertig.  - 

Vorzüglich  war  es  die  altheilige  Zeit  von  Weihnachten  und  Drei- 
könißf,  wo  früher  auch  die  Ueberirdischen  ihren  Umzug  gehalten  hatten,*) 
ferner  der  Palmtag  mit  dem  Einzüge  Christi »  die  Leidenswoche  und 
Christi  Grablegung,  die  sehr  frühe  Darstellung  fanden,  dann  aber  die 
Feier  der  Auferstehung  am  Ostertage,  wo  als  Frauen  verkleidete  Priester 


')  Diese  Idee  hat  Guido  Görres  in  seinem  Aiifsalze  über  das  Pa^sionsspiel 
zu  Oberammergau  (in  den  Hislor.  polit.  Blättern.  1B40.  VLB.)  duribgefüiirt ; 
er  hat  auch  das  Verdienst,  die  Geschichte  der  altdeutschen  dramatischen 
Kunst  zuerst  angeregt  zu  haben. 

*)  Ueber  die  feierlichen  Vorbereitungen  des  iMiKelalters  auf  die  Weihnachtszeit 
vgl.  Wein  hold  Weihnachtopiele.  1853.   S.  45  IT. 


606 

zum  Grabe  kamen,  vom  Engel  angeredet  wurden  und  Enm  Altare  zu- 
rückgekehrt, die  Freudenbotschaft  von  dem  erstandenen  Heiland  im 
Jubelgesange  verkündeten:  Das  Alles  brauchte  nur  einige  Ausschmück- 
ung, um  ein  Gegenstand  der  entschiedensten  Votiiebe  des  Volkes  zu 
werden. 

Betrachten  wir  die  heiligen  Zeiten  des  Kirchenjahres,  so  shid  diese 
sowohl  flir  die  Entwicklung  des  religiösen  Schfiuspiels ,  wie  auch  für 
die  aus  dem  Volksleben  herausgewachsene  Dramatik  von  höchster  Be- 
deutung.    Vorerst  Weihnachten. 

Durch  die  Dänmierung  der  Adventabende  und  der  ZwöUn&dite 
gehen  noch  verschiedenartige  Gestalten  und  Wesen;  im  Norden  alt- 
heidnische Götter,  im  Süden  ^  die  lebendig  gewordenen  Bilder  der  bibli- 
schen Geschichte;  mitten  unter  ihnen  tauchen  aber  die  alten  Heiden 
auf  und  gemahllen  an  die  gestürzte  Dynastie,  deren  Reich  das  Kristkind 
eroberte.  Früher  waren  die  Ueberirdischen  eben  zu  solcher  Zeit,  bega- 
bend  und  segenspendend  in  den  Marken  umgezogen.  Was  also  heut  zu 
Tage  dabei  noch  gelingen ,  gesagt  und  agirt  wird ,  hat  f&r  uns  einen 
guten  Sinn. 

Es  war  die  heilige  Julzeit  der  Germanen.  Nach  der  vollen  Be- 
stellung des  Winterfeldes,  wenn  .alle  Ernte  in  den  Hof  eingebracht 
war,  begann  die  heilige  Zeit  des  Gottes.  Pa  zog  er  auf  seinem 
weissen  Rosse  durch  das,  Land,  empfing  Opfer  und  gab  Segen.  In 
der  Darstellung  des  ^Schimmelreiters*^  ^)  ist  die  Erinnerung  an 
diesen  Umzug  gewahrt;  ihn  begleitet  fast  überall  ein  B&r,  gleichfalls  rä 
heiliges  Thier,  oder  anderes  unheimliches  Gesindel  mit  geschwärzten 
G-esichtem  (Tirol).  St.^  Martin  musste  für  Wuotan  eintreten,  er  er- 
scheint Segen  spendend  und  bescherend;  ihm  wird  zur  Minne  getrunken; 
ihm  zu  Ehren  zecht  der  Bauer  in  der  oben  mitgetheilten  Erzihlnng 
des  Strickers.')  Der  „Pelzmärtel^')  ist  ganz  und  gar  noch  eis 
heidnischer  Unhold;  auch  der  wackere  ^Knecht  Ruprecht^^)  ist 
wieder  Niemand  anders,  als  ein  ruhmglänzender  (hruodperaht)  Gott 
und  Wuotan;  ihn  begleitet  Frau  Brecht  oder  Bertha;  an  ihre  Stelle 
ist  St.  Nicolaus  designirt  oder  ^der  rauhe  Klas,^  wie  er  wohl 
noch  genannt  wird,  der  sogar  bisweilen  noch  berittefk  kommt,  aber  auck 
als  kinderliebender  Bischof  in  Casula  und  Mitra  hereintritt,  von  einem 
dienstwilligen ,    apfelspendenden    Engel    begleitet.     Dagegen    hat    der 


■)  Verg!.  Rocbholz  Sageo.  II.  B.   S.  XXXIX.    Weiobold  Weihnacblspiek. 

S.  6  fr. 

<)  Vgl.  oben  S.  306  AT. 

*)  Sinrock  Mylbol.  S.  550. 

^)  Ebendas.  S.  549. 


607 

^Klaubanf^')  ganz  das  heidnische  Wesen  gewahrt;  er  ist  mir 
schrecklich  geworden.  Mit  Nicolaus  kömmt  auch  die  ^Habergaiss^ 
die  Ton  irier  Männern  gebildet  wird,  welche  mit  weissen  Kotzen  be- 
deekt  sind;  der  Vorderste  hält  einen  hölzernen  Oaiskopf  empor,  dessen 
entere  Kinnlade  beweglich  ist  und  womit  er  klappU') 

Diese  Umzüge  waren  das  Vorspiel  zu  der  Feier  der  zwölf  Nächtei 
Diese  Zeit,  wo  die  Sonne  ihren  Wendepunkt  erreicht,  bis  zu  dem  Tage; 
wo  sie  wieder  vorwärts  geht,  die  zwölf  Nächte,  die  Zwölften,  Rauch- 
nächte und  Loostage  genannt,  waren  ehedem  geheiligt;  der  Grott^sfriede 
.hei*rschte.  Alles  ergab  sich  der  festlichen  Freude.  Und  die  Gottheit 
wachte  sichtlich  über  die  Heilighaltung  ihrer  Z^it;  daher  noch  der 
Glaube,  dass  keine  Arbeit  vorgenommen  werden  dürfe;  nameMlich  ist 
nicht  zu  spinnen  erlaubt,  den  Uebertreter  trifft  die  Rache  der  missach- 
teten Götter,  besonders  die  Mägde,  deren  Spinnrocken  nicht  abgesponnen 
ist,  werden  von  der  hausmütterlichen  Göttin  Berchte  oder  Frau  Holl^ 
gestraft.  Auch  das  Haus  muss  fein  sauber  sein  und  gefegt,  sonst 
schneidet  die  Berchtel  den  faulen  Dirnen  den  Leib  auf  und  füllt  Kehricht 
hinein.  Das  glaubt  man  heut  zu  Tage  noch  so  gut  in  Tirol  wie  iii 
Aitbayem,  am  Lechrain  und  in  der  Oberpfalz.  Auch  erscheinen,  ent- 
sprechend an  der  Stelle  der  alten  Götter,  am  DreikÖnigtage ,  die  drei 
Weisen,  die  Magier;  Buben  singen  und  drehen  ihren  Stern  und  laufen 
in  den  Gegenden  noch  über  Land,  wo  die  Polizei,  die  sich  überhaupt 
gerne  \iber  alles  ächte  alte  Volksleben  legt,  selbes  noch  nicht  zu  ver- 
bieten geruhte. 

Andere  pflegen  „dasKristldnd  anzusingen,^  auch  sang  man  in  und 
ausser  den  Kirchen  Wiegenlieder,  meist  in  wechselnden  Strophen.  Einen 
Beleg  hieflir  bietet  die  (aus  Tegemsee  stammende)  Münchner  Hand- 
schrift, welche  die  Lieder  des  früher  genannten  Mönches  von  Salzburjg 
enthält;  allda  heisst  es:  ^Zu  den  Weihnachten  der  froeleieh  ympnus: 
^A  sotis  ortus  cardine.^  Und  so  man  daz  kindel  wigt  über  daz  ^Re- 
sonet  in  lau<£bus,^  hebt  unser  vraw  an  ze  singen  in  ainer  person: 
^Joseph  lieber  neve*)  mein;"  so  antwurt  in  der  andern  person  Joseph: 
„geren  liebe  mueme  mein."  Darnach  singet  der  kor  die  andern  vers 
in  einer  diener  weis,  darnach  der  kor."*)  Man  kann  daraus  entnehmen, 


*)  Vgl.  Grimm  8.  483.    Alpenburg  Mylhen.  S.  00. 

')  Haberffeis:  Simrock  S.  549.  Zingerle  Yolksmeinungen.  S.  42  u.  130. 
Alpenburg  Mylhen.  S.  250  u.  38.5.  Vonbiin  Vorarlberg.  S.  21  und  in 
Pro  man  US  Mundarten.  IL  513. 

*>  nere  gill  allgemein  als  Verwandtv ;  Joseph  dagegen  heissl  sie  nach  der 
bibKscäeB  Verwandtschaft  seine  Muhme. 

4)  Pfeiffer  in  den  Alldeul.  BIfttl.  IL  329  u   341  f 


«08 

äam  eine  Kri[^  anfgebiuit  war,  an  der  Maria  sa^s  und  den  beiligeo 
Joseph  auflforderte,  da$  Kindlein  zu  wiegea  «od  anirasiogeQ. 

Mehr  dramatische  EntwicUung  war  jedoch  dorch  die  Ankunft  der 
Magier  geboten,  welche  schon  sehr  Arähe  dargestellt  wurde.  Haben  wir 
ja  doch  ein  glaubwürdig  aus  dem  IX.  Jahrh.  stanmiendea  Spiel  in  einer 
gleichzeitigen,  bereits  sehr  gebrechlichen  und  verwaschenen  Freiainger 
Hapdschrift,  weiche  fUr  uns  nebenbei  noch  das  Interesse  hat,  dass  «s 
wahrscheinlich  der  letzte  Codex  war,  mit  dem  sich  unser  unvergesslicher 
Schmeller  beschfiftagte;  er  copierte  d\e  Schrift  und  sandte  sie  an 
Weinhold  in  Graz,  wenige  Tage  vor  seinem  Tode.  Weinhold 
versuchte  nun  mittelst  des  Orleanser  Mysteriums  und  dem  Rituale  von 
Ronen  die  Lücken  theilweise  auszufüllen.  |) 

Diese  adoratio  wßx  offenbar  eine  Kirchen  Vorstellung,  die  nadi  der 
Terz  des  Epiphanientages  folgte.  Die  Könige  ,mit  Kronen  geschmückt 
zc^en  in  den  damals  üblichen  „ Reisekappen, "^ ')  wahrscheinlich  aus 
drei  verschiedenen  Theilen  der  Kirche  auf  den  Altar  zu ,  vielleicht 
sogar  von  Dienern  begleitet,  welche  in  Tuniken  und  Ueberwürfen  dje 
Ge$<;henke  trugen. 

Der  erste,  aus  der  Mitte  kommende  König  weist  mit  dem  Stabe 
nach  dem  Stern  und  spricht:  Stella  fulgore  nimio  rutilat;  der  Zweite, 
yon  Rechts  kommend,  deutet  gleich  richtig,  dass  dieser  die  Greburt  des 
Königs  der  Könige  bedeute,  indess  der  Dritte,  von  Links  kommend,  die 
Erinnerung  an  die  alten  Prophetien  erneuert  Da  treffen  die  Magier 
vor  dem  Altare  zusammen,  küssen  sich  und  singen:  Eamus  ergo  et 
tnqoiramus  eum,  offerentes  ei  munera,  aumm,  thas  et  mirram,  und 
eintretend  in  den  Chor ,  fragen  sie  nach  dem  neugebomen  König  der 
Juden,  sie  forsd^en  bei  den  Bürgern  Jerusalems,  von  denen  Einer  gleich 
zu  Herodes  stürzt,  der  sie  so  ausforschen  lässt: 

Qoae  remm  novitas  aut  qnae  vos  causa  subegit 
ignotas  temptare  vjaa?  quo  tenditis  ergo? 

quod  genus?  unde  domo?  pacemne  hnc  fertis  aut  arroa? 

> 
Man  denkt  dabei  unwillkührlich  an  die  Schilderung  im  Heljand, 

wo  die  Weisen  als    „Wehrmänner  von  Osten,    als  Emire    und  biderbe 

Degen ^  dargestellt  sind;    sie  finden  den  reichen  Herodes  den  schnöden 

und    meinhardigen    und   stets   mordbegierigen  König    in   seinem  Saale 

sitzen;    ohne  Säumen  fragt  er,    welch  Gewerbe   sie  auf  den  Weg  ge- 


')  W ei D hold  Weihnachlspiele.  S.  56  ff. 

*)  Diese  Kappen  waren  weile  üebertieiier  nii  AernelD ,  wekbe  die  gane  Ge- 
stalt von  Kopf  bis  zum  Passe  verbttHten ,  sie  wurden  voriftglieli  aaf  Betsea 
gelrageo  uoa  waren  sehr  bequem.  Vgl,  obea  S.  910i  AüP* 


braeht,  die  ^WehnnaäDer  äüf  die  WalUahrt  Mit'  verttditlidiem  Spotte 
spricht  er:  Ihr  führt  wohl  gewnsdenes  Gold  (Bange  oder  Goldringe) 
zur  Gabe  für' jeden  Gaomann,  zn  dem  ihr  «o  im  Gange  kcmitnt  zu 
Fasse  gefUhorea;  wo  ihr  feirnher  seid,  weiss  ich  nicht,  wahrsoheinlich 
SpiK^inge  anderer  Geschlechter,  Abkömmlinge  von  gntesl  Äde).  --^  in 
der  Fr^saoger  y,adoratio^  examinirt  sie  Herodes  gleichfalls  persönlich, 
sie  nennen  Tharsis,  Arabien  und  Saba  ihre  Heimath  ohd  deuten  aaeh 
ihre  mystischen  Geschenke;  dann  werden  durdi  einen  ^miles^  dki 
^Schreiber^  citirl  und  diese  Über  den  bedenklichen  Fall  ans  den 
heiligen  Bftchem  zur  Rechenschaft,  gezogen. 

Herodes  wird  wüthend  und  schmäht  sie  mit  leider  verlorenen 
Sdiimpfw5rtem ,  indem  er  ihnen  ihre  Bücher;  ohne  Zweifel  zum  Jubel 
des  zuschauenden  Volkes,  an  den  Kopf  wirft.  Darauf  werden  ^  pro- 
oeres  beitagt,  die  hohen  Priester  (die  im  Heljand  als  ^cUe  allergescheu- 
testen  un  Sprechen,  die  in  ihrer  Brust  am  meisten  Buchweisheit  wissen^ 
anfg^tthrt  sind);  ein  Waffenträger  des  Herodes  gibt  schlauen  Rath,  die 
Magier  aber  werden  sclileunigst  weiter  geschickt.  Der  Stern  leuchtet 
ihnen  nmi  audi  wie^r  vor. 

So  begegnen  sie  den  Hirten;  erstaunt  fragen  die  obstetrices,  wei' 
dif  fremden  Ankömmlinge  seien  und  weisen  selbe  zu  dem  neugebornen 
König,  vor  dem  die  Mi^er  sich  niederwerfen.  Eän  Engel  mahnt  sie, 
andere  Wege  zurückzukehren. 

Das  sind  die  Beste  eines  sehr  anerkennenswerthen  Stückes,  welches 
eine  ziemliche  Ausbildung  des  Drama  voraussetzt  und  vieler  Personen 
zur  Ausführung  benöthigt  war,  dessgleichen  einer  Scenerie;  denn  olme 
Stall  zu  Bethlehem,  der  vielleicht  in  einer  Seitencapelle  untergebracht 
war,  wird  es  schwerlich  abgegangen  sein.  Hieran  schloss  sich  dann 
eine  Darstellung  des  Kinderraordesy  von  dem  in  dieser  Handschrift 
leider  nur  der  Beginn  erhatten  ist  Doch  handelt  davon  ein  anderes 
Stück: 

Ordo  Racheiis  beätelt,  welches  eine  Freisinger  Handschrift  des 
XI.  Jahrb.  Überliefert  hat.  Es  beginnt  mit  der  Anbetung  der  Hirten 
uod  der  Mahnung  des  Engels  an  Joseph  nach  Aegypten  zu  entfliehen. 
Herodes,  wüthend  bei  der  Kunde  vom  Entweichen  der  Magier,  beschliesst, 
alle  zweijährigen  Knäblein  zu  tödten,  Was  der  ^armiger*'  auch  ruhig 
mit  den  Worten  „disce  mori  puer!"  beginnt.  Indessen  singt  der  Chor 
den  bekannten  Hymnus  auf  das  Epiphaniafest: 

Hostis  Herodes  impie, 
Christum  venire  quid  tiibes  u.  s.  w. ') 


)  Vgl.  Simrock  Ltuds  Sion.  S.  ^ 

39 


610 

Darauf  eii^fot  Rachel  die  Klage  ttber  die  geMlesen  Rleinen, 
eine  Trösterb  tritt  berza  and  so  gestattet  sich  em  Duett,  das  mit  einem 
.Te  Deam  laadainas^  endet. 

Wir  werden  später  noch  ein  Weihnfachtspiel  zo  besprechen  balien. 
Vorerst  wenden  wir  uns  im.  Jahreskreise  weiter  schreitend  znr  Oeter- 
f e  ie  r.  Aach  sie  ist  schon  in  dem  vorchristlichen  Volksleben  begrfindet; 
unzählige  Gebräuche  und  allerlei  räthselfaafte  Vorkommnisse  weisen 
dahin.')  Der  schönen  Schwester  des  Donnerers,  der  Gr5ttin  des  auf- 
steigenden Lichtes,  des  strahlenden  Morgens  und  des  wiederkehrendeo 
Frühlings  war  ehebevor  diese  Zeit  heilig,  Ostara*s  Name  klingt  noch 
aas  der  deutschen  Benennung  des  Pasha.  Ihr  gelten  der  zierHehe  Frauen- 
schuh, der  da  und  dort  in  das  Osterfeuer  geworfen  wird  und  das 
Gertrudenkraut,  ihr  zu  Ehren  werden  die  Eier  gefärbt  und  die  Heihgeii 
Walpurgis  und  Mechtild')  roussten  sich  es  gefallen  lassen,  dass 
allerlei  unverdächtige  Anzeichen  eines  früheren  Cnltes  auf  sie  Abertragen 
wurden.  Es  ist  die  grosse  Feier-  und  Frendenzeit,  ^ie  dem  Baiwarea 
durch  die  Auferstehung  des  Weltheilandes  noch  lieber  wurde  und  die 
er  alsbald  nach  seiner  Christianisirung  mit  aller  möglichen  Pradit  ans- 
ZBschmiicken  begann. 

In  allen  Kirchen  des  fränkischen  Reiches  wurde  die  Erimiem^ 
an  die  grosse  Leiden^woche  des  Welterlösera  vor  dem  Volke  auf  eigen- 
thümliche  Weise  unter  Mimik  und  Gesang  a  begangen.  Die  Eänleitong 
dazu  hub  am  Palm  tage  mit  einem  feierlichen  Umgang  an,  wobei  der 
Heiland  einzog;  alte  frühzeitige  Nachrichten  erzählen,  dass  die  Jugend 
dabei  einen  Esel  herumluhr,  in  welchem  scharfsichtige  Forscher  gleich- 
falls ein  heidnisches  Götterthier,  das  als  Goldesel  noch  eine  grosse 
Rolle  im  Märchen  spielt,  zu  erkennen  wagten;  die  Sito  hielt  sich  übri- 
gens lange  und  war  noeh  im  Anfange  dieses  Jahrhunderts  in  U^nng. 
Bedeutender  ihrer  dramatischen  Gestaltung  wegen,  war  das  AbshigeD 
der  Leidensgeschichte;  an  vielen  Orten  wurde  ^der  Passion^  deatsch 
gesungen,  wie  heute  noch  vmn  Mosikchore  ans ;  der  Messner  vertritt  die 
Stimme  des  Evangelisten,  der  Geistliche  den  Heiland«,  eme  Knaben- 
stimme die  Magd,  der  Schullehrer  den  Petrus  Und  das  Volk  bildet  den 


')  Dazu  gehören  z  B.  das  Osler  gel  achter^  die  in  der  Kirche  enihiles 
Ostermärletn,  welche  im  J.  1802  noch  in  der  Nahe  von  München  Oblicii 
waren;  dass  dabei  wirklich  achte  Märchen  erzählt  wurden,  bewehrt  die  Notiz 
im  Tagblatt  1802.  S.  793:  der  Pfarrer  erzählte  ^on  einen  HockeHcbiMk 
Hinkenden  und  Einäugigen,  der  ausging,  um  sich  einen  Gevatter  sn  sncbea 
nnd  den  Tod  antraft  u.  a  w. 

')  Tn  ganz  dberraschender  Weise  loderte  der  sMe  Ciilt  noch  einmal  anf  beiai 
Tode  der  hl.  Mechtild  zu  Di  essen  am  Ammersee  (t  1160),  der  Tochlcr 
des  Grafen  Berthold  II.  von  Diessen  und  Andecbs;  ich  werde  In  einer  aa- 
deren  Schrift  ausföhrlieh  anf  diese  uod^aBdere-ErscInaiiraageD  snrMikoaMMk 


$11 

Gber.  Aimh  cKe  dazo  gehörige  Handlang  wtirde  darob  Priesteir  und 
Kleriker  und  zwar  in  verschiedener  Kirchenkleidnng  gegeben.  Stehend 
unter  don  Krenze  des  vielgeliebten  Sohnes  sang  Maria  am  Charfreitag 
die  röhrende  Klage,  viele  Lieder  dieser  Art,  vom  XI.  Jahrb.  ange- 
fangen bis  zum  XV.  haben  sich  als  Belege  dieser  Sitte  erhalten» 
Nachdem  daraaf  das  Bild  des  Grekreozigten  in  weisses  Linnen  gelegt 
imd  in*s  heHige  Grab  getragen  worden  war,  zogen  in  der  Ostemacht 
Sswei  oder  drei  Kacone  mit  der  weissen  Gappa  nnd  einem  Hnmerale 
fA>er  dem  Haapte  bekleidet  und  jeder  mit  einem  Weihraaohgefftsse  von 
seltsamer  Form  versehen ,  zur  Grabstfttte  hin.  Sie  stellten  die  heiligen 
Frauen  vor,  die  am  Ostermorgen  das  Grab  unseres  Herrn  besuchten. 
Auf  ihrem  Hingange  sangen  sie  in  feierlich  ernster  Haltung  die  Anti*^ 
pbon:  ^Wer  wird  uns  deti  Stein  von  der  Oefiriung  des  Grabes  weg- 
wälzen? Alleluja!^  Indessen  hatten  zwei  andere  Kleriker  in  Dalmatiketi 
gekleidet  und  das  Haupt  mit  dem  Humerale  verhQllt,  das  heil.  Grab 
besetzt;  sie  stellten  die  Engel  vor.  Wie  nun  die  erstgenannten  #ihren 
Gesang  vollendet,  begannen  zwischen  Engeln  und  Frauen  folgende 
Wechselgesftnge : 

Engel:    Wen  suchet  ihr  im  Grabe,  o  Christinnen? 

Die  heil.  Frauen:  Jesum,  den  gekreuzigten  Nazarener,  ihr 
Himmelsboten ! 

Engel:  ^Er  ist  nicht  mehr  hier.  Er  ist  auferstanden,  wie  Er  es 
zum  voraus  sagte;  gehet  und  verkündet  es,  dass  Er  auferstanden  ist, 
Alleluja!  Kommt  und  sehet  den  Ort,  wo  der  Herr  hingelegt  war. 
Allelujaf  Alleluja! 

W&brend  der  letzten  Antiphon  traten  die  drei  Kleriker,  welche 
die  heil.  Frauen  vorstellten,  zu  jener  Stelle  hin,  wo  da»  Crudfix  lag, 
welches  schon  vor  der  Auferstehungafeier  entfernt  worden  war  und 
inzensirten  den  Ort,  dann  nahmen  sie  das  Leintuch  sammt  den  Bauch- 
gefässen  und  kehrten  zum  Chore  zurück,  mit  halblauter  Stimme  singend: 
Nun  mögen  die  Juden  sagen,  auf  welche  Weise  die  Soldaten,  die  das 
Grab  bewachten,  den  König  verloren,  da  es  mit  einem  Steine  ver- 
schlossen war.  Warum  bewahrten  sie  den  Fels  der  Gerechtigkeit  nicht? 
Mögen  sie  entweder  den  Begrabenen  zurückgeben,  oder  mit  uns  den 
Auferstandenen  anbeten  und  sprechen:  Alleluja! 

Zu  den  Jüngern  Christi  sich  wendend,  sangen  sie  femer:  „Wir 
kamen  weinend  zum  Monumente  und  sahen  einen  Engel  des  Herrn,  der 
da  sass  und  sprach ,  dass  Christus  auferstanden  sei.^  —  Auf  dieses 
erschien  am  Altar  ein  Priester  in  rother  Casula,  die  Auferstehungsfahne 
in  seiner  Hand,  den  erstandenen  Erlöser  voriitellend^  wie  er  sich  den 

39« 


612 

heil.  Frau€in  zu  erkeunen  gab.    Die  ganse  Feier  ^cbles8  mit  Jobelodeo 
Ostergesängen  und  dem  Te  Deum  kuidamus.  *) 

Wir  werden  Jn  der  Folge  aaf  eiit  seliöiies  Onterspiel  treffen ,  das 
auf  diesem  liturgischen  Bqden  sich  aue^gew^chsen,  vorerst  ab«r  kommt 
ia  historischer  Reiben  folge  das  grandiose  Ludus  de  adventu  et 
interitu  Antichrist),  welches  frei  dasteht,  obwj^l  es  gleichfails 
in  der  österlichen  Zeit  dargestellt  wurde.  Es  war  nieht  aUein  ein 
Schaustück,  sondern  auch  ein  Singspiel,  oder  eine  Oper,  de  mit  dem 
höchsten  Pomp  aofgeputet  war  und  allerlei  KünstliiihkeiteQ,  vorerst  aber 
einen  tüchtigen  Regisseur  erforderte.  Der  uns  erhaltene  Text  stammt 
aus  Tegernsee  und  ist  wahrscheinlich  nach  d^n  Entwürfe  des  Dich- 
ters abgeschrieben,  der  bei  der  Inscenining  vielföltig  weiter  ausgeführt 
ward. ^)  Dass  der  ziemlich  fabelhaft  gewordene  ^Wernher  vod 
Tegernsee^  der  Verfasser  gewesen,  wird  wohl  Niemand  mehr  emstf 
Heb  behaupten  wollen,  wenn  man  den  Dichter  des  ^Marienlebens^  ^) 
darnivber  versteht,  der  ül^haupt  den  Beinamen  von  Tegernsee  nimmer 
geniessen  kann;  doch  wlre  es  immerhin  möglich,  dass  gerade  dieses 
Stück  einem  wirklich  diesen  Namen  tragenden  Componisten  gehörte, 
der  sich  in  diesem  Fache  in  seiner  Zeit  ganz  unvergleichlich  hervorthat 

Es  ist  unstreitig  auch  ein  politisches  Spiel.  Man  will  sogar 
wissen,  es  sei  vor  dem  Heldenkaiser  Friederich  Barbarossa  aufgeföhrt 
worden,  welcher  der  Schirmvogt  des  Klosters  gewesen.  Eigenthümlich 
ist,  dass  das  römische  Kaiserthuro  deutscher  Nation,  wie  qs  in  der 
Stauferzeit  als  Weltherrschaft  galt,  darinnen  eine  beinahe  zweifelhafte 
Rolle  spielt.  Sollte  die  Tendenz  dabei  gewesen  sein,  den  Kaiser  zum 
Kreuzzuge  zu  treiben  und  noch  mehr  dafür  geneigt  zu  machen?  Da« 
Jahr,  in  welchem  es  zur  Aufführung  gekommen  sein  kann,  wäre  danu 
beiläufig  1189,  in  welchem  der  Kaiser  bereits  zur  „Grottesfahrt^  ge- 
rüstet, in  die  Nähe  von  Tegernsee  kam.  Damals  stund  dem  Kloster 
der  Abt  Manigold  vor,  da  Abt  Conrad  am  17.  Januar  1189  ver- 
storben  war. 

1^  Die  Scenerie  ist  genau  angegeben:  Im  Hintergrunde  gegen 
Osten  steht  der  Tempel   des  Herrn;    das   wäre    möglicher   Weise    die 


>)  Vgl.  Schubiger  S.  69. 

')  Abgednickl  von  Pes  in  dessen  Thesaurus  anecdot.  1721.  11.  3.  186  ff.  Es- 
gel  bar  dt  schrieb  ein  latein.  Programm  daräber  Erlangen  1831.  Kngler 
brachte  den  StoflT  in  eine  Novelle  (vgl.  dessen  belletristische  Schriften.  1851. 
Vn.  ß.),  die  allen  bislor.  Gnrades  entbehrt.  Gödeke  ürandriss  S.  55  a.  IM 
und  K.Hase  in  seinem  ansgeseichneleu  Bach  über  das  geistliche  Schau- 
spiel. Leipzig  1858.  S.  26  AT.  Ueber  die  verschiedenen  mittelalterlichen  Le- 
genden vom  Antichrist  vgl  Menzel  l>eut.  Dicht  I.  256  1f, 

*)  S.  oben  S*  367. 


613 

Tegernseerkirche  selbst,  da  entweder  aof  dem  Friedhofe  oder  im  Hofe 
des  Klosters,  vor  dem  Portal  der  Kirche  gespielt  wurde.  Davor  stehen 
nach  den  Weltgegenden  die  sieben  Thronsitze  der  Hauptpersonen  mit  ihren 
Scbaaren.  Unmittelbar  vor  dem  Tempel  soll,  nach  dem  Textbuch,  der 
Thron  des  Königs  von  Jerusalem  und  der  Sitz  der  Synagoge  aufgestellt 
werden;  gegen  Westen  der  Thron  des  römischen  Kaisers ;  hier  befmden 
sieh  auch  die  Throne  des  deutschen  und  fränkischen  Königs.  G^gen  Süd- 
ost ist  der  grieeh»che  König  placirt,  gegen  Mittag  thronte  der  König 
von  Babj^OD  und  jener  der  Heiden.  Nachdem  das  also  eingelichtet, 
tritt  zuerst  das  Heiden thum  (Grentilitas)  mit  dem  babyloni- 
schen König  in  Versen  singend  vor:  Sie  behaupten  die  Unsterb- 
lichkeit der  Götter,  die  in  ihrer  Vielzahl  überall  verehrt  und  gefurchtet 
werden  sollen;  ^Tboren  und  ganz  Unsinnige  allein  können  einen  Gott 
glauben  und  der  festen  Annahme  des  Altertfaums  zu  widersprechen 
wagen.  Wenn  wir  nämlich,  lautet  ihr  Dqgma  weiter,  auch  an  Einen 
glauben,  der  dem  AU  vorstehe,  so  geben  wir  dagegen  zu,  dass  dieser 
Eine  verschiedenen  Anderen  untergeordnet  sei.  Da  dieser  des  Friedemr 
Grut  mit  milder  Güte  hegt,  430  ist  es  Jener,  der  mit  wilder  Wuth  4e8 
Krieges  Sturm  erregt.  So  sfnd  ihrer  Viele  und  ihre  Amtierung  ver- 
schieden, und  darin  liegt  der  Beweis  för  ihren  Unterschied.  Wollte 
einer  behaupten,  dass  so  vielen  Dingen  Einer  vorstehe,  so  müsste  er 
doch  durch  die  Gegensätze  derselben  berührt  werden;  da  whr  aber  nicht 
zugeben,  dass  Einer  den  Gegensätzen  unterliege,  sondern  im  Gegen- 
theil  durdi  diese  göttlichen  Wesen  berührt  werde:  so  entscheiden  wir, 
dass  die  Götter,  deren  Walten  wir  von  einander  verschieden  sehen, 
sich  auch  unter  sich  unterschdden.''  Dieser  mit  ^Deorum  immortalitas*' 
'  anheblnde  Chorgesang  wird  in  der  Folge  während  des  Spieles  npch  oft 
wiederholt.  Unterdessen  nehmen  das  H^identhum  und  der  König  von 
3abel  ihre  Sitze  ein. 

2«   Hierauf  zieht  die  Synagoge  mit  der  Judenschaft  herein  mit 
folgendem  Gesang: 

^ Unser  Heil  und  unser  Hoffen  ist,  0  Herr!  nur  stets  bei  Dir! 
Nicht  den  kleinsten  Trost  auf  Erden  bei  den  Menschen  finden  wir. 

Wer  kann  je  auf  Christi  Namen  seines  Heiles  Hoffnung  gründen  ? 
Denn,  wie  wäre  der  im  Stande,  der  dem  Tode  miterlegen 
Anderen  init  seinen  Kräften  zu  verleihn   des  Lebens  Segen! 

Wer  von  dem  die  Rettung  glauben,  der  sie  selbst  nicht  konnte  findeti? 
Nicht  die  Menschen  können  helfen,  Einer  ist  Emanuei, 
Drum  mit  gläubigen  Vertrauen  betet  an  Gott  Israel. 

Jesum  und  den  anderen  Göttern  sollt  ihr  ewig  Fluch  verkünden!^ 


<14 

r^-  % 

Aach  sie  wiederholen  diettee  Cnotolra  sala»)  in  der  Folge  aooh  oft-^ 
mals,  onterdessen  nehmen  sie  ihre  JSiUe  ein.  Daraof  nähert  sich  die 
Kirche  (Ecclesia),  sie  trAgt  eine  Krone  fuif  dem  Haapie  nnd  einen 
Panzer  am  Leibe,  weibliches  Gewand  umwaUt  ihre  Olieder;  äir  sv 
Rechten  schreitet  die  Barmherzigkeit  mit  dem  Oelsweig,  ihr  eor 
Linken  die  Gerechtigkeit  mit  Wage  und  Schwert;  auch  diese  sind 
als  I^ran^  (maliebriter)  gekleidet;  auf  der  rechten  Seite  folgt  ihnen 
der  apostolische  Vater  (Apostolicos)  mit  dem  Glerus,  auf  der 
linken  Seite  der  römische  Kaiser  mit  seinen  Kriegsmannen.  Die 
Ki-rche  aber  singt  von  ihrem  Gefolge  respondirt: 

„Doch  aus  'einem  solchen  Leben,  das  des  Todes  Macht  vernichtet, 
Ist  der  Glaube  auferstanden,  hat  zum  Himmel  sich  gelichtet. 
Wer  der  neuen  Glaubenswahrheit  nicht  will  unterwerfen  sich 
Ist  an  Leib  und  Seel'  verloren,  hier  und  dorten,  ewiglich.'' 

Sie  wendet  sich  mit  dem  Apostolicas  nnd  dem  Glems,  nebet  dem 
Kaiser  und  seinem  Gefolge  an  ctie  ihr  bestimmte  Stelle  nnd  nimmt 
ihifen  Sitz  ein.  Hierauf  traten  anch  die  anderen  Könige  mit  ihren  Be- 
gleitern vor,  jeder  sang  etwas  Passendes  ond  ging  dann  an  seinen  Thron. 
Der  Tempd  ist  wieder  frei  sichtbar.  Doch  steht  noch  ein  Thron  leer. 

3*  Hierauf  begann  der  Kaiser;  er  sendet  seine  Gesi^ndten  zuerst 
an  den  Frankenkönig  mit  der  Botschaft  (sicut  scripta  tradunt): 

Wie  in  allen  alten  Schriften  aufgeschrieben  steht  zn  Jesen 
Ist  dereinst  die  ganze  Erde  römisches  Eigenthum  gewesen, 

das  habe  die  Tapferkeit  der  Urahnen  zu  wege  gebracht,  aber  die  Un- 
thätigkeit  der  Nachkommen  wieder  verscherzt,  sie  haben  die  Macht  des 
Reiches  zerfallen  lassen,  wir  aber  wollen  sie  wieder  herstellen.  Darum 
sollen  alle  Könige  dem  römischen  Reiche  den  früher  bestimmten  Tribut 
bezahlen.  Das  im  Kriege  also  starke  Volk  der  Franken  soll  mit  seinen 
Waflfen  dem  Könige  dienen;  tragt  also  dem  Könige  auf,  dass  er  in 
nächster  Zeit  mit  Treuen  dieses  leiste. 

Die  Boten  madben  sich  mit  diesem  Auftrage  auf,  geben  inro 
Frankenkönig,  stellen  sich  vor  denselben  mid  singen:  ^Heil  «itbietet  der 
Kaiser  der  Römer  seinem  geliebten  und  erlauchten  Könige  der  Frankes. 
Deiner  Einsicht  ist  es  sicherlich  bekannt,  dass  dem  Römerrechte  Du 
nnterthan  sein  sollst.  Desshalb  fordert  Dich  zurQck  des  höchsten  Herr- 
schaft Spruch,  der  zu  halten  nnd  inunerdar  zu  f&rofaten  ist  In  seinem 
Dienste  laden  wir  Dich  ein  und  befehlen  Dir,  schn^  zu  kommen  nach 
dem  Gebote.^ 


615 

Dieser  erwidert  jedoch  kurz  ablehnend:  „Wenn  man  den  Geschieht^ 
Bcbreibem  einigen  Glauben  schenkt,  so  gehören  nicht  wir  dem  Reiche, 
sondern  dieses  uns.  Denn  jenes  haben  die  älteren  Gallier  schon  beses- 
sen und  uns,  ihren  Nachkommen,  hinterlassen.  Das  wird  uns  jetzt  durch 
rinberisohe  Gewalt  entrissen;  fem  sei  es,  dass  wir  Räubern  gehorchen.*^ 

So  entiassen,  kehren  die  Abgeschickten  zurttck  und  erstatten  vor 
ihrem  Kaiser  den  Bericht :  ^Uebermnthig  haben  sich  die  Franken  übet* 
Dich  erhoben  und  widersetzen  sich  hartnäckig  Deiner  Majestät;  selbst 
Deines  Reiches  Recht  wird  geschwächt,  indem  sie  selbes  ein  räuberi* 
sches  nennen.  Also  mögen  sie  mit  gerechter  Strafe  gezüchtigt  und 
gewitzigt  werden,  damit  an  ihnen  Andere  gehorchen  lernen.^ 

Darauf  singt  der  Kaiser:  „Stets  vor  dem  Sturze  tritt  derHochmuth 
ein,  darum  wundert  Euch  nicht,  wenn  sie  öbermöthig  reden!  Ihren  Stolz 
werden  wir  sicherlich  brechen  und  unter  unseren  Füssen  sie  zermalmen. 
Die  jetzt  als  Krieger  uns  nicht  folgen  wollen,  werden  bald  als  Sclaven 
uns  dienen  müssen.  ** —  Sogleich  zieht  er  mit  seinen  Heeren  gegen  den 
Frankenkönig,  der  ihm  schon  entgegenrückt;  es  gibt  eine  Schlacbt, 
in  welcher  der  Franke  überwunden  und  gefangen  zum  Throne  des 
Kaisers  geschleppt  wird.  Ob  das  durch  stumme  Bilder  und  Gruppen 
oder  als  wirkliches  Leben  dargestellt  wurde,  ist  nicht  zu  entscheiden, 
doch  wäre  das  erstere  leicht  denkbar.  In  der  nächsten  Scene  sitzt  der 
Kaiser  triumphirend  auf  seinem  Throne  und  der  gefangene  Franken- 
könig steht  demüthig  vor  demselben  und  singt:  „Die  Herrlichkeit  des 
Triumphes  wird  durch  die  Schonung  der  Besiegten  erhöht  und  geadelt; 
besiegt  willfahre  ich  nun  Deinen  Befehlen.  Gerne  bekenne  ich,  dass 
mein  Leben  mit  des  Reiches  "Würde  zugleich  in  Deiner  Macht  stehe. 
Willst  Du  mich  aber  in  die  alte  Ehre  .wieder  einsetzen,  so  wird  des 
Besiegten  Ehre  das  grösste  Lob  des  Siegers  sein.'^ 

Und  der  Kaiser  nimmt  ihn  auf  und  belehnt  ihn  wieder  gross- 
müthig  mit  seinem  Reiche:  „Lebe  durch  die  Gnade  und  empfange  die 
Würde,  wenn  Du  mich  allein  als  Kaiser  anerkennst.^ 

Der  Frankenkönig,  also  ehrenvoll  entlassen,  kehrt  in  sein 
Reich  zurück  und  singt  das  Lob  seines  edelmüthigen  Feindes:  „Des 
römischen  Namens  Ehre  achten  wir,  wir  rühmen  uns,  dem  erhabenen 
Kaiser  zu  dienen,  dessen  Macht  fruchtbar  ist;  Dich  allein  wollen  wir 
als  den  Leiter  über  Alle  bekennen  und  Dir  mit  ganzer  Seele  immer- 
dar gehorchen.'* 

4«  Nun  entsendet  der  Kaiser  seine  Boten  an  den  König  der 
Grieehen;  seine  Hede  lautet  ähnlicher  massen  (sicut  scripta  tradunt  etc.) 
wie  firtther;  der  Griedie  soll  seine  Abgaben  pfiiditsdiuldigst  entrichten. 


616 

Die  Boten  gehen  and  singen  dort  ihr  altes  Lied  wieder,  nur  mit  kleiner 
Aenderuüg.  Der  Grie.obenkönig  nimmt  sie  ehrenvoll  aof  (Romam 
nominis  honorem  veneramor  etc.)«  er  ist  äberaqs  glöoklich  m»i  geehrt, 
dem  Kaiser  Tribut  geben  zu  dürfen;  er  entlässt  sie  nicht  bot  mit 
Ehren,  sondern  macht  sich  selbst  zum  Kaiser  auf  und  dieser  nimmt 
ihn  zum  Dienstmann  und  belehnt  ihn  feierlich  mit  seinem  Reiche. 
Darauf  kehrt  auch  er  lobsingend  in  sein  Lß.nd  zurück. 

5«  Eine  weitere  Sendung  erlässt  der  Kaiser  an  seinen  viellieben 
K&nig  von  Jerusalem;  auch  er  nimmt  sie  ehrenvoll  auf,  dieselbe 
Scene  wiederholt  sich,  er  wird  belehnt  u.  s.  w. 

6*  Jetzt,  da  die  ganze  Kirche  dem  römischen  Reiche  unterthan 
ist,  erhebt  sich  der  Konig  von  Babylon  in  Mitte  der  Seinen;  er 
ist  wüthend  aufgebracht  über  den  Aberglauben  der  Neuzeit  und  über 
den  Irrthuni  der  Christenleute.  „Fast  ist  die  Sitte  des  Alterthuma  sdon 
zerstört,  singt  er,  und  den  Göttern  die  gebührende  Ehre  entzogen; 
ihren  Cult  wollen  wir  nicht  noch  ganz  zerstören  lassen,  sondern  den 
Ghristennamen  von  der  Erde  vertilgen,  und  das  müssen  wir  von  dem 
Orte  beginnen,  wo  diese  Sekte  ihren  Ausgang  nahm.^ —  Er  ordnet  und 
mustert  sein  Heer  und  macht  sich  auf,  Jerusalem  zu  belagern.  In 
seiner  Noth  beschliesst  der  bedrängte  König  seine  Zuflucht  zum  Kaiser 
zu  nehmen;  ^geht  hin,  singt  er  seine  Boten  an,  und  meldet  diese  Uebel 
der  Kirche,  der  römische  Kaiser  wird  unser  Retter  sein.^  Diese  ziehen 
vor  den  Kaiser  und  singen  ihn  an:  „Schutzherr  der  Kirche,  erbarme 
Dich  unser!  die  Feinde  des  Herrn  drohen  uns  zu  vernichten.  Eingefallen 
in  des  Herrn  Erbtheil  sind  die  Feinde  und  halten  die  heilige  Stadt 
belagert;  die  Stätte,  auf  der  seine  heiligen  Füsse  standen,  suchen  sie 
durch  den  unreinsten  Dienst  zu  besudeln.^ 

Der  Kaiser  verspricht  augenblickliche  Hülfe  und  entlässt  die  ge- 
trösteten Boten,  welche  zurückgekehrt  ihrem  Könige  Muth  machen: 
„Bandle  männlich  und  sei  vor  dem  Feinde  sicher,  denn  schon  naht  der 
Befreier'**  u.  s.  w. 

Inz^schen  während  der  Kaiser  sein  Heer  sanunelt,  erscheint  plötz- 
lich der  Engel  des  Herrn:  „Judäa  und  Jerusalem,  ftrchtet  euch  nicht! 
Du  weisst  ja,  morgen  wirst  Du  die  Hülfe  des  Herrn  erfahren;  denn 
Deine  Brüder  sind  da,  die  Dich  befreien  und  Deine  Feinde  mit  Macht 
"bezwingen  werden.**  Dieselben  Zeilen  wiederholt  der  freudige  Chor  der 
Judenleute. 

7«  Unterdessen  ist  der  Kaiser  mit  seinen  gepaoserten  Schaaren 
angerückt  otid  es  hat  sich  eine  Schlacht  entsponnen;  um  selbe  schneller 
sn  beenden,   macht  er  einen  Zweikampf  mit  dem  König  von  Babylotti  ' 


617 

dberwindet  denselbm  und  jagt  ihn  davon.  Das  war  ohne  Zweifel  wieder 
in  einem  lebenden  Bilde  dargestellt,  dessen  Mittelpunkt  der  kaiserliche 
Tjost  bildete.  Hieranf  zieht  der  Kaiser  in  den  Tempel  der  seine 
Thore  öfbetr  bengt  anbetend  die  Knie  und  singt,  indem  er  die  Krone 
vom  Hanpt  nimmt  und  mit  dem  Scepter  und  Reichsapfel  in  den  HAndeo 
hält,  vor  dem  Altare: 

^Nimm,  was  ich  bringe,  mit  gnädigem  Herzen, 
König  der  Könige,  Dir  sei  das  Reich! 
Einzig  durch  Dich  nur  sind  wir  die  Herrscher. 
Du  allein  bist  der  Lenker  des  All!^ 

Er  opfert  darauf  die  Krone  und  kehrt  dann  auf  seinen  Sitz,  das 
heisst  in  sein  römisches  Reich  zurüd^v  während  die  Kirche,  die  mit  ihm 
nach  Jerusalem  hinabgestiegen  war,  im  Tempel  zurückbleibt  Kirche, 
Heidenschaft  und  Synagoge  stimmen,  jedes  in  ihrer  Weise,  einen  Chor* 
gesang  an.    Da  nahen  sich 

•  'S«  die  Heuchler  (hypocritae),  schweigend  und  mit  dem  Schein 
der  Demuth,  schleichenden  Trittes,  sie  verneigen  sich  ehrerbietig  nach 
allen  Seiten  und  buhlen  um  die  Gunst  der  Layen.  Zuletzt  kommen  sie 
immer  näher  und  vereinigen  sich  endlich  vor  der  Kirche  und  dem 
Throne  des  Königs  von  Jerusalem.  Dieser  nimmt  sie  unbegreiflicher 
Weise  mit  Ehren  auf,  leiht  ihnen  Gehör,  und  ergibt  sich  ihnen  ganz. 
Nun  ist  der  rechte  Zeitpunkt  für  den  Widerchrist  (Antichristus) 
gekommen,  er  tritt  ein,  die  Brust  mit  dem  Panzer  umgürtet;  die 
Heuchelei  geht  ihm  zur  Rechten,  die  Ketzerei,  unter  der  sich 
der  Dichter  vielleicht  (üe  Secte  der  Waldenser  dachte,  zur  Linken. 
Letztere  wird  von  ihm  also  angesungen: 

^Da  ist  meines  Reiches  Stunde! 
So  bewirkt  den  ohne  Zandern 
Dass  ich  meinen  Thron  besteige 
Und  die  Welt  nur  zu  Mir  bete! 
Euch  erkenne  ich  als  tauglich 
(Dazu  hab*  ich  euch  gehegt), 
Euere  Hülfe,  Fleiss  und  Treiben 
Sind  mir  jetzt  ganz  unentbehrlich. 
Christum  ehren  noch  die  Völker. 
Ihn  anbeten  und  achten  sie  — 
Sein  G^ächtniss  sei  zerstöret. 
Seine  Glorie  komm*  auf  mich, 

(«ur  Heuchelei.)  Auf  dich  sei  mein  Werk  gegründet. 


618 

(zur  Ketzerei.)     Durch   dich  wachst  dann  der  Bau; 
(Eur  Heuehelei.)  Du  gewinne  inir  die  Layen, 
(wir  KetzereL)     Du  vernichte  mir  den  Oerue.*^ 

Und  die  Beiden  respondiren  in  submissesten  Treuen  und  hoch- 
möthiger  Zuversicht: 

yDurch  uns  wird  die  Welt  Dir  glauben, 
Christi  Nauie  wird  Dir  weidien. 

Die  Heuchelei:     Ich  gewinne  Dir  die  Laien! 
Die  Ketzerei:       Ich  vernichte  Dir  die  Pfiffen 

Dass  sie  Christi  Namön  läugnen.** 

Das  Paar  r&ckt  langsam  vor,  der  Widerchrist  folgt  in  einiger 
Entfernung  nadi.  Das  Schwesternpaar  macht  sich  an  den  Thron  des 
Königs  von  Jerusalem,  fraternisirt  mit  den  Heuchiern  und  bedeutet 
ihnen  flüsternd,  di^  Ankunft  des  Widerchrist  zu  verkünden.  Diese  eilen 
ihm  entgegen  und  singen  freudig:  ^Lange  schon  wankte  die  heilige  Re- 
ligion; Eitelkeit  erfasste  die  Mutter  Kirche.  Wozu  die  Verschwendung 
durch  geschmückte  Männer?  Gott  liebt  nicht  die  weltlichen  Prälatwi. 
Steig  hinan  zum  Gipfel  der  königlichen  Macht;  durch  Dich  sollen  die 
Ueberreste  des  Alterthums  verwandelt  werden!" 

Aber  der  Widerchrist  weiss  nicht,  wie  das  geschehen  soll,  noch 
hat  er  ein  Gefühl  seines  Nichts  und  spricht:  ,Ich  bin  ein  unbekannter 
Mann!**  Jene  aber  wissen  ihn  zu  trösten:  ^ Durch  unseren  hilfereichen 
Rath  wird  die  ganze  Welt  Dir  unterthan  werden ;  wir  haben  Dir  die 
Layen  geneigt  gemacht,  nun  wird  durch  Dich  die  Lehre  der  Pfaffen 
stürzen;  durch  uns  wirst  Du  diesen  Thron  behaupten  und  Deine  Klug- 
heit das  üebrige  vollenden."  Also  fasst  der  Widerchrist  Muth  und 
singt  zu  den  Heuchlern,  die  den  Thron  des  schwachen  Königs  von 
Jerusalem  umlagern:  ^Endlich  habt  ihr  mich  geboren,  ded  ihr  lange 
schon  unter  den  Herzen  der  Kirche  empfangen;  erheben  werd*  ich  midi 
also,  die  Reiche  unterjochen,  das  Alte  absetzen  und  neue  Rechte  vor- 
schreiben." Die  Heuchler  ziehen  ihm  die  Oberkleider  ab,  dass  er 
jetzt  ganz  in  glänzenden  Waffen  erscheint,  steigen  mit  entblössten 
Schwertern  hinan,  setzen  den  König  von  Jerusalem  ab  und  krönen  den 
Widerchrist  feierlich  singend:  ^Stark  werde  Deine  Hand  und  erhöhet 
Deine  Rechte." 

9«  Der  arme  vertriebene  König  von  Jerusalem  begibt  sidi  nun 
allein  zum  deutschen  Könige,  klagt  ihm  seine  selbstverschuldete  Noth, 
wie  er  zu  spät  einsehe ,  dass  er  durch  die  List  der  Heuchler  betrogen 
worden,  „den  Gipfel  der  Herrschaft  hielt  ich  für  beglückt,  wenn  er  durch 
die  Einfalt  dieser  Leute  geordnet  wäre;    so  lange  Du  des   röodschea 


m 

Reiches  Sehtttzef  warst,  blühte  unter  Ehren  der  Stand  der  Kirohe ;  jetzt 
liegt  offen  das  Uebel  Deines  Abzuges,  es  blüht  des  verderblichen  Aber- 
glaubens Gresetz.^  —  Unterdessen  führen  die  Heuchler  den  Widerchrist 
siegreich  in  den  Tempel  des  Uerrn  und  richten  dort  sdnen  Thron  auf, 
nachdem  sie  die  Kirche  (welche  zurückgeblieben  war)  mit  Schmach 
und  SchUlgen  vertrieben  hatten;  sie  flüchtet  zum  Sitze  des  apostoli- 
schen Vaters.  Der  Widerchrist  aber  beschüesst  an  die  einzelnen 
Könige  Boten  zu  senden  und  unterrichtet  sie  demnach:  ^Ihr  wisirt,  dass 
von  Gott  ich  dazu  euch  gegeben  bin,  dass  durch  alle  I^än^er  hin  ich 
die  Herrschaft  übe;  dazu  hab*  ich  euch  als  taugliche  Diener  auser- 
lesen, durch  welche  die  ganze  Welt  unserem  Gesetze  unterworfen  werde. 
Darum  besetzt  zuerst  die  Gränzen  der  Griechen,  unterjocht  dieselben 
durch  Schrecken  oder  durch  Krieg.  ^  Die  Boten  gehen  vor  den  Griechen- 
könig und  singen:  ^Heil,  o  König!  sei  Dir  von  unserem  Erlöser,  dem 
Lenker  der  Könige  und  des  ganzen  Erdkreises,  welcher,  wie  ^s  in  der 
Schrift  der  Welt  ist  verheissen,  endlich  vom  Himmel  herabstieg,  von 
der  Burg  des  Vaters  entsandt.  Jener,  immer  derselbe  in  der  Gottheit 
bleibend,  ladet  uns  zum  Leben  ein  durch  seine  Milde,  Dieser  will  von 
Allen  als  Gott  verehrt  sein  und  befiehlt,  dass  er  als  solcher  angebetet 
werde;  willst  Du  diesen  Befehl  übertreten  wirst  Du  durch  das  Schwert 
mit  den  Deinen  umkommen.^ 

10«  Der  Grieche  fühlt  sich  ungemein  geschmeichelt  und  macht^ 
sich  eine  grosse  Ehre  aus  dem  Antrag,  er  Idufl  gleich  vor  den  Wider- 
christ, beugt  vor  ihm  die  Knie  und  überreicht  ihm  in  Treuen  die  Krone. 
Der  Widerchrist  malt  ihm  und  allen  den  Seinen  den  Anfangsbuchstaben 
seines  Namens  auf  die  Stirne,  setzt  ihm  die  Krone  wieder  auf  und 
enü&sst  ihn  gnädig.  « 

IL  Dasselbe  wiederholt  sich  der  Reihe  nach  wie  früher  mit  den- 
selben Personen.  Der  nächste,  der  zum  Falle  komn\t,  ist  der  Franken- 
könig, der  Widerchrist  gewinnt  ihn  nicht  durch  Drohungen,  sondern 
durch  Güte  und  Geschenke ;  der  Widerchrist  ktisst  ihn  bei  seiner  An- 
kunft, malt  ihm  das  Zeichen  auf  die  Stime  u.  s.  w.  Noch  unvorsichtiger, 
meint  er,  wäre  es  mit  den  Deutschen  zu  kämpfen,  also  wird  12«  der 
deutsche  König  mit  der  grössten  Artigkeit  behandelt,  durch  Ge- 
schenke geehrt  und  in  feinster  Weise  um  Freundschaft  gebeten.  Dieser 
aber  gibt  ganz  unerwartete  Antwort;  er  durchschaut  den  Trug  und 
gelobt,  die  Schmach  zu  rächen.  Beschämt  ziehen  die  Boten  ab  und 
hinterbringen  ihrem  Herren  die  Beleidigung  und  hetzen  ihn  noch  mehr 
auf;  er  sammelt  sein  Volk ,  bietet  seine  Bundesgenossen  Me  auf  und 
befiehlt,  Gennaniens  Gifftnzen  zu  überfallen  und  das  stolze  Volk  mit 


ni6 

seinem  Könige  zu  zermalmeD.  Die  Mannen  marschiren  auf,  auch  die 
Deutschen  sind  geröstet ,  sie  stellen  sich  einander  gegenüber  und  es 
entspinnt  sich  eine  Schlacht,  die  wir  uns  vielleicht  gerade  so  als  Ebnd- 
gemenge  zu  denken  haben,  wie  die  Maler  des  XIL  Jahrh.  in  ihren 
Miniaturen  darzustellen  wagten:  es  ist  eine  zahine  Prfigelei  der  Kloster- 
leute  und  Hörigen,  die  jedoch  mit  der  Niederlage  des  abgöttischen 
Heeres  endigt,  denn  der  Widerehrist  wird  besiegt;  triurophirend  kehrt 
der  deutsche  König  auf  seinen  Thron  zurück. 

13.  Aber  der  Feind  sucht  andere  Mittel,  was  durch  Gewalt  nicht 
möglich  war,  soll  nun  durch  List  gelingen.  Die  Heuchler  führen  einen 
Menschen  vor  den  Widerchrist,  der  sich  lahm  steHt;  er  wird  geheilt 
und  der  deutsche  König  in  seinem  Glauben  schwankend.  Ein  weiteres 
Wunder  mit  einem  Aussätzigen  imponirt  dem  König  noch  mehr  und  der 
Zweifel  gewinnt  schon  die  Oberhand;  zuletzt  tragen  sie  Einen  herein, 
der  im  Treffen  erschlagen  worden  sein  soll  und  sich  todt  stellt;  der 
Widerchrist  heischt  ihm,  sich  zu  erhebet!  und  Zeugniss  zu  geben  der 
Wahrheit:  Da  erhebt  sich  der  angebliche  Todte  von' der  Bi^e  und 
singt:  ^Du  bist  die  Weisheit  der  höchsten  Wahrheit,  Du  die  unbesiegte 
Kraft  der  göttlichen  Majestät.^  Sogleich  stimmen  die  Heuchler  im  Chor 
ein  —  und  der  König  der  Deutschen  ist  verführt:  ^Im  Namen 
Dieses,  singt  er,  werden  Todte  auferweckt,  die  Lahmen  geben,  Ans- 
sätzige  werden  rein^  also  hat  er  kein  Bedenken  mehr,  ihm  göttliche 
Ehre  zu  erweisen,  er  steigt  zu^i  Widerchrist  hinan,  bietet  ihm  mit  ge- 
beugten Knieen  seine  Krone,  lässt  sich  von  ihm  salben  und  krönen, 
auch  verspricht  er  einen  Kriegszug  gegen  die  Heiden,  woza  ihm  der 
Widerchrist  das  Schwert  übergibt. 

14«  D^  deutsche  König  wendet  sich  also,  um  den  einen  Glauben 
an  den  Widerchrist  zu  verbreiten,  an  seinen  königlichen  Mitbruder  von 
Babylon,  aber  dieser  ist  zu  fest  in  seine  Vielgötterei  verstrickt,  um 
sich  einen  Gott  octroiren  zu  lassen;  der  deutsche  Abgesandte  wird 
zornig  und  wirft  dem  Babylonier  die  Götzenbilder  um.  Das  ist  das 
Signal  zur  Schlacht,  in  welcher  der  babylonische  König  gefangen  und 
besiegt  wird  und  erst  ans  den  Händen  des  Widerchrists  sein  Regiment 
zurückerhält.  Nun  wenden  15.  sich  die  Heuchler  an  die  Synagoge 
und  verkünden  ihr  die  wahre  Ankunft  des  Messias: 

^Du  bist  vorzugsweise  das  Vcrfk  königtiehen  Greschleehtes^ 
als  glSobiges  Volk  wirst  du  überall  gepriesen; 
f&r  die  Erhaltung  des  Gesetzes  bist  du  lange  schon  verbannt, 
fem  vom  Vaterland  hast  du  den  Messia«  erwartet. 
Diese  Erwartung  wird  dir  wiedergeben  die  Erb^alt, 


eine  frohe  Neuheit  wird  das  Ateerthaui  er^etzan* 
Siehe  da  deiner  Erlösung  Crehetmniss : 
£b, König  i^t  geboren,  der  Religion  Urheber; 
dieser  ist  der  Eminaonel,  den  die  Schriften  bezeugen, 
durch  dessen  Gnade  du  in  Ruhe  herrschen  wii^t. 
Erhoben  hat  er  die  Niedrigen  und  gestürzt  die  Stolzen. 
Alles  mit  Macht  unterworfen  seinen  Füssen. 
Stehe  auf,  Jerusalem,  stehe  auf,  erleuchte  Dich, 
Synagoge,  lang  gefangene,  freue  Dich!'' 

Die  Synagoge  findet  sich  wundersam  getröstet,  es  wiederholt  sit*h 
mit  ihr  Alles  wie  mit  den  Vorigen.  Da  erscheinen  plötzlich  die  Pro- 
pheten. Mit  einfacher  Rede  mahnen  sie  an  das  durch  die  Jungfi;au 
menschgewordene  Wort  Gottes:  ^Gott  bleibend  wurde  Er  sterblich, 
immer  Gott  i^iirde  Er  zeitlich;*  nicht  nach  der  Sitte  der  Natur,  sondern 
durch  Gottes  Wirkung;  Er  nahm  an  unsere  Schwftche  um  den  Schwa- 
chen Starke  zu  verleihen;  Ihn  erachteten  die  Jaden  als  sterblich,  dessen 
unsterbliches  Wesen  sie  nicht  kannten.  Nicht  der  Rede  glaubten  sie, 
nicht  Zeichen;  unter  Pilatus  kreuzigten  sie  Christum;  durch  Sterben 
tödtete  Er  den  Tod,  befreite  von  der  Hölle  die  Gläubigen.  Aufstand 
er  wahrhaft,  um  nicht  mehr  zu  sterben;  för  immer  herrscht  er;  bald 
wird  er  wieder  kommen;  er  wird  die  Welt  richten  durch  das  Feuer, 
Alle  auferwecken  im  Fleische,  die  Seligen  scheiden  von  den  Verwor- 
fenen, die  Sohlechten  verdammend  die  Guten  verherrlichen ,  Ihr  wisst, 
was  die  wahrhaftigen  Schriften  sprechen;  den  Enoch  bezeugen  sie 
lebend  und  den  Elias.^  Vei-wundert  fragt  die  Synagoge,  wo  diese 
seien  —  und  sie  sind  da:  ^Wir  sind  wahrhaftig,  erwiedert  Elias,  auf 
die  der  Zeiten  Ende  ist  gekommen.  Der  ist  Enoch  und  ich  bin  Elias, 
die  bisher  erhalten  hat  der  Messias,  der  schon  gekommen  ist  und  noch 
kommen  wird,  um  durch  uns  zuerst  Israel  zu  erlösen.  Siehe,  gekommen 
ist  der  Mann  des  Verderbens,  vollendend  die  Mauern  des  grossen  Ba- 
bylon. Nicht  ist  er  Christus.^  Und  die  Propheten  heben  der  Synagoge 
den  Schleier,  nun  bekehrt  sie  sich  sogleich  und  sieht  ihre  VerfQhrung 
durch  den  Widerchrist  ein:  ^Wir  danken  Dir,  Adonai,  König  der 
Herrlichkeit,  Dreiheit  der  Personen,  derselben  Wesenheit!  Wahrhaft 
Gott  ist  der  Vater,  dessen  Eingeborner  Gott  ist,  gleichfalls  Gott  ist 
beider  Geist.'* 

Inzwischen  ziehen  die  Heuchler  zum  Widerehri^  und  verkünden 
ihm,  dass  die  Juden  von  ihm  abgefallen,  er  lässt  sie  vor  sich  mfba; 
doch  auch  die  Propheten  mit  der  Synagoge  konunen  zu  >hm,  hart  f&hrt 
er  sie  an  als  UnglUobige,  aber  die  Propheten  erwiedern:  ^Du  läeterst^ 


- 

Stifter  der  Ruchlosigkeit!  Wurzel  de»  Böaeo,  Venrirrer  der  Wahrheit, 
WiderChrist,  Verführer  der  Frtountgkeit!^ 

Zornig  heischt  der  Widerchrist  seinen  Dienern:  ^Die  Lästerang 
meiner  Gottheit  soll  die  höchste  Majestät  strafen;  die  in  mir  die  gött- 
liche Milde  lästern,  müssen  die  Strenge  der  Gottheit  kosten.^  Ffir  ein 
so  grosses  Äergerniss  sollen  sie  zur  Schlachtbank  getrieben  werden.  Da 
singt  endlich  die  Synagoge  ihr  Bekenntniss:  ^Wir  berenen  den  Irr- 
thnm,  wir  bekehren  uns  zum  Glauben;  was  uns  der  Verfolger  anthon 
wird,  wollen  wir  gerne  erleiden.^  Die  Synagoge  wird  hinausgeführt 
und  empfängt  den  Martyrtod.  Unterdessen  singt  die  Kirche:  ^Eid 
Myrrhenbündlein  ist  mir  mein  Geliebter.^  Nach  der  Rückkehr  der 
Henker  sendet  der  Widerchrist  seine  Boten  an  die  einzelnen  Könige,  er 
will  sie  alle  uro  sich  versammelt  s^hen  und  sich  anbeten  lassen  und 
sie  ihnn  es  auch  willig ;  er  steht  nun  auf  der  Höhe  seines  Rahmes : 

„Das  haben  mir  vorausgesajgt  meine  Verkünder, 
Meines  Namens  Männer  und  meines  Rechtes  Pfleger; 
Das  ist  mein  Ruhm,  den  sie  längst  verkündet. 
Den  mit  mir  geniesen  wird  wer  es  verdient 
Nach  dem  Falle  derer,  welche  die  Eitelkeit  geblendet 

Hat  Friede  und  Sicherheit  Alles  umschlossen.'* 

♦ 

Da  rollt  in  Donnern  plötzlich  das  göttliche  Strafgericht  über  ihn, 
er  stürzt  zusammen  und  die  Seinen  entfliehen;  die  Kirch«  aber  singt: 
^Siehe  da  den  Menschen,  der  nicht  Gott  ta  seinem  Helfer  gesetzt  hat! 
-^  Ich  aber  bin  wie  ein  fruchttragender  Oelbaum  im  Hause  des  Herrn!' 
Während  nun  Alle  zum  Glauben  zurückkehren,  nimmt  die  Kirche  die 
Verirrten  auf  und  stimmt  das  „Te  Deum  laudamus^  an ,  womit  das 
Ganze  schliesst. 

Das  ist  ^er  ^Inhalt  des  Mysteriums,  das  ein  Tegemseer  Mönch  zu- 
sammengefügt hat  und  welches  in  der  ganzen  Geschichte  der  mittel- 
alterlichen Dramatik  als  das  erste,  grossartigste  und  reichste  Stück  da- 
steht, welches,  obgleich  höchst  einfach  in  seiner  Anlage,  durch  Musik, 
Gesang,  scenische  Ausschmückung  und  allerlei  anderen  Theaterbedarf 
eine  grosse  Wirkung  hervorgebracht  haben  muss.  Dazu  gehörte  lang- 
jährige Erfahrung;  ein  solches  Spiel  ist  nicht  von  ungeübten  Kräften 
denkbar,  und  so  dürfen  wir  denn  für  unser  Tegemsee  die  Annahme 
als  ziemKch  untrügerisch  hinstellen :  dass  hier  lange  s^on  ähnliche 
Uebangen  im  Kimen,  also  offenbar  Weihnacht-  und  OsterspMe,  wie 
die  früher  besprochenen,  gang  und  gäbe  gewesen,  und  Sinn,  Verstand* 
Biss  und  Erfahrung  sich  gebildet  und  erpreßt  halten. 


m 

Dass  das  Stück  aufgeführt  wurde ,  unterliegt  keinem  Zweifel ,  im 
sau  möchte  sogar  mittelst  spftterer  Belege  eine  Conjectur  darauf  bäu^n, 
welche  in  Folge  anderer  Erftthrungen  keine  gewagte  genannt  werden 
kann.  ^So  viel  steht  vorerst  fest,  dass  es  das  erste  grosse  Schau-» 
spiel  war  und  auf  die  weitere  Entwicklung  der  dramatischen  Dicht* 
knnst  einen  mächtigen  Einfluss  übte. 

Bald  ilaoh  diesem  reiht  sich  das  Weihnaditspiel  von  Bene- 
dictbeuer«  an  (Lndus  scenicus  de  nativitate  Domini);*)  es  hing  mit 
den  Gregofiusfesten  zusammen  und  zeigt  einen  weiteren  Fortgang  der 
Dramatik. 

Vor  die  Fa^ade  der  Kirche  ist  der  Sessel  des  Augustinus  ge^ 
stellt,  zu  seiner  Rechten  befinden  sich  Isaias  und  Daniel  mit  anderen 
Propheten;  zur  Linken  aber  der  Archisynagogus '  mit  seinen  Judenleuten. 
Isaias  erhebt  sich  zuerst  mit  einer  prophetischen  Strophe,  welcher 
Antiphonen  aus  seinen  Weissagungen  folgen;  dann  tritt  Daniel  hervor 
und  die  Sibylla,  welche  gestikulirend  auf  den  Steni  weist  und  mit 
ausdrucksvollen  Geberden  (cum  gestu  mobili)  von  der  reinen  Jungfrau 
und  des  Heilandes  Geburt  singt.  Als  vierter  Prophet  kommt  vom 
Chor  begleitet,  Aaron  herein,  er  trägt  die  Ruthe^  welche  unter  zwölf 
dürren  Stäben  allein  geblüht  hat.  Darauf  erscheint  Bai  a am  auf 
dem  Es^,  um  dem  Volke  zu  fluchen,  aber  der  Engel  mit  dem  blanken 
Schwerte  tritt  ihm  entgegen,  das  Tbier  weicht  erschrocken  zurück  und 
der  Eikgel  verschwindet;  Balaam  prophezeit  nun  auch  den  aus  Jacob 
aufgeheaden  Stern:  Da^  fährt  der  Hohepriester  empor,  schüttelt  das 
Haupte  fiebert  am  ganzen  Leibe,  stampft  mit  dem  Fusse  und  hetzt  die 
Juden  auf. 

Ihm  wirft  sich,  als  in  einem  ächten  Scholarenspiel,  der  am  Grego- 
rinstag CTwählte  Knabenbischof  (episcopu.s  puerorum)  mit  jugend« 
lichem  Ungestüm  entgegen.  Zur  Erklärung  dieser  seltsamen  PersQnUclH* 
keit  ist  eine  Abschweifung  wohl  erlaubt. 

Pabst  Gregor  IV.  war  ein  Freund  der  Schulen,  der  Jugend  und 
ihrer  Freuden,  «r  stiftete  zum  Andenken  an  seine  grossen  Vorgänger 
Und  Namensträger  im  J.  830  ein  Fest,  welches  ihn  in  der  Folge  zum 
Patron  der  Schüler,  zum  Schutzheiligen  derselben  machte.  Das  Fest  fand 
meist  am  dritten  Feiertage  zu  Pfingsten  statt.  Vorher  wurden  drei 
Knaben  in  der  Schule  gewählt,  der  eine  zum  Bischof,  die  beiden 
anderen  zu  seinen  Kaplänen  und  Pfarrern,  der  erstere  musste  eine  so- 
genannte Bischofspredigt,  gewöhnlich  in  Versen,  einstudiren.  Kam  nun 
der  Tag,  so  erschienen  die  Knabea,  verkleidet  als  allerlei  Handwerker 


')  Schneller  Carmioa  burana.  S.  80—95. 


9H 

t 

«nd  St&nde,  and  versammelten  steh  in  der  Schule.  Von  da  zogen  sie, 
ihren  Biachof  stote  in  der  Mitte,  zur  Kirche,  wo  dieaer  sich  vor  dem 
Altare  auf  ein  Bänklein  setzte.  Nachdem  der  heilige  Greist  berabge- 
rufen  (veni  st  spiritos)  and  Amt  und  Predigt  gehalten  war,  wurde  das 
^Gregorilied'^  angestimmt  und  der  episcopos  puerilis  hielt  seine  Predigt, 
nach  welcher  er,  von  seinen  Genossen  omringt,  feierlich  durch  die  Stadt 
ritt  oder  ging ,  die  Scholaren  sangen  dabei  und  bekamen  Kochen  und 
Backwerk  aas  den  H&asern  geschenkt  Bisweilen  dispntirte  so  ein  kleiner 
episcopus  auch  über  allerlei  Dinge  und  in  der  schönen  Zeit  der  Dia- 
lektik und  Hamanistik  thaten  sich  nicht  selten  wahre  Wunderkinder 
und  gelehrt  verbildete  Wechselbälge  hervor.  In  ihren  Umzügen  erschie- 
nen bald  bestimmte  Charaktere,  es  gab  Trunkene  und  Nairen,  Tod  und 
Teufel  liefen  mit  und  allerlei  tolle  Wesen;  sie  machten  ein  HdUen- 
spdi;takel  und  der  Münchner  Provinzialism  gebraucht  sprichwörtlich  für 
einen  gewaltigen  Lärm  noch  den  Ausdruck  ^eiu  rechter  GregorL^  Diese 
und  ähnliche  Auswüchse  gaben  endlich  Anlass,  den  ganzen  Spass  ab- 
zuschaffen. ') 

Ein  solcher  Knabenbischof  springt  nun  in  unserem  alten  Kloster- 
spiel im  gesuchtesten  Gegensatz  dem  Hohepriester  an  den  Hals;  das 
Büblein  wirft  dem  Alten  vor,  die  Ausgelassenheit  des  Weines  rede  aus 
ihm  und  der  Synagoge ,  es  beginnt  also  ein  dialektischer  Kampf,  der 
von  Augustinus  und  den  Propheten  in  ernster,  milder  Weise,  von  dein 
Hohenpriester  aber  unter  unbändigem  Hohngelächter  geführt  wird.  Den 
Schlüssworten  Augustins  gegen  die  Juden,  das«  sie  an  den  Jtfestias 
welcher  nun  erscheinen  werde,  glauben  sollten,  folgt  neuerdings  ein  mit 
heftigen  Geberden  begleitetes  Gelächter  der  Juden. 

Nun  ziehen  sich  die  Propheten  indignirt  auf  ihre  Sitze  zurück  und 
es  beginnt,  wahrscheinlich  auf  einer  (wie  zu  Ammergan  durch  einen  Vor- 
hang abgeschlossenen)  Mittelbühne  die  Verkündigung  Maria  in  biblisch 
schmuckloser  Weise,  welcher  in  rascher  Folge  der  Besuch  bei  Elisabeth 
und  Qiristi  Geburt  sich  anreihen^  „Maria  vadat  in  lectum  snum,  quae 
jam  de  spiritu  sancto  concepit  et  pariat  filium;  cui  assideat  Joseph 
in  habitu  honesto  et  prolixa  barba.^  Hierauf  ersdieint  der  Stern  und 
der  Chor  beginnt  die  Antiphon:  „Hodie  Christus  natus  eat,^  nadi 
welcher  die  hl.  drei  Könige  aus  verschiedenen  Theilen  der  Welt  kommen 
und  sich  in  mehreren,  mit  allerlei  Gelehrsamkeit  gezierten  Strophen  über 
die  Erscheinung  eines   solchen   Sternes   dispotirend  vMimndern.     Der 


')  lieber  den  üiregori  io  llftn4:heo  erzifall  Borf  holser  (S.  443),  es  |sh 
in  den  Privalhäiisern  der  Schullehrer  auch  fippige  Kindermahlzeitea.  Line 
Beschreihnnfl: ,  wie  es  1563  zoffinir,  gibl  Westenried  er  in  s.  Beilriffs 

V.  2aa  - 


825 

Vorhang  der  Mittelbühae  musste  sich  vor  dieser  Scene  natürlich  schon 
geschlossen  haben.  Wie  sie  weiter  gehen  und  ^ht  altdeatsch  in*8  Land 
des  Herodes  kommen,  stossen  des  Königs  Boten  auf  i»Te  und  erkunden 
den  Zweck  ihrer  Reise.  »Sie  eilen  zu  Herodes  und  hinterbringen  '  die 
Kunde;  dieser  fürchterlich  aufgebracht  und  wie  in  allen  diesen  alten 
Spielen  eine  höchst  l&cheriiche  Figur,  lässt  den  Archisynagogum  holen, 
der  mit  seiner  Judenschait  erscheint  und  hochmüthig,  salbungsvoll  und 
honigfliessend  den  Rath  gibt,  sich  gegen  die  Könige  zu  verstellen.  Naöh 
kurzer  Rede  gehen  sie,  gleichfalls  über  die  Bedeutung  des  Sternes 
disputirend,  weiter. 

Unterdessen  ändert  sich  dieScene,  der  Engel  erscheint  den  Hirten 
und  Verkündet  die  Geburt  des  Heilandes;  den  Hirten  aber,  die  sich 
auf  den  Weg  machen  wollen,  tritt  der  Teufel  entgegen  und  irrt  sie, 
so  dass  sie  schon  an  der  Wahrheit  der  Verkündigung  zweifelig  werden 
möchten ;  endlich  werden  sie  durch  das  Gloriasingen  der  Engel  doch 
überzeugt,  gehen  zur  Krippe  und  beten  das  Kind  an.  Rückkehrend  „ad 
offlcia  sua^  stossen  sie  auf  die  drei  Magier,  welchen  sie  Anfs<;hluss 
geben.  Ihre  Anbetung  und  üebergabe  der  Opfer  scheint  jedoch  nur  eine 
stamme  Scene  gewesen  zu  sein,  dann  entfernen  sie  sich  ein  wenig  und 
legen  sich  zur  Ruhe  nieder, -wo  sie  der  Engel  im  Schlafe  warnt,  u.  s.w. 

Dem  auf  ihre  Rückkehr  wartenden  Herodes  gibt  der  Archi»ytiagog 
die  unerwünschte  Aufklärung  mit  „Tu  Bethlehem  terra  Juda"  etc.  Er- 
zürnt befiehlt  der  König  die  Kinder  zu  morden  und  die  Kriegsleute 
vollführen  den  Auftrag  unter  dem  Weberuf  der  Mütter.  Dann  wird 
Herodes  von  den  Würmern  zerfressen,  er  springt  von  dem  Thron;  den 
todt  damiederstürzenden  packen  die  Teufel  mit  grossen  Freuden.  Die 
Krone  wird  seinem  Sohne  Archelaus  aufgesetzt.  Unter  seiner  Regierung 
erscheint  der  Engel  nächtliche^  Weile  dem  Joseph  und  heisst  ihn  nach 
Egypten  fliehen.  Die  Zurüstung  zur  Flucht  und  die  Abreise  auf  dem 
Esel  schliesst  diesen  Act  ab. 

Nun  erscheint  mit  grossem  Conduct  der  König  von  Egypten;  zwei 
Lenz-  und  Liebeslieder  werden  gesungen,  denen  sich  ein  gelehrtes  Stü- 
dienlied,  welches  wieder  in  einen  Liebesgesang  übergeht,  anschliesst.  So 
lebt  Alles  in  Freuden.  Da  stürzen  beim  Eintritt  der  heiligen  Familie 
plötzlich  alle  Götzenbilder  der  Egypter  zusammen.  Der  König,  davon 
benachrichtigt,  lässt  seinen  weisen  Rath  versammeln  und  will  ein  Opfer 
bringen;  die  Idole  werden  wieder  aufgerichtet,  stürzen  aber  nur  neuer- 
dings ein.  Die  Weisen  singen  von  dem  neuen  Judengotte  und  die 
Götzen  werden  abgeschafft.  Hie  est  finis  legis  Egypti.  Nun  kommt  der 
König  von  Babel  mit  grosseni  Geleite,  zugleich  erscheint  die  Syna- 
goge, die  Ecclesia  und  Gentilitas.  Die  Heidenschafl  hebt  höhnisch 

\  40 


686 

Kampfan  gegen  den  Glaaben  an  einen  Gott;  auch  die  Heuchler 
spielen  eine  Rolle,  zuletzt  erscheint  der  WiderclMrist.  Das  Stock 
hing  offenbar  mit  dem  Tegemseer  Ludns  paschalis  znsammeQ  und  ging 
von  da  in  dasselbe  über ,  es  ist  ein  sehr  lehrreicher  Anhaltspunkt  för 
die  weitere  Ausbildung  und  Entwickelnng  dieser  Darstellmigen. 

Die  bereits  öfters  genannte  inhaltreiche  Handschrift  der  Carmina 
burana  gibt  auch  ein  Ludus  paschalis,  sive  de  passione  Do- 
mini, welches,  während  die  vorhergehenden  sämmtlich  noch  in  latei- 
nischer Sprache  sich  bewegen,  grösstentheils  deutseh  ist')  Das  in  diesen 
Sammelcodex  aufgenommene  Manuscript  war  ursprfinglich  ein  Spielbuch; 
die  Schlagwörter  sind  lateinich  angegeben,  wobei  die  weitere  Verhand- 
lung den  wohleinstudirten  Rollenträgern  ad  libitum  überlassen  blieb. 

Der  Verlauf  dieses  Mysteriums  ist  folgender:  Im  Beginn  werden 
die  Plätze  ausgetheilt :  Pilatus  mit  seiner  Gemahlin  und  seinen  Mannen, 
Herodes  mit  seinen  Kämpen,  die  Priester,  darauf  der  Kramer  mit 
seinem  Weib,  zuletzt  Maria  Magdalena  treten  der  Reihe  nach  herein 
und  nehmen  die  im  Kreise  herumstehenden  Sitze  ein.  Von  da  stehen 
die  betreffenden  Personen«  auf,  wenn  die  Reihe  des  Agirens  an  sie  kommt 
und  verhandeln  im  Mittelpunkt  der  Bühne,  darauf  setzen  sie  sich  wieder 
an  ihren  Plätzen  nieder,  eine  höchst  einfache  Einrichtung,  die  jedoch 
wie  im  altenglischen  Theater,  so  auch  bei  uns,  lange  Zeit  beibehalten 
ward. 

Die  eigentliche  Handlung  eröffnet  Christus;  er  geht  allein  am 
Meerufer  und  beruft  seine  Jünger,  den  Andrea3  und  Petrus.  Darauf 
folgen  die  Heilung  des  Blindgebornen  und  die  Berufung  des  Zachäus. 
Darnach  kommt  dem  Heiland  ein  Pharisäer  entgegen  und  ladet  Jesum 
zur  Tafel,  er  sendet  seinen  Knecht  voraus,  daa  Gelag  zu  rüsten. 

Nach  dieser  Emleitung  erscheint  Maria  Magdalena,  ein  frohUches 
Weltkind,  die  in  Freuden  leben  will  und  mit  ihren  Gespielen  zum  Kramer 
geht,  um  Schminke  und  Wohlgerüche  zu  kaufen.  Der  Kramer  streicht 
seine  Waare  heraus,  Maria  Magdalena  aber  hebt  plötzlich  ein  deut- 
sches Lied  an: 

Krämer,  gip  die  varwe  mir 
diu  min  wengel  roete, 
damit  ich  die  jungen  man  • 
an  ir  dank  der  minnenliebe  noete. 
Seht  naich  an, 
jungen  man!  ' 

lat  mich  iu  gevallen! 

')  Zuerst  mil^etheilt  von  Docen  in  s.  Miscellen  II.   nnd  in   A relins  Beifr. 
1806.  11  St.  8.  497  ff.   Vgl.  Schneller  Csrin.  bur.  S.  95-107. 


6^7 

Min  De  t,  tagen  tliche  man 

minnekltche  vranwen! 

minne  tuet  ia  höh  gemuet 

nnde  \kt  in  in  hohen  ^ren  schanwen. 
seht  mick  an,  a.  s.  w. 

Wol  dir  werlt,  daz  da  bist 

also  vreadenriche ! 

ich  wil  dir  sfn.nntertan 

darch  d!n  lieber  imnier  sicherltche. 
seht  mich  an,  a.  s.  w. 
Dann  kommt  ein  Amator,  welchen  Maria  grösst  und  mit  ihm  plaa- 
dert;  sie  fordert  die  Mädchen  auf,    sich  Farbe  zu   kramep  und  singt 
wieder  in  deutschen  Strophen: 

Wol  dan,  minneklichiu  kint, 

schanwe  wir  kräme. 

Kauf  wir  die  varwe  da, 

die  uns  machet  schoene  unde  wolgetine. 

Er  muez  sin  sorgen  vri, 

der  da  minnet  mir  den  lip. 
et  iterum  cantat:    ^Krämer  gib  ^\e  Farbe  mir^  und  der   ^Mercator* 
respondirt : 

Ich  gib'iu  varwe,  diu  ist  guot, 

dar  zuo  lobeliche, 

die  iu  machet  reht  schoene  unt  dar  zuo 

vil  reht  wnnnecliche. 

nempt  si  hin,  hab  ir  sie! 

ir  ist  niht  geliche. 
Darauf  geht  Maria  schlafen,  ein  Engel  singt  der  Träumeiiden  von 
Christas;  sie  erwacht  und  singt  wieder  ihr  Weltlied;  sie  schläft  wieder 
ein  und  nun  gemahnt  sie  der  Engel  zum  zweiten  Male ;  erst  wie  er  ihr 
sagt,  dass  die  Engel  im  Himmel  sich  freuen  über  eine  Sünderin,  die 
Busse  thut,  erhebt  sie  sich  voll  tiefer  Reue  über  ihr  sündiges  Leben, 
zieht  ihre  bunten,  vielfarbigen  Weltkleider  ab  and  legt  schwarzes, 
nonnenhaftes  Gewand  an;  der  amator  und  diabolns  weichen. jetzt  von 
ihr.  Nun  kauft  sie  beim  Kramer  die  kösthchste  Sglbe  und  geht  damit 
zur  ^Persona  dominica^  d.  h.  zum  Herrn,  den  sie  kniefällig  mit  einem 
deutschen  Gebete  begrüsst: 

Jesus,  trdst  der  s61e  min, 

lä  mich  dir  enpholhen  sSn,      ^ 
unde  Toese  mich  von  der  missetät, 
da  mich  diu  werlt  zue  hat  bräht! 

40» 


628 

Ich  käme  niht  von  den  faezzen  diu, 
du  erloesest  mich  von  den  sunden  min, 
nnde  von  der  grozzen  misset&t 
da  mich  diu  werlt  zue  hat  bräht! 

Darüber  murren  die  Pharisäer  und  Judas,    Christus   aber  recht- 
fertigt die  Sünderin,  die  über  sich  selbst  wieder  ein  Klagelied  anhebt: 

Aw^,  awS,  daz  ich  ie  wart  gebom! 
han  ich  verdienet  gotes  zorn, 
der  mir  hat  geben  s^le  unde  lip, 
aw6  ich  vil  unselic  wip! 
aw§,  awe,  daz  ich  ie  wart  geborn, 
swenne  mich  erwecket  gotes  zorn! 
wo!  üf,  ir  guoten  man  unde  wip 
Gott  wil  rihten  sdle  unde  lip. 

Daran  reiht  sich  die  Scene  mit  Maria  und  Martha,  die  weinend 
um  Lazarus  bittet  und  die  Erweckung  des  Todten,  wobei  inzwischen 
Chorstrophen  eingelegt  f^ind.  Nun  folgt  der  Verrath  des  Judas,  Ge- 
fangennahme am  Oelberg,.  die  Verläugnung  Petri,  Christus  vor  Caiphas 
und  Pilatus,  Geisselung  und  Ecce  horao,  Pilatus  wäscht  die  Hände, 
Auszug  zur  Kreuzigung,  Judas  wirft  dem  Hohepriester  das  Geld  wei- 
nend zurück,   der  Teufel  aber  führt  ihn  an  den  Galgen  und  hängt  iho 

auf.    In  der  Scene  der  Kreuzigung  hebt  Maria  ihre  Klage  an : 

« 

Awe!  awe  mich,  hiut  unde  immer  we,         ^ 

1.  We!  wie  sihe  ich  nü  an 

daz  liebliste  kint,  daz  ie  gewan 
ze  dirre  weide  ie  dehain  wip! 
aw§  mines  schoenen  kindes  lip! 

2.  Den  sihe  ich  iemerlichen  an. 

Lät  iuch  erbarmen,  wip  unde  man! 
Lät  iuwer  ougen  sehen  dar, 
nnde  nemt  der  marter  rehte  war! 

3.  Wart  marter  ie  so  iemerlich 
unde  also  rehte  angestlich? 

Nd  merket  marter,  not  unde  tot, 
unde  al  den  lip  von  bluote  rot. 

4.  Lät  lebeq  mir  daz  kindel  min, 
unde  toetet  mich,  die  mueter  sin 
Mariam,  mich  vil  armez  wip!  * 
Zwiu  sol  mir  leben  unde  lip? 


629 

Dessgleichen  lautet  eine  andere  Klage: 

Flete,  fideles  animae,  Triste  spectacnlum 

flete  sorores  optimae!  crucis  et  lanceae 

nt  sint  multiplices  clausuni  signacnlum 

doloris  indices  mentis  virgineae 

planctus  et  lacrymae.  profunde  vulnerat. 

Fleant  matema  viscera,  Hoc  est,  qnod  dixerat, 

Muriae  matris  vulnera!  quod  prophetaverat 

Materae  doleo  felis  praenuntius. 

qnae  diel  soleo  Hie  Ule  gladios 

feiix  puerpera.  qni  me  transverberat. 

Maria  umarmt  Johannes,  ihren  neuen  Sohn;  Jesus  dicit:  ^sitio^ 
und  die  Juden  reichen  ihm  den  Schwamm  mit  Essig;  darauf  durchbohrt 
Longinus  die  Schulterseite: 

Ich  wil  im  stechen  ab  daz  herze  sin, 
daz  sich  ende  siner  marter  pin.    . 

Wie  Jesus  mit  dem  fetzten  Worte  geendet,  bekehrt  sich  Longinus, 
der  das  Augenlicht  wunderbarer  Weise  erhält:  ') 

Dirre  ist  des  wären  gotes  sun, 
er  hat  zaichen  an  mir  getan, 
wan  ich  min  sehen  wider  hän. 

Die  Juden  aber  spotten  des  Gottessohnes.  Joseph  von  Arimathia 
bittet,  den  Gottessohn  bestatten  zu  dürfen: 

Jesus  von  gotlicher  art 
em  mensch  an  alle  sunde, 
der  an  schuld  gemartelt  wart, 
ob  man  den  fnrbaz  funde 
genagelt  an  dem  kriuze  st4n, 
daz  waer  niht  kuneges  Sre. 
Darumb  solt  ir  mich  in  län 
^bestaten,  rihter  herre' 
und  Pilatus  beschliesst: 

Swer  redelicher  dinge  gert, 
daz  stet  wol  an  der  mäze, 
daz  er  ir  werde  wol  gewert, 
du  bitest,  daz  ich  läze 


')  Vffl.  Walther  v.  d.  Vogelweide  37,  M  wo  Longinus  anch  als  ein  Blinder 
gilt,  der  durch  das  auf  seine  Augeiy /allende  Blut  des  Heilandes  geheilt  und 
sehend  wird ;  dasselbe  wiederholt  sidi  in  der  Folge  in  allen  Passionsspielen. 


630 

dich  bestaten  Jegum  Christ, 
daz  main  ich  wol  in  guete. 
sit  er  dir  so  ze  herzen  ist, 
nim  in  nach  dinem  muete. 

Dfis  sind  die  Mysterien,  die  in  bayerischen  Klöstern  aufgeführt 
wurden  und  nicht  selten  in  der  Nachbarschaft  weiter  wanderten  und 
häufig  in  vermehrter  Auflage  anderswo  wieder  vor  ihr  Poblikuin  ge- 
langten. Das  Osterspiel  vom  Antichrist,  welches  aus  Tegemsee  stammt 
und  in  weiterer  Ausschmüdcung  uns  neuerdings  in  Benedictbeuem  be- 
gegnet, muss  lange  Zeit  in  Uebung  gewesen  und  weit  faerumgekommeo 
sein;  einen  seltsamen  Beleg  für  diese  Meinung  liefert  ein  Fastoacht- 
spieP)  aus  dem  XV.  Jahrh.  zu  Nürnberg,  welches  sich  ganz  und  gar 
wie  eine  Carricatur  und  Travestie  des  alten  Tegernseer-Spieles  ansieht 

Aus  diesen  Mysterien,  welche  der  Clerus  in  den  Klöstern  be- 
gründete, entwickelten  sich  die  Passionsspiele,  welche  das  Volk 
erst  auf  dem  Kirchhofe  und  dann  auf  eigener  Bühne  im  Freien  agirte. 
An  der  Spitze  derselben  steht  die  Ammergauer  Passion,  welche 
sich  durch  ein  Gelübde  der  Gemeinde  im  Jahre  1634  auf  zehnjährige 
Wiederholung  fixirte  und  unterdessen  noch  prachtvoll  auswuchs.  Es  galt 
früher  die  Meinung,  es  sei  erst  in  der  angegebenen  Zeit  entstanden, 
wer  aber  weiss,  welch  langjährige  Mühen  und  Erfahrungen  vorausgehen 
müssen,  um  ein  Stück  mit  einigen  Hunderten  von  Mitspielenden  zur 
Darstellung  zu  bringen,  der  wird  es  begreiflich  finden,  dass  das  arme 
Bergvolk  /nicht  über  Nacht  auf  den  Einfall  kommen  konnte,  etwas 
seiner  ganzen  Natur  Fernliegendels  plötzlich  realisiren  zu  wollen.  Zudem 
spricht  das  wegen  einer  schweren  Pestzeit  gemachte  G^iöbniss  von  der 
Passionstragödie  deutlich  als  von  einer  schon  bekannten  und  bestehen- 
den Sache,  und  nur  die  Zeit  der  Wiederholung  wird  festgesetzt.  Auch 
der  bis  jetzt  aufgefundene  älteste  Text  vQm  Jahre  1662  ist  ein  Beleg 
dafür,  dass  dem  Spiele  ein  viel  älteres  zu  Grunde  gelegen.  Ich  nahm 
desshalb  keinen  Anstand,  in  meiner  Schrift  über  dieses  merkwürdige 
Drama ')  den  Satz  aufzustellen,  die  Sitte  des  dortigen  Pajisionsspielens 
sei  so  alt  als  die  dortige  Holzschnitzerei,  beide  stammen  aus  den  frühe- 
sten Klosterzeiten.  In  dem  benachbarten  Kloster  Rothenbnch  bildete 
die  Bilderschnitzerei  eine  besondere  Beschäftigung,  die  Mönche  brachten 
diese  Kunst  bereits  im  Anfange  des  XH.  Jahrh.  nach  Berchtesgaden, 


*)  Nro  68  io  Kellers  Sammlung. 

^)  Die  Entwicklung  des  deutschen  Theaters  im  Mittelalter  und  das  Amnergaoer 
PassioQSspiel.  Miincheo  1861  (bei  Robsold}. 


63t 

wo  sie  hente  noch  in  wetteifernder  Weise  florirt  and  sogar  eine  jdogere 
Schale,  die  zu  GrOden  in  Tirol  (1705)  ablagerte. 

In  gleicher  Weise  wurden  diese  Mysterien  im  Mittelalter  verschleppt. 
Vielleicht  wanderte  das  Tegernseer  -  Benedictbeurer  Osterspiel  über 
Kochel  und  Mittenwald,  woselbst  gleichfalls  eine  berühmte  Passion 
bis  in  die  neuere  Zeit  spielte,')  nach  Rothenbuch  und  von  da  nach 
Ammergau.  Im  vorigen  Jahrhunderte  wurden  in  Bayern  überhaupt 
noch  an  60  ähnliche  Spiele  aufgeführt,  z.  B.  ,zu  Aidenbach,  Eichen- 
dorf, Deining  bei  Landsberg,  Flintspach,  Peissenberg  (wo- 
von sich  noch  alte  Textbücher  erhalten  haben),  Mühlfelden,  Kohl- 
grub und  Roth  bei  Wasserburg; ')  das  letzte  dieser  Art  ist  unter 
den  Holzknechten  von  Erl  (bei  AudorO  noch  in  fleissiger  Uebung. 

Diese  Aufführungen  waren  grosse  erbauliche  Volksfeste,  auf  die 
Jung  und  Alt  sich  lange  schon  voraus  freute  und  ihrer  noch  lange  mit 
Freuden  gedachte.  Noch  heut  zu  Tage  betrachten  dieLandlcute  das 
Ammergauerpassionsspiel  als  eine  geistige  Badefahrt  :^  sie  empfangen  die 
Sacramente  in  der  alten  Kirche  zu  Etal,  verrichten  ihre  Andacht  vor 
dem  wunderbaren  Steinbilde  daselbst  und  so  ausgerüstet  ziehen  sie  be- 
tend nach  Ammergau,  wo  sie  andächtiglich  der  Darstellung  des  bitteren 
Leidens  und  Sterbens  des  Welterlösers  beiwohnen,  die  sie  wie  eine  für 
das  ganze  Leben  wohlthätig  wirkende  geistliche  Nachkur  gebrauchen. 
Und  es  ist  dasselbe  Verhältniss,  wie  bei  der  alten  griechischen  Tragödie: 
das  Volk  ist  mit  dem  Stoffe  wohlbekannt,  daher  genügen  wenige,  aber 
markige  Züge,  um  jede  schon  aus  den  Kirchenbildern  wohlbekannte 
Person  wie  einen  alten  Bekannten  einzuführen.  In  diesen  Scenen  ist 
heute  noch  wie  damals,-  ein  episches  Nebeneinander;  sie  reihen  sich 
ruhig  ohne  dramatische  Gegenwirkung,  nur  unterbrochen  durch  da« 
Hereinziehen  der  Vorbilder  aus  dem  alten  Bunde;  so  gemahnt  das 
Ganze  in  seinen  reichen  symbolischen  Beziehungen  den  Skulpturwerken 
an  den  mittelalterlichen,  gothischen  Portalen,  mit  denen  die  Figuren 
gleichfalls  noch  die  AehnKchkeit  des  Costüms  theilten.  Dieses  war 
immerdar  von  höchster  Einfachheit.  Die  Dramaturgen  behalfen  sich 
dabei  ebensowohl  wie  die  mittelalterlichen  Maler:  was  sie  vor  Augen 
hatten,  stellten  sie  dar;  hatten  ja  auch  die  Dichter  das  Christenthum 
ganz  deutsch  behandelt. 


>)  Noch  im  J.  1834  sah  Augu&t  Lewald  dasselbe;  vgl.  MorgenblaU  1834. 
Nro.  146-70  u.  Prechtl  im  Oberbayr.  Archiv.  XXI.  2.  Hft.  S.  105  ff. 

>)  Aneh  die  Schiffleote  von  Laufen  gshen  den  Winter  über  allerlei  Stöcke 
aus  der  profanen  und  heiligen  Geschichte  Vg\,  Reise  durch  den  bayerischen 
Kreis.  1784.  S.  245. 


682 

Das  älteste  Costüm  bildete  der  Levitenrodi ,  die  Casula  nnd  das 
Humerale;  die  weltlichen  Personen  z.  B.  der  Herodes  in  dem  Freinn- 
ger  Kindermord,  tragen  byzantinisch^  Gewänder,  wie  die  Kaiser  und 
Herren  auf  den  ältesten  Miniatui4)ildern.  Später  kam  die  mittelalter- 
liche Tracht  und  die  Magdalena  erschien  zu  Benedictbeuem  schon  in 
d^n  buntscheckigen  Stoffen,  in  den. als  vornehm,  hoflfährtig  und  hbchst 
weltlich  geltend  „stricheten"  d.  h.  vielförbigen  Kleidern,  die  Herman 
von  Fritzlar  und  Bruder  Berhtold  als  sundhaft  erkannten.  In  grosser 
hartnäckiger  Treue  halten  die  Ainmergauer  am  älteren  Schnitt,  in 
dem  sich  ebenso  wohl  die  Albrecht  Dürer'sche  Vorstellungsweise,  wie 
der  Geschmack  aus  Ruben*s  Zeit  kundgibt,  vermischt  mit  der  neueren 
Dosis  jener  namenlos  kläglichen  Stationenschmierer  und  Pappendeckel- 
anstreicher des  vorigen  Saeculums. 

Die  alten  Mysterien  gleichen  auch  hierin  jenen  Wandergebilden  der 
guten  Maler,  etwa  denen  der  Kölner-Schule,  Alles  ist  Andacht  und 
Frömmigkeit;  dann  kam  im  Drama,  wie  in  den  Maler-  und  Singschulen 
zu  Ulm  und  Nürnberg  allmählig  die  Verholzung  und  die  traurige  Realität, 
weicher  zuletzt  die  Handwerk skrämerei  folgte,  dann  wieder  das  zopfige 
Vornehmthun,  die  maskirte  Galanterie  mit  Manschetten  und  Mantel- 
wurf, denen  sich  bald  das  Toupet  und  das  arkadische  Ballet  anreihten. 

Wir  müssen  aber  .zurückhalten,  um  der  uns  zugemessenen  Zeit  und 
dem  uns  begrenzten  Raum  nicht  voranzueilen  oder  ihn  zu  überschreiten. 

Vom  XIV.  und  XV.  Jahrh.  sind  uns,  trotzdem  dass  diese  Spiele 
sehr  in  Uebung  gewesen  sein  müssen,  gerade  aus  Bayern  keine  Nach- 
richten und  noch  viel  weniger  Textbücher  überkommen.  *)  Doch  ist 
grosse  Wahrscheinlichkeit  vorhanden,  dass  auch  zu  Ingolstadt  eine 
bisher  noch  verborgene  Pflanzschule  dieser  dramatischen  Knost  sich 
befunden  haben  müsse.  Wenigstens  spricht  die  Thatsache  dafür,  dass 
ein  dortiger  Schulmeister,  welcher  von  da  auswanderte,  die  Kunst  des 
Passionsspielens  nach  Tirol  gepflanzt  habe.  Der  Name  dieses  Mannes 
ist  Benedict  Debs,  er  starb  1515  und  liegt  zu  Botzen  begraben. 
Sein  Freund  Virgilius  Raber,  seines  ehrsamen  Zeichens  ein  Maler 
zu  Sterzing,  erbte  von  ihm  zwei  Bände  „alt«  scardeggen^  mit  14' 
Stücken,  die  ihrem  Ii^alte  gemäss  sehr  alt  scheinen.^3  Sie  sind  höchst 


')  Ich  finde  nichts  mehr  als  eine  Marienklage  aus  dem  XV.  Jahrh.  (mit  Hiiaik- 
noten)^  welche  Pfeiffer  nach  einer  Münchner  HS.  bereits  in  Haupts  alt- 
dcut.  Bläit.  II.  373-76  abdrucken  liess.  Ein  Passionsspiel  aus  Friedber^ 
in  Haupts  Zeitschr.  VII.  545. 

')  Vergl.  die  sehr  schätzbare  Schrift  von  A.  Pichler:  lieber  das  DraiM  des 
Mittelalters  in  Tirol  1850.  u.  ein  weiteres  Programm  vom  J.  1852.  welches 
ein  Himmelfahrtsspiel  aus  derselben  HS.  veröffentlicht. 


683 

roh  and  unflfttig,  aaeh  kommen  Züge  darinnen  vor,  die  einen  ganz  ur- 
germanisohen  Hauch  verrathen,  so  z.  B.  wenn  2wei  Apostel  znm  Grab 
des  Erlösers  einen  WeUlauf  nntemehmen:  nnd  sie  wetten  um  ein 
Pferd,  ein  Paar  Schuhe  und  um  ein  Seidel  Weine.  Auch  in  den  heute 
beliebten  Tiroler  ^Bauerkomödien^  spricht  sich  eine  ganz  mittelalter-' 
liehe  Kindlichkeit  aus;  der  Engel  steigt  z.  B.  auf  einer  Leiter  aus  dein 
himmlischen  Gebälke  des  Heustadels  hernieder,  auf  welchem  Gott  Vater 
thront  und  Maria  empfängt  ihn  mit  den  Worten :  „Gelobt  sei  Jesus 
Christus"^  worauf  er  ganz  pflichtschuldigst  unbefangen  mit  „in  Ewigkeit^ 
erwiedert/ ') 

.  Wie  jeder  Mensch  in  sich  den  Tod,  so  trägt  auch  jede  Kunst  den 
Keim  ihres  Verfalles  schon  vor  ihrer  Ausbildung  in  sich,  und  das  mit- 
telalterliche Mysterienspiel  kränkelte  bisweilen  merklich  in  seiner  Hei- 
li^eit.  Der  dem  ächten  Volksleben  unvertilgbar  eingewachsene  glück-» 
liehe  Zug  des  Humors  und  der  heiteren  Laune  machte  sich  trotz  des 
gewichtigen  Ernstes  frühzeitig  geltend.  Schon  im  ältesten  unserer  Spiele, 
das  in  der  Freisinger  Kirche  aufgefiihrt  wurde,  kann  es  Herodes  nicht 
unterlassen,  den  Gelehrten  die  Bücher  an  den  Kopf  zu  werfen,  ein  Act, 
der  von  den  jungen  Scholaren  und  dem  zuschauenden  Baiwarenvolk 
jedenfalls  mit  freudiger  Acclamation  aufgenommen  wurde.  Auch  die 
Teufelsscenen  gaben  zu  allerlei  Spuck  Anlass,  so  dass  Pabst  Innocens  UI., 
ebenso  einzelne  Bisdiöfe  und  Synoden,  das  Schauspiel  aus  der  Kirche 
verwiese^  Nun  da  man  auf  dem  Kirchhof  oder  vor  dem  Kirchenportal 
agirte,  begann  das  Volk  auch  mitzuspielen,  und  nur  die  Rollen  hoch- 
heiliger Personen  blieben  in  den  Händen  der  Cleriker,  die  von  da 
.die  deutsche  Sprache  zulassen  mussten.  Unnöthige  Personen  wurden 
eingeschoben,  so  in  den  Osterspielen  ein  Marktschreier,  der  den  zum 
Grabe  wallenden  Frauen  Salben  und  Spezereien  verkauft,  besonders 
aber  war  es  sein  Knecht,  der  mit  tollen  Streichen  und  Thorheiten  seinen 
Witz  zu  Markte  brachte  und  mit  der  Zeit  zum  Hanswurst  sich  aus- 
bildete. Diese  Charakterfigur  scheint  ganz  ein  Eigenthum  des  altbayeri- 
schen und  beziehungsweise  des  österreichischen  Volkes,  in  Nürnberg  ist 
der  gleich  geniale  Jean  Posselt  zu  Hause.  In  einem  Osterspiele  des 
XV.  Jahrb.")  ist  dem  Kramer  neben  einem  hanswurstartigen  Diener 
auch  ein  böses  Weib  zugegeben,  mit  dem  er  sich  zankt;  der  Dichter 
nennt  sich  Rubin  (Ruepel)  und  einen  Bayern,     in  den   von  Benedikt 


*)  Von  diesen  Passionsspielen  cursiren  im  Volk  überhaupt  eine  Unzahl  höchst 
korifiischer  Geschichten  und  Anecdolen.  Vgl  desshalb  (Htltermaier)  Sagen- 
buch der  Städte  Lauingen  etc.  ' 

')  Hoffmann  von  Fallersleben :  Fundgruben.  II.  296.  Wackernagel  Lese- 
buch 1839.  S.  1013  fr.  W.  Menzel  Deut.  Dicht.  I.  236. 


634 

Debs  aus  Ingolstadt  nach  Tirol  gebrachten  Stücken,  tritt  in  dem 
Qarten,  wo  später  der  auferstandene  Heiland  erscheint,  zuvor  ein  Gärtner 
auf,  der  etliche  Würzen  und  Kräuter  zum  bedenklichsten  Gebrauche 
empfiehlt  und  die  Mutter  des  Herrn  mit  auserlesener  Grobheit  behan- 
3elt,  *)  Petrus  erscheint  als  komische  Figur,  ebenso  wie  er  im  Kinder- 
märchen überall  eine  lächerliche  Rolle  spielt,  die  Jünger  zu  Emaos 
fuhren  eine  förmlich<^  Kneipscene  auf,  prügeln  sich  mit  Wirth  und  Wirthin, 
schlingen  heisshungerig,  was  von  den  Ostereiern  no(di  übrig  ist  und 
trinken  alle  Weinreste  aus.  Dergleichen  Auftritte  bildeten  sich  zu  ganz 
weltlichen  Zwischenspielen  aus,  zu  planlosen  Bauernkomödien,  Jahr- 
marktsscenen  und  Schlägereien  mit  Schin^pf  and  Spitznamen,  dte  sich 
bald  von  den  Mysterien  ausscheiden  mussten,  sollts  nicht  das  Heilige 
geradezu  verhöhnt  und  lächerlich  gemacht  i^erden.  So  entstand  das 
weltliche  Theater,  welches  längst  schon  einen  guten  Boden  im  Volks- 
leben hatte. 

•Die  Kirche  war  nämlich  nicht  im  Stande  gewesen,,  alle  aus  dem 
Heidenthume  überkommenen  Natur-  und  Volksfeste  in  ihren  Dienst  zu 
nehmen;  sie  hatte  sich  meist  mir  darauf  beschränkt,  dieselben  unter 
Vermeidung  alles  Anstössigen,  äusserlich  an  eines  ihrer  Feste  oder  den 
Namen  ihrer  Heiligen  anzuknüpfen.')  Man  gedenke  dazu  der  dramati- 
schen Kampfspieie  von  Winter  und  Sommer,  an  das  Ausjagen  und 
Vertreiben  des  einen  und  das  Bewillkommnen  und  Einholen  des  anderen,') 
an  die  Brunnen-  und  Waldfahrten  auf  .Laetare  Jerusalem,'^  der  vielen 
FrüMingsfeste,  bei  denen  Blumenköniginnen  und  Grafen  mit  Sang  und 
Klang,  Spiel  und  Tanz  die  Maibäume  setzten.  Hinter  dem  heitig  gehal- 
tenen ersten  Mai  liegt,  wie  schon  W.  Menzel  vermuthete,**)  eine 
ältere  heidnische  Feier  verborgen,  einer  grossen  Hochzeit  der  Eiben, 
die  später  als  gräulicher  Hexensabbath  wieder  zum  Vorschein  kam. 
Um  diese  Zeit  blühen  die  Bäume  und  paaren  sich  die  meisten  Thiere, 
es  ist  die  grosse  Hochzeitsfeier  der  Natur  selbst.  Daher  beging  man 
diese  Feier  durch  den  ganz  dramatischen  Eintritt  eines  geputzten  Jüng- 
lings, der  den  ersten  Mai  oder  Frühling  vorstellte  und  Maikönig  oder 
Maigraf  hiess,  ihm  gesellte  man  das  schönste  Mädchen  als  Mai- 
braut oder  Maigräfin  bei.  Das  Maifest  ist  an  die  Stelle  des  Eiben- 
festes  getreten.  Gleichfalls,  wenn  auch  nur  einen  primitiven,  aber 
immerhin    doch    dramatischen   Charakter   tragen    das   Erscheinen    der 


')  Pichler  S    13. 

*)  Vgl.  dessbalh  die  Vorrede  zu  J.  W.  Wolf:  Beitrage  zur  deut.  Mythologie. 
I.  B   1852. 

')  Panzer  Beiträge.  I.  253. 

4)  Deut.  Dicht.  I.  113. 


635 

Klöpfelsäjager  und  Sternbuben  zu  WeihDacht  und  Dreikönig, 
ferner  die  Gregorius*,  Martins-  and  Nicolansfeste,  voraas 
aber  das  Urbanreiten,  die  Umzüge  des  Wasservogel  und  der 
Radsehleifen  mit  Hans!  und  Gre^l;  keine  Zunft  feierte  ihr  Jahres- 
fest,  den  sogenannten  Lichtbraten,  ohne  mit  geschwungener  Fahne,  mit 
Tronmiel,  Pfeiffen  und  Saitenspiel  auf  die  Herberge  zu  ziehen,  in  der 
Fastnacht  gab  es  dann  Narrenspiele  und  Mummereien,  ich  erinnere  nur 
an  das  Nürnberger  Schempart-Laufen,  an  die  Wurstproces- 
sionen  und  das  Brunnenspringen  der  Metzger,  die  Reigen 
der  Fassbinder, ')  und  die  Messertänze  der  Schwertfeger') 
und  andere  EIrscheinungen.  Am  Aschermittwoch  sah  man  dann  unter 
Trommel-  und  Pfeiffensohall  die  hingeschiedene  Fasching  begraben.  Die 
vielen  Umgänge,  die  das  schaulustige  Mittelalter  abhielt,  geben  nicht 
selten  schon  durch  ihren  uns  ganz  unverständlich  gewordenen  Charakter 
ihren  heidnischen  Ursprung  aus  den  alten  priesterlichen 
Götterumzügen  sattsam  zu  erkennen.  Ihre  Erläuterung  bleibt 
einer  eigenen  Schrift  vorbehalten;  hier  interessiren  sie  uns  nur  in  so 
weit,  als  sie  mehr  oder  minder  Veranlassung  boten  zu  stummen  oder 
lauten,  gereimten  und  ungereimten,  gesprochenen  und  gesungenen  dra- 
matischen Darstellungen,  Spielen,  Scenen  und  Aufzügen  eines  aus- 
schliesslich oder  doch  vorzugsweise  bloss  ergözlichen  Inhaltes. 

Darneben  drängten  sich  auch  viele  kirchliche  oder  christianisirte 
Festlichkeiten  in  den  Vordergrund;  wir  erinnern  hier  an  die  noch 
wenig  beleuchteten  Aufzöge  der  heimkehrenden  Kreuzfahrer,  ihre 
Wechselgesänge  und  Dialoge,  in  welchen  sie  die  Thaten  und  Wunder 
des  heiligen  Krieges  schilderten,  wobei  auch  allerlei*  fremdländische 
Sehenswürdigkeiten,  Reliquien  und  Bilder  auf  den  Strassen  vorgetragen 
wurden.  Das  merkwürdigste  jedoch,  was  in  dieser  Beziehung  sich  bis 
auf  den  heutigen  Tag  erhalten  hat,  ist  der  gi'osse  Drachen  stich  zu 
Fürth  in  der  Oberpfalz,  der  immer  am  Sonntag  nach  Fronleichnam 
abgehalten  zu  werden  pflegt  und  nebenbei  bemerkt,    als  ein  factischer 


')  Vergl.  meinen  Artikel  über  die  frühere  Bedeutung  des  Münchner  Schäffler- 
(anzes  in  der  N.  Münch.  Ztg.  1858.  Nro.  18. 

')  Solche  fanden  zu  München  stall,  ferner  zu  Ulm  und  Nürnberg.  Zu  München 
erschienen  alle  acht  Jabre  die  Scbwertfeger  von  Braunau  und  führten  ihren 
„figürlichen  Tanz  mit  entblössten  Schwertern^  vor  den  ansehnlichsten  Häusern 
aur.  Die  Sitte  war  noch  zu  Westenrieders  Zeiten  üblich,  der  ihrer  in  seiner 
Besdireibang  von  München  1782.  S.  287  gedenkt.  Wenige  Jahre  darauf 
wurde  das  Spiel,  ein  mehr  als  tausendjährig  bestehendes  Recht,  trotz  dem 
kaiserl.  Privilegium,  polizeilicb  abgeschafR.  —  Die  Münchner  Messerschmiede 
gehörten  zu  den  vier  privilegirten  Bruderschaften  fm  heil  röm.  Reich,  die 
(nächst  Wien,  Heidelberg  und  Basel)  alle  in  diesem  Handwerk  vorfallenden 
Streitigkeiten  entscheiden  konnten.  Vgl.  Frisius  Ceremönien.  8.  883. 


fi36 

Beweis  des  Fortlebens  der  Heldensage  gelten  kann. ')  AxkAi  England 
kennt  den  Liatwurmkampf  des  heil.  Georg,  aber  man  feiert  ihn  dort 
znr  Weihnachtzeit.  *)  Der  kirchliche  Heilige  ist  nur  die  Verhüllung 
eines  altheidnischen  Wesens/ähnlich  wie  bei  St.  Ntcolaus  und  Martin. 
Den  Drachenkampf  kennen  überhaupt  alle  Völker.  Auch  die  Barwaren, 
noch  mehr  die  in  der  Oberpfalz  abgelagerten  Gothen,  müssen  einen 
solchen  Mythus  besessen  haben.  Die  Schlange  ist  das  Sinnbild  des 
Wassers,  des  feuchten  und  nebeligen  Winters,  oder  in  biblischer  An- 
schauung das  Symbol  der  Sünde  und  des  Verderbens  der  Menschen,  mit 
ihr  kämpfte  der  Gt)tt;  sein  Sieg  ist  der  Sieg  der  himmlischen  Sonne 
über  den  Wiuterhimmel  im  Jahrkreise  oder  der  Erlösung  im  Weltjahre. 
Der  englische  Drachenkampf  ist  sonach  nichts  anderes,  als  unsere 
Wettgesänge  von  Sommer  und  Winter,  die  hier  nur  in  Worten,  dort 
in  Thaten   sich  bewegen.*) 

Das  schöne  Spiel  in  dem  oberpfillzischen  Fürth  geht  folgender 
Massen  vor  sich.  Am  Vormittage  wohnen  die  Spielenden,  früher  natür- 
lich im  Costüm,  dem  Hochamte  in  der  Stadtpfarrkirche  bei,  darauf 
begibt  sich  der  Zug  auf  den  Walplatz.  Die  handelnden  Personen  sind: 
ein  Rittersmann  zu  Pferd,  in  Harnisch  und  Blechhaube,  umgeben 
von  einer  Schaar  Trabanten ; -dann  eine  Königstochter  aus  fremden 
Landen ,  ein  Goldkrönlein  und  Schleier  auf  dem  Haupte  tragend ,  be- 
hängt mit  Silbergeschnür  und  Schaumünzen  in  Fülle;  eine  Ehrendame, 
die  Nachtreterin  genynt,  begleitet  ^dieselbe.  Letztere  hat  kaum  auf 
einer  erhabenen  Bühne  Platz  genommen,  als  ihr'gegenüber  m  gehöriger 
Entfernung  bereits  ein  grimmer  Drache  erscheint,  ungestalten  Leibes, 
mit  grosser  Kunst  aus  Reifen  und  Leinwand  zusammengefügt  und  von 
dem  darin  geborgenen  Todtengräber  dirigirt.  Das  Ungethüm  treibt 
erst  mit  den  Zuschauem  allerlei  Spass  und  Hetzerei  und  strebt  auf  die 


')  Hierüber  rxistirl  eioe  reiche  Literatur,  die  aber  der  Hauptsache  nach  ininier 
dasselbe  bietet.  Vgl.  Vaterländisches  Magazin.  1840.  Nro.  45.  Verhandlungen 
des  hislor.  Vereins  der  Oberpfälz  1846.  S.  162.  Panzer  1.  107  u.  559. 
Rassmann  Heldeusage.  1857  I.  413  ff.  u.  Red  er  Der  Bayerwald.  1861. 
8.  189  Auch  erschien  zu  Ch»m  bei  Ph.  Brönner  eine  eigene  Brochöre  (16 S. 8®), 
welche  die  Autführnng  vom  Jahpe  1855  beschreibt;  dieses  Machwerk  aber  ist 
ebenso  schlecht,  wie  der  beigedruckte  Holzschnitt,  der  anonyme  Verfasser 
spöttelt  mit  vornehmen  Schreiberwitz  über  das  Volksspiel  und  will  sein  Opus 
doch  als  ^Volkshuch*^  gelten  lassen.  Ein  grosser  Reiterauszug  alljährlich  am 
St.  Georgentag  zu  Stein.  Vgl.  Steub:  Bayer.  Hochland.  1860.  S.313. 

*)  Der  Nachweis  bei  Wein  hold  Weihnachtspiele.  S.  18. 

*)  £tv^as  Aehnlidbes  war  auch  in  Metz  üblich.  St.  Clemens,  der  erste  Hei- 
denbekehrer  in  Lothringen,  tödtete  in  Metz  einen  Drachen  (ebeoso  wie  St. 
Mani?  zu  Füssen);  zur  Erinnerung  daran  Murde  altjährlK-b  ein  riesiges 
Drachenbild  durch  die  Strassen  ^^eführt,  wobei  es  Herkommen  -war,  dass 
die  Bäcker  Brode  in  den  weitaufgesperrten  Rachen  werfen  musslen,  die  den 
Armen  der  St^dt  zu  gute  kamen     Hocker  Mosel.  1855.  S.  8  ff. 


687    » 

geäng8tigte  Prinzessin  los :  da  reitet  der  ilitter  heran  zu  der  Jungfrau 
^auf  deu)  Steine^  und  gelobt  seine  Hülfe,  schon  will  der  Drache  das 
arme  Opfer  ergreifen,  da  beginnt  der  Kampf  und  zwar  in  dreimal  ver- 
schiedenem Angriff:  Zuerst  sprengt  der  Ritter  dem  Unthier  entgegen 
und  stösst  ihm  den  Speer  in  den  Rachen,  trifft  er  die  in  der  Gau- 
raenhöhlung  verborgene  Blase  nicht,  so  nimmt  wohl  ein  M etz ger- 
meis ter  des  Augenblicks  währ,  zieht  sein  langes  Messer  und  zersticht 
dem  Drachen  sein  rindblasen  Herz,  so  dass  zur  Freude  des  Volkes, 
insbesondere  der  dabei  immer  stark  vertreteneu  Böhmaken,  Blut  fliesst, 
in  welches  die  Bäuerinnen  begierig  ihre  Tücher  tauchen,  um  ein  sym- 
pathetisches Mittel  zu  haben.  Das  Tuc]^  wird  in  Stücke  zerrissen  und 
in  die  Felder  gesteckt,  „damit  der  Flachs  in  diesem  Jahre  gut  gedeihe.** 
Dieser  Zug  gibt  dem  ganze;i  Feste  eip  mehr  als  tausendjähriges  Recht; 
dieses  „ Drachenblut '^  ist  so  gesucht,  wie  das  Blut  der  „armen  Sünder" 
bei  Hinrichtungen,  ^r-  Der  Drache  fallt  aber  noch  nicht;  zum  z weiten- 
male reitet  der  Ritter  mit  aufgehobenen^  Schwert  heran  und  versetzt 
dem  Drachen  einen  Hieb,  dass  er  sich  schmerzhaft  krüiiunt  und  bäumt; 
die  Knappen  und  Trabanten  umringen  ihn  mit  vorgehaltenen  Spiessen, 
dass  er  nicht  mehr  entrinne,  indessen  kommt  der  Retter* zum  dritten- 
male  und  schiesst  ^  nr«ht  einen  Pfeil  (was  ehedem  wohl  zuerst  geschah, 
jetzt  aber  des  Effectes  wegen  zuletzt  verspart  werden  muss),  sondern 
ein  Pistol  auf  den  Drachen  ab.  Die  Jungfrau  bekränzt  ihren  Retter 
unter  gereimten  Wechselreden  und  dann  findet  ein  pompöser  Umzug 
und  Einzug  in's  Wirthshaus  zum  Rittertanz  statt,  indess  der  drachen- 
dirigirende  Todtengräber  von  Haus  zu  Haus  sein  Trinkgeld  sammelt. 
Die  Folge  des  Schaustückes  war  früher  häufig  eine  Heiräth  zwischen 
Ritter  und  Königstochter,  so  dass  also  wahrscheinlich  die  Wahl  auf 
die  betreffenden  und  zusammenhängenden  Personen  fiel,  wodurch  das 
Ganze  an  Bedeutung  gewinnt.  Panzer  theilt  fefner  mit,  dass  nach 
der  Volkssage  „der  Drache,  welcher  jetÄ  nur  nachgeahmt  wird, 
froher  ein  wirklicher  Lintwurm  gewesen  sei,  welcher  die  Stadt  hart 
bedrängte,  bis  ein  Held,  Namens  Siegfried  kam,  der  ihn  erlegte." 
Dieser  Zusatz  sieht  so  acht  aus,  dass  er  dem  Forscher  wirklich  Be- 
denken erregen  könnte,  ob  er  nicht  in  neuerer  Zeit  erst  sich  einge- 
schmuggelt habe.  Dagegen  ist  eine  andere  Ueberlieferung  noch  beach- 
tenswerth,  welche  behauptet,  dass  zu  Fürth  einst  die  Pest  gehaust  und 
Alles  dahin  gerafft  habe ;  NiemancT  wollte  mehr  kommen,  um  die  Leute 
wieder  anzuziehen,  wurde  der  Drachenstich  gegeben;  das  heisst  wohl: 
man  kam  auf  den  Einfall,  ihn  wieder  aufzuführen.  Mithin  fällt  die 
erste  Kunde  seines  Entstehens  oder  besser  gesagt,  Wiedererscheineus 
mit  derselben  Ursache  zusammen,   welclfe  den  Münchner  Schaff lertanz 


'     688 

auf  die  Beine  und  die  Ammergauer  zu  dem  Gelöbniss  einer  immer  in 
zehn  Jahren   zu   veranstaltenden  Wiederholung  ihrer  Passion   brachte. 

Das  ist  zwar  nur  ein  Volksspiel,  welches  alljährHch  wiederkehrt; 
indess  wurde  die  Legende  von  St.  Georg,  mit  demselben  Rechte,  wie 
sie  Kein  bot  episch  behandelt  hatte,  auch  in  ein  pompöses  Drama 
verarbeitet,  welches  im  Jahre  1473  zu  Augsburg  Während  der  Daner 
des  Reichstages  und  zu  Ehren  der  Anwesenheit  des  Kaiser  Friedrich  III. 
prachtvoll  aufgeführt  warde.  Der  Kaiser  war  am  25.  April  des  genann- 
ten Jahres  mit  grossem  Gefolge,  in  welchem  sich  sein  Sohn  Maximi- 
lian und  sogar  der  türkische  Kaiser  Zusimus  beiknd,  eingeritten 
und  verweilte  daselbst  bis  zum  Samstag*  vor  St.  Michaelstag.  In  dieser 
Zeit  fand  die  Aufführung  dieses  Stückes  statt,  welches  M.  Schütten- 
heim,  seines  Zeichens  vielleicht« ein  Weber,  welcher  in  zwei  anderen 
Gedichten  den  Kaiser  noch  später  (1480  und  1487)  verherrlichte, 
dichtete.  Ein  feineres  Compliment  konnte  dem  Stifter  des  Georgenrit- 
terthums  (1468)  nicht  gemacht  werden,  als  durch  die  Vorführung  dieses 
dramatischen  Werkes.')  Es  hebt  damit  an,  dass  die  Bürger  der  von 
einem  grausamen  Drachen  belagerten  heidnischen  Stadt  sich  über  das 
daraus  erwachsene  Unheil  besprechen  und  um  Hülfe  gegen  diese  Noth 
sich  an  den  König  wenden: 

Der  track  ist  iez  an  dem  tor 
Und  tuot  mengen  stürm  davor. 
Mit  feur  und  giftigem  schmack 
Das  niemant  davor  pleiben  mak. 

Denoi  rathlosen  König  schlägt  ein  Bürger  vor,  mit  dem  Wurm 
einen  Vertrag  (satz)  zu  machen,  Schweine  zu  kaufen  und  ihm  täglidi 
eines  zu  geben;  ging  diese  Fütterung  aus,  dann  könne  man  sich  mit 
Schafen  und  später  mit  Pferden  und  Rindern  behelfen.  Der  Antrag 
wird  angenommen ,  nur  «in  Bürger  ahnt  Unheil ,  es  könnte  vielleicht 
doch  noch  an  ihr  eigenes  Leben  gehen,  wenn  etwa  ein  Futtermangel 
an  solchen  Thieien  entstehe,  doch  wird  sein  kluger  Rath,  den  Drachen 
lieber  gleich  jetzt  zu  bekriegen ,  von  dem  darob  erzürnten  König  und 
der  nicht  absonderlich  muthigen  Ritterschaft  einstimmig  abgewiesen. 
Unterdessen  muss  doch  der  traurige  Fall  eingetreten  sein,  denn  in  der 
nächsten  Scene,  .die  vielleicht  durch  eine  Pause  unterbrochen  war, 
kommt  ein  Thorwärtel  mit  der  Anfeige,  der  Drache  stürme  anaufhalt- 


')  Vgl.  Greirr  in  FreiflTers  Germania.  I  165-91  und  Keller  Pastnacblspide 
(Nachlese).  1858.  S.  130—82.  (Nro.  126.)  Eine  andere.,  reimweis  ertihleiide 
Bearbeitung  dieser  Lebende  oiacbte  im  J.  1516  ein  Augsburger  Welier  und 
Biirger,  Simprebt  Kröll  mit  Namen. 


639 

sam  am  Thor  und  f^peie  Feuer  mit  solcher  Kraft,  dass  Niemand  allda 
mehr  auszuhalten  vermöge;  die  Stadt  hat  ihn  sraerst  mit' Schweinen, 
dann  mit  Schafen  und  Pferden,  zuletzt  mit  ihren  Rindern  abge- 
speist, jetzt  ist  Alles  im  Lande  aufgefressen;  der  König  schläft  vor, 
ein  Loos  zu  werfen ,  wenn  es  treffe ,  der  habe  sein  Kind  dem  Wurm 
zu  geben,  er  selbst  wolle  dabei  nicht  ^ausgenommen  sein;  habe  Einer 
keine  Kinder,  so  solle  er  sein  Weib  oder  sich  selbst  dem  Drachen 
stellen.  Das  wird  angenommen.  Der  Erste,  den  das  Loos  trifft,  bietet 
gleich  sein  Hab'  und  Gut  dagegen,  aber  es  verfangt  nicht  und  sie 
bringen  dem  Drachen  sein  Kind,  welches  erst  den  Vater  um  P^bal-men 
bittet  und  dann  jämmerlich  aufschreit. 

Dasselbe  wiederholt  sich  nun  öfter;  rührend  sind  die  einfachen 
Klagen  einer  Mutter,  die  ihr  Kind  verlieren  soll  und  sich  selbst  fiir 
dasselbe  opfern  will.  Zweimal  verliert  ein  und  derselbe  Ritter,  der  jet/Jt 
sogar  seine  Frau  dem  Dracheu  zur  Speise  geben  muss,  obwohl  sie  mit 
einem  Kindlein  geht. 

Endlich  trifft  auch  auf  den  König  das  Loos  —  er  soll  seine  schöne 
Elia  dem  Wurm  geben ,  vergebens  möchte  er  sich  mit  allen  seinen 
Burgen  und  Städteu  loskaufen,  er  will  ein  armes  Kammerweib  dafür 
substituiren,  die  lange  Zeit  lahm  und  ungesund  gelegen  ist;  der  Schreck 
macht  die  alte  Gere  gesund;  da  sie  hartnäckig  dagegen  ist,  sich  von 
dem  Drachen  verspeisen  zu  lassen,  wünscht  sie  der  König  zum  Teufel, 
der  augenblicklich  erscheint  und  die  ^alte  Kupplerin^  abholt;  nun  hat 
der  Drache  aber  ^immer  noch  nicht  seinen  Frass.  Der  König  spricht 
zum  Volke  und  bittet  nur  um  einen  Tag  lang  Aufschub,  dagegen 
macht  ein  Ritter  geltend,  wie  er  bereits  drei  Bröder,  zwei  Kinder  und 
seine  Frau  verloren  habe  —  es  muss  sein;  der  König  ziert  sein  Kind 
mit  Krone  und  Gold,  so  wird  sie  ^auf  den  Stein  gestellt*  und  soll  des 
Drachen  warten. 

Unterdessen  kommt  ein  Engel  zu  St.  Jöi'gen  ^in  sein  Land*'  und 
heisst  ihn  zu  dem  König  von  Libia  fahren,  um  dort  durch  Christi 
Namen  und  Glauben  die  Abgötter  zu  stürzen.  Also  reitet  St.  Jörg  aus 
und  findet  die  jammemde  und  um  Hilfe  rufende  Jungfrau,  die  anfanglich 
die  Ankunft  des  Ritters  gar  nicht  gewahrt  und  ihm  kerne  Antwort  auf 
seine  höfisch -ritterlichen  Fragen  gibt,  endlich  kommt  sie  doch  dazu, 
ihm  den  ganzen  traurigen  Zusammenhang  stossweise  zu  erzählen. 

Die  folgende  Zwischenscene  spielt  wieder  in  der  Stadt.  Ein  Wappner 
hat  von  der  Mauer  die  Ankunft  eines  Retters  gesehen  und  bringt  davon 
dem  Volke  und  Könige  Meldung.  Die  Jungfrau  aber  erfahrt  durch 
St.  Jörg  zum  ersten  Male  von  Christus,  und  ist  gerne  bereit,  mit  dem 
ganzen  Land  seinen  Namen   und  Glauben   anzunehmen,    und  Georjus 


640 

verspricht  ihr",  si«  werde  den   jubeln  Teufelshund,*'  der  bereits  heran- 
kommt, mit  ihrem  Gürtel  biuden  können. 

Vorerst  erscheint  noch  ein  Engel  dem  Heiligen  und  verheisst  ihm 
durch  Christi  Kreuz  den  Sieg;  so  reitet  St.  Georg  auf  den  Warm, 
durchsticht  ihn  und  führt  ihn  zu  der  Jongfrau. 

Das  ersah  ein  Wappner  von  der  Stadtmauer ;  er  eilt  zum  König, 
bittet  um  gutes  Botenbrod  für  seine  Kunde  und  erzählt,  wie  ein  Gott 
^in  Kitters  Amt^  den  Tracken  erzähmt  habe,  also  dass  ihn  Elia  jetzt 
am  Gürtel  fiihre;  der  König  geht  ihr  mit  dem  ganzen  Volk  vor  das 
Thor  entgegen,  die  BefVeite  stellt  ihrem  Väterlein  den  vom  Christengott 
aus  Capadocia  gesandten  Ritter  und  Retter  vor.  Anfänglich  wäre  der 
König  geneigt,  den  Ritter  selbst  für  einen  Gott  zu  halten,  ergibt  sich 
aber  gleich  an  Jesus  Christns  und  befiehlt  seinem  ganzen  Volke,  diesen 
Glauben  sich  anlegen  zu  lassen.  Mit  äusserster  Bündigkeit  spricht  St. 
Jörg  zu  dem  Volke,  was  der  Christenglaube  sei,  tauft  es  sodann  und 
predigt  auf  die  Bitte  eines  Ritters  noch  mehr  davon.  Die  Königin- 
Mutter  verspricht  ,, Klöster  zu  machen'*  und  der  König  will  ^Priester- 
schaft^  einsetzen,  Wittwen  und  Waisen  schirmen,  Raub  und  Brand 
verbieten;  das  Spiel  schliesst  mit  folgender  Exhortation  in  einer  acht 
allgäuer-schwäbischen ,  durch  das  ganze  Stück  fühlbaren  Mundart: 

Ir  alle  haunt  nun  woll  vernomen. 

Die  her  zuo  disem  spil  sind  komen, 

Das  verpraucht  ist  in  sant  Jörgen  ere.   ^ 

Hie  bei  sült  ir  nemen  lere. 

Das  got  den  rechten  nie  verlie, 

Als  iez  ist  scheinper  worden  hie, 

Wie  von  got  ein  track  ward  gsant 

In  Libia  des  haidnischen  künges  laut. 

Der  tet  in  pein  und  grosse  not. 

Leut  und  vich  den  pittern  tot 

Was  von  dem  tracken  in  des  künges  latit^ 

Bis  gott  sant  Jörgen  zuo  in  sant 

Der  von  dem  wurm  der  haidenschaft 

Loste  durch  des  kreizes  kraft. 

Si  wauren  ungeläbig  haiden. 

Got  wolt  si  davon  schaiden 

Und  vor  der  hell  bewam, 

Das  si  die  abgött  Hessen  farn. 

Durch  des  künges  tochter  Elia 

Würket  got  die  wunder  da 


641 

Durch  Georiura,  der  si  von  dem  tot 

XiOst  uns  von  des  tracken  not 

Und  band  den  Wumi  mit  gottes  kraft 

Angesicht  aller  haidenschaft. 

Da  si*das  wunder  sachen, 

Christum  si   za  got  verjachen 

Und  glaupten  darch  die  zaichen  gross. 

Da  der  wurm  ward  sigelos 

Durch  Christus  namen  pei  dem  kreuz,  f 

Nun  bedenkent  alle,  was  bedeuts? 

Nit  änderst,  denn   wir  vest  bestaun, 

Den  glauben  und  got  vor  äugen  haun 

Und  pitten  got  durch  seinen  tot, 

t 

Das  er  uns  helfe  aus  aller  not. 
(Hie  hat  Sant  Jergen  spil  ain  end. 
Das  uns  got  allen  kuroer  wend.) 

Es  ^ird  sich  schwerlich  aus  dieser  Zeit  ein  anderes  Produkt  finden, 
das  einigen  von  diesen  Dialogen  an  Einfachheit,  Wahrheit  und  kind- 
licher Naivetät  an  die  Seite  zu  stellen  wäre.  Die  Wirkung,  welche  die 
lebendige  Aufführung  dieses  Drama*s  ausgeübt  haben  niuss,  lässt  sich 
freilich  nicht  mehr  eimessen;  besser  hätte  der  Dichter,  dem  es  haupt- 
sächlich darum  zu  thun  war,  die  Herrlichkeit,  den  Triumph  und /ien 
Sieg  der  Kirche  über  ihren  Feind  in  den  Herzen  der  Zuschauer  zu  einer 
lebendigen  Anschauung  zu  bringen,  seinen  Zweck  nicht  erreichen  können. 
Es  muss  einen  wunderbaren,  erhebenden  und  begeisternden  Eindruck 
gemacht  und  wie  heute  noch  die  Ammergauer  Passion,  ungleich  mäch- 
tiger  gewirkt  haben,  als  die  Predigt  des  begabtesten  Redners.  Man 
könnte  es,  was  besonders  den  zweiten  Theil  betrifft,  mit  vollem  Rechte 
ein  Missionsspiel  nennen.  *)  Zwar  schlief  wahrscheinlich  der  langweilige 
Kaiser  Friedrich  III.  wie  auf  dem  Regensburger  Reichstag,  aber  der 
türkische  Kaiser  Zusimus  wird  Augen  gemacht  haben!  war  es  viel- 
leicht auch  darauf  mitangelegt,  ihn  zum  .christlichen  Glauben  zu  be- 
kehren oder  ihn  überhaupt  dafür  geneigter  zu  machen? 

Ein  anderes,  höchst  merkwürdiges  Spiel,  welches  gleich  hier  an- 
gereiht werden  mag,  handelt  von  der  Auffindung  des  heiligen 
Kreuzes,")  es  stammt  vielleicht  aus  Franken,  ist  aber  in  derselben 
Augsburger  Handschrift  auf  uns   gekommen.     Es  ist  ein   umfassendes. 


')  Vgl.  Greif r  in  der  tiernianlB.  S.  166 
»j  Vgl.  Keller  ebendas.  S.  54-1«?. 

41 


642 

gross  angelegtes  Drama,  welches  höchst  pcmpöfi  ausgestattet  gewesen 
sein  muss,  Kaiser  Constantin,  St.  Helena  und  ihre  Ritter  erscheinen 
hoch  zu  Ross.  Es  folgt  übrigens  ganz  wie  das  St.  Georgenspiel,  der 
bekannten  Legende.  Das  Stück  ist  deutlich  in  zwei  Akte  getheitt. 

Dass  es  neben  den  Mysterien  und  neben  diesen  Volksschau- 
spielen andere  Dinge  gab,  die  in  eigenen  Buden,  auf  Jahrmärkten  und 
offenen  Strassen  aufgefiihrt  wurden,  allerlei  Possen  und  Jongleurstucke 
der  Fahrenden ,  wie  z.  B.  der  obengenannte  Konrad  philosophus  von 
Scheyern  gesehen  und  abgemalt  hat,  ist  bekannt.  Die  Kerle  trieben 
alle  möglichen  Künste,  waren  Taschen-  und  Puppenspieler  und  Gaukler, 
oder  führten  kunstreiche  Bären  (vgl.  oben  im  RuodKeb) ,  wilde  Thiere 
und  Meemunder  zur  Schau.  Auch  scenische  Künste  fanden  statt,  davon 

« 

spricht  wenigstens  ein  unter  Ludwig  dem  Frommen  erlassenes  Synodal- 
gesetz: ^die  Kleriker  sollten  den  Schauspielen  auf  der  Bühne  oder 
bei  Hochzeiten  nicht  beiwohnen,  sondern  bevor  die  Komödianten  ein- 
treten, aufstehen  und  weggehen."  Die  Schauspiele,  die  hiebei  gemeint 
sein  können,  waren  von  grosser  Einfachheit;  was  davon  auf  uns  ge- 
kommen, stammt  zwar  erst  aus  dem  XV.  Jahrb..  kann  aber  früher 
auch  nicht  anders  gewesen  sein.  Sie  bestanden  aus  nothdürftigem 
Mummenschanz  und  Verkleidungen,  die  an  den  lustigen  Abenden  des 
Fasching  eine  natürliche  Veranlassung  gaben,  kleine  Lustspiele,  ^Tst 
aus  dem  Stegreif,  dann  eingelernt,  herzusagen.  In  den  Wirthshäusera, 
oder  in  Familien,  wenn  am  Abend  die  heitere  Gesellschaft  beim  Schmause 
versammelt  war,  trat  die  Truppe  herein  und  brachte,  wohlbekannt  mit 
den  Verhältnissen,  mancherlei  Dinge  zur  Sprache,  die,  wenn  auch  oft 
beissend  genug,  nie  übel  genommen  wurden,  wenn  die  Spielenden  sieb 
entlarvten  und  nun  die  Freunde  des  Hauses  zum  Vorschein  kamen.  Ein 
guter  Theil  der  von  Keller  gesammelten  Fastnachtspiele,')  die  gross- 
tentheils  aus  Nürnberg  und  seiner  Umgebung  stanunen,  zeigen  dafür. 
Die  Spielenden  geberden  sich  bisweilen  (Nro.  38),  als  wären  sie  irre 
gegangen  und  in*s  unrechte  Haus  gekommen,  dessungeachtet  machen  sie 
doch  ihr  Spiel  und  bitten  dann  hintennach  den  Wirth  immer  umVer- 
gunst,  den  „Schimpft  nicht  ungütig  zu  nehmen  (z.  B.  28.  B.  S.  153), 
wenn  sie  über  die  Schnur  gehauen  und  etwa  Einen  verletzt  und  geärgert 
hätten.  Dabei  können  sie  es  bisweilen  doch  nicht  lassen,  noch  eines 
aufzuführen  (das  Spiel  ist  aus  —  ein  anderes  her !)  oder  zu  sagen,  wo 
man  sie  wieder  treffen  könne: 


')  Keller  Paslnacbtspiele  aus  dem  XV«  Jahrb.     28.  29.  30.  u.  46.  Baod  der 
Publ.  des  lil.  Vereins  zu  Stuttgart. 


6^ 

kompt  iemant  nach  uns  fragen  herein, 
so  sagt  im,  wir  sind  allsampt  aniss, 
man  find*  uns  in  dem  naoh^ten  haus. 

Die  Trappe  tritt  meist  unangemeldet  in's  Haus  ttud  der  Prologist 
bemerkt  ganz  kurz: 

Guten  Abend!  ich  komm*  herein  getreten 
und  habe  nicht  um  Vergunst  gebeten, 

oder  noch  deutlicher:  «Herr  Wirth,  ihr  tugendhafter  Mann,  ihr  sollt  uns 
pit  fbr  übel  han,  dass  wir  sein  do  ungeladen  kummen.^  Zum  Schluss 
dann  die  nochmalige  Excusation: 

Die  Kurzweil,  die  ist  nun  vollbracht, 
Herr  Wirth,  das  sei  zu  guter  Nacht, 
Und  nehmt  für  gut  nnsem  Schimpf, 
Zieht  unsere  Thorheit  in  einen  Glimpf; 
Wir  meinen,  wer  heut  närrisch  thut, 
Das  hält  man  ihm  doch  alls  fiir  gut. 
Nun  gebt  uns  Urlaub,  *  es  ist  Zeit, 
Denn  wir  müssen  noch  ziehen  weit. 

Auch  das  berühmt  gewordene  ^Narrenschneiden^  des  Hans  Sachs 
konnte  in  einer  Stube  aufgeführt  worden  sein;  die  Zusch&uer  kneipten  in 
einem  gewöhnlichen  Zimmer,  in  welchem  nur  ein  kleiner  Raum  ftir  die 
spielenden  Personen  gelassen  war,  sie  sassen  um  die  Tische  und  hatten 
ihre  Kannen  Bier  vor  sich,  wie  denn  auch  heut  zu  Tage  bei  den 
Bauemtheatem  die  kühlen  Erfrischungen  in  steinernen  Krüglein  herum- 
gereicht werden;  der  „Knecht^  sagt  daher: 

Seht  ihr  die  Letite  nicht  sitzen  dort, 
All  fröhlich.  Mach,  gesund  und  ^ei, 
Sie  bedürfen  keiner  Arzney. 

Und  nun  die  Freude  von  Jung  und  Alt,  wenn  ein  Narr  nach  dem 
anderen  aus  dem  Leib  des  Kranken  hervorgezogen  wird,  der  mit  Narren- 
kappe, Schellen  und  Pritsche,  geschüttelt  vom  Arzt,  gar  lustig  klingelt 
und  sich  bewegt 

Was  den  Inhalt  dieser  fliegenden  Wandercomödiantenstücke  betrifll, 
so  waren  sie  grösstentheils  familiärer  Natur,  wahre  Kasperlspässe,  ehe- 
liche Prügelscenen  oder  noch  viel  lieber  voll  Zoten  und  Unfläterei,  ein 
Thema,  von  dem  unsere  Vorfahren  die  dicksten  Quantitäten  vertragen 
kjonnten  und  wobei  sie  sich  um  so  besser  gaudirten,  je  grösser  gerade 
die  Schweinerei  war. 

41* 


644 

Doch  gab  es  auch  Stücke,  die  bereits  grösseren  Anspruch  an  die 
Zuschauer  machten.  Hans  Fol  z  lässt  in  seinem  Fastnachtspiel  von 
der  alten  und  neuen  Ehe  das  Auditorium  dvroh  den  Praecursor 
oder  Ausmfer  zuvor  ermahnen,  jetzt,  da  es  sich  um  etwas  so  Wich- 
tiges handle,  wie  die  Synagoge  oder  die  Ueberwindung  der  Juden,') 
ruhig  zu  sein,  nicht  zu  stossen,  dass  etwan  Wein  verschüttet  werde, 
Kinder  und  Wiegen  wegzutragen ,  auch  soll  Keiner  sich  in  das  Spiel 
mengen  oder  herzutreten,  der  nicht  dazu  gehöre,  Geschwätz  bleiben  zu 
lassen,  auch  sollten  die  Verliebten  nicht  heruraschlüpfen ,  bis  sie  sich 
finden,  femer  seien  die  Hunde  hinauszujagen,  dass  sie  nicht  an  den 
Knochen  nagen  oder  gar  bellen. 

Meist  sind  es  gai*  leichte  Sachen,  die  abgehandelt  werden:  Es 
kommt  ein  Arzt,  der  die  kranken  Bauern  mit  seinen  schauderhaften 
Medicamenten  tractirt,  oder  es  ist  ein  Kramer,  der  seine  Waare  an- 
preist (Nro.  55); 

Got  gruss  den  Wirt  und  was  hinu  ist! 

Hie  secht  ir  gar  in  kurzer  frist 

Mein  Kaufmanschatz  »und  mein  handel. 

Mit  dem  ich  in  dem  land  umb  wandel, 

In  Schwoben,  Franken  und  üngerlant. 

In  Sachsen,  Hessen  und  Prafant, 

In  Polen,  Preussen  und  Reussen, 

In  India  und  Preussen. 

Gen  Pruck  in  Flandern  ich  gern  zeuch. 

Wann  ich  die  posen  merkt  gern  fleuch. 

Do  ich  das  mein  verpergen  muss, 

Mein  kremerei  wirt  mir  nit  süss,  ^ 

Der  ich  mich  nit  verwegen  kan. 

Und  gewinn  werlich  nichts  daran. 

Frau  wirthin,  meinen  kram  schaut  allen, 

Ob  euch  etwas  mocht  dar  inn  gefallen, 

Das  ich  ein  zergelt  bei  euch  loss. 

Für  war  mein  würz  sein  ie  nit  pos. 

Habt  ir  nit  gelt,  ich  wil  euch  borgen, 

Die  hausmeit  wolt  ich  wol  versorgen. 

Ich  han  gut  schnm*  in  das  Unterhemd, 

Auch  hab  ich  nadeln,  pursten  und  kern, 

Fingerhuot,  tascfaen  und  nestel  vtl, 

Heftlein  und  hekl^n,  wie  mainss  wil. 

-  , 

*)  Ein  ähnliches  Kampfgesprachspiel  vom  Kaiser  Conslaiilinns,  aus  einer  Mumli- 
ner  HS.  bei  Keller  II.  796-819   (Nro.  106.; 


645 

Aber  er  kommt  übel  an  und  seine  Waaren  nnd  sein  Kram  werden 
wacker  heruntergesetzt: 

Dein  saffran  hast  zu  Fenedig  gesackt 
Und  hast  rintfleisch  dar  unter  gehackt, 
Und  meist  unter  negelein  gepets  prot 
Und  gibst  für  lorper  hin  geisskot. 
Und  fichtenspen  für  zimentrinten 
Und  nimst  das  laup  von  einer  linten, 
Dar  mit  tust  du  den  pfeffer  meren, 
Tust  unter  mande)  pürsing  keren 
Und  unter  weinper  muckenkopf, 
Für  muskat  aichenlaiibes  knöpf 
Und  muckenschwammen  für  rusin 
Und  gibst  hutzeln  ftlr  feigen  hin  etc. 

Sehr  häufig  werden  furchtbar  böse  Weiber  dargestellt,  die  ihren 
armen  geplagten  Mann  tiberall  hin  verfolgen.  Diese  Gattung  war  ausser- 
ordentlich beliebt.  So  ein  Ehemann  hat  sich  (Nro.  31)  in  eine  stille 
Kneipe  geflüchtet,  wo  er  vor  seinem  Teufel  sicher  zu  sein  glaubt,  er 
athmet  aus  ganzer  Brust  aus  und  will  einen  guten  Tag  haben: 

Wol  auf,  tragt  uns  her  speis  und  wein! 
Ich  wil  die  vasnacht  bei  euch  sein. 
Bringt  uns  pretspiel,  wurfel  und  karten! 
*      Last  uns  einander  zu  der  taschen  warten, 
Das  man  aubh  sust  vil  kurzweil  treib. 
Hinn  bin  ich  sicher  vor  meim  Weib. 

Aber  die  böse  niramermhende  Sieben  hat  ihn  doch  aufgestöbert, 
tritt  piötelich  herein  und  überschüttet  ihr  anderes  Selbst  mit  einer 
hageldichten  Fluth  von  Schimpfwörtern  (1.  254),  die  wesentlich  ein 
Staunenswerther  Beitrag  zur  Sittengeschichte  sind  and  von  dem  Manne, 
dem  endlich  die  Geduld  bricht,  ebenmässig  erwidert  werden,  und  schliesst 
endlich  mit  dem  aufrichtigen  Wunsche,  sie  möge  mit  einem  Sack  um 
den  Hals  in  die  Pegnitz  geworfen  werden. 

Eine  Münchner  Handschrift  des  XV.  Jahrb.,  welche  ehedem  einem 
gewissen  Michel  Geyswürgel  und  dann  dem  Diaconus  Roth  in 
Nürnberg  gehörte,  enthält  eine  gute  Anzahl  ähnlicher  Stücke  von 
wenig  erbaulichem  Inhalt,  ausserdem  das  Spiel  vom  Entehr  ist,  das 
wie  eine  komische  Kopie  des  X^gemseer  Ludus  paschalis  aussieht,  dazu 
ein  Paar  ganz  seltsamer  Spiele,  vom  Aschermittwoch  (Nro.  71), 
von  der  ^Vasnacht  und  vasten  reht  und  von  sulczen,^  die  beinahe  an 
die  spanischen  Abenteuerlichkeiten   des  Erzpriesters  von  Hita,'  Juan 


« 

Raiz  streifep;  ferner  voQ^kaiserlidi  riUerschaft^  (Nro.  75),  von 
^bapst,  cardinalen  und  bischöfen^  (78),  vom  „konig  vod  SchDok^aoi*^ 
("(9)  und^  ^Frau  Luneten  mantel^  (81)  and  andere,  die  mehr  oder 
minder  ein  nicht  gut  mitthei]bare$  Gebiet  berühren;  harmloser  ist  das 
von  den  sieben  Farben,  ')  die  mit  ^Frau  Sunnreich^  aufziehen 
und  je  nach  ihrer  Natur  (gritOf  roth,  schwarz,  blau  and  weiss,  gelb 
und  braun)  ihre  Bedeutung  auslegen.  Grün  gibt  sich  als  die  Farbe  der 
Freiheit,  das  heisst,  Herzelieb  habe  sie  nie  bezwangen;  Frau  Sann- 
reich opponirt  dagegen,  denn  Mancher  gehe  in  Grün  gekleidet,  der 
doch  von  Herzenliebe  gross  Leid  trage;  sie  wolle  desshalb  die  ^ne 
Farbe  nicht  viel  loben;  Roth  verkündet  die  brennende  Noth  der  Minne; 
darauf  glaubt.  Frau  Sunn reich  bemerken  zu  müssen,  dass  die  Sache 
wieder  nicht  ganz  richtig  sei,  weil  manch  Dummer  roth  antrage,  am 
sich  zu  rühmen ,  als  wohne  ihm  Minne  bei ,  obgleich  er  nichts  mit  ihr 
zu  schaffen  habe.  Blau  nennt  sich  die  Farbe  der  State,  der  Beständig- 
keit; wer  Lieb  gen  Lieb  im  Herzen  trägt,  der  soll  damit  sich  kleiden; 
wer  der  Minne  gefallen  will,  der  soll  stets  zu  dieser  Farbe  halten.  Das 
lobt  Frau  Sunn  reich  und  spricht: 

.  .  .  Das  ist  ain  guter  sit; 

Dem  siten  wil  ich  volgen  mit. 

Es  zimpt  wol,  das  es  stet  sei. 

Dem  herzenlieb  wonet  pei. 

Doch  siht  man  manchen  pla  tragen, 

Solt  der  rok  die  warheit  sagen. 

Er  saget  wol  andre  mer, 

Wie  unstet  sein  herz  wer, 

Der  in  da  tregt  durch  stetigkait 

Grau,  meint  sie,  wäre  als  Zeichen  der  Treue  zuverlässiger  und 
passender*  —  Wer  von  der  Minne  vergessen  ist,  trägt  schwarz,  die 
Farbe  bedeutet  Zorn  (Trauer,  Kammer): 

Idi  het  mir  ain  lieb  aosserkom, 

D^  minn  dient  ich  sere, 

Leib  und  gut  und  ere 

Und  steten  dienst  ich  an  sie  leit. 

Do  schuf  hr  grosse  unstetigkeit 

Daz  sie  ainn  andern  nam. 

Der  ir  sere  missezam. 

Darümb  mnss  ioh  traurn. 

Mein  freud  muss  ersaum. 


»)  Keller  S.  774-^i.  (Nro   103.) 


647 

Mein  lieb  ist  laid  worden. 

Dess  muss  ich  ftrpaa  schwarzen  orden 

Tragen  in  jamer  und  in  lait, 

Als  ir  mich  seht  in  disem  clait. 

Darauf  sagt  Frau  Sunnreich,  dass  Keinem  gut  gehen  solle,  der 
nioht  mit  Seiden  leben  wolle ;  solche  solle  man  in  den  Bann  thun  and 
verachten.    Die  weisse  Farbe  bedeutet  nach  ihrer  Aussage 

.  .  .  guten  wan, 
Den  mir  die  minn  hat  auf  gethan, 
Höflich  schimpfen  und  frölich  scherzen, 
Und  kamer  und  not  meinem  herzen 
Hat  die  lieb  geletzet 
Und  mich  in  weisse  varb  gesetzet. 

Doch  lassen  sich,  wie  Frau  Sunnreich  wieder  dagegen  meint, 
auch  viele  Lästerer  in  dieser  Farbe  sehen;  sie  machen  ein  Geschelle 
damit,  was  ihnen  von  der  Liebe  Liebes  geschehen;  ehedem  sei  es  ge- 
l»*äuchlich  gewesen,  darüber  stille  zu  sein  und  kein  Aufhebens  zu 
machen,  jetzt  plappere  Jeder  offen  davon.  Desshalb,  meint  Frau  Sunn- 
reich, man  könne  diese  Farbe  föglich  entbehren.  —  Gelb  bringt  Lieb 
aus  Leid  und  bedeutet  gewährte  Liebe,  dass  Einer  aller  Pein  ledig  und 
los  geworden.  Dagegen  erklärt  sich  die  gute  Frau  Sunnreich  noch 
entschiedener.  Hat  Eine  ihren  stolzen  Leib  ihrem  Diener  zu  eigen  ge- 
geben, so  solle  er  es  in  seinei^  Herzens  Grunde  verdenken  und  ver- 
schweigen. Die  Buhler  wollen  jetzt  aber  Ruhm  haben  und  treiben  eitel 
Prahlerei;  desshalb  solle  man  diese  Sitte  der  gelben  Farbe  ganz  ab- 
schaffen. Braun  ist  das  Band  der  Minne,  es  ledigt  traurige  Herzen 
aus  der  Noth,  diese  Farbe  soll  unentbehrlich  sein  Allen  und  darum 
lobt  sie  auch  FrauSunnreich,  nur  sollen  sich  Solche  darein  kleiden, 
die  es  auch  werth  sind  und  mit  Recht  dürfen. 

Das  Spiel  ist  höchst  einfach,  ja  sogar  trocken  und  könnte  Jedem, 
der  mit  der  mittelalterlichen  Sitte  nicht  vertraut  ist,  sogar  völlig  albern 
erscheinen ,  und  doch  steckt  ein  schöner  Sinn  darinnen ,  es  ist  wie  ein 
verlorner  Nachhall  aus  der  früheren  höfischen  Zeit.  Schon  Hadamar 
von  der  Laber  in  seinem  oben  (S.  304  ff.)  besprochenen  Gedicht  von 
der  ^Jagd  der  Minne"  sagt,  grün  zeige  den  Anfang  der  Minne  an, 
weiss  bedeute  Hoffnung,  roth  ein  liebebrennendes  Herz,  blau  rechte 
Treue,  gelb  erfällte  und  gewährte  Liebe,  schwarz  das  Leid.  Fast 
dieselbe  Deutung  gibt  auch  ein  anderes,  vielleicht  gleichzeitiges  Gedicht 
im  Liederbuch  der  Klara  Hätzlerin. ')    In  dem  „der  Kittel**  genannten 

')  Herausgegehen  von  Ilaltaus  S.  168  ff. 


648 

Gedichte,  welches  dem  XV.  Jahrh.  angehört,  werden  mehrere  allego- 
rische Gestalten  beschrieben :  Frau  Venus  in  goldenem  Kleide,  Frau 
Ehre  in  rosenrothem  englischen  Tuche,  Frau  Treue  in  einem  schwarzen 
Baldekin,  P>au  State  in  blauem  flandrischen  TuChe,  die  Mässigung 
(maze)  in  einem  weissen,  perlendurchwirkten  Gewände.  &  geschah, 
dass  diese  Farben  geradezu  als  ein  öffentlicher  Liebesanzeiger  gebraucht 
wurden,  darauf  deutet  unser  Fastnachtspiel  und  desshalb  ist  auch  Frau 
Sunnreich  so  energisch  gegen  den  mit  den  Farben  getriebenen  Miss- 
brauch. Die  Männer  trugen  ihre  Röcke  stets  von  der  Farbe,  zu  welcher 
sie  die  Gunst  oder  Ungunst^  ihrer  Geliebten  veranlasste  oder  sie  er- 
logen auch  diese  oder  jene  Gunst  durch  die  angenommene  Farbe.  Noch 
mehr,  man  suchte  diese  Farbensprache  durch  Gombination  weiter  aus- 
zudehnen :  grün  und  blau  galt  den  mittelalterlichen  Stutzern  als  Anfang 
in  Stetigkeit;  weiss  und  blau  als  stätes  und  gutes  Liebesgedenken; 
weiss  und  schwarz  för  gutes  Andenken  im  Leid;  grau  und  grdn  für 
edle  und  schöne  Liebe;  schwarz  und  grau  als  Leid  nach  Liebe;  blau 
und  schwarz  für  stäte  Reue.  Um  dieses  nun  recht  sinnreich  auszu- 
drücken, musste  der  Rock  aus  verschiedenfarbigen  Stücken  zusammen- 
genäht werden.  £s  geschah  dieses  meist  so,  dass  die  Kleider  der  Länge 
oder  Breite  nach  mitten  getbeilt  wurden,  zuweilen  wurde- dann  die  eine 
Seite  wieder  gehälfbet  und  zwar  quer  in  der  Mitte;  bei  den  Quertheil- 
ungen  sind  die  Streifen  dann  zuweilen  auch  schräg  gelegt.  Schon 
Bruder  Berhtold  zürnte  über  die  Hochmüthigen ,  die  das  Grewand  in 
Flecken  zerschneiden,  hier  das  rothe  in  das  weisse,  dort  das  gelbe  in 
das  grüne,  daif  eine  gewunden,  das  andere  gestrichen  u.  s.  w. 

Ein  muthwilliges  Fastnachtspiel,  einen  ächtenr Schwabenstreich  hat 
Keller  aus  einer  Augsburger  Handschrift  mitgetheilt:  V)  Ein  Bauer 
hat  einem  anderen  ein  Schwein  gestohlen,  der  Bestohlene  wendet  sich 
an  einen  Wahrsager,  der  ihn  damit  tröstet,  dass  das  Haus  des  Diebes 
bald  abbrennen  und  derselbe  dadurch  bekannt  werden  müsse.  Unter- 
dessen kehrt  in  einem  Hause  ein  armer  Frei har dt,  ein  armer  Land- 
fahrer ein ;  derselbe  hatte  vor  dem  Dorfe  einen  gehangenen  Dieb  am 
Galgen  gefunden  und  da  die  Hosen  des  Diebes  besser  waren,  als  die 
seinen,  aber  in  der  Kälte  angefroren  und  desshalb  nicht  abgezogen 
werden  konnten ,  so  schnitt  er  den  Leib  mit  den  Beinen  ab  und  legt 
die  Beute  zum  Aufthauen  hinter  den  warmen  Ofen  in  der  Bauernstube- 
Nun  hatte  aber  des  Bauern  Kuh  ein  Kalb  gebracht,  welches  der  Kälte 
wegen  über  Nacht  in  die  Stube  gelegt  ward.    Als  nun  die  Hosen  auf- 


')  46.  B.  der  Publ.  1858.  Nro.  123.  Auch  gedruckt  zu  Augspurg,  durch  Valentin 
jScbönick^  auf  unser  Frauen  Thor. 


gethaut  waren,  zog  sie  der  Freihardtsbob  an,  hub  sich  von  dannen  und 
Hess  die  nackten  Beine  liegen,  weiche  am  Morgen  die  Magd  findet  und 
in  ihrem  Glauben,  das  Kalb  habe  den  Freihardt  gefressen,  bestärkt 
wird.  Der  Bauer  waffiiet  sidi^  hob.  den  Schulzen,  Alle  bewaffnen  sich 
um  das  Ungethüm  zu  morden.  Keiner  aber  hat  den  Muth,  das  Kalb 
anzugreifen,  also  beschliesst  der  Bauer,  um  das  Ungeheuer  zu  vertilgen, 
sein  Haus  zu  verbrennen,  dadurch  erscheint  er  aber  als  der  vom  Wahr- 
sager  bezeichnete  Dieb  und  es  gibt  eine  Prögelei.  Diese  Dramatisirung 
eines  alten,  heute  noch  mündlich  nacherzählten  Scherzes,  ist  nicht  mir 
geschickt  angelegt  und  ganz  heiter  durchgeführt;  dabei  ist  zu  bemerken, 
dass  (Keller  S.  38)  die  Herren  von  Hirschau  bereits  im  Rufe  der 
Eulenspiegelei  stehen. 

Die  alten  höfischen  Sagen  blieben  im  Volk  lebendig;  ebenso  wie 
die  untergehende  Epik  sich  derselben  nochmals  bemächtigte  und  im 
Heldenbnch  zusammenreimte,  so  nahm  auch  das  Drama  seine  Stoffe 
da^us.  Eine  Mönchner  HS.  hat  eine  dramatische  Behandlung  der 
schadenfrohen  Märe  von  Frau  Luneten  Mantel;  die  genannte  Augs- 
burger HS.  ein  weitläufiges  lustiges  Fastnachtspiel  vom  König  Artus.') 
Der  edle  König  von  Brittanien  will  ein  Hof  machen  und  lässt  dazu  die 
vornehmsten  Potentaten  einladen;  der  edle  Ritter  Weigion  besorgt 
die  Emladnngsschreiben ,  die  der  treue  Diener  Obitzel  überbringen 
muss  mit  dem  absonderlichen  Bemerken,  selbe  ja  dem  Betreffend^] 
immer  selbst  zu  Händen  zu  geben: 

Obitzel,  nun  merk,  was  ich  dir  sag! 
Reitt  schnell  und  pald  bey  disem  tag 
In  das  knnigreich  von  Kriechen  guot 
Und  gib  dem  kung  in  stetter  huot 
Disen  brieff  in  sein  aigen  bandt. 
Darnach  zuom  kung  von  Engelandt! 
Desgleichen  dem  kunig  von  Kerlingen 
Gib  diseli  prieff!    Damach  reitt  gleich 
Zuo  dem  edlen  kung  von  Frankenreich! 
Daselbst  tuo  dich  auch  potschafft  fleyssen! 
Darnach  reitt  zuo  dem  kung  von  Preyssen! 
Dem  gib  den  prieff  on  alles  arck! 
Darnach  fueg  dich  zuom  kung  von  Tenmarck 
Und  gib  im  den  prieff  auch  on  verlangen 
Und  reitt  dan  hin  zuom  kung  von  Spangen! 


')  Keller  Nro.  127. 


m 

Dem  selben  gib  audh  den  prieff^aldo! 
Yr  yeder  wirt  sein  der  potscbafit  fro. 
Und  sag  yedem,  das  er  nit  aoss  pleyb 
Und  mit  im  pring  sein^schönes  weyb; 
Und  kam*  darnach  scbneH  her  wider- dratt 
Und  sag  was  yeder  geantwart  hatt! 

Und  der  getreue  Obitzel  sattelt  unverzüglich  und  sprengt  auf 
seinem  Fastnachtrösslein  auf  der  Bühne  herum,  überall,  wo  er  seine 
Botschaft  bei  den  hohen  Monarchen  ausrichtet ,  weiss  er  auch  etwas 
Verbindliches  anzubringen,  dem  Konig  von  Engelandt  bindet  er  aufs 
Herz,  ja  zu  kommen,  dem  König  von  Kerling  versichert  er,  seine  Reise 
werde  ihm  nicht  schaden,  er  richtet  getreulich  überall  seine  Botschaft 
aus,  die  jeder  ohnehin  aus  dem  Briefe  lesen  kann : 

Durchleuchtiger  künig  von  Tenmark, 

Ich  bin  geritten  also  stark, ' 

Bis  ich  pin  komen  zuo  ewch  her.  • 

Mein  her  der  tuot  ewch  pitten  ser. 

Das  ir  weit  komen  mit  ewrem  wevb. 

In  disem  briejf.    Merckt,  was  er  schrevb! 

I 

Darauf  kommt  er  in  einem  Athemzug  zum  Ritter  Waigion  zuröok, 
sagt,  dass  er  weitmäcbtig  geritten, 

Pis  ich  die  potschafft  hab  vollendt, 
Yetlichem  den  prieff  in  sein  hendt 
Gegeben  han  vnd  gsagt  darbey 
Das  er  mit  pring  sein  hansfraw  frey. 

Jetzt  lässr  .\rtus  Alles  zum  Empfang  vorbereiten  und  gleich  dar- 
auf rücken  schon  die  Könige,  alle  gleichzeitig,  mit  vielen  Rittern  und 
Knechten  an.  Artus  bittet  nicht  viele  Umstfinde  zu  machen,  nöthigt 
sie  gleich  zur  Tafel,  also  dass  jedem  sein  Weib  gegenüber  sitzt,  doch 
wird  zuvor  ein  Tischsegen  gesprochen. 

Nun  hat  aber  Artus  in  absonderlicher  Ungnade  seine  Schwester, 
die  Königin  von  Zippem,  nicht  geladen ;  sie  sendet  desshalb  durch  eine 
zuverlässige  Jungfrau  ein  Trinkhorn  zum  Grelag,  welches  die  Eigen- 
schaft hat,  dass  Jeder,  der  daraus  trinken  will  und  keine  getreue  Frau 
hat,  sich  schändlich  begiessen  muss.  Die  getreue  Dienerin  überbringt 
das  Gefäss,  auf  welchem  sie  bei  ihrer  Ankunft  ganz  erschrecklich  bläst, 
sagt  aber  nicht,  wer  es  sende,  nur  gibt  sie  die  seltene  Eigenschaft  des 
Börnes  an.  Artus  ist  der  erste,  der  ganz  wohlgemnth  daraas  trinken 
will  und  sich  elend  damit  begiesst,  darauf  muss  der  „Kunig  von  Krie- 


«5t 

chen^   die  Probe  machen,   aacb  er  geht  ganz  zaversi^tioh  auf  die 
Treae  seiner  Fraa  an*s  Werk: 

Wolher,  da  sdbönes  horens  giantz, 
Ich  traw  meinr  frawen  ere  sey  gantz 
Beliben  stfttt  bis  an  die  stunde. 
Drnm  setz  ich  das  hören  an  den  mandt 
Und  trinck  daraas  den  gaotten  wein. 

Aber  auch  er  wird  blamirt  and  begiesst  sich  and  so  der  Reihe 
nach  AMe,  mit  Ausnahme  des  Königs  von  Spanigen,  der  demäthiglich 
vorerst  zu  Grott  bittet,  ihn  vor  Schanden  zu  behüten,  er  bekommt  nach 
glücklich  überstandener  Probe  das  Hom  geschenkt  und  allerlei  Lehen 
and  Lande  för  sich  und  seine  Frau  dazu,  denn  sie  waren  die  ärmsten 
von  Allen.  Ein  Ritter  vom  Hofe  des  Königs  Artus,  Namens  Ayax 
beschuldigt  seinen  Gollegen  Weigion,  die  Ehre  der  Königin  zerbro- 
chen zu  haben ;  die  Anklage  ist  zu  überraschend,  der  Kläger  rouss  nun 
mit  dem  Beschuldigten  kämpfen,  der  Kreis  wird  geschlossen,  sie  schlagen 
sich,  aber  Weigion  geht  zum  Beweise  seiner  Unschuld  siegreich  au» 
dem  Kampfe  hervor;  Ayax  wird  zum  Tode  verurtheilt,  aber  doch 
unter  Landesverweisung  begnadigt  und  Weigion  reich  beschenkt. 
Artus  will  den  ärgerlichen  Handel  mit  dem  Hom  vergessen  machen  und 
schlägt  einen  Tanz  vor: 

Nun  merckt,  ir  herren,  on  allen  zoren! 

# 

Den  neid  hat  uns  gemacht  das  hören, 
Das  uns  gesant  ist  worden  her. 
Das  nemen  wir  zu  hertzen  ser. 
Land  es  auch  schlachen  aus  dem  muot 
Vnd  seyen  frölich!     Das  dunckt  n^ich  gnot. 
Des  horens  wellen  wir  gar  vergessen 
Vnd  den  frawen  zuo  argem  nymmer  messen. 
Laund  uns  mit  in  yetz  frölich  sein 
Mit  singen  vnd  springen  vnd  trincken  wein, 
Mit  allem  saittenspill  hoffiren 
Vnd  auch  mit  stechen  vnd  mit  tumieren, 
So  wirt  unser  frewd  wider  gantz. 
Pfeifit  auff  vnd  macht  vnss  ainen  tantz ! 
Ich  wil  der  erst  sein  auff  die  fart 
.    Vnd  tantzen  mit  meiner  frawen  zart. 
Desgleich,  ir  herren,  tantzt  mir  nach  all 
Vnd  springent  frölich  auff  mit  schall! 


g>2 

Sie  tanzen  ntin,  darauf  wird  aber  nicht  mehr  an^s  Fechten  mid 
Turnirien  gedacht,  sondern  die  Herren  nehmen  der  Reihe  nach  wieder 
Abschied  mid  erhalten  zuletzt  noch  Johanneswein,  und  der  Epilogist 
beschliesst  resumarisch  das  Stück,  weil  er  auch  trinken  will.  Amen !  — 
Das  Stück  ist  absichtlich  lustig  mit  schalkhaft  gesuchten  Reimen,  es 
muss  einen  sehr  munteren  Eindruck  gemacht  haben.. 

Das  Spiel  von  Maist^r  Aristoteles,  ')  welches  den  alten 
Weisen  in  unverzeihlicher  Weise  carrikirt  iind  dann  in  ein  muthwilliges 
Pfaffenspiel  übergeht,  weist  durch  die  darin  vorkommenden  Ortsnamen 
auf  Ulm  oder  noch  besser  auf  Nürnberg,  da  unter  den  dort  ge- 
nannten Ortschaften  ein  Hilbertshofen  (bei  Weissburg)  und  Rent 
(Reit)  sich  finden.  Ueberhaupt  spielt  Nürnberg  mit  seiner  Umgebung 
die  Hauptrolle  im  Fastnachtspiel,  der  Gostenhof  (Keller  S.39>  wird 
genannt,  Poppenreut  (S.  127),  die  Pegnitz  (S.  255  u.  634)  mit 
ihren  „Hechten-*  (S.  858);  Schroffenhausen  (S.  340),  Niklas- 
hausen  (S.  480),  dann  die  Primmelwiese  (S.  517),  Rotenpach, 
Obstmarkt,  St  Moriz  und  Niklaskirchweihe  (S.  543),  Tumbach 
(S.  592),  der  Franken  wein  (S.  613)  und  der  Thurm  Luginsland 
(S.  633).  Unter  den  Namen  kommen  Lienhart  Stromer  (S.  622) 
und  Hans  Narrolt<]S.  653)  nebst  einem  Junkherr  Dietrich  von 
Tu  mau  (Thurnau  bei  Kulmbach?  S.  353)  vor,  welche  auf  wirkliche 
Existenz  Anspruch  erheben  könnten;  ausserdem  wird  noch  der  Bi- 
schof von  Bamberg  (S.  320)  aufgeführt  und  die  Stadt  Bamberg 
(S.  277),  auch  Dingelfing  ^S.  194),  das  Innthal  (S.  489)  und 
das  Lechfeld  (S.  517). 

Unter  den  genannten  Stücken  werden  viele  dem  Rosenplüt  zu- 
geschrieben, obwohl  er  seinen  Namen  nicht  in  Reim  gebracht  hat 
Ueberhaupt  geht  es  mit  diesem  Dichter  wie  mit  dem  Neidhart,  es 
sind  zwdi  oder  mehrere  Personen  zusammengeschoben,  nur  dass  sich 
bei  dem  Nürnberger  Reimdichter  noch.  Keiner  daran  machte,  das  Aechte 
oder  Unächt«  auszuscheiden.  Vielleicht  sind  der  ^Rosenplüt ^  und  der 
^ Schnepperer-'  zweierlei  Persönlichkeiten,  wahrscheinlich  heisst  er  gar 
nicht  Rosenplüt,  das  wie  das  ähnliche  ^Muscatblüt^  eine  poetische 
Anonymität  ist;  dafür  kommt  der.  Name  Rosener  vor,  den  ich  für 
den  ächten  zu  halten  geneigt  wäre.  Um  die  Verwirrung  zu  vergrössern 
glaubten  gewissenhafte  Scri beuten  für  diesen  Fall  sich  auch  des  Peter 
Schmieh er  bemächtigen  zu  müssen,  eines  gewöhnlichen  Reimschmie- 
rers, dessen  Name  glücklicher  Weise  in  der  Münchner  HS.  steht.  Dann 


»)  Keller  Nro.  i2S. 


658 

soNte  der  Rosen plüt  wieder  ein  Predi^rniöiich  odw  gar  Klosi^rprior 
gewesen  sein.  So  viel  steht  fest,  dass  uns  der  Rosenf^lüt  noefa.  immer 
nicht  in  greifbarer,  urkandlicher  Gestalt  entgegentritt  and  dass  schon 
dieser  Umstand  die  Nürnberger  aniinerksam  hätte  Hmchen  sollen,  ihren 
vielgefeierten  Dichter  unter  einem  anderen  Namen  zsi  suchen !  Auch  das 
gilt  als  feste  Annahme,  dass  ihm  das  Verschiedenartigste  zugeschriebmi 
wird,  Gutes  und  Schlechtes ,  und  von  beiderlei,  insbesondere  von  letz- 
terer Matme  mehr,  als  ein  wirklich  poetisch  begabter  Mensch  ertragen 
kann.  Von  seinen  glänzenden  Priäroeln  und  Weinsegen  bis  zu  dem 
Spruche,  wo  er  alle  seine  armseligen  Kunstfertigkeiten  im  Style  eines 
^  Meister  Irregang  aufzählt, ^  ist  eine  zu  grosse  Kluft,  es  bliebe  nar 
die  traurige  Annahme,  ein  urspränglich  höchst  begabtes  Talent  in 
seiner  tiefsten  Verkommenheit  vor  sich  zu  sehen.  Rosenplüt  ^"ar, 
wie  er  sich  im  vorigen  Abschnitt  darstellte ,  eine  neue  Auflage  des 
Suchenwrrt,  ein  Spruchsprecher  und  Ehrenholt,  ein  „Fahrender^"  den 
ein  ^Abenteur^  zu  fremden  Ftlrsten  und  Höfen  trug,  der  in  solcher 
Stellung  etwa  im  Dienste  der  Stadt  Nürnberg  und  in  ihrem  Au{U*ag 
mit  einer  diplomatischen  Note  zu  Ludwig  dem  Reichen  kam  und  darauf 
dessen  Lob  verkündete ;  der  auf  Heraldik,  blasoqiren  und  dividiren  d&c 
Wappen  sich  verstand  und  in  entscheidenden  Unternehmungen  der 
Stadt,  wie  bei  jenem  Auszug  gegen  die  Hussiten  nach  Tachaw  uad 
Tauss  (1431)  oder  gegen  den  Markgrafen  Achilles  von  Braudenbtirg 
(1450)  werkthätig  Theil  nahm.  Was  seine  dramatische  Kraft  be- 
trifft, so  ist  sie  schwach  und  bedeutungslos.  Von  einer  könstleri^heii 
Anlage,  Schürzung  des  Knotens  und  architektonisdben  Spannung  findet 
sieh  nicht  die  leiseste  Spur,  Alles  ist  breites  Nebeneinander,  ein  sich 
mühselig  fortschiebendes  Gespräch,  und  selbst  sein  gerühmtestes  Srtück 
„des  Türken  vasnachtspieP')  lehrt  uns  nur  ^ne  gemein  -  spiessbürfer- 
liche  Anschauungsweise  der  grossen  Weltereignisse  kennen,  die  auf 
einer  weniger  nothdürftigen  Bühne  zur  Sprache  kamen,  denn  der  Ver- 
fasser bemerkt  ausdrücklich,  dass  man  dazu  einen  Herold,  einen  Wap- 
penträger des  Türken  und  eine  gemalte  Stuben  nöthig  habe. 

Diese  über  unseren  Rosenplüt  angestappelten  Wirrsale  wird  jedoch 
nur  ein  Nürnberger  entwirren  können,  der  eine  ausgedehnte  Kenntniss 
der  Mundart  und  der  speciellen  Ortsgeschichte  besitzt,  ein  wenig  Glück 
im  Suchen  und  Finden  der  Urkunden  gehört  nebenbei  wohl  auch  dazu, 
indess  wird  sich  der  wahre  Name  wohl  noch  mit  Zuversicht  ermitteln 
lassen. 


')  Keller  8.  1135  IT. 

')  Keller  Nro.  89.  S.  289  ff. 


654 

Neben  ikm  bkpibt  hier  nur  noch  Hans  Folzzu  nennen.  Er  war 
nach  der  gewdbnlichen  Annahnae  ans  Worms  gebfirtig  und  hatte  sich 
als  Barbirer,  d.  h.  als  Wundarzt  zu  Nürnberg  niedergelassen.  Daas  er 
auch  eine  Buchdruckerei  besessen,  ist  nicht  unwalirscfaeinlich. 

Folz  war  überhaupt  im  Besitze  einer  für  die  damalige  Zeit  nicht 
unerheblichen  Bildung,  er  hatte  allerlei  Kenntnisse.  Er  nennt  b  dem 
y,Vasnachtsptl  von  der  alten  und  neuen  E}e^  nicht  nur  die  verschiedenen 
Bücher  und  Sagen  des  Talmud ,  sondern  citirt  daraus  ziemlich  genau 
im  Originaltext,  den  er  wahrscheinlich  zu  Worms  erlernte,  wo  eine 
uralte  Jadencolonie  eingebürgert  war,  die  schon  ein  halbes  Jahrtausend 
vor  Christi  Geburt  allda  eingewandert  sein  will. 

Die  Zeit,  in  der  er  sein  poetisches  Unwesen  trieb,  fällt  zwischen 
1447  und  1482,  somit  hart  an  oder  vielmehr  schon  Qjber  die  uns  vor- 
geschnebene  Gränze  hinaus.  Wir  haben  von  ihm  Meistergesänge, 
Spruchgedichte,  Schwanke  und  Fastnacht^iele  in  üppiger  Fülle.  Aber 
das  Wort  Unflat  ist  nimmer  ergiebig  genug,  um  die  in  seinen  Spielen 
herrschende  Gemeinheit  za  bezeichnen ;  man  staunt  über  die  Dinge, 
die  er  auf  die  Bühne  bringt  und  vor  den  Zuschauem  in  derber 
Cynik  detaillirt  verhandeln  lässt.  Die  Reden,  die  er  Männern  und 
Frauen  häufig  in  den  Mund  legt,  gereichen  dem  Drama  nur  zur  Schmach, 
zumal  da  er  von  einer  höheren  Aufgabe  der  Satyre,  des  Spottes  und 
Witzes  keine  Spur  verräth.  Nur  der  niedrige  Kitzel  der  Lachlust  führt 
ihm  die  Feder,  nicht  aber  der  sittlich  grdlende  Ernst  dner  aristopha- 
nischen C!om6die.  Von  diesem  Standpunkte  aus  steht  der  spätere  Hans 
Sachs,  der  in  keinem  seiner  Stücke  den  Schuster  zu  verläugnen  ver- 
mochte, doch  wie  ein  Künstler  über  ihm.  Von  Letzterem  datirt  dann 
erst  eigentlich  das  deutsche  Theater  und  eine  eigentliche  Bühne,  die 
über  Heustadel  und  Wirthshaus  sich  erhob.  — 


Ein  Blick  über  die  von  uns  durchlaufenen  Erscheinungen  zeigt, 
dass  eine  grosse  Zeit  abgelaufen  und  sich  in  ihrem  Inneren  ausge- 
lebt hatte.  Wir  haben  die  epische  Dichtung  von  ihrem  Beginn 
aus  dem  volksthümlichen  Singen  und  Sagen,  in  ihrer  hohen  ritter- 
lichen Kunstblüthe  bis  zum  schnellen  X'erfall  in  Didaktik  und  Prosa- 
auflösung verfolgt.  Wir  begleiteten  die  Lyrik  von  den  ersten  schüch- 
ternen Anfingen  zu  ihrer  höchsten  Entfaltung,  die  sich  beinahe 
unmittelbar  an  das  Epos  reihte  und  ebenso  schnell  dann  ihrem  Unter- 
gange mit  den  Spruchsprechern  und  Meistersingern  zueilte.  Wir  sahen 
das  Dl-ama  in  seiner  kirchlichen  Wiege  und  grossgewachsen  in  der 
klösterlichen  Pflege,  aber  auch  hier  überrascht  es  das  Verderben  und 
es  artet  in  frivole  Lustbarkeit  aus,  die  heilige  Kunst  gibt  ihre  Rechte 
an  die  weltliche  Bühne,  die  jedoch  noch  nicht  Kraft  genug  hat,  um 
als  eigene  Schöpfung  über  die  Bretter  zu  gehen,  welche  die  Welt  be- 
deuten. Das  Epos  ist  erschöpft,  die  Lyrik  ahnt  ihre  Zukunft  im 
Volksliede,  das  neue  Schauspiel  ist  noch  im  Garderobezimmer  der 
kommenden  Zeit.  Das  Leben  aber,  aus  dem  alle  Poesie  und  Kunst 
erwächst  und  erblüht,  hat  sich  lange  schon  getieigt  und  mit  den  frühe- 
ren Traditionen  gebrochen.  Die  Sprache  hat  sich  in  ihrem  mittel- 
hochdeutschen Idiom  ausgelebt,  das  ritterliche  Leben  ist  durchweg  faul 
geworden,  an  die  Stelle  des  Adels  tritt  der  Patrizier  «nd  Bürger, 
'  Waffen  und  Kriegsführung  haben  sich  geändert,  alte  Reiche  sind  zu- 
sammengebrochen, neue  Erfindungen  tauchen  siegreich  auf,  die  alte 
klassische  Schönheit  dämmert  \\\  traumhafter  Prächtigkeit  herauf,  selbst 
die  Erde  kommt  zum  vollen  Bewusstsein,  erkennt  ihre  wahre  Gestalt, 
neue  Sterne  erscheinen  darüber  und  eine  neue  Welt  liegt  jenseits  über 
dem  Meere  vor  den  erstaunten  Blicken.  Da  sinkt  denn  das  Mittelalter 
hinab  und  bedeckt  sich  mit  seinen  eigenen  Schätzen ,  die  Königstochter 
der  Poesie  stirbt  am  Spindelstich  der  Antike  und  fallt  in  einen  hundert- 
jährigen Zauberschlaf,  aus  dem  sie  nur  unsere  Gegenwart  wieder  ge- 
rissen hat,  die  jetzt  alle  früheren  Erscheinungen  gleichzeitig  geniesst. 
Der  kirchliche  Glaube  ist  durch  sittenlose  Praxis  matt,  alt  und  schwach 
geworden,    es    bedarf  eines   tüchtigen   Sturmes,    ihn  wieder  wach   zu 


'     65f) 

rütteln  ^und  die  Reformation  schlftgt  bereits  mit  eherner  Macht  an  die 
Thore.  Nur  die  bildende  Kunst  hat  sich  länger  wach  gehalten,  aber 
auch  ihr  Wesen  ist  krank  und  wird  von  der  siegreich  aufstrebenden 
Antike  überflügelt.  Das  Jugend-  und  Heldenalter  des  Volkes  ist  ver- 
rauscht, die  schweren  Prüfungen  der  reifen  Mannesjahre  rücken  heran 
—  wer  sagt  uns,  in  welches  Alter  wir  jetzt  eingetreten  und  wer  will 
es  glauben,  selbst  wenn  wir  es  wüssten?  — 


N  a  ch  t  r  ä  g  e. 

Zu  S.  104.  Unterdessen  hat  Franz  Pfeiffer  in  s.  akademischen 
Rede  am  30.  Mai  zu  Wien  den  Kürenberg  er  als  den  Dichter 
des  Nibelungenliedes  (Wien  1862.  48  S.  8®)  ziemlich  evident 
nachgewiesen  und  unsere  schüchterne  Vermuthung  (vgl.  S.  436) 
sattsam  gerechtfertigt.  Das  Epos  gehört  demnach  in  das  Ende  des 
XII.  Jahrh.  —  üeber  die  historischen  Anklänge  und  Beziehungen, 
welche  der  Dichter  damals  vielleicht  im  Auge  haben/  konnte,  vergleiche 
Thausings  höchst  interessanten  Artikel  in  Pfeiffers  „Germania.^  VI. 
435  flf. 

Zu  S.  116.  Wolframs  Grabstatte  war  sogar  noch  im  XVII.  Jahrh. 
sichtbar  und  zwar  in  dem  von  Pütrich  bezeichneten  Eschenbach.  Der 
Nürnberger  Patrizier  Hans  Wilhelm  Kress  sah  im  Jahre  1608  zu 
Eschenbach  das  Epitaph  und  zeichnete  das  Wappen  ab  (vgl.  Fro- 
raann  im  „Anzeiger"  1861.  S.  357  u.  358):  ein  Hafen  im  Schild  und 
ein  Hafen  mit  Gilgen  auf  dem  Helme;  das  Grüne nb er g'sche  Wappen 
ist  nur  eine  freie,  aber  getreue  Uebersetzung,  welche  künstlerisch  sty- 
lisirt  erscheint,  der  alte  Stechhelm  ist  bereits  dem  Geschmacke  von 
1490  angepasst;  Kress  aber  zeichnete  mit  anerkennenswerther  Treue 
den  ritterlichen  Helm  des  XIII.  Jahrh.  ab,  obwohl  er  das  Ding  nicht 
mehr  erkannte  oder  verstand. 

Zu  S.  123.  Ueber  den  Namen  Löll,  der  einen  Gott  verbirgt, 
vgl.  Rochholz  in  s.  „Argovia**  1860.  S.  120  ff.  Ein  Götzenbild  Löll 
oder  LöUus  soll  dem  Dorfe  Grosslellenfeld  im  EichstÄdt'schen  den 
Namen  gegeben  haben ;  daselbst  und  in  der  Stadt  Schweinfurt  war  sein 
Steinbild  an  der  Kirchenmauer  angebracht. 


42 


Trotz  der  aufopferungsvollen  Güte  meines  lieben  Freundes,  des  Herrn 
Professor  Dr.  W.  Reischl,  der  die  Revision  dieser  Bogen  vei*sah,  sind  doch 
einzelne  Fehler  stehen  geblieben.  Die  meisten  Errata  sind  jedoch  solcher 
Art,  dass  sie  der  nachsichtige  Leser  selbst  verbessern  kann,  so  muss  es  z.  B. 


S.    69 


Z.  31  von 

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„  550 
„  552 


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oben  heissen  neamas  st.  neumos. 
Otblo  St.  Otto, 
welcher  statt  welche. 
Flcohsenschwinge  st.  Flascbeuschwinge. 
Fosannern  st.  Posanern. 
schiieelos  st.  schelos. 
war  st.  was. 
Konrad  st.*  Konrod. 
Hätzicrin  st.  HatKlein. 

im  mittelbochd.  Texte  Ei  st.  Er.  und  in  der 
gegenüberstehenden  Uebertragong  Es  st.  Er. 
1197  St.  1107. 
1169  St.  1196. 
Schuhe  St.  Schulze, 
verwundet  st.  vermundet. 
der  st.  den. 
Glast  St.  Glazt. 
Thüringer  st.  Thüringen. 


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unten 
oben 


11 
unten 

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unten 
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