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*7-
^7- ^- ^
y
Geschichte
der
altdeutschen Dichtkunst
in
Bayern«
Herausgegeben auf ,^?^raa^l^ Veranlassung und
■it Unterstützung ^X^^rafU/ Seiner Majestät
des Köxii^ ^^^ von Bayern
MAXIMILIAN IL
t
von
Ur. V. HoUand.
Papier, bmok und Verlag, von Friedrich Pustet.
1862.
Vorwort.
Xm Beginne des Jahres 1859 wurde der Verfasser mit
dem Auftrage von Seiner Majestät dem Könige Maximilian
betraut, eine „Geschichte der altdeutschen Dichtkunst in
Bayern" auszuarbeiten.
Mit grossen Freuden ging der Verfasser gleich an das
Werk. Was Wackemagel für die Schweiz, Zingerle für
Tyrol, Toskano del Banner fftr Oesterrcich und zuletzt
noch Weinhold für die Steiermark im Kleinen gethan haben,
sollte nun auch für unser Bayerland in weiterer Weise
geschehen. Neue mittelhochdeutsche Dichter lassen sich
freilich nicht mehr finden, die bedeutendsten derselben sind
bereits erhoben und ihre Werke nach den besten Handschriften
in kritischen Ausgaben vorhanden. Sonach schien eine
Verarbeitung des reichen Materiales zuuächst unsere Aufgabe.
Das Resultat, welches sich daraus ergab, war, die historische
Entwicklung der pichtung, das Entstehen, Wachsen, Blühen
und Vergehen jeder einzehien Erscheinungsart durchzufahren,
dabei jeden Dichter in seiner ganzen Eigenthümlichkeit zu
zeigen und wo möglich immer mit seinen eigenen Worten
reden zu lassen. Dazu erwies sich die Technik am tauglichsten,
genaue Auszüge und abgekürzte Prosaauflösungen einzuschalten
und so den Mittelweg zwischen Original und Uebersetzung
haltend, zugleich alle die Züge hervorzuheben, welche fbr das
culturhistorische Leben des Mittelalters von Belang sind. Ein
weiteres . Augenmerk war auf unser früheres Heidenthum
gerichtet und auf dessen durch das ganze Mittelalter fühlbaren
Einfluss, eine Aufgabe, welche unseres Wissens ausser Wolf-
gang Menzel, noch keiner der neueren Literarhistoriker durcb-
gefbhrt hat.
Als nach Abfluss der bestimmten Frist das ganze Materiale
gesammelt und bereits mehrere grössere Bruclistücke ausge-
arbeitet lagen, hätte der Verfasser gerne nach die Schätze der
inländischen und einiger auswärtigen Bibliotheken durchsucht,
um die aus bayerischen Klöstern stammenden Handschriften
einer eigenen Betrachtung zu unterziehen. Hindemisse, deren
Bewältigung nicht in seiner Macht lag, traten inzwischen..
So galt es denn abzuschliessen und etwaige neue Entdeckungen
dem Spiele des Zufalls zu tiberlassen.
Der Verfasser selbst ist weit entfernt, sein Werk für
fehlerfrei zu erachten, er ist überzeugt und freut sich darauf,
von der Kritik in der Folge reichliche Belehrung zu erhalten,
doch hofft er auch, es sei Manches mit unterlaufen, was
vielleicht in der Folge zu bleibender Geltung gelangen könnte.
Mit demselben Gefühle, welches mich während der Aus-
arbeitung des ganzen Werkes beseelte, schliesse ich jetzt
dasselbe, mit dem unbegränzten Danke gegen den hohen Geber
dieses Auftrages, der wie einst seine, im Verlaufe dieser
Geschichte vielfach genannten fürstlichen und herzoglichen
Vorgänger, in walirhaft königlicher Weise seine milde Hand
aufgethan hat, zum Schutze der Wissenschaft und Kunst.
Möge diese Arbeit ihr Ziel erreicht haben, welches ich mir
vorgesetzt: dem bayerischen Volke die Schönheit und Grösse
seiner Vergangenheit in einem leuchtenden Bilde darzustellen!
München, Weihnacht 1861.
Dr. H. Holland.
Uebersicht
EinJfitUBg. Singen und Sagen. Aelteste Denkmäler. Die Sagen von
Kaiser Karl d. Gr. Heinrich von Kempten. Riesen-, Weifen- und
Schwanritter- Sage. S. 1 — 40.
Erstes Buch. Epische Dichtung.
A. Bif kKstfrliek-iateiBiscIie DicktOBg. Aelteste Schrßibwelse , Kost-
barkeit des Materials. Geschichte einer Handschrift, Inhalt des
Rnodlieb. Froumund, Metellus von Tegernsee und andere Dichter.
S. 43 — 82.
B. VolkStkfiflilichc EpCB. Spielmannspoesie und Fahrende. Herzog
Ernst Heinrich der Löwe. Die Nibelungen. S. 83 — 107.
C. Rittfriickf KUDStcpik. Wolfram von Eschenbaeh, sein Leben.
Parcival. Sinn und Deutung der Gralsage. Der Titurel und der
Graltempel zu Etal. Wimt von Grävenberg und sein Wigalois.
Weitere Dichtungen dieser Art. Hadamar von der Laber. Poetische
Erzählungen und gereimte Novellen. Ruedeger der Hunthover.
St. Martins Nacht. Aristoteles und Phyllis. H. Fressant. — Wernher's
Helmbrecht Rüdiger von Mflnerstadt u. s. w. S. 106 — 325.
D. HelllgfBSaSf BBd LegfBdfB. Wolfram's Willehahn. St Georg von
Reimbot von Dume. Der Madonnencnlt in Altbayem und die schwarze
Maria. Drei Lieder von der Magd, von Wemher u. A. S. 326 — 378.
E. Weitere BestABdtkelle. Der antike Sagenkreis. — Das Lehrgedicht:
der Windsbecke und die Winsbeckin. Hugo von Trimberg. — Reim-
chroniken. Kaspar von der Ron und Ulrich Fürterer. S. 379—400.
Zweites Buch. Ljoische Dichtung.
A. KIrckeBlied« Aelterer Ritus. Singweise und Sängerschulen. Lateinische
Hymnen. Deutscher Kirchengesang. Anthdl der Minnesinger. Heriger.
Walther von d^ Yogelweide. Der Mönch von Salzburg u. s. w.
S. 403 — 428.
B. MlnilfSAIlgf! Lateinische Lyrik; Carmina burana. Der Kürenberger.
Dietmar von Eist. Meinloh von Sevelingen. Der Barggrafe von
Rietenburg und Regensburg. Spervogel und Heriger. Endilhart von
Adelburg. Wolfram von Eschenbach. Günther vom Vorste. Leutold
von Seven. Heinrich von Frouwenberg. Reinmar. Walther von der
Vogelweide. Reinmar von Zweter. Albreht von Johansdorf. Bemger
von Horheim. Neidhart von Reuenthal. Suezkint von Timberg. Der
Brennenberger. Hiltpolt von Schwangau. Der Tanhauser. Konrad
von Kirchberg. Der Marggraf von Hohenburg. Konradin. Der i^llde
Alexander u. A. S. 429 — 546. — Die bayerischen Herzoge in,
Beziehungen zu diesen Sängern. S. 547 — 556 u. 560 ff. — Ausklingen
der ritterlichen Lyrik. Die fahrende Diet. Joh. Holland. Püterich
von Reicherzhausen. Hans der Hesselloher. Meistersänger. S. 558 — 571.
C. Volkslied. Liederbuch der Klara Hätzlerin. Augsburger Singschule.
Rosenplüts histor. Sprüche. Handwerker. S. 573 — 600. •
Drittes Buch. Dramatische Dichtung.
Entwicklung des kirchlichen Drama. Heidnischer Jahrkreis.
Dreikc^nigspiel aus Freising, aus dem IX. Jahrh. Kindeimord, XL Jahrh.
Osterspiele. Das ludas de adv€Btu et interitu Aotichristi^ aus Tegeni-
see, XIL Jahrh. Weihnachtepiel und das ludus paschalis aus Bene-
dictbeueiii. Das hohe Alter der Ammerganer Passion und andere
Darstellungen dieser Art. Benedict Debs aus Ingolstadt. Uebergang
der Mystene^n zum weltlichen Schauspiel. Alte dramatische
Volksfeste. Das Georgenspiel von M. Schtittenhelm zu Augsburg.
Fastnachtspiele. Hans Folz. Rosenplüt und iVndere. S.^ 604 — 654.
Schluss und Nachträge.
--^'«^*^-
Einleitung.
iUasselbe Gesetz, das die Geschichte der griechischen Poesie
ergeben, ist auch auf die deutsche in Anwenduog zu bringen. Wie
sich dort in den Mhesten Anfingen eine priesterlich-religiöse Dichtung
zeigt, neben welcher, aus den ältesten Heldenliedern des Volkes, das
nationale Epos hervorwuchs, wie dann, nach dessen Verblühen, die
Lyrik sich erhob, an welche sich in letzter Folge das Draina reihte: so
ist dieser dreifache Entwicklungsgang in der deutschen Literatur nach-
weisbar und spiegelt sich gleichfalls bis in*s Einzelne in der Geschichte
der mittelalterlichen Dichtung des Ba/erlandes.
Auch hier trefiFen wir zuerst eine priesterliche Poesie, die aber aus
zwei Faktoren besteht, denn die ältesten, uns erhaltenen Reste, sind
theils aus rein heidnischen Reminiscenzen zusammengesetzt, theils aus
den frühesten Blüthen, welche die neue Lehre des Christenthums auf
dem irischen Boden des Volksthums getrieben hatte.
Analog der griechischen Epik bildete sich auch bei uns aus den
frühesten Liedern, welche in der Erinnerung des Volkes lebten: das
nationale Heldengedicht, welchem eine künstlerisch ausgebildete Dichtung
zur Seite ging: die ritterliche Kunstepik. Beide jedoch umschwärmte
eine mitunter voraus greifende oder auch nachfolgende klösterliche
Dichtung, die ui fremder Sprache, in der ihr vertrauten lateinischen,
den heimathlichen Geist gebunden hält.
Wie dann, nachdem die grossen Ahnen-Tha'ten der Vorzeit aus-
gesungen waren , doch neu nachgelebt und mitempfunden in einem
bedeutsamen Schaffen und Ringen, die Subjectivität sich geltend macht
und der Einzelne selbst in und mit seinem Liede hervortritt, so erönhet
die lyrische Dichtung ihre Bahn, der Minnegesang, der bei genauerem
Zuhören gleichfalls aus verschiedenen Tönen besteht: aus dem eigent-
lichen Volksliede, in welchem noch häufig die alten Traditionen erklingen,
aus dem religiösen Gesang oder dem Kirchenliede und den ritterlichen
Minneweisen.
Und wie nun die Lyrik, verklungen, da erhebt sich das Drama,
das bereits frühe aus dem Traumleben urgermanischer Erinnerungen her-
ausgewachsen, bald aber unter die Obhut und Pflege des lateinischen
Klosterlebens gerathen war, bis es jetzt selbständig losgerungen, als
nationales Schauspiel sein Recht begründete.
«
Der geschichtliche Verlauf der Dichtung wiederholt sich in dem
fast gleichzeitigen Entwicklungsgange der bildenden Kunst. Nachdem
unter verschiedenen Anläufen der selbständige Styl herausgewachsen,
bringt gegenüber der Epik zuerst die Architektur sich zur Geltung; der
Abschlüss der alten Traditionen des Rundbogenstyles entspricht dem
natiohalen Epos, während die ritterliche Kunstdichtung mehr mit den
neuanhebenden Spitzbogengesetzen den Vergleich zulässt.
Das lyrische Element ist der Skulptur parallelisirt, die im XIII.
und XIV. Jahrhundert unstreitig schon ihre Höhe erreichte und mit
ihrer dreitheiligen Dienstbarkeit, im Hause, in der Kirche und an den
Prachtbauten der Fürstenhöfe, gleichfalls dem subjectiven Gesänge
entspricht.
Lidess hat die gleich darauf zur hohen Ausbildung gebrachte Malerei
in ihren dramatisch -objectiven Momenten mit der Geschichte des reli-
giösen und weltlichen Schauspieles gleichen Schritt gehalten. —
Was nun den uns zugewiesenen Grund und Boden, und das darauf
hausende Volk betrifft, so ist dessen Begriff durch die verschiedenen
Jahrhunderte wohl immer ein anderer, je nachdem die Gränzen sich
ausgedehnt oder zusammengezogen, je nachdem neue Stämme einge-
mischt oder frühere ausgeschieden wurden. Die vorschreitende Geschichte
wird uns demnach immer veränderte Gränzen nach jeder Richtung hin
vorschreiben, wobei die heutigen nur in so weit massgebend sind, dass
wir z. B. unmöglich ein Dichtergrab, welches im jetzigen Bayern liegt,
zu übergehen vermöchten, selbst auf die Gefahr hin, der darinnen
ruhende Poet habe früher mit dem eigentlichen Kernlande nur in flüch-
tiger, durchziehender Berührung gestanden. So, den doppelten Gesichts-
kreis im Auge behaltend, werden wir wohl öfters die heute nicht mehr
zum bayerischen Territorium gehörige Nachbarschaft betreten müssen,
wenn selbe in einer Zeit zu uns. gehörte, in der dichterische Kräfte
darinnen lebten und schufen; es ist das det einzige Ausweg, um allen
Ansprüchen und dem historischen Rechte Genüge zu leisten, und wir
erklären dieses im Voraus, um später weder der PiUgherzigkeit noch
einer unstatthaften Räuberei geziehen zu werden. Dass ganz entgegen-
gesetzte Stämme und fremdliegende Bezüglichkeiten dabei weniger betont
werden können, liegt klar in der Natur der Sache. —
Ein Stück jenes Wächtervolkes, das einst als die lebendigen Mark-
steine gegen die nachdrängenden Slaven, ^Is die Nachhut auf dem
europäischen Reisezuge der Gothen, im Osten gestanden, hatte sich
ans dem Böhmerwalde gegen die Donau ausgeladen, das Land vom
Kahlenberge bis zum Inn in Besitz genommen und sich von da weiter
ausgedehnt, bis an den Lech, die Donau und die südlichen Berge. Die
Springfiuthen der Völkerstürme, die hier brandend hereingeschlagen
hatten, waren wieder verlaufen; nur schwache römische und keltische
üeberreste und andere herrenlose Volkssplitter verblieben, mit denen
die Baiwaren, selbst ein verschiedenfarbig eingesprengter Knäuel, hier
stille verwuchsen. Es war kein Volk mehr, nur müdes Trümmerwerk,
das widerstandslos bald unter fremde Obhut sich ergab. Die fremden
Ankömmlinge hatten alte Traditionen aus ihrer ursprünglichen Heimath
mitgebracht, heilige Reste des urgermanischen Götterglaubens aus der
orientalischen Völkerwiege, die durch Singen und Sagen fest im
Gedächtnisse standen, aber von Land zu Land, mit der weiterschrei-
tenden Entfernung von dem ursprünglichen Erbe, durch die Generationen
hindurch unmerklich umgekleidet, abgenützt und wieder neu localisirt
wurden. Sie sangen von ihren -alten herrlichen Göttern und hielten
daran fest, so dass mancher Heidenapostel, der mit der Friedensbot-
schaft des neuen Krist unter die erbitterten Stämme trat, gezwungen
war, sich der herrschenden Sitte zu beugen und seinen Glauben singend
zu verkünden, sollte er willige und geneigte Zuhörer finden. Und sie
nahmen die Lehre vom Heiland der Welt, vom grossen Friedensfürsten
und dem Friedekind Gottes gerne an und Hessen sich taufen — aber
nebenbei ging der altehrwürdige eingefleischte Cult fort, halb offen am
Tage und klüglich christianisirt, halb aber auch im nächtlichen Dunkel
und in unterirdischer Heimlichkeit. Unsere Mythologie ist voll solcher
1*
Zeugnisse und Panzers treffliche Beiträge, 0 das köstliche Büchlein
des Frhrn. von Leoprechting aus dem Lechrain,*) die reichhaltigen
und umfassenden Sammlungen Schönwerths aus der Oberpfalz,')
dann die dankenswerthe Combination Quitzmanns, ^) sind vorläufig
ziemlich ergiebige und erhebliche Zeugen, auch dafür, dass die letzten
fliegenden Fäden der alten Ueberlieferuqg nicht selten bis in unsere
Tage heraufreichen. Und inzwischen gingen bei den Baiwaren die Sagen
von ihren alten Herzogen und Fürsten, von ihren grossen Volksherren
und Heermeistem, es war die Genealogie eines zerfallenen Hauses, die
sie in Gesängen feierten «nd heilig hielten als Trost und Vorbild in
den Tagen der entschwundenen Grösse. Fest lebte aber die fröhliche
Zuversicht, die alten Götter und Herren würden wieder kommen, wenn
die Noth aufs höchste gestiegen, denn was einmal lebenskräftig gewirkt,
könne nimmer zerfallen und in den Winden verfliegen.
So ist die Götter- uncl Heldensage des Volkes frisch geblieben
und bildete den Blutumlauf im innersten Herzen der Nation. Nur die
Färbung wechselte mit den Jahrhunderten und die Kraft der Pulsation,
sie ging oft schwach und kaum mehr fühlbar, aber dann flammte der
Lebensstrom wieder auf in freudiger Gährung.
Aus der frühesten Zeit des baiwarischen Singens sind uns nur
zersprungene Weisen und verlorne Töne geblieben. Heilformeln und
Zaubersegen, in beinahe unerkennbarer Gestalt und herabgesunken zu
Kinderspiel und Aberglauben; die alten Götter gehen noch um, oft in
sehr fadenscheiniger Gestalt und emigrantenhaft herabgekommen, ihr
Himmel, ihr Hab und Gut sind vertrödelt und in andere Hände, oft-
an den Wenigstnehmenden gekommen, die alte Dogmatik ist Märchen
und Mythe geworden, indess die Sage schon auf historischem Grund
und Boden Wurzel gefasst hat. Es ist eine mächtige Poesie in diesem
anscheinenden Kindertand, ein Hauch der ehemaligen Einfachheit und
Grösse liegt noch darüber, aber auch eine sichere Ahnung und traurige
') Bayerische Sagen und Bräuche. Beitrag Kur deutschen Mythologie von Fr.
Panzer. IB. München 1848. II. B. 1855.
^) Aus dem Lechrain. Zur deutschen Sitten- und Sagenkunde, von Karl Frei-
herrn von Leoprechting. München 1855.
^) Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen von Fr. Schönwerth. Augsburg
1857-59. 3 Bände.
^) Die heidnische Religion der Baiwaren, von A. Quitztnann. Leipzig 1860.
Klage tönen aus der frühesten Tradition, dass dieses Alles nicht so
verbleiben, sondern einst vergehen und fallen müsse, wenn auch mit
der fernen Aussicht auf eine bessere Zukunft.
Die erste Frage, die sich ein Volk, wenn es herangewachsen und
zum Bewusstsein gekommen ist, stellt, lautet nach dem Herkommen
der Welt, wie sie entstanden, wo sie hergekommen, ob selbe immer so
bestanden, ob selbe bleiben oder ob sie wieder vergehen werde gleich •
der Herrlichkeit, die wir darauf geniessen. Diese Frage hatten sich
zuerst die Hebräer gestellt und Moses setzt ihre Beantwortung bedeut-
ungsvoll seinen fünf Büchern voraus. Griechen und Römer beschäftigten
sich sodann damit und philosophirten darüber. Auch die Germanen
hatten eine ursprüngliche Tradition der Kosmogonie überkommen, die
sie in ihre Sprache und Bilcfer übersetzten, die der gewaltigen Phan-
tasie, der urkräftigen Vorstellungsweise dieses Volkes entsprach. Nur
die mosaische Idee des Erschaffenseins war ihnen abhanden gekommen;
sie erhielten selbe durch das Christenthum zurück, doch war die selbst-
eigene Reminiscenz zu mächtig, als dass sie nicht noch ein wenig aus
dem Wessesbrunner Gebet *) leuchten sollte, jenem ersten Denkmal
unserer Sprache und Dichtung , das offenbar ein niederdeutscher oder
angelsächsischer Mönch in dem genannten Kloster ganz in der alliteri-
renden Form eines heidnischen Zauberspruches niedergeschrieben hatte.^ )
Er hebt damit an, wie anfanglich nichts dagewesen sei, nicht Erde,
noch Himmel, nicht Berg noch Baum, nicht Sonne, noch Mond noch
das Meer: nur Gott „der Männer mildester" und mit ihm manch glor-
') Die Form Wessobronn ist falsch; die älteste Urkunde nennt diesen Ort
Wezzinesbrunno, d.h. Brunnen des Wezzini: vom XII— XIV. Jahrh. erscheint
dieser Name als Wessesbrunn^ wie das Volk heute noch spricht, vgl. Roth
Oertlichkeiten. 111. Hft. Vorrede S. X.
^j Die bis zum Jahre 1839 hierüber erschienene Literatur ^hat Dr. Kar! Roth
in der Vorrede zu seinen deutschen Predigten 8. XV fT. zusammengestellt;
wir erwähnen hier nachträglich nur die schöne Besprechung der ersten Aus-
fabe durch die Gebr. Grimm von Görres in den Heidelb. Jahrb. 1813
.337-53. Uebersetzt wurde das W. Geb. von Dr K. Roth (Denkmäler der
deut. Sprache. 1810. S. 5) und Feussner: die, ältesten allit. Dichtungsreste.
Hanau 1845. (vgl. Schmeller in den bayr. Gelehrten -Anzeigen 1845.
S. 590.) — Dieselbe Handschrift der Münchner Hof- und Staatsbibliothek
enthält zugleich eine Geschichte der Kreuzerfindung (de inqnisitione vel in-
ventione sanctae crucis), deren Text mit Illustrationen begleitet ist^ die zu den
ältesten und interessantesten Bruchstücken allbayerischer Kunst gehören. Der
Codex hat eine Spanne in der Höhe, das Pergament ist stark, die Schrift
scheint der Periode zu entstammen, da die langobardische Schreibweise der
fränkischen weichen musste. Schmeller hat bewiesen, dass der Codex vor
814 geschrieben wurde.
reiche Greister waren da. Darauf geht der Dichter zu der Bitte über,
dass, wie Gott durch die Schöpfung sich gnädig erwiesen habe, er
auch jetzt den Flehenden seiner Gnade theilhaft machen wolle. Es ist
aber in so weit ein wichtiger Baustein für unsere heidnische Kosmogonie,
als der Dichter die vor dem Anfang aller Welt bestehende ungeheuere
Kluft, in welcher weder Erde noch Himmel, weder Sonne noch Sterne,
weder Licht noch Meer, weder Berg noch Baum waren — fast mit den
Worten der Edda schildert, wozu noch kommt, dass der das nordische
ginnüngagap (Kluft) umschreibende Ausdruck ^ni wiht ni was enteo
ni wenteo'' sich noch in dem volksthümlichen ^enten und wenteu oder
enten und drenten" für hüben und drüben, findet. ')
Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, dass, wie in jeder
Mythologie der Beginn und das Ende der Welt die Hauptfragen bilden,
auch die christliche Dichtung damit eingeleitet ist. So erscheint dem
Wessesbrunner Gebet gegenüber der sogenannte „Muspilli,"*) welches
eine Schilderung des Weltendes nach der Apocalypse, daneben aber
unverkennbar, selbst bis auf die Worte, übereinstimmende Züge des
heidnischen Glaubens enthält. Nach diesem sollte einst beim Nahen der
grossen Götterdämmerung die G^sammtheit der Götter und Menschen
den Untergang finden in einem gewaltigen Kampfe, der zwischen den
bis dahin niedergehaltenen bösen Urmächten und den Göttern entbrennt.
Muspilli selbst ist das Muspelheim der Edda, das Feuerland, der Anti-
christ streitet an der Stelle der Riesen mit dem Elias, unter dessen
Gestalt der Donnergott geborgen ist, denn auch er, obwohl siegend,
wird doch schwerverletzt, von seinem Blute entbrennen die Berge, und
der Wächter an der Regenbogenbrücke bläst in sein Hörn.
„Wenn der mächtige König das Gericht verkündet (heisst es von
Vers 35 an*), zu dem da kommen soll der Geschlechter jedes, dann
wagt der Menschenkinder keines das Aufgebot zu versitzen. Der Men-
schen jeder muss zu dem Gerichte. Da wird er vor dem Köniije zu
0 Qiiitzmann S 193.
^) Das Gedicht ist leider nur ein Fragment, welches Seh melier in einem
Emmeramer Ms. entdeckte und zuerst in A. Buchners Beiträgen zur vater-
ländischen Geschichte 1832. I. 89 117 bekannt gab (auch besonders flbg^'
druckt mit Facsimile). Ueber die strophische Form vgl. Bartsch in Pfeiffers
Germania 111. 10 ff. Mühlenhofr in Haupts Zeitschrift. XI. 381-93.
') Uebersetzt von A. Vollmer in Roths Beitr. I. 147 ff.
Rede stehen ober das, was er in der Welt gewirkt hat (40). Das hörte
ich sagen der Welt Rechtweisen , dass der Antichrist da mit. Eliase
streiten werde. Der Ruchlose ist gewaffnet. Dann wird unter ihnen der
Streit erhoben. Die Kämpfer sind so stark, die Sache ist so gfoss.
Elias streitet fiir das ewige Leben, (45) er will den Gerechten das
Reich stärken. Desshalb wird ihm helfen Der des Himmels waltet.
Der Antichrist steht bei dem Menschenfeinde, steht bei dem Satanase,
der ihn verläugnen wird. Desshalb wird er auf der Kampfstätte ver- ,
wundet fallen (50) und diesesmal überwunden werden. • Doch glaubt
mancher der Kirchenlehrer, dass auch Elias in dem Kampfe verletzt
werde ! Sobald des Elias Blut auf die Erde träuft , so entbrennen die
Berge, kein Baum bleibt stehen, die Flösse vertrocknen, (55) das Meer
verzehrt sich, es glüht flammend der Himmel, dei* Mond fällt, es brennt
der Erdkreis, kein Stein bleibt stehen auf der Erde. Es fährt dann
der Tag der Vergeltung ins Land, fährt mit Feuer die Menschen heim- .
zusuchen. Da vermag dann kein Blutsfreund dem andern zu helfen vor
dem Muspilli. ") (60) Wenn die breite Erdfläche ganz verbrennt und
Feuer und Luft Alles dahinfegt: wo ist dann die Mark, um die man
mit seinen Verwandten stritt? die Mark ist verbrannt .... die Seele
steht in Angst, (65) weiss nicht, womit sie büsse. Sofort fahrt sie zur
Hölle. Desshalb ist es für den Menschen so gut, wenn er zu dem Ge-
richte kömmt, dass er der' Sachen jede recht richte. Dann braucht er
nicht zu sorgen, wenn er zu dem Gerichte kommt. Nicht weiss der arme
Mensch, welchen Beobachter er hat, (70) wenn er durch Bestechungen
das Recht verkehrt; dass der Teufel verdeckt dabei steht. Der hat in
Rechnung der Sachen jede, wa^ der Mensch früher und später Uebeles
that, auf dass ,er es Alles sage, wenn er zu dem Gerichte kommt (75)
Es sollte darum der Menschen keiner Bestechung annehmen. Wenn
dann das himmlische Hörn erschallt und der Richter sich auf
den Weg erhebt, der da richten wird Tode und Lebende: (80) dann
erhebt sich mit ihm der ,Schaaren grösste. Die ist so muthvoll , dass
Niemand mit ihr zu streiten vermag. Dann föhrt er zur Gerichtsstätte,
die da abgemacht ist. Da ergeht das Gericht, von dem man von jeher
erzählte. Dann fahren Engel über der Erde Marken, (85) wecken die
Völker, weisen sie zur Versammlung. Dann wird der Menschen jeder
von dfem Staube erstehen, sich frei machen von des Grabes Bürde. Es
*) Vollmer liest Mutspelli.
8
wird ihm das Leben ' zurückkehren ,* dass er Rede stehen könne und
nach seinen Thaten gerichtet werde. (90) «Wenn nun der zu Gerichte
sitzt, der da entscheiden und richten wird über Tode und Lebende;
dann steht um ihn der Engel Menge, der guten Menschen Kreis, wie
die Sterne glänzend. Da kommen zu dem Gerichte so viele, die da von
der Rast ersteheö. (95) Da vermag der Menschen keiner etwas zu ver-
hehlen. Da wird' die Hand, das Haupt, aller Glieder jedes bis auf
den kleinenFinger sprechen und sagen, was er unter den Menschen
für Mordthaten verübte. Es ist kein Mensch so listig, dass er da etwas
zu erlügen, (100) dass er zu hehlen vermöchte der Thaten eine, dass
sie vor dem Könige nicht kund gemacht würde, wenn er es nicht mit
Almosen zuvor ausglich und mit Fasten die Frevel büsste** etc.
Das Ganze ist leider nur ein Fragment von beiläufig 212 Stäben,
die zudem noch manche Lücke bieten, man sieht aber, schon' aus dieser
Probe, dass nichts unbedeutend daran ist, nicht einmal die Erwähnung
des kleinen Fingers, denn dieser ist, wie aus allen Kindermärchen
bekannt und wie Rochholz ') in seiner sym\)olischen Bedeutung der
Hand dargethan hat, immer noch ein Angeber und Ohrenbläser, der
Alles ausplaudert und ins Geschrei und an den Tag bringt. Fast jede
Zeile ist in den Eddaliedern wieder nachweisbar, man sieht, wie tief die
Erinnerung an das Weltende nach heidnischen Begriffen eingeprägt war
und noch in der christlichen Dichtung die Oberhand hatte.
Was dieses Gedicht noch ausserdem interessant macht, ist der Um-
stand, dass es in den leeren Seiten und Rändern eines schönen Büch-
lein, das von Adalram') zum Geschenk für Kaiser Ludwig des Frommen
Sohn, Ludwig IL oder den Deutschen') bestimmt gewesen, einge-
schrieben wurde. Es zeigt von einer ungeübten und orthographisch
nachlässigen Hand, und die Vermuthung Schmellers scheint gar nicht
ungegründet, es sei höchst wahrscheinlich König Ludwig der Deutsche
selbst gewesen, der das Gedicht vielleicht aus dem Gedächtniss und vom
Hörensagen daselbst niedergekritzelt habe. Das Buch wurde damals
*) Roch holz: Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel. Leipzig 1857. S. 106.
') Das Büchlein enthält die Sermo St. Augustini de symbolo contra Judaeos.
Adalram war der dritte unter den firzbischöfen von Salzburg; er wurde
821 erwählt und starb 836.
') Dieser hielt als König von Bayern vom Jahre 828 an in Regensburg Hof;
vom Jahre 843—76 wurde er König von ganz Deutschland.
dadurch verunstaltet, in einer Weise, die für uns heut zu Tage jedoch
mehr Werth hat, als der lateinische Sermon.
Was aber so lebendig im Volke lebte, muss anderweitig noch zur
Erscheinung gekommen sein; dieselben Gedanken haben sich auch in
der bildenden Kunst niedergeschlagen, und die berühmte Säule in der
Krypta zu Freising und die seltsamen Steinskulpturen am bekannten
Portale des Schottenklosters zu Regensburg siad die Illustrationen dazu,
wie Herr Quitz mann in seinem obengenannten Werke glücklich nach-
gewiesen hat. *)
Auch die Sage vom Yggdrasil, dem Weltbaum, ist uns gewahrt,
doch durch kein schriftliches Denkmal, sondern durch die nicht minder
bedeutungsvolle mündliche Ueberlieferung. Zwar ist er in dem kahl
gewordenen Birnbaum der Walserhaide, nächst welcher der bergentrückte
Gott in kaiserlichem Glänze schläft, weniger kennbar, desto deutlicher
aber in der Oberpfalz der kalte Baum') bei Leuohtenberg mit dem
Quellenteich (ürd) an seiner Wurzel , von einer Vala gepflanzt und
behütet; alle Anzeichen des letzten Kampfes der lichten Asengötter
gegen die Feuerkinder sind dort vereinigt; auch ist die Prophetie von
der Wiederkehr des deutschen Kaisers und einer glücklicheren, nach dem
Ende der Tage eintretenden Zukunft, daran geknüpft.
Ist das Wessesbrunner- Gebet mehr psalmartiger Natur, so hört
man aus dem Hei i and*) das alte Schwertgeklirr und den sächsischen
Waffentanz; aber wir haben leider keinen Beweis, dass dieses pracht-
volle angelsächsische Gedicht damals schon bei uns Eingang gefunden.
Nur. den einen Schluss dürfen wir daraus ziehen, dass die ersten Heiden-
apostel, die den Baiwaren die Gnadenbotschaft vom Mensch-gewordenen
Gottessohn brachten , kaum in anderer Weise gepredigt haben werden.
Emmeram und Hrodbert, Korbinian, Winfrid und Willibald,
Alto und Winthir und wie die Träger und Verbreiter der neuen Lehre
') Urreligioa der Baiwaren. S. 2Q0 ff.
^) Schön werth III 339 ff. Diese merkwürdige Steinlinde ^steht nahe an der
von Vohenstrau^s nach Wernberg Ciihrenden Strasse, auf dem Grat eines
langgestreckten Bergrückens, der ku beiden Seiten ziemlich steil abfällt und
unten rechts das liebliche Lärauthal, links das wildromantische Thal der
schauerlichen Pfk'eimd bilden hilfl^
') Der Codex wurde in der Stiftsbibliothek zu Bamberg am 20. Nov. 1794
von Professor Gerard Gley entdeckt und 1805 nach München abgeliefert, vgl.
dessen Beschreibung Ja eck die Handschriften zu Bamberg. 1831. I. S.
XXXVIÜ ff
10
alle heissen, die der Baiware io dankbarer Erinnerung als Heilige ver-
ehrt, sie mussten sich bequemen, das Ghristenthum den starrköpfigen
Heiden mundgerecht zu machen und ihrer Vorstellungsweise'anzupassen.
Das Ghristenthum musste ganz und gar deutsches Gewand annehmen,
sollte es beim Volke Eingang finden.
Die Evangelienharmonie des Otfrid von Weissenburg (c. 870)
dagegen kam frühzeitig zu uns und ist in einer Abschrift erhalten, die
im Auftrage des Bischof Waldo ") zu Freising durch den Priester
Sigfrid gemacht wurde. ') Otfrid war bekanntlich ein Schüler des
Hrabanus Maurus (zu Fulda), der als Erzbischof von Mainz 856 starb.
Seiner Mundart nach muss Otfrid am Bodensee zu Hause gewesen sein,
dafür gibt auch der Umstand einen Fingerzeig, dass er sein Gedicht
neben Liutbert (dem Erzbischofe von Mainz) und König Ludwig dem
Deutschen, auch zweien Mönchen von St. Gallen, Hartmuot (f 872) und
Werinbert widmete. Es ist das älteste uns erhaltene Werk deutscher
Reimdichtung, aber schwerlich die wirklich älteste Reimdichtung an
sich. Otfrid bearbeitete seinen Krist nach den Evangelien, aber im
Tone älterer Volkslieder, die dadurch verdrängt werden sollten;
es mussten Lieder vorhanden sein, die, was den metrischen Bau betrifil,
den Strophen Otfrids gleich kamen. Vielleicht liess der fromme Waldo
gerade in dieser Intention das künstliche Opus abschreiben, aber gesungen
wurde es doch schwerlich und so hatte es (abgesehen von dem heutigen
philologischen Interesse) für die damalige Zeit keinen weiteren Nutzen
als den freilich nicht hoch genug anzuschlagenden formellen, indem aus
seiner Strophe später die kurzen Reimpaare der höfischen Epik heraus-
wuchsen. Sie bestehen aus zwei Langzeilen und vier Halbzeilen, jede
zu vier Hebungen ; von den dazu gehörigen Senkungen dürfen auch eine
oder mehrere fehlen, ohne dass darum der Vers geändert würde; der
Reim, oft nur Assonanz, findet sich. am Ende der Halbzeilen, immer
zwei verbindend. Den eigentlichen Reim bildet die letzte Silbe, doch
wird auch zuweilen die vorletzte bei langen Wurzelsilben und selbst auch
die drittletzte ^ei kurzer Wurzel in den Gleichklang hineingezogen ;
solche Reime bilden dann stets zwei Hebungen.
') Bischof Waldo war es auch, der den absrebrannten Dom zu Freising mit
grossen Kosten wieder herstellte, vergl Meichejbeck-Baumgartner.
1854. S. 52.
^) Die Handschrift ist 125 Blätter stark, die lateinische Vorrede des Dichters
und alle Eingangsgedichte fehlen jedoch.
11
Die Copie des Freisinger Presbjrter Sigfrid gehört zu den wenigen
alten Handschriften, die bereits nach dem Ausgange des Mittelalters
aas ihrem Schlafe aufgeweckt wurden und eine Art Geschichte erhielten.
Seb. Frank') der berühmte Kosmograph und Historiker erzählt (ins.
Ghron. Germ. Augsb. 1538), dass der Beatus Rhenanus, der ann.
1530 ^gen Freising in die liberey des hl. Corbiniani gezogen, die übrigen
Bücher Livii zu suchen, alda vnder andern ein alt gerümpt Evangeli-
buch gefunden in fränkischer Zungen geschriben vor 600 jareu."*) Die
Handschrift wurde wieder vergessen, bis sie Herzog Ernst (der 1565
zum Bischof erwählt wurde) von ungefähr in einef alten Kiste wieder
fand; er sendete sie auf Verlangen an seinen Bruder, den Herzog
Wilhelm, der sich das merkwürdige Werk in einem eigenen Briefe
vom 16. Oktober 1580 zur Ansicht erbat, worauf es wieder von München
zurückkam. Die Handschrift war übrigens später auch dem berühmten
Antiquar Lazius, unserem bayerischen Historiker Wiguläus Hund,
dem kaiserlichen Bibliothekar Lambeck und dem Engländer Hickes
bekannt, auch Schilter, Köhler und Kindlinger in seiner An-
weisung zur Reiseklugheit für junge Gelehrte (1788) sprachen von ihr.
Zur Zeit der Klosteraufhebung wollte sie sich lange nicht zeigen, was
dem B. v. Aretin vielen Kummer bereitete, bis er sie im Juni 1803
zu Weihenstephan glücklich wieder entdeckte. ')
In der lateinischen Vorrede zu seiner Evangelienharmonie wirft
Otfrid einen schiefen Blick auf diealtenHeldenlieder, als unnützes
Geklingel (sonus inutilium rerum) und auf das gleich übel beleumundete
Volkslied; natürlich ist ihm das alte fröhliche Weinlied (Winileod)
auch ein frecher, weltlicher Singsang (cantus laicorum obscoenus), an
welchem schrecklicher Weise selbst gute Nonnen noch Gefallen fanden,
obwohl ihnen doch schon ein königliches Edict vom Jahre 789 ernstlich
verboten hatte, so verfluchtes Teufelszeug, wie Liebeslieder und der-
gleichen abzuschreiben oder gar einander mitzutheilen (winileodes scri-
bere vel mittere). Wir wären ihnen sicherlich sehr dankbar, wenn die
frommen Nonnen ein wenig weites Gewissen gehabt und uns trotzdem
') Sebastian Frank wurde 1501 ku Donauwörth geboren und starb als
Blichdrucker und SchriflstclI^r zu Basel 1545.
^) Er hat (Basel 1551) einzelne Stellen herausgehoben zum Beweise dafür, ,^dass
die Franckeil in Gallia, eben zur Zeit Caroli gemischt teutsoh haben geredt.^
») Beiträge. IV. 2 Hft. S. 182.
12
doch Allerlei Ton ihren Herzensgeheimnissen und heimlichen Freuden
überliefert hätten. Aber auch die Kirche eiferte gegen die bäuerischen,
läppischen und teuflischen Cantica (rustica, inepta, diabolica) und zwar
mit Recht, denn es lief viel böses Heidenthum mitunter, das nun ein-
mal ausgerottet werden musste — wenn es möglich gewesen wäre. Denn
als man von den alten Göttern und ihren Freuden und von den alten
Helden und ihrer Grösse nicht mehr singen durfte, so ging das zahn-
lose Mütterlein der Maere und die immer noch jugendschöne Frau
Sage in die 4ieimliche Kinderstube, und die Ammen überlieferten die
uncanonisch gewordenen Erinnerungen in ihrer Art, bessernd und dem
Zeitgeiste und dem Fassungsvermögen ihres kleinen Auditoriums gemäss
überarbeitet — in ihrer Art auch eine biblische Geschichte für die
Ejuderwelt.
Es muss aber eine Menge vorotfrid'scher Gerichte in deut-
scher Sprache gegeben haben, das Kloster Reichenau hatte im Jahre
821 allein über ein Dutzend davon aus der mündlichen Ueberlieferung
' aufgeschrieben. Die klugen Mönche, die meist von weither und in andern
Zungen redend, gekommen waren, lernten und lehrten daraus die deutsche '
Sprache, zu der sie mühselig' ausserdem Glossen sammelten, vielleicht
auch zum Anbau einer deutschen Grammatik nach Karl des Grossen
Beispiel. *) Wenn aber eine einzige Abtei so viel an ähnlichen Kost-
barkeiten verwahrte, wie viel muss sich anderwärts des Aufgezeichneten,
und gar im Munde des Volkes Unaufgeschriebenen damals gefunden
haben!') Dafür kam freilich auch anderer Ersatz durch die Heiligen-
legende; wir haben noch ein Lied auf den hl. Petrus und andere Heilige
(wovon später unter dem Abschnitt der Kirchenlieder das Betreffende
zu finden), auch vom hl. Ulrich wissen wir, dass das Volk sang, aber
es war zu vulgär, als dass die lateinischen Biographen darauf hätten
Rücksicht nehmen mögen. '^) Dafür entschädigt wieder manch anderes
Bruchstück, das hinreichend geeignet ist, ein ganz eigenes Genre auf-
zuhellen, wie z. B. das Lied auf den Eber, welches sich in einer Hand-
schrift des X. Jahrh. zu München befindet, die um ein Säculum älter
') Ein Fragment von 28 Zeilen lateinischer Reimverse mit gegenüberstehender
UebersetK\ing aus dem IX. Jahrh. aas Tegernsee hat Oocen in Aretlns
Beitr. 1806. 2 Hrt. S. 130 (T. abgedruckt.
') J. Grimm, Lat. Gedichte. S. VIII.
S) Uhland in Pfeiffers Germania. IV. 45.
13
ist als dieselbe TextanfzeichnuDg za St. Gallen. ') Man sieht daraus,
dass solche Dinge wie Waldsamen durch Vögel vertragen werden können,
dass eine feste Bestimmung über Heimathsberechtigung nicht getroffen
werden kann und dass vielleicht Manches in unsere Gränzen reicht, was
weit ab davon später aufgeschrieben wurde. .So nehme ich gar keinen
Anstand, hier auch des H^ildebrandliedes zu erwähnen. Wir haben
es zwar in ältester Fassung nur wie es im Kloster Fulda zu des, Hra-
banus Zeiten aufgeschrieben wurde, aber der Boden, auf dem es zuerst
gesagt und gesungen sein musste, ist süddeutsch und die Bemerkung des .
Aventin, dass er den ^alten Hildebrand^ noch singen hörte, noch mehr
aber die Beliebtheit der Melodie, welche später auch auf andere Texte
übertragen wurde, sind redende Beweise dafür, wie einheimisch und
eingebürgert aus den frühesten Zeiten es bei uns gewesen sein musste.
So sind wir bei der Sage angelangt. Die Dinge, die hier zur
Sprache konmien, haben mit der Historie selbst wenig zu schaffen, denn
^die Sage geht mit anderen Schritten und sieht mit anderen Augen, als
die Geschichte;"') die Sage ist um so viel poetischer, als sie gerade
der urkundlichen Wahrheit entbehrt; in demselben Grade, als sie dem
strengen Historiker unnütz und entbehrlich ist, bildet sie ein unver-
äusserliches Kronjuwel fär die Geschichte der Dichtung, die sich weniger
darum bekümmert, ob ein fraglicher Herzog oder König auch zu erweisen
sein könnte, sondern sich willig begnügt mit dem Vorhandensein eines
Märchens, das häufig doch ein älteres, historisches Recht beanspruchen
kann, als die Historie zu begränzeh vermag.
Die Baiwaren erzählten, sie seien aus Armenien eingewandert, aus
dem Lande, in welchem Noah aus dem Schiffe landete, als ihm die
Taube den grünen Oelzweig gebracht. So erzählt der Dichter des Anno-
liedes ') und er hat mit christianisirender Treue das Gehörte berichtet,
denn heut zu Tage ist noch die Sage lebendig, wie einst in grosser Noth,
als die Wasser bis an die Spitzen der Berge sich erhoben, ein Trog am
Watzmann gelandet, daraus ein Mann und ein Weib gestiegen, die
zusammen das ausgestorbene Menschengeschlecht weitergepfianzt Es ist
') Uhland Volkslieder. I. 329.
^) Grimm: Deutsche Sagen. II. S, V,
') Wackernagel Lesebuch. S. 179 u. 180 und die ^Kaiserchronik.^ vgl.
Massmanns Sagenerörlerungen dazu im III. B. S. 472—77.
14
ganz die Sage der eddisch en Sinfluth aus dem Blnte des Urriesen
Ymir, die in der nordischen Fassung vor die Erschaffung des Menschen-
geschlechts gesetzt ist, es ist der Riese Bergelmir und sein Weib, von
dem das neue Hrimthursengeschlecht stammt, nur baiwarisirt und an die
höchste Spitze des neu in Besitz genommenen Landes localisirt. Das
Zeichen (Wappenbild) der Baiwaren, setzt der poetische Biograph des
hl. Anno bei, sei auch die Arche auf dem Berge Ararat gewesen, auch
gebe es im fernen Indien noch Leute, welche deutsch reden. Weiter
. rühmt er den Baiwaren nach, sie seien streitbar und tapfer gewesen,
und gute Waffenschmiede» ihre Schwerter bissen besser als alle anderen,
das hätten die Römer wohl erfahren.
Aus der Römerzeit hat .^ich der Epheu der Sage nur an der Teufels-
mauer angewachsen und hier und dort wo Scherben und Mosaiken im
Grunde liegen; sie. sind die stummen 2^eugen früheren Lebens, längst-
vergessenen Handelns und Treibens. Nur die ^ Kaiserchronik "") hat ein
Lied vom Herzog Adelger eingeschaltet, ein Stück der bai warer
Stammsage : Der römische Kaiser Severus hörte, dass Adelger, Herzog
von Bayern, sich unbotmässig geberde, berief ihn nach Rom und liess
ihm hier zur Beschimpfung Haar und Rock kurz schneiden. Als er
wieder nach heim kam und in sein Herzogthum, musste sich das ganze
Volk in Trauer, wie sein Herr, kleiden und scheren, denn der Bayern
Gewohnheit war dazumal allesammt zu dulden, was Einem zu Leid ge-
schehen. Darauf habe ihn der Kaiser wieder citiren wollen, aber ein
weiser Mann, den Adelger in Rom gelassen hatte, erzählte dem Kaiser
in Gegenwart von Adelgers Boten eine Fabel : Ein Hirsch frass einem
Manne sein Kraut im Garten und wurde, als er zum zweitenmale kam,
von ihm zer\v irkt. Aber des Hirsches Herz frass unvermuthet ein Fuchs.
Der Mann vermisste das Herzi aber sein Weib sagte ihm: der Hirsch
müsse gar kein Herz gehabt haben, sonst wäre er nicht zum zweiten-
male gekommen und hätte sich der Gefahr ausgesetzt. Das erzählte der
Bote nach seiner Heimkehr dem Herzog und das merkte sich Adelger
und ging nicht mehr an den Hof des Kaisers. Dafür sicherte er unter-
dessen sein Land, sandte seinen Markgrafen Gerold, dass er den
Schwaben die Mark wehrete, dann schlug Graf Rudolf den Böhmenkönig
») Vgl. Grimm Deutsche Sngen. II. 11)2 ff. .Massmann in der ^Eos." 1825.
Nr. 79 85 und in s. Auseube der Kaiserchronik 1849. I. B. S. 508-554.
(v, ß«41-715l) und III B. S. 7^ 819.
15
nnd der Burggraf Wimt trieb die Hunnen bis an die Traun zurück,
Adelger selbst aber leitete sein Heer gen Brixen; einen sommerlangen
Tag währte der Streit gegen die Römer, die Bayern drangen mit ihren
scharfen Schwertern ein und sangen das Kriegslied, da vermoch-
ten die Welschen nicht mehr zu widerstehen , Severus selbst warf das
Schwert aus der Hand und rief: Rom , dich hat Bayern in Schmach
gebracht, nup acht* ich mein Leben nicht .länger ! Da erschlug Volkwin
den Kaiser und Herzog Adelger steckte seinen Schaft in die Erde neben
dem Haselbrunnen und rief: dies Land hab' ich gewonnen den Bayern
zu Ehre; diese Mark diene ihnen immerdar!
Die Sagen von Adelger haben, wie die Grimm vermuthen, zum
wenigsten theilweise ältere deutsch^ Gesänge zur Unterlage. Paul Dia-
conus (L 27) sagt ja, dass die Baiwaren so gut wie die Sachsen, uralte
Lieder sangen. Vieles davon ging mündlich lange umher, bis die späteren
Dichter ihre neue Form darauf drückten.
Die Quellen der Sage beginnen erst eigentlich mit der Geschichte
der Longobarden reichlich zu springen und zu rauschen; kümmerlicher
dagegen unter den Merowingem,0 bei den Karolingern ist die Sage wie
ein grosser, breiter herrlicher See und in der Ottonen- und Stauferzeit
fliesst sie dahin wie ein mächtiger Strom.
Paul Diaconus berichtet prachtvolle Historien von der Abstammung
und Wanderung der Langobarden ; sie gehören jedoch nicht hieher ; doch
dürfen wir die schöne Sage von Autharis nicht übergehen, der des
König Garibald Töchterlein Theodolind (Dietlind) freite und so mäch-
tige Hiebe führte; *) weiter erzählt der Diacon (IH. 30) wie bei ihrer
Ankunft in der Lombardei ein „Donnerkeil'' herniederfuhr, der von
einem Knechte, der „die alte Teufelskunst noch wohl verstand," dahin
gedeutet wurde, dass die Braut und Gattin noch Agilulfs Gemahl werden
solle, wie dann später ein Meerungeheuer sie überwunden u. dgl. Auch
die Historie vom armen Langobardetikönig Desiderius und seinem
schlauen Sohne Adelgis,*) der selbst den Kaiser Karl überlistete, ist
nicht zu übersehen.
*) Grimm Deutsche Sagen. II. S. 72.
0 Grfmm IL 40. Zingerle Sagen. 1859. S. 388.
^) Grimm 11. 115.
16
Karl der Grosse erkannte den Werth der deutschen Sagen und
Heldenlieder und liess sie bekanntlich sammeln. Aber auch Karl wurde
bald nach seinem Tode, vielleicht schon bei seinen Lebzeiten, Gegen-
stand des Heldengesanges. Die ersten Anfänge dieses neuen Sagenkreises
müssen auch in Frankreich der dejatschen Zunge angehört haben, deren
sich noch lange nach Karl die vornehmen Franken bedienten. Die später
in fast unübersehbaren Zweigen fortwuchemde fränkische Heldendichtung
blühte nur in nordfranzösischer und niederländischer Sprache, da die
hochdeutschen Volksdichter sich bald wieder ausschliesslich jenem uralten
Heldengesang zuwandten, den auch Karl geliebt und gepflegt hatte. Erst
als um die Zeit der Kreuzzüge der romantische Geist auch Deutschland
ergriff, wurden das Rolandslied und dann noch andere Zweige des
kerlingischen Epos von gelehrten Dichtern aus französischen Quellen zu
uns herübergebracht.') Von Karls Geburt, seine ganze lange Lebenszeit
hindurch bis zu seinem Tode und darüber hinaus, ist Alles mit Sage
und Mythe überkleidet. König Rother wird als Vater Pipins zu
Karl d. Gr. Ahnherrn gemacht, das Baiwarenland aber rühmt sich der
Geburtsstätte des grossen Kaisers. Mit Paris, Aachen, Varghel, Jopilla
bei Lüttich und Ingelheim, die sich alle um den Helden streiten, tritt
eine arme Mühle im stillen Waldgrunde in Nebenbuhlerschaft.
Eine halbe Stunde nördlich vom Würmsee erhebt sich am rechten
Ufer des Würmflüsschens ein in ctiesem Hügellande namhafter, in den
See mit freier Sicht hinauslugender Hügel, welcher der Karlsberg ^)
heisst und auf seinem Rücken noch die schwachen Reste früherer Wälle
und Mauern trägt. Eine halbe Stunde abwärts, in einem lieblich idylli-
schen Thaleinschnitt, steht an dessen linken Ufer die sogenannte Reis-
mühle in einer mit Erlen umzogenen Einöde. In dieser Mühle soll
nun, wie Aventin und nach ihm sogar noch Westenrieder *) unbedenk-
') Simrock: Kerlingisches Sagenbuch. 1848. S. V.
*) lieber den Griiiidplan der Burg Karlsher^ vgl. Oberbayr. Archiv. II. 402—
413. Förioger vermiithel, dass Karl seihst diese Burg erbaut und ihr den
Namen gegeben habe; von ihm ging sie wohl auf die späteren deutschen
Kaiser als Kammergut über. Mit der Sage steht sie in gar keiner näheren
Verbindung, als höchstens der Nachwirkung; hatte hier hart gewohnt und
geweilt, dann ist es auch klar, warum die Sage so gute Wurzel fassen
konnte. —
') Bayerische Geschichte. 1785. Aventin Annal. III. 294. vgl. IV. 318. Cbron.
319. — Auch Napoleon^ veranlas.st durch die Pariser Akademie, suchte den
Geburtsort Karl des Grossen auf der Reismiihle und erkundigte sich während
seines ersten Aufenthaltes zu Münclien (vom 24—28. Oktober 1805) anf das
sorgfältigste um diesen Ort. Sutner S. 94.
17
lieh glaubten, am 10. April des Jahres 742 der grosse Karl geboren
se'n. Die Geschichte, wie das zugegangen, erzählt ein höchst anziehender
Prosa -Roman aas dem XV. Jahrhundert, eine Handschrift aus dem
Mhereu Kloster Weihenstephan, *) die sich durch deutliche Abschreib-
fehler als die im Jahre 1472 gefertigte Copie eines verloren gegange-
nen Originals erweist, das jedoch wieder auf einem französischen Vorbilde
beruhte.
Wie König Pipin, damit die Heiden nicht wieder daselbst würzen
und wachsen möchten, nach 'Deutschland gezogen war und auf seiner
Burg zu Weihenstephan,') gelegen auf dem Berg bei der Stadt Freising
im Baierland, da sandt* ihm der König von Brittaia oder Kärling eine
Botschaft von seiner Tochter wegen die er ihm gerne geben wollt zu
einer Hausfrau. Da berict^h sich Pipin und sandte dem König von
Kärling sein Bildniss mit der Antwort, dass ihm der Herr auch der
Jungfrauen Gestalt gemalt sende. Das erhielt denn alsbald der Pipi-
nos und es gefiel ihm wohl und er gab seinem Hofmeister den Befehl,
das Jungfräulein ihm heimzuholen. Nun war aber der Hofmeister
ein mächtiger rother') Ritter und behauset in Schwaben und hätte-
drei Sühn und zwo Töchter und die jüngere war dem Gemahl etwas
gleich, das gedacht er zu nützen. Also bereitete sich der rothe unge-
treue, Ritter gar herrlich auf die Fahrt und ritt hin mit den Bothen
und mit seinen drei Söhnen und seiner nächsten Freundschaft, es waren
wohl sieben Ritter darunter. Und sie wurden zu Kärlingen schön em-
pfangen und ihnen grosse Ehre entboten von dem Kunig und der Kunigin
') Hersiisgegebcn von J. Chr. Frhrn. v. Aretin. München 1803. vgl. auch
Sulner m der Eos 1823. Nro. 184-86; 188-93; 194-95; dazu die
Einleitung su s. Epos. München 1835. Wolters Chronik von Bremen
im il. Theile der Script, rer. germ. von Meibomius enthält gleichralls die-
selbe Sage. Vgl. Fr. W 0 1 r Leistungen der Franzosen. 1833 S. 63. Grass e
Sagenkreise des Mittelalters. S. 289 und W. Menzel Deut. Dicht. I. 45.
Steub Das bayerische Hochland. 1860 S. SO fT.
<) Ulrich Fütrer sagt in seiner 1478 geschriebenen Erzählung über das Her-
kommen des Hauses Bayern, Pipin habe, um die Hunnen, Sachsen und
Böhmen im Zaum zu halten und der Abgölterei bei den heueroberlen Völkern
zu steuern, lange Zeit auf seinem Schlosse zu Weihenstephan gewohnt.
Brusihius und W. Hundt nennen W. ebenFalls eine Residenz des König
Pipin. — Die noch vorhandenen Gräben zeuf^en von dem grossen Umfanffe
des ehemaligen Schlosses, das schon im J. 746 zum erstenmal zerstört wurde.
Von seinem Aufenthalt in Bayern zeigen die Ortscbaften: Piping an der
WOrn bei Pasing, Pipinsried tei Altenmünster, Pipinhausen bei
FreisiBg.
') D. h. rothhaarig, womit nach miltelalteriicher und moderner Volksmein-
nor Treulosigkeit und Falschheit gekennzeichnet seien.
und von allen Fürsten und Herren des Landes, mit Essen und Trinken,
mit Tanzen, Schenken und Tmi'nieren. Das trieben sie lange acht Tag,
dann ging es an ein Scheiden. Der Eunig selbst geleitete ßeine Tochter
' mit allen seinen Fürsten and Herren einen Tag lang, dann empfohl er
sie dem falschen Hofmeister zu seiner Treue, nahm Urlaub von seiner
Tochter und ritt mit etlichen seiner Fürsten wieder heim, die andern
ritten mit ihr weiter, bis dem falschen Grafen gedäuchte, sie hätten
genug gereist mit ihm, denn es sei seines Herren .Willen, dass sie nur
auf halben Theil mit der Jungfrau ziehen und Keiner über das halbe
Ziel mit ihm reise. Da nahm jeglicher besonderen Urlaub von der
schönen Jungfrau und auch von dem falschen Grafen und empfahlen
Ihm die Jungfraq auf seine ritterliche Treue. Er gelobte ihnen das Alles,
aber sein Herz und Sinnen waren falsch; denn alsbald die Fürsten und
Herren einen Tag von ihm waren auf der Wiederheimfahrt, da sandt*
er Botschaft voraus an sein Weib. Und da er nun an die letzte Tag-
reise kam die er ihm hätt* auserjcoren zu Mühlthal — wann dieselbe
Gegniss recht eine Wildniss was und lag auch nicht auf der rechten
Strass , als man noch heute die rechte Wahrheit mag erkennen , wer
von Weyhen-Stephan gen Kärlingen oder gen Frankreich will, der zuecht
rechts für Augsburg; aber die Strasse war ihm recht und gut seine
Untreue zu vollenden — da nahm er bei Nacht der Jungfrauen das
Mahelfingerlein (Verlobnissring) und ihr Kleid und kleidet seine Tochter
damit und seiner Tochter Kleid überantwortet er zweien Knechten, dass
sie es der Jungfrauen zu dem Bett sollten tragen und sie weckten vor
Tag, dass sie das Kleid anlege, und dann sollten sie die Jungfrau in
die Wildniss führen und sie tödten und ihre Zung zum Wahrzeichen
/" bringen, und musste ihm Jeder drei Eide schwören, darum gab er ihnen
gross Gut.
*f Nun ist ein Sprichwoft — fährt der Weihenstephaner Chronist
inzwischen — wer Muth hat, der zuecht gegen die 'Höll, wer aber Ehr
und Frömmigkeit haben ^^lU, der nahm' nicht drei Königreiche, dass er
eine solche That thät. Da nun die Jungfrau mit den zwei Knechten^
sollt' vor Tage gehen, erschrack sie gar sehr, die Knechte aber
gaben ihr als gute Red, dass sie ihnen glaubte und mit ihnen gieng.
Doch graute ihr an dem Gang und sie empfahl still in ihrem Herzen
ihr Ehr und Leben dem ewigen Gott und es kam in ihren Sinn, dass
sie ihren Werkzeug mit ihr nehme, wann sie kunt gar weidlich würken.
19
Und sie nafam Gold und Seiden und auch ein kleines Hündlein folgte
ihr (mcch ganz mittelalterlicher Frauensitte) und wollt von ihr nicht
scheiden. Nun nähert sich die Scene ganz der Genovefa-Geschichte, die
Knechte lassen sich erbarmen , nur das Hündlein wird geopfert und
das mit seinem Blute getränkte und durchstochene Unterpfaidt und- die
Zunge als Währzeichen überbi'acht. ^)
Dem König Pipino aber ward des Grafen Tochter zu einem ehe-
lichen Weib an des Kunigs Tochter statt von Kärlingen gegeben , und
er hielt Hof und Wirthschaft nach kuniglicher Würdigkeit und die Frau
hätt ihn fast lieb und er sie auch hinwieder. Und sie gebahr ihm einen
Sohn, der ward Leo genannt, den Hess er zur Schul und der ward als
wohl gelehrt, dass man ihn erwählt zu einem Pabst zu Rom.') Und
sie gebar ihm noch zwei Söhne, der eine hiess Wem r mann und der
andere Rapoth und auch eine Tochter die ward genannt Agnes.**)
Da aber wurden die Heiden dem Kunig Pipino wieder gar gram und er
musste oft mit ihnen streiten und auf sie ziehen und sie zogen hinwider
auf ihn, wann Böhmen und Sachsen und Ungarland da noch als un-
gläubig was. Aber wie viel ihrer waren, so gewann er ihnen allzeit ab
und lag allweg ob.
Die königliche Jungfrau aber irrte drei Tage im Wald und ver-
meinte schon zu sterben, da fand sie einen Kohler, der gab ihr Brod
und Arbeit und da er nicht mehr im Wald zu schaffen hatte, führt
er sie zur Reismühl und befahl sie dem Müller auf seine Treue;
der gab ihr ein Kämmerlein und bereitet ihr ein Polster von Moos.
Damach zog sie ihren Werkzeug herfür und nahm ein Theil Goldes
and ein Theil Seiden, damit macht sie. schöne Pörtel (Borten) und als
sie das Gold und die Seiden gar hätt verworcht, bat sie den Müller,
^) £ine ihnliche Erzählung geht auch von ^Frau Hildegardin, Hertzog llil-
debrandls in Schwaben Tochter und Kayser Karoli Magnj Gemahlin*^. die Nie.
Frischlin dramalisch bearbeitet kat (Gödeke S. 323). Hildegard, die
Stirierin der Ahlei Kempten, sollte im Walde umgebracht werden, auch
sie halle das Glück den gedungenen Mörder zu erweichen, der anstatt ihrer
Augen die eines jungen Hundes zurückbringt, vgl. übrigens Ju.1. Zacher,
die Historie von der Pralzgrafln Genovefa. Königsberg I06O.
*) In der Kaiserchronik (Mass mann II. 343) erscheint der Pabst Leo Hl.
(795—816) gleichfalls als Bruder des Kaisers
') Nach U. Fülrer M^te diese Tochter Martona gebeissen und wäre, an
einen tbeoren Fürsten in Kurniwall verheirathet , die Mutter Rolands, dieser
Blume aller ritterlichen Ehren, geworden,
2*
2D
dass er die Pörtel sollt hingeben und ihr wieder solchen Zeug bringen,
dass sie mehr würket Das thät der Müller ihres Bittens wegen und
ging gen Augsburg ') und stund für ein reiche Kramm. Da fragt
ihn die Frau in der Kramm: guter Mann, was war dir lieb? Da
zeigt er ihr die Pörtel. Die Frau sprach: guter Mann, wie wilt du sie
geben? er sprach : liebe Frau, ich weiss nicht, wie ich's geben soll, wann
ich ein einfaltiger Mann bin , gebt mir auf euer Treu darum wes sie
werth sin, und gebt mir herwider solich Ding, da man mehr solch
Pörtel daraus mag machen. Da sprach die Frau: guter Mann du hast
mir den Kauf hoch genug gesetzt an mein Treu, gab ihm Gold und
Silber und Seiden, dass sie däucht sie hiet ihren Treuen Genüg tan, gab
ihm auch Geld zu seiner Zehrung und sprach, wann die Pörtel bereit
wären, so solle er sie Niemand zeigen, sondern ihr wieder bringen, das
gelobt er auch. Und wie er nun heim kam und der Jungfrau das Werk-
zeug gab, da ward sie gar froh und workte aber als lang bis das
Seidenwerk gar verworkt war, da bracht' der Müller abermal die Pörtel
der Frauen gen Augsburg. Die gab ihm abermal mehr Zeug und eine
gute Zehrung. Das trieb die Krammerin mit dem Müller wohl drei Jahr,
zuletzt wollte sie doch wissen, wo die Frau wäre, so die dasigen Pörtel
machet, wann man hie zu Land nit solche Arbeit könnt* würken. Das
wollte aber der Müller nit verrathen, denn es war ihm von der Jungfrau
verboten und um das wollt er die Pörtel schon zu einer anderen Kramm
tragen. Das ersah die Frau und bracht* ihn wieder zu der Kramm und
bat ihn, dass er die Pörtel Niemand anfallet denn sie; das that er auch
fürbaz und wer die Krammerin fraget von wann ihr die Pörtel kämen,
so sprach sie , man brächt* ihr*s über Meer. '0 Also ward der Müller
reich von der Jungfrauen Arbeit und die Krammerin gab desselbenmals
dem Müller etliche Gulden zu einer Zehrung; die Jungfrau aber begehrt
nit mehr davon denn ihre Nahrung und wollt auch kein bessere Kost
nit denn als der Müller ass und däucht sich auch zu keiner Arbeit nicht
zu gut und begehrt auch nit mehr, denn dass sie ihr Lebtag da sollt
0 Die ganze Sage wird auch von einer in der Nähe von Augsburg telegenen
Mühte erzählt; auf diese Scenerie würde die j^nze Geographie des Heisezugs
besser passen, auch das Geben des Müllers in diese Stadt, der vom Mühl-
Ihal am Siarnbergersee aus bis nach Augsburg doch einen elwas zu ansehn-
lichen Weg hätte.
') Ein Anklang hieran findet sich in dem ,Bu8ant^ (=7 .der Falke) in van der
Hagens Gesammt Abent. Nro. XVI., aoch da kommt die verlassene Königs-
tochter zu einer Mühle und wirkt künstliche Borten.
21
*
/
bleiben , wiewohl sie eines Kunigs Tochter war. Da nun die Jongfraa
mehr denn sieben Jahr') bei dem Müller war, fögte es sich, dass
Pipinos jagte und sich verirrte in der Wildnuss, -die dazumal von Mähl-
/thal bis gen Weihenstephan war, und er verlor zuletzt auch seinen
Jfiger und Knecht und nur «ein Arzt blieb noch bei ihm^ der war sein
Philosophus, das heisst ein Meister und Stemseher.') Endlich ersahen
sie Rauch in der Ferne und fanden den Köhler, der sie zu dem Müller
leitete,') wo sie sich för Kaufleute ausgaben. Dieser herbergte die Gäste
und bereit* ihnen ein Mahl nach dem besten so er hatte und konnte.
Aber sie mussten Wasser trinken, das thaten sie gern, da sie eine
Herberg hatten. Wie sie gegessen, da wurd sie der Müller fragen man-
cherlei, als noch oft ein Wirth thut seinen Gästen, und sie antworteten
ihm so viel sie konnten. ^)
Aber dem Herrn Pipinus gefiel des Müllers Tochter wohl und er
trieb allerlei Schimpfred mit ihr. Unterdem ging der Stemseher hinaus
und sah zufallig auch das Gestirn an : da sah er daran, dass sein Herr
heut auf die Nacht bei seiner ehelichen Hausfrau sollt liegen und die
sollt* von ihm gewinnen ein rechtes Degenkind und dasselbig Kind sollt
auch 60 mächtig werden, dass die Kuuige der Heiden und Christen
mflssten unter ihm sein. Er geht hinein und sagt das dem Herrn also
zu. Da sprach der Herr: Wie mag das gesein? ich glaub* es nit, dann
ich mag (kann) ja heut nach Weihenstephan nicht kommen. Er fragt
den Müller, ob er nit eine fremde Frau bei sich hätt? — Der Müller
laugnet und sprach: er hätt* keine. Da sprach Kunig Pipinus: Lieber
Müller, so leg deiner Töchter eine zu mir; es soll vielleicht ihrer eine
*) Ueber diese Zeilhestimmiinff vgl. Hocker Stammsagen der Hohenzollern und
Weifen. Düsseldorf 1857. S. 17 und Grimm, Recht sallerl hü mer. S. 214.
') Nach U. Fütrer heisst es, der Aslrologus sei zufällig und nicht im Dienste
des Herzogs, gleichzeitig zur Mühle gekommen, habe den König durch seine
Kunst erkannt und ihm seine Dienste angeboten.
') Hier ist die Sage schon abgeschwächt; in dem oben genannten Busant ist
es ein Hir9ch, der als weisendes Thier den Herzog zur Königstochter
leitet. Auch das nordfranzösische Gedicht des Aden es (geb. 1240), welches
Paris 1832 herausgab, hat den alten Zug, dass (wie in der Genovefasaffe)
ein Hirsch den Köniff durch die Wildniss zurBertha führt vgl. Simrock:
Hertha die Spinnerin. Frankfurt 1853. S. 144.
*) Nach Fütrefs Erzählung hätte der Müller von dem schönen Gewirk der
Jungfrau über den Tiseh gebreitet und durch die schöne Arbeit habe der
König gefragt, wer selbe gefertigt und sei so auf die ^verelende^ Jungfrau
gekommen; der Astrologus macht unterdessen allerlei judicia und complexion
aus den aspecten der Gestirne, und die Jungfrau gibt* sich zu erkenoen.
^
noch mein ehlich Weib werden, mich hat Gott heut nit umsonst zu dir
geschickt. Der Müller hört das ohne Widerred; ') dem Herrn ward ein
Bett, wie arme Leute liegen, und die ältere Tochter ward ihm zugelegt.
Der Sternseher ging hinaus und sah, dass sie nicht sein ehelich Weib\
war noch werden sollt. Auch die jüngere Tochter erweist sich nicht als
die rechte. Da stund der König wieder auf und wundert ihn von den
Dingen. Da sprach der Meister : Müller, du sollst uns die rechte Wahr-
heit sagen, ob nicht drinnen sei eine Frau oder Jungfrau verborgen?
Da sprach .der Müller zu dem Herrn, wie wohl sieben Jahr eine so
schöne Jungfrau, wie er sie mit Augen sonst nie gesehen hätte, bei ihm
war*. Da musste sie herfür gehen; dess erschrack sie so gar, dass sie
alle ihre Färb verlor. Der Herr tröstete sie und sprach : Edle Jungfrau,
erschrecket nicht so sehr, ich hoffe, ihr sollt werden mein ehelich Weib.
Er legt sich zu ihr. Der Sternseher kam bald wieder herein und sprach :
Es leit Kunigs Rind an Kunigs Arm und wird auch empfangen ein
rechtes werthes Degenkind und ist auch seine rechte eheliche Hausfrau
gewesen vor sieben Jahren. Seht zu, wie war da die kunigliche Wirth-
schaft so gar mit grosser Armuth zusammen kommen; daran war
schuldig der falsche Hofmaister, dass er des edlen Kunigs Tochter von
Kerlingen in das Elend stiess!
Und der edle Kunig Pipin hatte die Nacht mancherlei zu kosen
mit Perchten seiner edlen Frauen ; wie sie zu dem Müller kommen war'
und warum sie das Uebel nit seit geöffnet hätte? Da that sie als eine
reine Jungfrau, die keinen Mord wollt stiften aus ihrem reinen Mund.
Und musste ihr der König auch geloben, dass er die That noch lange
nicht wollt rächen. Des Morgens zeigt' ihm die edle Frau Perchte
das Mahelfingerlein , das er ihr gesendet. Da sah er die rechten
Wahrzeichen ') und halste sie und drückte sie treulich an seine
*) Ueber diese miUelalte Hiebe Ehrung der Gäste, denen mit aller Bereitwillig-
kert die eigene Frau oder die Töchter zugelegt wurden vel. K. Wein hold
Die deutschen Frauen im Mittelalter. Wien 1851. S. 393. — Der Müller
scheint keine eigene Hausfrau gehabt zu haben , wenigstens wird ihrer nir-
gends in der Sage erwähnt und auch die beiden Töchter erscheinen hier zum
erstenmale. — Der uns i^anz barbarisch scheinende Brauch wurzelt denn auch
in einer Zeit^ wo das Weih dem Germanen noch als eine Sache galt^ durch
dje man, gleich wie durch Trank oder warme Kleider dem Fremden etwas
Angenehmes erweise. Dieser Zug ist gleichFalls ein nicht unerheblicher
Fingerzeig für das hohe Alter unserer Sage. —
*) Der Chronist verstosst hier gef^en seinen eigenen Bericht; nachdem er kurz
vorher erzfiblt hatte^ der Hofmeister habe ihr auch das Mah^I6ngerlein abgo-
23
Brost. Auch zeigte sie ihm die Pörteln und auch ihr schmale^ Bett.
Pipinus aber war in Freuden und befahl, da er wollt reiten, dem Müller
seine Frau, Hess ihm und der Frauen gar eine gute Lez, befreite ihn
auch, dass er keinen Zins gab von der Mühl und gebot ihm, so die
Frau eines Kindlein genässe und es wäre ein Deg^enkind, dass man ihm
brächte den Bolz, war* es aber ein Dimlein, dass er ihm das Fin-
gerlein (Ring) brächte. Die Frau aber bat ihn, nimmer zu kommen,
bis das Kind geboren; das gelobt er und nahm liebreich Abschied von
seiner lieben Frauen. Auf dem Weg gebot er dem Meister und dem
Knecht bei seiner kuniglichen Gewalt und ihrem Leben, dass die Sach
also bleib bei ihnen verschwiegen, das gelobten sie bei ihrem Leben.
Und sie ritten aus der Wildniss und kamen zu der Burg , die jetzund
Pähl ist genannt, und am andern Tag wieder heim gen Weihenstephan.
•
Frau Perchte aber übernahm sich nicht dass sie des Landes
Kunigin war; sie worcht ihr Arbeit besser dann zuvor und wollt aiuch
nit besonders essen und des Müllers Tochter musst alle Nacht bei ihr
liegen, auch bat sie Gott emsiglich, dass sie nur lang da sollt bleiben.
Unterdessen zog die Heidenschaft wieder auf Kunig Pipinas, der
aber behielt das Feld und erschlug und fing ihrer 'Viele. Frau Per cht
genass eines Sohnes, der vom Müller, als wenn er sein Kind war,
zu der Tauf gebracht uftd nach des Vaters Geheiss Karel genannt
ward; der Müller nahm den Bolz und bracht ihn dem König Pipino
und erhielt gut Botenbrod und Geld genug. König Pipin bekam in
Frankreich Krieg und zog dann in solchen Händeln drei Jahr lang in
Hispanien um, vergass aber seines rechten Gemahls nit, sondern sandte
den Meister heimlich zu ihr auf Botschaft. — Ein Hauch, wie aus
der Zeit wo der Heljand gedichtet wurde, liegt über dem Jugendleben
Karls; acht deutsch ist es, wie das Degenkind als Rosshüter und mit
den Knaben, die des Viehes auf dem Felde hüteten, aufivächst. Bald
ist er als der Oberste unter ihnen angesehen und Richter über einen
jungen Dieb, den er verurtheilt an offener Strasse mit dem Hals
an einen Baum gebunden zu werden. Das ürtheil gefiel ihnen Allen
nommen, so wäre die Königsiochter jelzt nicht im Stande selbes dem König
KU zeigen. Im Geffentheil wird auch in der ältesten Fassung der Sa^e das
gleich erwähnte „Wahrzeiihen*' die Hauptsache ffewesen sein, nämlich der
breite Fuss, der Schwanenfuss der göttlichen Jungfrau, vgl. die spätere
AusfOhrung.
24
wohl und Einer unter ihnen bog einen kleinen Baum und band ihn mit
dem Zaum, den der Missethäter gestohlen hatte, an den Gipfel, ohne
jedoch dessen Tod zu wollen, da sprang ein weisser Haas hervor
und dem jagten die Kinder nach. Wie sie aber wieder zurückkamen,
da war der Knabe erhängt.') Der Knab war eines bösen Mannes und
der wollte die anderen Knaben auch darum tödten; sie legten aber
alle Schuld auf Karl. Da nun der Müller dess inne ward, führt er.
Karolum gen Pähl auf die Burg zu einem Edelmaim, der Edelmann
fing den Bauern und hielt ihn als lang im Gefängnisse bis dass er dem
Müller und dem Knaben gern gut6n Frieden gab. Karl blieb auf
der Burg und gewann auch hier bald das Recht in einem lächerlichen
Handel; der Ritter hatte nämlich für jedes Halsen (Umhalsen), das
ihm seine Freundin gewährte, ihr einen Bifang') aus seinen Hüben und
Höfen verschrieben und darüber schon längst sein ganzes Gut verloren.
Karl entscheidet, sie solle ihre Bifänge nur nehmen, aber den Grund
und Boden nicht berühren, denn davon stehe nichts in dem gesiegelten
Briefe; da sie das nicht vermag, so ist auch ihr Anspruch verloren.
Die vordem noch rathlosen Richter wundem sich über die Weisheit des
zehnjährigen Knaben und brachten die Rede vor den König. Karl kam
darauf an den königlichen Hof und diente daselbst dem Herren, aber'
der Hofmeister und die Königin waren ihm fast gram. Das verstund
der König wohl und mochte das Uebel nicht länger verschweigen, berief
also alle Fürsten und Herren zu einem Rath, dazu auch den Hofmeister
mit seinen Söhnen. Hier legte er ohne die betroffenen Personen zu
nennen , die ganze Geschichte dar mit der Frage , was einem Diener,
der seinen Herren also betrüge, gebühre. Und der König fragte zuerst
den älteren Sohn des Hofmeisters. Der sprach: Gnädiger Kunigl'hebt
das Ürtheil an einen weisern, denn ich bin. Pipinus aber erwiderte:
ich hab* an dir angefangen, darum frag* ich keinen Anderen vor dir.
Da sprach der Ritter: So sprech ich auf meinen Eid, ein solcher Mann
ist nicht werth, dass ihn die Sonne überscheine; oder, dass er in dem
Erdreich faulen soll, oder dass er in dem Weg liege. Man soll ihn
binden einem Rosse an den Schwanz und schleifen aus der
Stadt und ihn verbrennen. — Da frug der König auch den jüngeren .
*) Ohne historischen Hintergrund auch in Schwabeq erzählt, vgl Birfinger
und Bück. Volksthümliches. 1861. I. 279.
') mbd. bi-vanc, das zwischen zwei Furchen eingefangene Ackerbetl.
25
Sohn. Auch der sprach: bei meinies Bruders Urtheil bleib ich. Er
fragte fQrbass und so viel als er fragte, die nrtheileten Alle das eme
Urtheil. Der falsche Mann gestand sein Verbrechen, aber all Bitten
und Vorsprach verhalfen ihm nicht, es masste sein, wie sein eigener
Sohn am erstenmal geurtheilt hatte, also that man ihm. Und die Frau
liess der Kunig vermauern, die Kinder aber, die er davon hatte,
die blieben bei ihm nach dem Recht, das den Kindern zugehört Dar-
nach ritt Kunig Pipinus mit allen seinen Fürsten und Herren zu dem
Muller und hiess ihm seine Frau Per cht überantworten und Zeigte den
Herren da ihre Kammer und Bette und führte sie selbst heim gen
Weihenstephan und hatte da ^ine königliche Wirthschaft mit seiner
rechten Frauen. Da ward Karl erst inne, dass König Pipin sein Vater
wäre; er hätte zuvor geschworen, es wäre der Müller sein Vater ge-
wesen. Er übernahm sich auch nicht, dass er des Königes Sohn war
und that gar schön gegen seine Brüder. Die Königin gebar noch einen
Sohn, den nannte der König Karelmonio. Sieben Jahre darauf aber
heimete Gott den Kunig Pipin zu seiner Gnade. Da klagte die liebe
Frau Perchta ihren lieben Herrn so sehr, dass sie auch liegerhaft
ward und lange siech lag. Und da der König starb,, war Karl 17 Jahre
altO ö. s. w.
Eine mit dem Weihenstephaner Chronisten beinahe gleichzeitige
Fassung dieser Sage steht auch in einer ans dem Kloster Seeon stam-
menden Handschrift der Münchner Hof bibliothek ') als Bestandtheil einer
bis zum Jahre 1469 reichenden Chronik der Kaiser und Päbste, pro-
saisch nach Enenkel, Heinrich von München und Stricker. Auch Ulrich
Fütrer (auf dessen poetische Thätigkeit wir später zurückkommen
werden) erzählt die Sage in seiner ziemlich ungeschlachten Weise mit
einigen wenigen Abweichungen.
Im Ganzen liegt ein Mythus zu Grunde. Schon der Umstand, dass
diese Historie überall verbreitet ist und ebenso in Frankreich, wie in
Italien, nur mit jedesmal veränderter Scenerie und anderer Localisirung
vorkommt, lässt darauf schliessen. Es ist der alte Mjrthus yon der
strahlenprächtigen Frau Perchta,^) die obwohl zur dienenden Magd
') Pipin starii 76S als Karl 26 Jahre zfihlte. Bertha f 783.
') Cod. germ. 259. vgl. Föringer Oherbajr. Archiv. II. 409
'; Berla =^ die strahlende. Roth Beitr. I. 201.
26
erniedrigt, doch m ihrem £leiid das Göttliche nicht völlig abgestreift
hat an4 durch ihre Schönheit und darch ihre kunstvolle Arbeit wieder
zu Ehren kommt. Noch lange erinnerte sich das Volk der vertrauten
alten Göttermutter, iaher das Sprichwort ^von der alten guten Zeit, in
der noch Bertha spann. ^ Da aber jede Erinnerung an die alten Gott-
heiten von der Kirche verboten war, übertrug man sie auf geschicht-
liche Personen. Daher spiegelt sie sich in der angeblichen Geburtsstätte
Karl des Grossen; hinter seine Geschichte barg sich der reine heid-
nische Mythus. Sonst hat sie auch einen grossen Fuss als Spinnerin,
das ist als das eigentliche ^Wahrzeichen^ in unserer Fassung schon
verwischt, aber ihre Kunstfertigkeit erweist sie als Wirkerin von Borten.
Sie ist die Himmelsgöttin und Erdmuttet, welche mit Frau Holla zu-
sammenfällt, sie ist zugleich die weisse Frau der Karolinger. Eine
bedeutungsreiche Siebenzahl von Jahren verbringt sie in der Einöde, an
dem lustigen Wässerlein, wo sie haust, wie im Königssee gleich
einer Schwanjungfrau, arm und unscheinbar für die sie umgebenden
Menschen, nur dem Kundigen ist sie in ihrem wahren Wesen erkennbar.
Die , Himmelskönigin finden wir hier in ihrer zeitweiligen Degradation
noch als irdische Königin, ihre göttliche Kunst ist in Bortenweberei
übergegangen. Später sank sie noch mehr herab zum Kinderschreck
und Popanz, wie sie auch als wilde Frau mit zottigen Haaren erscheint,
die faule Spinnerinnen züchtigt, indem sie ihnen den Flachs am Rocken
zerzaust, den Leib aufschneidet und mit Heckerling füllt und mit einer
Pflugschar statt der Nadel und einer Kette statt des Zwirnes den
Schaden wieder zuflickt. ')
So ist denn der schwere Streit, den die Historiker lange gekämpft,
wohl für immer entschieden, wir aber haben nichts dabei verloren,
sondern eines der schönsten Frauenbilder der Mythologie für unsere
Baiwaren dadurch gewonnen. Aber noch andere Sagen gingen von Karl.
Er sei ein Riese gewesen, versichert gleichfalls der Weihenstephaner
Chronist, er habe zehn Schuh in der Höhe gemessen und seine Brust
sei eine Elle breit gewesen. Unzweifelhaft galt früher die reckenhafte
Bezeichnung auch von ihm, von einer Augenbraue bis zur andern sei
eine Spanne und lieber noch mehr Zwischenraum gewesen. Auch wollte
man wissen, er habe allein vier Pferdlasten getragen, dafür aber auch
i)*Grimiii Deut. Sagen. I. S. 359. W. Menzel Deut. Dichtung. I. 146.
27
bei jeder Mahlzeit einen ganzen Hasen oder zwei Gänse geschlungen,
des Tages über aber nur dreimalen Wasser mit Wein gemischt, ge-
trunken. 0 Femer ging die Rede, Gott selbst habe ihm zum Kampfe
gegen die Heiden das Schwert „Trunkhart" und das Hörn „Olifant"
durch einen Engel vom Himmel geschickt,') mit dem Auftrag, beides
an Roland zu geben, der durch die Kraft dieser Waffen alle
Feinde betäuben und besiegen und auch nicht eher sterben
würde, als bis er den Tod selbst begehrte. Wir gehen auf keinen
Fall zu weit, wenn wir in Wahrheit Odins eigenes Schwert und das
Gjallarhorn darunter vermuthen. Karl macht auch einen fabelhaften
Ritt, zwar nicht durch die Luft auf dem göttlichen Sie ipnir, hier ist
die Mythe bereits ?jahm geworden, doch ist die Strecke von Ungarn bis
Aachen fiir eine dreitägige Fahrt zu Ross immer noch verdächtig genug.
Zehn Jahre treibt er sich gegen die Heidenschaft um, da sollte Karls
Gemahlin, die ihn todt glaubte, eine neue Ehe eingehen mit dem König
von Engelland;') aber Gott sendete einen Engel an Karl, der ihm die
Bedrängniss seiner Hausfrau verkündet und ihn zugleich belehrt, wie er
die 115 Rasten bis in sein Land noch vor der Hochzeit zurücklegen
könne. Karl , nicht an Gottes Wunder zweifelnd , thut wie der Engel
irebietet Am nächsten Morgen kaufte er von seinem Schreiber dessen
starkes Pferd, sass sogleich auf und es tJhig ihn in einer Tagreise aus
der Bulgarei über Feld, Moor und Haide, bis zur Stadt Rab; am fol-
genden Tage, noch bei Sonnenschein, erreichte er Passau (Pazzauwe),
fand dort den bezeichneten Wirth, der ihn freundlich aufnahm; als am
Abend das Vieh heim kam, lief auch ein schönes Ross in den Hof;
Karl ergriff es bei der Mähne und verlangte es von dem Wuthe. Dieser
wendet ein, es wäre noch zu jung und ungebändigt ; Karl aber bestand
') Aretln S. 82 ff.
*) Das gesthah zu Regensburg; wo heute die sog. Gelübdsäule auf der
sof. Predigt sieht, hat ein Engel dem Kaiser das Sehwert überreicht. Er
erfocht damit einen grossen Sieg, doch fielen ihm aui-h gegenüber den un-
zählbaren Heiden an 30^000 Ritter^ die in einem HtJ^el, dem Siegberg,,
bestallet wurden. Die Stadt feierte das Gedächtniss der Schlacht alljährlich
am Namenstage des nie canonisirten , vom Volke aber immer als heilig be-
handelten Kaisers durch einen (erst zur Reformationszeil abgeschafften) Gottes-
dienst in der sog. Weihsanktpetercapelle (deren Erbauung dem Kaiser
zugeschrieben wurde, an ihrer Steile gründeten die Schotten a. 1075 ihr
Kloster), der von 1451 an im Nieder-Münster abgehalten wurde, vgl. Histor.
Verein der Oberpfalz. 1845. IX. S. 17.
• •) Aretin S. 85 Jans Enenkel (ein Wiener t c. 1250) in seinem Welt-
bnch. vgl. van der Hagen Gesammt Abent. II. 615 ff. Grimm Deutsche
Sagen II. 105 ff. Massmann Kaiserchronik. IH 1032.
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darauf. Der Wirth überliess es ihm gern f&r viele Grojdstücke, oben-
drein bot ihm Karl sein bisher gerittenes Pferd zum Leikauf. ') Am
dritten Morgen früh bestieg Karl das junge Ross und es trug ihn den-
selben Tag bis vor seine Burg zu Aachen, wo überall bereits in den
Strassen schon Sang und Klang, Tanzen und Springen die morgige Feier
verkünden. Karl übernachtet heimlich und setzt sich am frühesten Tage
auf seinen Königsstuhl im Dome, wo er anfanglich fär ein Gespenst
gehalten, dann aber, freudig empfangen wird.
Dessgleichen erzählte man von einem unheimlichen Liebeszauber,
der ihn an die Leiche seiner Frau band, bis ein Bischof den Zauber
aus ihrem Munde nahm, worauf die Leiche zusammenfiel.^) Da Karl
so strenges Recht übte, das Jeder durch das Läuten einer Glocke an-
sprechen konnte, so soll sogar einst eine Natter davon Gebrauch gemacht
haben, die um den Klöpfel sich schlingend, ihn bewegte; als man ihr
zu dem Neste folgte, lag breit über ihren Eiern eine Kröte, an welcher
der Kaiser das Naturrecht vollziehen und selbe spiessen liess. ^) Wir
übergehen die duftige Sage von Emma und Eginhard, obwohl sie in's
heutige Bayern hereinspielt. — Karls ganzes Leben ist ein Märchen,
'Alles verwebt mit Träumen, Engeln und Reliquienwundern; selbst das
Unmögliche wird ihm möglich, seine grossartigsten Projecte hielt das
Volk fiir ausgemacht und vollendet, wie denn lange Zeit die vielleicht
nicht unrichtige Meinung fest stand, der Kaiser habe wirklich im Jahre
793 von Regensburg aus, durch das Altmühlthal nach Wirzburg die
Fahrt gemacht und zwar in einem Schiffe, welches stellenweise ge- '
tragen werden musste. ^) Karl wurde eine Art Artus, umgeben von
einer zwölfzähligen Äsen - Tafelrunde mit dem Rolandsrecken an der
Spitze , ') dessen Waffen und Hörn wir als unzweifelhaftes Göttergut
1) Aufgeld über den bedungenen Preis, zum Vertrinken
*) Vgl. Keller Karlmeinel v. 317 21 und K. Bartsch Karlmeine^ ein Bei-
trag zur Karlsage. Nürnberg 1861 S. 43.
') Nach der ältesten Fassung im 111. B. der Millheilunffen der antiquar. Gesell-
schaft zu Züriih. 1846. v. d. Hugen Ges. Abent. 11. 637 ff.
*) Ritler von Lang im Jabreshericht des hislor. Vereins in Retzalkreis für
1830 und Inland 1831. S. 158 ff. - Das ganze HUtelalter hindurch blieb
diese Miniaturcopie desSnezkanal unvergessen, Crusius besuchte die vesli-
gia der Graben, und Pastorius wusste im Anfang des vorigen Jahrhun-
derts gleichfalls davon. (Franconia rediv. 1702. S. 375.)
^) Sehr lehrreich hiefür ist der Carl des Strickers, ein über 12,000 Verse«
umfassendes Gedicht, welches K. Bartsch Leipzig 1857 herausffeff eben hat
und das sich in drei Hand5chrinen auf der Münchner Bibliothek befindet.
29
erklärt haben. Zuletzt ist er noch, wie der verwünschte Gott, in den
Untersberg entrückt, da sitst er schlafend, wie sie ihn za Aachen
in*s Grab gesetzt, mit der goldenen Krone auf dem Haupt und dem
Scepter in der Hand ^ebenso wie im Brunnen auf der Feste zuNüm-
^f S) ') Qod sein Bart ist um den Tisch gewachsen ; hat er die letzte
Ecke zum drittenmale erreicht, so tritt das Ende der Welt cfin. Schon
Viele haben ihn dort nickend, wie im schweren Traume, gesehen, lieber-
haupt ist es dort herum nicht geheuer, es ist eine alte heilige Cukus-
Stätte, auch wilde'Frauen haben sich nach dem glaubwürdigen
Brixner- Volksbuch') in den Höhlen angesiedelt, Zwerge treiben daselbst
ihren Spuck und selbst Riesen wurden gesehen, wie das alte Mänder
im Jahre 1645 unzweifelhaft erlebt und beglaubigt haben. Das Merk-
würdigste ist aber die Relation des LazarusAizner, Stadtschreiber
zu Reichenhall, der im Jahre 1529 selbst sieben Tage lang im Unters-
berg verweilt haben will. ') Er schildert das Innere , wie eine Mont-
salvaz-Kirche, als einen grossen Dom mit 200 Altären und 30 Orgßln,
wo alle Tageszeiten und verschiedene Gottesdienste von den Bergmön-
chen und einer grossen Masse unterirdischen Volkes abgehalten werden.
Zwölf Gänge fähren unterirdisch hinüber unter dem Königssee nach
nach St. Barthlme, ^) auf Salzburg in die Domkirche, wo von den
Geistern mittemächtiger Gottesdienst gehalten inrd und viele Zeugen
noch leben, die den Dom nächtlicher Weile beleuchtet gesehen haben,
item Herr Lazarus Aizner mit seinem Begleiter bald von dem Messner
erwischt worden wären, hätten sie sich nicht rechtzeitig noch hinter
den Stühlen bei der grossen Orgel durch die Mauern unter die Erde
salviert, von wannen sie eingegangen. Auf gleiche Weise gehen die
Wege, so breit, dass immer drei und drei neben einander wandern
können, nach Reichenhall und Feldkirchen, auf die Gemein, Seekirchen,
') Grimm Deut. Sagen. I. 2a Schönwerth III. d5a
*) Der volIsISndige Tilel dieses merkwürdigen, bereits von den Gebrfidern
Grimm in ihren y,Deut8rhen Saffen" ausgebeuteten Büchleins lautet: Sagen
der Vorzeit , oder ausführliche Beschreibung von dem berühmten Salzburgi-
schen Untersberg oder Wunderberg. Wie solche Lazarus Gitschner (Aizner)^
ein Trommer Bauersmann von der Pfarr Berghaim, vor seinem Tod seinem
Sohn Johann Gilschner in Gegenwart mehrerer geistlichen und weltlichen
Personen geofTenbaret, und dieses alles nach seinem Tod bey vorgenommener
Inventur schriftlich vorgefunden worden. Brixen, im Jahre 1782. 40 S. kl. 8^.
') Massmann gibt dessen Bericht iu s Ba irischen Sagen (München 1831.
S. 42 tr.) nach einer Handschrift d(^ XVII Jahrh.
^ „Da 8|)rach der Mönch im Gehen zu mir: Schau Lazarus, jelzo gehen
wir tief unter dem See.^
80
•
St. Maximiliao, auf St. Michael in die Insel, St Zeno, auf Traunstein
gen Egg, nach St Peter und Paul ' bei Hajl und St. Dionysien. Allemal
mündet der Weg hinter dem Altar in der Kirche, wo sie Metten singen
und wieder zurückkehren. Fünfmal sieben Jahre lang aber musste der
Berichterstatter schweigen und nur dem Pfarrherm durfte er unterdessen
die Sach* anzeigen und aufschreiben, wie er auch that, auf ein grosses
Pergamen. Natürlich sah er den Kaiser und der dabei erhaltene
Faustschlag, der ihm sein Lebenlang verspürbar blieb, ist ein sicheres
Rechtsalterthum , sich die Majestät gehörig einzubläuen und von allem
weiteren Vorwitz zu lassen. Auch hat ihm der Mönch in der grossen
Bücherei unterschiedliche uralte Schriften aufgeschlagen, die von den
nachfolgenden Zeiten sagen und der brave Schreiber hat Altes wohl in
seinem Haupt behalten und niedergeschrieben und die Yorhersagungen
trafen alle zu und werden es nochthun, wenn nur die Jahrzahlen
nicht trügen und richtig sind.') — Am Walserfeld steht ein dürrer
Birnbaum, wenn der zu grünen anhebt, dann wird bald eine gräuliche
Schlacht geschehen, wie sie schon im Muspilli angedeutet und dem
Weltuntergange vorausgeht ; sie währt drei Tage, wobei den Streitenden
das Blut bis an die Knie reicht; ein Baiwarenfärst aber wird siegreioh
kommen und sein Wappenschild an den Baum hängen. Man hat ihn
schon dreimal umgehauen, aber inuner schlug seine Wurzel wieder
aus, ') zuletzt blühte er wirklich nach dem Bericht der Augenzeugen im
Jahre 1848. — Dasselbe aber erzäiilen schon Johannes von Monte-
villa aus dem Thale Josaphat und unser Johannes Schiltberger
gleichfalls. Die Sage, in einer viel ursprünglicheren Fassung existirt auch
in der Oberpfalz,'} wo sie ganz im Mittelpunkt der Mythe erschebt
*) Auch darf nicht vergessen werden^ dass Lazarus Aizner neben dem
Kaiser Karl auch den ^Kaiser Fried er ich, wie er einstens von dem
Walserberg verzückt worden ist^ und noch andere Herren und Fürsten sieht,
als den Herzog Alb recht von Bayern und seine Hausfrau, den Erz-
bischof Leonhard von Keutschach zu Salzburg, den Herrn Prälaten von St.
Peter und Probsien zu St. Zeno n. s w.
*) Aehnliches auch im klassischen Allerthiim. vgl. Lasaul x Philosophie der
Geschichte 1856. S. 118 ff*.
') Schönwerth. Ul. 319. — Zur Zeit des Barthel Regenbogen war die
Sage schon auf Kaiser Friedrich über^egannfen: sein viertes Lied im grauen
Ton erzahlt, wie der Kaiser ohne Schwertstreich das hl Grab gewinnt und
seinen Sehild an den dürren Baum hangt, der fortan grünet: das ist, laut
der Sibyllendichtung, der aus dem Paradiese stammende Baum, welclier sich
nicht in Salomons Tempelbau fügen wollte und zurückgelegt, zum Kreuzes-^
stamm wurde, an welchem neues ewiges Leben blühte, v. d. Hagen
MS. IV. 637 —
81
Daneben gingen aus Karls Zeit noch andere Sagen, so berichtet
z. B. Crusius (iii seiner schwäbischen Chronik I. 330): Einst kam
Karl d. 6r. anf sein Schloss bei Kempten zu seiner Gemahlin Hild-
gard. Als sie nun über Tisch sassen und Mancherlei von der Vorfahren
Regierung redeten, während ihre Söhne Pipin, Carl und Ludwig daneben
Stauden, hub Pipin an und sprach: Mutter, wenn einmal der Vater
im Himmel ist, werde ich dann König? Carl aber wandte sich zum
Vater und sagte: Nicht Pipin, sondern ich folge dir nach im Reich.
Ludwig aber, der jüngste, bat beide Eltern, dass sie ihn doch möchten
König werden lassen. Als die Kinder so stritten, sprach die Königin:
Eueren Zwist wollen wir bald ausmachen ; geht hinab in das Dorf und
jeder lasse sich eineu Hahn von den Bauern geben. Die Kui^ben stiegen
die Burg hinab mit ihrem Lehrmeister und den übrigen Schülern und
holten die Hähne. Hierauf sagte Hildgard: nun las st die Hähne
mit einander kämpfen, wessen Hahn im Kampfe siegt, der soll
König werden! Die Vögel stritten und Ludwigs Hahn überwand die
beiden anderen. Und Ludwig erlangte auch wirklich nach seines Vaters
Tode die Herrschaft. (Grimm Deut. Sagen. IL 104.)
Doch fehlt es uns nicht an ausdrücklichen Zeugnissen, dass solche
Kunden auch gesungen wurden. Im Jahre 905, unter der Regentschaft
Ludwig des Kindes, trug sich die Geschichte zu mit dem Grafen A dal-
bert von Babenberg. Dieser hatte einen Bruder des Königs er-
schlagen und wurde nun in seiner Burg belagert, aber lange vergeblich,
bis er durch die List des Erzbischof Hatte von Mainz zu Falle kam.
Von dieser Untreue des Hatto hörte man, wie Otto von Freising erzählt,
lange noch auf allen Kreuzwegen und Malstätten vor dem
Volke singen. Andere Sagen sind mit den Liedern verschollen, wie
die von Erbo*s Wisent-Jagd, die vom Spielzeug der Fahrenden klangen«
Andere haben sich nur in Prosaauflösung durch die Gunst irgend eines
Chronisten erhalten. So hatte König Heinrich der Finkler einen getreuen
Recken, Namens Kuno, der aus königlichem Geblüte stammte und, wenn
auch klein von Gestalt, doch gross an Herz und Muth sich erwies.
Dieses winzigen Aussehens wegen gab man ihm den Namen Kurzbold
(Curzibolt-Dänroling) ; er war aber gar kühn, erschlug einen Löwen und
wurde so berühmt, dass das Volk von ihm sagte und sang. Der
St Galler Eckehart schrieb, von ihm gebe es viele Sagen und
Lieder (vulgo concinnatur et canitur), aber er liess die Erzählung der
\
32
Begebenheiten aus, weil zu seiner Zeit (zweite Hälfte des XI. Jahrh.)
die Lieder zu allgemein bekannt waren.
Ein schönes Spiegelbild alter Ritterlichkeit und ächter deutscher
Treue ist die Geschichte des Heinrich von Kempten, die den Poeten
willkommenen Stoff bot. Wir erzählen sie hier, obwohl uns nur die
spätere Bearbeitung durch Konrad von Wirzburg erhalten ist *)
Der mächtige Kaiser Otto (unter welchem offenbar der Erste seines
Namens gemeint ist) hatte einen schönen langen Bart, den er sorgfältig
pflegte (er zöch in vil zarte) und was er bei dem Barte geschwur, das
war unwiederruflich. Er hatte ^roetelehtez har" und sein Gremfithe war
böse und hart, wer etwas wider ihn that, dem wurde ohne Gnade der
Tod geschworen. Einst feierte er auf der schönen Veste zu Baben-
berg das Osterfest, zu welchem viele geistliche und T^eltliche Fürsten
und Mannen kamen. Am Ostertage, während der Messe, wurden die
Tische bereitet, Trinkgefässe hingesetzt (manik schoene trinkvaz) und
Brode aufgelegt. Nun war hier auch ein wonniglicher Knabe, der Sohn
und Erbe des Herzogs von Schwaben; der zarte Knabe ging um die
Tische und nahm in seine blanken Hände ein lindes Brod, um es zu
essen, wie Kinder pflegen. Das gewahrte der jähzornige Truchsess des
Kaisers, er lief auf den Knaben zu und schlug mit seinem Stabe den
jungen Herzog, dass er niederstürzte und ihm Scheitel und Haar von
dem rothen Blute nass wurden. Das ersah der mannliche Ritter Hein-
rich von Kempten, der Zuchtmeister des jungen Herren, den er
väterlich liebte und hergeleitet hatte : er gerieth in Zorn und schalt den
Truchsess , dass er so unritterlich eines edlen Fürsten Frucht schlage.
Der Truchsess trotzte auf sein Amt, er fürchte ihn so wenig als der
Habicht das Huhn. Da ergriff Heinrich einen Stecken und schlug ihm
den Scheitel ein, wie ein Ei, dass er wie ein Topf der in Scherben geht,
umkugelte. Nun kam der Kaiser, sass zu Tische und sah das frische
Blut auf dem Estrich ; zoniig vernahm er die That und verurtheilte den
Ritter, der die Ehre des kaiserlichep Hofes zerbrochen, zum Tode.
Heinrich entschuldigte sich und bat, den österlichen Tag und die hohe
Versammlung durch Gnade an ihm zu ehren. Der rothe Kaiser aber
') Die Gescbichle erzählt Crusius, Königslioven und noch die Cölner
Chrqnik von 1499. Conrad von Wirzhurg brachte sie in zierliche
Verse und zwar fiir den Herrn von Tiersherg, Domprobst zu Strassburg.
Heransiregeben von K A. Hahn 1838 und in v. d. Hagens Gei. Abent. I
63 - 83. (Frei benrbeilH wurde die Dichtung in neuerer Zeit von A L.
Folien.)
33
schwur ihm mit grimmen Herzen den Tod bei seinem rothen Barte. Nun
wusste Heinrich, wie es Init dem Eide stand, wollte sich aber sein
Leben wehren, sprang also zu dem Kaiser, ergriff ihn bei seinem langen .
Barte, zog ihn über den Tisch, dass alle Speisen niedergerissen wurden,
dem Kaiser die Krone in das Palas C^aal) fiel und er vieler Haare
beraubt wurde, warf den Kaiser unter sich, zuckte ein scharfes Messer
von der Seite, würgte ihn am Halse (Kragen) und setzte es ihm mit
dem Verlangen um Widerruf und Sicherheit an die Kehle. Er würgte
ihn, dass er nicht sprechen komite. Zwar sprangen die Fürsten schnell
auf, dem zum Tode gefährdeten Kaiser beizustehen: Heinrich aber
drohte diesem sogleich den Tod, wenn ihn Einer nur zu berühren wage.
Der Kaiser winkte ihnen, dass sie Alle hinwegtraten und der unverzagte
Heinrich zwang den Kaiser, dass er mit aufgehobenem Finger und^bei
kaiserlicher Ehre gelobte, ihn unverletzt fahren zu lassen. Da liess ihn
Heinrich los. Als der Kaiser wieder auf seinem reichen Stuhle sass,
strich er Haar und Bart und gebot Herrn Heinrich, dem er nur Leib
und Leben geschenkt hatte, sogleich sich von hinnen zu heben (nu stri-
chet iuwer straze) und ihm nie mehr unter die Augen zu kommen ; ihr
habt „vil harte an mir geunvuoget,^ er brauche keinen solchen Scheer-
meister, der ihm Haut und Haar unsanfte ausgerissen. — Heinrich
kehrte heim gen Schwaben , wo er ein reiches Lehen mit Aeckem,
Wiesen und Feldern von dem Abte zu Kempten als Dienstmann hatte,
(v. 1 — 391.) — Darnach über zehn Jahren geschah es, dass der Kaiser
„eins grozen urHuges** pflog jenseit des Gebirges vor einer Stadt, so
lange, dass es ihm an Leuten fehlte und er daher alle Lehensmänner
des deutschen Reiches schnelle nach Apulien entbot. So ward auch 'dem
Abt von Kempten ein Bote gesandt, der nun alle seine Djenstmannen
entbot und auch Herrn Heinrich kommen liess, der sich jedoch wegen
der kaiserlichen Ungnade weigerte und dafür seine beide Söhne senden
wollte; der Abt aber wollte seiner nicht entbehren und drohte ihm mit
Entziehung des Lehen; da gehorchte Herr Heinrich und zog Kühnlich
öber's Gebirge zu der belagerten Stadt Dort mied er jedoch des Kaisers
Angesicht und schlug seine Hütte etwas seitab von dem Heere. Während
er sich eines Tages in einem Zuber badete, sah er, wie ein.Theil der
Bürger aus der Stadt dem Kaiser entgegenstapfte, um mit ihm zu
„teidingen,** *) ihm aber einen Hinterhalt legten, um den Kaiser zu er-
') Teidioiren, toge»dingen, einen Tag zu einer Verhandlung anberaumen; ver-
handeln, unterhandeln, Obereinkommen.
3
u
sclilagen. Da liess er ^ baden nnde twahen,** sprang aus dem Zuber,
•
nahm seinen Schild von der Wand und ein gutes Schwert und lief, bloss
' wie er war, dem Kaiser zu Hülfe : zerhaute und zerhackte die Feinde,
schlug Viele todt und machte Alle flüchtig. Dann aber lief er wieder
in das Bad, setzte sich nieder und badete wicf zuvor. Der Kaiser
rannte in das Lager zurück, sass zoniig im Zelt und frug nach seinem
nackten Retter, den er hoch rühmte und kaiserlich lohnen wollte. Alle
aber stunden ^sumeliche^ und wollten ihn nicht nennen, bis ihm der
Kaiser seine Schuld verziehen. Da verschwor sich der Kaiser, ihm
gnädig zu sein, selbst wenn er seinen Vater erschlagen hätte. Nun
nannten sie ihm auch den Heinrich' von Kempten und der Kaiser er-
kannte, dass nur der Held, der einst seinen Bart raufte, jetzo nackt
so tapfer für ihn streiten mochte; er gab ihm seine Huld, doch wollte
er ihn vorerst noch erschrecken. Er liess ihn sogleich holen und frug
ihn ^zornecklichen** wie er sich unterstünde, ihm unter die Augen zu
konimei]^ Heinrich entschuldigte sich durch das Gebot seines Lehens-
herrn und betheuerte, dass er dem ungern gefolgt sei. Da lachte der
Kaiser, dankte ihm laut sein Leben, sprang auf, küsste ihn und gab
ihm reiches Lehen zu seiner Huld : So erwarb sich der kühne Held un-
vergänglichen Ruhm und Reichthum (v. 392 — 764). —
Sehr viele Städte haben ihre Riesen- und Heldensage. So
ist das ^Goliath-Haus"') zu Regensburg der uralte Zeuge eines in
biblisches Gewand verkleideten Riesenkampfes und Hans Dollinger
ist ein gleicher liedergepriesener Recke,') und selbst ein Schuster findet
sich unter den Kämpen, der zu L a u i n g e n schweren Streit und Arbeit
so rühmlich ausgefochten, dass sein Angedenken später noch in mäch-
tiger Bilderschrift an dem merkwürdigen Thurme verewigt ist, ^) Zur
Zeit, als die Heiden bis nach Schwaben vorgedrungen waren, rückte
ihnen der Kaiser mit seinem Heere entgegen und lagerte sich unweit
der Donau zwischen Lauingen und dem Schlosse Fainiiugen. Nach meh-
reren vergeblichen Kämpfen kamen endlich beide Partheien überein, den
Streit durch einen Zweikampf entscheiden zu lassen. Der Kaiser wählte
den Marschall von Calatin (Pappenheim) zu seinem Kämpfer, der den
') Schuegraf: Das Goliath-Haus zu Regensburg. 1840.
') Sein .n Wappen^ ist ein Straus ein Hufeisen im Schnabel hallend, vgl. Be-
. Schreibung des bayer. Kreises. 1703. S. 233.
') Dieser sog. Honhurm wurde im J. 1478 durch den damaligen Sladtpfleger
Imhof erbfluf. vgl. (Hitlermayr) Sagenbuch der Städte Laningen u. s. w.
35
Auftrag freudig überDahm und nachsann , wie er den Sieg gewiss er-
ringen möchte. Indem trat ein unbekannter Mann zu ihjn und sprach:
Was sinnest du? ich sage dir, dass du nicht für den Kaiser fechten
sollst, sondern ein Schuster aus H^nfwil (später Lauingen) ist dazu
ausersehen. Der Galatin versetzte: Wer bist du? wie dürfte ich die
Ehre dieses Kampfes von mir ablehnen? Ich bin St. Georg, Christi
Held, sprach der Unbekannte, und zum Wahrzeichen nimm meinen
Däumling. So sprechend zog er den Daumen ans der Handund
gab ihn dem Marschall, welcher ungesäumt damit zqm Kaiser ging und
den ganzen Vorfall erzählte. Hierauf wurde befohlen, dass der Schuster
gegen den Heiden streiten sollte. Detr Schuster übernahm es und be-
siegte glücklich den Feind. Da gab ihm der Kaiser die Wahl drei
Gnaden sich auszubitten. Der Schuster bat erstens um eine Wiese in
der Nähe von Lauingen , dass diese der Stadt als Gemeingut gegeben
werde; zweitens, dass die Stadt mit rothem Wachs siegeln dürfe,')
drittens dass die Herren von Calatin eine Möhrin als Helmkleinod
führen dürften. Alles wurde ihm bewilligt und der Daumen St. Georgs
sorgfältig von den Pappenheimern aufbewahrt, die eine Hälfte in Gold
gefasst zu Kaisheim, die andere zu Pappenheim.
Bekanntlich verfasste die sächsische Nonne Hrotsvitha ein lateini-
sches künstliches Carmen zum Ruhme Kaiser Otto L, daneben aber gab
es überall viele Volks- und Soldatenlieder (um 970, Muratori
m. 690), die den Wiederhersteller des Reiches lobten und priesen.
Seine Heldenthaten, namentlich gegen die Ungarn, welche er für immer
in die Gränzen i^arl des Grossen zurückschlug, frischten die alten
Heldenlieder und Sagen der Völkerwanderung und älterer Zeit auf, ins-
besondere die Nibelungen, die sein Freund Bischof Pilgerim von
Passau, offenbar nicht ohne Nebenabsicht, abfassen liess. • Bevor wir
aber darauf eingehen, müssen wir noch die Weifen sage in's Auge
fassen, die bedeutungsvoll nach Bayern hereinspielt.
Als älteste Spur derselben erscheint die Erzählung des Paul War-
nefried (1. 15), dass ein böses Weib sieben Söhne geboren und selbe
in einen Teich geworfen habe. Wie nun zufallig der Langobardenkönig
') Nach Reisach (Neaburger Taschenbuch f. 1808. S. 317) erbat der Sieger
dBS Haupt des Riesen oder Mohren zum Stadtwappen; das älteste Si^ill,
welches erhalten ist, stammt vom Jahre 1270 und könnte nach der Abbild-
BQg in Reisach'i Taschenbuch eher für einen Christuskopf im byzantinischen
Style gellen.
3«
36
Agelmand vorübergegangen und seine Lanze hineingehalten, da griff
'eines der Kinder mit voller Kraft darnach, wurde vom König heraus-
gezogen , nach dem triefenden Schlamm Lamisso genani^t und erzogen.
Das war ein Knabe. Als er herangewachsen, kam «r mit dem König
an einen Fluss, dessen üebergang die Amazonen verwehrten. Den Streit
sollte ein Zweikampf entscheiden und Lamisso warf sich von der einen,
eine tapfere Amazone von der anderen Seite in den Fluss und beide
kämpften schwimmend. Aber Lamisso siegte und wurde später selbst
König. — Ausgebildet dagegen erscheint die Sage schon bei Crusius*)
und bei weitem näher gerückt. Da war ein Graf zu Altdorf und Ravens-
burg in Schwaben, der hiess Warin, sein Sohn Isenbart, Irmen-
trut aber dessen Gemahlin. Es geschah, dass ein armes Weib unweit
Altdorf drei Kindleiu auf einmal zur Welt brachte, das erachtete Irmen-
trut für unmöglich und schmähte die Ehre der armen Frau öffentlich
vor ihrem Herrn und Gemahl : diese Ehebrecherin verdiene nicht anders,
als in einen Sack gesteckt und ertränkt zu werden. Nun aber geschah's,
dass ein Jahr darauf die Gräfin selbst, als ihr Gemahl eben ausgezogen
war, zwölf Kindlein, eitel Knaben, gebar. Zitternd und zagend, dass
man sie ihres eigenen früheren Redens gemäss, des Ehebruchs zeihen
könne, befahl sig der Kellnerin, die andern elfe (denn das zwölfte
behielt sie) in den nächsten Bach zu tragen und zu ersäufen. Indem
nun die Alte diese eilf unschuldigen Knäblein in ein grosses Becken
gefasst, in den vorbeifiiessenden Bach, die Scherz genannt, tragen
woUte, schickte es Gott, dass der Isenbart selber heimkam und die
Alte frug, was sie da trüge? Diese antwortete: es wären Weife, d. h.
junge Händlein. Lass schauen, sprach der Graf, ob mir einige zur
Zucht gefallen, die ich hernach ziehen will. Ei, Ihr habt Hunde genug,
meinte die Alte und weigerte sich, ihr möchtet ein Grauen nehmen,
sähet ihr einen solchen Wust und Unlust von Hunden. Allein der Graf
Hess nicht ab und zwang sie hart, die Kinder zu blossen und zu zeigen.
Da er nun die elf Kindlein erblickte, wiewohl klein, doch -von adlicher,
schöner Gestalt und Art, frug er heftig und geschwind : wess die Kinder
wären. Und als die alte Frau bekannte und ihn des ganzen Handels
verständigte, wie dass nämlich die Kindlein seinem Gemahl zustünden,
auch aus was Ursach sie hätten umgebracht werden sollen, befahl der
Graf diese Weifen einem reichen Müller der Gegend, welcher 3ie auf-
') Grimm Deut. Sagen 11. 233 ff. and Grfisse Sagenkreis des Mittelalters.
S. 74 flr.
37
ziehen sollte und gebot der Alten ernstlich, dass sie wiederum zu ihrer
Frau ohne Furcht und Scheu gehen und nichts anderes sagen sollte,
als: ihr Befehl sei ausgerichtet und vollzogen worden. Sechs Jahre
hernach liess der Graf die elf Knaben , adelich geputzt und geziert in
sein Schloss, da jetzt das Kloster Weingarten steht, bringen, lud seine
Freundschaft zu Gaste und machte sich, fröhlich. Wie das Mahl schier
vollendet war, hiess er aber die elf Kinder, alle roth gekleidet, ein-
führen; und Alle waren dem Zwölften, den die Gräfin behalten hatte,
an Farbe, Gliedern, Gestalt und Grösse so gleich, dass man eigentlich
sehen konnte, wie sie von einem Vater und einer Mutter stammen. Da
frug der Graf feierlich : was doch ein Weib, .die so herrlicher Knaben
elfe umbringen wollen, för einen Tod verschulde. Machtlos fiel die Frau
dem Grafen zu Füssen und flehte jämmerlich um Gnade und da auch
die Anderen für sie baten, so verzieh der Fürst ihrer Einfalt und kind-
lichen Unschuld^ aus der sie das Verbrechen begangen hätte. Dei* Graf
aber ordnete zuin ewigen Gedächtniss, dass seine Nachkommen sich
flirder nicht mehr Grafen zu Altdorf, sondern Weifen und sein Stamm
der Weifen Stamm heissen sollten. — Ganz genau kehrt die Sage im
bayerischen Walde wieder, nur mit einer Sechszahl von Kindern, auf
der bei Regen gelegenen Veste Weissenstein, daher stamme, heisst
es, das Geschlecht derOrafen von Hund. — Die Dodekalogie ist allein
das Mythische an dieser Sage, *) die übrigen^ offenbar von späterer,
acht volksthümlicher Fassung zeigt. Andere berichten : der Vorfahre
dieses Geschlechts habe sich an des Kaisers Hof aufgehalten, als er von
seiner Gattin, die eines Söhnleins genass, zurückgerufen wurde. D» sagte
der Kaiser scherzweise: Was eilst du um eines Weifen willen, der
dir geboren is^? Der Ritter antwortete: weil nun der Kaiser dem Kind
einen Namen gegeben, solle das gelten und bat ihn, es zur Taufe zu
halten, was auch geschah. — Eine andere Weifensage wird von Herzog
Balthasar von Schwaben erzählt, der ein Töchterlein Herzog Albans
voü München zur ^rau hatte und da sie in 14 Jahren kein Kind ge-
wonnen , den Sohn eines Jägers unterschob. ')
Eine weitere Weifensage ist die von Heinrich und seinem gül-
denen Wagen.') Zu Zeiten König Ludwigs von Frankreich lebte in
*) S im rock Mythologie. S. 194. '
*) Grimm IL 237 nach Lirer's schwäb. Chronilc.
«) Ibid. n. 238.
88
Schwaben Eticho der Weif, ein reicher Herr, und seine Gemahlin war
Jadith, eine Königstochter ans Frankreich. Eticho war so reich und
stolz, dass er einen goldenen Wagen im Sohilde führte und sein Land
weder von Kaiser noch König in Lehen nehmen wollte, verbot das auch
seinem Sohne. Dieser aber, dessen Schwester dem Kaiser Ludwig dem
Frommen vermählt war, Hess siclr einmal von derselben bereden , dass
er dem Kaiser ein Land abforderte und bat, ihm so viel zu verleihen,
als er mit einem güldenen Wagen in einem Vormittage
umfahren könne in Bayern. Das geschah. Ludwig aber traute
ihm nicht solchen Reichthum zu, dass er einen güldenen Wagen ver-
möchte. Da hatte , Heinrich immer frische Pferde und umfuhr einen
grossen Fleck Landes und hatte ein goldenes Wägelchen in den Busen
gesteckt. Also ward er des Kaisers Mann. Darob erzürnt, nahm der
alte Vater ajwölf Edelleute zu sich, ging wie König Herlaug (in der
Sage Harald des Schönhaarigen) in einen Berg und blieb darinen und
vermachte das Loch , dass ihn Niemand finden konnte. Das geschah
bei dem Scherenzerewald, darin verhärmte er sich mit den zwölf Edel-
leuten. (Perz Mon. VH. 76L) — Diese Art und Weise der Lan-
deserwerbung kehrt häufig anderwärts wieder, z. B., wie ein hungernder
Sachse sein Grold an einen Thüringer um einen Rock voll Erde verkauft
(Grimm deut. Sagen H. 65), wie Remigius das Land umgeht, während
der Frankenkönig Ghlodowig schläft und der Wette gemäss eine grosse
Strecke zu seinem Eigenthume gewinnt (ib. H. 78), wie der Spielmann,
welcher den Kaiser Karl nach Italien geführt hat, so viel Landes verlangt,
so weit der Schall seines Hernes gehört werden kann. (ib. II. 111 ff.|
Aehnliche Kunde geht auch von dem Augustinerkloster Wettenhau-
sen (zwischen Ulm und Augsburg). Es wurde 982 von zwei Brüdern,
Oonrad und Wernher, Grafen von Rochenstain oder vielmehr von ihrer
Mutter Grertrud gestiftet. Diese verlangte und erhielt von ihren Söhnen
so viel Landes zur Erbauung einer hl. Stätte, als sie innerhalb eines
Tages umpflügen könnte« Dann schaffte sie einen ganz kleinen Pflug,
barg ihn im Kleide und umritt dergestalt das Gebiet, welches dem
Kloster sonach gehörte. — Der goldene Wagen oder der Pflug*)
gemahnt an den Wagen des Frö oder der Nerthus, denen die Wagen,
Schiff und Pflug der Holda, Bertha, Isis und Nehalennia zur Seite
stehen. — In einer Variante der Sage heisst es, Heinrich habe so viel
') S im rock Mythologie. S. 399.
88
I
Laodes verlangt, als. er zur Mittagszeit, während der Kaiser schlafe,
mit einem goldenen Pfluge umziehen könne; er habe sich darauf
einen goldenen Pflng machen lassen und selben im Gewände geborgen;
mit immer frisch gewechselten Pferden durchjagte er eine grosse Strecke.
Sein Vater aber hatte sich mit der sagenhaften Zwöifzahl seiner Ge-
nossen in einen fierg begeben, habe alle Zugänge versperrt und sei da
bis an sein Lebensende (c. 910) verblieben. Der Scherenzerewald wäre
vielleicht in der Nähe von Etal zu suchen, dqpn der Bericht setzt
hinzu: später habe einer seiner Nachfolger, um Gewissheit dieser Kunde
zu erlangen, die Gräber auf dem Gebirg suchen und die Todtengcbeine
ausgraben lassen. Darunter aber könnte kein anderer als Kaiser Lud-
wig der Bayer verstanden sein, der bei Gründung seines Klosters Etal
auffallend viele menschliche Gebeine fand. Da er nun die Wahrheit
völlig daran erkannt hatte, dass hier Etichos und seiner Genossen
letzte Rast, Hess er an dem Ort eine Gapelle bauen und sie da zusam-
men bestatten. ') — Eticho, Edica sind nach Grimm (Gesch. der deut.
Sprache S. 327) alte Ausdrucke für Heisshunger und der Hunger kaim
als Hund, Weif und Wolf gedacht worden sein. Auf Eticho aber muss
sich eine alte Kunde von der Herrschaft seiner Ahnen über das Reich
der Unterwelt und des Todes übertragen haben; bei seinem Sohne finden
wir den Gregensatz, die Einwirkung auf das* Leben, die dem nordischen
Freyr CErö) zustand. Wir glauben nicht zu irren, sagt Hocker, ') wenn
wir annehmen, dass sich der Name der Weifen von ihrer Beziehung
zur Unterwelt herleite. Alles Glück und aller Segen ist durch die
Fruchtbarkeit des Welfengeschlechtes, sinnbildlich durch die vielen Kin-
der oder die jungen Qnnde, ausgedrückt.
Ein weiteres Glied der Weifensage ist der Schwanenritter, der
auch bei uns vorkommt, zwar ohne Namen, ahei^ auf der Burg von
Hohenschwangan, auf der einst Weifen, Staufer und Schyren hausten.
Die Sage bei Schöppner') stimmt mit jener von Cleve ganz überein.^)
') Daisenberger Oberbayr. Archiv. XX. 59 fr.— Eine Ableitung des Namens
Etal von Mons Ettonis, worunter eben dieser Etbo oder Ethiko gemeint
sein solle, ist unstatthaft.
') Stammsagen. der Hohenzollern. 1857. S. 49.
') Bayer. Sagenbuch. Nro, 478. I. 188 und Quitzmann Heidenthum. S. 83.
*) Den Stoff hat auch Conrad von Wirzburg poetisch liearbeitet; er lässt
den Zweikampf unter den Augen Karl d. Gr. vollzogen werden und führt
so in anderer Fassung die Schwanensage in den Kreis Karl des Grossen ein.
vgl. Grimm^ altdeutsche Wälder. IH. 49-96. Grimm deut. Sagen IL 312
and J. W. Wolf niederländische Sagen. Leipzig 1843. S. 88,
40
Bayern, Schwaben, Franken und Hessen besassen dieselbe Sage und
im baiwarischen Frankenlande wie im alten Lande der Ghattuarier
begegnen uns ihre Spuren, unvergänglichen Ephenranken gleich, die
sich an einen gewaltigen Thurm heften. Ueberall ist ein aus dem
Wasser gekommener Stammlfeld der Kern der Sage, der Wald und der
Berg vertreten nur das Wasser, den Urquell alles Lebens, wie die jun-
gen Weifen und Hunde auch wieder durch die im Wasser lebenden
Kinder mit den Schwanenringen ersetzt werden. Beide sind mythoh)-
gisch eins. ')
•
Mit dem Schwanenritter auPs engste verwandt und gleichfalls ein
Erbgut der Weifen, ist die Sage von der weissen Frau, jenem
unheimlich gewordenen Wesen, das in allen Farben fast an jeglichem
Hofe und in allen grössei:en Familien, in alten Burgen und Schlössern
spuckt. Panzer und Schönwerth haben genügende Belege darüber
gesammelt und Kuhn') und Hocker') selbe hinreichend beleuchtet,
dass wir es hier auch mit einem ursprünglich heidnischen Mythus zu
thun haben, dem das Christenthum nur einige äusserliche Formen ge-
liehen, den es aber nicht vollständig in seinem Sinne umzugestalten
vermochte.
Nachdem wir also die frühesten Reste der priesterlichen Poesie,
in ihrem theils christlichen, theils heidnischem Gewandt, geschildert und
die frühesten Erinnerungen besprochen haben, die noch in der Tradition
des- Volkes umgehen und entweder in wirklichen Liedern und poetischen
in späterer Zeit dann umgewandelten Formen oder in chronikalen Prosa-
auflösungen und Nacherzählungen auf uns gekommen sind — wenden
wir uns nun zum Verlaufe der eigentlichen Dichtung unseres Mittelalters.
*) Den mythischen Hintergrund der Schwanrittersa^e hat W.Müller in Pfeiffers
Germania 1856. I. 418 — 410 treffend nachgewiesen, lieber die Schwanen-
sage vgl. weiter van der Hagen in den Abhandf. der Berliner Akademie
1846. S. 564 ff:
>) In Mannhardts Zeitschrift f. deut. Mythologie. 1855. 10. 368—92
') Stammsagen der Hohenzollern und Weifen. Düsseldorf 1857.
Erstes ßuch.
Episotie Dich.timg'.
Die klösterlich-lateinisclie Dichtung.
Die bis jetzt erwähnten Denkmäler hatten grösstentheils noch sehr
wenige kunstvollendete Form; was uns erhalten blieb, verdankt, viel-
leicht einzig nur mit Ausnahme des Otfried, seine Existenz mehr oder
minder dem Zufall, der sie aus dem Gehör nachschrieb. Es ist das
volksthümliche Singen und jSagen, was oft in seinem wirklichen Costüm,
öfter aber nur in prosaischer Auflösung und chronikalen Reminiscenzen
oder in späterer poetischer Fassung uns überliefert wurde. Waren diese
Lieder alle an die mündliche Tradition gebunden, so tritt uns hier die
von Gelehrten gepflegte Dichtung entgegen, welche bereits in eine kunst-
vollere Form gebannt ist und welche nicht mehr durch Gesang und
melodischen Vortrag weitergetragen wird, sondern an die Schrift und
das Lesen gebunden ist.
Hier ist es vielleicht am Platze, vorerst etwas weniges über unsere
älteste Schrift und das Schreibmateriale zu sagen. Schon in den frühe-
sten Zeiten war eine Buchstabenschrift bekannt; sie war kein Geheim-
niss der Priester, sondern wurde nur durch die Unbekanntschafl der
Menge damit zu einer heimlichen Kunst. Das waren die Runen. Si^
wurden ebensowohl fiir bleibende Aufzeichnungen , Rechtsbestimmungen
und Briefe verwendet , wie zur Erforschung des Willen der Grötter und
zur Weissagung. Das dabei übliche Verfahren hat Tacitus mit anschau-
licher Deutlichkeit geschildert. Man nahm Zweigstücke von einem
fruchttragenden Baum (und zu den fruchttragenden Bäumen gehörte auch
die Buche), versah sie mit gewissen Zeichen, streute sie aufs Gerade-
wohl über den Boden und deutete die aufgelesenen Zweige, jenen Zeichen
gemäss. Wu* haben hier Buchstaben im engsten Sinne des Wortes,
die Stäbe einer Buche , die eine gewisse Bedeutung in sich tragen : 0
^) Diese Erklärung der Buchstaben gab van der Hagen (in Büschinffs Er-
lihlungen des Mittelalters 1814. I. 347) in einer Anmerkung zu .«einer Üeber-
selxung der Edda-Lieder, vgl. ferner Altdeutsche Wälder. 1813. S. 143.
44
nur so erklärt sich dieses Wort; nur so der gothische und altnordische
Stabs, stafs (littera), das hochdeutsche Buch ; nur aus jenem Einritzen
der Zeichen erläutern sich die alten und heimischen Benennungen meljan
und writan, pur aus dem Hinwerfen der Stäbe das nlittel- und neuhoch-
deutsche entwerfen, d. h., zeichnen; aus dem Aufheben derselben das
noch gebrauchte lesen.*) Man legte die Zeichen aus, wie sie nach
und .nach aufgelesen wurden, indem man entweder ein Wort aus ihnen
bildete oder den Namen eines Buchstaben in Bezug auf den fraglichen
Gegenstand brachte. — Der alte Brauch hat sich erhalten, zwar, nur
als Kinderspiel und gar zu Pressburg, aber bei einer aus Bayern
eingewanderten Bevölkerung! Wie unsere Vorfahren im Ernste um die
dunkle Zukunft zu befragen , Zweigstücke gespalten , die Rinde mit
gewissen Zeichen versahen, dann sie ausgestreut, aufgelesen und jenen
Zeichen gemäss gedeutet haben, so machen es die Kinder in Pressburg
Wieselburg und bis Komom hinab noch, und loosen sich auf solche
Art zum Kaiser, Gefreiten und Gemeinen. Auch sind die dabei übli-
chen kauderwälschen Sprüche bemerkenswerlh. J. Schröer, einer der
eifrigsten Vorkämpfer deutschen Wesens in Ungarn, fand dort einzig nur
bei einer Bevölkerung bayerischen Ursprungs diesen Brauch, der sich
indess weder in Altbayem, noch auch Tirol oder Oesterreich ') bis jetzt
zeigen wollte — ein neuer Fingerzeig und Beleg, wie unendlich Vieles
im Volksleben begründet, geborgen und erhalten ist aus altehrwürdiger
Vorzeit. — Von der alten Runenschrift selbst sind uns nur spärliche
Reste überkommen, einige in Holz geschnittene gleichseitige Runenstäbe,
die vielleicht als traditionelles Symbol richterlicher Herrschaft noch
lange nachgeahmt wurden, ''^) dazu einige Pergamenthandschriften, wie
jene »aus Tegernsee und Regensburg ^) und die im germanischen Mu-
seum zu Nürnberg aufbewahrten nicht unansehnlichen Denkmäler; die
gothische Schrift bejiielt nur zwei Zeichen derselben bei, auch im Wes-
sesbrunner Gebet steht noch eine einsame Rune ; mehrere Steininschrif-
ten und kostbare Balken sind in der Oberpfalz erst vor kmzer Zeit zu
Grunde gegangen ; die Haus- und Hofmarken, die seltsamen Steinmetzen-
') Golh. mdijan, schreiben, von mel Buchstabe, PI. imela Schrift. Altaichs.
Angels. writan, AUhd. rfzan, Altnord, rita reissen, ritzen, schreiben. Ahd.
riz Bachstabe. Wir gebrauchen jetzt reissen und Riss vom Zeichnen, wie
malen schon im Althochdeutschen und schrtben im MHtelhochdeut. auch
pingere ist vgl. W. Wackernagel Lit. Gesch. S. 12.
») J. Schröer in Wolfs Zeitschr. II. 187 ff.
') Eia sehr merkwürdiges Exemplar dieser Art hat sich in das )Vittelsbacber
Museum gerettet.
^) In einer iiS. aus dem YIII. Jahrb. vgl. W. Grimm, Runen. 1821. S 111
und Lauth Runea Fudark. Mönchen 1857. S. 40 ff. u. 45 ff.
45
seichen an Werken der Skulptur, noch mehr aber manche Kribeskrabes
der Hexenzeit und Amuletenziffer bilden den letzten sinnlosen Nachhall
der alten Zeichensprache.
Die iremden Aiönche und Jünger des hl. Benedict brachten andere
Sprache und andere Schrift zu uns, die lateinische. JMan schrieb nicht
mehr auf Stein oder Holz, sondern auf Pergament; doch zeigt die
Nachricht des Othlonus, wie er in Tegernsee das Schreiben erst auf
Wachstafeln lernen musste, dass man mit dem Pergament, das nur
zu kostbaren Werken verwendet wurde, sehr sparsam umging. Es stand
hoch im Preise und wurde mit Silber aufgewogen , auch galt dieses
Material statt Silber bei zu leistenden Zahlungen. So schrieb man nur
auf, was wirklich ein Recht zum Bleiben hatte und auch dieses musste im
Falle der Noth wieder weichen und Besserem Platz machen. Man- griff
dann zu dem traurigen Mittel, ältere Handschriften wieder abzukratzen.
Solch' ein codex rescriptus ist das älteste Todtenbuch, das Mortilogium,
aus Tegernsee; auf jeder Seite desselben bemerkt man die früheren
Schriftzüge und Zeichffungen , welche abgerieben wurden,' über ihnen
hat dann eine spätere Hand die Todtenliste eingetragen. Meginhalm
ermahnt seine Schwestern, dem hl. Quirin den gehörigen Zins zu reichen,
er vergleicht das Pergament geradezu mit Silber! Um ein Messbuch
gab man gerne ein gross Stück Landes : Wiesen, Weinberge und Wald.
Da die Mönche; besonders die zu Tegernsee, häufig um Gopien ihrer
Handschriften «angegangen wurden, so galt es mit dem kostbaren Ma-
terial zu sparen upd keines zu verzetteln. Auch die Dinte (atramen-
tüm) war ein theuerer Artikel; als die Tegemseer das Glück hatten,
durch ein weiteres Ingredienz einen neuen Saft zu erfinden, wurden sie
von allen Seiten um Dinte -bestürmt, auch wurde der schüchterne Ver-
such gemacht, selbe zu entlehnen und geliehen zu erhalten! Wie rar
überhaupt das ganze Mittelalter hindurch dieses Fabrikat blieb, zeigen
die Klagen Petrarca^s, der in der Mitte des XV. Jahrh. erst nach vieler
Mühe zu Lüttich so viel Dinte auftreiben konnte, als er zum Ab-
schreiben eines dort aufgefundenen Manuscriptes benöthigt war. ') Be-
trachtet man, diese Schwierigkeiten , so wird man erst recht von Dank
eifüllt für die Opfer, welche die Mönche mit den Copien der alten
Klassiker gebracht haben. - Schon unter Herzog Theodo wurden zu
St. Emeram viele Bücher abgeschrieben und prächtig gebunden. Die
fränkische Prinzess Gisela (Kysila) welche im VIU. Jahrh. zu Kochel
den Schleier nahm, war nicht allein des Lesens und Schreibens kundig,
sondern brachte selbst einundzwanzig Handschriften mit und unterhielt
■) S. Günthner Gesch. der lit. AnstaUen in Bayern. 1810. I. 239 u. 363.
46
daza noch mit forstlicher Generosität za Benedictbeaem (unter Abi
Waldram) eigene Gopisten, deren Namen and Bücher ans noch erhalten
sind, es waren die capellani Engilhard, Kadold, Hrotpert, Raoholf und
Tracholf. B^nedictbenern besass schon im VIII. und IX. Jahrh. eine
unvergleichliche, ja die kostbarste und reichhaltigste Bibliothek in Bayern.
So kam es denn durch die fleissigen Mühen und den vielseitigen
Tauschverkehr, dass das Studium der Alten schon am Ende des
X. Jahrh. wieder durchgedrungen hatte, dass man die Klassiker las um
ihrer Schönheit willen und dass man sie nachahmte, so gut es eben
ging. Zu Wessesbrunn las man damals schon den Homer; Nieder-
alteich gelangte bald zu einem literarischen Rufe, Wolfold errichtete
zu Benediotbeuern eine weitere Schule fQr die talentvollen Kinder
der armen Leibeigenen, Ebersberg besass an Gnmpo einen in der
klassischen Literatur wohl erfahrenen Mann; unter den Domschnlen
glänzte jene £rchanbert*s zu Freising, ebenso das nahe Weihen-
stephan und St. Em er am zu Regensburg. Die Verdi^ste det Klö-
ster Teg^rnsee nnd Scheyern hat J. v. Hefner in zwei höchst
interessanten Abhandlungen ausfuhrlich beleuchtet')
Auch die hohen Herren, die Kaiser und Könige setzten sich oft
noch in ihren alten Tagen an den Schreibtisch. Karl der Grosse
plackte sich und schrieb grosszügige Buchstaben. Otto L erlernte
nach dem Tode seiner Gemahlin Edgid nothdürftig das Lesen. Weiter
kam Heinrich III. Die Bücherei zu Tegemsee hatte allgemach unter
den Aebten Gosbert, Godhart (t 1038), Beringer, Burkhard (1013—17),
Ellinger (1019 — 56) und Seyfried (t 1068) so ansehnlich sich ver-
mehrt, dass man im Jahre 1054 eine ganze eigene kleine Bibliothek
an Kaiser Heinrich lU. als Geschenk senden konnte — und unter diesen
Büchern waren sogar viele mit silbernen und goldenen Buchstaben ge-
schrieben und die Einbände ganz unvergleichliche Prachtexemplare von
getriebenem Goldblech, mit Steinen, Perlen und Elfenbein-Skulpturen
besetzt! Auch Kaiser Friedrich I. machte eine grosse Bücherbestellong
zu Tegemsee , weil er gar Rühmliches von der vorzüglichen Geschick-
lichkeit der. Mönche gehört hatte. Die Codices aber mussten noch
immer hoch im Preise stehen, das lehrt z, B. der Umstand, dass der
Mönch Ulrich von Benediotbeuern im Jahre 1074 erst mit Erlaubnis.«
des Abtes Ratmund und des ganzen Convents ein Messbuch an einen
Grafen von Botzen für einen umfangreichen Weinberg vertauschte. ') —
Eine Menge Handschriften wurden entweder von Frauen abgeschrieben
*) Jos. V. Hefner im Oberbayr. Archiv I. ß.
>) Die UrkHDfle m den Mon. Boic VII. i)2. Obcrb. Arch. III. 315.
4?
oder doch im Auftrage derselben uud blieben uns einzig durch ihre
Liebe, Sorgfalt und ihren Fleiss erhalten. Abgesehen von den schrift-
stellerischen Frauen, wie z. B. die Heidenheimer Nonne, jene berühmte
Ungenannte, welche das Leben des hl. Willibald verfasste^ so gab es
eigene Schönschreiberinnen, die nicht allein Schulmeisterdienste verrich-
teten, ') sondern auch mit eiserner Beharrlichkeit und anerkennenswerthet
Aufopferung ihr ganzes Leben hinter dem Schreibtische verblieben. Ein
röhrendes Bild eines so thätigen Schaffens bietet die arme Klausnerin
Diemud in Wessesbrunn. ') Ihre Lebenszeit fällt in die Jahre 1067
bis 1130.. Sie war in froher Jugend schon in das Kloster zu Wesses-
brunn gekommen und lebte daselbst trotz ihrer schwächlichen Körper-
constitution (wie die Erhebung ihrer Gebeine im vorigen Jahrhundert
bewies) nach der strengsten Anachoretenregel als Eingeschlossene (in-
clusa), bei fortwährendem Fasten, die Woche drei Tage bei Wasser
and Brod (Fleisch und Wein kam nie ftber ihre Lippen) unter Gebet
and die Feder in der Hand. Als sie nach diesem kümmerlichen Leben
hochbetagt starb, hatte sie eine ganze Bibliothek von Abschriften an-
gefertigt, mehr als vierzig Werke. Davon viele von bedeutendem Um-
fange, die leider zum grösseren Theile verloren gegangen; der uns erhal-
tene Rest zeigt von einer nicht genug zu rühmenden Sorgfalt, sowohl
was die Schönheit der Charaktere, als was die Reinheit und Zierlich-
keit der Ausfuhrung anbelangt. Dazu hatte sie auch von ihrer ver-
mauerten Zelle aus einen ausgebreiteten Briefwechsel geführt und war
mit den bedeutendsten Männern ihrer Zeit in literarischer Verbindung
gestanden. Das Kloster wusste den Werth der von ihr gefertigten
Handschriften zu schätzen ,' nur drei derselben wurden in der Folgezeit
veräussert. Eine Bibel, die sie geschrieben hatte, wurde ftir ein Land-
gut am Peissenberg vertauscht, ein Missale erhielt der Bischof von
Trier, ein anderes der Bischof von Augsburg, eine C!opie der Briefe des
hl. Hieronymus waren werthvoll genug, um in Zeiten der Noth an das
Kloster 3tambs verpfändet zu werden, von wo der Band nicht mehr
zurückkam. Der hohe Preis für Handschriften hielt sich bis zur Er-
findung der Buchdruckerkunst, welche den Werth der Codices so herun-
terdrückte, dass Abt Konrad V. (mit dem Beinamen der Ayrenschmalz,
der berühmte Klostervisitator f 1492) 420 Handschriften um 1100
Pfund Pfennige für sein Kloster Tegemsee erwerben konnte. Mit der
Bttchdmckerei kam aber auch ein Zeitalter der Barbarei über die armen
') Der II. Band des grossen Hefa er- Alte neckischen Traclitenwerkes zeigt
drei Bilder, worauf Frauen dargestellt sind, wie sie das Lesen lehren, vgl.
auch Weinhold Die deutschen Frauen im MitlelalCer. 1851. S. 91 ff.
') J. T Hefner im Oberb. Arch. I. 335—74.
48
alten Mönchsschriften, sie wurden unbarmherzig zerschnitten und trotz
der schönsten Initialen und des kalligraphischen Schmuckes häufig zum
Einbinden der neuesten t3rpographischen Erzeugnisse verwendet Auf
solche Art ging ein gut Theil der vieljAhrigen Mühen unserer guten
Diemud in Trümmer, auch das köstliche Gredicht der Tegernseer
Froumut und vieles Atidere, das unersetzbar und f&r inmaer. verloren
ist Das Pergament hatte schon früher durch Erfindung des Lumpen-
papiers seinen Werth verloren; die Brüder Frick und Hanns
Holbein zu Ravensburg hatten zu Anfang des XIV. Jahrh. die erste
Papiermühle etablirt und sich dadurch Reichthümer gesan^nelt; die
erste auf Papier ausgestellte Urkunde datirt vom Jahre 1301 und
wurde zu Kaufbeuem gefunden; der Ri^hm, die neue Entdeckung in
Bayern cultivirt zu haben, fällt auf unsere ehemalige Vorstadt Au, wo
bereits 1347 eine Papiermühle in Thätigkeit war, ') indess Nürnberg
erst 1390 «ine solche errichtete, nachdem das Leinenpapier in Spanien
und Italien (1360) schon bekannt geworden wkr. •
Die Sprache des zerfallenen Römerreiches hatte als i&s Organ der
abendländischen Kirche einen neuen Aufschwung gewonnen. Da in der
Folge die fränkische Staatsform sich an die römische anschloss, so
blieb das Latein^ auch zum politischen Verkehr unumgänglich noth-
wendig. Durch Karl des Grossen Fürsorge gewann die Literatur schon
seit dem Ausgange des VIII. Jahrh. nach und nach eine solche Aus-
dehnung, dass der rege Geist, der vom IX. bis XII. Jahrh. die Mönche,
Aebte und Schulen belebte, unsere innige Dankbarkeit verdient. Ohne
den Eifer jener Zeiten für die weitläufigen Zweige der Wissenschaften,
wären die meisten Werke der römischen Autoren für uns verloren und
die Geschichte jener Periodeh selbst würde für uns im Dunkel liegen.
Dass die Literatur damals bloss in eleu Händen der Geistlichen lag,
ist ganz natürlich, da kein anderer Stand Bildung besass, um sich um
solche Dinge zu kümmern; so waren die Klöster die Asyle der Kunst,
Wissenschaft und Kultur.
Eine nach allen Seiten hin durchgreifende Aufnahme der alten
Autoren war freilich nicht möglich, weil die Theologie noch ihre Durch-
bildung erforderte, dann aber, weil auch die Werke fehlten und die
Böcher schwer zugänglich waren. Man hielt nur einige fest, wie Virgil,
Horaz, Ovid, Lucan und Terenz; für Andere legte man Lesebücher
und Encyclopädien an. Die Klosterschulen wurden nach dem Muster
der alten römischen Schulen angelegt. Die Republik hatte Redner
') Lipowsky Gesch. der Vor^tiidl Au 1816 S 6.
49
gebraacht, desshalb wurden Rhetorik, Grammatik und Philosophie gelehrt
: — Ein weiterer Umstand, der die lateinische Sprache als die herr-
schende erhielt, war, dass die meisten Mönche aus Italien oder Eng-
land kamen , und nur durch fleissiges Zuhorchen and Niederschreiben
des Grehörten (wodurch wir ihnen die vielen Glossen verdanken, die
uns über unsere älteste Sprache Aufschluss geben) in den Stand gesetzt
wurden, die vorgefundene Rede des Einheimischen zu erlernen und zu
cultiviren. Mochte auch Mancher der Fremden noch so gdt Deutsch
verstehen, so blieben ihm doch die kauderwelschen Mundarten ein
Räthsel, gerade so, wie wir z. B. den in der Hollentau Qblichßn Jargon
kaum mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu erfassen vermögen.
Wollten also die Geistlichen die ererbte wissenschaftliche Cultur nicht
aufgeben und zur Unmündigkeit des Volkes herabsinken, so mussten
sie, wie 'ein moderner Historiker treflfend bemerkt, ') nothwendig die
lateinische Sprache beibehalten und es konnte ihnen keine andere x\uf-
gabe gestellt werden, als die, aus der Volkssprache allmählig eine
Schriftsprache zu entwickeln, welche reich genug wäre, jene von aussen
übertragene Bildung aufzunehmen. Und es ist wirklich erstaunlich, mit
welchem Fleisse die guten Mönche an die alten Autoren sich geklam-
mert haben, wenn man bedenkt, wie müheselig es war, Handschriften
zu erwerben und abzuschreiben , wie häufig bloss die Erlaubniss , eine
Copie anfertigen zu dürfen, mit dem Opfer anderer Codices bedingt
wurde. Die sprechendsten Zeugen, was in jenen Zeiträumen von den
Geistlichen, Mönchen und Nonnen zur Erhaltung und Fortbildung der
Literatur gethan wurde, bieten uns die alten Kloster- und Stiftsbiblio-
theken, die bei der Saecularisaüon von ihren stillen Orten, wo sie seit
Jahrhunderten herangewachsen waren, nach München central isirt und
dort allgemach aufgelöst wurden. Beinahe eben so kostbar sind die
hier und da entdeckten Originalcataloge alter Bibliotheken, die uns z. B.
aus Freising, Scheyern u. s. w. glücklich erhalten blieben und vom VI.
bis XIV. Jahrh. reichen. Für die Geschichte der Literatur und der
gelehrten Schulen sind diese vom, höchsten Werthe, für die Geschichte
der Dichtkunst jedoch von geringerer Bedeutung, indem wir daraus
nur die wenigen Muster entnehmen können, nach denen man damals
den Styl zu bilden pflegte; sonst aber ersehen wir daraus hinreichend,
was und wie viel wir — verloren haben ! Vieles wurde von den Buch-
bindern zu Einbänden verarbeitet, Vieles fiel der grossartigen Ver-
achtung zum Opfer, mit der die Renaissance und die flotte Humanistik
*) Cholevius Geschichte der deutschen Poesie nach ihren antiken Elementen
' Leipzig 1854. S. 14.
4
50
die frühere Zeit hochmüthig betrachteten. 0 ^^ Schicksal einer ein-
zigen Handj^iirift, das wir später erzählen werden, ist leider kein ver-.
einsamtes geblieben.
Dem Latein des Mittelalters darf bei aller Ungelenke und Schwer-
fälligkeit doch eine nicht ganz unterdrückte Natürlichkeit zugestanden
werden. Man behalf sich bisweilen wohl mit einer beispiellosen Nai-
yetät, aber man erreichte bisweilen auch eine gewisse Zierlichkeit und
Eleganz, freilich im Costüm des X. und XI. Jahrhunderts, die yerhält-
nissmässig unserem modernen Französisch hinreichend zur Seite stehen
konnte. Es finden sich noch viel mehr ächte Poeten, als im XVI. Jahrh^
wo die besten Kräfte in erleuchteter und gehobener Nachäfferei der
lateinischen Poesie vergeudet wurden und die Gelehrten alle aus ihrem
Aermel fliessende Hexameter schütteten, welchen nichts abging, als
wirkliche Poesie, Nationalität und die Feinheit des Nachbildens.
■
In einer Geschichte der baiwarischen Dichtkunst können weder die
Aufschrift über dem Emmeramsmünster zu Regensburg, noch die Epi-
taphien der Aebte von Benedictbeuem , weder die Uebungen Artrams
und Erchanfrids noch Ejos und des philosophischen Hrotrohc von
Tegemsee Zulass verlangen. Es sind eben keine absonderlichen Produkte
der Kunst, und sie haben nur für den Kirchenhistoriker Bedeutsamkeit.
Selbst die Distichen des anonymen Emmeramer Poeten aus dem IX. Jhrh.
lassen die Unbekanntheit seines Namens nicht beklagen, er führt uns
die Reihe der Bischöfe und Erzbischöfe von Salzburg, der Bischöfe von
Regensburg, Passau und Sehen vorüber, verewigt die Grabschriflen
Yirgirs, Arno*s, Adalram*s und Luitphram*s und nennt einen fabelhaften
Bischof Aries und Baldo.')
Von grösserem Interesse dagegen ist die Spruchweisheit des heil.
Kolumban (c 614), die Canisius in einer HS. zu Freising fand und im
I. Bande seiner Lect. antiq. abdrucken liess. Es sind zweihundert
Hexameter, in denen trotz der lateinischen Fassung doch häufig eine
Alliteration erklingt. Einige Proben davon genügen:
Impleat ipse Dei, qui vult sua vota venire.
Vive Deo fidens Christi praecepta sequutus.
Sint tibi divitiae divinae dogmata legis.
Divitias Domini faciet benedictio ciaras.
Corporis exsuperat vires prudentia mentis.
Omnibus est mundi melior sapientia gazis.
') Reichliche Belege bieror z.B. io Arelin's Beiträgen. 1806. 9SI. S.2:K)— 59.
^ Petz Thesaurus anecdot. VI. 6 ff. 75 o. a W.
51
I
Semper amanda quidem est rerum- doctrina bonaruni,
Optimus est animos Christi vesütus amore.
Daemonas adversus magna est oratio virtus.
. Ut modeas carum noli desistere amicum.
Morbi causa mali nimia est qaaeconqne volaptas.
Tu dare ne claudas palmas, et prendere pandas.
Semper in ore tuo resonent bona yerba salutis etc.
Er soll noch Vieles geschrieben haben , gut zu singen und lehr-
reich (multa scripsisse vel ad canendum digf|a, vel ad docendum utilia),
z. B. die noch erhaltene Epistel an seinen Schüler Hunald von der
Verächtlichkeit des Geizes und der Habsucht Gleichfalls in einer
Freisinger HS. ist der poetische Briefwechsel des Constanzer Bischof
Salomon (f 919) mit seinen baiwarischen Amtsgenossen D ad o und
Waldram und des letzteren Rückantworten in möglichst gutgemachten
lateinischen Distichen erhalten. ^)
Wichtiger ist, dass beinahe gleichzeitig mit dem St. Galler Ecke-
hard, der die« deutsche Märe vom Walther aus Aquitanien in virgilische
Verse brachte, auch die alten Heldenlieder von Sigfrid und den Nibe-
lungen in lateinische Form übersetzt wurden. • Ein Geistlicher, Namens
Konrad, der Schreiber des Bischof Pilgrim von Passau (t 991)
hat daran die Hand gelegt, doch ist durch den Verlust dieses Opus der
Poesie wohl schwerlich ein Schaden entstanden. Durch Konrad wurde
der Stoff wahrscheinlich in ein neues Ganze gefasst, von ihm datirt
auch die Localisirung an die Donau; doch gehört dieses nicht hieher,
sondern in den folgenden Abschnitt. Dafür ist uns ein anderes Werk,
obwohl nur im höchst lückenhaften und fragmentarischen Zustand über-
kommen , das aber unsere vollste Aufmerksamkeit verdient; der
Ruodlieb des Froumund von Tegemsee.
Dieser Froumund ist eine höchst merkwürdige Persönlichkeit; sein
lange Zeit ungewisses und fahrendes Leben wird nur schlaglichterartig
dnrch seine Briefe und einzelnen Gedichte erleuchtet, aber das reicht
genügend hin, um ein ganzes Bild jener seltsamen Zeit zu gestalten.
Es gab unter den Mönchen von jeher viele leichtfertige und pflichtver-
gessene Gesellen, die angelockt vom freien Leben der fahrenden Spiel-
lente, aber dnrdh eine weitere Bildung ausgezeichnet, ein Vorbild der
später in so traurigem Lichte erscheinenden fahrenden Schüler, im Lande
herumzogen und theils als Spassmacher und Musikanten,' theils als
bhrende Lehrer, Pädagogen und Schulmeister, dann aber als Poeten
*) Appendix zum I. B. Canisii antiq. Lect. S. 15—54.
4*
52
nnd Tausendkünstler im Lande herumstreiften. Wie Südfrankreiah zur
Blüthezeit der Lyrik in dem Prior des Klosters Montaudon das Beispiel
eines lustigen Paters liefert, der plötzlich aus dem Kloster verschwand
und als Dichter und Sänger das Land unsicher machte , bis er zuletzt
nach langem fröhlichen Wanderleben mit vollem Seckel wieder in die
heiligen Hallen demüthiglich zurückkehrte :0 So gab es auch in Franken
und Bayern allerlei seltsame Genies, die durch keine Regel und Orden
zu binden waren, zum Verdruss aller Wohlgesinnten, die auf Synoden
und Concilien ihren Unrauth darüber durch unverblümte Erlasse wacker
an den Tag legten. Ein ähnlich^ unruhiges Menschenkind muss unser
Froumund gewesen sein. Zwar hatte er sich vorbedacht und den ent-
scheidenden Schritt in bindende Klostergelübde wohlweislich bis in seine
späteren Tage verlegt, aber er hielt sich doch in die Nähe der Klöster,
verkehrte fleissig mit denselben, wo er seines klassischen Wissens und
seiner mannigfachen Kenntnisse wegen gerne gesehen wai*', strich aber
dann wieder weit aus, bis er endlich im Jahre 1017 doch geruhte, die
oft angetragenen heiligen Weihen auf sein Haupt zn nehmen. Wir haben
von ihm eine sehr nette Correspondenz, die er mit dem AbteGozpert
in Tegemsee, dem Magister Meginhalm, Ruotker und seinem treu-
geliebten Herzbruder Pabo in versibus et prosa flihrte. Einmal sehen
wir ihn (um 990) im Kloster Sancti Magni zu Füssen, ein andermal
treffen wir ihn in einen ärgerlichen Handel verwickelt: er war, sicher-
lich unschuldiger Weise in üblen Verdacht gerathen nnd verläumdet
worden, als hätte er ein Büchlein, eine Handschrift gar unsichtbar ge-
macht und widerrechtlich entfremdet, wogegen er sich feierlich durch
einen Eid zu reinigen strebte; ') ein andermal sitzt er zu Holzkirchen
nnd schreibt einen ernsthaften Brandbrief nach Tegernsee, der Abt möge
doch die ganz baufällige und dem Einsturz nahe Kirche zn Holzkirchen
einer gründlichen Restauration unterziehen, wozu der Zehent eines Jahres
wohl ausreichen könne. Als dunn der wackere Graf Thiemo die Besitz-
ungen des Klosters überfiel, die schwerbefrachteten Schiffe des Klosters
auspackte und überhaupt so umsichtig ausräumte, dass nicht einmal
ein Fischemetz am Tegernsee zurückblieb,') kostete es unserem Fron-
') Vgl. Weinhold S. 359.
') Vgl. Pez Thesaiir. VI. S. 159: ^Tristis sum nimis (((chreii)t er an AbtGoz-
pert) de furto libri vesiri supra me dicti. Sed expnrgare me cupio lali fas-
cinorCi, qualitercunqne placet Paterniiati. Quid plura? PiDprio ore dico,
meaque manu securus suhsrribo sie dicens: si ego P. illum vestrum librum
M. quem dicitis^ vel furto luli, aul ab aliquo furto snblalum suscepi^ vej
qualicunque modo eum babeo, aut habentem seio, corpns et sanguis Domini
nostri Jesu Christi, quod saepius accipio, quamvis indignus , , Rat mibi ad
condemnationem, non ad redemptionem."^ —
') Preyberg Gesch. Ton Tegernsee 1822. S. 37. Pez S. 162.
53
mand zwei Briefe, bis er ein neues Röckelein zum Schutze gegen die
schneidende Winterkälte erhielt. Als Scholasticus hatte er mit ganzem
Herzen auf di^s Lehrfach habilitirt und in den Klassikern tüchtig sich
umgesehen; er drang darauf, im Briefstyl und im rednerischen Aus-
druck sich nicht das Mönchslatein des Albericus, sondern jenes des
Tnllios, Macrobius, Sallnst und Terenz zum Muster zu nehmen; dess-
wegen suchte er von seinen Freunden den Statins, Juvenal, Persius und
CSceros Briefe zu erhalten, noch existirt ein Briefchen von ihm, wo er
ein^n verehrten Confrater dringend ermahnt, ihm doch endlich seinen
geliebten Horaz zurückzuschicken. Er opferte eine schöne Abschrift des
Juvenal , um sich eine Copie von der Arithmetik des Boethius einzu-
tauschen ; auch Hess er zum Beaten seiner Schüler das von Remigius
eigens zu den Gedichten des Sedulius angelegte Wörterbuch abschreiben
u. 8. w. Dabei war er selbst poetisch' schaffend thätig, er besang die
Tugenden der bayerischen Herzoge und ihre Thaten und machte ausser-
dem noch eine stattliche Anzahl von Gredichten, die wir später bei der
Lyrik eines weiteren betrachten werden und die jedenfalls werth wären,
' einen besseren Herausgeber zu finden, als der fleissige Pez gewesen.
Auch eine Historia monasterii Tegemseensis hatt^ er begonnen, worin
er eine eigene Vertrautheit mit der deutschen Sage verrieth, die sich in
gleicher Weise zu Ende seines Ruodlieb documentirt. ^ Es war in
dem bereits berührten Jahre 990 , als eine Geschichte, die er vielleicht
schon limge mit sich herumgetragen, ihn packte, so zwar, das's er sich
hinsetzte und an seinen guten Freund und Helfer in derNoth, den Abt
Gozpert (+ 1001) einen jovialen Brief in zierlichster Wendung und im
elegantesten Style von Stappel liess:^) Er sei jetzt wirklich etwelchen
Pergaments im hohen Grade bedürftig, es gingen ihm stark einige
Sachen im Kopfe herum, die er in Schrift bringen müss6, aber es
mangele ihm gänzlich an Membranen und aus der ganzen Geschichte
würde nichts, wenn nicht der gütige Herr mit gewohnter Freigebigkeit
das gehörige Material gütigst übersenden wolle. Und der Brief musste
seine Wirkung gehabt haben, wirklich kam eine gute Anzahl dauer-
haften Pergaments, zwar nicht vom feinsten Caliber, auch nicht ganz
gleichen Formats, aber doch gerade recht, und sicher im höchsten Grade
erwünscht. Und der Meister begann alsbald zu sinniren, zu dichten und
za schreiben, führ mit breiten Strichen oft mitten durch*s Werk oder
*) Sed quia spintuali consolatione vestra parte, si dignamini, noliimus privari^
ad utilitatem spiritualis et lemporalis exercitii tliquas membranas nobis dari
precamor. Nam, ut scitis, libeoter interdom scnptitationis immoror studio.
Sed nunc facultatem scribendi pergamenis deficientifaus non babeo, niai vesirae
Dianas largiiione tribuatur.^ Pez Thesaurus. VI. 159.
54
setzte wohlbedachte Besseruagen darüber, bisweilen auch irgend eine
Glosse darunter, als Anhaltspunkt für etwaige spätere Erweiterung. Das
so vollendete Opus musste dann nach Tegemsee gekomfiien und dort
absonderliches Wohlgefallen gefanden haben, denn es scheint eine zier-
liche Reinschrift mit gewissenhafter Abzahlung der Verse gemacht
worden zu sein, wie das Bruchstück bezeugt, das zu St. Florian gefun-
den ward und das in seinen Trümmern ein sprechender Zeuge ist von
demselben Schicksal, das auch das Originalmanuscript, den ersten Ent-
wurf von der Hand des Dichters, erreichte. Es gerieth zur Zeit der
neuerfundenen Buchdruckerkunst in die Hände und unter die Schere eines
hochmuthigen Buchbinders, der, unberührt vom poetischen Geiste eines
vergessenen Werkes und ohne Ahnung einer autographenjägerischen
Bildung, das Ganze tapfer zerschnitt um den schundigen Erzeugnissen
seiner typographischen Kunst ein dauerhaftes Röcklein überzuwerfen. So
war das aus sonnenhellem Herzen mit freudigster Schöpferkraft gesun-
gene Lied vernichtet und Niemand wusste mehr davon. Als zur Zeit
der Klosteraufhebung die Bibliotheken heerdenweise nach München wan-
derten, wurde zufallig ein Pack jener damals so überzogenen Bände
auch des Mitnehmens für würdig befunden. Einige kamen in die Hände
des seligen Do cen, der die Schrift bemerkenswerth fand, einige Streifen
ablöste, mit nach Hause nahm, selbe säuberlich in ein Buch legte und
darüber starb. Der grossgünstige Zufall fügte es, dass Schmeller bei
der Yertf-ödelung des Docen*schen Nachlasses das Buch mit den Streifen
erstand und als Nachfolger Doceus alsbald weiter Spuren derselben Hand
von Deckeln und Einbänden löste, so dass sich allgemach achtzehn durch
grössere oder kleinere Lücken zusammenhängende Fragmente ergaben.
Als das Werk, welches durch seinen Haupthelden den Namen Ruod-
lieb erhielt, ruchb9.r wurde, fand Hoffmann von Fallersleben zu' St
Florian ein aus dem XI. Jahrh. stammendes Fragment, das sich als
der einzige Rest einer fleissigen zierlichen un<l sogar durch rothbeige-
setzte Zahlen in förmliche Abschnitte getheilten Rein- und Abschrift
erwies. Schmeller versuchte darnach eine kritische Ausgabe. ' ) Das ist
die Geschichte einer Handschrift!
Betrachten wir nun den Inhalt derselben. Was die Form betrifft,
so ist das Gedicht in lustig gereimten Hexametern geschrieben, das
Latein derselben ist das acht mittelalterliche, das es nicht gar zu genau
nahm mit der Klassicität und im betreffenden Falle selbst neue Wörter
bildete und das Deutsche mit anständigen Endsilben lateinisirte , ganz
*j Grimm und Schmeller Lntein. Gedichte des X. and XI. Jahrb. GöUingen
1838. S. 127—240 und Nachträge von Schmeller in Haupts Zeitschrift I.
401—423.
55
Dach Belieben and jeweiliger Nothdorft, so dass selbst Dncange^s
Wörterbach für diese mittelalterliche Latinität in manchen Fällen als
rathlos erscheint.
Mag man aber anch noch so sehr den klassischen Standpunkt der
Sprache festhalten, so viel maSs doch zagegeben werden, dass dieses
Gredicht durch Beichthom an Erfindung, konstreiche Verkettung der
Begebenheiten und mitunter ergreifende wahrhaft poetische Darstellung
hinlänglich beweist, wie man auch um*s Jahr 1000 so ziemlich wusste,
nicht blos was erbaulich, sondern auch was schön und unterhaltend sei.
Wir erzählen hier die Geschichte nach, so weit sie sich bei den häufigen
Lücken in ihrem Verlaufe erkennen lässt, indem wir zugleich alle für
das volksgeschichtliche Leben bedeutsamen Bilder mit besonderer Be-
tonung hervorheben und zu erläutern suchen. '
Ein junger Degen, adelich an Leib und Seele, hatte schon manchem
Hen^i gedient, ohne Lohn zu finden, wie er ihm gebührte. Er hatte
ihre Händel immer durchgefochten, jedes Werk wacker vollbracht und
in vielen Aventuren, wie in Kriegen und Gejaiden oftmals Leib und
Leben gewagt. Das lohnten sie aber immer mit Undank und vergassen
nach der Not, was sie gelobt. Auch hatte er sich ihretwillen mit Vielen
verfeindet, also dass er nicht mehr im Lande bleiben mochte; das sagte
er semer Mutter und rüstete sich. Nur einen fi^ühzeitig an Arbeit ge-
wöhnten Knappen nahm er mit sich, der das Reisegeräth trug; der
hing sich Trinkflasche, Schild und Köcher um, die Lanze führte er in
der rechten Hand, auch band er einen massigen ^rodsack auf. Sein
Herr aber trug einen glänzenden Stahlhelm und ein bis an den Griff
mit Grolde geschmücktes Schwert; vom Halse hing ihm an einem Hirsch-
riemen ein Hörn, das war aus einer Klaue gewerkt und mit Golde be-
schlagen, bliess er darauf, so hallte es gleich einer Busune. Schwarz
war sein Pferd wie eine Kohle , darunter gepunktirt ein wenig und
glänzend, geflochten hing die Mähne an der linken Seite, das Gereite
war gefüge für einen Ritter; am Sattel sah man ein aus Leder genähtes
Gefäss, das von süssem Harze duftete, damit der eingegossene Trank
lieblicher munde; die Decke (cervical modicellmn) war aus Purpur ge-
schnitten. Sobald er darauf sprang, hub das Ross sich noch höher, als
freute es sich über den prächtig darauf sitzenden Herrn. Bald voran,
bald nach setzte ^in schnellfüssiger Rüde in grossen Sprängen, vor dem
kein Wild, gross oder klein, sich bergen mochte, (v. 1 — 47.)
Mit nassen Augen küsste er die Mutter^ gab dem Gesinde Lebe-
wohl, griff in die Zügel und das gespornte Ross flog über das Gefilde
gleich der Schwalbe. Nachschauend durch das Gitter weidete die Mutter
ihre Augen, das Gesinde stieg ihm nachzublicken auf die Zäune, überall
66
Schluchzen und thränenreiches Seufzen , und als er entschwunden, er-
hüben sie neue Wehklage, wischten das thränengebadete Antlitz und
traten schnell ins Haus, ihre Herrin zu trösten. Diese unterdrückt den
tiefen Schmerz in der Brust dadurch, dass äie sich Hoffnung vorspiegelt
und ihr Gesinde tröstet, während ihr selbst weh um's Herz ist Nicht
geringere Sorge drückt indessen auch ihren Sohn, sinnend darüber, dass
er als Fremdling aus der eigenen Heimath in das Elend flüchte, wo es
ihm vielleicht auch nicht besser ergehe. Aus tiefstem Herzen aufath-
mend bittet er unter Thränen zu Grott, ihn nicht zu verlassen, sondern
ihm zu helfen seiner Trauer Herr zu werden, (v. 48 — 71.)
So kam er in ein Königreich, '> wo plötzlich ein Jäger des Königs
sich ihm zugesellt. Sie grüssen sich wechselseitig. Unser Fremdling
(Ruodlieb) war von schönem Wuchs und männlichen Antlitz, von kräf-
tiger Stimme, und ernst in der Rede. Der Eingebome fragt nach wer,
woher und wohin , doch unser Held ist kurz angebunden , so dass der
Andere schon beinahe bereut, sein Redegeselle zu sein. Eines mächtigen
Herren Bote, denkt .er bei sich, könne der Ritter nicht sein, dafür sei
sein Gefolge zu gering; will er an den Hof, wer bringt die Geschenke,
wer trägt ihm das Schwert nach? Vielleicht ist es doch ein edler
Degen, dem es übel ergeht und der tapfer nach Aventure reitet. Also •
hub er wieder an: Verdenkt mir nicht mein Fragen, ich möcht' euch
eher nützlich sein, als schaden. Ich bin des Königs Waidmann, er hält
auf mich und hört Keinen lieber. Hast du ob schwerer Fehde deine
Heimath verlassen und willst in fremde Lande fahren um Ritterschaft,
so nimiy* meinen guten Rath an, der dir nicht schaden mag. Verstehst
du dich auf Waidmannswerk, so kommst du zu guter Stunde! Es liebt
der König diese Kunst und die darin Meister sind. Er gibt gar gerne
Gaben, fast täglich. Nie darfst du dich um Nahrung oder Gewände
sorgen. Sobald er schöne und schnelle Rosse erhält, gibt er sie uns,
selbe im Laufe zu proben, ob sie schnell, bandbar und nicht stutzig
seien. Wer es dann am meisten nöthig hat, dem schenkt er das Ross. .
Für Lebensunterhalt darfst du nie einen Heller ausgeben, denn nach
'J Dasselbe ist, wie sich später ergibt, Afrika. Nun klin^it es freiliib selt-
sam, dass Ruodlieb so geradezu aus seiner -Heimoth fortreitet, ohne dass er
über ein Wasser zu setzen braucht. Allein das darf im X. Jahrb. nocli weni-
ger verwundern, als im XIII., wo im Wigalois der Bote des Königs Artus
au(h trockenen Fusses von England nach Spanien läuft. ]l|an dürfte übrigens
dem lateinisch ffebildeten Dichter wohl zutrauen, dass ihm hier irgend eio
anderer passender Name beigefallen sein würde, hätte er nicht einer be-
stimmten, aus dem Leben gewonnenen Sage folgen wollen. Jener Name
konnte vor den Kreuzzügen, wenn nicht doch von Gensericb, doch von den
Mauren her, den Besiegern der spanischen Gotben, in die germnnische Sage
geratben sein. —
57
Wansche wird dir gespendet Ueber Tisch macht er die Genossen reich,
scherst mit Reden ond schickt uns zu, wa^ ihm Gutes vorgesetzt worden.
Dorch Ehre höhet er den Lohn. Willst du «inen Treuebund mit ihm
angehen, so schlag in meme Rechte, dass nichts uns trenne ausser der
Tod. Wo wir immer sein mögen, führe Jeder des anderen Sache so
wie die eigene, und noch besser, wenn er*s vermag, (v. 72 — 112.)
Jetzt erßt schenkte ihm der Jüngling Vertrauen und sprach : ^Hin-
reidiend zeigst du mir, Herr, deine Treue und dein Rath ist löblich,
meine Sachen stehen, wie du errathen: d^r Pakt soll zwischen uns
geschlossen sein. Sie gaben sich die Hände, und wurden bald gut
Freund, küssten sich und blieben einmüthigen Herzens.
Während sie sich weiter besprachen, kamen sie näher der Stadt,
in welcher der König dem Volke Recht sprach. Sobald sie in*s Lager
getreten und Knappen und Pferde untergebracht, gingen sie zum König.
Wie der seinen Jäger ersah, sprach er: ^ Woher des Weges? bringst
du gute Märe, erzähle; hast du im Walde Bären oder Eber aufgespürt,
auf die wir jagen möchten. '^ Er aber antwortete ihm, nicht wie seinem
Herrn, sondern gleich einem Freunde: ^Keines v6n beiden, aber einen
Meister darin hab* ich aufgefunden und mitgebracht, den Jüngling da,
der dir gerne dienen will, denn er hat gute Kundschaft vom Waidwerk,
wie ich bereits erprobt. Willst du, wirst du es selbst finden. Er bietet
dir seine Gaben an un4 wünscht sich in deine Huld.^ Eine scheckige
Bracke , die , eine goldene Kette um den Hals trug , hielt er in der
Linken (v. 113—141.)
Nun ist eine grosse Lücke. In langen Jahren und mit^ treuen Dien-
sten muss sich unser Held, der erst später mit Namen Ruodlieb genannt
wird, die Huld des Königs gewonnen haben, ') der (wie in der Folge
hervorgeht) über Afrika herrschte. Der Beginn des zweiten Frag-
mentes zeigt Ruodlieb als Abgesandten des grossen Königs am Hofe
eines anderen, kleineren Königlein, dessen Leute unter Anführung eines
ungenannten Grafen eingefallen waren, und viele Menschen erschlagen,
gefangen und verbrannt hatten. Hierauf war ein Krieg oder doclr eine
Schlacht zwischen den beiden Völkern entbrannt, in welcher jene An-
greifer sammt ihrem Rädelsführer, dem Grafen, gefangen genommen und
vor den grossen König gebracht wurden. Dieser aber, statt gleiches mit
gleichem zu vergelten, hatte die Gefangenen unter die Grossen und
Bischöfe zu sorgfaltiger Pflege vertheilt, ja sogar den Grafen in persön-
') Aus einem später zu Dachau aurgefundenen Fragment (Seh melier in
Haopt''s Zeitsrhr. I. 400 ff.) geht hervor, dass Ruodlieb sowohl durch kunst-
reicoea Fischfangi, wie auch durch seltene Jägerkiihsle den König in Er*
staaoen setzte^
58
liehe Obhut geDommen. Und nun lad er darch Raodlieb ihren König
ein, auf demselben Platze, wo die Schlacht geschlagen worden war, mit
ihm zusammenzutreten, da sollten sämmtliche Gefangene a^urückgegeben
und beide Volker auf ewig miteinander yersOhnt werden J) Das ist nun
alles in Reden eingekleidet (das Fragment zählt 253 Verse), die der
kleine, von des grossen Grossmuth gar sehr gerührte König an seine
versammelten RäUie, dann an Rnodlieb, und in solche, die Ruodlieb
theils an jenen, theils nach der Heimkunft' Bericht erstattend, an seinen
König richtet. Da der König auch .wissen möchte , wie sein Bote am
fremden Hofe sich sonst noch die Zeit vertrieben , erz&hlt er auf er-
götzliche Weise, wie anfänglich der oberste Viztum ihn im Schachzabel
(scachornm ludo) zu besiegen versuchte, wie dann auch der kleine König
trotz dem ehrfurchtsvollen Sträuben Ruodliebs , mit ihm gespielt und
wie Ruodlieb, mit wahrem Herzeleid, erst dem Könige und dann auch
den Hofleuten ihr gutes Gold abgewonnen habe.
I
Hierauf liess der grosse König allen -denjenigen, welche Gefangene
bei sich hatten, entbieten, sie sollten selbe gut kleiden, die Fussgänger
beritten machen und alle neu bewaffnen. Den vornehmen Grafen aber,
der den ganzen Handel erst angezettelt hatte, kleidete er in kostbare
Pfeile, gab ihm ein von Gold und Edelsteinen schimmerndes Röckelein,
um so aufgeputzt seinem Herrn würdig den Wein zu credenzen; auch
schenkte er ihm ein kostbares Pferd mit goldenen Zügeln, dazu Panzer,
Schwert und Helm und eine scharfe Lanze. Selbst seine beiden Knappen
wurden mit seltsamen Gewanden beschenkt. Boten aber gingen in die
Lande und boten alle Vornehme des Reiches an des Königs Hoflager,
auch die Bischöfe und Aebte wurden geladen.
Daran schliesst sich nun das dritte Fragment, das wir hier aus-
fuhrlicher zur Charakteristik des Ganzen nacherzählen. Der Sammel-
platz war ein weiter, rings von einer Schaubühne umschlossener Hof,
dessen Mitte gross genug war, dass die höchsten Personen und zwölf
Prälaten frühstücken und speisen konnten. Damit hing geg^n Sonnen-
aufgang ein weites Gezelt zusammen, von dem ein gedeckter Gang in
einen anderen Pavillon (pavelun) führte, wo auf einem Altare Kreuz
und Diadem- des Königs niedergelegt waren. Hier betete man die Tags-
zeiten und sang Messe, was heute gar eilig geschah, dann ward der
feindliche König zur Zusammenkunft gebeten. Diese findet mitten auf
einer B r ü ck e statt, und der Friede wird, unter Mitwirkung ^er Priester-
') Bemerkenswerth ist^ dass beim Abschied vom Könige St. Gertroden-
Minne getninken wird il. 162. (ygl. W o 1 f Beitrage. 11. 106. Grimnn
S. 53. Simroek S. 403.)
59
Schaft, geschlossen. Es ist ein merkwürdiges Rechtsalterthnm mit feier-
lichem Ceremoniell. ') Sobald die beiden Könige auf der Mitte der
Brücke sich begegnet, küssen sie sich nnbesprochen und dann küssen
sie der Reihe nach das ganze geistliche und weltliche Geleit und dieses
sich wieder gegenseitig; dann erst setzen sich die beiden Könige zur
Verhandlung, um die Thorheit ihrer Völker klüglich gut zu machen. Der
grafliche RädelstiQhrer wird in seiner reichen Gewandung zurückgegeben,
hierauf die Gefangenen ausgewechselt und durch Eide der Friede ge-
festigt Dann gingen die beiden Könige zum Pavillon und frühstückten
anter grossen Freuden. Der kleine König aber gab kostbare Geschenke :
(tinf hundert Mark Gold, unzähliges Silber, hundert köstliche Pfeile,
ebensoviele Panzer und Stahlhelme; zweimal fönfzehn gezäumte Mäuler,
ebensoviele Waldesel und Kamelihiere, zwei Leoparden, zwei Löwen und
ein allerliebstes von einer Mutter stammendes Bärenpaar, das als gar
anmuthig, zierlich und nett gescUldert wird; schneeweiss waren sie an
den Pfoten, und schwarz an den Füssen, sie konnten ein Geföss auf-
heben und menschenähnlich auf den Füssen gehen. So1;>ald Spielleute die
Saiten rührten, hüben sie an zu tanzen und stampften den Takt mit
den Füssen ; manchmal sprangen sie hoch und warfen sich aufeinander,
trugen sich wohl auch Huckepack, setzlen und umarmten sich oder
rangen, bis einer zu Boden fiel. Schwang das Volk sich im Reigen, so
liefen sie herzu und reihten sich den Spielweibern an, welche
mit lieblicher Stimme prächtig sangen, schlangen in die schönen
Hände ihre Tatzen, traten aufrecht Schritt für Schritt unter wohlge-
fälligem Brummen den Tanz und nnirden auch nicht böse, wenn sie
geneckt und gezaust wurden. — Das hübsche Bild des lebendigen Volks-
' lebens ist getreulich wiedergegeben, selbst bis auf dieses mittelalterliche
Bärenspielztug, das der Dichter wohl gesehen haben konnte. Der Bär
war im Mittelalter viel häufiger gezähmt und zur Kurzweile gehalten,
was freilich oft in Rohheit und Unanständigkeiten ausartete, so dass die
Kirche fiir gut fand, ernstlich dagegen einzuschreiten und wenigstens den
*) Es war uraller brauch, dass krie^Föhrende Herrsclier in der Mille des Flus-
ses^ der ihre Reiche schied, gleiihsam jeder noch auf eigenem Grund und
Boden stehend^ für den Friedensbund ziisammeniraren. Das älteste Zeugniss
hielel Tacitus. (Hisl. V. 26.) Das gleiche wiederholt sich 923 beim Frieden
zwischen Heinrieb I. und Carl dem Einfältigen von Frankreich^ mitten im
Rheine; dessgleichen fand 1162 eine solche Zusammenkunft der Könige Fried-
rich und Ludwig statte im J. 1223 auf einer Insel in der Donau (Mon. Boic.
IV. 486) und noch in unseren Tagen beim Frieden von Tilsit trafen sich
Napoleon und Alexander von Russland auf dem Memel in einem Nachen.
Häufig finden auch Uebergaben von neuvermählten Königstöchtern auf der
Mitte des Grenzflusses zweier Gebiete statt. Nicht unähnlich sind Zusammen-
kfinfte benachbarter Köniffe und Zweikämpfe beiderseitiger Helden auf Inseln
Freyberg Gesch. von Tegernsae. S. 141.
60
Geistlichen die Gregenwart bei solchen^ Spielen strenge zu ODtersagen« ')
Beigegeben war den Geschenken noch an goldener Kette ein Lochs —
der von Wolf und Fuchs abstammt und ans dessen Harn ein karfunkel-
artiger Edelstein gewonnen wird,') der werUi ist, den Ring einer Königin
oder eine Königskrone zu schmücken — ein kurznaaiger Aflfe mit nack-
tem Gemäss und geierartiger Stimme, und eine gestreifte Meerkatze:
Dinge, von welchen man freilich keinen Nutzen sieht (in quibus amba^
bus nil cemitur ntilitatis). Dazu kamen zwei Psittiche, ein Babenpaar,
Dohlen und Staaren, die Alles nachplaudem konnten, was sie gehört.
Jedem Bischöfe reichte er Ehrengaben, den Fürsten aber Panzer und
Helme, goldverzierte Busaunen und reiche Pfeile. Darauf hielten die
Könige Siesta und schliefen ein wenig; hüben aber bald wieder im Lager
ihr verbindliches Zwiegespräch an, wobei allen Leuten des grossen Königs
reichlich gespendet lirard, auch die Aebte und Mönche in den Klöstern
erhielten Geschenke. Der grosse König nahm aber nichts als die Tanz-
bären fiir sich und die Elster und den Staar für sein Töchterlein. Dann
küssten sie sich, gaben sich Yalet und ging Jeder in sein eigenes Reich.
Da findet Ruodlieb plötzlich einen Boten aus der Heimath und die erste
Frage ist nach seinem Mütterlein; sie sendet ihni einen Brief, den sich
der Ritter lesen lassen muss', denn diese Kunst stand dem adeligen
Leben ferne. Alle seine Feinde, die ihm Böses gethan und deren wegen
er die Heimath verliess, sind gestorben oder unschädlich geworden, die
Anderen haben seine Treue eingesehen, so bittet sie ihn, gleich zurück-
zukehren und ihre traurige Sehnsucht zu enden. Freudethränen quellen
dem Ritter über sein Antlitz; zwar trauern alle seine Genossen bei, der
Kunde, dass er wolle von hinnen fahren, denn sie hielten ihn gar lieb
und werth und kannten seine Tugend und seine Verdienste um das
Reich. Ruodlieb aber ging mit seinem Freunde zum König, umfasste
weinend dessen Füsse und legte ihm den Brief seiner Mutter in die Hände.
Der bittet ihn, noch eine Woche zu bleiben, um ihn in dieser Zeit zu
belohnen.
Unterdessen liess der König vier silberne Gefässe machen, Schüs-
seln ähnlich, im Umkreis eine Elle gross, zwei flache und zwei tiefe,
deren je zwei so verbünden wurden, dass sie, von aussen mit Speltmehl
überkleistert, wie Brode aussahen. Das eine dieser Gefasse füllte der
König mit Goldstücken, die man Besanten (von Byzanz) nennt, so dicht
an. dass er kein einziges mehr mit dem Hammer hineintreiben kann,
damit sie nicht etwa bei einer Bewegung erklingen. Sobald er nach
') Wackernagel in Haupts Zeitschr. VI. 1B5 und Weinhold S. 356.
') Das Hecept dazu wird anjsfülirlich beschrieben v. 104—29.
61
Haas komme, dachte der König, würde sie Raodlieb brauchen können,
sich aufzuhelfen und durch Freigebigkeit sich Freunde zu machen. Die
andere Schüssel wurde innen abgetheilt und so angefällt: iri den einen
Theil der Schüssel legte man goldene und im Feuer erprobte Besauten,
auf welchen rings eine griechische Schrift ergraben war, auf ddr einen
Seite des Kaisers .Name, auf der anderen als Sinnbild seiner Macht,
wie er stehend Einem die Hand auflegt, den er segnet. Die sollte er
den Magen und Mannen geben, ihnen zur Freude, dass er wohlbehalten
zur Heimath gekehrt. Gegenüber der Knetwand der so mit Münzen ge-
füllten Schüssel legte der König zwölf köstliche B äuge, *) von welchen
acht ganz gediegen, nicht innen hohl oder mit Blei ausgefüllt
sind, sie stellen Schlangen vor, die an den Köpfen sich küssen ohne
durch solche Liebe zu schaden. Jeder dieser Armringe wog ein Pfund
reinen Goldes. Die zwei Paar übrigen Armbänder waren im Kreise
gebogen und jeder wog ein Mark. Die dienten weniger als Schmuck,
als zum Nutzen. Dazu legte die Königin ihre Brustspange, ein pracht-
volles Werk, nicht mit Hämmern getrieben, sondern gegossen und ganz
von Gold. Darauf war eia Adler geworkt, der eine krystallne Kugel im
Schnabel trug, auf welcher wieder drei Vögelchen sassen, leicht und
lebendig, als wollten sie sich gerade erheben und fliegen, ein breiter
goldener Reif zog sich darum. Femer Hess der König acht Ohrgehänge
in die Schüssel legen; viere von diesen funkelten von verschiedenen
Gremmen, Amethisten und Berillen, vier andere waren nicht mit Edel-
steinen bekränzt, doch so kunstreich geworkt, dass die Kapseln mit den
Perlen klangen, sobald sich das Ohr bewegt. Auch Hess er dreimal
zehn Fingerringe machen aus schierem Golde, wie kein besseres zu
finden; in jeden derselben wurde ein Turmalin-, oder Hyazinth- oder
Berillstein eingefügt. Drei dieser Ringe waren des Ritters künftiger Braut
bestimmt, klein und schmal, wie für Frauen sie zu tragen geziemt.
Nachdem die Schüsseln mit diesen wahrhaft königlichen Gaben gefüllt
und mit Nägeln zusammengeheftet waren, Hess sie der König mit zähem
Teig, welcher aus feinem Mehl gemischt und geknetet war, überziehen
und zu Brode backen.
') Diese goldenen Ringe, die tim Arm und Hals getragen wurden, galten als
die beste Gabe^ die gereicbt werden konnte, und bildeten das Verlangen
aller Helden, Dienstmannen und Sänger j als stehende Beinamen hatten die
Könige in der Dichtersprache die Benennungen Baugvertheiler und Baug-
brecher. In den Schatzkammern der Fürsten lagen hunderte dieser vielbe-
ffehrien Soangen aufgespeichert. Als Walther von Aquiianien dem Hunqen-
Köoiff entflieht, nimmt er so viele Bauge aus dessen Hort, dass er dem
FraoKeokönige hundert als Ehrengabe bieten kann. vgl. Weinbold d. Fr.
S. 454 flr u. Roth Oertlichkeiten I 306. II. 525. IH. 703. Daher auch viele
Namen, wie Baugolf, Hringolf u. s. w.
62
Als der Tag kam, an welchem der Ritter ziehen wollte, berief der
König seine Herzoge und Mannen und Hess vor ihnen durch seinen
Schreiber den Brief vorlesen, welchen Kuodlieb erhalten. Da wurden
Aller Herzen traurig, dass eines so treuen, milden und gütigen Herren
sie und' der König fiirder entbehren sollten ; sie rathen sogar dem König,
ihn durch Gewalt oder Bitten zurückzuhalten, ihn durch eine Gattin zu
fesseln und mit Ehren zu bereichem. Der edle König aber versetzte;
„Das sei ferne, Denjenigen zu kränken, der mir nie den geringsten Gram
gereizt, der mich vielmehr, so ich zürnte, n^ilde machte wie ein Lamm.
In allem erwies er sich voll ungeschmälerten Treuen; schon zu schwer
ist für ihn das lange Bleiben im Elend (in der J^remde), wir wollen ihn
zur Heimath entsenden." Nun rief er ihn vor sich und sprach: „Ungern
werde ich Dich fahren lassen, mein Freund! denn Du warst in ganzen
Treuen mein Dienstmann; Keiner ist Dir abgeneigt, sondern lieb bist
Du dem ganzen Volke. Sprich, willst du lieber Schätze oder Lehren
der Weisheit zum Danke haben?" Der schwieg eine kleine Weile und
versetzte: „Besser istfes, man entbehrt des Geldes, als eines gesunden
Sinnes, wer durch gottesfürchtige Weisheit zu blühen strebt, wird immer
Silber und Gold haben. Desshalb kannst Du mich leicht ein solches
Wort lehren, das mir, so ich es beachte und nicht entehre, goldener
sein wird als zehn Mark Goldes. Niemand raubt es mir, feindet mich
an oder hasst mich wegen desselben und kein Mörder wird mich darum
in einem Hohlwege tödten. In dem Gewölbe eines Königes müssen
Schätze sein, damit er in Ehren stehe, ein Armer hat genug, wenn er
gesund und stark und durch Bravheit thätig ist. Ich verlange nicht nach
Geld, sondern dürste nach Weisheit." Als der König diess vernommen,
nahm er ihn beiseits und sprach weiter: „Jetzt höre, was ich Dir aus
der Tiefe des Herzens als wahrer Freund, Dir dem Freunde sage." Und
nun ertheilt er ihm zwölf merkwürdige Räthe: zum ersten, nie einen
Rothhaarigen, zum trauten Freunde zu nehmen; wird ein splcher zornig,
so gedenkt er nicht mehr der Treue, auch ist Keiner so gut, dass nicht
einiger Trug in ihm wäre ; wer auch nur den Finger in Pech taucht,
besudelt sich damit und kann sich kaum mehr dessen entledigen. Der
zweite Rath geht dahin, dass, wenn gleich der Weg durch ein Dorf
noch so kothig wäre, man doch nie durch ein Saatfeld reiten solle. Bist
Du auf der Fahrt, so lautet*s zum dritten, herberge nie da, wo ein
alter Mann eine junge Frau hat, denn auch unschuldig, ziehst Du Dir
doch schweren Verdacht zu. Er furchtet; sie hoflPt; der Zufall wendet.
es so unter ihnen. Sobald aber ein junger Mann eine alte Frau hat, so
bitte Dich getrost zu Gast, dieser fürchtet Dich nicht und diese liebt
Dich nicht, so schläfst Du dort sicher ohne Tücke.
63
f
Yiertens: Will Dein Nachbar zum Pflügen seines .Ackers ein
Pferd von Dir und Du hast eine trächtige Stute, so leihe sie ihm nicht,
denn sie wird entarten und das Fohlen verderben, wenn sie das Aecker-
chen ebnen wird.
Fünftens: Kein Verwandter sei Dir so lieb, dass Du ihn zu oft
durch Besuche zu belästigen wagst; was selten ist, pflegt werther zu
sein als was man immer hat; denn schnell verliert bei den Menschen
an Werth, was man immer hat.
Sechtens: Lass Deine eigene Magd, und war* sie auch iioch so
schön, nicht vertraut werden mit Dir, gleich Deiner Frau, damit sie Dich
nicht missachte oder Dir hochmüthig antworte, auch nicht glaube, dass
sie die Herrin des Hauses sein dürfe, wenn sie übernachten oder am
Tische sitzen wird. Isst sie und übernachtet sie mit Dir, will sie be-
ständig die oberste Gebieterin von Allem sein. Solches macht Dich
verrufen und ziehet Dir Schmach zu.
Siebentens: Wählst Du Dir aus des Landes Töchtern die Haus-
frau, um liebe Kinder zu gewinnen, dann suche Dir ein liebliches Weib
(cognoscibilem mulierem) und nirgends als wo die Mutter dir es rathet.
Hast Du sie gefunden, dann ziemt es sich, sie auf jegliche Weise zu
ehren und milde zu behandeln, doch sollst Du ihr Meister bleiben, damit
sie mit Dir keinen Streit anzuheben, wage; denn keinFehlSr der Männer
ist mächtiger, als wenn sie denjenigen unterworfen sind, 'denen sie ge-
bieten sollen. Und wenn sie mit Dir auch in allen Dingen ein Herz und
eine Seele wäre, darfst Du ihr doch nicht Alles wissen lassen, damit
sie, von Dir späterhin ob eines Fehlers getadelt. Dir nicht ebenso Vor-
würfe mache und Dir nichts sagen kann, wodurch euere gegenseitige
Treue und Liebe gemindert werden könnte.
Achtens: Lass Dich niemals von einem so heftigen Zorn über-
fallen, dass Du die Rache nicht über Nacht verschieben könntest, be-
sonders wenn die Sache zweifelhaft und nicht so, wie Du behauptet
hast, sein könnte; vielleicht freust Du Dich am Morgen, dass Du Dir
Zügel angelegt.
Neuntens: Habe nie einen Streit mit Deinem Herrn und Meister,
denn sie überragen Dich, wenn nicht mit Recht, doch an Macht. Auch
zahle für sie nichts, weil Du eiT sicher verlieren wirst. Bittet er Dich
za zahlen, dann ist es besser, dass Du es gibst, weil er sonst eine
Schuld auffinden wird, vermittelst welcher er Dir ebensoviel nehmen
kann. Beides geht dann verloren und er wird weder danken noch das
Gut zurückgeben. Er wird sagen „Habe Dank!^ sobald Du von ihm
ausgeplündert worden; dann verneige Dich und lobe den Herrn, dass
64
Da gesund mit dem Leben davon kommen magst and schlage Deinen
Schaden für nichts an.
Zehntens: Niemals sei Dein Weg irgendwohin so eilig, dass Da
an einer Kirche vorbeigehest, ohne Dich ihren Heiligen zu empfehlen
and Dich zu segnen. Wo aber geläutet Csic ubi pulsetar) und eine Messe
gesungen wird, steige vom Pferde und laufe noch schneller als dieses,
damit Du Dich des allgemeinen Friedens theilhaflig machen kannst Das
verlängert nicht den Weg, es. wird ihn Dir sogar abkürzen. Du wirst
sicherer reisen und weniger einen Feind furchten.
Eilftens: Widerstrebe nicht, so Jemand um Christi Willen Dich
dringend bitten sollte, die Fasten zu brechen ; denn Du brichst sie nicht,
sondern wirst die Gebote erfüllen.
Endlich zwölftens: Hast Du Saatfelder an den Heerstrassen, so
ziehe keine Gräben , um das Zertreten Deiner Saaten zu , verhindern,
denn dadurch, dass man die Gräben umgeht, entsteht gerade durch das
Wandern des Volkes auf dem trockenen Boden von beiden Seiten ein
Weg; hättest Du keinen Graben gezogen, würdest Du viel geringeren
Schaden gehabt haben.
Hiemit ist „der äventiure wurf ^espilt und ir begin gezijt,^') denn
diese seltsamen Rathschläge zeigen das Gerippe der Dichtung und lassen
zugleich ahn^, wie viel vom ganzen Werke verloren ist, denn ohne
Zweifel mussten sie im Verlaufe der Abenteuer sämmtlich zur Anwendung
kommen. Es ist, wie in der Räthseldichtung, ein gleich uralter Zug;
wer denkt dabei nicht an die Lehren, die jung Parcival bei seinem Aus-
zug von seiner Mutter Herzeleide und dem alten Ritter Gurnemanz
empfangt, an die Lehren des Winsbecke und an die Weisheit, die der
taktvolle Sänger der Frithjofs-Sage dem König Bele in den Mund legt.
Besonders überrascht die Einstimmung altnordischer Sage. In der Edda
werden Asträdh von Niall heilraedhi ertheilt, am allernächsten aber liegen
die acht Räthe des weisen Hösundr an Heidhrek, unser f^lniler Rath jst
fast ganz Hösundr*s dritter. Der übermüthige Heidhekr geht aber immer
darauf aus, seines Vaters Lehren zu vereiteln. Einzelnes findet sich in
Märchen und anderen Dichtungen zerstreut wieder, so wird im 57.
Kindermärchen vor Galgenfleisch und Brunnenrand gewarnt, and die
Warnung vor dem JElothhaar ist^ief in unserer Mythologie begründet*)
Auch das begegnet oft, von den ältesten Legenden bis zum Gang nach
•) Parcival 112. 9.
*) Die alte Volksmeinnng ^ilt heute noch bei uns; rolhhaarige Leule sind voii
Gott fi^eEeichnet, sind bös und falsch ; Judas Ischariot habe auch rolhe Haare
getragen (warum dieser aber so gedacht wird vgl. Wolf Beilrage I. 64).
Winit von Gravenberg eiferte löblich gegen diesen Aberglauben.
66
dem E^seDhammer, dass ein frommer Fr idolin während dem Gebet in
der Capelie einer grossen Grefahr entrinnt. Die siebente Lehre scheint
wie im Hinblick auf das Nibelungenlied ; die eilfle ist ein ftir den Dich-
ter, der ja dem Benedictiner-Orden angehört, gefahrlicher Ausspruch;
die zwölfte gemahnt an Morolf 658. Kehren wir aber zu unserer Ge-
sehichte zurück.
Als der König so geendet, fahrte er Ruodlieb aus der Kemnate,
trat in den Pallas vor den Mannen auf den Thron und lobte des Ritters
Bravheit, wozu A^le beistimmten. „Gehe nun zurück in die Heiraath,
reich an Ehren , besuche Deine Mutter 'und Dein ganzes Gut und sieh
zu, ob Du dort bleiben magst und ob Deine Herren ihr Versprechen
halten wollen. Täuschen sie Dich, so mögen sie auch gleiches von Dir
erfahren; diene Keinem, der knauserig und unedel gesinnt ist. Behagt
es Dir dort aber nicht, so komm wieder zu mir, den Du als denselben
finden wirst, wie ich Dich jetzt entsende.*^ Darauf gab er dem vor ihm
stehenden Edelknecht einen Wink und sagte ihm heimlich in's Ohr, der
Kämmerer sollte jene Reisetaschen bringen, in denen die bekannten
Brode mit den Kostbarkeiten sich befanden. Als die Taschen kamen,
sprach der König: „Mein Lieber! zerbrich doch diese beiden Brode
nicht eher, als bis Du zu Deiner, Dir so lieben Mutter kommst; unter
ihren Augen schneide das kleinere an, das grössere aber erst, wenn Du
am Hochzeitstage mit Deiner Braut niedersitzest, davon kannst Du
dann nach Belieben Deinen Freunden geben, damit sie auch erfahren,
von welcher Art unser Brod zu sein pflegt.** Lebewohl sagend und ihn
dreimal küssend, ging der König mit Seufzen hinweg. Nun küssten ihn
die Anderen unter Thränen, das Volk geleitete ihn schluchzend bis zum
Ross. So fuhr er fort, sein Knappe zog ein Saumthier nach. Drei Tag-
rasten weit gab ihm sein treuer Freund noch das Geleite bis an die
Marken des Reiches, da schieden sie traurig, jeder wieder in sein Land.
Als er sich schon seinem Vaterlande wieder zu nähern begann,
trifft er auf einen Rothkopf, der sich ihm, nachdem er gegrüsst und
gefragt hatte, welchen Weg und wohin er zu fahren gesonnen, zudring-
lich anschloss. Der Ritter bewies sich abweisend genug und erwiedert
klug: Der Weg sei für Alle, Ihr könnt gehen, wohin Ihr wollt. Der
Rothkopf plappert und plaudert unverdrossen weiter, obwohl der Ritter
stille schweigt. Es wird heiss; Ruodlieb legt den Mantel') ab und
bindet ihn, wie gewöhnlich, hinter sich fest. Sogleich fährt das dem
■> Die Cappa^ das gewöhnliche Reisekleid, ein kurzes mantelartiges Gewand,
das zugleich mit einer Kapuze das Haupt verhüllte; sie wurden mehr von
Frauen getragen, doch auch von Männern, vgl. Wein hold S. H96 u. 449.
cf. Wigalois.
5
66
Kothkopf durch den Sinn, sich desselben zu bemächtigen , und bei der
nächsten Gelegenheit, als sie eben die Pferde an einem Wasser tränken,
nestelt er hinter dem Ritter richtig -die Riemen los, zog den Mantel
weg und barg ihn unter dem Sattel, bis er vom Wasser zurückritt, dann
sprang er vom Pferde und mächte sich irgendwo zu thun, den Mantel
in seinen SacR zu stecken. Dann kam er wieder nach und hub nach
einiger Zeit ganz unschuldig an : Ist mir doch, als hättest Du, Bester,
früher hinter Dir einen Mantel gehabt, ich wundere mich, ihn nicht
mehr zu sehen. Darauf versetzte der Andere, es komme ihm auch
wunderlich vor, wahrscheinlich 'habe er ihn bei der Tränke verloren, es
sei dort auch Etwas unter dem Wasser geschwommen. Der Rothe räth
gleich dahin zurückzukehren, Ruodlieb aber stellte sich, als läge ihm
nichts daran.
Gegen Abend nähern sie sich einem Flecken, durch welchen die
breite und sehr schmutzige Strasse sich zieht. Indessen wird das über
600 Verse haltende Fragment allgemach unlesbar und bricht verstümmelt
ab; es scheint, dass auch der Ritt durch ein Saatfeld mit zur Sprache
kam, wenigstens kann der gleichfalls lückenhafte Beginn des IV. Frag-
ments darauf bezogen werden. Darauf nähern sich die beiden Gesellen
einem Flecken, wo sie übernachten wollen. Der Rothkopf fragt einen
redseligen Hirten, ob und wo sie hier herbergen könnten, und dieser
erwiedert, dass hier wohl ein ganzes Fähnlein untergebracht werden
könne, am besten aber würden sie bedient bei einem ganz jungen
Mann, der unlängst eine schon ältliche Witwe zur Ehe genommen habe
und vorher ein ganz armer Kerl gewesen sei. Als nackter Armer,
um ein Stück Brod bettelnd , erzählt der Hirte weiter , sei der Mann
zum vorigen Gemahl der Frau gekommen, durch allerlei fleissige Dienste,
Brauchbarkeit und Verlässigkeit habe er das Vertrauen des knauseri-
gen Alten in dem Maasse gewonnen, dass ihm endlich die Aufsicht
über die ganze Wirthschaft und nach dem Tode des alten Lasters
sogar die Hand der Witwe zu Theil geworden sei. Er verdiene auch
alles Glück durch seine Gastlichkeit und Milde gegen Reiche und Arme.
Der Rothkopf aber fragt, ob kein Alter da wäre, der eine junge schöne
Frau hätte? Der Hirte weiss auch darüber Auskunft und nennt Einen,
der ein junges, thörichtes, leichtfertiges Dimlein geheirathet habe, die
ihm nun auf ärgerliche Weise mitspiele.
Ruodlieb und der Rothkopf müssen nun jeder nach seiner Art
Herberge gesucht haben, denn im nächsten (fünften) Fragment finden
wir den Ritter auf der Nachtherberge im Hause jenes jungen Gemahls
einer ehrenwerthen Matrone aufs allerbeste und freundlichste bewirthet.
Hochfahrend und polternd hat sich der Rothkopf dagegen bei dem alten
67
Affen einquartirt, und mit dem jungen Weibe sich verständigt. Sie
treiben es ziemlich bunt, sowohl in Gegenwart des Alten, der freilich
lächerlich hässlich geschildert wird, als auch wie sie glauben hinter
seinem Rücken, obwohl er sie heimlich belauscht. — Die Nacht in diesem
Hause mnss eine schreckliche gewesen sein; zwar ist uns nichts davon
erhalten, aber das nächste VI. Fragment führt uns unmittelbar in die
Folgen ein: Unter den Gebeten des herbeigeholten Geistlichen haucht
der offenbar vom Rothkopf auf den Tod misshandelte Alte seine Seele
aus. Am frühen Morgen sammelt sich das Volk vor der Kirche, denn
der Ruf des nächtlichen Verbrechens erscholl, auch der Richter begibt
sich dahin mit seinen Beisitzern; ') die weinenden Kinder des Todtcn
und die beiden Schuldigen werden herbeigeholt, derRothe erregt durch
sein schändliches Lächeln den Abscheu. Auf die Frage, warum er den
Altep so gemartelt habe, gibt er an, derselbe habe ihm die vorderen
Zähne eingeschlagen, bloss weil er neben dessen Frau gesessen, die er
fälschlich für seine Nichte ausgibt. Aber der Richter examinirt weiter,
er scheint mehr zu wissen, es musste ein schändlicher Rumor die Nacht
über gewesen sein. Der Rothe lügt sich auf die Frau aus, da er in die
Enge kommt; diese aber zerfliesst in Thränen und bekennt ihre Schuld,
für die sie gerne büssen will. Hängt mich und verbrennt mich nach
drei Tagen und streut die Asche in's Wasser, dass ja nichts von mir
in der Welt bleibt; schlagt mich in ein Fass und schreibt mein Ver-
brechen darauf, dass die, so es finden, mich rinnen lassen') und ich
den Fischen und Krokodillep zum Frasse diene; verbrennt mich, oder
versenkt mich im Sumpfe , ich werde es freudig aushalten , um nicht
dem ewigen Feuer zu verfallen. Da fasst Mitleiden das Volk und die
Schöffen, sie schenken ihr das Leben, sie aber verlangt, man solle ihr
Nase und Mund verschneiden, dass wenn der Kiefer gräulich die Zähne
bleckt Keinen mehr sie zu küssen gelüste, und brennt mir kreuzweise
die Wangen, dass Jeder mit Schauder meine Schuld erkenne. Doch gab
') Wir erhalten hier eine Schilderung der Gerichlsbarkeit, wie sie dieKlosler-
vöglc im Tinghause zu Warngau oder zu Tegernsee selbst ^innerhalb der
pruke"" übten und der Dichter oftmals gesehen haben musste. cf. Frey berg
Gesch. von Tegernsee. S. 139.
*) Es ist die alle Sitte (Grimm R. A. 710) Verbrecher und Todle auf steuer-
lose Schiffe zu setzen und dem Zufall Preis zu geben; doch galt das Ein-
schlagen in Fässer sonst gewöhnlich bei uns nur den Selbstmördern; man
packte sie in ein Fass , schrieb oben und unten darauf „lass rynnen , lass
rynnen"* und warf dieses in fliessendes Wasser. Wir haben viele Nachrich-
ten, dass solche unheimliche Fässer auf dem Inn, der Isar und der Amper
binabgeschwommen. vgl. Fö ringe r überb. Arch. 1844. S. 407. — Die
Frau will also, zum Zeichen ihrer thätigen Reue und aufrichliffen Basse in
der erniedrigenden Weise eines Selbstmörders nach ihrem Tode noch be-
handelt sein.
.')^
68 .
sie der Richter frei, dass sie ihren Kindern künftig eine Mutter unA
keine Stiefmutter sei. Ihre schönen Gewände und jeglichen Schmuck
zog sie ab, legte sich aus Aschentuch ein Kleid an, schor ihr langes
Haar ab, machte Stricke daraus und schlug sich schwärende Striemen,
bedeckte mit Hadern das Haupt, dass mir die Nase heraussah, lernte
den Psalter, ass trocken Brod und trank trübes Wasser, ging Winter
und Sommer barfüss, schlief auf Stroh, ein Reisigbündel unter dem
Haupte. Der frühe Morgen traf sie schon an des Gatten Grab, wo sie
oft schweissgebadet und thränenübergossen zusammenbrach ; fleissig kam
sie zur Kirche, Niemand sah sie mehr lachen, Weinen bedünkte sie süss.
Wie nun aber das Gericht über den Rothkopf ergehen soll, fordert
dieser, man, solle vorerst seinen Gefährten vorrufen, das geschieht durch
Ruodliebs Wirth, der in der Versammlung anwesend ist. Der Richter
fragt den JBerbeigekommenen : hoher Ritter , ist dieser Mann dein Ge-
seile, oder ist er es nicht ....
Da bricht unser Faden neuerdings ab. Sollten nun, wie man wohl
■
annehmen darf, auch die übrigen jener Lehren auf ähnliche Weise zur
praktischen Nutzanwendung gekommen sein, so wäre jetzt eine Aventüre
mit der Befolgung des vierten Rathes (dessen Anwendung auf Ruodlieb
freilich schwer zu begreifen ist), dessgleichen der fünften Lehre zu
erwarten. Es scheinen diese Stellen verloren, da wenigstens das
nächste Fragment (VU.) nichts derartiges durchblicken lässt. Das sehr
verstümmelte Blatt enthält nur eine Klage, dass auch die höchste
Schönheit verwelke, dann ist von einem Ritt, Gesang und Tanz, auch
von einer verzehrenden Sehnsucht die Rede.
Da kommt ein zu St. Florian aufgefundenes Blatt zu Hilfe CVIH.),
das in äusserst lieblicher Weise die Einkehr unseres Helden bei einem
jungen Neffen schildert, und zwar noch nicht im Hause seiner Mutter,
sondern bei einer Witwe, die ein holdseliges Töchterlein hat, an welcher
Ruodliebs Mutter Pathenstelle vertrat. Das Mägdelein hat grosse Freude
an zahmen Vögeln, unter denen besonders redselige Staare sich hen^or-
thun. Sie hatten kein Futter in ihren Häuschen, sondern heischten sich
das Futter selbst durch das Gitter, wenn sie Hunger hatten, sonst
blieb ihnen die Kost verwehrt, wenn sie nicht artig baten. Gar klug
plapperten sie und konnten auch das „Vater unser ^ bis zu „der du
bist im Himmele, le, le, le^ recitireu, was ihnen die Schwester Statza
CStäsi, Anastasia) beigebracht hatte. Unterdessen fanden sich auch zwei
Harfner (harpatores) ein, die schauerlich spielten, so dass Ruodlieb
sich zur Hausfrau mit der Frage wandte, ob sie denn keine Harfe sonst
im Hause habe, und sie hat eine überaus treffliche (melior qua non
erit ulha), auf welcher ihr seliger Herr (heros, entsprechend dem un-
69
wiedergeblich schönen mhd. helt) früher spielte (symphoniavit) und deren
Klänge ihre alte Liebe wieder beleben ; keiner hat sie seit seinem Tode
beröhrt.
Sie brachten ihm die Harfe ; er griff hineiii gewandt
Bald mit zwei Fingern, bald mit der ganzen Hand
Und spielte Gang' und Läufe so deutlich und klar
Und sang ein Lied von Minne, dass Allen wohl zu Muthe war.
Wer Hand und- Fuss im Reigen sein Leben nicht bewegt,
Dem ward doch bei der 'V^eise die Lust zum Tanz erregt.
Lauschend horchen selbst die Harfner; so spielte er drei kunst-
reiche Weisen, da bat die Wirthin noch um eine vierte, fröhliche, um
einen Reigen, den das Töchterlein mit dem Junker tanze. Wir geben
die folgende Stelle lieber in Simrock's Ueberti'agung , der denn mit
congenialer Freiheit dichtend, das zerfetzte £pos meisterhaft zu einer
kleinen Novelle gestaltete, die Rüdiger von Bechelaren seinen Gästen
zum besten gibt ') Ruödlieb
hub an zu spielen und sang ein Lied dazu,
Es hätte hüpfen mögen daa Kalb in der Kuh.
Vom Tische frohlockend sprang die schöne Maid
Und schwang sich gefällig und hob mit Anstand das Kleid.
Da kam ihr entgegen der schnelle Jüngling froh
Die Meidende zu suchen, die ihn doch ungern floh.
Er kreiste wie der Falke, da sie -der Taube glich;
Meint' er sie zu haschen, entschlüpfend wandte «ie sich.
Sein Tanzen war ein Fliegen, zu schweben schien die Magd ;
Nun hatt' er sie gefunden, das holde Wild erjagt.
Sie reicht die Hand ihm willig und beut ihm den Kranz,
Doch schnell dem Geneckten entflieht sie wieder im Tanz.
Nie sah man bess're Tänzer und nie ein schöner Paar,
Alle Gäste klagten als er zu Ende war.
Man glaubt, der Tegernseer Dichter habe mit den neumos agitare
digitis, manibus variare, variare pedibus (was gerade die Tegernseer
Handschrift besonders gibt) unmittelbar den Bauerntanz vor Augen ge-
habt, wie er heute noch am St. Bartelmä-Tage auf den abgelegenen
Höhen der benachbarten Vallep mit urweltlicher Bravour, oder mit
grösserer Glätte als gewöhnliches „Schuhplatteln** an den Ufern des
See's selbst aufgeführt wird. ')
M Vgl. Simrock^ Amelungenlied III. Tbl. (oder VI. B. des Helddnbucbs.)
*) Lew«ld gibt in der Allgem. Zeitung Beil. 238 vom 26. August 1859 eine
70
Hierauf setzen sie sich, aufgemuntert van der Mutter, welche die
beiden Leutchen gerne beisammen sieht, an ein Spielbrett und spielen
um ihre Ringe. S i e will, wer dreimal, e r, wer auch nur einmal gesiegt,
soll des anderen Ring haben. ') Bald und gerne hat jedes ein iSpiel
und seinen Ring verloren:
„Sie werden dem zu Theile, der dreimal obgesiegt.^
Ef sprach: Verloren habe, wer einmal nur erliegt.
Sie war" es auch zufrieden, warf und gewann das Spiel.
Gern gab den Ring der Jüngling, dem zu verlieren geAeK
Das Mägdlein in der Freude des Sieges gab nicht acht;
Da hatt' auch sie ihr Ringlein verloren unbedacht.
Sie zog ihn von dem Finger, ihr Kummer war nicht gross,
Sie Hess ihn freundlich rollen dem jungen Mann in den Schooss.
Unterdessen (Fragm. IX.) erkundigt sich Ruodlieb bei der Hausfrau
nach seiner Mutter, sie will derselben die Freudenbotschaft senden, dass
ihr Sohn den folgenden Abend endlich in ihren Armen sein werde.
Dem verliebten Pärchen aber verstreicht die Zeit kurzweilig im an-
ziehenden Spiel um Ring und Herz und Hand, dreimal ist sie ihm, drei-
mal er ihr verfallen; glühende Neigung hat sich über Tani: und Spiel
entsponnen. Leider ist die Folge wieder zerschnitten, so zwar, dass nur
die zweite Hälfte der Yerszeilen erhalten, aus denen sich zur Noth
herauslesen lässt , dass Ruodlieb auf dem Heimwege den von seiner
Mutter ihm entgegengeschickten Dienern begegnet. Dort steht auch
treffliche Schilderung dieses wirkllth schwer zu beschreibenden Tanzes und
bemerkt dabei ganz richtig : ^Es ist nur ein Vorurlheil, wenn man den Tanz
der Südvölker Enropa's graciöser nennt. ^Auch unser gestrampFter Gebirgs-
ländler ist ^raciös, und kräftiger spricht sich gewiss keiner aus. Man kann
nichts lieblicheres sehen, als wenn das Mädel aus den Armen ihres Ruhen
entschlüpft, sich mit niedergeschlagenen Blicken wie eine surrende Spinde!
so um sich selbst dreht, während er, der Bub, im Gefühl seiner Mnnnes-
herrlichkeit und des Siemes im voraus gewiss, in die Mitte des Kreises
springt, den die drehenden Mädchen bilden, und nun das Strampfen, das
Klatschen, das Taktschlagen auf Schenkel und Waden, das Jauchzen mit
künstlerischer Sicherheit vollbracht wird, wobei der Tänzer die sich weit
weg von ihm drehende Tänzerin niemals aus den Augen verliert, um im
rechten Augenblick wieder auf sie hinzufliegen, sie in den Arm zu nehmen
und mit ihr herumzuwälzen. Ehe er diess aber wagt, stürzt er schnell vor
ihr auf die Kniee und dann erst umschlingt er sie. Es liegt eine starke Sinn-
lichkeit darin, gleichwie im Saltarello, Fandango und Bolero, nur das Che-
valereske des Südens fehlt."* — In gleicher Weise und man möchte sagen,
phantastischer und prächtiffer, wird am Bartelmätage in der Valien getanzt,
wo der in jahrelangen Hüben abj^ehärtete Jäger von seinen Felsen hernieder-
steigt und die sonst von der Welt ganz abgeschiedene Sennerin den einzigen
fröhlichen Tag im Jahre begeht.
■) Roch holz, Kinderspiel. 1657. S. 434. Auch Bride spielt mit Ep'pe um
ein Fingerlein. vgl. rieid hart herausgegeben von Haupt. S. 42. 12.
71
bereits ein junger Diener auf der Warte, der einer Dohle noch den
Gruss ^Ruodlieb here, curre, venique^ beibringt und endlich die Ankunft
des mit seinen Begleitern aus dem Wald hervortauchenden Gebieters
freudig verkündet. Ruodlieb badet mit (Fragm. X.) seinem Neffen, und
dann gehen sie im Hause der Mutter, deren Tischgenossin sonst nur die
Dohle war, zur Tafel. Nach dem Mahle geht RuodKeb in die Kemenate
der Mutter, lässt den Reisesack (rohd. mahle) mit den Pfeilen und Kost-
barkeiten, die er in den zehn Jahren seiner Abwesenheit erworben^ nebst
den beiden Broden bringen , die ihm der König verehrt hatte , damit
auch die Mutter sehen könne, wie gut afrikanisches Brod schmecke. Als
er das eine anschneiden will, widersteht es dem Messer, er schabt den
MehlQberzng weg und es zeigt sich dem Staunenden das helle Silber,
und nachdem er die Nägel abgefeilt, die Fugen geöffnet, der Schatz von
glänzendem Golde. Mit Thränen im Auge bricht Ruodlieb in Worte
des Dankes gegen den königlichen Spender aus.
Später, wie es scheint, wieder mit seinem Neffen zu seiner
Gevatterin und ihrer Tochter zurückgekehrt (XI. XII.) legt Ruodlieb
zur Verwunderung der Wirthin und der vom Söller herab zuschauenden
Jungfräulein, zur Freude des Neffen und der herbeieilenden Köche,
Proben seiner Kunst, Fische zu fangen, ab, indem er sie durch ein
Pulver') ^e verrückt macht, so dass sie mit einem Stöckchen an*s
Land gejagt werden können. Hier ist die Aufzählung, der ausgelegten
Fische, grösstentheils unter deutschen, noch ganz das Gepräge des
zehnten Jahrhunderts tragenden Namen, wie sie auch dermalen im
Tegem- und andern unserer oberbayerischen Seen vorkommen, von
Interesse (XIII. II — 21.): Hier werden aufgezählt der Hecht und
Ruffolk (Rufus), ihrer Gefrässigkeit wegen der Wolf unter den Fischen
genaoot (qui sunt in piscibus hirpus» pisces namque vorant, illos ubi
prendere possunt), ferner die Brachse fPhrahsina), der Lachs (Lahs),
Karpfe (Charpho), die Schleie (Tinco), dann Barben (Barbatulus),
Orfen (Orvo), Alnt, Nasen, beide gar grätenreich (qui bini^nimis
intos sunt acerosi) Rutten (Rubeta) und Gründling (Fundicola),
rothe und weisse Forellen (Truta mhd. Forahana) grossköpfige
Koppen, der an den Flossen verkrüppelte Aal und der gewaltige
Waller (Walsa), Aschen (Asco) und Renken (Rinanch), zwei ganz
feine Leckerbissen (ambo dulces nimis in comedendo),, dazu der am
Rücken wie eine spitze Nadel stechende Appäuss (Agapuz, ut ucus
') Aus baglossa, Farrenzunge, das im Volksleben überhaupt als ein ^gar fUr-
nehmes Kraut^ berühmt ist und zum Kugelfeslmncben ^ Srhatzsuchen und
Hexenfahrten unumgänglich nothwendig ist. vgl. Zingerle Volksmeinungen.
S. eZ. 102. 124. Alpen barg S. 408. Grimm Ü, 1160 u. 1161.
72
in dorso pungit acutus) und noch viele andere, die der Dichter selbst
nicht kennt (praeterea roulti pisces mihi non bene noti). ^)
Hierauf lässt die Wirthin ihre schöne Tochter zur Tafel herab-
holen, an welcher Ruodliebs Neffe ihr zur Seite sitzt. Wir erkennen
hier ein nettes Bild einer mittelalterlichen Tafel und ihrer Freuden.
Die Tischgenossenschaft ergözt sich an den Künsten eines braven
Hundes, der in einem der Diener richtig den Dieb erkennt, welcher ein
«
paar silberne Steigbügel gestohlen hatte, der Wicht bekennt die That
und gibt die Bügel heraus, die der Hund der Eigenthümerin zurückstellt
Dann verzieh ihm Ruodlieb und hiess dem Hund, sich dem Kerl zu
Füssen legen und um Verzeihung bitten, dass er ihn so angefallen, das
that er , sprang auf dessen Geheiss auf und vertheidigte den Burschen
sogar, als die Anderen versuchsweise und nur zum Scheine ihn mit
Stockschlfigen bedrohten. Als sie manche Tracht gegessen und wacker
getrunken hatten, wurde das »Wasser gereicht, doch gab es keine Kir-
schen, dafür brachten Knaben frische Erdbeeren in Schaalen und hasel-
bastenen Körbchen. Dann kleiden sie sich festlich, der Ritter und der
Neffe, wobei dieser das jüngst gewonnene Ringlein nicht vergisst.
Endlich hat (Fragm. XIY.) nach förmlicher Zustimmung und in
Gegenwart aller desshalb von Ruodlieb gebetenen Freunden und Ver-
wandten, denen es, wie ihm, darum zu thun ist, dass der edle Jüngling
den Armen einer schändlichen (auf unseren Fragmenten früher noch
nicht berührten) Buhlerin gerissen werde, die feierliche Verlobung des
letzteren mit der Gevatterin schönem Töchterlein statt. Der Bräutigam
reicht, ein uralter Rechtsbrauch,') seiner Braut den Trauring am
') J. C. Weber die Fische in Bayern, 1851, zählt S. 46 un(er Tegernsee fol-
gende Arten auf: Saibling, Lachsforelle , Forelle, Hecht, Karpfen, Barben,
Brachsen, Rtilten, Ailel, Rothnuge, Nase, Koppen, Pfrillen, Grundein, Lau-
ben, Kressling, Biirslling. — Die von unserem Dichter genannte Phrah-
si na sind unsere Brachsen, vg-l. Seh melier bayr. Wörlerb. I. 250; der
Orvo ist unsere Orfe, auch Rülhling, Goldkarpf (b. W. I. 105); Alnt=Ailel,
AllI, Al»l, Alet, Allt, dem Karpfen^eschlecht an^ehörig (ib. I. 52), Naso
(ib. II 705), Truta, mhd. Forahana, franz. truile, Forelle; in capile grandis
capito mag wohl die dickköpfigen, froschmäuliffen Koppen, auch Groppen
vorstellen. Bei dem Aal heisst es als nähere Beschreibung: post öefiener
alis labilis anguilla ~ Per caput horrida Wolsa, ist unser Waller (silunis
glanis), auch Welse genannt. Asco, die zur Familie der Lachse gehörige
Asche (b. W. I. 22), welche den Ueberi^ang zum Karpfen bildet und in den
Klosterzeiten als „Rheingraf unter den Fischen*^ galt. Rinanch (b. W. III.
102)^ der Renke, zu den Salmen gehörig (Gangfisch); Rubeta, Rutten, Rap-
pen (b. W. III. 118. 170). Am n*emdeslen klingt der Agapuz, (ib. I 88)
Apeiss, Appäuss. der nach des Dichters näherer Beschreibung auf unseren
Stichling (Weber S 39) passen könnte. Der Anfangs genannte Rufus ist
ein Raubaal (Aalraupe), RuITolk (J. 1. Frisch Wörterb. 1741), auch Rupe,
• niederdeutsch Quappe.
>) Derselbe wiederholt sieh noch im XII. Jahrh. in der Verlöbnissformel «ines
7^
Schwcrtliefte^); heitere Reden, von ihrer Seite mit unbegreiflicher
Naivetät und grossem Ernste zurückgegeben, werden gewechselt. Nach-
dem der Dichter noch die von Ruodlieb dem Pärchen gemachten kost-
biuren Geschenke aufgezählt, überlässt er sie ihrem Schicksal — •
qualiter inter se cpncordent, quid mihi curae?
Es scheint, dass dais frfUiere Verhältniss des Jönglings mit der
angedeuteten Buhlerin, dessen Darstellung uns ganz verloren ist, sich
auf die sechste unter den zwölf Lehren bezogen habe, die Ruodlieb
diesesmal gerade nicht an sich erproben mnsste, aber an seinem Neffen
in nützliche Anwendung zu bringen Gelegenheit hatte. Demgemäss wäre
die Reihe nun an der siebcnteri. Im XV. Fragment finden wir nach
einer Lücke unseren Helden wieder im Hause der Mutter, die ihm
vorstellt, wie sie nun alt und schwach werde und wie sehr sie wünsche,
dass auch er nicht ohne einen Erben bleibe; dass er sofort die Ver-
wandten und Freunde versammeln und nach ihrem Rathe sicli eine
ebenbtirtfge Gattin wählen möge. Er tdllföhrt. Unter dem Vorsitze der
Mutter hat eine solche Versammlung statt und er wird auf ein Dämchen
hingewiesen, die durch Adel und hohe Tugend vor allen werth sei, des
Helden Gattin zu werden. Eine neue Lücke verhindert jedoch zu ent-
scheiden, ob wirklich hier wieder eine Anwendung, und zwar der
siebenten unter den zwölf Lehren , eingeflochten sei. Nach späterem
scheint es, dass Ruodlieb jene, von der Mutter und den Freunden
gerühmte Treffliche, vielleicht von seiner Begegnung mit dem Rothkopfe
her, besser kennt, und um sich folgsam zu zeigen, zwar einen Vertrauten
Absendet, der die Schöne um ihre Hand angehen, zu gleicher Zeit aber,
und ohne dass der Bote es selbst so recht weiss, zum entschiedensten,
von ihr ausgehenden Nein bestimmen soll. Im XVI. Fragm. erfahren
freien Schwaben. Nachdem der Bräutisram iiuler dem Zeichen von- sieben
Handschuhen seinen Schutz und seine Habe der Braut zu seinem und ihrem
Rechte mit seinem VoJl>^'erthe gegen ihren N'ollwerlh verloht und verwettet
hat, nimmt der gekorene Vormund der Frau ,,diu wete (Pfänder) unde die
frouwen unde ain swert unde ein guldin vin<^erlin unde aiiien phennich iinde
aiu roantel unde ain huot ouf duz swert, daz vingerlin »n di hilzen
(Schwertgrilf)"^ und überantwortet die Frau dem Mnnne, indem er spricht:
Hiermit befehle ich mein Mündel (muntatde) eurer Treue und Gnade und bitte
euch bei der Treue^ mit der ich sie euch befehle, ihr wollet ihr ein rechter
Vogt und ein gnädiger Vogt sein und ihr kein S( hiechler Vormund werden.
Massmann Kleine Sprachdenkmale S. 1 79. Ueber die Bedeutung der Schwer-
ter bei Hochzeiten v^l. Grimm RA. 167 u. 426 undQuitzmann Die heid-
nische Religion der Bajuwaren. 18(i0. S. 73 u. 75.
') Sponsus at extraxit ensemve piramide tersit.
Annnlus in capulo fixus fuit aureus ipso.
AfTert quem sponsae sponsus, dicebal et ad se,
^Annnlus ut digitum circum capit undique totum,
Sic tibi stringo fidem .firmam vel perpetualem,
Hanc servare mihi debes aut decapitari.^
74
wir den Verlauf und Erfolg dieser Sendung , einmal und in zum Theile
verstümmelten Versen, vom erzählenden Dichter, dann aber nochmal
und vollständiger als heiteren Bericht, denn der Abgesandte an RnodUeb
erstattet Die Schöne hat ihn überaus freundlich empfangen und ihm
nach allerlei verfänglichen Fragen . über seine Landsmänninnen fUr
Ruodlieb den zärtlichen Bescheid gegeben , den der Dichter , um die
überschwängliche Verbindlichkeit wiederzugeben, mit ihren deutschen
Worten selbst aufgeputzt hi^t:
die illi nunc de corde fideli,
tantundem liebes, quantum veniat modo loubeis,
et volucrum wunna quot sunt, sibi die mea mrnna
graminis et flomm quantum sit, die et bonorum.^)
Auf diese Worte, die als zärtliches Ja gelten können, nimmt der
schelmische Bote Abschied, bleibt aber eine Weile wie in Verlegenheit
stehen und entschuldigt sich, wie er vergessen habe, ein kleines von
Ruodlieb fiir sie mitgebrachtes Greschenk zu überreichen. Freudig erhält
sie ein Büchschen, das er aus dem Tasche! zieht , und eilt es zu öfinen
an's Fenster. Darin findet sife, wohl eingewickelt und vielfach versiegelt,
ein Kränzlein, Strumpfbänder, verschiedene LiebespfÄnder , die ihr bei
der (vermuthlich auch auf einem der yerlornen Fragmente erzählten)
Aventüre mit einem clericus abhanden gekommen waren. Wüthend geht
sie auf den Boten los, der feierlich bekennt, er habe nicht gewusst,
was das versiegelte Gebünde enthalten und gibt ihm den erwünschten
Bescheid: r.Sag' deinem Freunde, gab' es weiter keinen Mann als ihn,
und brächt er mir auch die ganze Welt zum Brautschatz, ihn nahm*
ich nimmermehr!** — Nun werd' ich wohl, sagt Ruodlieb, da er den
Bericht vernommen, eine Braut mir wählen müssen, die nicht heimlich
einen Andern liebt.
Von nun an aber scheint plötzlich das Gedicht und zwar leider
fast am Ende der geietteten Ueberbleibsel einen neuen Aufschwung,
und nicht etwa wie das vom Herzog Ernst (dessen Heimath vielleicht
auch in Tegernsee zu finden) in's Abenteuerliche überhaupt , sondern
sogar, ganz im Style des Hug- und Wolfdietrich, in die Nebel-
höhen der germanischen Heldensage zu nehmen.') Ruodliebs Mutter
') Sie sprach: „In Treue grüsse du mir den trauten Mann
Und sag ihm soviel Liebes als Laubes bat der Tann,
Als Wonnen haben Vögel, soviel der Minne mein,
Soviel das Gras hat Aehren, soviel soll seiner Ehre sein 1^
') Desshalb verwendete denn auch Simrock, der an diesen Fragmenten mit
bewunderunffswtirdig bildender Phantasie seine Hand anlegte, das Folgende
zu seiner ^kcken Ausführt'^ im Heldenbudi.
75
wirkt so. viele christliche Werke der Milde gegen Arme und Witwen,
Waisen und Pilgrime, dass Gott ihren Sohn beglücken will vor Vielen
und ihr dieses in. einem merkwürdigen Traume andeutet. Sie sieht,
wie der Sohn zwei Eber, die an der Spitze einer Heerde wilder Ba-
chen ihn anfallen, mit seinem Schwerte erlegt. Hierauf erblickt sie
ihn, sitzend im Wipfel einer hoben Linde, um ihn her auf den Aesten,
seine Streitgenossen. Bald darauf fliegt eine schneeweisse Taube herbei,
eine köstliche Krone im Schnabel ; sie legt die Krone ihm auTs Haupt
und setzt sich, Küsse gebend und empfangend, auf. seine Hand. Drei
Tage wartet die Mutter, dann erst erzählt sie dem Sohne davon. ') -^
Im nächsten Fragment (XVII.) liegt ein, wahrscheinlich nach schwerem
Kampfe überwundenes Zwergelein, gebunden zu des Helden Füssen.
„Tödtest du mich nicht, spricht der Gezwerg, und lösest mir die Hände,
so zeig' ich dir zweier Könige Hort^ die mit dir kämpfen werden,
Immunchs und seines Sohnes Hartunchs. Beide wirst du erschlagen;
des Reiches einzige Erbin, Heriburg, die schöne Maid, wirst du ei*werben,
aber nicht ohne viel des Blutes, thust du nicht, was ich,. so du mich
losgebunden, dir rathen werde^^^ Unverkennbar ist hier eine mit dem
Traume von den beiden Ebern und der weissen Taube übereinstimmende,
noch deutlicher und sogar namentlich ausgesprochene Darlegung dessen,
was im weiteren Yerlaufe der Dichtung 'vorkommen .musste, leider aber,
falls sie überhaupt vollendet wurde, verloren scheint. Hier folgt nur
noch , wie Ruodlieb den Zwerg nicht losbinden will , weil er Wort-
bröchigkeit besorgt, worauf dieser antwortet, nicht wie das Geschlecht
der Menschen gehe das der Zwerge mit Betrug um und de^shalb sei es
auch von Siechthum frei und so langen Lebens. Endlich bietet er bis
zur vollen Erföllung seinß Gattin, ein anmuthiges, zierliches Weibchen,
das er aus der Höhle herbeiruft, dem Zweifelnden als Geisel aii.
Die beiden Fragmente (XVJII. und XIX.^, welche sich noch vor-
fanden, bieten in ihrer Lückenhaftigkeit keinen bestimmten Sinn. Jeden-
fieüls aber ist uns durch die Barbarei der Tegernseer Herren selbst,
die im XV. Jahrh. die guten Pergamente zerschnitten, um ihre Schar-
teken damit einzubinden, ein kostbares Werk in seinem ganzen Umfange
verloren gegangen, denn der Held unseres Gedichtes ist wirklich keine
fingirte Person, sondern auch durch andere Stellen gesichert. So
erscheint im Eggenlied') ein Kunig Ruoflieb (da wo die Geschichte
I ^s berühmten Schwertes Eckesachs berührt wird, das dem ersten Be-
') Norh jetzt gilt der Glaube, dass die Traume erst wahr werden, wenn man
drei Tage lang nicht davon spricht.
')La8sberg S. 30. Sir. 82.
76
sitzer von einem wilden Gezverge verstohlen worden war) und auch sein
Sohn Herbert wird genannt. In der aus deutschen, d. h., in Deutsch-
land geschriebenen Quellen zusammengestellten Wilkina Saga ') wird
(cap. XL) bei deVselhen Gelegenheit von Ekisax gesagt, dass es Alfrikur
(Alberich) der Zwerg seinem Vater im Berg gestohlen und es dann
dem König Rozeleif (Roseleif, Rutseleif) gegeben habe, der es bewahrte,
bis der junge Rozeleif es trug und Manchen damit erschlug. Die Iden-
tität zwischen Rozeleif und Ruotliep, welchem ein äheres Hrödleif,
Hrodlaibs zu Grunde hegen wird, ist bei Gleichheit aller übrigen Um-
stände wohl kaum zu bezweifclui
Der idyllische erste Theil unserer Dichtung erinnert, wie schon
Schmeller bemerkt (S. 222) auffällig an Herzog Ernst, von dem
vielleicht schon im X. Jahrh. eine lateinisch gereimte Bearbeitung
existiren mochte, der zweite Theil aber desto auffallender an die Wunder
des lombardisch'en Sagenkreises, der uns leider in keiner so
frühen Fassung erhalten ist. Es ist, wie J. Grimm treffend bemerkt,
kein gewöhnliches Talent, was sich hier allenthalben kund gibt und
durch die Unbequemheit einer fremden Sprache bricht; so viel feines
Gefühl, solches Geschick eine verschlungene Sage zu ergreifen, durchzu-
föhren und auszustatten, hätte man um diese Zeit noch nicht erwartet.
Während der lateimsche Dichter des Walthariliedes die deutsche Quelle
durch seine Bearbeitung schon verflachte und schwächte, braucht
Froumunds kühne Darstellung ihre Gleichnisse nicht aus einem Vor-
bilde zu borgen, sondern kann sie selbst erfinden. Wie lebhaft z. B.
sind die Vergleiche des Tanzes mit dem Flug der schnellen Schwalbe
und dem Kreisen des Falken. Von den Vertrauten und täglichen
Dienern des Königs wird gesagt, ihr Geflüster schwebe um die Ohren
des Königs, wie unter dem Waldbaume das Geräusch der Eicheln bei
jedem Luftzug vernehmbair ist Eine künstlerisch und fast dramatische
Spannung der Gegensätze ist zu bewundern, wie z. B. von einem stillen
Haushalt, der durch den Tod eines Geizhalses in volle Befriedigung
ausgeschlagen ist, das Gedicht sich zu dem leichtfertigen Leben einer
jungen Stiefmutter wendet, die zuletzt in rührender Reue ihren Fehltritt
büsst. Wie schön und wahr ist die Mutter gezeichnet, die dem schei-
denden Sohne nachschaut durch das Gitter, und wie das Gesinde, um
dem lieben Heren noch länger zu folgen, auf die Zäune klettert und
wie treue zeigt sich der gute Sohn, als er nach zehn Jahren den heimath-
liehen Boten findet und die erste Frage an ihn nach der Mutter stellt.
Wie hübsch und gleichfalls der Erfahrung abgelauscht ist d^r Zug, wo
') V. d. Hagen 1855. I. S. 152.
77
«
bei dem Gastmahl die Kinderchen, Erdbeeren bieten. Walirhaflig, das
so lange nur als unwirthbares Eisfeld verrufene Zeitalter der mittel-
lateinischen Dichtung birgt einen Liederfrühling unter der starren Decke,
der herrlich und verheissungsvoll hervorbricht, ein Bürge daför ist diese
Dichtung, die, wäre sie vollständig erhalten, grösseres Aufsehen erregte,
aJs Alles was wir noch in dieser Weise haben. —
Nach einem solchen Vorgänger ist alles trocken und fttrblos, wir
begnügen uns, den Regensburger Otho ganz einfach nur zu nennen,
der einen Dialog de tribus quaestionibus (de divinae pietatis agnitione,
judiciorumque divinorum diversitate, nee non de varia bene agendi facul-
täte) femer ein Buch de cursu spirituali und de adroonitio'ne clericorum
verfasst hatte, er dichtete auch ein lateitiisches Reimwerk de doctrina
spirituali . in 39 kurzen Kapiteln. 0
Der Subdiacon Walther zu Speyer, der unter Abt Balderich
(t 987) und Kaiser Otto III. Zeiten florirte, Verfasste in Prosa und
Versen die Acta St. Christophori;*) Walther war ein eminentes Genie,
der in der Gelehrsan^keit über Alles ragte, in Poeticis aber fast Allen
die Palme entriss; keiner hat in seiner Zeit glänzender geschrieben.
Auch einen Grafen Arnold oder Arnolf von Vphburg treffen wir
unter den klösterlichen Poeten, der c. 1031 zu Regensburg ein Carmen
in vitam St. Emerami schrieb,*) es besteht aber nur aus wenigen Zeilen
und ist mehr bine Buchstabenspielerei und Rarität, als wirkliche Dichtung.
Der Panegyricus ad Heinricum III. imperatorem des Wippo steht nach
einer Augsburger Handschrift bei Canisius.*) Fast gleichzeitig mit dem
Waltharius und Ruodlieb wird ein Lied von den Wundem Christi, vom
Scbolasticüs Ezzo zu Bamberg zu nennen sein. Ezzo wird im Leben
des 'Bischof Altmann von Passau') als ein „vir onmi sapientia et sei-
en tia praeditus^ geschildert, der auf einer Pilgerfahrt des Bischof Günther
von Bamberg nach Jerusalem im Jahre 1065 eine „cantilenam de
miraculis Christi patria lingua nobiliter'^ componirt habe, von Ezzo
war jedoch bloss der Text, von einem Anderen die Weise dazu. Bischof
Rupert zu Bamberg besang den Krieg Heinrich IV. gegen die Sachsen.
Auch der berühmte Historiker Otto von Freising (geb. 1109 t H58)
') Bei ?ez III. 2. 431—82. Von Ihm ferner noch eine Sprit hwörtersfinimliin^,,
eine Predigt auf dea Aposlelliig, ein über visionum nnd ein Leben des heil.
Wolfgang, gleicbfails rhyl misch eingeleitet.
«) Pcz II. 3. 29—94 u. 99-122 und Disserl." isagog. p. l (f.
^ Ib. IV. 2. 37.
^) Antiq. lectiones. Ingolstadt 1602. II. 192-203.
^) Verfasst zw. 1125 41. Pez Script. Rer. Austr. I. 117. vgl. Docen in
HormayKs Archiv. 1822. S. 263,
78
soll lateinische Verse gemacht haben, wenigstens enthält die Sprach-
sammlung von Alain de Tlsle welche Barthius und Almeloven heraus-
gegeben, an 40 Nummern kleine lateinische Verse, als deren Dichter
ein Otto genannt wird. Aber die Verse enthalten nur Gemeinplätze, aas
denen sich nichts Weiteres schliessen lässt. ^) Massmann schreibt
unserem Otto den Heraclius zu, den er nach dem Französischen
gedichtet haben soll und wovon eine HS. in der Münchner Bibliothek
liegt, die Annahme ist aber nach WackernageP) unstatthaft. Unter
den Dichtem erscheint auch eine Frau, Rheinhildis, 1156, Aebtissin
des Klosters Bergen') in Franken, sie soll nach Pastorios die ganz
lyrischen und doch grammatikalisch - doctrinären Charakter tragenden
Verse gemacht haben:
0 pie grex, cui coelica lex, et nulla doli fex
Ipse Sion mons, ad patriam pons, atque Dei fons
Qui via, qui lux, hie tibi sit dux, alroa tegat crux,
Qui placidus ros, qui stabilis dos, virgineus flos,
nie tegat te, protegat et me, semper ubiquö. —
«
Ein gleichzeitiges Gedicht in lateinisch gereimten Versen von
Saladins Eroberung des ^^elobten Landes im JiGthre 1187 nach
einer HS. der Münchner Bibliothek findet sich in Aretins Beiträgen
1806. 9 St. S. 297—300. Das gleichfalls halb epischen. Charakter
tragende Kampfgespräch zwischen Phyllis und Flora^) Caas
dem Codex der Cannina burana) über die Vorzüge ihres Geliebten, das
sich ebensosehr durch die anschauliche, belebte Dai^tellung, als durch
besondere Schilderung der clericalen Unsitten und des ritterlichen Lebens
des XII. Jahrh. auszeichnet, ist leider defect, so dass der Streit unent-
schieden und die artige Erzählung unvollständig gelassen wird. — Ein
merkwürdiges Werk ist Günther's ^Ligurinus,** welches in .die Zeit
von 1186 — 1200 zu setzen wäre. Der angebliche Dichter singt in 10
langathmigen Büchern und in fliessenden Hexametern beredt, oft unter
angenehm eingestreuten , nur allzu gelehrten Bildern , lauter bekannte
•) B. Huber Giro von Freising. 1847 S. 75.
>) Wackerna gel Lit. Gesch. S 181. Anmerk. 26.
') Bergen das- Frauen Closter Benedictiner Ordens zum hl. Kreuz, in diePflcg
Herspruck gehörig. Ist an 776. von Bildrnde, des Bayerfiirslen Berlholdi
Gemahlin gebauet, hernach an. 1095. gar abgekommen und 46 Jahr öde ge-
lej^en. Als es nun wieder aurgebanet gev^esen, hat es Churfürst Otto Hein-
rich, Pfaizgrafe bei Rhein an. 1546 reformiren lassen und ist die erste Evan-
gelische Aebtissin i^ewesen Margnretha von JMuhr. (Pastorius Franconia
rediv. 1708. S. 447.)
^) Aretin Beiträge. 1806. 9 St. S. 301 9.
79
Begebenheiten, z. B. von Otto von Witteisbach, den Sturm auf die
Veroneser Klause n. s. w. ; der Titel ist von den Kämpfen Friedrich T.
gegen die Mailänder (Xiigures) geschöpft., Das Werk erweist sich bei
genauerem Zusehen als ein baarer^ versi6cirter Auszug aus Otto von
Freising und den eigentlichen Greschichtschreibem Friedrichs, sonst ist
es inhaltsleer und arm und die Yermuthung Grimms, das Opus sei
erst im XVI. Jahrh. und zwar durch Conrad Geltes entstanden,
hat ziemlich viel Ueberzeugendes, zumal wenn man bedenkt, dass davon
gar keine HS. existirt, dass es im Mittelalter selbst nirgends genannt
oder bekannt ist und dass es erst zu Conrad Celtes Zeiten auftauchte,
wo es mit dem Virgil bald gleiches Ansehen errang und als Schulbuch
tractirt wurde. *)
Alle diese bisher genannten Produkte sind zu verschiedenartiger
und mit Ausnahme des Ruodlieb zu wenig anziehender Natur, als dass
sie eine andere, als chronologische Zusammenstellung Und Folge erleiden
möchten. Wir beschränken uns demnach nur auf zwei Persönlich-
keiten , die noch einiges Interesse zu erwecken vermögen , die eine ist
Conrad von Scheyern, die andere der vielgerühmte Meteil us von
Tegemsee , welche zwar früher genannt zu werden verdient hätte , mit
dem wir jedoch lieber unsere Darstellung der klösterlich - lateinischen
Epik beschliessen.
Ueber die literarischen und beziehungsweise auch die poetischen
Leistungen des Klosters Scheyern, namentlich aber über .den Mönch
Konrad, mit dem ehrenden Beiwort des Philosophus, hat J. v. Hefner
zwei anziehende Abhandlungen verfasst. *) Bereits unter dem ersten
Abte Erchinbold (f IUI), da das Kloster noch seinen Sitz zu
Vischbachau hatte, blühten die Schulen und der Zudrang der jungen
Adeligen, die man der Abtei zur Erziehung anvertraute, war so gross,
dass der Abt um weitere Localitäten umschauen musste. Zu Konrads
Zeiten las man (1241) in den Schulen Seh eye ms die klassischen
Autoren; Cicero, Horatius und Andere wurden abgeschrieben fiir den
Schulgebrauch.') Conrad war ein eminenter Mann von der vielseitigsten
Bildung, von so mannichfaltigem Wissen und Können, dass es unbe-
greiflich erscheint, wie ein Mensch so Verschiedenartiges in solcher
') Die in die bayerisscbe Geschichte einschlagigen Stellen hat Ludewi^ in
sein \^Bi]ch vom bayr. Hause^ verarbeitet, vgl. Grimm Gedichte auf Frie-
derich 1. den Slaofer. 1844. S. 14.
*) Oberb. Archiv. II. 91 IT. u. 155 ff
*) Der Lebrkurs dauerte 15 Jahre, wobei den Zöglingen freistand^ nach voll-
endeter Lehrzeit entweder das Orden'* kleid 7.11 v^'ählen oder in die Welt
KurUckzntreten.
»9
Trefflichkeit zn umfassen verstand; vielleicht ist die Zeit nahe, wa unser
Philosophus ebenso in viele Theile zerspringt, wie der angebliöhe
Wernher von Tegemsee! Als Historiker war Konrad durch sein
Chronlkon ausgezeichnet, nicht minderes Lob verdienen seine Cataloge;
in Anbetracht der Chorographie erwarb er sich durch sein Saalbach
Verdienste um Bayern. Sein Planiglobium, die Darstellung der Zonen
u. s. w., machen ihn als Geographen schätzenswerth. Für seine Kennt-
nisse in der Theologie und Philosophie spricht die Mehrzahl seiner
, Schriften; seine Wissenschaft in der Arzneikunst documentirte er durdi
anatomische Zeichnungen^ seine Kenntniss der Botanik beweisen die
Abbildungen der Pflanzen und die Angabe ihrer Heilkräfte; prachtvolle, .
zierliche .Handschriften zeigen ihn als kunstvollen Copisten und geist^
vQNen Illustrator, indem er 3ilder dazu schuf und Zeichnungen malte,
die nach Composition und Ausfuhrung neben dem Besten seiner Zeit
sich sehea lassea durften. Dazu kommt noch eine Unzahl zierlicher
Reime und Gedichte, die er seinen Bildern beizuschreiben beliebte')
, und die fliessend, lebendig und klar vom fleissigen StuditTm der Alten
zeigen, deren Schriften er mit eben so grosser Liebe las, als er sie
(was sein Lucanus glossatus, die officiorum libri Cicero's und die Ser-
mones des Horaz bezeigen) mit unermüdlichem Eifer abschrieb. Dessun-
geachtet ist sein Ruhm als Dichter nie absonderlich gross geworden,
er wuchs nie zur Sonnenhöhe des Metellus, der von den Humanisten
des XVI Jahrh. auf die Arme genommen und vergöttert wurde, indess
der Dichter des Ruodlieb in beinahe unrettbare Nacht verschwand.
Die um's Jahr 1060 gedichteten Quirinalia des Tegernseer
Metellus') bilden einen biographischen (in vielfach wechselnden
Formen ganz nach Horaz'schen Vorbild gehaltenen) Oden-Cyclus, ein
lyrisches Epos auf den hl. Quirinus , worin bald in einen historischen
Excurs ausgehend, aber noch immer in gebundener Rede erzählt wird,
wie das Christenthuni nach Noricum gekommen, von den Stiftern des
Klosters Tegernsee , wie der Heilige den Störern seiner Ruhe erscheint
und selbe verscheucht, indem er Feuer um sich wirft,') wie sein
I) Das von ihm verrnssle Liber matulinalis (in gr. Fol) enthält z. B. ein Gedicht
über die 30 Dinare, irm die Christus verkauft v* iirde, v*'ie sie zu dpii Zeiten
des assyrisihen Königs Ninus geprägt wurden und vtas dann ihre weitere
nuinismalisrlie niognipliie gewesen; ein anderes Gedicht handelt vom Holz
des hl. Kreuzes^ diis nach einer im Mittelalter allgemein bekannten Legende
aus dem Paradiese stammte u. s. w. Darauf folgen Versus de Henoch et
llelia. quomodo et uin vivant und noch viele andere nützliche Reime zu
biblischen Darstellungen u dgl. .
') Theilweise abgedruckt im Anhang der von H. Canisiiis Ingolstadt 1601 '
herausgegebenen antiq. lect. I. 37—151.
*) Vgl. auch die Tiroler Sagen von Zingerle. 1859. S. 35.7.
81
Leichnam nach Noricnm kam ') und eine heilsame Quelle entsprang,
von dessen Tumba und Crypta") u. s. w. Das Folgende ist ein ganz
versificirtes Mirakelbnch, häufig frisch und gut erzählt, dessen Werth
unschätzbar wäre, wenn der Dichter sich der deutschen Sprache bedient
haben würde, das aber so kaum von den Philologen die gehörige Wür-
digung erfahren wird. Metellus erzählt in dem das eigentliche Werk
an Umfang weit übertreffenden Epilog von den Wundern des fieiligen,
vie Blindgebome sehend geworden und allerlei Presten des Leibes und
der Seele hier geheilt wurden, wie die, so den Leib des Heiligen nach
nimünster übertragen wollten, mit Blindheit geschlagen wurden, von
einer Matrone, die nicht in die Kirche gelangen konnte, dann eine
Historie, die ganz so lautet, wie ühland's Ballade ^der Waller,** von
einem Fremden nämlich, der, weil er den Oheim erschlagen, mit eisernen
Banden kam und hier in der Ostemacht durch den Tod Erlösung fand;
von anderen Kirchen, die St. Quirin zu Ehren anderswo erbaut wurden
und anderen Dingen, worüber sich schon Av entin (Chron. S. 117»)
ärgerte. ')
Daran reiht sich ein Pack Eclogen, Bucolica Quirinalia'*)
betitelt, in denen dialogisirende Hirten, wie Meliböus, Tityrus, Menal-
cas u. A. verschiedene Geschichten von Preisvieh und Votivstücken
erzählen, die dem Heiligen gelobt wurden und wobei es allerlei auffallge
Ereignisse abgegeben, z. B. von einem schönen Kälblein, welches ein
Cauer dem hl. Quirin versprochen, aber wieder in die Heerde gesteckt
liatte, worauf in ^iner Nacht der ganze Viehstand zu Grunde ging
und nur das einzige Votivstück am Leben blieb; oder von einem Stier-
lein, das dem Helligen versprochen, aber zwei Jahre lang doch nicht
abgeliefert wurde, bis es dann gerade am Tage des Heiligen zwei Wölfe
zerrissen u. dgl. Wir staunen dabei wirklich über die Naivetät des
Dichters der fast ein Jahrtausend vor G essner solche Dinge, aber
Ranz im emsthafl christlichen Sinne zu machen wagte und dadurch von
der undankbaren Nachwelt die Vergünstigung erlangte , mit dem neu-
modischen Idyllendichter den unzweifelhaften Nimbus der Vergessenheit
zö gemessen. Diese Dinge sind alle recht schön , nützlich und löblich
ftr ihre Zeit gewesen — vielleicht kommt später eine mitleidige Seele,
') Im Jahre 754. vgl. Oefele Script. II. 55.
') Vgl. Hefner Oberb. Archiv. I. 33.
*) Biie HS. aus dem Ende des XV Jahrli.: ^Von dem wirdigen Kloster ku
Tegernsee wie es gepawt wert vnd wie der Künig vnd Marlirer Sant Quirin
wert gebracht von Rom in diese Lande her gen Tegernsee"^ befindet sich ku
Stuttgart, vgl. Oberbayr. Archiv. IX. 141.
^Canisius S. 152-84.
6
82
die hiefur die gehörige uns voriänfig aber noch fehlende Theilnahme zu
erwecken weiss. Uns ^st vom Standpunkte der Germanistik nur das
Eine merkwürdig, dass der Heilige auch Pferde geschenkt erhielt')
und dass der Erlös einer Kuh als Wachsopfer dargebracht wurde.
Die deutschen Gedichte jedoch, die Me teil us gelegentlich erwähnt,
sind leider verloren, wenn nicht der Herzog Ernst davon eine Aus-
nahme bildet.
Fast jedes Kloster hatte einen Dichter, der die Vorzüge seines
Münsters besang, wie Hludwig für Wessesbrunn und Gehard für
Metten dasselbe gethan haben, so schlug in Mansee Luithold die
Harfe zum Preise des Ortes. Adam, ein Mönch zu Aldersbach,
schrieb 1250 sogar eine Moraltheologie in Hexametern — wer aber
mag heut zu Tage diese Poeten lesen?
') Canisius S. 119 u. 120.
B.
Volksthümliclie Epen.
Nachdem längere Zeit fast nur in lateinischer Sprache gedichtet
worden war, trat mit dem XII. Jahrh. der deutsche Vers wieder in
sein Recht ein und zwar in verjüngter und verbesserter Gestalt. Das .
alte Singen des Volkes hatte unterdessen, nicht geschwiegen, die
Heldenlieder waren immer noch lebendig, sie waren ein beinahe unver-
wüstliches Erbgut. Wer sie zuerst gesungen, weiss Niemand, Keiner
kann sagen, wer sie erfunden hätte, wer sie weiter gepflegt, wer sie .
neu gesungen; die form wechselte mit der langsam sich umbildenden
Sprache, aber der alte Inhalt blieb. Darum ist uns kein Name gewahrt,
denn Keiner kontite sie als sein Eigenthum in Anspruch nehmen. —
Fahrende Singer, Spielleute waren es, und die arme ^faihrende Diet,**
welche den Hort der Nation in gebrechlichen Händen trugen.
Zwar hatte der fromme Ludwig die von seinem Vater müheselig
veranstaltete Liedersammlung wieder vernichtet; sie klangen ihm gar
zu heidnisch und waren ihm desshalb verhasst, so sind sie uns dem
Wortlaute nach verloren; ihr Sinn aber ist uns erhalten, in Märchen
und Sagen, Liedern und Sprüchen, die aus dem Volksmunde nicht
auszurotten waren und nur desto wuchernder gediehen, je mehr sie von
aussen Vm-folgung erlitten. Wenn nach Aventin's Zeugniss die Bauern
»einer Zeit noch vom Berner sangen, und in dieser beliebten Tonart
noch immer Lieder gedichtet wurden, so sind das nur die letzten leben-
<iigen Nachklänge des uralten Heroenliederbuches, das Ludwig zwar
verbrennen, aber nicht aus den Herzen löschen konnte.
Wir haben wohl zu unterscheiden zwischen dem eigentlichen
Volksgesang, den weiteren naheverwandten Spielmannsliedern
und der mehr in künstlerisches Gewand übergegangenen Heldenpoesie,
ßas Nibelungenlied z. B. wurde ' gerade durch die neue Fassung dem
Volke entfremdet, es wurde in der uns überlieferten Form nun gelesen
'^nd Eigenthum der Gebildeten , während die alten ächten Lieder noch
i^öaer auf Märkten und in Schenken und beim fröhlichen Treiben des
Volkslebens beliebt waren und verlangt wurden.
6*
84
Betrachten wir nun diese drei Gnindtypen der volksthtimlichen
Dichtung, die sich beinahe durch das ganze Mittelalter zieht und lange
neben und unter der folgenden hößschen Poesie einhergeht.
Die älteste, dem Volke eigene Sangesweise ist sicherlich der
Lerchenschlag des Jod eins. ') Das in frischer Alpenluft aufjubelnde
Herz tönt darinnen seine Freuden und Regungen aus. Niederziehend
mehr an die Vprberge und in's Flachland auslaufend, kommt das
Schnaderhüpfel, das baiwarische Distichon; wie jeder Sommer neue
Alpenblumen blühen und welken lässt, erweckt er auch in Scherz,
Spott und Liebe neue Gesänge und lässt sie wieder verwehen. Sie
fliegen in zahlloser Menge hin und her bei Zitherspiel und Tanz. Ver-
wandten Ursprung und ähnliches Schicksal haben die Schmählieder,
welche oft viele Strophen zählen und nach eintöniger Melodie gesungen
werden. Irgend ein komischer Vorfall, wo sich Einer lächerlich gemacht,
gibt den Stoff, einige Burschen «etzen sich in den langen Winterabenden
zusammen und machen ein Gedicht daraus, welches dem Betreffenden
und dann der Reihe nach Jedem, der es hören will, vorgesungen wird.
Diese Lieder wechseln, sie entstehen und verwehen mit der Zeit, das
Interesse daran schwindet, so wie ein Vorfall neuen Stoff liefert
Manche , die vor wenigen Jahren beliebt waren , sind jetzt vergessen.
Anderer Natur Bind die Trut^reime, mit denen zwei tüchtige „schnei-
dige^ Burschen einander gegenüber anbinden , und nicht selten sich
stundenlang trotzend, angefeuert durch das schallende Gelächter ihrer
Umgebung, einen poetischen Ring- und Wettkampf bestehen und ihre
geistige Kraft und den stechenden Witz und den beissenden Spott so
lange bewähren, bis der eine besiegt und völlig geschlagen ist Es ist
etwas reckenhaftes in dieser volksmässigen Poesie, die bisweilen schliess-
lich wohl auch in thatkräftiger bäuerischer Ritterlichkeit endet. Das
ist im Volksleben von jeher so gewesen, das alte Leben 'lässt sich
aus dem heutigen leicht herausfühlen und wer daran noch zweifeln
sollte, dem setzen wir ein Schnaderhüpfel entgegen, das fast vor tausend
Jahren an den Ufern des Tegernsees gesungen wurde,*) das sich glück-
licher Weise bis auf unsere Tage erhalten hat, und jetzt auch nicht
anders lauten könnte.
*) Vgl. über das volkslliümliche Singen und dessen Aller Qnilzmann Heiden-
Ihiim. S. 234. 251. 262.
') DA bist m!n, ich bin d!n:
des soll du gewis sin.
du bist beslozzen
in mlnem berzen:
verlorn ist daz sliizzeltn:
du muost imi\ier drinne stii.
^ 35
Neben diesem Volksgesange , der ebenso gut die Grundlage der
Lyrik wie der EpHt bildet, treten die eigentlichen .Spielleute auf, die
aus ihrem Singen ein Gewerbe bilden und als unruhige Wandervögel
umherziehend, ein schnellverrauchtes Leben fuhren. Viel Gesindel läuft
mit unter dieser Rubrik, Gauckler und Springer und Gaucklerinnen,
Kerle mit Meei^wundern und fremden Thieren, Spassmacher und Pup-
penspieler, die den alten Hildebrand mit Docken aufführten,') dann
die fahrenden Schüler, die unter dem Vorwande, sich zum geist-
lichen Stande zu bilden, herumstreunten, in Backstuben übernachteten,
in Zechen und Herbergen lagen, Teufelsbannerei trieben, überall aber
böse Streiche verübten und als ein wahrer Landschadeii das dumme
Volk mit ihren Kniffen brandschatzten. Dazu kamen noch die Kleriker,
die des ewigen Psalmodirens müde, über die Klostermauern sprangen,
Vorbilder des Pfaffeu vom Kahlenberg, die mit Schwanken und lustigen
Einfallen, auf gut Glück in der Welt weiter trieben. Den Mittelpunkt
bilden die fahrenden Spielleute,') die mit Musik und Gesang den
Festlichkeiten und Jahrmärkten nachzogen und von den Ueberreslen der
Mahlzeiten rvgl. König Eother. v. 1871 ff.) und freiwilligen Spenden
der Ergötzten sich nährten. Ein solcher Vortrag heisst bald ^cantilena,^
bald „versus,^ bald ^ludus" oder ^jocus, rumor, fabula,** je n«ach seinem
tragischen, komischen, mythischen oder der Thierfabel entnommenen
Stoffe, woraus die deutschen Namen Lied und Leich zu entnehmen
sind. Sie wurden dem Volke auf Plätzen und Kreuzwegen gesungen,
sie erschollen an offenen Strassen und Wegscheiden, sie wurden dem
Reichen über seinem Gastmahl vorgespielt und vorgetragen. ') DajS
ivaren also die Volkssänger, die den Hort der alten, in der Tradition
lebenden Lieder und Heldensagen trugen, die davon sangen und
sagteb, die von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt die Künden und
Mären trugen, für bescheidene Gabe leiernd und singend. Die Schil-
derung, die -der schwäbische Marne r^) im XUI. Jahrh. von diesem
nicht beneidenswerthen Handwerk gibt, passt ganz wohl auch in die
frühere Zeit. Singe ich den Leuten vor (sagt er), so will Jeder etwas
anderes: der erste will vom Berner Dietrich hören, der andere v^m
König Rother, der dritte will den Sturm auf Reussen, der vierte Egge-
*) Eine Abbildung dieses Puppenspieles, welches noch Praelorius (i 1680)
in seiner Weltbeschreibung erwähnt, sieht schon im horliis cleliciarum der
Herrad von Landsperg (Aebtissin zu Hohenburg im tlsass). i 1195.
'i ScIinurrDreifer und Dudelsackbläser „snarrenzaere^ Walther'v. d. Vogelw.
*) Zeugnisse dafür in der Vorrede zum II. B. der Deutschen Sagen der Ge-
brüder Grimm.
^) 1246-67. V. d Hagen Minnesänger. U. 251. Nro, XV* 3lr* 20.
86 '
harts Noth, der fönfte von Frau Krimhilt, sie verlangen von Heime
und Witig zu hören, Sigfrids und Egges Tod, ein an&erer will Liebes-
lieder, an denen sich der nächste langeweilt und dafilr einen Rundgesang
mit „nu sust, nu so, nu da, nu dar, nu hin, nu her, nu dort, nu hie"
verlangt, Mancher hätte gerne „der Nibelunge Hort* u. s. w.
Diesem ungeschliffenen Wesen gegenüber erscheinen nun feinere
Poeten, die das edle Metall von den Schlacken sonderten, ihr Gepräge
daraufdrückten und so, obwohl mit geminderter Kraft, ein selbstän-»-
diges Ganze herstellten, das auf künstlerische Vollendung mehr Anspruch
erheben konnte. Es sind Compositeure , Zusammenföger , die mit den
widerspenstigen Stoffen ihre liebe Noth haben, dabei ist ihr Geschäft
ein wenig lohnendes, denn sie wagen nicht ihren Namen an das Werk
zu bringen, das so gross vor ihnen steht und das sie nicht erfunden^
nur aus dem Formlosen neugestaltet haben. Sie selbst singen nicht
mehr, ihre Vortragsweise ist höchstens eine Art Recitativ, welches aber
bald ganz dem Schreiben und Vorlesen Weicht. Es mussten also gebil-
dete Leute sein, Männer, die in den Klosterschulen etwas gelernt hatten,
oder gar Kleriker selbst, die vielleicht an den schönen Erinnerungen
ihrer Jugend zehrten. Man sieht ihnen den Nutzen und die Zucht an,
die sie aus der Beschäftigung mit der lateinischen Sprache erlernt
hatten. Sie wussten die grössere Regelmässigkeit der lateinischen Sprache
zu schätzen und wollten diese Errungenschaft nun auch der deutschen
Sprache angedeihen lassen. Früher war beim Rhythmus den Senkungen
wenig Aufmerksamkeit zugewendet worden. Sie waren zwischen den
regelm^sigen Hebungen nach Belieben entweder^ vervielfältigt worden
oder ganz ausgefallen. Jetzt wurden immer mehr nach lateinischen
und französischen Mustern auch die Senkungen nach bestimmter Regel
eingeschaltet. So bildete sich im XUI. Jahrh. der deutsche Jambus
und Trochäus. Und neben dem festeren Rhythmus tritt nun auch eine
bestimmtere Eintheilung nach Strophen. Selbst das gleichmässige fort-
laufende Epos bequemt sich jetzt zur Strophenabtheilung , es entsteht
die vielgebrauchte sogenannte Hei den Strophe. Sie besteht aus vier
Laftgzeilen, wovon die drei ersten sieben, die vierte acht Hebungen
haben. Ihre Langzeilen selbst bestehen aus zwei Theilen, wovon der
erste reimlos, der zweite gereimt ist. Als aber die deutschen Dichter
immer mehr Fertigkeit im Reim erlangten, so wurde er auch am Ende
der ersten Hälfte der Langzeile in den Heldenstrophen angewendet. *)
Zur weiteren manchfaltigen Ausbildung des Strophenbaues trug aber
besonders der hohe Aufschwung bei, den die Lyrik nahm. Da wurden
*
') Scholl and Pfeif fpr Oeut. LH. 1855. I. S. XII,
87
■
in den verschiedensten Tönen die Lieder ausgebildet und jeder Dichter
wollte Meister in einem eigenen^ Tone sein.
Was nun die Zeit des Heldeiigesanges vor der höfischen Dichtung
betrifft, so fehlen uns ?war sichere Angaben und Urkunden, dass diese
Sagenkreise in Bayern ihre Gestaltung erhielten, dass sie aber existirten,
dürfen wir unbedenklich annehmen, jüngere Nachrichten aus dem XV.
bis XVI. Jahrh. berichten wenigstens, dass sie auf unserem Boden
ganz und gar eingebürgert waren, sodann ^ber gränzt unser südlicher
Landesstrich so nahe an den Loitibardischen Sagenkreis, dass es gan^
anmöglich zu sein scheint, derselbe sollte nicht schon frühzeitig zu uns
herübergespielt haben. Vorerst ist Dietrich von Bern der erkorne
Liebling der volksmässigen- Epik., der älteren sowohl, welche die Poesie
der Fahrenden höfisch verfeinerte, als der späteren, wo diese wieder
zum Meister- und Bänkelgesange hinabstieg: in ihm hat sich der alte
germanische Donnergott geborgen und seine alten Mythen auf ihn über-
tragen; er kämpft in Tirol mit Zwergen, Riesen und Drachen. Sodann
kam der mächtige Wolfdietrich bald nach Bayern; wir haben die
Nachricht, dass das alte von Tagmünden dem Bischof von Eichstätt
geschickte Buch , aus welchem das spätere Gedicht entnommen , auf
Anlass einer Aebtissin von St. Walpurgis daselbst, von zweien Meistern,
welche den Ton dazu erfunden, gesungen und gesagt worden.') Ecken-
ausfahrt, Sigenot und Laurin wurden zuerst in Bayern gedruckt
und letzterer ist nach Roths Vermuthen^) in Bayern gedichtet, darinnen
wird die „Kampfheit" genannt, so heisst eine Gegend bei Furt im
^bayerischen Walde," hart an der böhmischen Grenze; und Aventin
(Chron. 1580) schreibt ^vom Kunig Laurin, von welchem wir noch
viel singen und sagen, seyn alte Reimen ein gantz Buch voll noch
vorhanden, doch auff" poetisch art gesetzt."*) Das acht volksmässige
Buch von Salomon und Morolf hat Gregor Hayden und ^war
Dach einem lateinischen Original bearbeitet und dem Landgrafen
Friedrich von Leuchtenberg (in der Oberpfalz) zugeeignet.**) Es sind.
') V. d. Hagen Grundriss. S. 8. Minnesänger. IV. 223.
^ Dr. Karl Roth Dichtungen des deut. Mitlelallers. 1845. S 150.
*) Ferner: „Die von Tyrol oni Oschland (Etschland) zeigen noch den Harnisch
König Lareyns, vnd der gemein Mann solls jhnen glauben, dass ers sey."
in Tirol sind auch (Zingerle's Laurin. 1B50. S. XI.) drei Rosen^ärlen, in
Lana, dann bei Algund und auf dem Schiern, wo überhaupt Riesen und
Zwergen hausen. — Das Gedicht vom Rosengarlen (HS auch in Mün-
chen) hat K. Bartsch nach der Pommersfelder HS. des XiV. Jahrh. heraus-
gegeben. Wien 1859 (und im IV. Bd. von Pfeifrera Germania).
^) Docen im 11. St. von v. d. Hagens Museum. HS. aus dem XV. Jahrh. zu
München ; 28 Blätter in Fol. mit Salomons Jagd beginnend.
88
wie J. Grimm sagt, im Gedächtniss der Sänger fortgepflanzte,
endlich aus dem Munde des Letzten nur roh und ungenau
für den Druck oder eine blosse Niederschrift aufgefasste
Lieder. Die Sagen von den Amelungen, vom ßemer Dietrich, vom
Franken Sigfrid und den Burgundenkönigen , kurz alle historischen
Lieder wurden zu Tänzen gesungen. Denn was irgend sich ereignete,
ward in ein Lied gebracht; das ganze Mittelalter tanzte und war so
tanzlustig ,. dass sogar eine Tanzkrankheit zum Ausbruch kam. In den
Osterspielen tanzten die Ritter singend zu dem Grabe, das sie bewachen
sollten, die lärmende Judenschaar tanzte zum Pilatus, auch die Lands-
knechte sprangen den Reihen bis auf Prinz Eugen herab und selbst der
Tod führte in ausgelassener Lust, trommelnd und pfeifend, den Reigen.
— Albrecht von Kemenaten und Kaspar von der Röhn sind
die offenkundigen Namen, welche die letzte Hand an die alten Lieder,
gelegt haben.
Ein sehr bedeutsamer Zug ist es, dass alle Namen, welche in der
alten germanischen Stamm- und Heldensage auftreten, sich in den
mittelalterlichen Taufnaihen und ebenso in den Ortsbenennungen*)
wiederfinden. Ingo und Irmino, die Söhne des Mannus, Sigi und Skilto,
die Söhne Odins, Gram, der Sohn Skilto's, Heimo, Fasolt, Witolt,
Iring, Wato und seine Söhne, der Schmidemeister Wieland und sein
Bruder Eigil, Wielands Sohn Wittich, Mimr, sein Lehrmeister, War-
mund und üffo, Kipiho und alle Helden der Gibiche, Weisungen,
Nibelunge und Amelungen $ind durch entsprechende Eigennamen und
Ortsnamen in den ältesten baiwarischen Urkunden vertreten.
Ein Held, der so eigentlich durch die Volkssage aufgewachsen ist,
dann aber von derlateiuischen und von der ritterlichen Epik in
gleicher Weise durch mehrere Jahrhunderte in Anspruch genommen
wurde, ist unser Herzog Ernst. Die Sage davon soll, sei es nun in
gebundener oder freier Rede, zuerst im Kloster von St. Gallen aufge-
schrieben oder abgefasst worden sein; wenigstens gibt Fugger in
seinem Ehrenspiegel, die leider nicht documentirte Notiz, dass einer
der Mönche daselbst den Herzog Ernst gedichtet habe.') Von da-
musste das Lied oder Buch nach Tegernsee gekommen sein, was bei
dem literarischen Verkehr der beiden Benediktinerstifte leicht denkbar
') Vgl. Gotthard lieber die Ortsnamen in Oberbayern. Ein Programm tum
Janresbericht desLyceiims zu Freiaing, 1849, und Quitzmann Heidentbum.
1860. S. 139.
^) Haupt (Zeitschrift Vll* 193 ff.) vermuthel, das niederländische Bach sei das
älteste, nach ihm habe ein Geistlicher erst das lateinische Opus gekünsteil
und auch das oberdeutsche Gedicht sei aus jener Quelle geflossen.
89^_
ist Die erste zuverlässige Nachricht und ausdrückliche Nennung findet
sich in einem Briefe des Grafen Berthoid II. von Andechs, der
gar wohl auch ein Familien interesse an der Sache haben konnte und
desshalb im Jahre 1 180 an den Abt Ruprecht (1155 — 86) um eine
Copie von diesem Buche anhielt. ') Dass es in deutscher Sprache
geschrieben sein konnte, lässt sich, wie man glaubt, aus dem noch
erhaltenen Schreiben entnehmen.
Bald darauf findet sich schon ein grosses Gedicht von 5560 deutschen
Versen, welches Heinrich von Veldecke nach einer zu Babenberg (v.3631)
gefundenen lateinischen Quelle gereimt haben soll, indess beinahe gleich-
zeitig ein Geistlicher zu Magdeburg ein aus acht Büchern und 4000 '
Hexametern bestehendes Opus daraus fertigte und seinem 1199 einge-
setzten Erzbischof Albrecht dedicirte. Von da an häuften sich die
Bearbeitnngen in deutscher, wie auch in lateinischer Sprache und Prosa,
bis auf Kaspar von der Röhn herab, der mit seinem Heldenbuch
(1472) das Thor der mittelalterlichen Epik schloss. Desto reicher
wucherte dajs prosaische Volksbuch,^) das in unzähligen Aullagen
mit dem Volkslied e wetteiferte, dessen Ton gar beliebt war und
durch neu untergelegte Texte bis auf die neuere Zeit gebracht wurde.
Was den in allen erdenklichen Formen gefeierten Helden betrifft,
so ist über seine Person die Historie noch nicht einig. Der wahre
Ilerzog Ernst hat nämlich schon einen älteren gleichnamigen Vorgänger
gehabt, von dessen ganz ähnlichen Schicksalen eine gleichlautende Tra-
dition auf den späteren überging, der obendrein noch einen jüngeren
I^achfolger nach sich brachte. So streiten sich eigentlich drei gute
Namen um die Ehre, die historische Berechtigung in diesem grossartigen
Fabelwerke zu gemessen.
Den ersten Anspruch erhebt Graf Ernst aus Bayern, der nebst
dem fränkischen Grafen Wernher im Jahre 837 an Kaiser Ludwigs
Hofe blühte und im Jahre 865, auf Hochverrath beklagt und seiner
Würden beraubt , auf seinen Gütern starb. ') Nach diesem Vorläufer
tritt Herzog Ernst II. von Schwaben mit besserem Kochte auf diesen
poetischen Boden, der Stiefsohn Kaiser Konrad IL des Saliers, der
■) Rogo affabilitatem et pietatem tiiam, schreibt G. Berthold^ sicut bene confido
de te, ut annuere digiieris petitioni meae et concedas mihi libellom teuto«
nicum de Herzogen Ernsten^ donec velocius scribatiir mihi, quo per-
srripto continiio remiltetnr tibi. Pez VI. B. II. 13.
') Historie von Herzog Ernst. Augsburg b. A. Sorg. Incnnab. s a. vgl. Sim-
rock Volksbücher. III. 269-^361.
') Vgl. Nachtrage zu Görres Volksbüchern in den Heidelberger Jahrb. 1808.
S. 411.
90
seine Mutter Gisela geheirathet hatte. Bei ihm kann aber von keinem
bayerischen Herzoge im Sinne der Agilolfinger, Weifen oder Witteis-
bacher die Rede sein, denn der schöne Sagenkreis spielt nur nach
Bayern herein, der Held aber ist seiner Abstammung nach ein Ost-
bayer oder Oesterreicher. ') Er zerfiel mit seinem Stiefvater über das
Königreich Burgund (auf welches er von mütterlicher Seite nähere
Ansprüche als der Kaiser, der es wirklich besetzte, hatte), Hess sich
in den Jahren 1026, 1027 und 1030 in sehr bedenkliche Verschwör-
ungen und Fehden gegen Konrad ein, ') worauf er geächtet wurde , da
er den Rückempfang Schwabens und selbst den angebotenen Besitz des
Herzogthum Bayern mit der Auslieferung seines treuen Freundes Wer-
ner (Wezilo, Wesilo) von Dyburg nicht erkaufen wollte. Unstät in den
Schluchten des Schwarzwaldes umherirrend, wurde er doch vom Grafen
Mangold (Vogt von Reichenau) angegriffen und in blutiger Schlacht mit
seinem Freunde Werner erschlagen. Erst nachdem Bann und Acht von
ihm genommen, gestattete man seine Beerdigung in der Marienkirche
zu (Konstanz, obwohl eine gegentheilige mit der Volksüberlieferang
zusammenstimmende Ansicht den Herzog auf dem sogenannten Rossstall
in Mittelfranken begraben wissen will. ')
Andere nahmen einen bayerischen Herzog Ernst, Adelheids Sohn
und des Otto I. Stiefsohn in die Geschichte auf, obwohl diese zwar
von einer Kaiserin Adelheid, (Tochter Rudolf II. 'Königs von Burgund
und Wittwe des König Lothar von Italien)*) nichts aber von einem
Sohne desselben mit Namen Ernst weiss.
Auch die Dichtung schwankt hin und her, so finden wir bei dem
angeblichen Veldecke den rothbärtigen Kaiser Otto, ind^ss Kaspar
v. d. R. an einen Friedrich festhält, dabei aber wohlweislich den ganzen
*) Böttiger im VIII. Jahresbericht des hislor. Vereins v. Mittelfranken. 1838.
S. 35.
') Im J. 1022 zerstörte er das Schfoss Pappenheim im Altmühlthale^ welches
unrern dem ihm gehörigen Weissenburg am Sand liegt.
') Ge^en Bötti^er suchte der Bibliothekar Huscher in Ansbach (IX. Jahresb.
S. 27) f^iaubwiirdig zu machen, dass man die Leiche doch hieher auf den
Rossstall (Rossdal) überbracht haben könne. Vom Rossstirll exislirt auch
eine besondere Sprunj^sage: daselbst habe (erzählt eine Aufzeichnung von
lfil7) einst ein Pferd eine Glocke ausgescharrt^ darum man dann dieses
Kirchlein gebaut; .^ilem dasselb Pferd sey von der Spizeu ausserhalb der
'allen Wahl, von Felsen, darinnen man die Fussslapfen vor drei Jahren noch
weisen können, und von einem Maurer im Sieiubrechen verworlfen v^orden,
biss gen Raitersaich, auf einen Sprung gesprungen, und von Raitersaich
ffen Gottmannsdorf, dahin man das Kirchlein erbauet.^ Noch im J. 1779 sab
wtistendorfer „die Spitz beim Wagner Bernthal.^ Archiv für Mittel -
franken. 1838. S. 30.
4) Vgl. Klemm Die* Frauen. 1856. 111 261-71 u. 359..
91
politischen. Handel so schnell wie möglich übergeht. Ausführlicher
wagt sich der ältere Eprker auf den historischen Boden , hier wird die
Nürnberger Veste erobert und Regensburg belagert, obwohl auch die
Hauptstärke des Dichters auf die abenteuerliche Fahrt des Herzogs
gerichtet ist, zu welcher, wie wir gleich sehen werden, die Geschichte
des Herzog Heinrich des Löwen den Stoff geliefert hatIO
Der Inhalt des Herzog Ernst ist beiläufig folgender: Der Herzog
wird bei seinem Stiefvater als Verräther angeschwärzt und zwar durch
einen Pfalzgi*afen Heinrich; Ernst, seiner Vogtei entsetzt, zieht auf
Ritterspiel umher, da fällt der Pfalzgraf in seine Lande und nimmt ihm
Burgen und Mannen; während er Nürnberg belagert-, überfällt ihn Herzog
Ernst, der ihm bei Würzburg ein Treffen liefert, wobei der Pfalzgraf
unterliegt Ernst will zum Kaiser, um sich zu rechtfertigen und triflFt
auf den ungetreuen Pfalzgrafen , . dem er das Haupt abschlägt. Die
Ermordung des Kaiser Philipp durch Otto von Witteisbach spielt hier
vielleicht unbewusst mit. Nun wird Herzog Ernst geächtet und es
entspinnt sich eine Belagerung zu Regensburg, die mit der Uebergabe
der Stadt endet. Ernst aber rüstet sich mit seinen Getreuen zu einer
Wallfahrt zum heiligen Grab, da er es nicht mit ansehen kann, wie
sein Land durch den Kaiser verwüstet wird. Sie fahren durch die
Bulgarei nach Griechenland, wo sie gastlich ausgerüstet werden, doch
zerschlägt ein Sturm seine Flotte und. nur mit einem Schiffe landet er
an einem unbekannten Reich, wo die geschnäbelten Menschen hausen,
die eine Jungfrau aus Indien geraubt haben. Er erschlägt viele der
Schnabelleute und geräth auf der Weiterreise in's Lebermeer, von
dein kein Entkommen möglich. Eingenäht in Häute, lässt er sich von
den Greifen*-} an's Land tragen, worauf dann eine Bergfahrt durch
unterirdische Gewässer ihn mit fünf seiner Genossen in das Reich der
einäugigen Ariinaspen bringt, wo ihm guter Empfang wird und Herzog
Ernst sich dem Könige nützlich macht. Ernst bekriegt die benachbarten
Plattfüsse, die über Busch und Moor, wo weder Mann noch Ross
gehen können, laufen und bei Unwetter die Füsse in die Höhe recken
and sich damit schirmen; weiter bekämpfte er die Leute, die gar keine
Kleider haben, sondern nur mit ihren langen Ohren sich decken, er
schafft sodann den armen Pigraäen Ruhe, indem er die ihnen gefähr-
lichen Vggel erschlägt, zuletzt endlich bändigt er auch noch die benach-
barten Riesen. Herzog Ernst bekommt auf solche Art, wie im Märchen,
der Reihe nach allerlei seltsame Menschen, denn von allen diesen Rari-
*) Vgl. W ackern a gel Lit. Gesch. S. 182.
') Vgl. Grfisse Sagenhafte Naturgeschichte des Mittelalters, cap. IX.
92
täten nimmt er ein Exemplar mit sich. In einem Mohrenfiyshiff, das
Kaufiahrtei treibt, fahrt er heimlich, aus Sehnsucht nach dem hl. Lande«
davon und kommt zu Christen, denen er gegen die Sarazenen beisteht;
der Riese, den der Herzog mitgenommen, kommt ihnen dabei gut zu
statten, mit seiner Stange erschlägt der Starke mehr als Tausend; auch
Herzog Ernst und sein treuer Wetzel vollbringen Wunder der Tapfer-
keit , sa dass die Heiden überwältigt werden und Friedenspfänder zu
geben gezwungen werden. Dabei ist es vielleicht eine acht deutsche
Reminiscenz, wenn der Dichter sagt, dass die Hejden ihre Götterbilder
auf vierräderigen Karren, mit Meerrindern bespannt, in die Schlacht
fuhren. Ueher Babylon zieht Herzog Ernst endlich nach Jerusalem, wo
er über ein Jahr am hl. Grabe bleibt und mit den Sarazenen sieb
ruhmreich herumschlägt, so dass die Kunde davon auch an den Kaiser
und Frau Adelheid gelangt; sie schreibt ihrem Sohne und bittet um
seine Heimkehr; so wendet er alsbald zurück, kommt am Christabend
nach Babenberg, fällt dem Kaiser in der Mette zu Füssen, erhält
Verzeihung u. s. w.
Das Gedicht hat in der Anlage einige Aehnlichkeit mit Ruodlieb,
der ja auch von Te^ernsee seinen Ausgang genommen. Wie Ruodlieb,
so entflieht Herzog Ernst aus dem Vater lande , jeder von beiden dient
dann einem mächtigen König mit grossen Treuen, jeder wird von seiner
Mutter wieder in besseren Zeiten zurückgerufen. Was bei Ruofllieb in
wohlbewusster poetischer Zierlichkeit geschieht, ist im Herzog Ernst
rauh, roh und ungeheuerlich, namentlich die Begegnisse mit den märchen-
haften Menschen, so dass er wie der erste Robinson Crusoe erscheint,
doch steht in diesem poetischen Hintergrunde, von dem sich unser Held
immer so stattlich abhebt, noch viel mehr. Auf das Volk hatte das
Unglück und der Heldenmuth eines Herzog Ernst einen tiefen Eindruck
gemacht. Die Schicksale der verschiedenen Träger dieses Namens
häuften sich auf einen, der rein gewaschen von allen Verbrechen, nur
im Heiligenscheine der Ritterlichkeit, Freundschaft und Treue erschien.
Je mehr dieser ein Held der Dichtkunst wurde, erhielten alle Begeben-
heiten seines Lebens eine sinnvolle Deutung und wurden mit allem
Schmucke der, in der. nächstfolgenden Zeit durbh die Kreuzzüge vor-
züglich auf das Morgenland gerichteten Einbildungskraft, bereichert
Daraus entstand eine ausf%ihrliche Sage, die den Recken in's Morgen-
land führt und ihn mit allen Schrecken der Natur und mit unnatürlichen
Menschen kämpfen lässt, worin überall das Unglück, das er wirklich
erlebte, anschaulich gemacht ist. Jene Ungeheuer sind seine Veträther,
der finstere Berg ist sein Gef&ngniss, ein Greif entfuhrt ihn durch die
93
Wolken , das ist sein Ehrgeiz , sein Schiff strandet im Lebermeer , das
ist der gewaltige Kaiser o. s. w.')
Ein unserem Herzog Ernst ebenbürtiger Sagenheld ist Heinrich
der Löwe. Sein vielbewegtes Leben musste zur märchenhaften Ge-
staltung mitwirken. Er hatte, wie Wenige, den Wechsel des Glückes,
die Härte des Schicksals, die Untreue und den Undank der Menschen
erfahren, ihm fehlte im Glücke nur der Königstitel und im Unglücke
Alles, selbst die Freunde! Auf zwanzig mit Ruhm gekrönte Jahre folgten
fünfzehn andere voll Unglück; nun erblickte man diesen Fürsten nie
anders, als verfolgt, unterdrückt und umherirrend, von Unglücksfällen
zu Grunde gerichtet. Selbst seinem Gegner, dem Kaiser Friedrich« L
entfielen Thränen über den Fall und die schreckliche Veränderung
"Heinrich's. *) Eine spätere Handschrift auf der Bibliothek zu Wolfen-
büttel, die auch sein Bildniss wiedergibt, ') enthält folgenden Reim:
Ich bin genannt Heinrich der Lew,
ein küner Helt gerecht und trew,
Von der Elb his an den Rein,
Vom Harz bis an die See war mein.
Und seine Herrschaft hatte sich wirklich einmal vom adriatischen
bis an*s baltische Meer, vom Rhein bis über die Elb^e erstreckt!
Für uns hat er, besonders als Gründer der Stadt München, eine
bohe Bedeutung. Zwar haben wir in der Tradition sehr wenig Notiz
erhalten; einzig der steinerne Löwe, das Wahrzeichen am Leinwand-
iLeller nächst dem Münchner Rathhause und dann die Legende des
grossen Onuphrius am Eiermarkt hängen mit Herzog Heinrich
zusammen. Desto mehr wusste das Mittelalter davon zu erzählen, zu
singen und zu sagen. In Schwaben und am Rhdne, sodann in Braun-
') Menzel Gesch. der Deutschen. 1843. S. 239.
') Vgl. Patje: recherches sur les causes de la f^randeur et des r^vers de Henri
le l.ioii. Hannover 1786. Ueberselzt von A. Fr. John: Die Grösse und Her
Fall Heinrich des Löwen, nach Anleitung der Geschichte mit philosoplilscliem
Auge betrachtet. Regensburg 1786. S. 130.
^) Von der äusseren Gestalt Heinrichs sagt Otto Morena, ein Italiener und Zeit-
genosse desselben: Erat Henrirus.Dux Saxoiiiae mediocriter magnus, bene
compositus , viribus corporis Valens^ magnus facle^ oculis magnis et nigris,
('«pillis quoque quasi nifl-ris, albis loloris, in diviliis atqne potentia pollen<,
genere uobilissimus et fdiae quondam Lotbarii imperatoris (ilius Der Maler
der Wolfenbiittler HS. hat ihm erhabene Gesichtszüge gegeben, grosse Nase,
grosse Augen, volle Wangen, doch blasser Farbe, lockiges Haar; sein Haupt
i4 mit einem Fürstenhute bedeckte, von vtelchero Federn herabwallen. —
Der sog. Codex Aureus zu St. Veit bei Prag stellt seine Vermählung mit
Mathilde dar; das Bild ist gleichzeitig und wohl Portrait; Heinrich trägt
glattes, in der Mitte gesiheiteltes Haar und einen vollen runden Bart. (Eine
opie davon ist im Witlelsbacher Museum.)
94
schweig und Mitteldeutschland, selbst in Oesterreich, hatte die Heldensage
einen strahlenden Nimbus um ihn geworfen und ihn dem unvergleich-
lichen Herzog Ernst an die Seite gestellt. Was nun dazumal in allen
deutschen Landen umging, sollte das bei uns, an einer Stelle, wo der
Löwe ^) selbst geweilt^ keinen Nachklang gefunden haben? Es bleibt
kein Zweifel: dieselbe Rede und Sage ging auch in unserer Stadt, aber
sie ist jetzt, wie noch so manches gute Frescobild unter dem Weiss-
quast der Vergessenheit verborgen ; lasst uns ein wenig die alte Tünche
abklopfen und das sagengefeierte Bild steht wieder vor uns, ohne
besondere Restauration zu bedürfen!
Die älteste uns erhaltene Fassung stammt leider erst aus dem
XV. Jahrb., doch ist der alte Hauch darinnen gänzlich gewahrt. Die
Stuttgarter Bibliothek verwahrt ein mit Bildern geschmücktes MS.,
welches ein Gedicht von 98 sieb^enzeiligen Strophen enthält, welches
Michel Wyssenher vielleicht um das Jahr 1474 in die vorliegende
Form gebracht hat, welches aber nach Worten und Reimen ofifenbar
einer früheren Zeit angehört. *) Das Buch hebt an : „von dem edlen
Herrn von Braunschweig, als er über Meer fuhr."
Man sagt uns von grossen Fürsten und Herren, wie die vor
manchen Jahren um Ehren und Würdigkeit geworben und* um Aben-
teuer viel fremde Lande durchsucht. Darum so muss ich melden auch
von einem Fürsten lobesam, von Braunschweig genannt. Dem kam des
Nachts, als er bei seiner liebsten Frauen lag, in Träumen vor, er sollte
das heilige Land besuchen, dafür gewinne er dann Lob, Ehre und auch
Dank. Die Frau sprach mit freundlichen Augen und weinenden Bitten
dagegen, denn das Scheiden, wo zwei gern bei einander sein, ist eine
schwere Pein. Er spraph zu seiner Franen schön, umfing sie zu der-
selben Stunde und schnitt ein golden Fingerlein entzwei: das behalte
allerliebste Frau, dabei sollt ihr mein gedenken.
So bereitete sich mit seinen unverzagten Knechten der werthe
Degen und schied fröhlich von Land und Leuten mit gutem Willen,
befahl sich unterwegs in Gottes Gewalt und auch der lieben Mutter,
dass sie sein sollten pflegen.') Damit kamen sie an das Meer. Da
' ) Den Beinamen hatte er nicht nur wegen seines aus dem Orient mitgebrachten
Löwen , sondern wegen seines unerschrockenen Aluthes und seiner grossen
Leibcsslärke^ wie ein Chronist sogt : Leo cognominatns oh egregia fada.
^) MHSsmann Denkmäler. 1828. L 122 — 37. vgl. Büsching: Volkssa^en,
Märchen und Legenden. 1S12, S. 213—43, mit Nachweisungen und einem
allen reichhalligen Gediilile S. 411) 51. Grundriss. S. ISn. — Grat er:
Iduua und Hermode. 1813. Mit^ikheilHge zu Nro. 26. — Citirt ist das Ge-
dicht jedoch schon in Weck herlins Beiträgen. S. 75. Nach einem Volks-
liede auch in Grimms Detit. Sagen. 11 241 (f.
^) Vgl. über den Kreuzzug Heinrich des Löwen: N. J. P. Schmidt dissertalio
95
I
hielt ein Schiffmaan einen Rie] bereit, der ward gut mit Habe versorgt;
darauf stiessen sie von Land mit Schalle und sangen das alte: ^In
Grottes Namen fahren wir.^ Als der Herre das grausame Wasser
ansah, schlug das Elend ihm unter die Augen und es graute ihm, wie-
wohl er ein kühner Held war; aber er gedachte an Ehre, Gut und
Ritterschaft und an sein Gelübde ; so gewann er wieder Manneskrafl.
Nun fuhr er manchen Tag im Jahre auf dem wilden Meer, wo sie
keines Landes gewiibr wurden, bis dass ein grosser Sturmwind kam,
der trieb sie alle an einen Platz, da mussten sie also stille liegen und
mochten weder hinter noch fort. In grossem Kummer rief er Gott
getreulich aq einen Winter und Sommer lang, bis alle Speise und Rost
7,erraun, und alle Rnechte von gross Hunger und Leid verdarben. Zu-
letzt blieb Niemand mehr übrig im Schiff, als der Herr, ein Rnecht und
des Herren Pferd; das Elend that ihnen gar weh; der Rnecht zog des
Herren Schwert, stach das Pferd allda zu Tod und zog ihm von Hun-
gersnoth die Haut ab. Das wurde ein Greif gewähr, der kam mit
solch grimmen Zorn zu dem Schiffe geflogen, dass der Fürst erschrack.
Der Greif war gross und ungeheuer und brachte ihnen Ungemach. Sie
• legten das Pferd an ein Ende, da schlug er seine Rlauen ein, führt' es
fort behende und bracht' es seiner jungen Brut in's Nest. Der Herre
ging mit dem Rnecht zu Rathe: „Nun wird es an uns beide gehen.
Wir machen ein Loos; welcher von uns verliert, der stellt sich zuerst
dem Greifen dar.** Sprach der Rnecht: „Ach lieber Herr, warum muthet
ihr mir das zu; das wäre mir eine Schande und gross Unrecht, dass
ich mit Euch sollt' loosen, so war' ich nicht ein getreuer Dienstmann. "
Den von Braunschweig aber reoete es nicht so sehr um Leben und- Gut,
als um die lieben Rinder und seine allerliebste Frauen: „Ich han es
mir selber gethan; da sie mich bat zu aller der stunde, dass ich da-
heimen bleiben sollt und ich ihrem Willen und Rath keine Folge gethan,
80 muss ich auch dagegen nehmen, was es mir zu leiden gibt. So
nähe mich in die Pferdeshaut, auch will ich mein gutes Schwert bei
mir haben, wo mich Gott oder der Greife hinträgt.^ Dem. Rnecht
dünkte das am besten ; er nähete ihn also ein. Gldch darauf kam der
hislorico - geographica exponens Henrici Leonis iler bierosolymitan. Helm-
stadt 1711. 4*. Herm. Korneri Chron. ap. Eccardiim. II. 733—40. Lach-
mann Gesch der Stadt Braunschweig. S. 42. — Crnmer (Jiiheljahr 1776.
S. 3) erzählt, Heinrich habe am Marialichtmesstage 1171 zu Regens bürg
mit den Seinen das SchiflT bestiegen , auf welchem er öfters zwischen den
Steinklippen in die grösste Lebensgefahr geralhen, desswegen er auch die
Donau verlassen habe. - Ein kostbares, mit Gold reich verziertes Kleid, so
ihm der türkische Sultan verehret, habe er nach seiner Rückkehr zu christ-
licher Allarzierde angewendet etc.
96
Greife zu dem Schiffe geflogen, begehrte der Haut, in welcher der Herr
stille wie schlafend lag, schlug seine Klauen ein und trug das seinen
Jungen , dass sie es essen möchten , in das Haus. Dann hnb sich der
Alte wieder hinweg. Die Jungen setzten sich, einer nach dem andern
darauf, und kneipten darauf los also hart, dass der Herre vermeinte,
er müsse verderben und kläglich sterbeh als ein Schelm (Vichstöck,
Aas); da gab ihm Gott den Muth, sich aus der Haut zu schneiden
und das Schwert zu ziehen; er schlug' die Jungen eines nach dem
anderen zu tode und schnitt ihnen die Klauen ab; die hangen noch zu
Braunschweig in der i^dt. ')
Nun sah er um sich, wo er in der Welt wäre, gewahrte aber nichts
als 'Himmel und Wald, auch fürchtete er sich, wenn der alte Greif
wieder käme und seiner gewahr würde, dass er ihm sein Leben nehmen
würde. Gross und hochgelegen war dtts Nest, davon war nicht zu Thal
zu kommen, dann in einer Klamm, da stieg er mit den Greifenklauen
sich an den Felsen haltend, hinab. Unten war weit und breit Wildniss;
da ass er Wurzeln und Beeren. Darauf ging er also lange, bis er ein
gross Geschrei von wilden Thieren vernahm, da gewahrt' er durch dicke
Hecken einen Lintwurm und einen Lewen in Streit. Erst verbarg sich
der Herr hinter einem Baum und sah zu, wie der Lintwurm dem Leo
zustellte und Feuer nach ihm warf, dann aber sprang er dem edlen
Thiere zu und nahm das Schwert in die Hand. Sobald das der Leo
innen ward, sprang er vor den Herreu und neigte sich dem edlen Fürsten
zart. Wie der Fürst das von dem Löwen sah, dass er Freundschaft zu
ihm begehre, da lief der Herre zur stund den Lintwurm an, schlug auf
ihn mit ganzen Kräften und grimmen Zorn; aber kein Streich wollte
haften auf ihmy denn er war eitel Hörn, da gab Gott seine Hülfe dazu,
dass er ihn in den Rachen hineinstach, so tödteten sie den Lintwurm
geschwinde. Nun war der Herre von der Arbeit siech und müde, da
grub der Leo Wurzeln aus der Erden und auch viel guter Kreuter und
bracht' sie dem Werthen ; ging auch fiirder mit ihm getreue ; was er
an Hasen und wilden Thieren fing, die bracht' er dem Herren j der
sie geass.
Also ging der Fürst manche Zeit in der Wildniss, der Löwe wollte
von ihm nicht weichen und war ihm stets zur Seite.' So kamen sie
an ein Wasser, gross und breit. Hier flocht der Herr nach bester
Kunst eine Hürde, legte das auf das Wasser und nahm heimlich von
') Die ^GreifenklBuen^ waren im MillelaKer ein höchst heliebtes Trinkffc-
fäss. hine angebliche GreifenklHiie befindet sich auch in der Reichen Ca-
pe II e zu München als Reliquieng^efäss. v^l. .1. v. H e fn e r Gelehrten Anzeigen«
1816. S. 145 ff. lind Cnriosilälen. 1811 I. 359 ff.
97
seiDem Löwen xiie Flucht, denn er fürchtete, käme der zu ihm auf die
Hürde, er brächt* ihn um das Leben. Der Löwe aber sprang ihm nach,
als er zwei Speeriängen vom Lande war und drang auf die andere
Seite der Hürde. Das schnelle Wasser trieb sie zu einem Berge, wo
dasselbe zu einem finsteren Loch hineinging. Dachte der Fürst: ^nnn
kommen, Arbeit und Elend, die ich daheim begehrt, nun hilf du, kaiser-
liche Magd Afaria!^ i^nen Tag und eine Nacht fuhr der Fürst in dem
finsteren Loch, dass ihm keines Lichtes Schein ward, bis er einen hellen
Karfunkel ersah, der leuchtete, als fiihrte er zur bitteren Hölle. Der
Herr stach mit dem Schwert fröhlich darnach, däss ein Stück in die
Hürde sprang. Von des klaren Steines Glast gewann der Herre da
grosse Freude. Das Wasser aber trieb ihn weiter, bis er aus dem Berge
kam; da fiel er auf die Kniee nieder und bat Gott, er möchte ihn zu
Leuten bringen, ging darauf ein wenig fürbass und sah eine Burg vor
sich; fröhlich pocht er an dem Thore, der Pförtner erschrack, als er
einen Mann mit einem Lewen sah, schloss wieder zu und ging vorerst
am anzufragen hinauf. (Hier hat das Manuscript ein naives Bild:
Heinrich und der Leo vor der Burg, aus der drei „gesnebelte Leute **
herausschauen.) Die Herren gewährten Audienz. Der Herzog ging
hinauf mit dem Löwen an der. Hand und sah die seltsamen Herren,
einen nach dem anderen an, sie hatten alle lange Schnäbel. Die Stelle
lautet mit der köstlichen Plastik des Anschauens:
Er hat den lewen in der hende,
Die herren hetten all zu mall
Lange snebbel manig falt.
Von Brtineczwick der edelle fiirst
Eynen nach dem andern ane sach.
Sye worden ye also sere fragen
Von mancher hande geschieht.
Er künt es yn auch nit gesägen,
Wan er verstund der sprach nicht. *
um nun doch eine Verständigung zu erzwecken, brachten sie eine
deutsche Fraue her, die von ungefähr auf der Burg war; ihr that der
Herre kund, wie es um seine Sache gelegen wäre und er mit solcher
Noth daher gekommen. Dann trug man ihm Speise und Kost vor nach
desselben Landes Sitte das beste, so man da wusste. Die Fraue aber
hielt sich freundlich zu dem Herrn, das verdross die Geschnäbelten
sehr, dass sie Freundschaft zu ihm gewann; Einer stiess den Andern
an, und wollten ihn schlagen : da hatzte er den Löwen an sie, der riss
die ^Schnäbelmüller* zusammen, wer ihm nahe kam ; mit lauter Stimme
98
schrie der Löwe, dass es in der Burg erhallte; er und sein Herr
schlugen sie.
Daraufkam er unter das wüthende Heer, wo die bösen
Geister ihre Wohnung haben; einer davon« graus und ungeheuer,
begegnete ihm. Da fragte der Herr mit harter Beschwörung, wie es
um Kinder und Frau daheimen stünde und der Geist gab grimmig
zornige Antwort: ^ Braunschweiger , du sollst wissen, deipe Frau will
nehmen einen andern Mann.^ Darob erschrack der edle Fürst hart
und beschwor den Geist fürder, aber bei Gottes Kraft und seiner grossen
Marter, dass er ihn mit dem Löwen vor sein Schioss bringen müsse»
Der aber machte zur Bedingung, ob er sich ihm und seinen Gesellett
dann zu eigen geben wolle, wenn er ihn vor das Schloss stelle, daeu auch
seinen lieben starken Löwen nachtrage. Dahingegen setzte der edle Fürst
die Gelobniss, dass erst, wenn der Geist ihn schlafend finde« er sich zil
eigen geben wolle. Der G^ist lud den Herren ohn* allen Schaden auf« fuJut*
ihn wieder in sein Land jund satzte ihn vor seiner Burg ab : ^finde ich dich
also schlafend — du weisst wohl, was du mir versprochen hast! Niui will
ich dir auch deinen Löwen bringen. '^ Der Geist schwang sich in korzfer
Stund manche Meile; da er schier zurück war-, da war der edle FursC
entschlafen. Gott aber hatte ihn allzeit in der acht, also begann d^r
Löwe laut zu schreien, davon der Fürst erwachte, geschwinde warf der
Geist den Leo nieder und stob schmähend über den Betrug davon.
Der Fürst aber war von Herzen froh, dass ihm Gott geholfen. Mami
und Frauen kamen herzu, das Wunder zu schauen; der Fürst war mit
langem Haar utnhangen, recht ob er ein wilder Mann und Waldbmder
wäre. Die Maere kam auch auf die Veste und seiner lieben Fraa zu
Gehör, wie sollich fremde Gäste da aussen stunden vor dem Thor, die
gar geisterhaft gestaltet. Auf stund die Frau mit ihren Dienern und
ging zu ihnen hinaus viel balde. Sie aber erkannte ihn nicht, hiess ihn
hereinzulassen, das Thier aber nicht. Dagegen sprach der Fürst, er
wolle lieber das Leben lassen, als sich von dem Leo trennen, der ihm
in Liebe und Leid und grossen Nöthen beigestanden. Da gingen beide
ein und man thät ihnen gütlich. Der Herr mit dem langen Barte sah
seine Frau gar freundlich an, wollt* sich aber dicht melden, bis er sah,
wie es erginge. Viel Herren kamen dort her geritten, die zur Hochzeit
geladen waren, man empfing sie wohl mit schönen Sitten, und satzte
sie, Grafen, Bitter und Freie, je nach ihrem Adel, an den Tisch; sie
wurden fröhlich und begannen zu lachen, ihr Begehren war: der Wald-
bruder solle ihnen Possen vormachen. Drei oder vier Knechte
« waren gleich bereit, sie liefen im Hause hin und her, den Herren und
das Thier zu holen. Der Frauen Kämmerer aber sprach : Bruder, sag
99
nns Dun neue Märe, wie es in fremden Landen bestellt, ihr dünket mich
ein weit gewanderter Mann ; habt ihr von miserem Fürsten gehört oder
vernommen? Sprach der Fürst: ^Ich hab' es alles wohl gehört, sagt'
ich euch die Wahrheit recht, so glaubt ihr nicht meiner Worte; ich
habe ihn vor kurzer Frist gesehen, er konunt schier wieder heim zu
Lande und ist auch frisch und wohl gesund; er war mein Wandels-
genoss und hab von ihm vernommen, käme ich in sein Land und vor
seine Burg und Schloss, er habe eine Tochter und einen jungen Herren,
die sollt* ich ihm grüssen und auch sein Fraue, der er alles Gut und
Ehre getyaut.^ Da wollten sie ihn noch um mehr befragen, er aber
sprach: „Ich kann euch nichts sagen, Frauen haben langes Haar,
wer es merken will and das aus den Augen und aus dem Herzen
ist noch ein wahres Wort.** Die Frau sah ihn immer länger und schärfer
an, dann bot sie ihm zu trinken , er aber liess das halb getheilte Fin-
gerlein in das Trinkglas sinken, da leuchtete es, als sie es wieder zu
Hand bekam, wie ein Adamas, sie hub es behende, ein Theil war dem
andern gleich! Laut auf schrie, sie: „Weh! aller meiner Ehre! Ich han
wieder das Gemachel funden, meinen lieben Mann und lieben Herrn. ^
Ohne Missewenden ging sie zu dem edelen Fürsten, empfing ihn mit
ganzen Treuen gar lieblich: „Genade mir, edler Herre.mein, ich will
büssen was ich an Euch verbrochen,^ Da sprach der edle Fürste zÄrt :
„Schweiget, schöne Frau, nehmt es Euch nicht an so hart, wir wollen
es bei dem besten bleiben lan, weil ihr noch euer weiblich Ehre habt;
hätt* ich die also versäumt, ich weiss nit, wie es gangen wäre.^ Da
nun die Märe hörte, der die Frau wollte genommen haben, da ging er
vor den Fürsten lobesam und sprach: „Ich gebe mich ganz in euere
Gewalt, thut mit mir, was Ihr wollt.'' Der edle Fürst aber sprach gar
balde: „Wäre ich in fremden Landen verdorben, so wärest du mein
Mötwil gewesen, hast du hie heimen nach Ehren geworben, so trage
ich dir nichts nach; ^ein Urtheil ich über dich finden kann, bleib bei
mir; vor als nach, als ein getreuer Dienstmann. ^
Also kam der Fürst mit Gottes Hilfe in seinem Lande wieder in
sein Gut und Ehre. Darauf lebt* er noch sechs und zwanzig Jahre mit
seiner Frau. Da nun die Zeit und der Tag kam, dass der Herre
sterben sollte, ^) da erhub der Leo die grösste Klage, wie kein Mensch
noch erhört hat. Er legte sich zu ihm auf das Grab und kam nimmer
von dannen, bis er auch sein Leben aufgab. Darum ward zur Urkunde
ein hobscher Leo zu Braunschweig auf dem Schlosse gegossen und auf-
') Heinrich starb am 6. August 1195 zu Braunschweiff, ohne je auf die baye-
riseben Lande ausdrücklich Verzicht geteistet zu haben.
7»
100
gerichtet. — Vielleicht behielten davon die bayerischen Herzoge das
Mittelalter hindurch die Vorliebe bei, einen tüchtigen zahmen Löwen
an ihrem Hofe zu halten.
• Die Sagen vom Herzog Ernst und Heinrich dem Leo sind in
einander übergegangen, wer von beiden die.Priorität in Anspruch nehmen
kann, ist unbestimmbar; nur die Fahrt durch die Luft ist eine selb-
ständige Zuthat; merkwürdigerweise ist es hier nicht der Teufel selbst,
der ihn transportirt , sondern der Herzog geräth unter das wilde Heer
und ein dienstbarer Greist desselben übernimmt die Beförderung, die,
wie Cäsarius von Heisterbach ausführlicher erzählt, in Wuotans Mantel
vor sich geht. ') Die Sage trägt einen e:ar treuherzigen Charakter und
ging auch in ein Weitverbreitetes prosaisches Volksbuch über. Das Ganze
ist wie Görres treffend sagte, ') im Geiste der altsteinemen Ritterbilder,
die auf den Grabmälem mit gefalteten Händen knieen, während oben
aufgehangene Strausseneier , Greifenklauen und Seeungeheuer in dem
dunkeldämmemden Gewölbe schweben und von den Thaten im hl. Lande
als stumme Zeugen erzählen.
Von dem Einfluss des Braunschweiger Hofes auf die ' Poesie, wird
im nächsten Abschnitte die Rede sein. Wir beschränken uns hier auf
das Nibelungenlied, das Kronjuwel der volksthümlichen Epen,,
welches bald nach dieser Zeit zum Abschlüsse kam und in letzter
Instanz nach Bayern fallt.
Der innerste Kern und der Grundgedanke der Sage ist mythisch
oder wenn man lieber will, ein Stück der allerältesten Tradition: Was
der Thrakisch- hellenische Linosgesang für die Griechen, was die Ma-
nerosklage für die Aegypter, ist das Nibelungenlied und die Klage für
die Germanen und Sachsen: dass ein wunderbar ausgerüsteter, herrlicher
Held, in der Sonnenhöhe des Glückes, einen plötzlichen, tragisdien
Untergang erlitten, der dann ein ganzes Menschengeschlecht mit nach-
gezogen habe. Es ist die Urtradition aller Völker, nur individuell über-
kleidet, von deYi Jahrhunderten neu gestaltet und in historischer Zeit
neu localisirt.
Die Vermuthung ist nicht gewagt, dass unter den von Karl dem
Grossen gesammelten Heldenliedern des deutschen Volkes auch Sigfrids-
') Vgl. über diese Heimkehrsagen Grimm Mytb. 980. Wolf Beiträge I 4 ff.
und dessen Zeitschrift I. 63. Simrock Myth 219 ff. Schambacb und
Müller Niedersächs. Sagen. 389 ff. Mensel Odin. S. 94 ff Rocbhols
Schweizersagen. II. 114. - Auch der edle Möringer wird schlafend auf den
Heimathboden versetzt, vgl. üb I and in Pfeiffers Germania IV. 95.
') .1. Görres Volksbücher. I80a S. 90.
101
lieder gewesen seiti mögen.') Er mochte sie zoiiächst von den Sachsen
erhalten haben, denn auf dem hessischen und westfälischen Boden hatte
die Sage zuerst wieder Wurzel geschlagen. ') Als aber Karl dahin das
Schwert und das Kreuz brachte, zog ein Theil der unbeugsamen alten
Häuptlinge und ein gut Theil des Volkes weiter nördlich, fuhren über
die See und fanden eine stille Insel, wo sie sich wieder fühlten als das
was sie waren, als freies Volk, und als solches dachten sie zu leben
and zu sterben, treu ihrem alten Olauben und den alten Göttern. Aber
das Ghristenthüm kam auch nach Island und die starrköpfigen Heiden,
die erst davor geflohen waren , Hessen sich gerne taufen , doch den
alten Glauben behielten sie noch lange nebenbei und ihre ehernen Sitten
ond ihre alten Lieder, die dann, fast um dieselbe Zeit als auch in
Deutschland derselbe Stoff seinen Abschluss gewann, von einem christ-
lichen Bischof gesammelt und in Schrift gebracht wurden, ehe der Hort
des verschwimmenden Volkes völlig verflog. Das ist die Edda, die eine
Hälfte des entzweigebrochenen Ringes der Volksüberlieferung ist, der
an das in deutschen Landen erhaltene andere Erbstück merkwürdig passt
and selbes zu einem Ganzen ru!)det ergänzt und vollständig macht.
Die in deutschen Landen zurückgebliebenen Trümmer waren in
andere Marken tibergetragen und weiterverschleppt; es ging ihnen wie
den anderen Dogmen des alten Götterglaubens, die im veränderten
Gewände umgingen und fortlebten, verschiedenartig localisirt und zeit-
gemäss säcularisirt.
Das grosse Dunkel, das über diesem heimlichen Entwicklnngs-
prozess liegt, wird durch die Nachricht plötzlich erhellt, Meister
Konrad, ein Schreiber des Bischof Pilgrim von Passau, habe die
Lieder zuerst In lateinische Form gebracht. Er hatte an diesem Stoffe
dasselbe gethan. Was Eckkehart zu St. Gallen mit dem Waltharius und
der Ruodliebsänger zu Tegernsee mit deutschen Stoffen versucht hatten :
den heimathlichen Stoffen ein künstlerisches Gewand im Sinne der ihnen
zu Gebot stehenden Bildung überzuwerfen, sie zu veredeln und zu heben
and dem bevorstehenden Verfalle zu entreissen. Aber unser Stoff" hatte
zu viel Lebenskraft in sich, er brach sich durch und rang sich frei und
gestaltete sich selbständig neu zu einem Ganzen auch ohne die fremde
Hülfe der Gelehrten. Aber etwas blieb et doch hängen an der neuen
Erde r von da an schreibt sich der Zug durch das Bayerland und die
') Timin das Nibelungenlied nach DarstelfuDg und Sprache ein Urbild deutscher
Poesie. Halle 1852. S. 56.
') ^gl* die ausgezeichneten und ausgebreiteten Studien von Rassmann: Die
deatoche Heldeoaage und ihre Heimalh. Hannover 1857 u. 1858. 2 Bde.
102
Einführung der Hennen, die an Stelle der frttheren Marben treten mussten.
Die Reise der Nibelungen in's Uannenland ist, wenn man se sagen darf^
die Literaturgeschichte des Liedes selbst. Sie zeigt von der über die
deutschen Marken hinausfluthendcn Verbreitung und von der lebendigen
Aufriahme, von dem Uebergehen in wirkliches Leben und von dem
letzten Uebertragen auf historische Personen. Wie dieses erreicht war,
stand der flüssige Stofif fest und verhärtete, es gab Sprünge und Risse
dabei, denn die Materie war in der langen Zeit eine leichtere geworden
und fremdartige Influenzen hatten nicht zum Vortheil dflCrauf gewirkt
lieber den Schreiber des Passauer Bischofs sind die Gelehrten in so
weit einig geworden, dass seine Arbeit in der Zeit von 970 bis 984 ge-
schehen sein müsse. ') Dieses sein Werk wurde die Grundlage des uns
überlieferten Gedichtes, welches aber seitdem zum mindesten viennal über-
arbeitet wurde. Den ältesten Theil bildet unstreitig der Sachsenkrieg, dar-
auf kam Konrad, ein w eiterer Poet machte die Märe wieder deutsch, Einer
fügte die Klage hinzu und der letzte goss endlich um's J. 1200 die Form
darüber, in welcher'uns das Werk heute noch vorliegt. Doch ist auch hier
wieder ein verzweiflungsvoller Umstand dabei, wir haben leider keine von
irgend einer Autorität beglaubigte Yulgata ; von den bis jetzt bekannt ge-
wordenen siebenundzwanzig Handschriften (worunter jedoch kaum zehn
vollständige sich befinden) sind die meisten durch Auslassungen, Will-
* .1
kührlichkeiten , wohlgemeinte Verbesserungen und Ungereimtheiten der
Abschreiber so entstellt, dass der bessere und uns erreichbar ältere
Text nur mit Mühe und nach vielen Irrwegen aus acht zum grösseren
Theile defecten Handschriften zu gewinnen war. *)
Die Gelehrten und voraus Lach mann, der nun einmal zum Ho-
meriden-Wolf an den Nibelungen werden wollte, hatten sich alle mög-
liche Mühe gegeben, die „ältesten Lieder^ aus dem Epos wieder zu
gewinnen — das ist aber ein vergebliches Bemühen und ein nutzloses
Reconstruiren. Dass solche dem Gedichte zu Grunde liegen , ist kein
Zweifel, der häufig noch herausklingende Stabreim allein wäre schon
ein Beleg dafür, ^) aber selbe wieder zu gewinnen, ist unmöglich, sie
sind verschmolzen , verhämmert und überarbeitet , der geistige Gewinn
aber wäre jedenfalls unerheblich, denn über die Edda, die unsere Sage
'j Holtzmann Untersuchungen über das Nibelungenlied. Stuttgart 1854. S. 125
Q. 130.
') Vgl. Holte mann das Nibelangenlied in der ältesten Gestalt^ nebst den Ver-
änderungen, des gemeinen Textes und Wörterbuch. Stuttgart 1857. '(Darnach
sind au(» unsere späteren Citate der Stropbeozählung.)
') 0. Vi! mar R^ste der Alliteration im Nibelungenliede. 1845. 4P.
, \
103
in unvergleichlich mehr prägnanter Form und mit älterem Erzgehalte
gibt, ist doch nicht hinauf oder hinauszukommen. Lachmann gegenüber
hatte bereits W. Müller, W. Menzel, van der Hagen und
Holtzmann an der Idee eines grossen Dichters festgehalten, der
zu den herrlichsten Geistern der Nation gehöre, der über dem mäch-
tigen Werke sich selbst vergessen, der sich aber in dem ritterlichen
%>ielraanii Volker abgespiegelt habe u. dgl. Andere dagegen hielten den
Dichter für eine höchst roittelmässige Capacitat, etwa für einen Bänkel-
säBger und herum&eddnden Blinden. Die Wahrheit liegt in der Mitte.
Die letztere Ansidit aber möchten wir wohl nur bildlich gebraucht wissen,
insofern der Dichter über die ursprüngliche Bedeutung seines Stoffes
wirklich bliod war und von dessen innerstem Kern keine Ahnung mehr
haben konnte; doch immerhin gehörte noch eine höchst respektable
Kraft dazu, um den bereits sich auflösenden und in Trümmer bröckeln-
den ^Stoff zusammenzufassen und im Ganzen zu festen, so dass er trotz
den verlorenen ßruchtheilen noch mit eiserner Geschlossenheit vor uns
steht. Aber gerade desswegen, weil der Poe't nicht aus dem eigensten
Innern schaffen und gestalten, weil er das Ueberlieferte nicht als sein
erfundenes Eige'lithum behandeln konnte, desswegen ist uns auch kein
Name gewahrt; es ist derselbe Fall, wie bei manchem deutschen Mün-
sterbau, wo über dem Plane und der Ausfuhrung so vielerlei Hände
thätig gewesen seil) mochten, dass kein Einziger das vollendete Werk für
seine eigene einzige Schöpfung auszugeben im Stande gewesen wäre. —
Wie ein alter Königspalast, an dem Jahrhunderte gebaut haben,
steht das gewaltige Lied der Nibelungen vor uns ; aus grauer Heidenzeit,
wurzelnd und verwachsen in der Mythe, stammt das Fundament, dessen
Geschie\)e selbst die philosophische Geologie vergeblich zu enträthseln
bestrebt gewesen. Darauf hat sich in den folgenden Dynastien das
Mittelwerk erhoben: byzantinischer Schmuck, Säulenwerk aus vorkaro-
lingischer Zeit und Rundbogenstyl standen etwa zusarnünen; erst als ui
der Folge neuer Anbau hinzugekommen, neue Thürme angeschossen und
der allseitigen Buntfarbigkeit zu viel geworden, hat der letzte Besitzer
daran gedacht, eine einheitliche Fa^ade über das so Zusammengetragene
and Zusammengewachsene zu werfen — und so ist es uns heute noch
erhalten. Doch Ward beim letzten Um- und Ueberbau wohl Vieles, was
dem Totalüberblick und Eindruck im Wege gestanden, niedergerissen
und abgetragen und nur dem kundigen Auge sichtbar erscheinen noch
innen im Bau die früheren Wege, Stege und Gänge, die anst anders-
wohin gefahrt haben und nun plötzlich verschwinden. Der letzte Dichter
der Nibelungen war kein feingebildeter Architekt nach unseren Begriffen,
auch kein gemeiner geistlosef Handlanger, aber ein tüchtiger Maurer-
104
meister, der eben desshalb doch etwas mehr Bleibendes und Praktisches
hinzustellen wusste, als der gute im Formelwesen der klassischen Idea-
lität bßfangene Meister Conrad.
Wh' wären nicht abgeneigt, das zweifelhafte Verdienst, die heid-
fiische Historie christianisirt zu haben, auf seine Rechnung zu stellen.
Er vermenschlichte die fast überirdischen Heldenfiguren etwas, Hess sie
zur Kirche gehen, setzte seinem Bischof ein schmeichelhaftes Gredächt-
niss damit, mehr aber vermochte er kaum, ausser der schon angedeu*
teten Uebertragung auf die bayerische und weiter benachbarte Geo-
graphie; die in den nächsten Jahrhunderten folgenden Ueberarbeit^
costümirten dann die hohen Frauen und Recken gewissenhaft nach dem
Schnitte und Geschmacke ihrer Zeit, die sie gerade vor Augen hatten,
kleideten sie zeitgemäss und schliffen die ehedem alliterirenden Stäbe
zur schönen glatten Nibelungenstrophe, wobei Manches, was gar zu sehr
die alte ungebärdige Unbändigkeit an sich trug, noch weislich geglättet
qnd eben gemacht wurde«
Betrachten wir noch einmal den Passauer Schreiber und dessen
Bischof Pilgrim. Letzterer, welcher in den Jahren 970 — 991 wirklich
auf dem kirchlichen Stul^le sass, tritt zu unserer Ueberraschung in den
Nibelungen und in der Klage als handelnde Person auf, ja er ist sogar
zu einem Verwandten der alten burgundischen Könige gemacht und mit
Attila in eine anachronistische Constellation gebracht. Wie ist das zu
erklären? Das konnte, wie Holtzmann klar darlegt, *) nur von einem
Dichter geschehen, der den Bischof kannte und der zu einer Einmisch-*
ung, zu der alle innere Veranlassung fehlte, eine äussere hatte. Ist das
Zeugniss der ^Klage^ acht, dass nämlich Pilgrim durch seinen Schreiber
Konrad die Sage habe aufzeichnen lassen, dann ist es sehr begreiflich,
dass dieser zugleich seinem Herrn und Gönner ein Denkmal setzen
wollte und desshalb eigenmächtig und gewaltsam einen Bischof Pilgrim
von Passau in die Sage einmischte. Von diesem erdichteten Pilgrim
rühmte er, dass er ein Oheim der burgundischen Könige war:*) damit
wollte er anzeigen, dass der historische Bischof, sein Herr, mit Königen
verwandt war; von dem erdichteten Pilgrim erzählt er, dass er Krim-
hild ermahnt habe, ihren Gemahl, den Hunnenkönig Etzel, für das
Christenthum zu gewinnen;*) damit wollte er in poetischer Weise den
') Untersuchungen S. 121.
') Frau Uote, die Mutter derBurgunden und Kriemhilds, ist Pifgerins Schwester
(Str. 1456).
') Str. 1357: der biscbof minnekitche von sfner nifleln schiet;
das 81 den kttnic bek^rte, wie vast er ir das riet.
105
Antheil, den der historische Pilgrim durch die Unganikönigin Sarolta
an der Bekehrung der Ungarn hatte, verherrlichen ; die Ungarn waren
seit der Lechfeldschlacht (955) für die Deutschen keine gefurchteten
Teufel mehr, sondern zahmgemachte Heiden, die durch eine christliche
Königin civilisirt werden sollten. Endlich wird in der Klage von dem
erdichteten Pilgrim berichtet, dass er aufs sorgfältigste alle Nachrichten
über die alte Sage aus dem Munde der Spielleute gesammelt und auf-
gezeichnet habe; damit will der Dichter preisen, dass der historische
Pilgrim wirklich zum ersten Male die alte Sage durch ihn habe auf-
schreiben lassen. Die Worte, welche dem erdichteten Pilgrim in den
Mand gelegt werden:*) v. 3464 ff.
ez ensol niht so beliben
ich wil allez läzen schriben
die stürme unt der recken ndt
unt wie si sin beliben U)t,
wie ez sich huob unt wie ez kam
unt wie ez allez ende nam. —
darzuo so wil ich vrä^n
von iegeliches mägen,
ez s! wip oder man,
sweF iht davon gesagen kan. —
da vinde ich wol diu maere,
wand ez vil übel waere
ob ez behalten würde niht:
es ist diu groeziste geschiht
diu zer werlde ie geschach —
cüese Worte dürfen unbedenklich dem historischen Pilgrim zugegeben
werden. Wenn nun der Dichter sich den Schreiber des Bischof Pilgrim
von Passau nannte, so konnte hier absichtlich der historische vqn dem
erdichteten Bischof nioht unterschieden werden , und wenn dieses auch
nicht der Fall war, konnte doch derjenige, welcher im Anfange des
XIIT. Jahrh. die Klage schrieb und gewiss von dem historischen Bi-
schof nichts wusste, sehr leicht die Sache so auffassen und darstellen,
als ob der Dichter Konrad nach den Berichten des Spielmanns (König
Etzels) die Sage aufgeschrieben habe. Auf diese Weise gibt Holtz-
mana über die Einmischung Pilgrims eine sehr natürliche und voll-
kommen befriedigende Erklärung. Der Dichter hat, wie das die mittel-
alterlichen Künstler und Bildhauer gerne übten, das Portrait seines
Herren als passendes Compliment auf eine ideale Figur gemalt, er hat
>) Ausgabe von Vollmer. 1843. 8. 326.
- 106
dasselbe gethan, wie mancher Maler, der seinen bayerischen Herzog
unter der Gestalt seines Naraenspatrones abconterfeite , ohne desshalb
damit aussprechen zn wollen, das'b der fragliche Herr wirklich ein Hei-
liger gewesen.
Dass der Dichter, welcher die letzte Hand an das Lied gelegt hat,
ein Bayer gewesen, kann wohl füglich nicht behauptet werden. Zwar
wird das Bayerland oft genannt, nicht nur die Boten Eitzels ziehen mit
Rüedeger ungefährdet durch auf der Fahrt nach dem Rhein zur Werb-
ung (Str. 1197), auch die bräutliche Wittfe kommt auf ihrer Reise
über die Donau und herbergt mit ihrem Ingesinde zu Pledelingen
und Passau. (Str. 1321 ff.) Pledelingen (Str. 1324) wo Kriemhild
Gemach erhäh und bewirthet ist , wäre vielleicht das an der Isar ge-
legene Plattling;') zu Passan sind Kanfleute (Str. 1325), welche
die Frau schön empfangen, die Nibelungen waren unterdessen aber nicht
beraubt worden. Wärbel und Swämmeltn ftihren später wieder durch
an den Rhein (Str. 1456 ff.); auch ein ^vogt m Beyerlande Gelpfrät^
wird genannt (Str. 1582), durch dessen Marken die Burgunden reiten.
Gelpfrät hat weiter unten einen Bruder Namens Else, der eine Mark
an der Donau hat, hier ist der Ferge, den der grimme Hagen erschlägt
und auf dessen ' Schiffe er die Helden in das „unbekannte Land^ hin-
übersetzt; hier aber schon nicht mehr aof bayerischem Boden ist der
Spuck mit den Meerweibern, den Schwanjaogfrauen, ') die Adrians
Kind den Untergang prophezeien, hier macht Hagen die Probe und wirft
den Kapellan ins Wasser, der allein aus der dem Untergang geweihten
Reisegesellschaft mit dem Leben davonkommt. Die Strassen in Bayern
sind unsicher; räuberisches Volk wohnt da nnd die Helden reiten mit
dem Schild vorsichtig vor dem Leibe. (Str. 1640.) Das Alles kann ein *
Bayer nicht von seinem Lande gesungen haben, das war naehbarliche
Meinung. Die Bayern galten das ganze Mittelalter hindurch als böse
Leute, streit- und trinklustig und räuberisch; i^Uein sie mochten sich
trösten mit dem Leumund der Schwaben, Franken, Hessen und Oester-
reicher, der in vielen Dingen noch übler lautete; die Burgunder wären
') Die ^eojsrraphi sehen Rilhsel und Lücken d^s Liedes würden jedoch durch diese
Annphme nur vermehrt; Plaltling liegt auf der rechten Seite und dazn
noch weitab von der Donau, auch Passau liegt auf der rechten Seile; also
müssten die Nibelungen die Donau schon früher passirt haben und doch
setzen sie hinter Passau zuerst über den Fluss: wie wären sie also von
OsterFranken herübergekommen? Der Dichter, der so gegen das Geogra-
phische verstösst, kann kein Bayer gewesen sein.
^) Eine hetsst Hadeburc (Str. 1571), die andere Winelint (Str. 1575). vi^l.
Grässe Beiträge zur Literatur und Safe des Mittelalters. Dresden 1850.
S. 38 fr. Ueber das Verwandeln der Walkyren in Schwäne ibid. S. 85 ff.
Simrbck Mythologie. ^. 391.
107
sogar ganz sicher gereist, hätte Ha^en nicht Todtschlag zuvor geübt,
so massten sie sich's gefallen lassen, angerannt zu werden. Gel p trat
wird später ^on Dancwärt erschlagen. (Str. 1654.) Auf der Reisetour
vom Main (Möune) wird noch Swanfelt in Osterfranken genannt
(Str. 1561) und später unter Passau Moe ringen CStr. 1631) „clä dem
Elsen vergen was der lip benoinen'' und die Helden übersetzten. Der
Name eines bayerischen Recken, Am el rieh, der einer Feindschaft
wegen aus Bayern floh und bei dem Fährmann lebte, ist gleichfalls
gewahrt. *)
Die ehedem so berühmte Hohenemser Münchner Handschrift, die
Lach mann seiner Edition zu Grund gelegt hatte, ist unterdessen durch
Holtzmanns Forschungen ihres guten Rufes verlustig geworden, da
er evident nachgewiesen hat , dass sie den ^hlechtesten Text bietet ;
glücklicher ist die Pergament -Handschrift, welche Wiguläus Hund zu
Prunn bei der Altmühl fand und im J. 1575 an die Münchner Bibliothek
schenkte; sie wird in zweiter Reihe neben der sog. Lassberg'schen Hand-
schrift, die durch die neueste itritik wieder uugetheiltes Ansehen ge-
niesst, zugelassen, leider bietet auch sie zum grösseren Theile (von Str.
268 an) schön den überarbeiteten, gemeinen Text.
Das Nibelungenlied berührt uns hier nicht weiter. Aber das eine
ist doch bemerkenswerth , dass gerade mitten im Mittelalter, an der
Grenze unseres Landes in der üeberfahrt der Nibelungen, noch einmal
die alte Mythe auflodert. Die Donau ist der Todesstrom für die Bur-
gündenhelden , die Fahrt geht hinüber in das „unbekannte Land,*")
wie der Dichter selbst sagt. Ihr Charon ist der schreckliche Hagen, der
Alle ganz allein überfahrt. Er ist der Riese Hrymr mit allen Nifl-
heimem im Todtenschifl' Naglfäri und eins mit dem Riesen Loki, der
Muspels Söhne fährt. Vielleicht ist das Hiunen- und Heunenland
selbst im Namen das Todtenreich, da Heune im Ostfriesischen noch die
Leiche heisst und bei uns d6r Freund Hain den Tod bedeutet? Hagen
aber ist im Namen selber des Todes Stachel und Hacken und sein
steter Gefährte Volker, der Fiedler, spielt zum Todtenreigen auf, er
wäre der Spielmann Egdir, welcher fröhlich zur Verwüstung harfenirt!
') H. Haa^ bat in seiner At>h8ndlun|( über ^^e Nibelungen in ihren Bezieh-
iinffeo zur Gescbicbte des MiUelalters'^ (Erlangen 1860) viele interessante
AnKnüprungspunkte gefunden, doch sind viele seiner Erklärungen allzu ge-
' sucht und manche, z. B. dass Wirnt von Grävenberg der Dichter des Liedes
sein müsse, völlig b^IMos.
') Str. 1607 : Hagene Yfi% dd meister, des fuort er über sanl
vil manegen küenen recken in daz unkunde laut.
0.
Ritterliche Kunstepik.
Nachdem beinahe die ganze frühere Zeit grösstentheils an EUinner-
ungen gezehrt, werden wir nun mit dem Beginne des XIII. Jahrhonderts
plötzlich in das Leben selbst geführt, das sich uns aufthut mit einer
Frische und Natürlichkeit, die überraschend auf den Beschauer wirken.
Wie durch einen Zauberschlag nimmt das in den Kreuzzügen gross
gewordene Ritte rthum, welches in fremden Landen eine Weltbildung
genossen hatte, plötzlich die Poesie auf, die seitdem nur in den Händen
der andersredenden Mönche und unter den fahrenden Spielleuten eine
stille scheue Pflege gefunden hatte. Am Hofe Friedrichs des RothbarU
unter dem Einflüsse seiner bnrgundischen Gemahlin Beatrix und am Hofe
Heinrich des Löwen, unter dem Schutze seiner normannisch-englischen
Gemahlin Mathilde, wurde die Dichtung gepflegt. Auf ihre Veranlassung
hat ein Geistlicher, der Pfaflfe Kuonrät, das Rolandslied aus dem
Latein übertragen (1173 — 77); der Löwe mochte vielleicht in der
Heerfahrt Karls d. Gr. nach Spanien ein Vorbild seines eigenen Zuges
nach Palästina erblickt haben: ein anderer Dienstmann desselben Her-
zogs, Namens Eilhart von Oberg, welcher 1189 — 1207 urkundlich
erscheint, bearbeitete zuerst den „Tristant^ nach einer französischen
Quelle, vielleicht aus derselben, die Gottfried von Strassburg in
der Folge durch sein Epos ganz zu einem deutschen Gemeingut erhob.
Von Eilhart's Heldengedicht sind nur kleine Fragmente erhalten, die
HofFmann von Fallersleben 1821 zu Magdeburg entdeckte; ') ein Bruch-
stück hat K. Roth zu Regensburg gefunden. ') So waren die welschen
Stoffe, in ihrer Mitte König Artus, nach Deutschland gekommen, wo
sie schnell Wurzel fassten. Die Herzoge zu Landshut, die Grafen von
Bogen und Babenberg, die von Andechs und Andere, wurden den
*) Vier Oclavblätter. vgl. Fundgruben. I. 231.
') Dr. Karl Roth Bruchstücke des Jansen £ninkel. 1851. '^. 37.
109
Dichtern hold, eine nahmhafte Anzahl der erlauchten Herren und Grafen
^ffen selbst in die Saiten und die Geschichte des Minneliedes hat eine
stattliche Reihe adeliger Sänger im Bayerlande aufzuweisen.
Bisher hatte die volkstbümliche Saga gewaltet, nun tritt das Wort
Aventiure aus dem Romanischen in unsere Sprache über.*) Ausser
dem ursprünglichen Sinn von Ereigniss, Vorgang, bedeutet es zugleich
die Darstellung und Erz&hlung des Vorganges, dann Aufzeichnung,
Schrift, Buch, das was dem Dichter für seine Erzählung Gewähr leistet,
woraus er sie schöpfte, also gleichbedeutend mit unserem heutigen Be-
griff ^Greschichte.^ Wolfram gebraucht die Aventiure nach Hartmanns
Beispiel, indem er sie zuerst als Frau Aventiure personificirt: ') sie
erscheint plötzlich vor dem Hause des Dichters und fordert Einlass, in
seines Herzens engen Raum will sie herbergen. Andere nennen sie eine
sfisse, werthe Frau, wohlgeboren und reich, man soll in ihren Hulden
zu bleiben suchen; sie wird als ein höheres Wesen geschildert, das im
Lande umzieht, sich zu Gaste „ze flure^ laden lässt, sie sitzt am Heerd
nieder und erzählt. Es ist die alte Göttin der Dichtkunst, die im neuen
Gewände erschien, heinrisch ward in den deutschen Landen, die dann
später mit dem Verfall der höfischen Dichtkunst als „Frau Abenteuer^
bei den Spmchsprechern weilte und zuletzt sich in die „heilige Muse^
der Humanisten übersetzen lassen und mit der antiken Zopfperücke
patzen musste.
Deijenige Dichter aber, dem sie in unserer Heimath ihre milde
Hand aufs Haupt legte und den sie mit ihrem reichsten Segen begna*
dete, dass er fortan geht. Einer der Ersten unter den grössten Sängern
der Welt, geschmückt mit unvergänglich grünem Kranze, ist Wol fram
von Eschenbach.
Wie sich einst sieben Städte um die Ehre stritten, die Wiege
Homers in ihrer Mitte gehabt zu haben, so stellt sich bei uns eine
gleidie Anzahl von Ortschaften heraus, die mit mehr oder minderer
Rührigkeit die Heimath Wolframs, der von einem Eschenbach
seinen Beinamen erhalten, ftlr sich in Anspruch nehmen. Daisen ber-
gers ^geographisches Handlexicon'^ vom J. 1811 kannte deren sechs,')
') Vgl. die schöne Abhandlung Grimms. Berlin 1842.
') Parc. 433, 1 ff. „Tuol üf^ wem? wer sil ir?
,.ich wil inz herze hin zuo dir.^
80 gert ir zengem rüme.
„waz denne, belibe ich kume?
mtn dringen soitu selten klagn:
ich wil dir nu von wunder sagn.^
jft Sil irz, frou Aventiure?!
') S. 35: Escbenbach Stadt zwischen AmbergMind Baireulh. E. bei Erding,
Erlbacb, Hersbruck, der Markt bei Weiden und die SladI bei \^1nd8heim.
110
im J. 1851 nannte dieselbe, Quelle nur mehi* fünf,') Dr. Karl Roth
dagegen weiss deren sogar acht. aufzuweisen. ') Von diesen haben jedoch
nur das fränkische Eschenbach und jenes in der Oberpfalz ernst-
lich um ihr Vorrecht sich angenommen, nachdem die Schweizer Con-
jecturen unhaltbar geworden waren. Zwei namenlose Ritter zankten sich
später 1831 im ,.Innlaud^ herum, der* Eine denuncirte, dass in der
Kirche des zwischen Spalt und Herrieden gelegenen Städtchens Eschen-
bach der dortige Thürmer den Alterthumsfreunden ^mit keckem Finger
ein aussen eingemauertes, geringes Denkmal eines «chlichten Bürgerlein,
mit dessen Steinbild und verdorbener deutscher Sct^ft, als Begräbniss-
stätte und wahrhaftes COnterfei des berühmten Wolfram^ zeige, obwohl
dort einige alte Epitaphien oder Todtenschüde , aber keine. Spur von
dem angeblichen Begräbnisse Wolframs zu sehen. ^> Dem gegenüber
erhob sich eine Stimme aus der Oberpfalz , welche gewissenhaft die
Sage constatirte, wornach die zwischen Amberg und Baireuth gelegene
Provinzialstadt Eschenbach der sichere Geburtsort des Sängers ^i. ^)
Die Kämpfenden trennte Mass mann durch sein Siegesgebot,^) indem
er auf seinen früheren Artikel in der ^Eos** verwies , der Mch jedoch
nicht des Nachschlagens verlohnt, um dort (Jahrgang 1828. Nro. 25.
S* 99) die leere Schwätzerei über Wolfram und Hadamar von der
Laber nachzulesen. Später entschied Seh melier^) einmal für allemal
massgebend zu Gunsten der Franken, und der Streit galt als vollendet,
bis König Maximilian hochsinnig beschloss, dem Dichter ein grossartiges
Denkmal aufzustellen. Das brachte die Oberpfälzer neuerdings zum Be-
wusstsein, dass sie bereits im Jahre 1823 die Erlaubniss zur Errichtung
eines Monumentes nachgesucht und erhalten, bis dato aber wieder darauf
vergessen hatten. Also erhob sich ein Ungenannter, welcher ^im Archive
zu Eschenbach, Erbendorf und Kemnath die merkwürdigsten Ausschlüsse
über Geburt, Tod und Begräbuiss des Pa^^^ivalsängers^ gefunden haben
wollte, in einem. passenden Organ , ^) worin er, natürlich mit weiser
') Stadt zwischen Amberg und Bairealh; Weiler bei Erding, Stadt bei Ans-
bach, Dorf bei Erlbach, Weiler bei Hersbruck.
^) Nach dem Postlexicon für Bayern vom Jahre 1818 gibt es acht Ortscharten
dieses Namens, und zwar: Eschenbach Dorf in Unlerfranken, Stadt Eschen-
bach und Windischeschenbach in Oberpfalz, Eschenbfirh P/arrdorf bei Hers-
bruck, ferners in Mitlelfranken : Eschenbach Dorf, Ldgr. Markt Erlbach^
Obereschenbach Stadt, Mifleleschcnbach Pfarrdorf, Untereschen bach Dorf.
Ausser diesen sind in Bayern noch viele Orte, die ähnliche Namen röhren^
und zwar: 1 Eschbach, 1 Eschberg, 3 Eschelbacb, 1 Eschelberg, 1 Eschel-
dorf, 4 Eschenau, 1 Eschenberg, 1 Esselbach, 3 Essenbach u. s w.
») S. 192. *) S. 654. *) S. 686.
^) Seh melier über Wolframs von Eschenbach Heimatb, Grab und Wappen,
gelesen in den Sitzungen der Akademie am 3. Februar 1837.
^) UnterhaHungsblatt zur Kegensbnrgeit Zeitung. 1859. Nro. 15.
111
ZoruckhaltaDg seiner archivalen Eatdeeknngen , die oberpfWzische Ab-
stammiing des Dichters vertheidigte.
Da nun beide Partheien , die oberpfalzische sowohl , wie die frän-
kisdie, ihr gutes Recht zur weiteren Schlichtung unseren Händen an-
vertrauten, der Schreiber aber in vorurtheilsloser Bereitwilligkeit mit
Eiasichtnahme der Akten und umständlicher Briefwechselei und zahl-
losen Verhörungen unter böswilligen Mystificationen ein gut Theilder
ihm zugewiesenen Arbeitszeit opferte, so wird sich die Wahrheit wohl
herausstellen, wenn auch auf Kosten einer Parthei, denn beide strittige
Theile können unmöglich gleiche Anrechte haben und die Wahrheit wird
kaum in einer versöhnlichen Mitte liegen.
Die letzte Arbeit des vortrefflichen Archivar Oesterreicher zu
Bamberg war eine Biographie Wolframs, über welcher ihn der Tod
überraschte, ehe er selbe nur tfaeilweise vollenden konnte. Seine vorge-
fasste Idee war, den Dichter fUr die Oberpfalz zu vindiziren; so schrieb
er desshalb am 11. November 1636 aa den Magistrat der oberpf&lzi-
sehen Stadt Eschenbach, er sei nahe daran und habe bereits unUDg-
liche Bel^e gefunden, erbitte sich aber weitere Quellen — der leidige
Fehler war nur in dem Umstände , dass es ihm nicht gelang über das
Jahr 1398 hinanfzukommeo, das im mindesten um anderthalb Saecula
unter dem Dichter lag! Vergeblich suchte Oesterreicher des Dichters
Surg und Schloss, wo nichts zu finden war! seine voreiligen MitthetJ-^
imgen aber lebten in der regen oberpfölziscfaen Phantasie fort und ge-
staHeten sich zu einem gaofisea NebelbiMe. So kam denn zu Anfang des
Jahres 1860 an den Verfasser die Märe« es seien früher in dem zwischen
Baireuth und Amberg gelegenen Eschenfoach zwei Kirchen gestanden,
kut aneinander, von denen die eine, dem heiligen Wolf gang geweiht,
in der theueren Zeit oder kurz nachher ungefähr zwischen den Jahren
1816 — 20 abgebrochen worden, dabei sei der Grabstein des berühmten
„Minnesängers,^ auf dem sich eine Pflugschaar als Wappenbild befunden,
(kurch den Maurermeister Orosch herausgenommen, zerschlagen and in
das nene Schulhaus vermauert woixieii; noch jetzt finde der Name
Wolfram dort sehr häufiges Vorkommen als Geschlechtsname, auch
eiistire in der Stadt ein Wolframs -Hof; die Bürger aber seien heute
noch erbötig, zur Steuer der Wahrheit ihr Schulhaus abzubrechen und
aaf ihre Kosten neu au&ubauea, bloss um den Grabstein ihres gefeier-
ten ^Minnesängers^ wieder zu gewinnen ; noch lebten Leute, welche den
Stein ehedem gesehen u^ s. w. Als nun der Verfasser sich auf genauere
Becherehen verlegte» war nach acht Ta^en der ^^grossiiiächtige^ Grab-
stein des Dichters schon ersichtlich kleiner geworden, aber er hing, wie
es bestimmt hiess, ehedem über einem eingemauerten Weihbronnkessel,
112
und soll nichts mehr davon zu lesen gewesen sein, als Wolfram — tmd
Pflugscharen darauf.
Nun citirt der ehrenwerthe Herr Pütrich von Rei eher ts hau-
sen, der seiner Zeit die noble Passion hatte, nicht nur möglichst vi^le
Gedichte und Handschriften zu sammeln, sondern nebenbei selbst Verse
zu machen und auch zu Dichtergrabstätten zu wallen und dort seiner
poetischen Andacht zu pflegen^ dass das von ihm geschaute Epitaphium
in ^unser Frauen Münster'' gestanden; die oberpfälzische „Wolframs-
oder Wolfgangskirche'' wäre somit im Voraus misscredidirt, auch wenn
es keine lebenden Zeugen gäbe, die sich unmöglich erinnern können,
dass in den Jahren 1809 — 1821 im oberpfälzischen £schenbaoh eine
Kirche eingerissen worden sein sollte.
Was ferner den angeblichen Grabstein mit einer Pflugschar betrifft
- neben welcher nachträglich bemerkt „das nicht mehr erinnerliche
Sterbejahr des Dichters ganz deutlich eingemeisselt zu sehen gewesen^
— SO' entscheidet dieser Umstand nichts weiteres, als dass wir ^u den
sechs bereits bekannten unterschiedlichen Wappen der verschiedenen
Eschenbache noch ein siebentes hätten , das aber heraldisch sonst
nirgendwo weiter sich vorgefunden ! Auf tias Gerede, dass in der ge-
nannten Stadt heute noch viele Familien den Namen Wolfram führen,
ist kein Werth zu legen , denn derselbe kommt in anderen Gegenden
Bayerns ebenso häufig vor, wie die Monumenta boica und die Codices
jeden Bisthums sattsam erweisen. Was aber den WolfVams-Hof betriflt,
auf den sich die beliebte Conjectur am sichersten zu stützen glaubte,
so liegt mir durch die Vermittelung des gelehrten Oberlieutenant Schue-
graf (tl861) ein Brief der zeitweiligen Besitzerin, Fr. Louise Freyinn
von L i n d e n f e 1 s vor, woraus hervorgeht, dass der besagte Hof nicht
in der Stadt, sondern zwei Stunden Weges entfernt davon sich befinde,
wie auch, dass das Schloss im Jahre 1817 eine halbe Ruine gewesen
und die wenigen Papiere, welche die Lindenfels'sche Familie betrafen,
bei einem Brande am 30. August 1859 zu Grunde gegangen. Wären
selbe auf den mittelalterlichen Dichter bezüglich gewesen, so hätten die
Oberpfälzer, — an ihrer Spitze Herr Oesterreicher, lange genug Zeit
gehabt, selbe zu finden! Der Wolframshof aber ist znfaHig viel
älter als unser Dichter, er hat seinen Namen nicht vom Eschenbacher,
sondern von Wolfram I., dem ältesten Sohne des kinderreichen Grafen
Adalbert oder Babo von Babenberg. *) Somit sind wir denn in die
traurige Lage versetzt, den guten Oberpfälzern, falls sie nicht mit
besseren Gründen bestehen können, vorläufig alles Anrecht auf unseren
Dichter zu versagen.
') Vgl. Haas Nibelungen. 18H0. S 88.
113
I — — — — ^_.
Glficklicher sind dagegen die Franken, obwohl auch sie, falls der
gegenwärtige Augenschein allein entscheiden sollte, sicherlich zu kurz
kämen, denn die im Jahre 1858 mehrtägig gepflogenen Untersuchungen
des Herrn Hofbauinspectors Riedel und des Herrn Oberst v. Spruner
blieben ohne Erfolg. Aber wir haben ältere Quellen, die zwar nioht in
angetrübter Reinheit fliessen, aber doch in Ermanglung anderer Urkun-
den vorläufig unserer Beweisführung, die aus dem Werke des Dichters
selbst die meiste Nahrung empfängt, vorausstehen mögen.
Der genannte wackere Herr Jacob Pütrich hatte auf seinem
Schlosse zu Reichertshausen') (das in wenig veränderter Gestalt
noch jetzt den Reisenden begrtisst, der auf der Strasse von München
nach Neuburg oder Ingolstadt anderthalb Stunden ob Pfaffenhofen in das
belebte Thal der Jim niedersteigt) bekanntlich einen grossen Schatz von
deutschen Dichterw^erken zusammengesammelt. Selbst in der Reimkunst
sich versuchend, schrieb er im Jahre 1462 einen „EhrenbrieP an Frau
Machthild, die Schwester des Pfabsgrafen Friedrich und Witwe des Grfn.
Ludwig zu Würtemberg (sodann Gemahlin des Erzherzog Albrecht VI.
von OesteiTeich) , worin er seine im Verlaufe von vierzig Jahren auf
weiten Reisen ^nach Rom, Ungarn und Brabanf angesammelte Biblio-
thek näher beschreibt und von einzelnen Dichtern das ihm wissenswerth
scheinende verzeichnet. Nachdem er schon früher unseres Wolfram
gedacht, kommt er in der 127. Strophe auf ihn zurück,*) der hochbe-
rnhmt in deutschen Landen und seines Gleichen nicht habe, sein edel
Gebein liege begraben und besargt im Markte Eschenbach in unserer
Frauen Munster, wo sein erhabenes Grab und besunder Epi-
taphium war, dessen Jahrzahl und Farben jedoch damals schon unleser-
*) Welsch: Reichertsbofen, Markt und Landgericht. £in Beitrag zur Gescbichle,
Topographie und Statistik von Pfalzbayem. Landshut 1802. S. 9.
*) Verjfl Duellius excerpt. genealog. 1725. S. 265 — 84. — AdelunjfJ.
Pütrich. Leipzig 1788. Neu abgedruckt durch Karajan in Haupt's Zeifschr.
VL 31—59. Str. 127: darumb sey imer Ehr I und Lob gesagt Wolfram der
Hochbekannt mit tichtes Kbunst sorar in t^utschen weiden | das Im ballt nit
geleicbet j Ich main von Eschenbarii vnd Pleinfelden. Str. 128: Begraben
vnnd besarkht | ist sein gebain das edbi in Eschenbach dem Marckht | in
vnnser Frauen Minster hat er Sedl | erhabens grab sein schilt darauf erzeu-
gt I Epitafinm besunder | das vnns die zeit seins Sterbens gar abtreuget
(abtreugen = abwischen, verwischen). Str. 129: Vefwappent mit ainem
Hafen i im Schilt auf Helm begarb (= ganz und gar, oben und unten) ] ja
müest er schnelle drafen | der unns erfur derselben clainot färb | ein Pusch
auf Helm der Hafen hat vmbraiffet I als mir das kham zu melde I mein fart
dahin mit Keulen wert geschwaifTet. Str. 130: In manig Khürchen ferte |
suecht ich den Ritler edT | zwainczig meillen herte | rait ich dahin, das wag
ich alsz ein medl (— gering, für nichts, von made, Wurm; medl, das
WUrmchen — Kleinigkeit) | darumb das ich die stat seiner grebnusz sähe |
vnnd durch mein Pedt andechtig \ in fronem Reich Im Gott genedig jähe.
8
114
lieh geworden waren. Pütrich, der an zwanzig Meilen weit eigens dem
Dichter zu liebe, diese Kirclifahrt ritt, sein Begräbniss zu sudieu und
andächtig zu beten daselbst, sah sein Wappenschild noch, einen Hafen^
im Schild, der Heim bekrönt mit einem Hafen und mit einem Busch
^umbraifef
Die Stelle hat viele Arbeit gemapht, man glaubte, Pötrieh habe
falsch gesehen oder schlecht geschrieben, es müsse offenbar ein Affe
gewesen sein, dieweil eine Familie Eschenbachs wirklich ein solches
Thier mit Scheermessern im Wappen führe, doch fand Schmeller glücke
lieber Wß'se ergiebigen Aufschluss, obwohl der sonst auch in anderen
Fällen unzuverlässige Maler der Pariser Handschrift die Scheermesser
auf Schild, Helm, Banner und auf die ^kovertiure^ des Rosses gesetzt
hat. Die Münchner Bibliothek besitzt nämlich ein prachtvoll gemaltes
und ganz herrlich ausgestattetes Wappenbuch, das Conrad von Grü-
nenberg von Constanz in den Jahren 1480 — 93 „aus alten Blättern,
Büchern und Gemälden der Gotteshäuser" zusammentrug, welches ganz
dasselbe Wappen zeigt, das Pütrich beschreibt: nicht bloss im (goldenen)
Schilde, sondern auch auf dem Helme einen (rothen) Topf oder Hafen
mit einem Giessschnabel am Bauche und einer bogenförmigen Handhabe
über der Mündung; aus der Mündung des oberen Hafens stehen fünf
Gilgen oder Maiglöcklein hervor, das ist wohl der „Busch, der den
Hafen hat umbraifet." Dabei ist nach dem „Wigalois" des Wirnt
von Grävenberg (des gleichzeitigen Nachbars unseres Dichters), der
bekannte Vers ') gesetzt: „Wolfram Freyher von Eschenbach, layen
mund nie baz gesprach, ain Frankh." Ein deutliches Zeichen, dass
wenigstens poch im XV. Jahrh. über des Dichters Heimath kein Zweifel
obwaltete.
In Wolframs Dichtungen selbst finden sich verschiedene Aeosser-
nngen, die auf dessen Heimath und Leben allerlei Schlüsse erlauben
können. Da ist z. B. gleich jehe vielberiihrte Stelle (Parc. 121, 7),
wo er sich selbst einen Bai er nennt und mit gatmüthigem Lächeln
ihnen nicht absonderlich feines Geschick einräumt, zugleich aber nach-
rühmt, dass, wenn Einer die gewöhnliche Grenze überwunden habe, an
dem ergebe sich dann ein Wunder, der wird ein ganz ausgezeichneter
Mann ! ') Er thut das in einer Einschaltung, wozu im Gange des Ge-
•) Pfeiffer S. 163: daz lop g\t her Wolfram,
ein wtse man von Eschenbach.
sin lierxe ist ganzes sinnes dach:
leien munt nie baz gesprach.
^) 121, 7 ff. : ein <pris den wir Beier trago,
muoz irh von Wäeisen sagn:
115
dichtes wohl keine Veranlassung lag, indessen wird der Dichter dazu
wohl seine Gründe gehabt haben, die uns freilich mehr zu errathen
bleiben.
Wie aber kam Wolfram dazu, sich selbst zu den Bayern zu
zählen, da er doch ein Franke war? Seh melier nimmt an, dass der
Landstrich, von welchem bei dieser Frage die Rede ist, zur Zeit dos
Dichters zum sogenannten Nordgau' (besser vielleicht Nordbayern
genannt) gehörte, wie er vierhundert Jahre früher noch zu Thüringen
gezählt hatte. Ob der später in den Maingegenden angenommene poli-
tische Name Franken auch für den mehr der Donau zu liegenden
Nordgau vor sechshundert Jahren schon so üblich gewesen sei, als später-
hin, da (1329) der östliche Theil dieses Tummelplatzes wechselnder
DynsLsten zu Gunsten der Pfalzgrafen bei Rhein unter dem speciellen
Namen der Pfalz abgetrennt wurde , wäre jedoch erst noch durch Ur-
kuaden bestimmter nachzuweisen. Yerwandtschafts - und Erbschafts-
Verbindungen mit den Herzogen und Dynasten südlich der Donau, sind
bei den verschiedenen Dynasten des westlichen Nordgau gewiss eben so
gat vorauszusetzen, als bei denen des östlichen Nordgau. Und wenn,
freilich etwas später, nämlich im Jahre 1284 eine offenbar im Nordgau
^legene Ortschaft vermuthlich im Gegensatz zum windischen Eschen-
l>ach, das bayrische Eschenbach genannt wird, so sieht man ^i'enig-
fitens die Möglichkeit, wie auch unser Dichter sich unter die Bayern
liabe rechnen können. ')
die sint toerscfaer deune beierscb her^
' unt doch bt manltcber wer.
swer in den zwein landen wirt
ffefiioffe, ein wunder an im birt vgl. dazu W. Wackernagel
in Haupfs Zeitscbrin VI. 255 über die Spottnamen der Völker. Die Bayern
schienen vor Zeiten eben nicht beliebt und es hing ihnen noch mancher
Schimpf an; sie galten (nach den Nibelungen) für räuberisch gegen durch-
ziehende Fremde, für j^eizig, trunksüchtig, doch stand ihr kriegslustiger
tapferer Sinn ^ch in hhren. Dagegen hatten die Sachsen, Hessen und
Schwaben auch unliebe Anhängsel.
') Der Nordgau stand schon von der frühesten Zeit her in vielseitiger, politi-
scher Verbindung mit Bayern, wie er denn wohl hur von seiner Beziehung
auf Bayern den Namen haben kann. Sagt doch auch Wolframs Zeitgenosse,
der Geheimschreiber der Kaiser Conrad III., Friedrich I. und Heinrich VI.,
Gotfrid von Viterbo in s. Pantheon: ,^Bavaricus fluvius vulgo Radiantia
dicius, Norica nira fovens . . / vgl. Seh melier in den Abhandl. der plii-
lolog.- Philosoph. Klasse. 1837. S. 203. Dagegen behauptet H. Haas (Nibe-
lungen. 1860. S. 27), dass das heutige Eschenbach zu Wolframs Zeilen
frankisch gewesen, dass Wolfram aber aus dem im Landgericht Hersbruck
gelegenen üschenbach, welches Bischof Gundekar von Eichst ütt 1059 weihte,
ffestammt und erst später ins Deutschordenshaus zu Eschenbach üliergesiedelt
habe, auch deutscher Ritter gewesen und desshalb in der Kirche daselbst lie-
graben worden sei. — Die Nachrichten zur Geschichte dieses an der Pegnitz
Kelegenen Eschenbach hat jedoch Dr Barack (Nürnberg 1859) auf das fleis-
figste gesammelt, ohne von unserem Dichter die leiseste Spur zu fuiden.
8*
116
Wir wissen also, dass Wolfram in einer Frauenkirche begraben
lag; nun hat aber nur das zwischen Ansbach und Gunzenhausen gele-
gene Eschenbach, das sich erst neuerlich von einem Markt zur Würde
einer Stadt erhoben hat, ein solches Monster, auch stimmt es ganz
richtig, wena Pätrich von Reichertshausen sagt , er habe (offenbar von
seinem Schlosse aus gerechnet) gut zwanzig Meilen weit dahin zu reiten
gebraucht, nachdem er den edlen Ritter bereits früher auf allerlei weit-
schweifigen Kirchfahrten gesucht hatte; das heisst wohl nichts anderes,
als dass er vorher in manch anderes Eschenbach geritten war, ohne
die gewünschte Kunde zu erhalten , bis er endlich zu Eschenbach , dem
Markt nächst Pleienfelden in unserer Frauen Münster, das geschilderte
Denkmal fand. Dazu passt denn auch ganz und gar die benachbarte
Scenerie, die Wolfram bisweilen in seiner Dichtung durchblicken lässt, er
nennt einen Grafen von Wertheim, mit dem er in besonders freund-
lichen Beziehungen gestanden, er kennt die Burgen zu Wildenberg
und*Abenberg, er weiss von dem lustigen Leben zu Trüdingen
und vom rüstigen Treiben der Kauftnannsfrauen zu Tolenstein, er
rühmt die Blechhauben von Berat2haüsen und den Rcgfengbürger
Zindel, er ' kennt die ganze Umgebung von Nürnberg, er ist* zu
Nördlingen bekannt und am Lech fei d; das Alles liegt in schöner
Runde um den genannten Markt und drängt so die unwillkührliche
Vermuthung auf, der Dichter müsse ein gut Theil seines Lebens hier
verbracht haben.
Das Frauemnünster zu Eschenbach hatte schon Seh mal 1er 1337
untersucht, in neuester Zeit haben Riedel und Spruner als Verehrer
des alten Sängers dahin eine neue Kirchfahrt gemacht, leider ohne die
geringste Spur zu finden, denn die Kirche wurde in den Jahren 1460
biij 1470, also bald nach Pütrich's Besuch, ganz umgebaut: dass bei
solchen Gelegenheiten Alles , was sich an Gräbern , Grüften und Grab-
mälem im Innern befand, mehr oder weniger gelitten habe, ja ganz
beseitigt oder vielleicht noch 1749 bei der Hinzufugung einer Seiten-
kapelle verloren worden sei, ist leicht begreiflich.
Pütrich nennt ihn einen edlen Ritter, Grünenberg hat schon
einen Freiherm daraus« gemacht, das lag aber jedenfalls noch der
Wahrheit näher als die grundlose Behauptung des Ritter von Lang,')
Wolfram sei gar ein Kleriker und Magister der freien Künste gewesen.
Die Vermuthung, Wolfram sei nicht der erstgeborne Sohn seines Hauses
gewesen, hat viel für sich und wird durch des Dichters Klage über^ die
Ungerechtigkeit des Erstgeburtrechtes, womit die Geschichte Gahmurets
) Im IV. Jahresbericht des hislor. Vereins im Rezalkreise. 1834. S. 6—10;
117
anhebt, unteratützt. ^Leider ist auch auf deutscher Erde ein Ort, wie
ihr ohne mich ohnehin schon wisst, wo dieses seltsame Ding (ein fremdiu
zeche) herrscht , dajss der älteste Bruder des Vaters ganzes Erbtheil
erhält zum Unheil der jüngeren." (5,^4 — 21.) Vielleicht kam er später
zum ganzen oder theil weisen Besitz von Land und Erbe, denn er hat
ein Haus, wo man ihn als Herrn behandelt/) aber auch das war küm-
merlich bestellt upd nicht selten entgleitet ihm ein bitteres Lächeln
oder ein Jammerruf über seine Noth , vor der selbst die Mäuse davon
laufen, weil sie bei ihm nichts zu (bissen fanden ; er selbst hat darinnen
oft solch Ungemach erduldet, wie die Hungersnoth zu Pelrapeire war.
Auch ist er kein guter Küchenmeister. (637, 2.) — Im Wartburg-Kriege
heisst es., Wolfram sei zu Masfeld (bei Meiningen) durch den Grafen
Poppo von Henneberg Ritter geworden und da dieser im J. 1190 zu
Palästina an einer Seuche starb, so kam Herr Dr. Ludwig Lang')
in seiner übrigens liicht unverdiepstlichen Jugendschrift darauf, den
Dichter jenen Kreuzzug des Kaiser Barbarossa mitmachen zu lassen — •
eine poetische Licenz, zu der übrigens die Dichtungen Wolframs nicht
die geringste Veranlassung geben. Er war ein Ritter, der sich aufTjost
und Speerbrechen wohl verstand, der seine Freude daran hatte, fest
im Sattel zu sitzen und wacker sich zu tummeln (Parc. 75, 21), Schil-
des-Amt ist. seine Art (115, 11), wie ernstlich diese Amtirung gemeint
urar, beweist die Stelle im Willehalm 384, 17. Unter seinen fahrenden
Hittern, die planlos auf grossen Abenteuern umherschweifen, jeden in
Stahl- und Waffenkleid Entgegenkommenden anreiten, um die über-
mnthigen Kräfbe im Speerstechen und sausenden Schwertkampf zu
messen, hat er mit sichtlicher Vorliebe sicherlich sein eigenes Leben
aus jüngeren Jahren abgeschildert. Er war ohne Zweifel oftmals
^soldier** (Parc. 201^ 4), das heisst im besoldeten Gefolge eines vor-
nehmen Herren, mit dem sich dann eine weitere Freundschaft entwickelte,
wie mit dem Grafen von Wertheim, oder im Dienste einer hohen
Frau, wie der Marggräfin von Heitstein, von der er mit wenigen
Zügen ein leuchtendes, herrliches Bild entwirft. (Parc. 403, 29 ff.)
') 184, 24. Doch geschieht es ihm seilen, dass des Abends oder Morgens eine
Magd vor seinem Bette sitze, seiner zu pflegen. 554, 4.
') Wolfram von Eschenbarh. Historischer Roman von Dr. Ludwig L a n g. Stutt-
gart b. Scheitlin. 1859. Dessgleichen behauptet auch H. Haas in seiner
Abhandlung über die Nibelungen (Erlangen 1860. S. 28^ mit grosser
Sicherheit, dass Wolfram den dritten Kreuzzug unter Friedrich Barbarossa
1189 mitgemacht habe; er stellt seine Meinung mit überraschender Sicherheit
als etwas bereits Ausgemachtes hin, ohne dafür den geringsten Bele^ zu
geben. —
118
Betrachten wir die im Parcival oder Willehalm erwähnten histori-
schen Personen, mit denen Wolfram in persönliche Berührung gekommen
war, näher, so möchte wohl die so eben genannte edle Frau, deren
Schönheit über die ganze Mark leuchtete, wenn sie von ihrer Burg
herniederstieg, die erste Stelle einnehmen. Bei ihr muss Wolfram, als.
„garzün,*' oder wie wir neuhochdeutsch sagen würden, als „Page," die
feine ritterliche Sitte und adelige Höfischheit erlernt haben, die ihn zierte
wie der gute Ton deinen Nachbar Wirnt von Grävenberg, den dieser
auf der Plassenburg gewonnen hatte. An ein Liebesverhältniss ist dabei
nicht zu denken, üeber die darunter zu verstehende Persönlichkeit
herrschte unter den Commentatoren lange verschiedene Meinung; van
der Hagen hielt sie für die Mutter des Minnesingers von Hohenburg,
weil sonst in Wolframs Nähe keine Marggrafen vorkommen und das
von Wolfram gleichfalls genannte Wildenberg zu Hohenburg gehört
habe. Dagegen hat M. Haupt') die früher schwankende Lesart
H ei t stein festgestellt; den Namen trägt ein dritthalbtausend Fus«
hoher Berg im sogenannten bayerischen Wald, in der Gegend von Cham,
wo auch noch Trümmer einer Burg erhalten sind. Die genannte Marg-
gräfin wäre demnach die Gemahlin Berhtolds von Cham und Vohburg')
(welcher 1204," also um dieselbe Zeit, in der Wolfram den achten Ge-
sang seines Parcival dichtete, starb); diese war eine Schwester des
Herzog Ludwig von Bayern und hiess Elisabeth. Wolfram musste mit
ihr. in persönliche Berührung gekommen sein, da er bald darauf aus-
drücklich bemerkt, dass er nur Frauen preise, die er wirklich mit
Augen gesehen, (404, 8.)
Ein prächtiger Herr, der im Essen und Trinken eine gute Klinge
hieb, möchte der gute Grafvon Wertheim gewesen sein. Wolfium
gedachte seiner unwillkürlich, wie er die grosse Hungersnoth zu Pel-
rapeire schilderte: da wäre mein guter Graf von Wertheim auch ungern
mit dabei gewesen, sagt er drollig, wie hätte der bei solcher Löhnung
bestehen können! Die Stelle lautet (184, 4): ^mm herre der gräf von
Wertheim waer ungern soldier da gewesn; er möht ir soldes niht
genesu," was Simrock fröhlich wiedergibt: ^Mein Herr, der Grafvon
W^theim, war' ungern Landsknecht da gewesen; wie möcbt* er bei
dem Sold genesen?'' An die ursprüngliche Meinung der Exegeten dieser
Stelle, dass der Dichter sich in einem Subordinationsverhältnisse zu
diesem Herrn befunden habe,^) glaubt heut zu Tage Niemand mehr, man
') Zeitschrift f. dent. Alterthum. 1859. XI. 44.
') Vgl. Weslenrieder Beiträge. VI. 30 IT.
') Herr Dr. Alexander Kaufmann, der das lebensarcbiv zu Weribeim ord-
119
hat endlich eingesehen, dass Wolfram das verf&ngliche ^min herre^
auch da gebrauchte, wo er nie in Abhängigkeit gestanden. Unter Wert-
heim ist die bekanntermassen an das Bistham Wirzburg grenzende
Grafschaft zu denken , die Grafen von Wertheim hatten übrigens in
dem mittel fränkischen Eschenbach Besitzungen , ') sie waren es aucl),
die um die Mitte des XIII. Jahrh. das deutsche Ordenshaus zu Eschen-
bach gründeten. Der eigentliche Name des angedeuteten Herren, den
Wolfram nicht gerade absonderlich lehrreich fiir die Nachwelt gehalten
haben muss, wäre auch gleichgültig verblieben, hätte nicht Aschbach
in seiner „Geschichte der Grafen von Wertheim" (Frankfurt 1843) die
Unvorsichtigkeit 'gehabt , die wichtige Stelle zu übersehen , was von
Seiten des Herrn Donaueschinger Domänen- und Hofrathes Dr. Warn-
könig zu hartstylisuten Erörterungen führte, die im Nürnberger An-
zeiger des Germanischen Museums (1856. Nro. 11 und 1857. Nro. 1)
ausgefochten wurden, zum Danke der Leser, die jetzt noch immer nicht
die Beruhigung geniessen, zu wissen, ob jener Herr der Graf Poppo
der erste, oder Graf Poppo der zweite dieses Namens gewesen sei.
Auch der weitere Unstern war dabei, dass Einer der streitenden Helden
den besagten Wertheimer Grafen, welchen der Dichter als einen recht
gemächlichen und grösstentheis mit gutem Appetit behafteten Herren
zeichnet — als ^ einen kriegslustigen, schlagfertigen Kämpen ansah, der
jederzeit bereit gewesen, gegen Sold für fremde Sache das Schwert zu
fuhren!^ Aschbach entschied sich nachträglich für Poppo IL, „unter
dessen Führung Wolfram von Eschenbach wohl auch vorübergehend
ritterliche Kriegsdienste gemacht^ habe. Alexander K aufm an aber
hält seine Privatansicht nach besser an Poppo I. fest, der im Jahre 1160
seinem Vater Gerhard in der Regierung folgte, und 1183 eine Fahrt
nach dem Morgenlande machte, während deren längerer Dauer sein
Sohn die Grafschaft verwaltete bis zur Rückkehr des Vaters, worauf
sie beide gemeinsam die schweren Lasten des gräflichen Regiments
trugen, bis der Vater gegen- das Jahr 1212 aus dem Leben schied.'.)
nete, fand nach einer gütigen MiUheilung (vom 26. Januar 166Q) keine Spur,
dass je ein Eschenbach Lenenträger von Wertheim gewesen. Dagegen sieht
fest^ dass die Grafen von W. noch im XIV. Jahrh. Besitzungen eu Gschen-
bach hatten.
') Domm Geschichte von Escheubach. 1860. S. 3.
') Die Grafen von Wertheim sind ein gutes Säcülum nach dem Tode des Dich-
ters noch für dessen Familiengeschichte von Belang befunden worden. Es
exiatirt nämlich eine Urkunde vom Jahre 1328, in welcher Graf Rudolf von
Wertheim und dessen Hausfrau Elisabeth — in Anbejrachl, dass ihre Vor-*
deren sind die Stifter des Hauses zu Escbenbach und auch die Pfarrei dazu
Sben — ferner auf Verwenden ihrer lieben Muhme Elisabeth von Hohen-
ic^ des Bruders Heinrich von Hennenberg, ihres Onkels, Pflegers zu Neun-*
120
An einer anderen Stelle wird vorübergehend des Schlosses Aben-
berg gedacht. WieParcival in die Gralbarg kommt, heisst es (227, 7 AT):
„In die burc der küene reit, üf einen hof wit unde breit, durch schimpf
(Kurzweile, Ritterspiel) er niht zetretet was (da stuont al kurz gröene
gras: da was bühurdiem vermiten) mit.baniern selten Überriten, also
der anger z' Abenberg.^ Andere Lesearten lauten „zuo obenberg** und
„datze babenberch.^ Der Sinn dieser Stelle kann wohl nur sein, dass
auf dem Anger zu Abenberg kein Ritterspiel getrieben wurde und also
hohes Gras wuchs. Ein gleichnamiges Schloss und Städtphen Abenberg
liegt nahe bei Eschenbach , zwischen Windsbach und Roth , es gehörte
ehedem zum Bisthum Eichstädt und war im XIL Jahrh. der Sitz eines
Grafengeschlechtes.*) San-Marte (U. ä07) vermuthet, sie hätten im
Krieg der Gegenkönige Philipp und Otto (1202—1204) ihr Schlösslein
verloren;, dass die Familie nicht in absonderlich glücklichen Verhält-
nissen sich befunden, soll daraus hervorgehen, dass (nach dem Wart-
burgkriege) der Landgraf Hermann von Thüringen die zahlreichen
Töchter des Hauses zu sich genommen.
Ein mehr behagliches Leben, so dass der wackere Graf von Wert-
. heim dort auch theilnehmen mochte, musste zu Truhendingen*) ge-
führt worden sein. Wolfram erwähnt dasselbe mit einem einzigen Neben-
blicke bei der bereits öfters erwähnten Nothschilderung zu Pelrapeire:
(184, 24) ^ein Trühendinger phanne mit kraphen selten da wschrei:
in was der selbe dön enzwei';*^ das heisst also kurzweg: Keine Pfanne
hörte man von Krapfen erschreien, wie das zu Truhendingen wohl immer
der Brauch war, wo fleissig gebraten, gesotten und gebacken wurde.
Darüber gibt es verschiedene Erklärungsversuche. Voraus ist in Betracht
zu ziehen, dass in einer kaum sechsstündigen Entfernung um Eschenbach
brnnnen, und ihres Oheims Berhtold von Hennenhergf, Comthurs zu Nürnberg
— alle ihre Lehen zuEschenbach dem deutschen Hause schenk-
ten, nämlich die zwei Höfe, die Heinrich von Eschen bach, und den
Hof, welchen Friederich von Eschenbach zu Lehen hatten.— Ein
schüchterner Literäi^ Historiker hat irgendwo die interessante Verrouthung
auszusprechen gewagt^ ob die genannten Heinrich und FriederKh vielleicht
Kindeskinder unseres Dichters gewesen; bereits ist auch hierüber von
corapetenter Seile eine umfangreiche Abhandlung in Aussicht gestellt.
*) In R. v. Lang's Regesien (S. 58 fT.) findet sich ein Rapoto coroes de
Abenberg a. 1157, 1158 und 1160; ein Conradus Comes de Auvenberg,
1161, der Sohn des vorgenannten, neben welchen^ 1165 auch ein ßrnder
Fri^derich genannt wird 1167, 1190, 1192, 1194, 1196, 1199.
') Bereits 750 erscheint urkundlich ein Drutelinga, was aber wahrscheinlich
Treuchtlinffen ist; im J. 836 ein Truthmuntiga ; a: 1053 Trahemontingen (AI-
• tentruhenoingen^ am Orselbach; a. 1153 Trnhielfingen. R. v. Lang Regesta
circuli Rezalensis. Nürnberg 1837. S. 9. 29 etc.
') Andere Lesearten lauten Iruhendingare, trühendinger, dnihendinger, True-
hender, drubunder.
121
die Orte: Hohen- Alten- und das Städtchen Wasser-Trüdin-
gen liegen. Das letztgenannte Städtchen aber ist heute noch durch
seine Krapfen bekannt. *) Die Krapfen ^schreien,'' wenn man den Teig
iQ*s heisse Schmalz legt , wo sie gebacken werden , wie noch heut zu
Tage der Volksdialekt die Bratwürste schreien lässt.') — Die Anderen
aber meinen, die Pfanne habe absonderlich im Grafeuschlosse geschmort,
wo der Dichter häufig gute Gastfreundschaft genossen habe. Beide An-
sichten haben unzweifelhaft Vieles für sich. Die Grafen von Truhen-
diogen') hatten um die Zeit, wo Wolfram dichtete, noch grosse Güter
und Besitzungen , darunter auch ein schönes Bergschloss und Amt im
Marggrafenthum Anspach; sie müssen aber schauerlich gewirthschaftet
vhaben, denn bald darauf, schon am Ende des XLU. Jahrh. waren sie
genöthigt, ein Schloss und Gut nach dem anderen zu verkaufen, so
dass im Beginn des XIV. Jahrh. die Burggrafen von Nürnl^erg, die
Grafen von Oetting mid das Hochstift Wirzburg alle ihre Ländereien
an sich gebracht hatten. Dieser schnelle Verfall eines so reichbegüterten
Oeschlechts ist zn auffallig und könnte leicht auf die Vermuthung führen,
die Herren hätten früher mit übermüthiger Lustbarkeit ihr Hab und
Gut verprasst. Wir gestehen gerne, dass dies nur ein Ehifall ist, der
£iber durch die unten verzeichneten grossartigen und sicherlich nothge-
cLningenen Verkäufe an Unwahrscheinlichkeit verlieren kann.^)
') Bericht des hislor. Vereins im Rezatkreis. 1833. S. 9.
M Hoffmann im Nürnberger Album. 1852. S. 65.
') Ein Adelbrebt de Truhendingen erscheint a. 1142 (R. v. Lang Regesta
1837. S. 46); 8 1147 Adelbertus de Truhendingen und 1151 (S. 49. 51).
1152: H ermann US sacerdos de Truohlegiugu (S.53): 1152.' Adalberlus
corhes de Truhendingen, Vogt des Heidenheimer Klosters (S. 53) ward von
Pabal Euis^n III. belobig dass er den Abt bei der Reformation des Klosters
so löblich unterstützt habe; in der Folgezeit erscheint neben Albert immer
sein Bruder Friederich 1153, 1157, 1163, 1165, 1169 und letzterer wird
1167 als ein sehr harter Mann bezeichnet; weiler kommen abwechselnd die
Beiden vor: 1172, 1174, 1180, 1183, 1181, 1186, 1190, 1193 u. 1194 u s w.
^) Ein Graf Fridrich von Druhendingen verkauft a. 1280 die Vogtei Burck-
bernheim um 12,500 Pf. Heller an den Burggrafen Friederich von Nürn-
berg. (Pastorius Prancon. rediv. 1702, S. 387.) — 1299 wurde das Schloss
Neuen bürg von Graf Friedrich von Tr. um 1200 Pf. Heller an das Hoch-
»tifl Wirzborg verkauft (IX. Bericht des bist Vereins f Millelfronken. 1839.
S. 20.) — a. 1807 hat ein Graf von Tr. einen Theil des Marktes Bergel
an die Burggrafen verkauft um 60 Pf. Heller, den anderen Theil erwarben
die Grafen von ßaldern a. 1412 um 1 1,500 fl. — Die Stadt Leutershausen
(am Ursprung der Altmühl) und das Amt Colenberg verkaufte 1314 Graf
Friederich von Tr. dem Burggrafen von Nürnberg «m 6,200 Pf Heller (Pa-
storias S. 413) , 1318 bekamen die Burggrafen auch das Schloss Colenberg
(CoImbergV). — Wasser-Trü dingen, eine Stadt im Ries, 4 Meilwegs
voD Ono)tzbach gelegen , war erstlich derer Grafen von Tr. , darnach derer
Grafen von Oettingen: von diesen kam sie an die Herren von Holienlohe,
welche es a. 1361 ap die Herrn Burggrafen zu Nürnberg verkauft. (Pastorius
S. 435.) — Hohen-Drudingen und Heidenheim wurden a. 1366 von
122
An einer anderen Stelle (230, 12) nennt er Wildenberg und
sagt, dass man dort nie so grosse Feuer gesehen habe, wie sie auf der
Gralburg brannten: ^sö gröziu fiwr sit noch e sach nimen hie ze
Wildenberc.** Die Münchner Handschrift hat Wildeberg. Bestimmt geht
daraus hervor, dass der Dichter, als er die Stelle schrieb, sich daselbst
befunden habe. Van der Hagen glaubte, das Wildenberg gehöre zu
Hohenburg an der Lauterach ; doch findet sich auf der Karte in dieser
Nähe kein Wildenberg noch Wildburg; nur das alte Schloss Velburg
liegt unweit an der schwarzen Laber. Wildenberge oder Wildenburge
gibt es in Franken unzählige. £in verdächtiges Schlosd solchen Namens
liegt auch auf einer bewaldeten Höhe bei Beilengries, zwischen Dietfhrt
und Riedenburg. S i m r o c k- jedoch hält alles weitere Suchen ffir unnütz;
Wolfram bezeichne das Nest offenbar als arm und da der Dichter häufig
über die eigene Armuth zu scherzen liebt, so konnte er hier sein eigenes
^hus,^ seine Burg meinen. Da nach Lachmann's gründlicher Chrono-
logie der fünfte Gesang des Parcival bald nach dem Jahre 1203 ge-
dichtet ist, schatten wir einen Anhaltspunkt, dass der Dichter vielleicht
im Winter von 1203 auf 1204 hier gesessen habe.
Sehr bedenklich ist der Handel mit den Tolensteiner Kauf-
weibern, von dem Wolfram vorübergehend (409, 5 ff.) spricht; er
wurde unseres Wissens noch niemals beleuchtet. Wir selbst haben dess-
halb alle möglichen Mittel aufgeboten und nach allen Seiten briefliche
und mündliche Nachrichten eingezogen, die unsere erste Vermuthung,
es sei damit, wohl nur ein Faschingtrummel und ernst gewordener
Mummenschanz gemeint, zu bestätigen scheinen. — Gawan hat bei
dem amurösen Aventeuer mit der schönen Antikonie ejne kleine Be-
lagerung durch die ehrsamen Bürger auszuhalten, wobei ihm die min-
nigliche Jungfrau so wacker beisteht, dass die Kaufirauen zu Tolenstein
in der Fasching auch nicht besser gestritten haben können. Die Königin,
sagt Wolfram, „streit da meisterliche, bi Gawan si werliche schein,
daz diu koufvi^ip ze Tolenstein an der vasnaht nie baz gestriten:
wan si tuontz von gampelsitten (der Narrheit zu Liebe) unde müent
an not ir lip.^ Aber, setzt Wolfram tadelnd hinzu, ^swa harnaschraraec
wirt ein wip (wenn sich eine Fran harnischschrammig macht), diu hat
ir rehts vergezzen" (das ist mit reiner Frauenzucht unvereinbar).
dem ßayer-Fürslen. an dio Burggrafen su Nürnberg um 17,Q0Q fl. verkauft
lind :i0 Jahr hernacli sind vollends alle Lehen von dem Grafen Oswald von
Driihendin^en an die Burggrafen kommen, (ib. S. 406.) Zulelzl , wnrde noch
die alte Herrschaft Truhendini^en 1371 von denen Grafen von Hohen-
lohe und von denen von Berlichingen tanquam haeredibus an die Herren
Burggrafen zu Nürnberg nm 33,000 Pf. Heller verkanfl. (ib. S. 433.)
123
Tolenstein, vier Stunden von Neuburg an der Donau entfenft, ist ein
sehr alter Ort,') auf einem römischen Pfahl werk erbaut und einer der
vier alten Märkte im Altmöhlthale. Hier sassen nach Spangen berg
(Adelspiegel 1591. I. 281.) die Grafen von Hirsperg, die um 1300
aosstarben.') Spangenberg widmet (I. 455) einen eigenen Abschnitt
^den streitbaren Weibern** und erzählt alle ihm bekannten Fälle, 'wo
die Weiber, namentlich in der Schweiz und in Schwaben, ihren Männern
in schweren Kriegshändeln wacker beistanden. Auch der Burgerfrauen
von Ulm wird Erwähnung gethan , wobei auf des Franc. Irenicus
(eigentlich P. Andr. Oldenburger) exegesis Germaniae (Nürnberg 1518)
verwiesen wird, doch findet sich dort (lib. IV. cajp. GXIII) nichts über
unsere Tol^nsteinerinnefi. Schmeller (Bayr. Wörterb. I. 569) citirt
die Stelle bloss wegen des Wortes Fasnacht, gibt aber sonst keinen
Attfischlnss. Die vom verstorbeneu Doraprobst Po p p , (welcher der
grdndlichste Specialhistoriker des Eichstätter Territoriums war) gesam-
melten Urkunden, geben über den fraglichen Handel gar keinen Auf-
scfaluss; auch von den heute öoch dort umgehenden Sagen') gehört
nichts hieher. Wichtig jedoch erscheint die durch gütige Vennittelung
des Herrn E. Jörg von Herrn Professor Suttnef (in Eichstätt) erhal-
tene Notiz, dass daselbst und in des Umgegend frühör allerei Faschings-
bräuche mit der sogenannten L ö 1 1 getrieben wurden, einer Strohpuppe,
welche in den Fasnachtstageu öffentlich herumgeführt und darauf ver-
urtheilt wurde, nachdem man ihr vorerst alle lächerlichen Streiche, die
im Laufe des vergangenen Jahres stattgefunden , Vorgeworfen und auf-
gebürdet hatte; die Posse gab dann gewöhnlich Anlass zu ernsthaften
Raufereien, wesshalb sie abgeschafft wurde. "*) „Vielleicht waren Zwei-
kämpfe u. dgl. in alter Zeit zu Tolenstein die Rechtsmittel, mit welchen
die beim Löllgericht zu Fasnacht angeklagten Käuflerinnen sich ver-
theidigen mussten." Interessanter sind, wie Herr Suttner weiter
schreibt, allerlei benachbarte Erzählungen, in denen Spuren von W^eiber-
,') Tolenstein gehörte früher zum Kloster Baring (Baringi), einem bis in die
Zeilen Tbassilo*s hinaufrerchenden Stift mit den Resten einer wunderschönen
byzantinischen Kirche; K. Heinrich vergable am 15. April 1007 den Ort als
Seelgeräth für seine Gemahlin Kunigunde den dortigen ßenedictiueni. Mon.
boic. XXVIII. 326.
^) Von da kam es an die Freiherren von Heydeck, die das Scbloss an Bischof
Albert von Eichstatt verkauften. Paslorius. Franc, rediv. 1702. S. 394.
') Schöppner Bayr Sagen Mro. 1163'verseicbnet bloss ein gespenstiges Ge-
lage in der Christnacht.
^) Journal von und für Franken. Nürnberg 1793. VI. 193 u. 194. — PJwas
Aehnlicbes berichtet Panzer II. 510 aus K brach (hei Bamberg)^ der Bö II
ist dort eine wirkliche^ nur verlarvte Person und hat vor einem a u s z w ö I f
auserlesenen Jungfrauen bestehenden Gericht einen eigenen Anwalt.
124
<
kämpfen «vorkommen, z. B. in ' dem Pfarrorte Pfraunfeld, einige
Stunden von fiichstätt, und der Filiale Hagau in der Pfarrei Wolfer-
stadt bei Wemding. Dort hatten (and in Hagau soll die Sitte noch
bestehen) die Weiber in der Kirohe die Evangelienseite inne und zwar,
wie es hiess, desshalb, weil zur Zeit der Reformation die Weiber ihre
Männer mit Gewalt zwangen, katholisch zu bleiben. Die Ursache aber
muss doch eine andere, vielleichjt ältere sein, denn es ist gewiss, dass
Pfrauenfeld nie lutherisch werden konnte und dass Hagau wirklich
längere Zeit hindurch refbrmirt war. Betrachtet man ferner , dass zo
Tolenstein schon im XIII. Jahrh. ein höchst bedeutender Handels-
verkehr war, ^) so wäre es leicht anzunehmen, dass die reichen Kaof-
frauen in der Fasching einen übermöthigen Handstreich versucht hätten ;
ihr Runimel wäre dann ein ^vrouwen tumei"^ gewesen, wie dergleichen
in Dichtung und Greschichte häufig genug vorkommt.') Wie tapfer
vertheidigt nicht Kyburg (in Wolfram's „Willehalm'') mit ihren
Frauen die Festung Oranse gegen die Heiden! Im Jahre 1211 ward zu
Treviso ein Kampfspiel aufgeführt, «wo die Frauen ihre hölzerne
Burg mit Blumen, Obst und Backwerk gegen die anstürmenden Ritter
vertheidigten. Ein ernstes Frauentumier zu Lagny-sur-Marne schildert
Hues d'Oisy; die Frauen schienen eben auch neugierig zu erfahren, wie
die Streiche und Stösse thun, deren die Ritter ihretwegen sich rühmten.
Weiters erwähnt Wolfram das Lechfeld, das er mit dem Burghof
des Zauberschlosses vergleicht, (Parc. 565, 3.) und das er aus den
glänzenden Tagen, die dort König Philipp (1196 und 1197) am „Gun-
zenle'' hielt,') aus eigener Anschauung kennen konnte, er nennt Nörd-
1 i n g e n, *) wo sie breite Flaschenschwingen handhaben ; die Blechsturm-
hauben von Beratzhausen an der Laber (ein Bemhartshüser huot
Will. 397, 4.); er lobt den Zindel von Regensburg (Parc. 377, 30.)
wo treflfliche Seidenwebereien waren, er ist an der Donau überhaupt
bekannt, auch am Bodensee (Willehalm 377, 5), kennt den ganzen
>) In einer Urkunde vom J. 1309 (Falkenslein Cod. diplorn. £ysteU. p. 145)
werden die Handelsrechte des Marktes Tolenstein« der damals npcn nii-bl
dem ßischof von Eichstätl 'gehörte, besonders reservirt. £s heissl nämlich:
möge Tolenstein eichst attisches Lehen oder Allod der allen Grafen von
Hirschberg sein ^so sollen doch all« die, die zu Tolnstein gewesen sind, in
unserer Stadt" Eichstütt vor KaufTen und Verkaufen keinep Zoll ^eben , als
er vor mit Gewohnheit bey dem seligen Grafen von Hirschberg herkommen
ist '^ Diese besondere Reservirungf scheint anzudeuten , dass noch 1309 der
Handel Tolensteins ein namhafter war.
') Vgl. v. d. Hagen Gesammt Abent. Nro. XVII.
^) Vgl. Pfeiffer Germania. I. 81 ff,
^) Vgl. die Anmerk. zu Willehalm 295, 16.
125
Sand um Nürnberg,") worunter die ^anze Gegend von Neumarkt,
Pleinfeld, Weissenburg und Nürnberg bezeichnet ist. Weiter weiss er
vom Turnier zu Kizzingen (Will. 385, 26), er sah die verheerten
Weinberge zu Erfurt') und weiss noch von der Niederlage des Weif
vor Tübingen 1164.*) Er nennt den Schwarzwald, Spessart
and Odenwald, er ist am Rheine gewesen, kennt das Tuch von
Gent 80 gut, wie den Wein von Botzen, auch die Malerschule zu
Köln und Ma strich*) hat er kennen gelernt und ihrer Erwähnung
ist zu danken, dass wir überhaupt in dieser Zeit von der Ebcistenz der
Schilder allda Kunde empfingen; er muss auch Einsicht genommen
haben, von dem, was sie schufen, und hat ein gebildetes Auge für Kiinst,
wie das aus seinen Schilderungen mehrfach hervorgeht, am sprechend-
sten aber gerade aus einem Wächterliede , wo er die dort berührte
Situation wie fiir einen Maler gemacht erkennt. Dort konnte er auch
schon mit Heinrich von Veldecke zusanmeugetroifen sein, dem
Vater der mittelhochdeutschen Epik,*) den er so lieb gewann, (dass
er vielleicht zu ihm sich verhält, wie Walther zu dem von Hagen au)
den er dann zu Thüringen fand und dessen allzufrühen Tod er immerdar
beklagte (Parc. 404, 28). Wolfram war also auf ritterlichen Fahrten
Weit hemmgekommen, er kann seine Knabenzeit auf Heitstein, seine
Jugend unten am Rheine, (oder wie Herr Lang will, in Palästina und
Frankreich) verbracht haben, im reiferen Mannesalter kam er durch
Thüringen in seine Heimath zurück, wo er seine grossen Dichtungen
b(>gann, zuerst einer Frau zu Ehren, den Parcival, sodann den Wil-
lehalm, mit dem ihn (spätestens um 1214) der Landgraf Hermann
von Thüringen betraute; er unterzog sich der Nachdichtung, aber sicht-
lich mit gedrückter Seele, in der noch ein grösseres, farbenreicheres Bild
lebte, nämlich der Titurel, den er auch mit neu auflebender Dichter-
kraft und einem glänzenden Feuer begann, die aber nur zu bald mit
dem Leben erlöschen sollten. Von seinem muthigen und jedenfalls viel-
bewegten ritterlichen Leben,*) tritt einzig der Aufenthalt am Hofe zu
Thüringen klarer hervor, ') aber auch nur auf einen Moment, dann ver-
') Vgl. die Anmerk. zu Willehalm 426, 28.
*) Vgl. die Aomerk. zu Parc. 379, 18.
*) Die Steile bezieht sich auf Weif VII., der am 5. September 1164 mit 2200
yBüB einen Sturm auf die Burg Tübingen Mnlernahm; darunter war »uch der
Narggraf Berhiold von Vobburg. Vgl. Haupt Zeitscbrift. XI. 46.
*) Parc. 158, 13 dazu vgl das Weitere ia unserer Darslelinng der L^rik.
») Vgl. W^incbalro T6, 24.
*) Auch in der Steiermark scheint er absonderlich vertraut, Vgl. Parc. 496,
15 flr. und 498, 21 fT.
^ Ungefähr zvtiichen 1204 — 1207. Spangen berg in seinem Adefspiegel,
m
schieiern ihn wieder die Wolkenbiidungen der Sage. Er hatte dort, wie
sich unzweifelhaft herausstellt, viele Aergerlichkeitea mit dem unver-
schämt zudriugenden Völklein der Fahrenden, so dass er aus aufrich-
tigem Herzen dem milden Landgrafen einen tüchtigen Keye, oder einen
Heinrich von Reisbach als Senneschall wünscht, der den Burschen
Rechtzeitig den Rücken fege;') biemit stimmte er mit Walther völlig
überein, aber auch nur in diesem Punkte, sonst gingen ihre Wege aus-
einander. Wolfram war der Mann, der ein Ross zu reiten und in den
Schranken Ritterpreis zu erjagen wusste, Walter mehr ein feinerer
Hofgeselle, der das Talent zur Prinzenerziehung in sich trug und dess-
halb von dem Ritter mehr als fahrender Sänger und Spielmann
über die Achsel angesehen ward; dazu kam noch, dass auch ihre poli-
tischen Ansichten auseinander gingen, denn Walther stand in den
Diensten der kaiserlichen, Wolfram aber hielt sich frei vom Fürsten-
dienste und stand zu der päbstlichen Partei. Aber auch mit den übrigen
Dichtern, die hier Gelass hatten und dem Gesindel der fahrenden Reimer
und Schreiber gab es oftmals Spähne, helle Funken und Feuer, wie das
aus dem „Wartburgkriege" deutlich hervorgeht. Zwar ermangelt dieses
Gedicht, wie man nun endlich zur gründlichen Einsicht gekommen« ftHes
weiteren, streng historischen Bodens, es ist wenn man so sagen darf,
nur eine litenatur-historische Epe, von einem der Nachzügler des alten
höfischen Gesanges mit einer an meistersängerische Breite streifenden
Unbehaglichkeit und vei-worrenen Unkunst gefertigt, die E d d a des Thü-
ringer Lebens; doch im Ganzen sind die darin auftretenden Figuren
kräftig und mit uuläugbarer Wahrheit gezeichnet, ganz herrlich voraus
unser Wolfram , der , obwohl er ein Ritter ist und sein will , doch als
ein Dichterkönig erscheint, ausgeröstet mit tieferem Wissen, durch-
dringendem Scharfsinn und mächtiger, grandioser Phantasie. Wolfram
hatte überhaupt umfassenderes Wissen und gründlichere Bildung, als die
meisten der ihn umgebenden Zeitgenossen, einzig und allein mit Gott-
fried von Strassbnrg vergleichbar, den er aber acht ritterlich als Meister
und Büchergelehrten unter sich fühlte. Zwar hat bis heute immer die
Meinung gegolten, Wolfram sei, wie er selbst versichert, des Schreibens
und Lesens nicht kundig gewesen. Ich erlaube mir aber anderer Ansicht
1591. 11 184 nennt iintef den „gelahrten Adeligen zw. i200->190() Albredit
von liollensladt nnd Ollo von Lomsdorff, Bisrhnr von Passiita 1250,^ dann
lieissl es weiler : ^Umb dise Zeit nnd kurlz zuiior hat auch gelebt WolfTrani
von Kscheiiliadi^ der freye lichter und deutsche Poet^ welcher unter «ndern
auch das (jedicht gcmarht hat von Ganiuret viirl dessen Soo Herrn Parcirall,
ist lang an Landgraff Hermanns zu Ttiiiringen HofT geA^ e&en, sonderlich ann.
•) 297, 1()— 30.
127
ZQ sein 9 obwohl ich mich der grossen Gefahr aussetze, gegen den
wissenschaftlich eingebörger ten Aberglauben der Gelehrten zu Verstössen,
der immer schwerer auszurotten ist, als der abergläubische Hausbedarf
des Volkes und des gemeinen Mannes.
Man hat ftSr Wolframs Unkunde des Schreibens und Lesens immer
die einzelne Zeile ausParcival (115,27) citirt, wo er keinen Buchstaben
zu kennen vorgibt (ine kan decheinen buochstap), ohne jedoch die ganze
SteHeJns Auge zu fassen, die einen anderen Sinn enthält. Es ist die
Einleitung zum dritten Gesang* Der Dichter behauptete darinnen in der
Erbitterung gegen Eine, es gebe keine so treuen Frauen mehr, wie Par-
civals Mutter gewesen; nun sucht er den Schaden in der nachträglich
dazu gedichteten Einleitung wieder gut zu machen, er widerruft theil-
weise und mit Umzügen und gesteht, er würde den Frajien wolil Allerlei
noch erzählen, doch könnten sie es für Schmeichelei halten, er aber
wolle keine mit seinem Gesänge gewinnen, sondern seine Art sei
Schildesamt, er gebe nichts' um die Minne ein^r Frau, die nicht mit
Schild und Sper errungen.') Er mache keine Bücher, er kenne keinen
Buchstaben, wenn man diese Aventiure fiir. ein Buch halte (mit dem er
sich bei den Frauen einschmeicheln könnte) i so sässe er lieber nackt
im Bade, Schildesamt ist meine Art und nicht Büchermacherei zur Lieb-
lingslectüre. Es ist das ein Hieb, wie Wolfram so viele ftihrt; auf die
gelehrten Poeten seiner Zeit, die wie Gottfried von Strassburg und
Andere, eigentliche Studien gemacht hatten, die gelehrte Meister waren
ohne jedoch das ritterliclie Waifenwerk zu treiben. Diesen Federfiichsem
gegenüber ist er der Mann von Eisen, ihnen gegenüber behauptet er
ironisch, gar nichts zu verstehen, gar keinen Buchstabeii zu kennen ; an
den Büchergelehrten reibt er sich, wo er nur kann.
Zugegeben aber, ich habe diese absichtlich ziemlich modern nadi-
erzählte Stelle missverstanden, so spricht gegen meine erste Behauptung
die sonst in zweiter Reihe aus dem Willehalm citirte Stelle 2, 18 gar
nicht. Er sagt darinnen, dass er aus den Bücheni seine Kunst nicht
gelernt habe, sondern, wenn er wirklich solche besitze, selbe ihm sein
Geffihl, sein gerader Sinn gegeben.
') So hat ihn auch der Maler der Pariser Handscbrift dargestellt: Ganz im
Panzerhemd, darüber einen blauen Wappenroi k und ein mächtiffes Sch^^ert
umgegürtet, auf dem Haupte trägt er den zu ,,Schimpr und ßnhurl" ?eh6-
riffen Helm^ in der einen Hand hült er den Schild, in der andern die Lanze
mit dem Fähnlein; daneben hält ein Gar^un das Ors (Slreilross), welches
(resattelt, gezäumt und mit einer Koverlüre bedeckt ist. — v|rl. 72, 21 wo
der Dichter sagt , e r sitze viel lieber auf dem Hengst , als dass jer sich in
den Gries siechen lasse.
128 '
Der behäbige Ulrich von Lichtenstein erwähnt eines Schrei-
bers, der ihm sein« heimlichen Briefe las und schrieb, der reiche Wim t
von Grävenberg beruft sich auf einen gebildeten Knappen, der ihm
zur Seite stand : Nie ist aber bei Wolfram davon die Rede. Dazu be-
denke man , dass bloss das Material zu schreiben , das Pergament zu
so einem Gedichte, theuer zu stehen kam und ein ganzes Capital erfor-
derte! Er hätte sich bei seiner Armuth keinen Schreiber zu halten
vermocht Zwar spuckt in den Ritterromanen und in den Köpfen ihrer
Verfasser und Leser durchweg der Burgpfaflfe als derjenige, der Alles
schrieb. Nun waren aber von den Minnesängern bei weitem die Meisten
nicht reich genug, um sich ein solches Gesinde zu halten, mancher
hatte kaum selbst das Hebe Brod, zählte zur ^gemden diet,^ zum be-
gehrenden, landfahrenden Volk und zog von Burg zu Burg, sang um
Kost und Herberge, trieb allerlei Künste, darunter nicht selten Päda-
gogik und Schul meisterei , wobei Lesen* und Schreiben die Hauptsache
war, und sie sollen nicht zu schreiben verstanden haben? Und selbst
die reichen Dichter des Mittelalters sollen immer dictirt haben? Lieder
und noch weniger epische Gedichte, lassen sich, wie Bechstein gelegent-
lich bemerkt, nicht dictando dichten wie ein Ronmn von Hackländer,
denn die beflügelte Phantasie des Poeten eilt mit dem Fluge der Ge-
danken unendlich weit dem Gänsekiel des Schreibers voraus. ')
Nun ist aber Wolfram gar nicht so ungebildet. Er ist nicht nur
der französischen Sprache mächtig, sondern gebraucht mit Vorlielie
verschiedene Redensarten und Worte, ja seine Quelle selbst,* auf die er
sich nicht selten beruft, ist eine französische ; noch mehr, er kennt auch
die bedeutendsten Dichtungen seiner Zeitgenossen, nimmt Rücksicht
darauf, fiihrt ihre Meinungen und Ansichten an , spöttelt zeitweise , er
ist sogar mit der alten deutschen Heldensage und den Nibelungen be-
kannt ^) und mit vielen anderen Dingen,*) die er aus seinem französi-
schen Vorbild nicht haben kann : Das Alles kann er nicht vom Hören-
sagen wissen und behalten haben, dazu gehört doch Autopsie und eigene»
Lesen. Wenn er aber das vermag, versteht er auch zu schreiben. De«
') Bechstein ,^Ueber das Selbstschreiben rülerlicher und anderer Personen iin
Mittelalter^ im Organ für Autographensammler. 1H59. Nro. 2. S. 19.
^) Die deutschen Namen Fridebrant^ Isenhnrl, Herlinl^ Hernant, Scbiltunr, Hiii-
teg^r, WolHiart und Rumold^ der Küchenmeister der Nibelnngen (Parc. 420,
22—30)^ dazu das norwegische Groenlnndsfylki hat Wolfram unmöglicli aus
seiner franz. Quelle.
') Darauf, dass ihm im Wartburgkriege eine genaue Kenntniss und ein tiefes
Studium der heil. Sriirift zugeschrieben wird, ist bei der Unzuverlässigkeit
dieser QueWe nichts zu geben, es wäre nur ein indirecter Beweis, dass man
damals kein Bedenken trusr. unserem Dichter die vollen Kenntnisse eines
Meisterpfaffen zuzuschreiben.
129
malenden Schönsclireibeni gegenüber führte WoHräm sicherlich einen
ritterlichen Hausbuchstaben, an den ich aufrichtig lieber glaube, als an
eine so übermenschliche Genialität, ein ganzes solches Epos wie am
Schnürchen aus dem Gedächtniss zu ziehen. — Dazu kommt noch ein
nicht unerheblicher Umstand, mit ^ dem wir unsere ketzerische Neuenmg
beschliessen. Wolfram hat bekanntlich erst vom fünften Gesänge an
eine durch dreissig theilbare Verstumme durchgeführt; er lernte, wie
M. Haupt *) vermuthet, diese Art der Abtheilung vielleicht durch
Hartmanns ^Iwein,^ der eben im iiinfben Gesänge auch erwähnt ist. Die
vorhergehenden Gesänge suchte Wolfram dann durch Ueberarbeitung und
Einschaltungen in Einklang zu bringen. Aach das wäre ein weiterer
Beleg ftlr^die Elementar-Bildung des Dichters, die dieser aber nach der
Meinung unseres schreibseligen Jahrhunderts nicht besessen haben darf,
bloss aus dem Grunde, um dadurch als ein noch grösseres Genie be-
wundert werden zu können.
■
So sehr er sich aber auch als Ritter gebahren mochte, so kam es
doch, dass er einer Frau zu Liebe die Aventiure des Parcival dichtete
und vollendete.*) (827, 250 So sehr er zuerst die heimliche Liebe in
seinen Wächterliedem verherrlichte, er griff doch bald zur Ehe und be-
mitleidete die Helden, die nur mit Gefahr des Leibes und der Ehre zu
der Geliebten schleichen dürfen und beim Morgengrauen, durch Wächt^r-
ruf geweckt, wieder heimlich verschwinden müssen. Ein offenkundig
Gemahl kann süssere Minne geben! *) Dass seine Ehe mit Kindern
gesegnet gewesen, hat Simrock mit fein poetischem Takte aus der Innig-
keit geschlossen, mit der Wolfram solche Freuden schildert, doch
scheinen ihm nur die Töchter am Leben verblieben zu sein, wenigstens
klingt aus der Klage des greisen Gurnemanz der volle Vaterschmerz
ober den Verlust seiner Söhne. Desto wärmer ist die Schilderung der
Mädchengestalten, die ihm mit ausnehmender Zartheit gelingt. Wie
kostbar ist das Bild der kleinen Obilot,^) wie reizend das der unschul-
digen Sigune im Titurel, oder jenes, wie die Kinder kriechen und an
Stühlen das Aufstehen lernen, ebenso wie das Ringelschnellen (Parc.
') Zeitschrirt. XI. 49.
') Vgl. 287, 14. Auch er ist durch ein Weib in Minnenot, wie Parcival beim
Anblick der Blutslropfen, doch ist ihm die Minne zu hebr (292, 10 ff.), um
sie in Zornes Hilze desshalb zu schelten.
') 216, 28 gedenkt er ausdrücklieb seiner Frau; er würde sein Weib ungenie
in ein so grosses Volksgedränge .bringen, wie das um König Artus war.
^) „Ich gestehe sogar — sagt Simrock — dass ich in der schönen Episode
von der kleinen Obilot die Rede des alten Lippaut, wo er sich darüber
Iröslel. dass er keinen Sohn und nur zwei Töcnter habe, niemnls obne das
Gefühl lesen konnte, dass der Dirbler bier seinem eigenen Herzen Luft mac-be.**
9
130
368, 12), das offenbar dem heimischen Leben abgelauscht ist, auch
gedenkt er bestimmt seines Töchterlein, c^as noch mit Puppen spielte^
als er am Willehalm dichtete. (33, 24.) Sonst findet sich nur noch
eine Andeutung an seinen Bruder, mit dem er ein Herz und eine
Seele gewesen sein muss,') und an seine Schwester. (686, 30.)
Noch einer anderen Seltsamkeit ist zu erwähnen, die vielleicht, wie
unsere Annahme von den Kenntnissen des Dichters, zweifelschweres Be-
denken erregen wird : Wolfram hat uns , wahrscheinlich selbst unbe-
wusst und ohne davon unsere heutige Vorstellung zu haben, die Kunde
vom Schiesspulver überbracht. Er gibt bei der Beschreibung von
Pelrapeire ein lebhaftes Bild einer mittelalterlichen Städtebelagemng,
die auch Wirnt im ^Wigalois" nachahmend wiederholt. Die Einwohner
sind in Hungersnoth ; doch ist 6s möglich, dass in die ganz von Feinden
umschlossene Stadt ein fremder llitter behaglich einreite. Die Bürger
hatten unterdessen gegen den Feind neuerdings ihre Stadt in Verthei-
digung gesetzt (Parc. 205, 17 ff.): sie nahmen lange Bäume und stiessen
starke Stecken darein, ^n Seilen und auf Rädern gingen grosse Stämme,
auch hatten sie, gleichfalls auf Rädern, allerlei Geschütz: „^ebenhohe"
und ^mangen," auch ^igeP und „katzen** in den Gräben. Zwei Schiffe
aber hatten das „beiden seh wilde fiur'' in's Land gebracht, mit
dem man die Gegenwerke": des Feindes verbrennen konnte. Simrock
macht „griechisches Feuer'' daraus. Vielleicht wäre, obwohl die Version
überraschend genug aussieht, doch njcht zu viel gewagt, in dieser Stelle
unser späteres „Schiesspulver" zu vermuthen. Die ersten Spuren der
Feuerwaffen laufen auf das von maurischer Bevölkerung bewohnte Süd-
spanien hin und der räthselhafte Marco Graeco hat nach seinemim
XII. Jahrhundert verfassten liber ignium die Bestandtheile, das donner-
artige Knallen und die Alles niederschmetternden Wirkungen dieser Er-
findung wohl gekannt; die erste Jahrzahl, in der mit Bestinuntheit von
Donnermaschinen bei der Belagerung von Zaragoza die Rede ist, lautet
1117, bereits im Jahre 1150 hatten die Schiffe des maurischen Königs
von Tunis eiserne Geschütze und Bombarden an Bord, womit sie in den
') Ein nicht unerheblicher Umstand ist, dass der Markt Esebenbach (der Name
Eskenbach erscheint urkundlich zuerst 1144. vg-l. R. v. Lang, Regesla.
1837. S. 46. Im .1. 1157 wird die Kirche in Eskenbach genannt und 1164
Eskinebach) an den Deutschritterorden kam, der freilich zu Woirram's
Zeiten erst im Entstehen begriffen war: dorh besass dieser Orden urkund-
lieb im J. 1268 daselbst ein Haus. Dabei wird ein Burkard von Escbenbacb
genannt nnd 1269 sein Bruder Min ward, die vom Kloster Hailsbronn mit
Giitern zu Adelberndorf (AlberndorO belehnt werden. Später treten noch
mehrere so zugenanqte Herren auf, Anfangs des XIV. Jahrh. auch ein Ul-
rich von Eschenbach, der eine Alexandreis verfasste, wovon weiter unten
in dem Abschnitt über den antiken Sagenkreis.
131
>
Seetreffi^n Donner mit Flammen schössen. Sollte nun die Annahme UD-<
statthaft sein, Wolfram habe dmxih den seltsamen Weg, den die Gral*^
dichttmg (der Sage hach) aus Spanien durch Frankreich genommen,
liieiiiit auch zugleich die Kunde von dieser Erfindung ^des heidnischen
wilden Feuers^ tiberkommen : 0 so $nden sich doch in Deutschland
selbst nur zu gute Belege für die Kenntniss des Pulvers, denn durch
diese Gewalt hatte man schon im XII. Jahrhundert (beinahe gleichzeitig
mit den maurischen Kriegen und Belagerungen) das Gestein in Rani-
mehsburg bei Goslar gesprengt und dieser Bergwerksgebrauch gab Ge-
legenheit,' dass ein Sohn Heinrich des Löwen im Jahre I2Q0 auf eben
diese Weise die Mauern eines feindlichen Schlosses damiederwarf. *)
Bemerkenswerth sind auch die Namen der Belagerungs- und Vertheidig-*
imgs- Werkzeuge : Igel und Katzen; ^Katze^ erklärt Müller für das
Oerüst, worauf die ^ bilde ^ steht und eine Glosse übersetzt das mit
testudo; häufig aber wurden später kleine Kanonen un4 Mörser so be-
nannt und da^ Volk liebt heute noch die Benennung ^Katzenköpfe^ fiir
Heine Böller.
Nach den Untersuchungen von Wolframs Biographen f%llt seine
Lebenszeit zwischen II 75 — J26I; das letztgenannte Jahr hat W.
Wackemagel (Lit. Gesch. S. 177) annähernd angenommen, doch ist die
Zahl zu hoch gegriffen, da der Tod sicherlich schon zwischen 121 9 —
1225 fiel; die Zeit seiner Geburt ist ebenso ungewiss. — Was wir von
ihm haben sind einigt Minnelieder, die wir später in der Lyrik be-
sprechen werden, femer der Parcival, den wir hier so ausführlich
wie möglich nacherzählen, dazu zwei Fragmente aus dem leider unvoll-
endeten Titurel und das Leben des heil. Wilhelm, der unter der
Rubrik der Marien- und Heiligenlegenden seine Stelle gefunden.
Von keiner Dichtung des XIII. Jahrhunderts haben sich so viele
Handschriften (freilich grösstentheils nur in Brachstticken) erhalten,') wie
von dem Parcival, diesem grossartrgen Epos, das zugleich zu den ersten
Werken gehört, welche zur Zeit der neufiindenen Buchdruckerkunst auf
solche Weise' vervielfältigt wurden; trotzdem aber wurde es dQch noch
1678 abgeschrieben.
Die Zeit der Entstehung ist durch Lachmanns Forschungen (S. XIX)
ziemlich sicher gestellt. Der dritte Gesang ist nach Hartmanns ^Erec*
gedichtet, der fünfte Gesang nach Ilartmanns ^Iwein," der siebente
I) Wozu die dunkle Stelle Parc. 496, 11, noch mehr aber 532, 5: ^mit ge-
schöze und mit fiure^ bezogen werden könnten.
>) Vgl. Rudhart histor. Taschenbuch f. 1851. S. 61 ff.
*) Vgl. die «weite Ausgabe von Lach mann. Berlin 1854. S. XV IT.
9»
132 .
bald nach 1203, den sechsten setzt Lachmann nach dem Sommer
des Jahres 1204. In den Nibehmgen und im Tristan wird auf den ersten
Gesang angespielt, Wimt von Gravenberg kennt bereits den zweiten
und den dritten, den sechsten aber nicht» Im ^welschen Gast^ (der nach
der Mitte des Jahres 1215 fällt) wird der Parcival edlen Jünglingen vor-
gestellt, er musste also längst schon vollendet gewesen sein.
Wolfram arbeitete nach einer französischen Quelle. Er selbst nennt
seinen Gewährsmann Kyöt (416, 10) und beruft sich auf ihn. Sim-
rock vermuthete, dieser Kyöt sei ein fingirter Name, und Rochat
suchte zu beweisen Wolfram. habe vielmehr nach den „Contes del GraaP^
des Chrestien de Troyes') gedichtet. Aus diesem durch abschre-
ckende Länge und Weitschweifigkeit ausgezeichneten Romane, aus diesem
Gewirr unverständlicher und schlechtverbundener Fabeln habe er sich
seinen Stoff geholt, denselben künstlerisch zurecht gerichtet und die von
den Welschen ganz verflachte Gralsage geistig belebt, indem er sie im
eigentlichen Sinne verdeutschte , wobei er stellenweise seinem Vorbilde
beinahe wortgetreu folgte, dann aber mit freischaffender Kraft ausbie-
gend, das Ganze durch eigene Zuthaten und Erfindungen neugestaltete
und nach selbst erfundenem Plane zu einem neuen Werke abrundete.
Das ist das Resultat von Rochats Untersuchungen.
Dagegen hat der hochverdiente San-Marte in seinen ^Parci-
val-Studien^ (1861) die Behauptung aufgestellt , dass dieser Kyöt
keine Fiction des Dichters sei, sondern dass der wirkliche Guiot von
Provins, der freidenkende Kluniacensermönch, Wolframs Vordichter
gewesen. Was jedoch Einem oder dem Andern gehört, lässt sich nicht
entscheiden, bevor Kyöts Gedicht wieder aufgefunden ist; bis dahin
muss uns genügen, was -Wolfram uns überliefert hat. Chrestien ver-
hält sich wahrscheinlich zu Kyöt, wie Albrech& von Scharfenberg zu
Wolframs „Titurel.^
Wir erlauben uns hier nur noch einen Seitenblidk auf die Geschichte
*
der Gralsage zu werfen, die trotz ihres fabelhaften Gewandes doch
eine innere Wahrheit birgt. Der Ursprung derselben fuhrt in das mär-
chenvolle Spanien. Flegetanis, der ein Heide von Vaterseite, von
der Mutter ein Jude aus salomonischem Geschlecht gewesen, der wohl
Bescheid wusste um jeglichen Sternes Gang, habe zuerst über den Gral
geschrieben ; das heisst wohl nichts anderes, als dass orientalische Mythe
und hebräische Weltanschauung sich in der Sage vereinigt und wieder-
gespiegelt haben. Diese Märe habe nun, wie es weiter heisst, Kyöt,
ein in heidnischer Schrift wohlbewanderter Meister, auf dem Markt zu
') Vgl. A. Rochat in Pfeiffers Germania. III. 81—120 u. IV. 414 ff.
133
Toledo gefunden und nach proven^alischer Weise umgedichtet; diese
erhielt endlich durch Wolframs Hand einen Zusatz von acht deutscher
Mythe eines Theils und anderen Theils unläugbare Beziehungen auf die
sinnbildlichen Ueberlieferungen der geistlichen Ritterorden und Tempel-
herren. Drei Völker also, jedes von dem anderen ganz und gar an
Sitte, Charakter und Sprache verschieden, und manche Generation, haben
an der Sage mitgearbeitet. Orientalische Mythe und Weltanschauung
hatten sich vereinigt, zuletzt ist, nachdem noch ein verschwommener
Rest deutschen Heidenthums dazu getreten^ die Ghristiani^irung erfolgt,
die keimend und ahnungsvoll schon im Stoffe lag und so trat das
Ganze im ritterlichen Gewände des Mittelalters aus Wolframs Haupt.
Derselbe Process ist auch im Verlaufe der gleichzeitigen Kunstgeschichte
zu Tage gekommen: der Spitzbogenstyl hat gleiche Wanderschaft ge-
macht von den Mauren in Spanien, durch Südfrankreich nach Deutsch-
land. Auch daran haben drei Völker, jedes von dem anderen gan^ uad
gar an Sitte, Charakter und Sprache verschieden, in derselben Weise
gebaut und die Deutschen, wie in der Poesie, so auch in der Architectur,
die schönste, höchste und eigenthümlichste Construction erfunden.
Wenden wir uns nun zu dem nach seinem Haupthelden Parcival
betitelten Werke selbst, das wir ausführlich und meist mit den. eigenen
Worten des Dichters nacherzählen, der das gesammte, nur im Ritter-
tbnm und in Frauenminne athmende und in höchster Blüthe befindliche
Leben seiner Zeit, nach aussen und innen, mit solcher Treue und
Gewissenhaftigkeit darstellt, als wenn er es darauf angelegt hätte, die
Trachten, Sitten und Gebräuche nicht minder als den Glauben, die Ge-
sinnung und' die höchsten Ideen einer schnell vorüberrauschenden Glanz-
periöde der Nachwelt in einem dauernden Spiegel zu fesseln.
• I. Der Dichter beginnt mit einer schwierigen Einleitung, in welcher
die Treue gegen Gott und Menschen, der Untreue und dem Zweifel ent-
gegengesetzt und vor der Unstätigkeit gewariit wird. Ist der Zweifel des
Herzens Nachbar, so muss es der Seele sauer werden. Goschmähet
zugleich und geziert ist solch ein Mann, er gleicht der Elster, die auch
schwarz und weiss (als agelstern varwe tout). Gleichwohl mag ein
solcher noch fröhlich werden, denn Himmel und Hölle haben an ihm
Theil. Wer der Unstäte (Untreue) Greselle ist, der trägt ganz und gar
schwarze Farbe, doch fest hält sich' an der weissen (blanken) der
mit stätigen Gedanken. Freilich, fahrt er fort, ist dieser Vergleich (diz
vliegende bispel) ^iimben liuten gar ze snel, sine mugens niht erdenken,^
denn es fährt vor ihnen wie ein aufgeschreckter Hase (rehte alsam ein
schellec hase), sie freuen sich am Scheine und glauben den Träumen
134
1
eines Bünden. Doch kann dieser trübe leichte Schein nicht lange dauern
und seine Freude bleibt immer kurz. Wer mich in der höhlen Hand
raufen will, wo niemals Haar wuchs, der greift fehl. Das geht Männer
und Frauen an, soll ich Euch aber beide schildern, das würde ^ein
langez maere.'' Hört lieber, bricht nun der Dichter ab, was die Aven-
tiure sagt, die Euch von Lieb und Leide wissen lässU Die Märe, die
ich Euch erneue, meldet von g^possen Treuen, von rechter Weiblichkeit
und Mannes Mannheit. ') So geht er vom Lobe seines im Beginn der
Märe noch ungebornen Helden (den ich hie zuo hän erkorn, er ist mae-
reshalp noch ungeborn) zur Geschichte seines Vaters über.
Nach dem Tode Gandeins des Königs von Anjou (Anschouwe) fiel
das Reich nach dem Rechte der Erstgeburt auf seinen Sohn Galoes,')
der seinen jüngeren Bruder Gahmuret') zwar einlud, am Hofe zu
bleiben, was dieser aber, um fremde Lande zu durchfahren, ablehnt;
er habe, spricht Gahmuret, noch sechzehn Knappen, von denen sechse
sogar Eisengewan J tragen , gebt mir dazu vier Kinde von guter Zucht,
so will ich mich, wie früher, wieder in die Fremde wenden. Der Bruder
gewährte ihm jedoch mehr, als er verlangte: fünf auserwählte Rosse,
theuere Goldgefö^se (manec tiwer goltvaz und mangen guldinen kloz),
fiillte ihm auch vier Reiseschreine (soumschnn), gab ihm allerlei Ge-
steine und wohlgekleidete, gutberittene Knappen. Seine Mutter fügte
beim zärtlichen Abschied vier Kisten mit unverschnittenen Pfeilen und
köstlichen Sammt hinzu, nnd eine Freundin sandte ihm von Liebeswegen
ein tausend Mark werthes Kleinod. Urlaub nahm nun der Weigand,
sein Sinn stand darauf, keines anderen Königs oder Kaisers Dienstmann
zu werden, als nur des höchsten, der über die meisten Lande herrsche.
Nun sagte man ihm, zu Bagdad (Baldac) wäre ein so gewaltiger Mann,
dass ihm zwei Drittel der Erde oder gar noch mehr, unterthan wäre;
sein Name war so hehr, dass er bei den Heiden nur der Baruch
(bäruc, der Gesegnete, Gebenedeite) hiess, selbst Könige waren seine
Mannen, er war fiir die Heiden, was der Pabst in Rom für die
Christen^ ^)
') Vgl. Lach mann über den Einffang desParcivat in den Abhandl. der Berliner
Akademie. 1835. S. 227 ff. KI öden im Jahrbuch der Berliner Gesellschaft
für deutsche Sprache. V. 222 ff. und Rührmnnd m s. Programm. Potsdam
• 1845. S. 14 ff.
') u. ') Vgl. San-Narte über die Eigennamen im Parcival, in Pfeiffers Germania.
II. S. 400 ff.
^)Lndolf von Suchen, der, seit dem Jahre 1836 fünfmal» und dann noch 1350
Pilgerfahrten nach dem heil. Lande machte, erzählt in seinem Buche: Iter ad
terraro sanctam. cap. LXX. von der Stadt Bagdad: In civitate Baldoch sunt
dltiores et nobiliores suh coelo mercatores, nee in aliqno loco orientis tot
135
Nun war der Baruch damals bedrängt von einem babylonischen
Brüderpaare, Pompejns und Ipomidön/) denen er Ninive entrissen hatte;
da kam der junge Anjou in*s Land und nahm beim Baruch Dienst und
Sold. Er trug auf seine Kovertur (kovertiure, Satteldecke) geschnitten
einen Anker von lichtem Hermelin als Wappen, ebenso auf Schild und
Gewand ; grüner als Smaragd war sein Reitzeug (gereite) und achmad-
f&rbig; ^wäpenroc und kursit** (Korsett) waren von Seide mit herm^lin
Ankern und goldenen Fäden benäht. Seine Anker aber hatten noch
nirgends Grand geschlagen, der Herre trug diese heraldische Zier (disen
wäpenlichen last) immer weiter; wer weiss wie viele Lande er durch-
ritt nnd in Schiffen umfuhr, ^ich sag* Euch bei meinem Eid und auf
ritterliche Sicherheit nur was die Aventinre spricht, dass nämlich seine
männliche Kraft den Preis behielt in der Heidenschaft, zu Marroch
(Marokko) und in Persia, seine Hand erwarb auch anderswo zu Dämasc
and H41ap (Haleb) und wo es Ritterschaft gab, zu Aräbie und rings
aroher, dass Niemand mehr mit ihm Gegenstreit wagte, solchen Ruf
gewann er. Sein Herze rang nach Preise, dass aller Anderen Thun
zerstob.^ Ein Sturm verschlägt ihn in den Hafen von Patelamunt, der
Hauptstadt des Königreiches Zazamank.') Als er angesegelt kam, trafen
ihn viele Blicke; von der Stadt bis zum Meere waren Grezelte geschla-
gen nnd zwei gewaltige Heere gelagert. Er beschliesst, da er die Noth
der Stadt sieht, Dienste zu nahmen. Neugierig liegen die Frauen in den
Fenstern und beschauen seinen Aufzug.
Gahmurets Einzug ist pompös: voraus ziehen zehn Säumer und
zwanzig Knappen reiten nach, dann folgte sein Gesinde,') Garzuue,
Köche und Knaben, zwölf Pagen (zwelf wol geborner kinde) ritten nach
den Knappen mit Zucht und süssen Sitten, darunter auch Sarazenen,
ut il^i, nee tarn molla diversarum reriim mercimonia. £t in hac civilate etiam
calipha, id est successor Machmeli, cui sarraceni, ut christiani Papae, suc-
ceason St. Petri, per omnia ohediunt, habilabat quondam.
^). 14^ 2: ^Zw^n bruoder von Babylon.^ Unter diesem Babylon ist hier wahr*
scbeinlich wirklich jene Stadt in Chaldäa gemeint, in welcher die Juden ihre
Gefangenschaft erduldeten. Sonst dachte man darunter wohl nur an das ägyp-
tiscfae Babylon, eine Festung^ welche ausgewanderte Babylonier zur Zeil der
persischen Könige (Memphis fast gegenüber) anlegten. Die Römer hatten
hier Standquartier. Amni belagerte diese Festung im J. 639 und erbaute
dabei das arabische Lager Fostat (Zelte) auch Misr genannt , woraus im X.
Jahrb. die machtige Stadt Kahira entstand, deren Namen von dem regieren-
den Planeten Mars entnommen wurde, vgl. Deycks: Ueber ältere Pilger-
fahrten nach Jerosalero Münster 1848. S. 19.
') Berühmt das ganze Mittelalter hindurch oh den daher bezogenen Seidenstoffen-
vgl. NibeJangen (Holtzmann. 1857) Str. 370.
») „sin bovel man dort vor ersach«* 18, 22. vgl. 350, 29 u. 408, 3. bovel =
die Dienerschaft eines Fürsten, seine Leute.
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darnach zog mau acht mit Zindal ' ) überdeckte Rosse, das neunte trog
seinen Sattel, seinen Schild trug ein Knappe. Nach diesem ritten Po-
sauner, ein Tambour schlug und warf viel hoch seine Trommel, Flöten-
spieler (floitierre) fehlten nicht, auch drei gute Fideläre hatte er. Sie
eilten nicht zu sehr, Gahmuret «,ber und sein Schiffmann (marnaere)
zogen zuletzt.
„Moere und Moerinne" (vinster, so diu naht, schwarz wie die Nacht
17, 24) sah da der Ritter, überall hingen an Thüren und Wänden zer-
brochene und sperdurchstochene Schilde, Angst und Jammer überall;
in die Fenster, nahe der Luft, hatten sie manch wunden Mann gebettet«
der doch selbst durch den Arzt nicht mehr genesen konnte ; man sah
es, d'ass sie vor*m Feind gewesen und so geht es noch Jedem der mfigern
flieht. Viel Rosse zog man herein, durchstochen und verhauen. Auch
viel Frauen sah er da yon rabenschwarzer Farbe. Der Burggraf der
Stadt nahm ihn freundlich auf, ein arbeitseliger Mann, der manchen
Stich und Schlag hatte vollfuhrt, auch fand er viele Ritter, die ihre
Hand in Binden und die Häupter voll Schrunden trugen und dennoch
Ritterschaft pflagen. Der Burggraf stellte ihm Hab und Gut zur Ver-
fügung, führte ihn auch zu seiner Frau, die Gahmureten küsste „des
in doch wenc gelüste."^ Der Marschall eilte zur Königin und heischte
gutes Botenbrod, denn die Götter hätten die grosse Noth zu enden,
einen Ritter gesendet. „Sieh doch zu, erwiedert die Königin, und mache
dass er mich spreche, heute haben wir Frieden, der Herr soll zu mir
heraufreiten; oder soll ich hin? Wüsste ich nur, ob es ihn nicht ver-
driesst, dass er andere Farbe hat, als wir. Ob mir die Meinen rathen
ihm Ehre zu bieten ? Geruht er mir zu nahen, wie soll ich ihn empfan-
gen? ist er so wohlgeboren, dass mein Kuss nicht sei verloren. ** —
Fraue, sagt der Marschall, er ist von königlichem Geblüt (für küniges'
künne erkant) dafür verpfand' ich mich mit meinem Leib; Euere
Fürsten sollen sich rjßich kleiden, wenn wir angeritten kommen, sagt
das auch Eueren Frauen; so bring' ich Euch den werthen Gast, der
werther Tugenden nie gebrach,^ — Gahmuret kleidet sich schnell in
kostbare Gewände, darauf seine Anker von arabischem Golde waren
und bestieg ein Ross, von dem er einst vor Babylon einen Ritter ge-
stochen. So ritt er hinauf, und stieg 'vor dem Saale ab. Da waren
viele feingekleidete Ritter; feine Kinder je zwei Hand in Hand, liefen
vor ihm her; auch wonniglich gekleidete Frauen fanden sich ein. Der
') 19, 2. ZindAI eine leichte Seide, die schon im fX. Jabrh. in den verschie-
densten Farben bei uns getragen wurde vgl. Wein hold Deutsche Frauen.
1851. S. 425. Später er\\ähnt Wolfram im Parc. 877, 30 den ^Regens-
burger zinddl.^
187
Königin aber fügten ihre Augen hohe Pein, als si^ den Anjou ersah.
Sein Antlitz war so minniglich, dass ihr Herz, war es ihr lieb oder leid,
sich gegen ihre Gewohnheit, ganz erschloss. Ein wenig trat sie ihm
^tgegen, liess sich küssen von dem Gast und nahm ihn bei der Hand; , *
gegen den Feind gewendet sassen sie auf einer gesteppten Sammtdecke,
die über weiche Kissen lag (uf ein kultr gesteppet samit dar undr ein
weichez pette lac) in das Fenster. Gibt es etwas lichteres als den Tag,
dem freilich glich die Königin nicht, gar ungleich war die Schöne der
thanigen Rose, denn ihre Farbe ist schwarz. Sie erzählt ihm ihre
Herzensnoth. Der Mohrenkönig Eisenhart von Assagog war itn reinen
Minnendienste Belakanen*s und auf ihren Wunsch zum Beweise seiner
Ergebenheit und Kühnheit ohne Rüstung, schutzlos auf Abenteuer ge-
ritten, als ihn sein Nebenbuhler Prothissilas, gleichfalls ein Fürst Bela-
kanens, im ritterlichen Lanzenspiel erschlug; Belakanen aber traf der
ungerechte Verdacht, ihn verrathen zu haben. Nun zog det Schotten-
könig Friedebrand (dessen Oheim Tankains, des Erschlagenen Vater war)
seinen angeblichen Mord zu rächen, mit vier Genossen über Meer und
bestürmte Patelamunt vor acht Thoren, während die anderen acht der
Mohr RassiJig von Assagog, ein Vasall Eisenbarts, bedrängte. Frieäe-
brand war mit (dem auch im ^Tristan^ genannten) Morhold wieder
heimgezogen, um sein eigenes Land zu schirmen, sein Heer aber bedroht
noch die Stadt der Mohrenkönigin.
Gahmuret reitet durch die Stadt und beschaut sich die Ver- ,
theidignngsanstalten ; da sieht er, dass die Belagerer einen durch-
stochenen Ritter in der Fahne führen, die Belagerten hingegen das Bild
ihrer Königin, welche zwei Finger der rechten Hand zum Eide ausge-
streckt hält, dass sie an Eisenbarts Tode unschuldig sei. — Als die
müde Sonne ihren Glanz bereits eingestellt, ritt er zurück um. bei' seinem
Wirthe die Mahlzeit einzunehmen; da kam auch die Königin mit ihren
Jungfrauen herab, zu^ schauen, ob man des Ritters wohl pflege, kniete,
was ihm leid war, selbst nieder und zertheilte die Speisen, von denen
Reiher und Fisch genannt werden, auch kredenzte sie ihm den Trank;
am Ende des Tisches sass sein Spielmann und dem gegenüber sein
Kappelan.
Schüchtern wagt Gahmuret, der die Königin schon während des
erstens Begegnens minniglich ins Aug gefasst, die Bemerkung, dass sie
ihm mehr Pflege erweise , als er verdiene , sie aber wollte das nicht
lassen, wendete sich selbst dahin, wo seine Kinder sassen und ermun-
terte sie zum Essen, das machte die Junkherrlein (Juncherrelin) der
Königin hold. Auch zum Tische des Wirthes und der Burggräfin ging
sie, hob den Becher and empfahl ihnen den Gast, dann ritt sie wieder
138
hinweg; goldene Leuchter (kerzstal) mit vier Lichtern trag man ihr vor.
Nun* bettete man den edlen Gast, und seine Kinder um ihn herum, er
aber lag durch die strenge Minne ohne Schlaf bis an den Morgen, wo
ihm sein Kappelan Messe sang. Dann wafluete er sich, nahm den blanken
Helm mit dem Anker darauf und bestieg sein Ross, das von Eisen ein
Dach trug, und ritt Tjoste *) zu suchen. Vom Fenster sah ihm die
Königin nach. Schnell hat er die Anfahrer der feindlichen Heere über-
wunden und in Sicherheit genommen, zuerst den Herzog Hiuteger von
Schottland, dann Gaschier von Normandie, nur vor Kaylet wich er
zurück, 'denn „er war siner muomen (Muhme) suon,** und auch dieser
will nicht mit ihm streiten, da er seinen Namen erf&hrt; dann nimmt
Gahmuret den Mohrenfürsten Razalic gefangen. Hiemit sind die Heere
ihrer Anfuhrer beraubt und der Krieg entschieden ; dem siegreich Heim-
kehrenden reitet die Königin entgegen, nahm sein Ross am Zaume und
entwafftiete 'ihn (si entstricte der fmtälen bant), *) führte ihn in ihr Ge-
mach und auf ihr ^wol geh^ref* Bettelein und erwies ihm sogleich eine
heimliche Ehre (ein heinlichiu ^re). Niemand war da, die Jungiranen
gingen vor die Thüre und schlössen sie ab ; da pflag die Königin süsser
Minne, obgleich si& von ungleicher Farbe waren. Die in der Stadt aber
opferten ihren Göttern. Die gefangeneil Fürsten, depen Belakane ihren
neuen Gemahl vorsteUt, Hess er frei, grosse Gabe, als wüchse das €rold
auf den Bäumen (als al die boume trüegen golt) wurde vertheift ; Braut-
, lauf und Hochzeit kam zu Stande , Isenhart aber ward königlich be-
stattet.
Aber nur zu frühe ergreift ihn die Sehnsucht und obwohl das
schwarze Weib ihm lieber war als sein eigener Leib, so macht er sich
nach drei Monaten, von einem Schiffer aus Sibilje (Sevilla) geführt,
heimlich davon ; die Frau fand in ihrem Beutel (biutel) einen französi-
schen Brief,, worin er ihr die Gründe seines Scheidens und zugleich
seine Genealogie erörterte und seine Rückkehr in Aussicht stellte, wenn
sie jsich taufen lasse. Die Königin brach in Jammer ans und tröstete
sich, gleich der Turteltaube, auf dem dürren Zweige der Hoffnung.*) Zur
V) Tjoste heisst der Zweikampf, der immer zu Pferde mit dem Speer angefan-
^eu, nötbigeo Falls aber auch zu Fuas mit dem Schwerte fortgesetzt wird;
auch gilt das Wort für den Lanzensloss alleio, z. B. „eine ridiiu tiost^ =
ein wohl angebrachter, herrlicher Sto^^
') Vgl. Anmerk. zu 256, 9
^) 57, lO: „ir freude vaut den dürren zwic,
als noch diu turleltübe tuet
diu het ie denselben muot:
swenne ir an trütscheft gebrast,
ir Iriwe kös den dürren ast.
Die Turteltaube gilt von jeher bei den Dichtem als Sinnbild der treaea Liebe
139
rechten Zeit endlich gebar sie einen Sohn, dessen Farbe wunderlicher
Weise schwarz und weiss zugleich war. Mit Freuden ktisst sie ihn immer
anf seine blanken Maie und nannte ihn Feirefiz von Anjou. Der
ward em i^waltswende'* (Waldvertilger), so fleissig brach er Speere und
zerstach die Schilde, doch blieb seine Farbe gleich der Elster.
n. Nach jahrelanger Meerfahrt landet Gahmuret zu Sevilla , wo
er seinen Vetter Kaylet vergeblich aufsucht, da dieser nach Kanvolei^
nach Ritterschaft gefahren; dahin macht er sich auch auf, nachdem er
sich zuerst noch in Toledo ein Hundert neue Speere feestellt.*) Die
Königin Herz el<]{y de, nachdem sie an ihrem Hochzeitstage selbst gleich
auch Witwe geworden war, hatte die vornehmsten Ritter aus allen
Landen einladen lassen, im Turnier um ihre Hand zu kämpfen, die mit
den beiden Königreichen Waleis und Norgals dem zu Theil werden
sollte, der den höchsten Preis im Kampfe erringen würde. Gahmuret
sieht auf einem von der Stadt durch einen Strom (darüber ging eine
^schifprücke^) getrennten Plane die Gezelte aufgeschlagen, dazu Hess er
auch sein Pavillon (poulün) s.etzen, an dem dreissig Säumer getragen.
Darauf ritt er in die Stadt mit Posanern, Fiedlern, Tamburen und
Flötenspielern, die eine Reisenote bliesen. ^) Der weithe Degen legte ein
Bein vor sich über das Pferd, zwei Stiefel trug er an den blossen
Beinen;') sein kleiner Mund glänzte wie Rubin; sein Haar war so weit
man es vor dem Hute sehen konnte „lieht reideloht," grünsammten der
Mantel, mit schwarzem Zobel besetzt, sein Hemde blank. Wie er die
' Königin erblickt, durchzuckt es ihn (derzuct im neben sich sin bein),
aufrichtete sich der Degen wie ein gehrendes Federspiel,, höher steigt
imd Unscbuld^ darun Jkäi si der galten nilit.^ (Münchner Handschrift des
XU. Jahrh vgl. Preifrer in Haupts Zeitschr. I. 287.)
') Diese Speere sind wo! gemdlen mit grüenen zinddlen: iesliches hete ein
banier, dr! härmlD anker dran; 61, 25 wird erwähnt, «dass die Knappen die
Speer transportirten , je Tünfe zusammengebunden und den sechsten in der
Hand tragend.
'j die hellen puslnen *
mit krache vor im gdben döz .
von würfen und mit siegen gröz
zw^n tambüre ffdben schal :
der galm übr ai die slat erhal.
der dön iedoch gemischet wart
mil floytieren an der vart:
ein reisenote'si bliesen,
nn sulen wir nit Verliesen,
wie ir h£rre komen st:
dem rilen videlaere hl. 63, 1 12.
^) d6 leite der degen wert ein bein für sich orez phert, zw^n stiwdl über blö-
zia bein. Dieses Trafen der Stiefel an den nackten Beinen kommt auf mittel-
alterlichen Bildern öfters vor.
140
sein Muth deo herrlichen Preis zu gewinnen, um den manch Ritter die
Furt hinterm Ross auf dem Gries (fürt hinderm ros dfine grieze) suchen
muss. Hier findet er auch Kaylet und andere Herren wieder. Die zum
Turnier anwesenden Ritter haben sich in zwei Partheien gestellt, je nach-
dem sie in der Stadt oder draussen auf dem Felde liegen. Alle die
Haupthelden werden namentlich aufgezählt. Schon am Vorabende beginnt
der Kampf mit einem Vesperspiel (diu vesperie). In den ersten Tagen
streiten nur einzelne Ritter miteinander; der Edelmuth und die feine
Weise, mit welcher Gachmuret die zahlreich besiegten Gegner behandelt,
steigert die Neigung der Königin zu ihm. Seine prächtige Wappen-
kleidung, sowie sein Ross, das schier bis an den Huf gewappnet ist
■ (gewäpent vaste unz üf den huof), werden ausführlich geschildert. Da
war grosser Drang, Furchen wurden glatt wie eine Tenne, mit Schwer-
tern kämmten sie sich,') ein Wald von Speeren ward verschwendet;
der Braten ward mit Schlegeln und Keulen mürbe gemacht, ihre Haut
trug schwarzer Beulen und Quetschungen genug. Die Werthen zwang
die Minne , dass manch schöner Schild und wohlgezierter Helm in den
Staub kamen, manch werther Mann fiel »in Gras und Blumen.
Während Gahmuret rastet erscheint eine Gesandtschaft der Königin
Ampflise von Frankreich, die dem Helden einen französischen Minne-
brief und ein Ringlein überbringt und an das frühere Versprechen, selbe
zu heirathen gemahnt. Eine andere Botschaft kündet ihm den Tod
seines Bruders Galoes,*) wodurch nun die Krone von Anjou auf ihn
föllt. Aber auch Herzeloyde, die Königin, hat nun ein Recht an Gah-
murets Hand, denn e r hat das Beste gethan in diesen Tagen und fallt
nach den Bestimmungen des Turney ihr als Gatte anheim. Gahmuret,
erschüttert durch den Schmerz über die Kunde, da^s sein Bruder ge-
storben, zu der sich bald darauf die Nachricht vom^Tode seiner Mutter
gesellt, von zwei Seiten zugleich dringend um seine Hand beworben, von
der gesammten Ritterschaft bestürmt, sich der Königin Herzeloyde zu
vermählen, ausserdem noch von Gewissensbissen über seine treulose
Flucht von dei« schwarzen Mohrenkönigin gepeinigt, bringt eine Nacht in
Jammer und Zweifel hin. Am anderen Morgen geht Herzeloyde in, das
') y,inil swerten vil gekemmet/ 73, 6 und 75, 6—10: ^den wart da uAlünt
ir brAt mit treten und mit kiulen, ir vel truoc swarze biulen, die held ge-
hiure derwurben qnaschiure.^ In gleich drastischer Weise sagt ein spateres
Landsknechtlied von der Paviaschlacht (Sechsteln Deut. Museum. I. 135)^ dass
bei diesem Reigentanz viel versaltzen ward., mau habe mit langen Spiessen
angerichtet und mit Hellebarten gesrhmalzen.
^) Gahmuret hat davon schon während des Kampfes eine Ahnung, weil einer
der Fürsten des Landes Anjou dessen Wappenschild umgekehrt^ mit
emporgerichteter Spitze trägt.
141
Lager, wo sie schon Tags vorher anf Teppichen, die mit frischen Binsen
überstreut waren, gesessen hatte nnd macht vor der Ritterschaft ihr
Recht geltend; wie aber auch die Boten seiner Jugendfreundin Amphlise
deren Herrlichkeit zu rühmen sich bestreben mögen, wie auch Gahmuret
ausweichen mag und selbst seine Vermählung mit der schwarzen Heiden-
frau gesteht, seine Bedenken werden widerlegt und er muss dem Aus-
spruch der von Herzeloyde berufenen Ritter sich unterwerfen. Der Fall
wird streng rechtlich verhandelt und darauf das ürtheil zuhand gespro-
chen : *) dass die Königin den Ritter , der hier Preis errungen, haben
müsse. Gahmuret bedingt sich dagegen unbegrenzte Freiheit nach Ritter-
schaft zu fahren, denn ehe er davon abstünde, verliesse er lieber wieder
Leute und Land ; Herzeloyde sagt ihm das zu und verkehrt durch ihre
Minne all seinen Kummer in Freude. Die Hochzeit wird mit Pracht
gefeiert und alle Fürsten und auch das „vamde volc*^ reich begabt.
Sein Anker hat nun endlich doch Grund geschlagen, also vertauscht er
das Wappen und lässt den Panther, den sein Vater trug, wieder auf
den Schild schlagen. Ritt er zum Streit, so zog er ein weissseiden Hemde
der Königin über die Rüstung (daz was sins halsperges dach), und sie
legte dasselbe wieder an ihren Leib, wenn er es zerstochen und zerhauen
zurückbrachte. So hatte et bereits achtzehn derselben zugerichtet, als
ihm Botschaft kam, der Baruch sei wieder von dem babyloiflschen
Brüderpaar mit Heereskraft überzogen; Gahmuret eilt ihm zu Hilfe.
Schon harrt Frau Herzeloyde sehnsüchtig ein halbes Jahr lang auf seine
Rückkehr, da brach ihrer Freuden Klinge mitten in dem Heft entzwei.
Sie sieht ein ängstigendes Schreckbild im Traume: Blitze und Donner-
strahlen fahren auf sie hernieder und versengen ihr Haar, ein Greif
packt ihre Hand, dann verJLchrt sich der Traum, sie glaubt eines Dra-
chen Amme zu sein, der ihr den Leib zerreisst und dann plötzlich fort-
fliegt. Mit einem Schrei des Entsetzens fährt sie auf, ihre Jungfrauen
springen ihr bei; da naht Tampanis, der kluge Meisterknappe ihres
Mannes, und erzählt, wie Gahmuret im Kampfe durch heidnischen Ver-
rath gefallen und vom Baruch zu Baldac herrlich und christlich begraben
worden sei. Zum Beweis seiner Kunde überbringt er das Hemde und
den tödtlichen Speer. —
Herzeloyde ergreift unsäglicher Jammer, sie will das blutige Hemd
anlegen, wie sie sonst gethan, die Fürsten aber nehmen es ihr und be-
') Wie in Ruodlieb (v^l. obea S. 67 Anm. 1.) ein SchÖfTenj^ericht , so ist hier
eine riUerliche GerichlssitKuog erkennbar. Kläger und Beklagler tragen ihre
Sache vor und dann halt der den Handel teilende Vorsitzer der Reihe nach
die Umfrage an jeden Einzelnen der heim Hie üf gebant, wodurch sich
mittelfi Stimmenmehrlieit das Urtheit ergibt.
142
graben es mit dem Speer in dem Münster, wie einen Todten. Vierzehn
Tage darauf genass die Königin eines Sohnes, den sie herzend in die
Arme nahm und kosend nur immer ^bon ßz, scher fiz, bS& fiz^ nannte.
Seufzen und Lachen gehen zugleich aus ihrem Munde, indess des Her-
zens Jammerthau in Thränen auf den Knaben regnet.
«
So ist ^der äventiure wurf gespilt und ir begin ist gezilf da der
zur Welt geboren, dem diese Märe erkoren. Von seines Vaters Leben
und Tod habt Ihr bisher vernommen, nun soll Euch ferner Kunde kom-
men, wie aucJi der Sohn erwuchs an Kraft, ob man ihn gleich vor
Ritterschaft barg. Herzeloide nämlich, so hebt der durch seine Lieblich-
keit üuübertreftiiche III. Gesang an, bezog, ganz in Jammer verloren
über des Gatteu Verlust, die Wildnis« von Soltane, wo sie reuten und
pflügen Hess, allen Leuten aber bei Leib und Leben befahl, nie von
Ritterschaft zu sprechen, damit ihr Herzenskraut nicht davon eiiiihre
und ihr entrissen wurde. Nur „bogen unde bölzelin" durfte er sich
schneiden und die Vögele schiessen, die er fand. Wenn er aber ein
Sangvögelein traf, so weinte er und raufte sich die Haare. Sein Leib
war klar und helle. An einem Bache auf dem Plan
118, •
13. twuog er sich alle morgen,
erne künde niht gesorgen,
15. ez enwaere ob im der vogelsanc,
die süeze in sin herze di*anc :
daz erstracte im siniu brüstelin.
al weinde er lief zer künegin.
so sprach si ^ wer hat dir getan?
20. du waere hin üz iif den plan."*
em künde es ir gesageu niht,
als kinden lihte noch geschiht.')
Wusch er sich alle Morgen;
Noch wusste nicht sein Sinn von
Sorgen:
Es sei denn um der Vögel Saug
Dess Süsse ihm zu Herzen drang.
Da schwoll die kleine Brust ihm. Hin
Lief weinend er zur Königin,
Doch fragte sie: was ihm gescheh*n?
So wusst' er Rede nicht zu stehen,
Wie's oft bei Kindern noch geschieht.
) ..So geht es Kindern noch in unseren Tagen ^ Auch im Kinderlehen Mel-
(hior Diepenbro.ck's lag solch ein Ahnen und Heimweh ^£r sehnte sieb
nach einem fernen, dunklen Etwas., das ihm die Erde nicht bieten konnte.
Und wenn er von sich selber S8<{^te, dass er als kleiner, muthwilliger Jnnge
oft stundenlang weinte^ ohne einen anderen Grund Air seine Thränen angeben
zu können, als dass er Langeweile habe, so war es ja eben dieses GefUhl
des Ungenü^eiis, das schon in der Seele des Knaben lag, wenn er in den
Wipfeln der höchsten ßüume liegend über den äusserslen Rand des Horizonts
hinwes^z.ublicken \ erlangte.^ Vgl. dessen Biographie. Breslau 1859.^.21. -
An öhnlicben reizenden Zügen aus dem dentsihen Kinderleben sind auch die
neueren Dichter sehr reich, z. B. J. P. Richter in Quintus Fixlein, Leben
des Schulmeister Wutz, in der unsichtbaren Loire IL 370, im Jubelsenior.
Vgl. dazu Ernst Wagnir*8 Kiuderjahre und A v. Arnim in Traugotts
Erinnerungen aus seiner Jugend (im ersten Bande der Gräfin Dolores),
143
dem maere gieno si lange nach,
eins tages si in kapfen sach
^5. üf die boome nach der vögele
sobal.
si wart wol innen daz zeswal
von der stimme ir kindes brüst
des twang in art nnd sin gelust.»
frou Herzeloyde kert ir haz
an die vögele, sine wesse um waz:
119,
si wolt ir schal verkrenken.
ir bdlinte unde ir enken
die hiez si vaste gähen,
Togele wfirgn und vahen.
5. die vögele wären baz geriten :')
etsliches sterben wart vermiten :
der bleip da lebendic ein teil,
die Sit mit sänge wurden geil.
Der Knappe sprach zer künegin:
10. ^was wizet man den vogelin ?^
er gert in frides sa zestunt
sin maoter kost in an den mont:
diu sprach ^wes wende ich sin
gebot,
der doch ist der hoehste got?
o.suln vögele durch mich freude
14n?«
der knappe sprach zer muoter
säo:
„öwÄ muoter, waz ist got?^ —
„sun, ich sage dirz äne spot,
er ist noch lichter denne der tac,
C^. der antlitzes sich bewac
nach menschen antlitze.
sun, merke eine witze,
und fl^he in umbe dine not :
sin triwe der werlde ie helfe bot
Frao Herzeleide sorgenwach
Ging lang* umsonst dem Wesen nach.
Bis sie den Knaben einst ersieht.
Wie ganz verloren er in Träumen
Den Vöglein lauschet auf den
Bäumen.
Nun wohl erkennend, wie ihr Sang
Des Söhnleins Herz ßo sehnend
zwang
Schwur Hass den bösen Vögeln sie.
Und dass ihr Singen nie mehr hie
Ihr Kind betrübe, sandte Knechte
Sie aus, die Vöglein gut* und
, schlechte
Zu fangen all* und umzubringen.
Doch Vöglein waren gut beritten,
So dass nicht Alle den Tod erlitten.
Etliche blieben doch ami Leben
Um nur noch süsseren Sang zu er*
heben.
Der Knabe d*rauf zur Königin sprach :
„Was stellt man doch den Vöglein
nach?''
Er bat um Gnade fQr sie zur Stund.
Die Mutter küsst* ihn auf den Mund
Und sprach: ^Was wende ich sein
Grebot,
Der doch ist der höchste Gott?
SolFn Vögel um mich Trauer ein-
pfah*n?''
Der Knabe sprach zur Mutter dann:
„Sage, Mutter, was ist das öott?'^
„Mein Sohn, ich sage dir*s ohne
Spott,
Er ist viel lichter als der Tag,
Der einst Angesichtes pflag
Nach des Menschen Angesicht.
Sohn, vergiss der Lehre nicht.
Und fleh* ihn an in deiner Noth,
Dess Treu* der Welt stets Hilfe bot.
*) Rehen hat iirsprunglirh den Sinn von sclinell beMegen^ sich fertig und auF-
macben; im Niederdeut, noch för spozierengehen gebrüiit-hheh : daher auch
das Adv. gereile r= mit Fertigkeit, leicht und schnell.
144
25. s6 heizet einr der helle wirt:
der ist swarz, nntriwe in niht
verbirt.
von dem kSr dine gedanke.
und och von z^ivels wanke."
sin mouter underschiet im gar
daz vinster unt daz lieht gevar.
120,
darnach sin snelheitverrespranc.
er lernte den gabilötes swanc, ')
da mit er mangen hirz erschöz,
des sin muoter nnd ir volc genoz.
5. ez waere aber') oder snö,
dem wilde tet sin schiezen wS.
nun hoeret fremdiu maere.
swennerrschdz daz swaere
des waere ein mdl geladen genuoc,
1 0. als unzerworht hin heim erz truoc.
Eins tages gieng er den weide-
ganc
an einer halden, dia was lanc :
er brach durch blates stimme en
zwic*)
da. nähen bi im gienc ein stic:
15. da hört er schal von huofslegen.
sin gabylöt begunder wegen:
dö sprach er ^was h&n ich ver-
nomn?
wau wolt et nu der tiuvel komn
• mit grimme zomecliche!
20. den bestüende ich sicherliche.
min muoter freisen von im sagt*
ich waene ir eilen si verzagt.'*
alsus stuont er in strites ger.
nu seht, dort kom geschuftet her^)
Ein anderer heisst der Hölle Wirth,
Der schwarz, Untreu nicht meiden
wird:
Von dem kehre deine Gedanken,
Sowie auch von des Zweifels '
Wanken. **
Seine Mutter unterschied ihm gar
Was finster, was licht und klar.
D'rauf fröhlich er zum Walde sprang.
Er lernte des Jagdspeeres Schwang,
Womit er manchen Hirsch erschoss
Davon die Mutter und ihr Volk
genoss.
Ob offen die Erd*, ob bedeckt mit
Schnee,
Dem Wilde that sein Schiessen weh.
Nun aber vernehmt die seltne Mär:
3isweilen schoss er die Last so
schwer,
Dass es einem Maulthier wäre genug.
Was er nnzerlegt nach Hause trug.
So ging er auch an einem Tag
Nach seiner Art dem Waidwerk nach,
An einem Borghang niederschweifend
Und auf dem Blatt dem Wilde
pfeifend.
Da hört er Schall von Hufes Schlägen:
Sogleich begann er den Speer zu
wägen
Und sprach: ^Was haV ich ver-
nonmien?
Will etwa jetzt der Teufel kommen
Voll argen Grimms und zomiglich?
Den bestünde ich sicherlich.
Die Mutter zwar Schreckliches von
ihm sagt,
Mich diinkt, sie ist wohl auch ver-
zagt" •
So stand er da in Streitbegehr.
Sieh', da trottirten Ritter her
') ^abil6t, gabylöt, ein kleiner wahrscheinlich zweizjnkiger Jagdspiess, fraox.
javelöt, von gabele^ Gabel. Vgl. Diez Roman. Wörterbuch. 18o3. I. 173.
') ftber = unbedeckt, schelos ; aber = aufgethautes Erdreich ; äbera ^ aufgeben.
3) Bei Spervogel: „mit dem blare glten."" Hagen 11. 375. (3 Str. 1.)
^) schiuften, im Galopp ansprengen. Vgl. noch Parcival 161, 21. 299^ 2.
14ß
26. dri ritter nach wansche var,
von fuoze uf gewäpeiit gar.
der knappe wände sunder spot.
daz ieslicher waere ein got.
d6 stuont ouch er^nit langer hie,'
in den pTiat viel er üf siniu knie.
12L
lüte rief der knappe sän
^hilf, got: du mahl wohl helfe
hän.**
Drei Ritter im hellen Wafifenglanz
Von Kopf zu Fuss gewappnet ganz.
Der Knabe wähnte sonder Spott
Dass ihrer jeder war' ein Gott.
D'rura stand er aucht nicht länger hie
Er warf sich in den Pfad anfs Knie.
Mit lauter Stimme rief er gleich :
^Hilf Gott, du bist wohl Hilfe reich !"
Während der Vordere noch zürnte, dass der Knabe im Wege lag,
sprengte bereits auf emem schönen Pferde (kastelän) *) der GrafÜlter-
lec-Kamahkarnanz ganz gewaffnet und mit verbautem Schilde heran.
Er wollte zweien Rittern nach, die eine Frau aus seinem Lande geraubt
hatten. ^Wer irret (versperrt) uns den Weg?'* ftihr er den Junker an.
Doch d e m schien auch er wie ein Gott gethan , da er nie so Lichtes
zuvor gesehen. Sein Wapp^nrock erglänzte, kleine goldene Schellen^)
erklangen an seinen Stegreifen, ebenso sein rechter Arm, wenn er ihn
bewegte. Er fragt nach den Rittern, ob sie nicht voröbergefahren ; der
Knabe aber hielt ihn immer noch für Gott, weil ihn Frau Herzeloyde
als leuchtend geschildert hatte. Also sprach er wieder sein früheres
Oebet. Der Fürste sprach: «Ich bin nicht Gott, doch leist' ich gerne
sein Gebot; sähest Du recht, Du würdest in uns nur vier Ritter er-
bKcfcen.'' Der Knabe aber fragte gleich förbass : „Du nennst da Ritter?
Was ist das? hast Du selbst keine Gotteskraft, wer kann denn geben
Ritterschaft ?" ^Das thut der König Artus; kommt Ihr mal zu ihm,
Jangherr, der kann Euch ehrlichen Ritters Namen geben, Ihr seid wohl
ritterlicher Art. '^ Dabei besah er ihn, an den Gott so gute Kunst ver-
wendet , dass seit Adams Zeit nie ein Menschenkind (mannes värwe)
besser gerathen wat. Da hub der Knabe, die Panzerringe betastend,
wieder an, dass sie lachen mussten: ^Ei Ritter gut! was hast du so
y\e\e Ringe (vingerlin) an deinen Leib gebunden, dort oben und hier
Unten; ich sah doch meiner Mutter Frauen auch Ringel an Schnüren
tragen (miner muoter juncfrouwen ir vingerlin an snüeren tragnt), die
Qicht so in einander ragen. Wozu ist da& gut, was dir so wohl steht
') Ib Parc« wird kastello überhaupt sehr häufig genannt ; die beliebtesten Pferde
kaiD%p damals aus Spanien^ namentlich aus Ka&tilien, daher spanisch castel-
lano. Vgl. Pfeirrer das Rosa im Altd. 1855. S. 27.
^) Die Schellen trftgt auch Segramors vgl. 287, 1 -4. Die Sitte mit Schellen
die Kleider za behiniren, blieb wohl von den Heusehreckenzügen der Ungarn
zorttck; ihre am Lechfeld gefangenen und erschlagenen Fürsten halten so
den Saum ihrer Gewände besetzt. Vgl. Falke Deutsche Trachten und Mode-
weit 1858. I 149
10
146
und ich nicht herunter zu zwicken vermag?'^ Da wies der Ritter ihm
sein Schwert und sprach: y, Nun sieh, wer an mich Streites gehrt, des-
selben wehr' ich mich mit Schlägen , gegen die seinen aber muss ich
das an mich legen, gegen Schuss unc} Stich muss ich also waffnen mich.^
Schnell aber sprach der Knabe: ^Trügen die Hirsche solches Fell, so
verwundete sie nicht mein Gabylöt, das mir schon manchen fällte.^
Die Ritter zürnten , dass er mit des Knappen ünerfahrenheit sich ver-
hielt. Der Fürst sprach: ^Gott hüte dein! 0 weh! war' deine Schön-
heit mein! dir hätte Gott nach Wunsch gegeben, hättest du auch
Verstand genug (ob du mit witzen soldest leben), aber diese Oottes-
kraft liegt dir fern!^ So ritt er mit den Seinen weiter und kam bald
im Walde zu einem Felde, wo flerzeloydens Leute pflügten, säeten und
mit starken Ochsen eggten ; sie gaben ihm über die Flüchtlinge verzagt
Antwort und fürchteten den Zorn der Königin, wenn der ^uncherre,^
der heute Morgen mit ihnen gelaufen war als die Mutter noch schlief,
die Ritter gesehen hätte. Dem Knaben aber galt es gleich, wer nun
die Hirsche schoss, er hüb sich zur Mutter und sagt' ihr die Maere.
Da fiel sie vor Schreck ohnmächtig (unversunnen) nieder. Als sie wieder
zu Sinne kam, fragte sie gleich, wer ihm ^von ritters orden^ gesa^
^Mutter, ich sah viier Mann, lichter kann Gott nicht sein, die sagten
mir von Ritterschaft, Ar^s' königliche Kraft soll mich zu Schildesamt
keren."" Da hub sich neuer Jammer; doch sie ersann eine List, ihn
von seinem Willen zu bringen. Der gute' Knabe in seiner Einfalt bat
aber die Mutter gleich um ein Pferd. Sie beschloss , ihm selbes nicht
zu versagen, aber ein recht armseliges zu geben. „Die Leute spotten
immei' gerne, also soll mein Kind Narrenkleider an seinem lichten Leibe
tragen, wird er gerauft und geschlagen, so kommt er mir sdion wieder.^
— 0 weh! des jämmerlichen Truges ! — Die Frau nahm Sacktuch,^)
schnitt ihm Hemde und Bruch, die ein Stück bildeten und als „toren
kleit^ galten; eine Gugel kam darauf und zwei „ribbalin^ schnitt man
aus frischen Vauhen Kalbshäuten nach seinen Beinen. ') So bedauerte
') Drillich, Sackleinwand.
*) Die Bruch, i)ruoch, ursprünglich nur die Bekleidung der Oberschenkel, gilt
noch im Volke für die kurze Hose, gugel ist Kaputze (brudere, tut üwere
kugelen ahe, bei Hermann von Fritzlar Pfeiffer S. 83, 25); auch Kappe,
Narrenkappe mit Schellenohren. — al frisch rdch kelbertn von einer hdl zwei
ribbaltn iidch stnen beinen wart gesnitn. f27, 7—9. Die ribbaltn sind Bund-
schuhe der einfachsten Art^ wie sie schon in den fröhesten Zeiten, bis io
das spätere Mittelalter im armen Volke üblich waren und noch in Italien ge-
tragen werden. Man fand dergleichen im J. 1817 i» einem Jorfmoor von
Ostfrieslaud an einer Leiche; sie bestunden ans einem Stücke uBgeg«rbteo
Leders, das mit Riemen über dem Fuise zustmmeiigehaUeii war, di« durch
Löcher längs des Fussblattes gezogen wurden.
147
ihn Jeder, wer den Knaben sah. Dann gab sie ihm noch gute Lehren
anf den Weg mit:
127,
15. an angebanten sträzen
soltu tunkel fürte läzen:
die sihte mid lüter sin,
da solte al balde riten in.
du 8olt dich Site niten,
20. der werlde grüezen bieten,
op dich ein grä wise man
zuht wil lern als er wol kan,
dem söltu gerne volgen,
and wis im niht erbolgen.
25. sun, \ä dir bevolhen sin,
swä da gaotes wibes vingerlin
mügest erwerben unt ir gruoz,
daz nim: ez taot dir kumbers
baoz.
da solt zir kasse gähep
and ir lip vast umbevähen :
128,
daz git gelücke and höhen maot,
op si kiaschc ist unde gnot.
Du sollst auf ungebahnten Strassen
Die dunklen Furten liegen lassen;
Doch siehst du seicht sie, hell und
rein,
So reite nur getrost hinein.
Auch sollst du guter Sitte pflegen.
Die Leute grüssen auf den Wegen,
Und wenn ein grauer, weiser Mann
Dich Zucht will lehren, nimra's ja an,
Verarg' ihm nicht, was er dir sprach.
Vertrauend thu', und gern darnach.
Dann, Sohn, lass Dir empfohlen sefn :
Wo gutes Weibes Riagelein
Du kannst erwerben und ihr Grüssen,
Da nimm's! es kann Dir Leid ver-
süssen.
Magst Da auch ihren Kuss erlangen
Und herzlich ihren Leib umfangen.
Das gibt Dir Glück und hohen Muth
Ist anders keusch sie und auch gut.
Dazu sollst du wissen, dass der stolze Lähelin deinen Fürsten
j&ngst zwei deiner Lande abgefochten, und einen deiner Fürsten, Tur-
keniäls getödtet. ,,Das räch' ich Mutter, will es Gott! ihn verwundet
noch mein Gabilot !^
Des Morgens da der Tag erschien, liess die Sehnsucht nach Artus
den Knaben nicht länger warten. Frau Herzeloyde küsste ihn, lief ihm
Doch so lange nach, als sie ihn sehen konnte und wie er entschwunden,^
da fiel die allen Falsches reine Frau zu Erde und der Jammer schnitt
ihr das Leben ab. *
So ftihr auf lohnergiebige Fahrt die Wurzel aller Güte, wozu alle
treuen Fi*auen dem Knaben Heil wünschen sollen. Der aber nahm auf
den Forst von QrizIjanO den Weg und fand gleich Gelegenheit, die
weisen Lehren seiner Matter anzuwenden — freilich ! in seiner Art und
sämmtUch auf verkehrte Weise.
*) Der Wald von BrizljAn ist eine unsichere Gegend^ wo sonst allerlei Spuck
begegnet, denn Merlins, des Zauberers Grab, ist darinnen. Vgl. v. d. Hagen
Germania. 1841. IV. 13.
10*
m
129,
3. er koni an ein bach geritn.
den hete ein han wo] überschritn :
swie da stuonden bluomen unde
gras,
10. durch daz sin ilaoz so tunkel was,
der knappe den fürt dar an ver-
meit.
den tag gar derneben reit,
alsez sinen witzen tochte.
er beleip die naht swier mochte,
15. unz im der lichte tag erschein.
der knappe huob sich dan al ein
Er kam an einen Bach geritten.
Den leicht ein Hahn hätt^ über-
schtitten;
Doch da sein Strom so dunkel schien.
Denn Gras und Blumen umschatte-
ten ihn.
Ritt ifeber den ganzen langen Tag
0
Geduldig der Knabe dem Bächlein
nach,
Eh* er hindurch zu reiten wagte.
Streng folgend, wie die Mutter
sagte. —
Die Nacht verbracht' er, wie er
konnte.
Doch als der Morgen zu grauen
begonnte.
Ersah eine Fuhrt er, licht und klar.
zeime fürte Idter wol getan.
Jenseits des Baches war auf dem Plane ein kostbares Grezelt auf-
geschlagen, von dreifarbigem Sammt, hoch und breit, die Näthe mit
goldenen, Borten belegt, auch hing ein lederner Ueberzug (ein liderfn
huot) daneben, den man bei Regen daiiiber decken mochte. Hier ruhte
die schöne Jeschüte, Frau des Herzogs Orilus de Laiander.
130, ,
3. Diu frouwe was entsläfeh. i Die Frau war entschlummert; im
Schlummer doch
si truoc der minne wäfen, *) Trug sie das Waffen der Liebe noch :
5. einen munt durchliuhtic r6t, | Einen Mund, durchleuchtig roth,
and gemdes ritters herzens not. j Für erobernden Rittersmann Her-
zensnoth.
innen des diu frouwe slief,
der munt ir von ein ander lief:
der truoc der minne hitze fiur.
10. sus lac des Wunsches äventiur.
von snewizem beine
nahe bi ein ander kleine,
sus stuonden ir die liebten zene.
ich waen mich iemen küssens wene
15. an ein sus wol gelobten munt:
daz ist mir selten worden kunt.
Während die Schöne schlief
Der Mund ihr von einander lief:
DerschufderMinneGluthundFeuer!
So lag das schöne Abenteuer!
Schneeweiss, wie von Elfenbein,
Zusammen dicht gefugt und klein,
So standen ihr die lichten Zähne.
Mich gewöhnt man nicht, ich wähne
An einen so wohl gelobten Mund:
Solch Küssen ward mir selten kund.
') wdfen kann ^ hier sowohl Schwert oder Waffe überhaupt, als aocli
Wappe bedeuten, obwohl die erste Bedeutung ^ ihres schönen poeUaclieB
Sinnes vorzuziehen wäre, d. h. obwohl ichlafend, trug die schöne Frau
doch ihr Schwert und die Waffen der Minne.
Ihr ^ deckelachen ** von Zobel, die ihr -htiffelin** decken sollte, hatte
3ie der Hitze wegen von sich geflossen, als ihr Herr (wirt) sie alleine
liess. Gott selber workte ihren süssen Leib; lange Anne und blanke
Hände hatte die Minnigliche. Als der Knappe nun ein Fingerlein an
ihrer Hand ersah , fiel ihm der Rath seiner Mutter ein , die ihm der
Frauen Ringe wohl empfohlen hatte; also sprang er schnell von dem
Teppiche an das Bett. Die süsse Reine erschrack unsanft, als der
Knappe in ihren Armen lag, beschämt und ohne Lächeln sprach die
züchtereiche: „Wer hat mich geunehret? Juncherre, Ihr wagt allzu-
viel; wählt Euch doch ein ander Ziel.^ Wie sie auch klagte, er zwang
ihren Mund an den seinen, drückte die Herzogin an sich und nahm ihr
ein Fingerlein ; auch ersah er eine Spange an ihrem Hemde, die brach
er sich ungefüge. Die Fraue hatte nur Weibes Wehr, ihr war seine
Kraft ein ganzes Heer. Da rangen sie, bis der Knappe endlich ob
Hunger klagte. Sie sprach: „Mich sollt Ihr nicht essen, wäret Ihr
klug, Ihr suchtet Euch andere Speise; dort steht Brod und Wein und
auch zwei Rebhühnere,') die Juhgfrau, cüe das brachte, hat sicher
nicht an Euch gedacht. Er ass nun einen guten Kropf und zog zwei
'schwere Trünke. Der Frau aber bedünkte, er treibe sein Wesen gar
zu lange, sie wähnte, er wäre ein ^garzün," dem der Verstand abhanden
gekommen; ihre Zucht kam in Verlegenheit, also sprach sie: „Junc-
herre, Ihr sollt mein Fingerlin hie lassen und meine Spange, hebt Euch
hinweg, denn kommt mein Mann, so müsst Ihr Zorn erleiden, den Ihr
besser meiden möchtet." Der aber versetzte: „Was furcht' ich Eueres
Mannes Zorn? doch schadet Euch das an den Ehren, will ich von
hinnen." Damit ging er wieder an das^ Bette, küsste sie nochmals zu
ihrem Leidwesen mid ritt ohn* Urlaub von dünnen, doch sprach er
noch: ^Gott hüte Dein! also rieth mir die Mutter meinP Schon war
er, froh des Raubes, eine gute Weile weg, als der Fraue Gemahl zurück-
kehrte und im Grase die Tritte gewahrend und das ärgste vermuthend,
zornig losbrach. Sie beschwor ihre Unschuld mit wasserreichen Augen
Und erzählte den wahren Sachverhalt, er aber, in unerbittlichen Zorn
entbrannt, entschlägt sich aller freundlichen Gemeinschaft mit ihr, reikst
ihr Schmuck und Sammt vom Sattel und zwingt sie, in elendem Ge-
wand, mit einem Strick von Bast statt der Zügel, auf einem elenden
Klepper weiter zu ziehen, den Knappen einzuholen. Weinend schied
die Frau aus dem Zelte, in ihrem Jammer wünschte sie sich den Tod.
So eilte sie dem Knappen nach, der davon keine Ahnung hatte ;^
wer ihm imnäer in den Weg kam, den grüsste er und setzte richtig
) fwrdHsekto, vom Franz. perdrix; sonsl auch rephuonitn, kleines Rebhuhn.
160
bei, das8 es ihm seine Matter so geratbeD. Hernieder reitend an einer
Halde hört unser täppischer (törscher) Knabe den Klageruf einer Frauen^
stimme; er wendete dem Schall nach und fand eine Jungfrau, die ihre
langen, braunen Zöpfe jammernd sich ausraufte') und einen erschlagenen
Ritter in ihrem Schoosse liegen hatte. (Es ist Sigüue und der ]^lter
Schionatnlander.) Er grüsst nach seiner Mutter Lehre und fragt nkch
dem jämmerlichen Fund in ihrem Schoosse und wer die Wunden ge-
schlagen: ^Wer hat ihn erschossen, geschah^s mit einem Gabilot? iob
will gerne mit ihm streiten.^ So sprechend griff gleich der, gute Knabe
(der noch die Pfänder trug, die er von Jeschüten brach) nach seinem
Köcher mit den scharfen Gabildten. Sie aber erwiderte; ^Du bist
wahrlich tugendlicher Art; geehrt sei Deine süsse Jugend und Dein
minnigliches Antlitz; Du wirst wahrlich noch säldenriche. Diesen Ritter
aber traf kein Gabylot, er fiel im Tjost.^ Als sie nach seinem Namen
fragt und er treuherzig antwortet, man habe ihn zu Hause immer mir
„bon fiz, scher fiz, beä fiz^ genannt, so weiss sie, dass ihr Ver-
wandter ParziväJ vor ihr steht> dessen Mutter ihre Mqhme ist ^Dein
Vater, so belehrt sie ihn, war ein Anschevin (Anjou), von Mutter Seite
bist Du ein Waleis, Kanvoleiz ist Deine Heimatfa und Noi^äls Dein'
. Reich, wo Du zu Kingriväls Krone tragen sollst Für Dich ward dieser
Fürst erschlagen, der stets Dein Land vertheidigte und nie die Treue
Versehrte. Zwei Brüder thaten Dir Leides an , zwei Lande nahm Dir
Lä^elin, und diesen Ritter hier. Deinen Vetter, Du junger schöner
(vlaetic) süsser Mann, erschlug Orilus im Tjost^ (und zwar zur selben
Zeit, während Parcival dessen süsse Gemahlin so tölpisch behandelt
hatte). Parcival, der von dem engeren Zusammenhang gar keine Ahnung
hat> schnaubt nach Rache; Sigüne aber, die für das Leben des Knaben
bangt, ist klug und weist ihm fälschlich andere Wege. So fahr er
weiter; wer ihm aber entgegen ging oder ritt (widergienc od widerreit)
Ritter oder Kaufmann, die grüsste er alle mit dem Beisatz, das sei
seiner Mutter Rath.^)
*) ^üzer swarten brach/ s warte die (behaarte) Kopfhaut
*) Die Lehren der Mutter bezogen sieb (wie Reiche! richtig bemerkt) «of die
Vermeidung der nächsten Gefahren, wiesen, was dem weiblichen Herzen
Herzeloydens am nächsten la^, auf das reine Glück der Liebe und enpfabien
ihm reine „Zucht.^ Und es ist wirklich rührend, dass^ wie sehr auch der
unerfahrene Jüngling bei seinem Eintritt in die Welt durch die wörtliche
Befolgung der mütterlichen Gebote irren mag, seine Fehler «doch nur das
kindliche Vertrauen, das reine Gemüthe des unschuldigen Knaben zeigen. Das
Unglück Sigunens greift ihm so mächtig an's Herz, wie das kindlich unge-
stüme Fragen verrath, dass er kaum zur Antwort Zeit lässt.
151
Gegen AUbnd ersah ansere gatinüthige Einfelt (der tampheit geb6z)
ermodet ein Haas, das einem groben, habsüchtigen Fischer gehörte,
und da ihn dieser ohne ^phenninge oder phant^ nicht herbergen will,
80 zieht Parcival die goldene Spange und verspricht sie dem Flegel,
wenn er ihn morgen zn Artus Tafelrunde weise. Auf dem Wege dahin,
nahe vor Nantes, verläset ihn der Bauer C^il^Q) Lünamel) unter nich-^
tigern Vorwand und Parcival reitet allein weiter. Kein treuer Curneväl')
hatte ihn erzogen, von Gurtoisie (kurtdsie) wnsste er ni<dits, von Bast
war sein Zaum und sein elendes ^phärdelin^ strauchelte öfter und fiel
(daz tet von strdchen manegen val). Auch war sein Sattel überall un«-
besohlagen mit neuen Ledern, von Sammt oder Häimelin sah man
nichts, der Mantelschnüre bedurfte er nicht, anstatt Sukenie und Sur-
kot*) trug er sein Gabyldt Sein Vater war vor Kanvoleiz, traun!
besser gekleidet. Da begegnete ihm ein Ritter, der Basensohn des
König Artus, Herr Ith^r von Gaheviez, der rothe Ritter genannt, denn
AUes, was man an ihm sehen konnte, war roth, roth ^blt sein Ross,
dessen Kopfputz ') und sammtene Kovertür, feuerroth sein Schild, roth
sein Korsett (kursit) und weit genug, roth war sein Schaft, roth sein
Speer, roth hatte auch auf sein Begehr sein Schwert der Schmied ge-
röthet, ohne die Schärfe zu verlöthen. Zwar war seine Haut blank,
aber roth sein Haar. ParciviU grüsst i^n in seiner Weise: ^Grott schütze
Guch! so neth es die Mutter mir!*^ — ^Gott lohne, Junch^rre, Euch
and ihr^ antwortet der Ritter, der einen kunstvollen Becher von rothem
Golde ^) in der fiand hält Er war an Artus Hof gekommen, um Erb-
ansgruch an das Land geltend zu machen und hatte deshalb einen
goldenen Becher Weines der Königin Ginov^m in den Sohooss gegossen,
den Becher aber mitgenommen. Da er den Knaben bereit sieht, in die
') KBrnevsl hiess der Erzieher Tristans.
>) 145: ^für suknt und für siirköt.^ Sukenie ist eine Art Oberkleid^ ebenso
wie der weilärmelij^e Surkot. Vgl. Weinbold Deut. Fr. S. 447.
') ^stn ors was röl unde snel, »1 röt was stn gtigerel.** giigerel (von gngefe)
ist eine Erhöhbng auf der Spitze des Pferdkopfes ^ ein i^bmuck, der sieb
nocb bei unseren Scblittenpferden erbalten bat. Vgl. J Grimm zu Reinh.
1338. - Scb melier bayr. Wörlerb. II. 25.
*) „al r6t von golde öf siner bant, stuont ein köpf vil wol ergrabn."* — Kopf
^ nind^eformter Becber, Pokale bei Hermann von Fritzlar, PfeiiTer 16S lo
der Geschichte der Pilgrime. Das Mittelalter liebte seltsame Gefässe (trank
ja selbst Luther noch am liebsten aus einem Krüglein., das eine Nonne vor-
stellte) und voraus in dieser Form, die aus dem urgermaniscben Schädel-
Irunk sich verfeinert und gebildet hatte. In St. Oswalts Leben wird ein
solches ^efass (genannt ^Genthe I. 298), ferner bei VVackernaffel Leseb.
2. Aufl. 8. 17Ö, 37: ^silberlne napphe, guldtne chopphe''*— 241, 22: ,,di
goldinen eopfe. die stiherinen nepfe/ — Im Weinschwelg ibid. 575, 6:
,,er wolde näpf noch kopbe niht.^ — Steinmar (v. d. Hagen MS. H. 154):
„köpfe unde schüzzel wirt von mir unz an den grünt erlochen.^
152
Stadt zu reiten , trägt er rhm , durch dessen Schönheit *f&r ihn einge-
nommen, diese Botschaft an Artus auf: er harre hier, bis der König
oder seine Ritter ihm den Becher wieder abkämjpfen und seinen An-
spruch mit ihm ausfechten würden. Kaum hat Parcival die Stadt be-
treten, als ihm schon die Kinder neugierig nachlaufen; mit Hilfe
Iwänets, eines Knappen, der ihmKumpanie angeboten, gelangt er bald
zu Artus. Der ganze Hof staunt über die Schönheit, wie über die Bot-
Schaft des Knaben, der mit Holdseliglieit die BRte an König Artus stellt,
ihn sogleich zum Ritter zu machen , denn ihm sei gesagt, dass er das
wohl vermöge, auch solle er ihm das Gewand des rothen Ritters
schenken, er sei bereit, es ihm abzukämpfen. Da Artus ihn vorläafig
auf den folgenden Tag verti'östet, wird er ungeduldig und gaggerud wie
eine Trappe platzt er los: könne er des Ritters Rüstung nicht bekom-
men, so frage er nichts nach königlichen Gaben, „die gibt meine Mutter
mir, die doch, mein* ich, auch eine Königin ist.^ Der König zaudert
noch über das •wunderliche Verlangen, doch Keye, der Seneschall, über-
redet ihn , es geschehen zu lassen als einen Scherz, der ja doch keine
ernstlichen Folgen haben könne: „l»asst ihn auf den Plan! Wollt Ihr
zurück den Kopf, hier ist die Geisel dort der Topf,0 vergönnt es dem
Kind ihn umzutreiben, so lobt man es vor den Weihen. Er muss noch
manchen Stoss ertragen, noch manche Ruthe wird ihn schlagen, ich
sorg^ nicht um ihr Leben: man soH Hunde um Ebershaupt geben. ^ —
So macht sich denn wirklich Parcival mit seinem schlechten Rösslein,
ohne andere Waffen, als seine kindischen Jagdspeere, in seinem Thoren-
m
gewande auf, den rothen Ritter zu bestehen. Von einer Laube ') sieht
ihm Iwänet, von den Fenstern sehen ihm die Frauen und Ritter nach.
Nun hatten damals ein gewisser Herr Antanor und die Königin
Cunnewäre de Lalant, die Schwester von Orilus und Lähelin (die Paf-
civals Reichen so viel Abbruch thaten) ein seltsames Gelübde durch-
einander. Sie hatte geschworen. Niemanden ein holdseliges Lächeln zu
zeigen, bis sie den erblicke, der auf Erden den höchsten Preis erringe,
and An tonor .dagegen: nicht eher zu sprechen, als bisGunneware lachen
werde. Wie sie nun den schönen Knaben ausreiten sieht, da erlachte
ihr minniglicher Mund. Das macht* ihr den Rücken ungesund. Denn
Keye, der SeneschalP) fasste sie bei ihren krausen Haaren, wand ihre
') Wolfram wendet das bekannte Kinderspiel bildlich an, wo der Kreisel, aodi
Topf genannt, mit der Peitsche (Geissen umgetrieben wird. Vgl Rochhols
Allemannisclies Kinderspiel. 1857. S. 4l9.
^) Altane, Umgang am Hause, £ngl. lobby. Vgl. spater Wigalois.
^) Keye und Keie, der scheneschlanl (San-Marte Germ. II. 396), eine in ritter-
lichen Dichtungen (s. B. im Iwein des Hartmaan v. d Aoe and auch im
1S3
klaren Zöpfe sich um die Hatad und „spancte se äne tfirbänt;"^ ihrem
Rftcken ward kein Eid gestabt/) doch ward ein Stab so d*ran gehabt
bis sein Sausen ganz versohwang, tlass er Kleid und Haut durchdrang.
Dann sprach der Unkluge: '
152,
^iwerm werdem prfse
ist gegebn ein smaehiu letze:
ich pin sin vängec netze,
5. ich soln wider in inch smiden,
daz irs enpfindet uf den liden.
ez ist dem künge Artus
üf sinen hof unt in s!n hüs
so mauec werder man geriten»
10. durch den ir lachen hat vermiten,
und lachet nu durch einen man
der niht mit ritters fuore kan.**
Eine schmähliche Kost mnss ich Euch
reichen,
Dastf von Euch möge die Hohfahrt
weichen,
Und Ihr empfindet an Eurem Leibe
Wie mit Erfolg ich sie vertreibe.
Es ritten der Männer so viele werthe
Am Hofe des Königs ein und aus,
Und doch betrat noch Keiner das
Haus,
Dem Euer Mund nur ein Lächeln
bescherte.
Nun aber belacht ihr vermessen
Einen Knaben, von Thorheit besessen,^
Der nimmer gewonnen Ritterpreis,
Ja, der von Ritterschaft gar nichts
weiss! —
Geschieht im Zorn was allerhand, doch nie war' ihm vor dem
Reich ein Schlag zuerkannt worden auf diese Magd, die sehr beklagt
wurde. Nun, da auf Cunnewäre's Lachen auch Antonor zu sprechen
wagt, fahrt er zornig den „scheneschlant'* an, der aber auch ihm fiir
das erste Wort den Braten mürbe macht und mit den Fäusten hinter
die Ohren schlägt. Das Alles sah Parcival beim Ausreiten mit an, er
griff öfters zum Gabylot und hätte dem zuchtlosen Keye sicherlich einen
Schuss gesendet, wäre das Gedränge um die Königin nicht so gross
gewesen.
Noch harrt der rothe Ritter auf Antwort; Parcival sagt ihm, dass
N'iemand in Nantes mit ihm zu streiten Lust habe: ^Du aber gib mir
d^as Ross, auf dem Du sitzest und Deine Rüstung, denn Artus hat sie
rEair geschenkt, um darinnen Ritter zu werden.** — ^Ich glaube gar,
v-^rsetzt lächelnd der Ritter, Artus, der Dir so schnell hold geworden,
Y^^SLi Dir am Ende gar noch mein Leben geschenkt.'* Da der Knabe
wüschen Gast) vielitensniite Persönlichkeit. Wolfram lässt ihn spiler in mil-
derem Lichte erscheinen. Vgl. Sachse über den Ritter Kei. Berlin 1860.
*) «Itaben einen eit^ wird sowohl von dem gesa^, der dem Anderen dieEides-
fonnel vorsagt, als von dem, der sie nachspricht. Vgl. Wigalois. Wir legen
bei Doctor- Promotionen bekanntlich noch den Eid auf die Stäbe ab.
154
indesB zudringlicher wird und das Ross des Rothen beim Zftgel packt, ,
stösst er ihn sammt seinem Rösslein mit dem umgekehrten Lanzenschaft
zu Boden, &o dass dem Knappen das Blut ans der Haut dringt. Par-
cival jedoch springt zornig auf und wirft sein Gabylot so glöcklieh, das«
es zwischen Helm, Barbier und Härsenier') durch das Auge bis in den
Nacken drang und der treue Mann (der valscheit widersatz) todt hin-
fiel. Sein Fall machte mancher Frau nasse Augen. Parcival, in seiner
Tumbheit, kehrt ihn nach allen Seiten, um ihm die Rüstung abzuziehen,
weder Helraschnüre noch Schinnelier *) wusste er zu lösen oder abzu-
zwicken, so oft er es versuchte. Das Streitross und das Pferdelein er-
hüben so grosses Gewieher, dass es Iwänet, der vor der Stadt um
Grat)en stand, hörte und da er Niemand darauf sitzen sah, eilte er,
Parcival zu liebe, hinaus. Da fand er Ith6m todt, Parcival aber in
dummen Nöthen. ^Gott lohne Dir Dein Kommen, sagt Parcival, nun
rathe mir, was ich da thn*, ich komme ihm nicht bei, wie bring* icVs
ihm ab und an mich.** — ,^Das kann ich Dich wohl lehren," antwortet
der stolze Iwänet, entwaffnete den Todten und bekleidete damit den
Lebenden, der noch schwer an Thorheit trägt Umsonst bemerkt ihm
Iwanet, dass solche Bundschuhe nicht zu ritterlicher Kleidung passen,
aber Parcival weigert sich die Ribbalfn abzustreifen* was ihm seine
Mutter gab, soll nicht von ihm kommen. So zog er die lichten Eisen-
hosen darüber, Iwänet spannte ihm die goldenen Sporen an und strickte
ihm an das Schinnelier bevor er ihm den Halsberg bot. Nicht lange
währte es, so sah man den ungeduldigen Parcival von Fuss auf wohl
gewapent. Dazu will er seinen Köcher, doch begreift er, dass die
Gabylote nicht der Ritterschaft ziemen. Daför gürtete ihm Iwänet
ein scharfes Schwert um und lehrt ihm selbes zu ziehen; auch wider-
rieth er ihm je zu fliehen. Dann zog er des Todten Ross herbei,
das hohe lange Beine hatte und Parcival sprang, ohne die Stegereife
zu gebrauchen, in deü Sattel. Weiter lehrt ihm nun Iwänet, unter dem
Schilde sich künstlich zum Schaden des Feindes zu gebahren; er bot
') 155, 7: dd der heim uol dia barbier
sich locheten ob dem harsnier^
dorchz ouge in sneil dez gabyldl,
unt durch den nac . . .
Härsenier ist die das Haupt unmittelbar bedeckende Haube, auf welche dann
erst der Helm gesetzt wird, an ihr ward auch diu barbier befestigt^ die
unter dem Helm befindliche Bedeckung des Gesichtes (in welcher zwei Lö-
cher für die Augen ausgeschnitten sind — Mttller mhd. W.) Vgl. Part.
265, 27. 598, 1. W. Wh. 408, 6.
•
*) schinnelier, scinrtAlfer^ vom Ital. schiniere und dieses wieder vom deutschen
sdiin^ ein Band am Helme, besser aber der hintere Theil der Bewaffnung,
Rückstück eines Harnische^.
155
ihm den Spew, dessen Nstzeii ParoiYal gleiohfaHs erst erftihren oinsste.
So sass er endlich da, wie ihn kein Maler ron Köln oder von Mastricht
besser malen könnte.') Er dankt seinem Freunde, bittet das goldene
Gefäss dem König Artns znrüdcznbringen und za sagen, er wolle noch
rächen, dass seinetwegen eine Jungfrane geschlagen worden, und fährt
nun von dannen.
Iwftnet aber brach Blumen über den trefflichen Ither von Gaheviez,
stiess den Stiel eines Gabylotes in die Erde,') nachdem 'er zuvor durch
die Schneide in Kreuzesform ein Holz gedrückt, and machte dann in
der, Stadt die Kunde bekannt, darob manche Frau verzagte und man-
cher Ritter weinte. Allgemeiner Jammer erhob sich, man holte den
schönen Todten ein, die Königin selbst ritt ihm entgegen und Hess auch
das Heiligtham vortragen. Die ganze Tafelrunde klagt; königlich wird
er bestattet; sein Harnisch brachte ihn um's Leben. —
Das Pferd aber, das Parcival ritt, pflag solcher Sitte, dass es die
grösste Mühe nicht verdross, es gerieth nie in Seh weiss, ob es über
Felsen oder gestürzte Bäume (ronen) ging, wer zwei Tage darauf sass,
brauchte es nur um ein Loch enger zu gürten. Gewapent ritt es „der
tombe man" den Tag so weit, wie ^s ein Kluger nicht in zwei Tagen
ereilte; es ging meist im Galopp, selten im Trab.
Gegen Abend gewahrt er einen Thurm und bald mehrere, die ihm
allgemach wie er sich näherte dem Boden zu entwachsen scheinen, er
meinte, König Artus habe das gesäet, könnte doch meiner Mutter Volk
so bauen, ihre Saat gedieh nie so. Herr dieser fiurg ist Gnrnemanz
de Gräharz, den Parcival unter Weges bei einer Linde ganz alleine
sitzend findet Üebel gelang es dem ermüdeten Knappen den Schild zu
schwingen und ritterlich zu salntiren , dafür spricht er gleich,' wie seine
*) 158, 13:' als uns diu dventiure gieht,
von KölDe noch von Mdstrieht
kein schüttere entwürfe in baz
denn alser üfem orse saz.
Diese Stalle, deren Wichtigkeit ffir die Geschichte der Malerei bereits Pr.
Schlegel bekannte, beweist, dass eine Kölner Schule der Malerei Fast 200
Jahre vor van Eyck schon ganz allgemein berühmt war, so dass der Dichter
sie vorzugsweise als Beispiel nennen konnte und zvi^ar ein Dichter im süd-
lichen Deutschland, der also in ziemlich weiter Entfernung von jenen Städten
einheimisch und wohnhaft war. Es wäre jedoch nicht unwahrscheinlich, dass
Wolfram persönlich mit den dortigen Meistern bekannt geworden, denn
er hat, wie wir bei einer Stelle seiner Minnelieder bemerken, einen bewun-
demnffswürdigen Blick und ein wahres Genie für bildende Kunst, wie auch
der Plan zum Grallempel beweist, den wir unserem Dichter ganz vindiciren.
*) Niebt sowohl als ein „Marterl,^ d. h. ein Zeichen, dass hier ein Mensch eines
gäben Todes gestorben, sondern um die Stelle vorläufig zu bezeichnen, und
diss der Leichnam unberührt liegen bleibe, bis man ihn feierlich einboje.
15<
Mutter ihm geheissen, Rath za nehmen von dem der grane Locken hat;
daffir will ich Euch dankbar sein. Der Fürst warf einen Sperber von
der Hand, seine goldenen Schellen klangen, so schwang er sich als
Bote gleich in die Borg, von der viele Juncherren kamen, den Gast zn
empfangen nnd Gremach zu schaffen. Da ergibt sich neue Noth, nur
mit Mühe bringt man den Knaben da2n, vom Pferde zu steigen: ein
König habe ihn Ritter geheissen, entgegnet er, und was ihm auch
darauf geschehe, er gehe nicht herab. Als sie ihn dami in einer Ke-
menate entwappneten und die Ribbalin nnd das Thorengewand erblick*
ten, erschracken sie und melden es dem Ritter, der selbst hingeht und
ihm die Quetschungen und Wunden, die ihm die Rüstung verursacht,
verbindet; darauf ass Parcival mit grosser Lust und schlief die Nacht,
ohne sich umzuwenden. Am Morgen »teht ein Bad bereit ') und neue
prächtige Gewände, die ihm herrlich stehen, liegen auf seinem Bette.
Zuerst föhrt ihn der Wirth zur Messe und lehrt* ihn! , was zum
Heil der Seele dient: opfern, sich segnen und gegen den Teufel sich zu
bewahren; darauf erzählt Parcival beim Frühstück offenherzig Alles,
wie er von der Mutter zog, von Ring und Spange, wie er den Harnisch
gewann, den det* Ritter wohl kannte und tief darüber erseufzte. Dann
begann Gumemanz ernst und liebreich: „Ihr redet wie ein Kind; föhrt
die Mutter nicht immer. im Munde und haltet Euch an meinen Rath:
Legt nie die Scham von Euch , habt Erbarmen mit der Noth und seid
dem kummerhaften werthen Mann zur Hilfe bereit, denn so Einer ist
übler daran als die nach der Thüre gehen wo das Fenster steht Seid
bescheiden unter allen Verhaltnissen, das rechte Maass sei Euer Orden,
lasst allen Unfug, fragt nicht allzuviel, versagt aber nidit bedachte
Gegenrede, Ihr mögt hören und sehen, spähen und merken.
Paart Erbannung mit Kühnheit (vrävel); wer im Streite Euch Sicher-
heit bietet, die nehmt und lasst ihn leben. So oft ihr die Waffen ab-
legt, wascht Augen und Hände vom Rost des Eisens, so seid Ihr schönei.
Seid mannlich und wohlgemuth, das ist zu werthem Preise gut, haltet
die Frauen in Ehren, das theuert jungen Mann, gebt nie dem Wankel-
muth Euch hin: das ist rechter mannlicher Sinn, obwohl Ihr sie leicht
belügen könntet, was Euch aber kein Lob einbringt. Auf Strauchwegen
und Katersteig (ungeverte und hämit *) erblühen nur üble Händel ; ver-
') Die hübsche, ausführliche Schilderung 166, 25 — 167, HO. Einen lehrreichen
Commentar dazu gibt das Bild der Pariser HS. wo Herr Jacob von Warte
von vornehmen Fräuleins gebadet wird. Vgl. v. d. Hagen in den Abhaodl.
der Berliner Akademie. 1852. S. 825 und Tafel III.
^) hdroit eigentlich Umsjiunung, Behausoag.
JÄ7
wirkt Ihr die ncahre Minne, so habt Ihr immer Schmach und Pein.
Nehnit Euch auch das zu Herzen, was ich Euch von Weibes Orden
sagen will. Mann und Weib sind Eins, wie die Sonne und der Tag,
die man nicht scheiden kann, sie blühen aus einem Kern; das merket
Euch wohl.**
Parcival dankte verneigend. Von der Mutter sprach ,er nicht mehr,
hielt sie aber fest im Herzen. „Nun lernt aber auch Kunst und ritter-
liche Sitten! ich sah schon manche Wand, an der ein Schild besser
hing als Euch am Hals. Es ist noch Zeit, also in*s Feld! Bringt sein
Ross und mir das meine und jedem Ritter das seine, auch die Junker
sollen kommen, jeder mit einem starken Schaft.'' So ging es auf den
Plan hinaus , wo mit Reiten Kunst geschah , er lehrte seinen Gast
mittelst Sporen im Galop (walap) fliegen, auf den Gegner schwenken,
rechte den Schaft zu senken und den Schild zum Tjost vor sich zu
nehmen. Dann tjostirten sie und der ^jungelic** setzte einen starken
Ritter richtig hinter das Ross, und zielte so wadcer auf die vier Nägel
des Schildes, dass er der Reihe nach Fünfe niederstach und die Splitter
über das Feld flogen, und Gurnemanz, der an seinen Söhnen viel Leid
erfahren, in der Freude über diesen jugendlichen Helden sich ganz ver-
jungte und neu auflebte. Wie sie darauf Abends zu Tische gehen, wo
auch des Wirthes Töchterlein, die schöne Liäze erscheint, mahnt er
vorerst noch stichelnd den Gast, ihr. kein Fingerlein und Spange zu
nehmen; doch darf er sie küssen. Die Beiden sitzen vor dem Vatf^r
zusammen, mit ihren blanken Händen schnitt sie dem Gaste vor.
Vierzehn Tage blieb er noch hier, dann glaubt* er, dass, ehe er
in Franenarmen erwärmen dürfe, er sich zuerst in ritterlichen Thaten
l^ewähren müsse, so bittet er denn eines Morgens um Urlaub und Gur-
nemanz gewinnt, neuen Gram in*s Herz, da er nun in Parcival, den er
vielleicht gerne mit Liäze verbunden hätte, seinen vierten Sohn ver-
loren sieht Parcival aber, der das wohl merkt, verspricht wieder zu
l^ommen, wo ihm der Vater dann wohl die schöne Maid gewähren
"^rerde. —
IV. Die Unterweisung des alten Ritters Gurnemanz, welcher die
XLebren seiner Mutter erweitert, ergänzt und berichtigt hat, verursacht
^inen tiefen Eindruck auf den Jüngling; nun sind ihm die Angen plötz-
lich aufgethan , staunend und verwirrt findet er sich in . einer neuen,
* xinbekannten Welt. Gedanken, die bis dahin schliefen, regen unruhvoll
3ein Herz auf; es ist ein neuer Lebensabschnitt ftlr ihn eingetreten
168
179, ,
18. im war diu wite zenge,
und oucti diu breite gar ze smal :
elliu grüene in dühte val,
sin röt harnasch in dühte blanc
Ihm war die Weite zu eoge,
Und auph die Breite gar zu schmal,
Al)e Grüne däucht ihm fahl,
Sein rother Harnisch däucht ihm
weiss.
So täuschte sein Herz die Augen, seit er der Einfalt ledig ward
(Sit er tumpheit äne wart) ; die Gahmurets-Art Jiess ihm nicht die (Je-
danken nach der schönen Liäze,' die ihm „gesellecliche" P^hre sonder
Minne geboten. Er liess sein Ross nach Belieben laufen auf den unge-
bahnten Waldwegen, doch ritt er wenig irre, sondern gelangte durch
wilde Gebirge in das Königreich Br6barz da schon der Tag zum Abend
bog. An einem lustigen Wasser herniederreitend kam er an die Stadt
Pelrapeire, die König Tarapenteire an sein Kind vererbt hatte. Wie
ein wohlbeviderter und geschnittener Bolz von der Armbrust, so schoss
das Wasser dahin, über das eine schaukelnde Brücke führte. An dreissig
Ritter standen drüben, die unseren Parcival für ClämidS hielten und um
Kampf anriefen, sich aber schnell von dannen machten, als Parcival
übersetzte. Er pocht an einer Pforte und rief, bis eine Jungfrau am
Fenster erschien , ihn der Königin meldete 4ind dann einliess. . In den
Strassen stand viel Volk, alle bewehrt. Schleuderer (slingaere) und
Edelknechte (patelierre), ') viel scharfe Schützen (arger schützen harte
yil), auch sah er kühne Kriegsknechte ^) mit langen starken Lanzen,
auch fand sich mancher Kaufmann mit Beilen (haschen ') und Gaby-
loten. Der Marschalc bricht ihm Bahn auf den Hof, der wohl gerüstet
war: Thürme über Kemenaten, Kriegs- und Schut^häuser (perfrit^) und
Erker waren so viele da, wie Pardval nie geschaut. Allenthalben er-
schienen zu Fuss und zu Ross Ritter, die ihn begrüssen, aber jänmer-
lich aussahen, aschenfärbig und fahl wie Leim. «Mein .Herr, der Graf
von Wertheim,*) fügt Wolfram bei, wäre da ungern in Dienst
(soldier) gewesen. Der Mangel (zadel) fügte ihnen Hangers Pein, sie
') Patelier, patelirre vgl. bechelier und watschelier, Edelknappe, junger Ritter;
SimrocK gibt das mit Schiff^soldaten. Baccalaria ist im Provenz. ein kleines
Gütchen, das seinen Besilzer nur nolbdttrflig ernihrl, so dass er durch ao-
deren Dienst noch für sich sorgen muss.
*) Sarjande (nach Benecke von servientes abzuleiten, mit dem Französ. sergenl
verwandt), ihre eigentliche Bewaffnung ist hier die Lanze; im Wigalois
tragen sie auch gabylot und atiger, buggeler, swert und bogen.
') hdsche, hftsche, Hacke, Beil. .
**) wIchhQs, Krieffshaus, perfrit, vgl. bercvrit, bfirc-vrit, beflfh)y, ein befiBstigter
Thurm, zuweilen auch mit einer Glocke versehen. Vgl Wigalois, 10978.
») Vgl. oben S. 1 18 IT.
159
hatten weder Rftse, Fleuch noch Brod und Hessen das Zfthnenstfli^n
(zenstöreD) und schmatzten auch keinen Wein mit ihrem Mnnde wenn
sie tranken, der Wanst (wambe) war ihnen niedergesunken, ihre Hüften
hoch und mager, eingeschrumpft wie ungarisch Leder lag ihnen die
Haut um die Rippen, der Hunger hatt* ihnen das Fleisch benommen.
Dazu zwang sie der werthe KOnig Brandigän, weil Clämidd vergeblich
geworben. Aus Zuber und Kanne goss sich selten der Meth und keine
Truhendinger Pfanne hörte man von Krapfen erschreieii. ') Doch, fährt
der. Dichter humoristisch über seine eigene Annuth fort, darf ich ihnen
das nicht verdenken ohne „harte kranken sin^ zu verrathen:
184,
29. wan da ich dicke bin erbeizet
und da man mich herre heizet,
185,
da heime in min selbes hds, '}
da wirt gefreut vil selten müs.
wan diu müese ir spise stein :
die dörfte niemen vor mir heln :
•
5. ine vinde ir offenltche niht.
alze dicke daz geschiht
mir Wolfram von Eschenbach:
daz ich dulte alsolch gemach.
Denn wo ich oft bin eingekehrt,
Und wo man mich als Herren ehrt,
Daheim in meinem ^ignen Haus
Freut auch sich selten eine Maus«
Die Maus muss ihre Speise stehlen ;
Die braucht man nicht vor mir zu
hehlen.
Ich finde keine offen.
Zu oft hat das betroffen
Mich Wolfram von Eschenbach,
Zu erdulden solch Gemach.
Die Ritter schämen sich desshalb beinahe den edlen Gast zu em-
pfangen, der, nachdem er sich an einem Brunnen gesäubert^ nur um
so herrlicher strahlte. Man breitete ihm Teppiche unter eine schattige
Zjinde und bot ihm schöne Gewände, dann laden sie ihn zur Köpigin
Condwir ämürs, die ihm der Sitte gemäss den rothen Mund zum
K^usae bietet. Sie sitzen zusammen, aber ParcivaV schweigt. In seines
Herzens tiefem Grunde regen sich schwere Gedanken; wie er früher zu
Nantes in jedem Ritter einen Artus wähnte, so sinnt er nun nach, wie
^es werthen Gamemanz Kind hie und dort zugleich sein könne (Liäze
i.st dort, Liäze ist hie). Doch war Liäzens Schöne nur ein Wind in
Vergleich mit der die hie sass, an welcher Gott keinen Wunsch vergass.
>ie glich der thauigen Rose, die aus ihrem Bälgelein CKnospe) weiss
') 1S4, 24: „ein TrUhendinffer phanne mit krsphen selten dd ersihrei: in was
der selbe dön enswei.^ Vgl. oben S. 121. HobentruheodiDgen war ein im
Mfirkgrafentlium Anapach gelegenes Bergschloss und Amt, das früher eine
GrafschafI war nod nach dem Tode der Brüder Otto und Konrad theils an
die Barggrafen vou Nürnberg, theils 1366 an das Kloster Lanckheim gelangte.
*) das h6m ist neift die ganze Burff mit allen ihren einzelnen Gebunden und
HöCeo, alias was innerliaH) der Ringinaaer liegt. Vgl* Ben ecke Wigalois.
S. 628. ^
m
und roth bricht« Das fügte dem Gaste grosse Noth, deoa seiae Zneht
war nianulich seit Guri^emanz ihn von der Einfalt schied und alles an*-
nöthige Fragen widerrieth — so sitzt sein Mund nun ohne WorU Die
-Königin, die nicht weiss , wie sie das Schweigen zu deuten, beginnt die
Rede und erfahrt mit Freuden, dass der, Ritter von ihrem Verwandten
komme, denn Gumemanz* Schwester war ihre Mutter. Sie bittet Parcival
in Greduld hier vorlieb zu nehmen. Ihre Oheime, Kydt und Manphiljöt,
die nach Schoisianei^ Tod sich des Schwerts begeben haben und als
Einsiedler befriedet im Gebirge wohnen; senden ihr einige Lebensmittal,
mit denen das schwache Volk gelabt wird. Pairdval geht zu Bette, sein
Lager ist ganz königlich bereitet und die ganze Nacht über brennen
davor bessere Kerzen als von Schaub. ^ In der Nacht aber schleicht
sich die Königin, nicht von Minne, welche die Maid zum Weib macht,
sondern von Kummer und Noth getrieben, im weissseidenen Nachtge-
wände/ einen fothsammtenen Mantel umgeschlagen, nach Parcivals Ke-
menate, kniet auf dem Teppich vor ihm nieder und bittet unter Thränen
um seinen Beistand. Parcival verweist ihr vor ihm zu knien, er bietet
ihr sein Lager und will selbst anderswo Ruhe suchen, da setzt sie sich
mit dem Beding , mit ihr nicht zu ringen Qsie nicht zu berühren) , bei
ihm nieder; den Frieden versprach er, und so schmiegt sie sich an
sein Bette.
War es nun gleichwohl schon spätem so krähte doch kein Hahn,
denn die Hahnenbalken (hanbonme) standen lauge schon leer, weil der
Mangel die Hühner herabgeschossen. ^^Sag* ich Euch meine Klage,
beginnt die Frau, so fUrchte ich, sie wendet Euch den Schlaf. Mir hat
der König Clämide und sein Seneschal Kingrnn Burgen und Land verr
wüstet bis gen Pelrapeire. Mein Vater Tampenteire starb und Hess mich
als arme Waise zurück in grosser Noth (in vorhteclichen vreisen).
Magen, Fürsten und Mannen starben mir in der Wehr zuni g^össten
Theil. Wann mag ich Aermste froh werden? Ich bin so weit gekommen,
dass ich mich selbst tödten will, ehe ich mein Magetum gebe und Qa-
mides Weib werde, denn seine Hand erschlug mir Schenteflflm, dessen
Herze hohen ritterlichen Preis trug, der Mannes Schöne ein blühend
Reis, den Bruder Liäzens.^ Liazens Name macht dem dienstbereiten
Parcival neuen Kummer. Sein hoher Muth sank ihm (sin höher muot
kom in ein tal) und seine Minne zu Liäzen berieth ihn so: ^Fraue,
kann Euch Etwas trösten?^ -^ ^Ja Herre, wenn ich von Kingrdn er-
löst würde; er fällte mir im Tjost viele Ritter, und kommt morgen
') seboup, Strohwische, gewundenes $lrob, dts uim Brenoen 'bestimml ist^ Ssn-
Marte überseUt „FirhteDSfOIhBe.'^ Vgl. auch Koarad von WirÜMirg. Euffel-
bart V, 4781, ^
161
wieder; er wähnt, sein Herr müsse in meinem Arme liegen; aber lieber
spränge ich von meinem hohen Palas nieder in den Graben.^ Da ver-
spricht • Parcival , es mit Kingrün, er sei ein J^Vanzose oder Bretone
(Franzoys oder Bertün) anfzanehmen und getrost, ohne dass es Jemand
gewahr wird, schlich sie wieder zurück.
Als der Sonnen Glast durch .die Wolken drang , klangen die Kir-
chenglocken und das Volk ging zum Münster, wo der Königin Kapellan
ihr und dem Gaste den Grottesdienst sang. Nach dem Segen waffnet
sich Parcival und begegnet bald dem feindlichen Heere, dem Kingrün
voransflog. Dieser und der Sohn des König Gahmuret nahmen einen
solchen Anlauf (poinder) , dass beider Rosse von dem Tjost gürtellos
wurden, die Darmgürtel brachen und die Pferde in die Hachsen') sassen.
Dem Senneschall war, als ob ein Schleuderwerkzeug (pfeteraere) mit
Würfen über ihn käme ; sechse hatte er früher abgeworfen und nun kam
Parcival mit seiner ^ellenthaften hant^ über ihn. Sie griffen zu den
Schwertern, schon trug Kingrün in Arm und Brust Wunden, da erklang
ihm ein Schlag durch den Helm, Parcival zwang ihn nieder, setzte ihm
an die Brust das Knie und bot zum ersten Male Sicherheit, wenn der
Senneschall an Artus Hof zu der Jungfrau sich begebe, die bei seinem
Ausritt geschlagen worden war.
Die junge Königin empfängt den heimkehrenden Sieger, der heute
zum ersten Male Schwerterstreit so tapfer geübt, mit Jubel umarmt sie
ihn und drückt ihn fest an den Leib mit der Betheuerung, keines An-
deren Weib j^nals werden zu wollen. Auch die Bürger sind ihm hold
«od bereit Treue zu schwören. Gleichzeitig ersah man vom Thurme
zwei braune Segel , deren Kiele wohl mit Speise beladen waren , was
einen freudigen Aufruhr erregt. Parcival bezahlt die Ladung doppelt
ond den Burgern träufelte es nun auch wieder in die Kohlen. „Nun
wäi* ich auch gern Söldner hier,^ sagt der Dichter. Niemand trank
mehr Bier (hier), sie hatten vollauf Wein und Speise, doch' gab Parcival
iv-ohl acht, dass ihre speiseentwöhnten Mägen nicht in Ueberfiille cüber-
kjrüpfe) genossen. Darauf jiielt er mit der Königin das Beilager, doch
unschuldig waren die Beiden, dass er, den mau den rothen Ritter
sss, der Königin ihr Mfigdthum liess, sie aber am Morgen ihr Haar
^£ix;h Frauensitte hinaufband;') Burgen und Land legte die jungfräuliche
* J 197, 8: „ietweder ors üf hähseo saz;^ hahse, die Hachse, bei uns noch in
dem volksihQmlicheir ,,Haxen ^
^ ) 202, 25: Jr boubet bant."^ Es war Sitte, dass die junge Frau, die als Braut
noch das langfliessende Haar getragen hatte, am Morien nach der Braut-
Dacht ihre Haartracht änderte; sie schürzte das lose Haar zusammen und
legte die Frauenbinde um die Stirne, sie „band ihr Haupt^ war der Ausdruck
11
162
Braut (magetbaeria brüt) ihrem Herzenstraat in die Hand. Zwei Tage
waren sie so in anschuldiger Liebe glücklich, erst in der dritten Na^ht,
nachdem Parcival öfter das Umfahen, von dem ihm seine Matter und
Gumemanz gesprochen, bedacht,, dass Mann und Weib untrennbar
wären, umfingen sie sich zärtlich und ^in war wol und niht ze we.*
Nur Clämide tobt draussen im Schmerz der Verzweiflung, wie er einen
Anderen, nach seiner Meinung gar den {ther von Kükunerlant (dessen
Rüstung Parcival trug) im Besitz des geliebten Weibes weiss, so fordert
er den glücklichen Nebenbuhler zum Zweikampf und verspricht mit
seinem Heere abzuziehen, wenn er hier unterliegen sollte. Er muss
auch wirklich nach vergeblicher Wehr, und obwohl bisher ungewohnt
zu Flehen, um Sicherheit bitten und von Parcivals mildem Sinne das
Leben um Knechtschaft bei Cunnewäre nehmen, ,da er, wie sein Senne-
schal nicht zu Gurnemanz gehen will, denn auch er hatte einen seiner
Söhne erschlagen. Die von der Tafelrunde aber waren mit König Artus
zu Dianazdrün versammelt um den „pfinxtac*^ zu begehen; da gab es
mehr Zeltstangen als Bäume im Spessart (Spehteshart); ein ganzes Heer
von Frauen lag unter den Reiselachen, denn jede Frau glaubte, sie ver-
liere den Preis, wenn sie nicht ihren „ämis^ bei sich hätte. Ich brächte,
fugt der Dichter bei, meine Frau ungeme in so grosses Gedränge
(216, 28). Hier hatte die Ankunft des Senneschal, noch mehr die des
berühmten Clämide, grosse üeberraschung erregt.
ZuPelrapeire ward das verwüstete Land, das nun Parcival regierte,
neu bestellt, Freude und Schall erhob sich; sein Schwäher Tampenteire
Hess ihm lichtes Gesteine und rothes Gold, das vertheilte er; mit vielei
Bannern und neuen Schilden ward das Land geziert und fleissig Ritter-
spiel getrieben. Die junge, süsse werthe Königin aber hatte, was ihr
Herz wünschte, ihre Minne blühte ohne allen Wank, sie hatte seinen
Werth erkannt und er war ihr so lieb, wie sie ihm. Da bat eines
Morgens der Werthe um Urlaub, um zu schauen, wie es um seine Mutter
stehe, vielleicht treffe er unterwegs auch manches Abenteuer, seiner
Holden zur Ehre. Er war ihr zu lieb, um ihm etwas zu versagen, so
schied er von allen seinen Mannen. Wir lassen ihn nun reiten und wer
es gut mit ihm meint, der wünscht ihm Heil, denn er geht hoI;Ler Pein,
vielleicht auch Freude und Ehre entgegen.
dafür. — Statt der Mor^enfabe jedoch, die der Mann der Braut xu ffebe^^
häUe, legi hier sie, die Königin, Burgen und Lande ihrem Gatten m di-^^
Hand. - Merkwürdig ist, dass Wolfram hier die kirchlidhe. Einaegnun^^^
wahrseheinlich weil selbstverständlich, nicht erwähnt.
168
V. Parchral ritt an dem Tage so weit, wie kanm ein Vogel er«-
ffi^n mag, mid kam Abends an einen See, wo ein Waidmann geankert
liatte, den^ der See gehörte. Parcival wendet sich an den Fischer, der
lierrlieh gekleidet war und einen Pfauenhut trug, mit der Frage nach
einer Herberte, der aber erwiedert, dass er im Umkreis von dreissig
Heilen nnr e^n Haus wisse, das er aber gut empfehlen könne: „kommt
Tbr glücklich ohne Irre hin, so bin ich selbst Euer Wirth.^ Parcival
folgt den bezeichneten Wegen und gelangt an die Burg, die wie ge-
drechselt sich erhob, so dass dem Feinde nur der Weg durch die Luft
bleibt, kämen alle Völker der Welt, sie könnten ihr in dreissig Jahren
kein Brod abnehmen. Ein Knappe ruft ihn am Graben an und lässt
erst auf die Antwort, dass ihn der Fischer hergewiesen, die Zugbrücke
nieder, und Parcival ritt in einen weiten Hof, wo das hohe Gras nicht
niedergetreten war und deutlich zeigte, dass das fröhliche Spiel 4^8
Buhurdiren und Bannerreitens, wie auf dem Anger zu Abenberg, 0
seit langer Zeit nicht stattgefunden. Die Ritter empfingen ihn und kleine
JnnchSrrefin^ sprangen in Masse herbei, nahmen den Zaum, hielten den
Stegreif, und halfen ihm herab, die Ritter führten ihn in sein Gemach,
wo er mit Zucht entwapent ward; er wusch sich und sah aus roiimig-
lich wie der Tag; einen Mantel von arabischen Pfeilen, den die Königin
Repanse de schoye getragen, legte man ihm um. In dem Palas, wohin
sie gingen, hingen hundert Kronen mit Kerzen hernieder, auch brannten
kleine Kerzen an der Wand. Hundert Betten mit Polstern (kulter)
standen da, auf denen je vier Gesellen niedersassen , schöne Teppiche
lagen davor. Drei viereckige Feuerrahmen waren von Marmor gemauert,
darauf Aloeholz brannte; wer hat je so grosse Feuer hie zu Wilden-
berg*) gesehen? An das mittlere setzte sich auf ein Spannbette der
traarige Wirth, er und die Freude schienen in Fehde gekommen zu sein:
Der Jammerreiche, der seiner Siechheit wegen grosse Feuer und warme
K.leider nöthig hatte, liess Parcival an seine Seite sitzen; Zobel und
I^elze trug er unter dem Mantel, von denen der geringste Balg noch
stbar war, auf dem Haupte trug er eine theuere Mütze mit arabischen
orten und einem Rubinknöpflein.
Als die Ritter sassen, sprang ein Knappe zur Thüre herein mit
iner von Bhite tropfenden Lanze (glavie)^ deren Anblick im ganzen
Weinen und Klagen brachte; er trug den Speer an den vier
"^Wänden umher und sprang dann zu derselben Thüre wieder hinaus.
13arattf öffnete sich am Ende des Saales eine stählerne Thür und es
*) 327, 7 fr. Vgl oben S. 120.
*) 230, 12. Vgl. oben 8. 122.
164
erschienen zuerst zwei liebliche Jungfrauen, blumenbekränzt, die goldene
Leuchter (l^erzstal) mit brennenden Lichtem brachten, das war die
Gräfin von Tenabroc und ihr Gespiel, jede trug einen braun scharla-
chenen Rock, der mit zwei Gürteln schön geschürzt war. Nach ihnen
kam eine Herzogin und ihr Gespiel, die zwei Stollen 0 ^on Helfenbein
brachten und unter Verbeugungen vor den Wirth setzten. Darauf kamen
wieder acht andere, von denen die eine Hälfte grosse Kerzen, die andere
eine kostbare Tischplatte aus edel Gestein trugen, diese hatten gras-
grüne Röcke von Sammt aus Azagouc, wieder Andere trugen auf Hand-
tüchern zwei Messer,') die obwohl von Silber, doch Stahl durchschnitten
hätten , vier Kinder Jeuchteten ihnen vor. Darauf nahten sich andere,
in fremdländische Stoffe gekleidete Frauen . und endlich erschien die
Königin Bepanse de schoye, die auf einem grünen Achmardi (arabischen
Seidenzeug) den Wunsch des Paradieses trug; ^daz was ein dinc, daz
hiez der Gral," der alle Erdenwünsche zu ^enden vermag. Vor ihm
trug man sechs lange Gläser mit brennendem Balsam; dann neigten
sich Alle, sie setzte das Gefäss vor den Wirth und stellte sich in die
Mitte ihrer Gespielen, so dass sie zu jeder Seite deren zwölfe hatte.
Nun trat zu je vier Rittern immer ein Kämmerer init einem gol-
denen Becken und einem Junker, der eine weisse Twehle (Handtuch)
trug, hundert Tafeln brachte man herein und setzte je eine, vor der
werthen Ritter vier, weisse Tischlachen kamen darauf. Als der Wirth
Wasser nahm, wusch sich auch Parcival, knieend hielt ihnen ein Grafen-
söhn das seidene Handtuch. Zwei Knappen schnitten knieend vor, zwei
Andere trugen Trank und Speise dar, Auch zog man vier Wagen (kar-
räschen) mit goldenen G^fassen herum, hinter jedem ging ein Schafiher
(schriber, Tafelaufseher) nach, der auf Alles gehörig acht hatte. Hundert
Knappen nahmen sittsam von dem Grale das Brod in weisse Tücher
und vertheilten dasselbe an den Tafeln. Vor dem Grale aber stand
augenblicklich bereit was Einer nur wollte, ob kalte oder warme Speise,
Wild oder Zahm, denn er gab Alles nach Wunsch in Fülle. In kleinen
Goldgefässen fand sich Salz, Pfeffer und Agrass,') der Genügsame wie
*) „stölleltn"^ V. Stolle, Stütze, Fuss, Gestell.
') Scharfsinnige Exegeten wollen hierin eine Anspielung auf Wolframs Wappen
finden, weil die oberpfalzischen Eschenbache zwei Scheermesser in ibreai
Schilde führen (obwohl unser Putrich von Reichertshausen eines Topfes er-
wähnt); dagegen wire ungesuchter die einfache Sitte des Mittelalters im Auge
zu behalten, wo selbst bei den grössten Tafeln Messer und Gabeln immer
zu den Seltenheiten gehörten. Doch ist der Gebrauch dieser Messer in der
Folge ganz deutlich angegeben. Vgl. 490, 20 ff . .
') ^agraz"^ Stachelbeersaft oder sonst eine Art sauerer BrOhe, vom mitlellateiD.
165
der Fresser fanden genug. Morass, Wein und rothen Sinopel — wonach
den Napf jeglicher bot, das konnte er trinken. So wurde von dem Gral
die Gesellschaft bewirthet. Obwohl Paroival den Reichthum (die richeit)
und das grosse Wunder sieht, so wagt er doch keine Frage, um nicht
gegen die Zuöht zu Verstössen, denn treulich rieth mir Gumemanz
(bedenkt er bei sich) ich sollte nicht nach Allem fragen; man wird
mich wohl noch bescheiden und dann höre ich ohne Frage, wie es um
diese Leute (massenie) steht. Während er sich noch bedenkt, ward
dem Wirthe ein Schwert gebracht, dessen Scheide (pale) tausend Mark
werth sein mochte, der Griff (gehilze) daran war ein Rubin und die
Klinge versprach grosse Wunder. Das schenkte der Wirth seinem Gaste
und sprach: „Herre! ich brauchte dieses früher, bevor mich Gott so
schwer am Leibe verletzt hat, oftmals, nun mög* es Euch ersetzen,
wenn Ihr hier nicht wohl gepflegt sein solltet. Habt Ihr einmal seine
Art erprobt, so führt Ihr es sicherlich immerdar in jedem Streite.^
Weh! dass er auch da keine Frage that, denn als er das Schwert
empfing, ward es ihm doch nahe gelegt zu ft'agen. Auch jammert mich
der süsse Wirth, der seines Ungemaches nicht verliert — durch eine
Frage wäriB ihm Rath und Hilfe geworden! Nun war die Mahlzeit zu
Ende, die*s anging trugen das Gerüste wieder fort, man belud die vier
Wagen, jedes Fräulein that wieder ihren Dienst, erst die letzten, dann
die ersten. Vor dem Wirthe und Parcival neigte sich die Königin und
alle die Jungfrauen und trugen zur Thüre hinaus, was sie hereinge-
bracht. Parcival blickte ihnen nach und ersah gerade noch durch eine
Thüre den allerschönsten alten Mann auf einem Spannbette , wie er
noch keinen gesehen hatte. Wer der war, mit dem Wirth, der Burg
und dem Land, mach* ich eiii andermal Euch bekannt.')
agresta, Trauben- und Obstsyrup, der unseren heuligen Senf repräsentirt. -
möraz, mörz, Maulbeerwein. — Sinopel, Wein von Sinope.
*) Wer der selbe waere, des Freischet her nÄch raaere. dar zuo der wirf, sin
burc, sin lant, diu werden! iu von mir genant, her ndch so des wirdet zlt,
bescheidenllchen , dne strlt unde an allez Für zogen, ich sage die senewen
äne bogen, diu senewe ist ein bispel. nu dunket iuch der böge snel: doch
ist sneller daz diu senewe jaget, ob ich iu rehte hin gesaget, diu senewe
ffelichet maeren sieht: diu dunkent euch die liute reht. swer iu sa^et von
der krfimbe, der wil iuch leiten ümbe. swer den bogen gespannen siht, der
senewen er der siehte gibt, man welle si zer hinge erdenen s6 si den schuz
muoz menen. swer aber dem sin maere schiuzet, des in durch not verdriu-
zet: wap daz hdl dd ninder slat, nnd vil gerümecllchen pfat, zeinem ören
In, zem andern Für. min arbeit ich gar verlür, op den min maere drunge:
ich sagte oder sunge, daz ez noch paz vernaeme ein hoc odr ein ulmiger
stoc. d42, 1-30.
166
Lasst nur bescheidentlich ohne Streit
Der, Sag* ihren Lanf, und gönnt mir Zeit.
Denn als ein Gleichniss für mein Erzählen
Mass ich die Sehne am Bogen wählen.
Dünkt schnell der Bogen Ench, schneller bleibt
Doch, was die Sehne des Bogens treibt.
Die Sehne gleicht den schlichten Sagen,
Die graden Weges zum Schluss Euch tragen,
Und die sind eben rechten Gresellen
Die den Kopf* nicht gern an Gedanken zerschellen.
Doch führt Euch der Sänger halb um im Kreis —
Was mag er wollen damit, wer weiss?
Soll der Bogen den Pfeil zum Ziele jagen
Zum hohen, so müssen die graden Sehnen
, Sich angespannt zum Winkel dehnen.
So soll auch der Dichter singen und sagen
Um Euch wie den Pfeil zum Ziele zu tragen.
Wen solche Biegung will verdriessen
Der will mit gerader Sehne schiessen.
Und möchte mich einer zu sich laden,
Dass auf gemächlichen, graden Pfaden —
Zu dem Ohr hinein, zum andern hinaus —
Der Sag* er folge — er lass mich zu Hans;
Denn bei ihm niuss Kunst und Arbeit misslingen.
Was ich auch sagen mag und singen.
Es würde besser ein Bock
Oder ein Ulmenstock
Meines Liedes Sinn durchdringen!
Parcival bot dem Wirth gute Nacht und wurde von einem Theil
der Ritter zu seinem Bette geleitet^ das gar' prächtig mit Pfeilen und
Teppichen belegt und von brennenden Kerzen erleuchtet war. Jung-
herren eutschuhten ihm die Beine und zogen ihm hilfreich das Gewand
ab und Parcival sprang schnell in die Decklachen, als vier klare Jung-
frauen, deren jeder ein Knappe vorlenchtete , erschienen, die ihm
Morass, Wein und Lautertrank und in einer Serviette schönes Obst
wie aus dem Paradiese, knieend anboten. Parcival trank und ass noch
ein wenig und plauderte mit ihnen, die ihn gar gerne ansahen, dann
gingen sie, die Jungherrlein setzten die Kerzen auf den Teppich und
hüben sich hinweg, da sie ihn schlafen sahen.
167
Wie seine Müitter in jener Nacht vor sie Gahinurets Tod hörte,
von bösen Träomen gequält war, so hat auch Parcival quälende (Je-
sichte, von Schwertschlägen und Lapzenstichen, so dass er angstvoll
Adern und Gebein voll Schweiss^ erwachte, als der Tag gerade durch
die Fenster sah. Da sich aber die Kinde noch nicht fanden, ihm das
Gewand zu reichen, so schlief er wieder ein bis in den hellen Morgen.
Nun sah er seine Waffen und die beiden Schwerter, das seine und das
t Greschenk des Wurthes vor sich liegen, sprang verwundert auf, waffneffc
sich selbst, weil ihm Niemand half, und ging hinaus, wo sein Ross mit
Schild und Speer schon angebunden stand. Aber das ganze Schloss ist
leer, er mag rufen wie er will , Niemand naht , nur im Grase sieht er
Sporen, dass Alles heute schon ausgefahren sein müsse. Die Pforte ist
auf und viele Stapfen gehen hinaus, die Brücke war hinabgelassen, da
ritt er hinüber. Ein verborgener Knappe aber zog schi^ell das Seil der
Schlagbrücke, dass fast sein Ross zu Fall gekommen wäre. Und wie
Parcival sich wandte, um zu fragen, kam ihm die zornige Rede des
Knappen zu: ^Ihr seid eine Gans! hättet Ihr den Mund gerührt') und
den Wirth befragt! nun bleibt Euch grosser Preis versagt!" Parcival
schrie um weitere Erklärung, der Knappe aber, recht als schlief er im
Gehen, schlug die Pforte zu. Zu frühe scAied er hinweg, der schweren
Z\ns geben muss von Freuden, die ihm nun ferne bleiben. Die bitteren
Sorgen sind gedoppelt, da er den Gral fand, mit seinen Augen, ohne
Hand und ohne Würfel (äne würfeis ecke). Parcival dachte, sie wären
heute frühe zu Streit ausgeritten, und beschloss den Hufspuren zu folgen,
die sich aber bald zu seinem Leide verloren. Darauf hört er eine
klagende Frauenstimme. Sie kam von einer Frau, die auf einer Linde
sass ') und einen todten, gebalsamten Ritter in ihren Armen hatte. Es
') 247, 28: ^möht ir geröeret hdn den flaiis^ — flans = Maul, Schnurre; noch
in dem mundarilkhen Verbum fJennen mit der neueren Bedeutung, den
Mund zum Lachen oder Weinea verziehen, erhalten.
^) Das Mittelalter liebte die Sitte, in den Gipfeln von grossen Bäumen, insbe-
sondere der Linden und Eichen, Gerüste mit Gelänpern zur Aussicht in die
Weite und eine Art Sommerhäuschen zu bauen, auf denen man sich ver-
gnügte, schmauste, trank und von denen herab häufig auch Prediger zum
Volke sprachen, z. B. jener berühmte Bruder Berthou) vergl. J. Grimm
Wiener Jahrb. d. Lit. 1825. B. 32. S. 203. König Marks , wie er Tristan
und Isolde belauscht, sjtzt auf so einer Linde über dem Brunnen. So ist
■ach dastr)>af der Linde sitzen^ Sigunens gemeint, wobei noch in Betracht
komnrit, dass dieser Baum der Liebe besoaaers heilig ffalt. Vffl. Wolf Bei-
träge. L 168 (T. — Die Sitte wurzelte wahrscheinlich im alten Göttercult,
der ja am liebsten seine Bilder auch in die Bäume setzte. — - Vgl- Per na u
Hundert und Eins. S. 47. Burg holz er (Beschreib, v München 1796. S. 433)
sah noch im englischen Garten solche kleine Sommerhäuschen auf Baum-
stämmen und der so^ ^chinesische Thurm^ ist nur eine ganz in's Moderne
und Grossartige getriebene Uebersetzung des alten Brauches. Ebenso waren
168
ist wieder seine Muhme Sigune, die es erst nicht glauben will, als
Parcival erzählt, er habe auf einer nahen Burg übernachtet, denn hier,
im Umfange von dreissig Meilen wurde je weder Holz noch Stein zu
einem Hause verschnitten; nur eine Burg steht darinnen, die reich an
allen Ueberflüssen der Erde, die aber Keiner finden kann, wenn
er ausgeht sie zu suchen; nur unwissend kann man ihr nahen;
Munsalvaesche ist sie genannt und Terre de Salvaesche ') heisst
das „royäm" darin sie liegt, das der alte Tyturel seinem Sohne Frimutel
vererbte ; dieser hinterliess vier Kinder, die wohl reiche Habe aber auch
Elend genug besitzen, einer davon habe jedoch um Gott die Armuth
gewählt, der heisst Trevrizent; sein Bruder Anfortas kann weder
reiten, noch liegen oder stehen, der ist auf Munsalvaesche Wirth; wäret
Ihr, fährt Sigune fort, dahin gekommen, so wäre ihm vielleicht Rath
geworden. Und wie nun Parcival grosse Wunder gesehen zu haben
bejaht, und sie ihn an der Stimme wieder erkennt, bricht die Arme in
Freuden aus: „Sahst Du den Gral? und den Wirth den Freudenleeren?
lass hören liebe Märe, ist sein Jammer gestillt. Du bist der glücklichste
Mann von der Welt. '^ Parcival ist erstaunt, sie so verändert zu finden
und rathet ihr den Todten begraben zu lassen, da gewahrt sie das
köstliche Schwert, welches %t mit sich föhrt und das ihres Ritters ist:
„Trebuchetes, ein Schmied von edlem Geschlecht, hat es geworkt, es
hat die Gabe, dass es, wenn auch noch so zerschlagen, in dem Brunnen
Lac bei Karnant wieder ganz wird; doch bedarf das Schwert ^wol
Segens wort^ ') und das furchte ich, hast Du dort gelassen ; hat es aber
Dein Mund gelernt, so wächst und kernt immer der Salden Kraft an
Dir, so wird die Krone des Heiles Dein eigen. Du hast den Wunsch
auf Erden! Hast Du der Frage ihr Recht gethan?'' Wie nun
Parcival antwortet, dass er nichts gefragt habe, da bricht sie in Janmier
aus: „Ihr sähet doch die Wunder, sähet den Gral, die schönen Frauen,
sähet die Königin, das schneidende Silber, den blutigen Speer! O weh!
was kommt Ihr zu mir, unseliger, verfluchter Mann. Hättet Ihr Euch
in Holland (wie aus einer Novelle A. v. Arnims ersichtlich) in den Wirtbs-
gärten früher auf den Linden Gerüste erbauet, auf denen ein Theil der Gäste
sich abgesondert belustigen konnte.
') Terre de Salvaesche = Land des Heiles; Munsalvaesche = Berg des Heiles
und der Rettung, der heilige Berg, Tempel des Heiligthums. — Im spateren
Titurel wird M. als „der bebalten berff^ gedeutet, denn er sei behalten, ver-
wahrt, unzugänglich gewesen vor Juden, Christen und Heiden.
') 254, 10. Der Ausdruck ist hier nur bildlich von dem sonst üblichen Bespre-
chen und Besegnen des Schwertes genommen^ was später in Festmacben^
Waffensalben und sog. „Passauerkunst^ überhaupt, überging. Vgl. Altd.
Blätter. II. 266 AT. und Rochholz in Wolfs Zeitscbrifl. IV. 125. Dagegen
Wigalois V. 4390 ff.
169
des Wirthes erbarmt and ihn am seine Noth befragt, Gott hätte ein
Wunder gewirkt; jetzt lebt Ihr, aber an Saelden todt!* — Parcival
will es wieder gat machen, sie aber schickt ihn fort, er sei keiner Rede
mehr werth.
Dass er Fragens war so lass, als er bei dem traorigen Wirthe
sass, das rente den Helden nun sehre. Durch seine grosse Klage und
den heissen Tag war er in 3chweiss genetzt; er band also den Helm
ab and löste die Vinteilen.') Dann, kam er auffrische Spur. Vor ihm
ging ein wohl^eschlagenes Ross (ors) und ein unbeschlagenes Pferd
(barfuoz phäret), das eine Frau trug; das Pferd sah elend aus, man
hätte ihm wohl durch die Haut die Rippen zählen können; ein Halfter
von Bast lag daran, bis auf den Fuss schwang ihm die Mähne, die
Augen tief, die Gruben weit;') das Gereite war schmal, Geschelle und
Sattelbogen zerstückt und elend. Der Gürtel (surzengel) der Frau war
em Seil, Aeste und Dornen hatten ihr Hemde zerrissen, so dass ihre
helle Haut, weisser als ein Schwan, durchleuchtete; sie hatte nichts an
als Hadern (knoden), wo diese fehlten, litt sie von der Sonne, und
doc)i war ihr Mund roth, man hätte wohl Feuer daraus geschlagen;
wo man sie anreiten wollte, war sie bloss; doch hätte Jeder Unrecht,
der sie schelten wollte, nur durch ihre 21ucht trug sie so unverdienten
Hass, weiblicher Güte hatte sie nie vergessen. Doch was sag ich so
viel von ihrer Armuth? Ich nähme solch blossen Leib statt vielen wohl-
gekleideten Frauen! Parcival grüsste, sie erkannte ihn gleich: ^Ich
habe Euch schon gesehen und grosses Leid geschah mir dadurch ; möge
Gott Euch mehr Freude und Ehren geben, als Ihr um mich verdient
habt ; nun ist mein Kleid ärmer, als Ihr mich vordem gesehen. Wäret
Ihr mir damals nicht genahet, so hätte ich jetzt Ehre ohne Streit.^
Dabei weinte sie, dass sie ihr ^brüstelin begoz^ und suchte sich mit
Händen und Armen zu bedecken. Parcival erkennt sie nicht mehr und
bietet ihr sein Uebergewand (kursit), sie bittet ihn jedoch, um sein und
ihr Leben zu retten, gleich hinweg zu reiten. Parcival aber setzt den
Helm wieder auf und strickt sich die Vinteilen um, und da sein Ross
gegen das Pferd Gewieher erhob, so wendete der vor der Fraue Rei-
tende um und sprengte herbei: Herzog Orilus selbst, dessen Rüstung
so ausfuhrlich geschildert wird, dass man sieht, der Dichter zeichnet
') 256, 9: ,.er enslricte die viDteilen sin;^ viDU»Ie, venUille, der unlere Theil
des Helmes, der den Mund bedeckte und geöffnet werden konnte; so fand
Koorad auf dem Lechfeld 955 den Tod, als er sirh kühlen wollte.
*) Sonach galt wohl eine kurze Mähne (diu man) für schön, eben durften die
Aurengruben (ffruoben) nicht gross und tief sein, die Augen nicht tief liegen.
Vgl. P. Pfeiffer Das Ross. S. 5, 20.
\
170
genan nach dem Leben, wie die alten Maler aach ihre reiche Mitwelt
and Mitlebenden abschilderten. Seinen Helm hatte Meister Trebochet
geworkt, sein Schild war zu Toledo gescimiiedet, kräftig waren Rand
nnd Buckel daran ; die Pfeile aus denen er „knrsit and wäpenroc^ trog,
waren za Alexandrien gewirkt, die Decke aas harten Ringen zuTena-
broc geschaffen, auch di^ Eisendecke mit einem theaeren Pfellel über-
zogen, Hosen, Halsberg und Härsenier waren reich, doch nicht schwer,
in manch eiserne Schiene (in iseriniu schillier) war der kühne Mann
gewapent ; zu Soissons (Sessün) war i^eine Platte geschlagen, das Pferd
hatte sein Bruder Lähelin in einer Tjost von Brambäne abgejagt.
Parcival war bereit und ritt galopptrend (mit walrap) dem Herzog
entgegen , der auf dem Schilde einen Drachen und eine gleiche Zier auf
den Helm gebunden hatte, auch befanden sich kleine goldene Drachen mit
eingesetzten Augen von Rubin auf dem Rocke und der Decke. Sie nahmen
den Anlauf und splitterten ihre Lanzen, dass man es nicht schöner
hätte sehen können. Frau Jeschüte rang die Hände, denn die Freuden-
lose gönnte Keinem Schaden. Die Pferde badeten im Schweisse, jeder
wollte den Preis, die Schwerter blitzten und Feuer sprang aus den
Helmen, denn die Besten waren aneinander gekommen, fest sassen die
Beiden und vergassen der Sporen nicht. Preis verdient hier Parcival,
dass er sich also wehren kann vor hundert Drachen und einem Mann!
Der Drache, der auf Orilus* Helm lag, wurde versehrt,^ dass der lichte
Tag durchschien und manch edel Stein ausbrach. Frau Jeschüten ward
ihres Mannes Gruss mit Schwertes Gewalt wieder erobert. Die Ringe
an den Knieen zerstoben, obgleich sie eisern waren, so schoben sie an
einander. Orilus war zornig , weil er wähnte, seiner Fraue sei Gewalt
geschehen^ sie habe ihre Reinheit und ihren Preis mit einem anderen
„amis'' geunehret; so wurde denn der Kampf so heftig, dass er ohne
Sterben kaum abzugehen schien. Orilus war dem jungen Parcival im
Schwert überlegen, das gab ihm Muth ihn zu fassen, doch Parcival
umfing auch ihn, zuckte ihn aus dem Sattel und schwang ihn wie eine
Garbe Haferstroh unter den Arm, sprang mit ihm vom Ross und presste
ihn über einen Baumstamm ') und da Orilus noch nicht daran will.
') 265, 17: y,und dructe in über einen ronen.^ Der Ran, der Ron, die Ronen
(8ch melier III. 92) sind nach heutigem Sprachgebrauch Baumstämme, 6\m
besonders vom Wind sammt den Wurzeln ausgerissen wurden und wegen Uo—
mögiichkeii der Abführurfg oder sonst im Walde oder auf dem Berge onbe—
nOtzt liegen bleiben, daher auch die Ron (falsch Rhön) benannt. Dr. K. RotH
Beiträge. XIII. 120. Merkwürdige Ueberreste aus uralter Zeit finden sic^
heute noch im Regnils- und Mainffrunde; Dr. Theodor i io Bamberg um^t
neuerdin^ Dr. Schnitzlein in Erlangen schrieben über diese vaterländisch^
botanische Seltenheit, die armen Leuten häufig als Brennmaterial dient
171
seiner Fran die alte Bold zu gewähren » so drückt' ihn Parcival an
sich, dass des Blutes Regen dnrch die Barbiere sprang. Da gab der
Held nach» aber von seiner Frau will er nichts wissen, er bietet dem
Parcival die Hälfte seines Lances und verspricht sein eigenes Herzog-
thom von ihm als Lehen zu nehmen, nur möge er ihm erlassen, diesem
Weibe je wieder hold zu werden. Da setzt Parcival dazu die weitere
Bedingniss, der Herzog solle zu einem Mägdelein bei König Artus
lahren, die seinetwegen mal geschlagen wurde, wo nicht, so werde er
Her erschlagen. Und Orilus, der doch noch zu leben wünscht, leistet
den Eid und die Frau empfängt freudig wieder den ersten Kuss von des
Oatten blutigen Lippen. Darauf ritten die Dreie vor eine Klause im
Pelsen, wo Parcival auf ein Reliquiarium (heiltuom) einen' Eid ablegt
ther das Beginnen , das er kindischer Weise an der Herzogin verübt
und ihre Unschuld, er gibt auch den Ring zurück, den er glücklicher
Weise noch hat, indess die Spanne thöricht verthan (vertäu) war. Und
der Herzog stiess das Vingerlein wieder an ihre Hand, küsste sie, be-
kleidete sie mit seinem eigenen' Wapenrock und freute sich nun erst
seiner Niederlage. Obwohl er Parcival mitnehmen will, so schlägt es
dieser aus , worauf Orilus allein mit seiner Frau zu seinem Gefolge
zurückkehrt, das über die Versöhnung hoch erfreut ist. 0 Parcival,
welcher an der Klause (die ihm unbekannter Weise Trevrizent bewohnte,
der aber gerade abwesend war) einen bunten Speer angelehnt fand (den
der wilde Tauriän hier vergessen), eignete sich denselben zu.
Mit Freuden erfi&hrt Orilus, dass die Tafelru;ide ganz nahe jiuf
dem PlimizoSl lagere ; er macht sich also mit seiner versöhnten, glück-
lichen Gattin, die nun wieder prächtige Kleider trägt^ dahin auf, nach-
dem sie gebadet und genügsam getafelt. Artus sass gerade nach Tische
in der Mitte der Tafelrunde, als Orilus allein mit Jeschuten angeritten
kam; er fährt noch seine zerschlagenen Waffen und legt den zertrüm^-
merten Sdiild in*s Gras, um die ihm angewiesene Dame zu suchen, und
') Von vorzüglicher und unnachahmlicher Schönheit ist die iStelle, welche das
GIfick dieser Frau ausdriiekt und die Refl^on de? Dichters über die Liebe:
272, 7:. dd lac frou JeschQte
al weinde bt ir trüte,
vor liebe, unt doch vor leide niht,
10. als guotem wtbe noch geschiht.
ouch ist genuogen liuten kunt,
weindiu ougn hdnt süezen munt,
dd von ich m^r noch sprechen wil.
gröz liebe ist Freude und jdmers zil.
15. swer von der liebe ir^ maere
treit üf den seigaere,
oberz immer wolde wegn,
ez enkam niht anderr schanze pflegn.
172
ist nicht wenig überrascht in ihr seine Schwester Connewäre zn finden,
«die ihn schon von weitem an seinem Wappen, den Drachen, erkannte.
Sie führt die lieben Gäste in ihr Gezelt, das an einem Brannen stand,
auf ihrem Pavillon (poulün) war ein Drache mit einem Apfel in den
Klanen zu sehen, vier Seile hielten ihn, recht als ob er lebendig fliege
und das Zelt mit sich in die Lüfte ftlhre. Keye aber, der nnn immer
mehr Hass gewann, wie die Bewondemng des unbekannten rothen
Bitters stieg, bat den Kingrdn, den Dienst bei Orilus zn übernehmen«
er wusste wohl warum.
VI. Parcival hat die Bewunderung des ganzen Hofes in so hohem
Grade erworben, dass Alle den König bestürmen, den rothen Ritter
Aufzusuchen und in den Kreis der Tafelrunde aufzunehmen, da seine
Thaten ihn den besten Rittern der Tafelrunde ebenbürtig machen. Artus
gewährt gern den Wunsch, doch da er die Kampflust seiner Ritter
kennt, nur unter der Bedingung, dass Keiner sich von dem Zuge eigen-
mächtig trenne und abgesondert Abenteuern nachjage, denn manch
feindliches Land würden sie durchziehen müssen, wo leicht durch Zer-
splitterung ihrer Kräfte der Ruhm der Massenie Schaden erleiden
möchte. —
Unser Held war inzwischen in der Irre herumgeritten und am
anderen Morgen unvermerkt in die Nähe 'der Plimizoel gerathen. Es
hatte in der Nacht, obwohl im Mai oder um die Pfingstenzeit, geschneit
und ein Falke, der den Jägern äes Artus entflohen war, vor der Kälte
Schutz suchend, sich zn ihm gesellt. Wie Parcival am Morgen pfadlos
weiter reitet, fliegt eine grosse Schaar von Gänsen mit hellem Geschrei
auf, der Falke stiess hurtig unter sie und schlug ihrer eine herunter,
dass sie gerade unter dem Ast eines Stammes (ronen ast) sich «bergen
mochte. Aus ihrer Wunde fielen auf den Schnee drei Blutstropfen^ ')
die dem Parcival nnn ein wunderliches Spiegelbild vor Augen führen.
Wer hat, gedachte er, seinen Pleiss gewandt an diese klare Farbe?
fürwahr, sie gleicht nur dir Cundwierämürs ; Gott macht mich an Gnaden
reich, da ich hier dein Gleichniss finde. Geehret sei Gottes Hand und
seine ganze Schöpfung! Das Weiss und Roth vergleicht er der Farbe
ihres Angesichtes und er gedenkt jener Nacht, in der sie hilfeflehend
vor ihm kniete und zwei Zähren an ihren Wangen, die dritte ihr am
') 282, 21: ^dri bluoles zäher röt.^ Die Stelle kommt auch bei Chrestiens de
Troyes vor, vgl. Rochat in PfeiflTers Germania 111. 96. Zu vergl. dazu
Grimm Altd. Wälder. 1^13. I. Simrock Mylh. 270. Wolf Beitr. IL 18 ff.
Roch holz Aarg. Sng I. 86 ff. II. 51. Alpen bürg Tiroler Mythen S. 370.
Zingerle Sagen. 1859. S. 185.
^78
Kinne hingen. So verfiel er, von der starken Minne Macht bezwungen, in
Gedanken und wie im Traum starrt er auf Schnee und Blut. So ge-
wahrt ihn ein Garzon Cunnewarens, der nach Lalant sollte, und oline
zu wissen, dass das seiner Herrin Ritter, hub er sich wieder heim und
hetEte die Bitter auf: da draussen warte Einer auf Streit, die ganze
Tafelrunde sei entehrt, wenn ihn keiner bestehe. Aufmachte sich so-
gleich der stets streitbegierige ganz berserkerhafte Segramors,^ er
lief und sprang, denn seine Lust an Kampf .war so gross, dass man
ihn binden musste, wo er solchen zu finden wähnte oder er wollte dabei
sein. Nirgend ist der Rhein so breit, dass der Held, wenn er am andern
Ufer Streiten sähe, sich nicht hineinstürzte, unbekümmert ob das Wasser
wann odei^ kalt wäre. Sein Ross sprang über hohe Stauden , als er <
ausritt, dass die goldenen Schellen an Ross und Reiter wie an einem
Falken erklangen.') Parcival aber stand noch immer im Banne der
Minne und hörte nicht des Ritters Drohen , erst als sein Pferd durch
eine Wendung die Stelle aus dem Blick brachte, kam er wieder zu sich
Xind empfing den Tjost so kräftig, dass er, ohne den in der Klause
mitgenommenen schön bemalten Speer zu brechen, den Ritter aus dem
Sattel warf, der übel gemuthet zur Tafelrunde zurückhumpelte, indes»
Parcival, gleich wieder von der Minne bestrickt, sich im Anschauen der
Blutstropfen verlor. Auch unser Dichter ist, wie er selbst klagt, durch
«in Weib in solcher Noth, doch ist ihm Frau Minne zu hoch und hehr,
^m^ sie in Zornes Hitze desshalb zu schelten.')
Darauf ritt der stolze Keye hinaus und versetzte dem Parciva), da
dieser seine Rede nicht zu hören schien, mit dem Schaft einen Schlag
^kas Haupt; das Ross wendete und Parcival kam zu sich: hn Galopp
sprengten sie auf einander los. Keye brach zwar, wie er richtig mit
^en Augen bemessen, dem Waleisen ein weites Fenster in den Schild,
<9iber der Senneschall stürzte doch vom Gegenstoss so mächtig über die
^Rone, unter welche die Gans geflüchtet hatte, dass Mann und Ross
ü^oth litten; der Mann war wund, das Ross lag todt. Keye zerbrach
^won diesem Falle den rechten Arm und das linke Bein; Gurten,*)
«Sattel und Greschelle waren zerrissen, so vergalt der Waleise zwei
') Stn-Marte Germ. II 396.
') ,^an möht in wol geworren hdn
287. zem fasdn inz domach (Dornicht)
swems ze suochen waere gdch,
der fünde in bt den schellen:
die künden lüte hellen.
^) 292, 13: „doch sli ir (Frou minne) mir ze wol geborn, das gein iu min
kranker zom immer solde bringen wort."
'*> aurtengel, von dem Franz. suraangle, der Obergurt.
174
Schläge mit einem Schlag, die welche die Magd seinetwegen, und den
er selber heate erfahren hatte. Keye war aber, wenn auch ein Auf-
passer (merkaere), doch ein getreuer, kühner (ellenthaft) Mann; er
meinte es gut mit seinem Herrn und schirmte ihn gerne durch seine ^
Rauheit; ein Hagelschauer war er f&r die Falschen (valsche diet) und
stach sie schärfer als die Bienen. Ein solcher Keye oder auch ein
Heinrich von Reisbach') meint Wolfram, war* jedem Fürsten zu wün-
schen, Toraus dem Landgrafen Hermann von Thüringen,']! an dessen
^of es von Schmarotzern wimmelte, so dass sein Ingesinde besser Aus-
gesinde hiesse.
Da der Plimizo^l nahe genug lag, um die Vorgänge zu sehen, so
'holte man Herrn Keye und trug ihn zu König Artus. Darauf ritt Gä-
wän hinaus, aber ohne Sporen und Schwert, eigentlicih mehr um nur
zu sehen wer denn der Ritter wäre, Parcival achtete seiner nicht, denn
Frau Minne hatte es ihm wieder angethan. Da Gäwän keine Antwort
erhält, folgt er den Augen Parcivals und die Blutstropfen im Schnee
gewahrend, merkt er sogleich, dass hier die Minne mit iiii Spiel sein
müsse, deren Wesen und Macht er nur zu wohl an sich selbst erfahren.
Ein seidenes mit gelbem Zindal gefiittertes Tuch von SArin schwang er
über das Blut und schnell kommt Parcival wieder zu sich. Verwundert
hört er von Gäwän, dass er so grosse Ritterschaft an Segramors und
Keye geübt; er begrüsst den Helden froh, dessen ruhmvollen Namen
er bereits kennt, und da ihm dieser versichert, dass Keyes Unbilde
vollständig gerächt sei und Frau Cunneware durch seinen Dienst die
glänzendste Genugthuung erhalten habe, entschliesst er sich, Gäwän an
den Hof des König Artus zu folgen. Das ganze Lager erhebt sich bei
der Kunde, dass der rothe Ritter da sei; Cunneware, Orilus und Je-
') Dieser Heinrich von Reisbach wurde eine Zeit lanff irriger Weise mit
dem tugendhaften Schreiber verwechselt. Die Herren von Reisbach
sind nur in der bayerischen Rillerschaft nachgewiesen, ein Reisbacb (Rispach)
liegt an der Vils in der Gef^end von Landshut, ein anderes am Fasse des
Wendelstein. Heinrich von Reisbach mag wohl am Hofe eines bayerischen
Herzogs sirenge Zucht geübt haben, konnte aber um die Zeit, wo Wolfraai
diesen Gesang dichtete, kaum mehr am Leben sein. Vgl. Haupt Zeitscbrift.
VL 187 ff.
') Das lebendige Getümmel am Hofe dieses milden Fürsten schildert Wall her
(Lachmann S 20, 4 15), der sich biUer darüber beklagt: ,,£in Zoff fahrt
ein, der andere aus, so geht es Tag und Nacht, ein Wunder ist's, cwss da
noch Jemand hört^ u. s. w. Unter dem Schutze Hermanns (1195 — 1215)
vollendete Heinrich von Veldecke hier seine Eneit; auf seinen Anlas« be*
arbeitete Wolfram den Willehalm, für ihn übersetzte 1210 Albrecht von
Halberstadt die Ven/t^andlunffen des Ovid. Auch Wolfram klafft im Wille—
balm IX. 417, 22 ff. über die Zudringlichkeiten an diesem Höre, dass wer^
ein Ross geschenkt haben wolle, sich bei Zeiten einfinden müsse. Tgl.
8. 125 ff.
175
Schuten an der Hand, geht dem Helden entgegen und empfängt ihn mit
feinster Sitte, sie reicht ihm, köstliche Gewände; ein dem Mantel gerade
noch fehlendes Schnürlein zuckt sie aus ihrem eigenen Kleide und zieht
es ein; einen grünen Smaragd hing sie ihm an den Hals, auch gab
8ie ihm einen theueren Gürtel mit Steinen und Thierbildem geschmückt.
Nach der Messe kam König Artus mit allen Rittern und dem zerbläu-
ten Antanor. ,
Artus hatte die Sitte, nie zu essen, bevor eine Aventüre geschah
oder gemeldet ward, nun war aber heute genug geschehen. Ein Pfeile
aus Acrat^n in der Heidenschaft diente als Tischtuch, es war nach der
Sitte der Tafeler rund geschnitten, denn ihre Zucht erlaubte ihnen nie»
von einem Ehrensitze (gegenstuol) zu sprechen, die Sitze waren alle
gleich. Auch die Frauen kamen herbei, voraus Frau Gynover, die
dem Ritter ihren Kuss bietet. In die allgemeine Freude aber schldgi
plötzlich eine schreckliche Botschaft. Eine Jungfrau ritt heran auf einem
Maulthier, das hoch wie ein* ,.kästel&n,^ dabei aber mit verschnittener
Nase (nassnitec) und verbrannt, einem ungerischen Pferde gleichsah;
ihr Zaum und Gereite waren reich und kunstvoll. Die Maid verstand
sich wohl auf die Kunst, alle Sprachen wusste sie, Latein, Heidnisch
vnd „Franzoys,^ auch Dialektik (diäletike), Geometrie (jeometrf) und
Astronomie waren ihr bekannt; sie hiess Cundrie und Surziere^)
war ihr Zuname. Ein Brautlachen, (brutlachen) von Gent, blauer als
Lasur, trug, sie und eine Reisekappe nach französischem Schnitt (wol
gesniten al nach der Franzoyser siten) , darunter hatte sie gute Pfeile
an ihrem Leib, ein neuer Pfauenhut (pfaewin huot) von Lunders^ ge-
füttert mit Plialt, hing an einer Schnur auf ihrem Rücken. Ihi'e Bot^
Schaft (ir maere) war eine Brücke, die Jammer über Freude trug, lieber
den Hut schwang sich bis auf das Maulthier ihr' langer Zopf, der war
schwarz und schweineborstenartig , ihre Nase die eines Hundes (si war
genaset als ein hunt) , spannenlang standen ihr aus dem Munde zwei
Eberzähne, die Augenbrauen schwangen sich in Zöpfen gleich einer
Haarschnur nieder. Dem Dichter thut es leid, so eine Schilderung von
einer Fraue machen zu müssen. Ohren hatte sie wie ein Bär und ihr
Antlitz war rauh. Eine Geissei führte sie in der Hand, die hafte sei-
dene Schwenkel und der Stiel war ein Rubin. Ihre Hände waren affen-
farbig, die Nägel nicht zu licht und wie Löwenklauen. Um ihre Minne
ward, traun! selten ein Tjost gethan. So reitet sie an die Tafel vor
König Artus und sprach ihn französisch an: die Besten aus allen Län-*
dem Sassen hie in Würdigkeit, aber ein Falscher nimmt Theil an der
*) Vgl. San-Marte Ober diese Eigennamen in PfeifTera Germania IL 393.
176
Tafelrnnde, der ihren Preis sinken macht: Herr Parcival, den ihr den
rothen Ritter nennt. Dann zu ihm selbst gewandt, gibt sie ihm unter
Weinen und Händeringen ihren Flach, weil er den traurigen Fischer,
der frende- und trostlos neben ihm sass, nicht durch eine Frage erlöst
hätte. „Nie war grösserer Trug, rief sie aus, an so schönem Leibe.
Ehrloser Mann! gab Euch doch der Wirth ein Schwert, das Ihr nie
verdient hattet, saht Ihr .doch vor Euch den Gral und das schneidende
Silber und den blutigen Speer. Doch statt zu fragen, ward Ihr stonmi,
Ihr seid des HöDenhirten Spiel. Ihr Glück verwiesener, Heilverbannt^,
Ihr seid an Ehre lahm und schwank und an Würdigkeit so siech, dass
Euch kein Arzt mehr Heil gewähren kann. Hättet Ihr doch zu Mun-
salvaesche gefragt ! An Euerem Bruder Feirefiz ^ ) ist die Kraft nicht
verdorben , die Euer beider Vater trug und Gahmurets Herz hat nie
Falschheit betreten.^ Der schrecklichen Jungfrau blutet selbst das Herz,
dass sie solche Botschaft entrichten muss, sie windet die Hände und
eine Zähre schlägt die andere. Dann'ab^ wendet sie sich wieder an
den Wirth und sagt ein herrliches Abenteuer an als eine Aufgabe fär
den Tapfersten: Vier Königinnen und vierhundert Jungfrauen sind auf
auf Chateau Marveil (Schastel marveil> gefangen; wer sie befreit, mag
hohe Minne finden. Dann reitet sie weg ahne Urlaub, häufig noch
zurückblickend und in die Klageworte ihre Trauer kleidend:
„ay Munsalvaesche, jämers zil!
we daz dich niemen troesten wil!"
„Weh Monsalväsch, du Jammers
Ziel,
Weh, dass dich Niemand trösten
will!'*
Schwer ist der arme Waleise bekümmert; was half ihm seines
kühnen Herzens Rath, seine wahre Zucht und Mannheit? Er schämte
sich seiner Thaten. Doch blieb die rechte Falschheit von ihm ferne;
denn Scham gibt Preis zu Lohne und ist die Krone der Seele. Cunne-
wäre und alle Frauen weinten über ihn. Aber schon naht wieder neue
Noth. Kaum ist Cundrie hinweg, so sprengt ein fremder Ritter herzu;
sein Schild ist unbekannt, den Helm band er nicht ab; in seiner Hand
trug er das Schwert, doch in der Scheide. „Gott erhalte den König
Artus, hebt er an, und alle Frauen und Herren, die ich hier schaue,
ich biete Allen Gruss, nur Einem nicht, dessen Hass gegen mich ergehen
mag. Das ist Herr Gäwän, der sich so weit verging, dass er recht
nach Judasart meinen Herrn grüssend, ihn ermordete. Läugnet er das,
so mag er sich mit Kampf befreien von heute über den vierzigsten Tag,
') D. h. das Feenkind ibid. S. 40J.
177
wo ich ihn entbiete vor deti König von Ascalun in die Hauptstadt nach
Schanpfanzün.^ Vergeblich bietet sich Gäwäns Bnider, der stolze B^ar-
cors fossföllig vor seinem Bnider, als Greisel des Kampfes (kampffichez
^sel); ArtQs kann die Unthat seines Neffen nicht glauben und zürnt ob
80 schwerer Beschuldigung, auf welcher der Landgraf Kingrimursel,
denn so heisst der fremde Ritter, besteht. GÄwän selbst muss sie leug-
nen, dennoch nipamt er den Kampf an, um seine Ehre zu reinigen und
verspricht, am bestimmten Tage zu erscheinen. So wendet denn der
Fremde sein Ross und scheidet aps dem Plimizoei.
Durch Cundrie vernahm man zuerst Parcivals Namen . und Ge-
schlecht. Alle trauerten, die von seinem Vater gehört hatten und seine
Familie kannten, am meisten aber Glämide , der ja durch Parcival bei
Pelrapeire die Minne und Hand Cundwierämürs verloren hatte und dess-
halb um Parcivals Hilfe bittet, um Frau Cunwäre de Lalant zu erlan-
gen, was er auch erreichte. Die Königin von Janf^ise aber, eine Heidin,
welohe durch Cundrie von Parcivals Bruder hörte, erzählt diesem nun
von Feirefiz, ') dessen Land sie durchreist hat und dessen Haut
merkwürdiger Weise weiss und schwarz ist; er werde in der Heiden-
schaft wie ein Gott angebetet; Niemand hat noch seinen Tjost ausge-
halten, kein milderer Mann ward je geboren. Parcival ist untröstlich
und sieht kein I^eil mehr vor sich, bis er den Gr§.l wieder gefunden
habe. Er begreift nun,* dass er den weisen Rath des Gurnemanz wieder
so wenig tersUuiden, ebenso wie er die Räthe seiner Mutter verkehrt
befolgt hatte. Parcivsd scheidet sich von der Tafelrunde, Artus sucht
ihn zu trösten. Frau Cunnewäre führt ihn an der Hand und Gawan,
deüi gleichfalls ohne sein Verschulden ein gefährlicher Zweikampf be-
vorstand, nimmt küssend von ihm gar herzlichen Abschied: „ich weiss
xvohl, Freund, dass auf Deiner Fahrt Dir mancher Kampf nicht zu er-
sparen, Gott gebe Dir Glück dazu!" — ^Weh! was ist Gott?^
^rwiedert Parcival in ganz anderem Sinne als damals, wo er an die
JMLutter mit kindlichem Herzen und Vertrauen die nämliche Frage gestellt.
X>enn jetzt hat ihn sein unbewusst verschuldetes Geschick in düstere
2weifel gestossen. ^ War* Der gewaltig, solchen Spott gab* er uns Beiden
Kiicht fürwahr. Seit ich mich versinne, war ich Ihm unterthan; nun will
S.ch Ihm den Dienst widersagen, hat Er Hass, den will ich tragen,
freund, in Deiner Kampfeszeit möge Dich em Weib, an der Du „kiusche
v^t wIpBche güete^ erkannt hast, behüten ; ich weiss nicht, ob ich Dich
je wieder sehe, meine Wünsche mögen an Dir wahr werden!'' „Da
\
') 328, 5 flr.
12
178
ergienc ein trdrec scheiden.^ — Gäwän aber bereitete sich vor anf den
König von Ascalün. Alte harte wohlgediegene Schilde (er achtete aaf
ihre Farbe nicht) brachten ihm Kaufleute anf Säumern, und er erwarb
ihrer drei, nicht um billigen Preis ; . auch wählte er sidi sieben Rosse,
zwölf scharfe Speere mit starken Schäften aus heidnischem Moor erwarb
er^ nahm Urlaub und fiihr mit unverzagter Mannheit. Artus gab ihm
reichen Sold, lichte Gesteine und rothes Grold und Silbers manchen
Sterling (staerlinc). Ekubä, die junge Heidin (aus Janföse) schiffte sich
ein und das Volk kehrte vom Plimizoel. Ich fährte die.Märe gerne fort,
sagt der Dichter, wenn es mir gebieteil wollte ein Mund, den aber
kleinere (ander) Füsse tragen als mir im Stegreif dienen (dan die mir
ze Stegreif wagent). -^
Eine oberflächliche Betrachtung könnte es auffallend finden, dass
Parcival bloss wegen Unterlassung einer einfachen Frage so schweren
Fluch und sogar Sündenschuld (473, 15) auf sich geladen habe. Dess-
halb mflssen wir uns noch einmal die ganze Situation vergegenwärtigen.
Durch die verkehrte Befolgung der Lehren des weisen Gurnemänz hat
er allen und jeden Anstand beleidigt. Wie freundlich war ihm der Wirth
entgegengekommen, der den Helden eigens mit der Bemerkung zu sich
auf sein Ruhebett setzt, er wolle ihn nicht wie einen fremden Gast be-
handeln; so hatte er ihn denn auch durch ein kostbares Geschenk
geehrt, und Parcival hörte die erschütternde Traüerklage der Templeisen
beim Erscheinen des blutigen Speeres, sah das schwere Siechthum seines
liebevollen Wirthes, sah die unbegreiflichen Wunder des Grals, die jeden
Anderen dazu gebracht hätten, über so aussergewöhnliche Vorgänge zu
fragen. Aber über der sogenannten Zucht, über der Weltbildung,
war unserem Parcival der natürliche Edelmuth eines einfältigen
Menschen abhanden gekommen, er hatte, bisher ein Kind des
Glückes, den Gipfel erreicht — und den Augenblick nicht zu benützen
verstanden: so wird er in den tiefsten Jammer, dessen ganzer Umfang
ihm noch unübersehbar ist, hinabgeworfen, er zerfällt mit Gott und der
Welt, nur ein Bild, das seiner geliebten Fraue, ist ihm glücklicher
Weise unerschüttert verblieben. Durch herben Schmerz muss er nun
geläutert und zur Einsicht gelangen, dass sein trotziges Behan*en auf"
seiner Schuldlosigkeit der letzte und grösste Fehler seiner Einfalt war^
So ist denn der erste Theil des Gedichtes, den man billig ^von der'
Tumbheif nennen könnte, meisterlich abgerundet. Mit richtigem Bück-
führt jetzt der Dichter zur künstlerischen Gegenwirkung einen anderei^^
Helden in sein Gedicht ein, der neben Parcival, indess dieser grollencS-
in der Irre reitet, in den Vordergrund tritt, ihm aber n^r zur Foli^
179
dient und dessen höhere Richtung noch in volleres Licht setzt.') Gawan
hat sich bereits als erprobte Held bewiesen und durch die herzliche
Theilnahme an Parcivals Geschick unsere Neigung zum vora.us gewon-
nen; er hat in der thateoreichen Welt den Ehrenpreis errungen, so
tritt auch an ihn die Prüfung, wenn er gleich von jenem stürmischen
Sehnen nach einem übermenschlichen Ziele ferne ist. Durch die Bot-
schaften Cnndriens und Kingrimursels reissen die vielfach verschlungenen
Fäden wieder nach den. verschiedensten Seiten auseinander und es thut
sich in neuen reizenden Verschlingungen, die doch unvermerkt der
Lösung zuführen, eine neue Welt der wunderbarsten Abenteuer auf.
Vn. Gäwsln begegnet auf seinem Zuge plötzlich einem Heere;
Harnische und schwer beladene Wagen wurden von Mäulem geschleppt,
wunderlicher Krämertross fuhr hinterher, auch Frauen sah man dar-
unter, von denen manche den Gürtel ihrer Minne schon ein Dutzend-
mal verpfändet hatte und anderes Gesindel, dem das Hängen (wfde)
besser gewesen wäre, als werthes Volk zu verunehren. Auf die Frage
G^wtins, welche ^Bewandtniss es mit diesem Kriegszuge habe, erzählt
ihm ein Knappe: Als der Herr dieses Landes, der König Schaut, auf
dem Todbette lag, berief er die Fürsten des Reiches zu sich und empfahl
ihnen semen noch unmündigen Söhn Meljanz, den er insbesondere
seinem treuesten Vasallen, dem Herzog Lyppaut von B^ärosche, zur
Erziehung anvertraute. Bald darauf schloss der Tod seine Augen pnd
Lyppaut nahm den jungen Meljanz zu sich pa,ch Beärosche, wo er wie
ein geliebter Sohn gehalten und mit den Töchtern Lyppauts, Namens
Obie und Obilöt gemeinsam erzogen ward. Al^ der Knabe heran-
^vmchs, entwickelte sich in ihm eine Neigung zur älteren Tochter, Oble,
«M> dass er sie um ihre Minne bat Sie aber wies ihn mehr überrascht
«Is beleidigt, höhnisch zurück; zornig verliess der Jüngling die Burg
wind begab sich zu seinem Oheim, dem König Poydiconjunz Von Gors,
^er mit vielen Rittern und Dienstmannen auch sogleich bereit war, den
"wenneintlichen ehrgeizigen Plänen Lyppauts zu begegnen, und gegen-
"värtig ist das Heer im Begriff, feindlich gegen BSärosche zu ziehen.
Gäwän ist 'unentschlossen, ob er sich hier betheiligen soll, er be-
sorgt in den Kampf verwickelt zu werden und dann gar den Tag des
2weikampfes zu versäumen. Doch war hier nicht tlurchzukommen, so
^lieschliesst er denn einstweilen zuzuschauen und da Niemand im Heere
"ihn anruft, wendet er sich gegen die Stadt. Hier sind die Thore
') Vffl. Rührmunds AbhandliiDg über Gawaa in v. d. Hagens Germania. X.
17- 25. und in seinem Programm. Potsdam 1849.
12*
180
bereits vermauert, die Thürnie wohl verwahrt ood an jeder Zinue ein
Armbrustschütze. Er reitet bergauf und lagert sich unter den Bäumen
bei der Burg. Die Menge seiner Säumer, die zahlreiche Dienerschaft
und die prächtigen Decken und Kissen, die er für sich ausbreiten lässt,
erregen die Aufmerksamkeit von Lyppauts Gemahlin und Töchtern,
welche sich so nahe über ihm in dem Palas befinden , dass er ihre
Reden hören kann. Besorgt fragt die Herzogin , ob der Ankömmling
wohl Hilfe bringe; die kleine Obilöt erklärt ihn für einen gar minnig-
lichen Ritter, den sie gerne annehnien wollte, dieses verdriesst Obie
und obwohl sein Aeusseres gar nicht darauf schliessen lässt, so erklärt
sie ihn doch für' einen Kaufmann oder Wechsler (wehselaere ), der hier
gute Geschäfte machen wolle. —
Lyppaut hat seine Freunde zu Hilfe gerufen, doch will er nicht
selbst gegen den Sohn seines ehemaligen Lehnsherrn und Gebieters,
wie bitteres Unrecht er auch an ihm übe, die Waffen in die Hand
nehmen. Inzwischen erbrechen die Bürger ihre Thore und ziehen aus
und es beginnt die Schlacht im Felde. Meljanz fliegt im Felde siegreich
hin und her und Obie folgt ihm mit unverwandten Blicken, denn je
mehr er den Gefahren sich aussetzt und rühmlich besteht, desto leb-
hafter muss sie sich gestehen, dass sie ihn liebe, aber desto wider-
williger sieht sie auf Gäwan; sie kann der Lust nicht widerstehen,- über
ihn zu Obilöt, die sich seiner ernsthaft annimmt, laut zu spotten und
endlich gar einen Garzün abzuschicken, der fragen solle, ob die Rosse
ihm feil wären und ob er jn seinen Saumschreinen gutes Kramgewand
habe, das die Frauen ihm abkaufen wollten. Gäwän aber empfängt den
Knappen mit solchen Blicken, dass er seine Botschaft nicht zu sagen
wagt und . der mit Maulschellen (mülslege) bedrohte Wicht (ribbait)
schleunig zurückläuft. Obie aber ruht nicht, sie schickt zum Burggrafen
Scherules mit dem Befehl, er solle den Kaufmann unter den Oelbänmeu
im Graben, der nur gekonunen sei, die Leute zu betrügen, fest nehmen.
Scherules aber erkennt bald, dass er es mit einem edlen Ritter zu thun
habe und ladet ihn auf das Höflichste ein, Herberge zu nehmen und
trägt sich selbst als Marschalc an. Gäwän zieht vergnügt in die Stadt;
doch die übellaunige Obie ruht noch nicht, sie sendet ein Spielweib
(spilwip) und verdächtigt den Ritter als einen Falschmünzer (valschaere),
dessen man habhaft werden müsse und Lyppaut wäre beinahe darauf
eingegangen, hätte ihn Scherules nicht glücklicher Weise noch eine»
Besseren belehrt; so bittet Lyppaut selbst den Ritter, den er nun aoclB.
als werthen Gast willkommen heisst, um Beistand in seiner Noth; aber*
Gäwän, besorgt sein Wort nicht einlösen zu können, wenn ihm hier eiiB-
Unfall begegne, bittet um Bedenkzeit über Nacht Rückkehrend findet
181
Lyppant »eine^ OWlÄt, die mit des Burggrafen Töchterlein mit Ringlein
spielt; ') sobald sie erfährt, dass der Ritter weder zu- noch abgesagt
habe^ beschliesst die Kleine selbst zu ihm zu gehen. —
Gräwän sprang auf, als sie in seine Kemenaten kam, setzte sich
zu der Süssen und dankte, dass sie ihn der Schwester gegenüber in
Schutz genommen. Die junge klare Magd sprach: ^ Gott mag es
mir bezeugen, Herre, dass Ihr der erste Mann seid, der mein Rede-
geselle ward; ist meine Zucht dadurch gewahrt, so habe ich Freuden,
denn meine Meisterin sagte mir: die Rede sei des Sinnes Dach. Herr,
ich bitte Ekich und mich, denn wahrer Kummer lehrt mich dieses, Ihr
seid mir darum nicht minder hold, denn ich fahre doch auf der ^mäze"
Pfad, da ich zugleich mich selber bat. Ihr seid in Wahrheit Ich, wie
auch die Namen sich, theilen; nehmt meines Leit)es Namen und seid
nun Magd und Mann zugleich. Thut Ihr meiner Bitte Gewähr, so will
ich Euch herzliche Minne geben. » Habt Ihr mannliche Sitte, so dient
Ihr mir wohl, denn ich bin *es werth; lasst Euch nicht beirren, dass
mein Vater wohl schon Freunde und Magen hat, die ihm dienert, nein,
dient uns beiden um meinen Lohn.** — Gäwän deutet ihr an, dass er
durch sein Wort schon gebunden und sich dessen nicht begeben könne,
was ihre Minne betreffe, so musste sie wohl noch Oinf Jahre älter sein
ehe sie solche geben könne. Doch gelobt er dem ^freuwelin^ ihretwegen
die "Waffen zu trage«, doch, ftlgt' er scherzend bei: ^In Euerer Hand
55ei mein Schwert, will Jemand Tjost von mir, so sollt Ihr reiten und
sti'eiten, und wenn mau auch mich kämpfen sieht, so müsst doch Ihr
CS sein.* — Sie sprach: ,.Das ist nicht schwer; ich bin Euer Schirm
und .Schild und Euer Herz und Euer Trost, seit Ihr tnich vom Zweifel
erlöst habt; ich bin Euer Geselle und Geleite; meine Minne soll Euch
IKriede geben. Ich bin Wirth und Wirthin und will im Streite bei Euch
«ein." Er hielt ihr Händelein zwischen; seinen Händen während sie so
sprach, dann machte sie sich auf um ihm ein Kleinod zu bereiten und
liub sich mit ihrer Gespielin von dannen. Gäwän aber sprach: „Werdet
nur ein wenig älter, so kann*s nicht fehlen, dass Euretwegen noch genug
Speere verschwendet werden."
Unterwegs aber kommen dem Töcbterlein des Burggrafen doch leise
bedenken, was sie dem Ritter eigentlich denn geben könnten, da sie
') 368, 12: ^dia zwei snalten vingerün;" dasselbe Kinderspiel Ringlein-
schnellen , einen am Faden aufgehängten Ring nach einem Hacken an " der
Wand schnellen, nennt Wolfram auch im Willehalm VII. 327, 7 : „daz waer
dhi kurKwUe sin, als ein kint daz snellet vingerltn.^ Rochholz Kin-
derspiel. S. 434. Auch in Strickers ^slegel.** Vgl. v. d. Hagen Gesammt.
Abent. II. S 418. v. 819.
182
gar nichts als Pappen (locken) haben; ist die meine schöner, sagt sie
zu Obilöt, so gebt sie ihm in Göttesnamen, ich werde sie schon ver-
schmerzen. ^) Da begegnet ihnen Lyppaut, der sein Töchterleia zu sich
aufs Pferd hebt, ihr Gespiel nimmt ein anderer Ritter auf. Sie klagt
dem Vater, dass sie nichts dem Ritter zu schenken habe, er sei ihr
lieber als je ein Mann einer Magd geworden. Lippaut fiihrt sein kostbares
Kind, für dessen Besitz er Gott dankt, zur Herzogin, die gleich kost^
bare Stoffe kommen lässt, daraus schnitt man ihr ein goldbrokaten
Kleid, dessen Aermel dann Gäwän als Kleinod (daz was ir prisente)
auf seinen Schild nagelte , indess Obilöt desshalb an dem einen Arme
bloss ging. In der Nacht verstärkt sich noch die Besatzong der Stadt
durch massenhafte Zuzüge von aussen, in den Gassen war grosses Ge-
wühl, auch sah man viele Banner (banier), Helme und farbige Speere
im Mondenscheine glänzen; gar kostbar waren die Streiter gekleidet, so
dass Regensburger Zindel ') kaum noch Werth hatte. Den jungen Tag
begrüsste ein anderer Ton als Lerchensang, die Speere krachten recht
wie ein Wolkenbruch (wölken riz), da erhallte manch reicher Tjost als
würfe man ganze Kastanien in grosse Gluth (als der würfe in grdze
gluot ganze castäne). Gäwän und der Burggraf (schahteliur) Hessen
sich zuerst eine Messe singen, dann ritten sie aus. Poydiconjunz kam
mit solcher Heeresmacht, dass, wäre im Schwarzwald jede Staude ein
Schaft, dort nicht mehr Waldes zu sehen wäre als hier in seiner Schaar.
Mit sechs Fähnlein (vanen) ritt er zu, und seine Posaunen bliesen, als
ob es donnere. Ich weiss es nicht, ob ein Halm unzerstampft blieb, der
Erfurter Weingarten ') zeigt heute noch von ähnlicher Noth, welche die
0 Die köstliche Stelle lautet 372, 17: .
,^wes habt ir im ze gebne wdn?
sft daz wir niht wan tockeo hdn,
sin die mtne iht schoener baz.
die gebt im dne mtDeii haz:
dd wirt vil w^ue ndch gestriten^^
Die Kinderpuppen waren sehen auf dem grierhischen Markte stehende Artikel
wie auf dem unsrigen und hatteu genau , M-ie die unserigeu , bemalte Holz-
und Porzellangesichter. (Rochholz S. 364.) Das Wort Puppe kam, wenih
nicht durch die Römer, doch durch Frankreich zu uns (vffl. Urimm 111.57)^
nachdem das Spielzeug längst im altnordischen Leben beKannt M-ar; im IX^
uud X. Jahrb. finden sich schon viele Bdege darür. Im Willehalm I. 33, 21
erwähnt Wolfram ausdrücklich die Tocke seines Töchterlein.
') 377, 30 ff : ,^ein Reffenspurger zindal. dd waer ze swachem werde vor
Bedrosche.^ Der Zindal war (ebenso wie der bes. im Wigalois oft genannte
l*imit) ein leichter Seidenstoff, der schon im IX. Jahrb. in den verschieden^
^^ten Farben bei uns getragen wurde (Weinbold Deutsche Frauen. S. 425)^
^fkm öftesten fand er sich roth, auch gelb, blau, grün, schwarz und weissJ
Am besten wurdß er in Italien zu Lucca, in Spanien zu Granada gefertigt^
auch kam griechischer Zindel die Donau herauf, Regensburg lieferte gleidi-
falls diesen Stoff in vorzuglicher Güte. Vgl. oben S. 136. Anm.
') 879, 18; „Erffurter wtngarte gibt von treten noch der selbco not«
188
Hofe anrichteten. — Es g«b scharfe Tjoste und mancher Mann ward
famter das Robs auf den Acker gesetzt, manch Rosslein (vole) lief ohne
seinen Meister. Gawän sprengte mitten hinein und stach einen jungen
Herrn herab, dem der Knappe diente, welcher dem Gäwän gestern so artig
die Märe gesagt, wie der Zwist entsponnen; Gäwän erkennt ihn und
gab ihm das Pferd zurück, das er seinem Herrn abgejagt hatte. Meljanz
selbst aber stritt überaus tapfer, seine Hand zerklob viel vester Schilde
und brach starke Speere. Da nahm Gäwän einen seiner guten Speere
von Angram, von denen er ein Dutzend noch auf demPlimizoöl gekauft
hatte und tjostirte mit Meljanz : sie prallten zusammen, dass die Helden
beide hinter ihren Rossen standen, dann droschen sie sich mit Schwer- '
tern die Garben, dass die Stücke davon flogen, einen Speerstich bekam
Meljanz in den Arm, dann zuckte ihn Gäwän nieder und zwang ihm
Sicherheit ab. Viele die hier um's Leben kamen, büssten schwer Obiens
Zorn ! Meljanz kämpfte weiter fort, obwohl sein Schild kaum mehr
handbreit war, wurde aber bald wieder niedergeworfen und manches
Jloss, dem kein Hafer mehr schmeckte (maneg ors, daz sit nie gruose
«nbeiz), trat ihm auf das Kleid, da erging der Rosse Sehelmetag, dar-
viach die Geier Behagen haben. Das Beste im innern Heere hatte der
TUtter der kleinen Obilöt gethan, im Feindesheer aussen aber ein rother
bitter, der alle von ihm gefangenen Ritter in die Stadt sendet, sich
^egen Meljanz auszuwechseln, vermöchten sie das aber nicht, so sollten
sie ihm den Gral suchen helfen; da den aber Keiner weiss, so schickt
er sie nach Pelrapeire , um dort der Königin zu sagen , sie kämen im
Auftrage dessen, der dort einst ihrethalben mit Kingrun und Clamide
gestritten, stets sei ihm nach dem Grale weh und nach ihrer Minne.
Darauf vertheilt er die erbeuteten Rosse an die Knappen und behält
nur eines mit kurzen Ohren, Namens Ingliart fQr sich, da sein eigenes
verwundet ist, und reitet weiter auf seiner arbeitvollen Bahn.
Gawan löste den Aerrael vom Schilde *) und sandte ihn durch-
stochen und zerhauen an Obilöt, die ihn, wie er. war, an ihren blanken
inane^ orses fiioz die släge böt.^ Als König Philipp und Otto mit einander
um die deutsche Kaiserkrone stritten^ war der Landj^raf Hermann von Thü-
ringen bis zum Herbste 1204 auf des Letzteren Seite. Obwohl von Philipp
zur Unterwerfung fehracht. wandte er sich doch wieder 1202 zu Otto.
Philipp zog desshalb aufs Neue nach Thüringen, Hermann rief aber die
ßöbmen zo Hilfe und belai^erle 1203 nach Pfingsten den l^önig Philipp zu
Erfurt 89 hart, dass er sich kaum retten konnte. Da die Spuren davon noch
sichtbar waren, als Wolfram diesen Theil des Parcival dientete, so sdbliesst
Lehmann (Walther v. d. Vogelw. S. 146) daraur. dass er nicht lange dar-
auf^ vielleicht im Sommer 1204, nach Eisenach gekommen sei.
M Derffleicben Dioge aps Fraueoband trugen die Ritter gar gerne auf dem
Schnde oder als Helmsier. So kaufte ein Ritter einem Bettler, dem die hl.
184
Arm legte und mit Freuden vor der Schwester zeigte, die sidi darQber
ärgerte. Meljanz aber wicd, obwohl ein Gefangener, dooh mit aller
Ehrfurcht empfangen, so dass Alle vor ihm stehen, während er sein
ritterliches Mahl geniesst. Da kommen die von dem rothen Ritter ab-
gesendeten Grefangenen und in der Schilderung, diie sie von ihrem Gegner
machen, eckepnt .Gawan seinen Freund Parcival und dankt Gott, dass
er heute nicht mit ihm feindlich zusammengerieth. Der junge Meljanz
aber erkennt, wie ungerecht sein feindliches Beginnen gegen Lyppaut
gewesen sei, und bittet den Burggrafen Scherules dringend, ihm die
Gunst seines zweiten Vaters wieder gewinnen zu helfen. Obildt jubelt
laut beim Anblicke Gawans, er drückt sie wie eine Puppe an seine
Brust und schenkt ihr seinen Gefangenen Meljanz, die klug genug ist,
ihn ihrer Schwester als Herrn und Amie zu übergeben. Wahrhaftig!
Gott sprach aus ihrem jungen Munde und Frau Minne, die Alles ver-
mag, fachte die Liebe der Beiden wieder an, dass Obie mit Weinen
Meljanzens Wunde küsste und ihn ihren Herren nannte. Mit Freuden
ward die Hochzeit begangen. Gawan aber, der keine Zeit verlieren
darf, zog, trotz der Thränen der kleinen Obildt, die so gerne ihn be-
gleitet hätte, von dannen upter den dankbaren Segenswünschen Lyppauts
und seiner Genossen.
Vni. Nach mancher Tagfahrt durch rauhe, unwegsame Gebirge,
wohin ihm Lyppaut Speisevorrath durch seine Jäger vorausgesendet hatte,
durch Wälder und Moore steigt Gawan in das Land Askalon hinab. In
einer grossen Ebene ersieht der Held eine schöne Burg im Sonnen-
schein, so herrlich, dass Aeneas zu Karthago keine schönere sehen
mochte ; sie gehört dem König Vergulaht , dessen Vater Gawan auf
heimtückische Weise ermordet haben soll. Vergulat stammte von den
Feien, daher war er von ausserordentlicher Lieblichkeit, ebenso wie
seine Schwester. Gawan triflft ihn gerade mit seinen Rittern auf der
Falkenbeize und wird auf das freundlichste ersucht, voraus zum Schlosse
zu gehen, wo seine schöne Schwester ihn aufs Beste, pflegen werde; er
selbst werde in Kurzem ihm folgen. Antike nie, so ist ihr Name,
hätte wohl mit der Markgräfln von Heitstein wetteifern können, deren
Schein über die ganze Mark leuchtete. ^) Gawan ritt von einem Ritter
Elisabeth .tynen ihrer Aermel vom Rocke geschenkt hatte, denselben gltkh
mit schwerem Gelde ab and steckte ihn auf den Helm. Vgl. meine Ausgabe
des St. Eisben Leben in F. Pocci „Altes und Neues.'' II. 15. Die Aermel
worden häufig erst bei dem jedesmaligen Gebrauche des Kleidei( an den Rock
angeschnürt und angeheftet. Vgl. ^Weinhold S. 430. 442 etc
') „ir Site und ir sin war geltch der marcgHlvin (404) diu dicke vonme Heit-
stein ttber al die marke schein."^ Die lesearten haben Aitsleine, ReitsteiD,
185
begleitet auf den Palas, and wurde dahin gebracht, wo die Königin
Antikonie sass. 0 weh! dass der weise Mann von Veldeke'> so früh
erstarb, der würde sie besser gelobt haben ! Als Gawan die Magd ersah
ging er näher und sagte, was ihr der König melden liess. Sie antwor-
tete: ^Herr, tretet näher, meiner Züchte Meister das seid Ihr! nnn
gebietet nnd lehret. Kann ich Euch die Weile kürzen so sollt Ihr
gebieten; da der Bmder Euch so wohl empfohlen hat, so küsse ich
Euch, wenn ich küssen soll. Nun gebietet nach Eurem Dünken über
mein Thnn oder Lassen.^ Mit grosser Zucht stand sie vor ihm. Gawan
siurach: ^Fraue, Euer Mund ist so kusslich (so küssenlich getan), dass
ich den Gmss gerne mit Euerem Kusse gelten mag.^ Ihr Mund war
heiss, voll (dick) und roth, daran bot Gawan den seinen und es erging
ein ungastlicher Khss, d. h. inniger als es einem Gaste eigentlich ge-
golten hätte. Zu der züchtereichen Maid setzte s^ch der werthe Degen,
der sich wohl auf süsse Rede verstand. Oft musste er seine Bitte, sie
ihr Versagen erneuern, auch bat er sie Genaden viel. Sie aber sprach :
^Herr, wenn Ihr klug seid, so mag es Euch genug dünken. Ich bot
£ach um meines Bruders willen, wie es Ampflise meinem Oheim Gab-
joinret nie besser bot, ich habe wohl schon ein Loth zugewogen, weiss
SAch nicht, Herre, wer Ihr seid, dass Ihr nach so kurzer Frist nach
meiner Mimie begehrt.^ Gawan antwortete: ^ Wollt Ihr wissen, woher
ich sei, so hört Fraue, dass ich bin meiner Base Brudersohn, wollt Ihr
Tinir genaden, so säumt nicht lange meiner Herkunft wegen, denn die
ist der Eueren völlig gleich.^ Eine Magd schenkte ihnen ein und ging
Unaus, andere Frauen, die erst' da sassen, dachten auch daran, was
sie dranssen zu pflegen hatten und gingen, auch der Ritter, der ihn her-
gebracht, war längst hinweg. Da gedachte Gawan, dass den grossen
JStranss oft ein kleiner Aar fangen könne; er umschloss sie inniglich mit
den Armen und durch die Liebe kamen sie in solche Notb, dass bald
ein Ding geschehen wäre, hätten es üble Augen nicht ersehen. Ein
alter Ritter kam herein und erkannte Herrn Gawan und schrie: ^Heia^
hei! der Ihr meinen Herrn erschlagen, Ihr thut nun auch der Tochter
Gewalt!" Den Waflfenruf hörte das Gesinde, das bald herauf drang.
„Nun rathet Herrin, wie wehren wir uns, sprach Gawan, hätte ich nur
mein Schwert.* Die Jungfrau zieht ihn in einen Thurm, der bei ihrer
Kammer steht und hofit, dass der Sturm vorübergehe. Nun aber drang
Hertstein. Dagegen bat M. Haupt die Leseart Heitstein festgestellt. Vgl.
oben S. 118.
') Heinrichs vontVeldecke BItilhezeit fällt zw. 1173—1184. Wolfram
kannte ihn sicherlich vom Hofe des milden Landgrafen von Thüringen. 404,
28: ^6vr£, daz so fruo erstarp von Veldeke der wfse man! der künde se
baz gelobet hAn.^
186
schon das Volk (bovel '} herein aus der Stadt, sie lärmten nnd schrien
und drangen gegen die Thüre; Gawan stand innerhalb and riss einen
Riegel aus der Mauer , mit dem er seine arge Nachbarschaft oft znm
Weichen brachte, die Königin snchte nach einer Wehr gegen die Stür-
menden, endlich fand sie Schachzabelgesteine ^) und ein Spielbrett, das
an einem eisernen Ringe hing, das brachte sie Gawan ; auf diesem vier-
eckigen Schild ward nuti ein ander Schach gespielt! Die Fraue aber
warf, ob es nun König oder Thurm') war, die grossen schweren Steine
gegen das Volk, wen ihres Wurfes Schwang erreichte, der stürzte wider
seinen Willen. Die reiche Königin stritt da so ritterlich bei Gawan,
dass die Kauffrauen zu Tolenstein zur Fastnacht auch nicht
. besser stritten, ^) doch diese thun*s aus Narrethei (von gampelsiten) und
mühen ohne Noth ihren Leib ; wenn ein Weib Schrammen von Harnisch
trägt, die hat ihren Bernf vergessen. Doch Antikonie bewies hier zu
Schanfanzdn ihre Treue und vergoss Thränen im Streik». Hätte er nur
Müsse gehabt die Magd recht zu schauen, ihr Mund, ihre Augen und
ihre Nase waren, wie der Dichter mit seinem übermüthigen Bilderwitz •
sagt, schönefr als die eines Hasen am Spiesse ; rainnegehrendes Gelüsten .
konnte ihr Leib wohl gereizen, ihr saht sicherlich noch keine Ameise,
cHe besseren Gelenkes pflag als sie da, wo ihr Gürtel lag. Das gab
ihrem Gesellen Gawan auch männlichen Muth, obwohl ihm kein anderes
Gedinge als der Tod in sicherer Aussicht stand; doch kümmerte sich
Gawan wenig um die Feinde, er fällte ihrer Viele. Unterdessen erschien
König Vergulaht und Gawan fand einige Rast, doch nur bis der König
gewappnet war. Da kam derselbe Mahn, der ihn kurz zuvor bei Artus
so kampflich angesprochen, der Landgraf Kyn gr im ursel; Gawans
Noth ging ihm so durch*s Herz, dass er die Hände rang, denn er hatte
ihm seine Treue zu Pfand gesetzt, dass er Frieden haben sollte bis ihn
ein Einzelner im Streit bezwungen. Zornig trieb er die Leute vom
Thurme , da aber der König neuen Sturm befahl , sprang der treue
Landgraf zu Gawan und erklärt dem Bedrängten beizustehen ; so kommt
*) Bovel cf. oben S. 135. Anm. 3.
0 408, 20 fr.: „schfichzabelgesteine iint ein bret, daz an eine isenfnem ringez
bienc.^ Das Schacbspiel findet sieb in Deutschland schon sehr frühe; es ge-
hörte zu dpn ritterlichen Vollkommenheiten, den sieben probetates, als da
hiessen : Reiten, Schwimmen, Scbiessen, Ringen, Vogelbehee, Schachspiel ond
— versificari! im Wigelois werden hölzerne Schachfiguren genannt; diese
im Pareival waren wahrscheinlich von Metall Vgl. übrigens Massmann
Geschichte des mittelalterlichen und vorzugsweise des deutschen Schachspiels.
Quedlinburg 1839.
') roch, auch rok, rocke, ist der wandelnde Thurm oder Elephant. Mass-
mann S. 87. ~
4) 409, 5 fr. Vgl. oben S. 122 ff.
187
endKch WaffenstUlAtand zuwege^ obwohl Yergalat, der noch nicht weiss,
dass Gawan am Morde seines Vaters ganz nnschnldig ist (denn das
hatte ein anderer Mann gethan), lange nicht nachgeben will. Antikonte
dankt mit Thränen dem wackem Landgrafen für die Rettang des wer-
then Gastes, der ihrer Pflege übergeben wird.') Kyngrimorsel hält es
nunmehr mit seiner Ehre unTertrftglich , dass er hier, wo das von ihm
yerheissene sichere Geleit auf so schmähliche Weise gebrochen ward,
seinen Kampf mit ihm ansfechte und Beide vereinigen sich, dass er
über ein Jahr zu Barbigoel abgehalten werde. Vergalaht, einigermassen
in Verlegenheit, was er mit Guwan beginnen soll, erzählt, er sei neulich
im Forst Laehtamris von einem unbekannten Ritter niedergestochen
worden, der ihn verpflichtete, den Gral zu suchen und wenn er ihn in
Jahresfrist nicht fände, sich der Königin von Pelräpeire zu stellen. Nun
scheint es den Rathgebem des Königs thunltch, die Erfüllung dieses
Gelübdes dem Gawan zu übertragen, wodurch man sich seiner auf eine
schickliche Weise entledige. Gawan nimmt den Antrag an; mit Jammer
scheidet er sich von der schönen Antikonie und reitet auf seinem Rosse
Gringuljet dem Gral und grossen Wundem entgegen, indes« sein Ge-
folge (in dem sich acht kleine Magen oder Nefien befinden, die ihm
dienen) nach Barbigol geht, von wo er Meljanz weiter an den Hof des
König Artus geleiten soll.
•
IX. In reizender Weise beginnt der Dichter den neunten Gesang
mit einem Zwiegespräch zwischen sich und der Frau Aventüre, die an-
pocht und in des Dichters Herz Einlass verlangt. „Thut auf !^ —
*) Inzwischen ergreift auch Wolfram die Gelegenheit, sich auf seiife Quelle zu
berufen; er aari, dasa Kyöl weniffsteos einen in unserer Geschichte ganz
unhedeutendenMann , Namens Liduamus^, so nenne und fährt dann weiter
416, 21 ff.:
Kyöt !a schantiure hiez,
den sin kunst des nibt erliez,
er ensunge und spraeche 86
d#8 noch ^enuoge werdent frö.
Ky6t ist ein Provenzdl,
der dise dventiur von Parzivdl
heidensch geschriben sach.
swaz er en franzoys dd von ge-
sprach,
bin ich nibt der witze laz,
daz sage ich tiuscben fUrzbaz.
Kyot le Chanteur, dem war
Wohl die Kunst offenbar,
So zu sinken und zu sprechen^
Dass nie der Dank ihm darf gebrechen.
kyot ist ein ProvenzaK
Der die Mar' von Parzival
Fand in arabischem Buch.
Wie er^s französisch ttbertnig^
So wird*s, wenn mir der Sinn nicht
fehlt.
Von mir im Deutschen nacherzählt.
Lachmann (Vorrede S. XX) sieht in dieser Stelle eine Anspielung auf Chri-
stians von Troyes, der immer vermeidet, die Personen der Fabel mit Namen
ZQ nennen. Wolri^m nennt den Fürsten Liddanus dessbalb mit ausdrück-
licher Berufung auf seine Quelle , weil der Prosa - Roman ihn nur beiläufig
bezeichnet.
188
^„Wem? wer seid Ilir?'*^ -r ^Ich will in's Herz hinein zn Dir!*' —
^ „So. begehrt Ihr in einen engen Ranm.^^ — „Was thut's? über Hiein
Drängen sollst Da nicht klagen: loh will Dir nun Wunder erzählen.^
— „Ah! seid Ihr es, Frau Aventiure? was macht der Werthe?
ich meine den guten Parcival, den Cundrie mit unsüssen Worten nach
dem Gral jagte. Voq Artus schied er sich, wo fUirt er nun? sagt uns
die Märe, ob er an Freuden verzagte oder hohen Preis gewann? Sagt
uns, was von seinen Händen geschah, ob er Munsalvaesche geschehen
und den beklagenswerthen Anfortas? Gebt uns Trost durch Euere Gfite,
ob e^ von Jammer ist erlöst. Erzählt uns von Parcivai, der Euer Herre
und ^uch der meine. "^
Nun thut «ns die Aventiure bekannt, er habe viele Länder durch-
fahren (erstrichen) zu Ross und in Schiffen auf der See, w^ ihm immer
in den Weg kam, Landsmann oder Blutsfreund,, den bestand er im
Tjost. Wer Preis von ihm borgen wollte, der kam in Sorgen. Ekidlich
kam er an eine Klause, ohne Weg ritt er über Ronen vor das Fenster,
um nach der Strasse zu fragen; wie die Gegenrede von einer Frauen-
stimme kam,^stieg er gleich ab, band sein Ross und den zerstochenen
Schild an einen Ast und trat an das Fenster: eine bleiche Jungfrau in
einem härenen Hemde erhebt sich vom G«bete, sie trug den Psalter in
der Hand und am Finger ein goldenes Ringlein mit einem Ranzenden
Granat; sie ladet den Fremdling ein, sich draussen auf die Bank zu
setzen. Parcival spottet über das Ringlein, er habe stets gehört, dass
Klausner und Klausnerinnen Amprschaft meiden müssten. Da erklärt
sie ihm, wie sie diesen Mahbchatz (mähelschaz) von einem lieben Manne
trage, der ihr, vor sie seine Minne gewann, durch Orilus erschlagen
worden; drinnen liege ihr Geliebter begraben und ihr Leben schwindet
dahin in Traner über dem Sarge des Geliebten, dem sie vor Gott in
treuer Ehe verbunden ist. „Idi bin hier selbander, Schionatulander ist
das eine, und das andere bin ich,^ sagte sie. So findet er denn aber-
mals seine Muhme Sigune, die er ii:\ ihrer abgehärmten Gestalt nicht
mehr erkannt hätte.. Nun zieht auch er das Härsenier ab, dass sie
sein Angesicht erkenne. Ihre erste Frage ist, wie es mit dem Gral stehe.
„Ach Muhme, klagt der werthe Held, ich sehne mich nach meiner
Gattin, dem schönsten Weib, und doch lässt mich die Sorge um den
Gral nicht los, der noch immer ungesehen ist. Und Du, liebe Niilel,
machst meinen Kummer noch schwerer, weil Du mich anfeindest.^ —
„Nun helfe Dir dessen Hand, der allen Kummer kennt,^ antwortet die
Gute, und ihren Groll verschwörend weist sie dem Helden die Spur,
auf welcher die Gralbotin , die ihr alle Samstag Nachts Speise bringt,
vor Kurzem erst weggeritten ist, vielleicht kannst Du sie noch ereilen.
189
Sogleich nahm er Urlaub and ritt den Stapfen nach, die bald wieder
v^r^hwanden; so war der Gral aufs Neue verloren!
Bald kam ihm ein Rittersmann entgegen, sein Haupt war unbe-
deckt, sein Wappenrock kostbar und der Harnisch darunter glänzend,
80 war er bis zum Kopf geröstet. ^Herre, spricht er den Parcival an,
es ist mir leid, dass Ihr in meines Herren Wald dringet, Munsalväesche .
ist nicht gewohnt, dass ihm Jemand so nahe reite, es sei denn, dass
er siegreich streite oder solche Busse (wandel) biete, die vor dem Wald
Tod heisst.^ ') Er trug einen Helm mit einem Gebäude von seidenen
Schnüren, einen scharfen Speer (glaevie) mit neuem Schaft. So ritten
sie denn kräftig gegen einander. Parcival traf den Strick der Helm-
schnur, der Templeise aber traf ihn da, wo man im Ritterspiel den
Schild trägt; sie stiessen so mächtig zusa!mmen, dass der Ritter rück-
wärts vom Rosse stürzte und über eine Halde in das Thal fiel. Par-
cival aber vermochte sein Pferd nicht mehr zu halten, es stürzte hinab
und der Held wäre mit hinabgefallen, hätte er sich nicht an dem Ast
einer Zeder erhalten, worauf er bald wieder festen Grund unter die
Beine brachte. Sein Ross aber und der Andere, der sich unten wieder
^on dannen hub, kamen in den Abgrund. Parcival nahrti froh das
ledige Ross des Templeisen für den verlornen Speei^ und ritt planlos
"weiter. Ihm gebrach der Gral, das war sein Leid. — ^
Der Wochen Zahl , wie lange Parcival weiter ritt, weiss ich nicht.
Eines Morgens, als gerade noch dünner Schnee lajg, begegnete ihm tief
im Walde ein alter Ritter mit seiner Frau. Sie trugen grobe graue
IRöcke auf dem blossen Leib; zwei Jungfrauen, seine Kinder, trugen
dieselbe Watt, Alle aber gingen barfuss. Der Ritter sah aus, als wäre
er des Landes Herr; neben den Frauen liefen kleine Bracken (bräcke-
lin) ; *) demüthig gingen der Ritter und die Knappen auf der Gottes-
fahrt. Der alte Herr ist überrascht, heute einen Ritter gewaflhet und
hoch zu Ross zu finden, der die heiligen Tage nicht ehre nach der
Sitte. Aber Parcival antwortet: ^Herr, ich weiss nicht, wie das Jahr
imd die Zahl der Wochen steht und wie die Tage heissen, ich diente
') Wo man den Gral sieht, ist kein Sterben möglich, man kennt es auf der
Gralburg und ihrem Gebiete nicht, vor dem Walde ist eben die Welt, wo
der Tod so Hause ist. (443, 20.)
') Die Vorliebe' der Frauen fUr ihre Hündchen zeigt sich darin «m besten, dass
sie selbe sogar am Charfreitag auf der Gotlesfahrt mit sich führen ; sie hatten
sie immer um sich und selbst auf ihren Grabsteinen mussten die treuen Be-
gleiter noch abffebildet werden. Fast in allen epischen Gedichten^ wie im
Tristan, im Wigalois, noch mehr in den Hinnesdngern , spielen sie eine
nicht unbedeutende Rolle. Vergl. Weih hold Deutsche Frauen S. 84 und
Wackernafel in PfeifTeri Germanii. IV. 144 AT.
190
einst Einem, der hiess Grott, ehe Der so Bchm&Michen Spott über mich
verhängte, da mein Sinn doch nie von ihm wankte; man sagte mir,
er helfe gern, an mir aber ist seine Hilfe verzag ^ Dagegen versetzte
der grane Ritter: ^ Meint Ihr den Gott, den die Magd gebar? glaabt
Ihr an seine Menschwerdung (mennescheit) und an das, was er heute
um uns erlitt, wesshalb man diesen Tag begeht, so steht Euch der
Harnisch übel an. Es ist heute der Karfreitag, dessen alle Welt
obwohl in Leid befangen, sich billig freuen mag, denn ward je grossere
Treue offenbar, als die Gott an uns beging, als man ihn an das Kreuz
hing? Habt Ihr die Taufe empfangen und seid nicht ein Heide, so ge-
denkt dieser Zeit. Njcht weit von da ist ein heiliger Mann, der kann
Euch von Sünden scheiden, dahin reitet.^. Der Alte lud ihn auf die
Fürbitte seiner schönen Töchter vorerst ein, sich in seinem Gezelt und
Schlafliaus (.slavenien hüs) zu erquicken, welches er alljährlich, wenn
er um Gottes Marter-Zeit durch diesen Wald führ, immer mit Lebens-
mitteln mitführte. Allein Parcival , theils weil er neben den schönen
Kindern nicht zu Fusse gehen will, dann weil er Den hasst, den jene
minnen, nimmt Urlaub und reitet trübe weiter. Da gedachte er an die
Grösse und Allmacht des Schöpfers der Welt und ob der Gewaltige
nicht doch vielleicht noch seinen Jammer wende? ist heute sein hilfe-
reicher Tag, SO/ helfe Er, wenn Er helfen mag und löse mich aus meiner
Sorgenhaft. So wandte er sein Ross um und ritt hin woher er ge-
kommen war; die Jungfrauen mit dem greisen Ritter blickten dem Vor-
überreitenden aufmerksam nach. Ist Gottes Kraft so hehr, denkt der
Arme, dass Gethier und Menschen sie offenbaren, so will ich ihn
preisen; Ihn weise mir dieses Kastilian. So sprechend legt er die Zügel
dem Ross frei über die Ohren und spornte es an, dass es gehe, wohin
es mag. Wirklich trägt es ihn auch bald nach Fontane la salvätsche,
eben jene Klause , die der fromme Trevrizent bewohnt und in welcher
er bereits früher die Unschuld Jeschutens . auf dem Reliquienkästchen
gegen Orilus beschworen hat.
Hier erfahrt nun Parcival die verhohlne Märe von dem Gral. Ver-
gebens hätte mich Einer früher darum befragt, zu hehlen bat mich*s
Kyöt nach der Aventiure Gebot, bis davon zu sprechen Zeit Nun
erzählt Wolfram kurz, wie Flegetänis (der von väterlicher Seite
her aus heidnischem, von der mütterlichen' Seite aber aus salomoni-
schem Geschlechte stammte) zuerst von dem Gral in den Sternen
las und davon geschrieben habe, das Buch habe dann der wohlbekannte
Meister Kyöt zu Toledo (Dölet) verworfeii gefunden, der habe darüber
in lateinischen Büchern viel nachgesucht und der Lande Chroaikea ge-
leseo, bis er ^ze Anschoawe^ die Märe fand von ihren Anherren bis
auf Tyturel und Anfortas. ')
Damals traf Parcival den Klausner nicht daheim, jetzt aber findet
er ihn und der fromme Mann ist ebenfalls nicht wenig erstaunt, am
heutigen Tage einen Mann in Waffen zu erblicken. Doch ladet er ihn
ein, in seine Klause zu treten; das Ross wird unter einer Felsenwand
geborgen und nothdürftig gefuttert,*) dann führt ihn der Wirth in eine
Gruft, wo glühende Kohlen lagen und der von Frost durchschauerte
Mann sich wärmte; darauf gingen *ie in die andere Grufl, wo der
Klausner seine Bücher hatte und ein nach des Tages Sitte entblösster
Altar stand, darauf stand die Kapsel, die Parcival gleich erkannte. Er
erzählte, wie er darauf geschworen und damals auch einen bemalten
Speer mitgenommen habe. Trevrizent erinnert sich dessen Abhanden-
kommens und Parcival erfährt, dass seither fünfthalb Jahre und drei
Tage vergangen! Nun weiss ich erst, bricht Parcival klagend aus, wie
lang ich aller Freuden bar und bloss irre ; in der ganzen Zeit sah mich
kein Auge wo eine Kirche oder ein Münster steht, ich suchte nichts
als Streit; auch trage ich grossen Hass gegen Gott, {lätte er seine
Kraft an mir erwiesen, so sässe nicht meine Freude so tief in der
Sorgen Grund festgeankert. Trevrizent erseufzte tief: „Ihr sollt besser
auf Ihn vertrauen lernen, sprach er, nun sagt mir aber, wie dieser Hass
sich anfing. Seine Hilfe ist Allen unversagt; Er selbst ist die Treue
>) V. d. Uagen fand im J. 1817 zu Neapel (vgl. Briefe in die Heimatli. Breslnii
1819. 111 168 ff.) eine alte italische Pabst- und Kaisercbronik , welche er-
zählt^ dass um das Jahr 1239 ein Jude zu Toledo im Weinberge, in einem
ausgehöhlten Steine ein Buch gefunden, das Hebräisch, Griechisch und La-
teinisch von den drei Wellaltern handelte, von Adam bis zum Antichrist mit
der Weissagung, dass im dritten Weltalfer Christus von einer Jungfrau ge-
boren und dieses Buch unter König Ferdinand 111.. von Kastilien gefunden
werde: worauf der Jude sich mit den Seinen teufen liess. Dabei ist ange-
merkt^ dass sich etwas Aehn liebes schon unter Heinrich VI gefunden habe!
— Uan sieht daraus deutlich^ wie jede Sage bemüht ist, sich historisch zu
gestalten und wie sie mit jedem Schritte verjüngt, sich immer an neue
amen anzule^n pOegt. — Im Wartburgkrieg (S im rock 1858. S 195) hat
Z a b u 1 ö n ^ein Jude von der muoter art , ein beiden vaterhalp ,^ der Erste
^der sich Asiromle ie underwant^ in den Sternen gelesen, dass der Heiland
nach zwölfhundert Jahren kommen werde, darüber habe er ein Buch ge-
schrieben, das er aber in ein Erzbild schloss, das mit aufgehobener Keule
(klüpfel) die Schrift hütete. Virgilius habe aber doch das Buch gewonnen,
aus dem er seine Kunst schöpfte. (Hier ist die Sage bereits ganz dem bor-
nirten, meistersöngerlichen Handwerksverstande mundgerecht gemacht, wie
denn dieser Theil des Wartburgkrieges zn dem unerquicklichsten überhaupt
gehört.)
^ Mit ^jrrazzach unde varm ;^ grazzach = Nadelholzsprossen, Zweige von Fich-
ten, Tannen, Eiben, die zu Futter und Streu ven^endet werden; varm, dem
Parrenkraut entsprechend.
198 '
und Wahrheit. Wer Euch zürnen siebt, könnte Ekch am Hirne krank
halten; denkt an Lucifers Beispiel! Als der zur Hölle fahr (-faor die
hellevart), da nahm der Mensch den Anfang, Gott workte ihn aus
Erden, aus Adam brach er die EVa, die uns das Ungemach brachte,
dass sie d^n Schöpfer überhörte und unsere Freude verdarb. Als dann
Adams Sohn , Käin , das erste Blut an seinem Bruder vergoss, verlor
die Erde ihr Magdthuiö, seitdem ist Zwietracht in der Welt. Dennoch
wandte Gott sein Antlitz nicht von der sündigen Menschheit, sondern
erschuf eine zweite jungfräuliche Mutter, aus d^ren reinem Schoosse
der neue Gottmensch geboren ward : nu prüevt wie rein die meide
sint: got was selbe der meide kint. Wehe dem, der noch sündige
That begeht! wandelt bei Ihm der Sünden Schuld ab! wendet Euer Ge-
müthe zu Ihm. Sagt mir, welche Noth Euch drückt.'' — Parcival er-
öffnet ihm nun : die grösste Sorge komme ihm daher, dass er den Gral
nicht finden könne, und darnach bekümmere ihn am meisten die Sorge
um sein liebes Weib. Das lobt Trevrizent^ denn die Liebe der Ehe-
gatten sei Gott ein Wohlgefallen; den Gral zu suchen sei aber ein
vergebliches Bemühen, und nun erfährt Parcival erst vollständig, welche
Bewandniss es damit habe.
Die ganze wehrliche Ritterschaft auf Munsalvaesche lebt durch
den Gral, ") der solche Kraft hat, dass der Phönix auf ihm sich
verbrennt und verjüngt wieder in die Lüfte steigt. War' einem Menschen
noch so weh, er könnte doch an dem Tage nicht sterben, an wei-
chein er den Gral gesehen, sieht ihn Einer zweihundert Jahre
lang, ;so ergraut ihm nicht ein Haar und er verbleibt in jugendlicher
Schönheit. Alljährlich am Karfreitag schwingt sich eine Taube vom
Himmel, die eine kleine weisse Oblate auf den Stein legt, davon em-
pfängt er seine Kraft^ Alles zu spenden, was unter dem Bimmel fliegt,,
läuft und schwebt. Der Gral beruft die, welche er in seinem Dienste-
haben will, durch eine Schrift, welche verschwindet, wie sie gelesen ist.
*) Der Gral ist aus eioem Steine, der 4t>9^ 7 lapsit exillts (offenbar ein J«spi8>
genannt wird. Das Wort grdl wurde auf die verschiedenste Weise zu deuteiB
gesucht, am richtigsten, wenij^stens seinen symbolischen Beziebungeo ent-
sprechend, ist die freilich bereits längst antiquirte Deutung Kanne^s (Chrj—
slus im alten Testamentes. 102), der das Wort mit dem hebräischen garalela
(praeputium) in Verbindung bringt, da ja das Blut bei der Beschneiduoj^ dad
Vorbild des Versöhnungsblutes Christi gewesen. Vgl. übrigens S ßoisse^
ree in seiner Abhandl. über den Graltempel in den Abhandl. der Akademie-
S 319 u. 323. Die Genueser bekamen im J. 1101 bei der Einnahme von
' Cäsarea eine Schüssel (il sacro catino), woraus Christus das Abendmahl ge-
halten haben soll ; sie war von sechseckiger Gestalt und galt für Smarard^
der sich jedoch später nur als Glasfluss erwies. Vgl. auch Gör res in des
Einleitung zum Lohengrin über den orientalischen Einfluss auf die Aasbild—
ung der deutschen Sage. -
198
Alle die dort erwachsene Leute sind, kamen als Kinder dahin und
glücklich die Mutter, deren Kind in des Grales Di^st kommt, denn
sie sind vor sändlichen Schanden immerdar behütet, scheiden sie aus
dem Leben, so wird ihnen dort der Wunsch zu Theil. ')
•
Diejenigen Engel , die beim Kampfe Lucifers gegen die Trinitas
sich nicht entschieden hatten und neatral blieben, weder zu Gott noch
zum Teufel hielten, wurden verurtheilt, den Stein zu halten, bis er zur
Zeit der Erlösung auf die Erde kam. Als das Christenthum
sich verbreitete, trug ein Engel auf Gottes Befehl*) den Gral
zu dem jungen und frommen K^öhige Titurel, der von nun
an mit seinen Nachkommen Hüter und Pfleger des heil.
Grales sein sollte. Nachdem dieser lange Jahre diesem Amte vor-
gestanden (denn er ist der schöne alte Mann, den Parcival auf einem
Spannbette am Siechthum des Podagra (pogrät) liegen sah) trat er das
Königreich seinem Sohne Frimutel ab, der darauf im Kampfe für
den Christenglauben den Tod fand. Nun fiel das Reich und die Pflege
des Grals auf seinen ältesten Sohn Anfortas; von seinen vier übri-
gen Kindern widmete sich Trevrizent dem Dienste des Grals; die
äkeste Schwester, Tschoysiäne, wird mit dem Herzog Kyöt von
Katelange vermählt, dem sie ein Töchterlein, die schöne Sigune
schenkt , dessen Geburt sie aber nur wenige Stunden überlebt. Die
zweite Tochter, Herzeloyde, war dem Könige Kastis zur Ehe ge-
geben, der aber schon am Tage der Vermählung starb. Später errang
sie im Turnier zu Kanvoleis der edle Gahmuret zum Weibe, durch
den sie Parcivals Mutter ward. — Die jüngste Tochter Frimutels,
Repanse de schoye, ist noch unvermählt; sie lebt bei ihrem Bruder
Anfortas auf Munsalvaesche, und nur von ihr lasst sich, nach Tschoy-
siänens Tode , der heilige Gral tragen , wie Parcival bereits ersah.
Dieses hohen Amtes ist überhaupt nur die reinste Magd
Würdig, jedem anderen Sterblichen ist das Gefäss unan-
tastbar. Eine zahlreiche Ritterschaft dient dem Grale,
die Templeisen; sie wehren jeden Unwürdigen von dem Walde
ab, in dessen Mitte die wunderbare Burg liegt. Es war ein
Glück, dass Parcival das erstemal so unangefochten hinkam ; das zweite
tnal war er richtig auf einen Templeisen gestossen, den er im Tjost so
gefahrlich bestand. Vermählt auf Munsalvaesche zu leben ist nur dem
') 471, 14: „so Wirt in dort der wünsch gegebo/ eine, acht ur^rmanische
Vorstellung der enigen Seligkeit. —
') Das Aosrübrlicbe darüber in dem leider von Wolfram nicht mehr vollende-
ten Gedichte Titurel.
13
Könige des Grals gestattet, damit das Herrschergeschlecht sich
fortpflanze. Wird aber ein fremdes Land herrenlos, und sehnt es sich
nach einem Fürsten, so zeigt der Gral in seiner Schrift den Namen
des Ritters, der dahin als König ziehen soll (vgl. den XVI. Gesang:
Loherangrin) , dort darf er sich vermählen, aber nicht seine Herkunft
melden. Die Jungfrauen auf Munsalvaesche dürfen sich zwar auch ver-
mählen, wie Herzeloydens Beispiel zeigt, müssen aber dann die Burg
verlassen. Nie dürfen Hochfahrt und Unzucht dem reinen
Ge fasse nahen; jeder Ritter muss Frauenminne verschwören; rein,
züchtig und demüthig müssen der König, die Terapleisen und alle Frauen
sein. Wehe! dass dieses An fort as mal vergass, wesshalb er es mit
gränzenlosem Jammer büssen muss. Denn als er eins^ in voller Jugend^
blüthe auf Aventiure zog, um durch Ritterthaten einer minniglichen
Freundin zu diesen und ^ Amor'' sein Kriegsgeschrei .war (amor war sin krie,
478, 30), stiess er auf einen fremden heidnischen Ritter, rannte ihn an
und tödtete ihn, ward aber von seinem Speere in der Hüfle (heidruose)
verwundet, so zwar, dass die vergiftet hohle Lanze in der Wunde ab-
brach, die sich als unheilbar zeigte. Das Uebel stieg mit jedem Tage ;
ein giftiger Eiter entquoll ihr unaufhörlich; alle natürlichen und über-
natürlicheii Mittel der altdeutschen Apotheke werden zur Heilung auf-
geboten ; Alles, was man in Büchern gelesen hatte (swaz man der arzet-
buoche las), wurde versucht: Wasser aus den vier Flüssen des Para-
dieses, da« Reis, das die Sybille dem Aeneas zum Schutze in die
Unterwelt mitgegeben hatte (für helles ungemach) gegen den Dunst des
Phlegeton (für den Flegetönen rouch), das Blut des Pelikan (pellicanus),
mit dem er seine Jungen nährt, das Herz des Mägde-Reinheit prüfen-
den Einhorns*) und der Karfunkelstein, der ihm unter seinem Himbeine
wächst, Alles was man gegen giftige Wurme und Schlangenbiss an
Kräutern und Würzen weiss, Nardensalbe, Theriak (uut waz gedriakelt
was), der Rauch von lignum Aloe — Alles vergeblich. Ein Arzt ge-
wann wohl die Splitter, aber die Wunde selbst blieb unheilbar. Bei
gewissen Constellationen erhöht sich der Schmerz auf das höchste, eine
geringe Linderung gewährt dann dem unglücklichen Könige nur die ver-
giftete Lanze selbst, denn lag er im heftigsten Fieberfroste und senkte
man die Spitze derselben in die Wunde, so erwärmte sich sein Blut^
von der Hitze des Giftes; der Frost, der aus der Wunde schlug, legte
sich jedesmal wie Glas an und dieses ist so giftig, .dass sogar der
^) monlcims. V^l. Munter Sinnbilder. 1825. S. 41. Grass e zur saffenhafteD
Naturgescbicme des'Hittelallers, in dessen ^BeitrAgen.^ 1^0. 8. w— 71 a.
Menzel Symbolik. I. 230.
185
onverbrennbare Asbest') in Flammen aufschlägt, wenn etwas darauf
ftllt. Nor dorch die beiden silbernen Messer (die der schon früher ge-
nannte kunstreiche Schmied Trebouchet geworkt hat, die wir auch zu
Mnnsalvaesche nach der bhtigen Lanze vortragen sahen) kann das Eiter
abgeschabt werden. Der König ist so elend, dass er nicht Hegen, noch
stehen, auch nicht sitzen kann, er vermag nur zu lehnen, seine einzige
Erquickung ist, auf dem SeeBrumbäne, wo Parcival ihn zuerst
antraf, zu fahren, wo die Sösse und Linde der Luft den Kranken stärkt*
und labt; davon erscholl die Märe, dass er eiik Fischer sei. Endlich
erschien am Gral eine Inschrift , welche die anscheinend geringfügige
Bedingung setze , dass , wenn ein Ritter nach Munsalvaesche komme
und unaufgefordert und vor Ablauf der ersten Nacht frage, wie der
König zu diesem' Leid gekommen sei, so solle es ein Ende haben; die
Krone des Grales gehe aber auf den Ritter über. — Trevrizent zog
sich nun in die Wüste als Klausner zurück und betete Tag und Nacht
zu Grott, den ersehnten Ritter nach Munsalvaesche zu senden; er ge-
lobte Grott für die Rettung des Bruders ewige Entsagung von aller
Ritterschaft (das theuerste und liebste wa» er kannte!) und entschlug
sich alles Fleisches und Weines; doch wird dadurch nur die Klage der
Templeisen vermehrt, denen nun auch die HoJBTnung sÖbwand, dass
Trevrizent sich des halbverwaisten Reiches annehmen werde. — Täglich
tragen sie den König vor den Gral , um durch dessen Anschauen den
Tod von ihm abzuwehren. Endlich erscheint ein Ritter auf der Burg -^
aber in Ein< unterlässt er, obwohl sogar reich beschenkt, die Frage!
So erklärt sich der Jammer Sigunens, da ParciviU ihr «eine Anwesen-
iieit zu Munsalvaesche und dass er die verhängnissvolle Frage unter-
lassen habe, mittheilt, so die Verwünschung der treuen, gräulichen
Gralbotin auf dem Plimizo^l.
Trevrizent bemerkt am Sattelzeuge von Parcivals Pferd eine Turtel-
taube, das Zeichen der Templeisen und fragt, ob er Lähelin sei, der
erst kürzlich hier einen Templeisen erschlagen habe. Parcival kann das
glücklicher Weise verneinen, doch fällt ihm nun schwer aufs Herz, wie
flurch seine Hand der Ritter Ith^r von Gaheviez das Leben verloren.
A der Kunde davon bebt Trevrizent zurück, denn nun weiss er erst,
der ist, den er vor sich hat : Herzeloydens Sohn, sein eigener Neffe!
^ber Parcival stürzt aus Leid nur wieder in neues Leid; denn er hört
nun, dass er in Ither seinen leiblichen Vetter erschlagen, noch mehr,
dass er das Herz seiner Mutter durch sein Scheiden von ihr gebrochen
*) •spind6, davon soll nach Tilurel auth die Arche'Noä erbaut gewesen sein
der Schild des Feirefiss isl gieichfalls von dieieni Holse.
13*
196
hat, dass er der Drache gewesen, der ihren Leib zerfleischt und dann
durch die Lüfte entflohen sei, wie der Traum vor seiner Gebart, es ihr
zeigte. Wehe! ruft er, ewiges Wehe über mich! Auch das Königthom
des Grals könnte mich nun meinem Jammer nicht entreissen; wehe!
wie schwere Schuld habe ich auf' midi geladen! Anfortas, den ich so
treulos in sein Elend zurückstiess, kann mir nimmer vergeben. Trevri-
zent aber spricht dem Verzagenden mit kräftigem Trostesworte zu und
weist ihn auf Den wieder hin, welcher der Quell und der Ausfluss aller
Hilfe und alles Erbarmens ist und der ihm allein in seinem Kammer
Trost und Kraft verleihen kann. Durch treue, liebevolle Ermahnungen
sucht er ihn im rechten Glauben zu befestigen.
Der Dichter hat das Alles, was wir hier mehr in einem Gusse
gegeben haben, mit kunstvoller Steigerung in einzelne Wechselreden
eingekleidet, die den Vorhang über die früher noch unklaren Vorgänge
nur allgemach lüften, dann aber plötzlich eine überraschende Uebersicht
des ganzen Elendes gewähren, das über seinen Helden hereingebrochen.
Fünfzehn Tage verweilt Parcival bei dem treuen Klausner, ^krut unde
würzelin'^ waren unterdessen ihre beste Speise. Sein Herz wendet sich
wieder zu Gott, den er so schmählich verleugnet hatte ; er scheidet von
Trevrizent mit dem Tröste, Grott werde dem reuigen Sünder vergeben
und ihn endlich wohl 4ioch das hohe Ziel, nach dem nun erst so recht
sein Herz sich sehnt, und sein geliebtes Weib wieder finden lassen. — *
So hat sich an dem Helden nun Treue und Untreue „paniert,^ sonst
hätte er ja nicht zur Probe berufen sein können, er gleicht nun völlig
der Elster, schwarz und weiss; sobald er sich ganz zum Weissen oder
dem Lichte kehrt, d. h. sobald die Treue den vollen Sieg gewinnt, ist
seine Aufgabe^ erreicht.
*
X. Unterdessen ist das Jahr verflossen, nach dessen Ablauf sich
Gawan zum Zweikampf mit Kyngrimursel zuBarbigoel vor dem König
Meljanz stehen solltcr. Beide Kämpfer, sowie auch Vergulaht, sind er-
schienen, das Missverständniss löst sich inzwischen noch vor Beginn
des Kampfes, es fand sich, dass nicht Gawan, sondern der Graf Eh-
cunaht den Kingrisin (Vergulahts Vater) meuchelmörderisch erschlagen
habe und dass sogar Vergulaht mit Gawan blutsverwandt sei. In Frieden
trennen sie sich, um jeder auf eigenen Wegen nach dem Gral zu
forschen.
Eines Morgens fand Gawan im Felde ein Boss, das Frauenreitzeug
(frowen gereite) trug, an einen Baum gebunden, dazu einen Schild,
dem durch Tjost ein weites Fenster eingeschnitten war, hinter der breiten
Linde sass eine Frau, die einen verwundeten, todtsiechen Ritter im
197
Anne hat; Gawan sieht, dass das Blat sein Herz belästigt, er schälte
desshalb eifi Zweiglein der Linde und Hess dadurch, wie aus einem Rohr
der Frau das Blut aus der Wunde sangen, wodurch der Ritter wieder
zu sich kam und die Sprache gewann. Er erzählt, wie er hier in der
Nähe der Burg Ldgroys von einem Ritter Lishoys Gwelljus angerannt,
verwundet und seines Pferdes beraubt worden sei. Gawan, nachdem
er die Wunde mit der Kopfbinde (houbtgewant) der Frau verbünde»
und einen Wundsegen') darüber gesprochen, ritt weiter und sah bald
die stoke Burg Ldgroys vor sich. Bei einer Quelle sitzt eine reizende
Fraue» der wohl nach Condwirämür der Preis der Schönheit gebührt.
Es ist Orgeldse de Ldgroys, die Herrin dieses Landes. Gawan be-
grösst sie mit höfischer Rede, wird aber indess sehr spitz abgefertigt;
wollt Einer seine eigenen Augen auf eine Schleuder bringen, sie kämen
vielleicht zu sanfterem Wurfe, als ihm, der seine kranke Gier auf andere
Minne walzen lassen solle. Trotzdem bietet sich Gawan als Gefangener
in ihren Diensten zu leben. Wohl, entgegnet die Frau, doch sei er ein
Thor, wenn er je auf Dank von ihr hoffe; Ihr mögt wehrlich leben und
doch wohl Schande eijagen, mein Dienst bedarf keines Zagen. So holt
mir denn über den hohen Steg aus dem Baumgarten, in dem die Leute
singen, tanzen und flöten, mein Pferd. Gawan, der nichts sieht, wo
er sein floss anbinden könnte, bittet die Frane, es ihm unterdessen
zu halten. Wie er ihr die Zügel hinreicht, verweist sie ihm, daas er
glauben könne, sie werde ihre Hand dahin legen, wo eines Mannes
Hand geruht; erst nachdem der minnegehrende Mann versichert, d.iss
er dieses noch nie berührt, fasst sie das äusserste Ende des Zügels.
Die schönen Ritter und Frauen aber, die sich in dem Baumgarten mit
Singen, Tanzen und Saitenspiel ergötzen, beklagten alle« den Gawan,
der durch den Trug dieser listigen Frau wohl in grosse Fährlichkeiten
verleitet werde, ein alter Ritter, der an einer Krücke lehnte, weinte
^ogar, als er Gawan zu dem Pferde gehen sah: ,. Verflucht sei unsere
Benin, die manch werthen Mann um*s Leben bringt, seht zu, dass
eie Ekich nicht höhne, deren Süsse sauer ist, recht wie ein Schauer bei
Sonnenschein.'^ Gawan löste das an einen Oeibaum gebundene Pferd
mit kostbi^em Grereite; als er es zurückbrachte, hatte die Frau das
Oebände unter dem Kinn mit der Hand gelöst und auf das Haupt
gelegt; wenn eine Frau sich also trägt, hat sie wohl Schalkheit im
Sinne. Mit Sohmährede dankt sie, lässt sich auch nicht von ihm aufs
') Dergleichen haben sich in Ffille erhalten. Ein lateinischer Wundseeen ans
dem XIII. Jahrh. mitgelheilt von Leyser in Haupl's Altd. Blatt. Tl. 323.
Vgl. Wolf Beiträge I. 254 IT und dessen Zeitschrin. I. 277 ff. U 117.
ftBlot stehe still und gerinn^ etc. 111. 326 ff.
198
Pferd heben, sondern springt selbst hinauf und befiehlt dem HeMeh,
ihr voran zu reiten, dass sie einen so achtbaren Gesellen nicht ver-
liere. So ungeselliglich fuhr sie nüt Gawan. Ueber die lichte Haide
reitend nahm Gawan eine Staude wahr, deren Wurzel für Wunden
heilsam sind, eilends sprang er nieder und grub sie aus; sie aber fand
darin nur neuen Stoff zum Spotte: ^Ist mein Geselle Arzt und Ritter
zugleich? es mag ihm recht gut stehen, hat er gelernt Buschen feil zu
tragen/ Er belehrt sie, dass die Würze für öinen Ritter gehöre, den
er vorher wund gefunden. Da kommt eilig ein ganz ungeheuerlicher
Knappe daher; er hiess MalcrSatiure , Cundrie la surziere war sein
schönes Schwesterlein; er hatte Eberzähne im Munde und langes bor-
stiges Haar wie ein Igel. Beide Geschwisterte hatte die Königin Secun-
dille, die Feirefiz erworben hatte, an Anfottas gesendet, um durch sie
zu erkunden, ob der Reichthum des Grals den ihres Landes, wo die
Gebirge von Gold und Sand und Kiesel in ihren Strömen edle Steine sind,
übertreffe. Anfortas aber hatte damals diesen Knappen an Orgeluse
verschenkt, als er in ihren Diensten die böse Wunde empfing. Mal-
crSatiure auf seinem kläglichen Klepper schimpft zornig auf Gawan,
dass er seine Herrin entfuhren wolle ; Gawan reisst ihn desshalb bei
den Haaren von seinem Thiere , wird aber von Orgeluse neuerdings
verlacht, als er sich an de;s Burschen Igelborsten die Hand blutig ver-
schneidet Sie kehrten weiter, indess das Pferd mitlief, und kamen an
die Stelle , wo der wunde Ritter lag , der den Gawan gleich vor dem
tragerischen Weibe warnt, die an dem Tjost schuld ist, bei dem er
beinahe das Leben verloren hätte. Gawan verbindet ihm mit der Wurzel
die Wunde, der Kranke aber sehnt sich nach einem nahen Spital, er
bittet dessh^b den Gawan , der Frau auf das Ross zu helfen und ihn
hinter sie zu setzen; sie aber, heimlich im Einverständniss mit ihrem
Manne, sprengte davon wie sie oben sass, indem sich zugleich der
Ritter auf Gawans gutes Kastilian schwang. Orgeluse verlacht aufs
neue ihren Ritter : als sie ihn zuerst sah, habe er ein Ritter geschienen,
dann sei er Wundarzt geworden und nun gar ein Fussknecht (garzün).
Der wunde Ritter aber kehrt wieder um und gibt sich unter Schmäh-
reden als Uijäns (frirste üz Punturtoys) zu erkennen, jet^t lohne er
ihm den Dienst, den ihm Gawan früher erwiesen, dann eilte er wieder
davon. Urjäns ward nämlich von Gawan ergriffen, als er eine Jungfrau,
die bei Artus Botschaft zu werben hatte, mit Gewalt um ihr Magd-
thum brachte; schon war ihm das Leben abgesprochen und ihm ohne
blutige Hand ') das Hängen an einer Weide zuerkannt (daz m«i winden
') yidne bluotige hand,^ der Tod „ohne blutige Htnd,^ d. h. darch Hiogen fs
199
iolt ein ris, dur «n im sterben wurd eriLant), als ihm Gawans Färbitte
das Leben schenkte, unter dem Beding) dass er vier Wochen lang mit
den Hunden des Königs aus einem Troge essen musste. Das machte
den £lenden so zornig auf Gawan. Dieser ^zählt den ganzen Vorgang
aosfuhrlich seiner angebeteten Orgelüse«*die zwar darob nicht besser
gegen Gawan gesinnt wird, doch dem Urjäns noch eigene Strafe dafftr
in Aosaicht stellt. Gawan sieht nun keinen anderen Rath zum Fort^
kommen, als seine Waffen dem eleqden Rosslein des Malcr^atiure, das
der Wicht irgend einem armen Bäuerlein (viläne) gestohlen zu haben
schien, aufzubürden, er selbst wagt es nicht zu besteigen, weil er der
Mfthre den Röcken zu brechen befürchtet; so zog er sie am Zaume
nach und Orgelüse spottet nun seiner, ob er vielleicht £jramgewand
feil f&hre; Arzt und Krämer! hütet Euch vor meinen Zöllnern auf dem
Wege! Auch diesen Spott nimmt Gawan willig hin, dem ihre Blicke
eine ganze Maienzeit vorzauberten, denn Amor und Cupido und ihre
Mutter Venus pflegen mit Geschossen und Feuer (mit geschöze und mit
fiure 532, 5) Minne zu geben, die aber den Dich^r nicht geheuer
(ungehiure) bedünkt. Wahre Minne ist immer Treue, Cupido aber
schiesst nur mit flüchtigem Pfeile.
Gawan besteigt endlich die Mahre, so durchreiten sie einen Wald,
hinter welchem eine stattliche Burg erscheint, aus deren Fenster wohl
an vierhundert Jungfi*auen schauen. Kaum haben die Beiden einen FIuss
Übersetzt, als ein Ritter auf Gawan lossprengt; Gawan ist seines
Kleppers wegen in Sorgen , wie er ein Lanzenrennen auszuhaken ver-
möge, indess ist der Kampf unvermeidlich ; beim Zusammenstoss brachen
fieiden die Lanzen und der besser berittene Mann strauchelte, so dass
er mit Gawan auf die Blumen zu liegen kam. Aufspringend griffen sie
^u den Schwertern und zerhauten sich die Schilde zu Spähnen, zwei
^^tarke Schmiede würden wohl von solcher Arbdt müde. Gawan , ein
linier Ringer , zwang endlich den Jüngling unter sich, der sich als Li-
Bchoys Gwelljus erweist, der dem Urjans bereits so Übel mitgespielt
liatte. Gawan denkt nicht daran, ihm Sicherheit abzunehmen, er ist
^m erstaunt, in dem Rosse des Besiegten, das er sich rechtmässig an-
eignen darf, seinen geliebten Gringuljete wieder zu finden, der ihm
Icurz zuvor von Urjans gestohlen worden war, der es aber unterdessen
9chon wieder an Lischoys verloren hatte. Aber noch einmal erhebt
Xischoys Gwelljus den Kampf, Funken sprühten unter ihren Schwertern
einen Baum, war* im Mittelalter eine viel schmählichere Strafe^ als enthauptet
zu werden; die dafür substituirte folgende Strafe ist gleichfplb entehrend
f«nDg< Grimm RA. 688.
200
und weit trieben sie sich auf dem Plan^ un, bis Gawan ihn mit Kraft
unter sich warf und ihm nur das Leben schenkte, weil Lischpys sich
als einen Verehrer Orgelosens bekannte. Unterdessen kommt, einen
jnngen Falken (ein müzersprinzelin) auf der Faast, der Herr des Schiffes
v6n dem anderen Ufer herüber; er hatte ein Lehenreeht, wonach ihm
alle Rosse der hier auf dem Anger and im Bereich jener Borg besiegten
Ritter anheimfallen, demgemäss« wollte er da« eben. wieder erbeutete
Ross Gawans in Ansprach nehmen. Gawan bestreitet ihm jedoch sehr
bestimmt sein Anrecht, denn dieses herrliche Ross Gringuljete habe
ihm heute morgens noch jijehört, sei ihm durch Uijans gestohlen worden,
von dem es Lischoys gewann; der Schifimann möge sich die Mfthre
und den besiegten Ritter nehmen und durch diesen sich bezahlt machen.
Damit ist der Fährmann, der ein guter, verständiger Rittermann ist,
gerne einverstanden, er ladet ihn ein, bei ihm Herberge zu nehmen ; sie
setzen fiber den Flüss, Mann und Ro3s, Lischoys freilich sehr traurig
Ober sein Unglück, das ihm nun nicht mehr erlaubt, jemals wieder
vor Or^eluse ^u 'erscheinen. Das Haus des Fährmanns (veije) ist so
gut, wie es kaum König Artus hat; in einer Kemenate, deren Estrich
mit frischen Binsen und Blumen überstreut ist, entwaffnet ihn das
Töchterchen des Hausherren and der Sohn des Wirthes trug als Knappe
weiche Kissen an die Wand und legte einen Teppich darüber« darauf
Gawan sitzen sollte, auch ein Polster (kultern) voy rothem Zindal. Sie
tafeln und essen allerlei gute mittelalterliche Leckerbissen und Schlück-
lein, darauf wird dem Helden ein köstliches Bette bereitet.
XL Gawan erwacht sehr frühe am andern Morgen und geht in
den Baumgarten, nicht wenig verwundert, dass die Jungfrauen in dem
nahen Schlosse nicht schlafen, sondern alle hernieder schauen, ihrer^
scheint eine Menge und viere davon haben das Ansehen von Köni^
ginnen. Als er des Wirthes Töchterlein beiragt, was es mit dem Schlosse
f&r eine Bewändniss habe, bricht diese in Thrän^n aus, auch der ritter-
liche Fährmann ringt über dieser Geschichte die Hände. Gawan ist
nämlich zu Terra marveile und die Burg ist das Kastei Mar-
vale (Schastel marveile), das schon vielen Rittern das Leben gekostet
hat; der Wirth bittet ihn, sich nichts mit der Burg zu schaffen zu
machen, erst gestern habe er Einen übergesetzt, der Herrn Ither von
Gaheviez vor Nantes erschlagen, fünf Rosse von Rittern, die er sämmt-
lich dort auf dem Anger bezwang und nach Pelrapeire sandte, habe er
von ihm erhalten, allein dieser Ritter habe nicht nach den Frauen,
sondern nur nach dem Gral geforscht. Mit Freuden vehiimmt hier
Gawan Nachricht von Parcival, kann aber nicht mehr darüber erfahren;
20t
aUein, da es ihm nim klar ist, dass dieses die Barg sei, ^o die vier
Königinnen und. vierhundert Jangfrauen in schmählicher Haft gehalten
werden, zu d^en Erlösung die Gralbotin auf dem Plimizo^l alle Tafel-
runder aufgeboten hat, so will er das Abenteuer bestehen. Der Wirth
versichert ihm, dass, wenn er den Sieg erringe, er Ben* dieses ganzen
Landes werde, er reicht ihm einen dicken und harten Schild und Gawan
lässt sieh Wi^en. Vor dem Thor "^itze ein K^rämer, bei dem solle
der Ritter sein Boss lassen und vielleicht kf^ufen was er brauche.
Gawan reitet hin, unter der Klage seiner treuen Herberggeber, auf alle
kommenden Gefahren gehörig aufmerksam gemacht. Als er an die
Pforte kommt, erstaunt er über den Reichthum, der in dem Kram lag.
Die Bude (der kräm) war mit Saromt ausgeschlagen, viereckig, hoch
und weit, was aber darinnen lag, war so kostbar, dass es weder der
Bäruc von Baldac noch der Katolikus von Ranoulat, selbst mit Hilfe
des Griechenstaates, kaum hätten bezahlen könften. ') Der Kramer ist
gleichfalls überrascht, hier einmal einen Ritter unter seinen Kunden
zu sehen, denn so viele Jahre er schon hier sitze, es sei nie ehi Mann
gekommen, nur die Fraueii hätten bei ihm gdcramt. Hat Euch, so fragt
er den Gawan, der Fährmann Plippalin6t hergewiesen? so wird Euer
Kommen sicherlich von mancher Fraue gepriesen. Lasst Euer Boss bei
mir. — Gerne , entgegnet Gawan, nur wage ich es beinahe nicht. Euer
Anerbieten anzunehmen, denn nie fand mein Pferd einen so reichen
Marschalk.
Gawan ging weiter in das Schloss, er fand es gar wohl im Stande
baulicher Wehr, in der Mitte lag ein Anger, nicht so gross wie das
Lechfeld,*) viele ThÜrme ragten über die Zinnen; das Dach des
Palas war färbig und bunt wie Pfauengefieder, weder Regen noch Schnee
konnte den Glanz schädigen.') Innen war der Palas geziert und wohl
ausstaffirt (gefeitieret), die Fenstersäulen schön gemeisselt (wol ergrabn)
und Gewölbe darüber gesprengt (dar üf gewelbe höhe erhabn). Eine
Unzahl Betten standen darinnen und wohlgenähte Decken darauf, wo
') Der Catholicus ist der Patriarch von Armenien, der seit 1150 seinen Sitz in
Hrhomgla (d. i. Römerburg) oder Kalaherrum am Euphrat hatte. Wilken
Kreuuüge. Vif. 42. Die Anspielung mit den v Kriechen^ bezieht sich auf die
Eroberung Conslantinopels ourch die kreuzziehenden Franken 1204 ; es ward
dabei eine unermessliche Beute fremacbt. Die (Cunde von der Plünderung des
Griecbenstaiites musste um die Zeit^ als Wolfram am Parcival dichtete, in
Deutschland wohl schon bekannt sein, weil sie Wolfram zu dieser Bemerk-
ung veranlasst.
') dfö, 3: ,,enmiltien drüf ein anger: das Lechvelt ist langer.^ Vgl oben
S. 124.
') Bunte^ glasirte Ziegel wie an der Münchner Ludwigs- und Auerkirche^ der
Elisabethenkirche zu Breslau und dem Stephansiburm in Wien,
2(f2
sonst die Frauen sasseh, die aber avsgeganigen waren. Oawan besali
sich den Palas nnd kam durch eine offene Thüre In eine Kemenate, in
welcher er hohen Preis erwerben oder erliegen sollte. Auf dem spiegel-
glatten Estrich stand das Bette (Lit manreile), von dem ihm schon
sein Wirth erzählt hatte (561, 24), dass es ^von Marroch der Mah-
muraelin^ trotz seiner Reichthümer nicht kaufen könnte. Es lief auf
vier Rollen (schfb.en') von Rubin *mit dem Wind um die Wette. Der
' Estrich war yon Jaspis, Chrysolith und Sardin (Clinschor hatte das
listige Werk erdacht) und so schlüpfrig, dass sich Gawan kaum auf
den Füssen halten konnte. So oft er an das Bette trat, fuhr es davon,
da bedachte er sich, obwohl ihm der Schild l&stig fiel, den ihm der
Wirth dringend empfohlen, und sprang glücklich mitten darauf: Nun
ist aber nichts mehr der Schnelligkeit zu vergleichen, mit der es her-
umfuhr und gegen die Wände stiess, und ein Donner erdröhnte, als ob
alle Posaunen der Welt in Hungersnoth bliesen. Gawan deckte sich
mit dem Schild und rief zu Grott in dieser Noth , endlich hielt das
Bette mitten im Zimmer, von jeder Wand gleichweit entfernt. Da be-
gannen fünfhundert verborgene Schleudern (stabeslingen) runde, harte
Wassersteine nach ihm zu schwingen, dass er sich mit dem Schilde
kaum zu decken wusste und nie so schnelle Würfe gefühlt hatte. Darauf
fingen mehr als fünfhundert Armbrüste an, ihre Bolzen auf das Bette
zu sohiessen, auch diese waren bald verschnurrt Xv^rsnurret) , doch
hatten ihn Steine und Pfeile hier und da gequetscht (zequaschiert) und
durch die Panzerringe geschnitten, (}och wähnte er die Noth sei vor-
über, als durch die Thüre ein starker Bauer trat, der schrecklich aus-
sah: Er trug ein Gewand (surköt) und eine Mütze (bönit) von Fisch-
haut ') und zwei weite Hosen von demselben Stoff, und einen Klobeo
in der Hand, dessen Keule grösser war als ein Krug. Gawan, obwohl
müde, richtete sich auf, ihn mit dem Schwerte zu empfangen, doch
zog sich der Rüpel zurück, als er den Ritter noch am Leben fand.
Gawan, schlug sich eben von dem Schilde die Schäfte, die fast überall
durchgedrungen waren , als er ein Brüllen vernahm , gleich als ob
zwanzig Trommeln (trummen) zum Tanze geschlagen würden, und ein
Löwe, hoch wie ^in Ross, hereinsprang. Hunger hatte ihn grimmig
gemacht, zprnig lief er den Mann an und schlug eine Tatze durch den
Schild; Gawan hieb ihm .ein Bein ab, dass das Thier nur mehr auf
drei Füssen sprang, das vierte aber im Schilde hängen blieb; das Blut
nässte den Estrich , auf dem Gawan nun festen Fuss fassen konnte.
Oft sprang er mit bleckenden Zähnen an den Gast, seine Nase schnaubte«
') Wein hold Deutsdie Fnrae*. S. 428.
• 208
doch gelang es Gawao, ihm einen Stich durch die Brost zu versetzen,
dass er todt niederstranchelte. Gawan, immer noch in der Erwartung,
dass das Bett seine wahnsinnige Rondfkhrt wieder beginne, wagt sich
nicht niederzolegen ; sein Haopt war betäubt ron den Würfen und seine
Wanden bluteten, schwindelnd brach er zusammen, sein Haupt lag auf
dem Löwen, der Schild entfiel ihm, er lag da wie ohne Leben.
So fand ihn eine Jungfrau, die heimlich zur Thüre hereinspähte.
Sie meldete das ihrer Herrin Arnive, Diese lugte erst oben zum
Fenster herein und sandte dann zwei Jungfrauen hinab, zu schauen,
ob der Ritter noch am Leben wäre. Sie banden ihm d,en Helm und
die Fintalen (fintalen) ab, rauften ein wenig Zobel aus und hielten*s
ihm vor die Nase, da fanden sie erst, dass er noch athme, holten
also frisches Wasser, schoben ihm ein Fingerlein geschickt zwischen
die Zähne, gössen ein wenig Wasser nach und mählich mehr, bis er
die Augen aufschlug. Der R\tter dankt, ihm ist es nur leide, dass
sie ihn so „ungezogenliche'^ liegend fanden, und will sich aufmachen,
seine Wunden Einem zu zeigen , der sich darauf verstehe , • aber die
Königin Arnive bereitet indess selbst schon die Salben ; an einem guten
Feuer spreiteten sie ihm einen Teppich und entkleideten ihn dann
sorglich und zart seiner Rüstung, dass er sich dessen nicht durfte
schämen; da fanden sich denn mehr als fünfzig Wunden! Die alte
Königin Arnive nahm Diktam ') und warmen Wein, mit blauen Zindal
strich sie das Blut aus den Wunden und verb/and sie; wo er durch des
Helmes Beulen Quetschungen hatte, verwendete, sie dieselbe Salbe. „Ich
helfe Euch, sprach sie, Cundrie la surziere besucht mich oft, was
Arznei (erzenie) zu heilen yermag, das lehrte sie mich; diese Salbe
ist selbst von Munsalvaesche.^ Gawan ward bei diesem Namen froh,
sein Bewusstsein kehrt zurück und die Schmerzen lindem sich durch
der Salbe Kraft. Arnive aber legte ihm eine Wurzel in den Mund
und er fiel, wohleingehüllt mit Decken, in süssen Schlaf, nur bisweilen
kam ein Frost über ihn, dass er' zu hetschen und zu niesen begann,')
was von der Salbe \y)i*1^6n zeigte. Stille gingen indessen die Frauen
auf und zu, nie ward ihm besserer Dienst bekannt ; gegen Nacht nahm
die Königin die Wurzel aus dem Munde, da erwachte er gestärkt und
trank und ass mit Freuden. Er spähte unter den Frauen und sehnte
gich nach Orge]üse, bis er wieder entschlief.
*> DioUimnuni, ein Kraut, dessen schon Cicero und Virgil erwähnen und dem
die KrafI zugeschrieben wird, Pfeile aus den Wunden su ziehen.
^ 561, 4: .daz er heschte unde nös;*^ heschen schluchzen, daher Heischer,
Schluchzer. Schmeller B. W. S. 353. Willehalm. 65, 2.
204
Xn. Viel grössere Nöth als diese Aventsnre — ein fifentthier
wäre zu schwer beladen mit der Last der anf Gawans Herze abge-
schossenen Pfeile — schnf dem edlen Ritter seine OrgeMse, die seine
mit Zagheit sonst unbekannten Gedanken gefangen nahm. Nachdem
der Dichter der Fraa Minne ihr Unrecht verwiesen, wendet er wieder
zum weiteren Verlaufe seiner Erzählung. Ungeduldig wand sich Gawan
auf seinem Lager, so dass öfters sein Verband zerriss, mit dem Morgen
sprang er von seinem blutbefleckten Lager, fand neue Kleider vor sich,
die ihm sehr willkommen waren und schritt hinaus, <ien reichen Palas
zu beschauen. So kam er auch zu einer Warte empor, wo eine wun-
derbare, spiegelklare Säule stand,') die Clinschor aus Feirefizens Landen
der Königin Secundille gestohlen hatte. Darinnen sah er weitum alle
Lande abgespiegelt und die Leute darinnen gehen und reiten. Während
er noch das Wunder prüfte, gesellte sich die alte Amive mit ihrer
Tochter Sangive und zweien Enkelinnen, I ton je und Cundrie dazu;
selbfönfte setzen sie sich und schauen, was die klare Säule rings ab-
spiegelt, als Gawan plötzlich in ihr eine Frau mit einem fremden Ritter*)
reitend ersieht. Ueberrascht, ob ihn die Säule nicht getäuscht, wendet
er sich nach dem Fenster und erkennt in der Dame seine Orgelüse-
Wie die Nieswurz auf die Nase, so wirkte der Anblick auf sein Herz,
dazu kommt noch, dass Gawan durch den glücklichen Sieg Herr des
Schlosses geworden ; ,,wer wagt also hieher mit Streitbegier zu kommen?**
fragt Gawan; er verlangt seine Rüstung; trotz ihren Thränen müssen
sie ihn wappnen, dann holt er sein Pferd bei dem Kramer und fiihrt
heimlich hinweg, obwohl noch so schwach, dass er kaum im Stande
ist, seinen durchlöcherten Schild zu tragen. In einem breiten Kahne
(ussiere) setzt ihn der Fährmann über. Da galopierte alsbald der
Türkowite daher, er traf nur die Helmschnüre Gawan», dieser aber
fasste ihn mit dem kurzen starken Speer am Barbiere, dass der Helm
wegflog und der als unbesiegbar gepriesene Türkowite dalag zur Freude
des Fährmanns, der gleich seinem Rechte gemäss, das Pferd des Be-
siegten pfändet. Die schöne Orgeliise spottet aber doch über Gawan,
der auf seinem wie ein Sieb durchlöcherten Sl^hilde noch die abge-
schlagene Löwentatze trägt. Die Grossthaten auf dem Lit-marveile
könnten ihn wohl aufblähen, aber er irre sich sehr, wenn er hoffe.
*) Das Itinerarium Benjamins von Tudela (1171) klingt in der Erwähnung der
Spiegelsaule in Alexandrien wundersam mit dem Spiegel zu Scbaslel - mar-
veille zusammen. San -M arte II. 36S. £in ähnlicnes KunsIstOrk will auch
Johannes von Montevilla auf seiner VS22 begonnenen Weltfalirt g«-
sehen haben und der Münchner Jobannes Scbildberger (herausgegeben
von Neumaun. 1859. S. 119) erzählt gleicbfalls davon.
*) Arntve nennt ihn einen Türken, torkoyte 594, 3.
206
da4aroh ihre Minne zn erringen ; alles was sie ihm erlaubt, ist mit ihfr
aof neuen Preis zu reiten. Gawan schickt den Türken durch Plippa*
linot in das Schloss und reitet mit Orgeluse weiter, zum Januner der
Frauen, die von oben zusahen und den Bitter herzlich bedauern.
Als sie eine Rast geritten, verlangt Orgeluse, dass ihr der Bitter
einen Kranz aus dem Beise eines Baumes bringe, der jenseits über
einer tiefen Schlucht stand , thue er das , dann dürfe er ihrer Minne
begehren. Glücklich in dieser Voraussicht wagt Gawan den Sprung
mit semem Bosse., das aber am Ufer drüben stürzt, so dass Gawan^
der sich zuerst au« den Wirbeln hebt. Mühe hat, seinen schwimmenden
Speer und dann das treue Gringuljet ans dem Wasser zu ziehen. Dann
ersah er den Baum, und brach den Kranz und setzte ihn auf seinen
Helm (der kränz wart sins helmes dach). König Gramoflanz, der
sonst nur gegen Zwei oder Mehrere, nie aber gegen einen Einzdnen
zu streiten pflegte, ritt bun Herrn 'Gawan an und stellt ihn wegen der
Verletzung d^s Baumes zu Bede. Gromaflanz ist nicht gewaffnet,
sondern trägt einen Pfauenhut und grünsammten Gewand, sein Mantel
hing vom Pferde zu beiden Seiten hernieder, dass er fast die Erde
berührte; er erklärt dem Gawan die ganze Sachlage. Orgeluse nährte
Rache gegen Gramoflanz, der ihren früheren Geliebten, Cidegast im
Tjost erschlagen hat; desshalb suchte sie längst einen Bitter, der
jenen im Kampfe bestünde, und Gawan, der Lischoys und den Turko-
witen besiegt und das Wunder zu Schastel-marveile bestanden, scheint
ihr hlezu dienlich. Der König kündigt sogleich dem dreisten Fremden
den ihm bevorstehenden Kampf an; da er bemerkt, dass dieser jetzt
Herr der verzauberten Burg sei, bittet er ihn, ungeachtet der H^aus-
forderung, ein kleines Fingerlein an ItonjS zu überbringen und sie zu
fragen, ob sie seiner noch gedenke; diese sei die Tochter des König
Ldt, der seinen Vater Iröt erschlagen habe; dennoch zwinge ihn die
innigste Liebe zu seiner Tochter hm. Ldt sei bereits verstorben, dennoch
trage er Bache gegen ihn im Herzen und hoffe sie an seinem Sohne
Gawan noch zu vollführen ! — Staunend entdeckte Gawan, dass Itonje
und die süsse Cnndne, die er bei der Spiegelsäule gesehen, seine
Schwestern, Sangive seine Mutter und die alte Amive seine Grossmutter
ood Mutter des König Artus ist. Nun nennt er auch dem Gegner
seinen Namen, verspricht zugleich die seltsame Botschaft an seine
Schwester Itonjd zu werben und trotzdem mit seinem zukünftigen
Schwager zu kämpfen; sie kommen überein, ihren Handel auf den
sechszehnten Tag auf dem Plane zu Jdflanze auszufechten und als
Kampfrichter den König Artus und von beiden Seiten eine tüchtige
Anzahl Bitter und schöner Frauen einzuladen. Gramoflanz verspricht
206
fönfzehnhandert schöne Franen zu bringen, Gawan habe deren auch
eine klare Schaar auf Schastel-marveile und König Artus bringe wohl
auch ein Tfaeil mit. Dass Gawan erst jetzt iron dem Dasein seiner
Schwestern, seiner Matter und Grossnmtter hört, darf nicht befremden,
da sie, als er noch ein Kind war, plötzlich zur grossen Betrübniss des
König Artus und des ganzen Hofes, auf unbegreifliche Weise ent^
schwanden waren und seitdem nicht die geringste Spur von ihnen ent^
deckt ward, trotz der Gralbotin Gundrie, die ja so häufig auf dem
verzauberten Schlosse zukehrte.
Gawan lehnt die. Einladung, den Gramoflanz nach seiner Haupt-
stadt Rösche -Sabbins zu begleiten, ab und wendet zur geliebten
Orgeluse zurQck, die seiner noch am anderen Ufer des Wassers harrt
Und Gringuljet nahm dieSesmal den Sprung so weit^ dass Gawan nicht
zu Falle kam, doch sprang dem Ross eine Gurte. W&hrend Gawan
desshalb absteigt, eilt ihm Orgeluse entgegen, wirft sieh ihm zu Füssen
und bittet unter vielen Thrftnen um Vergebung dessen , was sie an
ihm verschuldet habe. Durch Gramoflanz, der Qidegast ihr entrissen,
sei sie aller Freuden ledig geworden ; um ihn zu rächen, habe sie den
besten Ritter gesucht, und in ihm erkannt; ob er ihre Rache auszu-
fahren werth genug, habe sie darch ihren Hohn seine Treue, und durch
ihre Ritter Lisehoys Gwellius und den Turkowiten seine Tapferkeit
geprüft, und wie Gold im Feuer habe er sich bewährt. Nun sei sie
ganz sein eigen, er möge über sie gebieten, denn es leide keinen
Zweifel , ' dass er siegreich aus dem Streite zu Jöflanze hervorgehen
werde. Gawan hebt sie gerührt auf das Ross und bittet, sogleich auf
das Schloss zu ziehen, um heute noch die Hochzeit zu begehen, ^wozn
sie bereit ist unterwegs erzählt sie dem Helden, weinend bei dem
Namen Cidegast's, wie nach dessen Tode Anfbrtas sich um ihre Minne
beworbenf, allein in ihrem Dienste so verwundet worden sei, dass er
heote noch im trostlosen Siechthume liege. Dieser habe ihr auch die
köstlichen Waaren (daz krämgewant von Thabronit) geschenkt, die
zu Schastel-marveile feil geboten würden. Diese aber habe Clinschor
vorläufig unter dem Beding an sich genonunen, dass sie denjenigen,
der sein Abenteuer auf der Burg bestände und den Sieg im Kampfe
fände, minnen müsse, wolle der aber ihre Minne nicht, dann gehöre
der Kram von Neuem ihr. Nun gehöre, er ihnen beiden. Viele Ritter
■
habe sie in Dienst genonmien, um an Gramoflanz Rache zu nehmen,
Keinen aber hätte sie lieber gewonnen, als einen rothen Ritter,
dem sie fünf ihrer Ritter nachgesendet habe , um ihn zu prüfen , er
habe sie aber alle fönfe aus dem Sattel gesetzt, sie habe ihm ihre
Hand und ihr Land als Lohn für seine Dienste geboten, er aber habe
gesagt, 66 harre seiner daheim ein lieberes and schöneres Weib, die
Ktoigin von Pelrapeir; er tracl\te nicht nach anderer Minne, sondern
suche den Gral. So ist denn Parcival wieder, wie zu Beörosche
und gleichsam nur im Hintergründe von Gawans Heldenthaten , zum
Vorschein gekommen, nicht mehr, als gerade nöthig war, ihn über all
den Aventiuren seines glücklichen Nebenbuhlers, nicht aus dem Ge-
d&chtnisse »i yerlieren. Schon zieht sich das ganze Gedicht wie eine
grossMTtig angelegte Fuge, enger und enger und föhrt in kunstgerechter
Anlage einem überraschenden Schlüsse entgegen. Man könnte füglich
von da an, wo Parcival von Trevrizent belehrt und reuig scheidet, den
dritten Theil von dem Heiie (saelde) benennen. Kehren wir wieder
zu dem minneseligen Paare.
Als Gawan und Orgeluse (die Herzogin von Ldgroys) der Burg
nahen , ziehen die Ritter Clinschors mit reichen Bannern ihrem neuen
Gebieter entgegen und Alle huldigen dem herrlichen Paare; die gute
Bdne, das Töchterlein des ritterlichen jPergen Plippalinöt, küsst ihm
Stegreif und Fuss ; während der Ueberfahrt über den Fluss essen die
Geliebten zwei gebratene Lerchen') und zwei blanke Kuchen^) die
B^ne in einer Zwehle und etwas Wein gebracht hat, eine sehr frugale
Mahlzeit, wie denn bereits früher Gawan bei ihrem Vater auf ähnliche
Weise bewirthet worden war. Sie bequemten sich, das Wasch wasser
vor dem Essen gleich aus dem Flusse selbst zu nehmen, mit Freuden
trinkt Gawan aus <fem Becher, den der Geliebten Mund berührt hatte.
Die Ritter reiten einen kunstvollen Buhurt; Orgeluse fragt nach dem
Ritter, der gestern vom Ross gestochen wurde. Plippalinöt hat ihn
in Verwahr, er will ihn gerne los geben, wenn er die „Schwalbe*
(swalw = Harfe) erhält, die früher Secundille besass und Anfortas an
Orgeluse sandte ; sie verspricht ihm gerne die Harfe (härfe) und schenkt
ihm das ganze Kramgewand dazu. Auf Schastel-marveile werden alle
Anstalten zur Hochzeit gemacht; die Wunden des Ritters fanden so
die beste Pflege.
Schon- unterwegs hatte Gawan mit Orgeluse verabredet , dass sie
seinen Namen nicht nennen oder verrathen dürfe. Er verpflichtet einen
■) 622, 8: galander^ Hsubeniercbe. — Plippalinöt scheint keine andere Jagd-
barkeit ffehabt zu haben i, ausser dass sein Falke biswjeilen auf eine Lerche
stiess. V||l. oben 544, 13 und später 5M), 29 wo die ^anze Tischgesellschaft
Toriieb nimmt mit drei Galandern, von denen Gawan einen eigens der
Wirthin sendet I — £in oberpfalzisches Sprichwort sagt, an Mariä-Lichlmess-
tage müssen neun Gevattersleute an einer Lerchenzonge essen.
*) 622, 10: wastel (vgl. oben 551, 6) auch gastet vom roman. mtial, ein
«ogesioertes, trockenes^ fladenartige« Bröd, auch baipbrot, Halbbrod. Vgl.
Grimm Gf. Rudolf. S. 84. Willebalm 136, 6.
i
208
Knappen eidlich zum Stillschweigen über seinen Namen mid seine Her^
kunft^ daim nimmt er Dinte and Pergament (tincten mid permint) and
schrieb mit fertiger Hand (schreip gefooge mit der hant) an König
Artus, ihn und die ganze Tafelrunde nach Jöflanze ladend. Obwohl
der Brief kein Siegel (insigels) trug, standen doch genug Warzeichen
darinnen, dass man sah, wer ihn geschrieben. Strenge schärfte er
dem Knappen ein, den Witz nicht zu verrathen, Nieknanden zu sagen,
wer s^in Herre sein. Zwar macht die alte Amive, überaus neugierig
wer der Herre sei, einen leisen Versuch, die Treue des Knappen zu
bestechen, aber der Bursche weiss seinen Eid zu bewahren und fUurt
ohne ihr zu antworten, von dannen.
XIII. Gawan hat tief in den Tag hinein geschlafen. Unterdessen
wurde der Saal geschmückt, Tapeten (rückelachen) >n die Wände
gehängt, Teppiche gelegt und ringsum an den Seiten weiche Polster
gebreitet. Darauf lässt Gawan ^ den Turkowiten und Lischoys herauf-
holen, beschenkt sie mit kostbaren Gewanden und Orgeluse kündet
ihnen die Freiheit an. Da Gawan seine Schwester Itonj§ unter den
Frauen noch nicht kennt , so lässt er sich selbe von der Bene weisen,
setzt sich zu ihr und forscht ganz heimlich, wie es um ihr Herze steht,
dann bringt er die Werbung und das Ringlein des Gramoflanz an,
worüber die süsse Jungfrau in der reinsten, unschuldigen Blüthe der
Jugend, weiss und roth wird zugleich und Gawan« von seinem Schwe-
sterlein entzückt, Noth hat, das Geheinmiss, dass er ihr Bruder sei,
an sich zu halten. Bei der folgenden Tafel weiss der Dichter nicht
Bescheid zu geben, welche Speisen aufgetragen worden, denn er sei
kein guter Küchenmeister, dafür schildert er aber den Abend, wo ein
ganzes Heer von Kerzen strahlte, ziemlich ausführlich, wie die Ritter
und Frauen sassen und die folgende Kurzweile, so dass ein recht leb-
haftes Bild mittelalterlichen Hoflebens sich gestaltet. Als man die
Tische fortgetragen, fragt Gawan nach guten Fidelaeren; nun waren
viele Knappen da, die sich auf Saitenspiel wohl verstanden, doch
strichen sie alle alte Tänze, von den neuen, die uns nun aus
Thüringen kamen, ward noch wenig vernommen.') Ritter
') Obwohl sonst Sitifreti und Tanzen unzertrennlich war, so scheinen hier die
Lieder doch gefehlt zu haben; die Tanz weisen der Minnesähger sied
wohlbekannt. Die neuen Tanze, die damals (Wolfram dichtete dieses 3och
spätestens um 1211) aus Thüringen kamen, entstanden vielleicht durch Wallher
V. d. W. bei den reichen und glänzenden Festen des Hofes zu Eisenacb, wo
Sänj^er und Spiellente aller Art immer offene Thfiren fanden. — Die Art oud
Weise dieses hier aufgefuhrfen Tanxes erklärt sich sehr schön durch die
Fresken anf Sckloss Rmikelslein in Tirol (Gezeichnet von Ijni. Se^Ios, mit
Erläuterungen von Zingerle, herausgegeben von dem FerdiaiDdeon sii
209
und Franen waren wohl ^underparrieret^ im Tanze, man .sah da Je
zwischen zweien Frauen einen Uaren Ritter gehen. An Freuden reich,
an Sorgen arm, vertrieben sie mit Rede die Stunden, bis der ungedul-
dige Gawan,. Allen leider zu früh, den Nachttrunk aufzutragen befahl.
Er und Orgeluse wurden von Argive in eine Kammer gefährt, wo Oa-
wan der Minne pflag und wie der Dichter sagt, die rechte Hirschen-
wurz ^) fand, die ihm half, dass er alle Schmerzen vergass.
Nun hört aber , wie unterdessen der Knappe seine Botschaft bei
König Artus bestellte. Er traf frühmorgens die Königin in der Kapelle,
andächtig den Psalter betend ; der Knappe warf sich ihr zu Füssen und
übergab den Brief, dessen Schrift sie gleich erkannte. Sie heisst aber
dem Knappen die Einladung öffentlich anzubringen und so einzurichten,
als ob er wie aus dem Feuer gerade in die Tafelrunde «pringe, was
dieser einige Stunden später ganz geschickt vollftihrt, in den Hof
stürmt und die ganze Tafelrunde in Bewegung bringt. Doch verschwieg
er klugs selbst der Königin, wo Gawan sei. Er gewinnt die Zusage
des König Artus und kehrt zurück, wo Amive neuerdings seine Ver-
schwiegenheit in Versuchung fiihrt, ohne etwas herauszubringen.
Nun erfährt auch Gawan von der Königin Amive die Wundermäre
dieses Scldosses. Cl i n s öhor nämlich, ein Neffe des Virgilius von Neapel,*)
war einst ein Herzog von Capua (Caps), wohlgelitten bei Männern und
Frauen, bis ihn König Ibert von Siciliien zur Strafe des Ehebruchs
mit seinem Weibe Iblis, mit einem Schnitt zum Kapaun machte. Dieser
Schimpf machte ihn zum Menschenfeind; in Persien lernte er Zauberei
und erwarb sich Gewalt über alle guten und bösen Wesen zwischen
Himmel und Erde, ausser deijen, die Gott beschirmen will. König Iröt
von Rösche Sabines (der Vater des Gramoflanz) schenkte ihm einen
SU loDsbrnck 1858.) Ejnes dieser Freskenbilder, dus wohl zu d^n ältesten
des merkwürdigen Schlosses gehört, zeigt einen höfischen Tanz, ganz wie
ihn Wolfram beschreibt : stets zwischen zwei Frauen sieht man einen klaren
Ritter gehen, es ist eine lange Kette, die paarweise verschränkt^ mit schlei-
fenden Tritten den Umgang hält, zwei Spielleute rühren dazu die Saiten.
') 643, 28: hirzwurz, Hirsrhschwamm. Giflmorchel, phallus impudicus, von
Alters her ob seinen heilsamen Kräften in Ehren rehalten. Vgl. Grimm
Alldeut Wälder. II. 49 ff. (von einem fahrenden Schüler.)
^ Ueber den Zauberer Virgilius vgl. v. d Hagen Briefe in die ileimath
III. 181 ff. und dessen Erzählungen und Märchen. 1825. 1. 153—205, ferner
Genthe. Leipzig 1855. Bartsch in Pfeiffers Germania. IV. 237 ff. und K.
L. Roth ib. IV. 257—97. Rührmund in v. d. Hagens Germania IX. 30 ff.
vermuthet., dass Clinschor eine freie Copie von Ahälards (1079— '1142) Hi-
storie sei, eine Hypothese, für welche freilich sehr einleuchtende Vergleiche
voritegen : auch die ganze landschaftliche Schilderung von Terre marveile
(v^onach E. Ziller eine Karte entworfen) entspricht der Umgegend des Klo-
sters Paraklet, was auch A. v. Humboldt für überraschend erklärte.
14
Berg mit -.acht Meilen im Umkreis^ wo er Oastel-marveile erbaate, viele
Frauen und Ritter aus der Christenheit und Heidenschaft, namentlich
die vierhundert Frauen and vier Königmnen von Artus Hofe dahin
entführte, und Burg und Land dem verhiess, der das Abenteuer des
Wbnderbettes bestehen würde. Das sind aber nur geringiiigige Sachen
(kleiniu wunderlin) in Vergleich mit den starken Wunderwerken, die
er an vielen Orten aufgerichtet. Gawan aber sei jetzt vor seinen
Künsten sicher, seit er den Zauber der Burg gebrochen. Amive bittet
ihn, sie und die mitgefangenen Frauen und Bitter, die sämmtlich der
böse Clinschor hieher magisch entfuhrt, in ihre Heimath zu entlassen,
was Gawan bereitwillig zugesteht. Noch während des Gespräches sieht
Gawan das Heer des Königs Aitus anziehen, von farbigen Speeren,
Bannern und Rossen ist das Feld ganz überdeckt, prächtige Gezelte
(herbergen) werden in einem weiten Kreise geschlagen. Gawan lässt
seinem Wirthe Plippalinot durch Bene (welche die versprochene
Schwalbe (swalwe) mitnimmt), gleich entbieten, alle Kähne (kocken) und
Schalten (ussiere) auzuschliessen, dass der Herr an diesem Tage nicht
überzusetzen^ vßrmöge. Dann beschenkt Gawan alle Sarjanden, Ritter
und Frauen also reichlich, als wollte er nicht länger leben; starke
Säumer, schöne Frauenpferde und Harnische vertheilte er an die Ritter-
schaft, vier werthe Ritter ordnete er als Kämmerer, Schenke, Truch-
sässe und Marschalk. Sein Zug, den zu entwickeln eine ganze Tagrast
kaum hinreichte, ging aus: Auf Säumern lagen Reisegewand') und
Kammerkleider, Harnische, Helme und Schilde, manch schönes Kastilan
ward am Zaume gezogen, jeder schönen Fräue aber ritt ein werther
Ritter zur Seite. So zieht Gawan durch das Lager des Artus und
umgibt dessen Zelt mit einem Kranze von Frauen. Artus und Frau
Ginover kommen hervor, ihn zu begrüssen , die Königin fiihrt ihn mit
den Vornehmsten in das Gezelt, während Artus im Kreise umherreitet,
um auch die Frauen mit ihren dienenden Rittern zu bewillkommen.
Wie er in's Zelt zurückkehrt, stellt ihm Gawan in Amiveu Utepandra-
gons Witwe und Mutter des Artus, in Sangiven König Lots Witwe
(zugleich also die Schwester des Artus und Mutter Gawans) , in ItonjS
und der schönen Cundrie die Töchter König Lots und Sangivens vor,
wodurch er sich der alten Amive als Enkel zu erkennen gibt und ihre
Neugierde vollkommen befriedigt. Da ward viel Küssens gethan! um
den Glanz der Versammlung zu höhen, werden auch Orgelusens Ritter
') 669, 5: kappelen unde kamergewant ; ein Ueberset&er gibt das erstere mit
•Kirchenscbmuck" obwobi die kappelen ofTenbar nichts anderes sind^ als die
den Gegensatz zum kamergewana bildenden Reisekappen. Vgl. J. Falke
Trachten. I. 117.
211
und die von ihr gefangenen Britten, welche die Herzogin frei gibt, her-
beigeholt. Gawan bezieht mit den Seinen das für sie aufgeschlagene
Lager. Am Morgen ziehen die von Logroys heran und schlagen gleich-
falls Lager; Ortus aber schickt Boten nach Rosohsabbins, um Oramo-
flanz zum Kampfe einzuladen. Gawan waffnet sich und reitet hinaus,
um sich zum Kampfe zu üben, da stösst er an dem Wasser Sabins
auf einen Ritter; von demselben werthen Manne habt ihr wohl früher
schon vernommen — die Märe ist nun an den rechten Stanmi ge-
kommen !
XIY. Röther als Rubin war das Kleid des Ritters und die Decke
seines Rosses, sein Schild war ganz durchstochen, auch hatte er einen
Kranz von dem Baume, den Gramoflanz hütete, auf seinem Helme, der
ganz fremde Zimierde trug. Gawan ritt auf ihn los und sie kamen so
aneinander, dass sie beide mit den Rossen niedersassBU. Dann zogen
sie die Schweriner und arbeiteten auf einander, dass die Scherben
(fechirben) der Schilde nur so über das grüne Gras flogen. Wehe!
wenig gewonnen und viel verloren hat, wer hier den Preis erringt, nur
Klage bringt ihm der Sieg, denn die Helden sind nahe gesippt und
ihre Treue hatte noch nie eine Scharte bekommen ; wer auch den Preis
gewinnt, dessen Freude verfallt doch der Sorge. ') Leider war Niemand
da, der sie geschieden hätte. — Unterdessen fanden die Boten das
Heer des König Gramoflanz, das nahe am Meere, auf einem grossen
Plane meilenbreit lagerte. Schon begann es unter Posaunenschall gegen
Joflanze aufzubrechen. Hell klingelte es von den Frauenzäumen (von
frouwen zoumen klingä klinc), denn Brandelidelin hatte seinem Neflfen
dem König Gramoflanz allein sechshundert klare Frauen zugefiihrt. Er
selbst wafihete sich gerade, als die Boten kamen und schöne Frauen
zogen ihm die Eisenschuhe an (schuoten isrin kolzen an den künec),
als er zu Pferde sass, trugen zwölf gleichfalls berittene Jungfrauen
einen Baldachin an langen Schäften über ihm. Die Vorstellungen, die
der weise und höfische Artus ihm durch seine Boten hatte machen
lassen, um die Feindschaft mit seinem Neffen beizulegen, waren ver-
geblich. Rückkehrend treffen die Boten auf Gawan, der ün Kampfe
mit einem fremden Ritter nahe daran ist, zu erliegen; erschreckt rufen
sie ihn beim Namen — und der überlegene Gegner schleudert sein
Schwert weg und bricht unter Klagen in Thränen aus : ^Unselig bin ich,
dass meine schuldige Hand jemals solchen Streit bestand, hier zeigt
') 6bO, 16: ^von swem der prtf dd wirt genomeu, des f^eude ist drumbe
sorgeo pfant.^
14*
212
sich aufs neue, dass mein altes Wappen das Leid ist, das mich von
der Freude scheidet Ich bin's dein Neffe Parcival ! -" Gawan vermochte
kaum mehr sich zu halten, er schwindelte und sank nieder. Ein Jnn-
kerlein des Artus sprang ihm unter da» Haupt, band ihm den Helm
ab, und schwang ihm mit dem weissen Pfauenhute Wind unter ^ie
Augen; des Kindes Fleiss gab dem Gawan wieder Kraft, ^chon nahte
sich von beiden Seiten viel "Volk , der Kampfplatz wurde abgemessen,
und die Schranken (zil) mit glänzenden grossen Bäumen eingestossen.
Gramoflanz hatte diese Kosten auf sich genommen. Der Bäume waren ^
hundert, fünfzig auf jeder Seite, alle farbig und glänzend bemalt. Nie-
mand durfte sonst in den ausgestellten Raum, der vierzig Rennien ')
beträgt.
Gramoflanz will mit dem erschöpften Gawan jetzt nicht kämpfen,
sondern heisst ihn ruhen und die Entscheidung auf morgen versparen,
dagegen will Parcival, der noch frisch und ohne Wunden ist, seinen
Vetter sogleich vertreten, doch schlägt Gawan sein Anerbieten aus.
Mit Freuden wird Parcival von der Tafelrunde und dem König Artus
empfangen, hatte er ja weitumher den höchsten Preis erslritten, aber
der Held will nicht unter die Frauen, sie alle müssten noch des Fluches
gedenken, der ihm auf dem Plimizoel zu Theil geworden und nur
widerstrebend föhrt ihn Gawan zu den Königinnen, die ihn küssen und
selbst Orgeluse, die noch nicht vergessen, dass er ihre Minne früher
verschmäht hatte, muss ihm, obwohl ungern, den Ehrenkuss bieten, und
Parcival, anfanglich scheu und befangen, ward wie ein Wort das andere
gab, wieder froh und verlor seine Blöde aus dem Herzen.*) Parcival
bittet die Tafeler, ihm wieder zu ihrer Genossenschaft zu verhelfen, von
der ihn ein seltsames Wunder vertrieben, dann aber wendet er sich
an Gawan und bittet ihn heimlich, fiir ihn kämpfen zu dürfen, da er
gerne den Stolz des König Gramoflanz brechen möchte und desswegen
sich auch den Kranz von dem Baume genommen habe. Da aber Gawan
entschieden ablehnt, begibt sich Parcival zur Ruhe, nachdem er zuvor
noch seine Waffen sorgfaltig untersucht und jeden fehlenden Riemen
' hatte ergänzen lassen, auch einen neuen Schild besorgte er. Am Morgen
aber ritt er heimlich qiit einem guten Sper von Angram hinaus, fand
den König bereits, und vor der 'Eine zum Andern noch ein Wort
') poynder ist der zum Anrennen des Bosses nötbige Raum .. das Wort ^It
dann auch für das Anrennen selbst und zuletzt noch als Längenmaass. rf.
Ben ecke Wigalois. S. 679 tf.
') Die filr Deutscbthümler freilich schreckliche Stelle lautet 696^ 15 : Parxival
der cllre wart der Ine vftre überparlieret, daz wart gecondwieret ellin schäm
Os sime herzen dö: Ine blükeit wart er vrö.
218
%
gesprochen, hatte schon Jeder den Anderen durch den Schild gestochen,
dass die Splitter in der Luft wirb,elten. Beide verstanden den Tjost
und anderen Streit gar wohl, auf dem weiten Anger wurde der Thau
zerführt, und die Helme mit scharfen, schneidenden „Ecken** berührt
Schade um die Blumen, die sie am Anger zertraten, noch leider ist
mir um die Helden, die ohne Zagheit Noth duldeten.
Unterdessen sang ein Bischof im Zelte des König Artus Messe,
wobei alle Ritter tmd Frauen gewaffnet und beritten zugegen waren, .
nach dem Segen (dö der benditz was getan) w-aflnete sich Gawan. Da
kommt die Nachricht von den beiden Kämpfern. Gramoflanz der lange
verschmäht hatte, mit einem Mann allein zu kämpfen, glaubt nun
sechs gegen sich zu haben, so gewaltig dringt Parcival auf ihn ein;
oft warfen die Recken die Schwerter hoch aus der Hand und wechselten
die Klingen.') So empfing der König saueren Zins fär den Kran2.
Artus und Gawan , dann anderer Seits Brandelidelin mit noch zweien
Anderen reiten barhaupt dahin und trennen die Kämpfenden, als der
köhne Waleise gerade daran war, den Sieg zu gewinnen. Nun bietet
Gawan dem König einen Tag Ruhe an, ebenso wie Gramoflanz ihm,
gestern gethan, und dankbar muss der todmüde Mann diesen Aufschub
annehmen. Dem Parcival aber wurde laut der Preis zuerkannt, 'dass
er das beste gethan.
Gawan hatte der guten Bene aufgetragen, seiner Schwester nicht
zu sagen, wie sehr ihn Gramoflanz hasse, doch hatte aber Intonje schon
gestern die Augen ihrer Dienerin verweint gesehen und nun erfäh^ sie,
dass der Handel ihres Geliebten mit ihrem Bruder sich nicht scheiden
lassen solle. Das Mägdelein ist in der bittersten Angst, denn mag
der Bruder siegen oder . der Freund , so muss ihres Lebens Freude
zergehen. In ihrer Herzensangst wendet sie sich durch Arnivens Ver-
mittlung an Artus, welcher dem Kampf zu wehren verspricht, als er
aas dem Minnebrief des Königs, den die kluge Bene zur rechten ^eit
herbeischafft, ersieht, dass es diesem mit Itonje Ernst ist. Der Brief
aber lautet') (nach Simrocks Uebersetzung) :
' ) Ein Ueberresl der altnordischen Fechterkunst ; die kainpfkundigen Helden
SfleUen im hitiigsten Gefechte Schwert und Schild in die Luft zu werfen,
eides mit den entgegengesetJifeqiHinden aufzufaniren und dann links weiter
zu fechten; hier tauschen sie ihre Waffen. Vgl. Wein hold Altnord. Leben.
1856. S. 297. Dasselbe thut auch lll^let im Ka^npfe mit Laertes.
^) Von derselben Zartheit ist auch die Stefle in Graf Rudolf (Grimm E. 17.18)
wo der Ritter dem töchterlein des beidnisehen Königs Halap seine Liebe
erklärt.
214
716,
Ich grfieee die ich grüezen sol,
da ich mit dienste gr&ezen hol.
frouwelin, ich meine dich,
fiit da mit tröste tröstes mich.
5. anserminnegebentgeselleschafb:
daz ist Wurzel miner frenden kraft,
din trdst für ander tröste wigt,
Sit din herze gein mir triwen pfligt
du bist slöz ob miner triwe
10. unde ein flust mins herzen riwe.
din minne git mir helfe rät,
daz deheiner slahte untät
an mir nimmer wirt gesehn,
ich mac wol diner güete jehn
15. staete äne wenken sus,
a]s pdlus artanticus
gein dem tremuntane stßt, *)
der neweder von der stete göt:
unser minne sol in triwen st^n
20. unt niht von ein ander g^n.
nu gedenke ane mir, werdiu magt,
waz ich dir kumbers hän geklagt:
wis diner helfe an mir niht laz.
ob dich ie man durch minen haz
25. von mir welle scheiden,
so gedenke daz uns beiden
diu minn mac wol gelönen.
du solt froun eren schönen,
und läz mich sin din dienstman:
ich wil dir dienen swaz ich kan.
. Ich grosse der ich schulde Oruss,
Ihren Gruss mit Dienst erwerben
muss.
Fräulein, ich meine Dich,
Da Du mit Trost willst trösten mich.
Uns*re Lieb* ist nicht zu scheiden:
Sieh' da die Wurzel meiner Freuden !
Kein Trost ist, der dem Tröste gleicht,
Dass sich Dein Herz zu meinem neigt.
Du bist der Schlüssel meiner Treue;
Nun flieht mich Kummer, flieht mich
Reue.
Deine Minne gibt mir Hülf und Rath,
Dass keiner unlautem That
Gedanke wird an mir gesehen.
Zu Deiner Güte will ich fleh*n
So stät und so unwandelbar
Wie der Polarstern immerdar
Nach dem Nordpol sich dreht
Und nimmer von der Stelle geht.
So stät soll uns*re Minne stehen
Und nimmer auseinander geh*n.
Nun bedenke, süsse Magd,
Den Kummer, den ich Dir geklagt.
Und sei zu helfen nimmer lass.
Hegt mir Jemand solchen Häss,
Dass er Dich von mir will scheiden.
So bedenke, dass uns beiden
Einst noch Minne Lohn gewähre.
Thu*s allen Frau'n zur Ehre,
Und lass mich sein Dein Dienstmann :
Ich will Dir dienen wo ich kann.
Artus weiss nun hinreichend, wie er daran ist, er bescheidet die
Boten, schickt Benön mit ihnen und lässt Gramoflanz zu sich laden,
welchem B^äkurs, Gawans und Itonjes Bruder, entgegenreitet. Durch
die Aehnlichkeit mit diesem erkennt Gramoflanz die Geliebte , die er
jetzt zum erstenmale sieht. Artus und Brandelidelin beschliessen die
Sühne zu schliessen, auch Orgelnse muss ihrem Grolle gegen Gramo-
flanz entsagen, obwohl die Erinnerung an den geliebten Cidegast ihr
Thränen in die Augen treibt, als sie ihrem Feinde den Yersöhnungskuss
reichen muss. Der König entsagt allen' Ansprüchen wegen seines Vaters
Ermordung. Darauf wird GramoJhMps^i init Itonje , Lischoys mit der
1/-.
4(
*) Polarstern, Italien. Tramontana. Vgl. den Minnesinger von Scbwanfraa
XXXIl. 2. und Tanhoser Vlll.
215
^Aitoen Caodrie and Sangive mit dem Turkowiten vermählt und die Feier
inräohtig begangen, zamal da Orgeluse auch ihre Vermählung mit Gawan
bekannt macht and. Gramoflanz 9ein ganzes Heer herbeizieht nnd jedem
Fürsten ein Sonderlager aufsqhlagen heisst. Nor ein Mann lebt bei
dem allgemeinen Jabel in Sorgen — Paroival gedachte an sein Gemahl
oiid ihre reine Süsse. Wie hat doch die Minne, seit ich weiss was sie
ist, an mir gethan? Gott gebe diesen Schaaren Frende, ich will von
dannen fahren. • So griff der freudenflüchtige Mann nadi seiner Rüstang
and zog am frühen Morgen von dannen.
XV. Vor dem Walde traf er einen heidnischen Ritter, def war
so reich ausgerüstet, dass es der Dichter in seiner Armuth kaum sagen
kann. Sein Wappenrock, der voll edler«Steine liegt, ist zu Agremontein
(zAgremuntin) von Salamandern 0 ™ Feuer geworkt, auf dem Helme
trägt er ein Ecidiemon, ^) das alle giftigen Thiere vertreibt; mit fünf-
undzwanzig wehrlichen Heeren, von denen jedes andere Farbe und
Sprache föhrt, so dass keines das andere versteht, hat er in einem
wilden Hafen bei dem Walde geankert. Allein ritt er nun nach Aven-
tiure. Der Unbekannte stürzte auf Parcival los und ist zornig, dass
sein Gegner den Tjost im Sattel anshäh, dann griffen sie zu den Klingen
und versuchten manchen neuen Kreis, bis sie endlich von den Rossen
springen und den Kampf zu Fusse fortsetzen. „Thasme und Thabronit*'
ist das Feldgeschrei des Heiden, der dem Getauften wehe thut. Mit
Kunst schwängen sie die Arme, dass aus den Helmen das Feuer lohte
und von ihren Schwertern der Wind fuhr. Gptt schütze Gahmuretens
Kind! ruft der Dichter doppelsinnig aus. Dem Heiden gibt die Minne
Kräfte auch trägt er edle Steine, die s^ine Stärke vermehren.') Parcival
') 7^, 23 ff.: der wdpenroc gap plaiiken schio. ime berse zAgremunlin die
wörme salam ander in worklen zein ander jn dem TieiKen ßure. lieber
diese kostbaren, durcb Salamander (^eweblen Stoffe vgl. Wigalois 7435 —
7455 und Ulrich von dem Turlin in s. Wilhelm von uranse 1. 91 IT.
und Titurel 40> 311. Das XVII Jabrh. brachte dano eine eigene Salaman-
droloflfia von Wurfbainius, Nürnberg 1683. Vgl. ferner ß e n e ck e Wig.
S. 470—79. San*Marte I. 64917. Grässe Zur rabelbafleo Naturgeschichte
des Mittelalters in dessen Beitragen. 1851. Fried reich Symbolik. 1859.
2$. 617. — Die Sage vom spinnenden Salamander mag aus einer verwirrten
Kunde vom Seidenwurm und vom Asbest combinirt sein, aach scheint nach
Marco Polo der Salamander (oder samanirit) ebensowohl der Name eines
Minerals als eines Thieres.
') 736, 10: ,,er Iruog onch uF dem helme ein ecidemön: sweihe würm sint
eiterhan, von der selben tierlines krafi hdni si lebens decheine vrist., swenn
ez von in ersmecket ist.^ Das fabelhafte Thier ist bereits 481, 8 bei Aofortas
Krankheit unter den giftigen Schlangen aufgeHihrt , auch wird eine Land-
schaft oder Stadt Hiidemonis 683, W genannt. Simrock (S. 815) halt den
Namen für entstellt aus Agathodämon.
') Schon die Orphiker (Ritter Vorhalle der europäischen Menschheil) glaubten
216
i
I
denkt nur an seine Gattin and den Gral; da zerbricht ihm aber da^
Schwert, als der Fremde von dessen gewaltigem Streiche aofs Knie
gesanken war. Edelmfithig benützt der( Heide dieseu Vortheil nicht, er
sieht, dass sein ebenbürtiger Gegner aach ohne Schwert fortkämpfen
würde, so bietet er ihm in französischer Sprache Ruhe und Rast an
und nennt seinen Namen Feirefiz Anschevin. ^Woher seid Dur ein
Anschevin? versetzt Parcival ; das Land mit seinen Burgen und Städten
ist mein, seid so gut Herre, Euch einen anderen Namen zu kiesen. Ist
Einer von uns beiden ein Anschevin, so bin's wohl ich; doch ^eiss
ich, dass in der Heidenschaft mir ein Bruder geboren wurde, lasst mich
Euer Antlitz sehen, Herr, ich verschwöre des Streites, bis Ihr «wieder
gewapnet seid.** — ^Und stünde ich auch bloss, versetzt der Heide,
habe ich doch ein Schwert, das Euch zu schaffen machte und Ihr
keines,^ so sprechend warf es der Edle weit von sich; ^nun sage mir
aber, wie Dein Bruder aussehen soll?" versetzt der Heide weiter, und
da Parcival durch Eclcubä erfuhr,') er sehe weiss und schwarz aus, wie
ein beschrieben Pergament, so nehmen die Beiden zugleich Helm und
Hersenier ab und endeten im Kusse ihren Hass. Feirefiss sagt seinea
Göttern Dank, dass sie ihn hergeführt, mit brüderlichen Treuen bittet
er den Parcival, das Ihrzen zu lassen und ihn zu dutzen,') n^as aber
der Bruder im Gefühl seiner Jugend und Armuth ablehnt; Feirefiss
will ihn mit sich nehmen und verspricht ihm zwei reiche Lande, die
ihm sein Vater hinterlassen; um diesen zu suchen hat ec die grosse
Reise aus der Heidenschafl unternommen und bricht nun in Thräneo
aus, als er von Parcival dessen frühen ritterlichen Tod erfahrt. Mit
derselben feinen dialectischen Redekunst, wie der Dichter in höfischer
Zierlichkeit die kleine Obilot zu Gäwan sprechen Hess, schildert Wolfram
hier die Freude des Feirefiss, der in Parcival nun sein anderes Ich ge-
funden hat. *) Parcival ladet seinen Bruder (dessen Heer ruhig in den
an einen Einfloss der Edelsteine auf den Menschen. Vffl. Moseum fOr altd.
Li», u. Kunst. 1811. 11.52—145: Bösching Ueber die Kräfte der Edelsleioe
nach dem Glauben des Mittelalters; der Smaragd Terleihe gutes Gedacht-
niss, Karfunkel stillt das Blut und gibt Weisheit; der Saphir Friede
and Einigkeit, der Chrysolit ist gut gegen die Sucht, Klappersleinie
wider den Durst, Carniol hilft gegen Zorn u. s w. Vgl. unten 791, 1— JO.
•) Oben 328, 5 ff.
.') 749, 21: daz er irsens in erliese und in duzenitche hieze.
<) 752, 5 ff. 0 wehe! ist mein Vater todt! niFt Feirefiss aus, so habe ich in
• kurzer Zeit Freude verloren und Freude gefunden; wahrlich I mein Vater,
Du und ich, wir sind Eins, wenn wir auch Dreie scheinen
„mtt dir selber bdstu hie gestritir.
gein mir selbn ich kom Af strtt
geritn,
Mit Dir selber hast Du hier gestritten.
In den Kampf mit Mir kam icn geritten.
217
Sdiiffen zn bleiben gewohnt ist) an den Hof des König Artos, wohin
der Heide nm so lieber geht , da er von den schönen Frauen hört. —
Indessen hatte man auf Schastel-raarreile dc^n Kampf in der Spiegel-
säole wahrgenommen und kam den Beiden freudigst entgegen und Feire-
fiss wird auf das beste aufgenommen, nicht nur um des Bruders willen,
sondern weil auch sein eigener Ruhm im Kreise der Bretaneisen gar
wohl bekannt war, die Frauen fanden ihn um der seltsamen Male
seines Leibes willen nur um so interessanter. Sie nahmen im Zelte
Gawaos') Rast, der sie entwappnen und das Mahl bereiten lässt. Nach
der Mahlzeit kommt König Artus hinzu, den Gast zu begrüssen. Ihm
erzählt zuerst Feirefiss und hierauf Parcival in langer Reihenfolge alle
die Namen der Grafen, Herzoge und Könige, die sie bezwungen haben.
Die Qberans reiche Rüstung des Feirefiss, die dieser von der Königin
Secundille hat, wird allgemein- bewundert. Artus • berieth ein grosses
Festgelage fiir den kommenden Tag, die Frauen glänzten und mancher
Ritter strich ein blumenreiches Schapel auf sein Haar, Messe ward
gesungen und Buhurd gethan, schon sass man an der fröhlichen runden
Tafel — da erschien wieder die gräuliche Gralbotin, aber nicht so
furchtbar wie früher, sie schwingt sich vor Parcival von dem Pferde,
fUlt ihm zu Füssen und bittet weinend, ihr die Schuld und die frühere
Fluchbotschafl zu verzeihen: „0 wohl Dir, Gahmurets Sohn, ruft sie
aus, Gott will Gnade an Dir thun! und Feirefiss soll um meiner Herrin
Secundille wegen willkommen sein!^ Eine Inschrift erschien an dem
Grale (zu derselben Zeit als Parcival mit seinem Bruder kämpfte und
das Schwert über, dessen Leben schon geschwungen war; vgl. 744,14),
mich selben hat ich gern erslagn :
done kundeslu des niht ^erzaffn,
dune wertest mir min selbes Tip.
Jupiter, diz wunder schrlp:
dtn kraft tet uns helfe kuont,
daz se unser sterben understuont.
Mich selber hätr ich gern erschlagen.
Du aber schütztest ohne Zagen
Vor mir selber mich In Dir.
Sieh Jupiter^ diess Wunder hier!
Zu Hilfe kam uns Deine Kraft
Und löst" uns aus des Todes Haft.
I) Von da an verschwindet Gawan nai-h der Oekonomie des kunstreichen
Werkes; er war nur eine Folie, die der Dichter für seinen HeMen brauchte.
Er ist ja mir, wie Rührmund treffend bemerkt, die Verkörperung eines
weltlichen Ritters, dessen höchstes Princip die Ehre, nicht wie bei Parcival
die weltüberwindende Demuth ist, und dessen Religiosät, zwar frei von
Schwärmerei , aber auch ohne tiefere Begründung , sich in den Schranken
conventioneller Formen befriedigt und vor beunruhigenden Zweifeln sicher
fühlt. In diesem Sonnenscheine der vornehmen Welt wandelnd, beobachtete
er als Ritter leicht in allen seinen Handlungen Maass und Schicküchkeit und
doch ist er der Verläumdung ausgesetzt und des Mordes fälschlich a'ngeklagt,
und doch kommt er in Gefahren, wie bei der schönen Antikonie, an denen
Parcival ffleichsam unhewusst ruhig vorüberzog. Auch das unwürdige Be-
nehmen der Obie und der erst spflter in besserer Gestalt sich zeigenden
Orgelose bat er zu ertragen! nnd welche Hühsale, welche schweren
Kimpfe, sogar mit Zauberkunst und Ungeheuern!
218
die ihm nunmehr die Krone menschlichen Heilem, die Herrschaft fiber
den Gral verheisst. Freudenthränen quellen dem vielgepififten Helden
aus den Augen. Sie verkündet ihm weiter, dass seine Gattin Gondwi-
ramur seine Genossin sein und der eine der ZwiUingssöhne , die sie
ihm nach seiner Ausfahrt geboren, Loherang rtn^ gleichfalls mitge-
nommen werden, der andere aber, Kardeiz, in des Vaters Reichen
König sein solle. Sogleich solle er sich aufmachen und ihr folgen,
auch wird ihm gestattet, einen Gesellen mitzunehmen, wozu ' er seinen
Bruder Feirefiss bittet. Parcival aber erzählt Allen, was er einst von
Trevrizent vernommen, dass Niemand den Gral im Streit erringen könne,
wenn Gott ihn nicht erwähle; so Hessen denn die Tafler darnach die
Fahrt. Feirefiss aber schrieb vorher noch an sein Heer und Hess reiche
Geschenke bringen, die är grossm&thig und verschwenderisdi an AUe
vertheilt
XVI. Unterdessen litt Anfortas jammervolle Pein, oft bat er die
Ritterschaft, ihm den Gral nicht zu zeigen, dass er sterben könne, auch
ersann er die List, oft vier Tage lang die Augen vor dem Grale ge-
schlossen zu halten, dann aber zwang ihn doch wieder die Schwäche,
ihn zu schauen. Vergebens bot man zur Linderung seiner Noth Alles
auf, räucherte mit süssen Gewürzen, legte duftige Früchte auf den
Boden, die, wenn man darauftrat, brachen und die Luft erfüllten.')
Die Stollen an seinem Spannbette waren von Viperhom, ^) auf den
Polstern lagen verschiedene Würzen, das Pfeil, darauf er lehnte, war
nur gesteppet und nicht genäht, die Matraze (matraz) darunter von
Palmatseide, Stränge von Salamandergewebe' hatte das Bette als Gur-
ten, auch war es voll besetzt mit Fdelsteinen (deren Aufzählung eine
gans^e Strophe 791, 1 — 30 fallt), die zu Heil und Gesundheit gut und
kräftig sind; so fristete man künstlich sein Leben, vertrauend auf die
Verheissung, -dass doch noch ein Retter aus dieser Noth erscheinen
werde: da naht abermals Parcival. £^ legt die Waffen ab und nimmt
mit seinem Bruder einen Trunk, dann tritt er vor den König, der ihn
') Die Eslrichböden der Burgen waren sonst gewöhnlich nnr mit Stroh^ Schilf,
Blumen und Laub bedeckt, worunter sich wohl auch zur Erde geworrene
Ueberresle von Speisen u. s. w. mischten, was im ffewöhnlicben Leben oft
lange liegen blieb; nur Könige und Fürsten Hessen ihre Gemächer öfter be-
legen; dass der Fährmann Pnmpalinot sein Gemach bei Gawans Ankunft mit
Teppichen bespreitet (549, 25), ist eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit
^) 790, 9: ^am spanbelte die Stollen atn wdren vipperhoroto;'^ San -Harte
übersetzt die Stelle : das Bett ruhte auf bomenen SchlangenfllMea, Simrock :
Als Stollen an dem Spanobett sah man aus Hom gedrehte Scblengeo; doch
scheint darin eher eine Anspielung auf das durch uogetreae Miaoe erlittene
Ungemach. Vgl. Fried reich Symbolik. S 605.
M9
am dea Tod bittet, wozu er Sun nur sieben Nftobte und aoht Tage den
Anblick des Grales zu entziehen brauche, denn aach jetzt darf er noch
nicht sagen, was Parcival zu thun habe. Dieser aber wirft sich drei-
mal betend vor der Trinitat . nieder und fragt dann: ^ocheim, waz
wirret dier?" und Der durch St. Silvestern einen Stier lebendig machte')
und Lazarum auferstehen liess, half, dass Anfortas gesund ward und
wohl genass und wieder schön und g)&nzend wurde.
Indessen war auch an die treue Condwiramur die Freudenbotschaft
ergangen, die sie nach Munsalvaesche berief. An demselben Stätte, wo
Pareival einst durch die drei Blntstropfbn im Bann gehalten ward und
auch S^;ramors den Sattel räumte, hatte siß über Nacht in ihrem
Gezelte gesdilafen und Pareival, dem ihr Kommen gemeldet ward, eilt
ihr entgegen, nachdem er zuvor noch bei Trevrizent zugesprochen; dort
am frühen Morgen findet sie der theuere Mann und wer zählt seiner
Freuden Zahl, als er die treue bei ihren beiden Söhnlein sah und ihr
Ohm, der alte Kiot, auf die Decke schlug und sie erweckte. Schndl
schwang sie das Deckelachen um sich , sprang auf den Teppich und
kösste ihren Gemahl: „So hat das Glück Dich doch noch mir gesendet,
Du Freude meines Herzens! ruft sie willkommend aus, nun sollt ich
zürnen, kann aber nicht; Heil der Stunde und dem Tag, die dieses
Umfangen brachte, davon mein Trauero krank werden muss, ich habe
non.den mein Herze gehrt und die Sorge hert ein Ende.^ Da erwach-
ten auch die Kindelein,. die auf dem Bette bloss lagen und Pareival
küsste ^ie minniglich. I^iot lässt sie forttragen, schickt dann auch die
Frauen und Jungfrauen hinweg, die Kämmerer schlugen die Zeltwände
zu und Pareival lag in süsser Kurzweile bis an den vollen Tag. Darauf
ward Messe gesungen und Kardeiz gekrönt, zwei kleine Hände verliehen'
viel Land; darauf zogen die von ihm belehenten Mannen mit ihrem
Herrn nach Hause. Pareival fragt die Templeisen nach einer Klause,
die hier herum liegen müsse und durch welche ein Bach fliesse; sie
kennen selbe wohl und der Weg geht nahe vorbei, sie finden aber die
Klausnerin Sigune bereits todt, noch auf den Knieen liegend über des
Geliebten Sarge, von dem Pareival den Stein heb^n und Sigune dazu
legen liess, dass die beisammen wären, dem Sigune im Leben nur jung-«
frauliche Minne (magtuoraliche minne) gegeben hatte. An der Hand der
Gattin erscheint auf Munsalvaesche der neue König; ein überraschend
feiner und offenbar dem Leben abgelauschter Zug, den der Dichter hier
anbringt, ist es, wenn der kleine Loherangrin seinen schwarzen Ohm
nicht zu küssen wagt: Nach dem festlichen Empfange Condwiramurs
'V 795, 30. Vgl. die schöne Legende des Conrad von Wirzbnrg.
220
wird der 6ml hereingetragen. Alles wiederholt sich wie bei PttrcivaW
ersfer Anwesenheit, nur dass er jetzt König ist und Anfortas neben
ihm ritzet, auch fehlt die Lanze und überall herrscht Freude. Feirefiss.
sieht als fleide den Gral nicht (obwohl er gewahrt, wie eine unsicht-
bare Macht Alles spendet), aber dessen Trägerin, Repanse de schove
nimmt sein Herz so gefangen, dass er des Essens und Secundillens ver-
gisst und seine falschen Götter abschwören will, weil die Jungfrau den
rechten Gott hat. Hilft, mir die Taufe zur Minne? fragt Gahmurets
heidnischer Spross seinen Bruder, als ihm dieser zur Taufe räth, und
Parcival verspricht ihm seine schöne Muhme, den er nun auch zu dutzen
wagt, da er als König des Grals ebenfalls so reich ist. Schon am
nächsten Morgen wird der von Zassamank, nach kurzer Belehrung,
durch einen alten Priester getauft, der schon manch heidnisch Kindelein
in den Weihnapf getaucht hatte. „Lindert das mein Ungemach, spricht
der Heide, so glaub' ich was ihr befehlt; Bruder, an den Gott der
Muhme will ich glauben und an sie.'* Nach der Taufe sieht er nun den
Gral und empfängt durch. Anfortas und Parcival als Pathengeschenk
die herrliche Trägerin desselben. Eine Schrift, die am Gral- erscheint,
verordnet hierauf, dass wer künftig aus den Templern in fremde Länder
gesendet werde, um ihnen dort zu helfen und beizustehen, seinen Nanien
und seine Herkunft nicht nennen dürfe, so lange er dort weile.
Gerne hätte Feirefiss seinen Schwager Anfortas öder den kleinen
Neflfen Loherangrin mit in das Morgenland mitgenommen, da er von
hier nach eilf Tagen mit seiner Fraue weiter zieht ; bei der Ankunft im
Hafen erfahrt er von seinem Heere, dass .die Nachricht von Secundillens
plötzlichem Tode eingetroffen. Nun erst wird Repanse ihrer Reise gant
froh. Zu Tabronit, das man bei uns Indien heisst, wurde sie gekrönt
und gebar einen Sohn^ welcher der Priester Johannes 0 genannt
wurde, später über Indien herrschte und seinen Namen auf alle Nach-
folger im Reiche übertrug. Die treue Gralbotin, welche das Ehepaar
nach dem Morgenlande begleitet hatte, bringt die Kunde vom Ge-
schehenen und dem Glücke des Bruders und seiner Gemahlin nach
Mnnsalvaesche und trug oft Botschaft hin und wieder. Anfortas aber
blieb im Dienste des Grals und kämpfte darin noch *mahch ritterlichen
Kampf, Trevrizent aber blieb seinem Gelöbniss treue und warb auch
femer in der Einsamkeit um die Gottes Minne.
') Die Sage vom Priesler-König Johannes erzählt gleichfalls Monlevill«.
.Varco Polo und unser Johannes Schiltberg^r, der Glaube an ihn gvit allge«
mein^ so dass sojj^r noeh König Emanuel von PoiHui^al dem WelUimsef^ter
Vasco de Gama die ehrrurchtsvollsten Aufträge an ihn aufgab. Ueber die
historische Grundlage vgl Schrö/dl in Wetzer und Welte^s Kirchen lexikoo.
V. 783 ff.
281
Loherangrin erwuchs zu einem stattlichen Ritter. Zur selben Zeit
;ass in Brabant eine Frau, von der edelsten Zucht und Tugend, zahl-
-eich umworben von Fürsten und Herren, deren Hand sie jedoch
;ämmtlich verschmähte, die nur der empfangen sollte, welchen Gott
selbst ihr senden würde. Da zog eines Tages ein silberweisses Schwanen«-
[>aar einen Ritter im leichten Nachen in den Hafen von Antwerpen, in
lern sie den von Gott gesandten Gebieter des verwaisten Landes erkennt.
Es ist Loherangrin. Er unterwand sich des Reiches und ihrer Hand,
loch nur mit dem Beding, dass die Frau nie nach seiner Heimkunft forsche.
Liebliche Kinder entsprossen dem Bunde; die Frau aber vergass einst
ihres Versprechens; die verbotene Frage nach der Herkunft ihres Gatten
raubte ihr diesen, denn alsbald kamen die Schwäne wieder gezogen und
nahmen ihn auf immer mit sich fort. Ein Schwert, ein Hom und einen
Bing Hess er zurück; lange noch herrschte sein Geschlecht glücklich
in dem Lande.
Die Märe, setzt Wolfram schUessend bei, kam aus der Provenz/e
Id deutsche Lande und ich will davon nicht mehr sprechen, als dort
der Meister sprach.
827,
15. siniu kint, sin hoch gesiebte
han ich in benennet rehte,
Parziväls, den ich hän bräht
dar sin doch saelde het erdäht.
swes lebn sich s6 verendet,
SO. daz got niht wirt gepfendet,
der sdle durch des libes schulde,
und der doch der werlde hulde
behalten kan mit werdekeit,
daz ist ein nütziu arbeit.,
t5.guotiu wip, hänt die sin,
deste Werder ich in bin.
op mir decheiniu guotes gan,
Sit ich diz maer volsprochen han.
ist daz durh ein wip geschehn,
diu muoz mir süezer worte jehn.
Des Helden Kinder, sein Geschlecht
Lehrt* ich euch erkennen recht;
Ihn selber bracht* ich an den Ort,
Wo Heil ihm blühet immerfort.
Wess' Leben so sich endet,
Dass Gt>tt nicht wird gepföndet
Der Seele durch des Leibes Schuld,
Und er dennoch sich die Huld
Der Welt erhielt mit Würdigkeit,
Der blieb vom rechten Ziel nicht weit.
Mich sollten billig gute Frauen,
Verständ'ge^ desto lieber schauen,
Wenn noch ein Weib mir freundlich
lacht,
Weil ich diess Werk zu Schluss ge-
bracht.
Geschah das einer Frau zu Ehren,
Die soll mir süssen Dank gewähren.
Das ist der Inhalt dieser Epopöe, die, was das Formelle be-
, von der höchsten Vollendung zeugt. Es ist wunderbar gebaut,
^e ein deutscher Dom, nichts ist daran vergeblich oder entbehrlich,
^lles dient der Oekonomie des grossen Ganzen, kein Ton ist umsonst
2sa
angespielt, jede selbst die kleinste E}pisode hat ihre Berechtigung und
findet ihre Lösung, das Werk zeigt einen einheitlichen Plan, es trägt
sich selbst in seiner Construction ; die Bogen sind herrlich gewölbt,
die Gnrtiingen sinnreich gespannt, es ist ein organisches Ganze yoII
Schönheit in seiner TotaJwirkang , voll reizenden wohldurchdachten
und verschlungeneu Details, das helfend ineinander greift und in reizen-
der Abwechslung weiter leitet und die architektonische Einheit in pla-
stischer Wirkung nur desto voller und klarer hervortreten lässt. ') Mit
der dem Epos eigenthümlichen Dramatik, welche zuerst eine glänzende
Exposition verlangt, dann mit besonnener Ruhe den Knoten schürzt»
der sich nach allen Richtungen glänzend und gegen den Schluss hin
sogar rasch löst, ist die Dichtung angelegt Die Sprache ist originell,
reich an Gedanken und Bildern, die oft von einem seltsamen Ueber->
muth, von einer wahren Bravour und humoristischer Kürze belebt sind.
Wolfram hat, wie Göthe und Rückert, die bedeutsamsten Worte gerade
in den Reim verlegt, daher diese Originalität und Kraft in Gedanke
und Form. Reiner wurde der Reim nie gehandhabt, als von Hart-
man!) von der Aue, Waltber v. d. Vogelweide und in dritter Reihe
von Wolfram, der in den Tag^liedern und im Titurel geradezu
unübertrefflich ist; selbst Göthe und der formbefiissene Platen stehen
ihnen nach.
Was aber den Sinn dieser Dichtung betrifft, so wurden der Reihe
nach überreiche Erkläruugsversuche aufgestellt. Symboliker und Mythe-
logen erprobten daran ihren Witz, vergeudeten ihr Combinationstalent
und überstürzten sich in abenteuerlichen Gonjecturen, dass selbst der
Schwindelfreieste Beschauer unwillkührlich seine ruhige Fassung verlieren
könnte. Während die Einen darinnen die ketzerische Prädestinations-
lehre witterten und die anderen wie G ö s ch e I ') die Lehre von der
Gnadenwahl und der Rechtfertigung aus dem Glauben allein ohne
Werke, als einen Vorläufer der Reformation gefunden haben wollten;
bezogen dagegen Vi 1 mar und Sepp die Fabel auf die äussere Gre-
schichte des Christenthums mit deren mystischen Gehalt, auf Johapnis
') Rührmaad hat io Hauprs ZeiUcbrift VI. 465—478 sogar den cfartmologi-
schen Zusammenhang der einzelnen Begebenheiten dargelegt, wodurch 9er
Vorwurf, Wolfram habe oft bloss Begebenheiten an Begebenheiten « ohne
inneren Zusammenhang, ohne Ziel und Beweggründe planlos aneinander
gereiht, glänzend widerlegt wird. Vgl. dessgleichen Rührmuods sch^Vae
Arbeit in Herrig^s Archiv. 1657. XX11. Bd. S. 233- 95.
*) K. F. Göschel Die Sage vom Parcival und vom Gral. Berlin 1855 und
Reichel Studien su Wolframs Parcival Wien 1866.
228
Schüssel,*) Äbeadmalkelchv Speer des Longinus; sie wägten so hohen
Schwung, dass sie im Parätal selbst ein Bild des Erlösers, des Welt-
heilandes sehen. Die Dritten, die sonst an der rechten Stelle kein ab-
sonderlich feines Gehör verriethen, hörten hier plötzlich den Nachklang
heidnischer Mythen. Alle aber erkannten die überansgrosse Schwierig-
keitv den Gmndgedanken des Gedichtes fest zu fassen, dazu aber auch
gaaz beseheidentlieh den unvergleichlichen Werth ihrer eigenen Ideen.
Unstreitig wurde in das Gedicht mehr hineingelegt, als der Dichte
selbst im Sinne trug, der übrigens in mittelalterlicher Dialektik nicht
unerfahren war und mit ritterlicher Kühnheit sein theologisches Lehr-
gebftade sich zurechtgeritten hatte. Ein speoifisch christlicher Haupttheil
kann niemals abgewiesen werden , ebenso weni^ der notorisch bretoni-
sche Einflnss und die Beziehungen zum Templerorden.') ^iGewiss werden
wir fernerhin (sagt San-Marte U. 250) nicht mehr nöthig haben, nach
gnostischen Ketzereien und einer templerisohen Geheimlehre zu. forschen,
um die mystische Bedeutung des Grals, die ihm der Dichter beilegt,
zu ergründen; und ebenso wenig in dem Reiche des Grals ein Reich
der Seligen oder gar eiiv Todtenreich, vielmehr nur das dichterische
Ideal eines geistlichen Ritterordens erblicken dürfen, das im
Tempelherrenorden am Ende des XU. Jahrh. der damaligen Welt fast
verwirklicht schien.^ Gör res ^) bezeichnete die Greschichte vom hei«-
ligen Gral als die epische Fortsetzung der Apooryphen . des neuen
Testaments, die Templeisen sind ihm die Kirchenväter dieser Legende,
die smaragdene Schale ein S3rmbo1 der Eucharistie, die nach der Sage
zum erstenmale in dem Becher abgehalten worden war. Der Gral ist
ein Tischlein-deck*-dich und 3tein der Weisen zugleich, dervdie Wünsche
geschweigt, des Wissens Durst stillt und den Frieden der Seele unge-
trübt erhält. Niemand sieht ihn, denn nur die Erwählten, welche zu
allen Zeiten gegen unheilig Leben kämpfen; seine Zeichnung vermag
^Keines Mund oder Zunge je zu deuten, aus ihm wird Alles gewährt,
aUo auch dem Verderben gewehrt^ und somit durchdringt er den
iSchauenden, so lange er den Anblick mit reinem Herzen geniesst, mit
ewiger Jugend. Die Symbolik des göttlichen Steines, der vom Hinunel
gesandt, den Seinen im Glück des Paradieses Genüss, im Leiden Trost
Hjid Linderung verschafft, der Unsichtbar dem Ungetauften und nur den
*) S im rock Einleituag zu s. Psrcivalübersetzung. 3 Aufl. 1857. S. 776.
^) Vgl. die trefBichen ^Parcival-Studien<^ San-Marte*s 1861. H. 228 ff.
über den hl. Gral /und sein Reich nnd über die Beziehungen zum Templer -
Orden. II. 248 AT. Das Buch kam uns leider erst su, nachdem unsere Arbeit
schon vollendet war.
">) J. Göj-res Wallfabrl nach Trier. 1S4&. S. 54 IL
«
284
Händen der Unschuld tragbar ist, der sieb seine Diener und Dienerin-
nen schon in der Kindheit wählt, die glQcklichen, die des Lebens volles
Genüge und dereinst des Himmels Krone erlangen; der sich durch
keines Menschen angestrengtes Forschen auffinden und durch keines
Helden eigenwillige Kraft erstreiten lässt, sondern nur die Berufenen
aufnimmt — ist so ziemlich unzweifelhaft.') Der Gralkönig ist in
seiner Weise ein Nachfolger des Hauptes der Apostel , ist er ja dock
auch ein Fischer und Anfortas wird ausdrücklich und do{^lsinnig^
le roi pecheur genannt; seine Krankheit aber könnte trotz Wolfiram&
päbstlicher Gesinnung, doch eine politische Diagnose zulassen!') Par—
cival aber, dieser neue herrliche Odysseus, der unvergleichliche, lichte
gemale Held, über dessen ganzes Leben — von frühester Zeit, wo ihn
der Gesang der Vögelein zum Weinen bringt, bis dahia, wo ihn eia
Siedler „vom zwfveP belehrt und er mit aller Kraft dem Heile, der
„saelde^. nachstrebt, bis er endlich als König in der ewigen Herrlichfcät
einreitet — ein geheimnissreiches Halbdunkel ausgebreitet liegt, ist io
seiner Trilogie von Glaube, Zweifel und Wissen der Repräsentant der
Menschheit selbst.. Der ritterliche Dichter hat, nicht wie sein roman-
hafter Biograph annimmt, sein äusseres Leben, sondern seinen inneren
Entwicklungsgang abgeschildert, er hat sein eigenes, erfahrungsreiches
Gemüths- und Glaubensleben abgespiegelt, sein Held ist die Frucht und
theuere Hinterlassenschaft alles dessen, was seinem Herzen einst ^ lieb
und heilig war, was er verlor und was er auf weiten Wegen mühe-
seliger Prüfung wieder errang. Ausdrücklich stellt er den Hauptge-
danken an die Spitze seines Werkes: er will zeigen, wohin der Zweifel
den Menschen führe, was ihn Veranlasse, wie er verhütet oder gelöst
werden könne.') Er, der in seinem unbefangenen kindlichen Glauben
erst erschüttert und dann durch schwere Schläge ganz herausgeworfen,
irrend und der Welt verfallen, Gott absagt und im hochmüthigen .TroUa
Welt und Menschen zugleich verachtet, dessungeachtet aber immer nodi^
treu und redlich und mit allen Kräften nach der Wahrheit trachtet:
kehrt den Hochmuth durch Demuth ^legend, plötzlich um, dem
— '■ I
') Die tiralfeier erkennt auch San- Harte in seinen Studien 1861. II. 247 als
Symbol der Eucharistie.
') Dagegen gibt Spanffenberg in s. Adelspie^el, Schmalkalden 1591^ II. 172
eine seltsame Andeutung, als läge dem Gedicht die Geschichte Ludwig des
Frommen zn Grunde, er sagt: ^sondc^riich bat Wolffram von Escheobacfa
das beste darbey gelban (unter den Sängern am Hofe des Landgrafeo Her-
mann von Thüringen), welcher dann auch das grosse Buch von Kön. Loya,
das ist, von Luduico Pio, Keyser Karlen des grossen Son, Reim weise, doch
sehr Poelisch und verdeckt geschrieben.^ —
^) Rübrmund in s. Programm. Potsdam 1845. S. 12.
225
Höchsten, Ewigen ohne Rast and Ruhe nachfragend, bis er endlich zam
ewigen Besitz des seligsten Friedens gelangt. Man sieht, es ist die
ewig alte und neue Geschichte des inneren Menschenlebens, wie es zn
allen Zeiten in erhabenen nnd starken Seelen sich kämpfend offenbart. '3
Der Kern ist aber überkleidet mit einem Reichthnm der Phantasie und
einer Anmuth des Witzes, wie sie Ariosto gehandhabt, ^ und in einen
Tiefsinn getaucht und mit einer farbenprächtigen Gluth überstrahlet,
wie sie nur Dante in seiner göttlichen Comoedie und Calderon in seinen
Autos an den Tag legten.
Die dem Gedichte zu Grunde liegende ideale Wahrheit hat Wolf-
ram'mit realistischer Meisterschaft ausgeführt. Er stellt uns wirkliche
Menschen vor; daher seine gesunde Kraft und der völlige Mangel aller
Sentimentalität. Der Parcival ist ein treues farbenreiches Gemälde des
höfischen Lebens wie des Volksti^ibens; der Hof der Mohrenkönigin
und selbst der Baruch zu Bagdad — es sind deutsche Ritter i^nd
Edelfrauen. Die grosse Treue der schwarzen Belakane zu ihrem ent-
wichenen Gatten; Herzeloydens rührende Mutterliebe; der Schmerz
des alten ritterlichen Gumemanz über den Verlust seiner Söhne; die
hochherzige Yasallentreue des Fürsten Lypaut; Trevezent, der das
liebste, sein schönes ritterliches Leben mit der Armuth eines Einsiedel
vertauscht, um fär fremde Schuld zu büssen; Sigunens klare Treue, die
über das Grab reicht, ein Spiegelbild der ächtesten deutschen Liebe;
Gawans höfisch abgeschliffene und gleichwohl warm fühlende Persön-
lichkeit, leichtbewegten Herzens, von unverbrüchlicher Freundestreue,
der für Ritterlichkeit, feine höfische Sitte und Ehre glüht; neben ihm
die gutherzige Dankbarkeit des schlichten Fährmanns und seiner lieb-
lichen Tochter Bene, Itonjes herzlich ergebene Dienerin; der natur-
wüchsige Heide Feirefiss — und was sonst noch für sprechende Cha-
raktere auf den Schauplatz treten, an denen unser Epos einen beispiel-
losen Reichthum hat, von dem Haupthelden gar nicht zu sprechen,
dessen Entwicklungsgeschichte die Hauptsumme der ganzen Dichtung
ausmacht — sie Alle sind so verschieden von einander und doch ver-
wandt durch den unverkennbaren Familienzug, deutschen Wesens,
welches überall deutlich an den Tag legt, dass der JDichter von der
Natur Act genommen.
Es wird wenige Dichter geben, die, wenn man ihr Vorbild aufge-
funden hat und ihnen gegenüberstellt, nicht verlieren. Zu diesen
Glücklichen gehört Wolfram. Er folgte im Wesentlichen dem Laufe
■) Eicheodorff Gesch. der poetischeo Litemtur Deutschlands. Paderboru 1857.
I. 58
15
286
seiner Quelle, kürzte als besonuener Wanderer hier einen Schlangen-
pfad, weilte dort mit Wohlgefallen an malerischen Punkten, beutete
dann, als ein feiner Kenner die lieblichen , die romantischen and
schauerlichen Partien der Landschaft aus, vertiefte sich in religiöse und
moralische Betrachtungea.und gab so der Welt, indess er ein blosser
Nachbildner zu sein schien, in der That ein selbststäudiges Kunstwerk.
Seine Schreibweise , die oft die seltsamsten Bilder und Vergleiche mit.
einem Anflug von Ironie und sichtlicher Uebertreibung zuaammenfasst»
ist knapp und bündig. So sagt er z. B. ^ihrer Freuden Klinge brach
mitten im Heft entzwei" für; ihre ganze Freude war dahin, oder ^sein
Traum wurde ihm um den Saui;n mit Schwertschlägen gesteppt" (245, 9)
für: er träumte von Schwertschlägen, oder ^die müde Sonne hatte
ihren lichten Blick hin zu ihr gelesen" (32; 24) für: es war Abend
geworden. Der Ausdruck: ^.wenn ein Teufel so den Preis behalten
hätte an kühnen Helden, so würden ihn die Frauen wie Zucker essen^
(5t), 12 ff.)') und der Vergleich von Antikonie*s schönem Wüchse mit
einem Hasen am Bratspiesse (409, 26) oder einer Ameise (410, 4)
sind burleske Wendungen, welche unvermerkt übergehen in seine beliebte
Manier zu spotten, über die er selbst einmal, als über seine alt»
achlimme Gewohnheit (min alt unfuoge) Klage führt (487, 12); eben
dahin gehören auch seine muthwilligeu Vergleiche, z. B. Frau Herze-
loyde gab einen Schein, dass, wenn die Kerzen erloschen wären, doch
von ihr noch Licht genug da wäre (84, 15); aus Frau Jeschutens
rothen Munde hätte man wohl Feuer schlagen können (257, 20), oder
die Schwärze der Belakane sah Gahmuret för die Sonne an (91, 6).
Oft genug schaut der Dichter selbst scherzend aus seiner eigenen
Dichtung heraus, er möchte keine solche Mähre reiten, auch nicht wie
Segramors im Schnee liegen (289, 10); gerne nähme er von den
schönen Töchtern, die mit dem Vater wallfahrend dem Parcival im
Walde begegnen, einen Kuss der Sühne, wenn er etwas an ihnen zu
rächen hätte (450, 4); als Condwiramur zu Repanse tritt, da nndet
er es bedauerlich, dass er nicht statt der Reisemüden die Arbeit über-
nehmen dürfe, ihren rothen Mund mit Küssen in Noth zu bringen (807, 9).
Und zwischen den unzähligen persönlichen Randglossen und kleinen
Bemerkungen erlaubt er sich an geeigneten Stellen ^uch längere Ab-
schweiftmgen und reflectirende Arabesken , in welchen sein gediegener
Charakter am liebenswürdigsten zu Tage kommt, z. B. wenn er über
die alte Untreue der Frau Minne klagt, die schon manches Weib um
0 Aebuliche Ausdrücke auch bei Neidhart, Ausgabe von Haupt S. 41 . S5
und 42, 31.
227
ihren Preis gebracht und manchen Herren an seinem Mann und man-
chen Freund an seinem Gesellen zum Verrathe getrieben habe (291, 1 ff.);
und wenn er in der schönen Stelle, wo er rechte Minne nur mit
wahrer Treue vereinbar findet (532, 10: reht minne ist wäriu
triuwe), zugleich die bequeme Lehre von Amors blind treffenden Ge-
schossen zurückweist, s|)richt sich in diesen ürtheilen derselbe sittliche
Ernst aus , der ihn hin und wieder satyrische Blicke auf die bereits
sehr lockeren Sitten seiner Zeit werfen lässt. —
Der ^Parcival'' wurde, wie wir bald sehen werden, in der Folge
auf viele Dichter von mächtigem Einfluss; di^ zahlreichen Handschriften
und vielen Fragmente davon beweisen, dass er das ganze Mittelaltei'
hitfdurch und bis zum Ausklingen desselben ein vielgelesenes Buch
blieb. PQttrich von Reiohertshausen kannte seiner Zeit allein an dreissig
verschiedene Abschriften^ von denen jedoch leider die wenigsten zu-
sammenstimmten; fast alle bedeutenden Poeten berufen sich stellen-
weise auf ihn und selbst die spftter folgenden guten Meistersänger sehen
gläubig zu ihm hinauf , als emem Sterne erster Grösse, als strahlen-
dem ewigem Hort des Gesanges. Er gehörte zu den wenigen auser-
lesenen Werken, welche die neu erfundene Buchdruckerkunst in ihren
Schutz nahm und die schöne erste Ausgabe von 1477 ist jetzt ein
kostbarer Incunabelschatz der Bibliotheken.^') In der Mitte des
XVIII. Jahrh. machte ein Schweizer den unglücklichen Versuch, das
könstleri^he Panzergeflecht altdeutscher Reimknnst in Hexameter um-
zagiessen (Zürich 1753), aber schon dreissig Jahre darauf gab Müller
denParcival in seiner alten Gestalt zum ersten Male heraus, natürlich
ohne Kritik oder absonderliches Sprachverständniss, welches der neueren
Zeit vorbehalten blieb, die denn in Lachmann*s Editionen, Berlin 1833,
2. Aufl. (durch M. Haupt) 1854, den Höhepunkt erreichte. Im Jahre
1833 machte San-Marte den ersten Versuch, das Gedicht dem mit
der mittelhochdeutschen Sprache wenig vertrauten grösserem Publikum
in einem gedrängten Auszug vorzuführen, worauf 1836 seine erste
Uebersetzung und 1841 der dazu gehörige zweite Band mit den schönen
noch immer höchst anerkennenswerthen Abhandlungen über die Werke
und das Leben desl)ichters folgte. Später machte sich auch Simrock
an eine Uebersetzung. Die San-Marte*s liest sich frei und fliessend, doch
weicht er, um den vollen Eindruck eines congenialen Schwunges wieder-
zugeben, bbweilen bedeutend aus, auch misslang ihm manche Stelle,
die er jedoch, den Dichter unablässig im Auge behaltend, später nach
') Gedruckt von Günther Zainer zu Augsburg. 1477.
15*
Möglichkeit in <}er neuen Auflage zu bessern suchte. Simrock dagegen
hat mit steifer Gewissenhaftigkeit Zeile för Zeile wiederzugeben versucht,
eine Arbeit, die mit unübersehbaren Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.
Bei seinem Verfahren war es denn unumgänglich nöthig, viele der alten
Fachausdrücke für Waffen, Geräthe, Kleider und Stoffe wörtlich wieder-
zugeben und durch angehängte Anmerkungen zu erörtern^ Dadurch und
bei der grossen Treue am wörtlichen Ausdruck hat das feinere, G«f&hl,
trotzdem dass Simrock durch und durch ei^e poetische Natur ist (ich
erinnere hier nur an das unvergängliche Meisterwerk seines Heldenbuchs),
erheblich gelitten und namentlich die feine Humoristik, wo der Dichter
mit schalkischem Lächeln durchblickt, ist bös zu Schaden gekommen,
so dass gerade alle fröhlicheren Parthien, die San-Marte so glücklich
wiedergab, indem er die Leser in die heiterste Freudigkeit des Originals
versetzte, in grauer Farblosigkeit erscheinen. So viel aber steht fest,
dass San-Marte dem Dichter alle Herzen geöfinet hat und noch gewinnen
wird und dass die Simrock^sche Bearbeitung, trotz ihren Härten, in
kurzer Zeit doch drei neue Auflagen erlebte! Ausser den genannten
wurden noch mehrere Versuche gemacht , eine allen Anforderungen ge-
nügende Uebersetzung herzustellen; das Erheblichste davon haben wir
unterwegs schon benützt und verzeichnet, andere, wie z. B. die K rü-
ge r*schen Proben sind besser mit Nacht und Nebel zu bedecken. Am
meisten thäte ein tüchtiger Commentar noth; wir haben unsere pro-
saische Inhaltsangabe so viel wie möglich mit des Dichters eigenen
Worten zu geben und das Ungewöhnlichste dabei zu erklären vecsucht;
vielleicht wäre es möglich, auf diese Weise dem Original mehr Freunde
zuzuföhren, als auf dem sonstigen Wege der pedantischen Lesearten-r
krämer. Doch.muss es auch solche Käuze geben und wir sind ihnen
dankbar, nur nicht immer odec überall.
Von Wolfram's ^Willehalm** wird im folgenden Abschnitt die
Rede sein, wir' haben es hier noch mit dem Titurel zu thun, von
dem nur zwei Gesänge aus der Hand des Dichters auf uns gekommen
sind. ') Der eine behandelt in künstlichem Strophenbau die Genealogie
der Gralkönige von Titurel herab durch ihre Verzweigungen; den
Haupttheil bildet die überaus zarte Liebe der schönen uns bereits so
wohl bekannten Sigune zu Schionatulander. Sie hatte ihren Anfang
genommen um die Zeit, als Pompejus und Ipomidon vor Bagdad den
Baruch bedrängten. (L 73.) Schionatulander hatte früher als der
') Der Text ia Laehmanns Wolfram. 1854. S. 391 — 420. UeberaeU^ voo
Bfiachioff io dessen findhlonffen des Mittelalters. 1814. I. S. 421 ff. nod
bei Simrock S. 711-52.
229
Liebesbote Gahmurets bei der Königin Anflise f^edient, bei dieser Ge-
legenheit erfxihr er, wie es am die Minne stehe, die nun über den
jnngen Helden kam mit ihrer ganzen Gewalt ond welche bewirkt, dass
der Leu nicht so schwer träumt im Schläfe, als der junge Ritter in
seinen wachen Gedanken. Sigune ist noch em Kind : wer sie sah,
dem schien sie wie Maienglanz bei thaunassen Blumen (er k6s si för
des meien blic, swer si aiach, bi tounazzen bluomen Str. 32); Ehre
und Heil blühten aus^ ihrem Herzen; was zu vollem Lobe gehört bei
reinem Weibe, dess' war nicht eines Haares breit vergessen an ihrem
süssen Leibe. Der stolze Gahmuret erzog sie und seinen Boten in
seiner Kemenate ; da ergriff sie , so junge noch , schon die Minne. 0
wehe! ruft der Dichter, sie sind noch zu jung zu solchen Aengsten:
Str. 49. Weh, Minne, was verschonet nicht deine Kraft die Kinder!
Einer, delr nicht Augen hat, würde dich doch spüren, ein Blinder;
Zu vielfach, Minne, bist du stäts gewesen;
Alle Schreiber schrieben deine Art nicht aus, noch dein Wesen.
Str. 50. Auch den Mönch im Kloster übenvindet Minne,
Sie zwingt den Einsiedel selbst zu gehorsamen Sinne:
Keine Regel hält sie dann im Zaume;
Sie zwingt den Ritter unterm Helm; ihr genüget an dem engsten
Räume. .
Str. 51. Der Minne Macht bewältigt die Nähe wie die Weite;
Minne hat auf Erden Haus ; in den Himmel gibt sie gut Geleite.
Minn' i^t allwärts, ausser in der Hölle.
Der starken Minne lahmt die Kraft, wird Wankelmuth und Zweifel
ihr Geselle.
Mit entzückender Naivetät fragt das unschuldige Kind, was denn
die Minne sei: ^Minne? ist das ein Er? kannst Du mir Minne deuten?
ist das eine Sie? und kommt Minne zu mir, wie soll ich sie empfan-
gen?*) Hat sie die Tocken lieb? fliegt sie mir auf die Hand oder ist
sie wild und muss ich sie locken?^ — „Fraue, versetzt Schionatulan-
der, ich habe vernommen von Frauen und Mannen, Minne kann auf
Alt und Jung den Bogen so meisterlich spannen (so schuzltchen spannen),
■) Sir. 64: „Minne, ist daz ein er? mahl du minn mir diuten? ist das ein sie?
knmet mir minn, wie sol ich minne geirioten? (triuten = zärtlich lieben,
minnen . liebkosen , herzen und küssen , umarmen) muoz ich si behalten bl
den tocken? od fliuget minne ungeme Of haut durh die wilde? ich kan
minn wol locken.^
880
•
da8s sie mit Gedanken tödtlich schiesset, sie trifft ohne Fehlen Alles
was läafl, kriecht, fliegt oder fliesset. Bisher kannte idi sie nur vom
Hörensagen (von maeren), sie wohnt aber in den' Gedanken« wie ich*8
selber an mir erfahre, wie ein Dieb stiehlt sie mir die Frende aus dem
Herzen.'' Noch langö reden die Kinder in reizender Weise darüber,
endlich bricht das knospende Mägdelein in das Greständniss aas: ^Ich
bin dir holt, getriwer friunt: nu sprich, ist daz minne? Eher brennen
alle Wasser, ehe die Liebe meinerseits verdirbt!^ — Aber Schiona-.
talander soll sie anter Schildes Dach verdienen; also zieht Sigonens
Herzenstraat mit Gahmaret nach dem Morgenlande, ans Sehnsaeht nach
der Geliebten wird der Knabe krank:
Str. 86. Wenn andere Janker aaf Feldern und Strassen
Turnierten and rangen, so masste er's vor Herzweh unterlassen;
An allen Freuden Hess ihn Minne siechen.
Aufstehn lernt ein Kind am Stuhl ; erst aber mass es hin kriechen.
Silr.87. Nun traj| er hohe Minne! so muss er auch denken
•Den Sinn empor zu richten, und aller Falschheit fem ab lenken,
Die Ehre in der Jugend wie im Alter;
Eh mancher Fürst das lernte, man lehrte einen Bären eh den
Psalter.
Gahmuret, der seinen Kummer bemerkt, stellt ihn zur Rede und
verheisst ihm, als er seine Liebe zu Sigunen bekennt, Beistand und
Fürsprache. — Im nächsten Fragmente finden wir die zwei Geliebten
im Walde unter einem Zelte; Schionatulander hat einen schönen
Bracken, Namens Gardeviaz (Hüte der Fährte) gefangen, der dem
Herzog Eckunat gehört, der Hund hat ein unvergleichliches Seil um den
Hals, darauf eine ganze Aventiure steht, die Buchstaben sind Edelsteine.
Während Schionatulander mit einer Federangel (vederangel) im nahen
Bach Aschen und Forellen (äschen unde vörhen) fängt, reisst sidh das
Thier los und bricht eine Fährte witternd, durch; Sigune, die den
Hund vergeblich hiüten will, hat sich durch das Brackenseil die ganze
Hand geschunden, so wie es einem Lanzenbrecher geschieht, wenn .vom
Gegenstoss der Schaft im Saus durch die blosse Hand fährt. Sie be-
steht nun darauf, Schionatulander müsse ihr das Thier wieder schaffen,
um die merkwürdige Aventiure, die auf dem Brackenseil steht, ganz zu
lesen, sie muss es haben, sie knüpft sogar ihren Besitz an diese Be-
dingung. Hiemit schliesst das Fragment; -wir wissen bereits aas dem
Parcival, dass der Geliebte nur allzubald das Leben verlor.
231
Den Stoff hat, offenbar nach französischem Vorbild, tiber ein
halbes Jahrhundert später, ein anderer Dichter aufgenommen and
höchst phantastisch durchgeführt, Herr Albrecht von Scharffen-
berg, den wir hier gleich anreihen, um die Gralsage abzuscMiessen
und später nicht noch einmal darauf zurückkommen zu müssen. *)
Scharffenberg war wohl kein Bayer , *) aber er dichtete im Auftrage
Herzog Ludwig des Strengen. Wenigstens geht dieses bestimmt ans
den Bruchstücken hervor, die Sulpiz Boisser^e zu Heidelberg
fand.*) San-Marte (H. 290) vergleicht sein Werk treffend mit einer
herrlichen, grossartigen, romantischen Gebirgsgegend, die man in Regen-
wetter und Nebelsturm durchwandert; jedes Einzelne erscheint triefend
schwer, unbehaglich; die Feme ist im Detail unklar und getrübt; der
Foss klebt fest im leimigen, aufgeweichten Boden einer formlosen Sprache;
arbeitet sich ab im Sumpfe der unabsehlichen Strophenhaide ; man ringt
mit dem Domgeflecht enormer unverdauter Gelehrsamkeit und abstruser
Mystik; dennoch gewährt es, mit dichterischem Geist seine Parthien
hü Grossen und Ganzen angeschaut, grossartige bedeutsame Formen
Und Ansichten, und einen fruchtbaren Kern zu reicher Entfaltung, wenn
nur ^diu habende zange^ mit WoMVams Tiefblick sich findet, die seine
Schale zu sprengen ^eiss.
Für uns ist die Einleitung und noch mehr die Beschreibung des
Graltempels, den Titurel baute, von Belang.
In Cappadocien breitete sich ein hohes edles Geschlecht mit könig-
lichen Ehren aus. Sennabor hiess der Stammvater, der lebte zur
Zeit als Jesus von Judas verrathen ward. Einer seiner Söhne hiess
Parille, dem Vespasian seine Tochter Argiisille zur Gemahlin gab
xuhI Frankreich ward ihm zum eigenthümlicheil Königreiche gegeben,
nachdem er dem Kaiser bei der Belagerung von Jerusalem mitgeholfen.
Mit den Heiden zu Galizien und Saragossa in Krieg, ward er von ihnen
vergütet und hinterliess einen Sohn Titurisone, die Krone aller
Kinder! Wie Wetterschauer ward er den Heiden und ein böser Nach-
tbar, sein Feldgeschrei war ^mon joie!*^ Titurisone vermählte sich mit
£ligabe!, von Arragon, Tochter der Bonifante und d^s Königs Tibery
*) Gedruckt zu Augsbarg a. 1477 bei Günther Zainer. 307 Blätter. Ausgabe
von K. A. Hahn. Quedlinburg 1842. 6207 Strophen. BmchMcke von Dr.
Karl Roth. Landshut 1843.
*) Dagegen kommen in Preisiiifer Urkunden von 1252 drei Scharfenberge vor
oiid rwar ein Leirpold, Wilhelm (t 1292) und Heinrich. (Hagen
MS. IV. 303 u. 306 )
') Abhandlungen der Münchner Akademie. 1835. S. 308 — 392. VergL da^^u
Wackernagel S. 196.
232
von Arragon. Schön war sie und voll Tugenden , und wenn sie ihn
nennen und ob seiner ritterlichen Tugenden preisen hörte, so dünkte sie
diess ein Grössen der Engel, wenn sie aber den Werthen ansah, so
schwelgte sie in den Freuden des Paradieses. Mit dieser zog er dp^nn
über Meer zum heiligen Grabe , wo sie Gott ein ' golden Bild weihten
und einen Erben erflehten. Darauf ward ihnen ein Sohn geboren, ein
Engel aber kündete ihnen an, dass Gott diesen Sohn besonders in seine
Huld nähme. Ein langes ritterliches Leben werde er führen, strenge
Arbeit erdulden, die Christenheit gegen Heiden thum mit Ueberkraft
vertheidigen und zum Lohne soll sein Leib sich in den Glanz der Sonne
kleiden. Als ihn ein Bischof taufte, wurden zuerst die weisen „meister
von nature^ befragt und sie nannten das Kind Titurel, also da^s es
5 Buchstaben vom Vater und 2 von der Mutter Namen hatte , denn
das Kind sei zwei Drittel dem Vater, ein Drittel der Mutter eigen.
Nur nach Ritterschaft stand sein Gremüthe, weniger auf Granmuatica
und die Kunst der Bücher, die er lieber sparen mochte. Doch hörte
und las er viel von der Minne, die unsichtbar, aber siegreich und ge-
waltig über die Erde fahrt. Seine Mutter bat ihn, sich ja vor ihr
strenge zu hüten und so kam es, dass er vor ihrem Namen sich kreuzte
und segnete, worüber die Leute zu lachen begannen. Befragt gab er
an, dass die Lesung des Ovid ihm einen Abscheu vor der Minne bei-
gebracht habe, sie scheine ihm ein Geist der Hölle, doch merke er,
dass sie vielen Leuten gar Freund und guter (Jeselle sei. Der Meister
aber belehrte ihn: die Minne, wohl zu unterscheiden, denn Minne (Lust
und Lieb) müsse man zff allen Dingen haben ; vor Allem müsse man
Gott minnen und. durch diese Minne sich von allen Sünden rein halten;
eine aber heisse man Minne, die verpfände die Glückseligkeit und hasse
Grott und wer ihr nach'gehe, der müsse sein Gericht leiden. — Viele
Heiden überwand der Junge in Spanien und wohin er kam, verbreitete
er Freude, wie ein Kühle spendender Baum, wie ein erfrischender
Brunnen und wie süsse linde Luft und die Sorge schwand in seiner
Gegenwart, er erfreute wie Königsgrüssen die Verurtheilten. Er aber
blieb demüthig und machte es nicht wie die^Thoren, die auf Händen
gehen und doch Füsse haben, die Stroh dem Rind gleich, statt Semmel
essen und sich lieber in heisse Gluth als auf Blumen betten.
So lebte Titurel in hohen Tugenden; da ward ihm ein Engel vom
heil. Gral, dem ewige Freuden beiwohnen, gesendet, dass er ihm diene.
Ein Berg San-Salvator in Salvaterre (den man erblickt in Arragonien, am
Eingange von Spanien') lag mitten allein in einem Walde, der sich sechzig
') Dicht an dem Thal von Ronce?a] und der grossen Heerstrasse, die von
m
Tagrasten rund heram ausdehnte. Süsse Gesänge tönend,' wie er (Titnrel)
noch nie gehört, fährt ihn der Engel dorthin. Wild, steinig nnd
nnfruchtbar war die Wildniss und Geklüft, verwachsen mit Farren,
Cypressen, Cedem, Myrrhen und Triazandel und mannigerlei Gehölze,
woraus die Arche Noä erbaut war, so vielerlei Holz war da, dass man
dasselbe in hundert Jahren nicht alles aufzählen könnte. Montsalvaz
hiess der Berg, d. h. ein „behalten^ Berg, denn er war behalten')
vor Jtf^len, Christen und Heiden, und was darum war, lag in Frieden
gebannt vor allen argen Dingen. Mit Mauern und Thürmen umgab
Titnrel den Felsen, auf welchem er Paläste erbaute, indess das Inge-
sinde einstweilen in Zelten lagerte. Der in den Lüften schwebende
Qnü, denn damals lebte noch Keiner, der ihn zu tragen würdig ge-
iresen wäre und unsichtbare Eqgel hielten ihn daher schwebend, ver-
schaffte Alles durch seine heUige Kraft, was zum Bau erforderlich
i^ar. So erhob sich das Schloss, welches Parcival ' fand und welches
Beschildert wird, wie auf der Drehbank gedrechselt und also sicher,
Jass der Feind nur durch die Luft sich hineinschwingen könnte und
lelbfit alle Völker der Welt hätten, so sie dasselbe gemeinsam bela-
gerten, in dreissig Jahren noch kein Brod daraus erobert.')
Aber Titurel wollte för den Gral auch einen Tempel, und begann
lie beilige Kapelle zu Montsalvaz aus wunderwürdigem Edelgestein, aus
[jrold nnd dem Aloeholz nach der Kunst des Pythagoras und Hermes
rrismegistus zu bauen. Eines Morgens fand er den Aufriss des Tem-
pels auf dem dazu bestimmten Räume von göttlicher Hand entworfen,
^ine Rotunde von 72 Chören') (Kapellen), aussenher dann 8 Ecke
3also zwei sich kreuzende Schiffe darüber) und vorgeschossen war jeder
Chor besonders. Auf eherne Säulen gewölbt war das Werk „so
$pähe^; innerhalb ausgeziert mit grosser Reichheit; an Säulen und
Pfeilern waren ergraben und gegossen viel kostbare Bilder, lächelnde^
Engel im Freudenfluge, so dass ein „törscher Bayer ** wohl schwören
cnöchte, dass sie bei Leben wären. (Hahn Str. 326. Boiss. 8.) Ausser-
Frankreich gen Gallizien und Composlella führt. Vgl. Gör res Lohengrin
S. XL
■) behalten = beschirmt, nnzugänglich ; der Tempel zu Mekka bat aucb den
Namen der unverletzliche,' unnahbare. S a n - M a r t e II. 367.
') Vgl. oben Parcival 226, 14 if. : „diu bnrc (was) an veste niht betrogen, si
stuont reht als si waere gedraet. ez enflüge od bete der wint gewaet, mit
Sturme ir nibt geschadet was. vil tüme, manec palas da stuont mit wunder-
licher wer. op si suochten elliu her, sine gaeben für die seihen not ze drt-
zec jdren niht ein bröt.^
')Hahn Str. 323. Boisseröe 5. (S. 327.) Vgl. Agincourt Architektur.
Taf. 43, I. der runde Odinstempel bei Upsala in Schweden.
284
4
dem worden ergraben, erhanen and ergossen viele Bilder, Oncifixns
und unser Frauen , und schön gezierte , meisterliche Altäre , erhabene
Reichheit ward begonnen (H. 328. B. lÖ.) Eine namentliche AufEähl-
ung der Edelsteine in ihrer symbolischen Bedeutung und unschätzbaren
Grösse folgt. Grüner Sammt, an Ringe befestigt, schützte die Zierde
vor Staube; sang der Priester Messe, so wurde der Vorhang durch
eine seidene Schnur von den Heiligthümem zurückgezogen; vom Ge-
wölbe brachte ein Engel ein Handtuch hernieder, ein Rad ffthrte ihn
wieder empor, von einer schwebenden Taube geleitet.') Aus edlen
Crystallen und ^ nicht mit Aschenglas verspannen^ waren die Fenster,
worauf Gott und dem Grale zu Ehren mannigfache Gebilde mit edelem
Gesteine von lauter reiner Farbe ausgelegt waren, damit man des Pinsels
weniger bedurfte, so dass der Dichter den Farbenglanz, die Pracht
und die Menge der verschiedenfarbigsten Gemmen (gimme-EJdelsteine)
nicht genug preisen kann und es eine sonderliche Augenwonne war,
wenn die Sonne durch die Fenster glänzte. (H. 336 — 344, ) Von Gold
ward das Bild der Sonne, von Silber das Bild des Mondes gearbeitet
und künstlich gingen beide nach den Bewegungen am Himmel, doch
war das Triebwerk den Augen verborgen. Goldene Zimbeln verkündeten
mit süssem Getön die sieben Tagzeiten. Manches Mark Goldes hatte
es nöthig, um die vier Evangelisten daraus zu schaffen. — Die Chöre
standen in die Runde, der Altar aber war jedesmal so gesetzt, dass
der Priester, wenn er Gottes Ehre in der Messe feierte, das Antlitz
gegen Orient kehrte. Unter den Kapellen war eine mit aller Zierde
schön geschmückt, da sie dem heil. Geiste, dem Patron des Tempels,
geordnet war, die nächste Kapelle war der heiligen Maid, der
Mutter des Kindes, geweiht, die dritte dem Johannes und seinen andern
eilf Genossen. — Aussen waren Skulpturwerke angebracht ,• welche
darstellten, wie die Templeisen täglich verwappnet und unverdrossen
ritterlich stritten in grosser Härte zu Dienst dem heOigen Grale, damit
man ihn ^vor arger dief* bewahre.') Die Ecken der Chöre waren rund
nach aussen gedreht und die Meister hatten Reben, Laub und man-
cherlei Gezwerge und Meerwunder als Bilderschmuck (Thierfratzen) an-
gebracht, worüber das unverständige Volk sich lustig macht. (B. 60.)
') H. 335. B. 17 Ein mecbanisclies Kanstslfitk , die Tanbe ist ein Snmbfld
des hl. Geistes in der Messe, der Engel hob steh nach den Ofüertoriom in
die Höhe, anspielend an das Gebet der Kirche. — Eine alle Sitte erbeiscbte
an den Seilen der Altäre in einer gewissen Höhe Vorhange* anzebriiigeD,
welche in Ringen an Stangen hingen.
') B. 49. — Ein solcher Ritler war dem Parcival begegnet, afs er YOir Sigonens
Klause wegritt. Vgl. Parc. 443, 7 AT.
235
Ueber je «wei Chören erhob sich ein Glockenhaas, ebenso köstlich
geschmückt, wie der Tempel. Die Knöpfe des Daches waren grosse
Rubine, darauf hohe, schneefttrbene , krystallene Kreuze standen, auf
jedes Kreuz war ein ^Idener Adler gelöthet; in der Mitte stieg ein
köstlicher Thurm empor, dessen Knopf ein Karfunkel, der, weit
leuchtend, die Templeisen Nachts zur Burg leitete, als zur rechten Her-
berg, wenn sie sich im Walde verspäteten. Zwei Glocken , mit Kunst
gedreht (zwo glocken waren gedräl mit kunste B. 62.) mit Klöpfeln
von Gtolde hingen darin , die abwechselnd zum Tempel , Convent , zu
Tisch oder zum Streite sangen und klangen. In Mitten des Tempels
stund ein überreiches Werk, Gott . und dem Gral zu Ehren (zur minne)
schön erbaut, den Tempel im Kleinen vollkonrnden darstellend, nur
dass die Chöre ohne Altäre waren; dreissig Jahre lang arbeitete man
daran. Nur ein Altar war darinnen; anstatt der Glockenhäuser (die
den Tempel aussen umgaben) standen in diesem inneren Abbild reiche
„ziborie**') mit Bildern von Heiligen geziert, denen Spruchbänder mit
ihrer Lebensgeschichte aus dem Munde gingen (darinne der heiligen
bilde; jegliches brief da sagte sein historie); in diesem besonders
heiligem Gemach ward der heilige Gral aufbewahrt. (Das
Ganze wäre demnach eine Art Sakramenthäuschen.) An den Pfeilern,
worauf die Schwibbogen ruhten, stunden die vier Evangelisten, darüber
war ein Smaragd zu einer Scheibe geschliffen und darin mit Kunst
ein Lamm geschmelzt, welches ein rothes Kreuz trug.')
Zu jedem Chor des Tempels führten zwei goldgitterne. Thüren,
flazwischen ein Altar und ausserhalb darüber war eine Kanzel auf zwei
Spindelsäulen stehend. An den Chören stunden Säulen, darüber Bogen
^ngen, darauf goldene Bäume, hoch begrünt, mit Vögeln besetzt ^die
friedlich beisammen sassen^; die Bogen waren mit Reben durchwunden,
je zwei und zwei wandten sich nach oben, gingen nach der Biegung
^on einander und senkten sich über die Stühle ein Klafter lang hin-
unter; unten Rosen und Blumen, Gewinde und Stauden aller Art, farbig
nnd geschmückt, die Reben von Goldje ; das Laub tönte wenn ein Lüft-
chen den Tempel dm-chzog, süss und klar, recht als ob tausend Falken
»ait ihren Schellen sich in die Lüfte schwängen. (H. 38L B. 79.) ^)
') Das Wort ciboriiim bedeutet in der christlichen Archäologie zunächst den
' aaf vier ins Quadrat gestellten Säulen ruhenden Boldachin eines Hochaltares.
') Vgl. Parc. 105, 22: den man noch mdlet für daz lamp, und ouchz kriuze
in sine kidh.
') Ein ähnliches Klingspiel war im Tempel Salomons an den Säulen Jachin
und Boaz mittelst aiiffebrachter Granatäpfel ; ebenso zu Dodona ; ein anderes
an dem berühmten Grabmal des etrusKischen Königs Porsena in Clusium;
236
Auch die Zweige der Reben waren mit Engelgestalten bedeckt, die sich,
hin^ nnd herschwankend, lieblich bewegten. Am herrlichsten nnd schön-
sten war der hohe Chor geschmückt: Reben und Engel waren so
künstlich bereitet, dass, wenn mit Kunst durch Bälge Wind in sie ge-
leitet ward, sie hoch und leise, je nachdem die Masse der Luft war,
die der Meister in sie blies, ertönten und sjch.in den Gesang der
Priester melodisch mischten. Wie dieses die Templeisen Alles sahen,
schlugen sie an die Brust und riefet einstinmiig in Verwunderung : Viel
lie^r Gott! da Du uns schon hier so viel Ehre verliehen, was kannst
Du uns denn im Himmel noch geben ? — wo es dennoch aber hnndert-
tausendmal schöner ist (H. 385. B. 83.)
Gefässe mit brennendem, gelben und rosenfarbigen Balsam hingen
auf jedem Chor , von Engeln an unsichtbaren goldenen Strängen ge-
halten. Da man Balsams genug hatte, achtete man den Aufwand nicht
hoch , doch wollten die Templeisen die gute Gewohnheit des Kerzen-
lichts auch nicht entbehren und so hielten denn 'Engel hier gewundene,
dort stabformig platte Kerzen auf den Kanzeln und an den Mauern,
goldene Kronen mit vielen Lichtern hingen herab und in Speerhöhe ein
schwebender Engel darüber, recht als wollt* er die Krone in die Lüfte
fuhren.
I
Welcherlei Stimme im Tempel erklang, sie ward von der Edelkeit
der Steine und durch die Höhe und Weite verlängert und der Wieder-
hall war gleich* dem Grüssen der Waldvögelein im Maien. — Drei
Pforten standen gegen Mittag, Untergang und Norden, von lauter
rothem Golde, meisterlich mit Gesteine getäfelt und mit Schlössern
aussen und innen ausgestattet, die Pforten aber waren so ^geheret^
mit grosser Künste Auf\¥and und Reichheit, dass es war wie eine Laube
in fünf Zeilen weit von einander, so dass wir hier an die prächtigen
Eingänge au altdeutschen Domkirchen erinnert werden, wo der Bogen
seiner ganzen Tiefe nach reihenweise hintereinander in mehrere Rippen
und in reich mit Skulpturen verzierte Hohlkehlen abgetheilt ist und so
über der eigentlichen Thüre eine Laube bildet. *) . Der Palast und die
Dormenter lagen gegen Mittag und ein Kreuzgang inzwischen. (H. ^367.
B. 92.) —
ebenso lies« AugusUis den Gipfel des capitolinischen Jupitertempels mit Glo-
cken umhängen : wohl ein Symbol von dem Einklänge der Welt ood der
Harmonie der Sphären. Vgl. Lasaulx Das pelasgiscne Orakel des Zeos xn
Dodona. Wiraburg 1840. S. 12.
') Diese kuDstreicben Portale wurden in der Steinneixeospracbe aueh ^Laobeo*^
genannt.
287
Hoch innen, über der gegen Occident gelegenen Pforte (H. 371.
B. 96.) stand ein süsstönend Orgelsang, da man za Hochgezeiten
das Amt mit verherrlichte. Das war ein Baum aus rothem Golde mit
Laub; Zweige nnd Aeste ganz voll solcher Vögel sass, deren Stimme
man überaß als die besten lobt, von Bälgen ging darin ein Wind, dass
jeglicher sang nach seiner Weise, einer hoch, der ander nieder, je nach
der Schlüssel Leite; der Wind war her und wieder in den Baum ge-
weiset mit Arbeite; swelcherlei Vogel er wollte Stangen (= stupfen, in
Bewegung setzen), der Meister wohl erkannte den Schlüssel, je dar-
nach die Vögel sangen. *) Auf den Aesten standen aussen vier Engel,
*) Aehnliche Orgelwerke scheinen wirklich existirt zu haben: man denke an
die Platane des Xerxes, dann an das Kunstwerk , das der Sohn des Michael
Baibus. Theophilus, am Höre von Bjzanx herstellen liess. Eine griechische
' Gesandtschaft, welche im J. 916 an den BoF des Chalifen Moetedir kam, be-
staunte gleichfalls einen Wunderbanm aus Gold und Silber, mit achtzehn
Aeslen ; auf den Zweiten und zwischen den goldenen und silbernen Blättern
Sassen Vögel aus gleichem Metall, die Aeste bewegten sich und die Töne
der gefiederten Singer, welche durch inneren Mechanismns hervorgebracht
wurden, hallten im Saale wieder. (Flügel Gesch. der Araber. Leipzig 1840.
II. 211.) KOnsIliche, goldene Bfiume waren in den Palästen asiatischer
Köniffe, arabischer Chalifen und byzantinischer Kaiser zur Bewunderung der
fremden Abgesandten häufig. (Vgl. Wiener Jahrbücher. B. 123 S. 39.) Die
ersten Orgeln kamen unter Pipin aus Griechenland zu uns; die Baiwaren
brachten es im Orgelbau bald zur Vollkommenheit. (Günthner Gesch. der
lit. Anstalten in Bayern. 1810. 1. S. 135.) Zu Augsburg stellte Bischof
Wicterp die erste Orgel auf. (M. Welser Chron. von Augsb. 1595. II. 30.)
Während die Orgeln aus £ngland für jede Pfeife einen eigenen Blasbalg-
treter nothwendig hatten, so dass an einer Orgel oft 70 starke Männer
arbeileten, erfand ein unbekannter Künstler zu Freisin^ eine bedeu-
tende Vereinfachung. Pabst Jobannes VIII. (872 - 82) schrieb desshalb an
den Bischof Anno von Freisin^^ ihm einen solchen Meister ganz abzulassen
oder doch wenigstens für einige Zeit nach Rom zu schicken. In den mhd.
Dichtungen spielen so phantastisch überkleidete Orgelbäume eine grosse
Bolle ; im W a r t b u r g k r i e g (S i m r o ck S. 98) legt Klinffsor unserem Wolf-
ram ein Räthsel vor von dem Baume in Gottes Garten, dessen Wurzeln öer
Hölle Grund dnrcbgangen, dessen Wipfel an Gottes Thron rühre, von Aesten
ist der Garten ganz umfangen , in voller Zierde prangt der Baum , belaubt
in reicher Schöne; dazwischen sitzen Vöffelein, die singen süssen Sanir in
Stimmen klar und fein, vielfach ist ihre Kunst und ihr Getöne, darauf folgt
Wolframs Deutung Str. 73 und 74. — In Gott Amur (Gent he 1. 424)
trä^ Frau Minne eine schöne Krone von Gold und Edelstein und mancher
kleine Vogel sass darauf und darüber schwebte ein ffoldener Adler und es
war Alles so künstlich gemacht, dass die Vö^l alle sangen, wenn der
Wind wehte. Das führt uns zu anderen mechanischen Spielereien über, die
bestanden haben müssen, denn ans der Phantasie allein können die Poeten
doch nicht Alles erfunden haben, sie mussten wirklich ähnliche Vorbilder
vor Augen haben. Wie Morel f verkleidet zur Königin Salome kommt und
mit ihr Schach spielt, stiess er einen goldenen Fingerring, den er über die
See mitgebracht, an die Hand, darauf war mit grosser Kunst eine Nachtigall
gearbeitet und die hnb an und sang, dass es süss erhallte, die Königin sah
den Ring so unverwandt an, dass Morolf ihr unterdessen einen Ritter und
zwei Bauern stahl nnd so das Spiel gewann. (Geuthe IL 35.) Im Schlosse
des Heidenkönigs, zu dem Wolfdietricb kommt, steht eine Linde mit 72
Aesten und singenden goldenen Vögeln. Der Riese Metwin im König
288
jeglicher führte ein Hom von Golde in seiner Hand, in das sie mit
grossem Schalle bliessen, indess sie mit der anderen Hand winkten,
recht in der Weise: „Wohlauf ihr Todten alle!^ Nicht ferne davon
stand das jüngste Gericht in Gussarbeit (H. 375. B. 100.); die Mahn*
ung ward damit bezweckt, dass „je nach der Süsse geht ias Sauren;
darum soll man in Freuden immer gedenken an dasselbe Trauren.*' Im
Fussboden wareil Fische und Meerwunder v eingelegt und ergraben, die
fuhren recht, als ob sie wilde wären, auch überfingen Crystalle den
Estrich, so dass es aussah, als wogte unten ein mit Eise bedeckter See,
ih welchem man durchscheinen sah , was von Fischen , Thieren und
Meerwundem Streit und Sturmes viel geschähe. ') Von einem Bischof
ward der Tempel geweiht. Der Dichter aber wäre nicht zufrieden, wenn
ein solcher Tempel zum Preise der heil. Jungfrau gebaut würde ; dann
müsste er noch viel prächtiger sein und zum mindesten den Umfang
einer Meile und ftLnf hundert Kapellen haben!
Der Plan zu diesem Bauwerk war sicherlich schon in Wolframs
Titurel ; Albrecht von Scharfienbergs zügellose Phantasie hat selben nur
weiter ausgebildet. und in den neuen, zeitgemässeu Spitzbogenstyl über-
setzt. Was Wolfram noch im byzantinisch-romanischen Styl dachte, ein
gleichschenkeliges Kreuz in einer Rotunde mit Chören, die rund waren
und gedreht, wie die alten Thürmcheu und Thore in den mittelalterr
liehen Sigillen und Miniaturen, hat Albrecht bereits ganz gothisirt. Die
grandiose Idee entstand aber nicht allein in der Seele eines Poeten,
sondern wurde wirklich ausgefiihrt, freilich nicht so grossart^g und in
einem bescheidenen Maassstabe, desto mehr aber vielleicht im Sinne
Wolfi'ams. Aus den von S. Boisser^e aufgefundenen Fragmenten geht
Orendel (v. d. Hagen 1814. S. X.) bat einen neunzehneckigen Helm, ^-
schmückt mit vier goldenen Stangen , worauf Buchslaben eingegraben sind,
darüber trägt er eine goldene Krone mit einer goldenen Linde, auf welcher,
durch einen Blasebalg, Vöffelein sangen und ein Rad mit Schellen
erklang; unter der Linde lag ein Löwe, Drache, Bär, Eber und wilder Mann.
Der Ursprung dieser Dinge erscheint aber immer im Orient. Der berühmte
englische Reisende Montevilla, der (ein halbes Jahrhundert nach dem Ve-
netianer Marco Polo) im J. 1322 von St. Alban ausfuhr und 1372 tu Lflilicb
starb, sah am Hofe des grossen Chan von Cathey etwas Aehnlirhes: da
flogen Vögleinf von Golde und sangen und ist das wunderlichste und schönste
Spiel, das ^e gesehen ward; als Montevilla den Meisler darum befragte, so
erhielt er die Antwort: die Christen hätten nur ein Aug^ und die Anderen
sind Alle blind. Montevilla hätte aber doch gar gern ^etlich tail yob den
Sachen^ erFahren. ^Do sprach der maister zu mir, daz ers verhaisseo biet
dem gut der nimmer stirhet, daz ers chainem mensche leret, es wir denn
ainen seiner suR."^ Aus der von Michael Velser zu Augsburg 1409 ge-
machten Uebersetzung. Cod. germ. 332. BL 75.
') In den Kirchen der romanischen Banperiode fanden sich wirklich hänfig der-
gleichen Estriche, woge^ schon der hl. Bernhard eiferte. Die Darstellnnf
hängt mit der Yolkstradition zusammen. Vgl. Roch holz Schweizersagen. L 6.
289
hervor« dass Albrecht von Soharffenberg im Auftrage und mit Unter-
Stützung Herzog Ludwig des Strengen den Titurel dicbteter und zwar
nach Wolframs fiüherer Anlage. Davon musste sein Sohn, Kaiser
Ludwig der Bayer noch wissen, wenigstens scheint ziemlich wahr-
scheinlich, dass Ludwig mit seinem Stift zu Etal nichts anderes im
Sinne hatte, als eine Gralbnrg zu realisiren. ')
Ludwig der Bayer hatte aus Italien ein unter ganz seltsamen Um-
ständen erhaltenes Madonnenbild mitgebracht Das Volk erzählt
heute noch, er habe es vom Himmel herab erhalten, ein Engel habe
es ihm gebracht; Niemand kenne den Stoff, aus dem es gefertigt; nur
von den Reinen und mit keiner schweren Sfinde belasteten Menschen
lasse es sich tragen und heben, noch jetzt werden damit vielfache Ver-
suche gemacht, wie weit Einer im Stande der Gnade sich befinde. Das
Bild wurde bald der Mittelpunkt einer Wallfahrt, dicke Mirakelbüoher
melden von den dort gespendeten Wundergaben , alle Krankheiten des
Leibes und der Seele werden geheilt, welcherlei Presten Einer auch mit
sich bringt, er >, wird nach einem andächtigen Gebete vor dem Bilde
Ijesand. Das Alles ab^r sind auch die Eigenschaften des
Grales.
Für das auf geheimnissvolle Weise vom Himmel herab erhaltene
Geschenk suchte Kaiser Ludwig, wie König Titurel, eine Stelle; am Ein-
Q^ange seiner Lande, in einer noch ungelichteten Bergwildniss, wo einst
einer seiner Vorfahren der Weifenherzog Ethiko in der Einsamkeit ver-
schwunden sein sollte, suchte er die Stätte, die ihm, wie dem alten
Titurel, im prophetischen Gesichte angesagt wird. Ein Engel führt den
Titarel , beim Kaiser ist es sein weisendes Ross , das an der bezeich-
aeten Stelle, im Quellenthal der Ammer, zu dreienmalen in die Knice
Fallt. Und das Montsalvaz ist derselbe Berg desHeiles und der
Rettung, wie das vom Kaiser ersonnene £^-tal, das Thal des Gelöb-
nisses, der Verheissung und des neuen Bundes. Die Baugeschichte von
Ktal ist fast dieselbe, das Volk lagert, dort in Zelten und der Kaiser
errichtet den Bauleuten kleine Häuschen und über dreissig Jahre dauert
öer Bau. Aber der Kaiser wollte keinen Tempel mit 72 Chören, er
hielt sich an die ältere Tradition Wolframs und War mit einer zwölf-
eckigen Rotunde zufrieden. Wie Montsalvaz so ist Etal auf Säulen
^^ewölbt, die zopfige, vom guten Babenstuber') in der Reiiaissance
*) SpätermaGhte Kaiser Karl IV. aaf dem Karlstein in Böhmen einen ähnli-
cnen Versuch.
^) Babeostnber Hiatoria Etalensis. München 1694, deutsch von P. R Haim<
linger. München 1696.
240
davoB gemachte Beschreibung zeigt nns den Grralteitipel in voller Blfithe,
obwohl dieser Historiograph nicht mehr das ursprüngliche Werk ganz
vor sich sah, da es im XVI. Jahrh. bereits argen Schaden erlitten
hatte. An der Stelle des Kreuzbaues ist die Idee der Rotunde vorherr-
schend geblieben. Wie im Graltempel zu Montsalvaz so stand auch zn
Etal ein Abbild im Kleinen inmitten des Tempels, es ist die Säule, in
ihr der Altar mit dem ßilde der Gottesmutter als Mittelpunkt des
Ganzen, von da aus verschneiden sich die Gewölbe über den Säulen-
gängen und Pfeilern, an deren Fuss der alte ^sitz mit meure^ als der
von Babenstuber ausdrücklich genannte ,,braite Krantz oder Maaerbank^
umherläuft. Der Schmuck der Etalerkirche an ,, Zierathen, künstlicheo
Maschen, erheblich Lauberen und Fruchtgehängen ^ entspricht ganz der
reichen Ausstattung des Titureltempejs, selbst die Gitter nennt Baben-
stuber ausdrücklich, den Chor des Johannes und seiner Genossen : auch
des Thurmes ist gedacht; die Lage aber ebenso rechte gegen Oriente,
gegen Mittag liegt das Kloster und die Dormenter, gogen Westen aber
ist die ,. Ausfahrt,^ das Portal und darüber die Orgel, die heute noch
als etwas Einziges und Unvergleichliches im Rufe steht, mithin früher
anders gewesen sein muss, da sie sich als ein ganz gewöhnliches Werk
erweist, dem nur die gute Akustik zu Hilfe kommt. In' dieses Kloster
legt aber der Kaiser eine weltliche und geistliche Ritterschaft und gibt
ihnen eine so seltsame Regel, dass die Geschichte aller Mönchsorden
nichts Aehnliches aufi^uweisen hat und dem Leser der alten herzigen
Urkunde der Gedanke unwillkührlich aufsteigt, der Kaiser habe eine
Gralritterschafl und Templeisen im Sinne gehabt. ')
Wenden wir nun zur älteren Zeit wieder zurück, so treffen wir
unter den ritterlichen Dichtem auf WirntvonGrävenberg, der
nicht nur als Nachbar Wolframs erscheint, sondern offenbar vom Par-
civalsänger influenzirt, ein langes Epos vom Wigalois nach einem
welschen Vorbild dichtete.
Auf dem Wege von Nürnberg nach Baireuth liegt auf einer Höhe
bei Grävenberg die Burg des Ritters in Trümmern, der einst Wirnt
von Grävenberg zubenannt war.') In seiner Jugend lebte er zu
>) Der weitere Nachweis mit Pläoen und Rissen in meiner Schrift: KaiMr
Ludwig der Bayer und sein Stift zu Etal. Ein Beitrag zur Kunst- und
Sagenfreschichte des Mittelalters. (Zur Begrttssunff der deutschen Geschicbts*
und Alterthumsfjrscher in München.) München 1860.
*) Dieses Stadtchen gehörte frOher den gleichnamigen Grafen; kam im XV.
Jahrh. durch Kauf an Nürnherg und erhielt durch Kaiser Karl IV. die Stadt-
Serechtiflrkeit. Der Markgraf Achilles eroherte 1449 das Schloss sowohl alfl
as Stidtcheu, in welchem 500, Mann Nürnberger lagen. Er war der
241
Plassenburg am Hofe des Herzog Berthold zugcDannt von Meran, *)
der wegen seiner feinen Sitte beröhmt war und in vielen mittelhochd.
Dichtungen, wie im Wolfdietrieb, König Rother u. s. w.' als Herzog
Berchtung oder Bechtung im Rufe der nobelsten Erziehungskunst stand.
Bei seinem im Jahre 1204 erfolgten Tode war Wim t selbst zugegen;')
der Eindruck muss ein für Wimt unvergesslicher gewesen sein, denn
später noch* schilderte er in ergreifender Weise die Weheklage^» die von
edlen Frauen, Bertholds Töchtern und Schwestern, darüber erhoben
wurde. Hier ohne Zweifei war es, dass Wimt, Wie der junge Parcival
bei Gumemanz, ritterliche Känste erlerate und jene feine Sitte gewann,
die wohlthuend und acht adelig an ihm hervorsticht. Er war eine acht
adelige Natur, sinnig und liebenswürdig, der gerne in, Reflexionen sich
erging und mit behaglicher Breite raisonnirte, dabei aber fest im Leben
stand, sich elegant zu kleiden wusste und das Waidwerk,' Spiel und die
Ritterschaft übte, der er wie Segramors gehie und wäre es noch so
weit gewesen, nachzog. Einen grossen Reiz auf seine poetische Gestalt-
ungskraft muss HarUnann von der Aue geübt haben, dessgleichen auch
Wolfram von Eschenbach, mit welchem er unzweifelhaft persönlich
verkehrte.
Nun sagt er zwar selbst, dass sein fast 12,000 Verse umfassender
Wigalois sein erstes ^der Welt zur Minne^ gedichtetes Werk sei;
doch ist das keine Jugendarbeit, denn der überall sich kundgebende
Ernst, die gereifte Erfahrung und Kenntniss des menschlichen Herzens
und der Welt, das verständige und besonnene Urtheil ist offenbar das
Resultat eines gereiften Lebens.') Den Stoff zu seinem Gedicht hatte
welcher inr Sturme die Mauern erstieg. Im Albertinischen Krieg 1552 litt es
gleichfalls bedeutend und 1567 brannte es grösstentbeils ab. 1630 plünderten
es die Croaten aus und am 12. und 15. Sept. 1632 nahmen es die Wallen-
stein'srhen Truppen ein und legten es vollends in Asche. In der Nähe befand
sldi frtiher auch eine Kapelle zum beil. Michael. Vgl. Heller Muggendorf
und Umgebung. 1829. S. 75.
*) Dieser Fabelhafte Herzogstilel der Grafen v. Andechs hat mit dem tirolischen
Meran nichts gemein., sondern stammt von einer dalmatischen Landst-lNift
Maronia', Marinia, Mirania., Meriuiia (= Seeküsle), welche jedoch dieses
Grafengeschlecht nie in Wahrheit besass. Vgl. Leo Vorlesungen. 1861. 111.
571 ff.
') H. Haas in s. Abbandl. über die Nibelungen 1860. S. 31 lässt unseren
Dichter am Hofe Bert hold H. von Andechs und Plassenburg, welcher 1151
slarb^ aufwachsen^ und zwar auf der Plassenburff. Dass Wimt bei dem
im J. 1204 (Haas hat ear 1806!) erfolgten Hinscheiden Berthold IV. gegen-
wärtig g^w^en^ erklärt er dami so, dass Wimt ein Jugendgenosse des-
selben und mit dem Meran'schen Hause verwandt geweseq. Dass Haas
den Grävenberger ^ für den Dichter der Nibelungen halt, ohne aber dafür
einen Beweis beizubringen, haben wir bereits oben erwähnt. Es muss aber
Berthold lU.gewesea sein, denn Berthold IV. starb 12481
'/ Dr. Karl Roth (Beiträge I. 208) war so glücldich, in einer Urkunde vom
16
\
242
ihm ein welscher Knappe erzählt, er fasste ihn treu in*s Gredächtniss
und begann selben wieder zu filmen mit ganzen niawen rimen.^ Die
Hanptereignisse wurden gewissenhaft wiedererzählt, so zwar, dass er
sich bisweilen mit seinem Knappen stritt (v. 596), ob sich die Sache
denn auch wirklich so verhalte; Nebenumstände und NebefbpersoneD
wie z. B. der Graf Hoyer von Mansfeld wurden besonderen Veran-
lassungen gemäss, eigens eingeflochten, Tracht and Farbe wurde ein«-
heimisch und ganz aus dem ihn umgebenden deut^hen Leben genonunen.
Dass in der Erzählung ein mythischer Kern stecke, daran dachte Wimt
so wenig, wie der letzte Sänger der Nibelungen. *) So erhalten wir
denn abermals ein frisches, lebensvolles Bild der. damaligen Zeit nach
allen Richtungen, von Sitte, Tracht und Ritterthum, worauf wir in d^
folgenden Nacherzählung des Gedichtes das' besondere Augenmerk wenden
Wollen.
Eigenthümlich in der äusseren Technik des Dichters ist der drei-
fache Reim, mit welchem er längere Absätze zu schliessen pflegt; man
könnte das vielleicht als den Vorläufer der Strophe ansehen, die später-
hin für erzählende Gedichte mit besonderer Vorliebe gewählt wurde.
War* ich doch, beginnt der Dichter in der schönen Einleitung, so
begabt. Alles nach Herzensdrang erzählen zu können, nun fehlen mir
aber leider die Sprache (zunge) und der scharfe Sinn, dass ich der
Rede nicht Meister bin die ich zu sprechen Willen habe ; doch war ich
von meinen jungen Tagen auf immer gcflissen wie ich mit meiner Rede
verdiente, dass die Weisen ihren Gruss mir sollten gewähren. — Bisher
war seine Kunst verborgen, nui) aber möchte er mit seiner Kunde den
Leuten die schweren Stunden versüssen. Ich sag* Euch eine Märe, wie
ich sie erhalten habe; zwar getrau* ich mir*8 nicht zur ganzen Wahr-
heit zu bringen, doch möcht' ich bedingen, dass ihr „durch iuwer hö-
vischeit dem tihtaer des genade seit, der ditze hat getihtet, mit rimen
wol berihtet, wan ditz ist sin erstez werk.^ Er hat, der Welt zur
Minne, mühsam gestrebt mit ganzem Sinne dass er sich ihren Gruss
gewinne !
Hierauf hebt er mit der Erzählung an und rollt gleich eine leb-
hafte Schilderung mittelalterlichen Burgenlebens auf. Der milde König
Jahre 1172 unseren Dichter als Zen^en aurzufinden. Pfeiffer hat aus ioDerea
Gründen den Nachweis geliefert, dass der ^Wigalois^ in die Jahre 1208 ~
1210 falle. Nehmen wir nun an, dass^Wirnt bei der erwäbnlen 2eug9€haft^
22 Jahre 7ühlte (was sicherlich der Fall war), so wäre der Dichter im J.
1150 geboren ond sein erstes Werk fiele (mit 1206) in das Alter von ;'
Jahren.
') V^l. Menzel Lit. Blatt. 1817. S. 277 IT. wo die Sage anf die dnreh dei
Thierkreis wandelnde Sonne gedeutet ist.
243
Artus hatte eine Burg zu Karidol*) auf einem Plan, ein grosser Forst
Cforeis) stiess daran, in dem er gerne spazieren (baneken) ritt oder
mit Hunden jagte. Durch den Wald floss ein Wasser, das auch die
eine Seite der Burg berührte, darinnen sassen viele Fürsten und Gäste,
die um Ehre stritten; mit grosser Reichheit, die gastlich zu Gebote
stand, war sie berathen. Inmitten der Burg lag das Haus des Königs, in
dem er nach alter Sitte die Gäste empfing; wohl tausend Ritter hatte
er täglich zum Gesinde, von dem jeglicher so reich an Rossen und Ge-
wanden, an Bargen i^nd Landen war, dass ihm nichts gebrach. Dazu
hatte er manchen Gast, den er mit allem Möglichen selbst versah (den
er voq smer baut beriet), oft löste er den Recken sogar die Pfslnder.
Der Palas der Königro wai* von verschiedenfarbigem Marmelstein gebaut,
n>th, braun, blau (weitln) und gelb; auch war er von laubigen Bäumen
umgeben (sinewel beliewet umbe und umbe wol) und voll reicher Frauen;
viele Mägde dienten ihr säuberlich, auch waren solche dabei, die sich
auf Saitenspiel verstanden „daz hörte man zallen stunden in den gewel-
ben schellen, die kleinen hunde bellen^ die rigen (springende Wasser)
vast^ klingen, manegen vogel singen in den liewen') (Lauben) überall,
^alander (Lerche) unde nahtegal jeglicher sine stimme sanc;^ Lange-
Weile hatten sie nie.
Nun pflag der König, wie wir bereits aus dem Parcival wissen,*)
iler Sitte, dass er Morgens nie zu Tische sass, ehe er eine Aventiure
vernommen. Nmi war es eines Tages gekommen, dass, obwohl sie bis
aach Mittag gewartet hatten, doch keine Aventiure geschah. Das gab
ftkt das Ingesinde eine rechte Klage; wie sie an der Warte standen,
ersahen sie endlich einen schönen Ritter antraben, der den Frauen un-
erkannt blieb; einen Speer führte er in seiner Hand, in Scharlach war
fvekleidet, sein Pferd war roth ; sein Haar grau (gemischet unde reit),
ritt an die Mauer und bat die Königin, einen Gürtel anzunehmen
nd bis zum anderen Tage zu behalten, wolle sie selben aber nicht, so
') Dieses Karidöl hält Ben ecke S. G30 für Carlisle in Cumberlund, %vo nach
allgemeiner Sage Artus jede Pfinj^stenzeit auf das glänzendste Hof zu hallen
pflegte, wahrscheinlicher ahjer hat Wirnt selbes (wie im Iweln) in der Bre-
tagne jfedachl. Gewiss hat die ursprungliche Erfindung (wenn sie aus Wales
stammt) den König Artus auch in Kngland wohnen lassen^ atier Wirnt folgte
ofTenlHir einer französischen Bearbeitung« und wenn er seinen Helden von
Caridoel oadi Corenlin reiten, oder den König Artus sein Hoflager in Nan-
tasan liallen lässt, so muss er sich die Residenz des Königs auf dem Fest-
lande vorgestellt haben ; dafür zeigen auch die übrigen französ. Ortsnamen.
*J liewen erklärt Benecke durch Lauben, Baudissin glaubt eine erhöhte
Warte, Söller oder Erker annehmen zu 'dürfen. — Unser Volk nennt die
jedes Landhaus noch umgehenden halboffenen. Alanen gleichfalls Lauben.
*•> Parc. 309, 5.
16*
044
hole er ihn Morgens als ein Held durch Streit auf Leben und Tod
zurück. So sprechend legte er den Gürtel auf den Speer, reichte d^r
Fraue seine Gabe hinauf und kehrte wieder in den Wa|d zu seinem
Knappen. Den Gürtel hatte die Königin; der Riemen war niender leer
von Gesteine noch von Golde; als sie ihn umband, »gewann sie stracks
Stärke und Weisheit, verstand alle Sprachen, ihr Herz ward Freuden
voll und jedes Spiel, das man begann, war ihr bekannt, gar keine
Kunst gebrach ihr. Das müss wohl ein reicher König sein, dachte sie,
ging von ihrem Erker und Hess den Gäwein zu sich bitten, um ihm die
Aventiure vorzulegen. Als er davon und wie es mit dem Gürtel stehe,
vernommen hatte, that er wie die Weisen thun „eine wile saz er swt-
gende,* dann sprach er mit ^bedähtem muote: Fraue, das wäre ein
boesez maere, wenn ihr den Gürtel, er mag noch so gut sein, ni<At
zurückgeben würdet; ihr dürft Eueren hohen Muth um kein Geschmeide
oder Gut niederlassen, dazu seid ihr zu reich. Kommt der Ritter mor-
gen; wie er versprochen hat, so muss er bestanden weisen.**
Gäwein ging zum Gesinde ui1d>sagte ihnen die Geschichte; darüber
wurden alle froh. Am anderen Morgen kam richtig der tugendhafte
Gast, vollständig gewaffhet. Er ritt einen rothen Streithetigst Cavit),
der in schönen Sprüngen ging, sein Helmkleinod (zitnier) war eine
Krone, „ein groz rubin dar inne lac. diu kröne lühte als der tac von
golde und von gesteine. sin wäfenroc von borten was, ein samit grüeoe
alsam ein gras iiras ze der banier gesniten;^ auf seinem Schilde lag ein
goldener Aar auf lazurnem Grunde. ^3 So kam er zu der Mauer, wo
er die Königin fand, sogleich band er seinen Helm ab und satzt ihn
auf den Sattelbogen , au die Mauer leint* er seinen Speer und bat die
edle Frau, die Gabe zu behalten; sie aber Hess 4en Gürtel auf sein
Knie niederfallen, er fing ihn mit der Hand. Als er die Frau zürnen
sah, sprach er vernehmlich: „Wer da höfischen Streit suchte der ge-
winne mit Mannheit den Gürtel von mir, dess hat er Ehre, soU ich
nicht meinen Speer an der Porte hier zerbrechen." Darauf band er den
Helm auf und ritt vermessentlich vor das Haus auf den Plan. Die von.
der Tafelrunde riefen aber einmüthig: „wä nu schilt unde sper! har—
nasch unde örs her!'' Keye, der uns bereits bekannte Seneschal,
der erste, der den Schild zu Halse nahm, aber zornig kam er zurück. ^^»
unter den Augen der Königin wa^ er niedergestochen worden. DeK^^r
nächste war Didones, dann Segramors, der tugendreiche Meljanz, knr^: — Tf
alle Ritter der Tafelrunde wurden abgesetzt und mancher Mann lag
') der was von röten golde gar
das ander von llzOre (Japia lazuli).
245
dem Felde, der das jsonst nicht gewohnt war, das grüne Gras war ganz
mit Schilden bedeckt und die Rosse liefen ledig, als wäre da ein Ge-
stöt *(8tuot) ; Mancher, der schön hinaosgeritten war, .wurde sogar her-
eingetragen. Der unbekannte Ritter kehrte zu seinem Knappen zurück
und streifte sein Panzerhemd ab iq den Schild (selbe schutter sin isen-
gewant in den schilt). Frau Ginovere aber und ihre Massenie hatten
grosse Noth und Klage wie nie vordeih. Da waShete sich Herr Gawein,
sass auf sein ^ors,^ nahm Schild und Speer, ritt durch das ^ bürge tor^
und stapfte sanfte hinaus, ihm war nicht ^gäch.^ Die wachbaren
Knappen melden dem rothen Ritter die unerwartete Ankunft, .dieser
röstete sich and legte den Gürtel an, ohne dessen Kraft es ihm, wie
dem Dichter bedäucht, wohl misslungen wäre. Nun erhalten wir eine
ausführliche Schilderung eines ritterlichen Zweikampfes : Gespornt spran-
gen die Rosse zusammen, jeder hatte zum Ziel den Hals des Gegners
unter dem Kinn erkoren (ir ietweder hh eikom den andern under daz
kinnebein), da hub sich unter ihnen ^em harte schoeniu riterschaft,'^
Beiden barst der Schaft zu Stücken ; nun mussten sie die Schwerter von
den Seiten zücken „dö hnop sich s^hoenez striten^ zwischen ihnen
beiden; wer sollte sie scheiden, wo Keber sonst zugegen war? Sie
stiegen ab (erbeizten) auf das Gras, um die ^osse zu schonen; beide
hatten ganze Kraft und fochten meisterlich. Mir ist es leid zu sagen,
dass Herrn Gawein es jemals übel ergangen, doch wäre ihm der Un-
glimpf (laster) nie geschehen ohne den Gürtel den jener trug; der
Steine Kraft ihn niederschlqg, davon der Gast den Sieg gewann. Der
fing ihn und ftlhrte ihn in sein Zelt. Als er Sicherheit gegeben, ritten
sie weiter durch den Wald. Bei König Artus aber glaubte man, Ga-
wein wäre erschlagen, da Keiner zugesehen hatte.
Die Beiden ritten wphlgemuth von dannen und kamen in ein
wildes Land; der Herre band den Gürtel ab, da er drohende Gefahr
(iVeise) vor sich sah und sprach zu Gawein: „Herr und lieber Geselle,
seilet ihr dieses Waldgefalle und die Steinwände? wir müssen hinan-
reiten; nehmt den Gürtel und behaltet ihn bis an Eueren Tod, er sichert
Euch vor aller Noth, denn dass Ihr siegelos geworden, geschah durch
seine Kraft. Ihr habt Euer ganzes Leben grosse Mannheit geübt und
man hat Euch den Preis rechter Ritterschaft gegeben, nie aber glaubte
ich, dass mir die Ehre durch meine Kraft zugefallen, denn das hat
unzweifelhaft der Steine Kraft gethan; nun könnt Ihr alle Schrecken der
Welt ohne Angst bestehen.^ Mit Treuen neigte sich der Held, dankte
und schloss den Gürtel freudig um sein Eisengewand: „dö het ouch er
zehant wol dnzec rtter manheit.** Von da zogen. sie den Berg hinab
und kamen in blühendes, aber ganz unbewohntes Gartenland, sie ritten
246
bis an den dreizehnten Morgen , der sie in des Ritters eigenes Reich
brachte. Da war die schönste und beste Burg, die mati sehen mochte,
eine weite Stadt lag vor dem Thor und tiefe Gräben davor, ein Bkum-
garten umgab das Haus, den ein fester Haag umfriedete. Der König
hiess Herrn Gawein willkommen: ^Dies Land ist mein vom Walde bis
an das Meer.^ Am Burgthor standen edle Knappen, Ritter und Knechte,
die sie nach Gebühr empfingen , geselliglich nahm der K^nig Herrn
Gawein an der Hand, man band ihm den Helm ab und ffthrte ihn an
gut Gemach. Abschüttete er sein Eisengewand, Hess sich baden und
in weisse Linnen (linwaete) kleiden. Eine Jungfrau nähte ihn in einen
Pfellin-Rock,") der mit Hermmpelz verbrämt (gefurrieret) war, einen
gleichen Mantel legte er darüber. Nach der Mahlzeit führte ihn der
König in die Kemenate zur Königin, dort sah er die allerschOnste Maid,
die unter allen, die damals lebten, nicht ihlres gleichen hatte. Ihr Anzog
ist bis in's Detail mit einer Sorgfalt beschrieben, die wohl vermnthen
lässt, der Dichter habe solche Tracht selbst oft genug vor Augen gehabt.
Sie trug einen weiten,' aus rothen und grasgrünen Saitimtstreifen zu-
sammengesetzten und mit Gold gezierten Rock, der war gefurrieret mit
viel grossem Fleiss, das Futter weisser Harm; meisterlich gefllltelt (ge-
rigen) zeigte sich das Hemd, von feinster weisser Seide Qiit goldenen
Näten. Auch trug die Magd einen Gürtel, der war eine Borte von edlem
Gesteine, aus grünem Smaragd war die Spange (rinke), wohl ergraben
Von Golde ein Aar darauf und mit Schmelzwerk zierlich eingelegt (mit
gesmelze harte waehe), das Werk war gar kunstreich, die Schliessen
bildeten wilde Thiere. Zwischendurch war der Gürtel mit Perlen und
Edelstgestein bedeckt, nie, nur in Dichtergedanken (Dichtergebilde abge-
rechnet „geworht ane zungen'*) sah ich so Kostbares! vornen leuchtete
ein Rubin, der jedem mit seinem süssen Scheine sein Ungemach benahm.
Einen weiten langen Mantel hatte die Magd umgelegt (gevangen), der
war ^genagelt wol mit golde^ und bezogen mit köstlichem Hermelin
(vedere harmin), darin aus Fischhaut*) Mond und Sterne geschnitten
waren, mit Hermelinschwänzen (herminzagel) war sie innen voll bestedit.
Das Pelzwerk (vedere) aber deckte das allerbeste Siglat*) von der
') Obs Anziehen der Kleider war mit Einschnüren verbunden, wie hei den
heuligen Schntirmiedenu so dass bei eiligem Ausziehen die Naht aur^rissen
werden niusste. Vgl. Wein hold S. 446 u. Benecrke S. 440. «
^) Diej$e blaue Fischhaut ^schinat^ genannt, aus welcher moud- und slcrnrör»
mige Stücke in den Hermelinpelz eingeseift waren, wird als aus ,.U>eruc*"
gebracht, angegeben. Nach Konrad (Trojan. Kr. <:0210) lebte der Fiäih im
einem Flusse, der aus dem Paradiese kommt. Ben ecke S. 442.
') „SigUt"^ ein persisches Wort, das einei kostbaren SeidenslolT mit einge-
webtem Golde bezeichnet; Gottfried braucht «prelle^ nnd y^sigfAl"^ als gleich-
247
Welt. Aooh waren die Häftel (tassel ') ohne Fehle, roth und gelb, ein
mit heidnischer^Kunst geschnittener Ametist und Jachant. Ein Zobel
reichte ihr bis auf die Hand, der war schwarz und breit, grau und roth
gemischt, ^e noch manche Frau ihn trägt Von i^rem ^houbetloche^
(da. man beim Anziehen die Kleider über den Kopf warf. vgl. Wein-
faold S. 429) war Gott Amor meisterlich ausgeschnitten, recht als ob
er lebte, einen goldenen Strahl hielt er in der rechten (zeswen) Hand,
in der anderen die Fackel; das Werk war wunderfein aus einem nur
bohnengrossen Karfunkelsteine geschnitten; Nachts warf er hellen Schein,
tagüber glänzte er wie Gold; ^dä hafte si ir bnosom mite nach der
Kärlinge site.'' Ein SchapeP) trug die Maget, das war blau und gelb,
roth, braun und weiss; darap lag viel grosser Fleiss von Golde und
Seide. Wer sie nm ihre schöne Kleidung neiden wollte, der beginge
eine Thorheit, „denn es bringt ja Keinem Schaden, was ich auf sie
geladen von Seiden und, von Borten und Geziferde — mit Worten ! Ihre
Zöpfe waren gebunden, mit Golde wohl bewunden bis an des Haares
Ende, solch kaiserlich Gebäude trug die reine Magd.^ Ihr Haar war
fein und goldfarbig (goltvar unde reit) ; ihr Scheitel weiss und nicht zu
breit. Eben und klar (luter) war ihre Haut (Vel) und im gehörigen
Verhältniss gemischt (von rosenvarwe wize getempert), ihre Brauen braun
und schmal, darneben hingen ihr rothgoldfarbige Löcklein herab. Wen
sie gütlich mit ihren klaren lachenden Augen ansah, der vergass alles
früheren Leides. Zur weiteren Frauenschönheit gehört auch die Schil-
derung ihrer Ohren: diese waren weiss, rund (sinwel) und kleine, wie
von Elfenbeine vom Wunsch ersonnen, nach rechtem Maasse geschweift
und hohl, am ganzen Leibe aber war sie so gethan, als hätte sich der
Wunsch ganz in ihre Gewalt geneigt. ') Ihr Mund war so Wohlgestalt
bedeutend, sie waren aber verschieden Benecke S. 703. Wein hold D. .
Frauen. S. 423.
*) ^tassel^ der Knopf, der in eine Schleife oder in einen Ring fasst und zam
Ziisammenhallen diente. Benecke S. 7^0 u. 442. Der ,.jdchant^ ist ein
rolher Edelstein, vielleicht der Hyacinlh.
-*) 3chapel ursprünglich wohl nichts als der Hut (Weinhold D. Fr. S. 462),
und (ia dieser häufig bekränzt war, auch Blumensihapel, allmählig nannte
man auch den Kranz oder das Krönlein alleine so. In der Mundart ist das
Wort erhalten. So treffen im Bregenzerwald (cf. Oppermann. 1859. S. 12)
die Jungfrauen noch bei Bittgängen, Hochzeiten und Taufen das ^Schä-
pele,"^ kleine Kronen, die oft über hundert Gulden kosten, da sie aus
FilegränaHieitv von Silber, Gold^ bei Reicheren wohl auch mit Halbedelsteinen
oder ächten guten Steinen besetzt, bestehen.
^) Den Inbegriir veo Heil und Seligkeit, die Erfüllunff. aller Gaben, liebten die
mbd. Dichter mit einem einzigen Worte, dessen Beaeutung sich nachher ver-
' engerie, anszudrücken, das war dar Wunsch, der häufig auch personißcirt
erMjieint, ebenso wie die Frau Aventiure und Frau Minne oder Frau Saelde.
Vgl. Grimm Mythologie. S. 127 If.
248
und roinniglich, das& Einer, der in der Todesstunde ihn küssen dürfte,
alle Noth vergässe. Ihre Zähne, eben und kleine, aus viel lauterem
Beine waren zusamroengestecket, ihr Mund hielt sie bedecket mit rosen-
farbener Röte, auch war ihre Kehle rundlich und harmweiss, ein breiter
Zobel ging darum, der nur zu wenig sehen Hess. — Trügen mich nicht
die Sinne, so musste unter ihrem Hemde die schönste „creatiure'' d«r
Welt sein; Frau Saelde') hatte geschwol-en, immer bei ihr zu blei-
ben, wen diese zum Gesellen nimmt, der muss ohne Wandel sein. Sie
war ohne Falsch, lauter wie ein Spiegelglas. Das nahm der Ritter an
ihr wahr; er minnte sie ihrer grossen Schöne wegen von Herzen.
Der Wirth bat Herrn Gawein, ihm ritterliche Sicherheit zu leisten
— und wie dieses geschehen war, trug er dieses schöne Mägdelein ihm
kurz, uud gut zu rechter Ehe an. Das setzte seiner Freude die Krone
auf, ihm war der Tag ganz ^österlich geschoenet;^') sie aber nahm den
schönen Mann gerne und vertrauensvoll, doch weinte sie, obwohl sie ihr
Oheim zu trösten suchte — sie war nämlich des Königs Schwester
Tochter. Da der Segen ward gethan, umfing er sie küssende, dann
gingen sie schlafen; ihnen geschah vordem so liebe nie.
Das reine Weib wurde ihm lieb wie sein eigener Leib. So ruhte
er nach seiner Fahrt. Auch das Ingesinde hatte an dem Gaste grosse
Freude, weil er der Arbeit nie verdross womit er Einem gedienen mochte.
Viel Ritterschaft gab es da; mit Hunden und Federspi^l ritt der Gast;
sein Name war tugendvoll und unvergleichbar zierte er so des Königs
Land.
Nun befand sich auf der Veste des Königs ein aus Gold gegossenes
Glücksrad,') es stand mitten auf dem Saale und ging auf und nieder,
daran waren Bilder, wie ein Mann geformt. Sanken die Einen mit dem
Rade nieder, stiegen die Anderen wieder auf, so ging es um und um.
Das hatte ein Pfaffe gemeistert. Es sinnbildete, wie es dem Wirthe nie
an einem Dinge misseging, denn das Glück folgte ihm.
') «saelde^ ist Gutes aller Art ^ womit ein Mensch gesegnet ist: als persön-
liches Wesen gedacht^ die Geberin alles Guten, die Segensgöttin.
^) österlich = wonniglich, der ostertac = der schönste wonoevollsle Tag:
daher oft hei den Minnesängern der schöne Ansdriuk ffir die Gelieble: au
meines Hertens Oslerlas-f du meiner Freuden Ostertagl -^ Ostern galt als
das grösste Fest der Christenheit, so heisst jeder Imhe, selige, fröhliche
Tag ein Oslertag.
') Das Glücksrad spielt nicht nur in alten Miniaturen, wie s. B. in den Illu-
strationen zu den Carmina burana, oder an mitt'elallerlic4ien Portalen als
symbolisches Ornament, eine Rolle, auch die Dichter beziehen sich faaufir
darauf, z. B H. v. Rinkenb'erg (1291—1340), der ein Glücksrad mit i
Bildern beschreibt. Vgl. v. d. Hagen MS, l 310. Str. 13.
. 249
lieber ein halbes Jahr war vergangen, da sehnte sich Gawein nach
der Massenie seiner Tafelrunde. Er ging zu seinem Weibe and erbat
sich Urlaab auf drei Tage von dannen za fahren; er tliät die Löge,
wml er förchtete sie zu sehr zu betrüben, wenn er ihr gestände, dass
er auf länger fortwolle. Sie bat ihn mit Mattersorgen, seine Reise denn
doch noch zu verschieben: ^lieber henre min, belibet hie, daz ist nun
rat. min dinc mir angestlichen stät; däz seht ir. unde wLzzet wol, daz
ich grozen kumber dol (Kummer trage) von miner swaere die ich hän^
berre, ir sult hie bestin unz ir beseht wiez mir erge. ee kumt vil lihte,
daz ir ö niht wider komt, ichn s! genesen.^ ihm war leider unbekannt,
dass Niemimd ohne des Königs Geleite in das Reich kommen konnte^
hätte er das früher vernommen, ihm war* es auf der Fahrt anders er-
gangen. So benahm er ihr die Angst, gelobte Minne und Treue, bat sie
es Niemanden wissen zu lassen und versprach in kürzester Zeit zurück-
zukommen, küsste sie, sass auf sein Ross, nahm heimlich sein Eisen-
gewand und ritt die Strasse gegen den Wald. Nun will ich Wunder
sagen, denn was er erst ritt in 12 Tagen, dazu brauchte er jetzt ein
halbes Jahr. — Zu Caridoel brachte seine Ankunft grosse Freude, die
Maere davon flog von Haus zu Haus ; er setzte sich zu den Frauen und
erzählte ihnen Allerlei, doch nicht Alles; auch wollte er nicht turaieren
wie früher, und hatte Sehnsucht nach seinem Weibe, ihn zwang der
Minne Noth. Heindich rief er seinem Knappen und stahl sich davon,
doch ritt er wohl ein ganzes Jahr durch alle Liande, die vor den Bergen
Hegen — ■ es blieb verlorne Arbeit, denn Niemand kann ohne den Gürtel
in das Land kommen, diesen hatte er aber bei seiner Frau gelassen!
Als er das erfuhr, ward sein Jammer gross ; betrübt kehrte er zu Artus
zurück — an dem Tage war es schon zwei Jahre, dass sein Weib ge-
nesen. Lasten wh* den Ritter und sagen wie es dem Kinde erging. Die
gute Mutter liess es keinen Tag von sich und pflag dasselbe selbst mit
Liebe. In einem Jahre wuchs es mehr als ein anderes in zweien; man
lehrte es spat und früh Gewissen und Güte, auch war sein G^müthe
zu allen Tugenden feste, er that pie anders ah das beste. So ging es
bis in*s zwölfte Jahr. Die besten Ritter unterwunden sich seiner da,
lernten ihn reiten, gehen, mit Züchten sprechen und stehen. Gott gab
ihm in seiner Jugend schönen Leib und ganze Tugend, die behielt er
bis an sein Ende; Allen war er dienstwillig, wer Gabe an ihm suchte,
dem reichte er. Hatten ihn die Ritter buhurdieren und stechen, die
starken Speere zerbrechen, schirmen und schiessen lassen, dann nahmen
ihn wieder die Frauen. Seiner Tugenden wegen gewann man ihn vor
Allen lieb. Wohl ihm, dass er das verdienen kann, dass ihn die Welt
gerne sieht und dass man ihn zu den Besten zählt. Nur das trübte
\
250 .
seine Tage, dass man von seinem Vater, vpn dem er so viel vernommen
*
hatte, nicht wussto, ob er noch am Leben wäre; tagendlich begann er
zu seiner edleu Mutter, die ihn ans der Tanfe hatte erhoben und sprach:
^Fraue,- gebt njir Eueren Segen und Euere Hold! Gott wolle Euer
pflegen und Euch bewahren! Ich will von hiiinen fahren und in meiner
Jugend erwerben, da^ss man mich mit Recht bass erkenne als einen
anderen Mann, wie mein Vater hat gethan. Was soll mir mein starker
Leib, wenn ich mich in diesem Lande verliege wie ein Weib? icli will
den sehen, von dem nrir immer Tugend ond Mannheit gesagt ist Das
ist mein Vater, Herr 64wein ; ich will nicht wiederkommen, bis ich ihn
gesehen habe, gönnt mir das, Hebe Mutter, inir sagt eine ifeste Zuver-
sicht (min gedinge), dass ich ihn wieder bringe, Gott gebe, dass es
mir gelinge.** —
Da seine Mutter, Frau Flörie, seinen Ernst rechte ersah, sprach
sie: ^Lieber Sohn, du weisst wohl, dass wir seiner zwanzig Jahre ge-
harrt haben, darauf kannst du abnehmen, dass er wiedergekommen
wäre, wenn er noch lebte; ich kannte seirie Treue wohl, ganzer Treue
war er voll. O wehe ! dass ich ihn mir je zum Freunde erkor, weil ich
ihn verlor so wunderlich, ich weiss nicht wie. Seines Gleichen war nie
und wird nimmermehr geboren. Soll ich. ihn also verloren haben, so
muss ich immer Jammer und Noth leiden bis an meinen Tod. Herre
Gott, der Jungfrau Kind ! da Dir die Herzen offen sind und alle Willen
aufgethan, Kaiser, Herre, reiner Christ! da Dir nichts verborgen ist
und ohne Dich nichts werden mag, lass mich noch erleben den Tag,
dass ich den sehe, den ich trage in meinem Herzen alle Tage mi
Jammer und mit Klage. "^ An ihren Gebärden zeigte es sich wohl, d
ihr Herr Gawein lieb war wie ihr eigener Leib. Sie bat den Söhn z
bleiben, der aber sprach : ^ Wie soll mein Name erkannt werden,
ich nicht in andere Lande reite, wie mein Vater thatt Lasst ab mi
pieren Bitten, ich will verdienen der Besten Gruss und dass man mic
erkennen muss oder ich verliere meinen Leib, davon bringt mich Ni
mand ab.** -^ 9)Herr und lieber Sohn, sprach die Mutter, wenn ich di
liicht erwenden kann , so nimm diess Kleinod , behalt es bis an deiii<
Tod ond sei sicher vor aller Noth. Das ist ein Gürtel, den mir dei
Vater Hess als er von mir ging und wieder kommen wollte, auf meiitoi.
Seele befahl er mir, dass ich ihn dir gebe, wenn du erwachsen und v
hinnen wolltest. Bewahre ihn aber so , dass ihn Niemand gewahrte
Heiss weinend gab sie ihn dar, er küsste sie und neigte sich vor i
nahm dann Urlaub und ritt davon.
Frau F16rie stand in grossem Jammer, wie die thun, denen
Herzeleid geschieht; ihr Kummer verhehlte sich nicht länger« da siel
251
reiten sah. ' Mit grosser Klage sprach sie: ^0 weh! ich viel armes
Weib! was soll mir Leib und Gat? Jugend und Schöne, öewissen (Er-
fahrung) und alle Tugend? Ich habe den theuersten Mann verloren, den
je ein Weib zum Fretinde gewann und nun mein einzig Kind! Herr
&ott! da Dir alle Dinge unterthan sind und ohne Dich nichts bestehen
kann, so befehle ich um Deinen Tod heute in Deinen Segen mein Kind,
dass Du semer wolltest pflegen auf dieser Fahrt; bes<ihirme ihn vor
grosser Noth und sende ihn mir gesund wieder.*^ Während dieser Klage
ritt er nieder von dem Hause durch die Stadt; alles Volk erbat ihm
Heil; das schuf ihm seine Trefflichkeit, denn er war erfahren und hilfe-
bereit, den Schlichten schlicht und den Weisen klug. *)
Der Jüngling aber wusste noch nicht, wohin er kehren sollte;
während er in solchen Sorgen ritt, kam ihm auf dem Wege ein Gar-
zün entgegengelaufen, dessen Gewand so genau beschrieben wird, dass
die mittelalterlichen Costümiers und Trachtenjäger gleichfalls etwas
daraus lernen könnten, wollten sie überhaupt solche Quellen benützen.
Er trug einen Schapperun") aus FritscHal gemacht, mit rothseidenem
Zindel (zendale) war er gefurrieret, sein Hut mit Blumen und Laub
geziert, so lief er in dem Staube. Von rothen Stoffen CJ*öten seites von
der grau) trug er ein Röoklein, mit grossem Fleisse geschnüret (gebri^et),
iveisse Schuhe hatte er an den Händen, den Stab gebrauchte er nach
Garzunea- Sitte um seinen Lauf zu fördern. Seine Hosen waren gut;
zwei geschnürte Bundschuhe ,trug er. Da ihm der Ritter nahe kam,
zog er ehrbar seinen Hut; der Junker grüsste und fragte, wessen Gar-
zun er wäre? Er sprach: ^Des allerbesten Herrn, der je ein Königreich
hatte, des Königs von Britanien. Der hat mich nach Hispanien (Ispanje)
um Ritter ausgesendet, denn der König von Engelland hat ein Turnei
angenommen,') nun sollen die Ritter vor sein Haus nach Karidol
kommen, da erwartet König Artus ihrer dreitausend; desshalb bin ich
auf dem Wege (durch daz hau ich mich uz erhaben).^ Der Junker
sprach: ^Sage mir mehr, wie es an seinem Hofe steht ?^ — „Herr! an
keinem Hofe besser, da. ist grosse Ritterschaft und Alles in Ueberfalle,
was man zu Freuden gehrt. Kommt Ihr dahin, so werdet ihr gewährt.
*) er was gewizzen unde guot
den tumpen lump, den w!<en fruot. (Ausgabe von PreifTer. 40, 26.)
') Der Schappet-un (scbaprDn) ist ein kleiner Mantel fnit* einer Kapufze; Fri-
Iscbal (frilschdle) eiti kostbarer tbeuerer StoflT, der serner gelben rarbe wegen
beliebt war und meist aus. Gent kam. •
*) D. h. eine Heerfabrt geröstet. Die Kriege zwiscben Artus und den Sacbsen
sind wohl als bistoristische Wahrheit anzunehmen, sowie auch, ^, dass > die
stammverwandten Völkerschaften auf dem festen Lande den Britten ge^en
ihre Feinde, die Sachsen, beistunden. B e n e ck e S. 446.
_M__
was Ihr nur ersinneD mögt. Zweifelt nicht daran, denn ich weiss es
wohl.^ Der Junker liess sich den Weg weisen und kam am nennten
Tage an. Er ritt in den Hof von Karidol. Da sah er bei einer Linde,
(die man so gerne in den Burgen pflegte) einen breiten, vierkantigen
Stein liegen, rothe und gelbe Striemen durchzogen ihn, der andere Theil
war blau und lauter wie Spiegelglas. So grosse Tugend war an dem
Steine, dass kein falscher Mann die Hand daran bringen konnte. Der
Gast aber ritt zu der Linde, haftete sein Pferd an einen Ast und setzte
sich mitten auf den Stein ' -^ sein Herze war. ohne Falsch und Bosheit.
Wer je Untugend begangen, vermochte dem Steine nicht auf Klafter-
länge zu nahen, sie fanden Alle Widerstand, so sie sich ihm nähern
wollten. Noch nie war es geschehen, dass Jemand demselben näher
gekommen wäre, ausser allein der König, der ohne Wandel war, selbst
Gawein kam nicht weiter daran, ab mit der Hand, denn er hatte es
verwirkt , als er einst eine edle Magd wider ihren Willen zum Weinen
und Schreien brachte.') Solche Ungeschlachtheit hatte er von seiner
Kindheit an bis zu seinem Tode nimmer begangen und doch konnte er
nicht an den Steiil.
Da man den Knappen auf dem Steine sah, gab*s freilich eine
Aventiure für den König Artus zu melden, augenblicklich sprang ein
Ritter zum König und die Ritter eilten , das unerhörte Ereigniss (ge-
schichte) zu sehen. Auch die Frauen kamen neugierig herzu. ,.Der
ist es werth, dass wir ihn empfangen, sprach der König, was er von
mir verlangt, das ist ihm gewährt und will er bei mir bleiben, so be-
halte ich ihn nach seinem Rechte. " — Dem Jungherren aber war es
unbekannt, wie es mit dem Steine beschaffen war. Als er den König
kommen sah, erhob ix sich mit edler Geberde;*) Artus hiess ihn will-
kommen, ebenso die Königin und die gan2e Massenie, denn sie fonden
an ihm nur Liebes und Gutes. Auf die Frage des Königs, wohin er
wolle oder wer er wäre, erwiederte er: ^Gwi von Gälois ist mein Name,.«^ ^i
das Land ist beschlossen (unzugänglich) aus d^m ich stamme, Ench^r^
habe ich zum Herrn erkoren, wenn Ihr mich zu behalten geruhet; miLV ^
meinem' Dienste wollte ich erwerben, wa;5 ich verlange, ob ich der Ehrei*"^^
werth wäre hier. Ritter zu werden. ^ Aller Freuden Ueberkraft habe i
•) Vielleicht auf die im Parcival (407, 2 ff.) erwähnte Avenl iure anspielend, di**- f
IM SchnrnpfenKon sich ereignet. — Gawans Leben' ist aber nach dem Paniv^^^'
ein anderes, denn bekanntlich heirathele e^ dort bald darauf die schöne ^
Orgeluse.
'') sin gebaerde diu was saeleclich: «
die hende habet er für sich
vil harte gezogonllcbe.
in kaner Zeit an Euerem Hofe gefunden.^ Der König gewährte ihm
die Bitte und beikhl ihn an Herrn Gawein; die Beiden aber erkannten
m
sich nicht.') Herr Gawein unterwand sich mit seiner Lehre des Knaben,
dess gewann er Froitimen und Ehre : den Besten war er underthaq, ab-
wies er stets den falschen Mann, keinen Guten er zum Feind gewann.
Dem König ward er ^ heimlich^ und diente ihm täglich auf*s beste:
denen von der Tafelrunde war er Allen viel bereit, zu Turnieren ritt
er mit ihnen und wo man Mannheit beging , da versäumte er sich nie,
sondern war der vorderste ah der Schaar , dass Alle ihn wahrnahmen.
Seine Mannheit war wirklich gross, dazu genoss er das GIfick, dass
ihm viel selten raisseging, denn er haltte Gott immer vor Augen, der
die Seinen nie verlässt. Als der König seine grosse Tüchtigkeit erfuhr,
freute er sich Verwundert und gebot ein grosses Fest Chdchztt) da der
Knappe das Schwert nahm. Er war der Ritterschaft wohl werth, die
empfing er auch mit Freuden da. Die Königin sandte ihm dazu sechs
Ritterkleider von Scharlach und Pfeile. Herr Gawein gab ihm ein gutes
Streitross, ') der König Viess ihm- zwölf Knappen. Am Pfingsttage nahm
der Knappe das Schwert in der Messe, die Pfaffen gaben ihm den
Segen, dann görtete sich der Degen ein Schwert um, wie nie ein Mapn
ein besseres gewann , das ihm seither aus grosser Noth half und dal
er bis an seinen Tod behielt, das hatte er auch von Gawein er-
halten. Der milde König selbst reichte ihm den Schild und einen
Schaft. Darauf hub sich grosse Ritterschaft und schönes Buhurdieren
mit reichen Bannern an. So ward Herr Wigalois ein Mann mit Ritter-
schaft auf dem Plan, der König hatte an ihm wohlgethan.
r
Nach dem Buhurd erhub sich grosser Schall von allerlei Saiten-
spiel. Flöten un4 Tamburen tönten wider einander; der milde König
föhrte den werthen Junker zur Tafelrunde und gab ihm nun der Tafler
Recht und iStat, wie ihn die Massenie gebeten hatte; auch gab er ihm
neuerdings zum Gesellen den allertherfersten Ritter — Herrn Gawein.
Den Spielleuten gab man da Pferde, Silber und Gewand, alle wurden
reich von den Gaben, lobten den Ritter und die Hochzeit und spielten
um die Wette vor der Tafelrunde, man gab ihnen aHen Wirthschafl
und was sie brauchten in Fülle. Das dauerte 14 Tage nach Pfingsten,
da nahmen die .Gäste endlich Urlaub. König Artus Hess aber vorher
*) Die schöne Stelle lautet $ 45, 13—16: ,,d6 Was ander in zwein diu gröze
triuwe unbekant, die kint ie ze vater vant : ir deweder erkant den andern dl.^
>) Vgl. Pfeiffer Das Boss im Alldeutschen. 1855. S. 3. \,rav1t^ = Streitross.
Das 9,pferl^ ist meist den Frauen eigen, das ^ors^ (faros, ros, ors) ist des
Rittere Sitreitross; doch blH fast keiner der mhd. Dichter, Wolfram vielleicht
ausgenommen, diesen Unterschied fest.
^_
ia.seioen Saal (mupshüs)') allerlei ^angeschröte^ Pfeile^) bringen und
maDches Stuck Sammt, roth, gr&n, häormin und bunt, dazu gab er
manches Pfund den Gästen und schöne Rosse. Es war eine Hochzeit,
dass Alle froh wurden. '
Nun ereignete sich bei der nächsteo, Sonnenwende, als der
König noch bei Tische saas, dass eine reiche Magd mit einem Zwerg-
lein hofelich auf einem blanken Pferde in den Saal ritt, wo die Ritter
noch bei Essen und Trinken sassen. Das Gezwerge bub ein Lied so
wonniglich an, dass Alle ihrer selbst vergassen; es stund hinter ihr
auf dem Pferd und legte der Jungfrau beide Hände auf die Achseln.
Diese hatte ein scharlachen Kappen ') an, auch war sie so wohlgethan,
dass Alle sie lobten; ihr Haupt war ungebunden, ihre Zöpfe wob) mit
Golde bewunden ; Schleier (slahte) oder Gebftnde trug sie nicht.
Sie ist yon ihrer Herrin abgesendet, von der berühmten Tafel-
runde einen tapferen Ritter zu einem' unerhörten Abenteuer zu erbitten.
Sogleich trat Wigalois vor und verlangte dazu Urlaub, der ihm auch
nach einigem Widerstreben bewilligt wird, die Jungfrau wurde über den
Ritter aber so' zornige dass sie schweigend von dannen ritt, denn sie
flirditete, dass seine Kindheit so grosser Arbeit nicht gewachsen wäre.
Indeas brachten ihm die Knappen Ross, Harnisch und Speer, auch
einen schönen, kohlschwarzen Schild, in dessen Mitte ein goldenes Rad
erhaben war, auch trug er ein gleiohes, wie er bei seinem Ohm in dem
Saale gesehen hatte, auf seinem Helme, ein reiches Banner ward ihm
an den Speer gebunden. Die Königin sandte ihm einen golddurcfa*
schlagenen Waffenrock,' Gawein gibt ihm herzlichen Abschied mit guten
Rathschlägen. So ritt er der Jungfrau nach, die ihn aber, selbst auf
die Fürbitten des Zwergleins hin, noch nicht besser behandelt, denn ihr
wäre Herr Gawein lieber gewesen.
Zuerst führt sie ihn zu einem Ritter, der mit- gar wunderlicher
Sitte Gäste empfangt, jeder muss vorerst mit dem Wirth auf dem Felde
streiten, überwindet der Gast den Burgherrn, dann hat der Fremde die
beste Aufnahme; sticht ihn aber der Wirth nieder, so muss der Gast
nakt und bloss ohne seine Habseligkeiten scheiden. Das Haus war so
nahe, dass man von ihm aus den Gast reiten sehen konnte, da wartete^^
der Wirth nicht länger, Hess sich seinen Harnisch bringen und seil
') «^muoshas^ ein grosser, gewöhnlich ein besonderes Gebäude ausoiachendei
Saal zum Speisen und anderen grossen Versammlungen.
') schroten (geschröten) = zuschneiden.
') Die ^kappe^ ist ein weites (Jebergewand mit Aermeln, besonders aurBetseitf^
von Frauen getragen. Vgl. Benecke S. 629. Weinbold S. 449 n. ol
Parcival 669, 5.
255
A mit eitler ^gröpiere*' bedeckt war, ') sprang darauf und die
liefen mit Schild und Speer nach aus dem Barggraben, sie
schon Alle reich zvi werden. Der Gast band den Helm auf,
sich voQ der Strasse gegen de» Wirth und ^liezen zuo einan*
swaz diu ros mohten gevam^; der Junge stach seinen Speer,
anderthalb Klafter lang den Gegner durchdrang; als er fiel,
i sein Gresinde; die Jungfrau aber trachtete mit dem Ritter
1 kommen. Einem Wasser folgend hörten sie eine Nachtegal
md gelangten in einen Wald. Dort schuf das Gezwerge der
G«maoh, indem er grünes Xaub sammelte und ihr auf das
;tete. Nach einer Weile erklang eine klägliche Stimme , als
einer den Tod. Wigalois beschloss dem Schalle nachzureiten,
t was wol halbiu hin uud schein der mane gegen dem tage.^
war raub und enge, durch Domen und Gedränge fuhr er wohl
le; da sah er zwei starke Riesen bei einem Feuer sitzen, die
ne Frau entfährt und wollten ihren Willen mit ihr haben, der
te sie mit beiden Armen an sich «gedrückt; sie jammerte und
rosse Klage. Sie war aus Artus* Hause zu Karidol geraubt,
[ Ritter wussten dort nicht , wohin sich die Riesen gewendet
ler ganze Hof trauerte darob. — Das Ungemach der Jungfrau
I Ritter an's Herz.*) —
(1 ouch dehein biderbe man
;erne übersehen
;in schade mac geschehen
I reinem wibe
les mit sinem übe:
nin Site und ouch min r^t.
z diu werlde fröude hat
: uns von den wiben. •
te wir vertriben
m naht und unser leit
it ir saelekheit?
lüde waere enwiht
3 wir der wibe niht.
: ir genaedic wesen!
hten an si niht genesen.—
.hte der nter guot:
was ie vil wol gemuot,
)iderbe gerne tuot.
Es soll auch keio biderber Mann
Jemals mit Willen meiden,
Wo irgend Schaden und Leiden
Einem reinen Weibe geschehen.
Mit aller Kraft ihr beizustehen.
Das ist meine Sitte und mein Rath.
Denn was die Welt an Freuden hat
Das kommt uns von den Weihen.
Wie sollten wir vertreiben
Die langen Nacht' und unser Leid
Als durch ihre Lieblichkeit?
Ja, ohne Weiber in der Welt
War' unsre Freude sclilecht bestellt!
Gott woU' ihnen allzeit gnädig sein,
Nie möchten wir ohne sie gedeih'n.
Das bedachte der Ritter gut.
Denn er trug stets gerechten Muth
Wie allzeit der Biderbe thUt
erc, croiipi^re, die Decke über das Pferd, auch der Schwanzriemen am
. Pfeiffer S. 21, 48.
ffer S. 57, 27 ff.
Er nahm sein Ross , Brkor einen Riesen , der am Feuer gass und
stach ihm den Speer durch*s Herze, der Andere zerrte sich einen grosseü
Ast von einem Baame, so kamen sie hart an einander; der Riese trieb
den Ritter damit in ein dickes Hag, es gab Schläge aaf beiden Seiten;
der Riese empfing der Wanden Tiel, so trieben sie des Todes Spiel
bis der Tag aufging, da erhielt der Riese eine Wunde, die ihm seine
Kraft benahm. Dess ward der Ritter siegehaft, in seine Gewalt mussl6
er sich geben, dass er ihm das Leben lasse, darüber schwur er einen
Eid die Magd ohne Leid dem König Artus nach Karidol wieder io*s
Haus zu bringen und dort zu bleiben, bis er nachkomme.
Zu den Zeiten war es noch Sitte, dass, wer einen Eid brach, von
der Welt wie ein todsiecher und aussätziger Mann geflohen ward ; man
musste seine Bürgschaft, sei ^ Einem nun lieb oder leid, halten oder
an Ehren todt liegen, „des waere ouch noch der werlde u6t!^ — Die
reine Magd hatte sich verweint und zerklagt, dass sie kaUm noch leben
mochte, doch ward ihr der Trost der Heimreise; den Todten Hessen
sie liegen; der Riese beklagte ohne massen seines lieben Gesellen
Tod; endlich nahm der Riese Urlaub und fuhr mit der Jungfrau
nach Britanien , wo an Artus Hofe die Massenie gar froh wurde und
dem Ritter, es treu gedachten. — Wigalois aber folgte weiter semer
immer noch zornigen Führerin, was er auch Mannheit beging, sie wollte
selbe nie preisen; er bat. die Frau, auch diesen Tsg mit ihr reiten
zu dürfen, denn er pflog solche Zucht und Demuth, dass er nie wider
ihren Willen zu einem Werke schritt , ehe er die Erlaubniss dazu von
ihr erbeten. Auch unterstüzte ihn das Gezwerge. Nun lief gerade ein
Hündlein (bräkelin) ahnen in den Weg, wie es kaum ein schöneres
gab, es glänzte überall, ein Ohr daran war fahl , das andere blutroth.
Dess freute sich die Magd, der Ritter fing es ihr zu Gefallen und legte
es auf ihr Kleid. Das war nach mitteifa Morgen. Während sie sorglos
einem< finsteren Tann entgegenritten, kam ein grosser Mann daraus
hervor, kohlschwarzhaarig und jede Locke mit Seide und Gold bewun-
den; sein Rock war schwarz, yon Blumen fQhrte et einen Hut, in grünep
Tymit') war er gekleidet; einen mit Riemen wohl bewundenen Knüttel
trug er an der Hand; ich wähne, er war mit Hunden in den Wald
geritten. Zornig fuhr er die Jungfrau an, als er sein „hundelin^ ersah;
er befahl dem Ritter den Hund niederzulassen und drohte, ihm den
Leib ungesund zu machen. ^Die Rede ziemte besser einem Weibe,
versetzt Wigalois, ich wähne, er ist gar nicht Euer, und wir geben ihn
0 ^tymü^ eil Seidenstoff, im Tristaa wird ein solcher von brauner Farbe ge-
nannt. Vgl. Weinhold S. 425.
257
Be Rede and Drohen nicht ^ Da kehrte der Herr zornig, ^swaz
s mohte gevam^ über das breite Feld and kam bald wieder
lat nachgalopiert (gewälopieret). Sein Helm war mit einem
n von Härmin geziert, Schnabel and Füsse golden, ebendasselbe
m (wäfen) fährte er. Der }ui{ge Ritter bemerkte sein Kommen,
rdasRoss fester, sass gleich wieder aaf, nahm es mit den Sporen'
im mit solcher Kraft an, dass er ihn mit dem, Speere durchstach,
shaflb des Gegners aber zerbrach, so dass Wigalois gar keinen
m nahm. Befreit war das ^hundelin von der justiure/ ^Die
n waren da noch sielten , drum blieb er auf dem Felde liegen^
ler Dichter mit einem Wolfram'schen Witz. Der Ritter heftete
bOss an einen Dorn; das war* in diesen Zeiten verloren gewesen,
ebten nur Wenige, die ^s nicht mitnähmen; auch den Harnisch
man heute und dazu alle seine Habe. Das war damals gegen
tte, wer das gethan, hätte seine Ehre verloren und nimmer zu
schalt kommen dürfen. Würde das heute noch gelten, so bliebe
;ht stete alles ritterliche Recht. Wer nun kaum Knecht ist, will
Jtter spielen, da müssen die Werthen der Bösen entgelten ; drum
man jetzt kaum andere als böse Gesellen. Gott müsse diejenigen
, welche dem Schwert geben, der das ritterliche Leben nicht
kann und der von seinem Geschlecht (künne) nicht dazu geboren
^as alte Recht haben wir verloren, das war ehedem gut, so sagt
mit Falsch und Bosheit ist es nun leider niedergelegt. -- Welch
Klagen in dieser Zeit!
Us er den Sieg nahm, wie es Helden geziemt, da ritt die gute
mit ihrer Gesellschaft über Berg und Thal , wo mannig Stimme
e. Hier sahen sie eine Jungfrau ganz alleitie reiten. Damals war
5h gewöhnlich, dass eine Jungfrau, sie wäre arm oder reich, un-
)lten und ohne Leides zu gewärtigen, reiten konnte,* wohin sie
. Das war Sitte, wo man eine reiten sah, dass ihr Niemand
s nachsprach; nun ist die Welt lügenhaft und Leute und Land
Zacht Wäre Eine auch noch so unbescholten, so gibt es doch
hte Leute, die ihr Etwas anhingen.') Jetzt mag eine Frau keinen
:t aas ihrem Hause thun, so reden sie ihr übel nach, wie ich
fahren. Man gafft die Falschen an; wer die Leute verspotten
dem lächeln wir zu. Weiss Gott, wir thätep besser, sie immer-
line shaben ir doch ein kläpfelln mit worten und mit vlre:^ Klapf bedeutet
Bn Si'hiill , der vom Srblage herrührt (Klapp , Klatsch) und daher ßgürlich
BD kleines Schlag oder Stoss, den man der Ehre einer Frau beibringt. —
eher das Reiaen der deutschen Frauen vgl. W.einhold S. 395.
IT
258
dar zu flieheD. Wer immer böse Maerie säet von den gnten Weiben,
der möge freudelos und jammervoll sein bis an sein Ende, ^wan si
sint äne wende der werlde ein vi! süezez spil, got.gebe in saelde and
fröuden vil! des ich in iemer wünschen wil."
Wie schon gesagt, so ritt die Magd allein mit grosser Klage. Ihr
Pferd war gut, bis auf die Knie reichte seine blutrothe Mähne. Ihr
Reitzeug war von Gold und Gesteine, ihr Rock von Pliat,') von rothem
Siglat hatte sie eine Kappe an , ihr schwanenweisser Mantel war mit
Pelz gefurrieret und mit Zobel geziert, ihre geflochtenen Zöpfe .goltvar
uüde reit" reichten bis auf den Sattel, dai-auf hatte sie einen Hut,
breit und mit Pfauenfedern aufgeputzt. Ihr Herze war Jammers voll,
sie klagte, weinte und schrie jämmerlich.
Wigalois wollte sich mit seiner. {Gefährtin, die ihm inuner noch nicht
zutraute, dass er die ungeheuere Aventiure bestehen könne, berathen, ob
er die Jungfrau anreden solle, sie aber bemerkte ihm kurz, er könne nach ^
seinem Belieben thun. Da Hess er sein Rösslein in Sprüngen zu der Maid A
gehen, die unvergleichlich schön war, selbst ein Thor hätte darauf ge- —
schworen, dass sie von königlicher Abkunfl (küneges künne). An ihrer — a*
reichen Watt zeigte sich, dass sie mit Armuth nichts zu thun hatte. Viel M^\
gezogentliche fragt' er nach ihrem Kummer. „Ich sah schon \iele Ritter, ,«^-,
versetzt sie darauf, denen mein Leid zu Herzen ging, die es mir aber
doch nicht zu erwenden vermochten.. Beiläufig drei Meilen von hier, trefft-
ihr viele Ritter, die dort (ich weiss nicht, ob ihr davon wisst) jeglichei
mit seiner Freundin zusammengekommen sind. Der König von lrlan<
hatte nämlich das schönste Pferd, das ich je sah, dahin geschickt un<
einen redekundigen Papagei (sitech, der wol sprach swaz er sprechei
wokle) , dieser jsass in einem goldenen Hause , das mehr als
Pfund kostete. Das Werk war fein und nfeist^rlich gemacht und hin[
am SattelUbgen. Ihr meint wohl, ich sage zu viel, aber es ist doclrÄ'-b
wahr. Die Sattelbogen waren von weissem Helfenbein, mit Gold unc^-^^
Gesteine gefüllt. Das Pferd hatte einen goldenen Zaum, was die Büge^ — ^^'
sollten «ein , das waren goldene mit grossem Fleisse gewirkte Borten
die Knöpfe waren aus weissen Perlen gemacht. Das Pferd selbst
weiss wie ein Schwan, sein linkes Ohr aber und dieM&hne zinoberfart=^f
das rechte Ohr schwarz wie Kohle; ein schwarzer Streif lief
Rücken hinab bis auf den Schweif (zagel) der war fahl, lang and breL
*) ,)pllAt^ ein kostbarer SeidenslofT. Ein überaus herrlicher, in der grossen IniSi^
von einem Zwerge mit Zauberkünsten gewebter Fliat^ ans dem der Ro^A
und Monlel der Helena verfertifft war, wird von Konrad von Winbury iai*
Trojan. Krieg besehrieben. -^ Oeber ,^iglAt'* vgl. oben S. 246. Anm. 3.
259
«
Das zog man unter die Franen, die in einen Ring stehen mussten, dahin
hiess mafi die Ritter gehen und die Frauen betrachten, welche für die
Schönste erklärt wurde, die sollte das Pferd haben, desshalb hatte der
König von Irland selbes dahin geschickt. Als sie sich nun umgesehen
hatten, erklärten sie mich als die Schönste unter ihnen und mir gebühre
der Gewinn. Das freute mich. Man überantwortete mir das Pferd,
den Sitech und was darauf lag, «nebst einem alten Zwerge, der es pflag.
Wie ich das nun zu mir nahm, kam ein grosser rother Ritter, der das
^böne Pferd mir verbot, es mit Gewalt nahm und seiner Freundin
gab. Das war allen Rittern leid; er aber pfiag solcher Mannheit, dass
ihn Niemand zu bestehen wagte, so zog er es unbestritten fort und ich
ritt von hinnen ; das ist mein Klage und thut mir weh. Der Sitech
schrie jämmerlich wie mit Menschenverstand , als er vermerkte , dass
ihn der rothe Ritter nahm, den schalt er und war ihm gram, er
klagte um mich, das hörte ich wohl. Die Ritter aber bleiben noch
l)is morgen zusammen, dann scheiden sie sich. Herre Gott, mit Deiner
Kraft richte mir nun mein Leid! (sprach die Magd) das sei Dir gesagt,
weil Jeder seine Noth Dir klagt. ^
Wigalois will trotz dem Abnuihnen der Jungfrau^ die seiner Jugend
wegen für ihn furchtet, den Ritter bestehen, er fragt nach der Richtung
des Weges und nun reiten alle Drei, das Zwerglein ^ die Magd und
der Mann. Mit mancher guter Maere vertrieb er ihr- den Gram und
kürzte die Stunden ; so kamen sie nahe, dass sie den Schall der Ritter
vernahmen. Im Gefielde waren überall Gezelte (pavelüne) aufgeschla-
gen, hier sah man schöne Waffen tragen, dort turpierten Einige. Andere
schermten , ') sie sahen buhurdieren , die Knappen justieren , tanzen,
singen , schiessen und springen ; aller Arten Ritterspiel gab es da in
Fülle mit lustigem Lagerleben.
Wigalois Hess sich von der Jungfrau weisen, wo der rothe Ritter
1^. Mit Freuden that sie es und sprach: ^Seht hin! da steht ein
schönes Gezelt von roth und blauem Sammt und prächtig mit Gold
geziert. Der Ritter ist reich, wie man an seiner Habe sieht. Was
ich von ihm Leides habe, das ändere der liebe Gott! Nahe bei ihm
steht meiner Niftel Zelt, die ist des Königs Tochter von Persia; bei
ihr war ich, bei ihr wollen wir bleiben, die kann uns mit Freuden die
Zeit vertreiben, denn das versteht sie und macht sich den Leuten be-
*) ..srhermen^ schirmen, einen Angriff abwehren, im Fechten die Hiebe des
Gegners mit dem Schilde auffangen^ sich in dieser Kunsl üben. — f.ju8lierea^
für Ijoslieren.
260
I
lieht. Sie sieht uns gerne, das weiss ich wohl, denn ihr Herz ist
Allen willfährig.^ Freudig ritten sie über den Plan, an schönen Zelten
vorüber, die Kunde erhob sich, dass die Jungfrau gekommen, die wider-
rechtlich ihr Pferd verloren, auch, wesshalb der Ritter dabei sei; überall
liefen die Leute herzu, sie zu schauen. Das persische Königstöchterlein
aber sass in ihrem Gezelt und Hess sich von einer schönen Magd aus
einem Buche die Maere vorlesen, wie Troja zerstört war, Aeoeas sich
von dannen stahl, wie ihn Frau Dido empfing und weiter, wie Euch
oft schon gesagt ist. Indessen kam ihre Niftel an , da las man nicht
weiter (daz maere man do beliben lie); ihr Empfang war herzlich. Der
Ritter wurde bewundert, der sich so mannhaft unterwanden. Die Frauen
banden ihm alle Riemen auf, er schüttelte sein. Eisengewand und den
Schild auf das Gras. Auch bereitete man ihm nach seinem Willen
schnell ein Bad,') auch schöne Kleider von Pfeile und Rosate') gab
man ihm, denn die Frauen waren wohlberathen aus ihrem Lande ge-
fahren, kannten keinen Mangel und ihre Milde war ohne Schande.
Sobald Wigalois' gekleidet war, sass er auf und ritt wo er den
rothen Ritter fand ; die Magd, welcher da$ Unrecht geschehen war, hielt
er an der Hand , beide traten vor ihn in .sein Gezelt, wo er voniehm
auf einem reichen Polster (kulter) in ^siner ämien schoze^ lag. Der
Sitech aber stand vor ihm und sprach als er die Jungfrau sah: ^Will-
kommen, liebe Frau mein ! ich sollte rechtlich Euch gehören, mit Gewalt
bin ich Euch benommen, wie das gekommen, das richte Gott, denn er
stand immer zum Rechten.*^ Das gab dem Ritter frischen Muth und
Trost war stets in Nöthen gut; wie mannhaft auch ein Herze sei und
hat es nicht guten Trost, es verzagt doch vielleicht. Wer aber seinen
Kummer Einem klagt, der ihm nie Gutes gönnte oder ihn nicht getrö-
sten kann, der dünkt mir kein weiser Mann. — Sie pflogen scharfe
Wechselrede. Der Ritter trug rothen Bart und feuerfarbnes Haar;
dazu bemerkt der Dichter gegen einen damals schon verbreiteten und
heute noch umgehenden Aberglauben*):
') Das Baden war im Miltelaller so beliebt^ dass es selbst im offenen Lager-
leben nicht eiilbebrt werden konnte und alle Anstalten dazu innmer bereit
waren; vgl. oben S. 33 bei Heinrich von Kempten und spfiter unter
Tanhauser.
') ^rösdt^ kostbarer Seidenstoff, vielleicht von der Farbe oder den eingewebten
goldenen Rosen so genannt.
*) Vgl. oben S. 62, wo die erste Lehre, die Ruodlieb von dem afrikani^ — -
sihen Könige bekam, dabin lautet, sich vor Rolhhaarigen in Acht su ndiinen^ -
Wirnt erhebt sich hier und später noch öfter gegen alle aberglaubiscbei
Volksmeinungen.
261
von den selben hoere ich sagen
daz si valschiu herze tragen.
des gelonben han ich niht.
swie man den getriuwen siht,
ii^ swelher varwe er schinet,
s!n herze sich dgch-pinet
üf triuwe undß df güete.
ob ein valscher blöete
als ein rose diu da st^t,
dz im doch niwan valschez gSt,
swie sin här ist getan:
ist et er ein getriuwer man,
dia varwe im niht geschaden kan.
Von sothanen hör* ich sagen
Dass sie falsche Herzen tragen:
Den Glauben aber heg' ich nicht.
Der Gute, wie man ihn auch ersieht.
Von welcher Färb' er möge sein,
Sein Herze strebt doch allein
Nach Treu' und echter Güte;
Und ob ein solcher blühte
Wie im Garten ein Rosenbeet,
Aus seinem Munde nie Böses geht;
Wie auch sein Haar sei ihm gethan,
Ist er sonst nur eirt Biedermann
Die Färb' ihm nimmer schaden
kann !
Der Graf war stolz und reich , an Mannheit glich ihm Keiner,
schon Mancher hatte durch ihn seinen Leib verloren , ^ von Mannesveit
war er geboren und Graf Hojir genannt. ') üm> Ritterschaft war er
weit in die Fremde gefahren. Ehren und Gut haltte er viel erworben.
Zu Hispanien war er wohlbekannt, obgleich in Sachsen geboren; es war
ihm ^unmaere" sich einen Tag daheim zu verliegen, weil mit Gemäch-
lichkeit Niemand grosse Ehre erwerben mag. Von rechtswegen soll
verderben, wer daheim sich verliegt und sich zu aller Zeit befleisst,
dass seinem Leibe sanfte sei. Wer Ehren will erjagen, der muss sich
Arbeit unterziehen: „ez wirt vil selten hirz erjeit mit släfendem hunde;
träges wolves munde geschiht von spise selten guot.'^*) Dagegen war er
wohl auf der Hut; der Degen wähnte den Ritter zu überwinden; er hätte
80 grosse Ritterschaft nicht an ihm erwartet. Sie beschieden sich auf den
') ^Der tapferste und männlichste Held seiner Zeit^ hoch und stark von Leihe,
von Muthe unverzagt und wie ein Leu beherzte" dabei, aber auch hochfah-
rend^ Übermüthig und trotzig, war Graf H o y e r Von M a n n s f e I d ^ der im
J. 1115 in der blutigen Schlacht bei dem Weifesholze von dem Grafen Wip-
precht von Groitsch erlegt v^urde. Ihn hatten die Sachsen mehr gefürchtet
als des ganze Heer des Kaisers und sein Tod war die Losung zu einem
entscheidenden Siege. Lange noch lebte sein Andenken, mit Wundem aus-
ffeschmiickt, im Gedachtnisse des Volkes. Man erzählte von ihm^ seine
Mutter sei vor seiner Gehurt gestorben, und er habe ohne fremde Hilfe sich
zur Welt entwunden, daher sei sein Spruch j?ewesen: ^^Ich, Graf Hoyer,
ungeborn, heb' noch keine Schlacht verlorn.^ Noch im Anfange des voHften
Jahrhunderts war unweit des Weifesholzes ein Stein zu sehen ^ in welchen
Graf Hoyer vor der Schlacht^ aus der er nicht mehr zurückkehrte^ hinein-
griflT, mit den Worten : ^So wahr ich in diesen Stein, wie in einen Waitzen-
tfig greife, so wahr will ich diese Schlacht geviiuoen." Unser Dichter ver-
salzte diesen sagenJterühmten Recken mit poetischer Verherrlichung an den
Hof des König Artus. Später nahm man das für haare Münze und setzte ihn
als einen Ritter der Tafelrunde in den Mannsfeld*schen Stammbaum. Vgl.
Benecke S. 4.51 u. W Menzel Gesch. d. Deutschen. 1843. S. 277.
^) Vgl. dazu W ins hecke Str. 42 von der schlafenden Katze (vohe), der keine
krage Maus ins Maul l$uft.
262
nächsten Morgen nach der Messe, dort den Handel aasEnkfimpleo. Di«
Kunde von dem Ritter flog weitum und die Leute beteten, dass Grott
seinen jungen Leib friste und behüte. Getrost ging ihm die Nacht
hin. Des anderen Morgens wafFnet ihn die Königin von Persia und
viele Frauen in sein Eisengewand und führten ihn. zu einer Messe ^von
den driu genendeu'' d. h. den dreien Personen in der Gottheit, «u
Ehren der heil. Trinität. Als die Messe gesungen ward, drängten sich
die Ritter um ihn und trösteten ihn als einen Mann, dem die Welt
Gutes gönnt. Drauf brachte man ihm sein mit einer „kovertiure" be-
decktes Ross. Manch reicher Segen ward ihm gegeben. Freudig sprang er
auf das Ross, den Schild reichte ihm die Königin, den Speer die schöoe
Magd. Nun kam der Ritter gegen ihn; iVUes war roth was er hatte. Auf
seinem Schilde war der Tod viel gräulich gemalt, ^wichä, herre, wichä!*
riefen die platzmachenden Garzunen alle die vor ihm liefen; sie waren
gewohnt, dass er siege. Sie machten den Ring, die Ritter nahmen die
Rosse mit den Sporen, mancher Speer wurde verloren in kurzer Zeit; der
Rothe hatte zum erstenmale seines Gleichen gefunden. Dem jungen
Ritter ward ein starkes Speer an die Hand gegeben, das kehrte er an
den Weigand nach seines Vaters Lehre, er stach ihn also gewaltig
von dem Pferde auf das Gras, dass ihm die Sprache verging. Das
war ihm vordem nie geschehen.
Er sprang von dem Rosse, der Graf kam wieder zu Sinnen, spranjj
auf und lief ihn an. Das hätte er früher ändern können, als der nuch
lag; nun bekam er unnöthiger Weise desto mehr Schläge von ihm.
Fast hätte er durch seine Nachsicht über sich den Tod verhängt, wie
das Mancher thut, der aus hohen Muth seines Feindes schont, während
der es ihm mit dem Tode lohnt, wenn er es vermag. Da ging es
Schlag auf Schlag; Keiner blieb dem Anderen schuldig. Der Gra
schlug den Ritter bis an des Kreises Ende. Da zerrissen die Fraue
ihr Gebäude vor Leide, ihr Jammer scholl über die Haide und di
Magd betete laut zu Gott. Als der werthe Degen die Klage der Fraue
hörte, begann er grimmig zu hauen, Schild und Eisen schlug er ihm
aus der Hand und trieb ihn wieder durch den Kreis. Man sah d
Blut von den starken Wunden niederfallen, so wurde er von dem junge
Ritter überwunden. Nur um das Versprechen sein Geheiss zu voll —
führen, Hess er ihm das Leben: das Pferd müsse er wieder geben un(9>
den Sitech ohne Dank. Die Leute aber freuten sich, da«s ihm Alle^
so wohl gelang. Mit grossem Schalle fährte die Königin von Persia
ihn zur Ruhe in ihr Gezelt, alle Ritter begleiteten ihn und freuten sicl^
über des Rothen Fall. Dem Grafen aber trug er auf,^mit seiner Frenndir^
•263
m Artus zu ziehen und dort auf ihn zu warten : Sagt nur, der Ritter
mit dem Rade sende Euch. Auf die Bemerkung des Gefangenen , dass
iber mancher Ritter ein Rad führe, nennt Wigalois ihm noch seinen
Ißxizen Namen, worauf sie fröhlich auseinander schieden, nachdem Graf
tlojir seine Freude auf das Wiedersehen aussprach und dass er das,
^as ihm hier begegnet sei, sich nicht a]s einen Makel anrechne.') So
Mshieden sich Alle da. Vergeblich bittet ihn die Königin von Persia
md ihre schöne Niftel, der er zu ihrem Rechte verholfen, mit ihm zu
d^heu; er schlägt es aus, da ja seine Ehre davon abhängt, das Aven-
;eDer in Corentin zu bestehen. Die vornehme Maid bittet ihn, doch
wenigstens das Pferd und Alles, was darauf lag, mit dem Sitech, anzu-
lehmenv sie habe genug und brauche es nicht; da Wigalois zögerte, trieb
ue das Ross mit Schlägen davon, nun musste er es haben, denn
iie Jungfrau nahm, es wäre ihm lieb oder leid, kurz Urlaub und ritt
ron danneu. Der Ritter aber schenkte Alles, Pferd, Zwerg und Papagei
der Jungfrau^ der er auch das Hundelin gewonnen hatte. Sie freute
sich so reicher . Gabe , zweifelte aber immer noch, ob die Krafl des
jungen Ritters ausreichen werde.
Im. Weiterreiten erzählt das Gezwerge ein schönes irisches Mär-
chen; hiei'mit kürzt es ihnen den Tag, weil man mit guten Maeren und
mit reinen Weihen die Zeit wohl vertreiben mag. Da zeigt sich in der
Ferne ein Gezelt, es war hoch und weit, gelb und roth an einer Seite,
an der anderen weiss und blau, ein ^hirzgehürne" von Golde war
daraufgesteckt, die Schnüre mit starken Keilen gestreckt, auch sah
man in zwei Zeilen fünfzig Speere darum gesteckt. Auf dieses zogen
sie los. Dem Herrn des Zeltes war darunter auf das Gras ein reicher
Kulter mit zweierhande Pfeilen gebettet;» wie er die Gesellen anreiten
sah, empfing er sie wohl- Als er vernommen, warum der Held auf so
sqhwere Aventiure ausreite, will er ihm selbe aus Mitleid um seine
Jugend streitig machen, er trägt ihm Zweikampf an und wer von Bei-
den siegt und nicht todt liegen bleibe, der ziehe frei nach Corentin.
Das dünkte Herrn Wigalois gut und er dankte dem Wirthe; dieser
jjab dem Ritter die Hälfte seiner Speere, öein bestes Ross und sechs
Knappen. Da es nun Essenszeit war, . so gab ihm der Ritter Wirth-
schaft, darauf bettete man ihn unter das Gezelt auf Laub und Gras;
manch guter Kulter ward auf das Laub gedeckt, darüber zog man
weisse Leilachen; die Knappen hielten Wache die Nacht bis zum Tage;
') «dat wir mit rröuden einander müezen sehen! swaz mir von iu ist geschehen
des wil ich niht laster hAn.^
264
im nahen Walde sangen die Nachtegallen, dass es Einem das Herz
erfreute.
Da „nach sinem site, als er ie pflac** der Tag nach der Nacht
erschien , hatten die Knappen schon Sattel und Kovertiure auf die
Pferde gelegt, Harnische, Schilde uijd Speere bereitet; die Herren be-
gannen an ihrer Schlafstätte sich anzukleiden; darnach sprachen sie
ihr Gebet und befahlen beide ihre Noth an Grott, denn ihrer Einem
stand der Tod durch den Anderen bevor; dann Hessen sie sich von
ihren Knappen waffnen. Dem Eigenthümer des Zeltes aber wurde leid
zu Muthe, er mochte jetzt der Ehre wegen nicht vom Streite abstehen,
er ahnte den Tod. Er Hess sich den Schild reichen, sass auf das Ross,
die Knappen brachten ihm zwei Schäfte von Eibenholz (ywfn) mit
starken Speeren; dann gingen die Ritter von einander, um ihren Puneiz»
zu machen und kehrten geger/ einander wieder. Die Speere drückten
sie nieder, durch die Schilde auf die Brust stachen sie so gewaltig,
dass die Schäfte zerbrachen. Dann nahmen sie *zwei andere Speere,
denn sie hatten auf einander Ger, so senften kehrten sie zusammen,
dass das Eisen von den Schäften brach, das Gold stäubte von den
Schilden auf das Gras. An Beiden war ganze Kraft und Mannheit;
keiner hatte noch so starke Ritterschaft geübt; in kurzer Zeit ver-
stachen sie die Speere gar. Zuletzt reichte man ihnen zwei eschene
Schäfte, weil leider Einer todt auf der Stelle bleiben fl||llte. Herr
Wigalois bat den Ritter weiter in's Feld zu kehren, aber daran hatte
dieser selbst schon gedacht. Als sie wieder zusammensprengten, hielt
Gaweins Spross den Speer, wie es ihm der Vater gelehrt und er durch-
stach den Gegner, dass man ihn todt auf das Gras fallen sah. Grosse
Klage erhub sich da über des Ritters Fall, und er war ihrer wohl
werth, denn er hatte immer gestrebt, dass ihm der Ehren Krone noch
werde fiir seine Arbeit — da hat ihn der Tod hingelegt, als er noch
ofte thut. Er niedert manchen hohen Muth „unt zefnoret die richeit,
diu lange zesamene ist geleit: er git ouch ie nach liebe leit.** Wigalois-
beeidete die Knappen zum König Artus zu fahren und dort zu bleiben,
bis er nachkomme. Sie nahm^ ihres Herren Ross und Gewand und.
banden das auf die Pferde; den Todten Hessen sie aber nicht auf der
Walstatt liegen, Herr Wigalois bat sie, ihn zur Kirche zu bringen und
^seiner mit Almosen und Messen zu gedenken, was sie seiner Seele zi»
Tröste thun könnten, das sollten sie sich fleissen. Ihm aber sollten sie^
nichts nachtragen (niht harte wizzen) um ihres Heben Herren Tod, e^-
sei, wie sie selbst sahen, aus Noth geschehen. Das tbaten sie wi^
er gebot.
265
<
Nach solchen Proben mag die Magd endlich sein Geleit vertragen;
DUO erzählt sie ihm auch die angeheaere Maere, um die es sich handelt
Herr Rdaz von Glois, der dem Teufel fiir böse Zauberlist Leib und
Leben verschrieb, hat den rechtmässigen König Korntin vertrieben und
erschlagen ; dessen Töchterlein, das damals erst drei Jahre alt war, ist
unterdessen zur allerschönsten Jungfrau erwachsen und lebte mit ihrer
Mutter Gamanje') auf Schloss Königsberg; wer das Land Korntin
wieder erobert, soll ihre Hand erhalten; mit der Schilderung jener Güte
und Schönheit spornt die Magd den Ritter noch besser' an. Die Botin
hat sich bereits einen Plan ausgedacht, wie die 4^entiure gelingen
müsse: „Jeden Tag kommt nämlich vor die Burg ein sehr schönes Thier,
an das „unser herre Krist sinen fitz geleit,^ das trägt auf seinem Haupte
zwei schwarze. Homer und darein ist eine goldene Krone gewachsen, in
seinem Munde hat es Hitze, dass Niemand ohne Schaden ihm nahen
mag, viele fromme Ritter hat es schon in den Tod geleitet. Wollt ihr
es bestehen, so merkt genau seine Spur. Abwäits vom Haupte ist es
geschaffen wie ein Leopard (liebart). Es hat sich einen Weg erkoren,
der nur mir bekatint ist, das ist ein Steig, der in das Land durch den
Wald von Korntin geht, darauf inüsst Ihr ihm folgen.''
Sie sprachen noch., da ersah er schon die schöne Burg vor sich
liegen, auch kam, wie in Streitbegehr, ein Ritter hastig g6gen ihn
geritten ; der hatte ein gutes Ross, einen weissen Halsberg und darüber
einen grünen Wappenrock, auf dessen beide Seiten ein Rehbock von
Sammt geschnitten war, sein reicher Helm war mit einem rothen Tuch
(kein) darum sieh ein weisser Hänninstreif zog, überdeckt, oben war
eine goldene Schüssel eingesteckt, daran man ihn als ^truchsaeze'^
erkennen sollte: grasgrüner *Ti mit war an den Speer gebunden, einen
neuen Schild fahrte er, darauf war das Thier gemalt,, von dem ich
Euch sagte, dass es ihn leiten sollte. Mit Lazur und Gold war es
meisterlich gefüllt. Das war ihr Wappen zu Roymunt ^ze tiusche
Künegesberc.^ — Das war natürlich auch wieder ein ganz ausge-
zeichneter Ritter, so zwar, dass die Jungfrau ihrem Helden rathen will,
ihn fahren z^ lassen, denn es könnte ihm etwa misslingen. Da fährt
aber Wigalois auf:
daz waere ein slac i ... das wäf ein Schlag
aller miner ^ren | Aller meiner Ehren,
ond solde ich von im k^ren, j Wollt* ich jetzt von ihm kehren;
*) DJe^e GamiiHJe ist nnch'uneiilrütliselt: Kenecke S 585 halt sie für eine
Frau v^o Amenes Hofe; Gervinus hält sie für Lariens Mutter Amene:
PFeirrer S. 328 will das Wort als eine Bezeichnung des weiblichen Hof-
staats verstanden haben.
266
Sit ich nach riterschefte var.
des himels keiser mich beyar!
ich wil benamen gern im dar.
Denn all mein Wmisch ist nach Gre-
fahren.
Des Himmels Kaiser möge mich
wahren ;
Ich will bei Gott, gleich wider ihn
fahren !
So kehrte er über die Haide. Beide Herren begannen die Schilde
vor die Knie zu nehmen, neigten vor einander die Schäfte und sti^ssen
mit grosser Krafl zusammen; sie. verstachen beide also ritterlich ihren
Speer, dass Niemand entscheiden konnte, wer den ;seinen besser verthan
hätte. Der Truchsess aber schwenkte wieder zum Ritter, fing seinen
Zaum sehr freundlich auf und hiess ihn willkommen, weil er in ihm
nun den Ritter erkannte, den die Magd zu bringen ausgesendet war
und der ihr bereits so schönen Grewinn erworben hatte. So zogen sie
in die Burg; Ritter und Knechte, jeglicher nach seinem Rechte, empfin-
gen den Ritter und die Magd, Alle freuten sich über ihn. Die edle
Magd ging zu ihrer Fraue und rühmte die Tüchtigkeit ihres Helden,
erzählte von ihrer Reise und rühmte alle Noth in der ihr Geselle ge-
stritten, auch Hess sie ihrer Frauen alle Kleinode sehen, die Herr
Wigalois ihr gewann. Das Gezwerg brachte das Pferd und den Sitech
und das Hündlein und da schätzte man ^daz gereite "^ und das Vogel-
haus wohl auf tausend Pfund. Die Magd erhob des Ritters Preis, sie
lobte ihn vor ihren Jungfrauen in allen Weisen, wie er. Helme und
Schilde zerhaue; das hörte die Wirthin gerne an uqd dankte (gna-
dete) der Jungfrau ob „der ängestlichen arbeit,'* die sie auf der Fahrt
erlitten. n
Die Drei, die schöne Larie, ihre Mutter und die Magd beriethen
sich nun, wie man den Ritter empfange, dass er guten Willen gewinne.
Vorerst mnssten die Frauen ihre schönsten Kleider anlegen; der
Truchsess führte den Ritter einstweilen in den Garten, wo er sein
Eiäengewand unter eine grüne Linde schüttete und sich kühlte und ruhte.
Nerejä (so hie.ss die Magd, welche den Ritter hergebracht hatte) trug
reiches Gewand und schneeweisses Linnen her, daä ihm die schöne
Larte zu Liebe sandte (sie hatte es aus Syrie weit über See erhalten > ;
zu ihm sass sie auf den Klee. So kleidete sich der kühne Mann. Zwei
Scharlachhosen strich er an die Beine. Wie stattlich strahke er durch
Geburt und Mannheit: ^gewizzen unde saelekeit het got mit filze an
in geleit.'"' -— Als der Ritter nach Müh und Gefahr (arbejt) so minnig-
liche Gabe empfing, dankte er Gott und ging mit der Jungfrau ,vor. die
edle Königin, wo sie auf ihrem Saale sass. ^ouwi, higrre got!** was er
da schöne Frauen fand! Die waren prächtig gekleidet, jegliche nach
267
Rang und Geschlecht, fünfzig an der Zahl, doch v^erdienen nur zwanzija^
davon ganz besondere« Lob, die an Geburt und Gebahren, Schönheit
und reicher Tracht so hervorragten, wie man jetzt also herrliche J'raucn
unter keinem Gesinde mehr findet! Er begann umzuschauen, nahm
ihrer aller rechte wahr und fand sie nach Wunsch wohlgestaltet; ihre
Treff lichkeit (saelde) war mannigfalt an Leib und an ^gewizzen, des
)e$ten si sich fiizzen för einander alle da/ Was man ihm aber von
^'ran Lariens Schönheit gesagt hatte, das war Alles wahr; Gott hatte
leinen besten Fleiss an sie gelegt, ^an übe unde an saelekheit diu reine
ör si alle was geliutert als ein Spiegelglas, hie vand er sines herzen
>luot. beidiu lip unde rauot gab er ir tougenlichen C^eimlich) da."
->au Minne fing den Ritter und zog ihn in ihren Hag C^amit) gtwalj-
iglich ohne Streit, dass er sich nicht mochte erwehren, er mus&te ihr
sichern und schwören zu thun, was ihr däuchte gut. Zu Geisel musste
?r ihr den Willen (muot) geben und sein Herze , dass die Beiden
iiussten sein ihre Gefangene bis an ihren Tod. Was man ihm zu thun
lebot für sie, das dünkte ihm Alles leicht, wie sehr ihm auch das
Herze brach, da er die Schöne zum ersten sah.
Er, der sonst ein Heer in die Flucht schlug und manchen from-
men Ritter fing, konnte sich der Frau Minne und ihrer Stärke nicht
erwehren. Hie Hess er seine Seele bei der wohlgethanen Maid, ihre
grosse Schöne gewann ihn, dass er ihrer nie vergass, weil sie sein
Herze so besass mit Jammer^ wie ihm nie mehr von einem Weibe
weher geschah. Dieser Macht war er ungewohnt, desto ärger war sie
ihm. Die Königin ging ihm, ihre Tochter Larie an der Hand, entgegen,
sie empfingen ihn, wie man liebe Freunde empfangen soll, darnach
^ässten ihn die Frauen alle; grosse Freude, doch ohne Schall, hub
sich da mit Züchten. Die Fraue hiess ihn sitzen und klagte ihm ihr
Herzeleid. Wigalois ist bereit in den Tod zn reiten and die grössten
Gefahren zu bestehen, da er schon von Nereja weiss, dass Land und
Magd mit Mannheit zu erwerben sind: „daz tuot mir sanfte unde wol
swaz leides mir da von geschihf Die Fraue sprach: „Ich verläugne
2S nicht (ichn hils iuch nilrt) was ich zugesagt habe (gevestent) : be-
siegt Ihr, wie ich zu Gott hoffe ! den Heiden, so gebe ich sie Euch mit
Mannen und Magen.** Da wollte er gleich von dannen reiten ohne
Säumniss, die Magd aber bat ihn, noch über Nacht zu bleiben. Das*
gab ihm Freude und Kraft, weil er die Schöne gerne sah. Mit grossen
Züchten sprach er: ^Ibr sollt gebieten über mich, denn was Ihr wollt,
da» tbue ich (Pfeiffer S. 110, 26 ff.);
waeren min ellia riebe
80 daz ich keiser waere,
der ^ren ich enbaere
ö ich verlieze iwer gebot,
ir sult ez läzen äne spot
daz ich iuch, frouwe, minne:
wand ir habt mine sinne
gevangen und daz herze min:
diu müezen bi iu iemer sin
mit triuwen biz an minen töf
2«K
Ob mir als Kaiser anterthan
Alle Land' und Reiche wären,
Ich wollt* ihrer gern entbehren
Eh' ich verneint' Euer Gebot.
Ihr sollt mir's gönnen ohne Spott
Dass ich Euch, Fraue, minne;
Denn Ihr habt meine Sinne
Gefinngen und das Herze mein:
Die müssen allzeit bei Euch sein
Bis zu des Lebens letztem Ziel.^
Er fiel ihr mit erhobenen Bänden zu Fössen und sprach: ^Mein
Leib muss sich nach Eueren Gnaden verenden, verliere ich den Leib
auf dieser Fahrt , so tliut es mir herzlich wohl , weil es för Euch ge-
schieht.** Er küsste der Maid den Fuss vor Freuden uqd ergab sich
ihr. ^Gott gebe Euch Hilfe und Rath,^ sprach die wohlgethane Magd,
hiess den Ritter aufstehen und zeigte ihm tnit den Augen, obwohl si
vor der Mutter schwieg, dass er ihr lieb sei, wie das Leben. Da
pflegen noch die reinen Frauen, dass sie in die Herzen sehen un
darinnen suchen und spähen durch des Mannes Augen. Bier folgt di
schöne Stelle über die Augensprache (S. 111):
wan swaz daz herze tougen
wider den friunt valsches hat,
daz ouge ez niemer verlät
ezn meldez mit dem blicke,
ez wenket harte dicke
an im üf unde nider
und zucket sich vil gähes wider,
ezn siht niht göetlichep dar,
niwan daz ez neme war
ob iht ze merken an im si.
da erkennet die valschen bi,
als ich mich versinnen kan:
swä diu ougen einander an
lange sehent äne wanc,
daz der herze und ir gedanc
mit triuwen zuo einander stat;
8wa abe der blic so schiere ergät
da enist niht ganzer triuwen bi,
^ezn kome also daz ez si
daz sin die liute werden gewar:
so läze er sin sehen gar
ern blicke denn undenvilen dar.
Denn wo sich schlimme Tücke
Im Herzen hat versteckt.
Da wird's im Auge bald entdeckt
Das lässt nicht ab und sagt es an.
Es winkt bei einem falschen Man
Und zuckt die Augenlider
Viel hastig auf und nieder.
Solch' Auge nimmer freundlich lac
Und hält vorsichtig Wacht
Ob nichts zu merken an ihm sei —
Den Bösen erkennt Ihr dabei;
Denn, wie ich's Euch versichern kanr
Wo die Augen einander an
Lange schauen ohne Wanken,
Da wisst, dass Herz und Gedank
In Treu' einander entgegen
Wo aber das Auge scheu sich sen
Da ist die Treue nicht vollkoram
Es wäre denn also gekommen
Dass Lauscher in dem Wege
Dann wagt es nimmer scharf
späh'n.
Und nur verstohlen hin zu seh'
(v. 426
ht
n.
n,
kt
^en.
D,
jrn
269
So gesdiah denn sfisses Spiel und Knrzweile von süsser Augen-
weide, dass Jedermann, und hatte er noch so grosses Leid, doch hätte
genesen müssen. Darauf ward ihnen ^geseit si solden üf ezzen gän.
den riter hiez man üf stän von der kurzwile. ez dfthte in wol ein mite
dö er von ir ze tische gie. groezer ere enböt man nie weder ^ noch
Sit deheinem man, als im mit wüleu da wart getin.^ Da sie fröhlich
gegessen und dann noch zasammengese&sen waren, gaben ihm die
Fraaen gute Nacht. So hatte der Tag ein Ende. In einem wonnig-
lichen Saal ging Herr Wigalois schlafen; da sah er von der Burg zu
Lhal eine Brunst in dem Walde: er forschte gleich, wo das sein möchte.
Sie sprachen: ,.Das ist zu Komtiu, da unser Herre nahm den Tod; da
bort man Jammer und Noth die lange Nacht bis an den Tag; doch
steht das Haus immer wieder unversehrt. Das Wehegeschrei dauert
die ganze Nacht, tagsüber ist Alles «tili. Es ist uns eine Sorge, dass
wir dem Dinge noch nicht auf die Spur kamen (dass wir noch nicht
gesehen mochten, wo oder wie es geschieht), es spuckt schon an zehn
Tahren und was Nachts verbrennt, steht Morgens doch unversehrt da.
Ein breites Moos und ein See hat das Haus ganz umfangen, Niemand
kam seither mehr dahin; auch geht nur ejn Weg, der mit Stein wänden
beschlossen und behütet ist, so dass, Jeder, der dahin kehrt, es schwer
zu büssen hat, es sei denn, dass Einen das Thier leitet; wer nach der
Aventiure fährt, den bringt es dahin. Der aber theile sein Gewinn
mit wem er wolle (fügt der Aufschluss gebende Truchsess bei) ich will
sein Geselle nimmer werden, ich weiss, wie es darum steht. ^ Herr
'Wigalois vertraute aber auf Gott, bot Allen gute Nacht und ruhte bis
zum Morgen ; seines Rosses man mit Fleisse pflag, es ward da trefflich
t)eschlagen; sein Eisengewand trug man in ein Fegefass (vegevaz), wo
man es so fleissig fegte, dass es blank wurde wie Eis.
Frühe wecken den Ritter mihnigliche Sorgen und Sehnsucht; dem
leil. Geist zu Ehren Hess er eine Messe ^hgen und bat Gott durch die
Teine Magd um Sieg. Als das Amt gethan war und der Pfaffe gehen
"wollte, stund der Ritter und bat um den Segen „als wir zer noete hiuto
pflegen. '^ Der Priester kam eilig wieder, mit grosser Inbrunst (jämer)
Iniete er vor dem Altare mit Gebet. Wir erhalten hier eine nicht un-
interessante genaue Beschreibung einer Schwertsegen-Ceremonie.')
£ine Reliquienkapsel (kefsen) nahm er von der Stätte voll von Heilig-
*) Vers 4.390 ff. Pfeirrer $. 115 - Vgl. oben Pn-cival 254, 10. Ein Nach-
ball der allen Siegeswaffen^ die ehedem Wiiolan verlieh, wm sich allgemach
bis auf Freikugeln und Passauerkunst auswuchs, die besonders durch Kaspar
NeitiMrt .1611 m BlOihe kam.
270
•
thnmes; von Elfenbein war die eine HUfle, die andere atis GroW und
Gesteine. Der Priester aber war gar ein würdiger Herr (äne meil und
ledic aller bosheit), sein Haar grau und roth, sein Bart lang und breit;
reich war er gewandet, sein Pelz von feinem Grau, mit blauem Sammt
stattlich bezogen und spannenbreit mit einem Zobel ^gevideret^; er
trag einen Mantel von Luchsfell, mit Siglat bedacht. Alle schwiegen;
der junge Degen neigte sich und empfing den Segen mit Heillhum und-
mit Munde. Manches Auge wurde roth. Der Priester haftete um sein
Schwert einen Zettel (strihte im umb sin swört einen brief) der gab
ihm festen Mnth, der war fiir allen Zauber gut. Das dankte er ihm
und befahl sich Gott. Darnach ward er durch einen Boten zum Inibiss
genifen , der jedoch für die bevorstehende Arbeit nicht sehr gross war;
hierauf ging er zu den Frauen und nahm Abschied; sein festes Herz
Hess er bei der schönen Maid, ihr krankes Herze nahm er mit. Nun
sagt mir, wie sein werde Rath der nie ein krankes Herze hat, wenn
er zum Streite reiten soll? Da hilft die Minne zu aller Zeit.
Er neigte sich vor den Kinden, von Mann, zti Mann. Nur ein
Wunsch begleitete ihn, da er sich waffnete; Frau Larie sandte ihm
eine Gabe, die sein Herz erfreute, das war eine Tasche von Pfeile, ein
Brod lag darin , das» von Würzen so grosse Kraft hatte , dass Einen
der Hunger verlässt, wie er es nur an den Mund bringt. Sieben Nächte
hätte er in einem Walde zubringen können ohne andere Nährung, wenn
er davon nur ein wenig genoss; dafür sagte er der Geberin Herzensdank
(gnadet ir wol tüsent stunt). Nun kam ein Bote und sagte, wie das
Thier vor die Burg gekommen wäre und gegen den Wald ginge. Herr
Wigalois ritt balde mit schwerem Herzen vor das Thor und sah das
Thier gegen den Wald fliehen. Da beschleunigte er die Fahrt; als er
es erreichte, spielte das schöne Thier mit ihm wie ein Hund, aus Freude,
dass er gekommen war; darauf eilten sie auf engen Wegen mehr den
zwölf Meilen bis der Wald ein Ende hatte. Bei einem Fels kamen sie
an das Burgthor, welches mit so tiefen Gräben umgeben war, dass die
Stimme eines Menschen aus der Tiefe herauf nicht mehr gehört würde,
Ueber mächtige Pfeiler ist eine Brücke geschlichtet; an den Pfeilern
war ein Fallthor (slegetor) angeheftet, das Hess der Pfortner (portenäfere)
gleich nieder, als das Thier der Brücke zulief; dann ging er wieder
ins Haus zurück, denn er kannte dessen Flammenhauch (sinen blast
sd grözer hitze vol) gut; was es anhauchte, brannte gleich ,,als ein
mies," Steine und Eisen wie Stroh. Dem Thiere ritt er nach in das
Land Korntin. Das war überall wohl gebaut; wie eine Hand; Wein-
wuchs lag auf Berg und Hügel. Hier sah er ein trauriges Turnei: in
kurzer Weile wurden viele Speere verstochen^ die starken Schilde zer-
271
brocheii , sie jagten und wichen recht wie sie sollten und vergalten es
daiin flugs wieder mit Stichen und Schlägen. Zwischen zwei breiten
Wegen begab sich das (was diu storie). Der Ritter waren gerade
hundert und drei. Man hörte da nur immer ^we! We!'' von ihren
krojiren; ') Herrn Wigalois bedünkte, als ob es nicht rechte Leute
wären, iWe Ritterschaft schien ihm verdächtig, ihre Wappen waren
alle kohlschwarz und zinnoberrothe Feuer darein gemalt. Seine Mann-
heit und sein Sinn zwangen ihn , hier seiner lieben Amie Larie wegen
einen Speer zu verthuu; er begann also «.zevalier^O ^u schreien. Ein
Ritter kam und Wigalois versticht einen Speer, aber Eisen und Schaft
fingen gleich Feuer, auch hielt sein Pferd die Hitze nicht aus, sondern
drängte weiter. ^Herr Grott! gedachte Wigalois, wie steht es hier um
diese Ritterschaft, dass Eisen und Schaft gar verbrennen! möchte doch
wissen, wa« das fÄr Leute sind und welches Leben sie führen. ** ') Die
Unheimlichen erfreuten ihn nicht, er sah, Gott habe ihnen dieses Leben
nur zur Busse gegeben und ritt seinem Thiere nach vor das Haus von
Komtin. Das Land war reich, die Mauer glänzte wie Glas, lauter und
reine von edlem Marmorsteine war sie gebaut; innen lag ein unbe-
deckter Palas von klaren Krystallen gewölbt, so dass man Alles sah,
was darinnen war. Vor dem'Thore lag ein Anger, tlarauf stand (dar
üf was gebeizet) ein Baum, von dessen süsser BItithe reiner Duft (smac)
ging. Dahin lief das Thier und verwandelte sich alsbald in Menschen-
gestalt: Nun hatte es Zöpfe wie ein Weib, Leib und Kleid schienen
Sonnenlicht, sein Haupt war schön mit der Krone geziert die das Thier
getragen. So Seltsames hatte Wigalois in seinem Leben noch nicht
geschaut. Er erschrack und sprach: .Herr Gott! was soll das sein?*
Er wollte zu dem Manne hin, da ward der Anger durch eine unsicht-
bare Wand abgeschlossen und unerreichbar (beslozzen mit gotes tougen).
Er mühte sich vergeblich dem Manne zu nahen. rS^g a^u, sprach er,
ob Du ein Mensch bist und an Christus glaubst, und wie es um Dein
Leben stehe, jetzt ist Dir wohl, aber Dir war wehe, wenn ich mich
recht versinne. Gott hat Wunder an Dir gethan, erst warst Du ein
Thier, nun bist Du ein Mann.*
Er antwortete : ^D e n Du mir genannt Den habe ich stets bekannt
und glaube, dass Er der wahre Krist immer war und immer ist und
M ,,kroijireii^ nannte man das beim Zweikampf oder Turniere übliche Rufen.
') Scbevalier^ Cavalier.
^) Es isl ein in der heuligen Volkssage noch wiederkehrender Zug , dass feu-
rige RiUer miteinander streiten, vgl. fiirlinger u. Bück Volksthümliches
«es Sdiwahe«. 1861 I. 2«5.
272
dass ohne ihn nichts genesen mag*. Ich habe leider seinen Schlag und
Zorn verdient; meine arme Seele ist verloren, will £r mir nicht gnädig
«ein. Nur ^u dieser Stunde habe ich täglich Ruhe ; ich war Herr über
dieses paradiesische Land, Leute und Gut waren mir unterthan, da
gab mir Gott so guten Muth, dass ich die Armen hieher immer kommen
Hess, so viel ich ihrer -fand, beric^th ich sie eigenhändig mit Speise.
Seit zehn Jahren kam ein Wurm in dieses Land , der es bis an das
wilde Moos veirwüstete ; Mann und Ross trug er fort, von dem Gestank,
der ihm aus dem Halse geht, verdürbe ein Heer; wer ihn besteht, der
hat den Tod an der Hand. Dich hat Gott hergeschickt, dass Du
uns erledigen sollst; dadurch erwirbst Du Dir den Sold, der Dich immer
froh macht: meine Tochter Larie und das Land Rorntin. Ja, um Dir
noch mehr zu sagen (fahrt er mit ganz dantesker Schilderung iu
seiner Erzählung weiter) die Ritterschaft , die Du eben an der Strasse
gesehen, ist unvergleichlich reich an Qual, sie brennen immerdar in
der Hölle Fpuer. Ruhe ist ihnen selten. Sie wurden Alle bei mir
erschlagen , als der ungetreue Mann mir Lebep und Land abgewann.
Rdaz von Gloys heisst er; viel edle Degen erlagen von seiner Hand,
sie haben so gestritten, dass sie diie Ehre verloren und den Tod von
seiner Hand erhielten. Sein Haus liegt hier nahe. Wie kühn er
sei, den Wurm durfte er doch nicht bestehen, obgleich er täglich dei
Schaden sehen musste, den er seinen Leuten that^ Der schöne Mani
brach von dem Baume eine Blüthe und gab sie dem Ritter, dann könne^^^ ®
ihm der ,,boese smac^ nicht schaden; an dem Burgthor stecke «ine-.^^ ^
GIävie,') die ein Engel brachte, wider die schützt kein Hörn,
noch Eisengewand. Im hintersten Indien ist ,,einer slahte stal,^ dei
ist so hart, dass er den Stein rechte schneidet ^ais ein zein^;*) dabei
ist die ,,glävie^; sie steckt in der Steinwand; nimm sie, Held,
reite auf die Haide, da weidet der Wurm am Abend. Was sich
') „glävie^ Lanze, wohl auch nur die angeschariete 'stählerne Spitze s o. S. 16^
*) Die Stelle lautet: in der innern Indtd
dd ist einer sldhte sldl^
daz hdt von gofde röliu mdl
und ist' so harte daz ez den stein
rehte snfdet als ein zein.
Ohne Zweifel ist das kein von Di« hterphanlasie (^eschafTeiies Wunder, son-
dern man kannte im XIII. Jahrh. bereits den indischen Stahl, der scbon liei
Griechen und Römern in hohem Ansehen stand und durch den Levantischea
Handel im Miltelaller nach Deutschland kam. Damals war die Kunst den Stab!
so zu harten, dass er Stein und Eisen schneidet, bei uns noch unbekanat.
Noch in der Mitte des XVi.' Jahrh. machte es grosses Aurseben, als iler
Grossherzog Cosmus (1555) die Kunst einer solchen Slahlhariung auffand. Die
^röliu mal von golde^ sind vi'abrscheinlicb nur Verzierungen, ^als ein zeio,*^
' es durchschneidet den Stein, als wenu er nur ein dünues Stäbchen wire.
278
Lebendiges z^igt, Leute oder Vieh, das trägt er hin. Niemand kann
EU{ Flacht denken, denn Alles ereilt das wilde Thier wie im Spiele. Mit
ketnem Geschosse ist es zu versehren; auch gibt es kein ^gesmide,''
las den Wurm verletzt, ausser der ^glävie.^ Sonst liegt er in einem
tiohleo Steine, von wo ihn nichts verlockt. Gelingt es Dir auch, ihn
KU erschlagen, so verlierst Du doch so viel Kraft dadurch , wie vordem
nie; bedenke das wohl zuvor. ^ — Nun erfahrt auch Wigalois, dass der
io gerühmte und leuchtende Held Gawein sein Vater sei. ^Dir mösse
Saide und Ehre geschehen, sprach ^diu sdle^ weiter; nun aber beginnt
die Zeit, dass ich bis morgen Früh in dem Hause brennen soll, ist
die Zeit vorbei, so ist mir eine Stunde wohl; ich büsse schon ins
zehnte Jahr, darnach bin ich meiner Sünden ledig. Du aber, Held, sollst
in Deinem Gebete der viel armen Schaar gedenken, die vor mir in das
Haus fährt und leider noch unerlöst isty Du bist ihre Hülfe und ihr
Trost und erhältst hohen Lohn, wenn Du den Heiden, dessen Leid ich
lange mit Leide trug, besiegest. Gegen Treu und Glauben schlug er
mich, als ich ihm meine Dienste bot, so kam ich in diese Noth und
litt mein armer Leib den Tod.^
Da kam die jämmelt'liche Schaar wieder angeritten , bei welcher er
irorhin seinen Speer verstochen, sie stiegen Alle ab, als sie an den
Anger kamen, nahmen den Speer auf die Achsel und zogen einer nach
öem anderen in das schöne Burgthor ein. Wigalois aber nahm die
^^ävie,** die in der Felsenwand, wie in einer Tanne haftete; der auf
^em Anger aber ward wieder in Thiergestalt verwandelt und ging wieder
in das Haus, das von seinem Hauche hellauf erbrannte.
Indem Wigalois weiter ritt, fand er eine Steige, die ihn an einen
See brachte. Da schrie ein Weib jämmerlich um Hilfe, mit ^gezaitem
fajebende" lag sie auf dem Gras,' rang ihre weissen Hände und zerraufte
ihr Gewand und ihre Haare. Ihr Leib war, wo man ihn sah, wie
^hnee (ir lip was, swä er blähte, alsam ein sne), ihre Brust aber mit
IBlnt unterlaufen, sie hatte mit Schlagen und iRaufen ihren Leib ver-
dorben. So lag die Arme; der lichte Tag war ihr wie Nacht, sie hörte
^nd sah nicht mehr vor Herzeleid. Der grosse Wurm Pfetän hat eben,
odfi sie mit Federspiel ritten, ihren Mann geraubt, selbvierte trug er
Shn hin mit den Rossen, als wäre es nichts. .Ich ritt zu beizen alleine
^^oraus^ so entkam ich dem Tod, ^ erzählt die Arme. Wigalois folgt
gleich der Spur nach, vorher nahm er jedoch aus der Tasche noch das
ISro4 and das Blümelein, um sich durch Speise und Geruch zu stärken.
^-Scbon war es. nahe der Nacht, er trabte einen Berg hinab, da hörtt'
^ schwere Aeste fallen, und die Bäume brachen, wo der Wurm hin-
schleifte; was er mit seinem Zagel begrief, brs^ch er Alles nieder. Bald
274
sah der Kühne das ungefüge Vieh, den Wurm Pfetdn ^eiBÜchen^ gelMO,
solch ungeheuere ^.kreatiure'^ war nie geschaut: Sein Haupt var uu-
massen gross, schwarz und rauh, der Schnabel klafterlang und ellenbreit,
vorne zugespizt und schneidig, wie ein neugescMiffener Sperr. In seinem
Rachen (giele) hatte er lange Zähne wie ein Schwein, fiberall breite
hömene Schuppen, vom Haupte hinab stund ihm ein scharfer Grat,
wie das Krokodill hat, womit es die Schiffe spaltet (als der kokodrille
hat d$ er die kiele kliubet mite). Der Wurm ^hdt nich wurmes site
einen laugen zagel,^ damit hielt er die vier geraubten Ritter, die kaum
noch lebten. Mit drei Ringen hielt er sie, bis er sie essen wollte. Eiuea
Kamm hatte er , wie ein Hahn , sein Bauch war grasgröa , die Augen
roth, die Seiten gelb, rund war der Wurm wie eine Kerze, sein scharfei
Grat war fahl, zwei Ohren trug er wie ein Maulthier, sein Äthem abei
stank mehr als lange in der Sonoe liegendes Aas; dazu hatte er Grei
fenftisse, aber rauh vrie ein Bär und schöne Fittiche gleidi Pfauenge
fieder. Sein Hals bog sich hernieder ins Gras, seine GkirgeP)
knorrig (knurren) gleich eines Steinbocks Hörn.
Der Ritter betete zu Gott gegen deü ireisen Wurm, nahm
beiden. Händen die ^glävie^ und stach den Schaft bis an die Hand
Wurm ins Herz. Von seinem Brüllen erhallte der Wald, der W
schlug um sich, dass die Bäume barsten. Schnell wendete der Ritte:
sein Ross, der Wurm liess die Ritter los, kehrte ihm nach und hatU — ^e
ihn bald ^ervarn^; er zerrte ihm ab das Eisen, die Panzerring ^^^
^begunden risen als waere ez ein dürrez strö^; er nahm dem edle ^a?
Ritter Kraft und Sinn, drückte ihn, da^s ihm das Blut aus Nase mL. W
Ohren sprang, dann warf er ihn wie einen Ball an den See hinal^ ;
Schild und Eisengewand waren an ihm zerdrückt, doch hielt er dm^
Schwert noch fest. Der Tod hatte an sein Leben nahe gezückt, aodi
das schöne Ross lag bei ihm „zerzerret unde zebrochen.^
Die drei Ritter, die der Wurm eingeringelt hatte, waren erdrückt,
der Manh jener Frau aber, die des Wigalois Erbarmen erregt hatte,
lebte noch ; als sie ihn wiederfand , lachten und weinten ihre Aogen zu
gleicher Zeit. Da ihre Burg nahe lag, so Hess sie die Todten auf Roaw
heben und dahin tragen. Aber der Rittetr« der den Wurm erschlagen,
ist nicht zu finden, die Gräfin Moral (so hiess der Herre) versprach
grosse Gabe dem, der ihr Kunde bringe. Ein armes Weib, das mit
ihren sechs hungernden Kindern am See fuhr und ein Mann, der aus-
ging. Gras zu schneiden, finden den Ritter wie todt liegen und zieheo
ihm seine Waffen ab, die Frau fand auch den herrlichen Gürtel, rollte
') .drozze^ Drossel, Hals.
i
275
isammen und steckte ihn heimlich za sich; so „eDtnacten^ sie ihn
Da er noch einige Lebenszeichen gibt, so räth die Frau, ihn völlig
Lten, schleifte ihn an den See und wollte ihn ertränken, was der
gerade noch verhinderte (S, 140, 9 flF.):
ouch noch ein übel wfp
danne dehein man:
si niht bedenken kan
r dar nach kümftic si.
lein wip diu sint fr!
Übels: daz weiz ich wol:
liu herze sint guotes vol.
I, der daz verdienen kan
i ein edeliu frouwe an
güetlfchen siht.
»et er da anders niht,
ut ez in doch verre baz
ob er verdienet daz,
n ein onedele wIp
gaot unde Ifp.
si fröude wellent geben
lac vil deste gerner leben,
n man die frouwen sol
läze haben wol:
daz gtt vil süezen zol.
Es ist ein böses Weibsbild eben
Viel schlimmer noch, als je ein Mann,
Weil sie nicht ermessen kann
Ihrer ewigen Seele Gefahr.
Die edlen Frauen sind frei und baar
Von allem Uebel, das weiss ich wohl,
Ihr Herz ist jeder Tugend voll.
Und wohl dem der^s verdienen kann
Dass eine reine Frau ihm gann.
Ihn auch nur freundlich anzuschauen :
Und erwürb' er von ihr nichts wei-
ter, traun.
So ist er zehnmal mehr beglückt.
Als hätte ihn mit Fleiss berückt
Ein schlechtes, verbuhltes Weib,
Und bot' ihm Gut und Leib. —
Wem sie Freude wollen geben
Der mag viel selig allzeit leben.
Dcsshalb man die Frauen soll
Ohne Maass ehren und halten wohl,
Ihr Lohn der gibt viel süssen Zoll.
Jnterdessen wird Wigalois doch gerettet. Graf Moral hatte mehrere
n in der Nähe, auf einer derselben waren mehrere Jungfrauen im
ischeine noch ausgegangen, die das Blinken des weissen Halsberges
ondscheine wahrnahmen, und da man, wie allbekannt, über das
er besser hört, so lauschte Eine von ihnen und gewahrte, wie das
Weib .den Ritter so „entnacte,^ dass kein Faden an ihm blieb;
3r „schämte sich niht hares groz,'' denn er hörte und sah nicht,
schöne Gestalt erweckt das Mitleid der Alten, sie giesst ihm
Wasser ein, das war seine ganze Stärkung. Sorglich ihren Fang
rgen, dass sie ihn unbemerkt zu ihi'er mit Rohr und Reisig ge-
rn Hütte brächten, ruderten (fiuzzen) sie leise ans Gestade und
i den Harmasch in ihr Gemach. Das ersah nahebei eine der
n , ging nach und lugte durch den Zaun hinein , da sah sie den
Helm, Schild und Eisengewand, eine Fackel leuchtete dazu; sie
;en den Fang fttr mehr als tausend Pfund an und hielten sich für
^eu. Ein bellender Hund vertrieb die lauschende Frau zu ihren
elen, welche sie ausschalten, leise gingen sie zu ihrer Herrin
fy welche den Verlust des mannhaften Ritters beklagte, morgen
18*
276
solle das Landvolk mit dem Kreu?/ einen Lobgang durch den Wald
halten, weil Gott sie von dem Teufel erlöste, mit allen Leuten wolle
sie dann nach denj Ritter suchen. Sie beschrieb sein Pferd und die
Rüstung genau, er habe einen weissen Halsberg und kostbaren Helm
gehabt, auf dem sich mitten ein Rad befand, welches umlief, wenn er
buhurdirte; ') feiner Zobel lag als Decke über den Helm und eine
schmale goldene Leiste über den Augen, darunter leuchtete der Helm
hell wie Glas; von Goldbrokat (genageltem pfelle) war sein Waifenrock,
schwarz der Schild und ein goldenes Rad darauf, das hatte sich die
Frau wohl gemerkt. ^Er war sicherlich ein Ritter der Tafelrunde, von
der ich einmal einen Ritter sah, der wohl hundert Speere zerbrach und
zwölf fromme Ritter fing. Damals, als ich jenen Ritter sah, war ich
noch ein Kind (erzählt die Fraue weiter) und das Stechen geschah
vor meines Vaters Hause, der Ritter hiess Gawein; an seinem Schilde
sah man ein goldenes Bild der Tafelrunde, darin war ein weisser Hirsch
gemalt (von . kriden) auf einem goldenen Berge. Das gleiche Wappen
sah ich jetzt an dem Ritter, der nicht erschrack, für mich in den Tod
zu reiten und ohne den Ihr, m^in lieber Herre, todt \äget,^ — Da erwog
die schöne Magd, was sie gesehen, kniete vor ihrer Herrin nieder und
erzählte alles. Die Frau beschloss gleich zu der bezeichneten Hütte zu
gehen, die, wie das Frühere, so ausfuhrlich geschildert wird, als hätte
der Dichter ein selbst erlebtes Erreigniss vor Äugen. Sie fauden-den
Mann am Feuer sitzen ; bittere Armuth war bei ihm zu Hause ; Armutfa
und Elend sind meist beisammen und nur die Freude hält es mit den
Reichen.') Da sass er und sann, wie er die goldene Zier heimlich
verkaufen könne. Unterdessen kamen sie „für den gl^t* und verlängten
Einlass bei seinem Leben. Das arme Weib erkannte ihre Herrin und
öffnete erschrocken über so ungewohnten späten Besuch. Der Bauer
warf sich auf die Ercle, überantwortete den Raub und versprach sie
zu dem Ritter zu führen. Freudig gab sie ihm dreissig Huoben zu
eigen und Hess ihn das beste Haus auswählen. So gewann der Arme
frohen Muth, Heil und Segen. Nun beginnt der Dichter ein dialdLti-
sches Zweigespräch, wie sonst die Minnesänger, z. B. Ulrich von Lich-
tenstein, zwischen Herz und Verstand zu führen beliebten. Da fragt
mich mein armer Verstand (kranker sin, des ich gar äne zwivel bin):
*) Aehnliche Kiinsilichkeiren müssen wirklich bestanden heben, der Riese Melwin
hat einen solchen Helm. \^\, o. S 237 in der Beschreibung äes Grallempels.
') ez h^t diu gröze armuot
zno im gehQset in dem gl6t,
da selten fröude bi besllt.
diu armuot mit jdmcr lit:
diu rlcheit allez fröude gtt.
277
Sag an, Wii^it, ist das wahr: mag Jemand ohne Gut der Welt genehm
sein? Darauf erwidere ich meinem Zweifel: Gewiss, ja, so dünkt es
mich. — Mit Verlaub (entriuwen) ich wähne anders. Was frommt Dir
Leib und Muth, bist Du gar ohne Habe? — Nun höre, das will ich Öif
sagen, wie ich mir die Gunst der Welt bejagen will (v. 5765 ff.) :
„ich wil zuo den besten gen
und wil mit miner kunst begen
and mit mfnen zühten daz
daz ich in gevalle baz -
danne ein guoter rtcher man,
der deheiner slahte ^oge kan.^
^daz lä sln'"^ sprach der sin.
^sit ich dir so nüt^e bin,
ich frum dich als ich beste kan:
dan gezwivel niemer an.'-'
der rede wart ich harte frö
und behabte iedoch den strit also,
daz werder ist ein sinnic man
dem, der in erkennen kan,
danne ein man, der allen rat
äne ganze sinne hat.
die rede ir mich niht liegen lät! —
^Ich will zu den Besten dringen,
Und will mit meiner Kunst erzwingen
Und meiner Zucht und Sitte das:
Dass ich ihnen gefalle bass
Als ein schwerreicher Mann,*
Dem Gott nicht Wort und Änmnth
— ^Wohlan denn (sprach der Sinn)
Und wenn ich Dir so nütze bin.
Will ich Dir helfen wie ich kann
Da zweifle femer nimmer d'ran.** —
D6r Rede war ich herzlich froh
Und entschied die Frag* also:
Dass werther sei ein kluger Mann
Dem, der ihn erkennen kann
Als wer alle Schätze hat
Doch keinen Verstand und Rath;
Ihr aber, macht mein Wort zur
Thatf —
Unterdessen hatte Wigalois sich aufgerichtet und an einen dürren
Storren gelehnt, der arme Mann weiss selbst nicht mehr, wer er sei,
zum Glück fand er die Tasche mit dem Brod und der Blüthe und nun
erinnerte er sich an Larie mit lautem Jammer. Seine Klagen hört die
edle Frau, welche unterdessen auf einem Schiffe ausgefahren war, den
Ritter zu suchen; er barg sich mit Mies und Gras; sie zog sogleich-
ihren eigenen Pelzrock aus und führte deä Ritter auf ihr Schloss, wo
Alles hinzueilt, um den Helden zu sehen,* der den Wurm erschlagen.
Dort ward ihm gute Pflege uqd Gemach, dass er sein Siech thum über-
wand, doch hatte er nicht nur den Verlust seiner Waffen, sondern auch
den seines unschätzbaren Gürtels zu »beklagen, den ihm der Dichter
wahrscheinlich desshalb nicht mehr zukommen lässt, um ihn auch
überwinden und die darauf folgenden Siege des Helden im desto helleren
Lichte seiner persönlichen Tapferkeit leuchten zu lassen.
Wie er nun einmal traurig dasaSs , den Kopf in die Hand ge-
senkt, ') gab ihm die Frau ein werthvolles Streitross (besser denne
') daz siht euch noch ein iesltch man mit lihter kunst dem andern an daz stn
herze swaere Ireit, ^wenner in sine ha nt leit daz houbet und ez geneiget hAt.
278
hundert marc) und ein Eisengewand, das sehr berühmt war und eine
eigene Geschichte hatte. Dreissig Jahre lang hatten die Zwerge daran
geschmiedet, Könige hatten sich darum bekriegt, bis es in den Besitz
des Grafen Moral kam, der es in einem eigenen Sack (sarbalc)')
aufbewahrte. Als Wigalois mit diesem sich waffnete , ward sein Herz
wieder stark und unerschütterlich wie' zuvor. Der Wirth band ihm
eigenhändig den Helm mit dem goldenen Rade auf, an seinen Speer
heftete man einen rothen Sammt, das bedeutete, dass er an diesem
Tage in den Tod reite. Der Wirth wollte ihm auoh einen Schild mit
einer Greifenklaue geben, doch behielt Wigalois lieber den seinen bei,
um als Ritter der Tafelrunde erkannt zu werden. Sein Waffenrock war
freilich durchstochen und zerrissen, doch trug er ihn seiner Frau zu
Ehren. Das süsse Weib heftete ihm weinend das Schwert um und bat
Gott für ihn; glücklicher Weise hieljt Wigalois nicht auf Aberglauben,
detm die meisten Ritter wähnten Unglück zu haben, wenn sie d
Schwert aus Frauenhändea erhielten.') Wigalois hatte keinen ^nnge
lonbe^ weder im Hause noch auf dem Felde, es war ihm gleich, w
ihm Morgens entgegenkam,') oder wie oft eine Krähe schrie, wie vie
Sperber (musaere) ihn umflogen , mit ähnlicher Bosheit und Aberglau
ben rauben wir uns nur die fröhliche Zuversicht (saelekheit). Wigaloi
bat den Wirth, die „glävie** zu suchen und bis zu seiner Wiederkeh
aufzubewahren, so ritt er auf einem blutrothen Ross (daz was in ^tne
varwe gar rebte röt als ein bluot) weiter in das Land „ze Glois,^
der Heide sass. Sein ^gemüete'^ ftigte es, dass er die Strasse übersabrv
und in einen Wald gerieth, wo viele gefällte Bäume und „ganze ronen**^
lagen, ^) dass er absteigen und sein Ross ziehen musste, dann setzt
er auf einem Flosse über ein Wasser , worauf ihn aus einem hohle
Steine ein ungeheuerliches Weib anlief; sie war schwarz und raah
ein Bär, grosse Schöne und holde Gebärde war ihr theuer; ihr Haar
lang und ungeflochten schwang sich ihr um Bug und Hüften ; ihr Haupt
war gross, flach ihre Nase, wie Kerzen flammten ihre Augen; ihre
'i sfirhalc, der lederne Sack, worin der Harnisch aufbewahrt wurde. Vcryl.
Grimm Hildebrandslied. S. 10.
<) Wein hold Deulschc Frauen. S. 394.
') ^sw8K im des morgens wider gi«/ ein bekannter Jägeraberglaube, der Bei-
5ende nimmt vom Begej^nen mit Schafen oder Schweinen gute oder iihle
Vorbedeutung. Schon Bonifacius eiferle dagegen (Fehr Aberglaube Aes
MitlelHllers. 1857. S. 69), ebenso gegen die Beobachtnng der Glucks- oder
Unglück.<(vögel ; die Krähen gellen in Tirol häufig als Hexen. Vgl. Alpen-
burg Mythen. S. 258. Zingerle Volksmeinungen. S. 47. - Der ^mOsaere'^
ist eine geringe Art der zur Jagd abgerichteten Vögel.
*) Die Nennung der Boneo weist auf den fränkischen Boden. Vgl. oheo
S, 170. Parc. 265, 17.
Brauen waren lang and graa, grosse Zähne, weiten Mund hatte sie
and Handsohren, die spannenbreit niederhingen. Ihr Rücken schien
verkrümmt and auf dem Herzen trug sie einen Höcker (hover) wie ein
Hot. Trüge Einer ftlr sie hoben Math, der hätte wohl nicht Frau
^Entten^ gesehen, von der Herr Hartman (von der Aue) behauptet^
sie sei (wie ihm sem Meister gesagt hat) die schönste Magd zu Karidol.
Greifenklauen trug sie an allen Fingern; „rote und linde ballen ') die
omn an schoenen frouwen siht^ hatte sie nicht „si wären ir herte als
einem bem.^ Wem sie ihre Minne gewähren wollte, das wäre ein
saneres Rosen (sürez trüten). Die wonnigliche Fran „Jeschüte'^ war
ihr wenig gleich , die Parcival eines Tages überfiel , wie sie in ihrem
Zelte schlief, der ihr Ring und Spange nahm ond sie küsste an den
rothen Mand, „als in lerte dia muoter s!n.^') Die Beiden sahen sich
gleidh wie eine Biene (bin) einer rf^^^^l ^^^^^ war ungeheuer und
Jeschdte wanderhold (s5 was Jeschüten tiure swaz frouwen Kbe missezara).
Dieses Lob, setzt der Dichter bei, gibt ihr wenigstens „her Wolfram
ein wtse man von Eschenbach;
sin herze ist ganzes sinnes dach,
leie^ munt nie baz gesprach. •* (v. 6346.)
Das Weib däachte ihm unsüsse. Krumme Füsse und starke Beine
hatte sie, so war sie gestalt; „ein kurziu naht diu machet in alt, swer
bf ir solde sfn gelegen: so süezer minne künde si pflegen.^ Sie hiess
die starke Rdel und war so „freislfchen sne),^ dass ihr kein Thier
entrann. Ferdz hiess ihr Mann, den erschlug Flqjir von Belamunt,
indem er sich mit ihm in's Wasser stürzte. — Sie lief Herrn Wigalois
an, ihre Stärke war wie ein Heer , dess versah sich der junge Ritter
nicht, der esigar nicht der Mühe werth hielt, gegen das Weib sein
Schwert zu ftihren ; die Teufelin (tiuvelin) trug ihn fort wie einen Sack,
dass ihm sprechen und regen verging; sie brach ihm das Schwert von
der Seite, zog ihm das Eisengewand ab, band ihm mit einer Weide die
Hände auf den Rücken und zerrte ihn an den Haaren über die Stämme.
Im Begiiffe ihn zu tödten, wieherte des Ritters Pferd, das erschreckte
die Riesin, denn sie glaubte, der Wurm, der sie schon oft von ihrer
Höhle versprengt hatte und den sie allein fürchtete, sei in der Nähe.
Gott aber, zu Dem der Ritter in der Noth betete, verliess ihn nicht,
die starke Weide „da er mite gebunden was nach diebes site^ löste
aieh, sein erster Griff war nach seinem Sehweite, das er nahe liegen
') Weiche ErhÖhnug der Fingerspitzen, die als grosse Schönbeil galten.
>) Vgl. Oben S. 148 (T. Parc 131, 1 (T.
280
sah, er kfisste es und begrüsste selbes acht ritterlich mit feierlichen
Worten.^) Dani^ ging er an den See, zog sein Ross auf den Floss und
^schielt sich mit einem aste über daz breite wazzer hin,^ fand einen
Steig und ritt weiter gegen Glois. Da stiess er auf einen Ritter mit
sechzig starken Speeren, dessen Pferd mit einer grasgrünen und blut-
roten Sanimtkovertiure bedeckt war, im Schildbuckel trug er ein^ goldene
Blume auf .silberweissem Grunde, als Wappen aber eine gleissende
Säule, worauf ein Götzenbild (Machmet) sass, dehn er war ein Heide.
Auch tnig derselbe Teufelsgeselle (tievels trüt) eine Löwenhaut über
den Halsberg und auf seinem Helme einen eigrossen Rubhi; seine
Gestalt war langarmig und kurzbeinig nach Zwergenart, doch stritt
nicht leicht Jemand besser als er. Das war der K5nig Karrioz,
seine Mutter war ein „wildez wip,** daher sein kurzer Leib so rauh-
haarig und stark. Einem Manne war er wie ein Heer; Löwen fing
und erschlug er mit blosser Hand. Karrioz leiarte^) dort zwischen
den Speeren, das war ihm ^vil ungemach^^ als er diesen Ritter sah
so kühne (fräveliche) reiten; zornig nahm er den ersten Speer, der*
zunächst Stack und wendete sich gegen Wigalois, der sich der Ritter-
schaft freute, kunstgerecht schlugen sie den Speer unter die Arme,
die Rosse trugen sie kräftig zusammen, dass sie mit „rtcher tjosf* die
Speere verthaten. Ohne ein Wort zu verKeren, nahmen ^ie den zweiten
Speer, denn der Heide zürnte, dass ihn sein Kämpfgenoss bestand;
wieder splittern die Speere in der Luft (daz ir ietweders schaft gebro-
chen in die lüfte spranc) und die Rosse in die Knie sassen (die hahsen
taten nider) ; so verstachen sie die Speere , dass die Schilde kaum
mehr zu brauchen waren, dennoch war ihr Muth unversehrt Der Heide
nahm einen stählernen Kolben, der ihm am Arme hing, in beide Hände
und ritt gegen Wigalois, der keinen Tritt zurückwioh, sondern das
Schwert zog und auf den Rubin schlug, dass es Funken gab, ihm
frommte, dass er zu Ross besser streiten konnte als der kurze Maiin.
So währte es bb an den Abend, da schlug Wigalois dem Zwerge eine
tiefe Wunde durch den Stahlhut und stach ihn dann du)rdi die Brust,
') V. 6514 fr. 6 wo! mich, swerl, das ich dich hao! nn enist weder wip noch
man, der mich binde dne wer. Af dinem knöpfe; ich <itis «wer: die
wtle ich swert (ragen wil. ez st in ernesl ode in spil, daz ez niemer m^r
geschiht, swd min oiige ihl des sihl daz mtnem Übe geschaden mite« irhn
sliihe iedoch den Ersten slac dem, daz ungfhiure^t. dilz was alter Iriiiwen
Tri, ez biet mir anders widersa^t. ezn wirt hie na nie m^r geklaget, sil
ich min swerl wider hftn. — Eine ähnllihe Schwerlrede im Walt her von
Aqnilanien. Vgl. (irimm Rechlsalterlhümer. S. 165 u. 166.
') ,,leisiren..^ die Bedeulung dieses der Reitkunst zugehörigen Wortes scheint
.zu sein mit verhängten Zügeln reiten, oder vom Pferde gebraucht, im votten
Laufe rennen.
281
dass ^r schreiend (Ynort und oymS) davon sprengte, von seiner Flacht
wirbelte der Staub, in einem aas der Erde dringenden Nebelringe ver*
schwand der Todtwunde. Wigalois war aber wie mit Pech äberträuft,
seine lichten Waffen waren schwarz und sein Boss wie eiq Pechstein.
Weiterreitend auf der Strasse kam er an ein marmelsteinemes
Thor, vor dem efn auf Säulen stehendes eisernes Rad umlief, das ein
durch das faule Moor rinnendes Wasser umtrieb; doch ging es kräftig
genug, um Niemanden darch das Thor zu lassen. Das hatte der Roaz
gemeistert und mit scharfen Schwertern und Kolben beschlagen. Ver-
geblich versachte der Degen durchzukommen, das Rad behütete die
Pfo^; unterdessen rückte hinter ihm ein Nebel an, zwei Speerschäfte
hoch, so dass sich' Wigalois wie in einem Gefangniss (vancnüs) befand:
vor ihm wirbelte das Rad, hipter ihm schwoll (stoup) der Nebel, der
das grüne Laub välbte. Auf solche Weise war er gefangen ; er stieg
vom Pferde und rang die Hände ; sitzend auf einem Steine, das Haupt
in die Hand geschmiegt, den Zaum des Rosses am Arme, begann er
zu schläfern, nachdeni er noch Gott um Hülfe gebeten — und „der
süezen meide kint** half ihm : ein Wind schlug den Nebel in das Wasser
nieder und das ward dadurch also dicke, dass ein Schaft darinnen
stecken geblieben wäre, denö (S. 177):
gute ist niht zu swaere
noch ze groz slner kraft.
Er hat in siner meisterschaft
alle kreatiure
böse unde tiure.
Nichts ist für Gt)tte8 Liebe
Zu klein, noch Seiner Macht zu
schwer.
Er regiert das Heer
Aller lebendigen Creatur,
Ob gering, ob edel von Natur,
die himel Stent in sfnem gebot: i Die Himmel steh*n in seinem Grebot,
aller dinge ist er got ' Aller Dinge ist Er Gott
and diu oberiste kröne. ' Und allerhöchste Krone,
swer nach slriem lone 1 Wer nach Seinem Lohne
gpdienet, der ist der Saelden kint. Gedienet, der ist des Heiles Kind,
ze tröste sande er im den wint. j Zum Troiste sandt'Erihm den Wind.
» *
AJso. stand das Rad stille. Wie aus schweren Träumen wachte
Wigalois auf, das Ross schnaubte upd scharrte, «inen Laden nahm er,
legte ihn in das Rad und zog das Pferd darüber. Als er drüben war,
sagte er Gott viel grossen Dank, dann schwieg der Wind, der Nebel
stieg zmn Hi^iniel, das Wasser floss wieder und trieb das Rad um.
Während Wigalois sorgenvoll weiter ritt, lief ihn ^ein fremdiu kreatiure**
an, die hatte ein Hundshaupt, lange Zähiie^ weiten Mund, tiefe fiam-
tuende Augen, abwärts war di^ Gestalt wie ein Pferd, zwischen Gürtel
Und Haupt wie ein Mann geschaffen. Breite, steinharte Schuppen waren
m
ihr gewachsen, durch die kein Waffen schnitt ^waz gesdiepfde ez waere,
dazu kan ich in niht gesagen.^ Einen grossen ehernen Hafen trug sie,
ans dem sie ein könstliches Feuer warf, welches Bein, Eisen und Stein
verbrannte und selbst wie Stroh noch im Wasser flammte. Diese Krea-
tur - warf nun auf Wigalois Feuer, das Pferd brihinte sogar, dass dessen
Blut zur Erde rann. Wigalois bot gegen den Wurf den Schild, da ent-
zündete sich ^das bret^ und verbrannte ihm vor der Hafid, ebenso sein
' WadFenkleid. Endlich gelang es ihm doch, deip Ungeheuer ein Bein ab-
zuschlagen und eine tiefe Wunde z^ versetzen, so dass der ^välant^
heulend in den Nebel entfloh; mit dessen verlorenem Blute heilte der
Held seine Wunden. — Man sieht, dass der Dichter an dem Ungeheuer-
lichen seine Freude, hat, während Wolfram „der weise Mann von Eschen-
bach^ sparsam damit umging und von dieser Kost nur so viel bot« als
ihm gerade für sein Werk zuträglich und erheblich schien. Das fühlte
endlich auch Wirnt und staunt hier selbst über die ungeheuere Arbeit^
die er seinen Helden vollbringen lassen muss. ^
Als darauf „der möne üz den wölken steic und sin schfn gar Idter^
wart" sah der Degen das schöne Kastei von Glois vor sich. Zwei weitem
Thore von schwarzem Marmor waren an die Burg „gepfilaeret,^ der*
andere Theil der Mauer war grasgrün und roth von Marmor Und miC:
Golde „geparrieret,'' *) auch geglättet (geliutert) wie ein geschliffener'
Stein (äcstein). Im Mondlicht glänzte Alles wie Spiegelglas. Vor denv
Thore stand eine grosse eherne Säule, wie man sie nirgends in der*
Welt findet als in Korinth, die war ganz lauter und regenoogenfärbig^
dass man sich darinnen sehen konnte. Das muss man überhaupt deu
Heiden m Korntin lassen, dass sie sich wohl auf die Kunst verstanden .
Oben war ein Rubin eingefügt wie ein Hut, der wonniglichen Schein
gab und wie ein Stern leuchtete. Diese Säule, die unter einer Linde
stand, war von zwei grauen, über hundert Jahre alten Ritter behütet,
die breite Barte und bortendurchflochtene weisse Haare hatten, sie
sassen auf einer Stufe (grede), ihre Schilde waren am Thore aufge-
hängt. Mit ihnen entspinnt sich ein Streit, in dem der eine Ritter er-
schlagen wird, der andere aber ergibt sich und schliesst mit Wigalois
treue Freundschaft, um ihn in die, Burg zu bringen. Nach seinem Ge-
beiss schlägt Wigalois den ehernen Ring an das Thor und es hallt durdi
die Burg, als ob die Welt in Feuer stünde; mit Zorn scbloss man das
Thor auf, so dass Wigalois in Erwartung der bösen Dinge ein Kreuz
schlägt.
M Ist durch kein deutsches Wort ausEudröiken , der Sinn aber: durch Gegen-
selzung sbsl^chend machen, sich „abheben^ hissen.
^3
Die Maaer war innen golden nnd voll e^len Gresteines, eine lieb-
liche Augenweide. Wigalois hatte kaum Zeit dieses zu bemerken, so
zuckte ein Blitz, als sollte die Burg vergehen und es wurde so finster,
dass man die Hand nicht mehr vor den Augen sah. Er wähnte sich
dem Tode nahe, zog sein schönes Schwert und stellte sich wie ein Bär.
Da kamen zwölf säuberliche Mägde hervor mit brennenden Kerzen, in
bunten, sammtenen Gewanden (vil guotiu kleider heten si an von bunt
und von samite, an ietwederre Site geteilet gel unde röt); sie grussten
ihn nicht, stellten sich aber so auf, dass er sie sehen konnte und gingen
dann in einen Palas; wie er ihnen nachfolgen wollte, sprang aus einer
steinwnrfweiten Pforte der Röas heraus, vor ihm ging eine Wolke, in
welcher, wie Alle mit Ausnahme des Wigalois sehen konnten, ein Teufel
steckte, dem sich der Burgherr mit Leib und Seele zu eigen gegeben
hatte und der ihm daför Tag und Nacht diente. Roaz hoflfte auf seines
Teufels Beistand, der junge Mann aber war festgemacht (gewamet) mit
einem „briefe, dem im. wart gestricket an siner vart umbe sin swert
mit gebete und mit dem kriuze, daz er. tete für sich, do er ze dem tor
in gie.^ Wigalois hoffte sich leicht zu erwehren, doch verrechnete (über-
dähte) er sich.
Das Thor wurde geschlossen. Wie ein Gigant schritt Röaz in seinen
Waffen einher, ein achreckliches Schwert fiihrend (des ecke nach dem
tdde sneit) und einen Schild, daran ein Mann auf seinem Rücken genug
zu tragen gehabt hätte, er wäre gerade recht gewesen um eine Brücke
über einen Bach abzugeben; daran sah man von Lazur und Gold ^inen
scheusslichen Drachen gemalt. Ueber die Brünne trug er einen weissen
Halsberg von heidnischer Arbeit, von breiten Homplatten gefügt (von
breiten blechen hürnin) und mit Edelsteinen bespickt. Sein Helm war
von detnselben indischen Stahle wie die ^glävie** (die in dem Drachen
stocken blieb) und härter als Krystall; um den Helm ging eine zwei
Pinger breite goldene Leiste, darauf ^mit gesmelze was in geleit ein
adamas,^ ein goldener „tracke" war darauf gemeistert, recht als ob er
lebte und auf dem Helm sässe; seine ^Wnhosen^ waren gut. Nach ihm
kam sein Weib, Frau Japhfte, welcher von Mägden grosse gewun-
dene Kerzen vorgetragen wurden ; die Maide gingen zwei und zwei neben-
einander, über die Mäntel hingen ihre mit Borten und Seiden wohlbe-
wundenen Zöpfe herab, sie mussten sehr schöne sein, denn der Dichter
ftkgt bei: ^swer von in solde liden trüten unde minne, dem waeren sine
^nne wol getiuret da von.^ Neben je zweien ging „vil süeze videlnde^
esin Spiclmann, von denen Keiner um einen Wink falsch die Griffe
setzte (der deheiner dem andern nie einen grif übersach), zuletzt (ze
aller jungist) folgte Japhite unzweifelhaft die schönste von Allen. Sie
284
trug einen mit Pfeile überdeckten Zobel (den ihr Herr weit fiber die
See gebracht and den Salamander im Feuer gesponnen hatten 0 und
eine goldene Krone; an ihr war Ehre und reine Sitte und nicht der
geringste Mackel, nur dass sie nicht getauft war. Sie sass auf einetn
mit Polstern (betten) und Teppichen (tepeohen) überdeckten hohen SiU^
(bracke).
Roaz gebot seinen Leuten, dass ihm Niemand mit Rath oder That *
beistehen dürfe, ginge es wie es ginge — das war' auch heute noch
gute Sitte. Die Beiden gerathen ganz gewaltig an einander; R6az trieb
den jungen Helden mit grimmen Schwertschlägen hin und her, dass er
vor Frau Japhitcn in das Knie brach, der gedachte aber der schönen
Larie und blieb dem Heiden nichts schuldig; er stach ihm eine Wunde
in das Bein; sie trieben sich um, dass nichts mehr von den Schilden
übrig blieb ausser den Riemen; so fochten sie die lange Nacht, ohne
dass sich Jemand dazwischen legte und von ihren Helmen die Funken
flogen. Wigalois nahm des Heiden wahr und spaltete (kloup) ihm Brünne
und Eisengewand, durch die Brust schlug er ihm eine starke Wunde,
dass er sich dem Tode musste ergeben. So endet sich das Leben der
Welt, Freude, Gut und Ehre bleibt ihnen so wenig als mir des Kaisers
Krone, nur wer nach Gottes Lohne in dieser Welt gedient hat, der
fährt seliglich wenn an ihn die Z^it kommt,* dass er nicht länger leben
soll. Möge auch uns so geschehen!
Als Frau Japhite ihren Mann todt ersah , erkrachte ihr Herz wie
ein dürrer Ast, sie zerriss ihr seidenes Gewand, warf sich über ihn ujad
schrie so jämmerlich, dass es Jedermann erbarmen musste. Sie^ ban4
ihm den Helm ab und drückte ' den Todten , der ganz zerhauen (ver-
schroten) und mit Blute beronnen war, mit ihren weissen Armen an
sich, küsste ihn jämmerlich weinend und raufte sich die Haare au$ (ir
här si üz der.swarten brach): ^Owe, Roaz, vil lieber man, von dfnem
tode bin ich tot. du waere mtn herze und min llp, ich din herze und dfn
wfp. wir heten beidiu einen muot: swaz ich wolde daz duht dich guot:
swaz du woldest, daz wolde ouch ich. nu hat der ganze wille sich von
diqem tode gescheiden zwischen uns beiden . sft diu herze ie was min
und aller min wille din, so sol dfn tot min tot ouch sfn.^ So kehlte
die Fraue, obwohl eine Heidin, doch ihre ganze Treue an ihn, wie sie
') Vgl. oben Parc. 735, 21 f. — Die Salamander üben in einem hohlen bren-
nenden Berge in Asia ihre Seidenkunst. Dem Wurme ^^Salamandrä"^ hat Go^
ein wunderseltsames Leben im Feuer gegeben , wie wir In den ,,baochen**
lesen. Alles Andere aber verbrennt in dem Berge zn Pulver. (Wigalain
V. 7440 IT.)
286.
die Minne lehrte, denn ^ herzeliebe ist arbeit, ir ende, bringet herzeleit;*
hier liegen Viere beisammen todt, zwei Seelen und zwei Körper. So
fögt es die Minne: ^diu twinget manic herze, ir ende ist jäniers snierze
als ich in hie bescheide; liep zerg^t mit leide.* 0 weh dirT*od! dabist
ein Hagelschlag (hagel) und dein Stachel (zagel) ist viel bittere Rene;
dein Sehloss und dein Grebände beschliessen so, dass die Augen davon
nass werden. — Der Dichter erzählt indess kurz das frühere Leben des
R6az und, verspricht mehr davon auf ein ander Mal.
Aber auch Wigalois lag wie todt, nur der alte Ritter, der vorerst
an der Pforte sass und ihm Freundschaft angetragen hatte, stand ihm
bei; er hiess Graf Ad an. Dieser band ihm das Häi*senier') vom
Haupte, da kam Wigalois wieder zum Leben. Die anwesenden Frauen
erhüben über des Roaz Fall solche Klage, dass der Dichter selbe nur
mit dem Jammer zu vergleichen weiss, den der Tod des edelen Fürsten
von Meran erregte. ') So thaten damals ^frouwen wolgetan, gebom von
der höchsten art diu ie in der werlde wart,* als hätte die liebe Sonne
ihren Schein verloren. Ich weiss es nicht zu sagen, ob. mein Herz nach
so viel Gram je ganz gesunden mag. Da hörte ich manchen grossen
Schlag von reiner Frauen Herzen ^diu truogen jamers smerzen umbe
des edeln fürsten tdt." Ist seine Seele vielleicht in Noth, so erlöse sie
(da nim si üz) viel reiner Krist! „herre, nim dfner geschepfde war i
dan si verzwtvele gar! Got müeze im dort genaedic s!n! Nu wil ich an
die rede mtn wider grtfen da ich die lie.*
Roaz wurde augenblicklich vom Teufel geholt, der technische mittel-
hochdeutsche Ausdruck dafür ist: ^zehant von der tievel schar ver-
stoln;* das schien auch dem Grafen Adäh unheimlich, so dass er die
Heidenschaft verfluchte und nach der Tauf^ begehrte (zem toufe wart
dem gräven gach). Besondere Aufmericsamkeit wird dem poropösein Be-
gräbniss Japhitens zugewendet. Man trug sie vor das Thor und legte
'sie In einen rotben Jächant, der Sarg stand auf zwei ehernen Säulen,
') daz baersenier, eine Bedeckung des Kopfes unler dem Helm; im Parciva!
h&ufig; „von ringen stark gesteppei ein hersenier der knnig fuert.^ Tiiurel
*J Das war Herzog Bert hold von Meran i, der im Jahre 1204 verstarb. An
seinem Hofe zu Plassenburg hatte ^Wirni von Gravenberg wahrscheinlich
Ailtefdienst und feine Sitte gelernt. In ergreifender Weise schildert er den
Schmerz dieser edlen Frauen „geboren von der höchsten Art;^ die eine
der fürstlichen Töchter war Gertrud, die Königin von Ungarn (die Mutter
der hl. Elisabeth), die zweite König Philipp Augusts von Frankreich vielge-
liebte. Gemahlin Äff n es, die' dritte die Herzogin Hedwig die Heilige von
Qresiaa, Gemaliliii lleinrich des BiKigen und die vierte Mathilde Aebtissin
von Kilsingeo. Vgl oben $.241.
Gläser mit Balsam brannten dabei, Gahmnret konnte vor Bagdi^ nicht
kostbarer bestattet wordein sein.'} Um den Sarg lag ein grosser goldener
Reif (vingerlfn) daran ein verschlungenes Bändepaar als Zeichen der
Treue (dar Un was ir triuwe schin, zwo hende nach der triuwe). Auf
den Jächant wurde mit goldenen Buchstaben ein ^Spitäflum gesmelzet,^
welches auf „heidensch und franzois^ Kunde gab (man vant gebrievet)
wie sie starb von Herzeleide. Auch stellte man ein goldenes Rauchfass
darauf, darinnen immer wohlriechende ^thymiämata^ brannten. Nach
der Beisetzung (da diu bevilde wart getan) gingen die Frauen und das
Gesinde zu Herrn Wigalois und ergaben sich in sein Gebot , zeigten
ihm auch Alles, was von Silber und Gold vorhanden; das vertraute er
dem Grafen Adän. Wigalois ging in eine Kemenate, liess sich die
Wunden waschen und verbinden und speiste, nachdem er eine Weile
vorher geschlafen, dann aber bestieg er ein Kastelan und ritt im Ga-
lopp (walap) und Carriere (rabfn), wobei er (wie Hartmaon von der
Aue in der Weiilgartner Handschrift abgebildet ist) die Schenkel lustig
gegen die Mähne fliegen liess (die schenke! stne ze rehte fliegen gein
der man). So kehrte er wieder zur Burg zurück, wo ihm Graf Ad&n
mit sechs Fidelären entgegen ging ^die wolden im sine swaere mit ir
videlen vertrtben. do begunden si ez rfben (streichen) mit künsteclfchen
griffen biz im was gar entsliffen (ent\^ichen) diu swaere von dem herzen
sin." Doch sehnte er sich nur noch mehr nach seiner schönen Amie;
also liess er sich wieder waffnen und ritt nach Iraphas zu dem Grafen
Morale, von wo er gestern Morgens ausgefahren war: da war ^michel
fröude," Saitenspiel aller Arten, man hörte Posaunen und „blasen
n&ch der beiden site. da s)uogen unde würfen die tambüre'} mit
behendekheit," dass die ganze Burg wiederhallte. Die Frauen um-
armen ihn und trugen ihn aus dem Gedränge empor. Boten gingen in
alle Lande und entboten die Fürsten nach 6 Wochen zu erscheinen.
Wigalois schrieb einen Brief an seine Amie, der „war besigelt ander
eiüfita adamas in ein guldfn vingerlfn." Der Graf übernimmt selbst die
Besorgung des Briefes und reitet desshalb mit 300 Mannen nach Roi-
munt. Als der Graf vor seines Herrn Amien, die schöne Larie kam,
legte er den Mantel ab und übergab den Liebesbrief^ der mit mittel-
alterlicher Zierlichkeit vom Dichter vielleicht selbst mal in zarCen Liebes-
sachen gewechselt wurde, er lautet folgender Massen (S. 224) :
») Vgl. Pare. 107 u. 108. Vgl. oben S. 241.
*) ^der tamhur^ ein Instrument für rauschende Musik ; es worde tamburinarfi|r
eniporgeworfea ^man warf die lambiir enbor mit sieg«» ;^ - ^der tambur^
beisst der ein solches Instrument schiigt.
287
ijk mioem leide, '
Wunsches ougenweide
und der Saelden spil.
ehe ich ieroer grüezen wil
n minneclfchen Ifp.
in iacb für elliu wip
l mir ze löne.
fröuden kröne
Larie^ daz sit ir.
»inet und empfahet von mir
kröne und iuwer lant.
At min saelde und mfn hant
^et und diu gote8 kraft.
i lind rehte geselleschaft
(ist ich iu mit staetekeit.
lerze iu wäre roinne treit:
in als iuwer wille gert.
s6 biderbe und «6 wert,
met unde heilet mich,
^evangen bin ich,
ir ligent iwerin hant.
Trost in meiQem Leide,
Des Wunsches Augenweide
Seid Ihr und der Saide Ziel.
Mit Lieb ich allzeit grüssen will
Euren minniglichen Leib.
Ich hab' Euch über alle Weib'
Erwählet mir zum Löhne;
Meiner Freuden Krone
Fniu Larie, das seid Ihr.
Nun kommt und empfahlt von mir
Euere Krone und Euer Land,
Das hat mein Glück und meine Hand
Befreit und Gottes Kraft.
Treue und rechte Gesellenschaft
Gelob' ich Euch mit Stetigkeit;
Meine Lieb' ist echt für alle Zeit
Ich bin, wie's Euer Wille begehrt:
Dünk* ich Euch gut genug und werth,
So kommt und heilet mich;
Euer Gefangener hier bin ich;
Mich hält umschlungen Euer Band.
Mehr hatte er nicht geschrieben — sie steckte das Gold an ihre
. ^Uf stuont diu maget, vil gezogenlfche neic sie des herren bot-
. und antwurt ir vil endehaft.^ „Genäde nHnes herren!^ sprach
3r soll nicht länger Kummer tragen, ich gebe ihm Hilfe und Räth
Deinen Leib zum Lohne, hätte ich tausend Kronen, die sollten ihm
:han sein, er bat so viel um mich gethan, dass ich ihm gerne
1 will im Ernste und im Spiel, wie er wünschen mag. Was sein
an mir suchet hat «er geftmden; ich heile ihm seine Wunden und
ihm solcher Minne Tbeil, dass sein Herz Iroh werden wird. Ich
fi sagen überlaut: Er war doch meines Herzens Traut; ich hatte
lir zu Liebe erkoren , er war mir zum Tröste geboren , wohl der
T, die ihn gebar. Nach seinem Willen und um seine Liebe folge
rohin er will. Wenn mein Mund je anders spricht, das ist nicht
s Herzens Wort, denn das hat er bereits bei sich und das seine
e bei mir. Derselbe Wechsel geschah bereits, als wir uns scheiden
en.** Sie weinte vor Freuden und zeigte in Wahrheit, wie lieb ihr
eld war. Sie verlangte nach Komtin zu fahren und Alle stimmten
denn sie hatten das Land seit 10 Jahren nicht mehr gesehen.
le Pferde und reiche Gewände wurden den Frauen zur Reise ge-
t, die Saumtbiere mit Kostbarkeiten beladen u. s. w. Die alte
in (akfrouwe) Am^nä') tiberliess die Burg ihrem Truchsess Azza-
• hier die Fürttin deullicb mit Namen genaniil ist, Am^nfl, so scheint
WS
«
dac. Die Reise von Roimunt nach Joraphas will 'der Dichter nicht genau
beschreiben, er sagt aber doch beiläufig genug davon : Voraus ritten die
Köche, darauf der Garzun der Fraue, Namens Schandalec mit seinen
Gesellen und Küchenknaben, die grosse KräueP) trugen. Nach ihnen
trieb man die Säumer, darauf zog eine Schaar von Knappen die Uosse,
ihnen folgte das Gesinde, darnach ritten die Frauen. Sie trugen Reise-
kappen von braunem Scharlach ; mit Spass (mit schimpfe) und Lachen
kürzten die Ritter sich die Fahrt; je zweien war eine Frau befohlen,
der sie mit Fleisse pflagen. Alle waren heiter, zwei „busüne" schwiegen
selten , der Wiederhall erklang von Berg und Thal. Zuletzt ritt Frau
Larie, welche „des Wunsches Äventiure, der Saelden kr§atiure und der
fröuden kränz* genannt wird. Ihr Gereite funkelte von Gold und G.e—
steine, einen Papagei trug man ihr nach. Sie ritt auch das schon
Pferd, das Wigalois auf dem Plane erstritten. Ihr zunächst ritt di
Magd, die den Ritter gebracht und ihre Mutter, ihre Pferde werde
von Rittern geführt; Graf Moral führte (zonmde) Frau Larien. De
schnelle Läufer (quec loufe) Schandalec war vorausgeeilt und. sagte
gutes Botenbrod das Kommen det Jungfrau dem Ritter an, der ihr ent —
gegenzieht. Ihr Antlitz blüht wie eine Rose, vor Freude wechselte
Wigalois die Farbe wie er sie erblickt: ^diu minne het sin herze ver-
suiten: ir wipUch kiusche unde ir schäm machte si rdt und dar näcfa
bleich; ir ganziu varwe ir entweich, do si den helt bi ir sach.* Ihre
Wechselreden sind ausserordentlich zierlich und liebevoll verbindlicL
Darauf ritten sie zur Burg,* wo die Ritter zu buhurdieren^begajinen; die
Schilde schallten und manchen Ritters Knie schwoll im Gedränge;' die
Strasse ward zu schmal von dor edelen Ritterschaft. Manche Lanze
ward gebrochen; hätten sie Harnische gehabt, es wäre wahrhaftig ein
Turnei geworden,"*) die Ritter tummelten ihre Rosse, ihre Schilde bliebea
wenig ganz. Dazu übten die Spielleute ihre Kunst und zwei Posaunen
wurden ^vil kreftecllchen* vor dem Thor geblasen; grosse Freude fand
man von dem Schalle. Wigalois aber vermied ,, durch sine zuht der
wären minne fruht, daz er ir minne niene enpflac, noch bt der schoeoen
niene lac unz daz er si le staete nam (bis er sie zur Ehe nahm>
das oben (Pfeifrer S. 105^ 37) gebrauchte Game nje kein Eigenname zu
sein ; vielkiihi b/edeutet es nur den weiblichen Hofstaat allein, (vgl. Pfeifler
S. 328.)
') „der Kroql,^ Kräuel, eine grosse Gabel mit gebogenen Zinken.
') Der Dichter bestätigt das ganz feierlieh ironisch: „desn wirf in defaein eit
Sestabet;*^ den Kid stabeV ist der technische Ausdruck llir den BecrilT
es vorgesagten^ von dem Schwörenden nachzuspreclienden Eides. .Also
wörtlich: darüber wird Euch nicht förmlich geschworen^ oder freier: das
glMbt Ihr mir wob! ohne Eid.
289
Zu dem festgesetzten Hoftage kamen die {geladenen Fürsten alle:
Rial, der König von Jeraphtn kam auf Elefanten (helfande), drei andere
Fürsten kamen von Medärte, in tiefer Trauer um ihres Herren Tod
ritten sie auf elenden (kranken) Gäulen, trugei\Haar und Bart yyUnge-
schom und ungetwagen,^ auch führten sie eine goldene Bahre im Schilde.
Femer kam mit grosser Herrlichkeit Frau J&lamte gefahren, welcher
Wigalois das Pferd wieder gewonnen hatte, sie hatte mit ihrer Gesell-
schaft das Frauenthum verschworen (ir wipheit verkom) und Männer-
sitten (riterschaft) an sich genommen; sie hatte goldene Schellen an
ihrem Reitzeug und eine Menge von Grafep und Herzogeii im Gefolge;
ihr Zelt war von Sanunt, das hatte ^ein starkiu olbende^ 0 hergetragen.
Auch zwei asiatische Könige kamen, Zaradech und Panschafar, um ihr
Schwesterlein, die schöne Japhtte zu holen, die sie leider schon todt
und begraben fanden. Ob da Ritterschaft ward vermieden? wahrlich
nein ! sie trieben*s noch besser denn anderswo ; denn da ritt der Salden
Gespiel, die süsse Magd Larie ^des Wunsches ämte; ävoy, wie stolz-
Itehen sl reit!'' Sie trug rothenSammt, ihr Mund brannte wie ein kost-
barer Rubin. Gott hatte sie der Welt gebracht, als Ihm in Freuden
stand der Muth. Nie erschloss sich schönere Blüthe (gebluote), dann
ihr lichtes Antlitz: Mein Herze kann*s nicht erdenken, noch nach Ge-
bühr mein Mund preisen. Als sie zum Hofe geritten kam, stritten zwei
lichte Farben an ihr, Roth und schneeig Weiss, doch behielt die Röthe
die Oberhand , denn es war Sommerszeit. Neben ihr ritt Herr Wiga-
lois ^der triuwen stam.^ Zwölf Tag» dauerte die „wirtschafte und die
Anwesenheit der Fürsten, dann erst begann die Hochzeit. Die Zeit über
behielt sie ^ir kiusche also, daz diu nie besprochen wart.^ Bereits
früher (v. 9247) rühnite der Dichter von seinem Helden und der Fran
Larie: ^der zweier kurtosfe sich ze dem Wunsche hdt geweten; si
wären niender üz getreten : ir zuht stuont an der mäze zU, des wurden
si gepriset vil.^ Der Sinn dieser im Hochdeutschen unübersetzbaren
Stelle ist äusserst zierlich, „weten^ heisst jochen, zu einem Dinge weten
also: sich mit ihm unter ein Joch bringen, wie wir auch jetzt noch
sagen ^iu einem Joche ziehen. ^ Sonach wäre die Lösung: ihre Gour-
toisie kam dem Wunsch (Ideal) gleich, keines von Beiden hatte die
Grenze des Rechten überschritten, ihre feine Zucht (Sitte) hielt immer
das rechte Maass. Ein geistvoller Commentator, der um unsere alte
Dichtung zuerst verdiente Ben ecke (S. 491) macht ausdrücklich auf-
merksam, wie diese kleine Stelle ein überraschendes Licht auf die hohe
Bildung des Dichters wirft. Wahre Höflichkeit, die sich selbst nichts
^) olphant = Elefant, ol bände =■ Kpmeel,
290
vergibt, immer verbindlich erscheint and nie in fade Schmeichelei aus-
artet, setzt einen so feinen Sinn und solche vollendete Uebung voraus,
dass sie allenthalben und zu allen Zeiten eine höchst seltene Erscheinung
ist. War es der Hof de« Herzogs von Meran, wo Wimt diese H5fischhett
kennen lernte, so war dieser Hof mehr als irgend einer ^ze dem wünsche
geweten!**
Bei der Hochzeit wurden dem Ritter die Waffen, in denen er so
siegreich gekämpft hatte, vorgetragen, die Braut setzte ihm die Krone
auf, er legte sein Ringlein in ihre Hand. Darnach hob sich grosser
Freudenschall, die Truchsessen thaten unter Posaunenschall ihr Amt,
die Tambure warfen ihr lärmendes Spiel, es gab eine ungeheuere
^Wirthschaft.*' Nach Tisch gingen die Brautleute endlich in ihr (Je-
mach und trieben das süsseste Spiel bis an den Tag. Am Morgen
darauf sang man ihnen eine Messe, auf dem Wege dazu gab es eifi
so grosses Gedränge , dass die Kämmerer das neugierige Volk mit
Schlägen zurücktreiben mussten, um nur Platz zu erhalten ; ein Bischof
predigte darauf mit so süssen Worten , dass d^ gute Graf Adan sich
' taufen liess, ebenso die Jungfrauen des Roaz.
De;* Jubel aber steigt auf die Spitze, als plötzlich Gawein, den
Wigalois heimlich geladen hatte, mit einem stattlichen Zuge erschien.
Nun erst erkannten sie sich. Wigalois hatte seinen Brief mit einem
Siegel geschlossen, welches Gawein von seiner Frauen her kannte; vor
Freuden liefen ihnen die Zähren bis aufs Kleid, als Gawein dem Sohne
von seiner Mutter erzählte. Gawein selbst staunt über die Schönheit
Lariens, Alles was er bisher Schönes gesehen hat, das macht sie zu
nichte; „ich han bisher den Ziegel ftr Glas angesehen, sagt Gawein,
Du bist der wahre' Edelstein sehnsüchtiger Minne ; ich gönnte Dich
Keinem lieber als dem, der Dich nun haben soll; Ihr habt meinen
Rath und Beistand so lang ich lebe; ich zähle es mir zur grössten
Gnade (gebe) von unseres Herrn Barmherzigkeit, dass er mir mein .
Herzeleid durch Euch Beide benommen hat.^ Frau LaHe befliss sich
mit Geberden und mit Worten, ihm ihre Freude zu beweisen , zärtlich
bescheinte sie ihm, dass sie sein Töchterlein sein wolle, sie nannte ihn
ihr Väterchen (vaterlln3- So wurden sie ein Herz und Sinn, die vor-
dem in Drei geschieden waren.
Die Hochzeit währte mit Tanz, Spiel und Tumei schon zwölf Tage,
da kam plötzlich ein Garzun in den Saal gelaufen, der sich die Haare
raufte und jämmerlich geberdete, er hatte nur Schuhe und Hosen
(niderwät) und sonst keine Kleider an, einen blutigen Speer brachte
er, mit dem der König Amire von Libiä vor Namür und zwar durch
Lidn in einer Jostiure -erschlagen worden war. Er rief wehe (wäfen)
über den grossen Mord und die G^wak, die an seinem Herrn geschehen
war. Der Erschlagene ist ein Verwandter von Fraa Larien, worüber
diese in Ohnn^acht fällt.
Wigalois ladet Herrn Lion zum Kampfe; dem Garzun bot er
Kleider, die derselbe aber nicht annahm, denn er wollte in Herzeleid
leben bis Gottes Gericht über den Frevler ergangen wäre; also schied
er wieder zu dem Todten, der noch auf dem Felde lag und nur durch
seine beiden Windhunde (winde) vor Vögeln und Wild behütet wurde;
sein Pferd war an 4en Ast einer Linde gebunden, sein Schild über ihn
gelegt „nach des landes gewonheit,'^ das Schwert lag unter seinem
Haupte ; es war schon der siebente Tag, dass er erschlagen ; die treuen
Thiere waren bei ihrem Herrn verhungert. Die schöne Frau aber des
Erschlagenen, Ltamöre mit Namen, schnitt sich die Zöpfe ab, der
Regen floss ihr von den Augen über die Wangen, sie riss sich den
goldschimmernden Sammt, den Hermelinpelz und alle ihre Kleider ab und
fiel in so jänmnerliche Tobsucht (tobeheit), dass man ihr Hüter geben
masste. Was ihren schönen Leib umgab, biss^ sie ab, so trieb sie es
sieben Tage, während welcher Zeit Lion ihr oftmals seine Hand anbot,
dann starb sie.
Während Lion noch um «ie klagte, kam der Bote von Komtin
und naante ihm die lange Reihe von Wigalois* Mannen und Lehens-
trägem, die alle mit ihm zu kämpfen begehrten.
Der Dichter aber, nachdem er noch lange das Lob und den Preis
der treuen Minne erhoben, fasst sich kurz, daz der Maere nicht gar zu
viel werde. Er gibt einen Feldzug , den, die schöne Lade mitmachen
darf; desshalb lässt ihr Wigalois ein „harte schoenez kasteP massig
hoch und rund, auf einem Elefanten herrichten, das mit seidenen Ta-
peten und Pfeilen ausgeputzt wird und in der Mitte ein seidenes Fliegen- •
netz (mückennetze) hat; auch ein mit duftigem Balsam gefiillter Krystall
hängt herab, der an Süsse „bisem und spicä nardl^ übertraf; gegen
Ungemüthe und jegliche Sucht half seine Salbe. Sie war besiegelt in
einem Rubin, der in der Nacht leuchtet „diu salbe ist tiure und unbe-
kant; man bringet si von des Alten laut vil verre üz der heidenschafl;'*
ihre Kraft erhält sie von solchen Würzen, die man mit Golde aufwägt.
Das Netz war gestickt und mit goldenen Schellen behängt; die Wände
des Kasteis (Gezeltes) waren mit Betten „umbe und umbe beleit, von
riehen pfellen gulter breit wären dar üf gestrecket, " die Wände und das
Haus mit Blumen bestreut ; auoh waren überall Fenster, dass der Tag
durchscheinen konnte. Darinnen ritt Frau Lade mit ihren zwölf Mäg-
den, die grünsammtene Kleider und weite Mäntel trugen und Blumen-
kränze auf den Häuptern hatten. .Diu gespil der Saelden^ trug, ein
19»
292
seidenes Hemde, weiss wie ein Schwan und Schuhe von* guten Borten.
Ihr Kleid war aus einem Pfeile „gelpfer danne ein gluot^ gesehnitten,
Rock und Aermel lang, wohl bezogen ^näch der Franzoiser siten^ und
mit offenen Näthen, ') dazu trug sie einen Gürtel (riemen) von Iberne,
der vom Schein der lichten Steine wiederstral^lte, in der Schliesse war
ein Rubin und darauf ein Drache ergraben ; ihr Fürspan, damit sie den
Busen haftete, war gleichfalls ein Geschmeide mit Edelsteinen, zwei
Löwen und einen Aar vorstellend. Vor den Frauen lagen vier Worf-
zabel und Kurrier') von Helfenbeine, denn damals spielten noch die
Frauen mit edelem Gesteine und nicht mit Holz, wie heut zu Tage
(v. 10585), auch hatten sie allerlei Kurzweile von Saitenspiel, worauf
sich die Frauen verstanden. Vier Grafen hüteten das Kastei und hundert
Ritter begleiteten den Elefanten, voraus aber zog dasf Heer des König
Rial, der führte sechs Elefanten, die Thürme und Stnrmhäuser trugen,')
ihnen folgten tausend Ritter und fünftausend Saijanden^) mit Lanzen,
Schilden (buckeler), Schwertern und Bogen. Mehr als zwanzig Fuder
Speere führte man ihnen nach, Gabilot und Atiger') trugen die Sar-
jande ; die Nachhut bildeten treffliche Schützen mit starken Bogen, unter
die Herr Wirnt selbst nicht hätte reiten mögen. Auch die Schatzkanuner
des Königs wurde von einem Heifant nachgetragen, dazu viele Hütten
und Gezelte und die Kaufleute trieben starke Mäuler und Kamele vor
sich her, die Speisen, Kostbarkeiten und theuere Gewände schleppten«
So machten sie die Fahrt
Als sie am zwölften Tage „nach des boten widersagen ^ ankamen,
wurde der König Am Ire gebalsamt in einem edlen Steine auf eine Sank
gelegt, dass er über Stadt und Heer zu sehen war. Sie fanden ritter-
liche Wehr „al umbe und umbe^ auf dem Graben, nach innen (einhalp)
lag die Stadt am Meer. Eine starke Mauer umfing sie und ein tiefer
Graben, durch den ein klares Wasser floss; Thürme, Sturmhäuser and
Erker (tüme, bercfrit, ärker) standen zahllos auf der Mauer, gutes
Geschoss und Steine waren hinau%etragen und Alles, was den Tod gibt:
*) Vgl. Weinbold Datsche Frauen. S. 440 u. 446.
') wurfzabel = Trictrac. kurrier, zum Brettspid gehörig. Vgl. Ben ecke
S. 639. Biiudissin S. 338.
') wikhds unde bercfrit; ersteres ein Blockbaus, letzleres ein Thiirm nit
Sturmglocken.
'^) sarjant^ scherge, serffent, Kriegsmann zu Fuss; bei der Belagerung reiten
200 Sarjanden auf 6 Helfen und scbiessen blutige Zäher durch das liisen-
gewand; sie konnten weichen und stehen, mit Streite gegt^ den Feind
gehen, also waren sie gelehrt.
') ^abtlöt, ein kleiner Wurfspiess^ aus Parcival als KinderwaRe bekannt ; atig^
(m der Stuttgarter HS. nattag^r) ein kurzer eiserner Wurfspiess; beides
sind keine ritterlichen Waffen.
293
„pfeteraere önde gröze mangen') mit grozen biochen* waren vorräthig,
die man schnell niederfallen lassen konnte, wenn Jemand an der Mauer
ging. — Die Belagerung wird sehr ausHihrlich beschrieben, vor jedes
der acht Thore legt sich ein edler Herr mit einer anderen Abtheilung
des Heeres;* in gefahrloser Entfernung wird Rlr Frau Larie und ihre
Mägde ein grosses, kostbares Gezelt errichtet, das bei Regen durch
einen ledernen üeberzug geschützt werden konnte ; ') auch war ein
Markt aufgeschlagen, wo man Alles kaufen konnte, Speisen, Gewände
und Schmuck, grosser Schall von ^holler-bläsen*") geschah, dazu hörte
man fernen Glockenklang ans der Stadt. Die Belagerer schuhten ihre
Eisenhosen an (ir tsenhosen schuohtens an) , dann ging jeder Christen-
mensch, wie sich gebührt, die Messe zu hören.
Nach dieser Schilderung des rüstenden Lagerlebens kommt eine
sehr lebendige Beschreibung einer mittelalterlichen Schlacht : Die Porten
wurden aufgethan, aus jeder flog eine Fahne, f&nflmndert streitbegierige
Ritter folgten nach (v. 10931 ff.): ,
si heten alle geneiget ir sper.
man dorft niht ruofen y^herd! her!''
wan si karten gegen der schar
da si der herre ndmen war.
die schilte drnhten si an sich,
mit spem wart di manic stich
gefnimet durch daz isengewant
daz ski daz herze dar under enpfant.
die uzem wdren gegen in komen
und heten alle ir ors genomen
ze beiden siten mit den sporn,
die beide treip der grimme zom
ze dem strite und mänlichiu gin
durch heim und durch härsenier
mit joste da maneger wart erslagen.
man sach die tmnzäne ragen
durch die schilte alniuwe.
sine brdchen niht ir triuwe:
beidenhalb was widerboten.
man sach vil manegen heim roten
von bloote de e lüter was.
die ringe; rim als ein glas
Sie hielten Alle gesenkt den Speer.
Man durfte nicht rufen : ^Her ! hie-
her!«
Denn sie stürmten auf die Schaar
Wo sie des Ernstes nahmen wahr.
Die Schilde drückten sie an sich :
Mit Speeren ward da mancher Stich
Gebohrt durch Eisengewand,
Dass das Herz ihn darunter empfand.
Die Belagerer waren herangekommen
Und hatten scharf ihr Ross genommen
Von beiden Seiten mit den Sporn.
Es trieb die Helden grimmer. Zorn
Zum Streit und tapfre Kampfesgier
Durch Helm und Härsenier
Ward Mancher da im Tjost er-
schlagen.
Man sah die Schäfte ragen
Durch Schilde, starke und neue;
Keiner brach die Treue,
jeder schlug ohn' Aufgebot.
Viel mancher Held ward roth
Von Blut, der erst noch glänzend was.
Die Ringe rollten wie Glas
*) Werkzeuge^ mit denen man grosse Steine schleudert.
') ^Yon leder ein huot hienc da b! der daz gezelt machte frt des reffens, s6 er
nider göz;^ eine ähnliche Vorrichtung auch im Parc, 129, 24. Vgl. o. S. 148,
*) „der holer^ ein pfeifenartiges Blasinstroinent
m
von Stichen und von starken siegen,
da lac vi) manic werder degen^
gehurtet unde geslagen nider,
dem niemen raohte gehelfen wider,
die innern entwichen fiir diu tor.
dd huob sich solich striten vor
daz daz bluot nider goz
und durch die wäfenröcke flöz.
mit siegen den andern niemen trouc.
daz viur üz den helmen slouc
gemischet mit bluote daz was rdt.
Sicherheit dd niemen bot.
dd was dehein gevatetschafb :
ez schiet niwan des todes kraft
mit vil vientlichen siegen,
allenthalben bi den wegen
sach man die wunden töunde ligen
die des bluotes wären ersigen,
und vil manegen toten
der sere was verschroten,
mit diu het sich der stürm erhaben,
die sarjande an den graben
mit antwerke giengen,
dar üf si enpfiengen
diu bloch, s6 man diu vallen lie.
daz geschöz als diu snie gie
und die würfe under daz her.
d6 mischten sich ir beider wer
über den graben unz daz raer.
Von Stichen und von harten Schlägen.
Da lag viel mancher werthe Degen
Schwergetroffen darnieder
Und erstand nicht wieder.
Die Innern wichen zurück an'sThor:
Da hub sich solches Kämpfen davor
Dass sich in Strömen das Blut ergoss
Und dm'ch die Wappenröcke floss.,
Mit Schlägen Keiner den Anderen
trog;
Das Feuer aus den Helmen flog
Gremischt mit Blute, das war roth;
Sicherheit da Keiner bot.
Da galt auch keine Freundschaft:
Es schied allein des Todes Kraft
Mit viel feindlichen Schlägen.
Allenthalben an den Wegen
Lagen die Wunden sterbend da
Dem Verbluten nah,
Und Todter noch weit mehr.
Durchstochen und verhauen schwer.
Zugleich erhüben sich die Stürme
Zum Graben Hess man am Fuss der
Thürme
Die Dachgerüste bringen,
Auf denen die Sarjande fingen
Die Bloche so man niederwarf.
Wie Schneegesöber, so dicht und
scharf
Schoss man Steine auf das Heer:
Da mischte sich beiderseits die Wehr
Ueber den Graben bis an das Meer.
Die Elefanten mit Kriegsthürmen (w!khus) drängten nach, die Sar-
jande spielten mit Geschossen und Steinen des Todes Spiel ; ein ganzer
Wald von Lanzen ward verschwendet. Selbst Frau Marine reitet in
den Streit und holt sich Gegner heraus, die sie besiegt und in Sicher-
heit nimmt, bis sie vom Herzog Golopear ans Kriechen erschlagen wird,
doch rächte sie der Graf Adän.
So dauerte es sechs Wochen lang; täglich hörte man neue Klagen:
dort liegt Der wund und Jener erschlagen! Eines Morgens ritt Herr
Lion aus und forderte Herrn Gawein zu einem Tjoste, er wähnte, ihn
schon in der Hand zu haben. Bald gesellen sich andere Ritter dazu
und ein allgemeiner Kan?pf entbrennt. Wigalois that Wunder der Tapfer-
keit, im Gedränge arbeitete er sich bis zu Gawein gerade in dem Augen-
blicke, als dieser Herrn Lion erschlug. Da floh das Heer in die Stadt,
295
die Saijande drangen naeh^ grosser Schall erhnb sich von der Flucht,
die Fremden störmten nach, die Strassen wurden enge, es gab ein
tödtliches Gewühl. Wigalois erbot sich, die Bürger am Leben zu «lassen,
wenn sie sich ergeben wollten, da schwur ihm die ganze Stadt Treue;
er gab ihr einen Hauptmann, der des Landes waltete und Hess Geisel
stellen. Das Herzogthum Namdr wurde dem Grafen Moral mit dem
Zepter Ku Leben gegeben. Die Burger zahlten dreissigtausend Mark,
davon erhielten die Fürsten so viel sie wollten ; die. Grefangenen wurden
nach Belieben geschätzt, den Kranken aber gutes Gemach bereitet und
ihre Wunden verbunden, auch HerrGawein war unter denselben; Lion
ward schön bestattet. Den König Amire trug man dahin, wo Frau lah-
mere in ihrem Sarge besiegelt l&g, eine schwere goldene Krone wurde
dabei aufgehängt und die Bürger mussten darüber eine Kapelle von
Manuel erbauen. Wigalois gebot gutes Gericht uud Frieden bei Strafe
des Weidenstranges (bi der wide); dann kehrte er heim und entliess
seine Helfer; mit Gold und Gesteine füllte man ihnen die Schilde.
Auf der Heimfahrt begegnete ihnen ein Garzun ^des rock was gel
unde brün in einander geparrieret," auf dem Haupte trug er ein ^bluo-
min schapele'* und einen elfenbeinernen Stab in den Händen. Er brachte
Herrn Wigalois die Trauerkunde, dass seiner Mutter aus Gram um die
Flucht ihres Gatten und den Verlust ihres Sohnes ihr Herz gebrochen.
In der Stadt zu Roidach hatte man sie vor zwölf Tagen begraben.
Der Garzun übergab ihm ein Ringlein von ihr, darauf stand geschrie-
ben: ^owß, geselle (Gatte) und ouch min kint! von iu min varwe ist
worden blint, mip rötez golt gar überzint.**') Diese Mäere störte alle
Siegesfreude. Vater und Sohn ergehen sich in Klagen; Gawein gelobt
ehelosen Stand und nur im Falle der Noth noch Waffen zu tragen. —
Zwölf Tage dal'nach kamen sie nach Nantasan zu König Artus, wo sie
icht ritterlich empfangen wurden; Frau Ginovere bestieg mit ihren
«^rauen sogar den Heifant, um Frau Larie zu begrüssen, die durch
hre Schönheit alle' Herzen gewann* Aber Wigalois drängte weiter nach
5[omtin; doch gab ihm Gawein noch gute, goldene Lehren und kehrte
iarauf nach Nantes zurück.
Wigalois lebte mit seiner Frau noch viele Jahre in Freuden, sie
;ebar ihm einen Sohn, Namens Lifort Gawanides, dessen „wunderliche
jescbihte'' jedoch dem Dichter zu „wilde, ze kramp und ze swaere''
kind, um sie in ein Gedicht zu bringen, doch wäre „daz maere höher
^inne ein zil,^ ihr sollte sich ein „künstiger man^ annehmen, der
,, wildin wort^ zähmen kann, denn „fremdiu maere und fremde namen
') Figfirneh für: ftieine Freade isl getrübt; ycntnat.
• 296
hat diu aventiure.^ Wer sie gerne dichten will, dem weise ich den
Weg: aufgeschrieben besitzt sie ein Mann, der wohl von der wälscheo
Zange ^n die deutsche zu dichten versteht ; mich hat von ihr ^yer-
dmngen min krankiu kunst und min sin.^ So bin ich davon geschieden.
Wie schwach aber meine Kunst auch sei, fände ich £inen, der mich
dazu ermuthigte, ich möchte wohl wieder ein Ganzes leimen mit neaen
Reimen. Doch — die Welt hat keine Freude mehr daran; ihr höchstes
Leben steht mit Grimme: das ist Ritters Orden! Ich bin wohl irre
geworden, dass der Welt Freude sinkt und ihre Ehre hinkt.
Ich will meine Maere vollenden, wie sie mich ein Knappe wissen
Hess und zu dichten gunnte. Nur von^ seinem Munde empfing ich die
Aventiure, so entging mir wohl Manches. Doch will ich meine Sitine
an eine andere Maere wenden, die besser von mir erreicht wird. Wiga-
lois und sein Weib, lebten in Reichheit und Ehren ohne alle Missewende
schöne bis an ihr Ende.* Ihr reines Leben verdiente hie, dass sie
Gottes Gnade da empfingen, wo tausend Jahre sind wie ein Tag:
deheins herzen sin gemezzen mac
der fröude niht geliche
diu ist in himelriche.
dar uns ouch got gesende
äz disem eilende!
Kein menschlicher Geist ermessen
mag
Die Wonne, der Nichts gleich
Droben im Himmelreich!
Dahin uns auch Gott einst sende
Aus dieser Welt Elende!
hie hat daz buoch ein ende.
Ob unser Wirnt noch dazu gekommen sei, da^ Vorhaben, auf
das er sich so innig freute, auszuführen und mit frischem Muthe und
mit neuen Reimen eine zweite Maere zusammenzuleimen, ist wohl sehr
in Frage zu stellen, wenigstens findet sich nirgends die leiseste An-
deutung. Ja es scheint sogar, wie Pfeiffer scharfsinnig bemerkt, als
ob er unterlassen habe, seinem Werke die letzte Feile zu geben. ')
Von seinem weiteren Leben ist nichts mehr bekannt: eine Bam-
berger Urkunde vom Jahre 1217 bringt einen Namen, der vielleicht
auf unseren Dichter schliessen lässt. ') Es ist eine Jahrtagstiftung des
Bischof Ekebert, dabei stehen als Zeugen unter Anderen ein Otto von
Phaphenhoven , Eberhart de Frensdorf, Ailbrecht, Wirt, Otto de
Trupach u. s. w. Dieser Ailbrecht heisst in einer anderen Urkunde Ail-
*) Dagegen glaubt jedoch H. Haas (Nibel. 5. 32) eine neue Conjeetor wagen
zu müssen, die dahin lautet, der Wigalois sei schon ums Jahr 1212 einer
Umdichtuog unterlegen; er bleibt aber auch daFtir den Beweis schuldig.
*) Hormayr Beiträge zur Geschichte Tirols. Wien 1801. IP. S. 296.
297
brecht de Zwernetz; also ist auch bei Wirt ein Gutsname voraaszQ-
setzen und dass dieser Grävenberg gewesen sein möge, erhält dadurch
eine besondere Wahrscheinlichkeit, dass der anf ihn folgende Zeuge,
Otto de Trupach, der nächste Nachbar war, denn Ober-, Mittel- und
Unt^r-Trupach liegen seitwärts links auf der Strasse von Grävenberg
nach Betzenstein. ')
Weiteres über den Dichter wissen wir nur noch aus einer Er-
zählung des Konrad von Wirzburg: „der werlde 16n,***) da sie
unseren Wimt zum Gegenstande hat. Sie ist offenbar erst nach seinem
Tode gedichtet, denn der Ton lautet wie auf ein vollendetes Leben,
auch könnte man abnehmen, dass Wimt sehr alt geworden, obwohl
gleich wieder (v. 146) von dem „jungelinc'' die Rede ist. — Vernehmt
ihr weltlichen Minnerlein — hebt Konrad an — wie es einem Ritter
erging, der nach dem Lohne der Welt rang:
Sin leben was s6 vollebraht
daz sin zem besten wart gedäht
in allen tiutschen landen,
er hete sich vor schänden
allia siniu jdr behuot.
er was hübisch unde fruot,
schoene und aller tugende vol.
swä mite ein man zer werlte sol
bejagen höher wirde pris,
daz kmide wol der herre wfs
bedenken unde betrahten.
nan sach den vil geslahten
iz erweltiu kleider tragen.
MFsen, beizen unde jagen
lande er wol und treip sin vil.
chachzabel unde saitenspil
laz was sin kurzewile.
iraer Ober hundert mile
Sein Leben war so vollbracht
Dass sein aufs beste ward gedacht
In allen deutschen Landen.
Er hatte sich vor Schanden
Air seine Zeit bewahrt.
Gebildet war er und kluger Art,
Schön und jeder Tugend voll.
Womit vor der Welt sich soll
Ein Mann erjagen höchste Preise
Das konnte der Ritter in aller Weise
Klüglich wohl erachten.
Man sah ihn stets nach Anmuth
trachten
Und auserwählte Kleider tragen:
Birschen, beizen und jagen
Konnt^ er und trieb dess viel.
Schacbzabel und Saitenspiel
Das macht' ihm kurze Weile : —
Ja war' ihm über tausend Meilen
*) Dazu kommt noch^ dass es für den Bisrhof Eckeberf , der im Kloster Michels-
berg, oberhalb Bamberg, für seinen Vater Herzog Bertold von jMeran und
seine Schwerter, seligen Gedächtnisses.» die Königin Gerfrud von Ungarn,
emen Jahrtag sliflet, besonders viichti^ sein mussle.. ober seine spM er-
rollte Pflicht (früher war er wegen Ermordung Kaiser Philipps verbannt)
solche Zeugen auszusuchen, welche Diener seines Vaters und bei dessen Tode
anwesend waren.
*) Docen in Arettns Beilr. 1806. II. 8t. S. 168 AT und Mise. I. 56 AT. Be-
necke S. LV — LXIV. v. d. Hagen Gesemmlabenleuer und F. Sachsens
schöne Abhandlung daritber. Berlin 1^57. — Eine Handschrift vom J. 1284
auf der Mflncbner Bibliolbek.
298
gezeiget im ein ritterschafb
dd waer der herre tugenthafl
mit guotem willen hin geriten
und haete gerne da erstriten
nach lobe df höher minne solt.
er war den vrouwen also holt
die wol bescheiden wären,
daz er in sinen jdren
mit lange wemder staete
in so gedienet haete,
daz alliu saeldenhaften wip
sinen wünneclichen lip
lobten unde pristen.
als uns diu buoch bewisten
und ich von im geschriben vant
so was der herre genant
her Wirnt dd von Grävenberc.
Gesagt von einer Ritterschaft,
Er wäre'mit frischer Kraft
Und gutem Willen hingeritten
Und hätte freudig da gestritten
Um Lob und edler Minne Sold.
Er war den Frauen also hold
Dass er in seinen Jaiiren
Solchen die wohlgezogen waren
Mit dauernder Treue froh
Stets gedienet ulso
Dass alle wohlgesinnten
Frau'n von Herzen ihn minnten
Und rühmten ihn mit höchsten
Preisen. —
Wie uns die Bächer beweisen
Und ich von ihm geschrieben fand
Ward der Ritter genannt
Herr Wirnt von Grävenberg.
So hatte er ^elliu siniu jar wertlichiu werch gewirchet . und sin
herze tobete^ nach der Minne. Nun sass der Gute ^ines Tages in
seiner Kemenate und hatte sich die Zeit bis zum Abend mit einem
Büchlein vertrieben, in dem viel süsse Rede über die Minne gesch^eben
stand, da erschien ihm plötzlich eine wunderschöne Frau, die noch
herrlicher war als alle „gottinne," die weiland der Minne pflagen. Ihr
Antlitz leuchtete spiegelklar, dass das ganze Gemach wiederstrahlte.
Was man an schönen Frauen rühmt, das übertraf ihr Leib bei weitem.
Auch war sie kostbar gekleidet, so dass gar Niemand solche Gewände
bezahlen könnte , wenn sie auch feil wären. Der Ritter erschrack so
heftig über diese Erscheinung, dass er die Farbe wechselte, auf sprang
er und empfing sie so schöne er konnte: ^Frouwe, sit got wiHekomen!
swaz ich von wiben hän vemomen der Überguide sit ir gar!"* Darauf
sprach die Frau mit Züchten: \Viel lieber Freund! Gott lohne Dir!
Erschrick nicht so sehr vor mir, ich bin ds, dieselbe Frau, der Du
früher und jetzt noch gedient hast, um die Du Seele und Leib gewagt,
weil Du mir so viele Jahre getreu gewesen, darum bin ich hergekom-
men, dass Du nach Herzenslust mich beschauest, wie schöne ich sei und
vollkommen." Das bedünkte den edlen Herrn aber wunderlich, dass
ihn die Fraue, die er nie gesehen hatte, ihren Dienstmann nannte,
ihrer Schönheit willen erbietet er sich als Knecht bis auf den Tod ihr
zu dienen und fragt nach ihrem Namen, ob er denselben vielleicht schon
gehört habe. „Dass Du mir unterthänig bist, darfst Du Dich nicht
schämen, entgegnet sie darauf, denn unter meiner Krone stehen Kaiser
mid Könige , Grafen , Freie und Herzoge haben mir ihr Knie gebogen
299
und mein Gebot geleistet, denn ausser Gott, der allein gewaltig über
mir ist, fbrchte ich Niemand. Die Welt bin ich geheissen; nun sei der
lange begehrte Lohn gewährt, hie bin ich, nun schaue mich an!^ Da
kehrt* sie ihm den Rücken zu -:— der war überall voll abscheulicher
Schlangen, voll Kröten und Nattern, ihr Leib voll Blattern und Ge-
schwüre, Fliegen und Ameisen zehrten daran, in*8 Fleisch hatten sich
die Maden bis auf die Knochen eingeüressen, unleidlicher Gestank bro**
delte von ihr, statt des reinen Kleides war hier nur schlechtes Aschen-
tach zu schauen, ihr lichter Schein war in Aas verkehrt. Dann zog
sie von dannen. Der Ritter aber war wie umgewandelt, verliess Weib
und Kinder, nahm das Kreuz auf sein Gewand, hub sich über das
wilde Meer und half dem edlen Gottesheer gegen die Heidensohafl
streiten. Das that er so fleissig sagt Konrad mit einer Walther*schen
Wendung, dass, als ihm hier der Leib erstarb, seine Seele ihm dort
genass. —
Verstehen wir die Sage recht, so hatte Wimt offenbar schwere
Krfahrungen in der Welt und an ihrer Treue gemacht, er mosste furcht^
bar enttäuscht und aus seinem schönen freudigen Lebdn aufgeschreckt
worden sein, dass er selbst Weib und Kinder Hess und zum schweren
Streite in's Elend (in die Fremde) fuhr. . Conrad von Wirzburg aber
Kat mit dieser kleinen Erzählung, in der er einen inneren Vorgang oder
ein äusseres Erlebniss des Dichters in poetischer Bildung verkleidete,
ein Meisterwerk seiner Kunst geliefert; in warmen Zügen schildert er
ans den noblen Dichter, so dass sein ganzes Bild mit seinen Freuden
und Entsagungen in herzgewinnender Weise vor uns steht. — Die
Bistoriker sind darin übereingekompien, dass, da der letzte Kreuzzug,
den Wirnt mitgemacht haben kann, im Jahre 1228 aahub, demzufolge
der Wigalois ungefähr in den Jahren 1210 — 1212 entstanden seiq müsse.
Dass er von seiner Kreuzesfahrt nicht mehr zurückgekehrt, scheint
Konrad angedeutet zu haben ; auch Rudolph von Ems , der seine
Chronik freilich, erst 1240 schrieb, gedenkt seiner als eines längst Ver-
storbenen. ')
Der Wigalois aber mussfe sich einer grossen Theilnahme und Ver-
breitung erfreut haben, denn abgesehen von den verschiedenen Hand-
schriften, die sich j;u Köln, Stuttgart, in Mecklenburg,') in der Schweiz
*) Spaagenberg rühmt in s. Adelspiegel 11. 197: ,^Bernhard von Graiien-
berg, so sonst auch Wim icke vnd Wirnt genaodt wird, ein gelahrter
vnd belesener vom Adel, so viel Historien Reimweise beschrieben vnd vnter
denselben auch das Gedicht von Herr Wiglois vom Rade vnd dem roten
Grauen Hoiero xu Manssrcldt."^
'j Lisch in den Mecklenburg. Jahrb. VII. 225.
800
und in den Niederlanden fanden, fehlt es aach nicht an Zeugnissen, die
des Dichters und seines Werkes lobend gedenken. Noch im XV. Jahr-
hundert, als die Sprache desselben schon unverständlich geworden
war, machte sich ein Ungenannter darüber, das liebgewordene Buch in
neue Form zu fibertragen und schuf 1472 ein Volksbuch in Prosa
daraus, das später oftmals gedruckt ^ und auch in die ^das Buch der
Liebe'' ') betitelte Romansammlung aufgenommen wurde. Aus der
Prosafibersetzung hatte unser braver Münchner Maler Ulrich Fütrer
gegen das Ende des XV. Jahrh. einen neuen Auszug veranstaltet, den
er dem zweiten Theile seiner im Versmaasse des Titurel geschriebenen
Sammlung von Ritterbüchern einverleibte.') Auch im Dänischen und
Isländischen hatte der Wigalois im XVI. Jahrh. Eingang gefunden,
sogar eine jüdisch-deutsche IVavestie kam zu Stande, die Josel von
Witzenhausen mit der ganzen Bravour eines Bänkelsängers ver-
fasste. *•)
Im Jahre 1819 (Berlin bei Reimer) veranstaltete der als Lehrer
Jacob Grimms bekannte und in seiner Zeit hochverdiente 6. Fr.
Benecke (f 1844) die erste, namentlich durch ihre Erläuterungen
werthvolle Ausgabe, worauf Franz Pfeiffer einen kritisch hergestell-
ten Text (Dichtungen des deutschen Mittelalters. Leipzig, 1847. VI. B.)
und W. 6f. von Baudissin (Leipzig 1848. bei Brockhaus) eine
flüssige Uebertragung , von welcher unsere Leser hier manche Probe
gefunden haben, folgen Hessen.
Ueberblicken wir noch einmal das Gedicht, so stellt sich das
Ganze klar als eine Copie des Parcival heraus, mit dessen Dichter
unser Wimt ebensowohl, wie mit dem Verfasser der Lehren des
Winsbecke bekannt gewesen sein musste. Gawein spielt ganz die
Rolle Gahmuret's , . er geht eine Ehe ein und verlässt seine Frau aus
Lust an Aventiure^ wie Gahmuret auch mit Herzeloyde thut; der aus
dieser Ehe hervorgegangene Sohn ist, wie dort der Parcival, hier der
Wigalois, der Held der Fabel. Es gibt überall secundäre Naturen,
*) Augsburg 1493. Strassburg 1519. Frankfurt s. a. und 1561, 1586. Nürnberg
1653 und 1661. Vgl. G öd ecke Grundriss. S. 116.
3) 1587. Neue Ausgabe Berlin 1778. II. B. — Neu bearbeitet von Simrock
in dessen Volksbüchern. 1846. III. 419—196.
') Docen Beiträge. IX. B.
*) Wann dieses Machwerk zum erstenmale ^druckt warde, ist nDbekannt,
doch gedenkt desselben schon Wa^enseil ins. ,^Belehrnnff der jüdisch-
teutschen Red- und Schreibart^ (Königsberg 1699), von" wo dasselbe in die
^^Erzählungen aus dem Heldensaal aller deutscher Nation^ (Danzir 178(^ über-
ging. Vgl. V d Hagen im Museum für altd. Lit 1809. I. 556 (T. — Auch'
eine spanische Bearbeitung des Wigalois »islirt. Vgl. Beneek^ S. XXV.
801
die eine Anregung von aassen, eines Vorbildes, an das sie sich an-
lehnen können, bedürfen, um zur eigenen Productivität zu gelangen
so auch Wimt, der erst iiu reiferen Alter zur Poesie kam. Wie
Wolfram sich gerne, wiewohl massig, in Schilderung prächtiger Ge-
wände und feiner Zucht ergeht, so hat« Wirnt häufig Alles überboten
und häuft, wie er selbst sagt. Niegesehenes auf seine HaujHpersonen.
Die phantastischen Abenteuer 6awan*s im Parcival überbot Wimt mit
einem ganzen Dutzend ähnlicher, nur noch mehr ungeheuerlicher Ar-
beiten, die Gawans SprössUng, im Style des Vaters zu vollbringen
.hatte. Die Gralbotin Kundrie ist ihm für sdine Riesenirau als Modell
gefressen, -auch den Rohas (Parcival 496, 15) bringt er wieder, aber
in spuckhafter Gestalt. Nur eine schöne goldene leitende Idee hat er
nicht, sein £pos ist ein tolles mittelalterliches Nebeneinander, wie bald
auch die Maler die verschiedenartigsten Begebenheiten neben einander
in ein Bild zu gruppieren beliebten; seine Aventiure ist nicht gebaut,
sondern nur lose aneinander gereiht, dabei pocht er aber immer auf
seinen Gewährsmann, den welschen Knappen, der vielleicht eine gut er-
fundene Figur ist. Auch in der äusseren Form nähert sich Wimt
seinem Vorbilde; wie Wolfiram, freilich erst nachdem seine Dichtung
weiter vorgeschritten war, ein bestimmtes Maass von dfeissig Zeilen
in einen Abschnitt, fasst, so macht Wimt gleichfalls eigenthümliche
Abschnitte, die er jedesmal durch einen dreifachen künstlichen Reim
bescbliesst. — Es muss ein noch unentdeckter Verkehr mit den Beiden
bestanden haben, Wolfram war für Wimt von demselben Einfluss,
wie der Wigaloisdichter auf den später zu besprechenden Winsbecke
ausgeübt hat. Dass Wolfram übrigens des Wirnt nicht erwähnt, ist
völlig klar, da Letzterer erst au sein Werk ging, als der Parcival'
schon vollendet war. —
An den Parcival oder an die. von den Welschen ziemlich frivol
behandelte Artussage lehnt sich ferner Heinrich von dem Türlin,
der in seinem über 30,000 Verse umfassenden Werke „der aventiure
kr^ne^ den Chrestiens de Troyes zu Gmnde legte.*) Das Gedicht muss
etwa nach 1220 und vor 1242 entstanden sein. Scholl theilt Wacker-
nag eis Annahme, dass der Dichter aus Steyer war; dagegen hat
Dr. Karl Roth den Namen (Heinricus apud portulam) in einer Ur-
kunde des Reichsstifts Niedermünster zu Regensburg vom Jahre 1240
aufgefunden. Den Stoff holte sich der Verfasser aus der französischen
>> Dia cr6oe, von Heinrich von dem türitn. Iiemasgeg. von Srholl. Sliitigart
1852. XXVII. B. der Stutigiirl. Pirbl. Zingerle in Pfeiffers Germania. V,
468 ff
302
Quelle, in Form and Behandlang hatte er den Wigalois zum Moste
genommen, doch kannte er auch Wolfram, Hartmann, Reinmar de
Alten und Ditmar von Eist. Gervinus hat ein allzustrenges UrtheiL
darüber gefallt, doch ist die Fülle der Aventiuren zu übersättigen
, als dass wir des Weiteren darauf eingehen können ; * was Heinrich vo
Gawanjs Abenteuern erzählt, stimmt theilweise mit dem Parcival genau
überein, auch geht Gawan den Gral zu suchen und findet ihn wirklich.
Tn der Folge werden wir unserem Heinrich von dem Türlin noch einmal
begegnen, da er einen Theil des Willehalm seiner wohlwollenden Be-
handlung unterzog. —
Die Sage vom Schwanenritter (die auch Konrad von Wirz-
burg bearbeitete) haben wif bereits früher erwähnt. Im Lohengrin,0
den nach Ettmüller (Handbuch S. 220) Heinrich Frauenlob verfasst
habeth soll, treten Heinrich I., Giselbrecht, Herzog von Lothringen und
Bischof Ulrich von Augsburg auf, die als Zeitgenossen Lohengrins an-
gegeben werden; das Gedicht schliesst mit einer kleinen deutschen
Geschichte bis zum Tode Heinrich H. und der heil. Kunigunde. Auf-
fallend ist (v. 7617) das Lob des Bayerlandes; vielleicht stand der
Poet in Beziehung zu Herzog Heinrich von Niederbayem. (1253—90.)
' Daran reihen wir eine Anzahl anderer Werke und Dichter, die
sich entweder durch frühere Abschriften bei uns eingebürgert haben oder
deren Verfasser mit mehr oder minder gesicherten Rechte Ansprüche
auf Landsmannschaft erheben. Die goldene Geschichte von Mai und
Beaflor*)' ist uns in einer Handschrift vom Jahre 1284 erhalten;
.der Tandarius und Florbidel des steyerischen Plaier') kam
frühzeitig zu uns, ebenso der Daniel von Blumenthal des Strickers,
der als Lehensmann des Klosters Reichersberg (1190) unsere Grenze
in derselben Weise streift, wie er mit dem wirren Knäuel seiner Aben-
teuer die Artus- und Pareivalsage berührt. Ulrich von Zazikoven
galt nach Wackemagels Urtheil, dem sich anflängKeh noch (xödeke
anschloss, für einen Bayer, bis ihn Pfeiffer (Germ. H.. 496) in den
Thurgau bleibend verwies. Auch Konrad von Wirzborg wurde
') Aiisgahe von Görres 1813 und Rückert Leipzig 1858. (XXXYI. Bd. der
Bib). der ges. dent. Kit.) LelKlerer selzt die Zeil seiner Enisfehiing zwischen
1276—90.
') Herausgegeben im Vif. B. der Dicblungen des dculsdien MidelaKers. Leipzig
1848. Ueberselzl und erklärt von Job. Wehrle. Freiburg 1856.
^) Pfeiffer (German. IL 500) sucht Plaiers Heimalh im Salzhurrischen ; uoler
den Zeugen einer zu S4. Zeno bei KeicheiihaU 1305 «usgesIdHen Urkunde
erscheint ^lier Cbuurat der PJHyer ^
303 ,
t&r fiaset in Ansprucli genommen; WackernageP) fand nämlich in der
^ Spiegelgasse ^ zu Basel, wo der Dichter wohnte nnd am 31. Augast
1287 mit seiner Frau und zweien Töchtern an einem Tage gestorben
sein soll, ein Haus, das den Namen Wirzburg föhrte; er schloss daraus,
dass Konrad davon seinen Namen erhalten habe; das Haus trägt den
Namen aber erst in einer späteren Urkunde, eine über die Todesjahr-
zahl des Dichters hinaufreichende Nachricht über dieses verhängnissvolle
^domus <)uondam magistri Cunradi Wirzeburg^ ist jedoch noch nicht
aufgefunden. Sonach wäre es immer noch defikbar, dass der als vagus
oder ,.gernder man" landflüchtig herumziehende Dichter von dieser
Stadt wohl xien Namen habe, indess seine Werke unter dem Protectorat
fremder Bfirger und wohlwollender Herren später entstanden. Da der
Streit noch lange nicht ausgefoctiten und sub judice scheint, da Herr
Denzinger mit weiteren Belegen uachzurticken gesonnen sein soll,*) so
mag es Herr Wackernagel, der hier ohnehin schon genug Lücken und
Fehler nachzuweisen haben wird, gleichfalls verzeihen, wenn Conrad
obwohl ganz kurz unter den bayerischen Poeten in einer heutigen Li-,
terärgeschichte verzeichnet wird. Nach den alten Grenzen des Landes
gehört er uns ohnehin auf keinen Fall an, auch sind seine Werke alle
in der Fremde und auf die Bestellung anderer Leute entstanden, nur
zwei Stoffe, vom Heinrich von Kempten und die schöne Novelle von
Wirnt's Lebensende gehen uns ihrer heimathlichen Beziehungen wegen
an; aber auch dazu will der Dichter seinen Stoff aus Büchern erhalten
haben, wenn anders auf diese stereotype Redensart etwas zu geben ist.
Herr Blicker von Steinach (1211— 1228) mit seinem „ümbehang**
gehört in die heutige Rheinpfalz.') Dagegen wäre ein anderer Dichter
AI brecht von Kemenaten vielleicht noch flir uns zu gewinnen.
Er gehört in das XIII, Jahrb.; von ihm sind nach Haupt (Zeitschrift
VI., 520—29) das Ecken lied und der Sigenot, dazu auch der
Goldemar; Haupt sah einen Schwaben oder Thurgauer in ihm,
Stalin (H. 764) gibt ihm die Heimath zu Kaufbeuem, Zingerle
fand eine solche Familie auch in Tirol , Bayern aber hat eine Unzahl
von Ortschaften, die diesen Namen tragen und selbst das heutige
„Nymphenburg" fiührte bis zur gloriosen Zopfzeit ehedem den ehrlichen
Namen Kemenaten.'*) Später erscheint ein Johann von Wirzburg,
der als Nachahmer Gottfried's von Strassburg, in den Diensten des
*) Iq der GermaDi«. 111. 257- 66 und dagegen H. Denzinger eliendas. lY.
113-115.
') Derselbe starb indessen 1862.
') Pfeiffer Zur deutschen Li't. Gfsdi. Slullgart 1855. S. 5—28.
^) Oberb. Archiv. Vf. 366.
J
804
Grafen Albrecht van Heyerloh (wahrscheblich za Esslingen) im J. 1314
eine Maer von ^Wilhelm von Osterriche^ vollendete, in welcher er
das österreichische Fürstenhaus verherrlichte.*) Alle diese Dinge ge-
hören jedoch grösstentheils gar nicht hieher, wir erwähnen sie nur, um
einigen ängstlichen Gemüthem , ' die uns mit ihrer guten Meinang oft
heillos in die Irre geführt haben, gerecht zu werden und selbe unsere«
unzweifelhaflen Dankes zu versichern. —
Da unsere Vorfahren immer von dem ihnen zunächst liegenden Leben
ihre Bilder nahmen, so machten sie auch aus der Minne entweder ein
Kloster, in dem die Minnerlein in weltabgeschiedener Verschollenheit und
Alles vergessender Innigkeit einander leben, oder sie machten einen Krieg
daraus oder gar eine Burg,') die von wackeren Rittern standhaft erstritten
werden muss, noch lieber aber nahmen sie das Beispiel von der Jagd, was
Hadamar von der Laber^) zu einem eigenen Gedicht in der künstliche
Titurelsprache ausgedehnt hat Die grosse Anzahl der erhaltenen Hand-
und Abschriften, die Ruhmredigkeit, mit der man im XV. Jahrh. und
, späterhin des Dichters gedachte und ihn sogar mit Wolfram gleich-
zustellen beliebte, zeigen von dem wiederhallenden Anklang, den dieses
Opus geweckt und gefunden hatte. Der Umstand, dass Wignläus Hund
im Jahre 1676 auf dem früher den Laberern gehörigen Schloss Prann
(an der Altmühl) eine (nun in München befindliche) Handschrift des
Nibelungenliedes üand, möchte auf den Sitz unseres Dichters schliessen
lassen, dessen Familie jedoch weit verzweigt was, ebenso wie der Name
Hadam&r, den wahrscheinlich immer die Erstgebornen derer von der
Laber ftihrten. Demnach ist der Versuch, den Dichter nach fester
Jahrzahl und Persönlichkeit zu bestimmen, ziemlich schwierig. Ein
Hadamar von der Laber vermählte sich 1294 mif^Agnes, der Tochter
des Ulrich von Abensberg; er könnte der Autor unseres Gedichtes sein,
das in die ersten Jahrzehende des XIV. Jahrh. fällt. Sicherlich lebte
er am Hofe Kaiser Ludwig des Bayer, ^) in seinem Opus üennt er
wenigstens den greisen Ludwig von der Teck, der mit dem Kaiser ver-
kehrte und 1328 in einer kaiserlichen Urkunde erscheint, worin Luoca
zu einem Fürstenthuui erhoben wird.
•) Stimulier H»ii(Jliiich. S. 229. Wackernagel S. 107. Gödeke S. 74.
') So i. B. die .Miniiebiirg des Meisfer Egen von Bamberg. (HS. in Wien und
Heidelberg )
') Heraiisgegehtin von Seh melier. XX. ß der Publ. des liCerar. Vereins.
Sliiilgart 1850.
^) Ein .Hadamar von der I.nber war aurh im Dienste Ludwig des Sirengen, und
unferschrieb inii Konradin die Sliflungsiirkunde von Fürsfenfeld ood die
Begabung Seligenihals. 1266.
Der Verdacht ist vielleicht nicht ungegrttndet, dass Hadamar ein
leider fiir uns verlorenes, schönes, hohes and kunstvoUendetes Vorbild
genommen h^tte, er verhält sich zu einem unbekannten froheren Dichter,
wie Albrecht von Scharfenberg zu Wolfram. Eine so tantologische.
Phantastik, eine solch mühevoll sich hinwälzende Allegorie kommt nicht
aas einem Gosse, entsteht nicht ans der Seele eines Menschen, ond
wenn er auch der verschrobenste Kaoz wäre; so etwas ist nor dorch
ein Bessermachenwollen möglich, dem dann der breiteste Zopf im Nacken
sitzt. Wir können mit einem vom Standpunkt des Xin. Jahrh. röck-
schaoendem Beispiel kühnlich behaupten, dass Wolfram's Titnrel, wie
er mit ^grandioser Einfachheit in der Seele des E^schenbachers entstan-
den, ein romanischer Kirchenbao gewesen, der von der nachfolgenden
Spitzbogenkonst dorchbrochen und gothisirt wurde ; da Wimmelt Alles
von Zien'athen, Knäufen und Knäufchen, von Laubwerk, ausgeladenen
Ornamenten und gebogenen Fialen und gewundenen Thürmchen. Hada-
xnar's Arbeit aber macht eher noch den Eindruck eines gotbischen Domes
der in gutgemeinter ^Verschönerung'' mit Renaissancestil überkleistert
Albrecht von Scharffenberg und Hadamar von der Laber
^^varen geistesverwandt und hatten sich im Leben sicherlich zusammen-
^efonden^ der eine stand vielleicht schon an der Grenze des Lebens, der
^uidere im vollen Jugendmuthe, zwei ganz congeniale Geister und höchst
'tertiäre Naturen. Das Unglück will freilich, dass Hadamar*s Dicht-
«jng in keiner gleichzeitigen Handschrift erhalten ist; die Kopisten haben
^^^e zur Strafe eigenwillig Hand angelegt und so ist kaum eine Strophe
in allen Handschriften dieselbö verblieben. Schraeller's Ausdauer ver-
mochte eine Vulgata herzustellen und darnach gestaltet sich beiläufig
fx>lgender Inhalt: Eines Morgens reitet der Minnejäger aus, um sein
liieb zu finden, und folgt dabei einzig seineYn Herzen, das ihn auf die
Spur bringen soll. Ausser diesem personificirten Herzen sind mit ihm
c3ie von Knechten geführten Hunde: Golöcke, Lust, Liebe, Genade,
"Wille, Wunne, Trost, State, Treue, Harre, neben welchem Rudel im
"heiteren* Verlaufe nocfi allerlei andere ähnliche personificirte oder viel-
xnehr canificirte Jagdgesellen sowohl guter als schlimmer Art eine Rolle
spielen. Bei einem erfahrnen Waidmann, dem ersten der ihm begegnet,
^rbolt er sich Raths über sein Beginnen. Das Herz findet eine Fährte;
^ie Spur ist die eines hohen preiswürdigen Wildes. Demselben nahe
gekommen , entrinnt aber dem Jäger das Herz und wird 'vom Wilde
^verwundet. Es zeigen sich Wölfe, d. h. Auflauerer und Angeber. Von
kleinen Hunden verlassen und weil das Pferd ein Eisen verloren, zu
^^8 laufend, begegnet er einem zweiten Waidmann, einem ehrenhaften
20
306
Greise , mit dem ein langes Gespräch gefthrt wird , während Wille,
State und Treue, das wunde Herz voran, das edle Wild verfolgen,
welches endlich mit Wunne und Fröude von unserem Jäger erreicht
.wird. Wie verzaubert steht er vor denaselben und erdreistet sich nicht
Enden auf es zu lassen. Da bringen die Wölfe ^alle Hunde zur Flucht,
das Wild entrinnt ^in des Herren Wildbann.* Der blöde Jäger muss
von der Fährte lassen. Sein Herz ist nur noch tiefer verwundet. Aber-
malige Begegnung mit einem dritten, einem in Sachen der Minne wenig
blöden Waidmann, zu dem sicfh ein vierter gesellt. Bittere Klagen
unseres Helden über das erfahrene Missgeschick, und dass er vor der
Zeit ergrauen müsse, Klagen, in die sich gleichwohl die Hoffnung
mischt, treues Ausharren werde das hohe Wild denn doch noch endlich
gewinnen helfen.
Es scheint, der Dichter, der zum besten damaligen Adel gehörte,
habe darinnen die Geschichte einer geheimen Liebe zu einer höher
stehenden Person des Hofes verherrlicht, der Name der Gefeierten
wäre aus den Anfangsbuchstaben der 689. Strophe als Katharina zu
entziffern.
An diese Klage reiht sich ein in denselben Strophen abgefasstes
Zwiegespräch: der Minnenden Zwist und Versöhnung, das
auf eine befriedigende Lösung der waidmännischen Aventiure schliessen
lässt. Auch dieses ist ganz chevaleresk und die Ehre der Frauen der
das Ganze durchklidgende Grundton. Das ist, wie schon Gervinus
bemerkt hat, das Anziehende bei Hadamar, dass unter dem eintönigen
Fluss des Ganzen bisweilen die überraschendsten Bilder und Gleichnisse
auftauchen, eine ganz neue Art von Weiber- Achtung und Vergötterung;
liebliche und gemöthvolle Züge, wie sie nur das Volkslied hat.
Daran schliesst sich noch ein drittes Gedicht: der Minne Falk-
ner, darin die Geliebte als Edelfalke verherrlichet wird. Das Vorbild
blieb nicht ohne Nachfolge; auch Suchenwirt versuchte sich im ähn-
lichen Genre und Wolfgang Sedelius zu Tegernsee schrieb 1545
eine geistliche Hirschjagd; man sieht, Hadamar war ein Vor-
läufer des Theuerdank, wenigstens ist was poetische Dinge betrifft,
von Kaiser Ludwig IV. bis auf Maximilian L den letzten Ritter, keine
grosse Kluft. —
Neben den grossen episohen Romanen erscheint eine Anzahl
kleinerer poetischer Erzählungen und gereimter Novellen, die
sich entweder in eigenen Sammlungen, oder in Mischbänden, auch hie
und da wie angehängte Codicille oder als selbstständige Büchlein er-
halten haben. Die grösste Mannigfaltigkeit des Stoffes ^ird in ihnen
307
angetroflfen , fast alle aber sind die sprechenden Zeugen einer sinken-
den Kunst und noch mehr eines bereits faul gewordenen Lebens. Da
eine Anzahl davon namenlos überkam, viele auch erst später das
Indigenat bei uns erhielten, so ist die patriotische Frage dabei eine sehr
schwierige.
Ruedeger der Hunthover, der um 1290 ein 1200 Verse
langes Gedicht von dem Schlägel verfasste, ') ist für Bayern vindicirt
worden. In vielen Städten und Märkten, auch in Franken*) und
Schwaben, findet sich ein Schlägel aufgehängt und zwar zu gemischten
Gebrauch fiir Männer und Frauen; es sind Städtewahrzeichen, die
heat zu Tage einen sehr humoristischen Beigeschmack haben, früher
aber sicherlich eine höhere und edlere Bedeutung, dass die Stadt dem
Gotte Donar geweiht sei , aussprachen. ') Ein Hundshof ^) findet sich
in Franken bei Burgebrach , dessgleichen bei Mitterfels , bei Rain und
in Niederbayem, wo nach Schöppners „Sagenbuch* die Schlegelge-
schichte wiederkehrt. Ein Mann, der seinen Kindern zu frühe sein
"Vermögen übergeben hat und von diesen dafür elend behandelt wird,
^^reiss sich dadurch bessere Pflege zu erwerben,* dass er vorgibt, noch
grosse Schätze zu besitzen; die nach seinem Tode geöffnete Kiste ent-
liält jedoch nur einen Schlegel mit der Aufschrift: wer je so närrisch
sei, dass er alle seine Habe den Kindern gibt, so dass er selber Noth
leidet, dem soll man hiemit den Schädel einschlagen. Die Lehre geht
dann nebenbei in allerlei Variationen auch auf die Ehemänner über.
Ein sehr altes in alten und neuen Sprachen oft erneutes Maere ist
c^as vom Schpeekind (des snöwes sun) das wir aus vielen Gründen
tf^r Bayern gleichfalls in Anspruch nehmen können. Denn abgesehen
<^von dass die Münchner Bibliothek eine Handschrift besitzt,*) so ist
c3er älteste Dichter, der die Historie in deutsche Verse gebracht hat,
der Strickers, der als Lehensmann des damals noch zu Bayern ge-
liörigen Klosters Reichersberg erscheint; zuletzt hat sich derselbe Stoff
*) V. d. Hagen Gesammlabenf. II. Nr. 49 ii. dessen Minnesinffer. IV. 615. —
K. Roth (Beilr. II. 101) weist eine solche Ortschaft südöstlich von Regens-
burg urkundlich nach, ebenso den Namen des Dichters, der mit dem Ver-
fasser der ,,Heidin^ dieselbe Person zu sein scheint.
^) Die Sitte Wurde oolizeiTich abgedcbaffl. Vgl. Journal von und ftir Franken.
NtSrnberg 1793. VI. 193.
') J. Grimm in Hauptes Zeitschrift. V. 72 IT.
^) Der Ort muss früher ursprünglich Huninc-hof geheissen haben, das bedeutet
Hof der Hüninffe, d. h. aer Kinder von Nat-bkommen eines Hun, d. h. eines
Manned, der Hun hiess oder ein ^Hunne*^ viar und von den grossen Heu-
schreckentügen dieses Volkes im Lande sitzen geblieben war.
') Darnach in v. d. Hagens Gesammtahent. Nr. 47.
20*
308
auch als Volkserzählung erhalten , ^) so dass wir sie mit gatera Gre —
wissen hier erzählen dürfen. Ein Kaafinann fuhr nach Gewinn fibec^
Meer und kam in ein fernes Land, wo er so guten Kauf fand, dass ez:*
drei Jahre dort blieb und erst im Ende des vierten Jahres heimkam»
Sein Weib empfing ihn minniglich, ein zweijähriges Kindlein ging aber
mit ihr. Auf seine Frage, wem es gehöre, erzählte die Frau, wie sie
voll sehnsüchtigen Verlangens nach ihrem Gemahl einst zur Winterszeit
in ihr Gärtlein gegangen , da habe ihr nach einem Eiszapfen gelüstet,
den habe sie gegessen und davon das Kindlein empfangen. Eine andere
Variante lässt die Frau eine Schneeflocke mit dem gleichen Erfolg
geniessen.') Der Mann meint, es werde wohl so sein und übernimmt
das Kind. Er lehrte den Knaben jagen mit Hunden und Habichten
(hebechen) und allerlei Federspiel, dazu Schachzabel, artig (mit zühte)
sprechen und schweigen, harfen, rotten und geigen und allerhand Saiten-
spiel und viele andere Kurzweile. Hierauf, nach zehn Jahren, ging er
abermals zu Schiffe und nahm seinen Sohn Eiszapf mit sich. Er wurde
in ein schönes Land verschlagen, wo er einem reichen Kaufmanne das
Schneekind als Waare anbot und um dreihundert Mark verkaufte; damit
fuhr er heim. Seine Hausfrau empfing ihn wieder minniglich, auf ihre
Frage nach dem Kinde erzählt er, wie das Schneekind in dem heissen
Lande, unter der sengenden Sonne wunderbarlicher Weise zerschmolzen.
So ward eines falschen Weibes List billig überboten.
Dem Strickers werden ferner noch einige gereimte Novellen
zugeschrieben, wie der Richter und Teufel und der nackte
Köni^;') ein ächter Schwank aus dem Volksleben aber ist „Sente
Mertines naht.***) Er gibt ein prachtvolles Bild, wie die Martins-
gans ehedem gefeiert wurde. Der vielbesungene Braten, worüber neben-
bei bemerkt, auch tüchtige Predigten^ existiren,^) war ehedejn ein
Wuotansvogel und blutete bei den grossen Julschmäusen; die Sitte blieb
an dem herkömmlichen Tage haften und ging so auf den heiligen Bischof
über, der sich dieses Attribut gefallen lassen musste, obwohl dieses
Thier in seinem Leben gar keine Rolle spielte. •) Unsef e Vorfahren '
') Um Millenberg am Maine vgl. Seh melier Mundarten S. 449.
') Die befruchtende Kraft des Schnees spielt in vielen Sagen eine Rolle. Vgl
Hocker Stamrosagen. 1857. S. 67.
^) V. d. Hagen Nro. 69 u. 71. Erstere auch als Volkserzahlung erfaalleR, vgl.
Schmeller Mundarten. S. 447.
<) Hagen IL S. 457-62. 214 Verse.
^) J. Gräler 1588. 4® u. M. deFahris: eine schöne Nützliche Predigt wamaib,
viie und was gestalt wir S. Martins Gans ossen sollen. Thierbaupten 1595 4^
«) J. V^. Wolf Beitr. zur deut. Mytbol. I. 47 ff. Menzel Symbolik. II. 112 0:
809
waren eben mit einer zähen, historischen Anhänglichkeit aasgerüstet,
namentlich bei allen denjenigen Dingen, die wie Essen und Trinken
den Leib und die Seele zusammenhalten. Wie ernstlich selbst noch
das spätere Mittelalter darin za Weric ging, zeigt der altbayerische
Martinsgansgesang unseres Orlando di Lasso,') eine meisterhafte Com-
Position , die in weinseliger Behaglichkeit etwas angetrunken durch die
Tonarten schwankt, aber im Bewusstsein der grossen Bedeutung dieses
Tages sich anständig auf den Fössen zu halten strebt und mit humori-
stischer Feierlichkeit einen Choral anhebt, der denselben heiteren Ein-
dmck hervorruft, wie das Kyriesingen in der Wiener - Meerfahrt. Der
von Orlando überlieferte Text trägt jedenfalls ein älteres Martinslied
in sich: ^das ist St. Martins Vögelein, dem können wir nit feind sein.
Lass umegan in Gottes Nam! Trinken wir gut Wein und Bier auf die
gsotten Gans, auf die braten Gans, auf die junge Gans, dass sie uns
nit schaden mag!-^ — Strickers Erzählung versetzt uns in eine reiche
obderennsisch^ Bauernstube, wo der Maier mit seinem Gesind in der
Martinsnacht schlemmt und sie so viel guten Weines trinken, dass alle
iron. Sinnen kommen. Das benützten schlaue Diebe, brachen ein Loch
m seinen Stall und der Verwegenste schlüpfte hinein. Da fingen aber
die Hofhunde (hohrarte) zomiglichen an und bullen, dass der Wirth
38 hörte, ein Licht nahm und zum Stalle ging. Der Dieb konnte nicht
»ntrinnen, warf rasch sein Gewand ab, so dass er nakt dastand, als
ier Wirth eintrat, und so machte er über ihn und seine Rinder mehr
^8 zwanzigmal das Kreuz und murmelte dazu wie seinen Segen. Er
Brinkte dann dem Wirth näher, sagte ihm, er sei St. Martin und segne
sein Gut zur Vergeltung des Weines, welchen er am Martinsfeste ge-
spendet habe. Zugleich habe er (der Heilige) seine Rinder gegen ein-
dringende Diebe behütet und wolle fürder all seine Habe bewahren,
dmm möge der Wirth getrost sein Fest fortsetzen. Der trunkene Bauer
«reint^ vor Freuden, pries sich glücklich, dass der Heilige ihn so ge-
«rördiget habe, löschte das Licht und ging wieder ins Haus. Hier
verkündete er die Erscheinung und forderte Alle auf, in honorem
Sancti Martini fÜrder zu trinken: er würde selbst seinen Hühnern
schenken, wenn sie Wein trinken könnten. Sein Weib musste einen
Riten Käs auftragen, damit der Wein desto besser hinabging und man
%rauk auf sein und seines Weibes Leibes und Seelenheil und vor allen
^dem guoten sant Mertine ze liebe unt ze minnen^ so viel, bis Alle
^nnlos lagen. Unterdessen trieb der Dieb alle Ochsen und manche
Kühe hinweg. Als der Wirth seinen Bausch verschlafen und am
') t 3. Juni 1594.
310
Morgen in den^ Stall ging, fand er ihn leer und klagte seinem Gesinde,
das^ Martinas alle Rinder genommen habe; er wolle ihm nnn keinen
Becher mehr schenken; er heulte und alle seme Kinder tnit ihm. Sein
Weib aber schalt ihn selber ein Rind , dass er den Heiligen gesehen
zu haben wähnte. So hatte er Schaden und Schande, beklagte jedoch
mehr jenen als diese.
Die ehemalige, aus dem XIV. Jahrh. stammende Regens bur-
ger Handschrift, welche, nachdem sie frühe^ gerade noch recht-
zeitig copirt worden war, darauf im Jahre 1809 verbrannte, *) ent-
hielt in 554 Versen eine Märe von Aristoteles und Phyllis,*)
die später (1551) auch Hans Sachs in eine muthwillige ^comedi^
gebracht hat. ^Künik Filippns, der in Kriechen was gesezzen^ lies«
seinen Sohn Alexander durch den weisesten Meister Aristoteles erziehen
und gab beiden mit ihrem Gesinde ein besonderes Haus mit einem
schönen Garten; da lehrte der Meister dem jungen Knaben ^die buooh-
staben ABcdeee,^ das ging ganz gut^ bis Alexander die schone
Phyllis, eine Jungfrau der Königin, ersah, da .entbrannte er in Gluth
und sein „lernen was verirret gar''; in tausend Jahren bezwang die
Minne nie so eines Mannes Herze, er tobete nach ihr; die Schöne
erwiederte seine Liebe und so fanden sich die Geliebten in Freundschaft
und Treue bald in dem Baumgarten. Das vermerkte jedoch. der Meister,
strafte den Jungen mit Schlägen und Worten und hütete ihn auf*8
beste; doch half Alles nicht, denn ihre Herzen schwebten „in vröuden
gar hohe alsam ein adel ar.^ N^un ging Aristoteles zu dem Könige
und klagt* ihm die Märe; der König drohte dem Fräulein mit Strafe,
die wohlgethane Phyllis aber betheuerte ihre IJnscbuld, die auch von
der Königin anerkannt wurde; so begnügte man sich, die beiden Lie-
benden scharf zu beobachten und auseinander zu halten. Alexander
sass zornig und „brummende als ein ber'^ an der Schule, die leidvoU^
Phyllis jedoch, schön wie die lichte Sonne, sann auf Rache. Sie ging
in ihre Kemenate, legte ein „sidin swenzelin^ an ihren zarten Leib
und über aiese Schleppen eipen blanken Hermelinpelz, „sazte uf ir
haubet einen zirkel von golde, der was smal, geweht mit hohem «inne^
die besten gimmen lagen zwischen dem gesteine^; darauf beschaute sie
sich in ihrem Spiegelglas und als sie nichts mehr zu bessern fand, stieg
die Schelmin leise frühmorgens mit ihren schneeweissen Füssen in' den
Baumgarten hinab „üireht gelich dem sperwaere und gestrichet als
ein päpegän^ und Hess ihre Augelein umbe gehen wie ein Falke auf
h
*) Vgl. V. d. Hagen Ges. Abent. Hl. 780.
»)'EbendM. I. S. 21-35.
311
dem Aste, hab ihr seiden Kleidchen (svenzelin) wohl bis über die
blanken Kniee, mn Blumen darein zu lesen und am Brunnen im thaui-
gen Gras herumzupatschen. Das gewahrte kaum der alte Herr Magi-
ster, als er audi schon wie ein Gimpel. an der Leimruthe hing; die
Schöne aber sprang noch lustiger unter den Biuthen umher, warf dem ^
alten Herrn wohl eine Handvoll Blumen in- sein Fensterchen, so dass
das weise Meisterlein sich nicht mehr verwusste und ihr zwanzig Mark
Gppides bot, könnt' er eine Nacht mit ihr verträumen. Nun wusste sie
wohl, wie er an ihr einen Affen gefressen hatte (daz er an si vereffet
was), versagte ihm also ihr Magdtum, wenu er sich einen Sattel, der
in der Nähe hing, auflegen, mit ihrem Gürtel sich .aufzäumen und so
von ihr durch den Garten reiten Hesse. Nun ist es von jeher so ge-
wesen, dass Weiberlist über die grösste Weisheit siegte ; ihr zärtliches
Scbmoicheln, Singen, Tanzen und Springen brachte mit Weinen und
X«achen den alten Gauch so weit, dass er sich von der Minne satteln,
zäumen und reiten liess: die Heizende sass auf ihm, ein^n blühenden
Hosenzweig in der Hand und sang ein süsses Minnelied , während der
^aue Tattel auf allen Vieren durch den Garten trabte; dann sprang
sie ab, verhöhnte ihn weidlich, dass seine hundert Jahre wieder zu
sieben geworden und wünschte ihn zum Teufel, indess sie fröhlich von
plannen lief. Das Alles aber hatte die Königin mit ihren Jungfrauen
-von der Zinne aus gesehen, so ward die grosse Schmach dem Könige
und dem ganzen Hofe kund und erscholl überall. Also packte der
^eise Mann, dem Schimpf und Spotte zu entfliehen, nach einer Woche
«eine Bücher, Kleider und Habe und fuhr bei Nacht heimlich auf einem
£chifflein davon nach einer Insel, da blieb er, machte ein grosses Buch
und schrieb daran von den Listen der schönen, ungetreuen Weiber.
Manchem haben sie schon Leib und Leben verkehrt, wer sich an sie
liing. Ich bin, schliesst der Dichter, ^des komen über ein, daz da
Tür niht gehelfen kan , wan daz ein iegelich wise man , der gerne äne
Treisen st, si ir gesell esphefte vrt und vliehe verre von in dan; wan
anders niht gehelfen kan." — Das Histörchen blieb übrigens das
ganze Mittelajter hindurch bei uns und unseren Nachbarn sehr leben-
dig-) und wurde sogar gerne in Plastik und in Malerei ausgeführt;
man i^ah dergleichen Darstellungen auf Tischtüchern, auf der Steinplatte
eines Tisches und noch in den Kupferstichen des XV. Jahrh.
Eine Wirzburger Handschrift, die sich in die Münchner Bibliothek
gerettet hat, enthält ehe süddeutsche Dorfgeschichte: „daz bloch^
*) So spielt z. B. Hugo von Montfort öfters darauf an. Ein Fastn acht spiel
darüber bei Keller Nro. 128.
312
(der Block, trnncns), die v. d. Hagen aater dem Tite]: Ehestaad»
Tod und Hochzeit in seine Sammlong aufgenommen hat Eb behan-
delt die Zähmang eines bösen Bauern, der mit seiner guten Frau in
Unfrieden lebte, sie raufte und schlug, dass'sie mal wie todt liegen
blieb. Eine Nachbarin ^ welche den ganzen folgenden Handel anstiftet,
geht ihm auf das Feld nach und erzählt ihm , dass seine Frao gestor-
ben; vergnügt darüber gibt er ihr reichlichen Botenlohn und will nicht
eher nach Hause, als bis sie begraben. An ihrer Stelle wird nun
wirklich ein angekleideter Block begraben, die Frau aber heimKch zq
der Nachbarin gebracht, wo sie durch gute Pflege bald wieder ihre
frühere Schönheit und Jugend erhält, so dass sie dem vermeintlichen
Wittwer nach fünf Wochen, als er bereits daran denkt, eine neue
Hochzeit zu halten^, zugeführt werden kann. Er bemerkt anfänglich
die Täuschung nicht und lebt glücklich mit ihr, und auch dann noch,
als ihm der ganze Hergang enthüllt wird. Das Gredicht ist weder ab-
sonderlich witzig, noch geistvoll durchgeführt, wozu schon die Spitze
fehlt, weil der rustikale Kerlgar keine Reue empfindet.
Ein ähnliches culturhistorisches Spectakelstück ist die heilsame
Maere „wie ein man sin wip bat, daz si nach sinem tode ine man
waere;^ die aber, ebenso wie eine andere Anzahl kleiner poetischer
Erzählungen keinen Anspruch erheben kann, hier berücksichtigt zu
werden, denn ihre Entstehung ist nicht an Bayern geknüpft und der
einzige Umstand, dass sie später mit Wirzburger Handschriften nach
München kamen, ist doch bei namenlosen Sächelchen zu weitläufig.
Dagegen darf die Historie „von den ledigen wiben^ nicht
übergangen werden. Der Dichter nennt sich Hermann Fresisant von
Augsburg und seine 776 Verse lange Reimerei sein „erstes (iedicht,^
das er übrigens nur nach einer älteren Vorlage breiter ausgesponnen
hat.') Interessanter ist es, das heute noch gangbare Kindermärchen
von den drei Wünschen (dri wünsche) in früherer Fassung zu
sehen'): Ein Mann klagte seinem Weibe bitterlich ihrer beider Ar-
muth, da er doch nieht wisse, wie er sich gegen Gott versündigt habe;
auch sie ist sich keiner Schuld bewusst, so beschliessen sie Grott
reicht ernstlich Tag und Nacht zu bitten, sie reich und glücklich zu
machen. Und das thaten sie so lange, bis Gott den Engel des Mannes
herabsandte, der ihn belehrte, er müsse nicht um Gut bitten, weil er
dergleichen ohnediess erhalten hätte, wenn es ihni beschieden und zn-
*) Erhalten in einer bandscbriftlichen Sammlong von 1447, Hagen Nro. 35.
») Hagen II 258-^59. 238 Verse.
318
träglioh wäre* Da der Mann aber aaf seiner Bitte bestand, so bemerkt
ihm der Engel dagegen, dass der Mensch dann selbst die Schuld tragen
müsse, wenn er das anv«*diente Gl&ck wieder verliere. Er gab ihm
drei Wünsche, die unfehlbar erfüllt würden, und der Mann ging über^
glücklich heim, sich mit seinem Weibe zu beratheir. Er schlug vor:
einen grossen Berg Groldes, mit einer festen hohen Mauer umher gegen
das Vieh; oder einen Schrein, der immer voll bliebe, wie viel man
daraus auch nehme. Das Weib bat ihn zuvor um einen der drei
Wünsche und als er ihr gewährt war, wünschte s i e sich ein so schönes
Kleid , wie es noch niemals eine Frau auf der Welt getragen habe :
und auf der Stelle war sie damit bekleidet. Drob schalt sie der Mann,
dass sie nur an sich gedacht habe, während sie doch zugleich alle
anderen Frauen hätte bekleiden können und verwünschte ihr das Kleid
in den Leib, damit sie satt davon würde. Auch dieser Wunsch ward
erfüllt: das Kleid fuhr dem Weibe sogleich in den Leib und that ihr
so wehe, dass sie fürchterlich schrie. Die Bauern liefen alle herbei
und das Weib klagte ihnen, dass ihr Mann es ihr angethan habe. Da
drohten sie ihm und zückten Messer und Schwert, wenn er sein Weib
nicht wieder erlöse. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie durch
den dritten und letzten Wunsch von ihrer Qual zu befreien. So waren
die drei Wünsche schmählich verbracht und beide überwiesen, dass sie
kein Gut verdienten. Doch gab man dem Manne die meiste Schuld
und er ward so der Leute Spott, dass er Gott um den Tod bat und
auch vor Leid verdarb und starb. Der Dichter aber beschliesst mit
der Betrachtung: es gebe dreierlei Thoren (die toren sint drier slahte):
solche, die weder wissen, noch können (die niht sinne haut gewunnen,
diu enwizzen, noch enkunnen); solche, die nicht wissen wollen (die an-
dern wellent wizzen niht); und solche, die wohl wissen und können,
jedoch das üebelste thun und nur nach Gut und Freude trachten, ohne
der Seele zu gedenken (swaz vröude er hat, swie rieh er ist, und ist
der heilige Krist sin vriunt niht alters eine, s6 hilft ez allez Jcleine,
swaz er vriunde und guotes hat, swenne er vriunde und guot lät, ist
im diu sele danne uugenesen, s6 ist er le ein tor' gewesen. Swer die
sele niht emert, der ist ein töre, swie er vert. Ezn' hat nie man wisen
muot, wan, der Gotes willen tuot).
Von dem hochmüthigen Bauernstolze, der auch einmal Ritter spielen
möchte und dieses Leben von der elendesten Seite des Stegreifs und
Buschkleppers fasst, zeugt der Helmbrecht desWernher, der sich
selbst einen herumgartenden Zugvogel (gartenaere) nennt ') Das Ge-
*) Die fast 2000 Verse iiiiir88send& Dichtuog ist herausgegeben nach der Am-
SU
dicht, welches später in Oesterreich umgearbeitet warde, ftllt bald
nach NithartsO Zeit; es ist eine Dorfgeschichte im engsten Sinne
des Wortes, mit grauser Wahrheit und einer beinahe ganz Volkslieder-
massigen Behandlung. Der Inhalt folgt hier ausführlicher , denn der
Verlauf spielt ganz auf fränkischen oder baTerischen Boden und wurde
erst später in Oesterreich, wo die ,.6äuhünere^ schon längst ihr Un-
wesen trieben, neuerdings localisirt.
Eines Bauern Sohn, Namens He Im brecht trug lang fliegendes
rothes Haar und darauf eine Haube, die ein ausgesprungenes Nönnlein
überaus künstlich mit Bildern benäht hatte, denn mitten darauf befanden
sich Sittiche und Tauben und andere Vögele, als ob sie aus dem Spessart
(spehthart) flögen , auf der einen Seite ersah man die Belagerung von
Troja und wie Aeneas in den Kielen entrann, auf der linken standen König
Karl, Roland, Turpin und Olivier im Kampfe gegen die Heiden, zwischen
deq Ohren sah man wie Frau Heikens Söhne vor Ravenna (Raben) durch
Herrn Witig erschlagen wurden und den Diether von Berne. Verbrämt
war die Haube mit der Darstellung eines ritterlichen Tanzes : zwischen je
zwei Frauen ging ein Ritter, der sie an den HändeA führte, ebenso
zwischen je zwei Maiden ging ein Knabe an ihren Händen, daneben
standen die Fiedler.*) Helmbrechts Schwester, Gotelint, hatte der
Nunnen, die ^ durch ir hübscheit üz ir zelle was entrunnen" dafür eine
Kuh, und die Mutter Käse und Eier die Fülle gegeben. Gotelint gab
ihrem Bruder auch so feines weisses Linnen, dass wohl sieben Weber
davongelaufen waren, ehe es fertig ward; die Mutter gab ihm gleich-
falls so guten Zeug, wie nie ein „snidaere** verschnitten hatte, nebst
dem feinsten Schafspelz, dazu ein Kettenwams (keten wambis), ein
Schwert, einen Güitel Cgnippe) ') und eine Tasche. Dazu braucht er
noch einen Oberrock (warkus) und die in den Jungen vergaffte Mutter
kapft gleich das feinste blaue Tuch dazu: darauf stunden am Rücken
hraser HS. von Bergmann im 85. B. der Wiener Jahrböcber^ 1839, daoo
in Haupfs Zeilschrift. IV. 318-85 u. bei Hagen lU 282-335.
') Also bald nach 1234 Und vor 1250 noch in die Lebzeiten Kaiser Friedrich 11. _ VI.
') ^\e zwischen zwein frowen stuont, als si noch bf tanze tuoni, ein rilter an^r^ 'O
ir hende: dort an enem ende ie zwischen zweio ndeiden irie ein knahe dei
ir hende vie. dd stuonden videlaere bi."^ Es ist dieselbe Tanzsilfe, wie sii
Wolfram von Eschenbach beschreibt und wie sie auch auf den ältesten Pres-
ken des Schlosses Runkelstein abgebildet ist, eine Tour de mtins, die nil^^^|^
den langschnabeligen Schuhen sehr feierlich gegangen wird. Vergl. obei
S. 208 Anm. 1.
') Dieses Wort ist ein Beleg, wie wenig unsere Sprachwissenschaft iu
Dioffen vermag und einig ist. Haffen gibt ^^gnipe"^ mit Gürtel, Hanp
denkt sich einen Dolch darunter nna Grimm meint , es gehöre zur Tascoi
und müsste eine Knipptasche sein, ein Taschel, das sich scnKesst, saknippl.
^sa
^e
S15
Vom Nacken bis, zum GHkrtel , dicht aneinander goldene Knöpflein und
ebenso waren vom am Koller (goUier) vom Kinn bis zur Schnalle
(rinken) silberweisse Knöpfe! genäht; so war er nun der Allervor-
nehmste zwischen Hohenstein und Haldenberg.') Sein Busen war mit
<)rei Krystallknöpfeh geschlossen, auch war der Gauch ganz mit ^knö-
pfelinen^ übersäet, die gelb, braun, grOn, blau, roth, schwarz und weisss
schimmerten, so dass beim Tfinze die Weiber und Mägde ihn minniglich
ansahen. Da wo der Aermel am Mieder hängt (da der ermel an daz
muoder gat) war er mit Schellen behangen, die wenn er an dem Reihen
sprang, den Weibern in die Ohren klangen. Lebte nur noch Herr
Nithart, er könnte Euch alles das viel besser sagen.') Manches
Htrhn und manches Ei wurde noch verkauft, bi^ sie ihm Hosen ^nd
Mne Stiefel von Korduan') anschafften. So will der Oaach an den
Hof; vergebens mahnt ihn sein Vater an der Erde zu bleiben, vergeb-
lich bietet er ihm des Nachbar reiches Töchterlein zum Weibe, der
übermüthige Junge besteht auf seinem Vorhaben , und so kauft ihm
endlich der nachgiebige Alte, nachdem seine Schilderung des Hof lebens
in den Wind geredet, einen theueren Hengst; doch rathet er ihm sorg-
lich seine Haube und Locken zu böten, er fürchte ihn zuletzt am Stabe,
von einem Knaben geführt, wieder zu sehen: lieber möge er daheim
Wasser trinken, als für Raub Wein kaufen; lieber österreichisches
Klamirre (klamirre),**) Brei und Roggen mit Haber gemischt essen,
als dem Wirthe für eine Hanne oder Gans ein geraubtes Rind oder
Pferd geben und fremde Fische speisen. Der Sohn hiess den Vater
Wasser trinken, Geislitze (gfsKzze)*) und Haberbrod essen: er ver-
') ^.Höhenstein^ ist von Karajan (bei Haupt IV. 319) als die fränkische, ao
der PegnilK, nordöstliih von Nürnberg gelegene Burg, nachgewiesen, die im
XIII. Jahrhundert f.ur Advocatie der Sliiufer gehörte und die Konradin am
24. Oktober 1266 tm Augsburg an Herzog Ludwiff von Bayern verkaufte.
,^HaIdenberc^ aber liegt am Lech, %v('ischen Liclilenberg und Landsberg,
das (nach dem Geograph, stalist. topogr. Lexicon von Bayern. Ulm 1796. 11.
191) 7iUm Bisthum Augsburg, Rentamt München und Pflegegericht Landsberg
gehörte; es lag auf einem ansehnlichen Befg am Lech, wbt drei Stock hoch
und mit einem Tburme versehen, von wo die Aussteht besonders gegen den
FIuss berühmt ytht ; es halte doppelte Ringmauern und vt urde später von den
bayerist hen Herzogen bei der Reigerbeize oder bei den auf dem nachbarli-
chen Lecfafeld abgehaltenen Lustlagern, besucht. Auch Irieh sich Kaiser ^
Maximilian gerne hier herum auf der Enten- und Falkenjagd. Im Mittelalter
führte «in berühmtes bayerisches Adelsgeschlecht von diesem Schlosse den
Namen. - Der Sinn dieser Stelle also ist: Selten hat ein Bauer von Norden
bis Süden, hoch oben von Franken bis hinab an das Ende des Lechfeldes,
an sein Gewand solchen Fleiss gewendet.
') Nftbart eiferte immer gegen dieses sich adelig gebehrdenwollen der Bauern,
die langes Haar, ritterliche Waffen und höfische Kleider trugen.
^) ,.spargolzen.^ Nithart: spurgalzen (MS. HL 278.)
*) u. 5) V. d. Hagen IH. B. S. LXXVIII glaubt beide *Worte aus dem Slavi-
sehen erklären zu müssen, auch M. Haupt weiss nichts damit anzufangen,
816
lange Wein, Hühner und Semmeln. Das römische Taufbuch sage (mao
list ze Rdme an der phaht) ein Kind nehme des Pathen (toten) Tagend
an; so habe er von seinem Pathen> einem edlen Ritter, den hoch-
vertigen Sinn angenommen. Umsonst erhebt der Vater einen recht-
schaffenen Mann niederer Geburt über ein Königskind ohne Ehre und
Tugend; im fremden Lande würde jener auch f&r edelgeboren gelten:
> darum, wolle er edel sein, möge er auch edel thun. Der Sohn gibt ihm
recht und will desshalb fort. Der Vater aber schalt, dass er das Böse
für das Beste wähle und fragte ihn noch, wer besser lebe, Der, den
Alle segnen, oder Der, dem sie fluchen. Als der Sohn richtig darauf
antwortet, heisst ihn der Vater eben desshalb "beim Pfluge bleiben, so
fromme er Armen und Reichen, der Landbau kröne den König. Der
Gauch aber spottet der Predigt, die wohl ein Heer über*s Meer (zur
Kreuzfahrt) treiben möchte,^) wie es ihm aber auch ergehe, seine
weisse Hand komme nimmer an den Pflug. Noch einmal warnt den
Ungerathenen der Vater, welcher tr&umte: wie der Sohn zwei Lichter
in der Hand hielt, welche durch das ganze Land leuchteten; wie ihm
früher von einem Manne geträumt, den er heute als Blinden sah; wie
der Sohn ihm mit einem Stelzfusse und einem Armstummel erschienen;
wie er hoch über einen Wald geflogen, ihm aber ein Fittich abge-
schnitten wurde; endlich, wie er an einem Baume anderthalb Klafter
hoch über dem Grase schweb^ und über seinem Haupte rechts ein
Rabe und links eine Krähe ihm das struppichte Haar strählten. Der
Sohn ritt aber unbeirrt durch*s Gatter davon. Nun könnte man lange
davon erzählen, wie's ihm erging. Er kam auf eine Burg, deren Wirth
stets in Händeln lag und desshalb gern streitbare Männer behielt;
Helmbrecht trat in sein Gesinde und ward im Rauben bald so ge-
schickt, dass er Alles in seinen Sack stiess, selbst was ein Anderer
hätte liegen lassen; er Hess dem Manne nicht eines. Löffels werth, er
nahm Wamms und Schwert, Mantel und Rock, Kühe, Rinder und
Kälber und dem Weibe den Rock und selbst das Hemd (pfeit) vom
Leibe. So floss sein Schifflein das erste Jahr nach Wunsche ; von jedem
Gewinne ward ihm der beste Theil. Da sehnt er sich nach seinen
< Magen, nimmt Urlaub und fahrt nach seinem väterlichen Heim.
Hier laufen ihm die Dienstboten entgegen und heissen dpn ^Junk-
herr'' Gott willkommen; vornehm dankt der nun fremdländisch-spre-
chendfe Wicht, der seine Muttersprache verlernt zu haben vorgibt, d
lieben \,kindekin^; die Umarmung der Schwester erwiedert er mi
') Dieser Spolt bezieht sich aaf die vielbesprochene Kreuzfahrt Kaiser Friedritb 11
(1228.) ♦
817 •
„gritii vester,** begrfisst den Vater romanisch : ^D6d sal** (Gott helf !)
und die Matter gar „beheimisch^ mit „dobra yträ!^ (guten Morgen).
Verwondort sehen die Aeltern einander an, die Mutter meint, er sei ein
Böhme (B^heim) oder Wende (Wint) geworden, der Vater hält ihn flir
^ 4
einen ^Walch,^ die Schwester aber glaubt, er könne seines Lateins
wegen wohl gar ein Pfaffe geworden sein, während der Knecht ihp des
„kindekin^ wegen Itlr einen Sachsen oder Brabanten halten möchte.
Helmbrecht aber kauderwelscht weiter: ^ey was sakent ir gebürekin
und jenez gun§rte wif? min parit, minen klaren lif sol dehein gebürik
man zwäre nimmer gripen an/ Darüber erschrack der Vater, (der
ihn erst gebeten hatte, ihm doch deutsch zu sagen, ob er wirklich sein
Sohn sei, er wollte ihm gerne selbst dafiir sein Pferd wischen) und
Brbot ihm gebratene Hühner, wenn er wirklich sein Sohn wäre: wo
dicht, so möge er gen Böheim oder Windisch Land fahren, auch dem
F^affen gebe er nur sein Gebühr; und hätte er Fische die Fülle, doch
^&be er sie nimmer einem Sachsen oder Brabanter, und ein Welscher
LÖnne bei ihm nur verzehren, was er mitbringe, er habe weder Meth
loch Wein: drum möge der Junker bei den Herren bleiben. Nun war
^8 schon spät: der Knabe bedachte, dass kein Wirth in der Nähe sei
— also gab er sich als „sun und kneht^ zu erkennen, der Vater ver-
angt aber als Wahrzeichen noch die Namen seiner vier Ochsen und
iTst wie Helmbreoht die merkwürdigen Namen ^Uwer, Raeme, Erge
ind Sunne^ herzuzählen vermag, hiess ihm der Vater Thür und Thor
iflfnen und erbot ihm alles im Hause. Das Pferd wurde abgesattelt
sin phärt wart enphettet) und der Bursche besser behandelt , als es
reiss Gott! sonst dem Dichter begegnete. Die Mutter hiess die Tochter
aafen und ein Polster und weiches Kissen herbeizuholen, dass sie ihm
an warmen Ofen unter den Arm legten, wo er gemächlich wartete,
»is das Essen bereit war. Und nun trugen sie ihm auf! die erste
Pracht war: ^ein vil kleine gesniten Krüt, da bi lac ein guot fleisch,^
lann kam fetter Käse, eine feiste Gans, gross wie eine Trappe, am
^piesse gebraten, femer ein gebratenes und gesottenes Huhn und an-^
leres, was ein Herr gerne nähme auf der Jagd. Hätte der Vater Wein
gehabt, der hätte getrunken werden müssen, so verwies er aber auf
leinen klaren Quell, dem nur der zu „Wankhüsen^ ') zu vergleichen
lei. Ueber Tisch fragt er nach des Sohnes Lebensweise bei Hofe und
erzählte im schönen Gegensatze und redselig, zuvor sein eigenes Jugend-
*) Der Ort Wanghausen liegt in dem früher zu Bayern gehörigen Innvierlei,
wo unser Poel vielleicht dieselbe Erfahrung >vie Wallher von der Vogel-
weide zu Tegernsee ffemachl halle und in seinen Hrwarlungen als fahrender
Mann enttäuscht worden war.
318
leben, wie der Grossvater, Meier Helmbrecht, ihn mit Eiern und K&se
nach Hofe geschickt and er dort hofeliche und frendige Ritter, nicht
solche Schälke wie, jetzo , gefunden , welche den Frauen dienten mit
Buhurdieren, dann mit hochfertigem Gesänge an den Tanx traten,' zu
welchem ein Spielmann mit seiner Geige anhab; da stunden auf die
Frauen und die Ritter gingen ihnen entgegen und nahmen sie bei der
Hand, das gab wonnigliche Augenweide von Frauen und Ritterschaft.
D$inn kam Einer und las vom (Herzog) Ernst, *) oder jeder that
sonst, was er mochte, schoss mit dem Bogen oder jagte und pirschte.
Die Treulosen und Schmeichler aber wurden nicht bei Hofe gelitten.
Nun erzähle Du aber, wie es jetzt steht. Das will ich herzlich gerne
thun, sagt Helmbrecht, der Sohn, nun heis6t es am Hofe der Herren:
^trinkä, herre, triukä, trincf trinc daz uz, so trinke ich daz. wie möht
uns immer werden baz?^ (wie könnt' uns wohler sein!) Nicht mehr
bei schönen Frauen, sondern beim feilen Weine sieht man die Herren,
ihr Sinnen vom Abend bis zum Morgen steht nur darauf, dass er nicht
ausgehe und gut s^ und ihre Minne heisst nun : „Viel süsse Schenkin
(litgebinne), fall uns den Humpen (rtiaser), nur ein Affe oder ein Narr
nimmt fiir guten Wein ein Weib.** Lägen and Trügen ist Hofsitte,
Ehrabschneider (swer den man mit guoter rede versniden kan) und
Lästerzungen (swer schiltet schalcBche) gelten ftr tugendhaft; die alte
Sitte ist im Bann, Weibern und Männern ein Spott und verabscheut
wie der Henker (als ein hähaere). — Da klagt der Vater : Wehe, dass
die alten Tumei nun so -verschlagen ! ehedem galt der Turnierruf
(kroyieren): „heyä, fitter, wts et M!" nun kroyiert man duiich den
Tag: „Jage, jage! stich, stich! schlag! stammele den! schlag' jenem
den Fuss, diesen die Hand ab! henke jenen! nimm' von diesem Reichen
hundert Pfund Lösegeld!* — Dem vom weiten Ritte Ermüdeten breitet
die Schwester in Ermanglung der Leilachen ein „niwewaschen hemde**
über das Bette, wo er bis in den hellen Morgen hinein (unz ez hdhe
wart betaget) schlief. Darauf vertheilte er seine vornehmen Geschenke,
die er vom Hofe mitgebracht hatte, dem Vater gab er — einen Wetz-
stein, eine Sense (segense), Hacke und Beil, der Mutter einen Fuchs-
pelz, den er einem Pfaffen abgezogen; Gotelinde erhielt ein seidei
Gebäude (Kopfputz) und eine Borte , die er einem Kramer. a^ej
dem Knechte gab er Rienienschuhe und der Dirne (friwib) ein Haupttuct^B^h
mit rothen Bändeln, die sie gerade brauchen konnte. Ob er die Sacheo» -*i
geraubt oder gestohlen — . verhehle ich ungern, sagt der Dichter.
') Das «He N'olksbiich von Herzog- Üriist. Vgl. oben S. 8S ff.
819
Sieben ganzer Tage blieb der Knappe da , die ihm , da er nicht
langfingerte, wie ein Jahr däachten. Wie er sich beurlauben will,
mahnt ihn der Vater zu bleiben und die Hofweise zu lassen; er sei
lieber ein Bauer, als ein armer Hofmann, der keine Grundsteuer
(huobegelt) hat und immer auf Leib und Leben reiten muss mit der
fröhlichen Aussicht , dass ihn die Femde fangen , stümmeln und
höhen. Der Sohn aber dankt für die Bewirthung; weil er eine Woche
lang keinen Wein getrunken, habe er den Görtel schon um drei Löcher
enger geschnallt (des gürte ich drier loche an der gtirtel min hinhinder) ;
er muss sich wieder mit Rindfleisch mästen: Ein Reicher, den er einst
über seines Goten (Pathen) Saat reiten gesehen, der müsse das nun
mit Rindern, Schafen und Schweinen btissen, ein Anderer hat es ihm
auch zu Leid gethan, dass er Brod zu Krapfen gegessen, ein Anderer
hat beim Mahle sitzend den Gürtel niedergelassen, und wieder Einer
gar den Schaum vom Biere aus dem Becher geblasen: Das könne er
Alles leider nicht ungerochen lassen und wenn ein Bischof sich bittend
in's Mittel legte, zuni mindesten koste es Hof und Rinder. — Unser
Held gehört zu der geförchteten und verrufenen Bauernschaft , die
Edelhöfe und Burgen niederwarfen, und mit Feuer, Brand und Mord
raubten und brandschatzten, ein übermüthiges Treiben, das auch der
Strickers in der „Maere von den Gäuhühnem,**') gezeichnet hat.
Der Vater wünscht noch zu wissen, wie seine Gesellen und Lehr-
meister heissen ; sie haben wie die Landsknechte in den Passionsspielen,
ganz famose Namen, die damals wirklich üblich waren und wogegen
schon Bruder Berthold von Regensburg (1225) eiferte, wie Lämmer-
schlind (Lemberslhit) und Schlickenwieder (Slichenwider), bei
ihnen ist er zur Lehre gegangen; seine Schulmeister sind Höllensack
(Hellesac) und Rütteldenschrein (Rütelschrin), Kühefrass (Küe-
fr&z) und Mischenkelch (Müschenkelch), sein Geselle heisst Wolfs-
gaume (Wolfesgnome) , der selbst seineti nächsten Verwandten und
war' es im Februar, keinen Faden am Leibe Hesse, sein lieber Freund
Wolfsdrüssel öfiuet alle Schlösser und Eisenhalten ohne Schlüssel,
dazu kommt noch Herr Wolfsd^rm, der seinen ehrenwerthen Namen
selbst von der (Zigeuner-) Herzogin Nönarre Narrie erhielt, weil
er nie Stehlens satt wird, und so geneigt ist zum Bösen, wie die Krähe
') Heraasffegeben von Fr. Pfeiffer. Wien 1859 u. in s. Germania VI. ^457 ff.
Unter dem tropologischen Ausdruck ^Gäuhühner'' sind die Bauern gemeint
(das Gäu ist im Gegensalze vom Gebirg und Stadt das ebene flaihe Land);
sie heissen spöttweise so von den im Mittelalter Qblirlien Zinshtihnern ^ die
sie zu Lichtmess und Michaeli entrichten mussten^ wie in Schwaben die Vas-
nachthühner gereicht v^erden mussten. Diese Hühner, meint der Strickers,
seien ungesund und schwer zii verdauen und kommen theuer zu sieben! —
f
820
zur Saat. Nan möchte der überrs^chte Vater auch den Spitznamen
seines wohlgezogenen Kindes wissen and siehe, der Knabe nennt sich
mit stolzeni Bewusstsein Schlindsgau (Slintezgeu), der Bauern Schreck;
er drücke ihnen die Augen aus, haue ihnen den Rücken, binde sie m
einen Ameisenstock , zwicke ihnen mit Zangen . den Bart aus , reisse
ihnen die Schwarte aus, zermalme ihnen die Glieder, hänge sie an den
Flechsen (sparradern) auf und nehme alle ihre Habe: ihrer zwanzig
und mehr könnten nicht gegen zehn solche Gesellen bestehen. Der
Vater warnt und mahnt an die Schergen, Hebnbrecht droht aber, nicht
mehr das väterliche Heim vor seinen Gesellen zu frieden, zugleich
eröffnet er, dass er seine Schwester Gotlind seinem Freunde Länuner-
schlind versprochen habe, der ihr zur Morgengabe drei in einem Berge
(tobel) versteckte schwere Säcke biete, einer voll feinen Linnens, die
Elle wohl fünfzehn Kreuzer werth, im anderen liegen Schlder, Böckel
und Hemden und im dritten allerlei kostbare Stoffe, wie ^Fritschäl,
Bränät,^ Scharlach, Pelze und Zobel. Das Alles verscherze ihr der
VÄler, wenn sie eines widerwärtigen Bauern Weib werde. Und dw
tugendliche Kind verläugnet ihre Eltern, wirft ihnen eheliche Untreue
vor und bittet ihren Bruder, ihr den Länunerschlind zu verscdiaffeo,
dann sause ihre Pfanne, sei ihr Wein gelesen, ihr Bier gebraut, ihr
Korn gemalen und ihr Schrein gefüllt; auch bringe sie ihm alles, was
ein^ starkes Weib haben soll. Heimlich verspricht die edle Gotlind, die
auch von edlem Geblüt stammen will, zu entfliehen und dieser gelobt,^ — ^
ihr einen Boten zu senden und ihre Hochzeit so auszurichten, d^
Wämmser und Röcke dabei ihr zu Ehren verschenkt würden.
Nun ward wieder manche Wittwe und Waise beraubt, damit Lim-
merschlind und Gotelint auf dem Brautstuhle sässen (den brintestiMKl^^
besäzen). Speise und Trank ward von weit und breit zusammenge
bracht, so dass die Hochzeit des König Artus und der Frau Ginevnt. ^i
wovon Heinrich vondemTürlin in ^der aventiure kröne** erz&hlt, eiteL-^
Wind dagegen war. Gotelind wird entboten und findet sich ein,
Bräutigam geht ihr entgegen und heisst sie als Frau Grotelint will
kommen, freundliche Blicke gehen hin und her, und Lemberslint
seinen Bolz mit gefiigen Worten gegen Gotelinde, die das ihrem liel
sten galt aus weiblichem Munde so gut sie konnte. Mit nibdmigien^ '^
hafler Feierlichkeit stellt ein kundiger Greis das Paar in den Rin^^r^
und fragt Jedes dreimal, ob sie sich wollten, dann gab er sie
worauf alle sungen und der Bräutigam seiner Gesponsin auf den
trat. Das Hochzeitmal ist ganz feierlich gerüstet, die einzelnen Ki
pane haben die fürstlichen Aemter übernommen, Schlindsgau ist Mi
schalk, Schlickenwieder Schenke, Höllensack ist Truchsess, der di
* • 321
Gästen die Sitze anweist, ^Rüttelschrein Kämmerer, Kühfrass der
Küchenmeister brachte Gesotten nnd Gebraten, Müschenkelch gab das
Brod, und die Uebrigen machten ihren schönen Namen Ehre und leerten
Schässel und Becher, als wenn es der Wind hinwegwehte und der Hand
nichts mehr zu nagen fand. Es bewährt sich der Spruch, dass der
Mensch gierig schlinge, wenn ihm das Eiide nahe. Bange Ahnungen
fiberschleichen die Braut als ob Unheil drohe, es graut ihr, schon
bereut sie die Eltern verlassen zu haben und iHirchtet die Strafe ihres
Frevels.
Als sie noch eine Weile gesessen und die Spielleute von der
Braut und dem Bräutigam ihre Gabe empfingen, nahte der Richter
selbfunfte nnd überwand die zehne; wer in den, Ofen nicht entrann,
schlof unter die Bank, sie fuhren drängend durcheinander und wer nicht
ratfloh, den zog der Schergenknecht bei den Haaren hervor, denn der
kühnste Dieb, der sonst wohl mit Dreien fertig würde, kann sich eines
Sdiergen niqht erwehren, und wäre der sogar lahm; so wurden sie
gebunden, der Braut wurde das Kleid abgerissen, man fand sie nach-
mals übel zugerichtet hinter einem Zaune. — .Die bösen Gesellen
wurden zum hängen verortheilt und mussten ihre (gestohlene) Bürde
zum Richtplatz fuhren. Lämmerschlind hatte zur Bräutigams Ehre
nur zwei Rindshäute am Halse, sein Schwager trug deren drei. Für-
sprecher wurden ihnen nicht gegeben. Neun wurden gehängt, dem
Helmbrecht ^ aber die Augen ausgestochen, eine Hand und ein Fuss
abgebaut: So wurde Yater und Matter gerochen. Wehklagend geht
der Blinde an einer Wegscheide von Gotelinden, und ein Stab und ein
Knecht leitete ihn nach dem Hause des Vaters, der ihn spöttisch mit
,d6d sal, her blindeken!^ begrüsste, ihn nach Welschland ziehen hiess,
ihm Brod versagte und durch einen Freimann mit Schlägen austreiben
zu lassen drohte. Vergeblich fleht er , ihn im Hause herumkriechen
zu lassen und ihn zu erhalten , weil die Landleute ihm so gram wären,
dass sie ihn umbrächten; der Vater verhöhnte ihn, hält ihm seine
prahlerischen Reden vor und das mit seiner Ausrüstung vergeudete
Geld, er erinnerte ihn an die erfüllten drei Träume, deren auch der
vierte folge, hiess die Thür verriegeln und trieb mit Schlägen den
Knecht, des Blinden', um den, der es nicht werthVwäre von der Sonne
beschienen zu weiden (der sunnen haz) hinwegzuftihren. Die Mutter
gab jedoch ihrem Kinde ein Brod in die Hand und damit musste der
Blinde weiter hinken. Ueberall, wo er hinkam, verhöhnten ihn die
Bauern: ^hähä, diep Hehnbrecht! betest du gebouwen, s6 züge man
nü niht blinden dich!« —
21
322
So litt er ein Jahr lang Noth. Endlich* kam er unter Baaem, die
er früher ausgezogen hatte, sie rächen sich nun: hiessen ihn mit Schlä-
gen seine Hanhe wahren, was der Scherge ihm davon übrig gelassen
hatte, das lag nun in kleinen Stücken am Boden, die zerfetzten Vogel-
bilder, 0 zugleich mit seinen ausgerauften Locken, so dass er ganz kahl
dastand. Dann liessen sie ihm seine Beichte sprechen, gaben ihm
Brosamen zum Schutze gegen das Höllenfeuer 'J und hingen ihn au
einen Baum. So bewährte sich der letzte Traum des Vaters. Hieaiit
sei jedes selbstherrische Rind gewarnt. Auf den Strassen uud Wegen
ward die Wagenfahrt gefriedet als Helmbrecht an der Weide hing.
Gibt es noch junge „Helmbrechtel,^ die kommen auch an die Weide.
^Swer iu ditze maere lese, bittet daz im got genaedic wese unde dem
tihtaere, Wemher dem gartenaere.^ —
Ein 1440 Verse umfassendes Büchlein mit dem Titel Irregang
und Girregar hat ein sonst nicht bekannter Dichter Rüdiger von
Münerstadt am Röngebirge (also ein Nachbar und Landsmann un-
seres später aufgeführten Heldenbnchsängers Kaspar) geipacht.') Der
für die Sittengeschichte sehr bedeutsame Inhalt ist hier nicht nacher-
zählbar, man glaubt kaum, welch gaukelhafler Unsinn durch Beschwör-
ungen, Messungen und allerlei abergläubische Betrügereien mit Dumm-
köpfen getrieben wurde. Derselbe Poet ha^ in einer anderen Maere
mit meistersängerischer Breitmauligkeit und handwerksmässig trockenen
Humor als Meister Irregang seine Kunstfertigkeiten der Reihe nadi
aufgezählt, die jans ein vollkommenes Bild eines fahrenden Ritters und
Spielmannes gewähren: Ich kann ^ sagen unde singen, loufen und sprin-
gen,'* bei allen Teidingen gut fürsprechen, einen Wein kosten, ein
Hazard (hashart) auf einem Brett gewinnen und verlieren, Medi ans
Honig machen, schöne Tischlacken wirken; ich bin der Bücher kundii
(wise) besser, als mein Meister, ich ^kan mit einer schaer wol di
pfelle gesniden," zweien Gesellen ihren Gewinn theilen, Wunden mi
Salben heilen, Wagen bauen und ein Schwert schmieden, welch«
Kaiser Friedrich sicherlich mit Ehren führte; der Dichter kann ferne
(wie Hartmann von Starkenberg in der Pariser Handschrift abgebi
ist) ritterliche Schmiedekünste: einen Hut machen, einen Schild bemalen
einen Ritter rüsten (wol gerwen), in Harnasch reiten, stechen, streitei
') ^s6 breit als ein phenniiic beleip ir niht beinaoder. sileche und galander^
sparwaere und (ürteltüben, die gendlen df der hüben, werden geslreof
den wec. hie lac ein loc, dort ein flee der bflben und des bdres^ ii* s w.
^) „einer begunde brecben ein brosemen von der erden : dem vil gar
gap er si zeiner stiuwer für daz hellefiuwer.
') Ges. Abenl. Nro. 55.
»28
Qod tarnUren, Schachzabel nnd 'Brettspiel; ich kann Jedem gute Ant-
wort geben, femer Schneiden und weben, eine Wiese mähen, einen AeKer
täen, ein Rind anjochen, Teig kneten, einen Faden zwirnen ond „uz
einer dirnen ein vrouwen wol machen^; mit einem Hunde Hasen jagen,
ein Hönilein blasen, einen Wald Allen, ein Heer siegreich machen (also
aach Passanerkunstl), Mfihlsteine und Kampräder laufend machen,
Hioser bauen, Pfeninge schlagen, Glocken giessen, Armbrust schiessen,
\aatt er ist ein Factotum — aber oben weil er Alles könne, so hat der
Kaiser ihm ^harpfen, videln unde rote^ verboten, denn er würde ftberall
nur Unheil bringen, weil er Irregang heisse. So geht er als ein hofe-
lieber Knabe von einem Lande zum anderen und suche
durch Mancherlei seinen Unterhalt.
Es ist das sprechendste aber zugleich traurigste Bild eines armen
Fahrenden und sein Spruch ein Vorläufer des tautologischen Unsinns
der Hut-Künstler, Feuerfresser und Nadelspeier, die bereits auf unseren
Jahrmärkten zur Seltenheit werden.- Die schöne hohe noble Zeit des
höfischen Singens ist weit überholt, das ritterliche Leben ist alltäglich
geworden und die feine Minne in ordinäre Sinnlichkeit und nackte öe-
roeinheit übergegangen, die nun die bürgerliche Yerfiihrung- und bauen-
sehe Gewaltthat Ar sich in Anspruch ninmit. Daher auch eine gute
Aivzahl widerlicher Pfaffenstreiche und Cochonerien, alle fett ausgemalt
und mit stickender Behaglichkeit überzuckert, die wir um so lieber
ftbergehen, weil die Dichtkunst daran wirklich kefinen Antheil hat
Viel poetischer rind dagegen die romantischen Sagen von der
Frauen Treue; von solchen, die selbe ihrem Gatten gehalten oder ge-
brochen, die fälschlich angeklagt und ungerecht vemrtheilt wurden und
im BewBSstsein ihrer Unschuld die schwere Strafe geduldig ertragen bis
ihr erlittenes Unrecht doch an den Tag kanli, oder von solchen Frauen,
die wie St. Kanegund zu Bamberg, ihr Recht mit wuaderwürdigen
Gk)tteszeichen beglaubigten. Andere Sagen gehen: wie Frauen hinter
dem Blkdien ihres Gatten gesündigt, oder den ihre Buhlerei verschmäh-
enden Ritter verlämndend um*s Leben brachten — wie gerade die
deutsdie Kaisiersage davon beinahe bis zum lEckel überfliesst. Aber
auch weisse Schatten tauchen auf, wie jener der reinen Maria von
Brabant, die unter dem strengen Ludwig unschuldig verblutete.
' Ein schöner Preisgesang zur Bhre der Frauen ist die Historie von
den beiden Kauflenten, die ein Ruprecht von Wirzburg,')
zwar nach einem französischen Vorbilde aber mit deutscher Innigkeit
gemacht haben soll. Der sonst nicht bekannte Dichter ersucht als
*) Hagea Ges. Abent. Nro. 68. 946 Verse.
2V
%
824
^thörichter Knabe^ Eingangs um Nachsicht mit seinem „Bftehleiu«^
dessen Sprache und Reimweise, namentlich mit dem dreireimigen Schloa«
der Absätze, an das XIII. Jahrh. erinnert. Diese Erzählung findet
sich übrigens wie eine über die ganze Erde verbreitete Pflanze, fast
bei allen Völkern, nor dass ihr Wachsthom und ihre Blflthe, je nach
den Himmelstrichen, bisweilen buntfarbig und öppig, bisweilen eintöniger
und nüchterner hervortritt Sie geht tief in*s heimathliche Morgenland ^
und nach Indien iurück ; wie sie dort mit d^ beimischen Göttersagf
verwachsen ist, so hat selbst im christlichen Abendlande nodi die
römisch-keltische und griechische Mythologie an ihr gehaftet.
Dagegen verhalten sich die Schwanke der folgenden Zeit wie die
Produkte eines Schnurranten oder Meister Irregaogs; manche habea
den guten Namen Conrads von Wirzbnrg irrthümlich überkom-
men, weil ihr Verfasser in Wirzburg gewesen sein mosste, dazu
obendrein Kuonrat und zwar der arme Knonr&t, der seines
Zeichens ein Fiedler war und nach Wagenseils Bericht gai^ Geiger,
oder nach Anderen Jäger hiess. Die eine 480 Verse umfassende
Reimerei trägt den Titel alten Weibes List') und erweist sich als
ein eckelhaftes M&chwerk, wie eine Kupplerin ihren Seckel zu f&llen
weiss, indem sie den Domprobst Heinrich von Rotenstem in die Netze
einer Frau zu locken sucht; zum Glück wird der geistliche Herr durch
dringende Amtsgeschäfte am Stelldichein verhindert, die Alte, aber, am
die Dame nicht vergeblich bestellt zu haben, packt den nächsten besten
Mann von der Gasse auf und erwischt den Gemahl jener Donna, der
von der schnellgefassten Gemahlin nun mit Backensireichea empfangen
wird, wobei die Schuldige ihre Bolle, als habe sie seine Treue nor auf
die Probe stellen wollen, sehr unverschämt zu Ende spielt Das Ganze
ist widerlich und gemein, ebenso wie die halbe Bim,') die gleich-
falls unserem zweiten Konrad zugeschrieben ^bleiben mag, obwohl v.^ d.
Hagen keinen Zweifel hatte, sie dem „berühmten Konrad von Wirz-
burg^ zu unterschieben. Die von Keller 1855 herausgegebenen Er-
zählungen') enthalten aus den altdeutschen Handschriften zu Ulm,
Wirzburg, Nürnberg, Regensburg und München Alles Hiehergehörige,
dazu manchen Namen von zweifelhaftem Werthe, z. B. den eines^Layd-
niz Fröschel und Hanns Ramminger, auch ein Heinrick
Kaufringer hat Vom Jahre 1464 dergleichen hioyterlassen , and der
berühmte Alb recht von Eib (f 1485) in seinem Ehebüchlein; ans
') Hagen I. 193—205. Auch dramatisch behaadelt von Jacob Ayrer.
') fibendas. I. 211-24. 510 Verse.
>) XXXV. B. der Bibl. des lit. Vereins in SluUgart.
325
welchem theil weise Göthe den Stoff zu den ^Unterhaltungen dentsoher
Ansgewanderten^ entlehnte.') — Der Gürtel (borte) des Diete-
rich von Glaz, eines vermuthlich / mährischen Dichters') wird hier
nur genannt, weil ihn ein Herr Eonrad von Oettingen, der daran
besonders Grefallen gefunden haben musste, im Jahre 1478 zu Augs-
burg abschrieb. —
Bald nach Erfindung des Buchdruckes und der Feuerwehr, gleich-
zeitig im geheimen Bunde mit der allgemeinen Ausbreitung der klassi-
schen Literatur, als neue Wege nach neuen Welten gebahnt wurden
und die Reformation den mittelalterlichen Glauben zusammenwarf, war
die Ritterzeit und die ritterliche Dichtung abgethan.
/) Albrecht von Eib war beider Rechte Doctor, Archidiakon zu Wirabarg
und Domherr zu Bamberg und Eichstedt. Vgl. v. d. Hagens Germania. IX.
217 ir.
') Hagen Ges. Abenl. Nro XX.
D.
Heiligensage und Legenden.
Ebenso lebendig wie die Lieder von lobebären Helden und Recken,
von gewaltigen Heerfahrten und Waffenthaten klangen, ebenso er-
zählte die Tradition von den ersten Boten,' welche die Lehre des süssen
Krist den Heiden überbrachten. An den früheren Cultusstätten, die sie
gestürzt, liess das Volk ihr Andenken leben, allgemach mischten sich
die Erinnerungen und der atte Gott und der neue Heilige gingen oft
seltsam in einander über , hatten ja auch sie Ungeheueres vollbracht
und nicht selten Drachen und Lintwürme erschlagen!^) Solch eine
wahrhaft heldenhafte Gestalt war St. Severin, dessen Herkunft in
Dunkel gehüllt, dessen ganzes Leben aber eine Kette von anff&iligen,
überraschenden Erscheinungen bildet. Er hatte dem Herulerhftuptling
Odoaker seinen künftigen Ruhm vorhergesagt, als der hochgewachsene
Recke gebeugt, um nicht an die Decke der Zelle zu stossen, bei ihm
eingetreten; von weit und brei« strömten ihm die Kranken zu. Hohe
und Geringe, und rühmten geheilt auf dem Heimwege seine Wunder-
kraft, die selbst noch aus dem Grabe leuchtend und erwärmend drang,
dass die Siechen und Krüppel genassen, was Wunders also wenn dem,
der den Menschen in*s Herz sah und ihre Gedanken . im voraus wusste,
wenn dem die Thiere gehorchten, die Vögel die Hölzer zum Bau
schleppten und Bären seinen Bündel trugen ? Das Volk gibt ihm heute
noch den Drachen zur Seite, den er erschlug, es erzählte damals wie
heute, dass der Heilige die Heuschrecken bannte, wie er bewirkte,
als ein anderer Elias, dass die Kerzen der Christen sich von selbst
entzündeten und wie über dem Betenden eine Lichtsäule schwebte.
Weniger weiss das Volk von St. Rupert zu erzählen, der noch all-
jährlich bei der grossen Wintersonnenwende den heil. Nikolaus')
') So St. Severin, St. Mang, Pirmin u. v. A.
') Ein handschrirtliches Bruchstttck einer gereimten mittelhocfadeatscben L
dieses Heiligen aus Nürnberg in Pfeiffers Germania. lY. 241 (T.
827
begleitet! An St. Emeram, der so schmähKch zu Helfendorf gemar-
telt wurde, zeigt ein Grottesgericht seine Unschuld, und sein Leichen-
schiff läuft die Isar hinab und rann dann stromaufvirärts von selbst gen
Hegensburg. ') St. Erhard soll trockenen Fusses über die Isar ge-
^ngen sein, im Gotteshause zu Frauenberg bei Landshut Christenlehre
und Predigt gehalten, auch eine Brodweihe hinterlassen haben, welche
l)is auf den heutigen Tag an seinem Feste vorgenommen und das Brod
irider alle Krankheiten ausgetheilt wird. ^) St. Korbini an hat eine
Xinde gepflanzt, die jetzt zu den flinf grössten Bäumen in Deutschland
|B;ehört und von neun Männern kaum umspannt werden kann, an das
Xeben dieses Baumes soll Freisings Schicksal geknüpft sein.^) Ebenso
^ht seltsame Rede von St. Pirmin und dem grossen Apostel Boni-
facius, von St. Virgilius zu Passau, von Sidonius, Walto,
l^ilibald und Wunibald u. s. w. Besonders beachtenswerth sind
die Thiere, welche als Symbole die Heiligen begleiten, sie sind auch
eine Art Heraldik, ein geistliches Heerzeichen und nicht selten aus
vorchristlicher Zeit herübergeholt. Eigene Aufinerksamkeit wäre auch
den Klostersagen zu schenken; die Stifter der meisten Münster, z. B.
xa Beuern und Tegern, werden als Riesen geschildert und abge-
malt, und die an den genannten Orten oder zu Grafrath verwahrten
Gebeine zeigen, dass sie wirklich hochgewachsene Recken von über-
menschlicher Grösse gewesen sein müssen.
Auch von vielen sagenhaften Töchtern und Frauen Karl des Grossen
und seiner Nachfolger erzählt die Legende, so von einer hl. Hilde-
gard, welche eine Nachbildung der schönen Legende der hl. Crescentia
scheint, St. Amalberga wird in Beziehung zu dem Kaiser gebracht
die Fusstritte der frommen Gertrudis sieht man noch in den Wellen
des Mains;*) auch Richardis die zweite Gemahlin des dicken Karl
gehört hieher!*) Aus Frankreich kam die Klausnerin Edigna*) zu
uns, die zu Puech in einer Linde lebte und heute noch im guten An-
denken des Volkes lebt, wie St. Afra, Walburga, Mechtildvon
Diessen, St. Notburg, Kunegund und vor Allen die räthselhafte
St. Kümmerniss, die noch jetzt aller Erklärung spottet und keinem
Hagiographen die Schleier alle gelüftet hat. Dazu ist auch St. Alto
■) Panzer I. 220^23. Menzel Symbol. I. 299. Quitzmann S. 60.
*) Panzer I. 119. Wiese nd Topographie. 1858. S. 237.
') Sigbart Von Mönchen nach Lahdsbut. 1859. S. 50.
*) Herr lein Sagen des Spessart. S. 113.
^) f 18. Sept. 896. Vgl. Grimm RechtoaUerlbümer S. 912 u. Klemm Frauen,
1866. III. 257. Bavaria I. 309.
') f 1109. Panzer I. 61. II. 49. Wolf BeHr. I. 170,
328
nicht zu vergessen, aus dessen Schädel das dankbare Volk noch all-
jährlich seine Minne trinkt, ebenso wie die Himschaale des hl. Seba-
stian zu Ebersberg und des St. Vitalis zu Kloster Au oder des St
Humbert in Franken zu ächten, urgermanischen Reminiscenzen diesen
müssen. Ungeheueres Ansehen geniesst StLeonhard, der als eherner
„Wtirdinger^ das Heidenwerfen an sich verüben lassen muss, dazu St.
Onnphrins und Christoph^ welch letzterer schon öfters bei Feaers-
gefahr seiner Stadt München persönlich zu Hilfe kam, sodann der liebe
heil. Heinrich und St. Sebald, der mit Eiszapfen zu heizen im
Stande war. Das Volk erzählt Vieles und oft unendlich Schönes und
Rührendes von seinen lieben Heiligen Grottes; die Kirche hat nie einen
Glaubensartikel daraus gemacht, sondern hierin Jedem seinen beliebigen
Antheil frei gelassen, wir berichten nur, was firüher gesagt und ge-
sungen wurde und sich bis heute vererbt hat. Man wird vielleicht
daraus einen Vorwurf erheben, dass wir im Leben der Heiligen auch
Poesie gefunden, als wenn gerade die Kirche und der mit ihr zusam-
menhängende Glaube von den Philistern praedestinirt sein sollte, nur
dürren Rationalism zu bieten. Das Volksleben enthält heute poch eine
reichere Fülle von Poesie, als alle unsere staubigen Bibliotheken ver-
wahren.
' Halten wir jedoch nach den in irgend eine künstlerische Form
gebrachten Denkmälern Umschau, so ist das durch Albertus (nach
Berno von Reichenau) in deutsche Reime gebrachte Leben des hl.
Ulrich namentlich fiir die Zeit seiner Entstehung (im letzten Drittel
des Xn. Jahrhunderts) von hoher Bedeutung.') Hier haben wir einen
der wenigen a\if uns gekommenen früheren Versuche in der vaterlän-
dischen Kmist, welche die folgenden grossen Dichter erst zur vollen
Blüthe brachten. Es ist ein behutsames Anschmiegen an das lateinische
Vorbild ersichtlich, mit ängstlicher Vorsicht hält der Dichter sich von
allen weiteren Umblicken zurück und nur bisweilen wagt er zu Füssen
des Heiligen, auf dem starren Goldgrund, einige Pinselstriche der Poesie^
einigen grünen Rasen mit schüchternen Blumen anzubringen. Der
Dichter, der die Verdeutschung auf Bitten seiner frommen Nonnen
machte, war wohl ein Benedictiner des Klosters St. Afra zu Augsburg
das mit Bildern ausgezierte Büchlein ist vielleicht des Verfassers eigene
Hand- und Prachtexemplar, das zu emer Verehrung bestimmt war.*)
') Herausgegeben von Seh melier. München 1844.
^) Nach der Vermulhang des Dr. Karl Roth (Beitr. I. 39) jedoch masste da
eine Klosterfrau geschrieben haben; doch bat Roth die H6. nie "^^
und zieht seinen Schluss nur aus den Fdilern der Schreibong.
82»
Dfts Gedicht ist darch die ft-eie Bewegung der Sprache and durch
die immerhin anerkennenswerthe Leichtigkeit des Vortrages lieblich
und anziehend; es erzählt, wie das Kindlein auf den Rath eines l^lg-
rims, der im gastfreien elterlichen Hause') herbergte, entwöhnt ward^
irie dem Knaben durch die inclusa (bezlozzen klosenaerin) Wiborada
<Wibrilt) seine Zukunft vorausgesagt wurde und dass er in einer Stadt,
die an einem zwei Lande theilehden Wasser liegt, Bischof werden
solle. Seine Rede ist, wie der Dichter mit einer ritterlichen Figur
^bt ^ gezieret und mit wisheit wol gezimieret;^ wenn er als Bischof
müde war, ruhte er nicht auf Federbetten, sondern er suchte y,stuol-
lachen oder teppiche,^ darauf hielt er dann ein „slAfelin.^ Während er
IMefcse las erschien einst, wie das Volk heute noch zu Augsburg eN
2ählt, Gottes Hand sichtbar und segnete das Opfer. Die Lechfeld-
«chlacht, wie die Ritter mit Schwertern streiten und die Geschosse
jregendick an die Schilde fliegen, electrisirt den Dichter ein wenig, da
üitzt der Heilige ^üf ein ors, schiltes und helmes er virgaz,^ nur eine
-Stole legte er sich an, so fuhr er wie Josua in den Streit. Von der
selbständigen Dichterkraft des Uebersetzers zeugen nur die Verse der
^Einleitung und des nicht unerheblichen Epilogs.
Solche Heilige , die mit ritterlicher Gewalt in die Feinde spreng-
ten, die das Waffenhandwerk trieben und sich auf Tjost und Hofisch-
lieit verstanden» brauchte das Mittelalter und die Zeit der Kreuzzüge.
Daffir durften sie aller sentimentalen Frömmigkeit entbehren, wenn sie
nur schneidige Recken waren, konnten sogar ein wenig da und dort
über die Schnur hauen, aber Ritter mussten sie sein. Ein sehr lehr-
reiches Beispiel ist der Willehalm des Wolfram von Eschen-
bach, ^f^i dem wirklich von Heiligkeit gar nichts zu verspüren, er ist
nebenbei ein Frauenräuber, der seine Geliebte entfährt hat. Haben ja
auch König Oswald und König Orendel dasselbe gethan und den
Preis ihrer Mannheit dadurch nur getheuert!
Betrachten wir demnach dieses seltsame Gedicht, das wohl einige
Ausführlichkeit verträgt, da es noch nicht völlig übersetzt wurde und
sich seither meist einer acht stiefmütterlichen Behandlung erfreute.
Wolfram beginnt mit einer kurzen Einleitung, in der er Gott und den
Heiligen, zu deren Ehren er ja sein Werk anhebe, um Hilfe und Ejraft^
bittet; dabei bemerkt er auch, da«s er dem Landgraf Hermann von
') Ulrich Btamml aus dem Geschleehte der Grafen voo Ky))arff und warde zn
Dillingen 880 geboren*. Vgl. (Mittermayr) Sagenbuch^ 1849, S. 75, wo
gleiehralls aus dem Jugendieben Ulrichs eine Sage berichtet wird.
880
Thüringen den Stoff dazu verdanke. Nehmt, was ich euch biete, willig
an, lasst die Aventüre an den heimischen Herd (in hds ze Aare) und
behandelt sie gut als Gast.
1. Graf Heinrich von Narbön hatte sieben Söhne, die er aber
einem Pflegekinde zu Liebe, alle von Burgen und Holen verstieBs und
an den Hof des Kaiser Karl sandte , dass sie dort auf hoben ritter-
lichen Preis dienten. Der erste hiess Wilhelm (GwillÄms), der andere
Bertrams, der klare süsse Buo\nin war der dritte Sohn, Heinrich hiess
der vierte, Amalt, Bemart und Gybert. Was sie an Leid erduldet
und an Freude genossen, das bleibe hier ungesagt, wir wenden uns nur
zu Willehalm. Wie sich dieser des Dienens unterzog, manch hoch-
herziges Gemfith mit Freuden erfüllte und wie er in der Folge Ära-
bellen erwarb, das setzt der Dichter als bekannt voraus. Arabel war
nämlich eine Heidin, die Willehalm ihrem Manne entführt hatte; sie
liess sich taufen und wurde von da an Gyburc genannt. — Ihr
früherer Gemahl, König Tybalt von Arabien, beklagte jedoch sehr
den Verlust ihrer Minne. Um sie zu rächen, zog er mit einem grossen
Heere nach Frankreich. Dieses führte König Terramer (Arabellens
Vater) an, auch begleiteten ihn sein Bruder der Perserkönig Arofei mit
seinen zehn Söhnen; femer Tybalt, sein Schwager, dann der König
Halzebier und Wele andere dienstbare Fürsten und Herren aus dem
weiten Afrika und Asien, mit zahlreichen Schiffen und vielen Tausenden
zu Ross und zu Fuss. Nachdem sie gelandet, schlugen sie weithin über
Berg und Thal ein grosses prächtiges Lager auf den Ebenen von AH-
tschanz, sie flehten zu ihren Göttei^ Mahmet und Tervigant, ihnen die
an Tybalt geschehene Schmach rächen zu helfen und es begann ein
Kampf, dass selbst ein steinhartes ') Herz davon erzittert wftr^.'> Aber
auch Willehalm hatte seine Streiter gesammelt; da kamen mit ihren
Mannen und Söldnern Witschart, und Gßrart von Blavi, der -
Pfalzgraf Bertram, der klare Jüngling Vi vi ans, des ^marcgräven
swester kint^ Myle, femer Jozeranz und Hüwesen von Meilanz und
viele Andere. Es war ein Heer von ^zweinzec tüsent Mann,** das sich
bei Orange zusammenfand, von Provenzalen, Burgundern und eigent-
lichen Franzosen (der rehten Franzoys). In Angesicht des Feindes, der'
mit glänzenden Banieren unter seidenen und kostbaren Zelten lag, hält^
*) Die Stelle 12, 16: ,,ein herze daz von fliose ime donre gewahsen^ ist
mehr als steinhart, dnss seihst ein Herz aus einem „Donnerkeile^
dessen hätte erbarmen müssen. Man hielt die Meteorsteine oder „Teufels
finger*^ für Kiesel, die mit dem Blitze niederfahren and von ihn erseo
würden.
$81
der „maregfAvie^ Willehalm eine standhafte Christenrede an seine
Helden. Posaunenschall von Seite der Heiden verkündet den beginnenden
Kampf, ihr Schlachtgeschrei ist Tervigant, der Getauften Ruf dagegen
ist Monschoy. '3 Und es beginnt die Schlacht:
19,
3. Hie der stich, dort der $lac ; ,
jener saz, dirre lac.
5. die ze beder sit da tobten
gein strit, die wftm geflöhten
10 ein ander sere.
do gienc ez an die refe
von den x)rsen üf die erden.
10. beiden der werden
l^rC da manec hundert tot.
die getouften dolten not,
e si die schar durhbrächen.
die beiden sich des rächen
15. maulich und unverzagt,
daz ez mit jdmer wart beklagt
von den gotes soldieren.
sold ich si zimieren
von richer kost, als si riten,
20. die mit den getouften striten.
sd mües.ich nennen mangia laut,
tiare phelle drüz gesant
von wiben durh minne
mit spaeblichera sinne.
25. die beiden beten kursit,
als noch manec frinndin git
durch gezierde ir amise.
nftch dem eweclicbem prise
die getouften strebten:
die wile daz si lebten,
20,
Die beiden schaden dolten
und die getouften holten
flust unde Kummer,
man gesach den liebten summer
6. in sd maneger varwe nie,
swie vil der meie uns brihte ie
fremder bluomen underscheit:
manec storje dort geblüemet reit,
Hier der Stich und dort der Schlag!
Jener sass und dieser lag!
Die beiderseits zum Streite mocbt()n
Taugen da, sind nun verflochten
In einer anderen Beschwerde:
Denn an ein Stürzen ging es nun
Von den Rossen auf die Erde.
Bald sah man manche Hundert ruh*n
Der werthen Helden am Boden todt.
Es hatten die Getauften Noth
Die Scbaaren zu durchbrechen.
Die Heiden säumten nicht, zu rächen
Muthig sich und unverzagt,
Dass es mit Jammer ward geklagt
Von den Gottessöldnern. — Wollt'
ich nun
Den prächtigen Aufzug kund Euch
thun
Von denen, wie sie da ritten.
Die mit den Getauften stritten:
So müsst' ich nennen InancbesLand^
Aus dem von Frauen durch Minne
Mit kunstgebildetem Sinne
Kostbare Stoffe sind dargesandt.
Die Heiden trugen Ueberkleid,
Wie manche Freundin zum Schmuck
noch heut
Es dem Geliebten pflegt zu schenken,
Doch an den ew'gen Preis nur denken
Die Getauften in ihrem Streben,
Die Heiden Schaden erkauften
Von jenen bei ihrem Leben;
Doch holten auch die Getauften
Sich Kunimer und Verlust genug. —
Nie mit so reichem Farbenschmuck
(Wie viel an seltner Farbenpracht
Der Mai auch jemals uns gebracht)
Sah man den Sonuner licht verbreitetl
Geblümt dort mancher Haufe reitet
'> Hon joie, der eigentliche Feldruf der franz. Könige war: mon joie St. Denys.
382
gelich gevar der heide.
10. nu gedenke ich mir leide,
sol ir got Trevigant
si ze helle l^än benant.
si mohten under hundert man
einen küme ziser hän:
15. des wart ir lieht anschoawen
ungefuoge verhouwen.
si warn ir lebens milte:
swä mans ftne schilte
traf, da spürte man diu swert
20. s6, daz manec heiden wert
da der orse teppech wart,
mit swerten was vil ungespart
ir höh gebende snevar :
drunde äne harnasch gar
25. war da manec edel houbet,
daz mit tode wart betoubet.
ouch frumten si mit kiulen
durh die helme alsölhe biulen,
des unter der getouPten diet
vil maneger von demieben schiet.
An Farbe gleich dejr baaleo Haide.
Ich denke d*ran jnit Leide,
Wie um ihren Glauben anTervigant
Sie werden zur Hölle hingesandt!
Unter hundert Mann oder mehr
Ist kaum einer in Eisenwehr;
Da ward ihr glänzendes Anschauen
Gar ungefüge zerhauen.
Freigebig waren sie mit dem Leben !
Wo man sie ohne Schilderheben
Traf, da spörte die Degenschneide
Man so, dass mancher tap^e Heide
Zum Fussteppich den Rossen ward.
Mit Schwertern ward da nicht gespart
Hir hoher schneefarbiger Turban;
Darunter manches edle Haupt
Ward seinem harnischlosen Mann
Zum Tode betäubet da geraubt.
Doch schlugen auch sie mit Keulen
Durch die Helme solche Beulen,
Dass viele von den getanftenSchaaren
Mussten das Leben lassen fahren.
Zuerst fallt durch Willehalm der Sohn des Kator (fiz Eator)
Pynel, dagegen f%hrt TerramSr auf seinem Ross Brahftne Wilhelm«
Schwestersohn Myle nieder; Halzebiers Heer Hess mehr Baniere wehen,«, j«,
als eine Barke tragen könnte. Mit neußn Schaaren eilt Nöupatris« ^,
König von Oraste Gentesfn in den Kampf; gegen diesen wendet siel
Vivianz, Wilhelms anderer Schwestersohn, den die Königin Gyburc er-
zogen und dessen Herz sich nie schied von durclilauchtigem
Auf sein Banier war ein Amor gestickt (gesniten). Er schlug den Nön-
patris durch den gekrönten Helm, so dass er des Lebens vergassr
mancher Held ward durchstochen „daz imz geweide üz der tjost
satel hienc.*' Die Heiden stürzen zur Rache, andere christliche Fürstc
zur Hilfe herbei; genug Franzoysaere erwürben da ^des libes tot, de
sSle vride,'' aber auch die Heiden fielen; als Terramör den Tod
Nöupatris erfahrt, ruft er neue Schaaren herbei mit Tybalt, Ehmereir
und Arofei von Persyä, der Dichter sagt da ausdrücklich, die
seines Töchterlein *) sei bei weitem nicht so schön wie die Wappe
rocke und Pfeile, die hier in der Sonne erglänzten. Es scholl vod^^n
Pauken und Tamburen, von Posaunen, Floytieren und von Speergekract^^^-
In Terramdrs Heere befindet sich der König Margot von Pozzida&t,
u
') 33, 24: mtner tohter tocke
ist rnioAch so achoene.
33?
\
m& nahe am Ende der Welt liegt, dass Niemand weiter anzubauen ver-
mag (dk nieman Akrbaz bdwes pfliget) nnd wo der Tagessteme so nahe
aufgeht, da«s man ihn mit den Händen erreichen zu können glaubt.
Margot hatte auch den K5tiig Gorhant mit hergefiihrt, dessen Land am
Ganges (Ganjas) liegt, wo das Volk gehümt und ohne menschliche
Stimme ist, ihr Ton gleicht dem der Leithunde und einer Kälbermutter;
sie streiten mit „stählinen kolben^ isu Fuss, und doch sind die hürnenen
Lieate so schnell, dass sie dem Wilde und den Rossen gut folgen
können. Wilhelms Helm war ze Totel geworkt, sein Schwert hiess
Schoyüs^, sein Pferd Pusät; die getoofte Diet eknpfing den Feind, wer
von den Chrüsten starb, gewann das ewige Leben (der sSle sigeniinft).
Vom Tosen der Posaunen, den Pauken und Tamburen und dem heid-
niacfaen Schlachtruf erhub sich so grosser Schall, dass (nach der mittel-
Elterlichen Meinung, und wie Wolfram schon im Parcival als Gleichniss
gebraucht hat) neugebome Löwen davon zum Leben hätten erwachen
mOssen, die todt geboren, erst durch das Gebrüll ihres Vaters zum
Leben erweckt werden. ') Wie die lichte Sonne einen Nebeltag durch-
s<^neidet, so ^durhUuhteclich^ stritt Willehalm, der mit seinem guten
Schwerte das Gedränge lichtete und dünne machte, wo es enge war.
Vivians hörte ein Getöse, als ob das Meer in seinen Grundtiefen er-
bebte, als das ^eer Gorhands kam. Als ob ihn der Wind fährte, stürmt
er hinein, der ^^phallenzgräve^ Bertram ihm nach mit dem Schlacht-
ruf Munschoy. Ihnen wirft sich Terram^r und Halzibier entgegen;
Vivians aber erschlägt sieben Heidenkönige; da streckt i^m Halzibier
der cMre (mit reidbrunem hftre und spannenbreit zwischen den Brauen,')
mit den Kräften von sechs Männern) darnieder und führt acht christ-
liche Fürsten, Bertram und Gaudin, Gaudiers und Kiblin, Hünas und
Gerart, Sansön und Witschart, die mit dem Markgrafen verwandt
schienen, aus der Schlacht gefangen foft, um sich ihrer zur Auswechs-
lang gegen Arabelle zu bedienen. Der Kampf geht über dem Leibe des
Vivians fort ; der Held komnlt erst später, nachdem sich das Getümmel
nach einer andern Seite hin verzogen, wieder zu sich, findet sein wundes
tioss, hebt sich kräftelos, doch ohne seinen Schild zu vergessen, hin-
auf nnd ritt zu einer beschatteten Quelle, die ihm ein Engel zeigte;
nur so lange wünscht er noch zu leben, bis er seinen Oheim gesehen
cmd dieser ihm sage, ob er seine Zucht je gebrochen, weil so schwere
dnthat über ihn erging. Der lichte Engel Kerubin tröstet ihn zwar.
*) 40, 5: es noblen lewea weif genesen, der geburt mit töde ie muose weseo:
daz leben in gtt ir valer galm.
^) Eine allgemein belieble Hyperbel zur Bezeichnung der reckenhaflen Stärke,
Vgl. Y. d. Hagen König Orendel. 1844. S. XIV.
334
docfa sinkt Vivians wie todt darnieder. Unterdessen ging die Sdilacht
fort. Nicht ohne Kummer sieht Willehalm das grosse Leicfaenfeld, aaf
dem so viele von seinen Magen liegen : ^freade und hdher muot, spricht
er/ir beidiu siget mir ze tal, wie wSnec min ist an der zal! sint mtn^
mäge tot belegen, mit wem sol ich na freade pflegen? dar zao mid
eUenthafte man. so grözen schaden nie gewan dehein färste min gen^z.
nu st^n ich ireode und helfe btöz. Selbst dem Kaiser Karl« fthrt er
fort, wäre solch ein Verlust zu gross und der meine wird von dem
nicht Sberwogen, den er zu Runzeväle erlitt; ej Gybui^, süeziu Kö^
nigin» wie schweren Zins gibt nun mein Herz Ar deine Minne! denn
ich bin ^mit jdmers last vast überladen!^ Mit ^Monschoy!^ kehrten die
Getauften wieder in den Feind: ^als durch die dicken müre brichet der
btckel und zimberman den zwick el bliwet durch den herten nagel/ 'so
fuhr das Schwert Scho3rÜ8 mit Hagelschlägen unter die Unglätfbigeti;
nachdem Willehalm noch viele von ihnen niedergemacht, reitet er jedoch
über das Gebirge davon.
U. Auf der Höhe hielt der Markgraf sein Boss an (er enthielt
dem orse> und sah „hin wider dez lant nfe unde nider:^ Berg und Thal
um Aljschanz war mit zahlloser Heidenschafb überdeckt und die Baniere
schienen wie ein grosser Wald, und die Rotten zogen hin und her
Sein Zorn entbrannte über die Unzahl der Sarrazin; es galt nach
Oransche zu eilen, ehe es die Heiden etwa einnehmen. Sdn braunes
Haar war plötzlich weiss eingesprengt, als hätte es darauf geschneit.
Wie er nun an den Steinwänden sein Pferd den Abhai^ gegen das,
Wasser Larkant hinabführt, findet er plötzlich den Schild des werthen
Vivianz, ganz zerschlagen von Wurfgeschossen (hdtschen), Keulen,
Bogen und Schwertern, der Markgraf erkannte ihn nur mehr an den
Borten, und als er darauf den Jüngling selbst am Boden iand,^ brach
er mit nazzen ougen in Klagen aus: „min herze muoz die jdmers suht
an freude erzenie tragen. Wäre ich doch mit dir erschlagen, so hätte
ich Ruhe; warum verschlingst du mich nicht, Erde* dass ich bald dir
gleich werde, der ich von dir stamme! Tod! nimm hin den Theil von
mir; könnte ich schleichen (sliefen) wie der Fuchs, dass nie beschiene
mich der Tag! Was Freude in meinem Herzen lag, das ist todt hin-
ausgefahren. Tod! warum willst du meiner noch sparen? ich lebe noch,
doch bin ich todt!^ Vor Jammer Hess ihn all seine Kraft, er sank
vom Rosse. Als er nach einer Weile wieder zu sich kam (bi einer
wüe er sich verran) erhub er neuen Jammer, kniete sich über Vivians,
band ihm den verhouwen heim ab und legte das wunde Haupt in seinea
Schooss: „Seit Adams Zeiten (sitAdftmes rippe wart g^qadiet ze einer
/
835
magt) bjst Du ein Bild aller ^Tagend. Solche Sfisse lag an Deinem
I/eibe, dass des breiten Meeres Salzgeschma^k zockersttss sein müsste,
wienn man nur einen Zehen- von Dir hineingeworfen. *) Wehe ! wie ein
Vogel s!n vogelin ammet nnde brttetet, so hat Dioh die Königin Gyburc
erzogen; nun wird das sorgsame Weib nach Dir mit Jammer betrogen.^
Während er lange noch so klagte,') erseufzte und streckte sidi der
Wunde plötzlich in seiner Todesnoth und als er die Augen aufschlug,
erkannte er seinen Oheim, wie es ihm der Engel verheissen hatte. Die
erste Frage des Markgrafen ist, ob er Beistand gehabt und gebeichtet
(»praech du bfhte) habe,^ dass er vor Gott (fiik* die TrinitAt) freudig
treten könne, und ob er da« Brod habe daz a)le suntage in Francriche
gewihet Wirt, das der Priester mit Grotteskraft segnet und daz gnot ist
^r der sdle t6t. Eii^ Abt von St. Germdn, f&hrt Willehahn fort, gab
es mir jüngst, in mfner taschen ichz hie hftn; empfange es zu Deiner
«Seele Heil. Vivianz bittet ihn um Gottes Leichnam, indem er sich
<lemOthig mit dem guten Schacher vergleicht; nach der Kommunion
Terscbied er und ein süsser Duft, wie wenn .lignum alö^ im Feuer
l>rennt, entstund als Leib und Seele sich trennten.
Willehalm wollte die Leiche des geliebten Schwestersohnes auf dem
Hesse mit sich nehmen, bald aber wurde er von unbekannten Männern
angerannt, er legte also den Todten nieder, vertheidigte sich bis es
ihm gelang, sich den Verfolgern durch die Büsche zu entziehen; so
lehrte er zu Vivians zurück, verbrachte weinend die Nacht bei ihm
und setzte am folgenden Morgen seinen Weg fort, leider ohne den
Todten mit sich nehmen zu können. Die Heere hatten Frieden gemacht
Und die Gesunden hatten mit Todten und Verwundeten genug zu thun;
sorgfältig spähten die Heiden, ob sie unter den Gefallenen nicht noch
lebende Christen fänden, um sie umzubringen. Da Willehalm durch das
feindliche Lager musste, so ritten fünfzehn Könige gegen ihn, Ehmereiz
Ton Todjeme, Gyburgs eigener Sohn, voran um den ersten Tjost zu
thun. FönfzAn Speere wurden auf den Markgrafen verstochen, der sein
gutes Schwert Schoidse den Königen wacker um die Helme klingen
Hess, so dass ihrer sieben erlagen, die Uebrigen aber die Flucht er-
griffen. Darauf rückten Nugruns von Liwes, der König Tenebruns und
*) 69, 11: sölh süexe an dtine übe lac:
des breiten mers salzes smac
mOese a1 zukerroaezig sin^
der d!n ein z^hen würfe drin.,
*) f^mit jlimer er sus panste. d6 heschte iinde ran sie der wunde Itp in
siner schöz.^ pensen => denken, sprechen; hischen, haschen = schlucozen,
niesen; reosea, rfiuspern, sich strecken. Vgl. Parc. 581, 4.
336
Arofei von Persyä gegen Willehalm , sie waren prachtvoH gfBschmfickt,
so dass der Dichter seines Lehrers von Veldecke gedenkt, ') der sie
besser hätte beschreiben können. Wie Schmiede auf den Amboss, so
schlugen sich die Helden; zuerst f&Ut der König Tenebruns; am hef-
tigsten wird der Kampf mit Arofei ; ihm brachen von der hortedicheo
vart die Riemen, so dass die Panzerhose (diu iserhose) am GQrt«!
(lendftier) aufging und das Bein bloss wurde; Willehalm hieb ihm den
^blanken dichschenkel^ ab, so dass er vom Pferde störzte. Vergebau
bot er dreissig Elefanten (helfende), die er zu Alexandrien hatte, er
versprach so viel Gold , als sie nur tragen könnten , nach PAris zu ^
schicken, allein der Markgraf dachte an Yivianzes und seiner Freunde ^
Tod und erschlug ihn, nahm seine i'eichen Waffen, um so ^verkleidet ^^
sicher durch die Feinde zu kommen, auch das Ross Volantin des Ge-, . — ,
fallenen nahm er, weil sein Pferd Puzzftt schwer verwundet war, das
ihm jedoch noch immer freiwillig folgte. So erreichte der Unverzagte
Oranscbe, das bereits umlagert war; zwar erkannte man ihn unter den
Heiden, wesshalb es noch einen schweren Kampf galt, dann aber kam
er doch glücklich unter die Mauern, wo ihn Steven, der Kapelan,
ob der Pforte stand, ersah und Lärm gegen ihn erhob; erst nacl
hartem Widerstände von Seite seiner eigenen Leute führen sie il
misstrauisch vor seine Gemahlin, die ihn jedoch gleich nachdem er dei
Helm abgelegt *) an seiner Narbe, die er im Dienste Kaiser Karls er — -
halten, erkennt und mit Freuden begrüsst, doch erregte der Verlust de^-^^
Vivianz und der übrigen To4ten grosse Klage.
Unterdessen rückte Terramßr bereits vor die Stadt, es sah aus^^sas,
als kämen alle Bäume des Spessart (Spehtshart) mit Fahnen (mi'^^K:it
zendäl behangen) angerückt und Oransche ward umlegt, als ob eii^ -^°
wochenlanger Regen nichts als Ritter herniedergegossen hätte (al^ ol^-^^
ein Wochen langer regen niht wan riter güzze nider).
Nachdem Gyburc die Wunden Willehalms mit einer (auch schor ^^o
im Parcival erwähnten) Salbe aus geldsürtem dictam, Weinessig (vini
ger) und Bohnenblüthe verbunden und der Held in ihren Armen
geruht hatte , machte sich Willehalm verkappt in der Heidenrflstun^r"^f
Arofels wieder durch das feindliche Heer hinaus, um seiner bedrängte^^^o
Stadt auswärtige Hilfe zu verschaffen.
') 76, 24.
^ 92, 12: der heim und diu goufe \\Hrt Of gastrici und ah gezogD. goiife /W
die unter dem Helm getrogene B^ckenhaulK.% an der auch das Panterfac^ — ^
eingehängt wurde.
33t
lll. Fünf Tage lang ziehen neue Schaaren vor Oransche zusamtncn |
Terramer, ärgerlich über die Verluste und dass er die Stadt noch nicht
habe, liess der Gyburc in der Nacht drei Dinge entbieten: sie in das
Meer zu versenken mit einem' schweren Stein an der Kehle, „oder daz
ir fleisch unde ir bein ze pulver wurden gar verbrant," oder dass sie
Tybald eigenhändig an einen Ast hängen wolle. Sie aber dankt dem
Vater für so ungastliche Anmuthung; so wird die Belagerung weiter
geführt und die wohlbekannten Vorrichtungen, um eine Stadt zu stür-
men, vorgeschoben: „driboc und mangen, ebenhoeh üf siulen langen,
Igel, katzen und pfetraere." Gyburc wehrt sich wacker dagegen und
lässt sogar die Todten ipit Helm und Schild auf die Zinnen stellen, um
ihre Mannschaft dem Feinde gegenüber zahlreicher erscheinen zu lassen.
Unterdessen eilt Willehalra nach Orleans (Orlens), wo er mit den
Bürgern, die ihn für einen Kaufmann halten und Zoll von ihm erheben
wollten, in gefährlichen Streit geräth, zum Glück entrinnt er dem
Handel und findet seinen Bruder' Arnalt, der ihm Hilfe verspricht und
ihn nach Munleün reiten heisst, wo ein grosser Hofbag des Königs ange-
sagt ist und Willehalm seine Eltern und Brüder finden werde. Nachdem
Willehalm in einem Kloster bei Mönchen übernachtet, ritt er nach Mun-
leün, wo bereits Franzosen und Engländer, Burgunden, Fläminge und
Brabanter lagen; doch empfing ihn, weil man ihn nicht kannte, keiner
nach höfischen Sitten, so dass er sich allein unter einen Oelbaum
und eine Linde setzte, und den Helm und die Rüstung selbst abband;
doch sahen Alle nach ihm ob seinen fremdländischen Pfeilen und dem
heidnischen Gereite. Seine Schwester allein erkennt ihn vom Fenster
aus und theilt das ihrem Gemahl^ dem König Ludwig in missliebiger
Weise mit: „Glaub*^ gar, das ist mein Bruder Willehalm, sagt die
Gute, der den Franzosen einen jämmerlichen Handel angestiftet hat;
nun will er gewiss ein neues Heer gegen die Heiden werben; macht
die Thüre zu und haltet sie fest, wenn er auch klopft." So that man
denn auch und Willehalm ^der truric man," musste selbst sein Ross
halten. Da näherte sich ihm ein Käufmann, Namens Wimär, und lud
ihn höchst verbindlich zu sich. Willehalm, eingedenk der Noth seiner
Gemahlin, verschmäht die kostbaren Polster und Kissen und verlangt
sich auf Gras und Klee zu „walgen als ein rint." DerWirth liess sieden
und braten, ein Pfau ward aufgesetzt mit den auserlesensten Brühen
(salsen), ein Kapaun, Fasan, in Gallert die Lampreten (in galreiden
die lampriden), Willehalm aber nimmt nichts davon, denn er hat ge-
lobt, nur Wasser und Brod zu gemessen, bis er seiner Gemahlin Hilfe
gebracht. Der Wirth reicht ihm nun hartes Weissbrod *) und den Trank
') hertiu waslel. Vgl. Parc. «22, 10.
22
338
der Nachtigall, davon ihr süsser Schall werther ist, dann ob sie Wein
von Botzen tränke. Der Markgrafe legte sich in das Gras, kann aber
vor Zorn über die elende Aufnahme am königlichen Hofe nicht schlafen
und beschliesst, es ihnen tüchtig einzutränken; am Morgen rüstet er
sich und reitet auf seinem Pferd Volatin aus der gastlichen Herberge
des Kaufmanns, der unterdessen schon bei Hofe die Kunde verbreitet hat,
wer der Ritter sei; daher \iird Willehalm bei seiner Ankunft daselbst
neugierig empfangen und mit Freundschaftsbezeugungen umdrängt Er
sagt ihnen tüchtig seine Meinung über ihr unhöfisches Benehmen; auch
der König und die Königin beobachten ihn heimlich, sie wünschten ihn
lieber nach Känach oder Assim, oder in die Hitze zu Alamansur^
lieber wüssten sie ihn eingefrören in Scandindviä oder gar auf der Insel
Palake im Lebermeer. Unterdessen kam sein Vater Heimrich mit seiner
Gemahlin Irmschart von Paveie nebst grossen Gesinde und siebentausend
Rittern und wurden schön empfangen; da gedachte Willehalm, es zu
wagen, trat vor den König, mahnte ihn an den Segen, den Gott ihm
gewährt und an die Hilfe, durch die er ihm die römische Königskrone
verschafft; sieben Jahre habe er gestritten, ohne Vater, Matter oder
Brüder gesehen zu haben. Da sprangen seine vier Brüder Bertram,
Bnos von Kumarzi, Schubert und Bernart auf und umfingen ihn, und
der König erkennt dankbar, was Willehalm an ihm gethan habe und
bietet Lohn und Lehen dafür, nur Willehalms Schwester, die Königin,
bricht in Schmähungen aus und erzürnt Willehalm so, dass er ihr die
Krone vom Haupte brach und zur Erde in Trümmer schlug, sie bei den
Zöpfen ergrifi* und ihr das Haupt abgeschlagen hätte, wäre ihre Mutter
Irmenschart nicht dazwischen gedrungen; so gelingt es ihr, in die Ke-
menate zu entfliehen, wo sie sich erst hinter dem starken eisernen Riegel
sicher fühlt. König Ludwig (Löys) wäre lieber zu Etampes oder Paris
oder zu Orleans (Orlens) gewesen, gemer denne da bi im! Willehalm
erzählt seinen Eltern das Elend zu Oransche, drei starke ^'karräsche
(vierräderige Wagen) unde ein wagen möhtenz wazzer niht getragen,
daz von der riter ougen viel;" Heimrich selbst vermag sich kaum auf-
recht zu halten. Alle sagen ihm Hilfe zu, indess es dem schönen
Töchterlein des Königs, Namens Alyze gelingt, den zornigen Oheim zu
besänftigen und mit seiner Schwester zu versöhnen; selbst Irmenschart,
Willehalms Mutter, will Harnisch tragen und mit Schwertern hauen.
IV. Obwohl künec Löys wegen der seiner l^rau widerfahrenen
Misshandlung sehr zürnte, so gelang es doch, ihn zu versöhnen, wozu
die Königin, die nun ihr Unrecht einsah, selbst am meisten beitrug; so
sagt er denn endlich Hilfe zu und gibt, während die Schaaren sich
339
sammeln, ein prächtiges Fest, wobei Willehalm freilich immer nnr Brod
und Wasser geniesst, dabei aber unbegreiflicher Weise zehn Tage lang
anshält, indess wie er wohl weiss, seine geliebte Gyburc in ihrer Stadt
aufs dringendste belagert wird.
Während Willehalm eines Abends mit der schönen Alyze am
Penster sass und die Jungen unten zu zweien und vieren im Tjostieren
sich übten, ^hie mit poynder rtten, dort mit püschen striten,^ auch mit
«Springen, Speerschiessen und Wettlaufen sich tummelten, und grosses
Oeschrei und Lärmen unter den Knechten war, nahm Willehalm eines
Knappen wahr, der mit der ICrafl von sechs Männern begabt, einen
grossen „zuber wazzers vol^ allein trug; er versah Küchendienste und
^war 80 stark, dass er eine Last, die drei Mäuler getragen hätten,
zwischen den B|inden wie ein Kissen (küsselin) trug; sein Haar und
dünnes Grewand hatten Kücheniarbe. £r hätte in jeder Beziehung, nach
seiner Abstammung wie nach seinem Werthe, eine bessere Behandlung
verdient; aber das Gold, sagt der Dichter sehr schön, erweist sich erst
^8 acht, wenn es, auch in einem Pfule, nicht rostet und der Gränät
jächant zeigt gerade dadurch seine Kostbarkeit, dass er, selbst in
schwarzen Russ geworfen, sein schönes Roth nicht verliert. Solch
^urch Noth verdeckte Tugend pflag auch der küchenrussige Rennewart.
"Wisst ihr, wie der Adelaar seine Jungen erprobt (versichert siniu kleinen
^Dt)? Sind sie den Schaalen entschlüpft, so sucht er das Beste heraus,
nimmt es sanft zwischen den Klauen und hält es gegen die Sonne;
^eht es nicht in dieselbe, so lässt er das verzagte aus dem Neste fallen.
•So macht er es auch mit allen andern und wenn es tausend wären;
^^elches dann mit beiden Augen fest in die 'Sonne sieht, das erkennt er
als das seine an. Rennewart, der starke Mann, war wohl in des
^aren Nest erzogen, nicht daraus geworfen, sondern herabgeflogen und
^uif ^inen dürren Ast gekommen. Wie er nun so durch*s Gedränge
^ng, geschah ein Stoss, der den Zuber umstiess; geduldig fiillte er ihn
Qrbermals.' Wie er aber von denen zu Ross und zu Fuss wieder ward
.^vil gehardieret unt also gepungieret, daz sin voller zuber swaere wart
^ber wazzers laere:^ da packte der Starke einen Knappen und warf
Slin an eine Steinsäule, dass derselbe, als war* er durchfault von dem
"^77arfe gar zersprang. Nun erhob sich darüber grosses Gedräng, bald
flohen Alle vor ihm und liessen Uin alleine. Der König, der auch
umgesehen, erzählt hierauf, wie er den Burschen, der eigentlich edler
-A^bkonft ist, schon als Kind von Kaufleuten erhalten, die ihn im Per-
^erlande gekauft und über die See gebracht hatten, wie der Kerl aber
seither nicht dazu gebracht werden konnte , dass er sich taufen Hesse
%^er das Christenthum angenommen hätte. Der Markgrafe bittet sich
ZV
^40
den Kerl aus und der König gewährt ihm endlich auf besondere Ver^
Wendung Alyzens. Willehalm Hess ihn kommen und sprach ihn erst
französisch, dann, da er darauf nicht antwortet, auf heidnisch an, denn
er hatte während seiner Gefangenschaft in Arabien die chaldäische
Sprache gelernt. Das verstand der Kauz wohl. Ich bin aus Mecka,
sagte er, wo Muhameds heiliger Leib noch in den Lüften schwebt, hätte
er mir von dieser unwürdigen Behandlung geholfen, dann wäre ich nicht
an seiner Hilfe verzagt, nun will ich wohl zu dem Krist halten, dem
auch du unterthänig bist. Seit ich hieher verkauft wurde, habe ich
smaehlich arbeit geduldet: der König selbst wollte mich bekehreir, aber
die Taufe war nicht nach meinem Geschmack (nu ist mir der touf niht
geslaht). So lebt* ich hier anders, als bei meinem reichen Vater; ich
schäme mich so elend zu leben. Den Markgrafen freute es, dass der
junge unverzagete und noch bartlose Mann trotz einem also smaeh-
lichem leben noch nach Zucht und Würdigkeit strebte und nahm den
Sarrazin in Dienst. Irmenschart übergab die ganze Ausrüstung zi
Heerfahrt einem Juden vx>n Narbon; Rennewart bekam gute Gewandes-
und eine mit starken stählernen Spangen wohlbeschlagene Stange. Ni
den zehn Tagen erhub sich Heimriches Sohn wohl ausgestattet miv ^t
seinem Heer, nur des Markgrafen junger starker sarjant war übeK^-^1
daran, sie hatten ihm in der Küche noch sein Gewand und Haar be — -^s-
sengt, den Schimpf rächt er mit Riesen -Humor, stach mit der Stange :se
.durch die Kessel, zerbrach die Häfen, kaum dass der Küchenmeister:
seinem Zorne entrann. Die Stange verräumten sie ihm, während e
in der Nacht schlief: also stiess er mit den Füssen die Thüren
und erschlug den Küchenmeister bis er seine Stange fand, die er freodi,
^als ein swankele gerten^ von Hand zu Hand warf, indess er, wie
Hunden ein wildes Thier, von den Soldaten sprang. König Ludwi^Kdg
(Roys Loys) blieb zurück, empfahl aber dem Heer den von seine^^i^JD
Vater stammenden Schlachtruf Munschoy auf das Beste. Der jun^^^^
Rennewart beurlaubte sich bei dem Könige und der Königin, dann gioBi^sg
er in den Baumgarten zu der schönen Alyze, die theilnahmvoll dt
Ungemach beklagte, das er von ihrem Vater erlitten hatte und ihn
ihrem Vater zu verzeihen; das Mägdlein steht auf und lässt sich v(
ihm zum Abschiede küssen, und Rennewart neigte sich vor ihr
den anderen Frauen.
Unterdessen machte in der sorclichen Zeit, wo Gyburc selbst
WaJSen trug (dicke wäpen truoc) ihr Vater öfters Versuche, sie wi<
zu gewinnen. Es setzte während eines Waffenstillstandes (in ei:
fride) scharfe Reden ab, in denen Gyburc mit seltenem Verstandst i^
ihr Christenthum wacker den heidnischen Ansichten gegenüber verit^^i-
341
digte. Der V. Gesang ist ein gut Stück mit solchen Religionsdisputen
eingeleitet. Doch herrscht in ihrer unerschütterlichen Beharrlichkeit
eine wohlthuende Milde, sie oder vielmehr der Dichter, kann nicht
glauben, dass alle Heiden des Teufels seib sollten. Der wilde Tybalt
drohte, nur Ehmerenz wehrte ihm ab, Terramör aber warb heute mit
Flehen und morgen mit Drohungen ^gein siner lieben tohter;" doch ver-
mocht' er sie nicht zu überlisten und sie hielt Oransche. Der Leicheh-
geruch ist unerträglich (der smac von töten was da gröz, unt sus von
manegen äsen.) Auch hatte Oransche viele Breschen (viel dermasen)
erlitten mit Würfen von ,den mangen und von den dribocken.'' Sie
spielten wahrlich nicht mit Token. Die Heiden beschliessen noch einen
nächtlichen Sturm zu wagen uqd dann sich vorläufig zur Erholung
zurückzuziehen. Mit vereinter Kraft brechen sie auf die Stadt los, e^
gelincrt Feuer zu legen. Unterdessen rückt Willehalm mit seinem Heere
heran und erblickt die herzbrechende Not schon von weitem, ^der himel
unt daz mer beidiu wären fiuric var.^ Mit Rennewart und anderen
Erlesenen eilt er voraus um mit einer Buhurt an die Heiden zu kommen.
Er begrüsst seine Gyburc, die wacker von der Mauer streitet, in heid-
nischer Sprache, die Freude macht sie ohnmächtig, dann Hess sie* ihn
durch das Thor herein. Unterdessen merkten die Heiden die Ankunft
des Herrn, und zogen sich gegen das Meer zurück, indess das römi-
sche Heer vor der Stadt ein grosses Lager schlägt, das ausfuhrlich
geschildert wird. Nun konnte Gyburc auch den Waffenrock von ihrem
hamaschrammigeu Leibe legen, ihre Jungfrauen dürfen ihre besten
Kleider anziehen ^-und sich feitieren ; Teppiche , Kissen und Polster
wurden in den Pallas gebreitet und die Gäste wohl gepflegt. Doch be-
klagte man auch die gegenseitigen Verluste an Verwandten und Freun-
den, und Gyburc weint helle Thränen, wird aber mit einer freuden-
reicheren Zukunft getröstet. Es sind lange, kunstreiche Reden und
Zwiegespräche, die jedoch mehr ermüden als fesseln.
VI. Des Markgrafen Gelübde, nur Brod und Wasser zu nehmen,
bis er Gyburc aus der Noth erlöst, ist vorüber, er ass und trank nun
^vil gerne swaz man für in traoc.** Grosses Aufsehen bei den Bur-
gunden, Bretonen, Flamen und Engeländern, den Brabantern und Fran-
zosen erregte sein kluger Knappe Rennewart, der ^sin ungefuegez ris in
der hende als einen trunzün** (wie einen Lanzensplitter) trug; er hatte
seine schwere Stange an einen Marmorpfeiler gelehnt und schaute so
wild drein, dass Jedermann ihn fürchtete, seine Haut (vel) war besweizet
und voll Staub, und doch glänzte er wie die^touwio spitzio röse^ wenn
^sich ir rdher balc her dan klübt: ein teil ist des noch dran, wirt er
342
vor roste immer vri, der beide glänz wont im ouch bf Seit er von
Mualeun gescbieden, sprosste ibm der Bart, zwar zäblte er noch nicht
so viele Jabre um auf einen Bart Anspruch zu machen,') Alyzens Kuss
hatte dazu beigetragen. Er leuchtete durch den Waffenschmntz (rost) so
glänzend, wie der junge Parcival, da ihn Karnabkarnanz in dem Walde
fand, mit dem er auch das noch gemein hatte, dass er gleichfalls noch
nicht ^näch arde arzogn" und um die „edelkeit** betrogen war. Gyburc
gesteht „min herze gibt etswes üf in, dar umbe ich dicke siufzic bin
Sit hiute morgen daz i'n sach.'' Sie ahnt, dass er mit ihr verwandt
sei, „ich muoz im antlützes jeheu als eteslich min geslähte hat. min
herze mich des niht erlät, ichn si im holt, icbn weiz durch waz.'' Nach-
dem er auf Willebalms Gebeiss sich gewaschen , darf er sich an der
Tafel zu den Füssen der Königin setzen, und Rennewart setzte sich
mit Züchten und wurde* roth über den guten Platz. Obwohl die Königin
höber sass, so ragte er doch über sie hinaus, es schien, als ob die
Beiden Abdrücke von einem Siegel wären (als op si bede waeren
lif ein insigel gedrucket) , sie sahen sich zum Verwechseln gleich (man
ersaebe den man wol für daz wip), hätte er «nicht ein Bärtchen (gran)
gehabt. Mit „moraz, win und clärete^ pA^g in&n seiner ^r wohl, auch
stopfte er sich wacker die Backen.') Unterdessen rückten und hoben
die Knappen an seiner Stangen, bis sie dröhnend niederstürzte; da
sprang Rennewart, vom ungewohnten Weine erhitzt, auf, packte seine
Watfe und schlug damit nach Einem, „daz dez fiwer üz der siule spranc
hohe üf gein dem dache. ^ Entsetzt drängten sich die Knappen nach der
Tbüre, schlugen die Tischläcben zusammen und sprangen hinaus. Nach-
dem der Markgrafe noch zu seinen Leuten binausgeritten , um selbst*
nachzusehen , dass sie nicht über Mangel zu klagen hätten , ging er
auch mit Gyburc zur Ruhestatt, wo er und die Königin solcher Minne
pflagen, dass vergolten ward beiderseitig, was ihnen der Streit auf Ali-
schanz an Magen und Mannen hatte geschadet. Selbst die Spenden des
Grales hätten die grossen Verluste nicht aufzuwiegen vermocht. Wie
aber Gyburc „mit kiuscher güete so nähe an sine brüst sich want,'' da
war sie es, die er zu Entgelt erkos für Alles, was er je verlor. Ihre
Minne thut ibm solche Hilfe, dass des Markgrafen trauriger Muth mit
Freuden durchwirkt (undersnitn) war. So weit sind von ihm die Sorgen
entritten, dass s\e kein Speer erreichen könnte.
') 271: Em bete der jfir doch niht so vil, diu reichent gein des hartes zii.:
Alyzen kus hat in gequelt.
') 275: Er verschoup als6 der wangen want mit sptse, dier vor im da vant,
dazz drin niht dorfte snlen.
343
280,
nach trurn sol freude etswenne
. komn.
so hat did freude an sich genomn
15. einen vil kekanten site,
der man und wiben volget mite :
wan jämr ist unser urhap
mit jdmer kom wir in daz grap.
ine weiz wie jenez leben erget:
!0. alsus diss lebens orden stet,
diz maer bi freuden selten Ist.
ich müeste haben gnoten list,
swenne ich freude drinne funde,
8wie wol ich uu guotes gunde
5. den die mir niht hänt getan
und mir niht tuont: die sint erlän
von mir kumberlicher tat.
«
ein wiser man gap mir dep rAt :
daz ich pflaege, swenne ich möhte,
sölher güet diu mir getöhte
81,
üzerhalp der yalschen wise:
des inöht ich komen ze prise.
Dar an ouch nieraen sol ver-
zagen,
er enmüze freude und angest
tragen.
S. swer zaller zit mit freuden vert,
dern wart nie gemach beschert,
ja sol diu manlich arbeit
werben liep unde leit.
die zw^ne gesellecliche site
O, ouch der wären wipheit volgent
mite,
Sit daz man freude ie trdrens
jach
zeinem esteriche und zeime dach,
nebn, hinden, für, zen wenden.
^öz trdm sol niemen sehenden:
Nach Trauer soll Freud' einmal wie-
derkehren ;
So sah man auch die Freude be-
währen
Einen altbekannten Brauch, •
Dem Männer und .Frauen folgen
auch. —
Beim Ursprung man uns Jammer gab ;
Mit Jammer geh'n wir in das Grab.
Ich weiss nicht, wie jenes Leben
geht;
So dieses Lebens Regel steht.
Die Sorge selten bei Freuden weilt;
Viel feiner Witz musste mirzugetheilt
Sein, dass ich Freuden d'rin finden
könne ;
Wiewohl ich alles Gute gönne
Denen^ die mir es nicht gethan
Und auch jetzt nicht thun. — Ich
wiir^ ihnen schenken.
Und der bösen Thaten nicht mehr
gedenken. —
Gerathen hat mir ein weiser Mann :
Dass ich in meinem Gemüthe
Mich befleissige solcher Güte,
Die sich fern hält von falscher Weise;
Dadurch könnt' ich kommen zu Preise.
Es niuss auch Niemand gleich ver-
zagen.
Wenn neben Freud' er auch Angst
soll tragen.
Wer in Freuden schwebt zu allen
Stunden,
Hatniebehagliches Glück empfunden.
Ja, es muss die mannliche Arbeit
Zu beiden fuhren, zu Lieb und Leid.
Die beiden sind auch in Geselligkeit
Verbunden mit wahrer Weiblichkeit,
r
So wie man stets von der Freude
sprach :
Sie sei der Trauer Estrich und Dach,
Daneben, dahinter, davor und wand-
ringsum.
Niemand vergeh in Trauer d'rura !
344
15. wan hat si's iemen noch erwert,
bi sfner freude ez nÄhe vert
Denn hat sie ib recht ihn mitge-
ifoinaien,
So ist er der Freude am nächsten ge-
kommen.
So pflag der Markgraf Kurzweile und sein Heer lag auch schöne
und hatte gut Gemach. Rennewart trieb sich den ganzen Tag geschäftig
mit Laufen und Springen bis zur Vesperzeit, doch war er nicht so un-
gefüge wie zu Munleüu, beim Anbruch der Nacht suchte er die Küche
und legte sich schlafen, als lindez wanküsselin nahm er die harte Stange
unter das Haupt. Ich wähne, sagt der Dichter, dass seiner Schwester
Sohn Poydjus, der König von Vriende, besser gebettet war, wenn er
schlafen wollte, als hier sein Oheim. Wer doch die rechte Märe wüsste,
wie das edle Kind von Ammenbrust verstolen wart und von Reichthum
in Armuth kam. Das Kindel kauften Kaufleute, von ihnen hörte er,
dass sein Vater von neun Reichen die Krone trug, in Nord und Süd,
in Ost und Westen seien ihm die höchsten Sarrazin unterthan, zwei
seiner Schwestern trügen Kronen, und zehn Brüder von ihm herrschten
über Lande. Die Kaufleute lehrtert ihm franzoys und brachten ihn dem
römischen König (dem der roemscher kröne pflac). Solche Klarheit lag
an dem Kinde, dass man in Wahrheit ni^ ein schöner Antlitz gesehen
seit dem Tage, an welchem Anfortas durch die Frage genass. Die
Kaufleute aber drohten dem Kinde, Niemanden zu sagen, woher er
stamme. Anfangs hielt ihn der künec Loys sehr gut, man gab ihn der
schönen Magd Alyze zum Gespiel, wovon die stille Neigung sich erhob,
die bis an ihren Tod währte. Da er sich aber gegen die Taufe wehrte,
„do muos er von der ere Alyzen gesellekeit varn, und mit smaehen
werken ringen.'' Der Knappe trug seinem Vater und seinen Magen Hass,
dass sie ihn nicht lösten, aber sie wussten ja nicht, wohin er gekommen
war. So verloren viele seiner hohen Magen durch ihn selbst das Leben,
da seine Hand viele Siege der Christenheit errang. Doch that ihm
Alyzens Minne wohl, sie wird ihn im Kampfe zu Heldenthaten be-
geistern.
Den Köchen war angesagt, eine grosse Mahlzeit zu bereiten und
viele Kessel hingen desshalb über starke Feuer. Da nahm der Küchen-
meister einen glühenden Brand und versengte dem schlafenden Renne-
wart den Flaum, so dass ihm auch ein Theil des Mundes verbrannte.
Seine Bosheit warb ihm aber Unheil ; der, dem er so seinen Schlaf ver-
störte, band ihn wie ein Sclfitf an allen Vieren und warf ihn unter
einen Kessel in den Rost, dass er des Lebens da ward erlöst. Wenn
^ hör Vogel weid von braten sanc," sagt Wolfram mit schauerlichem Witz
315
anspielend anf das schneidige Spottlied Walthers (»wir snln den kochea
raten etil'' Lachmann S. 17), so war hier ein Braten gar dick und
lang , und seine Frau , zu der er so holdes Herze trug , hätte daran
sicherlich genug. Mit Angst flohen die anderen Köche, „si vorhtn, diu
zeche gienge an sie, dort vl6h ein Koch, der ander hie. si Inogeten durch
die want dar. in'* und hörten wie der jtinge Rennewart um seinen Bart
klagte: ^Nun wähnte ich armer Mann frei von Banden zu sein, seit
mich der römische König verschenkte! wüsste mein Herr, wie es mir
ginge, er wurde mich beklagen. Meinen Bart haben sie mir angezündet,
den die auf meinen Mund gesäet hat, die mir Mitgift (stiure) auf diese
Fahrt mit Kusse gab. „den selben hart hdt üz mime kinne noh mer gezogn
ir minne, dan miner kurzen zite jär, oder die schlechte Behandlung ihres
Vaters (oder dan der smaehliche vfir des mich ir vater wente). .^Ich
getrüwe ir wol, si sente um mich, ze swelher zit si sach daz der künc
sin zuht an mir zebrach, und ich spehte die gelegeheit der riterlichen
arbeit in tumeyn nnde in striten, dar ich lief ze mangen ziten, wie man
ein ors mit künste rite, gein wiben gebären ouch die site. swenn ich
was bi werdeclicher won, ik sluoc man mich mit staben von. Diss
landes" herre ist geschant, daz mich sin koch s6 hat verbrant,^ dazu
sind auch in mir des kräftigen Terramerers Kinder gehöhnt, von denen
zehn in weiten Reichen Krone tragen;') wie würden diese mein Elend
rächen! Mich würde der König vop Cordes beschützen, dem Hap und
Suntsn, Gofgo*zäne und Lumpin, Poy und Tenabri unterthan sind."
Als es tagen begann und die Sonne durch die Wolken brach, ritten
die Fürsten auf und man sang ihnen Messe, aber das Essen war nicht
bereit. Der Markgrafe klagte über Rennewarts Missgeschick und sandte
die Königin, seinen Zorn zu besänften.' Sie ging selbst zur Küche,
lihrte ihn in eine Kemenate, „da snidaere näten maneger slahte wdpen-
deif und bot ihm bessere Kleider an; dann fragt sie ihn nach seiner
lerkunflU lässt ihn zu sich sitzen und schlägt einen Theil ihres Mantels
im ihn — eine so hohe Gunst, dass der „arme bätschelier'' die hohe
*^rau bittet, das zu lassen, wa% selbst für einen Ritter viel zu gnädig
i?^äre. Da sie sagt, sie thue das um ihres geraeinsamen Gottes Willen,
o erklärt sich Rennewart als ein Sarrazin, er sprach: „mir sint dri
;ot erkant, der heilige Tervigant, Mahumet unde Apolle." Seufzend
iarüber fragt Gyburc nach seinen Eltern und Geschwisterten , er aber
irinnert sich nur seiner Schwester, mit welcher Gyburc in ihrer Jugend
Heimlichkeit gehabt haben müsse; er ahnt, dass sie einen Vater
*) Die Namen dieser seiner Brüder sind Fdbors, Ulreiz, M§1arz^ Malalras, GlO'
riaXi, Babsigwei7.i, Carrtax, Malreiz^ Merabjax und Morgöanz.
I
34«
\
%
' gehabt. Gyburc fragt ihn, ob er dem Markgrafen beistehen wolle und
der Knappe verspricht es um so lieber, da es ihn absondert icl|| gelüstet,
sich an den Heiden zu rächen. So bekömmt er nun kostbare Waffen
und ein herrliches Schwert, so breit und stark, wie es zu Nördlingen')
keine Flaschschwinge (dehsschit) gibt, doch ist ihm seine Stange lieber,
da das Schwert ^siner grözeü kraft zeringe^ däucht Gyburc, daz cldre
wip, waffnete ihn mit ihren Jungfrauen, die den Unbändigen dann in
ihre Gesell ekeit nahmen und die Zeit zu kürzen begannen.
Darauf spricht der Markgrafe die Fürsten, Grafen und Rotten—
meister an und der alte Heimrich verspricht nun seinem Sohne dafür
zu entgelten, dass er ihn früher zurückgesetzt habe, dessgleichen ge~
loben seine Brüder ihm beizustehen. Darauf stund auch Gyburc, durcW
welche ja die ganze Noth geschah, auf und sprach mit Züchten, si^
verlangt dass der Tod des jungen Vivianz gerächt werde, dabei ab^m
nimmt sie die Heiden nach Möglichkeit in Schutz, denn der erste Mana:^ ^^
den Gott gemacht habe', sei ein Heide gewesen, auch Elias und Ekioc'
dessgl eichen Nöe ^der in der arken genas, ^ auch Job hiess ein
und sogar die drei Könige Kaspar, Melchior und Balthasdn;
ist zu eVkennen, dass nicht alle Heiden des Teufels wären (zer
sint), alle Kinder seit Eva's Zeit wären überhaupt als Heiden zu t>«
trachten und selbst das getaufte Weib trägt heute noch einen Heid<
bis das Kind die Taufe empfangen, nur die Juden begehen ihre T&.miM.'tfe
mit einem Schnitte. So waren wir alle Heiden ehedem; tlem Fromnoi^^D
aber thut es weh, wenn von dem Vater die Kinder zu den Verdamiimt>^n
gezählt werden. Wer je rehte erbarmekeit truoc erbarme sich über &m^.
Was nun Euch .auch die Heiden gethan haben ^ so bedenkt doch, dLsi-ss
Gott selbst denen verzieh, die seinen Leib getodtet haben. So gibt ^Sr
seinen Kindern Lohn, wenn sie auch Seiner vergessen!
309,
sin erbarmede nchiu minne
elh*u wunder gar besliuzet,
des triwe niht verdriuzet,
15. sine trage die helfecliche ha*nt
diu bede wazzer unde lant
vil küiisteclich alrerst entwarf,
und des al diu creatiure bedarf
die der himel umbe^weifet hat.
20. diu selbe [hant] die pläneten lät
Seiner erbarmenden reichen Li<
entfliesseÄ»
Alle Wunder sonder Maasseu;
Seine Treue kann es nicht verdriess^"
Zu helfen mit hilfreicher Hand,
Die beides, Wasser und auch Lar*^
Zuerst mit weiser Hand entwarf
Dess alle Kreatur bedarf.
Die der Himmel umkreiset.
Dieselbe Hand den Planeten wei^*^
%.
•) 295,16. Lesearten: Nördeling, Nördlinff, Nordelinge, NordeliogeD, Nordliof*"^'^
dehs schilp deskeschit, dechscheit, decke sohlt.
>
847
ir poyoder vollen gäben
bediu verre und nahen.
8wie si nimmer uf gehaldent,
si warment onde kaldent:
25. etswenne*z !s si schaffent:
dar nach si boume saffent,
so diu erde ir gevidere rßrt
nnde si der meie lert
ir moze abus volrecken,
nach den rtfen blnomen stecken.
310.
Ich diene der künsteclfchen hant
für den beiden got Tervigant:
ir kraft hat mich von Mahumeten
crnders toufes zil gebeten.
5. des trag ich mtner mäge haz ;
und der geteuften umbe daz:
durh menneschlicher minne gtt
si waenent daz ich fbogte disen
strit.
deswär ich liez ouch minne dort,
. and grözer richeit manegen bort,
und sohoeniu kint, bi einem man,
an dem ich niht' geprüeven kan
daz er kein untat ie begienc,
sid ich krön von im enpfienc,
. Tybalt von Aräbi
ist vor aller untaete vr!:
ich trag al ein die schulde,
durh des hoehsten gotes hulde,
ein .teil ouch durh den markis.
"- der bejaget hat so manegen pris.
ey Willalm, rehter punjur,
daz dir mfn minne ie wartsosür!
^waz werdet diet uz erkorn
in dtme dienste hänt verlorn
^•ir Itp genendecltche!
der arme und der riebe,.
Die Bahnen an, in Femen und Nähen
Den vorgeschriebenen Lauf zu gehen.
Wie unaufhaltsam ihren Kreis
Sie vollenden, gibt ihre Kraft
Wärm' und Kälte ; sie schaffen das
Eis,
Sie giessen in den Baum den Saft,
Und Blumen nach dem Reife spenden,
Wenn die Erde ihr Gefieder schlägt,
Um ihre Mause zu vollenden,
Sie dieser, von dem Mai erregt.
Ich diene der Einen, der kunstreichen
Hand,
Statt dem Heidengo tte Tervigant;
Ihre Kraft hiess durch der Taufe Segen
Mich ab den Glauben Afahoms legen.
Desshalb trag* ich den Hass der
Meinen.
Doch denGretauften will es scheinen,
Als ob durch menschlicher Minne
Begier
Ich diesen Streit entflammet hier.
Wahr ist's, ich Hess auch Minne dort,
Und grossen Reichthums manchen
flort,
Und schöne Kinder bei einem Mann,
Dem ninmier ich beweisen kann,
Dass Untbat er an mir beging.
Seit ich von ihm die Krön' empfing.
Tibald von Arabien sei
Von aller Unthat gesprochen frei*.
Ich trag' allein die Schuld
Durch des höchsten Gottes Hnld, '
Und theils auch durch den Marquis
gezwungen,
Der so manchen Preis sich hat er-
rungen.
Weh, Wilhelm, rechter bon jour,
weh mir.
Da meine Liebe so verderblich Dir!
Wie werthe Männer auserkoren
Haben ihr edles Leben verloren
•
In Deinem Dienst. — Ihr Reich' und
Arme,
0 glaubt es, dass mit tiefstem
Harme
348
na geloabt daz iwerr mäge flust
mir sendet jämer in die brüst:
fiir war min vruude ist mit in
tot.^
Eurer lieben Verwandten Verlust
Beschwert jammervoll meine Brost.
Fürwahr, meine Freud' ist mit ihnen
todt!'*
Die Thränen brachen ihr aus den Augen; Gybert, Willehalms
Bruder, sprang auf und umarmte die Königin. Darauf gingen die Fürsten
zur Tafel, dabei auch Rennewart mit seiner Stange erschien ; mancher
Fürst suchte selbe zu heben, alldn nur Willehalm bringt sie bis an's
Knie empor; Rennewart aber regierte sie wie ein Besenreis (sumer-
late). Darauf wurden die Gezelte abgenommen und das Heer gerottieret,
das ganze Feld erglänzte von Bannern. Gyburc sieht mit ihren Jung-
frauen vom Fenster aus dem Abzüge nach.
Vn. Rennewart interessirte sich sehr zu sehen, wie dieser den
Schild zu H9.1se nahm, ein Anderer den Helm aufband, und wie Posten
(wartman) und Vorhut (snndrrotte) nach dem Feinde gesandt wurden.
Als ^si warn wol raste lanc gevarn" traf Rennewart den Markts, der
verwundert nach der Stange fragt; Rennewart schämte sich und es be-
däuchte ihn gro^e Unehre, dass er selbe wie das Essen über dem
Gegaffe vergessen hatte; sogleich will er sich auf die ^widerreis" machen^
selbe zu holen. Der Markts aber sendet einen Boten darnach und die
Stange kam auf einem Karren mit der Nachhut
Sie lagerten die Nacht über, am Morgen zündeten sie die Her-
berge an; ') Rennewart, der fleissig herumläuft, um Alles zum Heerzag
gehörige zu beschauen , vergisst abermal seine Stange; das nimilit «r
beinahe für eine Waniung, gegen die Seinen nicht zu kämpfen, doch
bleibt er der schönen Alyze Tillen dem Markgrafen getreu. Als er
endlich unter den verbrannten Trümmern seine Stange findet, war sie
wohl „swarz als ein ander brant,^ aber nun auch ^vestr und zaeher." Der
Markgrafe spricht noch einmal seine Fürsten und Leute an, von denen
in Angesicht des Feindes ein Theil schwankend wird, sie möchten lieber
daheim in Turneyn den Preis behalten, als sich hier den feindlichen
Pfeilen aussetzen. Willehalm wehrt diesen Hilfsvölkern des römischen
König Löys den Abzug nicht, die anderen aber redet er ernstlich an :
322,
„den endelosen pris
5. werben t die nu da sin belibn.
dine werden t nimmer vertribn
„Den ewigen Preis
Erhalten, die hier treu geblieben:
Diese werden nimmer vertrieben
1) 318, 21: dd die hülfen von loube mit röre und von schoube (S(roh) vi'Arn
verbrunn und begründen brinnen.
349
Von der dorchslagenen zeswen
hant,
diu fiir diu hellecltchen pfant
ame kriuce ir bluot durh uns ver-
goz.
10. die selben hant noch nie verdröz,
swerz mit einvaltem dienst erholt,
si teilt den endelosen solt.
die belibene sint zer saelde er-
weit,
swer die schalen vor hin dan
schelt,
15. der siht alreste den *kemen.
noch hiute sule wir lernen
wie diu gotes zeswe uns lones
gieht.
dehein steme ist s6 lieht,
em förbe sich etswenne.
20. enruocht, lAt sin : waz denne,
sint uns die iidrslihtaere ent-
riten?
sint diu wfp da heime in rehten
siten,
si teilnt in drumbe sölhen haz,
daz in stüende hie beltben baz.
25. wir muogen hie Sünde büezen
und behalten werder wtbe grüe-
zen.''
Von der durchbohrten rechten Hand,
Die für das höllische Pfand
Am Kreuz ihr Blut uin uns vergoss.
Dieselbe Hand noch nie verdross,
Dem Lohn zu geben in Ewigkeit,
Der Dienst in Einfalt ihr geweiht.
Die Verbliebenen sind zum Heil er-
wählt!
Wer von der Frucht die Schaale
schält
Der sieht erst ihren Kern.
Erfahren werden wir noch heut
Wie die Gottes - Rechte Lohn uns
beut.
Es ist so licht kein Stern,
Dass er mitunter nicht tröbe sei.
Vertraut! Vergesst! — Was ist
dabei,
Dass diese Haarspalter vgn dannen
geritten ?
Sind die Frauen daheim von rechten
Sitten
So spenden si# d'rob ihnen solches
Hassen,
Dass besser die Flucht sie hätten
gelassen.
Wir wollen hier die Sünde büssen
Und behalten werther Frauen
Grtissen.**
Unterdessen waren die Flüchtlinge bis in die Enge von Petit-Pont
gekommen, als Rennewart ihnen begegnete und so zornig auf sie ein-
drang, dass ihrer gleich fünfundvierzig todt lagen, denn er sparte seine
Stange wenig ; sie sehen ihr Unrecht ein und lassen sich von ihm zurück-
führen. Der Markgrafe redet sie ernst an: auch Petrus, des „himels
portonoys,^ habe den Heirn dreimal verläugnet und dann doch tapfer
vertheidigt, so sollten auch sie nun Mannheit beweisen. Er gab ihnen
wieder ihre Fahnen. Rennewart ist ihr Führer und sein Name ihr
Heergeschrei.
«
Kun trägt uns der Dichter in das heidnische Heerlager, das
sich in neun Schaaren unter den betreffenden Anfuhrern ordnet; auch
hier gibt es viele Reden und Gegenreden. Terranier wird feierlich und
höchst ceremoniell von seinen Königen gerüstet (356, 1 — 357, 12),
die Heiden spotten des „zouberaere Jesus;'' König Kalopeiz liess allein
350
achthundert Posaunen blasen. Es beginnt die Schlacht, deren Schilder-
ung, ein unvergleichliches Meisterwerk, den ganzen Vlll. Gesang in
Anspruch ninlmt Alle die Schaaren und Anführer, und diese wieder
mit ihren Rüstungen, Rossen und Waffen werden genau und mit male-
rischem Detail beschrieben; kühne Bilder erheben das Ganze za einem
höchst bewegten Leben, so heisst es z. B. (373, 21 ff.): das war ein
Handel mit Borgen und Kaufen; ^etsltches wäge was so snel, daz sin
sancte nidr unz in den tot.^ Die Bogen schnatterten wie die Störche im
Nest. Hurtd ! wie nun der Streit begann, und mit Tjostiure die Splitter
(trunzüne) in die Luft spritzten! die Sdiwerter klangen durch die
Helme, genug guter Rüstungen und kostbarer Stoffe 0 wurden dorcb-
hauen. Solcher Streit geschah allhier, dass selbst Alles „swaz man von
Etzeln ie gesprach und ouch von Ermenrlche^ unvergleichlich ist mit dem
Tage üf Alischanz. Wie in einer Presse sind die Christen und Heiden
an einander: ^daz was ein witer notstal, mit swerten verrigelet, manee
lehn wart da übersigelet mit des tddes hantveste^ (391, 24). Wenn
man den Rhein und die Rhone vierzehn Tage lang schwellte und dann
die Dämme wegnähme, sagt der Dichter (in dem IX. Gesang, in
welchem die Schilderung der Schlacht weiter geht), so gäbe es kein so
grosses Wasser, wie Terramer die Christen umfluthet, die jedoch wohl
zur Wehr waren ; dft einzelnen Kämpfe werden ausführlich beschrieben.
Rennewart allein sluoc werder künege fünf aus Zorn, weil Terramer
den Grafen Milon von Nivers niedergerannt, so zwingt er einen Theil
von Halzebier*s Schaaren zu den Schiffen an das Meer zurück, die von
Nubiem gehütet waren; 'nun tönt von den Schiffen auch der Schlacht-
ruf Munschoye, denn der pfallenzgräve Bertram, der früher mit seinen
Genossen gefangen w^rd, lag in denselben. Rennewart sprang an Bord
und stürzte Manchen hinab, brach die Dielen, zwang die ^von Nublant
diu baut, armisen und fsenhalten) aufzuschliessen und befreite die Ge-
fangenen: Bertram und Gerart, Hüwes unde Witschart, Sansön und
Gaudin, Hüwas von Sanctes und Gibelin. Ehe diese Hamasch ge-
wannen, verlosch manchem Sarrazen sein Lebenslicht. Bald hatten sie
Waffen, nur fehlten ihnen noöh die Pferde, die Rennewart unklug dar-
niederschlug und erst auf Bertrams Rath verschonte; so wurden sie
auch beritten; „lantgräf von Dümgen Herman het in ouch lithe ein ors
gegebn,^ das pflag er sein Leben lang, zumal bei so grossem Streite,
wenn der Begehrende bei Zeiten kam. Rennewart war allenthalbeh und
kam überall zu Hilfe. Schon war die Reichsfahne, die Iwdn von Rheims
*) z. B. 403, 23: man sah dd wunder gogelen von tieren und von vögelen dt'
manegen helme veste, bdum, zwt, unde ir este mit kosle geflörieret u. s. w.
•851
(Roems) trug, in Gefahr, als Rennewart auf die Ungläubigen eindrang,
diese wehrten sidi aber so, als ob die Ritter vom Himmel fielen,') an
ihrer Spitze d^r alte künec Purrel von Nubtant, dessen ^bart gräWer
was dan der tuft.** Er war wunderliche gewapeut. Sein halsperc und
schilt waren aus der grasgrünen Haut des Wurmes Neitün gemacht, die
härter ist als Adamas; sein Helm, den kein Schlag noch Stich durch-
dringt, ist aus der regenbogenfarbigen Schwarte des Wurmes Mnntunzel
gemacht; es waren kunstgerechte Leute, die solche Bewafihung werk-
ten, wie man sie auf dem Sande selten findet.') Grosser Schade
geschah von ihm und seinen Leuten, sie hauten sich eine breite Strasse
durch die Getauften, Rennewart' sprang in den Ring und schlug gegen
den König emen ^alsö starken swanc,^ dass die Stange an der undurch-
dringlichen Röstung zersprang und die Trümmer in die Luft splitterten;
doch lag der König unversunnen und das Blut rann ihm aus den Ohren
und der Nase. Mit der Faust schlug sich Rennewart weiter, „stns
edelen swertes er vergaz in der scheiden an der siten.'^ Den König trug
man 'auf einem Schilde aus dem Getümmel. Mit Jajnmer sieht Terra-
mer die Noth und wirft sich nun mit seinen Mannen mitten in den
Kampf; ihm begegnen der Markgrafe Willehalm selbst, seine Brüder
und der Vater Heimrtch. Terramer schlug den Markgrafen durch den
Helm, aber auch Willehalm macht ihn wund, so dass er auf sein Schifi'
(tragamunt) gebracht werden muss. Die Schlacht ist entschieden; die
Heiden lösen sich in wilde Flucht nach ihren Schiffen auf. Das Schlacht-
feld bot einen traurigen Anblick: ^^da was gewunnen und verlorn; ets-
liche heten vreude erkorn: so heten die andern jämers hört, daz was
der site hie unt dort an den selben ziten ime her an allen siten. swen
da leben liez der tdt, swie gröz wart anders da des not, der hete sich
selben funden . iesUcher sfnen künden suochte uf dem wal und üf der
sjä (auf dem Wege). s6 vant der stnen vater da, so vant der sinen
bruoder hie : sd vant der herre sfnen man. mer vindet der wol suochen
kan, denn der suochens sich bewigt und durch sin trächeit stille ligt.^
Die Armen wurden reich. Jeder konnte nach Belieben nehmen. Jeder
and mehr als er erwartete; auch fanden, sich kostbare Leckerbissen
ind Speisen aus den feinsten Landen, die mit ihren ^sundemamen^ nicht
aufzuzählen sind , auch mancherlei Getränke von ^kostenltcher ahte :
*) 425, 10: die gelouHen rtler wdnden daz dd »nllen Hier flzeib luft
^) 426, 28: ez wdren spaehe Hute, die worhlen sölhe sarv^at, der man üf dem
Sande wenic hdt. Der Sand beisst die ganze Gebend von Neiimarkt, Rolh,
Pleienfeld, Weissenburg nnd um Nürnberg. Auch Bruder AVernber sagt
df den sant ze Niirnberff, der Marner kennt Nürenber^ und den sant. Aber
aoeh Sigfrid reitet ze Wormse üf den sant. Nib. /2 und Haupt Neid->
bart. S. XL.
352
mdraz, wfn, sinöpel, Kipper und Yinepopel; gBleschet nach der hitze
wart da maneger, daz s!n witze niht gein Salomoue wac. etslicher tranc
daz gar s^n leit mit liebe nam ein ende. Die de Wirtschaft da besazen,
den was almeistic lazen zer 4dr od sus zem verhe. vant man da rede
twerhe, diu wart smorgens Übte sieht. ^ Alles fand gut Gemach und
war zufrieden ttnd Mancher, der eine grosse Wunde hatte, achtete selbe
doch kaum für Bremsenstich (als 'einer brämen kraz). Am folgenden
Morgen wurde ^diu reine kristenliche diet,^ die auf dem Felde das Leben
verloren, begraben und die Edelen auf Bahren gelegt und reich balsa-
mirt, um in ihre Heimath gebracht zu werden.
Erst auf dem Rückzuge wird Rennewart vermisst. Willehalni ist
ganz untröstlich und geberdet sich ^näch wibes siten,*' kaum dass ihn
•Bernart von Brabant zu trösten vermag; überall wird nach Rennewart
gesucht, allein er ist nicht unter den Todten, vermuthKch war er bei
der Verfolgung bis an die Schiffe, gefangen genommen und in seine
Heimath zurückgebracht worden, wenn er nicht etwa in den Wellen
ertrank. -— (Erst bei Ulrich von Türheim, der Wolframs Werk besser
zu machen glaubte, kommt unser Held wieder zum Vorschein und hei-
rathet auch seine schöne Alyze.) Man hatte fünfundzwanzig heidnische
Fürsten zu Gefangenen gemacht, der Markgraf nahm von ihnen Sicher-
heit, auch gab er die Erlaubniss, die hohen gefallenen Heiden schön
aufzuheben, dass kein Wolf oder Rabe ihnen schade, sie mit Balsam
wohl zu ^beraten und zu arömäten und küneclfche zu baren.'' Der König
Matribleiz nahm sie mit sich. So wurde das Provenzälen Land von den
Heiden geräumt.
Der Willehalm ist, ^was das Formelle betrifft, das feinste Werk
unseres Dichters, wenn es auch unsere Theilnahme nicht so sehr zu
fesseln vermag, als seine anderen Epen.'' ^) Was aber den inneren
Gehalt betrifft, so steht er weit unter dem Parcival. Alle dem Sagen-
kreise Karl d. Gr. angehörigen Dichtungen, wie das Rolandslied und
die Historie von den Haimonskindern sind ungeheuerlich and roh.
Wie empörend ist z. B. im Willehalni das ungeheuere Elend, das der
Heilige durch die Entführung seiner Frau, die selbst nicht mehr jung
gewesen sein kann, über sein Land und seine Mannen bringt, wie
unerträglich die Misshandlung, die Willehalm seiner Schwester' ange-
deihen lässt. Während Parcival und sein weltliches Ebenbild Gawan
voll ritterlicher Zucht und Höfischkeit erscheinen und' die Schläge, d\
jener zuchtlose Senneschal einer Frau versetzt, den jungen Parcival z
•) Eftmüller Ilondbuch. S. 1?)7.
8Ö8
persönlichar Bacbe reizen : prügelt hier der heilige Held seine spöttische
Schwester md bleibt dann zehn Tage , obwohl wii steten Fasten , bei
den Ritterfesten, indess seine agene Stadt und seine innigstgeKebte
Gattin die schwerste Belagemag aiiszabalten hat. Und Rennewart, der
eulenspiegelmässige Riese and Hofnarr, der heimliche Prinz nndSpass-
maeher! das AU^ zeigt denüich die Flegeljahre des Frankenvolkes»
die zwar schon verrauscht waren, deren Macht aber immer noch so
nachhaltend und gross blieb, dass selbst ein so feinfühlender Dichter
wie Wolfram, sich nicht davoQ fr^ halten konnte.
Destb näher ^g der Stoff jfur die kleineren Geister, auf die er eine
reizen4e Anziehungskraft ausüben ohisste.. Den ersten Theil der fran-
zl^sisöhen Quelle ^ den Wolfram -absiichtlidx wegliess , die Entfiibrong
Arabelens, ihre Taufe und Yermäblung mit Willehalm bearbeitete
Ulrich yoo dem Türlin, ') indi^ss beinahe gleichzeitig Herr Ulrich
von Türheim'), den- «Rennewart'' breit schlug und zu einem eigenen
Opus verhämmerte. Die beiden Ulriche^ jedenfalls zwei ganz congeniale
Schöngeister upd Verseschmiede hatten früher öfter das Unglück, mit
einander verwechselt oder gar in eine Person zus^nimengewor£en zu
werden. Nun weiss man genau, dass der erstgenannte' die ^ Milde ^
des König Ottokar vop Böhmen (1253 — 1278) genoss, indess der
andere, ein aufrichtiger Schwabe aus Ober-Thörheiip bei Wertingen und
ein armer Ritter seiner^ Unterhalt von dem leichtsinnigen Könige Hein-
rich VII. (dem Staufer) bezog» dessen liebste Gesellschaft aus Jägern,
Falknern, Spassmachern und ähnlichen Gesellen a la Rennewart bestand.
Als nun Heinrich im Jahre 1235 verhaftet, abgesetzt und nach Apulien
abgeführt ward und endlich gaf in der Gefangenschaft starb (1242),
da war unser Ulrich zwar bis zum Tode betrübt, tröstete sich aber
bald wieder , als er mit anderen, mildthätigen Herren bekannt wurde.
Denn Otto d.^r Bogner,') ein Augsburger Bürger, brachte ihm aus
der Abtei St. Denis, ein französisches Werk über Willehalm, das er
gleich zu bearbeiten begann (1242), nachdem er schon früher ein
glücklicher Weise verlorenes Buch Clies gedichtet und sogar am
Tristan gestümpert hatte. Ulrich war, als er. den Reiinewart
begann, schon bejahrt, doch dichtete er noch „eines .guten Weibes
willen^; die dadurch verherrlichte Dame war wahrscheinlich Adelheid
*) 1252- 1279. Von ihm auch ^der dvenliure kröne^ cf. obeo S. 301.
*) fai Aufiburger Urkunden 1^6—1246 nachgewiesen.
*) Dieser Otto der Bogenaere , von dtm Dlrich sa^ „er sitzet ze Ouffspnrc in
der stat"^ ist als Zeuge in einer Urkunde des Bischof Siboto von Aufshurg
in X 12S7 ffenaant und kommt später, im J. 1246, -noch einmal vor. Lach-
mann S. XLI.
23
\
854
▼OD Erringen, welche ihren Gatten Chnonrat von Erringen, der ülridi*9
bester Freund war, im Jahre 1231 durch den Tod verior. Wohl merkte
der Poet bisweilen seine Weitschweiügkeit und legte dann die Arbeit
weg, besann sich aber bald wieder eines besseren und nahm seine
^ Dichtung^ wieder auf, die uns aus Ironie des Schicksals weder ganz
noch acht überkommen sollte. Wir haben nur eine verftlschte, spätere
Abschrift, welche ein sprachknndi^r Mann, östfränkischer Abkunft, etwa
ein Mönch zu Heilsbronn, zwischen 1280 und 1300 anfertigte und das
ostfränkische Idiom vorherrschen Hess.') —
Wolframs Willehalm muss unter seinen Zeitgenossen grosses An-
sehen genossen haben. Nach einem Fragment in der MQnchner Biblio-
thek zu schliessen, wurde schon im XIII. Jahrb. der Versuch gemacht«
selben in*s Lateinische zu übersetzen. Wie der Parcival auf den Wimt,
so wirkte der Willehahn auf einen anderen , den bayerischen Herzogen
zu Landshut nahe, stehenden Dichter, der statt des fremdländischen
Heiligen einen acht vaterländischen Namen zur Verherrlichung gewann.
Bei unseren mittelalterlichen Vorfahren stand St. jGreorg abson-
derlich in Ansehen. Daizu verhalf ihm die dankbare Reminiscenz an
den ehedem göttlichen Wuotan, der unstreitig unter der Grestalt des
christlichen Heiligen noch geraume Zeit seine Verehrung in Anspruch
nahm. Als St. Em er am an den bojarischen Hof nach Regensburg
kam (649—652) fand er bereits einen Altar, *) welchen sein Vorgänger
St. Rupert, zu Ehren dieses englischen Ritters und zwar an der Stelle
eines früher dem Drachentödter Apollo gehörigen Tempels errichtet
hatte. Hier siedelte sich Emeram' in seiner aus Weiden geflochtenen
Betzelle an und bald erhob sich eine Krypta darüber, die zu den älte-
sten Bauresten des Bayerlandes gehört.') Damit hing auch ein nntei'
Bischof Erhard (c, 680) aufgeblühtes Frauenklösterlein zusammen, das
vor dem Ablaufe des ersten Jahrtausends durch die verwittwete Her-
zogin Judith von Bayern zu einem freiadeligen Stifte sich entwickelte.
Wie ehedem der schlachtenlenkende Gott, so ritt St. Jörg in ritter-
licher Rüstung und erlegte vom Pferde herab den Drachen ; wie ehedem
diese Begebenheit im Tempel zu Delphi ihre mimische Darstellung fand,
so ward auch* die christliche Legende dramatisirt und bis auf unsere
') Ausgabe der Regensburger Fragmente durch Dr. Karl Roth. 1836. Dia
Fragmente, welche F. A. Reuss zu Kitxingen fand (Von den Heidentlialea
der Kreuzfahrer im heil. Lande. Kilzingen 1839) scMnen giekhfaUs wor
Rennewart-Literatur zu gehören« «
') Mausol. St. Emeram. S. 14.
*j Panzer Beitr. L Sr 122 o. Quitznann heidnische Reliffiooder Baiwarea. ^ ^
1860. S. 148.
855
Tage im Volksleben erhalten. ') Die nnOberwindlich machende Brünne
cles Oottes ging buchstäblich in das gegen Wunden schützende Sieg-»
hemd und das festmachende Georgenhemd über, ebenso wie die
Macht, seinen Kriegern gntes, schönes Wetter za senden, diie
ehedem zu Wuotans wohlth&tigen Spenden gehörte. ' ) Meist erschien
er auf weissem Ross in den christlichen Heerhanfen mid jagte ganze
Gresohwader der Ungläubigen daron, so ward er im Krenzzuge vom
J. 1190 unter der bayerischen Reiterei bei Philomene gesehen und vom
Grafen von Helfenstein allsogleich erkannt An den häufig vorkom-
menden „Schimmelcapellen^ war aussen das Pferd des Heiligen ange-
malt, das bevorstehende Kriegsföhrlichkeiten nicht selten durch nächt-
liches Gewieher voransverkündete. Ludwig von Thüringen hatte das
St. JOrgenpanier unmittelbar vom Himmel herab erhidten, das fortan
das Heerzeichen der Reichsritterschaft wurde, ^) dem Grafen von Pap-
penheim gab der Heilige sogar den Daumen aus der Hand (vgl. oben
S. 35), der dann zu Kaisheim aufbewahrt wurde, zu Bamberg
zeigte man das vom Himmel gefallene Schwert dieses Heiligen,^) zu
München aber ward von den frommen Herzogen im Jahre 1496 eine
.gBruderschafl^ aufgerichtet^) und noch zur Zeit des dreissigjährigen
Krieges und weiter beigab galt die Meinung, dass Jeder, der einen
<Mannsfe)d'schea) ThaM* mit dem Bilde des ^hl. Rottmaister^ bei sieh
trage, vor allen feindlichen Anfällen ledig 3ei.^)
Bei so bewandten Umständen konnte es nicht fehlen, dass die
3Poesie sich dieses Gegenstandes bemächtigte, zumal da eine grosse
Anzahl prosaischer Legenden existirte, die ein höchst phantastisches
Material hinlänglich in sich trugen und nur der dichterischen Gestaltung
2U warten schienen. Diese ward ihnen durch unseren wackeren Rein bot
iron Dume der unmittelbar im Auftrag des Herzog Otto des Erlauchten
imd dessen Gemahlin das Werk begann und in 6000 gut gezählten
"Versen glücklich vollendete.').
') Das Weitere hierüber in der folgendeo Geschichte des Dramt.
>) Vgl. Wolf Beilr. I. 54.
*) Vgl.'ll. Zieffelbauer bislor. Nacbricht von der St. Georgenfahne, so vor
Zeiten der deutsche Adel in Religions- und Reichs - Kriegen gefübret hat.
Wien 1735 bei J. A. Schmidt ßuchbändjer aus Nürnberg.
^) Keysslers Reisen. 111. B. S. 1365
>) Gesetse oncTRegeln, Ablass undGebeth der hl. Brudersihafl des St. Georg etc.
Miacheo bei Lucas Strmb. 1600. 12<^.
^ F. Sterzinger: Versncb den Aberglauben zu stürzen. München 1785.
Anbang Nro. 193.
#
*) Handschriflen zu München, in Wien vom J. 1376, zu Zürich aus dem XV Jahrb.
und viele Bruchstücke. Anzeiger: IV. 186. Eine Auflösung daraus in Prosa in
23»
856
Vom Leben des Dichters weiss man wenig« Sein Grebnrtoort ist
nach Pfeiffers Vermuthang *) das in der Mähe von StrauUng befind-
liche Schloss Wildtfaarn an der Isai*.') Er nennt sich einen Schreiber
und Dichter des Herzog Otto (1231 — 53) der zu Laadshut Hof bieh
und den Sängern, unter ihnen vornehmlich ^em Tanhanser, gastliche«
Gelass und Herberge bot. Der Name Reinbot 's erscheint einmal io
einer Straubinger Urkunde vom Jahre 1240, und Ort, Jahr und die
Beziehung auf den Herzog «teilen ausser allen Zweifel, dass dieser
Reinbot mit unserem Dichter ein und dieselbe Person sei. «Von der
seinem Aufenthaltsort zunächst liegenden Scenerie nennt er einmal den
Chiemsee (v. 1717), das Kloster von Geisenfeld (v. 5296) und
den Markt Werd, mit dem weder, ^ie Hoffinann von.FalleralebeD
glaubte, die Leopoldstadt bei Wien, noch nach Schmeller*s Vermuthung
das Städtchen Donauwörth gemeint sein kann, sondern einfach der alte
Marktflecken W e rt (Wörth) an der Donau, zwischen Regensburg- und
Straubing, der in Urkunden des XIL bis XI Y. Jahrh. häufig .vorkommt
und zum ganzen Gesichtskreis Reinbot*s am besten passt. Er begaoo
sein Werk noch vor der Mitte des XIII. Jahrb. und zwar nach einer
bisher vergeblich gesuchten lateinischen oder französiscäien Quelle^ wobei
er sich die Behandlungsweise des Heinrich jfpu Veldecke und Hart*
mann*s von der Aue, die somit wohl am. Q((fe zu Landshut fleissig
gelesen waren, vorzüglich aber Wolfram's grossartige Manier zum Muster
nahm. Er ahmt, so weit es seine Selbstständigkeit und Fähigkeit erlau-
ben, alle Eigenheiten des Eschenbachers nach und der ^ Willehalm ^ ist
ebenso mustergültig und einflussreich für Rein bot, wie 4er «Parcival^
auf Wirnt von Grävenberg wirkte.
Reinbot beginnt damit, dass er erzählt, wie der werthe Herzog
und sein viel reines Weib, die hohe edle Fürstin (die beide ihren
Sinn auf würdigliches Leben gesetzt haben und nach ewiglichem Lohne
streben) dem Dichter den Auftrag geben, ein Buch in deutscher Sprache
von dem lieben Herren St. Georgen zuzurichten. So ist ihm denn Otto
sein Landgraf von Thüringen, wie Wolfram von jenem den Willehalm,
so habe er für seinen Herrn nun dieses Buch vorgenommen, das er
dem durch A. Koberger 1488 zu Nürnberg gedrucklen Leben der liebtio Heiligen
Gottes. Sommertheit. Bl. 6—11. — Bereits im J. 1749 kündeIeJustus Moser
in Osnabrück eine commentirte Herausgabe dieses Gedichtes an, die jedoch
unterblieb; der erste Druck geschah durch v. d. Hagen Deutsche Gedichte
d<» Mittelalters. IbOS. 1. B. Nro. 5. recensirt von Docen in Sdidlings
allgem. Z^lschrift. 1813 S. 216-31.
fer schon lange vorbereitet
') Neue Jenaer lit. Ztg. 1842. S. 1002.
'> Dum hei Siosheim. (Dr. K. Roth)
Eine neue Ausgabe bat Frans P f eif-
857
gerne besser geziert und etwas beraasgeputzt hätte, aber die Herzogin
habe ihm aufgetragen, bei dgr Wahrheit zu bleiben und nichts mit
Lügen zu gefloiyren! Vielleicht geht das Buch dann über alle deutsche
Lande, Ton Tirol bis Bremen und von Presburg bis Afetz. Desshalb^
und dass er es r^cht gut machen möge zu Ehren des hohen Heiligen,
ruft der Dichter seine Hilfe an.
Nun musste die Herzogin ihren Mann wohl kennen, weil sie es
für nöthig fand, ihn ernstlich zu mahnen, mit der Wahrheit nicht gar
zu sparsam umzugehen, das heisst, seine eigene Phantasie hübsch im
Zaume und frei von Zuthaten, an der Quelle zu halten, sie wusste
vielleicht, dass doch genug noch mit unterlaufen werde. Und hierin hat
der Herre Reinbot sein Möglichstes gethan. Wie die Maler des XIV.
und XV. Jahrhunderts die lieben Heiligen Gottes , gleichsam um sie
für ihr armseliges Leben auf dieser Welt zu entschädigen, meist in
prächtigen Gewanden, schimmernd von Gold und edlem Gesteine, dar-
stellten, so schilderten denn auch die Poeten des XIH. und XIV. Jährh.
mit verschwenderischer Freigebigkeit ihre heiligen Seiden und staflfirten
sie aus ganz im mittelalterlichen Gewände der sie umgebenden Sitte.
Eben dadurch gewinnen diese Dichtungen und Bilder heut zu Tage fiir
uns einen so heiteren Reiz und eine lebenswarme Anziehung, weil das
damalige Leben, freilich mit poetischer Freiheit potenzirt, so -wahr und
kräftig daraus spricht. In diesem Style ist natürlich St. Georgus ein
reicher Markgrafe in Palästina, dem es so gut geht, dass ihm selbst
die eigenen Brüder nachrühmen, er sei zu höchst auf des Glückes
Rad'-) gekommen, möchte er auch lange darauf sich halten und das
Rad ihm immer stille stehen! (v. 193). Wie wilde Falken auf kleine
Vögelein so stürzte er sich mit seinen beiden Brüdern auf die Sara-
cenen (die hier der Dichter mit einem acht mittelalterlichen Anachronis-
mus in das III. Jahrh. versetzt und immer mit Heiden und Götzen-
anbetern zusammenwirft) und zwang auf drei Tagweiten die Heiden
sich taufen zn lassen, darauf trennen sie sich, zwei Brüder, Theodorus
und Demetrius fahren zu dem Spaniol, Georgius aber nach Cappadocieu ;
das geschah im Jahre neunzig und zweihundert nach Christus, um die
') Es ist das ein io der Oicblong wie in der Kunst damals häufig angewendetes
ßild. Ein Glücksrad mit vier Bildern beschreibt Johtinnes von Rinprgenherg,
V. d. Ha^en, MS. l 340. Sir. 13; in die Carmin« burana ist ein 5ol(;hes
ffemalt, eine ffrosse Rolle spielt es auch als Skulpturwerk an miltelall erheben
Domen; v^l. Wackernaffel in Haupt*s Zeilschrift VI. 134 u. W. Menzel
d. Dicht. 1. 184 ff. Ein Glücksrad schildert auch Meister Sigeher verjrl.
Haxen. MS. 11 363. Nro. IV. Str. 1. — Bruder Wernher gebraucht den-
selben Ausdruck wie Reinbot: Hagen HI. 16. Str. 22: ^nO sizzet er üf
gelükkes rade.^
358
Zeit, als Maroellus em Pabst hiess , ') dass Geoijns eine Unsahl Sar-
racin bei den Griechen erschlug, so dasQ der Salneckere um Hülfe in*«
lateinische Land sandte (wo Dioclecianos und Maximian Könige waren)
gegen deti Ritter , der für die Frennde sanft wie ein Laromelein , aber
scharf wie ein Eber gegen die Heiden sei ; er schlägt Löwen and Bären,
grosse Drachen und Lintworme (v. 466), wie Wolkenbrach stfirmt er
einher. Die beiden Könige rüsten nun eine Heerfahrt gegen den Helden,
der ,Ruf davon kommt auch nach Spanien, wo die Brüder Greorgs mit
grossen Schätzen beschenkt, sich gleich verabschieden, um ihrem Bruder
zur Hülfe zu eilen. Wie sie ihn nach langer Seefahrt and dreitägigem
Ritt nach fünfjähriger Trennung zu Melle treffen, fand ein Umfahen
statt, dass wahrhaftig Herr Hemrich von Yeldeckyn, Wolfram und der
von Aue zu schwach wären, um die Freude recht zu, schildern, wie sie
dort ergie (695) ! Georjus aber besteht darauf, an den Hof des König
Dacian zu fahren und dort für Christus seinen Glauben zu bezeugen,
vergeblich mahnen ihn die Brüder ab, er schenkt ihnen seine Lande
und scheidet von ihnen, indem er bloss sechzig reich bekleidete Ritter
mit sich nimmt.
Mit ganz altdeutscher Pracht und Herrlichkeit erscheint er an
Dacians Hofe (1495 ff.). Posaunen, Schirmellen, helle Homer, Flöten,
Tamburen und Saitenspiel lässt er sich vorausmusiciren , so dass sein
Aufzug mit siebzig reichgeschmückten Rossen grosses Gaffen macht, er
hat ein Gezelt, wie es der Dichter nie zu Wörth gesehen (1553) und
Gahmuret vor Zazamang nicht einmal besser hatte, auch goldene Köpfe
(Pokale) und Schalen hatte er, in denen er dem König, der selbst zum
Empfange des Unbekannten hinausgeht, den Trank bietet (1565); acht
Tage lang wird Alles von dem Helden bewirthet, der seinen Namen
jedoch verschweigt. Darnach Hess er die Seinen heimfahren und das
Gezelt seinen Brüdern bringen , er behielt nur seinen Schreiber und
einen Knappen bei sich, dazu je das zehente Ross und Harnisch, Schilt
und Schwert. Am nächsten Morgen geht der stolze Jüngling ganz
alleine an des Königs Ring, wohin durch öffentlichen Aufruf Alle zur
Marter entboten wurden, die an Maria und Jesus hielten, Mantel and
Wappenrock wirft er weg, nur den Schild behält er bei, der ein rothes
Kreuz auf weissem Felde zeigt und mit zweihundert Rubinen, jeder in
der Grösse eines halben Eies, geschmückt ist, so tritt er in den Kreis,
bekennt sich freudig als einen Christenmann und fordert Alle, sei's zu
Rosse oder zu Fuss, gewappnet oder bloss, die gegen Jesas und Maria
sind. Wie nun der König Dacian darauf erwiedert, das sei eine Rede,
*) Marcellinos 296-304.
359
die der Markig (Jreari von PaDastin nicht „hochwirdiger«* thun könnter,
bekennt auch der Held seinen Namen, da umarmt ihn der König und
bietet sich selbst ihm zum Kämmerer an, wenn er den Christenglauben
Hesse; aber da könnte man leichter den Ghiemsee auf den Setten
leiten') (1717), ehe Daciau seinen Mahomet und Geoijns seinen Gott
Hessen. Da die süsse jElede ihn nicht dazi; brachte , dem Gott Apollo
zu opfern, Hess der König den Marggrafen fahen, in einen Thurm legen
und mit starken Riemen krumm binden. Dem Gefangenen aber erscheint
der süsse Jesus tröstend und ein Glanz ging aus heller als die Sonne,
dass Alle glaubten, der Thurm brenne, so dass der Kaiser, der teufli-
sche Zauberei vermeinte, St. Georjen gleich wieder holen und nachdem
er ihn mit Stecken hatte schlagen lassen, was dem Heiligen wie ein
linder Thau bedauchte,. in ein armes Haus führen Hess, wo selbst die
Katzen und Mäuse nichts zu beissen gefunden hätten (1886).*) „Der,
so mit fünf Broden ein ganzes Heer gespeiset hat, dass man noch in
Körben davon trug, der den Daniel speiste, wird mich nicht Hungers
sterben lassen,^ versetzt Georg. — In diesem Hause war kürzlich der
Mann gestorben, das Weib hatte weder Fleisch noch Milch oder Brod,
an Meth, Wein, Fische oder Wildpret gebrach es gänzHch, Aloeholz
ward wohl nie verbrannt;') die Frau fürchtete sich vor Georjus, weil
ein so minniglicher Sehern von ihm ausging, wie von einem Engel.
Sie hat zwei Götter, den Herkules und Apollo; Georjus bedeutet ihr
desshalb, dass essihr füglich schlecht gehe, weil sie nicht den rechten
Gott habei diese beiden können ihr nichts geben. Durch einen Engel
belehrt, umfasst Georjus nun des Firstes Säule (den Tragbalken des
Hauses) n4t den Armen und augenblicklich wandelt sie sich in einen
zwölf Ellen langen, breitästigen, blühenden Baum (wie ihn seither und
früher kein Mai noch bekleidet hat) obgleich draussen der Wald falbe
stand und Winter war. Und kaum hat der Held 'Grott daf&r gedankt,
so steht auch eine Tafel da, mit einer weissen Twele überspreitet und
herrlichem Essen besetzt, wozu er die erstaunte Frau einladet, Fasanen,
Fische und süsse Brühe,^) Wein, Syropel und Meth kamen dazu vom
Baume herab und das Obst und das Brod hatten solche Art, dass sie
nach Allem schmeckten, was man sich erdenken mochte ; dazu trug di^
Frau noch mehr von dem Ti^be als da war. Wie nun Georjus ihr
krankes Kind gesegnet und gesundet hat, da verkündet sie die Freuden-
') Docen liest Jeten, ein Jetlenbach ist bei Krtiburg, ein Jettenbery
bei Reichenball.
») Vgl. Parc. 186, 2.
») Vgl. Parc 230, 11.
^ ▼. 2068: morat; für m6raz?
J
maere in dep Stadt and das zuströmende Volk sieht überrascht den im
Schnee grünenden Baum in dem die Vögelein singen. Aach Dacian
mit der Kaiserin und noch sieben anderen Königen , von denen jeder
eine besondere Sprache hatte, laufen herzu, um das Wunder anzu-
schauen, so dass um den Stuhl zu Aachen nie ein solch Gedränge war,
wie hier um St. Georien (2176). Der König , Dacian sieht natörlich
auch hierin nur Zauberei und verspricht dem G^orjus mehr unterthao
zu machen, als alle deutschen Lande, wenn er sich bekehren und dem
Apollo opferen wolle, und Georjos verspricht dieses wirklich för den
nächsten Morgen. Der Kaiser ist desshalb so entzückt, dass er den
Fuss des Markgrafen küsst und dessen Entschluss in der ganzen Stadt
ausschreien lässt; Geoijus ist so fröhlich, dass ihm das Herz erkracht;
die Königin führt ihn mit ihrer viel blanken Hand in ^hre Kemenate,
wo eine Jungfrau Apollos Preis zu einer welschen, d. h. dreisaitigen
Fiedel sang; weder früher noch später geschah einem Ritter so hohe
Ehre, die Kaiserin setzte sich zu ihm nieder, nach französischer Sitte
(2487), eine klare Jungfrau goss ihm wie ein Kni^ppe das Wascbwasser
über die Hände und die Schwester der Kaiserin selbst schenkt ihui
knieend den Wein in einem Kopf von Rubin. Nach dem Essen begehrt
die Kaiserin das Nähere über Juden, Heiden und Christen zu wissen
und nun gibt ihr Georjus Kunde von dem hohen König Alüssimns,
der Alpha et O ist und dessen Wunder er ihr in einem an die Räthsel
des Wartburgkrieges grenzenden Gleichniss vorlegt, auf dessen Wieder-
gabe wir hier der Länge wegen (v. 2530 — 2666) verzichten müssen,
das aber in seiner mystischen Auslegung und Deutung die Kaiserin för
das Christenthum so weit gewinnt, dass sie am anderen Tage die Taufe
erhält, indess Georjus den Heidengott zu schänden machte. Auf des
Markgrafen Geheiss ist sogar ein kleines Kind im Stande, das Götzen-
bild mit einer Ruthe vor die Versammlung zu treiben , wo der inne-
wohnende Dämon für den wahren Gott Zeugniss geben mnss und die
Bildsäule in Stücke zersprengt.
Nun ergehen eine Unzahl von Quälereien und Torturen über den
Markts, aus denen er immer wieder unverletzt hervorgeht und dadurch
neue Schaaren f&r das Christenthum gewinnt. Auch die Kaiserin be-
steht entsetzliche Martern, die jedoch Gott durch St. Georjus
wieder heilt, bis ihr endlich das Haupt abgeschlagen wird, nachdem si
zuvor dem Palastinäer noch vorausgesagt, er werde erst nach sieben
halb Jahren sein Leben verlieren.
Nun hiess ihn der Kaiser in vier Stücke zersägen und in eine
tiefen Pfuhl werfen, aber ein Cherubim und der heil. Michael brachtei
die reine Seele wieder zu dem Leichnam und der Markgrafe ist
86t '
da,. viel schd&er als vorher, leuchtend wie ein Engel (v. 4739), nnd so
schön, dass eine Nonne von Geisenfeld, *) wenn sie ihn gesehen hätte,
vergessen haben würde, znr Mette zn gehen. Er wirkten der Folgezeit
ense erstaanlicbe Menj^ von Wundem und gewinnt ganze Massen zum
Ghristenthum. Sodann lässt Dacian nach einem grossen Ochsen ein
Bild giessen (5620), das innen voll scharfer Pfeile war, darein wurde
G^oijns gelegt und von einem hohen Berge zu Thal gerollt; als das
Bild herabgekommen war, zersprang es und er ging daraus hervor, wie
St. Sebastian ganz mit Pfeilen l)estossen , die er jedoch abschüttelte
(ausbrach), ohne dass ihm ein Leid davon geschah. Darauf gab ein
Herr, Namens Athanasius, den Rath, dem Heiligen die Nägel, in
denen dei^ Zauber stecke,') abschlagen und Dornen hineinstossen zu
lassen, gibt ihm' das nicht Todes Lohn, so wolle er sich taufen lassen.
Es geschah, aber Georjus hatte keine Schmerzen, die Dornen fielen
heraus und die Nägel waren wie vorher klar und lauter und Athana-
sius liess sich taufen. So gewann er noch Unzählige für. den Christen-
glauben , hohe Herren und Könige ; nur Dacian bleibt ein halsstarriger
Heide, der dem Heiligen endlich nach siebenjähriger Marter das Haupt
abschlagen lässt. Um kurz zu sein, so 'war von den Tagen seit Chri-
stus Geburt kein „mertelaere'' so gross als Sente Georjen von Pallastin.
Georg bat für den , der ihn enthauptete , zuvor noch um Verzeihung,
dass auch ihm die Seligkeit werde. Den Dacian aber, der Pharaonis
Bruder, der Hölle Luder und Gaukelspiel gescholten wird, verbrannte
ein starkes Feuer; des Marggrafen Seele empfing der Engelfürst Michael
und führte sie fröhlich „in des Btimmels Saal" (6089).
Das ist der Inhalt dieses Gedichtes, an dem dieselbe naive Innig-
keit zu bewundern ist, mit der bald darauf die Maler. ihre Heiligen
abschilderten, auch muss die poetische Tiefe des Christentbums aner-
kannt werden, wie es Georg gegenüber der Kaiserin enthüllt, trefflich
sind die ritterlichen Kriegsscenen und grässlich die gehäuften Marter-
stücke erzählt. Zwar ist der Stoff wenig fruchtbar, der Dichter liess
sogar jene Legende vom Drachenstich, die dem Ganzen erst einen acht
*) v. 5297: ^eyn nonne von Gisiirelt.^ Geisenfeld, Markt zwischen Ingol-
stadt und Landshul, an der Jim; wo sich ein Benedictiner - Frauenkloster
befand.
*) Der Dichter hat dem römischen Heiden die urgermanische Ansicht von
dem mit Fingernäffeln möglichen Zauber unterlegt, man schrieb Runen auf
die Nä^el zu allerlei Zweck; Zaubbrrunen stehen auf dem Nagel der Norne.
Vifl. Simrock 1, 171. Noch Geiler von Keisersberg eiferte gegen das Be-
schreiben und Beschauen der Pingernägel. Vergl. Roch holz Kinderspiel.
S. 107. Mit einem Fingernagel wird der Teufel überlistet. Alpen bürg
Mythen. S. 282. •
1
362
volksthümlichen Reiz gibt, hinweg , vielleicht durch die ernste Mahnniii^
der Herzogin, das Werk nicht auf eigene Fanst za gefloriren, and be-
hielt nur eine leise Andeutung.') Reinbots ganzes Gedicht besteht grOss-
tentheils ans langathmigen Wechselreden. Demnngeachtet ist, wie schon
Docen herausfühlte, der Styl durchgängig gross gehalten aod nidit
ohne poetischen Aufwand, zuweilen hat das Werk den Schwing einer
Hymne; lyrische Stellen sind nicht selten, so bildet z. B. die oben
witgetheilte Erscheinung des' Heiligen in der Hütte der armen Frau,
wo er bewirkt,' dass die dürre Säule zbm grünen, frnchtreichen Baume
erblüht, eine liebliche Idylle; fast einzig in ihrer Art ist die Klage
seines Bruders über Georgs Entschluss, sich der Woth Diocletians hin-
zugeben (V. 729 — 853), sie ist ganz im tragischen Sinne gedichtet
Die schöne Legende von St. Silvester, die Koarod von
Wirzburg für einen Herrn Luitolt von Rötenlein fertigte, wagen wir
nicht für Bayern in Anspruch zu nehmen, ebenso ist sein Gedicht von
St Alexius für zwei Baslärbürger Johannes von Bermeswill und
Heinrich Iselin bearbeitet; dagegen haben wir die lateinischen Quellen
in Prosa -Handschriften aus Regensburg und Schäfllam und andere
poetische Bearbeitungen z. B. ein 148 lateinische Hexameter haltendes
Bruchstück aus St Ulrich in Augsburg aus dem XIV. Jahrb.; ') ein
deutsches Gedicht in 1100 Versen gleichen Inhalts besass der Pfarrer
Andreas Hirn zu Erlbach bei Regensburg in einer seitdem wie es
scheint verschollenen Handschrift,^) eine weitere Bearbeitung, die des
Schweizer Jörg Zobel (von St Gallen) ist in einer Münchner Hand-
schrift vom J. 1455 erhalten, welcher sich eine andere vom Angsborger
Jörg Breining aus dem Jahre 1488 anschliesst»^) Das rührende
Bild lebenslänglicher Märtyrergeduld, welche ^ der Heilige (von reichen
Eltern geboren, von einer lieblichen Braut scheidend, in freiwillig über-
nommener Erniedrigung unter den härtesten Lebensentbehrungen ond
noch herbereu Seelenschmerzen) bis zum Tode erlitt, der ihm die Fülle
der ewigen Freuden erschloss, ergriff mit seiner acht poetischen Wirkung
die alte und neue Zeit. Auch Göthe wies auf den rein dichterischen,
edel-menschlichen Gehalt der Legende hin, aus der bald ein Volksbuch
und ein Volkslied wurde. Ich war höchlich überrascht, als eines Abends
mein lieber Freund, der Historienmaler Andreas Mayer ein in wenigen
') V. 466. — Die Christen zu Beirat geigen heut zu Tage noch die Höhle on^
den Platz, wo der Drache gebaust und der Kampf stattgefunden haben soll
') Hassmann Alexius. S. 29 u. 176—79.
') Gräler Iduna und Hermode. 1812. Nro. 14.
«) Gör res Heisterlieder. 1817. S. 294—310. «
I
3«
TSaen bestebendes Lied anhob und zwar in der seltsamen , zitterigen
Weise, wie er sie einst als Hüterbnb von einem zahnlosen alten Mütter-
lem auf den Bergen seines heimathlichen Allgäu gelernt hatte. Alexios
wto bereits im Xu; Jahrh. ein Volksheiliger geworden, längst vor der
Caaoiiisation doreh die Kirche; nach der Anschauung des Mittelalters
idifttzte das Bild dieses Heilige die ^wohner eines Hanses gegen
6ewitt«r, Donner nnd Wassemoth; solche Holzschnitte, die an den
Thüren angeklebt wurden, sind aus der Zeit von 1443 noch erhalten.
In Bayern worden ihm auch Kirchen geweiht, .so befand sichz. B.
neben dem alten Leprosenfaause zu Neustift bei Freising eine dem heil.
Alezius geweihte Kirche. Erst im Jahre 1697 wurde sein Sterbetag
sls kiiühUdier Feiertag festgesetzt ')
Eine gleichwirkende Anziehungskraft übte das schöne Buch von
Barlaam und Josaphat, welches Rudolf von Ems bearbeitete
(1220—1223), die Münchner Handschrift ist vom Jahre 1248; die
beste Handschrift seines Wilhelm von Orlens stammt aus dem
Kloster Schönthal bei Waldmünchen. Die seltsame und höchst phan-
tastische Geschichte von St Oswald ist in Bayern, noch mehr aber
im benachbarten Tirol eingebürgert; die Legende von St. Fridolin
hat Pfeiffer (in Hagens Germania IX., 207 ff.) mitgetheilt; die Frag-
mente einer Dichtung des XIV. Jahrh. über den heil. Antonius, und
Ewar in bayerischer Mundart, wurden zu Regensburg abgelöst,^) ein
Jörg Zobel hat 1455 ein Leben des heil. Eustachius geschrieben. —
Wir sind der bereits in der Einleitung angedeuteten religiösen
Dichtung noch einige in diesen Zeitraum gehörige Andeutungen schuldig.
^on dem Bischof Günther von Bamberg (1057 — 65) wissen wir, dass
sr durch einen seiner ^phaphen,^ Namens Ezzo ein „gutes Lied^
nadien liess, das von solcher Wirkung gewesen sein soll, dass Viele,
ladidem sie dasselbe gelesen , der Welt entsagten und in ein Kloster
pngen. Von diesem Kanonikus Ezzo heisst es femer in der Bio-
praphie des Bischof Altmann von Passau, er habe an der 1065 von
jrunther veranstalteten WaUfahrt ins gelobte Land Theil genommen
md auf der Reise eine ^cantilenam de miraculis Christi'^ in deutscher
Sprache geschrieben.') Gleichfalls unter den poetischen Bestrebungen
') Die lateinifcbe Kirebe verehrt den Hei1i|ren am 17. Juli, die Griechen am
17. Märe, als an welchem Tage seine Gebeine durch Pabst Innocenz 1. in
•in anderes Grab gelefft worden sein sollen Conrad von Wirsbnrg versetst
seine Beerdigung auf den 17. September.
*) Im AnbiDf su Roth Bmchstacke der Kaiserchronik. S 61—66.
*) Diemer Deutsche Gedichte des XI. und XU Jahrb. 1849. S. 819 IT.
364
dieser früheren Zeit verdient die Uebersetzang des hohen Liedes
genannt zu werden, die Williram antemahm; Er war -von GreboK
ein Franke, bildete sich unter Lanfranous, kam als Scholastik us oaeh
Bamberg und starb als Abt des Klosters Ebersberg (f 5. Mai 1086)
nachdem er diese Stelle seit 1048, also 37 Jahre lang rahm voll be-
kleidet hatte.') Williram hatte zuerst eine Ahnung des tieferen poe-
tischen Sinnes, der in dem Salomonischen Preisgesange der Liebe liegt,
er übersetzte ihn also in Prosa und gab eine Auslegung in deutscher
Sprache dazu,') welch letztere . bald wieder in lateinische Hexameter
und auch in das Niederdeutsche überging.^) Seine Auslegung ist von
einer mystischen Einfalt getragen, die kein Bestreben kennt, als in die
Geheimnisse der Gottheit hhieinzuschauen und die Finstemiss der Seele
aus dem ewigen Lichtquell zu erhellen. —
Hier ist es nun an der Stelle des Marien Cultes und der daraus
erblühten Dichtung Erwähnung zu thun. Der Mariencult hatte bei den
Deutschen eine bereits ältere, sittlich nationale Grundlage in der Ehre,
die unsere Vorfahren mehr als alle anderen alten Völker den Fraueu .
zuerkannt haben. ^) Wurde die Jungfräulichkeit schon von unseren ^
heidnischen Vorfahren als etwas Heiliges erkannt (daher die strengen^
Gesetze, welche sie bewahrten, daher der weitverbreitete Glaube, nacl
welchem einer reinen Jungfrau selbst das Unmögliche möglich seil —
sollte), so erliielt dieser schöne Zug ältester Zeit eine ganz neue Stutze
im Christenthum, welches die wunderbare Lehre brachte von der jung —
fraulichen Gottesmutter, die, wie Walther singt, „Den gebar, der sic=!
schuf; „ihr Vater war ihr Kinde,** das in der Krippe ruhte, „juu^
als Mensch, als Gott so alt.^ Dieses hochheilige Wesen, welches
menschlich zugleich und göttlich , die schmerzen reichste auf Erden und
die allerseligste Auserwählte zugleich war, die als schwaches Weib den
Allmächtigen trug, ward als Born der Gnade aufgefasst und gefeiert
als die ewige Minne, deren Süsse nie endet, als die lebendige Mittlerin
und Ftirsprecherin zwischen ihrem Sohne und der sündigen Welt.
Der Madonnencult in Bayern ist so alt, wie das ChristenthoD
selbst, ihr zu Ehren wurden die älteste Kapelle zu Fr ei sing und jeiM»
heute noch so berühmte zu Altötting geweiht. Die einmütkigeo
') Panlbiiber Gesch. von Ebersberg. 1847. S. 355 ff.
0 Lit. Angabe in Weckberlin's Beiträgeo. 1811. S. 37 ff. Hagen's Gemm-
IV. 153. V. 143. Gödeke Grundriss. $.18 . '
*) Zuerst gedruckt zu Leyden. 1598. Ausgabe von Hoffmano von P allere
leben. 1827.
«) Vgl. desshalb Wein hold Die deutschen Franen im Mittelaller. Wien l^^-
S. 162 fr. Menzel Deut. Dichtung. I. 258 IT.
365
• 1
Naduichten über diese Wallfahrt lauten : ^ Altötting soll dereinst eine
Stadt gewesen sein, in welcher, an der Stelle der heutigen Kapelle
eiQ den sieben Planeten geweihter Heidentempel gestanden; die Bauart
und Gestalt desselben scheint dieser Meinung einen Grad von Glaub-
würdigkeit zu geben, indem selbe eine achteckige Rotunde bildet und
innen mit sieben gewölbten , in den Mauern umlaufenden YertieAmgen
versehen ist^ in welchen die sieben Planeten ihren Sitz gehabt haben
sollen« indess die i^;hte Wand ßh Portal offen blieb. St. Rupert habe
die Götterbilder hinausgeworfen , den Tempel zu unserer lieben Frauen
Ehre geweiht und im Jahre 696 das heute noch ersichtliche Gnaden-
bild aufgestellt. Die Kapelle wurde 912 ausgebrannt, und erst 1053
durch Heinrich den UI. wieder hergestellt, offenbar in ihrer früheren
Gestalt, wobei der alte Grund und Unterbau ganz derselbe blieb. Aus
dieser Zeit stanmit das schöne romanische Portal; später, mit der
Aufnahme der Wallfahrt wurde das^ Langhaus hinzugefügt. Ist es ein
Zufall, dass hier immerdar sieben grosse ^ ewige ^ Lampen brannten?
Man hat die Zahl auf dieSacramei!ite bezogen; wohl. Aber diese
ewigen Lichter brennen vor dem Madonnenbilde und dieses ist i^chwarz.')
Dass dieses nicht vom Rauch und Qualm seine schwarze Patina erhal-
ten habe, darüber waltet kein Zweifel, da sich auch anderwärts solche
schwarze Madonnen finden; die Kunsthistoriker nahmen desshalb den
Ausweg und fanden die Erklärung ^im hohen Liede,^ wo die schöne
Freundin ob ihrer Ebenholzfarbe in schwelgerischen Bildern gepriesen
wird. Das Problem ist aber dadurch noch lange nicht gelöst. St Rupert
hatte sicherlich keine Zeit, den schwerköpfigen Heiden Vorlesungen
Ober das hohe Lied zu ' geben und kunstsymbolische Exegesen und
mystische Deuteleien im gelehrten Kathederton zu halten oder zu schrei-
ben; es schien sogar rathsam, die gesunden Barbaren mit dem Preis-
gesang der glühenden Liebe nicht bekannt zu machen, da es ja die
Glaubensboten überall darauf abgesehen hatten, den in dieser Beziehung
nur allzu naturwüchsig und vollsäftig ausgebildeten Germanen ihre
Sinnlichkeit etwas zu zügeln und möglichst einzugränzen. Das ging
aber am schwersten , sie nahmen ohnehin noch genug mit in das Chri-
stenthum hinüber und bürgerten es zuversichtlich ein. Es muss also
ein ganz anderer Grund dafür gesprochen haben, mit der Farbe des
Bildes etwas anzudeuten, was zu dem früheren Heiden selbstverständ-
lich sprach. Wie, wenn hier früher das schwarze Bild der Erdgöttin
*) Vgl. Kopolt Gesch. von Altötting. 1815. S. 8.
*) Auch zu Teising ist eine ^schwarze Maria.^ Vgl. Kurze Geschichte def
sei. Jungfrau 3 aria zu Teising. Laudshut 1827.
366
•
gestanden hätte? Die Heidenapostel änderten an den alten Chltosst&tten
oft nur sehr wenig. Setzten sie ja auch den heil. Martin, wie er reitend
mit dem Schwerte den Mantel theilt an die Stelle Waotans^ der
ja auch reitend gedacht, dessen Wahrreichen der Mantel war und
der des Schwertes mächtig sein musste. ') Und der Heide, in dessen
Tempel das Bild des Heiligen an die Stelle des alten Gottes gesetzt
wurde, fand unmöglich, einen grossen Anstoss an der Veräoderang,
zumal wenn ihn! bedeutet wurde, dass das Früliere nur der prophe»
tische Vorläufer für die in der Fülle der Zeiten eingetroffene Ver-
heissung sei. So setzte auch St. Rupert mit feinem Takte an die Stelle
der früheren Göttin das Bild der jungfräulichen Gottesmutter, liess ihr
aber die alte Farbe ihres Prototyps, mit der zugleich alte frflhereii
Gnaden in potenzirten Spenden anf den gläubigen Verehrer übergingen.
Daher kommt es denn auch, dass an solchen Wallfahrtsorten Vieles
mit unterläuft, was mit dem reinen Sinne des Christenthumes unTer-
träglich scheint, aber älter als das Christenthum ist und so mit der -
acht menschlichen Natur verwacksen, dass es davon nicht mehr ge —
trennt werden kann.
Eine weitere Analogie finden wir in unseren Volkserzählongei^
von den Wanderungen der Himmlischen auf der Erde, namentlich
in den Legenden von unserer lieben Frau, die voll thaudufliger Schön-
heit glänzen') und Grimma Wort bewahrheiten, dass keine aodi
Poesie dergleichen aufzuweisen habe. So findet sich unsere liebe
wie Freyja auf der Wanderung, theilt mit Wuotan das Kleid, stel^tf
bei der Gebort wie eine Norne dem Kinde begabend zur Seite oncf
vermittelt den Ehesegen, hilft in Armuth und Elend, belohnt reiehlicJk
und straft milde, wohnt dann gleich den Göttern wieder im Berge oder
mit ihrem Bilde im Baume oder in ihrer goldenen Himmelsbui^.
Sehr schön und treffend sagt Schönwerth bei dieser Grelegenheit:
„Waren die heidnischen Germanen in ihrer Naturfrische und unverderb-
ten Jugendkraft von der Vorsehung berufen, die Träger des Christen-
thums und der christlichen Weltordnuug zu werden, so waren sie
anderseits durch die hohe Achtung, in der bei ihnen das Weib stand,
geneigt gemacht. Alles, was ihr Gottesbewusstsein des Anmuüiigeu tmd
Huldvollen darbot, auf die göttliche Mutter und Jungfrau zu über-
tragen.^
') Der schöne Nachweis in J. W. Wolfs Beiträgen. I. 38 ff.
') Man vergleiche z. B. die wahren Perlen von Poesie, die Schönwerth v"*
der Oberpfalz III. 311—23 beigebracht hat.
867
Der Karien-Cult aber erhielt seine eigentliche Blöthe mit den
Kreozzügen und der Entwicklang der ritterlichen Kanstpoesie. Es ist
die minniglicbe Courtoisie des Möndulebens und der Klosterregel. Wie
erst das heitere» fröhliche^ reiche Treiben der damaligen Ritterwelt, die
bante Pracht des französischen Südens mit lebhaften« gl&henden Farben,
in Heerfahrten and Kriegszügen an uns vorübergeeilt ist, roll Saiten-
spieles and Gesanges: so gehen ihnen die Legenden und kirchlichea
Sagra zur Seite, eingezogen wie demüthige Wallbrüder, mit Muschel-
hat and Pilgerstab, einsam und allein im leisen Gebete, mit dem frei-
willig armen Leben, allen Freuden der Welt gerne entsagend.
Der Presbyter Botho des Benedictinerkloster Prieflingeu bei
Regensborg hatte bereits im XII. Jahrhnndert ein über de miracolis
St Mariae, eine ganze Sammlung von Marien-Legenden gedichtet; be-
deutender ist jedoch die ^Mariade^ des angeblichen Wernher ^^toii
Tegemsee,^ ein Poem , das früher einfach „drin liet von der maget*^
hiess, bis dessen erster Herausgeber, der tapfere Oetter (1802) ent-
sprechend der Klopstockschen „Messiade^ den pompöseren Titel erfand
■od zugleich den Unsinn in die gelehrte Welt brachte, dass der Ver-
fissser Wernher „von Tegemsee^ geheissen habe.'j
Der gute, seither Alschlicher Weise immer von Tegernsee
zugenannte Wernher, wurde als ein Universal - Genie betrachtet
und Günthner in seiner Gesöhichte der literarischen Anstalten in
Bayern und nach ihm Kugler in einer eigenen Dissertation nnd zum
Ueberflusse noch in einer sentimentalen Novelle, haben ihm alles Mög-
liche, was damals im Kloster geleistet wurde, zugeschrieben. Er soll
nicht nur eine Anleitung zur geistlichen Poesie (rhythmomachia) , ,^in
lateinisches Schauspiel, eine ebenfalls lateinische Frühlingssequenz,
einige deutsche Lieder und weiss Gott was noch Alles geschrieben
haben, weiter sagten sie von ihm, er sei in den verschiedensten Autoren
gründlich belesen gewesen, die Peptinger*sche Tafel sei sein Werk,
dazu machten sie ihn zum Maler und zierlichen Briefschreiber, er habe
vorzügliche Dintenrecepte gewusst, eine nette Hand geschrieben, und
f&r die Bereicherung der Rlosterbibliothek gesorgt Ja noch mehr wusste
man von ihm zu fabeln: auch ein sehr feinfühliger Staatsmann wäre
er gewesen, dabei ein wenig lüderlicher Natur, was man ihm als Poeten
»1 gute halten müsse, überdiess in der Liebe weder unerfahren noch
ganz unglücklich; und wie dann das Alter kommt da resignirt er sich
') Des Priesters Wernher driu liet von der maget. Nach einer Wiener Hand-
schrifl mit den Lesarten der übrigen, herausgeg. von Julius Feifalik.
Wien 1800 bei Gerold XXX u. 19S S. S\
888
einen Winkel d^s Klostergartens mit allerlei wohUieehendeu und offici-
nellen Kräutern zu bepflanzen, 0 ^^^ er 1197 stirbt
Die ganze Verwirrung kommt daher, dass dfei M&hner dieses
Namens im Kloster Tegernsee lebten. Der eine war als Künstler
(Anaglypha) berühmt in Verzierungen mit Grold und Silber, dessgleichen
auch als Glasmaler (er lebte von 1068 — 1091), ein zweiter versah
die Stelle eines thesaurarius und camerarius (t 1199), ein dritter
endlich hat sich als diaconus und scholasticas in verschiedenen codicibos
eingeschrieben (t 1197). Diesem letzteren schob man nun grossmüthig
nicht nur den interessanten Tegernseer Briefcodex mit Allem, was er
enthält zu, sondei-n man bezog auch alle Andeutungen in den Briefen
jener flandschrUl, die vielleicht bis auf die Liebesbriefe, nur als stylis-
tische Uebungen zu betrachten sind, auf ihn und construirte sich daraas
seine vermeintliche Lebensgeschichte. So wurde Werüher der Dichter
des berühmten Osterspieles von der Ankunft des Antichrist,') der la-
teinischen Frühlingssequenz und zugleich der deutschen Verse, Welche in
die Liebesbriefe jener HandsckriH mit eingeflochten sind. Zum Ueber*
flusse wollte Docen (der im Vers 1140 das wort ^ewangeliste^ mit
„ewangelier^ verwechselte und selbes statt auf Matthäus auf unseren
Dichter beziehend, mit diaconus übersetzte!) in einem Bruchstück
des Marienlebens (welches er für Wernher's ursprüngliches Werk und
für seine eigene Hand hielt) und in dem genannten Epistolarcodex ein
und dieselbe Hand erkennen. > .
»
Wernher war, wie er in seiner „Mariade, ** die man füglicher die
,jdriu liet von der maget^ nennen sollte, selbst sagt, kein Mitglied
eines Klosters, sondern ein Weltpriester (v. 1136 und 4812); über die
Entstehung seines Werkes erzählt er (v. 4809 ff.), dass ein Freund,
Namens Manigolt, ihn gastlich beherbergt und nicht eher aus seinem
Hause entlassen habe, bis das Gedicht, zu dem er ihm überdiess auch
den Stoff geliefert, vollendet war. Dass der Dichter ein Bayer war, ist
durch Reim und Sprache gewiss , dass aber das Gedicht im Kloster
zu Tegernsee entstanden sein solle, ist kaum glaublich, ja sogar un-
möglich, selbst wenn Wernhers Freund der dortige Abt Manigolt war.
Dieser, aus dem schwäbischen Hause der Grafen von Bergen stammend
und der Bruder des Bischof Dietbot von Passau (1172 — 1190), wurde
1183 Abt zu Kremsmünster, sodann 1189 Abt zu Tegernsee und dar-
auf 1206 Bischof von Passau, wo er auch am 9. Juni (11. Mai) 12lS
') Freyberg. S. 290.
') Vgl. den späteren Excurs darüber in der Geschichte des Drtm«.
' 369
Starb. Wernher dichtete aber sein Werk im Jahre 1172^) und konnte
sonach xün diese Zeit nichts mit Tegemsee zu schaffen haben; wahr-
scheinlich kam das Gedicht bloss durch seinen edelmüthigen Beschützer
später in das genannte Kloster. Vielleicht gibt der Umstand einen
Fingerzeig^ dass in einer Passauer Urkunde des Bischof Dietbald vom
Jahre 1 173 ein capellanus Wernherus unter den Zeugen erscheint. Auch
die Bilderhandschrift des Marienlebens in Berlin kann nicht vom Dichter
stammen, da der Text bereits verdorben ist, die Miniaturen aber gar
nicht zu Wemhers Gedicht verfertigt, sondern einem anderen entnom- '
men zu sein scheinen, weil die auf den Bildern angebrachten Verse
durchaus nicht dem Gedichte angehören. —
Wernher arbeitete nach jenem dem Matthäus fälschlich zugeschrie-
benen Evangelium de nativitate Mariac, er nahm daraus das That-
s&chliche der Erzählung, das er künstlerisch gruppirte, weiter ausmalte
und ausdeutete. Die Aufgabt, die er sich gestellt hat, ist vor allem
die Erbauung seiner Leser: sein Werk ist eine ^rede," ein ^buoch,**
das er ^sagen und schrfben^ will, es ist zum Lesen bestimmt, man
soll es abschreiben und weiter senden;') er fügt an dl« Erzählung inuner
die geistliche Auslegung (diu bezeichenunge) wie in der Predigt, er
denkt sich dabei seine Leser, besonders die Frauen, .als Hörer dieser
Predigt') und spricht sie ganz im Tone einer solchen an mit ^mtniu
k.int, ir liebe alle sant;^ vorzügliches Gewicht Legt er vor Allem
Aof die Wahrheit dessen, was er erzählt und daher kommen dann die
') In Folge einer unrichtigen Berechnung wurde früher das Jahr 1173 häufig
angegeben; Wernhef sagt (v. 4862 fT.), er liabe seine Lieder gedichtet, als
Kaiser Friedrich I. gegen Polen zog. Diesen Zug setzte man auf 1173, wäh-
rend er in der That inV Jahr 1172 fällt; so stimmt diese Bemerkung Wem-
hers genau zu den unmittelbar vorangehei^den Zeilen, wo er das 13. Jahr
nach dem Ausbruche des Schisma (1159, also 1172) als das Jahr der Ab-
fassung seines Gedichtes angibt. Auf dasselbe Jahr führt eine andere Stelle
(v. 4^6 f.), welche nur in der am wenipten verdorbenen HS. (im Archive
des deutschen Ordens zu Wien) steht und in Mjelcher der Dichter die Voll-
endung seines Werkes in das zweiundzwanzigste Regierungsjahr Friedrichs I.
(erwählt 1150) setzt. Ueberdiess ni»nnt Wernher das Jahr 1172 ausdrücklich
in einer durch den Reim gesicherten Stelle (v. 4809), welche zwar in der
Berliner HS. fehlt, aber doch auch in den Fragmenten erhalten ist, die
Moue zu St. Peter im Schwarzwalde- auf einer aus Nürnberg stammenden
HS. fand. Vgl. Fcifalik S. XXIII.
*) Dass dieses auch fleissig geschah und wie sehr man es in Ehren hielt, be-
weisen die in wohlmeinender Weise verschönerten und mit Bildern ausge-
statteten Abschriften; Feifalik citirt auch ein altböhmisches Marienleben,
das so auffallende Uebereinstimmungen mit Wernhers Dichtung zeigt , dass
es nach diesem gearbeitet sein muss.
') Im Mittelalter kam es auch vor, dass gereimte Lebenden auf der Kanzel ge-
lesen wurden . vielleicht ein Nachklang jener Practik der alten Heidenapostel,
die oft gezwungen waren, die Märe vom Evangelium zu singen, um die
starrköpfigen Heiden zu gewinnen.
24
370
Drohungen gegen die Verächter dieses Baches und die Verheissungen
und Versprechungen für jene, welche es in Ehren halten.') Daneben
ist auch auf die Unterhaltung sein Augenmerk gerichtet, er will ein
Epos, ein geistlichejs Epos (diu geistlichen liet) dichten, er will wirklich
^sagen unde singen,^ desswegen nennt er auch jeden der drei Theile
seiner „rede^ ein „liet,^ und daher kommt auch der Titel, den
Wemher seinem ganzen Werke gibt, indem er es ^driu liet von der
maget** (v. 4870) und ^driu liet von unser vrouwen'' benennt.
Der Dichter ist sich seines Zweckes nicht allein wohl bewusst, er
hat auch einen klaren Plan för die künstlerische Anordnung des Stoffes;
das erste Lied (v. 1 — 1124) berichtet von den Eltern der Jungfrau;
hier ist er noch steif und ohne absonderliche Eigenthümlichkeit ; er hält
sich so treu an seine Quelle, dass kaum einige deutsche Zuge zum
Vorschein kommen z. B. wie Anna auf einem Berge vor dem Burgthore
auf ihren Gemahl Joachim wartet, der mit seiner Schaar über Feld
geht (v. 870). Der Dichter erwärmt erst allgemach im zweiten Liede
beim Jugendleben der heil. Jungfrau. Dreijährig und ohne sich umzu-
sehen, geht Math zum Tempel, wo auch Töchter von Königen und
Herzogen erzogen wurden (v. 1474); keine Frau kann so viel Leinwand
und Seiden weben, wie das Kind spielend vollbrachte. Jeden Morgen
bis zum Imbiss betet sie, dann half sie den Frauen wenn sie an ihr
Werk sassen bis zur None, dann las sie vor dem Altar den Psalter
bis zur Vesper; Gabriel brachte ihr täglich das Himmelsbrod, alle
Speise aber gab sie den Armen. Hätte der Dichter auch ^eine zunge
diu sam ein wäfen chlunge,^ so könnte er doch nicht sagen, wie herr-
lich die Magd sich entfaltete. Ein vornehncier Herr will sie flir seinen
Sohn gewinnen und bietet ihren Genossinen Silber und rothes Gold und
edel Gesteine, wenn sie das Kind seinem Sohne geneigt machen könnten.
Nun dringt auch der „pyschof*' auf ihre Vermählung, ihre Weigerung
soll ein Gottesgericht entscheiden. Alle Unverheiratheten werden vor
den Tempel entboten, «ie erscheinen „mit pfelltnen wat und rtchlich ge-
zieret, igellcher mit stnem geverten. si brähten alle gerten.** Dabei
erschien auch durch den Befehl gezwungen „ein grfser man, JosSp
genant: der was ein witewaere alt unde swaere, bloede sines libes, der
gerte niht wibes. der brähte ein chleinez gertelm durich die gehorsam
sfn.*' Am ^frithoP warten sie auf das Ordal. Wie Joseph die aufge-
blühte Gerte empfangt, hebt sich eine Taube „ein vil wünneclicher
*) So heisst e^ i. B. v. 2545 dass in keinem HBUse, wo die hl. Jungfrau und
dieses ihr Lohgedichi in Ehren gehalten werde^ je ein krummes oder blindes
Kind zur Welt komme, noch enie Seele ewiglich verloren gehen- könne.
871
rogel" davod in die Höhe; der zitternde Mann (pideminde man) niuss
sich auf eine Krügge lehnen, so bittet er den Bischof ihn seines Alters
mhig geniessen za lassen; vergeblich schlägt er einen seiner Söhne vor
and verspricht dem ^iliagedine^ dann Mahlschatz (inahelschatz) zu
geben. Maria aber wird acht deutsch in den Ring geführt, da steht
(wie der Dichter mit reizender Einfachheit sagt) da« Mägdelein wie auf
der grünen Wiese eine Blume, die aus einem Dom leuchtet, Zähren
fallen ihr ^von den wangen üf die wät** und die Worte der schönen
Lilie (lilye) sind gar inniglich beweglich (v. 1823 — 64). Joseph, der
obgleich hochbejahrt, doch seines Geschäftes wegen noch weit reiten und
fahren (v. 1886) muss, übergibt die Magd fiinf zuverlässigen Frauen*)
zu Hut, Wart und Pflege, mit ihnen geht sie nach Josephs Herberge
zu Caphernäum, das am Meere gelegen. Joseph ist ein Schiffzimmer-
mann, er versteht ^schef und gallen** wohl zu bereiten.^) — Die
„templi pontifices^ bedachten indess, warum die sechs Magedin also
müssig sein sollten und sandten „den edelen wfben purpur unde siden;
varbe maiiiger hande si in oudi dar sanden zuo dem chirchgeruste, so
st werches gelüste, daz si des begunden so si beste chunden. die priester
sanden ouch dar wol 'gepursten bar (Flachs) , daz st den spünnen ze
der chirchen gezierde unt wünne. dö wart ir strit gröz; die vrouwen
würfen ir löz, welihen purper unt die sfden nnder in soldeh beliben, üf
swelich daz löz quaeme, daz sr daz beste naeme, unde dar an worhte:
den ruhen har si vorhten. Dö geviel daz löz üf daz kint, von dem alle
vrouwen sint gezieret unde gesegenöt, daz ir siden grüene unde röt in
0
ir banden beliben. also sach man si gesigen, daz diu ander schar muoste
spinnen den har. daz beleip niht äne nit. daz verweiz in der engel sit,
daz si dehein unminne böten gerf der ^üniginne, wan si von rehter
schulde böte gotes hulde.*' (v. 2022.) Unnachahmlich zart ist die Ver-
kündigung des Engels, die in Nazareth geschieht, das, wie im Heljand,
als Burg gedacht ist. Das Mägdelein ist unwissend wie ein Kind und
begreift in holder Unschuld nicht die ungeheuere Grösse dessen, was
der Engel ihr verkündet, dei* voll unaussprechlicher Ehrfurcht sie belehrt.
Man glaubt ganz ein altes Bild' vor sich zu sehen, wie es die späteren
gaten Meister gemalt haben. Dann folgt der Besuch bei der „niftel
ElyzJabötb,^ die aach auf einem Berge sass; eine scharfe Strasse mit
harten Steinen führt dahin; Maria „kuste die hüsvrouwen mit lachinden
OQgen unt mit lüter minne. die mit der küniginne wären dar gegangen.
*) Maria darf sich selbe auswählen, sie heissen Rachel, Rebeki, Sephorä, Abi-
g§d und SQsanne.
^) V. 1956 und 2598: er lehrte ^stne iunger zimbern gröze kiele daz si niht
zevielen.^
24*
3?2
die wurden ouch wol enpfangen.'' Das dritte Lied (v. 2579 — 4912)
erzählt die Bosheit der Juden , als ihnen die göttliche Maere von dem
Horte, den Maria trug, bekannt ward, schon freuen sie sich das Paar
zu steinigen, wenn das Got;tesgericht ergangen: siebenmal wird Joseph,
nachdem er das gesegnete Wasser (aqua zelötipie oder aqua potaciönis
V. 2889 und 2929) getrunken, um den Altar geführt, aber er bleibt
gesund und ebenso besteht die Wunderbare Jungfrau das Ordal zum
Staunen der Judenleute. Darauf wird das Ausschreiben des Augustus
erzählt unÖ wie alle „fiwersmide spieze unde sper verslnogen** damit
ein „chrefliger fride** bleibe in allen Reichen; die Reise nach Bethle-
hem wird erzählt und wie dort in einem Steine (in einer Höhle) der
Gottessohn zur Welt kommt Arme Leute, die ^gröze kolben unde
bogen ^ tragen und des Viehes pflegen, erfahren zuerst die Gnadenbot-
schaft; sieben grosse Zeichen geschehen an diesem Tage (in ChrisÜ
nativitAte). Acht Tage darauf Hess sich der kleine Krist ^besniden^
und darum sollen wir „twingen unde zamen des libes gelust in sinem
namen.^ Eine gar schöne Episode; bildet die Ankunft der heil, drei
Könige : In derselben Zeit waren in der Gegend von ^Kaldeä drie edele
künige uf einem tagedinge^ um gütiglich unter einander die Grenzen
ihrer Reiche auszumachen: ^dö kom der gotes steme mit micheler
chrefte^ und die Könige verstanden „daz in der schepfaere dk mit ge-
kündet waere. zuo der verte was in gäch. dromedarft^s si gewunnen, die
helde sich üf swungen; daz zeichen (wistuom v. 3928) flior in allez
vor,** und gab ihnen durch die bi'eite Welt das Geleite. Bei ihrer An-
kunft zu Jerusalem erzählen die ^mägi^ dem Herodes, wie dass sie um
„daz kindeP heimzusuchen ferne hergefahren vom Ende der Welt (wir
sin gevarn verren, da diu werft hat ende). Sie finden darauf das Kind
und bringen ihm mit Lobe und Gesänge ihre Opfergaben, die auch
symbolisch gedeutet werden: „der eine truok in der haut ein goltmesse')
wol gebraut; da mit bedüte er die kraft unt sin höhe herschaft, der
ander gab den wirouch, für unsem herren kniet er ouch; da mite uns
kunt wart, daz er waere ein ewart. der dritte hin für gähte, mirren er
dem kinde brähte; dd bezeiget er mite sineu tot, wan e was site, swft
man toten begniob, daz man die mirren dar truog. dd mit si sine gäete,
sinen gewalt, sin diemüete habent wol beslozzen, das habent si wol
genozzen.^
Der Dichter fügt seiner Erzählung, ganz im Predigertone, allemal
gleich eine Auslegung hinzu, ebenso wie wir die Deutung der Evangelien
bei Bruoder Berhtold von Regensburg sehen. Maria opfert beim
• •
') messe ein unbekanntes Gewicht oder gollmasse = Goldklumpen.
873
Kirchgang eine grosse Kerze und zwei Turteltauben, das bedeutet: „ez
sulen unser sinne sain die kerzen brinnen in geistlichem flure und unser
sele ze sdure sule wir wesen alle sam diu tübe äne galle; so wirt uns
gegeben daz ^wige leben, daz wir danne beschouwen äne ende mit der
vrouwen.* — Ganz ausführlich ist der Kindermord geschildert. Wie die
Maere geflogen kam, dass Herodes von den Königen betrogen, begann
er vor Leide wie wüthig zu schreien, er liess ihnen nachreiten und alle
Kinder ^swaz mannes bilde hete^ um Bethlehem tödten. Joseph aber,
von einem Engel geleitet, entfloh mit der Mutter und dem Kinde ^verre
in Egyptum under die heidenische diet.^ Herodes aber ^dertumbe hiez
do rennen umbe, die sinen wüetriche hiez er grimmecliche diu degen-i
kint Verliesen, swd si möhten kiesen die bi zweien iären von ir muoter
komen wären, a bymätü et infrä. — Die boten sich üf swungen, in die
pnrch si drangen diu Bettlehem was genant; si taeten freise bekant
mit grimmegem hazze . si liefen in die gazzen , diu swert si enbarten
Centblössten), den herten tot si garten: si raktens bi den vahsen (Haaren)
diu kint ungewahsen, diu houpt si in abe sluogen.. — si liefen ze wette
von bette ze bette, von flure ze flure in der purkmüre in selben ze
schänden, si traogen an ir banden diu pluotegen wäfen, rehte alsam ze
den schäfen die wolfe zuo springent unz si si nider bringent : also tobe-
ten die diebe ir herren ze liebe." — Arme und Reiche wurden er-
schlagen: ^si gedähten an des küniges wort, mit flize stiften si daz
mort; si zukten si ze fluste den müetren ab der brüste, si polten an
die wente die füeze und ouch die* heute. — do weinten vil genöte die
müeter die dai: sähen, si begunden sich roufen unt slahen. des sint si
nü gesellen des tiefeis in der helle.*' Herodes aber begann so zu siechen
^daz üf den petteziechen swebte pluot unde wark (Eiter); diu suht sich
niht verbark diu im den lip schütte.'' £s stank der unwerthe Mann an
allen seinen Gliedern, ^mit den nagelen zarte er sine Mt; die wisen
arzate künden im niht geraten mit würzen noch mit salben ; er prach
sich . allenthalben üzen unde innen ^ endlich brach er in Tobsucht aus
und erflel sich von einem Wendelsteine. 0 So ftihr er in die Hölle, wo
er ewiglich brennen muss. — Von nun an eilt der Dichter flüchtig
darch das ganze Leben Jesu. Der grosse Gegensatz von Sünde und
Erlösung, Teufel und Gott, ein Ringen und Kämpfen der weltgebieten-
den Mächte bildet den Hintergrund, von dem sich die magdliche Gestalt
Mariens voll Demuth und Liebreiz wie eine zarte Idylle abhebt. Möchte
^daz heilige magedin unser forspreche^ sein (v. 4790 ff.) ^nü geruoche
') Wendelstein =; Schnecke, turris in quam per circuitum ascendilur, Wendel- '
treppe.
874
si anser potschafb bringen fUr die gotes chraft; der si niht venihet,
wan er si hat gewibet und gesegent ob allen wiben mit sin selbes übe.
wir sitzen oder st^n, in ir helfe snl wir gen, wir trinchen oder ezzen,
wir sulen ir niht vergezzen, wir slafen oder wachen wir snlen an allen
Sachen die höhen nnt die reinen flogen unde meinen , , daz si in dem
himilriche den engein uns geliche, daz wir si loben da in etemmn et
ultra. ^ Zum Schluss erzählt Wernher, wie er dazu gekommen sei,
diese drei Lieder zu dichten, was wir bereits Eingangs erwähnt haben,
ef legt uns die Liebe zu Gott noch warm an's Herz und beschliesst
mit unnachahmlicher Fröhlichkeit:
„nä ruofet in inrechlichen an,
swanne sin muoter in an uns man,
daz er uns' eilenden
sine helfe geruoche senden
unt sine engelische schar,
diu uns leite unde bewar
und uns bringe an die stat
ubi cum pätre regnat
et spiritü paraclitö,
daz unser stimme vil frö
müeze singen immer me '
Gloria tibi domine!'*
Das Urtheil MenzeTs ist ganz trefifend, wenn er sagt (I. 270):
^Das Gedicht hat noch eine gewisse Schlichtheit und' Strenge, es ist
noch nicht so durchsüsst und blumenreich wie die späteren,^ Man sieht
deutlich, es ist noch nicht lange her, dass die Sprache von der Alli-
teration sich "losgerissen, und es ist hier der muthige und glückliche
Versuch, sich ausserhalb der Kirchenlätein-Sprache auf eigene Füsse zu
stellen. Die Form und namentlich der Reim, der noch die UnvoU'
kommenheiten des XII. Jahrh. zeigt und sich manchmal mit blosser
Assonanz zufrieden gibt, haben sich noch nicht zur Feinheit der ho&^.
sehen Metrik durchgerungen. Das Werk ist trotz der Ueberarbeitaog
unserer höchsten Anerkennung und Bewunderung würdig, es ist ei^
kunstvoll angelegtes, wohlgegliedertes und durchdachtes Ganze. Die Et"
Zählung ist, wie Feifalik (dem wir die eingehendste Untersuchui'^^
über dieses Gedicht und eine trefüiche Textausgabe verdanken) bemer^^
einfach und klar, voll naiven Glaubens und voll inniger Hingebung ^^^
das Geschehene ; obwohl wir uns in einer ganz wunderbaren Welt, unt>^^
lauter ausserordentlichen Begebenheiten befinden, so erscheint uns dc^'^
alles ganz naturgemäss und wahrhaftig, denn der Dichter weiss c^^^
375
^ «
massYoIlem Takte seine Wandergeschichten zu wählen und sie mit kind-
licher Gläubigkeit vorzutragen: So unterscheidet er sich auf das vor-
theilhafleste von den späteren Dichtern mit ihrem unleidlichen Schwulste
und mit ihren stammelnden Liebkosungen deV^ Jungfrau, mit ihren ge-
häuften wunderbaren und wunderlichen Begebenheiten und scholastischen
Erörterungen.
Ein merkwürdiges Seitenstück dazu bildet das Marienleben des
Bruder Philipp, welcher in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrh. in
der steyrischen Karthause Seiz') lebte und dichtete. Auch dieses ist,
nach den Handschriften zu schliessen, schon frühe bei uns in Bayern
bekannt und viel gelesen worden.') Die Münchner Bibliothek allein
besitzt sechs Handschriften davon, ein dem XV. Jahrh. angehöriges
Bruchstück zeigt von einer HS., die vielleicht in der bei Augsburg ge-
legenen Earthause Buxheim geschrieben wurde.
Beide Werke, das des Kartheuser Philipp und jenes Wemher's,
sind zwar der heil. Jungfrau bestimmt, allein Bruder Philipp berichtet
ihre völlige Lebensgeschichte bis zu ihrer so rührend geschilderten
Himmelfahrt, da Wemhers Plan nur bis an die Geburt des Heilandes
reicht; die Erzählung des bethelehemischen Kinderraordes war bloss
durch die Erscheinung der Magier motiviert, bei der Flucht und dem
Aufenthalt in Aegypten werden keine von den vielen Wundern und
Zeichen, die Philipp hat, berührt; statt ihrer werden am» Schlüsse des
Gedichts nur noch die Erscheinungen erzählt, die bei der Geburt des
Heilands sich zutrugen. Das zeigt unstreitig von Wernhers Einsicht;
die Reise der heil, drei Könige und der Kindermord schlies$en sich aiu
nächsten an Christi Geburt an , die Begebenheitep auf der Flucht ge-
hören schon mehr seinem Wandel auf Erden an, der von Wemhers
Plan ausgeschlossen war. Bei Philipp stellt das Qanze eine gleich-
massig fortgehende Erzählung dar, die ihre Unterscheidungszeichen
gewissermassen nur in Rubriken hat, Wernher eignet sich mehr zu
einem Panegyriker, vielmal tritt er aus der Erzählung in bewundernde
Lobpreisung heraus; Ja sein Gedicht zeigt sogar eine mehr künstleri-
*) Sie ist die älteste Karlhause in Deutschland und schon 1163 gegründet.
^) A retin Beitr. 1806. 7 St. S. 66 ff. Roth Dichtungen des deut. Mittelalters
1845. S. 149. Ausgabe von Rückert im 34. B. der Bibl. der deut. Nat. Lit.
Quedlinburg 1858. übersetzt von W. Sommer. Münster 1859.' Doss Bruder
Philipp ein Steyrer war, lasst sich nicht beweisen, er dichtete hier bloss,
seine Heimath war wahrscheinlich in Mittel- oder Nordostdeulschland ; er
widmete seine Arbeit "den Deutschen Herren in Preussen. Vgl. K. Wein-
hold Mittheilungen des histor. Vereins für Steiermark. 1857. VII. S. 181.
Philipp arbeitete nach der vita B. Mariae virsrinis et Salvatoris roetrica. V^l.
Massmahn Heidelberger Jahrb« 1824. S. 1184,
376
sehe Bildang, als das Philipp*sche, es ist in drei Lieder abgetheilt, hat
einen lebhafteren Schwang und eine glänzendere Sprache , doch ist
Philipp in seiner einfachen Darstellung ebenso anschaulich, man erkennt
leicht die Einfalt und Ruhe der alten Maler darin, wie ein milder Glanz
schwebt der fromme Sinn des Dichters über das Ganze, nur die stillen
Scenen zu beleuchten.*) Denn man darf hier nicht die strahlende Welt
der Handlungen und Leidenschaften der antiken Poesie erwarten, aber
auch ebenso wenig die trübe Schwermuth Ossianischer Klagen. Nor
stille Freude und leise Sehnsucht umfängt das reine Bild, welches un-
sere Vorfahren in Herz und Sinn begleitete auf der Ungewissen Fahrt
zu Christi Grabe und dort auch, wo weltliche Ehre in ritterUehen
Kampfspielen zu erringen war.
Von Mariae Himmelfahrt (unser vrouwen hinvart) erzählt Kon-
rad von Heimes fürt um das Jahr 1210 nach einer lateinischen
Quelle, mit fromnaer Wärme, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren, ^^
dazu in der gewandten Form und ifast ganz in den reinen Reimen der:^ ^r
höfischen Poesie; Einiges scheint sogar mit Gottfried's Antithesenspief^^sel
wetteifern zu wollen.') Konrad war ein Geistlicher aus dem ottingi — ^-
schen Dorfe Heimesfuit, Heimenesfart, nun Hainsfahrt. Pfeiffer glaub^ci^t
ihm auch die „Urstende^*) zuschreiben zu müssen. Ist Wackernagel ^^Els
Vermuthung gegründet, dass der von Heimsfurt und Fussesbrun
ein und dieselbe Person sei , *) dann fiele ihm auch das ungeheue
P a s s,i 0 n a 1 und das liebliche Büchlein von der Kindheit Jesu z
— Die in den achtziger Jahren des XIII. Jahrh. entstandene Golde
Schmiede des Konrad von Wirzburg*) besitzt die Münchn
Bibliothek in zwei Handschriften von 1350 und 1360. Mit einem na
liegenden und später noch häufiger gebrauchten Gleichniss stellt er si
als einen in seiner Werkstätte arbeitenden Schmied dar, aber er schmi
det nicht gemeines Eisen im Feuer, er bearbeitet als ein kunstreich
Mann edles Gold, und das Gleichniss wird erweitert, indem er die zxuM^
Vortrage der Dichtung nöthigen Glieder des Leibes sein Werkzeug uk:»-^
die Zunge seinen Hammer nennt. So arbeitet er ein Lobgedicht auf Ä-^c
Jungfrau Maria, welches ihre Eigenschaften und Tugenden verherrlicl::^^
und in so weit ein religiöses Lehrgedicht ist, als es zugleich versucft^^
') Vgl. Docen Mise. IL 65-98 u. 103-108.
') Pfeiffer in Haupfs Zeitschrift. VIII. 156—200.
>) Gedruckt in Hahn Gedichte des XII. und Xlll. Jahrh. Quedlinburff
S. 108-128.
') Wackernagel Lit. Gesch. S. 161. Anmerk. 51 u. S. 170.
*) Herausgeg. von W. Grimm. 2. Aufl. 1840.
I
i
i
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die 'höchsten Mysterien des christlichen Glaubens in Bildern and Sym-
bolen auszudrücken. Dieses sind die Edelsteine, die der Dichter in ein
Schatzkästlein sammelt, oder zu einem schimmernden Geschmeide in
das Grold seiner Rede fosst, wie Betkügelchen an einen Rosenkranz.
Sie sind in willkührlicher oder zufalliger Ordnung litaneienartig anein-
andergereiht; er sagt wenig vom Leben der heil. Jungfrau, dessgleichen*
erwähnt er schliesslich nur kurzes von dem Tode Christi.
Mit einem aufrichtigen Bedauern, hinter dem nur seine billige
Eitelkeit versteckt ist, klagt er, seinem Gegenstand nicht gewachsen zu
sein und doch hofft er heimlich , seinen Vorgänger , den angeblichen
Gottfried von Strassburg, zu überflügeln. Obwohl Konrad im klang-
reichen Silbenmaass zurückbleibt, so verdient er doch insoweit den
Yorzug, als er sich der tändelnden Wortspiele enthält; trotzdem lässt
er kalt; ihm fehlt die Wahrheit Walthers.
Kbnrads Bilder und Gleichnisse sind nicht von seiner Erfindung,
er hat nur eine vielhundertjährige Tradition verarbeitet, die aus der
hl. Schrift, oder aus auffallenden Erscheinungen der Natur und aus den
Kirchenvätern schöpfte; die Hauptschwere beniht auf der üeberzeugung,
dass das neue Testament in dem alten vorgebildet sei. So bringt er
der Hauptsache nach Alles in kurzen Beziehungen vor, wie die mittel-
alterlichen Dramen und das Ammergauer Passionsspiel heute noch mit
den stummen „Vorbildern" thun. Das gibt bisweilen die tiefsinnigsten
GleichnisBe, die beziehungsreichsten Darstellungen, dann aber wieder
das Abgeschmackteste und den reinsten Zopf.
Wir sind nun an der Gränze angelangt, wo Dichtkunst und prunk-
hafte Raritäten und Schaustücke in einander übergehen. Dazu gehören
die im XII. Jahrhundert entstandenen Wanderungen durch Himmel und
Hölle, welche der Regensburger Presbyter Alber verfasste,') ferner das
Büchlein von der Tochter Sions, welches der Franziskaner Lam-
precht zu Regensburg in der zweiten Hälfte des XIII. Jahrh. dichtete;
Den Sänger hatte in der Jugend des Teufels Rath zu wüsten Leben
verführt: xla riss ihn die Gnade zurück und er lief in den Port des
Klosterlebens ein. Den San'^ widmete er dem Provinzial Bruder Ger-
hard, der ihm auch den Stoff dazu gegeben hatte.") Es trifft mit
dem (wahrscheinlich älteren) Gedichte, welches 0. Schade herausge-
geben und S im rock übersetzt hat,') stellenweise merkwürdig überein.
') Habn Ged. des XII. u. XIII. Jahrb. S. 41-66.
<) 0. Schade daz biioehlin von der tobterSyon. Berlin 1849. S. 13. Welker
Heidelb. Jahrb. 1816. S. 714 17. Hoffmann Fundgrul)en. I. 307-17.
*) Bonn 1851. — Das Gedicht vom Franziskaner Lamprecbt von Regensburg
kannte noch Pütrich von Reicherzbausen. Str. 113.
378
SO dass dieselbe lateinische Quelle, wo nicht gar genaue BekanntAohaft
mit dem Mhefen Werke vorauszusetzen ist.
Hieher rechnen wir auch die Legenden vom Leben der Väter,')
ein Leben Christi,') in einem Bruchstück von 540 Versen er-
halten, das zwar der Handschrift nach aus deih XIV. Jahrhundert
'stammt, ohne Zweifel aber in*s XH. Jahrh. hinaufreicht Sodann die
mystischen Historien vom Baum des Lebens') und der Sibyllen-
Weissagung, ^) von Lucifer und Jesus ^) und dem Sturze der
Engel, femer eine Anzahl Marienwunder, Judengesohichten, von Martyr-
kindern und allerlei Seltsamkeiten, die wir kurzweg mit einem Gedidit
von der Offenbarung Johannis beschliessen , welches Heinrich
Hellär zu Westfalen im XIII. Jahrh. mit 23,000 Versen reimte,
welches aber einem altbayerischen Kapellan, dem Heinrich Gesler
zu Mässenhausen bei Freising von solchem Interesse schien, dass er es
abschrieb und seine Arbeit am 6. Dezember 1432 auch glticklich voll-
endete. •)
*) Die Regensbur^er Bruchstücke in Roth: Dichtungen des dent. MittelBlters.
1845. S. 39-57.
>) Pfeiffer in Haupfs Zeitschrift. V. 17 fT.
') Davon drei HS. in München. XV. Jahrh.
^) Dessgleichen in drei HS. zu München; auch gedruckt 1492 von M. Ayrer
' zu Bamberg.
')- Ein Bruchstück' von 542 Versen. Mass mann in Hagen's Germania. IX.
171-80 XV. Jahrh. (vor 1453).
«") Roth Beiträge. I. 33. •
Weitere Bestandtheile
unserer mittelalierliclien Epik sind 1) die dem antiken Sagenkreis
angehörigen Dichtungen. Das Römerthum war von den Germanen zuerst
im Centrum selbst, dann,^ als es sich wieder erhoben und die Adler
sogar in*s deutsche Land getragen hatte, endlich auch da niedergetreten
worden, aber es wucherte fort und Hess den Stachel zurück. Das Barbaren-
volk wurde von der unbewusst vererbten Bildung civilisirt, die klassische
Literatur wucherte in den Klöstern heunlich und offen fort, wurde von
den Dichtern mit deutscher Innigkeit genährt und erwuchs nach einigen
Jahrhunderten plötzÜch zu einer das deutsche Volk ganz erdrückenden
Macht. Von dem antiken Einfluss zeigt die ganze klösterliche Dichtung,
selbst die ersten Anfänge der ritterlichen Epik. Virgilius, „der werthe
Heidenmann, ^ ward das ganze frühere und spätere. Mittelalter hindurch
gelesen, er stand an Ansehen den Kirchenvätern und Heiligen gleich
und erschien in der divina comoedia der altdeutschen Bühne häufig als
Prologist und Exeget der Handlung, ebenso als Zauberer, der einen
eigenen Dunstkreis von Sagen über sich zusammenzog. Seine Aeneis
kam sogar als Loosbuch in Gebrauch, das man 4n allen Fällen des
Lebens aufschlug, um Rath und Hilfe sich zu erholen und aus den
zufallig gefundenen Sprüchen die Zukunft zu deuten.
Heinrich von Veldecke^) nahm den dankbaren Stoff bald auf, der
sich in minder oder mehr treuen Nachbildungen als selbstständiger
pTrojanerkrieg" immer mehr ausbreitete und mit Konrad von Wirzburg,*)
der darüber starb, bereits den anerkennenswerthen Umfang von 49,860
Versen erreichte. Mächtiger noch wirkte auf die mittelalterlichen Dichter
die Geschichte von Alexander dem Grossen , die auf jedes der alten
Völker seinen Zauber ausgeübt hatte. Mit dunkeln, heiligen Klängen
zieht die Sage vom Alexander von Volk zu Volk herüber, jedes suchte
0 J. Aeneis in einer Perg. HS. des XIV. Jahrh. zu Müocheq.
>) Vgl. Ausgabe von Keller. 1B58.
380
sich den Helden aufs beste zu acclimatisiren. Die Aegypter, um die
Schmach der Unterwerfung unter ein fremdes Joch von sich abzuwenden,
stellten ihn dar als den rechtmässigen Nachfolger des Nectanebus;')
schwerer dagegen that sich der persische Dichter, da die Yolkstraditioo
über die Zeit der Deraüthigung todt war und die Sage sich zu den
siegenden Feinden wenden musste; dafür fassten ihn die Juden schon
mit religiösen Beziehungen ganz wie einen Sohn Israels auf, bekannt
ist z. B. die Talmudsage von dem Paradiesesstrome und dem Schädel,
den die Wächter des Heiligthumes dem Alexander als Wahrzeichen
geben wollten.*) Die Griechen hatten ihren Pseudo-Callisthenes; die
Deutschen aber fassten ihn durchgängig als prophetischen Vorläufer
des christlichen Heldengeschlechts. Er hatte die Völker bekämpfL,
welche den heiligen Kindergarten der Menschheit, das Grab und die
•
Wiege der neuen Welt umschlossen hielten und gegen die ankämpfen-
den Schaaren vom Niedergange piit Löwengrimme vertheidigteu. Die
aus der Kreuzfahrerzeit aufgerüttelte Phantasie schlug ihn zum deut-
schen Ritter und warf den Nimbus eines germanischen Helden über
ihn. Hatten ja auch die Welschen und die Deutschen im heissen Mor—
genlande schwere Aventiuren bestanden, nicht. allein mit Gewürme undi
Skorpionen, Löwen, Ebern und Elfanten, sondern auch mit Leuten, di^
noch schrecklicher waren, als die Affen und die Pest, als Tod und TeufeB
In der Sage von dem vorchristlichen Recken fanden sie ihr eigen«
Leben mit den ungeheuerlichen Heerfahrten wieder.
Der älteste Alexander, den wir in deutscher Sprache haben, i:
als eine wörtliche üebersetzung aus dem Französischen nac^^gewiesen ;
nach Holtzmann's Untersuchungen fällt auf Lampert von Her:
feld der unabweisbare Verdacht, die Translation dieses enormen Reii
romanes gefertigt zu haben, derselbe Lampert, der seither iranm^r
falschlich von AschafFenburg (wo er jedoch nur die Weihen erhaltea
hatte) zugenannt wurde,*) wäre aber auch der Verfasser des Anno-
liedes (1085). Das unvollendete Alexanderlied des Rudolf von Ems
ist nach einem lateinischen Werke bearbeitet; dasselbe ist in einer
einzigen aus dem XV. Jahrh. stammenden Handschrift in der Münchner
Bibliothek erljalten, die leider wieder defect ist, denn von den 10
'J Der bereits 341 Aegypten veriiess^ indcss Alexander 356 der vorchri^llidin
Zeilrethnung geboren ward.
') Diese Sage findet sich nebenbei bemerkt jranz beim Mainzer Fraueolob,
der sie wohl von hebräischer Tradition auf deutschem Bodeu gehört babeo
konnte.
') Preiffer in Menzels Lit. Blatt 1856. Nro. 18.
^) A Holtzmann in PfeilTers Germ. II. 47.
881
Büchern sind nor die ersten 6 vorhanden. ') Die Alexandriade des
Berhtold von Herbolzheim (im W^T^^^gischen) , der im Dienste
Qerhtolds V. von Zähringen (f 1218) stand, scheint verioren. Später
kommt noch eine Alexandreis in XL Büchern von einem Ulrich von
Eschenbach, der das Original werk des Walther von Castilone ver-
deutschte.') ^ Ulrich hat das Ganze dem Erzbischof von Salzburg,
Friedrich II. von Walen (1270 — 1284} dedicirt; vielleicht stehen die
Ritter Eckehart von Dobringen und Outrat, die den Dichter (einluden,
nach Prag zu ^hen, auch in Beziehung zu diesem i Werke, der Dichter
aber w^oUte von dem Lande in dem er eingeboren und „von demlewen^
nicht lassen. Pti trieb von Reicherzhausen (Stn 105) erwähnt der-
selben. Ob dieser Eschenbach (ich armer Vlriche bin genant von
eczebach) ein Nachkömmling Wolfram*s gewesen, ist unbestimmbar;
vielleicht war er ein Geistlicher, wenigstens ist er in einer dÄ* Vati-
canischen Handschriften als bresbyter bezeichnet — Im XV. Jahrh.
übersetzte der berühmte Arzt Dr. Johannes Hartlieb^) auf den
Wunsch des Herzog Albrecht III. den Pseudo-Kallisthenes in*s Deutsche,
auch das Buch des Ovidius „von der liebe^ übertrug er, welches 1482
gedruckt erschien.
Daran reiht sich am fiiglichsten 2) das Lehrgedicht. Je laxer
die Moral wurde, desto lieber sprach, las und reimte man von jeher
davon. Längst war ja kein Stand von dem Krebsschaden der Sitten-
losigkeit mehr frei, auch nicht der geistliche, worüber schon Walther
die zürnende Geissei des Spottes geschwungen hatte.
>
Da nun bei den Spaltungen der Gesellschaft in eine Menge kleiner
Korporationen, bei den noch nicht ausgeglichenen Kämpfen der Gegensätze
zwischen dem Alten und Neuen-s in dem Gähren und Hin- und Her-
wogen, Zeit und Sinn för grössere Dichtungen gebrochen waren, so ergriff
die Menge um so begieriger kleinere Gedichte, die nicht viel Zeit raubten,
die leicht fasslich waren und einen zeitgemässen , praktischen Werth
hatten. Kein Wunder, dass ein zahlloses Heer kurzer Sprüche in
Umlauf kamen, dass die Reime des Freidank, die Lehren des weisen
') Pragmeote anderer HS. in Hagens Germania. X. 105 fT.
^) Dieser Magister Pliilippus Giiallher a Casfellione (Cnsfellionäiis) sciirieb als
Probst an der Domkirche zu Doroik seinen Alexander; die Anfanffsbiitli-
Stäben seiner 10 Bücher erj^eben den Namen Gnillermus, der 1f76-~]2n|
auf dem erzbischöflichen Thron zn Rheims sass.
') Dr. Johannes Hart lieb war bereits 1438 ein berühmter ArS^l, er lebte noch
um 1456. Vffl. das Verzeicbniss seiner Schriften im Bayerischen Musenberg.
179« III B.
382
Cato*) und die Rathschläge des Aristoteles Inederholt hervorge-
sucht und modernisirt wurden^
Zu den merkwürdigsten Erscheinungen des Lehrgedichts gehört
der sogenanntfte Winsbeke oder wie man die aus achtzig zehnzeiligen
Strophen bestehenden Weisheitsregeln föglicher benennen kOnnte: des
vater lere. Die Entstehungszeit ist nicht festgesetzt, Einige schwanken
zwischen dem Jahre 1210, Andere beanspruchen die Mitte des XIII.
Jahrhunderts. Auch über den Dichter ist kein fester Anhalt zu ge-
winnen. Dass es zu Zeiten Friederichs Barbarossa ^n Bayern eine
angesehene Familie Winsbecke gegeben uqd dass ^der Vater dem
Sohne des Kaisers als Erzieher beigestanden,^ während seine Frau,
die Winsb eckin, „dem Frauenzimmer vorgesetzt gewesen,** ist eine
Fabel. Uebrigens ist der Name ganz richtig nach dem fränkischen
Städtchen Winsbach') abgeleitet und findet sich auch in Urkunden
von den Jahren 1,138 und 1310. — Pfeiffer*) glaubt aus einigen
Stellen schliessen zu dürfen, der Winsbecke, der Wirnts von Grä-
venberg nächster Nachbar und Landsmann war, habe dessen Wiga-
loid gekannt, ja es scheint sogar, als ob dessen Gedichte die väter-
lichen Lehren zu Grunde lägen, die Gawein am Schlüsse^) seinem Sohne
gibt. Jedenfalls herrscht zwischen beiden eine merkwürdige Ueberein-
stimmung, die nicht bloss zufällig sein kann. Auch an Walt her von.
der Vogelweide finden sich merkwürdige Anklänge, so dass man ver
sucht sein könnte, demjenigen Dichter, welcher die von Haupt un
Lachmann ausgeschiedenen unächten Lieder Walthers verfasste,
die Lehren des „ Winsbecke ** zuzuschreiben.
Der Winsbelfe') ist ganz kunstlos eingeleitet: Ein weiser Mani
hatte einen Sohn, der ihm überaus lieb war, dem wollt* er rechte
geben. Vorerst wird ihm die Liebe zu Gott empfohlen: Minne GoVf^
inniglich, so kann*s dir nie übel ergehen, Er hilft aus aller Noth
^t
*) Ein MS. des ^Cato^ (eine Sammlung lateinisch abgefasster Lebensregeln, di«^^ ^
schon Nolker übersetzt hatte) besass der Pfarrer Andreas Hirn zu ErlbacS^j*
bei Res-ensburg; 444 Verse abi^ednickt in Grat er 's Iduna und Hermode-^^^*
1812. Nro. II u. 15. Vgl. Aretin's Beiträge. 1806.
') Windsbach, Städtchen und Schloss im Landgericht Heilsbronn in Mitfeirran "
ken, zwischen Ansbach und Schwabach gelegen und nicht viel über 6 Ueilerfl^J"
von Gräfenberg entfernt. Es gehörte anfänglich den Grafen von Dornberj^ÜP^
• und Oettingen, dann den Freiherren von Heydeck., von denen es 1392 ar^ "
die Burggrafen von Aürnberg" kam. (Pastorius Francouia rediviva. HC
S. 437.)
«) Wigalois S XVIL
4) Pfeiffer S. 393, 17 ff.
s) Vgl. v. d. Hagen MS. L 364 ff. IV. 311 ff. ferner in Pfeif fer's Ansgal
der Weingartner Liederbandschrift. 1843. u. in einer bes. Ausgabe von
Haupt Leipzig 1845.
883
*
en schau* das Narrenspiel der Welt an, wie sie ihre Getreuen,
[t, was sie zuletzt zum Lohne wiegt,' das ist zu leicht; wer ihr
llen, dienen will, der ist an Leib und Seele todJ) Merke dir, dass
<eben wie ein brennendes Kerzenlicht schwindet von Tag zu Tage,
1 richte hier dein Leben, dass die Seele dort gut fehre; wie
an Gut auch dein Name wirt, du nimmst nichts mit in's Grab,
a linnen Tuch.*) Gieb Ihm, der dir hat gegeben und aller Gabe,
3walt ^er git dir noch ein iemerleben und ander gäbe manicvalt,
.nne loubes hat der walt. und wilt du koufen disen hört, in sinen
i dich behalt und sende guote boten für die dir dort vähen witen
5 daz der wirt versiahe die ttir** (4.) Alle Weisheit ist nichts,
lan nicht Minne zu Gott. (5.) — Geistliches Leben halte in
, kümmere dich nicht, wie die Pfaffen leben, folge ihren guten
m nach, auch wenn ihre Werke krumm wären; von jeheV war
Layen Sitte, den Pfaffen Hass zu tragen, die versündigen sich
schwer; sei ihnen hold und sprich ihnen nur Gutes nach (7.) —
er wärmsten Liebe, der reinsten Treue und Hochachtung spricht
er Vater seinem Sohne von den Frauen, es ist der feinste höfische
ganz die Courtoisie Wolfram's und Wirnt's: Gibt dir Gott
'^eib nach seinem Lobe zu rechter Ehe , so halte sie lieb wie
Leib und mache, dass euer beider Wille aus einem Herzen
(und fuege daz iuwer beider wille g& uz einem herzen). Trage
Hnglein (minnevingerlfn) nicht offen zur Schau, was zweien recht,
: drei zu viel (daz zwein ist reht, ze wf t ist drin) ; auf die Klatsch-
1. (züngelaere) die zwischen Freunden nach Judasart hin und her
, achte nicht. Willst du deinen Leib zieren, so minne und ehre
i'rauen, ihre Tugend hat uns noch immer die Sorgen verscheucht,
id der Wonne ein blühender Stamm, davon wir alle abstammen;
at weder Zucht noch rechte Scham, der das an ihnen nicht er-
er ist ein Thor und hätte er sonst auch Salaraonis Weisheit.
„Sun , si sint wunne ein berendez lieht,
an eren unde an werdekeit
der werlte ein fröuden zuoversiht:
nie wiser man daz widerstreit.
ir nam der eren kröne treit :
sieh der werlle gougel an, wie si ir voller trieben kan und waz ir I6n,
jungest ist: daz soll du siniiecifche verslan. si wigt ze I6ne swiudiu 161:
r ir ze willen dienen wil. derst libes und der sSle 161. (Str. 2.)
ch der damaligen Sitte, die Leichen nicht in einen Holzsarg zu legen
idern bloss in ein Tuch zu hüllen und Kalk darauf zu schütten.
f
384
diu ist gemezzen nnd geworht
mit tugenden volleclichen breit,
genäde got an luis begie,
do er im engel dort geschuof,
daz er si gap fiir enge! hie.'' (12.)
Nun kannst du noch gar nicht wissen, „waz eren an den wiben
lit," möchtest du aber die glückliche Zeit erleben, wo ihre Güte die
Freude gibt, so kann dir in dieser Welt nimmer Besseres widerfahren.
Ich will dich lehren einen Trank: lass' ihn dir zum Heile dienen, so
wird deine Tugend nie krank und wäre dein Leben auch noch so lang:
leg' in dein Herz ein reines Weib mit steter Liebe ohne Wank, so
verjagt ihre weibliche Güte dir wie ein Gegengift allen Kummer.'
Frauenliebe ist, sagt der Dichter in einem treffenden Bilde, wie eh
Schild, der den Mann, der ihn ritterlich zu gebrauchen weiss, schöi
zu Halse steht, freilich nimmt ihn ein dummer Mann, so ist der Schih
unschuldig, willst du ihn nicht zu Tugend und Treue an den Hal^ s
nehmen, so steht er dir übel und hinge besser an einer Wand. Da- s
Bild gemahnt an Parcival (173, 15), der kurz vorher (Str. 18) ajxcWl h
vom Winsbecke berührt war, indem er an Gahmuret verweist ^der vo — iO
des schiltes werdekeit" das Herz der schwarzen Mohrenkönigin erobertzizae
(der moerin in ir herze brach), üebergehend vom Bild zu der
gibt der Vater dem Knaben überhaupt um ritterliche Dinge Unterweisun,
als einer im Waffenwerk Erfahrener, der selbst Manchen aus den Satt^— ^J
hob: ^nim des gegen dir komenden war und senke schöne dinen scha^t^ft
als ob er si gemälet dar und lä din ors mit meisterschaft; ie iTaz nmi^d
baz rüer im die kraft; ze nageln vieren üf den schilt da sol din sj^-^r
gewinnen haft od da der heim gestücket ist: die zwei sint rehtiu ritt^a^
mal und üf der tjost der beste ist." Kleide dich in Zucht und rei^^e
Tugend, so hast du bei Hofe das beste Gewand. Pflege deiner Zun^^'i
dass sie nicht aus den Angeln fahre: „schiuz rigel für und nim ir wafc-J*.*
gezoumet rehte sf din zorn''; wird sie dir Meister, so setzt sie d»^h
in Gottes Zorn.' Besser Ist zweimal zu zielen als blindlings drein^ci-
schlagen (bezzer ist gemezzen zwir danne verhoweu äne . sin), das Wo ^
„mac niht hinwider in und ist doch schiere fiir den munt" (25.). D^r
Schein hält nicht la^ge, ebenso wie aufgelegte Schminke (geribenio
schöne) wo der Schaden bald durchblickt. Es gibt Käppelein (helekäpp«0
') ^Sun, will du erzente nemen, icli wil dich Idren einen tt-anc: \M din ^'c
saelde wol ffczemeo, du wirdest selten fugende kranc, dfn leben sf kurs od
ei st lanc. leg in din herze ein reinez wip mit staeter liebe sunder waof'
ist ez ao n^erdekeit verzasret, als der drlakelz eiter (uot ir wiplieh gdf^^
dirz verjaget.^ (14) driakelz = Tberiak, Gegengift, eiter (ahd. eilar) z=Gifi>
385
die ganz gut kleiden, wenn man sie recht zu tragen versteht, zieht man
sie aber ab, so sieht man erst, was {^iner darunter hat. Wie Rost das
Eisen und den Stahl schädigt, so. unbescheidener Spott. Wahre den
Freund, der dir mit Treuen beigestanden, und sei im Zorne nicht zu
schnell, Mass zu halten bringt Ehren und Werthigkeit. Dem Vogel
der zu frühe aus dem Neste fliegen will und so „den tumben kinden^
zum Spiele wird, ist unbesonnene Rede vergleichbar, die du besser nie
begonnen hättest') (32). — Wer. sich selbst ehren will, der nehme
getreuen Rathes wahr; wer seinen Rath gibt, ohne dass man darauf
hört, wer tauben Ohren predigt, der verliert nur seine Zeit, der thut
einen Schlag ins Wasser (ez ist in einen bach ein slac). Der Satz,
dass wer mit dreissig Jahren noch ein Thor, für sein Leben ein Narre
bleibe, lebt heute noch als Dreispruch.') Untreue führte wie im Ein-
gang zum Parcival auseinander gesetzt ist , zur Hölle und ist rechte
Judasart. Sei keuscher Worte und steten Muthes, trage gegen Nieman-
den Neid noch langen Hass; zwei böse Nachbarn sind Hochfahrt und
Habsucht, an denen das Süsse sauer, wird; wer diese in seinem Hause
hegt, beherbergt den Teufel. Willst du es gut haben, so rühre dich,
der schlafenden Katze läuft keine kluge Maus in*s Maul (ez loufet
selten wisiu mus släfender vohen in den munt).') Müssiggang (luoder)
und Spiel bringen Leib und Seele zu Fall , sie machen den breitesten
Acker schmal (si roachent breite huoben smal).
swer lebt an ere in frier wal,
der wirt den werden schiere unwert
und hüset in dem Affental.
swer also vliuset sine habe
mit disen swachen fuoren zwein,
der laege baz in eime grabe.
Drei Dinge muss man im Hause haben: Gut, Milde und Zucht;
bietest du es fröhlich den Leuten, so thut dein Brod dem Empfanger
*) Ein Wort der Lehre — nimm es mit
In*s Leben: Halt die Zunge fest;
Denn ungewogene Rede fliegt
Unflügger Vogel aus dem Nest.
Doch noch ein zweites, besnVes Wort:
Halt' deine Seele fromm und rein,
So wird, was deinem Mund entfliegt,
Nie ein unflügger Vogel sein. £. M. Arndt.
') Wer mit zwanzig Jahren nichts kann, mit dreissig nichts weiss und mit
vierziff nichts ist, der lernt nichts mehr und wird nichts mehr. — Der Volks-
witz lässt die Tyroler und Schwaben erst mit vierzig Jahren klug werden.
') Vgl. : ez wirt vil selten hirz. erjeit
mit sldfendem hunde. Wigalois 2883. JTeirrer S. 77.
25
\
386
wohl i hast da aber diese Tagenden nicht , so reitet ein Gast gerne
weiter, wenn er noch so nass and müde wäre. Wer so mit Tagenden
sein Hans pflegt, der ist Grott and der Welt werth and müsste er aach
an einem Stabe kriechen. Wer Gottes Lohn und der Welt Habedank
behalten kann,0 ^^^ ^^^ ein gntes Gewerbe.') Dann heisst es weiter:
Str. 52. . Sun, zwei wort erent wo! den man
der sich wil ören mit den zwein
s6 daz er si behalten kan.
daz eine ist Ja, daz ander Nein,
wie zieret golt den edelen stein?
also tuont wariu wort den lip.
er ist nicht fleisch unz ail daz bein, *)
dem also slipfic ist der sin,
swä er sin Ja geheizen hat,
daz er sin Nein da schrenket in.
Str. 53. Sun, fliuch daz dich iht binde ein baut,
daz ist gestricket in der mäht
daz du gebunden bist zehant
vor gote in krefteclicher aht.
swer wirt in sine stricke bräht
so daz in vindet da der t6t,
we im daz sin ie wart gedäht!
daz bant ist der gediente ban:
der klemmet in der helle als6
daz Judas nie solch klam gewan.
Ein solcher Mensch, der weder kalt noch warm ist, hat keioeo
Theil mehr an der Christengemeinde und dem Heil , seine wunde Seek
wird nimmer heil, selbst seine guten Werke, Almosen und Gebet, haben
keinen Werth mehr. — Ein bitteres Kraut, von dem der Sohn gleich-
falls gewarnt wird, ist die Acht, der Bann. Aber der Vater will ein
Ziel setzen (der mäze ein zil gestozen si), denn der Sohn ist doch
») Vgl. Wallher 8, 4 ff.
') den riebet wol sin ackerganc (51). ackerganc = Ackerbau^ lroprsrh:dis
Gewerbe, das man treibt. Sprichwort: Des Herren Tritt den Acker dOofK
des Herren Aug* das Vieh verjüngt.
') d. h. er ist nicht ^anz und gar, was er sein solj; er ist kein g'anzer Mioo.
Walt her sagt (67, 31) von der falschen Minne, sie sei ^.niht visch noz ao
den grdt.^ Dagegen sagt Gottfried von Strassburg : Christus ist Fisch «oos
üf den grät."" Haupt S. 66. v. d Ha^en MS. IV. 312. — I>er Lancfgnf
Ludwig von Thüringen, der Gemahl der hl. Elisabeth, ward wesen der Irtofi
und Wahrhaftigkeit seiner Rede, seiner unzw^felhaften Ja und Nein wege>
Serühmt, ebenso Richard von Euffland. Die Quelle dieser Ausdrficke i^t
latlh. V. 37. .
387
nicht im Stande, Alles auf einmal zn~ verdauen (du enmaht ez allez
niht getragen), wenn er von allen Käthen nur drei nahe beim Herzen
behalte, so sei es schon gut : Lass nie Gottes Minne, sei wahrhaft und
zftchtig sonder Wank, so nimmt noch manche Tugend ihren Ursprung
von den dreien. Der Sohn hat den Vater vollkommen verstanden, er
ist zwar npch ein Kind , aber er sieht doch schon ein, dass die Welt
ein Narreuhaus ist und dass nur Der glücklich zu preisen, der sich
bis zum Ende bewährt, 0 so macht er dem Vater den Vorschlag, zur
Sühne seiner Sünden sein Hab und Eigen auf ein Spital zu legen, frei-
willig ziehe er dann mit ihm ein, um daselbst fem vom Truge dei^
Welt nur für das süsse Himmelland sich vorzubereiten. Freudenthränen
überströmen die Wangen des Vaters, wie das der Dichter unübertreff-
lich zart gibt: „dz ougen muost er wangen baden: von herzeliebe daz
f^eschach^; sie sprechen noch eine schöne erbauliche Wechselrede und
der Vater beschliesst mit der Versicherung, dass er den Vorschlag auch .
ausgeführt und ;nit seinem eingebornen Sohne das Spital bezogen habe, *
welches sie selbst zum besten der Armen mit ihrem Vermögen aufgerichtet.
Das Gedicht muss sich, wie auch die vielen Handschriften be-
zeugen, eines grossen Beifalls erfreut haben, selbst bis auf den acht
mittelalterlichen Schluss, der, so wie sich Wimt von Gralenberg der
Welt entzieht, gleichfalls viele Nachahmung gefunden haben mag. ')
Man copirte den Gedanken, indem man ihn zugleich ^auf weibliche
Verhältnisse übersetzte und so gestaltete sich offenbar voa einem
anderen und schwächeren Dichter die sogenannte Winsbekin oder
„Der muoter lere.^ Eine Zeit lang glaubte man freilich treuherzig,
dass auch des Winsbecken Frau Verse gemacht habe und zwar in
seiner Manier. Das Gedicht ist viel schwächer, redseliger und ärmer
an Gedanken, dessungeachtet aber doch, wie Klemm treffend be-
merkt, ') ein schönes Denkmal mütterlicher Erziehungsweisheit, die
auf innige Liebe gegründet, die Schätze der Erfahrung dem Kinde mit-
tbeilt. Die Mutter preist den süssen Tag, an dem sie ihre liebe Toch-
ter geboren, deren Anblick ihr wie Maienzeit ist; immerdar, sagt sie,
sollen wir Gott loben , der also reiche Gabe ^gibt. Qie Tochter gelobt
min, Gott zu ehren und Vater und Mutter Gehorsam zu leisten. Die
Mutter bittet Gott und seine liebe Mutter, dass er ihr Kind bewahren
') Str. 60: „ez ist ein lop ob allem lobe, der an dem ende rehte tuot.^ Vgl.
data Waltber (67, 6): ezn wart nie lobelfcher leben, swer so dem ende
fehle tuot.
') Noch im Jahre 1644 citirte Mosch erosch in s. „Philander von Sitlewalt^
I. 969 ganze Stellen daraus.
') G. Klemm Die Frauen. Dresden 1855. B. 11. S. 110.
25*
388
möge. Da verlangt die Tochter den Rath der Matter und diese beginnt
ihre Belehrung, indem sie ihr Kind zuerst ermahnt, zwar ^hochgemuot,*
aber doch mit Züchten zu leben: ^sö ist din lop den werden guot und
stät din rosen kränz dir eben, den 6re gemden soltu geben ze rehte
dinen werden gruoz und laz in dinem herzen sweben schäm unde maze
üf staeten pin; schiuz wilder blicke niht ze vil swä löse merker bi dir
sin."* Das Mädchen frÄgt gleich, wie die wilden Blicke .beschaffen seien,
die sie nicht schiessen lassen dürfe; das sind solche (erwiedert die
Mutter, welche am Hofleben Erfahrungen gemacht hat), die unstäte'die
Augen hin und herfliegen lassen, und kein Mass beweisen, das merken
die Aufpasser gleich und ihr Lob ist dann nur Ungewinn, es sei viel
besser, die Augen im Zaume zu halten. Das erkennt denn auch diie
Tochter, so jung sie auch noch ist (swie kleine ich h&n der järe zal),
und stimmt der Mutter bei, dass die, so ihte Augen wie einen Ball
herumwerfen , nicht im Saal der Zucht wohnen könnten ; darum , fährt
die Mutter fort, solle sie nicht allein weise Worte im Munde führen,
sondern auch in ihrem Thun nicht dumm sich zeigen und die Tugend
üben und so das Lob der Guten erstreben. Wirst du dann älter, so
wird deiner Schönheit wegen mancher Wald verschwendet, d. h. ein
ganzer Wald von Speeren gebrochen. Das führt zu der Belehrung, wie
die Jun^rau sich den Männern gegenüber, die um ihre Gunst werben,
benehmen ' «md wie sie die süssen Worte der missewendigen Männer
aufnehmen soll. Das Mägdlein kennt bereits die Lieblingsredensart der
Männer: „wip hänt kurzen muot, da bf doch ein vil langez har*; leider
thun Viele so und machen das Sprichwort wahr; sie versichert, dass
ihr die Schmeichelworte der Männer nichts anhaben würden und dass
sie um so fester sein werde; es wären wähl die Frauen theilweise daran
selbst schuld, wenn sie von den Männern betrogen würden. *) Die Mutter
freut sich, ihr Kind auf dem rechten Wöge zu sehen uad ermahnt' sie,
dabei zu verbleiben, sich aber doch zu hüten, dass die Minne sie nicht
blind mache, denn der Gewalt der Minne seien schon viele weise Herzen
erlegen.
Das Mägdlein hat von der Kraft der Minne noch keine Kunde,
sie sei von ihrem Strahl noch nie wund geworden. Die Mutter aber
zeigt ihr, dass die Minne gar gewaltig sei und hätte ein Herz auch
hunderttausendmal mehr Kraft, sie würde doch siegen; sie hat viel
starke Herzen schon erstiegen, selbst König Salomo, trotz aller seiner
Weisheit, sei unterlegen. Sollte die Liebe ihr Herz (in Fesseln)
»
') swiez umbe der manne unslaete var, wir wtp wir soften vester s!n^ ob icbt
in hulden sprecben tar, und (rtieffen in gemeinen haz die niht ir zuht an
uns bewarnt: si schönten aoser deste baz. (Str. 19.)
389
schmieden, so vermöge sie sich m'mroer dessen zu erwehren, aasser
wenn Gott allein sie befrieden wolle. Da sprichst, Matter, antwortet
das Kind, «als wenn dich ihre Kraft berührt hätte. Wie kräflereich
aber ihre Macht sei, ich komme nicht unter ihre Gewalt, eher lass'
ich mich za Grabe tragen. Allein was soll ich thati, wenn sie doch
kommt? — Die Matter gibt zu, dass sie hiebevor in ihren jungen
Tagen von der Minne gefangen gewesen, sie werde aber nicht viel davon
sagen. Indessen ^swen hdhiu Minne twingen gert, d^r niuoz unfuoge
lazen gar uöd mache sich den werden wert.'' Nun wendet die Tochter
ihren Sinn: bin ich dir desto lieber, wenn die Minne mein Herze be-
gehrt, so thu* mir deinen Willen kund, ich will darnach thnn und fahre
ich wohl, so ist die Ehre dein; ^ich hän gerihtet mtnen muot, swaz
dir dar an gevallet wol, daz mich daz allez dünket guot.^ Die Mutter
entgegnet: Vermagst du ein keusches Herz zu tragen , so musst du
Lob und Ehre han; vergönnt dir die Minne dieses nicht, will sie dich
zwingen einen Mann zu minnen, der trefBich ist und Ehren werth, so
soll er doch von dir ungewährt bleiben. — Ich will , antwortet die
Tochter, dir heilig versprechen (ich wil dir des min triuwe geben), dass,
wenn die Minne mich zu zwingen droht, ich dich bitte, mich mit Riemen
zu binden. 0
Ich werde dich nicht hüten, sagt die Mutter, das muss dein steter
Wille thun. Fremde Hut schadet nur und bringt Unehre; „ein reinez
wip in tugenden wert, diu wol ir §re hüetenJcan tmd niht wan staeter
triwen gert, die sol man selbe hüeten lan,** jede andere Hut ist um-
sonst und wohl leichter ein wilder Bär zu zähmen. Doch lassen wir
jetzt die Hute fahren „und sprechen von der Minne m§." Das Kind,
das immer noch ihre Mutter über alles geliebt hat, weiss hierüber
gleichfalls noch nichts und stellt die mit dem Titurel an Unbefangenheit
wetteifernde Frage: ^nu sage mir ob diu Minne lebe und hie bi uns üf
erde si od ob uns in den lüften swebe.^ Die Mutter sagt darauf dem
Kinde, was der weise Mann Ovidius von der Minne kund thut, sie heisse
Frau Venus, mache süsse Herzen wund, gesunde sie und mache nach ihrem
Willen sie abermal siech; so ist sie rastlos: „daz ist ir wehsei zaller
stunt. ir willen niht entrinnen mac : si vert unsihtic als ein geist , si hat
niht ruowe naht noch tac/ Die Mutter preist nun die Herrlichkeit und
Tugend der Minne. „Ich wil dir, liebiu tohter, mö von werder Minne
tugende sagen, wie ez umb ir gelaeze ste; si mac ein herze niht getragen
daz mit Untugenden ist beslagen: da enwil si äne zwivel niht benahten
') pOb mich diu Minne Ües nibt erldl, si welle Iwin^en mir den sin wirs danne
ir fcühten wol an atdt^ vil liebiii muoter, so ger ich, ob do die Yolge aehest
an mir, das du mit riemen bindest mich.^ (Str. 28.)
J
390
inne noch betagen: ez mnoz gereinet innen sin ^ daz si üzen klopfe
dran: ist im alsd, si sitzet drin.'' Nun möchte die Tochter wissen, was
sie za thnn habe, wenn sie sich in die Schule der A(inne begeben
wolle.') Die Mutter sagt ihr drei Regeln. Zum Ersten:
^ein wip diu lobes und eren si,
diu nide ein ander drumbe niht
diu ouch si missewende vri. (Str. 43.)
Diu ander regel uns lere git
(nu merke waz ich welle sagen),
wir suln uns vlizen alle zit
daz wir den wisen wol behagen,
und vliehen ungemuote zagen
die wibes ere grämic sint
und eiter in den zungen tragen,
besniden sinneclich diu wort
und grüezen da wir grüezen suln:
sieh, daz ist wibes eren hört. (Str. 44.)
Diu dritte regel uns leret daz
wir sin in zühten wol gemuot,
gar äne nit, gar äne haz,
wiplicher site, wipliche guot,
dar under tugentlichen fruot
sin wir dem rate staete bi,
sd decket uns der Saelden huot,
daz^uns kein weter selwen^ mac;
mit eren wir ze bette gen
und ane sloyger an den tac. (Str. 45.)
Somit sind diese monita materna an das Thema gelangt, das den
Hauptinhalt des Fräuenlebens bildet und der Poet bricht ohne weiteren
novellistischen oder romantischen Anhang ab. Das Gedicht ist mehr
interessant, als erquicklich und steht hinter dem Winsbecke wie eine
schwache Copie weit zurück.
Daran reihte sich die Hofzucht des Tanhäuser,') welche hart an
der Grenze steht, wo der höfische Sang zu Ende neigt. Der Stand,
welcher bisher der Träger der weltlichen Bildung und Poesie gewesen
*) ^isl ez dtn wille und ouch dtn rdt, ob si mich in ir schuole neme, so l^r^
michjr reglet so daz es mir wol an Iren zeme.^ (4^.)
*) selwen = entfärben, beschmutzen, sloyger = s!6ir, sIeiger ^ Schleier.
*) Davon unter den Lyrikern.
891
war, tritt nun in den Hintergrund und das bürgerliche Element, weldies
durch den ungeheueren Handel und Verkehr, durch Luxus, Verschwend-
ung und Wohlleben des Adels in den Städten zu einer vorher nie ge-
ahnten Kraftentwicklung gedieh^ übernahm von dem sinkenden Ritterthum
die Pflege der Literatur und zwar mit einer auf dem gelehrten wie unge-
lehrten Handwerk gleich lastenden Kunstlosigkeit. -Der erste Vertreter
dieser Richtung und zugleich ein Vorläufer des folgenden Meistersing-
sangs und der handwerklichen Reimerei, ist Hugo von Trimberg.
Geboren zu Wema oder Weren (dem heutigen Wemfeld) im Wirz-
burgischen, hatte er sich bis zum magister scholarum am Collegiatstift
Gangolf in der Tewrstat 0 . (später Steiuweg, jetzt Königsstrasse) in
Bamberg emporgearbeitet und war dann in seinen Würden sitzen ge-
blieben. Im Besitze einer kleinen, nicht unansehnlichen Bibliothek von
zweihundert Werken, begann er nebenbei zu dichten und verfasste sieben
deutsche und fünf 4ateinische Opera; von ersteren ist uns nichts er-
halten, denn sein y,Sammler^ war ihm schon früher in Trümmer
gegangen und verunglückt; von seinen lateinischen Schriften hat sich
das interessante Registrum multorum auctorum classicorum erhalten
und die Laurea sanctorum, die zu den im Mittelalter in grosser
Anzahl vorhandenen Kaiendarien gehört, welche gar nichts Merkwür-
diges bieten. Sein Hauptwerk, das er noch im hohen Alter begann, ist
der viel gepriesene und jetzt wenig gelesene Renner, der für uns sehr
lehrreich zur Kenntniss der damaligen Verhältnisse werden kann, wenn
man mit Vorsicht dabei zu Werke geht und den Umstand nicht aus
dem Auge verliert, dass hier ein grämlicher alter Mann seine mitunter
wandelbaren und launenhaften Ansichten auslegt. Das Leben hatte ihm
nicht absonderlich erfreulich mitgespielt; über ein halbes Menschenalter
war er seiner Schule vorgestanden, arm, ohne ergiebiges Einkonmien,
mit starker Familie gesegnet, war es ihm nicht gelungen, sich gegen
den Mangel vorzusehen und er musste in seinen alten Tagen, als schon
*
allerlei Gebrechen über ihn eingerückt, noch bei christlichen und wirk-
lichen Juden borgen, denn die schöne Erwartung, im hohen Alter vom
Erlös seiner Bücherey ^näch der alten lerer site^ seine Nothdurft zu
erwerben, scheint ihm gleichfalls misslungen zu sein. So griff er denn
hochbetagt noch nach einer literarischen Arbeit, die vielleicht ehrenvoll
und gewinnbringend sein sollte — was Wunder, wenn dabei kein ab-
sonderlich rosenfarbener Humor ihm die Feder führen konnte. Zudem
hatte sich das ganze Leben merklich geändert, so dass wir an dem
ohnehin nicht zukunftsfreudigen Dichter noch die weise Mässigung und
>) Jack Haodschrinen. 1832. II. B. S. XV.
392
rückhaltende Besonnenheit anzuerkennen hätten , denn er hat immerhin
heitere Laune genug, um über sich selbst den Scherz zu machen : vier-
undsechzig Jahre sei er zur Schule gegangen, habe aber noch immer
nicht die Anfangsgründe jener Kunst gelernt, welche die Welt verachtet
und zum Himmel emporhebt.
Auch sein Geist war nimmer so mächtig, wie ehedem ; mit zwanzig
Jahren konnte er Alles, was er hörte oder las, behalten; mit vierzig
Jahren habe er noch zweihundert Verse, deutsche und lateinische, auf
drei Tage behalten; was er aber in seinen alten Tagen dichte, das
müsse er sofort niederschreiben , sonst verschwinde es ihm zur Hälfte
aus dem« Gedächtnisse.
Man hat die Abfassung des Renners beiläufig nach dem
1280 gesetzt;*) da Hugo mit siebenundsiebzig Jahren noch 'dichtete, 8<
wäre seine Lebenszeit zwischen 1235 und 1315 festzusetzen. t)en Namej
trägt das Werk nicht davon ^dass es in alle Lande rennen soll," ^^i^ e
die geschmacklose Erfindung eines späteren Copisten aufbrachte, sondei n
Hugo hat ihm den Namen ^Renner" wohl desshalb beigelegt, weil m^r
gleich einem flüchtigen Rosse bald dahin, bald dorthin eilt, ohne fest^^n
Plan und eigentliches Ziel. Es ist kein einheitliches Gedicht, sonde:^m
ein grosses Sammelwerk von Betrachtungen, Beispielen, Sprüchen u^z^d
Maximen; die Poesie oder Reimkunst dient ihm nur zur Besserung u^m^d
Erbauung der Menschen, zur Belehrung und Erhebung zu Gott De^^-s-
halb ist ihm die ritterliche Epik ein Dorn im Auge und selbst (i«r
Parcival bekommt einen Hieb, weil er dessen ethische Bedeutung nimncm^r
erkannte; die übrigen Giedichte, wie Erec, Iwein und Tristan, Köi^ig
Rother und Wigalois, sogar die Aeneis werden kurzweg abgewandelt
und die weibischen Leser gescholten, die über die Mühen, Nöthen cicci
Arbeit der alten Recken oft mehr klagen und weinen als ^über unseres
Herren heilige Wunden."
Dass er auf die Pfaffen und Ritter seiner Zeit nicht gut zu spre-
chen ist, erklärt sich von selbst; aber er greift nicht die Institutiooen
an, sondern nur die ungesunden Auswüchse und die kranke Practik ; den
Schattenseiten stellt er allemal auch ein entsprechendes Lichtbild gegen-
über. *) Mit edler Schonungslosigkeit tadelt er die Dummheit der
\
') Gedruckt wurde dasselbe in einer späteren Ueberarbeitung. Frankfurt lb49,
— Herausgegeben vom histor. Verein zu Bamberg 18:53 — 35, nach ä^
achteren HS. zu Erlangen vom J. 1347. — Die Münchner HS. hat G. Vo^e^
staine^ 1430 geschrieben; eine andere daselbst slamml ans ^egeasovg
vom J. 1440. »
') Vgl. die schönen Aufsätze von Jan icke in Pfeiffers Germania U. 363-77
und besonders V. 385—400.
893
*
Pfaffen und ihre Missbräuche, die et vom Institat der Kirche genau zu
unterscheiden weiss. Wir bedQrfen, sagt er, die Unterweisung der Pfaffen
(Weltgeistlichen) und Klosterleute , die uns Gott mit ihrer Lehre und
ihrem Leben zu Spiegeln gegeben hat. Thut ihrer einer übel, so soll
uns das nicht irren: folgt nur der guten Lehre nach; widerstrebt ihnen
nicht, wenn sie um der Zucht willen euch Busse auferlegen; sie haben
es vor Gott zu verantworten und müssen euretwegen Tag und Nacht in
Sorgen sein. Wenn tausend Pfaffen heute geweiht werden, so sind sie
dennoch Menschen und gleich mir Fleisch und Bein: die blosse Weihe
reinigt sie noch nicht; nur priesterliche Zucht und Gesinnung verleiht
die wahre Kraft. Hat ein Priester einfaltige Sitten, so nehmen daran
viele Leute Anstoss, der Pfaff isf gleich einer Scheibe, nach de^ man
schiesst; das Volk achtet auf seine Lebensweise; desawegen soll er der
Welt ein gutes Beispiel geben und bösen Dingen Widerstand leisten.
Wenn auch die Priester ungleich sind, so ist doch ihr aller Amt rein
durch die Gnade, die Gott uns und ihnen zum Heil zu geben befohlen
hat Selbst wenn ein Priester aller Welt Sünden auf sich geladen hat,
dennoch ist die Messe rein : seine Missethat schadet ihr nicht ; von Gott
allein geschieht Gnade. — Nur wahrer innerer B^uf, innige Liebe zu
Gott und dem Erlöser und Verachtung der weltlichen Dinge soll Pfaffen
und Mönche zur Wahl ihres Berufes leiten. Wer um der Ehre willen
oder um gutes Leben zu haben, Pfaffe oder Mönch geworden ist, dem
wird Honig bitter und Gifl süss. Wer in ein Kloster gehen will , der
sollte vorerst sieben Jahre unter Noth und Angst einem Hauswesen
vorgestanden haben: dann wird ihm erst das Klosterleben gut dünken,
da er jetzt vieler Sorgen enthoben ist; dann bereut er auch seinen
EnCschluss nicht Das Kloster ist eine Stätte ftir reines Leben und in-
brünstige Andacht; welcher Mensch diese zweie nicht hat ^der ist niht
visch unzuf den grät* ') Pfaffen und Mönche sollten einander behilf-
lich sein, statt dessen tragen sie Hass gegen einander. Der Grund der
allgemeinen Verkommenheit liegt in dem Streben der Geistlichkeit nach
Reichthümern , in der Vergeudung des geistlichen Besitzthums durch
Kriege, in der Unwissenheit der Kleriker (von denen mancher nicht
versteht, was er singt oder liest), in dem Schacher mit geistlichen
Stellen und der Verleihung von hohen geistlichen Aemtem an Kinder.
Die ersten Bischöfe der Christenheit haben fast alle dei\ Märtyrertod
erlitten. Wer thäte jetzt noch dergleichen? Pfaffen und Layen nehmen
was sie bekommen können,, beide fällen gleicher Weise ihren Seckel.
Pfaffen, Mönche und Nonnen eifern den Kaufleuten nach und trachten
') Vgl. oben S. 286. Anmerk. 3.
394 '
mehr darauf, wie sie Geldgeschäfte* machen, als wie sie Tugend in hei-
ligei) Büchern finden. Ein böses Beispiel ist es für die Welt, wenn es
Pfaffen gibt, die sieben Pfarren auf einmal haben, ') und Mancher
nähme deren noch mehr. Auch ist es Unrecht, unmündige Kinder, noch
ehe sie das erforderliche Alter und die nöthige Einsicht gewonnen haben,
mit Gottes Gaben reich zu machen und ihnen Pfarren und Pfründen
zu geben. Hugo ist von der Wichtigkeit des päbstlichen Amtes durch-
drungen : leichter stünde das Reich zehn Jahr lang ohne König als der
Stuhl zu Rom nur ein Jahr ohne Pabst (daz daz rieh an künec waere
zehen jär, waer niht s6 swaere als ob der stuol ze Rom ein jar an
bähest ist, die rede ist war)"; aber wie die Könige, so leiden auch die
Päbste an Hoffahrt und Habsucht. und mit Geld lässt sich Alles in Rom
machen. Nicht besser ist das Leben der hohen Herren und des Adels.
Früher, da noch Zucht und Ehre bei grossen Herren war, ward „manec
edel kint^ in fremde Länder gesandt, auf dass es Anstand und Ehr-
barkeit lernen solle; jetzt aber haben die Herren so bösQ Sitten, dass
ein Edelmann sein Kind ebenso gut in eine Schenke schicken könnte^
h\s zu den Herren. Hofleute trachten heutzutage wenig nach dem
Himmel; ein Gerechter mag sich mit Fürsten nicht einlassen; selten
ist ein einfacher Mann am Hofe geblieben. Mich wundert, was der
predigen wollte, der sich unterfinge Hofgesinde zu bekehren. ^ So lange
ihre Habsucht «ind ihr Ehrgeiz Rechnung finden, so lange folgen sie
dem Hofe nach. Viele Herren haben lieber einen falschen Schmeichler,
als einen Mann, der es redlich mit ihnen meint. Wer Gott von Herzen
lieb hat, den nimmt man selten in den Rath der Fürsten. Am Hofe
ist manches Mannes Seele zu Grunde gegangen und mn denselben Ver-
lust hat auch mancher ein Bisthum erhalten. So äussert sich unser
Hugo über das damalige Hofleben und sein Raisonnement entspricht
ganz den unlieben Schilderungen, die unseren Lesern wohl noch ans
dem ^Helmbrechf erinnerlich sind.
Nach den heutigen Grenzverhältoissen hat auch der berühmte
Fabeldichter B o n e r für uns eine Beziehung. ^) Auf die Einladung des
im Jahre 1320 aus Schwaben auf den fürstbischöflichen Stuhl gewählten
Johann von Guttingen soll Boner von Bern nach Bamberg gekommen,
>) boes bilde iiimt die werft daran ^ wan manic pfafT hdl siben pfarre und i^
doch so gar ein narre, der im noch ein lih cd 7wi.o^ er naem vil üble oucb
sie darzuo.
') In Kwei Papierhandscbrinen aus dem XV Jahrb. ^ eine davon mit Bild^
aus der ßibl. von St. Emeram zu Regensburg auf der Münchner Bibliotbei'
Ausgabe von Franz Pfeiffer. Leipzig 1844. (IV. ß. der Dicht, des deot
mtlelalters.)
395
dort zam Scholaster am Dom ernannt, aber bereits 1324 mit seinem
bischöflichen Gönner wieder abgetreten sein. ') Das von ihm bearbei-
teta Fabelbuch wurde aus einer bis dahin in Bamberg befindlichen
Handschrift im Jahre 1461 durch Albrecht Pfister allda gedruckt')
Von diesem Drucke ist das einzige übrige Exemplar auf der Bibliothek
zu Wolfenbüttel. Da der Fürstbischof Johann von Guttingen' sehr viel
zur* Erhaltung jener Domschule that , welcher kurz zuvor noch Hugo
von Trimberg vorgestanden war, so wäre es wahrscheinlich, dass Boner
einen Theil seiner Fabeldichtungen far die Schule entworfen hätte,
zumal da es auch auffallend ist, dass Bamberg eine eigene Handschrift
besass, obwohl die Fabeln sehr schnell und weit verbreitet wurden.
Boners Fabeln sind nach seiner eigenen Angabe bloss aus dem Latei-
nischen übersetzt und zwar zu drei Theilen aus Avian und aus dem
versifizirten Romulus oder Anonymus von Nevelet, zum vierten Theile
aus anderen La,teinem. Sie zeichnen sich durch natürliche prunklose
Einfalt aus, wie im Nachklange der Blüthezeit unserer mittelhoch-
deutschen Dichtung. —
Darauf lassen wir ä) kurz noch die Reim Chroniken folgen. Sie
gingen zwar nicht aus dem Epos hervor, sondern traten an die Stelle
deutscher Sagen; doch ist ein Nachklang der epischen Poesie^ in ihnen
nicht zu verkennen. In erster Reihe erscheint die KaiserchroniTc.').
Die Mundart derselben ist entschieden bayerisch. Hier haben wir Ge-
legenheit, eine seither üblich gewordene Unrichtigkeit zu berichtigen.
Der Name „Kaiserchronik'* steht in gar keiner Handschrift, sondern
rührt von -D o c e n her , geht also über das ^rste Jahrzehent unseres
Jahrhunderts nicht hinaus; die passendste Benennung wäre: „der
kunige buoch,'* die auch durch 2 HS^ gesichert ist. Sie ist eine Samm-
lung yop Legenden und Historien, die bis auf Kaiser Lothar IL reicht,
beiläufig um 1150 entstanden sein mag und seitdem zum öfteren um-
gearbeitet wurde.**) Gleiches Ansehen genoss im Mittelalter die Welt-
chronik des Rudolf von Ems, welche nach 1347 von Heinrich
von München neu aufgepommen und überarbeitet wurde, indem er
Stellen aus den Werken Rudolfs und Enenkels und bald in mehr, bald
minder wöitlichem Auszuge Konrads Trojanerkrieg, Strickers Karl, den
>) Vgl. Jäck Beschreibung der Handschrinen II. B. S XX11I u. III. B. S. VIII.
') 88 Blätter kl. Fol. mit Holzschnitten.
') Pghs. XIIL Jalfrh. 4» 132 Blatter Cod. germ. 37. Die Geschichte dieser HS.
in Roth Bruchstücke der Kaiserchronik. 1843. S. VH. ~ Eine andere HS.
hat später Christoph Tegernseer 1594 zusammengeschrieben.
«) Ausgabe durch Mvssmann. I. B. 1849. (v. 1 - 9248.) H. B. (v. 9249 -
18,578.) III. B. 1854. (mit lit. Nachweis.)
396
hl. Wilhelm und Anderen darin zusammentriig. So war die auf ähn-
lichem Wege entstandene ^ Kaiserchronik ^ im Geschmack der Zeit un-
förmlich überboten. ') — Auf dem Schlosse Runkelstein in Tirol, wo
der kunstsinnige Conrad Vintler (der Dichter des ^Tugenbuches") in
poetischer Einsiedelei mit seinem Oheim Nicolaus hauste, finden wir
Ende des XIV. Jahrh. einen Hans Sendlinger, welchen er aus
Bayern berufen hatte und der ihm dort als Capellan und Buchabschreiber
diente; derselbe verfasste auch eine Reimchronik, welche sich als eine
freie Uebersetzung von Gottfrieds von Viterbo ^Pantheon** heraus-
stellt.') Er hat natürlich dazu ^ein tail getichtet.^ ^Die wunderlich-
sten Märchen (sagt ZiugerleJ werden hier als Wahrheiten aufgetischt,
Thatsacheo, von denen man sehr wenig weiss, werden in's Breite ge-
sponnen; Personen, die in früherer Zeit lebten, werden auf lächerliche
Weise bis auf die letzte Pore beschrieben. *) Gerade diese Schilder-
ungen sind das Unnatürliche und Widerliche und geben Zeugniss vom
tiefen Verfalle der Kunst. Dagegen verrathen manche Stellen wirklich
Gemüth und einen poetischen Anflug, z. B. die Beschreibung der Gottes-
mutter unter dem Kreuze ihres Sohnes. " Da^s der Poet aus München
war, sagt er selbst bestimmt, ebenso, dass er die Arbeit auf die Auf-
forderung Heinrichs, Landgrafen von Thüringen, gemacht habe. Der
Schluss lautet : „Do diser kaiser Fridreich starb do waz von gotes purd
zwelf hundert vnd vierzehen jar. Do waz von angeng der werlt pisher
') Massmann III. 95. Heinrich von Beierlant der sich niht anders bat
genant^ von München üz der werden slaf.' Vgl Wackerna gel Lil
Gesch S. 175.
^) Vgl. Zingerle über den Aniheil Tirols an dbr poetischen fJationaUileralur
im MillelaTler. Innsbruck 1851. 8. 15. Ders. Freskencycliis aiiT Schloss Riin-
kelslefn. Innsbruck 1858; Ferner in Hau pt*s Zeitschrift X. 257 und im An^
Zeiger des germ. Mus* 1859. §. 41 über die Familie der Senllinger.
'j So wird z. B. die Schönheit Maria's beschrieben : An irr sei mit tutenden
reich also waz die magt wunnikleich und wol getan an irem leib sie wai
die schönes! aller weih. Vi! weiz war si 9chÖn und plank nicht ze charz
noch ze lauk. ir leib waz schön und wol irevar an allen stacht wandet gar,
ir pra prann und smal und wol ge'an ir hirnschal. Gel und goltvar waz ir
har alz die geschrin sagt für war, ir zöpf iank f^röz und sieht wol gefloch-
ten und ^erehl., ir äugen ah ein cherzenlicht daz man in lust gern siehL
nicht ze groz noch ze klein und wol gleich den edlen slain der Saphirus
ist genant oder gleich dem Jachfint; daz weiz waz ir do milchvar und glaiz
als einem adlar. Ir nas war sieht und wol getan und aller stacht wandeis
an^ ir mund waz auch minnikleich und Huzusehen Wunnikleich^ ir lebs (Lef-
zen, Lippen) rot und rosenvar rain an allen geprcsten gar^ ir zend waren
sieht all geleirh.und wol gerecht, weiz. schön und gar rain ffeleich dem
weiz7.en hellfenpain. Ir >Väu^el warn lilienvar dar nnl^r hat sich gemischel
dar alz rot rosenvarb ir schein davon wurden die wän^lein i^ezierl als ein
lilien plat und alz ein rosen darauf gesät. Ir chinn daz waz sinibel (sinewel)
und weiz alz ein semel mel^ enmitten ^'«e ein grüblein durdi 4«l chinn da-
von fein, gezierd dester grözzer warz und ir untlütz stunt des paz; ir halz
weiz, ir kel plank, nicht ze tick ze mazzen Iank.
397
sechs tausend vnd vierhundert vnd XlV. jar. Auch hat ditz Puch ge-
schriben vnd volpracht Haintz Sentlinger von München vnd ein
tail getichtet Vnd ist gar volpracht dö man zalfvon Christes gepurd
tausend jar drew hundert jar vnd in dem vier und neunzigsten Jar an
der Etsch auf dem Runkelstain pei meinem herren Niclas dem Vintler.
In dem moned Junius an . dem drewzehenden Tag, do waz der tag S.
Antony confes de Padua." ')
Ausserdem trifft auf den bayerischen Boden jetzt auch die kleine
Kastler Reim- Chronik, deren Verfasser Abt zu Kastei war von
»
1323 — ^^56. Es sind jedoch nur 790 Verse. ^) Auch hier spuckt eine
fabelhafte Urgeschichte, es heisst, dass die Leute vom See Meothide
eingewandert (v. 67) und bei ihrer Ankunft im „Nortgew^ (v. 93) und
im Nortwalt (v. 96) noch mehr wilde Thiere denn Menschen angetroffen
hätten u.dgl. Eiae Rottenbucher HS. aus dem XIV. Jahrh. enthält
eine Chronik der röm. Päbste und Könige in deutschen Versen.') Hieher
gehört auch die Geschichte des Klosters Waldsassen, eigentlich
die Entstehung desselben in deutschen Reimen aus dem XIV. Jahrh.**)
Schmeller hält das Büchlein, welches mit 15 ganz frischen volksthüm-
lichen Strophen beginnt, dann aber in Spruchsprecher-Manier übergeht,
für einen poetischen Versuch des Abtes Johann N. Grübel (1329 —
1339), der, ein gebomer Thüringer, in Paris studirt hatte, dann Abt
zu Ossek in Böhmen war und von da nach Waldsassen kam. Er war
sehr baulustig und besass ein gesellschaftliches Talent; docK^gibt sein
Reimwerk keinen grossen Begriff von seinem poetischen Vermögen in
der Muttersprache. Zuletzt ist noch zu erwähnen die Geschichte der
Konstanzer Kirchenversammlung, welche unter dem Titel „des Concils,
Grundveste** 1418 von Thomas Prischuch aus Augsburg dem Kaiser
Sigismund zugeeignet wurde.*) lieber andere kleine Geschiclitserzähl-
.ungen wird unter dem historischen Volkslied in der Folge die Rede sein.
Den Schlussstein der epischen Dichtung des Mittelalters machen
zwei grosse Sammelwerke, das eine vom Kaspar von der Roen,
das andere von dem Münchner Ulrich Fütrer oder Fürte r er.
*) Das MS. von 305 dreispaKigen Pergumentblänern in Fol. mit Bildern ist im
BesiU des Herrn Johann von Vinller in Bninecken.
') Abg^edruckt mit liislor. £rörleruugen in Freybergs ges. Si-hririen. 1828.
II. 455-88.
') Ar et in Beiträge. II. B. 4. S(. S. 75.
*) Herausgegeben von Schmeller im X. B. der Yerhandl. des histor. Vereins
von Oberpfalz und Regensburg. *
») Wackernagel S. 222.
398
Kaspar von der Roen Hat (mit Hilfe eines anderen Genossen,
der die alten Av^tiuren nach Belieben kiirzte und zustutzte) einen Codex
zusammengeschrieben, welcher für den Herzog Balthasar von Mecklen^
bürg bestimmt war. Schon die Ueberschriften zeigen davon, wie weit
die Heldensage verblichen und beinahe bis zur Unkenntlichkeit entstellt
war. Die Sammlung enthielt: 1) den Ortney (Ortnit), 2) Wolf-
dietrich, 3) Ecke (Eckenausfahrt), 4) der Rosengart zu Wur-
micz (Rosengarten zu Worms), 5) das merwuuder, 6) Sigenot,
7) der wunderer (oder Etzels Hofhaltung), 8) Hertzog Ernst,
9) Laur%in, 10) Dietrich und seine Gesellen, 11) der vater
mit dem sun (d. h. das Hildebränddlied). Die durch Schönheit und
Sorgsamkeit ausgezeichneten Theile dieser Handschrift (Nro. 3. 4. 6 — 9)
fallen auf die Rechnung unseres Kaspars von der Iloen, der sich selbst
einen Franken und aus ^munerstat^ ( Münnerstadt) gebürtig nennt; er
schrieb seinen Theil im Jahre 1472. Ob jedoch der Herzog das viel-
leicht durch seinen Kanzler Dr. Antonius Grunewald (aus Nürnberg)
bestellte Manpscript wirklich erhalten habe, ist zweifelhaft, da der Codex
sich zu Anfang des vorigen Jahrhunderts noch zu Nürnberg und zwar
1714 im Besitze des Thomasius befand, von dem er an Gottsched und
zuletzt in die Dresdner Bibliothek gelangte. *)
Während das Sammelwerk des Kaspar von der Roen die alten
volksthümlichen Heldensagen zum Abschlüsse bringt, hat Ulrich Für-
terer alle Romane vom Gral und der Tafelrunde in einen Cyclus
gebracht, der durch nichts als die überall angewendete Titurelstrophe
zusammenhängt. Ulrich war Maler,') Poet und Chronist; für Herzog
Albrecht IV. von Bayern (1475 t 1508) schrieb er 1478—1481 eine
Chronik in Prosa.') Es ist etwas rührendes daran, wie ein Mann bür-
gerlicher Herkunft, im pompösen Versmaass des Titurel, eine ganze
Reihe alter Rittergedichte umzuarbeiten wagt, unbekümmert um den
Beifall der ganzen Welt, wenn er nur die Beistimmung seines hochver-
ehrten Fürsten, Herzog Albrecht IV. und etwa des damals schon sehr
*j Vgl. die inleressanle Untersuchung ober Kaspar von der Roen und die Ge-
schichte dieser HS. von Zarncke in Pfeiffers Germania. 1. 53—63.
') Im Jahre 14()5 malte ein Meister Ulrich Fülerer im Kloster Tegernsee in der
Kapelle des heil. Andreas und der daran stossenden, im Kapitetzimmer und
im oberen Stockwerke des Klosters (Günthner III. 296) und erhielt für
diese Fresken von dem Abte Konrad V. als Honorar 41 Pfund Pfenninge
(= 2112 Gulden). - Kurier Gesch. der Malerei II. 192. — In der Wiener
Bibl. werden ihm die Bilder in einer HS. „von Ereck und Enite"^ vom Jahre ^
1517 zugeschrieben. Büsching v^öchentl. Nachrichten. II. 155. — Ueber den'
Namen Fütrer = Fütterer vgl. Roth Beitr. I. 212.
') Vgl. Würlhmann Oberbair. Archiv. V. 48—86.
899
betagten Pütrich von Reicherzhausen erhielt, der ja ein so
grosser Liebhaber dieser Literatur war, dass er in ihren Formen
stümperte und klimperte, wenn er auch nicht einmal unseren Ulrich er-
reichte. Wie hoch der Fflrterer seinen ti*efHichen Fürsten geachtet und
geehrt, geht aus dem langen Prologe hervor, den er seinem Lanzilot
vorausschickte.') Die alten ritterlichen Zeiten waren dahin, aber in
Ulrich lebte noch das Andenken und die Sehnsucht nach ihnen, doch
die Sprache und die Sinnesart wareo^ anders, das KleeUatt der Minne,
Höfischkeit und Aventiure grünte nicht mehr. Ulrich sieht staunend an
sein Vorbild, Albrecht von Scharfenberg hinauf, den er einen Riesen
nennt, während er selbst nur ein Zwerg sei in der Kunst Ulrich -s
Bildersprache ist mit der des armen Weinsberger Webers Michel Be-
heim verwandt; aus dem Tiegel der Kunst will er das Ehren -Insigel
seines Herzog Albert giessen, am Stein der Kunst will er seiner Zung
^ grabstiehl ^ wetzen „daz sy durchgrab vil süsser wört, wann dazu hört
(gehört) nicht schaufei noch der pickl.^ Nie hat seinen edlen Herrn des
Lasters Dom geritzt „seiner Ehre Fahne darob er hohe wedelt;'^ bei '
seiner Geburt hatte die „Unart ihre Schanz verloren^ u.'8. w.
Ulrichs ungeheuere Arbeit enthält 1) den Trojanerkrieg und Argo-
nautenfahrt, 2) Merlin, 3) Gamuret und Gaudin, 4) Tschiotanulander
und Sigune , 5) Parcival , 6) Lohengrin , 7) Flores und Wigalois , S)
Seyfnd de Ardimont (der mit den Nibelungen und dem gehörnten Sigfrid
nichts gemein hat), 9) Melerans von Frankreich und Dydomeye, 10)
Ibain (Iwein), 11) Per^ybein, 12) Poytislier aus Indien, 13) den unge-
heueren Lanzelot. ')
Gleichzeitig lebte auch Meister C o n r a d Paumann, von Fürterer
gewöhnlich „maister Conrad^ genannt, der blindgeborne Organist und
Lautenspieler, der an der Spitze von Herzog Albrechts Capelle* stand
und dessen Grabstein noch, am Südportale der Frauenkirche zu München
sichtbar ist; mehr von ihm in der Folge. —
So haben wir denn die Geschichte der epischen Dichtung, von ihren
frühesten Anfangen aus den nationalen Stoffen , durch die klösterliche
Pflege, in die ritterliche Kunstentwicklung und höchste Blüthe, von da
weiters zum schnellen Verfall in leerer Abenteuerlust, Allegorie und
Didaktik, bis zu ihrer spateren Nach- und Abblüthe verfolgt. Bald nach
der Erfindung der Buchdruckerkunst, mit der Ueberhandnahme des
*) Abgedruckt durch Docen in Areliiis Beitr. IX. B. S. 1212-25.
>) Beschreibung der kostbaren HS. in Aretin Beitr. 1803. 4 St. S. 49 fT. Vgl.
Ha^en im Neuen Lit. Anzeiger. 1808. Nro. 4 und Aretin fit. Handbuch
f.. die bayr. Geschichte. I. 161-- 74.
400
Feuergewehr, gleichzeitig im geheimen Bunde mit der allgemeinen Aus-
breitung der klassischep Bildung, als neue Wege nach neuen Welten
gebahnt wurden und die baufällig gewordene kirchliche Disciplin die
ersten Stösse bekam , war das Mittelalter , das Ritterwesen und dessei
Poesie bei uns abgethan. Nur .in den romanischen Ländern , wie ii
Italien, fand in dieser späteren Zeit des XV. und XVI. Jahrhundei
die künstliche Ritterdichtung noch eigenthümliche, ft'eilich mehr hum(
ristische Ausbildung. In Spanien begeisterte ein achtes altes Ritterbu<
mit den daran gereihten äussehweifeitdsten Ritterromanen, den scharf ^
sinnigen Landjunker zum erhabenen, tragikomischen Wahnsinn ,
versunkene Ritterthum wieder zu beleben , welches schon mit ^dei
Ritter ohne Furcht und Tadel ^ erschossen ward. Die voü gemeint^^ji
allegorisciien Ritterromane Frankreichs und Englands konnten die ye:xr--
rauschte Zeit noch weniger zurückrufen und heraufbeschwören, vL^i
weniger als das ebenfalls allegorische Gedicht, das der letzte deutscl^e
kaiserliche Ritter von seinem eigenen Leben gedichtet, dieses vermoelit
hatte. Mehr hätte dieser Kaiser gewirkt, wäre sein schon zum Druck
vorbereitetes Unternehmen, die uralten vaterländischen Heldendiehtun^en
und ächten Rittergedichte zu erneuem, zur Ausführung gekommen.
Wie ehedem der Lichtensteiner als Culturhistoriker des Miunelebens
seine tollen PhantßrStereien beschrieb, so griff jetzt die eiserne Faust
selbst zu der Feder und schrieb ihr eigenes Lebensbild, das eines starken
Selbsthelfers in der Reichsnoth dor wüsten Fefadezeit.
\
Zweites Buch.
Lyrisclie üiclitiiiig'.
26
A.
Kirchenlied.
Es gab mal eine Zeit, wo die Literaturgeschichte glaubte, ein
deutsches Kirchenlied habe vor dem XVI. Jahrh. gar nicht existirt und
der Volksgesang beim Gottesdienste sei erst eine Errungenschaft der
Reformation. Zusammenhängend mit dieser Meinung herrschte auch die
Ansicht, es hätte vor der Wittenberger Uebersetzung keine deutsche
Bibel gegeben. Beide Meinungen sind jetzt glücklicher Weise antiquirt
und in die Rumpelkammer des ehemalig gang und gäben Aberglaubens
verwiesen, wo jedoch noch Platz genug fiir weitere „historische" Ueber-
lieferungen sein soll. Der Protestantism mag mehr auf den Gesang
im Betsaal und im Hause gehalten haben, vielleicht nur, nm sich auch
darin von der alten Kirche zu unterscheiden. Eine tausendjährige
Erfahrung weist, dass alle religiösen Streitigkeiten auf das Kirchenlied
fordernd einwirkten, die Neuerer pflegten immer durch Lieder ihre Mein-
ungen zu verbreiten und die Anhänger der Kirche suchten ihnen auf
dieselbe Weise entgegen zu wirken. ') Dass das deutsche Mittelalter
des Volksgesanges aber gänzlich entbehrt habe, war nie zu erweisen,
im Gegentheil, w haben für das Vorkommen desselben allerlei, in das
höchste Alter hinaufreichende Nachrichten und Quellen.
.Unstreitig hatte das Volk schon beim Dienste seiner alten Götter
den Gesang geübt, »ebenso wie den Tanz. Wenn die Sangeslust so mit
dem Leben verwachsen war, dass ein Heidenapostel erst Gehör finden
konnte, als er die Lehre vom Friedekind Gottes singend zu verkünden
begann: warum sollte die deutsche Kirche gerade diese Sitte ausge-
schlossen haben , da sie so Vieles fortbestehen Hess. Nur das Tanzen
*) Vergl. Hölscher Das deutsche Kirchenlied vor der Rerormalion. Mit alten
Melodien. Münster 1848. S. 69 ff, Hihirius von Poitiers und Ambrosius
wurden durch die Arianer veranlasst, Hymnen für den Kircbeiigesang zu
dichten ; Ephräm der Syrer durch die gnostiscben Lieder des Bardesanes und
Harmonius; Clemens von Alexandrien durch die unchrislliclien Lieder des
Paulus von Saniosala u. s. w.
26^
404
wurde nicht in die neue Liturgie hinübergelassen; aber die alten Er-
innerungen tauchtep immer wieder auf, das Langgewohnte lässt sid^
nicht augenblicklich abstreifen ; die vielen, immer wiederkehrenden Ver —
böte gegen das Reihen in der Kirche, beweisen, wie schwer es hält, alt^
Gewohnheiten zu unterdrücken und endlich ganz vergessen zu machen.
Die grössten Verdienste um das Kirchenlied hat Pabst Gregor de^i
Grosse, ') indem er nicht nur eigene Hynmen dichtete und Gesäng^^
setzte, sondern auch alle zu seiner Zeit üblichen Kirchenlieder eigei^.
händig sammelte, verbesserte, nach dem Jahrescyclus ordnete und n^]
Tonzeichen versah. Sein authentisches Antiphonar stand zu Rom ii]
hoher Verehrung, gleich einem Schatze bewahrte man dasselbe nebeo
dem Altar der hl. Apostel, an einer Kette befestigt, und es galt in der
Folgezeit den Sängern aller christlichen Völker als einzige Norm und
Richtschnur im Kirchengesauge. Von da kamen die Sangesmeister nacb
Frankreich und Britannien und später mit dem heil. Bonifacius nach
Deutschland , wo dieser Apostel an allen Bischofsitzen und Klöstern, zo
Fulda, Eichstätt und Wirzburg Sängerschulen anlegte. Ebenso hatten
Korbinian zu Freising, und St. Gallus und Pirminius zu St. Gallen niKi
in der Reichenau diese Kunst eingeführt und gepflegt. Die Musik aber
kam zu Freising so in Blüthe, dass der Ruf davon nach Italien erscholl
und Pabst Johann VIIL sogar bayerische Orgelspieler von Freising
nach Rom berief.
Die Kirche hatte die lateinische Sprache mitgebracht; der kleine
Theil des Volkes von römischer Abkunft, welcher selbe noch ver-
stand, liess selbe sich ruhig gefallen, der andere Theil machte die
deutsche Zunge geltend. Karl der Grosse hatte sich römische Sänger
verschrieben, von denen Roman auf der Reise erkrankte und zu St
Gallen zurückblieb , wo er eine eigene Sängerschule gründete und von
weit und breit Schüler erhielt, welche die neue Kunst in ihre Heiniath
zurücktrugen. ') Karl der Gr. verlangte im Jahre 789 : das Gloria und
Sanctus solle von den Gläubigen gleichzeitig mit döm Priester gesungen
werden. Sonst begnügten sie sich wohl mit emem litaneienartigen Be»-
pondiren, wobei die Männer begannen und die Frauen das eintönige
„Kyrieles^ nachsangen. So „leiseten^ sie bei Bittgängen und Unujügen,
beim Empfange von Heiligthümeni und Martyrergebeinen, beim Auszog
zum Kampfe und mitten in der Schlacht; ebenso war die Ankunft bober
") Geb. 540. Pabst von 590-004.
') Vgl. das schöne Werk von P. A. Seh u biger: Die Sin^erschule St.GtX^
vom VIII — XII. Jahrb. Ein Beitrag zur Gesanggescbichle des MitteliKefS*
Einsiedeln 1858.
405
Herren und K5nige in einem Kloster immer mit feierlicher Procession
und Gesang verbanden. Wie die Nachricht vom Besuche des Königs
oder Herzogs im Kloster erscholl, verstümmelten sich die Mönche auf
ein Zeichen des Abtes in pler Kirche, kleideten sich da je nach ihrem
kirchlichen Range mit dem Klerikalornate und die Sakristane ordneten
die Procession unter festlichem Klange der Glocken. Voraus zogen zwei
Kreuzträger und derjenige in ihrer Mitte, der das Weihwasser trug;
ihnen folgte ein drittes Kreuz von zwei Rauchfassträgem begleitet, dann
nach einander drei Kleriker , von denen jeder ein Evangelienbuch trug
und zugleich von zyei Acolythen ^begleitet wurde. An diese schlössen
sich je zwei und zwei die Conventbrüder an, denen die Knaben des
Klosters mit ihren Lehrern sich reihten, nach diesen folgte der Abt,
welchem sich paarweise der Chor der übrigen Mönche anschloss. Alle
zogen schweigend einher, bis sie zur bestimmten Stelle kamen, wo der
"König ihrer harrte. Hier bot ihm der Abt das Weihwasser dar, dann
reichte er ihm das Evangelienbuch zum Kusse und incensirte ihn. Unter
dem Geläute aller Glockert ertönte der Gesang und der Zug bewegte
sich in die Kirche zurück. Dazu wurden meist eigene Gesänge gedichtet
und neue Melodien gesetzt. ') Froumunds Festgedicht zum Empfange
des Kaiser Heinrich zu Tegerngee wurde wahrscheinlich auch in solcher
Weise vorgetragen. — Als der heil. Bischof Willibald die Gebeine
seines Bruders, des heil. Wunebald (t 761 als erster Abt des von ihm
gestifteten Benedictinerklosters Heidenheim am Hahnenkam) im J. 777
erheben liess« wurden die Reliquien unter dem Psalmengesange der
Mönche und dem frohlockenden Kyrie eleison des Volkes zur neuen
Grabstätte begleitet und feierlich beigesetzt.') Ebenso geschah es mit
St Quirins Ueberresten zu Tegemsee. Als nach dem Tode des heil.
Ulrich an seinem Grabe ein Wunder geschah, sang dds Volk sein altes
Kyrie, Vährend die Geistlichkeit ihr Te Deum laudamns begann.^) Die
Heiligen-Legende rouss überhaupt frühzeitig sclion Stoff zu Liedern ge-
geben haben; so wundert sich Eckehard (der Ueberarbeiter des Wal-
tharius), dass die Biographen des hl. Ulrich Manches als zu allgemein
') So wurde Karl der Kahle 829 und Kaiser Lothar 838 in der Reichenau be-
willkommC, ebenso Ludwig der Deutsche zu St. Gallen; der zum Empfang
Ludwig des Dicken (883) gefertigte Cantus ist erhalten. (Schubiger. S. 32.)
') Hoffmann von Fallersleben Geschichte des deutschen Kirchenliedes bis
adf tipthers Zeit. 1854. S. 13. — Die Leichname St. Wunibalds und seiner
Schwester Walburga wurden am 21. Sept. 870 von Heidenheim nach Eich-
statt gebracht; der Schrein mit St. Wunibalds Gebeinen aber nach 3 Tagen
wieder nach Heidenheim geführt; St. Walburgens Ueberreste aber in der hl.
Kreuzkirche verwahrt. Vgl. Popp Ausbreitung des Christenthums. 1845.
') Hoffmann S. 19.
406
bekannt hielten und desswegen mit Stillschweigen tibergingen, was von
demselben im Volke gesagt und gesungen ward.') Das älteste deutsche
Lied, welches uns aus dem' FX. Jahrb. erhalten ist, besteht aus drei
Strophen auf den heil. Petrus, die sich ia einem Freisinger Codex,
finden, der den Coramentar des Hrabanus Maurus über die Genesis ent^
Hält. ^) Es lautet genau nach der Handschrift und Dr. K. Roth's Ent-
zifferung (der wir einzig eine andere Abtheilnng und Längenbezeichnun^
geben):
l.TJnsar trohtin hat farsalt
sancte petre giuualt,
daz er mac ginerian
ze imo dingenten man.
JQnser Herr hat übergeben
Sant Peter (die) Gewalt
dass er kann erhalten (retten)
(den) auf ihn hoffenden Mann !
Kirie eleyson, christe. eleyson!
2. Er hapet ouh mit vuortun
himilriches portünf
dar in mach er skerian
den er uuili nerian.
Er hält auch mit Worten
(des) Himmelreiches Pforte,
darein kann er schaaren
den er will erhalten.
Kirie eleyson, christe eleyson!
3. Pittemes den gotes trut
alla samant uparlüt,
daz er uns tirtänen
giuuerdo ginäden. ')
Bitten wir den Gottes-Freund
Alle gesammt überlaut
dass er uns Missrathene
würdige der Gnade.
Kirie eleyson, christe eleyson!
Das Pergamentblatt, worauf die Verse stehen, ist abgerieben und
durchlöchert und war schon verbogen, als die Schrift darauf kam; die
Zuge desselben sind gleichzeitig mit dem Coramentar, doch schwerlieh
von der nämlichen Hand. Fast alle Silben sin(i mit Neomen
(Tonzeichen) versehen; das Lied wurde also nach der damaligen
Sitte von Mehreren vorgesungen und vom Chore der Gläubigen respon-
dirt. Diese Notation hatte Roman zu St. Gallen gelehrt, sie war von
da bis auf Guido von Arezzo in die ganze abendländische Kirche über-
gegangen. Man deutete die Höhe und Tiefe der Töne in ihre verschieden-
artigen Beugungen durch eigenthümliche Figuren an, die aus Punkten,
') HoFFmann S. 25 u. Uhland In PFeiffers Germania. IV. 45.
* Zuerst von Docen bekannt gemacht In Aretins Beitr. 1806. II. St. $■ H^
u. in dessen Miscell. I. 4. Facsimile bei Nassmann AbscbwörunifsFormelo.
1839. S 137 Roth Denkmäler. 1940. S. X u. 30. Uhland I. 809. Doceo
und Roth halten OtFrid für den VerFasser, doch hat HoFFmann S. 32
Bedenken dagegen.
') Str. 3. firtun (mhd. vertuon = verthun) übel und zum Verderheh gescbi^'
fen, missrathen, verwünscht, giuuerdd, conj. Präs. von gewirddo, wirdoo.
407
Strichen, Häckchen und Häfichen, Halbkreisen und Querstrichen von
mannigfachster Form zusammengesetzt waren. Sicherlich hatten diese
Zeichen ihren Ursprung in den Accenten der gewöhnlichen Schrift. Wie
diese nämlich in sprachlicher, ,so veranschaulichten die Neumen (deren
Schubiger achtundzwanzig unterscheidet) in musikalischer Beziehung
dem Auge das Steigen und Fallen und die Beugung der Stimme. Neu-
matizare oder Neumare hiess einen Text mit Tonzeichen versehen,
in Melodie setzen, co^poniren. Roman erfand auch eine neue Notations-
weise durch Buchstaben, die er den alten römischen Tonzeichen bei-
fügte; dazu fügte er noch verschiedene schriftliche Hilfsmittel ; vermöge
derselben konnten die Schüler mit Bestimmtheit die Anzahl der
Töne erkennen, die zu jedem Worte und zu jeder Silbe gehörten, ja
selbst da^ Steigen und Fallen der Stimme, und bei einzelnen
Tonzeichen oder Buehstaben war sogar die Tonhöhe durch die Be-
schaffenheit der Neumen angegeben. Fem er wurden selbst Verzier-
ungen, die einzelnen Stellen zukonmien, auch bei vielen Gesängen die
Tonarten und die Differenzen ihrer Psalmodie durch jene
Zeichen bestimmt. So bedeutend und vortheilhaft jedoch die Winke
waren, welche diese Tonschrift den Sängern gab, so konnte sie doch
unmöglich einzig genügen, die Reinheit des Gesanges auf eine längere
Dauer hin zu erhalten j weil sie niemals, auch selbst nicht beim kürze-
sten Gesangstücke, die Höhe und Tiefe der Töne genau und vollständig
zu bestimmen vermochte. Zur Erhaltung der Reinheit bedurfte es noch
nothwendig der mündlichen Tradition und der Gründung einer Schule,
wie man solche im Mittelalter an allen unseren bischöflichen Sitzen und
in Klöstern trifft. Unter der Mitwirkung tüchtiger Gesanglehrer wurden
die Melodien der Gesänge durch vieljährigen Unterricht und durch fort-
dauernde Uebung dem Gedächtnisse der Schüler eingeprägt und so auf
die Nachkommen fortgepflanzt. Dass übrigens die neumatische Ton-
schrift, besonders wenn sie mit den Roman'schen Buchstaben versehen
war, nicht nur bedeutende Dienste leistete und dem Gedächtnisse des
Sängers in vielen zweifelhaften Fällen als Weg^^eiser diente, sondern
auch heute dazu tauge, die Aechtheit mancher alten Gesänge zu prüfen
und darüber mit grosser Gewissheit zu entscheiden, kann unmöglich
geläugnet werden.
Die Einführung des römischen Gesanges bei allen Stiften hatte das
Concil von Aachen (803) angeordnet; ein späterer Capitularbeschluss
verpflichtete alle Mönche, diesen Gesang vollständig und ordnungsgemäss
beim Officium sowohl zu Tag- als Nachtzeit, vorzutragen. Da ertönten
nun in jedem Kloster tagtäglich in mannigfacher und genau geordneter
m
Abwechslung die ehrwürdigen Weisen^der leiten Psalmodie; da eröflfbete
in mitternächtlicher Stande der Feierklang des Invitatorinms: Venite
exultemus doraino, den Dienst der Nachtvigilien ; da wechselten die
ausgedehnten, fast traurigen Melodien der Responsorien mit dem ein-
förmigen Vortrage der Lectionen ; da wiederhallten in den Räumeli des
Tempels an Sonn- und Festtagen als Schluss des nächtlicheo Gottes^
dienstes die erhebenden Klänge des ambrosianisch^n Lobgesanges; di
begannen mit der aufsteigenden Morgenröthe di% Gresänge, des Morgen-
lobes (matutina laus), aus Psalmen und Antiphonen, Hymnen und €re-
beten bestehend , ihnen folgten in abgemessener Unterbrechung di<
übrigen kanonischen Tagzeiten; da ward das Volk täglich durch dei
Introitusgesang zur Theilnahme an den heiligen Mysterien eingeladen
da hörte es in lautloser Stille die um Erbarmung rufendei^ Töne d<
Kyrie, erfreute sich a,n den Festtagen an dem einst von den Engel -an
angestimmten Gesänge des Gloria; da vernahm es beim Graduale dm'<
Melodien der Sequenzen, die in hochjubelnden Wechselchören die da^-
maligen Festtage verherrlichten , und darauf die einfachen , recitati^^-
ähnlichen Klänge des Symbolums ; da fühlte es sich beim Sanctus hiar^-
gerissen, in*s Lob des Dreiraalheiligen in deutscher Sprache einzi
stimmen und die Erbarmung jenes göttlichen Jianmies anzuflehen, d
die Sünden der Welt hinwegnimmt.* Das waren' die Gesänge, die v<
der Mitte des IX. Jahrh. an in unseren Klöstern an festlichen
Ferialtagen in genau bestimmter Aufeinanderfolge ertönten.
Es kann nicht in unserer Aufgabe liegen, die altrömische Hymc&o-
logie, wie sie hauptsächlich in Italien durch Ambrosius, Gregor und
Prudentius erblühte, zu schildern, auch nicht die wuchernde Fülle, <iie
im Mittelalter heranwuchs und die Moiie in drei tüchtigen Bänden fikus
mehr denn fünfzig Bibliotheken gesammelt hat.') Uns berührt nur, '«ras
davon auf Bayern fallt. Die ihrem Namen nach bekannten Dichter, es
sind aber deren nur wenige, folgen voraus; eine grosse Anzahl "Von
ihnen ist jedoch vergessen oder über ihren Werken ungenannt verbliel^^n-
Zu den ältesten gehört wohl der bereits aus dem ersten Abschnitte li^''
wohlbekannte Tegemseer Metellus, der Sänger des hl. Quirinu». Ilim
zunächst in der Zeit folgt Bischof Heribert von Eichstätt (1023 —
1042), der sechs lateinische Gesänge verfasste, auf das hl. Kreuz, SL
Walburg, Willibald, Stephan und alle Heiligen; der in natali St. L ^d-
rentii lautet (Moue lü. 389):
') V^l. Schlosser Die Kirche in ihren Liedern durch alle Jahrbunderte. 1^^*
^ S im rock Lauda Sion. F. J. Mone Lateinische Hymnen des Mittelalteri'
1853^55.
409
1. Conscendat nsque sidera
coelique pulset mtima
VQZ atqne cantQs omniam
te denm coUaadantium.
2. Adest namqne festiritas
et dies venerabilis,
in qna coelampro meritis
Laurentius ingressnsest.
3. Ipse dignetnr dominum
rogare clementissimum,
ut ab aeternis ignibus
nos salves et daemonibas;
4. Qui snperasti .ignibus
et impiis tortoribus
devictis saevis hostibus
nunc gaudet in coelestibus.
Heribert setzte auch die Melodien und Hess sie öffentlich singen;
seine Hymnen sind so einfach, dass man sie für üebersetzungen deutscher
Kirchenlieder halten könnte. Viele lateinische Gedichte hat der Mönch
Othlo zu St. Emeram ia Regensburg gemacht. (XI. Jahrh.) Mone gibt
von ihm einen Hymnus : de natali domini (I. 53) und einen anderen : de
Omnibus sanctis (111. 6). Gleichzeitig mit den Genannten ist Arnold
von Voh'burg, der zwei Lieder auf St. Emeram sang; das erste im
sapphischen Maasse mit 6 Strophen beginnt : Christe, cui justos hominum
favores; das andere (Hymnus te decet domine etc.) hat 10 vierzeilige
Strophen. Auf den heil. Ulrich hat der Augsburger Abt Udalscalc
(+ 1151) einige Sequenzen gemacht.') Unter den Liederdichtem kann
hier Conrad von Scheyern wiedergenannt werden, von ihm stammt
ein Gedicht über die Geschichte der dreissig Silberlinge und fiber das hl.
Kreuz; zu den Antiquitäten des Josephus Flavius hat er einen langen
Hymnus eingeschrieben und in der historia scholast. einen auf die hl.
Jungfrau. Auch Albertus Magnus,') der grosse Philosoph und
„Meister^ in allen Dingen, der wie die Sage eVzählt, den Plan zum
Colner Dome entworfen, erscheint unter den Dichtem mit einem ganzen
Psalterinm Mariae, das er vielleicht in der lieben Einsamkeit auf seinem
Schlösslein zu Stauf componirte, wo er von den Sorgen des bischöfli-
chen Regimentes von Regensburg gerne ausruhte und allerlei tiefsinnigen
Studien und Künsten oblag. Eine Handschrift des Psalteriums, die noch
ins dem XUJ. Jahrh. stammt, liegt zu Darmstadt, eine andere, jüngere
;;XV. Jahrh.) besass das Kloster Tegemsee, von wo selbe nach München
^am. In weiterer Folge muss der Mönch von Salzburg vorausgenannt
srerden, der als Uebersetzer und deutscher Liederdichter eine ehrenhafte
') Seh melier S. V. — Ein deutsches Lied auf den hl. Ulrich^ das nach den
Anfangswörtern der Strophen den Namen „Priederirh Herr von Zollern,
Bischof von Augsburg^ erffibt«, bei Hof f mann S. 478; der so Gefeierte
war Domderhant zu Slrassbnrff^ ein Frennd Geilers von Kaisersberg, wurde
1486 Bischof SU Augsburg und starb 1505.
') Geb. 1193 zu Lauinffen t zu Cöln 15. Nov. 1280. Vgl. S ig hart Leben und
Wisseoschafl des Albertus Magnus. 1857.
410
Stelle in der Geschichte der kirchlichen Poesie behauptet^ Dass er auch
lateinische Carmina fertigte, ist durch ein künstliches Marienlied ') be-
glaubigt, welches derselbe als Gegengabe für ein deutsches an Peter
von Sax nach St. Gallen sandte; es macht aber keinen absonderlich
poetischen Eindruck, denn abgesehen davon, dass der Text durch man—
cherlei Verderbnisse dunkel un^ schwerve^'ständHch geworden, so zeig^
die gezwungene und unbeholfene Behandlung von der EinwirkuDg dewc
deutschen Meistersängerei, welche gegen die Gewandtheit und Rlarhei"^
der älteren Lieder, namentlich von französischen Verfassern, sehr ab —
sticht. Von grossem Einfluss auf Bayern muss ein Oesterreicher gewese^^
sein, Konrat von Heimburg, Prior der Karthause zu Gaming; ^
lebte unter Kaiser Karl IV. Seine Gedichte waren sehr verbreitet, di.
Klöster Andechs uhd T^gernsee besassen eigene Sammlungen davo«:]
Von ihm gab es Hynmen: de trinitate, de passipne Christi und ei^K
salutatio Jesu, einen lateinischen Leich auf die Freuden Maria, eine Um-
Schreibung des salve regina und ein Gedicht: annulus beatae virginis;
ferner einzelne Gesänge auf die zwölf Apostel , sodann auf St. Agatha.
Anna und ein Qlosseqlied auf die hl. Barbara ; auf St. Elisabeth und
Ursula, Gregor, Georg und Nicolaus, auch eines auf den hl. Columbao,
dessen Name ein irischer Diminutiv von co^un, Taube, er heisst also
der Taubenmann, vir columbinus. Ob der marianische Grusspsaiter des
Babo, der in einer Tegernseer HS. des XV. Jahrh. erhalten ist, nicht ,
durch dessen Verfasser einer früheren Zeit angehört, ist unbestimmt
Damit ist die namentliche Aufzählung der mittelalterlichen lateinischen
Kirchenlieddichter in Bayern erschöpft. Dagegen ist uns wirklich eine
Unzahl lateinischer Hymnen überkommen; fast auf jedem Blatte in
Mone's Sammlung springen uns die Schätze aus vaterländischen Hand-
schriften und Bibliojtheken entgegen, aber wer kennt die (Jeschichte dieser
Handschriften, wo und wann entstanden sie, wer waren ihre Scbreihcr
und noch mehr, wer waren die Verfasser dieser Lieder? die in dem-
selben Maasse über die Grenzen und iq die Lande hinausgingen, als sie
hereingekommen waren. Viele sind unstreitig viel älter als ihre Auf-
schreibung, die nur wieder die Copie eines älteren Originales war. Am
sichersten werden wir den speciellen Anforderungen gerecht werden,
wenn wir, abgesehen von den Liedern auf Gott und die hl. JungfraU'
bloss an die Gedichte uns halten, die auf die ersten Glaubensboten,
Städte- und Stiftspatrone des Bayerlandes gemacht wurden . und aof die
späteren so zu sagen importirten Heiligen , deren Verehrung bei mis i
festen Fuss fasste. Dabei ist es sicherlich erlaubt, auf die betreffenden
■) Hone II. 329.
(
411
deotschen Lieder gleich jetzt Bedacht 4u nehmen, um später nicht eigens
wieder darauf zurückkommen zu müssen. '
Die Handschriften des X. Jahrh. enthalten ein Lied auf alle Hei-
lige: ^Christe, nostra nunc et semper cleraens vota suscipe" (Mone
in, 26); es ist wohl im X. Jahrh. geschrieben, aber nach Form und
Inhalt älter; in dem Style, wie man ihn im V. und VI. Jahrh. band- .
habte; der Stabreim klingt noch durch, bei jeder Strophe findet sich
ein wiederholter Rundreim : „Psallat plebis sexus omnis voce corde car-
mina!** Ferner finden wir einen Hymnus an Gott (S. 18), auf den Ge-
burtstag eines Märtyrers (S. 150), der im Heiligenleben bekanntlich
immer der Todestag ist, tiur Johannes der Täuffer macht eine Ausnahme;
ein Lied auf den heil. Blasius, das seiner richtigen Quantität wegen
noch in's V. Jahrh! gehört, aber erst in späterer Aufschreibung erhalten
ist (S. 240), ein Paar auf die heil. Juliana (S. 345) *und St. Ste-
phan us (S. 505), der im folgenden und noch jra XIV. neu besungen
wurde.
Auch im XI. Jahrh. findet sich ein Hymnus ^de omnibus sanc-
tis** in 9 Strophen (M. III. 13), worin Maria, Michael, Johartnes,
Petrus und Paulus, Emeram, Benedict un^ Felicitas besonders genannt
werden; er hat, wie fast alle aus dieser Zeit, Tonzeichen darüberge-
schrieben und wurde zu St. Emeram in Regensburg gemacht. Vielge-
feiert war St. Andreas, schon im VI. und "VIL Jahrh. in Kärnthen
besungen, dann bei uns (Diem sacrati hominis. 6 Str.) ; mehrere Lieder
fanden sich zu Salzburg, auch in niederdeutschen Zungen ertönt sein
Lob (XV. Jahrh. Mone III. 104). Sodann sind die heil. Bekenner
(in.« 154), Bartholomäus (122), Agapitus (174), Columban
(256), St. Mang (401), Othmar (471) und Ruodbert (493) be-
dacht, auf St. August in gibt es viele Lieder (XIL Jahr, zu Bamberg,
XV. Tegernsee und niederdeutsch), noch mehr auf die hl. Katharina
(350), die nach diesem Vorrath zu schliessen, im Mittelalter in höchster
•Verehrung gestanden haben muss. Ihr Name ward gewöhnlich Katerina
geschrieben, bei den Griechen mit dem ägyptischen Artikel (ai) Aika-
terina und darnach bei den Russen Ekaterina. Die Form Catharina mit
Beziehung auf xccd^aQQg (rein) war im früheren Mittelalter nicht ge-
bräuchlich, kommt aber später mit der anderen bisweilen vor. Aus dem
Gesang auf St. Quirin ^ieht man deutlich, wie das Volk (communis
vox plebis), die Chorknaben (popellus), die Weltgeistlichkeit (clerus) und
die geistlichen Orden (monachi) daran Theil nahmen.
Reiche Ausbeute gewähren die Münchner Handschriften aus dem
XII. Jahrh. Es gibt viele Gesänge auf die unschuldigen Kinder
(ÜI. 34), St. Thomas (128), Dionysius (auch aus dem XV. Jahrh.
412
266.) Der Gesang (S. 289) auf St. Em er am hat wieder Neameu, die
Melodie ist ^heilweise in fiigirter Musik, daher keine Sequenz, sondern
Antiphone; zwei andere Lieder hatte Arnolt von Vohburg schon im
vorausgehenden Jahrh. gemacht. St. Heinrich war zu Bamberg viel-
gefeiert (XV.^in Tegemsee), ebenso Lambertus (386) und Maria
Magdalena.') St. Martha war als Drachentödterin besungen (Se-
quenz aus dem Xn. Jahrh. zu München, XV. zu Bamberg); St Martin
zu Salzburg (431), Mauritius, Otto und Nicolaus (Bamberg); die
Mönchner 3ibl. verwahrt auf letzteren sogar drei griechische Lieder von
Theodorus Prodromos (462)^ auch zwei deutsche aus dem XIV. Jahrh.
Im XIIL Jahrh. musste iie deutsche Sprache schon mehr über-
hand genommen haben, denn unter allen Handschriften ans dieser Zeit
finden sich in Mone's Sammlung nur zwei verzeichnet, welche lateinische
Hymnen enthalten, die eine ist eiti gereimtes ChorofBcium ans Bamberg
auf die heil. Kunegund (III. 383), die andere geht auf St. Vitus
(III. 556). Dagegen ist das XIV. Jahrh. schon wieder reicher. Ein Lied
„dulce melos etc.^ begrüsst alle Heiligen (die Melodie ist in der
Münchner HS. beigeschrieben, H. 23), ein anderes den heil. Paulus;
auch existirt ein deutsches Reimgedicht auf diesen Heiligen, welches
der Mundart nach in Oberfranken verfasst sein kann (o auzerweltez
gotez vaz. 85). Neben dem lateinischen auf Johannes den Evangeli-
sten, existirt auch ein deutsches Gedicht, welches jedoch älter scheint
als die Handschrift (HI. 114), auch ein niederdeutsches hat Mone(lI7)
aus dem XV. Jahrh. zu München gefunden. St. Anna wurde zu Bam-
berg verehrt (186) und St. Kilian zu Wirzburg, auf ihn hat der
Scholasticus Johannes Galliens, der um 1340 lebte, in der fran-
zösischen Form der Troparien gedichtet (381). St. Gereon, eigentlich
ein rheinländischer Heiliger, ist erst mit einer Handschrift nach^iünchen
gekommen; daför war St. Leonhard ein ächter Volksheiliger, er hat
desshalb auch ein deutsches Stossgebet (399):
0 herre sand Liehhart,
gote*) lieber unde zart,
ich man dich aller der saelichkeit,
die got hat, herre, an dich gelait
in hymel oder auf erden
hilf, dass ich müge werden
' ) Das ^Speculum poenitentiae d. i. Leben Mariae Magdalenae/ München 1609,
enthält ein Gedicht anf diese Heilige, welches dem Sl«bat mater nachge-
ahmt ist.
^) gote = göte, Pathe, Beschützer.
413
taylhaftig gotes genaden.
meine not unt meinen schaden,
den ich von aünden trage,
ich dir mit triwen chlage.
na laz dich iz, herre, erparmen,
mit pit umb mich vil armen •
menschen got den guten,
daz ich aoz seinen hüten
chome chaine stände,
daz mir ieht werde chande
des tiefeh not, der helle pein,
des hilf mir dnrch diu triwe dein
dorchx nnsem herren Jesu Christ,
der mit got dem vater ist
ond mit dem heiligen geiste
in ganzer vollaiste. amen. —
St. Margaret ist ein paar mal mit latein. Versen bedacht, ein
rländisches Gedicht auf dieselbe steht in einem Brevier zu Aschaffen-
(406).
Aus dem XV. Jahrh. haben wir auf den hl. Jacobus maj. einen
ms ans Tegemsee (hujus diei gloria), der weitverbreit war (III.
auf St. Achatius (gleichfalls aus Tegemsee, 163), auf St. Aga-
die Patronin in Feuersgefahr (175), St. Agnes (aus Tegemsee,
St. Albert (t 1306. Mone DI. 182, aus Bamberg), zwei auf
»arbara (215) und verschiedene, Altere und jöngere Lieder aus
hen, Thierhaupten n. s.w. auf St. Benedict (signifer invictissime),
ie Stndentenpatronin St. Cäcilia (246), St. Christoph (248)
(tarken Riesen, der vom Volke die höchste Verehrang genoss, drei
r auf die hl. Clara (250) und den segenkräftigen St. Koloman
, einundzwanzig Strophen auf St. Corbinian, Dorothea (HS.
imberg) München und Wirzburg) und St. Elisabeth, die beson-
von den bayerischen Fürsten Verehrung genoss, denn ihre Mutter
Iraut, die Gemahlin des König Andreas von Ungarn) war eine
:er des Herzog Berhtold von Meran, und von einer Enkeltochter
i nämlichen König Andreas stammten die niederbayerischen Herzoge
Daher ward in der Folge die wunderwürdige Frau, welche 1236
heilig gesprochen wurde, lange Zeit die vorzüglichste Schutz-
nin der bayerischen Herzoge, sonderlich derer von Niederbayern
line Menge Altäre und wohlthätige Stiftungen wurden ihrem Namen
414 ' ^
zur Ehre errichtet.'.) Auf Franciscus haben wir mehrere Lieder,
eines aus Tegernsee und ein niederländisches (304 flf.), auf St Gregor
(aus Tegernsee) , den Patron der kleinen Schulen und Schüler, auf St.
Monica, Nicolaus Tolentinus, Procop, Ulrich (aus Thier-
haupten), Ursula (Stadtbibl. zu Nürnberg), Vincentius-und Gum-
pert; auf letzteren hat das Wirzburger Missale von 1484 einen eigenen
Hymnus, da er Patron der Stiftskirche zu Ansbach war.
Fleissigen Sammlern wären die alten Messbücher noch ganz 'be-
sonders zu empfehlen, insofern es sich um lateinische Hynmen überhaupt
handelt, wir haben zu unserem Zwecke nur das Freiainger vom Jahre
1492 (gedruckt von PL Radolt) und das Eichstätter vom Jahre 1486
(gedr. von M. Reyser) durchsucht; ') - doch fanden sich die schönsten
Hymnen schon durch ältere Handschriften in Mone's Sammlung ver-
treten und die wenigen neuen möchten vielleicht doch zu wenig Anspruch
auf Dichtkunst oder Poesie erheben können.
Aus dem XVI. Jahrh. hat Mone nur mehr vier Hymnen aus den
bayerischen Bibliotheken : auf St. C o s m a s und Damian, Deodat,
Hieronymus und Libaria; ein anderer, auf St. Marinus und
Anian ist zu Wilparting seit „unfurdenklichen Zeiten'* in Uebung.
Man darf nicht vergessen, dass diese lateinischen Hymnen nichts
mehr von der Metrik des klassischen Heidenthoms haben, sie bewegen
sich vielmehr in den Formen des deutschenLiedes, sind gereimt
und verrathen auch in einzelnen Ausdrucksweisen die deutsche Gemüth-
lichkeit. Der innigen Durchdringung des älteren christlichen lateinischen
mit 'dem jüngeren deutschen Elemente entspricht die unnachahmliche
Schönheit und der vollendete Wohllaut jener kirchlichen Hymnen, die
eben desshalb so fremdartig den Dichtungen der klassischen Latinität
gegenüberstehen, aber auch eben so schwer in rein deutsche Worte
übertragen werden können. Das vorzüglichste darin hat jedenfalls
Schlosser geleistet.
Wenden wir zur deutschen religiösen Lyrik zurück, so zeigt sich
im XII. Jahrb., eben so wie in der Epik und im Minnegesang, der
Beginn freierer flegung. Die Sprache hatte sich durchgearbeitet und
herausgebildet , * die -Kreuzzüge hatten neues Leben, gebracht und die
Anschauungsweise erweitert. Der Cyclus des Kirchenjahres bot der
Sangeslust hinreichenden Stoif. Vorerst die Weihnachtszeit; ein'
') Ritter von Lang Baier. Jahrb. 1816 S. 98.
') Dazu gehören das Bamberger Missale 1490; das Augsburffer 1491 (E. Rot-
dolt), Passauer 1491 und 1491 (E. Ratdolt), Salzburger 1492 (gedruckt von
J. Stüchs SU Nürnberg).
416 .
•
uraltes Herkommen ist, dass ein Paar Kinder singend vor den Häusern
und Thüren standen, sie recitirten einige Strophen, die vom Herberg-
Suchen des hl. Joseph und Marxens handeln, oder eineü V^echselgesang
vom „Kindlein wiegen, ** dann kamen die Stembuben mit dem Wahr-
zeichen der hl. Magier. Ein schönes Weihnachtlied wird dem Sper-
vogel zugeschrieben, ') welches S im rock jedoch dem gleichzeitigen
Heriger beilegt:
Er ist gewaltig und stark
Der zu Weihnacht geboren ward ;
Das ist der heilige Christ.'
Ihn lobet Alles, was da ist
Bis auf den Teufel alleine :
Durch seinen grossen Uebennuth
Ward ihm die Hölle zu theile.
In dör Höir ist übler Rath:
Wer seine Heimath da hat.
Dem leuchtet nie der Sonne Licht,
Des Mondes Schimmer frommt ihm
nicht,
Noch die lichten Sterne.
Ihn martert Alles, was er sieht:
Wohl war' er nun im Himmel gar
zu gerne.
Im Himmelreich ein Haus steht.
Zu dem ein Pfad von Golde geht.
Von Marmor sind die Säulen dort.
Die zierte unser Herr und Gott
Mit edelm Gesteine.
Da wird Niemand aufgethan
Er sei von allen Sünden denn gar
reine.
Wer gpme zu der Kirche geht
Und da lautem Sinnes steht,
Der mag wohl fröhlich leben.
Ihm wird zuletzt gegeben
Der Engel Gemeine.
Wohl ihm, dass er geboren ward !
Im Himmel ist das Leben schön
und reine.
Er ist gewaltic unde starc,
der ze wfhen naht gebom wart,
daz ist der heilige Krist.
ja lobt in allez daz dir ist,
niewan der tievel eine:
dur sfnen grözen übermuot
so wart irae diu helle ze teile.
In der helle ist michel unrät.
swer da heimüete hat,
diu sunne schlnet nie s6 lieht,
der mäne hilfet in nicht,
noch der lichte steme.
ja müet in alle;z daz er siht.
ja waer er da ze himel also gerne.
In hiraelriche ein hüs stat:
ein guldin wec dar in gät:
diu siule die sint marmelfn.:
die zieret unser trehtfn
mit edelem gesteine.
dA erkumpt nieman in,
em si vor allen sünden also reine.
Swer gerne zuo der kirchen gät
und äne nit da inne stat,
der mac wol froeBchen leben,
dem wirt ze jungest gegeben
der engel gemeine,
wol in, daz er ie wart!
ze himel ist daz leben also reine.
Die Vorstellung des Dichters vom Himmel ist eine noch ganz
heidnische: ein goldener Weg, die Regenbogenbrücke flihrt hinauf in
das Haus, das von Säulen getragen und mit Gesteine getäfelt ist;
') Haupt Minnesangs -Frühlinff. Leipzig 1857. S. 28. S im rock Lieder der
Miutfesinger. 1857. S. 67. Uor(inann S. 36.
416
ebenso ist die HöUe ganz deutsch. Auch die nachfolgende schöne Strophe*
die ein Gebet heissen könnte, gehört hieher.
Die Kräuter des Waldes,
Die Erze .des Goldes
Im tiefsten Abgrunde,
Du hast davon, Herr, Kunde,
Sie steh*n in deinen Händen;
Alles himmlische Heer
Das sänge nimmer Deinen Preis
zu Ende.
Würze des waldes.
und erze des goldes
und elliu apgründe
diu sint dir, herre, künde :
diu Stent in diner hende. '
allez himeleschez her
dazu möht dich niht volloben an
ein ende.
Zwei andere Sprüche Herigers sind österlichen Inhalts:
Der Marter Christus sich ergab,
Er liess sich legen in ein Grab.
So wurde Gott der Menschen Schild,
Die Christenheit erlöst er mild
Von der Hölle Gluten.
Er thut es nicht zum andermal:
daran gedenke Böser so wie Guter.
Am österlichen Tage
Erhob sich Christ vom Grabe,
König aller Kaiser,
Vater aller' Waisen,
Sein Handgebild er löste.
In die Hölle schien ein Licht,
dass er seine lieben Xinder tröste.
Krist sich ze marterenne gap,
er lie «ich legen in ein grap.
daz tet er dur die goteheit:
da mite löst er die kristenheit
von der heizen heUe.
er gettiot ez niemer m^r.
dar an gedenke swer söder weiie.
An dem österlichen tage
dö stuont sich Krist uz dem grabe,
künec aller keiser
künec aller weisen,
sin hantgetat erlöste,
in die helle schein ein lieht:
do kom er sinen kinden ze tröste.
Zu den ältesten Osterliedern gehört unstreitig das freudige:
„Christ ist erstanden!^ das um vieles älter ist, als die erste aus dem
Xin. Jahrh. stammende, uns erhaltene Aufzeichnung. Auch das fol-
gende ist älter als die Handschrift, welche dem XIV. Jahrh. (in der
Nürnberg. Stadtbibl.) angehört, der Text wird von Ho ff mann in das
XII. Jahrh. gesetzt. Er lautet:
An dem oesterlichen tage
Maria Magdalena gieng ze dem grabe.
waz vant si in dem grabe stan?
einen engel wol getan.
Der engel gruzt sie in der zit:
den du suchest vil saeligez wip,
er ist erstanden von dem tot,
den du salben woltöst.
Maria! ruft er.ir zehant.
da kante si ir heilant,
si sah in in aller der gepaere
sam er ein gartenaere waere.
41^
Dafür, dass solche Lieder anch öffentlich gesungen wurden, hat
Hoftnann (S. 39 ff.) viele Beweise aus gleichzeitigen Autoren gesam-
melt, fiir uns ist das Zeugniss des Reichersberger Propstes G erhöh*)
von Interessfe, der ungefllhr um 1148 in seinem goldenen Commentar
der Psalmen schreibt, dass im Munde der weltlichen Gottesstreiter
Gottes Lob allgemeiner werde, denn es sei Keiner im ganzen christ-
lichen Reiche, der die hässlichen weltlichen Lieder öffent-
lich zu singen wage, sondern die ganze Welt jubelt Christus Lob
auch in Liedern der Volkssprache, am meisten unter den
Deutschen, deren Sprache zu wohlklingenden Liedern geeig-
neter ist. Das Volk sang bei allen feierlichen Gelegenheiten; als
Herzog £mst vom Gestade stösst, singen seine Ritter, sie isingen beim
Eindringen in die Burg, wie sie gegen das Thor rücken, wie sie auf
dem Flosse fahren und beim Anzug der Heiden.
In der folgenden Zeit der höfischen Dichtung ist es einzig unser
Walther von der Vogelweide, der unter den Minnesingern mit
tiefgefühlter wahrer Religiosität dichtet. Wie Walther in seinen Kreuz-
liedem die Hilfe Gottes, seines Sohnes, Mari$t*s und der Engel anruft,
Christi Leiden vor Augen stellt und überall in seinen ernsten Gedichten
den Glauben und die Gottesminne als das höchste verkündet, vergisst
er auch sonst nicht des Gebetes, obwohl er bereut, dass es so selten
geschieht. Er segnet seinen Ausgang durch ein schönes Morgengebet:')
Mit Segen lass mich heut erstehen,
Herr Gott, in Deinem Schutze geh'n
Und reiten, wo hinaus mpin Weg sich kehre;
Herr Christ, an mir gib an den Tag
Was Deiner Güte Kraft vermag.
Und steh' mir bei zu Deiner Mutter Ehre,
Wie ihr der Engel half, der gute.
Und Dir, der in der Krippe' ruhte.
Jung als Mensch, als G^tt so alt.
Demüthig vor dem Esel und dem Rinde
(Und doch mit himmlisch treuem Sorgen
Hielt Dich Gabriel geborgen
Vor Gefahren mannigfalt):
So schütz* auch mich, dass man nicht falsch mich finde.
Noch gegen Deine Liebe kalt.
')■ Probst seit 1132. +1169.
>) Lachmann 24, 18 fT. Simrock I. 128.
27
418
Ein grosser Lobgesang auf den dreieinigen Gott und Maria, voll
Vorbilder und Beziehungen aus dem alten Testament, zugleich mit der
zürnenden Rüge des unchristlichen Lebens in der Christenheit, ist der
Leich, der an die Spitze seiner Sammlung gestellt ist. Ein anderes
schönes Marienlied lautet:
Maria, Magd, du hochgelobte Frau, du süsse,
Ililf mir zu deines Kindes Ruhm, dass meine Sund* ich büsse.
Hochschwellend Meer der Gnade, Tugend, aller Güte,
Der süsse Gottesgeist aus deinem edlen Herzen blühte.
Dein Schöpfer, Vater, Kind ist zu dir eingegangen:
üeil uns Allen, dass du Ihn empfangen!
Den Höhe, Breite, Tiefe, Läng' umfinge nimmermehr.
Dein kleiner Leib, mit süsser Reine barg ihn der;
Vor allen Wundern ist diess Wunder her:
Der Engel Königin, du trugst ihn ohne Schmerz und Bangen.
Ausser Walther aber isty wenigstens unter den Minnesingern, die zo
Bayern gehören. Keiner zu finden, der absonderlich mit religiöser Dicht-
ung sich befasst hätte, denn der einzige Süsskind von Trimberg,
der unter Allen als der tiefsinnigste Denker sich erweist, ist, wie wir in
der Folge sehen werden, ein Jude; Heinrich von Rugge hat wohl
einen Leich gedichtet, der in einer HS. aus dem Kloster Benedictbeaern
steht, *) allein ich wage desshalb nicht den Dichter für ein Landeskind
zu erklären, ebenso wenig wie den Hartwig von dem Hage*) oder
Johann von Franken stein,') und nur die im Kloster zu St. Stephan
lebende Nonne „die arme Engelbirn,""*) die (c. 1200) zu Augsburg
vielleicht als Inclusa oder «closenaerin^ ihrer inniglichen Beschaulichkeit
oblag, mag mit einem 31 Strophen langen klosterjungfräulichen Minne-
lied (viel werthe 3eele halt dich werth) hier verzeichnet stehen. Bruder
ßerhtold, der grosse, berühmte Prediger, hielt viel auf das Singen
und muntert selbst in einer seiner. Reden die Anwesenden aufj wenn
Einer, der sich darauf verstünde, doch einen neuen Sang machen wollte;
das Singen weltlicher Lieder aber war ihm unangenehm*) und schien
ihm weniger löblich. Er erwähnt auch das alte Pfingstlied: .
') Docen in Schelling's Zeitschrirt von und Für -Deutsehe. 1813. S. 452"^-
V. d. Hagen MS. Nro. 44 und Haupt 96—111.
0 Die sieben Tagszerten vom Leiden Christi ; im Museum für altd. Lit 11. 26^*
') Vom Leiden Christi, c. 1300. - Ein 524 Zeilen langes Gedichl aber die
Deutung der Messgebräuche, dem letzten Drittel des All. Jahrb. angehörig.
aus Benedict heuern, durch Pfeiffer in Haupts Zeitschrift. L 270—^.
^) Bei Seh melier: St. Ulrich. S. VH!— XII.
^) Die Stelleu bei Hof f mann S. 57.
419
Nan bitten wir den heiligen Geist
um den rechten Glauben allermeist,
dass er uns behüte an unserm Ende,
wenn wir heim solleh fahren ans diesem Ellende
Kyrieleis.
„Er ist ein sehr uützh'cher Sang, fügt Bruder Berhtold bei; ihr
ihn je länger je lieber singen und sollt ihn mit ganzer Andacht
mit innigem Herzen zu Gott empor singen und rufen. Er war sehr
ruter Fund und ein nützlicher Fund, und es war ein weiser Mann,
das Lied gedichtet hat." Im Titurel des Albrecht vonScharfen-
wird ein anderes Lied erwähnt: „Wohl auf ihr Todten alle!**
hes, wir wissen aber nicht bei welcher Gelegenheit, mit Orgelbö-
img gesungen wurde. Das alte Ereuzlied, welches so häufig bei der
ihrt vom Lande auf dem Meere angestimmt wurde, lautet nach einer
ebner HS. vom Jahre 1422 also:
In gotes namen varen wir,
siner gnaden geren wir.
nü helfe uns diu -gotes kraft
und daz heilige grap,
da got selber inne' lac. ^
Kyrieleis.
Sanctus Petrus der ist gut,
der uns vil siner gnaden tut:
daz gebiutet im diu gotes stimme,
froelichen varen wir:
nü hilf uns edle Maria zu dir. etc.
froelichen unverzeit.
nü hilf uns Maria reme meit.
Sanctus Petrus won uns bi
swenne wir sullen sterben,
mache uns aller Sünden fri
und läze uns niht verderben,
vor dem tiuvel uns bewar,
reiniu meit Maria,
und vüer uns an der engel schar!
sd singe wir allelnia.
Alleluia singe wir
dem werden got von himelrich,
daz er uns mit sinen engein kroene.
Kyrieleis christeleis.
27»
420
s5 helfe uns der heilige geist
nnd der heilige Krist,
der aller werlte ein vater ist. etc.
t
Eine freilich nicht sicher verbürgte Urkunde aus dem Jahre 1323^
erzählt, dass beim Gottesdienste in Bayern deutsch gesungen worder»
sei. *) Dass der Clerus indess bisweilen \iel lieber weltliche Lieden^
statt der geistlichen Tagzeiten sang, geht aus Conrads von Megen —
berg*) ^Buch der Natur" und aus der öfters schon berührten Liede
Sammlung der Benedictbeurer Klosterherren hervor. „Die Prälat
und Pfaifen singen ihre Tägzeiten nicht, klagt Konrad; wollte Gotrr:
dass sie sprächen mit Andacht und nicht weltliche Lieder sänken! ^^^
aber singt der eine den Frauenlob, der andere den Marner, der dritte d «^
starken Poppen. Der Poppen ist so viel worden, dass sie der Gott^ ^
häuser Gut und Ehre verpoppeln.'' *) Einen schöneji Gegensatz bilcÄc/
die Lieder des armen Münchs von Salzburg, der nicht allein \'i^e
der berühmtesten alten Kirchenhymnen übertrug, sondern auch eig^Mie
Weisen dichtete und in Musik setzte, die also sicherlich gesungen wurdew,
denn alle ^ sind mit Noten versehen und viele durchcomponirt. Er war ein
Benedictiner ; die Lambacher und Münchner Handschriften nennen ihn
Johannes, andere dagegen Hermann; er wurde dabei von einem
Laienpriester Martin unterstützt, welcher vielleicht den musikalischen
Antheil dabei hatte. Sie arbeiteten nach dem Wunsche und Willen des
Salzburger Erzbischofes , Pilgrim von Puchhain (+ 1396), der auch
• römischer Legat war und seinen Dichter mit einer Ritter-Pfründe be-
lohnt haben soll. Diese Lieder "*) sind wie ein Klostergarten , da ist
Alles voll reicher Blüthen und lieblicher Blumen , aber träumerische
Einsamkeit liegt darüber, man hört das Bächlein rauschen und die
summenden Bienen und nur ein Paar Waldvögelein, die sich aus der
Welt hereingeschwungen, zwitschern um die Wette mit dem ÖrgeltoD,
der aus der Ferne durch die Stille herübergeht, in offenen Kreuzgangen
•) Hoffmann S. 75.
^) Von ihm auch zwei Hymnen auf den heil. Erhard, als er im J. 1342, vöilif
gelähmt an allen Gliedern, von Wien nach jtegensburg fuhr und dort m
rabe des Heiligen Hilfe suchte und fand; ebenso ist von ihm ein lat. Lobge-
sang auf die hl. Jungfrau, und ein lat. Reimwerk: „Planctus ficciesiae in Ger-
mania/^ 1337. Conrad stammt aus dem bayerischen Franken, aus Maioburg
bei Schweinfurl; er wurde 1309 geboren und lebte als Domherr zu Regens-
bürg, wo er mehrere lateinische Werke schrieb und 14. April 1374 starb.
«) Ausgabe von Pfeiffer 1862. 8. 197. Sein Ruch der Natur, wdcbe»
1349—50 entstand und 1475 gedruckt wurde, ist die erste deutsche Nator-
geschichte.
') Nach der Münchner HS.: Pfeiffer in Haupfs Alld. Rlält..n. 325—49 ood
in Kehr ein Kirchen- und religiöse Lieder aus dem XH— XV. JabrbuBdert
Paderborn 1853. S. 125 fl".
421
!■ I V
•
weht weihrauchduftige Luft uud an den Wänden sind mystische Bilder
mit eckigen Falten, spitzen Schuhen und dem Heiligenscheine angemalt.
Wer je in das Geheimniss der altdeutschen Malerei eingedrungen und
ihre mehr gefühlten als richtig gezeichneten Gestalten lieb gewonnen
hat, dem werden auch diese Lieder zu Herzen klingen. Doch biegen sie
leider schon zu meistersängerischör Ueberkünstlichkeit der Form aus,
sie stammen sichtlich aus der Zeit, wo das höfische Singen verblüht
war und die Kunst mit lang fortgesponnenen Reimen sich ven^lkend
bog, wie die ehedem so schlanken Fialen der Gothik zu Krümmungen
sich senkten. Dafür aber geht oftmals die Anschauung unseres Mönches
über den von Walt her und Conrad von Wirzbprg gezogenen Kreis
des religiösen Gesanges hinaus, besonders in den Marienliedem , deren
auch hier eine grosse Zahl sieh findet, und entschädigt so durch den
Inhalt für die ebenso in der Ärchitectur jener Zeit schon fühlbaren
Formgebrechen. In einem der lieblichsten Lieder schenkt der Mönch
der reinen Maid Maria ein gülden Fingerlein (Ringlein), woran mit
sechserlei Edelgestein, als Perlen, Topas, Smaragd, Rubin, Saphir und
Diamant dei; iName Jhesus eingesetzt steht. Er beginnt seine Widmung
mit den Worten voll Liebe und Demnth:
Wie ich in Sünden bin verpflicht,
Wie wenig Gut's von mir geschieht.
Wie kranke Kunst, wie schuöd's Gericht:
Jedoch der Trost mein Herz aufriebt'
Dass nie ein Mensch ward so vernicht'.
Der dir mit ganzer Treu' zuspricht,
Ihn tröst' dein jungfräulich Gesicht.
Also schenk' ich dir, Mutter klare.
Das Ringlein zu dem neuen Jahre.
Und nun schildert er nach den Edelsteinen seines Ringes immer
je zwei Monate zusammenfassend, den Kreislauf des Jahres, in seiner
Zusammenstimmung mit dem kirchlichen Festkreise, in kurzen und
treffenden Zügen, ein Beweis von tiefem Verständniss dieser innigen
Verschlingung von Natur und Gnade auch in jener Zeit. So sagt er
vom Mai und Brachmaien (Juni) : *)
') Einer besonderen Andacht und mystischen Betrachtung des Leidens Christi
war der Monat Mai gewidmet; die Mystiker sollen diese Sitte eingeführt
hahen. V^l. das alte Lied: y,Wer nu wolle meyen ^on^ bei Hol seh er
• D. deut Kirchenlied. 1848. Nro. 29. S. 82. — Noch heutigen Tages wird in
vielen Dorfgemeinden ein Maienhaum aufgerichtet und mit den Leidenswerk-
zeugen ffeschmückt. Vgl. Ludwig Aurbachers Anthologie. 1831. S. 238
und Horfmann S. 127 fT.^ dazu wurden eigene Lieder gesungen.
I
422
Der Mai mit dem Brachmeien geit (gibt)
Smaragdes grüne Zeit;
Mit Wiederstreit
Erklingt der Vöglein Schall,
Jegliches sein Gemahel freit:
Berg, Anger, Heide Weid
Gar lästig leit '
Bedeckt mit Laub und Gras.
Deiu's Kindes Auffahrt nahm du wahr,
Der Tröster lehret gar
Zwölfboten Schaar
Der Welt Sprach überall.
Ihr Lehr' bracht uns der Salden Nähr' (Nahrung) —
Maid, hilf uns fröhlich dar.
Keusch, grün gevar (gefärbt)
Daran nie kein Dorn war.
Mach, dass ein jeglich Mensch bejag' (zu erwerben suche)
Andacht an Gottes Leichnams Tag,')
Dass man ihm also sing* und sag'
Und ihn mit solcher Zier umtrag',
Dass es ihm wohl von uns behag*;
Dass uns die höllische Pein nicht nag,
Dein Hilf, Maria, das vermag.
Dess bitt Johannes keuscher Leib,
Denn heil'ger Kind getrug nie Weib.
In solch sinnig zarter Weise, die mit der für unsere Leser nöthigen
Modemisirung bereits viel von ihrem frischen Hauch verloren, föhrt
dieser Mönch, der uns als Zeitgenosse Oswalds von Wolkenstein und
als trefflicher Pfleger der religiösen Poesie in Mitten des Verfalles
doppelt -theuer sein muss, in seinen Hymnen das ganze Kircheojahf
vorüber; am öftesten hat er Maienlieder gesungen. Von unwiedergeb-
licher Schönheit ist das ^Ave Maria desMönichs,^ wo er die Madooo»
auffordert ihr göttliches Kind, wenn sie selbes mit seligen Küssen an
ihre Brust drückt, dann selbes auch zu mahnen, der Er der Menschen
nicht vergesse und immerdar bei ihnen sei:
d wie gar selge küssen druckt
dein mund an iündleins mund
dö er sich an dein brüstlein smukt
') Derselbe wurde im BisUium FrdsiDg im J. 1264 zum erstenmale beginftn*
428
vnd saugt an deinem herzen,
man in an kintlich scherzen.
sprich: bis (sei) mit in all stund. (Kehrein S. 130.J
Der Einfluss des Münchs von Salzburg war sicherlich ein grosser,
denn eine Menge Lieder wurden in seinen Weisen , in seiner Manier,
in seinem „Tone" in der Folge nachgedichtet und nachgesungen, und
waren noch lebendig und m Uebung, als die Klara H ätz lein im
XV. Jahrh. ihr Liederbuch, von dem wir beim Volkslied in der Folge
hören werden, zusammenschrieb. Andere Marien iieder und Sprüche des
XrV. Jahrh. hat Mone aus der Münchner Bibliothek gesammelt*) und
Franz Pfeiffer einige geistliche Minuestücke aus dem XIIl — XIV.
Jahrh. *) Es gab goldene ABCTs ^) und Reimspielereien und geistliche
Wiegenlieder und anderen Kram, ascetischen Unsinn und klosterfräuliche
Spielereien von allen möglichen Arten. Wie angesehen diese Dinge im
Volke waren, beweisen die ihnen zugeschriebenen Wunderkräfte. In der
Münchner HS. der Lieder des Mönchs von Salzburg heisst es vom
^Stabat mater:" Wer das ohne Todsünde mit Andacht bisweilen spricht
den lässt unsere liebe Frau in kein g^oss Herzenleid nit kommen. Bei
dem Hymnus „Christe, qui lux es et dies** wird bemerkt: Wer den
mit Andacht bei der Nacht spricht, den könne der Teufel nicht an-
fechten und kein schwerer Traum zufallen. Der Pfingsthymnus „Veni
Creator spiritus" bei Tag und Nacht gesprochen, soll gegen allen Scha-
den durch Feinde wahren. Den Hymnen wurden also ganz dieselben
Kräfte zugeschrieben, welche man biblischen Büchern, namentlich dem
Evangelium Johannis und einigen Psalmen und noch lieber dem Virgil
zulegte. Glaubte man doch, jede Schrift geistlichen Inhalts besitze auch
eine schätzende und rettende Kraft, und die drei Lieder des Wem-
her'schen Marienlebens wurden dafür als Tieilsam empfohlen , dass eine
Frau rasch ihres Kindes genesen werde, welche es während ihrer Noth
in der Rechten halte.*) Wohl ein Beweis, dass unsere Vorfahren, so
lange sie noch Heiden gewesen waren, zu ähnlichen Dingen ihre Zu-
flucht genommen hatten.
. Ein schönes, herzinniges Lied enthält eine Münchner HS. vom J. '
1347,*) es klingt wie aus der tiefsten Frauenseele:
') Mone Hymnen. II. S. 134. 136. 178. 309. 413.
^ Altdeutsche Blatter. 11. 359-73.
') Hoffmann S. 240.
^) \gl Weinhold Weihnachtspiele und Lieder. S. 379.
^) Bei Hoffmann S. 92.
424
l.Wer hilft mir, daz ich den begrife,
nach dem min herze sich' versent,
daz er mir nimmer me entwiche?
ich han sin leider nit gewent,
daz ich in nit behalten hän.
wie dick er sich mim herzen erbiatet,
iedoch trib ich in als hin dan.
Wer die warheit welle minnen,
der volge Jesu Christi lere,
so wirt er des vrides innen.
2. Jesus, din vil süeziu minne
diu hat verwunt daz herze min.
nach dir florijerent all min sinne,
daz herze min nim zu dir hin,
und ziuh mich üz min selbes grünt!
wenn sich da geist mit geist vereinet,
all^rst ist mir diu friuntschafl kunt. Wer die warheit etc.
3. Jesus, ist din minne iht süeze,
die läz du, herre, ' wizzen mich,
daz ich ir noch empfinden müeze,
so kan ich, schepfer, loben dich,
du bist ein gnädenrichez vaz:
wem dii dich, herre, selber schenkest,
wie künd dem immer werden baz? Wer die warheit etc.
4. ^Dü sumest dich ein teil ze lange,
des wirst du selber wol gevar.
nü kum her zu der engel gesange
und zu der reinen meide schar!
wenn mich diu sele da ersiht,
wie klär ich bin in driveltigem schine,
so sumet si sich lenger niht.^
Wer die warheit welle minnen,
der volge Jesu Christi lere,
so wirt er des vrides innen.
Darauf passt die Stelle des Hugo von Trimberg, wo er in
seinem „Renner^ C^. 11080 ff.) sagt: ^der laien leise durch tiatscfaiQ
laut sint einveltec und baz bekant danne manec kunst, üf die geleit ist
groziu kost und arbeit.^ Es ist das beste Zeugniss Ar das geistliche
Lied an der Grenze des XIII. und XIY. Jahrhundert: Einfachheit and
warmes Geföhl, inniges Durchdrungensein von dem Glauben an die U.
425
Geschichte und die Wahrheit des Evapgelioms, der frische Klang der
Volksweise, das waren und sind für immerdar die Factoren und Grund-
bedingungen des geistlichen Liedes.
In der wfisten, durch Partheiungen aller Art aufgeregten Zeit des
Xlll. und XrV. Jahrhunderts kamen die Geissler. Regengüsse und
üeberschwemmongen hatten an vielen Orten Misswachs herbeigeführt,
es folgten Theuerung und Hungersnoth und bald gesellte sich zu diesen
Leiden die morgenländische Pest, der „schwarze Tod^^ eine Krankheit,
die sich vom Süden Deutschlands . bis tief nach Norden erstreckte und
die volkreichsten Städte und Gegenden nienschenleer machte. Um diese
2jeit trat die höchst merkwürdige Erscheinung der Geissler auf; Schaaren
von Laien zogea als Büssende umher, geisselten sich und sangen geist-
liche Lieder. Fast alle Chroniken im deutschen Reich wissen davon
zu erzählen. Anfangs traten sie mit strenger Zucht und höchst er-
greifenden Ritten auf. Heinrich Stero, Möach von Altaich, schildert
sie also: „Ihre Bussübung war hart zu erleiden, schrecklich und er-
barmungswürdig anzusehen, denn sie entblössten ihren Leib vom Gürtel
an aufw^ärts und hatten ein eigenes Kleid an, womit sie den unteren
Theil des Körpers bis auf die Füsse bedeckten, und damit Keiner von
ihnen erkannt würde, gingen sie mit verhülltem Kopfe und Gesichte
einher. Sie zogen je zwei und zwei oder je drei und drei, wie die
Geistlichen, hinter einer Fahne oder einem Kreuze, und schlugen sich
selbst mit Geissein dreiunddreissig Tage hindurch und einen halben,
zum Andenken an die Zeit der Menschheit unseres Herrn Jesu Christi
auf Erden, täglich zweimal also lange, bis sie ihre Gesänge, die sie
vom Leiden und Tode des Herrn gedichtet, um die Kirche herum oder
in der Kirche vollendet hatten, wozu zwei oder drei die Vorsänger
machten; dabei stürzten sie bald zur Erde nieder, bald streckten sie
die nackten Arme gegen Himmel empor, ohne Rücksicht auf Schmutz
oder Schnee, Kälte oder Hitze. Ihre jamraerwürdigen Gebärden und die
harten Geisselungen bewogen nun viele zu Thränen und zur Annahme
derselben Busse. Weil aber diese Bussübungen weder von Rom, noch
von irgend einer Person von Ansehen ausgingen, so geriethen sie bald
bei einigen Bischöfen und dem Herzog Heinrich von Bayern (f 1290)
in Misscredit und liessen in Kurzem nach, so wie jede Sache, die An-
fang zu sehr übertrieben wird." So weit der Bericht des Altaicher
Augenzeugen. Die Züge waren anfänglich ungehindert das Land auf
und nieder gegangen, wie früher die Kinder bei den Kreuzzügen sieh
zusammengefunden hatten, so fuhren auch junge Knaben und Kinder
Land auf Land ab die Geisseifahrt ; als man aber endlich müde wurde,
die Geissler nicht mehr mit Sang und Klang empfing, nicht mehr mit
426
Glocken entgegen stürmte jind jsie nicht mehr zum Imbiss in die Häuser
lud, blieben sie allgemach aus. In der Gegend von Freising spuckten
sie schon in den Jahren 1260 und 1262 zum Verdruss der Herzoge,
die sie ausweisen Hessen. Später, im XIV. Jahrh. kamen sie wieder.
Die Grundidee, für die Sünden ihrer Zeit und der Welt zu büssen, war
wirklich eine überraschende ; bald aber nahm allerlei Unfug überhand«
so hörten z. B. die Meister der Brüderschaft bald allgemein Beicht, als
ob sie Priester wären und ' waren nur Laien , absolvirten die Sünder
und ignorirten die von der Kirche ausgehende Sündenvergebung ganz
und gar, sie meinten, dass die Bluttaufe der Geisselung die Sakramente
und allen anderen Cultus üb^üssig mache; die „Brüder^ verschlim-
merten sich, wie es. bei allen menschlichen Institutionen zu ge-
schehen pflegt, zusehends, allerlei Gesindel lief ihnen zu und Manche
wurde gehangen, kurz, die Fürsten, der Kaiser, der Pabst und die
Pfaffen erhoben sich dagegen und die Fahrten hörten endücb auf, nach-
dem sie an 34 Jahre gedauert hatten. ') Sie sangen deutsche Lieder
von grosser Einfachheit, jedoch mit wenigen Aenderungen überall die-
selben. —
Das XV. Jahrh. ist überaus reich an geistlichen Liedern, noch
mehr an ganz populär gewordenen Uebersetzungen der alten lateinischen
Kirchenhymnen. Höffmann (S. 124) fand in der Nürnberger Stadtbib-
liothek ein schönes mystisches Mailjed (Wer nu wolle meien gen). Ein
anderes Weihnachtlied (S. 165) hat Docen bereits in seinen Miscella-
neen (II. 246) mitgetheilt (Ein kintlein ist geboren), hieher gehört auch
das fröhliche Osterlied „Freuet euch alle Christenheit*' (Hoffm.S.l 73)
und das Himmelfahrtslied „Christ fuhr gen Himmel '^ während welchem
eine Statue des Heiland in das Kirchengewölbe gezogen und darauf
allerlei Unfug verübt wurde. ^) In Betreff der Uebersetzungen verweisen
wir auf Höffmann,^) der alles Hiehergehörige bereits sorgfaltig ao«
den HS. gesammelt hat. Durch Lieder auf bestimmte heilige ist St
A 1 e X i u s und Jacob von Compostella '') ausgezeichnet , ebenso St.
Wolf gang;*) in einem merkwürdigen „Mariengruss" hat die Dich-
terin ihren Namen in die ersten Buchstaben der Strophen versteckt, ond
') Die hauptsächliche Literatur darüber ist in meiner Lit. Gesch. 1853. 1. 103 IT.
verzeichnet.
}) Vgl. meine Gesch. der Mönchner Frauenkirche 1859. S. 88 ff. Panier
Beiträge II. 1281.
S) S. 286. 287. 307. 314. 324. 33a (Fange lingua von 1422) 335. 341. 346.
347. 367.
^) Uhland Nro. 30ä S. 1033 u. Hoffmann S. 216.
») Höffmann S. 475. (XVI. Mrb.)
427
ergibt sich folgende akrostichische Dedication: ^Margareta sponsa
Christi.« 0
In der zweiten Hälfte des XV. Jahrh., noch mehr aber mit dem
Aufleben des Volksliedes im XVI. Jahrb., kam der Gesang der geist-
lichen Lieder sehr in die Höhe, ja er schoss sogar zu üppig in Samen;
man dichtete weltliche Lieder auf ^geistig^ am und benätzte die alten
wohlbekannten Melodien ; man machte Wächte r Hede r geistlich, ebenso
wie man geistliche travestirte und aus dem ^Verbum bonum et suave"
ein übennüthiges KneipHed machte. Man wagte sich sogar zur Ver-
geistlichung an die künstlichsten und schlüpferig^ten Stoffe und brachte
sie mehr oder minder glücklich unter anständige neue Texte von oft
sehr barocker Natur. Ein solch umgekünsteltes Lied (aus der Regens-
burger Stadtbibliothek) lautet z. B.:
L Ein l^um stet auf der beiden,
es mag wol Jesus sin,
darumb trag* ich gross leiden,
dass ich nit bei im bin ;
darumb da wil ich meiden
alle diese weit,
mein eigen wil ich lassen
wol durch die enge Strassen.
wöl auf die beiden gross.
2. Die beide die ich doch meine
die ist keiner andern gleich,
sie ist nit hie auf erden,
sie ist im himelreich:
darin da blüet ein blüemlein,
das gibt ein Hechten schein,
ach gott! m(ycht es mir werden,
darumb so wolt ich geben
das junge leben mein.
3. Gab ich mein junges leben
um got, den schepfer mein,
sein reich wolt er mir geben,
wie möcbt mir bass gesein!
er hat umb uns erlitten
ein scharpfen bittem tot,
und ritterlich* gestritten,
sein reich hat er vermitten,
dass er uns brächt aus not.
') MilgelheiU von Docen in Gräters Iduna. 1812. Nro. 50.
428
4. Sol ich die weit verlassen,
das acht* ich sicher klein,
ich will mich fürbass keren
zu Jesu Christ allein:
er.kan die sei erfreuen
und ist ir höchster trost
and wil ir wenden kummer
and grOnet winter and summer,
das säst kein blum nit tut.
5. Daramb, ir jonge herzen,
halt euch in grosser hat!
dass ir nit leidit verscherzen
das edel blüemlein gut;
wan er doch nichts begeret
wan unser sei allein:
daran solt ir gedenken
und unser jugent schenken v
dem edlen blüemelein!
So war denn der weltlich - geistliche Gesang und das Kirchenlied
schon lange vorbereitet und ausgewachsen , als die Reformation kam
und mit kluger Berechnung die volksthüniliche Sangeslust für ibre
Zwecke gestaltete.*) Sie hatte dabei noch den Vortheil, statt der bereits
ausgebrauchten und zur Neige gehenden mittelhochdeutschen Sprache,
ein neues mundgerechtes Idiom zu bringen, das der geheimen sächsi-
schen Kanzelei, das nun siegreich durchdrang, indess die Sprechweise
des Mittelalters schnell versank und erlosch.
*) Vgl. Kehrein Gesehichie des Kirchenliedes. Wirsburg 1858. S 14 (T.
B.
Minnesang.
Wie die Epik unseres Mittelalters mit einer klösterlich-lateinischen
Dichtung eingeleitet ist, so läuft auch dem ritterlichen Minnesang
eine lateinische Lyrik voraus, unter welcher jedoch häufig, wid aus
einer Eisdecke, das deutsche Lied schüchtenn hervorbricht und nur eines
belebenden Sonnenstrahles wartet, um in reinster Blöthe übermuthig
hervorzuschiessen.
Hier begegnet uns zuerst eine bereits liebgewonnene Persönlichkeit,
der traute Sänger des Ruodlieb, der treffliche Poet Froumunt
von Tegernsee. Wir haben von ihm noch ein Büchlein mit vierzig
seiner kleineren Gedichte, darinnen auch verschiedene von ihm ge-
schriebene poetische Episteln. ') Seine Poemata sind mitunter Eingeb-
ungen der heitersten Laune, z. B. das Epitaph auf seine sei. Mutter
Jlisa (Pez S. 172), ein anderes geht an seinen Freund und confrater
Pabo, an dem er mit zärtlicher Liebe hing, ein anderes Mal schreibt
er an seinen Abt pro calgis hirsutis, quamtumvis vilibus, auch die früher
schon berührte Rechtfertigung gegen Diejenigen, welche ihn immer be-
drängten die hl. Weihen des Priesteramtes auf sein Haupt zu nehmen
(Pez S. 169), findet sich hier.. Zu anderer Zeit begrüsst er den Bischof
Liutold von Augsburg, oder die Ankunft des Herzog Heinrich von
Bayern') zu Tegernsee, wobei er sich als Dichter vom Fach zu er-
kennen gibt und ihm zum Abschied einen Segenswunsch auf glückliche
Reise .und Wiederkehr nachsendet; noch einmal werden derselbe Hein-
rich und dessen Bruder Bruno besungen und dann dessgleichen ver-
schiedene Aebte, wie Peringer, Meginhalm u. A., natürlich Alles
noch in hexametrischen Caesurreimen. Erst in dem berühmten Epistolar-
*) SiebcDundzwaDzig davon hat Pez in s. Thesaurus anecd. 1729 VI. B. S 167
—199 aufffenommen. — Froumunt schrieb auch ein Buch de Noricum origine.
Pez III. 3. 493.
*) Kaiser Heinrich 11. der Heilige,' Herzog von Bayern, f 1024. vgl. oben S. 405.
430
oodex aus dem Kloster Tegernsee, welchen ein dortiger W] er nher,
aber nicht der Marienlieddichter , zusammengeschrieben hat, wagt sich
die deutsche Sprache schüchtern hervor, und die lateinischen Liebes-
briefe eines Mädchen, ') die mit zierlicher Geschwätzigkeit allerlei
deutsche Brocken mit untermengen, enthalten auch das erste Minnelied,
jenes berühmt gewordene älteste Schnaderhüpfel (vgl. oben S. 84):
Ich bin dein, du bist mein
Des sollst du gewiss sein
Du bist beschlossen
In meinem Herzen
Verloren ist das Schlü sselein :
So musst du immer drinnen sein.
Von da an bis zum Abschluss jenes in seiner Weise ganz einzigen
Codex, der die sogenannten Carmina burana enthält, ist ein weiter
Schritt. Unterdessen war im ganzen deutschen Reich die Zeit der
Minne schon aufgegangen, Ritter, Herren und Bauern sangen, man sang
in Burgen und Städten! warum nicht auch in der Klosterzelle, im
hochgewölbten Refectorium, im stattlichen Keller? Von solchen Dingen
hatten die Mönche' von Benedictbeuern im XIII. Jahrh. «ine schöne
Sammlung angelegt, aus welcher zuerst Aretin, Docen^) und v. d.
Hagen, schöpften, bis Seh melier endlich das Ganze publicirt hat')
*
Auch diese Carmina singen von Lenz und Liebe, auch sie sind Minne-
lieder, zwar nicht in der Sprache der gewöhnlichen Laien, sondern
jener Gebildeten, die damals theils clerici waren, theils nur so genannt
wurden. Es waren wie man unbedingt zugeben kann, klassisch gebil-
dete Herren, diese Mönche, sie hatten in ihren Mauern der alten
Literatur eine Freistätte und warmen Heerd gegeben und lasen ihren
Virgil so gut, wie ehedem die zu St. Gallen, und exegesirten dann
denselben zwar nicht vor edlen Herzoginnen , aber doch vielleicht mit
Fürstenkindem oder anderen respectablen Damen. Sollte da die schwere
Minnenoth der Königin Dido nicht ihre Herzen theilnehmend berühren?
sollte die holde, schöne Frau Venus keines Liedleins mehr würdig sein?
Sie sangen wacker und mitfuhlebd darauf los und dass keine Theorie
ohne Praxis sei, so begaben sie sich in den Dienst der Frau Königin
Minne, nachdem der Tochter Syon ihr Recht geschehen. Erst finden
wir Nachklänge der Kirchenhymnen in zarten, rundquellenden Tönen
') Abgedruckt bei Haupt Minnesaugs Frühling. 1857. S. 221 ff.
') Dopen in Aretins Beilr. IX. B. S. 1310 AT.
') Bibliothek des lit. Vereios zu Stullgart XVi. B. 1647.
431
und ächte, geistliche Lieder, wie denn auch ein Weihnacht- und Oster-
spiel , aaf das wir später zurückkommen müssen, dann aber ist es der
deutsche Minnegesang, der aus den lateinischen Strophen klingt und
der bisweilen auch in deutscher Sprache, obwohl etwas sparsamer, sein
Haupt erhebt. Ausser den Liebesliiedern, welche die Mehrzahl aus-
machen , finden sich aber auch Stücke ganz anderen als moralischen
und religiösen, nämlich mythologischen und geschichtlichen Inhalts.
Schon die erste Dlustration vom Rade der Fortuna zeigt eine laconische
Auffassung alles Wechsels in der politischen Welt, heute mir, morgen
dir! also schwingen sie auch die Geisse! über die zuchtlosen Fürsten
(Fol. 7) und die geldhungerige Priesterherrschaft; Ernstes und Scherz-
haftes, Heiliges und stark Profanes ist durcheinander gewirbelt: Becher-
freuden und Trinkturniere , . Würfelspiel , Langepuff, Schachzabel und
andere Spiele müssen, wie auch die lehrreichen Miniaturbilder weisen,
scharf in üebung gewesen sein, der Codex gibt eigene Officia im geist-
lichen Ton darüber, auch Psalmen und Bibelstellen sind für handfeste
Zecher in leichtfertigster Weise travestirt; das ^eoce quam boitum'' hat
sich aus dem Munde dieser Herren bis auf unsere Tage erhalten! Eine
mildere Anschauung hält das Buch nur für eine Anthologie, welche die
frommen Mönche, jedoch schwerlich aus aseetischem Eifer od^r aus Lust
an cnlturhistorischen Studien gesammelt, zusammengeschrieben und so
zierlich ausgemalt und mit der Notation (Neumen) versehen haben.
Vielleicht hat es ein fahrender Schüler gethan, einer de vagorum ordine,
der seiner schönen Hand und Kunstfertigkeit wegen hier eine Zeit lang
Grelass gefunden hatte. Es wirft aber doch ein eigenthümliches Licht
auf 'die damalige Klosterzucht, die man für eine sehr freisinnige und
aufgeklärte zu halten versucht sein könnte. Der Volkssage nach waizt
utid spuckt ein guter Theil dieser ehemaligen Klosterinsassen noch auf
der Benedictenwand , wohinauf sie wegen allerlei Dingen gebannt sein
sollen. Doch muss man keinen zu grämlichen Maassstab anlegen, in
dieser mittelalterlichen Leichtfertigkeit und Lüderlichkeit liegt doch noch
eine gewisse Kindlichkeit und fast möchte man sagen, eine unschuldige
Naivetät, die von hellem Farbensinne und offenem Leben zeigt; wir
sind trotz aller eitlen Prüderie und affectirter Sittlichkeit sicherlich um
keinen Schritt besser geworden.
Aus den wenigen deutschen Strophen geht deutlich hervor, wie
der Liedersamen über die Lande getragen ward und überall kräftig
Wurzel fasste; es finden sich hier Strophen Otto*s von Botenlau-
ben, Heinrichs vonMorungen, Bruchstücke ausNithard, Wal-
ther von der Vogelweide, Reinmar dem Alten, Dietmar von
Aste a. A. Es sind Klänge, die so ganz« an die Frühlingsfrische des
432
Minnesanges and Volksliedes erinnern, wenn z. B. (Fol. 54, 6) die Weise
sich anhebt:
^Ich lob die lieben frowen rotn
vor allen gnten wtben,
mit dienst wil ich ir staete s!n,
und immer staete beliben.
sie ist als ein Spiegelglas,
sie ist gantzer tagende ein adamas,
vnd schoener zaechte ist sie so vol
von der ich Chamber dol." oder
Ir roter rosenvarwer mant
der taet mich senen dicke,
ir ougen brehent ze aller stunt,
sam Stern darch wölken blicke.
Mins herzen leben ir hant
gebanden hat an ellia bant;
min oage sach nie schoener wtp.
ein engel ist ir Itp.
Mhi leben stat in ir gewalt, '
daz sol si wol bedenken
lazze mich mit froeaden werden alt.
ich wil in nimmer wenken
wil si, ich lebe wol,
daz diene ich immer swie ich sol,
gebiatet si, ich Hge tdt.
Sus leide ich wernde not.
Die reine schöne Freade an der Natar leachtet wohlthätig her^'
z. B. Fol. 70, 6:
Ich wil den samer graezen, Ich sih die lichte haide
s6 ich besten kan, in graener varwe stän,
der winder hat mir hiure dar saeln wir alle gaben
laides vil getan, die samerzit emphähen;
des wil ich in raofen des tanzes ich beginnen so-^
in der vrowen ban. wil es in niht versmäfaeu.
oder (Fol. 61): Ich gesach den samer nie,
daz er so schöne dühte mich:
mit menigen blnomen wol getan,
dia haide hat gezieret sich,
sanges ist der walt so vol,
dia zit dia iaot den kleinen vogelen wol.
433
Selbst die lateinischen Lieder sind himmelweit verschieden von der
len Nichtigkeit der späteren Humanisten (Fo]. 72, 6):
Suscipe Flos florem quia flos designat amorem.
Jllo de flore nimio sum captus amore.
Hunc florem, Flora dulcissima, semper adpra,
nam velut aurora fiet taa forma decora.
Florem Flora \ide, quem dum videas, mihi ride.
Florem Flora tene, tua vox cahtus philomene.
Oscula des flori rubeo flos convenit ori.
Flos in pictura non es flos, immo figura;
Qui pingit florem non pingit floris odorem.
Auch ganz volksthümliche Anklänge "werden laut, z.B. (Fol. 71):
Ich wil triiren varen län, ^
uf die heide sulwir gän,
vil liebe gespilen min,
da seh wir der blumen schin.
Ich sage dir, ich sage dir
mein geselle, chum mit mir.
Sueziu minne, raine min,
mache mir ein chrenzelin,
daz sol tragen ein stolzer man,
der Wol wiben dienen chan.
ebendas. Der winder zeiget sine chraft
den bluomen unde der weide, . —
zergangen ist ir groziu chrafb,
daz chlaget uns diu heide.
W§ tuot in rife unde ouch der snÄ
davon stat val der gruone kl§
die vögele swigent gegen der zft,
si lebent in grozen sorgen,
durch daz der vrost in chelte git,
des ligent si verborgen.
Hier würde man schwerlich das bekannte Spottlied suchen (Fol. 60):
Waere diu werlt alle min
von deme mere unze an den Rin,
des wolt ich mich darben,
däz diu künegin von Engellant
läge an minen armen !
28
434
Diese Königin von EngeUand aber ist die reiche, schöne und leicht-
fertige Alienor vcm Poitou, die, 1124 geboren, auf dem Kreuzzoge von
1147 and 1148 manchem Deutschen bekannt geworden war mid als
Gemahlin Heinrichs IL von 1154 — 1204 Königin von England war!
Andere Dinge hätte Kaiser Heinrich VI. oder Konradin auch nicht
besser gemacht, wie z. B. (Fol. 61) das kunstlose:
Ich bin keiser äue kröne
vnd äne laut: daz meine ich an dem muot,
ern gestuont mir nie so schonä.
Wol ir libe, diu mir sanfte tuot:
daz machet mir ein vrowe guot.
ich wil ir iemer mere dienen
ich engesah nie wip so wol .gemuot
f
Auch die gemtithliche Schalkheit, die verblümt andeutet und ^
nichts gesagt haben will, aber dennoch eine tüchtige Intention liat,
Prügel auszuthdlen^ kommt erbaulich und leise, in Freidanks Art, ao-
gerückt (Fol. 110, 6):
Diu mucke muz sich sere muen,
wil si den ohsen uberluen.
Gienge ein hunt des tages tusent stunt
ze kirchen, er ist doch ein hunt.
Ez dunket mich ein tumber sin
swer waent den oven abergin.
Swa ich waiz den wolwes zant,
da wil ich hueten miner haut,
daz er mich niht verwunde.
Sin bizzen swirt von gründe.
Der lewe sol auch nimmer lagen,
wellent in die hasen lagen.
Diu fliug ist, wirt der somer haiz,
der chuenste vogel, den ich waiz.
Der bremen liochgezit zergät,
s6 der äugest ende hat.
Die chevem vliegen unverdaht,
des vallet maniger in ein paht.
Die froesche tuent in selben schaden,
wellent si den storchen ze hüse laden.
Die \nsen kunnen wol verstin
waz ich tdre gesprochen han. — ja
435
Man könnte einen wohldafligen Straus& aus diesen Liedern binden ;
wie sehr verschieden diese Blumen auch an Farbe und innerem Werthe
sind, ein eigeuthtimlicher Reiz, der ihnen unverjvümmert bleibt, liegt
darin, dass sie lebendiges Zeugniss geben von der Weise, in der man
oft vor mehr als einem halben Jahrtausend, klagend und^ jubelnd sich
ausgesprochen hat über Gefühle, Freuden und Leiden, die ein altes
llerkommen sind und ein stetes Dableiben haben unter den Kindern
der Menschen.
Wir sind mit der Besprechung dieser Gedichte, die das Kirchen-
lied sowohl, wie den Minnesang und das Volkslied in sich fassen, der
historischen Reihenfolge vorausgeeilt. Von allen diesen Dingen ist kein
Verfasser bekannt, es ist herrenloses Gut, das zusammengetragen w urde,
ein Schatz poetischer Opferpfennige, der sich glücklicher Weise auf uns
vererbt hat. Die Carmina burana sind ebenso ein Sammelsurium wie
der Tegemseer Epistolarcodex und das spätere Liederbuch der Klara
Hätzlerin. Wenden wir jetzt von den unbekannten Poeten zu den guten
Namen, die neben der Milchstrasse am mittelalterlichen Himmel sich
glänzend hervorthun.
Wenn man ein Volk als Individuum betrachten kann, so sind die
Kreuzzüge für die ganze Nation das gewesen, was die Reiselust ist in
einem jungen, selbständig gewordenen Menschen. Ks ist der von einer
Idee durchblitzte dunkle Drang nach djpr weiten Ferne, es ist die selige
Wanderlust in fremde Lande, mit goldenen Träumen von Abenteuern
und einem poch zu findenden Glücke — das er vergeblich auswärts
sucht und zurückgekehrt erst in der eigenen Heimath entdeckt.
Wie Sigfrid, der gewaltige, nachdem er die Nibelunge besiegt und
den unermesslichen Schatz an edlem Gestein und rothem Golde dem
finsteren Geschlechte Schilbungs abgewonnen, Land und Leute in Besitz
genommen, das Gezwerge gebunden, den Drachen erschlagen und grosse
Heerfahrten vollendet — sich der beglückenden Minne hingibt, die ihm
^aufgeht wie das Morgenrqth aus Wolken,^ so beginnt auch jetzt die
liebliche Maienzeit und schallt auf allen Burgen und Städten aus fröh-
lichen, sehnenden Herzen in anmuthigen Liedern. Vom Thunersee bis
2ur Insel Rügen, vom adriatischen Meere bis nach Brabant ziehen sich
<lie Strassen des altdeutschen Gesanges, überall duich Fürstenhöfe und »
JEütterburgen, Städte und Klöster, wo Sangesfreunde und Sänger hausen
imd herbergen. Die bayerischen Herzoge blieben, wie wir sehen werden,
liierin .nicht zurück, sie boten gerne die Hand zu einem Werke, gaben
gastliches Gelass und lösten noch öfter einen der fahrenden Gesellen
aius der Noth.
28*
436
Man kann auch im Minnegelsang eine Entwickelang unterscheiden.
Zuerst ist es die Zeit der ersten Liebe, die sich leise hervorwagt, die
mit den rothen Blumen erwacht und mit dem jungen Laube des Waldes
grünt und mit den Vögeleiu der Frühlingszeit jubelt und singt; nur
schüchtern und verschämt hebt sie sich an mit wenigen Tönen und spar-
samen Bildern, die immer sorglich von der Natur entlehnt sind, es ist
entweder der Frühling oder Sommer, der Herbst oder Winter, welche
der Eingang des Liedes schildert. Weil der Frühling im Freien um die
Linde den Reihen führt, so jauchzt die Minne dem Erwachen entgegen,
der Liebesschroers? klagt den bunten Blumen,' den singenden Vögeln,
dem grünen Gras sein Leid; der Wald, der Klee, die klare Sonne,
klein Waldvögelein, voraus die Frau Nächtigall, dazu Rosen ubd Lilien
müssen des Sängers Empfindung aussprechen.
Das ist eigentlich der ganze Apparat des Minneliedes, der sich im
Verlaufe gleich bleibjt, aber die Leidenschaft wagt sich bald lebhafter
und ungestümer hervor, das Wächterlied öfihet der schönen Freude die
Thore und die jubelhde Lust und die heiterste Fröhlichkeit oder das
verzagendste Leid springen daraus hervor; es ist Sommer geworden und
die Sonne der Lieder steht mit Walther von der Vogelweide auf ihrer
Höhe, von der ein rascher Niedergang bemerkbar. Zwar klingt bisweilen
noch der alte reine Ton hervor, aber die Sinnlichkeit hat mit der All-
täglichkeit Platz genommen, der höfische Sang 'geht in bäuerliche Ge-
meinheit über, das Nackte tritt offen hervor und so sinkt denn, trotz
den Bestrebungen der Besseren, da eine Schwalbe keinen Sommer
macht, das Ganze mit dem veränderten Leben zur niedrigen (Jewöhn-
lichkeit herab, die Singenden verlegen sich vom Lieben auTs Loben
und da auch dieses keinen Gewinn mehr bringen will, aufs Lehren und
Schelten, der Gesang erstidit unter den Händen der Spruchsprjecher
und Reimschmiede und nur die handwerksmässige Zunft der Meister-
singer ist noch so glücklich, ihren Altenweibersommer für den frühe-
ren, längst entschwundenen Lenz zu halten.
Den Reigen des ritterlichen, höfischen Minnesanges eröffnet der
von Küren b erg. Er ist überhaupt einer unserer ältesten mittelhoch-
deutschen. Dichter; man fand es sogar wahrscheinlich, dass der Küren-
berger eine Person mit dem Verfasser des Nibelungenliedes, mit dem
# oben genannten Meister Konrad sei. ^ Dann müssten aber auch die
Lieder, die wir jetzt unter seinem Namen besitzen, aus der Sprache
des X. in die des XH. Jahrb. übertragen sein. Doch wäre es immer-
hin wahrscheinlich, dass der Kürenberger mit im Spiele und vielleicht
1) Holtzmann Untersuchungen über das Nibelungenlied. S. 76 ff. 131
437
der Vwletzte gewesen, der die Hand an da« grosse Lied gelegt, ehe
es um 1200 zum Abschluss oder zur letzten Ueberarbeituug gekommen.
Merkwürdig ist, dass der Mß,ler der Pariser Handschrift oder der
sogenannte Manessen') den Sänger in der Wechselrede mit der Ge-
liebten darstellt und desshalb um dieses auszudrücken, beiden Personen
Spruchbänder aus dem Muhde gehen lässt; ') er muss also ein
älteres Bild vor sich gehabt und copirt haben, da eine so naive Schil-
derung des Gespräches in der Zeit, wo diese Liedersammlung bewerk-
stelligt und illustrirt wurde, nicht mehr üblich war und die Sänger ihre
Rollen (briefe) in den Händen hielten oder nebenan als fliegende Zettel
angemalt erhielten.
Seine aus 15 kurzen Strophen bestehenden Lieder^) zeigen den
üebergang der epischen Dichtungsart in die lyrische und zwar durch
Inhalt, Form und Behandlung, die sich oft ganz dramatisch ausspricht.
Er beginnt mit dem Gespräche der Geliebten mit dem Boten: ,,bitt'
ihn, sagt sie, 'dass er mir hold sei wie vordem und mahn* ihn an unsere
letzte Rede von neulich" (waz wir redeten dö ich in ze jungest sach).
Bald darauf hat sie über die Merker und Aufpasser zu klagen (7, 19 —
26), er aber tröstet und gibt ihr den Rath, ihn unter fremden Leuten
gar nicht anzusehen, so wisse dann Niemand wie es mit ihnen beiden
bestellt sei (10, 1—8):
s6 lä du dfniu ougen g^n
an einen andern man,
son weiz doch lützel ieman
wiez undr uns zwein ist getan.
Auf der Zinne stehend hört sie nächtlicher Weile seinen Gesang
und sie kennt des Kürenbergors Weise wohl; er soll sie minnen
*) Diese Sammlung der mlKelbochdeulschen Dichter, welche der edle Rudiger
von Manesse (1280—1325) und sein Sohn (1296-1328) zu Zürick zusam-
menschreiben und mit vielen Bildern ausschmücken Hess, heissl govöhnlich
nach der Familie die Manessen HS. oder nach ihrem jetzigen Aufbewahr-
ungsorte, die Pariser HS.
') Hagen: Minnesänger IV. 109. — Diese grosse^ von Fr H. v. d. Hagen
besorgte Ausgabe der Minnesinffer, welche zu Leipziir 1838 in vier slarken
Quartoänden erschien^ dehen endiicb Berlin 1856 der fünfte Band (mit Kiipfer-
tafeln) folgte, wird in der Folge immer kurzweg als Hagen MS. citirt, die
römische Zahl bedeutet den Band, die arabische die Seiten, Strophen und
Verszeilen stehen dann in Klammern.
') Nach Wackernagels Ordnung bei Hagen MS. I. 97 und bei Haupt des
Minnesangs Frühling. Leipziff 1857. Nro. \l. S. 7 - 10. (Wir citiren in der
Folge dieses Werk kurz als Hpt. H. 7—10; wobei die römische Zahl immer
die dortige Reihenfolge des Dichters, die arabischen Ziffern die Seite und
die Zeilen bedeuten.) Die Lieder in Kürenbergers Weise sind sämmllich
übersetzt von Simrock Lieder der Minnesinger. £lberfeld 1857, S. 39—42,
(S im rock MS.)
438
oder das Land räumen, versetzt sie darauf; da ruft er dem Knappen
sein Ross und Eisengewand zu bringen, offenbart ihr, dass er Nachts
an ihrem Bette gestanden, ohne sie la wecken, wesshaib sie ihn schilt,
weil sie doch kein wilder Eber (ber) zu sein glaubt; er aber spottet'
ein Weib und ein Federspiel würden leicht zahm und kirre — und reitet
von dannen ; die Arme denkt weinend jedoch immer an ihren Gesellen,
von dem sie nur die Lügner geschieden; in ihrer traurigen Einsamkeit
verwelkt ihre Farbe, wie einem Röslein geschieht, das Vom Strauch
(dorn) gerissen:
Swenne ich stan ^.leine
in ratnem hemde (= tunika, Rock),
und ich gedenke ane dich,
ritter edele,
80 erbliuget sich min varwe
als r6se an dorne tuot,
und gewinnet mir daz herze
vil roanegen trurigen muot.
In ihrem Schmerze macht sie sich Luft mit einem ganz reizenden
Liede, worin sie den Vergleich aus dem Vorwurfe des Geliebten selbst
nimmt. Einleitend mit der schweren Erfahrung, dass ihr das, was sie
am liebsten möchte, nie zu theil werde, gebraucht sie das Bild von
einem Falken, den sie über ein Jahr lang gezähmt hat, das ist ein
edler Mann, dem es vielleicht früher übel ging, dem sie das Gefieder
wohl mit Golde bewand ; da hob er sich viel hohe — und ging davon.
Seitdem sah sie ihn noch einmal, er führte noch die seidenen Riemen
am Fusse und sein Gefieder, sein Gewand war noch golden und schön
~ da bricht sie aber sclmell ab mit dem Wunsche-, dass Gott Alle
zusammensende, die gut beisammen wären!
Er hdt mir .an dem herzen
vil dicke we getan
daz mich des gelüste
des ich nicht mochte hdn
noch niemer mac gewinnen.
daz ist schedelich.
Jon mein ich golt noch silber:
ez ist den Hüten gelich. —
Ich zöch mir einen valken
mere danne ein jär.
dd ich in gezamete
als ich in wolte hän,
and ich im sin gevidere
mit gölte wol bewant.
Er hat mir im Herzen
gar manchmal weh gethan,
Dass mich des gelüstete
was mir nicht werden kann
Und was ich nie gewinne;
der Schade, der ist gross.
Nicht mein* ich Gold und Silber,
von den Leuten rede ich bloss. -
Ich zog mir einen Falken
länger als ein Jahr,
Als ich ihn nuii gezShmet
nach meinem Willen gar
Und ich ihm sein Gefieder
mit Golde wohl bewand:
439
er haop sich üf ,vil höhe
und floug in anderiu lant.
Sit sach ich den valken
schone fliegen:
er fuorte an sinem fuoze
sidine riemen,
und was im s!n gevidere
alröt galdm.
got sende si zesamene
die gerne geliebe wellen sin.
Da hob er sich viel hohe
und flog in andere Land*.
Seit sah ich wieder den Falken,
stolz war sein Fing und hoch.
Er führte an seinem Fusse
die seidenen Riemen noch,
Auch war ihm sein Gefieder
noch überall voll Gold:
Gott sende die zusammen
die sich lieb sind nnd hold.
Ich gestehe, dass ich diesen Klagegesang der verschmähten und
verlorenen Liebe nie ohne die grösste Rührung lesen konnte; wie edel
und gross der Dichter hier eine hohe Frauenseele geschildert hat! und
ihren gerechten Schmerz über die Undankbarkeit des Treulosen, dem
sie, wie nur leise bildlich angedeutet ist, so viel Gutes gethan und auf-
geholfen hatte, dass es ihm später noch gut ging, als er sie schon
lange verlassen hatte. Die Zartheit des Ganzen erinnert, abgesehen von
dem gebrauchten Bilde des Falken (denn ein solches Kriterium wäre
allein zu unstatthaft), an den Nibelungendichter, der mit sparsamer
Kunst nnd mit den wenigsten Zügen doch in herzinnigster Weise die
Frauen zu schildern weiss ; das Lied ist wie ein Klagesang der Frau
Bmnhilde,- auf welche übrigens die ganze Situation trefflich passt. Denn
Sigfrid war zuerst auf dem Isensteine gewesen und hatte die schöne
Walkürenjungfrau geminnt, sie dann verlassen; das Wiedersehen des
alten Geliebten im Gefolge des brautwerbenden Königs Günther mag
ihr den Jammerruf erpressen. Es ist das nur ein Einfall und der lyri-
sche Ausdruck so allgemein wie möglich, doch ist so eine Yermuthung
nicht gerade unzulässig, man könnte sogar weiter gehen und das Stück
für eine Ballade halten, die sich aus dem grossen Gyclus abgelöst hat;
die UnWahrscheinlichkeit verschwindet, wenn man den Dichter mit dem
Kibelungensänger in eine Person zusammengebracht hat. Man wagte
den undankbaren Versuch , die ältesten Lieder ans den Nibelungen
lieranszuarbeiten, sollte es dann so unerlaubt sein, dem grossen
Epos ein Lied wieder zufahren zu wollen, zumal an einer Stelle, die
gerade durch ihre Lückenhaftigkeit beweist, ,wie viel von der alten
Composition ausgefallen seio muss. — Auch die Form ist sehr lehr-
reich. Die epische Stanze, die auch der (fragliche) Kaiser Heinrich VI.
(1191 — 97) durch innere Reime gebrochen hat, ist hier nur durch
Einschnitte getheilt und dazu ist die schliessende Halbzeile durch einen
Fuss, wie im Nibelungenliede verlängert. Diese „Kürenberger Weise, **
welche in dem genannten Epos noch bisweilen als Ueberlieferung er-
scheint, zeigt deutlich, wie dieses und andere verwandte Heldeplieder
440
> ■ '
vor ihrer Em^uerong und weiteren Ausbildung am Ende des XII. Jahrh«
ausgesehen haben mögen.
, Man hat im Körenberger den ritterlichen Spielmann Volker von
Alzey finden wollen: seine Ueimath liegt uns aber näher, man braucht
sie nicht am Rheine zu suchen , sie findet sich an der Donau. ') Der
Kürnberg ist ein Waldgebirge, eine Stunde westlich von Linz, das steil
gegen die Donau abfällt und auf einer seiner Spitzen die Trümmer
einer Burg trägt. Hier waren die Herren von Kürnberg sesshafb, die
schon vor der Trennung Oesterreiöhs von Bayern erscheinen und zwar
in einem Passauer Saalbuch vom Jahre II40 und in einer Salzburger
Urkunde von 1150.
Ein anderer dieser Sänger, der auch nach Bayern gehört, ist Herr
Dietmar von Eist. Der wahre Sachverhalt mit diesem Dichter wäre
unerklärbar, wenn mau an der von Lachmann aufgestellten Behauptung
festhalten wollte, dass kein Lied unserer Minnesänger über das Jahr
1170 hinaufreiche. Doch scheint gerade unser Dietmar wie gemacht
dazu, die ]liachmann*sche Conjectur als einen blossen Einfall umzastosseo.
Deim Dietmar von Eist steht schon 1142 im Schenkungsbuch der
Propstei Berchtesgaden, ferner 1143 und 1148, im Jahre 1159 in einer
Urkunde des Bischof Konrad von Passau, und im J. 1170 im Saalbach
des Klosters Adersbach; ein Jahr darauf war er bereits hochbetagt
gestorben und zwar wahrscheinlich kinderlos, da seine nicht unbeträcht-
lichen Besitzungen an seine Schwester Sophia, die an einen EngUbert
von Schonheringen vermählt war, übergingen.') Wenn man also nicht
annehmen will, er habe noch, aus dem Grabe gesungen, so bleibt nichts
Anderes übrig, als entweder zuzugeben, dass unsere Lyrik über 1170
hinaufreicht, oder zu beweisen, dass alle unter Dietmars Namen über-
lieferten Lieder diesem fälschlich unterschoben wären. Da sich aber
(wie auch M. Hpt. herausfühlt) unter diesen absonderlich drei durch
ihre alterthümliche Form auszeichnen , so ist jene von Lachmann so
willkürlich gezogene Schranke bereits durchbrochen. Das erste dieser
Lieder lautet (33, 15 ff.):*)
') Vgl. Karajan's Mittheilungen bei Hpt. 229.
>) Hpt. S. 215 u. 246, vgl. dazu Pfeiffer Germania 111. 505 — Die Stamn-
bürg der Herren von Eist lag in der Riedmark auf einem Berge Ewisriiei
Ried und Wartberg, der noch jetzt den Namen Altaist trägt.
') Nach Simrock MS. S. 46:
Abi, nun kommt die schöne Zeit, der kleinen Vögelein Gesangs
Es grünet wohl die Linde breit, vergangen ist der Winter lang.
Nun sieht man Blumen wohlgethan, an der Haide üben sie den Schein,
Davon wird manches Herz erfreut : so sollt auch meins getröstet seio.
441
Ahi nu kämet uns diu zit, der kleinen vogelline sanc.
ez gruonet wol diu linde breit, zergangen ist (Jer winter lanc.
nu siht man bluomen wol getan üeben an der beide ir schüi.
des wirt vil manic berze frp: des selben troestet sieb daz min.
Uf der linden 6ben6 da sanc ein kleinez vogellin.
vor dem walde wart ez lüt: do huop sieb aber daz herze min
an eine stat da'z e da was. ich sach die rösebluomen stan:
die manent mich der gedanke vil die ich hin zeiner frouwen hän.
Ich bin dir lange holt gewesen, frcuwe biderbe unde guot.
wie wol ich daz bestatet hän! du hast getiuret mir den muot.
swaz ich din bezzer worden si, ze h^le müez es mir ergän.
machestu daz ende guot, so hast duz allez wol getan.
„Ez dunket.mich wol tusent jär daz ich an liebes arme lac.
sunder äne mine schult fremedet er mich manegen tac.
Sit ieh bluomen niht ensaeh noch enhorte der vogel sanc,
Sit was mir min fröide kurz und oueh der jämer alze lanc.^ —
Die Unruhe der Minne drückt sich in einem Wechselgespräche
aus: wenn die ganze Welt schläft, so lässt dem Dichter doch die Sehn-
sucht nach seiner Schönen keine Ruh£ (so al diu werlt ruowe hdt, so
magjch eine entläfen niet. daz kumet von einer frouwen schoene. 32,
9. 10); er sendet also den Boten zu ihr und lässt dem schönen Weibe
sagen, wie es ihm ,,äne mäze w§ tuot^ dass er sie so lange meide;
darauf lässt sie zurücksagen: er möge sich*s nicht gar zu sehr zu
Herzen nehmen, es gehe ihr aber auch nicht besser. — Das Warten
macht das Minnerlein ungeduldig, er verzweifelt, ob er das Ziel seiner
Wünsche auch erreiche uud glaubt in jungen Jahren sterben zu müssen
(34, 23 ff.):
ein rehtiu liebe mich betwanc
daz ich ir gap daz herze min:
des werdent mir diu jär so lanc,
sol ich von der gescheiden sin:
Oben auf der Linde Zweig sang ein kleines Vögelein,
Vor dem Walde \i*ard es laut : Da winkte mir das Herze mein
An einen Ort, wo ich einst war: ich sah da Bosenblumen stehn:
Die mahnten der Gedanken mich zu einer Frauen ausersehn.
Ich war dir lange Jahre hold, du meine edle Herrin gut.
Wie war das wohl an dich gewandt! geedelt hast du mir den Muth.
Was ich gebessert ward durch dich, das müsse mir zum Heil ergehn,
Und machst du noch das Ende gut, so ist mir wohl an dir gescbehn.
,,Es dünket mich wohl tausend Jahr, dass ich an Lieles Arme lag,
Gänzlich ohne meine Schuld meidet er yiich manchen Tag.
Seit ich Blumen nicht mehr sah, noch borte kleiner Vögel Sang,
War alle meine Freude kurz, dabei der Jammer allzulang.^
442
des waen min leben niht lange sie.
ich verdirbe in kurzen tagen :
mir tuot ein scheiden also w3!
Sie hat ihm das Herz aus dem Leibe genommen, was ihm fr&ber,
so viel er auch Frauen sah, nie begegnete'; was er vordem für Freude
hielt, ist gegen diese Minne ^ein krankiu wunne** (35, 8). — Dagegen
klagt dann wieder die Verehrte, dass die Welt nach altem Brauch ihr
übel mitspiele: „diu werlt noch ir alten site an mir begdt mit nide"
(36, 5); sie wollen, dass den besten Freund sie meide. Endlich aber
hat er sie umfangen: da steht ihm das Herz in Freuden! Die Welt
hatte ni§ ein schöneres Weib, ruft er glückselig aus. Der uns Alle
werden hiess hat an ihr nichts vergessen; sie ist „leides ende und liebes
tröst und aller fröide ein wünne ! (36, 32.)
Darauf folgt (37, 4) wieder eine Ballade oder ein GenrebildcheD
im älteren Style;
Ez stuont ein frouwe alleine,
und warte über haide,
unde warte ir liebe,
so gesach si valken fliegen,
„so wol dir, valke, daz du bist!
du fliugest swar dir liep ist:
du erkiusest in dem walde
einn boum, der dir gevalle.
also hdn ouch ich getan:
ich erkös mir selbe man:
den weiten miniu ougen.
daz nident schoene frouwen.
ow^ wan länt si mir inin liep?
jo engerte ich ir deheiner trütes
niet.^
In der Folge wird sie sogar
So we dir, sumerwunne!
daz vogelsanc ist geswimden:
als ist der linden ir loup.
jdrlanc mir truobent ouch
miniu wol stenden ougen.
min trüt, du solt gelouben
dich anderre wibe:
wan, helt, die solt du miden.
do du mich 6rst saehe,
dö duhte ich dich, zewäre,
s6 rehte minneclich getan:
des man ich dich, lieber man!^
Eine Frau stand alleine
Und blickte über die Haide,
Und blickte nach dem Lieben;
'Da sah sie Falken fliegen:
„So wohl dir, Falke, dass du bist!
Du fliegst wohin dir lieb ist.
Du suchst dir in dem Walde
Einen Baum, der dir gefalle.
Also hab* auch ich gethan:.
Ich ersah mir einen Mann,
Den erwählten meine Augen;
Das neiden andre Frauen.
0 weh, so lasst mir doch mein Lieb:
Ich stellte ja nach eueren Liebsten
nicht*
etwas eifersüchtig (37, 18 flF.):
I „So weh dir, Sommerwonne!
Der Vogelsang ist geschwundeD,
Also ist der Lind ihr Laub.
Künftig trüben sich mir auch
Meine Augen, die klaren.
Mein Lieb, du sollst dich wahren
Vor allen anderen Weibern:
Die jBollst du, Held, vermeiden.
Als du zuerst mich hast gesehnt
Da deucht ich dich, willst du's ge-
stehn,
Geschafiien also minniglich:
Lieber Mann, dess mahn* ich dicb!^
448
t
Endlich kam es an ein Ende, darnach sein Herze rang, er wurde
ihr anteithän , wie das Schiff dem Steuermann bei spiegelglatter See
(swenne der wftc sin ünde also gar gelözen hat) so höh ^vn\ ruR er
jubelnd aus; nun wird ihr die winterlange Nacht endlich kurz und ihm
geht ihre Schöne auf wie der Sonne Schein.
Das dritte von den seltsamen Liedern , die unbestritten zu den
ältesten gehören, die uns überkommen sind, könnte beinahe als Vor-
läufer der Wächterlieder betrachtet werden, insoferne hier die Frau
selbst da« Weckeramt übernommen hat über ihren Herzenstraut („frie-
det = Freund, (Jeliebter, gleichbedeutend als Schmeichelname mit dem
schönen «helt'') S. 39, 18 ff:«)
^Släfest du, min friedel?
wan wecket unsich leider sojiiere.
ein vogellin so wol getan
daz ist der linden an daz zwt gegän.**
^Ich war vil sanfte entläfen:
nu rüefestu kint Wäfen wäfen!
liep dne leit mac niht gesin.
swaz du gebiutst, daz leiste ich, friundin min.**
Die frouwe begunde weinen.
^dn ritest hinne und Mst mich einen.
wenn wilt du wider her?
owe du fuerest mine fröide dar." —
Unerklärbar ist das in der Weingartner Handschrift eingemalte
Bild^ welches in dem Manessencodex noch weiter ausgeführt ist.') Eine
hofelich gekleidete Frau mit wallenden Haaren, ein Bräckelein auf dem
Arme, tritt aus ihrem Schlosse, um mit einem Ranfrnann zu kramen,
der eben angelangt sein mag und seine Waaren ausgelegt hat. Sein
Maulthier trägt einen Köcher mit Gabiloten, über einer Stange hat er
seltsam gestaltete Taschen, Bürsten, Gürtel, einen grossen Ring und
') S im rock 45: .Schläfst du noch, mein Leben?
Es ist wohl Zeit uns eu erheben.
Ein Vögelein so wohlgethan
Hebt auf dem Lindenzwei^ zu singen an.^
y, ,,Ich schlief so sanft, dein Werken
So eiliff, ist mir, Kind, ein Schrecken.
Lieb ohne Leid mag nimmer sein:
Was du gebietest, leisf ich, Freundin mein.^^
Die Frau begann zu weinen:
^Du reitest, ßssest mich alleine.
Wann kommst du wieder her zu mir?
Weh, meine Freude nimmst du fort mit dir.^ —
») Hagen V. 223 ff. u. Taf XIIL
444
•
allerlei andere unerkenübare Handelsartikel aufgehängt, sie ist im Be-
griff einen perlengestickten Gürtel einzuhandeln, wozu er ihr eine vier-
eckige Schnalle ohne Dorn bietet. Der Krämer ist ein korzloekiger
Jüngling, mit einem breitkrempigen Judenhute, er trägt eiaen Mantel
über dem enggegürteten Aermelrock; so erscheint er ganz als um-
ziehender Kramer, nqr der Wappenschild darüber bezeichnet den Ritter.
Da sich in Dietmar*s Gedichten gar kein Anlass zu solch einer Illo-
stration findet, so bliebe die Sache unverständlich, wenn man nicht
annehmen könnte, dass an den beiden Handschriften mehrere HInde
gearbeitet haben. Jedenfalls. hat die Weingartner Handschrift ein An-
derer geschrieben und ein Anderer mit Bildern ausgeschmückt; der
Maler, der vielleicht von den Liedern nicht mehr wusste, als ihm der
Auftraggeber daraus mittheilte, irrte sich in den Blättern und setzte
hieher sein, für den später folgenden Brennenberger componirtes
Bild, denn diesen erblicke ich in dem Bilde, wie er in verkappter
Gestalt der schönen Königin von Frankreich seine Waaren anbietet Der
Maler der Manessen aber kannte die Weingartner HS. und copirte un-
bekümmert, wie denn gerade dieser Dlustratcur sich die grössten Frei-
heiten herauszunehmen wagte und namentlich in heraldischen Dinges
mit unverzeihlicher Sorglosigkeit nach Belieben verfuhr.
Ihm zunächst erscheint Herr Meinloh von Sevelingen. Die
edlen Herren von Sevelingen (heute Söflingen ^oder Sefiingen) bei Ulm
gehörten zu den Dienstmanneu der Grafen von Dillingen; ein Meinlob
von Sevelingen, vielleicht der Sohn oder Enk^ unseres Dichters, er-
scheint 1237 — 40 in Urkunden als Truchsess (dapifer et miles) des
genannten GrafeDgeschlechtes. ') Die Familie aber muss bald ausge-
storben sein, weil schon in der Mitte des XIU. Jahrh. die Burg Seve-
lingen an das Kloster der kurz erst entstandenen EHsabethmennneo
kam. Das Wappen derer von Sevelingen zeigt drei Löwenköpfe mit
goldenen Ejronen im schwarzen Feld. Das Bild in den Manessen stdlt
den Dichter als reichen Jüngling dar, wie er seine Lieder in einer Rolle
(briefe) einem edlen Fräulein überbringt und entspricht ganz dem ruhi-
gen Inhalte der diesem Dichter zugetheilten zwölf Strophen,') die eine
höchst einfache Liebesgeschichte wiederspiegeln: Da der Dichter das
Lob der schönen Frau hört, so fährt er nach ihr aus und findet seine
Erwartungen übertrofl^n; er hält es der Aufpasser und Merker wegen
') Hpt. 231. Von diesem Meinloh wissen wir auch, dass er im Jahre 1240 de«
Abte Richard von Kaisheim eine enorme Portion Käse und zwar um 20 Itfk
Silbers verkauft habe.
>) Hpgen 1. 219 u. 220. IV. 156 ff. Hpt. III. 11-15. Simrock 48.
445 .
(Über die alle diese Dichter anfänglich zu klagen haben) für unklug,
lange um ein Weib zu werben; er hat sie zu der Seinen erwählt und
sie gefällt ihm so wohl, dass er sogar, wenn er unterdessen sterben
müsste und dann wieder lebendig würde, doch um sie würbe (Hpt. 13,
1 — 13):
Ich bin holt einer frouwen:
ich weiz vil wol umbe waz.
stt ich ir gunde dienen,
si geviel mir ie baz und ie baz.
ie lieber und ie lie lieber
so ist si zallen zften mir,
ie schoener und ie schoener:
vil wol gevallet si mir.
sist saelic zallen eren,
der besten tugende pfliget ir Ifp.
stürbe ich nach ir minne,
und wurde ich danne lebende,
so würbe ich aber umb daz wip.
Die Frau dagegen klagt, dass die Merker schon wissen, dass sie
seine Freundin sei und ihr das ärgste nachreden, würden ihr aber auch
die Augen ausgestochen, ihre Sinne könnten ihr doch zu keinem ande-
ren Manne rathen, der zwar noch etwas jung sei, doch gebe es andere
Frauen, die sie desshalb beneiden ; die ihn durch ihre Schuld verloren,
sollten nach Belieben darüber trauern. Nach einer kleinen Episode
scheint sich beider Wille gut gefügt zu haben. — Mein loh ist in seiner
uralten Kunstlosigkeit , die ihn Auqh der Foria nach dem Kürenberger
gesellt, ebenso in seiner ruhigen, immerhin aber doch etwas dialecti-
sehen Bescheidenheit, sehr liebenswürdig.
In der weiteren Reihenfolge treffen wir auf den Burggrafen von
Rietenburg. Das gleichnamige Stammschloss bei Kellheim an der
Altmühl liegt längst in Trümmern. Das Geschlecht, das ehedem darin
hauste, reicht weit hinauf« Von dem Grafen Babo mit seinem fabel-
haften Ehesegen, der acht Mägdelein und dreissig oder gar zweiund-
dreissig Söhne »gewann (welch letztere er alle dem Kaiser Heinrich 1.
darstellte) sang noch zu Äventius * Zeiten das Volkslied. Unter ihren
Nachkommen haben die Grafen Heinrich und Otto (um 1179), mit
welch* Letzterem der Stamm erlosch, auf die unter diesem Namen über-
lieferten wenigen Strophen Anspruch. ') ,
') Uageu I. 218. IV. 155-56. Hpt. V. 18 ff.
. 446
Das Wappen der Rietenborger iat: ip silberaem Schilde ein
schwarzer Schrägbalken, von drei rothen Rosen mit silberneo Batzen
begleitet; das Kleinod: ein geschlossener silberner Flog mit dem
schwarzen Schrägbalken und den drei Rosen wie im Schilde. ') Das-
selbe entspricht sO' ziemlich dem in den Manessen gemalten; das Bild
dazu stellt die herkömmliche Sendung des Liedes durch einen Boten dar;
der Graf, in rothem Mantel und blauer Niederwatt sitzt, die eine Haod
aufs Schwert gestützt, in der anderen Hand eine Schi'iftrolle, welche
ein Garzun, mit kurzem Jagdmesser an der Seite, von ihm empfangt.
Der arme Herr hat, wenigstens nach seinen Liedern zu schliesseo,
viel Ungemach erlebt Erst stund ihm sein Gemüthe, nie so hoch, als
da er erfuhr, dass er ihr zu Hulden gedient (18> 13) :
ich fiirhte niht ir aller drö,
s!t si wil daz ich sf frö^
er hörte ein Maere , dass Minne der allerbeste Trost sei , . eine wahre
Seligkeit '^ die niemals eine schimpfliche Strafe nach sich bringe; ganz
standesherrlich drückt er sich hierüber aus, dass die Minne nie ^^harn-
schar erkös.^ ^) Unter Harmschar ist keine bestimmte Strafe zu denken,
das Wort kann von jeder gelten, obgleiqh es die Strafe vornehmer und
edler Männer war , die wegen Verletzung des Lehenrechtes mit Sattel-
und Huudetragen belegt werden konnten ; ') die Minne aber hat unser
Burggrafe als ein Lehen von der Geliebten ertheilt, betrachtet. — Di^
Zeiten ändern sich , die Huldin will ihn auf die Probe stellen und er
freut sich darüber , dass er nun wie das Gold in der Gluth sich be-
währen könne (19, 17), es muss ihm aber doch zu viel geworden sein,
denn er fahrt von dannen und sie will nichts mehr von ihm wissen.
Seine Lieder, die reine Reime haben, aber ungleich gemessen sind,
haben eine gewisse Nüchternheit, kaum dass die „nahtegal ^ und die
rothen Blumen etwas conventionell hereinsehen können.
Aus dem Umstände, dass der Spervogel bei ihnen gastete,
könnte man annehmen, dass diese Bm'ggrafen den fahrenden Sängen
geneigt waren und freundliche Herberge boten/) Wir begegnen ihnen
noch einmal und zwar unter dem Titel eines Burggrafen vodR^
') Siebmacher IL 10. Nro. 4.
*) Ich hörte wfleut sagen ein maere,
daz ist min aller bester tröst;
wie minne ein saelekeit waere
unde harnschar nie erkös. (18, 25 ff.)
') Grimm Rechtsallerthümer. S. 681.
4) Hpt. 25, 28 und S 237.
447
gensburg/) der höchst wahrscheinlich mit dem vorhergehenden ein
and dieselbe Person sein könnte; zum mindesten stammen der Burggrafe
von Regensborg und der von Rietenbnrg aus gleicher Familie, denn
Regensburg war ein Lehen des Bayemherzoges, welches die von Rieten- *
barg bis zu ihrem Erlöschen trugen. Dass ihnen verschiedene Wappen
beigemalt sind, darf nicht beirren, denn als Regensburger Barggraf
föhrt er hier mit Recht das Wappen der Stadt: die silbernen Schlüssel
im rothen Felde, als solcher hat er auch „daz fridgericht und daz
schulthaizampt;^ in der Ausübung dieser Rechte sitzt er in der Pariser
HS. abgemalt auf dem Throne, hinter ihm stehen zwei Knappen als
Schwerthalter und vor ihm sind mehrere Leute, die sich Recht spre-
chen lassen. Im Ausgange des Xu. Jahrh. gibt es drei burggräfliche
Bruder von Rietenburg, die l^öhne des Landgrafen Otto IV., von denen
einem, Namens Heinrich (f 1184) diese beiden Lieder zugesprochen
werden. Sie sind sehr einfach, in der bekannten Form und mit dem
stereotypen Inhalt: Wechselrede der Geliebten mit ihrem Ritter, herz-
Ucfaes Gedenken ihres minniglichen ^umbevangen,^ Klage über unbe- .
rofene Aufpasser und sehnendes Weh über „unsenflez scheiden.^ —
Kaum eili Bayer , aber daselbst zeitweise wohlbekannt , ist der
rathselhafte Spervogel, ein Meister der Spruch Weisheit. Ob nun
dieses der wirkliche Name des Dichters, oder ob er nicht etwa nur
daher entnommen ist, weil der Dichter sich in einem Spruche auf seinen
Gesellen Spervogel bezieht, neben welchem jedoch auch ein Her-
gßr^ erscheint, welchen Simrock (S. 61) als Heriger zu Ehren
gebracht hat, ist ein. nicht zu entwirrender Knäuel; dazu kommt noch
die Malerei in den Manessen, wo der Dichter abgebildet ist mit einem
Speer in der Hand, an welchem viele Vögel stecken. Wer er nun auch
sei, so viel ist gewiss, dieser kluge wortweise Mann trieb sich in Bayern .
um , er kann am Hofe der Rietenburger Grafen und zu Gräfensteinberg
(bei Gunzenhausen) beim milden guten Wem hart auf Steinberg
gefunden werden, welch letzterer all sein Gut hingab, wie einst Rüdiger,
der so ruhmvoll zu Bechelaren sass und der Mark hütete. Auch bei
dem Grafen von Oettingen,') dem würdigen Erben der Stein-
berger, muss Spervogel mit seinem Unsichtbaren Heriger gegartet
haben, der eine ähnliche Persönlichkeit war und auf historische Exi-
stenz vielleicht mehr Anrecht hat, als der bilderwitzige Namr des
Spervogel.
*) Hagen I. 171. IV. 480—84. Hpt. 16 u. 232.
*) Hpt. 25, 24 ff.
448
Der unter diesem Namen verkappte Spruchdichter muss weit her-
umgekommen sein, er kennt auch die Heldensage von den Nibelungen
so gut wie vom Fronte von Dänemark ; seine Sprüche sind jedoqh immer
aus dem ländlichen und häuslichen Leben genommen, von zahmen
und wilden Thieren , einzelne Züge oder kleine Parabeln sind ganz
im Geiste der alten mährchenhaften Thiersage z. B. vom Wolf wie er
des Schachspieles vergass als ein Widder dazu kam, wie er in das
* Kloster ging und die Schafe hüten sollte, sie aber würgte und dann des
Pfaffen Rüden beschuldigte ,(Hpt. 27, 27 ff.), wie zwei Hunde um ein
Bein stritten und der schwächere knurrend den anderen es nagen sah ,
(28, 6), Sehr merkwürdig ist eine andere Stelle, wo der Dichter in
t^ezug auf seine Kunst das Gleichniss gebraucht, dass die Maler durch
Carricaturen übel gelungener Bilder mit Recht zu Tbesseren Werken an-
reizen;') wessen Malz aber (fährt er in der Nutzanwendung fort) erst
noch auf der Darre liegt ^der lobe mein Bier, bis er sieht, wie ihm
seine Würze gerathe.^ — Die Kunstgeschichte erhält daraus einen bis-
< her noch nicht beachteten Fingerzeig über diese frühe und eigene Art
von Zerr* und Fratzenbildern , dazu ist durch das angehängte Beispiel
der Boden angedeutet, worauf der Dichter damals sich bewegt haben
mag: das gute Hopfen- und Bierland an der Donau.
Vom Endilhart von Adelburg odei* Adelnburg ist nur durdi
eine einzige Handschrift ein kurzes Lied und eine Strophe erhalten, in
welch letzterer sein scrupulöses Gewissen zum komischen Ausdruck
kommt: ob das wohl der Seele schade, wenn ein werther Leib mit
Treuen um ein Weib wirbt, wie noch Mancher thut? Ich möchte wohl
einen Eid darauf ablegen, dass es gut wäre; erregt es aber die Un-
gnade des Himmels (ist aber ez ze himele zorn), so kommen die Bösen
alle dahin und die Biderben sind gar verloren. Sonach erscheint es ihm
doch das Beste, sich einer Frau zu ergeben, die et bittend und grOssend
anspricht (Hpt. 148, 9—16):
Saelden fruht, der ougen süeze,
gunet mir der arebeit
>) Entwerfen ist ein spaeber list,
da beeret spotten zuo,
al ndch der ougen speben;
ich waene, rebt der maier ist,
ob einer misset uo,
daz ez die andern sehen
und spottens, niht dur minuen haz
er scbepfe siniu bilde baz.
swer malzes pfligt, die wtle ez ligt dur derren üf dem slAte,
der lobe mta hier, unz er beseite, wie im sin wuerze gerdte.
Hagen 11. 375. Str. 3, 2.
449
daz ioh, frowe, in dienen raüeze.
daz wirt mir ein saelikeit
ioh wil iemer dar iuch Sren
ellk wip.
niemasn kao mfai leit verkdren
äne got wan iuwer Hp.
Lange wollte sich der Dichter nirgends urkundlich auffinden lassen,
endlich gelang es, selben in dem Engilhart von Adelenburc zu entdecken,
der zur Zeit des Abtes Regenbote von Weihenstephan (11 74 — 82) einen
Kauf bezeugt; im J. 1200 kommt er in einer Urkunde des Markgrafen
Berhtold von Vohbui*g für das Kloster Reichenbach vor; im J. 1202
in einer Urkunde för Waldsassen und noch im September 1230 treffen
wir ihn im Lager bei Anagni, eine Urkunde Kaiser Friederich II. be-
zeugend. *)
« Die beiden Diditer Hartwic von Rute und Bligger von
Stein ach können nur dem Namen nach erwähnt werden. Die Familie
des Ersteren findet sich schon vor der Mitte des Xu. Jahrh. in Tegern-
seer und Salzburger Saalbüchem , ') unser Dichter scheint jedoch ein
wenig sp&ter zu sein; die wenigen Lieder') zeigen ihn ganz unsinnig
yerliebt (sd mich der piinnende unsin ane gSt. 117, 33). Bligger von
Steinach ist aus der Oberpfalz, wo er urkundlich von 1184 — 98 er-
scheint,^) also }n einer Zeit, wo das Land noch nicht zu Bayern
gehörte. Von ihm ist auch das epische Gedicht ^der umbehang^
CTeppich) und zwar vor 1207 gedichtet *)
Die Heidelberger-, Weingartner- und Pariser Handschrift, dazu
die des alten Parcival in München, liefern zusammen acht Lieder
Wolframs von Eschenbach. Es sind grösstentheils Tage- und
W ä ch t e r 1 i e d e r , als deren Erfinder Wolfram gelten muss, wenn auch
Aehnliches bereits bei den Provenzalen nachweisbar üblich gewesen sein
mag. Sein ESgenthum wenigstens bleibt es, dass der Hüt^ den Lieben-
den auf der Zinne wacht, wenn auch das morgendliche Scheiden schon
vor Wolfram in Deutschland gesungen ward.
>) Hpt. S. 287 (Hagen IV. 254.)
*) Ein Hirt wie de Route im TegernseerJSaalbuch ^ter Abt Konrad (1134
—1155), im Saalbiicb zu Wdbenstephan unter Abt Gttntber (1147—56), im
Saalbuch von St. Peter eu Salzburg uuter Abt Balderich Cf 1147), im Saal-
buch von Baumburg nm 1150. Hpt. S. 276.
») Hpt. XV. 116 u. 117.
<) Hpt. XVI. 118 u. 119 u. 277. Hagen Nro. 58. (s. Wappen ist eine Harfe.)
M Pfeiffer Zur deutschen Lit Gesch. 1855. 1—28 u. Germania U. 502.
29
450
Es herrschte närolioh im minniglichen Leben damals die Sitte, dass
die Fraae dem in ihrem Dienste befindlichen Ritter zaweilen eine Nacht
in ihren Armen gewährte, wenn er sich eidlich verpflichtete, sich nichts
weitet als einen Knss zo erlauben. ') Zwar mag es zum öfteren vorge-
kommen sein, dass so ein Ritter auch eidbrüchig warde gegen die
tugendlichen Gesetze seiner Dame, im Ganzen aber muss der Brauch
lange Zeit*in grosser Reinheit geübt worden sein, denn das, was da-
mals höfischer Ton war, hat sich bei unserem Landvolk und noch mehr
in Steiermark und Tirol zum Aergerniss der Geistlichkeit bis auf den
heutigen Tag erhalten, und die Erfahrung lehrt, dass die meisten dieser
Besuche, wenigstens in manchen Gegenden, in allen Ehren ablaufen.
Dazu waren, damit die Aufpasser und Merker nichts gewahren und den
Leumund der Frau nicht verderben könnten, treue Wächter nöthig, die
beim ersten Grauen des Tages die Glücklichen weckten, auf dass der
Begünstigte noch im Dämmerlichte unbemerkt sich von dannen zu hebeo
vermochte. Sobald nun die mittelalterliche Poesie sich der Liebe zu-
wandte, konnte die Entdeckung dieser anmuthigen Situation nicht aas-
bleiben und die Lyrik ergriff die Gelegenheit mit ihren lieblichsten und
feurigsten Tönen.
Diese Lieder sind dem ganzen Sachverhalte nach von äusserster
Realistik; was das Sängerlein vielleicht im minniglichen Kreise ab
seines Herzens innerste Empfindung nicht gesungen hätte, wagt sich d»
in anscheinender Objectivität und oft sogar in episch erzählender oder
fast dramatisch vorschreitender Weise heraus. . Wenn Levin Schückiog
ganz treffend von Gottfrieds ^ Tristan^ sagt, er führe „auf schmalem
Pfade durch nackte Seltsamkeiten,^ so ist in den Wächter- und Tage-
liedern die Grenze auch nicht enger gezogen. Davon zeigt gleich das
erste Lied Wolframs, das uns das ganze Treiben lebendig vorf&hrt:')
Den Morgenblick bei Wächters Sang ersah eine Frau, da sie traot
an ihres werthen Freundes Arme lag; davon verlor sie viel süsser
Freuden. Ihre Augen wurden nass. Sie sprach: ^0 wehe Tag! Wild
und zahm freut sich deiner und sieht dich gerne, ich aber nicht; vie
soll es mir ergehen ! Nun kann nicht länger bei mir bestehen msk
Freund: den jaget von mir dein Schein!'' Mit Kraft drang der Tag
durch die Fenster, die Läden waren geschlossen; doch half es nicht.
Dess ward ihnen Sorge kund. Die Freundin den Freund fest an sich
zwang, ihre Augen die begossen beider Waagen. So sprach zu ihm ihr
Mund: ^ Zwei Herze und einen Leib haben wir gar ungeschieden, unsere
') Vgl. Weinbold Die deotscben Frauen. S. 174 ff.
*) Lach mann Wolfram von Esdienbach. S. 3.
451
Treue fihrt miteinander, der grossen Liebe bin ich gar verhert, wann
80 da kommst und ich zu dir!^ Der traurige Mann nahm Urlaub also
bald. Sie rückten nfther. Weinende Augen, süssen Frauenkuss beschien
der Tag. Das war* ein Anblick für einen Maler (ruft der Dich-
ter): ^ir munde, ir brüste, ir arm, ir blankiu bein.^ Dur beider Liebe
trug viele Sorgen. Sie pfla^en Minne ^än allen haz.^ — Die Stelle
ist auch für die Geschichte der Kunst von Belang, schon im Parcival
hat Wolfram die Maler von Köln und Mastrich genann^; *) solch einem
„Schilter'' meint er mit achtem Künstlerblick,') müsste so eine Gruppe
malenswerth erscheinen! Und wirklich musste schon dainals dergleichen
Genre existilt haben, denn noch vor dem Jahre 1250 klagte Albertus
Magnus') bitter über solche, die in ihren Zimmern unehrbare Bilder,
Tanzende u. dgl. haben.
Mit grossem gewaltigen Wurfe beginnt ein anderes; „Seine Klauen
hat der Tag durch die' Wolken geschlagen, ^) er steigt auf mit grosser
Kraft,'' singt der treue Wächter auf der Zinne. Er sehe ihn täglich
so kommen, setzt er bei, den Tag, der den werthen Mann, den ich
heimlidi einliesa, der Gesellschaft entwenden will. Diese leise Mahnung
hat die Frau darinnen gehört und entgegnet: „Wächter, du singst, was
mir manche Freude nimmt und meine Klage mehret; täglich bringst du
mir inuner vor dem Morgen Märe, die mich wenig freut, die könntest
du mir wohl verschweigen , das gebiet* ich dir bei deiner Treue und
lohne es dir, so gut ich kann: so bleibet hier, mein Geselle.* — Aber
der Wächter mahnt: „Er muss von hinnen balde und ohne Säumen»
gib ihm nun Urlaub, süsses Weib. Lass ihn darnach heimlich immerfort
minnen, so behält er Ehre und Leib. Er gab sich in meine Treue, dass
ich ihn wieder brächte hindan. Nun ist es Tag: Nacht war es, als du
mit Umfangen (mit druck an brüst) und Küssen ihn mir abgewannst. ** —
„Singe, was dir gefällt, Wächter (entgegnet die Frau), aber lass' den
hier, der Minne brachte und Minne empfing. Von deinem Schälle
') Vgl. oben S. 125 o. 155 Parcival (156, 13).
M Aach Wall her von der Vogelweide (Lach mann 54, 17) versieht sich auf
Frauenschönheil.
') Vgl. Sigharl Leben und Werke des Albertus Magnus. 1857. S. 126.
^) Es isl ein prächtiges Bild , das trotz Einem unserer besten Ck)mme~ntaioren
Dichl von — Viehauslreiben hergenommen sein kann, sondern der Dichter
denkt den siegenden, mit Kraft aufsteigenden Tag wohl als einen Adler oder
Löwen, der die Klauen durch die Wolken schlägt und sie bei Seite wirfl^
wie die Sonnenitrahlen sieffreich durch die nächtlichen Gewölke dringen.
Auch Shakspeare sagt (Julie und Romeo 111. 5):
Nig^ht's candles are bumt out, and jocund day
Stands tiploe, on the misty monnlam lops.
29»
452
erschracken ich und er. Noch ging kein Morgenstern auf für ihn, der
nach Minne kam, noch leuchtet nicht des Tages Licht; du hast ihn
mir oft schon aus den blanken Armen genommen, doch aus dem Herzen
nicht. '^ — Von den Blicken, die der Tag durch das Glas that und des
Wächters Mahnung erschrack sie um den, der bei ihr war. Noch
einmal zwang sie ^brust an brüstelfn,^ mit, Küssen gab ihm die Minne
Lphn.«^ —
In Ganzen wiederholt sich so ziemlich immer dasselbe, dass,^ wenn
der ^tagende glasf* durch die Wolken dringt, die Fraue über die
Mahnung des Wächters ihre Klage erhebt, dass dann die Buhlen noch
einmal des süssesten Minnespieles pflegen: ^gar heimlich smacken, ir
briistel drucken und mer dannoch^ und dann der lobenswerthe Held
weiter fUhrt. ^ Könnt* ich ihn doch in meinen Augen bergen!^ ruft
einmal die Frau und flucht dem Tage (gevluochet wart dem Tage), oie
kam ein ^truric scheiden also snel.^ Aber in Treuen will der Ritter
seines Hortes gedenken: ich will nun reiten, ^d)n wlplich güete sf mto
schilt kiut hin und her und her ntLch zallen ztten,^ und mit der innig-
lichen Bitte: ^nu kum schier wider üf rehten tröst^ wird dem Glfiek-
lichen der Abschied ertheilt.
Doch hat Wolfram auch andere, eigentliche Minnelieder, voo
solcher Pracht, Fülle und Gluth, die jeden Uebersetzer auf treue Wie-
dergabe im voraus verzichten lassen , z. B.
Ursprfnc bluomen, loup üz dringen,
und der luft des meigen urbort vogel ir alten ddn :
etswenn ich kan niuwez singen,
s6 der rlfe ligt, guot wlp, noch allez an dfn 16n.
5. die waltsinger und ir sanc
nach halben sumers teile in niemens öre enklanc.
Der bliclichen bluomen glesten
sol des touwes anehanc erliutem, swk si sint:
vogel die hellen und die besten,
10. al des meigen zft si wegent mit gesan^ ir kiDt.
^6* slief niht diu nahtegal :
nU wache abr ich und singe üf berge und in dem tal.
Min sanc wil genäde suooben
an dich, güetlich wfp: nu hilf, stt helfe ist worden nAt
15, dtn lön dienstes sol geruöhen,
daz ich iemer Mute und biute nnz an xaHnen tot.
l&z mich von dir nemen den trdst
daz ich üz minen langen klagen werde erldst
458
Gnot inp, mac m!n dienst eirinden,
20. ob d&n helfeKeh gebot mich frOiden welle wem,
daz min trürep mfieze swinden
und ein liebez ende an dir bejagen m!n langez gern?
din gQetlfch geläz mich twanc
daz ich dir beide singe al kurz od wiltu lanc.
25. Werdez wfp, dfn süeziu gtiete '
' und dIn minneclicher zom hat mir yil froide erwert.
mäht du troesten min gemüete?
wan ein helfelichez wort von dir mich sanfte ernert.
mache wendic mir min klagen,
10. so daz ich werde gröz gemuot bt minen tagen.')
Mit stillem Hoffen wendet sich der Dichter in einem anderen Liede
sine Frau, die sein Herze auch „in vinster naht^ durchschaut:
leicht erscheint doch für mich noch ein lichter Tag, denn schon
sere Wunder sind geschehen. So wenig wie der Storch die Saaten,
dige ich die Frauen ; ungern würde ich ihren Hass auf mich laden,
m sich eine an mir vergeht — ich lass' es beruhen und pflege
le Zucht. — Dann aber wendet er sich, nachdem er selbst früher
Katerweg gewarnt hat, vom Wächterliede ab und besingt die
che Liebe, die gefahrlose Freuden gewährt. „Wie Saures nach
Süssen folgt, so singst du den Helden zur Klage auf ihre Minne.
Minne uud weiblich Grüssen also empfing, dass sie sich scheiden
$en, wenn du es ihnen rathest und der Morgenstern aufging, da
eige Wächter und singe nicht gerne davon ; das ist nicht absonder-
rühmlich. Wer es je so bekam, dass er bei der Liebsten lag den
lern unverborgen , der braucht nicht am Morgen heimlich hinweg-
bleichen und sein armes Leben bewachen zu lassen. Er harrt
l des Tages, denn ein offenkundig süss Gemahl C^in offen süeze
^ 1^2. Das Sprossen der Blumen^ das Hervordringen des Laubes und die
Luft des Maien erweckt den Vögeln ihren alten Ton. urbar Ertrags adj.
»nsgebend, die Lehensabgaben entrichtend^ urborn Verb, hervorthun,
sehen lassen, zeigen. — v. 3. eteswenne irgend einmal. — v. 4. so der
rlfe 1i{^, d. h. im Winter, hb aber kann auch im Winter und noch immer
70n Dir unbelobot Neues singen. — v. 6. nach der Hälfte des Sommers. —
V. 7. blicllch glänzend, blinken, glesten, von glast, glänzen. — v. 8. des
louwes anebanc = die Tbautropfen an den Rlumen. erliutern = erhellen«
irerschönern. — v. 10. wegen scnwingen, wiegen. — v. 15. geruochen eines
Dinges = es für gut finden, annehmen. — v. 16. daz beziehet sich auf das
ils neulr. gebrauchte dienet. - v. 19. ervinden befinden, erfahren. - v 20.
wem Eines eines Dinges » Einem etwas gewähren. — v. 23. feldz Bild-
ung.» Gestalt. — v. 24. dass ich dir singe sowohl ganz kurze, oder^ willst
du, lange Lieder. ~ v. 26. erwem, erwehren. — t. 27. mäht, von mügen,
können. — y. !^ ernenn erhalteo.
454
Wirtes wip) kann solche Minne geben.^ Ako nahm «ich der Dichter
wohl selbst ein süsses Weib; über sein Familienleben sind oben (S. 129)
m seiner Biographie einige Vermnthungen eingestreut
Mit Wolfram vielleicht gleichzeitig wäre Herr Günther von dem
Vorste zu setzen; er könnte zwar ein Oesterreicher sein, doch stimmt
sein Wappen zu dem der alten bayerischen Forster von Wildenforst:
drei herzförmige Blätter in goldenem Felde. ^ Im Bilde der Pariser
Handschrift sitzt der Dichter auf blnmiger Aue unter laubigeu Standen
neben einem Fräulein, der er eine Gabe bietet. Seine sechs Lieder')
sind alle in der altern Art des Minnesanges; er lebte in der ersten
Blüthe Walthers von der Vogelweide sowie Wolframs. Er minnet und
klagt, ohne dass die Geliebte davon weiss, er achtet sich nicht würdig,
ihr sein Herzeleid zu sagen, doch hat er ^ein Tröstelein :^ dass der
Beständigkeit gut Ende verheissen ist (II. 4.); dieser Ausdruck erinnert
wörtlich an das ^troestelin^ Walthers (66, 2.), indess das fünfte Lied
Günthers, eine 23 strophige Ballade mit dem Kehrreim:
Es nahet dem Tage,
Wenn sich zwei Liebe scheiden, die haben herzeleide Klage
'an Wolframs Wächterlieder erinnert. Herr Günther ist der erste in
diesem Genre, der sich darin versucht, die ganze Geschichte zweier
Liebenden darzustellen. Schliesslich erzählt er einen Traum.
Auch Leutold von Seven hat ein Wächterlied gedichtet, es ist
nach Wolfram, V der Dichter aber gleichzeitig mit Walther zu setzen.
Leutold galt lange für einen Tiroler, doch gehört er zu dem freiherr-
lichen in der Gegend von Passau ansässigen Geschlechte von Hagenao,
das in Freisinger Urkunden von 1176—1190 zu tage tritt; ein Leutold
von Hagenau und sein Sohn bezeugen die Schenkung ihres Gutes in
dem Dorfe Sewen an die Abtei Weihenstephan (bei Freising).*) —
') Ztr dieser Familie gehören wahrscheinlich ein Alber, Waller und Swicker
von Yorst, welche 1259 in einem Vertrage des Bischof Berhlold von Baa-
berg mit Albert von Hals, betreffend das Kloster Oslerhoven bei Passau,
Bürgen Alberts sind, dessen Stammhaus Hals gegenüber von Passan fiegl.
Dessgleichen Heinrich von Vorst, der 1268 eine Sühne desselben Albert voa
Hals zwischen dem Abt Dietrich von Aldersbach und Ortoir von Weng u
Aldersbach bezeugt. Hagen IV. 478. - Auch hier ist der Maler der la-
nessen willkürlich, denn die Forster von Wildenforst haben nie ein anderes
Wappen gerührt als im silbernen Schilde einen rothen, ausgerissenen Lin-
denbaum mit fünf rolhen Blättern.
*) Hagen n. 164-68.
') Hagen lY. 490 u. 757. -* In seiner Nähe nuiss auch der sogenannte Herr
Friedrieb der Knecht (Hagen Nro. 108) gestanden haben^ LeotöMs
Lieder stehen in der Heidelberger Liederhandschrift unter Friedridil
458
Uebrigens tnuM der Dichter kein angenehmer Herr gewesen sein und
mit seinen Zeitgenossen mannigfach gehäckelt haben, auch muss sehr
Vieles von ihm verloren gegangen sein, den Reinmar der fidelaere ')
rdhmt von ihqt so viel, dass es beinahe verdächtig, wie helle Ironie
klingt: Herr Leutold von Seven singe besser, als irgend Jemand auf
der Welt, alle seine Verwandten, seine Vettern und Basen, Schwieger,
Schwäher und Schwager können es ihm bezeugen, er singt Tagelieder,
Klagelieder und Gedächtnisslieder (hug^liet), Zuglieder, Tanzlieder und
Leiche kann er machen, er singt Kreuzlieder, Zwinglieder (twingliet)
Scherzlieder (schimpfliet) , Lobe- und Rügelieder wie ein ganzer Mann ;
mit hoher Kunst kürzt er den Leuten das lange Jahr, so dass ^wir
Alie^ gerne still sind, wenn Herr Liutolt sprechen will; Niemand darf
sich im Sänge gegen ihn erheben, er singt alle lebenden Meister nieder
and der muss erst noch geboren werden, der ihn übertreffen soll. —
Der Witz ist hart, bitter und stachelig, vielleicht aber doch verdient,
wir danken dieser Stelle die AufzäUung und Kenntniss aller damals übli-
chen Liederarten. Das erste von seinen drei noch erhaltenen Liedern
folgt hier in freier Erneuerung:
Es maiet in dem Walde und auf der grünen Heid*,
Da mag von Kummer trösten die süsse Augenweid.
Ich hab* für all den sehnenden Muth
Trost gar keinen
Als den einen
Dass mir meine Fraue ist gut
Wohl dem, der sich da tröstet am Sang der Vögelein
Der sein Herze freuet an lichter Blumen Schein,
Er hat an den beiden überreiche Wahl
Blumen springen
Vögelein singen
Mit wonniglichem Schall.
Mehr als alle Blumen freut mich ihre Huld,
Die meine sehnende Minne benimmt der Ungeduld;
Hei! da mag ihr wonniglicher Dank
Freude senden,
Kummer wenden
Und die Sorgen machen krank. —
Dagegen ist Herr Heinrich von Frouwenberg, wenigstens
dem W^ippen nach, nicht mit dem bayerischen Geschlecht derer von
■) Hagen III. 830.
«
f
456
Frauenberg (bei Freising) vereinbar, ') Von ihm haben sieh nur fttof
Lieder (allein durch die Pariser Handschrift) erhalten. Er sang im
Frauendienst und war dem Bilde gemäss ein Lanzenbrecher und wi^
das Wächterlied verräth, auch ein Minnedieb. Er bewegt sich leicht in
jambischen, trochaischen und daktylischen Rythmen.
Mit mehr Recht könnte Reinmar der alte, oder der von
Hagen au genannt, für einen Bayer gelten. Während Wackemagel
noch zwischen Elsass und Bayern schwankt, entscheidet sich Haupt für
die erstere Landschaft.*) Wir haben jedoch in Bayern acht Ortschaf-
ten, die den Namen Hagenau ^agen ; eine urkundliche Nachweisung ist
nur desshalb schwierig, weil der Sänger meist ausser Landes, am
österreichischen Hofe sich hielt. Seine zahlreichen Lieder sind, wie
Uhland schön bemerkt, einfach und innig, sie athmen eine sanfte
Schwermuth; er hat, wie er einmal singt, die Minne noch stets in
bleicher Farbe gesehen, auch äussert er. Mancher werde nach seinem
Tode klagen, der jetzt leicht seiner entbehre. Und wirklich haben
. wir eine Trauerstrophe Walters, aus der man deuten zu dürfen glaubte,
dass die Beiden nicht auf das freundlichste auseinander gegangen; doch
versichert er uns , hätte Reinmar auch nichts gesungen , als die eine
Rede: ^St) wohl dir Weib, wie rein dein Name!*^ so hätte er doch
verdient, dass alle Frauen stets f&r seine Seele bitten worden«' Auch
der Tristansänger Gottfried betrauerte Reinmars Tod in herzinnigster
Weise; nachdem er die Liederdichter den Nachtigallen vergleicht, die
ihre Sommerweise singen, fragt er, wer künftig würdig sei, diesen
Nachtigallen die Paniere vorzutragen, seit der von Hagen,au ver-
stummt ist; wer soll die lebende Sohaar jetzt fähren und weisen? Doch
tröstet er sich bald wieder, denn die Meisterin ist gefunden, die von
der Vogelweide. Hei! wie die über die Haide mit hoher Stimme
schallet! was Wunders sie stellet! wie spähe (kunstvoll) sie organieret!
wie sie ihren Sang wandelieret! Die soll der anderen Leiterin sein,
die weiss wohl so man suchen soll der Minne Melodie.
Sollte es uns bei späterer Grelegenheit audi nicht gelingen, den
alten Reinmar ßir unser engeres Vaterland zu gewinnen , so bleibt er
doch als Walthers Lehrmeister von hoher- Bedeutung für uns.
Keiner unserer Dichter wurde so viel gerühmt, genannt und ge-
feiert, wie der süsse Liedermund Walthers, über Keinen wurde so
') Hagen IV. 106 u. I. 95 u. 96.
*) Wackernagel LH. Gesch. S.' 240. Hpt. XX. 150-204 o. 287 ff. Hagea
IV. 137—44. 8. Charakteristik in Görres Meisterlieder. S. X. o. Uhland:
Wallher v. d. V. S. 107.
. 457
▼iel üDd hftofig mit der tossersten Rnrzsiditigkeit geschrieben, wie Ober
Walther, dessen Leben in seinen Liedern so reich vor uns liegt, indess
gerade jede urkundliche Nachricht über ihn verflogen und verschollen
ist. Eine Teste Angabe über die Ze|t seiner Geburt und sein Jugend-
leben, so viel auch die Späteren seiner gedenken,') ist nicht zu ge-
winnen, das Jahr seines Todes ist ungewiss, so dass sein Leben,
zumal in Anbetracht der verschiedenartigen Versuche, ihn für dieses
oder jenes Land zu geiriimen, zu einem Märchen geworden. Die späteren
Meistersänger, welche ihm die Ehre anthaten, ihn als Einen ihres
Gfeichen und als Stifter ihrer ^holdseligen Kunst^ zu betrachten, haben
ihn zu einem Landesherm aus Böhmen gemacht'); in neueren Zeiten
suchte man ihn für die Schweiz und den Thurgau zu vindioiren, zu-
letzt nahmen ihn die Oesterreicher in Anspruch und nur die Ehre, sein
Grab zu besitzen, sollte Bayern verbleiben, was jedoch wieder mit
schweren Anfechtungen verbunden war. In Wahrheit jedoch ist Herr
Walther ein Franke von Geburt, wie das klar aus dem Spruche". vom
Nürnberger Hoftag hervorgeht,') wo er den fränkischen Adel unsere
Fürsten nennt Eine Vogelweide (althochd. Fogilweida) wo Jagdvögel
abgerichtet und zahme Tafelbissen gehegt wurden, war sein väteriiches
Heim. Viele vereinsamte Weiler und abgelegene Höfe, sogenannte Ein-^
öden, meist mitten im Walde, tragen noch in^ unserem Fi^nken ähnliche
Namen. **) In so einer stillMi, nur vom Gesänge der Vögel belebten
Waldeinsamkeit hat Walther, wie der träumerische Parcival, seine
Kindheit verlebt und dort, im Verkehr mit den gefiederten Bewohnern,
sei es des väterlichen Hauses oder des umgebenden Gehölzes, mag die
Lust zum Gesänge in dem kindlichen Herzen zuerst geweckt worden
sein. Als dem Rpaben das kleine Besitzthum seines Vaters keinen
*) Melchior Golds st von Haiminsfeld ist wohl der tetzte, der in s. Replicatio
pro Sac. Imperii Ordinibos. Hannover 1611. S. 281 noch Sprüche aoseres
Dichters citirL Einzelne Strophen auch im ^Philander^ des Moscherosch.
*) Wagenseil Von der Meistersinger holdseliger Kanst. Altdorf 1697. S.506.
*) Yjrl die treffliche Abhandlung Pfeiffers Wieti 1860 S 8 und in dessen
^Germania^ V, 1.
*) I. B. Vogelaich, — berg (4 mal), — bninn, -dorf, — bühel, —dorn, —egg
2mal), -haag, — mühle (4), -öd (4), — ried (3), - san» (19), -anger,
— stitt, —stein, -stock, -thal (2), — wald, — than, - wehe und —wohl;
ferner nicht bloss solche allgemeine, sondern dem Vogelw eide ganz analoge
Namen: Yogelau (2), Yogelgarlen, Vo^elheerd (8), Vogelhof (4). Pfeiffer
S. 20 u. Daisenberffer geogr. Lexikon. Ibll. S. 150. — Wichtiger ist,
dass in Herzog Ludwig des Reichen Zeit der Name Vogel weider noch
\orkommt. Am Freitag vor Leonbard 1462 bekennt Herzog Ludwig zu Re-
irensbarg, dass er dem Hanns Vogelweider für 20 Fuder und 2 Eimer
Osterwein 770 Gulden schulde. Oberbayr. Archiv IX. 387. — Am «amslag
nach Vitus 1463 unterzeichnet der Herzog einen Dieostbrief fOr Leonbard
Vogelwaider. ib. IX- 392.
458
#
Baom mehr bot, zog Walther, der keinen andern Namen hatle, als
dass man ihn, wie der Trachsesse von St Gallen ganz treffend sagt
„e von der Vogelweide nande,^ *) vielleicht als ^garzün^ eines edlen
Herren, hinaus in die Fremde. Ip Oesterreioh, am glänzenden Hofe
der Babenberger, lernte er dann die Kunst des Gesanges^ das höfische
„singen und sagen^ (Lachmann S. 32, 14) und zwar in der Schale
seines Landsmannes, des alten Reinmar vonHagenan, in dessen Tönen
er mehrere seiper Lieder dichtete. Möglich , dass der Meister wenig
Ekwartnngen von seinem Schüler hegte und dass sie nicht in bester
Stimmung von einander schieden, obwohl Walther in liebevoller Dank-
barkeit seiner gedachte und bei dessen Tode sang/.- Das ist wahr,
Reimar, nair ist nun sicherlich mehr Leid um Dich, als du am mich
trögest, wenn du noch labtest und ich war* gestorben. (83, 1 ff.)
Zuerst stand Walther bei Herzog Friedrich, dem Katholischen,
in Gnaden. Mit ihm muss er auf dem Kreuzzug von 1196 — 1198
gewesen sein, an welchem unter Anführung Konrads, des Erzbischofs
von Mainz, die Herzoge von Oesterreich, Känithen, Meran, Thüringen,
Brandenburg, die Erzbischöfe vom Bremen und Köln und auch der
Bischof von Wirzburg theilgenommen haben. ') In diese Zeit setze ich
das muthwillige Lied, wo er vor der Fahrt sein Hab und Gut vertbeilt
(60, 34 ff.): ^ttein Unglück schaffe (vermache) ich denen, so an Haas
und Feindschaft ihre Freude finden, dazu alles mein Unheil (unsaelikeit),
was mich an Kmnmer drückt, sollen die Lügner haben, ^min unsinnen
schaff ich den die mit velsche minnen^ und den Frauen mein nach
HerzeUebe sehnendes Leid. Dass sein Lieb um ihn sich gräme, ist
ihm schon recht, sie soll es aber nicht zu sehr zu Herzen nehmen,
wenn er wiederkonune, geht Alles anders und gut^ Hieher gehört dann
auch das Kreuzlied ^Vil süeze waere minne^ (S. 67, 22 ff.) und jenes
„Allererst lebe ich mir werde, stt min sündic ouge siht daz here lant
und euch die erde^ etc. S. 14, 38 ff.) Als es nun auf dem Heimwege
geschah, dass sein edler Herre starb (f 16. April 1198, dass er „an
der Seele genass und ihm der Leib erstarb^ S. 19, 30.), da wurde des
Dichters Freude in Trauer verkehrt, er selbst gebraucht das treffende
Bild, wie er das Haupt hängen lasse bis auf die Knie und sein stolzer
Kranichstritt') in schleichenden Pfauengang sich verwandelte. Aber er
') Lachmann S. 106.
^) Pfeiffer S. 33 u. 34.
^) Uhland (S. 15) nimmt die „Kraniche^ för Schnabelscbohe , doch isl daail
Dar der stolze Schritt gemeint ver^l. v. d. Hagen Gesamml Abeot 111. 52.
Irregang and Girregar v. 318: nnt den vaezen Ilse begnnde er vil wtlea
von ein ander schrlten; dikke trat er oach wider, nlch gemecltchen silM«
alles ndch mit kranches schriteu v. 336 a. Freidank 30, 13.
459
kam gleich wieder an einen wannen Herd (ich bin vH wol ze fiore
komen) beim Staufer Philipp, welcher nach dem Tode seines Bruders
Heinrich YL nach Deutschland gezogeti war (1107) und sich um die
Krone bewarb. Walther war, nachdem er sich ihm schon durch die
Strophe „Ich hörte ein wazzer diezen** (8, 28) empfohlen hatte, . bei
seiner Krönung zu Mainz und auch bei der Weihnachtsfeier zu Magde-
burg (1198) wo er das griechische Kaisertöchterlein Irene ^) die ,. süsse
Taube ohne Galle, die dornenlose Rose" hinter ihrem Gemahle schlei-
chend einhergehen sah (19, 5 ff.) — Walther hatte in verbindlicher
Weise seinen neuen Herrn begrösst und grosse Erwartungen von ihm
gehegt, die aber nur zu balde enttäuscht wurden. Philipp, der sich fast
arm schenkte, war nicht so milde (freigebig) gegen unseren Dichter,
als dieser wünschen* mochte, so dass Walther es für gut fand, ihm das
sprichwörtlich gewordene Beispiel des milden Saladin, nach dessen
Ansicht die Hände eines Königs durchlöchert sein sollten (19, 23), und
des König Richard von Engellant vorzuhalten.') Als dieses jedoch
nicht verfing und der unselige Hader der Gegenkönige begann, war
Walther seinem Herrn schon weiter entfremdet, hielt aber mit politi-
scher Klugheit zu keiner Partei, sondern gab mit neutralem Anscheine
dem „jungen Pabste^ (Innocenz lü.) die Schuld und Hess seinen Klagen
unter der Maske eines „alten Klausners" Luft. ') Dann ging er an
den lebendigen Hof des Landgrafen Hermann von Thüringen, wo man
wenig von der schlimmen Zeit verspürte, und das ungefiige Treiben,
Drängen und Wogen aber nur zu bald den Dichter verdross: „Wer
zufällig an den Ohren siech ist, der bleibe weg, sonst wird er ganz
betäubt; ich drang so lange zu, dass ich*s nicht mehr vermag. Eine
Schaar fährt aus, die andere ein, so geht es Tag und Nacht; gross
Wunder ist's, dass da noch Jemand hört:
Der Landgraf ist so hoch gemuth
Dass er mit stolzen Helden seine Habe verthut;
Deren Jeglicher wohl ein Kämpe wäre
0 Die Tochter des griechischen Kaisers Isaac Angelus (früher Braut des Prin«
zen Tancred von ^icijien). Sie wurde die Mutter sweier rrtibverslorbenen
Prinzen und Prinzessinnen-, wovon die zweite später Königin von Spanien
war und die jüngste, Beatrix, den Gegenkaiser Otto IV. zum Gemahl bekam.
Nach der Ermordunff ihres Gemahls entwich sie nach der Burg Stauffen, wo
sie bald starb, cf. Crusius Oratio. Tübingen 1593.
>) Vgl. L. Ernst Die Minnesänger als politische oind sociale Partei. Güstrow
1817. S. 21 fr.
') Opel (mto gttoter klösenaere. Ein Erklärungsversuch. Halle 1860) vermnthet
jedoch, Walther habe unter dem ^klösenaere^ den Konnd, Bischof von
Halberstadt und von 1208 25 Mönch in Sichern (Sittichenbacfa) hei Eislehen
verstanden.
460
^mtr ist stn höhiu fiiore knnt:
und gälte ein fiioder guotes wfnes tüsent pfiint
dA ßtüende onch niemer ritters beoher laere.** (S.'20, 15.)
Auch Wolfram von Eschenbach verweilte damals alldort, fühlte sich
aber gleichfalls unbehaglich, trotz aller Freigebigkeit, mit der Rosse
(Willehalm 417, 22) und alles Mögliche verschenkt wurden. Wolfram
meint (Parcival 297, 16 flf.) dem Thüringer wäre ein tüchtiger Sene-
schal noth , so ein handfester Keie , der das zuchtlose Völklein recht-
zeitig durchzubläuen verstünde, sogar Herr Walther müsse den Goten
und Bösen ein fröhliches Gesicht zeigen. ') Walibher hatte überhaupt
dort mancherlei Unannehmlichkeiten zu bestehen, wie den verdriess-
lichen Handel mit Herrn Gerhard- Atze,') so dass er sich gerne hin-
wegsehnte. Auch das Verhältniss mit Wolfram muss nicht absonder-
lich warm geworden sein , denn der Parcivalsänger stand auf der Seite
der päbstlichen Parthei (Otto von Braunschweig), indess Walther in
seiner politischen Färbung immer npch zu Philipp hielt; sie geriethen
^nnzanfte^ aneinander und Wolfram gab später noch manchen scharfen
Stich.') Walther ging zu Kaiser Otto, obwohl er den Marggrafen von
Meissen lieber unter der Krone gesehen hätte, der ihm um diese Zeit
eine Liebesgabe des Herzog Ludwig von Bayern überbracht hatte , mit
welch Letzterem Walther bereits früher zusammengekommen sein
musste.
Hier kommen wir zu den Beziehungen, in welchen Walther mk
Bayern, mit dessen Fürsten und Herren gestanden. Zuerst traf er wohl
auf Weif VI. von Bayern (Oheim des Herzog Leopold von Oesterreich)
der, zugleich Herzog von Spoleto und Marggraf von Toskana, nach
dem Tode seines einzigen gleichnamigen Sohnes, seine italienischen
Güter an Friedrich L gegeben hatte (1196) und darauf zu Memmin^
gen ein eher schwelgerisches als mildes Leben führte, bis er bekehrt,
■) „gaolen tac, boes unde guot.^ Parc. 297, 25.
') Der merkwürdige Rechtsfall ist folgender: Herr Gerbard Atze bat Hern
Waltber za Eiseaacb ein Pferd erscbossen ; Walther klagt auf Entscbidif-
ong , das Pferd war .wohl dreier Marke werth. Gerhard Atze weicht aMr
damit aus, dass er behauptet: das getödfete Boss sei mit dem Pferde bluts-
verwandt, das einst ihm, dem Beklagten, den Finger zu schänden gebissea.
Dagegen schwört nun Herr Waltber, dass die Pferde sich gar nicht kaoa-
ten. 82, 11 ff. u. 104, 7 ff.
'^) e B. Willehalm 286, 19, wo Wolfram, der so oft ober die eigene Annolli
sich eriustigt, mit Bezugnahme auf Waltbers Spruch vom Braten ond den
Köchen (Lach mann 17, 11) auf dessen* Hungerleiderei derb anspielt. Die
Rolle, die unserem Waltber im „Wartburgkriege^ zuffelheili wird., ist flkr
seine Geschichte nicht maassgebend, da das Gedicht selbst aller btstorisc-bcn
Unterlage entbehrt; übrigens ist Walthers Charakter gut aufgeliisst
m
• ■ ■ m
reoig und blind im 76. Jabre unter dem Beistände des Bisohof Uda-
sehalk starb') nnd im Stifte zu Steingaden begraben wurde. Walther
war, da er seine ^Milde*' preist und mit seinem Neffen zosammenstelit,
sieh^rlich früher bei ihm, da Weif bereits 1191 verschied, der Spruch
(Lachm. S. 35) aber später gedichtet ist.
Sodann war Walther, vielleicht beim ersten Wegziehen von Wien,
durch Altbayern geritten und hatte, von der heute noch befahrenen,
von Rosenheim über Miesbach nach T5lz fuhrenden ^Kreuzstrasse^
abbiegend (dar k^rte ich mer dan eine mile von der sträze«S. 104),
sich nach Tegernsee gewendet, dessen Gastlichkeit man ihm gerühmt
hatte (wie wol daz hus mit eren ste): doch fand er daselbst gegen
alle Erwartung keine absonderlich freundliche Aufnahme: statt Weines
ward mir Wasser -also nazzer muost ich von des münches tische
scheiden.^ Die Zeit, wann dieses gesehen, ist schwer zu bestimmen,
es kann unter Graf Manegold (1189 — 1206), der als Dichterfreund
schon früher den Mariensänger Wem her in seinen Schutz genommen
hatte, oder unter Abt Berchtold (1206 — 17) gewesen sein, beide
aber waren in diesem kunstsinnigen Kloster') den schönen Wissen-
schaften hold. Die Sache bliebe unerklärlich, wenn man nicht zwei
Umstände berücksichtigt. Entweder fiel Walthers Besuch nach jener
Zeit, wo Herzog Ludwig von Bayern und Otto Graf von Valley das
Kloster überfallen und durch Raub und Brand beschädigt hatten, also
dass die Mönche selbst Noth litten und gegen heischende Gäste über-
haupt weniger gastlich waren, oder der böse Empfang war durcl\
den Dichter selbst hervorgerufen worden, der freiere AnsichteA mitge-
bracht hatte, als dazumal gerade im Kloster regierten. Er brauchte
ihnen nur den Spruch vom Herrn Stock (34, 14 ff.) zu recitiren, um
mit Schaden abzufahren! — Man nahm die Kl^^e Walthers wörtlich
und glaubte, er habe nur einen Schluck Wasser bekonmien und sei
gleich weiter geschickt worden — ich glaube aber, Walther habe hier
herum länger sein Wesen getrieben und habe sich erst beim Weg-
ziehen in seinen Erwartungen, schöne Gewände, ein neues Rösslein oder
klingenden Lohn zu erhalten , getäuscht. Was dazu verleitet , einen
längeren AufenthiJt Walthers zu Tegernsee anzunehmen, ist der Um-
stand, dass die in dem benachbarten Kloster Beuem geschriebenen
Carmina burana drei Strophen enthalten, die nur/Versungene Bruch-
1) 15. Dez. 1191. Vgl. V. Lang bayer. Jahrb. 1816. S. 35.
*) Dessen Verdienste im Bereiche der Poesie, Kunst und V^issenschaft J. v.
Hefner sehr anziehend geschildert hat: Qberb. Archiv. I. 15->-35 und in
dessen eigener Monographie. 1838. S. 30 (f.
462
stücke von Walther^schen Liedern smd. Das erste igt der Anfiuig det
Krenzliedes, der in seiner Umstellung deutlich zeigt, wie es durch
singende Tradition von Tegem nadi Beuem gekommen,^) dem beide
Klöster standen in reger Verbindung and selbst dramatische Sdiaii-
stücke wandelten von Tegemsee in die Nachbarschaft hinüber, wo sie
weitere Pflege fanden , wie wir später bei der Geschichte des Dramas
mit einem hübschen Beispiele belegen können. Die beiden anderen
Stellen, welche die Carmina burana bewahrt haben (S. 190 und 205),
bilden die dritte Strophe des schönen Maienliedes „Müget ir schouwen,
waz dem meien Wunders ist beschert?^ (Lachm. S^ 51.) und die erste
Strophe einer Liebesklage (ib. 51, 37), worin der Dichter klagt, dass
er jetzt, da er den Schaden habe, auch noch zum Gespött eines
rothen Mündleins geworden sei!*) Es sind die Trümmer verschleppter
Lieder, welche später aus der Erinnerung noch aufgeschrieben und so
erhalten wurden, vielleicht die Reste einer an den Ufern des Tegemsee
selbst erlebten und gesungenen Aventiure.
An einer anderen Stelle gedenkt er eines Geschenkes, welches
ihm ^der stolze Missenaere** vom Herzog Ludwig vom Fürstentag (1212)
aus Frankfiirt brachte. Er nennt es „ein lieht,***) eine Kerze. Auch
diese Stelle wurde buchstäblich genommen, Simrock und Jacob Grimm
hielten an dem Brauche fest, dass man jetzt noch z. B. bei kirchUehen
Umgängen an Leute, sie besonders zu ehren, Kerzen austheile — als
ob der Dichter durch ein so wettschichtiges Geschenk in so absonder-
liche Freude hätte versetzt werden können? Wilhelm Grimm da-
gegen und Lach mann nahmen es bildlich, es bedeute den strahlenden
Schein der Gnade des Gönners und die glänzende Gabe selbst. Die
Kerze war sicher nur die ooerflächliche Begleiterin eines anderen Ge-
schenkes, wie denn jetzt noch häufig bei besonderen Benedictionen dem
Geistlichen em Kerzchen mit einem unten eingedrückten Geldgeschenk
behändigt wird. Der Herzog Ludewig aber, dem der Sänger daftr
*) C«riniiia barana ed. Seh melier S. 72: „Na lebe ih mir alrest werde, lü
min-«undic ouge sihet daz schone lant^ Dagegen bei Lachm. S. 14: \| Aller-
erst lebe ich mir werde, stt min sündic ouge siht daz h^re lant etc.^
*) Röter mant, wie du dich swachesll
Ift dln lachen stn
Scham dich daz dA mich au lachest
ndch dem schaden mtn.
ist daz wol getdn?
ow6 so verlornet* stände,
sol von minnecllchem munde
solch unminne ergdnl (52, 6.)
') Lachmaon S. 18, 15.
V 468
lülen mögliohen Segen in freudiger Dankbarkeit .nachwünscht, ^) (dass
sein Hund und sein Schoss kein Wild verfehle und sein Hörnlein ihm
nur zu Ehren blase) war der 1231 ernsordete Kellheimer, der sonst
bei WaHher nicht vorkommt, obgleich der Dichter mit ihm früher zu-
sammengetroffen sein mnsste.
Auch ein Graf von Andechs und zwar jener Berthold, der später
Erzbischof zu Kolocsa und 1218 Patriarch von Aquileja wurde und
im Mai 1251 starb, hatte ihm früher Liebes erwiesen; Walthermachte
seine Bekanntschaft nicht im Orient, da der Spruch, in welchem er
sein Lob spricht, zwischen 1219 — 23 gesetzt wird, Walther aber gerade
in dieser Zeit mit ihm in Wien zusammengekommen sein konnte.
Als Walthers Erwartungen von der Grossmüthigkeit R. Otto*s
sich gleichfalU nicht erfüllten, sang er ihm ein beissendes Spottlied
und ging wieder nach Oesterreich, wo Herzog Leopold VE. lustigen
Hofhielt und Alles hingab, als wo|Ie er nicht Iftnger l^ben, reiche
Kleider, Silber ungewogen und Rosse, als ob sie Lämmer wären, ver-
schenkte, dazu aber selbst muthwillige Reigenlieder sang, ganz so,
wie in der Folge sein Sohn Friedrich zu des Tanhäusers Zeiten. Aber
Walther kam zu keiner guten Stunde: Ihm war des Glückes Thor
versperrt (S. 20.)« es half kein Reden und kein Klopfen: ^ein grösser
Wunder gibts nicht mehr, es regnet um mich ringsumher, mich Aber
trifft von Allem nicht ein Tropfen.^ Dazu kam noch, dass der feine,
höfische Gesang schon einem freieren volksthümlichen Wesen oder Un-
wesen Platz gemacht hatte, so dass der feinföhlende Walther in dem
ausgelassenen ächten Wiener-Leben sich nimmer behaglich fand. In-
dessen machte Leopold auch eine Kreuzfahrt und Walther gastete an
anderen Höfen in Kärnthen u. s. w. begrüsste noch einmal seinen Herrn
bei der glücklichen Heimkehr (1219), und suchte dann den K. Fried-
rich auf, dem er sein Leid begreiflich machte, wie er mit seiner reichen
0 Mir hit ein lieht von Franken
der stolze Mtssenaere brdbt;
das vert von Ladewt^e.
ichn kan ims niht gedauken
8Ö wol als er mtn hat gedäht,
wan daz ich tiefe ntge.
kfind ich swdz ieman guotes kan,
daz teilte ich mit dem werden man,
der mir so höher ßren f^an,
got mfieze ouch im die stnen m^ren.
ZOO flieze im aller saclden fluz,
niht wildes mtde stnen schnz,
stns hundes louf, sina homes doz
erhelle im und erscbelle im wol näeh ^ren.
464 '
Kunst doch auch einen eigenen Herd verdiente, damit er nicjit immer
auf der GauckeUuhre umherzutreiben habe; gar zu gerne erlebte ich*8,
fugt er bei, dass auch mir Gäste käoäen.
Friederich, gerade mit den Vorbereitungen zu seifcier Raiiilkhrt
beschäftigt, beschenkte den Dichter erst mit dreissig Mark imd setzte
ihn dann, wie Daffis^ in einer anziehenden Schrift glaubwürdig dar-
gelegt hat, zum Zuchtmeister seines achtjährigen Söhnleins Heinrich VIL
der bereits als erwählter König zum Herrscher praedestinirt, miter der
Vormundschaft des fromm^ Erzbischofs Engelbrecht von Köln , ') die
Reichsregierung angetreten hatte. Das. achtjährige Königlein brauchte
ausser jseinem geistlichen Pflegevater sicher noph viel mehr eines be-
sonderen Erziehers und Zuchtmeisters, der ihn fest unter der täglidien
Aufsicht hatte. Dass Friedrich IT., selbst ein Dichter und Sängerfreund,
unseren Walther, der sich ihm gerade im passenden Augenblicke darbot,
zu einem solchen Amte verwendete, ist im hohen Grade gerechtfertigt,
wenn man weiss, wie der Gesang^ und das Saitenspiel und die Kunst
der dichterischen Rede mit zum Unterrichte der fürstlichen und der
edlen Jugend gehörten;') Friederich durfte auch sonst noch von der
Leitung des lebensweisen Dichters den günstigsten Einfluss auf die
Charakterentwicklung seines Sohnes hoffen. Walther trat sein Amt mit
hohen Erwartungen an, aber sein Zögling machte sie bald zu. Schanden.
Lange hielt der Dichter die ^Ungeftlge'' des Knaben aus und setzte
sich über das Leid hinweg, das ihm der Ungerathene,'der für die Rathe
schon zu gross (du bist dem besmen leider alze gröz 101, 25) und
fiir das Schwert zu klein war, verursachte,^) endlich aber erschöpft«
sich seine Geduld und er machte sich mit isoroigen Worten Luft:
^Selbwahsen kint, du bist ze kramp ! nü si diu schuole meisterlös aa
miner stat: ich kaa dir niht^^) Wie Pfeiffer vermuthet, so fand
*> A. D äff 18 Zur Lebensgescbichte Walthers v. d. Vogelweide. Berlin 1854.
*) Wahrend Walther in König Heinrichs Umgebung war, hatte er hinreicfacad
Gelegenheit, mit firzhischof Engelbrecht auf so vertrauten Fuss zu konnea,
' dass sie sich dutzten (84, 28), war ja der Erzbiscbof auch eis Dlchtg^oaie
Wallhers.
') Wackernagel Lit Gesch. & 109.
*) 101, 28: ich hdn mich selben des te tump
das ich dich ie so höbe wdc.
ich bare dtn unffefüe&^e in friundes schöz
mtn leit baut ich ze beine
minen nig^e ich ndch dir brach.
^) Im November 1225 vermählte sich der vierzehnjibrii^ Knabe mit der twaa-
zigjahriffen Tochter des Herzog Leopold von Oesterreich, Mar^reta, nacbden
er das Töchterlein des Böhmenkönigs und sogar die Vorschläge des Köaigs
von England , der seine Schwester sur Ehe anbot , abgelehnt hatte. Daraaf
bezieht sich der Spruch Wallhers (1,02, 5) worin er, anscheinend
465
der Bruch im Jahre 1224 statt, um die Zeit des Hoftages zu Nürn-
berg, den Walther nicht als Fahrender, sondern schon vom eigenen
Hofe reitend, besucht hatte. ') Friederich hatte ihm also schon fiüher
das Lehen verliehen, worüber der Dichter so in Freude gerieth, dass
er sein Glück yor aller Welt verkünden möchte (28, 31). Dieses Lehen
bestand, wie sich freilich nur aus spätem Urkunden des XTV. Jahrh.
folgern lässt, aus einem Hofe zu Wirzburg,*) wo nun ^er* Dichter
auf eigenem, Grund nnd Boden sass, mit objectiver Ruhe und Unab-
hängigkeit den Lauf der Welt betrachtete und mit unerschrockener
Freimüthigkeit kritisirte. So sehr Walther auf den Pabst zürnte, so
mahnte er den Kaiser doch zum öfteren zur Gottesreise in das heil.
Land: ^Bot, sage dem Kaiser seines armen Mannes Rath und dass
ich keinen besseren weiss: er fahre bald und komme bald wieder^ (S, 10),
auch das schöne Kreuzlied ^Viel süeze waere minne'' (S. 76) könnte
hieher bezogen werden, wo er die Christen auffordet, Leib und Gut für
das ewige Leben hinzugeben und sich dem heiligen Heer zu schaaren.
Und als der Kaiser immer noch zauderte und der Pabst (Gregor IX.)
bereits den Bann über ihn gelegt hatte und obendrein ungewöhnliche
Naturerscheinungen zu Tage traten, hub Walther mit vier gewaltigen
Strophen den Weheruf an. (S. 13, 5 ff.) 0 weh! beginnt er mit dop-
pelsinniger Anspielung auf den verheerenden Sturm im September 1227
und das }»äbstliche Interdict, es kommt ein Wind mit Grimm über die
Königreiche gefahren, Waller und Pilgerime klagen darüber! Bäume
und Thürme liegen von ihm zerschlagen und ^starken Hüten wäet er
zhoobet abe,^ drum sollen wir zu Gottes Grab uns flüchten. In der
ergreifenden zwdten Strophe klagt Walther über den Verfall des deut-
schen Ansehens (ow^, waz ^ren sich ellendet tiuschen landen!) und
droht denjenigen mit dem Verluste des ewigen Lohnes, die ^witz unde
manheit, darzuo silber unde golt^ haben und doch mit Schanden hie
bleiben, d. h. sich der Fahrt nicht anschliessen ; ein solcher verliert der
Engel und der Frauen Huld, ist ein armer Mann vor Gott und der
Welt und muss ihren Spott fiirchten. Owe, heisst es weiter, wir sind
aus Trägheit zwischen zwei Stühle niedergesessen, d. f. gedankenlos und
kurzsichtig haben wir Alles verscherzt, uns hat der kurze Sommer
allffemeio, die guten Frauen warnt, vor Kindern ihr j a su bergen, damit es
nicht sum Kinderspiele werde, Minne und Kindheit „sint ein ander gram.^
■) Germania B. V. S. 11 u. 18 ff,
*) Der zur Vogelweide benannte Hof liegt im heutigen Elefantenfffisschen und
ist durch eine Gedenkt^rel ausgezeichnet; ein anoerer war in der Hörleins-
ffasse^ beide im Sanderviertel. Vgl. Reuss. 1843. S. 7. (Auch ein „zum
Vogelgesang^ benannter Hof befand sich im Mainviertel.)
30
466
betrogen, wo wir mit den Grillen sangen, statt mit der Ameise wett*
zneifern. Aber das war vom Anbeginne der Welt schon so, dass die
Thoren die Weisen schalten; nna sieht man. wohl, wer Recht hatte. —
So weh dir Welt, ruft er ein anderes mal (S. 21.)» wie lasterlich steht
es, die Sonne hat ihren Schein verkehret, überall hat die Untreae
ihren Samen ausgeworfen, das Kind ist gegen den Vater, Bruder gegen
Bruder und selbst diejenigen in den Kappen, so uns den Weg zum
Himmel weisen sollten, trügen; Gewalt regiert und das Recht verliert
vor Gericht. Auf! ihr habt zu viel geschlafen!
Uro diese Zeit besuchte d^r Dichter noch einmal seine väterliche
Heimath, die grüne Einsamkeit, wo er zur Welt gekommen, denn so
nehme ich das wehmuthvoUe Gredicht, das Lacbmann ganz an*s Ende
der Walther*schen Liedersammlung setzt, das aber jedenüalls früher
gehört, da der Dichter schliesslich den Wunsch ausspricht, die Grottes-
fahrt über See mitmachen zu können, die ihm aber als etwas Fern-
liegendes oder Unmögliches erscheint. Das Gedicht erhält nur voHen
Sinn, wenn wir es so fassen, dass der Dichter darinnen seine Em-
pfindungen beim Wiederbetreten der alten Waldeinsamkeit, wo er als
Knabe (da ich von kmde bin erzogen) am Vogelherde aufgewachsen,
fiustönen lässt. Aber wie findet er dieselbe? Alles Terändert ! Nun
weiss er erst, dass er alt geworden und das Leben liegt wie eis
Traum hinter ihm; verbrannt (vereitet) ist das Feld, verhauen der
Wald und nur das Wasser fiiesst, wie ehedem; die meine Gespieleo
waren, die sind träge und alt, und Mancher, der ihn ehe wohl kannte,
grüsst ihn kaum mehr. Denke ich an die früheren wonniglichen Tage,
sie sind verrauscht, wie ein Schlag in's Meer! „iemer m^re onwe!^')
Wo ich hinschaue, da ist Niemand firoh, selbst die Jagend traoert,
Tanzen und Singen vergeht vor Sorgen; kein Kristenmensch sah je w
0 Ow6 war sint verswundeft alliu tntiiiu'jAr!
ist mir min leben getroumet, oder ist ei wftr?
das ich ie wdnde dat iht waere, was daz iht?
dar ndch hAn ich gesllifen und enweiz es niht.
nü bin ich erwaht, nnd ist mir unbekanl
daz mir hie vor was kündic als.mtn ander hant.
liut unde lant, dd ich von kinde bin ertogen,
die sind mir frömde reht als ob ez st gelogen,
die mtne gespilen wftren, die sint traege unt alt.
vereitet ist das velt, verhouwen ist. der walt:
wan daz daz wazzer fliuzet als ez wllent fl6z,
für wdr ich wände min Unglücke wurde gröz.
mich grüezet maneger trdffe, der mich kande £ wol.
diu weit isl allenthalben ungenduen vol.
als ich gedenke au manegen wünneclichen tac,
die mir sint empf^llen gar als in daz mer ein slac^
iemer mdre ouw6. u. s. w.
467
jämmerliche Schaar, auch die Tracht der Weiber hat sich verändert
(du merket wie den froawen ir gebende stat) und die stolzen Ritter
tragen bäuerisches Gewand; unsanfte Briefe sind uns von Rom gekom-
men, dass selbst den freien Yogelen die Lust benommen. Wer auf
dieser Welt Wonne sucht, der hat jene dort verloren; „iemer m§r
ouwe!'' Wir sind vergiftet und mitten im Honig sitzt die bittere Galle.
Die Welt ist aussen schöne, grün und roth, innen aber todtfinster.
Wer sich von ihr verleiten liess, der sehe sich um nach Trost, dieweil
er sich noch mit ein klein wenig Busse von grosser Sünde lösen kann;
daran gedenket ihr Ritter, die ihr lichte Helme und harte Panzer-
ringe traget, veste Schilde und geweihte Schwerter. Wollt' Gott, ich
wäre des Sieges werth, so wollt* ich nothig Mann verdienen reichen
Sold, doch denke ich nicht an irdisch Gut, sondern möchte die Krone
des Heiles tragen; könnt* ich die liebe Reise in die Ewigkeit bestehen,
so wollt' ich „wohl mir^ singen und nimmermehr ,,owe!^
Das ist der Sinn und Inhalt dieses Liedes, das nur gezwungen
auf einen Kreuzzug Walthers bezogen werden kann; spricht ja der
Dichter doch die Ritter an, die in Stahl und Waffen gehen, zu
denen er nicht gehört, mit denen er es aber gerne halten möchte. £r
trog also keine Wafien mehr, wie er sich in seinem Leben überhaupt
wenig damit befasst haben wird. Und was hätte auch der alte kraftlose
Mann jetzt gethan auf einer mühevollen , schwierigen Kreuzfahrt , die
ohnehin so langsam yor sich ging , dass der Dichter ihr Ende kaum
mehr erlebt hätte, er müsste denn zurückgekommen, sich hingelegt haben
und gleich verschieden sein. Die „unsanften Briefe, die uns von Rom
her gekommen^ brachten die Nachricht von dem Banne des Kaisers,
der ob seines langwierigen Zaudems in den Verdacht gerathen war, es
heimlich mit den Erzfeinden der Christenheit zu halten. So ist das
Lied, das Walther in der eigenen Heimath (da ich von kinde bin er-
zogen) sang, der sicherste Beweis, dass er nicht an dem Zuge Thei)
^genommen habe. Er ist nun alt und geht, wie er in sehr künstlich
gebauten und mit klingelnden Zwischenreimen spielenden Strophen sagt,
an einem Stabe (66, 33), arm zwar, doch der Werthen Einer, der
dadurch bei den Biderben nichts verliert, sondern, wenn ihn auch
die Welt verspottet, nur gewinnt. Sein Rock ist schleissig, wie sein
Hauymd grau sein Bart geworden. ') Vierzig Jahre , oder noch mehr.
lauym
auiy
haUlH' von der Minne gesungen , ^) nun gibt ihm die Welt den Lohn
') Diese Stelle findet sich freilich in einem von Lachmann S. XVIII als unicht
•usgeschiedeoen Liede.
*) S. 66, 37 ff. Daraus ergibt sich ein Anhaltspunkt zur beiläufigen Bestimmung
30*
468
ond treibt ihr Narrenspiel (gampelspil) mit ihm. Ich hatte mir ein
schönes Bild vom Leben gemacht, das zerfloss aber in*8 leere Blau
(daz ftior ine weiz war), ich weiss nicht, wohin, Daft und Glanz ver-
ging und die Lilienfarbe ward kerkergrau (karkelvar. 68, 2).- Er streift
hier an einen Gedanken, den er gleich noch weiter ausfährt, und den
Conrad von Wirzburg zu einer eigenen Novelle verarbeitete (vergl.
oben S. 297 ff.). Es ist der Abschied voj der Welt , die als Eigen-
thümerin einer Schenke gedacht ist, welcher der Teufel als Wirth
vorgesetzt ist, dem man zuletzt die Zeche bezahlen muss. Die schöne
y,Frau Welt^ ist als der Inbegriff aller sinnlichen Freude, Lust und
Begierde gefasst, ihr gegenüber erscheint die ewige Heimath als die
Herberge, auf welche der Dichter unverrückt lossteuert (100, 24 ff.):
Frau Welt, du sollst dem Wirthe sagen, dass ich ihn ganz befriedigt
(vergolten) habe, alle meine Schuld (min groeste gülte) ist abgetragen,
dass er mich von der Kreide wische (von dem brieve schabe; brief-
Schuldbuch). Wer ihm was soll, der mag wohl sorgen, eh* ich ihm
lange schuldig blieb, eh* wollt ich bei einem Juden borgen ; er schweigt
bis an den einen Tag, dann aber nimmt er sich ein Pfand (s6 wil
er danne ein wette hau) so jener nicht bezahlen kann.
Bleibe doch bei mir,' Walther, erwiedert die Welt, du zürnest
mir ohne Noth, gedenke, was ich dir Ehren bot, iqh war dir steta zu
Willen, wenn du was erbatest, mir ist es inniglichen Leid, dass du es
nur so selten thatest ; bedenke dich , du lebst hier gut und , kehrst da
ganz dich von mir ab (sd du mir rehte widersagest), 4u wirst aie
wieder wohlgemuth.
Frau Welt, Versetzt Walther, ich hau zu viel gesogen, mich zn
entw^nen ist es Zeit; die Zärtlichkeit deiner süssen Freuden hat mich
betrogen , so lang ich dir in die Augen sah , war dein Anblick wahr-
haftig wunderbar, doch war der Schaden alsoviel, als ich von rückwärts
dich ersah, dass ich dich immer schelten will.
Darauf replicirt die Frau Welt: Wenn ich dich nicht erwendeo
kann, so thu* mir eines doch zu liebe: gedenke an manchen Ucfateo
Tag und schau nur, wenn dir die Zeit zu lange wird, nach mir biswei-
len noch zurück.
Das würd* ich herzlich gerne thun, schliesst der Dichter, alleio
ich färchte deine List (Mge- Hinterhalt) vor der sich Niemand kann
seiner Geburtszeit. Wenn Walther hier von sich sagt, dass er schon vierxig
Jahre oder mehr gesungen habe, und wenn uns seine Spur mit den Jahr«
1228 verschwindet, so hat er wohl schon in den letzten achtziger Jahrea
des XII. Jahrb. gedichtet. Setzt man seine Geburt zwanzig Ja&e frflbcr,
etwa zwischen 1165 und 1170, so fiel seine Jugend mit der des böfiscfaea
Gesanges zusammen.
469
bewa])ren. Gott geV dir Fraue, gute Nacht — ich will zu meiner
Herbei^e fahren! — « '
Walther muss bald um 1228 gestorben sein oder wenigstens nicht
mehr gedichtet haben, da sich kein weiteres Lebenszeichen mehr ver-
ibigen lässt. ') Nachweisbar ist nur sein Begräbniss im Lustgärtlein
(lusemgarten) des neuen Münsters zu Wirzburg. Eine lateinische Inschrift,
die nur mehr in einer Copie vom J. 1350 erhalten ist, nannte ihn die
Blume der Wohlredenheit; ein Beisatz*) nennt ihn kurzweg einen miles;
er war trotzdem aber kaum adeliger Herkunft, sondern bürgerlicher
Abstammung; das Wappen, das ihm der Maler der Pariser Handschrift
beilegt , ist seiner Herkunft und früheren Beschäftigung entsprechend :
in hellrothem Felde ein viereckiger Käfig, mit gelben Rahmen und
einem weissen Gitterchen , unter welchem ein grüner Vogel schreitet.
Ein gleicher Vogelkäfig ist auch auf seinen Helm gesetzt, der ebenso
wenig wie das beigemalte Schwert, für eine adelige Herkunft geltend
gemacht werden kann. ') Walther gebrauchte die Waffen wohl nur auf
dem Kreuzzuge und dann honoris causa als des Kaisers Lehensmann;
die Bezeichnung miles hat er nicht seiner Abstammung, sondern einzig
seines Lehens wegen; dass er aber sonst, wie etwa Wolfram von
Eschenbach, des ritterlichen Speerbrechens und Tjostirens gepflogen
hätte, davon findet sich in seinen Liedern keine Spur. — Die Sage
erzählt, er habe im letzten Willen verfügt, dass auf seinem Leichen-
steine täglich die Vögel gefüttert und getränkt werden sollten und
desshalb vier Tröglein darauf einhauen lassen; das Stiftskapitel aber
habe in der Folge diese Vogel weide der Nachtigallen in eine Schnabel-
weide der Dompfaffen, Flocken genannt,*) verwandelt, die am Jahres-
tage Walthers eine Anzahl weisser Brödchen geschenkt erhielten. Doch
mangelt auch hievon eine urkundliche Bestättigung , es müsste denn
*) Ulrich von Sinffenher/, der Trucbsess von St. Gallen, ein Schüler Watthers
(MS. IV. 230 ff) beklagt Walthers Tod in folgender Strophe: „Uns ist un-
seres Sanges Meister, den man sonst von der Vogelweide nannte, auf
die Fahrt, die auch uns allen nach ihm bevorsteht. Wie viel er der Welt
erkannt hat, was frommt es nun? Sein hoher Sinn ist kraftlos worden.
Wünschen wir ihm nun um seines werthen höfischen Sanges willen,' da ihm
seine Freude entschwunden ist, dass sein der süsse Vater mit Gnaden pflege.^
*) Ren SS S. 13» — Der bjstor. Verein von Unterfranken setzte dem Dichter
ein Denkmal, welches am 25. August 1843 enthüllt wurde. Vgl. Album für
die Inauguration des Denkmals etc. Wirzburg 1843. — Eine Handschrift von
Walthers Liedern, welche der Universitätsbibliothek zu Wirzburg gehörte,
verkaufte der frühere Bibliothekar Feder nach England. (Mittheilung von
Dr. Kar! Roth. 3(. VIII. 59)
') In dem Bilde der Weingartner Liederhandschrift ist weder Helm noch Schild
beigegeben. -Auch Uhland zweifelt an der adeligen.Herkunft Walthers.
*) Oberthür Minne- und Meistersänger aus Franken. 1318. S. 29,
470
Walthers Jahrtag mit auf den 7. Oktober gefallen sein , an welchem
Tage zu Ehren des Miterbauers Bischof Adalbert unter alle Kapitolan)
und Vicare eine Semmelspende gereicht wurde.
Simrock*) hat seine Lieder als Frauen-, Herren- und Got-
tesdienst zusammengefasst und diese Bezeichnung ist im hohen Grade
treffend. Was immer nur an Minnelust und Minneleid durch das Herz
eines Dichters ziehen kann, das hat er im reichsten Grade empfunden
und erlebt, und diese Zustände und Geföhle schildert er mit der zar-
testen Reinheit und innigsten Klarheit; eine rührende Unschuld und
heitere Naivetät tönt aus seinen Liedern, dass er mit keinem seiner
Zeitgenossen verglichen werden kann. Platen sagt, um sein ganzes
Lob gebührend zu schreiben, müssten Paradiesesvögel ihre Kiele spen-
den! Ein hoher Adel und eine Tüchtigkeit seiner Anschauungsweise
übergoldet seine Sprüche; er ist nie gemein, selbst wenn er an die
schmale Grenze der Sinnlichkeit geräth, wie ^unter den Linden^ und
an der wunderklareu Stelle, wo er die Geliebte im Bade belauscht,
' auch da ist er rein und unverletzend, und «ntwischt ihm je mal etwa
ein Zötelein, so ist es zart und unanstössig, dass es ein sehr eingeweih-
tes Vetständniss der damaligen Sprechweise erfordert, um den zwie-
falligen Sinn zu entdecken.
Sein Minneleben ist ein duftiger Garten voll Lilien und Roseo,
seine Sprache voll untadeligen Wohlklanges, sein Reim von mustergil-
tiger Strenge, sein Singen durchweg ^hovelidh**; er ist, wie wir heot
zu Tage sagen würden, ein Mann vom feinsten Ton und von vollendeter
Lebensart im besten Sinne des Wortes. Wie kannte Walther das
weibliche Herz ! mit allen seinen Schattirungen , vom zartesten SefaneD
und Schwellen bis zum schwersten Minneleid (113, 31 ff.), denn sogar
in jener *Zeit, als sein Glück in höchster Blüthe stand und er ein
hohes Weib in Liebe trug, verging ihm nie ein halber Tag in ganzen
ungetrübten Freuden (42, 7.) Er selbst schildert sich , dass er gerade
nicht der allerschönste sei (ich bin aller manne schoenest niht. 115,36),
mein Gesicht ist nicht absonderlich wohlgethan (wie stät mir min
houbet! dazu ist niht ze wol getan. 116, 5.), ein klein wenig feines
Benehnlen (ein lützel fuoge) glaubt er zu besitzen, sonst aber ist seine
Schönheit nur ein Wind; weiss Gott, was Wunders und Zaubers die
Frauen an mir ersehen haben! Dass er jedoch eine Frau zu seinem
liebeigenen Weibe errungen hätte, ist nicht zu erweisen. Er war weit
') Die Gedichte Waltbers v. d. V. übersetzt und erläutert von K. S im rock
und W. Wackernage!. Berlin 1833 2 Thie. 2. Aufl. 1852. Eine nnge-
niessbare Uebertragung erschien von Koch. 1848 und eine ähnliche voo G.
A. Weiske; Halle 1852.
471
' •
heramgefabren auf unrohigea Wanderzügen, sagt er ja doch selbst,
dass er von der Elbe bis an den Rhein gekommen und dass er von
der Seine bis an die Mar, und vom Po bis zur Trave und bis nach
Ungarn hinab (56, 38), die deutschen Frauen aber als die besten in
der Welt erkannt habe. Als er spät am eigenen Herde zur Ruhe kam,
war er wohl zu alt und gebrechlich, als dass er es noch gewagt hätte, '
zur Ehe zu greifen, wenn er gleich den schönen Weibenr bis an sein
Ende hold verblieben. ')
Was seinen Herrendienst betriflft, so möchte sich bei genauerem
Zuschauen wohl bisweilen einige Unstetigkeit ergeben, trotzdem ist
er immer nobel und fein, selbst da, wo er um „Milde** heischen muss;
ging es ihm auch noch so übel, so nahm er doch nie ein getrage-
nes KJeid (63, 3) und wendete sich mit Unmuth, wo die „Fahrenden**
habsüchtig zudrangen und mit vollen Händen empfangen wurden. ^ So
oft er sich auch enttäuschte ') und manchen Mann half von der Noth
(120, 35), der es ihm dann übel entgalt, so spielte ihm doch sein
Poetenherz wieder einen neuen Streich und er zog mit leerem Seckel
weiter. — Seine politische Meinung von Kaiser und Reich ist eine
grosse und schöne; er war der erste Dichter, der mit ungetrübter
Ruhe und schneidendem Ernste über das Liebeslied hinausging und
rathend, warnend and strafend seine Stimme erhob im politischen Ge-
triebe des Tages, der die Leiden seines Volkes fühlte und den Muth
hatte, Fürsten Lehren zu geben ') und seine Sprüche gegen diejenigen
zu schleudern, welche er als die Urheber der Zwietracht hasste. Freilich
war er nicht frei und zum öftem richtete sich sein Lob und Tadel erst
nach der Freigebigkeit oder Kargheit des Gebers^ oftmals folgte, wie
>) Weiske im Weimar. Jahrbuch. 1851. 1. 357 fT. glanbt in Walthers Leben
seien zwei Liebesverbiltnisse nachweisbar, das eine zu einer Jungfrau nie--
deren Standes, das andere zu einem verbeirathelen Weibe hoben Standes.
Doch ist der Versuch, alle Lieder um diese beiden Gestalten zu fruppiren
und der daraus gefolgerte Roman (S. 362—68) etwas zu gesucht und gewagt.
') ich bin ein wunderlicher man
daz ich mich selben niht enkam
verstau und mich so vil an frömde liute Iftze. 104, 26.
^} z. B. Ihr Fürsten, tugnet eure Sinne mit reiner Güte,
seid gegen Fremde sanft, gegen Feinde tragt ein Hocbgemüthe,
stärket Recht und danket Gott der grossen Ehren,
dass mancher Mensch sein Leben und Gut muss euch zum Dienste kehren:
seid milde, seid friedvoll, lasst in Würde euch schauen,
so loben euch die reinen, süssen Frauen.
Scham, Treu\ Erbarmen, Zucht, die sollt ihr gerne tragen ;
minnet Gott und richtet, was die Armen klagen,
glaubt nicht, was euch die Lügenmäuler sagen,
und folget gutem Rathe, so möget ihr im Himmelreiche bauen (wohnen).
36, 11 ff.
472
es das fahrende Leben mit sich bringt, der Flach oder die spottende
Stichrede erst aus der sicheren Frt^istätte bei behäbigeren Herren, die
lebten und leben Hessen, bisweilen kämpfte er auch mit Nebelbildem
und stand im zweifeligen Wahne seiner Zeit befangen; aber sein Sinn
war immer gut und der Wurf gross, sein Blick klar und viele seiner
Genossen an Takt und Schärfe überragend. Walther war durchweg
Ghibelline, wie nach ihm Dante^ indem er neben dem heftigsten Zorne
gegen den Pabst die frömmste Gottesminne sang. Es empörte sein
innerstes Gemüthe, dass die Päbste im Interesse der welschen Nation
die deutsche zu zerreissen bemüht waren , ') aber auch die weltlichen
Fürsten befriedigten ihn nicht, er erkennt, dass es ihnen, dem gewal-
tigen Innocenz gegenüber, an Genie gebrach. An den Kleinen rügt
er überall, dass sie g^rn des Kaisers los seien, um vom Reich weg-
zuraffen, was jeder einzelne vermöchte. So in der Strophe (29, 15 ff.)
wo er die geheime Freude der deutschen Fürsten züchtigt, als sie ver-
nommen, Friedrich IL wolle zum hl. Lande fahren (Kristes reise varn)'
„Ir fürsten, die des küneges gerne waeren äne, ir sult in stne straze
varen lan;
belibe er dort, des got niht gebe, s6 lachet ir;
kom er uns friunden wider heim, so lachen wir!^
• Die Stühle, auf welchen sonst Weisheit, Adel und Alter gewaltig-
lich sassen, stehen leer (102, 6), desshalb hinket das Recht und trauert
die Zucht und siechet die Scham. Viele Herren sind wie die Gaukler
rgougelaere), die Taschenspielerei treiben (37, 34 ff.), der spricht: Sich,
was ist unter diesem Hute? du hebst ihh auf, da steht ein wilder
Falke ; thu*s noch einmal, so bläht sich ein stolzer Pfou darunter, zmn
dritten male ist*s ein Meerwunder, am Ende aber ist*s, so oft man es
auch wiederhole, immer nur die alte Krähe. Ich kenne deine falschen
Gaugelbüchsen, war* ich dir ebenstark, ich^ schlüge sie dir an^s Haupt!
— Walther rügt, den üebermuth und die Zuchtlosigkeit der Pfaffen
(10, 25), die ihm gleich widerlich sind, wie die Mannweiber und wei-
bischen Stutzer: ^manllchiu wtp, wfplfche man, pfofliche ritter, ritter-
liche pfaffen, alte junch^rren und junge althörren** (80, 20u. 9, 16 ff.)»
kurz das ganze altkluge, vornehm sein wollende Gesindel.
Seine Hand ballt sich aber nicht allein zum Zorne, sondern faltet
sich auch im innigen, heilig frommen Gebet; seine Marienlieder, der
wundersame Leich auf die hl. Jungfrau und das Kreuzlied zeigen von
*) W. Mendel D. D. I. 333. — Vgl. auch deo Aufsatz von Barthel: ^Die
Opposition gegen die Hierarchie in der deut Lit. des XI11. Jahrb. in der
Zeitschrift f. bistor. Theologie. 1845 und L. £rnst S. 47 ff.
473
seiDer Religiosität nnd überrascheDden Tiefe. Wie schön heisst es von
dem kleinen Krist, der in der Krippe liegt rj^'^g^i' mensch ont alter
got** (24,26) und von der Engelkönigin, deren reiner Leib Den umfing,
Den Höhe, Breite, Tiefe, Länge nie umgreifen mochte „er ist dfn kint,
dtn vater, unde dtn schepfäere** (36, 25). Wie selig ist er, seit er das
Land darinnen Grott viel menschlich inne ging, selbst gesehen; wie
ernst rastet er sich zu seiner Fahrt in die ewigä Heimath. Er ist, wie
ein neuer Dichter von ihm sagt, *) treu und rein wie eine Taube, mit
scharfen Falkenkrallen fiir das Schlechte und süss singend wie Amsel
uqd Nachtigall: das sind die Vögel, die Herr Walther weidet! Dabei
ist er bescheiden und sinnig wie er sich selbst darstellt in einem Liede
(8, 4 ff.), wo er mit überschlagenen Beinen, das Haupt und die Wange
in die Hand gestützt, d^itzt, denkend, wie man Ehre, fahrendes
Hab und Hut und Gottes Huld zugleich erwerben könne, ohne
dass Eines durch das Andere Schaden leide.') (8, 4. ff.)
So liegt denn Walthers Leben vor uns, vom Anfang bis zum Ende
spiegelklar ausgebreitet, fürwahr ein herrliches Leben, von dem er
getrost selbst sagen mochte, es gebe nichts besseres, als wenn man
sich bis zum Ende bewähre,') und worauf das eigene Wort im vollsten
Grade anzuwenden: „sin lop ist nicht ein lobelin!^ (35, 3.)
Nächst Walther ist Reinmar von Zweter unstreitig der be-
deutendste unserer politischen Dichter dieser Zeit. Seine Wirksamkeit
fiel damals aber nicht nach Bayern; von Geburt ein Rheinländer, in
Oesterreich gebildet und erzogen, lebte er zu Prag, von wo er wieder
an den Rhein ging ; nur sein Grab ist, mit Verschiebung der Gränzen an
Bayern gekommen.*) Leopold Homburg von Rotenburg (an der Tauber),
der in der Mitte des XIV. Jahrh. einen Spruch „von den altc^ Singern"
machte und in der Wirzburger Liederhandschrift dicht hinter Walther
nnd Reinmar folgt, hat uns die Nachricht überbracht, dass „Reinmar von
Zwetel an dem Rheine" zu Franken in Esfeld begraben liege. Nun gibt
es drei Ortschaften dieses Namen, alle im heutigen Kreise von Unter-
0 Johannes Schrott DichtnngeD. 1860. S. 113.
*) So haben ihn anch die Pariser- und die Weingartner Liederhandschrift ab-
gemalt; ebenso Gassen im neuen Königsbau zu Mönchen. Vgl. Kunst-
blatt. 1836. Nro. 11 und Raczynski Gesch. der neueren deutschen Kunst.
1840. II. 236. £in „Bildniss"* Walthers gibt der Berliner Musenalmanach
von M. Veilh f. 18dl.
') ezn wart nie lobeltcber leben
swer so dem ende rehtä tuot. (67, 6.)
4) V^l. Uhland: 'Walther. S. 109. Hagen IV. 487. Wackernagel 8. 210.
Gödeke Grandriss. S. 40.
474
franken und Aschaffenborg ; eines im Landgeridht Ochsenflirt, westlich
von dieser Stadt, die beiden anderen im Landgerichte Königshofen,
unweit der Gränze von Sachsen-Meiningen, an der kleineren Qoetie der
fränkischen Saale« Welches jedoch von dieisen dreien unserem Dichter
die letzte Rast gewährte , konnte trotz der verschiedensten Anfragen
und Erkundigung nicht in Erfahrung gebracht werden.
Sicherer ist uns fierr Albreht von Johansdorf. Die Familie
kommt zuerst in Baraberger Urkunden vom Jahre 1172 und 1188 und
bald darauf auch in Passau vor, wo 1201 ein Albrecht unter den
Ministerialen des Bischof Wolfk er und 1204 als Zeuge unter demselben
Bischöfe erscheint, dessgleichen 1209 in einer Urkunde des Passauer
Bischofs Manegold; derselbe Name kehrt in Passauer Urkunden von
1247, 1253 und 1256 wieder.') Da die Weingartner Liederhandschrift
sein Wappen vergass, so hat der Maler der Mänessen ein solches
nächgetragen, welches jedoch dem bekannten bayerischen Greschlecht
nicht zukommt. Der Maler hat sich den Sänger jugendlich gedacht; in
der Weingartner HS. geloben sich die Geliebten mit aufgehobenen
Händen ihre Treue, in den Mänessen findet ein ^umbefahen und trio-
ten^ ein Umarmen und Kosen statt,') das Fräulein, in einem mit Pelz
gefurrierten Mantel, hat ihren Arm um seinen Nacken geschlungen,
seine Rechte streicttelt ihr Wängelein.
Der Sänger hat einen Kreuzzug mitgemacht,') entweder die Meer-
fahrt Herzog Leopolds 1217 oder Kaiser Friedrich H. ^Ich hän dnr
») Hpl. 267. Hagen IV. 252-54 u. 757.
*) Hagen V. 11 u. J253. s. Lieder bei Hpl. 86 — 95. Hagen I. 321-25
UI. 329.
^) Vgl. dazu diese merkwürdigen Strophen bei Hagen I. 322 (IV. 1. 2):
Die hinnen ziebn, die sagen durch GoU
dass Jeriisolem der reinen Stadt und auch dem Lande
Hilfe noch nie nöthiger ward.
Die Klage wird der Dummen Spott,
sie sprechen Alle, war** es unserm Herren ande (ärgerlich)
er rächte es ohne ir aller Fahrt.
Nun wollt bedenken, dass er litt den grimmen Tod;
der grossen Marter war ihm auch viel gar unnoth,
nur dass ihn erbarmte unser Fall:
wenn nun sein Kreuze und sein Grab nicht will erbarmen^
die sind von ihm die saeldenarmen (d. h. sie verlieren dadurch ihr Heil).
Nun, welchen GIfruben will der han,
und wer soll ihm zu Hilfe kommen an seinem Ende,
der GoU wohl hülfe und thut es nicht?
So weit ich mich versinnen kann, >
wenn ihn nicht gar ein** ehhaft' Nolh davon erwende, (daran hindert)
so glaub' ich, dass er's übersieht, (mitzuziehen verachtet)
Nun lasst das Grab und auch das Kreuze ruhig liegen:
die Heiden wolPn in einer Rede an uns siegen,
dass Gottes Mutter keine Maget sei:
47&
got daz kriaze an mich genommen und vär d& bin durch mtne misse-
t4t;^ Gott möge ihn irieder glückKch zartickeführen, denn ein Weib
hat desshalb grossen Kammer, würde sie sich unterdessen von ihm
kehren, so möchte er lieber ^ verfahren ** (86, 25 ff.); nie that dem
heil. Lande die Hilfe mehr Noth (89, 23); er ist sich keiner ^ös-
seren Schuld bewusst, die er nicht lassen will, als dass er ein Weib
über Alles in der Welt liebe (90, 14). Wer aber Minne minniglich
trägt ohne Falschheit, das ist vor Gott keine Sünde; für zwei treue
Gelieben will er gerne zur Hölle fahren (89, 4), d. h. er ist sicher,
dass er desshalb nicht dahin komme. Als die „wolgetane^ das Kreuz
auf seinem Mantel sah (87, 13 ff.), fragt sie ihn, wie er das vereinen
wolle, über Meer fahren und doch bei ihr zu bleiben? er tröstet sie,
wer dem ^beilegen grabe'^ helfe und falle, dessen Seele werde „mit
schalle ze himele keren;^ doch:
mich mac der tot von ir minnen wol scheiden, ^
anders nieman: des hän ich geswom.
em ist m!n vriunt niht, der mir si wil leiden.
wand' ich zeiner vröide si hau erkom.
swenne ich von schulden erame ir zom,
so bin ich vervluochet vor gote als ein beiden.
si ist wol gemuot und ist vil wol geborn.
heileger gott, wis genaedic un» beiden!
— \
Er bittet die Minne, ihn eine Weile sunder Liebe zu lassen: du
hast mir gar den Sinn benommen, kommst du wieder zu mir, wenn ich
die reine Gottesfahrt habe vollendet, so sei doppelt willkommen; willst
du aber nicht aus meinem Herzen scheiden, was voraussichtlich der
Fall sein wird (daz vil Ifhte unwendic doch geschiht), so will ich sie
im Herzen mitfuhren ; er bittet Gott den halben. Lohn der Geliebten
zukommen zu lassen. (94, 25 ff.)
Er ist überhaupt ein gar treuherziges Minnerlein; schon von Kind
her hat er die Geliebte gekannt und über Alles werth gehalten; doch
hat es viele Kämpfe und Mühen gegeben und oftmals hat er „Weh"
gesungen, nun aber will er dem ein Ende machen und nur mehr „Wohl
mir** singen ; ') es war ein glücklicher Frühling und soll einen schönen
Sommer geben (90, 32 ff.), ganz im beliebten Geschmack dieser Singere :
wem diese Red* nicht nahe an sein Herze fälfi,
weh! wohin bat sich der gesellt!
„ein ^hafle not" ist ein recblsgiltiges Hinderniss z. B. Gefängniss, Krankheit
oder der Tod eines nahen Verwandten n. s. w.
') 90, 16. Vgl. dazu Walther v. d. V. 125, 10. •
476
Wlze r6te rösen, Uäwe blaomen, grüene gras,
brdne gel nnd aber rot, dar zno des kldwes blat,
von dirre varwe wunder ander einer linden was.
dar üfe sangen vögele, daz was ein schoenia stat
karz gewahsen bi ein ander staont ez schöne,
noch gedinge ich, der ich vil gedienet hän,
daz si mir es löne.
Bald darauf gab sie ihm , im Style der französischen Minnehöfe,
die verfängliche Frage, ob es nicht unbeständig wäre, wenn ein Mann
sich heimlich zweien Frauen als eigen gelobte und die Entscheidung
lautet — es sei den Männern erlaubt, den Frauen aber nicht! (S. 89,
9 — 20.) Das wäre in der ersten höfischen Zeit unerhört gewesen. Doch
muss der Dichter keinen Gebrauch davon gemacht haben, er versichert
ihr feierlich, seine erste Liebe sei auch die liebste und letzte, and wer
mehr miiAe, wie so Mancher, der minne keine, ob'schon er klagt, er
wisse nicht, von wem es sein Lehen sei, dass ihm kein Hei) geschehe
(86, 1 — 24). Ein anderes, kunstvolles (lied in sieben Strophen enthält
ein verwickeltes Wechselgespräch, die Geliebte, welche er zufällig alleine
findet, beklagt sich, dass seine süssen Töne sie verleiten nnd seine
Worte sie verwunden wollen, zuletzt wird ihm doch Lohn und Freode
verheissen. (93, 12ff.j Er aber stellt Alles ihr anheim (91, 15 ff.):
Der ich diene und iemer dienen wil,
diu sol mine rede vil wol verstan.
spraeche ich mere, des ward alze vil.
ich wil ez allez an ir güete län.
ir genaden der bedarf ich wol.
und wil si, ich bin vrö;
und wil si, so ist m!n herze leides vol.
Ein anderes Lied (91, 22 — 35) ist eine strophische Wechselrede:
er sagt, er wisse wohl, wie sich die Minne anhebe, aber nicht, wie
sie ende, s i e erwiedert sehr inniglich und schön :
Swä zwei h^rzeliep gefriundent sich
nnde ir beider minne ein triowe wiit, '
die sol niemen scheiden, dunket mich,
al die wile unz si der tot verbirt.
Käme sie in den Fall, ihren Freund zu verlieren, sie würde Zeit
ihres Lebens nimmer froh, — Dass er auch in der Fremde ihrer ge-
dachte und ihr Lieder sang auf der Gottesfahrt, geht wohl ans den
wenigen Zeilen (S. 92, 7 — 13) hervor. Wer von ihr käme and erzähltet
477
m er auch nur ihren N^men hörte, der könnte ihn ein ganzes
inm Ffeonde haben, und hätte der auch Raub und Brand an
ifibt. (S. 91, 36 ff.) Der grösste Jubel einer, liebeglühenden Seele
, aus dem feurigen Liede, welches als das schönste aus seiner
poetischen Hinterlas^nschaft unvergänglich bleiben und in seiner
den Leichtigkeit alle Herzen erfreuen wird (92, 14 ff»):
Der al der werlte fröude g!t,
der troeste mU gemüete.
m!n iröude an der vil schoenen l!t
nach der min herze wüetet.
scheide, frouwe, disen strk,
der in minem herzen lit,
mit reines wibes güete.
Du nim daz, frouwe, in dinen muöt
und tuo genaedeclichen
gein mir. unsanfte mir daz tuot,
und sol ich von dir wichen.
du lä, gein mir den dinen haz;
son mac mir niemer werden baz,
wan in dem himelriche.
Unde solde ich iemer daz geleben
daz ich si umbevienge,
sd mües min herze in fröiden sweben.
swenti daz also ergienge,
so wurde ich von sorgen fri
(ir genäde stänt da bi),
ob si mir des verhienge.
Diu Saelde hdt gekroenet mich
gein der vil süezen minne.
des muoz ich iemer 6ren dich,
vil werde küniginne.
swenne ich die vil schoenen hän, *
son mac mir niemer missegän.
sist aller güete ein gimme.
Geprüevet hftt ir röter munt
daz ich muoz iemer mdre
mit fröiden leben zaller stunt,
swar ich des landes k6re.
also hAt si geldnet mir.
gescheiden hat mich niht von ir
frou zuht mit süezer töre.
478
Ein fröhlicher, muthwilliger Gesell ist. Herr Bernger von Hör-
heim; der lange Zeit für einen Westfalen gelten musste, dessen Familie
jedoch in Bayern and Schwaben sich finden lAsst. *) Zwar ist es ihm
nie absonderlich gut ergangen and er schwört ^daz niemea groezern
kumber hat noch iiiene wart so trdric man^ (115^ 14), doch lässt er
den Kummer nicht anfkonamen, sondern verhüllt ihn hinter allerlei
Narrentheidinge : er glaubt zu fliegen, die ganze Welt sei sein eigen, er
läuft so schnell, dass ihm kein Thier entrinnen könne •<-> aber das ist
alles erlogen, setzt er im B^frain bei und ich bin schwer wie Blei, t^on
der Minne ist ihni so lieb geschehen, dass er seine Seligkeit austobeD
möchte, er will den grössten Wald durchspringen bis er seiner Freuden
Herr geworden, aber — warum lüge ich armer Gauch, ich weiss gar
nicht was ich singe; will ich die Wahrheit gestehen, so ward mir nie
übler (mir wart nie wirs). Ebenso steht es mit seiner minniglichen
Herrin, die seinem Kummer ein E^de macht -^ doch dauert auch das
noch Is^nge. '
Vielleicht hat er Gnade gefunden, wenigstens zeigt eine Abbildung
den jugendlichen Rftter , wie er rosenbekr&nzt und das Schwert in der
Hand, seinem Fräulein (welches ein Brackelein im Arme trägt) den
Abschied bietet. >Später beklagt er den Tod eines Königs, der König
Wilhelm IL von Sicilien und Apulien (t 16. Nov. 1189) gewesen sein
kann; in Folge dessen König Heinrich Vf. ein grosses Heer nach Apolien
sendete, wobei Bemger theil genommen haben soll. Seine Lieder werden
nach dem Ende des XII. Jahrh. gesetzt, doch ist hingegen sein Reim-
spiel für diese Zeit wieder zu künstlich.
Mit Neidhart von Reuenthal tritt die Lyrik des XIII. Jahrh.
in ihren Wendepunkt. Pie Gegeusäte^ scheiden sich uugeföhr um 1220.
Der Inhalt der älteren Lieder ist den jüngeren gegenüber unstreitig
der tiefere und ernstere. Man fühlt es ihnen an, wie das Gefdhl der
Liebe, welches sie besingen, aus tiefster Seele hervorquillt; das oft
gesagte in ihnen ist dennoch wieder neu in dem neuen Liede, weil es
aus unmittelbarer Empfindung heraus so zart^ so innig erlebt gesungen
wird. Nirgends tritt dieses sichtlicher hervor, als in Wolframs Lie-
dern, nirgends ist es zu so künstlerischer Durchbildung gekommen, als
bei Walther; Reinmars schwermüthige Klagen, auch Botenlao-
bens ernste Abschiedslieder haben diesen Charakter, selbst der leicht'
müthigere, sinnliche Gottfried von Strassburg macht keineAns-
nähme, wie denn auch sein ^Tristan, ^ von dem unergründlichen Zauber
*) Hpt. 275 u. 112-15. Hagen 1. 319-81. IV. 251-^2.
479
durchglüht, eben dieses nie befriedigte immer von neuem und immer
unwiderstehlicher heraufdringende sehnsüchtige Ringen darstellt. Die
ganze Zeit aber bietet uns das Bild eines unglaublich rasch anschwel-
lenden Aufblühens und eines eben so schnellen Absterbens. Wie ernst
hat schon Walther über den Verfall der Zucht und die überha^dneh-
mende, wuchernde Sittenverderbnisa zu klagen. Wie schnell das in
seinem Keim so heimlich zarte Wesen der Minne zur alltäglichen Ge-
meinheit sich hinneigte, beweist sehr anschaulich das Frauen-Buch des
Ulrich von Lichtenstein, der als de{ Literaturhistoriker des Minne-
liedes überhaupt hingestellt werden könnte. Die Lyrik hielt sich, wie
wir an den später folgenden Namen sehen werden, noch länger auf der
feineren Höhe, nebenbei aber weicht doch bereits die Tiefe der Em-
pfindung und es tritt eine leichtere, leichtsinnigere und sogar gemeine
Lebensanschauung uns entgegen. Die Gefühle werden nun mit mehr
schillernden Farben gemalt, aber in demselben Maasse geht die wahre
Innigkeit verloren. Die Klagen scheinen nur noch auf der Oberfläche
der Gefühle zu spielen und die Dichter spielen conventioneil damit; sie '
hören auf uns wirklich zu rühpen und bald ftihlt man nur mehr ein
lästiges Einerlei. ')
Neidhart (1217—45) ist nun eigentlich so recht der natürliche
Sohn des alten Minnedienstes, er {st die gross gewordene Jugendsünde
des poetischen Frauencultes, seine Poesie trägt den Makel unehelicher
Abkunft. Ich nehme auch keinen Anstand, ihm eine ähnliche persön-
liche Descendenz zuzumuthen. Er ist kein Ritter, aber voll aristokra^-
ti^hen Zornes über die Bauern, deren schöbe Weiber und Töchter
jedoch nur für ihn geschaffen scheinen; er ist kein Ritter, aber doch
halbadeliges Blut, «in falscher Spross, der mit einem Maierbofe abge-
speist wurde , in dem aber die alte Natur steh regte und der desshalb
nie mehr ganz ins L^ben passte. Er hat ein kleines Gut, das Riuwen-
thal heisst. Ein solches findet sich bei Vilsbiburg oder Landshut, auch
bei Braunau; das erstere möchte ihm am sichersten zuerkannt werden.
Zwar war man früher geneigt, selbes als ein höchst ideales Besitzthum
zu betrachten, zumal da der Sänger selbst ein Wortspiel damit macht,*)
man stellte es mit dem Freudenthal im jüngeren Titurel und mit
Hadlaub*s Siuftenheim und Sorgenrein als allegorischen Witz
*) Vgl. die schöne Darstellung Liliencrons in Haupts Zeitschr. VI. 112.
*) Ausgabe von M. Haupt. 1B58. 5, 32 ff.: ,,Swie Riuwental mtn eigen st,
ich bin doch diesen «umer aller rtitner sorgen frt.^ - Später 41, 32 ver-
S eicht er in einer (trotz Haupts Erklärung S. 146) immer noch nnferstfind-
;ben Weise, sein Riuwenthal mit Siena. ~ H^gen IV. 437. Wacker-
nagel in Pfeiffers „Germania^ V*. 318.
480
zofiammen; docl) warum sollte es in demselben Lande, wo es eine
Vogelweide. mid Sehn abelweide gab, wo Herren von Sälden-
hoven lebten und sp&ter sogar ein Nymphe nbnrg und Bretzen-
heim existirte, nicht auch damals schon ein Reuentbai gegeben
haben, zuknal wenn der Name als mehrfach vorkommend heute noch
belegt werden kann. Er trieb sich eine gute Zeit in seiner Heimath und
wahrscheiqlich auch am Hofe zu Landshut; aber er machte es zu bunt,
verthat seine Habe und vermochte sich der mit Recht erzfimten Nach-
barschaft gegenüber nicht mehr zu halten, so wanderte &r nach Oester-
reich, wo es ihm anfinglich sehr gut gegangen zu haben scheint, docb
verdarb er sich auch hier das Spiel und kehrte in seinen alten Tagen
nach Bayern zurück.
Von keinem der gleichzeitigen Dichter sind uns so viele Lieder
erhalten, wie von ihm, keiner genoss einer solchen Popularität. In letz-
terer Beziehung wäre er dem obderennsischen FranzStelzhammer
zu vergleichen; Beide drangen so in das Volk, dass sie einer ganzen
Gattung von Tänzen und Weisen ihren Namen gaben; wo jetzt noch
im Lande ob der Enns zur Zither, zunfWeinglase oder zuin Tanze ein
naturgetränktes .kräftiges Lied ersQhallt, sei es von welchem Verfasser,
es heisst ein ,.Stelzhammer.^ ') In gleicher Weise galten damak die
Ntd harte als die beliebtesten Reihen im Volke; den ^Knappen von
Reuenthal^ traf dabei nur das Unglück, dass eine- Unzahl voii Liedern
auf seinen Namen kam und dass, da er in diesem Artikel allerlei ge-
leistet hatte, gerade das Aasgelassenste und am meisten Unflätige unter
seiner Firma lief. Zuletzt wurde mit ihm noch ein späterer Ritter ver-
wechselt, Herr Nit hart Fuchs, der am Hofe Otto des Fröhlichen
(f 1339) lebte und am Singerthore der Stephanskirche zu Wien be-
graben liegt, dessen Schwanke, ganz im Style des ^Pfaffen vom Kalen-
berg^ zu Wien 1568 erschienen.*) Erst Ben ecke, und nach ihm
Wackernagel') und zuletzt M. Haupt haben die ächten Lieder nach
Möglichkeit ausgeschieden. Was von ihnen dem höfischen Gesänge an-
gehört, ist von einer couventionellea Oberflächlichkeit des G«f&hles
nicht freizusprechen; Niemand wird die Minne^trophen der Winter-
lieder sehr tief oder ergreifend finden. Desto höher steht er dagegen
*) Vergl. H. Lorm Wiens poetische Schwingen und Federn. Leipsif 1847.
S. 215.
') Dieser mnsste für den Dichter herhalten, wie sein arg verstümmeltes Grab-
mal bezeugt: eine liegende, männliche, schwertumgürtele Gestall, mit spitser
Mütze, zu den Füssen ein Löwe, das Wappenschild mit einem Fuchs zur
Seite; das Gesiebt ist rachsüchtig abgeschlagen.
') In Hagen s Minnesingern. Vgl. VL 436-42.
481
in den Frflhlingsliedern, mit denen er sicherlich auf das Volk is-
lied von höchstem Einflösse war.
Die FrQhüngslied^r sind insgesammt zn Reigen und Tanz gesangen.
Sie entsprechen der uralten Maifeier und ihrer wonnigen^ Lust: Alles
jauchzt der erwachenden Natur entgegen, man zieht hin unter die
Linde, tritt an den Reihen und springt ihn dann: einer heisst der
krumme Reihen, wobei die Tanzenden zeitweise insgesammt hinken
(60, 29), auch gibt es einen Hoppeldai und Troialdei, welcher
, selbe zweifle^ getanzt wird, ein anderer heisst Wanaldai (65, 38)
und «treirös^ ein Tanzlied (48, 20); Drei geigen dazu und der Vierte
pfdft (63, 30) die Tanzlustigen haben eigene Vortänzer:
Randolt, Gunthart, SSbant, Walfrit, VrSne
die Sprüngen da den reien vor, ie einer, dar nAch zw6ne.
deis Diethöch Uolant unde Jednnc
sprang da mangen geilen sprunc,
an des hant spranc Eldne (31, 35 ff.)
Insbesondere aber sind es die Mägdelein, die schmucken, über-
müthigen Bauerndirneii, die dem von Reuenthal zulaufen und an seiner
Hand den Reihen springen wollen; wie er seine Lieder erhebt eilen,
fliegen ihm alle Herzen zu, die Mägde geben ihm ihre Kränzel und was
sie sonst haben, dass er sie seine „geilen Sprünge^ lehre. Und sie
lernen seine hohen Sprünge, obwohl manche Mutter warnt: Sprünge wie
man die Mägde zu Bette trägt (S. 23), worauf später immer die Wiege
folgt Aber Alle sind verblendet und vernarrt in ihn, er bezaubert sie,
wie der Rattenfänger von Hameln, dass sie ihm blindlings folgen und
bisweilen verliert selbst eine ehrsame Matrone noch den Kopf. Gleich
das erste Lied (3, 1 — 21 und'Simrock S. 280) ist so ein Genrebild:
die Alte springt wie ein Kitzlein, sie will an die Hand des Knappen
von Reuenthal; vergeblich opponirt die Tochter, die Mutter aber be-
hauptet ohne ihn nicht leben zu können; eine andere (4, 31) thut
es noch allen Jungen zuvor, obwohl sie schon Tag und Nacht mit dem
Tode gerungen hatte. Meist steht doch die Mutter zurück, aber er muss
sich höchst liebenswürdig zu machen gewusst haben, so klagt z.B. eine:
liebiu muoter h^re
nftch mir so klaget er sere,
sol ich im des niht danken?
er spricht daz ich diu schoenste si
von Beiem unz in Vranken. (4, 30.) —
. Heide I Anger und Wald stehen in Freuden, sie haben ihr bestes
Gewand angezogen (diu habent sich bereitet mit ir aller besten wAt)«
P 31
482
die ihnen der Mai ge^iracht; der Mai hat sogar ^brieve^ (23, 11) ge-
sendet (ein damals bei den Geisslem und vorhergehend in den Kreoz-
zügen sehr beliebter Artikel), die Jedermann hören kann, wer da will:
^Seien wir Alle froh mit Schalle : der Sommer ist in die Lande gekom-
men. Nun ans den Stäben ihr stolzen Kind ! lasst euch auf der Strasse
sehen! hin ist der scharfe Wind und auch der viel kalte Schnee; hebt
euch balde zu dem Walde, wo bereits die Vögelein singen, denen ehe-
bevor wehe war. Legt gleichfalls euer bestes F^iergewand an und
schauet hinaus, um auf der Aue die Blumen zu brechen.^ (5, 8 — 31.)
Dass dieses häufig im Sinne des 6öthe*schen ,,Rö6lein auf der Baiden*
geschah, könnte man schon aus Walt her vermuthen, Neidhart aber
sagt es ganz unverblümt heraus und gebraucht dabei noch zotige Bilder
zum Ueberfluss. Seine Lieder wetteifern an Uebermuth, der Lenz nift
zum Reihen (reiet da die bluomen sint) und die Dimlein sind um keineü
Preis zurückzuhalten, sie springen klafterlang (7, 6); vergeblich warnt
die Mutter vor dem Maulmacher (trüger) , der ihr nur zu einer Wiege
verhelfe; das Töchterlein meint aber, dass eben desshalb die Weiber
da wären; die Mutter greift zur Züchtigung der Widerspenstigen nach,
einem Rechen, den ihr aber das Kind entwindet: da gab es Stösse!
Und würde man ihr die Füsse zusammenbinden, sie käme doch hinaus,
sagt eine andere, und rauft sich mit der Mutter, dass es ein Loch in
den Aermel gibt.
Der Wald hat seinen Kram für d^n Mai aufgeschlagen (9, 25),
die Königin Minne erscheint ganz höfisch und verwundet (wie Amor)
mit ihren Strahlen bis auf den Tod (10, 4 ff.):
diu hat mit ir sträle
mich vermundet in den tot;
von senender not
lide ich mange quäle.
si ist von rotem golde, niht von stAle ;
an min herze schdz si zeinem mftle.
Die Minne, fahrt Neidhart fort, zwinge, dass man sich unter Lachen
verzehrt, wenig schläft und oft in Trauer wacht. Aber alles Leid eodet
unter der grünen Linde. In einem anderen Genrebilde (24, 13 ff.) sacht
die Mutter ihrer Tochter vergeblich die Kleider zu versperren, das
tanz- und sprüngsüchtige Kind erbricht den Schrein, nahm den Rod
mit den vielen kleinen Falten, auch einen schmalen Riemen und warf
sich dem von Reuenthal alsbald iu die Arme. Sie putzen sich meist
wie eme Tocke zum Tanz und Ballspiel, setzen ein „rdaeokrenzel^ aa(
bewinden das Haar mit Seiden und ziehen rothe Schulze (golM) an.
483
Eine andere Matter bemerkt ihrer Tochter, dass der junge Meier ein
Aage auf sie habe, aber die Dirne verachtet wie im „He Im brecht^
den „gebäwer^ (giezet mir den meier an die versen), sie will einen
Ritter haben, der als gewaltiger Minnedieb renommirt. Er macht immer
neue Eroberungen (15, 21 ff. und S im rock S. 288 ff.):
Ine gesach die beide
nie baz gestalt
in liehter ougen weide
den grüenen waH.
an den beiden kiese wir den meien.
ir mägde, ir sult iuch zweien,
gein dirre liebten sumerzit
in hohem muote reien.
Lop von mangen zungen
der maie bat.
die bluomen sint entsprungen
an manger stat
da man e Beheine künde vinden.
gelonbet stänt die linden,
sicii hebt, als ir wol habt vernomen,
ein tanz von höfischen kinden.
Die sint sorgen dne
und vröuden rieh,
ir mägde wolgetdne
und minneclich
zieret iuch, daz iu die Beier danken,
die Swdbe und die Vranken.
ir briset iuwer hemde wiz
mit siden wol zen lanken.
„Gein wem solt ich mich zäfen?''
so redete eine maget.
„die tumben sint entslAfen.
ieh bin verzaget,
vreude und Sre ist al der werlde un-
maere;
die man sieht wandelbaere;
deheiner wirbet umbe ein wip
der getiuwert waere."
„Die rede soltd behalten^
sprach ir gespil.
„mit vröuden sul wir alten,
der manne ist vil
die noch gerne dienent guoten wiben:
lijs solhe rede beltbe;i.
ez wirbet einer umbe mich
der trdren kan vertriben.
Ich sah noch nie die Haide
So Wohlgestalt,
In lichter Augenweide
Den grünen Wald.
An den Beiden spüren wir den Maien.
Ihr Mägdlein sollt euch zweien.
Dem lichten Sommer zum Empfang
in hohem Muthe reihen.
Lob von manchen Zungen
Der Maie hat.
Die Blumen sind entsprungen
An mancher Statt
Wo man früher keine mochte finden;
Belaubet steh'n die Linden.
Darunter soll sich bald ein Tanz
von höfischen Maiden winden.
Ihrer Sorg* ist minder,
Sie freuen sich.
Ihr wohlgethan^u Rinder,
Und minniglich,
Ziert euch so, dass euch die Baiern
danken,
Die Schwaben und die Franken,
Und schmücket euer weisses Hemd
mit Seiden an den Flanken.
„Wem trüg' ich schöne Kleider?*
Sprach eine Magd.
^Die Jungen schlafen leider;
Ich bin verzagt:
Freud* und Ehre sind der Welt zu-
wider,
Kein Mann ist treu und bieder.
Um Eine, diß. ihm Ehre brächte,
wirbt nun Keiner wieder.*
^„Die Rede kss nur fahren,
(Sprach ihr Gespiel)
Wir kommen froh zu Jahren;
Männei" sind viel
Die noch guten Frauen dienen gerne;
D'rum sei die Rede ferne.
Um mich wirbt Einer lange ßchon«
von dem ich Freude lerne.* *
31*
484
„Den soltü mir zeigen,
wier mir behage,
diu gürtel si dm eigen
diecb umbe trage.
sage mir sinen namen, der dich
minne
s6 tugentlichen sinne,
mir ist getroumet hint von dir,
din muöt der ste von hinne.^
„Den si alle i^ennent
von Riuwental,
und sinen sanc erkennent
wol über al,
der ist mir holt, mit guote ich im
des Idne.
durch sinen willen schöne
so wil ich brisen minen lip.
wol dann, man Hütet nöne!"
„Den solldt du mit zeigen
Wie er mir behaue:
Der Gürtel sjBi dein eigen,
Den ich an mir trage.
Sag mir seinen Namen, der dich
minnen
Will mit geheimen Sinnen.
Mir träumte diese Nacht von dir,
du wollest uns entrinnen.^
n ,9 Den sie alle nennen ^
Von Reuenthal,
Und seinen Sang erkennen
Wohl überall.
Der ist mir Lold. Mit Gut* ich ihm
das lohne.
Mit einer Blumenlcrone
Zier ich mich gern utn seinethalb.
Doch fort, man läutet None!^*
In solcher Weide verlaufen die meisten Reihen; dazu gibt es auch
Spmmerlieder und Herbstklagen; fast alle a,ber haben die y,gogel-
heit der dörper^ d. h. die Tölpelhaftigkeit und Streitsucht der Bauern
untereinander zum Gegenstande, auch erzählt der Dichter manch ärger-
liches Begegniss mit ihnen. Die einleitenden Strophen dazu sind immer
von unbeschreiblicher Anmuth und Naivetät, sie gehören mitunter zu
den lieblichsten Seiten der ganzen mittelhochdeutsdhen Lyrik; sie ent-
halten eigentlich keine Beschreibung des Frühlings , sie suchen nicht
nach neuen, auffallenden Zügen, nicht nach üppiger Malerei, sondern
sie. sind so einfach wie das Gefiihl der Wonne selbst, in deren Zanber-
kreis sie den Hörer emporheben wollen; Herr von Liliencron ver-
gleicht sie sogar mit einer Aeolsharfe, die in ihren wenigen gleichge-
stimmten Saiten dennoch die wunderbarsten Harmonien erklingen lässt
Nach solchem Eingang wird man dann mit jener, der besten Volka-
poesie eigenthümlichen Weise mitten in die darauf folgende Scene hin-
einversetzt, die leider mitunter ziemlich derber Natur ist. Und doch
klingt durch die bald lustigen, bald sehnsüchtig tändelnden Reden und
Gegenreden hindurch der zuerst angeschlagene Frühlingston leise nach. 0
Ganz anderer Natur sind die Neidhart*schen Winter lieder. Weil
man nicht draussen sich drehen kann, so treibt man sich in den Sta*
ben, wo sich eine grosse findet und ergeht sich — ^ in höfischen Tänzen:
^Der leide Winter, der jung und alt verdriesst, hat u^s der wonniglicheo
Blumen viel benommen, welch* Rath wird, den kleinen Vögelein t onbe-
') Liliencron bei Hpt. Zeitscbrin 'S. 95.
485
sangen steht der Wald, das kommt Alles von des Reifes Ungnade ; die
Nachtigallen sind alle weggeflogen, doch — Megenwart ha^ eine
weite Stabe nnd seiner Tochter ist es aach recht, sagt es also ein*
ander, Künegnnde mag auch gerne tanzen, Gisel gehe zar Juten
und mache dass Elle mitgehe, vergesst Hädewig nicht; ich rathe
allen guten Weihen überall , dass sie hochgemuthen Mannen holdes
Herze tragen; wozu sind sturmartige Hauben (tehtier) ohne ein Collier
^umbe den kragen; wip sint sicher ambe des houbet her gewesen , so
daz in daz niemen brach. ^ Darauf bricht beim Tanz eine Prügelei los»
mit Dreschflegeln schlagen sich die stolzen Bauern auf die Glatzen, die
Weiber fahren sich in die Haare; den Tänzerinnen werden die Kleider
niedergetreten. Einer aber, den Neid hart überhaupt nicht leiden kann,
Namens Engel mär hat das Unglück einer schöneit Tänzerin, der
Friderün, ihren Spiegel zu zerbrechen, eine Ungeschicklichkeit, die
der Dichter nie vergisst, die ihn wurmt und die er immer wieder \ind
wieder erzählt. Wir bekommen bei dieser und anderen Gelegenheiten
eine hübsche Anzahl von Namen aufgezählt; da es doch von Interesse
ist zu wissen, welche Napien damals bei den Bäuerinnen absonderlich
beliebt waren,, so ist es vielleicht erlaubt, selbe aus den bayerischen
Liedern des Dichters zusammen zu stellen. Wir treffen hier ausser den
Obengenannten eineAdelheit (18, 21) und Ave, Engelboltes Tochter,
eine Bride (Frau Breide im ^Orendel^) und Berht'el, Diemuot,
Ermelint, Gundrät, Geppe, Guote, Hiltrüt (31,26), Hickä,
Hilda, Heilke und ein viel schoenez kint Hiltburc, Irmengart
(11, 1), Jute, Jiuteline und Jutel, Liukart, Richilt (29, 10),
Schelle, Trüte, Uotelhilt (28,24), Vrömuot, Wierät, Wen-
de Imuot (29, 5) und Wentel. *) Noch zahlreicher sind die Namen
der stolzen Bauern: Amelunc, Adelvrit, Adelger, Adelber,
Anze, Adelhdne; Beremuot, Batze, Biterolf, Berewin;
Drunkhart; Engelmär, Engelram, Engeldich, Engelbolt,
Engelber, Engelwftn, Enzemann, Eberwin, Eberolt, Ek-
kerich, Elsemuot, Erkenfrit, Ellenhart, EgeloWe, Erken-
preht, Eppe; Frideliep; Gunderam, Geneliup, Giselbolt;
Hetzemann, Hiltewin; Luthör, Lanze; Mangelt, Megen-
goz, MerJienbreht; Otegfer, Oezekint der dumme; Ruoze,
Regeüwart, Rüele; Sigemftr, Sigelöch; Uozeman der rothe,
Undelhart, Uodelrich, Uodelger; Wagegrim, Willebort,
1
) Unter den unachten Liedern finden sich zur Ergänzung noch folgende Frauen-
ntmen: Adel, Diemel, Elsemuot, G^rhilde, Gotelint, G^rtrüt,
Gtsel, Hetze, Heilwlc, Herebrfrc, Hüte, Irmel, Jlsmuol,
Kunze, Hetze, Merkis, Meregart, Prlsel, Werlint und Wilbirc
486
4
Watke and Willepreht.*) Viele davon sind nralt, andere aas oder
an die deatschä Heldensage klingend and von volksthümlichen Heroen
and Helden stammend; immerhin sehr lehrreiche Fingerzeige, wie tief
solche Dinge im Volksleben eingewarzelt und herausgewachsen !
Diese Herren -Bauern tanzen nun des Winters in der Stube, wo
Einer eine dazu geeignete Spielstube (53, 25) hat, seltener im
Wirthshaus (bervrit. 60, 9 u. 174): Räumt Schemmel und Stähle weg,
singt Neidhart, tragt die Schrägen hinaus! und sie tanzen* dann , dass
durch die Fenster der ^galm** geht und man der Hitze wegen die Thür
öffnen muss. Man tritt nach der (Jeige (37, 3) und der Tanz wird
gross: „man sach da die tenze riselieren;^ auch singt Einer vor
(39, 28) ; wenn die Vortänzer schweigen so treten sie ein „hovetänzel*
nach der Geige (40, 24), da sah man grosse Ridewanzen „daz war
geiler getelinge wünne!^") Die Bauern aber legen selbst beim um-
gehenden Tanze ihre Schwerter nicht ab (54, 34), obwohl sie Kleider
nach der Hofsitte tragen, mit Seide benäht (68, 7) und Tach aas
Oesterreich (60, 13); Einer hat eineTreie, die ist von „barkäne, grüene
alsd der klö,** dazu ein isenhemde", und geht brummende (limmende)
als ein Bär; sie treten mit den Sporen den Weihen die seidenen
Kleider durch und richten vielen ünfiig an, worin aber der Dichter
selbst nicht zurückbleibt. In den Stuben werden auch Spiele aufgeführt,
das Bickel- oder Prittelspiel wird von jungen Leuten gefibt (36,
26), dessen will Küenzel Meister sein, er verbietet Lachen, Sprechen
und Winkelsehen; es gibt ausdrücklich einen Bickelmeister (49, 18);
auch fuhrt man mit Schlitten auf das Eis (kint, bereitet iach der sliten
df doÄ is. 38, 9).
0 Ebenso sind aus den unächten Liedern beiliufig folgende Bauernnamen u
ergänzen: Adelold, Amenoll, Bernhart, Bezzel, Brezzel, Berb-
tram, Bezeman, Baldentrit, Berhtold, Diemen, Durinkharte,
£inwtc, Einmuot, Ekeman, Erkenbolt, Ezzel, Elefrtd, Fride-
breht, Frouther, Frideliep, Gumpreht, Gözbrehl, Giselbrebt,
Golehold, Gabelmann, G6zwfn, G6ze, HiUebolt, Herold, Hei-
leg^r, Hidmdr, Holerswam, Herr Heb enslrlt von Höben vels der
jungte, Heinzel, Ilsunc, Irenfrit, Irenb er von Botenbrunnen, Irniel-
stein, Krumpolt, Küenzel, Liutwtn, Leppe, Lenk, Lumpolt,
Limmenzdn, Liutfrit, Liutolt, Merbot, Merkel und Merkelfa,
Pilgerfn, Ranze, Riutolt, der lange Rehewin, Rumpolt, Reppe,
Roswin, Sleppe, Schrenk, Sigelolt, Sigehart, Tratwln, Valke,
Vorhtliep, Werenher, Wenk, Wezzel, Walbreht, Werffaat,
Wate; das unechte Gedicht S. XXXII nennt allein 52 solch „öde Gäuche,''
*)' Den hehren Gang macht Neidhart mit den volltönig malenden Versen licher- '
lieh: „si gieng^en alle tage als ein gesmirter wagen, eben unde Ilse, aiht
bedrungen daz in diu swert üf den versen klunj^en.^ (55, 28 fS.) Man bbsi
sich dabei erinnern, dass der ritterlichen Sitte ein leiser, abgemessener Gaor
für den Ausdruck innerer Hoheit galt, so singt Walther von Philipp aid
Irene : „er trat vil Ilse, im was niht ffdch ; im sTeich ein höhgebomio klüie-
ginne nich.^ (Walther 19, 11 u. Grimm Graf Rudolf. S. 25.)
487
Gleich das erste Winterspiel findet zu Wttenbrüele, Weiden-
brühl statt; da Engelmftr dabei eine Rolle spielt, so ist das Lied in
Bayern gedichtet. 9,Wer uns dort ein W^idenbrühl nachwiese, föhrte
uns in die Gegend, wo I^eidharts heimischer Wohnsitz zu finden wäre.
(Haupt S. 138.)' Es findet sich nun gerade kein Weitenbrfihl, wohl-
aber ein Weiden buhl bei Aurbach nächst Moosburg, was zu Neid*
harts Heimath ganz gut passen könnte. Neidhart ist anfänglich zu
Riuwental noch unberathen und alleine; er spricht später von seiner
Frau oft, es ist aber nicht erweisbar, dass er seine Gattin darunter
meine.
Unter den Winterliedem kommen auch ganz höfische Strophen vor,
die an und für sich sehr schön sind, bei genauerem Zuhören jedoch
ihre künstliche Entstehung nicht verläugnen können; z.B. (42, 34 ff.):
Uf der linden liget meil.
da von ist der walt des loubes dne
und diu nahtegal ir herze twinget.
wirt 81 mir, s6 hftn ich heil,
diech dd meine: deist diu wolgetäne,
diu mir min gemüete dicke ringet.
wol ir, daz äi saelic sl!
swer si minnet, der belibet sorgen vn.
Doch steckt hinter der mit ganz höfischen Redensarten Gefeierten
nur eine ordinäre Bauernraagd, die, wie dem unsterblichen Ritter von
der Mancha, doch ^seines Herzens Königin* (48, 6) ist; er mahnt ganz
ernsthaft, dass sich Niemand an den Frauen vergehen soll und übt
dann selbst eckelhafte Schweinerei, wie die Aventiure beim Flachsbre-
chen und viele andere zum üeberdruss beweisen. Doch regt sich auch
bei ihm ein besseres Selbst, er ist nahe daran den Fehl einzusehen,
der auf der Seite der leichtsinnigen Männer liegt (71, 24 ff.):
Do man wibe minne gegen der manne minne wac
innerthalp des herzen tür,
dö wac mannes minne vür.
nüne kan sich gegen der wibe minne niht gewegen.
ich enweiz ab niht wen ich der schulden zihen mac,
der die wären schulde hdt
zweier dinge uns abe gftt,
daz wir man niht kiusche sin noch rehter wdge pflegen,
^diu geliche trage
herzenliebe gein der minne.
ir sult wizzen, swaz iu iemen sage,
^
488
• I
— <■
er gewan nie -herzen küneginne,
der niht enwirbet daz er gnoten wSben wol behage.
Reiner wibe minne tiawert höher manne mnot
ist ir triuwe nunnecllch,
deist in beiden lobelfch.
wol im der gein wiben dner staete hüeten kan.
valscheldsiu minne waere beidenhalben goot:
wol dem herzen daz st treit.
dem Wirt stner arebeit
wol gelönet. disia maere merket, gaote man.
stt den wiben holt,
lät in herze nnd ongen lachen.
k snlt wizzen, >ller Kriechen golt
möhte ein herze niht so vrö gemachen
s6 reiner wibe minne. deist ein vreadebemder seit.
Aber er hütete seiner State nicht nnd behidt keine trene Minne;
er verliert immer sein besseres Selbst, er ist der Heine seiner Zeit,
der es mit Matter und Tochter zugleich hält and der nor in Unbe-
ständigkeit beständig ist. Wie in Ulrich von Lichtenstein die Verkehrt-
heit, so gipfelt in Neidhart die Fäalniss and Lüderlichkeit der Minne-
einger.
Ueberraschend ist es, ihn plötzlich auf einer Kreuzfahrt za finden.
Er muss sie in jungen Jahren gemacht haben. Früher glanbte-man, er
habe mit Herzog Ludwig von Bayern, dem Kellheimer, die Fahrt nach
Damieta gemacht, denn Ludwig überlebte den schimpflichen Verlost
dieser Stadt und kam im September I22I nach überstandener Geisel-
schaft wieder zurück. Nun soll er an dem Zuge Leopold VII. von
Oesterreich nach Syrien und Damiata (1217 — 19) theil genommen haben,
den viele Bayern begleiteten.') Neidhart singt eine fröhliche Reiseoote
' (11, 8 ff.):
Ez gruonet wol diu beide
mit niuwen loube stät der walt:
der winder kalt
twanc si s6re beide,
diu zSt hftt sich verwandelöt.
, min sendiu not
mant mich an die guoten von der ich unsanfte scheide.
0 Wackernagel bei Hagen IV. 437 u. Hpt. S. 106.
489
^In dieser Zeit singen die Vögelein, ich thäte es auch gerne nnd
e Freunde wüssten mir dafür Dank, nicht aber die Welschen, die
gar nicht darauf achten: ^sö wol dir, diutschiu zunge!^ Er sendet
Boten ab, mit der Meldung an die lieben Freunde und die „mei-
ane,^ dass sie bald über die See heimzukehren gedächten, dass
inen unterdessen ganz j&nmierlich ergangen sei. Gott lasse uns bald
lieben Tag erleben, dass wir heim zu Lande streichen!^ Leopold
i die Heimreise am L Mai I2I9 angetreten. Das Frühlingslied
t ganz gut. Der Zustand des Heeres ist ein sehr trauriger, da es
guten Theil erschlagen ist: ^daz her ist mer dan halbez mort^
23). ^Wir möchten gerne reihen und tanzen und manchen weiten
itt springen, ehe wir aber daheim in Bayern herumstolziren (g^swan-
sollten wir erst nach Oesterreich gelangt sein!" Auf der Rück-
lässt ihm die Tanz- und Liederlust schon keine Ruhe mehr (13, 8):
Komen sint uns die lichten tage lange:
alsd sint die vögele mit gesange. ^
die habent ein niuwez vunden,
daz sis nie vor mangen stunden
baz begunden.
Die den winder sendes herzen wären,
den gestuont der muot vor drizec jftren
nie ringer danne hiuwer.
mägde, ir nemt des meien stiuwer (Lohn);
zogt ab iuwer.
Junge mägde und alle stolze leien,
ir sult iuch gen dem lieben sumer zweien:
so ist wünne in allen riehen.
ir sult iuch ze vröuden strichen.
Iftt dar wichen.
Kint, Ut iu den reien wol enblanden,
loeset iuwer herze üz senden banden
mit snellen sprangen ringen.
ich hoere von der vögele singen
den walt erklingen.
Er sendet den lieben Boten heim zu Lande; all sein Trauern soll
Ende haben, denn wir nahen dem Rheine und die Freunde sehen
Pilgrimme gerne! Der Rhein bezeichnet nicht eine Rheingegend,
lern Deutschland.
Bote, nü sage den kinden an der strdze
daz si niht enzümen üz der mäze.
4^
wir Silin ein ninwez brinwen,
dar Qftch si die vinger kiawen, '
an der trinwen.
Bote, nü sage dem liebgenaemen vnbe
daz ze wünsche gät sd wol min schibe^
du sage ze Landesbuote,
wir leben alle in hohem mnote, .
niht unvruote.
Der Wind war ihm also günstig geworden, seine Glückskngel oder
sein Glücksrad (schibe) hat sich gedreht und er kehrt fröhlich in seine
Heimath zurück. Hier trieb er das alte Unwesen, machte Eroberungen
und ärgerte die Bauern, deren schöne Weiber und Töchter er gehörig
vexirte. Endlich hat er sein Hab und Gut verthan und obendrein die
Gunst des Herzogs ^verspielt ; da siedelte er nach Oesterreich hinüber
und machte sich an den reichen „ Ostermann ^ (75, 2) Friedrich H. zü-
genannt der Streitbare, der allerlei Sängerlein an seinen Hof gezügelt
hatte, z. B. den Bruder Wernher, Pfeffel, den Tanhauser und
andere Spielleute und fahrendes Volk. Er wurde gut empfangen and
spricht von einem silberreichen Schrein, den er erhalten habe, zu dessen
Aufbewahrung und Sicherhaltung der gute Herr ihm aber auch noch
ein Haus schenken muss. Und nun fliesst seine Dankbarkeit in poeti-
tischer Uebertreibung über: nie hat er reichere Gabe von Fürstenhand
erhalten, er will seines (Friederichs) Lobes Kämpe sein (73, 21) und
sein Lob wohl sprechen und ^ngen, dass es laut vom Rheine bis eot
Elbe schallt. Es beginnen die alten Händel mit schmucken Bauem-
dimen. Die Getelinge und Dörper, die Geburen und Gauhünere waren
hier aber noch übermüthiger als in Bayern ; sie trugen enge mit Draht
gesteifte Röcke (treien) und enge Schaperune, rothe Hüte, Schnallen-
schuhe (rinkelohte schuohe), schwarze Hosen und Handschuhe, dazu
natürlich auch Waffen, Schwerter, Helme und Beckenhauben, Stunn-
hüte u. dgl. Neidhart gibt ganz eingehende und genaue Beschreibungen
darüber. Da er sich an ihnen gehörig rieb,* kam er oft sattsam ins
Gedränge. So hat ihn auch der Maler der Manessen dargestellt: ')
Neidhart, jugendlich wie alle diese Sänger, vielleicht als Ausdruck ihrer
ewigen Jugend, einen Perlenkranz auf dem lockigen Haupt, in langem
zierlich gegürteten Rocke, hebt den rechten Arm mit den drei aosge-
') Htgeo IV. 436 und V. 40 u. 266. Ttf. XXXVI. Dts beliehte Thema wurde
im aV. Jahrh. auch dramatisch bearbeiiet^ wie Meidhart die Bauern äfft
Vergl. Keller Fastnachlspiele. I. B. Nro. 53. (S. 393—467); es spielt u
Zeiselmauer.
491
streckten SefawnrfiDgern empor nnd hält die Linke abwehrend vor die
Bmst, indess sein pelzgefütterter Mantel über die Schnltem zurück-
fallt. Vier Bauern umgeben ihn, sie haben alle kurzes Gewand, das
nur bis zum Knie reicht ; die beiden zur Rechten sind jugendlich, einer
im quergestreiften Rocke hebt die Linke mit warnendem Zeigefinger
gegen ihn auf; der andere mit runder Mütze, gestrfcheten Hosen und
kurzem Rocke mit halben weiten Aermeln darüber, einen Dolch und
einen Seckel an der Seite, fasst mit der Linken Neidharts aufgehobenen
Ellenbogen und bedeutet ihm mit der Rechten. Die beiden anderen
älteren Getelinge , mit scharfen , schadenfrohen Gesichtern , schwarzen
Kappen und langen Schwertern an den Seiten machen ähnliche Beweg-
ungen. Sie tragen gesteppte mit Draht durchnähte Wämser und hohe
Halskragen, Brustbleche u. s. w. AUe aber sind gelockt, wie der Dichter,
der neben ihrer Herrentracht besonders ihre' Lockenpflege schilt und
ihnen mit der lange in Oesterreich erwarteten Ankunft des Kaisers
Friedrich n. (1236) droht, dass er die Zucht herstellen und den Dörpem
die langen Locken wieder verschneiden werde. Der Wappenschild über
dem Bilde ist weislich leer gelassen.
Herr von Liliencron') stellte die Vermuthung auf, dass unter
der Maske der Bauern Niemand anders zu suchen sei, als des Dichters
eigene, höfische Umgebung. Das ist aber ein unhaltbarer Einfall. Wenn
auch nicht Alles für baare Wahrheit in Neidharts Liedern zu halten
ist, so gingen sie doch zum guten Theil aus wirklichen Anlässen hervor,
seine Bauern tragen zu gut das Gepräge der geilen d. h. übermüthigen
Getelinge, die wir aus Strickers ^Gäuhühnern* und dem „Helmbrecht*
zur Genüge kennen, sie sind zu sicher nach dem Leben gezeichnet,
als dass mau sie für Masken seiner höfischen Umgebung hätte halten
können. Neidhart hatte überhaupt wenig am Hofe zu thun, wo er hofirt
and minnesingerisch thun will, da ist meist auch formelle Leerheit; er
ist entschieden unglücklich, wenn er sich in der höfischen Tonart be-
wegen soll, dagegen spricht eine überraschend wohlthuende Frische
nnd Genialität aus den Liedern, die für seine und in seiner ihm zu-
sagenden Umgebung entstanden sind. — Aber auch bei dem reichen
^ Ostermann ** vermochte er sich nicht in die Länge zu halten. Der
Herzog hatte ihn behauset (behüset) wie den Tanhauser und zwar zu
Melk (Medelike), er trieb sich aber immer auf den Dörfern umher und
nennt deren eine grosse Menge, die seine Streiche sahen. Natürlich
lohnten ihm die bösen Herren -Bauern dort^ wie in Bayern, spielten
ihm übel mit und vertrieben ihn. Vielleicht machte • er es »einem Mae-
>) In Hpts Zeitschrifl S. 105.
492
cenas zu arg, wenigstens. ist das folgende Gleichniss als ein s^ deut-
licher Bettelbrief anziiseb<»n (84, 32 ff.) :
Swer einen vogel haete
der mit sänge dur daz jär
stnen willen taete,
dem solt er underwilen zuo dem vogelhdse sehen
und gaebe im guote spise;
sd künd oucli der selbe vogel
singen süeze wise,
so müeste man dem vögele guoter meisterschefte jehen.
sunge er sinen sanc
immer schone gegen dem meien.
so solte man in sumer und den winter tüte heien. (pflegen)
guoter handelunge wizzen onch die vögele danc.
Es mass verstanden und ein neues heiliges Loblied Ci^ frönekdre
ein lobeliet) daliir gesungen worden sein, davon der edle Geber „in
dem paradise wite erkant^ werden sollte.
' Selbst wie ihm das Haar ergraut ist (93, 2) nnd das Alter ihn
von der Jugend scheidet (95, 36), kann er die alt^n Gewohnheiten
noch nicht lassen und eine Stänkerei mit Bauern, Dörpem und Grete-
Ungen gilt ihm nächst ihren Dirnen als höchste Seligkeit.
Einmal , nachdem er an dreissig Jahre ges^ngen » zieht er seine
poetische Bilanz und da ergibt sich, dass er achtzig neue Weisen
im Frauendienst gesungen ; eine andere Zählung bringt noch eine höhere
Ziffer heraus.
Zuletzt kam er auch beim reichen „Ostermano^ in Verruf durdi
einen Ungensdnnten und Neidhart zog wieder nach Bayern, wenigstens
geht das aus einem Liede (103, 15) ziemlich deutlich hervor, in
welchem auch Erzbischof Eberhard von Salzburg genannt wird. Neid-
hart freut sich der Steiermark endlich den Rücken zu kehren und seine
alte Geliebte im „BeierJant^ wieder zu sehen. Sein Leben ist mit
diesem Gesänge, der in*s Jahr 1234 zu setzen wäre, gewiss noch nicht
nicht abgeschlossen, doch fehlen alle Quellen zu weiteren Conjecturen.
Unter den von Haupt als unächt ausgeschiedenen Liedern, die
entweder durch rhythmische Leibschäden oder den fehlerhaften Reim
nicht als geistige Kinder Neidharts anerkannt werden können, befinden
sich sicherlich viele, die in Bayern entstanden und hier Heimatbsbe-
rechtigung ansprechen könnten, denn kein Dichter hatte so viele Nach-
treter und Nachahmer wie dieser, ein sprechender Beweis, welchen
Anklang seine Manier gefunden haben musste. Allein es wäre ein.ver-
498
meftsener Emfall, hieröber bindetide Versuche anstellen zu wollen. Wich-
tiger, aber in unbestimmbare Fefne abführend, wäre die Untersuchung
des Neidhart*schen Einflusses, den dieser auf die Entwicklung des Volks-
gesanges ausgeübt hat. — %
Nach den heutigen Gränzen gehört in unser poetisches Gebiet
femer Herr Suezkint von Trimberg, ein Jude, der, um in der histo-
rischen Reihenfolge zu bleiben, hier seine Stelle haben mag.') Er findet
sich urkundlich zu Wirzburg in der Stadt. Hier verkauft das Dietricher
Spital im Jahre 1218 dem Juden Suezkint eine Hofstätte am Rigol
mit dem Beding, dass er einen steinernen Kanal auf seine Kosten zu
bauen habe; darüber entstand später ein Prozess, der 1225 durch den
Domprobst Otto geschlichtet wurde. Dieser Vorgang ist auch in der
Manessenhandschrift vorgestellt. Suezkint erscheint in reicher Tracht,
mit langem Bart und dem herkömmlichen spitzen gelben Hut ') vor
dem Spitalstiftsherren, der mit klerikaler Umgebung in infulirter Herr-
lichkeit auf seinem Throne sitzt. Suezkint beschreibt sich selbst auf
ähnliche Weise (v. 2> wo er sagt: er wolle fürder wie ein alter Jude
leben , sich den greisen Bart lang wachsen lassen , tief unter einem
Hute, mit langem Mantel demüthig einhergehen, mit seinen Künsten
nicht mehr der i Thoren Fahrt ziehen , sondern die Höfe det Herren
fliehen, die ihm doch nichts gebeif, „unt selten m§ gesutgen hoveltchen
sanc.** Er war sicherlich ein Arzt, ein „weiser Meister von natura"
wie mau sie nannte 9 seine ziemlich an das Gebiet der Raritäten-
Dichtung streifende Strophe von der umständlichen Bereitung der
Tugend-Latwerge, deren Büchse der Leib ist (wol im, des llp der lat-
werten bühse st) documentirt mit allerlei technischen Ausdrücken wenig-
stens die Kenntniss, wenn auch nicht die Uebung der Arzneikunde (I. 2) ;
Mit fünf Pigmenten soll die „latwerfe** gemenget sein, die gut ist gegen
die Wunden des Schimpfes und die Sucht der Schanden; Treue und
Zucht, Milde und Mannheit gehört darein; die Mäze soll es
pulvern; dann gibt es einen Balsam (bals) o7> allen Speisen: Ehrife
') Vgl. Htgen II. 258 u. IV. b'Sß und Archiv des histor. Vereins. für Unter-
franken. 1852. XII. 2. Hft. S 137.
') Es ist wirklieb lächerlich, wie die verschiedenen Concilien des lliUelAlters
von zehn zu zehn Jahren neue Einfälle in BeirefT der Juden hallen. Das 4.
laleran. Concil von 1215 dringt auf die alle Sitte, dass die Juden Unter-
scheidungszeichen tragen, man bestand auf einem hohen gelben Hut; das
Concil zu Narbonne verlangle 1227 ÖBgetea eine runde Scheibe aus Rohr
an der Brust; das Concil zu Vienne 126? schärfte neuerdings den spitzen
Hut ein, das Concil zu Ravenna 1311 schrieb eine, safranfArbige Scheibe vor,
welche die Männer an der Brust« die Frauen gar am Kopfe tragen sollten.
Später beliebten die geistlichen Höfe die seltsamsten Modeii vorzuschreiben.
Vgl. Himmelstetn im Unterfränk. Arcb. 1S52. 9'Hft. S. 148 fr.
494
genannt — Sehr schön ist seine Ansicht über adeliges Tban und edle
Gebart: Wer adelig that, den will ich f&r edel halten wenn auch sein
Adel ohne Brief wäre; wo sich Untugenden zu dem Adel mischen, da
wird das adeliche Kleid zu Hadern; wer ;sich der Untugenden schämt
und nur nach dem Besten strebt und sich zusammennimmt, wer mit
anderen Worten als ein wahrer Mensch sich beweist: den heisse ich
adelig auch wenn er nicht von hohem Namen stammt. — ^ Als einen sehr
edlen Menschen kennzeichnet ihn auch folgende schöne und wirklich
ergreifende Strophe (I. 3):
Wenn ich gedenke, was ich war und was ich bin
Und was ich werden muss — so ist all* meine Freude dahin,
Und wie die Tage meines Lebens laufen von mir geschwinde.
Und ist das nicht ein Jammer und Seufzer bringende Noth
Dass ich von Tag zu Tage muss furchten den Tod
Der mich dann bringt in der unreinen Würmer Gesinde?
Wie kann ich da noch froh sein,
Wenn ich das Alles betrachte?
So han ich an dem Herzen mein
Michel grosser Achte
Wie dass mein Seel* dort Kummer doL (leide)
Mit Sünden war ndr eh' so wohl:
Allmächtig Herre! Du bist aller Gnaden voll:
Hilf mir, dass mein Seele dort vor Dir Gnade finde!
Es ist der Frühlingsschrei aus der Tiefe eines wahrhaft beküm-
merten Herzens, welches tief betrübt ist, dass man nie recht weiss,
wohin die Seele komme, wenn der Tod den Leib ermahnt, dass er vom
Leben kehre (IV. 1); damit ergreift er in seiner einfachen Kürze mehr
als viele Sängerlein mit ihrem minniglichen Geklimper. Aus seinem
Lob Gottes klingt derselbe grosse Geist wie aus Lord Byrons hebräi-
schen Melodien (III. I):
Künig herre, hochgelopter Got, waz du vermaht,
du liuhtest mit dem tage unt vinsterst mit der näht,
da von diu werlt vil vröude unt mowe hat
Künig, aller eren dir noch nie gebrast,
wie den tac du zierest mit der sunnen glast,
und ouch die naht dtns mänen lieht wol stät,
du bemest himel mit den stem,
din Schönheit ie mer mag gewem,
du hast ze geben g4be vU« der niht zergät
495
Ebenso schön ist das Lob einer reinen Frau (III. 2), die ihres
Mannes Krone ist und ihn werther macht ; mit der er seine Jahre
glücklich vollbringt und sich der Sünden und Schande erwehrt; ihr
hohes Lob ninmit es wohl mit der Menge auf! — Doch muss es ihm
oft schlecht ergangen sein: Er bittet die Milden um Abhilfe gegen den
bösen Wicht, der ihn an Speise und Kleidern sch&dig«; er stellt seine
dürftige Haushaltung in derselben Weise dar, wie der Tanhauser; Heb-
auf und Findenichts thun ihm viel Leides, Herr Bigenot von
Dafbian ist ihm feindlich und H^rr Dünnehabe schafit ihm Unge-
mach, seine Kinder weinen oft, da sie böse Schnabel weide haben.
So muss er sich seiner Haut wehren! Unangenehm ist hier eine An-
spielung auf „den gesuoch^ zu treffen, so nannte man damals den Geld-
wacher durch hohen Zins. „Es ist gut, fügt er darauf bei, dass der Esel
kein Hoi*n hat und dass das Krokodill nicht alle Leute beissen kann;^
k&me es auf die Diebe an, so dürfte keine Thüre verschlössen sein.^
Er erzählt auch eine unverblümte Fabel (VI.), worin der Wolf sich
entschuldigt, dass er durch Raub den Hunger stillen muss, weil er kein
Geld hat Speise zu kaufen: er sei nun einmal dazu geboren und nicht
80 schädlich als die Falschen in ihrer Weise — er hätte auch sagen
können, wie jene 4ie in Schafskleidern einhergehen u. s. w.
Dagegen führt uns Herr Reinmar von Brennenberg, kurz-
weg der Brenneberger genannt, an die Donau zurück. Doch sind
die Beiden, der historische Reinmar und der volksthümliche „Brenne-
berger** wohl zu unterscheiden, obwohl ihre Schicksale verwandt und
in einander übergegangen sind.
Von den nach der Burg Brennenberg bei R^gensburg benannten,
später auch zu den Grafen gezählten Edlen erscheint schon 1162, 1171
and 1174 ein Kuno, 1193 ein Wimt als Zeugen in Regensburger, und
1216 ein Gebhard in Alderspacher Urkunden. Des Letzteren Sohn ist
nrahrscheiulich jener Reinmar, der als bischöflicher Truchsess 1224 und
ipäter noch fungirt Mit seiner Gemahlin Adelheid hat er einen gleich-
falls Reinmar genannten Leibeserben, der für unseren Dichter zu
balten ist. Dieser jüngere Reinmar wurde, aus unbekanntem Aulasse, mit
mehreren seiner Mannen von den Regensburgern erschlagen ; das geschah
^wahrscheinlich im J. 1256.^) Reinmar hatte auch einen Bruder, Namens
Bruno, der ihn, ebenso wie seine Mutter Adelheid, überlebte. Dieser
') In demselben Jahre an dem' unglückseligen 18. Februar, verlor ein Fräulein
Heike von Brennen berg, vermulhjich die Scbwesler des Dichters, ihr
Leben zu Donauwörth und zwar mit ihrer unschuldigen Herrin, der schönen
Herzogin Maria von firabant. Heike yswöe nath der Sage von dem Herzog
ermordet, nach Anderen vom llangoldensteine bioabgetl&fxt.
496
Brano war Kanonikns und trat dem Bischof von Regensbnrg sein Schloss
Brennenberg unter den Bedingungen ab, dass der Bischof den Tod-
schlag Reinmars räche, doch behielt er sich die Nutzniessung vor and
setzte überhaupt noch die Klausel, dass das Schlösslein, wenn er, der
Herr !^uno nämlich, etwa wieder weltlich würde und Leibeserben ge-
wänne, dieselben die Burg und das Truchsessenamt haben sollten. Viel-
leicht verga;8s der Bischof die Rache und Busse und so gereute deo
Herrn Bruno auch sein Versprechen, er gab den Kanonikus auf, wurde
wieder ein Laie und nahm ein Weib um sdnen Stamm fortzupflanzen,
was ihm auch so weit gelang, dass abermals ein Reinmar erschien, mä
dem aber 1325 die Familie erlosch.') —
Das Gemälde in den Manessen *) stellt die Ermordung unseres
Reinmar dar : jugendlich, im einfachen langen Rock«, mit einem Waid-
^messer im Gürtel, steht er in Mitten von vier unritterlichen Männern
in kurzen Röcken, mit eisernen Sturmhüten und kurzen Schwertern, der
Eine hat ihn am Arme gepackt und holt mit dem Schwerte aus, ein
Anderer stösst ihm die Waffe von rückwärts in den Kopf, dass das
rothe Blut herausspritzt, der Dritte hält ihn beim Haar und rennt ihm
das Schwert in die rechte Seiten ein Vierter dringt mit erhobener
Waffe heran. Hier ist offenbar ein Ueberfall und Mord dargesteUt, der
von den Regensburger Bürgern gesühnt werden sollte.
Unter seinen Liedern ist eine durch die Heidelberger HS. einzig
gewahrte Strophe sehr merkwürdig,') in welcher er den Tod seiner
bedeutendsten Zeitgenossen beklagt: seinen Freund Singenberg (den
Truchsess von St. Gallen und Schüler «Walthers) , sodann den alten
Reinmar, femer den Wialther von der Vogelweide, zu dessen
Schüler er sich bekennt, Neuenburg, Rugge, unsern JohannsdorC
0 Mit diesem Lelzlffenannten haben Oocen und Wackernagel uoiercB
Dichter ver^^echselt. Vgl. Hagen I. 83;)— 38 u. IV. 278—84. Ettmfiller
Handbuch S. 262.
*) Sein Wappen sind drei brennende Berffe im silbernen Sdiild, dasselbe lahrea
heut zu Tage die Grafen von Lerchenreld.
*) Hagen III. 451 oder vielmehr 334 (auch bei Hpt. S. 261):
Wl sint nu alle, die von minnen sungen 6?
sie sint meistelic tot, die al der werlde fröude Kunden machen,
von Sente Gallen friumt, dln scheiden tuot mir w4;
du riuv^'es mich, dtns Schimpfes maneger künde wol gelachen;
Reinmdr, dtns sanges maneger gert,
ich muoz dich klagen und minen meister von der Vogelweide,
von Niuvtenburc ein herre wert
unde von Rucke Heinrich sungen wol von «innen beide.,
von Jöhansdorf und euch von HAsen Fridertch^
die sungen wol, mit sänge wdrens hovelkh.
Walther von Metz, RubSn und einer der hiex Wahsmuoi;
von Gnoianberc Uoürtch, der liute vil dU| singen dAhle giiot.
497
.Hasen, Walther von Metze, Rubin, Wachsmuth and Guten-
burg. Er hatte also ausgebreitete Bekanntschaft; den Burggrafen
von Rietenburg nennt er nicht, den kannte er vermuthlich nicht
mehr, der war 9chon lange todt.
Der Grundton von Reinmars Gedichten ist die Klage über lang-
jährig unbelohnten Minnedienst ; doch bleibt er ihr ergeben, sein Abend-
segen und Morgengebet gehören seiner lieben Frau (I, 3). In dem fol-
genden schönen Maienliede (III.) lobt er nicht allein alle Frauen,
sondern preist auch sich glücklich über die Wahl seiner Herrin, die
ihm in des Herzens Grund gekommen , deren Schönheit und Tugenden
er vor allen, so weit er auch. im Lande umfahre, erhebt:
Der meie ist komen gar wunneclich
mit maneger hande schoene,
der walt ist niuwes loubes rieh,
in vröut der vogelin doene,
sie habent wunneclichen schal
vor in diu liebte nahtegal,
der sanc ich hohe kroene.
Jung und alte, sit gemeit,
lind sprechet wol den vrouwen,
von in kumt alle saeleceit,
ir mügt sie gerne schöuwen,
und solt in iemer wesoa holt;
sie gebent wunnebemden solt:
ir lop is wol erbouwen.
Gedenke, sinnic, saelic man,
an reiner wibe guete,
waz si wirde muegen han.
ir lop in eren bluete,
und ist ouch gar durhliuhtic ganz,
alsam der liebten sonnen glänz:
sie gebent hoch gemuete!
Darauf folgen (1 V.) zehn sonettehartige Strophen, deren Form den
Namen des Brennen bergers erhielten; er verherrlicht die Geliebte in
blühenden Bildern:
Str. 1. Ir muut der liuhtet, als der liebte rubin tuot,
wan er hat sich gejunget, als der f^nix in dem fiure,
er ist noch heizer, danne ein sinder ') von der gluot.
*) siiider = HtmtnerscIiUig, Melallsi-hlaike.
32
498
und eitet (brenDt), als eines trachen kel, sm lachen ist gehiore
(anmothig);
er geneistet (sprühet), als ein fiurstein sne],
wan solt* min munt sin zuuder s!n, biz ez die minne enpfienge,
er brinnet, als ein vakel hei,
und get uf, als ein roeseltn; wie wol ez mir ergienge!
da draejet (duftet) üz ein baisam, der dez hat gewalt,
* der wider junget unde wirt ouch niemer alt,
swem sie wont mit (rehten) triuwen stetelichen bi,
dem wahset niemer grawez här, und wirt ouch aller sorgen m—
Str. 2. Wol raieh, daz diu vil saeldenriehe ie wart gebom»
diu mit bernden tugenden hat ir lip so wol gekroenet!
sie ist min bluende rose, ^ewahsen sunder dorn;
seht, von ir schoene waeren vil wol drizec laut beschoenet!
sie sunnen blick, sie meien schin,
sie vogel sanc, min hohster trost, in suezer ougenweide,
sie erliuhtet gar daz herze min,
swä ich der laude bin, sie ist doch min zuoversiht in leide.
ja sie ist lobes kröne ob aller vrouwen schar,
ir lop sich helle swinget witen her und dar,
von ir tugenden, die sint also lobelich: -
swä mit man kroenet vrouwen lip, der weiz ich niender ir gelich.
Er ist glücklich die Wonnigliche zu sehen und freut sich immer
des Tages, wo sie ihm wie ein Engel erschienen und noch scheint. Sie
ist mein Tag, mein Morgenroth und Sonnenaufgang, meine Maienzeit
und höchste Freude! ei! wohl mir! wohl! immer mehr wohl! wenn mir
die Schöne zu Theil wird.
Str. 4. Wohl mir des Tages, da mir allererst ist worden kund,
Was hoher Tugende und reiner Ehre an den Frauen läge!
Es kam ein Weib all mitten in meines Herzens Grund,
Da riethen mir die Sinne, dass ich ihrer schöne pflege,
Dass mich von nun an keine Noth
Von ihrem Trost und von ihren Genaden nimmer konnte scheiden,
Mich wendet Niemand als der Tod ;
Ihren minniglichen Leib den kann mir Niemand mehr verleiden;
Sie ist mir lieb und geliebet mir für alle Weib,
Sie ist mir lieber als mein eigener Leib,
Sie ist mir ohne Maass, das spreche ich oflfenbar,
Sie ist meine lichte Rose roth und auch meine spielende Soooe
klar.
499
7. Die ich aus aller Welt zur Herrin hab erkorn,
Zu hohen Freuden mir, zur Wonne wie zum Heile,
Die hat auf mich gewendet ihren Hass und ihren Zorn :
Ich mu88 verderben, wird mir nicht ihr holder Gruss zu Theile.
Sie Reine, besser viel als gut (bezzer danne guöt)
Sie höchstes Ziel der Zärtlichkeit,, sie Krön* ob allen Frauen,
Was sie allein mir Leides thut
Und Niemand sonst, den Fehler einzig mag man an ihr schauen.
Ja die reme süsse sanfte Mörderin (mordaerin),
Mein Herz ist doch bei ihr, wo ich des Landes bin.
Ihr^ Zucht, ihr hohes Lob ich stets zum Besten mass:
Wie selten sie gedenke mein, in Treuen ich sie nie vergass.
8. Ihr Weisen merket, wie mir Armen ist geschehn:
Ich bin mit ganzem Leibe wunderlich entzweigetheilet.
Wo ich halb nur bin, da wähnen sie mich ^anz zu sehn
Und Niemand sieht mich dort, wo doch mein bester Theil ver-
weilet.
Die Liebe hat mein Herz dahin,
Das ist mein bester Theil: es weilt bei meiner lieben Frauen;
/ So lass ich, wo ich leibhaft bin,
Männer und Frauen nur den Schein des ganzen Wesens schauen.
Geschah an Einem solche Theilung, wie an mir?
Ich bin ja leider ganz so wenig dort als hier
Und bin doch Beides wiederum so hier als dort:
Wer mich nun suchen will, wie findet der mich und an welchem
Ort?
Str. 10 und 11 enthalten einen Dialag zwischen Liebe und Sohön-
^ den 4er Dichter sodann bescbliesst Str. 12: dass beide so zusam-
\ passen, wie der lichte Bubin in dem klaren Golde, ja noch schöner
EU*; glücklich derjenige, welcher beide vereint findet und wo £^e sich
ganzer Stätigkeit einem Manne gefreundet:
„Schoene unde Liebe ist ein minnecliches wip,
Schoene unde Liebe ist mins herzen leitvertrip,
Schoene unde Liebe machet al min trören laz:
die Schoene glt mir hohen muot, diu Liebe tuot dem herzen baz.^
Der Ritter, der so lange um ungewährte Liebe sang, der dann
)st klagte, dass die Minne wie eine Mörderin an ihm gehandelt habe,
selbst bekennt ein zweigetheiltes Leben zu fahren, das dann plötz-
i auf noch unaufgeklärte Weise ein schnelles Ende fand, da der
iger wirklich ermordet wurde : Das Alles half wacker zusammen, um
32»
500
an ihni ein Beispiel im Lande zu haben, wie man schon längst in
Frankreich und Italien erzählte; die fremde Geschichte ging ganz auf
den Brennenberger über, in dessen Familie überhaupt ein blutiger Geist
waltete : Heinrich der Löwe hatte einen Brennenberger viertheilen lassen
und das Volk sang davon: ^man legt den^Brennberger auf den Tisch
und schnitt ihn auf gleich einen Fisch ;^ die Heike von Brennenberg
fand zu Donauwörth ein unverschuldetes Ende und unser Dichter wurde
zu Regensburg erschlagen. So gestaltete sich später, ein Volkslied über
unseren Dichter (ebenso wie über den Tanhauser): wie der Brennen-
berger viel von einer schönen Frau gesungen, deren eifersüchtiger Mann
ihn getödtet, ihm das Herz ausgeschnitten und seiner Frao zu essen
gegeben und ihr dann den Gräuel geoffenbart habe, worauf diese, ihre
Unschuld betheuernd und fortan aller Speise entsagend, am eilften Tage
stirbt und der Mann sich ersticht. ') Ein späterer , Meistergesang des
XV. Jahrh. versetzt den Brennenberger nach Wien; er ist ein Ritter,
der am Hofe des Herzogs von Oesterreich lebt und dessen Frau als
das schönste Weib der Welt in seinen Liedern feiert; auf ihr Gebot
zieht er jedoch nach Paris, um durch den Augenschein zu entscheiden,
ob die 'Königin von Frankreich nicht schöner sei; als Krämerin ver-
kleidet') findet ef Zutritt und Gnade bei derselben, die ihn 12 Nächte
beherbergt und jede Nacht bei einer ihrer zwölf Fräulein schlafen lässt,
die Krämerin aber verräth sich nicht als Mann, nur als sie endlich bei
der Königin selbst schlafen soll, da entweicht der Vielgeprüfte und
bringt seiner Herzogin den Preis der Schönheit nach Wien, worauf
bald das schaurige Ende folgt Simrock hat den alten Meistergesang
ausgezeichnet nachgedichtet.*) —
In abgeschiedener Bergeinsamkeit, in der äussersten Ecke des Ledi-
thales stand die Burg der Schwan gauer, die später in Trümmer fiel,
von unserem Könige aber in unvergleichlicher Schöne neu erhoben nod
wieder belebt wurde. Aus dieser den Weifen treu ergebenen, weitver-
zweigten Familie erscheint Hiltbolt, der zweite seines Namens, unter
den Sängern unseres Mittelalters. Er hatte noch zwei Brüder: Hein-
rich und Konrad, mit denen er zuerst urkundlich als Zeuge auftritt
bei dem Friedensschlüsse des Grafen Albrecht von Tirol mit dem
') Grimm deut. Sagen. II. 207—12, wo die Erzählung ausführlich nach xwd
Meistergesängen des XV. Jahrh. gegeben iM.
') Das Lied vom Brennenberger ist natürlich viel älter als der Meisrerge$»B|ri
der Maler der Mänessen vtusste davon und wollte den Brenneher^ ^
Krämerin darstellen, malle aber sein Bild zu Herrn Dietmar von Aist^ ("
dem es gar keinen Bezug hat. Vgl. oben S. 443.
^) Simrock Lieder der Minnesinger. 1857. S. 250-59.
501
Brixoer Bischöfe Berhtold (Augsburg 3. März 1221). Dabei waren
auch der Dichter Konrad von Winterstetten und zwei aus dem
Geschlecbte derer von Nifen. Vier Jahre darauf begegnen wir ihm
wieder im Geleite seiner Brüder zuSchongau, um da mit (}en übrigen
hiezu erwählten Schiedsrichtern den Streit über die Kirche zu Peiting
zwischen den Klöstern Steingaden und Raitenbuch beizulegen. Am
11. November 1228 war er zu* Glurns in Tirol, um als Zeuge und
Bürge zwischen Bischof Berhtold von Chur und dem Tiroler Grafen
Albrecht' an dem Friedensschlüsse mitzuwirken, der in Gegenwart ihrer
Vasallen und Ministerialen verhandelt wurde. Am 12. Oktober 1234
ist er zu Augsburg. Als dann Schwigger von Reichenberg am 5. Nov.
1236 in Prntz alle seine Güter an den Grafen von Tirol als erbliches
Lehen verhandelte, stand Hiltbolt (mit seinem Bruder Heinrich) dem
Rechtshandel bei, auch war er gegenwärtig, als' seine Niftel Ghristina
von Fronhofen den 26. April 1240 eine Schanknng an das Kloster
Steingaden machte. Im Jahre 1254, den 13. September finden wir ihn
zum letztenmale und zwar bei einem friedlichen Vertrage zu Innsbruck.*)
Von ihm sind zweiundzwanzig Lieder erhalten, die obwohl aus der
besten Zeit des höfischen Singens, doch etwas Gemachtes und Conven-
tionelles an sich tragen; bisweilen aber ist er heiter, sinnig und herz-
lieh. Er erzählt, wie er früher wohl Vieren sich zu eigen bot, nun
minne er Eine, und davon hat er viel grössere Noth, denn je, nun erst
erkennt er die Minne (II. 2):
Ez ist ein wunder, mir wart nie so we,
dd ich wol vieren vür eigen mich bot,
nü minne ich eine, unt deheine ander m6,
und ist nach der einen noch grözer mfn not.
danne sie waere von minnen als ie:
ez war ein spil, damit ich ün;ibe gie :
nd erkenne ich minne, die erkande ich e nie.
Ihr ergibt er sich auf Gnade zu dienen, sie ist die erste, die ihn
fing (in. 4). Doch muss es ziemlich lang gewährt haben, .bis er Er-
hörung fand und in Gnaden angenommen wurde, er hatte oft Stunden
der Verzweiflung, er fürchtet sich vor ihrör Ungnade wie das Kind vor .
der Ruthe (VIII. 2). Nun sucht er sie durch sein Lob zu gewinnen ;
mit einem an Walther erinnernden Ausdruck behauptet er vom Po bis
zum Rheine nach den Besten gesucht zu haben und darunter ist sie die
*) Muffat Geschiebte voo Hobeoschwao^ao. 1837. S. 39 If. Hormayr histor.
Tascheobuch. 1842. S. 298-309 und dessen ^Goldene Chronik von Hohen-
schwangau.** Hagen I. 280-84. IV. 190-92 u. V. 247. Taf. XXH,
502
Erwählte! (X. 1.) Da aber immer noch die gehoffte Antwort von ihrer
Seite ausbleibt, da sie so beständig im Versagen ist, so wird er todt*
traurig (XIV. 1); dessungeachtet gibt er die Hoffnung nicht auf (XVII),
wenn sie nur erst seinen guten Willen einsehen wollte (XVIII). Mit
äusserster Einfachheit singt er (XXI):
Kalte rifen unde sne,
so diu zergänt, so kumt, als e,
beide, bluomen unde kle:
unzergangen ist min not, der wirt ie mS.
Swie man siht die beide stau,
wiz, alder sumerlich getan,
mir enwil min leit zergän :
daz klage ich der schoenen, von der ich ez han.
Sie bleibt unerschütterlich wie der Polarstern (Tremundan. XXII. 2);
endlich aber erhört sie ihn, doch mag sie ihm eine Kreuzfahrt auferlegt
haben. Damals war die Sitte häufig, dass der Bräutigam vorerst noch auf
gut Gluck über das Meer musste. Vor der Fahrt schwören sie sich Trene,
wie die Weingartnör HS. abgebildet hat. Als der Herzog Weif im nahen
Peiting die Kreuzesfahne vor dem Altare schwang, stand Hiltbolt von
Schwangau in seinem Geleite und stiess dann mit zu dem Zuge des
Herzog Leopold von Oesterreich und des König Andreas von Ungarn,
den auch Hiltbolts Schwäger, Herzog Otto von Meran, Bischof Egbert
von Bamberg, der Neidhart u. A. begTejteten.
Er kehrte glücklich zurück und wurde wohl empfangen : Zwischen
zwei Frauen tanzend ist er in den Manessen abgemalt; in voller Rüst-
ung, den geschlossenen Stechhelm mit dem Schwan als Zimier noch aof
dem Haupte, als käme er eben vom Ritterspiel, tritt der Schwangaaer
in eine Halle; kaum dass er die Hände von den Panzerringen entschoht
hat, führen ihn zwei Fräulein mit Blumenschapelin auf den wallenden
Locken, zum Tanze, ein junger Fidelaere, die viersaitige Geige strei-
chend, geht voran. Es ist ein höfischer Tanz, der bereits im Parcival
geschildert ist, wie zwischen zwei lichten Frauen ein klarer Ritter mit
schleifenden Schritten den Umgang hält. Der Schwangauer hat aoch
einen Reihen gesungen und zwar für zwei liebliche Frauen, Elle und
Else, von denen eine die Verehrte sein mag (FV):
Ich wil der lieben aber singen,
.der ich ie mit triuwen sanc,
üf genäde und üf gedingen
daz mir truren iirerdo kranc,
bi der ich also schöne
503
an einem tanze gie,
ir zaeme wol die kröne,
so schoene wip wart nie.
Elle und Else tanzent wol,
dez man in beiden danken sol.
Ine gesach so tugentliche
vrouwen nie, dez muoz ich jehen,
noch sd rehte minnekliche;
swaz ich vrouwen hän gesehen,
der ist sie vor in allen •
gewaltig iemer min,
. sie muoz mir wol gevallen
sie süezer saelden schfin.
Elle und Else tanzent wol etc;
Saelic si diu süeze reine,
saelic si ir roter munt,
saelic si, die ich da meine ^
saelic si s6 süezer vunt,
saelic si diu süeze stunde,
saelic si, daz ich sie ersach,
saelic si, ^do sie mich bunde,
diu bant sie noch nie zerbrach.
Elle und Else tanzent wol etc.
Die Geschichte fuhrt uns später noch einmal und zwar unter trau-
rigeren Verhältnissen, nach Schwangau zurück. — In entgegengesetzter
Richtung, an den breiten Ufern des Innstromes zu Rosenheim treffen
wir auf einen anderen Dichter. Dieser sog. Kunz von Rosenheim
aber ist ein höchst unsicherer Herr, denn abgesehen davon, dass das
bayerische Rosenheim urkundlich erst im Jahre 1234 erwiesen werden
kann, 0 so finden sich die wenigen unserem Kunz beigelegten Lieder
auch bei Anderen, wie bei Heinrich von Veldecke, Künzingen
und Singe nberg, und selb^ das einzige Li^d, in welchem er im Style
dieser älteren Sangesmeister klagt, dass Nienmnd mehr des Sanges froh
ist, wobei er warnt, die holden Frauen zu schmähen, die aller Mutter
sind und Manchen beglücken ^) — auch dieses Lied wird in der Heidel-
') 01(0 Titan von Hefner Chronik von Rosenheim. 1860. S. 23 ff. Doch ist
Rosenheim um diese Zeit ein mit Höfen und Schwaigen iHngnbenes Schk)ss,
welches den Grafen von Wasserburg gehörte. Die 1234 genannte Burg
Rosenheim war vielleicht schon 1180 herzoglich geworden, als Bavern an das
Haus Witteisbach kam. Vgl. Koch -Stern fei d der in s. '^Cullurhislorischen
Skizzen"" München 1861 S. 60 ff. gleichfalls unseren Sänger vergass,
') Hagen H. 335.
504
berger Liederhandschrifl einem völlig unbekannt^D Hugo vonMfiln-
dorf zugeschrieben, der nach dem Urtheil eines gewiegten Historikers
wirklich aus unserem niederbayerischen Mfihldorf sein dürfte, wo-
selbst schon 1213 der Herr Bischof Eberhard von Salzburg eine Urkunde
untei schrieb. ') Dagegen hielt der Maler der Manessen, der seinen
eigenen Kopf hatte, an der wirklichen Existenz unseres Kunz fest und
nahm keinen Anstand, uns denselben persönlich vpr Augen zu führen
und zwar in einer recht hübschen Situation:') Es ist, wie bei' Kon-
radin, ein Jagdbild. Obwohl der Maler diesesmal mit keinem ritterlichen
Wappen freigebig ist, so stellte er ihn doch als einen behäbigen Guts-
oder Standesherren dar: von stattlicher Gestalt, jugendlich, mit einem
zierlichen Jagdhute (woran eine moderne Vorrichtung fliegt, um ihif fest
zu halten), im kurzen, engen JRöcklein, ein Täschel und Waidmesser
am Gürtel, hält er auf dem Faistling einen Falken, dem er eine Wachtel
zeigt, die das Bräckelein aus dem Kornfelde aufgejagt hat; in dem
Felde arbeitet eine anmuthige Schnitterin, mit langen Locken unter dem
leichten Hute, an der Linken, welche das Korn zusammen fasst , trägt
sie einen Handschuh, mit der Rechten schwingt sie die heute noch
gleichgestaltete Sichel.
Bisher gelang es nicht den kurzweg als der Dürner bezeichne-
ten Dichter mit festeren Belegen in Bayern nachzuweisen, als Hagen
gethan hat. ') Das Bild zeigt zwei im Lan^enrennen gegen einander
ansprengende Ritter, dem Einen scheint ein Fräulein die Lanze aas
der Hand genommen zu haben, um fbr ihn zu kämpfen; von den
Zinnen der Ringmauer, von den Lauben des Hauses schauen vier andere
Jungfrauen zu. Das Wappen ist eine Glocke unter einem Kirchthurm-
dache, auf welchem ein goldener Hahn steht; der andere Ritter fiihrt
einen rothen Schild. Der Thurm scheint allerdings den Namen zu be-
rechtigen. Es gab alte fränkische Herren und Grafen von Durne, Düme,
die jedoch schon im XIII. Jahrh. ausstarben, auch lebten im folgenden
Jahrhundert bayerische Herren dieses Namens, die z. B. da« Kloster
Reichenbach am Regen in der Oberpfalz begabten, auch erscheint hier
ein gleich alter Ort Durn. Vielleicht wäre an eine mit dem Dichter des
hl. Georg (vgl. oben S. 356) verwandte Familie zu denken.*)
0 Hagen seut unseren Kunz von Rosenheim um 1230. (IV. 643.)
>) Hagen lY. 643 und Y. 269. Taf. XLHl.
S) IV. 646 und II. 336.
^) Auch gab es im Hochslif! EichstSH alte Erbmarschalle Dürner von Döri,
Dürn ist ein Burgstall nächst Dietfufth; ihr Wappen ist im goldenen Schilde
ein springender schwarzer Widder, das Kleinon: ein Apfelbaum mit vier
rolhen Aepfeln, oder ein grüner Stamm mit rothen Kosen. W. Utfnd di*
505
Sein aa8 5 troch^ischen Strophen bestehendes Lied zeigt von guter
Zeit, ist in Sprache und Reim untadelig, der Inhalt natürlich amurös.
Die Minnigliche ist sein Mai ioi Winter , weiss ist ihr Fell , roth die
Wangen und das süsse Mündelein, blank ihre Kehle, ihr falbes Haar
ist ihm lieber als das grüne Laub ; <r ihm geträumte ein wonniglicher
Traum: wie ein Rosenbaum mit zwei blühenden Aesten ihn umfangen
habe, darunter fand er Violen und Rosenduft; ein solches Umfangen
liesse er sich halbe Tage )ang gerne gefallen. Ihr Lachen bringt meinem
Herzen Freude, ihre Augen erleuchten meines Herzens Grund, ihre
rosenrothen Lippen vermöchten ^inen Siechen zu heilen.
Das Leben vieler Minnesinger ist, mehr oder minder auffallend in
die Sage verflochten. Wie ein Schatten wandelt Heinrich von Ofter-
dingen unter seinen Zeitgenossen, durch den räthselvollen Klingschor
noch. mehr gehoben, der mit ihm die luftige Mantelfuhre von Ungarn
nach Eisenach besteht. Dem Wirnt von Grävenberg liess man die Frau
Welt erscheinen, des edlen Brennebergers Herz seine geliebte Herrin
verzehren, den Frauenlob von Frauen zu Grabe tragen und den Hügel
mit Wein verschwemmen, Walther von der Vogelweide setzt die Vögelein
in sein Testament und gedenkt ihrer mit Speise flir ewige Zeiten. Lange
sang das Volkslied vom edlen Möringer, indiess Andere, wie die spruch-
weisen Spervogel, Heriger und der Windsbecke, noch immer jeder per-
sönlichen Erscheinung spotten. Der merkwürdigste dieser unfa^sbaren
Gesellen, dessen Name in alter Zeit durch die verschiedenen Volkslieder
und in unseren Tagen durch Richard Wagner*s Tondichtung wieder in
Aller Mund gekommen, ist derTanhauser. Die Sage hat einen ver-
hängnissvollen romantischen Nimbus über ihn gebreitet; sein Leben aber,
das einzig aus seinen kraus durcheinander geworfenen Liedern einige
Anhaltspunkte gewährt, ist in beinahe undurchdringliches Dunkel gehüllt.
Vielleicht ist das Dickicht doch zu durchbrechen und der fahle Dämmer-
schein etwas zu lichten.
Seit unvordenklichen Zeiten singt und sagt das Volk, ') wie einst
ein guter ^fränkischer Ritter,^ Tanhauser genannt, am Fusse desHörsel-
gegen gibt ihnen: im bliiuen Schild eine gelbe Zwergstrasse. — Das dem
ichter in den Manessen beigelegte Wappen findet sich nirgends und ist
offenbar eine Erfindung des Malers.
1) Die meisten Volkslieder hat Grass e in s. Abhandlung über den Tanhauser
(1846; 2. Aufl. 1861) und Uhland Volkslieder I. 1032 verzeichnet. Das
Lied in Kornmann's Mons Veneris. Frankfurt 1614 S. 127—32 steht schon
bei Hagen IV. 429 und in der 2. Anfl. bei Grasse. — L. Bechstein,
der in s. Thörinffer Saffenhuch (Wien 1858) überhaupt keine Quelle näher
bezeichnet, erzählt die Maer von Danhäuser nach J. Agricola's ^^Sprichwörter"
und gibt das Lied angeblich „in seiner ursprünglichen Gestalt als fliegendes
Blatt/ S. 126 fr.
506
berges in iier Dämmerung vorüberziehend , *) eine Höhle gesehen und
an derselben eine Fraue, wie er ehebevör nimmer geschaut: das war
Frau Venus selber. Sie sang ihm zu und lud ihn ein , in ihre Höhle
zu kommen und mit ihr die Freuden der Liebe zu theilen. Er aber
konnte der süssen Lockung nicht ^widerstehen, hörte auch nicht auf die
innere Stinuüe, welche ihn verwarnte den Bitten der heidnischen Göttin
zu folgen, sondern ging mit ihr in den Berg und blieb bei ihr. So war
ein Jahr vergangen — nach Anderen wären es sieben Jahre wie ein
einziger Tag gewesen — da ward die Stimme des Gewissens wach und
er begann zu klagen : ^Mein Leben ist mir worden krank, ich ma^ nit
länger bleiben, nun gebt mir Urlaub, Fräulein zart, von eurem stolzen
Leibe ;^ er rang darnach sich Gott. zu versöhnen, die Sünden zu beich-
ten und wo möglich Vergebung derselben zu erlangen. Und so bat er
die schöne Frau, ihn ziehen zu lassen, denn seines Bleibens sei nicht
mehr bei ihr, sie bedünke ihm «ine Teufelinne. Sie aber wollte ihn
nicht lassen, sondern gemahnte ihn an alles Gute, an alle Liebe, die
er hier genossen, lockte ihn zu neuem Minnespiel und versprach ihm
sogar eine ihrer Frauen zu seinem ehelichen Weibe, auf dass diese ihn
immer fesseln möge* Tanhauser aber liess sieh nicht halten, sondern
schlüpfte mit Hilfe der hl. Jungfrau aus dem Berge; von einem Priester
ging er zum anderen und wollte Ablass haben für sein unheiliges Leben,
aber keiner mochte ihm solchen gewähren. Alle sagten, nur der heilige
Vater in Rom könne ihm verhelfen die Schuld zu büssen, die er durch
seine Gemeinschaft mit dem bösen Geiste auf sich geladen. So fnhr er
denn in Jammer ubd. in Reuen gegen Rom, warf sich dem Pabst zn
Füssen, gestand ihm, wie er ein ganzes Jahr bei Frau Venus im Berge
zugebracht und jetzt um Busse flehe, damit er wieder der Wohltbat
des Ghristenthums theilhaft werden könne. Der Pabst aber stiess ihn
zornig von sich und sprach: Wann dieser dürre Steck e^n, den ich
in der Hand halte , wieder grünen und blühen wird , dann werden dir
auch dmne Sünden vergeben sein. Und* damit wandte er sich von ihm,
Tanhauser aber zog aus der Stadt ia Jammer und in Leid^ und ge-
dachte: So mich der milde Krist und seine heilige Mutter nicht wieder
annehmen wollen, so ziehe ich wieder in den Berg, ewiglich und ohne
') Die Erzählung folgt hier theilweise nach Grass e, der selbe oßenbar nor
zu romanhafl behandelt hat; auch W. Menzel D. Dicht. I. 306 folgi ihn
hierin; dass der Tanhauser durch Thüringens Gauen zur Wartburg gezogen,
wo Landgraf Hermann viel edle Ritter und Sänger znm (angeblichen) Wart-
burgkrieg:e sammelte und dass dieser den Tanhauser auch dabei haben wollte
u. s. w. ist offenbar neuere Zuthat, denn keine frühere Quelle nennt die
Wartburg, auch nicht die deutschen Sagen der Grimm I. 246, die nadi
• Praetorius „Blocksberg^ und Agricola's „Sprichwörtern^ eriählen.
5ft7
Ende zu meiner Fran Venus. Mit Freuden und OottwUlkommen (Uhlacd
Str. 24) ward er empfangen. Darnach wohl an dem dritten Tag ersah
der Pabst mit Schrecken, wie der Stab anhub zu grünen, da sandte
er Boten in alle Lande, wohin der Tanhauser war* kommen. Der aber
war ^verfahren^ und schon wieder im Berg und muss darinnen bldben
bis an den jüngsten Tag.
Seitdem warnt der treue Eckart ') Jeden der dorthin kommt,
hineinzugehen, dass ihm nicht also geschehe.
Gleichwohl erzählen doch alte Mären, wie später noch mancher
Bitter sich von Frau Venus verführen lassen. So sei z. B. Herr Hein-
rich, der Sohn des Herzogs von Limburg, auTder Sucherfahrt nach
seinem verlorenen Schwesterlein in tlasLaod der Frau Venus gerathen,
wo er bleiben musste, bis er durch seinen Schwager befreit ward. Ebenso
wird der schwäbische Ritter Hermann von Sachsenheim wegen seiner
Minneschuld durch einen Zwerg in den Venusberg entführt, wo Eckart
sein Wamer und Fürsprecher im Minnegericht gegen die böse Mörin')
ist, welche sehr viel bei der Frau Venus gilt, deren Gemahl aber der
Tanhauser aus Frankenland ist.
Legt man den Maassstab der klassischen Philologie an unsere
Mythologie, so entsteht immer nur Verwirrung. So ging es auch hier.
Man fand die Tanhausersage mit dem homerischen Liede vonOdysseus
und der Kalypso verwandt, indem beide Frauen, dort Frau Venus, hier
die Kalypso , ihren Helden behalten wollen , . diese aber dort durch
Mana, hier durch Minerva befreit werden.') Das ist aber auch Alles,
denn der tragische Haupttheil der deutschen Sage, die verzweiflungsvoUe
Rückkehr in den Venusberg, hat in der Antike keine Parallele. Gutzkpw
hatte eine leise Ahnung, dass unter der Frau Holle des Hörseiberges
doch etwas Anderes gemeint sein könne, als die Repräsentantin einer
Venuswirthschaft ä la Paiis. Und A. Becker äusserte gelegenheitlich
bei Besprechung ded Wagnerischen Operntextes : ^) ^ es ist nur zufällig
und verräth gelehrten Einfluss , dass Frau Holle im Liede Frau Venus
heisst.^ — Frau Venus war sicherlich früher eine deutsche
Wasser- oder Waldfrau, eine Elbe, wie Frau Hulda und
erst die Renaissance, die freilich theilweise schon über den Fall von
Trapezunt hinauf datirt, machte wie Mannhardt treflfend bemerkt,')
*> Grösse S. 28 (1. Aufl.) Grimm Deat. Sagen. I. 9 u. 402.
') Die schwarze Brunhilde (Krimhild) aus dem RosengarteD.
') Mone Anzeiger. V. 168.
4) Ib der Allgem. Zeitung. 1855. Nro. 236. S. 3763.
') Mannhardt Mythenforscbungen. S- 264. - Die heidnische Mythe mit legen-
denhafter Deutung bereits in \V. Menzel: Odin S. 311. '
508
aus Fran Hulla ^eine gelehrte Uebersetzang^ in Frau Yenas, wie denn
nach dem nenen Geschmack alle nnstrre deutschen Sagen lateinisirt
wepden mussten.
Auffallend ist es zuerst, dass die Sage in ganz Deutschland ver-
breitet und überall localisirt ist. Wir haben bereits zwei weitere Bei-
spiele angeführt. Ebenso hatte ein Herr von Schnewburg ') gleich-
falls mit Frau Venus im Berge Umgang gepflogen und begann seiner
Verbrechen wegen den Tod zu fürchten und Vergebung von Gott zu
wünschen. Auch er hört dieselbe Rede: eher soll der Stab Rosen
tragen, als dass Verzeihung werde. Traurig sei er hierauf nach heim
gekehrt, wie er aber das Thal hinauf nach seinem Schlosse geritten, da
sei seitwärts der Eingang in den Venusberg offen gestanden und eine
Stimme habe ihm gerufen, sich hineinzustürzen; das habe er auch
gethan und sei fortan nicht mehr gesehen worden. Nach zwei Jahren
aber habe jener Stab wirklich Rosen getragen, nun seien Boten gelau-
fen, dem Ritter die Verzeihung Gottes zu künden, allein sie hfttten aaf
der Schnewburg nur die Wittwe desselben angetroffen, und als diese im
Berge nachgraben Hess, habe man den Herrn, no<rh auf seinem Pferde
sitzendi gefunden. •
Im hohen Grade seltsam ist das Wunder mit dem blühenden Stabe.
^Derbabst hat einen Stecken weiss, der ward von dürrem Zweig*
heisst es in dem einen Liede. ^) In einem anderen: „der babst het am
steblin in seiner band und das war also dürre; als wenig das steblein
gronen mag komstu zu- Gottes hnlde.'^') Nach Anderen wäre es ein
„weisser Stab.^ Nun ist es aber doch auffallend, wie der Pabst im
Volksliede dazu kommt, einen dürren Zweig, Stecken oder Stab in der
Hand zu halten, denn bekanntlich tragen die Päbste keinen Hirten-
stab. Grässe erinnert an die altnordische Sitte der sogenannten Neid-
stangen; wo man einen Pferdeschädel auf eine Stange steckte; mit einem
Holz die Kinnladen aufsperrte und nach der Gegend hinrichtete, wo der
Feind wohnte, dem man zu schaden wähnte. (Grimm Myth. 1854. II.
626.) Allein das ist ebenso irrig hieher zu beziehen, als zu glauben,
der heil. Vater habe sich gerade auf seinen Stab gestützt; denn der
Pabst hat gar keinen. Wie er darum kam, erzählt man in Altbayem
und Schwaben so : Zu St. Peters Zeiten sei mal ein Bischof zu dem
Apostelfiirsten nach Rom gekommen mit der Bitte, einen Verstorbenen
wieder in*s Leben zu rufen ; nun habe aber St. Peter gerade selbst bin-
') Bei Freiburg im Breisgau. Vgl. Schreiber Tsschenbucb. 1839. S. 348.
') Bei Kornmann S. 130 Str. 19. •
') Uhlaod Str. 20.
509
zugehen nicht die Zeit gehabt, daher gab er dem Bischof seinen Stab,
um selben über den Todten zu legen, der dadurch lebendig wurde. Seit
ihn aber St. Peter weggegeben, hat keiner seiner Nachfolger mehr einen
Stab geführt. *) — Ein anderer Erklärer meint, der Pabst habe Tan-
hausers Pilgerstab genommen , da kein Grund einleuchte , wesshalb er
einen solchen Stab schon in der Hand gehabt. Das wäre flir unsere
Losung giltiger. Unerklärlich aber bliebe noch immer die Unerbittlich-
keit des Pabstes, der selbst in dem angeblichen Handel des Grafen von
Gleichen, nachdem dieser bei Lebzeiten seiner deutschen Hausfrau in
der Fremde eine Heidin geheirathet hatte, doch dazu noch seine Ein-
willigung gegeben haben soll.') Diese Unerbittlichkeit muss ausserhalb
christlicher Beweggründe gesucht werden.
Hauen wir einmal durch eine kühne ConjectiSir den ganzen Knäuel
durch, so werden sich die einzelnen Theile wohl entwirren lassen. Im
Ganzen liegt einfach eine Blbengeschichte vor. Bekanntlich
lieben diese Geister die Menschenkinder und suchen selbe durch allerlei
Mitte], durch weisende Thiere sowohl, wie durch Gesang und Tanz zu
ihrem Umgang zu verfuhren.*) Aber dem Sterblichen, der in ihre
Bande gefallen, graut bald vor dem unheimlichen Wesen, denn er will
Fleisch von seinem Fleische, Blut von seinem Blute; also rafft er sich
auf und entflieht und gebt zum Priester des Frö oder der Frauwa ;
dieser erschrickt und wagt den Bann nicht zu lösen, wenn nicht der Gott
selbst ein Zeichen gibt; der Büsser aber wagt nicht, das Ordale abzu-
warten, verzweifelnd kehrt er zum Berge zurück und scheidet sich selbst
aus dem Leben.
Es ist der alte Glaube, dass, wer die Götter geschaut, es mit dem
Leben bezahlen müsse, es ist dieselbe Geschichte wie mit Sigurd und
Brynhilde, die unzäligemal und doch unsterblich, immer aufs neue im
Märchen wiederkehrt. Aehnliche wunderschöne Sagen hat Fries in
Unterfranken gefunden^) und Schön werth in der Oberpfalz. Eine
merkwürdige, ganz hieher bezügliche Geschichte von jungen Bayern und
') Der Sliib wird anffeblicb zu Trier aufbewahrt Vgl. Schreiber Das ur-
sprüngliche Alter der Bislhtimer Trier, Cöln und Lüftich. Trier 1860. S. 18
u. 19. Auf den Bildern in den römischen Katakomben ist Christus und Petrus
allein mit Stäben abgebildet und keiner der folgenden Pübsle trägt dort
einen Stab.
') Eine ähnliche Romfahrt zum hl. Vater mit gleich seltsamen Ordal bei Schön-
wert h Sitten und Sagen der Oberpfalz. I. 114.
') J. W. Wolf Beiträge zur deutschen Mythologie. II. 233 ff.: „Der elbischen
Jungfrauen Streben geht oft dahin, die Liebe schöner, edler und tapferer
menschlicher Männer zu gewinnen; die Art und Weise, wie sie dieses aus-
führen, ist verschieden.*^
«) Mitgetheilt in J. W. Wolfs Zeitschrift, l 26 ff.
519
Schwaben erzählt auch Caesarias von Heisterbach.') — Halda
ist .eine Dienerin der Frouwa, eine WaMfrau; Tanhanser selbst aber
ist, dem Namen nach nur ein Waldhäusler, der im Walde wohnt, der
im Tann gehaust hat. Später, mit dem Verglimmen des Heidenthums,
ward die Sage allmählig christianisirt, Frau Hulda die „lichtgemale*'
Elbe, sank zur Teufelinne und Hexe herab, der heidnische Priester, mit
derrBiud- und Lösegewalt, der den weissen Stab in der Hand trägt,
an dem das Gottesgericht sich bewährt, ging folgerecht in den „heil.
Yater^ über, dem die höchste Gewalt gegeben. Nun wird auch das
Blüthentragen eines dürren Stabes erklärlich. Es galt för ein
uraltes Ordal, das sich schon auf lY. Mosis 17, 8 stützt, wo erzählt
wird, wie Aarons Stab Blüthen und Mandeln getragen habe — ein bei
den mittelalterlichen Dichtem (Walther, Conrad v. W. u. A.) sehr be-
liebtes Symbol der heil. Jungfrau. — Aehnliches erzählen rabbinische
Legenden vom Stabe Mosis. Durch ein gleiches Stabwunder wird Joseph
als der von Gott der hl. Jungfrau bestimmte Gemahl bezeichnet. Es
wiederholt sich in der schwedischen Tradition, auch hier schneidet der
Priester dem spielenden Neck die Hoffnung ab : „Ehe wird dieser Rohr-
stab, den ich in der Hand halte, grünen und bldlien, als du Erlösung
erlangst;^ trauernd wirft der Neck die Harfe hin; der Priester reitet
fort und bald beginnt sein Stab in Laub und Bhithe auszuschlagen; da
kehrt er um, dem Neck das Wunder zu verkünden, der nun die ganze
Nacht über fröhliche Weisen spielt.^) Die Sagen von den blüthen-
tragenden Stäben kehren wieder in Hessen, Oesterreich, Bayern, Tirol
und Schwaben.')
') Vgl. Wolf Beilr. 11. 255; die ebendaselbst S. 256 ff. aus Vincenlius bello-
vacensis folgende Hislerie hat bereits Komma nn in s. Mons Veneris f614
S. 77—81 aufgenommen.
2) Grimm Myth. 888.
') In Hessen: vgl. E. Lynker Nro. 270. S. 193. — Vernaleken Mythen
und Branche des Volkes in Oesterreich. Wien 185d. S. 117—19. — In
Bayern: vgl. Las au Ix Philosophie der Geschichle. 1857. S. 119. Zin-
gerle in der Germania. V. 125 r. dazu ffehörl folffende Sage aus Seefeld
in Tirol: Vor vielen Jahrhunderlen war dem ^waltiffen £delherrn OswaM
Milser eingefallen , sich vor allem Volke auf eigene Weise zu erhöben und
am grünen Donnerstaff die Communion in einer grossen Hostie reichen m
lassen. Kaum lag indessen der götllicbe Leib auf der Zunge des thörichteo
Sünders, so brach unter demselben der Boden, worauf er kniete, ein und
bis an die Brust versank der Frevler. Vergeben«: klammerte er sich an die
Stufen des AllareS; sie wichen unter seinen Händen. Der erschrockene Prie-
ster, der ihm schnell die Hostie aus dem Munde nahm, rettete den Edei-
herrn^ dieser aber wanderte stehenden Fusses in das Kloster zu Stamms und
beschloss dort sein Leben in Rene und Busse. Sein Weib, das dem Wunder
keinen Glauben schenken wollte, vor dessen Augen jedoch, ein Wahrzeichen
der schauerlichen Begebenheit, drei Rosen am verdorrten Stocke
aufblühten, entrann dem Schlosse und endete verzweifelnd in der Wild-
511
Der Venusberg in Uff hausen sowohl, wie der am Hörselberg
in Thüringen und wo sich sonst ein solcher findet, waren Cultus-
statten der Frouwa, Rosengärten der holdseligen Göttin, heilige Wälder,
wo ehedem die Holde ihren Gottesdienst, ihren Preis, ihre Verehrung
erhielt. Damm sind sie heute noch als Hauptversammlungsort der
Hexen verdächtig;') von hier aus zieht noch „die wilde Jagd,^ den
treuen Eckart an der Spitze, der die Begegnenden aus dem Wege
weist oder sie ermahnt, sich niederzuwerfen;') in ihrem Gefolge zieht
auch FrauHulda. Dann aber sitzt sie wieder zurückgedrängt im Berge,*
Mher war sie ausserhalb desselben, ebenso wie ihre nun bergentrück-
ten Genossen, die alten Götter, Kaiser und Helden. Der Hörselberg
gilt ^eit alter Zeit als Sitz der/Hulda, als Strafort der verdammten
Seelen (Mannhardt S. 264), in ihm befindet sich sogar das Fege-
feuer.') So hat die Sage sich christianisirt uud das alte Eiben-
reich ist zum Teufelsspuck herabgesunken.*
niss. — In Schwaben (vgl. Volksthtimliches ans Schwaben, von Bir fin-
ge r und Bück. 1861. I. 319) wird ^nz i>edeutungsvoll erzähU, dass der
dürre Banm, an den eine ynschuldige als Hexe gebunden wurde, nach ihrem
Tode erblühe. Vgl. dazu Aie blühenden Lanzen, Legende tras dem
Leben Karl d. Gr. nach der Kaiserdironik in W. Menzels Taschenbuch.
1826. S. 137.
*) Grimm Myth. 887. 1004 u. 1230. Nach der Münchner Handschrift Cod.
bav. 2197 (Mone Anz. VH. 426), die verschiedene Inquisitiones enthält,
^welche auf mehrerley Personen böser Verdacht, der Hexerei willen einge-
tiolt worden a. 1620,** heisst der „Venesberg" das „Paradies," wohin die
Unholden fahren. — Anderes vom Hörselber^ in Bech Steins Thüringer
Sagen. S. 130 if. '
') Der dem wilden Heere voraus:?iehende Eckart findet sich auch als
namenloser Mahner im benachbarten Tirol. Ein Mann lauft dem wüthenden
Heere voraus und schafft die Leute aus dem Wege oder heisst sie sich
niederzuwerfen. Die dort häufig fahrenden , Kutschen hat Zingerle (Sa^en.
1859. S. 12) richtig als einer Göttin angehörend erklärt: wer davor nicht
zu Boden fällt und dadurch seine Verehrung bezeigt,' wird mit dem Tode
bestraft oder entführt.
') „Von dem Horselherg bey Isanach in Thüringen" heisst es bei Korn mann
Mons Veneris. 1614. S. 374: „Dieser Berg ist in Thüringen nicht weit \on
Isenach, ist berühmt von nachfolgenden Geschichten. Es war ein Königin
von Engellandt mit Namen Renischwi^, welche als jhr Herr König, der jhr
auss dermassen lieb war, dann er sie auss einem geringen Geschlecht zu
einer Königin vmb jhfer Tugent willen erwehlet hat, gestorben war, wolle
sie die Trew an jhm auch nicht vergessen, sondern gab nach seinem Tod^
viel Almusen, Hess vor seine Seel viel Gebet thun, vnd vermeynet jhreti
Herren damit eines auss der Peyn vnd Fegfewr zu erlösen, da wardt ge-
sagt, dass jhr Herr sein Fegfewr im Landt zu Thüringen in einem Berg,
der Horselherg genent, bette, in diesem Berge hörten die Innwohner offt-
mals jämmerlich Geschrey von den Seelen oder- Geistern so darinnen lagen,
Harumb wardt er von jhnen genant Horselherg, daselbst vnter dem Berge,
bawet die Königin ein kleine Kirch vnnd einDorfT darbey, vnd nante es
Sathansstälte , dann Ihr die bösen Geister allda erschienen waren, das Dorff
wirdt jetZHiidt Sattelst edt genant, in diese Kirclie gieng die Königin mit
jhren vnnd sonstigen heyligen Jungfrawen, ofTt, bettete, gab Almusen vnnd
512
Die Sage hat dreifache Entwicklang erlebt. Ursprönglich
war sie eine rein heidnische. Dann christianisirte sie sich mit vielen
anderen Genossen. Da mochte man denn erzählen, dass ein Ritter vom
Christenthum abgefallen and zum alten Heidenglaaben zarückgetreten
war (wie denn solle Rückfälle nicht vereinzelt, sondern z. B. in Thü-
ringen in Fülle wirklich vorgekommen); er hatte eine stille Gemeinde
gefunden, wo der alte Galt }n sinnlichster Weise ausgeartet blühte und
geübt ward. Aber er sieht sein Verbrechen ein und sehnt sich , dem
heidnischen Wesen gegenüber, nach der Wohlthat des Christenthums.
Dass vielleicht in der Sage selbst ^ein Ausdruck der Sehnsucht nach
dem alten fröhlichen Heidenthum^ sein mag, ist nicht zu läugnen; so
erscheint sie nun (nach Menzel und Grässe) als ^der Ausdruck des
verführerischen Reizes and des Absehens zugleich, den das alte Heiden-
thum den Christen einflösste.^ — Zuletzt übertrug sich die Sage auf
unseren Dichter, der seinem Namen und seinem Leben nach wie wir
bald sehen werden, hinreichend Berührungspunkte bot.
Wie sich um den gleichzeitigen Albertus Magnus, weil er mehr
wusste als andere Mensdienkinder, und wie sich später über den Erz-
zauberer Faust ein Sagennimbus zusammenzog, der aus viel älteren
Erzählungen bestand, als diese Personen waren auf welche sie sich
niederliessen , weil sie ihrer Natur nach anscheinend glaubwürdigen
Anhalt boten, so gab auch das leichtfertige Leben unseres Minnesingers
hinreichend Stoff zu sehr bedeutsamen Muthmassungen , um die uralte
Sage auf ihn zu übertragen. Er hatte sich mit schönen Weibern und
Frauen überall umgethan wie ein Don Juan, und seiner Heldenthateo
im Liede sich gerühmt; er war ja auch ein Stück Faust, der zwar
nicht mit dem Teufel doch mit der Göttin der Sinnlichkeit einen Bund .
geschlossen zu haben schien. Einzelne der Minnesänger hatten nm diese
Zeit wohl schon von der Frau Venus gehört und citirten sie in ihren
Liedern, der Tanhauser aber kannte (vielleicht von dem Aufenthalte
bei Kaiser Friedrich II. in Italien her oder aus dem von AI brecht
von Halb er Stadt verdeutschten Ovid) den ganzen heidnisch -klassi-
schen Olymp; zuletzt war er auf des Kaisers Seite, auch noch ein eif-
riger Ghibelline: Grund genug also, um ihn mit dem Pabstthum in
schiefe Stellung zu bringen. Das Volkslied nennt den Pabst Urban, und
es stimmt wirklich etwas mit seiner Geschichte üb^rein, dass allerdings
thel andere gute Wert-k für jhres Herren See! biss an jhr Ende. — Vnad
Anno 1398 erhüben sich am hellen Tag drey grosse Fewr in der LhA) bcy
Isenarh^ vnnd da sie ein weil gebrauten, kamen sie zusammen vad tbeillett
sich Mieder, vnnd fuhren alle zu dem Horselberg, darOher worden 16. Maaa
abghört, die es gesehen.^ —
513
in der Zeit von 12^4-68, also in Tanhäusers alten Tagen, ein Pabst
Urban, dieses Namens der vierte, auf dem römischen Stuhle sass. Im
Ganzen ist der Name des Pabstes ziemlich gleichgiltig, wenn er nicht
doch Tielleicht einen Fingerzeig geben sollte för die Zeit, in welcher
das Lied auf den damals schon verschwundenen Tanbauser sich histo-
risirte. Das Entlibucher - Volkslied hat als Zeichen seiner uralten
Abkunft gleich im Beginne eine doppelte Alliteration, ') die anderen
Volkslieder wurden besonders in der Peformationszeit sehr beliebt urid
in unzähligen fliegenden Blättern verbreitet wegen der damals gar will-
kommenen Pointe mit dem Pabst. — Unser bayerischer Chronist, der
ehrenveste Johannes Turmair, von seinem Geburtsort Aventinus
genannt, hat durch seine Combination merkwürdigen Durcheinander und
Schwulst über Tanhauser zusammengebracht; wir danken ihm aber die
Kunde, dass der „alt Danheuser'* zu seiner Zeit noch fleissig gesungen
ward ; die Tonweise war sehr beliebt und ging desshalb auf ^ viele andere
Texte über, ebenso wie der Ton, in dem man den alten Hilde^^rand
siagt. Auifal lender Weise weiss Aventin auch^ dass Tanhauser „bis
an Egypten, durch Asien und Syria gereist, '^ obgleich in seiner fabel-
haften Zusammenstellung mit der Amazonenkönigin weniger darauf zu
achten ist, als dass er ihn auch yor christlich setzt! W^nn Aventin
„den alten Tanhauser" zu seinen Zeiten ebensowohl wie das Lied vom
alten Hildebrand singen hörte und ersteres mit diesem zusammenstellt,
80 steht uns nichts im Wege, dem Liede dasselbe hohe Alter, wie
dem vom alten Heermeister Hildebrand zu vindiciren; der Name des
Pabstes aber ist von gar keiner Bedeutung. Den Tanhauser fiir den
Verfasser der Lieder zu erklären, worin seine eigenen Schicksale be-
schrieben werden, ist ganz unzulässig, dann müsste auch der edle
Brennenberger das Gedicht gemacht haben, das von seinem tragi-
schen Ende singt.
Was unseren Dichter selbst betrifft, der leider jeder anderen
Namensbezeichnung entbehrt, so wird er, wie wir bereits oben den
„Tan- hause r** erklärt haben, schwerlich sehr vornehmen Adels ge-
wesen sein. Zwar gab es verschiedene Edelgeschlechter dieses Namens
in Oesterreich undBayem, in Franken, der Oberpfalz und in Schwaben,
aber keines ihrer Wappen stimmt mit dem, welches wenigstens der
Maler der Pariser HS. unserem Dichter beizulegen für gut hielt: ein
quergetheilter, oben schwarzer und unten goldener Schild und auf dem
Helm zwei mächtige Fänge. Wenn man weiss, dass in den alten
') Bei Uliland I 770: ^Wele gross wonder schauen will,
der gang in grünen wald usse/*
33
514
Wappenbüchern die Heraldik aller theüeren Juden und Heiden von
Adam her ebenso genau verzeichnet und abgebildet ist, lUs jener
ritterlichen Sänger und Recken von K'6n\fi Artus Tagen her, so wird
man auch auf die diplomatische Zuverlässigkeit der Manessen keinen
grossen Glauben mehr geben.
Das Volkslied nennt ihn einen fränkischen Ritter; ') wir wissen
sonst; nur, dass er sich, wahrscheinlich nicht mehr allzujung, unter
Friedrich dem Streitbaren einen Hof bei Wien errungen.
Von seinen sechszehn Liedern gibt der Reiseleich (V) zuerst ober
sein früheres Leben Aufschluss ; er schildert darinnen seine Kreuzfahrt,
die er vielleicht unter Friedrich II. (1228) unfernahm; dabei legt er
seine weitere Lätider- und Völkerkunde in ganzer Breite aus. Als
Landfahrer und Kreuzritter ist er in den Manessen abgemalt: ein junges,
schönes, edles Gesicht, mit dem ersten Flaum am Kinne, auf dem
Haupte eine grüne Gelehrtenmütze, von der nach rückwärts ein schützen-r
der üeberhang gegen die Sonnenstrahlen fallt; im langen, weiten, hell-
grünen Rocke, ohne Gürtel steht er da, eine hohe noble Gestalt, die
oflFene Linke sinnig von der Brust abgewandt, mit der Rechten den
weissen Mantel emporhebend, der, vorne oflFen, am Halse sich schliesst,
rechts vor der Brust ein grosses, gleichschenk eliges rothes Kreuz.')
Er weiss, dass Sicilien dem Kaiser nnterthan sein soll und wie
man die Frauen zu Palermo (III. 15) behandeln kann; zu Rom hat er
oft den «Vogt** gesehen, er kennt allerlei wunderliche Sitten der Sarden
(V. 8), vermuthlich fuhr er durch oder an Italien hin, in seinem Liede
auf der Seefahrt (XIII.) preist er Jeden glücklich, der auf den Gefilden
von Apulien beizen und pirschen kann. *y Dess darf man mich nicht
') Daisenbergers geofraph. Handlexicon von 1811 verzeidinet 9 Ortscbaftee
unter dem Namen Tannausen: bei Burgau, Freising, Heideck, Hemao,
Landau an der Isar, Moosburg, Scbongau, Schwandorf und Spalt. Eio
Tanehusen bei Gunzenbausen erscheint urkundlich 1195. Ein Dorf und
Schloss Dannbausen hat Friederich Bischof zu Eychstatt a. 1385 an df5
Stifft erkauft (Pastorius Franconia rediv. 1702 & 393.) Ein kleiner Markt
Tanbausen liegt zwischen Aujrsburg und Krumbach. Menzel im „Odin*
cilirt Faber eva^at. I 153. III. 221, der die Geschichte erzählt und den
Riller herleitet „de Danhusen villa prope Dünkelspficbel.** Eio
Danhäuserberg^isl im Ficht elg^ebirg^: Panzer I. 130 u II. 426. Auch
ein Danheuser- Weyer ist in der Oberpfalz bei Waldsassen, wenigstens
citirt Helfrecht (Fichlelgebirff 1799. S. 259) denselben „aas einem ange-
druckten Ber^büchlein vom Jahre 1648.^
') Früher hat Hagen (IV. 424) ein schwarzes Kreuz gesehen, in V. 264 p'bt
er glaubwürdiger ein rothes an. Die Abbildung ebendas. Taf. XXXV zeigt,
wie die übrigen Copien, von keiner besonderen Treue. (Eine einzig mnster-
filtige Arbeit dieser Art hat E. Fe 11 n er mit den Copien der WeingaHoer
iederbandschrift im V. B. der Publ. des lit. Vereins zu Stuttgart geliefert.)
') Wol im, der nü beizen sol | se Fülle uf dem gevilde I | der birset , den ist
515
zeihen, sagt er, ich beize weder mit Winden noch mit Falken, ich mag
Füchse nicht gelagen, man sieht mich anch nicht folgen nach Hirschen
and nach Binden, ich trage kein Schapel von Rosen, anch darf man
meiner nicht warten, wo der grüne Klee steht, noch mich in Gärten
suchen bei wohlgethanen Kinden, denn ich schwebe auf der See. Ich
bin ein arbeitselig Mann , der nirgends kann bleiben , denn heute hie,
morgen anderswo. Wo litt Einer so grosse Noth? zu Creta war ich
dem Tode nahe, wenn Gott mich nicht, doch erlöst hätte. In einer
Nacht schlug ihn der Wind an einen Stein, die Ruder zerbrachen, die
Segel zerrissen und flogen über die See, die Marner (Schiffer) alle
schrieen, das währte bis an den sechsten Tag dass die Stürme aus der
Berberei und Türkei wehten. Mein Wasser das ist trübe, mein Zwieback
(piscot) ist hart, das Fleisch versalzen, schimmelig der Wein, Rosen-
duft wäre mir lieber als der Geschmack, Erbsen (zisem) und Bohnen
geben mir nicht hohen Muth. Ahi ! wie selig ist der Mann, der fiir sich
mag reiten ! Zum Schlüsse nennt er die zwölf Winde der Windrose,
deren Namen zu erfahren er freilich nicht die Heimath verliess, durcih
Gott sei er ausgefahren und nicht um diese Frage, wie wehe ihm auch
geschieht!
Ein andermal, in seinen alten Tagen singt er von seinem geographi-
schen Wissen und seiner Welterfahrenheit ganz gewaltig (V). Er hat vom
König von Marokko gehört, der im Kaukasus (Goucasals) goldene Berge
hat, doch trug ihn sein Wille nie dahin, wie reich der auch sei. Vom
Köni^ von Persien hörte er Wunder sagen und von dem noch gewaltigeren
in India, doch hörte er die Heiden den König von Latrize beklagen und
den Soldan von Sitrican. Dagegen hat er den Herrn der Berberei selbst
gesehen, und kannte den Pilat von Zazamank, der auch zu Babilonie
gelobt wird ob seiher Güte. Nach Aiexandrien hat er keinen Gedanken
und der König von Baldak soll mit keinem Besuche Tanhausers beehrt
ddipit wol, I der siht 8Ö vil von wilde ; i elc. des darf man mich nicht zthen,
ich beize oucb niht mit winden, | in^ beize ouch nih( mit valken, in' mac
niht viihsen geld^en; | man sieht ouch mich niht volgen nach hirzen unt
nach binden ; | mich darf ouch nieman zihen von rösen schapel tragen ; | man
darf ouch m!n niht warten, | d^ st^t der grüene kid. | noch suochen in dien
garten i b! wol getftnen kinden : ich sviebe äf dem s^. | Ich* bin ein erbeit-
saelic man | der niene kan bellben, | wan binle hie, morne anderswan -^ \ sol
ich daz iemer triben , | des muoz ich dicke sorgen , | swie yroelich uh dft
sioffe, I den ftbent unt den morgen | war mich daz weter bringe, | daz ich
mich s6 gevrisle, üf wazzer und öf lande, i daz ich den 1?p gevüere unz üf
die selben stunt, | ob ich den liuten leide in also snoedem gewnnde, | s6
Wirt mir diu reise mit vreise vil wol kunt. daran solde ich gedenken, die-
wlle ich mich vermac: | in' mag im niht entwenken, | ich muoz dem wirte
gelten vil gar Af einen lac. | — Wd leit ieman so gröze not etc.
33*
516
werden. Viel hat er vom König Cometiu (aus dem WigaJois?) gehört;
ihm ist bekannt, dass der Jordan an Thomad (Dömas? Damaskus) vor-
übergeht! nach Jerusalem im Cornetal ist er gekommen und Nicosia
(Encolie) im Cyperland ist ihm kund. In Armenien war er in Lebens-
gefahr, vorüber an Antiochien kam er nach Türgis, *) da waren der
Tätern (Mongolen) viel , von denen er singen will ; der Vattan *) mit
seiner Milde zwang die Griechen. Zu Sainckke sass ein Montfort; zu
Konstantinopel war eine grosse Meerfey. Was er mit der grossen Meer
feie zu Constantiuopel meint, ist unverständlich, wenn nicht hier eine
Verwechslung mit Cypern obwaltet, wo damals nach Richard.« Löwenherz
Eroberung (1191) das französische Haus der Lusignan herrschte, in
welchem die Fee Melusine heimisch war, deren Name nur eine Umsetz-
ung von Lusignan bildet. Der Montfort ist eine Verwechslung mit Mont-
ferrat, die Markgrafen von Montferrat erwarben durch die Heirath
Reinhers mit einer Tochter des Kaisers Emanuel (1179) das Königreich
Thessalonich ^ und herrschten bis 1305. Salnekke ist das auch im
Hug- und Wolfdieterich genannte, heutige Saloniki. Dann nennt er noch
die Rumanie, wo Troja stand, Künis, wo die Weiber und nicht die
Männer erben, daran stossen, wie er vom Hörensagen weiss, die Bul-
garei und die Valven (I. 10) in Tanagran, worüber die Ungarn und
Reussen klagen. Der Böhme, der mit dem (deutschen) Reich einhellig
sein (wie Sicilien dem Kaiser gehorchen) soll, ist wohl Ottokar, der Sohn
König Wenzels I. — Kerlingen (Frankreich) steht in gutem Frieden,
dabei ist Engel land", das den Dichter auf Artus bringt. Wer die fünf
starken Königreiche von Spanien nicht weiss, ist ein Kind, sie sind
Portugal, das unmassen reiche Galizien, Airagon, Kastilien und Na-
varra, wer sie sehen will, der fahre dahin, so muss er mir die Wahrheit
zugestehen. In der Nähe, bei Orense, wird an den Kampf Terramers
gegen die von Champagne (Schampuneisen) gedacht; Oravil so den
Burgen grosse Noth schuf, ist vielleicht Arabele, später wird auch
Vivianz genannt; der Tanhauser hat mal beiläufig vom hl. Willehalm
') Tiirgis, die Türkei, das türkische oder ikonische Reiche das dumals ost^ärU
von den Mongolen und Tiilern bedrängt wurde ^ wie es westlich Griechen-
land bedrängte.
') Den ^Vattan, der gar mit siner mille Kriechen twank"" erklärt Hagen (IV.
424 auf Raumer gestützt) als Vatazes, auch Kaiser von Nicäa genannt, weil
die vom Kaisersluhle zu Constantinopel durch die Franken verdrängten Koni-
nenen sich dort behaupteten. Unter diesen war Vatazes^ König Friedrichs 11.
Tochternlann (1235), dem Kaiser Balduin 11. (seit 1*^28) durch Macht und
List sehr gerährlich und hatte seinem Schwiegervater die Huldigung ver-
sprochen, wenn die Franken aus Constantinopel., das er 1238 vergeblich be-
lagerte^ vertrieben würden^ was anrh bald nach seinem Tode (1235) durrb
den ersten Paläologen Michael geschah 1261.
517
(vgl. oben S. 230 ff.) gehört. Vieiine hat viele Legisten (Rechtsgelehrte),
aber von 'der Kunst Astronomie und Nigromantie zu Toledo will er nichts
lernen, nicht gut ist Zauberei. Fern liegt Hibernia mit vielen glaubens-
treuen Schotten; zu Norwegen bedarf man gegen die Kälte wohl guter
Kleider. In Dänemark scheint Tanhauser auch bei König Erich (1242
— 1250) ') zugesprochen zu haben (VI. 14). Dann lenkt er auf den
Helden von Oesterreich über, bei dem er gesessen War, und auf den
Fürsten von Bayerland, der sicfi wohl mit Königen vergleichen mag, nie
sah ich einen so milden, noch so reichen, so recht lobelichen Fürsten.
Nun hat er genug erzählt und die Tanzlust beginnt wieder; Her zu mir
an den Reihen, du Gute, Klare und Süsse! ihr Mund brennt, wie ein
Rubin im Sonnenglast; und Tanhauser spielt mit den Flotirern, Harf-
nern und Tamburaeren um die Wette, bis ihm über dem Heia hei ! die
Saiten zerbrechen, was dem Fidelaere alle Wochen geschieht.
Er war weit herumgekommen in der Welt, hatte vieler Herren
Länder gesehen, war in Noth und Ungemach gerathen und hatte endlich
an Herzog Friedrich dem Streitbaren (den letzten Babenberger), dessen
Milde schon so viele unserer Sänger erprobten, einen freigebigen Herrn
gefunden. Nun war dieser ein Charakter, der nicht absonderlich makel-
«
los in der Geschichte dasteht,*) aber der dankbare Tanhauser erhebt
wie alle diese Speichellecker, doch sein Lob in glänzender Weise bis zu
den Sternen, denn er gab ihm einen schönen Hof bei Wien und ein Gut
in Hinperg: ^ze Wiene hat' ich einen hof , der lac so rehte schone,
Liupoltsdorf war därzuo min , das leit bi Luchse nähen ; zo Himperc
hat' ich schoene guot' (XIV. 5). „Er ist unsere Wonne, singt er von
ihm (I.), alle schönen Frauen am Rheine fragen nach ihm und auf den
Alpen sogar lobt man ihn und die Seinen. Traurige Herzen werden
froh, wenn er den Frauen den Reigen vorsingt, da helfe ich ihm und
singe zu allerlei Zeit genie den Maien. Versuch' es Einor, ihn besser
ZQ loben als ich.** Und wirklich war Friederich (wie man aus Ulrich's
von Lichtenstein „Frauendienst " weiss) nicht nur gerne bei Ritterspiel,
sondern sang selbst den Frauen den Maienreigen vor ') und vielleicht
sind selbst die Schlussverse in diesem Lie'de des Tanhausers ein Tanz-
lied des Herzogs.
») Der Siels milde König Erich VI. trug den Zunamen der Plogpfenning^
weil er zu seiner KreuKPahrt nach Liefland eine Abgabe von jedem PflUge
erhob; man nannte ihn später auch den Heiligen, weil sein Leichnam zwei
Monate nach seiner Ermordung noch frisch gefunden wurde.
>) W. Menzel Geschichte der Deutschen. 4. Aufl. S. 337.
»J Anch Neidhart erzShIt, wie der Herzog beim Reihen der schönen Bäuer^
innen des Sanges pflag.
518
Aber nur za bald Iiatte er den Tod (1246) seines Sanges- und
Tanzgeföhrten, der sein grösster Wohlthäter war (Gott lohne ihm dafür!
XIV. 5) zu beklagen (VI.); von nun an scheint es ihm wieder übel
ergangen zu seui. Die schönen Weiber, der gute Wein, der leckere Im-
biss und zweimaliges Baden in der Woche ^ brachten ihn um sein Hab
und Gut (XIV. 3). Erst verpfändete erVohlgemuth seinen Besitz und
verlor ihn gänzlich, da er ihn nicht mehr zu lösen vermochte; seine im
Glücke ehedem zahlreichen Freunde wendeten ihm den Rücken ; da zog
er wieder als Fahrender weiter, wie er sich selbst komisch schildert
(XVI. 6):
„Min söumer treit ze ringe gar, min pferit gät ze swäre,
die knehte min sint ungeriten, mfn malhe (Tasche) ist worden laere;
min hüs daz stat gar äne dach, swie ich darzuo gebäre,
min Stube stet gar äne tür, daz ist mir worden swaere.
min kelr ist ingevallen, min küche ist mir verbrunnen,
min Stadel stät gar äne baut, des höus (Heu) ist mir zerronnen;
mir ist gemaln noch gebachen, gebruwen ist mir selten;
mir ist diu wät ze dünne gar, des mag ich wol entgelten;
mich darf durch (min) geraete niman niden, noch bescheiten. ^
*
Er möchte, wie er in ejner etwas unklaren Strophe (XTV. 1) sagt,
wohl auch ein Landesherr sein, damit er etwas von dem ans Welsch-
land gebrachten Golde bekommen hätte. Dennoch fährt er vomehiü
verschmächlich weiter, wolle er nichts von dem vielen Gute, das ander-
seits aus Thüringen kommt, wo er, wie unerfahren er auch sei, dod
leicht einen freigebigen Herren fände (swie tumb ich si, ich vinde da
den, der mich gehielte schone), lieber will er immerdar arm, fest an
der Krone halten und dem Könige wohl sprechen, ohne zu wissen wann
er ihm lohne. Das war also kurz nach Herzog Friedrichs Tode, nach-
dem Pabst Innocenz IV. die Wahl eines neuen deutschen Königs anstatt
des entsetzten Königs Friedrich H. betrieben und angeblich grosse
Summen über Venedig nach Deutschland gesandt hatte, wodorch der
Landgraf Heinrich von Thüringen sich Anhang gewann und 1246 an
') Das Baden war im Mittelalter, wo man wie beut zu Tage noch in verschie-
denen Gegenden, sehr sparsam mit dem Wechsel der Wäsche umging, vid-
beliebt und notbwendig. Weinhold hat in seinem schönen Buche über
„die deutschen Frauen^ S. 343 das Betreffende über die mittelallerlicliea
Böder zusammengetragen. Die gute Gewohnheit hielt sich lange ; noch ioi
Jahre 1470 erhielt der Zimmermeisler Heinrich von Straubing, der dea
schweren Dachstuhl auf unser Frauen Münster zu München setzte, soaotig-
lich von der Stadt acht Pfenniffe Badereld ausbezahlt. Vgl. meine Geschidite
der Münchner Frauenkirche. 1859. S. 16.
519
Hiipmelfahrtstage (17 Mai) zu Hochheim bei Wirzborg, doch nur von
geistlichen Fürsten erwählt wurde. ')
Schon früher musste der zu Wien 1237 verstorbene Bischof Engel-
brecht von Babenberg (VIF. 32) zu seinen Gönnern gezählt haben, auch
dessen Neflfe, der im Jahre 1248 ermordete „junge Fürst von Meran"
Otto U. (VI. 11), dessgleichen die bereits 1242 ausgestorbenen Grafen
von Bogen bei Straubing (VI. 13). Jetzt wendete er sich wahrscheinlich
an den Hof Herzogs Otto des Erlauchten zu Landshut, dessen schmuckes
Schlösslein im Rufe einer gastlichen Sängerherberge stand; hier sang
ehedem der Neidhart, hier dichtete Reinbot von Durne seinen
hl. Georg, mit dem er^ dem herzoglichen Paare nach Würdigkeit ein
Denkmal setzte. Zwar mochte es hier zu Landshut nicht wohl räthlich
sein, den bekannten Leich zum Preise Friedrich des Streitbaren anzu-
stimmen, da Herzog Otto schwere Händel mit des Tanhausers früherem
Schutzherm gehabt hatte. Im Ganzen aber verband sie dieselbe Ge-
sinnung, denn auch Herzog Otto (1231 — 53) hielt standhall gegen
Pabst und wider Gegenkönige zum Kaiser. Dieser hatte ihn nach Fried-
rich des Streitbaren Tode zum Statthalter von Oesterreich eingesetzt
und König Konrad hatte sein (im Jahre 1226) efstgebomes Töchterlein
Elisabeth geheirathet (Herbst 1246), die so Konradins Mutter wurde.
Tanhauser scheint längere Zeit zu Landshut verweilt zu haben, er singt
vom Herzog (V. 16):
^Der üz Beierland mac sich ze künigen wol geliehen,
ich gesach nie vürsten me so muten, noch so riehen,
so rehte lobelichen,
Heia! Tanhüsaere, nü la dich ie mer bi im vinden
gar an allen wandet din! so liebest dich din kindeu
und mac dhi leit verswinden.
Ob er aber bis zu Otto's Tode allda verblieben, ist ungewiss,
doch rühmt er Otto*s Söhne, Herzog Heinrich von Niederbayern und
Ludwig den Strengen (VI. 33 u. 34):
Uz Beierlant ein vürste wert,
den grüeze ich mit gesange;
sin herze manger eren gert;
dez milte muoz mich belangen.
Sin bruoder heizet Ludewic,
der hat der tugende ein wunder . . .
') Leo Vorlesaogen. 1861. Ul 563 ff.
520
•
Doch musß ihn abbald wieder seiue Zugvogelnatur zu unstatem
Wandern (heute hie, morgen anderswo. XIII. 2) weiter getrieben haben.
Vielleicht wendete er sich an den jungen Grafen von Abenberg, eioeo
der beiden letzten fränkischen Grafen dieses Namens, mit denen auch
Wolfram von Eschenbach wohl bekannt war. Auch ein „Hüc der
Twingaere,'* der zu den alten Grafen von Tübingen gehörte, steht auf
des Tanhäusers namhafter Liste, von der wir noch den Herzog Heinrich
von Brabant ausheben , der in französischer Sprache dichtete , indess
sein Sohn, der liederkundige Herzog Johann die deutsche Sprache zu
Brabant zu pflegen begann. . Zum Schlüsse rühmt er den Herzog von
Brandenburg, der kein ariderer ais unser Minnesinger Otto mit dem
Pfeile sein kann und der seit 1266 mit seinen drei Brüdern gemein-
sam die Mark regierte. Tanhauser fordert dann Frau Ehre auf, ihn zu
Lobes achtenden Herren zu weisen und will einen Fürsten nennen,
dessen Gruss und Lachen ihm Freude gewährte, dessen Mund reine
und dessen Wort süsse ist, davon reine P>auen das Beste haben —
aber er bleibt uns dessen Namen schuldig.
Von seinem Ende weiss man nichts, auch nicht wo er gestorben,
doch scheint er das «Regiment Rudolphs von Habsburg (1273) nicht
mehr erlebt zu hstben. Dass es ihm aber oft noch übel erging, steht
nicht in Zweifel, denn er mochte weit des Weges fahren, bis er
einen Herren fand — der sein Lob bezahlte. Bisweilen kamen ihm
dann in der Noth die Erinnerungen an die guten Tage, da er wohl-
habend war und holde Freunde um sich hatte, die ihm redlich halfen,
sein Hab* zu verthun und ihm dann den Rücken kehrten. Nun bin ich
doch derselbe, der ich vor zwanzig Jahren, ruft er aus (XU. 1), ich
bin Gast und selten Wirth, mein Leben ist unstäte. Mit Freuden ge-
denkt er an Nürnberg, wie sanfte ihm da war! ') Ich that viel
Manches hie bevor, was mich nun reuet sehre, bätt* ich gewusst, was
ich nun weiss, leicht hätte ich nun mehr, aber ich kannte mich damals
nicht, ^) das muss ich jetzt entgelten! (XII. 2.) Zu dem Hanse, das
er sich nun selbst baut, helfen ihm der Unrat (Mangel) und Herr
Schaffenichts, einer heisst Seltenreich (ein gar guter Wirthsname
aus den späteren Weihnachts- und Fastnachtsspielen,*) der eine Carri-
') Ueber diese ^uten Tage zu Nürnberg vgl. Ritter von L a n g ' Jahrbücher ni
1218 und 1219.
') Dieselbe Klage führt auch Walther (104, 26): ,.icb bin ein wunderlicher
man, daz ich mich selben niht enkan verstau und mich so vil an frönde
liute Idze.^
«') Vgl. Weinhold Weihnachtsspiele S. 143 u. 144 und Wackernagei über
die deutschen Appellativnamen in Pfeiflers ,,Germania.^ V. 291.
521
catttr der schönen ^saeWenrich^ in sich schHesst), der Zadel (Gebre-
chen) und der Zweifel sind mein spätes Gesinde; Herr Schade und
Herr Umbereit finden sich oll bei mir; wird mein Haus von solcher
Massenie vollbracht, so schneit es mir sicherlich in den Busen. Die
Schilderung erinnert beinahe an die Edda, wo die Wohnung derTodten-
gottin Hei nur noch mehr' unheimlicher geschildert wird.
Von den Liedwn des Tanhanser sind wahrscheinlich nur die wenig-
sten auf uns gekommen, denn er wird in emem so langen, vielbewegten
Leben doch mehr gesungen haben, als die Paar Tanzlieder und Lob-
sprüche, denn eigentlich minnesl^gerische Weisen finden sich nur i^ei
oder drei, das übrige ist verweht und verflogen, auch mag er sonst
allerlei Handwerk getrieben haben, vielleicht auch etwas Hofmeisterei
und Erziehungskunst, von der die später zu besprechende ^Hofzucht^
ein artiges Elxerapel wäre.
Offenbar war er mit seinem Fürstenlob ein Vorläufer der späteren
Spruchsprecher und Reimdreher, die an den Höfen mit dem Verfall der
ritterlichen Sangeskunst Platz gewannen. Wenigstens ist es verdächtig,
dass er bei den Meistersängern in so gutem Andenken verblieben und
dass diese wirklich einige seiner Töne oder Weisen bewahrt haben. Er
selber klagt (XIV. 2), dass er, was freilich Niemand weiss, keine guten
Töne könne, die zu den Höfbn Eingang schaffen; gäbe mir Jemand
solche, so sänge ich von hofelichen Dingen, dann sänge ich, fahrt er
fast bitter und ironisch heraus, ohn* Unterlass von schönen Frauen, ich
sänge von der Heide, von dem Laub und Maien, ich sänge von der
Sommerzeit, vom Tanz und auch vom Reihen, ich sänge vom kalten
Schnee, von Regen und Wind, von Vater, Mutter und Kind, vort Kegel
und Flederwisch ^^ wer aber löst mir die Pfänder?')
Im reizenden Jugendleben des nachmaligen Gralkönigs Titurel
wird uns erzählt, wie sich der Kleine immer gesegnete und bekreuzte,
wenn er von der Minne hörte. Befragt darüber erwiedert Titurel, dass
die Lesung des Ovidius ihm einen solchen Abscheu vor der Minne bei-
gebracht habe, sie scheine ihm ein Geist der Hölle, doclf merke er wohl
auch, wie sie vielen Leuten gar Freund und guter Geselle sei; nur mit
') Ich solde wol ze hove sin, dd horte man min singen :
nü irret mich, das nieman weiz, in' kan niht guoter doene.
der mir die gaebe, so sunge ich von hovellchen dingen,
ich sunge verrer unde baz von allen vrouwen schoene;
ich sunge von der heide, von ioube unt von dem meien,
ich sunge von der sumerzfk, von tanze und ouch von reien ;
ich sunge von dem kalten snß, von regen unt von winde,
ich sunge von dem vater unt der muoter, von dem kinde:
wer loeset mir diu prani?'Wie w^nig ich der viodel
, 522
MQhe vermag ihm der Lehrer zu erklären, wie die Minne wohl za
unterscheiden, denn Minne müsse man za allen Dingen haben; vor
Allem müsse man Gott minnen nnd durch diese Minne sich von allen
Sünden rein halten; eine aber heisse man Minne, die verpflUide die
Glückseligkeit nnd hasse Gott, wer ihr nachgehe, der müsse sein Gre-
rieht leiden. — £s ist kein Zweifel, dass der«Tanhaaser die letztere
Art sehr genau kannte und ihre Wege ging. Dazu hatten ihm wahr-
scheinlich die (schon 1210) durch Albrecht von Halberstadt verdeutsch-
ten Metan[H)rphosen den ganzen klassischen Olymp aufgeschlossen und
in das durch seinen Farbenzauber bestrickende leichtsinnige Leben der
alten Götterwelt eingeführt. Denn er kennt die alten Gottheiten vom
Hörensagen ziemlich sicher, auch schwebten ihm die G^talten der
deutschen Heldensage vor und dazwischen das ganze Personal der Aeneide,
so dass es in seinem Leiche zum Preise der Frauen wie auf einem
buntwimmelnden Fasching durcheinander fahrt. (IV.) Zuerst nennt er
Isolde, Diane, Medea uüd Frau Pallas, Juno und Dido, Latrieia, Pa-
latrica (die den Frauen viel der Kinder stahl), Helena, Amarodia, Frau
Anevant schufen, dass Troja zerstört ward; dazwischen wirft er die
aus Hartmann von der Aue bekannte Lunete und gibt ihr auch einen
Vater Namens Willebrand, dann spricht er wieder vom Apfel der Venus,
wie Paris sein Leben desshalb verlor und Menelaus tod lag; Sybilla
war ein listig Weib, die in' allen Dingen kluge Frau Blanschiflur ist
schuld ßxi des Waleisen langen Exil. Dann kommen die Ritter: dem
Gawan gibt er das Wappenbild Tschonatulanders; Iwein wird genannt
und Sarmena (?) der über Gahmurets Müssiggang klagt; Lanzelot,
Parcival, Hektor und Achill und der Graal zu Raridol rollen alle ihm
durcheinander, auch Priamus und Thisbe sind ihm bekannt Die
Dichtung vom Zauberhorn, welches an Artus und Ginover Hof zur
Prüfung kam, und die Geschichte von dem verhängnissvollen Zauber-
mantel, „der in un.wandelbare Frau beschloss'^ (IX, 3) und das leicht-
fertige Leben am Hofe des Artus prostituirte, erzählt umständlich unser
wackerer He io rieh von dem Türlin in der Aventiure Krone;
Tanhauser weiss hinreichend davon. Mancher Name ist auch bis znr
Unkenntlichkeit entstellt. Nach all dem bunten Schnickschnack, wobei
die heimische Heldensage noch ihren richtigen Antheil hat» hebt er däs
Lob seiner schönen ,,Creatiure'^ an, die sich eine ziemlich genaue Zer-
gliederung und Aufzählung ihrer Reize gefallen lassen muss, bis ihm
über dem Singen und Springen der Fiedelbogen wieder entzwei reisst;
doch ist er hier wenigstens in der Sprache völlig deutsch, während er
sich ein andermal mit welschen Reimen auf das sonderbarste ausstafBit
hat. (IQ.) Er beschreibt das Begebniss mit einer Frau in einmal bach-
523
durchrieselten Forste und die fremdländischen Worte, mit denen er sich
aufputzt,') passen ganz gut zu dem wunderlichen Thun, das durch die
Verhüllung nur noch anziehender erscheint.
Das alles sind unbändige , in Sinn und Form freie , muthwillige
Reigen und Tanzlieder; nicht so naturwüchsig und frisch, wie jene des
Neidhart, aber in ihrer Intention ganz ebenbürtig Das ganze Minne-
leben war jetzt herabgekommen und gemein sinnlich geworden. Die
unschuldige Zeit der ersten Liebe war vorüber; es war, wie bei solchen
Naturen, die sich nicht immer in idealer, geistiger Objectivität erhalten
können, die geflährKche Sentimentalität plötzlich in, die reele Welt des
Genusses umgeschlagen. Nur zweimal taucht beim Tanhauser der edlere
Ton der alten Minnesänger empor: das eine ist ein Maienlied (VII.)
zum Preise der Guten, die ihm am Herzen liegt und ein anderes (XV.)
aus seinen alten Tagen: er habe lange den lieben Kinden zu Liebe bei
den Linden gesungen , das aber habe sich verkehrt und der Sänger
finde keine Ehre mehr; so bittet er denn die Reine um Trost.
Wie im Entwicklungsgange der Kunst, so geht es auch mit der
Dichtung und mit der Liebe. Wie hoch, wie rein ist z. B. der Ma-
donnencult und dessen Ideal in den frühesten Bildern, wie keusch und
züchtig ihre Darstellung, gleich jener Minne ^die nicht zu sprechen wagt
und in ihrer Noth das Haupt beugt ,und der Geliebten sich neigt bis
auf den Fuss.-^ Bald aber, nachdem selbst der himmlische Klosterbruder
die Geissei gebraucht, um sich in der Höhe seiner reinen Anschauung
zu halten , sinkt der Cult ins Leibliche und die guten Meister wissen
mehr die Verherrlichung der mütterlichen Pflichten oder gar nur die
Reize ihrer Geliebten den profanen Augen der Welt preiszugeben. So
war das Minnewesen bereits ein Venusdienst geworden und so passt
auch die Sage nur zu treffen^ auf den Tanhauser. Bei Walther ist es
noch ein unschuldiges Spiel, wenn er die Hälmchen zieht über die Ge-
liebte (66, 10), beim Tanhauser ist es offenkundiger, er rühmt sich
pompös seiner Siege, nur geschah es bisweilen, dass er an die unrechte
gerieth, die ihn wacker abfahren Hess, was er dann unter komischen
Bildern verbirgt und seine Verehrte der Launenhaftigkeit anklagt —
eine Untugend, die von den Frauen ausgehend, den Minnedienst früh-
zeitig untergrub.') „Freunde (singt er bitter) helfet mir der Lieben
danken, der ich um hohen Preis singe, guten Trost habe ich von ihr;
sie gehrt des Apfels, den Paris der Göttin gab, bringe ich ihn, so mag
') z. B. von amüre seit ich ir,
daz vergalt sie dulze mir. etc.
") Vgl. Weiohold DeuUche Frauen S. 166 ff.
524
ich heissen ihr Amie. Sie will von mir bloss den liehten Polarstem
(Trerauntanen. VIII). Ich soll ihr bringen den Salamander und machen,
dass die Rhone von der Provence bei Nürnberg gehe und die Donau
in den Rhein, gelingt mir das, so thut sie, was ich will. Sag' ich ja,
so spricht sie nein. Zergeht der Mäuseberg gleich Schnee, so lohnet
mir die Reine; Aljes, was mein Herze begehrt, ist gewährt, wenn ich
ihr auf einen See ein Haus von Elfenbein baue; ich soll ihr bringen ans
Galiläa den Berg, darauf Herr Adam sass. Ein Baum steht in India,
den will sie von mir han ; ich soll den Gral gewinnen, dessen PArcival
pflag, anch nach Noa's Arche trägt sie Begehr: lieia hei' brächte ich
die, wie lieb ich dann wäre! ')
Ja hiute und iemer mßre ja,
heil alle und aber ja,
zichent herze wäfenä!
wie tuot mir diu vil guote !
daz sie mich niht machet vrö.
dez ist mir we ze muote (IX, 3).
Meine Frau fahrt er weiter fort (X), der ich so viel gedienet han,
will lohnen mir; sie will, dass ich den Rhein wende, dass er nicht mehr
vor Coblenz gehe; mag ich ihr den Sand von der See bringen darinnen
die Sonne zur Ruhe geht, so will sie mir gewähren. Ich muss dem
Monde seinen Schein benehmen, wenn ich sie haben soll;') vermag
ich rings um 3ie Erde einen Graben zu ziehen, gelingt es mir zu fliegen
vne ein Staar und hoch mich zu schwingen wie ein Aar, so thut sie,
was ich nur begehre. Verthäte ich tausend Speere auf einmal, wie
Herr Gahmuret vor Kanvoleis mit reichem Tjost, so thut sie, was ich
lange erfleht. Könnte ich der Donau ur\d der Elbe den Fluss nehmen,
so thut sie mir wohl; ich brauche ihr nur den Salamander aus dem
Feuer zu bringen, so will die tiebe mir lohnen; kann ich Sommer und
Klee, Regen und Schnee verwenden, so geschieht mir Liebe von ihr.
') Midi vröut noch baz ein lieber wdn den ich von der scboenen hin: | so
der Miuseberc zerg^ | sam der sne^ s6 lönet mir diu reine; | alles des min
herze ffert, | des bin i^h an ir gewert^ | minen willen tuot si gar, i büwe ich
ir ein büs von helfenbeine , i swd si wil , (kf einem s^ , | s6 habe ich ir
vriuntschaft und ir hnlde^ | brinfi^e ich ir von Galil^ | her^ Sn' alle scbalde,|
einen berc^ gevüege ich daz, | dd her Addm üfe saz, i heid, hei, daz vi'sere
aller dienste ein übergulde! i Ein bouro stdt in Indian | gröz^ den wil si
von mir hän; | minen willen tuot si gar, | seht, ob ich \fz allez ber ge-
winne. I etc.
') Etwas Aehnliches weiss bereits Walther (52, 53 IT):
möhte ich ir die slerne gar
mdnen unde sunnen .
zeigene hdn gewunneii,
daz waer ir, so ich iemer wol gevar.
525
Ich hab' den Math
Was sie mir thnt
Das soll mich Alles dünken gut.
Sie nahm die Ehr' an mir in Hut.
Die Reine! —
Ausser Gott alleine
So weiss die Fraue Niemand, die ich meine!
Dabei ist es wirklich widerlich, dje schönen alten Worte von min-
ni<^lichen Fraue, süsser Treue, reine Weib u. s. w. nur als spöttische
Redensarten und Lockvögel in seinem Munde zu hören.
Die Vermuthung, der Tanhauser habe in Wien, Landshut oder
anderswo, wie Walther von der Voi^elweide, bei hartköpfigen Buben
Pädagogik getrieben, gewinnt durch eine 264 Zeilen lange Reimrede
einige Begi-ündung, welche des Tanhause.rs Hofzucht genannt und
dem Dichter zugeschrieben ist — mit welchem Rechte ist fraglich. ')
Der Tanhauser hat als ero tüchtiger Lebemann sicherlich sich auf feine
Sitte verstanden und könnte Manchen in seinen guten oder schlimmen
Tagen darnach gezogen haben; dass er aber seine grosse Zucht in sol-
ches Reimwerk gebracht haben soll, ist nicht recht dankbar. S^tzt ihr
euch zum Essen, so sollt ihr zuerst sprechen: ^ Gesegne uns Jesus
Christus,'* auch der Armen nicht vergessen; dann geht es hofineister-
lieh mahnend weiter: mit dem Löffel und aus den Schüsseln nicht zu
saufen, sich nicht über die Schüssel zu halten wie ein Schwein oder
zu schmatzen, auch die abgenagten Stücke nicht wieder zurückzulegen,
Senf und Salz nicht mit den Fingern zu nehmen, sich in das Tischlach
nicht zu schneuzen oder die Sach' an die Hand zu reiben; während
man noch Speise im Munde hat, nicht darein zu trinken wie ein, Vieh,
auch sei es gut, vorerst den Mund zu wischen „daz du besmalzest niht
den traue,** auch sei es anständig, beim Schneidon den Finger nicht
auf das Messer zu legen wie die Kürschner thun (als ein kürsner pfliget).
Auch sollt ihr die Kehle während des Essens nicht mit blosser Hand
jucken, geschieht es aber dennoch, so nehmet hofelich das Gewand und
ju(^ket damit, das ziemt bass. Zugaffer sind immer da, die solche Un-
zucht vermerken. Auch soll man mit dem Messer nicht in den Zähnen
sturen oder den Unflat aus den Ohren nehmen. Dessgleichen eifert er
*) Die Handschrifi davon ^urde 1393 zu Innsbruck copirt und befindet sich nun
in Wien. Vgl. HpTs Zeilschrifl VI. 488-96 u. VII. 174. Von da an gibt
es in diesem Artikel eine reiche Literatur, welcher flrrösslenlheils der alte
^Cato^ zu Grmide liegt und welche, durch die einzelnen Jahrhunderte ver-
folgt, eine reiche Ausbeute für cullurhistorische Studien bieten würde.
526
löblich gegen jedes Uebennass in Speise und Trank u. s. w. Ein Schritt
weiter — und wir stehen schon bei ^Tölpels Bauemmoral,^ ') die jeden-
falls unflätiger aber dafür auch mit mehr Humor dasselbe Thema be-
handelt und in ihrer Art mehr zu lachen gibt, dabei oft wörtlich die-
selben Lehren wiederholt, wenn auch in wahrhaft magenumwendender
säuischer Weise.
Das letzte Gedicht (XVI.) welches van der Hagen verzeichnet,
ist ein an die Weisheit des ^Wartburgkrieges'' gemahnender Räthsel-
spruch. Endlich theilt die Jenaer HS. unserem Tanhauser noch ein
grosses, aus vier mächtigen Strophen bestehendes, sehr schönes Gedicht,
zu, *) welches in tröstlicher Weise von der Umkehr und Rückkehr des
Dichters Zeugniss gibt, von seinem reuigen Sinn und dem tiefen Ver-
trauen auf Gottes Huld und Gnade, der ihm die Sünde büssen lässt und
verzeihet.
Die aus dem XV. Jahrhundert stammende Colmarer Lieder-
handschrift*) enthält Bl. 785 ff. vier Lieder ^in Tanhusers hanpt
ton od gülden tone.'' Das erste: ^gelickes wer mir not, wo ich der land
hinker" ist ein dem Tanhauser in den Mund gelegtes Lied, worin er
um seine Sünden klagt , von seinen . Reisen in ganz sinnloser Weise
erzählt und darüber jammert, dass ihn Frau „Fenes** mal gegrüsst.
Die folgenden beiden ^Maria himel hort^ und „wer soll myn's endes
* pfligen , wenn ich von hinnen muss" sind durch ihren frischen Anfjing
ausgezeichnet, worauf aber bald wieder das dürrste, meistersängerliche
Gereime folgt, von dem das vierte „man hat uns prophezyt** gani
voll ist.
Fassen wir nun Alles zusammen, so haben wir im Tanhauser einen
Mann vor uns, der früher schon die weite Welt erfahren, der gute und
böse Tage in Fülle erlebt, bei welchem Wohlleben und Noth gewechselt.
*) Scheible Schaltjahr. I. 137 ff.
') Hagen III. 48. Hieher gehört auch ein Zwiegespräch, welches der Tan-
hauser mit der Frau Welt Führt und welches dem bekannten Abschiede
Walthers v. d. V. nachgebildet scheint (Keller Fast nachtspiele. Nro. 121.
46. B. der Publ. des lit. Vereins. S. 47—53) ; in rührenden einfachen Klagen
trachtet der traurige Büsser nach dem Heile und weiss seinen Weg, Ton
dem ihn die Welt trotz aller Schmeichelei nicht zu wenden vermag.
') Dieselbe war erst Eigenthum der Schusterzunft zu Colmar, kam bei derea
Auflösung 1789 in die Hände J'feffels^ von da nach seinem Tode 1S09 durch
dessen Erben in den Besitz des Buchhändlers Neukirch in Basel, worauf
endlich am 28 Oktober 1857 die Münchner Hof- und Staatsbibliothek den
Codex vom Buchhändler Georg in Basel für 1866 fl. 40 kr. en»'arb. (Cod
ferm. 4997.) Diese Handschrift, welche 856 doppelspaltige Blitter ziblt und
598 gebunden wurde, enthält viele wirkliche Lieder der Minoeaanger, aber
oft in ganz veränderter und oft zur völligen Unkenntlickeit abgesdiliffMiea
GesUlt.
527
der bei vielen Fürsten und Herren zn Gaste sass and nach einem lan-
gen, unruhigen Wanderleben von Italien bis Dänemark, von Spanien
bis nach Oesterreich, hinreichend aufgeklärt über seine eigene Thorheit
und die Untreue der Welt, sich zu Gott wendet vor seinem Scheiden.
Wir haben oben die Pupkte beiührt, welche es möglich scheinen lassen,
dass eine glaubbar viel ältere Sage auf ihn sich übertragen und end-
lich haften bleiben konnte. Das* Zusammenwachsen der Mythe unfl
Sage ist kaum an einem schöneren Beispiel nachzuweisen. Desto
unerklärlicher ist die Behauptung Zander *s,') der mit unhaltbaren
Hypothesen zu beweisen sucht, die Sage vom Tanhauser sei erst aus
den Lebensereignissen des Dichters entstanden: Der Tanhauser sei auf
seiner Kreuzfahrt wider seinen Willen in entlegene asiatische Gegenden
und in ein Liebesverhältniss mit einer muhamedanischen Prinzessin
verstrickt worden und bei ihr ein Jahr oder mehr verblieben. Ueberdruss
oder Reue wollten ihn in den Schoss seiner Kirche zurückführen und
er pilgert nach ^om. Aber die Kirche oder deren Oberhaupt verwirft
ihn, so wendet er, ein aus der Christenheit ausgestossener und gebann-
ter, sich zu seiner muhamedanischen Geliebten in das Morgenland zu-
rück, worauf keine Kunde mehr zu uns gedrungen, indem er dort ver-
schollen und gestorben ist. So weit Herr Zander mit seiner unbe-
greiflichen Erklärung, die eine neue Tanhauser-Biographie erfindet, um
eine ihm unverständliche Sage darnach erklären zu können. Dann wäre
natürlich das ganze übrige Leben Tanhausers, das von seinem Kreuz-
zuge und den Querfahrten an den Fürstenhöfen Deutschlands ziemlich
klar vorliegt, nur eine Fabel! Mit solchen Versuchen, die nicht einmal
mehr in einem Romane erlaubt sein können, wird unsere Wissenschaft
nicht gefordert. —
Wie der Tanhauser, so weiss der Graf Kon r ad von Kirchberg')
von der Frau Venus, ja er kennt sogar die heisse Fackel des Amor
(L 3), Wenn doch ihr rothes Mündlein meinen Kummer wenden wollte,
zwei lichte Wängelein wären gut gegen sehnende Nofh und ein minnig-
liches Umfahen. Wäfen, herre jo! wenn ihr rother Mund mir ein
Küssen leihen wollte!^ Die Stelle erinnert auffallend an Walther;')
1) Fr. Zander Die Tanhäuser-Sage und der Minnesänger Tanhfiufer. Königs-
berg 1858. 4».
») Hagen I. 23 ff. IV. 55 ff.
*) Wallher 54, 7 : si hdt ein kussfn, daz ist röt :
gewönne ich daz für mtnen munt,
86 stüende ich (d von dirre n6t
und wnere ouch iemer md gesunt.
dem si daz an sin wenffel legt
der woaet dd gerne iilnen bt:
528
anderes verräth Neidhart'schen Einfluss. Die Geliebte weiss nicht, was
Minne sei, da will er ihr*s lehren, die Lösung ist aber nicht so anschal-
dig wie Signnens Frage im Titurel, sondenf streift an die in v. d.
Hagens ^Gesammt-Abenteaem^ häufig vorkommenden Geschichten. Das
frischeste unter seinen Gedichten ist ein Mailied (V.):
, 1 . Auf, der Mai kam in das^ Land,
Der da löst der Sorgen Band:
Kinder, Kinder, seid gemahnt,
Mannigfalte Wonne kommt zu schauen.
Auf der lichten Haide breit
Sind die Blumen ausgestreut
Wie ein Teppich weit und breit:
So erscheint er grünen Waldesauen.
Da höret man die Nachtigall
Auf dem blühenden Reise
Singen wonniglichen Schall.
Berg und Thal
Hat der Mai bekleideti sich zum Preise.
Freuet euch, ihr Jungen,
Die Blumen sind entsprangen.
Nun singet den Reihen
Und seid fröhlich froh des lichten Maien!
2. Auf denn Kinder, Paar und Paar
Geh die freudenreiche Schaar
Nach dem Anger rosenklar.
Wo die Blumen aus dem Grase dringen.
Leget an der Ehre Kleid:
Wo sich Lieb bei Liebe freut,
Gibt der Mai viel Sössigkeit.
Lauschet, lauschet, wie die Vögel singen!
Wie das sanft den Ohren thut:
Freut euch, stolze Laien.
Sah ich doch der Maien Bluth
Nie so gut:
> Lasst dabei uns tanzen, lasst uns reihen.
Freuet euch, ihr Jungen etc.
ez Smecket, s6 manz iender regt.
alsam ez vollez balsmen st.
daz so! si llben mirt:
awie dicke 86 siz wider wil, so gebe icbz ir.
529
3. Wohl auf, Rose, Gepe, Hiliegart,
Geri, Gnote traut, an die Fahrt!
Vröude, Anne, Ellin, Igel zart,
Rese, Engel, üedelhilt, Beate, Gisel, Uote.
Diemuot, Wille, Gözze, Irmellin,
Klare, Wonne, Ite, Minne, Tilije Fin,
Hezze,^Mezze, Salme, Katrin,
Kristin, Berhte, Liebe, Adelgunt, Vite, Guote,
Mije, Soffie, Else, üedelsint,
Sidrat, Künigunt, Pride,
' Heilwik, Hüte, Lügge, Edellint,
Herburk-'Kind,
Krete, Saluet, Elide, Hille, Juzze, Hemme, Fide:
Freaet euch ihr Jungen etc.
4. Ei, was säumst du, junger Mann?
Komm und kommt ihr all hindann
Zu den Kindern auf dem Plan!
Allem Trauern wird die Kraft benommen.
Siecher Mann wird bald gesund.
Der von Minne wurde wund;
Mancher rosenfarbne Mund
Lockt ihm Lust ins Herz, das muss ihm fronmien.
Wo man Blumen viel und Klee
Findet in den Auen:
Da sind wieder ohne Weh
Heur wie eh
Aufgedrungen in des Maien Thauen.
Freuet euch ihr Jungen etc.
5. Ei, die Liebe, wo sie sei.
War' ich heut ihr nahe bei.
Seht, so würd' ich sorgenfrei,
Die mir lifeb war stets vor allen Dingen.
Fröhlich in des Maien Bluth
Brach ich ihr den Schattenhut
Ueber alle Güte gut
Ist sie ja, ihr Lob so will ich singen
Gern um ihren Habedank.
Keusch und Tadelsreine
Ist die Liebe sonder Wank.
Ohne Dank
Sing* ich der Geliebten, die ich meine.
Freuet euch, ihr Jungen etc.
34
530
Wir erhielten da eine hübsche Blumenlese mittelalterlicher Frauen-
namen! Der Dichter hat diese Manier des poetischen Katalogisirens
von den volksmässigen Singeni, den Neidhart an der Spitze, erlernt
Ohne Weibes Hilfe, sagt er VI. 3, kann Niemand froh werden noch
hohen Muthes reich; er will der Fraue, die ihn mit Unminne quält,
als Dienstmann zu eigen sein.
Graf Konrad von Kirchberg erscheint 1255 in einer ülmer Ur-
kunde; das gleichnamige Schloss dieser Familie stand an der Jller.
Ein vielbewegtes und politisch bedeutsames Leben hatte der Mark-
graf Berthold von Hoheaburg (an der Lauterach) geführt.') Er
stammt von den Markgrafen des Nordgau, welche, zunächst gegen die
heidnischen Böhmen gerichtet, mit Ernst L (Ludwig des Frommen
Tochtermann) beginnen, der sich mit seinem Eidam Karltnann gegen
dessen Vater, Ludwig den Deutschen , verband und dessen Geschichte,
in. Vermischung mit Ernst V. und Herzog Ernst von Schwaben, die
Grundlage zu den im X[T. und XHL Jahrh. entstandenen Gedichten
vom Herzog Ernst von Bayern ') abgab. Von seines Enkels Ernst's DI.
Brüdern ist Leupold der Stammvater der Grafen von Scheyem und
Witteisbach, und Aribo der Grafen von Seon und Burghausen, von
dessen Tod auf der Jagd durch ein Wisend (Büffelochs) noch zu An-
fang des XIII. Jahrh. das Volk in Liedern sang. ') Ernst V. ward
von Kaiser Otto I. (mit dessen abtrünnigem Sohne Ludolf er es hielt)
seines Landes verlustig nnd flüchtig, nachmals wieder begnadigt. Ernst VI.
besass um 1028 bestimmt das Gebiet von Hohenburg, Ernst IX. wird
zuerst in einer Urkunde von 1138 Graf von Hohenburg genannt; er
war Kaiser Friedrichs L Kriegsgefährte und Begleiter. Mit ihm (nach
1162) und seinem Bruder Friedrich wäre der Mannstamm ausgestor-
ben, nachdem beide schon um 1147 ihr Schloss Hohenburg mit allen
Dienstmannen dem Bischof Heinrich von Regensburg zugeeignet hatten.
Dennoch hinterliess Friedrich von Hohenburg eine Wittwe Mechtild
von Andechs,^) welche sich 1210 mit dem Höchstifte Regensburg
dahin einigte, dass die Grafschaft Hohenburg, ihre Morgengabe, ihren
etwaigen männlichen Nachkommen zweiter Ehe, zu Lehen verbleiben
sollte. Sie vermählte sich hierauf mit dem Markgrafen Diepold von
Vohburg. Dieser, auch der letzte seines Stammes, war K.Heinrichs VI.
*) Vgl. Th. Ried, genealog. diplomat. Geschichte der Grafen von Hobenburf.
Markgrafen auf dem Nordgau. Kegensburg 1812 und IIa gen IV. 68 fT
') Vgl. oben S. 89 and Ried S. 17 IT. '
*) Vgl. oben S. 3J.
«) Ried S. 43 AT.
531
I
Feldherr, erhielt von ihm die Sicilische Grafschaft Acera, führte nach
dessen Tode (1197) den Oberbefehl des deutschen Heeres nnd die
Statthalterschaft, und besiegte, nach mehreren Niederlagen, 1205 den
Grafen Walther von Brienne, der als Gatte der ältesten Tochter
Tancreds, Albinia, die Herrschaft in Anspruch nahm, aber mit dem
Leben aufgeben musste. Der Markgraf hatte noch viel mit den un-
ruhigen Baronen des Landes zu kämpfen , bis K. Friedrich IL selbst
die Regierung antrat, mit dem er bald darauf (1212) nach Deutsch-
land heimkam. Hier ward seine Macht durch die Vermählung mit
Mechtild noch ansehnlich vermehrt; er heisst seitdem in Urkunden
1212—25 abwechselnd Markgraf von Hohenburg und wurde 1226 auch
in der Erbgruft der Hohenbjirger begraben. Er bekam vier Söhne,
Berthold, Otto, Diepold und Ludewig, von denen der erste
immer kurzweg als der Markgraf von Hohenburg erscheint und
mit unserem Dichter ein und dieselbe Person ist. Auf ihn passen auch
alle diese geschichtlichen Beziehungen in den Liedern!
Dieser Berthold von Hohenburg war, wie sein Vater, ein bedeu-
tender und mächtiger Mann, ein Heer- und ReichsfÖhrer der Staufer
in Deutschland und noch mehr in Italien. Durch König Konrads
Gemahlin (Konradins Mutter Elisabeth von Baiern) dem Kaiser-
hause verwandt, war er 1237 mit seinem Bruder Diepold Edelknabe
an dem prachtvollen Hofe Friedrich H., dann sein Vertrauter und Feld-
herr in Italien, und nach des Kaisers Tode (1250, dessen Testament
er unterschrieb) Konrads tapferer Vertreter in Italien; mit Manfred
(Konrads Stiefbruder) eroberte er 1251 Avellino in den Abruzzen,
unterhandelte für Konrad mit Pabst Innocenz lU. und wurde in politi-
schen Dingen auch nach Griechenland gesandt. Berthold heirathete
eine Vaterbruderstochter der Mutter Manfreds, Namens Isolde, und
war durch Gunst und Vergabung des Königs gewaltig im Lande.' Nach
Konr^ds Tode (1254) erhielt er, bereits Oberfeldherr durch den letzten
Willen des Königs die ganze Reichs Verwaltung beider Sicilien in Kon-
radins Namen (dessen Aussöhnung mit dem Pabste ihm sehr empfohlen
worden), übergab sie aber bald an Manfred. Beide wurden hierauf
1254 vom Pabst Innocenz FV. gebannt, erkannten noch in demselben
Jahre dessen Lehensherrschaft an und wurden von ihm bestätigt,
namentlich Berthold in der Grafschaft Montescaglioso und anderen
Schankungen Konrads. Zugleich erhielt Berthold die Würde eines
Grossmarschalls von Neapel und Sicilien , mit ansehnlichen Einkünften
und freiem, standesmässigem Unterhalt am damals in Neapel befind-
lichen päbstlichen Hofe ; auch seine Verwandten wurden mit Ländereien
belehnt. In dem bald darauf zwischen Manft'ed und dem Pabste aus-
84*
532
gebrochenen Kriege, blieb fierthold mit seinen Brüdern Otto und
Ludwig (der bereits von K. Konrad die Barg Monteforte besass) auf
Seiten des Pabstes; besonders thätig erschien Otto auf dem Kampf-
platze, wurde aber bei Foggia (Ende 1254) aus dem Felde geschlagen.
Wenige Tage darnach starb der Pabst in Neapel, und Berthold wirkte
hier hauptsächlich mit zur schleunigen Wahl Alexander IV., der ihm
sogleich die Schaqkungen seines Vorgängers bestätigte, das Erbrecht
derselben sogar auf Seitenverwandte ausdehnte und noch das Herzog-
thum Amalfi hinzufügte. Otto wurde mit der Grafschaft Catanzak
belehnt. Bei der Fortdauer des Kampfes mit Manfred musste der Pabst
den stets ihres Vortheils wahrnehmenden Hohenburgern an 8000 Unzen
Goldes verschreiben und ihnen Grayina und Bolenta einräumen, damit
sie sich aus den Einkünften allmählich bezahlt machten. Berthold, der
vom Papste der Mutter Konradins zu dessen Bevollmächtigten vor- *
geschlagen wurde, führte das päbstliche Heer gegen Manfred, erfand
zum Schutze hölzerne Kriegsmaschinen in dreieckiger Gestalt, die immer
aufrecht standen, wie sie auch gewälzt wurden, eroberte Trani, Baroli
u. a., unterhandelte durch Isolde mit Manfred, und wollte, da dieser
ihm nicht mehr traute, den Kardinal Octavian, der in Foggia einge-
schlossen war, entsetzen, wurde aber von Manfred aus einem Hinter-
halte überfallen und völlig besiegt. Der Kardinal musste nun Frieden
eingehen, in Folge dessen die Hohenburger von Manfred begnadigt und
in ihre Herrschaften wieder eingesetzt wurden. Als aber der Pabst den
Frieden nicht bestätigte und ein Graf von Wasserburg am päbstlicben
Hofe Manfreds Gesandten heimlich zu wissen that, dass Berthold mit
seinen Brüdern -und andern Baronen des Königreiches eine Verschwör-
ung gegen ihn angezettelt, liess Manfred die Hohenburger sogleich ver-
haften und hielt am 2. Febr. 1256 zu Baroli eine Reichsversammlong,
in. welcher die des Hochverraths Angeklagten überwiesen und einstimmig
zum Tode verurtheilt wurden. Manfred verwandelte diese Strafe gnädig
in ein lebenslanges Gef&ngniss: es scheint jedoch, dass sie bald heim-
lich aus dem Wege geräumt wurden, weil schnell darauf eine Urkunde
tom 21. März 1258 den endlichen Heimfall der Ve^te Hohenburg an
Regensburg durch den Tod aller vier Brüder bezeugt. Auch seioen
gleichnamigen Enkel , der Manfreds Tochter Gannaro ehelichen sollte,
musste dasselbe Schicksal getroffen haben. Die reichen Güter der Hohen-
burger kamen zum Theil auch an Bamberg, und 1296 belehnte der
Bischof Berthold den Herzog Ludwig von Baietn mit der Stadt Amberg
und allen ihm durch den Tod der vier Brüder erledigten Lehen.
Wir haben hier ein reiches diplomatisches Leben vor uns^ Berthold
ist unter den Minnesingern derjenige, der sich wohl zuhöchst hinaofiMdnriiH
533
delte, der als Yertrauensroann des deatschen Königs und dessen Stell-
vertreter, mit den höchsten Würdenträgern verkehrte nnd nebenbei auf
sein eigenes Wohl hinreichend bedacht war, bis ihn plötzlich das blutige
Verhängniss erreichte, das auf alle Deutsche in italienischen Landen
lauerte und alsbald wieder ein schönes, blutjunges Leben erjagen sollte.
Der Hohenburger Markgraf erscheint allerdings bisweilen in zweifel-
hafter Beleuchtung; doch war seine Stellung als Vertreter Konradins,
zwischen dem gewaltigen, allen Staufern feindseligen Pabst und dem
verwandten, auf eigene Herrschaft bedachten Manfred, eine sehr schwie-
rige. Er war ein tapferer und kluger Kriegsmann , der zwischen den
ärgsten politischen Händeln noch Zeit für Saitenspiel und minnigliche
Tändelei fand.
Das Conterfait des Hohenburgers im Manessencodex weist auf eine
in der Feme lebende Geliebte hin: der Markgrafe sitzt, hat ein rothes .
pelzgefüttertes Kleid an, nnd übergibt einem vor ihm stehenden Garzun
seine Lieder in einem abriefe**; hinter ihm hängt das Ritterschwert
friedlich am Nagel, das Wappen aber hat der Maler wieder aus eigener
Phantasie dazu gemacht. ')
Berthold hatte, mit dem mannigfach befreundeten Manfred (der
bald nach ihm, 1268 durch den gräulichen Anjou sein Leben verlor)
auch die Liebe zur Dichtkunst gemein; wenn es wahr ist, dass Man-
fred eine ganze Schaar deutscher Singer und Spielleute um sich
hatte, so könnten des Hohenburgers Lieder auch wohl in Wälschland
gesungen sein. Wenigstens sagt er (VL I), dass er dem Könige
(Konrad) überall den Leib hinfuhren wolle, dass sein Herze aber doch
zurückbleibe, das hat für ewige Zeiten eip Weib, von der es selbst*
unser Herrgott nicht vertreiben könnte.
Wohl denen, sagt er, die von guten Weihen gut sprechen (L 1),
wohl mir, dass ich' ein so schönes und reines Weib zu einer Frauen
habe (IL); dafür macht ihm das Scheiden grosse Pein und auch ihr
thut es so wehe, dass sie*s nicht überleben zu können und dem grimmen
Tode rufen zu müssen glaubt; er erzählt sodann, dass er dem Pabste
von ihr und seiner Liebe gesprochen und dieser eingesehen habe, er
roinne ein Weib mit ganzer State (III, 3.), Gott war gewiss viel sanften
Muthes als er das reine Weib schuf, die das beste ist, was der Dichter
je gesehen hat. Unter seinen wenigen .Liedern, die zur Abwechslung
*) Hagen V. 2?0. Tar.VIII.« (38). Nach Siebmacher 11. 11 u. Falkenstein
Nordgau U. 359 ballen die ItHrkgrufen von Hobenburg im silbernen Stbilde
einen gesrbobenen ^olben Qnerbiilken , als Kleinod einen gesi blossenen sil-
bernen Flug mit des Si bildes Bild. Sonst wird als Wappen aucb no b ein
rolher Löwe genannt, der vom Manessen-Maler beigefügte ist nicbl zu finden.
584
%
auch unter anderen Namen vorkommen (ein übrigens bei den kleinen
^oeten häufig wiederkehrender Umstand, der einen Literarhistoriker
zur gelinden Verzweiflung bringen könnte) findet sich ein schönes Wäch-
terlied, welches Graf Pocci in der alten Weise der Minnelieder, com-
ponirt hat;*) es Jautet (Simrock. S. 26): ^
Wächter: Ich wach um eines Ritters Leib
Und deine Ehre, schönes Weib:
Weck' ihn, Fraue!
Gott gebe, das ist mein Begehr,
Dass er erwiacht und Niemand mehr.
Weck' ihn, Fraue!
Nicht säumig seid:
Es ist nun Zeit;
Ich bitte nicht um seinethalb allein:
Willst du ihn bewahren,
So lass ihn fahren:
Verschläft er sich , die Schuld ist einzig dein.
Weck' ihn, Fraue!
Die Frau: „Ach müssest du unselig sein,
' Wächter, und all das Wecken dein!
Schlaf, Geselle!
Dein Wachen war wohl alles gut;
Dein Wecken mir gar unsanft thut.
Schlaf, Geselle!
^ Hab' ich, Wächtersmann,
Dir doch nichts gcthan
Als Gutes, und doch fögst du mir die Pein:
Du mahnst des Tages
Dass du verjagest
Viel süsse Freuden von dem Herzen mein.
Schlaf, Geselle!'' —
Wächter: Wie gern ich dir den Zorn vertrage.
Der Ritter scheide vor dem Tage.
Weck' ihn, Fraue!
Er wagt' es auf die Treue mein.
Da befahl ich ihn den Ehren dein.
Weck' ihn, Fraue!
') Vergl Sechs alldeutsche Minnelieder, als FrühlingSjpruss 1835; conponift
(bereits \82ß) von Franz Gf. von Pocci. München in der lit. arlisk Anstalt
585
Du selig Weib,
Mass er den Leib
Verlieren, sind wir beide mit verlorn.
Ich sing, ich sage,
Es naht dem Tage:
Nun weck* ihn, denn ihn wecket doch mein Hörn:
Weck' ihn, Fraue!
Am Ende und an der Neige des, Minnasanges steigt noch eine
schöne jugendliche Gestalt auf, sein Lockenhaupt, das einst die Krone
getragen und verloren hatte, ist blutig, es ist , König Konrad der
junge, der arme Konradin I'^ ') In dem nahe bei Landshut gelegenen
Schlosse Wolfstein') war der letzte Staufer geboren (25. März 1252),
dessen kurzes Leben eine Kette von Leid und verlorenen Freuden
bildet. Der erlauchte Otto hatte den Enkel kaum gesehen, so schloss
er auch schon unter dem Beistaude des heiligmässigen Bpder Berh-
told, des berühmten Predigers, viel zu frühe die Augen. Kaum zwei-
jährig wurde Konradin bereits vaterlos; so lebte er mit der Mutter
Elisabeth bei seinem Oheim Herzog Ludwig auf der Hochhuet (Trau snitz)
bei Landshut, an einem Hofe, wo ehedem so feine Sitte geherrscht und
durch Otto's ^ Milde'' viele hungerige Sänger und arme ^Fahrende" zu-
gingen und weilten. Hier war Reinbot gesessen und hatte seinen St.
Georg zusammengemacht, hier hatte der Neidhart offenes Gelass und
derTanhauser ein Asyl gefunden, Konradin konnte den letztgenann-
ten in zarter Jugend noch gesehen haben, da derselbe auch der Her-
zoge Ludwig und Heinrich gedenkt. Von da zog dann Elisabeth mit
Konradin nach München. Welchen Eindruck musste es auf die Seele
des vierjährigen Knaben gemacht haben, als der jähzornige Oheim seine
unschuldige Gattin, die schöne Maria von Brabant in eifersüchtiger
• Wuth auf dem Mangoldensteine (18. Febr. 1256) enthaupten liess! Ein
Edelfräulein der Herzogin, die Heike von Brennenberg, das
Schwesterlein des unglücklichen Sängers, hatte der strenge Ludwig
erdolcht \\vA sodann der Hinrichtung seiner Gemahlin zugeschaut, un-
empfindlich gegen den Jammer der schönen Frau, die ihm ihre reinen
Hände bot und nur noch ein Küssen und Umhalsen von ihrem Gatten
erbat, ') dem Konradins Mutter zu Füssen lag, mit Thränen um Mariens
Leben bittend!
') Als Erbe von Sicilien wurde er König genannt und zwar mit dem Beisatze
der junge oder der Stau Ter zum Unlersthiede von seinem Vater; erst
die'Wälsiben haben den Cbunradin aus ihm gemacht.
*» Wiesend Topographie von Landshut. 1858. S. 236.
') Vgl. die darauf bezüglichen Strophen des Meister Stolle, welche weiter
fi36
Als sich Konradins Mutter ein Paar Jahre darauf zu München
(6 Okt. 1 259) an den Grafen Meinhard IV. von Görz und Tirol ver-
mählte, ward Konradin als überzähjiges Stiefkind hinausgeschickt auf
seine weifischen Stanomgüter. Hier trieb er sich zu Ravensburg, Buchom
und in anderen kleinen Städten am Bodensee um. Er war in der
Nähe seines wahrhaft väterlichen Vormundes, des Bischof Eberhart
von Constanz, von dem er vielleicht sein schönes Latein erlernte.
Auch lebte er am Hofe seiner treuen Kämmerer zu Arbon, der Brüder
Markward und Volkraar von Kemenaten, welch letzterer der Poesie und'
den Poeten hold war, wenigstens loben ihn Kelin und Meister Ru-
melant von Schwaben und Rudolf von Montfort rühmt ihn gar
als meisterlichen 'Dichter. Hier lebte Konradin in Freuden und Fröh-
lichkeit, der Jagd und ritterlichen Künsten ergeben. So ist er in den
Manessen abgemalt: Der fast mädchenhafte Jüngling mit schwarzen
Augen und Brauen, kurzen blonden Locken, auf denen der goldene
Kronenreif mit den drei Lilien sitzt, im einfachen langen grünen Röck-
lein mit goldenem Halssaum und steinblitzendem Gürtel reitet auf einem
den grünen Hügel hinangaloppirenden apfelgrauen Jagdrosse. Sattel,
Steigbügel, Gebiss und Zaumschmuck sind golden, die Zügel roth und
schwarz. Fürbüge und Decke sind roth ^ seine Schuhe schwarz. An den>
Händen trägt er grosse weisse Fäustlinge, er hat so eben einen weissen
Falken nach einem Vögelein in die Luft geworfen. Nebenan springen
bellende Bräckelein. ') Ihm zunächst jagt ein anderes Herrlein einher,
einen weissen Perlenkranz' in den fliegenden Flachsen, rothgekleidet,
> den scharfen Falken auf der Faust: vielleicht Friedrich von Oester-
reich, sein treuer Freund und Schicksalsgenosse in Lust und Leid.
Von ihm haben sich zwei minnigliche Lieder erhalten , acht im
Style der Zeit; wenn auch vielleicht nicht gerade ganz aus seinem
Munde, so sind sie doch so, dass man es gerne glauben möchte.
Sie klagen zart und innig, dass die Geliebte ihn seines Kindes-
unten folgen. Dagegen hat Söftl (Ludwig der Slreni^e. 1857. S. 95 (T.) lo
beweisen gesucht, dass die eiofache Thatsache, der Herzog habe seine Ge-
muhlin eulhaiiplen lassen, durch die Sage in den folgenden Jahrhunderleo
erst zu einer Gräiiellhat ausgemalt wurde; er findet es wahrscheinlich (S. 101),
dass Herzog Ludwig ^ar nirht dabei anwesend gewesen, sondern vom Lager
bei Augsburg aus den Befehl zur Hinricbinng übereilt gegeben habe. Jeden-
falls ist Meister Stolle sehr genau von dem Vorgantre unterrichtet, er
spricht wie ein Augenzeuge und nennt die ungetreuen Kälhe Ludwigs, 6it
ihn dazu verleitet.
*) Als WHppen ist ihm das silberne Kreuz des Königreiches Jerusalem beige-
mHlt, das ihm durch seine Grossmnller Jolanthe gebührt; doch bat der
Maler keinen Helm mit Ziniier darübergesetzt, weil Konradin noch nicbl
Scbwertleile empfangen hatte.
537
alters entgelten lasse, nnd dass er selbst noch nicht wisse, was Minne
sei. Man war begierig, wer die Besungene sein möchte und erfand
sogar, dass Konradin bereits 1266 vermühlt worden sei,') doch ist
von einer Wittwe Konradins nichts bekannt, noch mehr, die angebliche
Brigitta, die ihm zuerkannt wurde, das Töchterlein des Markgrafen
Dietrich von Meissen, war noch gar nicht auf der Welt, da ihr nach-
maliger Vater der Markgraf Dietrich erst in dem Jahre heirathete, wo
Konradin fiel. Sind übrigens die beiden Lieder von Konradin, so mag
man billig staunen, wie wacker sich das gute Kind schon in den da-
maligen Ton hineingearbeitet hatte. Er brennt vor Noth und verzagt
vor Leide über ihren rothenMund, der ihn ganz der Sinne beraubt;
sie, der er vor allen Frauen gedienet hat, will ihn verderben lassen!
„Würde sie meine Treue fassen, so wäre mein Trauern klein" — aber
seine Freude ist todt, da ihn nicht Weibes Güte tröstet. Das andere
lautet im ähnlichen Styl (nach Simrock):
]. Ich freue mich der Blumen roth.
Die nun der Mai uns bringen will.
Die stunden eh* in grosser Noth,
Ihnen schuf der Winter Kummers vi61.
Entschädigen mag der Mai uns wohl
Mit manchem wonniglichen Tage:
D*rum ist die Welt nun freudenvoll.
.2. Was hülfe mir die Sommerzeit
Und diese lichten langen Tage?
Nur eine Frau mir Trost verleiht.
Von der ich grossen Kummer trage:
Sie will mir geben hohen Mnth,
Sie thäte tugendlich daran,
Wenn meine Freude würde gut.
3. Wenn ich mich von der Lieben scheide.
So ist's um all mein Glück gethan,
0 weh, so sterb' ich fast vor Leide,
Dass ich es je mit ihr begann.
Ich weiss nicht, Frau, was Freuden sind:
'Mich lässt die Liebe sehr entgelten
Dass ich an Jahren bin ein Kind.
') Die in Längs Regesien HI. 273 desshalb verzeiihnele Urkunde bedarf wohl
einer Prüfung.
538
Während indess Eonradin so seines jangherrlichen Lebern p8ag,
sang das Volk Spottreime, beissende Lieder und Schnatterhaogen aof
die Sorglosigkeit und Gutmüthigkeit des jungen Königs,') der von seinen
Verwandten wacker benutzt und ausgezogen wurde.
Wir treffen ihn häufig in rechtsmässigen Handlungen; er verleiht
Privilegien und Rechte, zu denen er keine Gewalt hatte, verkauft
und verpfändet Besitzungen, die mitunter längst nicht mehr sein eigen
waren, von seinen lauernden Verwandten verleitet, die dann ihr Recht
schon durchzuschlagen hoffen. Am 14. April 1263 bestätigte Konradin
im Kloster Steingaden auf Bitte des Abtes Borthold alle vom Her-
zoge Weif und seinen übrigen Ahnen ertheilten Privilegien. Unter den
Zeugen war auch ein Bruder des früher genannten Hiltpolt von Schwan-
gau, Namens Kontad. Derselbe stand dem jungen Könige in Treuen
zur Seite. Er jbegleitete den eilQährigen Konradin nach ^^m Kloster
Wiltau, wo der junge Fürst den 16, April desselben 'Jahres vor den
Grafen von Tyrol, Eschenlohe, Rotteneck und anderen Edlen, im Falle
seines Ablebens ohne rechtmässige Erben, seinem lieben Oheim und
Erzieher, dem Herzoge Ludwig von Bayern alle seine Besitzungen, die
ihm noch erbrechtlich und eigenthümlich zugehörten, mit allen Lenten,
Rechten, Ehren und Würden- zum rechtmässigen Eigenthum vermachte.
Von hier aus begab sich Konradin nach dem Kloster Raitenbnch
und genehmigte am 20. April 1263 nicht nur den Verkauf einer Mahle
in Schongau (welche Volkmar von Kemenaten und Schwigger von Mindel-
berg von ihm zu Lehen getragen, aber schon 1256 sammt allem Zuge-
hörigen um 45 Pfund Augsburger Münze an das genannte Kloster sb-
getreten hatten), sondern nahm auch am Tage darauf das Kloster selbst
in seinen besonderen Schutz und bestätigte ihm alle Rechte und Frei-
heiten. Beiden Verhandlungen wohnte Konrad von Sqhwangau als Zeuge
bei. Am nächstfolgenden Tage (22. April) kam Konradin selbst auf
') Der sogenannte Bruder Wernher, ein armer fahrender Mann, surJile sieb
dagegen durch ein ungeheucheltes Lob seiner Milde su einpfehlen:
Ich bin wohl Ober des edlen Königs Milde froh,
darin er lelit und dabei öbl so lugendlicbe Güle,
daxon sein Lob von Schulden sieigl und hohe sieht.
Des edlen Käsers Kind will ich euch zeigen so:
und slönde ein ganzer Wald von Tugenden in milder BIntbe,
der könnle nimmer vollausiraffen die Tugend, die er begehrt;
er ist ein laut ertragender Baum,
der Obst mit Willen reret (ausstreut);
ihr aller Milde ist j^egen die seine gar ein Traum,
sein* Hand viel Mamhem sein Gülle (Linkommen) mehret.
Blich jammert nur, dass ich allein dies nie von ihm genoss;
es liegt an seiner i>1ilde nii-hl; mein Unglück das ist leider alteo gross.
539
die Schwanenburg, wo er dem Hugo von Montalban die ihm von seinem
Vater K. Konrad IV. verliehenen Güter um Schamitz bestätigte.
Darauf ging er an den Bodensee und zu seinen treuen Kämmerern
nach Arbon, wo er in sorgloser Unbefangenheit seine Tage verbrachte
und den Bürgern den Blutbann schenkte, was er auch am Tage aller
Heiligen 1266 zu Schongau rechtskräftig vestete. An den jungen König
aber erging die Mahnstrophe des Marners, seine Erbreiche wieder
einzunehmen, der Krone seiner Vorfahren sich würdig zu halten und die
Macht im deutschen Reiche zu mehren. ^Gott hat ihm den Leib (Leben,
Gesundheit, Kraft und Wohlgestalt) und schon in der Kindheit so. viel
Beil (Schönheit und Geist) verliehen, dessen er sich nicht tiberheben
soll. Ehret die Ritter, minnet die Frauen und vergesst uns arme fah-
rende Leute nicht (!). Euch vorgesteckt ist ein hohes Ziel, seht Euch
vor und um und spielt es aul^ der Ehre Spiel, gedenkt an Euere Alt-
vorderen, deren so Mancher die Krone trug bis ihn der Tod vom Leben
schied. Wer Euch dient, dem sollt Ihr n^it Gnaden bereit sein. Euch
sei der Wittwen und der Waisen Kummer leid, habt die Deutschen
werth; in Eurem Herzen minnet Gott, so thut er für Euch, was Ihr
begehrt; verdient Akkers (Akkon) und Sicilien, Schwaben habt Ihr
ohnedies schon, dazu das Egerland (das Friedrich 1. erheirathete) und
Nürnberg: ') WilFs Gott, so kommt auch die Krone von Rom auf
Euer Haupt!«'
Noch einmal kam der junge König auf das schöne Schwanen-
schloss: Hier war es, dass Konradin im Monate August des Jahres
1267 Abschied nahm von seiner Mutter, ehe er in die wälschen Lande
und sein frühes Grab zog. Eine zahlreiche Versammlung hoher Gaste
hatte sich zu Schwangau eingefunden: Konradins Stiefvater, der Graf
Mainhard von Görz und Tirol, sein lieber Ohm der Herzog Ludwig von
Bayern, die Grafen Berthold und Heinrich von Eschenlohe, viele Ritter
und Edle waren zugegen, bereit, ihm auf dem Zuge nach Italien zu
folgen und sein heiliges Anrecht auf Neapel und Siciliei> mit den Waffen
geltend zu machen. Es muss ein Scheiden gewesen sein, schver und
traurig, wie das des jungen Giselher zu Bechlaren; ahnungsvoll sieht
die Mutter das Unheil voraus, am Tage des Scheidens von ihrem Sohne
sucht sie ihr banges Vorgefühl durch eine fromme Handlung zu er-
leichtern , om die himmlischen Mächte zu gewinnen oder zu versöhnen,
indem sie dem Nonnenkloster in Volldepp — Zollfreiheit gewährte. ')
') Das schon 1112 Reichsstadt war, auch 1173 die Reirbskleinode Mwahrle
und besonders von den Slaufer-Königen häufig bewohnt ward.
*) Datum in casiro Swanegowe, exeunle Auguslo. d. h. 21. August 1267.
540
Meister Sigeher aber, der wahrscheinlich wie d^r Marner die milde
Hand gehörig gefehlt hatte, sang: Ein Staufer soll heuer noch höher
steigen als vorig Jahr und mit dem Schwerte um Ehre streiten, wie
Alexander! *) — r
Ueber Bregenz war Konradin mit seinen Begleitern und einem zahl-
reichen Heere nach Italien gegangen und am 20. Okt. 1267 in Verona
angelangt. Herzog Ludwig forderte von seinem lieben Neffen neue Ent-
schädigung für den auf diesem Zuge bestrittenen Aufwand und Kon-
radin, der ihm schon zu Eschenlohe am 16. April 1263 und darauf
noch einmal am 24. Oktober 1266 zu Augsburg alle seine Erb- und
Lehengüter sowohl in Deutschland als in Italien geschenkt hatte, wusste
sich in seiner Verlassenheit nicht anders zu helfen, als demselben tun
3000 Mark Silbers (kölnischen Gewichts) Dinge zu verpfänden, über
die er eigentlich keine Gewalt hatte: die Augsburger Stadt- Vogtei, das
Schlösslein Schwabeck nebst der Strassenvogtei über die Leute und
Güter der Stadt und Diözese Augsburg, die Vogtei über die St. Manger-
Klosterleute und Güter zu Füssen, endlich einen Berghof (curia supra
montem) in der Gegend von Hohenschwangau mit den nahen Dörfern
und allen Gerechtigkeiten. ') Unter dem Vorwand, dass. der gedrohte
Bann des Pab^es weiter mitzureisen nicht gestatten wolle , wurde
hierauf Konradin von seinem Ohm, der zurück nach Bayern ging, dem
lieben Gott und seinem Schicksal befohlen — wobei auch noch einige
Hoffnung der übriggebliebenen Erbschaft war. Nicht allein die besungene
unminnigliche Frau, sondern Alle Hessen es ihm reichlich entgelten,
dass er an Jahren noch ein Kind! —
Sein freudiger Empfang zu Rom unter Gesang und Tanz, sein
glänzender Siegeszug auf das Kapitol sind eine um so leuchtendere Er-
scheinung, als der grauenvolle Fall unmittelbar darauf folgte und die
Verkündigung des Pabstes erfüllt ward, dass der Jüngling wie ein
Lamm zur Schiachtbank gehe. An der Richtstätte zu Neapel wurde
später eine Porphyrsäule aufgerichtet und ein Kapital aus dem Marmor
gemeisselt, welcher am 29. Oktober 1268 als Block gedient hatte. Man
baute über die Stätte eine Kapelle und die Rede ging, die Wände seien
beständig feucht geblieben, zum Zeichen des unschuldigen, um Rache
schreienden Blutes. In der Neuzeit ward die Kapelle — in ein Kaflee-
haus umgewandelt, die Säule und das Kapital in eine andere Kirche
verschleppt ; auf letzterem ist ein Lorbeerkranz eingegraben, die Jahr-
') Hftgen II. 261. (VII. 5.)
• ') Miiffal ßeschreiliiing und Geschichte von Hohenscbwatigaii. 1837. S. 4t IT.
fiiHer voü lang Jahrb. 1816. 2>. 189.
541
zahl 1268, ein unerkennbar gewordener Wappenschild und etwas, das
wie ein Handschuh aussieht.') Sollte das eine Erinnerung sein an den
Handschuh, welchen Konradin vor seiner Hinrichtung dem blutgierigen
Anjou, welcher sie mit ansah, zur ewi(?en Fehde hinwarf und wodurch
er den Schwiegersohn seines Oheims C^önig Manfred), den Peter von
Arragonien zu seinem Nachfolger ernannte? Heinrich Truchsess von
Waldburg überbrachte das Kleinod und Peter zog ihn an und ge-
brauchte ihn so gut, dass er Sicilien und sein Enkel Alphons auch
Neapel gewann; von diesem könnte dann Konradins Denkmal stammen.
Von Konradins letztem Ende gingen aber damals in Italien und bald
in Deutschland die schönsten Sagen: Wie der junge König mit seinem
Freunde Friedrich am Schachspiele sitzend, das Todesurtheil ruhig ver-
nommen, aber den Kanzler Robert von Bari heftig gescholten, weil ein
König nicht von seinesgleichen gerichtet werden könne ; wie Graf Robert
von Flandern den Kanzler, nach Verlesung des Urtheils, unter den
Augen des Anjou niedergestochen; wie Konrads Mutter die Hinrichtung
mit ansehen musste') und vergeblich ein schweres Lösegeld für die
Leiche des Sohnes bot, die unbeerdigt liegen bleiben musste, bis die
guten Karmeliten endlich heimlieh' selbe begruben; wie Friedrichs Haupt
vom Rumpfe fliegend , noch Ave Maria rief und Konradin es aufhob
und kösste; und wie der Scharfrichter endlich selber von einem andern
«
Bfittel umgebracht wurde, damit er sich nicht rühmen könnte, so viel
edles BluC vergossen zu haben. ') Auch sei ein Adler, vom Himmel
herabgeschossen, habe seine Fittiche durch das Blut gezogen und sich
damit wieder in die Lüfte geschwungen, Blutrache drohend.
Tief und unheilbar schnitt in alle Gemüther der Fall des letzten
Staufers. Welsche Sänger sogar, wie der edle venetianische Troubadour
Bartheiemi Zorgi, hielten ihren Groll nicht zurück, ebenso klagten
die Proven^alen Paulet von Marseille und Aicarts del Fossat,
*) Konradins Grabstein mit lafeinisrher Inschrift M-ird in der Kirche del Car-
mine gezeigt : im KreiiKgan^^e steht an einem Pfeiler die steinerne Bildsäule
einer Frau, die eiiien Beutel in der Hand halt. Diese' Frau soll Konradins
Mutter sein, die nach Neapel kam, ihn loszukaufen, aher ver^ehlich, worauf
sie das Lösegeld den Knrmelitern v eihte. Die (lesihichle weiss hievon je-
doch nirhts. — In dankbarer lirinneniojf pn die Verdienste der Slaufer um
die Witteisbarher, liess der König ftlaximilian II. (noih als Kronprinz) dem
unirlück liehen Konradin ein schönes Denkmal in Neapel erriihlen, welches
in Marmor den Ueldenjüngling nach Thorwaldsen*s Modell darstellt Sölll
S. 47.
>) Das ist jedoch unrichtige da Elisabeth die Schrerkerishots« haft auf der Hoch-
buet (Trausnitz) zu Landshnl erhielt. Sie gründete zur Lrinnerung an ihren
armen Sohn 1272 das Cisterzienser-Stifl Slams in Tirol und wurde daselbst
1273 begraben.
•) Vgl. V. d Hageo Briefe in die Ueimalb. 1819. UI. 265 ff. u. MS. V. 99.
ft42
und anter den Deutschen der Meissner, der sogenannte Schulmei-
ster von Esslingen *) und der wackere Reimchronist Ottokar,
das Volk klagte und sang noch lange davon, auch die bayerischen
Herzoge hatten ein recht aufrichtiges Bedauern und Herzog Heinrich
von Niederbayem erklärte den Kardinälen bei der Thronbesteigung des
Pabstes Gregor XI. (1271): Der Tod de& Herrn Vetter Konradin thne
ihm zwar noch wehe, aber er habe sich selbst in*s Unglück gestürzt,
nachdem er wider den Willen des heiligen Vaters, wider den wohlge-
meinten Rath des Oheims Ludwig, unreif an Jahren, schwach an Kräf-
ten, ohne Hilfe verbündeter Freunde, frevelnd sich der Gefahr aufge-
opfert! —
Berthold von Hohenburg und Konradin sind die Vertreter der
Nachblüthe der höfischen Poesie, ihnen schliesst sich noch Herr Kuon-
rat von Birkenbach bei Abensberg oder Forchheim gelegen ao.
Sprache und Inhalt sind wie aus den besten Tagen des Minnesangs,
doch erscheint Konrad erst 1260 in Urkunden.')
Was sonst noch von minnesängerischen tarnen hier erwähnt werden
kann, ist wenig bedeutend. Ein fahrender Singer vielleicht noch, der
Meister Alexander, oder der wilde Alexander genannt,') d.lL
der wundersame, von seinen bilderreichen, räthselhafi^n Gedichten. Er
stammte vermuthlich aus der Umgegend von Burgau, zwischen Ulm und
Augsburg. Er vergleicht Burgau mit ^Galois,'' wohin Herr Gawan den
Weg nicht wiederfinden konnte: ebenso habe er zu Burgau vergeblich
hineinzukommen versucht, man versagte ihm Gruss und Antwort nnd
die Leute, die schweigend heraussahen, hatten ihren Herrn so versperrt,
als ob es der König Ermenrich und er (der Dichter) der zornige Ecke-
hart wäre. ^) Es ist also eipe Anspielung auf Wimts „Wigalois'^ und
') Der alle Meisner mahnt den Pabst „das Oberhaupt der Well,'' an seinco
Eid dem römischen Reiche zu heICen, und die denlsrhen Forstes
an eine Kaiser>v8hl um nicht fürder durch Habgier ..die deutsche ZllO)r^
der alle Weil dienen sollte/ im ihrem Rechte zu kranken; auch nicbl ibr
Erbe in fremde Lande zu gehen , sondern an den erbarmungslosen Tod des
jungen Konrad Zu denken, vor dem noch allen deutschen Fürsten schaudert
— Der Schulmeister von Esselingen singt in seinen Spotlliedero tof
König Rudolf von Habsburg: ,.Der Scharle (Karl von Anjou) habe ■■
beide Sicilien drei Spiele auf den Tod angeslellt: das erste Jaut* genaool,
hat der Prinz (Machlfrid , Manfred, Konradins Oheim) mit Land und Lebet
verloren; das zvceile ^^von Haupt oweht'^ ffenanfit, hat König Konradii
verloren; zu dem drillen „hacke nach!'^ hat Köni^ Rudolf keine Lost, wefl
ihm der Scharle darin zu slark isl.^ - Dagegen ervt artete Meister Conrad
von Wirzburg immer noch von König Rudolf diese Heerfahrt
>) Hagen HL 408. IV. 760.
') Hagen IV. 665.
^) Her Gdwtn stte, noch strfize vant,
do er ze GAlois in daz lant
54S
Beldenboch. Das als so Dngastlich geschilderte Burgau war der
alter Markgrafen, nach deren Abgang 1075 die Grafen von Biber-
Schelklingen and Rockenstein es besassen, bis K. Rudolf es 1282
Schwaben seinem Sohne verlieh.
»
Eines seiner Räthselgedicbte enthält mancherlei geschichtlSöhe Zöge,
1 Deutung jedoch sehr schwierig ist: Ein Hirte band einen tollen
1 los, so dass viele Schafe geschoren und gebissen auf dörrer Heide
q; ein Licht erlosch hierauf zu Mainz und ein Adler flog traurig
;k, doch tröstete ihn, dass in Apulien eine listige Schlange starb;
Khein erwarb der Elbe Minne durch eine Taube zu Braunschweig;
^olf in Schwaben freute sich der Missethat, dass in Bayern ein
ges Maulthier auf unrechtem Pfade geht. ') Mit dem vom Hirten
ilassenen tollen Hund ist vielleicht der Böhme Albert (vormals
herr zu Passau) gemeint , welchen Gregor IX. mit dem grossen
benbann gegen Friedrich II. nach Deutschland sandte (1239 — 40),
)r, besonders von Bayern aus, seine Bannbullen losliess, gegen
te, Forsten und Bischöfe den Fluch aussprach, welche das InteN
gegen 'den Kaiser nicht vollstreckten. Sehr öberraschend sind die
ipruche der dadurch Betroffenen, welche mit dem vom ^wilden
ändert gebrauchten Bildern wörtlich zusammentreffen : Bischof Kon-
von Freising sagte: ^der Pabst mag seine italienischen Schafe
sren, uns (deutsche Bischöfe) aber hat Gott eingesetzt, dass wir
Wachthunde die Wölfe in Schafskleidern von unseren Schafen ab-
(n.^ Der Erzbischof Eberhard von Salzburg schrieb an den stark-
ligen Herzog Otto von Bayern ^er möge den grössteu Schuft, der
hin wider rtlen wolde:
so mac ßiirtfoii GAlois wol s!n,
dd kund* idi nie gekomen tn;
doch versiu'hl" iz, als iih solde.
mi^ warl da ffriioz und rede verzigen,
sie sl^lien h'nOz iinde swfgen,
und helen ir herren so verspart
und telen alle dem geluh
als es waere kOnic Ermenrfch,
unde ich der zornfc Eikehart.
') Ein Hirle entband seinen tollen Hund;
davon gehl hesdior'n und unffesund
manth Schaf out* dürrer Weide.
Ein Licht erlosch ze Muinze sider;
da flog ein Aar mit Leide nieder,
doch kam ihm Trost nach Leide.
Zu Fülle eine listige Schlange erstarb;
der Elbe Minne der Rhein erwarb,
das ffigle eine Taube zu RraunscbM^eig.
Sii'h freute der Wolf der Missethat
in Schwaben, dass in Bayern gabt
ein stetig Maulthier unrechten Steig.
544
auf zwei Beinen einhergehe, den verpesteten Schurken Albert, aas
Bayern verjagen und keine Schlange in seinem Busen nähren.^ Der
Kaiser endlich schrieb aus Italien an die deutschen Fürsten : ^Ich will
der Heerde ihren Hirten , dem Volke seinen Bischof, der Welt ihren
geistlichen Vater wiedergeben; ich will dem wölfischen Tyrannen seine
Heuchlermaske vom Antlitze reissen.'^ — Auf diese Verhältnisse scheint
auch der Schluss des Gedichtes zu deuten, dass der Wolf in Schwaben
sich der Missethat freute; denn Albert ging 1242 durch Franken
und Schwaben nach Lyon, wo Innocenz IV, den Kaiser absetzte. *) —
Das stätige Maultfaier in Bayern auf unrechtem Wege wäre dann
unser Herzog Otto, welcher anfangs dem päbstlichen Nuntius nach-
gab. Da« zu Mainz erloschene Licht, das den Aar, unter welchem
man den kaiserlichen Adler verstehen müsste, betrübte, soll nach
Hagen*s Interpretation, der Erzbischof Sigfrid U. sein, der erst gegen
den Kaiser war, dann auf dem Reichstag zu Eger (1240) mit KOnig
Wenzel von Böhmen und den sächsischen Fürsten txi ihm übertrat
und 1249 starb. Die listige Schlange in Apulien wird auf Gregor X.
gedeutet; das letzte Gleichniss aber, von der Minne, Welch*e zwischen
dem Rhein und der Elbe durch eine Taube zu Braunschweig ge-
stiftet worden, kann nur Irmengärd sein, welche mit dem Mark-
grafen Hermann IV. von Baden vermählt wurde und von mütterlicher
Seite mit Herzog Otto verwandt war.
Die meisten seiner Sprüche sind voll verblümter und wohlbemän-
telter Anspielungen; dass es ihm zu Burgau noch schlechter ging als
Herrn Walther zu Tegernsee, erklärt sich ganz leicht aus deai dama-
ligen Partheigetriebe. Wo er von der Minne spricht, herrscht eine die
Neige des höfischen Gesanges scharfbezeichuende Roccocco- Anschauung:
Ihr* Wappen ist ein nacktes, blindes und gekröntes Kind in rothem
Felde , das in einer Hand einen goldenen Pfeil , in der anderen einen
Brand und zwei Schwingen zum schnellen Flug ausbreitet: Wen die
Minne bekriegt, den bestürmt Amor, der Könige König, mit kindischer
Tücke; blind, wüthend und nackt spielt er, im blutrotlien Felde der
*) Albert soll 1247 oder 1252 von den Passauer Bürgern lebendig gesrhoDdei
worden sein, doch ist diis nur eine Sage, die aus dem Pasft'ier Wappen
entstand. Dieses stammt aus dem Jahre 1189, wo Bisrhof Wolfher mit Bar-
barossa nach Palästina zog; da seine Krieger so tapfer geic^n die Saraseaen
fochten, liess er auf seine Fahne einen hlutrothen Wolf malen. Später
als man die Wappensage nicht mehr verstand, bezoff man dieses auf dea
angeblich geschundenen Albert von Böhmen. Vgl. Schreiber Ollo der Er-
lauchte. im\, 8. 246 u. 292 und Leo Vorlesungen. IH. 561. Albert stamiate
übrigens aus einem allen, mit den Grafen von Wasserburg und den Edlea
von Parsberg verwandten Adelsgeschlechte in Bayern; er verlebte einen Tbeä
seines Lebens in Böhmen und war der czechischen Sprache kundig, wc~~
halb er auch den Namen Albert der Böhme erhielt.
545
Wunden und des Todes, sein Feldgeschrei ist Ach und Weh. Die Minne
gibt kurze Freuden und lange Leiden; der Dichter bittet sie, ihn zu
tödten, sie aber beruft sich auf ihr urkundliches Recht, ihren Brief.
Merkwürdig ist, bei diesen Dichtem auch ein theoretisches Be-
wusstsein ihrer Kunst zu finden. Wolfram von Eschenbach spricht sich
sehr bestimmt aus, dass er seine Kunst nicht gelernt, nicht aus den
Büchern habe, sondern dass sie eine Qabe sei und das Gefühl und sein
gerader Sinn seine Lehrmeister. Ebenso hat der „wilde Alexander^ eine
bedeutsame Ahnung von der Heiligkeit und Würde der Dichtkunst: wie
Dichten, Singen, Saitenspiel und Tanz durch der Welt Be-
triebsamkeit und sündhafte Schuld vom Königshause herabgekommen sei
in schnödere Hände, dass armes Volk sich der Kunst angenommen und
djafür von den Herren fahrende Habe erhielt ; wer nun die Kunst diesen
Singem wieder entwinden will, der soll Saitenspiel üben, neue Lieder
singen und an Hochzeiten (festen) springeti wie König David vor der
Bundeslade (d. h. mit dem Saitenspiel vortanzen); so erheben sich die
Künste wieder: „dünkt euch das aber ein schämlich Leben und könnt
ihr es nicht, so sollt ihr denen geben, .die sich der Kunst haben ange-
nommen.'^ — Dieser Gang der Kunst, welche so zunächst auf den hei-
ligen und königlichen Harfner und Tänzer David zurückgeführt wird,
gilt hier zunächst auch für die heimischen, mit Kaiser, Königen und
Fürsten anhebenden Singer. — Wenn hierauf Fuchs und Dachs um
Einfalt, Rind und Esel um höfische Sitte, Hund und Schwein um Rein-
heit wetteifern, so stellen diese Bestien das unreine, ungesittete Volk
dar, welches „tugendlos um unverdientes Lob streitet; wenn Einer ein
Kunstlein kann, so will er alsbald ein Hofmann sein.'^ Solch
schnödes Hofgesindel, welches unverschämt und gierig zudringt, wird
bald ausführlicher beleuchtet werden; hatte ja schon Walther darüber
zu klagen.
Von den Minnesingern und Dichtem , welche an der Grenze der
höfischen Lyrik stehen, sind nur noch wenige spätere Namen, aus der
Zeit der Nachblüthe uifd des Verglimmens aufzuzählen. Ob der üren-
heimer') zu der im XH. und XIII. Jahrh. vorkommenden gleich-
namigen Familie am Inn gehört habe, ist unbestimmbar; er lobt den
Grafen Otto von Anhalt und nennt sonst keinen von den unseren Herren.
Graf Albrecht von Haiger loh aus Schwaben ist nur vorübergehend
zu erwähnen, insofeme er dem Herzog Otto von Baiem viele verdriess-
liche Händel bereitet hatte und inletzt von dem Heere des Herzog Otto
auf seiner Burg zu Linstetten erschlagen ward (1295).*) —
>) Hagen IV. 712. ») Ebendts. IV. 86 ff.
35
• 646
In weiter ^erne folgen zwei andere adelige Sänger nach: Hugo Vlll.
von Montfort') und Oswald von Wolkenstein. Der erstere
hatte Güter am Bregenz und einige im Allgäu, die er jedoch bald
abtrat, so dass wir ihn nicht zu den bayerischen Dichtem zählen
können, der andere, Oswald von Wolkenstein') in Tirol, kam
nur flüchtig nach Baiem. Er hatte fast die ganze damals bekannte
Welt ^ erfahren,'^ d. h. durchreist und war in seinem höchst abenteuer-
lichen Leben durch alle möglichen Schicksale gekugelt. Herzensangele-
legenbeiten brachten ihn zuerst nm die Zeit des Constanzer-Concils
nach Baiern; die schöne Margaretha von Schwangau hatte die Minne
dieses neuen Odysseus gewonnen, glühende Lieder entquollen ihretwegen
seiner Seele; vielleicht hat ausser Rücke rt kein deutscher Dichter das
Thema der reinen Liebe so unendlich durchgespielt, als Oswald, freilich
sinnlicher nach dem Geiste seiner Zeit, aber gewiss mit ebenso grossem
tautologischem Eifer. Später, im Jahre 1423, wurde Oswald von den
tirolischen Bündnern nach Baiern und Deutschland geschickt, um die
Reichsfürsten gegen den Herzog Friedrich von Tirol einzunehmen. Nach-
dem er zuerst bis in den hintersten Theil des Grädner-Thalcs vor
Herzog Friedrich hatte flüchten müssen, zog er heimlich, nur von einem
berittenen Knechte begleitet, zuvörderst nach Salzburg, fröhlich wie
der Vogel, der seinem Käfig entronnen, mit der Hoffnungsleichtigkdt
eines dichterischen Gemüthes. Kaum hatte der Erzbischof s^ine Ankunft
erfahren, als er ihn sogleich in seinen Pallast einladen. Hess. Es erregt
Staunen, wie der bald 60 jährige Mann, der auf Krücken gehen musste
und durch Leiden aller Art verwittert war, mit dem fröhlichsten Muthe
in die Kreise des vielbewegten Lebens trat. Gesang und Saitenspiel
^aren überall hin seine Begleiter und zugleich das natürlichste Mittel,
seinen eigentlichen Reisezweck zu verbergen. ' Die kostspieligen Tafeb
des Erzbischofes und die Ehren, welche ihm allenthalben zu Theil wor-
den, behalten ihm weniger, als 4as heimliche Eiuverständniss der Salz-
burgs Regierung mit den Plänen des «Kaisers. Unter sicherem Geleite
1) Geh. 1357; dichlete von l.)96 an. f 4. April 1423 zu Pfannberg. Yergl
Weinliold in den Millheilungen des hislor. Vereins für Steiermark. 1857.
VII. 127—80. Sein Scliloss im Allgäu ist ganz zerfallen und verschwondea.
Vgl. Schrank bayer. Keise. 1786. S. 166
*) Geb. 1367 f 2. August 1415. Seine Minnelieder wurden in neuerer Zeil,
schon 1801 von Röllig in Wien, neu nach den allen Melodien ireselxt
Vgl. Graiers Iduna 1812. S. 188; sein Portrait in Hormair*s Tascfaeob. 1S24
und in Lewaids Tirol. 1831. S. 160. Vgl. Beda Weber: Tirol uod die
Reformation. 1841. S. 413 fT. Eine Ausgabe seiner jGedichle besori^la B.
Weber 1847. Vgl dazu dessen: Oswald von Wolkenslein und Friedet bM
der leeren Tasche. 1850 Zingerle: Tirols Aniheil an der poetischen Natio-
nal-Lileratur ini MillelMlter. 1851. S. 11. Kine kurze Uebersicht seines merk-
würdigen Lebens in meiner Ut. Gesch. 18&3. h 142—48.
547
verKess er Salzburg and brach nach München aof. Bier hatte er eine
Zusammenkunft mit Wilhelm von Starkenberg, der mittlerweile aus
seiner Haft zu Greifenstein entwischt war. Die bayerischen Herzoge,
Ernst und Wilhehn, zeigten sich gern bereit, gegen Tirol im Interesse
Sigmunds und den verfolgten Landesherren Dienste zu leisten. Ein
grosses Fest, welches die Münchner Ritterschaft den tirolischen Gästen
gab, erhöhte durch die erlesenste Frauenblüthe bei Gesang und Saiten-
spiel Oswalds Freude über das Gelingen seiner diplomatischen Wander-
ung. In Augsburg und .Ulm wurde er überall mit f^esten und
Tänzen bewillkommt; von da zog er, «überall mit gleichen Ehren em-
pfangen, nach Heidelberg and Köln und über Nürnberg zurück. Unter-
dessen hatte ihm Friedrich den Yorsprung abgewonnen, und Oswald
fiel auf der Rückkehr vom Nürnberger Reichstag (1426) in der Gegend
des Bodensees in die Hände von Friederichs Spähern, die ihn aufpackten
und gefangen legten; erst am 1. Mai 1427 kam zu Innsbruck eine
Versöhnung mit Herzog Friedel zu Stande.
Es könnte vielleicht auffallen, dass von unseren bayerischen Ferren
und Herzogen noch so wenig die Rede gewesen. Wir haben indess
sorgsam Alles gesammelt und sowohl in der Epik, als auch wo sich
Gelegenheit bot, in der Lyrik die gehörigen Stellen erwähnt. Von
Heinrich den. Löwen, durch die verschiedenen geistlichen Höfe, von den
einzelnen adeligen Geschlechtem, die z. B. unserem Wolfram iind
Walther Liebes und Gutes erwiesen, von den edlen Herren, bei denen
der Spervögel und Tanhauser gastete, bis zu der fiirstlichen Milde, die
auf ,der Hochhut bei Landshut, München und Donauwörth waltete, Hesse
sich doch eine ansehnlich^ Reihenfolge zusammenstellen. Indessen kommt
trotzdem bei den Minnesingern noch wenig Erhebliches vor. Die
Vornehmeren von ihben dichteten in eigenen Angelegenheiten oder
standen sonst in freundlichen Beziehungen zu den Höfen; das eigent-
liche Loben und Preisen jedoch kommt erst mit den sogenannten
^Fahrenden^ auf, die von der Hand zum Munde lebten und nfit»
hohlen, unf^llbaren Händen ihre Sprüche sich bezahlen Hessen.
Det erste, der von einem solchen gehrenden und fahrenden Manne
genannt wird, ist Ludwig der Kellheimer und sein Sänger der
sogenannte Bruder Wernher. Er gehört, wie man vielleicht aus
dieser Bezeichnung schliessen könnte, keinem Orden an, sondern ist ein
Laye, wie er sich selbst als solchen bekennt; er ist ein Wallbruder,
der durch das Kreuz zur grossen Biüderschaft der Wallfahrer gehörte,
eben nur als Pilger, kaum als Krieger. Als Pilger, das Bündel auf dem
Rücken, den Stab in den Händen, ist er abgemalt, gerade im Begriffe,
einem reichgekleideten Ehepaare Maere zu sagen. Voni ihm ist ein
35»
548
Klagelied auf Ludwig den Kellheimer gedichtet, der im September 1231
ermordet wurde: mit ihm, sagt er, ist dem Kaiser und dem Könige ein
Helfer erschlagen, er habe das Reich so in Ordnung gehalten, dass
alle deutschen Lande befriedet waren. Wenn Wernher hinzufügt, dass
er auch den völligen Verlust des heiligen Landes über Meer abgewen-
det habe, so bezieht sich das darauf, dass Herzog Ludwig 1221 im
Namen des Kaisers dorthin Hilfe brachte, aber den Unfall des christ-
lichen Heeres und den Verlust von Damiette konnte er doch nidit
verhindern. Unklar ist, wie Herzog Ludwig zwischen Pabst und Kaiser
Sühne gestiftet haben soll, wenigstens war er nicht unter denen, welche
den Vertrag von St. Germano 1230 zu Stande brachten. Deutlicher
ist, dass er, wie Wernher sagt, den König bei der rechten Ehe
(Gesetz, Bund) erhielt,*) insofern er den eigenmächtigen Schritten König
Heinrichs, die zur Empörung führten, kräftig entgegentrat, daher der-
selbe falschlicher Weise auch des Mordes bezüchtiget ward, dem aber
gerade dieses Gedicht widerspricht, so wie einer andern Angabe, dass
der Kaiser den Mörder gedangen habe : ') es war ein Blödsinniger, den
der Herzog beleidigt hatte.
Wernher war um so glücklicher bei dem Herzog, einem milden
Herren ^der Hülfe Schein^ erfahren zu haben, als er von bösen Leuten
oft Spottes allzuviel erduldete und oft, während er sang, hinter sich in
seine Ohren den Hohn hören musste (III, 18. Str. 10); er war aber
selbst ein Scheltender und oft recht bösmaulig giftig. Wernher war
kein Bayer, er lebte in Steyer, Oesterreich und Bayern; dass er aber
von vielen Dingen wusste, beweist z. B. das halbdunkle, bildliche Ge-
dicht (III, 12. Str. 10): Ein ehedem gebranntes Pulver, das der Teufel
aus Bayerland brachte, rieb ein Schalk (Knecht) unter salzen Brod
und streute es auf die Rinder-Trifft, dass alle davon starben, so dass
^uns^ die Ehrenpflüge stille liegen, doch haben ^wir^ noch vier
Thiere, ein Moyn, ein Irch, einen Hirsch und ein Rind, die wohl
>) Jung und alt, arm und reich, helfet mit mir klagen
des Fürsten Tod aus Bayerland; wer soll uns nun ergetzen
der grossen Treue, die man stetigliche an ihm fand?
Dem Kaiser und dem Könige ist Hülfe an ihm erschlagen;
er konnte das Reich also berichten und also besetzen,
dass er ohne allen Schaden stand über Jedem 'deutschen Land.
Das Land über Meer wäre gar verloren
ohne seine starken Rälhe.
Der Pabst und der Kaiser hatten grossen Zorn:
die Sühne machte er mit Treue slfite.
er schuf auch, dass der König blieb an seiner rechten £h :
wie er es hier verdienet hat, Gott gebe, dass es ihm dort bass ergehl
Hageo IIL 19. Str. 4 4
*) Vgl W. Schreiber Otto der Erlauchte 1861. S. 18.
. 549
ZU einem Pfluge genügten, wenn sie gleichen Strang ziehen wollten,
Irch aber ist hüftelahm.') Mit diesen Thieren ist wohl eine heraldi-
sche Anspielung gemacht, zu den beiden ersten räthselhaften Namen
erhielten wir. im Helmbrecht bereits einige weitere Analogien.
Wemher scheint auf den verderblichen Krieg (1223 — .34) zwischen
Bayern und Oesterreich anzuspielen , als Herzog Friederich der Streit-
bare, im Bunde mit K. Heinrich, das angrenzende Land des bayerischen
Herzoge Otto verheerte, worauf dieser , mit dem Könige versöhnt, des
Herzogs Land ob der £ns schrecklich verwüstete. Bruder Wemher
war auch mit dem Grafen Heinrich von Ortenburg (c. 1240)
bekannt und scheint dessgleichen sjch zu Nürnberg aufgehalten zu haben.
Ein Graf Konrad von Oettingen wird von Rudolf dem
Schreiber") beklagt; der wackere Graf habe in drei Jahren, seit er
Ritter ward und bevor er Deutschland verliess, das grösste Lob erwor-
ben. Vermuthlich ist damit der Graf Konrad von Oettingen gemeint,
>i^elcher durch Heirath die Landgrafschaft Niederelsass erwarb; ein
Sohn , oder ein Enkel von ihm , Namens Ludwig , wird auch von dem
jungen Meissener gepriesen.
Herzog Otto der Erlauchte (1231 — 1253) ist schon durch
Reibet von Durne, vom Tanhauser und Anderen als Sänger-
freund bekannt ; Meister Friedrich von Sonnenburg ist unter den
Minnesängern der bedeutendstie Herold seines Ruhmes. Seine Heimath
ist noch nicht ermittelt, viele Gründe • sprechen jedoch für Tirol; er
dichtete jedenfalls schon vor 1253 und war 1287 bereits gestorben.
Er war weit in Deutschland herumgekommen und sass wahrscheinlich
eine gute Zeit lang am bayerischen Hofe, bei mehreren Herzogen.
Herzog Otto wird überschwänglich gepriesen als Grundveste und
Schmuck der Christenheit, Leitstab der Ehre, Hand der Gerechtigkeit,
Adamas der Treue, Blüte der Tugenden und fruchtbare Balsamrebe,
wie sich an seinen edlen Kindern zeige. Seine Tochter Elisabeth
') £in Pulver weiland ward gebrannt,
das schof ein Knecht auf Rinder Tod,
und säte es auf die Weide, auf dje man die Rinder trieb;
er rieb es unter gesalzen Brot:
der Teufel bracht' es aus Baierland
und si-huf, dass da der guten Rinder wenig am Leben blieb.
Davon uns leider sind erlegen
die Ehrenpflüge, seit dass uns die Ochsen sind verstorben.
Wir han noch viere: wollten die nur gleichweis pflegen
der Zöge, so wfiren wir an Baue nicht verdorben;
ein Moyn, ein Irch, ein Hirsch, ein Rind, also die viere sind genannt ^
d'^ran hätten wir für einen Pflug genug, nur dass uns Irch an Lenden ist
verlahmt.
>) Hagen lY. 550.
560
worde an König Konrad vermählt (1246), der Sonnenburger nennt sie
die Kaiserin und Königin von Rom. Ihre Brüder, Lud^wig n. und
Heinrich I. sind ihm, wie dem Tanhauser, gleichfalls bekannt; sie
waren des Vaters tapfere Gehülfen im Kriege gegen den böhmischen
Ottokar und wurden Angesichts des Heeres, zu Oetting am Inn, tu
Rittern geschlagen (1253), kurz vor Otto 's frühem Tode. Sodann
kannte der Sonnenburger das ungarische Königskind Elisabeth, König
Bela's Tochter, welche bei Lebzeiten Herzog Otto's mit seinem jüngeren
Sohne Heinrich vermählt wurde und welche 1271 starb. Femer
kannte er die Herzogin Maria von Brabant, die Vaterschwester
Herzog Johannes von Brabant, welche im August «1254 Herzog Ludwig
des Strengen Gattin wurde und kaum zwei Jahre darauf ihr Leben
auf unschuldige Weise verlor. Der Sonnenburger nennt femer die Fürstin
selbst, die Herzogin Mutter Agnes, welche 1267 und ihre beiden
Töchter: Sophie (geb. 1236, 1259 mit dem Grafen von Hirschberg
vermählt f 1289) und Agnes, die als Nonne im Anger Kloster za
München im Rufe der Heiligkeit starb. — Von Herzog Heinrich
in Niederbayern aber rühmt er, er sei ohne Falsch und Wank, schlicht
wie ein Lineal, er sei ein Spiegel aller Tugenden gegen Gott mid'die
Welt, seine Milde ohne gleichen, er habe den guten Namen, davon
Salomon spricht, erworben; sein Lob leuchte vor anderen Fürsten, wie
der Morgenstern vor den kleinen Sternen. — Von Bayern zog der
von Sonnenburg an den von vielen deutschen Siqgeren besuchten und
besungenen Hof nach Prag, er rühmt den König voh Böheimland.
Herzog Ludwig der Strenge, der zu Mönchen Hofhielt, wurde
schon oben (S. 231) mit dem Titureldichter in Verbindung gebracht;
er ist der ^Beier prinz duc Loys et Palatinus,^ wie es in den von
Boisser^e entdeckten Heidelberger Fragmenten des jüngeren Titorel
heisst. Bei den mit seinem Bruder Heinrich im J. 1255 vorgenom-
menen Theilung hatte Ludwig Oberbayem und die Pfalz mit der
Kurwürde und dem Reichsviertel fiir sich behalten. Während des
Interregnums v. 1256 — 73 war er Reichsverweser und darauf bezieht
sich die Strophe,') worin Ludwig, der im römischen Reich nicht seines
Gleichen habe, ein hochgeadelter Aar genannt wird, der mit seinem
weiten Fittich die kleineren Vögel (Fürsten) in Schwaben, Bayern
und Franken beschirmen und dessen Banner (sin gevidere) man von
Oesterreich bis Flandern herrlich flattern (swanken) sehe. In diese
Zeit muss also auch der jüngere Titurel fallen, den ich, durch BoisserCe
*) Boisser^e S. 391. Vffl. dazu Wackernagel Lit. Gesch. S. 196 o. Pfeif-
iers Germania. VI 247
55t
und San-Marte vierf&hrt^ in meiner Abhandlang über ^Kaiser Ludwig
den Bayer und sein Stift zu Etal" (1860) leider noch jünger gemacht
hatte, worüber mich Franz Pfeiffer zu Wien an der angeführten Stelle
seiner Grennania freundlichst belehrte, wofür ich ihm liier meinen inni-
gen Dank ausspreche.
Ludwig hatte das namenlose Unglück, seine unschuldige Gattin
in einem Anfalle von blinder Eifersucht und wüthenden Zornes ent-
haupten zu lassen. In zwei gewaltigen Strophen ruft Meister Stolle
(der zw. 1250 — 75 blühte) Wehe über diese' rasche, unselige That:')
0 weh! heute und immerfort Waffen sei geschreit (gerufen)!
so wehe dem Tage, so weh der Nacht, so weh der feigen Zeit,
so weh dir, gar verschämte Frucht
aus Bayerland , wie hast du dich geschändet
an einer hochgelobeten Frauen, die weithin war erkannt (berühmt),
von Königes Künne war sie geborn, geheissen von Brabant:
Ihr' weiblich Ehre, ihr' weiblichp Zucht,
ihr' weiblich Freude, die hast^u erwendet (vernichtet).
Sie ist nun an der Märtyrer Statt,
so wie die gute heilige Katharein,
die liess sich flechten auf ein Rad,
für ihren süssen Gott litt sie viel manche schwere Pein :
So ist der edelen Herzoginne Seele vor Gott erkoren,
da sie gar ohne Schuld mit wahrem Morde hat ihr Leben verloren.
Bei allen meinen Tagen, fährt er in seifaer zürnenden Strafrede
weiter, vernahm ich noch nie so grossen Mord; wehe, dass der Bayer-
herr an Tugend und an Würdigkeit sich so bloss gemacht hat, Gott
schände die, so ihm den Rath' gegeben haben, die zweie: der von
Isolsried und der von Brockenberg haben zu dem lästerlichen
Werk gerathen, sie verdienten auf eii\(Bm Roste (Hürde) verbrannt
zu werden!
^nü muget ir hoeren jämer klagen,
sie bat ir herren kusses & irme ende^:
^sol ich nu sin von iu erslagen,
des muezet ir vil dikke winden s6re iuwer hende;
ich läze ez an der megede sun, daz ich unschuldik bin:
der tdt, den ich nü liden muoz, der wirt noch iuwers heiles ungewinn."*)
») Hagen III. Str. 16 u. 17.
*) Nun möfret ihr hören Jammer klagen:
sie bat ihren Herrn um ein Kuss vor ihrem Ende
552
Hätte der Dichter, der vielleicht ein fräheres Landeskbd der
Uliglücklichen Maria von Brabant war, die Reue des Herzogs erfahren,
der sich so zergrämte, dass er über Nacht ergraute und durch werk-
tbätige Busse , gutes Regiment und fromme Stiftungen die rasche That
zu sühnen suchte, ') er hätte sicherlich noch eine dritte, versöhnende
Strophe hinzugefügt. Auffallend ist, dass der Diqhter so genaue Kunde
hat, wie ein Augenzeuge spricht und die bösen Rathgeber des Herzogs
namentlich zu bezeichnen weiss. Der eine gehörte wahrscheinlich zu den
alten bayerischen Edlen von Brück eberg, sesshaft ;s wischen Moos-
burg und Landshut, von welchen ein Albert 1253 und Konrad 1259
in den herzoglichen Urkunden vorkommen; der andere, Isol oder
Isolsried, ist unseres Wissens noch nicht belegt.
In acht meistersängerischer Weise wird der Herzog vom Meister
R um e laut gepriesen:') Wie durch schwarze Nacht licht das Mor-
gengrau dringt und dann das Himmelblau der klaren wolkenlosen Luft
init lichter Sonne Glazt geziert wird, so ist geschönet und gezieret das
Bayerland mit einem Fürsten, der uns Gehrenden und manch an-
derem Gaste noch die Pfänder löset! er ist von allem Falsche
klar, wie die Luft, in allen Treuen erprobt, des römischen Reiches
erster Kieser an der Kür, zu Layenfursten ist er Schlüssel undThür:
^Ludewik, herzöge unt pallenz gräve genennet. ** Der hülfsbedürflige
Meister Rumelant hatte also eine gnädige Aufnahme gefunden, und war
wohl aus der Herberge erlöst und mit etlichen Pfund Pfennigen be-
schenkt worden. Das andere Gedicht enthält eine leise Anspielung auf
das grausige Ende der Maria von Brabant oder vielmehr auf die Trauer
des Herzogs darüber : Ich kann (sagt der Reimschmied mit einem
schiefen Seitenblick auf Konrad von Wirzbm-g, der sein*Lob auf K.
Rudolf in solcher Weise erhoben), ich mag des Fürsten Edelkeit nicht
im Vergleiche messen mit Thieren oder Würmern, noch mit Vögeln
oder Fischen , denn er ist eiji Mensch , ein Mann , ein Ritter und ein
Held. Es hat viel grosser Würde, ist ein gerechter Christ, von hoch-
gefursteten Ad(§l, reich und auserwählt; ichVill von Aaren, Falken und
„Soll ich nnn sein von Euch erschlagen,
so müsst Ihr oft noch schmerzvoll ringen Eure Hände;
mein Zeuge ist der Jungfrau Sohn, dass ich unschuldig bin:
der Tod, den ich nun leiden muss, der wird noch Eures Heiles Ungewinn.'^
') So entstand z. B. 1266 das Kloster zu Fürstenfeld. Vgl Söltl StifU
ungen der Willeisbacher. 1858. S. 34. — Doch genügte das ihrem Bruder
Heinrich III. von Brabant noch nicht, sogar sein £)hn und Enkel Johann I.
und 11. drangen fortwährend auf Genugthuun^ und noch Ludwigs Sohn Ra-
dolf.musste sich 1308 verpflichten, an Manens Grabe zu DoDauwörlh eine
heil. Messe und ein ewiges Licht zu stiflen und bei einem Kreozzuge nach
dem hl. Grabe oder gegen die Preussen vier Ritter mitzusenden.
*) Hagen IIL 55. Str. 13.
553
LeueD, von Leoparden und Panthern schweigen, damit will ich mein
Lob nicht verblauen (verdunkeln; oder verbleien = schwer machen),
männliches Lob geziemt ihm, dass all sein Trauern weiche (sieg^),
^ein Lob hat durch die Welt viel Strassen und Steige gebahnt, dass
ihm Frau Ehre neige; das ist seiner Tugenden Lohn.
Elisabeth, Konradins Mutter, wurde bereits öfters genannt, z.
B. vom Sonnenburger und Boppo; ihres ersten Gemahls, des
König Konrad, wird vorübergehend vom Meister Sigeher ge-
dacht.') Dieser Meister S ige her war ein auf seiner Kunst herum-
reitender bürgerlicher Singer, er war in Preussen, lobte den König
Wenzel L (Wazlab), der ohne Unterschied Franken, Thüringen und
Schwaben reichlich bezahlt' habe, er preist den König Ottokar von
Böhmen; vorübergehend erwähnt er den Staufer, unter welchem Kon-
radins Vater verstanden sein muss , den er in beliebter Weise mit
Alexander vergleicht.
Der unbekannte Dichter des Lohengrin,') dessen Abfassung
in die Zeit von 1276—1290 gesetzt ist, hat (V. 7617) ein Lob des
Bayerlandes eingeflochten, welches vielleicht eine Beziehung zu Herzog
Heinrich von Niederbayern (1253 — 90) vermuthen lässt. Deut-
licher spricht der bereits erwähnte von Sonnenburg und der fahrende
•
Boppo. Die Rede ging, Boppö sei Student gewesen, nachmals Magister
geworden, habe fast ganz Deutschland auf Sangeskunst durchzogen, er
sei auch nach Dänemark gekommen u. dgl.; er wurde sagenhaft be-
rühmt durch seine angebliche Stärke, auch yon seinem Ende muss selt-
same Maere gegangen sein. Er war ein armer, landfahrender und
gehrender Mann, er selbst sagt, dass seine Armuth unheilbar sei; nur
wenn das Unmögliche geschieht, wenn Herzog Meinhard von Kärnthen
und Tirol sein Land verliert, wenn Herzog Heinrich aus Bayerland
keine Milde mehr übt, wenn der Schwarzwald ausbrennt, Wirzburg des
Weines mangelt u. s.^ w., dann ende auch seine Ammth. ') Daraus ist
abzunehmen, dass der zweite Gemahl der Königin Elisabeth auch z\x
Boppo*s Wohlthätem und Gönneni gehörte ; sein Lob für Herzog Hein-
rich ist fein und schmeichelhaft genug.
Bei seinem Sohne, Herzog Otto von Niederbayem (t 1312) hatte
der Frauen lob zugesprochen; er rühmt, dass es ihm nie an Ritter-
schaft gebrach,^) ferner preist er einen Ludwig Grafen von Oet-
') Hagen IV. 663. 11.^361. (II. Sir. 2.)
^) Herausgegeben von Rückert. 36. B. der Bibl. d. ges. deut. Lit Leipzig 1858*
») Hagen II. 884. (Str. IV.)
4) Haffen III 126 (Str. 64) u. IV. 731 und Etlmöller: Heinrich Frauenlob.
1843. 16. B. der ges. deat. Nat.-Lit. Er starb 1317 zu Mainz.
554
«
tingen, welches nur der vierte dieses Namens, der am 1295 lebte,
sein könnte. Bedeutender ist sein schöner Sprach aaf Bruder Berhtold
von Regensburg,') den berühmtesten Prediger seiner Zeit Dieser
stammte aus einem Regensburger Rathsgeschlechte und hiess eigentlidl
Lech. Im Barfüs^^erkloster daselbst empfing er zuerst durch den
gleichfalls berühmten Mystiker Bruder David von Augsburg') die
Weihe zum höhereu Geistesleben ; er weckte in seinem Schüler den
mächtigen Drang nach äusserer Wirksamkeit Ergriffen von feuriger
Begeisterung trug Berhtold den in einsamer Zelle gewonnenen Geist
christlicher Lehre hinaus in die Welt, um dem zur Zeit der Kaiser-
und Pabstwirfen oft ganz verlassenen, nach Trost und Erbarmung
dürstenden Volke das wahre, einfache Ghristenthum zu verkünden. In
den uns erhaltenen Reden weht ein eigenthümlich poetischer Hauch.
Seit dem Jahre 1247 hatte er die Lande vieler Völker durchzogen,
überall predigend und das Wort Gottes in reiner Lauterkeit freudig
verkündend. Wir begegnen ihm zuerst im Graubündtnerland , woher
vielleicht der Irrthun) entsprang, er sei Schweizer'scher Abkunft gewe-
sen; 1250 war er zu Augsburg, ein Jahr darauf zu Regensburg. Gleich-
zeitige Chronisten melden, dass oft mehr t^h 60,000 Menschen vor
seiner Kanzel versammelt gewesen, er predigte auf Wiesen, oder von
hohen Bäumen herab, von den Linden, auf welchen nach mittelalter-
licher Sitte häufig Gerüste oder kleine Altanen zur Aussicht angebracht
waren;') ein Augenzeuge versichert, der Prediger habe immer ein Feder-
chen an einem Faden herabgelassen, dadurch den Luftzug bemessen,
und darnach seine Richtung genommen, so dass er von den grössten
Massen des vor ihm lagerdden Volkes imtner leicht verstanden werden
konnte. Im November des Jahres 1253 strömte das Landvolk ans dem
Isarthale, von der Vils und def Pfettrach und aus den Holzländen in
Landshut zusammen, um die Worte seines houigfliessenden Mundes zo
■) (Jeher Bruder Berhtold vgl. K Roiji Deutsche Predigten. 1839 S. 9 aod
Schuegraf ehendas. S. 80 84. s. Predij^ten hat Kling (1^21) modernisfri
heraiiss^egeben^ eine krilisthe Ausgabe ist von Pfeiffer vorhereilet. Berh-
told halle vier Geschwislerle ; sein Bruder l^larquard kommt 1^3 als
Biirifer zu Rei^enshur^ in einer Urkunde vor; seine Schwester Elisabetli
stand im Rufe der ^rrösslen Frömmiirkeit und wurde desshalh bei ihrem Tode
am 8. Juni 1292 neben ilirem Bruder in der Kapelle des hl. OnupHrins, ia
Miuorileuklosler zu Re«?en.shurg, begraben. •- Lin anderer Bruder b'ess
gleichfalls Berhtolt und war zu Resreusbur|( verhe'ralhel; 1259 wird sock
ein Sifrid (genannt, gleichfalls ein Bruder des Predigers.
^) Geb. zw. 1210-20. f 1*271 zu Augsburg. Er war nicht allein Biograph vmA
spekulativer M>stiker. sondern aurh in der Rechtswissenschafl sehr eifahrea,
wenigstens glaubt Pfeiffer (Haiipts Zeits hrift IX. R.) dass Bruder David
an der Vbfassunir des Si-hwabenspiegels wesentlich belheiligi war.
») Vgl. oben S. 167.
655
hören ; er wohnte bei Otto dem Erlaachten anf der Hochhat und stand
dem mit päbstlichem Banne belegten Streiter mit allen kirchlichen
Tröstungen bei, als er am 29. November 1253 aas dem Leben schied.
Brader Berhtold predigte (]lann in Böhmen , darchzog Oesterreich and
1263 Mähren and Ungarn, überall wie ein Apostel verehrt. Dem Barg-
und Bannerherren von Andechs weissagte er den Untergang seines
Schlosses; das Sterben seines Lehrers, des Brader David, sah er in
einem gleichzeitigen Gesichte während einer Predigt, hielt inne, ver-
kündete dessen Todesnoth und forderte zum Gebete ftir den Scheiden-
den auf. Bruder Berhtold starb dann am St. Luciatage 1272 zu
Regensburg. Der Grundcharakter seiner Reden') ist schlichte Einfalt;
in ruhiger Klarheit aber aus dem 'ganzen Innern, aus dem Innersten
fluthend , geht seine Rede dahin , wie ein grosser herrlicher Strom,
Alles mit sich führend, denn das Wort kommt von Einem, der aus
dem Volke geboren , zum Volke redet. . Das dankbare Volk vergass
seiner nicht, lange blieb sein Gedächtniss gefeiert und gewahrt, wie
das eines Heiligen ; endlich verblich auch dieses und selbst sein Grab
ist in Vergessenheit gekommen.
Frauenlob aber, der ihn oft gehört haben mochte, dichtete
später folgenden Spruch," der in die damaligen Zeitverhältnisse einen
tiefen Einblick gewährt und hier mit Recht folgen kann, da er zum
rühmlichen Gedächtniss eines Mannes gehört, wie das Vaterland nicht
in jedem Saeculum aufzuweisen hat.
Swaz bruoder Berhtolt je gesprach vor manegam jdr,
deist allez war;
wan je ze disen ziten
siht die weit man striten
wider daz reht ze aller stund in den landen witen.
ez sint niht künige unt vürsten mer, die vride unt suone machen.
Der herren kriec der wil diu laut verdierben gar.
nu nemet war,
wie sich die weint nu stellen,
veigen je gesellen ; ')
der tiuvel sehende ir lip, die nü anders niht enwellen.
ach herre got, daz klage ich dir, diu weit wil sere swachen.
Swie hie iif erden der,lip gevar
') Sie wurden von einem seiner Schüler fnifffesrhriehen. Der Heidelberger
Codex, welcher die Predigten Bruder Berblolds enlliält, wurde im Auftrage
der frommen Pfdzgrafin hlisabelb von BAyern 1370 geschrielien.
') d. h sich dem (ewigen) Tode Geweihten vereinigen.
556
her, vater, nim der s61e war.
diu weit ist gar
an trinwen bar
jedoch sd suln* wir sorgen dar:
vor gotes geriht dd stSnt z^wö schar,
' diu ein hftt grözes leides vil, diu ander in vrOuden lachen.
Bruoder Bcrhtolde tet & got gröz*wunder kunt,
durch sinen mnnt
sprach got von himelriche
also wirdiclichc:
„die dinc, diu vor gesehen sint, noch schehnt tegeliche;
diu weit diu nimt an triuwen abe unt treit ein valsch gemfiete.^
Er sprach: „diu swert diu werdent wider einander gAn,
man siht dfstdn,
daz niemen volget m^re
vater noch muoter löre,
die alten sint der jungen spot, swar der lande ich kSre ;
diu weit diu solt versinken gar: so nert uns gotes güete.
Meineider der ist worden vil.
nu merke, waz ich dir sagen wil:
roub noch enstil,
du niht vehil.
du sage dem pries ter üf ein zil, ')
wan ez ist niht ein kindes spil:
swer siner schult ze bihte komt, der vliuht der helle glüete.^
Man vindet bruoder niht als bruoder Berhtolt was.
nit unde haz
den tragent ouch die pfaffen;
Völlen unde laffen*)
des pfiegent sie ze aller, zit; wir sin niur ir aflfen.
sie tragent uns bösiu bilde vor, war nach suln wir uns rihten?
„Niht sehet an ir werc, ir sehet an ir wort:
diu sint der hört;
sie tuon ouch swaz sie wellen.^
vinden wirs zer hellen
daz überwinden wir nie mer; darnach suh wir stellen')
wir suln verdienen, daz wir komen ze gotes angesichte.^
*) d. h. beichte vollständig, verheimliche nichts,
') Schwelgerisch essen und mit der Zunge schlürfend trinkeii.
') Darnach trachten.
557
> »
Da hilf ans, himelkunigtn
du milder genAde ein voller schrln,
ach, bit daz dfn*
trüt kindeltn
daz ez ans tao sin helfe schfn.
in helle grande ist sdre p?n: ')
Maria, azerwelte vruht, du solt uns zu dirpflihten. —
Wir haben den ganzen Entwicklungsgang der ritterlichen Lyrik
verfolgt. £rst waren es hohe, adelige Herren , welche die süssen Töne
anschlugen und ein standesherrliches Spiel damit trugen. Dann folgten
die eigentlichen , von • Gott mit der reichsten Sangesgabe begnadig-
ten Dichter, die aber, nie absonderlich mit irdischen Schätzen be-
dacht , ruhelos auf Wanderzfigen und an den Höfen herumfahren , bis
sie irgend eine stille Hast gefunden; sie sind selten adeligen Stammes,
aber kundig aller Weisheit und gelehrt in mannigen Dingen. Aber nur
zu bald entartet ihr Treiben, sie legen sich vom Lieben aufs Loben,
vom Preis der Frauen auf den Herrendienst, nicKt mehr die Minne,
sondern die Milde der Fürsten ist, ihr Hauptthema; Preis und Schelte
richten sich darnach, wie der in Rede stehende sich erwiesen, ob er
mit offenen Händen an die zudringende Landplage gespendet oder das
heillose Gesindel ausgejagt habe. Schon bei der Schilderung der volks-
thümlichen Epik hatten wir Gelegenheit, die arme fahrende Diet
aufzufahren, die sich zur Zeit des höfischen und ritterlichen Singens
aus allen Ständen recmtirte und höchst ansehnlich vermehrte, bis sie
über der ausgehenden Dichtung sogar die Oberhand erhielt und den
Platz behauptete. Diese „Sänger** drangen bei grossen Festen, Reichs-
tagen , Schwertleiten der Fürsten , bei Tumeyen und Hochzeiten unge-
stüm an die Höfe und vor die Burgen,') ergötzten mit allen möglichen
Künsten das Volk, spielten die Tanzreihen und sangen darzu, fiüllten
ihren knurrenden Magen und den immer leeren Seckel und zogen mit
einer Schelte und Fluchrede ab, wenn ihre Hoffnungen nicht erfüllt
wurden. Wie diese Leute dann zu loben wussten, haben unsere Fürsten
erfahren, von ihrer Flegelei gibt der wilde Alexander ein erheb-
liches Beispiel, noch mehr der B o p p o mit seiner Schimpferei auf den
Meisner,*) um von näher liegenden Beispielen zu schweigen. Was
diese Leute nebenbei für Handtierung trieben, hat der Kanzler^)
*) Pein der Schmerzen.
*) Vgl. Walthers Schilderung vom Hofe zu Thttringen. Lach mann 20, 4 IT.
und Wolframs Klagen im Parc. 297, 16 ff.
') Hagen IL 884 Str. III. 2.
0 Hagen D. 390 (8). In einer Reihe altdeutscher Predigten aus dem XIV.
558
gezeichnet: sie gingen nach Brod, waren Masiker, Gaukler, Puppen-
spieler und Betrüger, fülirteu Bären und seltene Thiere mit sich, die
ihre Kunststücke machten, oder producirten sich im Style unserer
Herculesse und Feuerfresser auf den Jahrmärkten. Einer lebt vom
Betrug, sagt der Kanzler, der zweite vom Spiel, ein anderer lögt sich
an den Höfen herum, der vierte sei ein Seiltänze;* (ein gumpel man),
der fünfte spiele den Narren, der sechste lebe vom Spotten und Schel-
ten, der siebente handle mit alten Kleidern, der achte sammle Federn,
der neunte thue Botendienste , der zehnte lebe von der Löderlichkeit
seines Weibes, seiner Tochter oder Magd. In den Bildern, welche der
Mönch Conrad von Scheyern um das Jahr 1240 zum Josephus Fla-
vius malte, findet sich auch das Conterfait einer Seiltänzerbande : in-
dem einer dem anderen auf dem Nacken sitzt, thürmt sich eine Pyra-
mide von drei Männern auf,, der oberste ist eben im Begriff, über ein
Seil, das von zwei Nebenstehenden gehalten wird, zu spongeo.O
Walther von der Vogel weide hat unter dem Bilde eines Gauklers
das unstete Gemüthe eines charakterlosen Menschen gezeichnet;') es
ist kein Zweifel, dass er ebenso gut wie Conrad der Phitosophus der-
gleichen Dinge gesehen hat. Ernennt auch die ^snarrenzaere** (80,33),
d. h. die Dudelsackbläser und Schnurrpfeiffer, im Parcival beim Ein-
züge der Fürsten, werden oft genug Tamboure genannt, die ihre Trom-
meln hoch werfen und mit Schalle schlagen, dazu Flötenspieler und
Fiedelaere, auch eine Harfe (Schwalbe) kommt vor; bei Neidharts
Reigen spielt der Suraber mit, es gab Holiblä^er und Virtuosen aller
Art. — Der kaum dem Namen nach gekannte Meister Kelin
(1246 — 72)*) schilt zwar die fahrenden Schmeichler der Herren, ist
aber selbst so ein fahrender , bedürftiger Singer , der nicht einmal ein
Pferd besitzt. Er hatte in Schwaben, wie er ruhmredig bekennt, gute
Jahrh. kommt bei der Ausleennf? des BHumes im Traume Daniels unter an-
deren auch die Sielle vor: welih^ ist diu fruclil auf dem paum? Sieh^ dat
ist der Sünder, der den spilleufen gibt ezzen und trinchen durch weltleicbfo
ruom, und daz sieJn dar umb lobent vor der weit. Docen in Hormeyr's
Anbiv. 1821. S. 214 und Hoffmann S. 73.
.') Oberbayr. Archiv. II. 171.
>) Lachmann 37, 34 IT.:
leb habe Herrn gekannt, die wie die Gaukler Maaren,
Im Täuschen und Betrügen gar behendigliih erfahren; •
So einer spricht: Was ist v^ohl unler aiesem Hute?
Nun heb' ihn auf: da steht ein wilder Falk in stolzem Muthe.
Heb* auf den Hut: Da bläht einTfau sein bunt Gefieder:
Heb* feuf: da blickt ein Meerwunder hernieder:
Zuletzt war's eine Krähe nufi, so oft das auch geschah elc. Ich keoae
falsche Gaukelbüchse etc.
•) Hagen IV. 70a
559
Aufnahme gefunden, es sind aber kaum drei Ehrenmänner daselbst, doch
fand er sie richtig heraus; er kennt auch die Besten am Rheine; in
Bayern lebte er gemächlich und in Osterfranken am Maine, dann wandte
er sich wieder nach Bayern, wo die Edlen sich vor seiner Schelte hüten
mögen; endlich trabte er nach Wien. Das Mittelalter kannte nicht
allein fahrende Ritter, d. h. solche, welche auf Aventiuren planlos
amherschweiften, wie Gahmuret, Parcival und Gawan, auch fahrende
Sänger, die wie Morolf von sich sagt, auf Erwerb, von der Hand
zum Mund die Länder durchzogen, denen sich fahrende Spielleute,
fahrende Frauen und mit dem Aufkoromen der Universitäten auch
die fahrenden Schüler anschlössen, die später nur von den g ar-
tenden Landsknechten an Unverschämtheit und Zudringlichkeit
noch übertroffen werden konnten Es gibt über die fahrenden Schüler
eigene Gedichte, z. B. von Johann von Nürnberg,') sie spielen
in vielen kleineren Gedichten eine bedeutende Rolle, verstanden sich
aufs Teufelsbannen, noch besser aufs Betrügen und Stehlen, trieben
allen möglichen Unfug und brandot^hatzten das arme Volk unter dem
Vorgeben, auf Geistlich studieren zu wollen. Vergeblich wurden diese
scholares vagantes schon im Ende des XIII. Jahrh. von den bayerischen
Synoden verboten und die dagegen Handelnden mit dem Kirchenbanne
belegt,') umsonst eiferte das Salzburger Concil von 1274 dagegen und
bestimmte, dass Keiner, der mal in ihrem Orden (secta) gewesen, je
ein geistliches Amt erhalten könne — sie waren so wenig auszurotten,
wie die Gaukler, Tänzer und Tänzerinnen, Spassmacher und Springer,
welche die Stadt Regensburg im Jahre 1308 bei Strafe eines Pfundes
Pfenninge aus dem Burgfrieden verbannte — aber vergeblich.
Das glorioseste Zeugniss, wie unverschämt dieses fahrende Volk
an den Höfen zudrang , geht aus den Rechnungen des bayerischen
Herzogs Albrecht von Nieder bayern hervor. Zwar stammt
dieser Beleg aus einer späteren Zeit, erst aus dem Jahre 1392,
allein es mag früher auch nicht besser gewesen sein. Wir entnehmen
daraus nur die „Verehrungen,** welche fahrende Leute, Pfeiffer, Spiel-
leute, Fiedler und Gaukler erhielten:') „Am Sonntag nach Con%'er-
sionis Pauli des Ernfelser Fiedlern geben 1 Pfund. Am Montag
nach Purificationis beatae Mariae, Sorgnicht dem Sprecher, 1
■) 306 Verse; in den Altdeut. Wäldern. II. 49—59; aas der ersten Hälfte des
XIV. Jahrh.
') Lipowsky Gesch. der Schulen in Bayern. 1825. S. 126.
*) Freiberff Ges. Schriflen. 182*^. II. 146 ff. Aus dem Rechnungsbuche des
Wolfbarl Hellt ampt, Prolooolarius illuslris priocipis Alberti junioris infer.
Bavariae.
560
Pfund. Am Freitag nach Valentin! des Massenhauser Pfeiffer
1 Pfund. In die Mathiae apostoli einem varenden Schuler geben,
genannt Letus Georius, 60 Pfenninge. Am Mittwochen vor Invo-
cavit einem des vonSaltzburg Pfeiffer geben 1 Guidein. Am Pfintztag
darnach Li e bei dem Pfeiffer geben, dass er damit sollt ausrichten
all Spielleut, die hie bei dem Hof gewesen waren, 3 Pfund! Am
Suntag Reminiscere zweien Fiedlern, einer war Herzogen dementen
Knecht, 'der andere des Bischof von Trient, 6 Schillinge. Am Samstag
vor dem Palmtag Hanns! dem Pfeiflfer des Markgrafen Johann geben
1 Pfund. In die Paschae einem Landfahrer, der über die heilige Zeit
hie bei meinem Herrn gelegen war, geben 1 Pfund Pfenninge. Am
Mondtag nach dem Sonntag Jubilate des von Wirttenberg PfeiflTem
geben 1 Pfund. Am Sonntag vor Ascensionis dmn. des Bischofs von
Gostnitz Fiedler geben 3 Schillinge.^ Dann kommt ansehnliches ^Boten-
brod," welches den Herolden fremder Herren verabreicht wurde und
gleich darauf heisst es weiter: In die Viti: Pöndel dem Fiedler de«
Landgrafen, der meinem Herrn von äem von Otting gesandt war, geben
1 Pfund. In die Petri einem fahrenden Mann, einem Gaukler, geben
24 Pfenninge, eodem die: „drein varenden firawen" 16 Pfenninge. Am
Montag vor Margarete einem fahrenden Schüler geben 32 Pfenninge,
eodem die: zweien Fiedlern des Bischof von Prag, geben 60 Pfenninge.
An Pfintztag nach Alexi: Liendl weilant des Römischen Kunig i^inger
geben 1 Pfund. Am Mondtag nach Laurentius dem Singer des Römi-
schen Kunigs, Bruder Lautenslaher geben 60 Pfenninge. Eodem
die: einem Landfahrer mit einem jungen Knaben, einen Lautenschlager,
geben 36 Pfenninge. In die Bartholomäi : dem Irrgang Sprecher (!)*)
geben l Pfund. In vigilia nativitatis beatae Mariae: des Markgrafen
Knecht von Baden mit einer Rotten, geben 1 Pfund. Am Pfintztag vor
exaltatione sanctae crucis: Herzog Johannsen des Römischen Kunigs
Bruder seinem Fiedler, dem Ghuntzen, 1 Pfund, eodem die: dem
Rappel Hertzog Stephans Fiedler und seinen Gesellen geben 1 Pfund,
item: einem Knaben mit einer Fiedeln geben '24 Pfenninge. Am Montag
darnach einem Vagans, genannt Vakundus, geben 60 Pfenninge.
Am Pfintztag vor Mathäi apostoli: des Kunigs von Frankreich Herol-
den und einem Gesellen mit ihm, geben 2 Ffund item: des Rawssen-
gruner Knecht mit einer Fiedeln geben 60 Pfenninge. In die Ruperti:
dem Suchensin und seinen Gesellen geben 4 Pfand! so hat man
ihn gelöst aus der Herberg von dem Hunermair mit 7 Schillingen
und 6 Pfenningen.') Eodem die: dreien Windisch Pfeifiern geben 60
*) Vgl. oben S. 322 Meister Irreging (Rüdiger von Müoerstadt ?>
') Ebendas. S. 148.
m
Pfebdoge. Am Bfiltwoobeii vw Mioheli: d^ Maaeeohamer fijuedkt
mit einer Fiedeln gthen 32 PfemuDge item: Görgen, des Tonioger
Knecht, mit einer Fiedel, geben €0 Pfenainge. Am Samstag vorlficbeli:
einem fahrenden Ma^n, einem Gaokler, geben 32 Pfenninge,' item:
sweien Fiedlern des Herzogs Heinrich von Braonscbweig (Brwnsvinkch)
Knaditen, geben 6 Sehillinge. An? Mondtag darnach dem Sprecher
des Johanneen von Xiichteastein, genannt Peter lob den frummen
60 Pfenninge. Am Freitag vor Ephiphaniam dnin^ Ortel dea£rnfeUer
FiecHer geben 60; Pfuminge. ^ Pfiniztag nach Erhardi; Mariigrafen
Procopen von M&hren Fiedlern geben 6 Schillinge. Am Suntag nach
ErhanU: ^ einem HoH&nder, einem Landfahrer, der maagerlay geradik*
Aeit'Vnd pfti;st konde^ 1 Pfuod. Am Freitag vor Ckmvi&rstonis St
Panli: Vim Heraegea Friedericbs Pfeiffem geben 1 Pfunde Des Burkt-
jpBim Knecht mit einer Avente^iT geben, 1 Pfand n. s/w«
^ Die Leote dpAogten sich, vie man ans der Zeitfolge siebt mid g^iben
onander ^ Thür in (tie Hand; die Aasgaben betrugen in kurzer ^eit,
BOT fiür % fahßtnde Lfeute die nidit unerhebliche Summe von 33. Pfund
und 52 Pfinunngen -— • und das in Silberf die Pfenninge waren* ^siberin.^
Diese Yerehraagin waren höchst bedeutend, ihr Werth wächst, wenn
man bedenkt^ daisfi niaoh einem vollen Jahrhundert ,^ in welchem der
Grekieura be<tentend gestiegen, d. h. sidi verringert hatte, der Bauntei-r
ster der MünehBef Frmienkirche, Herr Jörg von Hoselbaoh^ für die
Arbeit eines ganzen langen Sommertages nur 28 Pfenninge erhielt, so
dass maoobar Schnorrant, der an der herzoglichen Tafel hoflrte und
daflkr mit 60^ Pfenningen beschenkt wurde, leicht das Doppelte oder
Drei&che in einw Viertelstunde erhielt von dem, was der wackere Meister,
der 2ugl^h den ganzen Bau ersann^ leitete und werkthätig ausführte, in
einem ganzen langen Sonraiertage Verdiente!
In Herzog Albr^cbts Rechnungen kommt der Pfeiffer Liebl, der
ehemalige Singer am Ht^ des KOnig Wenzel, am häufigsten vor; er
mnsste in die herzogliehen Dienste auf der Hodihuet (Trausnitz) ge«>
kommen sem, einmal, nachdem er mit seinen Gesellen bei einem Tanze
des Herzöge ^gehovirt^ hatte, bekamen sie extra zum ^Vertrinkend
18 Pfenninge; ein anderes Mal erhalten sie ein neues Wintergewand,
wozd man 18 Ellen Tuchs brauchte, ein Drittel zu 13 Pfenningen,
facit 3 Pfund und 68 Pfenninge. Einmal wird er mit einer „Aven-
iewr^ nach Prag geschickt und bekommt 6 Ellen neues Tuch zur
Ausrüstung» was 5 Schillinge und 6 Pfenninge kostet. Neben ihm
scheint auch ein gewisser Haider hier sesshaft gewesen zu sein. Von
grossem Interesse ist die Nachricht über' den Sachensinne, der hier
am 27. März 1392 mit seinen Gesellen durch die Milde des Herzogs
86
Mi
MLB der Kreide kafn and eine stattliolie Yerehraog obeiidrein eriiielt
Er war ein Fahreoder, wie der Oesierreiehkohe Sachenwirt und der
Teichner; sein Leben wird an die'Qrenze den XIV. und XY. Jahrk
gesetzt. Er reimte wafarsoheinHcb ebenso viele Lob- and Strafreden,
wie Andere seines Gleichen; aach hat man noeb 13 Lieder, die amen
Namen tragen,') dazu verfasste er ein ^Minnegeri<iht'' ood einen ^Streit
der Minne mit dem Pfennige^ d. h. ein witziges KainpfgespriLch zwi*
sehen Liebe und Geld.
Die Art und Weise, wie diese Smger ^ihr Sach^ an den Hftfea
vortragen, erhellt aus dem Schwanke des GrÖnenwald*) der in den
Diensten des Herzog Wilhelm von München stand. Die GesoUdite
spielt ftlr den uns gemessenen Z^traom wohl etwas zu sp&tj mag aber
ihrer lebrfeiohen AnsehaoUchkeit wegen doch hier stehen: ^Anf «nem
Reichstag zu Aagsparg gsdiaeh ein goeter schwank von einem Singer
an des Herzog Wilhelmen vonMflnchen Hof. £r was ein bernempter
Mttsictsis vnd Componist, hiess mit seinem Namen N. Grünenwald.
Er was ein guter Zechbruder > nam nit fiir got, was jnie an seines
gnädigen Fürsten vnd Hei*ren Tisch fürtragen ward« sondern sucht jm
anderstwo guet Geselsohafl, so «eines gefallens vnd köpfe waren, mk
jme dapfer dempften vnd zechten t kam so weyt hynein, daz alle Schen-
ken vnd was er in barem gelt mit jme. dahinbracht, in naszer waar vnd
gueten Bisslein dahin ginge , noch must die Maws bi^ getauft werdea.
Er macht dem Wirt bey acht Gulden an die Wand. In snmma, es
kam auf die letzt dahin, dass der Herzog von Mtknchen sampt andern
Fürsten, Herren vnd Städten aufbrechen wollten. Der Wirt eifnhr die
Sacb, kam zu dem guten Grünenwald vnd fordert sein ausständige SehnkL
^Lieber Wirt, sagt Grünen wald, ich bitt Enoh von wegen goter vnd
freundtlicher Gesellschaft, so wir nu lang zusammen gehabt, lasseot
die Sach auf diesmal also beruhen, bisz ich gen München komm, denn
ich bin yetzt zumal nit verfosst, wir haben dodi nit so gar weyt zu-
sammen. Ich kanns Euch aikag schfeken, dann ich hab nock KJeynot
vnd Gelt zu München, das mir die SchuM für bezalen möcht^ lynl^
gOnne Dir (jott, sagt der Wirt, mir ist aber damit nicht geholfißn: So
wüllen sich meine Gläubiger mit Werten nit bezalen lassen, nändiek
tUe, von denen ich Brot, Wein, Fleisch, Sali:, ^Schmalz vnd ander
1) Fiscbirt^s FraDkrurl er Archiv. III. 223—48. Hsltsas Liedsribocii der
Klara Hülzleto. S. 92 und Aufsess Anzeiger. 18d2. S. 213.
^) Der Sthwank findet sich im Roll wage nbödi lein des Meister Jörf
Wickram, Sfadlschreibers zu Burckbaim bei Kofmar (1557) nad ie der
Einleilnag cnvi Wnuderborn 1806. von C. BrenlanO' und Acbiai von
Arnim nacbenäblt: „Ein gueler Sihlemmer dichtet ein LiedleiB, d>ai
ward sein Wieri betaK voq den Ptt^gera.^
563
Speyss kaufen vnd bekominen mnss, es rauss aÜeweg Bargelt da sein:
komm* ich auf den Fischraarkt, sehen diebischer bald, ob ich vmb
Bargelt oder auf Borg kaufen wöll; nimm ich's auf Borg, muss ich's
doppel bezalen. Ir Gesellen aber setzt Euch zum Tisch, der Wirt kann
Euch nit gnug auftragen, wenn jr gleichwol nit ein pfenning in den
Teschen habt. Darumb merke mich eben, wess ich auf dissmal gesinnet
bin. Willt Du mich zalen, mhr Hail, wo nit, will ich mich den nächsten
zu meines gnädigen Forsten und Herren von München Secretairen
verfugen, derselbig wirt mir wol Weg vnd Steg anzeygen, damit ich
bezalt werd.** Dem guten Grönenwald was der Spiess an den Bauch
gesetzt, wusst nit wo aus oder wo an, dann der Wirt, so auch mit dem
Teufel zur Schul gangen, was jm zu scharf. Er fing an die allersfisse-
sten und glattesten Wort zu geben, so er seine Tag je gestudiert vnd
erdenken mocht, aber alles was vmb sonst. Der Wirt wollt' sich
keioswegs nit geschweygen lassen vnd sagt; ^,5 Ich kenn nit viel vmb-
stend. Glatt geschliffen ist bald gewetzt. Du hast Tag vnd Nacht wollen
voll sein, den besten Wein, so ich in meinem Keller gehabt, hab ich
Dir müssen auftragen. Darum darf es nur nicht viel Maewss. Hast
Du nicht Geld, so gib mir Deinen Mantel, dann so will ich dir wol ein
Zeitlang borgen : Wo du aber in bestimmter Zeit nit kommst, wird ich
den Mantel auf der Gant verkaufen lassen; diss ist der Bescheide
mit einander.*** „Wohlan, sagt Grünen wald, ich will der Sachen bald
Rath finden." Er sass nieder, nahm sein Schreybzeug, Papyr, Fäder
und Dinten und dichtete ein achtstrophiges Liedlein, in welchem seine
Noth buöhstäblich, ganz der Wahrheit gemäss geschildert war, \de ihm
der Wirt den Mantel gepfUndet habe u. s. V. Diss Liedlein fasst
Grünenwald bald in sein Kopf, ging an des Fuggers Hof, Hess sich
dem Herrn ansagen : Als er nun für jne kam , thäte er sein gebühr-
liche Reverentz. Demnach sagt er: „Gnädiger Herr! ich hab vernom-
men, dass mein gnädiger Fürst vnd Herr, allhie aufbrechen vnd auf
München zuziehen will. Nun hab' ich je nit von hinnen können schei-
den, ich hab' mich dann in Ewer Gnaden abgeletzt. Hab Deren zu
lieb ein newes Liedlein gedieht, so Ewer Gnad das begert zu hören,
wollt ich's Deren zu letze singen.** Der gut Herr, so dann von Art ein
demütiger Herr was, sagt: „„Mein Grünen wald, ich wills gern hören,
wa seynd Deine Mitsinger, so dir behilflich sein werden,
lass sie kommen.**** — „Nein, gnädiger Herr, sagt er, ich muss allein
ftingen, dann mir kann hierinn weder Bass noch Discant
helfen.** — „„So sing her,**** sagt der Fugger. Der gut Grünen-
wald hub an vnd sang sein Lied mit ganz frölicher Stimm heraas. Der
gut Herr verstand «ein Krankheit badd, tnainet aber nit, daz der 8ach
86*
564
so gar w&r, wie er ia seün Singen zu verstehn geben hat, dammb
schickt er eilends nach dem Wirt. Als er nun die Wahrheit erAihr,
bezalt er dem Wirt die Schald, errettet dem Grüneqwald seinen Mantel
vnd schenkt jhm eine gute Zehrang darzae ; die nahm er mit Dank an,
zog demnach sein Strass. Disem Grünenwald kam sein Kunst auf
diessmal gar wol, sunst het er sein Mantel hinder jn lassen mösseo
vnd nackent aus Augspurg gezogen sein. Dammb Kunst nimmer zq
verachten isf —
Aehnliche Vorkommnisse mnssten auch früher schon an der Tages-
ordnung gewesen sein, wofür wir nur zu unzweideutige Andeutungen
gefunden haben. In Betreff des Vortrages d^r Lieder geht aber hervor,
dass diese häufig als Terzett oder Quartett und vielleicht in sehr könstr
lichen Weisen vorgetragen wurden. Doch gab es, von den früheren
Zeiten her auch solche, die nie sangen, sondern nur sprachen, so
Einer ist z. B. der Fr ei dank, der lange genug falschlich f&r ein und
dieselbe Person mit Walther von der Vogelweide gehalten wurde, bis
endlich Pfeiffer den schneidenden Unterschied hervorhob und ihre
völlige Verschiedenheit zeigte.') In der Folge kamen eigene Sprudn
Sprecher, die meist dem bürgerlich gelehiten Stande angehörten
und an den Höfen, theilweise als Ehrenholde und ^Persevante^ ihre
Wappenkunst und Genealogie trieben. Ein solcher ist der öster-
reichische Teichner und Peter Suchenwirt,') welch letzterer hier
erwähnt wird, weil er einmal einen festen Hieb auf die bayerischen
Herzoge führt. In dem artigen Spruche yondem Pfenninge, wo er
das Geld in der Person eii^s alten weitgereisten und überall bekannten
Mannes auftreten lässt, der dem fahrenden und gehrenden Dichter be-
gegnet und ihm Aufschlüsse gibt über verschiedene Länder und Städte,
kommt er (v, 193 — 209) auch nach Payrlant; der Pfenninc will bei
ihnen einkehren, bei welchen er lange schon zu Gaste gewesen, obgleidi
ihm dort nie Ruhe und Rast gegönnt, sondern Arme und Glieder zer-
schlagen wurden. Er macht dann einige dunkle Anspielungen daraa(
dass die Herzoge, vielleicht ob den endlosen Fehden und Krie^
geldarm geworden; sie verkauften auch an Kaiser Karl IV. einigie
Städte und den österreichischen Herzogen die Ansprüche auf Tirol
Der Spruch passt auf die Jahre 1358 — 1379 und auf Albrecht von
Holland, den Sohn Kaiser Ludwig des Bayer.
*) Vgl Franz Pfeirfer: Zur deutschen Litertlurgescfaichle. 18&5. 8. 37 f. ••
in •• ^Germtnit.'^ II. 129 ff.
*) £r lebte am 1400. Ausgabe von Primitser 1927« & 93 ff. «. 289.
565
Ein PerseTant nnd Elirenholt gleich ihm war Johann Holland
Von Eggenfelden, der in Diensten des Herzog Ludwig stand nnd 1424
im Auftrage des kaiserlichen Kanzlers Kaspar Schlickhens einen grossen
Sprach zu Ehren des bayerischen, riTtermässigen Adels zusammen-
reimte. *) Er muss ein lustiger Herr gewesen sein, der immer bei ge-
sundem App^ verblieben und ein durstiges Leberlein hatte, denn
ausser den sechs Sprachen die er kann , ^) rCkhmt er sich sein Lebtag
selten geikstet zu haben :
^dann von natur iz ich gern frue,
und, ob*s mich Inst, drinckh ich darzue,
wie es dann von Alter herkhomen ist, ,
darbey bleib ich zu aller frist.
Mit neurung ist mir nit woll,
ich wurd die Woch ehe achtmal voll.
Demgemäss ist er auch abgemalt, von ansehnlichem ehrenfesten
Umfaag, mit ktngschnäbeligen Schuhen, den kaiserlichen Adler auf
dem goldenen Wappenrock, schwertgegttrtet , denn er ist ^ein Knab
der Waffen und des Adels Kind,** in der einen Hand den Herolden-
Stab) in der anderen das Barpttlein haltend. Trotz unserer etwaigen
Verwandtsch^t kann ich ihm jedoch keine absonderliche Bedeutung
in der Geschichte der Dichtkunst einrftumen, wenn auch seine handfesten
Tumierreime dem Grenealogen willkommen sein inögen. Der Niederlän-
der Willem von Hildegaertsberghe, der zeitweise am Hofe Albrechts
von Bayern (f 14Q4) und Wilhelms (f 1435) sich aufhielt und dessen
,,spoken^ Hoffmann ven Fallersleben (Horae Belg. 1. 88. VI.
201) Ar die besten der ganzen Gattung ansieht, darf hier nicht ver-
gessen werden. Einen Spruch zum Lobe der bayerischen Fürsten hat
Hans von Wehste mach zusammengereimt,') der jedoch ebenso
wenig wie der wackere Jacob Püterich von Reicherzhauseri mit
der Poesie zu schaffen hat,^) obwohl er sich einen nicht unlieblichen
') Abffedruikt in R. Duellius excerpta genealogica. Leipzig 1725. S. 249 ff,
und von da in den Verhandlungen des histor. Vereins für Niederbayern.
1861. VII. 117 AT. Die einen besseren Text enthaltende HS. liej^t jedoch zu
Herzogenburg und enthält zugleich den £hreobrief des Pülrich von Rei-
cherzbausen.
') Latein, Teutsch und Polan,
Franlzösisch und Ennj^elisch^
Darneben guet Vngerisch.
-"*) Rudhart Histor. Taschenbuch. 1850/51. Der Dichter, der seinen Spruch
«och für sangbar hielt, war wahrscheinlich kein Adelii^er, sondern nannte
sich nach seinem Geburtsorte, dem Pfarrdorfe Westernach am gleichnamigen
Flösschen, in der Herrschaft Mindelheim gelegen.
^) A delang. Leipzig 1788. 4^ Anmerkungen dazu gab Docen in Aretint
66i
— i
Poeten nennen lasfea mochte. Er schjrieb m J« 1463; bereu» ßfr Jahre
alt, einen bereits oben S. 113 bei;ührten ^Ehrenbrief* an die Pfak-
^räfin Mathilde, in welchem er sein UteraturgeschichtlicbeS Wissen
niederlegte und zwar ^m des von Laber gemainen Ton." Das Verzeich-
uiss seiner vielleicht nicht imiper auf die ehrlichste Weise ges^immeltea
Bibliothek ist von grossem Interesse, besonders durch die zwischen
durch eingestreuten Nachrichten über die früheren Dichter, die beson-
ders in Betreff unseres Wolfram von Eschenbach von Belang geworden
sind. Gegen das Ende seines Ehrenbriefes fällt er jedoch ans der Rolle,
er wollte bloss von seiner Gedichtsammlung reden und nennt mehrere
prosaische Werke, z. B. die vierundzwanzig Alten des Otto von Passan.
Er liatte, wie Hugo von Trimberg, vierzig Jahre lang an seiner Bücherey
gesammelt, und war zwischen Ungarn und Brabant weit umher gefahren,
auch am Grabe des edlen Ritters von Montevilla zu Lüttich gestanden.
Er bekennt offenherzig, die Bücher überall als sein Eigenthmn ange-
sehen und Manches ^durch Leihen^ erworben zu haben, doch jagte er
nur auf alte Bücher, die neuen galten ihm gar nichts. Grossmflthig
verlieh er sie auch wieder und zog sich vom seHgen Jan von Sditi
den Spott dafär zu, dass er (Püterich) der Bftoher gern vergessen
wollte, wenn man ihm nur d«n Sack, darin er sie verliehen, wiedergäbe;
er muss also sehr kostbare Einbände besessen haben, d. h. solche gold-
und perlenbesetzte Bücherbeutel, wie man sie noch aof niederländiacheD
Bildern sieht. Auch klagt er über die losen Schälke am Hofe, deren
er fünfe und darunter den Kanzler Rosler namhaft macht, dass sie
ihn manchmal nach einem alten Buche auf den Heizweg schickten, ein
Erlebniss, dass seither wohl manchen Sammler noch getrolfen hat. —
Ulrich Füterer wurde schon beim Ansklingen der ritterlieh-episdien
Dichtung genannt, hier ist nur noch eines fröhlichen Sängers zn ge-
denken, eines Neidhart in nener, verjüngter Auflage : Hans des Hes-
se Hoher. Was man von seiner Familie weiss, ist korz Folgendes:
Sein Vater Nikolaus der Hesselloher war 1418 Richter zn
Wolfrathshausen , dann 1433 Zöllner der Herzoge Ernst und Wilhelm
zu München, endlich Pfleger zu Pähl, wo er 1453 starb und nebst
Beiträgen. IX. B. S. 1198 1209. Vgl. Hagen IV. 883 ff. nnd Ktrajas
in Haupts Zeitsctirift. VI. 31 ff. (mit dem besseren Text). Die Handsdnifl«
aus welcher Duell ius excerp. geneal. 1725. S. 285—84 den Ebreobrief
copirte, war damals Eigenthum des Klosters Sl Andreae an der Traisea,
eines der aUesteo ffeistlichen Stifte Oesterreicbs unter der finns, tos da kaa
dieselbe 1783 an das Cborberrenslift Hereogenbuscb ; unler PfitridM Bilde
steht: Jacob Fütricb nennt man mich,
Id Reichertzhaosen hauset ich.
Ein Poet Teutscb nit unlieblich.
887
seiiMr efadichefi Würtliiii Margaretiia Lungin in der Kirche begraben
worde^ Er hatte zwei Söhne Andreas und Hans; der erstere, wel-
dier am' Hofe zu Mönchen in seiner Jagend als Edelknecht gedient
hatte, folgte ihm in dem Amte zu Pähl. Hans aber moss sich lange
onstät herumgetrieben haben; W. Hand erzählt in seinem Stammbuch
Ton ihm: er habe ^^idele deutsche Lieder gemacht, lächerlich und artig, ^
unter anderen eines auf eine Bauernhochzeit: ^Von äppiglich Ding
80 wollen wir heben an^ ') und ein anderes: ^Häusel Heseloher, wie lang
wilt du närrisch sein!^ und eines, das er als Freier einer Jungfrau von
fldlenslein fertigte: y,Eß taget von dem Hölenstein.^ Das müsste eine
Tochter des Hannsen von Hölen&tein gewesen sein; der Hölenstein bei
Brannenburg war ehedem ein ritterlicher Sitz, der nun in ein Bauern-
gut herabgesunken ist. Ob er die Minnigliche erhalten habe, ist unge*
wiss, es müsste schon um 1437 gewesen sein. Im Jahre 1450 ver-
ehelichte er sich mit Anna Schondorferin von Pähl und erhielt in der
Folge zwei Töchter, I*^amens Barbara und Anna. ') Die beiden Brtlder
finden sich ein paar Mal urkundlich: einmal kauften sie etliche Güter
-vom Augsburger Domcapitel; die andere Urkunde ist vom J. 1460:
die Herzoge Johann und Sigmund (Söhne Albert HI.} verschreiben den
Brüdeni Andreas und Haas Heselloher die Pfiegschaft Pähl sammt dem
Un^elde auf ihre Lebenszeit für die treuen Dienste, die sie ihrem
Ahnherrn Ernst L, ihrem Vater und ihnen selbst geleistet haben. Von
ihren gefreiten Sitzen, die sie auf Pähl und auf Rosse Isberg hatten,
wurden sie laut Herzog Albrechts Landtafel ^in die Landtavel beschrie-
ben und dienten dem Fürsten selbander wohl bewappnet und bezeucht
mit zwey Pferden.^ Wann Andreas starb, ist ungewiss, da sein Grab-
stein beim letzten Kirchenbau entrückt und zerbrochen wurde; er liegt
jetzt umgewendet unten an den westlichen Stufen der Stiege, welche
zum Gottesacker fuhrt und nur sein Name ist noch ersichtlich. Hans ^
folgte ihm in der Pflegschaft nach; 1466 erscheint er schon allein in
landrichterlicher Thätigkeit. Am Mittwoch vor St Magdalena 1469
siegelt Rudolph von Schondorf den Uebergabsbrief des Hans Heselloher,
Land- und Stadtrichters zu Weilheim, gemäss welchem Kaspar Hechen-
kirchner von Königsdorf dem Kloster Fölling ein Holz, genannt die
*) Nach Seh melier 8 Abscbrin tb^edruckt bei U bland I. ^53 (f3 Strophen),
wo auch die weitere Lit. aus alten gedruckten Liederbüchern verzeii-bnet ist,
und in Hormayr^s histor. Taschenbuch. 1831. S. 243 ff.
*) Die Barbara wurde 1470 mit Hans Scbellenberg'zu Weilheim verbei-
rathet; sie brachte ihm als Milf^in den Sits Pähl zu. Die Anna ehelichte
Wolf Aeresinffer zu Dürgonfeld 148.5; beide Eheleute stifteten im Kloster
Bernried für sich und ihre Verwandten einen Jahrlag. Anna starb 1499.
Oberb. Archiv. IX. JW a. 248.
688
Wannen, verkauft.^) Im folgenden Jafare 1470 starb &um der Basel-
loher, wahrscheinlich zu Pähl. Eine Denksäale aas Granit, 9 Fiiss
hoch, am westlichen Abhang von Rösselsberg v^kfindet das irormaKf^
Dasein der Heselloher auf dem Rösselsberge. Ihr Wappen, das die
Rösselsberger beibehielten (ein doppelter Pferdskopf in weissem Soliild)
findet sich nebst der Jahrzahl 1483 aaf dieser Säule, wie aach aof
alten Oefen im Schlosse Rösselsberg.
Als Dichter steht der Heselloher weit unter Neidhart, doch ist m
gleich unbändig, fföblidi und ein Freund des Bauernl^bens» Auch er
schildert den bäuerlichen Hochmuth, der selbst beim Tanse gepanzert
einherritt, böse Händel anföngt, worauf sich eine tQehtige Prügelei, em
Scharmützel und Dreschen anhebt, das mit Löchern in den Köpfen
und blauen Flecken endet. — Von einer nothigen Bauernhochzeit, die
in eine arge Prügelei übergeht, singt der Spruch von Mayr Betzen.*)
Der Mayr Betz will seine Buhte heirathen, dazu kommen nun die dör^
perlichen Zeugen wie Schollentritt, Herman der Hufischmied,
Cunrat Plattenkopf, Mair Nasztropff, Völcklin der Schnaufer
u. s. w. Der Bräutigam erhält von der Braut einen Bock and eiir
Kalb, eine falbe Kuh, zwei Bienenstöcke, ein Schwein und ein Blassel,
Frau Metz aber, seine Zukünftige, erhält zwei angesäte Jaucherte Feld,
drei Malter Haber , einen Hahn mit vierzehn Hennen und fünf Pfbnd
Pfenninge. Viele Gäste kommen zur Hochzeit mit ächten Bauemnamen,
wie Cnntzlin der Genszbluora und Albrecht Rindschuch. Nach der Braot-
nacht gehts zur Kirche, wo der Bräutigam unterwegs tüchtig abgeraoft
und geschlagen wird, wie es die Sitte verlangte. Nabh der Trauung
kommen viele Freunde der Braut und nun hebt ein Schlingen and
gieriges Fressen an: Rüben mit Speck werden verschlungen, dass den
Bauern Kinn und Hände triefen, darauf Würste und Muss noil grossen
Brocken, die neidische Gefrässigkeit ist prächtig gezeichnet. Darauf
geben die Gäste recht nothige Geschenke, einer einen alten blauen Hot,
der ihm ehedem vier Haller gekostet, einer eine Schwinge , einen alten
Kamm, der reichste ein Spiegelein, ein neu hänfen Aermeltuch, einen
Kübel , eine alte Juppen , eine hölzerne Kandel , zwei alte Bundschuhe,
eine ungewaschene Hose u. dgl. erhält das Paar geschenkt. „Wendio
der dieth gab ain hennen, die was siech, und sprach: se hin, prewti-
gam, ich wölt sy selbes gessen hau, doch hab ich dirs ersparf Alle
aber schreien und juchzen und der Spielmann muss pfeiffen. Da stür-
men Alle zu der "Linde und springen auf dem Stroh, bis einem die
') Obcrtayr. Archiv V. 229. IX. 27. X. 262.
') Hai tan s Liederbuch der Maria HdUlein. S. 259 ff.
569
HoiB^ niedei^eht und er xnaamiiieDstilnt, im Falten hai er eine Jmig-
ftau triedergestoMen und dieser ein SpiiBgelein zerbrochen, da verlai^n
die aaderea Schadenersatz und daröber geiit nun eine blotige Prügelei
los, die mit einer allgemeinen Niederlage endet. — Das (ranze ist mit
fester, sicherer Hand gezeichnet, und mit spöttischem Mnlliwillen be^
lebt, wie es unser Haans der Hesseil ober aoeh nicht besser hfttte
maeheo können. -- Seine muntere Laone und sein lastiger MathwiUe
ei^ssen sieh noch in allerlei Reimen and Liedern , die jedoeh nodi
IflHner behaglicher sind, als das Geklimper der
Meistersänge r. Die Anfangs so süsse, im Alter herbe Pflanze
des >Iianesanges verholzte gänzlich and schlag mit den Singsohulen ^a
Nürnberg and Augsburg, Ulm, Regensburg und München in
die uuerquicklichste Reimerei über. Man erfand Satzungen , nach wel-
chen gedichtet werden musste, Tabulatur genannt, man machte den
Werth ein'es Gedichtes abhängig von reinen Aeusserlichkeiten, von dem
engeren Anschliessen an die einmal angenommenen Formen ; man zwang
armselige Gedanken in mühevoll zusammengeflickte Stollen und Gegep-
stollen mit ihrem Abgesange; wer so ein hölzernes Geflieht regelrecht
und wohlgeschnitzt vollendet hatte, der trug es singend vor. Die Merk e^
sassen und sahen wohl auf die zwei und dreissig Regeln; grifi' der Ton
in den eines anderen Meistars nicht ein so weit vier Silben sich er<-
streckten, so, ward er abenteuerlich benamset und der Singer unter
seltsamen Ceremoniell zum Meister gekrönt. Nach einer aus dem XV.
Jahrh. stammenden Münchner Handschrift, die solche Meistergesäoge,
Fabeln, kleine Histörchen, Weinsprüche und geistlicBe Lieder enthält,*^
sang man ,,im groben don^ oder in des Regenbogs langen Ton, in des
Fraweplobs grün don, femer in dem Atspis Ton „Aspis ein wurm gCf-
haissen ist^; auch der Marner, Conrad von Wirzburg, sogar der
Walt her v. d. Vogel weide mussten sich Berufungen auf ihren Namen
gefallen lassen, denn die guten „Meister"^ behaupteten, dass ihre „hold-
selige Kunst^ schnurgerade von den ^zwölf alten Siogeren^ abetamoM.
Unter diesen Erfindern neuer Töne ragen der Holzanger (in des
Hultzing hofdon) der Ernpot und Meister Stein he m oder Stein-
hein hervoi*, auch des Le sehen Tagweis wurde berühmt und die
Schlüssel weise des Fritz Ketner, der unter den 12 alten Nürnberger
Meistern thront; ein anderer heisst Konrad Härder. Andere beliebte
Xonweisen waren: in des Munich von Salzpurk don, in fraw eren
don, des Tanhausers haubt-don, der lange Regenbogen; desRegen-
') Vgl. Doceo io Aretins Beitrftgen. IX. 1128 AT.
m
bog blaner don,') desMn BrieAreise undZvgton; es gab eisen ligeldoo,
einen profeten don des Friedrich Kettner, beliebt waren des Mnsea*
plüt gol deiner and des Heinrichs Ton Müglin langer don. Zo Mtachen
gab es anch eine y^Poetenschule,^ die sich jedoch, mit Anstand za
reden, nicht fiber die nothdtkrftigste Sduilnmsterei erhob. Emer dieser
Namen ist Hanns Seudlinger 1410 und Fr.Hammerl 1438, später
erscheint Chr. J^no von Hyrzweil, beider Rechte Lioentiat and Poet
der I5bl. und fürstlichen Stadt München, der dea Boccaccio andCioere
fibersetzte, femer der poetische Decan Meldiior Kretz (f 1554), d^
Leinweber Leonhard Nonnenpeckh, welcher der Lehrmeister des
jungen Hans Sachs wurde, der zo^ Mönchen sein erstes Lied zum Preise
Gottes dichtete; der Stadtschreiber Sigmund Scheidenreisser fiber-
setzte 1537 zuerst den Homer, Andreas Vinkh, Hieronymus Ziegler
und der unglückliche Martinus Balticus. Der ein armseliges Wander-
leben führende Weinsberger Weber Michael Behaim kam wohl auch
in unsere Stadt und hinterliess eine ansehnliche Anzahl seiner Reime.
Zu ihm gehört der Meistersänger Ulrich Wiest zu Augsburg 1449,
dessen Straflied gegen die Bischöfe, die mit dem Almosen ihre Kriege
und weltlichen Gelüste bestreiten, in der Folge sehr berühmt geworden.*)
Gleichfalls ein Augsburger ist Jörg Brei n in g (1488), der ein Lied
auf den hl. Ulrich (7 Strophen in des Regenbog langem Ton) und den
hl. Alexius (19 Strophen) dichtete; auch fabrizirte er viele Lieder, von
denen er die Freude genoss, eine Anzahl zu seinen Lebzeiten noch ^
gedruckt zu sehen. ') Der bedeutendste jedoch ist unstreitig der Nürn-
berger Hans Rosenplüt, dem wir eine Menge der heitersten Wein-
segen, gurgelnder Zechersprüche, Trinklieder, weiser Priameln, dann die
unter dem Titel des Klopfan*) bekannten I^eujahrsredeu , Fabeln,
historischen Spräche und Fastnachts'piele verdanken, von denen das
meiste in die folgenden Abschnitte gehört.
Wirft man einen Blick auf die ganze Entwicklang, vom Beginne
des Minneliedes bis auf diese ehrsamen Meister herab, so Ueibt als
lelztgiltiges Urtheil die grosse Trilogie von Blüthe, Reife nnd Verfall
') Bsrtbel Regenbogen, angeblich ein Schmied von Ulm (?), gab sein Hand-
werk auf und zog su Anfang des XIV. Jahrh. nach Mainz, un sich naiar
Frauen lob „zu bilden."^
*) Bei U bland Nro. 165.
') Gräters Idnna. 1812. S. 190. Massmann Alexius. S. ff. Fünf gar, nflta-
lirhe fruchtbare Lieder, gedruckt durch Lucas Zeissenmair «i Wcssohnm-
1503. 40. Wacker na gel Bibliographie. S. 459 ff.
*) Oskar Schade im II. B. der Weimarer Jahrb., bes. abgedruckt und Ter-
mehrt Hannover 1855.
671
iml&iigbar und der kfinstlerische Werth der gaten Meistersänger er-
scheint als ein h5dist zweifelhafter. So lange die Dichterschole in der
Sonnennähe der Begeisterung gestanden, war der Wein, der in ihr
gewachsen, auch süss und feurig, er fiel ab, als das Gestirn der reined
Minne niederging, zuletzt brauten sie sich ein saueres Bier und tran-
ken, mit vielen breiten Worten einander zur Holdseligkeit auffrischend,
damit einen kühlen Rausch sich zu.
c.
Volkslied.
Neben dem höfischen Minnesang und dem dichterischen Treiben des
hölzernen Handwerks treibt das Volkslied seine fröhlich rankenden
Sprossen. Das Volkslied ist doppelter Natur : insofeme es aus dem
ewig jung bleibenden volksthüralichen Singen und Sagen hervorgewach-
sen, ist es immer mehr epischer Natur; daneben macht sich, eine
Zwillingsschwester des ritterlichen Minnedienstes, das subjective lyrische
Gefühl geltend, welches in unerschöpflich wechselnden Formen Leid und
Freude, Trauer und Jubel ergiesst
Das lyrische Volkslied, weicheis wir sdion oben (in der Einleitung
zur Yolksthömlichen Epik) angedeutet haben, trägt kein anderes Zeichen
seines Herkommens, als die provinzielle Mundart, aber auch dieses ist
unsicher und trügerisch, da diese Liedertön^ von Land zu Lande flogen.
Nie ist der Singende mit Namen genannt, bisweilen haben es ein Paar
Bergknappen (Hauer) gemacht, die gar wohl gesungen bei Meth und
kühlem Wein, und es ist etwan der Wirthin ihr Töchterlein dabei ge-
sessen, oder es haben^s drei gute frumme Landsknecht „gethan,^ zwei
Alte und ein Junger, ein freier Reitersknab, oder es ist überhaupt allen
schwarzbraunen Mägdelein zu lieb gemacht und gesufigen zu einer guten
Nacht. Viele sind mit so zarter Verschämtheit und mit ruhigem, all-
mähligen Entfalten der Herzensempfindungen gedichtet, dass man deut-
lich sieht, wie die Frauen die Hand mit im Spiele und den grössten
Antheil daran gehabt haben.
Was die Bestimmung für unser bayerisches Vaterland insbesondere
erschwert, ist, dass sie zur Zeit ihrer Entstehung^ nicht in Schrift
kamen, sondern in naturwüchsiger, mündlicher Ueberlieferung verbliebe.
Was später davon aufgeschrieben wurde und in den älteren Lieder-
büchern unserer Bibliotheken sich erhalten hat, das kommt meist audi
anderwärts vor, denn das wahre Volkslied hat keine geographische
Heimath, ebensowenig wie es sich an eine Zeit binden lässt. Mit necki-
573
scher Genialitit osd wahrha^ verfähreriscber l^beodigkeit tritt es 4^
gelfthrt^n Wesei;) und dem ernsthaftigen Uandw^rk entgegep, die Plastik
der Bilder verführt bis zur Keckheit, man tauscht Raum und Zeit,
man legt einen Ort zwischen Weihnachten und Pfingsten, man schweigt
einen Arm lang still, und dieser sichere Wurf , der das Colorit der
Musik überlässt, wirkt wie Gervinus treffend bemerkt,') besser als die
gl&nzendste Farbengebung der Minnesinger bei unsicherer Zeichnung. ^In
diesen Liedern fühlt man den Herzschlag des deutschen Volkes: hier
offenbart sich all seine düstere Beiterkeit, all seine nfirrische Vernunft;
hier trommelt der deutsche Zorn, hier pfeift der deutsche Spott, hier
perlt der ächte detitsche Wein, hier küsst die deutsche Liebe, die
manchmal noch köstlicher ist, als ersterer«** *) Die Natur hat wieder
die Oberhand erhalten und die Liebe ist zur Staffage geworden; hier
versenkt sich ein Mädchen bis in die lebendige Unterhaltung mit der
Haselstaude, der „Frau Häselin,*^ hier blüht treue Liebe im Vergiss-
meinnicht '') und in dem Kräutlein „Schabab* die Verschmähung;*) sie
brauchen nicht zu sagen, das» die schöne I*^atur sie beglückt, sie be-
schreiben auch nicht auf gut meistersängerisch die Schönheit der Ge-
liebten nach ihrer Länge und Breite, Röthe und Weisse, Glätte und
Zartheit, sondern wenn der Singende das rotbe Mtindlein v^rmiaal oder
besitzt, wenn ihm die sofaoee^weisse Hand gereicht oder verweigert wird,
so ermisst man leicht aus seiner Freude oder seinem Leide, wie schön
und werth ihm Beides ist. Wie in der ritterlichen Diobtubg so ist auch
hier die Liebe der Quell und das Grundthema der mtisten^ dann aber
gibt es Gassenhauer, Reuter- ^) und Bergliedlein, neue, weltliche Texte
>) III. 307.
') H einrieb Heine Gesch. der neueren schönen Lit. in Deutsrbl. 1833. II. B.
') Vgl. Grimm Altdetit. Wilder: Bedeutung der BIvmen und BliTter. I. 137.
^) Gervinus nennt das Seht bah ein ^gefabeltes Kraut, ^ es exislirt aber
vi'irklit-h unter diesem Namen und die bolani^cbe B(;zeichnung dafür lautet
Achillea ptarinita.
>) Vgl. t, B. aus einer Münchner HS. (XV. Jahrh.) bei DMand. I. 394 u. 1016.
—- Einer der fröhlithslen die>er Art ist der freilich eli^na spätere Jörg
Gral'f, aus dem Ries gebürtig, er trat als Landsknecht in Kaiser Maximilians
Kriegsdienste, bi!$ er, der Bruder aller Landsknechte, wegen einer Wunde
aus dem Orden scheiden musste; er lebte zu Augsburir, Nürnberg und
Slrassburg, wo er um 1523 gestorben sein soll. Anfänglich in volksthüm-
lichen Weisen dichtend, bequemte er siih später mehr tur Meist ersängerei.
Vgl. 0. Schade im Weimar. Jahrb. IV. 1856. S. 41^ /f., wo auch die
histor. und landschaftlichen Anklänge erläutert sind. Von ihm ist das flotte:
Gelobt sei, der sam ersten erdacht
dasz man in der münz die hiller macht:
. er hitCs gar wel besunnen, •
mir ist gar oft all meiue münz
biss auf drei hiller zeiruaoen
574
nach alten geistlichen "V^^eisen, JägerKeder, Zefefieripfüche ond Wein-
segen voll sprudelnden Hnmor^ z.B. die des Hans Rosenpl fit: ^)
Da bist meiner Zungen ein^ sftsse Naschung
Und bist meiner Kehle eine reine Abwaschung;
Du bist meinem Herzen ein edel Zufliessen
Und meinen Gliedern ein heilsam Begiessen
Und schmeckest mir bass dean alle die Brunnen»
Die aus den Felsen je sein gerunnen.
Wenn ich kein Dutten nie gemer gesach»
Behuf dich Gott vor St, Urban« Plag, *)
Und beschirm* mich auch vor dem Sträuchen
Wenn ich die Stieg* soll hinauf tauchen,
Dass ich aaf meinen Füssen bldb
Und fröhlich heim geh* zu meinem Weib
Und Alles das wisse, was sie mich frag.
Nu behfit dich Gott vor Niederlag!
Du seist hinnen oder do aussen,
Gesegen dich Gott und bleib nicht lang aussen«
odor: Nun gesegne didi Gott, du allerliebster Trost!
Du hast mich oft von grossem Durst erlost
Und jagst mir alle meine Sorge hinweg.
Und machst mir a)te meine Glieder keck.
Denn do machst manchen Bettler fröhlich
Der alle Nacht leit auf einem bösen StrobUcb«'
So machest du tanzen Mfinche und Nunnen,
Die es nicht thäten, tränken sie Brunnen;
So machst. du*s manchem Handwerksmann,
Dass er in einem zerrissenen Kleid muds gan;
Die alten Bauern in den Dorfen
Deren hast du manchen in den Koth geworfen
Wann sie sich nesteln an ein Weinreben:
Das sei dir Alles vor Gott vergeben,
Und ich geben* dir beim päbstlichen Bann
Du seiest bei Frauen oder bei Mann,
So komm herwieder zu rechten Zeiten
Wenn ich den Mund oft in die Schwemm* mvtss reiten.
*) Htupl Altdeot. BIfifier. I 401 (T.
*) Sl. Urban ist der Fatron der Winzer und der Weinbauer; St. Urbaas
Plage die Trunkenbeti und das Podagra. Der Tag dieses Heificeo wurde
im J&lsass, ion Etschland and in Franken besonders gefeierr. Die Rfimbergcr
WS
Der Wein wird bei Harpfen, Geigeo, Tanzen ond Baden immer
Tom Dichter zu Gast geladen, er ist der Tiöster der Pilgram auf den
Wallwegen, er ist der Tröster der Lahmen nnd Blinden, doch steht
auch die Warnung dabei: 9,Wer dein zuviel an die Ohren hengt, der
hat sein Weisheit aoss geschenkt.^ Rosenplüts Zecherwitz hat mehr
von der Plauderhaftigkeit des alt^ Abu Seid als von der Schenken-
weisheit des Mirza Schaffy. Doch ist es immerhin lehrreich, unsere
Vorfahren zu beobachten, wie sie vor vierhundert Jahren hinter der
Kanne sich gebehrdet haben und dabei aufthauten:
Nun grüsse dich Got, du lieber Trunk!
Ich war dir holt, da ich war Jungk :
So will ich im Alter nicht von dir weichen;
Ich will dir Nacht und Tag nachschleichen,
Und wo du bist, da bin ich gern.
Wenn ich kann krawsen und Becher leren
Und auch wol slawehen aus dem Glas.
Das lernt ich wol do ich junk was;
Doch dunkt mich ich thu* im Alter auch Recht.
Alle meine Freunde haben dich nie verschmeht
Wann du zewhest an dich als der manghet.
Mancher zu mittage zu dir get
Der kaum von dir kumpt zu mittemacht.
Das haben dein suese zug gemacht:
Und^ wurffest du ir 2^hen des Nachts in das Kot emieder,
• So gingen sie doch des Morgens alle gern hinwider
Und suchen sollich lieb und freuntschafl zuder (zu dir)
Sam werest du ir leiplicher Bruder.
Alle Juden, Heiden und Christen, die piten
Duz Got beschawem wolle und befrieden
Den Stock und die Reben, daran xlu hangest
Wenn du so lieblich vor mir prangest,
Wiei mochte ich dir das ymmer versagen.
Ich nrosste dich herein giesseu in mein Kragen.
Ein anderer Erguss der Hans Rosenplütlichen Laune lautet:
Nu gesegen dich Gott, du edele Leibsalb!
Da ertzneyest mich allenthalb,
hielten einen eigeaeD Unsag (Abbildung in Roth^s Nfirnb. Toscbenb. 1812.
1 233). wobei der ^heilige Bischof^ auf eitlem Schimmel rili und wenn
es ao oem Tirffe regwAe^ jedesmal in den dar St Lorenskirebe gegenüber
befindlicben Wassertrog geworfen wurde.
&7g
Wann da bist ein gesonter Syropel !
Der Reyser von Constantinopel
Und der grosse Kan von Kathey
Und der Priester Johann, die yeicheo drey:
Die mochten dein Adel nicht vergelten:
Solt ich dich dann dorurob schelten?
Kein Hochtzeit vard nie so gross,
£ist du nicht darauf, so ist sie bloss
An Freuden und an Frolichkeit.
Gelobt sei der Stocks der dich do treyt!
Man sagt von kühlen Brunnen im Mayen
Wenn Mann und Frawen darüber reyen:
Kumest du nicht dar mit vollen Flaschen^
So schlägt alle Freude in die Aschen!
Und wäre der Pabst zu Tisch gesessen
Und sollte der Kaiser mit ihm essen
Und hätfen vor sich dreissig Gericht'
Noch war' es alles zumal vernicht'
Wenn du nicht gegenwärtig wärst; v
Und wo du meiner Hülf begehrst,
So müssen dir dienen all' meine Glieder:
Nun gesegen dich Gott und kum* schier herwieder.
Wie früher Einer zu Benedictbeuem alle Lieder, deren er habhaft
werden konnte, in einen Codex zusammenschrieb (vgl. ob^n S. 430 die
cannina burana), so veranstaltete eine Frau zü Augsburg,- Namens
Clara Hätzlerin, wahrscheinlich im Auftrage des Jörg Roggen-
burg,') eine ähnliche Sammlung aus ihrer Zeit, die sie mit dem Jahre
1471 vollendete.') Es ist ein starker Foliant von 363 Blftttem, den
die Schreiberin zusammentrug, die man seither fär eine Nonne hielt,
die aber schwerlich diesem Stande angehört haben kann. Denn abge-
sehen davon, dass ein Nönnlein dergleichen lustige und häufig auch
säuische Lieder mit ihrer Hand kaum copiren würde, so wäre auch der
Beisatz ihres vollen Namens unerklärlich, da es herkömmliche Sitte
war und ist, dass die Klosterjungfrauen bd dem Eintritt in die 6e-
') Er malle mit ungesihickten Federsirirhen sein WappeD hlaetii und sduieb
dazu: ^llem, daz poch ist Jörir Roggenburg, ^er esz hab, der bn jais
wyder werden. Anno dorn. 1470.^
*> Maob der nun zu Praff befindlichen HS. heranefegebeB von IL Bailaos.
Quedlinburg 1810. (VTlI. B. der BibK der ges. deut Nai.-LÜ.) EiM ihm
Sanmlnng ist in Münchea, die von der Prager HS. der Clan Bitsieria be-
deutend abweichi.
577.
iflbdä mit der Welt auch ihres früheren Namens sich begeben, es müsste
nm* eine ausgespningene Nonne gewesen 'sein, wie jene, welche Helm-
brechts Haube sdckte und mit Händearbeit ihr Leben fristete; dann
wäre der zweideutige Inhalt auch völlig begreiflich. ^
Das Bach oder vielmehr die darin aufbewahrte Dichtung, trägt
doppelte Signatur. Ein Theil schleicht noch in den alten Geleisen der
mittelalterlichen Poesie fort, ist aber im Vergleiche mit dersejhen matt
und unerquicklich; doch sind auch schon neue Wege eingeschlagen, die
als Ausgangspunkte für die Richtungen der darauf folgenden Zeit zu
, betrachten sind, als die Keime der später aufblühenden Blumen.
Voraus stehen die erzählenden Minnelieder, in welchen der Sinn
Ar die äussere Natur, für Liebe und die menschlichen Empfindungen,
für alles Objective oft sehr prägnant hervortritt , dieses geschieht
jedoch im Gewände der Erzählung, welche ebenso an dialektischer
Plauderhaftigkeit leidet wie an meistersängerischer Breite des laufenden
Fadens. Die Handlung spielt sich mit handwerksmässiger Steifheit ab,
dazu kommt eine gewisse Monotonie, die namentlich immer in der Ein-
leitung empfindlich ist. Der Poet geht spazieren oder auf die Jagd,
verirrt sich in einen schönen Garten Ojier in einen Wald und begegnet
einer &belhäft schönen Frau, entzückt redet er sie an u. dgl. Ein hüb-
sches Genrebildchen ist das Folgende: ') Als der erzählende Dichter
einst aus der Kirche konmat, blickt er zufällig in des Pfarrers Gemach
und gewahrt da eine junge Frau, welche kniend vor dem Pfarrer beichtet
Neugierig horcht er. Der Pfarrer fragt die Frau, ob sie nicht Buhl-
schaft treibe und als sie es bejaht, so ermahnt er sie, selbe fahren zu
lassen, da keine ohne S^nde sei. Allein sie erwideit, dass die Liebe
zu ihrem Knaben keine Sünde sein könne, da er nichts anderes ge-
denke, als wie er ihr zu Willen lebe, und sie züchtig und ehrsam liebe.
Der Pfarrer meint zwar: Gott habe geboten, man solle Ihn allein im
Herzen lieben und von weltlicher Liebe lassen, sie aber versetzt: Gott
habe auch geboten, man solle seinen Nächsten wie sich selbst lieben,
also belehrt sie ihn, wie die Liebe zu ihrem Gesellen sie beglücke und
wie dieser wiederum ihretwegen nach Sittsamkeit, Frömmigkeit und
Ehre strebe. Die Ehe und Ritterschaft seien -die kräftigsten Orden,
ohne Buhlschaft würde es anders stehen, die Liebe treibt den Geliebten
zu Reisen und Thaten; es stünde schlimm um die Christenheit ohne
Hebende Ritterschaft. Der Priester erklärt sich für überwunden und
ermahnt sie zur Treue; sie verspricht es, wenn ihr der Geselle treu
bleibe, auf ewig. Der Pfarrer wundert sich darüber, dass sie nach so
') Haltans S. 115-22.
37
.578
vielen Lobeserhebangen an ihres Gesellen Liebe zweifeln könne; sie
bittet ihn um Vergebung dieser Schuld und geht Der Dichter aber
preist solche Treue , schmäht auf die Klaffer und wünscht den Beiden
Glück und Freude. — Ein andermal (S. 143) fahren zwei Frauen Krieg,
ob es besser sei, Liebe zu üben oder ohne Liebe zu bleiben; es ist ein
dialektischer Streit, den die Frau Minne, die Schulmeisterin der Liebe,
angezettelt hat. Es komnlen nun allerlei Verhältnisse, gereimter und
ungereimter Natur zur Sprache, schwere casuistische Fälle and symbo-
lische Fragen, z. B. was die verschiedenen Blätter, Espen, Linden und
' Eichenlaub bedeuten, Hagedorn und Wegweis u. s. w. Dess^ichen findet
sich die schon früher von Conrad von Wirzburg bearbeitete schöne
,, Herzmäre'' in einer neuen Behandlung. (S. 173 ff.) Ein andermal
(S. 187 ff.) wird der Wankelrauth der Männer gegeisselt, aber auch von
4er untreue der Weiber sind abschreckende Beispiele (wie ain muoter
ir dochter pulen lernet. S. 305) gegeben. Dazu kommen idlegorische
Erzählungen, in denen sich mehr oder minder glücklich, der Eäaflnss
der kliassischen Literatur verspüren lässt, Frau Venus und ihr ganzes
Hofgeschwader tritt zu Tage und wandelt personi&cirt in der Welt um-
her, den Menschen unter' verschiedenen Umständen, im Traume, auf der
Jagd, auf Spaziergängen erscheinend. Alles meist mit armseliger Er-
findung.
Ohne Vergleich erquicklicher ist das eigendiche Liebe 8-Li«d,
das in der Handschrift den zweiten Theil bildet, vom Herausgeber aber
voraus gesetzt wurde. Der grössere Theil hat noch alle Gegenstände
mit dem Minnegesang des XIH. Jahrhunderts gemein. Der Singende
erfreut sich noch, wie früher, der Natur, des Frühlings und besonders
des Maien, des Sommers und des Herbstes, der rothen Blnnien, de«
Thaues, des grünen Angers und des Waldes; es gibt nodi Tage* und
Wächterlieder^ der Sänger buhlt noch um die Gunst seiner Angebete-
ten, schildert mit überflüssiger Wählerei ihre inneren nnd äusseren Vor-
züge und Reize, preist seine ]]|ienstleistungen, seine Treue, seinen Eifer
an, wagt aber nicht den Namen der Gefeierten kund zu thun, f&rditet
'den Tag und die bösen Klaffer, beschwört sie nur um eine kleine Huld,
um einen Blick, um eine Umarmung ihrer schneeweissen Hände und
auch um mehr, damit sein Herzeleid für lange Zeit Beruhigung, er
selbst Kraft zur Beharrlichkeit in seiner Liebe fände. Die Lieder sind
sinnlicher, nackter und freier geworden, ebenso wie die Sprache an Be-
weglichkeit und die Phantasie an Ausdehnung zugenommen hat, das
feinste, zarteste und gröbste liegt nahe beisammen, die früher conven-
tionelle höfische Sprache ist zu einer Redensart verschliffen, herabge-
kommen und gemein geworden, darum verlautet manches viel platter,
579
•
wie denn statt des ininniglichen Firlefanzes die ^buhlende Liebe.^ und
^Buhlerei^ sich gefunden hat. Ueberraschend ist die Fülle der Tage-
und Wächterlieder, die bis in die gewöhnlichste Gemeinheit hemieder-
steigen; desto kräftiger reagirt dagegen das eigentliche Volkslied,
das mit brunnenklarer Lauterkeit wie ein muthwilliges Wässerlein durch
das lustige Grün geschwätzig dahinplätschert , indess das ganze Erbe
des Mittelalters nur durch künstliches Druckwerk in Bewegung erhalten
wird. —
Natürlich finden sich in der Sammlung der Klara Hätzlerin viele
Gedichte von bekannten Sängern, häufig mit dem Beisatz ihres Namens;
merkwürdiger Weise' sogar aus der Blüthezeit der Lyrik ; so hatten sich
einige Marienlieder des frommen Mönchs von Salzburg bis auf diese
Zeit Jierab erhalten (S. 257 u. 302), Sprüche des Freidank und das
Fresslied Neidharts (S. 69), obgleich in etwas zeitgemässerer Weise
mit modemisirtem Texte; daneben zwei Sprüche von dem österreichi-
schen Teichner, von Peter Suchenwirt, von dem unstäten Fah-
renden Suchensinne, den wir bereits oben (S. 560 ff.) begegneten, vom
Meistersänger Muscablüt, vom tiroler Eulenspiegel aller Ritterlich-
keit, dem weitgereisten Grafen Oswald von Wolkenstein, femer
von Hermann von Saöhsenheim, Hans Rosenplüt und dem
sonst weiter unbekannten Jörg Schilcher und Kalten pach (S. 283).
Das Liederbuch der Klara Hätzlerin ist also eine Art lyrische Antho-
logie') und gibt einen Einblick in die ihr erreichbare Literatur und in
den Geschmack jenes Herren, in dessen Auftrag sie den Codex zusam-
menschrieb. Auch die Sittensprüche des sogenannten Cato und einige
Spruchweisheit des Freidank liaben hier Platz gefunden, dazu eine
niedliche Sammlung von Sprüchen und P riamein. ^) Den leeren
Rand der Blätter aber benützte die Schreiberin, um epigrammati-
sche Denkreime einzutragen, von denen je zwei meist so zusammen-
') Andere lehrreiche Sammlungen dieser Art sind dieWirzburffer Hand-
schrift, heschrieben von Rottmann in Ast: Zeitschrift f. Wissenschaft
n. Kunst Landshut 1806. I. B. 4. Hft. S. 94-98; in Hagen'sllS. IV. 901 ff.
und in dessen Ges. Abent III. 765 — 770, dessgleicben von Dr. Ruiand.
Ferner die aus dem Anfange des XVI. Jahrb. stammende Papierbandschrift
auf der Regensburger Stadthibliotbek (vergt. Mone Anzei^r VII.
493 ff. Ha^en Ges. Abent. III. 794 fT.) und die Heidelberger Lieder-
handschrift, welche 1516 zu Augsburg entstand.
^) z. B. No: du solt sein, ob dem tisch ain adler, vf dem veld ain leo, vf der
gassen ain pfaw^ in der kirchen ain lamb, in dem pett ain äff! — oder:
Ain zäun wert drey jar, ain hund wert drey zäun, ain pferd drey hund, ain
mensch wert drey pferd^ ain esel drey menschen, ain schneeffans drey esel,
•in kraw drey genns, ain hirsz drey krawen, ain aich drey nirsz, ain hel-
fant wert drey aichen. — Eine Unzahl Priameln finden sich in einer
Münchner Handschrift: die Anfänge verzeichnet bei Keller Fastnachtspiele
III. 1162 ff.
3r»
580
Stehen, däss Lob und Tadel, der letztere oft ziemlich schinatzig, ein-
ander gegenübergesetzt sind. —
Walther von d^r Vogelweide und Reimar von Zweter waren die
ersten politischen Dichter, die mit unerschütterlicher Freimüthigkeit
ihrem edlen Zorne in kunstvollen Sprüchen und Strophen Luft machten.
In derselben Weise ging auch der Volksgesang , welcher in seiner epi-
schen Vorschule immerdar nur von edlen Fürsten und Heroen der Vor-
zeit gesungen hatte, bald auf den geschichtlichen Boden der Gegenwart
über und es entstand das historische Volkslied, dem auch als-
bald das politische Lied folgte. So wie die Sage zur Geschichte
sich verhält , so steht auch das Volkslied, was Thatsachen betriflt,
ohne Zweifel hinter der Urkunde zurück; aber das Lied gibt, was die
Urkunde viel weniger kann, das Licht oder den Schatten an, in welchem
siclf Personen und Handlungen in der Meinung der Mitlebenden abge-
spiegelt haben.') Und welch eine Macht die Meinung sei, und wie sie
viel öfter die Mutter als die Tochter der That sei , das lehrt fort und
fort die Geschichte. Das regelrechte poetische Verdienst wird bei
solchen Producten natürlich immer weit zurückstehen. Eines der älte-
sten ist das Lied von den beiden Heinrichen. ') Den Inhalt
bildet der Empfang der beiden Heinriche oe^ Kaiser Otto L und eine
nach dem Gottesdienste folgende Berathung Otto*s mit Heinrich von
Bayern. Ueber das Geschichtliche haben sich Grimm und Docen*)
verbreitet, das Formelle daran zeigt, dass die Dichtung sich kaum aos
den Eierschalen der Latinität befreit hat, denn die erste Hälft« der Lang-
zeile ist immer in lateinischer Sprache abgefasst. Später kommt das
SpotXlied auf K. Ludwig den Bayer. Es enthält 136 Verse und
stammt aus den Jahren 1334 — 40; der verunglückte Anschlag, welchen
Kaiser Ludwigs Feldhauptmann , der Graf Rudolf von Hohenbnrg, anf
die Stadt Feldkirch machte, bot die Veranlassung dazu. Das Gedicht
ist aber für uns nur in so ferne von Belang, als der Sänger, der offen-
bar bei Feldkirch zu Hause war, die Münchner Frauen spöttelnd be-
klagt, weil ihre Männer in das Feld ziehen sollten (v. 99); sonst hat
der Spruch für uns keine Bedeutung.^) Daran reiht sich der Spruch
') Vgl. Schineller in der Einleitung zu Körners histor. VoTksliedern. 1810.
^) Nach Wackernagels Herstellung in HofTmaons Fundgruben. I. 340.
') Docen in Homayr's Archiv. 1823. S. 532: Hertog Heinrich L voo Bayern.
Sohn Kaiser Heinrichs des Vogelstellers, lebte mit seinem älteren Bruder
Kaiser Ollo längere Zeit in Unmeden, bis Beide auf Bitten ihrer Mntler, der
Irerflicben Mathilde; wieder ausgesöhnt wurden; Heinrich erhielt durch de«
Kaiser, nach Herzog Bertholds Tode^ im Jahre 947 das Herzogthnin Bayern
und starb nach einer unruhigen Regierung 952,
4) Lassberg Leidersaal. 1825. HL 121-24.
^1
von der AH in ger seh lacht 1422') upd das Lied von der Belage-
rung Bambergs 1435, ') dessen Dichter sich einen Hoffer nennt,
der am ein Gewand bittet.
Hieher gehören auch die Lieder von Tanhauser und Brennen-
berger, welche bereits oben ihre Würdigung erfuhren, ferner vom
Jadenmord zu Deggendorf 1337,') vom edlen Möringer,'*) vom
verwegenen Stegreifritter Eppele von Gailingen (+ 1386) und von
dessen mythischem Spruöge über den Main, zu Wirzburg oder von der
Nürnberger Stadtmauer,*) sein Rösslein ist ein Wanschpferd und die
letzte Metamorphose oder Incarnation des göttlichen Sleipnir; hieher
gehören der Nürnberger Schüttensa nie n*) und die Klage über das
unglückliche Ende der schönen Agne*s Bernauer') u. s. w.
Das eigentliche politische Lied beginnt mit dem Krieg der
Fürsten und Städte (1450)-/) der Oichter sagt: der Böse habe
den Samen der Zwietracht ausgesäet, die hochfärtigen Stande vertreiben
den Adel und feinden die Geistlichkeit an ; sie nennen sich das römi-
sche Reich und wären doch nur Bauern, welche hinter der Thüre stehen
müssten, sobald die Fürsten hervorträten. Trompeten und Pfeifen habe
ihnen König Sigismund erlaubt, welche doch nur dem Adel zukämen
und Bürger und Bauern übermüthig gemacht hätten. Jetzt, fährt er
fort, trügen sie Mardei-pelze , früher hätten sie noch mit Fuchspelzen
vorlieb genommen, damads hätten sie auch stinkende Stiefel gehabt.
Aach ihre Weiber tragen gleich den adeligen Frauen mit Hermelin ver-
brämte Kleider. Klöster and Kirchen haben sie geplündert and zer-
stört, selbst das hl. Sacrament haben sie nicht verschont. Am ärgsten
geschah dieses im Böhmerland ; Michel Behaim und der RosenplüU
welche als Augenzeuge dabei waren, können davon erzählen. Nachdem
') Hormayr Taschenb. 1832. S. 125
') Heller Die Altenburg bei Bamberg. 1828. S. 131.
^) Hormayr Tasehenb. 1832. S. 145. Körner. 1840. S. 227. Schels in den
Verhandl. des bist. Vereins von Niederbayern. VI. 243 ff.
4) Grimm Deut. Sagen. H. 253 ff. (Jhland Nro. 298.
*^) Hormayr Archiv. 1831. S. 445. Heller Muggendorf und Umgebung. 1829.
S. 178. Körner S. 195 ff. Uhland I. 1014. Gödeke Grundrias. S. 258
u. 269. Den Sprung zu Wirzburg besingt der eekrönte Dichter Ma^. J ob.
Lorieb von Hadamar., welcher im Gefolge des Landgrafen Philipp des
Grossmüthigen von Hessen 1541 die Stadt Wirzburg passirte; er sah das
angeblich zur Erinnerung gesetzte* Steinkreuz, ebenso der Reimacb mied Job.
Episcopius 1569.
«) Uhland I. 315.
*) Vgl Hobeneicher in der Eos. 1825. Nro. 123.
") Hormayr Archiv. 1832. S. 27. Taschenbuch. 1832. S 24 ff.«u. im Lieder«
buch der HäUlerifl, Haltens S. 39—41. (Uhland Nro, 166.)
588
in dem obengenannten Gedicht, die Fürsten , welche för den Glauben
gegen die Städte das Schwert zogen, aufgezählt sind, kommt folgender
Vers (V. 85—90) :
Augspnrg hat ain weisen rat!
Das brüfb man an ir kecken tat
Mit singen, tichten und claffen.
Sy band gemacht ain sing schul
Vnd setzen oben uf den stul
Wer übel redt von pfaffen.
Die Meisterschulen zu Augsburg und Nürnberg entstanden im XV.
Jahrhundert Das Gedicht scheint von einem Geistlichen herzurühren,
dem es ein grosses Herzeleid ist, dass die Bürger, welche er Bauern
schimpft, über den Adel obsiegen, wesshalb er auch am Schlüsse deren
Verderben wünscht:
Gelück bestand dem adel bey,
verpewt den pawern ir geschray!
wünsch ich von ganzem herzen,
daz sy sich vor dem- adel schmiegen
vnd nicht gewynnen an den kriegen
dann rew, laid vnd schmerzen.
Die Gedichte im Liederbuch der Hätzlerin fallen in die Zeit der
Kaiser Karl FV. bis Friedrich III. oder bayerisch gesprochen, von Herzog
Johann (t 1397) bis Albrecht IV. (t 1508). Die Democratie erhielt
bereits 1349 in Nürnberg durch Geissbart und Pfauentritt und
in Augsburg nach dem Misslingen von 1303 in den Jahren 1352 und
1368 durch den witzigen Weber Johannes Weiss die Oberhand.
Obschon Karl IV. die alten Geschlechter wieder einsetzte, sassen doch
nach wenigen Jahren die Handwerker abermal im Rathe. Es gährte
überall furchtbar; noch kläglidier gestalteten sich die Verhältnisse unter
dem (1400 abgesetzten) K. Wenzel. Ritter und Städte lagen in offener,
blutiger Fehde; die Städte waren zum Selbstbewusstsein ihrer Kräfte
gelangt und schlössen Bündnisse, ebenso der Adel (Löwenbund). Ueber*
lUl Gährung und Unruhe; in Bayern die blutigen Händel Caspar des
Torringers mit Herzog Heinrich.
Bürger und Bauern hatten sich auf Kosten des Adels gehoben,
hatten den Handel an sich gebracht, hatten Reichthümer aufgehäuft,
einen Glanz, eine Kraft, einen Stolz entfaltet, welche den Adel zu
Neid , Feindschaft und entnervenden Kämpfen verleiteten. 0 Je Q^hr
0 Vgl. dM Gedieht Ritler and Bauer in Docens Mfscetf. 1807. 11. 9tt a.
m
m
der Adel mit den Fürsten im Bunde die Bürger za demütlrigen sachte,
je mehr er sich bei seinem Versinken in Armuth nnd Hilflosigkeit auf
Oewalt, Raab und Plündening legte: desto kräftiger rührten sich die
Bürger, desto selbständiger kämpften sie hinter ihren eigenen Mauern
auf eigene Faast für ihre Freiheit and ihr Recht
Wir haben oben in der merkwürdigen Aeusserung über die Augs-
burger Singschule einen clericalen Schmerzensschrei vernommen, es ist
vielleicht gut, im Gegensatze dazu die Singschule selbstredend einzu-
führen, wie sie sich im Jahre 1449 äusserte:
Die arm gemain die waist nit, was sie tut,
vergeust des kriegs unschuldiglich ir plut,
ich bitt dich, herr, hab uns in demer hut!
wann die häupter, die cristenhait regiem
und die den haiigen glauben solten ziem,
die sieht man in dem krieg den raien fürn:
bischof von Menz der fürt den raien vor,
ich lobt es bass, sung er daheim im kor
and lugte, daas er gieng das recht gespor.
Der bischof von Babenberg tanzt im nach,
bischof. von Aistett springt den raien auch,
dem almusen ist zkriegen worden gach;
vil haüger vätter haben den glaaben gmert
und haben gross volk zum Christenglauben kert:
der glaub durch sie wirt widerumb zerstört,
o herre gott! das laid tu ich dir klagen,
ich hab gehört man vinds durch die weissagen:
es kum darzu dass p&ffen werden ersehlagen!
Als im Beginn des Xm. Jahrh. die Sitte aufkam, dass man für
die Spendung der heiligen Sacramente bestimmte Taxen entrichten
sollte, damit der arme Clerus seine Abgaben nach Rom leichter be-
streiten könne : da hatte Walther mit heiligem Zommuthe seine Stinune
erhoben und die armen Bettelorden hatten sich zuerst auf die Seite der
unruhigen Köpfe gestellt und die „Wohlthaten Gottes** ohne „Pfennige''
gespendet. Bald aber wurden auch diese Democraten des Christenthums
in den allgemeinen Strudel gerissen und gaben sich den weltlichen
bei Uhltnd I. Nro. 133. Dazu das Treiben des Ulrich Schwarz in
Augsburg, der sich Öfters zur Wfirde des Börffermeisters schwindelte, bis
er 1478 darch den Strang gerichtel wurde. Vffl. das Lied auf den durch
Hm 1477 gemordeten Hanns Yittel, mitgetheill von Massmann in den
Bayr. Annalen. 1833. S. 1140.
684
•
Interessen der anderen, vomehmen Orden bin. Zwar war die ^udoqh
stische Neuerung bald wieder unterdrückt worden, der Klerus aber hatte
die Welt nun einmal lieber gewonnen, als das Gottesreidi und die
adeligen Bischöfe trieben ritterliches Spiel und Waidwerk um die Welle
mit der verkommenem Busohklepperschaft. Wie tief die ^Pfaflfheit" her-
abgekommen war, zeigt ein einziges Exempel. Als Herzog Albrecht III.,
dieser wahrhaft fromme Herr, die verweltlichten Klöster reformiren und
desshalb den ausj^ezeichneten Abt Konrad V. mit dem Zunamen der
Ayernschmalz , von Tegernsee nach Mönchen kommen Hess (1448),*)
waren in einer Nacht die Augustinerherren ans Angst vor dem braven
Visitator aus ihrem Kloster verschwunden und binnen drei Tagen aus
der Stadt, ns^h Augsburg und Ulm entflohen, so dass der stattliche
Klosterbau völlig verlassen stand. Durch Herzog Albrechts Bemühungen
und seinen redlichen Willen kam allgemach wieder eine bessere ^Pfaff-
heit^ zu Stande, wo aber sein Arm nicht hinreichte, da Wucherte das
Unwesen ärger denn je, und Ulrich Wiest sang in seiner verlästerten
Singschule zu Augsburg im J. 1449 mit Recht:
Den gaistlichen ist almusen nit gegeben,
dass si der cristenhait söln widerstreben,
si ftiren uaordentlioben ir leben:
das almusen tumieret nnde stichst,
das almusen das hadert unde ficht,
das almuaen treibt alle nngeschioht.
Das almusen das ludert unde spilt,
das alnmsen das raubet unde atilt,
das almusen kainer büberei bevilt,
das ahnasen hovieret nnde singt,
das almusen alle unrecht verbringt,
das almusen das jaget und baist (beizt)
das almusen das krieget unde raist,
das almusen wittwen und waisen naist.
Das almusen die beste pferte reit,
das almusen die lindeste bette leit,
es hat den grössten woUust in der zeit,
das almusen das tregt die besten wat,
das almusen die beste klaiuet hat,
ich kan nit vinden wa es gschriben stat;
') BurghoUer Beschreibung von München. 1796. S. 212. Westen rieder
Beitrage. V. 38 ff.
• _M6
das almoaen das jseucht die zftrtate leib,
das almoseu das pfligt der schönsten weib,
ich roain dass's kain lerer znm rechten schreib etc.
Unter dem Almosen sind nicht allein die Bettel orden verstanden,
sondern auch die zahllosen Wohlthätigkeitsanstalten , die neben den
Rlöstem der allgemeinen Noth steuern sollten und derselben höchst
hilfreich unter die Arme griffen, auch die Anzahl der angeblichen Arrauth
und wirklich Nothdörfligeu so segensreich vermehrten, dass ein schreck-
liches Proletariat und eine unabsehbare Landplage entstand. Die Ge-
schichte der Wohlthätigkeitsanstalten einer einzigen Stadt, z. B. von
Straubing, ') gibt hierin einen wahrhaft erschrecklidie9 Einblick: die
Armnth und der Uebermuth wurde nur gefüttert und grossgezogen. Erst
die neuere Zeit wusste dieser brennenden Frage von ftirehterlicher
Tragweite eine neue Behandlungsweise abzugewinnen.
Alle Fragen der Zeit laufen in Rosenplüts Sprüchen zusammen,
er ist der beste Repräsentant aller damaligen Bewegungen. Er hatte
den Zug des Reichsheeres gegen die Hussiten mitgemacht und schildert
die unglückliche Niederlage und schmähliche Flucht von T ach au und
Tauss (14. August 1431) als Augenzeuge.') Es klingt wie Ironie,
Wenn er die verbündeten Fürsten vorerst prahlerisch unter sich reden
lässt, wie sie der Husserey zu Leibe gehen wollten und wie sie dann
beim Anblick der Feinde allen Muth vertieren und in kopfloser Eile ihre
Rettung suchen. Am schönsten lässt er den Herzog Albrecht von
Bayern, den Bischof von Franken und Wirzburg sprechen; mit einem
Gebet för die vielen Erschlagenen endet er dann sein ^ Gedicht.^ Noch
schärfer ist der andere „Spruch von Beheim,"*) der auf das Bit-
terste die Uneinigkeit der ausgezogenen Fürsten tadelt, die alle vorerst'
in Ruhmredigkeit sich ergingen, die zu erobernden Städte im voraus
unter sich theilten und beim Anzüge der Hussiten immer gleich Fersen-
geld gaben:
Do wurden die forsten alle zu toren
Vnd fluchen ee sie ye kein veinde gesahen;
Solt got das nicht von in versmahen
') VgL G. Kolb. Straubing 1858. Die Stadt Mürnher^ hatte 1467 wie Ro-
senplöt in seinem Spruch beschreibt, fünf Almosen; in München gab es
anch ein reiches Almosen; Über das damalige Beftelwesen ^ibt das über
Vagatorum, Augsburg 1509 und Hoffmann von Fallersieben im Weimarer
Jabrb. 1856. IV. 65 ff. sehr lehrreiche Aufschlösse,
*) Znm erstenmale gedruckt aus der Dresdner HS. in Jordan: Pas Königthum
Georgs von Podebrad. Leipzig 1861. 8. 414—21.
•) Ebenda». 8. 421-27.
59» *
Vnd waren doch alle durieh g ot aaskatnen,
Ynd suchten dannoch nur ireh fmmen
Wie yeder mocht seinen peutel füllen.
Daramb wir got bitten sullen
Dass er der cristenheit donunb nicht plag
Dass manig fbrst so schentlich flag
Die alle treulose wurden an got
Dass die Bussen aus in triben iren spot
Dass got mocht getrauert haben vnd der engel.
Er habe manch freien Fussgänger gesehen, der gerne sein Leben
gewagt hätte, hätte man ihm nur Erlaub gegeben. Er wollte gerne deo
Fürsten ihr Lob geben, doch habe er Keinen gesehen, der solches
Verdiente:
Denn ist das nicht eine grosse Schand:
Dass Alle zogen aus dem Land
Eh' sie ein Schloss oder Stadt gewonnen?
Ich förcht', sie haben einen Faden gesponnen
Daran hängt Jammer und Herzeleid.
Mit einem Stossseufzer an die reine Mutter und Maid Maria, dau
wir nicht im unrechteq Glauben ertrinken und dass der ewige Vater
mt semer himmlischen Massenie helfe, schliesst der tiefbekümmerU
Dichter,
Ein anderer späterer Spruch behandelt den Kri^ der Fanten,
Städte und Bürger unter sich.') Er beschreibt den Zug der Stadt NöriH
borg und ihren Sieg über den Markgrafen Alln'echt Achilles, der eher
den Beinamen eines wilpes Germaniae als den des edlen und offenes
Achill verdiente. Der diesem Fürsten gegebene Beiname und eine ge-
wisse ritterliche Tüchtigkeit haben ihn zwar mit einem glänzendes
Nimbus umstrahlt, der gegen seine nicht wenigen Schattenseiten lange
verblendete, bis ihn neuere Forschungen jenes fabelhaften Scheines
entkleideten,') den nur die markgräflich brandenburgi^chen Scribenten
um ihn gehüllt hatten.
Die Veranlassung zu diesem Stadtfehdezug war beiläufig folgende:
Die Erwerbung der Brandenburger Mark hatte den Burggrafen von Nürn-
berg schweres Geld gekostet und sie zum Verkaufe der burggrSflicheD
Rechte und Besitzungen geneigt gemacht. Als es dann dem Burggrafen
') Von Nürnberger Rayss. Ein Programm fon Locbser. Nttraberf
1819. 4».
*) Vgl. Höfler in s. Einleitung zu Eybs Denkwördigkeiteo. 1840.
587
Hanns geschah, dass ihm der bayerische PjSeger tu Lanf, Christoph
Leininger seine Bnrg verbrannte, worüber der Bnrggrafe sich so grämte,
dass er noch in demselben Jahre verstarb (1419), so beschloss sein
Bmder, der Markgrafe Albrecht, Burg und Gerechtsame an die Stadt
NQmberg zu verkaufen, was am 27. Juni 1427 om 120^000 Galden zn
Stande kam. Später gereute den Markgrafen wieder der Handel and er
beschloss, die Stadt mit Waffengewalt dahin zu bringen, dass der Kauf
rückgängig und Nürnberg zu einer markgräflioh brandenburgischen
Landstadt gemacht würde. Desshalb wurde die ganze Madit des hohen-
zoUerischen Hauses im Frankenland, die ganze Verwandtschaft und
Freundschaft; der ganze Adel Frankens,') viele am Rheine und in
Schwaben aufgeboten, die der Stadt absagten, mit Ausnahme des Herzog
Albrecht von Bayern, der nach dem Tode der Agnes Bernauer mit der
Prinzessin Anna von Braunschweig sich schnell vermählt hatte. Dagegen
war Herzog Otto, der Sohn Kaisef* Ruprechts, der in Mosbach hauste,
auf der Seite des Markgrafen. Letzterer zog aber, als es zum Treffen kam,
sehr bedeutend den Kürzeren, indem er von der wohlgerüsteten Stadt ge-
schlagen wurde. So viel genügt als historische Introduction, um unseren
Dichter nun reden zu lassen. Dieser ruft zuerst Gottes friedreiche Gnade
an. Er wolle seiner Erbarmung Wolke rieseln lassen und seines Zornes
Hagel von der unfriedlichen Welt abwenden und das heilige Reich hand-
haben, dass es nicht unterdrückt werde, sondern bei dem Rechten
bleibe. Der Adel sei zwar eine scharfe Ruthe, die sie um ihrer Sünden
willen strafe, doch sollten nur die Bürger zusammenhalten, so könnten
sie wohl noch gewinnen. Das dabei gebrauchte Gleichniss ist von der
damals üblichen Art, die Augen der Würfbl oder Karten zu zählen,
hergenommen: möge nur Taus Es (der niedere Bürgerstand) sieh an
Kotter drei (den höheren Bürger- oder Mittelstand) fest anhalten, so
können sie doch gegen Ses Zink (den Adel und die Fürsten) das
Spiel gewinnen. ') Gott blicke doch immer von den Zinnen seiner Gruade
herab, halte das Schiff der Frommen vom Ertrinken zurück und sei
ewig barmherzig gegen die von ihrem Unrecht Zurückkehrenden, am
') Der bei Gelegenheit des Turniers oder Gesellenstechens sm 28. Februar
1446 voo der Stadt entfaltete Prunk mochte den heimlich lodernden Grimm
des Landadels nicht wenig angefacht haben, so dass dieser später zur De-
müthigung der Stadt gerne die Hände bot.
') Es, Daus, Drey, Rätter oder Guater, Zinck, Ses ist aus dem Fran-
tösischeo verkauderwelscht. £« ist das frans. As, Daus (denx) die Zwei
im Würfel und auch in der deutschen Karte; figürlich bedeutet Daus Es
das gemeine Volk, Quater Drei den Mittelstand. Ses Zink Standesper-
sonen; daher das Sprichwort von Contributionen : Daus Es hat nichls, Ses
Zink gibt nichts, Quater Drei muss herhalten. Desgleichen Ses oder Es, aut
Caesar aut nihil.
588
Ende werde doch Boch Recht gesprochen werden. Dies« mögen sieh
die von Nürnberg merken, sich an das Recht halten am nicht zu fallen«
wiewohl die Stadt wie ein Pferch sei, am welchen zweiuadzwanzig
Wölfe laufen and lauem , bis sie die Schäflein draussen haben. Diese
Wölfe sind laater grosse und, kleine Fürsten, welche den Schafen schriit-
lich abgesagt hatten : es sind vier HohenzoUern, ein -Zähne bleckender
Wolf von Bayerp (Fürst Otto zu Mosbach, t 1461), zwei von Eich-
stätt (Bischof Johann von Eych) und Bamberg (Anton von Rotenhan),
einer von Mainz, drei von Braonschweig , ebenso>'iele von Stettin, zwei
von Meckelnburg, von Limbach und Wirtemberg. Dagegen haben die
Nürnberger einen kräftigen Beistand an den Eidgenossen, den Schweizern
mit den langen Spiessen, so dass sie auf acht Meilen in's (xeviert (weit
vnd da preyt vnd lanck) ihre Feinde mit Feuerbesen abkehren kannten.
Rosenplüt beabsichtigt keineswegs einen Bericht vom ganzen Krieg
m geben, er hebt nur drei ruhmreiche oder doch vortheilhafte Kriegs^
thaten der Nürnberger hervor, unterlässt aber natürlich alle dazwischen
fallenden Gefechte. Es ist ihm allein um das Hauptgefecht bei Rednitz-
heim zu thun^ das den grössten Theil seines Gedichts einnimmt und
dem er höchst wahrscheinlich selber beigewohnt hat Er gibt ein sehr
genaues Gemälde der Schl^acht, ganz in derselben Weise, wie die spa-
teren Maler AUdorfer, Schäufelin oder Feselen ihre Alexander-
züge und Perserkriege dargestellt haben. Der reisige 2^ug der Nnro-
berger, ihre Wagenburg wird einem Thier verglidien, das aaszieht ond
Stein, Blei und I^eile ausgibt, welche Ritter und Knechte einnehmen;
Niemand konnte es noch niederwürgen; sein Rüssel bestand aas taosend
Büchsen- und Armbrustschützen, zwei tausend Spiesser waren söne
zwei Seiten, sein Zagel sechshundert Reiter und achthundert Schweizer
sein Herz. Dieses Thier zog von Abenberg (28. April 1450), wo
es der Maritgraf mit tausend Mann angreifen wollte; aber vor der
Stellung, welche das '^hier annahm, wichen die Gegner; der Anschlag
des Markgrafen zerbrach, ilas Thier zog ungejagt heim, was dem Mark-
grafen so leid that, dass er mit Trauern seinen Rittern klagte, er hätte
viel lieber ein Auge verloren. Weil aber das Thier nicht innen liegen
wollte, zog es bald wieder aus, zuerst gegen die Stadt Spalt. Das
blieb dem Markgrafen nicht verschwiegen, er bot Jung and Alt auf,
um dem Thier nachzustreben; mit 400 Pferden rannte er in Späh ein;
da wandte sich das Thier zom Heimzug, aber ohne sich, wie er gehofft
hatte, zu fürchten und spie (pfuchzte) ihn an mit den grossen Büd&sen
auf den Karren , dass er nicht bestehen mochte , sich zurückzog und
das Thier bei «mem Wasser erwartete. Er Hess hier eine Wagenborg
^schlagen , in die er 5000 Bauern stellte und gedachte es wie in einer
589
i
Falle zu fangen. Der Markgraf mahnet seine RittersehafI , mannhaft
zu sein , sich nicht betören und von den Schweizern keinen leben zu
Tassen, die müssten die ersten sein in den Sack! seine einzige Sorge
ist, die Gegner möchten nicht bleiben, da seine Anzahl gegen die ihrt^
doppelt sei. Allein die Nürnberger Hanptleute thatert wie wackere
(fromme) Leute , ohne Feiern und Ruhe kamen sie wieder zu ihren
Schaaren und redeten sie an, sich zu rüsten, der Feind halte vorne
auf sie, nun sollten sie beisammenbieiben. Da schrieen AHe: das walt
Gott! Hessen das Vieh vor sich hin treiben und zogen nun auf die
Feinde und diese wiederum mit zwei Spitzen auf sie. Wir wurden ihrer
bei Zeit gewahr, sagt Rosenplüt, und sahen sie gegen uns glitzern. Da
rief der Schweizer Hauptmann : Wer nun thun will als ein reclitet
Mann , der soll Föss' und Hände regen ; ich merke der Feinde Vor-
haben; das wollen wir mit Grottes Hilfe brechen. Man liess also die
Feinde ganz nahe herankommen und schoss plötzlich auf die stolE
prangenden ^reysigen^:
da ward unter uns ein solichs Krachen
von mangem harten Büchsenschuss
dass ihnen und uns verging das Lachen
zu Hembach an des Wassers FJuss.
Eben war die Sonne am Untergang, die Feinde aber hieltet) sich
fest, bis ihrer dreiundzwanzig ^p den Sätteln klebten, d. h. getroffen
waren. Der Markgraf wollte warten , bis sie sich verschossen hätten
und dann die Schweizer auseinander treiben, ein Ritter aber protestirte
dagegen : 7,Herr! lasst uns nicht so jämmerlich morden, hört! sie schiesset^
je länger, je mehr; sie sind zu lauter Teufeln worden, gegen sie hilft
weder Kreuz noch Segen, noch Harnisch von Stahl und Eisen; zH-
tfeüi nehmen die Schweizer Niemand gefangen , darum lasst uns von
hinnen wenden, der grimme Zorn hat sie befangen, sie werden den Adel
morden und schänden.^ Da wichen sie das Wasser hinab, die Nüm-^
berger ihnen nach. Doch brachte das Bitten tind Flehen des Mark-
grafen sie dahin, dass sie sich hinter eine Kirche zogen. Aber wir
schickten ihnen bleierne Schlehen (pleyem sieben, v. 2d9), und
trieben sie mit Schüssen wieder stromaufwärts bis auf eine Aue. Fünf-
mal musste die Ritterschaft weichen. Nun sagte ei^j weiser Ritter:
„Först^ edler Herr, glaubt mir, ich gönne euch Ehre und Gut, aber die
Feinde begehren den Kampf noch viel stärker als wir. Sie haben euch
vorher schon einmal gestraft, lasst euch nicht so sehr nach ihnen
dürsten. Für einen Hasen ist es nützer und ehrlicher zu weichen, als
zu sterben von den Hunden. Ihr habt sie lange gesucht und seid ihnen
590
I «
t
Qa(dige8chlichen ; ich woUte, ihr hättet sie nie gefunden.^ Nim schrie der
Markgraf: ^Hilf Ritter St Georg! Gott nod die Heiligeo habeo mein
vergessen!^ Er eUte zur Wagenburg und rie^ ihnen zu entweichen, um
ipenigstens ihr Leben davon zu bringen. Da begann die eiligste Flucht,
so dass wenn Einem ein Aug entfallen wäre, er sich nicht darnach
gebückt haben würde. Im Gedränge gingen Viele zu Grunde. Sie ent-
wichen nach Roth, der Markgraf nach Scbwabach, die eingebrocheof
Nacht wehrte der Verfolgung. Hätten wir nicht zu hoch geschossen, so
wäre nicht die Hälfte davon gekommen, aber auch so hatten sechi
Priester die ganze Nacht \ hindurch zu thun , den Verwundeten Grottes
Leichnam und die «heiligkeit^ zu bringen. Die Nürnberger behaupten,
nur einen Todten gehabt zu haben und einen anderen durch eigene
Hand verloren zu haben, die Feinde zählten 118 Tode. Es war also
damals schon so wie heut zu Tage. Rosenplfit jubelt, dass der Wolf
vor den Schafen habe üticbten müssen; die Hauptleute, welche dabd
waren, sind natürlich namentlich aufgezählt. Die Fürsten machten aas
Nürnberg selbst ein Raubhaus, in welches sie während des Krieges
2300 Gelange und 28000 Kühe einbrachten; dadurch blieben die
Lebensmittel stets wohlfeil, das Pfund Fleisch kostete 5 Heller, um
ein Ei (oder wie man jetzt sagen würde, für einen gebratenen Apfel)
kaufte man sich so viel gekochte Speise, dass man sich satt essen
konnte.
Dieses Hauptgefecht, welches Rosei^üt mit genauen Details wie
ein Augen- und Ohrenzeuge beschreibt, war das letzte Zusanmientjreffeoi
in welchem der Markgraf seine Kräfte nait der Stadt mass. Am
6. Juli 1450 wurde durch kaiserliche Commissarien ehi Stillstand ge-
macht und es kam, wenn auch zu keinem eigentlichen Frieden, doch
zu einem friedlichen Stillstand. —
Das Fürstenlob repräsentirt Hans Rosenplüt der Schneppe-
rer') mit dem schönen i^Nruche auf den trefflichen Herzog Ludwig
den Reichen, von Landshut.*) Die Einleitung dazu ist ganz gut mei-
stersingerisch: Eines Morgens, als der Tag gerade sein Fenster öffinete,
sei der Dichter in ein hohes Gebirge spaziert, wo er zwischen den
Felsen eine wunderschöne Zwergin fand, die ihm wie ein Engel von
Himmel bedäuchte. Sie spricht ihn an und fragt, wer er sei und Rosen-
') FrOber hielt msa den Roseoplüt dieses Beinamens weisen für — einen Bader,
von der Si-hneppe beim Aderlassen; doch halle schon das ^snipensnap^ ans
dem Wartburgkrieg zur Deutung fuhren können. Es bedeutet einen redseif-
fen Menschen, wie man heute noch ein plappermäuliges Kind scberswaoe
ch nippschnapp Schnepper er nennt.
*) Zum ersten male abgedruckt in J o r d a n : Gebrg von Podebrad. Leipzig 1861
S. 408— '1 4,
5»!
]^ respoodirt, ei^ trage fremde Abenlewer*) zn Fakten, Heiren,
Königen ood Kaisern, er er&rsche ihre Wappen, um sie nach Adama
Ehre zu >,plasaoiren und aach ihre Färb zn difidiren,^ an ihren Höfen
suche er seine Nahrcuig. Er gibt sieh also f&r einep i^prnchsfwecheri
Eäirenhok und Persevant aus, der mit cKplomatischen Noteu vid-
leicht im Interesse oder Dienste seiner Stadt, an verschiedene Höfe
gesandt wurde und in äokher Eigenschaft auch nach Landshut gelLom^
men war# Die Zwergin fragt ihn ntäi W€ater. ob er Oberhaupt noeii
einen lebenden Fürsten wisüe, der nach den drei höchsten Dingen etrebe:
nach Ritterschaft, ad^er Ehre und dei* mit Schild und Speer den
Frauen zu liebe ^ecfae und tmmiere; wisse ier er einen solchen, so
solle er ihr dessen Farben plasonhren. Nun nimmt Rosenplüt die Backen
roll, behauptet in heiteren Reimen die halbe Welt durchreist zu haben,
aber weder in Indien beim Priesterkönig Johannes, noch beim grossen
Kan von Kathey, oder im KaißerthniA Von IVebisunda, weder beim
König Suldan, auch nicht in Spanien, Frankreich, England oder Italien
Oberhaupt auf dem weiten Erdkreis Vom Orient bis zum Niedergang,
keinen zweiten gefunden zu haben, der mit Herzog Ludwig von Landshut
zu vergleichen wäre, der ganz einzig die Blumien der Ehre sei und ihr
Korn ausdresche;
Sein schilt empfing nye mackel noch mayl,
Der stet gehalbirt zu zweyteyl
Halb weiss halb pla schon gerawttirt
Und in einundtzwanzig teyl gedifidirt,
Auch sieht man auf seinem Helm sitzen
So leblich als man mocht malen vnd snytzen
Zwischen zweyen Angeln einen gelben leon
Mit roter zungen.sam er wolle geon.
Smner Ehren Bolt2 ist wohl befiedert; wenh er sich mit Worten
verbunden, so löste er den Knoten nie. Neunzig Tag ist dieser Herre
zu F^lde gelegen Und hat Krieg geführt, ohne eines Bauern Scheune
oder Haus abzubrennen, von den gefangenen Bauern habe er nie eine
andene Schätzung gekommen, als dass er sie wieder nach heim liess
und ihre Felder bauen hiess; den Stiften zu Bamberg und Wirzburg
habe er wieder zu ihren Rechten verhelfen; -er ist ein Hintreiber aller
Uebel und aller Seligkiiit Hergeber. Allen, die ihm beigestanden haben
den Krieg zu beenden , sei Gottes Lohn : dem hochw. Bischof und
0 Derselbe Ausdrack findet sich in d^ oben bieröbHen RechDun^en des Herzogs
Albrecbl, Liebe wird mit einer. Abentewr nach Prag gesohicki.
592
Gardina] von Aa^sborg und (km ^hrBamen weisen Ratb von Nürnberg,
aaoh Marlq^af Albrecht habe die ewige Rnhe. Anöh dem hochgeboren
Herzog Wlftehn von Sachsen ist Adel und Ehl^ zugewachsen ; der hat
an dem Rocken gesponnen und getreulich zum Frieden mitgearbeitet,
dass das ^mordiseh wetter^ ward gestillt. Gott möge es ihm vergelten,
•wenn er an seiner letzten Rechnung liege wo aHes B5se und Oute un-
versdiwiegen bleibt Gott sprenge seiner Gtoaden Segen aach auf dei
Bischof von Franken, der gleichfalls bei der ^Riehtigung^ (zu Roth) am
Mondtag vor St Johannestag 1460 mitgearbeitet
Mein Got, mein Herre, mein wiUiger Sterfoer
Halt auf die helKschen Yalcken udd Sperber,
Die üllen Selen noch sweymen vnd schiessen,
Teyl mit Dein vnschuldigs Plutvergiessen
Vnd lasse die Armen zu gnaden komen
Die in der Reise haben Schaden genumen
One Reue, one Reicht vnd x)ne alle Puss,
Lads auf sie regen deiner Gnaden Guss
Herre durch Dein Sterben, das Du tetat
Des Du noch nve verschuldet hetst!
Herre gib Gewalt vnd gut Gericht
Den Fürsten hie in meinem geticht
Gib in ein Goncluss ia allen iren Dingen
Das ein yeder Te deum laudamus werde singen.
* Herre, gib in sterk als dem Sampson,
Gib in Grehorsam als dem Abraham,
Gib in Andacht als Jeromias. (Jechonias?)
Gib in Lanngkleben als Fsechyas,
Gib in Manheit als dem Gedeon,
Gib in Reichtum als dem Salomon,
Gib ihnen Zucht wie dem 'Kaiser Otto, sende ihnen Mahnung wie dem
Lot, dass sie vor Ungtöck fliehen, mache ihre Ehe wie die des Zacha-
ria6, gib ihnen ein Alter wie das des Nöah, und die Weislieit des
DanieU dass jeder Land und Leute regiere wie Herzog Gottfried von
Belgien, lass sie nicht Hoffart fallen, verleih' ihnen Reue wie KMg
David pflog, gib ihnen überhaupt alle Vorzüge
Dass sie besleheu vor den zwölf Mannen
Da vor man spricht das letzt Urtheil,
Mach* sie von allen ihren Sünden heil
Und behüt sie dort vor ewigen Soeben ')
') mbd. soeben (v. siechen) sollte^ krinkticb sein; behftle sie von dem Ewiges
Siecüthum oder Tode.
698
Weoa sie Dein Gebot je haben gebrochen. »
Lasse sie Deines unschuldigen Sterbens geniessen
Und aller Mftrtyrer Blutvei^essen,
Und gib Dich ihnen an ihr^n Ende
Zu Speise aus des Priesters Hände
Damit man ewiglich dort geniest.
Das bitt ich Dich Herr Jesu Christ
Durch alle Dein väteriich Gut*
So hat gedieht Snepperer Hans RosenplQt. — ^
Unterdessen war 1453 Byzanz gefallen; es dauerte lange, bis man
In Deutschland das ungestüme Vordringen des Islam begriff, das in
politischer wie wissenschaftlicher Weise för uns von der höchsten Be-
deutung wurde. Rosenplüt erging sich in seinem ^Vassnachtspiel*")
in übermüthigen Scherzen ; ernster ist sein Lied ^von den Türken,**
welches in 39 fiinfzeiligen Strophen sehr feine Anspielungen auf die
deutschen Zustände enthält und sicherlich mit seinem Sarkasmus auf
ganz andere Kreise berechnet war, als das Fastnachtspiel, welches einzig
an den hausbackenen Spiessbürgerverstand des süssen nürnberger Pöbels
appellirte, der Alles gehörig mit Schweinerei versetzt haben musste,
um es geniessbar und unterhaltlich zu finden. In diesem Liede ^) inahnt
er den (deutschen) Adler, sich vorzusehen, die Türken, die ihm die
Federn zu zausen verstünden, seien ausgeflogen und die Zeiselein und
Meisen hätten sich dazugesellt; die Türken sind im Griechenlande^
flügge geworden: Gott gebe euch, Herr Adler, Glück und lasse euere
Flügel wachsen:
Die Turcken haben gesammelt einen Haufen
Und wollen grosser Vögel zwen beraufen;
Herr Adler, seid weise!
Der Eooh ist wohl strafens werth
Versalzet er die Speise.
Haben dieselben Vögel die Plattengeier und Ungetauften abgerauft,
so werden sie euch dann rupfen, das Bier wird erst durch den Hopfen
bitter! Schweigt nicht so lange, Herr Adler! man harzet den Bogen
vor man geigen will; mit Fluchen ist nichts gethan; das Kind fürchtet
die Ruthe nicht bis es selbe gekostet hat. Die Turcken haben schon
Junge ausgeheckt: die grossen Plattengeier spotten euer, Herr Adler,
*) la Gottscheds nöthigen Vorralh. II. 28. Tieck Deut. Theater. 1817. I. dw
Keller Fastna< hispiele 1853. I. 288-304 u. Jordan S. 394-402.
*) Jordan S.. 402—8.
38
594
ebenso die Kanzelschreier; die Turcken werden den ^beschorenen
Kittel^ wohl am seine Hoffart strafen. Unter alleiMei Vogelbildem bringt
er die fürstliche Habgier gegen die Städte zur Sprache, welche den
unaaslöschlichen Hass der beiden unteren Stände gegen den hohen
steigerte und die furchtbare^ Nothwehr der Niederen sowie die Hintan-
setzung alles sonst natürlichen GehorsamsgefUhles zur Folge hatte.
Er fordert den Kaiser mit scharfen Gleichnissen zum Durchgreifen auf:
Besen, Schwert und Hobel zu gebrauchen. Die Gottesliebe ist wie Schnee
zergafigen. Der Antichrist thut wirklich Unrecht, j^etzt nicht zu kommen.
Die Ehre des höchsten Königs sucht Niemand, darob ward Nabucho-
douosor schon verflucht ; der Halm gibt das Korn nicht, bis der Schlägel
über ihn kommt:
Die trew die wonet nymmer bey den höchsten,
der reichtum wil die armut nymmer trösten.
nyemant heylt die wunden,
I got slahe dann mit seinem slegel
darein und ertzeig sein macht hie unden!
Friedlicher ist sein Spruch von Nürnberg') (aus dem Jahre
1447), dessen Inhalt wir hier gerne nacherzählen, deim er gereicht ja
zum Lobe einer biederen, deutschen Stadt, welche damals der bedeu-
tendste und ansehnlichste Punkt in Mitteldeutschland war und vielleicht
geeignet gewesen wäre, die Herzkammer des ganzen Reiches zu werden.
0 Nürnberg, du viel edler Fleck, ruft er aus, deiner Ehren Bolz
steckt an dem Zweck, deine Weisheit hat ihn geschossen und die
Wahrheit ist in dir entsprossen. Du hast einen weisen Rath, eine
gehorsame Gemein und eine wohlgezogene Priesterschaft, die mit sol-
cher Haft gebunden ist, dass keiner über die Schnur kaufen darf. Die
besonderen Vorzüge der Stadt sind ft)nf grosse Almosen: das ^der
zwölf Brüder^ ; ') das zweite die beiden Findelhäuser ; "*) das dritte die
Sundersiechen , ^) die in der Marterwochen geistig und leiblich gespeist
und bekleidet werden; das vierte ist die Aussteuer armer braver Jnng-
*) Herausgegeben als Programm von Lochner. Nürnberg 1854. ~ Ein spa-
teres Lol]^edicbt auf Nürnberg, aus dem Jahre f490 von dem Metilersio|er
Kunz Hass hat Barack berausgeffeben , Nürnberg 1858; er bildet eiae
Ergänzung und Nachtrag zu Rosenpifit.
>) Gestiftet 1388 von Conrad Mendel; das Haus wurde schon 1381 gebast.
') Sie stehen bereiU 1365 im Testament des Berthold Tücher.
^) Gestinet 1394.
595
franen;*) das fünfte ist das ^osse Almosen') för Haasarme, an die
jeden Sonntag vor der Tagmess 312 LaibBrod und 624 Pfand Fleisqh
vertheilt werden; dasselbe gemessen 156 Arme. Dann rühmt der
Sprachsprecher die sieben Kleinode der Stadt: das erste ist die drei-
fache Man er and der Graben, in welchem fbnf Wagen nebeneinander
fahren können, die Mauer hat 187 Thärme, wohl mit Büchsen ver-
sehen, dass manchen Büchsenmeister darnach gelüsten mag, die Feinde
aus ihnen zu empfangen; Mancher mag sich wohl verwundern, dass
die von Nürnberg bei so stattlicher Rüstung sich so vieles langmüthig
gefallen lassen, doch hat ihre grosse Weisheit den Nutz und Frommen
stets im Auge, der aus dem Frieden entspringt; Mancher begehrt sie
wohl zu vertilgen und lechzt mit den Zähnen nach ihnen, brummt sie
an und bisse sie gerne, wenn er nicht fürchtete, trocken geschoren zu
werden (vorcht er sich nicht for truckem schem). Das zweite Kleinod
ist der Wald, aus dem seihst ein altes Weib oder eine Ra^spinnerin
sich leichtlich an einem Tage so viel Holz nach Hause schaffen kann,
dass sie auf zwei Tage Brod im Hause hat. Das dritte Kleinod ist ein
Steinbruch,') aus dem manche hohe Kemenate aufgebaut wurde,
die, stünde sie auf einem Berge, für eines Fürsten Herberge gelten
könnte. Das vierte ist.ein Kornhß-us, dann wird der schöne Brun-
nen*) gerühmt und sechstens die Pegnitz, die po breit hi , dass
kein Hirsch darüber springen könne, sie fliesst mitten durch die Stadt,
säubert dieselbe und treibt 67 Mühlräder, die alle innerhalb der Mauer
* arbeiten, kein Fürst sei im Stande, wenn er denen von Nürnberg auch
noch so sauer (feindlich) sei, dass er eines der Räder stelle. Das
siebente und kostbarste Kleinod ist ein Nagel und ein Stück vom Kreuze
Christi, ebenso „das heilige wahre Eisen von dem Speer, das man Gott
in die Seite stiess,** dazu fünf Spitzen aus der Dornenkrone. Diese
Heilthüraer werden zu Nürnberg gezeigt,*) denn Gott selbst hat sie der
Stadt zugeeignet und auch Kaiser Sigmund, der das ganze Reich
durchzogen, aber nirgend eine Stadt wie Nürnberg gefnnden habe, ihre
Weisheit und Wahrheit habe ihm wie eine süss klingende Saite ge-
>) Gestiriet von HilpoU Kress 1427.
^) Gestin«t von Burkhard Sayler am Sonntag vor St. Veitstag 1388.
') Bei Möffeldorf^ hinter dem sog. Schmaussenbuck ^ an der Gritz und t>ei der
Bochenklinge gelegen.
*) Gleii'hzeiliir mit der Frauenkirche (1355 — 61) von Schonhover errichtet.
Vergl. Kettberg Nörnbergs Kunstleben. 1851. S. 35 Das eiserne Gitter
fertigte 1586 Paul Köhn. (Heaberg 8. 176 )
&) Von diesen Heilthümern und ihrem Vorweisen erzählt auch eine merkv^ür-
dige IncunaheU ^edr. zu Nürnberg 1487. - Sie \%'urden auf einem eigenen
Gest^l an dem Schoppierischen Hause mn Pischmarkt gezeigt.
38*
596
schienen, die oft vor ihm haUte und desshalb habe er ihnen das Hei-
ligthnm befohlen. Alle mögliche Kunst und Wissenschaft ist zu Nfimberg
zu finden:
Vnd hat ein man gros lieb vnd gunst
V. 190. zu hübscher maisterlicher Kunst
vnd hat nach allen künsten sein frag,
sucht er im peheimer land zu Prag
vnd auch in Österreich zu Win,
. sucht er nach dem zierckel vnd hoch lien
195. vnd sucht in polaw und in preussen
vnd in grossen nog&rten vnd hochen reussen.
vnd zu kanstantinopel in krichen:
Noch fint er nicht wahrhafl^igKchen
daz er mit suchen hab ein feir.
200. Sucht er in egipten, zu alkeir
vnd auch in hohen Indian
vnd an dem hoffe brister Johan,
noch ist sein suchen nich gebis.
Such er in Frankreich zu pariss,
205. vnd in der höchsten schul athenis
vnd sucht phisica Orienis
vnd sucht grammaticam priscians
vnd sucht die Weisheit salomonis
vnd sucht dy loyacum aristotilis
210. vnd sucht geometriam euclidis
vnd sucht rhetoricam thuliy
vnd prakticam Pitagori
vnd sucht boety musicam
vnd ptholomeus astronomyam
215. die kunst find er in Nürnberg all,
dazu noch die Kunst, in siebenerlei Metall zu arbeiten. Daran reibt
sich der ausgebreitete Handel, den Nürnberg treibt
vnter der ganzen Himels deck,
die ingber vnd die pfefferseck
vnd alle speczerey von edler kraft
vnd was man zeit für kawfmaschaft
das hat alles zu nflmberg sein nyderla^,
so dass man nicht weiter zu suchen braucht. Sieben Sprachen gibt
e& in der Christenheit, wohin die mit Kaufmannschaft und Gewerbe
ziehen und ans diesen Landen mit sauerer Mühe ihi*e Nahrung gewin-
5»7
nen: Ungaria, Solarvonia, Tflrkei^ Arabia,^ Gr«oia, Francia und Saxonia.
Die der Stadt eigeothümliche KaDSt des Rothscbmidthandwerks') hat
seine eigene Stelle (v. 241 — 256):
Viele Meister find ich in Nürnberg, '
Deren sind ein Thei) auf dem Rothschmidtwerk,
Dergleichen in aller Welt nicht lebt
Was krencht oder leuft, schwimmt oder schwebt,
Mensch, Engel, Vogel oder Fisch, Wurm oder Thier
Und alle Creatur in leiblicher Zier,
Und alles das aus der Erden mag spriessen,
Dessen Gleichen können sie aus Messing giessen
Und keinerlei Stück Ist ihnen zu schwer.
Ihr Kunst und Arbeit ist offenbar
In manchen Landen fern und weit.
Seit ihnen Gott solche Weisheit verleiht
So sind sie wohl werth, dass man sie nennt
Und für grosse künstliche Meister erkennt.
Denn Nimrod solche Meister nie gewann
Der den Thurm liess bauen zu Babilon.
In den folgenden Versen (257 — 84) wird das Lob eines Mannes
erhoben, des einzigen, der im ganzen Gedicht durch namentliche Be-
zeichnung geehrt ist; er heisst Meister Eonrad Paumann, der
kunstreiche Organist von St Sebald, der obwohl er einen. Mangel an
seinem Gesicht hat, dennoch durch die Gnade Gottes ein Meister über
alle Meister in der Musik ist. Würde man einem Meister seiner Kunst
wegen krönen, so sollte er wohl eine goldene Krone tragen.') Dieser
seiner Zeit so gefeierte Tonkünstler war blind geboren, dess frühe ver-
waisten Knaben hatte sich der edle Lirich Grundherr und später dessen
Sohn Paulus angenommen und seine wunderbare Begabung für Musik
ausbilden lassen. Lo ebner fand über den bisher völlig unbekannten
^) Bereits f336 girb es Messinffsehmiede zu Nörnberg; 1405 kommen die Roth-
sefamiede unter diesem Handwerksnamen vor. »
') V. 266 ff. : . mit contra tenor vnd mit faberdon | mit primi tonas tenorirt
er I auf elamy so sincopirt er | mit resonanczen in accutis | ein trawrichs
hercz | würt freyes mules 1 wen er auss ottaf discantirt | vnd quint ynd vt
xusamen resamirt | vnd mit proportiones in gravibus I Respons antifTen vnd
introitos { Impin seonenoen vnd responsoria I das tregt er als in seinem me-
moria I ym was plicetnm oder gescfaaczt | vnd was für mascam wirt ge-
schaest | In kores amtum kan er aussen | runde! muteten -kan er slugmaus-
seo I sein baubt ist ein solchs gradual | In gemessem cantum mit solcher
xal I das got bat selbs genotirt der ein j wo ma^ ein besser meisler s^in |
der vmb ich nürnberg preis vnd lob | wan sie leit allen steten ob |.
5<>8
Meister glüoklicherweise die erste Urkunde, '> ia wdcher Konrad Pan-
mann, im J. 1446 als Organist zu St. Sebald, verspricht, ohne &laal>-
niss sich nicht von der Stadt trennen za wOllen; anch gedenkt er
seiner genannten Wohlthäter ausdrücklich. Doch erhielt er 1450 vom
Rath auf sein Ansuchen die Erlaubniss zu reisen und sein musikalisches
Talent auch auswärts zu zeigen; er erwarb in Italien an den knnst-
liebenden Fürstenhöfen Anerkennung, Belohnung und sogar den Ritter-
schlag und kam endlich an die Spitze der Kapelle Herzog AlbrechU
von Bayern, *) in welcher Stellung er an St. Pauli Bekehrungstage 1473
zu München starb. Sein schönes Epitaph, links am Brautportai der
Frauenkirche, rühmt ihn, als den ^kunstreichst aller Instrument und
der Musica Meister,^ auf dem Steine ist er orgOlspielend abgebildet,
umgeben von Laute, Harfe, Fiedel und Flöte. •
Nachdem Rosenplüt so Nürnbergs Ehre gerühmt, zählt er die
heiligen Städte auf; er weiss deren jedoch nicht mehr denn fönf:
Jerusalem, weil es durch Christi Blut und seinen heiligen Leichnam
geheiligt ist; Rom, weil \iele Pabste und sieben Apostel dort begra-
ben liegen, Trier, weil dort die zehntausend Ritter erschlagen sind,
Cöln, weil diese Stadt durch das Blut der eilftausend Jungfrauen ge-
heiligt ist, endlich Nürnberg, weil darin von Priestern so grosser
heiliger Gottesdienst begangen ^rd; wenn Einer über das Gebot tritt,
so muss er fort und ohne alle Fürbitte heisst es: Gehe mit Gott!
Auch findet sich daselbst manch schriflweiser Mann, der des Himmels
Wort auf der Kanzel verkündigen kann, so dass mancher Sünder
wieder zu Gottes Dienst gereizt und gelockt werde. Darum heisse er
mit Recht die Stadt heilig; der sei nicht weise, welcher Nümbei^
schmäle. Rosenplüt behauptet, alle deutschen Lande durchsucht zu haben,
(ich han all dewczsche land durchsucht), doch finde er in keiner Stadt
>) S. 29 fr u. Histor.polit. Blatter. 1859. 34. B. S. 388. - Die Grabschrin laotal:
Anno MCCCCLXXIIl. an Sant Pauli Bekenmgs Abent ist gestorben und bie
begraben der kunstreicbist aller Instrument und der Musika Meisler Coa-
rad Paumann Riter. purtig von Nirnberg und plinter gttboren. Das Gott
Gnad. — Wie man aus dieser Grabschrin 1474 und 1476 macben koonle
und den ^Paulmaifn^ für einen ^gebornen Ritter^ ausgeben, ist unbegreif-
lich. Trotz Lot-hners Erhebung und trotz dem an der Münchner Frauen-
kirche aller Welt sichtbaren Epitaph erschien doch no^h ein ^PaulmanB"^
im Programm des Mikncbner Jubiläumsfestes!
') Kaiser Friedrich 111. beschenkte ihn mit einem f^ldbrokatenaa Kleide, etnen
Sobwerle nit goldenem Behäng und mit einer goldenen Kette; ebenso war
der Herzog von Ferrara sehr freigebig. Albrecht III. gab ihm eineii Jahr-
rehalt von 80 rhein. Gulden. Paumann hinterltess, da er mit Margarelba
Weichsserin von Nürnberg verbeirathet war, eine Familie vnd Yide awge*
zeichnete Schüler.
rieben refqnoirte Klöster ') wie zo N&rnberg» in denen Tag und Nacht
dem König der Ehren def engMeche Lobgpsang dargebracht werde. Hierzu '
werden die KJostergeistliohen durdi den weisen Rath nnterstlltzt. Wer.
daher von Nürnberg Qbel rede^ sei ein Gauch und verdiene nieht weise
sa heissen, üble Nachrede sei überhaupt eine versahene Speise.
Noch etwas gebe es in Nürnberg, was das Allerweiseste sei, das
in einer Stadt gefanden werden könne. Gesetz und Ordnung werde,
wo man mehr Hirten habe als einen, oft zertrennt; in Nürnberg sei
nur ein Hirte, der mit der Heerde (mit dem viech) nie stolzirt, son-
dern so treulich gehütet habe, früh und spät^ dass kein Ungeziefer sie
vergiften konnte, wie oft auf hohen Stiften geschehen sei und auch bei
einfältigen Zünften, da der Teufel oft seinen Samen säe, so dass Mord
und Jammer aosgebrütet werde; bei vielen Hirten werde oft übel ge-
hütet Der Hirt sei der weise fQrsichtige Rath, der Tag und Nacht,
ftüh und spät, getreulich hüte über alle Gelehrte und Laien; er könne
das nicht besser erklären, als wo viel Aare (Adler) auf dem Zaune
sitzen, da haben die Hühner nimmer guten friedlichen Raum.
Schliesslich folgt nochmals Nürnbergs Lob wegen seines klugeti
Benehmens nach Aussen, das auf die Erhaltung des Friedens gerichtet
sei. Er lobe nicht auf blossen Schein, sondern aus Kenntniss und
Erfahrung. Ihre Ehre habe noch nie gehinkt, und wie übel man' ihnen
auch nachgesprochen, noch habe man ihr Siegel nie zerbrochen,') noch
an irgend wem ihr Geleit zertrümmert. Im Garten des Friedens wächst
Glück und Seligkeit; wo Unfriede ist, da hagelt es und schauert; eine
jede Creatur trauert, wenn sie in Unfried ihre Speise suche. Darum
heisse er die von Nürnberg weise, weil ihnen der Friede so recht wohl
schmecke. Der Esel schlägt gegen den Müller nie aus, er schlage ihn
denn vorher, dass es ihn anmuthe. ^So hat geticht Snepper Hans
rosenpluet.** •) —
>) Rosenpitit dichtete seinen Spruch 1447, ein Jahr darauf 1448 hatte Albrecht III.
die grosse Klosterrerormation zu München in Arbeit. — Im Vergleich zu
anderen Städten herrschte zu Nürnberg grosse Sittlichkeit und Zucht auch
unter der Geistlichkeit; Lochner (S. 32) citirt dasu das Urtheil des Conrad
Celtes. ,
>) Das Zerbrechen der Siegel war eine Erklärung der Unwfirdigkeil.
') Andere Sprüche und kleine muthwillige und lascive Erzählungen von Rosen«
glüt bei Keller Fastnachtspiele. S. 1083: Von den sechs Aerzten. -
. 1098: Die Reich. -^ S. 1103: Der Kalender. - S. 1107: Die Klag vom
Woir. — S. 1115: DisputatK mit eim Juden. — S. 1124: Von einem Ein-
siedler und der Welt Lauf. — S. 1135: Die Handwerker. - S. 1139: Von
einer edlen Kaiserin zu Rom. — S. 1152: Von ^dem Mfissiggänger. —
S. 1158: Von einer meisterlichen Predigt — S. 1172: Von einem fahren-
den Schüler n. s. w.
Ueberblickt man noch einmal den Verlaaf der Epik ond Lyrik, so
' ergibt sich , dass die Poesie von ritterlichen Höfen in derselben Weise
m den Bürgern überging , wie die bürgerliche Macht von den Rittern
aof die Stftdte kam. Der Adel , der einst des Sanges gepflogen nnd
die Sänger genährt und beherbergt hatte, hatte non auf. andere Dinge
^u denken. Einst hatte er den süssen Weisen gekinscht und sie selbst
geübt, jetzt griff er nach dem Schwerte; aber es war nicht wie
in den Kreuzzügen, ftU* ein hohes, fernes IdeiJ, sondern es war eia
wüstes Buschklepper tham nnd Strauchdiobtreiben, Niederwerfen der
Kaoflente und offener Raub und Mord. Die Schilderungen im Helm^
brecht sind nur zu wahr, und der Eppele von Gailingen gab es gar viele.
Ruhte das Schwert, so gab es Trinkgelage, Jagd und Prasserei, dazu
passte der Hofnarr, aber nicht der Sänger. Man verscUoss ihnen
das Thor. Wohl zogen noch einige Zugvögel umher; aber elend und
annselig, wie ihr Lohn, ist auch ihr Thun und ihr Leben, nur die
Spruehaprecher und Lobhudler machten noch ihr Glück und fanden
Gehör.
Desto willkommener hiessen die Bürger den Gesang, sie pflagen
der Kunst — so gut sie selbe erfassten und verstanden. Gott segne
das ehrbare Handwerk!
Drittes Buch.
Dramatieche Dichtimg',
Das mfttelalterliche Drama ist aas dem kirchlichen Grottesdienst
und aas dem fröhlichen frischen Volksleben herausgewachsen. Demge-
mäss ist es doppelter Natur; es zerfUlt in das religiöse Schauspiel,
die sogenannten Mysterien, und in die Comödie, ans der sich unser
heutiges Theater 'entwickelte.
Die Geschichte des religiösen Schauspiels ist mit der Kurche ver-
knüpft, es erstand aus ihrer Liturgie, gerade wie bei den Griechen.
Wie zuerst die Jungfrauen am Orakel des pelasgischen Zeus zu Do-
dona ^dem allmAchtigen Baumeister der Welt und dem freondlicheq
Herdgenossen der Menschen*^ ihre Hymnen sangen, ') so erscheinen in
den frühesten Anfängen der Mysterien die als Frauen verkleideten
Priester ,% die in der Kirche zum Grabe Christi wallen, vom Engel
die Kunde seiner Auferstehung vernehmen und mit dem Freuden-
gesange ^Christ ist erstanden^ zum Altare zurückkehren. Wie bei
den Festen des Dionysos der Chor zuerst seine Reigen zu den wech-
selnden Strophen fährte und die Geschiente des Gottes mimisch darge-
stellt wurde, so that auch das christliche Drama dessgleichen , wobei
der Tanz lange Zeit sein tausendjähriges Recht behaupten wollte und
nur mit Mühe unterdrückt werden konnte.
Die E}ntstehungsgeschichte der griechischen Dramatik bildet über-
haupt zum ersten christlichen Schauspiel eine merkwürdige Analogie.
Dionysos war (wie der Mythus berichtet, der durch die Cadmus-Colonie
um 1500 vor Christus nach Griechenland kam und an das ungefkhr
um eben diese Zeit dem Volke Israel gegebene Mosaische Gesetz
erinnert) der Sohn des höchsten Gottes und einer sterblichen Mutter,
also der von dem Menschen im tiefsten Innern seines Herzens ersehnte
Mittler zwischen Gott und Menschen, zwischen Geist und Sinnlichkeit;
er war der menschgewordene und in die Sphäre der Sinnenwelt herab-
'j Vgl. Lasaulx Das pelasgiscbe Orakel des Zeus sa Dodona. 1841 u. H.All
Theater uod Kirche. 1846.
604
*
steigende oder vielmehr mit jedem neuen Frühling aufs Neue erstehende
und sich offenbarende Gott, der durch das von ihm dargereichte (Je-
schenk, den Wein, den Menschen es möglich machte, auf kurze
Stunden wenigstens die alltägliche Welt zu vergessen und sich in die
Seligkeit des Grötterhimmels hineinzuträumen. Auf den heiligen Bergen
entsprang die Quelle der Poesie, der lyrischen wie der dramatischen;
hoch sprang die crystallne Säule empor, in ihr spiegelte sich das ganze
Wissen und Glauben des Volkes und seiu ganzer Schatz religionsphi-
losophischer Vorstellungen und Ideen lag zu Grunde. Wie aber der
Quell am Bergeshang lustig hinabrann, da trübten sich die Wellen, bis
sie Blut, Erde und Unrath führend; hiuabpolterten und über ihre Ufer
ausgetreten, in die Ebene sich verloren. Was aber gleichsam nur ein
ahoungsreiches Vorspiel gewesen im Jugendalter der Menschheit, was
eingehüllt und bis zur Unkenntlichkeit vermummt, der Materie wieder
anheimgefallen war, das war mit dem Christenthum Wahrheit gewor-
den, das hatte die Kirche mit heiligender Kraft und alldurchdringender
Liebe aufgenommen. Der verwelkte alte Naturcult bekam einen neuen
Festcyclus und die verschollene alte Kunst wurde der früheren Berech-
tigung beim Gottesdienste zurückgegeben. Wenn das Judenthom den
Drang nach Wahrheit auf Kosten der Rechte der sinnlichen Natur
befriedigte, indem der Mensch sich hier durch eine weite Kluft von der
Gottheit getrennt sah,, so stillte das Heidenthum das Verlangen nach
dem sinnlich Schönen, aber auf Kosten der Wahrheit, indem hier die
Götter zwar hemiederstiegen, aber genauer in*s Auge gefasst, doch nur
todte Steinbilder verblieben , denen die schaffende Phantasie allein ein
problematisches Leben und eine träumerische Herrlichkeit verlieh. Die
starre Wahrheit des Judenthums mosste sich mit den Formen der
sinnlichen Schönheit befreunden und das, was im Heidenthum nur der
verklingende Rest einer ehemals ergangenen VerHeiesang war, mosste
Wahrheit werden, dann er^ konnte die Sehnsucht des Menschen nach
beiden Seiten hin befriedigt erscheinen. Das geschah im Christenthum
mit dem Dogma von dem Gott *- Menschen , welches einerseits die
Wahrheit des Judenthums bestättigte, andererseits aber dem Bedürfiiiss
der sinnlichen Nator, Theil zu haben an dem Göttlichen, Genüge leistete.
Die Künste hielten nun alle ihren Einzug in das Heiligthmn, sie hatten
jetzt erst ihre volle Berechtigung erhalten, sie nahmen ihre Stellung
am Altare und um denselben ein, und audi das Drama wurde bei der
Feier in reichlichem Masse zugelassen. An die Stelle des um den
Opferaltar gezogenen früheren Naturcyclus, ordnete sich um den Altar-
tisch des heiligen Mahles das Kirchenjahr, die Woche und der Tag mit
seinen Gebetstunden und unblutigen Opfern zu einem mehr and mehr
m6
dramatisch gestalteten Gottesdienste, der pndlieh zu eiheirt formlicb
symbolisch-liturgisclien Drama ward, das die DarsteHung des Erlösungs-
werkes zum Inhalt hatte und wovon sich erst späterhin die Darstelt-
ongen einzelner Theile desselben, namentlich die Geborts- und Passions^
geschichte unseres Erlösers, als Gegenstand besonderer Darstellungen,
abzweigten und weiter ausbildeten.
Der Mittelpunkt des altehristlichei) Gottesdienstes , das Officium
der Messe-^, ist ganz dramatisch geordnet; sie ist eine dramatische
Gedächtnissfeier und eine unblutige Wiederholung des grössten und
heiligsten Weltsohauspieles, des Leidens und Todes Christi, worin alle
einzelnen Theile den Fortgang dieser grossen Opferhandlung darstellen,
die sich gleichsam in fünf Acten vor dea Augen der anwesenden Mit-
opfemden eütwickelt. ^ Zuerst im Introitus bis >.um Credo die Vor-
bereitung und Heiligung des Opfernden, der dett heiliget Berg besteigt,
dann bis zum Canon die Oblation, hierauf in der Wandlung bis zum
Pater noster die unblutige Opferfeier selbst, darauf die Grablegung in
der Communion und endlich am Schlüsse die Danksagung und der
Segen; ferner die handelnden Personen, der Priester und die ihm beim
Hochamte assistirenden Leviten und das Volk, sie sind stets im leben-
digen Wechselverkehr, einander anredend und antwortend ; alle einzelnen
Theile, die Farbe und Gestalt der priesterlichen Kleidung und des
Altares, ja die Grundform und der Bau der ganzen Kirche selbst -^
Alles ist symbolisch; auch die Vesper mit ihrem mehr reflectirenden,
lyrischen Charakter stellt, dem Chor der alten Tragödie vergleichbar,
mit ihren Antiphonen, Capiteln und Responsorien eine- Wechselhand-
hing des Priesters Tor, der am Altare als Chorage mit dem Volke
des Opfers waltet. Man denke sich dazu noch die dem lebhafteren,
prachtliebenden Charakter des Orients eötprechende ür- Liturgie des
heil. Chrysostomus: Und das grossardgste und erschütterndste Drama
ist fertig. -
Vorzüglich war es die altheilige Zeit von Weihnachten und Drei-
könißf, wo früher auch die Ueberirdischen ihren Umzug gehalten hatten,*)
ferner der Palmtag mit dem Einzüge Christi » die Leidenswoche und
Christi Grablegung, die sehr frühe Darstellung fanden, dann aber die
Feier der Auferstehung am Ostertage, wo als Frauen verkleidete Priester
') Diese Idee hat Guido Görres in seinem Aiifsalze über das Pa^sionsspiel
zu Oberammergau (in den Hislor. polit. Blättern. 1B40. VLB.) duribgefüiirt ;
er hat auch das Verdienst, die Geschichte der altdeutschen dramatischen
Kunst zuerst angeregt zu haben.
*) Ueber die feierlichen Vorbereitungen des iMiKelalters auf die Weihnachtszeit
vgl. Wein hold Weihnachtopiele. 1853. S. 45 IT.
606
zum Grabe kamen, vom Engel angeredet wurden und Enm Altare zu-
rückgekehrt, die Freudenbotschaft von dem erstandenen Heiland im
Jubelgesange verkündeten: Das Alles brauchte nur einige Ausschmück-
ung, um ein Gegenstand der entschiedensten Votiiebe des Volkes zu
werden.
Betrachten wir die heiligen Zeiten des Kirchenjahres, so shid diese
sowohl flir die Entwicklung des religiösen Schfiuspiels , wie auch für
die aus dem Volksleben herausgewachsene Dramatik von höchster Be-
deutung. Vorerst Weihnachten.
Durch die Dänmierung der Adventabende und der ZwöUn&dite
gehen noch verschiedenartige Gestalten und Wesen; im Norden alt-
heidnische Götter, im Süden ^ die lebendig gewordenen Bilder der bibli-
schen Geschichte; mitten unter ihnen tauchen aber die alten Heiden
auf und gemahllen an die gestürzte Dynastie, deren Reich das Kristkind
eroberte. Früher waren die Ueberirdischen eben zu solcher Zeit, bega-
bend und segenspendend in den Marken umgezogen. Was also heut zu
Tage dabei noch gelingen , gesagt und agirt wird , hat f&r uns einen
guten Sinn.
Es war die heilige Julzeit der Germanen. Nach der vollen Be-
stellung des Winterfeldes, wenn .alle Ernte in den Hof eingebracht
war, begann die heilige Zeit des Gottes. Pa zog er auf seinem
weissen Rosse durch das, Land, empfing Opfer und gab Segen. In
der Darstellung des ^Schimmelreiters*^ ^) ist die Erinnerung an
diesen Umzug gewahrt; ihn begleitet fast überall ein B&r, gleichfalls rä
heiliges Thier, oder anderes unheimliches Gesindel mit geschwärzten
G-esichtem (Tirol). St.^ Martin musste für Wuotan eintreten, er er-
scheint Segen spendend und bescherend; ihm wird zur Minne getrunken;
ihm zu Ehren zecht der Bauer in der oben mitgetheilten Erzihlnng
des Strickers.') Der „Pelzmärtel^') ist ganz und gar noch eis
heidnischer Unhold; auch der wackere ^Knecht Ruprecht^^) ist
wieder Niemand anders, als ein ruhmglänzender (hruodperaht) Gott
und Wuotan; ihn begleitet Frau Brecht oder Bertha; an ihre Stelle
ist St. Nicolaus designirt oder ^der rauhe Klas,^ wie er wohl
noch genannt wird, der sogar bisweilen noch berittefk kommt, aber auck
als kinderliebender Bischof in Casula und Mitra hereintritt, von einem
dienstwilligen , apfelspendenden Engel begleitet. Dagegen hat der
■) Verg!. Rocbholz Sageo. II. B. S. XXXIX. Weiobold Weihnacblspiek.
S. 6 fr.
<) Vgl. oben S. 306 AT.
*) Sinrock Mylbol. S. 550.
^) Ebendas. S. 549.
607
^Klaubanf^') ganz das heidnische Wesen gewahrt; er ist mir
schrecklich geworden. Mit Nicolaus kömmt auch die ^Habergaiss^
die Ton irier Männern gebildet wird, welche mit weissen Kotzen be-
deekt sind; der Vorderste hält einen hölzernen Oaiskopf empor, dessen
entere Kinnlade beweglich ist und womit er klappU')
Diese Umzüge waren das Vorspiel zu der Feier der zwölf Nächtei
Diese Zeit, wo die Sonne ihren Wendepunkt erreicht, bis zu dem Tage;
wo sie wieder vorwärts geht, die zwölf Nächte, die Zwölften, Rauch-
nächte und Loostage genannt, waren ehedem geheiligt; der Grott^sfriede
.hei*rschte. Alles ergab sich der festlichen Freude. Und die Gottheit
wachte sichtlich über die Heilighaltung ihrer Z^it; daher noch der
Glaube, dass keine Arbeit vorgenommen werden dürfe; nameMlich ist
nicht zu spinnen erlaubt, den Uebertreter trifft die Rache der missach-
teten Götter, besonders die Mägde, deren Spinnrocken nicht abgesponnen
ist, werden von der hausmütterlichen Göttin Berchte oder Frau Holl^
gestraft. Auch das Haus muss fein sauber sein und gefegt, sonst
schneidet die Berchtel den faulen Dirnen den Leib auf und füllt Kehricht
hinein. Das glaubt man heut zu Tage noch so gut in Tirol wie iii
Aitbayem, am Lechrain und in der Oberpfalz. Auch erscheinen, ent-
sprechend an der Stelle der alten Götter, am DreikÖnigtage , die drei
Weisen, die Magier; Buben singen und drehen ihren Stern und laufen
in den Gegenden noch über Land, wo die Polizei, die sich überhaupt
gerne \iber alles ächte alte Volksleben legt, selbes noch nicht zu ver-
bieten geruhte.
Andere pflegen „dasKristldnd anzusingen,^ auch sang man in und
ausser den Kirchen Wiegenlieder, meist in wechselnden Strophen. Einen
Beleg hieflir bietet die (aus Tegemsee stammende) Münchner Hand-
schrift, welche die Lieder des früher genannten Mönches von Salzburjg
enthält; allda heisst es: ^Zu den Weihnachten der froeleieh ympnus:
^A sotis ortus cardine.^ Und so man daz kindel wigt über daz ^Re-
sonet in lau<£bus,^ hebt unser vraw an ze singen in ainer person:
^Joseph lieber neve*) mein;" so antwurt in der andern person Joseph:
„geren liebe mueme mein." Darnach singet der kor die andern vers
in einer diener weis, darnach der kor."*) Man kann daraus entnehmen,
*) Vgl. Grimm 8. 483. Alpenburg Mylhen. S. 00.
') Haberffeis: Simrock S. 549. Zingerle Yolksmeinungen. S. 42 u. 130.
Alpenburg Mylhen. S. 250 u. 38.5. Vonbiin Vorarlberg. S. 21 und in
Pro man US Mundarten. IL 513.
*> nere gill allgemein als Verwandtv ; Joseph dagegen heissl sie nach der
bibKscäeB Verwandtschaft seine Muhme.
4) Pfeiffer in den Alldeul. BIfttl. IL 329 u 341 f
«08
äam eine Kri[^ anfgebiuit war, an der Maria sa^s und den beiligeo
Joseph auflforderte, da$ Kindlein zu wiegea «od anirasiogeQ.
Mehr dramatische EntwicUung war jedoch dorch die Ankunft der
Magier geboten, welche schon sehr Arähe dargestellt wurde. Haben wir
ja doch ein glaubwürdig aus dem IX. Jahrh. stanmiendea Spiel in einer
gleichzeitigen, bereits sehr gebrechlichen und verwaschenen Freiainger
Hapdschrift, weiche fUr uns nebenbei noch das Interesse hat, dass «s
wahrscheinlich der letzte Codex war, mit dem sich unser unvergesslicher
Schmeller beschfiftagte; er copierte d\e Schrift und sandte sie an
Weinhold in Graz, wenige Tage vor seinem Tode. Weinhold
versuchte nun mittelst des Orleanser Mysteriums und dem Rituale von
Ronen die Lücken theilweise auszufüllen. |)
Diese adoratio wßx offenbar eine Kirchen Vorstellung, die nadi der
Terz des Epiphanientages folgte. Die Könige ,mit Kronen geschmückt
zc^en in den damals üblichen „ Reisekappen, "^ ') wahrscheinlich aus
drei verschiedenen Theilen der Kirche auf den Altar zu , vielleicht
sogar von Dienern begleitet, welche in Tuniken und Ueberwürfen dje
Ge$<;henke trugen.
Der erste, aus der Mitte kommende König weist mit dem Stabe
nach dem Stern und spricht: Stella fulgore nimio rutilat; der Zweite,
yon Rechts kommend, deutet gleich richtig, dass dieser die Greburt des
Königs der Könige bedeute, indess der Dritte, von Links kommend, die
Erinnerung an die alten Prophetien erneuert Da treffen die Magier
vor dem Altare zusammen, küssen sich und singen: Eamus ergo et
tnqoiramus eum, offerentes ei munera, aumm, thas et mirram, und
eintretend in den Chor , fragen sie nach dem neugebomen König der
Juden, sie forsd^en bei den Bürgern Jerusalems, von denen Einer gleich
zu Herodes stürzt, der sie so ausforschen lässt:
Qoae remm novitas aut qnae vos causa subegit
ignotas temptare vjaa? quo tenditis ergo?
quod genus? unde domo? pacemne hnc fertis aut arroa?
>
Man denkt dabei unwillkührlich an die Schilderung im Heljand,
wo die Weisen als „Wehrmänner von Osten, als Emire und biderbe
Degen ^ dargestellt sind; sie finden den reichen Herodes den schnöden
und meinhardigen und stets mordbegierigen König in seinem Saale
sitzen; ohne Säumen fragt er, welch Gewerbe sie auf den Weg ge-
') W ei D hold Weihnachlspiele. S. 56 ff.
*) Diese Kappen waren weile üebertieiier nii AernelD , wekbe die gane Ge-
stalt von Kopf bis zum Passe verbttHten , sie wurden voriftglieli aaf Betsea
gelrageo uoa waren sehr bequem. Vgl, obea S. 910i AüP*
braeht, die ^WehnnaäDer äüf die WalUahrt Mit' verttditlidiem Spotte
spricht er: Ihr führt wohl gewnsdenes Gold (Bange oder Goldringe)
zur Gabe für' jeden Gaomann, zn dem ihr «o im Gange kcmitnt zu
Fasse gefUhorea; wo ihr feirnher seid, weiss ich nicht, wahrsoheinlich
SpiK^inge anderer Geschlechter, Abkömmlinge von gntesl Äde). --^ in
der Fr^saoger y,adoratio^ examinirt sie Herodes gleichfalls persönlich,
sie nennen Tharsis, Arabien und Saba ihre Heimath ohd deuten aaeh
ihre mystischen Geschenke; dann werden durdi einen ^miles^ dki
^Schreiber^ citirl und diese Über den bedenklichen Fall ans den
heiligen Bftchem zur Rechenschaft, gezogen.
Herodes wird wüthend und schmäht sie mit leider verlorenen
Sdiimpfw5rtem , indem er ihnen ihre Bücher; ohne Zweifel zum Jubel
des zuschauenden Volkes, an den Kopf wirft. Darauf werden ^ pro-
oeres beitagt, die hohen Priester (die im Heljand als ^cUe allergescheu-
testen un Sprechen, die in ihrer Brust am meisten Buchweisheit wissen^
anfg^tthrt sind); ein Waffenträger des Herodes gibt schlauen Rath, die
Magier aber werden sclileunigst weiter geschickt. Der Stern leuchtet
ihnen nmi audi wie^r vor.
So begegnen sie den Hirten; erstaunt fragen die obstetrices, wei'
dif fremden Ankömmlinge seien und weisen selbe zu dem neugebornen
König, vor dem die Mi^er sich niederwerfen. Eän Engel mahnt sie,
andere Wege zurückzukehren.
Das sind die Beste eines sehr anerkennenswerthen Stückes, welches
eine ziemliche Ausbildung des Drama voraussetzt und vieler Personen
zur Ausführung benöthigt war, dessgleichen einer Scenerie; denn olme
Stall zu Bethlehem, der vielleicht in einer Seitencapelle untergebracht
war, wird es schwerlich abgegangen sein. Hieran schloss sich dann
eine Darstellung des Kinderraordesy von dem in dieser Handschrift
leider nur der Beginn erhatten ist Doch handelt davon ein anderes
Stück:
Ordo Racheiis beätelt, welches eine Freisinger Handschrift des
XI. Jahrb. Überliefert hat. Es beginnt mit der Anbetung der Hirten
uod der Mahnung des Engels an Joseph nach Aegypten zu entfliehen.
Herodes, wüthend bei der Kunde vom Entweichen der Magier, beschliesst,
alle zweijährigen Knäblein zu tödten, Was der ^armiger*' auch ruhig
mit den Worten „disce mori puer!" beginnt. Indessen singt der Chor
den bekannten Hymnus auf das Epiphaniafest:
Hostis Herodes impie,
Christum venire quid tiibes u. s. w. ')
) Vgl. Simrock Ltuds Sion. S. ^
39
610
Darauf eii^fot Rachel die Klage ttber die geMlesen Rleinen,
eine Trösterb tritt berza and so gestattet sich em Duett, das mit einem
.Te Deam laadainas^ endet.
Wir werden später noch ein Weihnfachtspiel zo besprechen balien.
Vorerst wenden wir uns im. Jahreskreise weiter schreitend znr Oeter-
f e ie r. Aach sie ist schon in dem vorchristlichen Volksleben begrfindet;
unzählige Gebräuche und allerlei räthselfaafte Vorkommnisse weisen
dahin.') Der schönen Schwester des Donnerers, der Gr5ttin des auf-
steigenden Lichtes, des strahlenden Morgens und des wiederkehrendeo
Frühlings war ehebevor diese Zeit heilig, Ostara*s Name klingt noch
aas der deutschen Benennung des Pasha. Ihr gelten der zierHehe Frauen-
schuh, der da und dort in das Osterfeuer geworfen wird und das
Gertrudenkraut, ihr zu Ehren werden die Eier gefärbt und die Heihgeii
Walpurgis und Mechtild') roussten sich es gefallen lassen, dass
allerlei unverdächtige Anzeichen eines früheren Cnltes auf sie Abertragen
wurden. Es ist die grosse Feier- und Frendenzeit, ^ie dem Baiwarea
durch die Auferstehung des Weltheilandes noch lieber wurde und die
er alsbald nach seiner Christianisirung mit aller möglichen Pradit ans-
ZBschmiicken begann.
In allen Kirchen des fränkischen Reiches wurde die Erimiem^
an die grosse Leiden^woche des Welterlösera vor dem Volke auf eigen-
thümliche Weise unter Mimik und Gesang a begangen. Die Eänleitong
dazu hub am Palm tage mit einem feierlichen Umgang an, wobei der
Heiland einzog; alte frühzeitige Nachrichten erzählen, dass die Jugend
dabei einen Esel herumluhr, in welchem scharfsichtige Forscher gleich-
falls ein heidnisches Götterthier, das als Goldesel noch eine grosse
Rolle im Märchen spielt, zu erkennen wagten; die Sito hielt sich übri-
gens lange und war noeh im Anfange dieses Jahrhunderts in U^nng.
Bedeutender ihrer dramatischen Gestaltung wegen, war das AbshigeD
der Leidensgeschichte; an vielen Orten wurde ^der Passion^ deatsch
gesungen, wie heute noch vmn Mosikchore ans ; der Messner vertritt die
Stimme des Evangelisten, der Geistliche den Heiland«, eme Knaben-
stimme die Magd, der Schullehrer den Petrus Und das Volk bildet den
') Dazu gehören z B. das Osler gel achter^ die in der Kirche enihiles
Ostermärletn, welche im J. 1802 noch in der Nahe von München Oblicii
waren; dass dabei wirklich achte Märchen erzählt wurden, bewehrt die Notiz
im Tagblatt 1802. S. 793: der Pfarrer erzählte ^on einen HockeHcbiMk
Hinkenden und Einäugigen, der ausging, um sich einen Gevatter sn sncbea
nnd den Tod antraft u. a w.
') Tn ganz dberraschender Weise loderte der sMe Ciilt noch einmal anf beiai
Tode der hl. Mechtild zu Di essen am Ammersee (t 1160), der Tochlcr
des Grafen Berthold II. von Diessen und Andecbs; ich werde In einer aa-
deren Schrift ausföhrlieh anf diese uod^aBdere-ErscInaiiraageD snrMikoaMMk
$11
Gber. Aimh cKe dazo gehörige Handlang wtirde darob Priesteir und
Kleriker und zwar in verschiedener Kirchenkleidnng gegeben. Stehend
unter don Krenze des vielgeliebten Sohnes sang Maria am Charfreitag
die röhrende Klage, viele Lieder dieser Art, vom XI. Jahrb. ange-
fangen bis zum XV. haben sich als Belege dieser Sitte erhalten»
Nachdem daraaf das Bild des Grekreozigten in weisses Linnen gelegt
imd in*s heHige Grab getragen worden war, zogen in der Ostemacht
Sswei oder drei Kacone mit der weissen Gappa nnd einem Hnmerale
fA>er dem Haapte bekleidet und jeder mit einem Weihraaohgefftsse von
seltsamer Form versehen , zur Grabstfttte hin. Sie stellten die heiligen
Frauen vor, die am Ostermorgen das Grab unseres Herrn besuchten.
Auf ihrem Hingange sangen sie in feierlich ernster Haltung die Anti*^
pbon: ^Wer wird uns deti Stein von der Oefiriung des Grabes weg-
wälzen? Alleluja!^ Indessen hatten zwei andere Kleriker in Dalmatiketi
gekleidet und das Haupt mit dem Humerale verhQllt, das heil. Grab
besetzt; sie stellten die Engel vor. Wie nun die erstgenannten #ihren
Gesang vollendet, begannen zwischen Engeln und Frauen folgende
Wechselgesftnge :
Engel: Wen suchet ihr im Grabe, o Christinnen?
Die heil. Frauen: Jesum, den gekreuzigten Nazarener, ihr
Himmelsboten !
Engel: ^Er ist nicht mehr hier. Er ist auferstanden, wie Er es
zum voraus sagte; gehet und verkündet es, dass Er auferstanden ist,
Alleluja! Kommt und sehet den Ort, wo der Herr hingelegt war.
Allelujaf Alleluja!
W&brend der letzten Antiphon traten die drei Kleriker, welche
die heil. Frauen vorstellten, zu jener Stelle hin, wo da» Crudfix lag,
welches schon vor der Auferstehungafeier entfernt worden war und
inzensirten den Ort, dann nahmen sie das Leintuch sammt den Bauch-
gefässen und kehrten zum Chore zurück, mit halblauter Stimme singend:
Nun mögen die Juden sagen, auf welche Weise die Soldaten, die das
Grab bewachten, den König verloren, da es mit einem Steine ver-
schlossen war. Warum bewahrten sie den Fels der Gerechtigkeit nicht?
Mögen sie entweder den Begrabenen zurückgeben, oder mit uns den
Auferstandenen anbeten und sprechen: Alleluja!
Zu den Jüngern Christi sich wendend, sangen sie femer: „Wir
kamen weinend zum Monumente und sahen einen Engel des Herrn, der
da sass und sprach , dass Christus auferstanden sei.^ — Auf dieses
erschien am Altar ein Priester in rother Casula, die Auferstehungsfahne
in seiner Hand, den erstandenen Erlöser voriitellend^ wie er sich den
39«
612
heil. Frau€in zu erkeunen gab. Die ganse Feier ^cbles8 mit Jobelodeo
Ostergesängen und dem Te Deum kuidamus. *)
Wir werden Jn der Folge aaf eiit seliöiies Onterspiel treffen , das
auf diesem liturgischen Bqden sich aue^gew^chsen, vorerst ab«r kommt
ia historischer Reiben folge das grandiose Ludus de adventu et
interitu Antichrist), welches frei dasteht, obwj^l es gleichfails
in der österlichen Zeit dargestellt wurde. Es war nieht aUein ein
Schaustück, sondern auch ein Singspiel, oder eine Oper, de mit dem
höchsten Pomp aofgeputet war und allerlei KünstliiihkeiteQ, vorerst aber
einen tüchtigen Regisseur erforderte. Der uns erhaltene Text stammt
aus Tegernsee und ist wahrscheinlich nach d^n Entwürfe des Dich-
ters abgeschrieben, der bei der Inscenining vielföltig weiter ausgeführt
ward. ^) Dass der ziemlich fabelhaft gewordene ^Wernher vod
Tegernsee^ der Verfasser gewesen, wird wohl Niemand mehr emstf
Heb behaupten wollen, wenn man den Dichter des ^Marienlebens^ ^)
darnivber versteht, der ül^haupt den Beinamen von Tegernsee nimmer
geniessen kann; doch wlre es immerhin möglich, dass gerade dieses
Stück einem wirklich diesen Namen tragenden Componisten gehörte,
der sich in diesem Fache in seiner Zeit ganz unvergleichlich hervorthat
Es ist unstreitig auch ein politisches Spiel. Man will sogar
wissen, es sei vor dem Heldenkaiser Friederich Barbarossa aufgeföhrt
worden, welcher der Schirmvogt des Klosters gewesen. Eigenthümlich
ist, dass das römische Kaiserthuro deutscher Nation, wie qs in der
Stauferzeit als Weltherrschaft galt, darinnen eine beinahe zweifelhafte
Rolle spielt. Sollte die Tendenz dabei gewesen sein, den Kaiser zum
Kreuzzuge zu treiben und noch mehr dafür geneigt zu machen? Da«
Jahr, in welchem es zur Aufführung gekommen sein kann, wäre danu
beiläufig 1189, in welchem der Kaiser bereits zur „Grottesfahrt^ ge-
rüstet, in die Nähe von Tegernsee kam. Damals stund dem Kloster
der Abt Manigold vor, da Abt Conrad am 17. Januar 1189 ver-
storben war.
1^ Die Scenerie ist genau angegeben: Im Hintergrunde gegen
Osten steht der Tempel des Herrn; das wäre möglicher Weise die
>) Vgl. Schubiger S. 69.
') Abgednickl von Pes in dessen Thesaurus anecdot. 1721. 11. 3. 186 ff. Es-
gel bar dt schrieb ein latein. Programm daräber Erlangen 1831. Kngler
brachte den StoflT in eine Novelle (vgl. dessen belletristische Schriften. 1851.
Vn. ß.), die allen bislor. Gnrades entbehrt. Gödeke ürandriss S. 55 a. IM
und K.Hase in seinem ansgeseichneleu Bach über das geistliche Schau-
spiel. Leipzig 1858. S. 26 AT. Ueber die verschiedenen mittelalterlichen Le-
genden vom Antichrist vgl Menzel l>eut. Dicht I. 256 1f,
*) S. oben S* 367.
613
Tegernseerkirche selbst, da entweder aof dem Friedhofe oder im Hofe
des Klosters, vor dem Portal der Kirche gespielt wurde. Davor stehen
nach den Weltgegenden die sieben Thronsitze der Hauptpersonen mit ihren
Scbaaren. Unmittelbar vor dem Tempel soll, nach dem Textbuch, der
Thron des Königs von Jerusalem und der Sitz der Synagoge aufgestellt
werden; gegen Westen der Thron des römischen Kaisers ; hier befmden
sieh auch die Throne des deutschen und fränkischen Königs. G^gen Süd-
ost ist der grieeh»che König placirt, gegen Mittag thronte der König
von Babj^OD und jener der Heiden. Nachdem das also eingelichtet,
tritt zuerst das Heiden thum (Grentilitas) mit dem babyloni-
schen König in Versen singend vor: Sie behaupten die Unsterb-
lichkeit der Götter, die in ihrer Vielzahl überall verehrt und gefurchtet
werden sollen; ^Tboren und ganz Unsinnige allein können einen Gott
glauben und der festen Annahme des Altertfaums zu widersprechen
wagen. Wenn wir nämlich, lautet ihr Dqgma weiter, auch an Einen
glauben, der dem AU vorstehe, so geben wir dagegen zu, dass dieser
Eine verschiedenen Anderen untergeordnet sei. Da dieser des Friedemr
Grut mit milder Güte hegt, 430 ist es Jener, der mit wilder Wuth 4e8
Krieges Sturm erregt. So sfnd ihrer Viele und ihre Amtierung ver-
schieden, und darin liegt der Beweis för ihren Unterschied. Wollte
einer behaupten, dass so vielen Dingen Einer vorstehe, so müsste er
doch durch die Gegensätze derselben berührt werden; da whr aber nicht
zugeben, dass Einer den Gegensätzen unterliege, sondern im Gegen-
theil durdi diese göttlichen Wesen berührt werde: so entscheiden wir,
dass die Götter, deren Walten wir von einander verschieden sehen,
sich auch unter sich unterschdden.'' Dieser mit ^Deorum immortalitas*'
' anheblnde Chorgesang wird in der Folge während des Spieles npch oft
wiederholt. Unterdessen nehmen das H^identhum und der König von
3abel ihre Sitze ein.
2« Hierauf zieht die Synagoge mit der Judenschaft herein mit
folgendem Gesang:
^ Unser Heil und unser Hoffen ist, 0 Herr! nur stets bei Dir!
Nicht den kleinsten Trost auf Erden bei den Menschen finden wir.
Wer kann je auf Christi Namen seines Heiles Hoffnung gründen ?
Denn, wie wäre der im Stande, der dem Tode miterlegen
Anderen init seinen Kräften zu verleihn des Lebens Segen!
Wer von dem die Rettung glauben, der sie selbst nicht konnte findeti?
Nicht die Menschen können helfen, Einer ist Emanuei,
Drum mit gläubigen Vertrauen betet an Gott Israel.
Jesum und den anderen Göttern sollt ihr ewig Fluch verkünden!^
<14
r^- %
Aach sie wiederholen diettee Cnotolra sala») in der Folge aooh oft-^
mals, onterdessen nehmen sie ihre JSiUe ein. Daraof nähert sich die
Kirche (Ecclesia), sie trAgt eine Krone fuif dem Haapie nnd einen
Panzer am Leibe, weibliches Gewand umwaUt ihre Olieder; äir sv
Rechten schreitet die Barmherzigkeit mit dem Oelsweig, ihr eor
Linken die Gerechtigkeit mit Wage und Schwert; auch diese sind
als I^ran^ (maliebriter) gekleidet; auf der rechten Seite folgt ihnen
der apostolische Vater (Apostolicos) mit dem Glerus, auf der
linken Seite der römische Kaiser mit seinen Kriegsmannen. Die
Ki-rche aber singt von ihrem Gefolge respondirt:
„Doch aus 'einem solchen Leben, das des Todes Macht vernichtet,
Ist der Glaube auferstanden, hat zum Himmel sich gelichtet.
Wer der neuen Glaubenswahrheit nicht will unterwerfen sich
Ist an Leib und Seel' verloren, hier und dorten, ewiglich.''
Sie wendet sich mit dem Apostolicas nnd dem Glems, nebet dem
Kaiser und seinem Gefolge an ctie ihr bestimmte Stelle nnd nimmt
ihifen Sitz ein. Hierauf traten anch die anderen Könige mit ihren Be-
gleitern vor, jeder sang etwas Passendes ond ging dann an seinen Thron.
Der Tempd ist wieder frei sichtbar. Doch steht noch ein Thron leer.
3* Hierauf begann der Kaiser; er sendet seine Gesi^ndten zuerst
an den Frankenkönig mit der Botschaft (sicut scripta tradunt):
Wie in allen alten Schriften aufgeschrieben steht zn Jesen
Ist dereinst die ganze Erde römisches Eigenthum gewesen,
das habe die Tapferkeit der Urahnen zu wege gebracht, aber die Un-
thätigkeit der Nachkommen wieder verscherzt, sie haben die Macht des
Reiches zerfallen lassen, wir aber wollen sie wieder herstellen. Darum
sollen alle Könige dem römischen Reiche den früher bestimmten Tribut
bezahlen. Das im Kriege also starke Volk der Franken soll mit seinen
Waflfen dem Könige dienen; tragt also dem Könige auf, dass er in
nächster Zeit mit Treuen dieses leiste.
Die Boten madben sich mit diesem Auftrage auf, geben inro
Frankenkönig, stellen sich vor denselben mid singen: ^Heil «itbietet der
Kaiser der Römer seinem geliebten und erlauchten Könige der Frankes.
Deiner Einsicht ist es sicherlich bekannt, dass dem Römerrechte Du
nnterthan sein sollst. Desshalb fordert Dich zurQck des höchsten Herr-
schaft Spruch, der zu halten nnd inunerdar zu f&rofaten ist In seinem
Dienste laden wir Dich ein und befehlen Dir, schn^ zu kommen nach
dem Gebote.^
615
Dieser erwidert jedoch kurz ablehnend: „Wenn man den Geschieht^
Bcbreibem einigen Glauben schenkt, so gehören nicht wir dem Reiche,
sondern dieses uns. Denn jenes haben die älteren Gallier schon beses-
sen und uns, ihren Nachkommen, hinterlassen. Das wird uns jetzt durch
rinberisohe Gewalt entrissen; fem sei es, dass wir Räubern gehorchen.*^
So entiassen, kehren die Abgeschickten zurttck und erstatten vor
ihrem Kaiser den Bericht : ^Uebermnthig haben sich die Franken übet*
Dich erhoben und widersetzen sich hartnäckig Deiner Majestät; selbst
Deines Reiches Recht wird geschwächt, indem sie selbes ein räuberi*
sches nennen. Also mögen sie mit gerechter Strafe gezüchtigt und
gewitzigt werden, damit an ihnen Andere gehorchen lernen.^
Darauf singt der Kaiser: „Stets vor dem Sturze tritt derHochmuth
ein, darum wundert Euch nicht, wenn sie öbermöthig reden! Ihren Stolz
werden wir sicherlich brechen und unter unseren Füssen sie zermalmen.
Die jetzt als Krieger uns nicht folgen wollen, werden bald als Sclaven
uns dienen müssen. ** — Sogleich zieht er mit seinen Heeren gegen den
Frankenkönig, der ihm schon entgegenrückt; es gibt eine Schlacbt,
in welcher der Franke überwunden und gefangen zum Throne des
Kaisers geschleppt wird. Ob das durch stumme Bilder und Gruppen
oder als wirkliches Leben dargestellt wurde, ist nicht zu entscheiden,
doch wäre das erstere leicht denkbar. In der nächsten Scene sitzt der
Kaiser triumphirend auf seinem Throne und der gefangene Franken-
könig steht demüthig vor demselben und singt: „Die Herrlichkeit des
Triumphes wird durch die Schonung der Besiegten erhöht und geadelt;
besiegt willfahre ich nun Deinen Befehlen. Gerne bekenne ich, dass
mein Leben mit des Reiches "Würde zugleich in Deiner Macht stehe.
Willst Du mich aber in die alte Ehre .wieder einsetzen, so wird des
Besiegten Ehre das grösste Lob des Siegers sein.'^
Und der Kaiser nimmt ihn auf und belehnt ihn wieder gross-
müthig mit seinem Reiche: „Lebe durch die Gnade und empfange die
Würde, wenn Du mich allein als Kaiser anerkennst.^
Der Frankenkönig, also ehrenvoll entlassen, kehrt in sein
Reich zurück und singt das Lob seines edelmüthigen Feindes: „Des
römischen Namens Ehre achten wir, wir rühmen uns, dem erhabenen
Kaiser zu dienen, dessen Macht fruchtbar ist; Dich allein wollen wir
als den Leiter über Alle bekennen und Dir mit ganzer Seele immer-
dar gehorchen.'*
4« Nun entsendet der Kaiser seine Boten an den König der
Grieehen; seine Hede lautet ähnlicher massen (sicut scripta tradunt etc.)
wie firtther; der Griedie soll seine Abgaben pfiiditsdiuldigst entrichten.
616
Die Boten gehen and singen dort ihr altes Lied wieder, nur mit kleiner
Aenderuüg. Der Grie.obenkönig nimmt sie ehrenvoll aof (Romam
nominis honorem veneramor etc.)« er ist äberaqs glöoklich m»i geehrt,
dem Kaiser Tribut geben zu dürfen; er entlässt sie nicht bot mit
Ehren, sondern macht sich selbst zum Kaiser auf und dieser nimmt
ihn zum Dienstmann und belehnt ihn feierlich mit seinem Reiche.
Darauf kehrt auch er lobsingend in sein Lß.nd zurück.
5« Eine weitere Sendung erlässt der Kaiser an seinen viellieben
K&nig von Jerusalem; auch er nimmt sie ehrenvoll auf, dieselbe
Scene wiederholt sich, er wird belehnt u. s. w.
6* Jetzt, da die ganze Kirche dem römischen Reiche unterthan
ist, erhebt sich der Konig von Babylon in Mitte der Seinen; er
ist wüthend aufgebracht über den Aberglauben der Neuzeit und über
den Irrthuni der Christenleute. „Fast ist die Sitte des Alterthuma sdon
zerstört, singt er, und den Göttern die gebührende Ehre entzogen;
ihren Cult wollen wir nicht noch ganz zerstören lassen, sondern den
Ghristennamen von der Erde vertilgen, und das müssen wir von dem
Orte beginnen, wo diese Sekte ihren Ausgang nahm.^ — Er ordnet und
mustert sein Heer und macht sich auf, Jerusalem zu belagern. In
seiner Noth beschliesst der bedrängte König seine Zuflucht zum Kaiser
zu nehmen; ^geht hin, singt er seine Boten an, und meldet diese Uebel
der Kirche, der römische Kaiser wird unser Retter sein.^ Diese ziehen
vor den Kaiser und singen ihn an: „Schutzherr der Kirche, erbarme
Dich unser! die Feinde des Herrn drohen uns zu vernichten. Eingefallen
in des Herrn Erbtheil sind die Feinde und halten die heilige Stadt
belagert; die Stätte, auf der seine heiligen Füsse standen, suchen sie
durch den unreinsten Dienst zu besudeln.^
Der Kaiser verspricht augenblickliche Hülfe und entlässt die ge-
trösteten Boten, welche zurückgekehrt ihrem Könige Muth machen:
„Bandle männlich und sei vor dem Feinde sicher, denn schon naht der
Befreier'** u. s. w.
Inz^schen während der Kaiser sein Heer sanunelt, erscheint plötz-
lich der Engel des Herrn: „Judäa und Jerusalem, ftrchtet euch nicht!
Du weisst ja, morgen wirst Du die Hülfe des Herrn erfahren; denn
Deine Brüder sind da, die Dich befreien und Deine Feinde mit Macht
"bezwingen werden.** Dieselben Zeilen wiederholt der freudige Chor der
Judenleute.
7« Unterdessen ist der Kaiser mit seinen gepaoserten Schaaren
angerückt otid es hat sich eine Schlacht entsponnen; um selbe schneller
sn beenden, macht er einen Zweikampf mit dem König von Babylotti '
617
dberwindet denselbm und jagt ihn davon. Das war ohne Zweifel wieder
in einem lebenden Bilde dargestellt, dessen Mittelpunkt der kaiserliche
Tjost bildete. Hieranf zieht der Kaiser in den Tempel der seine
Thore öfbetr bengt anbetend die Knie und singt, indem er die Krone
vom Hanpt nimmt und mit dem Scepter und Reichsapfel in den HAndeo
hält, vor dem Altare:
^Nimm, was ich bringe, mit gnädigem Herzen,
König der Könige, Dir sei das Reich!
Einzig durch Dich nur sind wir die Herrscher.
Du allein bist der Lenker des All!^
Er opfert darauf die Krone und kehrt dann auf seinen Sitz, das
heisst in sein römisches Reich zurüd^v während die Kirche, die mit ihm
nach Jerusalem hinabgestiegen war, im Tempel zurückbleibt Kirche,
Heidenschaft und Synagoge stimmen, jedes in ihrer Weise, einen Chor*
gesang an. Da nahen sich
• 'S« die Heuchler (hypocritae), schweigend und mit dem Schein
der Demuth, schleichenden Trittes, sie verneigen sich ehrerbietig nach
allen Seiten und buhlen um die Gunst der Layen. Zuletzt kommen sie
immer näher und vereinigen sich endlich vor der Kirche und dem
Throne des Königs von Jerusalem. Dieser nimmt sie unbegreiflicher
Weise mit Ehren auf, leiht ihnen Gehör, und ergibt sich ihnen ganz.
Nun ist der rechte Zeitpunkt für den Widerchrist (Antichristus)
gekommen, er tritt ein, die Brust mit dem Panzer umgürtet; die
Heuchelei geht ihm zur Rechten, die Ketzerei, unter der sich
der Dichter vielleicht (üe Secte der Waldenser dachte, zur Linken.
Letztere wird von ihm also angesungen:
^Da ist meines Reiches Stunde!
So bewirkt den ohne Zandern
Dass ich meinen Thron besteige
Und die Welt nur zu Mir bete!
Euch erkenne ich als tauglich
(Dazu hab* ich euch gehegt),
Euere Hülfe, Fleiss und Treiben
Sind mir jetzt ganz unentbehrlich.
Christum ehren noch die Völker.
Ihn anbeten und achten sie —
Sein G^ächtniss sei zerstöret.
Seine Glorie komm* auf mich,
(«ur Heuchelei.) Auf dich sei mein Werk gegründet.
618
(zur Ketzerei.) Durch dich wachst dann der Bau;
(Eur Heuehelei.) Du gewinne inir die Layen,
(wir KetzereL) Du vernichte mir den Oerue.*^
Und die Beiden respondiren in submissesten Treuen und hoch-
möthiger Zuversicht:
yDurch uns wird die Welt Dir glauben,
Christi Nauie wird Dir weidien.
Die Heuchelei: Ich gewinne Dir die Laien!
Die Ketzerei: Ich vernichte Dir die Pfiffen
Dass sie Christi Namön läugnen.**
Das Paar r&ckt langsam vor, der Widerchrist folgt in einiger
Entfernung nadi. Das Schwesternpaar macht sich an den Thron des
Königs von Jerusalem, fraternisirt mit den Heuchiern und bedeutet
ihnen flüsternd, di^ Ankunft des Widerchrist zu verkünden. Diese eilen
ihm entgegen und singen freudig: ^Lange schon wankte die heilige Re-
ligion; Eitelkeit erfasste die Mutter Kirche. Wozu die Verschwendung
durch geschmückte Männer? Gott liebt nicht die weltlichen Prälatwi.
Steig hinan zum Gipfel der königlichen Macht; durch Dich sollen die
Ueberreste des Alterthums verwandelt werden!"
Aber der Widerchrist weiss nicht, wie das geschehen soll, noch
hat er ein Gefühl seines Nichts und spricht: ,Ich bin ein unbekannter
Mann!** Jene aber wissen ihn zu trösten: ^ Durch unseren hilfereichen
Rath wird die ganze Welt Dir unterthan werden ; wir haben Dir die
Layen geneigt gemacht, nun wird durch Dich die Lehre der Pfaffen
stürzen; durch uns wirst Du diesen Thron behaupten und Deine Klug-
heit das üebrige vollenden." Also fasst der Widerchrist Muth und
singt zu den Heuchlern, die den Thron des schwachen Königs von
Jerusalem umlagern: ^Endlich habt ihr mich geboren, ded ihr lange
schon unter den Herzen der Kirche empfangen; erheben werd* ich midi
also, die Reiche unterjochen, das Alte absetzen und neue Rechte vor-
schreiben." Die Heuchler ziehen ihm die Oberkleider ab, dass er
jetzt ganz in glänzenden Waffen erscheint, steigen mit entblössten
Schwertern hinan, setzen den König von Jerusalem ab und krönen den
Widerchrist feierlich singend: ^Stark werde Deine Hand und erhöhet
Deine Rechte."
9« Der arme vertriebene König von Jerusalem begibt sidi nun
allein zum deutschen Könige, klagt ihm seine selbstverschuldete Noth,
wie er zu spät einsehe , dass er durch die List der Heuchler betrogen
worden, „den Gipfel der Herrschaft hielt ich für beglückt, wenn er durch
die Einfalt dieser Leute geordnet wäre; so lange Du des röodschea
m
Reiches Sehtttzef warst, blühte unter Ehren der Stand der Kirohe ; jetzt
liegt offen das Uebel Deines Abzuges, es blüht des verderblichen Aber-
glaubens Gresetz.^ — Unterdessen führen die Heuchler den Widerchrist
siegreich in den Tempel des Uerrn und richten dort sdnen Thron auf,
nachdem sie die Kirche (welche zurückgeblieben war) mit Schmach
und SchUlgen vertrieben hatten; sie flüchtet zum Sitze des apostoli-
schen Vaters. Der Widerchrist aber beschüesst an die einzelnen
Könige Boten zu senden und unterrichtet sie demnach: ^Ihr wisirt, dass
von Gott ich dazu euch gegeben bin, dass durch alle I^än^er hin ich
die Herrschaft übe; dazu hab* ich euch als taugliche Diener auser-
lesen, durch welche die ganze Welt unserem Gesetze unterworfen werde.
Darum besetzt zuerst die Gränzen der Griechen, unterjocht dieselben
durch Schrecken oder durch Krieg. ^ Die Boten gehen vor den Griechen-
könig und singen: ^Heil, o König! sei Dir von unserem Erlöser, dem
Lenker der Könige und des ganzen Erdkreises, welcher, wie ^s in der
Schrift der Welt ist verheissen, endlich vom Himmel herabstieg, von
der Burg des Vaters entsandt. Jener, immer derselbe in der Gottheit
bleibend, ladet uns zum Leben ein durch seine Milde, Dieser will von
Allen als Gott verehrt sein und befiehlt, dass er als solcher angebetet
werde; willst Du diesen Befehl übertreten wirst Du durch das Schwert
mit den Deinen umkommen.^
10« Der Grieche fühlt sich ungemein geschmeichelt und macht^
sich eine grosse Ehre aus dem Antrag, er Idufl gleich vor den Wider-
christ, beugt vor ihm die Knie und überreicht ihm in Treuen die Krone.
Der Widerchrist malt ihm und allen den Seinen den Anfangsbuchstaben
seines Namens auf die Stirne, setzt ihm die Krone wieder auf und
enü&sst ihn gnädig. «
IL Dasselbe wiederholt sich der Reihe nach wie früher mit den-
selben Personen. Der nächste, der zum Falle komn\t, ist der Franken-
könig, der Widerchrist gewinnt ihn nicht durch Drohungen, sondern
durch Güte und Geschenke ; der Widerchrist ktisst ihn bei seiner An-
kunft, malt ihm das Zeichen auf die Stime u. s. w. Noch unvorsichtiger,
meint er, wäre es mit den Deutschen zu kämpfen, also wird 12« der
deutsche König mit der grössten Artigkeit behandelt, durch Ge-
schenke geehrt und in feinster Weise um Freundschaft gebeten. Dieser
aber gibt ganz unerwartete Antwort; er durchschaut den Trug und
gelobt, die Schmach zu rächen. Beschämt ziehen die Boten ab und
hinterbringen ihrem Herren die Beleidigung und hetzen ihn noch mehr
auf; er sammelt sein Volk , bietet seine Bundesgenossen Me auf und
befiehlt, Gennaniens Gifftnzen zu überfallen und das stolze Volk mit
ni6
seinem Könige zu zermalmeD. Die Mannen marschiren auf, auch die
Deutschen sind geröstet , sie stellen sich einander gegenüber und es
entspinnt sich eine Schlacht, die wir uns vielleicht gerade so als Ebnd-
gemenge zu denken haben, wie die Maler des XIL Jahrh. in ihren
Miniaturen darzustellen wagten: es ist eine zahine Prfigelei der Kloster-
leute und Hörigen, die jedoch mit der Niederlage des abgöttischen
Heeres endigt, denn der Widerehrist wird besiegt; triurophirend kehrt
der deutsche König auf seinen Thron zurück.
13. Aber der Feind sucht andere Mittel, was durch Gewalt nicht
möglich war, soll nun durch List gelingen. Die Heuchler führen einen
Menschen vor den Widerchrist, der sich lahm steHt; er wird geheilt
und der deutsche König in seinem Glauben schwankend. Ein weiteres
Wunder mit einem Aussätzigen imponirt dem König noch mehr und der
Zweifel gewinnt schon die Oberhand; zuletzt tragen sie Einen herein,
der im Treffen erschlagen worden sein soll und sich todt stellt; der
Widerchrist heischt ihm, sich zu erhebet! und Zeugniss zu geben der
Wahrheit: Da erhebt sich der angebliche Todte von' der Bi^e und
singt: ^Du bist die Weisheit der höchsten Wahrheit, Du die unbesiegte
Kraft der göttlichen Majestät.^ Sogleich stimmen die Heuchler im Chor
ein — und der König der Deutschen ist verführt: ^Im Namen
Dieses, singt er, werden Todte auferweckt, die Lahmen geben, Ans-
sätzige werden rein^ also hat er kein Bedenken mehr, ihm göttliche
Ehre zu erweisen, er steigt zu^i Widerchrist hinan, bietet ihm mit ge-
beugten Knieen seine Krone, lässt sich von ihm salben und krönen,
auch verspricht er einen Kriegszug gegen die Heiden, woza ihm der
Widerchrist das Schwert übergibt.
14« D^ deutsche König wendet sich also, um den einen Glauben
an den Widerchrist zu verbreiten, an seinen königlichen Mitbruder von
Babylon, aber dieser ist zu fest in seine Vielgötterei verstrickt, um
sich einen Gott octroiren zu lassen; der deutsche Abgesandte wird
zornig und wirft dem Babylonier die Götzenbilder um. Das ist das
Signal zur Schlacht, in welcher der babylonische König gefangen und
besiegt wird und erst ans den Händen des Widerchrists sein Regiment
zurückerhält. Nun wenden 15. sich die Heuchler an die Synagoge
und verkünden ihr die wahre Ankunft des Messias:
^Du bist vorzugsweise das Vcrfk königtiehen Greschleehtes^
als glSobiges Volk wirst du überall gepriesen;
f&r die Erhaltung des Gesetzes bist du lange schon verbannt,
fem vom Vaterland hast du den Messia« erwartet.
Diese Erwartung wird dir wiedergeben die Erb^alt,
eine frohe Neuheit wird das Ateerthaui er^etzan*
Siehe da deiner Erlösung Crehetmniss :
£b, König i^t geboren, der Religion Urheber;
dieser ist der Eminaonel, den die Schriften bezeugen,
durch dessen Gnade du in Ruhe herrschen wii^t.
Erhoben hat er die Niedrigen und gestürzt die Stolzen.
Alles mit Macht unterworfen seinen Füssen.
Stehe auf, Jerusalem, stehe auf, erleuchte Dich,
Synagoge, lang gefangene, freue Dich!''
Die Synagoge findet sich wundersam getröstet, es wiederholt sit*h
mit ihr Alles wie mit den Vorigen. Da erscheinen plötzlich die Pro-
pheten. Mit einfacher Rede mahnen sie an das durch die Jungfi;au
menschgewordene Wort Gottes: ^Gott bleibend wurde Er sterblich,
immer Gott i^iirde Er zeitlich;* nicht nach der Sitte der Natur, sondern
durch Gottes Wirkung; Er nahm an unsere Schwftche um den Schwa-
chen Starke zu verleihen; Ihn erachteten die Jaden als sterblich, dessen
unsterbliches Wesen sie nicht kannten. Nicht der Rede glaubten sie,
nicht Zeichen; unter Pilatus kreuzigten sie Christum; durch Sterben
tödtete Er den Tod, befreite von der Hölle die Gläubigen. Aufstand
er wahrhaft, um nicht mehr zu sterben; för immer herrscht er; bald
wird er wieder kommen; er wird die Welt richten durch das Feuer,
Alle auferwecken im Fleische, die Seligen scheiden von den Verwor-
fenen, die Sohlechten verdammend die Guten verherrlichen , Ihr wisst,
was die wahrhaftigen Schriften sprechen; den Enoch bezeugen sie
lebend und den Elias.^ Vei-wundert fragt die Synagoge, wo diese
seien — und sie sind da: ^Wir sind wahrhaftig, erwiedert Elias, auf
die der Zeiten Ende ist gekommen. Der ist Enoch und ich bin Elias,
die bisher erhalten hat der Messias, der schon gekommen ist und noch
kommen wird, um durch uns zuerst Israel zu erlösen. Siehe, gekommen
ist der Mann des Verderbens, vollendend die Mauern des grossen Ba-
bylon. Nicht ist er Christus.^ Und die Propheten heben der Synagoge
den Schleier, nun bekehrt sie sich sogleich und sieht ihre VerfQhrung
durch den Widerchrist ein: ^Wir danken Dir, Adonai, König der
Herrlichkeit, Dreiheit der Personen, derselben Wesenheit! Wahrhaft
Gott ist der Vater, dessen Eingeborner Gott ist, gleichfalls Gott ist
beider Geist.'*
Inzwischen ziehen die Heuchler zum Widerehri^ und verkünden
ihm, dass die Juden von ihm abgefallen, er lässt sie vor sich mfba;
doch auch die Propheten mit der Synagoge konunen zu >hm, hart f&hrt
er sie an als UnglUobige, aber die Propheten erwiedern: ^Du läeterst^
-
Stifter der Ruchlosigkeit! Wurzel de» Böaeo, Venrirrer der Wahrheit,
WiderChrist, Verführer der Frtountgkeit!^
Zornig heischt der Widerchrist seinen Dienern: ^Die Lästerang
meiner Gottheit soll die höchste Majestät strafen; die in mir die gött-
liche Milde lästern, müssen die Strenge der Gottheit kosten.^ Ffir ein
so grosses Äergerniss sollen sie zur Schlachtbank getrieben werden. Da
singt endlich die Synagoge ihr Bekenntniss: ^Wir berenen den Irr-
thnm, wir bekehren uns zum Glauben; was uns der Verfolger anthon
wird, wollen wir gerne erleiden.^ Die Synagoge wird hinausgeführt
und empfängt den Martyrtod. Unterdessen singt die Kirche: ^Eid
Myrrhenbündlein ist mir mein Geliebter.^ Nach der Rückkehr der
Henker sendet der Widerchrist seine Boten an die einzelnen Könige, er
will sie alle uro sich versammelt s^hen und sich anbeten lassen und
sie ihnn es auch willig ; er steht nun auf der Höhe seines Rahmes :
„Das haben mir vorausgesajgt meine Verkünder,
Meines Namens Männer und meines Rechtes Pfleger;
Das ist mein Ruhm, den sie längst verkündet.
Den mit mir geniesen wird wer es verdient
Nach dem Falle derer, welche die Eitelkeit geblendet
Hat Friede und Sicherheit Alles umschlossen.'*
♦
Da rollt in Donnern plötzlich das göttliche Strafgericht über ihn,
er stürzt zusammen und die Seinen entfliehen; die Kirch« aber singt:
^Siehe da den Menschen, der nicht Gott ta seinem Helfer gesetzt hat!
-^ Ich aber bin wie ein fruchttragender Oelbaum im Hause des Herrn!'
Während nun Alle zum Glauben zurückkehren, nimmt die Kirche die
Verirrten auf und stimmt das „Te Deum laudamus^ an , womit das
Ganze schliesst.
Das ist ^er ^Inhalt des Mysteriums, das ein Tegemseer Mönch zu-
sammengefügt hat und welches in der ganzen Geschichte der mittel-
alterlichen Dramatik als das erste, grossartigste und reichste Stück da-
steht, welches, obgleich höchst einfach in seiner Anlage, durch Musik,
Gesang, scenische Ausschmückung und allerlei anderen Theaterbedarf
eine grosse Wirkung hervorgebracht haben muss. Dazu gehörte lang-
jährige Erfahrung; ein solches Spiel ist nicht von ungeübten Kräften
denkbar, und so dürfen wir denn für unser Tegemsee die Annahme
als ziemKch untrügerisch hinstellen : dass hier lange s^on ähnliche
Uebangen im Kimen, also offenbar Weihnacht- und OsterspMe, wie
die früher besprochenen, gang und gäbe gewesen, und Sinn, Verstand*
Biss und Erfahrung sich gebildet und erpreßt halten.
m
Dass das Stück aufgeführt wurde , unterliegt keinem Zweifel , im
sau möchte sogar mittelst spftterer Belege eine Conjectur darauf bäu^n,
welche in Folge anderer Erftthrungen keine gewagte genannt werden
kann. ^So viel steht vorerst fest, dass es das erste grosse Schau-»
spiel war und auf die weitere Entwicklung der dramatischen Dicht*
knnst einen mächtigen Einfluss übte.
Bald ilaoh diesem reiht sich das Weihnaditspiel von Bene-
dictbeuer« an (Lndus scenicus de nativitate Domini);*) es hing mit
den Gregofiusfesten zusammen und zeigt einen weiteren Fortgang der
Dramatik.
Vor die Fa^ade der Kirche ist der Sessel des Augustinus ge^
stellt, zu seiner Rechten befinden sich Isaias und Daniel mit anderen
Propheten; zur Linken aber der Archisynagogus ' mit seinen Judenleuten.
Isaias erhebt sich zuerst mit einer prophetischen Strophe, welcher
Antiphonen aus seinen Weissagungen folgen; dann tritt Daniel hervor
und die Sibylla, welche gestikulirend auf den Steni weist und mit
ausdrucksvollen Geberden (cum gestu mobili) von der reinen Jungfrau
und des Heilandes Geburt singt. Als vierter Prophet kommt vom
Chor begleitet, Aaron herein, er trägt die Ruthe^ welche unter zwölf
dürren Stäben allein geblüht hat. Darauf erscheint Bai a am auf
dem Es^, um dem Volke zu fluchen, aber der Engel mit dem blanken
Schwerte tritt ihm entgegen, das Tbier weicht erschrocken zurück und
der Eikgel verschwindet; Balaam prophezeit nun auch den aus Jacob
aufgeheaden Stern: Da^ fährt der Hohepriester empor, schüttelt das
Haupte fiebert am ganzen Leibe, stampft mit dem Fusse und hetzt die
Juden auf.
Ihm wirft sich, als in einem ächten Scholarenspiel, der am Grego-
rinstag CTwählte Knabenbischof (episcopu.s puerorum) mit jugend«
lichem Ungestüm entgegen. Zur Erklärung dieser seltsamen PersQnUclH*
keit ist eine Abschweifung wohl erlaubt.
Pabst Gregor IV. war ein Freund der Schulen, der Jugend und
ihrer Freuden, «r stiftete zum Andenken an seine grossen Vorgänger
Und Namensträger im J. 830 ein Fest, welches ihn in der Folge zum
Patron der Schüler, zum Schutzheiligen derselben machte. Das Fest fand
meist am dritten Feiertage zu Pfingsten statt. Vorher wurden drei
Knaben in der Schule gewählt, der eine zum Bischof, die beiden
anderen zu seinen Kaplänen und Pfarrern, der erstere musste eine so-
genannte Bischofspredigt, gewöhnlich in Versen, einstudiren. Kam nun
der Tag, so erschienen die Knabea, verkleidet als allerlei Handwerker
') Schneller Carmioa burana. S. 80—95.
9H
t
«nd St&nde, and versammelten steh in der Schule. Von da zogen sie,
ihren Biachof stote in der Mitte, zur Kirche, wo dieaer sich vor dem
Altare auf ein Bänklein setzte. Nachdem der heilige Greist berabge-
rufen (veni st spiritos) and Amt und Predigt gehalten war, wurde das
^Gregorilied'^ angestimmt und der episcopos puerilis hielt seine Predigt,
nach welcher er, von seinen Genossen omringt, feierlich durch die Stadt
ritt oder ging , die Scholaren sangen dabei und bekamen Kochen und
Backwerk aas den H&asern geschenkt Bisweilen dispntirte so ein kleiner
episcopus auch über allerlei Dinge und in der schönen Zeit der Dia-
lektik und Hamanistik thaten sich nicht selten wahre Wunderkinder
und gelehrt verbildete Wechselbälge hervor. In ihren Umzügen erschie-
nen bald bestimmte Charaktere, es gab Trunkene und Nairen, Tod und
Teufel liefen mit und allerlei tolle Wesen; sie machten ein HdUen-
spdi;takel und der Münchner Provinzialism gebraucht sprichwörtlich für
einen gewaltigen Lärm noch den Ausdruck ^eiu rechter GregorL^ Diese
und ähnliche Auswüchse gaben endlich Anlass, den ganzen Spass ab-
zuschaffen. ')
Ein solcher Knabenbischof springt nun in unserem alten Kloster-
spiel im gesuchtesten Gegensatz dem Hohepriester an den Hals; das
Büblein wirft dem Alten vor, die Ausgelassenheit des Weines rede aus
ihm und der Synagoge , es beginnt also ein dialektischer Kampf, der
von Augustinus und den Propheten in ernster, milder Weise, von dein
Hohenpriester aber unter unbändigem Hohngelächter geführt wird. Den
Schlüssworten Augustins gegen die Juden, das« sie an den Jtfestias
welcher nun erscheinen werde, glauben sollten, folgt neuerdings ein mit
heftigen Geberden begleitetes Gelächter der Juden.
Nun ziehen sich die Propheten indignirt auf ihre Sitze zurück und
es beginnt, wahrscheinlich auf einer (wie zu Ammergan durch einen Vor-
hang abgeschlossenen) Mittelbühne die Verkündigung Maria in biblisch
schmuckloser Weise, welcher in rascher Folge der Besuch bei Elisabeth
und Qiristi Geburt sich anreihen^ „Maria vadat in lectum snum, quae
jam de spiritu sancto concepit et pariat filium; cui assideat Joseph
in habitu honesto et prolixa barba.^ Hierauf ersdieint der Stern und
der Chor beginnt die Antiphon: „Hodie Christus natus eat,^ nadi
welcher die hl. drei Könige aus verschiedenen Theilen der Welt kommen
und sich in mehreren, mit allerlei Gelehrsamkeit gezierten Strophen über
die Erscheinung eines solchen Sternes dispotirend vMimndern. Der
') lieber den üiregori io llftn4:heo erzifall Borf holser (S. 443), es |sh
in den Privalhäiisern der Schullehrer auch fippige Kindermahlzeitea. Line
Beschreihnnfl: , wie es 1563 zoffinir, gibl Westenried er in s. Beilriffs
V. 2aa -
825
Vorhang der Mittelbühae musste sich vor dieser Scene natürlich schon
geschlossen haben. Wie sie weiter gehen und ^ht altdeatsch in*8 Land
des Herodes kommen, stossen des Königs Boten auf i»Te und erkunden
den Zweck ihrer Reise. »Sie eilen zu Herodes und hinterbringen ' die
Kunde; dieser fürchterlich aufgebracht und wie in allen diesen alten
Spielen eine höchst l&cheriiche Figur, lässt den Archisynagogum holen,
der mit seiner Judenschait erscheint und hochmüthig, salbungsvoll und
honigfliessend den Rath gibt, sich gegen die Könige zu verstellen. Naöh
kurzer Rede gehen sie, gleichfalls über die Bedeutung des Sternes
disputirend, weiter.
Unterdessen ändert sich dieScene, der Engel erscheint den Hirten
und Verkündet die Geburt des Heilandes; den Hirten aber, die sich
auf den Weg machen wollen, tritt der Teufel entgegen und irrt sie,
so dass sie schon an der Wahrheit der Verkündigung zweifelig werden
möchten ; endlich werden sie durch das Gloriasingen der Engel doch
überzeugt, gehen zur Krippe und beten das Kind an. Rückkehrend „ad
offlcia sua^ stossen sie auf die drei Magier, welchen sie Anfs<;hluss
geben. Ihre Anbetung und üebergabe der Opfer scheint jedoch nur eine
stamme Scene gewesen zu sein, dann entfernen sie sich ein wenig und
legen sich zur Ruhe nieder, -wo sie der Engel im Schlafe warnt, u. s.w.
Dem auf ihre Rückkehr wartenden Herodes gibt der Archi»ytiagog
die unerwünschte Aufklärung mit „Tu Bethlehem terra Juda" etc. Er-
zürnt befiehlt der König die Kinder zu morden und die Kriegsleute
vollführen den Auftrag unter dem Weberuf der Mütter. Dann wird
Herodes von den Würmern zerfressen, er springt von dem Thron; den
todt damiederstürzenden packen die Teufel mit grossen Freuden. Die
Krone wird seinem Sohne Archelaus aufgesetzt. Unter seiner Regierung
erscheint der Engel nächtliche^ Weile dem Joseph und heisst ihn nach
Egypten fliehen. Die Zurüstung zur Flucht und die Abreise auf dem
Esel schliesst diesen Act ab.
Nun erscheint mit grossem Conduct der König von Egypten; zwei
Lenz- und Liebeslieder werden gesungen, denen sich ein gelehrtes Stü-
dienlied, welches wieder in einen Liebesgesang übergeht, anschliesst. So
lebt Alles in Freuden. Da stürzen beim Eintritt der heiligen Familie
plötzlich alle Götzenbilder der Egypter zusammen. Der König, davon
benachrichtigt, lässt seinen weisen Rath versammeln und will ein Opfer
bringen; die Idole werden wieder aufgerichtet, stürzen aber nur neuer-
dings ein. Die Weisen singen von dem neuen Judengotte und die
Götzen werden abgeschafft. Hie est finis legis Egypti. Nun kommt der
König von Babel mit grosseni Geleite, zugleich erscheint die Syna-
goge, die Ecclesia und Gentilitas. Die Heidenschafl hebt höhnisch
\ 40
686
Kampfan gegen den Glaaben an einen Gott; auch die Heuchler
spielen eine Rolle, zuletzt erscheint der WiderclMrist. Das Stock
hing offenbar mit dem Tegemseer Ludns paschalis znsammeQ und ging
von da in dasselbe über , es ist ein sehr lehrreicher Anhaltspunkt för
die weitere Ausbildung und Entwickelnng dieser Darstellmigen.
Die bereits öfters genannte inhaltreiche Handschrift der Carmina
burana gibt auch ein Ludus paschalis, sive de passione Do-
mini, welches, während die vorhergehenden sämmtlich noch in latei-
nischer Sprache sich bewegen, grösstentheils deutseh ist') Das in diesen
Sammelcodex aufgenommene Manuscript war ursprfinglich ein Spielbuch;
die Schlagwörter sind lateinich angegeben, wobei die weitere Verhand-
lung den wohleinstudirten Rollenträgern ad libitum überlassen blieb.
Der Verlauf dieses Mysteriums ist folgender: Im Beginn werden
die Plätze ausgetheilt : Pilatus mit seiner Gemahlin und seinen Mannen,
Herodes mit seinen Kämpen, die Priester, darauf der Kramer mit
seinem Weib, zuletzt Maria Magdalena treten der Reihe nach herein
und nehmen die im Kreise herumstehenden Sitze ein. Von da stehen
die betreffenden Personen« auf, wenn die Reihe des Agirens an sie kommt
und verhandeln im Mittelpunkt der Bühne, darauf setzen sie sich wieder
an ihren Plätzen nieder, eine höchst einfache Einrichtung, die jedoch
wie im altenglischen Theater, so auch bei uns, lange Zeit beibehalten
ward.
Die eigentliche Handlung eröffnet Christus; er geht allein am
Meerufer und beruft seine Jünger, den Andrea3 und Petrus. Darauf
folgen die Heilung des Blindgebornen und die Berufung des Zachäus.
Darnach kommt dem Heiland ein Pharisäer entgegen und ladet Jesum
zur Tafel, er sendet seinen Knecht voraus, daa Gelag zu rüsten.
Nach dieser Emleitung erscheint Maria Magdalena, ein frohUches
Weltkind, die in Freuden leben will und mit ihren Gespielen zum Kramer
geht, um Schminke und Wohlgerüche zu kaufen. Der Kramer streicht
seine Waare heraus, Maria Magdalena aber hebt plötzlich ein deut-
sches Lied an:
Krämer, gip die varwe mir
diu min wengel roete,
damit ich die jungen man •
an ir dank der minnenliebe noete.
Seht naich an,
jungen man! '
lat mich iu gevallen!
') Zuerst mil^etheilt von Docen in s. Miscellen II. nnd in A relins Beifr.
1806. 11 St. 8. 497 ff. Vgl. Schneller Csrin. bur. S. 95-107.
6^7
Min De t, tagen tliche man
minnekltche vranwen!
minne tuet ia höh gemuet
nnde \kt in in hohen ^ren schanwen.
seht mick an, a. s. w.
Wol dir werlt, daz da bist
also vreadenriche !
ich wil dir sfn.nntertan
darch d!n lieber imnier sicherltche.
seht mich an, a. s. w.
Dann kommt ein Amator, welchen Maria grösst und mit ihm plaa-
dert; sie fordert die Mädchen auf, sich Farbe zu kramep und singt
wieder in deutschen Strophen:
Wol dan, minneklichiu kint,
schanwe wir kräme.
Kauf wir die varwe da,
die uns machet schoene unde wolgetine.
Er muez sin sorgen vri,
der da minnet mir den lip.
et iterum cantat: ^Krämer gib ^\e Farbe mir^ und der ^Mercator*
respondirt :
Ich gib'iu varwe, diu ist guot,
dar zuo lobeliche,
die iu machet reht schoene unt dar zuo
vil reht wnnnecliche.
nempt si hin, hab ir sie!
ir ist niht geliche.
Darauf geht Maria schlafen, ein Engel singt der Träumeiiden von
Christas; sie erwacht und singt wieder ihr Weltlied; sie schläft wieder
ein und nun gemahnt sie der Engel zum zweiten Male ; erst wie er ihr
sagt, dass die Engel im Himmel sich freuen über eine Sünderin, die
Busse thut, erhebt sie sich voll tiefer Reue über ihr sündiges Leben,
zieht ihre bunten, vielfarbigen Weltkleider ab and legt schwarzes,
nonnenhaftes Gewand an; der amator und diabolns weichen. jetzt von
ihr. Nun kauft sie beim Kramer die kösthchste Sglbe und geht damit
zur ^Persona dominica^ d. h. zum Herrn, den sie kniefällig mit einem
deutschen Gebete begrüsst:
Jesus, trdst der s61e min,
lä mich dir enpholhen sSn, ^
unde Toese mich von der missetät,
da mich diu werlt zue hat bräht!
40»
628
Ich käme niht von den faezzen diu,
du erloesest mich von den sunden min,
nnde von der grozzen misset&t
da mich diu werlt zue hat bräht!
Darüber murren die Pharisäer und Judas, Christus aber recht-
fertigt die Sünderin, die über sich selbst wieder ein Klagelied anhebt:
Aw^, awS, daz ich ie wart gebom!
han ich verdienet gotes zorn,
der mir hat geben s^le unde lip,
aw6 ich vil unselic wip!
aw§, awe, daz ich ie wart geborn,
swenne mich erwecket gotes zorn!
wo! üf, ir guoten man unde wip
Gott wil rihten sdle unde lip.
Daran reiht sich die Scene mit Maria und Martha, die weinend
um Lazarus bittet und die Erweckung des Todten, wobei inzwischen
Chorstrophen eingelegt f^ind. Nun folgt der Verrath des Judas, Ge-
fangennahme am Oelberg,. die Verläugnung Petri, Christus vor Caiphas
und Pilatus, Geisselung und Ecce horao, Pilatus wäscht die Hände,
Auszug zur Kreuzigung, Judas wirft dem Hohepriester das Geld wei-
nend zurück, der Teufel aber führt ihn an den Galgen und hängt iho
auf. In der Scene der Kreuzigung hebt Maria ihre Klage an :
«
Awe! awe mich, hiut unde immer we, ^
1. We! wie sihe ich nü an
daz liebliste kint, daz ie gewan
ze dirre weide ie dehain wip!
aw§ mines schoenen kindes lip!
2. Den sihe ich iemerlichen an.
Lät iuch erbarmen, wip unde man!
Lät iuwer ougen sehen dar,
nnde nemt der marter rehte war!
3. Wart marter ie so iemerlich
unde also rehte angestlich?
Nd merket marter, not unde tot,
unde al den lip von bluote rot.
4. Lät lebeq mir daz kindel min,
unde toetet mich, die mueter sin
Mariam, mich vil armez wip! *
Zwiu sol mir leben unde lip?
629
Dessgleichen lautet eine andere Klage:
Flete, fideles animae, Triste spectacnlum
flete sorores optimae! crucis et lanceae
nt sint multiplices clausuni signacnlum
doloris indices mentis virgineae
planctus et lacrymae. profunde vulnerat.
Fleant matema viscera, Hoc est, qnod dixerat,
Muriae matris vulnera! quod prophetaverat
Materae doleo felis praenuntius.
qnae diel soleo Hie Ule gladios
feiix puerpera. qni me transverberat.
Maria umarmt Johannes, ihren neuen Sohn; Jesus dicit: ^sitio^
und die Juden reichen ihm den Schwamm mit Essig; darauf durchbohrt
Longinus die Schulterseite:
Ich wil im stechen ab daz herze sin,
daz sich ende siner marter pin. .
Wie Jesus mit dem fetzten Worte geendet, bekehrt sich Longinus,
der das Augenlicht wunderbarer Weise erhält: ')
Dirre ist des wären gotes sun,
er hat zaichen an mir getan,
wan ich min sehen wider hän.
Die Juden aber spotten des Gottessohnes. Joseph von Arimathia
bittet, den Gottessohn bestatten zu dürfen:
Jesus von gotlicher art
em mensch an alle sunde,
der an schuld gemartelt wart,
ob man den fnrbaz funde
genagelt an dem kriuze st4n,
daz waer niht kuneges Sre.
Darumb solt ir mich in län
^bestaten, rihter herre'
und Pilatus beschliesst:
Swer redelicher dinge gert,
daz stet wol an der mäze,
daz er ir werde wol gewert,
du bitest, daz ich läze
') Vffl. Walther v. d. Vogelweide 37, M wo Longinus anch als ein Blinder
gilt, der durch das auf seine Augeiy /allende Blut des Heilandes geheilt und
sehend wird ; dasselbe wiederholt sidi in der Folge in allen Passionsspielen.
630
dich bestaten Jegum Christ,
daz main ich wol in guete.
sit er dir so ze herzen ist,
nim in nach dinem muete.
Dfis sind die Mysterien, die in bayerischen Klöstern aufgeführt
wurden und nicht selten in der Nachbarschaft weiter wanderten und
häufig in vermehrter Auflage anderswo wieder vor ihr Poblikuin ge-
langten. Das Osterspiel vom Antichrist, welches aus Tegemsee stammt
und in weiterer Ausschmüdcung uns neuerdings in Benedictbeuem be-
gegnet, muss lange Zeit in Uebung gewesen und weit faerumgekommeo
sein; einen seltsamen Beleg für diese Meinung liefert ein Fastoacht-
spieP) aus dem XV. Jahrh. zu Nürnberg, welches sich ganz und gar
wie eine Carricatur und Travestie des alten Tegernseer-Spieles ansieht
Aus diesen Mysterien, welche der Clerus in den Klöstern be-
gründete, entwickelten sich die Passionsspiele, welche das Volk
erst auf dem Kirchhofe und dann auf eigener Bühne im Freien agirte.
An der Spitze derselben steht die Ammergauer Passion, welche
sich durch ein Gelübde der Gemeinde im Jahre 1634 auf zehnjährige
Wiederholung fixirte und unterdessen noch prachtvoll auswuchs. Es galt
früher die Meinung, es sei erst in der angegebenen Zeit entstanden,
wer aber weiss, welch langjährige Mühen und Erfahrungen vorausgehen
müssen, um ein Stück mit einigen Hunderten von Mitspielenden zur
Darstellung zu bringen, der wird es begreiflich finden, dass das arme
Bergvolk /nicht über Nacht auf den Einfall kommen konnte, etwas
seiner ganzen Natur Fernliegendels plötzlich realisiren zu wollen. Zudem
spricht das wegen einer schweren Pestzeit gemachte G^iöbniss von der
Passionstragödie deutlich als von einer schon bekannten und bestehen-
den Sache, und nur die Zeit der Wiederholung wird festgesetzt. Auch
der bis jetzt aufgefundene älteste Text vQm Jahre 1662 ist ein Beleg
dafür, dass dem Spiele ein viel älteres zu Grunde gelegen. Ich nahm
desshalb keinen Anstand, in meiner Schrift über dieses merkwürdige
Drama ') den Satz aufzustellen, die Sitte des dortigen Pajisionsspielens
sei so alt als die dortige Holzschnitzerei, beide stammen aus den frühe-
sten Klosterzeiten. In dem benachbarten Kloster Rothenbnch bildete
die Bilderschnitzerei eine besondere Beschäftigung, die Mönche brachten
diese Kunst bereits im Anfange des XH. Jahrh. nach Berchtesgaden,
*) Nro 68 io Kellers Sammlung.
^) Die Entwicklung des deutschen Theaters im Mittelalter und das Amnergaoer
PassioQSspiel. Miincheo 1861 (bei Robsold}.
63t
wo sie hente noch in wetteifernder Weise florirt and sogar eine jdogere
Schale, die zu GrOden in Tirol (1705) ablagerte.
In gleicher Weise wurden diese Mysterien im Mittelalter verschleppt.
Vielleicht wanderte das Tegernseer - Benedictbeurer Osterspiel über
Kochel und Mittenwald, woselbst gleichfalls eine berühmte Passion
bis in die neuere Zeit spielte,') nach Rothenbuch und von da nach
Ammergau. Im vorigen Jahrhunderte wurden in Bayern überhaupt
noch an 60 ähnliche Spiele aufgeführt, z. B. ,zu Aidenbach, Eichen-
dorf, Deining bei Landsberg, Flintspach, Peissenberg (wo-
von sich noch alte Textbücher erhalten haben), Mühlfelden, Kohl-
grub und Roth bei Wasserburg; ') das letzte dieser Art ist unter
den Holzknechten von Erl (bei AudorO noch in fleissiger Uebung.
Diese Aufführungen waren grosse erbauliche Volksfeste, auf die
Jung und Alt sich lange schon voraus freute und ihrer noch lange mit
Freuden gedachte. Noch heut zu Tage betrachten dieLandlcute das
Ammergauerpassionsspiel als eine geistige Badefahrt :^ sie empfangen die
Sacramente in der alten Kirche zu Etal, verrichten ihre Andacht vor
dem wunderbaren Steinbilde daselbst und so ausgerüstet ziehen sie be-
tend nach Ammergau, wo sie andächtiglich der Darstellung des bitteren
Leidens und Sterbens des Welterlösers beiwohnen, die sie wie eine für
das ganze Leben wohlthätig wirkende geistliche Nachkur gebrauchen.
Und es ist dasselbe Verhältniss, wie bei der alten griechischen Tragödie:
das Volk ist mit dem Stoffe wohlbekannt, daher genügen wenige, aber
markige Züge, um jede schon aus den Kirchenbildern wohlbekannte
Person wie einen alten Bekannten einzuführen. In diesen Scenen ist
heute noch wie damals,- ein episches Nebeneinander; sie reihen sich
ruhig ohne dramatische Gegenwirkung, nur unterbrochen durch da«
Hereinziehen der Vorbilder aus dem alten Bunde; so gemahnt das
Ganze in seinen reichen symbolischen Beziehungen den Skulpturwerken
an den mittelalterlichen, gothischen Portalen, mit denen die Figuren
gleichfalls noch die AehnKchkeit des Costüms theilten. Dieses war
immerdar von höchster Einfachheit. Die Dramaturgen behalfen sich
dabei ebensowohl wie die mittelalterlichen Maler: was sie vor Augen
hatten, stellten sie dar; hatten ja auch die Dichter das Christenthum
ganz deutsch behandelt.
>) Noch im J. 1834 sah Augu&t Lewald dasselbe; vgl. MorgenblaU 1834.
Nro. 146-70 u. Prechtl im Oberbayr. Archiv. XXI. 2. Hft. S. 105 ff.
>) Aneh die Schiffleote von Laufen gshen den Winter über allerlei Stöcke
aus der profanen und heiligen Geschichte Vg\, Reise durch den bayerischen
Kreis. 1784. S. 245.
682
Das älteste Costüm bildete der Levitenrodi , die Casula nnd das
Humerale; die weltlichen Personen z. B. der Herodes in dem Freinn-
ger Kindermord, tragen byzantinisch^ Gewänder, wie die Kaiser und
Herren auf den ältesten Miniatui4)ildern. Später kam die mittelalter-
liche Tracht und die Magdalena erschien zu Benedictbeuem schon in
d^n buntscheckigen Stoffen, in den. als vornehm, hoflfährtig und hbchst
weltlich geltend „stricheten" d. h. vielförbigen Kleidern, die Herman
von Fritzlar und Bruder Berhtold als sundhaft erkannten. In grosser
hartnäckiger Treue halten die Ainmergauer am älteren Schnitt, in
dem sich ebenso wohl die Albrecht Dürer'sche Vorstellungsweise, wie
der Geschmack aus Ruben*s Zeit kundgibt, vermischt mit der neueren
Dosis jener namenlos kläglichen Stationenschmierer und Pappendeckel-
anstreicher des vorigen Saeculums.
Die alten Mysterien gleichen auch hierin jenen Wandergebilden der
guten Maler, etwa denen der Kölner-Schule, Alles ist Andacht und
Frömmigkeit; dann kam im Drama, wie in den Maler- und Singschulen
zu Ulm und Nürnberg allmählig die Verholzung und die traurige Realität,
weicher zuletzt die Handwerk skrämerei folgte, dann wieder das zopfige
Vornehmthun, die maskirte Galanterie mit Manschetten und Mantel-
wurf, denen sich bald das Toupet und das arkadische Ballet anreihten.
Wir müssen aber .zurückhalten, um der uns zugemessenen Zeit und
dem uns begrenzten Raum nicht voranzueilen oder ihn zu überschreiten.
Vom XIV. und XV. Jahrh. sind uns, trotzdem dass diese Spiele
sehr in Uebung gewesen sein müssen, gerade aus Bayern keine Nach-
richten und noch viel weniger Textbücher überkommen. *) Doch ist
grosse Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass auch zu Ingolstadt eine
bisher noch verborgene Pflanzschule dieser dramatischen Knost sich
befunden haben müsse. Wenigstens spricht die Thatsache dafür, dass
ein dortiger Schulmeister, welcher von da auswanderte, die Kunst des
Passionsspielens nach Tirol gepflanzt habe. Der Name dieses Mannes
ist Benedict Debs, er starb 1515 und liegt zu Botzen begraben.
Sein Freund Virgilius Raber, seines ehrsamen Zeichens ein Maler
zu Sterzing, erbte von ihm zwei Bände „alt« scardeggen^ mit 14'
Stücken, die ihrem Ii^alte gemäss sehr alt scheinen.^3 Sie sind höchst
') Ich finde nichts mehr als eine Marienklage aus dem XV. Jahrh. (mit Hiiaik-
noten)^ welche Pfeiffer nach einer Münchner HS. bereits in Haupts alt-
dcut. Bläit. II. 373-76 abdrucken liess. Ein Passionsspiel aus Friedber^
in Haupts Zeitschr. VII. 545.
') Vergl. die sehr schätzbare Schrift von A. Pichler: lieber das DraiM des
Mittelalters in Tirol 1850. u. ein weiteres Programm vom J. 1852. welches
ein Himmelfahrtsspiel aus derselben HS. veröffentlicht.
683
roh and unflfttig, aaeh kommen Züge darinnen vor, die einen ganz ur-
germanisohen Hauch verrathen, so z. B. wenn 2wei Apostel znm Grab
des Erlösers einen WeUlauf nntemehmen: nnd sie wetten um ein
Pferd, ein Paar Schuhe und um ein Seidel Weine. Auch in den heute
beliebten Tiroler ^Bauerkomödien^ spricht sich eine ganz mittelalter-'
liehe Kindlichkeit aus; der Engel steigt z. B. auf einer Leiter aus dein
himmlischen Gebälke des Heustadels hernieder, auf welchem Gott Vater
thront und Maria empfängt ihn mit den Worten : „Gelobt sei Jesus
Christus"^ worauf er ganz pflichtschuldigst unbefangen mit „in Ewigkeit^
erwiedert/ ')
. Wie jeder Mensch in sich den Tod, so trägt auch jede Kunst den
Keim ihres Verfalles schon vor ihrer Ausbildung in sich, und das mit-
telalterliche Mysterienspiel kränkelte bisweilen merklich in seiner Hei-
li^eit. Der dem ächten Volksleben unvertilgbar eingewachsene glück-»
liehe Zug des Humors und der heiteren Laune machte sich trotz des
gewichtigen Ernstes frühzeitig geltend. Schon im ältesten unserer Spiele,
das in der Freisinger Kirche aufgefiihrt wurde, kann es Herodes nicht
unterlassen, den Gelehrten die Bücher an den Kopf zu werfen, ein Act,
der von den jungen Scholaren und dem zuschauenden Baiwarenvolk
jedenfalls mit freudiger Acclamation aufgenommen wurde. Auch die
Teufelsscenen gaben zu allerlei Spuck Anlass, so dass Pabst Innocens UI.,
ebenso einzelne Bisdiöfe und Synoden, das Schauspiel aus der Kirche
verwiese^ Nun da man auf dem Kirchhof oder vor dem Kirchenportal
agirte, begann das Volk auch mitzuspielen, und nur die Rollen hoch-
heiliger Personen blieben in den Händen der Cleriker, die von da
.die deutsche Sprache zulassen mussten. Unnöthige Personen wurden
eingeschoben, so in den Osterspielen ein Marktschreier, der den zum
Grabe wallenden Frauen Salben und Spezereien verkauft, besonders
aber war es sein Knecht, der mit tollen Streichen und Thorheiten seinen
Witz zu Markte brachte und mit der Zeit zum Hanswurst sich aus-
bildete. Diese Charakterfigur scheint ganz ein Eigenthum des altbayeri-
schen und beziehungsweise des österreichischen Volkes, in Nürnberg ist
der gleich geniale Jean Posselt zu Hause. In einem Osterspiele des
XV. Jahrb.") ist dem Kramer neben einem hanswurstartigen Diener
auch ein böses Weib zugegeben, mit dem er sich zankt; der Dichter
nennt sich Rubin (Ruepel) und einen Bayern, in den von Benedikt
*) Von diesen Passionsspielen cursiren im Volk überhaupt eine Unzahl höchst
korifiischer Geschichten und Anecdolen. Vgl desshalb (Htltermaier) Sagen-
buch der Städte Lauingen etc. '
') Hoffmann von Fallersleben : Fundgruben. II. 296. Wackernagel Lese-
buch 1839. S. 1013 fr. W. Menzel Deut. Dicht. I. 236.
634
Debs aus Ingolstadt nach Tirol gebrachten Stücken, tritt in dem
Qarten, wo später der auferstandene Heiland erscheint, zuvor ein Gärtner
auf, der etliche Würzen und Kräuter zum bedenklichsten Gebrauche
empfiehlt und die Mutter des Herrn mit auserlesener Grobheit behan-
3elt, *) Petrus erscheint als komische Figur, ebenso wie er im Kinder-
märchen überall eine lächerliche Rolle spielt, die Jünger zu Emaos
fuhren eine förmlich<^ Kneipscene auf, prügeln sich mit Wirth und Wirthin,
schlingen heisshungerig, was von den Ostereiern no(di übrig ist und
trinken alle Weinreste aus. Dergleichen Auftritte bildeten sich zu ganz
weltlichen Zwischenspielen aus, zu planlosen Bauernkomödien, Jahr-
marktsscenen und Schlägereien mit Schin^pf and Spitznamen, dte sich
bald von den Mysterien ausscheiden mussten, sollts nicht das Heilige
geradezu verhöhnt und lächerlich gemacht i^erden. So entstand das
weltliche Theater, welches längst schon einen guten Boden im Volks-
leben hatte.
•Die Kirche war nämlich nicht im Stande gewesen,, alle aus dem
Heidenthume überkommenen Natur- und Volksfeste in ihren Dienst zu
nehmen; sie hatte sich meist mir darauf beschränkt, dieselben unter
Vermeidung alles Anstössigen, äusserlich an eines ihrer Feste oder den
Namen ihrer Heiligen anzuknüpfen.') Man gedenke dazu der dramati-
schen Kampfspieie von Winter und Sommer, an das Ausjagen und
Vertreiben des einen und das Bewillkommnen und Einholen des anderen,')
an die Brunnen- und Waldfahrten auf .Laetare Jerusalem,'^ der vielen
FrüMingsfeste, bei denen Blumenköniginnen und Grafen mit Sang und
Klang, Spiel und Tanz die Maibäume setzten. Hinter dem heitig gehal-
tenen ersten Mai liegt, wie schon W. Menzel vermuthete,**) eine
ältere heidnische Feier verborgen, einer grossen Hochzeit der Eiben,
die später als gräulicher Hexensabbath wieder zum Vorschein kam.
Um diese Zeit blühen die Bäume und paaren sich die meisten Thiere,
es ist die grosse Hochzeitsfeier der Natur selbst. Daher beging man
diese Feier durch den ganz dramatischen Eintritt eines geputzten Jüng-
lings, der den ersten Mai oder Frühling vorstellte und Maikönig oder
Maigraf hiess, ihm gesellte man das schönste Mädchen als Mai-
braut oder Maigräfin bei. Das Maifest ist an die Stelle des Eiben-
festes getreten. Gleichfalls, wenn auch nur einen primitiven, aber
immerhin doch dramatischen Charakter tragen das Erscheinen der
') Pichler S 13.
*) Vgl. dessbalh die Vorrede zu J. W. Wolf: Beitrage zur deut. Mythologie.
I. B 1852.
') Panzer Beiträge. I. 253.
4) Deut. Dicht. I. 113.
635
Klöpfelsäjager und Sternbuben zu WeihDacht und Dreikönig,
ferner die Gregorius*, Martins- and Nicolansfeste, voraas
aber das Urbanreiten, die Umzüge des Wasservogel und der
Radsehleifen mit Hans! und Gre^l; keine Zunft feierte ihr Jahres-
fest, den sogenannten Lichtbraten, ohne mit geschwungener Fahne, mit
Tronmiel, Pfeiffen und Saitenspiel auf die Herberge zu ziehen, in der
Fastnacht gab es dann Narrenspiele und Mummereien, ich erinnere nur
an das Nürnberger Schempart-Laufen, an die Wurstproces-
sionen und das Brunnenspringen der Metzger, die Reigen
der Fassbinder, ') und die Messertänze der Schwertfeger')
und andere EIrscheinungen. Am Aschermittwoch sah man dann unter
Trommel- und Pfeiffensohall die hingeschiedene Fasching begraben. Die
vielen Umgänge, die das schaulustige Mittelalter abhielt, geben nicht
selten schon durch ihren uns ganz unverständlich gewordenen Charakter
ihren heidnischen Ursprung aus den alten priesterlichen
Götterumzügen sattsam zu erkennen. Ihre Erläuterung bleibt
einer eigenen Schrift vorbehalten; hier interessiren sie uns nur in so
weit, als sie mehr oder minder Veranlassung boten zu stummen oder
lauten, gereimten und ungereimten, gesprochenen und gesungenen dra-
matischen Darstellungen, Spielen, Scenen und Aufzügen eines aus-
schliesslich oder doch vorzugsweise bloss ergözlichen Inhaltes.
Darneben drängten sich auch viele kirchliche oder christianisirte
Festlichkeiten in den Vordergrund; wir erinnern hier an die noch
wenig beleuchteten Aufzöge der heimkehrenden Kreuzfahrer, ihre
Wechselgesänge und Dialoge, in welchen sie die Thaten und Wunder
des heiligen Krieges schilderten, wobei auch allerlei* fremdländische
Sehenswürdigkeiten, Reliquien und Bilder auf den Strassen vorgetragen
wurden. Das merkwürdigste jedoch, was in dieser Beziehung sich bis
auf den heutigen Tag erhalten hat, ist der gi'osse Drachen stich zu
Fürth in der Oberpfalz, der immer am Sonntag nach Fronleichnam
abgehalten zu werden pflegt und nebenbei bemerkt, als ein factischer
') Vergl. meinen Artikel über die frühere Bedeutung des Münchner Schäffler-
(anzes in der N. Münch. Ztg. 1858. Nro. 18.
') Solche fanden zu München stall, ferner zu Ulm und Nürnberg. Zu München
erschienen alle acht Jabre die Scbwertfeger von Braunau und führten ihren
„figürlichen Tanz mit entblössten Schwertern^ vor den ansehnlichsten Häusern
aur. Die Sitte war noch zu Westenrieders Zeiten üblich, der ihrer in seiner
Besdireibang von München 1782. S. 287 gedenkt. Wenige Jahre darauf
wurde das Spiel, ein mehr als tausendjährig bestehendes Recht, trotz dem
kaiserl. Privilegium, polizeilicb abgeschafR. — Die Münchner Messerschmiede
gehörten zu den vier privilegirten Bruderschaften fm heil röm. Reich, die
(nächst Wien, Heidelberg und Basel) alle in diesem Handwerk vorfallenden
Streitigkeiten entscheiden konnten. Vgl. Frisius Ceremönien. 8. 883.
fi36
Beweis des Fortlebens der Heldensage gelten kann. ') AxkAi England
kennt den Liatwurmkampf des heil. Georg, aber man feiert ihn dort
znr Weihnachtzeit. *) Der kirchliche Heilige ist nur die Verhüllung
eines altheidnischen Wesens/ähnlich wie bei St. Ntcolaus und Martin.
Den Drachenkampf kennen überhaupt alle Völker. Auch die Barwaren,
noch mehr die in der Oberpfalz abgelagerten Gothen, müssen einen
solchen Mythus besessen haben. Die Schlange ist das Sinnbild des
Wassers, des feuchten und nebeligen Winters, oder in biblischer An-
schauung das Symbol der Sünde und des Verderbens der Menschen, mit
ihr kämpfte der Gt)tt; sein Sieg ist der Sieg der himmlischen Sonne
über den Wiuterhimmel im Jahrkreise oder der Erlösung im Weltjahre.
Der englische Drachenkampf ist sonach nichts anderes, als unsere
Wettgesänge von Sommer und Winter, die hier nur in Worten, dort
in Thaten sich bewegen.*)
Das schöne Spiel in dem oberpfillzischen Fürth geht folgender
Massen vor sich. Am Vormittage wohnen die Spielenden, früher natür-
lich im Costüm, dem Hochamte in der Stadtpfarrkirche bei, darauf
begibt sich der Zug auf den Walplatz. Die handelnden Personen sind:
ein Rittersmann zu Pferd, in Harnisch und Blechhaube, umgeben
von einer Schaar Trabanten ; -dann eine Königstochter aus fremden
Landen , ein Goldkrönlein und Schleier auf dem Haupte tragend , be-
hängt mit Silbergeschnür und Schaumünzen in Fülle; eine Ehrendame,
die Nachtreterin genynt, begleitet ^dieselbe. Letztere hat kaum auf
einer erhabenen Bühne Platz genommen, als ihr'gegenüber m gehöriger
Entfernung bereits ein grimmer Drache erscheint, ungestalten Leibes,
mit grosser Kunst aus Reifen und Leinwand zusammengefügt und von
dem darin geborgenen Todtengräber dirigirt. Das Ungethüm treibt
erst mit den Zuschauem allerlei Spass und Hetzerei und strebt auf die
') Hierüber rxistirl eioe reiche Literatur, die aber der Hauptsache nach ininier
dasselbe bietet. Vgl. Vaterländisches Magazin. 1840. Nro. 45. Verhandlungen
des hislor. Vereins der Oberpfälz 1846. S. 162. Panzer 1. 107 u. 559.
Rassmann Heldeusage. 1857 I. 413 ff. u. Red er Der Bayerwald. 1861.
8. 189 Auch erschien zu Ch»m bei Ph. Brönner eine eigene Brochöre (16 S. 8®),
welche die Autführnng vom Jahpe 1855 beschreibt; dieses Machwerk aber ist
ebenso schlecht, wie der beigedruckte Holzschnitt, der anonyme Verfasser
spöttelt mit vornehmen Schreiberwitz über das Volksspiel und will sein Opus
doch als ^Volkshuch*^ gelten lassen. Ein grosser Reiterauszug alljährlich am
St. Georgentag zu Stein. Vgl. Steub: Bayer. Hochland. 1860. S.313.
*) Der Nachweis bei Wein hold Weihnachtspiele. S. 18.
*) £tv^as Aehnlidbes war auch in Metz üblich. St. Clemens, der erste Hei-
denbekehrer in Lothringen, tödtete in Metz einen Drachen (ebeoso wie St.
Mani? zu Füssen); zur Erinnerung daran Murde altjährlK-b ein riesiges
Drachenbild durch die Strassen ^^eführt, wobei es Herkommen -war, dass
die Bäcker Brode in den weitaufgesperrten Rachen werfen musslen, die den
Armen der St^dt zu gute kamen Hocker Mosel. 1855. S. 8 ff.
687 »
geäng8tigte Prinzessin los : da reitet der ilitter heran zu der Jungfrau
^auf deu) Steine^ und gelobt seine Hülfe, schon will der Drache das
arme Opfer ergreifen, da beginnt der Kampf und zwar in dreimal ver-
schiedenem Angriff: Zuerst sprengt der Ritter dem Unthier entgegen
und stösst ihm den Speer in den Rachen, trifft er die in der Gau-
raenhöhlung verborgene Blase nicht, so nimmt wohl ein M etz ger-
meis ter des Augenblicks währ, zieht sein langes Messer und zersticht
dem Drachen sein rindblasen Herz, so dass zur Freude des Volkes,
insbesondere der dabei immer stark vertreteneu Böhmaken, Blut fliesst,
in welches die Bäuerinnen begierig ihre Tücher tauchen, um ein sym-
pathetisches Mittel zu haben. Das Tuc]^ wird in Stücke zerrissen und
in die Felder gesteckt, „damit der Flachs in diesem Jahre gut gedeihe.**
Dieser Zug gibt dem ganze;i Feste eip mehr als tausendjähriges Recht;
dieses „ Drachenblut '^ ist so gesucht, wie das Blut der „armen Sünder"
bei Hinrichtungen, ^r- Der Drache fallt aber noch nicht; zum z weiten-
male reitet der Ritter mit aufgehobenen^ Schwert heran und versetzt
dem Drachen einen Hieb, dass er sich schmerzhaft krüiiunt und bäumt;
die Knappen und Trabanten umringen ihn mit vorgehaltenen Spiessen,
dass er nicht mehr entrinne, indessen kommt der Retter* zum dritten-
male und schiesst ^ nr«ht einen Pfeil (was ehedem wohl zuerst geschah,
jetzt aber des Effectes wegen zuletzt verspart werden muss), sondern
ein Pistol auf den Drachen ab. Die Jungfrau bekränzt ihren Retter
unter gereimten Wechselreden und dann findet ein pompöser Umzug
und Einzug in's Wirthshaus zum Rittertanz statt, indess der drachen-
dirigirende Todtengräber von Haus zu Haus sein Trinkgeld sammelt.
Die Folge des Schaustückes war früher häufig eine Heiräth zwischen
Ritter und Königstochter, so dass also wahrscheinlich die Wahl auf
die betreffenden und zusammenhängenden Personen fiel, wodurch das
Ganze an Bedeutung gewinnt. Panzer theilt fefner mit, dass nach
der Volkssage „der Drache, welcher jetÄ nur nachgeahmt wird,
froher ein wirklicher Lintwurm gewesen sei, welcher die Stadt hart
bedrängte, bis ein Held, Namens Siegfried kam, der ihn erlegte."
Dieser Zusatz sieht so acht aus, dass er dem Forscher wirklich Be-
denken erregen könnte, ob er nicht in neuerer Zeit erst sich einge-
schmuggelt habe. Dagegen ist eine andere Ueberlieferung noch beach-
tenswerth, welche behauptet, dass zu Fürth einst die Pest gehaust und
Alles dahin gerafft habe ; NiemancT wollte mehr kommen, um die Leute
wieder anzuziehen, wurde der Drachenstich gegeben; das heisst wohl:
man kam auf den Einfall, ihn wieder aufzuführen. Mithin fällt die
erste Kunde seines Entstehens oder besser gesagt, Wiedererscheineus
mit derselben Ursache zusammen, welclfe den Münchner Schaff lertanz
' 688
auf die Beine und die Ammergauer zu dem Gelöbniss einer immer in
zehn Jahren zu veranstaltenden Wiederholung ihrer Passion brachte.
Das ist zwar nur ein Volksspiel, welches alljährHch wiederkehrt;
indess wurde die Legende von St. Georg, mit demselben Rechte, wie
sie Kein bot episch behandelt hatte, auch in ein pompöses Drama
verarbeitet, welches im Jahre 1473 zu Augsburg Während der Daner
des Reichstages und zu Ehren der Anwesenheit des Kaiser Friedrich III.
prachtvoll aufgeführt warde. Der Kaiser war am 25. April des genann-
ten Jahres mit grossem Gefolge, in welchem sich sein Sohn Maximi-
lian und sogar der türkische Kaiser Zusimus beiknd, eingeritten
und verweilte daselbst bis zum Samstag* vor St. Michaelstag. In dieser
Zeit fand die Aufführung dieses Stückes statt, welches M. Schütten-
heim, seines Zeichens vielleicht« ein Weber, welcher in zwei anderen
Gedichten den Kaiser noch später (1480 und 1487) verherrlichte,
dichtete. Ein feineres Compliment konnte dem Stifter des Georgenrit-
terthums (1468) nicht gemacht werden, als durch die Vorführung dieses
dramatischen Werkes.') Es hebt damit an, dass die Bürger der von
einem grausamen Drachen belagerten heidnischen Stadt sich über das
daraus erwachsene Unheil besprechen und um Hülfe gegen diese Noth
sich an den König wenden:
Der track ist iez an dem tor
Und tuot mengen stürm davor.
Mit feur und giftigem schmack
Das niemant davor pleiben mak.
Denoi rathlosen König schlägt ein Bürger vor, mit dem Wurm
einen Vertrag (satz) zu machen, Schweine zu kaufen und ihm täglidi
eines zu geben; ging diese Fütterung aus, dann könne man sich mit
Schafen und später mit Pferden und Rindern behelfen. Der Antrag
wird angenommen , nur «in Bürger ahnt Unheil , es könnte vielleicht
doch noch an ihr eigenes Leben gehen, wenn etwa ein Futtermangel
an solchen Thieien entstehe, doch wird sein kluger Rath, den Drachen
lieber gleich jetzt zu bekriegen , von dem darob erzürnten König und
der nicht absonderlich muthigen Ritterschaft einstimmig abgewiesen.
Unterdessen muss doch der traurige Fall eingetreten sein, denn in der
nächsten Scene, .die vielleicht durch eine Pause unterbrochen war,
kommt ein Thorwärtel mit der Anfeige, der Drache stürme anaufhalt-
') Vgl. Greirr in FreiflTers Germania. I 165-91 und Keller Pastnacblspide
(Nachlese). 1858. S. 130—82. (Nro. 126.) Eine andere., reimweis ertihleiide
Bearbeitung dieser Lebende oiacbte im J. 1516 ein Augsburger Welier und
Biirger, Simprebt Kröll mit Namen.
639
sam am Thor und f^peie Feuer mit solcher Kraft, dass Niemand allda
mehr auszuhalten vermöge; die Stadt hat ihn sraerst mit' Schweinen,
dann mit Schafen und Pferden, zuletzt mit ihren Rindern abge-
speist, jetzt ist Alles im Lande aufgefressen; der König schläft vor,
ein Loos zu werfen , wenn es treffe , der habe sein Kind dem Wurm
zu geben, er selbst wolle dabei nicht ^ausgenommen sein; habe Einer
keine Kinder, so solle er sein Weib oder sich selbst dem Drachen
stellen. Das wird angenommen. Der Erste, den das Loos trifft, bietet
gleich sein Hab' und Gut dagegen, aber es verfangt nicht und sie
bringen dem Drachen sein Kind, welches erst den Vater um P^bal-men
bittet und dann jämmerlich aufschreit.
Dasselbe wiederholt sich nun öfter; rührend sind die einfachen
Klagen einer Mutter, die ihr Kind verlieren soll und sich selbst fiir
dasselbe opfern will. Zweimal verliert ein und derselbe Ritter, der jet/Jt
sogar seine Frau dem Dracheu zur Speise geben muss, obwohl sie mit
einem Kindlein geht.
Endlich trifft auch auf den König das Loos — er soll seine schöne
Elia dem Wurm geben , vergebens möchte er sich mit allen seinen
Burgen und Städteu loskaufen, er will ein armes Kammerweib dafür
substituiren, die lange Zeit lahm und ungesund gelegen ist; der Schreck
macht die alte Gere gesund; da sie hartnäckig dagegen ist, sich von
dem Drachen verspeisen zu lassen, wünscht sie der König zum Teufel,
der augenblicklich erscheint und die ^alte Kupplerin^ abholt; nun hat
der Drache aber ^immer noch nicht seinen Frass. Der König spricht
zum Volke und bittet nur um einen Tag lang Aufschub, dagegen
macht ein Ritter geltend, wie er bereits drei Bröder, zwei Kinder und
seine Frau verloren habe — es muss sein; der König ziert sein Kind
mit Krone und Gold, so wird sie ^auf den Stein gestellt* und soll des
Drachen warten.
Unterdessen kommt ein Engel zu St. Jöi'gen ^in sein Land*' und
heisst ihn zu dem König von Libia fahren, um dort durch Christi
Namen und Glauben die Abgötter zu stürzen. Also reitet St. Jörg aus
und findet die jammemde und um Hilfe rufende Jungfrau, die anfanglich
die Ankunft des Ritters gar nicht gewahrt und ihm kerne Antwort auf
seine höfisch -ritterlichen Fragen gibt, endlich kommt sie doch dazu,
ihm den ganzen traurigen Zusammenhang stossweise zu erzählen.
Die folgende Zwischenscene spielt wieder in der Stadt. Ein Wappner
hat von der Mauer die Ankunft eines Retters gesehen und bringt davon
dem Volke und Könige Meldung. Die Jungfrau aber erfahrt durch
St. Jörg zum ersten Male von Christus, und ist gerne bereit, mit dem
ganzen Land seinen Namen und Glauben anzunehmen, und Georjus
640
verspricht ihr", si« werde den jubeln Teufelshund,*' der bereits heran-
kommt, mit ihrem Gürtel biuden können.
Vorerst erscheint noch ein Engel dem Heiligen und verheisst ihm
durch Christi Kreuz den Sieg; so reitet St. Georg auf den Warm,
durchsticht ihn und führt ihn zu der Jongfrau.
Das ersah ein Wappner von der Stadtmauer ; er eilt zum König,
bittet um gutes Botenbrod für seine Kunde und erzählt, wie ein Gott
^in Kitters Amt^ den Tracken erzähmt habe, also dass ihn Elia jetzt
am Gürtel fiihre; der König geht ihr mit dem ganzen Volk vor das
Thor entgegen, die BefVeite stellt ihrem Väterlein den vom Christengott
aus Capadocia gesandten Ritter und Retter vor. Anfänglich wäre der
König geneigt, den Ritter selbst für einen Gott zu halten, ergibt sich
aber gleich an Jesus Christns und befiehlt seinem ganzen Volke, diesen
Glauben sich anlegen zu lassen. Mit äusserster Bündigkeit spricht St.
Jörg zu dem Volke, was der Christenglaube sei, tauft es sodann und
predigt auf die Bitte eines Ritters noch mehr davon. Die Königin-
Mutter verspricht ,, Klöster zu machen'* und der König will ^Priester-
schaft^ einsetzen, Wittwen und Waisen schirmen, Raub und Brand
verbieten; das Spiel schliesst mit folgender Exhortation in einer acht
allgäuer-schwäbischen , durch das ganze Stück fühlbaren Mundart:
Ir alle haunt nun woll vernomen.
Die her zuo disem spil sind komen,
Das verpraucht ist in sant Jörgen ere. ^
Hie bei sült ir nemen lere.
Das got den rechten nie verlie,
Als iez ist scheinper worden hie,
Wie von got ein track ward gsant
In Libia des haidnischen künges laut.
Der tet in pein und grosse not.
Leut und vich den pittern tot
Was von dem tracken in des künges latit^
Bis gott sant Jörgen zuo in sant
Der von dem wurm der haidenschaft
Loste durch des kreizes kraft.
Si wauren ungeläbig haiden.
Got wolt si davon schaiden
Und vor der hell bewam,
Das si die abgött Hessen farn.
Durch des künges tochter Elia
Würket got die wunder da
641
Durch Georiura, der si von dem tot
XiOst uns von des tracken not
Und band den Wumi mit gottes kraft
Angesicht aller haidenschaft.
Da si*das wunder sachen,
Christum si za got verjachen
Und glaupten darch die zaichen gross.
Da der wurm ward sigelos
Durch Christus namen pei dem kreuz, f
Nun bedenkent alle, was bedeuts?
Nit änderst, denn wir vest bestaun,
Den glauben und got vor äugen haun
Und pitten got durch seinen tot,
t
Das er uns helfe aus aller not.
(Hie hat Sant Jergen spil ain end.
Das uns got allen kuroer wend.)
Es ^ird sich schwerlich aus dieser Zeit ein anderes Produkt finden,
das einigen von diesen Dialogen an Einfachheit, Wahrheit und kind-
licher Naivetät an die Seite zu stellen wäre. Die Wirkung, welche die
lebendige Aufführung dieses Drama*s ausgeübt haben niuss, lässt sich
freilich nicht mehr eimessen; besser hätte der Dichter, dem es haupt-
sächlich darum zu thun war, die Herrlichkeit, den Triumph und /ien
Sieg der Kirche über ihren Feind in den Herzen der Zuschauer zu einer
lebendigen Anschauung zu bringen, seinen Zweck nicht erreichen können.
Es muss einen wunderbaren, erhebenden und begeisternden Eindruck
gemacht und wie heute noch die Ammergauer Passion, ungleich mäch-
tiger gewirkt haben, als die Predigt des begabtesten Redners. Man
könnte es, was besonders den zweiten Theil betrifft, mit vollem Rechte
ein Missionsspiel nennen. *) Zwar schlief wahrscheinlich der langweilige
Kaiser Friedrich III. wie auf dem Regensburger Reichstag, aber der
türkische Kaiser Zusimus wird Augen gemacht haben! war es viel-
leicht auch darauf mitangelegt, ihn zum .christlichen Glauben zu be-
kehren oder ihn überhaupt dafür geneigter zu machen?
Ein anderes, höchst merkwürdiges Spiel, welches gleich hier an-
gereiht werden mag, handelt von der Auffindung des heiligen
Kreuzes,") es stammt vielleicht aus Franken, ist aber in derselben
Augsburger Handschrift auf uns gekommen. Es ist ein umfassendes.
') Vgl. Greif r in der tiernianlB. S. 166
»j Vgl. Keller ebendas. S. 54-1«?.
41
642
gross angelegtes Drama, welches höchst pcmpöfi ausgestattet gewesen
sein muss, Kaiser Constantin, St. Helena und ihre Ritter erscheinen
hoch zu Ross. Es folgt übrigens ganz wie das St. Georgenspiel, der
bekannten Legende. Das Stück ist deutlich in zwei Akte getheitt.
Dass es neben den Mysterien und neben diesen Volksschau-
spielen andere Dinge gab, die in eigenen Buden, auf Jahrmärkten und
offenen Strassen aufgefiihrt wurden, allerlei Possen und Jongleurstucke
der Fahrenden , wie z. B. der obengenannte Konrad philosophus von
Scheyern gesehen und abgemalt hat, ist bekannt. Die Kerle trieben
alle möglichen Künste, waren Taschen- und Puppenspieler und Gaukler,
oder führten kunstreiche Bären (vgl. oben im RuodKeb) , wilde Thiere
und Meemunder zur Schau. Auch scenische Künste fanden statt, davon
«
spricht wenigstens ein unter Ludwig dem Frommen erlassenes Synodal-
gesetz: ^die Kleriker sollten den Schauspielen auf der Bühne oder
bei Hochzeiten nicht beiwohnen, sondern bevor die Komödianten ein-
treten, aufstehen und weggehen." Die Schauspiele, die hiebei gemeint
sein können, waren von grosser Einfachheit; was davon auf uns ge-
kommen, stammt zwar erst aus dem XV. Jahrb.. kann aber früher
auch nicht anders gewesen sein. Sie bestanden aus nothdürftigem
Mummenschanz und Verkleidungen, die an den lustigen Abenden des
Fasching eine natürliche Veranlassung gaben, kleine Lustspiele, ^Tst
aus dem Stegreif, dann eingelernt, herzusagen. In den Wirthshäusera,
oder in Familien, wenn am Abend die heitere Gesellschaft beim Schmause
versammelt war, trat die Truppe herein und brachte, wohlbekannt mit
den Verhältnissen, mancherlei Dinge zur Sprache, die, wenn auch oft
beissend genug, nie übel genommen wurden, wenn die Spielenden sieb
entlarvten und nun die Freunde des Hauses zum Vorschein kamen. Ein
guter Theil der von Keller gesammelten Fastnachtspiele,') die gross-
tentheils aus Nürnberg und seiner Umgebung stanunen, zeigen dafür.
Die Spielenden geberden sich bisweilen (Nro. 38), als wären sie irre
gegangen und in*s unrechte Haus gekommen, dessungeachtet machen sie
doch ihr Spiel und bitten dann hintennach den Wirth immer umVer-
gunst, den „Schimpft nicht ungütig zu nehmen (z. B. 28. B. S. 153),
wenn sie über die Schnur gehauen und etwa Einen verletzt und geärgert
hätten. Dabei können sie es bisweilen doch nicht lassen, noch eines
aufzuführen (das Spiel ist aus — ein anderes her !) oder zu sagen, wo
man sie wieder treffen könne:
') Keller Paslnacbtspiele aus dem XV« Jahrb. 28. 29. 30. u. 46. Baod der
Publ. des lil. Vereins zu Stuttgart.
6^
kompt iemant nach uns fragen herein,
so sagt im, wir sind allsampt aniss,
man find* uns in dem naoh^ten haus.
Die Trappe tritt meist unangemeldet in's Haus ttud der Prologist
bemerkt ganz kurz:
Guten Abend! ich komm* herein getreten
und habe nicht um Vergunst gebeten,
oder noch deutlicher: «Herr Wirth, ihr tugendhafter Mann, ihr sollt uns
pit fbr übel han, dass wir sein do ungeladen kummen.^ Zum Schluss
dann die nochmalige Excusation:
Die Kurzweil, die ist nun vollbracht,
Herr Wirth, das sei zu guter Nacht,
Und nehmt für gut nnsem Schimpf,
Zieht unsere Thorheit in einen Glimpf;
Wir meinen, wer heut närrisch thut,
Das hält man ihm doch alls fiir gut.
Nun gebt uns Urlaub, * es ist Zeit,
Denn wir müssen noch ziehen weit.
Auch das berühmt gewordene ^Narrenschneiden^ des Hans Sachs
konnte in einer Stube aufgeführt worden sein; die Zusch&uer kneipten in
einem gewöhnlichen Zimmer, in welchem nur ein kleiner Raum ftir die
spielenden Personen gelassen war, sie sassen um die Tische und hatten
ihre Kannen Bier vor sich, wie denn auch heut zu Tage bei den
Bauemtheatem die kühlen Erfrischungen in steinernen Krüglein herum-
gereicht werden; der „Knecht^ sagt daher:
Seht ihr die Letite nicht sitzen dort,
All fröhlich. Mach, gesund und ^ei,
Sie bedürfen keiner Arzney.
Und nun die Freude von Jung und Alt, wenn ein Narr nach dem
anderen aus dem Leib des Kranken hervorgezogen wird, der mit Narren-
kappe, Schellen und Pritsche, geschüttelt vom Arzt, gar lustig klingelt
und sich bewegt
Was den Inhalt dieser fliegenden Wandercomödiantenstücke betrifll,
so waren sie grösstentheils familiärer Natur, wahre Kasperlspässe, ehe-
liche Prügelscenen oder noch viel lieber voll Zoten und Unfläterei, ein
Thema, von dem unsere Vorfahren die dicksten Quantitäten vertragen
kjonnten und wobei sie sich um so besser gaudirten, je grösser gerade
die Schweinerei war.
41*
644
Doch gab es auch Stücke, die bereits grösseren Anspruch an die
Zuschauer machten. Hans Fol z lässt in seinem Fastnachtspiel von
der alten und neuen Ehe das Auditorium dvroh den Praecursor
oder Ausmfer zuvor ermahnen, jetzt, da es sich um etwas so Wich-
tiges handle, wie die Synagoge oder die Ueberwindung der Juden,')
ruhig zu sein, nicht zu stossen, dass etwan Wein verschüttet werde,
Kinder und Wiegen wegzutragen , auch soll Keiner sich in das Spiel
mengen oder herzutreten, der nicht dazu gehöre, Geschwätz bleiben zu
lassen, auch sollten die Verliebten nicht heruraschlüpfen , bis sie sich
finden, femer seien die Hunde hinauszujagen, dass sie nicht an den
Knochen nagen oder gar bellen.
Meist sind es gai* leichte Sachen, die abgehandelt werden: Es
kommt ein Arzt, der die kranken Bauern mit seinen schauderhaften
Medicamenten tractirt, oder es ist ein Kramer, der seine Waare an-
preist (Nro. 55);
Got gruss den Wirt und was hinu ist!
Hie secht ir gar in kurzer frist
Mein Kaufmanschatz »und mein handel.
Mit dem ich in dem land umb wandel,
In Schwoben, Franken und üngerlant.
In Sachsen, Hessen und Prafant,
In Polen, Preussen und Reussen,
In India und Preussen.
Gen Pruck in Flandern ich gern zeuch.
Wann ich die posen merkt gern fleuch.
Do ich das mein verpergen muss,
Mein kremerei wirt mir nit süss, ^
Der ich mich nit verwegen kan.
Und gewinn werlich nichts daran.
Frau wirthin, meinen kram schaut allen,
Ob euch etwas mocht dar inn gefallen,
Das ich ein zergelt bei euch loss.
Für war mein würz sein ie nit pos.
Habt ir nit gelt, ich wil euch borgen,
Die hausmeit wolt ich wol versorgen.
Ich han gut schnm* in das Unterhemd,
Auch hab ich nadeln, pursten und kern,
Fingerhuot, tascfaen und nestel vtl,
Heftlein und hekl^n, wie mainss wil.
- ,
*) Ein ähnliches Kampfgesprachspiel vom Kaiser Conslaiilinns, aus einer Mumli-
ner HS. bei Keller II. 796-819 (Nro. 106.;
645
Aber er kommt übel an und seine Waaren nnd sein Kram werden
wacker heruntergesetzt:
Dein saffran hast zu Fenedig gesackt
Und hast rintfleisch dar unter gehackt,
Und meist unter negelein gepets prot
Und gibst für lorper hin geisskot.
Und fichtenspen für zimentrinten
Und nimst das laup von einer linten,
Dar mit tust du den pfeffer meren,
Tust unter mande) pürsing keren
Und unter weinper muckenkopf,
Für muskat aichenlaiibes knöpf
Und muckenschwammen für rusin
Und gibst hutzeln ftlr feigen hin etc.
Sehr häufig werden furchtbar böse Weiber dargestellt, die ihren
armen geplagten Mann tiberall hin verfolgen. Diese Gattung war ausser-
ordentlich beliebt. So ein Ehemann hat sich (Nro. 31) in eine stille
Kneipe geflüchtet, wo er vor seinem Teufel sicher zu sein glaubt, er
athmet aus ganzer Brust aus und will einen guten Tag haben:
Wol auf, tragt uns her speis und wein!
Ich wil die vasnacht bei euch sein.
Bringt uns pretspiel, wurfel und karten!
* Last uns einander zu der taschen warten,
Das man aubh sust vil kurzweil treib.
Hinn bin ich sicher vor meim Weib.
Aber die böse niramermhende Sieben hat ihn doch aufgestöbert,
tritt piötelich herein und überschüttet ihr anderes Selbst mit einer
hageldichten Fluth von Schimpfwörtern (1. 254), die wesentlich ein
Staunenswerther Beitrag zur Sittengeschichte sind and von dem Manne,
dem endlich die Geduld bricht, ebenmässig erwidert werden, und schliesst
endlich mit dem aufrichtigen Wunsche, sie möge mit einem Sack um
den Hals in die Pegnitz geworfen werden.
Eine Münchner Handschrift des XV. Jahrb., welche ehedem einem
gewissen Michel Geyswürgel und dann dem Diaconus Roth in
Nürnberg gehörte, enthält eine gute Anzahl ähnlicher Stücke von
wenig erbaulichem Inhalt, ausserdem das Spiel vom Entehr ist, das
wie eine komische Kopie des X^gemseer Ludus paschalis aussieht, dazu
ein Paar ganz seltsamer Spiele, vom Aschermittwoch (Nro. 71),
von der ^Vasnacht und vasten reht und von sulczen,^ die beinahe an
die spanischen Abenteuerlichkeiten des Erzpriesters von Hita,' Juan
«
Raiz streifep; ferner voQ^kaiserlidi riUerschaft^ (Nro. 75), von
^bapst, cardinalen und bischöfen^ (78), vom „konig vod SchDok^aoi*^
("(9) und^ ^Frau Luneten mantel^ (81) and andere, die mehr oder
minder ein nicht gut mitthei]bare$ Gebiet berühren; harmloser ist das
von den sieben Farben, ') die mit ^Frau Sunnreich^ aufziehen
und je nach ihrer Natur (gritOf roth, schwarz, blau and weiss, gelb
und braun) ihre Bedeutung auslegen. Grün gibt sich als die Farbe der
Freiheit, das heisst, Herzelieb habe sie nie bezwangen; Frau Sann-
reich opponirt dagegen, denn Mancher gehe in Grün gekleidet, der
doch von Herzenliebe gross Leid trage; sie wolle desshalb die ^ne
Farbe nicht viel loben; Roth verkündet die brennende Noth der Minne;
darauf glaubt. Frau Sunn reich bemerken zu müssen, dass die Sache
wieder nicht ganz richtig sei, weil manch Dummer roth antrage, am
sich zu rühmen , als wohne ihm Minne bei , obgleich er nichts mit ihr
zu schaffen habe. Blau nennt sich die Farbe der State, der Beständig-
keit; wer Lieb gen Lieb im Herzen trägt, der soll damit sich kleiden;
wer der Minne gefallen will, der soll stets zu dieser Farbe halten. Das
lobt Frau Sunn reich und spricht:
. . . Das ist ain guter sit;
Dem siten wil ich volgen mit.
Es zimpt wol, das es stet sei.
Dem herzenlieb wonet pei.
Doch siht man manchen pla tragen,
Solt der rok die warheit sagen.
Er saget wol andre mer,
Wie unstet sein herz wer,
Der in da tregt durch stetigkait
Grau, meint sie, wäre als Zeichen der Treue zuverlässiger und
passender* — Wer von der Minne vergessen ist, trägt schwarz, die
Farbe bedeutet Zorn (Trauer, Kammer):
Idi het mir ain lieb aosserkom,
D^ minn dient ich sere,
Leib und gut und ere
Und steten dienst ich an sie leit.
Do schuf hr grosse unstetigkeit
Daz sie ainn andern nam.
Der ir sere missezam.
Darümb mnss ioh traurn.
Mein freud muss ersaum.
») Keller S. 774-^i. (Nro 103.)
647
Mein lieb ist laid worden.
Dess muss ich ftrpaa schwarzen orden
Tragen in jamer und in lait,
Als ir mich seht in disem clait.
Darauf sagt Frau Sunnreich, dass Keinem gut gehen solle, der
nioht mit Seiden leben wolle ; solche solle man in den Bann thun and
verachten. Die weisse Farbe bedeutet nach ihrer Aussage
. . . guten wan,
Den mir die minn hat auf gethan,
Höflich schimpfen und frölich scherzen,
Und kamer und not meinem herzen
Hat die lieb geletzet
Und mich in weisse varb gesetzet.
Doch lassen sich, wie Frau Sunnreich wieder dagegen meint,
auch viele Lästerer in dieser Farbe sehen; sie machen ein Geschelle
damit, was ihnen von der Liebe Liebes geschehen; ehedem sei es ge-
l»*äuchlich gewesen, darüber stille zu sein und kein Aufhebens zu
machen, jetzt plappere Jeder offen davon. Desshalb, meint Frau Sunn-
reich, man könne diese Farbe föglich entbehren. — Gelb bringt Lieb
aus Leid und bedeutet gewährte Liebe, dass Einer aller Pein ledig und
los geworden. Dagegen erklärt sich die gute Frau Sunnreich noch
entschiedener. Hat Eine ihren stolzen Leib ihrem Diener zu eigen ge-
geben, so solle er es in seinei^ Herzens Grunde verdenken und ver-
schweigen. Die Buhler wollen jetzt aber Ruhm haben und treiben eitel
Prahlerei; desshalb solle man diese Sitte der gelben Farbe ganz ab-
schaffen. Braun ist das Band der Minne, es ledigt traurige Herzen
aus der Noth, diese Farbe soll unentbehrlich sein Allen und darum
lobt sie auch FrauSunnreich, nur sollen sich Solche darein kleiden,
die es auch werth sind und mit Recht dürfen.
Das Spiel ist höchst einfach, ja sogar trocken und könnte Jedem,
der mit der mittelalterlichen Sitte nicht vertraut ist, sogar völlig albern
erscheinen , und doch steckt ein schöner Sinn darinnen , es ist wie ein
verlorner Nachhall aus der früheren höfischen Zeit. Schon Hadamar
von der Laber in seinem oben (S. 304 ff.) besprochenen Gedicht von
der ^Jagd der Minne" sagt, grün zeige den Anfang der Minne an,
weiss bedeute Hoffnung, roth ein liebebrennendes Herz, blau rechte
Treue, gelb erfällte und gewährte Liebe, schwarz das Leid. Fast
dieselbe Deutung gibt auch ein anderes, vielleicht gleichzeitiges Gedicht
im Liederbuch der Klara Hätzlerin. ') In dem „der Kittel** genannten
') Herausgegehen von Ilaltaus S. 168 ff.
648
Gedichte, welches dem XV. Jahrh. angehört, werden mehrere allego-
rische Gestalten beschrieben : Frau Venus in goldenem Kleide, Frau
Ehre in rosenrothem englischen Tuche, Frau Treue in einem schwarzen
Baldekin, P>au State in blauem flandrischen TuChe, die Mässigung
(maze) in einem weissen, perlendurchwirkten Gewände. & geschah,
dass diese Farben geradezu als ein öffentlicher Liebesanzeiger gebraucht
wurden, darauf deutet unser Fastnachtspiel und desshalb ist auch Frau
Sunnreich so energisch gegen den mit den Farben getriebenen Miss-
brauch. Die Männer trugen ihre Röcke stets von der Farbe, zu welcher
sie die Gunst oder Ungunst^ ihrer Geliebten veranlasste oder sie er-
logen auch diese oder jene Gunst durch die angenommene Farbe. Noch
mehr, man suchte diese Farbensprache durch Gombination weiter aus-
zudehnen : grün und blau galt den mittelalterlichen Stutzern als Anfang
in Stetigkeit; weiss und blau als stätes und gutes Liebesgedenken;
weiss und schwarz för gutes Andenken im Leid; grau und grdn für
edle und schöne Liebe; schwarz und grau als Leid nach Liebe; blau
und schwarz für stäte Reue. Um dieses nun recht sinnreich auszu-
drücken, musste der Rock aus verschiedenfarbigen Stücken zusammen-
genäht werden. £s geschah dieses meist so, dass die Kleider der Länge
oder Breite nach mitten getbeilt wurden, zuweilen wurde- dann die eine
Seite wieder gehälfbet und zwar quer in der Mitte; bei den Quertheil-
ungen sind die Streifen dann zuweilen auch schräg gelegt. Schon
Bruder Berhtold zürnte über die Hochmüthigen , die das Grewand in
Flecken zerschneiden, hier das rothe in das weisse, dort das gelbe in
das grüne, daif eine gewunden, das andere gestrichen u. s. w.
Ein muthwilliges Fastnachtspiel, einen ächtenr Schwabenstreich hat
Keller aus einer Augsburger Handschrift mitgetheilt: V) Ein Bauer
hat einem anderen ein Schwein gestohlen, der Bestohlene wendet sich
an einen Wahrsager, der ihn damit tröstet, dass das Haus des Diebes
bald abbrennen und derselbe dadurch bekannt werden müsse. Unter-
dessen kehrt in einem Hause ein armer Frei har dt, ein armer Land-
fahrer ein ; derselbe hatte vor dem Dorfe einen gehangenen Dieb am
Galgen gefunden und da die Hosen des Diebes besser waren, als die
seinen, aber in der Kälte angefroren und desshalb nicht abgezogen
werden konnten , so schnitt er den Leib mit den Beinen ab und legt
die Beute zum Aufthauen hinter den warmen Ofen in der Bauernstube-
Nun hatte aber des Bauern Kuh ein Kalb gebracht, welches der Kälte
wegen über Nacht in die Stube gelegt ward. Als nun die Hosen auf-
') 46. B. der Publ. 1858. Nro. 123. Auch gedruckt zu Augspurg, durch Valentin
jScbönick^ auf unser Frauen Thor.
gethaut waren, zog sie der Freihardtsbob an, hub sich von dannen und
Hess die nackten Beine liegen, weiche am Morgen die Magd findet und
in ihrem Glauben, das Kalb habe den Freihardt gefressen, bestärkt
wird. Der Bauer waffiiet sidi^ hob. den Schulzen, Alle bewaffnen sich
um das Ungethüm zu morden. Keiner aber hat den Muth, das Kalb
anzugreifen, also beschliesst der Bauer, um das Ungeheuer zu vertilgen,
sein Haus zu verbrennen, dadurch erscheint er aber als der vom Wahr-
sager bezeichnete Dieb und es gibt eine Prögelei. Diese Dramatisirung
eines alten, heute noch mündlich nacherzählten Scherzes, ist nicht mir
geschickt angelegt und ganz heiter durchgeführt; dabei ist zu bemerken,
dass (Keller S. 38) die Herren von Hirschau bereits im Rufe der
Eulenspiegelei stehen.
Die alten höfischen Sagen blieben im Volk lebendig; ebenso wie
die untergehende Epik sich derselben nochmals bemächtigte und im
Heldenbnch zusammenreimte, so nahm auch das Drama seine Stoffe
da^us. Eine Mönchner HS. hat eine dramatische Behandlung der
schadenfrohen Märe von Frau Luneten Mantel; die genannte Augs-
burger HS. ein weitläufiges lustiges Fastnachtspiel vom König Artus.')
Der edle König von Brittanien will ein Hof machen und lässt dazu die
vornehmsten Potentaten einladen; der edle Ritter Weigion besorgt
die Emladnngsschreiben , die der treue Diener Obitzel überbringen
muss mit dem absonderlichen Bemerken, selbe ja dem Betreffend^]
immer selbst zu Händen zu geben:
Obitzel, nun merk, was ich dir sag!
Reitt schnell und pald bey disem tag
In das knnigreich von Kriechen guot
Und gib dem kung in stetter huot
Disen brieff in sein aigen bandt.
Darnach zuom kung von Engelandt!
Desgleichen dem kunig von Kerlingen
Gib diseli prieff! Damach reitt gleich
Zuo dem edlen kung von Frankenreich!
Daselbst tuo dich auch potschafft fleyssen!
Darnach reitt zuo dem kung von Preyssen!
Dem gib den prieff on alles arck!
Darnach fueg dich zuom kung von Tenmarck
Und gib im den prieff auch on verlangen
Und reitt dan hin zuom kung von Spangen!
') Keller Nro. 127.
m
Dem selben gib audh den prieff^aldo!
Yr yeder wirt sein der potscbafit fro.
Und sag yedem, das er nit aoss pleyb
Und mit im pring sein^schönes weyb;
Und kam* darnach scbneH her wider- dratt
Und sag was yeder geantwart hatt!
Und der getreue Obitzel sattelt unverzüglich und sprengt auf
seinem Fastnachtrösslein auf der Bühne herum, überall, wo er seine
Botschaft bei den hohen Monarchen ausrichtet , weiss er auch etwas
Verbindliches anzubringen, dem Konig von Engelandt bindet er aufs
Herz, ja zu kommen, dem König von Kerling versichert er, seine Reise
werde ihm nicht schaden, er richtet getreulich überall seine Botschaft
aus, die jeder ohnehin aus dem Briefe lesen kann :
Durchleuchtiger künig von Tenmark,
Ich bin geritten also stark, '
Bis ich pin komen zuo ewch her. •
Mein her der tuot ewch pitten ser.
Das ir weit komen mit ewrem wevb.
In disem briejf. Merckt, was er schrevb!
I
Darauf kommt er in einem Athemzug zum Ritter Waigion zuröok,
sagt, dass er weitmäcbtig geritten,
Pis ich die potschafft hab vollendt,
Yetlichem den prieff in sein hendt
Gegeben han vnd gsagt darbey
Das er mit pring sein hansfraw frey.
Jetzt lässr .\rtus Alles zum Empfang vorbereiten und gleich dar-
auf rücken schon die Könige, alle gleichzeitig, mit vielen Rittern und
Knechten an. Artus bittet nicht viele Umstfinde zu machen, nöthigt
sie gleich zur Tafel, also dass jedem sein Weib gegenüber sitzt, doch
wird zuvor ein Tischsegen gesprochen.
Nun hat aber Artus in absonderlicher Ungnade seine Schwester,
die Königin von Zippem, nicht geladen ; sie sendet desshalb durch eine
zuverlässige Jungfrau ein Trinkhorn zum Grelag, welches die Eigen-
schaft hat, dass Jeder, der daraus trinken will und keine getreue Frau
hat, sich schändlich begiessen muss. Die getreue Dienerin überbringt
das Gefäss, auf welchem sie bei ihrer Ankunft ganz erschrecklich bläst,
sagt aber nicht, wer es sende, nur gibt sie die seltene Eigenschaft des
Börnes an. Artus ist der erste, der ganz wohlgemnth daraas trinken
will und sich elend damit begiesst, darauf muss der „Kunig von Krie-
«5t
chen^ die Probe machen, aacb er geht ganz zaversi^tioh auf die
Treae seiner Fraa an*s Werk:
Wolher, da sdbönes horens giantz,
Ich traw meinr frawen ere sey gantz
Beliben stfttt bis an die stunde.
Drnm setz ich das hören an den mandt
Und trinck daraas den gaotten wein.
Aber auch er wird blamirt and begiesst sich and so der Reihe
nach AMe, mit Ausnahme des Königs von Spanigen, der demäthiglich
vorerst zu Grott bittet, ihn vor Schanden zu behüten, er bekommt nach
glücklich überstandener Probe das Hom geschenkt und allerlei Lehen
and Lande för sich und seine Frau dazu, denn sie waren die ärmsten
von Allen. Ein Ritter vom Hofe des Königs Artus, Namens Ayax
beschuldigt seinen Gollegen Weigion, die Ehre der Königin zerbro-
chen zu haben ; die Anklage ist zu überraschend, der Kläger rouss nun
mit dem Beschuldigten kämpfen, der Kreis wird geschlossen, sie schlagen
sich, aber Weigion geht zum Beweise seiner Unschuld siegreich au»
dem Kampfe hervor; Ayax wird zum Tode verurtheilt, aber doch
unter Landesverweisung begnadigt und Weigion reich beschenkt.
Artus will den ärgerlichen Handel mit dem Hom vergessen machen und
schlägt einen Tanz vor:
Nun merckt, ir herren, on allen zoren!
#
Den neid hat uns gemacht das hören,
Das uns gesant ist worden her.
Das nemen wir zu hertzen ser.
Land es auch schlachen aus dem muot
Vnd seyen frölich! Das dunckt n^ich gnot.
Des horens wellen wir gar vergessen
Vnd den frawen zuo argem nymmer messen.
Laund uns mit in yetz frölich sein
Mit singen vnd springen vnd trincken wein,
Mit allem saittenspill hoffiren
Vnd auch mit stechen vnd mit tumieren,
So wirt unser frewd wider gantz.
Pfeifit auff vnd macht vnss ainen tantz !
Ich wil der erst sein auff die fart
. Vnd tantzen mit meiner frawen zart.
Desgleich, ir herren, tantzt mir nach all
Vnd springent frölich auff mit schall!
g>2
Sie tanzen ntin, darauf wird aber nicht mehr an^s Fechten mid
Turnirien gedacht, sondern die Herren nehmen der Reihe nach wieder
Abschied mid erhalten zuletzt noch Johanneswein, und der Epilogist
beschliesst resumarisch das Stück, weil er auch trinken will. Amen ! —
Das Stück ist absichtlich lustig mit schalkhaft gesuchten Reimen, es
muss einen sehr munteren Eindruck gemacht haben..
Das Spiel von Maist^r Aristoteles, ') welches den alten
Weisen in unverzeihlicher Weise carrikirt iind dann in ein muthwilliges
Pfaffenspiel übergeht, weist durch die darin vorkommenden Ortsnamen
auf Ulm oder noch besser auf Nürnberg, da unter den dort ge-
nannten Ortschaften ein Hilbertshofen (bei Weissburg) und Rent
(Reit) sich finden. Ueberhaupt spielt Nürnberg mit seiner Umgebung
die Hauptrolle im Fastnachtspiel, der Gostenhof (Keller S.39> wird
genannt, Poppenreut (S. 127), die Pegnitz (S. 255 u. 634) mit
ihren „Hechten-* (S. 858); Schroffenhausen (S. 340), Niklas-
hausen (S. 480), dann die Primmelwiese (S. 517), Rotenpach,
Obstmarkt, St Moriz und Niklaskirchweihe (S. 543), Tumbach
(S. 592), der Franken wein (S. 613) und der Thurm Luginsland
(S. 633). Unter den Namen kommen Lienhart Stromer (S. 622)
und Hans Narrolt<]S. 653) nebst einem Junkherr Dietrich von
Tu mau (Thurnau bei Kulmbach? S. 353) vor, welche auf wirkliche
Existenz Anspruch erheben könnten; ausserdem wird noch der Bi-
schof von Bamberg (S. 320) aufgeführt und die Stadt Bamberg
(S. 277), auch Dingelfing ^S. 194), das Innthal (S. 489) und
das Lechfeld (S. 517).
Unter den genannten Stücken werden viele dem Rosenplüt zu-
geschrieben, obwohl er seinen Namen nicht in Reim gebracht hat
Ueberhaupt geht es mit diesem Dichter wie mit dem Neidhart, es
sind zwdi oder mehrere Personen zusammengeschoben, nur dass sich
bei dem Nürnberger Reimdichter noch. Keiner daran machte, das Aechte
oder Unächt« auszuscheiden. Vielleicht sind der ^Rosenplüt ^ und der
^ Schnepperer-' zweierlei Persönlichkeiten, wahrscheinlich heisst er gar
nicht Rosenplüt, das wie das ähnliche ^Muscatblüt^ eine poetische
Anonymität ist; dafür kommt der. Name Rosener vor, den ich für
den ächten zu halten geneigt wäre. Um die Verwirrung zu vergrössern
glaubten gewissenhafte Scri beuten für diesen Fall sich auch des Peter
Schmieh er bemächtigen zu müssen, eines gewöhnlichen Reimschmie-
rers, dessen Name glücklicher Weise in der Münchner HS. steht. Dann
») Keller Nro. i2S.
658
soNte der Rosen plüt wieder ein Predi^rniöiich odw gar Klosi^rprior
gewesen sein. So viel steht fest, dass uns der Rosenf^lüt noefa. immer
nicht in greifbarer, urkandlicher Gestalt entgegentritt and dass schon
dieser Umstand die Nürnberger aniinerksam hätte Hmchen sollen, ihren
vielgefeierten Dichter unter einem anderen Namen zsi suchen ! Auch das
gilt als feste Annahme, dass ihm das Verschiedenartigste zugeschriebmi
wird, Gutes und Schlechtes , und von beiderlei, insbesondere von letz-
terer Matme mehr, als ein wirklich poetisch begabter Mensch ertragen
kann. Von seinen glänzenden Priäroeln und Weinsegen bis zu dem
Spruche, wo er alle seine armseligen Kunstfertigkeiten im Style eines
^ Meister Irregang aufzählt, ^ ist eine zu grosse Kluft, es bliebe nar
die traurige Annahme, ein urspränglich höchst begabtes Talent in
seiner tiefsten Verkommenheit vor sich zu sehen. Rosenplüt ^"ar,
wie er sich im vorigen Abschnitt darstellte , eine neue Auflage des
Suchenwrrt, ein Spruchsprecher und Ehrenholt, ein „Fahrender^" den
ein ^Abenteur^ zu fremden Ftlrsten und Höfen trug, der in solcher
Stellung etwa im Dienste der Stadt Nürnberg und in ihrem Au{U*ag
mit einer diplomatischen Note zu Ludwig dem Reichen kam und darauf
dessen Lob verkündete ; der auf Heraldik, blasoqiren und dividiren d&c
Wappen sich verstand und in entscheidenden Unternehmungen der
Stadt, wie bei jenem Auszug gegen die Hussiten nach Tachaw uad
Tauss (1431) oder gegen den Markgrafen Achilles von Braudenbtirg
(1450) werkthätig Theil nahm. Was seine dramatische Kraft be-
trifft, so ist sie schwach und bedeutungslos. Von einer könstleri^heii
Anlage, Schürzung des Knotens und architektonisdben Spannung findet
sieh nicht die leiseste Spur, Alles ist breites Nebeneinander, ein sich
mühselig fortschiebendes Gespräch, und selbst sein gerühmtestes Srtück
„des Türken vasnachtspieP') lehrt uns nur ^ne gemein - spiessbürfer-
liche Anschauungsweise der grossen Weltereignisse kennen, die auf
einer weniger nothdürftigen Bühne zur Sprache kamen, denn der Ver-
fasser bemerkt ausdrücklich, dass man dazu einen Herold, einen Wap-
penträger des Türken und eine gemalte Stuben nöthig habe.
Diese über unseren Rosenplüt angestappelten Wirrsale wird jedoch
nur ein Nürnberger entwirren können, der eine ausgedehnte Kenntniss
der Mundart und der speciellen Ortsgeschichte besitzt, ein wenig Glück
im Suchen und Finden der Urkunden gehört nebenbei wohl auch dazu,
indess wird sich der wahre Name wohl noch mit Zuversicht ermitteln
lassen.
') Keller 8. 1135 IT.
') Keller Nro. 89. S. 289 ff.
654
Neben ikm bkpibt hier nur noch Hans Folzzu nennen. Er war
nach der gewdbnlichen Annahnae ans Worms gebfirtig und hatte sich
als Barbirer, d. h. als Wundarzt zu Nürnberg niedergelassen. Daas er
auch eine Buchdruckerei besessen, ist nicht unwalirscfaeinlich.
Folz war überhaupt im Besitze einer für die damalige Zeit nicht
unerheblichen Bildung, er hatte allerlei Kenntnisse. Er nennt b dem
y,Vasnachtsptl von der alten und neuen E}e^ nicht nur die verschiedenen
Bücher und Sagen des Talmud , sondern citirt daraus ziemlich genau
im Originaltext, den er wahrscheinlich zu Worms erlernte, wo eine
uralte Jadencolonie eingebürgert war, die schon ein halbes Jahrtausend
vor Christi Geburt allda eingewandert sein will.
Die Zeit, in der er sein poetisches Unwesen trieb, fällt zwischen
1447 und 1482, somit hart an oder vielmehr schon Qjber die uns vor-
geschnebene Gränze hinaus. Wir haben von ihm Meistergesänge,
Spruchgedichte, Schwanke und Fastnacht^iele in üppiger Fülle. Aber
das Wort Unflat ist nimmer ergiebig genug, um die in seinen Spielen
herrschende Gemeinheit za bezeichnen ; man staunt über die Dinge,
die er auf die Bühne bringt und vor den Zuschauem in derber
Cynik detaillirt verhandeln lässt. Die Reden, die er Männern und
Frauen häufig in den Mund legt, gereichen dem Drama nur zur Schmach,
zumal da er von einer höheren Aufgabe der Satyre, des Spottes und
Witzes keine Spur verräth. Nur der niedrige Kitzel der Lachlust führt
ihm die Feder, nicht aber der sittlich grdlende Ernst dner aristopha-
nischen C!om6die. Von diesem Standpunkte aus steht der spätere Hans
Sachs, der in keinem seiner Stücke den Schuster zu verläugnen ver-
mochte, doch wie ein Künstler über ihm. Von Letzterem datirt dann
erst eigentlich das deutsche Theater und eine eigentliche Bühne, die
über Heustadel und Wirthshaus sich erhob. —
Ein Blick über die von uns durchlaufenen Erscheinungen zeigt,
dass eine grosse Zeit abgelaufen und sich in ihrem Inneren ausge-
lebt hatte. Wir haben die epische Dichtung von ihrem Beginn
aus dem volksthümlichen Singen und Sagen, in ihrer hohen ritter-
lichen Kunstblüthe bis zum schnellen X'erfall in Didaktik und Prosa-
auflösung verfolgt. Wir begleiteten die Lyrik von den ersten schüch-
ternen Anfingen zu ihrer höchsten Entfaltung, die sich beinahe
unmittelbar an das Epos reihte und ebenso schnell dann ihrem Unter-
gange mit den Spruchsprechern und Meistersingern zueilte. Wir sahen
das Dl-ama in seiner kirchlichen Wiege und grossgewachsen in der
klösterlichen Pflege, aber auch hier überrascht es das Verderben und
es artet in frivole Lustbarkeit aus, die heilige Kunst gibt ihre Rechte
an die weltliche Bühne, die jedoch noch nicht Kraft genug hat, um
als eigene Schöpfung über die Bretter zu gehen, welche die Welt be-
deuten. Das Epos ist erschöpft, die Lyrik ahnt ihre Zukunft im
Volksliede, das neue Schauspiel ist noch im Garderobezimmer der
kommenden Zeit. Das Leben aber, aus dem alle Poesie und Kunst
erwächst und erblüht, hat sich lange schon getieigt und mit den frühe-
ren Traditionen gebrochen. Die Sprache hat sich in ihrem mittel-
hochdeutschen Idiom ausgelebt, das ritterliche Leben ist durchweg faul
geworden, an die Stelle des Adels tritt der Patrizier «nd Bürger,
' Waffen und Kriegsführung haben sich geändert, alte Reiche sind zu-
sammengebrochen, neue Erfindungen tauchen siegreich auf, die alte
klassische Schönheit dämmert \\\ traumhafter Prächtigkeit herauf, selbst
die Erde kommt zum vollen Bewusstsein, erkennt ihre wahre Gestalt,
neue Sterne erscheinen darüber und eine neue Welt liegt jenseits über
dem Meere vor den erstaunten Blicken. Da sinkt denn das Mittelalter
hinab und bedeckt sich mit seinen eigenen Schätzen , die Königstochter
der Poesie stirbt am Spindelstich der Antike und fallt in einen hundert-
jährigen Zauberschlaf, aus dem sie nur unsere Gegenwart wieder ge-
rissen hat, die jetzt alle früheren Erscheinungen gleichzeitig geniesst.
Der kirchliche Glaube ist durch sittenlose Praxis matt, alt und schwach
geworden, es bedarf eines tüchtigen Sturmes, ihn wieder wach zu
' 65f)
rütteln ^und die Reformation schlftgt bereits mit eherner Macht an die
Thore. Nur die bildende Kunst hat sich länger wach gehalten, aber
auch ihr Wesen ist krank und wird von der siegreich aufstrebenden
Antike überflügelt. Das Jugend- und Heldenalter des Volkes ist ver-
rauscht, die schweren Prüfungen der reifen Mannesjahre rücken heran
— wer sagt uns, in welches Alter wir jetzt eingetreten und wer will
es glauben, selbst wenn wir es wüssten? —
N a ch t r ä g e.
Zu S. 104. Unterdessen hat Franz Pfeiffer in s. akademischen
Rede am 30. Mai zu Wien den Kürenberg er als den Dichter
des Nibelungenliedes (Wien 1862. 48 S. 8®) ziemlich evident
nachgewiesen und unsere schüchterne Vermuthung (vgl. S. 436)
sattsam gerechtfertigt. Das Epos gehört demnach in das Ende des
XII. Jahrh. — üeber die historischen Anklänge und Beziehungen,
welche der Dichter damals vielleicht im Auge haben/ konnte, vergleiche
Thausings höchst interessanten Artikel in Pfeiffers „Germania.^ VI.
435 flf.
Zu S. 116. Wolframs Grabstatte war sogar noch im XVII. Jahrh.
sichtbar und zwar in dem von Pütrich bezeichneten Eschenbach. Der
Nürnberger Patrizier Hans Wilhelm Kress sah im Jahre 1608 zu
Eschenbach das Epitaph und zeichnete das Wappen ab (vgl. Fro-
raann im „Anzeiger" 1861. S. 357 u. 358): ein Hafen im Schild und
ein Hafen mit Gilgen auf dem Helme; das Grüne nb er g'sche Wappen
ist nur eine freie, aber getreue Uebersetzung, welche künstlerisch sty-
lisirt erscheint, der alte Stechhelm ist bereits dem Geschmacke von
1490 angepasst; Kress aber zeichnete mit anerkennenswerther Treue
den ritterlichen Helm des XIII. Jahrh. ab, obwohl er das Ding nicht
mehr erkannte oder verstand.
Zu S. 123. Ueber den Namen Löll, der einen Gott verbirgt,
vgl. Rochholz in s. „Argovia** 1860. S. 120 ff. Ein Götzenbild Löll
oder LöUus soll dem Dorfe Grosslellenfeld im EichstÄdt'schen den
Namen gegeben haben ; daselbst und in der Stadt Schweinfurt war sein
Steinbild an der Kirchenmauer angebracht.
42
Trotz der aufopferungsvollen Güte meines lieben Freundes, des Herrn
Professor Dr. W. Reischl, der die Revision dieser Bogen vei*sah, sind doch
einzelne Fehler stehen geblieben. Die meisten Errata sind jedoch solcher
Art, dass sie der nachsichtige Leser selbst verbessern kann, so muss es z. B.
S. 69
Z. 31 von
77 « 8 „
. 79 „ 19 ,
r 124 ^ 26 ^
„ 139
V 144
n 3 „
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482 „ 14 „
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„ 552
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oben heissen neamas st. neumos.
Otblo St. Otto,
welcher statt welche.
Flcohsenschwinge st. Flascbeuschwinge.
Fosannern st. Posanern.
schiieelos st. schelos.
war st. was.
Konrad st.* Konrod.
Hätzicrin st. HatKlein.
im mittelbochd. Texte Ei st. Er. und in der
gegenüberstehenden Uebertragong Es st. Er.
1197 St. 1107.
1169 St. 1196.
Schuhe St. Schulze,
verwundet st. vermundet.
der st. den.
Glast St. Glazt.
Thüringer st. Thüringen.
r
unten
oben
11
unten
oben
unten
unten
oben
n
i
1