t^
HANDBUCH
DER
KLASSISCHEN
ALTEKTÜMS-WISSENSCHAFT
in systematischer Darstellung
mit besonderer Rücksicht auf Geschichte und Methodik der einzelnen
Disziplinen.
In Verbindung mit Gymn.-Rektor Dr. Autenrieth (Nürnberg), Prof. Dr. Ad.
Bauer (Graz), Prof. Dr. Blass (Kiel), Prof. Dr. Brugmann (Leipzig), Prof.
Dr. Busolt (Kiel), Prof. Dr. v. Christ (München), Prof. Dr. Flasch (Erlangen),
Prof. Dr. Gleditsch (Berlin), Prof. Dr. Günther (München), Prof. Dr. Heer-
deg-en (Erlangen), Oberl. Dr. Hinrichs f (Berlin), Prof. Dr. Hommel (Mün-
chen), Prof. Dr. Hübner (Berlin), Prof. Dr. Jul. Jung" (Prag), Dr. Knaack
(Stettin), Priv.-Doz. Dr. Krumbacher (München), Dr. Larfeld (Remscheid), Dr.
Lolling (Athen), Prof. Dr. Niese (Marburg), Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Nissen
(Bonn), Priv.-Doz. Dr. Öhmichen (München), Prof. Dr. Pöhlmann (Erlangen),
Prof. Dr. 0. Richter (Berlin), Prof. Dr. Schanz (Würzburg), Geh. Oberschulrat
Prof. Dr. Schiller (Giessen), Gymn.-Dir. Schmalz (Tauberbischofsheim), Ober-
lehrer Dr. P. Steng'el (Berlin), Professor Dr. Stolz (Innsbruck), Priv.-Doz. Dr.
Traube (München), Prof.Dr.Ung'er(Würzburg), Geh. -Rat Dr. v.Urlichsf (Würz-
burg), Prof. Dr. Moritz Voigt (Leipzig), Gymn.-Dir. Dr. Volkmann (.lauer), Dr.
Weil (Berlin), Prof. Dr. Windelband (Strassburg), Prof. Dr. Wissowa (Marburg)
herausgegeben von
Dr. Iwan von Müller,
ord. Prof. der klassischen Pliih)logie in Erlangen.
Neunter Band, 1. Abteilung.
Geschichte der byzantinischen Litteratnr
von Justinian bis znni En<lo des oströiiiisclicii Uciclics (r)27 — 11 "0
«oo4>fra»fK»«~
MÜNCHEN.
C. 11. HECK'SCIIK VKHI.AiiSHrciIllANDLÜNO (OSKAH BECK).
%
GESCHICHTE
DER
BYZANTINISCHEN LITTERÄTÜR
VON JÜSTINIAN BIS ZUM ENDE DES OSTRÖMISCHEN REICHES
(527—1453)
Von
Karl Krumbacher
Privatdozent an der Universität München
M^
^^'^
^^m
MÜNCHEN
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG (OSKAR BECK)
1891
Alle Rechte vorbclialten.
?ß
SUD
^7
0. H. "
Vorwort.
Wenn ein Naturforscher erklärte, er wolle nur mit dem Löwen
und Adler, der Eiche und Eose, mit Perlen und Edelsteinen, nicht
aber mit widerwärtigen oder hässlichen Gegenständen, wie der Spinne,
der lOette, der Schwefelsäure sich beschäftigen, so würde er einen Sturm
von Heiterkeit entfesseln. In der Philologie sind solche Feinschmecker
die Regel, die es unter ihrer Würde finden, ihre kostbare Kraft
anderem als dem majestätischen Königsadler und der duftigen Rose zu
weihen — und wir haben noch nicht gelernt, über diese Würdevollen
zu lächeln. Einer der ersten Sterne am philologisch-historischen Himmel
von Europa warnte mich einst mit eindringlichen Worten vor dem
Studium der unaussprechlichen Jahrhunderte und ihrer geistigen Er-
zeugnisse; die reine Liebe zum Altertum und die pädagogische Kraft
müssen verkümmern, wenn sich die Philologie auf solche Abwege ver-
irre; ich möge Busse thun und zu den ästhetischen Fleischtöpfen der
klassischen Zeit zurückkehren. Wenn solches am grünen Holze ge-
schieht, was soll man vom dürren erwarten? Es ist wohl zweifellos,
dass die Mehrzahl unserer Fachgenossen sich noch auf dem Stand-
punkte des Bonner Doktors befindet, dem es unbegreiflich war, dass man
sich mit einer Zeit beschäftigen könne, in der ccnö den Akkusativ
regierte. Ich brauche deshalb hier nicht, wie es sonst in Vorreden
hergebracht ist, mein Verhältnis zu Vorgängern darzulegen — denn
i'h habe keine; was mir obliegt, ist vielmehr, das wissenschaftliche
iieclit des Gegenstandes an sich in Schutz zu nehmen. Ich will mich
dabei nicht in die Aufzälilung von Einzelheiten und Nebenumständen
verlieren, nicht von den mannigfachen Anregungen sprechen, welche
VI Vorwort.
aus der byzantinischen Litteratur für ein vertieftes Studium des helle-
nischen Altertums und der griechischen Gegenwart, für die Erforschung
des mittelalterlichen Kulturlebens der Orientalen, Slaven und Abend-
länder, insbesondere für die Erkenntnis der aus einem analogen Ent-
wickelungsprozcss hervorgewachsenen Sprache und Litteratur der roma-
nischen Völker geschöpft werden können. Die llauptsaclie liegt
anderswo. Die auf allen Gebieten anerkannte Forderung, dass die
historische Kontinuität im weitesten Umfange aufgedeckt und be-
schrieben werde, darf auch in der griechischen Philologie nicht länger
beiseite geschoben werden. Was dem oberflächlichen Betrachter der
dunkeln Jahrhunderte nichtig und wertlos dünkt, erweist sich bei einem
liebevollen Studium des gesamten politischen, kulturellen und sprach-
lichen Hintergrundes als bedeutend. Diesen Vorgang des Anwachsens
der Teilnahme und des Verständnisses habe ich unzähligemal an mir
selbst erlebt, er wird sich auch in anderen vollziehen und wird end-
lich der byzantinischen Kulturwelt in der Wissenschaft ilire berechtigte
Stellung erobern. Homer, Sophokles und Plato sind ewig: die isolierte
Betrachtung dieser Geisteshelden ist aber nicht das Höchste; auch sie
treten näher, gewinnen an Leben und sprechen deutlicher, wenn wir
sie auf der Riesenfolie einer Geschichte des griechischen Geistes und
der griechischen Sprache zu begreifen und zu gemessen versuchen.
Um es kurz zu sagen: Soll sich die Philologie als eine geschicht-
liche Wissenschaft im vollsten Sinne des Wortes bewähren, so
muss sie auch die Erforscliung der byzantinischen Zeit ohne Rück-
halt in ihr Bereich ziehen; dann müssen auch die gutgemeinten Be-
denken der sinnenden Gemüter verstummen, die noch niclit gelernt haben,
die Begriffe des ästhetischen Vergnügens und der pädagogischen Brauch-
barkeit von dem der wissenschaftlichen Forschung zu trennen; ver-
stummen werden die Einwände der wissenschaftlichen Bureaukraten,
welt/lie die philologisclien Studien auf einen durch liöliere Verfügung
bestimmten Kreis anerkannter Schriftwerke bescliränken möclitcn; die
Erforscliung einer Wahrheit im 4. Jahrhundert v. (Jhr. wird nicht
mehr für verdienstlicher gehalten werden als die Aufdeckung einer
solchen aus dem 14. Jahrhundert n. Chr.
Alles das ist so einfach und selbstverständlich, dass mau sich
scheuen müsste es öffentlich auszusprechen, wenn es nicht das Schick-
sal des Einfachen und Selbstverständlichen wäre, dass es im bitteren
Vorwort. VII
Streite erkämpft werden miiss. Die Kraft der Thatsaclien wird aber
aiicli hier zum Siege gelangen. Es wird in der philologischen Wissen-
schaft Ähnliches geschehen wie in der Landschaftsmalerei. Da gab es
eine Zeit, in der man sich nur für himmelblaue Seen, für rosiges Alpen-
glühen oder üppige Frühlingsgelände begeisterte ; seitdem hat man gelernt,
in jedem Stücke der unendlichen Natur das Göttliche und Ewige zu
finden; man hat entdeckt, dass sich einem polnischen Novemberabend
auf morastigem Neubruchland ebensoviel Feinheit und seelische Stimmung
entlocken lässt als den früher beliebten „schönen Gegenden". So wird
auch der Litterarhistoriker der Zukunft jeder Epoche, in welcher
Menschen dichteten und dachten, dieselbe Teilnahme entgegenbringen.
Wie der beschränkte ethnographische Standpunkt der alten Hellenen
durch den weltgemeinschaftlichen Gedanken des Christentums längst
praktisch überwunden ist, so wird auch die Wissenschaft bei aller
Versenkung in die Einzelforschung gleichzeitig ihren Gesichtskreis mit
ungeschmälerter Sorgfalt über Zeiten und Völker ausbreiten.
Was ich in diesem Sinne für das byzantinische Zeitalter zu thun
vermochte, ist freilich nur eine Arbeit aus dem Eohen. Die erste
Aufgabe war hier, Grundlagen zu schaffen und ein Gerüste aufzu-
richten. Kein Mitforscher wird das Fachwerk, das er sich zur Be-
arbeitung ausgewählt hat, schon so vollendet und geglättet vorfinden,
dass ihm nicht noch sehr viel zu thun übrig bliebe; dafür wird aber
jedem wenigstens eine Planskizze, ein roher Unterbau und ein Schutz-
dach gegen Wind und Wetter geboten. Nur eine Gattung, die eine
selbständige Abteilung gebieterisch verlangt hätte, ist vorläufig in
fremden Gemächern untergebracht worden, die Theologie und die
mit ihr verbundene Hagiographie. Daran ist nicht Abneigung
schuld, sondern Mangel an Zeit und Vorarbeiten. Eine wissenschaft-
liche Darstellung der theologischen Litteratur konnte ohne ein gründ-
liches Studium der Kirchengeschiclite niclit gewagt werden; hiefür
fehlt es aber an geeigneten Hilfsmitteln; die Lehrbücher der Patristik
wie auch die neueren Spezialuntersuchungen reichen kaum bis auf
Johannes von Damaskos; die spätere Zeit ist nur an einzelnen Punkten
aufgehellt. Gerne hätte ich wenigstens dem interessanten Gebiete der
Hagiographie ein eigenes Kapitel gewidmet; aber auch hier gebrach
es an Vorarbeiten und an der Kraft, das Fehlen derselben durch
eigene Forschung auszugleichen; die trefflichen Werke von Usener
Vni Vorwort.
lind Harnack beziehen sich meist auf die vorbyzantinische Zeit,
und die Studien zur Entwickelungsgeschichte der cliristlichen Le-
gende von Veselovskij sind mir leider noch nicht zugänglich ge-
worden. Immerhin ist der Ausfall weniger empfindlich, als es auf
den ersten Blick scheinen könnte. Die hervorragendsten Wortfülirer
der Theologie sind in den Fächern untergebracht, welchen sie in ihrer
sonstigen Schriftstellerei am nächsten stehen; so findet man Johannes
von Damaskos bei den Philosophen, Photios im Abschnitte über
Altertumswissenschaft, Zigabenos, Michael Akominatos und Palamas
bei den Ehetoren, andere bei der Geschichtschreibung, Geograpliie
und Poesie. Da nun zudem die kirchliche Gattung, welche in ästhe-
tischer Hinsicht am höchsten steht, die liturgische Poesie, in einer
eigenen Abteilung ausführlich behandelt ist, so wird ersichtlich, dass
die vorhandene Lücke sich weniger auf die litterarischen Personen
und die künstlerisch wertvollen Denkmäler als auf die innere Geschiclite
der Theologie und besonders der Dogmatik erstreckt.
Was die übrigen Fächer anlangt, so ging mein Streben dahin,
den gegenwärtigen Stand unseres Wissens mögliclist klar, anschaulicli
und zweckmässig darzulegen. Manchmal befand ich mich freilich in
der peinlichen Lage eines Richters, der das Urteil sprechen soll, und
nicht die Zeit hatte, um die Prozessakten genau und mit sorgsamer
Überlegung zu prüfen. Oft musste ich gerade da abbrechen, wo sich
eine Stelle zu lichten begann und wo unter dem wüsten Geröll ein
Goldkorn durchschimmerte. Auch möge man bedenken, dass, wie die
byzantinische Litteratur selbst zu allen Teilen der altgriechischen in
enger Beziehung steht, so auch der Bearbeiter derselben die Doppel-
aufgabe übernehmen musste, sowohl den alten Originalen als den
mittelgriechischen Reflexen seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Unter
solchen Umständen war es nicht möglicli, innerluilb einer absehbaren
Zeit zu einer gleichmässigen Durcliarbeitung des ganzen, mannigfaltigen
und schwer zu sichtenden Stoffes zu gelangen; doch war ich stets be-
strebt, auf unebene und dunkle Stellen mit sclilichten Worten aus-
drücklich liinzuweisen. Was sich an Vorarbeiten finden Hess, habe
ich dankbar und gewissenhaft benützt, ohne nacli einem falsclien Scheine
von Selbständigkeit zu streben. Für grössere Partien der Chroniken-
litteratur dienten die ausgezeichneten Forschungen von F. Hirsch,
C. de Boor und U. Geizer, für den Roman das berühmte Buch von
Vorwort. JX
E. Eohde, für die Kirchenpoesie die grundlegenden Werke Ton J. B.
Pitra, W. Christ und W. Meyer. Die weitesten Strecken waren
freilich ohne Führer zu durchwandern, und auf manchen Gebieten wie
in dem Urwald der Yulgärgriechischen Litteratur fehlte es sogar an
den notdürftigsten Wegweisern.
Fast völlig musste ich darauf verzichten, die litterarischen That-
sachen durch eine begleitende Schilderung der geschichtlichen und
kulturellen Grundlagen zu erläutern. Gerne hätte ich den byzan-
tinischen Menschen bei der Arbeit, in der Familie, im gesellschaft-
lichen und politischen Leben dargestellt; wie verlockend war es, das
Gewühl der orientalischen und fränkischen Handelsleute in den Ba-
zaren, das Treiben der vielsprachigen Söldnerscharen in ihren Ka-
sernen, die Thätigkeit der Matrosen auf den flinken Dromonen, die
Lebensführung und Sitte der Mönche in den zahllosen Riesenklöstern
und das festliche Gepränge des kaiserlichen Hofes an geeigneten Stellen
in das litterarische Bild zu verweben. Doch war für einen solchen
Plan, selbst wenn die knapp zugemessene Zeit seine Ausführung ver-
gönnt hätte, der Eahmen der Arbeit durch den Zweck c^es L'nter-
nehmens, dem sie einverleibt ist, von Anfang an zu enge gezogen.
Es war nicht möglich, in einem Kompendium den ungeheuren Reichtum
von Ideen, Sitten, Gewohnheiten, Einrichtungen, politischen, sozialen,
religiösen und künstlerischen Thatsachen, die zur Ausführung eines
lebensvollen Bildes der Litteraturgeschichte nötig wären, auch nur
andeutungsweise zu umfassen.
Ein möglichst reichhaltiges und zuverlässiges Verzeichnis der
Ausgaben und Hilfsmittel erschien mir für den gedeihlichen Fort-
schritt der byzantinischen Studien um so mehr von Bedeutung, als es
bis jetzt für die byzantinische Litteratur weder eine Bibliographie
noch eine Fachzeitschrift oder einen kritischen Jahresbericht gibt. Eine
absolute Vollständigkeit war ohne den Besuch zahlreicher Bibliotheken
nicht zu erreichen und konnte bei einzelnen Autoren wie bei Psellos
nicht einmal angestrebt werden. Prinzipiell habe ich mehr Wert auf
die neueren Erscheinungen gelegt als auf die häufig gänzlich
u(?rtlosen und schwer zugänglichen alten Drucke, die später in be-
quemerer Form wiederholt worden sind. Vor Abschluss meiner Ar-
beit habe ich ein halbes Jahr geopfert, um die letzten 15 — 30 Jahr-
gänge aller mir zugänglichen philologischen, archäologischen, theologi-
X Vorwort.
sehen und liistorisclien Zeitschriften Europas sorgfältig durchzugehen.
Wenn die mühevolle Wanderung auch zuweilen auf lange Strecken
ohne Ausbeute blieb, so erfreute nicht selten ein glücklicher Fund an
einem Orte, wo niemand etwas Byzantinisches vermutet hätte. Wenn
es nun auch bei einem Unternehmen von so grosser Ausdehnung
niemals an Nachträgen fehlen kann, so hoffe ich doch, dass von den
in unserem Jahrhundert veröffentlichten Ausgaben und Hilfsschriften
wenig Bedeutendes übersehen worden ist. Erheblichere Lücken bleiben '
wahrscheinlich nur in der auf Byzanz bezüglichen russischen Litte-
ratur übrig. Denn obschon der Direktor der Münchener Staatsbibliothek, ]
Herr G. Laubmann, meinen Wünschen, soweit es möglich war, mit ,
grösster Liberalität entgegenkam, so waren mir doch manche wichtige
Erscheinungen unerreichbar, leider auch die allerwichtigste, das Jour-
nal des Ministeriums für Volksaufklärung. Einen teilweisen
Ersatz bot das Archiv für slavische Philologie, eine der ge-
diegensten Zeitschriften Europas, die frei von chauvinistischen Ten-
denzen und gelehrtem Dünkel fest und zielbewusst ihren Weg schreitet.
Noch sei gestattet, dass ich den wenigen Freunden, die durch
Zusendung von Schriften oder durch persönliche Anregungen das
dornenvolle Werk gefördert haben, öffentlich meinen Dank aussi^rechc.
Insbesondere fühle ich mich den HH. Professoren G. Destunis in
Petersburg und E. Kuhn in München für zahlreiche und wertvolle
bibliographische Nachweise verpflichtet.
München, im Oktober 1890.
Karl Krumbacher.
spezielles Inhaltsverzeichnis
von Band IX, 1. Abteilung:
Geschichte der byzantinischen Litteratur.
£iiileitnng. s«te
Begriif und allgemeine Geschichte der b^'z. Litteratur 1
Charakteristik 13
Internationale Kulturbeziehungen 23
Erste Abteilung.
Prosaische L.itteratnr.
1. Geschichtschreiber und Chronisten 33
Einteilung . 33
A. Die Geschichtschreiber 37
B. Die Chronisten 107
2. Geographie 155
'S. Philosophie 170
4. Rhetorik. Sophistik und Epistolographie 184
5. Altertumswissenschaft . 214
Allgemeine Charakteristik 214
A. Philologische Polyhistoren und Scholiast«n 217
B. "Wörterbücher 260
C. Grammatik 276
D. Metrik und Musik 284
E. Sammlungen von Sentenzen imd Sprichwörtern 289
Zweite Abteilung.
Poetische liitteratnr.
Allgemeine Charakteristik. Einteilung, metrische Formen 292
1. Kirchenpoesie 305
A. Rjiihmische Kirchen dichtung 307
B. Die Form der Kirchenpoesie 330
2. Profanpoesie 345
Dritte Abteilung.
Anhang.
Tnigärgriechische liitteratnr.
Einleitung 335
Erster Abschnitt.
Poetische Litteratur.
1. Lehr- und Gelegenheitsgedichte. Darstellung vermischter StoflFe . . 397
2. Sagenhafte und historische Dichtungen auf nationaler Grundlage . . . 412
3. Romantische Dichtungen über antike Stoffe 428
4. Romantische Dichtungen über mittelalterliche, zum Teil abendländische Stoffe 438
5. Tiergeschichten 454
Xn Abkürzungen.
Zweiter Abschnitt.
Prosaische Litteratnr. Seite
Vorbemerkung . . ' 465
Barlaara und Joasaph 466
Syntipas 470
Stephanites und Ichnelates 473
Die Assisen der Königreiche Jerusalem und Cypem 475
Die Chroniken des Leontios Machaeras und des Georg Bustrone .... 477
Hausarzneibücher 480
Register 481
Verzeichnis der oströmischen Kaiser 4'.)">
Abkürzungen.
Annuaire de l'assoc. = Annuaire de l'association pour Tencouragement des ^tudes grecques
en France.
Arch. slav. Phil. = Archiv für slavische Philologie (vgl. S. 32).
Bibl. gr. vulg. = Bibliotheque grecque vulgaire publice par E. Legrand (vgl. S. 394).
Bibliogr. hell. = Bibliographie hellenique par E. Legrand (vgl. S. 394).
Carmina = Carmina Graeca medii aevi ed. Guil. Wagner (vgl. S. 394).
Coli, de mon. = Collection de monuraents pour servir ä l'etude de la langue neo-hellänique
par E. Legrand (vgl. S. 394).
Coli, de mon. N. S. = Coli, de monuments etc. Nouvelle särie par E. Legrand (vgl, S. 394).;
Coli, de rom. gr. = Collection de romans grecs publi^s par Sp. P. Lambros (vgl. S. 394).,
'Kx'AoyTJ = 'ExXoyrj fivr^iueiwy xfj^ yewriQag tXXr^vixfjg /Aw'fffft;? ixStS. vno J. I. MavgocpQvdov
(vgl. S. 394).
Jahns Jahrb. = Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik (die [alten] Jahrbücher
werden durch die beigesetzten Jahreszahlen unterschieden).
Joum. Min. Volksaufkl. = Journal des Ministeriums für Volksaufklärung (Journal mini
sterstva narodnago prosvjestcenija).
Medieval Gr. text. = Medieval Greek texts, ed. by Wilh. Wagner (vgl. S. 394).
Not. et extr. = Notices et extraits des manuscrits de la bibliotheque imperiale (nationale)
et autres bibliotheques.
Rhein. Mus. = Rheinisches Museum für Philologie.
Trois poämes gr. = Trois po^mes grecs du moyen-ftge . . . par W. Wagner (vgl. S. 394).
Einleitung.
Begriff und allgemeine Geschichte der byzantinischen
Litteratur.
1 . In der litterarischen wie in der politischen Geschichtsbetrachtung ist
es üblich geworden, das byzantinische Zeitalter durch die Jahreszahlen
527 und 1453 abzugrenzen, d. h. man lässt dasselbe mit dem Regierungs-
antritt Justinians oder auch mit der von ihm veranlassten Aufhebung der
Universität Athen (529) beginnen und mit der Eroberung Konstantinopels
durch die Türken abschliessen. Über den Endpunkt ist nicht zu streiten;
denn die Aufpflanzung des Halbmondes auf der Hagia Sophia hat durch
die endgültige Vernichtung des politischen, litterarischen und kulturellen
Eigenlebens der Byzantiner einen so gewaltigen und zweifellosen histori-
schen Einschnitt hervorgebracht, wie er in der Geschichte der Menschheit
selten zu finden ist. Um so grössere Bedenken erheben sich gegen die
Richtigkeit der Anschauung, welche sich über den Anfang der byzantini-
schen Periode eingebürgert hat. Sie widerstreitet den Thatsachen
und ist geschichtlich ohne Begründung. Durch die willkürliche An-
nahme eines Abschnittes um die Zeit des Justinian ist das Verständnis der
litterarischen Entwickelung in wichtigen Punkten getrübt worden; es ist
höchste Zeit, die Haltlosigkeit dieser Abteilung zu begründen und aus-
drücklich festzustellen. Um zu einem widerstandsfähigen Urteile zu ge-
langen, ist es nötig, ausser der litterarischen auch die politische, kirch-
liche und kulturelle Entwickelung des späteren römischen Reiches kurz
zu betrachten.
Zuerst mag man fragen, ob nicht der Anfang der byzantinischen
Litteratur wie ihr Ende mit einem politischen Ereignis zusammen-
! gebracht werden kann. Das sogenannte oströmische oder byzantinische Reich
beginnt in einem gewissen Sinne schon mit dem Jahre 395, mit der Tei-
lung des römischen Reiches in eine östliche und eine westliche Hälfte.
iDenn wenn diese Teilung auch keineswegs eine Aufhebung der alten Reichs-
' einheit bedeuten sollte und von den Zeitgenossen sicher noch in demselben
i Lichte betrachtet wurde wie die früheren Reichsteilungen seit Diokletian,
' Handbuch der klass. AUertuiu-swissenschaft. IX. 1.. Abtlg. 1
2 Byzantinische Litteratnrgeschichte. Einleitung.
SO ist doch gerade die Massregel des Theodosius der Keim einer bleibenden
Trennung des griechischen Ostens und des lateinischen Westens geworden.
Der schon früher bestehende sprachliche und kulturelle Dualismus hatte
nun gewissermassen seine offizielle Bestätigung erhalten und konnte sich
auf Grund derselben ungehindert weiter bilden. Derselbe wurde namentlich
durch das Anwachsen der neuen Hauptstadt Konstantinopel, welche der
griechischen oder gräzisierten Reichshälfte einen politischen, geographischen
und litterarischen Mittelpunkt verlieh, gefördert und verstärkt. Trotzdem
kann von einem selbständigen oströmischen Reich zu dieser Zeit noch
nicht gesprochen werden. Die Idee der Einheit blieb gewahrt, und als
476 die westliche Reichshälfte teilweise verloren ging, war die drohende
Gefahr einer völligen Spaltung des Reiches beseitigt. Die Verlegung des
Schwerpunktes änderte nichts an dem Charakter des Imperium Romanum,
und bald begann das bis ins 12. Jahrhundert fortgesetzte Ringen um die
Wiederherstellung der Integrität des alten Länderbesitzes. Durch die Er-
eignisse der Jahre 455 und 476 wurde die Kraft des Reiches noch mehr
als schon früher auf die orientalischen Ländermassen konzentriert; der
gesamte Staatsorganismus aber blieb in Sprache, Gesetz und Sitte noch
römisch, wenn auch das Griechentum den Kampf um die Herrschaft jetzt
mit besserer Aussicht auf Erfolg führen konnte; das innere Wesen des
Staates blieb hievon noch unberührt. Denn obgleich die Griechen jetzt
sozusagen wieder Herr im eigenen Hause sind und alsbald den Staat an
Haupt und Gliedern zu gräzisieren beginnen, so fühlen sie sich doch politisch
als 'Pw,«aro<; so tief war dieses Bewusstsein eingewurzelt, dass der Name
Rhomäer sich durch die Schreckenszeit der Türkenherrschaft bis auf den
heutigen Tag behaupten konnte. Daher wich auch die lateinische Sprache
in der Rechtspflege und Verwaltung nur langsam der griechischen, obschon
diese nach der Abbröckelung der westlichen Reichsteile allein den prakti-
schen Anforderungen genügen konnte. Bei der Konservierung des lateini-
schen Systems spielte wohl auch der zäh festgehaltene Gedanke mit, Italien
wieder mit dem Ostreiche zu vereinigen und zu behaupten; die Abschaifung
der lateinischen Regierungssprache konnte wie ein Verzicht auf die west-
lichen Länder gedeutet werden. Nur langsam eroberte das Griochischo
die einzelnen Zweige des öffentlichen Lebens; die Vertauschung der römi-
schen Basis des Reiches mit der griechischen, der Übergang vom Römischen
zum Rhomäischen oder Byzantinischen vollzog sich auf den verschiedenenTj
Gebieten des staatlichen Organismus mit ungleicher Schnelligkeit. Zuletzt ■
musste das alte System durch die Kraft der natürlichen Verhältnisse immt i
gründlicher durchbrochen werden. Wenn in der grossen Sammlung voi
Rechtsbüchern, welche den Namen Justinians berüiimt genuicht hat, di'
lateinische Form noch völlig beibehalten ist, sind schon die meisten Nc
vellen dieses Kaisers wie alle Gesetze der Folgezeit griechiscli abgefavsst, ' )
') l)ip fipHcliiclito (Ips nllnuililiclicn Zu- ' «los fintoiinsclM»!! uIh Sprach»» dor Rpnioriiim
rflckweichcriH clor IntoiniHrhon Sprach o und Vorwaltun^ im oströinischon Hoiclio seit
im «HtröiniHchoii Koicho vonlionfo oino | KoimtMiitin dorn iirossoii hiH zur Kpocho, wo
ZUHAinmoiihUnKondo rntorHUcium^. Kino von j dio latoinisclio Spradio vollstiindi^ durch <lio
der däniiH-hon (joHollHchaft dor WiHMouHchaf- grio<Oiischo oi-wotzt \vurd<>. und ühor dio Uo-
t«n gestellte PrciHaufgaho übor dio ^SUdlung | zichungon, wolcho zwischon dioHoni (tobraucho
Begriff und allgemeine Geschichte der byzantinischen Litter atur. (§1.) 3
Am langsamsten verlief dieser Sprachenkampf im Münzwesen, wo
er gewissermassen in figura demonstriert werden kann. Zuerst dringt
das Griechische in die kleine Scheidemünze aus Kupfer, später in die
Silbermünze, zuletzt in die aristokratische Goldmünze. Als Wertbezeich-
nung erscheinen griechische Buchstaben schon unter Kaiser Anastasios
(491 — 518); doch erst Heraklios (610 — 641) führte die griechische Legende
'Er Tovro) ri'xa ein, und zwar nur auf rohen Kupfermünzen, die wahrschein-
lich vorzüglich zum Gebrauch der Truppen und Provinzialen während seines
persischen Feldzugs geprägt wm-den. Statt des lateinischen Titels Augustus
erscheinen die echt griechischen Bezeichnungen BuaiXevg und JeonÖTi^g
erst während des 8. Jahrhunderts. Erst in der Mitte des 9. Jahrhunderts
finden wir griechische Legenden auf dem Revers verschiedener Münzen.
Selbst unter der makedonischen Dynastie haben Goldmünzen noch die Büste
des Erlösers mit der Inschrift: lesus Christus rex regnantium. Solche
lateinische Inschriften dauern auf gewissen Münzen noch bis in die zweite
Hälfte des 11. Jahrhunderts. Erst unter den Komnenen hat sich die
Gräzisierung des Kaisertums und des Staates ganz vollendet.')
Ein verwandter Gesichtspunkt ist die Nationalität der Herrscher.
Auch hier kommt das griechische Element nur langsam und mit grossen
Schwankungen zur unbestrittenen Herrschaft. Vor Justinian trifft man
unter den Kaisern vornehmlich romanisierte Barbaren aus den Grenz-
provinzen, die ihre Erhebung zumeist militärischer Tüchtigkeit verdankten.
Der erste griechische Kaiser war Tiberios, der 578 nach dem Erlöschen
des justinianischen Hauses den Thron bestieg, weshalb der syrische Chronist
Michael -) nicht übel Justin II. den letzten römischen Kaiser nennt und
mit Tiberios das Reich der Griechen beginnen lässt. Aber bald gewährt
der Kaiserthron in ethnographischer Hinsicht aufs neue ein ziemlich buntes
Bild, in welchem romanische, gräko-slavische, armenische und andere
asiatische Elemente wechseln. Erst die letzten Dynastien, die Komnenen,
Dukas, Angelos, Paläologen und Kantakuzenen sind vollständig Griechen
und fühlen sich als Griechen, wie denn bezeichnenderweise gerade unter
ihnen der Hellenismus in der Litteratur am kräftigsten auftritt.
Von einem oströmischen oder byzantinischen Reich kann man,
genau genommen, erst seit dem Jahre 800 sprechen. Damals wurde im
Westen ein neues römisches Reich gegründet, das auf die echte Erbschaft des
Imperium Romanum Ansprüche erhob und von dem Reiche, das sich bisher
als einzigen Inhaber dieser Erbfolge betrachtete, gründlich verschieden war.
des Lateinischen und der Litteratur und den ] bis 276. — Eine Hauptstelle über den Grund
Schulen bestehen", scheint keinen Bearbeiter der Abschaifung des Lateinischen steht im
gefunden zu haben; die Notiz über die Auf- Corpus iuris civilis, nov. VII (ed. Ed. Osen-
gabe findet sich in der Oversigt over det brüggen S. 49).
K. Danske videnskabemes selskabs forhand- ') lieber diese Seite des byzantinischen
linger 188.^, Anhang S. XV. — Wenig bietet Münzwesens s. die Abhandlung von G. Finlay,
für die byzantinische Epoche Al.Budinszky, A history of Greece l (1877) .583—5.55.
Die Ausbreitung der lateinischen Sprache. '■) Journal asiatique, 4. serie, tome 12
Berlin 1881, S. 201 ff. — Nur die vorbyzan- (1848) 293. Vgl. Guido Hertzsch, De scrip-
tinische Zeit berücksichtigt E. Egg er. De toribus rerum imperatoris Tiberii Constantini,
I l'etude de la langue latine chez les Grecs Comment. philol. Jen. III (1884) S. 3 ff. Ueber
dans l'antiquite in seinen Memoires d'histoire den Chronisten Michael s. § 68.
ancienne et de philologie, Paris 1863, S. 259
4 Byzantinische Litteraturgeschichte. Einleitung.
Von dieser Zeit an herrscht ein thatsächlicher Dualismus. Dom römischen
Kaiserreiche des Ostens steht ein neues Imperium Komanum des Westens
als Rivale gegenüber.') Hieraus ergibt sich, dass für die politische Ge-
schichte des Reiches nicht die Zeit des Justinian, sondern nur die Jährt
395 oder 800 einen Anfangspunkt bedeuten können. In der Litteratur
bedeutet weder der erstere, noch der letztere Zeitpunkt einen nennens-
werten Abschnitt.
Da der Gegensatz des Byzantinismus zum Hellenismus zu einem
grossen Teile auf dem Gegensatz des Christentums zum Heidentum
beruht, ist der Versuch berechtigt, den Streit über die Grenzlinie zwischen
der griechischen und byzantinischen Litteratur auf dem Gebiete der Rc-
ligionsgeschichte zu entscheiden. Diesem Versuche ist offenbar dl«
übliche Einteilung entsprungen; man sagte, Justinian habe durch das Edikt
des Jahres 529, welches der hellenischen Hochschule in Athen die Lebens-
bedingungen abschnitt, den letzten Rest des alten Heidentums vernichtet,
und daher beginne von dieser Zeit an die christlich-byzantinische Ära.
Allein abgesehen von der Unsicherheit, mit welcher die Thatsache dieses
Ediktes und seine näheren Umstände überliefert sind, 2) erweist sich die
Verfügung, auch wenn sie geschichtlichen Grund hat, bei näherer Betrai;li-
tung als recht bedeutungsarm für die Geschichte der Kultur und Litteratur.
Der Sieg des Christentums über die alte Lebensanschauung war schon frühei
entschieden und die Umwandlung des heidnischen Staates in einen christ-
lichen schon durch Konstantin den Grossen vollzogen worden. Die neu-
platonische Akademie in Athen bildete in der grossen römischen Welt nur
noch einen winzigen Punkt, dessen Beseitigung nicht die mindeste Störung
oder Erschütterung im Gefüge des Ganzen hervorbrachte. Das von manchen
Neueren über Gebühr aufgebauschte Ereignis ist an den Zeitgenossen fast
unbemerkt vorübergegangen. Die betroffenen Kreise waren geringfügig
und hatten, was noch wichtiger ist, längst jede Fühlung mit den grossen
bewegenden Massen verloren. Höchstens empfanden die Bewohner dei
Periklesstadt den materiellen Nachteil des Erlasses, bei welchem es der
Kaiser namentlich auf die Konfiskation des uralten Stiftungsvermögens der
Schule abgesehen zu haben scheint. Aber nicht einmal in der Geschichte
der Stadt Athen selbst machte die Verfügung Epoche; denn ihr alter Glanz
war, wie wir durch Gregor von Nazianz und andere wissen, schon längst
unwiederbringlich dahingeschwunden. In der Geschichte des Übergang
vom Heidentum zum Christentum bildet die Aufliebung der athenischen
Akademie jedenfalls keinen bedeutenderen Abschnitt als etwa die Zerstö-
') Dieser richtige (iedunko ist nilluT und 26 (S. 78 und 142 i-d. Bonn.) nnti Aya-
ausgoführt von .T. Biiry, A history of tlio ' lliiiw II 80 (S. 181 »«d. Bonn.) verltindon,
later Hoinun cinpiro I (liondon 1889) prefuco ' gewiss zu (irunde, wenn sioli auch, wi«» (Jrc-
S. 6 ff. I gorovius, (u'HchicIitt» dor Stadt Atlu>n I .^(^
') Bei Malalas B. 18 (S. 451 ed. Bonn.). | riclitin b«'morkt, dio Aufhchnng dt>r llooh-
(Jegen die (iliiuhwürdigkcit dos Berichtes | schuh« durch .lustiniiin als ein H(>h'nn«>r gc-
ftuHHerie sich ctwus zu cnt-schicden K. I'apar- j schichtlichcr Akt nicht erweisen lässt. l'eber
rigopuloH, 'htoQÜt to{<'F.XX. »•'»roDf III^(18H7) ' die Verfflgunjj;en .lustinians .i.';«'j{en das Heiden-
174 f. Kine Thatsache lie^t der Kr/.ählunK tum vgl. K. von Lasaulx. Der Int^'r^ang des
des C'hrünist«*n, mit der sich einige Aeusse- j Hellenismus, München ls:,J S. 1 J2 IF.
rungen den i'rokop, (ieheimgeschiclite cap. 11
Begriff und allgemeine Geschichte der byzantinischen Litteratnr. (§ 1.) 5
lung des letzten Apollotempels auf Monte Casino durch den hl. Benedikt,
die ebenfalls im Jahre 529 erfolgt sein soll;') einerseits war der Sieg der
neuen Lehre schon fi-üher entschieden, andererseits lebten heidnische Ele-
mente noch lange nach Justinian fort. Die letzten Reste der Anhänger
des alten Glaubens entschlossen sich, wie Konstantin Porphyrogennetos ^) er-
zählt, erst unter Basilios I. (867 — 886) zur Annahme des Christentums.
AVollte man also als das wichtigste und entscheidende Merkmal des By-
zantinertums das Christentum festhalten, so wäre der Anfang der Epoche
viel eher in die Zeit Konstantins des Grossen zu setzen als in die Justi-
nians, der eine isolierte heidnische Institution abschaffte und gegen die
Keste des Heidentums wütete, ohne sie gänzlich vernichten zu können.
Weitere Gesichtspunkte ergeben sich aus der Betrachtung der all-
Lremeinen Kulturverhältnisse, der nationalen Bildung und der
Kunstgeschichte. Auf keinem dieser verwandten Gebiete bildet das Zeit-
alter des Justinian einen Abschnitt. Die meisten Faktoren, welche im
äusseren Leben des Hofes und Staates das byzantinische Kolorit bedingen,
>tammen aus dem 3. und 4. Jahrhundert, als die Umwandlung der römischen
Militärmonarchie in einen grossartigen bureaukratischen Organismus statt-
fand. Diokletian und Konstantin der Grosse haben den meisten Anteil an
dieser Neuordnung der Dinge, spätere Kaiser haben dieselbe im gleichen
Geiste ausgebaut und weitergeführt. Die hervorstechendste Eigentümlich-
keit, die Stufenleiter der Hofämter und das damit verknüpfte Rang- und
Zeremonien wesen, wurzelt hauptsächlich im 3. und 4. Jahrhundert. Ebenso
lassen sich die geistigen und moralischen Erscheinungen, welche die üb-
liche Auffassung als Symptome und Merkmale des Byzantinismus bezeichnet,
höfische Intrigue, kriechende Gesinnung, rücksichtslose Grausamkeit und
Hinterlist, Mangel an Charakter und Originalität, breite Verschwommen-
heit, Vermischung lateinischer, griechischer und orientalischer Elemente,
schon in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit nachweisen. Eine ge-
nauere Chronologie kann in diesen psychologischen Seiten des Völkerlebens,
deren Ausbildung den Zeitgenossen kaum bemerkbar vor sich geht, über-
haupt nicht aufgestellt und zur allgemeinen Anerkennung gebracht werden.
Greifbarer ist die Entwickelung in der bildenden Kunst. Auch
hier bezeichnet die Zeit des Justinian keinen Abschnitt. Von dem ersten
Kenner der mittelalterlichen und neueren Kunstgeschichte, von Anton
Springer ist mit den triftigsten Gründen nachgewiesen worden, 3) dass die
byzantinische Kunst, die ein schwerer historischer Irrtum oft mit der alt-
christlich-orientalischen verwechselt hat, erst geraume Zeit nach Justinian
beginnt. Bis zum 6. Jahrhundert wandelt die christliche Kunst im Orient
und im Occident gemeinsame Bahnen und zeigt eine grosse Gleichförmig-
keit des Stils; eine Trennung lässt sich bis zu dieser Zeit nicht durch-
führen, eine eigenartige Richtung der christlichen Kunst im Osten wird
erst später bemerkbar. Die grösste Kunstschöpfung Justinians, die Sophien-
') E. von Lasaulx, Der Untergang des ') Die byzantinische Kunst und ihr Ein-
Hellenismns S. 142. fluss im Abendlande, in : Bilder aus der neue-
^) De admin. imp. cap. 50 (III S. 224 ren Kunstgeschichte. 2. Aufl., Bonn 1886
ed.» Bonn.). S. 84 fF.
Q Byzantinische Litteraturgeschichto. Einleitung.
kirclie, steht nicht etwa am Anfange einer neuen Ära, sondern am Ende
der alten. Sie beginnt nicht die Reihe der mittehilterlich-byzantinischen
Bauten, sondern ist der letzte Ausklang der antiken Kunstwelt, die bald
darauf kinderlos stirbt. Die späteren byzantinischen Kirchen weichen in
Bezug auf die Konstruktion und Form der Kuppel und die Anordnung der
einzelnen Bauteile, wie auch in dem Schmucke der Mauern von derselben
ab und müssen auf andere Muster zurückgeführt werden. Man wird daher
den Anfang der echt byzantinischen Kunst nicht in die Zeit des Justinian,
sondern etwa in die des Heraklios setzen dürfen. „Auch die Köpfe auf
Münzen ändern namentlich seit dem 7. Jahrhundert die Typen; der starke
Schnurrbart, die Seitenlocken (zuerst bei Leo dem Isaurier), die niedrige,
breite Stirn, die veränderten Umrisse des Gesichtes überhaupt widersprechen
der antiken Auffassung und deuten neue Gewohnheiten, selbst das Auf-
kommen einer neuen Rasse an".')
Verwandt mit der Erörterung über die Grenze zwischen griechischer
und byzantinischer Zeit ist die allgemein geschichtliche Frage, um welche
Zeit der Beginn des Mittelalters anzusetzen sei. Obschon beim Be-
griff des Mittelalters vorzugsweise das Abendland in Betracht kommt, wo
die kulturhistorische Entwickelung anders verlief als im Osten, kann der
Gesichtspunkt zur Aufklärung dienlich sein. A. v. Gutschmid, der über
dieses Thema eine berühmte Abhandlung geschrieben hat,'^) kommt auf
Grund einer ungemein treffenden Erörterung zu dem Ergebnis, dass das
Jahr 476, mit welchem in den Kompendien gewöhnlich das Altertum ab-
geschlossen wird, in Wirklichkeit durchaus keinen Abschnitt bildet, dass
vielmehr das 6. Jahrhundert mit den so echt römischen Gestalten wie
Boethius, Cassiodor und Priscian noch zum Altertum gehört und etwa das
Jahr 568, welches die Begründung der ersten eigentlich nationalen Herr-
schaft in Italien bezeichnet, oder in runder Summe das Jahr 600 alsGrenznuil
zwischen Altertum und Mittelalter anzunehmen sei, wie man ja ähnlich
durch Kombination verschiedener wichtiger Daten etwa das Jahr 1500 als
Beginn der neuen Zeit erhalten mag.
Nach der vorbereitenden Erwägung der verschiedenen Formen und
Zeiten, in welchen sich der Übergang vom Hellenischen zum Byzantini-
schen in der Politik, Religion und Kultur vollzog, und nach der Erwäh-
nung des Versuches, Altertum und Mittelalter chronologisch auseinander-
zuhalten, ist die Frage über die Grenze zwischen Antik und Byzantinisch
auf dem engeren Gebiete der griechischen Litteratur selbst zur Ent-
scheidung zu bringen. Auch hier bildet das Zeitalter des Justinian keinen
Einschnitt. Der griechische Geist reicht über diese Zeit hinaus. Die Schrift-
steller des 6. und der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts gehören nach ihrer
Form und Anschauungsweise in den Ausgang des Altertums, nicht in den
Beginn einer neuen Epoche; sie bilden eine Nachldüte der antik(>n Litteratur,
nicht eine Vorfrucht des Byzantinisnuis. Am deutlichsten wird diese That-
sache innerhalb der Litteraturgattung, welche um diese Zeit alle andern
an Umfang und Bedeutung überragt, in der Geschieht Schreibung.
') A. Springer a. u. 0. S. 91. '1^<"' i •;•!.. i(7
') In der Zeitochrift : Die Grenzboten 22
Begriff und allgemeine Geschichte der byzantinischen Litteratnr. (§1.) 7
\\'as sie im 6. und im Anfang des 7. Jahrhunderts geschaffen hat, ist eine
Fortsetzung der von Eunapios begründeten Schule, die im o. Jahrhundert
durch den überzeugungstreuen Heiden Zosimos, durch Olympiodor, Priskos,
]kIalchos und andere vertreten wird. Unmittelbar an sie schliessen sich
in Stoff und Form die grossen Historiker des 6. Jahrhunderts, der ge-
waltige Prokop, der feingebildete Agathias, Petros Patrikios, Theophanes
aus Byzanz, Menander Protektor, endlich im Anfange des 7. Jahrhunderts
der eigenartige Theophylaktos. Xicht ein wesentliches Merkmal scheidet
iliese Männer von den Geschichtschreibern der vorhergehenden Jahrhunderte ;
>ie bezeichnen keine neue Epoche der nationalen Bildung und stehen nicht
im Beginne einer veränderten Geistesströmung. Es ist sehr bemerkenswert,
dass dieses litterargeschichtliche Verhältnis schon den Byzantinern völlig
zum Bewusstsein gekommen war. Der letzte der antiken Autoren, welche
in die grosse historische Enzyklopädie des Konstantin Porphyrogennetos
aufgenommen wurden, ist Theophylaktos; mit ihm schloss schon füi* jene
Redaktoren des 10. Jahrhunderts die Reihe der alten Historiker.
Ahnlich steht es auf anderen Litteraturgebieten. Die Dichtungen
des Paulos Silentiarios unter Justinian und des Georgios Pisides unter
Heraklios können als Vorboten der späteren byzantinischen Poesie, die an
Korrektheit und Eleganz des Versbaues keinen Vergleich mit ihnen aus-
hält, geschichtlich nicht verstanden werden; sie sind vielmehr die letzten,
sehr beachtenswerten Ausläufer jener auf Feinheit der Form gerichteten
Bestrebungen, die im 5. Jahrhundert von Nonnos und seiner Schule aus-
gingen. Selbst das scheinbar geringfügige, aber für die Beurteilung der
allgemeinen Bildungshöhe und der Studienweise immerhin wichtige Gebiet
der Philologie kann in Betracht gezogen werden. In der Lexikographie
geht die antike Entwickelung von Didymos bis auf Kyrillos. Nachdem
Diogenianos das grosse Werk des Pamphilos für praktische Zwecke ex-
zerpiert und verkürzt hatte, wurde Diogenianos dmch Hesychios über-
arbeitet und mit dürftigem Material erweitert; endlich hat im 5. oder im
Anfang des 6. Jahrhunderts der Verfasser des unter dem Namen des Ky-
rillos überlieferten Werkes ein altes rhetorisches Lexikon aus geringfügigen
Glossaren erweitert und vergröbert. Hiemit versinken wenigstens für unser
Auge die letzten Wellen der antiken Lexikographie. Ein neuer Abschnitt
beginnt erst im 9. Jahrhundert mit Photios, an den sich im 10. Jahrhundert
die Etymologika und Suidas anschliessen. Im Gegensatze zu den alten
Wörterbüchern ist diesen byzantinischen Werken das Bestreben eigentüm-
lich, möglichst viele Überreste der antiken Litteratur unvermittelt an-
einander zu reihen. ') Ebenso stehen die dem 6. Jahrhundert angehörenden
Grammatiker im engeren Sinne, wie Johannes Philoponos, Johannes Charax
und Georgios Choiroboskos, der Betriebsweise des 4. und 5. Jahrhunderts
näher als der byzantinischen Kompendiengrammatik, die, wie die Lexiko-
graphie, erst im 9. Jahrhundert beginnt.
Wenn so die lebendige Entwickelung der Litteratur und die Fort-
pflanzung der hellenischen Bildung bis zum Schlüsse des 6. und auf ein-
') Siehe den Versuch einer geschieht- graphie von R. Keitzenstein, Rhein. Mus. 43
liehen Darstellung der griechischen Lexiko- , (1888) 455 ff.
g Byzantinische Litteraturgeschichte. Einleitung.
zelnen Gebieten bis gegen die Mitte des 7. Jahrhunderts fortdauert, so
überrascht nach diesem Zeitpunkte eine ungeheure Lücke. Auf die
Zeit einer reichen und häufig glücklichen Produktion folgt ganz unerwarti i
und fast unvermittelt eine trostlose Verödung, die sich auf alle Litteratur-
gattungen mit Ausnahme der kirchlichen gleichmässig ausdehnt. Diese
unfruchtbare Periode erstreckt sfch, in runder Zahl gesprochen, von 650
bis 800, wenn man von einigen volksmässigen Chronisten absieht, sogar
bis 850. Niemals ist der unermessliche geistige Strom, den die griechische
Litteratur von Homer bis auf die Tage Mohammeds des Eroberers dar-
stellt, so lange und so gründlich vertrocknet wie in diesen beiden Jahr-
hunderten. Die profane Schriftstellerei schweigt so gut wie vollständig;
Leo der Isaurier schloss die Akademie in Konstantinopel und verbrannte
angeblich sogar ihre Bibliothek. Was von Gelehrsamkeit, Formgefühl uud
dichterischer Begeisterung noch übrig ist, dient den Zwecken der Theo-
logie und Erbauung. Aber selbst hier ist eine bedeutende Erschlaffung
der Produktion zu bemerken; ausser Johannes von Damaskos, der die
Leistungen der alten Theologie abschliessend zusammenfasste und syste-
matisch verarbeitete, und seinem Freunde Kosmas von Jerusalem sind in
diesem Zeitraum nur noch Theodoros Abukara von Karlen, Andreas von
Kreta, der Erzbischof Germanos (f 740) und der Patriarch Tarasios (781
bis 806), die durch asketische, moralische und hermeneutische Schriften
gewirkt haben, und einige Kirchendiehter von Bedeutimg.')
Mit dem Anfange des 9. Jahrhunderts regt sich wiederum einiges
Leben. Mönchische Chroniken, in deren Unbeholfenheit die Barbarei der
voraufgellenden Zeiten nur zu vernehmbar nachklingt, wagen sich an die
Öffentlichkeit. Leo der Byzantier erhält unter Kaiser Theophilos (829 l)is
841) die Erlaubnis, öffentlich zu lehren; unter dem Nachfolger dieses Kaisers.
Caesar Bardas, der in Wahrheit im Namen Michaels IIL regierte, wird die
Universität Konstantinopel wiederhergestellt. Ein neuer und kräftiger Hauch
kommt in die geistige Bildung durch den grossen Lehrer seiner Nation,
den Wiederhersteller der alten Litteratur, den echtesten Byzantiner nach
Charakter und Lebensart, Photios (um 850). Jetzt gewinnt die Teilnahme
an dem alten Schriftentum, wie auch die produktive Bethätigung an Aus-
dehnung und Gehalt; es ist eine aufsteigende Entwickelung zu be-
obachten, die im 12. und 13. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht. Auf
das Zeitalter des Photios folgt das weniger durch originelle Erzeugnisse
als durch grossartige Sammclthätigkeit hervorragende 10. Jahrhundert,
das man als das Jahrhundert der Enzyklopädien bezeichnen könnte. An
der Spitze stehen die auf die meisten Gebiete der alten Litteratur aus-
gedehnten Sammelwerke des Konstantin Porphyrogennetos. Damit ver-
binden sich Werke des Privatfleisses, wie die Schollen des Arethas, das
Lexikon des Suidas, die Etymologika, die Anthologie und auf theologischem
(iebiete die Legendenredaktion des Syineon Metaphrastes.
') Wie sehr die thoologiHcho Produktion | 7. und 8. Jahrhundert in zwoi HUndc zu-
in di<»fM>r Z««i( /.lll-fl^kKin^, läHHt sich in dor ' sHninir>np«Mlriln;;t. wiüiioiul sonst im OinTli-
iinKclu'itrcn ratrologio von iMignc liinullich scluiitt ül»>r /.i>lin Mihidc nur ein .liilirliiiii<l<>rt
nnd urciOtar »Tkonncn. V<»n .loluinnos und koinmcn.
KoMtniM H))^4*Hidi(>n ist lii<>r faxt das ganze
Begriff und allgemeine Geschichte der byzantinischen Litteratur. (§ 1.) 9
Es war in der That höchste Zeit, dass dem Altertum wieder regere
Aufmerksamkeit zugewandt wurde. Wir verdanken diesem Umstände die
Erhaltung eines grossen Teiles der antiken Litteratur; die wichtigsten
Handschriften stammen aus der Zeit dieses Wiederauflebens der klassischen
Studien, aus dem 10., 11. und 12. Jahrhundert. Hätte die Barbarei, die
in der Zeit des Bildersturms am verderblichsten wirkte, noch lange fort-
gedauert, so wäre wahrscheinlich ein grosser Teil der weniger gelesenen
alten Autoren, von denen schon in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts
selbst die kaiserliche Allmacht manche nicht mehr in vollständigen Exem-
plaren aufzutreiben vermochte, vollständig zu Grunde gegangen, und der
Studientrieb, der unter den Komnenen zu hoher Ausbreitung gelangte,
hätte keine genügenden Stoffe mehr zur Verarbeitung gefunden.
Dem 11. Jahrhundert verleiht die universalistische Erscheinung des
P seilos ein rhetorisch-philosophisches Gepräge. Gleichzeitig beginnt die
Geschichtschreibung, die im 9. und 10. Jahrhundert auf trockene Annalistik
beschränkt war, unter dem Einflüsse der lebhafter betriebenen Studien einen
höheren Flug zu nehmen. Zur völligen Entfaltung gelangt die litterarische
Renaissance im 12. Jahrhundert. Wie am Schlüsse des Altertums,
so ist es auch jetzt wiederum die Geschichtschreibung, in der sich die
besten Früchte der pliilologischen Betriebsamkeit offenbaren. Nikephoros
Bryennios, Anna Komnena, Kinnamos und Niketas Akominatos schildern
in vier bedeutenden Werken das letzte Aufblühen des Byzantinertums,
das grosse Zeitalter der Komnenen. Das Studium der alten Litteratur
wird mit erneuter Regsamkeit und nicht selten mit dem besten Erfolge
von Laien und Theologen betrieben. Nicht weniger als vier Metropoliten
treten im 12. Jahrhundert in den Dienst der profanen Litteratur, der
Aristoteliker Eustratios von Xikäa, der Grammatiker Gregorios von Korinth,
der rhetorisch gebildete und dichterisch begabte Michael Akominatos und
der durch echte Humanität, wie durch Gelehrsamkeit ausgezeichnete Eu-
stathios, der nicht minder eifrig den Homer und Pindar erklärte, als er
das geistige Niveau des für die byzantinische Kultur bedeutungsvollen
Standes der Mönche zu heben suchte. Weniger erfreulich offenbart sich
der grammatische Eifer in Schulhäuptern vom Schlage des Tzetzes; doch
legen auch sie wenigstens von der Mannigfaltigkeit der gelelu'ten Interessen
dieser Epoche Zeugnis ab. Kaum ein Fach der alten Litteratur bleibt
von der allgemeinen Bewegung unberührt. Selbst der Geschmack an eroti-
scher Erzählung scheint wieder zu erwachen und die Gattung des griechi-
schen Romans, die mehr als ein halbes Jahrtausend unfruchtbar geblieben
war, wird auf einmal um vier freilich recht übel gelungene Spätgeburten
bereichert. Mit grösserem Glücke versuchen sich die Zeitgenossen der
Kreuzfahrer in der poetischen Satire und in Dialogen nach dem Vorbilde
Lukians. Sogar die Litteraturgattung, in welcher Byzanz sich am wenig-
sten produktiv erweisen konnte, das Drama, hat damals noch einen späten
und fast völlig isolierten Nachzügler hervorgebracht, in welchem freilich
nichts gelungen ist als der Nachweis, dass für diese Dichtung längst alle
Voraussetzungen fehlten. Besser glückten manche panegyrische und epi-
grammatische Versuche.
10 Byzantinische Litteraturgeschichte. Einleitung.
Trotz aller äusseren Erfolge krankt die Bildung dieser Blütezeit an
einem unheilbaren Uebel; ihr fehlt die Frische des Lebens, die erhaltende,
umgestaltende und stets Neues erzeugende Kraft der Natur. Sie gleicht
mehr einer sorgfältig hergerichteten Mumie als einem lebendigen Organismus.
Dadurch, dass die kunstmässige Litteratur wiederum prinzipiell zur klassi-
schen oder hellenistischen Form zurückkehrte, entfernte sie sich mehr als
je von dem volksmässigen Bewusstsein und Verständnis. Die Kluft zwi-
schen Schrift- und Umgangssprache erweiterte sich bis zu einem
Grade, der keine freundschaftliche Vermittlung mehr zuliess. Die Existenz
und die Berechtigung eines eigenen Vulgäridioms kam jetzt deutlicher
zum Bewusstsein und seit dem Ende des 11. Jahrhunderts findet die neue
Form, von der bisher nur einzelne wörtlich angeführte Spottverse, un-
übersetzbare Ausdrücke und besonders geläufige Formen in die Litteratur
eingesickert waren, in grösseren Schriftdenkmälern Verwendung. Die gut
gemeinte, aber mit den Thatsachen der lebendigen Sprache unvereinbare
Zurückschraubung der litterarischen Formen auf den Standpunkt eines
längst entschwundenen Zeitalters rief eine demokratische Reaktion hervor,
als deren Frucht die vulgärgriechische Litteratur erkannt wird.
Jetzt berühren sich die schärfsten Gegensätze: auf der einen Seite der
mühsam erlernte, übermässig gekünstelte, steifleinene und innerlich ver-
trocknete Attizismus und Hellenismus, der durch die unüberwindliche Macht
der Tradition siegreich das Feld behauptet, auf der andern Seite die lebens-
volle, aber unbeholfene Herzenssprache des Volkes, die in der Orthographie
und Morphologie, im Wörterbuch und in der Syntax mit kunstsprachlichen
Elementen oft ganz bizarr versetzt, von den massgebenden Kreisen der
Gebildeten fast ängstlich gemieden und zurückgestossen, sich erst nach
langem Bemühen zu einiger Beweglichkeit, Reinheit und Ausdrucksfahig-
keit emporarbeitete. So entstand jener Riss im geistigen Leben der Griechen,
welcher seit dem 11. Jahrhundert ihrer Litteratur mehr als irgend einer
andern das Gepräge der Doppelköpfigkeit verleiht. Wahrscheinlich hätte
diese aus vielen Gründen beklagenswerte Spaltung vermieden werden können,
wenn die Schriftsteller des 11. und 12. Jahrhunderts das von Malalas, Theo-
phanes und Konstantin Porphyrogennetos vorgebildete System einer tem-
perierten Umgangssprache beibehalten und in ähnlicher Weise fortgebildet
hätten, wie es in den romanischen Litteraturen geschah.
In der nun folgenden Paläologenzeit scheint die Thätigkeit in der
kunstmässigen Litteratur, wenn nicht an Gehalt und Tiefe, so doch an
Mannigfaltigkeit und Ausdehnung fast noch zu gewinnen. Indem der ge-
lehrte Attizismus noch schärfer betont wird als selbst in der Komnenen-
zeit und bald jede Vermittlung mit der Sprache des Lebens und der volks-
mässigen Schriftstellerei zurückweist, erwachsen aus den Studien dieser
Epoche immer deutlicher die Bestrebungen, welche die unmittelbare Vor-
schule des westeuropäischen II u man ism US bilden. So stehen die Autoreu
dieser Epoche zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit, zwischen den
letzten Traditionen des AltertunKs im Orient und der Wiedergeburt desselben
im Abendlande. ObsclMUi der stiuil liehe Organismus, «leui die lateinisclui
£roborung den Lebensnerv gebrochen hatte, langsam, aber unaufhaltsam |
Begriff und allgemeine Geschichte der byzantinischen Litteratar. (§1.) H
[ seinem endgültigen Verfalle entgegenging, haben die letzten Jahrhunderte
I auf den meisten Gebieten der Litteratur, in Philosophie und Rhetorik,
I Grammatik und Exegese, Epistolographie und Geschichtschreibung, wie
auch in der Poesie noch eine Fülle an Wert ungleicher, aber für die Er-
kenntnis des politischen, religiösen und kulturellen Lebens der letzten
I Lebenstage des byzantinischen Volkes wichtiger Werke hervorgebracht.
[ Ein hervorstechendes Gepräge, das oft mit Unrecht auf das ganze byzan-
tinische Zeitalter übertragen wird, erhält dieser Abschnitt dui-ch die mit
der Leidenschaftlichkeit südländischer Xaturen gefühlten, auf die Union
bezüglichen Kämpfe, die in einzelnen Nachklängen noch den Fall des
f Reiches überdauern. Merkwürdig unansehnlich und ruhig erscheint daneben
j! die Polemik gegen den Koran, gerade als hätten die Byzantiner ihren
I wahren Lebensfeind, den sie politisch lange unterschätzten, auch auf reli-
j giösem Gebiete nicht erkannt. Für die Mannigfaltigkeit, wie auch für
I die Oberflächlichkeit und Haltlosigkeit der Bildung dieses Zeitraumes ist
j namentlich die Thatsache bezeichnend, dass die Litteratur jetzt noch mehr
als früher einen pol y historischen Charakter gewinnt. Rhetorisch-
philosophisch gebildete Männer versuchen sich auf den verschiedensten
Feldern, so dass es zuweilen schwer ist, sie nach ihrer Hauptleistung einer
bestimmten Litteraturgattung zuzuweisen. Der bedeutendste Vertreter dieser
schriftstellerischen Vielseitigkeit ist im 13. Jahrhundert Georgios Pachy-
meres. Hoch über ihm steht Xikephoros Gregoras. die litterarische
Hauptperson des 14. Jahrhunderts, ein Mann, der an Gediegenheit und
Umfang des Wissens, an Scharfsinn, an Gewandtheit der Dialektik und
an Festigkeit des Charakters von keinem Byzantiner der Paläologenzeit
übertroffen wird. Die wichtigsten Polyhistoren des 15. Jahrhunderts end-
lich, ein Gemistos Plethon und Bessarion, führen schon in die ausser-
halb des ßahmens unserer Darstellung liegenden Kreise des Humanismus.
Auf dem alten Kulturboden von Byzanz selbst war mit der Eroberung des
Reiches durch die Osmanen für längere Zeit jede Voraussetzung einer
höheren geistigen und litterarischen Bildung vernichtet. Von der Barbarei,
die jetzt mit elementarer Gewalt hereinbricht, legen unter anderm die in
griechischer Sprache abgefassten diplomatischen Korrespondenzen der ersten
Sultane') ein merkwürdiges Zeugnis ab; sie bilden in ihrer wunderlichen
Formlosigkeit zu den wohlgesetzten Aktenstücken der byzantinischen Kanzlei
einen Gegensatz, als wären sie von ihnen um ein Jahrtausend getrennt.
Wenn die Litteraturen wie die meisten menschlichen Dinge allmäh-
Hch aufblühen und verfallen und daher so scharfe Abteilungen, wie sie
'^ - Kompendiengehirn des Unerfahrenen und Gedankenlosen sich zurecht-
-t, in Wirklichkeit selten existieren, so gibt es doch im geistigen Leben
des einzelnen, wie der Nationen und der ganzen Menschheit Zeitpunkte,
die ohne Uebertreibung als wahrhaftige Einschnitte bezeichnet werden
können. Wer zweifelt daran, dass Aristoteles den Grenzpfeiler zwischen
der klassischen und alexandrinischen Litteratur bildet? Wer wollt« he-
«t?eiten, dass mit dem Jahre 1453 das geistige Eigenleben der Byzantiner
') Reiche Proben im 3. Bande der Acta von Miklosich und Müller,
dt diplomata Graeca medii aevi herausgegeben
12 Byzantinische Litteraturgeschichte. Einleitung.
abgelaufen ist? Mit demselben Rechte darf der litterargeschichtliche Be-
obachter versuchen, den Endpunkt des Altertums festzustellen. Von der
glücklichen Lösung dieser Frage ist das geschichtliche Verständnis der
byzantinischen Litteratur zu einem grossen Teile abhängig. Wenn ein so
feiner Kenner wie Bernhardy ^) das schwere Wort aussprach, dass auch
die gewissenhaftesten Studien aus der weitschichtigen Masse
der byzantinischen Litteratur kein Ganzes hervorzulocken ver-
möchten, so war es vornehmlich seine falsche Grenzbestimmung, die ihn
zu diesem Irrtum verleitete. Indem er die mittelgriechische Litteratur
mit Justinian beginnen Hess, ergab sich dem unbefangenen Blicke zunächst
eine unvorbereitete und wenig verständliche Höhenreihe von Prokop bis
auf Theophylaktos, von Paulos Silentiarios bis auf Georgios Pisides, dann
eine klaffende Lücke, endlich eine allmähliche Erhebung über das niedrigste
Niveau. Auch sie wurde von Bernhardy und seinen Nachfolgern, welche
die ganze mittelgriechische Litteratur vom Standpunkte des 6. Jahrhunderts
aus betrachten, einer apriorischen Doktrin zu liebe verkannt und geleugnet.
An die Stelle der unverkennbarsten Thatsachen setzte man eine luftige
Konstruktion, als deren Kernpunkt die Idee eines unaufhaltsamen, immer
tieferen Verfalls vom 6. bis zum 15. Jahrhundert erscheint. Während in
Wahrheit die Litteratur von Justinian bis auf Heraklios und das Schrifttum
der folgenden Zeit zwei an innerem Werte, an Kolorit, Technik und An-
schauung vielfach verschiedene, an Umfang sehr ungleiche Massen bilden,
verband man beide Zeiträume mit künstlichen Mitteln und schuf so ein
widerspruchsvolles und zerrissenes Gesamtbild. Alles wird klar, so bald
wir zu der geschichtlichen Einsicht vordringen, dass erst mit der zweiten
dieser beiden Gruppen das Eigenleben des byzantinischen Geistes beginnt.
Dann erhalten wir eine einheitliche, gesetzmässige, im Sinne des Zeitalters
naturgemäss aufsteigende Entwickelung, die von dogmatischen, asketischen
und moralischen Schriften, von Kirchenliedern, volksmässigen Legenden
und mönchischen Chroniken ausgeht, dann allmählich durch das erneute
Studium der antiken Autoren und durch eine naivere Auffassung der zeit-
genössischen Dinge an Mannigfaltigkeit des Inhalts und Keichtuni der
Form beträchtlich gewinnt und sich mehrere Jahrhunderte hindurch auf
einer beträchtlichen Höhe erhält, um endlich einerseits im Humanismus
und andererseits in der Volksdichtung die letzten Früchte zu reifen.
Obschon sich der Uebergang vom antiken zum byzantinischen Wesen
in der Litteratur und Kunst nicht zur gleichen Zeit vollzog wie auf anderen
Gebieten, so mag doch vermerkt werden, dass unsere Grenzbestimmung
sich nahe berührt mit der Auffassung zweier hervorragender Forscher, von
welchen der eine das byzantinische Zeitalter vom Staats- und civilrecht-
lichen, der andere vom historischen Standpunkte aus betrachtete. Finlay-')
setzt die Ausbildung des byzantinischen Staatswesens in das 7. .lahrhuudert
(H',V.\ — 71()) und beginnt die eigentlich byzantinische Geschichte mit den
IsHuriern. Ebenso betrachtet Zachariä von Lingenthal') das 7. Jahr-
') OrundriHH der griecliischon Litt«ratur j II 1 ff.
I« fl876) S. XV, I ») (ioHcliicIit«' d.'s griocliiscli rimuHchoii
») A hiHtory of ({rocco I (1877) 851 ff., I Rechtos, 2. Aufl., IWlin 1877 f<. IX.
Charakteristik. f§ 2.) 13
hundert als eine Zeit des Verfalls und der Auflösung des griechisch-römi-
schen Kaisertums und sieht im Zeitalter der isa mischen Kaiser den Beginn
einer Neugestaltung von vielfach eigentümlichem Gepräge, das sich all-
mählich zu dem entwickelte, was man mit dem Ausdruck Byzantinismus
zu bezeichnen pflege,
Dass unser Abriss trotz der gewonnenen Erkenntnis noch nach alter
Weise mit Justinian beginnt, geschieht lediglich aus praktischen Gründen,
welche einen unmittelbaren Anschluss an die Litteraturgescliichte von Christ
erforderten. Solange die griechische Litteraturgeschichte nicht bis zum
Tode des Heraklios herabgeführt wird, kann die byzantinische nicht, wie
es die Thatsachen ihrer Entwickelung verlangten, um die Mitte des 7. Jahr-
hunderts anheben. Hoffentlich gelingt es später, das bisher anerkannte
Grenzmal den beiderseitigen Rechtsansprüchen gemäss zu verrücken. Der
Umstand, dass die übliche Abteilung längst den wissenschaftlichen Sprach-
gebrauch für sich gewonnen hat, bildet keine unüberwindliche Schwierig-
keit, denn bekanntlich sind in den letzten .Jahrzehnten auch andere falsche
Terminologien in der Sprachen- und Litteratm-geschichte mit Erfolg be-
kämpft und endgültig beseitigt worden. In unserer Darstellung, die noch
von der bisher üblichen Grenze ausgeht, ist auch der Ausdruck byzantinisch
der Kürze halber zuweilen im alten Sinne gebraucht worden.
Charakteristik.
2. Die byzantinische Litteratm- ist der wichtigste Ausdruck des
geistigen Lebens der griechischen Nation und des römischen Staates vom
Ausgange des Altertums bis an die Schwelle der neueren Zeit. Von dieser
Thatsache hat ihre Wertschätzung vornehmlich auszugehen. Daneben ruht ihre
Bedeutung in den Einflüssen, welche von ihr auf die orientalischen, slavischen
und westeuropäischen Völker des Mittelalters gewirkt haben, endlich in ihrem
engen Zusammenhange mit der klassischen Philologie. Bis auf die neueste
Zeit ist namentlich der zuletzt genannte Punkt betont worden. Wenn die
klassische Philologie, wie Bücheier ') bemerkt, jetzt ihren Fortsclu-itt haupt-
sächlich darin sucht, dass sie aus der früheren Abgeschlossenheit heraus-
tritt und mit Vorliebe dem Zusammenhange und der Gemeinschaft nach-
forscht, durch welche Griechen und Römer in Sprache, Sitte und Kultur
mit Völkern vor ihnen und nach ihnen verbunden sind, so findet diese
Erweiterung des Gesichtskreises in der That das reichste und ergiebigste
Arbeitsfeld in dem Schrifttum der Byzantiner. Es gibt kaum ein Gebiet
der alten Philologie und Sprachwissenschaft, welchem eine vertiefte Unter-
suchung der raittclgriechischen Litteratur nicht irgend einen Nutzen brächte.
Diese Thatsache wird längst zugestanden und bedarf keines Beweises. Die
antike Tradition ist in Byzanz niemals gänzlich ausgestorben, und ein Zeit-
! alter des Humanismus hätte dort nicht im gleichen Sinne erfolgen können,
wie im Abendlande. Der Zusammenhang mit dem Altertum blieb bei den
I Mittelgriechen in litterarischer und politischer Hinsicht, wenn man etwa
') Philologische Kritik, Bonn 1878 S. 1.
14 Byzantinische Litteratnrgeschichte. Einleitung.
von der Finsternis des 7. und 8. Jahrhunderts absieht, immer gewahrt.
Daher kommt es, dass aucli der künstlich gesteigerte Klassizismus, wie ei-
seit der Komnenenzeit üblich wurde, den Byzantinern keineswegs als etwas
Fremdartiges und Lebloses erschien, ganz im Gegensatze zu der lateini-
schen Humanistenlitteratur, die nicht einmal von den Italienern als etwji-
Nationales betrachtet wird. In der neueren Fachlitteratur kommen di.
Beziehungen der Byzantiner zum Altertum immer deutlicher zum Worte.
Wenn man die Gesamtsumme der philologischen Produktion in den letzten
Jahrzehnten überblickt, bemerkt man mit Staunen, welchen Umfang fast
unbemerkt die Arbeiten auf dem spätgriechisch-byzantinischen Gebiete ge-
wonnen haben. Eine Reihe von Gelehrten, die unter dem Banner der
klassischen Philologie streiten, haben die Gegenstände ihrer Untersuchuni;
in den unaussprechlichen Jahrhunderten gesucht. Man denke an die gross-
artigen Leistungen, durch welche im Chaos der byzantinischen Grammatik,
Lexikographie, Metrik, Florilegienlitteratur und Kirchenpoesie allmählich
Licht und Ordnung geschaffen wird. Die besten Forscher, wie Th. Mommsen,
Usener, Studemund, Reifferscheid, Wachsmuth, Bursian, Christ, W. Meyer,
Crusius, L. Cohn u. a., haben den Byzantinern längere und ergebnisreiche
Besuche abgestattet. Andere scheinen sich schon ganz im Byzantinischen
verloren zu haben. Wenn die innerliche Begeisterung für das Altertum
durch diese abgelegenen Studien schwerlich gewonnen hat, so ist der wissen-
schaftliche Nutzen zweifellos, und das muss uns genügen. Wollte man
die Berechtigung jeder Arbeit nach ästhetischen und pädagogischen Rück-
sichten abmessen und den Selbstzweck der Wissenschaft negieren, so bliebe
in der Philologie wie in anderen Disziplinen für die Forschung herzlich
wenig übrig. Eine künstliche Beschränkung auf die inhaltlich und formal
vollendeten Zeiten hätte erst recht eine Ermattung und Stagnation dei'
Geister zur Folge, in welcher sicher auch die vielgepriesene reine Be-
geisterung und die pädagogische Kraft versinken würden. Nicht auf d<Mi
Stoff, auf den Menschen kommt es an. Wer hellen Geistes und frischen
Gemütes arbeitet, wird auch von Byzanz aus den Weg zur Wahrheit uiul
Schönheit finden.
Trotzdem muss vor der übermässigen Betonung der antiken
Elemente in Ostrom gewarnt werden. Nichts hat das tiefere Verstiindiii
und die Wertschätzung der byzantinischen Zeit mehr beirrt als die G»
wohnheit, in ihr alles nur als Ausläufer und Ausfluss des Altertums zu
betrachten. Byzanz war den meisten Forschern die ungeheuere Leichen-
kammer des hellenischen Hünengeschlechtes, der Beachtung nur würdig
wegen der hier aufbewahrten Reste und Kleinodien aus längst entscliwun-
dener Zeit. Wie die prosaische Litteratur der Mittelgriechen gemeinhin
nur als Repertorium alter Formen und Wörter, als eine FundsUitte von
Varianten, Fragmenten, mythologischen, antiquarischen und historischen
Notizen angesehen wurde, so fand auch in der Poesie nur das Beachtung,
woH an das Altgriechischo anknüpfte und den Gelehrten die erwünschte
Gelegenheit gab, sofort den Quellen nachzugehen und die «historischen
Brücken' zu schlagen. Dieses mehr oder weniger bewusst festgehaltene
Prinzip leitete die Forschung auf jene Schriften, in welchen die Verwertung
Charakteristik, (§ 2.) 15
alten Gutes, die Beziehung zu den Vorbildern am deutlichsten zu Tage
lag. d. h. gerade auf die schlimmsten Machwerke sklavischer Imitation.
>() wurde den Erzeugnissen dieses Zeitalters die dogmatische Zensur der
Wertlosigkeit aufgedrückt. Die einmal geprägte Note ward unzählige
Male wiederholt, selten auch nur teilweise nachgeprüft, niemals in ihrem
ganzen Umfange untersucht. Keine litterarische Kritik ruht auf einem so
utringen Masse thatsächlicher und selbsterworbener Kenntnis als die üb-
lichen Verdikte über das byzantinische Schrifttum. Trotzdem lauten die
Urteile meist hart und exklusiv; denn die Halbwissenheit ist in Lob und
Tadel stets kühner und massloser als die gewissenhafte Forschung. Das
Lutsetzliche Wort „Weh dir, dass du ein Enkel bist" ist an den Byzan-
tinern hundertfach in Erfüllung gegangen. Selbst Kenner wie Bernhardy
Hessen sich durch die exklusiv „philologische" Betrachtung der byzantini-
schen Litteratur, dadurch, dass sie jedes Werk, jede Aeusserung, jedes
A\'ort nur als Nachklang aus dem Altertume vernehmen wollten, zu ge-
schichtlich ungerechten und verwirrenden Urteilen hinreissen. Wer sich
nur auf dem klassischen Standpunkte wohl fühlt, verschliesst sich natur-
inäss von Anfang an der Einsicht in das byzantinische Wesen. Wer
Kann z. B. der gesamten Persönlichkeit eines Eustathios oder eines Niketas
Akominatos gerecht werden, wenn er keinen andern Massstab für sie findet
als Aristarchos oder Thukydides? Wer kann die unvergleichliche Erhaben-
heit eines Romanos empfinden, wenn ihm die christlich-gläubige Begeiste-
rung völlig verloren gegangen ist?
Einen weiteren Grund hat die fahrlässige Massenhinrichtung, welche
die Kritik an den Byzantinern zu vollstrecken beliebt, in der üblen Ge-
wohnheit die griechische Litteratur des Mittelalters als eine gleichförmige
und gleichfarbige Masse zu betrachten, als ob die überall geltenden
l nterschiede der Zeit, der Gattungen und der Individuen hier ihre Wirkung
Versagt hätten. Man kann zugeben, dass der byzantinische Charakter
I ine auffallende Zähigkeit besitzt und bis ins 15. Jahrhundert ohne grosse
\ oränderung fortdauert; aber man darf nicht übersehen, dass dieser Cha-
rakter nicht so leicht zu bestimmen ist, wie man gemeiniglich annimmt,
und dass namentlich die jeder klaren Anschauung feindlichen Schlagwörter
wie dogmatische Starrheit, ') religiöser Fanatismus, Verschwommenheit und
sklavische Imitation ihn weder erschöpfen noch zutreffend bezeichnen. Was
uar den gegenwärtig so sehr in Schwang gekommenen Gebrauch des Wortes
lyzantinisch zur Bezeichnung des gemeinen Servilismus im staatlichen
l-tben betrifft, so muss die unbefangene Geschichtsbetrachtung zugeben,
dass diese schlimme Eigenschaft durchaus nicht den Byzantinern eigentüm-
lich ist, sondern sich immer und überall findet, wo absolute Herrscher sind.
Mit dem äusserlichen Hofzeremoniell kam der innerliche Servilismus auch
im Abendlande zu so grosser Verbreitung, dass das gebildete Mittel-
*) Wir meinen damit natürlich nicht so ' schüttet, sondern die allgemein herrschende,
dünkelhafte Verdikte, wie sie z. B. Prutz ' von Uspenskij mit Recht bekämpfte An-
(Kulturgeschicht« der Kreuzzüge S. 24) in , schauung über die geistige Verknöcherung
seinem bombastischen Kathedertone über der byzantinischen ^rche.
das Christentum des 7. Jahrhunderts aus- .
16 Byzantinische Litteratnrgeschichte. Einleitung.
europa den Byzantinern durchaus nichts mehr vorzuwerfen hat. Nie-
mals hat der Byzantinismus in Byzanz so geblüht wie an den Höfoii
Karls V., Philipp II., Ludwigs XIV. und mancher Duodezfürsten unsere ^
Vaterlandes.') Die deutschen Hofpoeten der guten alten Zeit übertreflfon
an hündischer Kriecherei alles, was die mittelgriechische Litteratur an
verwandten Ergüssen besitzt, und der r^Xiog ßaoiXevc des Psellos hat im
roi-soleil Frankreichs sein getreues Gegenstück gefunden. In Wahrheit
ist Byzanz weit weniger absolutistisch als sein Ruf. Die Abhängigkeit
des Kaisers vom Willen der Masse, die blutigen Aufstände der haupt-
städtischen Bevölkerung und ähnliche demokratische Züge, die der schärfere
Beobachter im byzantinischen Kulturleben entdeckt, erinnern weit mein-
an das moderne Frankreich als an die Zeiten vor 1789. Trotz aller Zen-
tralisation der Staatsgewalt in der heiligen Person des Kaisers durfte sicli
der byzantinische Hof niemals jene grenzenlose Korruption und Verschwen-
dung erlauben, die im 17. und 18. Jahrhundert in Frankreich und in ge-
horsamer Nachäffung des berühmten Musters in so manchen deutscheu
Kleinstaaten wucherte. Von der fabelhaften Ueppigkeit der endlosen Ver-
gnügungen, der Maskeraden, der Aufzüge und süssen Schäferspiele, dt r
Illuminationen und Feuerwerke, von den wilden Zechgelagen, den berücli-
tigten Jagd- und Waldfesten, von den als Pagen verkleideten filles d'honnenr
hören wir in Byzanz nichts. Die Steuerschraube wurde dort nicht mindi i
erbarmungslos angezogen als bei uns; aber der grösste Teil der gewon-
nenen Einkünfte wurde durch die unvermeidlichen Kriege gegen die von
allen Seiten drohenden Nachbarvölker und durch sonstige Bedürfnisse di -
Staates, nicht durch die Ueppigkeit des Hofes verschlungen. Eine stall
liehe Reihe byzantinischer Herrscher war durch Massigkeit und streuL;
Selbstzucht ausgezeichnet, und selbst die dunkelsten Gestalten dieser Kaiser-
reihe haben weniger mit der Liederlichkeit deutscher und französische i
Fürsten jüngst vergangener Zeiten als mit der unheimlichen Art russisclu r
und türkischer Machthaber der vergangenen Jahrhunderte gemein. Mas
lose Selbstsucht und unersättliche Herrschbegierde haben in Byzanz on
blutige Verbrechen geboren; aber in einem Staatswesen, wo so grossi
Interessen wider einander streiten, lässt man sich derartige Konflikte wirK
lieh noch besser gefallen als die „satte Tugend" und die „zahlungsfähii:.
Moral". Das harte Metall, aus dem manche Byzantiner wie Tziniiske-
Nikephoros Phokas und Basilios II. geschmiedet sind, ist uns sympathisclier
als der galante Schmutz mancher mitteleuropäischer Höfe der neueren
Zeit. Dabei fehlt es auch nicht an Fürsten, die mit eiserner Energie milde
Humanität vereinigen wie der treffliche .Johannes Komnenos und die glän-
zende Rittergostalt seines Sohnes Manuel. Der widerliche Ciiarakter, der
thatsächlich einzelnen Abschnitten, wie der traurigen Uebergangs-
periode von 1025—1081 anhaftet, wird mit Unrecht auf das ganze byzan-
tinische Zeitalter übeHragen. Ebenso mu.ss bei der Hetraehtung der
Litteratur selbst zwischen den Zeiten, Gattungen und Individuen
untoi-KclnCden worden. Sobald wir uns mit liebevoller Sorgfalt ins Einzelne
') 8. W. KiM<lier. Kin Wort ül.or den ' srliirhto 5 (Stuttgart 1S8H) »89-997.
U^'zantiniHinuH, /«•itHchril't Tilr ullgfincinc (>e-
Charakteristik. (§ 2.) 17
versenken, werden Abstände offenbar, die uns den Mut benehmen, der üb-
lichen Generalisierung der Urteile beizupflichten.
Die selbständige Bedeutung des geistigen Lebens der By-
zantiner kann nicht ausdi'ücklich genug betont werden. Was sie ge-
schaffen haben, ist mehr als ein blosses Anhängsel des Altertums. Neben
der griechischen und römischen Litteratur steht das byzantinische Schrift-
tum als ein neues Gebilde, in welchem sich römische, griechische und
orientalische Elemente zu einem eigenartigen Ganzen verschmolzen haben.
Niemals ist dem Griechentum eine so bedeutende politische Rolle zu-
gefallen als wähi-end des Mittelalters. Das antike Kleinleben der Staaten
und Stämme erscheint daneben ebenso besclu-änkt als die politische Kraft
der heutigen Griechen. Dieser gewaltige reelle Hintergrund darf bei der
Abschätzung der byzantinischen Litteratur nicht übersehen werden. Etwas
Aehnliches gi])t es im Abendlande nicht. Wenn daher im zweiten Teile
dieses Bandes eine lateinische Litteraturgeschichte des Mittel-
alters als Gegenstück unseres Abrisses in Aussicht genommen ist, so be-
ruht diese Zusammenstellung mehr auf einer äusseren Analogie als auf
einer inneren Verwandtschaft. Wie im Westen an die Stelle des alten
Imperium neue Herrschaften traten, so löste sich auch die unmittelbare
Tradition der Sprache und Litteratur in ungleiche Sonderexistenzen auf.
Daran vermochte die künstliche Wiederaufrichtung des römischen Kaiser-
throns durch Karl den Grossen nichts mehr zu ändern. Der lateinischen
Litteratur des Mittelalters fehlt die geschlossene Einheit, ihr mangelt die
nationale, politische und soziale Grundlage. Ihre Dichter unternehmen
keinen bewussten Wettstreit mit den Alten; sie schreiben private Schul-
übungen, und das Streben nach dem Lorbeer der Unsterblichkeit ist ihnen
unbekannt. Ein Hauptgrund dieses grossen Gegensatzes zwischen der mittel-
lateinischen und mittelgriechischen Litteratur ist in der Verschieden-
heit der sozialen Stellung der litterarischen Personen beider Gebiete
zu suchen. Im Abendlande ist alles litterarische Schaffen auf die stilleh
Räume der Klosterzelle beschränkt; Mönche schreiben, und sie schreiben
für Mönche. Auch in Byzanz arbeiten manche Litteraten im sicheren Horte
eines Klosters; die meisten Autoren aber stehen hier in lebhafter Wechsel-
lieziehung zum sozialen und politischen Leben. Manche der bedeutendsten
Geister, wie Photios, Psellos, Gregor von Cypern, Nikephoros Gregoras u. a.,
nehmen in hervorragenden Aemtern des Staates oder der Kirche thatkräftigen
Anteil an den grossen Bewegungen ihrer Zeit; andere lernen das Leben der
Welt in untergeordneten Stellen kennen; eine Gruppe für sich bildet end-
lich das arme Litteratenvolk, dürftige, stets von der Hand in den Mund
lebende Leute, wie Ptochoprodromos, Tzetzes, Philes, welche die Leiter zu
den einträglichen Aemtern nicht zu erklimmen vermögen und daher in
weinerlichen Klagetönen um die Gunst der Reichen und Mächtigen buhlen.
Durch diese mannigfache Abstufung der äusseren Lebensstellung der Autoren
erhält die Litteratur selbst einen lebendigen, bunten und vielseitigen Cha-
rakter. Die abendländische Litteratur verlangt infolge ihrer inneren Ver-
liiedenheit eine andere Behandlungsweise als die byzantinische. Da in
ihr die selbständige Entwicklung zurücktritt, empfiehlt es sich, ihre Er-
Uaudbtich der klaa»*. Allortiiniswissonscbaft. IX. 1. AbtIg. 2
Xg Byzantinische Litteratnrgeschichte. Einleitung.
Zeugnisse ganz vom Standpunkt des Alterturas aus zu betrachten d. h.
nicht die Werke und Autoren als solche, sondern das Fortleben der
antiken Gattungen und Individuen in ihnen zu beschreiben, ähnlich
wie Cholevius die antiken Elemente in der deutschen Litteratur untersucht
hat. Diesen Plan hat L. Traube seiner Arbeit, die, wie wir hoflfen, der
unserigen bald nachfolgen wird, zu gründe gelegt. Die Anwendung des
nämlichen Systems auf die byzantinische Litteratur ergäbe ein unrichtiges
Gesamtbild. Denn obschon auch hier alte Gattungen fortwirken, bleibt
doch die Hauptsache die selbständige Produktion, die Darstellung neuer
Stoffe. Nur in einigen gelehrten Fächern, wie in der Grammatik und
Metrik, wo einzelne Schriften typische Geltung erlangten und behaupteten,
Hesse sich der Versuch rechtfertigen, alle Produktion ausschliesslich vom
antiken Ufer aus zu betrachten; doch musste solche Ungleichheit der Be-
handlungsweise vermieden werden.
Die unvergleichliche Gliederung in litterarische Gattungen,
welche die klassische Litteratur auszeichnet, ging seit Alexander dem
Grossen verloren. Der synkretistische, verschwommene Charakter, welcher
der griechischen Litteratur im alexandrinischen und römischen Zeitalter
anhaftet, herrscht auch in der byzantinischen Litteratur. Die meisten
Schriftsteller versuchten sich gleichzeitig auf mehreren, oft ganz verschieden-
artigen Gebieten. Dadurch entsteht ein litterarisches Chaos, in das schwer
Ordnung und Klarheit zu bringen ist. Wollte man. wie Fabricius und
Scholl thaten, eine strenge Gliederung nach Arten und Stoffen vornehmen,
so müssten die meisten Autoren in zwei, drei und mehrere Stücke aus-
einander gerissen werden; die Persönlichkeiten gingen hiebei völlig ver-
loren und die ganze Litteratur löste sich in eine unendliche Menge von
Büchern, Traktaten und Fragmenten auf, woraus sich dann ein jeder nach
Lust und Vermögen die einzelnen Autoren mühsam wieder zusammensuchen
müsste. Ein gerechtes und zutreffendes Urteil über die litterarischen Pei-
sonen und damit auch über die Zeit und das Volk, welches sie vertreten,
würde durch eine streng eidologische Behandlungsweise ungeheuer erschwert .
Andererseits mussten doch wenigstens die Hauptgattungen im historischen
Zusammenhange dargestellt werden. Daher empfahl sich ein Kompromiss
zwischen der synchronistischen und eidologischen Methode ; jeder Autor wurd»;
der Hauptgattung zugewiesen, in welche der Schwerpunkt seiner Leistungen
fällt. Die Theologen, für welche kein eigenes Fach eröffnet werden konnte,
mussten in den Abschnitten unterkommen, welchen sie durch iiire nicht-
theologische Schriftstelleroi nahestehen. Innerhalb der einzelnen Gattungen
wurde dann die chronologische Ordnung streng beobachtet. Was die Keilien-
folge der Hauptgattungen betrifft, so verlangte in der kunstmässigen Lit-
teratur naturgemäss die Prosa, in der volkstümlichen dagegen die Poesie
den Vorrang. Die Durchsichtigkeit, mit welcher in der alten Litteratur
die Hauptformen und Stufen der Entwickelung erkennbar sind, konnte bei
diesem MiscliHystem unmöglich erreicht werden. Doch vereinigt dasselbe
jedenfalls vor der strengen Eidologie, welche eine unermesaliche Zersplit-
terung der einzelnen Autoren zur Folge hätte, wie vor dem synchronistischen
System, bei welchem die Entwicklung der Gattungen gar zu undeutlich
Charakteristik. (§ 2.) 19
würde, die meisten Vorzüge. Hier wie überall schien mir eine gewisse
Zweckmässigkeit wünschenswerter als doktrinäres Festhalten an über-
lieferten Schablonen.
Was heute mit Recht als das Lebenselement jeder litterarhistorischen
Darstellung betrachtet wird, die Darlegung der genetischen Zusam-
menhänge, lässt sich in der byzantinischen Litteratur noch nicht im
vollen Umfange und mit genügender Deutlichkeit durchführen. Nicht als
ob eine Entwickelung, wie manche etwas vorschnell angenommen haben,
in der byzantinischen Zeit mangelte. Wachstum und Verfall existieren
auch hier, die Prozesse verlaufen aber langsam und unregelmässig, und
eine so wunderbare, dem Leben eines Individuums vergleichbare Entwick-
lungsgeschichte, wie sie die vorchristliche Litteratur der Griechen bietet,
dai-f in dem mit Tradition übersättigten Zeitalter der Byzantiner nicht
gesucht werden. Tief eingreifende Umwälzungen des Geschmackes und
prinzipielle Veränderungen der Anschauungsweise blieben einem Zeitalter
fern, in welchem die konservative Tendenz auf allen Gebieten des mensch-
lichen Lebens vorherrschte. Um die L^nter schiede des Alters und der
Individuen, die hier feiner sind als in Epochen wild gärender Kraft,
kennen zu lernen, muss unser Auge noch durch lange Uebung geschärft
werden. Wenn wir uns freilich mit der Versicherung Bernhardys be-
ruhigen, dass alle Byzantiner eine gewisse Familienähnlichkeit besitzen,
werden wir in der Erkenntnis nicht weiter kommen. Denselben Eindruck
der Verwandtschaft erhält der ferner stehende Beobachter auch von den
meisten Autoren anderer Litteraturen. Wie lang bedarf es z. B., bis man
aus der scheinbar ziemlich gleichmässig realistisch-erotisch gefärbten Masse
der französischen Romanschriftsteller die Typen herausgreifen und von
einander so unterscheiden lernt, dass eine beliebige Stichprobe zur Be-
stimmung des Autors hinreicht. Auch in Byzanz existieren so grundver-
schiedene Gestalten wie Victor Hugo, Daudet, Zola. Wer an diese Unter-
schiede nicht zu glauben vermag, sei daran erinnert, welche Vertiefung
der Studien erforderlich war, bis die Kunstgeschichte aus dem all-
gemeinen Begriff antiker Kunst zur Unterscheidung des Griechischen und
Römischen, dann zur Erkenntnis einer attischen, peloponnesischen und
nordgriechischen Schule, endlich zur feineren Distinktion einzelner Künstler
gelangte. Wer glaubt heute noch an die Ueberzeugung Friedrich Schlegels,
dass in der christlichen Malerei und Bildhauerei von den frühesten Zeiten
bis zum 14. Jahrhundert die vollkommenste Einheit und Gleichheit in der
Zeichnung und ganzen künstlerischen Behandlung geherrscht haben. „Wo
die alten Kunstfreunde starre Unveränderlichkeit zu sehen wähnten, er-
blicken wir einen gar mannigfaltigen Wechsel." ') Die von Springer be-
tonte Schwierigkeit, in der Kunstgeschichte die Abweichungen vom gemein-
samen Typus, das Auseinanderfallen des letzteren in unzählige Individua-
litäten zu erkennen, trifft auch für die Betrachtung fremder Litteraturen zu.
Auch hier werden wir von dem starken Eindrucke, den die allgemeinen
Eigenschaften der Gattung erwecken, gefangen genommen und vermögen
F* ') A. Springer, Bilder aus der neueren j danke in feinsinniger Weise noch weiter aus-
Kunstgeschichte I« (1886) 82, wo der Ge- geführt ist.
2*
20 Byzantinische Litteratnrgeschiohte. Einleitung.
nur sehr mühsam die besonderen Schulen und Persönlichkeiten zu er-
kennen.
Ein Grund, der die Einsicht in die Entwickelungsgeschichte der
byzantinischen Litteratur vornehmlich getrübt hat, ist schon oben berührt
worden; es ist die von Bernhardy und anderen befolgte Methode, alle
mittelgriechischen Schriften auf eine vom 6. bis zum 15. Jahrhundert un-
unterbrochen abfallende Ebene künstlich hinzuzwängen. So sehr war der
grosse Geschichtschreiber des griechischen Geistes durch seine apriorische
Doktrin verblendet, dass ihm selbst der unzweifelhafte Aufschwung vom
9. bis zum 12. Jahrhundert entgehen konnte; nach ihm sinkt seit dem Ablauf
des 11. Jahrhunderts die griechische Litteratur unaufhaltsam und die That-
sachen ihrer Entkräftung werden immer häufiger ; ') von den Komnenen des
12. Jahrhunderts ist nach ihm wenig Litterarisches zu berichten-) u. s. w.;
kurz jedes folgende Jahrhundert erscheint immer dunkler, düsterer und
leerer als das vorhergehende. Aus derselben Anschauung entspringen auch
die oft wiederholten mechanischen Zeitbestimmungen nach dem un-
sinnigen und tausendfach durch Thatsachen widerlegten Schema : Je besser
Stil und Sprache, desto älter; je schlechter, desto später. Die verderbliche
Konstruktionsmanic der Schule Hegels, in welcher Bernhardy wie kein
anderer Litterarhistoriker befangen war, hat selten so schlimme Früchte
gezeitigt wie in der geschichtlichen Betrachtung der byzantinischen Litte-
ratur. Es ist nicht überflüssig, den wahren Grund dieser wissenschaft-
lichen Verirrung ausdrücklich zu betonen, damit endlich einmal mit einer
Gewöhnung gebrochen werde, welche den historischen Blick für eine ge-
waltige Epoche getrübt hat. Erst wenn das falsche Grundprinzip auf-
gegeben ist, kann der Ausbau des Einzelnen mit neuen Mitteln und mit;
Aussicht auf Erfolg unternommen werden. Hiefür ist fast noch alles zuthu
Welches Dunkel noch über der inneren Geschichte der byzantinischeiv
litteratur liegt, geht schon aus der einfachen Thatsache hervor, dass di(
Ansichten über die Entstehungszeit mancher umfangreiclien Werke um
viele Jahrhunderte auseinander gehen. Eine schärfere Untersuchung dfi
Zeiten und Studienweisen wird hier zweifellos wichtige Aufklärungen
schaffen. Ebenso wird die Ungewissheit, die über die Autorschaft
mancher Stücke herrscht, durch eine genauere Individualisierung da und
dort gehoben werden können. Bis jetzt leidet das litterarhistoi'ische Bild
mancher Autoren unter einem Wüste fremder Arbeiten, die einige berühmte
Namen wie mit chemischer Anziehungskraft um sich gesammelt haben.
Freilich bedarf es einer erheblichen Vereinigung von Vorstudien, um solche
rntersuchungen mit Aussicht auf Erfolg führen zu können. Die zahllosen
Verkehrtheiten und nutzlosen Anstrengungen, die in der auf Byzanz be-
züglichen Litteratur bemerkt werden, rühren namentlich von der Selh.st-
täuschung naiver Gemüter her, welche glauben, nach einiger Bekanntschaft
mit dem wohl angebauten Gebiete der klassisclien Litteratur sich sofort
auch in den byzantinischen Urwäldern zurecht zu finden. Auch die alte
Philologie empfängt alljährlich eine Bcili«' vr»ll ig absurder Bridii". • ^ie ist
') GrundriH» dor griocli. Litt. !♦ 722.
») Ebend« I' 7:i7.
litj
Charakteristik. (§ 2.) 21
aber zu gut organisiert, als dass solche Privatsünden mehr als eine vor-
übergehende Heiterkeit anzustiften vermöchten. Byzanz dagegen ist von
so wenigen verlässigen Truppen beschützt, dass oft ganz kindische Ein-
fälle für längere Zeit erfolgreich bleiben. Es gibt in der Wissenschaft
kein Monopol; aber einige Ausrüstung darf von jedem verlangt werden,
der ein dornenvolles und dunkles Gebiet mit Nutzen durchwandern will.
Wie viel gegen diese Forderung in byzantinischen Forschungen gesündigt
worden ist, muss man oft mit schwerer Unlust erfahren. Wie häufig
mangelt die Kenntnis der notwendigsten Hilfsmittel! Wie übel steht es
mit der Kenntnis des raittelgriechischen Sprachgebrauches selbst bei solchen,
die auf diesen Sprachgebrauch weittragende Schlüsse bauen ! Wie manche
scheinen zu wähnen, dass die überall geltenden Grundsätze der Kritik in
Byzanz ein überflüssiger Zierat seien! Wie vorlaut sind oft die ästheti-
schen Urteile! Nicht wenige scheinen in dem Wahne befangen, im 10. Jahr-
hundert nach Chr. müsse sich in griechischen Autoren noch alles ebenso
finden wie 15 Jahrhunderte früher. Solchen Irrungen gegenüber muss
immer ausdrücklich betont werden, dass man die byzantinische Epoche wie
jede andere aus sich selbst heraus studiere und namentlich die zahllosen
Veränderungen beachte, die sich in den religiösen, nationalen, politischen, ge-
sellschaftlichen und spraclilichen Bedingungen allniählich vollzogen haben.
Die wichtigsten Thatsachen in der Detailgeschichte der byzantini-
schen Gräzität kommen teils in den Einleitungen der Hauptabschnitte,
teils bei den einzelnen Autoren zur Sprache. Hier sei nur der allgemeine
Entwickelungsgang beschrieben. Innerhalb der Schriftsprache sind zwei
Hauptperioden zu unterscheiden. In der ersten, welche etwa das 7.
bis 10. Jahrhundert umfasst, wird eine stark kirchlich gefärbte Diktion
mit echt byzantinischen Mitteln weiter ausgebaut. Einige Schriftsteller
wie Theophanes und Georgios Monachos machen der Volkssprache so viele
Konzessionen, dass sie ohne Zweifel allgemein verständlich bleiben. Alm-
lich wahren die meisten Kirchendichter den Zusammenhang mit dem Leben.
Es herrscht ein ungekünstelter, naiver, wenn auch häufig etwas unbeholfener
Zug in der Schriftsprache. Selbst Autoren, welche sich einer gewählteren
Ausdrucksweise befleissen, schöpfen nicht aus den durch eine unüberbrück-
bare Kluft getrennten klassischen Vorbildern, sondern aus Spätgriechen
wie Prokop und Agathias, die ihnen in Stoff und Form mehr verwandt
sind. In der gesamten Litteratursprache herrscht bei allen Stilunterschieden
no«'h ein einheitlicher Charakter. In der zweiten Periode, welche durch das
Wiedererwachen der klassischen Studien vorbereitet wurde, gehen die mass-
gebenden Kreise auf die alten Quellen zurück, wodurch die natürliche
Entwicklung der vorigen Periode und der geschichtliche Zusammenhang
unterbrochen wird. Die höchste Steigerung erfährt dieses Streben nach
Purismus und Altertümlichkeit unter den Paläologen. Indem so die Sclirift-
Rteller sich künstlich über ihre Zeitgenossen emporschrauben, wird der
Gegensatz zwischen der lebendigen und der schriftniässigen Sprache immer
^irker. Seit dem 11. Jahrhundert erscheint neben der Kunstsprache auch
Vulgärsprache in litterarischen Denkmälern. Ueber sie wird in der
nleitung des Anhanges gehandelt werden.
22 Byzantinische Litteraturgeschichte. Einleitung.
Das Hauptmerkmal der byzantinischen Kunstsprache besonders in
der zweiten Periode ist der Mangel des einheitlichen Gusses, die bunte Zu-
sanimenklebung verschiedener, oft sich widerstreitender Elemente. Poetische
Blumen aus alter Zeit, jonische und attische Prosa, hellenistische Neuerungen,
kirchensprachliche Eigenheiten, Wendungen des byzantinischen Kanzleistiles,
technische Ausdrücke des römischen und mittelalterlichen Lebens werden
bald geschickt zu einem gefälligen Ganzen verbunden, bald oberflächlicli
aufeinander gepfropft. Obschon nun diese Sprache häufig zum Ersticken
an der Überfülle von Tradition leidet, kann sie selbst in der zweiten
Periode nicht als völlig tot bezeichnet werden. Bei manchen Autoren
fühlt man noch den Pulsschlag des Lebens, ihre Darstellung ist frei von
Verknöcherung, die Sätze gleiten ihnen ohne Mühe aus der Feder. Die
Vorstellung von der Mumienhaftigkeit dieser Schriftsprache ist ebensowenig
zutreffend als die entgegengesetzte Behauptung, dass die gebildeten Kreis-
des griechischen Mittelalters ihre Schriftsprache auch wirklich gesprochen
hätten. Die Buntheit der byzantinischen Diktion macht die formal'
Charakteristik der Autoren schwierig. Eine isolierte Vergleichung inii
irgend einem alten Vorbilde hilft nicht weit; die Sprache jedes einzelnen
muss als ein Ganzes gefasst und gewürdigt werden, wozu allerdings di.
bequemen lexikalischen Hilfsmittel nicht ausreichen. Hoffentlich ist abii
wenigstens die Zeit vorüber, in der man sich durch nichtssagende Schlag-
wörter wie gedunsene Breite, übler Wortschwall, Mangel an Geschmack
u. s. w. der Notwendigkeit einer gerechten historischen Würdigung über-
heben zu dürfen glaubte. Neben den erwähnten allgemeinen Merkmalen
ist noch ein beträchtlicher Raum für individuelle Eigenheit; die Schrift-
steller arbeiten mit verwandten Mitteln, aber in der Verwertung diosci-
Mittel gehen sie gar sehr ihre eigenen Wege.
Viel Missverständnis ist aus der Sitte erwachsen, die byzantinische
Gräzität als barbarisch zu brandmarken. Es ist ein Urteil, das sich
zumeist auf die lateinischen, italienischen, slavischen und sonstigen Fremd-
wörter stützt. Schriftsteller, die vor Ausdrücken wie (foaaäiov, Af'^/oc,
(fQtQiog nicht zurückscheuten, hatten die Gunst engherziger Philologen schuell
verscherzt. Die historische Betrachtung wird auch in dieser Hinsicht den
Byzantinern Recht widerfahren lassen. Da sie eine Menge neuer Ideen
besonders im Staats- und Militärwesen auszudrücken hatten, so konnten
sie sich immöglich auf das klassische Wörterbuch beschränken. Indem
sie teils die von den Römern geprägten Bezeichnungen in die Schriftspracho
aufnahmen, teils auch neue Mittel des Ausdrucks schufen, verfuhren sie
nicht anders als schon Polybios, Dio Cassius, Herodianos und andere Histo-
riker der römischen Zeit. Die oft geschmähten «Barbarismen" sind für
das byzantinische Wörterbuch unentbehrlich; sie erfüllen ihren Zweck und
verleihen der Gräzität ein scharfes knlturhistorisches Gepräge. Man wird
sie daher von demselben Standpunkt aus zu würdigen haben, wie etwa
die unklassischon, aber notwendigen Neubildungen der lateinischen Scho-
lastik (■/.. B. essentia), welchen nur ein völlig Befangener die innere Be-
rechtigung absprechen kann.
Internationale Enltorbeziehongen. (§ 3.) 23
Internationale Kulturbeziehungen.
3. Neben dem inneren Werte der byzantinischen Litt^ratur und ihren
Beziehungen zur klassischen Philologie sind für eine richtige Wertschätzung
derselben noch die Wirkungen zu beachten, welche von ihr auf die übrigen
Völker des Mittelalters ausgegangen sind, wie auch die Einflüsse, welche
sie selbst von auswärts erfahren hat. Wenn sich unser Blick zunächst
nach den Gebieten richtet, welche im Altertum von den Schöpfungen des
griechischen Geistes am reichsten und nachhaltigsten befruchtet worden
sind, so zeigt sich, dass gerade sie von der byzantinischen Kultur am
wenigsten empfangen haben. Italien und das übrige romanische
und germanische Abendland ist von byzantinischen Kultm'elementen
weit weniger berührt worden als die orientalischen und sla\'ischen Nach-
barvölker. Die dem Einflüsse zunächst ausgesetzten Teile des Abend-
landes hatten im Anfange der byzantinischen Periode noch überreich von
der eigenen römischen Kultur zu zehren und waren somit zur Aufnahme
fremder Kultur wenig geeignet; damit blieben auch die übrigen Gebiete
des Abendlandes, für welche Italien die notwendige Vermittlung hätte über-
nehmen müssen, den Wirkungen des byzantinischen Kulturlebens ziemlich
entrückt. Später wurde die trennende Kluft zwischen Orient und Occident
durch die immer mehr verschärfte Abneigung der „Franken" gegen das
griechisch-byzantinische Wesen und durch die zum Teil aus diesem Rassen-
hass hervorgegangenen kirchlichen Streitigkeiten so erweitert, dass schon
im 10. .Jahrhundert die östliche Welt der romanisch-germanischen als etwas
ganz Fremdartiges und Feindliches gegenüberstand. Eine nähere Berüh-
rung des Abendlandes mit dem Morgenlande brachten die Kreuzzüge mit
sich; allein einerseits war diese Berührung fast durchwegs mehr eine feind-
liche als eine freundliche und andererseits entwickelte sich damals im Abend-
laiide schon eine neue, kräftige Kultur, die aus den Bedingungen des
heimatlichen Bodens hervorwuchs und sich deshalb gegen die fremdartigen
Elemente des Orients ablehnend verhielt. Jedenfalls ist die Summe der
Kulturelemente, welche in dieser Zeit des lebhaftesten Wechselverkehrs
nach dem Abendlande strömten, geringer als die der Neuerungen, welche
die Kreuzfahrer nach dem Orient brachten. Wenn nun die byzantinische
Kultur auf die abendländische nicht in weiterem Umfange einwirkte und
ihr Gesamtkolorit nicht zu bestimmen vermochte, so fehlt es doch nicht
an einzelnen, lokal und zeitlich beschränkten Eroberungen. Am wirk-
samsten äusserte sich der orientalische Einfluss in der christlichen
Litteratur und Kunst. Die Beziehungen der lateinischen Kirchenpoesie
zur griechischen sind unzweifelhaft (s. § 171); aber selbst hier wird die
Verbindung seit dem 7. Jahrhundert locker und nur in der kirchlichen
Musik scheint sich die byzantinische Lehre längere Zeit zu erhalten
(Notker). Auf dem Gebiete der Prosalitteratur ist eine hervorragende und
folgenreiche Thatsache noch aus der Zeit zu verzeichnen, in welcher das
nahe Verhältnis zwischen der östlichen und westlichen Kulturwelt sich
schon zu lösen begann; es ist die von dem päpstlichen Bibliothekar Ana-
24 Byzantinische Litteratnrgeschichte. Einleitung.
stasius um 870 veranstaltete lateinische Übersetzung der Chronik des
Theophanes, die für die lateinische Annalistik des Mittelalters von Be-
deutung wurde (s. § 53). Für die ältere christliche Kunst hat A. Springer
wahrscheinlich gemacht, dass Ostrom der gebende, Westrom der empfangende
Teil war, gleichzeitig aber dargethan, dass im späteren Mittelalter die
byzantinische Kunst weit woniger auf die abendländische gewirkt hat, als
man früher gemeiniglich annahm. „Die grossen abendländischen Völker
waren ein naturwüchsiges Geschlecht, welches sich mühsam seinen eigenen
Weg bahnte und es schlecht verstand, in dem Scheinglanze der ahnen-
stolzen Griechen aufzugehen." Die meisten byzantinischen Spuren lassen
sich naturgemäss in den Gebieten Italiens nachweisen, welche längere Zeit
mit Ostrom verbunden waren. Diehl hat mit peinlichster Sorgfalt alles
zusammengetragen, was hierüber in den weit zerstreuten Quellen zu finden
war, und die zahllosen Stücke zu einem schönen Gesamtbilde vereinigt;
aber alles in allem muss man sagen, dass dieses Bild blass und unbe-
deutend ist. So rücksichtslos das Griechentum vordrang, so lang es von
der Staatsgewalt unterstützt wurde, so blieben die Byzantiner doch hier
mehr als anderswo fremd, und bald beginnt die Ausbildung des unheil-
baren Gegensatzes zwischen der lateinischen und griechischen Kirche, der
die Trennung Europas in eine lateinisch-germanische und eine gräko-
slavische Welt zur Folge hatte. Eine wirklich grossartige und von unermess-
lichen Wirkungen begleitete Gabe empfing das Abendland von Byzanz erst
gegen den Schluss des Mittelalters, die Kenntnis der griechischen Spraclu
und die Ueberreste der griechischen Litteratur. Allein hier waren dir
Byzantiner nur Vermittler, und das geistige Leben, das sie durch ihn
Lehre im Abendlande erwecken halfen, trug nicht den byzantinischen,
sondern den antik-hellenischen Charakter. Immerhin wurden damals mit
der altgriechischen Litteratur auch die wichtigsten Werke der byzantini
sehen Zeit im Abendlande verbreitet.
Enger verwandt als mit den Abendländern sind die Byzantiner i
Lebensanschauungen, Gewohnheiten und Interessen mit ihren unmitti
baren Nachbarvölkern im Orient. Mit den Syrern, Arabern, Perser
luden, Armeniern und Türken standen die Byzantiner so lange in engst»
Wechselbeziehung, dass ihr Gesa mtcharakter etwas Halbasiatisehes erhielt
Wie nun der orientalische Ton beiden Mittelgriechen in Fabeln, Märchei:
Sprichwörtern, Volksanschauungen, im Zeremoniell des Hofes und der
Kirche, im Gestus, in der Gewandung, endlich in der dekorativen HichtuiiL
der Kunst und im Kunsthandwerk bemerkbar ist, so haben die orienttili
sehen Völker von den Spätgriechen und Byzantinern das reiche Gegen
geschenk des geistigen und litterari.schen Besitzes erhalten. Nanieiitlii 1
haben die Araber seit ihren grossen politischen Erfolgen im 7. und 8. .Iaht
hundert bodeulcnde Bruchteile der griechischen und byzaiitinisclien Litt«
ratur, die iiinen durch die Syrer vermittelt wurden, s«'lbstäudig verarbeit« !
und nach der Eroberung Spaniens (711) den lateinischen Völkern di
Abendlandes mitgeteilt. Das ist eine längst bekannte und oft dargcstelH'
kulturgeschichtliche Tiuitsache, die hier nicht genauer erörtert zu werde n
braucht. Nicht minder haben aber auch die übrigen Völker des Orionts,|
i
Internationale Eultnrbeziehungen. (§ 3.) 25
I die Syrer, Perser und Armenier, geschichtliche, philosophische, medizinische
I und landwirtschaftliche Werke griechischer und byzantinischer Autoren
übersetzt und bearbeitet. Manches hievon kommt im Verlaufe der Einzel-
darstellung zur Sprache; eine erschöpfende Beschreibung dieser litterarischen
Strömung und Gegenströmung in ihrer Gesamtheit scheint zur Zeit noch
zu fehlen. Zuletzt haben die Türken wichtige Seiten der byzantinischen
Kultur, besonders die Satzungen des bürgerlichen Lebens übernommen.-)
Von allen Fernwirkungen der byzantinischen Kultur hat die grösste
welthistorische Bedeutung ihr unermesslicher Einfluss auf die slavi-
sche Völkerwelt. Dass die südslavische und russische Zivilisation in
ihrem allgemeinen Charakter wie in zahllosen Einzelheiten auf byzantini-
schem Untergrunde beruht, ist eine geschichtliche Thatsache, die niemals
ernstlich bestritten und in der jüngsten Zeit durch eine stattliche Reihe
neuer Zeugnisse genauer nachgewiesen und illustriert worden ist. Durch
die ungeheuere Eroberung, welche das Byzantinertum im Osten Europas
gemacht hat, ist in der allgemeinen europäischen Kulturentwicklung ein
Dualismus geschaffen worden, der noch bis in die neueste Zeit fortdauert.
Wenn auch der grosse Gegensatz der gräko-slavischen und der germano-
romanischen Welt von den Panslavisten häufig übertrieben worden ist, so
besteht die Spaltung doch thatsächlich noch heute, und es ist nicht abzu-
sehen, wann durch die fortschreitenden Mittel des geistigen und materiellen
Verkehrs und durch die Europäisierung Russlands der alte, tiefgehende
Kontrast sich ausgleichen wird. Die gegenwärtigen Strömungen im Ge-
biete der schönen Litteratur scheinen keineswegs dafür zu sprechen, dass
das , heilige" Russland sein orthodox-slavisches Ausschliesslichkeitsgefühl
so bald den Einflüssen des Occidents preiszugeben gewillt sei. Die Ideen
des Dichters Chomjakov, die durch die Familie der hochbegabten Aksakov
eine unermessliche Verbreitung gewonnen haben, leben heute kräftiger
denn je. Der abendländisch angekränkelte Turgenjev hatte trotz seiner
' i unleugbaren poetischen Begabung schon bei seinen Lebzeiten mit der Kon-
kurrenz von Schriftstellern, in denen das Russentum unverfälschter zum
Ausdruck kam, schwer zu kämpfen, und gegenwärtig scheint der echteste
aller Russen, Dostojevskij, und der ihm innerlich verwandte Leo Tolstoi
über den mit fremden Elementen versetzten Ton ihres grossen Rivalen in
Russland wie bei uns den Sieg davonzutragen. Welche Kluft zwischen
Russland und dem Occident selbst in der wissenschaftlichen Litteratur noch
herrscht, lehrt eine oberflächliche Durchsicht des Archivs für slavische
IMiilologie, welches über eine Menge wichtiger, in , Europa" unbekannter
und selbst in den Berliner Jahresberichten der Geschichtswissenschaft trotz
fies sla vischen Namens ihres Herausgebers nicht verzeichneter Werke be-
btet. So sicher nun die Thatsache des byzantinischen Charakters der
vischen Kultur feststeht, so sehr sind die Ansichten über die Frage ge-
lt, ob der byzantinische Einfluss für die slavischen Völker ein Glück
!•. Wenn so hervorragende Gelehrte wie Pypin den Byzantinismus be-
inpften und in ihm nur die chinesische Mauer erblickten, durch welche
') Zachariä von Lingonthal, Geschichte des griechisch-römischen Rechtes, 2. Aufl.,
JBerlin 1877 S. VI f.
26
Byzantinische Litteratargeschichte. Einleitung.
llussland von aller Sitten- und Geistesbildung abgeschlossen wurde, scheint
Byzanz in Lamanskij, Uspenskij, Veselovskij, Vasilevskij und anderen scharf-
sinnige und begeisterte Verehrer gefunden zu haben. Uns steht die Teil-
nahme an dieser Kontroverse natürlich fern.
Die kulturelle Eroberung der slavischen Länder geschah durch das
Christentum und die ersten Träger der geistigen Bildung waren griechi-
sche oder gräzisierte Priester; auch nach Abschluss der Bekehrung be-
hauptete in den geistigen Einflüssen, durch welche Byzanz auf die Slaven
wirkte, das kirchliche Element die Oberhand. Für das Gelingen dieser
zivilisatorischen Bestrebungen war es von grosser Wichtigkeit, dass di'
Christianisierung der Slaven in einer Epoche begann, in der das oströmisclii
Reich noch eine sehr erhebliche politische Kraft besass, im 9. Jahrhundert .
Von der Thätigkeit der berühmten Slavenapostel Kyrillos (f 869) und
Methodios (f 885) und der Einführung eines slavischen Alphabets hat dio
byzantinische Mission ihren Ausgang genommen. Zuerst wurde das Christen-
tum bei den Südslaven, den Bulgaren und Serben, bald auch bei den
Russen ^ verbreitet, und nachdem schon 956 (oder 957) die Grossfürstin
Olga mit zahlreichem Gefolge in Konstantinopel die Taufe erhalten hatte,
wurde 988 durch Vladimir I. das Christentum im Kiew'schen Russland
zur Staatsreligion erhoben. Mit der christlichen Lehre kamen zahlreiche
Werke der griechisch-byzantinischen Litteratur und Kunst zu den
Slaven; die Vermittlung übernahmen in den meisten Fällen die Südslaven,
die Bulgaren und die Serben. Kyrillos und Methodios und ihre Schüler
übertrugen die heiligen Schriften, Werke der Kirchenväter wie di
Basilios, Gregor von Nazianz, Johannes von Damaskos u. a., Legenden und .
liturgische Bücher ins Slavische. Bald folgten byzantinische Chroniken 1
wie Malalas, das Kompendium des Nikephoros, Georgios Monachos, den
der russische Chronist Nestor verarbeitete, Zonaras, Manasses; sogar alt- j
griechische Werke wie die jüdischen Altertümer des Josephos Flavios waren I
schon früh in slavischer Uebersetzung vorhanden. Vorzüglich war es den j
Uebersetzern um die Kenntnis der kirchlichen Dinge zu thun, weshall^
mönchische Weltchroniken wie die des Georgios Monachos sich besondere
Vorliebe erfreuten; so stark war das rein theologische Interesse, dass selbst (
Autoren, welche die Vorgeschichte der Slaven behandeln, wie Konstantin j
Porphyrogennetos unbeachtet blieben. Aus dem gleichen Geschmacke er- |
klärt sich die Auswahl, welche in der geographischen Litteratur ge-
troffen wurde; die Hauptquelle geographischer Kenntniss war für das
slavische Mittelalter die christliche Topographie des Kosmas Indikopleustos.
Neben den kirchlichen, historischen und geographischen Werken spielen
in dieser Uebersetzungslitteratur die grösste Rolle mittelalterliche
Sagen und Volksdichtungen. Zum Teil gehören auch sie noch dem
jüdisch-christlichen Ideenkreise an, wie die apokryphen Geschichten von Adamj
') Das ältcfli« ZougnJR übor dun Auf-
treten der RAso-Wilrjageni in Uyzanz ist ein
Brief de» Kainem Thcophilos au« «leni .Jahre
XSy. Die nächuten wirhtig«'n Dat^-ii in der
Her(l}irungHK<*Hr}iic1ito der HtiHHen und Hyzan-
tinor bind l:<ü') und y41. Im crHteren Jahre
fand der russisohe Angriff auf Konstantin<>j>ell
Htatt, auf welchen sicli die zwei lloinilienl
des i'hutioH beziehen; !M1 unternahm Igolj
seinen grossen Verheernngszng. S. K. Kunikf
Bulletin de Tacadc^mie impi'riale dt»s seiencoij
de St. IVtersbourg 27 (1881) 338-362.
Internationale Enltnrbeziehnngen. (§ 3.) 27
und Eva, von Noah, von Abraham, die berühmte Sage vom König Salomon,
die Geschichte von Barlaam und Joasaph, Auf kirchlich-politischer Ten-
denz beruht die Sage vom babylonischen Reich und das Schreiben des
Presbyterkönigs Johannes (die „Sage vom indischen Reiche"). Dazu kommen
die im ganzen Mittelalter verbreiteten Sagenki-eise vom trojanischen Krieg
und von Alexander dem Grossen; orientalische Yolksbücher wie Syntipas
und Stephanites und Ichnelates und das rein byzantinische Volksepos über
das Leben und die Thaten des Digenis Akritas. Selbst in dem national-
russischen Igorliede ist man neuerdings mit Erfolg byzantinischen Spuren
nachgegangen. ^) Ebenso lassen sich in Märchen, ^) Volksliedern, Sprich-
A\örtern3) und Zaubersprüchen*) vielfach byzantinische Reflexe aufdecken.
Endlich stammen aus Byzanz altslavische Sammelwerke (Sborniki) ver-
mischten Inhalts und die sogenannten Bienen, denen die MtXiaaa des An-
tniios, die Parallelen des Johannes von Damaskos und die Eklogen des
Alaximos als Muster dienten. Für das staatliche und bürgerliche Leben
der sla vischen Völker gewann die Uebertragung der byzantinischen Rechts-
bücher Bedeutung.
Noch unumschränkter als in der Litteratur herrscht der Byzantinis-
mus in der slavischen Kunst. Griechische Architekten bauten die sla-
vischen Kirchen und griechische Maler schmückten sie mit religiösen Bildern.
Bis auf den heutigen Tag sind die slavischen wie die griechischen Heiligen-
bilder rein byzantinisch. Schwerer lässt sich nachweisen, inwieweit die
slavische, besonders die russische Hierokratie und Bureaukratie
und sonstige allgemeine Charakterzüge auf byzantinische Einflüsse zurück-
gehen. Sicher aber ist die slavische Litteratur und Kunst in ihren wichtigsten
Teilen bis auf die neuere Zeit ein Abbild der byzantinischen, und sie kann
nur durch das Studium ihres Vorbildes verstanden und gewürdigt werden.
Hiedurch sind die altslavischen und byzantinischen Studien in engste Wechsel-
beziehung getreten. Doch dürfen auch wir Westeuropäer das abgelegene
Gebiet nicht vernachlässigen ; denn für den Riesenbau einer Gesamtgeschichte
der mittelalterlichen Kultur bildet die Ostwelt eine unentbehrliche Er-
gänzung, das Gegen- und Seitenstück des Abendlandes.
Litteratur zu §§ 1 — 3. 1. Allgemeine Darstellungen der byzantinischen
Geschichte: Einen bedeutenden Grund legte Charles du Fresne (Du Gange) durch
seine Histoire de l'empire de Constantinople sous les empereurs Fran9ois, Paris 1668, seine
Historia Byzantina duplici commentario illustrata, Paris 1680 und durch seine Kommentare
zu mehreren byzantinischen Historikern. Zur Einführung können diese schwergelehrten,
zudem heute vielfach veralteten Werke nicht empfohlen werden. Das Gleiche gilt von
Le Beau, Histoire du bas-empire, Paris 1757 — 84; nouvelle edition par Saint-Martin 21 voll.,
Paris 1824 — 36: auch in deutscher Uebersetzung, Leipzig 1765 — 1783. Es ist eine wenig
verarbeitete und daher ziemlich unverdauliche Kompilation aus den Originalquellen. — Weit
mehr ist die Kenntnis und das Verständnis der byzantinischen Geschichte durch die Eng-
linder gefordert worden. Ihre erste und grossartigste Leistung auf diesem Gebiet« ist das
klassi.schc Werk von E. Gibbon (1737 — 1794), History of the decline and fall of the
Roman empire, 6 voll., London 1776 — 88 und oft wiederholt; deutsch übersetzt von Sporschil,
Leipzig 1837 (neue Aufl. 1843, 1854, 1862). Dieses Werk, das jetzt in vielen Einzelheiten
') Archiv slav. Philol. 2 (1877) 660. 1 Cl. 1887, II, 65.
') S. z. B. Veselovskij und G. Meyer, ' *) D. Mansvetov, Das bj-zantinische Ma-
Archiv slav. Philol. 7 (1884) 309—319. terial der Erzählung von den 12 Trjasavioy,
») K. Krumbacher, Sitzungsberichte der Moskau 1881. Arch. slav. Philol. 7 (1884) 509.
b»yer. Akad. d. Wiss., philos.-philol. u. bist.
28 Byzantinische Litteraturgeschichte. Einleitung.
der Berichtigung bedarf, ist durch seine markige Darstelhing und durch das geistvolle
Raisonnement für die Kenntnis der byzantinischen Welt wahrhaft bahnbrechend geworden.
— Auf Gibbon folgte in diesem Jahrhundert Georg Finlay (1799—1876), der, durch eine
lebendige Auffassung der politischen Verhältnisse und durch intimste Kenntnis der Geo-
graphie und Ethnographie des Orients ausgezeichnet, die weiten Perioden der römiscli-
byzantinisch-neugriechischen Geschichte in vier grossen Werken darstellte. Nach seinem
Tode besorgte H. F. Tozer eine von dem Verfasser selbst längst vorbereitete und bedeutend
vermehrte Gesamtausgabe derselben unter dem Titel: A history of Greece from its conquest
by the Romans to the present time (B. C. 146 to A. D. 1864), 7 voll., Oxford 1877. —
Einen bedeutenden Fortschritt in der kritischen Verwertung der Quellen bezeichnet das
Werk von J. B. Bury, A history of the later Roman empire from Arcadius to Irene (395
A. D. — 800 A. D.), '2 voll., London 1889. Da sich die Spezialstudien des Verfassers auch
auf die Folgezeit erstrecken, steht wohl eine Fortsetzung der allgemeinen Darstellung in
Aussicht. — Deutsche Werke: Wenig nützt jetzt W. Zinkeisen, Geschichte Griechen-
lands, 1. Teil (bis zum Heereszuge König Rogers), Leipzig 1832. — Eine völlig kindische
Kompilation aus Gibbon ist das Buch von Fr. v. Andlaw, Die byzantinischen Kaiser,
Mainz 1865. — Der beste und gründlichste deutsche Forscher auf dem Gebiete der byzan-
tinischen Geschichte ist Karl Hopf (f 1873). Ausser verschiedenen Monographien g-ab er
eine zusammenfassende, namentlich für die Geschichte der fränkischen Herrschaften grund-
legende Darstellung der griechischen Geschichte vom Ausgange des Altertums (395 n. Chr.)
bis auf die neueste Zeit (1821); sie ist leider vergraben in der ebenso grossartigen als
unzweckmässigen Ersch- und Gruber'schen Enzyklopädie, I. Sekt., Bd. 85 u. 86 (1867—68).
— Zur Einführung dienen für deutsche Leser am besten die wenig selbständigen, aber
durch schwungvolle Darstellung und gute Gruppierung des Stoffes ausgezeichneten Werke M
von G. Fr. Hertzberg, Geschichte Griechenlands seit dem Absterben des antiken Lebens *
bis zur Gegenwart, 3 Teile und Registerband, Gotha 1876 — 78, und Geschichte der Byzan-
tiner und des osmanischen Reiches bis gegen Ende des 16. Jahrb., Berlin 1883 (in der
von Oncken herausgegebenen allgemeinen Geschichte in Einzeldarstellungen II 7. Teil).
Eine LTebersicht gab Hertzberg auch in Pauly's Realenzyklopädie I. Bd. 2. Aufl. (1866)
S. 2562 ff. — Sehr nützlich ist F. Gregorovius, Geschichte der Stadt Athen im Mittel- J
alter, 2 Bde., Stuttgart 1889, eine geistvolle Betrachtung der byzantinischen Gesamtgeschicht© fl
vom Standpunkte der athenischen Akropolis. — Endlich sind zwei griechische Werke zu
nennen: K. Paparrigopulos, 'larogla xov 'EXXrjv. a&vovg, 2. Aufl., 5 Bde. (mit Atlas),
Athen 1887 — 88, ein auf selbständigen Studien begründetes Werk, das von den ältesten j
Zeiten bis auf 1832 reicht. Ein Auszug aus dem Werke erschien französisch als: Histoire I
de la civilisation Hellenique, Paris 1878. — Sp. Lambros {AccjUTjQog). 'laroQin r^g 'FAXcnfo?, M
Athen 1888 ff. (noch unvollendet; das Werk beginnt ebenfalls mit der ältesten Zeit und ^
soll bis auf König Otto geführt werden). — Ausserdem sind natürlich die auf Byzanz be-
züglichen Abschnitte in den universalhistorischen Werken von Leo, Ranke (Weltgeschichte
Bd. 4 — 6, Leipzig 1883 — 85) u. a., sowie die Darstellungen der italienischen, slavischen,
persischen, arabischen und türkischen Geschichte beizuziehen.
Zur Chronologie: Henry F. Clinton, Fasti Romani. The civil and literary
chronology of Rome and Constantinople, 2 voll., Oxford 1845 — 50, ein bedeutendes Werk,
welches leider nur einen kleinen Teil der byzantinischen Zeit (bis 641) umfasst. — E. de
Muralt, P^ssai de Chronographie Byzantine, 2 voll., St. Petersbourg 1855 73 (die Zeit von
395 — 1453 umfassend) bleibt noch immer unentbehrlich, ist aber wegen seiner Oberflächlich-
keit nur mit der grössten Vorsicht zu benützen. — Reiches Licht erhalten die chronologi-
schen Teile der byzantinischen Litteratur durch das grundlegende Werk von H. Geiz er,
Sextus Julius Africanus, 2 Teile, Leipzig 1880 — 85.
Spezial werke und Monographien: Geistreich, aber tendenziös gegen die neu-
hellenische Nationalität und jetzt zum Teil sehr veraltet sind zwei Werke des berühmten
Fragnientisten Ph. Fallmerayer, Geschichte des Kaisertums von Trapezunt, München
1827, und Geschichte der Halbin.sel Morea, 2 Bde., Stuttgart-Tübingen 1830. — Aug. Fr.
Gfrörer, Byzantinische (leschichten, 3 Bde., Graz 1872 — 77. Der erste Band behandelt
die Geschichte Venedigs bis 1084, der zweite die Völker südlich der Donau (Serben, Kroaten
und Bulgaren) und ihre Beziehungen zu Byzanz, der dritte die byzjint. (Jeschichte von
976 — 1071 mit besonderer Rücksicht auf die kirchlichen und sozialen Verhältni.sHc. —
Isambert, Histoire de Justinion, 2 Bde., Paris 1856 (unkritisch). — Kurt (»roh, Ge-
schichte des oströmischen Kaisers Justin 11, licipzig 1889. — li. Drapeyron, L'empereur
H^raclius et l'empire Byzantin au Vll'" siecle, Paris 1869 (ein dickes, aber ganz luftiges
Buch). — Chr. Schlosser, (teschichte der bilderstUrmenden Kaiser, Frankfurt 1812. —
Karl Schenk, Kaiser Leon ML, Diss. Halle 1880. - Alfr. Hambaud. L'empire Grec «u
dixi^me siecle. Constantin P()rphyrüg«''nete, Paris 1870 (reichhaltig und im allgemeinen
recht gründlich). — Eine glänzende, bes. die Kulturgeschichte betonende Dai-ntellung der
Litteratur zu §§ 1-3. 29
zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts gibt G. Schlumberger, Nicephore Phocas. Paris 1890
(mit einer grossen Anzahl guter Chromolithographien und Zinkographien). — Für die Kom-
nenenzeit: Fr. Wilken, Rerum ab Alexio I, Joanne et Manuele Comnenis gestarum libri r\',
Heidelberg 1811. — Henri Yast, Le siege et la prise de Cple par les Turcs, Revue bist.
5 (1880) 1-40. — Sonstige Monographien s. in den Litteratumachweisen der einschlägigen §§.
Auf eine vollständige Mitteilung der historischen Kleinlitteratur ist es hiebei nicht abgesehen ;
eine Uebersicht der neueren Leistungen gibt F. Hirsch in den Jahresberichten der Ge-
schichtswissenschaft von J. Jastrow.
2. Kultur, innere Geschichte, kirchliche Verhältnisse: H. Krause, Die
Byzantiner des Mittelalters, Halle 1869, ein ganz oberflächliches, häufig geradezu kindisch
leichtgläubiges imd naives Machwerk, in welchem die Möglichkeit eines geschichtlichen
UeberbUckes durch die willkürliche Beschränkung auf den Zeiti-aum vom 10. — 14. Jahrb.
benommen und weder die Byzantiner noch die neueren Arbeiten genügend verwertet sind.
Vgl. die einsichtige Besprechung von F. Hirsch, Götting. Gel. Anz. 1869, 1681 — 1694. —
Besser sind manche Teile der inneren Geschichte, bes. die Themen, Provinzen und die
ethnographischen Verhältnisse behandelt in den oben angeführten Werken von Rambaud
und Gfrörer. — Augustin Marrast. La vie Byz. au VP siecle, Paris 1881 (Romanhafte
Skizzen mit einem ziemlich leeren Kommentar). — Einen ganz neuen Weg zur Erforschung
der inneren Geschichte von Byzanz eröflFnete Gust. Schlumberger, indem er die Tausende
uns erhaltener Bleibullen (auch einige Gold- und Silberbullen) untersuchte und aus ihnen für
die Ikonographie, das Verwaltungswesen, die politische und privat« Geschichte, die Geographie
und Topographie der Byzantiner ein ebenso zuverlässiges als reichhaltiges Material gewann.
Die Ergebnisse seiner Forschungen hat er zuletzt zusammengefasst in seiner: Sigillographie
de l'empire Byzantin, Paris 1884. Die ganze reichgegliederte byzant. Gesellschaft, der Hof, der
Adel, die CivU- und Militär\-erwaltimg mit ihrer verwickelten Beamtenhierarchie passieren
in den kleinen Denkmälern, die hier veröffentlicht und erklärt sind, vor unseren Augen.
Wichtige Beiträge zur byzant. Kulturgeschichte enthält auch das oben erwähnte Buch
Schlumbergers über Nikephoros Phokas. - — Gründliche Forschungen zur inneren Geschichte
von Byzanz verdanken wir den Russen, die sich dieses Gebiet wie auch die bj-zant. Kunst-
geschichte zur Domäne erwählt zu haben scheinen und hier vielfach neue Bahnen gebrochen
haben. Leider .sind die meisten ihrer Arbeiten im Journal des Ministeriums für Volks-
anfklärung und in anderen seltenen Zeitschriften vergraben und zudem durch ihre russische
Form dem grössten Teile unserer Gelehrten schwer zugänglich. Die folgenden Angaben,
von denen ich einige der Freundlichkeit von G. Destunis verdanke, erheben keinen An-
spruch auf Vollständigkeit: Th. L'spenskij, Bedeutung der byzant. Studien für das Ver-
ständnis der mittelalterlichen Geschieht«, Odessa 1875 (16. Band der Berichte der Univer-
sität Odessa). Von demselben: Materialien zur Geschichte des Bauemgnmdbesitzes im 14.
Jahrhundert, Odessa 1883. Zur Geschichte des Bauemgnmdbesitzes in Byzanz, Joum. Min.
Volksaufkl. 1883, Januar und Februar. Spuren der Katasterbücher in Byzanz, Joum. Min.
Volksaufkl. 1884, Februar. Die Bedeutung der byzantinischen und südslavischen VQÖyoi«
(eine Art von Benefiz): darüber ein Bericht in der RevTie des questions bist. 35 (1884) 270.
Zt]T^fiar(( TTQos fAskertjy rijs sawteQixi^i iatogUcg rov Bv^ayr. xoütovc. JeXrioy rtjg iaroQ.
xai £9yoXoy. iraigiag jrjg 'EXXä&og 2 (1885 — 89) 533 — 552. Byzantinische Besitzimgen am
nördlichen L'fer des schwarzen Meeres im 9. und 10. Jahrb.. im Kievskaja Starina 1889. —
V. Vasilievskij: Byzanz imd die Petschenegen (1048 — 1094), Joum. Min. Volksaufkl. 1872,
Nov. und Dez. Warjago-russ. und warjago-engl. Miliz (drujina) in Konstantinopel im 11.
und 12. Jalirh., Joum. Min. Volksaufkl. 1874 — 75. L'eber die Gesetzgebung der Ikonoklasten,
Joum. Min. Volksaufkl. 1878, Okt. und Nov. Beiträge zur inneren Geschichte des byzant.
Reiches, Joum. Min. Volksaufkl. 1880, Juli und August. — Die kirchlichen Verhält-
nisse von Byzanz behandeln imter anderm: Skabalanovic, Byzant. Staat und Kirche im
11. Jahrb., Petersburg 1882. — Ternovskij, Die griechische Kirche in der Periode der
allgemeinen Kirchenversammlungen, Kiew 1883. — N. Kapterev, Charakter der Beziehungen
Rasslands zum orthodoxen Osten im 16. und 17. Jahrb., Moskau 1885. — J. Hasemann,
Griech. Kirche, Ersch- und Gmbersche Enzykl. I.Sekt., Bd. 84 (1886) 1—290. - A.Mommsen,
Athenae christianae, Lipsiae 1868. — Eine nützliche Monographie über die kirchlichen
Verhältnisse der Stadt Athen im Mittelalter gab Dim. Nerutsos, XQianceyixai 'J9ijyat,
Athen 1889 (S. A. aus dem JaXiloy Ttjg iar. xai i&yokoy. iratgiag Ttjg 'EkX(cdog). — L'eber
das Verhältnis des Staates zur Kirche in Byzanz: A. Gasquet, De l'autorite imperiale en
matiere religieuse ä Byzance, Paris 1879. — Eine sehr lehrreiche Skizze der vorkomneni-
schen Zustände enthält der Vortrag von H. Geizer, Die politische und kirchliche Stellung
von Byzanz, Verhandl. der 33. Philologenvers, in Gera, Leipz. 1879, 32—55. — Ueber das
Beamten-, Verwalümgs- und Steuerwesen im Exarchat: C. Calisse, II govemo dei Bisan-
tini in Italia, Rivista storica Italiana 2 (1885) 265—335. Ueber dasselbe Thema erschienen
neuerdings unabhängig von einander zwei sehr gründliche Arbeiten: Charles Diehl,
30 Byzantinisclie Litteratargeschichte. Einleitung.
Etudos sur radministration Byzantine dans Tcxarchat de Ravenne (568—751), Paris 1888
und Moriz Hartmann, Untersuchungen zur Geschichte der byzantinischen Verwaltung in
Italien (540—750), Leipzig 1889. Vgl. auch die von Diehl S. XIII ff. verzeichnet« Litteratur.
3. Geschichte der byzantinischen Kunst: Verzeichnis älterer Hilfsmittel bei
G. Bernhardy, Grundriss der griechischen Litteratur I^ (1876) 691 f. — Den ersten Ver-
such einer Gesamtdarstellung, der jetzt freilich als mis.slungen erscheint, macht« F. W. Unger .
Christlich-griechische oder byzantinische Kunst, Ersch- und Grubersche Enzyklopädi.
I. Section, 84. — 85. Bd. (1866 — 67). Von demselben: Quellen der byzantinischen Kunst
geschichte, 1. Bd., Wien 1878; an der Vollendung des Werks wurde der Verf. durch den
Tod verhindert. — Ch. Bayet, Recherches pour servir ä l'histoire de la peinture et de la
sculpture chretiennes en Orient avant la querelle des Iconoclastes, Paris 1879 (= Bibl.
des ecoles Franc;. d'Athenes et de Rome, fasc. 10). Bayet schrieb auch eine kurzgefassto.
voi-züglich auf den Werken von Labarte, De Vogue, Schnaase, Unger und Salzenberg be-
ruhende Uebersicht: L'art Byzantin, Paris (ohne Jahreszahl, aber wohl 1883 erschienen). —
Für manche Fragen sind die trefflichen Werke von E. Müntz, die freilich vorzugsweise
die abendländische Kunst betreffen, mit Nutzen beizuziehen, besonders seine: Notes sur les
mosaiques de l'Italie, Paris 1874. Desselben: Etudes sur l'histoire de la peinture et de
l'iconographie chrötienne, Paris 1882. Desselben: J]tudes iconographiques et arch^ologiques
sur le moyen-äge, premiere Serie, Paris 1887. — Eine feine und klare Schrift ist Jean
Paul Richter's Die Mosaiken von Ravenna, Wien 1878. — L. Frothingham, Les mo
saiques de Grotta-Ferrata, Gazette archeologique 8 (1883) 348—356. -- Ueber das byzan-
tinische Ornament s. die Bemerkungen von H. Bordier, Description des peintures et
autres ornements contenus dans les mss grecs de la biblioth. nationale, Paris 1883. —
Hervorragendes leistete auch für die byzantinische Kunst Charles Diehl: Ravenno.
etudes d'archeologie Byzantine, Paris 1885 und desselben: L'eglise et les mosaiques du
couvent de Saint-Luc en Phocide, Paris 1889 (= Bibl. des ecoles Fran^. d'Athenes et d.
Rome, fasc. 55). Vgl. Diehls Schriften, die S. 36 angeführt sind. — Zahlreiche Beitrat:
zur byzantinischen Kleinkunst enthalten die von Ch. Ca hier und A. Martin herausgi
gebenen Melanges d'archeologie, vol. 1 — 4, Paris 1848 — 56 und die Nouveaux m^Iangf
vol. 5 — 8, Paris 1874 — 77. — Joh. Schulz, Die byzantinischen Zellen-Emails der Samni
hing Svenigorodskoi, Aachen 1884. — J. Strzygowski, IJaXaid Bv^avtiaxi) ßaatXixtj ti
Xa'Axldi, JeXrioy rij? IßtoQ. xtd i9yoX. et. rijs 'EXXddog 2 (1885 — 89) 711 — 728. Vgl. die zu
§ 197, 9 zitierte Schrift desselben. — Eine Sammlung von Skizzen byzantinischer Kirchen
im Königreich Griechenland gibt: A. Couchaud, Clioix d't^gliscs Bysantines en Greoi
Paris 1842. — Vieles enthält auch zur byzant. Kunst das berühmte Werk von M. »1
Vogue, Syrie centrale. Architecture civile et religieuso du I. au VII. siecle, 2 tomes, Paris
1865 — 77. — Gut ausgeführte Pläne der alten Kirchen in Konstantinopel mit Berücksichtigung
des plastischen, malerischen und dekorativen Details (am genauesten für die Kachrie-
Djamisi) von D. Pulgher, Les anciennes eglises Byzantines de Constiintinople, Vienne
1880. — Hauptwerk über byzantinische Architectur: A. Choisy, L'art de bätir chez
les Byzantins, Paris 1884. Dazu die zu § 79 zitierte Litteratur. — ■ Treffliche Beiträge
verdanken wir einigen russischen Gelehrten, welche durch die uralten Beziehungen ihrer
Heimsit zu Byzanz dem Verständnis der östlichen Kunst näher st«hen als wir Abendländer :
K. Goertz, Ueber den Zustand der Malerei im nördlichen Europa von Karl dem Grossen
bis zum Beginne der romanischen Epoche, Moskau 1873 (Russ.). Ausführlicher Bericht
darüber von E. Dobbert, Repertorium für Kunstwissenschaft, herausgeg. von Janitschek
5 (1882) 288 — 302. — N. Kondakov, Geschichte der byzantinischen Kunst und Ikono-
graphie, Odessa 1876 (Russ.). In französischer Bearbeitung von M. Travinskij, bis jetzt
tome I, Paris 1886. N. Kondakov, Die Mosaiken der Kachrie-Djamisi [uoyi] n)? ;fw'p«s)
in Konstantinopel (mit 12 Tafeln), Odessa 1881 (Russ.). Von demselben: Die byzantinischen
Kirchen und Denkmäler Konstantinopels, Odessa 1886 (in den Schriften der 6. archät)log.
Versammlung, T. III). Kritische Analyse dieser Unt«rsuchmig von G. Destunis, Journ.
Min. Volksaufkl. 1887. — E. v. Barsov, Altrussische Denkmäler die Kaiserkrönung be-
treffend, Vorträge der Moskauer Gesollschaft für Geschichte und Altertümer. Moskau 18)^:\
Bd. I 1 — 160 (Russ.). — Fedor Buslaev, 82 nissische Bildeiapokalypsen. Sammlung
von Abbildungen aus illustrierten Apokalypsen in russischen Hand.schriften des 16. — 19. Jahrb.,
3 Bde., Moskau und Petersburg 1884 (Russ.). — Hauptwerk für die Erkenntnis des Ver-
hältnisses der byzantinischen Kunst zur Miniatur und Ornamentik bei den slavischen Völkern,
sowie bei den Syrern, Kopten, Armeniern, Georgiern und Arabern ist die koio.s.sale, auf oiiuM-
Arbeit von 25 Jahren beruhende, durch kaiserliche Munilizenz i)rachtvoll nusgestatt^tc
Sammlung von Wladimir Stasov, L'ornement slave et oriental d'apres les mss ancieii-^
et modernes, 2 voll., Pj^tersbourg 1887 (Text russisch und französisch). — E. Dobberi
Die Darstellung dos Abendmahles durch die byz. Kunst, Zolins Jahrb. f. Kunstwiss. 4 (1871
281—346. — Skizze der christlich-griechischen Kunst im G. Jahrli. von Frau J. B. Uury in
Litteratur zu §§ 1—3. 31
ilires Gatten History of the later Roman empire II (London 1889) 40 — 54. — Die beste
allgemeine Charakteristik enthält der kurze, aber gehaltreiche Aufsatz von A. Springer,
Die byzantinische Kunst und ihr Einfluss im Abendlande, in seineu Bildern aus der neueren
Kunstgeschichte I- (Bonn 1886) 79 — 112. — Die -wichtigste OriginalqueUe über die traditio-
nellen Vorschriften der byzantinischen Maltechnik und Ikonographie ist das berühmte,
i. J. 1468 von dem Mönche Dionysios aus Phuma Twy\-1yQä(f(oy verfasste Malbuch des
Athos 'EQuijveia xwv ^(oyQÜ^tjt', Athen 1853, 2. Ausgabe von A. Konstantinidis. Athen
1885. Französisch übersetzt von Didron. Manuel diconographie Chretienne Grecque et Latine,
Paris 1845. Deutseh von G. Schäfer, Das Handbuch der Malerei vom Berge Athos, Ti-ier
1855. Russisch vom Bischof Porphj-rius. Kiew 1868. Vgl. Buslaev, 82 russische Bilder-
apokah-psen (s. o.). Textband S. 140 — 161. — Vgl. auch noch die Litteratur zu §§ 34. 79. 197, 9.
Zum byzant. Münzwesen: F. de Saulcy, Essai de Classification des suites mo-
netaires Byzantines, 2 voll. Metz 1836. — Auf diesem Werke beruht J. Sabatier, De-
scription generale des monnaies Byzantines, 2 voll. Paris 1862. — Eine gute Uebersicht
gibt G. Finlay, A history of Greece vol. I (Oxford 1877) 432 — 453. — G. Schlumberger,
Sigillographie de l'empire Byzantin, Paris 1884.
4. Internationale Kulturbeziehungen: A. Einfluss auf das Abendland.
Manches enthalten zunächst mehrere Sclmften über die griechischen Studien des Mittel-
alters im Abendlande. Fr. Gramer. De Graecis medii aevi studiis, 2 partes, Stralsund
1849 — 53. — H. Jacoby, Die klassische Bildung im Mittelalter, Allgemeine Zeitimg 1881,
2122, 2139. — Ign. v. Döllinger, Einfluss der griechischen Litteratur und Kultur auf
die abendländische Welt im Mittelalter, Akademische Vorträge I. Bd., München 1890 (nur
ganz allgemeine Betrachtungen). — ^ K. Bursian, Geschichte der klassischen Philologie in
Deutschland. München 1883, S. 28 fF. — G. Voigt, Die Wiederbelebung des klassischen
Altertums 11 2. Aufl. (1881) 102 ff. — D. Bikelas, Die Griechen des Mittelalters und Uir
Einfluss auf die europäische Kultiir. Deutsch übersetzt von W. Wagner, Gütersloh 1878;
auch französisch von E. Legrand, Paris 1878. — Beziehungen zum Frankenreiche: 0. Har-
nack. Die Beziehungen des fränkisch-italischen zu dem byzantinischen Reiche, Diss. Göt-
tingen 1880 (behandelt ziemlich ungenügend die Zeit von 774 — 887). — Haupt^verk: A. Gas-
quet, L'empire Byzantin et la monarchie Franque, Paris 1888. — Hauptschrift über den
byzantinischen Einfluss in Italien vom 6. — 8. Jahrhimdert: Ch. Diehl. Etüde sur l'admini-
stration Byzantine dans l'exarchat de Ravenne, Paris 1888. S. 241 — 288. Vgl. desselben
S. 36 genannte Schriften. — Byzantinische Spuren im mittelalterlichen Rom: F. Gre-
gorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, bes. 2. und 3. Band. — Pierre
Batiffol. Inscriptions Byzantines de Saint-Georges au Velabre, Melanges d'archeologie et
d'histoire de Tecole Fran9. de Rome 7 (1887) 419 — 431; Librairies Byzantines k Rome,
ebenda 8 (1888) 297 — 308. — Wichtig sind seit dem 10. Jahrhundert die Beziehungen zu
Venedig und Genua. S. ausser den zahlreichen auf die Geschichte dieser Städte be-
züglichen Monographien bes. M. J. Armingaud, Venise et le Bas-empire. Histoire des
relations de Venise avec l'empire d'Orient. Archives des missions scientifiques et litteraires
2. Serie, tome 4 (Paris 1867) 299 — 443, wo auch weitere Litt«ratur verzeichnet ist. — Ein-
fluss der byzantinischen Kunst im Abendlande: Die früher herrschende Anschauung,
dass die ganze mittelalterliche Kunst des Abendlandes byzantinisch sei, ist in der neueren
Zeit immer gründlicher erschüttert worden, und die berufensten Forscher haben erwiesen,
dass von einem engeren künstlerischen Zusammenhang der abendländischen Völker mit
den Byzantinern imd von einer rückhaltlosen Anerkennung ihrer Superiorität nicht die
Rede sein kann. Schon Carl Schnaase, der wie in so vielen anderen Dingen so auch
in dieser Frage intuitiv das Richtige erkannte, kam zu dem Schlüsse, dass der byzantinische
Einfluss nirgends in einer völligen Unterwerfung, nirgends in der Anerkennung einer
höheren bleibend zu erstrebenden Schönheit besteht und sich vielmehr immer nur auf
einzelne Zweige der Kunst erstreckt; s. seinen Exkurs: Die byzantinische Frage, Geschichte
der bildenden Künste, 2. Aufl., Bd. 4 (1871) 718—735. — Noch radikaler ist in der Be-
streitung des byzantinischen Einflusses A. Springer, Bilder aus der neueren Kunstge-
schichte I- (Bonn 1886) 79— 112. — Vgl. auch H. Janitschek, Zwei Studien zur Geschichte
der carolingischen Malerei (1. Das orientalische Element in der Miniaturmalerei, 2. Bilderstreit
und Bilderproduction), Strassburger Festgruss an A. Springer, Berlin und Stuttgart 1885. —
Einzelne Reflexe der bj-z. Kunst in Spanien bespricht D.Jose Amador de Los Rios, El
arte Latino-Bizantino en Espana, Madrid 1861. — Doch hat die Reaktion gegen die traditio-
nelle Ansicht auch schon gehörig über das Ziel hinausgeschossen ; entschieden zu weit geht
in der Leugnung geistiger Beziehungen zwischen Byzanz und dem Abendlande bes. H. Prutz,
Kulturgeschichte der Kreuzzüge, Berlin 1883, S. 476 f. — B.Beziehungen zum Orient.
Ueber den griechisch-byzantinischen Einfluss auf die Syrer, Araber und Juden orientiert am
besten Fr. Ueberweg, Grundriss der Geschieht« der Philosophie, 6. Aufl. 11 (Berlin 1881)
176—209, wo auch die reiche Speziallitteratur mit grösster Sorgfalt verzeichnet ist. —
32 fiyzantinische Litteratargeschichte. Einleitung.
G. Wenrich, De auctorum Graecorum versionibus et commentariis Syriacis, Arabicis,
Arinenicis Persicisque, Lipsiae 1842 (mit einem Index der Autoren, die als Uebersetzer
thätig waren). — E. Renan, De philosophis peripateticis apud Syros, Paris 1852. — P. de
Lagarde, Analecta Syriaca, Leipzig 1858. — Ed. Sachau, Inedita Syriaca, Wien 1870.
— Gust. Bickell, Conspectus rei Syrorum litterariae, Münster 1871. — Beziehungen
zu China: F. Hirth, China and the Roman Orient, researches into their ancient and me-
diacval relations, Leipzig und München 1885. Vgl. die gehaltreiche Besprechung von
K. Himly, Götting. Gel.Anzeigen 1886, 709 — 740. — Wenig bietet für unsere Zwecke:
E. Bretschneider, On the knowledge possessed by the ancient Chinese of the Arabs and
Arabian colonies and other westem coimtries mentioned in Chinese books, London 1871
{S. 23 über den chines. Namen von Stambul) und desselben Verf.: Mediaeval research«
from eastern Asiatic sources, 2 voll., London 1888 (II 135; 332 über Konstantinopel).
C. Byzantinischer Einfluss auf die slavischen Völker. Nur das AUgemein.st
enthält A. N. Pypin imd V. D. Spasovic, Geschichte der slavischen Litteraturen, deutsch
Uebersetz., 2 Bände, Leipzig 1880 — 84. — Eine kurze, nicht ganz verlässige Skizze über
die Ursprünge der südslavisch-russischen Litteratur gibt vom radikal antibyzantinischen
Standpunkt aus: AI. von Reinholdt, Geschichte der russischen Litteratur, Leipzig 1886,
102 — 128. — Die allgemein kulturhistorische Frage über die Stellung der griechisch-slavi-
schen Welt dem europäischen Westen gegenüber behandelt mit grosser Belesenheit der
Philobyzantiner VI. Lamanskij, LTeber das historische Studium der gräkoslavischen Welt
in Europa, Petersburg 1871 (Russ.). — Archimandrit (jetzt Bischof) Amphilochius,
Ueber den Einfluss des griechischen Schrifttums auf das Slavische vom 9. bis zum Anfang
des 16. Jahrb., Moskau 1872 (Russ.). — M. S. Drinov, Die Südslaven und Byzanz im
10. Jahrb., Moskau 1876 (Russ.). — Ueber die Wanderungen der volksmässigen Litteratur
handelt besonders M. Gaster, Greeko-Slavonic, London 1887. Vgl. dazu Alfr. Rambaud.
La Russie epique, Paris 1876 S. 421 if., A. Veselovskij, Archiv .slav. Philol. 3 (187-
549 ff. und Nik. Politis, T6 (frjuonxoy ila^a Tiegi rov rsxQov ädeXtpov, 'Ey ^Adrivan; 18>
S. 29 fl^. — Eine grosse Anzahl von Beiträgen enthält das Archiv für slavische Philologi.
(bis jetzt 12 Bände, Berlin 1876 — 90). Von den selbständigen Artikeln ist liei'voi-zuhebeii :
V. Jagic, Ein Beitrag zur serbischen Annalistik mit litteraturgeschichtlicher Einleitung,
Arch. .slav. Phil. 2 (1877) 1 — 27, wo die Ueberlieferung imd Chronologie der slavischen
Bearbeitungen byzant. Geschichtswerke und Sagen genau dargestellt ist. — Ph. Ternovskij,
Studie der byzant. Geschichte und ihrer tendenziösen Anwendung im alten Russland, Kiew
1875 (SA. aus den Kiewer Universitätsberichten N. 6 — 12) (Russ.). — V. Kaöanovskij.
Die byzant. Annalisten als Quelle zur Geschichte der Südslaven. Journ. Min. Volksaufkl.
1878, Bd. 198, 63—112 (Russ.). — A. N. Veselovskij hat in der neuen Bearbeitung der
russischen Litteraturgeschichte von A. Galachov I 1, 394 — 517 die in der älteren russi-
schen Litteratur bekannten und beliebten ErzählungsstofFe nach ihrem Inhalt und ihrer
Abhängigkeit von den byzantinisch-südslavischen oder westeuropäischen, polnischen und
deutschen Vorlagen analysiert (Russ). S. Arch. slav. Phil. 5 (1881) 482. — Reiches Ma-
terial liefert aucli für unser Thema Gregor Krek, Einleitung in die slavische Litteratur-
geschichte, 2. Aufl., Gi-az 1887. — Ueber die lautliche Behandlung griechischer Namen im
Slavischen existiert ein Werk von A. Sobolevskij; s. Arch. slav. Phil. 7, 647 IF. — Zur
Einführung des Christentums in Russland: E. Golubinskij, Das Christentum in Russland
vor Vladimir dem Heiligen, Journ. Min. Volksaufkl. 1876, Bd. 187, 46—84; 133—169
(Russ.). — Zu der ungeheueren, in ihrem Werte sehr imgleichen neueren Litteratur über
die Slavenapostel Kyrillos und Methodios s. Arch. slav. Phil. 1 (1876) 529 fl'.: 4 (1880) 97 ft..
297 fl".; 10 (1887) 296 fl^.; 12 (1889) 216 ff. — Vgl. auch die Litteratur zu §§ 50. 56. 171.
5. Sprache: Noch immer unentbehrlich, obschon einer gründlichen Neubearbeitung
auf jeder Zeile bedürftig ist Du Cange, Glossarium mediae et infimae graecitatis, Lugduni
1688; hier ist namentlich die vom Altgriech. abweichende und die volksmässigo Spradic
berücksichtigt. — Eine Ergänzung dazu bildet das im allgemeinen gut gearbeitete, die Zeit
von 146 V. Chr. bis 1100 n. Chr. umfassende Werk des jüngst verstorbenen Professors dti
Universität Cambridge, Massachusetts, E. A. Sophocles, Greek loxicon of the Roman and
Byzantine periods, 3. Aufl., New-York 1888. — Zahlreiche Nachträge liefert auch für byzan
tinische Autoren St. A. Kumanudes, ^Svytcytoytj Xe'^ewy af^ijaavQiaiiot' iy tois 'EXXijyixo
ke£ixo?(, Athen 1883. — Ueber die innere Berechtigung der byzantinischen (iräzität dem
Attischen und Hollenischen gegenüber handelt Edw. A. Freenian. Sonie points in tlic
later hi.story of the Greek language, Journal of Hellenic studies 3 (1882) 361—392. —
An zusammenfassenden Arbeiten über dio Geschichte der byzantinischen Schriftspracho
fehlt es noch; doch können für einzelne Fälle dio Kommentare und Indices der Ausgaben
mit Nutzen beigezogen werden. Ueber die Hilfsmittel zum Studium der vulgUrgriechi
sehen Sprache s. den Anhang.
Erste Abteilung.
Prosaische Litteratur.
1. Geschichtschreiber und Chronisten.
4. Einteilung. Kein Volk, die Chinesen vielleicht ausgenommen,
besitzt eine so reiche historische Litteratur als die Griechen. In ununter-
brochener Reihenfolge geht die Ueberlieferung von Herodot bis auf Laonikos
Chalkokondyles. Die Griechen und Byzantiner haben die Chronik des
Ostens über zwei Jahrtausende mit gewissenhafter Treue fortgeführt. Bei
allen Schwankungen, die sich aus der Empfänglichkeit und dem Vermögen
der Zeitalter, aus dem Wechsel der Stoffe und aus der individuellen
Fähigkeit ergaben, hat sich die historische Litteraturgattung bei den
Griechen bis zur Vernichtung ihrer nationalen Selbständigkeit durch die
Osmanen stets auf einer ansehnlichen Höhe erhalten.
In der byzantinischen Zeit zerfällt alle Darstellung geschichtlicher
Ereignisse in zwei stark verschiedene Gruppen: in Geschichts werke
im antiken Sinne und in Chroniken. Der Unterschied beider Gattungen
erstreckt sich auf Stoff und Form und demgemäss auch auf das voraus-
gesetzte Publikum. Die Verfasser der Geschichtswerke, die wir schlecht-
hin als Historiker bezeichnen, behandeln einen massigen, von ihnen selbst
erlebten oder ihrer Zeit kurz vorausgehenden Abschnitt der byzantinischen
Geschichte (zuweilen ziehen sie ihrem Thema auch örtliche Grenzen);
sie schreiben also Zeitgeschichte. In ihrer Technik und Sprache
folgen sie alten Vorbildern wie Herodot, Thukydides, Polybios oder solchen
Byzantinern, die sich nach diesen alten Mustern gebildet haben. Ihre
Diktion ist daher, wenn sich auch nach Zeit und Individuen bedeutende
Abweichungen ergeben, im Prinzip altertümlich und puristisch; sie strebt
nach attischer oder wenigstens hellenischer Vollkommenheit. Das Publi-
kum, für welches sie schreiben, ist der auserlesene Kreis der Gebildeten,
des Hofes, der höheren Geistlichkeit und Beamtenwelt, ein Kreis, der nach
dem allgemeinen Stande der byzantinischen Kultur bald grösser, bald
kleiner wird.
Uaudbucb der klas«. Altertumswiasenscbaft. IX. 1. Abtlg. 3
34 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Neben den Historikern stehen die Chronisten, die, wenn sie auch
nicht ausschliesslich der byzantinischen Epoche angehören, doch erst in
dieser Zeit zu einer grösseren litterarischen Bedeutung gelangten. Ihr
Stoff ist die Weltgeschichte, die sie von der Schöpfung bis auf ihre eigene
Zeit oder einen kurz vorhergehenden Abschnitt herunterführen. Sie fassen
dieses grosse Thema jedoch nicht im Sinne einer pragmatischen Darstel-
lung der für alle Zeit bedeutsamen Thaten, Ereignisse und Personen, der
Aufklärung des grossen Zusammenhanges in der Entwicklungsgeschichte
der Menschheit; ihre Absicht ist vielmehr volksmässig, spiessbürgerlich,
sie richtet sich auf die naive Aufzählung einer möglichst ausgiebigen
Summe von geschichtlichen Einzelheiten, auf die Beschreibung von Ereig-
nissen und Personen, deren Kenntnis dem gemeinen Verständnis merk-
würdig erscheinen mochte. Mit Vorliebe werden Teuerungen, Seuchen,
Kometen und sonstige Wunderzeichen, Erdbeben, Bauten und die Ange-
legenheiten der Rennbahn behandelt. Der leitende Gesichtspunkt ist das
kirchliche Interesse; daher wird der chronologische Aufbau der Bibel an-
gepasst und die alte Mythengeschichte zu christlich-apologetischen Zwecken
ausgebeutet. Eine wahrhaft kritische Forschung, ja nur eine oberflächliche
Abwägung der Quellen wird bei den Chronisten nur selten bemerkt. Ihre
Thätigkeit bleibt meist rein kompilatorisch. Der äusserlichen und be-
schränkten Auffassung des geschichtlichen Stoffes entspricht die Form,
welche die Chronisten verwenden. Der schöne Periodenbau eines Thuky-
dides ist ihnen gleichgiltig ; sie schreiben eine gemeinverständliche Sprache,
die als ein temperiertes Umgangsidiom bezeichnet werden kann. Da aber
alle feiner gebildeten Schriftsteller wie auch der Staat und die Kirche
fortfuhren, die traditionelle Kunstsprache als das einzig Mögliche anzusehen,
so gelang es den schwachen und vereinzelten Kräften der Chronisten nicht,
die volksmässige Diktion phraseologisch und syntaktisch zu veredeln; sie
blieb unter ihren Händen ein ziemlich ungefüges und plumpes Werkzeug. ,
Schon die Wahl eines von den Führern der Litteratur so gründlich ver-
achteten Mittels der Verständigung beweist, dass die Clu'onisten sich nicht
an denselben Leserkreis wenden, wie die Historiker, sondern an die grosse
Masse des Volkes, in erster Linie an die Tausende schwachgebildeter, aber
nach frommer Belehrung über den Gang der Weltbegebenheiten begieriger
Klosterbewohner.
Natürlich ist mit diesen zwei Gruppen die Gesamtmasse der auf Ge-
schichte bezüglichen Schriftwerke der byzantinischen Zeit nicht erschöpft.
Es kommen zu den Historikern und Chronisten noch monographische Schil-
derungen wichtiger Ereignisse, Biographien und sonstige Kleinigkeiten,
endlich die unübersehbare Zahl von öffentlichen und privaten Urkunden
jeder Art. Da es nicht thunlich erschien, dieser Kleinlitteratur einenj
eigenen Abschnitt zu widmen, so sind die wichtigsten Stücke in chront
logischer Folge unter die Geschichtswerke eingereiht, zu deren Ergänzung
sie dienen. Für die ungleich grössere Masse der Aktenstücke, die für di(
Geschichtsforschung wiclitig sind, ohne irgend eine selbständige litterarische
Bedeutung zu beanspruchen, kann nur iinf (li<' unten nngeführten Ausgab«>n
verwiesen werden.
1. Geschichtschreiber und Chronisten. (§ 4.) 35
1. Sammelausgaben der Historiker und Chronisten. A. Das Pariser
Jorpus wurde, nachdem durch frühere Ausgaben einzelner Autoren der Boden vorbereitet
war, im Auftrage des Königs Ludwig XIV unter der Leitung des Jesuiten Philipp Labbe
bearbeitet. Durch die Mitwirkung der hervorragendsten Philologen des 17. Jahrhunderts,
eines Du Cange, Leo Allatius, Maltrait, Combefis, Banduri u. a. wurde diese Sammlung zu
einem für seine Zeit staunenswerten und heute noch nicht ersetzten Werke. In 42 Teilen
schritt das 1648 begonnene Unternehmen bis 1711 in ungleichen Zwischenräumen vorwärts
und erhielt noch 1819 einen verspäteten Nachtrag im Leon Diakonos von B. Hase.
B. Der Venezianer Nachdruck. Das bald selten gewordene Pariser Corpus
wurde zu Venedig 1729 — 1733 mit unglaublicher Hast ohne Verbesserungen, dagegen mit
einer reichlichen Zugabe von Druckfehlem in schlechterer Ausstattimg nachgedruckt. Neu
^zu kamen hier nur Malalas, Genesios imd einige kleinere Stücke.
C. Das Bonner Corpus, auf Anregung B. G. Niebuhrs unternommen, später vou
der Berliner Akademie fortgesetzt, erschien in 49 Bänden, Bonn 1828 — 1878. Gegenwärtig
wird für das Corpus noch der Schlussband des Zonaras von Büttner-AVobst vorbereitet.
Die grossen Hoffnungen, die sich an dieses L'ntemehmen geknüpft hatten, wurden durch
den Mangel einer energischen Oberleitung und mehr noch durch die Gleichgiltigkeit und
Abneigung der meisten Mitarbeiter (bes. I. Bekkers und W. Dindorfs) fast völlig vereitelt.
Von den seit dem Erscheinen des Venezianer Nachdruckes zum erstenmal veröffentlichten
Autoren wie Kon.st. Porphyrogennetos, Georgios Pisides, Phrantzes u. s. w. abgesehen, ist das
Bonner Corpus mit wenigen Ausnahmen nichts als ein schlecht revidierter Abdruck der
Pariser Sammlung. Wie die Texte wenig gefördert wurden, so unterblieb auch die L^m-
arbeitung oder Neugestaltung der Kommentare und Indices; man begnügte sich meist mit
dem Abdrucke der alten, oft weitschweifigen und der Verbessenmg bedürftigen Anmerkungen
der Pariser Ausgaben. So ist das Bonner Corpus durchaus nicht zu einem ,.fär die Philo-
logie und Geschichte höchst erheblichen, für unsere Nation ruhmvollen" Werke geworden,
wie es Niebuhr in Aussicht gestellt hatte; übrigens hat er selbst kurz vor seinem Tode
das ganze L"nt«rnehmen als unüberlegt bezeichnet. Man zitiert in Frankreich noch meist
nach der Pariser Sammlimg, bei uns gewöhnlich nach dem Bonner Corpus; das letztere
ist aus praktischen Gründen empfehlenswert, da die etwas seltene Pariser Sammlung
manchem unzugänglich bleibt und zudem in ihr mehrere im Bonner Corpus aufgenommene
Autoren fehlen. Beurteilungen des Bonner Corpus von K. Hopf, Jahns Jahrbücher 75
(1857) 769 ff.; von L. Tafel, Komnenen imd Normannen S. XX ff., Sitzungsber. d. Wiener
Akad., phil.-hist. Cl. 1852, 31 ff. und Münchener Gelehrte Anzeigen, bist. Cl. 1854, 2, 150 f.,
181 f.; von C. de Boor, Theophanes II (1885) 352 f.
D. Endlich wurden die meisten Teile des Bonner Corpus mit Kommentaren und
Indices ohne kritische Verbesserungen, aber auch ohne allzu reichliche Druckfehler wieder-
holt in der Patrologia Graeca von Migne (161 Bände, Paris 1857 — 1866), die sich
demnach zum Bonner Corpus ähnlich verhält wie der Venezianer Nachdruck zur Pariser
Sammlung. Von den griechischen Texten des Bonner Corpus fehlen hier nur Zosimos,
Prokopios, Theophylaktos Simokattes, Michael Attaliates und die Stücke aus der Turco-
graecia des Martin Crusius. Der von Migne veranstaltete Abdruck hat für die byzantini-
schen Studien wenigstens die Bedeutung eines Notbehelfes, Aveil sich in manchen, besonders
theologischen Bibliotheken keine der drei früheren Sammlungen, wohl aber die gesamte
Patrologie befindet. Wer sich eingehender mit den Byzantinern beschäftigen will, wird
immer auf das Pariser bzw. das Bonner Corpus zurückgreifen, soweit nicht völlig neue
Bearbeitungen vorliegen wie für Theophanes u. a.
E. Zuletzt muss noch erwähnt werden, dass die Verlagshandlung B. G. Teubner
begonnen hat, auch die bj-zantinischen Historiker und Chronisten in kritischen Bearbeitungen
der weltbekannten Bibliotheca Teubneriana einzuverleiben. Bis jetzt sind die Frag-
mente der kleinen Historiker, Agathias, Tlieophylaktos, Nikephoros P. und Anna Komnena
erschienen. - Einige auf die Kreuzzüge bezügliche Stücke wurden, zum Teil mit wertvollen
neuen Kommentaren, aufgenommen in den Recueil des historiens des croisades.
Historiens Grecs, 2 voll., Paris 1875—81.
2. Fragmente der Historiker. Sammlungen von Urkunden u.a. A. Frag-
mente spätgriechischer und byzantinischer Historiker (Dexippos u. s. w.) ed. B. G. Nie-
buhr im ersten Bande des Bonner Corpus, Bonn 1829. — Historici Graeci minores
ed. L. Dindorf, 2 voll., Leipzig, bibl. Teubneriana 1870—71; der erste Band enthält vor-
nehmlich die von Niebuhr a. a. 0. herausgegebenen Fragmente, der zweite Menander Pro-
tektor imd Agathias. — Fragmenta historicorum Graecorum ed. Car. Müller,
vol. 4 und 5, Paris. Didot 1868—70; enthält auch annenische, auf griechischen und syri-
schen Quellen beruhende Historiker in französischer Uebersetzung.
B. Acta et diplomata Graeca medii aevi edd. Fr. Miklosich et J. Müller, 6 voll.,
Vindobonae 1860—1890. Diese für die mittelalterliche Geschichte und Geographie des Ostens
36 Byzantinische Litteratargeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
ungemein wichtige Sammlung enthält Erlasse der Kaiser und Patriarchen, politische Ver-
träge und Korrespondenzen, Stiftungs-, Kauf- und Schenkurkunden, Prozessakten, Kloster-
regeln u. s. w. aus dem 10.— 19. Jahrhundert. — Aug. Theiner et Fr. Miklosich,
Monumenta spectantia ad uniouem ecclesiarum, Vindobonae 1872 (auf die Unionsversuche
bezügliche Aktenstücke von 1124—1582). — K. N. Sathas, Mfaaiwyixij ßißX(o,tijx)]. 6 Bände,
Venedig 1872 — 77; enthält meist unedierte Werke wie die Geschichte, Reden und Briefe
des Psellos, Nachträge zu Attaliates, die Chroniken des Machäras und Bustronios, Hand-
schriftenkataloge, Briefe, Münzen, Urkunden des Patriarchats, Gesetzsammlungen u. a. —
K. N. Sathas, MytjfisTa 'EAAj^wxr;? laTogiag. Documents inedits relatifs ä l'histoire de la
Grece au moyen-äge. P*' s^rie: Documenta tires des Archives de Vönise (1400 — 1500).
8 Bände, Paris 1880 — 1888. Hier findet man lateinische und italienische auf die venezianische
Herrschaft im Orient bezügliche Urkunden, Karten u. s. w., die zu den letzten byzantinischen
Historikern wertvolle P]rgänzungen bilden. — Ebenfalls auf die lateinischen Herrschaften
im Orient bezieht sich das letzte Werk des grossen Erforschers der byzantinischen Ge-
schichte Karl Hopf, Chroniques Greco-Romanes inedites ou peu connues, Berlin 1873:
von hei-vorragendem Werte sind die beigefügten genealogischen Tafeln der lateinischen
Geschlechter des Orients.
C. Byzantinische Urkunden aus Sizilien und Unteritalien enthalten
folgende Werke: 2'. Zafin eXiog, 'lTcdoe'/.hp'ix(( fjroi xQtrtxij TtQuyfifCTsin tisqI ruiy iy To?g
€(Q](eioig NeanoXswg dyexifÖTcoy iXhjy. neQyn/nt^yuJy, 'Ey 'Ad^i']yta? 1864 (Urkunden aus der
Zeit von 983 — 1281). — G. Spata, Le pergamene Greche esistenti nel grande archivio di
Palermo, Palermo 1862—64 (Urkunden von 1091 — 1280). — G. Spata, Diplomi Greci
Siciliani inediti, in den Miscellanea di storia Italiana, tomo 9 (Torino 1870) 373 — 507 und
12 (1871) 1—112 (Urkunden von 1084—1243). — Vgl. G. Spata, Sul cimelio diplomatieo
del duomo di Monreale, Palenno 1865. — Fr. Trinchera, Syllabus Graecarum membra-
narum etc., Neapoli 1865 (Urkunden aus der Zeit von 885 — 1450). — Salv. Cusa, 1 di-
plomi Greci ed Arabi di Sicilia, 2 voll., Palermo 1869 — 82 (aus der Zeit von 1079 — 1335).
— Zwei Nachträge zu Trinchera gab N. Parisio, Archivio storico per le provincie Napole-
tane 11 (1886) 855—860 und 13 (1888) 772—781. — Einige der schon von Trinchera
herausgegebenen Urkunden (des 11. Jahrb.) sind wiederholt und zum Teil facsimiliert in:
Codex diplomaticiis Cavensis nunc primum in lucem editus cur. DD. Michaele Mor-
caldi, Mauro Schiani, Sylvano de Stephane 0. S. B. Tom. 4. 5. 7 (Neapoli 1877-79—88). —
Zur Erläuterung dieser Urkunden dienen einige Schriften, welche die byzantinische Herr-
schaft und die byzantinischen Einflüsse in Sizilien und Unteritalien vom 9. — 12. Jahr-
hundort und die damals in Italien gegründeten griechischen Kolonien mit ihren heutigen
Dialekten behandeln: G. Morosi, Studi sui dialetti Greci della terra d'Otranto, Lecce 1870
und Dialetti Romaici del mandamento di Bova in Calabria, Archivio glottologico Italiano 4
(1874) 1 — 116; über das Historische s. bes. S. 71 if. — Ast. Pellegrini, II dialetto Greco-
Calabro di Bova, vol. I (es erschien nicht mehr), Torino 1880. — Ettore Capialbi e
Luigi ßruzzano, Racconti Greci di Roccaforte, Monteleone 1886. — Eine nützliche Ueber-
sicht gibt H. F. Tozer, The Greek speaking population of southern Italy, Journal of Hell,
studies 10 (1889) 11—42. — V. D. Palumbo, Les trois conseils du roi Salomon (eine
griechisch-salentinische Volkserzählung), Le Museon 3 (1884) 552 — 1560. — Verschiedene
Beiträge enthält auch die von Palumbo herausgegebene Zeitsclmft : La cultura Salentina,
Lecce 1887 ff. — Für das Geschichtliche s. bes. M. Brun, Die Byzantiner in Süditalien
im 9. und 10. Jahrhundert, Odessa 1883 (Russ.). — Fr. d'Ovidio, Di alcuni documenti
Greci e di imo Latino dell' Italia meridionale dei secoli XI, XII e XI 11, Arch. stör, per le
prov. Napol. 7 (1882) 596—607 und Giov. Beltrani, Duo reliquie del Bizantinismo in
Puglia, ebenda 7 (1882) 608—620. — Die byzantinischen Kunstdenkniäler in Süditalien
behandelt Charles Diehl, Peintures Byzantines de ITtalie meridionale, Bulletin de corre-
spondance Hellen. 8 (1884) 264 ff., 9 (1885) 207 ff., 12 (1888) 441 ff. Djmi Ch. Diehl, Le
monastere de S. Nicolas di Gasöle pres d'Otranto, Melanges de l'ecole Fran^. de Ronie 6
(1886) 173—189. — Die unbedeutende ältere Litteratur findet man bei Morosi und Pelle-
grini verzeichnet.
3. Uebersetzungon. Ohne Bedeutung sind jetzt die seit dem 16. Jahrhundert ver-
anstalteten, oft wiederholten lateinischen Uebersetzungon einzelner Historiker, aus deren
Vereinigung sich ein vielgelesenes Handbuch der byzantinischen Geschiclite ergab: Corpus
aniversae historiae, praesertim Byzantinae . , . . Jo. Zonarae annalcs. Nie. Aoominati, Nie.
Gregorae, Laonici Chalcondylae, Lutetiae 1567; Francofurti ad Moenum 156S und öfter
wiederholt. - Ein ähnliches Handbuch erschien auch französisch: Histoire de Ct>n.stan-
tinople depuis le regne de Justin ju.squ'ä la fin de Tempire, tradnite .sur les originau.x grecs
par L. Cousin, 8 voll., Paris 1671 74; wiederholt Paris 1685. Noch die Histoire du
baH-Empiro von Le Beau nüt ihren Fortsetzungen best«>ht zum gros.sen Teil aus Ueber-
setzungen byzantinischer Texte. — Eine zum Teil recht ungenaue imd mehr als freie
A. Die Qeschichtschreiber. (§ 5.) 37
lateinische Uebersetzung ist dem Paiiser Corpus (auch dem Venez. Nachdruck) beigegehen
und im Bonner Corpus wiederholt, aber leider nur für einzelne Autoren revidiert. Dadurch
dass manche Forscher nach dem Satze ,Graeca sunt, non leguntur" sich mehr an die oft
ganz verdrehte lateinische Uebertragung statt an die Originale hielten, ist viel Verwirrung
und Missverständnis entstanden. — Eine russische Uebersetzung einiger byzantinischer
Historiker veranstaltete die geistliche Akademie in Petersbtirg, 4 Bände, Petersburg 1860 — 63
(mir unzugänglich).
4. Allgemeine Hilfsmittel. A. Fast nutzlos ist jetzt das für seine Zeit be-
deutende Werk von Ger. J. Vossius, De historicis Graecis, Lugduni Bat. 1624; wieder-
holt Lugd. Bat. 1651; Francofurti ad M. 1677; Amstelodami 1699; endlich notdürftig um-
gearbeitet von Ant. Westermann, Lipsiae 1838. — Gnmdlegende und heute noch nicht
ersetzte Hilfsmittel zum Studium der bj-zantinischen Geschichtslitteratiu- hat Du Cange
geschaffen; es sind ausser seinen Kommentaren zu Nikephoros Bryennios, Anna Komnena
und Kiunamos bes. die S. 27 zitierten Werke. — Eine ziemlich oberflächliche litterar-
geschichtliche Kompilation machte der Breslauer Professor M. Hanke, De Byzantinanim
rerum scriptoribus Graecis. Lipsiae 1677. — Weniger wichtig als Du Cange. aber für Einzel-
heiten noch immer brauchbar ist A. Banduri, Imperium Orientale, 2 tomi, Paris 1711
(wiederholt Venedig 1729). — Für die kirchlichen Verhältnisse (Geschichte der Patriarchen,
Bischöfe u. s. w.) bleibt das Hauptwerk Le Quien. Oriens christianus, Paris 1740. — Für
das Bibliographische ist natürlich auch hier die Bibliotheca Graeca von Fabricius bei-
zuziehen. — Gänzlich wertlos ist: Raymond Francois, Les demiers jours d'un empire.
Etudes sur les historiens Byzantins, Paris 1870; es sind keine „Studien", sondern geistlose,
auf sekundären Quellen beruhende Salbadereien. — Uebersicht der Avichtigsten byzant.
Quellen für griechische und römische Geschichte bei Arn. Schäfer. Abriss der Quellen-
kunde der griech. und röm. Geschichte, 2. Abt. Leipzig 1881 S. 186—196. — Unentbehrlich
zu tieferen Studien i.st das schöne Werk von G. Schlumberger, Sigillographie de l'empire
Bj'zantin, Paris 1884; darüber ein orientierender Bericht im Journal des savants 1885, 213 flF.,
323 ff. — Für die neuere auf byzantinische Geschichte bezügliche Litteratur ist die biblio-
graphische Uebersicht von F. Hirsch in J. Jastrow's Jahresberichten der Geschichtswissen-
schaft (bis jetzt 10 Bände. Beriin 1880—1889) beizuziehen.
B. In neuester Zeit hat man auch angefangen, die Quellenverhältnisse kritisch
zu untersuchen ; doch sind erst einzelne Abschnitte aufgehellt. Den ersten Versuch machten
Dändliker und Müller, Untersuchungen zur mittleren Geschichte herausgeg. von Max
Büdinger 1(1871) 268— 289; die Arbeit betrilft die Quellen für die Zeit von 888—967. —
Einen mächtigen Anstoss gab Ferd. Hirsch durch sein grundlegendes Werk: Byzantinische
Studien. Leipzig 1876; es umfasst die auf die Zeit von 813 — 963 bezüglichen Geschichts-
werke und Chroniken. — Das Verhältnis des Skylitzes, Attaliates. Psellos und der übrigen
Quellen für die Zeit von 976—1076 stellt in den Hauptzügen fest S. Röckl, Studien zu
byzantinischen Geschichtschreibem, Blätter für das bayer. Gymnasialschulwesen 20 (1884)
277—282 und 21 (1885) 4—19. — Dann versprach H. Seger die Quellen der zweiten
Hälfte des 10. und die des 11. Jahrh. zu prüfen; erschienen ist: H. Seger, Byzantinische
Geschichtschreiber des 10. und 11. Jahrhunderts. 1. Nikephoros Bryennios, München 1888.
— Daran schhesst sich das geistvolle Buch von C. Neumann, Griechische Geschicht-
schreiber und Geschichtsquellen im 12. Jahrhundert, Leipzig 1888 (Ober Anna Komnena,
Theodoros Prodromos, Kinnamos). — Kurze Uebersicht über die byzantinischen Historiker
des 6. Jahrh. und über die auf ihnen beruhenden Chronisten (Theophanes, Georgios Mona-
chos, Glykas, Zonaras u. a.), sowie über einige orientalische Quellen bei Kurt Groh, Ge-
schichte des oströmischen Kaisers Ju.stin II, Leipzig 1889 S. 1—32. — Nur zimi Teil auf
die byzantinische Zeit (Euagrios, Theophanes u. a.) bezieht sich die gründliche Monographie
von L. Jeep, Quellenuntersuchungen zu den griechischen Kirchenhistorikem, Jahns Jahr-
bücher 14. Supplementb. (1885) 53—178. — Ausser den hier genannten Hilfsmitteln sind
die S. 27 ff. genannten allgemeinen historischen und chronologischen Werke bei-
zuziehen.
A. Die Geschichtschreiber.
5. Allgemeine Charakteristik. Die byzantinischen Darsteller zeitgenös-
sischer Ereignisse folgen ohne Ausnahme der altgriechischen Tradition. Bei
den Historikern aus dem 6. und dem Anfang des 7. Jahrhunderts wie Prokop,
Agathias, Menander, Theophylaktos ist das ziemlich selbstverständlich; denn
sie gehören noch zur altgriechischen Zeit und knüpfen unmittelbar an die
vorausgehende Historiographie an. Aber auch die Autoren, welche nach der
38 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
verhängnisvollen, von der Mitte des 7. bis in die Mitte des 9. Jahrhunderts
reichenden litterarischen Lücke die Geschichtschreibung von neuem ins Leben
rufen, wenden sich alsbald wieder alten Vorbildern zu, und in der Zeit der
Koninenen und Paläologen ist in der Anlehnung an das Altertum sogar
noch eine bedeutende Steigerung zu bemerken. Von den Geschichtschrei-
bern des C. und 7. Jahrhunderts unterscheiden sich die des IL — 15. Jahr-
hunderts im grossen und ganzen nur dadurch, dass die äusseren Mittel
ihrer Darstellung in einem viel höheren Grade künstliche, schulmässig er-
lernte geworden sind. Prokop, Agathias, Menander, Euagrios, Theophy-
laktos verbleiben bei all ihrer verschiedenartigen Künstelei und bei aller
Imitation doch noch einigermassen auf dem Boden der feineren Umgangs-
sprache ihrer Zeit; eine Anna Komnena dagegen studiert das Altgriechische
wie eine fremde Sprache, und in der gleichen Notlage befinden sich alle
Historiker des 12. und der folgenden Jahrhunderte. Zu ihrer Zeit hatte
sich die lebendige Sprache vom Altgriechischen morphologisch, lexikalisch
und syntaktisch so weit entfernt, dass die herkömmliche Kunstsprache
ohne gründliche Vorbereitung nicht einmal mehr verstanden wurde. Das
ist der einzige wirklich durchgreifende formale Unterschied, welcher die
spätgriechischen und die eigentlich byzantinischen Historiker trennt. Es
ist aber zu betonen, dass dieser Unterschied nicht aus der Individualität
und freien Absicht der Schriftsteller, sondern aus der unabhängig von ihrem
Willen vollzogenen natürlichen Umgestaltung der Sprache selbst er-
wachsen ist.
In allen übrigen Dingen bieten die Historiker von Prokop bis auf
Laonikos Chalkokondyles herab ein ziemlich gleichförmiges Bild. Ver-
schieden sind die Stoffe, indem ein Darsteller meist da anknüpft, wo sein
Vorgänger aufgehört hat, verschieden ist nach der Bildungsbasis der Zeit
und nach der persönlichen Stimmung und Fähigkeit die Erzählungsweise,
die psychologische Charakteristik, die Gründlichkeit der Information, die
Betonung des kirchlichen oder staatlichen Lebens: aber keine neue
Technik, keine neue kritische Methode, keine prinzipiell neue
Auffassung verändert erkennbar den Gesamtcharakter der geschichtlichen
Forschung und Darstellung.
Wie im Leben des byzantinischen Staates die alte römische Idee
durch alle Stürme der Jahrhunderte ungebrochen fortdauerte, so herrscht
die alte Tradition auch in der Darstellung dieses Lebens. Die unge-
heuere Wirksamkeit der uralten Schulung wird sofort klar, wenn man sich
die Mühe nimmt, einen Psellos, einen Michael Attaliates, einen Niketiis
Akominatos mit gleichzeitigen Erzählern des Abendlandes, mit italienischen,
französischen und deutschen Chronisten zu vergleichen. Wie unbeholfen
und wie barbarisch erscheinen die Abendländer in der Komposition, in der
psychologischen Charakteristik, im Verständnis politischer Absichten und
Thaten. Die byzantinischen Historiker haben sich niemals bei der trockenen
Aufzälilung von Ereignissen, bei der V'erfertigung nutzbarer Handbücher
zur Belehrung über vergangene Zeiten beruhigt. In ihnen blieb stets die
Ueherzeugung lebendig, dass ein Geschichtswerk eine geschlos.sene, wohl
überlegte und sorgfältig durchgearbeitete Kunstschöpfung, nicht ein zur
A. Die Geschichtschreiber. (§ 5.) 39
hausbackenen Belehrung dienender Bilderbogen, sondern ein die Jahr-
hunderte überdauerndes Gemälde sein müsse. Die Grundsätze und Hilfs-
mittel dieser künstlerischen Bethätigung übernahmen sie voll und ganz
von den Vorfahren; sie haben nichts hinzugefügt und nur wenig hinweg-
uenommen. Selbst die bedenklichste Seite der antiken Geschichtschreibung,
die heidnische Form, wirkt wenigstens bei einzelnen kräftig fort.
Wie die allgemeine Tektonik, so ruht auch die sprachliche Dar-
stellung der Historiker auf antiken Mustern. In keiner anderen Litteratur-
gattung hat die sprachliche Tradition so nachhaltig fortgewirkt wie in der
Geschichte. Das ist aber keineswegs so zu verstehen, als ob alle Ver-
treter der Gattung über denselben Leisten gearbeitet hätten. Wenn sich
Prokop vornehmlich an Thukydides anschliesst, so glaubt Agathias dem
Ideale einer kunstmässigen Form durch reichliche Anleihen bei den alten
Dichtern näher zu kommen; Theophylaktos hält sich mehr an die bilder-
reiche Sprache der heiligen Schriften und des Romans, die er durch
Schnörkel eigener Erfindung zu bereichern sucht. Menander Protektor
und Leon Diakonos folgen dem Agathias, Kinnamos dem Prokop; der sol-
datische Nikephoros Bryennios greift auf den einfachen Xenophon zurück,
dagegen wetteifert seine gelehrte Gemahlin Anna mit Thukydides und Po-
lybios; Niketas Akominatos fühlt sich zu den alten Kirchenschriftstellern
hingezogen. Chalkokondyles endlich, der letzte Vertreter der Gattung,
vollendet den Kreislauf, indem er sich wiederum aufs engste an die ersten
Historiker, an Herodot und Thukydides, anschliesst. Zu den klassischen
Mustern kommt natürlich auch bei den Geschichtschreibern wie bei fast
allen Autoren von Byzanz der mächtige Einfluss der kirchlichen Diktion.
Von der Mannigfaltigkeit der Vorbilder abgesehen ergaben sich noch
bedeutende Schwankungen durch die Verschiedenheit der individuellen
Bildung, der stilistischen Befähigung und des künstlerischen Geschmacks,
nicht zum wenigsten endlich durch die Wandelungen, die sich unabhängig
von der blossen Imitation im Innern der offiziellen Kunstsprache selbst
vollzogen. Nichts wäre daher unrichtiger als aus der Thatsache der all-
gemeinen Nachahmungslust auf eine rein mechanische, schablonenartige
Form zu schliessen. Die byzantinischen Historiker traten hinter ihren
Vorbildern keineswegs völlig selbstlos zurück. Sie besassen meist so viel
allgemeine Bildung und künstlerisches Empfinden, dass sie die reichen
Schätze der Vorfahren bis zu einem gewissen Grade mit selbständiger Kraft
für ihre eigenen Zwecke zu verarbeiten wussten. Eine genauere Er-
forschung der tausendjährigen Geschichte des historischen Stils bei den
Byzantinern fehlt noch; sicher aber ist schon jetzt, dass mit der land-
läufigen Vorstellung von der chinesischen Starrheit desselben durchaus ge-
brochen werden muss.
Wie die Form der byzantinischen Geschichtschreibung durch die
iintike Tradition bedingt ist, so beherrscht der alte Geist auch die Auf-
fassung des inneren Wesens und Berufes der Geschichte. Die
meisten Historiker von Byzanz besitzen ohne Zweifel geschichtlichen Sinn
imd üben an der Ueberlieferung Kritik. Dass sie hinter der modernen
Genauigkeit weit zurückbleiben, ist kein Vorwurf; denn diese ist erst durch
40 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
die gesteigerten Mittel der Veröffentlichung und Vervielfältigung möglich
geworden. Soweit es aber die persönlichen Kräfte und die Bedingungen
des Zeitalters gestatten, streben die Geschichtschreiber in Byzanz nach
Information und bemühen sich von wohlunterrichteten Personen ausführ-
liche Nachi-ichten zu erhalten. Sie verschmähen es nicht, zu diesem Be-
hufe rohe Kriegsleute, die wichtigen Ereignissen beiwohnten, gründlich
auszufragen; sie verstehen sich sogar dazu, fremde, von „Barbaren" wie
Armeniern abgefasste Schriftwerke zu benützen. Grosse Sorgfalt ver-
wenden manche auf die Beschreibung der Lokalitäten, in denen die Be-
gebenheiten spielen; mit Vorliebe werden geographische und sogar ethno-
graphische Skizzen eingeschaltet. Sehr bemerkenswert ist auch das Streben,
der Erzählung durch Einreihung von Aktenstücken und Briefen einen
möglichst urkundlichen Charakter zu verleihen. Nicht allen gelingt es
freilich zur richtigen Erkenntnis der Thatsachen vorzudringen; am besten
erreichen dieses Ziel die Darsteller, welche in hohen Aemtern des Staates
oder der Kirche an den politischen Dingen selbstthätig Anteil nehmen;
die Zahl dieser Bevorzugten ist recht stattlich. Schwieriger wird die In-
formation in den letzten Jahrhunderten, als die Oberleitung der Angelegen-
heiten den Händen der Byzantiner entschlüpfte und von fremden Völkern
wie den Türken übernommen wurde. So konnte es namentlich dem letzten
byzantinischen Historiker, Laonikos Chalkokondyles, beim besten Willen
nicht mehr gelingen, den Schauplatz der politischen und kriegerischen Ver-
wickelungen zu übersehen. Charakteristisch für den theoretischen Grund-
zug des ganzen Byzantinertums ist das grosse Gewicht, welches die meisten
Historiker auf diplomatische und theologische Konflikte legen. Bei
aller Wichtigkeit, welche seit der Komnenenzeit die dogmatischen Streitig-
keiten für die Lebensinteressen des Staates besassen, scheint der Raum,
den die Erzählung dieser Kämpfe beansprucht, doch allzu reichlich be-
messen. Uebrigens ist diese Richtung erst in der Paläologenzeit, die man
als die theologische Epoche der byzantinischen Geschichtschreibung be-
zeichnen könnte, stärker hervorgetreten.
Kein Grundsatz der alten historischen Schule hat sich den Byzan-
tinern treuer vererbt als die Objektivität; dass der Historiker unpar-
teiisch und wahrheitsgetreu verfahren müsse, ist allen ohne Ausnahme bc-
wusst und wird von vielen ausdrücklich hervorgehoben. Dass trotzdem
die konventionelle Neutralität häufig durchbrochen wird, erklärt sich teils
aus dem despotischen Drucke, unter dem die meisten schrieben, teils aus
persönlichen Antipathien und Sympathien. Am bedenklichsten wird die
Objektivität getrübt bei den eigentlichen Hofgeschichtschreibern wie
Psellos. *) Aber auch wenn diese Erzähler parteiisch sind, bemühen
sie sich, sorgfältigst ihre Empfindungen zurückzuhalten und sprechen
mit der Miene des Gleichmutes über Freunde und Feinde, über Glück und
Unglück.
So stehen die Historiker ohne Zweifel an der Spitze der gesamten
byzantinischen Prosa. In keiner anderen Litteraturgattung ausser in der
') IJeber di« Kxi8tt>nz einer byzantini- 1 Mittoilungcn dos Institut8 für tisterr. tto-
schen HofhiHtoriographic s. W. Fischer, | schichtsforschiing 7 (1886) 874 ff.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 6.) 41
Kirchenpoesie hat das byzantinische Vermögen so reiche und so gediegene
Früchte hervorgebracht. Bei aller formalen Abhängigkeit mussten die
Geschichtschreiber doch etwas Neues schaffen; denn sie hatten durchaus
neue Stoffe vor sich. Diese Stoffe waren, namentlich bis zum 13. Jahr-
hundert, keineswegs unbedeutend. Die mächtigen Figuren eines Justinian,
Belisar und Narses, eines Heraklios, die ungeheuere Kraftbethätigung unter
den Kaisern des makedonischen Hauses, der politische und litterarische
Aufschwung unter den Komnenen gehören zum grossartigsten Material, das
die Weltgeschichte kennt. Ein tausendjähriges Ringen, furchtbare aus-
wärtige Kriege und blutige innere Konflikte, staunenswerte Heldenthaten
und das unheimliche Spiel der feinsten Diplomatie, die edelsten und die
verworfensten Züge der menschlichen Natur waren hier zu schildern und
sind häufig mit bestem Erfolg geschildert worden.
Zur Charakteristik der byzantinischen Historiker: A. v. Gutschmid, Die Grenz-
bot€n 22 (1863) 1,344. — C. Neumann, Griechische Geschichtschreiber und Geschichts-
quellen im zwölften Jahrhimdert, Leipzig 1888, 1 — 16.
6. Prokopios, der bedeutendste Geschichtschreiber der spätgriechisch-
byzantinischen Epoche, wurde gegen das Ende des 5. Jahrhunderts zu
Kaesarea in Palästina geboren. Er wandte sich der juridischen Laufbahn
zu und suchte das Feld seiner Thätigkeit, wie es schon damals und noch
mehr später die fähigen Köpfe zu thun pflegten, in der Hauptstadt des
Reiches. In Konstantinopel muss er sich bald bekannt gemacht haben;
denn schon im Jahre 527, kurz vor dem Tode des Kaisers Justin, wurde
er aufgefordert dem General Belisar als rechtskundiger Rat und Sekretär •)
zu dienen. In dieser wichtigen und verantwortungsvollen Stellung be-
gleitete Prokop den Belisar auf den meisten seiner Kriegszüge. Im Jahre
533 zog er mit Belisar gegen die Vandalen nach Afrika, wo er nach dem
Abzüge Belisars noch einige Zeit verblieb; 536 ging er nach Italien, wo
Belisar gegen die Gothen kämpfte; dann folgte er ihm nach dem fernen
Osten zum Feldzuge gegen die Perser; 542 treffen wir ihn wieder in Kon-
stantinopel. Nach Nikephoros P. und Suidas wurde er zum Range eines
Illustrios erhoben. Die Zeit seines Todes ist nicht genau bekannt; doch
hat er wahrscheinlich das Jahr 562 noch erlebt. Prokop hat die Zeit des
Justinian durch drei nach Inhalt und Zweck sehr verschiedene, sich gegen-
seitig ergänzende Werke bekannt gemacht.
1, An der Spitze steht sowohl chronologisch als nach seinem inneren
Werte das grosse Geschichtswerk in 8 Büchern.'^) Prokop erzählt in
demselben die Kriege der Byzantiner gegen die Perser (2 Bücher), gegen
die Vandalen (2 Bücher) und gegen die Gothen (3 Bücher); im 8. Buche
gibt er noch eine übersichtliche Darstellung der Ereignisse bis zum Jahre
554. Da jedoch ausser diesen Kriegen auch andere Begebenheiten er-
wähnt werden, kann man das Werk geradezu als eine Geschichte der
Zeit Justinians bezeichnen. 3) Die Anordnung des Stofl'es ist in den ersten
') Als ^vfißovXo?, nÜQsdqog und vno- Proömion, Prokop habe rti nXtTaxn tmv xnxtl
yQatfsvg. \ rot'? 'lovariviurov ^(QÖyovg yeyeytjfie'ytay be-
*) 'loTOQtxoy fV ,3ißXioig oxrw. Photios i schrieben. Dass bei späteren Historikern
<5od. 63. j das Werk häufig als Geschichte der Kriegs-
') Daher bemerkt Agathias in seinem ' thaten Belisars aufgefasst wird, erklärt sich
42 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratar.
sieben Büchern wie bei Appian eine lokale, wodurch freilich der geschicht-
liche Zusammenhang häufig unterbrochen wird; nur im achten Buche ist
Prokop von diesem Prinzipe abgegangen, weshalb er seine Darstellung
hier noixikrj, buntscheckig nennt. Die ersten sieben Bücher sind von dem
Verfasser selbst im Jahre 550 oder 551 herausgegeben worden; das achte
Buch, das eine Art Supplement bildet, erschien nicht vor 554. Für den
Bericht über die seiner Zeit vorausgehenden Thatsachen hat Prokop um-
fassende Quellenstudien •) gemacht. Er erwähnt Spezialhistoriker,'-) zitiert
den Herodot, Aeschylos, Aristoteles, Arrian und Strabo; doch nennt er
seine Quellen meist nur, wenn er von ihnen abweicht. Die Darstellung
der zeitgenössischen Ereignisse beruht grösstenteils auf seinen eigenen Er-
lebnissen, Beobachtungen und persönlichen Erkundigungen. Daher rührt
die grosse Menge spezieller Züge und charakteristischer Anekdoten, die
das Werk beleben.
2. Nach der Kriegsgeschichte schrieb Prokop ein Werk über die
Bauten Justinians: nsQi KTiandrcov, das im Jahre 558 (spätestens An-
fang 559) vollendet und herausgegeben wurde. Während er in der Kriegs-
geschichte manche bittere Wahrheit ausgesprochen hatte, erscheint die
Schrift über die Gebäude als ein echt byzantinischer Panegyrikus auf
den Kaiser, als ein Musterstück und Vorbild jener unerquicklichen Gattung,
welche in der Zeit der Komnenen und Paläologen ihre höchste Ausbildung
erreichte. Die Veranlassung des Werkes ist nicht bekannt; wahrschein-
lich hatte Prokop dringenden Grund, die Verstimmung, die seine ziemlich
unverhohlene Kritik in der Kriegsgeschichte hervorgerufen haben mochte,
durch eine duftige Lobrede zu beseitigen; vielleicht handelte er auch
geradezu im Auftrage des Kaisers. Er rühmt alle guten Eigenschaften
Justinians, seine Milde, seine gesetzgeberische und politische Thätigkeit:
dann wendet er sich zum Hauptgegenstande seiner Schrift, einer Beschrei-
bung von Justinians Bauten in allen Teilen des weiten Reiches. Um
diesem Thema eine panegyrische Seite abzugewinnen, stellt er alles, was
unter Justinians Regierung irgendwo aus Staatsmitteln gebaut wurde, als
selbsteigenes Werk des Kaisers hin. Trotz der rhetorischen Uebertreibung
und des unmässigen Lobes, das zuweilen fast wie Ironie klingt, gehört die
Schrift durch das in ihr angehäufte geographische, topographische und
finanzwirtschaftliche Material zu den wichtigsten Quellen der inneren Ge-
schichte des byzantinischen Reiches.
3. Ein merkwürdiges Gegenstück der Schrift über die Bauten bihlet
das Memoirenwerk des Prokop, die Anekdota,^') die häufig auch als Ge-
heimgeschichte (Historia arcana) bezeichnet werden. Sie schliessen un-
aus der dominierenden Stellung, die Belisar 1 ') Suidas s. v. //poxdntof: «;'p«i/'f x,
als Lenker der Ereignisse einnimmt, und : titQoi' ßißXioy, ja xftkovfiteva \lyexdoj
aucli aus der grossen Popularität, die der
selbst zum Helden einer Volkssagc erhobono
Feldherr im Mittelalter gonoss.
•) Agathias IV 26 (S. 264 od. Bonn.):
o»i TiXtiaxd fie/ice!)t]x6ta xai Ttfiattv o5f eirteiy
laroQttty uvaXciiifiit'oy.
■') Z. B. Vandal. II 10 (S. 449 od. Bonn.),
Pers. il 12 (S. 2U8 ed. Bonn.).
TMV ni'Tov (sc. 'lovarit'iayov) TtgriSeiüy, v
eirai (ifjrpöreQn id litiiktn ivven . t6 fitjihoi
llQoxo7tiot\ To xaXot'jUft'oi' '.■lyf'xdotn tJ'öyoK
xni xutfAunfiai'lovanyirtyor tov ßaaiXfMi 7i(()i-
f'/f< xal T»;? «i'for yvyraxo^ Heodiw'p««:, äXkii
fjtjy xni (tviov lifXiaaQiov xai tiji y€tften'j<
avioi.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 6.) 43
mittelbar an die Kiiegsgeschichte an, weshalb sie Suidas geradezu als
neuntes Buch derselben aufführt; sie bilden zu jenem Werke eine Be-
richtigung und Ergänzung, indem sie alles nachtragen, was dort aus Furcht
vor dem Kaiser und seiner Gemahlin Theodora entweder gar nicht oder
nicht wahrheitsgetreu gesagt werden konnte. So wird die Geheimgeschichte
zu einer beispiellos bitteren Anklageschrift gegen die despotische Regierung
des Justinian und der Theodora, zum Teil auch gegen Belisar und seine
Gemahlin. Trotzdem finden sich zwischen den Anekdota und der Kriegs-
geschichte wenig sachliche Widersprüche. Dort hatte er die Thatsachen
objektiv angeführt und dem verständigen Leser überlassen zwischen den
Zeilen zu lesen; hier zieht er die Moral selbst und zwar mit einer rück-
sichtslosen Strenge, die manchmal ungerecht und kurzsichtig wird. Justi-
.^ nian ist nach Prokop an allem schuld, sogar an elementaren Ereignissen
wie Gewittern und Feuersbrünsten. Bei der Schilderung der Verworfen-
heit Theodoras scheut der Geschichtschreiber im Schwünge seiner Ent-
rüstung selbst vor bedenklichen Obscönitäten nicht zurück. Die Geheim-
geschichte schliesst im Jahre 558 59 äusserlich ab; sie scheint aber nicht
vollendet oder wenigstens nicht vollendet überliefert. Es ist zu vermuten,
dass Prokop dieselbe als eine Art geheimes Tagebuch stetig ausarbeitete
und als Vermächtnis seiner Wahrheitsliebe einem Freunde zur Veröffent-
lichung nach Justinians Tode übergab.')
Wegen der unerhörten Angriffe auf Justinian ist die Echtheit der
Anekdota häufig bestritten worden, und die überreiche, zum Teil recht
unkritische Litteratur über diese Frage steht im Mittelpunkt aller auf
Prokop gerichteten gelehrten Bestrebungen.-) Gegenwärtig ist die Autor-
schaft des Prokop durch sachliche und stilistische^) Gründe völlig erwiesen
und wird auch ziemlich allgemein zugestanden. Aus verschiedenen Hin-
Weisen geht hervor, dass Prokop beabsichtigte, auch die kirchlichen
Verhältnisse des byzantinischen Reiches in einem Werke zu behandeln;
doch kam er nicht zur Ausführung dieses Planes.
Prokop steht als Historiker wie als Schriftsteller bedeutend da. Er
besass einen hohen Grad litterarischer Bildung und erwarb sich durch
seine Stellung als Begleiter Belisars eine zuverlässige Summe von staats-
männischen, militärischen, geographischen und ethnographischen Kennt-
nissen; so konnte er seine Werke auf einer sicheren Grundlage aufbauen
wie wenig andere. Wie Polybios legt er besonders grossen Wert darauf,
die Leser durch geographische Exkurse über die fremden Völker und die
Schauplätze der geschilderten Thaten zu unterrichten, damit sie, wie er
') S. TeuflFel Studien und Charakt. S. 267. ; ») S. Dalins Werk über Prokop S. 416
■-) Die Erkenntnis des Richtigen wurde bis 447 und H. Braun, Procopius C. quat«mis
früher namentlich durch die unsinnige Manie imit. sit Thucyd. S. 54 ff. — Gegen die
getrübt, die Frage als Parteisache zu be- Echtheit hat sich noch die gewichtige Stimme
handeln. Die Juristen kämpften gegen die von L. v. Ranke erhoben, der in seiner
Echtheit, weil sie auf iliren geliebten Ju- Weltgeschichte IV 2, 300 ff. nachweisen will,
stinian nichts Böses kommen lassen wollten; dass die Geheimgeschichte eine Kompilation
katholische Theologen glaubten durch Er- aus drei Stücken sei, von welchen nur das
Weisung der Echtheit, protestantische durch eine dem Prokop gehören könne. Seine Argu-
Behauptung der ünechtheit dem Interesse mente sind nicht überzeugend.
ihrer Kirche zu dienen.
44 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
einmal bemerkt, ') nicht Leuten glichen , die mit unsichtbaren Schatten
kämpfen, sondern wüssten, mit was für einer Menschenart sie zu thun
haben. Selbst die Mirabilien verschiedener Landschaften verwertet er zur
Charakteristik und zur Erregung der Teilnahme. Seine nahe Verbindung
mit den leitenden Kreisen machte es ihm möglich, sein Zeitalter von einem
erhabenen Standpunkte aus zu überschauen. Mit diesen Vorzügen ver-
bindet er eine achtungswerte Wahrheitsliebe. Das devote Verhalten gegen
Justinian in der Kriegsgeschichte und noch mehr in der Schrift über die
Bauten wird durch den despotischen Druck entschuldigt, unter dem er
schrieb; trotz aller scheinbaren Anerkennung gibt Prokop dem verständigen
Leser immerhin noch genug Mittel an die Hand, um die verschleierte
Wahrheit zu erkennen. In Komposition und Darstellung folgte Prokop
alten Vorbildern, vor allem dem Herodot und Thukydides. Ihnen ent-
lehnt er nicht nur zahlreiche Lieblingswörter und Wendungen, sondern
ganze Beschreibungen,-) ja zuweilen scheint er selbst die genaue Wahr-
heit der aus Thukydides entnommenen Phrase geopfert zu haben. Im
schwierigsten Teil der Sprache, der sich am wenigsten nachahmen lässt.
in der Syntax verrät sich freilich auch bei Prokop das Schwinden des
altgriechischen Sprachgefühls; Symptome hiefür sind der unpassende Ge-
brauch des Optativs und die Verwirrung in der Konstruktion der Präpo-
sitionen. Immerhin schreibt Prokop im ganzen einen klaren, anschaulichen
und kräftigen Stil, der sich von der blumigen Schnörkelei des Agathias
und dem dunkeln Marinismus des Theophylaktos vorteilhaft unterscheidet.
Wie sehr Prokop von der alten Geschichtschreibung abhängig ist, beweist
am deutlichsten die seltsame Verwirrung, die in seinem Werke durch die
Verquickung antiker Weltanschauung und christlicher Lehre entstanden ist.
Von der höheren Macht, die über den menschlichen Angelegenheiten waltet,
spricht Prokop bald wie ein Christ, bald wie ein alter Hellene; sie er-
scheint bei ihm bald als ^eög, bald als ^dor, Sai'ßcov, Sainoviov oder gar
als Ti'xrj. Die aus den antiken Autoren übernommene Schicksalsidee durch-
kreuzt, sich mit der theistischen A^orstellung des Christen ; zu einer Ver-
mittelung kann dieser Gegensatz aus dem einfachen Grunde nicht gelangen,
weil bei Prokop die Konzession an die alten Vorstellungen nicht aus phi-
losophischer Ueberlegung und Ueberzeugung, sondern aus rein tektonischen
Absichten entspringt. Wie er seinen alten Vorbildern Wörter, Phrasen
und Bilder entnahm, so folgte er ihnen auch in der Art, wie sie sich über
die letzten Gründe der menschlichen Begebenheiten äussern. Dass die antike
Tyche sich mit dem Christentum nicht verträgt, Hess er unbemerkt oder
wenigstens unbeachtet.
Wenn man das Bild des Prokop durch einen Vergleicli mit altin
Historikern noch deutlicher machen will, so fällt die Aehnlichkeit mit
') floth. IV 1 (S. 462 ed. Bonn.): 'i^TTitff 1 (fjy TQihioy th'dQionoi oixovai rör Ev^ett'oi
Ji ToJV räife uyu'Atyouivotg IxdrjXu tu ini | xaXoi'utvoy nörtoy.
/laOxijc /(i>(»('« torra. öan re yr'ytj ('(y'iQtÖTJtüy I ") Z. H. sind Motive und WondMiigt'ii
i'tutf' ax'ijT^y 'nfQvyTM, xm fir) vn^Q Twy tlffct- ' aus der boiiihmtiMi Scliildcninjj der Holagr
ytjy (j^iaty üJantQ oi axKtfKeyovyjti (ftuXe'yfa- i rung von l'latäii. Thiikvd. II 7.") - 7H, III
,'ha ('<y€(yxt(^(i)yt(a, nv f^oi ktio xniQov idoSey i 20 24 ; .Vi von Prokop allenthalben in seinem
nyru äynygntpaafha h'iuvÜK xnv Xnyov 'üyiiya \ Werke verstreut.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 6.) 45
Polybios in die Augen. Beide stehen am Wendepunkt zweier Epochen
der griechischen Geschichtschreibung. Polybios v^ermittelt den Uebergang
von der klassischen Zeit zum Hellenismus, Prokop blickt aus dem sinken-
den Altertum ins byzantinische Mittelalter. Polybios und Prokop haben
im Gegensatz zu den zahlreichen Stubenhistorikern der hellenistischen und
byzantinischen Zeit den Vorzug gemeinsam, dass sie als Begleiter und
Berater eines grossen Feldherrn an den politischen und militärischen Er-
eignissen als Augen- und Ohrenzeugen lebendigen Anteil nahmen und die
weit ausgedehnten Schauplätze der geschilderten Thaten meist durch eigene
Anschauung kennen lernten.
1. Ausgaben: Die ältesten Ausgaben einzelner Werke von Leonardos Aretinus,
Beatus Rhenanus. David Hoeschelius u. a. haben nur antiquarischen Wert. Wichtiger sind :
Anecdota ed. pr. N. Alemannus, Lugduni 1623, mit einem gelehrten Kommentare, der
in der Bonner Ausgabe wiederholt ist, und Anecdota ed. Joh. Eichelius, Helmstadi
1654. Beide Ausgaben sind charakteristisch für die Art, wie Prokop in die politischen und
religiösen Streitigkeiten der Reformation hineingezogen wurde. — Neuere Ausgaben der
Anecdota von Orelli, Turici 1827, imd von Isambert, Paris 1856 (ein unglaublich ober-
flächliches Machwerk). — Gesamtausgabe zuerst im Pariser Corpus von dem Jesuiten
Cl. Maltretus, 2 voll., Paris 1662—63 (auf imgenügender Grundlage). — Wiederholt
Venedig 1729. — Im Bonner Corpus ex rec. G. Dindorfii, 3 voll., Bonnae 1833 — 38, ohne
nennenswerte Förderung des noch immer stark verdorbenen Textes. Vgl. van Her werden,
Mnemosyne 9 (1881) 151 und Schenkl, Bursians Jahresbericht 38, 255. — Eine kritische
I Ausgabe des Prokop ist eines der fühlbarsten Bedürfnisse der byzantinischen Philologie.
2. Uebersetzungen: Ueber die ältesten lateinischen Uebersetzungen s. die Aus-
gaben. — Vier Bücher der Kriegsgeschichte mit Exzerpten aus Agathias übertrug ins
Lateinische kein Geringerer als Hugo G rot ins: Historia Gothorum etc. ab H. Grotio
partim versa, partim in ordinem digesta, Amstelodami 1655. — Lateinische L'ebersetzung
sämtlicher Werke von dem Pariser Herausgeber Maltretus, die auch in der Bonner Aus-
gabe wiederholt ist. — Anekdota, französisch in der Ausgabe von Isambert. — Deutsch:
Kriegsgeschichte: von Fr. Kanngiesser, 4 Bde.. Greifswalde 1827 — 31. — Vandalenkrieg :
von D. Coste in: Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit, 73. Lieferung (6. Jahrhundert
H. Band).
3. Hilfsmittel: Die drei Hauptschriften sind: W. S. Teuffel's Abhandl. in Schniid's
Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 8 (1847) 38—79, wiederholt in W. S. Teuffel's Studien
und Charakteristiken, Leipzig 1871 (in 2. Aufl. Leipz. 1889 S. 248 ff.). Felix Dahn's
Procopius von Cä.sarea, Berlin 1865, ein ausführliches Werk, das den Prokop vornehmlich
vom Standpunkt des Historikers aus behandelt, imd die nicht ganz glückliche Monographie
von L. V. Ranke, Weltgeschichte IV 2 (1883) 285—312. — Eine Erläuterung und Er-
klärung von Prokops Nachrichten über die nordischen Länder versucht E. C. Wer-
ls uff, Det Kong. Danske Videnskabernes Selskabs historiske og philosophiske Afhandlinger
1845,41 — 104. — Hauptschrift über die Herkunft und den Charakter der geographischen
Nachrichten des Prokop: Julius Jung, Geographisch-Historisches bei Procopius von
Caesarea, Wiener Studien 5 (1883) 85 — 115. — Gute Bemerkungen von K. Hopf in einer
Besprechung der Ausgabe Isambert's, Jahns Jahrbücher 75 (1857) 769 — 777. —
Ueber Glaubwürdigkeit und Quellen s. ausser den einschlägigen Geschichtswerken
folgende Monographien: H. Reinkens, Anecdota sintne scripta a Procopio Caesariensi,
Vratislaviae 1858, gibt schwache Argumente gegen die Echtheit der Anekdota. — W. Gund-
lach, Quaestiones Prokopianae, Progr. Hanau 1861 (auch als Dissert. Marburg 1861), eine
besonnene Arbeit über die Glaubwürdigkeit der An. mit guter L'ebersicht über die ganze
Frage und die auf sie bezügliche Litteratur. — H. Eckardt, De Anecdotis Prokopii, Diss.
Königsberg 1861, und: Zur Charakteristik des Prok. und Agathias als Quellenschriftsteller
für den Gothenkrieg in Italien. Progr. Königsberg 1864. — Aug. Aul er, De fide Procopii
Caes. in secundo hello Persico Justiniani imp. enarrando, Diss. Bonn. 1876. — Karl Hof-
mann, Zur Kritik der byzant. Quellen für die Römerkriege Kobads I, Progr. Schweinfurt
1877. — Kirchner, Bemerkungen zu Prokops Darstellung der Perserkriege des Anastasios,
Justin und Justinian, Progr. Wismar 1887. — Gegen die Glaubwürdigkeit der 'Jyt'xdoTre,
auf die sich durch Sardou's Theodora neuerdings ein allgemeineres Interesse gerichtet hat.
spricht ausser L. v. Ranke a. a. 0. noch Debidour, L'imperatrice Theodora, Paris 1885
und Mallet, The empress Theodora, The English bist, review 2 (1887) 1 21. — Ueber
die takti.schen und strategischen Kenntnisse des Prokop s. Max Jahns, Geschichte der
Kriegswissenschaften 1 (^München 1889) 143 ff.
46
Byzantinische Litteratnrgeschichte. 1. Prosaisclie Litteratur.
4. Sprache und Textkritik: Ueber die Nachahmung des Tlmkydides spi-arh
schon Poppe in seiner Ausgabe des Thukydides, Pars II 1, S. 77 flF. - Felix Dahn,
Procopius S. 416-447 und die Könige der Gothen (1861) 2. Abt. S. 260 268. — A. DuAve,
Quatenus Procopius Thucydidem iniitatus sit, Progr. Jever 1885, eine magere und fast
wertlose lexikalische Zusammenstellung. — Weit methodischer und fruchtbarer behandelte
dasselbe Thema H. Braun, Procopius Caes. quatenus imitatus sit Thucydidem, Diss. Erlangen
1885 ^ Acta seminarii Krl. 4 (1886) 161—221. Derselbe Verf. verspricht eine Unter-
suchung über das Verhältnis Prokops zu Herodot. — Zur Kritik: K. L. Struve, Opuscula
selecta vol. I (Lipsiae 1854) 243 ff. - Van Herwerden, Mnemosyne 9 (1881) 104—112;
149-166. — Nachtrag dazu von J. C. Volgraff, Mnemosyne 10 (1882) 422 f. - Th.
Gomperz, Wiener Studien 2 (1880) 6 f. 4
5. Zur Ergänzung der ersten Kapitel von Prokops Perserkrieg dient die im J. 507
von Joshua Stylites in syrischer Sprache verfasste Chronik, die als glaubwürdig und
anschaulich gerühmt wird. W. Wright, The chronicle of Joshua the Stylite, Cambridge
1882 (syrischer Text mit englischer Uebersetzung und Kommentar).
7. Eine recht dunkle Existenz ist der Presbyter Bogomilus d. h.
Theophilos, angeblich Zeitgenosse und Lehrer Justinians I, der eine
Biographie dieses Kaisers verfasst haben soll. Dieses sonst nirgends
bezeugte Werk will der als Vielwisser, aber auch als phantastischer Genea-
logist bekannte Johannes Marnavich, der Kanonikus in Sebenico, später
Bischof von Bosnien war (f 1639), in einer mit ,,illyrischen'' Zeichen ge-
schriebenen Athoshandschrift für die von ihm in lateinischer Sprache ab-
gefasste Lebensbeschreibung des Justinian benützt haben. Bryce, der Heraus-
geber des Stückes hat gezeigt, dass die Erzählung des Marnavich einen
ganz romanhaften Charakter trägt, und vermutet, dass seine Quelle einem
Sagenkreis angehöre, welcher sich bei den Slavoniern um die Persönlichkeit
des Justinian gebildet habe. Aber selbst diese Annahme wird noch zu
günstig sein. Da selbst K. Jirecek die vorkommenden slavischen Namen,
welche angeblich Justinian und seine Verwandten geführt haben, für ver-
dächtig hält, dürfte sich die ganze Arbeit als eine im slavophilen Sinin
unternommene Fälschung herausstellen. Die Erkenntnis dieser Sachlage
ist nicht ohne Wichtigkeit; denn das Schwindel werk dieses angeblichen
Bogomil ist die einzige Quelle, in welcher die zuerst von Alemannus in
seiner Ausgabe der Anekdota des Prokop mitgeteilten und daraus in die
ganze historische Litteratur übergegangenen Notizen über die slavisclic
Abkunft des Justinian, seinen Namen Upravda und andere sonst unbe-
kannte Züge überliefert sind. Immerhin verdient die Angelegenheit noch
einmal von einem in der slavischen Philologie erfahrenen Historiker ge-
prüft zu werden.
Ed. James Bryce, The English historical review 2 (1887) 657—686 mit den Be-
merkungen von K. Jirecek über die in der Biographie vorkommenden slavischen Namen. —
Vgl. Jagic, Arch. .slav. Phil. 11 (1888) 300—304.
8. Petros, gewöhnlich nach seiner Würde Patrikios, auch Ma-
gister genannt, wurde um das Jahr 500 in Thessalonike geboren. Pro-
kop') nennt ihn Illyrier, was vielleicht nicht von der Nationalität zu ver-
•) Goth. I 3 (21, 7 ed. Bonn.). Dagegen
hei.s8t es bei Kodinos, De aedificiisCpolis 1 14, 10
(ed. Bonn.) von einem unter .Justinian leben-
den Uitiiog lldTQixioi, der mit dem unserigen
jedenfalls identisch sein soll, man habe ihn
auch H((Qavfii«yöy löy IvQof geheissen. Diese
Notiz beruht olfenbar auf dem Missverständ-
nis einer Nachricht, die bei Suidas s. v. Je^f
steht; dort wirtl nämlich erwilhnt. datw tmter
Justinian ein gewisser //f'rpoc IU(()ai\utji nis
gewandter Tjischendieb bekannt war. Eii
auf diesen //f'rpof Ha^aviuji bezügliehe II.
merkung niuss Kodinos irgendwo (nicht bei
Suidas selbst, wo der Zusittz 2°i'(>o( fehlt)
A. Die Geschichtschreiber. (§ 7 — 8.)
47
stehen, sondern daraus zu erklären ist, dass die Diözese Makedonien zur
Jurisdiktion des Praefectus praetorio von Illyrien gehörte. Sein äusserer
Lebensgang hat manche Aehnlichkeit mit dem seines Zeitgenossen Prokop.
Durch ausgezeichnete Beredsamkeit als Anwalt in Konstantinopel schnell
bekannt geworden, wurde er vom Kaiser Justinian 534 als Gesandter an
die Ostgothin Amalasuntha geschickt, die nach dem Tode ihres Vaters
Theodorich des Grossen im Namen ihres unmündigen Sohnes regierte.
Infolge der politischen Verwickelungen in Italien wurde Petros lange ge-
fangen gehalten; erst 538 erhielt er durch Vitiges die Freiheit. Für seine
Verdienste wurde er vom Kaiser zum Magister officiorum ') und später zur
Würde eines Patrikios-) erhoben. Um das Jahr 550 ging er als Ge-
sandter des byzantinischen Hofes zum Perserkönig Chosroes, ohne jedoch
wesentliche Erfolge zu erzielen. 552 führte er zu Chalkedon dogmatische
Unterhandlungen mit dem Papste Vigilius. Zehn Jahre später reiste er
abermals als Gesandter nach Persien und brachte einen Frieden auf 50 Jahre
zu stände. Bald darauf starb er mit Hinterlassung eines Sohnes Theodoros,
der 576 ebenfalls als Gesandter nach Persien geschickt wurde.
Johannes Lydos, Cassiodor, Menander Protektor u, a. be-
zeugen übereinstimmend, dass Petros sich durch eine unwiderstehliche Be-
redsamkeit, durch Gewandtheit, genaue Kenntnis der Gesetze und einen
hohen Grad allgemeiner Bildung auszeichnete; mit diesen Eigenschaften
verband er einen liebenswürdigen, heiteren, weltmännischen Charakter, der
ihm bei der Ausübung seines diplomatischen Berufes wohl zu statten kam.
Nur Prokop 3) ist nicht gut auf ihn zu sprechen und wirft ihm vor, er
habe im Auftrage der Theodora den Theodat zur Ermordung der Amala-
suntha angestiftet; auch beschuldigt er ihn einer unersättlichen Habsucht.
Allein seine Schilderung ist mit grosser Vorsicht aufzunehmen; schon der
eine Umstand, dass Petros sich bei Justinian und Theodora in steter
Gunst zu erhalten wusste, reichte für Prokop hin, ihm das Schlimmste
zur Last zu legen und nur die dunkeln oder zweifelhaften Seiten seines
Charakters zu betonen. Der grosse Reichtum des Petros wird allerdings
sicher bezeugt; er besass nämlich nach Stephanos Byz. (s. v, \ix6rai) die
gegenüber von Chalkedon liegende Insel Akonitis, auf der sich bedeutende
Wetzsteinlager befanden. Diese Thatsache ist aber zum Erweise einer
übermässig materiellen Gesinnung nicht ausreichend.
Von der schriftstellerischen Thätigkeit des Petros zeugen 2 Werke,
von denen umfangreiche Bruchstücke erhalten sind,
1. '^laroQi'tti, die von Suidas s, v. JlirQoc ohne nähere Angabe des
gefunden haben und er verwechselte diesen
Petros mit dem Petros Patrikios. Uebrigens
erwähnt Prokop selbst Anecd. c. 22 (123, 15
ed. Bonn.) als Liebling der Theodora einen
Geldwechsler syrischer Abkunft Namens Tli-
TQog lifcQovm]?, den er offenbar von dem
Patrizier unterscheidet. Man darf also nicht
daran denken, mit C. Müller den Prokop
nach Kodinos zu emendieren. Vgl. Wäschke
S. 9 der unten zitierten Schrift.
') Ein Amt, das etwa dem Minister der
auswärtigen Angelegenheiten entspricht, mit
dem aber noch andere Obliegenheiten wie
das Hofmarschallamt verbunden waren.
'^) Kin Rangtitel, den Personen in ver-
schiedenen Aemtem erhalten konnten. Vgl.
die Praefatio der Bonner Ausgabe des Petros
S. 21; auch Ch. Diehl, Etudes sur l'admini-
stration Byzantine dans l'exarchat de Ravenne,
Paris 1888 S. 173.
*) Anekdota c. 16 (96, 17 ed. Bonn.) und
c. 24 (136, 17 ed. Bonn.).
48
Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaisclie Litteratnr.
Inhalts genannt werden J) Wir haben von diesem Geschiclits werke 19 Frag-
mente, von denen 17 in den beiden Titehi De legationibus der Konstan-
tinischen Exzerpte stehen. Das erste derselben bezieht sich auf eine
Gesandtschaft der Parther an Kaiser Tiberius im Jahre 35 n. Chr., die
folgenden auf Ereignisse aus der Zeit des Claudius, Domitian, Trajan und
mehrerer der folgenden Kaiser; das letzte Bruchstück berichtet über den
Oberbefehl, welchen Julianus Apostata als Caesar im Jahre 358 n. Chr.
in Gallien führte. Ausserdem stehen noch zwei kleine Fragmente in einem
syntaktischen Lexikon, ^) wo fJe'iQog elg id ntql 'Avioniov und elg id ti^c
liovaQxiag Kaiffagog zitiert wird. Daraus lässt sich schliessen, dass di(
'IffTOQi'at die Geschichte vom zweiten Triumvirat bis auf Kaiser Julian be-
handelten d. h. bis auf den Zeitpunkt, von welchem an Eunapios die Er-
eignisse ausführlicher darstellt. Unter den Quellen des Petros können
wir vor allem den Dio Cassius nachweisen, dem er vielfach mit wört-
licher Anlehnung folgt. Für die spätere Zeit (Dio schliesst mit dem
Jahre 229) scheint Petros einen Autor benützt zu haben, aus dem auch
Zonaras schöpfte, wahrscheinlich den Dexippos, ausserdem für den Schluss
den Eunapios, aus dem das letzte Fragment exzerpiert scheint. Dass
dem Petros auch die Exzerpte De sententiis gehören, die in einem vati-
kanischen Palimpsest auf Auszüge aus Dio Cassius folgen und das Werk
des Dio bis auf Konstantin den Grossen fortführen, ist eine Vernmtung
Niebuhrs, die sich bis jetzt nicht erweisen Hess. 3)
2. IJsQi TToXiTixtjg xataaräaeoig d. h. über Staatswesen, staatliche
Einrichtung. Aus diesem von Suidas bezeugten Werke des Petros stammen
wahrscheinlich das 84. und 85. Kapitel des Konstantin Porphyrogennetos,
De caerimoniis aulae Byzantinae, die dort mit dem Vermerke 'Ex rmv xov
luayi'aTQov Jlt'iQov und Tov avtov JltxQov ausdrücklich auf Petros zurück-
geführt werden.^) A. Mai versuchte mit dem Werke lleQl noXiiixt^g xatct-
üTÜaeoig ein in einem vatikanischen Palimpseste fragmentarisch erhaltenes
anonymes Werk zu identifizieren, welches nfQi nokiTixr^g iTiiüir](irfi betitelt
ist.^) Allein seine Hypothese hat gewichtige Gründe gegen und sehr wenig
für sich.*') Noch weniger geht es natürlich an, die Schrift als ein selbst-
ständiges drittes Werk des Petros aufzuführen.
Mit grösserem Rechte kann man den Petros als Verfasser eines
anderen freilich nicht erhaltenen Schriftstückes bezeichnen. Menander
Protektor erwähnt bei der Schilderung der Friedensgesandtschaft an Chos-
roes, dass er die von Petros mit Chosroes geführten Unterhandlungen nicht
') Quelle des Suidas ist violleicht He-
sychios von Milet. S. Hesycli. Miles. Ono-
matol. ed. Flach (1882) S. 167.
*) I. Bekker, Anecd. Gr. I 130; 149.
') Die Kxzerpte stehen in den Fragmente
hist. (iraoc. ed. C. Müller IV 191 — 199. Zo-
naras hat auH diesem unbekannten Autor
manches fast wörtlich ausgeschrieben.
*) Kciskc wollte die ganze Partie von
Kap. 84—96 dem Petros zuteilen, was von
Wüschke mit triftigen Gründen zurückge-
wiesen wurde.
'') Kd. von A. Mai, Scriptor. vet. nova
collectio II (Romae 1827) 571-609. Di.
erhaltenen Teile handeln über militäriscli
Disziplin, über den Vorzug des Fussvolkt
vor der Reiterei, die A'^erwondung der Reitoni
das Verhalten der Soldaten gegen die liürgei
zuletzt über das Königtum und die richtiu.
Regierung.
*^) Dagegen hat Mai recht, wenn «>r di<'
von ihm gefundene Schrift mit dem von
Photios cod. 37 analysierton anonymen Werki
Ueqi Tto'ÄiTixiji für identisch erklUrt; dann;
hätte er sicli begnügen sollen.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 8—10.) 49
in attischer Sprache wiedergebe, sondern mit authentischer Treue und in
derselben Form, die Petros selbst gebraucht habe.*) Daraus folgt, dass
Petros über seine Gesandtschaft einen ausführlichen Bericht erstattete.
Wo und wie das geschah, wissen wir nicht. In dem Werke Ueoi 7roXiTixi]g
xaraffväasüyg hätte dergleichen wohl Platz gehabt; aber ebenso leicht ist
es denkbar, dass Menander einen offiziellen Bericht des Petros an die Re-
gierung vor Augen hatte.
1. Fragmente der 'laroQidi: Ed. B. G. Niebuhr im Bonner Corpus v. I 121 — 132,
Bonnae 1829. — Ed. C. Müller. Fragm. bist. Graec. IV 184-191; addenda S. 670. —
Ed. L. Dindorf, Hist. Graec. min. I 42.5—437.
2. Leben und Werke: Niebuhr in seiner Ausgabe S. XXI — XXVII; wiederholt in
den Ausgaben von Müller imd Dindorf. — Hauptschrift: H. Wäschke, Ueber das von
Reiske vermutete Fragment der Exzerpte Konstantins Ilegi dyttyogevaeojs. Progr. Dessau 1878.
9. Nonnosos stammte aus einer Familie, in welcher, wie in der des
Petros, der diplomatische Dienst erblich war. Sein Grossvater wm*de von
Kaiser Anastasios an einen sarazenischen Fürsten geschickt; sein Vater
Abram diente in der gleichen Eigenschaft dem Kaiser Justin I; Non-
nosos selbst führte unter Justinian um 533 eine Gesandtschaft zu den
Sarazenen und andern Völkern des Orients. Aus dem Namen seines
Vaters, den Photios überliefert, lässt sich schliessen, dass Nonnosos semi-
tischer Abkunft war. Vermutlich war es die in der Familie vererbte
Kenntnis orientalischer Sprachen, welche den Grossvater, Vater und Sohn
zu diplomatischen Missionen gelangen Hess. Seine Stelle in der griechi-
schen Litteraturgeschichte verdankt Nonnosos einer Schrift, in welcher er
seine Gesandtschaftsreise schilderte. Wir besitzen daraus ein Stück bei
Photios (cod. 8), der uns auch einiges über den Verfasser mitteilt. Das
geographisch und ethnographisch nicht unwichtige Fragment enthält ausser
Bemerkungen über die natürliche Beschaffenheit der auf der Reise berührten
Gegenden Nachrichten über ein von Nonnosos getroffenes Volk, das von
kleiner Statur, von schwarzer Hautfarbe und am ganzen Körper behaart
war. Ausser Photios benützten den Nonnosos die Chronisten Malalas
(S. 456 ff. ed. Bonn.) und Theophanes Confessor (vol. I S. 377 ff. ed. Bonn.),
ohne jedoch ihren Gewährsmann zu nennen.
Fragment: Ed. Niebuhr im Bonner Corpus v. 1 478—482. — Ed. C. Müller,
Fragm. hist. Graec. IV 178 180. — Ed. L. Dindorf, Hist. Graec. min. I 473-478. —
Zur Erläuterung: Dill mann, Zur Geschichte des axumitischen Reiches, Abh. d. Berliner
Akad. d. Wiss., philos.-hist. Kl. 1878, 177-238 und 1880, 1—51.
10. Agathias wurde um das Jahr 536 zu Myrina in der kleinasia-
tischen Aeolis geboren. Als Knabe folgte er seinem Vater Memnonios,
der Lehrer der Beredsamkeit war, nach Konstantinopel. Im Jahre 554
weilte er zu seiner juridischen Ausbildung in Alexandria. Nachdem er in
Byzanz seinen Kursus vollendet hatte, wurde er Advokat; daher sein Bei-
name o-xoAaorrtxöc. Er starb, etwa 46 Jahre alt, im Jahre 582. Agathias
gehört zu jenen Byzantinern, welche dem antiken Prinzipe zuwider in
völlig verschiedenen Litteraturgattungen thätig waren. In seiner Jugend
') Fragm. hist. Gr. ed. C. Müller IV 217 ' offenbar im allgemein verständlichen Vulgär-
== Hist. Gr. min. ed. Dindorf II 32. Wichtig ' idiom geführt. Wäre uns dieser Bericht er-
ist die Bemerkung des Menander über die i halten, so wollten wir gerne auf alle übrigen
Sprache jener Verhandlungen; sie wurden j Fragmente des Petros verzichten.
Bandbuch der klass. Altertumswissenschaft. IX. ]. Abtlg. 4
50 Byzantinisclie Litteratnrgeschiclite. I. Prosaische Litteratnr.
widmete er sich der Poesie, später der Geschichtschreibung. In seine erste
Periode gehören 1) Neun Bücher Ja(pviaxä in Hexametern; Ueberreste
derselben stehen in der griechischen Anthologie 2) Eine Sammlung von
Epigrammen teils seiner Zeitgenossen, teils älterer Dichter,') offenbar
ein ähnliches Werk, wie es später Konstantin Kephalas zusammenstellte,
3) Andere kleinere Gedichte und Prosaisches.'^) In seinen Epi-
grammen erscheint Agathias als ein glücklicher Nachahmer der Alten;
namentlich sind unter den Erotika treffliche Stücke, die sein poetisches
Talent ausser Zweifel setzen.
Erst nach dem Tode des Justinian Hess sich Agathias von seinen
Freunden bewegen, geschichtliche Studien zu unternehmen. Als Frucht
derselben besitzen wir das Werk JI^qI rr^q ^lovativiavov ßaai Xeiac^
das in 5 Büchern die Jahre 552 — 558 umfasst; den Inhalt bilden
vornehmlich die Kämpfe, welche die Byzantiner unter Narses gegen die
Gothen, Vandalen, Franken und Perser führten. So schliesst Agathias
unmittelbar an die Kriegsgeschichten des Prokop an und übergeht daher
auch alles, was jener schon erzählt hatte, mit ausdrücklicher (Beziehung
auf denselben. 3) An der Vollendung des Werkes wurde er durch seinen
frühen Tod verhindert; seine bestimmte Absicht auch die folgende Zeit
zu behandeln erhellt aus vielen Hinweisen auf später zu Erzählendes und
besonders aus dem letzten Kapitel, wo er deutlich eine Darstellung der
Ereignisse nach 558 verspricht. Wie Agathias den Prokop stofflich fort-
setzt, so folgt er ihm auch in der Form, in dem episodenreichen Gange
und in vielen einzelnen Wendungen.^) Doch erreicht er sein Vorbild nur
in äusserlichen Dingen. Bei ihm überwuchert die dichterische Neigung
die Freiheit und Schärfe des historischen Blickes ; Phantasie und Reflexion
trübt die Zuverlässigkeit der Erzählung; die Sprache ist über Gebühr mit
Bildern und pretiösen, altertümlichen Ausdrücken beladen."') Richtig cha-
rakterisiert ihn Gibbon als den Dichter und Rhetoriker im Gegensatze zu
Prokop, dem Staatsmann und Soldaten. Während sich Prokop vermöge seiner
Stellung militärische, politische und geographische Detailkenntnisse er-
warb, scheint sich Agathias vorzugsweise an die mündlichen Berichte von
Augenzeugen gehalten zu haben. Für gelegentliche Exkurse und Bemer-
kungen über die Vergangenheit verwertet er die Alten ; ausdrücklich zitiert
er den Asinius Quadratus, Diodor, Herodot, Xenophon, Berosos, Athenokles,
Symmachos, Alexander Polyhistor, Ktesias u. a. Bemerkenswert ist, dass
er auch persische Chroniken benützte, aus denen ihm sein Freund, der
Dolmetscher Sergios, Auszüge machte und ins Griechische übersetzte.
Fortsetzer des Agathias wurde Menander Protektor; als Quelle diente
er dem Theophanes Confessor, und einzelne Teile seines Werkes fingen
in die konstantinische Exzerptensammlung über.
') Buidas s. v. Toy KvxXoy rtöy viiav
in I )'(}(( fifdi'dioy. wy «rröf avyrjiey ix riöy
xftiu xtuQoy Tjonjxtüy. Vgl. Leo Sternbacb,
Meletoniata Graoca S. 21 f.
*) HiiidaH 8. V. i'xeqa ßißXia efi/tergä re
Kai xtn€<koyt(tfijy.
") Z. B. 11 19; IV 15 (S. 105, G und
2.37, G ed. Bonn.).
*} Wie in dem hftufigen f&o^e fiot ovx
dno iQÖnov eiym. '
") Diese Manit-r war im (lesrlimacki' diT
Zeit, und Agatliias fand eifrige Hewunderer
lind Naclialinier wie den Menander Protektor
und niirii sjtät den Ix'on Diakuiios. <
A. Die Qeschichtschreiber. (§ 10-12.) 51
1. Ausgaben: Vor dem griechischen Texte erschien eine lat. Uebersetzung : Aga-
thius (I) de hello Gothorum et aliis peregrinis historiis temporum siionun per Chr. Persona
Romanum e Graeco in Latinum traductus. Aug. Yind. 1519. Wiederholt mit Zosimos,
Prokopios u. a. in Basel bei Pema (sine anno). - Ed. pr. des griechischen Textes von
B. Vulcanius, Lugd. Batav. 1594. — Wiederholt Paris 1660. — Venedig 1729. — Im
Bonner Corpus ed. B. G. Niebuhr, Bonn 1828, mit der lat. Uebersetzung des Persona,
den Noten des Vulcanius, den Epigrammen, einem Sachindex und einem ungenügenden
Verzeichnis der sprachlichen Eigentümlichkeiten. — Wiederholt bei Migne, Patrol. Gr. 88
(1860) 1248-1608. — Ed. L. Dindorf, Histor. Graeci minores, vol. II, Lipsiae 1871. —
Die Epigramme stehen ausser in den Ausgaben der Geschichte von Vulcanius, Niebuhr,
Dindorf auch bei Ph. Brunck, Analecta III 33 — 68, Fr. Jacobs, Anthologia Graeca lY
3-39; XIII 617 und in der Anthol. Palatina ed. Dübner.
2. Hilfsmittel: Bemerkungen von K. 0. Müller. Rhein. Mus. 3 (1829) 22 S. =
Kleine deutsche Schriften 2 (Breslau 1848) 100 ff. — Einige Emendationen von A. Meineke,
Philologus 14 (1859) 15 ff. — L. Dindorf, Jahns Jahrb. 99 (1869) 457-465 gibt nach
einer imaginären Einheitsschablone gearbeitete und daher zum Teil verfehlte Korrekturen
des Textes. — H. Eckhardt, Agathias und Prokop als Quellenschriftsteller füi- den
Gothenkrieg. Progr. Königsberg 1864. — Hauptschrift: W. S. Teuffei, Philologus 1,
495—511 = Studien und Charakteristiken, Leipzig 1871 S. 237 ff. (in zweiter Aufl. Leipz.
1889, 296 ff.). — Ueber den mit Agathias befreundeten Perser Sergios, der wahrscheinlich
auch landwirtschaftliche mid andere griechische Schriften ins Persische übertrug, s. Ernst
Meyer, Geschichte der Botanik III (Königsberg 1856) 33 ff. — Kritische Bemerkungen
zu den Epigrammen von Leo Sternbach, Meletemata Graeca, P. I., Vindobonae 1886
S. 20 ff. und sonst.
11. Theophanes aus Byzanz schrieb ein Geschichtswerk in 10
Büchern, das nach Photios (cod. 64) die Ereignisse von 566 — 581 behandelte.
Er begann mit der Erzählung der Begebenheiten, welche nach dem Bruche
des 562 von Petros Patrikios auf 50 Jahre abgeschlossenen Friedens mit
den Persern erfolgten. Ausserdem beschrieb Theophanes nach der nicht
ganz klaren Angabe des Photios auch Dinge aus der Regierungszeit des
Justinian und fügte zu den erwähnten 10 Büchern noch eine Fortsetzung,
die Photios nicht gesehen zu haben scheint. Vermutlich hat Theophanes
in derselben noch einen Teil der Regierung des Maurikios dargestellt und
demnach wohl gegen das Ende des 6. Jahrhunderts geschrieben. Das bei
Photios erhaltene Fragment ist wichtig durch die auch von Prokop und
Theophylaktos bestätigte Nachricht von der Einführung der Seidenzucht
in Byzanz unter Justinian und durch die erste Erwähnung der Türken,
die seitdem aus der byzantinischen Geschichte nicht mehr verschwinden.
Fragment: Ed. Niebuhr im Bonner Corpus v. I 483—486: S. 589—600 der
gelehrte Kommentar des Phil. Labbäus. — Ed. C. Müller. Fr. bist. Gr. IV 270 f. — Ed.
L. Dindorf, Eist. Gr. min. 1 446 ff.
12. Menander, als Mitglied der kaiserlichen Leibwache Protektor
genannt, wurde um die Mitte des 6. Jahrhunderts in Byzanz geboren.
Ueber sein Leben macht er selbst in der merkwürdigen und durch den in
Byzanz seltenen Charakter der Ursprünglichkeit und Lebenswahi-heit aus-
gezeichneten Vorrede mit anerkennenswerter Aufrichtigkeit genauere Mit-
teilungen. In seiner Jugend widmete er sich dem Studium der Jurisprudenz,
nahm es jedoch damit wenig ernst und noch weniger fand er nach Be-
endigung seines Kurses an der gerichtlichen Praxis Gefallen. Um so
eifriger folgte er den Reizen des Hippodroms und der Pantomime. Erst
als er durch sein leichtfertiges Leben in die äusserste Not geriet, wurde
er aus einem Saulus ein Paulus; es war zu der Zeit, da Maurikios, ein
Freund der Künste und Wissenschaften, zur Herrschaft gelangte (582).
4*
52 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Menander beschloss sich einer ernsteren und durch die kaiserliche Muni-
fizenz nun auch materiell lohnenden Thätigkeit zuzuwenden. Zum Vorbild
nahm er sich den Agathias. Wie jener wurde er vom Juristen zum Histo-
riker; wie jener versuchte er sich daneben in poetischen Kleinigkeiten;
Agathias ist auch für die sprachliche Form das Muster, dem er unermüd-
lich nachstrebte. Das Geschichtswerk, welches Menander nach seiner
Sinnesänderung abfasste, schliesst unmittelbar an das des Agathias an und
behandelt die Zeit von 558—582. Wir besitzen von demselben bei Suidas
und in konstantinischen Exzerpten zahlreiche und sachlich hochwichtige
Fragmente. Durch den Reichtum und die Verlässigkeit der Nachrichten,
besonders durch ihre geographischen und ethnographischen Angaben gehören
sie zu den bedeutendsten Geschichtsquellen des 6. Jahrhunderts. Ausser
diesen sicher bezeugten Bruchstücken sind die politischen Nachrichten im
5. Buche der Kirchengeschichte des Euagrios beizuziehen, die aller Wahr-
scheinlichkeit nach direkt oder indirekt auf Menander zurückgehen. In
Verlegenheit sind wir bezüglich der Quellen, nach denen Menander eine
so ereignisreiche Periode ausführlich darstellen konnte. Einen Teil der
Begebenheiten hat er selbst erlebt; aber seine Erzählung beginnt mit
einer Zeit, in welcher er nach seinen eigenen Andeutungen doch noch
recht jugendlich gewesen sein muss. Für die persischen Angelegenheiten
diente ihm vielleicht Theophanes von Byzanz.
Ausgaben: Die Fragmente in den Exzerpten De sententiis ed. zuerst aus einem
vatikanischen Palimpsest A. Mai, Scriptor. vet. nova coUectio II (Romae 1827) 352—366. -
Edd. Niebuhr im Bonner Corpus I 282-444; C. Müller, Fragm. bist. Gr. IV 200-269;
L. Dindorf, Hist. Gr. min. II 1 — 131 (mit neuer Kollation zweier codd. Monac). — Eine
Nachkollation des vatik. Palimpsestes mit Emendationen gab van Herwerden, Spicilegium
Vaticanum, Lugduni Batavorum 1860, 216 — 221. — Einige Emendationen von Meineke,
Hermes 3 (1869) 162 f. — Ueber das Verhältnis zu Euagrios: Guido Hertzsch, De
scriptoribus renun imperatoris Tiberii Constantini. Comment. phil. Jenenses 3 (1884) 21 ff.
und L. Jeep, Jahns Jahrb., 14. Supplementb. (188.5) 162 ff. — Ueber die geographischen
Nachrichten des Menander: G. Marineil i, Die Erdkunde bei den Kirchenvätern, Leipzig
1884 S. 6 f.
13. Johannes von Epiphania in Syrien verfasste gegen Ende des
6. Jahrhunderts ein Geschichtswerk über die Zeit von 572 — 59293 (bis
zur Wiedereinsetzung Chosroes II). Eine (wohl die einzige) Nachricht
über dasselbe verdanken wir seinem Landsmanne und Zeitgenossen, dem
Kirchenhistoriker Euagrios: Kut r« ex^iuxa di rovioyv Uya^iro (!) rr») (h'-toqi
xal 'looüvvy €fi^ rs noXhr^ xai avy/tvel xai^ eiQfidv tarÖQrjTai, ^u'xQf' "/?
XoffQÖov Tov vtov TTQoq '^Pwf.iaiovg (fvyi]g xal irjg eig rt^^v avrov ßaatXfuxv
ujioxavaaxäatMg.^) Wir haben von Johannes ein ziemlich umfangreiches
Fragment, welches die Vorrede und den Anfang des ersten Buches ent-
hält. Der Titel lautet in der Handschrift, einem Vatic. des 13. Jahr-
hunderts: lo)üri'ov axoXaaiixov xai dnu enixQx^jv EnKfctvtMg nfQi iT^g tov
vt'ov Xoaqöov nQoaxo)Qij(JfO)g nqog Mavqixiov %6%' '^Putf.iaiuiv avioxQäiofta
iatoqmv TÖfnog a. Nach dieser Ueberschrift, die jedoch schwerlich vom
') Historia eccles. cd. H. Valesiua, Paris 1 vorHtilndlicIii'n AuffuHsnng der Stelle im IVo-
1673, V 24 (S. 443). Die Bemerkung, das.s | öniion zu erklären, wo Johannes den l'rokop
Johannes an Agathius anschliesHe (xttü' (Iq- und Agathias als seine Vorgänger nennt.
fiöf), ist ungenau und wohl aus einer niiss-
A. Die Geschichtschreiber. (§ 13-14.) 53
Verfasser selbst herrührt, hätten den Hauptgegenstand der Schrift die Er-
eignisse gebildet, welche die Beendigung des zwanzigjälu-igen Krieges
zwischen den Rhomäern und Persern herbeifühi-ten ; doch beginnt die Dar-
stellung in dem erhaltenen Anfange des ersten Buches mit den Ursachen
und dem Ausbruche des Krieges (571 72). Die Gründe, welche den Johannes
zur Wahl seines Stoffes bewogen, erzählt er selbst in seiner Vorrede. Als
Rat und Sekretär des Metropoliten von Antiochia hatte er Gelegenheit,
mit König Chosroes und vielen anderen hervorragenden Persern persön-
lich zu verkehren; nach Beendigung des Krieges ging er selbst nach
Persien und lernte den Schauplatz des Krieges kennen. Seine Scliilderung
beruht demnach auf eigener Anschauung und auf Berichten von Personen,
die an den Ereignissen beteiligt waren. Der Verlust des wichtigen Werkes
wird teilweise ersetzt durch Theophylaktos, der seine ausführliche Er-
zählung der Flucht und Wiedereinsetzung des Chosroes im 4. und 5. Buche
höchst wahrscheinlich dem Johannes von Epiphania entnommen hat. Die
einfache und klare Sprache des .Johannes, der offenbar den Spuren des
Thukydides folgte, ist freilich bei Theophylaktos nicht wieder zu erkennen;
er hat seine Quelle in die ihm eigene schwülstige Diktion umgegossen.
Auch Euagrios hat im 6. Buche seiner Kirchengeschichte den Johannes
benützt. Endlich fand Johannes eine späte Bewunderin in der kaiserlichen
Geschichtschreiberin Anna Komnena, welche für die mosaikartige Vor-
rede ihrer Alexias auch dem Proömion des Johannes einige Phrasen wört-
lich entlehnte. Vielleicht hat sie ihm auch ihre Manier im Tone des Thu-
kydides zu reden abgelauscht.
Das Fragment des Job. ed. zuerst B. Hase mit Leo Diaconus, Paris 1819
5. 169-176: vgl. seine Vorrede S. XIII. seine Prolegom. zum Job. Lydus S. X (= S. XIV
ed. Bonn.) und Not. et exü-. 8.2.259. — Ed. C. Müller, Fr. bist. Gr. IV 272—276. -
Ed. L. Dindorf. Hist. Gr. min. I 371-382. Vgl. L. Jeep, Jahns Jahrb. U. Supplementb.
(1885) 178 und die zu § 12 genannte Schrift von G. Hertzsch S. 21 ff.
14. Euagrios (EvciyQing), der bedeutendste Fortsetzer des Eusebios,
wurde um 536 zu Epiphania in Syrien geboren. Er lebte meist in Anti-
ochia und bekleidete dort das Amt eines Advokaten, weshalb er wie
Agathias den Beinamen ffxoXcearixoc führt. Als der Patriarch Gregorios
von Antiochia sich wegen einer gegen ihn erhobenen Anklage in Kon-
stantinopel zu verantworten hatte, folgte ihm Euagrios als Rechtsbeistand ;
hiedurch wurde er am kaiserlichen Hofe bekannt und erhielt von Kaiser
Tiberios die Würde der Quästur, später von Maurikios die eines Ehren-
präfekten. Sein Todesjahr ist nicht genau bekannt; doch lebte er jeden-
falls bis gegen das Ende des 6. Jahrhunderts. Wir besitzen von Euagrios
eine umfangreiche Kirchengeschichte in 6 Büchern, welche im An-
schlüsse an Sokrates, Sozomenos und Theodoretos mit der Synode von
Ephesos i. J. 431 beginnt und bis zum Jahre 593 fortgeführt ist. Euagrios
ist der wichtigste Gewährsmann für die Dogmengeschichte des 5. und
6. Jahrhunderts und diente hiefür dem Chronisten Theophanes, dem Kirchen-
historiker Nikephoros Kallistos Xanthopulos u. a. als Quelle. Auch die
litterarische Bedeutung des Werkes ist zu beachten. Während im Abend-
lande die Kirchengeschichte, soweit man sich nicht mit der Uebersetzung
griechischer Werke begnügte, bald die dürre Form der Chronik annahm,
54 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
lebte in Euagrios nicht minder als in den Profanhistorikern seiner Zeit
die mächtige Tradition der altgriechischen Geschichtschreibung wirksam
fort. Seine Darstellung charakterisiert Photios ^) mit Recht als anmutig,
wenn auch etwas breit.
Neben der kirchlichen Entwickelung, auf die wir dem Plane des
Buches gemäss nicht eingehen können, berücksichtigt Euagrios auch die
Profangeschichte. Die auf sie bezüglichen Partien seines Werkes sind
trotz mancher Oberflächlichkeit und Parteilichkeit von erheblichem Werte,
weil sie auf gute, zum Teil verlorene Quellen zurückgehen. Im 2. und
3. Buche benützte er die bis zum Jahre 502 reichende Chronik seines
Landsmannes Eustathios, dem er auch seine Zitate aus Priskos ver-
dankt. Für das 4. Buch diente ihm Prokopios, und zwar nicht bloss die
Kriegsgeschichten, sondern auch die Anekdota und wahrscheinlich auch
das Buch IlfQi xnafidron'J) Die profangeschichtlichen Nachrichten des
5. Buches gehen direkt oder indirekt auf Menander Protektor zurück.
Die im 5. Buche bemerkbare Verwandtschaft des Euagrios mit Johannes
von Epiphania erklärt sich nicht aus direkter Benützung des Johannes,
sondern daraus, dass auch Johannes von Menander abhängt. Erst im
6. Buche, das vornehmlich der Erzählung des persischen Krieges gewidmet
ist, schöpfte Euagrios aus Johannes von Epiphania, der ihm sein da-
mals noch nicht veröffentlichtes Werk privatim zur Verfügung stellte.
Ein zweites Werk des Euagrios, welches nach seiner eigenen Angabe ^)
Relationen, Briefe, Erlasse, Reden, Dialoge u. a. enthielt, scheint verloren.
1. Ausgaben: Nach früheren Drucken am besten ed. von H. Valesius, Paris
1673. — Neu aufgelegt von Reading, Cambridge 1720 (mit einigen Zusätzen und vielen
Stümpereien). - Wertloser Abdruck ohne latein. Uebersetzung und ohne Noten, Oxford
1844. - Zuletzt wiederholt von Migne, Patrolog. Gr. 86, 2 (1860) 2405 2906. - Ua
Valesius nur zwei Handsclu-iften einer getrübten Redaktion benützte, ist eine kritische Nou-
bearbeitimg, die sich vornehmlich auf cod. Laurent. 70, 23 stützen müsste, ein Bedürfnis.
2. Hilfsmittel: C. Fr. Stäudlin, CTCSchichte und Literatur der Kirchengeschichte,
Hannover 1827, 79 — 85 (unbedeutend). — F. Chr. Baur, Die Epochen der kirchlichen
Geschichtslitteratur, Tübingen 1852, 29 — 32 charakterisiert, ohne auf Einzelheiten einzu-
gehen, sehr treffend die Stellung des E. in der Reihe der griechischen Kirchenhistoriker.
— Einen guten Ueberblick über den dogmengeschichtlichen Inhalt des E. gibt W. Gass,
Kealenzyklopädie für prot. Theologie 4 (1879) 420 f. — Zur Verbesserung des Textes:
Nolte, Tübinger theologische Quartalschrift 43 (1861) 674^706. - Zur handschriftlichen
Ueberlieferung : Carl de Boor, Zeitschrift für Kirchengeschichte 5 (1881—82) 315 322
und 6 (1883 — 84) 482 f. — Quellenforschung: Die Gnmdlinien zog Gust. Dangers
in seiner fast verschollenen und von den Neueren ignorierten Prei.sschrift: De fontibus,
indole et dignitate librorum quos de historia ecclesiastica scripserunt Theodorus Lector et
Evagrius, Göttingen 1841. — Genauer Lud w. Jeep, Jahns Jahrb., 14. Supplementb. (1885)
159—178. — Vgl. die zu § 12 zitierte Schrift von G. Hertzsch S. 22 If. und A. (ifllden-
penning, Die Kirchengeschichte des Theodoret von Kyrrhos, Halle 1889.
16. Theophylaktos, mit dem seiner Bedeutung nach unbekannten Bei-
namen Simokattes (weniger beglaubigt Simokatos), aus Aegypten gebürtig,
nach Photios kaiserlicher Sekretär und Präfekt, blühte unter Kaiser Herak- f
lios (610— ö40). Wir haben von ihm ein naturwissenschaftliches Schrift-
chen, eine Briefsammlung und ein Geschichtswerk. Die beiden ersten sind
') Cod.29'>>Tri cf^ r»;V<^p«<r<»' ot'x «/«(»f, rev^os, ayatfogds, iniaroXni, tj^^tfiaftara.
ei xai Tiwf TJfQureveafhm it'iote doxei'. i Xnyovg re xui ^n(Xt<ei<; xnt freQu uria t/oi'.
*) Vgl. G. Dangers a. unten a. O. S. 42 | Von den äyaqo^xti bemerkt er noch, daas er
und L. Jeep a. a. O. S. 161. sie im Namen «les Patriarchen Gregorios
*) VI 24 Ihrtöytjtui <fi rjfiiy xai i'ie^oy . abfasste.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 15.) 55
Avahrscheinlich Jugendschriften. Wie Agathias versuchte er sich zuerst in
leichteren Litteraturgattungen, ehe er sich den ernsteren Aufgaben der Ge-
t^chichtschreibung zuwandte.
1. Seine Schrift IIsqI SiatfÖQcov (fvaixmv dTroQt-ficcTwv xai ini-
Xvaeoic avtcöv (gewöhnlich kurz zitiert: Quaestiones physicae) gehört in
die reiche Gattung der HagäSo^a und Oavudaia, die sich als wunderlicher
Kuriositätenkram schon früh von den umfassenden naturwissenschaftlichen
Leistungen der Alten ablösten, bis tief ins Mittelalter hinein eifrig bear-
beitet wurden und ihre Wirkung bis in die neuere Zeit fortpflanzten.
Dem Werke geht ein kleines Proömion voraus, eine wahre Mustersamm-
lung geschraubter und geschnörkelter Redewendungen, aus denen es schwer
wird, die Gedanken herauszuschälen. ') Die Schrift selbst handelt in Form
eines platonischen Dialogs zwischen Antisthenes und Polykrates über alchi-
mistische und andere geheimwissenschaftliche Probleme, z. B. Warum wird
der Diamant vom Feuer nicht angegriffen? Warum erweicht Bocksblut
Diamanten? Warum trinken die Raben im Sommer nicht? Warum setzt
sich auf den attischen Honig keine Fliege? Es sind meist die aus Aelians
Tiergeschichtenbuch bekannten Probleme. Trotzdem lauscht Polykrates
den Belehrungen des Antisthenes mit steigender Bewunderung und fragt
ihn zuletzt ganz ausser sich, woher all diese Weisheit stamme. Darauf
nennt ihm dieser eine imponierende Reihe von Schriftstellern, gleichsam
ein Quellenverzeichnis, das sich freilich bei näherer Betrachtung als eitel
Humbug erweist.
2. 'EniüToXal rj^ixai, dygorixal^ iraiQixai, eine der zahllosen
Sammlungen rhetorisch-sophistischer üebungsstücke in Brieffoim, die uns
in der griechischen Litteratur bis zum letzten Tage des byzantinischen
Reiches begleiten. Einzelne Stücke sind dem Theophylaktos nicht übel
geraten; in den meisten fehlt aber das Studium der Natur, die naive Auf-
fassung der wirklichen Verhältnisse des Lebens, die malerische Treue in
der Schilderung der Empfindungen und Erlebnisse der fingierten Personen. 2)
Das Landleben erscheint im falschen Spiegelbilde einer süsslichen Schön-
rednerei. Am erträglichsten sind die moralischen Briefe; sie enthalten Cha-
rakterschilderungen mit berühmten Xamen an der Spitze; bezeichnend für
diese Phantasiestücke ist die Shakespeare'sche Missachtung der Chrono-
logie; Antisthenes richtet z. B. an Perikles einen Brief über König Ale-
xander. Wir wissen nicht, ob diese zwei Jugendarbeiten den Ruhm des
Theophylaktos begründeten; jedenfalls aber wurden sie, wie die grosse
Zahl der Handschriften beweist, später viel häufiger gelesen als das für
weitere Kreise zu ernste und zu spezielle Geschichtswerk. Naturwissen-
schaftliche Kuriositäten haben dem Geschmacke des Mittelalters immer
') Theophylaktos scheint sein Werk als i land gehört, gehört auch mir.*
eine öffentliche Vorlesung anzukündigen, j ^) Komisch wirkt der gespreizte Schwulst
Zuerst bittet er um Nachsicht, dann aber ! des Briefschreibers, wenn er harmlose Per-
schöpft er Mut: ,.Ich werde siegreich sein, sonen von gemeinen und alltäglichen Dingen
ich weiss es, obschon ich kein Barbarenland \ sprechen lässt z. B. N. 74, wo ein Bauer von
betrete; wenn ich auch kein Sohn der Kunst , seinem Nachbarn riöy Sfefifuirioy rijy xöttqov
bin, so habe ich doch Vernunft wie ihr; die ', erbittet.
Rede ist mein Vaterland, und was Griechen- |
56 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
zugesagt und rhetorische Briefsammluiigen waren das beliebteste Mittel
zur Ausbildung des Stils.
3. Die Vcrop/afi) des Theophylaktos erzählen in 8 Büchern die
Regierungszeit des Kaisers Maurikios (582—602). Wir besitzen ausser
dem Werke selbst einen umfangreichen Auszug bei Photios. Die rheto-
rische Richtung des Autors verrät sich sofort in dem künstlich geschraubten
Proömion, das durch einen Dialog zwischen Philosophie und Geschichte
eingeleitet wird. Sie herrscht aber auch im ganzen Werke, während die
für einen Historiker notwendigen Eigenschaften sehr vermisst werden.
Theophylaktos war nicht in der glücklichen Lage eines Prokop, der die
Personen, Schauplätze und Begebenheiten selbst beobachten konnte; es
fehlt ihm an politischer, militärischer und geographischer Sachkenntnis,
weshalb er, wie Gibbon sehr richtig bemerkt, in kleinlichen Dingen weit-
schweifig, in wesentlichen dagegen schweigsam ist. Freilich gebricht es
ihm auch an einem bedeutenden Stoffe; die Zeit des Maurikios ist ohne
jene grossen, heroisch durchgekämpften Kriegszüge, die das Zeitalter des
Justinian auszeichnen. Bei allen Mängeln der historischen Auffassung kann
die Wahrheitsliebe des Theophylaktos kaum verdächtigt werden. Er ist
nicht nur für die Zeit des Maurikios der älteste und beste Gewährsmann,
sondern einer der wichtigsten Historiker der ganzen spätgriechischen Lit-
teratur. Prokop, Agathias, Menander und Theophylaktos lernen wir als
Quellenschriftsteller des 6. Jahrhunderts hochschätzen, wenn wir in die
trostlose Leere der folgenden Periode blicken; für mehrere Jahrhunderte
nach Maurikios müssen wir uns in Ermangelung zeitgenössischer und
direkter Nachrichten mit der unkritischen und dürren Auslese späterer
Chronisten begnügen. Als Quelle diente dem Theophylaktos für einen
Exkurs über die Perserkriege unter Justin und Tiberios das Werk des
Menander,^) für das 4. und 5. Buch Johannes von Epiphania (s. § 13),
Eine Ergänzung findet man in der sechsbändigen Kirchengeschichte des
Euagrios, der die ersten 11 Regierungsjahre des Maurikios noch zu
dessen Lebzeiten beschrieb, aber freilich gerade hiedurch in der Unbe-]
fangenheit seiner Darstellung stark beeinträchtigt wurde.
Die Bedeutung des Theophylaktos zeigt sich auch in der Benützung
durch die Späteren. Photios (cod. 65) widmet ihm einen ungewöhnlich
ausführlichen Artikel; Theophanes Confessor exzerpierte ihn; er ist
der jüngste Historiker, der in die historische Enzyklopädie des Konstantin
Porphyrogennctos Aufnahme fand. Inwieweit die aus Theophylaktos
stammenden Berichte bei Zonaras, Kedrenos und Nikephoros Kal-
listos Xanthopulos auf ihn selbst oder auf konstantinische Exzerpte j
zurückgehen, muss noch untersucht werden.
Eine besondere Beachtung verdient die Darstellung des Theophy-
laktos. Photios spricht über sie das überraschend scharfe und treffende j
Urteil aus, sie sei nicht ohne Anmut, aber der nnmässige Gebrauch bild-j
') So wird (las W(?rk von Pliotios (cod. j ßXioy «', [i' etc.
65) bezeichnet; in den HandHclirifton lautet I *) T6 d" '6nto< Meydy&Qt,» r\« 7ieQt(payeL
der Titel: Hto(fvkiixTov und inÜQxtay xni ' <r«<;p<iif (f/r;;/<)p6f;r«/. 1,3,5 (S. 38, 16 ed. Bonn.),]
tiytiyQutfttüs oi'xovfteyixiji laTO(>lns /9t- !
A. Die Geschichtschreiber. (§ 15.) 57
lieber Ausdrücke und allegorischer Gedanken arte in frostigen Ton und
jugendliche Geschmacklosigkeit aus; auch sei sein unzeitiges Einmischen
von Sentenzen ein Beweis von überschwänglicher und ungezügelter Eitel-
keit. In anderen Dingen könne man ihn weniger tadeln. Mit Prokop
und Agathias verglichen bildet er den Gipfelpunkt einer steil ansteigenden
Linie, Der Geschichtschreiber Belisars ist bei aller Fülle noch einfach
und natürlich: weit freigebiger mit Blumen und poetischen Ausdrücken ist
der Dichter Agathias ; aber beide erscheinen harmlos neben Theophylaktos ;
er überrascht jeden Augenblick durch ein Magazinfeuer gesuchter Bilder,
Allegorien, Sentenzen, mythologischer und sonstiger Raritäten. Dabei ist
merkwürdig, dass die aus der hellenistischen Litteratur bekannte phanta-
stische Tonart der ägyptischen Heimat sich noch bei einem so späten
Nachzügler bemerklich macht. Die Erfindsamkeit des Theophylaktos in
tropischen Wendungen ist erstaunlich. John Lilly hätte für seinen berühm-
ten Euphues keine reichere Fundstätte entdecken können, als die drei
Werke unseres Byzantiners. Sowohl die duftige, gefällige, blumige Manier
als der auf Stelzen gaukelnde Bramarbaston Pistols haben hier ihre Vor-
bilder. 9 Zu diesem Marinismus stimmen die seltsame Vornehmheit, welche
allbekannte Dinge behutsam erklärt, die breitspurige Umschreibung ge-
wöhnlicher Thatsachen, auch tektonische Mittel wie die Häufung kleiner,
stetig anwachsender Satzteile. Das letztere Kunststück mag er den be-
kannten Kirchenhymnen eines Romanos oder Sergios abgelauscht haben,
obschon die rhythmische Verbindung kleiner Satzglieder sich schon früher
in der Prosa nachweisen lässt.^) Uebrigens scheint die Kirchen dichtung
und Kirchenprosa auch für sein Wörterbuch mehr Anregungen geliefert
zu haben, als sein gespreiztes Wesen christlichen Dingen gegenüber^) er-
warten Hesse. Ein anderes zum Ueberdruss wiederholtes Kunstmittel des
Theophylaktos besteht in der Stellung des Verbums zwischen Adjektiv
und Substantiv.^) Zu den Mustern, denen er gerne folgt, gehören die
landschaftlichen Schilderungen, die aus den Rhetorenschulen und den Ro-
manen jedem Byzantiner geläufig waren. ^^) Dagegen hat er, im Gegen-
satz zu dem klassisch gezierten Agathias, von den übrigen alten Autoren
ausser Homer nur wenig gelesen. Klassische Reminiszenzen sind bei ihm
selten. Was er nicht aus der Sprache der Kirche in Prosa und Poesie,
') Glaubt mau nicht in einem Shake- ^) Er ist Christ und lebt in einem völlig
speare'schen Jugenddrama zu lesen , wenn christlichen Zeitalter, schreibt aber von christ-
ein Soldat einen lästigen C4egner ,die Drohne ' liehen Dingen wie ein Heide. Von einem
seiner Tapferkeif nennt? Tof xTj(fijy€t Kloster z. B. sagt er (S. 62, 11 ed. Bonn.):
T^f ücvTov fiQ6Tt;g ixeivor ttv^ov lov UeQatjy , Dortselbst befindet sich auch eine Pflanz-
unexreive (108, 13 ed. Bonn.). In den Natur- schule von Männern, die ein philosophisches
tiroblemen will er den Polykrates sagen Leben führen. Mönche nennt man diese
assen: ,,Die Leute sprechen über einen wich- ; Leute." Der Mönch als , Philosoph" hat sich
tigen Gegenstand, über den Diamanten, und durch das ganze Mittelalter erhalten,
suchen in die Geheimnisse der Natur ein- *) Z. B. £/V irjv xoiXtjy r'KftxysTtai Hi-
zudringen"; das lautet bei ihm: ,Kein ge- Qiicy. Dieses Schema ist ein altes Lieblings-
ringer Vorwurf ist es, für den Zungen und stück der rhythmischen Prosa und v(>rdi<iito
Reden und Theorien schlagen und geschlagen wohl eine historische Untersuchung,
werden; zu einem Diamantenkrieg hat man ■') Man sehe z. B., mit welchem Auf-
sich gewappnet und entrollt uns den ge- wände von Bildern er den geschlängelten
heimnisvollen Gottesdienst der Natur". Lauf des Tigris vor Augen stellt (86 2 ff
*) Vgl. § 179. ed. Bonn.).
58 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
aus der des Romanes und des Lebens schöpfte, darf als seine eigene Er-
findung gelten. Daher ist der Wortschatz des Aegypters neu und fremd-
artig; er hat die griechischen Wörterbücher, zuletzt noch das Supplement
des Thesaurus H. Stephani von Kumanudes, mit einer Masse von seltsamen
Eindringlingen bereichert, die nur seiner überquellenden Phantastik ihre
Entstehung veidanken. Die Abnormität dieser Diktion erstreckt sich jedoch
nur auf das Wörterbuch und den Stil; in der Formenlehre und Syntax ist
er auch nach den Vorstellungen der Schulgrammatik ziemlich korrekt.')
Theophylaktos hat durch seine geblähte Rhetorik der späteren Entwicke-
lung der byzantinischen Kunstsprache wahrscheinlich viel geschadet, ob-
schon ein pretiöser Stil, wie das Shakespeare'sche Zeitalter beweist, nicht
immer zum Verderben ausschlägt; es muss aber wenigstens betont werden,
dass durch ihn wie noch durch manche andere die stereotype Vorstellung,
welche in aller byzantinischen Produktion Unselbständigkeit und blosses
Imitationstalent erblickt, eine sehr wesentliche Beschränkung erleidet.
Freilich ist Theophylaktos gerade durch sein Streben nach Neuheit und
Originalität aus der Charybdis der Nachahmung in die Skylla der Manie-
riertheit geraten.
1. Ausgaben: Naturpr'obleme: Ed. pr. B. Vulcanius, Lugd. Batav. 1596 (bzw.
1597). — Ed. Fr. Boissonade, Paris 1835 (mit den Briefen). — Ed. J. Ideler, Scrip-
tores physici et medici, vol. I (1841) 168 — 183. — Eine französische Uebersetzung von
F. Morel, Paris 1603; Aviederholt 1608. — Briefe: Edd. Vulcanius und Boissonade
mit den Naturproblemen. — Ed. R. Hercher, Epistolographi Graeci, Paris 1873 S. 763—786
(mit Benützung zahlreicher Handschriften). — Vgl. Ant. Westermann, De epistolanun
scriptoribus Graecis, pars VIII (Lipsiae 1855) S. 7. — Geschichte: Ed. pr. (aus einem
schlechten cod. Bavaricus des 16. Jahrh. = Monac. Gr. 48) von dem Ingolstädt«r Jesuiten
Jac. Pontanus, Ingoist. 1604. — Im Pariser Corpus ed. A. Fabrottus, Paris 1647 (mit
den Fehlem der Ingolstädt«r Ausgabe und einer Zugabe von neuen). — Wiederholt Venedig
1729. - Rec. I. Bekker, Bonnae 1834 (wieder nur Abdruck der Ausgabe des Pontanus
mit unwesentlichen Kon-ekturen). — Erste imd einzige kritische Ausgabe auf Grund des
alten cod. Vatic. 977 von Carl de Boor, Leipzig, bibl. Teubn., 1887 (mit einem sorgfältigen
Wort- und Sachindex).
2. Hilfsmittel: Treffende, nur etwas zu sehr im Standpunkt der Klassizität be-
fangene Beurteihmg von G. Bemhardy in Form einer Rezension der Ausgaben von Bekker
und Boissonade, Berliner Jahrb. für wissensch. Kritik 1836, Nr. 56 — 59. — Zur Kritik: Aug.
Nauck, Melanges Greco-Romaines III 59 f. — Zur Beurteilung der Nachrichten des Theo
phylaktos über China: Ferd. von Richthofen, China I (1877) 551 ff. — Ueber dii
Quellen des Geschichtswerkes: L. Jeep, Rhein. Mus. 36 (1881) 357 ff. und Jahns Jahili
14. Supplementb. (1885) 164-178. — Gegen Jeep sucht G. Hertzsch in seiner zu § 1.1
genannten Schrift S. 25 ff. zu erweisen, dass Theophylaktos den Johannes von Epiphania
schon vom 9. Kapitel des 3. Buches an benützt habe. — Ueber chronologische Schwierig-
keiten in der zweiten Hälfte der Regierung des Maurikios, namentlich über eine Lücke von
593—597 handelt J. B. Bury, The chronology of Theoph. Simokatta. Tho English histor.
review 3 (1888) 310-315.
3. Hier möge noch der aus unbestimmter Zeit stammende anonyme Bericht übn
die Belagerung von Konstantinopel unter Heraklios erwähnt werden, der im
cod. Vatic. 1572 (10. Jahrh.) erhalten ist: lleQi iwy ilS^iiüv 'A^ÜQioy re xni llsQaviy xttia
TTJg i^eofpvXäxTov TiöXetoc; /jayiuitfovg xn'ijasiog xcel ifi tpiXuy!>QU)niu lov &eov tftti lijg fffo-
Toxov fiei' fna^vvTjg ieTto;(WQ7'jaswg. Die legendenhafte Ei-zählung ist mit den Monographien
des Kameniates, Kananos und Anagnostes zu vergleichen. Ed. A. Mai, Nova patnim biblic-
theca vol. 6 (Romae 1853) 2,398—416.
') Zu den auffallendsten Dingen gehören
die Form i(>(ö als J'räsens (v<»n Bekker
S. 265.6 mit InnTlit angegriffen) und die
dem die Konstniktion (>ines Superl. im Mask.
mit einem Feminiinini (s. {J \Hl) verwandt
ist, genie8.st seit Diodor eine Art von Hürgi i
häufige Verbindung eines Partizips im Mask. recht. S. Lobeck, Agiaophamus (Königsbti
mit einem Femininum z. B. avQQivadytuiv \ 1829) S. 216 ff. Zu *p<» vgl. K. Knimbacb.
^vyäfAfwy. Allein dieser Vulgarismus, mit | Sitzungsber. d. bayer. Ak. d. Wiss. 1886, 41
A. Die Geschichtschreiber. (§ 16—17.) 59
16. Theodosios, ein griechischer Mönch in Syrakus, wurde, nach-
dem die Stadt im Mai 880 durch die Sarazenen erobert worden war, von
den Feinden nach Panormos geführt. Dort schrieb er im Gefängnisse an
einen gewissen Diakon Leo einen Brief über die ihm noch frisch im Ge-
dächtnis stehende Katastrophe: Qeoöoaiov ßoray^ov rov xal yQctuiiavixov
iniazoXi] ttqoc Atovia diäxoror Tifoi rf^g aXo'yafcog ^voaxovar^g. Er gibt frei-
lich weniger eine objektive Erzählung als eine an wichtigen Thatsachen
ziemlich arme Deklamation über die lange Not der Belagerung und sein
eigenes Schicksal. Verwandte Stücke sind die kleinen Monographien des
Kameniates und Anagnostes über die Eroberung von Thessalonike durch
die Araber 904 und durch die Türken 1430.
Ed. B. Hase mit Leo Diaconus, Paiis 1819 S. 177—182; vgl. die praef. S. XV.
Konstantin Porphyrogennetos.
17. Leben. Konstantin VII, Sohn Leo's des Weisen, Enkel Basi-
lios I, des Begründers der makedonischen Dynastie, war dem Namen nach
Kaiser von 912 — 959; doch blieb er durch die Ränke seines Schwieger-
vaters und seines Schwagers lange von der Regierung ausgeschlossen, bis
er 945 durch die Gunst der Verhältnisse zur Alleinherrschaft gelangte.
Damals waren die schwierigsten Kämpfe gegen die von verschiedenen
Seiten drohenden Feinde ausgefochten und das rhomäische Reich erfreute
sich längere Zeit hindurch verhältnismässiger Ruhe. So hatte Konstantin
; reichliche Gelegenheit, die litterarischen und wissenschaftlichen Bestre-
I bungen, welchen er seit früher Jugend ergeben war, auch als Allein-
herrscher fortzusetzen und im grösseren Masstabe durchzuführen. Er
that es, indem er mit kaiserlicher Macht und kaiserlichen Mitteln grosse
Sammelwerke veranstalten liess, welche die nicht mehr übersichtlichen,
oft schwer zugänglichen und zum Teil schon vom Untergang bedrohten
Schätze der alten Litteratur für die Zwecke des Staates und der Kirche
nutzbar machen sollten. Für die Heranbildung der jungen Generation
sorgte er durch die glänzende Erneuerung der grossen Bardasuniversität
in Konstantinopel, die für das Wiederaufblühen der höheren Bildung in
Byzanz von nachhaltiger Bedeutung war. Endlich versuchte er sich selbst
als Schriftsteller. Wir können die mächtigen Litteraturmassen, die mit
dem Namen Konstantins zusammenhängen, in zwei grosse Gruppen teilen,
1. in die von ihm selbst oder unter seiner persönlichen Mitwirkung ver-
fassten Werke, 2. in die durch den Kaiser veranlassten Sammlungen
älterer Texte und die aus Exzerpten bestehenden Enzyklopädien.')
Leben und Werke: Eine panegyrisch gehaltene Biographie Konstantins steht in
der Fortsetzung des Theophanes ed. Bonn. S. 381— 469. — Eine kritische üebersicht
ij der biographischen Thatsachen gibt Ferd. Hirsch, Konstantin VII Porphyrogennetos.
I Programm der Königstädtischen Realschule, Berlin 1873. - Hauptschrift: Alfr. Ram-
' baud, L'empire grec au dixieme siecle. Constantin Porphyrogenete, Paris 1870; dortselbst
') Die Werke der zweiten Gruppe werden Textesüberlieferung gehören. Eine erschö-
hier nur summarisch behandelt, weil sie bei pfende Darstellung des verwickelten philo-
aller Wichtigkeit doch nur Ergebnisse eines logischen Details, das sich an die konstan-
mechanischen Sammelfieisses .sind und weni- tini.schen Sammlungen knüpft, würde die
ger in die Geschichte der Litteratur als der Grenzen unseres Abrisses überschreiten.
60 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
auch reichlieho Nachweise der zerstreuten Hflfslitteratur. Vgl. die inhaltsreiche !>■
sprechung von F. Hirsch, Götting. Gelehrte Anzeigen 1878, 490—505. — Zur Uebersiiln
der Leistungen des Kaisers dient die im einzelnen freilich recht mangelhafte Gesamt
ausgäbe bei Migne. Patrolog. Graeca 109,225—369, 112 und 113 (1864).
18. Konstantins schriftstellerische Thätigkeit. Wenn wir von
selbsteigenen Werken des Kaisers sprechen, so muss ausdrücklich
bemerkt werden, dass bei ihm wie bei vielen anderen fürstlichen Schrift-
stellern die Grenze zwischen eigener Geistesarbeit und blosser Anreguntr
oder Ueberwachung schwer zu ziehen ist. Inwieweit die Werke, weicht
jetzt unter dem Namen Konstantins gehen, auf seinem Schreibtische oder
in der Nähe desselben entstanden sind, lässt sich heute kaum mehr fest-
stellen. 1. Am meisten Anspruch auf den Namen des Kaisers hat ohiK
Zweifel die Geschichte seines Grossvaters Basilios I: ^laroQixi]
ön'jt^aig tov ßi'ov xal tmv Trqdl^ewv lov BaaiXeiov. Die hauptsächlich auf
Genesios beruhende Schrift, welche jetzt das 5. Buch der Fortsetzung di
Theophanes bildet, ist von Konstantin während seiner Alleinherrschal l
(945—959) abgefasst. Der Bericht, in welchem Basilios natürlich im
reinsten Lichte erscheint, muss mit ziemlicher Vorsicht benützt werden.
2. An seinen Sohn Romanos richtet er das Werk über die Staats-
verwaltung (De administrando imperio). Konstantin oder sein gelehrter
Berater behandelt hier die auswärtige Geographie des 10. Jahrhunderts
mit Digressionen über die Methode, nach welcher man mit den wichtigsten
Nachbarvölkern verkehren solle. Der Hauptwert der Schrift besteht in
den zahlreichen Nachrichten über die Völker, welche das byzantinische
Reich im Norden, Osten und Westen umgaben. Wie Konstantin, der in
sprachlichen Dingen einen gesunden Sinn besass, eine volkstümliche Aus-
drucksweise schon in der Geschichte des Basilios wegen der Ignoranz der
Menge empfohlen hatte, so verzichtet er auch hier aus praktischen Gründen
auf den sonst in Byzanz herrschenden Pseudoattizismus und verwendet
nach Bedarf vulgäre, ja selbst slavische und andere fremde Wörter.
3. Ein Werk über die militärische und administrative Einteilung
des Reiches, die zwei Bücher negl xon- O^tfiätoyv^) (De praefecturis). Wie
die vorhergenannte Schrift die auswärtige Geographie des 10. Jahrhunderts
behandelt, so erwartet man hier für denselben Zeitraum eine geographische
Statistik des Reiches selbst, authentische Mitteilungen über Grösse, Bevöl-
kerungszahl, Verwaltung und Hilfsmittel der einzelnen Städte und Bezirke
zu finden; statt dessen enthält das Werk im grossen und ganzen die
Geographie des Reiches unter Justinian (nebst allerlei fabelhaften Erzäh-
lungen über den Ursprung der Städte und boshaften Epigrammen über
ihre Einwohner), während aus dem 10. Jahrhundort nur die neue Be-
nennung und Einteilung der i^rovinzen vermerkt wird. Statt ein getreues,
auf selbständigen Studien beruhendes Bild der zeitgenössischen Verhält-
nisse zu geben, hat der Verfasser die zwei wichtigsten geographischen
Hilfsmittel einer längst entschwundenen Periode, die Werke des Stepha-
nos von I^yziinz (walu'schcinlich im 5. Jaln-h.) und des llicroklcs (unter
') Di«; Kintciluug des Reiches in 'riiemen fasste 17, der Occident 12 Themen. Vgl. die
ist eine rein n)iliUiri.sche. Der Orient um- Litteruturiuichweise S. 62.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 18.) 61
.lustinian) exzerpiert und zum Teil wörtlich ausgeschrieben, i. Eine um-
fangreiche Schrift über das Zeremonienwesen des byzantinischen
Hofes, Ex!}faig tr^g ßaaiXsiov rä^scog (De caerimoniis aulae Byzantinae).
L>ie bis ins Feinste ausgebildete Etikette des oströmischen Kaiserhofes
iK-bst den Gegenständen, welche die modernen Staatshandbücher enthalten,
^\ erden hier in umständlicher Breite (auf 800 Seiten der Bonner Ausgabe)
A erhandelt. So seltsam uns jetzt das ungeheuere Gerüste von Vorschi-iften
für die Feierlichkeiten des Hofes bei einer Taufe, Vermählung, Krönung
lind Beerdigung, bei Beförderungen, beim Empfange und Abschiede aus-
^värtiger Gesandten, bei Triumphen u. s. w. anmutet, so hat dieser riesige
Haus-, Hof- und Staatskalender doch eine unverächtliche kulturhistorische
Bedeutung, indem wir dm-ch ihn einen Faktor kennen lernen, durch welchen
Byzanz im diplomatischen und sonstigen Verkehr den barbarischen Xatio-
nalitäten lange als das erste Reich der Welt zu imponieren wusste. Das
starre, mit Volk und Staat fest verwachsene Formenwesen hat der Stabi-
lität der oströmischen Herrschaft viel genützt: es hat einen grossen, leider
noch zu wenig untersuchten Einfluss auf die Höfe des Abendlandes und
des slavischen Ostens ausgeübt, und lebt in manchen Ausläufern noch
heute an der hohen Pforte, der unmittelbaren Erbfolgerin der oströmischen
Herrlichkeit. An fesselndem Detail ist diese Sammlung byzantinischer
Hof- und Staatsaltertümer unerwartet reich: zu den für die Litteratur-
geschichte wichtigsten Teilen gehören die poetischen Akklamationen, die
dem Kaiser bei verschiedenen Gelegenheiten dargebracht wurden. Die
Faktionen hatten ihre eigenen Poeten und Musiker, welche für die Fest-
lichkeiten Lieder verfassten und komponierten ; für ihi-e Mitwirliung erhielten
sie Geldspenden, deren Höhe geregelt war. Im Text« des Werkes, wie
er in den Ausgaben gedruckt ist, sind die metrischen Partien freilich
schwer als solche zu erkennen. Ihre Form ist bald jambisch, bald tro-
chäisch; auch finden sich kunstvoll gegliederte Gedicht« in der Art christ-
licher Hymnen, z. B. ein in Oden und Troparien geteiltes \il<faßi^TccQiov.^)
Die grösste Beachtung verdient ein volksmässiges Lied in politischen
Versen, \4elleicht das älteste Beispiel dieses Metrums. "2) Die Diktion ist
im Zeremonienbuch ebenso harmlos volksmässig wie in der Schrift über
die Verwaltung des Reiches. Das Werk bildete offenbar ein unentbehr-
liches Inventarstück im kaiserlichen Hofhalt und wurde später gelegent-
lich durch Zusätze vermehrt; am deutlichsten ist das im 96. Kapitel des
1. Buchs (S. 433 ff. ed. Bonn.), wo die Proklamation des Nikephoros
Phokas zum Kaiser (963 — 969) beschrieben ist. L^ebrigens gehört die
einzige (in Leipzig befindliche) Handschrift, die das Werk überliefert,
noch dem 10. Jahrhundert an.
Ausgaben und Hilfsmittel: 1. Leben des Basilios: Ed. pr. Leo Allatius,
- uuixia. Colon. Agripp. 16.53. — Ed. F. Combefis in den Scriptores post Theophanem,
, Taris 1685, S. 132 flF. — Ed. 1. Bekker. Theophanes continuatus. Bonnae 18:38. S. 211
bis 353. — Wiederholt bei Migne, Patrol. Graeca 109, 225—369. — Hauptschriften:
') De caer. S. 383, 4 ed. Bonn. Vgl. § 178. ! €fvdQaya9if(y ix 9eov roT'g ßaaiXevai (rol ßa-
») S. 367, 19 ed. Bonn.: j aiXt?'?) Puifxaluy
ro eaQ rc yXvxv utcXiv inavareiiXei xai vixt;y &{odwQtjToy x«r« ruiy noktfitioy.
'ff»'; vyciciy xm ^lotjy xai rijy tt'rj/ieQiay Ueber den politischen Vers s. § 158.
62 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
A. Rambaud, L'empire grec au dixierae siecle S. 137 — 164 und F. Hirsch, Byzantiniscli'
Studien S. 225—267.
2. De administr. imperio: ¥A. J. Meursius, Lugd. Bat. 1611; wiederholt 1617.
— Zur historischen und ethnographischen Erläuterung: C. J. Groh, Die Nachrichten di->
Konst. Porph. über die Serben und Chorwaten, Petersburg 1880 (Russ.); einen Auszug seinti
Schrift gibt der V. Archiv slav. Philol. 5 (1881) 390—397. — Vgl. die Besprechung von
T. Florinsky, Joum. Min. Volksaufkl. 1881, März- und Juniheft. — Ueber eine dem
selben Gegenstand gewidmete Schrift von Fr. Racki (in Agrani) berichtet V. Jagit
Arch. slav. Philol. 5 (1881) 178 ff. — Zahlreiche andere Schriften zur Geschichte der Süd
slaven, z. B. die Arbeiten von Novakoviß; s. Archiv slav. Philol. 4 (1880) 546. — G. Krek,
Einleitung in die slavische Literaturgeschichte, 2. Aufl. Graz 1887, S. 340 und sonst.
3. De thematibus: Das erste Buch ed. Bon. Vulcanius, Lugd. Bat. 1588. — Beidr
Bücher ed. F. Morellus, Paris 1609. — Mit De admin. imp. ed. J. Meursius, Lugd. Bat.
1617. — Ed. A. Banduri, Imperium Orientale, Paris 1711, vol. I. — Das zweite Bucli
edierte mit einer Einleitung, die zu den besten Leistungen über byzantinische Geograph!-'
gehört, L. Fr. Tafel, Const. Porph. De provinciis regni Byz. liber secundus, Tubingae 1847.
— Ueber die Themen vgl. A. Rambaud a. a. 0. S. 175 ff. — Ch. Diehl, Etudes siir
l'administration Byzantine dans l'exarchat de Ravenne, Paris 1888, S. 31 ff., 85 ff. —
L. M. Hartmann, Untersuchungen zur Geschichte der byz. Verwaltung in Italien, Leipzig
1889, S. 69 ff., 103 f. — Die genauesten Aufschlüsse gibt G. Schlumberger, Sigillo-
graphie de l'empire Byzantin S. 97 — 320.
4. De caerimoniis: Ed. pr. Henr. Leichius et .1. Reiske, 2 voll. Lip.siae 1751—54.
— Zur Erläuterung: G. Bernhardy, Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik
1832, 2, 144 ff. — A. Rambaud a. a. 0. S. 128—136. — Ueber das merkwürdige ali
germanische Weihnachtspiel, welches in dem Buche De caerim. I 83 beschrieben ist, .--.
Massmann, Haupts Zeitschr. f. deutsches Altertum I (1841) 366 — 373 und Conr. Müller.
Zeitschr. f. deutsche Philologie 14 (1882) 442—460. — H. Wäschke, Studien zu den
Ceremonien des Konst. Porphyrogennetos, Progr. Zerbst 1884. — Ueber eine Handschrift
des 18. Jahrb., die ein Fragment des Buches De caer. enthält, handelt Zachariae von
Lingenthal, Monatsber. d. Berl. Akademie d. Wiss. 1880 S. 79 ff.
5. Gesamtausgabe der drei Schriften De admin. imp.. De them.. De caerim. im
Bonner Corpus ex rec. I. Bekkeri, 3 voll. Bonnae 1829 — 40. — Wiederholt bei Mignc.
Patrol. Graeca t. 112—113.
19. Die Basiliken. Von den litterarischen Unternehmungen, welclu
Konstantin Porphyrogennetos veranlasste oder unterstützte ohne persönlich
im einzelnen mitzuwirken, nennen wir zuerst ein Werk, welches in seinen
Hauptbestandteilen noch unter die Regierung Leo's des Weisen gehört, die
Basiliken (vd Baailixa). Dieses grosse Gesetzbuch des byzantinischen
Staates ist eine Kompilation aus den Indices der Digesten und des Codex
Justinianus und aus den Novellen; sie wurde unter Basilios begonnen,
wie sich aus den Vorreden der unter diesem Kaiser entstandenen Rechts-
bücher Prochiron und Epanagoge ergibt, und unter Leo dem Weisen
vollendet. Unter Konstantin Porphyrogennetos wurde der Text der
Basiliken durch Auszüge aus Bearbeitungen der Digesten, des Codex und
der Novellen erweitert. Auch später wurden die Basiliken noch vielfach
exzerpiert, erklärt und durch Novellen bereichert. Weite Verbreitung fand
das Handbuch des byzantinischen Rechts in 6 Büchern (E^äßißXoq), welches
um 1345 Konstantinos Harmenopulos bearbeitete. Für die Sprach-
geschichte bietet die Gräzität dieser zum grossen Teil aus dem Lateini-
schen übertragenen Texte manches gute Material.
1. Letzte Ausgabe der Basiliken von W. Ernst Heimbach, 6 voll., Lipsiae 1833 — 70,
ein Werk ehernen Fleisses, das trotz des Mangels an philologischer Methode für die Ge-
schichte des byzantinischen Rechtes noch immer die (Trundlage bihlet; dem Texte sind eine
lateinische L^obersetzung und kritische Bemerkungen beigegeben, der 6. Haiul enthält Pro-
legomena über die («eschichto des byzantinischen Rechtes von 534 — 867, Notizen über dio
Ueberliefening der Biusiliken und die neuere Litteratur. — W. E. Heimbach, l)a.s byzan-
tinische Hecht, in der Ersch- und (iniber'schen Enzyklo])ädie, 1. Sektion, 86. WiwxA. —
A. Die Geschichtschreiber. (§ 19—20.) 63
Ausserdem hat für die Geschichte des byzantinischen Rechts und die Veröflfentlichung von
Novellen u. s. w. das meiste K. E. Zachariä von Lingenthal gethan; seine Haupt-
werke sind: Historiae iuris Graeco-Romani delineatio, Heidelbergae 1839. — 'Avixdortt,
Lipsiae 1843. — Collectio libronmi iuris Graeco-Romani ineditorum, Lipsiae 18.52. — Jus
< haeco-Romanum. 7 partes. Lipsiae 1856 — 84. — Geschichte des griechisch-römischen Rechts,
'1. Auflage, Berlin 1877. Hier findet man S. 3 — 32 ein vollständiges chronologisches
Verzeichnis der byzantinischen Rechtsquellen mit bibliographischen Angaben,
auf welches ich verweise, da es mir unmöglich ist, die juridische Litteratur der Byzantiner
in einem selbständigen Abschnitte geschichtlich zu behandeln. — Auf dem erstgenannten
Werke von Zachariä von Lingenthal beruht die ausführliche DarsteUimg von J. A. B. Mort-
reuil, Histoire du droit Byzantin, 3 voll. Paris 1843 — 47. — Eine treffliche Uebersicht
der byzantinischen Rechtslitteratur gibt Paul Krüger, Geschieht« der Quellen und Lit-
teratur des römischen Rechts, Leipzig 1888 S. 3-59 — 370.
2. Wie so viele andere Werke der byzantinischen Litteratur gingen auch die Gesetz-
bücher in Auszügen und Kompilationen zu den Slaven über: A. Pavlov, Gesetzbücher.
Altrussische Uebersetzung mit griechischem Text u. s. w., Petersburg 1885 (Russ.).
Vgl. V. .lagic, Archiv slav. Phil. 9 (1886) 151 ff. — Ebenso wirkte das byzantinische Recht
in Süditalien und Sizilien auf die normannische Gesetzgebung: F. Brandileone, Fram-
menti di legislazione nonnanna e di giurisprudenza bizantina nell'ltalia meridionale in den
Atti della R. accademia dei Lincei, Serie IV, vol. 2 (1886) 260 — 284 und desselben Werk:
11 diritto bizantino nell'ltalia meridionale dal 8. al 12. secolo, Bologna 1886. — V. La
i Mantia. Cenni storici su li fonti del diritto greco-romano e le assise e leggi dei re di
Sicilia, Roma 1887.
3. Durch Verschmelzung der weltlichen und kirchlichen RechtsqueUen (der vöuoi
und der xavöpBg) entstanden die Nomokanones. Sammlimgen kirchenrechtlicher Bestim-
mungen, welche im Laufe der Zeit vielfach durch Zusätze und Erklärungen erweitert wurden.
Die wichtigste Bearbeitung ist nicht die von 883, welche fälschlich dem Patriai-chen Photios
zugeschrieben wurde, sondern eine um 1090 von Theodoros Bestes hergestellte Re-
zension. Eine xaroyixfj avroxVt? stammt von einem Magister und Logotheten Symeon,
der nach Zachariä von Lingenthal mit dem unter Nikephoros Phokas vorkommenden Logo-
theten SjTueon nicht identisch Lst, sondern erst lun das Jahr 1000 lebte. L'nter Kaiser
Johannes Komnenos (1118 — 1143) hat Alexios Aristenos die Synopsis mit einem Kom-
mentar versehen, auf den Zonaras Rücksicht nimmt, ohne ihn zu nennen. Die Bearbeitung
des Aristenos wurde einem Nikolaos Doxopatres (Doxapatres?) fälschlich untergeschoben.
Vgl. Paul Krüger, Zeitschrift für Rechtsgeschichte 9 (187U) 185 ff. und desselben : Geschichte
der Quellen und Litteratur des römischen Rechts, Leipzig 1888 S. 367 f. — K. E. Zachariä
von Lingenthal, Die Sj-nopsis canonum, Monatsber. d. k. preussischen Akademie der
Wiss. 1887, 1147 — 1163. — i Die wichtigsten Ausgaben und Werke, die für das griechi-
sche Kirchenrecht sonst in Betracht kommen, sind: Bibliotheca juris canonici veteris
.... op. G. Voelli et H. Justelli. Paris 1661. — Ivyxttyua iwy Seiioy xal ifQtoy
xavöyojy .... vno F. J. Päkkrj xal M. nörkt], 6 voll. Athen 1852 — 59. — Juris ecclesia-
stici Graecorum historia et monumenta . . . cur. J. B. Pitra, 2 voU. Romae 1864 — 68 (ent-
hält Denkmäler vom 1. — 9. Jahrhundert). — Die Geschichte des kanonischen Rechts bei
den Griechen skizzierte Fr. Aug. Biener, De collectionibus canonum ecclesiae Graecae,
Berolini 1827. — Slavisch-griechischer Nomokanon mit dem bis jetzt unbekannten Original
herausgeg. von A. Pavlov, Odessa 1872 (Mitteilung von Destunis).
20. Kriegswissenschaft. Ohne Bedeutung ist die fragmentarisch
erhaltene kriegswissenschaftliche Kompilation, die unter dem Namen Kon-
stantins geht, ein ^rgaTr^yixdv negl sO^öiv 6ia(f<)Qon' iih-iav, das ältere
Nachrichten über die verschiedenen Kampfesarten fremder Völker zusam-
menstellt. Inhaltlich verwandt sind einige Titel der von dem Kaiser ver-
anlassten historischen Enzyklopädie. Die gewöhnlich ebenfalls dem Kon-
stantin Porphyrogennetos beigelegte Taktik, eine ganz unselbständige,
fast wörtliche Wiederholung der Taktik Leo's des Weisen, trägt in der
Ueberschrift den Vermerk: oneq ^vviyQail'e KtorGraviTvog ßaaiAtvc, 6 jov
'Pwfiavov v'iög, und gehört also nicht unserem Kaiser, sondern Konstantin VIII,
dem Sohne Romanos II (1025-1028).
1. Beide Schriften sind ed. von J. Meursius, Lugduni Bat. 1617 (mit De admin..
De theni.); auch in J. Meursii opera ex rec. J. Lami, vol. 6 (Florentiae 1745) 1211 bis
64 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
1418. — Vgl. C. Müller, Fragm. hist. Graec. V Praef. S. 13. — F. Hirsch, Götting.
Gel. Anzeigen 1873, 496 ff.
2. Kine anonyme taktische Schrift, angeblich aus der Zeit des Justinian, edd. H.
Köchly und W. Rüstow, Griechische Kriegsschriftsteller II, 2. Abteil., Leipz. 1855; dort-
selbst im Anhange noch zwei weitere Anonymi. Das genealogische Verhältnis dieser, wie
der übrigen griechisch-byzantinischen Taktika bedarf noch der Untersuchung. Eine Ueber-
sicht gibt Max Jahns, Geschichte der Kriegswissenschaften, 1. Abteil. (München 1889)
143 ff., wo man auch noch weitere Litteraturangaben findet. — lieber die Taktik Leos des
Weisen s. § 188.
21. Exzerptensammlungen. Die juridischen und taktischen Samm-
lungen aus der Zeit Konstantins werden an litterarhistorischer Bedeutung
weit übertroffen von seinen Exzerptenenzyklopädien. Der Gedanke,
die zu ungeheuren Massen angeschwollenen Geisteserzeugnisse der Ver-
gangenheit in methodisch angelegten Auszügen dem bequemeren Bedürfnis
der Zeitgenossen und der Nachwelt zu vermitteln, war im 10. Jahrhundert
nicht mehr neu; für die Geschichtschreibung waren längst Johannes von
Antiochia und andere Chronisten, für ein umfassenderes Gebiet der Patriarch
Photios vorangegangen, der in seiner Bibliothek fast alle Zweige der alten
Litteratur berücksichtigte. Neu scheint aber die Idee, die Exzerpte in
handbuchartigen Sammlungen nach Fächern und Materien in Abschnitte,
oder Kapitel zu zerlegen. Die römischen Enzyklopädien des M. Terentii
Varro, des älteren Plinius, des Apuleius u. a.') waren doch im Grundplan«
von den Konstantinischen Unternehmungen wesentlich verschieden. Die]
Frage, ob durch diese Sammlungen die Tradition der alten Texte gewon-^
nen oder verloren hat, ist schwer zu beantworten. Dadurch, dass mal
statt der vollständigen Werke bequeme Auszüge erhielt, mag der Untei
gang mancher Originale beschleunigt worden sein; mehr aber muss wol
die konservierende Bedeutung des Unternehmens betont werden; vieU
Texte, die schon damals nur noch in spärlichen und verstümmelten Exem^j
plaren vorhanden waren, wären ohne die durchgreifende Operation Kon-j
stantins ganz verloren gegangen.
22. Enzyklopädie der Geschichte. Den ersten Rang unter den]
durch Konstantin veranlassten Exzerptenwerken beansprucht die grosse]
Enzyklopädie der Geschichte und Staatswissenschaft. Im Proömion
der Exzerpte De virtutibus et vitiis ist das Motiv des Unternehmens an-
gegeben: „Ins Unendliche und nicht mehr zu Bewältigende ist der Umfang
der Geschichte angewachsen" (f/r' ajieiQÖv xs xai a!.irjxctvoi' rj rijg iaiogiag
tvQvrero avfinXoxrj). Dem wollte Konstantin durch eine methodische Blumen-
lese aus den alten Historikern abhelfen. Zur Ausführung des Planes
dienten jedenfalls zahlreiche in litterarischen Dingen bewanderte Zeit-
genossen; doch ist von den Namen dieser Redaktoren nur &fod6aiog o
fiixQÖg gesichert. Berücksichtigung fand fast die gesamte historische Lit-
teratur der Griechen bis in die byzantinische Zeit, von den alten Meistern,
die noch immer in vollständigen Exemplaren abgeschrieben und gelesen
wurden, allerdings nur Ilerodot, um so reichlicher aber die Autoren der
alexandrinischen und römischen Periode, wie Polybios, Diodoroa, Dionysios
von Halikarnass, Josephos, Appianos, Dio Cassius, Zosimos, Priskos, Mal-
') Vgl. 0. Jahn, Berichte der sächs. Gesellsch. der Wissenschaften 1850, 263 ff.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 21 -22.j 65
chos, Prokopios, Agathias u. a.; den Beschluss bildet Theophylaktos, der
letzte Historiker der vorbyzantinischen Zeit. Auch Chronisten wie Malalas,
Theophanes und Georgios Monachos wurden beigezogen. Bemerkenswert ist,
dass die Handschriften der alten Geschichtschreiber, welche den Redaktoren
zur Verfügung standen, nachweislich schon zum Teil unvollständig waren.
Dass die Ausführung des Planes nicht exakt und gleichmässig vor sich ging,
darf bei der Ausdehnung des Unternehmens, bei dem wahrscheinlich sehr
fühlbaren Mangel wirklich gelehrter Mitarbeiter und bei den lockeren
wissenschaftlichen Grundsätzen der Zeit nicht im mindesten verwundern.
Das für die Arbeit aufgestellte Programm ist ziemlich mechanisch und
nüchtern; ohne Rücksicht auf den litterarischen und ästhetischen Wert
der Schriftsteller sollte das gesamte Material nach sachlichen Gesichts-
punkten in 53 Abschnitten untergebracht werden. Soweit wir den Plan
des Ganzen noch zu überblicken vermögen, verteilten sich die Titel auf
die drei Hauptgruppen Staat, Kirche und Moral. Mit Sicherheit können
wir in den überlieferten Bruchteilen 4 Titel erkennen. 1. Die 'ExXoyccl
TctQi Tioeaßeiöjy, Excerpta de legationibus, also eine Monographie, in
der die Nachrichten der Historiker über das Gesandtschaftswesen zusammen-
gestellt wurden. Das Ganze zerfällt in einen Abschnitt über die Gesandt-
schaften fremder Völker an die Römer und einen zweiten über die Ge-
sandtschaften der Römer an fremde Völker. Die spezielle Beachtung dieses
Gegenstandes wird verständlich, wenn man sich erinnert, welche Bedeu-
tung für das durch endlose Kriege beunruhigte Reich der diplomatische
Verkehr mit den mehr oder weniger wilden Nachbarvölkern besass.*)
2. Exzerpte Ufgi agezf^g xai xaxtag, De virtutibus et vitiis, eine
Sammlung von merkwürdigen Fällen aus dem Gebiete der Moral. 3. Ex-
zerpte IJ^Qi yxdiiuwY^ De sententiis. 4. Exzerpte neqi ijiißovXwv xard
ßaailtooY yeYorviiöv, De insidiis, ein Titel, der zeigt, dass auf die
speziellsten Zwecke des Hofes und der Regierung Rücksicht genommen
wurde. ^) Weniger sicher ist unsere Kenntnis bezüglich der zwei folgenden
Titel 5. Jleg} ffToctTrjrjiävojv, De strategematis. Das sind Auszüge aus
der historischen Litteratur in einer von I^Iinoides Minas gefundenen Athos-
handschrift und in einem Parisinus, deren Zusammenhang mit Konstantins
Enzyklopädie jedoch nicht sicher erwiesen ist. 3) 6. üegl öi^nr^yoQKÖr, De
contionibus militaribus. Solche Ansprachen an das Heer, die zur Tapfer-
keit anfeuern sollen, 6r^i^ujoQica ngorgeTCTixal itgog ardgsiar ex dicetfÖQon'
äifOQiiwv Äaußdrovaai rag vTro^tCftg, stehen zwar in einer Florentiner
Handschrift des 10. Jahrhunderts; doch ist diese Schrift nicht eine Samm-
lung von Reden aus alten Autoren, sondern eine militärische Rhetorik
d. h. eine mit kleinen Beispielen aus ungenannten Quellen untermischte
schulmässige Anweisung zur Abfassung von Feldherrnreden. Ob das Mach-
werk den Konstantinischen Titel //*(»< Si^uijoQioiv vorstellt oder wenigstens
in einem näheren Zusammenhange mit ihm steht, ist bis jetzt nicht fest-
gestellt. Alle übrigen Teile der historischen Enzyklopädie scheinen ver-
') Man vergleiche die ausführlichen Vor- j II c. 47 niedergelegt sind.
Schriften über den Verkehr mit Gesandten, | =*) Vgl. Müller, Fragm. hist. Gr. V, XIV.
die in dem Werke De caerimon. 1 c. 87-90, | ') Ibid. V, XU.
Dandbuch der kUss. Altertumswiasenschaft. IX. 1. Abtlg. 5
Qß Byzantinisclie Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
loren; doch können wir aus Randbemerkungen zu den erhaltenen Stücken
von einer Anzahl der verlorenen Kapitel wenigstens den Inhalt vermuten,
so werden Titel llfQi ßaaikitav avayoqsvdfMq, Tlegl diadox^jg ßaatXtuyv, llfQt
yotjttwv, IJsqI xvvrjysaiaq u. s. w. genannt. ')
Ausgaben und Hilfsmittel: IIsqi TtQsaßeiuiy. Ex libris Polybii Megalop.
selecta de legationibus etc. ex bibliotheca Fulvii Ursini, Antverpiae 1582. Die hier
fehlenden Fragmente veröffentlichte Hoeschel (Excerpta Hoescheliana), Aug. Vindel. 1608.
— Vgl. Historie! Graeti min. ed. L. Dindorf I Praef. S. 27 ff. 58 ff. — Mit dem Proömion
dieser Exzerpte ist das 43. Kapitel der von Köchly, Griech. Kriegschriftsteller II 2, heraus-
gegebenen anonymen Taktik identisch. — IIsqI uQettjs xui xnxiag. Ed. H. Valesius.
Paris 1634 (aus einem cod. Peirescianus, daher Excerpta Peiresciana genannt). — Vgl.
Dio Cassius ed. E. Gros vol. I (1845) Introd. S. 57 — 84. — Dindorf Hist. Gr. min. I Praef.
S. 7. 55 ff. — J. Wollenberg, Excerpta ex Joanne Antiocheno ad librum Peirescianuiii
a se excussum emend., Progr. des französ. Gymnasiimis, Berlin 1861. — LXlll locos ex
Herodoto excerptos, qui ex conlectaneis Constantini Aug. Porph. ntQl (eQstijg xai xttxiag in
codice Peire.sciano exstant, rec. J. Wollenberg, Progr. des französ. Gymna.siums, Berlin
1862. — nsQi yvwfiiöv. Ed. A. Mai, Scriptor. vet. nova collectio v. II (Romae 1827).
— Die Exzerpte tieqI yywfiojy aus Polybios gab neu heraus Theod. Heyse, Berlin 1846.
— Dazu Verbesserungen nach einer neuen Kollation von H. van Herwerden, Spicilegium
Vaticanum, Lugd. Batav. 1860. — Eine Neuvergleichung der den Dio Cassius betreffenden
Exzerpte negl yvtafxiüv lieferte U. Ph. Boissevain, Progr. Rotterdam 1884. — Vgl. Th.
Mommsen, Hermes 6, 89 f. — JIeqI in i ßovXwy. E cod. Escurialiensi ed. L. Feder,
3 voll. Darmstadii 1848 — 55. — Vgl. Th. Mommsen, Hermes 6, 323. — neql axQu-
TijyTjfiitT (oy. Vgl. C. Müller, Fragm. hist. Gr. II 31 — 42, V Proleg. S. 7 f. — Einen
Auszug aus alten Poliorketikern, dessen Zusammenhang mit einem Konstant. Titel sich
nicht erweisen lässt, ed. C. Wescher, Poliorcetique des Grecs, Paris 1867 S. 195 — 279.
— negi &Tjfii]yoQi(ijy. Anonymi Byzantini rhetorica militaris ed. A. Koechly, zwei
Indices lectionum, Zürich 1855 — 56. — IIsqi dvayoQsvaews. H. Wäschke, Ueber da-
von Reiske vermutete Fragment der Exzerpte Konstantins Tieqi dyKyoQsvastüg. Progr
Dessau 1878.
Ausserdem vgl. G. Bernhardy, Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik
1831, 2, 330 ff. — Heinr. Nissen, Kritische Untersuchungen über die Quellen der 4.
und 5. Dekade des Livius, Berlin 1863, S. 313 — 323 (über die Gesandtschaftsexzerpte).
E. Schulze, De excerptis Constant. quaest. criticae, Diss. Bonn 1866. — L. Dindorf.
Jahns Jahrb. 99 (1869) 114. — Eine sachliche Gruppierung der Titel und Herstellung d«T
ursprünglichen Ordnung versucht H. Wäschke, Ueber die Reihenfolge der Exzerpte Kon
stantins, Philologus 41 (1882) 270 — 283. — Ueber Doppelexzerpte, d. h. über solche, die
ausführlich und daneben in einer Epitome vorkommen, handelt C. de Boor, Hermes l!'
(1884) 123 — 148. — Sp. Lambros, UXovic'cqxsiu dnuy^iafiaitc iy 'JyioQeiTixio xttidixt ti]\-
fioyiji Jioyvaiov, Jubiläumsschrift der Univei-sität Athen, Athen 1888 S. 315 — 337 versutlit
Exzerpte aus den Biographien des Plutarch mit Konstantin in Zusammenhang zu ])ringeii.
— Weitere Litteratur s. in der Abhandlung von Schulze S. 6. Ausserdem sind für einzelni'
Fragen natürlich die Ausgaben und kritischen Hilfsmittel der einzelnen ex
zerpierten Historiker, besonders die Vorreden in den Ausgaben des Polybios von
Hultsch und Büttner- Wobst heranzuziehen.
23. Enzyklopädie der Landwirtschaft, eine Sammlung der Ftb)-
Ttonxa, ein glänzendes Zeugnis für die praktischen Bestrebungen und den
weiten Blick des Kaisers, dem man mit Unrecht mechanische und tote
Büchergelehrsamkeit vorgeworfen hat. Das vorzüglich von den Homern
gepflegte Gebiet der Landwirtschaft hatte auch bei den Griechen besonders
seit der alexandrinischen Zeit wissenschaftliche Darstellungen hervor-
gerufen, die bald zu ähnlichen Massen anwuchsen wie die geschichtlichen
Werke. Das praktische Bedürfnis musste hier noch mehr als in der Ge-
schichte Sammlungen und Auszüge veranlassen. So trug ein gewisser
Vindanios Anatolios, den man willkürlich mit dem von Libanios öfter
erwähnten gleichnamigen Juristen aus Berytos identifiziert hat, aus älteren
') Aufzählung der Titel in der unten zitierten Schrift von Wäschke S. 4.
A. Die Geschichtachreiber. (§ 23—24.) 67
Werken eine ^vvaywYr] yswQyixwv emTr^dsvackcav zusammen, welche Photios
(cod. 163) gelesen hat. Ungefähr um dieselbe Zeit (im 4. oder 5. Jahr-
hundert) verfasste ein gewisser Didymos Feowyixä in 15 Büchern. Mit
Hilfe dieser wichtigen Vorarbeiten veranstaltete im Auftrage des Konstantin
Porphyrogennetos Kassianos Bassos aus Bithynien eine Redaktion von
landwirtschaftlichen Regeln und Vorschriften in 20 Büchern. Die zahl-
reichen Zitate aus anderen Autoren über Landwirtschaft verdankt Bassos
wohl ausschliesslich der Vermittelung des Anatolios und Didymos. Die
ursprünglich jonisch geschriebenen Stücke sind des leichteren Verständnisses
halber in die attische Form der xoirii] umgegossen, eine Aenderung, die
vielleicht zum Teil schon auf frühere Exzerptoren wie Anatolios zurück-
geht; selbst vor der Aufnahme volkstümlicher Wörter und Formen scheute
die Redaktion, die hierin ganz im Geiste Konstantins handelte, nicht zurück.
1. Ausgaben und Uebersetzungen: Zuerst vollständig von P. Needham,
Cantabr. 1704. — Besser von N. Niclas. 4 voll.. Lipsiae 1781, mit den Präfationen der
früheren Ausgaben, einem spärlichen kritischen Apparat, Register der zitierten Autoren,
historischem, geographischem, grammatischem und sachlichem Index, doch ohne genügende
handschriftliche Grundlage. — Eine kritische Ausgabe wird von Heinr. Beckh für
die biblioth. Teubneriana vorbereitet. — Paul de Lagarde, De Geoponiconim versione
Syriaca. Lipsiae 1855. — Geoponiconim in serm. S^Tiacum versorum quae supersunt ed.
P. de Lagarde, Lipsiae 1860. Nach W. Gemoll S. 211 (s. u.) geht der syrische Text
auf dieselben Quellen zurück wie unsere Geoponica, ist aber keine direkte Uebersetzimg
dieser. — Das Vertrauen, welches man in der Humanistenzeit jeder alten Weisheit ent-
gegenbrachte, bezeugt die oft aufgelegte französische und deutsche febersetzung des 16.
Jahrhunderts: Les XX liures de Constantin Cesar .... traduicts en Francoys par M. An-
thoine Pierre, licentie en droit. Poictiers 1545 (Vorrede datiert von 1.543). — Der
veldtbaw oder das buch von der veld arbeyt .... Alles vor tausend jaren von dem Keyser
Constantino dem vierdten (!) in Kriechischer sprach beschrieben fnd yetz newlich durch
D. Michael Her reu auss der Kriechischen in Teutsche sprach vertolmetscht, Strassburg
1.545; wiederholt 1-551, 1556, 1565 u. ö.
2. Hilfsmittel: Artikel Geoponici von A. Baumstark in Pauly's R^alenzyklo-
pädie. wo jedoch besonders die vorbyzantinische Zeit berücksichtigt ist. — Ernst Meyer,
Geschichte der Botanik 3. Bd. (Königsberg 1856) 338 — 390, wo auch über die naturwissen-
schaftlichen Scliriften des S y m e o n S e t h (11. Jahrb.). des Stephanos Magnetes
(11. Jahrb.). des Nikolaos Myrepsos (um 1280) und des Johannes Aktuarios
(14. Jahrb.) gehandelt wird. — Eine kurze Analyse der Geoponika gibt M. de Raynal,
Etudes sur les Geoponiques, Annuaire de l'assoc. 8 (1874) 89 — 122. — Hauptschriften:
W. Gera oll, Untersuchimgen über die Quellen, den Verfasser imd die Abfassungszeit der
Geoponica, Berliner Studien 1 (1884) 1 — 280, Henr. Beckh, De Geoponicorum codicibus
manuscriptis. Acta .seminarii philol. Erlangensis 4 (1886) 261 — 346. und Eugen Oder,
Beiträge zur Geschichte der Landwirtschaft bei den Griechen, Rhein. Museum 45 (1890)
58—99; 212—222.
24. Enzyklopädie der Medizin, ein medizinisches Handbuch, die
Sammlung der 'Icctqixü. Als umfassende Vorarbeit diente die um 350 durch
Oribasios veranstaltete 'Emrofirj rwr iazQixoiv iheonQr^f^ittxon'. Im Auftrage
Konstantins übernahm der Arzt Theophanes Nonnos eine summarische
Redaktion, die von dem Verfalle der medizinischen Wissenschaft im by-
zantinischen Zeitalter ein unverkennbares Zeugnis ablegt. Bedeutender ist
das Handbuch der Tierarzneikunde, die Sammlung der "^InTnatQixcc.
Unter Konstantin dem Grossen hatte Hippokrates von Kos, ein Landsmann
des grossen Arztes, die Tierarzneikunde behandelt; zu derselben Zeit
schrieb Apsyrtos zwei Bücher über Pferdeheilkunde. Unter Konstantin
Porphyrogennetos verfasste Hierokles zwei Bücher über dasselbe Thema,
die er dem oben erwähnten Kassianos Bassos widmete. Hierokles hat
6g Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
dann, vielleicht in Verbindung mit Bassos, die Konstantinische Sammlung
der 'iTiTiiaTQixd redigiert. Die meisten Partien stammen aus Apsyrtos.
Eine Ergänzung der landwirtschaftlichen und medizinischen Hand-
bücher bildet ein Auszug aus der Tiergeschichte des Aristoteles:
Twr 'AQiaioTkXovg ntgl ^tiJwr iniToiin]. Die Grundlage bildete Aristoteles
in der Epitome des Aristophanes von Byzanz ; damit verband sich manches,
was aus späteren Quellen bei Aelian und Timotheos zu finden war. Die
Fassung ist ziemlich frei und selbständig. Von den 4 Büchern, welche
die Sammlung ursprünglich umfasste, sind bis jetzt nur 2 gefunden. Die
in Paris befindliche Athoshandschrift trägt den Titel: ^vlloyi] rijg negl
^o')(av iGTOQiag, x^Qaaiwv, nrr^vMi' re xal i^aXaTTiwr, KutvOtavxivu^ t(i) fisyäXo^
ßaaiXei xal uvtoxquxoqi (piXoTiorrj^eTaa.
1. 'laiQixä: Unter dem Titel: Nonnus Theophanes, epitome de curatione morborum
ed. Steph. Bernard, 2 voll. Gotliae 1794 — 9.5. — Vgl. Kurt Sprengel, Geschichte der
Arzneikunde II (1823) 322 ff. (unbedeutend).
2. 'Inniutqixä: Veterinariae medicinae libri duo a Joanne Ruellio Suessoniensi
olim quidem latinitate donati, nunc vero iidem sua, hoc est Graeca lingua, primam in lucem
editi, Basileae 1537 (mit einer Vorrede von S. Grynaeus). — Kinen Text, der die Baseler
Ausgabe berichtigt und ergänzt, ed. aus cod. Paris. Gr. 2322 E. Miller, Not. et extr. 21
(1865) 2, 1 — 163. — Französische Uebersetzung von .Jean Masse unter dem Titel: L'artj
vetärinaire, Paris 1563. — Ueber eine neugefundene lat. Uebersetzung des Apsyrtos vgl
W. Meyer, Sitzungsber. d. bayer. Ak. d. Wiss., pliil.-hist. Gl. 1885, 395.
3. lleQi Cw'w»' iniTOfxtj: Das erste Buch ed. aus einer in Paris befindlichen Athoa
handschrift Val. Rose, Anecdota Graeca et Graecolatina II (Berolini 1870)3 — 12; 17 — 401
— Emendationen von H. Sauppe, Götting. Gel. Anz. 1872, 220 ff. — Zwei Bücher miij
Benützung des Parisinus und eines neuen Athous ed. von Sp. Lambros, Excerptorui
Constantini de natura animalium libri duo. Berolini 1885 (als Vol. I, 1 des von der 1
preuss. Ak. d. Wi.ss. herausgegebenen Supplementum Aristotelicum). — Eine älmliche Kom^
pilation aus Aristoteles, Aelian u. a. ist die unter Kaiser Konstantin Monomachos (1042l
verfasste anonyme Tiergeschichte. Ed. C. Fr. Matthaei: lloixiXu 'EXhjyixä, Mosquae 181lJ
4. Ins Gebiet der Tierheilkunde gehören auch die in der byzantinischen Zeit viel
verbreiteten Bücher über Falken-, Geflügel- und Hundezucht. Ein 'leQuxoaücfioy eines geJ
wissen Demetrios Pepagomenos aus Konstantiuopel edierte mit einem anonymen!
'OQysoaoffiof und einem Kvyoaöqioy eines (mit dem vorigen vielleicht identischen) Deme
trios aus Konstantinopel R. Hercher, Aeliani varia historia, vol. II (1866) 333 f1'..
517 ff., 585 ff.
25. Sonstige Sammlungen. Ausser den genannten Unternehmungen,
die mit genügender Sicherheit auf einen direkten Befehl des Konstantin
Porphyrogennetos zurückzuführen sind, gibt es noch einige Sammel-
werke des 10. Jahrhunderts, von denen sich ein Zusammenhang mit Kon-
stantinischen Anregungen vermuten lässt. Man fühlt sich versucht, die in
dem berühmten codex Palatinus erhaltene Anthologie griechischer Epi-
gramme, welche Konstantin Kephalas redigierte, auf die rastlosen Be-
mühungen des Kaisers für die Sammlung und Konservierung der alten
Litteraturschätze zurückzuführen. Auch die dem Programme Konstantin.s
fernerstehenden grammatischen Sammelwerke wie Suidas und andere
Lexika mag die vom Kaiser so grossartig durchgeführte Idee beeinflusst
haben.
Vielleicht darf selbst die grosse Legendensammlung, durch welche
der Name des Symeon Metaphrastes zum meistgenannten der byzan-
tinischen Zeit geworden ist, an dieser Stelle erwähnt werden. Freilicli ist
die Entstehungszeit des Unternehmens nicht sicher gestellt. Nach Leo
Allatius war Symeon ein jüngerer Zeitgenosse Leo's des Weisen (886— IM 1).
A. Die Geschichtschreiber. (§ 25 - 26.) 69
und F. Hirsch, der ihm beistimmt, glaubt, dass er wahrscheinlich noch die
Zeit der Alleinherrschaft Konstantins (945) erlebte: dagegen wird er von
I i r. Vasilievskij auf Grund neuer Dokumente in den Schluss des 10. Jahr-
liunderts versetzt und mit dem Chronisten Symeon identifiziert. Wie dem
auch sei, jedenfalls ist die Art, wie Symeon die alten Heiligenlegenden
überarbeitete und in leidiger Weise verflachte, ein ergänzender Zug zur
Charakteristik der kompilatorischen Neigungen dieses Zeitalters. Wenige
Werke sind in so zahllosen Handschriften verbreitet wie die Heiligenakten
des Metaphrasten. Eine Ueberarbeitung derselben veranstaltete der kre-
tische Mönch Agapios Landes in seinem: Neog naqäSeiaog, Venedig 1641.
Sicherer als die Legenden des Symeon scheint mit dem Namen des
Konstantin Porphyrogennetos verbunden eine kleine Schrift über die
Translation eines wunderbaren Christusbildes: Jiijyi^aiq Tregl rf^g
TTQog AvyaQov ajioGTaXeiar^g dx^iQOTioirjTOV O^fiag sixörog XqkTtov tov ^sov
1. Die Legenden des Svmeon mit anderen Werken desselben sind zuletzt gedruckt
; in der Patrol. Gr. von Migne t. 114—116. — Vgl. F. Hirsch, Byzant. Studien S. 308 flF. —
i Hauptschriften: Gr. Vasilievskij, Ueber das Leben und die Werke des Sjoneon
j Metaphrastes, Joum. Minist. Volksaufkl. 1880, 379 — 437 ist mir leider unzugänglich und
nur durch den kurzen Bericht von V. Jagic. Archiv slav. Philol. 5 (1881) 487 f. bekannt.
Theophilos Joannu, M^tjueia {iyiokoyixä. 'E»' BsvsiUi 1884, no6'/.oyog. — Schrift über
das Bild Christi: Ed. Combefis. Origines et antiquitates Cpolis, Paris 1664 S. 75 ff. —
Wiederholt bei Migne, Patrol. Gr. t. 118.
2. Eine dem Konstantin Porph. zugeschriebene, in Briefform gehaltene Bittrede an
den hl. Gregor von Nazianz ed. J. Sakkelion, Js'Ailoy rrjg I^jtoq. xal i&voXoy. txaiqing
ifjg 'EXXdiog 2 (1885—89) 261—265.
I 26. Joseph Qenesios stammte aus einer vornehmen Familie in
Byzanz; sein Vater Konstantin war unter Michael HI Befehlshaber der
Leibgarde und Logothet. Genesios gehörte dem Kreise der Gelehrten an,
welche Konstantin Porphyrogennetos um sich versammelte. Im Auftrage
des Kaisers schrieb er (zwischen 945 — 959) vier Bücher Königsge-
schichten [ßttGiXaiwv), nämlich die Geschichte Leos V (813—820),
Michaels H (820-829), des Theophilos (829—842), Michaels HI (842—867)
und Basilios I (867 — 886). Nach dem ursprünglichen Plane sollte das
Werk wohl nur die 4 ersten Kaiser umfassen, also bis zur makedonischen
Dynastie reichen. Die Geschichte des Basilios, welche Genesios mit der
Michaels III im letzten Buche vereinigt hat, ist dürftiger behandelt und
erscheint als ein Anhang des ganzen Werkes, das der Verfasser in zwei
heroischen Distichen dem Kaiser Konstantin widmet. Seine Quellen
waren, wie er selbst im Anfange des ersten Buches verrät, Mitteilungen
von älteren Leuten, welche die erzählten Ereignisse noch erlebten, und
das „umherlaufende Gerücht". Dass er mündliche Berichte von Zeitgenossen
reichlich verwerten konnte, erklärt sich aus der hervorragenden Stellung,
die seine Familie am Hofe Michaels III eingenommen hatte. Auf volks-
mässiger Tradition mögen namentlich seine Nachrichten über Weissagungen,
Visionen und andere Wunderdinge beruhen; auch den von der orthodoxen
Partei gegen die bilderstürmenden Kaiser verbreiteten Lügen schenkte Gene-
sios leichtgläubige Aufmerksamkeit. Daneben benützte er aber auch schrift-
liche Quellen, so die Biographie des Patriarchen Nikephoros von Ignatios
70 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
(s. § 185) und die des Patriarchen Ignatios von NiketasPaphlagon, end-
lich die ursprüngliche Redaktion der Chronik des Georgios Monachos.
An Material hat es dem Genesios mithin nicht gemangelt, wohl aber an
Kritik und Wahrheitsliebe. Seine Liebhaberei für Vorzeichen und anderen
Wunderkram mag man ihm nachsehen, und auch der heftige Hass gegen
die Bilderstürmer, den er mit seinen schriftlichen Quellen und anderen
Chronisten gemein hat, lässt sich aus der orthodoxen Reaktion seiner Zeit
leicht erklären; bedenklich ist aber der offene Parteistandpunkt im letzten
Buche, wo er die dunkeln Punkte im Leben Basilios I, besonders die von
ihm veranlasste Ermordung Michaels III nach Kräften zu verschleiern
sucht. Vielleicht hat er hier im Auftrage Konstantins VII gehandelt,
dem daran liegen musste, seiner eigenen Schrift über seinen Grossvater,
deren Objektivität der Nachwelt leicht verdächtig erscheinen konnte, ein
zweites Werk als Stütze und Bestätigung zur Seite zu stellen. Trotz
solcher Mängel ist Genesios als primäre Quelle für eine wichtige Epoche wie
als sprachgeschichtliches Denkmal von Bedeutung. Seine tendenziöse Dar-
stellung hat als Vorlage der Fortsetzung des Theophanes, des Symeon
Logothetes und des Johannes Skylitzes noch später fortgewirkt.
Die Sprache des Genesios riecht noch sehr nach der Barbarei und^
Leere des 8. und 9. Jahrhunderts. Verkünstelt, schwerfällig und holperig
bereitet sie sogar dem Verständnis manche Schwierigkeiten. Die Frucht«
einer dürftigen Belesenheit in der klassischen Litteratur werden in ge-
schmacklosen, bei den Haaren herbeigezogenen Homerzitaten und in un-
passenden etymologischen, historischen und mythologischen Abschweifungei
vorgelegt.
Ausgaben: Ed. pr. im 2.3. Bande des Venezianer Corpus der byzantinischen Hist
riker, mit historisch-kritischen Noten von Stephan Bergler, Venedig 1733. — Nacl
einer neuen, von E. Wunder veranstalteten Kollation der einzigen Handschrift (cod. Li|
siensis) ed. von Carl Lachmann, Bonnae 1834 (ohne die bei L. gewohnt« Sorgfalt).
Nach der Bonner Ausgabe wiederholt bei Migne, Patrol. Gr. 109 (1863) 985—1179.
Vgl. G. Beruh ardy, Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik 1836, Nr. 58. —
Hauptschrift: F. Hirsch, Byzantinische Studien S. 116 — 174. — H. Wäschke, Philologus
37 (1878) 255—275 handelt über die Handschrift und Biographie des Genesios und sucht
namentlich gegen Hirsch zu erweisen, dass jener Konstantin, der unt«r Michael III lebte,
nicht der Vater des Genesios gewesen sein könne.
27. Johannes Eameniates, ein frommer Priester aus Thessaloniko.
beschrieb auf Ersuchen Gregors von Kappadokien die Eroberung seiner
Vaterstadt durch den gefürchteten Anführer der kretischen Korsareii
Leo von Tripolis (31. Juli 904): 'lojärvov xXr^qixov xni xoi^ßovxXnaiov jor
Kafieridtoii tig Tip> akujatv tijg Qf-affaXoii'xr^g. Johannes steht ganz auf
dem Standpunkte des byzantinischen Klerikers; daher ist ihm aus der
Vorgeschichte der Stadt nur ihr Verhältnis zum Apostel Paulus und zu
ihrem berühmten Schutzpatron Demetrios f.n'Qoßkvii^g nennenswert. Seine
ablehnende Stellung gegen die heidnische Vorwelt glaubt er durch schaifV
Ausfälle gegen Orpheus und Homer, gegen Sirenen und Hellenen luicli-
drücklich betonen zu müssen.*) Sein politischer Blick reicht kaum über
') Das ist wohl eines der letzton Bei- ! Komnenon wird das Verhältnis zum Alter-
spiele offener Polemik gegen das hellenische | tum rein anficjuariscli; unter den Palüologeii
llcidcntum als uolches. Schon unter den , beginnt in Byzanz diu Zeit des Ihuntuiisnuüs.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 27—28.) 71
die Mauern seiner Vaterstadt hinaus; wir vermissen vor allem eine Dar-
legung der Machtentwickelung des arabischen Piratentums, durch welche
der waghalsige Schlag auf die zweitgrösste Stadt des Kaiserreiches mög-
lich wurde. Trotzdem verdient die Erzählung des Kameniates im allge-
meinen Glaubwürdigkeit und wirkt durch die frische Wiedergabe des Selbst-
f richten sogar künstlerisch. Seine historische Erudition ist allerdings eine
minimale, wie seine Leichtgläubigkeit gegen Volkssagen und ein bedenk-
licher Anachronismus (S. 498, 17 ff. ed. Bonn.) erkennen lässt; er ist kein
(Teschichtschreiber von Fach und hat die Feder nur aus einem persönlichen
Anlasse ergriffen; aber gerade hiedurch erhebt er sich über manche Scha-
]>lonenhistoriker der byzantinischen Zeit, welche mit dem landläufigen
Quellenapparate wohl vertraut sind, selten aber zu einer selbständigen
Auffassung und warmen Empfindung gelangen. Im Verlaufe des Berichtes
erfahren wir über die in der Umgegend von Thessalonike wohnenden
nichtgriechischen Völkerschaften und über das friedliche merkantile Ver-
hältnis zu denselben wichtige Details, aus denen sich ergibt, dass die
ethnographische Gruppierung Makedoniens schon im 10. Jahrhundert eine
ähnliche w^ar wie heutigen Tages. Wegen seiner sprachlichen Form
erspart uns Kameniates nicht die bei den Byzantinern stereotype Entschul-
digung der eigenen Unwissenheit. Wie sehr ihm aber eine gute Form am
Herzen liegt, beweisen die wiederholten naiven Hinweise auf die Not-
wendigkeit einer symmetrischen Komposition. Sein Sprachschatz ruht
ganz auf der Septuaginta, dem neuen Testament und anderen kirchlichen
Schi'iften. Er weiss seine Hilfsmittel aber wohl zu verwenden, und der
lebhafte, klare Fluss seiner Rede z. B. in der reizenden Schilderung der
Lage von Thessalonike (492 ff.) und in der anschaulichen Beschreibung
der Erstürmung der Stadt (534 ff.) verrät ein natürliches Formtalent.
Ausgaben: Ed. pr. Leo Allatius, Ivuuixtu II 179 ff. — Ed. F. Combefis mit
den Scriptores post Tbeophanem. Paris 1685 S. 317 fF. — Ed. I. Bekker mit Theophanes
continuatus, Bonnae 1838 S. 487—600. — Wiederholt von Migne, Patrol. Gr. 109 (1863)
519—653.
28. Vita Euthymii. Wichtiger als die Schrift des Kameniates ist
als Ergänzung der mangelhaften Nachrichten über die Regierung Leos des
Weisen (886 — 912) eine anonyme Lebensbeschreibung des Euthy-
mios, der 907 — 912 den Patriarchenstuhl inne hatte. Der Bericht be-
schäftigt sich zwar vorzugsweise mit kirchlichen Angelegenheiten und den
Ereignissen am Hofe. Doch ist gerade die Thatsache, welche den Mittel-
punkt der Biographie bildet, die vierte Ehe Leos des Weisen von weltge-
schichtlicher Bedeutung; denn sie bildet eine der ersten Etappen auf dem
Wege zur endgiltigen Trennung der orientalischen und occidentalischen
Kirche (1054). Ausserdem gewährt die Schrift manchen Anhalt, um in
die verworrene Chronologie der Zeit Ordnung zu bringen; auch zieht sie
eine Reihe wichtiger Persönlichkeiten aus völliger Verschollenheit ans
Licht; die Biographie des berühmten Erzbischofs Arethas (s. § 112) erhält
durch sie wertvolle Ergänzungen. So darf das Werkchen der Chi'onik des
Logotheten (s. § 56) als ebenbürtige Quelle für die Geschichte Leos an
die Seite gestellt werden. Der Verfasser, der seine Nachrichten offenbar
72 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
aus der Umgebung des Eutliymios selbst erhielt, empfiehlt sich durclil
Wahrheitsliebe und durch einfache, sachgemässe, freilich ziemlich unbe-j
holfene Darstellung. Sein Name ist mit dem Anfange der Biographie ver-
loren gegangen; doch lässt sich aus verschiedenen Andeutungen erkennen,
dass er zu den Mönchen des von Euthymios regierten Klosters gehörte;)
die Abfassung des Werkes fand nicht lange nach dem Tode des Euthymios|
(917), doch schwerlich vor dem Jahre 021 statt.
Die Vit« Kuthymii ist in einer einzigen am Anfange verstümmelten Handschrift er-
halten, welche Prof. G. Hirschfeld 1874 unter den Resten einer Klostcrbibliothek auf einer
Insel im Egherdirsee in Pisidien für die Berliner Bibliothek kaufte; daraus ed. von Carl
de Boor, Berlin 1888, mit einer gründlichen Abhandlung über die historischen Resultate
und einem Wort- und Sachregister. — Gehaltreiche Besprechung von A. Jülicher, Gott.
Gel. Anzeigen 1889, 383—387.
29. Leon Diakonos wurde um das Jahr 950 zu Kaloe am Tmolos
geboren und kam schon als Jüngling nach Konstantinopel. Als Diakon
folgte er dem Kaiser Basilios II Bulgaroktonos in den Krieg gegen die
Bulgaren (986), wohnte der Belagerung von Triaditza') bei und entkam
nach der Niederlage des kaiserlichen Heeres mit Mühe den Händen der
Feinde. Er beschrieb in 10 Büchern die Geschichte der Zeit von
959 — 975, also vornehmlich die drei grossen Kriege der Rhomäer gegen
die arabischen Korsaren auf Kreta, gegen die Sarazenen in Asien und
gegen die Bulgaren und Russen. Das Werk ist nach 992 geschrieben; an
der beabsichtigten Vollendung wurde Leo vermutlich durch den Tod ver-
hindert. Die Wichtigkeit dieser Darstellung leuchtet sofort ein, weil die
Regierungszeit des Nikephoros Phokas und des Johannes Tzimiskes, eine
der glänzendsten und erfolgreichsten Perioden der byzantinischen Geschichte,
früher nur durch Chronisten wie Zonaras und Skylitzes, durch arabische
Historiker, den Gesandtschaftsbericht des Luitprand und beiläufige Erwäh-
nungen bekannt war. Leon Diakonos ist der einzige zeitgenössische Hi-
storiker. Seine Quellen sind mündliche Mitteilungen von Augenzeugen
und eigene Beobachtungen.-) Er folgt seinem Stoffe mit grosser Teil-
nahme bis ins einzelne und belebt ihn durch eine Menge charakteristischer
Züge. Wir finden unter anderm wertvolle Nachweise über Wohnsitze,
Abkunft und Sitten der Bulgaren und Russen, für deren Geschichte Leo
einer der ältesten Gewährsmänner ist. Die Glaubwürdigkeit seiner Er-
zählung wird nur durch ihre loyale Tendenz etwas beeinträchtigt. Aus
Leo schöpfte später Zonaras und Skylitzes; das Werk selbst geriet,
wie es scheint, früh in Vergessenheit. 3) Eine unmittelbare Fortsetzung
der Darstellung Leos bildet das Geschichtswerk des Michael Psellos
(s. § 82), der noch mehr als sein Vorgänger als eigentlicher Hofgeschicht-
schreiber erscheint.
In seiner Darstellung nimmt sich Leo wie einst Menandcr Pro-
') Das alte Sardica, die Heimat Justi- *) Spezialgeschichten wnirdcn durch die
nians; das heutige Sophia. bequemeren und umfassenden Weltchroniken
'■') Tu di Tovxwy ^/öfift'u. x«i dart i'xf- sehr zurückgedrängt; wie (Jenesios, Michael
9a%fjioig ßi'rdf rei^tttfjui {e'infQ öq^OnXfjoi Attaliates und Nikephoros Bryennios, so ist
üiTfUf TttaröreQoi x«.V 'H^wöoroy), r« (Tf xtii ' auch Leo in einer ein/.igen Handschrift
7iQd( xtiiy tiöytiav t'jXQijiwaa. ntvin xai ifoiaio überliefert.
yga^'ß. S. T), 19 ed. Bonn.
A. Die Qeschichtechreiber. (§ 29.) 73
ttktor vorzüglich den blumigen Stil des Agathias zum Muster: doch
kann er aus Mangel an selbständigen Dichterstudien und feinerem Sprach-
gefühl nur den Schatten des Vorbildes erhaschen. Sein Stil bleibt trivial
und schwerfällig, der Periodenbau unerträglich einförmig. In seinen affek-
tierten Umschreibungen wie in den schwülstigen Bildern, mit denen er
das Erscheinen der Jahres- und Tageszeiten schildert, gleicht Leo dem
Theophylaktos; mit ihm hat er auch die Manier gemein, gewöhnliche
Wörter so viel als möglich durch poetische oder seltene Ausdrücke zu
einsetzen. *) Von anderen Profanschriftstellern verwertet er nur noch den
Prokop und in einzelnen Ausdrücken Homer, den eigentlichen Schulautor
von Byzanz. Um so belesener ist er in der Septuaginta und anderen
kirchlichen Schriften, denen er sowohl den grössten Teil seines Wort-
schatzes als auch vollständige Sentenzen und Bilder entlehnt. Syntaktische
Seltsamkeiten wie den unerlaubten Gebrauch des Dativs hat er mit anderen
I halbgelehrten Byzantinern gemein.^)
1. Ausgaben und Hilfsmittel: Schon Combefis hatte nach der einzigen Hand-
schrift, dem cod. Paris. 1712 (s. XI — XII) eine Ausgabe vorbereitet; doch wurde der Druck
durch den spanischen Erbfolgekrieg unterbrochen und nicht mehr aufgenommen. - Ed. pr.
(als letzter Band des Pariser Corpus der byz. Historiker) von B. Hase, Paris 1819. mit
einem musterhaften Kommentar, in dem Hase besonders sein grossartiges lexikalisches
Wissen verwertete. Das treflTliche Werk wurde bald selten, weil der grösste Teil der
Exemplare durch einen Schiffbruch verloren ging. Doch wurde die Ausgabe wiederholt
im Bonner Corpus 1828 (mit Hase's Kommentar, aber ohne die dem Pariser Drucke bei-
gegebenen Gemmentafeln und die dazu gehörigen Bemerkungen). Vgl. G. Bernhardy,
Berliner Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik 1832, 1, 121—132. Eine vorläufige litterar-
historische Notiz hatte Hase schon Not. et extr. 8 (1810) 2-54—296 gegeben. — Wiederholt
bei Migne, Patrol. Gr. 117 (1864) 635—926. — W. Fischer, Beiträge zur bist. Kritik
des Leon Diakonos u. s. w., Mitteil. d. Instituts für Österreich. Geschichtsforschung 7 (1886)
353 — 377 (handelt über chronologische Fragen und den offiziellen Charakter der Geschicht-
schreibung Leos). — Vgl. die durch Herbeiziehung der arabischen Quellen wertvolle Ab-
handlung von K. Leonhardt, Kaiser Nikephoros U Phokas und die Hamdaniden 960—969.
Diss. Halle 1887. — Hauptwerk zur Erläuterung: G. Schlumberger, Nicephore Phocas,
Paris 1890; S. 763 ff. Verzeichnis aller für die Zeitgeschichte wichtigen Quellen, u. a. einer
"von P. Syrkov, Petersburg 1873, herausgegebenen altbulgar. Aversion der Erzählung vom
Tode des Nikephoros.
2. Mit Leo edierte Hase einige andere auf die Zeit des Nikephoros Phokas and
Johannes Tzimiskes bezügliche Schriften, die auch im Bonner Corpus aufgenommen und
dort von Niebulir noch um einige Stücke vermehrt sind: A. Ein Buch Uegi tt a g a dg ofx^?
itoXf'fiov (De velitatione bellica) d. h. über den kleinen Krieg, über Plänklergefechte; es
geht unter dem Namen des Nikephoros Phokas, ist aber nicht von ihm, sondern von
einem seiner Offiziere abgefasst und wohl erst unter Basilios II herausgegeben. Der histo-
rische Wert des Buches i.st gering; was uns in demselben fesselt, ist die naive Soldaten-
t gräzität, die ganz an die sprachlichen Gnmdsätze des Konstantin PorphjTogennetos erinnert,
und die fachmännische Sclulderung des byzantinischen Kriegswesens mit seinen detaillierten
Vorschriften und seiner grausamen Disziplin. Vgl. Max Jahns. Ge.schichte der Kriegswissen-
Bchaften I (München 1889j 176 ff. G. Schlumberger, Nicephore Phocas S. 169 ff. —
') Statt ddeX(f6g gebraucht er lieber 1 von dem gemeinen Gebrauch abweichenden
fr-rädfiffog. öiKcitAwy. avvaiuog; für die ab- ' Formen ist freilich in Byzanz auch sonst
.rriffenen imd wegen der itazistischen Aus- weit verbreitet.
, räche in der ITiat undeutlich gewordenen 2) Auf halbgelehrtem Missverständnis
Formen von fi^l hat er eine wahre Muster- beruht z. B. die Verbindung von rtgorgeTio-
karte von Periphrasen wie Tiekio, TeXt9io, uta mit Dativ; zahlreiche Beispiele dieser
/6w, vnaQxot. 7ii'(fr^t'€(, Tjf'tfvya, xgtjftaTt^to; Dativmanie finden sich in der Vita Euthvmii
-< geläufige «xoi/w ersetzt er gerne durch und im mittelgriechischen Alexanderroman.
uxovTi;ofi(u. dteytj/to», dievoni^w. irwil^ta; Vgl. Krumbacher, Kuhns Zeitschr. f. ver-
statt oiiiog sagt er oft loioviog, statt fV lieber gleich. Sprachforschung B. 29 (1887) 191 imd
rii. Dieses Streben nach klangvollen und Berliner phil. Wochenschrift 1889, 1270.
74 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litieratur.
B. NertQni duträ^eig d. h. Novellen des Fhokas, die sich vorzüglich mit Einschrän-
kungen der Macht des Kleras beschäftigen. C. Die Akroasen des Theodosios; s. § 192.
D. Philopatris; s. ij 91. E. Der lateinische Gesandtschaftsbericht des Luitprand von
Cremona. Vgl. Dändliker und Müller, Liudprand von Cremona, Untersuchungen zur
mittleren Geschichte herausgeg. von M. Büdinger Bd. I, Leipzig 1871. F. Exzerpte aus
arabischen Historikern.
3. Proben der ebenfalls unter dem Namen des Nikephoros Phokas gehenden
militärischen Schrift lleQi xaricarciaecog ((nXtjxrov ed. Ch. Graux, Annuaire de rassoc. 9
(1875) 82-89.
4. Ein ähnliches Werk wie das oben genannte taktische Büchlein aus der Zeit des
Nikephoros Phokas verfasste im 11. Jahrhundert der byzantinische Optimat Kekaumenos.
Es sind anekdotenhafte Aufzeichnungen eines Soldaten von Beruf, der sich erst im späteren
Alter mit dem Schriftwe.sen und der Lektüre taktischer und historischer Werke beschäftigte.
Der Hauptwert des Schriftchens, das sich durch volksmässigc Naivität auszeichnet, beruht
in Aufschlüssen über die ethnographischen Verhältnisse des byzantinischen Reiches im
11. Jahrhundert. Ed. V. Vasilievskij unter dem Titel: Ratschläge und ?]rzählungen
(Sovjety i razkazy) eines byzantinischen Magnaten des 11. Jahrb., Petersburg 1881 (aus
dem Journal des Ministeriums für Volksaufklärung). — Vgl. W. Tomaschek, Sitzungsber.
der Wiener Akad. d. Wiss., phil.-hist. Gl. 99 (1881) 492-498.
30. Michael aus Attalia (o 'AiraXsidtrjg)^) bekleidete als angesehener
Jurist unter Eudokia, Romanos Diogenes, dem er auf seinem Feldzuge
gegen die Sarazenen folgte, Michael Parapinakes und Nikephoros Bota-
neiates verschiedene hohe Aemter und Würden. 2) Er schrieb 1. im Auf-
trage des Michael Parapinakes 1072 ein Kechtskompendium: //6vy<«
ro/iUx6v rjToi avvoipiq TT^ayuaTixi^. Obschon er die nach den Basiliken er-
lassenen Novellen nicht genau berücksichtigte, so hatte das in zahlreichen
Handschriften überlieferte Werkchen doch grossen Erfolg. Uns dient es
namentlich zur Ergänzung lückenhafter Teile der Basiliken. Identisch mit
dieser ^vioipig scheint das in einer Handschrift des Athosklosters Tov^
BatoTttdiov stehende ÜQÖyieiqov rö/Kov. 2. Eine Jidra^ig im rot nagi
avTov avarävTi TrrMxoTQoqttm xal rrp i.iovceaTrjQÜi>. Es sind testamentarische
Bestimmungen und Inventare für das von dem Attaliaten 1077 gegründet
Armenhaus und Kloster. Diese umfangreiche Stiftungsurkunde ist durch'
zahlreiche Einzelheiten für die byzantinische Kulturgeschichte des 11. Jahr-
hunderts von erheblicher Bedeutung. Von Wichtigkeit ist u. a. das Ver-
zeichnis der für die Klosterbibliothek gestifteten Bücher, 3. Im Jahre
1080 vollendete Michael ein dem Kaiser Nikephoros Botaneiates gewidmetes
Geschichtswerk über die Zeit von 1034 — 1079: laroQi'a ixteO^fiaic
Tiagd Mix^yjX aidfaifiMtäiov xqitov im tov iTTUoSgöfiov xcc) rov ßi^Xor 101
*AtiaXfi('(cov (so in der Pariser Handschrift). Das Werk beschreibt mithin
die verhängnisvolle, durch endlose Intriguen, Palastrevolutionen und Weiber-
herrschaft getrübte Uebergangszeit, welche das Ende der grossen make-
donischen Dynastie und das Aufblühen der Komnenen und Dukas in sicli
begreift. Dem Schlussworte zufolge beabsichtigte Michael das Werk noch
über das zweite Regierungsjahr des Nikephoros fortzuführen; wir wissen
nicht, ob dieses Vorhaben durch den Tod des Verfassers oder vielleicht
') Die Vermutung von Sathas, Mea. ßitiX. 1 nicht in der Hauptstadt geboren war: aTiiji
I S. C, dass Michael aus Konstantinopel ge- > y((Q ijy e^X"^ ^*' ü "/*' y^f'^^ty fa/tjxa, xw
bOrtig sei. stützt sich auf eine Hemerkung xah (?) avyy6riui xani yyuiftrjy ffttjy <fia-
der Juiiahg. er habe in Konstantinopel kein yeyefitjTtu tinaan.
erbliches Besitztum überkommen. Allein der i ■') Eines xQiTtji ini rov axQaxoniiot .
unmittelbar folgende, von Sathas nicht an- xQitiqi im ror Inno^QÖ^tov xal lov (itjkot.
geführte Satz beweist im iJogenteil, duss M. , üvdvnutoi, nttutixioi u. s. w.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 80.) 75
durch den plötzlichen Sturz seines kaiserlichen Gönners vereitelt wurde.
Der Attaliate schildert, wie Leon Diakonos, zum grossen Teil Ereignisse,
die er selbst erlebt und beobachtet hat.^) Sein Werk wurde von Nike-
phoros Bryenni OS ergänzt und weitergeführt, von Johannes Skylitzes
tür seine Chronik ausgebeutet. Zur Ergänzung dient das Geschichtswerk
les Psellos (s. § 82): doch verdient die verständige und aufrichtige Er-
zählung des Attaliaten, in der sich das scharfe Urteil und der Gerechtig-
keitsinn des Richters wiederspiegelt, vor den panegyrischen Wendungen
des glatten Hofmanns zweifellos den Vorzug.
Zur Beurteilung der Darstellung des Michael Attaliates ist von der
schwülstigen Widmungsepistel und der verschnörkelten Einleitung abzusehen.
Im Geschichtswerk selbst zeigt er zwar trotz seiner Versicherung, ßgct'/.^^
tivi Qrjiari xcd cl-rXoixoi schreiben zu wollen, die lästige Häufung von
Pleonasmen, Bildern und poetischen Eleganzen, die sich seit Agathias fast
alle Historiker eigen gemacht haben; im übrigen aber schreibt er weit
geschickter und fliessender als seine Vorgänger Leo und Genesios: sein
Werk steht sprachlich schon auf der L^ebergangsstufe von der dem Alter-
tume abgewendeten Periode des 7. — 10. Jahrhunderts zur künstlichen Wieder-
geburt des Klassizismus unter den Komnenen.
1. Ausgaben: Rechtskompendiuni. Juris Graeco-Roiuani ... tomi duo Johannis
Leunclavii . . . studio ex variis Europae Asiaeque bibliothecis eniti . . . nunc primum
editi cura Marquardi Freheri J. C. Francofurti 1596, v. II 1 — 79. - Vgl. E. Zacha-
riae vonLingenthal, Historiae iuris Graeco-Romani delineatio, Heidelbergae 1839, S. 71 ff.;
B. Mortreuil, Histoire du droit Byzantin t. III 218 — 229 und die übrige zu § 19 citierte
Litteratur.
Die Jidrcc^ig ed. K. Sathas aus einer mit des Attaliaten eigenhändiger Bestäti-
gung versehenen Handschrift des bei Konstantinopel liegenden usTÖ/iof zbv nafaylov xüffov
in der Mea. ^ißkio&rixr] I (1872) 1 — 69; vgl. seinen ÜQÖkoyog S. T — "?'. — Wiederholt
von Fr. Miklosich und J. Müller, Acta et diplomata Graeca medii aevi 5 (1887) 293—327.
Das Geschichtswerk zog aus cod. Paris. Sangerm. 136 mit teilweiser Benützung
eines Scoriacensis Brunet dePresle, der sein Material an I. Bekker zur Veröfifentlichung
im Bonner Corpus überliess: Mich. Attal. bist, opus a Wladimiro Bruneto de Presle
inventum descriptum correctimi recogn. I. Bekker, Bonnae 1853. - Die auf die Kreuzzüge
bezüglichen Partien sind wiederholt in dem unpraktischen Sammelwerke: Recueil des
historiens des croisades. Historiens grecs. T. I (Paris 1875) mit einem Kommentar von
B. Hase.
2. Ueber das Verhältnis des Skylitzes imd Kedrenos zum Attaliaten s. Brunet de
Presle, Praef. der Bonner Ausgabe S. 9 ff. — S. Röckl, Blätter für das baver. Gymnasial-
schulwesen 20 (1884) 277 ff.; 21 (1885) 4 flf. — W. Fischer, Mitteilungen des Instituts
für Österreich. Geschichtsforschung 7 (1886) 372 ff. — H. Seger, Nikephoros Bryennios
S. 38 ff. — Zur Erläutenmg vgl. die Studie von J. B. Bury, Roman emperors from Basil
U to Isaac Komnenos, The English histörical review 4 (188*9) 41—64; 251—285.
3. Die Jiuxfc^ig, welche der Attaliate dem von ihm gestifteten Kloster hinterliess,
gehört in eine noch wenig beachtete, aber für die bj-zantinische Kultur- und Lokalgeschicht«
höchst wichtige Litteratiu-gattung. Solche Klostersatzungen oder Tvnixü sind in
grosser Zahl erhalten und die meisten können für die historische Forschung mit Erfolg
verwertet werden. Zu den hervorragendsten Beispielen gehört das Tvtiixöv der Kaiserin
Irene (s. § 32), des Neophytos (s. § 35) und des Michael Paläologos (s. § 38). — Aus der
Zeit des Attaliaten stammt das Tvjiixoy xrjg fxoy^g tTJg Seoroxov xrjg UergitCoyiTlaarig (d. h.
der Gottesmutter von Petritzos bei Philippopel), welches von dem aus dem Briefwechsel
des Theophylaktos Achridensis und aus Anna Komnena bekannten iberischen Grossdomesticus
Gregorios Pakurianos (JlrcxovQtai'ög} [f 10861 verfasst ist. Ediert ist leider nicht das
erhaltene Original, sondern nur eine aus dem 18. Jahrhundert stammende neugriechische
|) Jltoi cn' ot'y. (-.xoft x<d /uvffoig ktiowi- n]^ t/ot^uäitaa. S. 8, 13 ed. Bonn.
rrcoi^.t'J'jr. c.'/./.' un' ciiog avTÖmtjg xui Oeic-
76 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litterainr.
Bearbpitiing nebst einer Einleitung über das Leben des Pakurianos von Georg. Musaeos,
Leipzig 1888 (= Dissert. philol. Jenens. vol. IV 133—210). — Ueber das im Jahre 1174
von dem Abte Nikolaos abgefassto Typikon des griechischen Klosters des hl. Nikolaoa
di Gasöle (bei Otranto) s. Ch. Diehl, Melanges d'archeologie et d'histoire de l'^cole
Fran<;'aise de Rome 6 (1886) 176 ff. — P. Bezobrazov, Unedierte Klosterregeln, Journal]
Minist. Volksaufkl. 254. Band (mir unzugänglich).
31. Nikephoros Bryennios wurde um 1062 in Adrianopel geboren;
er stammte aus einer berühmten, schon im 9. Jahrhundert erwähnten
Familie, der das byzantinische Reich einige ausgezeichnete Feldherrn ver-
dankte. Sein Vater war jener Stratege Nikephoros Bryennios, der 1078
mit Erfolg gegen den unfähigen Michael VIT Dukas als Kronprätendent
auftrat, dann aber von Alexios Komnenos, dem Feldherrn seines Rivalen
Nikephoros Botaneiates, überwunden und auf Befehl des Kaisers geblendet
wurde. Bald aber finden wir den alten Bryennios, der freilich nach dem
Verluste des Augenlichtes nicht mehr gefährlich sein konnte, am Hofe des
Alexios Komnenos in nicht unbedeutenden Stellungen. Sein Sohn Nike-
phoros, der sich durch Schönheit und Bildung aller Herzen gewann, wurde
von Alexios zum Gemahl seiner gelehrten Tochter Anna erwählt und durch
die hohe Würde eines Caesar ausgezeichnet. Fortan erscheint er als der
Vertraute des Kaisers, dem er durch seine militärische Tüchtigkeit undj
noch mehr durch seine glänzende Beredsamkeit wichtige Dienste erwies.
Im Jahre 1097 leitete Nikephoros die Verteidigung der Mauern von Kon-j
stantinopel gegen Gottfried von Bouillon; 1108 vermittelte er den Frieden!
zwischen Bohemund und Alexios; 1116 entschied er durch rechtzeitiges]
Eingreifen den Sieg über den Sultan von Ikonion; in demselben Jahre]
bediente sich der Kaiser seines Beistandes bei der Bekehrung der Mani-
chäer. Gegen den Plan seiner Schwiegermutter Irene und seiner Gemahlinl
Anna, ihm statt dem Sohne des Alexios die Thronfolge zu sichern, verhieltj
sich Bryennios ablehnend, besass aber doch nicht die Energie, der ver-j
brecherischen Intrigue der beiden Frauen von Anfang an offen entgegen-^
zutreten. Auch unter Johannes Komnenos war Nikephoros vielfach an
den Regierungsgeschäften beteiligt; nachdem er den Kaiser zuletzt noch
in den syrischen Feldzug des Jahres 1137 begleitet hatte, starb er zu Byzanz
an einer Krankheit.
Eine litterarische Leistung von einem so vielseitigen, militärisch und
diplomatisch so erfahrenen, mit dem kaiserlichen Hause so lange und so
enge verbundenen Manne muss ohne weiteres die grösste Spannung erregen.
Ausser philosophisch-rhetorischen und historischen Schriften, von welchen
wir nichts Genaues wissen, schrieb Nikephoros im Auftrage seiner Schwieger-
mutter Irene ein Werk über die Geschichte des Alexios Komnenos,
das er in der Vorrede als Geschichtsmaterial {vXrj imoQi'ac) bezeichnet.
Nach einigen Vorbemerkungen über den Vater des Alexios beginnt mit
dem Jahre 1070 die ausführliche Erzählung, die Bryennios bis in den An-
fang der Regierung des Botaneiates (1079) herabführt. Die ersten zwei
Bücher scheint er noch zu Lebzeiten des Alexios abgefasst zu haben, die
beiden anderen erst später; an der Vollendung des mitten in der Er-
zählung abbrechenden Werkes hinderte ihn der Tod. \'ernmtlich wollte
er in einem fünften Buche die Regierung des Botaneiates zu P]nde führen.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 31.) 77
Das Werk des Bryennios ist weniger eine Zeitgeschichte, als eine
Art Familienchronik. Den Inhalt bilden die inneren Kämpfe, welche die
Erhebung des Komnenenhauses vorbereiteten, die Empörungen der Adels-
parteien und die Intriguen des Hofes, von äusseren Ereignissen vornehm-
lich die stets wachsende Bedrängung durch die Türken. Der Hauptnach-
druck fällt auf die Thätigkeit der Mitglieder des Komnenenhauses, für
deren Schilderung die übrigen Ereignisse als Folie dienen. Die chrono-
logische Anordnung des Stoffes wird wie bei den meisten Byzantinern von
einer lokalen gekreuzt, bei welcher die alte Einteilung des Reiches in die
europäischen und asiatischen Provinzen massgebend war. Seinem histori-
schen Werte nach betrachtet hat das Werk die Licht- und Schattenseiten,
welche allen von politisch hervorragenden Persönlichkeiten verfassten Me-
moiren anzuhaften pflegen. Durch seine enge Verbindung mit dem Kom-
nenenhause verliert Bryennios an Objektivität, was er an Sachkenntnis
gewinnt. Er verschweigt vieles, was wir wissen möchten, und schildert
manches mit offenbarer Tendenz und nach persönlichen Rücksichten : anderer-
seits ist er besser als ein Privatmann im stände, sich offizielle Berichte
zu verschaffen und den Zusammenhang der Dinge zu überschauen. So
liefert er der Geschichtsforschung ein wertvolles Material, das jedoch der
kritischen Sichtung bedarf. Die Fortsetzung und Ergänzung seines Werkes
übernahm seine Gemahlin Anna Komnena.
Zur Information dienten ihm zunächst mündliche Berichte älterer
Zeitgenossen, wie seines Vaters und Schwiegervaters; auf sie gehen allerlei
Anekdoten zui-ück, die aus dem Leben der Komnenen, der Dukas u. s. w.
erzählt werden. Daneben benützte er aber auch ausgiebigst schrift-
liche Quellen; im ersten Buche hat er das Geschichtswerk des Psellos
und die Chronik des Skylitzes auf längere Strecken ausgeschrieben, in
den übrigen drei Büchern verwertet er neben Skylitzes auch den Mi-
chael Attaliates; an zahlreichen Stellen hat er seine Vorlagen aus seiner
eigenen Kenntnis und von seinem Parteistandpunkt aus ergänzt und be-
richtigt. Seiner Darstellung nach gehört Bryennios in den Kreis der
Schriftsteller, welche die litterarische Reformation der Komnenenzeit er-
öffnen. Doch tritt bei ihm das Streben nach abgerundeter und klassischer
Diktion viel weniger hervor als bei dem Haupte der neuen Kunstrichtung,
dem grossen Stilisten Psellos, weniger auch als bei seiner gelehrten Ge-
mahlin Anna. Wie sein Werk nicht eine nach den traditionellen Prin-
zipien der historischen Technik aufgebaute Geschichte, sondern eine naive,
fast novellenartige, mit humoristischen und heldenhaften Zügen ausge-
stattete Schöpfung ist, so hat auch seine Sprache nicht jene runde, wohl-
geglättete Fülle, welche den meisten übrigen Autoren der Komnenenzeit
eigen ist. In der Anwendung von Tropen, Sentenzen und Gleichnissen ist
er verhältnismässig sparsam; sein Satzbau ist schlicht und knapp; er hat
etwas von der soldatenmässigen Einfachheit des Kinnamos. Der grösste
Teil seines Sprachmaterials ist natürlich byzantinisches Gemeingut; von
den alten Autoren erscheint nur Xenophon mit genügender Deutlich-
keit als Vorbild, dem er militärische Ausdrücke und ganze Satzschemen
entlehnt.
78
fiyzantinische Litter atnrgeschichte. 1. Prosaische Litteratnr.
1. Ausgaben: Das Werk des Bryennios wurde aus der einzigen, jetzt gänzlich
verscliollenen Handschrift, die sicli einst im Besitze des Rechtsgelehrten Jakob Cujas be-
fand, sehr mangelhaft ediert von P. Possinus, Paris 1661. — Wiederholt Venedig 1729
mit dem guten Kommentar von Du Cange, der im Pariser Corpus erst nachträglich sub
calce Cinnami veröffentlicht worden war. — Ed. A. Meine ke, Bonnae 1836, mit Beseiti-
gung der phantastischen Konjekturen des Possin, jedoch ohne selbständige Förderung des
Textes und ohne Verbesserung der elenden lateinischen Uebersetzung des Pariser Heraus-
gebers; der Kommentar von Du Cange ist auch hier wiederholt. — Abdruck bei Migne,
Patrol. Gr. 127 (1864) 1-216.
2. Hilfsmittel: F. C. Petersen, Kritisk Undersögelse om Aegtheden af Fortalen
. . . . af Nikephoros Bryennios, Det Kong. Danske Videnskabemes Selskabs bist, og phil.
Afh. 7 (1845) 21—89. - E. Oster. Anna Komnena I (Rastatt 1868) S. 5; dortselbst S. 58
Verzeichnis der älteren Litteratur. - Für das Geschichtliche: Gfrörer, Byzantinische Ge-
schichten III (Graz 1877) 741 f. 791; 828 f. — Emendationen von S. Röckl, Blätter filr
das bayer. Gymnasialschulwesen 21 (1885) 18. - Hauptschrift: Hans Seger, Byzan-
tinische Historiker des 10. und 11. Jahrhunderts, I. Nikephoros Bryennios. Diss. München 1888.
— Vgl. C. Weyman, Berliner philol. Wochenschrift 1889, 1242 ff.
3. Ein kritisches Problem bildet die dem Werke vorausgehende, am Anfange ver-
stümmelte Einleitung, die von Petersen aus sachlichen und sprachlichen Gründen für
unecht erklärt worden ist. Seger, der (a. a. 0. S. 83 ff.) neue und bessere Argumente
beibrachte, hat sehr wahrscheinlich gemacht, dass nicht die ganze Vorrede, sondern nur
der grösste Teil derselben (bis S. 15, 16 der Bonner Ausgabe) ein fremdes Machwerk ist,
welches dem echten, mit ^Af^Xoy (fi] rovro beginnenden Proömion des Bryennios nachträglich '
vorangestellt wurde.
32. Anna Komnena {"Arvu r) Koi^inp'rj) wurde als das älteste Kind
des Kaisers Alexios Komnenos 1083 geboren. Wie die meisten byzanti-
nischen Prinzessinnen erhielt sie eine auserwählte Erziehung, die anfäng-
lich von Maria, der Witwe des verstorbenen Kaisers Nikephoros Bota-
neiates, geleitet wurde. In ihrer umfassenden Bildung spiegelt sich schon
der litterarische Aufschwung der Komnenenepoche. Sie liest Homer,
Herodot, Thukydides, Aristophanes, die Tragiker und den Polybios, selbst-
verständlich die heiligen Schriften; sie beweist Kenntnisse in der alten
Mythologie, Geographie und Geschichte, in Rhetorik und Dialektik, selbst
in platonischer und aristotelischer Philosophie. Ihr Vater vermählte sit
mit dem trefflichen Nikephoros Bryennios, dem Sohne des Kronpräten-
denten unter Nikephoros Botaneiates. Beim Tode des Alexios (1118) Hess
sich Anna von ihrem Ehrgeiz und ihrer weiblichen Eitelkeit dazu hin-
reissen, im Verein mit ihrer Mutter Irene eine Verschwörung gegen den
rechtmässigen Nachfolger des Alexios, seinen Sohn Johannes anzustiften,
um ihren eigenen Gemahl Nikephoros auf den Thron zu erheben und durch
ihn über das Reich der Rhomäer zu herrschen. Als durch die kluge Ent-
schlossenheit des Johannes wie durch die ablehnende Haltung des Bryen-
nios') die weibliche Intrigue vereitelt worden war, fügte sich Anna ins
Unvermeidliche. Bald nach dem Tode des Alexios zog sie sich mit der
Kaiserin Irene in das von dieser gegründete Kloster Ti'^g Ä^*x"?"^/***'V^ *)
') Anna war über das Benehmen ihres
(jlemahls, das sie als Mutlosigkeit auslegte,
höchst unglücklich und machte ihrem Aerger
in einem derben und kaum übersetzbaren
Spottworte Luft, djis uns Niketas Akominatos
(15, 18 ed. Bonn.) überliefert hat: rtjf Kataii-
Qiaany "Avvnv TiQog ro /(tvyoy tov xuvTtjg
itydgoi dva}(eQ(tiyovaay .... tijy <pvaiy tu
TtoXXii iTtifii'/nffea&ui vn' aixiay it9elany
ot')[l fiixgny, löi ttvxfj fxiy iy&i«a ^ovaay
70 (<(»9Qoy xul iyxoiXtiyuauy , rw li't
liQveyyito t6 fxÖQioy ttnot eiynaay xni
aq^cciQtiiauan y.
*) Die im Original erhaltene, geschicht-
lich nicht unwichtige Stiftungsurkunde
wurde ediert von Montfaucon, .\nalecta
(4raeca 1688 S. 136 ff., darnach wiederholt
von Migne, Patrologia Grneca 127, 985--
1128 und von Fr. Miklosich-J. Müller,
Acta et diulom. (Jr. medii aevi 5 (1887) 327
bis 391. Vgl. H. Seper, Nikephoros Bry-
ennios S. 24.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 32.) 7d
zurück, um in tiefer Abgeschiedenheit ihr Leben zu beschliessen. Hier
verfasste sie das ohne Zweifel schon früher vorbereitete Werk, welches
ihr eine nicht unbedeutende Stelle in der byzantinischen Litteraturge-
schichte sichert, die 'AXe^iäg: im Jahre 1148 hatte sie das Werk voU-
endet; ihr Todesjahr ist unbekannt. Die Alexias. ein umfangreiches
Werk in 15 Büchern, ist die Geschichte des Alexios Komnenos und
umfasst die Zeit von 1069 — 1118; es werden also nicht nur die Ereignisse
unter der Regierung des Kaisers Alexios, sondern auch seine früheren
Thaten und die Machtentwickelung des Komnenenhauses geschildert. So
ist Anna's Werk eine Ergänzung und Fortsetzung des von ihrem Gemahl
Nikephoros Bryennios hinterlassenen, bis 1079 reichenden „Geschichts-
materials", auf das sie auch häufig verw^eist. ')
Ueber ihre Quellen macht Anna manche Andeutungen. Da sie Er-
eignisse ihrer eigenen und der kurz vorausgegangenen Zeit schildert, so
kannte sie vieles aus eigener Beobachtung: durch ihre hervorragende
Stellung am Hofe erfuhr sie manches persönliche und sachliche Detail,
das sich der Wahrnehmung anderer Autoren entzogen hätte. So verwertete
sie mündliche Erzählungen ihrer Verwandten und anderer Personen, die
den Begebenheiten nahe standen; als Zeugen nennt sie auch alte Krieger,
von denen sie sich über die Feldzüge ihres Vaters berichten Hess. 2) Ausser
diesen mündlichen Mitteilungen benützte sie aber sicher auch schriftliche
Quellen wie Staatsarchive, diplomatische Korrespondenzen, kaiserliche Re-
skripte. Was sie unter den schlechten und formlosen Sclmften versteht,
von deren Verwendung sie einmal spricht, 3) ist dunkel; vielleicht waren
es biographische oder memoirenhafte Werke, die von ungebildeten Kriegern
oder Beamten in der Zurückgezogenheit abgefasst wurden. Endlich ist
eine merkwürdige Quelle der Alexias nachgewiesen worden, die deutlich
beweist, wie sehr sich Anna genaue Informationen angelegen sein Hess.
Sie hat nämlich für Dinge, die sich auf Robert Guiscard beziehen, eine
verschollene lateinische Chronik, vielleicht ein Werk des Archidiaconus
Johannes von Bari, benützt, die auch von Guillermus Apuliensis für
sein zwischen 1099—1111 abgefasstes lateinisches Gedicht Gesta Roberti
Wiscardi verwertet worden ist.^)
Die Kritik, welche Anna an ihre Hilfsmittel anlegte, ist häufig nur
eine äusserliche und scheinbare; sie sichtet zwar sorgfältig, sie stellt ge-
wissenhaft verschieden lautende Nachrichten zusammen und spricht gerne
von ihrer unbestechlichen Wahrheitsliebe; im Grunde aber siegt, was auch
jedermann natürlich finden wird, die kindliche Eitelkeit und Liebe über
die konsequente Objektivität; es kommt ihr wesentlich darauf an, das Bild
ihres Vaters und ihrer Familie im besten Lichte zu zeigen. Die pane-
gyrische Tendenz verrät sich schon im Titel Alexias, der ein Epos oder
*) Z. B. X 2 (vol. II S. 59 ed. Teubn.) [ die wohl manches Jägerlatein in der Alexias
oTitas (ff Toi XeTXTofieQeareQoy i9EXoyTi I zurückgeht.
/iay9(iy(ty siiarai und xüiy xov xXsiyov Kai- i *) Anö riviay avyeke^dfÄijy ^vyyQa/ifittrtoy
coQOi at'yygauuärtoy disyTt>xsTy. Ebenso ü/Qsimy xtu uanovJwy Ttityrunaai u. s. w.
Praef. 3; I 1; I 4; II 1: VII 2 (Ed. Teubn. XIV 7 (vol. II 254, 13 ed. Teubn.).
vol. I S. 5; 11; 17; 58; 2-30; 231). *) S. R. Wilnians am unten angeführten
^) Eine ziemlich bedenkliche Quelle, auf [ Orte.
So Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
ein Gedicht in Prosa anzukündigen scheint. In ihrer Auffassung der
Kreuzzüge ist Anna selbstverständlich ganz und gar Byzantinerin. Dio
christliche und soziale Idee, welche diese mächtigen Vülkerbewegungeii
ursprünglich leitete, hat in Byzanz stets taube Ohren gefunden.') So er-
blickt auch Anna in den Unternehmungen der Kreuzfahrer nur drohende
Gefahren für das byzantinische Reich und eine Quelle von Misshelligkeiteii
für Alexios. Dazu stimmt der konfessionelle Hass gegen die Lateiner,
den sie mit ihren Zeitgenossen wie mit ihrem Nachfolger Kinnamos ge-
mein hat. Bedenklicher als diese aus ihrer verwandtschaftlichen Stellung
und ihrer Nationalität leicht erklärbaren Eigenheiten ist ihre mangel-
hafte Chronologie.
Eine wirklich historische Auffassung der Begebenheiten wird
man im 12. Jahrhundert nicht erwarten, am wenigsten von einer Geschicht-
schreiberin. Wie sich die Frauen immer und überall mehr für das Aeusser-
liche, Individuelle und Konkrete als für innere Zusammenhänge und letzte
Motive erwärmen, so schildert auch Anna lieber glänzende Staatsaktionen,
pomphafte Audienzen, Kirchenfeste und Aehnliches als die Bestrebungen und
Erfolge ihres Vaters im Heere, in der Verwaltung, im Finanz- und Ge-
richtswesen. Bei allen Mängeln bleiben diese Memoiren einer Tochter über
ihren Vater eine der hervorragendsten Leistungen der mittelgriechischon
Geschichtschreibung; sie sind ein quellenmässiger Bericht über eine glän-
zende, auch für das Abendland wichtige Periode der byzantinischen G(
schichte; wir erblicken in ihnen das mit liebevoller Sorgfalt ausgeführt!.
Gemälde eines Herrschers, der, durch militärische und politische Thatkraft
wie durch überlegene Klugheit gleich ausgezeichnet, zu den grossartigsten
Gestalten des Mittelalters gehört. Unter den menschlichen Zügen, die in
Anna's Werk hervortreten, bemerkt man ein beträchtliches Talent für
Witz und Spott, die weibliche Schwäche für Klatsch und Verleumdung
vor allem eine starke i]itelkeit; der Stolz auf ihre Bildung, ihren Kanu
und ihre griechische Abstammung tritt bei jeder Gelegenheit hervor.
Schwer wird das idyllische Bild dieser sonst so anziehenden Frau durch
die dämonische Herrschsucht getrübt, welche sie sogar der schwesterlichen
Liebe untreu werden Hess.
In formaler Hinsicht ist die Alexias das erste grössere Denkmal
der litterarischen Renaissance, welche, durch Männer wie Psellos
wirksam vorbereitet, im Zeitalter der Komnenen ihre schönsten Früchte
zeitigte und noch unter den Paläologen fortdauerte. Während Genesios^
Leon Diakonos und zum Teil auch der Attaliate noch unter dem Einflüsse
der dem Klassischen abgewandten, wesentlich auf kirchlichen und byzan-
tinischen Mitteln beruhenden Darstellungsweise der makedonischen Zeit
stehen, ist Anna schon ganz Humanistin. Sie schreibt nicht mehr die
Sprache ihrer Zeit wie es bis zu einem gewissen Grade die Autoron der
genannten Epoche thaten, sie wählt ihre Muster nicht bei Agathias, Theo-
phylaktos, Genesios oder Leo, sie ist ferne von jener Gleichgiltigkeit gegen
Vulgarismen und Fremdwörter, welche man in den litterarischen Kreisen
') Wie Belir diw Miustrauon der («riei^heii i und preuolvoll«' Auscans dos vierten Kreux-
begründet war, liat 8]iUtur der »(-handliche , zugeu nur zu deutlich bewiesen.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 32.) 81
des Konstantin Porphyrogennetos und seiner nächsten Vorfahren bemerkt;
ihr Ideal ist der Attizismus, ihre Vorbilder sind Thukydides und Poly-
bios,^) nur nebenbei auch Spätgriechen wie Johannes von Epiphania.-)
Fremde Namen, die nach ihrer Ansicht den historischen Stil beflecken,
wie auch vulgäre Wörter gebraucht sie nur im Notfalle und häufig mit
ausdrücklichster Entschuldigung.^) Was die Form der Alexias am prin-
zipiellsten von den Werken der vorhergehenden Jahrhunderte unterscheidet,
ist die Thatsache, dass die Gräzität hier eine völlig künstliche, schulmässig
erlernte geworden ist;*) der originalbyzantinische Zug. der die Litteratur
vom 7. — 10. Jahrhundert belebt, ist einer fast ganz mumienhaften Schul-
sprache gewichen, die zu dem gleichzeitig hervortretenden Vulgäridiom ^)
den denkbar grössten Gegensatz bildet. Die Doppelköpfigkeit der griechi-
schen Sprache und Litteratur ist von nun an unwiderruflich entschieden.
Trotz ihres pedantischen Klassizismus kann aber auch Anna die Spuren
ihrer Zeit nicht verleugnen; auch sie beweist, dass es leichter ist, den
alten Vorbildern Wörter und Phrasen zu entnehmen als ihnen in den
schwierigeren Teilen der Sprache, in der Konstruktion und im Stile, gleich-
zukommen. Selbst im Wörterbuch sieht sie sich zu manchen Konzes-
sionen an die militärische und politische Terminologie ihrer Zeit ge-
nötigt.
1. Ueberlieferung: Die Alexias ist in wenigen Handschriften erhalten, deren
Verhältnis noch nicht ganz aufgeklärt ist. An der Spitze steht der Florentinus 70, 2
(s. XII). mit welchem eine in 8 Bücher eingeteilte Epitorae der ersten 14 Bücher im cod.
Monac. Gr. 35.5 und im cod. Vatic. Gr. 981 übereinstimmt. Urnen gegenüber steht der
am Schlüsse den Florent. ergänzende Paris. Goisl. 311 (s. XII), aus welchem ein Barberin.
und ein Vatican. geflossen sind. Der Paris, enthält eine grosse Zahl offenbar im Partei-
interesse der Komnenen ausgeführter Aenderungen und Interpolationen. Ob dieselben von
einem Kopisten oder von der Verfasserin selbst herrühren, bleibt noch eine offene Frage.
Auch Ober die Entstehungszeit der genannten Epitome des Monac. und Yatic. die an einer
Stelle aus Zonaras interpoliert ist. lässt sich nichts Sicheres feststellen. — Endlich über-
liefert eine leider verstümmelte Leydener Handschrift einen Auszug der Alexias in
einfacherer imd mehr volksmässiger Sprache; s. Schopen, ed. Bonn. vol. I, XVI. Ediert
ist dieser Text von E. Miller, Recueil des bist. Grecs des croisades t. I (Paris 1875)
2, 65 — 179. Vgl. J. Psichari, Essais de grammaire historique neo-grecque vol. I (Paris
1886) S. 16.
') Dem Polybios (I 14) hat sie sogar gegen fremdklingende Namen mag durch die
in der Vorrede (S. 4, 26 = 5, 3 ed. Teubn.) , Schwierigkeit ihrer Wiedergabe in griechi-
einen ganzen Satz entwendet. \ scher Schrift gesteigert worden sein, ihr
^) S. § 13. Aber auch er dient ihr wohl '• Hauptgrund ist aber der seltsame sprach-
nicht als Original, sondern als Fimdgrube liehe Purismus, der noch heute in Griechen-
schöner Phrasen aus Thukydides. land historisch gewordene neuere Ortsnamen
^) Nachdem sie (X 8 = vol. II S. 81 | massenhaft ins Altgriechische übersetzt hat.
ed. Teubn.) eine Reihe fremder Namen an- Ebenso liebt es Anna, beim Gebrauche volks-
geführt hat, sagt sie: xcü u£u(fiad(o u>;Jeig tümlicher Wörter auf den dunkeln Ur-
i^fiTf TotovToig /Qwuf'ro(g öyöuaat ßf(Q- sprung derselben hinzuweisen, z. B. ^fffrt«pi-
ßaQixoTg x((i ticp' cjy iaxi rd v(fog rtjs tag »J avyij9eia xaXei (IV 4 = I S. 138 ed.
IcTogiug x(eTauiaiysa&(u . ovde yuQ 6 Teubn.).
't)fit]Qog <c7irjii(oae lioiwiovg oyouüCeiy xai ; *) To'EXXijyl^ety eig rtxQoy ianovdaxvTa
nyttg ßaQiiuQw&eig yijaovg dicc XTJy TTJg iaxo- rülmit sie im Proömion ganz richtig von sich ;
Qiug rix^ißsiay. AehnUch rechtfertigt sie sie hat das Griechische , studiert* wie eine
(VI 14 = I S. 222 ed. Teubn.) die Aufzäh- fremde Sprache.
lung russischer Namen: /e»; ;'«(» x«t r»/? c;tü>- ^) Anna führt selbst an zwei Stellen
Wfiiag ufu%'f,a9(a rwr x«r' avTovg uQiaxiov (II 4 und VII 3 = vol. I S. 69, 6 und 240, 5
KviQÜjy, ei x((i xd aujfict rijg iaxoQiag ed. Teubn.) vulgärgriechi.sche. vom Volke
fotxoig xuxttuiidyBxut,. Diese Abneigung ; gegen Alexios gesungene Spottverse an.
Bandbuch der klass. AltortumswisscDHcluift. IX. 1. Abtlg. (J
82 Byzantinische Litteratnrgeschiclite. I. Prosaische Litteratur.
2. Ausgaben: Zuerst erschien die Epitome des Monac. opera D. Hoeschelii,
Aug. Vindel. 1610; wiederholt 1618. — Das ganze Werk: Pr. ed. Petrus Possinus,
Paris 1651 (unlesbarer Text mit einem wertlosen Glossar). — Wiederholt Venedig 1729. —
Im Bonner Corpus vol. I (Buch 1—9) ed. J. Schopen 1839, vol. II (Buch 10—15) ed.
A. Reifferscheid 1878; beigegeben sind Parallelstellen aus lateinischen Chroniken, eine
neue lateinische Uebersetzung, das Glossar des Possin, der unschätzbare Kommentar von
Du Gange, ein historischer und sprachlicher Index, Register der Sprichwörter und Münz-
tafeln; der Florent. ist erst für den 2. Band beigezogen. — Abdruck der Pariser Ausgabe
bei Migne, Patrol. Gr. 131 (1864) 59-1244. - Die auf den ersten Kreuzzug bezüglichen
Partien edierte (ohne den Florent.) E. Miller, Recueil des historiens des croiaades. Hist.
Grecs t. 1, 2 (Paris 1875); dazu ein Kommentar in tome II (1881). — Auf einer voll-
ständigen Kollation des Florent. beruht erat die neue Ausgabe von A. Reifferscheid,
2 voll. Lipsiae, bibl. Teubn., 1884; doch ist daneben die Bonner Ausgabe wegen der er-
wähnten Beigaben nicht ganz zu entbehren.
3. Hilfsmittel: Fr. Wilken, Rerum ab Alexio 1, Joanne, Manuele Comnenis
gestarum libri IV, Heidelbergae 1811, S. 180 und sonst. — R. Wilmans, Anna Comn.
verglichen mit Guil. Apuliensis, Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichts-
kunde von Pertz 10 (1851) 87—121. — H. Krause, Die Byzantiner des Mittelalters,
Halle 1869 S. 299—303 (wertlos). — H. von Sybel, Geschichte des ersten Kreuzzugs,
2. Aufl., Leipzig 1881, wo die Alexias allenthalben benützt und kommentiert ist. — Bei-
träge zur sachlichen Kritik und Erklärung von W. Fischer, Trapezus im 11. und 12. Jahr-
hundert, Mitteil, des Instituts für Österreich. Geschichtsforschung 10 (1889) 177 — 207. —
Zur Sprache: A. Reifferscheid, Anal. crit. et gramm., Index lect. Breslau 1877 — 78
S. 11. — Richtige Erklärung eines der von Anna angeführten vulgärgriechischen Spott-
verse von W. Fischer, Berliner philologische Wochenschrift 5 (1885) 391 f. — Haupt-
schriften: E. Oster, Anna Komnena, 3 Progr. Rastatt 1868, 1870, 1871. — C. Neu-
mann, Griechische Geschichtschreiber und Geschichtsquellen im 12. Jahrhundert, Leipzig
1888 S. 17 — 30. — Zusammenstellung der älteren Litteratur bei Oster 1 52.
4. Eine deutsche Uebersetzung in Fr. Schillers Allgemeiner Sammlung historischer
Memoires vom 12. Jahrh. bis auf die neuesten Zeiten, Jena 1790, I 1 — 2. — Selbst zu
einem freilich ziemlich missratenen historischen Roman hat die Alexias nebst Nikephoros
Bryennios die Grundlage liefern müssen, zu Walter Scott 's Count Robert of Paris.
33. Johannes Kinnamos wurde kurz nach dem Tode des Johannes
Komnenos (1143) als Sohn einer vornehmen Familie geboren und gelangte
früh an den Hof Manuels (1143 — 1180), den er als Sekretär") auf seinen
Feldzügen in Europa und Asien begleiten durfte.-) Dass er unter Kaiser
Andronikos noch lebte, wissen wir aus Niketas Akominatos; ^) dieser erzählt
nämlich von Kinnamos eine hübsche und für byzantinische Gepflogenheiten
recht bezeichnende Anekdote, die sich in der Umgebung des Andronikos
Komnenos abspielte. Der Kaiser vernahm einst, dass der Bischof von
Neu-Patras und Kinnamos in seinem Zelte über den Ausspruch Christi
„Mein Vater ist grösser als ich" eine lebhafte Diskussion führten; da ge-
riet er in Zorn und drohte beiden, sie in den Fluss Khyndakos zu stürzen,
wenn sie ihr dogmatisches Gezänk nicht sofort beendigten. Auch den
Andronikos (f 1185) muss Kinnamos noch überlebt haben; denn in einer
Handschrift des Eskurial wird eine Rede des Kinnamos an einen Kaiser
aus dem Hause Angelos erwähnt.^)
') In der Ueberschrift des Werkes wie ^)^ Ta ye fiijy rov fier' rxe^roy MtiyovtjX
Mich im Titel der verlorenen Itedf^ an Kaiser ovx oi'ifa et tk iuov xükXioy fiiaioQijani
Angelos (s. u.) wird er }'Qa/itfi(<Ti.x6g genannt; t/f/, insi xai ovthd fiiiQftxiii) ye «rri fioi
dieses Wort scheint nicht ein offizieller Aus-
druck für eine bestimmte Stufe der byzantini-
schen Beamtenhierarchie, sondern nur eine
allgenn^ine, populäre Bezeichnung filr einen
Beamtt'n, der schriftliche Arbeiten zu besorgen
Ttkeiarai avytxthdtjut;xtt'ai ol ttoy ei( tjnetQoy
ixarigayavyf'jiaiyey txaiQaietiuy. S.5ed. Bonn.
») S. 430 ed. Bonn.
*) E. Miller, Catal. des mss. Grecs de
la bibliotiieque de rKscurial, 1848 S. 218.
hatte, HO daHH es wtdil am besten mit unserm Vgl. L. Fr. Tafel , Komnenen und Normannen,
vielsugundcn Sekretär zu überwetzen ist. S. XVI II und C. Neu mann a. a. ü. S. 94.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 33.) 83
Kinnamos verfasste ein Geschichtswerk, welches in den uns er-
lialtenen sieben Büchern die byzantinische Geschichte von 1118—1176,
also die Regierung des Johannes Komnenos und den grössten Teil der des
Manuel darstellt: ^Enivoni] twv xaTOQd^wnaTuyv tm i^iaxagirt] ßaaiXu xal
.TOQ(fVQoy€rrr^Tfo xvoifo ^Io)ävrrj toi Kourr^ro) xcd d(fiji^Gig tmv noaxO-tvroov
ifö doiSifioi vio) aviov to) ßaaiXti xai noQ(fVQoyavv)]T(o xvQup Maroin]X rrö
Kourr^vM Txorr^&eTaa ^Icoärvr^ ßaat hxoi yQaufiarixrp tw Kiryäjuou Das Haupt-
gewicht fällt, wie die Fassung des Titels andeutet, auf die Geschichte
Manuels; die Zeit des Johannes wird ziemlich summarisch in dem kurzen
ersten Buche abgethan; dass er sie überhaupt behandelte, hat seinen Grund
wohl in dem Streben, an die Vorgänger (Zonaras und Anna Komnena) un-
mittelbar anzuschliessen. Vermutlich reichte das jetzt am Schlüsse ver-
stümmelte Werk ursprünglich bis zum Tode Manuels. Die Ausarbeitung
desselben scheint in die Zeit zwischen 1180—1183 zu fallen; denn in der
Vorrede wird Manuels Hinscheiden erwähnt und an einer anderen Stelle')
spricht Kinnamos von dem Sohne Manuels, dem jungen Alexios (f 1183),
als einem noch Lebenden; die Veröffentlichung erfolgte aber wohl erst
nach dem Sturze des Andronikos, wie aus der scharfen Aeusserung II 7
geschlossen werden kann. 2) Das Werk des Kinnamos scheint wenig Ver-
lireitung gefunden zu haben; Niketas Akominatos kennt es nicht, und uns
ist es in einer einzigen am Schlüsse verstümmelten Handschrift über-
liefert. Leider lehrt eine genauere Prüfung, dass auch sie nicht das
Originalwerk des Kinnamos, sondern nur einen Auszug desselben
enthält. 2) An mehreren Stellen verweist der Verfasser ausdrücklich auf
früher erzählte Dinge, die nun in unserem Texte vergeblich gesucht
werden; dazu scheint dem fünften und sechsten Buche die Einleitung zu
fehlen. Schwerlich lassen sich diese Thatsachen durch die Annahme er-
klären, dass Kinnamos plötzlich gestorben sei, ehe er sein Werk in allen
Partien zum Abschluss bringen und sein Material völlig einarbeiten
konnte.
Dieser schlechte Zustand der Ueberlieferung, zu dem sich noch
schwere Textverderbnisse gesellen, macht die historische und schriftstel-
lerische Beurteilung des Kinnamos schwierig. Wegen seiner scharfen
Polemik gegen die Abendländer ist er bis auf die neueste Zeit vielfach
angefeindet worden. Sein nationales Selbstbewusstsein ist allerdings un-
geheuer; seine zähe Betonung der ausschliesslichen Legitimität des ost-
römischen Thrones und seine scharfe Polemik gegen die Ansprüche des
römischen Papsttums und der deutschen Kaiserherrschaft stehen in einem
schreienden Widerspruche mit den Thatsachen der Zeit; sein Stolz auf
das echte Römertum, das er nur in Byzanz findet, erscheint uns wie ein
seltsamer Anachronismus. Zudem erhält seine Darstellung dadurch, dass
der Hauptheld sein kaiserlicher Gönner Manuel ist, einen panegyrischen
Grundton, der sich wohl selbst von Schönfärberei und Erfindung nicht
ganz frei hält. Alles das berechtigt aber nicht dazu, die Glaubwürdigkeit
des Kinnamos überhaupt in Abrede zu stellen. Er ist vielmehr, wenn
1) VI 2 = 257. 10 ed. Bonn. *) Diese wichtige Entdeckung verdankt
*) Kap-Herr a. a. 0. S. 119.
man Neumann a. a. O. S. 79 ff.
6^
g4 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
man von seinem patriotischen und dynastischen Chauvinismus absieht, ein
durchaus tüchtiger Erzähler. Die Darstellung des zweiten Kreuzzuges
macht ganz den Eindruck, als beruhe sie auf archivalischen Studien; auch
sonst verfügt er über treffliches, wohlgeordnetes Material, das er wahr-
scheinlich längst vor dem Tode Manuels gesammelt hatte. Vornehmlich
verdankt er seine Kenntnisse militärischen Kreisen, wie ja auch der grössto
Teil seines Werkes Kriegsgeschichte ist. „Was er so erfahren hat, gibt
er ausserordentlich gewissenhaft wieder; nicht selten, dass er bekennt, er
wisse etwas nicht oder nur unsicher. Er hütet sich seine Berichte zu be-
arbeiten, er kombiniert nicht und scheint die ursprünglichen Notate un-
mittelbar in sein Geschichtswerk einzutragen." ') In seinem Werke herrscht,
wie Neumann weiter richtig urteilt, ein ehrlicher, soldatischer Ton, ge-
gründet auf eine natürliche und unverhohlene Begeisterung für den Kaiser.
Kinnamos ist der beste und gläubigste Wortführer der weitblickenden
Ideen, welche Manuel praktisch durchzuführen gedachte.
Die Darstellung des Kinnamos hat, wie seine gesamte Auffassung
etwas soldatenmässig Knappes; von seinem Zeitgenossen Niketas Akomi-
natos, der ihn an Bildung und historischem Blick weit übertrifft, unter-
scheidet er sich vorteilhaft durch Kürze, einfache Satzbildung und Ver-
ständlichkeit. Von den beliebten poetischen Bildern und schwülstigen
Umschreibungen hält er sich ferne. Seine Vorbilder sind Herodot und
Xenophon; freilich erhält seine Sprache durch die künstliche Nachahmung
etwas Lebloses und Schablonenhaftes. In der Benennung der Völker und
Orte treibt er die puristische Pedanterie noch weiter als seine Vorgängerin
Anna Komnena; während sie bei aller Abneigung gegen fremde Namen
wenigstens noch Tovqxoi kennt, gibt es bei Kinnamos, als lebe er im
Zeitalter des Themistokles , nur Perser, wobei wohl auch wieder das
patriotische Bestreben mitspielt, die Türkenkriege des Mittelalters mit den
Perserkriegen des Altertums auf eine Stufe zu stellen.-)
1. Ausgaben: Ed. pr. Cornelius Tollius, Trajecti ad Rhenum 1652. — Im
Pariser Corpus ed. Du Cange, Paris 1670, mit wertvollem Kommentare. — Wiederholt
Venedig 1729. — Im Bonner Corpus rec. A. Meineke, Bonn 1836, nach einer neuen
Kollation des cod. Vaticanus. -- Wiederholt bei Migne, Patrol. Graeca 133 (1864) 299—678.
— Die auf die Kreuzfahrer bezüglichen Partien auch im Recueil des hist. des crois. Hist.
Gr. t. I, Paris 1875 (Kommentar in t. II).
2. Hilfsmittel: B. Kugler, Studien zur Geschichte des 2. Kreuzzuges, Stuttgart
1866 S. 36 ff. — Hans von Kap -Herr, Die abendländische Politik Kaiser Manuels,
Stra.ssburg 1881 S. 119 ff. 132 ff. — Hauptschrift: C. Neumann, Griechische Geschicht-
schreiber und Geschicht.squellon im 12. .lahrh., Leipzig 1888 S. 78 — 102.
34. Niketas Akominatos {^AxomväTog) wurde um die Mitte des
12. Jahrhunderts zu Chonae'') in Phrygien als Sohn wohlhabender Eltern
geboren. Sein Vater sandte den neunjährigen Knaben nach Konstantinopel,
wo er unter der Obhut seines älteren Bruders Michael in den Wissen-
schaften unterrichtet wurde. Während Michael die kirchliche Laufbahn
>) Neumann a. a. 0. S. 89.
*) Vgl. die Anmerkung zu § 44.
Eh ist das alt<>, durch den Paulus-
:{
schlechthin Niketas Choniates, obschon
sein Gcschleeht^name Akominatos bekannt
ist. Ks wäre /u wünschen, da.s8 die Hezeich-
brief berUhnite Kidossä. Daher nennen ihn nuiig Niketas .\kuminatos allgemein ange-
nianche nacli dem Vorgänge iU-r HandHehrifteii ii(>inni«>ii wilnie.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 34.) 85
einschlug, widmete sich Niketas dem Staatsdienste. Anfänglich (wohl noch
vor 1180) kaiserlicher Sekretär, stieg er unter den Kaisern aus dem Hause
Angelos bald zu den höchsten Stellen empor; *) während des dritten Kreuz-
zuges (um 1189) ist er Gouverneur des Themas von Philippopel: bald da-
rauf erscheint er als Berater des Kaisers in wichtigen Staatsangelegen-
heiten. Nachdrücklich hebt Michael in seiner Monodie auf Niketas her-
vor, dass derselbe trotz der häufigen Thronwechsel, die nach Manuels Tode
erfolgten, sich in seiner Stellung erhielt, weil kein Kaiser einen so unent-
behrlichen Staatsdiener fallen lassen wollte. Erst von dem üsm'pator
Alexios Murzuphlus Avurde Niketas 1204 seiner Stelle als Grosslogothet
enthoben. Bald darauf sah er die furchtbare Katastrophe, welche das
Reich der Byzantiner zu Boden schmetterte, die Eroberung und Plünderung
der Stadt Konstantinopel durch die Lateiner. Unter dem Schutze eines
befreundeten Venezianers flüchtete er nach Nikäa, wo er am Hofe des
Theodoros Laskaris abermals eine bedeutende Rolle spielte. Sein Todes-
jahr lässt sich nur annähernd bestimmen. Die bis jetzt veröffentlichten
Reden reichen bis zum Jahre 1210; sein Bruder Michael, der ihm eine
Klagerede widmete, starb um 1220.
Niketas war wie sein Bruder (s. § 96) mit grossem Erfolge schrift-
stellerisch thätig. 1. Seine wichtigste Leistung ist das grosse vollständig
erhaltene Geschichtswerk in 21 Büchern, welches die Zeit von
1118 — 1206 schildert und somit unmittelbar an Anna Komnena und Zo-
naras anschliesst. Die Abfassungszeit des Werkes ist unsicher; doch muss
das 4. Buch der Biographie Manuels nach dem Regierungsantritt des Isaak
Angelos geschrieben sein; die Vollendung erfolgte nach 1206. Wahr-
scheinlich arbeitete Niketas das ganze Werk in Nikäa aus, wo ihm nach
dem wirrvollen, durch seine amtliche Thätigkeit, durch Rev^olutionen und
äussere Konflikte gestörten Leben in Konstantinopel eine Zeit der Ruhe
gegönnt war. Wie Kinnamos behandelt auch der Choniate die Regierung
des .Johannes Komnenos summarisch; er erklärt in der Vorrede wie Kin-
; namos, er wolle mit der Regierung des Johannes beginnen, weil die Zeit
[1 bis zum Tode des Alexios schon andere erzählt haben; doch werde er die
1 Regierung des Johannes nur im Umrisse darstellen, weil er jene Ereig-
nisse nicht selbst gesehen, sondern nur von Augenzeugen habe schildern
•' hören. Den Hauptinhalt des Werkes bilden also die Regierung des
I Manuel Komnenos, die seinem Tode folgenden inneren Streitigkeiten, die
kurze Herrschaft des Andronikos Komnenos, die Erhebung des Hauses
■ Angelos, endlich das traurige Schicksal des Reiches und der Stadt in den
I Jahren 1203 und 1204. Der Schluss enthält die Schilderung der ersten
Kämpfe, welche das lateinische Kaisertum gegen die sofort von allen
Seiten anstürmenden Feinde zu führen hatte. Nach der Erzählung der
kurzen Herrschaft Balduins I bricht das Werk mit dem zweiten Regierungs-
jahre seines Bruders und Nachfolgers Heinrich ab.
') Niketas bekleidete die Aemter und eines erpoQog xtä xntTijg tov ßrjXov. eines
Würden eines Xoyo9frf]g rwy asxQtTtjy, eines 7fQox«9^/neyog tov xoirviyos , eines ueyag
fx TTJg avyxi.7JTov ßovXijg. eines ini imy koyo&tTi^g.
necjy, eines yivixög XoytaTt;g rwy (pö^toy,
S6 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Die Haupt quellen des Niketas sind seine eigenen Beobachtungen
und mündliche Mitteilungen. Den grössten Teil der von ihm ausführlicher
geschilderten Epoche hat er selbst erlebt; als hoher Beamter und Ver-
trauter des kaiserlichen Hofes konnte er sich leicht die nötigen Aufschlüsse
verschaffen. Der Abschnitt über den Normannenkrieg (1180 — 1185) ist
ein Auszug aus dem Berichte des Erzbischofs Eustathios von Thessalonike.^)
Für die ihm vorausgehende Zeit beruft er sich auf die Mitteilungen von
Augenzeugen. Ob er daneben auch schriftliche Quellen benützt hat, wissen
wir nicht; sicher ist aber, dass er das Werk des Kinnamos nicht kannte.^)
Als Historiker hat sich Niketas durch seine objektive Haltung
gegenüber den Kreuzfahrern viel Vertrauen erworben. Er schüttet zwar
an einzelnen Stellen die Fülle seines Ingrimms über die abendländischen
Ritter aus; sie sind ihm rov xaXov dvtQaaxoi xrjQsai^öoTjioi ßÜQßnQoc am
Schlüsse des 19. Buches meint er sogar in einer rhetorischen Anwandlung,
es sei eine Schande, die Thaten der Barbaren zu feiern und Kriege zu er-
zählen, in denen die Griechen nicht gesiegt; jene Feinde müssten vielmehr
wie Herostratos der ewigen Vergessenheit preisgegeben werden. Trotz
dieser vereinzelten Zornesausbrüche ist er gegen die Lateiner gerecht und
verrät in seiner Darstellung sogar häufig eine besondere Wärme, wenn es
sich um die Angelegenheiten der Kreuzfahrer handelt. Doch hat ihn diese
objektive Stimmung nicht verhindert, oft ungründlich und kritiklos zu ver-
fahren. Er verfügt zwar teilweise über gute und ausführliche Nachrichten,
aber ihre Verbindung ist oft unchronologisch und fehlerhaft; ja in dem
Bestreben eine pragmatische Verbindung herzustellen, werden selbst die
Thatsachen gefälscht. Er zieht oft zwei Ereignisse in eins zusammen
oder er erzählt ein Ereignis, das einem anderen ähnlich ist, an derjenigen
Stelle, die dem zweiten zukommt. 3) Zu den wertvollsten Stücken gehört
die Partie, welche den Marsch des Filgerheeres durch Thrakien schildert.
Die Nachrichten, welche er in den letzten fünf Büchern über den lateini-
schen Kreuzzug und die ihm vorausgehenden Ereignisse gibt, können wir
ergänzen und kontrolieren durch den gleichzeitigen Bericht des französi-
schen Herodot der Kreuzzüge, Geoffroy de Ville-Hardouin. ') Niketas wurde
Quelle für die Verschronik des Ephräm (s. § 65).
2. Eine Beilage zum Geschichtswerke bildet die selbständig über-
lieferte kleine Abhandlung über die Statuen, welche die Lateiner 1201
in Konstantinopel zerstörten. Bei der geringen Beachtung, welche die
Byzantiner im allgemeinen den alten Kunstwerken entgegenbringen, ist
das Schriftchen, das in der mittelgriechischen Litteratur fast als Unikum
dasteht, gern beachtet und vielfach kommentiert worden.
') S.Tafel, Komnenen und Normannen ist etwa das Werk dos Kinnamos erst lantif
S. 232. ! nach der Vollendunj; an die Oeffentliclikeit
'■') Wir besitzen nicht die Mittel, um \ gekommen V Was nützen aber so kurzbeinige
diese auffallende Thatsache Itefriedigend zu
erklären, (iegen die Annahme, dass Kin-
namos erst ungefähr gleichzeitig mit Niketas
geschrieben habe, sprechen gewichtige! Jründe,
Hypothesen?
') Kap-Herr a. a. 0. 123.
■*) La con((ucte de Constantinople par
Cieofifroi de \ille-Hardouin avec la continua
die das Werk des K. in die Zeit vonllHO— 83 tion de Henri de Valenciennes .... pai
vorweisen. Und Niketas selbst kann sein Werk i Natalis de Wailly. l'mis 1X12.
doch erst 1206 abgeschlossen haben. Oder j
A. Die Geschichtschreiber. (§ 34.) 87
3. Rhetorische Sachen, wie zwei panegyrische Reden an Kaiser
Alexios II Komnenos, eine Rede an Kaiser Isaak Angelos, dem er zu seinen
Erfolgen gegen die Ränke der Kreuzfakrer {tag "Akafiaytxdg 6oko(fQoavvac)
und gegen die Angriife der „Skythen" Glück wünscht, ein 'EirarayroxTuxdv
an den Patriarchen und die Synode, zwei Reden an Kaiser Theodoros Las-
karis in Xikäa, ^) ein im Namen desselben Kaisers abgefasstes SiXsiziov
11. a. Im Barocc. 131 wird dem Niketas auch ein , Vergleich des Winters
und Sommers zugeschrieben",'^)
4. Unter dem Namen des Niketas geht endlich ein umfangreiches
theologisches Werk, der Oi^aavQog oQ^oSo^i'ag. Da von theologischen
Bestrebungen unseres Niketas sonst nichts verlautet und für ein so grosses
Werk bei seiner ausgedehnten praktischen und litterarischen Thätigkeit
kaum noch Raum bleibt, ist zu vermuten, dass diese 27 Bücher umfassende
Apologie und Dogmatik der orientalischen Kirche nicht von dem Historiker
Niketas stamme, sondern von jenem Erzbischof von Chonä Niketas
Akominatos, der als Taufpate unseres Niketas erwähnt wird. ■"')
In seiner Darstellung unterscheidet sich Niketas bedeutend von
Kinnamos und Anna Komnena; er gefällt sich in einer bombastischen,
bilderreichen und schwülstigen Manier, wobei er jedoch weniger älteren
Historikern wie Agathias und Theophylaktos als dem üblichen Schnörkel-
stil der byzantinischen Theologie nachgeht. Die Verantwortung dafür
trägt wohl der Lehi-er des Niketas, sein theologisch gebildeter Bruder
Michael, dessen Werke selbst als Muster eines geschraubten Predigertons
gelten können. So sind die Bilder und Wortvorräte des Niketas meist den
heiligen Schriften entnommen. Eine besonders reichliche Sammlung von
Metaphern und Eleganzen enthält die gespreizte Vorrede. Und doch ver-
sichert auch Niketas, er werde einfach und klar schreiben!*)
1. Ausgaben und Uebersetzungen des Geschichtswerkes: Ed. pr. Hierony-
mus Wolf, Basileae 1557. - Wiederholt s. 1. 1593. — Nachdruck der latein. Uebersetzung
von Wolf (mit Zonaras etc.) Lutetiae 1567. Francofurti ad M. 1578. — Im Pariser Corpus
ed. Annib. Fabrotus, Paris 1647. — Wiederholt Venedig 1729. — Im Bonner Corpus
reo. I. Bekker. Bonnae 18-35. — Wiederholt bei Migne, Patrolog. Graeca t. 139 u. 140
(mit der Schrift De signis und dem Thesaurus orth.). — Die auf die Kreuzfahrer bezüg-
lichen Partien auch im Recueil des bist, des crois. Hist. grecs t. I, Paris 1875. — Deutsche
Uebersetzung einzelner Partien von Tafel, Komnenen und Normannen, Ulm 1852 S. 2-32 ff.
— Ein Auszug aus Niketas ist der Artikel von Fr. Wilken. Andronicus Comnenus. Raumers
hist. Taschenbuch II (1831) 431—545.
Hilfsmittel: C. Hopf. De historiae ducatus Athen, fönt., Bonnae 18-52 S. 66. —
Eine häbsche Skizze über Niketas und seinen abendländischen Gegenpart Villehardonin
verdankt man keinem Geringeren als C. A. Saint e-Beuve, Causeries du lundi t. 9 (Paris
1854) 305—330. — B. Kugle r, Studien zur Geschichte des 2. Kreuzzuges, Stuttgart 1866
') Die eine derselben, die durch des Mich. Akominatos S. 51. Unter den Werken
Kaisers Sieg über den Sultan von Ikonion des Michael Akominatos ed. Sp. Lambros
veranlasst wurde, trägt in der Handschrift I 24 ff. steht ein ^Eyxuiuioy tii roy tiaxäqiov
den bezeichnenden Vermerk : iis&69T] de aa- • fitjxQonoXixrft' Xwyojy xvQioy Stxijttty.
tpr/ytUeg n'Afigig rd nagoy TiQoccfwyt^ute diu *) Den Widerspriich bemerkte ein witziger
Ttjy Toiy ((XQOferdjy t'ia&eyeiay. Ebenso Abschreiber, der seine Kritik in Versen an
klagt Michael Akominatos wiederholt über die den R^nd notierte :
Unfähigkeit seiner Diözesankinder in Athen, Ovx oMce, xi (ff^g iy&dds, Xa»rft«r«.
seinen wohlstilisierten Reden zu folgen. ^otfoy x6 acupsg avyyQc'efptjy f/Vra ksytig,
*) H. 0. Coxe, Catal. codd. mss. biblioth. E^r« ygixfwdrj xai i}aQ€(9Q<6&t] yQfi<f(is:
Hodleianae 1 (Oxonii 18-53) 211. Ed. Bonn. S. 871.
') Ueber den älteren Niketas s.Ellissen,
88 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
J
S. 38 — 43. — Hans von Kap-IIerr, Die abendländische Politik Kaiser Manuels mit besj
Rücksicht auf Deutschland. Diss. Strassburg 1881 S. 121—131. - Carl Neumann,!
Griechische Geschichtschreibcr und Geschichtsquellen im 12. Jahrhundert, Leipzig 1888
S. 103 ff. — Sonstige Litteratur zum 3. und 4. Kreuzzuge. — Unzugänglich blieb mir:
Theod. Uspenskij, Der byz. Schriftsteller Niketas Akominatos Chon., Petersburg 1874
(Russ.), wie auch dessen Bericht über die Pariser Handschriften des Akominatos im Journal
Minist. Volksaufkl. 1877, November 64 — 75 und seine Abhandlung über die Kaiser Alexios
und Andronikos Komnenos, Journal Minist. Volksaufkl. 1881, März 52—85. — Vergleich ^
zwischen Niketas und Villehardouin von Salomon Reinach, La fin de l'empiro grec in
seinen Esquisses archcologiqnes, Paris 1888 S. 281 — 312.
2. Schrift über die Statuen: Kd. (nach Banduri und C. Wolf) Fr. Wilken, Ge-
schieht« der Kreuzzüge, 5. Teil, Leipzig li^29. — Wiederholt in der Bonner Ausgabe des
Geschichtswerkes S. 854—868. — Vgl. Gottl. Heyne's Abhandlungen über die Kunst-
Averke in Konstantinopel, Comment. societ. reg. scient. Gottingensis 11 (1790—91) 3—62
und bes. 12 (1792) 273 — 308. — F. C. Petersen, Allgemeine Einleitung in das Studium
der Archäologie, übers, von Friedrichsen, Leipz. 1829 S. 139 149; 324 ff.
3. Die rhetorischen Stücke edierte aus einem cod. Marcianus, auf den schon
J. Müller, Sitzungsbericht der phil.-hist. Gl. der Wiener Akademie d. Wiss. 9 (1852) 338
hingewiesen hatte, K. Sathas, Msa. ßip.io9rjxr} I (1872) 73-136. — Eine bei Sathaa
fehlende Rede an Isaak Angelos im Recueil des bist, des crois., Histor. grecs II (Paris
1881) 737—741.
4. SrjaavQo? ÖQ&o^oSiccs: Zuerst die ersten 5 Bücher in latein. Uebersetzung ed.
F. Morelli, Lutetiae 1580. — Dann grössere Partien und zum Teil auch griechischer Text
nach A. Mai, Spicil. Romanum 4 (1840) 398-498 bei Migne, Patrol. Gr. 139, 1088-1444
und 140, 9—292. Eine vollständige Ausgabe fehlt noch, weshalb die Frage nach dem
Verfasser des Werkes kaum mit Erfolg untersucht werden kann. — Vgl. C. Neumann,
Griech. Geschichtschr. u. Geschichtsquellen im 12. Jahrh. S. 35.
5. Von dem Geschichtswerke des Niketas ist ausser dem Originale eine verkürate
und ziemlich formlose vulgärgriechische Paraphrase unbekannten Ursprungs über-
liefert, aus welcher Fabrotus ein (ilossar der angeblichen vocahuln Graecoharhara des
Niketas zusammengestellt und I. Bekker ohne ein Wort zur Aufklärung des wahren
Sachverhaltes ganz unnützerweise seinen Apparat belastet hat. Wie wenig die geschraubte
Kunstsprache der späteren Historiker von den eigenen Zeitgenossen verstanden wurde, be-
weist nichts deutlicher als diese volkstümlichen Uebertragungen, wie sie ausser zu Niketas
auch zu Anna Komnena, zu Georgios Akropolites, selbst zu Geörgios Monachos
veranstaltet wurden.
35, Neophytos, ein Zeitgenosse des Niketas Akominatos, mit dem
Beinamen ^EyxXfnaToc, wurde um 1134 geboren und lebte als Priester
und Mönch in einem Kloster seiner Heimat Cypern, Er schrieb, wahr-
scheinlich bald nach 1191, einen Brief IJegl rüiv xaid rtjv x <•>(?«»■ A ''-
riQov axaiöiv, in welchem er die traurige Lage des cyprischen Volki'>
und der orthodoxen Kirche unter der lateinischen Herrschaft in klagondcu
Tönen schildert. Ausserdem haben wir von ilmi zehn Reden und eine
Tvnixrj öiaO^r^xr^, d. h. Satzungen für das von ihm gegründete Kloster
tr^g 'EyxXefaTQag, die, in einfacher, volksmässiger Sprache abgefasst, auf die
Lebensführung byzantinischer Mönche wie auf cyprische Dinge insbesondere
manches Licht werfen.
1. Den Brief über das cyprische Ungemach ed. zuerst Cotelerius, Monum. ecclesiar
Graecae II (1681) 457 ff.; darnach wiederholte ihn J. P. Reinhard. Vollständige (teschichtc
des Königreichs Cvpem II (1768) Beylagen S. 1 ff. — Nach neuer Kollation eines Marcianus
ed. K. Sathas, Also. liißXto.'h'jxij II (1S73) 1 ff. Vgl. seinen IlQÖkoyoi S. Qxß' f[. — Endlich
nach einer neuen Kollation der Hand.schrift ed. von E. Miller, Recueil des hi.storiens
grecs des croisades t. I (Paris 1875) 2, 559—563.
2. TvTiixTj dtai^rjxT] nebst geistlichen Reden ed. Kypriunos, Venedig 1779; neuer-
dings ohne Kenntnis der ersten Ausgabe ed. Edw. Warren in der Zeitschrift Archaeologia
47 (1882—83) 1—40.
36. Georgios Akropolites wurde 1220 in Konstantinopel geboren;
als Jüngling ging er 12'M) an den griechischen Hof nach Nikäa und wurde
A. Die Geschichtschreiber. (§ 35—36.) 89
ilortselbst von Theodor Hexapterygos und dem berühmten Xikephoros Blem-
inydes wissenschaftlich ausgebildet, um alsbald in die Dienste des Kaisers
zu treten. Nach der griechischen Restauration kehrte er nach Konstanti-
iiopel zurück, von wo ihn Michael VIII Paläologos 1274 zum zweiten Konzil
ach Lyon entsandte, um über die Vereinigung der occidentalischen und
riechischen Kirche zu unterhandeln. Nachdem er 1282 noch eine Gesandt-
schaft an den Bulgarenkönig Johannes Asan geführt hatte, wurde seine
Stellung durch das Uebergewicht der unionsfeindlichen Partei erschüttert
und er starb als ein Opfer des schismatischen Fanatismus im Gefängnisse.
Das hohe Ansehen, das Akropolites als Staatsmann genoss. bezeugen mehrere
an ihn gerichtete Briefe des kaiserlichen Kanzlers Nikephoros Chumnos
(s. § 98); seine wissenschaftliche und litterarische Bedeutung feiert ein
Enkomion seines Schülers, des Patriarchen Gregor von Cypern (s. § 97).
Georgios Akropolites schildert in seiner Xqovixi] avyygatfr^ die
Ereignisse von der Bestürmung Konstantinopels durch die Lateiner bis zur
byzantinischen Restauration (1203 — 1261) und gibt mithin eine Fortsetzung
des Niketas Akominatos. Er ist über den schwierigen Stoff wohl unter-
richtet; denn er hat die Schwankungen der lateinischen Herrschaft in Kon-
stantinopel wie die Machtentwickelung des griechischen Kaisertums in Nikäa
zum grossen Teil als Zeitgenosse beobachtet und in seiner Stellung als
Gesandter. Feldherr und Grosslogothet selbst allenthalben an den Ereig-
nissen Anteil genommen. Seine Auffassung ist nüchtern und sachlich, seine
Erzählung aus inneren Gründen glaubwürdig, auch wenn er nicht selbst das
taciteische Sine ira et studio ausdrücklich als seinen obersten Grundsatz
bezeichnete.^) Sein Stil ist sehr verständlich, wenn auch etwas kanzlei-
mässig plump und besonders im Satzbau nachlässig. Vulgarismen sucht
Aki'opolites wie fast alle Historiker der Komnenen- und Paläologenzeit
eifrigst zu vermeiden oder wenigstens gelehrt zuzuschneiden.-) Das Werk
diente späteren Chronisten wie Ephräm als Quelle.
1. Akropolites ist wie Niketas Akominatos u. a. in einer doppelten Fassung über-
liefert. Die vollständige edierte Allatius nach einer von ihm in Chios abgeschriebenen
Handschrift, die verkürzte, in der viele persönliche Züge übergangen sind, Theodor Dousa
nach einem in Clalata gekauften Codex.
2. Ausgaben: Die verkürzte Fassung ed. pr. Theod. Dousa, Lugd. Bat. 1614. —
Beide Fassungen: Graece et Latine ed. Leo Allatius, Paris 1651, mit Joel und Kananos;
am Schlüsse die berühmte Abhandlung De Georgiis eonmique scriptis S. 229 — 427. —
Wiederholt Venedig 1729. — Im Bonner Corpus rec. I. Bekker. Bonnae 1836, mit den
Noten des Dousa und Allatius; die kürzere Fassung ist nur im Apparate beigezogen. —
Wiederholt bei Migne, Patrol. Gr. 140 (1865) 969—1220. — Auf die Kreuzfahrer bezüg-
liche Partien auch im Rec. des historiens grecs des crois. t. I und II (Kommentar).
3. Ueber zwei andere dem Akropolites zugeschriebene Werke s. Leo Allatius,
I'e Georgiis S. 357 f. — Vgl. M. Hanke, De Byz. rer. scriptoribus S. 542 — 565. —
Fabricius, Bibl. Gr. ed. HarL 7, 766-773; 12, 50. — C. Hopf. De bist, duc Athen,
fontibus S. 67.
') Ovte yovy tiqos (f96vov, äXV wo er die vulgärgriechische Bezeichnung des
ovJe TiQog fiiaog ij xtil TiQog evfoiay J^sels yä^uQog [yatdagog) einer auch in Glos-
ovyyQKcpdy ^Qtoiv iari roV avyyQf'ctfovru, saren vorkommenden Etymologie zu liebe in
alX laxogiug fuöyot' /dgiy xid rov iiitj i.r,9tig {ieidtegog (icsl-dfQw: der stets Geschundene)
ßv&M, TJy 6 xQÖfog oide yfyytiy, naQtedofUjrca umändert: 'Eni yag rotg dijXois xai oi ciei-
td vnö riywy yeyeyr/fie'ya, «iV i'eya&ä eiie dngoi Xf'yovaiy. 'Hy d' iyw ' tdov ,M6r« iwy
^rA« Tvy;(((yoiey. S. 5 ed. Bonn. üeiJttQbiy xai tj/jelg avyteTÜy/neDal
») Das thut er z. l',. <. 1 '-. 1 "> ..I.Bonn.,
90 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
37. Georgios Pachymeres (/y«x»'.«fcp>/c) wurde 1242 in Nikäa ge-
boren, ging 12t)l nach der Vertreibung der Lateiner mit Georg Akropolites,
Gregor von Cypern und anderen hervorragenden Griechen nacli Konstanti-
nopel und gelangte, durch seine reiche Bildung gefördert, schnell zu hohen
Stellen in Kirche und Staat.') Er starb um 1310 (jedenfalls nach 1308).
lieber seine Lebensverhältnisse spricht er selbst an mehreren Stellen seines
Geschichtswerkes ; anderes erfahren wir aus einer poetischen Selbstbiographie
und aus dem nekrologischen Gedichte seines Schülers Manuel Philes.^)
Der bedeutende litterarische Nachlass des Pachymeres scheint ziemlich
vollständig erhalten. 1. An der Spitze steht das grosse Geschichtswerk,
welches in 13 Büchern den Zeitraum von 1261 (genau genommen von
1255) bis 1308 umspannt und somit die unmittelbare Fortsetzung des
Akropolites bildet. Pachymeres schreibt die Geschichte einer Periode,
die er selbst erlebte, und ist daher mit dem Stoffe wohl vertraut; seine
Glaubwürdigkeit wird nur durch seine schismatische Tendenz etwas
beeinträchtigt. Ein echter Sohn der von theologischen Kämpfen er-
füllten Paläologenzeit ist er der erste byzantinische Historiker, bei dem
das Hauptgewicht auf die breite Ausspinnung dogmatischer Streitigkeiten
fällt; in dieser dialektischen Manie, die das Werk zu einer qualvollen
Lektüre macht, sind ihm Nikephoros Gregoras und Joh. Kantakuzenos ge-
treulich nachgefolgt. Es ist, als ob diese Männer, von dem Elend der
politischen Geschichte des Reiches abgeschreckt, in den abstrakten Erörte-
rungen der damals alle Geister bewegenden dogmatischen Fragen Trost und
Erleichterung gesucht hätten. 2. Rhetorische Sachen: Tlqoyvpiväa naxa
über die uralten, unausrottbaren Themen der Rhetorenschulen, z. B. eine^
Chrie über den Satz: IJärra td dyaiyd iv [.iöim im (fQorfTv iati; eine Be-
arbeitung des für die Paläologen allerdings recht zeitgemässen demostheni-
schen Ausspruches: Geld ist nötig und ohne Geld kann nichts geförderl
werden; ein xoivvg tönoc xard Xoi^öqov u. a. Daran schliessen sich II
MeXtrai, d. h. Deklamationen über fingierte Themen aus der Politik,]
Rechtswissenschaft und Moral, z. B. die ebenso alte als blödsinnige, schoa|
von Synesios'') verspottete Aufgabe: „Ein Sieger im Wettkampfe verlangt
als Ehrengeschenk die Tötung eines Bürgers. Die Stadt billigt es. Es
zeigt sich aber, dass er den Mann schon vorher getötet hat und er wird
des Mordes angeklagt. Wir studieren den Kläger." Hierher gehört auch
seine ' ExqqaaiQ tov Avyovaiem'og. Vgl. i^§ 79. 87. 3. Eine Schrift übei-
das Quadrivium: ^vviay^ia iwv teoadqMV fiaO^i^fjidTwr, dgii/fit^ixi^g, i^iov-
ffixfjg, YSoyfieiQiag xai datgorofifag. Hievon sind erst das zweite Buch:
Tifgl uQfiovixr^g ijtoi fiovatxtjg und Stücke des vierten Buches: "Oqoi aifni- .
Qixr^g r^tot, nfgl daTQoio/xiftg ediert. Beide beruhen grösstenteils auf alten
Vorlagen, sind aber von Wichtigkeit für die Geschichte der mittolalter- ;
liehen Musik und Astronomie. Vgl. g 82, 1. 4. Eine Reihe von exegeti- |
') Er war legofit^firny. nQfoxt'xdixos, ß«- ') //fpi iwrivitay cap, 13 (Migne, Patrol. (:
aiXixoi dix(uo(fvXr4 u. 8. w. (Jr. fiO, 1320): lloii üf eitj noXaela yi\n«(
') In den Ausguhcn des Tliilps von Worns- «(Uörer didovaa xrciVnt noXiftjy üyiinoXitevö-
dorf und Miller; auch bei BoiHHonad^, l'jicliv- f^isroy;
mens declam. XIII S. 253— 2G0.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 37.) 91
hen Traktaten zu Aristoteles, die in der Ueberlieferung vielfach
/ trsplittert und auch nur fragmentarisch veröffentlicht sind. Am bekann-
testen ist die Periphrase der Schrift Uegi avoiioiv YQC(}if.iön', ein Kompendium
der Logik und die Kommentare Eiq rd 7ref.i7TTOv tmv ^uereoyookoyixoh', Eig
10 TTfQi if'vxt]?-, Eh t6 TtfQt ^i6o)v yevYii]at(i)g. Vgl. § 82 ff. 5. Eine Para-
}»hrase zu den Reden und Briefen des Dionysios Areopagites;
die zu den Briefen entstand auf Anregung des Patriarchen Athanasios von
Alexandria. G. Poesien. Neun Gesänge einer Selbstbiographie in Hexa-
metern. Das Werk ist nicht ediert, doch gibt Pachymeres einige Proben
desselben in seinem Geschichtswerke.') Seine Vorbilder sind Homer und
Gregor von Nazianz, Weniger gesichert scheinen die ^ti'xoi vcfarvoi, eine
poetische Spielerei. 2) 7. Briefe von Pachymeres sollen in italienischen
Bibliotheken liegen; 3) doch ist von denselben nichts bekannt gemacht.
Pachymeres ragt durch seine Bildung und litterarische Thätigkeit
über seine Zeitgenossen empor und kann als der grösste byzantinische
Polyhistor des 13. Jahrhunderts bezeichnet werden. In ihm erblickt man
deutlich die Licht- und Schattenseiten des Zeitalters der Paläologen. Es
fehlt dem Pachymeres nicht an Originalität und Witz; sein merkwürdiger
Einfall, das eigene Leben in epischen Tönen zu schildern, dürfte sogar in
der Weltlitteratur ziemlich einzig dastehen. Trotzdem bringt er es nicht
mehr zu jener Selbständigkeit der Anschauung und des Ausdrucks, welche
Männer wie Photios und Psellos auszeichnet. Der einzige scharf aus-
geprägte Charakterzug in ihm ist die schismatische Tendenz; doch wird
gerade durch den theologischen Grundton die Wirksamkeit der humanisti-
schen Richtung bei ihm noch mehr als bei Niketas Akominatos durch-
kreuzt. Das gilt namentlich von seiner Darstellung, in der sich das
bunte Spiel homerischer Phrasen mit theologischer Deklamation vermischt.
Obschon er wie Anna und ihre Xachfolger die üblichen technischen Aus-
drücke fremder und gemeiner Herkunft *) zulässt, geht bei ihm die puristi-
sche Pedanterie so weit, dass er auf Kosten der Deutlichkeit sogar statt
der christlichen Monatsnamen die attischen gebraucht.^)
1. Ausgaben: Geschichtswerk: Ed. pr. P. Possinus, Romac 1666 — 69. —
Im Bonner Corpus rec. I. Bekker, 2 voll. Bonnae 1835, mit den Beigaben des Possimis
und einem sprachlichen und historischen Index. — Rhetorisches: TlooyvuvdafiaTcc in den
Rhetores Graeci ed. Chr. Walz v. 1(1832) 549-596. — MeXeTm, zuerst die 13. in Anecd.
Gr. ed. Boissonade V 350 fF.; dann alle: G. Pachymeris declamationes XIII ed. Fr.
Boissonade, Paris 1848 (mit dem Philogelos). — "ExcfQctaig tov Aiy. ed. Banduri, Imper.
Orient. I 98 fF.; Nikeph. Greg. ed. Bonn. II 1217 ff. — Quadrivium: Das Buch über Musik
ed. H. Vincent, Notices et extraits 16 (1847) 2, 362— .553, mit einer Abhandlung über
alte und mittelalterliche Musik. — Das Buch über Astronomie ed. H. Martin, Theonis
Smymaei Platonici liber de a.stronomia, Paris 1849, mit einer Darlegung des Verhältnisses
') Kai töte uaTTJQ xofjuijtrjg uqi' eansQag | S. 120 ff.
i^iXafiTtey, TieQJ ov xal cV roig xai' ifxav- ') Villoison a.a.O. II 77. Erwähnt ist
TOI' dl' eniöf V7if\uyr]a(c, ovrot yQÜtfwy ein Brief des Pachymeres im Kommentare zu
'Hdt] fiey (f9iyon(OQig iatjUf()H'ij enekicvycy etc. Nikeph. Gregoras, ed. Bonn. II 1200,30.
11 304 ff. ed. Bonn. ■•) Z. B. xofxutQxiov, (fgegioi (freres),
^) Die Venez. Handschrift gibt die geist- ! nglyrtt]? (prince), xoVrof (conte), xaßaXXäQioi
reiche P^rklärung: tan de ö v(faiy6/nfyog | u. s. w.
tfWjfOf €eyo)9ey xüiw xai xnrwifey uyti). Vil- '■ *) Z. B. II 146, 1 ed. Bonn, fir^yog 'EXn-
loison, Anec. Gr. II 77 f., wo auch eine Probe ^rjßoXiwyog. II 249, 11 rafitjkuuy d' iyei-
gegeben ist. Ueber ähnliche Spielereien s. V. «rriyxft fxtjy.
Gardthausen, Griech. Paläograpbie (1879)
92 Byzantinische Littcraturgeschichte. I. Prosaische Litteratar.
zu den alten Astronomen. — Zu Aristoteles: Abriss der gesamten aristotelischen Philo-
sophie bis jetzt nur in lateinischer Uebersetzung : Georgii Pachyinerii Hieromnemonis, in
universam fere Aristotelis philosophiam epitome . . . e graeco in latinum sermonem . . .
conversa a D. Philippo Becchio, Basileae 1560. — JJeQi fhö/uMf yQu/jf/oh' öfter mit
Aristoteles z. B. Oper. Aristot. nova editio ... ex bibl. Is. Casauboni, Lugd. 1.590, t. I
745 — 752. — 'EntTofAij i^g 'J. Xoyixrjq: teilweise Venedig 1532 bei de Sabio (mit dem Kom-
pendium des Psellos). — Paris 1548 (apud Vascosanum); wiederholt 1581. — In latein.
Uebersetzung; Rasario interprete Vcnetiis 1545; wiederholt Lugduni 1547. - Zu den Mt-
TEwQoXoyix€(: Ed. Em. Ruelle, Annuaire de l'assoc. 7 (1873) 158—187. — Verzeichnis
sonstiger Aristotelica des Pachymeres im cod. Paris. 2328 bei A. Gramer, Anecd. Paris.
I (1839)392. ~ Vgl. C. Prantl, Geschichte der Logik I (1855) 658. Paraphrase zu
Dionys. Areop.: Zuerst zu den Briefen in lat. Uebersetzung ed. G. Tilmannus, Parisiis
1538. — Vollständiger gricch. Text apud Guil. Morelium, Parisiis 1561. — Migne, Patrol.
Gr. t. 3 (1857). — Ein Buch des Pachymeres Do probatione capitum soll Leo Allatius
1643 ediert haben, doch hat niemand ein Exemplar dieses Druckes gesehen; s. Walz, Rhet.
Gr. I 550. — Sammelausgabe nach den älteren Drucken: Migne, Patrol. Gr. t. 143
(1865) 407—1216 und 144 (1865) 1—930 (Geschichte, 'ExrpQ. rov Avy. und einige theolo-
gische Schriften).
2. Biographie und Werke: M. Hanke, De byz. rer. scriptoribus, Lips. 1677
S. 566-578. - C. Hopf, De bist. duc. Ath. fontibus S. 67 f. — Bes. Em. Ruelle, Annuaire
de l'assoc. 7 (1873) 158 — 166 (der aber die Ausgabe des Quadrivium von Martin nicht kennt).
3. Ueber die von Pachymeres aufgebracht«, für das Nalien des Humanismus recht
symptomatische Neuemng statt der christlichen (römischen) die attischen Monats-
namen zu gebrauchen und das hiebei angewandte System handelt Paul Tannery, Revue
archeologique III. serie 9 (1887) 23-36. Viel später (erst um 1500) dringt die attisch»'
Nomenklatur auch in die Subskriptionen griechischer Handschriften. In früheren Byzan-
tinern sind attische Monatsnamen stets mit Misstrauen aufzunehmen; Tannery hat a. a. ü.
schlagend nachgewiesen, dass der bekannte Fälscher Konstantin Palaeokappa aus besonderer
Absicht in einem Texte des 11. Jahrhunderts die römischen Monatsnamen durch die atti-
schen ersetzte. Vgl. V. Gardthausen, Griech. Paläographie (1879) S. 400.
38, Eine Ergänzung zum Geschichtswerk des Pachymeres bildet eine
kleine Schrift, in welcher Kaiser Michael VIII Paläologos im Jahre
1282 in apologetischem Tone sein eigenes Leben beschrieb; der zweite
Teil des Werkes handelt über das nach der Zerstörung durch die Lateiner
wiederhergestellte Kloster des hl. Demetrios und die demselben von dem
Kaiser erteilte Verfassung {rvnixri diccta^ig). Ueber den historischen und
litterarischen Wert wie über die Authentizität dieser kaiserlichen Auto-
biographic, die sonst nirgends bezeugt scheint, vermag ich nicht zu ur-
teilen, da mir die einzige Ausgabe unzugänglich geblieben ist.
Ed. pr.: Imperatoris Michaelis Palaeologi de vita sua opusculum necnon regnlac
quam ip.se monasterio S. Demetrii praescripsit fragmentum ed. G. Troickij, Petersburi;
1885, mit russischer Uebersetzung und Kommentar. — Berichte darüber im Arch. slav
Philol. 10 (1887) 319 f., in der Revue archeolog. III. serie 7 (1886) 316 ff. und am aus
führlichsteo im .^e'Axlov rtjg laxoQ. xcci elhyoXoy. irfeiQtac; rij? 'F/Akädog 2 (1885 — 89) 521- 53i'>.
39. Nikephoros Kallistos Xanthopulos verfasste im Anfange des
14. Jahrhunderts eine Kirchengeschichte in 18 Büchern, die, vor-
nehmlich auf Eusebios, Sozomenos, Sokrates, Theodoretos und Euagrios
beruhend, bis zum Tode des Kaisers Phokas (610) reicht. Von 5 weiteren
Büchern ist eine Inhaltsanzeige erhalten, die mit dem Jahre 911 abschliesst;
wir wissen aber nicht, ob Nikephoros seine Geschichte wirklich bis zu
diesem Zeitpunkte fortgeführt hat. Jedenfalls blieb das Werk weit hintvi
dem ursprünglichen Plane zurück; denn da der Verfasser sein Befremden
darüber äussert, dass seit dem Ende des 6. Jahrli. (Euagrio.s) niemand auf
den Gedanken gekommen sei, die kirclilichen p]reignis.se zu beschreiben,
müsste man eine bis zum Anfange des 14. Jahrhunderts fortlaufende Kirchen-
A. Die Geschichtschreiber. (§ 38—40.) 93
geschichte erwarten. „Aber auch in seiner unvollendeten Gestalt ist das
Werk dadurch bemerkenswert, dass in ihm zuerst die Idee einer allgemeinen,
den ganzen Verlauf der katholischen Kirche umfassenden Geschichte aus-
gesprochen und wenigstens teilweise zur Ausführung gebracht ist" (Baur).
Ausserdem verfasste Nikephoros neben anderen kirchlichen Schriften
mit besonderer Vorliebe historische und litterargeschichtliche Tabellen in
jambischen Versen, z. B. Verzeichnisse der Kaiser und der Patriarchen,
Elaborate, die mit dem ausführlichen Gedichte des Ephräm zu vergleichen
sind, dann in dem gleichen Masse eine ^vro^ug t»~c ^ei'ag yQ^fffi?, eine
2vroTiTixt': TiQog {htiav yQU(fi]v auf Grund des Josephus, nach demselben
Autor auch eine ebenfalls jambische "Alwaig "^IsQovaaXr^t^i, endlich Kirchen-
hymnen und einen freilich sehr unvollständigen jambischen Katalog
i derHymnographen, auch eine theoretische Schrift über die Form der
Kirchenhymnen: ^EQ}ii]veicc tov xorraxiov, rov oTxov xul xov i'§anoaveikaQioVy
j TtoO^sv ovTwg ixXijd^r^aav (s. § 176).
Ausgaben: Nach früheren meist schwer zugänglichen Drucken Gesamtausgabe von
Migne, Patrolog. Graeca 145 (1865) 549—1331, 146 und 147, 1—632. - Zwei jambische
Kataloge der Kaiser und Patriarchen bei Labbaeus, Protrept. bist. Byzant. (dem Pariser
Corpus vorausgeschickt) S. 34 f. — Vgl. Fabricius, Bibl. Graeca, ed. Harl. 7,437—444
(auch bei Migne wiederholt) und G. J. Voss, De historicis Graecis (ed. Westermann, Lipsiae
1838) S. 367 f., wo auch die übrige Litteratur verzeichnet ist. — Ueber die Kirchengeschichte
s. F. Ch. Baur, Die Epochen der kirchlichen Geschichtschreibung, Tübingen 1852, 32 if. —
üeber die Quellen derselben: Ludw. Jeep, Jahns Jahrb. 14. Supplementb. (1885) 98 ff. —
Zur üeberlieferung : C. de Boor, Zeitschrift für Kirchengeschichte 6 (1883—84) 482 ff. —
Zu den jambischen Katalogen vgl. § 65.
40. Nikephoros Gregoras, der grösste Polyhistor der zwei letzten
Jahrhunderte von Byzanz, wurde 1295 im pontischen Herakleia geboren ;
hier erhielt er durch seinen Oheim, den gelehrten Metropoliten Johannes, den
ersten Unterricht. Als Jüngling begab er sich nach Konstantinopel, wo
er zu den höchsten Kreisen der theologischen Gesellschaft in nahe Beziehung
trat. Der Patriarch Johannes Glykys (s. § 145), dem er mit kindlicher
Anhänglichkeit zugethan war, unterrichtete ihn in der Rhetorik und fand
an seinem Talente solches Gefallen, dass er ihm 1320 die Abfassung seines
Testamentes übertrug. Von grösserer Bedeutung für den Bildungsgang
des Gregoras war der vielseitige Grosslogothet Theodoros Metochites
(s. § 122), der ihn in die Geheimnisse der Astronomie einweihte; zum
Danke interpretierte Gregoras mit den Kindern des Metochites die schwierig-
sten Werke der Alten. Nun kam der junge Gelehrte an den kaiserlichen
Hof und gewann das Vertrauen des Andronikos Paläologos (1282—1328); er
unterbreitete demselben 1325 einen wohl ausgearbeiteten Plan zu einer
chronologischen Verbesserung des Kalenders; doch trug der Kaiser
Bedenken, die Reform durchzuführen, weil es zu schwer sei, die übrigen
Völker zur Annahme derselben zu bewegen, i) Als 1328 der alte Andro-
nikos des Thrones entsetzt wurde, verlor Gregoras nach der in Byzanz
üblichen Praxis als Parteigänger desselben seine Güter; doch wurde ihm
') Später behandelten noch andere By- ! Idee der Kalenderverbesserung ausgegangen
ii zantiner wie Isaak Argyros dasselbe Tliema. war, nachdem dieselbe durch Gregor XHI
t Es ist eine merkwürdige Ironie des Schick- wirklich durchgeführt ward, ihren Beitritt
! sals, dass eben die Griechen, von welchen die | bis auf den heutigen Tag verweigerten.
94 Byzantinische titteraturgeschichte. 1. Prosaische Litteratur.
das Los der Verbannung erspart, welches unter anderen seinen Freund
und Beschützer Theodoros Metochites betraf. Nach dieser Katastrophe gab
Gregoras, der längst einen Kreis von Schülern um sich versammelt hatte,
seine öffentliche Lehrthätigkeit auf, um sich in stiller Zurückgezogenheit
astronomischen und philosophischen Studien zu widmen. Bald aber wurde
er durch einen Anlass, der auf sein ganzes künftiges Leben bestimmend
einwirkte, von neuem an die Oeffentlichkeit gerufen. Der lateinische Mönch
Barlaam aus Kalabrien, ') ein in Philosophie und Theologie wohl be-
wanderter Gelehrter, von dem Petrarca Griechisch gelernt hat, begab sich,
um die Lehre des Aristoteles gründlicher studieren zu können, nach Thes-
salonike und später nach Konstantinopel, wo er manche Schüler um sich
versammelte. Durch heftige Angriffe Barlaams herausgefordert, trat Gre-
goras aus seiner Abgeschiedenheit hervor und mass sich mit dem Kala- ,
brcsen im dialektischen Kampfe; nachdem er aus demselben als Sieger
hervorgegangen war, wurde er vom Kaiser zum Lohne in seine früheren
Aemter und Würden eingesetzt und auch für das öffentliche Lehramt wieder-
ge\yonnen.2) Der Streit mit Barlaam barg aber die Keime weiterer Ver-
wickelungen, welche Gregoras zuletzt in schweres Ungemach stürzten.
Nach dem Tode des älteren Andronikos (1332) wurden die alten Versuche
einer Wiedervereinigung beider Kirchen erneuert. Zwei Abgesandte des
Papstes kamen 1333 nach Konstantinopel, um Verhandlungen anzuknüpfen.
Der Patriarch übertrug die Führung derselben dem Gregoras, der, obschon
Laie, alle Bischöfe an theologischer Gelehrsamkeit und dialektischer Ge-
wandtheit übertraf. Mit Eifer mischte sich Barlaam in die Angelegenheit
und schrieb, obwohl er ursprünglich selbst der römischen Kirche angehörte,
in heftigem Tone gegen die päpstlichen Gesandten. Nachdem der Plan einer
Wiedervereinigung der Kirchen in den Hintergrund getreten war, dauerten
die Zänkereien auf griechischem Boden fort. Verschiedene Parteien, deren
bedeutendste Wortführer Barlaam, Palamas, Gregoras und Akindynos waren,
bekämpften sich mit steigender Erbitterung; eine Synode 1341 vermochte
dem Zwiste kein Ende zu setzen, und als 1347 Johannes Kantakuzenos
den Thron bestieg, entbrannte der Fanatismus der gegnerischen Parteien
durch die Teilnahme des Kaisers mehr als je. Nach mancherlei Schwank-
ungen des Kampfes wurden die Ansichten des Gregoras, der schliesslich
den Patriarchen und einen grossen Teil der höheren Geistlichkeit gegen
sich hatte, durch eine Synode 1351 verworfen. Als er fortfuhr, in Briefen
an seine Freunde in Trapezunt und Cypern, besonders an Georgios Lapithes
(s. § 207) sein Recht zu behaupten, fiel er endlich beim Kaiser völlig in
Ungnade und wurde in dem berühmten Kloster Ti]g XwQag wie in einem
Gefängnisse festgehalten und streng bewacht; erst nach zwei Jahren ent-
liess man ihn aus seiner Haft. Endlich wurde Gregoras von seinen Geg-
') Ueber das Leben dieses exzentrischen | gewicht auf Naturwissenschaften, besonders
Mannes, in dem sich italienisches und byzan-
tinisches Wesen merkwürdig vereinigt, vgl.
Mazzuchelli, (Jli scrittori d'Italia vol. il 1,
369—372 und Ueberweg, (ioschicht« der Phi-
losophie 111 rt. Aufl. S. 7.
■•') Als Lehrer legte (j!regoras ein Haupt-
auf die Astronomie. In einem schmJthsüch-
tigen Pamphlete wirft ihm ein (Jegner vor,
er habe keine \Vis.sensohaft auf tler Zunge,
nur seine Wohnung sei voll von (Jloben und
Linien und all sein Wissen sei auf Hrett-
ge.stellen aufge.sjK'ichert.
A. Die Öeschichtschreiber. (§ 40.) 95
nern, die kein Mittel der Verleumdung scheuten, angeschuldigt, in seinem
Werke ehrenrührige Lügen gegen Kantakuzenos verbreitet zu haben; er
fiel von neuem in Ungnade und wurde walu'scheinlich abermals eingesperrt.
Wann und unter welchen Umständen der viel gefeierte und viel verfolgte
Mann sein ruheloses Dasein beschloss, ist nicht bekannt; doch scheint er
das Jahr 1359, mit dem sein Werk endet, nicht lange überlebt zu haben. i)
Die schriftstellerische Thätigkeit des Gregoras umfasst nahezu alle
Gebiete des byzantinischen Wissens, vorzüglich Theologie, Philosophie,
Astronomie, Geschichte, Rhetorik und Grammatik. Auf eine voll-
ständige Beschreibung seines reichen Nachlasses muss hier verzichtet werden.
1. Für uns steht an Wichtigkeit obenan seine 'Pw/taix/j iaioQia. Das
Werk schildert in 37 Büchern die Zeit von 1204 bis 1359 und bildet
demnach teils eine Ergänzung, teils eine Fortsetzung des Fach yme res,
der mit 1308 abschliesst. Gregoras hat die Ereignisse, welche seiner
eigenen Zeit vorausgehen, nur summarisch behandelt; der lange Zeit-
raum von 1204 — 1320 ist in den ersten sieben Büchern zusammenge-
drängt. Auch in den übrigen 30 Büchern ist die Darstellung ungleich-
massig; in der Schilderung der dogmatischen Kämpfe wächst die Erzählung
zu unmässiger Breite und wird zu einer förmlichen Aktensammlung, die
in den Verband der Geschichte lose eingeschaltet ist. So ist das Werk
eine memoirenhafte Parteischrift im vollsten Sinne des Wortes, das
subjektiv gefärbte Gemälde eines grossartigen kirchlichen Gärungsprozesses.
Seine Töne erscheinen uns aber kalt und trocken; denn wir können diesen
Kämpfen, die trotz des ungeheueren Aufwandes von Scharfsinn, Fleiss und
Begeisterung weder der Menschheit noch der griechischen Nation einen
erkennbaren Nutzen gebracht haben, keine sympathische Seite abgewinnen.
Wie die Komposition so ist auch die Darstellung im Geschichts werke
des Gregoras ungleichmässig, zuweilen sogar nachlässig, ein Mangel, der
sich aus der wohlverbürgten Thatsache erklärt, dass er einen grossen Teil
des Werkes unter höchst ungünstigen äusseren Verhältnissen verfasste;
zehn Bücher schrieb er 1352 während seiner Haft in kaum 40 Tagen.
Sein stilistisches Vorbild ist Plato, den er auch in seinen Dialogen nach-
ahmt, s^)
') Die barlaamitisclien Streitigkeiten, den Vorwurf machen, dass sie Stellen in
■welche mit blinder Wut geführt M-urden, seinen Werken fälschten und interpolierten,
während die gefährlichsten Feinde den klag- um ihn nachher zu verdächtigen; er bittet
liehen Ueberrest des alten Reiches bedrohten, daher seine Schüler und Freunde, die Exem-
haben eine unübersehbare Flut von Schriften plare seiner Schriften oft und genau zu
hervorgerufen, die zum grösseren Teil noch kopieren. Unter seinen Parteigängern führte
in den Bibliotheken der wohlverdienten Ruhe neben Akindynos vor allem Demetrios
gemessen. Mehrere Pamphlete gegen Gre- Kydones (s. § 102) eine scharfe Feder. Er
goras, deren Seichtigkeit den Charakter und schreibt z. 13. an den Patriarchen Philotheos:
die Bildung seiner Gegner im schlimmsten Was drohst du mir also? Willst du etwa
lichte erscheinen lässt, sind in der Bonner deine Freundinnen vei-sammeln, um auch
Ausgabe des Gregoras Praef. S. 61 ff. ab- i meine Reden zu verbrennen wie die eines
gedruckt. Der Patriarch Philotheos wirft anderen (des Gregoras), der stets Tugend
ihm seine paphlagonische Abkunft vor und und Wei.sheit übte und den Glanz seines
sagt, er sei noch schlimmer als jene Paphla- ' Lebens durch die Widerlegung deines Wahnes
gonier, die nur in der Sprache barbarisch, erhöhte! Gregor, ed. Bonn.. Praef. S. 76.
in ihren Sitten aber rein seien. Solchen *) Vgl. den Brief des Akindynos, Gregor,
i Feinden konnte Gregoras wohl mit Recht ed. Bonn. Praef. S. 70.
96 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
2. Der grösste Teil der übrigen Schriften des Gregoras, die sich
auf die meisten Gebiete der byzantinisclicn Produktion erstrecken, liegt
noch unediert in europäischen und orientalischen Bibliotheken. Von der
Mannigfaltigkeit ihres Inhaltes kann das unvollständige Verzeichnis Boivins ^)
eine Vorstellung gewähren. Es finden sich unter diesen wenig gesichteten
Massen Dialoge, Gebete, Enkomien, rhetorische Schuldeklania-
tionen, Reden, Testamente, Biographien, grammatische Schriften
wie eine Tex^oXoyta yqa^ifiaTixijq und ein Traktat IleQ) 6()!}oYQcc(fi'ac, Exe-
gesen, so eine 'Euhouog s'^r^yt^aig €ig xäg xaO^' 'Ofir^gov nXävag xov \)dvG-
at'(og, ein Kommentar zu Synesios IIsqI evvTrviwv, astronomische Ab-
handlungen wie IlfQl XMV vßQi^övTWY VTjV uavQOYOfn'av, TlaQctxXrfiixri ntin
uaiQoroaiac, TIuk du xavaüxeiml^tiv äaiQÖXaßov; selbst jambische Poesien
werden verzeichnet. Endlich hat Gregoras wie fast alle hervorragenden
Byzantiner der Paläologenzeit 2) eine reiche Sammlung von Briefen hinter-
lassen, die wohl zunächst eine vollständige Publikation verdienten. So-
lange von dieser reichen Kleinlitteratur nur ein geringer Teil und selbst
dieser mangelhaft, fragmentarisch und an schwer zugänglichen Orten ge-
druckt ist, wäre es wohl ein vergebliches Bemühen, das litterarhistorischc
und persönliche Gesamtbild dieses hochbedeutenden Mannes, der wie wenige
andere für das Paläologenzeitalter eine geistige Signatur bildet, in seinen
feineren Zügen mit zuverlässiger Treue auszuführen.
1. Geschichtswerk: In latein. Uebersetzung (mit Zonaras, Niketas und Chalko-
kondyles) Lutetiae 1567; Francofurti ad M. 1578. — Vom griech. Texte zuerst Buch 1 11
ed. H. Wolfius, Basileae 1562. — Buch 1- 24 ed. J. Boivinus, 2 voll., Paiis 1702.
Wiederholt Venedig 1729. — Im Bonner Corpus B. 1--23 ed. J. Schopen, 2 voll., Bonna.
1829-30; B. 24—37 ed. pr. (nach einem von H. Brunn kopierten Vatic. und einem Paris.)
I. Bekker als 3. vol. Bonnae 1855. — Das 37. Buch (nach der Zählung der Bonner Aus-
gabe das 36.) ed. mit französischer Uebersetzung Val. Parisot, Notices et extraits 17
(1851) 2, 1—406 (nebst handschriftlichen Notizen und einem historischen Kommentar).
Zum Wortschatz s. L. Dindorf, Jahns Jahrb. 99 (1869) 466. — Zur sachlichen Krläutc-
rung: Tim. Florinskij, Die Südslaven und Byzanz im ZAveiten Viertel des 14. Jahrb..
2 voll., Petersburg 1882 (Russ.).
2. Kxegese zur Odyssee: Ed. P. Matranga, Anecdota Gr. 11 520—531. -
R. Hercher, Zu Nikephoros Gregoras De erroribus Ulixis, Philologus 8 (1853) 755 — 7."»^
gibt Varianten aus einer Wiener Handschrift. — Kommentar zu Synesios: ed. Dion
Petavius, Opera Synesii, Lutetiae 1632 S. 351-429 (auch 1612. 1640). — Dialo-
4'Xu>Qtyrtog rj tisqI aocpictg: ed. A. Jahn, Jahns Jahrb. 10 (1844) 485—536; ebenda 11
(1845) 387 — 392 Emendationen zum Texte. — Eine Rede an Kaiser Andronikos III
Paläologos (1328 — 1341) ed. Westermann, Excerptorum ex biblioth. Paul. Lipsiensis libris
mss. p. I, Progr. Leipzig 1865. — Gedächtnisrede auf Theodoros Metochites: ed.
J. Meursius in Theodori Metochitae historiae Romanac über singularis, Lugd. Bat. 1618.
— Lobrede auf des Nikephoros Vaterstadt, das pontische Heraklea ed. C. N.
Sathas, Annuaire de l'assoc. 14 (1880) 217—224. -- Briefe: Einer angeblich in Opus-
cula Theoduli ed. L. Normann, Upsalae 1693. — Ein zweiter von Xav. Berger, Aretin's
Beiträge zur Geschichte und Literatur 4(1805)609-619. • Andere von A. Mustoxydes,
IvXXoyrj 'EXXTjyixdiy (ifexdÖTwr, 'Ey Heyeritf, 6. Heft; A. Craraer, Anecd. Oxon. 4 (1837)
426-432; Fr. Boissonade, Anecd. Gr. 3 (1831) 187— 199. -Sammelausgabe: Migne,
Patrologia Graeca t. 148 (1865) und 149 (1865) 1—671; sie enthält da.s Geschichtswork,
ein Martyrium, den Kommentar zu Synesios Ilegl iyvnyitoy, ein Fragment des Dialogs
Florentios, 16 Briefe.
3. Leben und Werke: Boivin, ed. Bonn. Praef. 19—96. - Ueber die Beziehungen
') Ed. Bonn. Praef. 44-58. metrios Kydones, Manuel Paläologos u. s. w.
'^) Z. B. (iregor von Cyponi, Nikephoros ! Vgl. M. Treu. Maxinii mon. l'lanudis epiat.
ChnnmoM. 'i'heodor Hyrtakenos, Georgios I'a- I S. 187 f.
chyuiere.s, Tliouias Magiutvr, i'hinudes, De- j
A. Die Geschichtschreiber. (§ 41.) 97
zu Bailaam und Kantakuzenos s. J. Kantakuzenos, ed. Bonn. vol. I 543 — 557, lU 171 — 184
und sonst. — Acta et diplomata Graeca medii aevi edd. Miklosich et Müller, v. 1 201 —216;
■_'o8; 243; 490. — C. Hopf, De historiae duc. Ath. fönt. S. 68 f. — Vgl. auch die Litteratur
zu § 41, besonders Parisot.
41. Johannes VI Kantakuzenos nimmt unter den Kaisern, welche
(He Geschichte der byzantinischen Litteratur verzeichnet, wohl die erste
Stelle ein. Durch seine Mutter wie durch seine Gemahlin mit den Paläo-
lögen nahe verwandt, diente er dem Herrscherhause als Grossdomestikos
und Präfekt von Thrazien. Als er nach dem Tode des Paläologen Andro-
nikos III von der Hofpartei völlig verdi'ängt zu werden drohte, Hess er
-ich 1341 zum Kaiser ki'önen, konnte sich jedoch erst nach einem furchtbar
verderblichen dynastischen Kriege im Jahre 1347 der Hauptstadt bemäch-
tigen und die Anerkennung der Paläologenpartei für eine vormundschaft-
liche Regierung erringen. Noch im kräftigsten Alter stehend, wurde er
1355 von dem rechtmässigen Thronfolger Johannes V Paläologos durch
(inen kühnen Handstreich zur Abdankung gezwungen und vertauschte den
Purpur mit dem Mönchsgewand. Anfänglich wählte er, als Mönch Christo-
dulos genannt, die fiorij xwv Mayyävwv bei Konstantinopel zu seinem Auf-
enthalt, später ein Athoskloster; er starb 1383 im Peloponnes und wurde
neben seinen Söhnen in Misithra^) begraben. Während seiner unfreiwilligen
Zurückgezogenheit widmete sich der vielerfahrene und gebildete Mann
wissenschaftlichen Studien und litterarischer Thätigkeit. Sein Hauptwerk
sind die 4 Bücher "^laroQiwv, in welchen die Geschichte des byzantini-
schen Reiches von 1320 — 1356 (in einzelnen Notizen bis 1362) dargestellt
ist. Die Einleitung des Werkes bildet ein Briefwechsel, in welchem Nilos
den Christodulos auffordert, seine Geschichte zu erzählen. Christodulos ver-
sichert ganz ähnlich wie Akropolites, er werde sine ira et studio schreiben
und nur über Dinge berichten, die er selbst erlebt und beobachtet habe.*)
lieber seine Vorgänger, unter denen er vornehmlich den Gregoras ver-
steht, fällt er ein strenges Urteil und wirft ihnen absichtliches Verschweigen
der Wahrheit vor. Allein seine eigene Objektivität scheitert an derselben
Klippe, welche der historischen Treue seines grossen Gegners im Dogma
gefährlich wurde. Auch er schildert Ereignisse, in welchen er selbst eine
bedeutende, zum Teil die erste Rolle spielte. So wird sein Werk in einem
noch höheren Grade als das des Gregoras zur Parteischrift, zu einer
grossen Apologie seiner eigenen Wirksamkeit. Durch diese einseitige Be-
tonung seiner Person leidet nicht nur die Richtigkeit, sondern auch die
Vollständigkeit und Uebersichtlichkeit der Darstellung. Wir erfahren zwar
eine Menge hübscher Details, und manche Ereignisse wie der nächtliche
Marsch auf Konstantinopel (1328) werden sogar lebensvoll und genau ge-
schildert; es kommt aber nicht zu einer pragmatischen Verarbeitung des
') Misithra in Lakonien spielte im letzten
Jahrhundert des byzantinischen Reiches als
Sitz eines griechischen Despotats eine be-
Stadt Athen II (1889) 280 ff.
*) Ov yiiQ tcTiB^f^eUt rivi rj {piXUt,
e^ loy ro xf/evöog ini tioAv lixrerai, tjqos
deutende Rolle und wurde zu einem Sammel- i tovtovs v7ijjx9T]y rovs Xöyovg, ukX' ähj9eiag
platz von Edelleuten und Gelehrten, der sich ■ i'ysxa xai Trpof t(Xt]9eiai iQaatrjv xovxovg
mit italienischen Fürstenhöfen vergleichen rtoiovudi u. s. w. Vol. I 10 ed. Bonn,
lässt. S. F. Gregorovius, Geschichte der ,
BkLdliQcb der klaaa. Altertiuuawlsaeiischaft IX. 1. Abtlg. 7
98 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
ganzen Stoffes; grosse Partien bleiben in völligem Dunkel, und über den
ins Licht gestellten herrscht die ziemlich unverhüUte Tendenz, alles, was
Kantakuzenos und seine Freunde thaten, als gut, klug und rechtlich dar-
zustellen. Um diese kaiserlichen Memoiren für geschichtliche Forschung
verwerten zu können, ist eine stete Vergleichung mit anderen zeitgenös-
sischen Berichten, vor allem mit Gregoras unerlässlich ; ') beide Werke er-
gänzen und berichtigen sich gegenseitig, nicht bloss in der Tendenz, son-
dern auch stofflich; denn Gregoras erzählt auch die äussere Geschichte,
während Kantakuzenos sich fast völlig auf die inneren Streitigkeiten be-
schränkt. Das beste Urteil über Kantakuzenos hat Gibbon 2) ausge-
sprochen: „Der Name und die Stellung des Kaisers J. Kantakuzenos
flössen uns wohl das lebhafteste Interesse ein. Seine Memoiren über
40 Jahre erstrecken sich von der Erhebung des jüngeren Andronikus
bis zu seiner eigenen Abdankung, und man bemerkt, dass er wie Moses
und Caesar in den Szenen, die er beschreibt, die wichtigste Rollo
spielte. Doch suchen wir in diesem beredten Werke vergebens die
Aufrichtigkeit eines Helden oder eines Büssers. Er hat sich von den
Lastern und Leidenschaften der Welt in ein friedliches Kloster zurückge-
zogen, bietet uns aber keine Beicht, sondern eine Apologie des Lebens
eines ehrgeizigen Staatsmannes. Anstatt die wahren Absichten und Cha-
raktere der Personen zu entfalten, entwickelt er uns nur die glatte und
glänzende Oberfläche der Geschehnisse, die mit seinem und seiner Freunde
Lob überreichlich aufgeputzt ist. Ihre Motive sind immer rein, ihre Zwecke
immer legitim; sie verschwören sich und rebellieren ohne selbstsüchtiges
Interesse; die Gewalt, welche sie üben oder ertragen, wird als die spon-
tane Wirkung der Vernunft und Tugend gefeiert". Ganz richtig sagl
auch Paris ot: „Die Details sind wahr; das Ganze aber täuscht oder sucht
zu täuschen".
In formaler Hinsicht hat das Werk bedeutende Vorzüge; es ist
einheitlich in der Komposition, im Tone und in der Entwickelung. Der '
Grund dieses straffen Zusammenhanges liegt vornehmlich darin, dass sich
das Ganze um einen festen Mittelpunkt gruppiert, um die Person des
Verfassers. So handelt das erste Buch über Kantakuzenos als Günstling
des präsumtiven Thronerben, das zweite über Kantakuzenos als ersten
Staatsminister, das dritte über Kantakuzenos als Mitbewerber um den
Thron, das vierte endlich über Kantakuzenos als Regenten und über die
Ursachen seines Falles. In seiner Sprache verrät Kantakuzenos nicht
eine so umfassende Belesenheit wie Gregoras; er schreibt aber, vielleicht
gerade deshalb, etwas einfacher und verständlicher.^) Ausser dem Ge-
schichtswerke verfasste der Kaiser eine grosse dogmatische Schrift gegen
') Die Hauptstellp über das Verhältnis '< Kanhikuzenos schon verkörpert; der erstore
des K. zu (iregoras ist B. IV 24 f. (vol. 111 I folgt dem IMato, der letztere konnuentiert
171 — 184 ed. Bonn.). Wie sich beide im aristotelische Schriften.
Leben schroff gegenüber standen, so ist auch *) Hist. of the decl. chapter Cy'A.
in ihrer wissenschaftlichen Richtung ein *) Trotz seines kla-ssischen Tones enthiilt
Gegensatz bemerkbar. Selbst der spjlter so das Werk eines der fdUiesten Denkmiiler
bedeutsam gewordene Streit zwischen Aristo- der vulgilrgriechisdien l'rosa; es ist ein
t^likcm und Platonikem ist in Gregoras und ' Brief des Sultans an den Kaiser, den K.
A. Die Geschichtschreiber. (§ 42.) 99
die Juden und Mohamedaner und eine Paraphrase der ersten fünf Bücher
der Nikomachischen Ethik,
1. Ausgaben: Geschichtswerk. Zuerst lateinisch ediert von Jac. Pontanus,
Ingoist. 1603. — Dann von einem Ungenannten Graece et Latine, 3 voll. Paris 1645. —
Wiederholt Venedig 1729. — Im Bonner Corpus ed. J. Schopen, 8 voll. Bonnae 1828—32
mit den Beilagen der Pariser Ausgabe: der Text ist gefördert durch Emendationen von
Niebuhr und Heinrich Grauert. — Wiederholt bei Migne, Patrol. Gr. 153 und 154 (1866J
mit den Schriften gegen Barlaam, Mohamed u. a.
2. Hilfsmittel: M. Hanke, De byzant. rer. scriptor. S. 602—626. — J. von
Hammer, De byz. bist, ultim. scriptor. ex bist. Osmanica elucidandis, in den Comment.
societatis reg. scient. Gottingensis, cl. bist, et phil. 6 (1823—27) 233—252. — Zur sach-
lichen Erläuterung das S. 96 zitierte Werk von T. Florinskij und desselben Verf.
Schrift: Andronikos der Jüngere und Johannes Kantakuzenos, Journ. Minist. Volksaufkl.
1879, Juli 87-143, August 220-251, Sept. 1-48. Vgl. Archiv slav. Phil. 4 (1880) 716. —
Den Bericht des Kantakuzenos über die Krönung Andronikos III (1325) illustriert W. Fischer,
Eine Kaiserkrönung in Byzantion, Zeitschr. für allgemeine Geschichte 4 (1887) 81-102. —
Hauptschrift: Val. Parisot, Cantacuzene, homme d'etat et historien, Paris 1845.
3. Eine von Johannes Komnenos verfasste Biographie des Joh. Kantakuzenos,
die durch Ergänzung einiger Lücken des Geschichtswerkes des Kant, von Wert sein soll,
veröffentlichte Chr. Loparev, Petersburg 1888 (mir unzugänglich). — Ueber diesen
Johannes Komnenos (1657—1719), der für den letzten Sprössling des Kaiserhauses der
Komnenen gehalten wird, s. die Untersuchung von A. PapadopulosKerameus, Jelrioy
rijg ioTOQ. xcd s&yo'Aoy. iratglug T^c 'Ekkü&og 2 (1885 —89) 667 — 679.
42. Johannes Kananos ergriff aus einem ähnlichen Anlasse die
Feder wie einst Theodosios von Syrakus und Johannes Kameniates. Im
Sommer des Jahres 1422 hatte Murad II beschlossen, dem Reste des
Rhomäerreiches den Todesstoss zu versetzen. Er sammelte gegen 50000
Krieger vor der Stadt und unternahm am 24. August einen Sturm auf die
Mauern; doch wurden die Türken durch die tapfere Gegenwehr des Volkes
zurückgeschlagen und verloren sogar ihre Belagerungsmaschinen. Als bald
darauf der Bruder Murads mit einem Heere vor Brussa erschien, um sich
des Thrones zu bemächtigen, sah sich der Sultan genötigt, die Belagerung
aufzuheben. Kananos, der die Rettung der Stadt wie einst der Patriarch
Sergios der Hilfe der hl. Jungfrau zuschreibt, schildert das Ereignis in
einer Schrift, die den Titel führt: ^Icodrrov rov Kavavov dn]yi]ai<; Tiegl rov
€V KioraiavTivoimöXei ysyovärog noktfiov xazd to q'^X' i'vog, ut€ o 'AfiovQcig
neig naQhnsüs ravrtj fisTcc Svväfieojg ßaqsiag xal naq oXiyov Tavtr^v sxQcersi,
« /{/] i] vTitQayvog }.irjVi]Q rov xvQiov xavzr^v e<fvXa^e. Kananos ist ebenso-
wenig Historiker von Fach wie Theodosios und Kameniates; er versteht
nicht einmal die byzantinische Kunstsprache zu gebrauchen; aber gerade
die Naivität seiner Diktion verleiht dem Schriftchen Reiz. Merkwürdig
ist, dass die Darstellung sich im Verlaufe der Erzählung immer mehr dem
Vulgären nähert, bis der Verfasser endlich bei der Beschreibung des
Hauptsturmes sich ganz vergisst und, von der Erregung fortgerissen, jede
Rücksicht auf die schriftsprachliche Konvenienz bei Seite setzt. So ge-
winnt die Darstellung trotz des weinerlichen Tones und trotz ihrer Plump-
heit eine gewisse Frische und wird anschaulicher und verständlicher als
die rauschenden Periodenströme mancher Kunsthistoriker von Byzanz.
Wortlich mitteilt (B. rV^ 14 = vol. III 94—99 i Form vom Sultan aus; das zeigen sobon die
ed. Bonn.). Parisot meint, der Brief sei erst j Worte, mit denen das Scbriftstück angofübrt
von K. ins Griechiscbe übersetzt worden; ' wird: infftne di xrd TiQog -inailia ynduuiaa
er ging aber sicher in der vulgärgriechischen ^ ovxvjg l^ovTa iy Xs^ei.
100 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Wäliiend jene durch ihre Pedanterie, Völker, Orte, Zeiten und sonstige
Begriffe mit attischen Ausdrücken zu belegen, häufig undeutlich werden, er-
fahren wir aus Kananos die authentischen Namen von Truppengattungen,
Waffen, Belagerungswerkzeugen u. s. w.
YA. pr. Leo Allatius, Paris 1651 (mit Joel und G. Akropolites). — Im Bonner
Corpus ed. I. Bekker, Bonnae 1838 (mit G. Phrantzes imd J. Anagnostes). — Wiederholt
bei Migne, Patrol. Gr. 156 (1866). Vgl. § 78.
43. Johannes Anagnostes aus Thessalonike beschrieb auf Ersuchen
einer hohen Persönlichkeit die Eroberung seiner Vaterstadt durch die
Türken im Jahre 1430: ^tj^yryc/g ttsqI rrjg vekevraiag dkcöasmg Ttjg Geaau-
Xovixijg (TvvTsO-fTüa nqög riva twv cc^ioXöybH' nokXäxig ahr^aavTa negl tavTr^g,
iv ircnößfi). Chronologisch steht Anagnostes dem Kananos nahe, der kurz
zuvor einen verwandten Gegenstand geschildert hatte. Doch sind beide in
der Behandlung ihres Stoffes ziemlich verschieden. Während Kananos in
volkstümlicher und naiver Weise seine Eindrücke wiedergibt, strebt Ana-
gnostes sichtlich nach kunstgemässer Gruppierung und reinlicher Gräzität.
Seine Erzählung ist im ganzen sachlich und glaubwürdig; abgesehen von
der Einleitung, wo er in einen weinerlichen Predigerton verfällt, hält er
sich von Uebertreibung und Deklamation ferne. Die üblichen Zitate aus
Homer und der hl. Schrift hat er mit den Fachhistorikern, denen er nach-
eifert, gemein.
Ed. pr. Leo Allatius, Ivfifxixxa, Coloniae Agripp. 1653. — Mit Genesios Venedig
1733. — Im Bonner Corpus ed. I. Bekker, Bonnae 1838 (mit Phrantzes und Kananos). —
Wiederholt bei Migne, Patrol. Gr. 156 (1866).
44. Laonikos Chalkokondyles stammte aus einer vornehmen Familie
Athens, welche um die Mitte des 15. Jahrhunderts durch die dynastischen
Fehden der fränkischen Beherrscher vertrieben nach Italien flüchtete.
Laonikos verblieb in Griechenland und hatte reichliche Gelegenheit, die
blutigen Kämpfe der fränkischen und griechischen Herren unter sich und
mit den Türken aus der Nähe zu betrachten. Als Gesandter an Murad II
wurde er von demselben gefangen gehalten; dasselbe Los erlitt er zum
zweiten Male 1446 als Abgesandter des Despoten von Lakonien Konstantin
Dragasis. lieber seine weiteren Schicksale ist nichts bekannt; doch er-
lebte er noch den Fall von Konstantinopel und Trapezunt (1461). Laonikos,
der einzige Athener, den die byzantinische Litteraturgeschichte kennt,
verfasste 10 Bücher 'latogiMv über die Zeit von 1298 — 1468. Der
fundamentale Unterschied dieses Werkes von allen früheren Leistungen
der byzantinischen Geschichtschreibung liegt in der Thatsache, dass hier
nicht mehr Byzanz, sondern der türkische Staat im Mittelpunkte der
Erzählung steht. Laonikos schildert nicht den Todeskampf des griechischen
Kaisertums, nicht die kleinlichen Intriguen und die dogmatischen Streitig-
keiten der Byzantiner wie Gregoras und Kantakuzenos, sondern ein grosses
und neues Thema, die ungeheuere Machtentwickelung des jungen Osmanen-
reiches, das sich auf den Trümmern griechischer, fränkischer und slavi-
scher Herrschaften aufbaute. In der Einleitung gibt Laonikos eine sehr
klar gefa-sste Uebersicht der Weltgeschichte von den Assyriern bis zum
13. Jahrhundert. Die geschickte Erörterung des Ueberganges vom Helle-
A. Die Geschichtachreiber. (% 43—44.) 101
nismiis zum Byzantinertum, die scharfe Trennung der Begriflfe Römer und
Khomäer und die besonnene Darlegung der Unionsversuche machen seinem
geschichtlichen Verständnis alle Ehre. Nachdem er noch den geringen
Umfang des byzantinischen Reiches am Schlüsse des 13. Jahrhunderts be-
sclirieben hat, entwickelt er seinen Plan, die Erstarkung des Türkentums
zu schildern. ^)
Der Stoff, welchen sich der athenische Historiker gewählt hat, ist
wohl der grossartigste, aber auch der schwierigste, der in der gesamten
liyzantinischen Geschichtschreibung vorkommt. Seine Vorgänger schildern
Ereignisse, die von dem grossen Mittelpunkte Konstantinopel ausgingen
und stets auf ihn zurückliefen: das zentralistische System hat ihnen ihi-e
Aufgabe wesentlich erleichtert. Laonikos dagegen stellt eine Epoche dar,
in welcher die byzantinischen Dinge in der Geschichte der Türken, Franken,
Slaven und der griechischen Despoten versinken. Der Schwerpunkt ver-
legt sich nach dem jeweiligen Standlager der osmanischen Machthaber;
die militärischen und politischen Bewegungen gehen nicht mehr von der
alten Bosporusstadt aus, sondern eilen von stets wechselnden Punkten bald
auf Byzanz, bald auf die übrigen noch selbständigen Gebiet« von Osteuropa.
Dass die Völker, welche die Neugestaltung der Dinge übernahmen, fremde
Idiome sprachen, musste die Schwierigkeit einer genauen Information be-
deutend erhöhen. So versteht man, dass es selbst einem Talente wie
Chalkokondyles nicht gelingen wollte, den fremdartigen, von keinem Vor-
gänger gesichteten Stoff gleichmässig zu durchdringen und zu einem deut-
lich abgerundeten Gesamtbilde zusammenzufassen. Die störende Ungleich-
heit, mit der er die Ereignisse behandelt, hat thatsächlich ihren Haupt-
grund im Ueberfluss oder im Mangel an Material; wenn er z. B. über die
wichtigen Kämpfe des Königs Mathias gegen die Türken auffallend schnell
hinweggeht, dagegen die peloponnesischen Wirren an dieser Stelle wie im
ganzen Werke ausführlich behandelt, so thut er es nur, weil er über die
Angelegenheiten im Norden weniger unterrichtet ist als über die in Morea,
die er zum grossen Teil selbst beobachten konnte. Ganz ungerecht wäre
es, ihm gar seine fabelhaften Berichte über die Völker von Mitteleuropa
vorzuwerfen: dieselbe Mischung von Wahrheit und Dichtung über fremde
Völker findet sich auch in den abendländischen Werken des 15. Jahr-
hunderts. Charakteristisch für die geographischen Anschauungen seiner
Zeit sind die Exkurse über Frankreich, England und Deutschland, die er
bei der Erwähnung der griechischen Versuche, vom Abendlande Hilfe zu
erlangen, einreiht. Freilich leidet auch bei ihm die Deutlichkeit der ethno-
graphischen Angaben durch die in Byzanz übliche Sitte, statt der zeit-
genössischen Bezeichnungen altgriechische Namen anzuwenden, 2) Die
') S. 5 ed. Bonn, w? ovy exaatn rovitav \ baller; beachtenswert ist, dass die Franzosen
cvysßtjysyea&ai, (6? Tfirtüy'EXXtiyütyTiQäytiaTft ! oft rsQfiayoi, die Deutschen 'JXauayoi ge-
xoT« ßQnx*' (inwXtTo (f^eiQÖ^ueyci ino TovQxtoy, '■ nannt werden. Ueber die ethnographische
X€(i ois T(i ixelyioy ueyaktc iysyeio, \ Nomenklatur der Byzantiner vgl. Parisot,
iifjiiya dei ig röytfe tov xQÖyoy iöyTu Notices et extraits 17. 2. 123; H. Krause,
n'd€fifioyias, iniuyrjaöfit^a irteciöyteg, i(p' Die Byzantiner des Mittelalters S. 156 — 165
Toy dt] ig rö dxQißiaxaQoy inv&öfjie&a. und bes. AI fr. Karabaud. L'empire Grec
*) Die Türken heissen im hohem Stil 1 au dixieme siecle S. 308 — 405; für die Be-
l'erser, die Russen Skythen, die Serben Tri- j nennungen der slavischen Völker s. Georg
102 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
schwächste Seite des Laonikos ist vielleicht seine Chronologie; er bedarf
hier gar sehr der Kontrolle durch Dukas, Phrantzes und andere zeitgenös-
sische Quellen.
In seiner Darstellung hat Chalkokondyles noch viel gründlicher als
seine nächsten Vorgänger mit der byzantinischen Tradition gebrochen; er
nimmt sich ganz bcwusst und ernsthaft den Herodot und Thukydides *)
zum Vorbild. Seine Versuche, um jeden Preis in ihrem Stile zu schildern,
machen seine Sprache undurchsichtig und schwerfällig; er ringt mühsam
nach dem Ausdrucke und kann das richtige Wort nicht immer finden.
Von Barbarismen und Dunkelheiten ist er frei, dafür leidet er aber wie
alle, die ein künstlich angelerntes Idiom verwenden, an Dürftigkeit und
Monotonie; die Verbindung der Sätze beruht auf einförmigen Schemen,
und gewisse Lieblingswörter kehren zum Ueberdruss oft wieder. Dazu
verrät dieses Griechisch einen ganz modernen Sprachgeist; viele Stellen
lesen sich genau wie das misslungeue Altgriechisch, dessen sich manche
Griechen der Gegenwart befleissigen; Wörter und Formen sind alt, der Ge-
dankengang, die Verbindung, oft auch die Phraseologie bleiben modern.
Deutlicher als je zuvor zeigt sich bei Laonikos, wie selbst ein Grieche das
Altgriechische nur äusserlich erlernt und nicht mehr geistig zu beleben
weiss. Bei alldem spiegelt sich in seinem aufrichtigen Streben, der Herodot
des 15. Jahrhunderts zu werden, der Morgenstrahl des heranbrechenden
neuen Tages. Durch seinen Bruder Demetrios, der die erste Ausgabe der
Ilias besorgte und die für das Studium des Griechischen im Abendlande
wichtigen 'EQwrrjfxaia abfasste,^) ist der Name Chalkokondyles für immer
mit den Anfängen des Humanismus verknüpft. Dass aber auch Laonikos,
obschon er durch seinen Lebensgang und seine litterarische Thätigkeit den
Wirren des Orients näher stand als den Gelehrtenkreisen Italiens, die
Regung des neuen Geistes verspürte, beweist seine Form, seine allgemeine
Anschauung und manche einzelne Aeusserung. Seine Rechtfertigung des
Gebrauches der altgriechischen Sprache, die über den ganzen Erdkreis ver-
breitet sei,^^) bezieht sich offenbar auf den Beginn der griechischen Studien
im Abendlande. Sein Panegyrikus auf die Hellenen"*) liest sich wie eine
Stelle aus einem italienischen oder französischen Humanisten. Wie der
Stoff, den Laonikos darstellt, zum Teil schon über den tragischen Schlussakt
der byzantinischen Geschichte hinausfällt, so blickt auch seine Auffassung
des Hellenismus in das Zeitalter der durch griechische Flüchtlinge auf
italischem Boden vorbereiteten Wiedergeburt des klassischen Altertums.
Krek, Einleitung in die slavische Literatur-
geschichte, 2. Aufl., Graz 1887.
') Wie Thukydides hobt er feierlich an:
ylaofixM 'J&t]f€ciio juiv xtttu jov ßiov ol ig
t^f'ay re x«t (ixotji^ ncpiyfxeyioy ig iatoQiny
^vyyiyQnnrat räds.
*) Ilias, Florenz 1488; 'KgtoTtjfiara, Mai
lingo über ein griechisches Reich
herrschen werden, klingt wie eine Pro-
phezeiung der in unserem .lahrhundert er-
rungenen Wiedergeburt des hellenischon N'ol-
kes: xui xXe'og fih' aviij (sc. jfj 'KXXtjrixfi
(pun'f'l) /Mfy« ro TiaQaviixa, ufiCoy d^ xid
iaav&ig, önöte dtj äyu jinaikeiay ov q;nvi.t]y
land 1498. Vgl. E. Legrand, Bibliographie "HXhjy ye avtog jinatkevg xai ii avrov iaö
hellöniquc I (Paris 188.'i) S. !); 17. fieyoi flaaiXeh ol dt], xni ol tmy 'F^XX^toy
') S. 4 ed. Honn. Die danin geknüpfte rifudeg ivXXtyöfieyoi xntu rd atftoy avtuiy
Bemerkung, dans der Huhm des (iriochischen t'hfi« i6g ijdiaru fitjy atfiaiy nvfo?g, roi^g di
noch grösser sein werde, wenn einmal ein i äXXoig üg XQÜTiata noXitevoiyto.
griechischer König und seine Spröss- , *) S. 5 ed. Bonn.
A. Die Oeschichtschreiber. (§ 45.) 103
1. Ausgaben: Zuerst lateinisch von Conr. Clauserus, Basileae 1556, mit
Theodorus Gaza: De origine Turcarum, Leonardas Chiensis: De captivitate Cpolis u. a. —
Lateinisch noch öfter mit Zonaras, Niketas Akominatos mid Nikephoros Gregoras als
Lorpus universae historiae praesertim Byzantinae, Basileae 1562; Lutetiae 1567; Francofurti
ad M. 1578. - Ed. pr. Graece et Latine, Genev. 1615 (?). — Ed. H. Fabrotus, Paris
IßöO. — Wiederholt Venedig 1729. — Im Bonner Corpus rec. I. Bekker, Bonnae 1843. —
\\'iederholt bei Migne, Patrol. Graeca 159 (1866) mit Leonardas Chius und anderen Er-
_' ä uzungsschriften .
2. Französische üebersetzung von Blaise de Vigenere, Paris 1577 (and
iifter). — Wiederholt mit anderen Stücken, welche die türkische Geschieht« fortsetzen, von
Artus Thomas, 2 voll. Paris 1620; dem prachtvollen Werke sind kulturhistorisch äusserst
wichtige Illustrationen beigegeben, welche die durch Tradition und Vorschrift genau ge-
regelte Tracht der Nationalitäten, Klassen und Stände des Türkenreiches veranschaulichen.
— Ohne die Illustrationen wiederholt von F. E. du Mezeray, 2 voll. Ronen 1660.
3. Hilfsmittel: J. von Hammer's zu § 41 zitierte Schrift, in der sclilecht über-
lieferte Eigennamen bei Laonikos, Dukas, Anagnostes u. a. verbessert werden. — L. Fr.
Tafel, In Laonici Chalcocondylae Athen, bist. Türe, meletemata critica, Monachii 1858
(Festschrift zur Thierschfeier). Reiches Material zur Texteskritik findet sich im Nachlass
Tafeis. — F. Gregorovius, Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter, Stuttgart 1889
II 318 «.
4. Name: Die Pariser Handschriften haben sowohl im Titel als im Texte die Form
XfcXxoxceydv>.i]s, so dass man an eine Ableitung von xftydtjXa (Kerze, Leuchter) denken
könnte. Im cod. Monac. 150 wechselt die Schreibung zwischen XaXxöydvkog und XetXxö-
drjXoi. Demetrios nennt sich in seinen Schriften gewöhnlich XaXxoydvXvjq, einmal in einem
Briefe XnXxoydvXa?. Die ursprüngliche Form ist wohl XaXxoxovdvXrjg (der Mann mit dem
ehernen Griffel); daraus wurde durch eine im Vulgärgriechischen sehr gewöhnliche Ver-
kürzimg (z. B. avyaaTQocptj aus avvavtcaxQocf^) XaXxoydvXrjS, und hieraus lautgesetzUch
XagxoydvXTjs. S. E. Legrand, Bibliographie hellenique I Introd. S. 94.
5. Eine Art Biographie des Laonikos imd Demetrios Chalk. schrieb der griechische
Arzt Antonios Kalosynas zu Toledo in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Ed.
K. Hopf, Chroniques Greco-Romanes S. 243 ff. — Hauptschrift über Demetrios Chalk.
(geb. 1424, gest. 1511): E. Legrand. BibUographie hellenique I (1885) Introd. S. 94—101. —
Acht Briefe des Demetrios Chalk. an Johannes Lorenzi ed. H. Noiret, Melanges d'archeo-
logie et d'histoire de l'ecole fran^aise de Rome 7 (1887) 472 — 500.
45. Dukas verfasste ein Geschichtswerk über die Zeit von
1341—1462. Der Autor des ohne Titel in einer einzigen Handschrift
(cod. Paris.) überlieferten Werkes gibt sich im Verlaufe der Erzählung*)
als einen Enkel jenes mit der Kaiserfamilie Dukas verwandten Michael
Dukas zu erkennen, der in dem verhängnisvollen Streite zwischen
Johannes VI Kantakuzenos und Johannes V Paläologos eine Rolle spielte.
Sein Vorname wie auch Ort und Zeit seiner Geburt bleiben uns unbekannt;
dafür erfahren wir aus seinem Werke sonstige biographische Details. Er
war in Phokäa ansässig, diente dem dortigen genuesischen Podestä als
Sekretär und war später Zeuge der Vorbereitungen, welche die Türken in
Didymotoichon zur Eroberung Konstantinopels trafen. Nach dem Falle
der Stadt wurde er von den Gateluzzis, den Beherrschern von Lesbos,
als Gesandter verwendet, verhandelte mit dem Sultan wegen seiner An-
sprüche auf Lesbos und brachte ihm 1455 und 1456 den Tribut nach
Adrianopel. Aus seinem freundschaftlichen Verhältnisse zu den Genuesen
erklärt sich auch, dass er sich als eifrigen Anhänger der Union bekennt.
Dem Geschichtswerke des Dukas geht wie dem des Chalkokondyles
eine weltgeschichtliche Uebersicht voraus, die hier, dem populären
Charakter des ganzen Werkes entsprechend, in der aus den Chroniken
übernommenen Form einer genealogischen Uebersicht von Adam bis auf
') S. 23, 9 ed. Bonn.
104 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
die Paläologen gegeben wird. Schon im zweiten Kapitel kommt er zu
seinem eigentlichen Thema, indem er die Entfaltung der Türkenherrschaft
bis zum Untergange Bajesids (1402) darlegt. Erst dann wendet er sich
zur byzantinischen Geschichte selbst und beginnt hier mit der Erzählung
der Aspirationen des Johannes Kantakuzenos. Man kann demnach das
Jahr 1341 als den eigentlichen Anfangspunkt des Werkes bezeichnen;
doch behandelt Dukas die zunächst folgenden Ereignisse noch ziemlich
summarisch; zu grösserer Ausführlichkeit gelangt er erst mit dem Regie-
rungsantritte Bajesids (1389). Von den byzantinischen Kaisern werden
also nur die drei letzten Paläologen Manuel, Johannes und Konstantin
(1391 — 1453) eingehender behandelt. Mit der Eroberung von Lesbos durch
Mohamed II im Jahre 1462 schliesst Dukas. Das Werk bildet mithin
eine Fortsetzung des Gregoras und Kantakuzenos, eine Ergänzung des
Chalkokondyles und Phrantzes. Dukas, der einen grossen Teil der er-
zählten Ereignisse selbst beobachten konnte, hat nicht versäumt, auch von
Augen- und Ohrenzeugen sichere Erkundigungen einzuziehen; sogar von
Türken liess er sich manches berichten. ') Seine Wahrheitsliebe ist zweifellos
und an Genauigkeit steht er hoch über Laonikos.^) Dazu erzählt Dukas
mit lebhafter Anschauung und dramatischer Bewegung. Er weiss nichts
von rhetorischen Floskeln und mühsam abgerundeten Perioden, fesselt
aber durch die einfache, wenn auch etwas unbeholfene Beredsamkeit des
Herzens. 3) Harte Vorwürfe schleudert er gegen die unversöhnlichen Feinde
der Union, die selbst in der höchsten Gefahr nichts von abendländischer
Hilfe wissen wollten.*) Trotzdem ist er streng orthodox und gerät nirgends
in so tiefe Erregung, als wenn er von der Verunglimpfung spricht, welche
die Türken den heiligen Bildern und Gefässen zufügten. Die Frische der
Erzählung wird durch die häufige Einflechtung eigener Erlebnisse und
persönlicher Züge erhöht.
In seiner sprachlichen Form steht Dukas in einem scharfen Gegen-
satze zu Chalkokondyles; unbekümmert um die herrschende Konvenienz
macht er den Versuch, auf Grundlage des gesprochenen Idioms eine Schrift-
sprache zu bilden; seine Diktion ist temperiertes Volksgriechisch,
wie es auch im diplomatischen Verkehr jener Zeit häufig angewendet wurde.
Diesem glücklichen Griffe ist es vornehmlich zu danken, dass die Erzählung
des Dukas bedeutend wahrer und anschaulicher wirkt als die des Laonikos.
Dadurch dass er die Dinge stets beim rechten Namen zu nennen wagt,
wird er auch weit verständlicher als jener. Wer an klassische Lektüre
') Wem er für die ältere Geschichte [ Vogels, noch das Winseln eines Kindes; son-
folgt, muss noch untersucht werden. dem wie der Fischer sein Netz aus der Tiefe
^) Vgl. Berger de Xivrey, M^nioires i ans Land zieht und alles, was ihm entgegen
sur la vie et les ouvrages de l'empereur kommt, mitschleppt , seien es nun gros.se
Manuel Palöologue, M^moires de I 'Institut Fische oder kloine oder selbst elende Fiscli-
de France, acadömio des in.scriptions et helles- lein und Krabben, so verwüsteten jene ganz
lettres 19 (1853) S. 21. Asien u. s. w. S. 76 f. ed. Bonn. — Kin
') Man lese z. B. seine Schildenmg des wichtiges und ergreifendes Dokument ist
Verheenmgszuges der Mongolen unter Tim ur auch seine Beschreibung der Eroberung von
Lenk: Indem sie von Stadt zu Stndt zogen, Konstantinopel S. 2H'2 'Ml.
machten sie das verlas.sone Land so einHam, ^) Das Prinzip die.ser extremen rart<>i
dass weder das Bellen eines Hundes mehr war: xQeliTof einTteaei^y eii x^'Q"^ ""*' "^"''Q-
gehört wurde, noch der Ruf eines zahmen xtoy tj 4'^(iyxiof. S. 291, 3 ed. Bonn.
A. Die Qeschichtschreiber. (§ 46.) 105
_e wohnt ist, wird diese von türkischen, italienischen und anderen Fremd-
wörtern wimmelnde Sprache allerdings recht ungezogen finden; sie ist aber
\ om Standpunkte ihrer Zeit zu beurteilen, von der sie ein treues Spiegel-
lüld gewährt.') In solchen Werken liegen die deutlichen Keime einer
lebensfähigen neugriechischen Schriftsprache, deren Entwickelung leider
durch den politischen Untergang des Volkes auf allzu lange Zeit abge-
schnitten wurde.
1. Ausgaben: Ed. pr. Ism. Bullialdus, Paris 1649 mit latein. Uebersetzung und
Kommentar. — Wiederholt Venedig 1729. — Im Bonner Corpus rec. I. Bekker, Bonnae
1834; hier ist noch eine das lückenhafte Original mehrfach ergänzende italienische
Uebersetzung beigegeben, die von einem venezianischen Geistlichen wohl bald nach der
Vollendung des Originales abgefasst wurde. — Wiederholt bei Migne, Patrol. Graeca 157
(1866)739 — 1166 (ohne die ital. Uebersetzung). — Emendationen von A. Mull ach, Coniect.
Byzant. libri duo, Berolini 1852 S. 3 ff.
2. Nach Dukas gaben Bullialdus und Bekker eine ganz magere Chronik, welche in
vulgärgriechischer Sprache tabellenartig die Ereignisse von 1089 — 1523 aufzählt. Das
Machwerk wurde offenbar kurz nach 1523 von einem unter venezianischer Herrschaft
lebenden Griechen abgefasst. Emendationen von Mullach a. a. 0. S. 5 ff.
46. Georgios Phrantzes {(pQavr^r^g) wurde 1401 in Konstantinopel
geboren. Nachdem er 1417 seine Eltern durch die Pest verloren hatte,
wurde er Sekretär Manuels II und diente fortan der kaiserlichen Familie
zu Hause, im Felde und im diplomatischen Verkehr. Er rettete den Sohn
Manuels, Konstantin, bei Patras 1429 aus den Händen der Feinde und
ward statt seiner gefangen. Für seine Dienste wurde er 1432 zum Proto-
vestiarios, 1446 zum Präfekten von Sparta, später zum Grosslogotheten
erhoben. Bei der Eroberung von Konstantinopel geriet er mit seiner
Familie in türkische Gefangenschaft. Nach Wiedererlangung der Freiheit
flüchtete er zum Despoten Thomas Paläologos nach dem Peloponnes, und
als sich die Türken auch hier festgesetzt hatten, nach Italien, wo er
Venedig und Rom besuchte. Nach einem vielbewegten, an Thaten und
traurigen Schicksalen überreichen Leben zog er sich als Mönch unter dem
Namen Gregorios in ein Kloster auf Korfu zurück. Hier verfasste er auf
Anregung einiger vornehmen Korfioten sein Xqovixövj das er im Jahre
1477 vollendete; das Werk umfasst die Zeit von 1258—1476.
In der Vorrede spricht auch Phrantzes nach der herkömmlichen Sitte
vom Nutzen der Historiographie und gibt die jetzt ganz stereotyp gewordene
Versicherung, Geschichte müsse sine ira et studio geschrieben werden;*)
sie müsse für alle Ewigkeit eine lebendige Stimme, ein vernehmlicher
Herold der Vergangenheit bleiben. So wolle auch er die Geschichte der
Paläologen darstellen. Nach einigen Vorbemerkungen über die Familie
des Michael Paläologos beschreibt er dessen Flucht von Nikäa zum türki-
schen Sultan nach Ikonion (1258), seine Krönung, die abenteuerliche Wieder-
eroberung Konstantinopels und gelangt im ersten Buche in ziemlich knapper
üebersicht bis zum Tode Manuels II (1425). Erst von hier an wird die
'). I. Bekker erblickt in Dukas natürlich kommenen Jahrhunderts nennen.
vor (barbarum perditorum temporum ■*) Ovre jiQog x^Q*^" <""^* TXQog <f96voi',
testem', den er ,sordibus suis' überlassen uXX' ovde ngog ft?aog 17 xni riQog fvvoiav.
habe. Mit demselben Rechte könnte ein Es verlohnte, sich der Geschichte dieses taci-
verbohrter Ciceronianer die göttliche Ko- teischen Satzes in der griechischen Historio-
mödie das barbarische Zeugnis eines ver- graphie etwas nachzugehen.
106 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
Darstellung ausführlicher. Das zweite Buch behandelt die Regierung
Johannes VIII Paläologos (1425—1448), das dritte die des letzten Paläo-
logen, Konstantin IX (1448 — 1453) und den Fall des Reiches, das vierte
endlich die Kämpfe der paläologischen Despoten im Peloponnes, die Er-
oberung desselben durch die Türken nebst einigen weiteren Begebenheiten,
die er bis zum Jahre 147G verzeichnet. Die Hauptbedeutung des Werkes
liegt in den drei letzten Büchern. An den Ereignissen, die hier geschildert
werden, hat Phrantzes selbst als Staatsbeamter und Diplomat Anteil ge-
nommen, und er versteht seine Beobachtungen wahrheitsgetreu, mit Sach-
kenntnis und Anschaulichkeit wiederzugeben. Der bittere Unmut, mit dem
er seine Feder gegen die Türken führt, ist bei einem Manne, der selbst
mit seiner Familie und seinem ganzen Volke so viel von ihnen erduldete,
wohl zu erklären. Bezeichnend für die Anschauungen der Zeit ist seine
scharfe Polemik gegen die Lateiner, welche die über Byzanz herein-
gebrochene Katastrophe als eine wohlverdiente Strafe für die griechische
Ketzerei auffassten; die politischen Geschicke, bemerkt Phrantzes, haben
nichts zu thun mit der Rechtgläubigkeit; auch die Osmanenherrschaft werde
einst ihr Ende nehmen. Daran schliesst er eine langwierige Deutung alter
Prophezeiungen über die Dauer des Türkenreiches und eine Widerlegung
der Lehre Mohameds.
In seiner Darstellung gehört Phrantzes zu den liebenswürdigsten
Erscheinungen der Paläologenzeit; er steht auf einer Mittelstufe zwischen
Chalkokondyles und Dukas. Ebensoweit entfernt von dem künstlichen
Archaismus des ersteren wie von dem vulgären Niveau des letzteren
schreibt er einfach und fliessend und macht im Wortschatze wie in ein-
zelnen Formen und im Satzbau der Volkssprache manche Konzessionen,
ohne den Ueberlieferungen der byzantinischen Kunstgräzität vollständig
untreu zu werden.
So besitzen wir für die letzte Paläologenzeit drei Geschicht-
schreiber, die sich gegenseitig im weitesten Umfange ergänzen und be-
richtigen. Ihre Abweichungen erklären sich teils aus der Verschiedenheit
ihrer Zwecke und Mittel, teils aus dem verschiedenen Standpunkte, von
welchem aus sie die Ereignisse beobachteten. Der Athener Laonikos
gehört dem Kreise der peloponnesischen Despoten an und betont daher
vornehmlich die inneren und äusseren Konflikte im Süden der Balkan-
halbinsel; Dukas, diplomatischer Agent genuesischer Herrscher und daher
Freund der Union, betrachtet den Gang der Ereignisse von den fränkischen
Besitzungen an der kleinasiatischen Küste und in Lesbos; Phrantzes
endlich, der kaiserliche Beamte und eifrige Anhänger der antirömischen
Partei, befindet sich auf dem Standpunkte, der früher allein möglich ge-
wesen wäre, auf dem des byzantinischen Hofes und der byzantinischen
Metropole.
1. Ausgaben: Zuerst ein Auszug in lateinischer l'ehorsotxung von Jac. Pon-
tanus, im Anhang seiner Ausgabe des Thcophyhiktos Siniokattos. Ingoist. 1604. — Wieder-
holt Venedig ll'.Vii mit (Jenesios u. a. — Ed. pr. des griechischen Textes: XQoyixoy
rtotQyiov <l'Qf(yt!irj rov TiQvjToßeafinQiov yvy nQdtov ix^o^iv inifteXelif ♦p. KaQ.
'UkitQ (Alt4T). 'Ky lUtyyfi '»?f AvaxQiug 1796. Die im Helt«am8t<'n Pidgingriechisch ab-
gefa«st« Vorrede berichtet über das Werk und die Handschriften des Phrantzes und über
B. Die ChroniBten. (§ 47.) 107
das Leben des Pontanus; der Text beruht auf cod. Monac. Gr. 239. Beigegeben sind einige
stofflich verwandte Stücke, wie jene 'latogiu no'/.iTixt] Kcjyaiaytivovnökeiog (1391 — 1578),
welche einst Martin Crusius von Theod. Zygomalas erhalten und in seiner Turcograecia
veröffentlicht hatte, dazu der Begleitbrief des Zygomalas, ein durch die \Tilgäre Diktion
und Auffassung merkwürdiger Bericht über eine Unterredung des Patriarchen Gennadios
mit dem Sultan u. a. — Im Bonner Corpus ed. I. Bekker, Bonnae 1838, nach einem
besseren Parisinus, jedoch ohne Verwertung des seiner Bedeutung nach noch immer un-
bekannten Taurin. 102. C. IV 22. — Wiederholt bei Migne, Patrol. Graeca 156 (1866)
631—1080.
2. Biographisches bei Fabricius, Bibl. Graeca ed. Harl. 8, 74 ff. und 12, 132 ff.
— Zur Ueberlieferung : C. Angelini, Di un codice Greco contenente la cronaca bizant.
di Giorgio Franza, Bibliofilo di Bologna 14, 3—4 (mir unzugänglich). — Zur Erläuterung
der Nachrichten des Phrantzes über Thomas Paläologos dient die Untersuchung von Pier-
ling, Le mariage d'un Tsar au Vatican, Re\'ue des quest. bist. 42 (1887) 353 — 396; 48
(1888) 580—583.
3. Einen vulgärgriechischen Auszug des Phrantzes, der jedoch nur die Partie von
1402—1476 umfasst, edierte Job. Franz aus einem Vaticanus in A. Mai"s Class. auct. 9
(Romae 1837) 594 ff. — Wiederholt bei Migne a. a. 0.
4. Kritobulos aus Imbros, ein vornehmer Grieche, der sich mit der Thatsache
der türkischen Eroberung schnell befreundete, schrieb in der zweiten Hälfte des 15. Jahrb.
(wahrscheinlich vor 1470) eine von Schmeichelei überfliessende Geschichte Mohameds II,
die von 1451—1467 reicht imd in manchen Pxmkten zur Ergänzung des Chalkokondyles,
Dukas und Phrantzes dienlich ist. Ed. C. Müller, Fragmenta histor. Graecor. vol. 5 (1870)
40—161. Vgl. seine Proleg. S. 14 ff.; 51 ff. — Eine Analyse des Werkes gab Ubicini,
Annuaire de^Fassoc. 5 (1871) 49—74. — Der Grosslogothet Hierax (leQcec) schrieb um
die Mitte des 16. Jahihunderts ein langweiliges Gedicht, welches in 734 politischen Versen
die letzten Schicksale des byzantinischen Reiches erzählt. Ed. K. N. Sathas, -Vcff. ßißX.
1 (1872) 243—268. — Ueber andere griechische Historiker und Chronisten aus der Zeit
der Türkenherrschaft s. J. Gedeon, 'A^vfuov 6 (1877) 3 ff. — Eine reiche Samndung
von Chroniken und kirchengeschichtlichen Dokumenten aus der Türkenzeit veröffentlichte
N. Sathas, Mea. ßißk. 3 (1872).
_^ N. Sa
B. Die Chronisten.
47. Allgemeine Charakteristik. Der Wert der byzantinischen Chro-
nisten besteht wesentlich darin, dass sie verloren gegangene Geschichts-
werke teilweise ersetzen und die in der Reihe der zeitgenössischen Dar-
steller bestehenden Lücken ausfüllen. Ihre Form erhebt keine künstleri-
schen Ansprüche; aber gerade dadurch, dass sie auf die altertümliche
Gräzität verzichten, werden sie für die Geschichte der lebendigen Sprache
wichtiger als die Historiker, die sich der konventionellen Kunstsprache
bedienen. Die Verfasser der Chroniken sind meist Mönche, die für ihre
Standesgenossen und für fromme Laien übersichtliche Handbücher der Welt-
geschichte geben wollen. Daraus erklärt sich die vorherrschend kirch-
liche und populäre Tendenz dieser Werke. Diesen zwei Eigenschaften
verdanken sie ihre Verbreitung im lateinischen Abendlande und namentlich
bei den von Byzanz aus zum Christentum bekehrten slavischen Völker-
schaften, den Bulgaren, Serben und Russen. So sind die Chroniken für
die allgemeine Kultur des Mittelalters wichtiger geworden als die nur auf
•lie engsten litterarischen Kreise von Byzanz wirksamen Zeitgeschichten.
Die Chronisten haben sich ihre Arbeit meist sehr leicht gemacht; mit
wenigen Ausnahmen haben sie einfach die ihnen zu Gebote stehenden Ge-
schichtswerke und älteren Chroniken mehr oder weniger ausfühi'lich ex-
zerpiert. Bei manchen Chroniken geht die Abhängigkeit von den Vor-
lagen so weit, dass sie fast nui- die Bedeutung von Handschriften älterer
108 Byzantinische Litteratargeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Werke besitzen. So kommt es auch vor, dass ein und dasselbe Werk
unter verschiedenen Namen geht. Die moderne Vorstelhmg vom geistigen
Eigentum ist in dieser Litteraturgattung nicht vorhanden, und es ist daher
ein Kampf gegen Windmühlen, wenn man, wie so oft geschehen ist, die
harmlosen Chronisten als unverschämte Plagiatoren brandmarkt. Einen
solchen Vorwurf hätte ein Byzantiner gar nicht verstanden. Die sprach-
liche Form und das Raisonnement ist ihm Nebensache, den Stoff aber, die
Thatsachen betrachtet er als Gemeingut, aus dem jeder nach Belieben
auswählen möge. Dieser litterarische Kommunismus hatte zur Folge, dass
hier die Grenzen zwischen den Begriffen der selbständigen Kompilation,
der blossen Redaktion und der handschriftlichen Abweichung jetzt
häufig schwer zu ziehen sind. Daraus ergeben sich fast unüberwindliche
Schwierigkeiten für die diplomatische Kritik und die wissenschaftliche Ver-
öffentlichung. Das schlimmste Problem bietet in dieser Hinsicht Georgios
Monachos, der das ganze Mittelalter beherrscht und daher in unzähligen,
stark abweichenden Handschriften überliefert ist. Selbst Carl de Boor
scheint sich, nachdem er das riesige Material gesammelt und bearbeitet
hat, vor den äusseren und inneren Hemmnissen einer solchen Publikation
vorerst zurückgezogen zu haben.
Neben der volksmässigen, kirchlich gestimmten Weltchronik bestand
eine höhere, in Auffassung und Form mehr den zeitgeschicht-
lichen Werken verwandte Art von weltgeschichtlicher Darstel-
lung, die im 6. Jahrhundert durch Johannes von Antiochia und Hesy-
chios von Milet vertreten ist. Wie sich diese höhere Weltgeschichte zur
gemeinen byzantinischen Chronik im litterarhistorischen Sinne verhält, ist
nicht genügend aufgeklärt. Höchst wahrscheinlich aber haben sich die
byzantinischen Weltchroniken nicht aus Werken dieser gelehrten Gattung,
sondern aus städtischen Annalen entwickelt. Daher kommt es, dass
die ältesten Chronisten die Weltgeschichte zunächst vom Standpunkte ihrer
engeren Heimat aus betrachten. So steht bei Malalas Antiochia, bei
Johannes von Nikiu Aegypten im Mittelpunkte des Interesses. Wir wissen
nicht, in welcher Zeit die ersten Keime der byzantinischen Weltchronik
zu suchen sind; vielleicht muss man bis auf Julius Africanus zurückgehen.
Für unsere Ueberlieferung ist der erste Vertreter der Gattung der gräzi-
sierte Syrer Johannes Malalas. Das Schema seiner Geschichtsauffassung
beherrscht die byzantinischen Chronisten bis auf Michael Glykas herab.
Einen höheren Flug nimmt die weltgeschichtliche Darstellung noch einmal
in Zonaras (11. Jahrb.). In den letzten Jahrhunderten tritt die Annalistik
unter dem Einflüsse der seit der Komnencnzeit erstarkenden kunstmässigen
Litteratur fast völlig zurück. Die wenigen Weltchronisten, die jetzt noch
auftauchen, meinen iiire Existenzberechtigung durch Anwendung der ge-
bundenen Form erweisen zu müssen. In dürren chronologischen Auf-
zäbhingen läuft die Gattung zu Ende.
A. V. Gutschmid, Die Grenzboten 22 (1863) 1, 345 f. und desselben Kleine
Schriften, herausgeg. von Kr. Kiilil I (Leipzig 1889) 32 f. - Für das Chronologisobo s.
die Litteratur S. 28. — Zur Orient iorimg über dio Arbeitsweise und lelterlii'fcrmiK der
Chronisten s. die Litteratur zu (ijlj -t'^. "><). -ü und insbesondere C de boor, 'rii<>..|.hane8,
Hand iL
B. Die Chronisten. (§ 48.) 109
4^8. Johannes von Antiochia {6 Urrioxfvg) blühte im Anfange des
0. Jahrhunderts (c. 500— c. 53U).') Von seiner Biographie ist ausser seiner
Abstammung und seiner Zeit nichts bekannt ; -) doch ist die Existenz dieses
Johannes im Gegensatz zu Johannes Malalas durch Anführungen in kon-
stantinischen Exzerpten, bei Suidas und sonst völlig sicher bezeugt. Er
verfasste eine nur in einer Anzahl von Fragmenten erhaltene Universal-
geschichte: Xoorixi] iaioQia, die von Adam bis zum Tode des Anastasios
(518) reichte. Das Werk beruht grösstenteils auf guten, alten Quellen,
die Johannes sachlich und sprachlich mit Geschmack und Verständnis ver-
arbeitet hat. Er unterscheidet sich hierin himmelweit von den späteren
byzantinischen Chronisten, die in roher und oft recht sinnloser Weise aus
älteren Historikern oder aus Exzerpten derselben kompilierten. Johannes
gehört nach seinem schriftstellerischen Charakter in den Kreis
eines Eustathios von Epiphania und eines Hesychios von Milet, nicht zu
jenen sachlich und sprachlich verwahrlosten Annalisten, an deren Spitze
Malalas steht. Wenn man das Verhältnis noch schärfer ausdrücken will,
kann man sagen, dass Eustathios von Epiphania, Johannes und Hesychios
von Milet als Chronisten den Ausgang des Altertums bezeichnen, während
Malalas die byzantinische Leistung in diesem Fache eröffnet, die sich erst
unter dem Einflüsse der litterarischen Reaktion der Komnenenzeit in Sky-
litzes und Zonaras wiederum zu einiger Kunst und Reinheit erhob.
Die Quellen des Johannes von Antiochia sind bei der unsichern
und fragmentarischen Ueberlieferung seines W^erkes nicht mehr völlig
sicher zu stellen. Für die ältere Zeit schöpfte er wohl vornehmlich aus
Julius Africanus und Eusebios; für die römische Geschichte, für die
er grosse Wichtigkeit besitzt, verwei-tete er ausgiebigst den Dio Cassius
und den Eutrop;^) ausserdem benützte er die Biographien des Plutarchos,
den Herodianos, Eunapios, Zosimos, Priskos, für die Zeit des Zeno
wahrscheinlich auch den Candidus. In der Behandlung seiner Quellen
verfuhr Johannes ungleichmässig ; bald verkürzt er sie bedeutend, bald
verhält er sich konservativer. Sein Werk diente den späteren Kompi-
latoren als willkommene Fundgrube; vornehmlich fanden die hier auf-
gespeicherten Reichtümer Verwertung in den konstantinischen Exzerpten,
von wo viele Stücke wiederum in spätere Chronisten übergingen. Nach-
dem die Bedeutung des Johannes erkannt war, ist auch die Ueberschä-
tzung desselben nicht ausgeblieben; sein Werk wurde die Urquelle,
aus der man alle möglichen historischen Stücke unbekannter Herkunft
ableiten zu können glaubte. Vor der unbesonnenen Verbindung des Suidas
mit Johannes hat De Boor mit Recht gewarnt; aber auch die auf Johannes
zurückgeführten salmasischen Exzerpte bedürfen einer sehr scharfen
Sichtung ; ein grosser, freilich schwer abzugrenzender Teil derselben stammt
') Gewöhnlich setzt man den Johannes | auch nicht angeht,
in die Zeit des Heraklios, weil Fr. 219 sich I ^) Die Annahme, er sei Mönch gewesen,
auf die Regierung des Phokas (600— 610) ' beruht einzig auf der verdächtigen Subscriptio
bezieht; allein dieses Bruchstück kann aus j des cod. Turon. Sotiriadis a. a. O. 77.
sachlichen und sprachlichen Gründen nicht ' *) Nicht in der uns erhaltenen Ueber-
dem Johannes gehören ; Sotiriadis a. a. 0. Setzung des Päanios (um 380), sondern wahi--
78 ff. wollte es dem Malalas zuteilen, was scheinlich in der des Kapito (um 500).
110 Byzantinische Litteratnrgescliichte. I. Prosaische Litteratar.
nicht aus Johannes, sondern aus einem Anonymus, der wahrscheinlich nicht
vor der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts schrieb.*) Ebenso scheint
PlanudiBs nicht den Johannes selbst, sondern einen späteren Eclogarius
benützt zu haben. *)
Ausgaben und Hilfsmittel: Das grösste Verdienst hat C. Müller, der die zu
seiner Zeit bekannten Stücke zum erstenmal zusammenfasste : Fragm. bist. Gr. 4, 535 — 622 :
5, 27 — 38. Doch bleibt eine Ausgabe der Fragmente auf Grund der zahlreichen neueren
Forschungen ein dringendes Bedürfnis. — Vgl. J. Wollenberg, Excerpta e Joanne An-
tiocheno et«., Programm des französischen Gymnasiums, Berlin 1861 (Kollation des cod.
Turon.). — A. v. Gutschmid, Die Grenzboten 22, 1, 346 (über das Verhältnis zu Malalas,
den er für eine Quelle des Johannes hält). — Eine höchst erfolgreiche Anregung erhielt
das Studium des Johannes und des Malalas durch Th. Mommsens Abhandlung über di<
dem Cassius Dio beigelegten Teile der planudeischen und kon.stantinischen Exzerptr,
Hermes 6 (1871) 82 — 91 und seine Veröffentlichung neuer Bruchstücke des Johannes von
Ant. und des Johannes Malalas, ebenda 323 — 383. — Ad. Koecher, De Joannis Antiocheni
aetate fontibus auctoritate, Diss. Bonn 1871. — E. Piccolomini, Intomo ai collectaneii
di Massimo Planude, Rivista di filologia 2 (1874) 101 ff.; 149 ff. — H. Haupt, Ueber die
Herkunft der dem Dio Cassius beigelegten planud. Exzerpte, Hermes 14 (1879) 36 — 64:
291—297; 431—446. — Carl de Boor, Zu Johannes Antiochenus, Hermes 19 (1884)
123—148 und 20 (1885) 321 ff. — H. Geizer, Sextus Julius Africanus, T. 1 und II, 1
allenthalben (s. den Index). — Ph. Boissevain, De excerptis Planudeis et Constantinianis
ab A. Mai editis quae vulgo Cassio Dioni attribuuntur. Progr. Rotterdam 1884 und: Ueber
die dem Johannes Antiochenus zugeschriebenen Excerpta Salmasiana, Hermes 22 (1887)
161 — 178. — Hauptschrift: G. Sotiriadis, Zur Kritik des Johannes von Antiochia,
Jahns Jahrb. 16. Supplementb. (1888) 1—125. — Vgl. auch die Litteratur zu §§ 22. 50. 119.
49. Hesychios von Milet, von seiner Würde auch Illustris {'llXov-
azQiog) zubenannt, lebte wahrscheinlich um die Mitte des 6. Jahrhunderts.
Aus dem Umstände, dass Hesychios in seinem Onomatologos keinen Kirchen-
vater nennt, hatte Suidas den Verdacht geschöpft, er sei Heide gewesen;
doch spricht schon der Umstand, dass er frühestens unter Justinian schrieb,
für die Annahme, dass er dem christlichen Bekenntnis angehörte.^) Hesy-
chios verfasste drei Werke; zwei derselben werden von Photios (cod. 69)
und Suidas (s. v.) erwähnt und sind fragmentarisch erhalten; von dem
dritten wissen wir nur durch Photios. 1. Eine Weltgeschichte: 2V'J'oj/'/?
xoafuxi]g taroQiag bei Photios, Xqovixij laioqia bei Suidas. Das Werk war
in 6 Bücher eingeteilt, die Hesychios diaGTi]naia (Abstände, Abschnitte)
nannte, und umfasste die Weltgeschichte von der trojanischen Zeit bis auf
Anastasios (518). Ausser kleineren Fragmenten besitzen wir ein grosses
Bruchstück aus dem Anfange des G.Buches, das unter dem Titel IläxQia
KwvaravTivovTiöXswg die Urgeschichte der Stadt Byzanz bis auf Kaiser
') Es ist derselbe Kompilator, dem auch
die vatikanischen Exzerpte IJegl yyuftwv (Ed.
von A. Mai, Script, vet. nov. coli. II) ge-
hören und der bei Leo Grammatikos, viel-
leicht auch bei Zonaras wiederkehrt. S.
Sotiriadis a. a. 0. S. 6 ff. und Jeep a. a. O.
*) Ueber den wahren Besitzstand des
Johannes schweben noch zahlreiche Fragen;
die Untt^rsuchung befindet sich auf einem
zerklüfteten und schwankenden Boden; Argu-
ment steht gegen Argument, Behauptung
gegen Behauptung, Hypothese gegen Hypo-
these. Um auch nur den gegenwärtigen
handschriftlichen Thatsachen in einem solchen
Umfange vorgetragen, werden, dass der Ar-
tikel weit über den Rahmen des Handbuches
hinausfiele. Wir begnügen uns daher mit
dem Verweise auf die neueste Litttiratur.
') Die im Grunde recht unwichtige Frage
hat merkwürdiger Weise schon im Anfange
des vorigen Jahrhunderts eine eigene Schrift
hervorgerufen: Chr.Thorschmid, De Hesy-
chio Mil. ill. Chri-stiano, Wittembergae 1716;
wiederholt in der Ausgabe von Oreili S. 261
bis 294. Vgl. E. Rohde, Der griechische
Roman S. 475 und Rhein. Mus. 34, 563;
Stand der ganzen Angelegenheit klar zu i J. Flach. Rhein. Mus. 35. 199; P. Egenolff,
legen, müssten die textgeschichtlichen und { Bursian-Müllers Jahresber. 58 (189Ü) 297.
B. Die Chronisten. (§ 49.) 111
Konstantin den Grossen erzählt;') es wurde wohl schon früh vom Gesamt-
werke losgelöst und selbständig überliefert. Aus dieser Schrift oder richtiger
aus einem Auszuge derselben stammt der erste Abschnitt des Sammelwerkes
über Konstantinopel, das Georgios Kodinos im 15. Jahrhundert kompiliert
hat. 2. Das zweite historische Werk des Hesychios kennen wir nur
durch Photios (cod. 69). Es war eine Darstellung der Regierungszeit
des Kaisers Justin (518— 527) und der ersten Jahre des Justinian.
Aeusserlich eine Fortsetzung des ersten Werkes wurde es von demselben
offenbar wegen des verschiedenen Charakters der Darstellung geschieden:
das erste war eine Art Weltchronik, das zweite eine ausführliche Zeit-
geschichte. Dieses Werk scheint völlig verloren gegangen, und es ist auch
nicht gelungen, Spui*en desselben in späteren Autoren naclizu weisen. Die
Sprache des Hesychios in seinen Geschichtswerken wird von Photios als
knapp, treffend und elegant sehr hervorgehoben, und in der That lässt das
erhaltene Fragment der Weltgeschichte, obschon es durch die Ueberliefe-
rung viel gelitten hat, die Spuren einer einfachen und klaren Diktion er-
kennen. 3. Das dritte Werk, um dessentwillen Hesychios in der jüngsten
Zeit am meisten genannt worden ist, war nach Suidas ein 'Oro/zaro/öyo?
r^mra^ tcöv sr ncadficc ovoiiaffzöiy. Dazu fügt Suidas die Bemerkung:
oif innoiu] iari tovto t6 ßißh'ov. Man hat geglaubt, Suidas bezeichne
damit sein eigenes Lexikon als einen Auszug jenes ^OvofiuToXÖYoc: andere
dagegen meinten, Suidas wolle sagen, dass er nicht das vollständige Werk
des Hesychios vor sich hatte, sondern einen Auszug desselben, der den
von ihm angeführten Vermerk auf dem Titel trug. Wie dem auch sein
mag, der vollständige 'OroinaToXöyog des Hesychios, dem nach Rohdes Nach-
weis unter anderm ein Werk des Philon von Byblos als sekundäre Quelle
diente, ist verloren, ebenso der angebliche Auszug desselben. Dafür haben
wir ein kleines und recht nichtsnutziges Büchlein mit dem vielversprechenden
Titel: Ufg} tmv iv Tiaideiu diaXauUicevTMV aog^cor, in welchem man früher
den Hesychios zu finden glaubte. In Wahrheit ist das Schriftchen weder
das Originalwerk des Hesychios noch ein alter Auszug desselben, sondern,
wie Lehrs erwiesen hat, eine in der Humanistenzeit entstandene, arm-
selige Kompilation aus Diogenes Laertios und Suidas. Neuerdings hat Flach
versucht, den alten, echten Hesychios aus Suidas und anderen Autoren
(auch aus der falschen Eudokia!) zu rekonstruieren. Das ganze Unter-
nehmen schwebt aber in der Luft; es lässt sich zwar bei allen biographi-
schen Glossen des Suidas über Leute, die vor und in der Zeit des Hesy-
chios gelebt haben, Hesychios als Quelle annehmen; wie viel Fremdartiges
aber dann noch darunter bleibt, wie viel noch fehlt, vermag kein Sterb-
licher zu sagen.
1. Ausgaben: Ueber die älteren Drucke s. die Ausgaben von Orelli und Flach. —
Gesamtausgabe (das historische Fragment und Pseudohesychios) : Hesychii Milesii opus-
cula duo quae supersunt rec. Jo. Conr. Orelli, Lipsiae 1820, ein dickes Buch, das ausser
73 Seiten Text mit latein. Uebersetzung auf 320 Seiten verschiedene Beilagen, wie Kom-
mentare früherer Herausgeber, die Abhandlung von Thorschmid, einen Teil von HejTie's
') Solche TXÜTQui d. h. Wiegengeschichten ! andere Schriftsteller, welche die Urgeschichte
gab es von vielen Städten z. B. r« ntirgia von Konstantinopel behandelten, s. die Aus-
Kviixov von Diogenes aus Kyzikos. Ueber : gäbe von Orelli S. 362 ff.
112 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Comment. de antiquit. Byzant. u. a. enthält. — Nach Orelli ed. beide Schriften C. Müller,
Fragm. hist. Graec. 4, 143 — 177 (mit einem guten kritischen Apparate für das historische
Fragment). — Den Pseudohesychios ed. neuerdings mit einem reichlichen kritischen
Apparate, doch ohne hinlängliche Genauigkeit in der Texteskonstitution Jo. Flach, Leipzig,
bibl. Teubn. 1880. — Der , rekonstruierte* Hesychios: Hesychii Milesii Onomatologi
quae supersunt cum prolegomenis ed. Jo Flach, Lipsiae, Teubner 1882. — Dann mit Bei-
gabe einiger nicht von Hesychios stammenden Vitae und mit Weglassung der Prolegomena
und des kritischen Apparates als billige Studentenausgabe (als ob arme Studenten
keinen Apparat brauchten!) unter neuem Titel und in neuem Verlage: Biographi Graeci
qui ab Hesychio pendent rec. Jo. Flach, Berolini, Calvary 1883.
2. Hilfsmittel: Naeke, Choerili Samii quae supersunt "tetc.. Lipsiae 1817 S. 34. —
K. Lehrs, Rhein. Mus. 17, 453—457 = Pindarscholien, Leipzig 1873, 159—164. — Fr.
Nietzsche, De Laertio et Hesychio, Rhein. Mus. 24 (1869) 210 ff. — E. Rohde, Philo
von Byblus und Hes. von Milet, Rhein. Mus. 33 (1878) 161—220; 34 (1879) 561—574;
41 (1886) 380 und 524. — A. Daub, Jahns Jahrbücher 121 (1880) 24; 123 (1881) 241—276;
Jahns Jahrb. 11. Supplementb. (1880) 405 ff.; Rhein. Mus. 35 (1880) 56 und: Studien zu
den biographica des Suidas, Freiburg -Tübingen 1882 S. 124 — 153. — J.Flach, Ueber den
gegenwärtigen Stand der Quellenkritik des Hesychios von Milet, Jahns Jahrb. 121 (1880)
821—833. — P. Pulch, Philol. Anzeiger herausgeg. von Leutsch 12 (1882) 519—526 (ab-
lehnende Besprechung der Ausgabe des Onomatologos von Flach). — EUis Hesselmeyer,
Jahns Jahrb. 127 (1883) 552. — P. Egenolff, Bursian-Müllers Jahresber. 58 (1890) 297 ff.
— Vgl. auch die Litteratur zu §§ 127. 136.
50. Johannes Malalas aus Antiochia in Syrien ist seinen Lebens-
verhältnissen nach gänzlich unbekannt; aus seinem Beinamen *) lässt sich
nur vermuten, dass er ein gräzisierter Syrer war und das Amt eines
Predigers ausübte. Selbst die Bestimmung seiner Zeit machte grosse
Schwierigkeiten; doch haben neuere Forschungen mit völliger Sicherheit
ergeben, dass er ein Zeitgenosse der Kaiser Zeno, Anastasios I, Justin I
und Justinian I war und auch noch den Regierungsantritt Justins II
(565) erlebte. Malalas verfasste eine Weltchronik (A'(>ovoypa^/a) 2), welche
in dem einzigen erhaltenen, am Ende und am Anfange verstümmelten Codex
von der sagenhaften Geschichte der Aegyptier bis in die letzte Zeit des
Justinian (563) reicht, ursprünglich aber wohl bis zum Ende dieses Kaisers
(565) geführt war. 3) Das Werk ist ebenso erbärmlich an sich als wichtig
für die Litteraturgeschichte ; denn nicht Eustathios von Epiphania, nicht
der gelehrte Johannes von Antiochia und nicht Hesychios aus Milet, sondern
Malalas wurde das Vorbild für die Chronisten bis ins 12. Jahr-
hundert herab; in ihm erscheint wenigstens für unsere Ueberlieferung zum
erstenmal der kultur- und litterargeschichtlich wichtige Typus der byzan-
tinischen Mönchschronik. Eine Charakteristik seines Werkes erschliesst
das Verständnis der ganzen Gattung. Malalas ist in seiner historiographi-
schen Technik, in seiner Auffassung und Darstellung von einer Grobheit,
wie sie bisher in der geschichtlichen Litteratur unerhört war. Selbst jeder
feineren Bildung bar, schreibt er auch nicht für das höher gebildete Pu-
blikum, sondern für die grosse Masse von Mönchen und Laien, die sich
in bequemer und unterhaltender Weise über den Gang der Weltgeschichte
unterrichten wollen, für dieselben Kreise, die sich an den Legenden des
Leontios und ähnlichen Volksbüchern vergnügten. Er verzichtet auf den
') Vom syrischen mahil —- rhetor.
') Unt<!r diesem Titel wird das Werk
schon von Johannes Damaskenos in der
dritten Rede De imaginibus zitiert: 'Ex ryj(
^ffoyoyQttffiui 'luüyyov 'Ayxio^tiui lov xat
MaXäXa tkq'i Ttje it!uo()^ot''atji xni iji i7ioh;ae
T(^ aioTt'jQi XQiart^ ajtjhji (ed. Let^uien 1 368
= Migue, Patrol. iJr. 94, 1369).
») Sotiriadis a. a. O. S. 72 ff. will er-
weisen, dass das Werk bis 610 reichte.
I
B. Die Chronisten. (§ 50.) 113
Ehrgeiz, es dem Thukydides oder Polybios gleiclizuthun und bricht mit
der ganzen historiographischen Tradition, die wie eine unzerstörbare Satzung
die hellenistische und byzantinische Geschichtschreibung beherrscht; in
dieser Beziehung hat er „alles von sich selbst gelernt; es ist auch darnach."
Seine Richtschnur ist das Bedürfnis und Gefallen der Menge ; in echt volks-
mässiger Weise werden eine ungeheuere Menge von Thatsachen verworren
aufgezählt; Bedeutendes und Geringfügiges wird mit gleichem Ernste vor-
getragen. Das grösste Gewicht fällt auf einzelne, aus dem Zusammen-
hange gerissene Ereignisse, besonders auf alles, was ins Gebiet der Kurio-
sität gehört. Eine Eigentümlichkeit, die wohl auf den Einfluss des Romans
und auf Schwindelbücher in der Art des Dares zui'ückgeht, sind die ge-
nauen Personalbeschreibungen, die sich durch das ganze Werk bemerkbar
machen. Die Darstellung der Mythen und Heroengeschichten verfolgt einen
christlich-apologetischen Zweck: die Greuel des Heidentums z. B. Menschen-
opfer bei Städtegründungen werden mit Vorliebe notiert. Ebenso bezeich-
nend für die Tendenz des Buches ist die korrekte Gesinnung gegen die
weltliche Obrigkeit. Ueberall tritt die Absicht hervor, eine der ungebildeten
Menge zusagende, weder Thron noch Altar verletzende und doch pikante,
anziehende und verständliche Lektüre zu gewähren. So ist das Werk des
Malalas ein geschichtliches Volksbuch im genauen Sinne des Wortes.
Nicht wenig fesselt die Frage, aus welchen Vorlagen eine so seltsame und
fremdartige Leistung abgeleitet ist. Leider hat Malalas die Untersuchung
seiner Quellen zu einer recht schweren Aufgabe gemacht; sein Werk ist
auch in dieser Hinsicht ein echtes Volksbuch, in dem die derbste Speku-
lation auf den Köhlerglauben eines gutmütigen Leserkreises sich breit
macht. Er zitiert mit prahlerischem Behagen eine Menge von Autoren;
welche von ihnen er aber thatsächlich und vorzugsweise benützt hat, lässt
sich jetzt nicht mehr genauer feststellen. Jedenfalls hat er seine Vorlagen
noch wesentlich vergröbert, da er weder die Thatsachen noch die alt-
griechische Diktion seiner Quellen, geschweige denn lateinische i) und
sonstige fremde Ausdrücke verstand. Man nimmt gewöhnlich an, dass
Julius Africanus eine Hauptquelle für Malalas war; allein selbst das
ist unerweislich. Jedenfalls stehen zwischen Africanus und Malalas einige
uns verlorene Vermittler; es sind vielleicht die von ihm oft zitierten Chrono-
graphen Theophilos, Timotheos und besonders Nestorianos,^) der
Verfasser einer Chronik bis auf Leo H (474). In seinen trojanischen Ge-
schichten weist Malalas auf das Schwindelbuch des Sisyphos aus Kos
zurück, aus dem auch Dares geschöpft hat. 3) Eine Haupt quelle war wohl
auch Johannes von Antiochia, dem er vielleicht die auf seine Vater-
stadt bezüglichen Nachrichten entnahm. Antiochia ist für Malalas der
Mittelpunkt, von dem er die Weltereignisse betrachtet; das Werk er-
scheint geradezu als eine Stadtchronik, welche nachträglich mit einer Welt-
geschichte verwoben wurde. Aehnlich scheint der Schluss des Werkes,
') Aus triumvir z. B. wird bei ihm durch ao(fiäxaxo^ /po»'oyp«9Po? eoif Aioyxo^ xov
eine Verwechselung mit Wörtern auf -ator | /iix^ov. S. 376, 19 ed. Bonn,
wie triumphator ein r(«o,u;Ji'(»ßrft.p. ^ I ») S.H.Haupt, PhUologus 40 (1881) 107 flf.
-) kiciitui avyfyQiitpato SearoQiayog 6
Handbuch der klasi. Altertumswisaenscfaaft. IX. 1. Abtlg. 3
i
114
Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratni*.
der vornehmlich Ereignisse der Hauptstadt behandelt, auf eine Stadtchronik
von Konstantinopel zurückzugehen. Von einer kritischen Betrachtung, ja
auch nur von einer verständigen Verarbeitung der Quellen ist natür-
lich keine Rede. Man müsste ein Buch schreiben, wenn man die zahllosen
Irrtümer und Missverständnisse dieses Erzählers durchmustern wollte. Die
lesbische Sängerin Sappho ist bei ihm Zeitgenossin des Kekrops und Kra-
naos;*) während der Philosoph Demokrit aus Abdera in die graue Vorzeit
des Pelops hinaufgerückt wird, 2) muss sich Herodot zum Nachfolger des
Polybios degradieren lassen; 3) Cicero und Sallust sind dem Malalas hoch-
weise römische Dichter;*) die Landschaft Karlen ist nach ihm so benannt,
weil sie der Kaiser Carus unterwarf;'*) der Kyklops des Euripides hat
3 Augen ^) u. s. w. Ebenso ungenau wie die Ausarbeitung des Einzelnen
ist die ganze Komposition; es wimmelt von Wiederholungen und In-
konsequenzen. Trotz all dieser Mängel hatte Malalas den richtigen Ton
getroffen und genoss daher bis zur litterarischen Reformation der Komnenen-
zeit kanonisches Ansehen. Schon der Verfasser der Osterchronik be-
nützte ihn ausgiebig, dann Theophanes, Georgios Monachos, die
konstantinischen Redaktoren, Skylitzes u. a. Endlich wurde Malalas
ins Slavische übertragen; die ursprüngliche Uebersetzung scheint ver-
loren, dafür haben wir aber zwei spätere slavische Kompilationen, in denen
Malalas den Hauptbestandteil bildet. Die höchste Beachtung verdient die
Sprache dieses Dunkelmannes. Es unterliegt keinem Zweifel, dass wir
in Malalas das erste grössere Denkmal der volksmässigen Gräzität
vor uns haben. In seiner Diktion spiegelt sich die im ganzen Orient ver-
breitete, mit lateinischen und orientalischen Elementen versetzte griechische
Gemeinsprache. So sehr atmet das ganze Werk den vulgärgriechischen
Geist, dass sich mit geringen morphologischen und lexikalischen Aendc-
rungen Satz für Satz ins Neugriechische umgiessen lässt. Alle Spuren
den Volkssprache, die sich seit der alexandrinischen Zeit nur schüchtern und
vereinzelt hatten blicken lassen, sind hier zum vollen Rechte gekommen. '')
Leider ist das Werk des Malalas nicht in seiner ursprünglichen Ge-
stalt überliefert. Die einzige Handschrift (in Oxford) enthält nur
eine abgekürzte Redaktion des Originals. Doch war die Thätigkeit
des Epitomators nicht in allen Teilen gleich gründlich; in den ersten
14 Büchern hat er sich, wie es scheint, auf unwesentliche Text Verkürzungen
beschränkt, von da ist er radikaler verfahren und hat das Original gegen
den Schluss zu immer mehr misshandelt, so dass jetzt nur noch knappe
Auszüge ausführlicher Berichte vorliegen. Diese wichtige Thatsacho ist
völlig klar geworden durch die Veröffentlichung der aus dem vollständigen
Malalas stammenden konstantinischen Exzerpte Utgl emßoidMr.^) Vau- Her-
») S. 72, 2 ed. Bonn.
») S. 85, 3.
») S. 157, 19.
*) hy Toii avToig ovy ^Qoyoi; tjy o ki-
xe'Q<üy xni ö lakXovatio(, ol aogxürieToi 'Pto-
fiaiuiy nottjrai. S. 212, 18.
«•) S. 302, 20.
•) '0 yi'Q aotfos KvQiTtiJtjc (tQÜfut iSi-
t^cro Tifpt jov Kvxkionog, on i{iti< ti/ey
ofpx^aXfiov g, atjfiaiyuty roi'f rpe/'f tidfXffovi
u. s. w. S. 117. 1.
') Für sprachgcscliiclitlicho Zwpcko ist
Malalnfl vorzüglich auHgoboutot von liatzi-
(1 a k i a in der Jubiläums-schrift der Universität
Athen 1888 S. 117 ff.
*) Von Th. Monunsen, Hormos 6, 36n ff.
B. Die Chronisten. (§51.) 115
stellang des Originaltextes sind ausser diesen Exzerpten die übrigen Aus-
schreiber wie der Osterchroniker, Theophanes, die slavischen Reflexe u. a.
herbeizuziehen. 1) Die sprachliche Form des originalen Malalas wurde
von dem Redaktor im allgemeinen unverändert beibehalten; das beweisen
die aus der ersten Form des Werkes stammenden konstantinischen Exzerpte,
sowie die zahlreichen Stellen, welche in die Osterchronik und in den Theo-
phanes übergegangen sind. 2) Der Epitomator hat sich nicht die Mühe
genommen, die naive Gräzität des ganzen Werkes zu verbessern. Somit
ist Malalas trotz des üblen Standes der Ueberlieferung im grossen und
ganzen als ein sprachgeschichtliches Denkmal aus dem zweiten Drittel
des 6. Jahrhunderts zu betrachten.
1. Ausgaben: Ed. pr. Edm. Chilmeadus, Oxonii 1691, mit Kommentar und
lateinischer üebersetzung des Herausgebers, einer Abhandlung von H. Hody und der be-
rühmten epistola von R. Bentley an J. Mill. — Schlechter Abdruck Venedig 1733 (mit
Genesios). — Im Bonner Corpus rec. L. Dindorf, Bonnae 1831, mit den Beigaben der
ed. pr. ohne bemerkenswerte selbständige Förderung. — Wiederholt bei Migne, Paü-ol.
Graeca 97, 9 — 790. — Eine kritische und auf Grund der neueren Forschimgen ven^oll-
ständigte Ausgabe , würde dem Studium einer ebenso merkwürdigen wie vernachlässigten
Geschichtsperiode die grösste Förderung bringen" (Th. Mommsen). Als Hilfsmittel wäre
hiebei auch Johannes von Nikiu beizuziehen (s. § 68).
2. Hilfsmittel: G. Bernhardy, Berliner Jahrbücher f. wissenschaftliche Kritik
1S32, 2, 1.32—144 (Besprechung der Bonner Ausgabe). — Alfr. v. Gutschmid, Grenz-
hoten 22 (1863) 1, 345 f. betrachtet den Malalas sicher mit Unrecht als Quelle des Johannes
von Antiochia. — Ad. Koecher. De Jo. Antiocheni aetate, Diss. Bonn 1871 S. 7. —
C. Müller, Fragm. bist. Gr. 4, 536 ff.; 5, XIV und 38 f. — Th. Mommsen, Hermes
6 (1872) 323—383, gibt die wichtigen Ergänzungen aus cod. Scorialensis I. ii. 11. —
Emendationen von M. Haupt, Hermes 7 (1873) 296 f. — Gust. Körting, De vocibus
Latinis, quae apud Joannem Malalam chronogr. Byz. inveniuntur, 2 Indd. lect. Münster
1^79 und 1879,80 sucht zu beweisen, dass M. kein Latein verstanden habe. Dagegen s.
Wagener, Götting. philol. Anzeiger 10 (1879—80) 91 ff.; M. Dunger, Dictys-Septimius,
Progr. Dresden 1878 imd De Dictj'S-Septimio Vergili imit., Progr. Dresden 1886. — H. Haupt,
Dares, Malalas und Sisj-phos. Philologus 40 (1881) 107 — 121. — Ludw. Jeep, Die Lücken
in ..der Chronik des Malalas, Rhein. Mus. 36 (1881) 351—361. — Karl Neumann, Der
Umfang der Chronik des Malalas in der Oxforder Handschrift, Hermes 15 (1880) 356 — 360.
— H. Geizer, Sextus Julius Africanus I (1880) 57 ff. und H 1 (1885) 129 ff. — Ph. Bois-
sevain, Ueber die dem Jo. Antioch. zugeschriebenen Excerpta Salmasiana, Hermes 22
(1887)161 — 178. — G. Sotiriadis, Zur &itik des Job. von Ant., Jahns Jahrb. 16. Supple-
mentband (1888), bes. 105 ff. — Edwin Patzig, Unerkannt und unbekannt gebliebene
Malalas-Fragmente, Progr. der Thomasschule, Leipzig 1891. In dieser (beim Abschlüsse
unseres Manuskriptes noch nicht gedruckten) Arbeit werden einige von A. Mai, Spicileg.
Roman, vol. E (1839) pars 3 veröffentlichte Stücke dem Malalas zugeteilt.
Zur slavischen Üebersetzung des Malalas: Jagic, Archiv slav. Philol. 2(1877)
4—9. — H. Haupt und Jagic. Hermes 15 (1880) 230—237. — Pypin-Spasovic, Ge-
schichte der slav. Literaturen, übersetzt von Pech, I (Leipzig 1880) 78 f. — C. Fr ick in:
Historische und philologische Aufsätze, Ernst Curtius zu seinem 70. Geburtstage gewidmet,
Berlin 1884 S. 53 — 66 gelangt zum Ergebnis, dass der slavische Uebersetzer ausser dem
Auszuge des Malalas noch anderes benützte, so den Pseudokallisthenes in der Rezension
des cod. C. — Ed. Wolter, Archiv slav. Philol. 9 (1886) 6-36 ff. — M. Erdmann, Ad-
versaria critica in Malalae chronographiam, in der Festschrift zur Feier des 300jährigen
Bestehens des prot. GjTnnasiums zu Strassburg, Strassburg 1888, II 69—88, wo auch die
mir jetzt unzugänglichen russischen Publikationen von Obolenskij, A. Popov und Sreznevskij
angefahrt werden. Eine zusammenfassende und vollständige Verwertung des slavischen
Materials für die Kritik des Malalas ist noch ein Bedürfnis, das freilich nur von einem
in beiden Sprachen wohl bewanderten Gelehrten befriedigt werden kann.
51. Die Osterchronik. Mit dem konventionellen Namen Chronicon
paschale d. h. Osterchronik (wegen der der christlichen Chronologie zu
') S. Soüriadis a. a. 0. S. 105 f.
2) S. Sotiriadis a. a. 0. S. 67.
116 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
Grunde liegenden Berechnung des Osterkanons), auch Chronicon Alexandri-
num, Chronicon Constantinopolitanum oder Fasti Siculi, wird ein umfang-
reiches clironologisches Werk bezeichnet, welches von dem Verfasser selbst
betitelt ist: ^Ennofirj xQÖi'oav t(ov ano 'Addfi xov TtQOixonkäaxov avd-Qutnov
Idng x ^Tovg rfjg ßaaiXei'ag ^HqaxXeiov tov evafßeaxäxov xal luxd vrtaxeiav
ixovg id- xal ir/ l'xovg T/*g ßuatXaiag '^Hqaxktt'ov vt'ov Ko)yaiarxivov xov
avxov vloi ivdixxiun'og y . Die Osterchronik, neben Eusebios und Synkellos
nach Umfang und Einfluss die Hauptleistung der griechisch-christlichen
Chronographie, besteht aus einem durch zahlreiche eingesprengte historische
Notizen erweiterten und ausgeschmückten chronologischen Verzeichnis,
welches von der Erschaffung Adams bis auf das Jahr 630 n. Chr. reichte;
doch bricht die einzige in Betracht kommende, am Anfang und Schluss
verstümmelte Handschrift (cod. Vatic. 1941) schon im Jahr 627 n. Chr. ab.
Der eigentlichen Chronik geht eine Einleitung voraus, welche kompila-
torische Erörterungen über die christliche Zeitrechnung und über die
Berechnung des Osterz yklus enthält. Der Verfasser war Zeitgenosse
des Kaisers Heraklios (610—641) und zwar offenbar ein Kleriker, wahr-
scheinlich aus der Umgebung des ökumenischen Patriarchen Sergios, der
in dem Werke auffallend hervortritt und besonders als Schöpfer liturgischer
Neuerungen sorgfältig erwähnt wird. Die Abfassungszeit des mit dem
Jahre 630 abschliessenden Werkes kam demnach mit Sicherheit in das
letzte Jahrzehnt des Heraklios gesetzt werden. Die früher verbreitete
Annahme einer älteren Redaktion unter Kaiser Constantius, die mit
dem Jahre 354 geschlossen und dann unter Heraklios einen Fortsetz^r
gefunden haben soll, ist durch Gelzer's tiefgehende Untersuchungen hin-
fällig geworden.
Die wichtigste Aufgabe bei der Betrachtung dieses unselbständigen,
fast gänzlich aus älteren Stücken zusammengebauten Werkes ist die
kritische Untersuchung seiner Quellen. Hauptgewährsmann für die älteste
Zeit war Sextus Julius Africanus, mit welchem unser Verfasser in
seiner Chronologie der vorflutigen Epoche genau übereinstimmt. Für die
Bekleidung des genealogischen Gerippes diente dem Verfasser die Bibel,
aus welcher öfter grössere Auszüge mitgeteilt werden, und eine uns un-
bekannte einheitliche Quelle erbaulichen Charakters. Von Abraham
an benützte er mit Beschränkung auf seine rein kirchlichen Zwecke den
Kanon des Eusebios; einige wertvolle Angaben deuten jedoch auf eine
zweite unbekannte Quelle, die wahrscheinlich irgendwie auf Panodoros
oder Annianos zurückgfeht und unter anderem auch Nachrichten, aus
Pseudokallisthenes besass.') Mit dem Beginne der römischen Bepublik
(S. 309 ed. Bonn.) erscheint eine neue Quelle, die Konsularfasten, wobei
eingestreute chronikalische Notizen den Charakter der sogenannten. Kon-
sulartafelannalen zeigen. Des weiteren weisen deutliche Spuren (Berück-
sichtigung der syromakedonischen Jahre u. s. w.) auf die Ostortafeln der
Diözesen von Alexandria und Antiochia. Die kirchengeschichtlichen Notizen
des Werkes stammen fast alle aus noch erhaltenen Quellen, besonders aus
*) Letztere stammen vielleicht aus dem ! mutete. Geizer, S. Juliu«« Africiuius II 1
VoUstAndigen Malalan, wie schon Frick vcr- S. 154 Anm. 4.
B. Die Chronisten. (§ 51.) 117
(1er Chronik und der Kirchengeschichte des Eusebios und aus Mala las,
der auch für die Profangeschichte zur Belebung des chronologischen Ge-
rippes reichlich ausgebeutet ist; endlich aus Märtyrerakten und aus der
Schrift des Epiphanios Ileol ue'TQwr xcd aTad^fxwr. Von 532 an wird
die Chronik ganz ärmlich und besteht bis in die letzte Zeit des Maurikios
(582—602) fast nur aus den Konsularfasten. Erst für den letzten Ab-
schnitt, welcher das Ende des Maurikios, die Regierung des Phokas und
die ersten 17 Jahre des Heraklios (also ungefähr 600—627) umfasst, wird
er wieder ausführlicher, offenbar, weil er hier als Zeitgenosse erzählt.
Seine Chronologie basiert in der bei den christlichen Chronographen
hergebrachten Weise auf den biblischen Zahlen, welche durch die baby-
lonischen und persischen Könige, die Ptolemäer und die römischen Könige
abgelöst werden. Die christliche Zeitrechnung läuft vom 21. März 5507
und ist der erste Beleg der sogenannten byzantinischen oder römi-
schen Aera (im Gegensatz zur alexandrinischen und antiochenischen),
welche bei den Bekennern der griechischen Kirche bis in die neuere Zeit
üblich war.') Die eigene Thätigkeit des Osterchronikers war (von der
zuletzt erwähnten zeitgenössischen Partie abgesehen) eine geringe. Sie
beschränkte sich im wesentlichen auf gelegentliche Epitomierung und Kon-
taminierung: nicht selten gibt er durch starke Missverständnisse deutliche
Beweise der äussersten Unwissenheit. 2) Wissenschaftlich und litterarisch
steht die Osterchronik weit unter Eusebios und Synkellos; jedoch war sie
in ihrer populären Fassung von grosser praktischer Wirkung und behauptete
in der Chronologie der Folgezeit eine hervorragende Stellung. Die Oster-
chronik und das Werk des Malalas repräsentieren die vulgäre Stufe des
historischen Interesses und Betriebes der Byzantiner; in höheren
wissenschaftlichen Kreisen wurden sie weniger geachtet und daher ver-
bessert und durch Neues ersetzt (Synkellos, Zonaras u. s. w.). Nach dem
ersten Jahre des Julius Caesar (S. 355, 6 ed. Bonn.) ist von später Hand
ein nacktes Verzeichnis der römisch-byzantinischen Kaiser bis auf Kon-
stantin Monomachos (1042) eingeschoben, welches von den Herausgebern
billigerweise ausgeschieden und nur im Anhang mitgeteilt ist (ed. Bonn.
II 90 ff. ; vgl. n 292).
1. Ausgaben: Ed. pr. Chronicon Alexandrinum etc. studio Matthaei Raderi,
Monachii 1615, schlechter Text nach dem jungen und verderbten cod. Monacensis (mit
lateinischer Uebersetzung). — Auf derselben Gnmdlage, wenn auch mit manchen Besse-
rungen ed. C. du Gange, Paris 1688. — Wiederholt Venedig 1729. — Im Bonner Corpus
t'd. L. Dindorf, 2 voll., Bonn 18-32; bedeutend verbesserter Text auf Grundlage der hier
zum erstenmal methodisch ven^'erteten Haupthandschrift, des codex Vaticanus 1941; im
2. Ba\ide Praefatio und Kommentar von Du Gange nebst anderen auf die Osterchronik be-
züglichen Beigaben. — Wiederholt von Migne, Patrolog. Graeca 92 (1860) 1 — 1158 (mit
den früheren Beigaben; Text nach Dindorf).
2. Hilfsmittel: Frid. Roesler, Ghronica medii aevi etc. res saec. FV. V. VI.
txponfcntia, tom. I. Tubingae 1798 S. 108 — 110. — L. Ideler, Handbuch der mathematischen
Mild technischen Chronologie II (1826) 350 ff. und 459 — 465. — A. Gramer. Anecd. Paris.
I (18.39) 352 ff., wo unter anonymen naturwissenschaftlichen Stücken auch verschiedene
Methoden zur Berechnung des Osterzyklus ediert sind. — Th. Mommsen, Römische
Chronologie, 2. Aufl., Berlin 1859 S. 113 f. — Edouard Dulaurier, Recherches sur
_la Chronologie Armenienne, Paris 1859 S. VII flF. und 167 ff. — Sonstige chronologische
') üeber ihre Reduktion auf vor- und Africanus U 1, 150.
ichchristliche Daten s. Geizer, S. Julius ■') Th. Mommsen, Chronologie S. 113.
118 Byzantinische Litteratargeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Litteratur s. bei F r. U n g e r , Zeitrechnung der Griechen und Römer, Handbuch der klass.
Altertuniswissensch. I 551. — Hauptschrift: Heinrich Geizer, Sextus Julius Afri-
canus und die byzantinische Chronographie II 1 (Leipzig 1885) 138—176 (auch I 228 ff.
und sonst).
52. Georgios Synkellos. Der Mönch Georgios mit dem Beinamen
d Svy'^fXXog d. h. Geheimsekretär des Patriarchen, •) verfasste eine ^Exloyr]
XQovoYQct(fiag, die von der Erschaffung der Welt bis auf Diocletian
(284 n. Chr.) reicht. lieber das Leben des Verfassers haben wir nur die
Notizen in seinem eigenen Werke, die Angaben seines Fortsetzers Theo-
phanes im Eingang seiner Chronik und die nachweislich zum Teil unrich-
tigen Bemerkungen des Anastasius bibliothecarius, welche dieser seiner
kirchengeschichtlichen Kompilation über des Synkellos und Theophanes
Leben vorausschickte. Ehe Georg zur Würde des Synkellos erhoben wurde,
verweilte er längere Zeit im heiligen Land. 2) Unter dem Patriarchen
Tarasios (784 — 806) war Synkellos Geheimsekretär; nach dem Tode
des Tarasios zog er sich in ein Kloster zurück und schrieb hier seine
Chronik. Im J. 810 war er noch unter den Lebenden. 3) Die Fortsetzung
des Werkes, an der Georgios Synkellos selbst verhindert wurde, übernahm
sein Zeitgenosse und Freund Theophanes Confessor. Die Chronik des
Synkellos ist neben Eusebios für die Kenntnis der christlichen Chrono-
graphie das bedeutendste Werk. Seine eigentümlichen und wichtigsten
Züge gehören nicht dem Synkellos selbst an, sondern seinen Vorgängern,
deren Angaben er übrigens nicht ganz ohne Kritik entgegennahm. Die
Anordnung des Werkes ist echt chronikenartig, d. h. die Erzählung der
einzelnen Thatsachen ist ohne einen fortlaufenden Faden lose aneinandei*-
gereiht und zwar so, dass der Text fortwährend von langen, trockenen
Tabellen unterbrochen wird; es ist also in unserem Sinne mehr eine gross-
artige Geschichtstabelle mit eingestreuten Erläuterungen als eine Uni-
versalgeschichte. In der Ausarbeitung des einzelnen bemerken wir eine
gewisse Ungleichheit. Während Synkellos auf die Berechnung der Geburt
Christi und die Erzählung der neutestamentlichen Zeitgeschichte noch
grösseren Fleiss verwendete, ist die nachfolgende Kaisergeschichte bis auf
Diocletian ein ziemlich dürftiges Machwerk, wenig mehr als eine Kompi-
lation aus dem Kanon und der Kirchengeschichte des Eusebios und der
Chronik des Dexippos; und selbst hievon hat er wahrscheinlich schon
vieles in seiner Hauptvorlage Panodoros zusammengearbeitet gefunden.
Das Hauptgewicht fiel ihm offenbar auf die Konstruktion der vorchrist-
lichen Geschichte, auf die Vereinigung der profanen und der kirchlichen
Angaben. Das Werk des Synkellos ist eben vollständig vom theologisthon
Geiste beherrscht.
Ueber seine Quellen ist besonders durch Geizer Licht verbreitet
worden. Zunächst erscheint die frühere Anschauung hinfällig, dass'Syn-
■) Ueber dieses hohe Amt, eines der später wird wenigstens ein TtgtüroavyxeXXof
ansehnlichsten uiitifAaxn — folgte ja doch unterschieden. Das Wort ist von xiXXa,
häufig der Synkellos dem Patriarchen auf cclla, also = concollaneus d. h. Teiüiabcr
dem Patriarchonstuhl — s. Du Gange, Glossar, j der Zelle, Vertrauter, (iehoimsekretär.
med. et inf. Graec. s. v. avyxeXXoi c. 1470 ff., *) S. 200, 21 ff. ed. Bonn,
und Goar in seiner Vorrede, ed. Bonn. II 55 ff. ») S. 389. 20, wo er 6302 (== 810) als
Die Zahl der avyxtXkoi war verschieden; das gegenwärtige Weltjahr nennt
B. Die Chronisten. (§ 52.) 119^
kellos den Julius Africanus und sogar den echten Manetho als unmittelbare
Vorlage benützt habe. Wirkliche Quellen des Synkellos kann man nm*
die zwei alexandrinischen Chi'onisten Panodoros und Annianos und die
heilige Schrift nennen. Freilich ist die genauere Bestimmung seines
Verhältnisses zu Panodoros und Annianos schwierig, weil ihre Werke bis
auf die von Synkellos selbst zitierten Stücke und wenige besonders bei
den Syrern gerettete Fragmente verloren sind, Panodoros, der „kenntnis-
reiche Nachfolger" des Africanus und Eusebios, uns fast nur durch Syn-
kellos bekannt, blühte zwischen 395 — 408; Annianos, der dem Panodoros
in chronologischen Dingen und in der Profangeschichte folgte, ist der Zeit
nach etwas später: er vollendete sein Werk im Jalu'e 412. Panodoros
selbst schöpfte hauptsächlich aus .Julius Africanus, aus dem um hundert
Jahre jüngeren Eusebios und aus Dexippos. Was also bei S}Tikellos auf
diese drei Quellen zurückweist, verdankt er wahrscheinlich meist dem
Panodoros. Aus ihm stammt ferner alles, was Synkellos über ägyptische
Geschichte berichtet; bei ihm fand er den Kanon des Manetho in der
Redaktion des Julius Africanus und Eusebios, dann die unter dem Namen
„Sothisbuch" nur aus Synkellos bekannte Rezension der ägyptischen Ge-
schichte und das ebenfalls nur bei Synkellos erwähnte Tiakatöv xqovixlv
(eine ägyptische Königsliste). Auch die aus Diodor und anderen Profan-
historikern zitierten Stücke hat Synkellos im besten Falle aus Eusebios,
den er in der Patriarchenbibliothek wohl eingesehen haben wii*d; vielleicht
aber ebenfalls nur aus Panodoros. Aus ihm hat er auch die apoki-j-phi-
schen Stücke aus der sogenannten kleinen Genesis u. a. Annianos
andrerseits war dem Synkellos der ^Mann nach dem Herzen" für die chrono-
logischen Feinheiten der kirchlichen Aera; besonders bewundert er ihn
unter anderem wegen der Entdeckung, dass der 25. März, der erste Tag
seines Kii'chenjalires, das Datum sei 1. füi' die göttliche Weltschöpfung,
2. für die göttliche Fleischwerdung, 3. für die Auferstehung. Selbständige
Studien machte Synkellos vornehmlich in den kanonischen Schriften des
alten und neuen Bundes. Hier liess er sich selbst die Mühe handschrift-
licher Vorarbeiten nicht verdriessen; er kollationierte eine ausgezeichnete
Kopie {civTiyQaifov Xiccv r^xoißwaerov xccxä ts ariyfju^y xcd ngoffMdiav), welche
aus der Metropolitanbibliothek von Käsarea stammte und von dem grossen
Basilios selbst mit einer Diorthose versehen worden war. Die biblischen
Berichte sind es auch, welche ihn öfter veranlassen, seinen sonst hoch-
verehrten alexandrinischen Autoritäten Panodoros und Annianos die Glaub-
würdigkeit in der chaldäischen und ägyptischen Geschichte zu kündigen.
Der hebräischen Sprache war Synkellos übrigens nicht kundig und er be-
nützte das alte Testament xavd tijv tojv o' fQfxiivei'av; er hält sogar —
echt griechisch — den Septuagintatext für vorzüglicher als den hebräischen !
Ausser den heiligen Schriften hat er auch die Kirchenväter meist direkt
eingesehen, so den Gregor von Nazianz, den Johannes Chrysostomos. —
Die Chronik des G. Synkellos selbst wurde Quelle für Spätere, besonders
für Georgios Monachos.
1. Ausgaben: Ed. pr. Georgii Monachi . . . Syncelli chronographia et Niccphori
Patriarchae CP breviarium chronographicum ciira et studio P. Jacobi Goar, Parisüs 1652
120 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratar.
(Pariser Corpus). — Im Bonner Corpus ed. Guil. Dindorf, 2 voll., Bonnae 1829 mit der
Abhandlung des G. Bredow (zuerst gedi-uckt in dessen Epistolae Paris. Lipsiae 1812), dann
der Vorrede, den chronologischen Tafeln, dem Kommentar und Index Goar's. endlich den
polemischen Bemerkungen Scaligers.
2. Hilfsmittel: Die älteren, in der Bonner Ausg. wieder abgedruckten Leistungen
sind durch neuere Forschungen entwertet worden. Besonders sind zu nennen: G. Friedrich
Unger. Chronologie des Manetho, Berlin 1867 S. 20 ff. — E. Hiller, Eusebius und Cvrillus,
Rhein. Mus. 25 (1870) 253-262. ~ Carl Frick, Rhein. Mus. 29 (1874) 252-281 und
Jahns Jahrb. 135 (1887) 320. — Hauptwerk: Heinrich Geizer, Sextus Julius Afri-
canus II 1 (1885) 176—249, wo auch sonstige neuere Litt«ratur angeführt ist. — Vgl.
noch Christ, Griech. Litteraturgesch. 2. Aufl. § 609.
53. Theophanes Confessor. Theophanes, unter der Regierung des
Konstantin Kopronymos (741 — 775), als einziger Sohn vornehmer und
reicher Eltern geboren, zog sich nach kurzer Josephsehe mit der frommen
Tochter eines byzantinischen Patriziers* von der Welt zurück und be-
gründete das Kloster Toi }xeyäXov 'Ayqov bei Sigriane in Bithynien. Be-
züglich seiner Herkunft ist zu erwähnen, dass Kaiser Konstantin Porphyro-
gennetos erzählt, er sei mit dem Chronisten Theophanes verwandt, i) Im
Bilderstreit eifriger und freimütiger Gegner Leos V, des Armeniers, wurde
Theophanes nach Konstantinopel gerufen, einem Verhöre unterworfen und
nach zweijähriger Gefangenschaft auf die Felseninsel Samothrake ver-
bannt, wo er alsbald sein Leben beschloss (um 817). Die Kirche ehrt ihn
als Confessor ('O/toAoyfyr/yc) unter den Heiligen.
Theophanes übernahm auf dringliche Bitten seines dem Tode nahen
Freundes Georgios Synkellos (f 810/11) die Fortsetzung der unvoll-
endet gebliebenen Chronik desselben und führte das Werk von dem
Punkt,, an welchem Synkellos abgebrochen hatte, d. h. von Diocletian, b!s
auf den Sturz des Kaisers Michael I Rhangabe, also von 284 bis 813. Die
Abfassung der XQovoygaifiu des Theophanes fällt in die Jalu'e 810/11 bis
814/15, d. h. in die Zeit vom Tode des Synkellos bis zur Einkerkenfng
des Theophanes. Ohne Zweifel übernahm Theophanes von seinem Freunde
Synkellos auch die litterarischen Mittel, aus denen derselbe bereits ge-
schöpft hatte und noch ferner schöpfen wollte. Ueber die Veranlassung
des Werkes gibt uns Theophanes selbst in seinem kurzen Vorworte ge-
nügende Aufschlüsse. Er bemerkt dabei, dass er das schwere Werk nur
übernommen habe, um dem dringenden Wunsche seines Freundes zu
willfahren.
Das Hauptprinzip, welches Theophanes bei der Komposition seiner
Chronik befolgte, ist das chronologische, d. h. die Einfügung des ge- 1
samten historischen Stoffes in Jahresabschnitte. Wenn auch in anderen
Chroniken in ähnlicher Weise der Zusammenhang der Ereignisse zerschiiitten
wird und mit jedem Jahre die Erzählung von neuem anhebt, so finden sich
doch neben den Jahren der Welt und der üblichen Aera höchstens noch
die laufenden Regierungsjahre der Kaiser zur Markierung der Einschnitte
verwendet; Theophanes aber fügt in das chronologische Fachwerk auch
noch die Kegierungsjahre der Fürsten der Perser und der Araber, sowie
') De administr. imp. c. 22 = od. Bonn. lov '.4yQov, ftt}TQ6»eioi ivyxnrmv rov fityü-
III 106, IH ff. :"/ü(jf wrff fxavöviae rovi /qö- Xov xai evaeßovf x«j /(>»Tr««»'<xo)r«ror linai-
yovf 1WV 'jQ((ß(üf 6 iy üyioii tieoffnvijg, Xiuii Kwvatnvrivov, vlov Aeoytoi rov aotpta-
6 ttjy fioytjy avarijaas tov xaXovfiiyov jueyd- räiov xal dya9ov ßaaikfiof.
B. Die Chronisten. (§ 53.) 121
der fünf ökumenischen Patriarchen. Diese chronologischen Stücke sind
mit vielen Schwankungen und Lücken in tabellarischer Form in den er-
zählenden Text eingeschoben. Angedeutet war diese Idee allerdings schon
in der Chronik des Synkellos, welche Theophanes fortsetzte; allein im
Werke des Synkellos, das überhaupt den Eindruck einer nur vorläufig
geordneten, noch nicht durchgearbeiteten Materialiensammlung macht, ist
der Gedanke nicht systematisch durchgefühi-t. ')
Theophanes, dem es wie seinem Vorgänger Synkellos nur um eine
nützliche und übersichtliche Mitteilung des rein Stofflichen zu thun war,
nennt seine Gewährsmänner nur selten und beiläufig. Die Quellen Unter-
suchung stösst daher auf grosse Schwierigkeiten. Für die ältere Zeit
bis zum Tode Theodosios II weist das Werk vorzüglich auf die Kirchen-
geschichten des Sokrates, Sozomenos und Theodoretos ; 2) doch benützte
Theophanes diese Autoren wahrscheinlich nicht direkt, sondern in einer
aus einem Werke des Theodoros Lector stammenden Ekloge.^) Es ist
dieselbe Quelle, welche hernach auch von Georgios Monachos, Julios Poly-
deukes, Leon Grammatikos und andern verwertet wurde, weshalb Theo-
phanes in einzelnen Partien mit diesen Chronisten übereinstimmt. Für die
spätere Zeit befindet sich Theophanes in Uebereinstimmung mit Prokopios,
Agathias, Johannes von Epiphania, Theophylaktos Simokattes,
Malalas, Georgios Pisides und dem Breviarium des Patriarchen Nike-
phoros. Inwieweit er aber diese Autoren selbst oder eine aus ihnen ab-
geleitete Quelle benützt hat, muss erst eine nähere Untersuchung lehren.
Wo er mit Xikephoros stimmt, scheint er nicht diesen selbst, sondern
eine gemeinsame ältere Vorlage benützt zu haben. Leber die Quellen der
Bischofslisten s. Ed. C. de Boor II 484. Bezüglich der Abschnitte, welche
von Mohamed und den nächsten Chalifen handeln, vermutet Reiske, dass
sie auf eine syrisch-griechische Quelle zurückgehen; doch lässt sich auch
hierüber nichts Genaueres feststellen. Eine tiefere Gelehrsamkeit, chrono-
logische Genauigkeit, eine feinere Kritik, überhaupt eine genügende, nur
durch langjähriges Studium zu erwerbende Beherrschung des unge-
heueren Stoffes dürfen wir bei dem Asketen Theophanes, der, seiner
Schwäche sich wohl bewusst, nur durch eine zufällige Veranlassung aus einem
Theologen zum Historiker wurde und zudem offenbar genötigt war, mit
ungewöhnlicher Hast zu arbeiten, füglich nicht erwarten. Trotzdem ragt
dieses umfassende Werk, welches uns manche verlorene Quellen ersetzt
und für die folgenden Chronisten eine Hauptfundgrube wurde, an sach-
licher Bedeutung über die meisten anderen byzantinischen Chroniken
empor. Theophanes ist für seine Zeit epochemachend und bildet einen
wichtigen Abschluss der älteren byzantinischen Chronographie.
Die Sprache des Theophanes ist wichtig und bemerkenswert durch
ihre vermittelnde Stellung zwischen der Redeweise des Volkes und der er-
starrten byzantinischen Kunstgräzität. Sie steht nicht so tief wie die des
Malalas, ist aber auch weit entfernt von dem künstlichen Attizismus, wie
') S. die Aiusgabe des Theophanes von ') 8. Christ. Griech. Litterat. * § 622;
C. de Boor JI 464 ff. C. de Boor. a. a. 0. I S. VIII und Sarrazin
0 S. Christ, Griech. Litterat. ^ § 622. a. unten a. 0.
i
122 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratar.
er namentlich seit der Komnenenzeit die Litteratur wieder zu beherrschen
beginnt. Malalas, Theophanes und Konstantin Porphyrogennetos
bezeichnen die drei Hauptphasen in der Geschichte der Versuche zur Aus-
bildung einer dem Volksmässigen genäherten Schriftsprache. Wie bei
Malalas, so tritt auch bei Theophanes die sprachliche Neuerung weniger
hervor in der Morphologie, wo die attisch-hellenische Grammatik in ihrem
festen Gefüge und in ihrer alten Tradition dem Eindringen volkstümlicher
Elemente einen festen Damm entgegenstellte, als vielmehr im Wörterbuche
und in der Konstruktion. Doch zeigt auch die Formenlehre die Vulga-
rismen, welche seit Polybios und dem neuen Testamente neben den atti-
schen Formen immer mehr Raum gewinnen, z. B. analogische Aoriste
wie ißaXa, ^y^waa, eäwffa, VjQX^r^v {ttQxofi.ai), viele Fälle von Doppel-
augment, von Vernachlässigung des Augments und der Reduplikation und
Aehnliches. Dass das Wörterbuch zum grossen Teile auf der kirch-
lichen Gräzität beruht, kann bei dem Werke eines Mönches nicht auf-
fallen. Ausserdem finden sich im Wortbestande wie in der Semasiologie
sehr zahlreiche Spuren des Vulgärgriechischen; wir treffen taytXw ich füttere,
6mx(t) ich vertreibe, verjage, xarägTiov der Mastbaum, Xißäöiov die Wiese,
Dvandvakomposita wie yvvccixönmöa u. s. w. Die Syntax ist reich an
den schönsten Beweisen der Trübung des altgriechischen Sprachbewusst-
seins; cijxa steht regelmässig mit dem Genetiv, häufig aber auch mit einem
Genetiv und Dativ zugleich, ebenso avv mit Genetiv, anö mit Accusativ;
dazu kommen Formen wie avafxiaov und drafifta^v, Pleonasmen wie fx
7iaidi6i)-€v, die Verbindung von oxav mit dem Indikativ, die Umschreibung
des Futurs mit s'x« und Infinitiv; sehr häufig ist der Zweckinfinitiv mit
Tov und der absolute Nominativ.
Eine lateinische Uebersetzung des Theophanes ist für die mittel-
alterliche Geschichtschreibung des Abendlandes kaum minder wichtig ge-
worden als das Original für den Orient. Diese Uebersetzung verfasste
zwischen 873 — 875 der päpstliche Bibliothekar Anastasius. Derselbe kom-»
pilierte nämlich auf Bitten eines Diakons Johannes aus den drei Chroniken
des Nikephoros, Synkellos und Theophanes eine historia tripertita, welche
der Diakon seiner Kirchengeschichte einverleiben wollte. Anastasius nahm
bei seiner Arbeit sofort praktische Rücksicht auf diesen Zweck und Hess
daher alles bei Seite, was schon in lateinischen Werken vorhanden war,
also namentlich die auf die frühere Zeit bezüglichen Partien. Bis auf
Justinian hat er seine Vorlagen nur sporadisch exzerpiert. Erst von
Justin II und noch mehr von Maurikios ab kann man von einer eigent-
lichen Uebersetzung reden. Jedoch hat er sich auch hier nicht so treu an
sein Original gehalten, wie es etwa ein moderner Uebersetzer thun würde;
zuweilen hat er den Sinn absichtlich geändert, nicht selten gestattete er
sich auch Zusätze und Ergänzungen. Trotzdem ist die Uebersetzung in
vielen Partien sprachlich völlig vom Original beherrscht, so dass nicht
selten ganz unlateinische Wendungen entstehen; häufig sind auch die
drolligsten Missverständnisse.') Die richtige Erkenntnis dieses Verhält-
') Daa griechische Wissen des Anastasius | trotzdem zu einer wichtigen (Jesandtschaft
war offenbar recht oberflfichlich ; daas er \ nach Konstantinopel auserwfthlt und von
B. Die Chronisten. (§ 53.) 123
nisses ist von Wichtigkeit, weil sich daraus auch die Grundsätze ergeben,
nach welchen die Uebersetzung des Anastasius für die Texteskonstitu-
tion des griechischen Theophanes verwendet werden darf.
Wie im Occident, so wurde Theophanes auch im Orient bald eine
Hauptquelle für die Chronisten. Wie ihn Anastasius ins Lateinische
übertrug, so hat ihn Georgios Monachos für seine Chronik gründlich aus-
gebeutet. Theophanes und Georgios waren die unentbehrlichen Hand- und
Hilfsbücher für alle, welche sich über die Zeit vor Leo dem Armenier
unterrichten wollten. Wir erkennen diese Thatsache sehr deutlich durch
das Alter und die Zahl der Handschriften. Einige Zeit mag Theo-
phanes mit der Rivalität des Georgios zu kämpfen gehabt haben; aber im
10. Jahrhundert steht das Werk des Theophanes jenem völlig an Ansehen
gleich. Der Kaiser Konstantin Porphyrogennetos plündert es; zu derselben
Zeit erscheint die Litter atur der , Fortsetzer des Theophanes", welche
ausdrücklich an den Schluss seines Werkes anknüpften, als wollten sie
sagen, dass nach ihrer Ansicht für die von Theophanes behandelte Zeit
durch sein Werk ein Abschluss für die historische Darstellung erreicht sei.
Neben und nach Theophanes und Georgios wurden dann wieder andere
Weltchroniken kompiliert, teils in der Weise, dass man die Chronik des
Georgios erweiterte und überarbeitete, wozu Theophanes den meisten Stoff
lieferte, teils indem man die Chroniken des Theophanes und Georgios,
meistens ohne bedeutende andere Zuthaten, zusammenschweisste. Es liegt
in diesen Machwerken der Ausdruck einer vermittelnden Geistesrichtung,
welche zwar den theologischen Wust des Georgios nicht entbehren mochte,
doch aber eine etwas grössere Mannigfaltigkeit und Ausdehnung des histori-
schen Stoffes wünschte. Von dem Schicksal des Exzerpierens und Inter-
polierens ist übrigens die Chronik des Theophanes fast ganz verschont
geblieben. Der Textbestand ist also ziemlich gesichert, was z. B. bei
Georgios Monachos nicht der Fall ist, wo überhaupt erst festgestellt werden
muss, was zuerst der wahre Bestand des Original Werkes gewesen ist. Was
die Ueberlieferung im einzelnen betrifft, so steht über allen anderen
Handschriften der Vaticanus 154 aus dem 12. Jahrhundert: er übertrifft
an Güte sogar die von dem lateinischen t^ebersetzer Anastasius benützte
Handschrift und bildet daher für die in ihm erhaltenen Partien die Basis
der Textgestaltung; leider enthält er nur einen Teil des Werkes. Eng
verwandt mit Vatic. 154 ist Barberin. V, 49. Die älteste, aber nicht beste
Handschrift ist der Paris, regius 1710 aus dem 10. Jahrhundert; er ent-
hält jedoch nur eine exzerpierende Bearbeitung, ähnlich wie Malalas heute
im Baroccianus vorliegt, der ja auch im 10. .Jahrhundert geschrieben ist.
S. die Uebersicht in der Ausgabe von De Boor II 399.
1. Ausgaben: Ed. pr. Jac. Goar (zusammen mit Leo Grammaticus) gedruckt nach
dem Tode Goars, Paris 1655; eine Revision übernahm Combefis, indem er seine Verbesse-
rungen und Zusätze in jiotae posteriores niederlegte. — Wiederholt Venedig 1729. — Im
^nner Corpus in 2 Bänden 1839—1841; der 1. Band enthält den Theophanes ex rec.
^Sannis Classeni, der 2. die historia tripertita des Anastasius ex rec. I.Bekkeri. —
len Freunden um Uebersetzungen bestünnt damals die Kenntnis des Griechischen im
rde, beweist deutlich, wie selten schon Abendlande geworden war.
124 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litter atnr.
L.F.Tafel, Thoophanis chronographia. Probe einer neuen kritisch-exegetischen Ausgabe,
Sitzungsber. der phil.-hist. Cl. der Wiener Akad. der Wissensch. 9 (1852) 21 — 172, gibt
nach einer sehr verständigen Einleitung den Abschnitt über Kaiser Heraklios mit der lat.
Uebersetzung des Anastasius. — Nachdruck der Bonner Ausgabe bei Migne, Patrol. Graeca
t. 108 (1861) mit den Noten des Uoar und Combefis und der Uebersetzung des Anastasius.
— Nach diesen gänzlich ungenügenden und mit Ausnahme der von Tafel gegebenen Probe
xmkritischen Leistiingen hat Carl de Boor eine auf völlig neuer Grundlage ruhende Aus-
gabe des Theophanes besorgt, 2 voll., Leipzig 1883 — 1885. Vol. 1 enthält den emendierten
Text dos Theophanes. vol. H die vitae Theophanis, die historia tripertita des Anastasius, eine
erschöpfende Abhandlung über die handschriftliche Ueberlieferung des Theophanes und einen
ausgezeichneten Sach- und Wortindex.
2. Hilfsmittel: F. Hirsch, Byzantinische Studien S. 375 f. und passim (s. den
Index). — Jos. Victor Sarrazin, De Theodore Lectore Theophanis fönt« praecipuo,
in den Comment. philol. Jenenses vol. I (1881) 163 - 238. — C. deBoor, Hermes 17 (1882)
489 f. und Zeitschrift f. Kirchengeschichte 6 (1883—1884) 489 flF. — G. Hertzsch in der
zu § 12 genannten Schrift S. 36 ff. — Ludwig Jeep, Jahns Jahrb. 14. Supplementb.
(1885) 81 ff. — H. Geizer, Sextus Julius Africanus 11 1 (1885) 176 ff. — Zu den Bischofs-
listen des Theophanes vgl. das abweichende Verzeichnis bei Gust. Grosch, De codice
Coisliniano 120, Diss. Jena 1886. — Zum Text«: K. Krumbacher, Hermes 23 (1888) 626 ff.
und C. de Boor, Hermes 25 (1890) 301 ff. ''
3. Uebersetzung des Anastasius: Ed. Fabrotus, Paris 1649. — Alle späteren
Ausgaben sind Nachdrucke des Pariser Textes. Daher musste De Boor auch für den Ana-
stasius, den er im 2. Bande des Theophanes edierte, einen neuen Apparat schaffen. ---
Ueber das Leben des Anastasius und Johannes s. Hergenröther, Photius 11 (1867) 228 ff.
und H. Usener, Jahrbücher für protest. Theologie 12 (1887) 241 ff.
54. Die Fortsetzung des Theophanes. Unter dem Titel Ol fierci
0eo(färrjv, Scriptores post Theophanem, was in der Bonner Ausgabe in
die seitdem üblich gewordene Benennung Theophanes continuatus ab-
geändert ist, wird eine Gruppe von meist anonymen Chronisten zusammen-
gefasst, welche auf Veranlassung des Konstantin Porphyrogennetos das
Werk des Theophanes in die spätere Zeit fortführten. Die hier vereinigten
Stücke behandeln die Zeit von 813 — 961. Der Titel „Fortsetzung
des Theophanes" ist ganz passend; denn in der Ueberschrift wird aus-
drücklich gesagt, die Chronik fange da an, wo Theophanes aufgehört
habe, und das Gleiche wird auch am Schlüsse der Vorrede bemerkt. Der
in der einzigen Handschrift nicht vollständig lesbare Titel lautet: Xqovo-
YQaqia avyyQatfeiaa ex TtQoaväYfimoq KiavaruvTivov tov (fiXoxQicftov xai
noQ(fVQoyevvi\TOV dtanöiov, vlov AiovtoQ tov ffo(fün(iiov öecnötov xai avio-
xQtttoQog .... aQxofxevri onov ^'Xrj'^s Qeotpctvrfi .... tö) ßaaiXfT Mix(tii]k
iHov &eo(fiXov TOV xovQonaXäTOV, rjyovi' äno tr^g ßaaiXfi'ag Asovtoc tov 'Agf^if-
ri'ov. Das ganze Werk zerfällt in 6 Bücher; das erste umfasst die Ge-
schichte Leos V des Armeniers, das zweite die Michaels II, das dritte die
des Theophilos, das vierte die Michaels III, das fünfte die des Basilios, das
sechste endlich die Geschichte Leos VI, Alexanders, Konstantins VII Porphyro-
gennetos, Romanos I und Romanos II. Der unvcrhältuismässig grosse
historische Inhalt des sechsten Buches, welches fünf Kaiserbiographien
umfasst, während die übrigen nur je eine enthalten, erklärt sich aus der
verschiedenen Entstehungszeit und Entstehungswoise der einzelnen Bücher.
In unmittelbarem Zusammenhang mit Konstantin Porph. stehen nämlich
nur die ersten fünf Bücher, die daher auch im einzelnen besser disponiert
sind; das sechste Buch dagegen, welches ja in seinem letzten Teile über
das Lebensende Konstantins hinausreicht, steht wohl nur zum geringsten
Teile der Anregung des Kaisers nahe, während der grössere Teil ein später
B. Die Chronisten. (§ 54.) 125
angefügtes Supplement ist, in welchem die frühere Einteilung, nach der
jedem Kaiser ein Buch gewidmet wurde, fallen gelassen wurde.
Den ersten fünf Büchern des Theophanes continuatus liegt als Haupt-
quelle, gewissermassen als Folie das Geschichtswerk des Genesios zu
Grunde, der in seinen vier Büchern ßaaüeiwr dieselbe Zeit (813 — 886) be-
handelt hatte. Ausserdem dienten für die 4 ersten Bücher als Quellen des
Kaisers Konstantin Porph. Schrift De administrando imperio, sowie der
Appendix zum ersten Buche der Schrift De caerimoniis, ferner das Ge-
schichtswerk des Theognostos und die Schrift des Euodios über die
Schicksale der Märtyrer von Amorion. Daneben finden sich Nachrichten,
die sich nicht auf eine uns bekannte Quelle zurückführen lassen. Welche
Quellen im 5. Buche ausser Genesios benützt worden sind, ist dunkel.
Durch die ersten fünf Bücher zieht sich die unleugbare Tendenz, die
Persönlichkeit und Thätigkeit der Vorgänger des makedonischen Kaiser-
hauses möglichst dunkel zu malen, dagegen die neue Dynastie in einem
glänzenden Lichte erscheinen zu lassen. Dieser panegyrische Ton, der am
meisten im 5. Buche hervortritt, macht die Glaubwürdigkeit der Erzählung
vielfach zweifelhaft. Eine eigenartige Stellung nimmt das sechste Buch
ein, das die Zeit von 886 — 961 behandelt. Es sondert sich in 2 Haupt-
teile: Der erste Teil (Leo VI bis incl. 7. Kapitel der Geschichte des Kon-
stantin Porph., S. 353 — 441 ed. Bonn.) ist in sich durchaus gleichartig und
zeigt zugleich eine merkwürdige Verschiedenheit von den vorhergehenden
Büchern. Einmal was die Quellen betrifft: statt des Genesios, der mit
Basilios schliesst, tritt hier eine neue Quelle auf, nämlich die Arbeit des
(anonymen) „Logotheten*", welche die Fortsetzung des Georgios Monachos
bildet (s. § 56). In der Form ist diese Partie roher als die ersten fünf
Bücher; ebenso erscheint die Tendenz verschieden; jener Logothet war
dem Basilios wenig günstig gesinnt; sein Mann war vielmehr Romanos,
also derjenige Kaiser, welcher so lange den Konstantin Porph. in den
Hintergrund gedrängt hatte. Merkwürdig ist nun, dass der Bearbeiter
dieses Teiles die Tendenz seiner Vorlage nicht geändert hat. Schon das
deutet darauf hin, dass er nicht identisch ist mit dem Redakteur der ersten
vier (fünf) Bücher, der von Loyalität gegen Konstantin Porph. überfliesst
und in durchaus bewusster Weise den Ruhm dieses Kaisers vertritt. Freilich
könnte man annehmen, dass die plötzliche Erkaltung seines Eifers ihren
Grund in dem Tode des kaiserlichen Beschützers hatte. Die Chronik des
Logotheten ist während der Regierung des Nikephoros Phokas (963—969)
geschrieben ; in derselben Zeit entstand wohl auch der erste Teil des sechsten
Buches der Fortsetzung des Theophanes, so dass hier also ein eben er-
schienenes Werk ausgeschrieben ist. Der letzte Teil des sechsten
Buches, nämlich der Hauptteil der Geschichte des Konstantin Porph., und
die nicht vollständige Geschichte Romanos II ist allem Anscheine nach
nicht aus einem anderen Werke entlehnt, sondern selbständige Darstellung
eines Zeitgenossen, der von dem Verfasser des ersten Teiles des sechsten
Buches verschieden ist. Da er die Eroberung Kretas 961 noch erwähnt,
muss er nach 961 geschrieben haben, wahrscheinlich aber nicht lange nach
dieser Zeit, sondern wohl zwischen 961 — 963.
126 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaisclie Litteratur.
Die Fortsetzung des Theophanes wurde vor allem benützt von Sy-
meon Magister; ausserdem ist sie von Johannes Skylitzes in den
früheren Teilen seines Werkes ausgeschrieben; auf Skylitzes wiederum
beruhen sein Nachtreter Kedrenos, Zonaras und andere spätere Chronisten.
Während Theophanes selbst in einer Menge von Handschriften verbreitet
ist, besitzen wir für die Fortsetzung nur einen cod. Parisinus (ehemals
Vaticanus 167) aus dem 12. Jahrhundert; der Grund des Mangels an Hand-
schriften liegt wohl darin, dass die Fortsetzung des Theophanes noch mehr
als Theophanes selbst durch spätere Chronisten ausgeschrieben und über-
flüssig gemacht wurde; auch lockte das Werk nicht so wie Theophanes
selbst durch eine geschlossene und abgerundete Behandlung zur Verviel-
fältigung. Die Texteskritik wird bei diesem Zustande der Ueberliefel-ung
vorzugsweise durch eine ausgedehnte Vergleichung der späteren Ausschreiber
gefördert werden müssen, eine Arbeit, die in der Bonner Ausgabe noch
nicht vollzogen ist.
Ausgaben und Hilfsmittel: Das 5. Buch (vita Basilii) ed. zuerst Leo Allatius
in seinen ^v/ufxixTce, Coloniae Agrippinae 1653, II 1 — 179. — Das gesamte Werk ed. pr.
F. Combefis, Scriptores post Tlieophanem, Paris 1G85, mit .loh. Kameniates, Symeon
Magister, Georg. Monachos und anderen zum Teil auf eine viel spätere Zeit bezüglichen
Arbeiten. — Im Bonner Corpus als Theophanes continuatus ed. I. Bekker, Bonn 1838;
dazu S. 481 — 484 einige Notizen über die Bilderstüniier von einem Mönche Johannes
von Jerusalem. - Vgl. Rambaud, L'empire Grec au dixieme siecle S. 545 f. — Haupt-
schrift: Ferd. Hirsch, Byzantinische Studien S. 175—302, woselbst auch die einschlägige
historische Litteratur nachgewiesen ist. — Zum 5. Buche vgl. § 18.
55. Nikephoros Patriarches, Nachfolger des Tarasios, hatte den
Patriarchenstuhl von 806 — 815 inne. Seine Stellung in der Zeitgeschichte
bezeichnen namentlich die innige Freundschaft mit dem durch seine Hymnen-
dichtungen und andere Schriften bekannten Theodoros Studites und die
energischen Kämpfe, welche er im Verein mit demselben gegen den bilder-
stürmenden Kaiser Leo V den Armenier (813 — 820), geführt hat. Nike-
phoros büsste seinen unerschrockenen Eifer mit der Entsetzung von der
Patriarchenwürde und der Verbannung (815); er starb als Mönch im Jahre
829. Sein Andenken wird sowohl in der katholischen als in der griechi-
schen Kirche gefeiert. Die Hauptstärke des Nikephoros als Schriftsteller
liegt ohne Zweifel in seinen theologischen Werken, in welchen er die
Haupt- und Grundfrage jener Zeit, die Bilder Verehrung, mit unermüd-
licher Begeisterung behandelt. Sie sind durch energischen Freimut und
eine kraftvolle, fliessende Darstellung ausgezeichnet. Die hochgradige Er-
bitterung, mit welcher der Bilderstreit in Wort, Schrift und That geführt
wurde, kommt hier deutlich zum Ausdruck. Ausserdem haben wir von
Nikephoros zwei historische Werke : 1. Das umfangreichere und bedeutendere
derselben ist betitelt: laroQia ainrof^iog (bei Photius cod. 06 laioqixov
avvTOfiov) ccTto rfjg Mavqixiov ßaffiXaiag. Das Werk umfasst die Zeit vom
Tode des Kaisers Maurikios bis auf die Vermählung des ältesten Sohnes
des Kaisers Konstantin Kopronymos, des späteren Kaisers Leo IV, d. h.
von 602—769.') Gewöhnlich wird diese wichtige Schrift als Breviarium
') Einige Schwierigkeiten bereitete früher | (nicht Tlieophanes, wie Potavius glaubte)
ein Fragment, welches Georgios Monachos | aus dorn Nikephoros V. anführt. Da nämlich
B. Die Chronisten. (§ 55.) 127
Nicephori bezeichnet. Es ist eine hauptsächlich auf das populäre Ver-
ständnis berechnete Erzählung der hervorragendsten und der unbedeutend-
sten Ereignisse. Gemäss dem Zwecke des Buches, die Darstellung für
einen grösseren Leserkreis interessant und zugleich erbaulich zu machen,
werden persönliche Angelegenheiten, Revolutionen, merkwürdige Kämpfe,
kirchliche Schenkungen, theologische Streitigkeiten unverhältnismässig be-
tont, während die Darstellung des politischen Entwicklungsganges nur
höchst locker gehalten ist. Uebrigens fehlt es nicht an interessanten Par-
tien, wozu unter anderem der ethnographisch wichtige Exkurs über die
Herkunft und die Wanderungen der Bulgaren gehört.') Der Bericht,
der ganz ähnlich bei Theophanes wiederkehrt, ist wohl von beiden aus
einer gemeinsamen oder verwandten Vorlage geschöpft. Die Quellen des
Nikephoros für das Breviarium sind uns nicht einmal dem Namen nach
bekannt und scheinen gänzlich verloren. Mit Theophanes stimmt er oft
fast wörtlich überein; doch hat weder er den Theophanes, noch Theophanes
ihn benützt, sondern beide schöpften aus einem unbekannten älteren Autor.
Von den übrigen Chronisten, welche dieselbe Zeit behandeln, hat nur
Georgios Monachos einen Teil der Chronik des Nikephoros frei exzer-
piert (S. 3—31 ed. De Boor); für das Folgende hat Georgios nicht mehr
den Nikephoros, sondern den Theophanes benützt. Auch sonst scheint das
Breviarium des Nikephoros, das nur in einer Handschrift auf uns ge-
kommen ist, nicht viel Anklang gefunden zu haben. 2. Die zweite histori-
sche Arbeit des Nikephoros ist die XgoroYQccifta avvroi^iog, ein äusserst
mageres chronologisches Verzeichnis von Adam bis auf das Todes-
jahr des Nikephoros 828. In knappen Tabellen werden hier die Könige
der Juden, der Perser, die Ptolemäer, die römischen Kaiser, die Bischöfe
von Konstantinopel, Rom, Jerusalem, Alexandria und Antiochia (d. h. der
fünf ökumenischen Sitze) aufgeführt. Dieses Werk ist nur in einer Ueber-
arbeitung überliefert, welche unter Michael HI um das Jahr 850 vei-
anstaltet wurde. Um 870 wurde sie von dem päpstlichen Bibliothekar
Anastasius ins Lateinische übersetzt und seiner chronographia tripertita
einverleibt. Während das Breviarium bald durch andere Werke verdrängt
wurde, blieb die Chronographie ein beliebtes Nachschlagebüchlein und ist
infolge dessen in zahlreichen Handschriften verbreitet, die jedoch fast alle
interpoliert sind und bedeutend von einander abweichen. Die verschiedenen
Abschreiber und Besitzer der Exemplare haben nämlich die chronologische
Reihe meist über das ursprüngliche Ende weitergeführt, so dass sie in
einem cod. bis auf 886, in einem anderen bis auf 944, in einem dritten
bis auf Job. Tzimiskes (976) reicht. Dazu kommen noch manche Einschiebsel
im Werke selbst. Zwei ähnliche kurze chronographische Stücke aus cod.
Coislin. 193 und Monac. Gr. 510 hat C. de Boor seiner Ausgabe beigefügt.
Photios gibt in seiner Bibliotheca cod. 66 eine ziemlich anerkennende
in demselben von dem Tode des Konstantin ' dieses Stück aus dem 3. Antirrheticus des
KopronjTnos (775) die Rede ist. so schloss Nikephoros genommen ist, womit sich die
Petavius (ed. Bonn. S. 132 ff.) dass das Sache erledigt. S. Nicephor. ed. De Boor,
Breviarium ursprünglich weiter gereicht habe. Praef. S. 19.
als in seiner jetzigen Gestalt. Allein A. Mai, ') Ed. Bonn. 38 ff.; ed. De Boor 33 ff.
Bibl. nova patrum V 3, 136 hat bemerkt, dass
128 Byzantinische Litteratnrgeschichte. t. Prosaische Litteratur.
Charakteristik des Nikephoros P. Er rühmt ihm Einfacliheit und Klarheit,
einen weder zu lockeren noch zu knappen Vortrag nach und sagt, er sei
weder auf unnötige Neuerungen erpicht, noch allzu altertümlich und ge-
künstelt, nur könne vielleicht die allzu grosse Kürze und Dürftigkeit seiner
Mitteilungen Missbilligung finden. Vielleicht war die Charakterfestigkeit
und Frömmigkeit des Nikephoros nicht ohne Einfluss auf dieses lobende
Urteil. Richtig ist jedenfalls die Hervorhebung der Einfachheit und
Klarheit, denn gerade durch sie zeichnete sich Nikephoros vor vielen
anderen Byzantinern vorteilhaft aus; er spricht schmucklos, ohne viele
Bilder, meist im einfachsten Satzbau. Einen recht deutlichen Gegensatz
bildet die in schwülstiger Breite gehaltene Biographie des Nikephoros
von seinem Schüler Ignatios (s. § 185).
1. Ausgaben: A. Breviarium ed. pr. D. Petavius, Paris 1616. Diese Ausgabe
wiederholte Petavius mit vielen Verbesserungen im 1. Bande des Pariser Corpus Script.
Byz. 1648. — Wiederholt Venedig 1729. — Im Bonner Corpus gab das Breviarium ohne
neue Hilfsmittel, doch mit zahlreichen Emendationen I. Bekker, Bonn 1837 (zusamnuMi
mit Paulus Silentiarius und Georgios Pisides). — Weit überholt und völlig überflüssig
wurden diese Arbeiten durch die neue Ausgabe von Carl de Boor, Leipzig, bibl. Teubn.,
1880. De Boor fand den vatikanischen Originalcodex, auf dessen Abschrift alle bisherigen
Arbeiten beruht hatten, und konnte mit Hilfe desselben die Lücken jener Abschrift ergänzen
und eine Unzahl von verderbten Stellen heilen. Ausser dieser Handschrift verwertete
De Boor einige aus Nikephoros stammende Suidasstellen, ein von Cramer aus cod. Baroc-
cianus 50 in den Anecd. Oxon. 11 427 ff. ediert«s Glossar, in dem sich eine kleine Samm-
lung von Ae^eig ix TTJg iarogiag rov ayiov yixtjtpÖQov findet, und endlich die späteren
Chronisten, welche aus Nikephoros schöpften. Mit dem Breviarium gab De Boor auch
das XgoyoyQa^ixoy avyxo(xov, die Biographie des Nikephoros von Ignatios und die 2 oben
erwähnten chronographischen Stücke, endlich einen ausgezeichneten Sach- und Wortiudex.
B. XQoyoyQC(q)ia avyTofj,og: Zuerst die lateinische Uebersetzung des Anastasius,
Basileae 1561 und in zahlreichen Nachdrucken und Neubearbeitungen im 17. und 18. Jahr-
hundert. — Der griechische Text zuerst bei Jos. Justus Scaliger, Thesaur. tem-
porum, Eusebii Pamphili etc. libri duo, Lugd. Batav. 1606 S. 293 — 816; auch im Nachdruck
dieses Werkes von AI. Morus, Amstelodami 1658 S. 301 — 312. — Ed. J. Goar griechisch
und lateinisch mit Noten als Anhang des Georg. Synkellos, Paris 1652. — Abdruck in der
Ausgabe des G. Synkellos von Dindorf, Bonn 1829. — Diese Ausgaben beruhen auf dem
fehlerhaften cod. Paris. 1711 und sind daher heute ohne Bedeutung. Einen Fortschritt
bezeichnet die Leistung von Carl Aug. Credner, der den griechischen Text mit der latei-
nischen Uebersetzung des Anastasius nach neuen Hilfsmitteln herausgab: Nicephori chrono-
logia brevis, 2 Universitätsprogramme, Giessen 1832 — 38. — Ed. Carl de Boor (mit dem
Breviarium), der auch für dieses Werk eine völlig neue Grundlage geschaffen hat. — Die
lateinische Uebersetzung des Anastasius gab (nach zahlreichen früheren Ausgaben) C. de
Boor in seiner Ausgabe des Theophanes II (1885) 36-59.
C. Die theologischen Stücke des Nikephoros P. ed. A. Mai, Nova patrum biblio-
theca, tom. V, Romae 1849. — Gesamtausgabe der theologischen und historischen
Schriften des Nikephoros von Migne, Patrol. Graec. t. 100 (1860).
2. Hilfsmittel: M. Hanke, De byz. rerum Script. Graecis S. 223 — 251. Iriarte,
Catalog. codd. Matrit. vol. 1 S. 480 (über eine Madrider Handschrift des Nikephoros). —
Fabricius, Bibl. Graeca ed. Harl. 7, 462 und 603—609. — F. Hirsch. Byzant. Studien
S. 17 ff.; 127 ff. - Ueber slavische Uebersefczungen des Kompendiums s. V. Jagic, Arch.
slav. Philol. II (1877) 17. — Hauptschrift über die XgoyoyQ. at'< yrofiog: H. (Jelzer,
Sextus Julius Africanus II 1, 384—388; 389 ff. über andere chronologische Tabellen der
byzant. Zeit. — Ueber das kirchliche und politische Leben des Nikephoros P. s. Heryen-
röther, Photius II (1867) 261 ff.
66. Georgios Monachos (llamartolos). Georgios Monaehos, häutig
auch durch das Attribut llamartolos*) näher bezeichnet, verfasste unter
') Der Beiname €(iuaQT<ok6g ist nicht I daher in unseren handschriftlichen Titeln
Eigenname oder Standesbezeichnung, sondern | auch viele andere Autoren führen, wie z. ti.
das ständige Epitbet von Mönchen, welches j Theophanes, Humanob u. u. w.
B. Die Chronisten. (§ 56.) 129
Michael UI (842—867) ein 4 Bücher umfassendes Werk, welches betitelt
ist: XQortxor avrroiiov sx diacföoon' xQ^royoctcfoyi' Tf xcei i'§i^yrj(av avXXsyiv
xal aviTB^ir V7i6 Feüigyiov duaoTwJ.ov. Von der Person des Verfassers
wissen wir nur. dass er ein Mönch war, was sich übrigens auch ohne
seine ausdrückliche Bezeichnung als uoraxög und ceiiaoTiokög schon aus der
klösterlichen Tendenz des Werkes, dem fanatischen Eifer gegen die Bilder-
stürmer und der Vorliebe für theologische Digressionen deutlich erkennen
Hesse. Die Zeit des Georgios ergibt sich aus der Vorrede, wo er
Michael III (842—867) den letzten Kaiser nennt; ausserdem zeigt die un-
gewöhnliche Heftigkeit, mit welcher er sich gegen die Bilderfeinde wendet,
dass ihm die ikonoklastische Bewegung noch in frischester Erinnerung war.
Abgeschlossen scheint seine Arbeit, wie sich aus einer auf die Regierungs-
dauer IVIichaels III bezüglichen Stelle schliessen lässt, erst kurz vor dem
Tode dieses Kaisers, d. h. 866 oder 867. Die Weltchronik des Geor-
gios Monachos umfasst die ganze Weltgeschichte von Adam bis
auf den Tod des Kaisers Theophilos 842 n. Chr.') An diesen Kern
wurden aber im Laufe der Zeit von verschiedenen Verfassern zum privaten
Gebrauch und nach privatem Bedürfnis Fortsetzungen angefügt, die sich
in einigen Handschriften bis 948, in andern noch weiter ausdehnen. Dass
sich die Sache so verhält, wird zweifellos durch die Vorrede des Werkes,
wo ausdrücklich erklärt ist, das letzte Buch werde die Geschichte der
Kaiser bis Theophilos (842) behandeln. Ausserdem schliessen einige Hand-
schriften, darunter die älteste (cod. Coisl. 310 saec. X) in der That mit
dem Jahre 842 und haben die ausdrückliche Schlussbemerkung: rt'Xog ey-
ravO^a tov xco»'(xo? ßißXiov; endlich haben einige der weiter reichenden
Handsclu-iften an dieser Stelle (.lahr 842) die Bemerkung erhalten: tiog
(ade TU xQOVixd Fecogyiov ' dno rwr dids ixorov tov XoyoS-iTov. Das Werk
des Georgios zerfällt in 4 Bücher; das erste handelt in ziemlich verwor-
rener Weise von Adam, Nimrod, Ninus, den Persern, Römern, Philipp,
Alexander, den Brahmanen. Chaldäern, Amazonen u. s. w., d. h. es gibt
einen Ueberblick über die für den Mönchsgeschmack interessantesten Dinge
der Profangeschichte von Adam bis auf Alexander den Grossen. Das zweite
Buch beginnt ebenfalls mit Adam und enthält in grosser Ausführlichkeit
im wesentlichen die biblische Geschichte bis auf die Römerzeit; darunter
sind allerlei Exkurse über Plato, den Götzendienst u. s. w. eingeschoben.
Das dritte Buch berichtet die römische Geschichte von Cäsar bis auf Kon-
stantin den Grossen. Das vierte Buch endlich erzählt die römisch-
byzantinische Geschichte von Konstantin dem Grossen bis 842.
Ueber die Grundsätze, Mittel und Zwecke seiner Arbeit spricht
der Verfasser selbst in seiner Vorrede: er habe für sein Werk sowolil
ältere hellenische als auch neuere (byzantinische) Geschichtswerke, sowie
erbauliche Schriften benützt, aber aus dem reichen Stoffe nur das Not-
wendige und Nützliche ausgewählt, er habe sich stets bemüht, die Wahr-
heit zu sagen und sich jedes Schmuckes der Darstellung enthalten. Wie
er die Begriffe von nützlich und notwendig versteht, zeigt die folgende
•) Dieser Zeitpunkt ist in der inneren herstellung des Bilderdienstes von grosser
• schichte von Byzanz durch die Wieder- Wichtigkeit.
Bandbnch der klass. Alt) rluniswisBcnscbafl. IX. 1. Abtlg. 9
130 Byzantinisclie Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Aufzählung der Dinge, welche den Hauptgegenstand der Darstellung bilden
sollen, d. i. Erfindung der Götzenbilder, die Mythologie der Griechen, das
Mönchswesen, die Entstehung und Verbreitung der bilderfeindlichen Ketzerei,
der Glaube der Sarazenen u. s. w. Es sind eben die Fragen, welche in
byzantinischen Klöstern das wissenschaftliche Gesprächsthema der auf-
geweckteren und unterrichteten Mönche bildeten. So erklären sicli auch
die zahlreichen theologischen Digressionen, die häufige Einstreuung langer
Stellen aus Kirchenvätern. Eine derartige Auffassung der Geschichte darf
uns daher bei Georgios nicht im mindesten wundern; mehr könnte man
sich darüber wundern, dass manche der neueren Geschichtschreiber und
Litteraturhistoriker über die mönchische und niedrige Denkart solcher
Chronisten so viel Entrüstung fühlten und nicht verstehen wollten, dass
sie es hier mit Werken zu thun haben, die im Kloster und für das Kloster
geschrieben sind. Wenn wir das Werk des Georgios in gerechter Weise
als eine mittelalterliche Mönchschronik auffassen, so erblicken
wir in ihm ein kulturhistorisch wichtiges Abbild des Geistes, der Bestre-
bungen und der litterarischen Mittel, über welche im neunten Jahrhundert
das byzantinische Kloster gebot. Die Fernwirkungen dieses vielgeschmähten
Lehr- und Lesebuches sind unermesslich. Es bildet die Grundlage für
zahlreiche spätere Bearbeitungen der Weltgeschichte bei den Byzantinern
und es brachte den Slaven den ersten Keim historischer Kenntnis und den
ersten Anstoss zu litterarischer Produktion auf diesem Gebiete.
Welche Quellen Georgios für die ältere Zeit, d. h. für jenes Chaos
zerstreuter Notizen in den ersten drei Büchern verwertete, muss erst noch
untersucht werden. In der Kaisergeschichte bis auf Diocletian scheint er
dasselbe verlorene Werk vor sich gehabt zu haben, dessen Spuren auch
bei Kedrenos, Leon Grammatikos und Zonaras wiederkehren. Für das
vierte Buch d. h, für die eigentlich byzantinische Zeit ist seine Haupt-
quelle die Chronik des Theophanes. Doch benützte er anfänglich neben
Theophanes noch andere Autoren ; so erweisen sich z. B. für die Zeit des
Anastasios nicht Theophanes selbst, mit dem Georgios häufig stimmt, son-
dern die von Theophanes benützten Autoren, nämlich Mala las und Theo-
doros Lector als die Vorlagen des Georgios. Eine Hauptquelle war auch
das Breviarium des Nikephoros Patr.*) Allmählich aber schrumpft
die Chronik zu einem blossen Auszuge aus Theophanes zusammen, den
er nur seinem besonderen Geschmacke gemäss mit den unvermeidlichen
theologischen Digressionen untermischt. Eine eigenartige Stellung nimmt
der letzte Teil der Chronik ein, der die Geschichte von 813—842 ent-
hält. Hier haben wir es allem Anscheine nach mit einer selbständigen
Arbeit des Georgios zu thun. Da er zudem der einzige zeitgenös-
sische Chronist *) ist, der diese Ereignisse behandelt, bringen wir diesem
Abschnitte eine besondere Teilnahme entgegen. Leider erfüllt Georgios
auch hier nicht die Erwartungen, die wir auf ihn zu setzen geneigt sind;
denn statt einer geordneten, wirklich geschichtlichen Erzählung finden wir
0 S. Ed. De Boor, Praef. 23. 1 nössischen Autor, den Scriptor incertus
^ Nur für einen Teil dieses Abschnittes , de Leone Annonio (in der Bonner Ausgabe
besitzen wir noch einen zweiten zeitge- liinter Leo (irannnaticus).
B. Die Chronisten. (§ 56.) 131
den fanatischen Erguss eines leidenschaftlichen Feindes der Ikonoklasten,
der nur für kii-chliche Dinge, besonders für die auf den Bildersturm be-
züglichen Dinge Interesse hat. Die wirklich historischen Nachrichten sind
verhältnismässig spärlich: sie verschwinden in dem Wüste theologischer
Digressionen und der heftigsten Schmähungen gegen die Bilderfeinde. Eine
Quelle dieses Abschnittes ist die von Ignatios verfasste Biographie des
Patriarchen Nikephoros. Im übrigen Ts-ird diese Partie wohl grösstenteils
auf mündlichen Berichten und auf eigener Erfahrung beruhen.
Nach der von Georgios selbst verfassten Chronik findet sich in den
meisten Handschriften eine längere Fortsetzung, die bis zum Tode des
Romanos Lakapenos 948, in einigen Handschriften bis 1071, 1081, in einer
sogar bis 1143 reicht. Immerhin schKesst der Haupttext der Fortsetzung
mit 948; die erwähnten weiter reichenden Zugaben sind meist nur dürftige
Notizen, zum Teil nur tabellarische Verzeichnisse, die offenbar die Besitzer
der betreffenden Handschriften für ihren Privatgebrauch an den Schluss
der früheren Fortsetzung anfügten. Ueber den Verfasser des allein
wichtigen Teiles der Fortsetzung, d. h. der Partie bis 948, sind wir sehr
übel unterrichtet. Nach einem handschriftlichen Vermerk, der sich am
Schlüsse der Chronik des Georgios und auch am Schlüsse der Fortsetzung
findet, wäre letztere das Werk eines loyod^tTr^c, dessen Name aber nicht
genannt wird. Doch lässt sich wenigstens feststellen, dass dieser Logothet
zu Anfang der Regierung des Nikephoros Phokas (963 — 969) sein Werk
beendete. Wie sich aus Verweisen auf Dinge, die sich in unserem Georgios
nicht finden, ergibt, hatte dieser Fortsetzer nicht die Absicht, mit seinem
Werke eine Ergänzung des Georgios zu geben; seine Arbeit wurde viel-
mehr erst von einem andern mit unserer Chronik verbunden. Der Zu-
sammenhang beider Werke ist also ein äusserlicher, und die Bezeichnung
als „Fortsetzung des Georgios Monachos" ist nur von dieser zufälligen
Vereinigung zu verstehen. Der „Logothet" ist nicht nur äusserlich ohne
eigentlichen Zusammenhang mit Georgios, sondern auch in Auffassung und
Charakter ein ganz verschiedener Autor. Bei ihm tritt das Kirchliche in
den Hintergrund, und das Hauptinteresse ist den Vorgängen am Hofe
zugewendet; diese schildert er mit grosser Ausführlichkeit, Genauigkeit
und Klarheit, allem Anscheine nach auch im allgemeinen unparteiisch und
getreu. Besonders wohl unterrichtet zeigt er sich über Romanos Laka-
penos, den er mit Vorliebe und offenbar als zeitgenössischer Berichterstatter
behandelt. Es lässt sich darnach vermuten, dass er unter diesem Kaiser
das Amt eines Logotheten bekleidete^ Die Geschichte der selbständigen
Regierung des Konstantin Porphyr, hat der Logothet noch begonnen, ge-
langte aber nur bis zum Tode des Romanos Lakapenos 948. Eine seiner
Hauptquellen ist Genesios. Die in einigen Handschriften angehängte
Fortsetzung über 948 hinaus stammt zum grössten Teil aus der Fort-
setzung des Theophanes.
Sprachlich bietet Georgios weniger Interessantes als Theophanes.
Wie er in der Vorrede mit bescheidenem Stolze hervorhebt, hat er sich
um Kunst der Darstellung nicht bekümmert; sein Prinzip ist: Kgaacov
fieice aXtj^tiag xj^itkXi^tiv ij fieta ipev^oiyg nkaTcoriXeiv, ein Satz, der für die
9*
132 Byzantinische Litteraturgeschichte. 1. Prosaische Litteratur.
byzantinische Zeit vor der grossen litterarischen Reaktion unter den Kom-
nenen überhaupt bezeichnend ist. Trotzdem sehreibt Georgios nicht so
einfach und natürlich, wie man nach diesem ausdrücklichen Versprechen
erwarten sollte. Seine Diktion ist durch die Kirchensprache und
ihre mannigfaltigen, manchmal etwas geschraubten Hilfsmittel stark be-
einllusst. Doch wäre es bedenklich, hierüber ein schärferes Urteil aus-
zusprechen, ehe der echte Originaltext festgestellt ist; die mühsamste
Untersuchung dieser Gräzität würde vielleicht nur zu bald durch eine neue
kritische Ausgabe umgestürzt. Jedenfalls aber gehört Georgios zu den
Autoren, die auf eine strengere Form Verzicht leisten, obschon er sich
von Theophanes durch grössere Annäherung an kirchliche Ausdrucksweise
unterscheidet, wie er ja auch stofflich durch noch grössere Betonung der
kirchlichen Angelegenheiten von ihm abweicht. Ein ganz ungenügendes
Glossar der neuen und fremden Wörter des Georgios und der Fortsetzer
gab Muralt in seiner Ausgabe S. 963—977.
Die Ueberlieferung des Georgios Monachos gehört zu den schwie-
rigsten Fragen der byzantinischen Philologie. Da nämlich diese Welt-
chronik seit dem 9. Jahrhundert das beliebteste Hand- und Hausbuch für
geschichtliche Belehrung und Unterhaltung wurde, hat dasselbe im Laufe
der Zeit verschiedene „verbesserte und vermehrte Auflagen" erfahren.
Wir können bis jetzt vorzüglich zwei Haupt redaktionen unter-
scheiden: eine kürzere und eine an thatsächlichen Angaben reichhaltigere,
aber vom Original wahrscheinlich weiter entfernte, durch Zusätze ver-
mehrte. Unter den bis jetzt bekannten 27 Handschriften stehen obenan
Coisl. 134 und 310, in welchen das Original der Chronik am treuesten
wiedergegeben ist; am nächsten kommt denselben der Vatican. 153; stark
überarbeitet ist das Werk im Vatican. 154 und in dem von Muralt vor-
züglich benützten Mosquensis. Wie Malalas wurde auch Geoi'gios Monachos
frühzeitig in slavische Sprachen übertragen; er spielt in der älteren
slavischen Litteratur eine grössere Rolle als irgend ein anderer byzantini-
scher Chronist; es sind bis jetzt mindestens 12 Exemplare des Georgios
teils bulgarisch-slovenischer, teils serbisch-slovenischer Redaktion bekannt.
In der slavischen Uebersetzung wurde Georgios die Hauptquelle aller nicht-
russischen Geschichte für die älteste russische Chronik, die ohne genügenden
Grund dem Mönche Nestor in Kiew zugeschrieben wird, in der Tliat abrr
ein anonymes Werk aus dem Anfang des 12. Jahrh. ist. Nicht minder
fruchtbar als für die russische Chronikenlitteratur wurde Georgios für die
byzantinische Geschichtschreib^ng selbst. Er gehört zu den Autoren,
aus welchen Stücke in das konstantinische Exzerptenwerk Aufnahme fanden.
Ausserdem wurde er von den späteren Chronisten, wie von Kedrenos,
Theodosios Melitenos und seinem Nachtreter Leon Grammatikos, Julios
Polydeukes, Symeon Magistros und Glykas in einem solchen Umfange aus-
geschrieben, dass wir durch die Veröffentlichung des ganzen Georgios wenig
neue historische Nachrichten gewonnen haben.
1. Ausgaben: In der Pariser .Sammlung wurde nur die Solilus.spart ie des (TeorgioS
und die Fortsetzung, also der auf die Zeit von Si:i— 94S bezügliche Teil atifgenommen
unter dem Tit<>l Hirn roiy i-ttoy jiitaih'ioy in den Scri|>tores post Tlieophaneni ed. Conibefis.
Paris lüÖJ. — Wiederholt Venedig 17'_'U. N'arianten aus ein«'r Mündiener llandsehritt
B. Die Chronisten. (§ 57.) 133
gab der ehemalige Vorstand der Münchener Hof Bibliothek , Ign. Hardt. im Neuen literar.
Anzeiger, 3. Jahrg. 1. Hälfte, Tübingen 1808 S. 61 ff.; derselbe Gelehrte hatte auch eine
Ausgabe vorbereitet; s. seinen Catalogus codicum mss. Graec. bibliothecae regiae Bavaricae
tom. II (1806) S. 103 ff., wo cod. Gr. Monac. 139 besprochen ist. — Exzerpte aus den
ersten Abschnitten des Georgios edierte aus 3 Oxforder Handschriften A. Gramer, Anecdot.
Oxoniens. 4 (1837) 218—246. — Dasselbe Stück, das in der Pariser Ausgabe vorliegt, edierte
im Bonner Corpus ohne Rücksicht auf die Publikationen von Hardt und Gramer und ohne
sonstige nennenswerte Förderung I. Bekker mit dem Theophanes continuatus, Bonn 1838
S. 763—924. — Die gesamte Chronik des Georgios Monachos mit den Fortsetzungen
ed. pr. Edouard de Muralt: Georgii monachi, dicti Hamartoli, chronicon ab orbe condito
ad annum p. Chr. 842 et a diversis scriptoribus usque ad a. 1143 continuatum etc.. Petro-
poli 1859. Leider ist diese Ausgabe gänzlich ungenügend; der Herausgeber beschreibt zwar
27 Handschriften, hat aber nur einen Teil derselben wirklich benützt und auch von diesen
die wenigsten vollständig verwertet; dem Texte hat er in der Hauptsache nur eine Moskauer
Handschrift aus dem 12. Jahrb. zu Grunde gelegt, die eine stark überarbeitete Redaktion
enthält. Infolgedessen bietet seine dickleibige Ausgabe nicht den wirklichen Ori-
ginaltext des Georgios Monachos, sondern ein mit ungenügenden Varianten und
Konkordanzen ausgestattetes Elaborat einer späteren Zeit, aus dem der wahre Text des
Georgios unmöglich festzustellen ist. — Die Ausgabe von Muralt wurde nachgedruckt von
Migne, Patrolog. Graeca 110 (1863), wo auch eine lateinische üebersetzung bei-
gegeben ist. — Eine kritische Ausgabe ist daher noch ein Bedürfnis, vor dessen Er-
füllung sprachliche, litterarhistorische und geschichtliche Untersuchungen, wie auch die
Erforschung der Quellen des Georgios ohne genügende Grundlage bleiben. Das Material
für ein solches Unternehmen hat C. de Boor gesammelt. Gelänge es, die äusseren Schwierig-
keiten der Veröffentlichung zu überwinden, so erhielten wir durch die Ausgabe des Geor-
gios in Verbindung mit der des Theophanes das Mittel, die ganze spätere Chronographie
in ihre Teile zu zerlegen und eine Anzahl Bände des Corpus der byzantinischen Historiker
auf ein Minimum zu reduzieren.
2. Hilfsmittel: Leo Allatius, Diatribe de Georgiis, in seiner Ausgabe des
Georgios Akropolites, Paris 1651 S. 325 ff. Wiederholt bei Fabricius, Bibl. Graec.
ed. Harl. 12, 30 ff. — In Philipp Krug's Forschungen in der älteren Geschichte Russ-
lands, herausgeg. von Ed. Kunik, Petersburg 1848, ist Band II 785—807 ein Anhang von
Kunik beigefügt, der besonders über den Logotheten handelt. — L. Tafel, Sitzungsber.
der Wiener Akad. d. Wiss. 9 (1852) 44 — 53 und dessen Vorrede zu Theodosii Meliteni
chron. (s. § 57) S. 9 f. — Ueber Muralts Ausgabe s. die inhaltreiche Besprechung im
Liter. Centralbl. 1861, 527 ff. — Nolte, Ein Exzerpt aus dem zimi grössten Teil noch
ungedruckten Chronicon des Georgios Hamartolos, Tübinger theol. Quartalschrift 44 (1862)
464—468. — Ueber die Beziehungen zum russischen Chronisten Nestor imd andern
slavischen Chronisten: Krug, Kritischer Versuch zur Aufklärung der byzantinischen
Chronologie, Petersburg 1810 (eine sehr verständige Vorarbeit zu Muralts Chronologie
Byzantine) und die Prolegomena der Ausgabe von Muralt cap. III (S. 30 — 37). wo die
einschlägige neuere russische Litteratur über den Gegenstand genannt ist; ausserdem
Chronica Nestoris ed. Fr. Miklosich, Vindobonae 1860 S. 183 — 186 und Chronique dite
de Nestor traduite sur le texte slavon-russe .... par Louis Leger, Paris 1884 {= Pu-
blications de l'ecole des langues orientales Vivantes II. serie vol. 13), wo S. XXIII ff. auch
die wichtigste Litteratur zur Nestorchronik verzeichnet ist. — V. Jagic, Arch. slav. Philol. 2
(1877) 9 ff. und 8 (1885) 578 ff. — Die aus dem Jahre 1386 stammende serbische Üeber-
setzung des Georgios wurde ediert von der russischen Gesellschaft der Bibliophilen,
3 Bände. Petersburg 1878—81: s. den Bericht von V. Jagic. Archiv slav. Philol. 4 (1880)
648 und 6 (1882) 133. — Hauptschriften: Ferd. Hirsch, Byzant. Studien S. 1—88
(woselbst auch die einschlägige historische Litteratur angeführt ist) imd Carl de Boor,
Zur Kenntnis der AVeltchronik des Georgios Monachos in: Historische L^ntersuchungen,
Arnold Schäfer zum 25jährigen Jubiläum gewidmet, Bonn 1882 S. 276 — 295.
3. Eine abgekürzte, halb vulgärgriechische Paraphrase des Georgios und
seiner Fortsetzung bis auf die Regierung des Nikephoros Botaneiates (L. VI cap. 4 inclus.
der Ausgabe Muralts) enthält, nach einer gütigen Mitteilung von Dr. H. Seger, Cod. Lau-
rentianus 59, 13 fol. 134—149.
57. Leon Grammatikos, Theodosios von Melite, Julios Polydeukes
(PoUux). Diese Exzerptoren führen in das verworrenste Gebiet der byzan-
tinischen Chronographie. Schon bei Georgios Monachos entstehen Schwierig-
keiten dadurch, dass nicht ein bestimmter Text, sondern verschiedene
Redaktionen desselben vorliegen. Doch haftet diesen Bearbeitungen wenig-
134 Byzantinische Litteratargeschichte. I. Prosaische Litteratur.
stens der Name des Georgios an und ihr ursprünglicher Bestand lässt
sich bis zu einem gewissen Grade erkennen. In Leon, Theodosios und
Julies Polydeukes haben wir aber Chronisten, die sich zwar auch an
Georgios anlehnen, aber nicht in dem Grade, dass man ihre Werke noch
als Redaktionen dieser Vorlage bezeichnen könnte. Dagegen sind sie
unter sich selbst so enge verwandt, dass sie eine gemeinsame Betrach-
tung erheischen. Wäre nur mit einer dieser drei Chroniken der Name
eines bestimmten Autors überliefert, so würde die Litteraturgeschichte
wahrscheinlich einfach von dem Werke des Leon bzw. Theodosios oder
Polydeukes und seinen Ueberarbeitungeii oder Auszügen sprechen. Immer-
hin mögen wir aus praktischen Rücksichten diesen di*ei Abschreibern dank-
bar sein, da sie uns für ihre doch vielfach von einander abweichenden
Kompilationen eine verständliche Nomenklatur an die Hand gaben. Wie
bei Georgios, so ist auch hier nicht nur zwischen den Redaktionen,
sondern auch zwischen den einzelnen Codices zu unterscheiden, wodurch
die Erkenntnis der litterarhistorischen Thatsachen noch weiter erschwert
wird. Werke dieser Art wurden eben in Byzanz niemals als abgeschlossene
Monumente von litterarischer Bedeutung angesehen, sondern als praktische
Hand- und Hausbücher, die jeder Besitzer oder Kopist nach Bedürfnis
und Geschmack exzerpierte, erweiterte und umarbeitete. Die litterar-
historischen Begriffe des selbständigen Werkes, der Redaktion und
der blossen handschriftlichen Differenz fliessen hier vielfach inein-
ander über. So hat z. B, Tafel den Leon und den Theodosios für völlig
identisch, „für eine und dieselbe Person" erklärt, ^ die nur verschiedene
Namen trüge, eine Auffassung, die aber doch nicht ganz richtig ist und
falsche Vorstellungen erwecken könnte.
Die Chronik des Leon Gramm atikos, die im Anfang verstümmelt
ist, beginnt mitten im Satze mit Reflexionen über den Sündenfall; darauf
folgt eine Geschichte Adams bis zur Sintflut, eine Geschichte der Juden,
der babylonischen und persischen Könige, Alexanders des Grossen, der
Ptolemäer bis auf Kleopatra, endlich eine Geschichte der römischen und
byzantinischen Kaiser bis 948. lieber den Autor und seine Zeit be-
lehrt eine Notiz am Schluss des Werkes (ed. Bonn. S.331); es heisst dort,
das Werk r} iwv vtMV ßaaüeon' xQovoygaqiia sei von dem Grammatiker
Leon im Jahre 1013 vollendet worden.^) Die öfters behauptete Identität
dieses Leon mit dem von Skylitzes „Leon der Asiate", von Kedrenos
„Leon der Karier" genannten Leon lässt sich nicht erweisen. Der erste
Teil bis auf Kleopatra ist ein Reflex aus Sextus Julius Africanus, der
ganz ähnlich bei Theodosios Melitenos und Julios Polydeukes wiederkehrt.
Ausserdem zeigt sowohl Leon als Theodosios und Polydeukes grosse Ver-
wandtschaft mit Georgios Monachos, welche uns wahrscheinlich macht,
dass alle drei die gleichen Quellen benützten, die sie jedoch verschieden
bearbeiteten. Auch in der Geschichte der riunischen Kaiser bemerken wir
grosse Aehnlichkeit zwischen Leon und Polydeukes; doch ist hier Poly-
deukes reichhaltiger und berücksichtigt hauptsächlich die kirchlichen An-
') MUncbuner Gelohrtc Anzeigen 1854, ■') Damnch wäre Leon allerdings zunftcliHt
2, 3. Ci. 8. 166. nur Verfasser des späteren Teiles (813 -948).
B. Die Chronisten. (§ 57.) 135
gelegenheiten , während Leon grössere Vorliebe für anekdotenartige Er-
zählungen verrät. Die Verwandtschaft des Leon mit Georgios nimmt in
diesem Teile noch zu und erreicht die höchste Stufe mit der Geschichte
Justinians 11 (685 n. Chr.). Von hier ab ist Georgios ohne Zweifel un-
mittelbare Quelle des Leon, welcher den seiner Vorlage entlehnten Nach-
richten nur weniges aus anderen Quellen hinzufügte. Für den letzten Teil
(813—948) hat Leon den Georgios und seinen Fortsetzer einfach aus-
geschrieben unter Weglassung der ihm überflüssig erscheinenden Digres-
sionen und subjektiven Ergüsse. Historisch ist demnach dieser Teil der
Chronik Leons als Exzerpt eines noch erhaltenen Werkes gänzlich wertlos.
Wir erkennen sogar, welche Beschaffenheit das von Leon benützte Exem-
plar des Georgios hatte; es gehörte ohne Zweifel zu der durch zahlreiche
Zusätze erweiterten Redaktion, scheint aber doch von allen bis jetzt be-
kannten Handschriften verschieden gewesen zu sein.
Enge verwandt mit dem W^erke des Leon ist die unter dem Namen
des Theodosios Melitenos erhaltene Chronik. Auch hier haben wir
zuerst dieselbe Schöpfungsgeschichte, die bei Leon im Anfange verstümmelt
und bei Polydeukes vollständig wiederkehi't, dann die orientalische Ge-
schichte U.S. w. Der Hauptunterschied des Theodosios (in seiner jetzigen
Ueberlieferung) von Leon besteht darin, dass bei Theodosios das ganze
Stück von Caesar bis auf Konstantin den Grossen fehlt. Im folgenden
unterscheidet sich Theodosios von Leon vor allem dadurch, dass er den
Georgios Monachos und seinen Fortsetzer noch genauer ausschreibt. Theo-
dosios hat für seine Chronik zuerst einfach die des Leon bearbeitet, dann
neben Leon auch dessen Quelle Georgios beigezogen, endlich zuletzt den
Georgios allein selbständig exzerpiert. Wir haben also in Theodosios eine
spätere mit einem selbständigen Namen versehene lieber arbeitung des
Leon Grammatikos.
Unter dem Namen des Julies Polydeukes (Pollux) ist eine ^laToqia
(fvaixi] xcei xQo^'txör ^(fe^r^c überliefert. Ueber den Verfasser und seine
Zeit ist uns nichts Näheres bekannt. In den zwei bis jetzt veröffentlichten
Handschriften des Julies Polydeukes (einer Mailänder und einer Münchener)
bricht das Werk, nachdem die Geschichte der Schöpfung, der Juden, Baby-
lonier, Perser, Alexanders und der Ptolemäer, endlich in immer ausführ-
licher werdender Darstellung die der römischen Kaiser behandelt ist, mitten
in der Regierung des Kaisers Valens (377) ab; dagegen steht in einer
vatikanischen Handschrift (cod. 163), auf welche B. Hase i) aufmerksam
gemacht hat, unter dem Namen des Julies Polydeukes eine Chronik, welche
bis zum Jahre 963 reicht, übrigens mitten im Satze aufhört, also ebenfalls
am Schlüsse verstümmelt ist. Ueber diese Handschrift haben wir noch
keine näheren Angaben; wir ersehen aus den von Hase mitgeteilten Proben
nur, dass der Verfasser über Romanos II (959 — 963) als Zeitgenosse
berichtet. Diese letzten Stücke zeigen grosse Verwandtschaft mit der
Schlusspaiiie der Fortsetzung des Theophanes. Von Leon und Theodosios
unterscheidet sich Julios Polydeukes unter anderm dadurch, dass er für
•) Leo Diaconus, ed. Bonn. Praef. S. 27 f. und 414; 43L
■
136 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratar.
die profanen Königsreihen der vorchristlichen Zeit das 845 entstandene,
von A. Mai edierte Xqovo-^QaffsTov avvTOf^iov verwertete. Im übrigen
lässt sich über das Verhältnis des Polydeukes zu den verwandten Autoren
kein Urteil abgeben, solange das Werk nicht vollständig ediert ist. Selbst
das scheint noch nicht sicher, ob die im cod. Vaticanus 163 erhaltene
Fortsetzung des Polydeukes von Valens bis auf 963 ursprünglich zu dem
Werke gehörte oder als Zuthat eines fremden Autors zu betrachten ist,
wie sie in den Fortsetzungen des Theophanes und Georgios vorliegt. Jeden-
falls aber sind die Chroniken des Leon, des Theodosios und Polydeukes
eng verwandte Konkurrenzarbeiten, die durch den wechselnden Ge-
schmack an solchen Weltchroniken im 10. und 11. Jahrhundert hervor-
gerufen wurden.
1. Ausgaben: Leon Grammatikos. Den Schlussteil (813—948) edierte zuerst
Combefis in der Pariser Sammlung hinter dem Theophanes 1655. — Wiederholt Venedig
1729. — Dann gab den früheren Teil der Chronik J. A. Gramer, Anecdota Parisina 11
(1839) 243-379. — Beide Teile vereinigte I. Bekkor im Bonner Corpus als: Leo gram-
maticus, Bonn 1842. Der Text ist hier wenig gefördert und es ist sogar übersehen, dass
J. Hardt schon früher eine reiche Variantensammlung zu Leon veröffentlicht hatte (im
Neuen literar. Anzeiger 3. Jahrg. 1. Hälfte, Tübingen 1808, 61 — 389); auch die Ausgabe
des Julius Pollux von Ign. Hardt, woraus der Anfang des Leon hätte ergänzt werden
können, ist von Bekker ignoriert. — Ausführliche Rezension der Ausgabe Bekkers von
L. Tafel, Gelehrte Anzeigen der k. bayerischen Akademie der Wissenschaften 1854, Juli-
Dezember, histor. Classe S. 150—183.
Theodosios von Melite: P]d. pr. L. Tafel in den Monumenta saecularia, heraus-
geg. von der k. bayer. Akad. der Wissenschaften III. Classe, 1. Teil, Monachii 1859. —
Ein Stück hatte schon Martin Crusius aus demselben Münchener Codex, den Tafel be-
nützte, ediert in: Aethiopicae Heliodori historiae epitome, Francofurti 1584 S. 359 — 375
(Nuptiae imper. Theophili Const. anno Chr. 830 e chronico ms. Seodoaiov tov MeXirwov,
quod a. 1578 Steph. Gerlachius ex illa urbe Tybingam attulit). — Vgl. L. Tafel, De Theo-
dosio Meliteno, Tubingae 1828.
Julios Polydeukes: Ed. pr. Anonymi scriptoris liistoria sacra ab orbe condito ad
Valentinianum et Valentem impp. e veteri codice Graeco descripta J. B. Bianconi etc.
latine vertit et nonnulla annotavit, Bononiae 1779 (aus einem Mailänder Codex ohne weitere
Hilfsmittel und ohne Berücksichtigung der verwandten Autoren). — Nach der Münchener
Handschrift edierte das Werk ohne Kenntnis von der Ausgabe des Bologneser Professors
der Bibliothekar Ign. Hardt: 'lovXlov Uokvdevxovg iütoQi« ^vaixij. Julii Pollucis historia
physica seu chronicon ab origine mundi usque ad Valentis tempora. Nunc pr. ed. ab
J. H. Monachii et Lipsiae 1792. Hardt verglich den Theodosios Melitenos, Kedrenos,
Malalas und andere Chronisten zur Feststellung des Textes, that also schon mehr als später
Bekker für seinen Leo Grammaticus. — Julii Pollucis historia physica et chronicon a
J. B. Bianconio e codice Mediolanensi äxetpäho primum descripta, nunc e codice Bavarico
aucta et emendata op. Ph. Schiasii, Bononiae 1795.
2. Hilfsmittel: Birkenmeyer, Ueber Julius Pollux und sein Geschichte werk,
Ra.statt 1861 (mir unzugänglich). — Ueber das jjfpoi'oypwqpero»' avvro^uov als Quelle des
Pollux s. H. Geizer, Sextus Julius Africanus II 1, 329 — 345; vgl. ebenda I 57 ff. —
Th. Büttner-Wobst, Studia Byzantina, pars I. Progr. Dresden 1890 (bes. über da.s Ver-
hältnis des Leon Grammatikos zu Kedrenos). — Hauptschrift: F. Hirsch, Bvzantinische
Studien S. 89—115.
58. Symeon, der Magister und Logothet. Ueber den handschrift-
lichen Bestand dieses Chronisten sind wir noch so mangelhaft unterrichtet,
dass die Bestimmung seiner litterarhistorischen Stellung auf unüberwind-
liche Schwierigkeiten stösst. Erst wenn eine neue, auf sorgfältiger Be-
nützung der stark abweichenden Handschriften beruhende Ausgabe vor-
liegt, werden wir Umfang, Zeit, Abfassung und das wirkliche Eigentum
des Symeon magister mit einiger Sicherheit feststellen können; erst dann
wird auch die Quollcnfrago endgültig entschieden werden können. Vorerst
B. Die Chronisten. (§ 58.) 137
kennen wir das Werk nur in der Redaktion des Parisinus 1712, die von
Combefis veröffentlicht worden ist. Alle sonstigen Angaben über Hand-
schriften, die den Namen des ^vi^ifwi' {.lüyiarQog xai Xoyoi^sx i^c tragen, sind
so dürftig, dass es ein vergebliches Bemühen wäre, auf sie weitere Schlüsse
zu bauen. Bis jetzt lässt sich Folgendes sagen: Symeon, der Magister
und Logothet, ist höchst w^ahrscheinlich nicht identisch mit Symeon Meta-
phi'astes, dem berühmten Verfasser der Heiligenbiograpliien, auch nicht
mit jenem Symeon, der bei der Einnahme von Thessalonike 904 eine
wichtige Rolle spielte; er scheint frühestens unter Nikephoros Phokas
(963 — 969) geschiieben zu haben. Der ursprüngliche Umfang des unter
seinem Namen überlieferten Werkes ist schwer zu bestimmen; in dem
bisher allein näher bekannten cod. Parisin. 1712 reicht die Chronik, in
verschiedene Abteilungen gegliedert, von Adam bis in die Regierung
Romanos II (959 — 963), in der venezianischen Handschrift dagegen geht
sie bis auf Kaiser Michael Parapinakes (1071 — 1078). Ebenso ist der
Anfang der Chronik nicht in allen Handschriften derselbe; in den einen
findet sich zuerst jene Schöpfungsgeschichte, welche auch den Anfang des
Leon, Theodosios und Polydeukes bildet: in anderen beginnt das Werk
erst mit Adam; in einer gar erst mit der Regierung Leos V. Die Quellen-
frage kann nur für den bis jetzt edierten Teil geprüft werden, der von
813 — 963 reicht. Hauptquelle ist hier Georgios Monachos in der zweiten,
durch Zusätze vermehrten Redaktion ; dann die Fortsetzung desGeorgios.
Eine dritte Hauptquelle ist Genesios und zwar für die Zeit von 813 — 867,
nicht aber für Basilios I, den Genesios nur ganz kurz behandelt. Eine
vierte Quelle ist die Fortsetzung des Theophanes, bes. für den letzten
Teil d. h. die Geschichte des Konstantin Porphyrogennetos und Romanos II.
Endlich benützte Symeon den Script or incertus über Leo den Armenier,
der in der Bonner Ausgabe hinter Leo Grammaticus S. 335 ff. abgedruckt
ist. Als sechste Quelle erscheint die von Niketas dem Paphlagonier
verfasste Lebensbeschreibung des Patriarchen Ignatios. Die aus den uns
bekannten und erhaltenen Quellen geschöpften Partien bilden den über-
wiegenden Hauptteil der Chronik des Symeon, so dass diese selbst als
Geschichtsquelle nur geringen Wert hat. L^ebrigens hat Symeon seine
Vorlagen im allgemeinen treu wiedergegeben; auch da, wo er sie in ver-
kürzter Form bietet. Höchst auffallend sind die massenhaften chrono-
logischen Angaben des Symeon; doch zeigt sich bei einer näheren Unter-
suchung, dass diese Daten, soweit er nicht auch für sie die genannten
Quellen benützt hat, von ihm ungemein willkürlich und vielfach geradezu
nach eigenem Gutdünken gemacht sind. Von späteren Chronisten verwertete
den Symeon besonders Konstantin Manasses.
Ausgaben und Hilfsmittel: Ed. pr. Combefis in den Scriptores post Theopha-
nem, Paris 168-5 S. 401—498. — Wiederholt von 1. Bekker im Bonner Corpus nach dem
Theophanes continuatus S. 603—760.
Vgl. Ed. Kunik. Ueber das Verhältnis des Continuator Theophanis zu dem Symeon
Logothetes oder Pseudometaphrastes als Anhang in Philipp Krugs Forschimgen in der
älteren Geschichte Russlands II (Petersburg 1848) S. 785—807. — Hauptschrift: F. Hirsch.
Byzantin. Studien S. 52 f., 30.S— 355, wo auch sonstige Litteratur genannt ist. — Die
Identität des Chronisten Symeon mit Symeon Metaphrastes und auch mit Niketas Pa-
phlagon, dem Verfasser des 'Eyxuiuioy auf den Patriarchen Ignatios, behauptet ohne ge-
138 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
nügende Kenntnis der neueren Litteratur und der Handschriften der Chronik Theophilos
Joannu in seinen nützlichen MytjfieTa ayioXoyixr'e. 'Ev Ueyerltf 1884, ÜQoXoyog S. 11 flF.;
immerhin verdienen seine Argumente Erwägung bei einer künftigen Untersuchung. — Vgl.
die zu § 25 zitierte Schrift von Gr. Vasilievskij.
59. Johannes Skylitzes, aus dem Thema &Q^xrj<nov in Kleinasien
gebürtig, war ein Mann in ansehnlicher Stellung; auf dem Titel seines
Werkes wird er als Kuropalates und Drungarios der Leibwache bezeichnet;
Kedrenos nennt ihn Protovestiarios. Seine Zeit lässt sich ziemlich genau
bestimmen. In der Vorrede nennt er sich einen Zeitgenossen des Michael
Psellos (c. 1018 — c. 1079), sein Werk reicht bis 1079 und einige seiner
juridischen Schriften sind an Kaiser Alexios Komnenos gerichtet; daraus
ergibt sich mit Sicherheit, dass er in der zweiten Hälfte des 11. Jahrh.
blühte und dass er das Jahr 1081 noch einige Zeit überlebte. Die Chronik
des Joh. Skylitzes umfasst die Zeit von der Erhebung Michaels I Ran-
gabe bis in die Regierung des Nikephoros Botaniates d. h. von
811 — 1079. In einer Wiener Handschrift soll dem Titel zufolge das
Werk bis zum Regierungsantritt des Alexios Komnenos (1081) reichen.
Nach einer bisher allgemein herrschenden Ansicht hat Skylitzes zwei
Redaktionen seiner Arbeit veranstaltet; in der früheren reichte das
Werk angeblich von 811 — 1057 (bis auf Isaak Komnenos), in der späteren
soll er dasselbe bis 1079 (1081) fortgeführt haben. Diese Annahme stützte
sich auf die Thatsache, dass Kedrenos die Chronik des Skylitzes nur bis
zum Jahre 1057 in die seinige aufnahm. Doch genügt das Argument nicht;
Kedrenos geht in seinem Werke überhaupt nur bis zu diesem Jahre; hätte
er es weiterführen wollen, so konnte er statt aus Skylitzes aus anderen
Quellen schöpfen. Auch der Umstand, dass Theodoros Gazes in seiner
Schrift „lieber den Ursprung der Türken" ') bemerkt, Skylitzes schliesse
mit Isaak Komnenos, beweist zu wenig, denn wahrscheinlich hat auch er
nur den Kedrenos vor sich gehabt und wurde hiedurch ebenso irre geleitet
wie die neueren Forscher. Eine Entscheidung der Frage ist nur von einer
genaueren Untersuchung der Handschriften zu erwarten.*'') Das Werk des
Skylitzes ist ähnlich wie die früheren Chroniken eine byzantinische
Kaisergeschichte, d. h. es ist nach den Regierungen der einzelnen Kaiser
geordnet, deren jede einen besonderen Abschnitt bildet (eine Einteilung,
die bei Kedrenos verwischt ist). Ferner ist sein Werk ebenfalls eine
Fortsetzung des Theophanes, ein deutlicher Beweis des Ansehens,
das diese Chronik in den folgenden Jahrhunderten genoss. Zwar ist die
Angabe des Verfassers, er schliesse an Theophanes an, nicht ganz wört-
lich zu nehmen; denn er beginnt etwa 2 Jahre vor dem Zeitpunkte, mit
welchem Theophanes endete; doch behandelt Skylitzes diese Zeit, nämlich
die Geschichte Michaels I, nur ganz kurz, er gibt sie nur als Einleitung
zum eigentlichen Anfang, der Geschichte Leos V, des Armeniers. Als
Fortsetzung des Theophanes wird Skylitzes schon von Glykas') ausdrück-
lich bezeichnet.
Litterarhistorisch höchst interessant sind die Bemerkungen, welche
>) Ed. von Leo Allatius Ivfifiixin II | Manchen 1888 8. ;^9.
373 flF, ») Ed. Bonn. S. 457. 17 tT
') VgL U. Segor, Nikephoros Bryennios, |
B. Die Chronisten. (§ 59.) 139
Skylitzes seinem Werke vorausschickt. Sie zeigen, dass selbst bei einem
der trockenen und angeblich völlig stumpfsinnigen byzantinischen Chronisten
ein lebhaftes Interesse für die Geschichte und ein ziemlich klares Bewusst-
sein über Ziel und Zweck seiner Arbeit, über die Benützung von Quellen
und über die Bedürfnisse seiner Zeit vorhanden war. Skylitzes gibt in
seiner Vorrede eine Uebersicht der Bücher, aus welchen man sich bisher
über byzantinische Geschichte unterrichten konnte. Für die frühere Zeit
gebe es ein treffliches Handbuch, das von Georgios Synkellos begonnene
und von Theophanes fortgesetzte Geschichtswerk, Leider aber habe nach
diesen kein anderer eine ähnliche Arbeit unternommen. Die vorhandenen
Werke seien teils zu kurz und zu ungründlich, wie das seines Zeitgenossen
Psellos, teils seien es Monographien, wie das Werk des Genesios, des
Leon Diakonos u. s. w. In diesen seien nur einzelne Abschnitte und
auch diese meist parteiisch und tendenziös dargestellt, so dass der Leser
oft in Verwirrung gerate. Daher habe er sich zm* Aufgabe gemacht,
mit Benützung sowohl dieser früheren Arbeiten als auch mündlicher, von
älteren Männern ihm zugegangener Berichte ein zusammenfassendes Hand-
buch der Geschichte zu schreiben, in welchem die parteiischen Angaben
weggelassen, die Widersprüche der früheren Berichte ausgeglichen und
eine bequeme, kurze Darstellung der wichtigsten Ereignisse gegeben werde.
Freilich werden die Erwartungen, welche man nach diesen Worten hegt,
nur zum Teil erfüllt; der Wille und das Selbstbewusstsein des Skylitzes
waren stärker als seine Kraft und seine Mittel.
Was die Quellen des Skylitzes betrifft, so hat er für die Geschichte
der byzantinischen Kaiser von der Thronbesteigung Leos V bis zum Stui-ze
Romanos I vornehmlich die Fortsetzung des Theophanes benützt,
daneben zu Anfang für die Geschichte Leos V und für die Michaels HI
an einigen Stellen Genesios, nachher für die Geschichte der Minderjährig-
keit des Konstantin Porphyrogennetos und der Regierung Romanos I ein-
mal den Leon Diakonos, an anderen Stellen eine uns unbekannte Quelle,
welche einen dem Kaiser feindlichen Parteistandpunkt verrät. Die Ge-
schichte der Alleinherrschaft des Konstantin Porphyrogennetos und Roma-
nos II ist von der Fortsetzung des Theophanes ganz unabhängig und eben-
falls auf keine bestimmte Quelle zurückzuführen. Für die Zeit von Isaak
Komnenos an benützte er das Werk des Michael Attaleiates. Skylitzes
selbst wurde Quelle für die späteren Chi'onisten, besonders für Kedrenos,
der ihn fast ganz in sein Werk aufnahm.
1. Ausgaben: Der vollständige Text ist bisher nur in einer jener lateinischen
Uebersetzungen gedruckt, wie sie im 16. Jahrh. ohne Rücksicht auf die philologischen und
litterarhistorischen Bedürfnisse nur zum Zweck historischer Belehrung von den meisten
byzantinischen Historikern veranstaltet wurden: Historiarum compendium, quod . . . . a
Joanne Curopalate Scillizae (I) .... conscriptum et nunc recens a Joanne Baptista Gabio
e Graeco in I^tinum conversum, Venetiis 1-570. — Eine vollständige Ausgabe des griechi-
schen Textes wurde für überflüssig erachtet, weil der grösste Teil des Werkes fast unver-
ändert in der Chronik des Kedrenos wiederkehrt. Die Vorrede des Skylitzes ed. pr.
Montfaucon. Bibliotheca Coisliniana S. 206 fi". und darnach 1. Bekker in seiner Ausgabe
des Kedrenos 1 S. -3 ff". — Der letzte Teü des Skylitzes (1057—1079), welchen Kedrenos
nicht mehr aufgenommen hat, wurde im Pariser Corpus als Anhang des Kedrenos heraus-
gegeben vol. II (1647) 807—868; darnach im Venezianer Abdruck 1729 und endlich von
I. Bekker mit Kedrenos, Bonn 1838—39, vol. 11 641—744.
140 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur,
2. Hilfsmittel: Fabricius, Bibl. Graeca ed. Harl. 7, 722 ff. — Hauptschrift:
F. Hirsch, Bj-zantinische Studien S. 356 ff. — S. Röckl. Blätter für das bayer. Gymnasial-
schulwesen 20 (1884) 277 — 282. — Zur stofflichen Krläuterung: J. ß. Bury, Roman em-
perors from Basil 11 to Isaac Koninenos, The English bist, review 4 (1889) 41—64; 251 — 285.
3. Wichtige Ergänzungen, besondere für die Geschichte des Basilios Bulgaroktonos,
enthält die in der Haupt.sache vor 1015 abgefasste, später aber noch bis zum Jahre 1028
fortgeführte Clironik des arabischen Arztes Jahjä von Antiochia. Auszüge aus
dem arabischen Original mit russischer Uebersetzung und Kommentar gab V. R. Rosen:
Kaiser Basilios Bulgaroktonos, Auszüge aus der Chronik Jahjäs von Antiochien, Petersburg
1883 (Russ.). — Ausführliche Besprochung des Werkes und Vergleich mit den byzantini-
schen Quellen von Th. J. Uspenskij, Journ. Min. Volksaufkl. 1884, April 282—315. Vgl.
V. Jagic, Archiv slav. Philol. 7 (1884) 515.
60. Georgios Kedrenos, ein nach seinen persönlichen Verhältnissen
gänzlich unbekannter Mann, wahrscheinlich Mönch, verfasste am Ende des
11. oder im Anfang des 12. Jahrhunderts eine ^vroilug imoQicov, d. h. eben-
falls eine Weltchronik. Auch dieses Werk beginnt mit der Schöpfung,
enthält dann ähnlich wie Georgios Monachos oder Leon Grammatikos die
jüdische und sonstige orientalische, endlich die römische und byzantinische
Geschichte bis zum Regierungsantritte des Kaisers Isaak Kom-
nenos 1057 n. Chr. Der selbst für einen byzantinischen Chronisten sel-
tene Grad der Unselbständigkeit des Verfassers tritt schon in seiner Vor-
rede deutlich genug hervor. Dieselbe ist nämlich in der Hauptsache aus
der des Skylitzes abgeschrieben ; am Schlüsse bemerkt der Verfasser, dass
er aus dem Werke des Protovestiarios Johannes (Skylitzes), aus Georgios
Synkellos, Theophanes und einigen anderen Büchern sein Handbuch der
Weltgeschichte zusammengestellt habe. Wenn wir seine Arbeit auf die
Quellen, die in der Vorrede nur teilweise mit Namen genannt sind, unter-
suchen, sehen wir in der That, dass sie nichts ist als eine Kompilation
aus anderen uns meist bekannten Werken. Hauptquelle ist Georgios
Monachos, bzw. eine Vorlage desselben, daneben Theophanes; ausser-
dem stammen verschiedene Nachrichten aus einem nicht näher bekannten
Werke, welches auch Leon Grammatikos verwertet hatte. Für chrono-
logische Dinge hält sich Kedrenos an Panodoros und dessen Nachtreter
Synkellos; daneben benützt er reichlich die Osterchronik. Vom Jahre
811 an endlich ist das Werk des Kedrenos nichts anderes als eine wört-
Hche Wiedergabe der Chronik des Skylitzes, wobei nur die originale
Einteilung verwischt und einige Stellen weggelassen sind. Dieser Teil
(811 — 1057) hat für uns also nur so lange einen Wert, als der griechische
Text des Skylitzes nicht in einer eigenen Ausgabe vorliegt.
1. Ausgaben: Ed. pr. Graece et Latine G. Xylander Basileae 1566 (mit Kom-
mentar, Index, chronologischen Tafeln). — Im Pariser Corpus ed. Annib. Fabrotns,
2 voll. Paris 1647. mit Kommentar von Goar, lateinischer Uebei-setzung und Glossar. —
Abdruck Venedig 1729. — Im Bonner Corpus ed. I. Bekker. 2 voll. Bonnae 1838—1885),
mit den Beigaben der Pariser Ausgabe; der Text wurde hier ausnahmsweise etwas ge-
fördert, indem Bekker für den aus Skylitzes st^unmenden .\bschnitt eine von Bnmet de
Preslo gefertigte Kollation des das Originalwerk des Skylitzes enthaltenden cod. Coislinianus
136 benützte. — Wiederholt bei Migne, l'atrol. Graeca t. 121 122 (1864).
2. Hilfsmittel: Leo Allatius. Diatribe de (teorgiis, wiederholt bei Fabricius,
bibl. Graeca ed. Harl. 12, 32 ff.; s. auch 7, 464 f. - .T. Voss, De historicis («raecis in
der Neubearbeitung von Westermann S. 351 f. — Düiulliker und Müller. Untersuch,
zur mittleren Geschichte herausgegeben von M. Büdinger i (1871) 268 -289. -- Ferd.
Hirsch, Byzantin. Studien 375 f. - Die im cod. Paris. 1712 erhaltene Chronik ist als
eine lluuptijuvilc des Kedrenos nachgewiesen von H. Geizer, Sextus .Julius Africanus II I
B. Die Chronisten. (% 60-62.) 141
(1885) 3-37 — 384. — Ueber das von der Paiiser Nationalbibliothek neuerdings erworbene
Fragment einer Handschrift des Kedrenos s. L. Deslisle, Comptes-rendus de Tacademie
des inscriptions et belies lettres IV". serie 9 (1882) 167 flF. — Th. Büttner-Wobst. Studia
Byzantina, Progr. Dresden 1890, untersucht das Verhältnis des Kedrenos zu Leon Gram-
matikos für die Kaiserzeit bis auf Diocletian.
61. Johannes Xiphilinos. Das vor allem durch die umfassende Thä-
tigkeit des Konstantin Poiphyrogennetos und seiner Redaktoren wachge-
rufene Interesse an historischen Studien und an der älteren Litteratur
überhaupt blieb nicht ohne nachhaltige Folgen. Im folgenden Jahrhundert
wie noch mehr in der Komnenenzeit treffen wü" allenthalben Spuren einer
auf die Bewahrung der alten Litteratur gerichteten Betriebsamkeit. Zu
den Autoren, welche damals neu bearbeitet und wenigstens in umfangreichen
Exzerpten der Nachwelt erhalten wurden, gehört Dio Cassius. Zwei
Byzantiner, der eine aus dem Ende des elften, der zweite aus dem Anfang
des zwölften Jahrhunderts haben, nachdem schon die konstantinischen
Exzerptoren den Dio Cassius verwertet hatten, das Werk dieses Geschicht-
schreibers zur Grundlage ihrer historischen Schriftstellerei gemacht; der
erste, indem er aus den ihm zugänglichen Büchern des Dio einen für die
Bedürfnisse der Zeit berechneten, höchst umfangreichen Auszug veranstaltete,
der zweite, indem er einen anderen Teil des offenbar schon sehr selten
gewordenen Werkes in den Rahmen einer grossen Weltchronik verwob.
Der erste dieser beiden Geistesverwandten ist Xiphilinos, der zweite
Zonaras; beide Xamen sind hiedurch mit der Geschichte der antiken
Historiographie aufs innigste verknüpft. Johannes Xiphilinos aus
Trapezunt, ein Neffe des gleichnamigen Patriarchen, lebte in der 2. Hälfte
des 11. Jahrhunderts als Mönch in Konstantinopel. Auf Veranlassung des
Kaisers Michael Parapinakes (1071—1078) veranstaltete er einen Aus-
zug {ixkoyai) der römischen Geschichte des Dio Cassius. Leider umfasst
derselbe nur Buch 35 — 80, weil in dem von Xiphilinos benützten Exemplare
des Dio die früheren Bücher fehlten: auch .sonst war sein Exemplar lücken-
haft, ein sprechender Beweis dafür, dass es in der That höchste Zeit war,
diesen alten Autor wenigstens teilweise zu retten. Durch Xiphilinos werden
also die sonst ganz verlorenen letzten Bücher des Dio (etwa die zwei
letzten Dekaden) ersetzt und die früheren ^^elfach ergänzt und berichtigt.
Eine Zusammenstellung aller älteren Ausgaben und Uebersetzungen gibt Samuel
Reimarus in seiner Ausgabe des Dio Cassius (2 voll. Hamburg 1750 — 1752) vol. II S. 1.543. —
Wiederholt ist Xiphilinos in den neueren Ausgaben des Dio Cassius von Bekker, Dindorf,
zuletzt von J. Melber. Leipzig, bibl. Teubner. 1890. — Vgl. Christ, Geschichte der
griech. Litteratur. 2. Aufl. § 440.
62. Johannes Zonaras {ZmvaQag), bekleidete wie Skylitzes hohe
Stellen im Staatsdienste. Er war Befehlshaber der Leibgarde und Vor-
steher der kaiserlichen Kanzlei {lu'yccg dQovyyägiog Tt]g ßiyh,g xal nooiraar-
xqT^ig)', später zog er sich als Mönch auf eine (nirgends näher genannte)
kleine Insel zurück und verfasste in dieser Abgeschiedenheit, nach seiner
eigenen Versicherung nur der dringenden Aufforderung einiger Freunde
folgend, seine ^EniTOfiri tarogiag. Die Abfassungszeit lässt sich nur
annähernd bestimmen. Ein terminus post quem ist das Jahr 1118; denn
einmal schliesst das Werk mit diesem Jahre und dann bemerkt Zonaras
am Schlüsse (IV 260 ed. Dindorf) ausdrücklich, er habe es nicht für nütz-
142 Byzantinische Litteraturgeschichte. 1. Prosaische Litteratur.
lieh und geraten gehalten, die noch fehlende Zeit zu berücksichtigen:
^EvTccvö^ä [.loi To neqag r^xu) irjg avyyQatpr^g xal 6 ^Qo^og (TT/Jrw rf^g iaiOQtag,
og ßoi TiQog f^iaxQov ^xfiefu^xiarai • 6ovvai yaQ YQ'^^h ^^^ ^^ Xtinovxa ov
fioi XvaiTsXig ovS' tvxaiQor xixQixm. Spätestens muss die Vollendung des
Werkes in der ersten Zeit des Manuel Komnenos (1143—1180) erfolgt
sein, weil dasselbe schon von Glykas, der unter diesem Kaiser schrieb,
zitiert und benützt wird. Darnach bestimmt sich auch die Lebenszeit
des Verfassers; sie erstreckt sich vom Ausgange des 11. bis etwa in
die Mitte des 12. Jahrhunderts. Das Werk des Zonaras, von Du Gange
in 18 Bücher eingeteilt, ist eine Weltchronik; sie beginnt mit der
Schöpfung und endigt mit der Thronbesteigung des Johannes Kom-
nenos 1118. Doch nimmt sie unter den übrigen byzantinischen Welt-
chroniken eine hervorragende Stellung ein; sie ist ausführlicher und durch
reichste Verwertung jetzt verlorener Quellen ausgezeichnet. Wir haben
es hier nicht mit einem jener mageren, wundersüchtigen Geschichtskom-
pendien zu thun, wie sie seit Malalas die historische Litteratur der Byzan-
tiner begleiten, sondern mit einem Handbuch der Weltgeschichte, das
offenbar auf höhere Bedürfnisse berechnet ist. Während andere Chro-
nisten sich auf die früheren byzantinischen Sammelwerke, besonders auf
Theophanes und Georgios Monachos, beschränkten, hat Zonaras wiederum
auf einige umfangreichere alte Geschichtswerke zurückgegriffen und aus
ihnen neues Material gewonnen. Wie er stofflich reichhaltiger ist als
die meisten übrigen Chronisten, so unterscheidet er sich von ihnen auch ii
durch seine Form. Während die Chronisten ihre Quellen häufig fast wört- ■]
lieh wiedergeben, zeigt Zonaras eine gewisse Selbständigkeit; er drückt
meistens den Inhalt seiner Vorlage kürzer und wenigstens zum Teil in |
anderen Worten aus. Trotz dieser relativen Vorzüge bleibt das Werk eine
Mönchsarbeit. Das verrät sieh schon sehr bezeichnend in der Vorrede;
nach den Grundsätzen, die Zonaras hier entwickelt, wäre alle profan-
wissenschaftliche Arbeit für geschäftigen Müssiggang zu halten ; daher wälzt
er förmlich und ausdrücklich die Schuld an seiner Arbeit auf seine Freunde.
Von ihnen erhielt er auch, wenn wir ihm glauben dürfen, genaue Lehren
über die Grundsätze der Geschichtschreibung, die im wesentlichen auf die
Forderung einer kurzen, aber doch reichhaltigen Zusammenstellung hinaus-
laufen, lieber die Hilfsmittel seiner Arbeit bemerkt Zonaras, in einem
von aller Welt abgeschiedenen Winkel sehe er sich auf wenige Werke
beschränkt (I S. 5 ed. Dind.); manche Bücher habe er trotz aller Bemüh-
ungen nicht erhalten können, sei es, dass sie überhaupt verloren gegangen
seien, sei es, dass die Freunde, die ihm dieselben verschaffen sollten, sich
nicht ernstlich genug bemüht hätten; er selbst aber weile ferne von Kon-
stantinopel auf einer kleinen Insel {tiöqqo) xov ciaxfojg *»• yi^atdi<i) hötaiidi'
fitvog II S. 339 ed. Dind.). Beachtenswert ist, dass er unter anderem kein
vollständiges Exemplar des Dio Cassius hatte.
Der Hauptwert des Zonaras beruht in der Erhaltung guter Quellen.
Wenn er auch dieselben in formaler Beziehung ziemlieh selbständig
verarbeitet, so gilt das nicht vom Inhalte; das Thatsächlicho lässt
er so gut wie unangetastet. Eine ausscheidende Prüfung der Ueberliofe-
B. Die Chronisten. (§ 62.) 143
rung lag ihm fern; er bemerkt hierüber selbst in der Vorrede, die Be-
richte der verschiedenen Autoren wichen oft voneinander ab, und er hätte
ganze Abhandlungen sehreiben müssen, wenn er die Widersprüche alle
ausgleichen und ihre Gründe hätte untersuchen wollen; darauf habe er
verzichten müssen. Die Angaben, welche Zonaras selbst über seine Quellen
macht, sind ungenügend : zwar nennt er in der Vorrede die hl. Schrift, die
Antiquitäten des Joseph und zitiert auch im Werke selbst seine Autoren
häufig namentlich, doch geschieht das selbstverständlich ohne ein bestimmtes
System, so dass wir sehr im Unklaren blieben, wenn nicht einige neuere
Untersuchungen das Dunkel aufgehellt hätten. Für die ersten 12 Bücher
(Schöpfung bis auf Konstantin den Grossen) verwertete Zonaras abwech-
selnd je nach dem Stoffe: das alte Testament, in hervorragendem Masse
den jüdischen Krieg und die jüdischen Altertümer des Joseph, die Chronik
des Eusebios, den Kirchenhistoriker Theodore tos, in ausgedehnter
Weise Xenophon, von dem er die ganze Kyrupädie im Auszuge mitteilt,
und ebenso reichlich Plutarch, endlich noch Herodot und Arrian. Für
die römische Geschichte von Aeneas bis auf die Zerstörung von Karthago
und Korinth hat Zonaras nur zwei Hauptquellen, nämlich für den Faden
der fortlaufenden Erzählung den Dio Cassius und daneben zur Ergänzung
des biographischen Details die Lebensbeschreibungendes Plutarch.') Auf
dieser Partie beruht die Hauptbedeutung des Zonaras; denn hier hat er
uns die im übrigen bis auf einzelne Fragmente verlorenen etwa 21 ersten
Bücher des Dio Cassius, also ungefähr ein Viertel des ganzen Werkes,
erhalten. Mit Xiphilinos, dessen Exzerpte uns die verlorenen Schlussbücher
des Dio teilweise ersetzen, ist demnach Zonaras das Haupthilfsmittel für
die Wiederherstellung dieses Autors, von welchem uns nur die mittleren
Partien, etwa B. 37—54, selbständig und annähernd vollständig überliefert
sind. Für die Zeit nach der Zerstörung Karthagos, für welche dem Zo-
naras Dio Cassius fehlte, half er sich durch Auszüge aus Plutarchs
Lebensbeschreibungen des Pompejus und Cäsar. Dann aber erscheint aber-
mals Dio Cassius als Hauptquelle, von welchem ihm nach der erwähnten
etwa mit Buch 21 beginnenden Lücke Buch 44—80 wieder vollständig zu
Gebote standen. Für die christlichen Dinge hat Zonaras die Kirchenge-
schichte des Eusebios herangezogen, aus welcher er eine Ai-t kirchlicher
Statistik mit besonderer Rücksicht auf die Bischofslisten gibt. Für die
Zeit nach Antoninus Pius benützte er wieder den Dio Cassius, von Ale-
xander Severus bis auf Konstantin den Grossen endlich für die politische
Geschichte, wie es scheint, den anonymen Fortsetzer des Dio, für die
Kirchengeschichte den Eusebios, An eine Benützung des Polybios und
Appian ist nicht zu denken; denn obgleich Zonaras sie zitiert, so sind
dies einerseits nur Scheinzitate und andrerseits nennt er dieselben auch
nicht einriial in unserem Abschnitt (7.-9. Buch), wodurch allenfalls die
Vermutung hätte ein grösseres Gewicht bekommen können. Der Anfang
') H. Nissen, Krit. Untersuchungen über subsidiären Verwendung des letzteren durch
die Quellen der 4. und 5. Dekade des Livius, Dio Cassius selbst ableiten. Vgl. dagegen
Berlin 1863 S. 308 wollte die Uebereinstim- i H. Haupt, Hermes 14, 440 S.
inung des Zonaras mit Plutarch aus einer i
■
144 Byzantinische Litteraturgeschichte. 1. Prosaische Litteratnr.
des 13. Buches (322— 450 n. Chr.) scheint aus einer unbekannten, uns ver-
lorenen Quelle zu stammen. Für die folgende Zeit bis auf 965 ist die
Hauptquelle die Chronik des Theophanes. Von Leo I bis auf Justin II
(457—565) benützte er daneben eine andere uns nicht erhaltene und nicht
bekannte, aber sicher vortreffliche Quelle, durch deren Erhaltung Zo-
naras auch in dieser Partie von grossem Werte ist. Dieser unbekannte
zweite Gewährsmann ist auch von Kedrenos verwertet und stützte sich
auf gute ältere Quellen wie Candidus und Malchos. Ausser Theophanes
benützte Zonaras auch den Prokop, den Nikephoros Patriarches, den
Georgios Monachos in einer vollständigen Redaktion, den Kedrenos
und Leon Grammatikos, zuweilen auch kirchliche Schriften, endlich die
Fortsetzung des Georgios und die des Theophanes (Biographie des
Basilios). lieber die Quellen des letzten Teiles d. h. für die Zeit von
965 — 1118 haben wir noch keine Untersuchung; doch ist er hier jedenfalls
von Skylitzes und, wie es geheint, von Psellos abhängig.
Der Fülle historischen Steifes, welchen Zonaras in ein Kompendium
zusammenbrachte, verdankt er seine grosse Beliebtheit, von welcher die
zahlreichen Handschriften Zeugnis ablegen. Spätere Chronisten wie
Glykas, Manasses (s. § 199), Ephräm haben ihn reichlich ausgeschrieben.
In der Blütezeit der serbisch-slovenischen üebersetzungsthätigkeit wurde
er ins Serbische, später auch in andere slavische Sprachen übertragen
und von russischen Chronisten kompiliert. Auch in der Epoche des
Wiederauflebens der Altertumsstudien fand Zonaras alsbald zahl-
reiche Liebhaber und wurde in lateinischen, französischen und italienischen
Uebersetzungen verbreitet. Erst viel später wandte sich dem Autor die
wissenschaftliche Forschung zu, die vor allem darauf ausging, die hier in
buntem Mosaik aneinander gefügten Stücke alter Autoren auszuscheiden
und zu benennen. Die Darstellung des Zonaras ist besser als die der
vorhergehenden Chronisten, besonders des Theophanes. Zwar ist sein Stil
nicht einheitlich. Wie er selbst in der Vorrede sagt, hat er seine Sprache
den jeweiligen Quellen angepasst, womit er wahrscheinlich eigentlich nur
andeuten will, dass er sich ohne Bedenken durch die Vorlagen auch sprach-
lich beeinflussen liess. Auf diese Weise wird seine Form gewissermassen
zu einem Kompromiss zwischen den verschieden sprechenden Quellen; in-
dem er eine gar zu hohe Diktion temperiert, eine gar zu gemeine, wie die
von Vulgarismen strotzende des Theophanes, reinigt, gewinnt er einen
ziemlich fliessenden, durch nichts Auffallendes gestörten, in selbständigen
Teilen kirchlich gefärbten Vortrag.
Unter dem Namen des Zonaras gehen auch kirchliche Schriften.
Wenn wir auch keine positiven Zeugnisse für die Identität dieses Zonaras
mit dem Chronisten besitzen, so spricht doch auch nichts dagegen. Vielmehr
macht der Umstand, dass der Chronist Zonaras zuletzt Mönch geworden ist,
es sehr wahrscheinlich, dass wir in ihm auch den Verfasser jener kirch-
lichen Schriften zu sehen haben. Es sind Briefe, Kommentare zu den
Kirchenvätern und Synoden, Heiligenbiographien u. s. w. Wichtiger
sind ein Hymnus des Zonaras und eine exegetische Schrift zu den
Gedichten des Gregor von Nazianz, sowie sein für die byzantinische Kirchen-
B. Die Chronisten. (§ 62.) U5
poesie wichtiger Traktat über die Namen xcawv, «(>.«öc, TQOTiäQior, <odi],
den er seiner Erklärung der Ä«ior*c arceaTäaifioi des Oktoechos voraus-
schickt. Dagegen gehört das Lexikon, welches unter dem Namen des
Zonaras überliefert und ediert ist, wahrscheinlich einem gewissen Antonios
Monachos;^) es ist eine kurz gehaltene Kompilation, in welcher ein durch
etymologische Glossen erweiterter Kyrill den Kern zu bilden scheint.
1. Ausgaben der Chronik: Ed. pr. Joannis Zonarae Monachi etc. in tres tomos
distinctum etc. labore Hieronymi Wolfii Graece ac Latine, Basileae 1557 (mit kleinem
Kommentar, Index und lateinischer Uebersetzung). — Im Pariser Corpus ed. C. Ducangius,
2 voll.. Paris 1686—87. — Wiederholt Venedig 1729. — Im Bonner Corpus: Ex recensione
Mauricii Pinderi, 2 voll., Bonnae 1841 — 1844; nur die ersten 12 Bücher mit den Vor-
reden von Wolf und Du Cange: der Abschluss dieser Ausgabe wird vorbereitet von Th.
Büttner-Wobst. — Vollständig ed. von L. Dindorf, 6 voU. Lipsiae, bibliotheca Teubn.,
1868 — ^1875; mit einer neuen Kollation eines Monacensis imd Parisinus sowie den Beigaben
der Pariser Ausgabe und einem Sachindex. — Gesamtausgabe: Migne, Patrolog. Graeca
134 und 135. 1—438 (1864); 137 (1865) die theologischen Schriften des Zonaras: vgl.
119. 1011.
2. Uebersetzungen: Ueber die slavischen Uebertragungen s. V. Jagic, Archiv
slav. Philol. II (1877) 14 S. — Französisch: Chroniques ou annales de Jean Zonaras,
iadis et quatre cens ans y ha, grand drungaire du guet et premier secretaire de Constanti-
nople etc. traduites par J. Millet de S. Amour au conte de Bourgongne, A Lyon 1560. —
Nachdruck unter dem Titel: Les histoires et chroniques du monde de Jean Zonaras etc.
tr. par J. Milles (sehr. Millet!) de S. Amour, A Paris 1583; die Vorrede an die Königin
ist gezeichnet von Jean de Maumont. — Histoire Romaine ecrite par Xiphiline. par Zonare,
et par Zosime, traduite sur les originaux Grecs, par Monsieur Cousin, president en la
cour des monnoyes, A Paris 1678, gibt nur die zur Ergänzung des Xiphilinos und Zosimos
dienenden Stücke. — Italienisch: Historia di Giovanni Zonara, primo consigliere et capi-
tano deUa guardia imperiale etc. onde si apprende vera notitia delle cose piu memorabili
auuenute in spatio di 6626 anni. Nuovamente tradotta dal Greco per Marco Emilio
Fiorentino, In Vinegia 1560. — Lateinisch: Corpiis L'niversae historiae, praesertim
byzantinae: J. Zonarae Annales, Nie. Acominati, Nie. Gregorae, Laonici Chalcocondylae,
Lutetiae 1567, apud Guil. Chaudiere. — Wohl nur ein Nachdruck Ist das: Corpus historiae
Byzantinae etc. Joannes Zonaras, Nicetas Acominatus, Nie. Gregoras, Laonicus Chalcondyles,
Francofurti ad Moenum a. 1568 (und öfter).
3. Hilfsmittel: Fabricius, Bibl. Gr. ed. Hari. 7, 465—468 und 11,222—228.—
Godofr. Klaiber, Observationes ad Zonarae bellum Punicum secundum, Stuttgartiae 1825
(wertloses Gerede über die aus Dion stammenden Naclirichten des Zonaras über den 2.
punischen Krieg). — Wilh. Ad. Schmidt. Lieber die Quellen des Zonaras. zuerst in
Zimmermanns Zeitschrift für die Altertumswissenschaft 1839, 238 — 285; dann wiederholt
in Dindorfs Ausgabe des Zonaras vol. VI (untersucht in grundlegender Weise die ersten
12 Bücher d. h. die Zeit von der Schöpfung bis auf 323). — E. Zander. Quibus e fontibus
Joannes Zonaras hauserit annales suos Romanos. Progr. Ratzeburg 1849 (ohne Kenntnis der
Arbeit von A. Schmidt und ohne selbständige Fördenmg). ^ Ferd. Hirsch, Byzantin.
Studien S. 377—391 (untersucht die Quellen für die Zeit von 813—965). — Paulus Sauer-
brei, De fontibus Zonarae quaestiones selectae in den Commentat. philol. Jenenses vol. I
(1881) 1—81 (betriflft die Zeit von 450—811). Vgl. die Besprechung von H. Haupt,
Philol. Anzeiger 12 (1882) 88 — 92. — Ueber das Verhältnis des Z. zu Eunapios s. L. Jeep,
Jahns Jahrb. 14. Supplementb. (1885) S. 64 S. — S. Röckl, Blätter für das bayerische
Gymnasialschulwesen 21 (1885) 4—19. — G. Sotiriadis, Zur Kritik des Johannes von
Antiochia (s. § 48) S. 36 f. — Ueber das Verhältnis zu Dio Cassius vgl. J. Melber, Bei-
träge zur Neuordnung der Fragmente des Dio Cassius. Sitzmigsbericht d. bayer. Akad. d.
Wissensch.. philos.-philoL und bist. Cl. 1889. 93—118. — Th. Büttner-Wobst, Studia
Byzantina. pars I. Progr. Dresden 1890 fV'erhältnis zu Leon Gr. und Kedrenos). — Ueber
Benützung des Zonaras zur Emendation des Pinta rch: Theod. Doehner, Analectorum
Byzantinorum specimen primum, Meissen 1863.
4. Kirchliche Schriften: Ed. Migne s. oben; dortselbst auch t. 137, 27 if. über
die früheren Ausgaben. — Vgl. W. Christ, Ueber die Bedeutimg von Hirmos, Troparion
und Kanon in der griechischen Poesie des Mittelalters erläutert an der Hand einer Schrift
') S. Herodotus rec. H. Stein (ed. mai.) ' tisch mit Antonios, dem Verf. des bekannten
V. 1 (Berolini 1869) Praef. S. 75. Wahr- Florilegiums; s. C. Wachsmuth, Studien zu
soheinlich ist dieser Antonios Monachos iden- den griech. Florilegien, Berlin 1882 S. 109 f.
Haiiilliiirli (Ifr klajis. AUrTtiims-n-isseuscliafl. IX. 1. Abtlg. 10
146 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaisctie Litteratur.
des Zonaras, Sitzungsber. der bayer. Akad. d. Wissensch., philos. philol.-histor. Cl. 1870, II
75 — 108. — Em. Dronke, De Niceta Davide et Zonara, interpretibus carminum Gregorii
Nazianzeni etc. Confluentibus 1839 (mir unzugänglich) und S. Gregorii Nazianzeni carmina
selecta etc. cura K. Dronke. Gottingae 1840 S. IX f.
5. Lexikon: Johannis Zonarae Lexicon etc. nunc prinium edidit Henr. Tittmann,
2 voll., Lipsiae 1808. — Vgl. Zonarae glossae sacrae N. T. illustratae a F. W. Sturz,
3 Programme Grimae 1818 — 1820 (mir unzugänglich) und bes. die Litteratur zu §S 111
127. 130.
63. Michael Glykas (o rXvxäc), der Chronist, blühte in der ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts. Die Abfassungszeit seines Hauptwerkes
wie die Zeit seiner schriftstellerischen Thätigkeit überhaupt lässt
sich ziemlich genau bestimmen. Einen terminus post quem finden wir
in dem Werke selbst, das 1118 schliesst; ausserdem umfasst das chrono-
logische Verzeichnis am Schlüsse des 3. Buches noch die ganze Regierungs-
zeit des Johannes Komnenos (11143); ferner benützt Glykas den Zonaras,
Andererseits wird Glykas selbst schon von Manasses, einem Zeitgenossen
des Manuel Komnenos (s. §199), verwertet. Eine noch engere Begrenzung
gewinnen wir durch das vulgärgriechische Gedicht, welches Glykas aus
dem Gefängnis an Manuel Komnenos richtete; nach einer höchst wahr-
scheinlichen Kombination von Legrand i) fällt jene Gefangenschaft und die
darauf erfolgte Strafe der Blendung in das Jahr 1156. Demnach ist das
Werk zwischen 1143 und 1156 abgefasst. Eine Bestätigung dieser Be-
stimmung liegt auch in dem alten Petersburger Kodex des Glykas, der
vom Jahre 1176 datiert ist. Sonstige Nachrichten über das Leben des
Glykas fehlen fast gänzlich; aus seinen Werken erkennen wir, dass er ein
belesener und für seine Zeit nicht ungebildeter Mann war, und die Sub-
scription des erwähnten vulgärgriechischen Gedichtes, welche uns berichtet,
dass er unter Manuel Komnenos schwerer Vergehen angeklagt, gefangen
gehalten und endlich geblendet wurde, zeigt uns, dass auch seine äussere
Stellung eine nicht unbedeutende gewesen sein kann. In den Handschriften
hat er die in der byzantinischen Zeit so gewöhnlichen und so nichtssagen-
den Epithete y(»a////«r/xöc, /.oyiohaTog u. s. w. lieber seine Abkunft be-
richten, wenn wir Labbaeus glauben dürfen, die handschriftlichen Titel
übereinstimmend, er sei ^ixfhohr^g gewesen. An sich würde das nicht
auffallen, aber in einer anderen Handschrift findet sich eine positive An-
gabe, welche der von Labbaeus mitgeteilten widerspricht. In dem Kodex
des Klosters rwr Kki^fiüdoor auf dem Olympos, nach welcher Euthymiadis
einen Teil der Chronik veröffentlicht hat, soll ein auch in anderen Hand-
schriften ähnlich wiederkehrendes Titelepigramm folgende zwei Schluss-
verse enthalten:
av yuQ viiiiQXf^? ö avyyQatpevg rijq jiliikov.
Wenn diese Verse authentisch sind, wäre demnach als Vaterland des
Glykas die Insel Korfu zu bezeichnen. 2) 1. Das Hauptwerk des Michael
Glykas ist seine BißXoi; xQ'>i'ixt'j. Sie zerfällt in vier Teile, von denen der
') Biblioth. gr. vulg. I Introd. S. 18 f. I in den mitgeteilten Versionen des Titels fehlt
*) Legrund a. a. O. Introd. S. 20. — | sie. Wichtig wäre »'s vor «ll«*in zu wissen.
In der Bonner Ausgabe wird die Frage nicht j wie in der alten Petei-sburger Handschrift
näher berührt und nicht einmal angegeben, die Fassung des Titels und des Epigramms
'Vt'o sich die Bezeichnung lixthMii^i tindet; lautet.
B. Die Chronisten. (§ 63.) 147
erste die Schöpfungsgeschichte, der zweite die jüdisch-orientalischen Dinge,
der dritte die römische Zeit bis auf Konstantin den Grossen, der vierte
die Geschichte der folgenden Kaiser bis auf des Alexios Komnenos Tod
(1118) behandelt. Glykas richtet sein Werk an seinen Sohn und sein
Hauptbestreben ist, wie er in einer Vorbemerkung verrät, möglichste Kürze.
Diesem Grundsatze bleibt er auch getreu, freilich nicht in dem Sinne, dass
er uns nur die wichtigsten Thatsachen summarisch aufzählte und so ein
Gerippe der Weltgeschichte gäbe; vielmehr werden viele der wichtigsten
Dinge, besonders kriegerische Ereignisse nur wenig und obenhin berührt,
während auf naturhistorische, anekdotenhafte und theologische Digressionen
unverhältnismässig viel Raum verwendet ist. Der Grundton ist also
derselbe wie in den übrigen Weltchroniken. Das zeigt sich schon im ersten
Buche, wo die Geschichte der sechs Schöpfungstage erzählt wird.
Ihren Hauptinhalt bilden naturwissenschaftliche Exkurse, welche uns etwa
die Summe der populären Naturkunde jener Zeit darstellen. Mit jener
Schöpfungsgeschichte, welche unter dem Xamen des Julius Polydeukes geht
und ähnlich bei Leon Grammatikos und Theodosios Melitenos wiederkehrt,
hat die einschlägige Partie des Glykas nichts zu thun. Ueberhaupt zeigt
Glykas den anderen Chronisten gegenüber eine gewisse Selbständigkeit: er
hat offenbar nach eigenem Geschmacke sich das für seinen Sohn bestimmte
Kompendium der Geschichte zusammengestellt, indem er den rein geschicht-
lichen Stoff mit zahlreichen Nachrichten aus allen Gebieten der Naturkunde
und Theologie verquickte. Die Quellenuntersuchung wird einigermassen
dadurch erleichtert, dass Glykas sich bei jeder Gelegenheit auf die Auto-
ritäten seiner Mitteilungen beruft, wobei freilich noch immer zu prüfen ist,
ob wir es nicht mit Scheinzitaten zu thun haben. Vor allem scheinen
Kirchenväter wie Gregorios von Nyssa, Johannes Chrysostomos, Basilios
der Grosse u. a. als Quellen in Betracht zu kommen. Ausserdem benützte
er den Psellos, besonders aber Zonaras und für die Geschichte seit 811
Skylitzes neben Zonaras, wobei manchmal schwer zu entscheiden ist, ob
eine Partie aus Skylitzes selbst oder aus seinem Aussclu-eiber Zonaras
stammt. Ausser Skylitzes und Zonaras, aus welchen der Hauptteil der
späteren Geschichte floss, hat Glykas für einige Nachrichten noch Spezial-
schriften wie die Biographie des Patriarchen Ignatios von Niketas dem
Paphlagonier verwertet. In der Art seiner Quellenbenützung erhebt sich
Glykas nicht über andere Chronisten; manchmal sind ihm infolge seiner
Flüchtigkeit sogar grobe Versehen begegnet.
2. Unter dem Namen des Glykas gehen zahlreiche Briefe, die jedoch
in einigen Handschriften dem Zonaras zugeschrieben werden. Eine Unter-
suchung über den Verfasser derselben gehört um so weniger hieher, als die-
selben, soweit ihr Inhalt bis jetzt bekannt ist, nur theologische Streit-
fragen betreffen, welche der Autor auf Anfragen befreundeter Männer zu
beantworten sucht. Die anspruchsvolle Art, mit welcher auch hier fort-
während alle möglichen kirchlichen und profanen Autoritäten (u. a. Georgios
Kedrenos) zitiert werden, mahnt mehr an Glykas als an Zonaras; doch
lässt sich damit die Autorfrage nicht entscheiden. Einzelne Stücke müssen
in jedem Fall als später eingeschoben betrachtet werden, weil sie an den
10*
148 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
Kaiser Konstantin IX Palaeologos gerichtet sind. Ausserdem sollen dem
Glykas noch theologische Abhandlungen gehören, von welchen Pontanus
zwei in lateinischer Uebersetzung zugänglich gemacht hat. 3. Ein Gedicht
an Kaiser Manuel Komnenos, worin er ihn wegen seiner Erfolge im Kampfe
gegen die Ungarn beglückwünscht. Cod. Paris. 228. 4. Ueber ein zweites
ebenfalls an Manuel Komnenos gerichtetes Gedicht des Glykas, das sich
von dem erstgenannten durch seine vulgärgriechische Form unter-
scheidet, s. den Anhang.
1. Ausgaben: Annalen: Zuerst eine lateinische Uebersetzung: Annales Michaelis
Glycae Siculi etc. nunc primum Latinam in linguam transcripti et editi per Jo. Leun-
claium, Basileae 1572. — Vom griechischen Texte zuerst das Stück von Julius Caesar
bis auf Konstantin den Grossen unter dem Titel: Theodori Metochitae historiae Romanae a
Julio Caesare ad Constant. M. liber singularis, Joannes Meursius primus vulgavit et in
linguam Latinam transtulit etc., Lugduni Batavorum 1618. Die Zuteilung des Stückes an
den Lehrer des Nikephoros Gregoras, den vielseitig gebildeten Theodoros Metochites
(t 1332) beruht darauf, dass die von Meursius benützte Handschrift den Titel trug: 7'ot5
kayiiOTÜTov x«( aotpwxärov Ssodtö^ov rov Meto/irov ^QOfixoy und xriaeios xöafiov dte^ioi'
Tiegi Tf oi'Qayov xai XTJg ytjg etc. S. die Beschreibung dieser später nach Berlin gelangten
Handschrift von Fried. Bodenburg, Miscellanea Lipsiensia t. 12 (1723) S. 20 — 31, wo
Meursius verteidigt und mit unzulänglichen Gründen der Nachweis versucht wird, Th. Meto-
chites habe das Werk des Glykas abgeschrieben und für sein eigenes ausgegeben, ähnlich
wie Kedrenos den Skylitzes fast unverändert in seine Chronik aufnahm. — Erste voll-
ständige Ausgabe im Pariser Corpus von Phil. Labbaeus, Paris 1660. — Wiederholt
Venedig 1729. — Im Bonner Corpus recogn. J. Bekker. Bonn 1836. — Wiederholt bei
Migne, Patrol. Gr. 158 (1866). — Einen Teil der Annalen ed. aus einer in einem
Olymposkloster befindlichen Handschrift, seltsamerweise ohne irgend eine Kenntnis von
früheren Ausgaben, Christodulos Euthymiadis, 'Ey SeaaaXoAxri 1858, 8", 208 Seiten.
S. Legrand, Bibl. gr. vulg. I (1880) Introd. S. 19 f. — Briefe: Nach den älteren Ausgaben
von Lamius (in den Deliciae eruditorum, vol. I Florentiae 1736), Matthaei (Mosquae 1776).
A Mai und anderen sind jetzt 25 (mit einigen Fragmenten 29) Nummern vereinigt bei
Migne, Patrol. Gr. 158 (1866). — Eine vollständige, auf einer Kenntnis der zahlreichen
Handschriften beruliende und von einer Untersuchung über die Echtheit der Briefe be-
gleitete Gesamtausgabe derselben fehlt; was Migne gibt, ist ein Mosaik aus früheren
Drucken. — Gesamtausgabe: Migne, Patrol. Gr. 158 (1866) gibt ein ziemlich voll
ständiges Repertorium der früheren Leistungen für Glykas, so die Notizen von Fabricius.
die inhaltsarmen Abhandlungen von Lamius (Deliciae eruditorum vol. I und VI), Casim.
Oudini diss. de aetate et scriptis M. Glycae, endlich aus dem Turiner Handschriften -
kataloge ein Verzeichnis der in Turin befindlichen Briefe des Glykas, nach den Annalen
auch die bis 1453 reichende Fortsetzung des Leunclaius, dazu die Briefe.
2. Hilfslitteratnr: Einige ältere Schriften bei Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl.
7, 468 f.; 11, 199—204. — Friedr. Vater, Die Annalen des Michael GIyka.s, Jahns Jahrb.,
9. Supplementband (= Archiv für Philol. und Pädagogik) 1843 S. 5—11 gibt ans einer
in Petersburg befindlichen Handschrift wichtige Varianten ; S. 15 ein Verzeichnis der theo-
logischen Schriften des Glykas. — E. de Muralt, Essai de Chronographie Byzantine, vol. I
(1855) S. XXVII. — F. Hirsch, Byzant. Studien S. 396 403.
3. Wie die Chronik des Glykas in einer Handschrift fälschlich dem Theodoros
Metochites zugeteilt wird, so enthält eine Madrider Handschrift das Werk unter dem
von Nicolas de la Torre rührenden Titel: Auouedoyrog rov AaxuTttjyov fteyüXov (laiQU-
ÖQj^ov ^Qoyixöy fitTu ffvatoXoyiag xai' intTOjuijy tw? r^s ßuaiXeicti liodyyov rov T^iiitaxtj.
Dieser sonst unbekannte und ziemlich rätselhafte Laomedon Lakapenos wird nur noch
in einer Handschrift der Pariser Nationalbibliothek, welche mehrere auf die Eroberung
Kretas (961) bezügliche Stücke in italienischer Uebersetzung enthält, als Chronist erwähnt.
Sp. Lambros, Bulletin de correspond. hellten. 2 (1878) 516—521.
64. Joel (7w>^A), ein gänzlich unbekannter Mann, verfasste, wahr-
scheinlich in der Zeit des lateinischen Kaisertums (120-1 — 1201), auf wel-
ches die Schlussbemerkung hinzudeuten scheint,') eine summarische
•) 8. 66 ed. Bonn. *ftJ *ai rttvx« Xqi- '. aiyfittXtoaiay x«i iSoX69(>fi>aiy ; S ««i yiyotft,
arittyoi XQiarn(yov<: . xni nute tfifXXey ^ffr/- ' xai tj nfgi,lXenroi; KMyatnyttyov fti€< tti( roi-
at'j(i:a«i tj öixtj xiii fn'j 71 «fticö'oii ui tj/nni <<V , icvnti ityoaiovftyiui 7H({tiJu3ij toi\ ItaXoii,
B, Die Chronisten. (§ 64—65.) 149
Weltchronik: XQoroyoa(fia iv avvoxpfi. Sie beginnt mit Adam, behandelt
im Abriss die jüdische und sonstige orientalische, dann die römische Ge-
schichte, endlich die byzantinische Zeit bis zur Eroberung Konstantinopels
durch die Lateiner 1204. Auch diese Chronik ist in ihrem Hauptteile
nichts anderes als ein noch mehr als die des Leon Grammatikos und Theo-
dosios Melitenos verkürzter Auszug aus Georg ios Monachos und der
ersten Fortsetzung desselben (bis 948). Für die spätere Zeit benützte
Joel den Skylitzes. Das ganze Machwerk ist äusserst dürftig und hat
weder historischen noch litterarischen Wert; der Verfasser berichtet nur
Namen und Regierungszeit der einzelnen Kaiser und knüpft daran einige
kurze Nachrichten, welche persönliche Verhältnisse oder kirchliche Dinge
betreffen.
Ed. pr. im Pariser Corpus von Leo Allatius zus. mit Georgios Akropolites und
Joannes Kananos, Paris 1651. — Wiederholt Venedig 1729. — Im Bonner Corpus recogn.
I. Bekker. Bonn 1837. mit Manasses und Georgios Akropolites (ohne Förderung des
Textes). — Vgl. Hirsch, Byzant. Studien S. 109—115.
65. Ephräm, der Verfasser einer versifizierten Chronik, ist seinen
Lebensverhältnissen nach unbekannt; ') sein Werk scheint um das Jahr 1313
abgefasst zu sein; denn mit diesem Jahre schliesst das als Anhang beige-
gebene Patriarchenverzeichnis, welches höchst wahrscheinlich der Verfasser
selbst bis auf seine eigene Zeit fortgeführt hat. Die Chronik des Ephräm
behandelt in 9564 byzantinischen Trimetern die römisch-byzantinische
Geschichte von Julius Caesar bis auf die Wiedereroberung Konstantinopels
1261. Im Anfang ist in der einzigen bekannten Handschrift (cod. Vatican.
1003) das Stück ausgefallen, welches von Julius Caesar, Augustus und
Tiberius erzählte. Auch der ursprüngliche Titel ist verloren gegangen; der
Herausgeber A. Mai überschrieb das Werk aus eigener Vermutung: 'Eyjgai-
fu'ov xQoiixov Kaiaaofc. Dass Ephräm der Verfasser ist, wissen wir aus
Allatius, der die Handschrift noch vollständig sah und sie öfter zitiert.
Die Nachrichten, welche Ephräm über die früheren Kaiser mitteilt, be-
schränken sich meist auf einige persönliche Züge und merkwürdige Anek-
doten. Das Hauptgewicht fällt bei jedem auf die Darlegung seiner Stel-
lung zum Christentum und seiner sittlichen Beschaffenheit; jeder Kaiser-
biographie wird als Titel der Name des Kaisers und die Zahl seiner
Kegierungsjahre vorausgeschickt. So erscheint das Ganze als ein versi-
fizierter Kaiserkalender von christlich-erbaulicher Tendenz. Der
erste Kaiser, Avelcher ausführlicher und mit grösserer Teilnahme behandelt
wird, ist natürlich Konstantin der Grosse:
7t((TrJQ ayäxTojy svaf^ciiy xsxXtjiieyos
XHi /oiaToXaTQiör xquxÖqmv tcQ/t]yeT>;c.
TiQtoTtjg ögiaTtis noifxeyaQ^cjy avyödov.
ued^ tx>y xa9eiXey \4Qsiov döy/aa v69oy.
Der politische Niedergang des Reiches macht dem Verfasser wenig Sorgen.
*) Angelo Mai vermutete, der Chronist tiven Beweise erbracht. Die Zeit würde
Kphräm sei identisch mit jenem Ephräm, stimmen ; dagegen macht die Art, wie Ephräm
der ab? legitimer Sohn des nachmaligen Pa- V. 10352 ff. dieses Patriarchen und seines
triarehen Johannes XII (bis 1304 im Amte) Sohnes gedenkt, wenig wahrscheinlich. da.ss
von Georgios Pachymeres erwähnt wird; es sich hier um seinen Vater und um seine
doch sind für diese Hypothese keine posi- ; eigene Person handle.
150 Byzantinische Litteratargeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Seine ethnographischen Vorstellungen sind ebenso verworren und
durch die Scheu vor barbarischen Namen noch mehr getrübt als bei anderen
Byzantinern; unter dem Namen der Skythen werden bei ihm alle mög-
lichen germanischen und anderen Völker zusammengefasst, welche das
römische Reich bestürmten. Den völligen Mangel an geschichtlichem Ueber-
blick zeigt u. a. der Umstand, dass die Regierung des Justinian, über
die er in seinen Vorlagen doch mehr hätte finden können, in ganzen 33
Versen, kürzer als die der meisten Vorgänger und Nachfolger abgethan
wird. Etwas ausführlicher wird die Erzählung vom achten Jahrhundert
abwärts; mehr als die Hälfte des ganzen Gedichtes fällt aber auf die dem
Verfasser zunächst liegende Epoche der Komnenen, der Angelos und
der Kaiser von Nikäa, die mit zunehmender Ausführlichkeit geschildert
wird; den Schluss bildet die Beschreibung des feierlichen Einzuges Michaels
Palaeologos in das wiedereroberte Konstantinopel 1261. Als Anhang,
gleichsam als kirchengeschichtliches Supplement, folgt von demselben Ver-
fasser ein Verzeichnis der Bischöfe und Patriarchen von Byzanz
bis auf das Jahr 1313 (Vers 9565—10392), mit der deutlichen schismati-
schen Tendenz, den Anfang des byzantinischen Episkopats in möglichst
frühe Zeit hinaufzurücken, so dass der Apostel Andreas als der Begründer
desselben genannt wird.') Die einzelnen Patriarchen werden mit wenigen
Worten und noch weit einförmiger als die ersten römischen Kaiser nach
Abkunft, Charakter, Bildung und Schicksalen bezeichnet. Die ungleiche
zeitliche Ausdehnung beider Werke erklärt sich am besten durch die An-
nahme, dass der Verfasser für das Geschichtswerk einen natürlichen Ab-
schluss suchte und denselben in der Wiederherstellung des byzantinischen
Reiches fand, während er das Patriarchenverzeichnis als blossen Katalog
naturgemäss bis auf seine eigene Zeit fortführte.
Das für ein historisches Epos unpassende Versmass, welches bei
der Ausdehnung des Gedichtes unerträglich wird, und die poesieverlassene,
durch stete Wiederholung ähnlicher Ausdrücke eintönige Diktion machen
die Lektüre des Werkes zu einer langwierigen Mühe, die nur selten durch
eine gelungene Phrase oder durch ein treffendes Attribut belohnt wird.
Sprachlich unterscheidet sich Ephräm von den Prosa-Chronisten durch das
sehr starke Streben, der klassischen Gräzität nahe zu kommen und durch
Verwendung altertümlicher und zusammengesetzter Wörter poetisch zu
wirken. Trotz aller Bemühungen treten aber, wie bei den meisten dieser
Talmiklassizisten die Spuren der Zeit unverkennbar hervor; so finden wir
auch hier füv zuweilen mit dem Indikativ, starken Missbrauch des Optativs,
passive Anwendung medialer Verba, Formen wie tt'^affa (7833), n'^ovai
= tii>iaai (8708) u. s. w. Dass der Verfasser eines so dürftigen Mach-
werkes, dessen Hauptsorge offenbar nicht die geschichtliche Treue, sondern
die Versifikation eines gegebenen Stoffes war, nicht viel Zeit auf gründ-
liche Quellenstudien verwandte, ist natürlich. In der That hat Ephräm,
wie es scheint, für den ganzen ersten Teil bis auf den Tod des Alexios
Komnenos 1118 das umfassende Geschichtswerk des Zonaras, in welchem
') Nach Ive (juiun i.st (H«>8e Hiigoblich Hiscliofslistc oin FulHifikat hur iiHchphotiani-
;iuf lU'ii .MärtyriT Ddintlu'H.s zurUckgohoiid«' scher Zeit.
B. Die Chronisten. (§ 66—67.) 151
er den Stoff für seine Paraphrase bequem verarbeitet fand, zu Grunde ge-
legt; für die Zeit bis 1204 folgte er dem Niketas Ghoniates, für den
Schluss bis 1261 dem Georgios Akropolites.
1. Ausgaben und Hilfsmittel: Ed. pr. aus dem einzigen bekannten cod. Vatic.
1003 Angel o Mai. Script or. veter. nova coUectio, tom. III (Romae 1828) pars I. — Dar-
nach wiederholt im Bonner Corpus ex recogn. I. Bekkeri, Bonnae 1840, mit einem kleinen
grammatischen und Sach-Index. — Ueber die Quellen s. F. Hirsch, Byzantin. Studien
S. 391 — 396. — Zur Metrik: J. Hilberg, Die Verstechnik des Ephrämios, Wiener Studien
10 (1888) 50—92.
2. Zum Patriarchenverzeichnis vgl. ausser Le Quien, Oriens christianus, tom. I
die Bemerkung von A. Mai S. 383 ed. Bonn., die zwei Verzeichnisse, welche Labbaeus in
seiner historischen Einleitung zum Pariser Corpus mitteilte und die series fabulosa und
series vera. welche A. Mai seiner Ausgabe der Chronik vorausschickte (im Bonner Corpus
nicht aufgenommen). — Ein geringfügiges Verzeichnis der Bischöfe von Rom, Jerusalem,
Alexandrien, Antiochien und Konstantinopel bis zum 7. (der letzteren bis zum 10. Jahrh.)
bespricht G. Grosch, De codice Coisliniano 120, Diss. Jena 1886. — Hauptschrift:
Franc. Fischer. De patriarcharum Constantinopolitanorum catalogis, Comment. philol.
Jenenses. vol. 3 (Lipsiae 1884) 263 — 333, wo die bis jetzt bekannten Verzeichnisse be-
sprochen, ihre Quellen und ihr verwandtschaftliches Verhältnis untersucht und zwei noch
imedierte Stücke mitgeteilt werden.
66. Michael Panaretos hinterliess eine ganz summarisch gehaltene
Chronik des Kaisertums Trapezunt, welche die Zeit von 1204 — 1426
umfasst: JleQl twv Ti]g Tqane^ovvToq ßaaiÄecov, rwv MeyccXon' Kourr^vcor,
üTi o)g xai tiots xai nöaor exaaTog ißaaiXevaev. Die Schrift hat trotz ihrer
üblen Form und ihres dürftigen Inhaltes ein besonderes Interesse als Er-
gänzung der spärlichen Xachrichten über jene merkwürdige, durch Fall-
merayer aufgehellte und berühmt gewordene politische Gründung im inneren
Winkel des schwarzen Meeres, die sich auch nach der Wiederherstellung
des oströmischen Reiches lange erhielt und erst unter dem Anprall der
türkischen Heere zusammenbrach. Der Verfasser berichtet über die letzten
Ereignisse als Zeitgenosse und lebte demnach in der ersten Hälfte des
15. Jahrhunderts. Als gewiss darf auch angenommen werden, dass er
selbst Trapezuntier war; dagegen vermögen wir nicht zu bestimmen, ob
er verwandt ist mit jenem Theodoros Panaretos, welchem eine un-
datierte Urkunde die Verwaltung der patriarchalischen Rechte in Trapezunt
und anderen Kirchen des Orients verleiht. ')
Ausgaben: Ed. L. Fr. Tafel als Anhang zu: Eustathii Metropolitae Thess. opus-
cula etc., Francofurti ad Moenum 1832 S. 362—370. — Wiederholt mit deutscher Ueber-
setzung und wertvollen Anmerkungen von Ph. Fallmerayer, Abhandlungen der k. bayer.
Akademie d. Wissensch. 3. Classe, 4. Band. 2. Abteil. (1844). — Reichlich verwertet in
der neuen Ausgabe von Le Beau's Histohe du bas-empire und dortselbst t. 20 (1836)
482 — .509 von Brosset französisch übersetzt. — Sonstiges Material zur Geschichte von
Trapezunt veröffentlichte Ph. Fallmerayer, Abb. d. k. bayer. Akad. d. Wiss. 3. Cl.,
3. Bd., 3. Abt. — Vgl. Ph. Fallmerayer. Geschichte des Kaiserthums von Trapezimt,
München 1827. und die Skizze von W. Fischer, Trapezunt und seine Bedeutung in der
Geschichte, Zeitschrift für allgemeine Geschichte 3 (Stuttgart 1886) 13-39.
67. Komnenos und Proklos. Unter dem Namen eines Mixfxi]l
rsTi&rr^g tov Jovxög ist ein ganz kleines Fragment einer angeblichen Ge-
schichte von Epirus herausgegeben; dieses Fragment ist nichts anderes als
eine universalhistorische Uebersicht, welche fast wörtlich mit der Einleitung
der Geschichte des Dukas^) übereinstimmt. Es ist daher höchst wahrschein-
') In den Acta of diplnmata Graeca | U (1862) 154.
modii a.'vi ed. Fr. Miki..-i(h .r Jos. Müller ! '') S. § 45.
152 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
lieh, dass dieser mysteriöse „Michael, Enkel des Dukas" mit dem uns wohl-
bekannten Geschichtschreiber Dukas identisch ist; denn jener Dukas ist
ein Enkel eines Michael Dukas (s. § 45) und von einem zweiten Historiker
Dukas wissen wir absolut nichts. Der Name geriet wohl auf den Titel der
verlorenen Geschichte von Epirus, weil der Verfasser oder ein Abschreiber
die Einleitung aus dem Werke des Dukas fast unverändert herübernahm,
um daran seine Geschichte von Epirus zu schliessen. Dieses kleine Stück
edierte zuerst Pouqueville, Voyage dans la Grece, tom. 5 (1821)
200 — 210 und nach ihm Bekker mit der (einst von Martin Crusius und
Alter edierten) Historia politica et patriarchica Constantinopoleos,
Bonnae 1849 S. 207 f. In demselben Bande gab Bekker S. 209—279
ebenfalls nach Pouqueville a. a. 0. einige umfangreichere, teils auf die
mittelalterliche Geschichte von Epirus, teils auf die türkische Geschichte
(bis ins 18. Jahrb.) bezügliche Chronikenfragmente, die er alle unter dem
Titel Epirotica zusammenfasste. Das zweite dieser Fragmente, betitelt:
'latoQia IjQfXovfiTiov xal akXon' SiacfÖQoyv //fanoimv twv 'icaavi'ivMV ano tj~c
dkMOSbyc, ainüJv naQcc zwv ^tQßoov tw^ irjg nagctSöüsotq fic xovq Tovqxovc,
ist nur ein Stück eines vollständigeren, schon früher herausgegebenen,
Bekker aber unbekannt gebliebenen Werkes, nämlich der Chronik des
Komnenos und Proklos. Vielleicht sind "diese zwei wohl dem 15. Jahr-
hundert angehörigen Autoren, auch die wahren Verfasser jener oben er-
wähnten Geschichte von Epirus, zu welcher ein Abschreiber dann jene
universalhistorische Uebersicht gefügt haben mag.
Ausgaben: Das vollständige Werk des Komnenos und Proklos edierte zuerst
A. Mustoxydes im 'EXkTji^ofjytj/LKOP 1845 — 47 S. 407 — 579 (Nr. 8-10). — Nach ihm wieder-
holte es Gabriel Destunis unter dem Titel: laxoQixov Ko/nyTjvov fiova^ov xni IIqöxXov
fiovcc](ov TiSQi ditcffÖQiav öeanorwv lijg 'Hnel()ov, Petersburg 1858 (mit russischer Ueber-
setzung und Kommentar). Doch sind beide Ausgaben so selten, dass der vollständige
Komnenos und Proklos wohl den meisten Gelehrten unzugänglich bleiben. — Vgl. K. Hopf,
Chroniques Greco-Romanes, Berlin 1873, avo S. XXXI f. alle auf die Epirotica bezüglichen
bibliographischen Thatsachen und S. 259 — 265 Varianten und PiUiendationen zum zweiten
Fragment mitgeteilt sind. — P. Arabantinos, XQoyoyQurpin ttj? 'nnetQov (2 voll. Athen
1856—57) vol. 1 Ugooifiioy S. X f., wo auch eine Ausgiibe des Komnenos und Prokh)«
,i57io Tov xvqIov Aiviävog tw 1881 cV nvi (!?) neQio^txu)'^ erwähnt ist und verschiedene
Angaben über die Ueberlieferung des Komnenos und Proklos ams der Lokaltradition ge-
sammelt sind. - Die im 17. Jahrh. abgefasste, ungemein dürftige , Chronik von Argyro-
kastron" {Xqovixov jQvoTtidog) ed. mit einem Kommentar Ath. Petridis, .SeoeXhjyixd
'AfilXsxta 1 2 (1871) 1 — 64. — Eine neue kritische Ausgabe dieser Epirotica und besonders
des Komnenos und Proklos mit einer Untersuchung der Autorfrage wäre eine dankbare
Aufgabe für einen in Janina lebenden und mit der epirotisch-türkischen Geschichte ver-
trauten Griechen.
68. Unediertes, Anonymes, Fragmente, orientalische Chronisten
u. s. w. Einige uns wahrscheinlich nicht erhaltene Chronisten nennt Jo-
hannes Skylitzes in der Vorrede seines Werkes S. 4 ed. Bonn. (s. § 59).
Von dem dort erwähnten Manuel wissen wir, dass er die Thaten des
Johannes Kurkuas, des berühmten Feldhcrrn unter Bomanos I, in 8 Büchern
beschrieben hat. Der von Skylitzes a. a. (). als Geschichtschreiber ge-
nannte Theodoros Daphnopates wurde bald nach der Thronbesteigung
Romanos II (959) zum Stadtpräfokten von Konstantinopol erholxMi tnid ist
vielleicht der Vei-fasser des letzten Teiles der Fortsetzung des Theophanes
d. h. der Geschichte des Konstantin Porphyrogennetos und Romanos II
B. Die Chronisten. (§ 68.) 153
(s. § 90). Die anderen von Skylitzes genannten Autoren ausser Genesios,
Leon Diakonos und Xiketas Paphlagon sind völlig unbekannt, so der Diakon
Nikephoros der Phrygier, die Bischöfe Theodoros von Side und
sein Neffe Theodoros von Sebasteia, Demetrios von Kyzikos und
der Mönch .Johannes der Lyder, der mit dem bekannten Johannes Lydus
nicht identisch sein kann.
Aus cod. Marcianus 408 wurde ediert ein im Jahre 1392 verfasstes
Gedicht (759 politische Fünfzehnsilber), welches den Fall und die
Wiedereroberung Konstantinopels (1204—1261) mit einer Reihe von
Wundergeschichten erzählt und mit dem Regierungsantritte des Andronikos
Palaeologos (1283) abschliesst. Der Verfasser beruft sich auf Niketas
Akom inatos als seinen Gewährsmann, benützt aber neben ihm auch den
Georgios Akropolites. Ein historischer Wert ist in dem Stücke nicht
zu entdecken. Die Stelle des Titels vertreten wie in v-ielen anderen mittel-
alterlichen Gedichten die Anfangsverse:
'H ßfcaiXig twv nöXsoiy -nwg 'Ixa'Aotg k(iX(o
xai To?5 'Pwuaioig votsqov nöig nne&öthj naXtv,
iyQc'ccprj xux (cxQißeuty . ei ov de ßovktj, /aci&oig.
1. Ed. pr. Biichon, Recherches historiques sur la principaute fran^aise de Moree II
(1845) 335—367. — Damach edierte das Gedicht ohne Kenntnis von Buchons Ausgabe
J. Malier, Sitzungsber. der Wiener Akad. d. Wissensch. philos.-hist. Cl. 9 (1852) 366 If.
(nebst einigen anderen byzantinischen Urkunden und Goldbullen). — Ein Stück ed. auch
E. Miller im Recueil des histor. Grecs des croisades, toni. I 2, 647 ff. (fehlerhaft nach
Buchen ohne Kenntnis von der Ausgabe Müllers). Vgl. C. Neumann, Griechische Ge-
schichtschreiber und Geschichtsquellen im 12. Jahrb., Leipzig 1888 S. 105.
2. Ueber einen nicht erhaltenen Chronisten T r a i a n u s , der unter Justinian II
(685—695) ein Xgoyixoy avpxo^ov schrieb, s. C. De Boor. Hermes 17 (1882) 489—492. —
Ein unediertes Gedicht über den Kampf, in welchem Georgios Maniakis, der Empörer
gegen Konstantin Mononjachos. fiel (1043), erwähnt Sp. Lambros, Bulletin de correspond.
hellen. 2 (1878) 448.
3. Einige imedierte anonyme Stücke liegen in der Markusbibliothek zu Venedig,
so eine Chronik vom Anfang der christlichen Zeitrechnung bis auf Kaiser Heraklios und
eine zweite von der ältesten Zeit bis auf Kaiser Romanos Diogenes (1068). Proben und
Auszüge edierte I. Bekker, Abhandl. der k. preuss. Akad. d. Wissensch., phil.-histor. Cl.
1841,43 — 65. — Ueber die noch unediert« Chronik des Johannes Doxopatres s. § 92.
Johannes, Bischof von Xikiu in Unterägypten, verfasste am Ende
des 7. Jahrhunderts eine Weltchronik, die merkwürdiger Weise in der
historischen Litteratm* der Byzantiner nirgends erwähnt wird. Ganz ähn-
lich angelegt wie das Werk des Malalas und die späteren Weltchroniken,
beginnt sie mit Adam und Eva, behandelt kursorisch die orientalische,
griechische und römische Geschichte und wird ausführlicher in der byzan-
tinischen Zeit; sie reicht bis ans Ende des 7, Jahrhunderts. Am wichtig-
sten ist der letzte Teil, in welchem Johannes als Zeitgenosse und zum
Teil als Augenzeuge die uns bisher nur mangelhaft bekannte Geschichte
der Eroberung Aegyptens durch die Mohamedaner erzählt. Das grie-
chische Original dieses Werkes wurde in unbekannter Zeit ins Arabi-
sche und aus dem Arabischen im Jahre 1601 ins Aethiopische über-
setzt. Erhalten scheint uns nur die äthiopische üebersetzung zu sein. Die
'.»uellen der Chronik und ihr Verhältnis zu Johannes von Antiochia und
^lalalas sind nicht genauer festgestellt; die Uebereinstimmung mit Malalas
scheint auf der Benützung gemeinsamer Quellen zu beruhen.
Sehr umfangreiche Auszüge ed. äthiopisch und französisch unter steter Vergleichung
154 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
mit den übrigen Chronisten H. Zotenberg: Memoire sur la chronique byzantine de Jean,
^vßque de Nikiou, Journal Asiatique, 7. sörie, t. 10 (1877) 451-517; 12 (1878) 245-347;
13 (1879) 291 — 386. Vollständig äthiop. und französ. von H. Zotenberg, Notices et ex-
traits, t. 24, 1. partie (1883) 125 605. - - Vgl. die guten Besprechungen von Th. Noel-
deke, Göttinger Gel. Anzeigen 1881, 587-594; 1883, 1364—1374 und von Ed. Drouin,
Le Museon 3 (1884) 253—268.
Michael der Syrer, ein gelehrter Mann, der im Jahre 1199 als
Patriarch von Antiochia starb, schrieb in syrischer Sprache eine Chro-
nik, die von der Erschaffung der Welt bis auf seine Zeit reichte. Die
Zeit bis zum 6. Jahrhundert n. Chr. ist in der auch bei Byzantinern üb-
lichen Form eines chronologischen Abrisses dargestellt; von da an wird
die Erzählung ausführlicher. In der Vorrede nennt der des Griechischen,
Syrischen, Armenischen und Arabischen kundige Verfasser seine Quellen,
teils syrische, teils griechische; es sind, wenn wir ihm Glauben schenken
dürfen, unter anderem der Chronograph Annianos von Alexandrien, Euse-
bios, Johannes von Alexandrien (Philoponos?), der Kirchenhistoriker
Theodoros Lector, Zacharias, Bischof von Mytilene, Johannes von
Asien und andere zum Teil unbekannte Chronisten. Ausser dem erst vor
kurzem wieder entdeckten und noch nicht veröffentlichten Originale besitzen
wir das Werk des Michael Syrus in einer armenischen Uebersetzung aus
dem Jahre 1248, in welcher es, wohl vom Uebersetzer selbst, noch über
den Tod Michaels fortgesetzt ist.
Einen Abschnitt des Werkes, der die Zeit von 573 717 umfa.sst, veröffentlichte in
französischer Uebersetzung Edouard Dulaurier, Journal Asiatique 4. serie, t. 12 (1848)
281 ff. und 13 (1849) 315 ff.; über die Quellen S. 288 und 314 ff. Eine Uebersetzung des
vollständigen Werkes wurde von Dulaurier im Prospekte seiner Bibliothcque Armenienne
in Aussicht gestellt, kam aber nicht zur Ausführung. — Verwertet i.st Michael von Guido
Hertzsch, De scriptoribus rerum imperatoris Tiberii Constantini, Comment. philol. Jenenses
3 (1884) 1 — 48, wo auch über andere syrische Chronisten wie Johannes Ephesius und
Bar-Hebraeus gehandelt wird.
Die armenische Chronik des Matthaeus von Edessa umfasst die Zeif von 96;')
bis 1136 und ist vom Priester Gregor bis 1162 fortgesetzt worden. Sie ist auf ihre (juelleii
noch nicht untersucht. Ed. in französischer Uebersetzung nach 3 Pariser Handschriften von
Edouard Dulaurier, Bibliothcque historique Armenienne, Paris 1858. — Eine Sammlung
von griechischen und syrischen Historikem, die nur in armenischer Uebersetzung vorhanden
sind (Agathangelos und Faustos von Byzanz; herubna von Edessa u. a.) sowie
Fragmente griechischer Historiker, die in armenischen Schriften vorkommen, veröffentlichte
Victor Langlois in C. Müllers Fragm. bist. Gr., vol. 5, pars 2, Paris 1867 (1884). —
Ueber die Chronik Jahjäs s. § 59.
Ueber die apokryphischen, anonymen und fragmentarischen Chroniken und chrono-
graphi.schen Tabellen der Byzantiner und Orientalen, die hier nicht genauer dargestellt
werden können, namentlich die von Cramer, Anecd. Paris. II 165-230 edierte "Kx^oyt}
laioQioiy, den sogenannten Barbarus Scaligeri, das um 845 entstandene, von Julios
Polydeukes benützte XQOPoyQaq^eToy avvxofxoy, das unter Manuel Komnenos verfaasto
XQoyixov iniTOfioy des Wiener Cod. Th. Gr. 40, die syrische Weltchronik des Dio-
nysios von Telmahar (Patriarch von Antiochia 818 845), die auf Michael Syrus be-
ruhende Chronik des Bar-Hebraeus (13. Jahrh.) u. a. handelt erschöpfend H. Geizer,
Sextus Julius Africanus 11. Teil. 1. Abt. (Leipzig 1885) 249-410.
2. Geographie.
69. Einteilung. In einem auffallenden Gegensatze zu der frucht-
baren Regsamkeit, welche die Byzantiner in historischen Studien und Dar-
stellungen entwickeln, steht die unleugbare Vernachlässigung der Geographie.
Wie in ihren historischen und grammatischen Werken oft eine erschreckende
Unwissenheit in der Geographie und Ethnographie zu tage tritt, so mangelt
es auch an selbständiger theoretischer Thätigkeit auf diesem Ge-
biete: hierin sind die Byzantiner ihren politischen Vorgängern, den Römern,
ähnlich, welche die Geographie, ganz im Gegensatze zu den Griechen,
ebenfalls vernachlässigten und ihre Thätigkeit mit geringen Ausnahmen
auf Itinerarien und ähnliche Erzeugnisse des praktischen Bedürfnisses be-
schränkten. Die Gründe davon liegen zum Teil in dem allgemeinen Nieder-
gange originaler wissenschaftlicher Forschung, zum Teil wohl auch in der
Unsicherheit, mit der in den meisten Abschnitten dieses Zeitraumes grössere
Reisen verbunden waren, endlich in dem Verfalle des Seewesens, in welchem
die Byzantiner durch die Venezianer und Genuesen schon zur Zeit der
Kreuzzüge überflügelt wurden.
Um über die verworrene Masse der zum Teil anonymen, zum Teil
fragmentarischen geographischen Werke einen Ueberblick zu gewinnen,
unterscheiden wir zwei Haupt gruppen, die sich freilich zuweilen nahe
berühren, nämlich: 1. Erzeugnisse der wissenschaftlichen (theoretischen)
Geographie. 2. Werke, die den praktischen Zwecken der Kirche, des
Staates und des Handels dienten. ') In der ersten Gruppe treffen wir fast
nur Kommentare, Bearbeitungen und Exzerpte älterer Werke. Wie
in allen anderen Zweigen der byzantinischen Litteratur, so ist auch hier
vor allem das erhaltene alte Gut auszuscheiden und daneben die etwa
hinzufügende, modifizierende Thätigkeit des byzantinischen Geistes zu er-
wägen. Als ein wenig erfreuliches neues Moment tritt hier das pole-
mische Verhältnis gegen die alten Weltsysteme entgegen; wie in
') Völlig zutreffend ist die Einteilung, schaftlicbe Grundlage sind. Doch entspricht
wie die meisten Systematisierungen, natür- die Einteilung in zwei Hauptgruppen wohl
' h nicht, da einzelne Werke einen gemisch- am meisten den Thatsachen und verschafft
II Charakter tragen und eineraeits die theo- am besten einen Ueberblick über den mannig-
I 'tischen Bücher auch praktisch verwendbar, , faltigen Stoff,
andrerseits die praktischen nicht ohne wissen-
156 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
der Chronologie, so besteht auch in der Geographie, wenigstens in ihrem
physikalischen Teile, das lebhafte Bestreben, die alten Systeme mit der
Bibel in Einklang zu bringen und wirkliche oder scheinbare Widersprüche
zu beseitigen. Uebrigens tritt selbst bei dieser unselbständigen, exzerpieren-
den Thätigkeit der Gegensatz zur Historiographie deutlich hervor;
während die Meister der alten Geschichtschreibung, Herodot, Thuky-
dides, Polybios, Dio Cassius u. a. im byzantinischen Zeitalter noch vielfach
gelesen und nachgeahmt werden, finden wir die grossen Geographen der
Vorzeit, wie Eratosthenes, Ptolemaeos, Strabon fast vergessen. Etwas
selbständiger erscheint die Produktion in der zweiten Gruppe; hieher ge-
hören Werke, die der kirchlichen und staatlichen Verwaltung dien-
ten, statistische Abrisse des byzantinischen Reiches u. s. w., Itine-
rarien, Schifferbücher, Karten, Wallfahrerbücher u. s. w. Für
sich steht der antiquarische Kompilator Kodinos.
1. Sammclausgabcn: Die erste Sammlung der kleinen freographen, unter denen
sich auch Stücke des byzantinischen Zeitalters finden, unternahm der Engländer Hudson:
Geographi Graeci minores, 4 voll., Oxford 1697 — 1712; die höchst selten gewordene Samm-
lung ist durch die Beigabe arabischer Geograplien von Nutzen, die griechischen Texte sind
ohne genügende diplomatische Grimdlage. — Ein Teil der von Hudson mitgeteilten Stücke
wurde ganz fehlerhaft wiederholt in der von einem Griechen besorgten, für philologische
Zwecke wenig brauchbaren: ^vXXoyt] jwv iy initofi^ rotg Tifikai ysiayQafptjr^iyiMV, 8 voll.,
'Ev liit'yyrj TTJg .Ivargiag 1807 — 1808; der 3. Bd. enthält arabische Cieographen in neu-
griechischer Uebersetzung. — Einen zweiten, ebenfalls misslungencn Versuch, da.s Werk
von Hudson zu ersetzen, machte J. F. Gail: Geographi Graeci minores, 3 voll., Paris 1826 — 31
(ohne nennenswerte selbständige Arbeit). Auch andere Unternehmungen blieben stecken. --
Endlich erhielten wir eine neue, auf kritischer Grundlage aufgebaute, leider nicht ganz
zum Abschluss gebrachte Sammlung von C. Müller: Geographi Graeci minores, 2 voll.,
mit einem Atlas von 30 Karten, Paris, Didot 1855 — 61. — Zur Ergänzung dient L. Fr. Tafel,
Const. Porphyr. De provinc. regni Byzant. 1. II, Tubingae 1847 (s. § 18) und die Ausgabe
des Hierokles von Parthey, wo verschiedene bei Müller fehlende Stücke beigegeben sind.
2. Allgemeine Hilfsmittel: Zur allgemeinen Orientierung dient das für weitere
Kreise berechnete Werk von M. Vivien de Saint -Martin, Histoire de la geographie et
des decouvertes g^ographiques, Paris 1873; S. 232 — 236 über die byzantinischen und aus-
führlicher S. 237 — 263 über die arabischen Geographen. — L. Fr. Tafel. Symbolarum
criticarum geographiam Byzantinam spectant. partes duae, Abhandlungen d. bayer. Akad.
d. Wiss. 3. Gl., 5. Band, 2. u. 3. Abteil. (Handelsvertrag von 1199 und Vertrag über die
Teilung des Reiches 1204 mit Erklärung der darin vorkommenden Namen). Die Geo-
graphie Griechenlands im Mittelalter und in der neueren Zeit (bis zur Gründung des
Königreiches) ist dargestellt von J. H. Krause, Ersch- 'und Gruber'sche Enzyklopädie
1. Sektion, 83. Bd. (1866) 259 444. — Reiches Licht über dio gesamte byzantinische
Geographie, besonders die Handelsgeographie, verbreiteten die Schriften von Willi.
Heyd: Zuerst zehn Abliandlungen in der Tübinger Zeitschrift für die gesamte
Staatswissenschaft, B. 14—20 (1858 1864); dann durch Zusätze und eine neue Ab-
handlung über Cypeni vermehrte italienische Buchausgabe: Le colonie commerciali degli
Italiani in Oriente nel medio aevo, dissertazioni del prof. (lugl. Heyd. etc., ora rifatto
dair autore e recate in italiano dal prof. (iius. Müller, 2 voll., Venezia 1866 — 1868. End-
lich veröffentlichte W. Heyd als Endergebnis seiner zwanzigjährigen Studien die gründlich
durchgearbeitete und umfa.s.sende Geschichte des Levantehandels im Mittelalter,
2 Bände, Stuttgart 1879. Hier findet man aiich die weit zerstreute Speziallitteratur ver-
zeichnet. Da.sselbe Werk mit Nachträgen und Berichtigungen in französischer Ueb«'rsetzung
von Raynaud, 2 Bände, Leipzig 1885-86. Vgl. A. (iottlob. Hi.stor. Jahrbuch der Görres-
gesellschaft 9 (1888) 678—714. ~ Ethnographische Fragen und die Handelswege im 12.
.Jahrb. behandelt die ergebnisreiche Schrift von W. Tomaschek: Zur Kunde der Hämus-
halbinsel, Sitzungsbcr. d. Wiener Akad. d. Wiss.. phil.-hist. Cl. 9!» (1S81) 437—507 und
113 (18H6) 285—373. -- G. Marinelli. Die Knlkiinde bei den Kirchenvätern. Deut.sch von
L. Naumann, Leipzig 1884. — AuHführlicIier behandelt das,selhe Thema Konr. Kretschmer,
Die physisch«? Erdkunde im christlichen Mittelalter. Wien ISSi» (-- (;j.ogr. Abli. heraus-
gegeben von A. i'enck IV 1). Sehr wichtige Aufklärungen erhielt die geogni|>his(-he
Nomenklatur durch die zahlreichen uns erhaltenen byzantiniselien Bleibullen, welche
2. Geographie. (§ 70.) 157
G. Schluraberger in seiner Sigillogiaphie de Tempire Byzantin, Paris 1884, veiöflFentlicht
hat. - Endlich sind auch die modernen Reiseberichte und geographischen Monographien
beizuziehen, die man in der Geographie Griechenlands von Lolling, Handbuch der
kl. Altertumswiss. Band 111 109 f. und imter den einzelnen Artikeln verzeichnet findet.
3. Bei der Mangelhaftigkeit der Nachrichten, welche ims die Byzantiner selbst über
die Geographie ihrer Zeit überliefern, ist jeder Aufschluss aus fremden Quellen wichtig.
Unter den nichtgriechischen Geographen, die über das Reich „Romania"' berichten, steht
in erster Linie der arabische Scherif Idrisi, von dem ^vir ein im Jahre 1153 voll-
endetes, vornehmlich der Handelsgeographie gewidmetes Sammelwerk besitzen. Durch
seinen Aufenthalt am Hofe Königs Roger II von Sizilien hatte er reichlich Gelegenheit,
von arabischen, jüdischen, fränkischen und besonders griechischen Kaufleuten über die
Handelsplätze und Handelswege Erkundigungen einzuziehen. — Französische Uebersetzung
des Idrisi von P. Amedee Jaubert, Paris 1840. — Hauptschrift: W. Tomaschek,
Die Handelswege im 12. Jahrh. nach den Erkundigungen des Arabers Idrisi, Sitzungsber.
d. Wiener Akad. d. Wiss., phü.-hist. Cl. 113 (1886) 285—373. Vgl. Jagic, Arch. slav.
Philol. 10 (1887) 377 ff.
A. Wissenschaftliche Geographie.
70. Kosmas Indikopleustes (der Indienfalirer) ') aus Alexandria,
Zeitgenosse des Kaisers Justinian und also auch des Geographen Hierokles,
unternahm als Kaufmann weite Reisen nach Arabien und Ostafrika; später
vertauschte er seinen Beruf mit dem klösterlichen Leben und schrieb in
einem Sinaikloster (vielleicht ist Kosmas nur sein Mönchsname) um das
Jahr 547 n. Chr. ein grosses geographisches Werk: X^iaTiurixi] rorro-
YQa(fi'a. Der Hauptzweck dieses Buches war die Aufstellung einer neuen, mit
der christlichen Lehre in Einklang stehenden physikalischen Geographie, eine
physikalisch-astronomische Ausdeutung der heiligen Schriften,
weshalb Photios das Werk geradezu als igur^rtiu ng n]v öxrccTevxov bezeichnet.
Daher kämpft der fromme, aber ungelehrte Verfasser mit dem Eifer des
Neophyten gegen das System des Ptolemaeos, in welchem er unversöhn-
liche Widersprüche mit der christlichen Lehre erblickt. Die Tendenz des
ganzen Werkes verrät sich schon in der Aufschrift des ersten Kapitels:
JJqoc tovc x^/öT<ai7'^6n' //*r sO-eXorvag, xaxd rovg s'Scod^sv St atfcaooeidt^ rov
ovQuvov voiif^orTctg xcd do'^ä^ovTag. Die alte Meinung, dass die Erde eine
sphärische Gestalt habe, verwirft er und sucht nachzuweisen, dass sie eine
länglich viereckige Scheibe sei; darüber erhebt sich nach ihm, von den
Rändern des Vierecks erst mit geraden Wänden aufsteigend, dann oben
gewölbt, das krystallene Firmament nach dem Vorbild von Noahs Arche.
Diese Seite des Buches, die dem Verfasser freilich die wichtigste war,
kann uns heute wenig Sympathie abgewinnen; doch werden wir ihn auch
hier milder beurteilen, wenn wir uns erinnern, dass ähnliche Tendenzen,
angebliche Widersprüche der Astronomie mit der Bibel auf künstlichem
Wege zu beseitigen, bis auf die neueste Zeit geherrscht und mannigfachen
Unsinn hervorgerufen haben. Uebrigens beruhen die kosmologischen An-
schauungen des Kosmas wesentlich auf syrischer Grundlage. Dass sie
auch in By.anz keineswegs allgemeinen Beifall fanden, zeigt der scharfe
Tadel des Photios (s. unten).
') Genau genommen führt er seinen Bei- [ richten Über Indien verdankt er mündlichen
■ i.imen mit Unrecht, da er selbst nicht nach ! Berichten anderer Reisenden.
lit-m eigentlidien [ndien kam; seine Nach-
158 Byzantinische Littcraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Für uns liegt die Hauptbedeutung des Buches nicht in den phan-
tastischen Ergüssen des Mönches Kosmas, sondern in den Nachrich-
ten, die er uns als Kaufmann, als Reisender überliefert, nicht
im Hauptwerk, sondern im Nebenwerk. Was ihm auf seinen eigenen
Fahrten begegnete und was er auf denselben von andern vernahm, erzählt
er mit lobenswerter Wahrheitsliebe; hier treffen wir bemerkenswerte ein-
zelne Notizen und wichtige grössere Beiträge zur Kenntnis der alten Be-
ziehungen des römischen Reiches zu Aegypten, Indien und China. Der
w^ertvollste dieser Exkurse ist die genaue Beschreibung eines mit zwei
Inschriften versehenen Marmorsitzes, welchen er in der äthiopischen (abessy-
nischen) Stadt Adulis^) fand; die eine Inschrift berichtet kriegerische Er-
folge des Ptolemaeos Euergetes; in der zweiten, einer viel späteren
Zeit angehörigen, erzählt ein axumitischer König in barbarischer Grä-
zität seine Kriegsthaten ; sie bildet also ein Seitenstück der berühmten
Inschrift des nubischen Königs Silko'-') und einer ebenfalls barbarischen bei
Axum in Abessynien gefundenen Inschrift (s. die Litteraturangaben). Recht
genau und gewissenhaft ist er auch in der Schilderung afrikanischer und
indischer Tiere; vom Einhorn z. B. sagt er, dieses Tier habe er nicht selbst
gesehen, aber vier eherne Standbilder desselben im Palast der vier Türme,
welcher dem ägyptischen Grossnegus gehöre; darnach habe er ein Bild
desselben angefertigt.
Die Sprache des Kosmas zeichnet sich durch Klarheit und laichten
Fluss aus, Eigenschaften, die wir bei gleichzeitigen Historikern wie Aga-
thias vergeblich suchen. Mit den Regeln der kunstmässigen Gräzität steht
er freilich auf gespanntem Fusse; daher behandelt ihn Photios (cod. 36),
der das Werk ohne Autornamen mit dem Titel: Xqiotiuvov ßi'ßXog tgni-
vei'a dg ti]v oxrdrevxov las,^) mit gründlicher Verachtung und widmet ihm
eines seiner gehässigsten Urteile. Ueber seinen Stil sagt er: ean d.^
ransivoq rip' (fQccaiv xal avrrä^ecog ovdi ii]g xoivrjg /neTt'xoov. Dann gibt er
mit wegwerfenden Worten einen kurzen Bericht über die astronomisch-
dogmatischen Anschauungen des Verfassers und schliesst verdriesslich :
Xt'yti di xa} aXXa Tivd dllöxoxa. Es scheint, dass die Aufstellungen des
Kosmas über die Gestalt der Erde, über die Thätigkeit der Engel als
Beweger der Gestirne, über ihren Aufenthalt unter dem Firmamente u. s. w.
der gewöhnlichen byzantinischen Dogmatik nicht entsprachen. Die übrigen
Schriften des Kosmas, eine ausführliche Erdbeschreibung, die an einen
gewissen Konstantin gerichtet war, eine astronomische Schrift an den
Diakon Homologes und ein Kommentar zum hohen Liede und den
Psalmen scheinen verloren gegangen zu sein. Nach Kosmas tritt in der
wissenschaftlichen geographischen Litteratur eine ähnliche Verödung ein
wie nach Euagrios in der Kirchengeschichtschreibung. Das einzige erheb-
')HeuteZulla, etwa.s südlich von Massaua. | unter welchoni .lust in, ist violloiclit .lusti-
'■') V'gl. die vortreffliche Ausgabe und I nian zu schreiben : jedenfalls braucht uns die
Erklärung derselben von Lepsius, Hermes 10 | Notiz des Thotios in unserer gut g»'sicherten
(187.'>) 129—144. i Datierung des Autors nicht irre zu machen.
*) Er sagt , der Verfasser habe unter Auch kann er ja wohl unter Justin I geboren
Justin gelebt; da er nicht näher bemerkt, und unter .Justin II gestorbeu sein.
2. Geographie. (§ 71.) 159
liehe Werk, das die bis zum 13. Jahrhundert dauernde Lücke notdürftig
füllt, ist der Kommentar des Eustathios zum Dionysios Periegetes (s. § 116).
1. Ausgaben: Nach den älteren Drucken (Montfaucon. Collectio nova patrum 1707
vol. II) jetzt bei Migne, Patrolog. Gr. 88 (1860) 10-476; hier ist auch die litterarische
Notiz über Kosmas aus Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 4, 2.51 — 262 wiederholt und sonstige
ältere Litteratur verzeichnet; S. 463 die zugehörigen handschriftlichen Zeichnungen des
Tierkreises, orientalischer Tiere u. s. w.
2. Hilfsmittel: Ph. Buttmann, Ueber die Echtheit des Adulitanischen Monuments,
Museum der Altertumswissenschaft, herausgegeben von Fr. A. Wolf und Ph. Buttmann 2
(1808—1810) 105—166 und ebenda 573—612 Ph. Buttmann und G. Niebuhr. Die axu-
mitische Inschrift nebst Bemerkungen über diese und die adulitanische. Niebuhrs Aufsatz
ist wiederholt in seinen: Kleinen historischen und philologischen Schriften I (Bonn 1828j
401—412. — Dillmann, Abh. d. Berliner Akad. d. Wiss., phil.-hist. Cl. 1878, 195—205. —
Ueber die Miniaturen in den Handschriften des Kosmas s. N. Kondakov, Geschichte der
byzantinischen Kunst, Odessa 1876 S. 86 if. (Russ.) — Eine aus dem 16. .Jahrh. stammende,
mit bunten Illustrationen versehene russische Uebersetzung des Kosmas edierte die russ.
Gesellschaft der Bibliophilen. N. 86, Petersburg 1886. Vgl. Arch. slav. Philol. 11
(1888) 155. — Zur Würdigung des Kosmas: Ferd. v. Richthofen, China I (1877) 524 f.;
550; 625 f. — Zu seiner Kosmologie : G. Marinelli, Die Erdkunde bei den Kirchenvätern,
Leipzig 1884 S. 8 f. und ausführlicher: Konr. Kretschmer, Die physische Erdkunde im
christlichen Mittelalter, Wien 1889 S. 41 ff. — Hauptschrift: H. Geizer, Kosmas, der
ludienfahrer. Jahrbücher für protest. Theologie 9 (1883) 105—141.
Tl . Nikephoros Blemmides {BÄfiif^uSr^g, weniger verbürgt i5/*.u;t«'Ji/g)
mit dem in Byzanz ziemlich billigen Beinamen o (fiÄöaoqog ausgestattet,
blühte um die Mitte des 13. Jahrhunderts. Von Theodoros Laskaris, Kaiser
von Nikaea, wurde er 1255 zum Patriarchen von Konstantinopel in Aus-
sicht genommen, schlug aber diese Würde aus und begnügte sich damit,
im Mönchskleide die Interessen der Kirche durch schriftstellerische Thätig-
keit zu fördern. Ausser theologischen Schi'iften (Ueber den Ausgang
des hl. Geistes u. s. w.) besitzen wir von ihm eine Rede über die
Pflichten eines Regenten: yiöyog, og enearcch^ roi ßaaikai^ ßaaikixog
xki^^ftg ardQiäg (d. h. Musterbild eines Königs). Dieser in geschraub-
ter, blumenreicher und oft unklarer Sprache abgefasste Traktat, der noch
auf seine antiken Muster untersucht werden muss, wurde später von dem
Diakon Georgios Galesiotes in Gemeinschaft mit Georgios Oinaiotes einer
Paraphrase unterzogen: Tov aog^corärov xvoov Nixr.cfoQOv tov BXejuuvdov
Xöyog TifQi ßaaiXeiag invaifQua O^eig ngog rö üafftGTeoov tiuqcc tov
auxskXiov rr^g f.ieyäXrfi ixxXr^atag xvqov Fecogyiov tov FaXt^aicoTov xtd tov
Olraionov xvoov Ftuioyiov, t(ov XoyionäTon' ctvögüiv xai ui-TÖQitiv. Aus dem
Gebiete der Philosophie hinterliess Blemmides ein Handbuch der Logik
und Physik in 2 Teilen: Eiaaywyixr^g sTiiroini^g ßißXiov a: sTiitoinij Xoyixr.g^
ßißXiov ß': TTtgi (fvaixf^g axQoccfffcog. Grundlage des Werkes ist Psellos.
Ohne Bedeutung ist sein Auszug aus der Isagoge des Porphyrios. Im
Zusammenhang mit seinen physikalischen Kompilationen steht seine Thätig-
keit auf dem in Byzanz sonst wenig beliebten Gebiete der Geographie,
welchem er zwei kleine Schriften gewidmet hat: 1. Eine yswyQatfia rrvv-
onxixri, ein ärmliches und verständnisloses Exzerpt aus einer Paraphrase
des Dionysios Periegetes. 2. Die ittga larogia negt t»;c yi]g er avvöipH
nqog tiru ßaaiXt'a oQ^ödo^or, ein Aufsatz über Grösse und Kugelgestalt der
' Erde (hier z. B. die Wahrnehmung, dass man bei Segelfahrten zuerst nur
; die Spitzen der Berge erblickt).
1. Ausgaben: BuaiXixoe uvSQidg mit der erwähnten Paraphrase und lateinischer
160 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
Uebersetzung ed. A. Mai, Scriptor. veterum nova collectio II (Roinae 1827) 609—670. —
Gesamtausgabe der theologischen Schriften, des ßaaiX. uy&Q. (nach A. Mai) und
des Handbuches der Logik und Physik bei Migne, Patrol. (ir. 142 (1865) 527—1622.
Die 2 geographischen Schriften: ed. Ct. Spohn, Nicephori Blenimidae duo opuscuhi
geographica, Lipsiae 1818 (mit reiclilichem Kommentar und einer kartograi)hischen Tafel).
Dann in: Jixniäg/ov tov Meaatjyiov ürayQctiptj xal ßiog 'EkXädog studio Gul. Man zi, Romac
1819 S. 62 — 102. ^ Die yswyQ. avv. auch bei Bernhardy, Dionys. Perieg. S. 404 — 426. -
Endlich beide Schriften bei C. Müller, Geograph! Graeci minores II 458—470.
2. Ein mit der ixtQn latoQtte verwandtes anonymes Werk liegt ovQayov xal y^c,
i'jkiov, asXrjyr]g, ^QÖyov xal tjjufgwy steht noch unediert im cod. Paris. Gr. 854; s. ßredow.
Epistolae Parisienses, Lipsiae 1812 S. 60.
8. LTeber das Handbuch der Logik und Physik s. Carl Prantl, Geschichte dtM
Logik im Abendlande I (1855) 658 und H (1861) 295.
72. Rhetorische Schilderungen. Als eine Abzweigung der theore-
tischen Geographie können wir die schönrednerischen Schilderungen {ix(fQÜ-
attg) von Ortschaften und Gegenden betrachten, insoferne sie bei allem
Schwulst doch meist eine geographische oder topographische Grund-
lage haben. Freilich erweitern sie unsere geographischen Kenntnisse nui-
selten; das geographische Thema ist ihnen nur Anlass zu einer rhetorischen
Uebung, wie ja auch Schilderungen von Statuen, Bildern u. s. w. zu den
beliebten Gegenständen der alten Rhetorik gehörten. Diese 'ExffQÜatic sind
keine Schöpfung der byzantinischen Zeit; schon in den alten Rhetoren-
schulen gab es solche Uebungen, und aus ihnen entsprangen die landschaft-
lichen Schilderungen, die einen so beliebten Schmuck der griechischen
Romane bilden. Man kann in diesem Zusammenhang die metrische ' Ex-
(fjQaaig xov xoa^ixov niraxog nennen, in welcher Johannes Gaza um 5;'.'
im Geschmacke der Poesie des Nonnos eine Weltkarte erläutert hat. Eiii'
echt rhetorische "Ex^gaaig ist die Schilderung der Stadt Thessalonike, welche
Johannes Kameniates seiner kleinen historischen Monographie voraus-
schickte (s. § 27). Endlich gehören hieher die 'ExtfQÜatig von Trapezunt.
Imbros und Korinth des Rhetors Johannes Eugenikos; s. § 107.
B. Werke der Praxis.
73. Kirchliche Geographie. Den Zwecken der kirchlichen Verwal-
tung dienten Verzeichnisse der Patriarchensitze und der in genau be-
stimmter Rangordnung ihnen untergebenen Hauptkirchen und bischöf-
lichen Sitze. Im allgemeinen zeigt sich in diesen Notitien die Kirchon-
ordnung des Justinian und des Heraklios erhalten. Wichtige Umwäl-
zungen vollzogen sich am Ende des 9. Jahrhunderts unter Kaiser Leo VI
dem Weisen. In seine Zeit gehört der Ueberschrift zufolge: 7/ yfyoi/i«
diatvTKoaig naqd zov ßccaiXbUig Aeovvog xov ^o(fov, onuyg ixovüi la^twc «'
Ihgövoi TO)V fxxh](Tiö)y rojr vnoxfifit'vuyv T«p naiQiäQXi} Ko)raitti'itrov7röXtü)g.
Aus späterer Zeit stammt die umfangreiche Rangordnungsliste der dem
apostolischen Throne von Konstantinopel unterstehenden Metropolen und
bischöflichen Sitze: Tii^ig TiQoxaO^e^Qiag iwr imo lov unuaioXixov ,'>(>öj'or
K(aratuvtivovTi6Xe(og teXovvTtay jLit^iQOTroXiiwy xal iiäy vn' itviovg t/naxörriov
Daran schliesst sich ein Verzeichnis der den Metropoliten gebiilirenden|
Titel, die in Ryzanz, der Wiege und Heimat aller Etikette, selbstver
stündlich ebenfalls aufs genauestt* fixiert waren: JJuii i t^g lu'^twg tm
2. Geographie. (§ 72—73.) 161
d-Qovoov Twv iu]Tqo7ioXiT(üv ' xCvsq avTwr Xeyovrai s^aQxoi xal victoxi^ioi^
Ti'vfq vntQTiHoi fiorov. Aus vorschismatischer Zeit stammt noch die 'Ara-
xe(faXai(oaig twv ctyKOTÖTcor nuTQiaqx^v, twv OQoO-eaiMv xal avvagi^i^i^aig
Ttäv änoaToXixwy ^görcor. Wichtig ist die dem Werke des Konst. Por-
phyrogennetos De caerimoniis einverleibte 'Ex&saiz ngiinoxli^aiwr, nav-
QiaQX(äv T€ xccl {ir^TQOTioXnwv des Erzbischofs Epiphanios von Cypern
(aus dem 4. Jahrb.). Eine ausführliche Statistik und Geschichte der Pat-
riarchate, Episkopate und Metropolen schrieb im Auftrage Königs Roger II
von Sizilien (1101^1154) im Jahre 1143 der Archimandrit Nilos Doxo-
patres (Doxapatres?) ') Ntikov Jo^unaTgiov (lies: Jo^aTravQi]) rä^ic tmv
naxQiaoxixoiv ^qÖvcüv. Der Verfasser, der auch als Hymnendichter genannt
wird, lebte eine Zeitlang in Palermo, und wurde später Notar des Pat-
riarchats in Konstantinopel und Nomophylax des Reiches. Da die Rang-
ordnung und der Bestand der Metropolen und Episkopate sich im Laufe
der Zeit vielfach änderte, entstanden noch zahlreiche Neubearbeitungen.
Unter anderm besitzen wir zwei revidierte Verzeichnisse aus der Zeit des
Kaisers Andronikos II Palaeologos (1283 — 1328) nämlich die "Ex&eaig ßaai-
Xe'wg \4vdQOvixov rov IlaXaioXöyov rov ytqovrog, 7)7T(og rin' s^ovai rä^ecog at
VJtoxeijiisrai m^xQonöXsig X(o naxQiagxixo) d^göro) xT^g KwraTavrivovTxöXeoog und
die Ex&eaig via 'ArdQOvixov ßaaiXt'wg, offxig xdg xov KTioXewg f^ir^XQonöXtig
dXXag iilv /nixQoir dvsßißaaer, dXXag 6i näXiv eig ^utxQoxtQag xcov i^QÖvuiV
xaxsßißaaer, wc srrav&a avvdg aiiineio'yffoi^uv.
Die chronologische Bestimmung aller dieser Notitien wird durch
die zahlreichen späteren Zusätze und Erweiterungen sehr erschwert; auch
reicht hiefür das veröffentlichte Material nicht aus, da noch manche wich-
tige Rezensionen ungedruckt sind. Für die Untersuchung ist vor allem
die Heranziehung der Konzilsakten nötig, welche uns über die allmähliche
Veränderung in der Hierarchie nützliche Aufschlüsse gewähren. Bei aller
Trockenheit sind die Verzeichnisse immerhin interessant als Zeugen der
straffen Organisation der byzantinischen Kirche selbst in der Zeit des grössten
politischen Verfalls und durch die in ihnen enthaltenen Beiträge zur geo-
graphischen Nomenklatur des Mittelalters. Merkwürdig scheint die Zähig-
keit in der Erhaltung der alten Namen; doch steht sicher, dass viele
der hier noch aufgeführten alten Benennungen im Volksmunde teils ver-
loren gegangen, teils durch andere ersetzt worden waren. Die Sprache
der Verwaltung hielt an den alten Namen fest selbst bei Sitzen, die gar
nicht mehr existierten, ähnlich, wie es die römische Kirche mit ihren
Bischöfen in partibusinfidelium thut. Lehrreich ist in dieser Beziehung
die Schlussbemerkung der Nia ixd^saig des Andronikos Palaeologos: Aviai
ftaiv ttt xov O^QÖvov xov KnoXswg näaai fir^xQonöXeig • dr^Xoröxi at nqoyt-
YQafifitrai ivvia TtQog xaig ixaxöv • acö^ovxai Jt ai]ixsQ0Y jiisQixai und
der Zusatz im Titel eines anderen Verzeichnisses (S. 243 ed. Parthey}:
KaxäXoyog iniaxonwv at xirai (!) i'xaaxog twi- fjir^xQonöXecov vnoxixXiviai,
oaai aw^ovxai vvv ex fitQovg' ex xovxcav at nXeiaxai riipavidxr^aav.
Um diese reichen Listen für Geschichte und Geographie wirklich fruchtbar
') Vgl. § 92 Anm. 2.
Hftndbucb der klas8. AltertumsvlaBenschaft. IX. 1. Abtlg. 11
162 Byzantinische Litteraturgeschichto. I. Prosaische Litteratur.
zu machen, bedürften wir zuerst einer erschöpfenden Untersuchung ihrer
Chronologie und ihres genealogischen Verhältnisses, sowie eines erklärenden
Kommentars, eine Aufgabe, die der letzte Herausgeber leider andern
überlassen hat.
Ausgaben: Nach den alten, weit zerstreuten und meist schwer zugänglichen Drucken
sind diese Verzeichnisse (im ganzen 14 Nummern) mit Benützung handschriftlicher Mittel,
die freilich zum Teil erst in leidigen Nachträgen Verwertung fanden, mit einem Index
herausgegeben in: Hieroclis Synecdemus ex rec. Gust. Parthey, Berolini 1866 S. 55 ff.;
dortselbst findet man auch für jedes einzelne Stück die gesamte ältere Litteratur ver-
zeichnet. — Vgl. K. E. Zachariae von Lingenthal, Zur Kenntnis der notitiae epis-
copatuum Graecorum, Monatsber. d. k. preuss. Akad. d. Wiss. 1878, 276—288, wo an einem
Beispiele aus dem 17. Jahrhundert nachgewiesen wird, wie diese Verzeichnisse für die
kirchliche Geographie nutzbar zu machen sind. — Hauptschrift: H. Geizer, Zur Zeit-
bestimmung der griechischen Notitiae episcopatuum, Jahrbücher für protest. Theologie 12
(1886) 337—372; 528—575.
74. Hierokles. An der Spitze der im Interesse des Staates thä-
tigen Geographen steht der Grammatiker Hierokles aus der Zeit des
Justinian. Sein vor dem Jahre 535 veröffentlichtes Werk ^vvtxdijfiog ist
ein statistischer Abriss des oströmischen Reiches, in welchem
64 Provinzen und 912 Städte (statt der im Titel angekündigten 935) auf-
gezählt werden. Das Werk zeigt einige Verwandtschaft mit den Hand-
büchern der kirchlichen Verwaltung, gehört aber nicht zu diesen, sondern
ist als Hauptgrundlage der politischen Geographie bei den Byzantinern
zu betrachten. Die Absicht des Verfassers, eine politische (nicht kirch-
liche) Statistik zu geben, ist in den Worten der Einleitung ausgesprochen:
Elalv ttt näaai inaQxtcci xal nöXtig at vtvo tov ßaaiXta rwr 'Ponfiaitov
Tov €v KnöXei inaQxicci ^d\ nöXetg ^Xe', Mg vnottjaxtm. Ob er die An-
regung zu seinem Werke durch einen höheren Auftrag erhielt, ist uns
nicht bekannt. Hierokles war neben Stephanos von Byzanz Haupt-
quelle für das Werk des Konstantin Porphyrogennetos üsqI tmv O^eftä-
tcov (s. § 18).
1. Hieroclis Synecdemus ex recogn. Gust. Parthey, Berolini 1866; in der Vorrede
Uebersicht über die früheren Leistungen und die Handschriften. — Gute ErklärungtMi
dunkler Ortsnamen bei Hierokles von W. Tomaschek, Zeitschr. f. d. Österreich. Gymn.
18 (1867) 715 — 720. — Als Hilfsmittel ist noch das (iebührenverzeichnis in der
8. Justinianischen Novelle zu erwähnen, welches Parthey für seine Ausgabe dos
Hierokles unbenutzt lie.ss; es wird hier die Einteilung des Reiches ersichtlich, indem die
Beamten der einzelnen Provinzen aufgeführt werden mit Rücksicht auf die Anstellungs-
gebühren, die sie entrichten mussten. ¥A. im Corpus iuris civilis edd. Th. Mommsen,
Krueger, R. Schoell, fascic. X (Berolini 1888) 80 ff. Ausserdem vgl. auch die von
Tafel, Const. Porphyrogenn. De provinciis 1. II (1847) beigegebonen Stücke.
2. Beachtung verdienen drei kleine Verzeichnisse von Landschaften und
Städten, die in späterer Zeit ihren Namen geändert haben: "Oom xuif nöXttoy fiertoi'o-
ludaSr^any eig vaieQov etc.; alle drei scheinen einer späten Epoche anzugehören, die sich
durch Vergleichung der neuen Namen in Historikern und anderen Werken viel leicht nähor
bestimmen Hesse; sie sind ediert bei Parthey, Hierocles 8. 311 — 318. Vgl. Nike^>horos
Bryennios IV 5 (ed. Bonn. S. 134, 22) lUtQit notnuoy ovx oitf' 'önios «(>/»}.'>{»' xnkovufyot'
diti ro tifiBKpd^vtti Tuiv 6vofi(ixii)v r ti TiAeTarn u. s. w. — Ein kloines und, wie
es scheint, ganz wertloses Provinzenverzeichnis hat Montfaucon, Bibl. Coisliniana
(Paris 171.5) .5H1- .584 ediert.
75. Itinerarien, Segelhandbücher und Karten. Wie es schon in
der hellenischen Zeit für den praktischen Gebrauch bestimmte Aufzeich-
nungen der Entfernungen von Städten, Häfen und Inseln gab,^) so waren
') Vgl. Lolling im Handbuch der klass. AUeHinnsiwiss. 111 108.
2. Geographie. (§ 74-75.) 163
derartige Handbücher, welche die heutigen Generalstabspläne, Distanzen-
messer, Pilotenbücher und Seekarten vertraten, auch im byzantinischen
Reiche, besonders in der Marine, sehr gebräuchlich. Das beste und
reichhaltigste Werk dieser Art; ist der 2Ta6ic«ji.i6c iJToi ttsqittXovc T»]g
lieyäh]c ^aXdaar^g: der anonyme byzantinische Verfasser, der aus treff-
lichen älteren Quellen schöpfte, beschreibt darin die Fahrt von Alexandria
zu den Säulen des Herakles an der afrikanischen Küste, dann die von
Alexandria bis nach Dioskurias an der asiatischen, endlich die von Byzanz
bis zu den Säulen des Herakles an der europäischen Küste. Dazwischen
sind einzelne Inselumsegelungen und zahlreiche Seitenfahrten eingestreut.
Die genauen Angaben, welche dieses Seehandbuch über Entfernungen,
Hafenverhältnisse, Klippen, Untiefen, Fundorte von Trinkwasser u. s. w.
macht, geben uns einen Begriff von der technischen Ausbildung des grie-
chisch-byzantinischen Seewesens. Leider ist uns von dem Werke der
grössere Teil verloren gegangen. Ohne Wert ist die vorzugsweise aus dem
pseudoarrianischen JleQlnXovc JIövtov Ev^eivov geschöpfte anonyme 'Ava-
fi£rQ}]atg Ti]g oixoviiiyi]c näai]z xard avvoipiv. Durch die Beziehung zu einem
folgenreichen historischen Ereignisse erregt unsere Teilnahme ein im Werke
des Konstantin Porph. De caerimoniis erhaltenes kleines J^TaSioSgofiixav
(d. h. Distanzentabelle) für die Linie Konstantinopel-Kreta, welches bei den
Vorbereitungen des Konstantin Porph. zu der Expedition gegen die Sara-
zenen auf Kreta im Jahre 949 verfasst wurde.
Eine Ergänzung der Itinerarien und Pilotenbücher bilden geogra-
phische Karten, die zu strategischen Zwecken, wie wir aus Anna Kom-
nena wissen, besonders aber zur Erleichterung der Seefahrten dienten.
Echt byzantinische Karten mit griechischer Legende scheinen nicht
erhalten; doch haben wir einen Ersatz an mehreren dem 15. Jahrhundert
angehörenden Exemplaren italienischer Provenienz. Die oft wunder-
sam verunstalteten und schwer zu erklärenden Ortsnamen sind hier in dem
seltsamen Kauderwelsch, das die Seesprache des Mittelmeers bildete (lingua
Franca), mit lateinischer Schrift angegeben; der Hauptteil der Benennungen
ist italienisch, daneben aber finden wir auch andere romanische Sprachen
vertreten und natürlich auch die griechische ; letztere in einer den Italienern
mundgerechten Form.
1. Ausgaben: iTteäiuafiöi; etc. ed. C. Müller, Geogr. Gr. min. I 427 — 514;
vgl. Praefatio S. 123 ff. Die 'Ayauergr^ais ebenda S. 424 — 426. — Ixa6ioiQouix6v
des Konst. Porph. in dem Werke De caerim. II 45 {^= I 664 ff. ed. Bonn.) und von Tafel,
Constantini Porph. De provinciis regni Byzantini, Tubingae 1847 S. 17 f., wo auch noch
verschiedene Redaktionen eines Periplus des schwarzen Meeres u. a. beigegeben sind. - -
Vgl. Joh. Iriarte, Regiae bibliothecae Matritensis codd. Graeci vol. 1 (1769) 480 ff., wo
der den Ixadiaauög r^g usy. f^aX. und andere geographisch-historische Stücke enthaltende
cod. Matrit. 121 beschrieben ist.
2. Geographische Karten: Mehrere in der Münchener Bibliothek befindliche
Stücke beschrieb Schmeller, Abhandl. der bayer. Akad. d. Wiss., philos.-philol. Cl. Bd. 4
(1844-47) Abt. 1, 243—273. — M. Thomas, Der Periplus des Pontus Euxinus. Ingleichen
der Paraplus von Svrien und Palästina und der Paraplus von Armenien, Abhandl. d. bayer.
Akad. d. Wiss., philos.-philol. Cl. 10 (1864—1866) 221-290; dortselbst S. 226 f. u. 231 f.
■weitere Litteraturangaben. — Vgl. die (aus dem 16. Jahrhundert stammende) venezianische
Karte von Morea bei K. Sathas, Documents inedits relatifs h Thistoire de la Grece,
I. Serie, vol. 1 (Paris 1880) und die Karte von Cypern in: Aeovriov MaxfUQÜ \Qoyixoy
KvTtQov edd. E. Miller et C. Sathas. Paris 1881 (texte Grec), sowie das von E. Miller a. a. 0.
IX*
164 Byzantinische Litteraturgeschictite. I. Prosaische Litteratur.
S. IX zitierte Werk von Cristoforo Negri, Portolani esistenti nelle principali biblioteche
di Venezia, Venezia 1866.
3. Reiche Hilfsmittel zur Kenntnis der byz. Geographie sind die uns erhaltenen
byzantinisch-italienischen Handelsverträge, Goldbullen, Schenkungs- und Kaufurkunden u. s. w.
Sie sind herausgegeben teils in den Acta et diploin. Gr. med. aevi edd. Fr. Miklosich
et. J. Müller {vgl. S. 35 f.), teils von L. Fr. Tafel und M. Thomas, Urkundenbuch
zur älteren Handels- und Staatsgeschichte der Republik Venedig mit bes. Beziehung auf
Byzanz und die Levante, 3 Bde., 1856—57 (= Band 12 — 14 der H. Abteil, der , öster-
reichischen Geschichtsquellen "); dortselbst I 375 — 381 ein venezianisches Schifferbuch
über die armenische Küst<? aus Marino Sanuto und II 399 — 416 ein ähnliches, ebenfalls aus
M. Sanuto entnommenes für die syrische Küste. — Ueber das byzantinische Seewesen vgl.
A. Fr. Gfrörer, Byzantinische Geschichten II (Graz 1873) 401—436.
76. Wallfahrerbücher. Dem religiösen Privatinteresse, welches sich
bekanntlich schon vor den Kreuzzügen in häufigen Wanderungen nach
Jerusalem kundgab, dienten einige periegetische Schriften, welche Palästina
und die heiligen Orte schildern, gleichsam byzantinische Reisehand-
bücher für das heilige Land. l. Das älteste dieser für die mittelalter-
liche Topographie und Geschichte von Palästina wichtigen Büchlein schrieb
im Anfange des 9. Jahrhunderts (vor 820) ein Mönch Epiphanios, von
dem wir auch ein Leben des hl. Andreas haben: ^Ennfaviov tov ^lova^ov
Tov ^AyioTToXiTov tov JTvei'/^iaTixov ij^mv nargdg öirjyriaic dg tvtcüv 7ieQH]yrixov
negl tf^g 2vQiag xal rr^g äyiag nöXtcog xal tmv ei' avifi dyiwv xortMV. 2, Ein
ähnliches Werk ist des Johannes Dukas Ex^gaaig er avvöipti rwr an'
'AvTiox^iag ^i^XQig 'hqoaoXvf^ioiv xäüTQwv xal x^iQMV ') 2t<Qtag, (Poivixr^g xai
Twv xard UaXaiaTivrjv dyion' TÖTTOiv. Der aus Kreta gebürtige Verfasser
leistete, wie er selbst erzählt, unter Manuel Komnenos Kriegsdienste und
zog sich später als Mönch in das Kloster des hl. Johannes auf Patmos
zurück. Seine Palästinareise fällt in das Jahr 1177. 3. Auch eine versi-
fizierte Bearbeitung des Themas ist uns erhalten; der Protonotar Perdik-
kas von Ephesos schrieb, wir wissen nicht wann, 260 recht ärmliche
politische Fünfzehnsilber IJegt reHv er 'IfQoaoXvftoig xvQiaxüiv ^fufiätiav. f
4. In unbeholfener Gräzität abgefasst, aber reichhaltig im Stoffe ist die
anonyme, schwerlich vor dem 15. Jahrhundert entstandene 'Anödei^ig nt()i
T(öv '^IfQoaoXvfioov. 5. Endlich beschrieb gegen das Ende des 15. Jahrhun-
derts der Metropolit Daniel von Ephesos eine um 1476 ausgeführte
Reise nach dem hl. Lande: Jii'jyrjaig /favn]l f^UjXQonoknov 'Eift'nov xai nt'
Qiodog rwv äyioav totiiov.
1. Ausgaben: Nr. 1-4 ed. pr. Leo Allatius, Iv^fuxta. Köln 1653. I 1 — 102. -
Daraus wiederholt im Venezianer Corpus der byz. Hist. mit Genesios, Venedig 1733
und bei Migne, Patrol. Graeca 120 (1880) 259-272 und 133 (1864) 924-1004. - - Von
Epiphanios ediert« zwei griechische Texte und eine slavische Redaktion mit russischer
Uebersetzung und einem wertvollen Kommentar V. Vasilievskij in den Publikationen
der russischen Palästinagesellschaft, Petersburg 1886 (mir unzugänglich)- Vgl. dou aus-
führlichen Bericht von P. Bezobrazov, Revue arch^ologique, IILserio 7 (1886)308 — 316. —
.Johannes Dukas winde nach einer neuen Kollation der einzigen bckannt^Mi Handschrift
mit Verbesserungen wieder ediert von K. Miller, Recueil des historiens des croi.sade.s
Hist. Grecs I (Paris 1875) 2, 527 558; vgl. die Vorrede S. 8 flF. — Nr. 5: Kd. Mingarelli,
Graeci codd. ms-s. apud Nanianos asservati, Bologna 1784 S. 282 ff. — Kd. Andr. Musto-
xydes, 'EkXtjyo/jytjiiwy 1843, 1H1--193 (unvollständig). — Ed..I. Belludes, Venedig 1875. —
Ed. G. Destunis in den Publikationen der russischen Palä-stinagesellschaft 1884. — Vgl.
PapadopulosKerameus im lla^ciQtri/Att der Berichte dea'EXkijytxos <piXoXoytx6( ovXXoyos
in Kunstantinopel 1886 8. 54 if.
') Wohl = , Stadt" im ncufrriech. Sinne.
2. Geographie. (§ 76—79.) 165
2. Ziir Aufklärung und Ergänzung dienen namentlich die abendländischen und
russischen Wallfahrbücher. Eine grossartige Sammlung dei-selben ist veröffentlicht
in der Serie geographique der Publications de la societe de l'Orient Latin. Vol. 1 — 2,
Genf 1879, enthält lateinische Itinerarien, herausgeg. von Titus Tobler und A. Molinier;
vol. 3. Genf 1883, französische Itinerarien des 11. — 13. Jahrhunderts von H. Michelant
und Gaston Raynaud; vol. 4, Genf 1885, lateinische Wallfahrbücher von A. Molinier
imd C. Kohler; vol. 5, Genf 1889, russische Itinerarien in französischer Uebersetzung
von M™® de Khitrovo. Die Sammlung soll auch italienische imd griechische Texte
bringen. — Dazu noch: Theodosius, De situ terrae sanctae ed. J. Gildemeister, Bonn
1882. — Die reichhaltigste Zusammenstellung gedruckter und ungedruckter Beschreibungen
von Palästinareisen gab T. Tobler. Bibliographia geographica Palaestinae, Leipzig 1867.
Von demselben: Descriptiones terrae sanctae ex saeculo VIII, IX, XII et XV, Leipzig 1874.
77. Andreas Libadenos {^itßadr^rög) lebte als Prototabularios und
Chartophylax der Metropolitankirche von Trapezunt um die Mitte des 14.
Jahrhunderts unter den Grosskomnenen Basilios I und Alexis III. Sein
Hauptwerk ist eine IleQirjr^Tixi] larogice, in welcher er eine Reise von
Konstantinopel nach Aegypten und Palästina und zurück nach Konstan-
tinopel und Trapezunt schildert. In dem Reisebericht sind ziemlich aus-
führliche Notizen über die damalige Geschichte von Trapezunt, besonders
über die Streitigkeiten in dieser Stadt nach dem Tode des Kaisers Basi-
lios I (1340) eingeflochten. In diesen geschichtlichen Nachrichten ruht der
Hauptwert der von Fallmerayer noch nicht benützten Schrift, die eine
Ergänzung der trapezuntischen Chronik des Panaretos (s. § 66) bildet;
aber auch die zahlreichen Beschreibungen der besuchten Oertlichkeiten sind
für die Geschichte der geographischen exifqaaiq nicht ohne Nutzen. Ausser
dieser Periegese enthält der cod. Monac. 525 von demselben Autor eine
X>fiokoYi'cc TTiatewc, Gebete, ein Enkomion auf den Wunderthäter Phokas,
Briefe an Gerasimos, Bischof von Kerasunt. mehrere Poesien religiösen
Inhalts und einige Rätsel.
Eine Analyse des Hauptwerkes mit biographischen und historischen Bemerkungen
gab M. Paranikas, Beiträge zur byzantinischen Litteratur, Diss. München 1870 S. 23 ff.
78. Von einem sonst nicht bekannten Kananos Laskaris (Ka-
vavoc Adaxaqig) haben wir kurze und ziemlich formlose Notizen über
eine Reise nach Deutschland, Schweden, Norwegen und Is-
land, die er, w^ie sich aus inneren Gründen mit Wahrscheinlichkeit er-
gibt, zwischen 1397 und 1448 ausführte. Lambros vermutet, dass dieser
Kananos mit dem Verfasser des Berichtes über die Belagerung von Kon-
stantinopel i. J. 1422 (s. § 42) identisch sei, was sich weder beweisen noch
widerlegen lässt.
Ed. Sp, Lambros. Ktcyavog AüaxaQig xtu BaaiXeiog Barär^irjc. Separatabzug aus dem
5. Bande des ntcQfaaaög, Athen 1881. Der im Titel erwähnte Batatzes bereiste 1727
Russland und Asien und widmet« der Schilderimg seiner Erlebnisse ein grosses Gedicht in
politischen FünfzehnsUbem, von dem Lambros Proben mitteilt.
79. Georgios Kodinos {remgyiog Koidhog), von seiner Würde Kovqo-
TraAcrri^g genannt,') war unter den letzten Paläologen als fleissiger Kompi-
lator thätig; wenn der Schluss seiner Chronik, in welcher noch der Fall
Konstantinopels erwähnt wird, echt ist, muss er das Jahr 1453 noch
überlebt haben. Seine übrigen Werke sind aber jedenfalls vor dieser
Katastrophe verfasst, da sie zweifellos den Bestand des byzantinischen
') Ueber das Amt des Kuropalaten s. Codin. de offic. ed. Bonn. S. 184.
166 Byzantinische Litteratargeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Kaisertums voraussetzen. Er gibt in denselben gerade noch vor Thorschluss
einen Ueberblick über die starren Formen des byzantinischen Hofes, die
so bald einer neuen Lebensart weichen sollten, und über die Merkwürdig-
keiten der Hauptstadt, die nicht lange darauf teils zerstört, teils gründlich
umgestaltet wurden. Wir besitzen von ihm ein Werk über die byzantini-
schen Hofämter, eine Sammlung von Exzerpten über Geschichte, Topo-
graphie und Denkmäler von Konstantinopel, endlich eine kleine Chronik.
1. Das Werk über die Hofämter, nach Umfang und Inhalt die
bedeutendste seiner Leistungen, hat den Titel: Tov aoifancciov xovQona-
Xärov 7i€Qi T(iov 6(fffii)i((ov TOV TiaXaTi'ov KnöXeuig xal rmv offtfiximv trjg fie-
yäXrfi ixxXr^aiaq (gewöhnlich lateinisch zitiert: De officiis). Ein aus-
führliches Verzeichnis der zahlreichen Stufen in der griechischen Hierarchie
und der Beamten des kaiserlichen Hofes und Staates, hat das Werk für
byzantinische Kulturgeschichte eine hohe Bedeutung und erhält auch durch
die gelegentlichen Rückblicke auf frühere Zustände bzw. auf Neuerungen,
wie sie Alexios Komnenos und andere vornahmen, ein historisches Interesse.
Wir erhalten die genauesten Aufschlüsse über die den Beamten zukommende
Uniform, die Form der Kopfbedeckung, den Schnitt der Kleidung, die
Farbe der Schuhe (ein besonders wichtiger Punkt !), über ihre dienstlichen
Vorschriften, über das ins feinste Detail ausgearbeitete Hofzeremoniell bei
Kirchenfesten, über die Gebräuche bei der Kaiserkrönung, bei der Ernen-
nung des Despotes, des Sebastokrator, Kaesar und Patriarchen, bei der
Ankunft einer kaiserlichen Braut, über Hoftrauer u. s. w. Die Schrift ist
mithin eine Ergänzung des von Konstantin Porphyrogennetos verfassten
Werkes De caerimoniis. Es berührt uns wie eine Ironie des Schicksals,
dass all der massenhafte Flitterstaat, der ein Jahrtausend alte, verwickelte
Apparat von Aemtern und Aemtchen, von Titeln, Vorschriften und Ge-
pflogenheiten, die bald auf immer von der Weltbühne verschwinden sollten,
noch in der Todesstunde des rhomäischen Staates einer litterarischen Be-
achtung für würdig befunden wurde. Nicht ohne Grund fragen wir uns
auch, was für einen Zweck eine solche Bemühung in der Zeit haben konnte,
da das morsch gewordene, auf ein winziges Teilchen zusammengeschmolzene
Reich vor aller Augen sich zum Sturz neigte, und fürwahr alles nötiger
war als eine Wiederholung der Vorschriften über die Form und Farbe der
Beamtentracht. Es scheint, dass der Verfasser bei dieser Kompilation
von einem rein antiquarischen Interesse geleitet wurde.
2. Der Geschichte und Topographie, sowie den Denkmäloni
Konstantinopels widmete Kodinus 5 Kompilationen, die bei aller Form-
losigkeit durch ihre zum Teil vortrefflichen Quellen und wegen der Armut
der byzantinischen Litteratur an ähnlichen Schriften von grösster Wich-
tigkeit sind: A. Die llaQfxßoXni ex ti]g ßißXov tov XC*"''*"" negi tair
naTQiiov rr-g KnöXeoyg behandeln die Gründungsgeschichte der Stadt Byzanz
und den Ursprung einzelner Stadtteile nach älteren Quellen. B. Utg)
trjg ax^ilicttoyQa(ftag tijg KnöXeoyg d. h. über den Plan oder, wie wir
jetzt sagen würden, über die Topographie von Konstantinopel, ein kurzes
Exzerpt unbekannter Provenienz. C. IleQ) (tynXiini mw (Th^Xmi- xal
i^euficciMv Ti*$ KnöXeoig^ eine ungemein reichhaltige Abhandlung über den
2. Geographie. § 79.) 167
Anlass und die Geschichte der in Konstantinopel einst befindlichen Statuen
und sonstigen Kunstdenkmäler. Das bedeutende hier aufgespeicherte Ma-
terial geht auf die besten Quellen zui'ück, ein grosser Teil auf Johannes
Lydos, das übrige auf ein uns erhaltenes Werk nagctarctaeig gvvtoiioi
XQovixai\ welches ein anonymer Autor in der Zeit des Manuel Konmenos
(1143 — 1180) aus Eusebios, Soki*ates, Theodoros Lector bzw. aus einer von
diesen abgeleiteten Quelle zusammengestellt hatte. D. n^ql xTiauccTwv
Ti]q Krxokewc, eine Kompilation über die Entstehungsgeschichte der Waisen-
häuser, Hospitäler, Paläste, der wichtigen Privatgebäude und besonders der
zahllosen Klöster, Kirchen und Kapellen Konstantinopels ; auch sie stammt
zum Teil aus den naQuaiäasic avitofioi x^ov/x«/. E. IJfql ti]q olxo-
Sofirjg Tov vctov rrjg dyiag 2o(fiag. Diese Schrift über die gross-
artige Schöpfung Justinians, den Tempel, oiog ovx dyiveto ano 'ASdii ovvs
ytvr^aetcci, wie Kodinos oder seine Vorlage mit berechtigtem Stolze sagt,
trägt leider einen legendenhaften Charakter und geht offenbar auf eine
ganz ungelehrte, mönchische Quelle zurück. Die wenigen brauchbaren Mit-
teilungen, wie die Nachi'ichten über die beim Bau angewendeten technischen
Mittel, verschwinden in einem Wüste fabelhafter Wundergeschichten, die
sich während des Baues zugetragen haben sollen. Aus der von Kodinos
unverändert aus seiner Vorlage herübergenommenen Bemerkung (S. 145, 7),
seit der Gründung der Hagia Sophia seien 458 Jahre verflossen, ergibt
sich, dass die Quelle aus dem Ende des 10. Jahrhunderts stammte (995 96),
da die Vollendung des Baues 537/38 erfolgte. Die Sprache ist in den
letzten drei Stücken auffallend einfach, ganz parataktisch und lose in der
Struktur der Sätze.
Zur Vergleichung und Ergänzung dieser fünf Kompilationen dienen
besonders das Fragment der närgia r/;c KjiöXf oyg des Hesychios von
Milet, die Schrift des Prokopios Ilfoi xnafidTwr, des Paulos Silen-
tiarios Gedicht über die Sophienkirche, des Patriarchen Photios Schrift
über die von Basilios dem Makedonier gegründete Kirche der Mutter Gottes,
des Niketas Akominatos Traktat über die von den Lateinern zerstörten
Statuen, des Georgios Pachymeres Ex<fqaaig tov Aryorareonog und das
anonyme Schriftchen TIsqi twv Tctifow rwr ßaaiXioiv tmv mrayv ev toj
iaf[} TÖiv dyioiv dnoarökwv. Dazu kommt als Bericht aus etwas späterer
Zeit das Werk des französischen Reisenden P. Gyllius (f 1555): De topo-
graphia Cpoleos libri IV, Lugduni 1561—62.
Direkte Quelle des ganzen Exzerptencorpus ist ausser den oben
erwähnten naQccozdfieig avrxofioi xQovixai vor allem ein unter Alexios Kom-
nenos (1081 — 1118) zusammengestelltes anonymes Werk: Td ndtgia rf^g
TiöXewg. Demselben geht ein kleines Gedicht in jambischen Trimetern
voraus, in welchem der Verfasser seine Leistung dem Kaiser Alexios Kom-
nenos widmet:
oixot<s, raovg, artjXag re xu'i reixiHy ^eaeig,
eis (y avytixpag axQtßjjg Bv^ctyriov,
'JXe^ibt ufdoyri Kofirrjyw (fSQco.
Der Anonymus teilt die Stadt in 3 Quartiere, die er der Reihe nach in
3 Büchern beschreibt; im 4. Buche schildert er den Bau der Uyia 2o(fia.
■
16g Byzantinische Litieratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
Seine Quellen sind nicht vollständig festzustellen; doch weist die Unter-
suchung des Materials namentlich auf Hesychios von Milet, die Oster-
chronik und Theophanes. Aus ihm schöpfte nun Kodinos so ausgiebig,
dass viele Partien fast wörtlich übereinstimmen. Durch die Einsicht in
diese Vorlage sinkt Kodinos zu einem ganz unselbständigen Autor herab,
der zum grossen Teil nur die Bedeutung eines späten Kopisten besitzt,
eine Thatsache, die auffallender Weise auch nach der Veröffentlichung der
nÜTQia von niemand bemerkt und durch das von I. Bekker in der Bonner
Ausgabe beliebte Verfahren geradezu auf den Kopf gestellt wurde.
3. Eine ganz untergeordnete Stelle nimmt die dem Kodinos zuge-
schriebene Chronik ein: IleQi tmv ano xttaewg xoüfxov iimv fxt'xQi irjg ßaai-
kftag Tov ueyäXov Kwvaiavih'ov xal jxeQi rwv ßaaiXevffärTon' ev avTr^ xf^
ßaath'6i tmv nöXewv fiiXQi xal avtr^q rrjg naQci rwv 'Ayaqrivön' ravir^g dXo')-
asMg. Es ist ein wertloses Machwerk, in welchem die Thatsachen der
Weltgeschichte bis zum Falle Konstantinopels 1453 in der Form eines
dürftigen chronologischen Abrisses auf wenige Seiten zusammengedrängt
sind. Dass als Quelle ein unter Kaiser Manuel abgefasstes Verzeich-
nis diente, ergibt sich aus der Bemerkung: 'O xvqiog 'AXt^iog 6 Ko/jivrjvög,
ö TKXTtTiog TOV xQuiMov xttl dyi'ov riiiurv ßaaiXtoig d. h. des Manuel Komnenos
(S. 158, 20 ed. Bonn.). Was Kodinos für die spätere Zeit benützte, ist
nicht bekannt. Da im Titel zuerst eine Chronik bis auf Konstantin den
Grossen verheissen wird, scheint das uns erhaltene Stück nur Auszug aus
einem grösseren Werke; denn das in der Ueberschrift besonders vermerkte
Stück bis auf Konstantin füllt kaum eine Seite.
1. Ausgaben: JIeqI riov ofpcpixiwy. Sapientissimi curopalatae de officialibus
palatii Cpolitani ex bibliotheca Julii Pacii ed. Gr. et Lat. Franc. Junius (unter dem
Pseudonym Nadabi Agmonii), Lugduni 1.588. Wiederholt mit neuem Titel Heidelberg
1.596. — Georgius Codinus curopalata De officiis etc. studio J. Gretseri, Parisiis 162.5
(mit lat. Uebersetzung und Kommentar). — Dann im Pariser Corpus ed. J. Goar, Parisiis
1648. — Wiederholt Venedig 1729. — Im Bonner Corpus ex recogn. 1. Bekkeri, Bonn
1839, mit den Kommentaren und Indices von Gretaer und Goar ohne eine Spur selbst-
ständiger Leistung.
Die 5 Exzerpte über Konstantinopel und die Chronik nach früheren Einzel-
drucken (bes. De antiquitatibus Cpol. von P. Lambecius, Paris 165.5, wo auch 3 Briefe
des Manuel Chrysoloras an Joh. Palaeologos über die Vergleichung des alten und neuen
Roms beigegeben sind) jetzt vereinigt im Bonner Corpus: Georgii Codini excerpta de anti-
quitt. Cpolitanis ex recogn. I. Bekkeri, Bonn 1843; hier auch die naQuardaetg avrrojuoi
XQovixni (aus Banduri's Imperium Orientale vol. I), des Patriarchen Pliotios "Exffgaati ri/f
fV ro/V ßf(ai),eloi? viag ixxktjaiui rrj^ vTifQayias 9eor6xov vno liaatXelov rov Mf<xed6i-o<;
oixodouTjfi^siarjg und die anonyme Schrift über die Kaisergräber in der Kirche der lil. .\postel
(ebenfalls aus Banduri, imp. Orient. I), sowie die Kommentare von Meursius und Lambecius
und ein grammatischer Index (aber leider kein Sachregister!). — Die anonymen Uutqiu
rtjg TiöXeoig edierte Ans. Banduri, Imperium Orientale, Paris 1711, vol. I, pars III 1 — 80.
Bekker hat, statt die.se Vorlage in exttmso mitzuteilen, in seiner Ausgabe (s. S. XIV) die
abweichenden Stellen unvollständig im Apparat veraeichnet, wodurch die Einsicht in die
verschiedene Anordnung der lläiQin und ihr Verhältnis zu Kodinos völlig verdunkelt wurde.
Da wäre es doch besser gewesen ,crambem totam recoquere!" .Tedenfalls gehörte der Text
der lUtTQia nach oben und Kodinos als der .\usschreiber in den .\pparat. - - Gesamt-
ausgabc: Migne, Patrolog. (ir. 1.57 (1866): Der gesamte Kodinos, dazu die llaQaarriadf
ovyt. XQ-i Schrift über die Kaisergräber und die Notiz über Kodinos aus Fabricius. Bibl.
Gr. cd. Harl. 7,795—804; die erwähnte Schrift des Patriarchen Photios steht bei Migne,
Patr. Gr. 102, 563-574.
2. Hilfsmittel: Anecduta 8acra et profana od. Const. Tischondorf, Lipsiac
1855 S. 58 — 64, wo ein Exzerpt aus Johannes Lydos mit Suidas und Kodinos verglichen
wird. — Zu den ll(t(>tx,1oi.fn ix itji ifi/ikov tov XQ- otc. s. C. Müller, Fragm. histor. Graec.
2. Geographie. (§ 79.) 169
4 (1868) S. 4 und 146 f. — Für die Quellenuntersuchung sind zu beachten die anonymen
Exzerpte im cod. Paris, suppl. Gr. 607A, ediert von Max Treu, Progr. Ohlau 1880. —
Zur sachlichen Erläuterung: Nützlich ist noch immer A. Banduri. Imperium Orientale,
2 voll., Paris 1711. — Die sonstige ältere Litteratur über Geschichte, Topographie und
Denkmäler Kpels ist gut zusammengestellt von 0. Frick in Paulys Realenzyklopädie,
Artikel Byzantium. — Neuere Werke: W. Salzenberg, Altchristliche Baudenkmale von
Constantinopel vom 5. bis 12. Jahrh.. Berlin 18-54. — Jules Labarte. Le palais imperial
de Cple et ses abords, Paris 1861. — Auf Labarte stützt sich der orientierende Artikel
von G. Hertzberg, Byzantinische Kaiserpaläste. Sybels historische Zeitschrift 51 (1883)
4-51 — 462. — Edw. Freshfield, On Byzantine churches etc., Archaeologia vol. 44
(London 1873) 383 — 392. -- Fr. W. Unger, Ueber die 4 Kolossalsäulen in Cpel, Reper-
torium für Kunstwissenschaft 2 (1879) 105 — 137. — G. Destunis, Topographie des mittel-
alterl. Konstantinopel. Journ. Minist. Volksaufkl. 1883 Jan. 1—29. Febr. 229 — 263, ,eine
fleissige. über viele der Erforschung dieses Gebietes gewidmete Werke referierende Ab-
handlung"' (V. Jagic). — A. G. Paspatis, r« Bv^uvrivii dycixxoQa xni r« rre'ptc ra'rw»'
i^Qvjuara. 'Ey 'J&tjycas 1885. — N. Kondakov, Byz. Kirchen und Monumente in Kon-
stantinopel. Odessa 1886 (mir unzugänglich). — Ueber die im 16. Jahrh. noch erhaltenen
Denkmäler von Konstantinopel berichtet kurz ein zwischen 1565 — 1575 abgefasstes Schrift-
chen, das R. Foerster, De antiquitatibus et libris mss. Cpolitanis. Rostock 1877. ediert hat.
3. Ein Gedicht über die Hofämter in politischen Fünfzehnsilbem von Matthaeos
Blastarnes (um 1355) ist mit Kodinos, De officiis herausgegeben, ed. Bonn. S. 116; 213—215;
ebenda S. 215 — 219 über dasselbe Thema ein anonymes Gedicht in jambischen Tri-
metem. — Ueber Blastarnes, der auch juridische Schriften verfasste, s. Fabricius.
Bibl. Gr. ed. Hari. 11, 588 flF. und 12, 221 f.
3. Philosophie.
80, Allgemeine Charakteristik. Durch die Auflösung der Philo-
sophenschule zu Athen (529) war das Schicksal des letzten Ausläufers der
antiken Philosophie, des Neuplatonismus, endgültig besiegelt. Uebrigens
hätte dieses nebelhafte System, das zuletzt durch die auf den Schein ur-
alter Weisheit berechnete Verquickung mit pythagoreischen und chaldäischen
Formen, mit Orakeln und phantastischen Hymnen in eine überschwäng-
liche Spekulation ausgeartet war, wohl auch ohne die Verfügung Justi-
nians kein langes Leben mehr zu fristen gehabt. Eine originale und wirk-
lich fruchtbare Thätigkeit auf dem philosophischen Gebiete konnte in der
Folgezeit in Byzanz ebensowenig erblühen als im Abendlande. Dazu fehlten
hier wie dort die allgemeinen geistigen Voraussetzungen. Die philosophi-
sche Litteratur der Byzantiner hat daher im allgemeinen denselben Cha-
rakter wie die ihrer abendländischen Zeitgenossen. Zunächst wird die
formale Philosophie der Alten auf die christliche Lehre angewandt; dann
herrscht breitspurige Erklärung und Umschreibung der überlieferten Werke.
Doch ist Byzanz in der philosophischen Produktion unstreitig ärmer als
das Abendland. Scholastiker wie Thomas von Aquino und Duns Scotus
fehlen der orthodoxen Kirche.
Dafür hat das Morgenland den Ruhm, den Vater und Begründer der
mittelalterlichen Kirchenphilosophie hervorgebracht zu haben: Johannes
von Damaskos. Auch diesmal wie so oft gab der griechische Geist die
erste Anregung, die dann im Westen weiter verarbeitet wurde. In diesem
Verdienste liegt aber wahrscheinlich auch der Grund der späteren Un-
fruchtbarkeit. Dadurch, dass Johannes bald völlig kanonisches Ansehen
erlangte, wurde die selbständige Fortführung der Kirchenphilosophie be-
hindert. Es vollzog sich hier etwas Aehnliches wie auf einigen anderen
Gebieten der byzantinischen Geistesthätigkeit. Durch die unbegrenzte
Autorität imponierender Vorfahren verkümmerte der unbefangene Mut des
originellen Schaffens. Wenn daher von philoHO})hischer Thätigkeit bei den
Byzantinern nach Johannes überhaupt noch die Hede sein kann, so kommt
weniger die Scholastik als vielmehr ein schulmässiges, philologisches Stu-
dium der alten Philosophen in Betracht. Als sich im 11. .lahrhuudert das
philosophische Interesse wieder zu regen begann und durch die Stiftung
der Stelle eines tmatog (fikoffö</o)v, die zuerst Psellos bekleidete, auch
äusserlich gefördert wurde, waren es vornehmlicli die propädeutischen Fächer,
3. Phüosophie. (§ 80-81.) 171
die ohne direkte Beziehung zur Theologie betrieben wurden. Während
jedoch im Abendlande Aristoteles fast die Alleinherrschaft behauptete
und auch die platonisierenden Scholastiker des 12. Jahrhunderts den Plato
nur aus zweiter Quelle oberflächlich kannten, während noch Petrarca seine
Vorliebe iür die Akademie nur schüchtern zu äussern wagte, begann man in
Byzanz schon um das 11. Jahrhundert neben Aristoteles den Plato gründ-
lich zu studieren. Psellos und sein Nachfolger Johannes Italos ver-
einigten mit der Bewunderung für Aristoteles eine genaue Kenntnis des
Plato, ebenso Theodoros Metochites u. a. Der später so bedeutungsvolle
Kampf der Aristoteliker und Platoniker ist in Byzanz mehrere Jahrhunderte
vorbereitet worden.
Erfreulicher als die unübersehbare, aber wohl gänzlich fruchtlose
Thätigkeit, die seit dem 11. Jahrhundert der Erklärung und Paraphrase
der alten Philosophen gewidmet wurde, sind die astronomischen und
mathematischen Studien, die im Zeitalter der Palaologen blühten.
Nikephoros Blemmydes, Georgios Pachymeres, Theodoros Metochites, vor
allem Nikephoros Gregoras haben sich in dem beschränkten Kreise von
Byzanz um die empiristische, naturwissenschaftliche Forschung vielleicht
nicht geringere Verdienste erworben als Roger Bacon im Abendlande.
Gleichzeitig erhebt sich, durch die Unionsfrage hervorgerufen, eine leb-
hafte Polemik in theologischen Kreisen, und wie die Kirchenväter im Streite
gegen das Heidentum die besten Waffen aus der heidnischen Litteratur
selbst entnommen hatten, so ist es nun abermals die alte Philosophie
und Rhetorik, welche für die mit Scharfsinn und Fanatismus gefültrt^n
dogmatischen Kämpfe der letzten Byzantiner die technischen Mittel und
Formen liefert. Gegen Schluss der Epoche wirkte die Pliilosophie der
Byzantiner wie ihre Philologie am-egend und befruchtend auf das Abend-
land. Doch fallen die hierauf bezüglichen litterarischen Thatsachen wie
die Werke des Gennadios, Plethon u. a. ausserhalb des Rahmens unserer
Darstellung.
Fr. Ueberweg. Geschichte der Philosophie 11^ (1881) 176 ff. — Ausführlicher:
C. PrantL Geschichte der Logik im Abendlande I (1855) 643 ff., U (1861) 261 ff. — Zum
Fortleben des Aristoteles in der byzantinischen Litteratur s. Val. Rose, Aristoteles pseud-
epigraphus, Lipsiae 1863. — W. Gass. Gennadius und Pletho, Aristotelismus und Plato-
nisuius in der griechischen Kirche, Breslau 1844, ein gutes Buch, das namentlich denen
zum Studium zu empfehlen ist, welche sich in der landläufigen Vorstelhmg von der gänz-
lichen Erstarrung des Geistes in der byzantinischen Kirche befangen fühlen. Man vergleiche
■ach W. Gass, Die Mystik des Nikolaus Cabasilas, Greifswald 1849, wo eine früher so
gut wie imbekannte Seite des b^'zantinischen Geisteslebens mit Kenntnis und Scharfblick
aufgedeckt ist. — Fritz Schnitze, Geschichte der Philosophie der Renaissance, I. Band,
Georgios Gemistos Plethon imd seine reformatorischen Bestrebungen, Jena 1874. —
H. F. Tozer. A Byzantine reformer. The Journal of Hellenic studies 7 (1886) 353—380,
behandelt die zwei von Plethon an Kaiser Manuel II Paläologos und an seinen Sohn, den
Despoten Theodor, gerichteten Schriften über die peloponnesischen Angelegenheiten. —
Bammelausgabe der Schriften des Plethon: Migne, Patrol. Gr. 160 (1866).
81. Johannes von Damaskos, von Theophanes und anderen mit
dem ehrenden Beinamen XovaoootKcg bezeichnet, wurde gegen das Ende
des 7. Jahrhunderts in Damaskos geboren und starb vor 754. ^ Er ent-
') Auf der bilderfeindlichen Synode von ' i. J. 754 wurde über ihn als einen nicht mehr
Konstantinopel unter Konstantin Kopronymos ; Lebenden das Anathem ausgesprochen.
172 Byzantimsche Litieratargeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
spross aus einer Familie Namens Mansur, in der sich ein sarazenisches
Staatsamt, etwa die Oberaufsicht über die in Syrien einzutreibenden Steuern,
vererbte. Durch einen Mönch Kosmas, der als Kriegsgefangener aus Si-
zilien nach Damaskos kam, wurde er zusammen mit seinem Adoptivbruder
Kosmas von Jerusalem in der kirchlichen und profanen Wissenschaft unter-
richtet. Anfänglich stand Johannes wahrscheinlich wie sein Vater im
staatlichen Dienste des Chalifats; dann zog er sich, zum Priester ordiniert ,
als Mönch in das Sabaskloster bei Jerusalem zurück, wo er auch gestorben
zu sein scheint. Die schon bei seinem ältesten Biographen Johannes
von Jerusalem (aus dem 10. Jahrhundert) vorkommende Nachricht, der
Chalife habe Johannes die rechte Hand abhauen lassen, die ihm dann durch
ein Wunder wieder angeheilt sei, beruht offenbar auf Erfindung.
Johannes von Damaskos ist der grösste und klassische Dog-
matiker des Orients, auf dem die Theologie der griechischen Kirche bis
auf den heutigen Tag beruht; kein späterer Byzantiner kann sich mit ihm
an Einfluss messen, nicht einmal Photios. Auch das Abendland zählt
Johannes zu den orthodoxen Lehrern der Kirche; doch ist er schon ein
Vorbote der kommenden Trennung. Wir besitzen von Johannes dogma-
tische, polemische und exegetische Schriften, Homilien und Hym-
nen; auf eine vollständige Aufzählung muss hier verzichtet werden.
1. Das theologische Hauptwerk des Damaszeners ist die Quelle
der Erkenntnis, nt^yr] yvwafwc. Es zerfällt in drei Teile: eine dia-
lektische Einleitung [Kstfälaia (fi/.oao(fixä), einen historischen Ab-
schnitt {JJsQi aiQs'aeon') und in die eigentliche Dogmatik (Exdoaig axqtßi]q
irjg ogO^odo^ov TctüveMg). Die Dialektik liegt stellenweise in zwei Rezen-
sionen vor, einer längeren und einer kürzeren, die wahrscheinlich beide
vom Verfasser selbst stammen. Die rein philosophischen Partien sind
namentlich aus Aristoteles, Porphyrios und Ammonios geschöpft. Bemerkens-
wert scheint, dass Johannes noch ganz wie die früheren Kirchenväter von
Hass gegen die „heidnischen Weisen" erfüllt ist und von ihren „satanischen
Irrlehren" redet, während die späteren Byzantiner wie auch die abend-
ländischen Scholastiker über das Heidentum des Aristoteles hinwegsehen.
Johannes glaubt die Benützung der alten Philosophen noch ausdrücklich
entschuldigen zu müssen, folgt ihnen auch nicht in allen Stücken und stellt
ihren Lehren oft die heiligen Väter wie Gregor von Nazianz gegenüber.
In der Geschichte der Häresien, die sich an die Dialektik ansch Messt,
wiederholt Johannes vornehmlich die gleichnamige Schrift des Epiphanios;
dazu fügt er einiges aus Theodoretos, dem Presbyter Timotheos von Kon-
stantinopel, Sophronios und Leontios von Byzanz; nur der Schluss stammt
von Johannes selbst. Auch der dritte Teil, die Glaubenslehre, ist im
wesentlichen eine Zusammenstellung aus früheren Kirchenvätern wie Gregor
von Nazianz, dem vorgeblichen Dionysios Areopagites. Basilios dem Grossen,
Gregor von Nyssa u. s. w. Bezüglich der Dogmatik sei bemerkt, dass die
von Augustin aufgestellte Lehre vom Ausgange des hl. Geistes auch
vom Sohne (filioque) dem Damaszener fremd ist.') Seine Anschauung
') Da« Fi lioq II e bildet einen <ler wich- | schon und ori«>nt«li.sc.hon Kirche und hat
tigsten Differenzpunkte im »Streit« der römi- i namentlich in der Zeit der L'nionsversucli
3. Philosophie. (§ 81.) 173
über das Weltgebäude konstruiert Johannes in seltsamer Weise aus
Aristoteles und Ptolemäos, dann aus chi'istlichen Autoren wie Basilios und
Kosmas Indikopleustes; wie sie huldigt er der Ansicht, dass diese Materie
Gegenstand der Offenbarung sei.
2. Selbständiger erscheint Johannes in seinen berühmten 3 Reden
gegen die Bilderfeinde: IIooc rovg öiaßuXXovTug rag dyiac eixovaq. Sie
sind veranlasst durch das 726 erlassene Bilderverbot des Kaisers Leon des
Isauriers. Die erste Rede wurde bald nach 726, die zweite, in der schon
die Absetzung des Patriarchen Germanos erwähnt wird, nach 730, die
dritte wohl noch etwas später verfasst. Sie gelten mit Recht für das Beste,
was zur Verteidigung der Bilder geschrieben worden ist, und ihnen ver-
dankt Johannes vornehmlich seinen Ruf als gelehrter Vertreter der Ortho-
doxie, als unerschrockener Bekämpfer des religiösen Despotismus.^)
3. Die heiligen Parallelen, Tu isqu nccQÜXXr^Xa, eine gross-
artige Sammlung von Bibel- und Väterstellen, die in der gegenwärtigen
Gestalt des Werkes nach Stichwörtern alphabetisch geordnet sind; jeder
Buchstabe umfasst eine Anzahl Kapitel oder Titel. Diese Anthologie, deren
Einrichtung, von der alphabetischen Reihenfolge abgesehen, mit der histo-
rischen Enzyklopädie des Konstantin Porphyrogennetos einige Aehnlichkeit
hat, existiert in mehreren stark von einander abweichenden Bearbeitungen.
Ob Johannes wirklich der Verfasser eines derartigen Werkes ist und
welche der vielen Rezensionen dem Originale am nächsten steht, ist eine
sehr schwierige und noch nicht entschiedene Frage. Sicher ist nur, dass
keine der uns erhaltenen Bearbeitungen die Sammlung in der Originalform
wiedergibt; wenn die Vorreden der vatikanischen Rezension nicht trügen,
bestand das Werk ursprünglich aus einer Zusammenstellung von Aus-
sprüchen über Tugenden und Laster; dann wurde es vermehrt und in drei
Bücher geteilt, von welchen das erste von Gott, das zweite von den Men-
schen, das dritte von Tugenden und Lastern handelte. Endlich wurde die
alphabetische Anordnung vorgenommen, wobei jedoch die Spuren der
ursprünglichen Einteilung in drei Bücher sichtbar blieben. Ein späterer
Bearbeiter vermehrte den ursprünglichen Bestand durch Stellen aus Philon
und Josephos, ein anderer durch zahlreiche Sentenzen aus der klassischen
Litteratur. Hiedurch treten die heiligen Parallelen in Beziehung zu anderen
Florilegien wie denen des Stobäos, Maximos, Antonios Monachos und
der sog. Melissa Augustana.*)
4. An diese Hauptwerke reihen sich zahlreiche kleinere Stücke
wie die polemischen Schriften gegen die Jakobiten, die Manichäer und die
Monotheliten ; ein Dialog zwischen einem Christen und einem Sarazenen;
Traktate über die hl. Dreieinigkeit, über Drachen und Hexen, über die
Fastenzeit u. s. w.; ein Kommentar zum Hymnus Dreimal heilig {IlfQi xov
TQiaayi'ov vi^ivov); Homilien, Gebete und Kirchengesänge; über letztere
s. § 166. Der Mönchsroman Barlaam und Joasaph scheint dem Johannes
mit Unrecht zugeschrieben zu werden; s. den Anhang.
eine unübersehbare Litteratur hervorgerufen.
Vgl. Langen a. nnten a. 0. 109 ff., 283 flF.
und §§ 40. 41. 100 unseres Abrisses.
') Ueber den Bilderstreit s. die zu § 167
angeführte Litteratur.
») VgL § 150.
174 Byzantinische Litteraturgeschichte. 1. Prosaische Litterainr.
Wenn man die gesarate Thätigkeit des Damaszeners überblickt, so
wird ersichtlich, dass er weniger durch völlig originales Schaffen, als viel-
mehr durch einen grossartigen Sammelfleiss und durch das Talent des
Konstruierens hervorragt. Indem er sich auf den im Orient nie aufge-
gebenen Standpunkt des strengen Ueberlieferungsprinzips stellte, beschränkt i
er sich im wesentlichen darauf, die Lehre der Kirchenväter und Konzile
zu reproduzieren und in eine systematische Form zu bringen. So wurde
seine „Quelle der Erkenntnis" das klassische Grundbuch der orthodoxen
Kirche, über welches sie bis auf den heutigen Tag nicht hinausgegangen
ist; so erlangte Johannes für seine Kirche eine grössere Bedeutung als
irgend ein abendländischer Lehrer für die römische. Dadurch, dass Johannes
zum erstenmal die hellenische Philosophie methodisch und umfassend
mit der christlichen Dogmatik in Verbindung brachte und dem Studium
des Aristoteles zu neuem Ansehn verhalf, wurde er Vorbild für die
mittelalterliche Scholastik; auf die grossen abendländischen Lehrer Petrus
Lombardus und Thomas von Aquino war er von massgebendem Ein-
fluss. Nur in eine Kontroverse hat Johannes in selbständiger Weise
dialektisch eingegriffen, in den Bilderstreit. Da diese Lehrstreitigkeit die
letzte war, welche den Orient nachhaltig erschütterte, und Johannes mit
äusserster Energie die Partei verteidigte, welche später siegreich blieb,
so hat auch diese Episode seiner litterarischen Thätigkeit wesentlich dazu
beigetragen, sein Ansehen als des eigentlich klassischen Dogmatikers zu
befestigen.
Ausgaben und Hilfsmittel: üeber die älteren Diiicke s. Langen a. a. 0. S. 27 ff. —
Gesamtausgabe: Migne, Patrol. Graeca 94—96 (1860), mit mehreren Abhandlungen
über Johannes, den alten Vitae u. s. w. Vgl. Prantl, Geschichte der Logik I (1855)
657. — Dorner, Realenzyklop. für die protest. Theologie 7. B. (Leipzig 1880). — J. Alzog,
Gi-undriss der Patrologie ■• (1888) 476 ff. — J. Hergenröther, Handbuch der Kirchen-
geschichte I (1876) 528 ff. — Zu den heiligen Parallelen: C. Wachsmuth, Studien
zu den griechischen Florilegien, Berlin 1882 S. 1 ff., 90 ff. und J. Rendel Harris, Frag-
ments of Philo Judaeus, Cambridge 1886, Introd. S. 8 ff. Eine Untersuchung über den
Ursprung der Parallelenlitteratur verspricht Fr. Loofs, Texte und Untersuchungen heraus-
gegeben von 0. V. Gebhardt und Ad. Hamack HI 1—2 (1883) Vorwort. Ueber den cod.
Athen. 32, der eine von den bekannten Texten abweichende Redaktion der Pjirallelen
enthält, vgl. J. Sakkelion, Je'^xioi> rtjg laroQ. xid s9foXoy. ticugictg t»;? 'KAA«<fof 2
(1885—89) 681—685. — Ueber die Sprache des .Johannes: Zoten berg. Notices et ex-
traits 28 (1886) 1, 18 ff. — Hauptschrift: J. Langen, Johannes von Dama-skus, Gotha
1879. — Unzugänglich blieb mir J. H. Lupton, John of Damascus, London 1883.
82. Michael Psellos. Ein älterer Michael Psellos blühte im An-
fange des 9. Jahrhunderts als Lehrer der Philosophie; doch ist von ihm
wenig bekannt und von seinen Werken scheint nichts erhalten. Wenn
also in der Litteratur von den beiden Pselli die Rede ist, so hat das
noch weniger praktische Bedeutung als der ähnliche Dualismus, der sich
an den Namen Tzetzes knüpft; somit ist auch die Bezeichiumg unseres
Psellos als des jüngeren überflüssig, und man kann nach dem gegenwärtigen
Stande der litterarhistorischen Forschung schlechthin von Michael
Psellos sprechen. Konstantinos Psellos {^ft-Xköc), gewöhnlich nach
seinem Mönchsnamen Michael genannt, wurde 1018 zu Konstant! nopel
als Sohn ehrsamer Leute geboren. Dem unermüdlichen Eifer seiner Muttor,
der er auch ein litterarisches Denkmal gesetzt hat, verdankte er seine erste
3. Philosophie. (§ 82.) 175
Ausbildung und damit den Grund seiner späteren glänzenden Laufbahn.
Unter mannigfachen Kämpfen mit der Xot des Lebens vollendete er die
üblichen rhetorischen und philosophischen Kurse. Von dem aus Trapezunt
nach Konstantinopel gekommenen Johannes Xiphilinos, dem nachmaligen
Patriarchen, erhielt er L^nterricht in der Rechtswissenschaft, wofür er
diesen in die Philosophie einführte. Bald verdiente sich Psellos seinen
Lebensunterhalt als Advokat; unter Michael Paphlagon (1034 — 1041) wurde
er Richter in Philadelphia, unter seinem Nachfolger Michael Kalaphates
kaiserlicher Sekretär. Nun stieg er von Stufe zu Stufe; schon unter
Konstantin Monomachos (1042 — 1055) war Psellos eine der einfluss-
reichsten Persönlichkeiten des Reiches. Der Kaiser verlieh ihm an der
neubegründeten Akademie zu Konstantinopel die Professur der Philo-
sophie. In diesem Amte wirkte Psellos mit Eifer und Erfolg. Er wagte
es sogar, die platonische Philosophie aus ihrem langen Schlafe zu erwecken
und erhob Plato über Aristoteles, den Philosophen der Kirche. Seine
Gegner benützten die Aeusserung so freimütiger Ansichten, um den Psellos
beim Kaiser als einen L^ngläubigen zu verdächtigen; doch begnügte sich
dieser, ihm ein schriftliches Bekenntnis seiner Orthodoxie abzufordern.
Sicher hat Psellos als Professor viel zur Wiederbelebung der griechischen
Litteratur, besonders der platonischen Lehren gethan; selbst Araber und
Abendländer sassen als Hörer zu seinen Füssen. Die Lehrthätigkeit des
Psellos wurde durch seine Zurückberufung an den kaiserlichen Hof bald
unterbrochen; er wurde Staatssekretär {TTQcoTaat^xor^Tig), Vestarch und er-
hielt die Ehrentitel tmkQxiiwq und vtiutoc toh' (fiXoa6(fU)v. Fortan diente
er dem Kaiser als Berater, verfasste kaiserliche Bullen, auch Novellen
und richterliche Erkenntnisse. Als sich 1054 sein Jugendfreund Xiphilinos
in das berühmte Kloster auf dem Olympos^) zurückzog, nahm auch Psellos
das Mönchsgewand und nannte sich von nun an Michael; nach dem Tode
des Kaisers wählte Psellos, der anfänglich noch in der Hauptstadt ver-
blieben war, das Kloster seines Freundes. Doch behagte ihm der Auf-
enthalt unter den frommen Weltüberwindern wenig, und bald nahm er in
recht unhöflicher Weise vom Kloster Abschied. 2) Nach seiner Rückkehr
ins öffentliche Leben treffen wir den Psellos wiederum in den wichtigsten
Stellungen bei Hofe. Als der Usurpator Isaak Komnenos bei Nikaea das
kaiserliche Heer besiegt hatte, wurde Psellos mit Theodor Alopos und
Konstantin Lichudes abgeschickt, um mit dem Rebellen Unterhandlungen
anzuknüpfen. Nach dem Sturze Michaels trat Psellos in die Dienste des
neuen Kaisers Isaak Komnenos; in dem Prozesse, welchen dieser gegen
den unverträglichen und herrschsüchtigen Patriarchen Michael Kerularios ^)
richtete, musste er die Anklageschrift verfassen. Noch grösser wurde
') In Bithynien bei Prusa, was ich aus- und Methodius, die ersten slavischen Lehrer,
drücklich bemerke, da dieser Olympos jüngst 1 Kiew 1886 (Russ.) S. 441—479.
von einem Gelehrten mit dem thessalischen
Götterberg verwechselt worden ist. Auch
unter dem Olymp, der in der Legende des
*) Vgl. § 170.
') Ueber Kerularios s. die freilich nicht
ganz objektive Darstellung von Fr. G frörer,
hL Kyrillos und Methodios vorkommt, ist | Byzantinische Geschichten III (Graz 1877)
der kleinasiatische Götterberg zu verstehen. 266 ff., 314 ff.
8. hierüber J. M a 1 y s e v s k i j , Die Hll. Kyrill
176 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. I^rosaische Litteratnr.
sein Einfluss unter Konstantin Dukas (1059—1067). Auch während der
vormundsehaftlichen Regierung der ihm wenig geneigten Eudokia und der
kurzen Regierung ihres neuen Gemahls Romanos Diogenes verstand der
gewandte, um kein Mittel verlegene Mann sich zu behaupten, und als der
von Psellos erzogene, unfähige Michael Parapinakes (1071 — 1078) den
Thron bestieg, wurde Psellos der erste Minister (oder wie man damals
sagte: nagaSwaartvcov ro} ßaaiXn) und mächtiger als je zuvor. Jm Jahre
1075 hielt er dem Patriarchen Johannes Xiphilinos die feierliche Leichen-
rede, Nach dieser Zeit erfahren wir nichts Bestimmtes mehr von ihm.
Wahrscheinlich trat er nach dem Sturze seines Zöglings (1078) vom öffent-
lichen Leben zurück; nach unsicheren Andeutungen wäre er (wahrschein-
lich um 1079) in Not und Elend gestorben.
Das Leben des Psellos fällt in die traurigste Periode der byzantini-
schen Geschichte (1025 — 1081); es ist die Zeit der verhängnisvollen Herr-
schaft von Weibern und rohen Günstlingen, des unheimlichen Intriguen-
spieles, der blutigen Palastrevolutionen und Thronstreitigkeiten, welche
vom Tode des Basilios Bulgaroktonos bis zum Auftreten des staatsklugen
Alexios Komnenos das Reich zerrütteten. Dieser Umstand darf nicht ausser
acht bleiben, wenn man der Persönlichkeit des Psellos gerecht werden will.
Kein Abschnitt der byzantinischen Aera war für den Charakter eines
Staatsmannes gefährlicher als diese Zeit des unaufliörlichen Wechsels
schwacher und allen Einflüssen zugänglicher Regenten. Psellos erwies
sich den Anforderungen, die eine solche Umgebung an die sittliche Kraft
stellt, nicht gewachsen; der wertvollste Schmuck des Mannes, Offenheit
und Ehrlichkeit, ging ihm in der zersetzenden Luft des Hofes verloren.
Es ist über allen Zweifel erhaben, dass kriechender Servilismus und Rück-
sichtslosigkeit in der Wahl der Mittel, unersättlicher Ehrgeiz und mass-
lose Eitelkeit die hervorstechenden Züge seines Charakters bilden. Er ist
in dieser Hinsicht ein typischer Vertreter der widerwärtigsten Seite des
Byzantinismus. Die groben Schmeicheleien, wie er sie z. B. vor Konstantin
Monomachos ausschüttet, waren selbst dem byzantinischen Geschmacke zu
stark und werden in der Satire Timarion fein verspottet. Das Gegenstück
zu diesen devoten Ergüssen bilden die mit Derbheit geladenen Pamphlete,
welche Psellos gegen seine Widersacher schleuderte.
Wenn wir die Schattenseiten des Psellos rückhaltlos zugeben, können
wir seinen litterarischen Verdiensten um so besser gerecht werden. Psellos
ist an Umfang des Wissens, an Schärfe der Beobaclitnng und vor allem
an Formgewandtheit der erste Mann seiner Zeit. An IJeichtuin der
litterarischen Thätigkeit mag er mit Albertus Magnus und Roger Bacon
verglichen werden. Indem er im Gegensatze zu den vorigen Jahrhunderten
das hellenische Ideal wiederum aufs kräftigste betonte, hat er die littera-
rische Renaissance der Komnenenzeit wirksamst vorbereitet. Die stärkste
Seite des Mannes ist freilich die Form; das erkannten schon die Zeit-
genossen, indem sie ihn mit dem treffenden Worte charakterisierten:
i) noXvq ti]v yköirtav. Sein Hauptvorbild für die Darstellung ist Plato;]
dagegen erinnern die Briefe mit ihrer Häufung von kurzen rhythmischen]
Gliedern, von Antithesen und Beiwörtern sehr U'bhaft an die christlichej
3. Philosophie. f§ 82.) 177
Hymnendichtung ; man vergleiche z. B. den panegyrischen Brief an Diogenes
Romanos ') mit irgend einem Gedichte des Romanos. Xach Erwägung
aller Vorzüge und Mängel bleibt Psellos für das elfte Jahrhundert
litterarhistorische Signatur ähnlich, wie Photios für das neunte und Kon-
stantin Porphyrogennetos für das zehnte. Die Werke des Psellos er-
strecken sich auf Theologie, Philosophie, Naturwissenschaften wie Medizin,
Physik, Mathematik, Astronomie, auf die Jurisprudenz, auf Altertümer, Gram-
matik und Geschichte; dazu kommen Reden, Briefe, rhetorische Uebungs-
stücke, vermischte Aufsätze und poetische Versuche. Manches ist noch
unediert, anderes ungenügend bekannt, so dass zu einer vollständigen Be-
schreibung dieses litterarischen Nachlasses noch eine Reihe von Einzel-
untersuchungen nötig wäre. Da zudem schon die blosse Aufzählung der
Itekannten Titel und Ausgaben den uns zugemessenen Raum überschreiten
würde, beschränken wir uns auf ein Verzeichnis der wichtigsten Stücke.
1. Theologie, Philosophie, Naturwissenschaften. Ein Kom-
mentar zum hohen Liede; eine Charakteristik des Gregor von Nazianz,
Basilios des Grossen, des Chrysostomos und des Gregor von Nyssa; poli-
tische Verse an Michael Dukas über das Dogma [IlfQl döynaxoc). Auf
den Aberglauben einer um 840 in Armenien entstandenen und noch zur Zeit
des Psellos verbreiteten Sekte bezieht sich der Dialog Ueber die Kraft
der Dämonen {IleQi iregysiaq dai/^iövwv); damit verbindet sich eine Abhand-
lung Ueber den Dämonenglauben der alten Griechen {Tna n€oi Saiuörcov
do^ü^ovatr "EXki^rec:). Von philosophischen Schriften sind zu nennen
ein Kommentar zu des Aristoteles Schrift llegl igiir^vstag, ein Auszug aus
des Porphyrios Werk IIsqi tt£vt€ (fwvoh', ein psychologischer Traktat
(Jö^ai TisQi j/'i'/»*c), eine Abhandlung Eig rr^v xpvxoyoviuv rov nXcarcoroc,
Studien über die chaldäischen Orakel: ^E^rji]aic dg xd XaXSaixd köyia,
dazu eine ^ Exi}taig xs(fakaiu)Sr^g xal ainToinog tmv Tiagd Xakdaioig Soyiiccrojr.
Daran reihen sich naturwissenschaftliche Arbeiten, z. B. ein Aufsatz
über Anatomie (merkwürdig durch die Uebersetzung der alten Termini in
die vulgärgriechische Sprache); ein Verzeichnis von Krankheitsnamen {llfQi
xtttvwr oroiidron' T<öv iv voatlf-iaair); ein medizinisches Gedicht in 1373 Tri-
metern ; Essays über ein wunderbares Echo in Nikomedia ; über den Zweck der
Geometrie; über die Kräfte der Steine; über Regen, Blitz und Donner u. s. w.
Das Hauptwerk aus diesem Gebiete ist seine JiöaaxuXia narTodani]
(Allerlei Lehre), eine Sammlung vermischter Aufsätze (im ganzen 193 Titel), in
welchen Fragen der Theologie, Philosophie, Astronomie, Physiologie, die im
Mittelalter so beliebten Themen über die Temperamente, über Bewegung, über
die Möglichkeit, nach Belieben männliche oder weibliche Kinder zu erzeugen,
über die Frage Jid xi yviij noXXdxtg ffvvovaid^ovau ov arkkai^ißdrei, über das
Problem, ob beim Tode sich die Seele vom Körper trennt oder der Körper
von der Seele u. s. w. mit manchen Belegen aus alten Autoren wie Plato,
Aristoteles, Plotin, Jamblichos, bald kurz, bald ausführlich, aber ohne rechte
Konsequenz behandelt sind. Dazu kommen endlich noch die Kurzen Lösun-
gen physikalischer Fragen (Emkvaeig avvvo^ioi (fvaixüv ^r^xr^t^idTMi).
') Sathas, Mea. ßißX. V 222.
Handbuch der klass. AltertumswisseDschaft. IX. 1. Abtlg. 12
178 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Abgesehen von diesen Spezialschriften, in welchen freilich die geheim-
wissenschaftlichen, astrologischen und paradoxographischen Gesichtspunkte
vorherrschen, tritt die spekulative Tendenz und Schulung des Psellos auch
in seinen übrigen Werken hervor; überall aber zeigt er sich als reinen
Platoniker, selbst auf Kosten des Aristoteles, den er für verworren hält.
Um den Plato seinen Zeitgenossen möglichst kräftig zu empfehlen, bemüht
er sich, die Uebereinstimmung dieses Philosophen mit dem Christentum
nachzuweisen, wie er auch den Homer durch allegorische Umdeutung zu
einem Propheten der christlichen Wahrheiten zu machen versteht. Schon j
wegen dieses ausgesprochenen Piatonismus konnte es auffallend scheinen, |
dass Psellos auch grössere Werke zu Aristoteles verfasst habe. In der
That ist es nicht sicher, ob das Kompendium der Logik des Aristoteles,
aus welchem die Summulae logicales des Petrus Hispanus übersetzt scheinen,
von Psellos stammt, wenn es auch als ausgemacht gelten darf, dass dem
lateinischen Text des Petrus ein griechischer zu Grunde lag und nicht
umgekehrt.*) Noch weniger ist des Psellos Autorschaft gesichert für die
Fortsetzung einer Synopsis des Aristotelischen Organons, das
2vvo7rTix6v avvtayiia dg rag Ttaffagag (.laO-rj^atixccg i7natrji.iccQ; der wahre
Verfasser scheint vielmehr ein Gregorios Monachos, o tv inovoTQÖnoig
genannt („Gregorius Solitarius"), der um 1008 schrieb.
2. Philologie. Hieher gehört ein Schriftchen über die Topographie
von Athen und Allegorien zu Homer. Angeblich verfasste Psellos auch
einen Kommentar zu 24 Komödien des Menander, der aber nicht wieder-
gefunden ist, wenn er überhaupt je existiert hat (s. § 110). Rhetorischen
Inhalts sind ein Gedicht in politischen Versen Usgi Qi^rogi^r^g und die in
Briefform gefassten Abhandlungen Jlcgi avv&t'jxr^g tmv tov Äoyov /negcöv und
die ^vvoxpic rm' qy^toqixüöv idem'. Ein an Kaiser Konstantin Monomachos
gerichtetes Gedicht in 483 politischen Versen handelt kurz und oberfläch-
lich über die griechischen Dialekte, über Laute, Formen und seltene Wörter.
Dazu kommt ein Aufsatz über die Tenues, Mediae und Aspiratae, endlich
jambische Verse metrischen Inhalts.
3. Geschichte, Psellos verfasste eine XQovoyqaifia der Zeit von
976 — 1077; der jetzt übliche Titel: Bv^avtivfig laTogiag txmovTaetrjQi'g
rührt von dem Herausgeber Satlias her. Psellos beginnt seine Erzählung mit
dem Ereignis, mit dem Leon Diakonos schliesst, nämlich mit dem Tode
des Johannes Tzimiskes (976), schildert die Zeit bis auf Michael Kalaphates
kursorisch und wird erst ausführlicher mit seiner eigenen Epoche. Nach
Form und Tendenz sind in dem Werke zwei stark verschiedene Teile zu
unterscheiden: Die erste Partie bis zur Regierung des Isaak Komnenos
erscheint nach den traditionellen Grundsätzen der Historiographie wohl
ausgearbeitet und auch in der Haltung noch cinigermassen objektiv; da-
gegen wird der folgende Teil, welcher auf speziellen Wunsch des Micliael
Parapinakes und unter seinen Augen geschrieben wurde, durcli die stete
Rücksicht auf diesen Kaiser und seinen Vater Konstantin Dukas unzuver-
lässig und parteiisch. Trotz dieser Mängel ist das Werk des Psellos nicht
') Die hierauf bezügliche Litteratur s. unten. i
3. Philosophie. f§ 82.) 179
ohne Wichtigkeit, weil es eine früher recht empfindliche Lücke in der
sonst fast ununterbrochenen Reihe der byzantinischen Geschichtschreiber
ausfüllt. Von den Späteren wurde es ausgiebigst verwertet; Nikephoros
Bryennios entnahm demselben mehrere Kapitel fast wörtlich, ebenso be-
nützten es Anna Komnena. Skylitzes, der übrigens in seiner Vorrede auf
Psellos mit Recht übel zu sprechen ist, und am ausgedehntesten Zonaras.
4. Jurisprudenz. Hauptwerk ist ein juridisches Kompendium in
Versen: ^vroif-ug tmy vÖjukoi' did ari'xoov m/t/Swr xal noXirixwv txqoq tov
ßaailitt Mixai]X xov Jovxav. Daran schliesst sich eine Abhandlung über
die alte juridische Terminologie [nsQl twv ovofiÜTmv räv Jixmv), eine Er-
klärung der lateinischen Ausdrücke in der Rechtswissenschaft, richterliche
Erkenntnisse und eine kaiserliche Goldbulle.
5. Reden und Briefe. Unter den zahlreichen rhetorischen Leistungen
des Psellos ragen durch ihre Wichtigkeit für die Zeitgeschichte wie durch
ihre künstlerische Form die drei grossen Leichenreden hervor, welche
( r den Patriarchen Michael Kerularios, Konstantin Lichudes und Johannes
Xiphilinos widmete. Durch Wärme der Empfindung gefällt die Leichen-
rede auf seine Mutter; dazu kommen Nekrologe auf den Metropoliten
Nikephoros von Ephesos, auf den Grammatiker und Vorstand der Schule
des hl. Petrus Niketas u. a. Für das Studium des Charakters und der
Biographie des Psellos sind seine Verteidigungsschriften beachtens-
wert, z. B. das Pamphlet gegen diejenigen, welche ihm den Titel vrceQxi^iog
missgönnten, seine Rechtfertigung wegen der Niederlegung der Würde
eines Staatssekretärs, seine ^AnoXoyfu vntQ rov vofio(fvkaxog xard tov
^0(fovdcc. Schwülstig und leer sind die Enkomien auf den Kaiser Kon-
stantin Monomachos und den Metropoliten Johannes. Eine wichtige Er-
gänzung unserer Kenntnis des Psellos erhalten wir durch seine ausgedehnte
Korrespondenz; wir haben von ihm gegen 500 Briefe, von welchen erst
ein Teil ediert ist. Es sind keine rhetorischen L^ebungsstücke über fingierte
Themen oder theologische Abhandlungen wie viele Briefe des Photios ; die
meisten beziehen sich vielmehr auf bestimmte praktische Anlässe. Durch
sie erhalten wir reiche Aufschlüsse über byzantinische Kulturzustände,
Verwaltung und Geschichte, auch eine Menge biographischer Details. Der
Briefwechsel des Psellos erstreckt sich auf alle Teile des Reiches: allent-
halben hat der allmächtige Mann seine Klienten, Freunde und Bewunderer.
Bald erteilt er als Minister an Feldherrn, Statthalter und Richter nützliche
Winke, bald verwendet er sich für dürftige Kleriker, bald legt er das
Gewicht seines Namens für misshandelte Provinzen in die Wagschale;
niemand wird zurückgewiesen, für jeden hat er wenigstens schöne Worte.
Das dem Psellos eigene Korn attischer Eleganz kommt besonders in den
kleineren Stücken glücklich zur Geltung; er ringt hier mit Photios um
die Palme, während er hinter seinem eigentlichen Vorbilde Synesios
zurückbleibt.
6. Uebungen, vermischte Aufsätze, Poesien. Sophistische
Bravourstücke nach der alten Tradition der Rhetorenschulen z. B. Lobreden
auf den Floh, die Laus, die Wanze; ein Aufsatz über Taktik; eine Monodie
auf den Einsturz der Kuppel der Hagia Sophia; vier Strafpredigten an
12*
180 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
seine Schüler, als sie wegen eines heftigen Regens das Kolleg versäumt
hatten, als sie zu spät kamen oder wegen Trägheit eine Rüge verdienten.
Selbst das entlegene Gebiet der populären Mythologie wurde, wie es
scheint, von Psellos beachtet; wenigstens gehen unter seinem Namen Er-
klärungen zu abergläubischen Vorstellungen des Volkes (EQ/^uptlai dg di^-
ficööeig dfiaidainoYiag). Die metrischen Exegesen vulgärgriechischer Sprich-
wörter, welche in einer Pariser Handschrift dem „Psellos oder Ptocho-
prodromos" zugeschrieben werden, sind von Sathas einem Zeitgenossen des
Manuel Komnenos, dem Michael Glykas (nicht Johannes, wie er von Sathas
irrtümlich genannt wird), zugeteilt worden. Ausser den oben erwähnten
grösseren Lehrgedichten besitzen wir von Psellos auch kleinere poetische
Versuche z. B. ein Epigramm auf ein ehernes Pferd im Hippodrom und
Rätsel in politischen Fünfzehnsilbern. Aehnliche metrische cclviynaxu
schrieben Basilios Megalomites, Aulikalamos u. a. (s. § 201).
1. Ausgaben und Hilfsmittel: Von den zahllosen, meist schwer zugänglichen
älteren Drucken muss hier abgesehen werden. Die Hauptfundstätten Psellianischer
Schriften sind jetzt: De operatione daemonum ed. Fr. Boissonade, Norimbergae 1838,
mit 26 anderen Stücken verschiedenen Inhalts. — Migne, Patrol. Gr. 122 (1864) 477—1186,
Sammelausgabe theologischer, philosophischer und juridischer Werke. — K. N. Sathas,
Meataiorixrj ßtßXioihjxij, vol. IV (1874) und V (1875) enthält das Ueschichtswerk, Reden,
Enkomien, apologetische Schriften, gerichtliche Entscheidungen, Briefe u. a. — Auf die
einzelnen Gattungen verteilt sich die wichtigste neuere Litteratur folgendermassen :
Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften: Das Meiste bei Boisso-
nade und Migne a. a. O. — Kommentar zum Timäos des Piaton (tVV t»;»' toi; Ilkätioyo^
tpvxoyoyiaf) ed. Vincent, Not. et extr. 16 (1847) 2, 316—337. — G. Linder, In Piatonis
de animae procreatione praecepta commentarius, Upsalae 1854. Einen anonymen, angeblich
dem Psellos gehörigen Traktat IIsqi tmv iSeutr üg o llXärcoy Xeysi ed. G. Linder, Philo-
logus 16 (1860) 523 — 526. -- Einen Traktat llQog ror? eQMf^aaytng. jiöaa yevtj luiy tpiko-
aotpovfievMP XöyMv, der durch die Erhaltung von Fragmenten der AiyvnnaxH des Chäremon
(1. Jahrh. n. Chr.) wichtig ist, ed. K. N. Sathas, Bulletin de correspond. hellen. 1 (1877)
121 ff., 194 ff., 309 ff. — Stücke aus der JtöaaxaXia jiceyrodtcTitj ed. Gramer, Anecd.
Gr. Paris. 1 (1839) 335 ff. (die übrigen bei Migne a. a. 0.). Weitere Ergänzungen gab
Ruelle, Annuaire de l'assoc. 13 (1879) 230—278. — Die Einleitung in die Rhythmik ed.
J. Caesar, Rhein. Mus. 1 (1842) 620 — 633. — Eine meteorologi.sche Schrift ed. Ludw.
Jan, Jahns Jahrb. 7. Supplementb. (1841) 538 — 550. — Das medizinische Gedicht edierte
Fr. Boissonade, Anecd. Gr. 1 (1829) 175-232; ebenda S. 233 -241 das Verzeichnis der
Krankheitsnamen und S. 242—247 der Aufsatz über Landwirtschaft. Auch bei L. Ideler,
Physici et medici Graeci minores, vol. l (1841) 203 ff. — Zu den physikalischen Problemen:
Th. Dühner, Zu Michael Psellus und Plutarch, Philologus 14 (1859) 407—410. - Ueber
den Verfasser des logischen Kompendiums s. C. Prantl, Geschichte der Logik II 264 ff.
und III 18, sowie seine Schrift: Michael Psellos und Petrus Hispanus, eine Rechtfertigung,
Leipzig 1867. Dagegen Ch. Thurot, Revue arch«?ol. nouv. s. 10(1864) Juli-Dezember und
Revue critique 1867, N. 13 und 17. Val. Rose, Hermes 2 (1867) 140 ff.; ebendort 465 ff.
über Gregorius Solitarius. Vgl. auch noch Ueberweg-Heinze, Grundriss der Geschichte
der Philosophie II® 186 f. und W. Christ, (iedächtnisrede auf K. Prantl, Abhandl. der
bayer. Akad. d. Wiss. 1889 S. 49. — Einein Brief des P.sellos lle(>'i ^graoTiotiag bespricht
Emm. Ruelle, Revue des ^tudes grecques 2 (1889) 260—267.
Philologie: Gedicht über Grammatik ed. Fr. Boissonade, Anecd. (ir. 3 (1831)
200—228; ebendort 429—436 die Rätsel des Psellos und 437-452 die des Megalomites
und Aulikalamos. Zum gramniat. Gedichte s. (i. Uhlig's Ausgabe des Dionysius Thrax,
Proleg. S. 40 und vgl. das anonyme (Jedicht in 1087 politischen Vei-sen bei Boissonade,
Anecd. Gr. 2 (1830) 340—393 und das anonynje. ebenfalls in politischen Versen abgefas-^te
Lexikon, das E. Miller aus einer Athoshand.schrift im Annuaire de Ta-ssoc. 8 (1874) 253—284
ediert hat. — (iedicht über das jambische Metrum edd. A. Nauck, Melanges ({r»?co-Rora.
II 492 f. und W. Studemund, Anecdota Varia 1 198 f. — Homerische .MIegorien ed.
Fr. Boissonade mit den Allegorien des Tzetzes, Paris 1851. - Proben aus Honier-
kommentaren ed. K. Sathas mit der Abhandlung: Sur lea commentaires Byzantins relatifs
aux comödies de Menandre, aux poCnies d'Homere etc., Annuaire de l'assoc. 9 (1875)
3. PhUosophie. (§ 83.) 181
187—222. — Gedicht und Briefe über Rhetorik ed. Chr. Walz. Rhetores Graeci, vol. 3
(1834) 687-703 und vol. 5 (1833) 598—605.
Geschichtswerk: Ed. pr. K. N. Sathas. Mea. iii^Xio». vol. lY [1814). — Ein Teil
des Werkes mit einem Kommentar von Hase wiederholt im R ecueil des historiens grecs
des croisades I (Paris 1875) 1—69. — Hilfsmittel: S. Röckl, Blätter f. d. bayer. G^-mna-
sialschulwe.sen 21 (1885) 4 — 19 (über die Quellen und Ausschreiber). — W. Fischer, Bei-
träge zur historischen Kritik des Leon Diakonos und Michael Psellos, Mitteil. d. Instituts
für Österreich. Geschichtsforschung 7 (1886) 353 — 377. — Joh. Seger, Nikephoros Bryen-
nios, München 1888 S. 36 ff. — J. B. Bur}', Roman emperors from Basil II to Isaac
Komnenos, The English histor. review 4 (1889) 41 — 64; 251 — 285. — Emendationen von
J. Pantazides, 'Adi^vaiov 3 (1874) 668—686. Unzugänglich blieben mir die im JeXxiov
rijg laroQ xcd i&yoXoy. er. rijg'E'AX. 1, 175 erwähnten Beiträge desselben Gelehrten, Athen 1882.
Juridische Schriften, Reden, Briefe, Uebungsstücke u. s. w.: Juridische
Schriften bei Migne a. a. 0. — Reden und 208 Briefe ed. Sathas, Mea. ßißX. vol. V.
Zwei Briefe mit französischer Uebersetzung hatte Sathas schon im Annuaire de l'assoc. 8
(1874) 193—221 mitgeteilt. — Monodie auf den Schüler Johannes Patrikios ed. Alb. Jahn,
Jahns Jahib. 11. Supplementb. (1845) 347—381. - Das übrige bei Boissonade, Migne und
Sathas a. a. 0.
2. Leben und Schriften: Die Grundlage bildet« bis in die neueste Zeit des Leo
Allatius Abhandlung: De Psellis et eorum scriptis, Romae 1634; wiederholt mit Berich-
tigungen bei Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 10. 41 — 97 und bei Migne, Patrol. Gr. 122,
477 — 538. — Zur Bibliographie vgl. F. Henrichsen. L'eber die sogenannten politischen
Verse, Leipzig 1839 S. 98—102. — Viele Berichtigungen und Zusätze zur Biographie gab
K. Sathas in den Vorreden zum 4. und 5. Bande der Msa. ßißX. Auf Sathas beruht die
hübsche Skizze von E. Egger im Dictionnaire des sciences philosophiques sous la direction
de Ad. Franck, Paris 1875 S. 1418 ff. und die ausführlichere Darstellung von A. Rambaud,
Revue historique 3 (1877) 241--282. — Will. Fischer. Studien zur byzantinischen Ge-
schichte des 11. Jahrb., Progr. Plauen 1883, handelt über das mit der Biographie des Psellos
eng verbimdene Leben des Patriarchen Johannes Xiphilinos und über die juridische
Synopsis des Psellos. — Handschriftliche Mitteilungen gab besonders Ruelle, Archives
des missions scientifiques, 3. serie, tome 2 (1875). Von demselben Bibliographie mit 3
kleinen Anecdota in der Jubiläumsschrift des 'Ekkr^yixog q:iXoXoy. avXXoyog. Konstantinopel 1886
S. 591 — 614. — Anfang einer Bibliographie des Psellos auf Grund des cod. Paris. Gr. 1182
bei Sathas, Mea. ßiß'A. 5. aeX. 4 — ttcT. — Zur Charakteristik: Ferd. Gregorovius, Ge-
schichte der Stadt Athen im Mittelalter I 176 ff.
83. Johannes Italos, am byzantinischen Hofe wohl angesehen und
auch als Gesandter verwendet, folgte dem Psellos in der Würde des vriaroq
Twv (fiXoa6(fon' und wirkte noch mehr als sein Vorgänger durch eine reg-
same Lehrthätigkeit : ein starker und heftiger Dialektiker, widmete er sich
vornehmlich der Erklärung aristotelischer Schriften, berücksichtigte aber
auch den Plato und die Neuplatoniker. Eine interessante Schilderung seines
turbulenten Charakters und der handgreiflichen Art seines Unterrichtes
haben wir in der Alexias der Anna Komnena (V 8; X 1). Mit der byzan-
tinischen Orthodoxie hatte er wie auch Eustratios von Nikaea und Leon
von Chalkedon heftige Kämpfe zu bestehen. Ueber diese in die erste Zeit
des Alexios Komnenos fallenden Streitigkeiten berichtet ausführlich Niketas
Akominatos in seiner 2vroipig twv doyfiävwv twv xtvrjiß-s'vTcov ini trjg ßaai-
Xfi'aq xov ßaaiXiwg xvqov 'AXe'^iov xov Koi^ivt]rov.^) Von seinen meist noch
unedierten Schriften sind zu nennen: 1. Eine Sammlung von 93 Antworten
auf Anfragen hochstehender Personen wie des Michael Parapinakes und
des Andronikos Dukas. Diese in der Art der JiSaaxaXia naviodanri des
Psellos gehaltenen Stücke betreffen meist die metaphysischen Definitionen
des Aristoteles. 2. Ein Kommentar zum 2. bis 4. Buche der Topika des
Aristoteles. 3. Ein Kommentar zu Aristoteles Ilfqi eQjir^vei'ac. 4. Ein Traktat
■) S. Fr. Tafel, Supplementa historiae , binger Progr. 1832.
ecclesiasticae Graecorum saec. XI. XH., Tu- I
182 Byzantinische Litteratargeschiohte. I. Prosaische Litteratur.
Über Dialektik. 5. Ein Auszug der Rhetorik {ne&odog rijg gr^TOQixf^g xaid
avvoipiv).
Vgl. B. Hase. Notices et extraits 9 (1813) 2, 148 ff. und C. Prantl, Geschichte
der Logik II 293—295.
84. Spätere Aristoteleserklärer. Mit Psellos und Italos ist die
Thätigkeit der Byzantiner auf diesem Gebiete nicht abgeschlossen; Aus-
leger des Aristoteles, des Hauptphilosophen des Mittelalters, waren bis in
die letzten Zeiten des Reiches thätig; ihre vielfach noch unedierten, in
zahllosen Handschriften vorkommenden, häufig anonym überlieferten, meist
unendlich langweiligen Kommentare sind fast ohne Wert, wenn auch da
und dort verirrte Körner aus alten Quellen sich finden mögen. Eine voll-
ständige Uebersicht dieser zerstreuten und trivialen Litteratur, die immer
wieder auf dieselben Quellen zurückweist, soll hier nicht gegeben werden.
Michael von Ephesos, ein Schüler des Psellos, kommentierte Teile des
Organons, wobei er den Alexander von Aphrodisias exzerpierte. Vgl.
Ch. Thurot, Notices et extraits 25 (1875) 2, 382. Eustratios, Metropolit
von Nikaea, im Anfang des 12. Jahrhunderts, schrieb ausser zwei Reden
gegen die armenische Häresie und anderen theologischen Sachen Kommen-
tare zur Nikomachischen Ethik und zum zweiten Buch der zweiten Analytik.
EvaTQcniov x(u itXXtDy tiviov imaiifjuov vTio/uvtjuKra eig rtl dexn rwr jov 'jQtaroTsXovg
tji^ixwy Nixofia;(£iti)y ßißXia, Venetiae 1536. Der Kommentar zur 2. Analytik erschien
Venedig 1534. — Neue Beiträge zu seiner Biographie gab J. Sakellion, \497Jfmoy 4
(1875) 221-233.
Sophonias, ein Mönch, wahrscheinlich identisch mit dem von Geor-
gios Pachymeres II 202 (ed. Bonn.) erwähnten S. und demnach dem Schluss
des 13. und dem Anfange des 14. Jahrhunderts angehörig, verfasste Para-
phrasen zu des Aristoteles Kategorien, zur ersten Analytik, zur Sophistik,
zur Schrift De anima und zu De memoria et somno. Diese aus dem Texte
des Aristoteles und aus Stücken seiner angesehensten Erklärer zusammen-
gesetzten Kommentare werden in Handschriften zuweilen als Werk des
alten Paraphrasten Themistios ausgegeben; auch finden sich einzelne Stücke
in einer vatikanischen Handschrift fälschlich unter dem Namen des
(dem 7. Jahrh. angehörenden) Hymnendichters und Patriarchen von Jeru-
salem, Sophronios. Ein anderer Aristoteleserklärer des 14. Jahrhunderts
ist Leon Magentinos, Metropolit von Mytilene; er schrieb Schollen zu flfgi
tQfir^veiag und zur ersten Analytik. Die erstere Schrift ist griechisch ediert,
Venetiae 1503 (mit Ammonius) ; beide lateinisch, Lugduni 1547, Der Name
Heliodor von Prusa, der einer Paraphrase der Nikomachischen Ethik
vorgesetzt ist, wurde von L. Cohn als eine Fälschung des Konstantin
Palaeokappa erwiesen. Berliner philol. Wochenschrift 1889 S. 1419.
Sophoniao in libros Aristotolis De anima paraphrasis ed. Mich. Hayduck, Herolini
1883 (vol. 23, 1 der von der Berliner Akademie herausgegebenen Aristoteleskonunentaro).
Wahrscheinlich stammen von Sophonias auch die ebenda 23. 2 und 4 von M. Hayduck
edierten anonymen Taraphra-sen zu den kartjyoQlnt und loqiatixol tXtyxoi des Aristoteles.
Val. Rose, Ueber eine angeldirhe Paraphrase des Themistius. Hermes 2 (1867)
191—213. — Die angebliche Paraphrase des Themistios ed. Max VVallies, Beroiini 1884
(vol. 23, 3 der Aristoteleskommentare). — Noch nach dem Falle des Reiches fand Aristoteles
unter den (iriechen manche Erklärer. Der berühmteste unter ihnen ist Theophilos
Korydalleus aus dem Anfange des 17. Jahrhundert«. Handschriftliche und bibliographische
Notizen über ihn von Huellc, Annuaire de l'assoc. 15 (1881) 192 ff.
I
3. Philosophie. (§ 84—85.) 183
85. Die angebliche Metaphysik des Herennios: ^Eoei'viov tfiko-
a6(fov i^r^yr^oig fig td lUTci xd (fvaixä ist eine oberflächliche, wahrschein-
lich dem 16. Jahrhundert angehörende Kompilation aus Philo De ebrietate,
Alexander von Aphrodisias Quaest. physic, Proklos Kommentar zu
Piatos Parmenides, Damaskios De principiis, endlich aus dem von Geor-
gios Pachymeres verfassten Abriss der gesamten aristotelischen Philo-
sophie und aus einer noch nicht nachgewiesenen, schwerlich aber alten
Quelle. Den Verfertiger des Machwerkes, von dem sich kaum eine über
die Mitte des 16. Jahrhunderts hinaufreichende Handschrift findet, hat
man vielleicht in dem berüchtigten Epiroten Andreas Darmarios zu
suchen, der wahrscheinlich auch für den unter des Damaskios Namen
aus Galenos zusammengestellten Kommentar zu den Aphorismen des Hippo-
krates verantwortlich zu machen ist.
Der erste, nie veröffentlichte Druck dieses Falsifikats mit latein. Uebersetziing von
Simon Simonides. Samosc (in Polen) um das Jahr 1604, ist eine erst jüngst in einem
Exemplar der Krakauer Universitätsbibliothek bekannt gewordene Rarität. — Ohne Kenntnis
dieses Druckes ed. A. Mai, Classic, auct. 9. 513—593. — Hauptschrift: E. Heitz. Die
angebliche Metaphysik des Herennios, Sitzungsberichte der preuss. Akademie der Wiss.
1889, 1167-1190.
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie.
86. Schulrhetorik. Wie alle Schulfächer ist auch die Beredsamkeit
im byzantinischen Zeitalter emsig gepflegt worden; zur Erfindung einer
neuen und originalen Methode ist es jedoch hier noch weniger gekommen
als in anderen Disziplinen. Schon in der römischen Zeit war das fein
ausgebaute System der alten Rhetorik durch Hermogenes und Aphtho-
nios auf das Niveau einer äusserlichen und mechanischen Unterweisung
herabgesunken. Die Vorschriften dieser zwei unbedeutenden Köpfe erlangten
bald eine unbeschränkte Herrschaft über die Schule und wurden auch das
ganze Mittelalter hindurch in einer endlosen Kette von Traktaten und
Handbüchern von Generation zu Generation verpflanzt, ausgezogen, erklärt
und durch Musterübungen erweitert; vergeblich aber suchen wir einen
neuen Grundgedanken. Die ungeordneten Massen dieser Schulhefte und
Lehrbücher beschweren die Bibliotheken und die Bibliographie; sie lassen
sich aber, bei Lichte besehen, alle auf einige Urquellen zurückführen. Eine
ausführliche Betrachtung und genealogische Prüfung dieser unreinlichen
Abklatsche uns erhaltener Vorbilder kann weder der Philologie noch der
Kulturgeschichte von Byzanz erheblichen Nutzen bringen. Höchstens ge-
winnt durch die Einsicht in diese unselbständigen neuen Auflagen und
Ueberarbeitungen unsere Vorstellung vom byzantinischen Schulbetriebe
einiges an Deutlichkeit; aber auch hiefür genügt die allgemeine Beobach-
tung der ununterbrochenen Erbfolge dieser Werke und die Sicherheit, dass
die rhetorische Schultradition von der römischen Zeit bis in die letzten
Jahrhunderte von Byzanz sich gleich geblieben ist in den Formen und in
den Stoffen, nur dass sich jetzt zu den hergebrachten Themen aus der
alten Mythologie und Geschichte christliche Motive gesellen und im
friedlichen Vereine neben jenen einhergehen.
Die wichtigste Rolle spielten die alten Progymnasmata d. h. die
methodisch ansteigende Bearbeitung von Fabeln {/iv'h)i), Erzählungen
{Siijijßaia), Chrien (xQttcti), Widerlegungen (dtnaxu'ai), Begründungen
(xaTaaxivai), Sinnsprüchen (yiw/iort) und Ethopöien (»^'//«/ro//«/). Eine über-
grosse Zahl von IVoben dieser Schulbücher hat Chr. Walz in den neim
Bänden seiner Hhetores Graeci veröffentlicht; weniger bemühte er sich
um die Aufhellung der ('hronologio und Genealogie dieser Werke; der
gleiche Vorwurf trifft auch Bokker und Gramer, in deren Anocdota sich
I
4. Rhetorik, Sophistik nnd Epistolographie. (§ 86—87.) 185
tinige weitere Stücke verirrt haben. Wii* finden bei Walz ausser vielen
anonymen Werken die rhetorischen Schriften des Michael Psellos (s. § 82),
des Nikephoros Basilakes (um die Mitte des 12. .Jahrhunderts), des
Johannes Tzetzes (s. § 114), des Gregor von Korinth (s. § 144), des
Georgios Pachymeres (s. § 37), des Maximos Planudes (s. § 119),
des Georgios Plethon ^vrroixil negt tivcov usgöiv r/~c QrjoQixt]c, endlich
die rhetorische Epitome eines seiner Zeit nach unbekannten Matthaeos
Kamariotes, die ^vvoipic Qi^rogtxric eines gewissen Joseph Pinaros Raken-
d y t e s , eine Schrift Uegi tqötiw v eines ebenfalls unbekannten Kokondriosu.a.
Uebrigens versteht sich von selbst, dass die handschriftlich überlieferten
Autornamen bei diesen von Geschlecht zu Geschlecht sich vererbenden
Schulbüchern stets mit der grössten Vorsicht entgegenzunehmen sind.
1. Hauptwerk: Chr. Walz. Rhetores Graeci, 9 voll.. Stuttgartiae 1832 — 36. —
Bedeutend gesichtet ist der von Walz gebotene Stoff in den Rhetores Graeci ex recogn.
L. Spengel, 3 voll., Leipzig, bibl. Teubn. 1853 — 56. — Ueber die vorbyzantinischen Fort-
setzer des Herrn ogenes und Aphthonios s. W. Christ. Griechische Litteraturgeschichte,
2. Aufl. § 495 ff.
2. Die Exzerpte aus Hermogenes JleQi idetSy und aus der von Suidas bezeugten
Schrift des Lachares Uegi xaiXov xai xojuuatog xcd nsQtö&ov. welche Walz. Rhet. Gr. III
712 — 723 unter dem Namen des Kastor veröffentlichte, stammen in Wahrheit von einem
Anonymus, der wahrscheinlich im Anfang des 10. Jahrhunderts lebte; der Titel Küarooog
'Podiov QtJTOQog rov xai cfi).oo(oijaiov ist eine Fälschimg des Konstantin Falaeokappa.
Die namentlich im zweiten Teil wertvolle Schrift wurde neuerdings kritisch untersucht
und ediert von W. St u dem und: Pseudo-Castoris excerpta rhetorica, Breslau 1888 (Gratu-
lationsschrift zum Jubiläum der Universität Bologna).
3. Eine gute Vorstellung der ganzen Gattung gewähren die Progymnasmata des
Nikephoros Basilakes. Sie sind zuerst ediert von Leo Allatius in seinen Excerpta
varia Graec. sophist. (1641) S. 125—220; dann von Walz, Rhet. Gr. I 421—525. Eine
Art von litterarischer Selbstbiographie desselben edierte E. Miller, Annuaire de Tassoc. 7
(1873) 135 — 157. — L'eber sein Leben s. C. Neumann, Griech. Geschichtschreiber imd
Geschicbtsquellen im 12. Jahrb., Leipzig 1888 S. 72—77. — Vgl. K. Sathas, JoxifAiov
Ttegi xov 9e('cTQov xai xrjq uovaixrjg rwj/ Bv^avx., Venedig 1878, aeX. in&'.
87. Angewandte Bhetorik. Wertvoller an sich und wichtiger für
eine Würdigung des litterarischen Vermögens der Mittelgriechen sind die
zahlreichen Werke, in welchen die alte Kunst der Rhetorik praktisch
verwertet wurde. Den Ausgang nimmt hier die historische Betrachtung
von der besonders im 5. und 6. Jahrhundert blühenden Rheto renschule
von Gaza. Der orientalisch gefärbte, schwülstig überladene Barockstil,
der in Gaza den alten Asianismus noch zu überbieten suchte, ist auch für
die byzantinische Diktion stets ein wichtiger Faktor geblieben, obschon
man zwischen den verschiedenen Stilarten unterschied und durchaus nicht
eine und dieselbe als ausschliesslich berechtigt anerkannte. Einer der
hervorragendsten Vertreter des orientalischen Marinismus ist in seinen
Briefen wie in seiner Geschichte der Historiker Theophylaktos Simo-
kattes. Den Gipfelpunkt bezeichnet in der feinen Ausbildung rhetorischer
Darstellung Photios. Unter den Komnenen und Paläologen wuchs in dieser
Gattung — im umgekehrten Verhältnis zum politischen Zustande des
Reiches — Kraft und Betriebsamkeit. Die fruchtbarsten Vertreter der
rhetorischen Litteratur gehören den letzten Jahrhunderten von Byzanz an,
wie Gregor von Cypern, Nikephoros Chumnos, Theodoros Hyrta-
kenos, Demetrios von Kydone. Wie Moschopulos, Planudes und die
übrigen Grammatiker der Paläologenzeit, so sind auch die Schönredner
186 Byzantinische Litteratargeschichte. I. Prosaische Litteratur.
dieser Epoche bedeutsame Vorläufer des griechisch-italienischen Huma-
nismus. Der byzantinische Charakter erscheint bei ihnen nicht selten
schon mit einem ganz modernen, realistischen Zuge versetzt.
Die zähe Beharrlichkeit, mit welcher die Pflege eines gewählten
Ausdruckes und einer kunstvollen Komposition fortbetrieben wurde, hat
bei einzelnen Talenten noch sehr rühmliche Erfolge erzielt. Ja vielleicht
ist Byzanz dem Altertum in keiner Gattung näher gekommen als hier; die
Stufe eines Isokrates, Libanios, Themistios und verwandter Geister
ist ohne Zweifel mehr denn einmal erreicht worden, vor allem von Photios,
der sich in seinen Briefen als ebenbürtigen Schüler der alten Meister zeigt,
aber auch von manchen andern wie Eustathios, Michael Akominatos, Gregor
von Cypern und zuletzt von einigen der griechischen Humanisten. Keine
antike Eigenschaft hat sich bei den Griechen in die byzantinische und neuere
Zeit unverfälschter fortgepflanzt als die Freude am schönen Wortgefüge
und am tönenden Pathos, dem freilich auch der leere Prunk und der tosende
Schwall unzertrennlich verbunden blieben. Alle Arten der praktischen
Rhetorik des Altertums kehren in Byzanz wieder. Neben den rein
progymnasmatischen Sachen, den diaXe^sig, fisXe'Tat u. s. w., herrschen die
panegyrischen Reden an Kaiser, Prinzen und Gönner, die Leichenreden
und die Prunkschilderungen; letztere, die sogenannten excpQdaeigj welche
die Beschreibung von Kunstwerken, Landschaften, Jahreszeiten u. a. um-
fassen, haben durch ihre Verwertung in den hellenistischen Kunstdichtungen
und in den Romanen bis in die spätbyzantinische Zeit hinein eine erheb-
liche litterarhistorische Bedeutung erlangt.^) Reich an Aufschlüssen über
Geschichte, Geographie und Kultur von Byzanz und auch rein litterarisch
betrachtet erfreulich ist die Gattung der Briefstellerei, an welcher fast
alle Ijedeutenden Byzantiner Anteil haben.
Für eine detaillierte Geschichte der mittelgriechischen Produktion in
Rhetorik und Epistolographie fehlt es noch ganz an Vorarbeiten. Wahr-
scheinlich aber wird man nach einer gründlicheren Erforschung der weit
auseinander liegenden Massen zur Einsicht kommen, dass eine wirkliche
und reine Entwickelung hier nur in massigem Umfange statt hatte. Wir
hören zwar auch in Byzanz nicht selten, dass ein Autor seine sachliche
und formale Ausbildung einem bestimmten zeitgenössischen Lehrer verdankt;
Theophylaktos von Bulgarien folgt dem Psellos, Gregor von Cypern ist
Schüler des Georgios Akropolites, Nikephoros Chumnos der des Gregor
von Cypern u. s. w. Eine schärfere Untersuchung wird wahrscheinlich auch
die Spuren dieser unmittelbaren lehrhaften Einflüsse nachweisen können;
die Haupt lehr meister aber waren für alle Byzantiner in gleicher
Weise die Alten. Daher sind sie häufig so gleichmässig; daher wird die
vorauszusetzende Entwickelungsreihe zuweilen so unerwartet unterbrochen;
daher konnte z. B. plötzlich ein Photios erstehen, dessen Formvollendung
unter antiken Verhältnissen eine bedeutende Epoche der Vorbereitung ver-
langen würde; hier aber hing schliesslich alles von der grösseren oder
geringeren Fähigkeit der Individuen ab, die alten Vorbilder für die ver-
<) Vgl. Rohde, Der griechische Roman S. 335, 508 f., 512 f.
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie. (§ 88—89.) 187
änderten Zwecke und Stojffe zu verwerten. Xachdem oben die Thätigkeit
der Byzantiner in der Schulrhetorik kurz dargelegt wurde, nennen wir im
folgenden jene Vertreter der angewandten Rhetorik und der Epistolo-
graphie, welche nicht wie Photios, Psellos u. s. w. in anderen Abschnitten
zur Besprechung gelangen.
88. Basilios I, Kaiser von 867 — 886, der energische Begründer der
makedonischen Dynastie, war selbst ohne höhere Bildung, bemühte sich
aber wie Karl der Grosse, durch Unterstützung bedeutender Kräfte wissen-
schaftliche und litterarische Bestrebungen zu fördern. Er Hess die römi-
schen Rechtsbücher griechisch bearbeiten und erweitern, ein Werk, das
von seinem gelehrten Enkel Konstantin Porphyrogennetos fortgesetzt und
in der Hauptsache abgeschlossen wurde (s. § 19). Ausserdem wird Basilios
in der Litteraturgeschichte genannt, weil unter seinem Namen zwei Er-
mahnungsschriften an seinen Sohn Leo überliefert sind. Die erste,
weit umfangreichere: Buoikeiov vov 'Poj/fß/wv ßuaiXboig xe<fäXaia nagaivf-
Tixd ^q' TTQoc Tov iavTov vtöv Aiovxtt ist nach Materien in 66 Paragraphen
geteilt, welche wie die Strophen der Kirchenhymnen durch ein Akrosti-
chon verbunden sind; die Worte desselben lauten: Baaikeiog ev Xoigtm
ßaaiXevg '^Poi^ciioiv Atom r<>) neTcoO-r^{iev(o vim xal av^ißaüiXei. Das Ganze
ist ein moralisches Vademecum, welches über die verschiedensten Themen
der Sitte und Religion wie über Almosen, Begierden, Bildung, über Mut
und Besonnenheit, Demut, Keuschheit u. s. w. in kurzen, sentenzenartigen
Sätzen und abgedroschenen Gemeinplätzen belehrt. Echt byzantinisch ist
der Mangel näherer Beziehungen auf die Person und die Zeitumstände;
statt spezieller Vorschriften über Regierungskunst und über die zur Förde-
rung des byzantinischen Reiches notwendigen Massregeln lesen wir all-
gemeine Moralitäten, die fast alle ebensogut auf ein weitabliegendes Zeit-
alter und ganz verschiedene Verhältnisse passen würden. Als Vorbild
dienten die paränetischen Reden des Isokrates. Das zw^eite Stück: Baai-
Xeiov ßaaiXtüig ersga uagairsaig eig tw avrov vtov Asovxa ßaaiXäa enthält
eine kurze Aufmunterung zu einem gottgefälligen Lebenswandel. Schwerlich
werden uns die Manen des Basilios zürnen, wenn wir ihm diese zwei
Paränesen, die eine wohlgeübte, rhetorisch geschulte Feder verraten, ab-
sprechen; der wahre Verfasser ist ohne Zweifel in der gelehrten Um-
gebung des Kaisers, vielleicht in der Person des Patriarchen Photios zu
suchen.
Die kfcpäkcetfc sind öfter ediert, u. a. bei Banduri, Imper. Orientale I 171 ff.;
das zweite Stück zuerst von A. Mai, Scriptorum vetenun nova collectio II (1827) 679—681. —
Jetzt beide zusammen bei Migne, Patrol. Gr. 107 (1863) S. XXI ff., LVII ff.
89. Nikolaos (852—925), ein Verwandter des Patriarchen Photios,
wurde zusammen mit Kaiser Leo dem Weisen erzogen, später von dem-
selben mit der Würde eines Vertrauten (fivffTixög) bekleidet und hatte von
901 — 907 und zum zweitenmale von 912 — 925 den Patriarchenthron inne.
Dieser geistig begabte, aber leidenschaftliche und ehrgeizige Kirchenfürst
verdient hier wegen seiner i-eichhaltigen Korrespondenz Erwähnung. Eine
vatikanische Handschrift enthält 163 Briefe desselben, welche für die
politische und kirchliche Geschichte seiner Zeit wichtige Aufschlüsse ent-
188 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
halten. Unter den Adressaten sind der arabische Emir von Kreta, den
der Patriarch zur Milde gegen seine christlichen Unterthanen auffordert,
der Fürst Symeon von Bulgarien, der römische Papst, Kaiser Romanos I
Lakapenos, ein Fürst von Armenien, endlich verschiedene Bischöfe, Zivil-
beamten, Mönche und Privatleute. Dazu kommt eine Homilie, welche
Nikolaos nach der durch den Bericht des Johannes Kameniates (s. § 27)
näher bekannten Zerstörung der Stadt Thessalonike durch Leo von Tri-
polis (904) an das Volk von Byzanz richtete, und eine dem Klostervorstand
des heiligen Berges übersandte Unterweisung über das Mönchsleben:
IIqoc t6v TtQunov tov dytov oQovg (og tVTrtxöv did aroixov (!).
Ed. pr. A. Mai, Spicilegium Romanum vol. X 2 (1844) 161-440. — Wiederholt
von Migne. Patrol. Gr. 111 (1863) 1-406. — Ueber das Loben und den Charakter des
Nikolaos bringt manches Neue die Vita Euthymii ed. C. de Boor, Berlin 1888; vgl.
die auf diesem Texte beruhende Darstellung von C. de Boor S. 98 fF., 160 ff., 176 ff.
90. Theodoros Daphnopates, der die Würde eines Patrikios besass,
verfasste im Auftrage und Namen des Kaisers Romanos I Lakapenos (021
bis 944)1) Briefe an den Papst, an den Metropoliten Anastasios von Hera-
klea, an den Emir von Aegypten und an den Fürsten Symeon von Bul-
garien, sowie eine Rede an die Metropoliten. Ein verlorenes Geschichts-
werk des Daphnopates erwähnt Skylitzes im Proömion.^)
1. Die Briefe und die Rede edierte mit einem für die Zeitgeschichte wichtigen
Kommentar J. Sakkelion, JeXtioy ttjg latoQ. xal i^yo'Aoy. iiuigias xijg 'EX'käSog 1 (1883 — 84)
657-666 und 2 (1885—89)38—48; 385-409. — Eine geistliche Homilie des Daphnopates
steht nur lateinisch bei Migne, Patrol. Gr. 111 (1863) 611 ff. — Ueber unedierte Schriften
desselben s. Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 10, 385 f. und Migne a. a. 0. 607 ff.
2. Hier sei noch die Monodie erwähnt, welche Kaiser Romanos H seiner Braut
Bertha, die 949 noch vor der Vermählung starb, gewidmet hat. Sie ist aus einer Wiener
Handschrift ed. von Sp. Lambros, Bulletin de correspondance hellen. 2 (1878) 266—273.
91. Philopatris {<ViXÖTiaTQiq fj Jidaaxöfisvoq) betitelt sich eine merk-
würdige Nachahmung des Lukianos, die in der zweiten Hälfte des 10.
Jahrhunderts entstanden ist. Die Personen dieses Dialogs sind Triephon,
Kritias und Kleolaos. Der dialogische Charakter erscheint deutlich nur
im ersten Teile, einer langen Disputation über Heidentum und Christentum;
der zweite Teil enthält grösstenteils eine fortlaufende Rede des Kritias.
Der Verfasser gibt sich, um den wahren Zweck des Dialogs zu verhüllen,
zuerst den Anschein, als handle es sich um die Bekehrung eines alten
Heiden zum Christentum. In der That ist das Werk vorzüglich gegen
den Patriarchen und seine Umgebung gerichtet; sie werden ver-
spottet und denunziert wegen ihrer Anschläge gegen den Kaiser. Ver-
schiedene, sehr deutliche Anspielungen auf Ereignisse der äusseren und
inneren Politik wie auf Siege über die Perser und Skythen, ein grosses
Blutbad in Kreta, Naturereignisse, eine unzufriedene Oppositionspartei u.s. w.
verweisen den Philopatris mit grösstcr Wahrscheinlichkeit in die Zeit des
Kaisers Tzimiskes und zwar etwa in das Jahr 974. Das Werk
ging früher unter den Schriften des Lukianos; nachdem es als unterge-
schoben erkannt war, setzte man es in die Zeit des Kaisers Julian
(361 — 363); Gutschmid rückte es in die Epoche des Kaisers Herakliofl
') ytaxnTttjvng d. h. aus Auxtint]; die verworfen zu sein.
übliche iSchreibweiHo .iexftnijyöf scheint zu | -') Goorgios Kedrenos od. Bonn. I S. 4
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie. (§ 90-92.) 189
{um 623); endlich kam man nach einer jetzt allgemein angenommenen
Kombination in die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts. Niebuhr
und Gfrörer stimmten für das Jahr 968, mehrere Gründe sprechen für die
oben angenommene, noch etwas spätere Datierung. Jedenfalls entstand das
Werk nach der Wiedereroberung Kretas durch die Byzantiner (961), wo-
durch nun auch manche sprachliche Eigenheiten ihre Erklärung finden.
Mit dieser Zeitbestimmung muss natürlich das theologische Interesse,
um dessentwillen früher der Dialog eifrig gelesen und kommentiert wurde,
verloren gehen; das Werk hört auf unter den antichristlichen Denkmälern
des alten Heidentums zu figurieren. Die spöttischen Ausfälle gegen Ortho-
doxie und Mönchtum gehen nicht von einem Hellenen aus, sondern von
einem etwas frivolen Feinde der Hierarchie, deren es in Byzanz in den
Zeiten der erbitterten Kämpfe zwischen Hof und Patriarchat genug geben
mochte. Auch hier berührten sich die Extreme; auf der einen Seite findet
man die strengste, silbenstechende Rechtgläubigkeit, auf der anderen Seite
eine fast freigeistige Profanierung des Heiligen; man denke nur an die
Parodie der Kirchenlieder (s. § 170). Dunkel bleibt immerhin die wahre
Absicht der Polemik gegen die alten Götter. Ein merkwürdiges Seiten-
stück hiezu bilden die apologetischen Gedichte Leos des Philosophen,
der in einer dem Philopatris nicht lange vorausgehenden Zeit ebenfalls
die Verehrer der hellenischen Götter verflucht (s. § 189). üeber spätere
byzantinische Imitationen des Lukianos s. §§ 95. 106. 197, 12.
1. Ausgaben: Im Bonner Corpus ed. B. Hase mit Leon Diakonos, Bonnae 1828. —
Ausserdem meist mit den Werken des Lukianos. zuletzt in Luciani opera ex recogn.
C. Jakobitz, Lipsiae, bibl. Teubner., 1876 voL III 411 — 425.
2. Hilfsmittel: M. Ehemann, Bemerkungen u. s. w. in den: Studien der evan-
gelischen Geistlichkeit Württembergs 11 (1839) 47 — 101 (setzt das Werk auf Grund ganz
nichtiger Argumente in die Zeit des Kaisers Valens). — Den wichtigsten Schritt zur Er-
grnndung der litterarhistorischen Stellung des Philopatris that B. G. Niebuhr. Lieber das
Alter des Dialogs Philopatris, Kleine historische und philologische Schriften, 2. Sammlung,
Bonn 1843. — Ganz nutzlos ist: H.Kellner, Der Dialog Philopatris, Tübinger theologische
Quartalschrift 46 (1864) 48—78; wiederholt in des Verfassers: Hellenismus und Christentum,
Köln 1866 S. 323 — 347. — H. Wessig, De aetate et auctore Philopatridis dialogi, Dissert.,
Koblenz 1866. — Fr. Gfrörer, Byzantinische Geschichten Bd. III (Graz 1811) 64 — 82
»bt eine gute Analyse des Dialogs. — C. J. Aninger (f), Zeit und Zweck des pseudoluc.
Dialogs Philopatris, Tübinger Dissert., die demnächst im histor. Jahrbuch der Görresgesell-
schaft veröffentlicht werden soll.
92. Johannes Doxopatres (Doxapatres? Jo^oTrarQijg, Jo'^ccrcaiQT^q),
mit dem Beinamen der Sikeliote, nimmt unter den byzantinischen Rhe-
toren eine bemerkenswerte Stelle ein. Von seiner Person ist wenig be-
kannt; er verrät uns nur, dass er ein dürftiger, von des Lebens Not hart
gedrückter Mönch war; seine Armut und die Gleichgültigkeit der Fürsten
und der Zeit hinderten ihn, wie er sagt, an einer ausgedehnteren littera-
rischen Thätigkeit. Auch seine Zeit lässt sich nicht völlig genau und
sicher bestimmen; doch verweisen ihn triftige Gründe in die zweite
Hälfte des 11. Jahrhunderts.»)
Wir haben von Johannes eine Vorrede und rhetorische Homilien
') In einer Ethopöie des Johannes wird Skylitzes den Sikeliotes zusammen mit Psellos
deutlich auf den Sturz des Michael Kala- als Chronisten nennt, wenn anders dieser
l^tes J1041) angespielt. Walz, Rhet. Gr. SUceliotes mit dem unsrigen identisch ist.
n (1835) S. r\'. Dazu stimmt auch, dass Georg. Kedrenos ed. Bonn. I S. 4.
190 Byzantinische Litteratnrgeschichte. 1. Prosaische Litteratur.
zu den Progymnasmata des Aplithonios; ausserdem Prolegomena zur
Rhetorik, in welchen nach dem üblichen Schema untersucht wird, woraus
die Rhetorik entsprungen sei, ob auch die Halbgötter Rhetorik hatten, wie
sie zu den Menschen kam u. s. w.; endlich grosse Kommentare zu den
Abschnitten des Hermogenes Uegi aräaetov, IJegi fVQt'aecog und flfQi ideoUv.
Diese Schriften haben einigen Wert, weil Johannes den Reichtum der alten
Kommentatoren freilich mit grosser Geschwätzigkeit wiedergibt und zu-
weilen auch die Namen seiner Vorgänger gewissenhaft nennt. Besonders
ist zu bemerken, dass in den Homilien zu Aphthonios wie auch im Kom-
mentar zu JJfQt (näffforr Bruchstücke der Techne des Alexander Nu-
meniu vorkommen, welche zur Emendation der erhaltenen Epitome dieses
Werkes nützliche Dienste leisten.') Später wurde Johannes viel benützt
und ausgeschrieben, unter anderm von einem Rhetor Trophonios aus
unbekannter Zeit.
Einige Schuldeklamationen, als deren Verfasser sich Johannes im
Kommentare zu Hermogenes IIsqi i6scöv nennt, scheinen nicht erhalten zu
sein; ihre Titel sind: O tov ittttov Xoyog, 'Jraaxevi] xov Ugo/^ir^O^tcog fivi^ov,
BaaiXeiog SevxeQog^ IloXnixdg Xoyogy 'O xard 2aQaxrjV(üv Xoyog; die ersten
vier behandelten mithin gewöhnliche Schulthemata, zu bedauern ist nur der
Verlust des letzten Stückes.
Ausser den rhetorischen Sachen scheint Johannes eine Chronik Ver-
fasst zu haben. In einem cod. Vatic. befindet sich ein: Xqovixov avvTOf^ior ex
6ia(fÖQ(t>v '/^Qovoyqäq.uiv xcd e^ijyt^zwv üvXleytv xal avvTtO^ii' nagd 'Icoävvov
fiiovaxov TOV 2ixsXio)Tov, tov xal %Qij(xaTiauvTog vaieqov naxQidQxov
KwvGzavTi'vov jioXecog vt'ag '^Poöf^irjg. Diese Chronik reicht nach Allatius bis
zum Jahre 866 und ist nichts anderes als ein Exzerpt aus Georgios Mo-
nachos. Wie sich zu derselben das in einem Vindobonensis unter dem
Titel 'Icodvvov ^ixeXiokov avroifug xQovixt'] überlieferte Werk verhält, ist
unbekannt. In dem genannten Vaticanus soll auch eine theologische
Abhandlung des Sikelioten stehen.
1. Ausgaben: Rhetores Graeci ed. Chr. Walz TI (1835) 69 564; VI (1834) 1-33;
56—504. — Exzerpte aus dem Kommentar zu ITegi evQsaeo}? ed. .1. A. Gramer, Anecdota
Graeca Oxon. IV (1837) 155-169. — Proben auch bei I. liekker, Aneed. Gr. 1454—57.
2. Name: Das übereinstimmende Zeugnis der Handschriften wie der codd. Barocc.
175, Vatic. 106, Medic. 47, 5, Taurin. 119 u. a. (s. die Ausgaben) bietet die Genetivform
Toi7 Jd|« ntiTQi neben JoionctxQi und Jo^oTJuzQij, woraus sich als Nomin. der echt byzaiit.
Name JoSonnTg^? ergibt ; das JöSa nttXQi des Barocc. ist Versehen des Schreibers, der den
Namen in zwei Wörter zerlegte; übrigens schreibt auch er weiter unten Jo^onaTQt];
8. Bekker, Anecd. Gr. 1454. Zweifelhaft ist also nur, ob Jo^oTJtcrgTJg oder Jo|«n«rpiJf
die wahre Form ist. Walz schrieb ganz willkürlich Jo^onäxQov (bzw. Nom. JocÖTintQog,
lat. Doxopater) und diese falsche Namensform ist dann in die gesamte philologische Litteratur
übergegangen. Andere Gelehrte dieser Familie sind Gregorios Doxopatres, der als
Verf. von Basilikenscholien genannt wird, der Archimandrit Nilos Doxopatres, der im
Auftrage des Königs Roger II von Sizilien (1101 — 1154) im .lahre 1143 UsqI rtjy nivre
naiQiuQ^ixcjy Oqqpwv einen Bericht ei-stattete (s. §73) und Nikolaus D. (s. § 19) S. die
Mitteilungen von K. K. Zachariä von Lingenthal, Monatsber. der k. preuss. Akad. d.
Wiss. 1887, 1159 ff.
3. Die Chronik: Ueber die Echtheit und den Wert der angeblich von dem Sike-
') Vgl. E. Finckh, De incerti auctoris 1 Gelehrte Anzeigen Bd. 41 (1855) 1—13. —
artis rhetoricae etc. a L. Spengelio editae Sonstige Litteratur verzeichnet W. Christ,
loc. al. cm. Heilbronnne 1K54 und die Rezen- (tricchiache Litt-eraturgeschichte . 2. ,\ufl..
»ion dieser Schrift von Knyser, Münchener §S 493. 495.
4. Rhetorik, Sophlstik und Epistolographie. (§ 93.) 191
lioten verfassten Chronik herrscht noch völliges Dunkel. Zunächst hat der im Titel des
Walz dachte an Johannes Kamateros, der 1204 den Patriarchenthron innehatte, und
meint, Johannes habe bei seiner Erhebung seinen früheren Namen mit Kamateros ver-
tauscht. In Wirklichkeit pflegten jedoch beim Eintritte in den Mönchstand oder bei der
Erhebung zum Patriarchen nur die Taufnamen geändert zu werden. Beide Hypothesen
werden also schon durch diese Thatsache hinfällig. Sie Verstössen aber auch gegen die
Chronologie; selbst wenn man zweifelte, ob der Chronist Johannes Sikeliotes mit
dem Rhetor dieses Namens identisch sei, muss man wenigstens daran festhalten, dass
der Chronist eben der von Skylitzes im Proömion erwähnte Sikeliotes ist, und auch
dieser kann nicht nach dem 11. Jahrhundert gelebt haben. Man muss also wohl die Notiz
des Vaticanus, die im Yindobonensis fehlt, als irgend ein Missverständnis des Kopisten auf
sich beruhen lassen. Eine kurze Beschreibimg der vatikanischen Handschrift (cod.
Vatic. Gr. 394, saec. 16, 382 Blätter) gibt H. Stevenson, Codices mss. Palatini Graeci
bibliothecae Vaticanae, Romae 1885 S. 253. Der Anfang des Werkes lautet hier: tloXkol
TcJj' l|w (fi'köi.oyoi xcei ;(QoyoyQci(foi . . . ., der Schluss: "Eiag ra ;(ooyixd rewgyiov xal rov
Xoyo^hov. Nach "Etag ist wohl tuSs ausgefallen, und man begreift nur nicht, wie diese
Schlussnotiz, auf welcher wohl auch die im Texte erwähnte Vermutung des AUatius beruht,
mit dem Titel, der den Sikelioten als Verf. des Werkes nennt, zusammengereimt werden
soll. Ueber die Wiener Handschrift handelt (nach Nesselius und Lambecius) Franc.
Kollarii Ad P. Lambecii commentariorum etc. supplementorum über primus, Vindobonae
1790 S. 762, Cod. CXXXIV. Eine neue Beschreibung gab R. Foerster, De antiquitatibus
et libris mss. Constantinopolitanis, Rostock 1877 S. 5; nach ihm ist die Handschrift nicht,
wie Kollar angibt, aus dem 14., sondern aus dem 16. Jahrhundert, trägt die Nummer 99
(früher cod. bist. Gr. 22) und enthält von fol. 1 — 14 die Chronik des Johannes Sikeliotes,
von fol. 15 — 34 eine Epitome des Akropolites. Da der Vindobonensis weder im Titel noch
im Anfang des Werkes (Addu o nQÜixog vno &sov nkanSslg uy&Qwnog) mit dem Vaticanus
übereinstimmt und der Umfang beider Handschriften so gewaltig verschieden ist, handelt
es sich ofi'enbar um zwei verschiedene Text^. Ob nun der Vaticanus, wie aus den An-
fangsworten und der Subskription höchst wahrscheinlich wird, nur eine der zahllosen
Redaktionen des Georgios Monachos enthält, ob vielleicht Johannes Sikeliotes (Doxopatres)
sich das Werk fälschlich zugeschrieben hat, wie Nikolaos Doxopatres mit einer kanonischen
Synopsis that (s. § 19), und ob die Chronik des Vindobonensis nur ein Auszug dieser
Redaktion oder ein ganz verschiedenes Werk, vielleicht die echte, von Skylitzes erwähnte
Chronik ist. alles das lässt sich aus den kurzen Beschreibungen beider Handschriften nicht
erkennen, und es wäre daher sehr wünschenswert, dass jemand über diese dunkle Stelle
in der byzantinischen Chronikenlitteratur durch eine Untersuchung der zwei Handschriften
Aufkläning verschafi"te. Vgl. noch Fabricius, Bibliotheca Graeca ed. Harl. 7, 471 und
Georgios Monachos ed. Muralt S. XXIX. — Ein kleines Stück aus dem Vaticanus ed.
A. Mai, Scriptorum veterum nova coUectio 9 (Romae 1837) 375 f. {lleQi rwy xteXovue'yüiy
ßaQßÜQüjy. Ort iy ixdaTOJ e&ysi ^läcpoQÖg sariy i] äö^tc).
93, Theophylaktos, gewöhnlich nach seinein erzbischöflichen Sitze
Achrida als Bulgarus oder Achridensis bezeichnet, war einer der be-
deutendsten Theologen des 11. Jahrhunderts, Er stammt wahrscheinlich
aus Konstantinopel, wo er seine Laufbahn als Diakon der Sophienkirche
begann; Kaiser Michael VII Dukas (1071— 1078) wählte ihn zum Erzieher
seines Sohnes Konstantin; bald darauf wurde er Erzbischof von Bul-
garien. Doch erschien ihm wie jedem echten Byzantiner Konstantinopel
nach wie vor als der einzige menschenwürdige Wohnort, und wir ver-
nehmen in seinen Briefen melancholische Klagen über den Schmutz und
die Rohheit der seinem erzbischöflichen Sitze Achrida unterstehenden Be-
völkerung, Sein Todesjahr ist unbekannt; das letzte erweisliche Datum
seiner Biographie scheint das Jahr 1118.^)
Theophylaktos steht auf der Bildungshöhe seiner Zeit, wenn er auch
an Umfang des Wissens und Formgewandtheit mit seinem älteren Zeit-
•) Vgl. H. Seger, Nikephoros Bryennios S. 21,
192 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
genossen Psellos, dem er als eifriger Schüler nachstrebte,') nicht ver-
glichen werden kann. Die Hauptmasse seiner Werke fällt in das Gebiet
der Theologie; es sind umfangreiche, vornehmlich auf Johannes Chryso-
stomos fussende Kommentare zu den vier Evangelien, den Paulusbriefen,
fünf der kleineren Propheten und anderen heiligen Schriften. Wichtiger
sind seine zahlreichen Briefe; an hohe Würdenträger wie an Privatper-
sonen, besonders an geistliche Kollegen in Konstantinopel und in anderen
Städten des Reiches gerichtet, sind sie uns wie die Briefe des Photios,
Psellos, Gregor von Cypern, Planudes und anderer Byzantiner ein unver-
ächtliches, freilich noch recht wenig verwertetes Hilfsmittel zu einer ge-
naueren Erforschung der politischen, kirchlichen und kulturellen Zustände
der Zeit. Endlich haben wir von Theophylaktos zwei Schriften rhe-
torischer Art. Die eine enthält eine Unterweisung an seinen Schü-
ler, den kaiserlichen Prinzen Konstantin: Uaiösia ßaaiXixrj rcgog
Tov noQcfvQOYt'vnjTov KcovaiaviTvov. Von den verwandten paränetischen
Schriften des Kaisers Basilios unterscheidet sie sich vorteilhaft durch die
Berücksichtigung der speziellen Verhältnisse und durch höhere Originalität;
im ersten Teile verweist Theophylaktos seinen Zögling auf die Tugenden
seiner Eltern, besonders auf das leuchtende Vorbild seiner Mutter Maria,
im zweiten erteilt er ihm Lehren über Religion, Sittlichkeit, Regierungs-
kunst, sogar über die Notwendigkeit militärischer Uebungen. Der zweite
rhetorische Versuch des Theophylaktos ist eine um das Jahr 1092 abge-
fasste-) panegyrische Rede an Kaiser Alexios Komnenos, Nach
dem überschwänglichen Muster, das für solche Reden in Byzanz wie anders-
wo üblich ist, werden die Milde, Gerechtigkeit, Tapferkeit und andere
Tugenden des Herrschers gefeiert ; zum Schluss erfreut uns wenigstens die
nachdrückliche Aufforderung an den Kaiser, die Wissenschaft zu unter-
stützen, „xiv6vievei ya^ ovx im yövv, akX' em fftöfia TreaeTv.^
1. Gesamtausgabe: Migne, Patrol. Gr. 123 — 126 (1864); die Unterweisungsschrift
126, 250 ff.; die Rede an Alexios 126, 287 flf.; die Briefe 126, 307 ff. - Ueber die Briefe
des Theophylaktos handelt, wie ich aus Archiv slav. Philol. 4 (1880) 716 ersehe, V. Vasi-
lievskij in seiner Besprechung der Schrift von Uspenskij, Ueber die Entstehung des
2. bulgarischen Kaiserreiches (Odessa 1879), Joum. Minist. Volksaufkl. 1879, Juli 144—217
und August 318—348.
2. Drei Briefe des Theophylaktos Hellten sich an Nikolaos, den Metropoliten
von Kerkyra, der durch seine Teilnahme an der von Alexios Komnenos 1017 veranstal-
teten Synode bekannt ist. Von diesem Nikolaos sind jambische Verse „yeyoyörei; ini
Tfl naQuiTtjaei «i^ror" nebst einem in politischen Fünfzehnsilbern abgefassten
Prolog zu einem Kommentar der Asketik des hl. Maximos ediert von Sp. Lambros,
KsQxvQa'Cxie i'tyf'xdoTa, Athen 1882 S. 23- 41. — Ebenda S. 42— 49 gibt Lambros einen
Brief des dem Ende des 12. Jahrb. angehörenden Metropoliten von Kerkyra, Basilios-
Pediadites {llediadlTtjg) an Konstantin Stilbes (^iiiXjii'jg), worin derselbe in ganz ühnliciier
Weise wie Tlieophylaktos und Michael Akominatos über die Unwissenlieit und den Stumpf-
sinn der ihm untergebenen Provinzialen jammert. Von seinem Adressaten Stilbes stehen
in einem cod. Marcianus jambische Trimeter über die grosse Feuersbrunst in Konstanti-
nopel i. J. 1198 ("E/ft TW avfjßüyri iy KwyarrtyTiyovTiöXet {^ftjXnTio fdeyuXio ifin(>i;afnö).
04. Euthymios Zigabenos {Zc/aßi^röq^ Zvyaßi^vöc, auch Ziyaäipög^
Zvyaötrog), ein in seinem Zeitalter einflussreicher Theologe, war unter
') In einem Briefe an Kamateropulos, j ötfilkto fify, tJc f «Vöf, ovx fvartodÖTovi X"9'-
bei Migne, Patrol. Gr. 126, 384 sagt er: ! t«? . lloXXa yaQ oida jijf fiovatjt rov ayd^ot
'AfjiO.n xi<\ riö TQiafjaxnquiijt'tTM vneQjlfiio I unoyüfieyof u. s. w.
/i.< 1 i'/.Xt^ xui anuqufAiAXio rijy yXiütTay \ *) Vgl. H. Seger ji 105.
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie. (§ 94—95.) 193
Alexios Komnenos (1081 — 1118), den er noch überlebte, Mönch in einem
Kloster unweit von Konstantinopel. Er stand bei dem Kaiser in hohem
Ansehen, und Anna Komnena rühmt in ihrer Alexias ') seine Kenntnisse
in der Grammatik, Rhetorik und im Dogma. Seine rhetorisch-theologische
Schulung verwertete er in exegetischen und polemischen Schriften. Die
bedeutendsten derselben sind ein Kommentar zu den Psalmen, Erklä-
rungen zu den vier Evangelien und ein grosses dogmatisches Werk:
navonXia doyaaTixi]. Dazu kommen einige kleinere, für die Geschichte
der kirchlichen Bewegungen seiner Zeit wichtige Schriften, wie ein Traktat
gegen die Bogomilen, eine Disputation mit einem Sarazenen u. s. w.
ünediert sind seine Erklärungen zu den Briefen des hl. Paulus.
Gesamtausgabe (nach den älteren, zum Teil sehr seltenen Drucken): Migne,
Patrol. Gr. 128—131, 1 — 58 (1864). — Zur kirchengeschichtlichen Stellung des Zigabenos
vgl. Ullmann, Nikolaos von Methone, Euth. Z. und Niketas Choniates, Tlieologische Studien
und Kritiken 1833, 647 fF. (mir unzugänglich). — Eine kurze Uebersieht gibt Gass, Real-
enzyklopädie für protestantische Theologie 4 (1879) 407 f. — N. Kalogeras, 'Adi'jyuiov
9 (1880) 255—284 und 10 (1881) 331—362 behandelt das Verhältnis des Z. zu den Bogo-
milen und gibt Proben seiner noch unedierten Kommentare. — C. Neu mann. Griechische
Geschichtschreiber und Geschichtsquellen im 12. Jahrh. S. 31 — 35 beschreibt den cod. Vatic.
666, eine mit schönen Miniaturen versehene, wahrscheinlich für den Kaiser bestimmte
Hand.schrift der Ilitron'Aia; an der Spitze stehen dort einige von Neumann mitgeteilte jam-
bische Widmimgsgedichte. Ein zweites Exemplar der üayonkUe mit genau denselben
Miniaturen ist cod. 387 der Moskauer Synodalbibliothek.
95. Tiniarioil {TiuaQioiv ij thqI rwv xav' avTOY nad-r^j^taToor), eine
der zahlreichen byzantinischen Imitationen des Lukian, ist anonym über-
liefert; als Abfassungszeit des Werkes ergibt sich aus verschiedenen
Anspielungen mit genügender Sicherheit die Mitte des 12. Jahrhunderts.
Das Thema bildet wie im Mazaris die uralte, seit Homer, Plato und Plu-
tarch so oft behandelte, von Dante unsterblich gemachte Vorstellung einer
Fahrt zu den Sitzen der Verstorbenen; unmittelbares Vorbild ist
Lukians Nekyomantie. Die dialogische Form ist in dem Gespräche
zwischen Kydion und Timarion äusserlich festgehalten, doch füllt den
grössten Teil des Werkes die Erzählung des Timarion über seine Aben-
teuer. Von Konstantinopel reist er nach Thessalonike und wohnt dort
einem grossen Volksfeste bei, das dem berühmten Schutzheiligen der Stadt,
Demetrios Myroblytes, zu Ehren begangen wird; auf der Rücki'eise er-
krankt Timarion an einer Leberentzündung und stirbt. Nun werden seine
Beobachtungen auf der Totenfahrt, die mannigfaltigen Räumlichkeiten des
Hades und seine Gespräche mit den Bewohnern desselben in launiger Weise
geschildert. Unter anderen Zelebritäten trifft er in der Unterwelt den
Kaiser Romanos Diogenes und seinen früheren Lehrer Theodoros von
Smyrna.2) Den letzteren bittet Timarion, ihm zur Rückkehr ins Leben
zu verhelfen. Die Angelegenheit kommt vor das Richterkollegium der
Unterwelt, in dem sich auch ein Christ in der Person des bilderstürmen-
den Kaisers Theophilos befindet. Timarion und Theodor verklagen die
Totenführer wegen Missbrauches ihrer Amtsgewalt. Nachdem Aeskulap
») XV 9 = II S. 357 ed. Bonn, yga/i- *) DerSophist Theodoros von Smyrna
fiartXTJg di eig axQov eXrjXaxöra xai ^r^TOQi- ' wird unter Alexios I als vnarog tfiXoaötfoiv
x^f ovx ('(fisXtTrjoy öVr« x(d xu döyua «if erwähnt. S. Fabricius, Bibl. Graeca ed. Harl.
ovx üÄAo; r/s tniaTÜuiyoy etc. 10, 434.
Hai d>>acb der klaan. Altnrtnnui Wissenschaft IX. 1. Abtlg. 13
194 Byzantinische Litteratargeschichte. I. Prosaische Litteratur.
und Hippokrates als Sachverständige erklärt haben, dass Tiniarion gegen
die Regeln der Pathologie aus dem Leben abgerufen worden sei, werden
die Totenführer verurteilt und abgesetzt. Timarion trifft noch mit Dio-
genes von Sinope, Johannes Italos, Michael Psellos und einem
ungenannten Jambendichter zusammen und kehrt dann nach der Ober-
welt zurück, von wo er seinem Anwalt Theodor zum Danke reichliche
Esswaren schickt. Die Imitation des Lukian ist nicht übel gelungen;
Humor und Witz sind in Byzanz so selten, dass man für die kleinste Gabe
dankbar ist. Die Darstellung ist klar und verrät eine lebhafte An-
schauungskraft. Manche Partien, wie die genaue Ausmalung des grossen
Volksfestes und Jahrmarktes in Thessalonike, sind auch kulturhistorisch
wichtig. *) In der Beschreibung der Unterwelt, der Gespräche mit den
Toten und der Gerichtsverhandlung bekundet der Verfasser einen natür-
lichen Witz, der freilich nicht selten ans Burleske streift. Im Gegensatz
zur Auffassung Dantes herrscht in der Hadesfahrt des Timarion ein hu-
moristischer Zug; die Fehler werden weniger mit schweren Strafen, als
mit den Geissein des Spottes geahndet. Mit dem Philopatris hat Timarion
die freie Stellung zum Christentum gemeinsam, 2) ein neuer Beweis
für die öfter erwähnte Thatsache, dass es in Byzanz wenigstens vor der
Paläologenzeit neben den Orthodoxen eine freigeistige Partei gab, an deren
Spitze zuweilen der Kaiser selbst stand.
Ed. pr. B. Hase, Notices et extraits 9 (1813) 2, 163-246 mit trefflichem Kom-
mentar. — Darnach mit deutscher Uebersetzung ed. Ad. Ellissen, Analekten der mittei-
und neugriechischen Literatur, 4. Teil, Leipzig 1860. — Analyse und Würdigung des Werkes
von H. F. Tozer, The Journal of Hellenic studies 2 (1881) 241 ff.
96. Michael Akominatos, der ältere Bruder des Geschichtschreibers
Niketas Akominatos, wurde um das Jahr 1140 zu Chonae in Phrygien ge-
boren; als Jüngling schickte ihn sein Vater zur wissenschaftlichen Aus-
bildung nach Konstantinopel, wo er sich des Schutzes und der Unterwei-
sung des gelehrten Eustathios, des späteren Erzbischofs von Thessalonike,
erfreute. Wie sein Lehrer nahm Michael das geistliche Gewand; um 1175
bestieg er den erzbischöflichen Thron von Athen. Ueber 30 Jahre stand
er seiner Gemeinde vor und entfaltete in dieser Zeit eine segensvolle prak-
tische und litterarische Wirksamkeit. Das Episkopat des Akominatos ge-
hört zu den wenigen lichten Abschnitten im trostlosen Dunkel der mittel-
') Die aus einer langen Hauptstrasse [ Erde verbreitet ist und ganz Europa wie
und vielen Nebengassen bestehende Buden- I auch einen grossen Teil Asiens erobert hat,
Stadt erscheint dem Timarion wie ein unge- | beschloss die Vorsehung, den hellenischen
heurer Tausendfuss, der unter seinem Bauche Richtern auch einen aus ilirer Mitte beizu-
eine Unzahl winziger Füsse ausstreckt, ein
Vergleich, der an die seltsamen Bilder des
Ptochoprodromos erinnert.
'■') Indem Theodor es rechtfertigt, dass
im Hichterkoliegium des Hades auch das
Christentum vertreten ist, sagt er: „Wegen
des Heidentums der Richter sei ohne Sorge;
gesellen." — Später wird der Schutzengel
des Kaisers seinem .\u.ssehen nach mit einem
Eunuchen verglichen. Da sich .lohannes
Italos neben l'ythagoras niederla.ssen will,
lilsst ihn dieser an: ,Was, du schmutziger
Bursche, in deinem (ialilUermantel, den sie
für eine göttliche und himmlische Mülle aus-
die Verschiedenheit des Bekenntnisses geben, du willst dich zu uns gesellen, die
der vor Gericht Kommenden hat für sie I der Wissenschaft und vernunftgeniässen Weis-
nichts zu sagen; jeder mag vielmehr nach heit lebten: entweder lege die gemeine Hülle
Belieben seiner eigenen Sekte anhängen. Da ' ab oder hebe dich aus unserem Kreise!"
jedoch der Glaube derOaliläer über die ganze
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie. (§ 96.) 195
alterlichen Geschichte Athens. Die erlauchte Musenstadt befand sich da-
mals in einem sehr traurigen Zustande. Eine spärliche, durch den furcht-
baren Steuerdruck, die ewigen Bedrängnisse der Seeräuber und den Mangel
natürlicher Hilfsquellen gänzlich verarmte Bevölkerung wohnte in trümmer-
vollen Stadtvierteln und in der verödeten attischen Landschaft. Auch in
geistiger Hinsicht sind diese Athener so verkommen, dass Michael völlig
zu verbauern fürchtet und mit einer Reminiszenz an einen sarkastischen
Ausspruch des Apollonios von Tyana in einem Briefe klagt, da er
lange in Athen lebe, sei er ein Barbar geworden.') Im Jakre 1203 ver-
teidigte der Erzbischof die Stadt gegen den Angriff des Leon Sguros,
eines griechischen Archonten, der sich in Korinth und Argolis eine selb-
ständige Herrschaft gegründet hatte. Als nach der Einnahme Konstan-
tinopels 1204 auch Athen den fränkischen Eroberern zur Beute fiel, ver-
liess Michael schmerzerfüllt die Stadt, in der jetzt ein römisches Bistum
errichtet wurde, und zog sich nach der Insel Keos zurück, wo er in stiller
Abgeschiedenheit um das Jahr 1220 sein Leben beschloss.
Michael Akominatos hinterliess katechetische Homilien, pane-
gyrische, threnodische und sonstige Gelegenheitsreden, Briefe
und Dichtungen. Die Reden werfen manches Licht auf die litterarischen
und politischen Zustände der Zeit, besonders auf die traurige Lage von
Attika; wir finden unter diesen Stücken einen Panegyrikus auf Kaiser Isaak
Angelos, eine Beschwerdeschrift anAlexios III Angelos über die Nichts-
würdigkeit der kaiserlichen Verwaltungsbeamten, Trauerreden auf den Tod
des Eustathios von Thessalonike (1194 95) und seines Bruders Niketas u.a.
Die Sammlung der Briefe des Michael umfasst jetzt 180 Nummern, unter
denen die an Eustathios und seinen Bruder Niketas gerichteten hervor-
ragen. L'nter den poetischen Sachen gebührt die erste Stelle der be-
rühmten jambischen Elegie auf die Stadt Athen, der „ersten und
einzigen Klagestimme über den Untergang der alten, erlauchten Stadt,
welche auf uns gekommen ist". Daran schliessen sich ein episches Gedicht
Theano in 457 Hexametern und kleinere Poesien kirchlichen Inhalts.
Michael Akominatos war wie sein Bruder klassisch gebildet; er kennt
Homer, Pindar, Demosthenes, Thukydides und andere Profanautoren; seine
Darstellung wurzelt aber vornehmlich in kirchlichen Schriften; von seinem
Lehrer Eustathios stark beeinflusst, bezeichnet er noch mehr als Niketas
die theologisierende Richtung in der sprachlichen Reformationsbewe-
gung der Komnenenzeit. Sein Charakter erscheint energisch, edel und
milde, soweit es sich um seine Stellung in der Gemeinde und in der Ge-
sellschaft handelt. In seinen Reden an das Staatsoberhaupt kann er
natürlich die byzantinische Atmosphäre nicht verleugnen ; während er z. B.
den grausamen Andronikos zu seinen Lebzeiten in schwülstigen Tönen
als. einen neuen Salomon preist, weiss er nach dem schrecklichen Unter-
gange desselben nicht genug Worte zu finden, um ihn als ein scheussliches
Ungeheuer zu brandmarken.
1. Ausgaben: Hvmnus auf Athen zuerst ed. von Fr. Boissonade, Anecd. Gr. 5
(Paris 1833) 373 ff.; dann bei EUissen und Lambros. — L. Fr. Tafel, De Thessalonica
') BeßuQßÜQiaucu xQÖnog wy iv 'j&ijfttis II 44 ed. Lambros.
13*
196 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
eiiisque agro, Berolini 1839, teilt Briefe und die Monodie auf Kustathios mit. — L. Fv. Tafel,
Mich. Acom. Ath. metr. panegyricus Isaacio Angelo dictus, Universitätsprogr. Tübingen
1846. — Mehrere Schriften mit deutscher Uebersetzung von Ad. Ellissen: Michael Ako-
minatos, Gott. 1846. — Wiederholt bei Migne, Patrol. Gr. 140, 298—384 und 1247—1258. —
Gesamtausgabe, die zum grössten Teile ed. princeps ist, von Sp. Lambros, Mij^aiß
'Axofxiydrov jov Xtoyiärov r« aioCöfitya, 2 voll., Athen 1879 — 80. — Dazu lieferte zahl-
reiche handschriftliche Nachträge und Emendationen P. N. Papageorgiu, 'EnixQiaig xrj^
InvQidiüyos U. Aä^uQov sxd6ae(og rov Mi/aijX ' Axofiivutov, ' ABrjftjaiy 1883. • — Ausführliche
Berichte über die Ausgabe von Lambros gaben ausserdem E. Miller, Journal des savants
1880, 755 — 770 und Th. Uspenskij in seiner Abhandlung: Die Werke des M. Ak., Odes.sa
1881 (Russ.). — Eine bei Lambros fehlende Homilie edierte Bas. Georgiadis, 3//./ß»;A
'Axofiiviiiov Tov XioyiÜTov xtd VeMQyiov Bovqj^ov fxijxQonoXiTiäy ' Abijydiy Xöyot etc., 'Ey
'A9ijymg 1882.
2. Hilfsmittel: Das oben erwähnte Buch von Ellissen. — Sp. Lambros, JleQi
lijg ßtßXiod-ijxr]g tov fitjTQOTio'AUov 'Attyjyuiy Ati^eetjX tov 'AxofiiyaTov, Ax^'^yaioy 6 (1877)
354 — 367 und Ai 'Ad-^yai negi r« Ts'Xtj tov dwdexc'tTov aiuiyog, Ey ' ASijvaig 1878. —
Zur Erläuterung dient die vornehmlich auf Briefen des M. Akom. beruhende Schrift von
Th. Uspenskij, Zur Geschichte des Bauerngrundbesitzes in Byzanz, Journ. Minist. Volks-
auf kl. 1883, Jan.-Februar. — Ausgezeichnete Charakteristik von F. Gregorovius, Ge-
schichte der Stadt Athen im Mittelalter, Stuttgart 1889, I 204—349.
3. Ein Zeitgenosse des Akominatos ist der Metropolit von Philippopel, Konstan-
tin Pantechnes, von welchem die Schilderung einer Jagd auf Rebhühner und Hasen
{"Ex(pQt(aig xvyijyeaiov Tiegöixwy xcd Xttyouay) erhalten ist. Ed. E. Miller, Annuaire de
l'assoc. 6 (1872) 28—52. Ebenda 7 (1873) 133 f. Emendationen von Wyndham.
97. Georgios, später als Patriarch Gregorios genannt, einer
der bedeutendsten Litteraten des 13. Jahrhunderts, ist durch eine Selbst-
biographie, durch seinen Briefwechsel und durch die Berichte des Georgios
Pachymeres und Nikephoros Gregoras seinen Lebensverhältnissen nach
genau bekannt. Er wurde um 1241 in Cypern geboren und besuchte dort
nach Beendigung des Elementarunterrichtes eine fränkische Schule,^) in
der er wegen seiner mangelhaften Kenntnis der fremden Sprache wenig
Fortschritte machte. Trotz des Widerstrebens seiner Eltern unternahm er
die Reise nach Nikaea, um seine wissenschaftlichen Studien in der Mutter-
sprache fortsetzen zu können. In Ephesos versuchte er den dort lebenden
gelehrten Nikephoros Blemmides kennen zu lernen, wurde aber von dem
mürrischen Manne, der sich von der Aussenwelt fast völlig abschloss,
nicht vorgelassen. Auch in Nikaea erlebte er eine unerwartete Enttäu-
schung; statt der gehofften Unterweisung in philosophischen Wissenschaften
fand er nur Lehrer der grammatischen und rhetorischen Elenientarfächer.
Erst in Konstantinopel, das eben damals von den Griechen zurücker-
obert wurde (1261), erreichte er das Ziel seiner Wünsche; er wurde der
eifrige und ergebene Schüler des hochgebildeten Staatsmannes und Histo-
rikers Georgios Akropolites, der ihn namentlich in das Studium des
Euklides und Aristoteles einführte. Bald beteiligte sich Georg aufs leb-
hafteste an den Kontroversen, welche durch die Versuche einer Aussöhnung
mit Rom hervorgerufen wurden. Nachdem er anfänglich mit Vekkos auf
Seite der lateinischen Partei gestanden, folgte er später den Feinden der
Union. Durch Kaiser Andronikos II wurde er 1283 auf den Patriarchen-
thron erhoben, den er bis 1289 innehatte. Nach seiner nicht ganz frei-
willigen Abdankung zog er sich in ein Kloster zurück, wo er bald ge-
') Er nennt die Lehrer 'PtoftnToi, wo- | ein Zeichen des beginnentlen Humanismus,
runter hier wahrHcheinlich Italiener zu ver- ■ "EXktjyfc. Vgl. S. 2 unseres Abrisses,
stehen sind ; »eine Landsleute sind ihm, schon
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie. (§ 97—98.) 197
sterben sein muss. Einer seiner begeistertsten Schüler und Anhänger war
Nikephoros Chumnos.*)
Die theologischen Schriften des Gregor beziehen sich grösstenteils
auf den unerquicklichen dogmatischen Streit, welcher unter den Paläologen
den griechischen Klerus in eine unionsfreundliche und eine radikale, anti-
römische Partei spaltete; hieher gehört seine Abhandlung über den Aus-
gang des hl. Geistes, seine Schrift gegen Yekkos, seine Apologie u. a.
Unter seinen Profanwerken gebührt ohne Zweifel die erste Stelle seiner
Selbstbiographie: /iirjr^asoK iiegixr^g Xöyog rd xad^' iavTov negtixior. Es
ist eine liebenswürdige, durch Klarheit. Einfachheit und naive Realistik
ausgezeichnete Schrift, die mit der schönen Selbstbiographie des Adaman-
tios Korais verglichen werden kann. Aehnliche Vorzüge darf man in den
Briefen Gregors vermuten, die, wie die wenigen bis jetzt veröffentlichten
Proben zeigen, auch ein historisches Interesse beanspruchen. Die in meh-
reren Handschriften erhaltene Sammlung umfasst gegen 200 Nummern;
am zahlreichsten sind die Briefe an seinen ehemaligen Zögling, den Gross-
logotheten Theodoros Muzalon; andere Adressaten sind Georgios Akro-
polites, Johannes Pediasimos, Chartophylax in Achrida, ausserdem
natürlich die Kaiser und sonstige hohe Würdenträger. Dagegen ge-
hören die zwei Enkomien auf Kaiser Michael und Andronikos Paläo-
logos zu den abstossendsten Beispielen dieser Gattung. Hier ist Gregor
so luftig, unwahr und schwerfällig, dass man ihn kaum wiedererkennt;
einige Bemerkungen über die Yölkerraischung in Konstantinopel und die
vereinzelten Beziehungen auf politische Ereignisse vermögen über die
schwülstige Leere dieser unterwürfigen Produkte nicht hinwegzutrösten.
Die Schulrhetorik ist vertreten durch mehrere Deklamationen, eine Chrie
und eine Lobrede auf das nasse Element: 'EyxMuiov sie ti]v d^d/.aaaav rjovv
fig tr^v Tov xaO^öXov xov vöarog (fvaiv. Endlich gehört dem Gregor eine
Sammlung von Sprichwörtern; s, § 152.
Ausgaben: Selbstbiographie ed. M. De Rubeis. Venedig 1753; wiederholt von
Jos. Bergauer. Wien 1773; griechisch und deutsch von F. C. Matthiae, Frankfurt am
Mayn 1817. — Die zwei Enkomien auf Michael und Andronikos ed. pr. Fr. Boissonade,
Anecdota Graeca 1 (1829) 313—393. — Schuldeklamationen und 8 Briefe ed. ein Unge-
nannter aus einem cod. Leidensis in drei Lektionskatalogen der Universität Jena 1875 — 1877.
— Eine Ausgabe der Briefe wird erwartet von Max Treu. — Sammelausgabe nach den
älteren Drucken: Migne, Patrol. Gr. U2 (1865) 1—470. — Vgl. Aug. Nauck, Lexicon
Vindobonense, S. XI f.
98. Nikephoros Chumnos, der ergebene Schüler und Anhänger des
Gregor von Cypern, mit dem Grosslogotheten Theodoros Metochites,»)
den Historikern Georgios Akropolites^') und Nikephoros Kallistos
Xanthopulos,^) mit Maximos Planudes und anderen hervorragenden
Byzantinern durch Freundschaft verbunden, gehörte unter Michael YHI
(1261—1283) und Andronikos H (1283—1328) zu den einflussreichsten
') Er sagt in einer R«de: Ka&tjytfiojy fiiy tjyeyxe kvngog. eh' tjy r»;f oixovfjievrjg
ffAoi X(ü utu&evTtji; xai /bivaneywyog vnrJQ^i (cTiäar,g /tiQOToyfj9e'ig «p/tfpci;? xai didäa-
xfü 6i6(iaxa'Aog ,ut/Qi nuvTog xov xttx' ttvtor xnXog, Boissonade, Anecd. Graeca I 313.
Hiov . . . 6 jjoXvg ixtivog xtjr aorfinv, noiiV -) S. Boissonade, Anecd. Nova S. 126.
xßj Toi'f Xöyovg, x6 fxiytt 9avua xov xa»' ^) S. Boissonade a. a. 0. S. 97 flF.
tjfdäs ßiov, 6 ntiyv rgt/yS^iog, öv Ttuxgig «) S. Boissonade a. a. 0. S. 171 f.
198 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Männern des Hofes und bekleidete zuletzt die hohe Stelle eines em rnv
xarixXfi'ov.^) Durch Vermählung seiner Tochter Irene mit dem Despoten
Johannes Paläologos, dem Sohne Andronikos II, kam er in engste ver-
wandtschaftliche Beziehung zum Kaiserhause. Um 1320 zog er sich, von
den Wirren des öffentlichen Lebens abgestossen, nach alter byzantinischer
Gepflogenheit in ein Kloster zurück, wo er als Mönch den Namen Natha-
nael führte. Eine Monodie auf seinen Tod schrieb sein Freund Theodor
Ilyrtakenos.2) Der litterarische Nachlass des Chumnos lässt sich in drei
Gruppen teilen.
1. Philosophische und theologische Schriften. Unter den phi-
losophischen Stücken, die meist gegen Lehren des Plato und der Neu-
platoniker gerichtet sind, befinden sich eine Abhandlung über den Stoff,
ein Traktat über die Seele und eine Streitschrift gegen Plotin.
Chumnos ist jedoch kein blinder Verehrer des Aristoteles; als Gegenstück
zu den antiplatonischen Schriften dient eine durch Bitterkeit und
scharfe, wenn auch etwas breitspurige und dunkle Ironie ausgezeichnete
Abhandlung gegen einen der aristotelischen Philosophie ergebenen After-
gelehrten: IJQog Tovg dvaxfQCti'i'oi'tag fm toTq eke'yxotg löii' danifMg xal xnxo-
Tt^rw? Qr^TOQfvöviwv xal tdvavti'a JlXäiwvi xal toTg avro) Soxovaiv daxQo-
rofiovvrag. Mit grösster Verehrung gedenkt er hier seines Lehrers Gregor
von Cypern und geisselt in heftiger, aber schwerlich ganz objektiver
Polemik die unwissenden Verkleinerer und ungeschickten Nacheiferer des-
selben. 3) Ebenda zitiert er andere von ihm verfasste philosophische Schriften
wie JleQi xöaiiiov (fvaewg, JleQi tcov rcQUitwv xal änkwv (Jo)iidio)v u. s. w.*)
Es zeigt sich mithin abermals, dass die platonisch-aristotelischen
Kontroversen, welche später eine so wichtige Rolle spielen, schon in die
byzantinische Zeit zurückgehen, eine Thatsache, die gewöhnlich übersehen
wird.'') Gregor von Cypern und Chumnos sind nicht minder als die Gram-
matiker Planudes, Moschopulos, Triklinios u. a. bedeutsame Vorläufer des
griechisch-italienischen und damit auch des französisch-deutschen Huma-
nismus. Ueber eine Partie aus den physikalischen Vorstellungen des
Mittelalters unterrichtet der Aufsatz über die Luft, in welchem die Gründe,
warum bewegte Luft kälter wird, sowie die Entstehung des Hagels und
das Wesen der Winde untersucht wird; dasselbe Thema behandelt der
'AvTiO^fTixog TiQog Tovg näkai aoifovg. Mehrere theologische Abhand-
lungen des Chumnos sind noch unediert; ausserdem erörtert er dogma-
tische Fragen allenthalben in seinen Deklamationen und Briefen.
2. Rhetorische Schriften. Gewissermassen als theoretische Ein-
leitung dient der kurze, relativ verständige Essay über die Beurteilung
und Wirkung der Reden {IhQi Xoyuiv xqtaswg xal fQyaafag). Chumnos
verlangt zwar sehr energisch einen m(>glichst kurzen, scharfen und sinn-
') D. h. Vorstand dos xufixXeioy, der gendo Rede lolirt uns nichts Neues Ober das
Kanzlei, also etwa Kanzler oder Staat«sekre- Leben des Chumnos.
tÄr, obschon keiner dieser modernen Begriffe
sich mit dem byzantinischen Amte deckt.
') F'id. Fr. Hoissonade, Anecdota (traeca
I 282—292. Die in den üblichen rhetori-
schen Antithesen und Gemeinplätzen schwel-
^) Boissonade. An. Hr. 111 :^67 ff.
*) A. a. O. S. 377.
*) In Ueborwegs (tesrhichte der Philo-
sophie wird Chumnos nicht mit einem Wort«
erwähnt.
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie. (§ 98.) 199
gemässen Ausdruck; die Hauptsache bleibt aber auch für ihn neben pas-
sender Verwertung der heiligen Schriften des Chi'istentums die sorgfältige
Nachahmung der alten und nie übertroffenen Vorbilder des Attizismus d. h.
jenes verderbliche und hohle Prinzip, welches die Entwickelung einer origi-
nalen Litteratur in Byzanz mehr als alles andere beeinträchtigt hat. Auf
Imitation in des Wortes schrecklichster Bedeutung beruhen denn auch die
eigenen rhetorischen Versuche des Chumnos. Als Vorbild dient ihm neben
Isokrates und Aristides vornehmlich Gregor von Cypern, dem er
nicht nur die schulmässige Anordnung, Bilder und Phrasen, sondern auch
die ganze Skala widerlicher Schmeicheltöne entlehnt. Am deutlichsten er-
scheint die Abhängigkeit von fremden Gedanken und Worten in dem lang-
atmigen Enkomion auf Kaiser Andronikos IL Die Beziehungen auf
zeitgeschichtliche Ereignisse, welche der Panegyrikus enthält, sind viel zu
verschwommen, als dass sie uns irgend etwas lehrten, was wir nicht aus
anderen Quellen wüssten. Die Tapferkeit des Kaisers, der alle „Barbaren"
besiegt habe, seine Weisheit, Klugheit, Gerechtigkeit und Milde werden
nach dem üblichen Schema gefeiert, nur dass diese Schmeicheleien jetzt
viel abstossender wirken als in früheren Jahrhunderten, da ihnen die That-
sachen noch nicht so vollständig widersprachen. Nicht viel besser sind
die übrigen rhetorischen Proben des Chumnos, Trostreden an seine
Tochter Irene und an den Kaiser beim frühen Tode des Johannes
Palaeologos (1304), eine Trost rede an einen Freund, den ein schweres
Unglück betroffen, und ein Epitaph auf Theoleptos, den Metropoliten
von Philadelphia: der letztere wird durch breite Exkurse über das in
Byzanz totgehetzte Thema vom Ausgange des hl. Geistes zu einer förm-
lichen dogmatischen Abhandlung. Mit den paränetischen Schriften des
Basilios (s. § 88) und Theophylaktos (s. § 93) mag man das Testament
des Chumnos vergleichen, welches praktische und moralische Ermahnungen
an seine Kinder enthält. Eine lehrreiche Probe byzantinischer Advokaten-
kniffe gewährt die im Jahre 1315 der hl. Synode und dem Kaiser unter-
breitete Anklageschrift gegen den Patriarchen Niphon, mit dem
Chumnos früher eine freundschaftliche Korrespondenz unterhalten hatte:
' EXeyxoc xctxd xuv xaxwg rd nävia natQiaoxevGctvToc Ni'ifwvoc. Weniger
missfällt ein umfangreiches Schreiben, worin die Einwohner von
Thessalonike zur Gerechtigkeit ermahnt werden: Oeaaulorixivai
aviißovXfviixog Tregi Sixaioüinr^c. Der Anlass des offenbar von der Regierung
inspirierten Schriftstückes ist nicht bekannt und aus der allgemeinen
Fassung der Ermahnungen nicht ersichtlich; wie es scheint, war die Ge-
meinde von Thessalonike damals durch innere Parteiungen zerrüttet.*)
Der Ermahnungsrede, die im Stile bischöflicher Hirtenbriefe gehalten ist,
geht wie dem Berichte des Kameniates über die Eroberung von Thessa-
lonike (904) eine panegyrische Schilderung der Stadt voraus. In das Ge-
biet der Rhetorik gehören endlich mehrere Aktenstücke, die Chumnos als
Staatsbeamter im Namen des Kaisers verfasste, wie eine Goldbulle an
') Darauf deutet auch ein Aktenstück gistros: Toig ßeaaaXot'ixevat negi öfAoyoias
fihnlichen Inhaltes von einem Zeitgenossen (s. § 121). üeber den Zwist, der die Stadt
des Chumnos, der Brief des Thomas Ma- i. J. 1346 beunruhigte, s. S. 205.
200 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
den Kral von Serbien, den Schwiegersohn des Kaisers, mit der Bitte
um Hilfe gegen die Türken, einErlass zurVermittelung eines zwischen
Mönchen ausgebrochenen Streites, eine Verordnung über die Vereini-
gung zweier Klöster zu einer Abtei, ein kaiserliches Edikt aus dem
Jahre 1296 zur Reformation des Gerichtswesens. Recht bezeichnend für
die theologischen Neigungen des paläologischen Kaisertums ist ein ausführ-
lich motiviertes ^t'aniana, durch welches befohlen wird, Maria Himmel-
fahrt statt nur an einem Tage während des ganzen Monats August zu feiern.
3. Eine Sammlung von 172 Briefen. Es sind teils rhetorisch-
philosophische Uebungsstücke, teils Privatbriefe an den Kaiser, an hohe
Würdenträger, Verwandte und Freunde. Unter den Adressaten befinden
sich die Patriarchen Niphon und Johannes Glykys; die Bischöfe von Thes-
salonike, Larissa, Philippopel und Philadelphia; der (1341 zum Kaiser er-
hobene) Grossdomestikos Johannes Kantakuzenos ; der Protovestiarios Geor-
gios Muzalon, der Protosekretär Leon Bardales, ') der Kubikularios Alexios
Apokaukos; die Historiker Georgios Akropolites und Nikephoros Kallistos
Xanthopulos; dessen Bruder Theodoros Xanthopulos; ein imarog tmv (fiXo-
aö(fon'^) Kyprianos und der „Philosoph" Joseph; Phakrases (wahrscheinlich
der Grosslogothet dieses Namens), Michael Gabras, der Kalligraph Deme-
trios Kabasilas, des Chumnos Sohn Johannes, seine Tochter Irene u. a.
Manche Briefe sind Begleitschreiben und Kommentare philosophischer Ab-
handlungen, andere erörtern selbständig wissenschaftliche Fragen; zahl-
reiche Schreiben an den Kaiser enthalten Rechtfertigungen des Verfassers,
auch intriguenhafte Anklagen gegen Feinde und Verleumder; dazu kommen
private Themen verschiedener Art, wie ein Bericht über die Heilung einer
Geschwulst, Klagen über Mangel an Büchern, über die Schwierigkeit, einen
dauerhaften Beschreibestoff zu finden, endlich zahlreiche Uebungsstücke,
tagebuchartige Selbstgespräche und Erörterungen von Gemeinplätzen; auch
Briefe, die Chumnos für weniger geübte Freunde verfasste, werden nicht
vorenthalten. Das Urteil über den litterarischen Wert dieser Samm-
lung kann nicht günstig ausfallen. Zwar hat auch Chumnos wie manche
andere Byzantiner die besten Erfolge in der Briefstellerei errungen, und
in manchen Nummern ist der knappe Pointenstil so wohl geglückt, dass
sie dem besten Zeitalter angehören könnten. Allein der Verfasser ist zu
sehr in den beengenden Vorschriften der Schulrhetorik stecken geblieben;
es gibt in Byzanz kaum eine zweite Briefsammlung, in der die blosse
rhetorische Technik die Unbefangenheit des Augenblicks und die Regun-
gen einer freieren Individualität so völlig zurückdrängte. Dass Chumnos
selbst in seinen Briefen vorzüglich eine Samnihnig rhetorischer Muster-
stücke erblickte, beweist nicht nur die sicher von ihm selbst stammende
sorgfältige Redaktion, in welcher die Briefe mit wenigen Ausnahmen
chronologisch geordnet erscheinen, sondern auch eine Bemerkung in
einem Schreiben an seinen Sohn Johannes, in welchem er srine Briefe
ausdrücklich in attische und in lakonische Stücke unterscheidet.^)
') Vgl. § 122 Anm. 4. *>f«'f '«f h^*' ^(tttavi^ova at, rat di «r-
4 lieber dieson Tit«l 8. S. 175; 181. rixi^ovatfc iif'; «eVrot fia^ofi^yas nQog
') UoiHsonade, Anocdota Nova S. 5.: kni (cXhjkus.
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie. (§ 99.) 201
So kann Chumnos alles in allem keine erfreuliche Persönlichkeit ge-
nannt werden; in seinem Charakter tritt berechnende Ränkesucht und
kluges Strebertum hervor, in seinem Wissen und Können steht er tief
unter Männern wie Psellos, ja noch unter Gregor von Cypern. Sein Stil
krankt in ungewöhnlichem Grade an dem Fehler, der jeder künstlich er-
lernten Diktion mehr oder weniger anhaftet, nämlich an der engen Be-
grenzung des Woii- und Phrasenschatzes und ihrer natürlichen Folge, der
stereotypen AViederholung gleicher Ausdrücke und Konstruktionen.') Immer-
hin muss Chumnos als einer der Vorläufer des griechisch-italienischen
Humanismus im Auge behalten werden.
1. Ausgaben: Was bis jetzt von Chumnos ediert ist, verdanken wir meist Fr. Bois-
sonade; leider hat er in recht unpraktischer Weise die einzelnen Stücke ohne einen er-
sichtlichen Gnmd in mehrere Bände zerstreut: Anecdota Graeca ed. Fr. Boissonade I
(1829) 293-312; II (1830) 137—187; III (1831) 356-408; V (1833) 183-350. — Die
Briefe und die Abhandlung über den StoflF ed. Fr. Boissonade, Ajiecdota Nova (Paris
1S44) 1 — 201. — Die auf Theologie bezüglichen Stücke (auch das Testament u. a.) sind
wiederholt bei Migne, Patrol. Gr. 140 (1865) 1397 — 1.526. — Schrift gegen Plotin und
Dialog über die Seele in: Plotini opera ed. Fr. Creuzer, vol. II (Oxonii 1835) 1413 — 1447.
2. Johannes Chumnos. ein Sohn des Nikephoros, der das Hofamt eines ntegaxot-
uuiuivog Trjg ueyd'lr,? ag:svd6yr;g bekleidete, hinterliess Briefe an die Bischöfe von Philip-
popel und Ephesos. an einen ge^nsseu Matarankos, an den lasyas &toixi]T^g Kabasilas und
an den .Philosophen"' .Joseph, ausserdem einen hygienischen Aufsatz über prophylaktische
-Mittel gegen Podagra {J'imra riQOifv'AaxTixtj eig noddygat'). Alles ed. von Boissonade,
Anecd. Nova S. 203-222.
3. Von Michael Gabras, einem der Korrespondenten des Chumnos, stehen in einer
venezianischen Handschrift zahlreiche Briefe an Theodoros Xanthopulos; vgl. Boissonade,
Anecd. Nova S. 2. — Von Johannes Gabras, wahrscheinlich einem Bruder des Genannten,
haben wir eine Rede Ei'g rt]i' fiaotfoy r^g vnsgayiag deanolvr/g rjixviiv &eox6xov rrjy sig r«
fiyue T(6y äyliov. Ed. Boissonade. Anecd. Gr. III (1831) 71 — 111. Vgl. Max Treu,
Maximi mon. Planudis epistulae S. 187; 203.
99. Theodoros Hyrtakenos,^) ein jüngerer Zeitgenosse des Chumnos,
lebte unter Andronikos dem Aelteren (1283—1328), vielleicht auch noch
unter Andronikos dem jüngeren (1328 — 1341) als Lehrer der Grammatik
und Rhetorik in Konstantinopel. Von seinen Schriften sind erhalten:
1. Sieben Deklamationen: eine Gratulationsschrift an Kaiser Andronikos
bei seiner Rückkehr nach Konstantinopel: Leichenreden auf Kaiser Michael IX
(t 1320), die Kaiserin Irene, Gemahlin Andronikos II, und auf Nikephoros
Chumnos; eine Lobrede auf die hl. Jungfrau; ein Panegyrikus auf den
Heiligen und Wunderthäter Aninas: endlich eine in der Art der im Romane
beliebten landschaftlichen ix(foäafig gehaltene Schilderung des Gartens der
hl. Anna. 2. Eine Sammlung von 93 Briefen. Unter den Adressaten
sind Kaiser Andronikos der Aeltere, des Kaisers Vetter Andronikos Palaeo-
logos, der Grossdomestikos Kantakuzenos, der Kämmerer Apokaukos, der
Patriarch Johannes Glykys (1316 — 1320), der Kanzler Nikephoros Chumnos,
der Grosslogothet Theodoros Metochites und dessen Sohn Nikephoros, ein
Akropolites, ein Pepagomenos u. a.
An litterarischem Werte steht Theodor tief unter den übrigen
') Dahin gehört z. B. die stets wieder- *) Der Name hängt wahrscheinlich mit
kehrende Anknüpfung mit ov fir/v teXkri, dXXd der alten Stadt "Vpr««©? (oder 'VpffKxtV«) auf
fir^y. xdi yuQ, die den Leser schon fast in Kreta zusammen, womit jedoch keineswegs
den trüben Dimstkreis unserer griechischen bewiesen ist, dass Theodor selbst aus Kreta
und lateinischen Schulübungen versetzt. stammte.
202
Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Deklamatoren von Byzanz, wie Gregor von Cypern, Chumnos, Maniiöl
Palaeologos; Ungeschmack, Gedankenarmut und Charakterschwäche
sind seine hervorragenden Eigenschaften. Seine Deklamationen, in denen
ein weinerlicher Predigerton mit tosendem Bombast abwechselt, sind aus
schwerfälligen Perioden zusammengesetzt und vollgepfropft mit Zitaten aus
der alten Litteratur wie Homer, Pindar, Nonnos (Dionysiaka) und den
heiligen Schriften. Das ganze bunte Volk der Mythologie, Grazien, Heliaden,
Sirenen, Parzen, Niobe, Helios, Selene und Gaia, stürmen ohne Unterlass
auf den Leser ein. So werden diese Reden förmliche Centonen aus
hellenischen und heiligen Autoren, aus antiquarischen und historischen
Notizen, langweilige Repertorien des trivialen Wissens der byzantinischen
Schule. Mit Sprichwörtern treibt Theodor grösseren Unfug als Sancho
Panza, freilich ohne eine Spur von der volkstümlichen Schlagfertigkeit des
Spaniers zu besitzen; denn die Sprüche unseres Rhetors sind wie all sein
sonstiges Wissen aus der alten Litteratur zusammengeholt, und schwerlich
findet sich bei ihm auch nur ein Sprichwort, das nicht aus den erhaltenen
Sammlungen bekannt wäre.^) Zu diesen Untugenden kommt eine ganz
erstaunliche Gedankenarmut. Hat man eine seiner Trauerreden gelesen,
so kennt man auch die übrigen. Theodor weiss dem Vorwurfe keine neue
Seite abzugewinnen; die Anordnung, die Gedanken, die Vergleiche 2) kehren
unverändert wieder. Der Arme wusste ohne Zweifel ziemlich viel Griechisch,
obschon er sich Solözismen wie artgov (für O^aitgov), fir^ statt 01' u. a.
erlaubt; aber sein ganzes Studium der alten Litteratur hat ihn nicht vor
orientalischer Uebertreibungssucht und barbarischer Geschmacklosigkeit 3)
bewahrt. Seine Deklamationen wirken tötend auf Geist und Gemüt wie
die Versromane eines Prodromos und Niketas, wie die Ilias des Her-
moniakos.
In seinen äusseren Schicksalen und seinem Charakter ist Theodor
das Abbild seines Namensgenossen Theodor Ptochoprodromos und seines
Zeitgenossen Phil es; was sie in der Poesie sind, ist Theodor Hyrtakenos
in der Prosa, ein Bettelprosaiker, wie Byzanz keinen zweiten kennt.
Ueber diese Seite unseres Rhetors belehren uns seine Briefe; fast sämt-
liche 93 Nummern enthalten Klagen über unverdientes Missgeschick, Bitten
um Unterstützungen, Dankesworte für empfangene Wohlthaten. Wenn
Prodromos und Philes bei allem Servilismus weniger verletzen, weil sie
ihre zahlreichen Anliegen mit einem gewissen Galgenhumor in poetische
und oft witzige Form zu kleiden verstanden, so erhalten wir von dem
Hyrtakener einen unverblümten Briefsteller für Bettellitteraten und zwar
für recht zudringliche, unabweisbare. Wie einst Prodromos seine Studien
verfluchte, die ihm nur Hunger und Armut eingebracht hätten, so beginnt
') Verse und Sprüche macht er sich,
wenn sie nicht recht passen, gerne mit der
stereotypen Phrase zurecht: So und so sagt
der Dichter, iyui de fiiXQop v na XX ding
tpnirjv <iy.
') Selbst die wüstesten; nicht weniger
als dreimal gebraucht er zum Ausdruck seiner
Trauer die unappetitliche Wendung: i/uif
Xtyu), X(d fitj diUQ^tjyt'VTui ftot tj xuQ&ia
fitjd' iSfiaeiTai TiöytrtSi tj dirinXnai (\
Boissonade. An. (Jr. I '_»()(»: 279; 286.
•') Im l'anegyrikiis auf .\ndronikoa sagt
Theodor z. H.. der Kaiser habe den Charakter
Konstantins des ( J rossen w i e e i n Sc h w a m m
in sich aufgesogen und sei so ein zweiter
Konstantin ge wurden. A. a. 0. S. 252.
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie. (§ 100.) 203
auch unser Rhetor den ersten Brief an den Kaiser mit der Klage, dass
er vergeblich gehofft habe, durch gelehrte Studien sich Einkünfte zu er-
werben, und dass er trotz seiner Weisheit von der grössten Not gedrückt
sei. Wie einst Prodromos wollte auch er der undankbaren Hauptstadt
den Rücken kehren und in der Klosterrepublik des heiligen Berges eine
Zuflucht suchen: natürlich machte er mit diesem Plane ebensowenig Ernst
als Prodromos mit seiner Drohung, nach Trapezunt zu entweichen. Häufig
wendet sich Theodor mit seinen Bitten um Nahrung und Kleider an die
undankbaren und hochmütigen Eltern seiner Schüler, wie auch an seine
früheren Zöglinge selbst. Die ganze Misere des Privatschulmeistertums,
wie es früher auch bei uns da und dort blühte, wird in diesen jammer-
vollen Schriftstücken vor uns aufgerollt. Wie Phil es huldigt Theodor dem
Grundsatze, dass man ohne die Zier der Bescheidenheit weiterkomme; sehr
lebhaft mahnt er z. B. den Vetter des Kaisers, ihm endlich das längst
versprochene Pferd zu schicken. Zuweilen muss sich denn freilich seine
Zudringlichkeit die äusserste Zurücksetzung gefallen lassen. Wie Prodromos
über die Etikette der Paläste klagt, wo man den Püffen der Hofbeamten
ausgesetzt sei, so beschwert sich auch unser Theodor wiederholt beim
Patriarchen Johannes Glykys, dass ihm die Thürsteher schnöde den Ein-
tritt ins Patriarchat verweigert hätten. Von der Darstellung in den
Briefen gilt dasselbe wie von den Reden; auch hier kopiert Theodor un-
ablässig sich selbst, auch hier strotzt er von mythologischen, antiquarischen
und historischen Anspielungen. Immerhin ist er wie alle Byzantiner in
den Briefen glücklicher als sonst, und einzelne Stücke sind sogar ganz gut
ausgefallen, so der Brief an Theodor os Metochites, worin er sich in
urbaner Weise über die unverbesserliche Trägheit und das schlechte Be-
tragen des ihm anvertrauten jungen IMetochites beklagt, ein Schriftstück,
das sich noch heute jeder Lehrer für seine Praxis auf den Tisch legen
dürfte.
Ausgaben: Deklamationen ed. Fr. Boissonade, Anecdota Graeca I (1829)
248-^2; 11(1830)409-453; UI (1831) 1—70. - Die Briefe sehr nachlässig und fehler-
haft ed. von La Porte du Theil, Notices et extraits des mss. V (1798) 709—744; VI
(1800) 1 — 48. — Beide Herausgeber benützten den Cod. Paris. Gr. 1209, die einzige Hand-
schrift, wie es scheint, die uns den unglücklichen Byzantiner aufbewahrt.
1()0. Palamas. Manche Anregung verdankten der alten Rhetorik und
Philosophie die Wortführer der dogmatischen Streitigkeiten, welche beson-
ders seit dem 13. Jahrhundert aus den Versuchen, eine Wiedervereinigung
der beiden Kirchen herzustellen, entbrannt sind. Der hervorragendste dieser
rhetorisch-philosophisch geschulten Theologen war Gregor Palamas, der
in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts lebte. Nachdem er einige Zeit
am kaiserlichen Hofe verbracht hatte, zog er sich als Mönch in ein Athos-
kloster zurück und versenkte sich in die dort herrschende Mystik, Später
begab er sich nach Thessalonike, wo seine langwierigen, erbitterten Kämpfe
mit Barlaam, Akindynos und Nikephoros Gregoras begannen. Nach-
dem Palamas 1349 zum Erzbischof von Thessalonike ernannt, von der Stadt
aber zurückgewiesen worden war, gab nach verschiedenen Schwankungen
des Streites endlich die Synode des Jahres 1351 für Palamas und seine
Partei den Ausschlag. Die meisten Schriften des geistvollen Theologen
204 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
sind aus seinen dogmatischen Kämpfen hervorgewachsen. In das Gebiet
der Rhetorik gehört seine „Prosopopoeie der Seele, die den Körper
anklagt, und des Körpers, der sich verteidigt." Es ist eine regel-
rechte, glatt und nicht ohne Witz geschriebene J/f At'r?; im grösseren Mass-
stabe; sie besteht aus einer platonisierenden Vorrede über die Teile und
die Beschaffenheit der Seele, aus der Anklagerede der Seele, der Verteidi-
gung des Körpers und der gerichtlichen Entscheidung. Mit Beziehung auf
den alten Sophistenschluss, dass nicht der böse Knabe, sondern der Lehrer,
der ihn nicht gehörig gezogen, Strafe verdiene, erteilen die Richter dem
Körper Recht und schliessen dann etwas plötzlich mit den Worten des
Esaias: (Päyo)f^ifv xal niui}Xfv ' ahgiov yccQ ccnoihvi]axoii&v.
1. Gesamtausgabe des Palamas (mit Schriften des Kabasilas, Barlaam u. a.):
Migne, Patrol. Gr. It50 und 1.51 (186.5). — Die Prosopopoeie ed. zuerst G. Morelius,
Paris 1553 (ex officina Turnebi). — Wiederholt bei Migne 150, 959 ff., 1347 ff. — Mit
Einleitung und Kommentar, aber ohne diplomatische Förderung des Textes ed. Alb. Jahn,
Halle 1884.
2. Leben und Schriften: Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 11,494—506. — Orien-
tierender Artikel von Gass. Realenzyklopädie für protest, Theologie 11 (1883) 163 f. —
Vgl. § 40.
101. Nikolaos Kabasilas, einer der bedeutendsten rhetorisch-philo-
sophisch gebildeten Freunde des Palamas, folgte diesem (nicht vor 1354)
auf dem erzbischöflichen Throne von Thessalonike. Er kämpfte mit Palamas
in zahlreichen Streitschriften gegen Barlaam, Akindynos und Nike-
phoros Gregoras. Sein wichtigstes Werk sind die sieben Bücher vom
Leben in Christus, welche uns die byzantinische Mystik kennen lehren.
1. Ausgabe: W. Gass, Die Mystik des Nikolaus Cabasilas vom Leben in Christo.
Greifswald 1849; mit ausführlicher P^inleitung über die Stellung des Kaba.silas zu den
byzantinischen Theologen seiner Zeit und sein Verhältnis zur deutschen Mystik; S. 16 ff.
über das Leben und die Schriften des Kabasilas.
2. Ein heftiger Wortführer im Barlaamstreit war auch der Patriarch Philotheos
(t 1379), ein Gegner des Nikephoros Gregoras (vgl. S. 95 Anm.). P^r war Abt des Laura-
klosters auf dem Athos, später Bischof von Heraklea (in Thrazien); 1353 wurde er Patriarch,
musste jedoch infolge der Restauration der Paläologen schon 1356 abdanken; zum zweiten-
mal bestieg er den Patriarchenthron 1364 und besass ihn bis 1375. Wir haben von ihm
eine Rede über die Eroberung von Heraklea durch die Genuesen i. J. 1351, einen Trost-
brief an seine Diözesankinder, als sie nach der Eroberung flüchteten, und mehrere geist
liehe Homilien. Ediert .sind diese ebenso wortreichen als inhaltsarmen Stücke von Konst.
Triantafillis und Alb. Grapputo, Anecdot« Graeca, vol. I, Venedig 1874 (mit einer
unkritischen Einleitung über das Verhältnis des Philotheos zu Nikephoros Gregoras und
Joh. Kantakuzenos).
102. Demetrios Kydones (« Kt^ömr^c) war einer der fruchtbarsten
und elegantesten Essayisten der Paläologenzeit. Der Ort seiner Abstam-
mung ist unbekannt, sein Aufenthalt scheint namentlich zwischen Thessa-
lonike und Konstantinopel gewechselt zu haben.') Seine Lebenszeit er-
streckt sich vom zweiten oder dritten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts bis
gegen das Ende desselben. Schon als junger Mann muss er sich eingehend
mit den theologischen Fragen beschäftigt haben, die damals die Geister
') Der Name Kydones deutet auf die ! dem Briefe an Phakra-sos. wo Kydones Tho.s-
Rtadt Kydonia in Kreta hin; doch beweist saUmikesoineVatorstadt nennt, orscliliefwen
das für die Herkunft des Mannes ebenso- zu können. da.SH er in dieser Stadt geboion
wenig wie der Beiname Hyrtakenos (s. tj 99). sei. Not. et extr. H. 2. 314. Doch läs.st sich
In mehreren Uandseluiften heisst Demetrios | der Ausdruck wolil auch aus seinen» langen
ö ix Hfoaidofixtjf, und Hase glaubte aus 1 Aufenthalt in Thessalonike erklären.
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie. (§ 101—102.) 205
der anatolischen Christenheit aufs heftigste bewegten. Er stand in persön-
lichen Beziehungen zu den bedeutendsten Männern, die sich an den durch
die Unionsversuche hervorgerufenen Streitigkeiten beteiligten. Den be-
rühmten Kalabreser Barlaam (f um 1348) bittet er brieflich um nähere
Erklärungen über den Ausgang des hl. Geistes: gegen Palamas kämpft
er in einer längeren Abhandlung; mit dem in dieselben Kontroversen ver-
wickelten Historiker Xikephoros Gregoras steht er in Korrespondenz.*)
Dem Theologen auf dem Kaiserthrone Johannes YI Kantakuzenos dient
er als vertrauter Freund und Minister; 2) als derselbe der Regierung ent-
sagen musste und sich in ein Kloster zurückzog (1355), begleitete ihn
Demetrios, ohne jedoch selbst das Mönchsgewand anzulegen. 3) Für einige
Zeit ging er nach Mailand, wo er die lateinische Sprache studierte;
später lebte er wohl meist in Thessalonike und Konstantinopel, angeblich
auch in Kreta. Die späteste bekannte Thatsache seiner Biographie bildet
der Briefwechsel mit Kaiser Manuel II Paläologos, der wenigstens
bis ins Jahr 1391, vielleicht bis 1396 oder 1397 reicht.^)
Demetrios Kydones hat eine grosse Zahl rhetorischer und theologi-
scher Schriften hinterlassen, in welchen er den Lieblingsautor der spät-
byzantinischen Zeit, Plato, nicht ohne Glück zum stilistischen Vorbilde
wählte.
1. Zu seinen fi'ühesten Werken gehört die Monodie auf die in
Thessalonike Gefallenen {'Em lou sr QtaauXovixi] neaovair). Die
äussere Veranlassung der mit allen Mitteln der Rhetorik ausgestatteten
Rede, in der sich wehmütige Klage mit ernster Warnung verbindet, war
der blutige Bürgerkrieg, der im Jahre 1346 die Stadt Thessalonike zer-
rüttete.^) Die lebhafte Teilnahme des Kydones an den Geschicken seiner
schwer bedrängten Nation bezeugen ausser dieser Monodie mehrere poli-
tische Flugschriften. In einer 2i\ußovXn<Tixög betitelten Rede, die wäh-
rend der diplomatischen Reise des Kaisers Johannes V Paläologos nach
Italien (1369) geschrieben ist, ermahnt Demetrios die Griechen, sich unter
sich selbst und mit den Lateinern zu einigen, von denen allein ernstliche
Hilfe zur Vertreibung der Türken zu erwarten sei. In einem zweiten
2viißovXtvTixög erörtert er die Gründe, warum man der Forderung des
Sultans Murad, die Stadt Kallipolis an die Türken abzutreten, nicht will-
>) Nikeph. Gregoras ed. Bonn. I S. XCI. doch wohl nur so zu verstehen, dass Deme-
*) Kantakuzenos B. IV 39 (ed. Bonn. III trios den Kaiser ins Kloster begleitete, ohne
285) TiaQÖyrog ds xcci K v dai y »;. 6V eydoy dort zu bleiben ; denn er erscheint noch später
ßaaiXsiioy diiTQißey (iei. ov uöyoy dtfi irjy im öffentlichen Leben thätig.
evfiiyaay, ijy 7toXXt}y TiaQa ßaaiXe'iog ixug- *) S. Berger de Xivrey, Alemoires
Ttovro. äXk' oTi x(a joTg nQÜyuaat ueati- de Tacademie des inscriptions vol. 19(1853)
Cioy tlyiiyxr^y fi/fy «f« avyeiyfu ßaaiXfi 190 f.
yt'XTMQ xttl uf9' t'juf'gay. ] ^) Den Ursprung und die näheren Um-
^) Kantakuzenos B. YV 16 (ed. Bonn. III [ stände dieses Zwistes, der eine der jämmer-
107) avysinoyro de ttvtM TjQog xi]y ix rov liebsten Episoden in dem dynastischen Kriege
ßiov €(yaxwQt;aiy xtu Kteßüatkag yixöXaog xai zwischen Johannes Kantakuzenos und der
jTjfitiTQt og 6 Kvduiytjg, ao(fiag fiey {ig Paläologenpartei bildet, erzählen Kant aku-
äxQoy r^c £iio9sy ineiktjuut'yoi, or/ ^rroy zenos B. III 93 f. (ed. Bonn. II 568 ff.) und
de xai tgyoig g:tXoooq^ovyreg xfü Toy atjtfgoya Nikephoros Gregoras B. XTV 10 (ed.
ßioy xtci xwy ex rov yüuov xuxwy dntjXXay- Bonn. II 740 f.).
^ivov it^riitiyoi. Die Bemerkung ist aber
206 Byzantinische Litteratnrgeschiclite. I. Prosaische Litteratnr.
fahren dürfe. Hieher gehören aucli die Reden an Johannes Kantakuzenos
und Johannes Paläologos, endlich drei Proömien zu Chrysobullen, die
Kydones im kaiserlichen Auftrage (die ersten 2 nach 1355, die dritte um
1370) abfasste.»)
2. Den breitesten Raum beanspruchen die Werke theologischen
Inhalts, wie die oft edierte Abhandlung über die Verachtung des
Todes {IleQi tov xaTa(fQortTv tov O^dvaror), mehrere Schriften über den
Ausgang des hl. Geistes, Homilien auf den hl. Laurentius, auf Pfingsten,
auf Maria Verkündigung u. s. w. Auch seine Kenntnis des Lateinischen
verwertete Demetrios für die Zwecke der theologischen Wissenschaft.
Unter anderem übersetzte er Schriften des Thomas vonAquino und die
Widerlegung des Koran (Confutatio Alcorani Muhamedici) des gelehrten
Predigermönches Ricardus Florentinus (um 1300) ins Griechische.-)
3. Endlich haben wir von Kydones eine Sammlung von Briefen.
Sie richten sich an eine Reihe der bedeutendsten seiner Zeitgenossen, an
den Historiker Nikephoros Gregoras, an den Mönch Barlaam, an den
Patriarchen Philotheos, ^) an Nikolaos Kabasilas, an den Erzbischof von
Thessalonike Isidor Glabas, an Alexios Kasandrenos, an einen sonst nicht
l)ekannten „Philosophen" Georgios, an den Primikerios Phakrases, an Kaiser
Manuel II Paläologos^) u. a.
1. Ausgaben: Die Monodie auf die in Thessalonike Gefallenen ed. Combefis
mit den Scriptores post Theophanem, Paris 1685. — Die '2 2ivfißovkevTixoi ed. Com-
befis, Patrum bibliotliecae novum auetar., Paris 1648, Vol. II 1221 — 1820. — Zwei Pro-
ömien zu Chrysobullen ed. K. E. Zachariae von Lingenthal, Sitzungsberichte der
k. preussischen Akademie der Wiss. 1888, 1409 — 1422; seiner Ausgabe liegt ein Hand-
schriftenfragment des Professors Rhallis in Athen zu Grunde, von welchem nur bemerkt
wird, dass es aus einer Handschrift des Demetrios Kydones herausgerissen sei, ein Umstand,
der die Autoi-schaft des Demetrios etwas zweifelhaft macht. — Die theologischen und
rhetorischen Schriften findet man jetzt nach den älteren Drucken bequem vereinigt in der
Sammelausgabe von Migne, Patrolog. Gr. 154 (1866) 825—1216; ebenda 109 (186.S)
637-652 die Monodie auf die in Thessalonike Gefallenen und 151 (1865) 1283—1301 der
Brief an Barlaam (nur lateinisch).
Briefe: 8 Briefe an Kaiser Manuel ed. F. C. Matthaei, Isocratis, Dem. Cyd. etc.
epistolae Mosquae 1776 S. 33 - 46; andere in einem Programm Dresden 1789 und in den
Iloixii.« 'EkXtjyixä, Mosquae 1811 S. 250 — 258. — Jiine grös.sere Auswahl gab Fr. Bois-
sonade, Anecd. Nova, Paris 1844 S. 251 — 327. — Eine vollständige und kritische Au.<<gabe
fehlt noch.
2. lieber Leben und Schriften s. Fabricius, Biblioth. Gr. ed. Harl. 11, 398—405. -
In die Biographie des Kydones ist ein grober Irrtum eingedrungen, der nirgends berichtigt
wird. B. C. Hase veröffentlichte in den Not. et extr. 8 (1810) 2, 314 ff", einen Hrief des
Kydones an den Primikerios Phakrases, in welchem von vergangenen Zwistigkeiten in
The.ssalouike und von einer der Stadt drohenden Belagerung die Rede ist. Ha.se bezog
diese Andeutung auf die Belagerung und Eroberung der Stadt durch Murad II
und setzte daher den Brief in das-Iahr 1430; Boissonade edierte denselben Hrief An. Nova
S. 288 ff', ohne Kenntnis von der Aufstellung Hases, dagegen ging der Irrtum in Mignes
Patrologie über, wo t. 154, 1213 ff", der Brief mit der Notiz Hases abgedruckt ist. Die
Annahme, dass ein Mann, der in den vieraiger Jahren des 14. .lahrlnindert.s sch«)n mit
') Auf eleganten und würdevollen Stil
in kaiserlichen Erlassen wurde in Byzanz
stet« grosser Wert gelegt. Die Abfa.s.sung
der Einleitungen dieser Schriftstücke bildete
einen wichtigen Zweig der rhetorischen Aus-
bildung. Sohh«' Proömien wurden als stili-
stische Muster in Abschriften verbreitet. Aehn-
liches gilt von den Briefen und Verord-
nungen der Patriarchen. Daraus erklärt
sich die steife Gleichförmigkeit dieser Akten-
stücke.
*) Vgl. Steinschneider. Abhandlungen
für die Kunde des Morgenlandes Bd. 6 (Leipzig
1878) 226; dortseUiHt S. 218 ff", ein wertvolles
Verzeichnis der übrigen polemis( lirii I.ittt»-
ratur gegen die Muhamedaner.
») Vgl. iH 101 Anm. 2.
*) Vgl. § 105.
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie. (§ 103—105.) 207
grossen Arbeiten über dogmatisclie Fragen hervortrat, noch im Jahre 1430 Briefe geschrieben
habe, ist selbst bei der weitesten Ausdehnung der Vorstellung von griechischer Langlebig-
keit ganz unwahrscheinlich; zudem ist zu bedenken, dass seit 1396 oder 1397 jede sonstige
biographische Spur von Kydones mangelt. In der That beruht die Annahme Hases auf
einer Flüchtigkeit. Auf den Bürgerkrieg des Jahres 1346 wird in dem Briefe ganz deut-
lich als auf ein in aller Gedächtnis haftendes, nicht allzu lang vergangenes Ereignis an-
gespielt; das konnte im Jahre 1430 nicht geschehen, und der äussere Feind, von dem
der Brief berichtet, kann also nicht Murad II sein. Wer darunter zu verstehen ist, lässt
sich nicht sicher feststellen; am nächsten liegt es, an den gewaltigen Serbenkaiser Stefan
Du seh an zu denken, der im Jahre 1349 Thessalonike ernstlich bedrohte.
103. Matthaeos Kantakuzenos, Sohn des Kaisers Johannes Kanta-
kuzenos (1341 — 1355), wurde von seinem Vater gegen den Willen des
Johannes Palaeologos zum Kaiser gekrönt, nach dem Sturze seines Vaters
aber wie dieser zur Flucht ins Kloster genötigt, wo er sich theologischen
Studien widmete. Wir haben von ihm zwei an seine Tochter gerichtete
Skizzen: Ueber die Wissbegierde und lieber die drei Seelenkräfte
(IlfQi ^iXoi^ia^iac, neQi roh' TQiöir rT^g if>vx>]? dvi'ä/.i€a)i); ausserdem einen
Kommentar zum hohen Liede und moralische Schriften, von welchen
manche noch unediert zu sein scheinen.
Die 2 Skizzen an seine Tochter ed. J. Sakkelion, Je'Ärloy rtj? iaxoQ. xtd i^yoXoy.
iruiQiag rtjg 'EXhidog 2 (1885 — 89) 425—439. — Kommentar zum hohen Lied und andere
theologische Sachen bei Migue, Patrol. Gr. 100 (1860) 395; 411; 418; 447; 489 und 152
(1866) 997-1084. — Vgl. Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 7, 793.
104. Theodoros Potamios (o /7or«/»oc, in zwei Handschriften un-
richtig üoTccxioc genannt), ein seinen Lebensverhältnissen nach gänzlich
unbekannter Grieche aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, hinter-
liess eine langweilige Monodie auf den Tod des Kaisers Johannes V Pa-
laeologos (1391) und einige Briefe an des Kaisers Onkel Kantakuzenos,
an Kydones (doch wohl Demetrios Kydones) u. a.
Die Monodie edierte zuerst aus einer verstümmelten Wiener Handschrift K. Sathas,
Msa. ßißho9iixtj 1 (1872) 196—200; dann vollständig aus einer Oxforder Handschrift Sp.
Lambros, Jekrloy t^? larog. xai i&yoXoy. iTceiQtag rijg 'EXXüdog 2 (1885 — 89) 48 — 62.
Lambros beschreibt auch den cod. 184 des Athosklosters rtiy 'Ißijgcjy, der einige Briefe des
Potamios enthält. Vollständiger sah dieses Exemplar noch im Anfange des 18. Jahrhunderts
Chrysanthos Notaras, der aus der Bibliothek des iberischen Klostei-s eine Handschrift
mit 20 Briefen des Th. Potamios anführt. Sathas, Mea. ßißX. 1, 282.
105. Manuel II Palaeologos (1350—1425; Kaiser 1391—1425) ge-
hört als Herrscher wie als Schriftsteller zu den erfreulichsten Erschei-
nungen der letzten Jahrhunderte von Byzanz. Aus den zeitgenössischen
Quellen ergibt sich mit Sicherheit, dass Manuel nicht nur eine durchaus
sympathische Persönlichkeit war, sondern moralische und intellektuelle
Vorzüge besass, die ihm in einer weniger unglücklichen Epoche zweifel-
los bedeutende Erfolge gesichert hätten. In allen ritterlichen und militä-
rischen Künsten wohl geübt, stand er geistig auf der Höhe seiner Zeit.
Der gelehrte Bessarion bezeugt den Reichtum, das Feuer und die Beweg-
lichkeit seiner Konversation wie seine unermüdliche Thätigkeit. In seinen
Schriften erscheint er als ein guter Kenner der attischen Sprache, als er-
fahrener Theologe,') als gewandter Dialektiker und vor allem als ein
') Dass sich der Kaiser mit Theologie traut ist. Die mit der Union zusammen-
beschäftigte, wird ihm niemand vorwerfen, ! hängenden dogmatischen Streitfragen be-
der mit der Geschichte der Palaeologen ver- herrschten die Masse des Volkes wie den
208 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Stilist, der einem weit besseren Zeitalter Ehre gemacht hätte. Die Ge-
schichte seiner langen Regierung gewährt sichere Proben seiner Staats-
klugheit, seiner Entschlossenheit und seines ehrlichen Wollens. Wenn er
das auf einen winzigen Bruchteil zusammengeschwundene Reich nicht retten
konnte, so war es nicht seine Schuld. Der Prozess des Zusammenbruches
der alten Herrschaft vollzog sich mit der eisernen Notwendigkeit eines
Naturereignisses und war durch das stärkste individuelle Bemühen nicht
mehr zu hemmen. Durch seinen Aufenthalt am Hofe Bajazets mit den
kolossalen Hilfsmitteln und den Endzielen seiner Feinde wohl vertraut, hat
Manuel, als er zur Alleinherrschaft gelangte, mit grösster Umsicht und
Energie alles aufgeboten, um der drohenden Katastrophe vorzubeugen.
Trotz des unüberwindlichen religiösen Gegensatzes zwischen Rom und Byzanz
und des Widerstandes einer politisch kurzsichtigen, aber einflussreichen
Partei im griechischen Klerus unternahm Manuel in eigener Person als
Schutzflehender eine Reise nach Italien, Frankreich und England
(1399 — 1403), um von den christlichen Fürsten Hilfe gegen die Türken zu
erlangen. Als er sich endlich überzeugen musste, dass eine ernstgemeinte
und genügende Unterstützung nicht zu hoffen sei, verstand er es, durch
die in Byzanz traditionelle Kunst der Diplomatie mit Suleiman und
später mit Mohamed I wenigstens einen modus vivendi herzustellen. Es
war die letzte Zeit verhältnismässiger Ruhe, die dem rhomäischen Reiche
noch beschieden war. Sie endete mit dem Regierungsantritte Murads II,
der 1422 seinen gewaltigen Angriff auf Konstantinopel unternahm. Kurz
vor seinem Tode musste Manuel noch einen entehrenden Vertrag unter-
zeichnen, wodurch das Reich der Byzantiner dem Sultan tributpflichtig
wurde. Nach einem Leben, das an Arbeit und Sorgen ebenso reich war
wie an Misserfolgen und Enttäuschungen, starb Manuel im Jahre 1425.
Es ist für die Zähigkeit der litterarischen Neigung der Byzantiner bezeich-
nend, dass ein Kaiser, den die jämmerlichsten politischen Verhältnisse un-
aufhörlich beunruhigten, noch für schriftstellerische Arbeiten Zeit
und Stimmung finden konnte. Der Grundcharakter der zahlreichen Schriften
Manuels ist dialektisch und rhetorisch. Wir haben von ihm philo-
sophisch-theologische Abhandlungen, Gelegenheitsreden, rheto-
rische Versuche, poetische Kleinigkeiten, endlich eine Samm-
lung von Briefen.
1. An der Spitze der dialektischen Werke steht der umfangreiche
Dialog, den Manuel mit einem türkischen Muterizis in Ankyra über die
christliche und mohamedanische Lehre führte. Die Schrift, die von
Manuel seinem Bruder Theodor, dem Despoten des l'eloponnes, gewidmet
und wahrscheinlich um 1390 abgefasst ist, gehört zu den wichtigsten Zeug-
nissen der kulturellen Beziehungen zwischen Türken und Griechen vor dem
Falle des Reiches. Eine Art politisch-moralisches Testament, wie
wir es von dem Kaiser Basilios, dem Erzbischof Theophylaktos u. a. be-
sitzen, sind die 'Ynod-Tjxat ßü(TiXixi]g dywyrfq^ die Manuel seinem Sohne
mächtigen Klorus in einem solchen (Jrade ihnen ehensowenig fernbleiben durfte, als
und waren für iiolitiBche Kntschliessungen etwa heute ein gutor Regent sicli der Kr-
•o wichtig, du88 om gewissenhafter Herrscher | wHgungdersoziulen Fragen versohliessen kann.
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie. (§ 105.) 209
hinterliess. Weitere Proben seines stilistischen Talentes sind eine Rede
über die Gesundheit des Kaisers, die Manuel bei der Genesung seines
Vaters von einer schweren Krankheit verfasste; die Leichenrede auf
seinen Bruder Theodor, Despoten des Peloponnes (f 1407), die zu den
vollkommensten Erzeugnissen der in Byzanz stets sorgsam gepflegten Gat-
tung der Epitaphien gehört; ein Schreiben an Andreas Asanes über das
Wesen der Träume; ein Dialog mit seiner Mutter 77*^/ ycmov, worin
er die Gründe erörtert, die bei der Lage des Reiches gegen oder für seine
Verheiratung vorgebracht werden könnten. Dazu kommen an seinen Sohn
Johannes gerichtete Essays über die Bedeutung der Redekunst, über
das Gute, über die Willensfreiheit und Selbstbestimmung, über
die Sünde, über die Demut. Endlich begegnen auch hier einige Stücke,
die in der Art der rhetorischen Schulübungen gehalten sind, so eine Ab-
handlung über die Verwerflichkeit der Sinnenlust und als Gegen-
stück {avTid^iaic) ein Traktat über die Berechtigung der Sinnenlust;
eine rhetorische Uebung: -Qc #? fvaerovg agxoirog ttooc eviovg vm^xöoi'g
d. h. eine fingierte Rede eines wohlwollenden Herrschers an gut-
gesinnte Unterthanen. Nicht übel geraten ist die witzige Melete:
IlQog i^it&vaov d. h. die Verteidigungsrede eines Trunkenboldes, der seinen
dem Wein abholden Sohn als unechten Sprössling enterbte und sein Weib
eben deshalb der Untreue beschuldigte. Die Spielart der hxffQuaig ist ver-
treten durch die Schilderung eines Gobelins mit einer Darstellung
des Frühlings (Eaoog hxmv ev v(favToi TxuouneTccauccti Qrjixoi), die Ethopoeie
durch das zeitgeschichtlich merkwürdige Stück: Was wohl Timur Lenk
zu dem besiegten Bajazet gesprochen haben mag! Wohl aus der
letzten Zeit seines Lebens stammen verschiedene Werke theologischen
Inhalts, wie eine Abhandlung über das unvermeidlichste Thema der Palaeo-
logenzeit, den Ausgang des hl. Geistes, zwei Morgengebete und ein
durch Einfachheit und wahre Empfindung ausgezeichnetes Erbauungslied.
2. Die Briefe Manuels, deren Wichtigkeit für die Kulturgeschichte
der Palaeologenzeit wir leider nach den wenigen bis jetzt veröffentlichten
Proben nur zu ahnen vermögen, richten sich an seinen Bruder, den
Despoten Theodor, an den Kaiser von Trapezunt, an Demetrios
Kydones, Nikolaos Kabasilas, an den Protekdikos Balsamon, an
Andreas und Konstantin Asanes, an Phrankopulos, Demetrios und
Manuel Chrysoloras, an den Italiener Guarini, den er bittet die
Leichenrede auf den Despoten Theodor ins Lateinische zu übersetzen, end-
lich an mehrere Bischöfe und Metropoliten. Oft beklagt sich der
Kaiser in seiner Korrespondenz über die erdrückende Last seiner Regie-
rungsgeschäfte und über den Mangel an Zeit für litterarische Dinge. Noch
mehr als in den Abhandlungen bekundet er hier den wohlausgebildeten
Sinn für elegante Darstellung, sogar die in Byzanz seltene Eigenschaft des
Humors. ^) Eine kritische Ausgabe dieser in der Pariser Handschrift
offenbar chronologisch geordneten Kaiserbriefe wäre ebenso erwünscht
') An Demetrios Kydones, der ihm ' xai evQwy iy iitioqüc ^Qi^uÜTtüv. ^tjutercjy
ein Exemplar des S u i d a s überschickt hatte, ityrl ^^QTjudrtoy 7ji.ovalovg aJie'ffrjyey.
schreibt er: 'f'&daag d' aJff rifAiiq 6 JovTdag ,
Handbuch der klag». Altertumswissenschaft. IX. 1. Abllg. 14
210 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
als die in Aussicht gestellte Veröffentlichung der Briefsammlung des Gregor
von Cypern und eine vollständige Ausgabe der Korrespondenz des Deme-
trios Kydones.
1. Ausgaben und Hilfsmittel: Manuelis Palaeologi Aug. praecepta educationis
regiae etc. ed. J. A. Leunclavius, üasileae 1578 (enthält ausser den vno&rjxai die meisten
rhetorischen iStücke). — Leichenrede auf Theodor ed. Fr. Combefis, Patrum biblio-
thecae novum auctariuni, Paris 1648, Vol. II 1045-1220. — Dialog mit dem türkischen
Muterizis ed. C. B. Hase, Not. et extr. 8 (1810) 2, 309-382 (mit einer ausführlichen
Einleitung). — Dazu ed. Fr. Boissonade, Anecdota Graeca II (1830) 274—309 die Rede
des Trunkenbolds und die Einleitung der Rede des Antenor an Odysseus; Anecdota nova
(Paris 1844) 223 — .250 die Rede über die Gesundheit des Kaisers und einige Briefe. —
Ein witziges Spottgedicht auf einen unerträglichen Schwätzer ed. Matranga. Anecdota
Graeca II (1850) 682. - Sammelausgabe der meisten Stücke nach Leunclavius, Com-
befis und Hase bei Migne, Patrol. Gr. 156 (1866) 82—582. — Vgl. Hase, Not. et extr.
9 (1813) 2, 137 über cod. Paris. Gr. 3041, der 66 meist noch unedierte Briefe des Manuel
enthält. — Hauptschrift: Berger de Xivrey, Mömoire sur la vie et les ouvrages de
l'empereur Manuel Paleologue, in den Memoires de l'institut de France, academie des in-
scriptions et belles-lettres v. 19 (1853) 1—201, eine der besten Monographien, die
man für die byzantinische Litteraturgeschichte besitzt; am Schlus.se gibt der Verfasser
eine chronologische Tabelle der wichtigsten Thataachen in der Biographie Manuels
und seiner sämtlichen Werke mit Notizen über die Hand.schriften und Ausgaben.
2. Das Geburtsjahr des Manuel setzt Berger de Xivrey S. 16 nach den bestimmten
Angaben des Phrantzes ins Jahr 1348; dagegen bemerkt Zachariae von Lingenthal,
Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wiss. 1888 S. 1413, dass Manuel nicht vor
1350 zur Welt gekommen sein könne, da Johannes Paläologos erst 1347 heiratete und
ihm vor Manuel ein Sohn Andronikos und eine Tochter Irene geboren wurden.
106. Mazaris' Fahrt in die Unterwelt, 'Emörjfifu Mä^agi iv ''Aidov,
ist wie Timarion eine Imitation der Nekyomantie des Lukian. Das
Werkchen entstand, wie sich aus verschiedenen Anspielungen mit Sicher-
heit ergibt, in der zweiten Hälfte der Regierung Manuels II Palaeologos,
wahrscheinlich um 1416. An einer epidemischen Krankheit, die in
Konstantinopel wütet, stirbt Mazaris und kommt in die Unterwelt. Hier
empfängt ihn sofort Manuel Holobolos, des Kaisers erster Sekretär, sein
Begleiter nach Italien und Frankreich, der Verfasser zahlreicher Chryso-
bullen, Rhetor und Arzt in einer Person, und befragt ihn nach den Zu-
ständen am byzantinischen Hofe. Im Zwiegespräche mit Holobolos und
anderen Hadesbewohnern schildert nun Mazaris das schamlose, selbstsüch-
tige und kleinliche Treiben der Hofschranzen in Konstantinopel und die
wilden Streitigkeiten der griechischen Despoten im Peloponnes. Endlich
findet er ein Mittel wieder in die Oberwelt zu entschlüpfen. Anhangsweise
folgen noch einige Briefe an und von Holobolos. Die Hadesfahrt des
Mazaris ist zweifellos die schlechteste der bis jetzt bekannt gewordenen
Imitationen des Lukian. Die ganze Satire besteht aus einer langwierigen
Reihe roher Schimpfreden, aus einer trostlosen Gallerie bestechlicher Richter,
heuchlerischer Mönche, quacksalbernder Aerzte, blöder Weibernarren, gott-
vergessener Ehebrecher, Renegaten und sonstiger Nichtsnutze, die uns
völlig unbekannt sind und daher trotz der genauen Personalbeschreibung
den Leser kalt lassen; die einzige erfreuliche Erscheinung in der verkom-
menen Gesellschaft ist die edle Figur des verständigen, aber ohnmächtigen
Kaisers. Es ist, als hätte jemand noch vor Thorscbluss das verfallende
Rhomäertum in seinen schlininiston Seiten abmalen und der Nachwelt
zeigen wollen, wie sehr Byzanz für den drohenden Untergang reif gewor-
den war. Immerhin fesseln in diesem seltsamen Machwerke manche De-
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie. (§ 106-107.) 211
tails zur Geschichte der byzantinischen Kultur und Politik wie
der Bericht über die Unternehmung Kaiser Manuels II gegen Thasos (1413).^)
Der Dialekt forscher notiert sich die Bemerkung des Mazaris, er fürchte
bei einem längeren Aufenthalte im Peloponnes durch die barbarische Mund-
art der Zakonen seine eigene Sprache zu verderben, sowie die merk-
würdige ethnographische Einteilung des Peloponnes.'-)
1. Ed. pr. Fr. Boissonade, Anecd. Gr. 3 (1831) 112 -186. ~ Mit deutscher Ueber-
setzung und Kommentar ed. Ad. Ellissen. Analekten der mittel- und neugriechischen
Litteratur, 4. Teil, Leipzig 1860. — Vorläufige Notiz von B. Hase, Not. et extr. 9 (1813)
2, 131 ff. — Vgl. Berger de Xivrey, Memoires de l'institut de France, aeademie des
inscriptions 19 (1853) 159—162. — Analyse und Charakteristik von H. F. Tozer, Journal
of Hellenic studies 2 (1881) 233-270. — S. auch die zu § 80 zitierte Litteratur über
Plethon.
2. A. a. 0. S. 129 fF. berichtet Hase über eine weitere, noch unedierte Imitation
der Nekyomantie, die im cod. Paris. 1631 steckt. Es ist nach seinen Mitteilungen ein
bizaiTes Gemisch aus Lukian und der Apokalypse, das in der Form einer Vision die
Strafen der Unterwelt ausmalt. Der Erzähler durchwandert die Gegenden des Hades unter
der Führung eines Engels, der ihm die Schreckensszenen erklärt. Unter den Seltsamkeiten,
die ihm begegnen, sind der grüne Donnerstag, der Karfreitag und die Fastenzeit,
die als weibliche Wesen vor Gottes Thron erscheinen, um alle zu verklagen, die das Fasten-
gebot gebrochen haben. Meineidige, falsche Zeugen, betrügerische Kaufleute, Sünder jeder
Art werden von Feuerströmen verschlungen; besonders streng ist der Verfasser gegen
den Protospathar Petros von Korinth, den er mit siedendem Pech und ähnlichen
Liebenswürdigkeiten behandelt. Von historischen Pei*sonen werden die Kaiser Nikephoros
Phokas und Johannes Tzimiskes erwähnt, was jedoch für die Zeitbestimmung nicht
genug Anhalt gewährt; nach der Sprache glaubt Hase das Stück in das 14. oder 15. Jahr-
hundert verweisen zu müssen. Eine grössere Zahl byzantinischer Imitationen des
Lukian liegt noch unediert in der Pariser Bibliothek (Hase a. a. 0. S. 129) und wohl auch
anderswo. Die Neigung zu scharfer und witziger Kritik, die sich namentlich in der haupt-
städtischen Bevölkerung so oft in den bekannten Spottversen und Pamphleten {(pä/iovaa)
Luft machte, hat offenbar in der Satire im Sinne Lukians ein beliebtes Ausdrucksmittel
gefunden. Eine vollständige Veröffentlichung und geschichtliche Untersuchung dieser Stücke
A\ürde sehr dazu beitragen, die übliche Vorstellung von der akademischen Gleichförmigkeit
und trostlosen Dürre des byzantinischen Geisteslebens zu berichtigen. — Ueber die Spuren
des Lukian in der byzant. Litteratur vgl. auch J. G. Brambs in der zu § 156 zitierten
Schrift S. 57 ff.
107. Johannes Eugenikos (Evyfrixöc) aus Trapezunt, im Besitze der
Würde eines Xomophylax, blühte in der ersten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts. Er bekundet das unverwüstliche Fortleben der rhetorischen
Schulung durch eine Reihe von ix(foüaeic, in welchen die eixoreg oder
ix(fQÜat:ig des Philostratos mit peinlicher Sorgfalt und nicht ohne Ge-
schick nachgeahmt sind. In der 'ExifQuaig TQanf^ovvioc schildert Euge-
nikos seine seit der Gründung des Kaisertums Trapezunt geistig und
materiell bedeutend gehobene Vaterstadt nach ihrer Lage und Umgebung,
doch ohne Rücksicht auf ihre geschichtliche Vergangenheit. Eine wirklich
originelle, anschauliche und lebensvolle Beschreibung der trapezuntischen
Gegend, deren grossartige Schönheit Fallmerayer zu einem seiner schönsten
Landschaftsgemälde begeistert hat, darf man freilich in dem schul massig
angelegten und mehr nach berühmten Mustern als nach der Natur ge-
arbeiteten Werke des Byzantiners nicht suchen. Aus der Anlehnung an
gemeinsame Vorbilder erklärt sich die Verwandtschaft des Stückes mit der
Beschreibung von Thessalonike, welche Johannes Kameniates seiner
') S. 241 f. ed. Ellissen. I Gregorovius. Geschichte der Stadt Athen II
*) S. 230 und 239 ed. Ellissen. Vgl. 285 f.
14*
212 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Erzählung der Katastrophe des Jahres 904 vorausgeschickt hat. Eine
zweite in Anordnung und Sprache mit der genannten auffallend überein-
stimmende 'Ex(fQaatg ist der Insel Imbros gewidmet, eine dritte der
Stadt Korinth. Ausser diesen landschaftlichen Schilderungen hinterliess
Eugenikos mehrere ex(fQdaf(c im engeren Sinne d. h. Beschreibungen
von Gemälden. So zeigt er uns eine mit Vögeln, Jagdhunden und anderem
Beiwerke ausgestattete Phantasielandschaft, deren Mittelpunkt eine Pla-
tane bildet, ein Bild der hl. Jungfrau und ein Gemälde, dasein junges
Fürstenpaar in einem Lustgarten darstellte, *) Endlich schrieb Eugenikos
eine Vorrede (nQo^eMQia) zu den Aethiopica des Heliodor, ein jambi-
sches Gedicht Eig fixöra rov fisyäXov XQvaoaröfiov, ein Emtäifiov to)
avO^evTOTiovXo} in 96 Trimetern u. a.
Auch der Bruder unseres Rhetors, Markos Eugenikos, Metropolit
von Ephesos, der durch seine Teilnahme am Konzil von Florenz 1439 und
durch zahlreiche Schriften gegen die Union und ihre Anhänger (wie Bes-
sarion) bekannt ist, gilt als Verfasser von ex(fQä(ffig. Sie schildern den
Martertod des hl. Demetrios, die Geburt Christi, den Tod des hl. Ephräm,
einen Sterbenden u. s. w.; auch zwei Briefe wurden ihm zugeteilt. Doch
herrscht bezüglich dieser Stücke zwischen den beiden Brüdern ein Grenz-
streit, zu dessen Schlichtung genaue sprachliche und handschriftliche Unter-
suchungen nötig wären. Kayser wollte sogar die Ekphrasis von Korinth
dem Markos zuteilen, obschon auch in seiner Handschrift der Nomo-
phylax Eugenikos als Autor bezeichnet ist. Es ist aber vielmehr zu ver-
muten, dass alle diese rhetorischen Stücke dem Johannes gehören und
die Zuteilung derselben an Markos nur durch die grössere Berühmtheit des
produktiven Theologen veranlasst wurde.
Ausgaben und Hilfsmittel: Ekphr. von Trapezunt in Paistathii opp. ed. L. Fr.
Tafel 1832 S. 370-373. — Ekphr. von Imbros, Platane, hl. Jungfrau, Fürstenpaar ed.
Fr. Boissonade, Anecdota nova (Paris 1844) 329 — 346. — Später edierte die Ekphr. von
Imbros noch einmal ohne Kenntnis der Ausgabe von Boissonade und nicht ohne einijje
Verschlechterungen W. Fröhner, Philologus 20 (1863) 509 f.; s. die Berichtigung dort-
selbst S. 767. — Vorrede zu den Aethiopica ed. Bandini, Catalogus codd. Graec.
biblioth. Laurentianae (1768) III 322 f.; dortselbst II 522 Notizen über die theologischen
Schriften des Johannes F^ugenikos. — 'Enirdcpioy ed. E. Legrand, JeXiiov t»}<: laioQixiji
X€u i9vo'/.oyixijg tTiaging rrjg 'EkX. 1 (1883 — 84) 455 if. ; dazu 459 ff. bibliographische Be-
merkungen von N. Politis.
Ekphrasen und Briefe des Markos (?) Eugenikos ed. L. Kayser nach: Philo-
strati libri de gymnastica, Heidelbergae 1840. - Des Markos Schrift J/fp« ÖQUjy l^ioijg ed.
Boissonade, Anecd. nova S. 349—362. — Theologische Schriften des Markos bei Migne,
Patrol. Gr. 160 (1866). - Vgl. Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 11, 653 und 670-677,
sowie die Praefatio in Kaysers Ausgabe S. 13 f. — Ueber einen reichhaltigen auto-
graphen Codex des Markos s. l'apadopulos Kerameus im //«p«'(>r»;^u« der Berichte
des FAXt^y, cpiXoXoyixog atdkoyog in Konstantinopel 17. Bd. (1886) 8. 47 f. und vgl. JtXiiov
rijg lar. xai idyoX. er. t»/? FM. 2 (1885 1889) 679 ff. — Zur Polemik des Markos Eu-
genikos gegen Bessarion über die damals viel erörtert« Frage, ob es für die Griechen
besser sei, den Lateineni oder den Türken unterthan zu werden, vgl. die Abhandlung in
der 'ETtKpvnig der Zeitung A'*V< '//,ufp« 1S90 Nr. 809—812 (14. Juni bis 5. Juli).
108. Johannes Dokianos {Joxeiavog), ein sonst nicht genannter
byzantinischer Rhetor, der um die Mitte des 15. Jahrliunderts lebte, ist
') Es gebricht mir leider an Zeit, zu I Auf byzantinischem Boden hat er seine Vor-
nntersuchen, ob Eugenikos für seine Schil- bilder (von der Madonna abgesehen) schwer-
derungen nicht etwa Gemälde der italieni- lieh finden können,
geben FrUhrenaissance vor Augen hattt
4. Rhetorik, Sophistik und Epistolographie. (§ 108.) 213
durch mehrere zum grössten Teile nur fragmentarisch erhaltene Dekla-
mationen bekannt, welche auf die letzte Zeit der Palaeologen einiges
Licht werfen. Vollständig besitzen wir ein um 1450 verfasstes Enkomion
auf den letzten byzantinischen Kaiser Konstantin IX. Die häufige Ver-
wertung von Zitaten aus alten x\utoren wie Homer, Pindar, Plato und
Demosthenes, von Sprichwörtern, antiquarischen und mythologischen An-
spielungen hat Dokianos mit den übrigen Vertretern der Gattung gemein-
sam; doch haben ausser Theodor Hyrtakenos wenige dieser rhetorischen
Unsitte so reichlich nachgegeben. Von den übrigen Stücken sind nur Ex-
zerpte erhalten. In einem nQoa(fo)rr^iiceriov beglückwünscht Dokianos
den Kaiser zu einigen politischen Erfolgen, von denen freilich die Geschichte
wenig zu berichten weiss. Daran reihen sich eine panegyrische Rede
an den Despoten Theodor, ein Trost schreiben an einen gewissen De-
metrios Asanes, der 3 Söhne verlor, ein Brief an einen gewissen Mos-
chos, worin sich der Verfasser als erbitterten Feind der Lateiner zu
erkennen gibt, einige Gratulationsbriefe, die der Rhetor für eine
kaiserliche Prinzessin abfasste, endlich ein Schreiben an Helene, die
Tochter des Demetrios Palaeologos. Despoten von Morea (1449—1460), die
später Gemahlin des Sultans Mohamed II wurde.
Ed. nach einem Autographon des Martin Crusius von L. Fr. Tafel in dem schwer
zugänglichen Tübinger Programm 1827. — Besser von K. Hopf. Chroniques Greco-Romanes.
Berlin 1873 S. 246-258.
I
5. Altertumswissenschaft.
109. Allgemeine Charakteristik. Für die byzantinische Geistes-
thätigkeit ist es bezeichnend, dass vielleicht die Hälfte der gesamten uns
überlieferten schriftlichen Produktion, wenn man von der Theologie ab-
sieht, in das Gebiet fällt, das wir im weiteren Sinne als Philologie defi-
nieren können. Es ist der Teil der byzantinischen Litteratur, in welchem
der Zusammenhang mit dem Altertum am unmittelbarsten, gleichsam hand-
greiflich hervortritt. Es ist die Seite des Byzantinertums, um derentwillen
selbst die unerbittlichsten Anhänger der klassischen Alleinherrschaft eine
Verbindung der mittelgriechischen Studien mit den altgriechischen für thun-
lich und wünschenswert erachteten. Daher kommt es auch, dass fast nur
dieser Teil des byzantinischen Schrifttums in weiteren philologischen Kreisen
näher bekannt geworden ist und dass man häufig die Kraft und Eigenart
des byzantinischen Geistes vornehmlich nach dieser Gattung beurteilt. Hie-
vor muss gewarnt werden. Zwar hat die Beschäftigung mit dem Alter-
tum das geistige Leben von Byzanz zu einem grossen Teile bedingt; denn
ihr verdanken die Byzantiner die Erhaltung einer Bildungsbasis, wie sie
kein anderes Volk des Mittelalters besass. Es darf aber nicht vergessen
werden, dass die Werke, durch welche die Rhomäer am engsten mit ihren
Vorahnen verknüpft sind, für die allgemeine Kultur- und Litteratur-
geschichte des Mittelalters weniger bedeuten als z. B. die Erzeug-
nisse ihrer Geschichtschreibung, ihrer Kirchenpoesie und Volksdichtung.
Erst am Ausgange des Mittelalters, als die Byzantiner selbst zu Grunde
gingen, ist ihr Philologenwerk für die allgemeine Bildung der Menschheit
in ungeahnter Weise fruchtbar geworden.
Ueber den Betrieb der philologischen Studien in Byzanz gilt
im allgemeinen dasselbe, was sich von der Grammatik der spätröniischen
Zeit sagen lässt. Mangel an selbsterworbener Gelehrsamkeit und systema-
tischer Kritik, breite Geschwätzigkeit und köhlergläubige Wiederholung
alter Vorlagen blieben auch bei den Byzantinern die wichtigsten Charaktor-
züge. Eine wirkliche Förderung philologischer Fragen, ja auch nur ein
unbefangenes und gesundes Urteil ist ziemlich selten zu entdecken. Bei
alledem muss vor einer unbilligen Beurteilung der byzantinischen Philo-
logen gewarnt werden. Will man ihnen geschichtlich gerecht werden,
so darf man sie nicht mit Gelehrten des Altertums, mit einem Zenodot,
5. Altertumswissenschaft. Allgemeine Charakteristik. (§ 109.) 215
Aristophanes oder Aristarch zusammenstellen. Sie sind von diesen durch
ein .Jahrtausend getrennt, in welchem sich die Lebensbedingungen der
philologischen Gelehrsamkeit durch und durch verschlechtert hatten. Wie
unbillig ist es, einen Planudes oder Triklinios schlankweg nach dem
Massstabe alexandrinischer Kritik abzuschätzen! Mit einem Aristarch hat
ein Moschopulos doch nicht viel mehr zu schaffen als etwa ein Me-
lanchthon; und wie übel müsste der gute praeceptor Germaniae bei einem
Vergleiche mit dem scharfsinnigen Alexandriner wegkommen. Ebenso
selbstverständlich ist es, dass man Gelelu'ten der mittelgriechischen Zeit
nicht die Hilfsmittel und die Schärfe der heutigen Kritik zumute. Und
doch ist auch dieser Fehler von manchen, die über alles Byzantinische
verächtlich die Nase rümpfen, nicht selten begangen worden!
Möge man endlich auch hier, wie es sich bei jeder geschichtlichen
Betrachtungsweise ziemt, auf die allgemeinen Voraussetzungen der
Zeit, der Nation und der Gesellschaft etwas Rücksicht nehmen; nur
dann kann das Urteil ein wahrhaft billiges werden. Dass man die Be-
rechtigung dieser Forderung nicht schon längst anerkannt hat, erklärt sich
nur aus der Übeln Gewohnheit, die byzantinischen Jahrhunderte lediglich
als ein lästiges Anhängsel der grossen klassischen Zeit zu betrachten. Mit
solchen Vorurteilen muss gebrochen werden. Man studiere die byzantini-
schen Gelehrten mitten in ihrem eigenen Zeitalter; man vergleiche ihre
Leistungen mit den gleichzeitigen Bestrebungen des Abendlandes, einen
Photios etwa mit Alcuin oder Johannes Scotus, einen Psellos mit
Anselm von Canterbury u. s. w. Die polyhistorischen Philologen der
letzten Jahrhunderte endlich, wie Planudes, Moschopulos, Theodoros
Metochites u. a. sind geschichtlich unmöglich richtig zu verstehen, wenn
man sie als verlotterte Schüler des grossen Aristarchos auffasst; sie
müssen als das genommen werden, was sie sind, als die ersten, bisher
fast gänzlich verkannten Vorbereiter des europäischen Humanismus.
Auf das Verdienst der Wiederbelebung der griechischen Studien haben
nicht nur jene Flüchtlinge Anspruch, die im 15. Jahrhundert durch poli-
tische Stürme an die gastlichen Ufer Italiens verschlagen wurden; der
humanistische Geist wirkte in Byzanz schon bedeutend früher. Er leuchtet
im 9. Jahrhundert auf in der glänzenden Gestalt des Photios, die über
ein dunkles und fast in Barbarei versunkenes Zeitalter urplötzlich wie die
Sonne des Südens das reichste Licht verbreitete. Im nächsten Jahr-
hundert scheint das Verständnis des Altertums und die Hoffnung auf
Erhaltung desselben zu sinken; ein despotischer Wille droht durch gross-
artige, aber doch mechanisch angelegte Sammelwerke die alte Litteratur
zu verdrängen: daneben wirken aber auch verständige Hüter und Erklärer
der alten Schätze wie der merkwürdige Arethas, fleissige Bearbeiter litterar-
historischer Hilfsmittel wie Suidas. Im elften Jahrhundert nähert sich
der universalistische Geist des Psellos dem heidnischen Altertum schon
ganz in jener unbefangenen Weise, die den Humanismus charakterisiert.
Völlig deutlich erscheinen humanistische Bestrebungen in der Zeit der
Komnenen und Paläologen. Wer künftig eine Geschichte des Hu-
manismus schreiben will, muss auf Moschopulos, Planudes, ja bis auf
■
216 Byzantinische Litteratargeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Eustathios, Psellos, Arethas und Photios zurückgehen. Dass sich die Sache
geschichtlich so veiliält, geht schon aus der einfachen Beobachtung her-
vor, dass gerade die Werke, durch welche ein Theodor os Gazes, ein
Konstantin Laskaris, ein Manuel Chrysoloras das Studium der grie-
chischen Sprache und Litteratur am meisten beförderten, aus älteren byzan-
tinischen Vorlagen, aus Arbeiten des Theodosios, Moschopulos u. a.
abgeleitet sind.
Wenn die byzantinische Philologie im wesentlichen nur durch die
Erhaltung alter Weisheit und die segensreiche Vermittelung derselben
an das Abendland eine allgemeinere Bedeutung erlangte, so fehlte es doch
nicht an selbständigen Köpfen, welche, so gut es in ihren Kräften stand,
die Kenntnis und Erklärung der Alten förderten und sich selbst an
die Aufstellung metrischer Systeme wagten. Als sicher darf ange-
nommen werden, dass manche Byzantiner sogar für die Verbesserung
der Texte mit Erfolg thätig waren, ein Umstand, der bei der Benützung
mittelalterlicher Handschriften mehr, als gewöhnlich geschieht, im Auge
behalten werden sollte. Die schwächste Seite war die eigentliche Gram-
matik. Die wissenschaftliche Auffassung derselben wurde durch das haus-
backene Bedürfnis der Schule völlig verdrängt. Die unzähligen Traktate
über Formenlehre, Syntax, Prosodie und Metrik, von denen die meisten
Bibliotheken wimmeln, sind nicht etwa als wissenschaftliche Arbeiten,
sondern als triviale Lehr- und Uebungshefte aus dem byzantinischen
Schulbetrieb aufzufassen. Daher stimmt so selten ein Exemplar mit dem
anderen völlig überein; jeder Magister und Schreiber kontaminierte, inter-
polierte, reduzierte oder erweiterte aufs neue nach eigenem Gutdünken und
privater Willkür seine Vorlagen. Hier ist es also die erste Aufgabe
der Kritik, die Massen genealogisch zu ordnen und aus dem wirren
Chaos, dessen Zusammenhänge kein Stammbaum genügend zu erklären
vermöchte, die guten Körner alter Gelehrsamkeit herauszuschälen, eine
Aufgabe, deren Bewältigung nicht zu den geringsten Verdiensten der Be-
arbeiter des bei Teubner erscheinenden Corpus der griechischen Gram-
matiker gehört. Dann wird man auch aufhören, irgend ein zufällig be-
gegnendes Stück, wie es früher nicht selten geschah, zum Schrecken aller
Fachgenossen ohne Besinnen gedruckt in die Welt hinauszuschicken.
1. Sammclausgaben. Für die philologische Litteratur der spätgriediischon und
byzantinischen Zeit kommen namentlich folgende hier in chronologischer Reihenfolge auf-
gezählte Sammlungen in Betracht: Casp. d'Ansse de Villoison, Anecdot« Graeca, 2 Hde.,
Venedig 1781. — Imm. ßekker, Anecdot« Graeca, 3 Bde., Berlin 1814 — 21. — Andr.
Mustoxydes (und D. Schinas), IvX'Aoyrj 'FAXtji'txMi^ dyexifÖTioy. 6 Hefte, Venedig 181(i
(enthält fast nur unbedeutende Stücke). — Ludw. Bachmann, Anecdot« Graeca, 2 Bde..
Leipzig 1828 — 29 (ergänzt vorzüglich die Anecdota von Bekker). — J. Fr. Boissonade.
Anecdota Graeca, 5 Bände, Paris 1829—33. — J. A. Gramer, Anecdota Graeca e codd.
mss. bibl. Oxon. (gewöhnlich als Anecd. Oxoniensia zitiert), 4 Bände, Oxford 1835 — 37. —
.T. A. Cramer, Anecdota Graeca e codd. mss. bibl. Paris, (gewöhnlich Anecd. Parisiensia),
3 Bände in 4 Teilen, Oxford 1839—41. — P. Matranga, Anecdota Graeca, 2 Teile. Koni
\ShO (sehr ungenau und unmethodisch). — Val. Rose. Anecdota Graeca et (iraecolatinn.
2 Teile, Berlin 1864—70. - K. Miller, MiManges de litt<^rature (irecque. Paris 1868. -
G. Studeniund, Anecdot« varia (traeca niu.sica, metrica, gramnuttica, Berlin 188(>. -
Im Erscheinen begriffen ist eine von Uhlig, Hilgard. Kgenolff, K. Scholl u. a. heraus-
gegebene Sammlung der griechischen (Jrammatiker; s. §137. — Kmendationen zu
den in den angeführten Sammlungen enthaltenen Texten bes. bei Leo Stern bach, Mele-
6. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§110.) 217
temata Graeca. P. I, Vindobonae 1886. Im übrigen s. die Litteratiir zu den einzelnen
Autoren.
2. Ueber die griechischen Humanisten handelt das jetzt veraltete Buch von
Humphredus Hodius, De Graecis illustribus, Londini 1742. — Charakteristik einiger
Hauptpersonen bei G. Voigt, Die Wiederbelebimg des classischen Altertums. 2. Aufl.
(2 Bände, Berlin 1880—81), bes. 1 225 ß.; II 102 ff. — Die besten, auf sorgfältigem Studium
aller erreichbaren Aktenstücke beruhenden Biographien der griechischen Gelehrten des
15. und 16. Jahrhunderts gab E. Legrand, Bibliographie hellenique. tome I, Paris 1885;
er handelt ausführlich über Manuel Chrysoloras, Theodoros Gaza, Andronikos Kallistos,
Michael Apostolios, Konstantin Laskaris, Demetrios Moschos, Demetrios Chalkondyles,
Tustinos Dekadyos, Markos Musuros, Zacharias Kalliergis, Nikolaos Vlastos, Anna Notaras,
fohannes Laskaris. Demetrios Kastrenos, Aristobulos (Arsenios) Apostolios, Angelos und
Nikolaos Yergikios (Vergetius), Nikolaos Sophianos. Matthaeos Devaris, Leonardos Phortios.
Antonios Eparchos. — Von sonstiger Litteratur verdient vor allem noch Erwähnung Henri
Vast: Le cardinal Bessarion (1403 — 1472), Paris 1878, ein gründliches Werk, welches über
den Anteil der Griechen an den geistigen Bewegungen des 15. Jahrhunderts reiches Licht
verbreitet.
A. Philologische Polyhistoren und Scholiasten.
110. Umfang der philologischen Studien der Byzantiner. Bei
der Betrachtung der philologischen Thätigkeit in Byzanz richtet sich die
Aufmerksamkeit vor allem auf die Frage, was die Byzantiner von der
alten Litteratur besassen und welche Werke ihre Lieblings-
lektüre bildeten. Genau genommen müsste das Problem chronologisch
aufgefasst d. h. etwa für jedes Jahrhundert besonders untersucht werden.
Allein zu einer derartigen Verschärfung der Prüfung ist die Zeit nicht
gekommen ; mangelt es doch für unsere Frage selbst in ihrer allgemeinsten
Fassung noch an genügenden Vorarbeiten und Materialien. Wir geben
daher nur eine kurze Uebersicht und berücksichtigen dabei in Bausch und
Bogen die Zeit nach dem Bildersturm. Soweit sich gegenwärtig der Stand
der Dinge überblicken lässt, kann nicht geleugnet werden, dass die mär-
chenhaften Vorstellungen, die früher von dem litterarischen Besitzstande
der Byzantiner herrschten und zu den kühnsten Hoffnungen auf die ver-
borgenen Schätze der orientalischen Bibliotheken anregten, vor einer ge-
naueren Prüfung in sich zusammenfallen. Von der gesamten klassischen
Litteratur, vom epischen Zyklus, von Pindar und den anderen Lyrikern,
vom attischen Drama und der Komödie, von Plato und Aristoteles, von
den Historikern und Rednern der voralexandiinischen Zeit hatte man in
Byzanz seit dem 9. Jahrhundert wenig mehr, als wir heute besitzen. Besser
war es mit der spätem historischen und fachgelehrten Litteratur
bestellt. Die konstantinischen Exzerptoren besassen manche jetzt
nur fragmentarisch erhaltene Geschichtschreiber wie Dexippos, Eunapios,
Priskos, Malchos, Petros Patrikios, Menander Protektor, Johannes von An-
tiochia u. a. Dagegen ist es recht bezeichnend, dass sie den Dio Cassius
nur noch in einem defekten Exemplare benützen konnten. Bei Polybios
wird das Fehlen ganzer Lagen von den Redaktoren selbst ausdrücklich
vermerkt.') Ebenso vermochten Zonaras und Xiphilinos keinen voll-
ständigen Dio Cassius mehr aufzutreiben. Beachtenswert sind einige An-
gaben des Psellos. In der Leichenrede auf seine Mutter erzählt er, er
') S. L. Dindorf, Jahns Jahrb. 99 (1869) 114.
218 Byzantinische Litteratargeschichte. I. Prosaische Litterainr.
spreche vor einigen seiner Hörer über Homer und Menander, Archilochos,
Orpheus und Musäos, über die Sibyllen und Sappho, über Theano und die
ägyptische Weise (Hypatia?).') Allein es ist sehr gewagt, aus so allge-
meinen Redensarten den Schluss zu ziehen, dass Psellos alle diese Autoren
wirklich vor sich gehabt habe. Die Byzantiner verstanden ebensogut als
moderne Menschen die Kunst, sich über Dinge zu ergehen, deren Kenntnis
sie abgeleiteten Quellen verdankten. Uebcr Menander konnte Psellos auch
reden auf Grund der im Mittelalter stark verbreiteten Sinnsprüche dieses
Komikers. Das wird sogar wahrscheinlich aus einer zweiten Stelle, wo
er neben Alaxvloc, 2o(foxXr:g, EvQiniSr^g u. s. w. nicht den MtrarSgog,
sondern id Meräv^Qeicc erwähnt.-) Ebenso zweifelhaft ist es, ob Eu-
stathios, wie vermutet wurde, bei der Abfassung seines Pindarkommentars
mehr besessen habe als unsere Epinikien.
Die Lektüre der Schule und der weiteren Kreise umfasste
namentlich den Homer, das niemals aufgegebene Schulbuch der griechischen
Nation, Hesiod, Pindar, ausgewählte Stücke der Tragiker, nämlich von
Aeschylos Prometheus, Sieben, Perser; von Sophokles Aias, Elektra, König
Oedipus; von Euripides teils die neun Stücke, die im Marcianus (A) stehen,
teils gar nur drei Stücke (Hekabe, Orestes, Phönissen), deren Handschriften
die kleinste byzantinische Euripidesausgabe darstellen; dazu Aristophanes,
Theokritos und seltsamer Weise Lykophron; grosser Beliebtheit erfreute
sich auch das geographische Epos des Dionysios Periegetes. Unter den
Prosaikern herrschte Thukydides, einzelne Stücke des Plato und Demo-
sthenes, Aristoteles, Biographien des Plutarch, Themistios, Libanios und
besonders Lukianos, von dessen Beliebtheit die zahlreichen, zuweilen nicht
übel gelungenen Imitationen Zeugnis ablegen. Selbst Romanschreiber wie
Achilles Tatios und Heliodoros wurden nicht verschmäht. Mehr als alles
andere wurden natürlich die heiligen Schriften und einzelne Kirchenväter
wie Gregor von Nazianz und Johannes Chrysostomos gelesen und ab-
geschrieben. Die Mehrzahl der Autoren blieb naturgemäss dem Privat-
studium überlassen ; daher konnte sich auch manches seltene Werk in ver-
einzelten Exemplaren erhalten.
Wenn man nach den Ursachen des Unterganges so vieler
Werke forscht, so ist wohl religiöse; Intoleranz auszuschliesson; dass man
alte Werke nur wegen ihres heidnischen Charakters vernichtet hätte, lässt
sich kaum erweisen.'') Wahrhaft verhängnisvoll wurde dagegen der lange
') K. Sathas, ^fe<falon'. ßißXioStjxt] .5. 538: .h'Tlxa Jia/vXo? fify jQnxvrei xi]y
59 f.: xai yuQ xai TteQi Tioitjfjnrtoy tiqüc äxoijy ovx et>tj/oic: ovö/naait: dXXd TQn/f'ai
it'lovg Twv ofxiXtjTüii' (pßf'yyofjta, xui ntQi l xid dvarpwyotc, f<V oyxoy fSatQiar rtjy noitj-
'OfitjQov xai Mtvüt'ö()ov. x(u l-Zp/'^'I/ot', '(>Q- : otr ' fUXQÖy ti tovtov iinoSf? 2o<jroxA»;c,
(ft'wg re x(u Movauiov, xai ÖTiöaa xai ro XftojfQov Jf rny Xöyov fieraj^figiCfrai 6 'Pkiä-
ftij'Av ^aav ^ißvXkai le xai lanffio »; fiovao- atoc: KvQiTiidtjc. Twy di xiofutxiöy 'jQiain-
Tioiog, fteayai re xai r, Aiyxmx'ia aocftj (fäytjf fiiy ßäyavaö? firri ta tioXXu xai 9tj-
ti( 6 '.tXfitg xai ö Mf'yayifQog xid o avz6- Xvfiayfj<; rä ö^ ;'f Mfyäyd(ietn rov-
fftrof KgößaXog xai 6 kXtjaaqoi:. xai ti rig ' rwr fih' xarant(f{)öyr,xe xxX.
i'ttQog noiTJati Xeyo/jfyog ;f(>»/fffm.V«f. Für ') Das schwacho Zciignis des ret<>r Al-
KgoßaXof und KXrjoutfog verniutot K. Sathas, cyonius, dor als Kiiah»' von Doriu'trios Clialko-
Annuaire de I'hshoc. 9 (1H75) 195 f. wohl kondyles gehüH hahen wollte, dass früher
richtig; KQtüßvXog und KXeiaotpog. die griechischen I'riester die profanen Dich-
*) K. Sathas, Miaattoy. ßißXiod^Kt] 5, tungen verhraiint hätten, wird von Hern-
5. AltertamswisseiiBchaft. A. Philol. Polyhistoren n. Scholiasten. (§ 110.) 219
Stillstand der gelehrten und litterarisehen Bestrebungen von der
Mitte des 7. bis in die Mitte des 9. Jahrhunderts. Im 10. Jahrhundert
mag der Untergang mancher Werke durch die konstantinischen En-
zyklopädien beschleunigt worden sein, welche durch ihre bequemen Ex-
zerpte die Originalwerke wenigstens für die Bedürfnisse des Staates und
der Kirche zu ersetzen bestimmt waren und im Abschreiben der vollstän-
digen Exemplare wahrscheinlich eine gewisse Erlahmung herbeiführten.
Grosse Wunden schlug die barbarische Zerstörung und Verbrennung
Konstantinopels durch die Kreuzfahrer (1204), welche ausser zahl-
losen Kunstwerken auch Akten und Bücher vernichteten. Geringer sind
wohl die Verluste, die der noch übrige Rest alter Bibliotheken durch die
türkische Eroberung erlitt. Damals hatte man längst begonnen, grie-
chische Handschriften als einen kostbaren Handelsartikel zu schätzen.
Vieles ging natürlich trotzdem in der blinden Wut des ersten Ansturms
verloren; daneben ist aber ausdrücklich überliefert, dass die Türken aus
den gefundenen Handschriften Geld machten und ganze Wagenladungen
von Büchern nach allen Richtungen des Morgen- und Abendlandes ver-
schleuderten.') Dass noch unter der osmanischen Herrschaft in Kon-
stantinopel und in Provinzialstädten reich ausgestattete Handschriftensamm-
lungen bestanden, wird vielfach bezeugt. Doch konnten sich infolge der
stets gefährdeten Stellung vornehmer Familien und der häufigen Seque-
stration grosser Privatvermögen die Bibliotheken nicht lange in einer Hand
erhalten. So wurde die wertvolle Büchersammlung des Michael Kanta-
kuzenos, nachdem derselbe beim Sultan in Ungnade gefallen und zum
Tode verurteilt worden war, 1578 öffentlich versteigert; vieles kauften
griechische Mönche, einiges kam durch Stephan Gerlach nach Deutsch-
land. Auch aus anderen Privatbibliotheken zettelten sich nachweisbar
wertvolle Stücke los und wanderten nach dem Abendlande. Eine Samm-
lung von Handschriften schenkte Sultan Solimanll dem spanischen Ge-
sandten Diego de Mendoza.^) Im 17. Jahrhundert gelangte der wichtige
Codex der konstantinischen Exzerpte über Tugenden und Laster
aus Cypern in den Besitz des Peirescius, und noch gegen das Ende des
vorigen Jahrhunderts bescherte eine Privatbibliothek bei Konstantinopel die
einzige Handschrift des Johannes Lydos. Am sichersten vor gewalt-
thätigen Eingriffen waren die Klosterbibliotheken. Doch beschränkte
hardy, Grundriss der gr. Litt. I, 4. Aufl. ' antHyres tov /Qvaoy xcei roy äqyvQoy, ä%X
(1876) 695 und von Sathas, Annuaire de iTiwXoi^r, «AA' egginroy. Nichts Neues bietet
l'assoc. 9 (187.5) 187 mit Recht zurückge- die wohl aus Dukas geschöpfte Notiz des
wiesen. Kritobulos, Müller, Fragni. hist. Crraec,
') Die genaueste und glaubwürdig.ste vol. 5, 96. Die in einem vom 15. Juli 145.S
Nachricht über das Schicksal der griechischen datierten Briefe an Papst Nicolaus V ent-
Bibliotheken nach der Eroberung überliefert haltene Angabe des Lauren tius Quirinus,
der Zeitgenosse Dukas, Cap. 42 (S. 312 ed. es seien damals über 120000 Codices zu
Borin.): r«? cT« ßifSXov? unäoftg, iTifo «pti?- (jrunde gegangen, beruht offenbar auf über-
hol' vTieQßaiyot'aa?, raig u^ü^mg (fagir^yw- treibenden Gerüchten. Hodius, De Graecis
aayreg unuyiaxov iy if, uy€ao}.f, xcd dvaei illustribus (Londini 1742) S. 192.
diidTieigay • rf/' tyog vofiia^uxoi; dtxa ßißXoi ^) S. K. Miller, C'atalogue des mss.
ini7iQ€iaxoyro,.foiaiorehxoi,ni.((TO)yixoi,»eo- grecs de la bibliotheqne de l'Escurial, Paris
Xoyixoi xui (cXXo ndy eldog ßißkov ■ evayyiXia 1848 S. III ff.
ftfju x6af4ov TTuyxoiov vnfQ fiitgoy, tlyte-
220 Byzantinische Litteratargeschichte. I. Prosaische Litteratur.
sich ihr Besitz naturgcmäss von Anfang an vornehmlich auf theologische
Litteratur, und die wenigen guten Profanwerke waren hier zwar vor den
Krallen türkischer Machthaber, nicht aber vor europäischen Reisenden
sicher, die im Laufe der letzten Jahrhunderte fast alles Bedeutende all-
mählich auf gesetzlichem oder ungesetzlichem Wege nach dem Westen zu
bringen verstanden. So kam der berühmte Platocodex durch Clarke aus
den stillen Klosterräumen von Patmos nach England,') wertvolle Exem-
plare heiliger Schriften durch Tischendorf vom Sinai nach Leipzig und
Petersburg, anderes durch Minoides Mynas vom heiligen Berge nach Paris
und durch russische Reisende nach Moskau. Es ist daher kein Wunder,
dass die Hoffnungen, die sich an die orientalischen Bibliotheken geknüpft
hatten, durch die in der letzten Zeit bekannt gewordenen Inventare auf
ein sehr bescheidenes Mass von Wirklichkeit zusammengeschwunden sind.
Die zwei wertvollsten Stücke, die noch in der neueren Zeit ans Licht traten,
der von Lambros gefundene Athoscodex des Hermas und die von Bry-
ennios veröffentlichte ^iSa^rj gehören der christlichen Litteratur an. AVas
sich noch an klassischen Texten vorfindet, sind meist ganz wertlose,
oft sogar aus Drucken abgeschriebene, mit einer sogenannten Psychagogie
d. h. mit einer neugriechischen Interlinearparaphrase versehene Schulhefte
der letzten Jahrhunderte. Selbst die alte und von den Stürmen der Zeit
wohl am besten verschonte Klosterbibliothek in Patmos besitzt von
antiken Profantexten nur einen nicht einmal besonders hervorragenden
Diodor aus dem IL Jahrhundert. Aehnlich steht es in den Bibliotheken
des Athos, des Sinai, des alten Serai und in den kleineren Sammlungen
zu Smyrna, Lesbos u. s. w. Den Hauptbestand bilden überall dogma-
tische, liturgische und asketische Werke. Eine reichere Ausbeute ergibt
sich nur für die byzantinischen Studien; in dem bis jetzt veröffent-
lichten Teile des Katalogs der Athosklöster finden sich z. B. zahlreiche
Schriften des Photios, Psellos, Ptochoprodromos, Philes, Nikephoros Kalli-
stos Xanthopulos, Uebersetzungen des Planudes, Rätsel und Orakel Leos
des Weisen, unedierte Briefe des Michael Glykas, Schriften zum Barlaam-
streit, polemische Abhandlungen gegen Mohamed und die römische Kirche.
Dazu kommen vulgärgriechische Texte wie Stephanites und Ichnelates, die
griechische Manekinlegende, der von W. Wagner ^) veröffentlichte 'Ak(fäßijio(;
xaTavvxTixög und ein ähnliches, wie es scheint, noch unediertes Gedicht,
endlich ein vulgärgriechisches Lexikon. Auffallend ist der Mangel an
byzantinischen Historikern und Chronisten.
Bei dieser flüchtigen Skizze müssen wir es vorerst bewenden lassen.
Da es, wie bemerkt, an umfassenden und verlässigen Vorarbeiten über
den Umfang der byzantinischen Lektüre fehlt, mag es nicht überflüssig
sein, zum Schlüsse noch die wichtigsten Hilfsmittel zu nennen, die bei
einer Untersuchung dieses Gegenstandes dienlich sein dürften. Den Aus-
gangspunkt bildet die Bibliothek des Photios; da jedoch die Auswahl
') Die näheren Umstände dieser ,Knt- ' (1885—89) 427.
fülining'' erzülilt nach dem Berichte von ; *) Carmina (»raeca niodii aevi S. 242
Augenzeugen J. Sakkolion, Jekiioy irji bis 247; imAthoscodex lautet der Titel: *v«A-
loioq. »ai i&voXoy. iiaiQias riyf 'FJAädoi 2 <ff(ßTjios »atayvxttxtj.
5. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 110.) 221
der hier beschriebenen Bücher auf Zufall und Willkür beruht, dürfen
natürlich nur aus seinen positiven Angaben, nicht aus seinem Schweigen
Schlüsse gezogen werden. Schwieriger wird die Prüfung der Frage bei
Suidas, Eustathios und Tzetzes. Die byzantinische Unsitte, alte Au-
toren aus zweiter oder dritter Quelle anzuführen, bereitet auf Schritt und
Tritt Fallstricke. Wie sehr diese Scheinzitate früher irregeführt haben,
lässt das eine grossartige Beispiel der Quellenuntersuchung des Suidas
immer deutlicher erkennen. Ausser diesen Hauptautoren kommen natür-
lich die Handschriften der alten Texte selbst in Betracht, dazu die Masse
byzantinischer Schollen, rhetorische Uebungsstücke, Briefe, selbst Geschichts-
werke und Chroniken. Aus diesen weiter abliegenden Quellen muss das
Material zum grössten Teil erst beschafft werden. Man sieht, welche
Summe philologischer Erudition eine erfolgreiche Untersuchung des Pro-
blems voraussetzt.
Bequemer liegen die Nachrichten in einigen Katalogen byzantini-
scher oder aus byzantinischer Zeit stammender Bibliotheken. Leider sind
von älteren Verzeichnissen griechischer Handschriften nur wenige bekannt
geworden und auch diese lassen sich an Reichtum des Inhaltes mit den
neuerdings massenhaft ans Licht gezogenen IJegistra abendländischer
Bibliotheken des Mittelalters nicht vergleichen. •) Hieher gehört das Bücher-
inventar des von Michael Attaliates 1077 gestifteten Klosters, das frei-
lich nur die notwendigsten kirchlichen Werke aufweist, dann ein aus dem
Jahre 1355 stammendes Verzeichnis der wichtigsten Handschriften der
Klosterbibliothek zu Patmos und der im Anfange des 18. Jahrhunderts
von Chrysanthos Nota ras abgefasste summarische Katalog der in den
Athosklöstern aufbewahrten Handschriften. Sehr merkwürdig sind die
zwischen 1565 und 1575 in verwahrlostem Neugriechisch geschriebenen
Kataloge einiger Privatbibliotheken in Konstantinopel und Bodos to
(Rhaedestos), Unter vielen anderen Kostbarkeiten verzeichnen sie die Ge-
schichtswerke des Ephoros, Theopompos, Philochoros und Eunapios,
endlich gar 24 Komödien des Menander mit einem Kommentar des Psellos
und die Komödien des Philemon, die ersteren sogar in zwei Exemplaren.
Leider ist die Glaubwürdigkeit dieser Freudenbotschaft aus vielen und ge-
wichtigen litterargeschichtlichen Gründen ernstlich zu bezweifeln. Wenn
es mir auch nicht möglich ist, auf meine Bedenken näher einzugehen, so
will ich zur Bezeichnung meines Standpunktes doch bemerken, dass ich
die auf die genannten Historiker und Komödiendichter bezüglichen Angaben
der Verzeichnisse für eine absichtliche Fälschung halte.*) Nach Grün-
den, die zu einer so plumpen Mystifikation führen mochten, braucht man
in jener Blütezeit der Schwindellitteratur und des Handschriftenhandels
nicht lange zu suchen. Immerhin wäre es eine dankenswerte Aufgabe,
diese Kataloge ausführlich durchzunehmen und zu kommentieren. Endlich
') Eine Sammlung lateinischer Biblio- ; trachtet. Auch K. Sittl glaubt dieselben
thekskataloge veröffentlichte Gust. Becke r, zur Widerlegung der Fabel von der Ver-
Catalogi bibliothecarum antiqui, Bonnae 1885. | brennung der Profandichter durch byzan-
^) Obschon selbst ein Forscher wie Fr. | tinische Theologen (s. S. 218) verwerten zu
Bücheier, Philologische Kritik, Bonn 1878 | dürfen. Berliner phil. Wochenschi. (Calvary)
S. 11, diese Kataloge als glaubwürdig be- \ 1890, 472.
222 Byzantinische Litteraturgescliichte. 1. Prosaische Litteratnr.
sind die heute noch auf ehemals byzantinischem Boden erhaltenen
Bibliotheken zu berücksichtigen. Die erste Stelle behaupten die grossen
Büchereien der Athosklöster; ') ihnen folgen die Bibliotheken auf Patmos,
auf dem Sinai, im alten Serai, in Chalke, in den Patriarchaten zu Jeru-
salem und Alexandria, in der evangelischen Schule zu Smyrna u. s. w.
Die Handschriften des Königreichs Griechenland sind jetzt in der Univer-
sitätsbibliothek zu Athen vereinigt und der Obhut des trefflichen J. Sak-
kelion anvertraut.
1. Alte Handschriftenkataloge: Das Bücherinventar des von Michael Attaliates
gestifteten Klosters ed. K. Sathas, Msaaiioy. ßißXio»ijxr] 1 (1872) 49 ff. Den alten
Katalog von Patmos edierte aus cod. Vatic. 120.5 A. Mai, Nova patrum bibliotheca, vol. 6
(Roniae 1853) pars 2, S. 537—539; darnach wiederholte ihn Migne, Patrol. Gr. 149 (1865)
1049 — 1052; endlich edierte ihn ohne Kenntnis von diesen Drucken W. Studemund,
Philologus 26 (1867) 167—173. — Katalog des Chrysanthos Notaras bei K. Sathas,
Meamojy. ßißXtoStjxtj 1 (1872) 271—284. — Die Kataloge der Privatbibliotheken in Konstan-
tinopel und Rodosto (um 1570) sind ed. von R. Foerster, De antiquitatibus et libris mss.
Cpolitanis, Rostock 1877. Dazu vgl. K. Sathas, Sur les commentaires Byzantins relatifs
aux comedies de Menaudre etc., Annuaire de l'assoc. 9 (1875) 187 — 222. — Aeltere Kata-
loge lateinischer imd griechischer Handschriften sind mitgeteilt von Leopold Delisle,
Le cabinet des mss. de la bibliotheque nationale, 4 voll., Paris 1868 — 1881 (s. den Index
des 3. Bandes). - Vgl. K. Boysen, Ein catalog der griechischen Mss. der bibliothek von
Fontainebleau, Philologus 41 (1882) 753 — 755. — Das Inventar der griechischen Hand-
schriften des .Johannes Laskaris. nebst einigen Briefen desselben ist mitgeteilt von Pierre
de Nolhac, Melanges d'archeologie et d'histoire de Te^cole fran?. de Rome 6 (1886)
251 — 274. — Zuletzt veröffentlichte noch zwei Kataloge aus den .Jahren 1572 und 1578
E. Legrand, Notice biographique sur Jean et Th^odose Zygomalas, Paris 1889 S. 137 155.
2. Gegenwärtiger Bestand: Die Bibliotheken der Athosklöster sind,
nachdem frühere Besucher wie Villoison, Fallmerayer, Minoides Mynas, E. Miller u. a.
einzelne Notizen mitgeteilt hatten, im Auftrage der griechischen Regierung von Sp. Lam-
bros genau inventarisiert worden. Der summarische Bericht desselben an die Kammer
("Ex.9fffK Tinos Tj/V ßovXtjy) wurde gleichzeitig zweimal ins Deutsche übersetzt, von August
Boltz, Die Bibliotheken der Klöster des Athos, Bonn 1881, und von Heinrich von
Rickenbach, Ein Besuch auf dem Berge Athos, Würzburg 1881. Von dem ausführlichen
Kataloge selbst ist wegen finanzieller Schwierigkeiten erst ein kleiner Teil gedruckt:
2':r. AdfiTiQog, Kan'cXoyog TcJf cV TccTg ßißXio!hjxcus tov dyiov oQOvg iXXt]»'. xüidlxtay, Töfiog «',
fxtQog «', 'Ef 'J&ijyaig 1888. — Katalog der Bibliothek im Kloster des hl. Johannes auf
Patmos: */. laxxeXltoy, IIuTfiiaxtj ßißXio97Jxt], 'Ey 'J&rjyuig 1890. — Sinaikloster:
V. Gardthausen, Catalogus codicum Graecorum Sinaiticorum, Oxford 1886. — Die
kühnsten Hoffnungen hatte man auf die bis vor kurzem in geheimnisvolles Dunkel gehüllte
Büchersammlung des alten Serai geknüpft, in der man Reste der Palaeologenbibliothek
vermutete. Wenn den Besuchern alles gezeigt worden ist, woran sich freilich noch zweifeln
lässt, so schwindet die erwartete Fülle auf einige Dutzend Handschriften bekannter Texte
(Polybios, Aristoteles' Zoologie, Taktiker u. s. w.) zusammen. Die besten Aufschlüsse über
die Seraihandschriften gab Fr. Blass, Hermes 23 (1888) 219-233; 622-625. — Die Hand-
schriften der „evangel ischen Schule" in Smyma beschrieb Ath. Papa dopu los
Kerameus, KctrdXoyog rwy ^eiQoyQÜtfioy t^s iy ^^vqi'h ßtßXiofh'jxtjg rrjq evuyyeXixij';
axoXijg, Smynia 1877. — Später unternahm Papadopulos Kerameus im Auftrage des
Fürsten Theod. A. Maurogordatos mehrere Reisen in der Türkei (Lesbos, Thrakien, Make-
donien u. s. w.), um die zerstreuten kleineren Bibliotheken zu durchforschen, und ver-
öffentlichte: MavQoyoQÖÜTEtog ßißXio<^tjxij fjroi ysvixog nsQiyQttrfixog xaxiiXoyog iiöy
iy TuTg uyti rtjy ('(yieToXrjy ßißXioStjxais evQtaxo^tywy eXXtjyixwy /eiQoy()(((fioy. Konstantinopol
1884 — 1886 als Beilage zum 15., 16. und 17. Bande der Publikationen des 'EXXtjy. <fiXoXoy.
avXXoyog. — Den Katalog des Msroxioy rov ii€(y«yiov ttiffov in Konst-iintinopel veröffent-
') lieber die Athosklöster existiert ! Athos, Paris 1889. — Zuletzt gab eine auf
eine ungeheuere Litteratur. Neuere Haupt- 1 selbständigen Forschungen beruhende Dar-
schriften: Victor Langlois, IjC mont Athos,
Paris 1867 (als Einleitung des Werkes:
(j^ographie de Ptolemee. reprod. photoiitho-
graph. et*-, sous la direction de M. Pierre
de S^wastianoff). — E. Miller, Le mont
Stellung der neueren Geachielite und des
gegenwärtigen Zustande» der Athosklöst4>r
Philipp Meyer, Zeit.schrift für Kirciieu-
geschicbte 11 (1890) 395-435.
5. Altertamswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§111.) 223
lichte K. Sathas. Meatticjy. ßißho9r,xfj 1 (1872) 287—312. — Bibliothek zu Athen:
G.P.Krem OS, KaTÜkoyos xtHy /eiQoyQiig^ioy Jt]g i&yixijg xai Tjjg rov nceyeniaTtjulov ßtßkio-
^ijxfjg. 4 voll., Athen 1876. - W. Reich, Ueber die Palimpseste der Universität^- und
Nationalbibl. in Athen. Festgruss an H. Heerwagen. Erlangen 1882 S. 91-101 (bespricht
8 bedeutungslose Palimpseste). — Ein vollständigeres Verzeichnis von Sammlungen griechi-
scher Handschriften im Morgen- und Abendlande gibt V. Gardthausen, Griechische
Palaeographie, Leipzig 1879 S. 430 440.
3. Eine Uebersicht über die byzantinischen Studien gab G. Bernhardy, Grundriss
der griech. Litteratur l* (1876) 680 ff. Vgl. auch die Prolegomena in seiner Ausgabe des
Suidas und für die Geschichte der Tragikertexte besonders U. von Wilamowitz -Mo eilen -
dorff, Euripides Herakles. Band 1 (Berlin 1889) 120-219.
111. Photios ((^ COT log). Nach der trostlosen Oede, welche im Gei-
stesleben der Byzantiner von der Mitte des 7. Jahrhunderts bis zum Aus-
gange des Bildersturmes herrschte, ersteht mit einem Male wie ein aus
wüstem Flachland emporragendes Berghaupt eine der mächtigsten Gestalten,
welche die Geschichte der griechischen Litteratur kennt, der Patriarch
Photios (c. 820 — c. 891). In einer mit Bildung gesättigten Epoche, etwa
im alexandrinischen Zeitalter oder in einem neueren Jahrhundert, könnte
eine so gewaltige rezeptive und produktive Thätigkeit weniger auffallen;
in seiner Zeit aber, der im Orient wie im Abendlande die zwei dunkelsten
Jahrhunderte des Mittelalters vorausgegangen waren, erscheint Photios dem
histoiuschen Beobachter als eine staunenswerte, in ihrer Entstehung fast
rätselhafte Grösse. In seiner rastlosen und folgenreichen praktischen
Wirksamkeit vielleicht noch bedeutender als in seiner litterarischen
Thätigkeit ist Photios ein Mann, der sich schwer nach allen Richtungen
hin mit gleicher Sorgfalt studieren und noch schwerer in der Gesamtheit
seines Wesens mit objektiver Schärfe darstellen lässt. Seine kirchenge-
schichtliche Stellung kann hier kaum angedeutet werden, und auch von
seiner litterarischen Thätigkeit muss dem Plane unseres Werkes gemäss
gerade das Gebiet, auf welchem sein mannigfaltiges Talent vielleicht die
grössten Triumphe feiert, das theologische, über Gebühr zurücktreten.
Photios wurde als Sohn vornehmer Eltern, die wegen ihrer Ortho-
doxie von den Bilderstürmern viel Schlimmes zu erdulden hatten, um das
Jahr 820 (jedenfalls nicht nach 827) zu Konstantinopel geboren.')
Von väterlicher Seite war er mit dem Patriarchen Tarasios (f 806) ver-
wandt. Sein Vater verlor im Bilderstreit Vermögen und Aemter; doch
war die Verfolgung der Familie offenbar keine derartige, dass sie den
jungen Photios in seiner Ausbildung hätte nachhaltig behindern können.
Von seinen Lehrern hören wir nichts, umsomehr von seinen zahlreichen
Schülern. Kaum den Studienjahren entwachsen fühlte Photios das Be-
dürfnis, andere heranzuziehen und sein ungeheueres Wissen fruchtbar zu
machen. Der echt byzantinische Zug der philologischen Lehrmei-
ster ei, dem sich zuweilen etwas Pedanterie beigesellt, hat sich bei Photios
bis ans Ende seines Lebens als hervorragende Eigenschaft erhalten. Ueberall
hebt er die grammatische Genauigkeit hervor und korrigiert die Sprach-
fehler seiner Freunde auch noch als Patriarch und im Exil. Als Lehrer
*) In der antischismatischen Partei kamen , Magister überlieferte, sagenhafte Berichte in
über seine Herkunft, seine Geburt und sein | Umlauf, die von der neueren Forschung mit
Leben verschiedene, namentlich von Symeon \ Recht zurückgewiesen worden sind.
224 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
erklärte Photios, dessen Haus ein Sammelplatz wissbegieriger Jünglinge
wurde, die Kategorien des Aristoteles, die Streitfragen über die Gattungen
und Arten, über die Körper und die Ideen, Auch verfasste er zum Scluil-
gebrauche dialektische Lehrbücher, namentlich über die Topik, und ver-
handelte mit seinen Schülern theologische und philologische Gegenstände.
Auch nachdem Photios zu hohen Staatsämtern berufen war, gab er seine
Lehrthätigkeit nicht auf. Seine Wohnung blieb ein Sammelplatz für rege und
wissbegierige Geister, ein Salon feinerer Bildung. Der unermüdliche Herr
des Hauses Hess aus Büchern vorlesen, die er nach Inhalt und Form be-
urteilte; er belehrte, ermunterte und tadelte die Einzelnen mit Geduld und
Umsicht.') Von seinen Hörern verlangte er — auch hierin der echte
Typus eines feurigen Schulhauptes — unbedingte Unterwerfung, sogar
schriftliche Versprechen künftigen Gehorsams. Die Vielseitigkeit der wissen-
schaftlichen Bildung des Photios, seine unermüdliche Arbeitskraft und seine
geistige Beweglichkeit wurden von allen, selbst von seinen Gegnern, rück-
haltlos anerkannt. Er studierte ganze Nächte, sammelte von allen Seiten
Bücher und erwarb sich einen Schatz von Kenntnissen, durch die er nicht
nur seine Zeitgenossen übertraf, sondern auch mit den Alten wetteifern
konnte. In seinen philosophischen Studien bevorzugte Photios den Ari-
stoteles; für Plato hat er in seinem durchaus realistischen Denken weniger
Verständnis und tadelt an ihm Widersprüche, Unlauterkeiten und phanta-
stische Ideen. 2) Für die dialektischen Arbeiten insbesondere schloss sich
Photios an Porphyrios, Ammonios und Johannes von Damaskos an.
Einseitigkeit der Bildung könnte dem Photios nur in einer Hinsicht vor-
geworfen werden; er verstand keine andere Sprache als die griechische,
auch nicht lateinisch und hebräisch. Diese Thatsache erklärt sich aber
völlig aus der damals noch weltbeherrschenden Stellung des oströmischen
Staates. Kenntnis fremder Sprachen war in Byzanz etwas sehr Ungewöhn-
liches, und die Mittelgriechen sind in dieser Beziehung echte Söhne ihrer
Altvorderen, welche die stolze Genügsamkeit mit ihrer eigenen Litteratur
und Kultur niemals abgelegt haben.
Durch wissenschaftliche Bildung und praktische Lebenserfahrung im
hohen Masse ausgezeichnet musste Photios um so mehr Aussicht auf die
höchsten Würden des Reiches haben, als er auch mit dem Kaiserhause
verwandt war; die jüngste Schwester der Kaiserin Theodora, die Prin-
zessin Irene, war mit dem Bruder des Photios, dem Patrizier Sergios,
vermählt. Nach dem Sturze des Patriarchen Ignatios wurde Photios,
obgleich er Laie war, zu seinem Nachfolger ausersehen. In sechs Tagen
erhielt er alle Weihen bis zur bischöflichen und bestieg hierauf (857) den
Patriarchenthron; die noch immer zahlreiche Partei des Ignatios wurde
von den Photianern aufs grausamste verfolgt. Nach langen Verhandlungen
und Pcchtfertigungsver.suchen wurde Photios vom l'apste, dem die Schlich-
tung des Streites beider Parteien oblag, verworfen und endlich, sobald
Basilios der Makedonier zur Regierung gelangte (867), auch wirklich
') Welches Behagen er an der Ausübung 1 Migne 102, 597).
seines Jjehrberufes fand, verrät z. B. der I '■') Bibliothek, cod. 37. 'J4'J.
Brief an Papst Nicolaus vom Jahre 861 (ed.
5. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 111.) 225
abgesetzt. Ignatios bestieg nun zum zweiten Male den Patriarchenthron.
Doch Hess sich Kaiser Basilios im Laufe der Jahre von Photios, obschon
derselbe durch eine Synode in Rom (869) auch noch anathematisiert worden
war, wieder gewinnen. Er ernannte ihn sogar zum Erzieher seines Sohnes
Leo, und nach dem Tode des Ignatios (877) wurde Photios zum zweiten
Male auf den Patriarchenthron erhoben. Um seine Stellung zu befestigen
und endlich allseitige Anerkennung zu erringen, hielt er 879 — 880 eine
glänzende Synode ab, vermochte aber auch jetzt die Zustimmung Roms
nicht zu erlangen und wurde 881 vom Papste Johannes VIII abermals
anathematisiert. Hiedurch ward die Stellung des Patriarchen auch in
Konstantinopel aufs neue erschüttert. Sobald des Basilios Sohn Leo zur
Regierung gelangte, setzte er den Photios ab und relegierte ihn in ein
Kloster (886). Ueber die letzten Lebensjahre des viel gefeierten und
viel verfolgten Mannes wissen wir nichts Sicheres; er starb nach alten,
aber nicht ganz verlässigen Xotizen im Jahre 891 im Exil. Unter seinen
litterarischen Arbeiten findet sich nichts, was mit Bestimmtheit in die Zeit
nach seiner zweiten Absetzung verwiesen werden könnte. Erst in einem
späteren Jahrhundert nahm die griechische Kirche den Photios unter ihre
Heiligen auf; in den älteren Menäen fehlt sein Name, der jetzt am
6. Februar gefeiert wird. Die weltgeschichtliche Bedeutung des
Photios beruht in seiner Thätigkeit als Patriarch und besonders in seinem
Kampfe mit dem Papste; denn in diesem liegen die wichtigsten Keime der
Spannung zwischen dem griechischen Patriarchat und der römischen Kirche,
welche unter Michael Kerularios im Jahre 1054 in der völligen Tren-
nung beider Kirchengemeinschaften ihren Abschluss fand. Hier ist nm- die
Stellung des Photios in der byzantinischen Litteraturgeschichte zu
würdigen. Die Aufzählung seines reichen Nachlasses soll durch die pro-
fanen Schriften eröffnet werden.
1. Das Werk, welches den Namen des Photios vor allem bekannt
gemacht hat, ist seine gemeinhin sogenannte Bibliothek oder das Myrio-
biblon. Der handschriftliche Titel, dessen Echtheit übrigens mit guten
Gründen angezweifelt wird,^) lautet: 'AnoyQutfi] xal avvaqiO^^^ir^aig t(Öv dvs-
YVtaafiirwv yto- ßißXmv, wv elq xtifakctuödr^ diciyvioair 6 i]yani]f.itvoq i]uiov
ttöt).(f6c TaQÜaiog e^ijTi'jCaTO ' ton 6t ravra tixoGi dtörzuiv iif ivl xqiaxoaia.
Ueber die Veranlassung dieser grossartigen Bibliographie spricht Photios
selbst in dem Widmungsbriefe. Sein Bruder Tarasios hatte Mitteilungen
über die Bücher verlangt, welche während seiner Abwesenheit in dem ge-
lehrten Kreise des Photios vorgelesen und diskutiert worden waren; zu-
gleich sollte der Sitzungsbericht dieser byzantinischen Privatakademie dem
Tarasios ein Trost sein für die schmerzliche Trennung vom Bruder, der
sich damals zur Gesandtschaftsreise nach Assyrien rüstete. Dazu bemerkt
Photios, er habe die Bitte des Tarasios wohl später erfüllt, als jener ge-
wünscht, aber wohl schneller und früher, als ein anderer es vermocht hätte.
Aus diesen Angaben geht hervor, dass Photios die Bibliothek noch als
Laie und vor seiner Reise in den Orient, also sicher noch vor dem Jahre
') S. L. Dindorf. Jahns Jahrb. 103 (1871) 362.
Handbuch der Uass. Altcrtumswlswnscbaft. IX. 1. Abtlg. lÖ
^
226 Byzantinische Litteratnrgeschichte. L Prosaische Litteratur.
857 verfasste. Eine Anordnung der Berichte über die gelesenen Bücher
nach bestimmten Litteraturgattungen ist nicht bemerkbar. Photios schrieb
seine Urteile offenbar in der Reihenfolge nieder, wie er die Bücher zu-
fällig las oder wie ihm die Erinnerung an die Lektüre ins Gedächtnis kam,
und so ist uns auch das Werk überliefert. Eine Fortsetzung, die er
seinem Bruder Tarasios in Aussicht stellt, ist wohl durch andere Arbeiten
und besonders durch sein Patriarchat verhindert worden. Die Bibliothek
zerfällt nach der Zahl der von Photios gelesenen Bände in 280 Kapitel,
die gewöhnlich als , Codices" zitiert werden. Ueber die einzelnen Schriften
gibt Photios bald kürzere, bald längere Referate, zuweilen auch grössere
Auszüge und dazu eine Kritik nach Form und Inhalt. Wie wir über den
Umfang der in der Bibliothek niedergelegten Gelehrsamkeit staunen, so
bewundern wir noch mehr die überraschende Schärfe, die Selbständigkeit
und die Präzision der Urteile. Photios ist der einzige Byzantiner, der in
dieser Beziehung ohne Zweifel mit Aristoteles verglichen werden darf. Im
Inhalt der in die „Bibliothek" aufgenommenen Bücher spricht sich der
realistische Grundcharakter des Photios nicht minder aus als in seinen
übrigen Schriften und in seiner ganzen Wirksamkeit. Es ist bezeichnend,
dass von allen Litteraturgattungen nur die ausgeschlossen ist, welche wir
am schmerzlichsten vermissen, nämlich die Poesie (nur metrische Para-
phrasen biblischer Bücher werden erwähnt). Im übrigen lesen wir in bunter
Reihenfolge Berichte über Grammatiker, Redner, Historiker, Naturforscher
und Aerzte, selbst über Romane, über Konzilien, Märtyrerakten, Heiligen-
biographien u. s. w.; von lateinischen W^erken sind nur solche berücksich-
tigt, die in griechischer Uebersetzung bekannt waren, wie Gregor der
Grosse (übersetzt von Zacharias, cod. 252). So erhalten wir, wenn wir
z. B. die Geschichtschreiber ins Auge fassen wollen, durch Photios
Fragmente des Hekataeos von Milet, des Ktesias, des Theopompos von
Chios, des Diodor, des Arrian, des Phlegon von Tralles, des Nonnosos.
Sehr reichhaltig sind die Referate über die griechischen Rhetoren, be-
sonders über die zehn attischen Redner, dann über Werke der Philo-
sophie, Medizin und Naturwissenschaft; von hervorragender Wich-
tigkeit sind endlich die ausführlichen Mitteilungen über christliche
Schriftsteller, so über kirchengeschichtliche, dogmatische, exegetische
und asketische Werke. Dagegen fehlen ausser den Dichtern die meisten
alten Philosophen, wie Plato, Xenophon, Aristoteles, die grossen Historiker
wie Thukydides, Polybios und Plutarch, Autoren wie Pausanias und Hi})-
pokrates, auch viele wichtige christliche Schriftsteller. Photios wollte eben
keine Litteratnrgeschichte geben, sondern eine Reihe von Essays; schon
deshalb konnte er die bekanntesten Autoren weglassen. Ueber sie, die
jedem Gebildeten ohnehin bekannt waren, schienen ihm solche Berichte
nicht notwendig; ausserdem darf man nicht vergessen, dass Photios dem
Verlangen seines Bruders gemäss imr über die Bücher berichten wollte,
welche während der Abwesenheit desselben in dem gelehrten Kreise des
Photios vorgelesen oder diskutiert worden waren. Uebrigens ist diese
Angabe selbst schwerlich ganz wörtlich zu nehmen; um die 280 Bände,
welche die Bibliothek umfasst, vorzulesen und zu erörtern, wären viele
5. AltertumswisBenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§111.) 227
Jahre nötig gewesen. Photios wird wohl über manche Werke seinen
Hörern nur das Ergebnis seiner privaten Lektüre mitgeteilt haben.
2. Das zweite Werk des Photios, welches der Altertumswissenschaft
angehört, ist sein Lexikon. Der ursprüngliche Titel in der Widmung an
Thomas lautete wahrscheinlich At^twv awayioyi]: die uns überlieferte
breite Ueberschrift : (Dcotiov tov uyionäiov nazQiuoxov KnökeüK ki^euiv avva-
ycoyi'^, tti /naXXov rwv aXXoiv or^roQüi xai Xoyoyoäcfoig dn^xovati' fig xq^iav.
Jlgoaneffohr^Tai dt 0(o^ct noünoanai^aQifft xai aoxovri tov Avxogtouiov,
oixfifo ncid^r-ifi ist, wie auch die zwei noch folgenden Proömien, welche
zum Teil diesen Titel wiederholen, oifenbar Machwerk eines Abschreibers.
Für dieses Wörterbuch darf Photios wohl nur in geringem Masse verant-
wortlich gemacht werden; ein Mann, der litterarisch und praktisch so un-
geheuer in Anspruch genommen war, hatte kaum Zeit und Lust, aus einigen
älteren Wörterbüchern ein neues zusammenzuflicken, ein Unternehmen, bei
welchem die rein mechanische Arbeit immerhin einige Monate in Anspruch
nehmen musste. Für solche Dinge hatte Photios seinen Abschreiber oder
seine ihm blind ergebenen Schüler, deren Abhängigkeit sich gewiss auch
auf solche praktische Dienstleistungen erstreckte. Photios selbst wird
seinem Amanuensis die nötige Anleitung gegeben und die erforderlichen
Bücher zur Verfügung gestellt haben. Die Abfassungszeit des Werkes
wird gewöhnlich in die Jünglingsjahre des Photios verlegt, weil er in den
Quaest. Amphiloch. ') nach einem grammatisch-semasiologischen Exkurse
bemerkt: oia di] xai r^mv eTTQäxd^i^ ti]v tmv iieiQaxion- r^Xixiar. Allein diese
Worte lauten viel zu unbestimmt, um sie mit Sicherheit auf unser Lexikon
zu beziehen. Photios sagt seinem Adressaten damit nur, dass er sich in
seiner Jugend viel mit solchen grammatisch-lexikalischen Dingen beschäftigt
habe, wie sie in der genannten Quaestio Amphiloch. vorkommen. Wollte
er auf ein bestimmtes Werk hindeuten, so hätte er sich genauer aus-
gedrückt. Dass Photios das Lexikon in einer späteren Zeit, zum
wenigsten nach der Bibliothek, abfasste oder vielmehr abfassen Hess,
dafür haben wir ein positives Zeugnis in der Bibliothek selbst. Er er-
wähnt dort das Lexikon des Pausanias als gelesen und bemerkt dazu,
wenn man die zwei Redaktionen des Aelios Dionysios mit Pausanias ver-
einigte, so käme ein zum Studium der attischen Werke höchst brauchbares
Hilfsmittel zu stände: El dt' rig extfiaic raTc dvaiv exöoosaiv xai xr^v Ilav-
aariov iyxaTara^ac iv untQyäaairo acrrayiia [qcc(Ttoi' dt tm ^ov/o/ifiw),
oinog av th] xo xäXXiaxov xai XQ\(^t!.i(öxaTor xoTg drayiyrwaxovai xdg 'Axxixdg
ßißXovg aTrovdafffxa tlfffvr^vsyi^itvogj) So hätte sich Photios schwerlich
ausgedrückt, wenn sein Lexikon damals schon existiert hätte; denn in
demselben ist eben die an der angeführten Stelle der Bibliothek vorge-
schlagene Zusammenfassung der erwähnten älteren Werke wirklich voll-
zogen. Photios hat den Plan, welchen die Kenntnisnahme der erwähnten
lexikalischen Werke in ihm erweckte und den er an der genannten Stelle
der Bibliothek ausspricht, wohl bald darauf selbst mit einigen Erweiterungen
ausgeführt bzw. durch einen seiner Schüler ausführen lassen. Der Zweck
•) Qaaest. 21, cap. 1 = ed. Migne *) Cod. 153. Aehnliche Bemerkungen
t. 101, 15:3. ; auch noch cod. 152. 155.
15*
228 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
des Lexikons ist nicht etwa ein wissenschaftlicher, sondern ein durchaus
praktischer; es soll als Hilfs- und Nachschlagebuch die Lektüre der
älteren, besonders der klassischen Autoren, sowie auch der heil. Schriften
erleichtern, weshalb auf die attischen Ausdrücke, die damals nicht mehr
verstanden wurden, besondere Aufmerksamkeit verwendet wurde. Uebri-
gens sollen der Vorrede gemäss nicht alle, sondern nur die wichtigeren
und häufig vorkommenden Wörter erklärt werden. Selbstverständlich beruht
die eigentliche Bedeutung des Werkes wie aller grammatischen Schriften
der Byzantiner nur auf den Quellen, die ihm zu Grunde liegen. Eine
völlig sichere Bestimmung derselben stösst auf grosse Schwierigkeiten, weil
die Vorlagen nur zum Teil erhalten sind.') Das Ergebnis der bisherigen
Forschung ist im allgemeinen folgendes. Die wichtigsten Quellen, aus
welchen Photios das Lexikon kompilieren liess, sind das Lexikon des
Harpokration, welches in verkürzter Form aufgenommen ist, und das
Wörterbuch des Diogenianos bzw. ein Auszug aus demselben; dazu
kommen zwei Redaktionen der uns verlorenen hochwichtigen 'ATtixüir 6ro-
/tarwr Xoyoi nivre des Aelios Dionysios (aus der Zeit des Hadrian) und
des Pausanias Ae'$ixdv xard (TToixerov; ferner das platonische Wörter-
buch des Timaeos und die zwei platonischen Lexika des Boethos. Für
die homerischen Glossen diente das Lexikon des Apion, freilich nicht des
alten, echten Apion, der unter Tiberius zu Rom als Homererklärer berühmt
war, sondern ein später mit seinem Namen geschmücktes, unbedeutendes
Werk; ausserdem die Homerlexika des Heliodoros und des ApoUonios
und ein mit dem Lexicon Bachmannianum eng verwandtes, nicht erhaltenes
Werk. Von geringer Wichtigkeit ist die Frage nach der Quelle der meist
dürren Glossen aus der heiligen Schrift.
Das Lexikon des Photios überliefert uns eine einzige, zudem höchst
lückenhafte Handschrift, der früher im Besitze des Thomas Gale be-
findliche und nach ihm benannte Codex Galeanus, geschrieben um das
Jahr 1200 (jetzt in Cambridge). Zur Ergänzung der ausgefallenen Stücke
dient zum Teil die von Bekker-Bachmann edierte .Z^i'>«ywy/J h'^ecor XQ'r
aifio)i' im cod. Coislin. 345, welche auf ein auch von Photios benutztes
älteres (dem Coisl. 347 sehr ähnliches) Lexikon zurückgeht. Später wurde
das Lexikon des Photios von dem Autor des Etym. Magnum benützt,
Auch Suidas, der ungefähr um dieselbe Zeit wie der Verfasser des Etyi
Magnum schrieb, hat das durch den Namen des grossen Patriarchen em-
pfohlene Lexikon zweifellos gekannt; doch scheint er auf dasselbe kein
grosses Vertrauen gesetzt zu haben; denn er benützte dasselbe höchstens
in einzelnen Partien, obschon auch das noch unentschieden bleibt. In der
Hauptsache verwertete er wohl sicher nicht den Photios selbst, sondern
teils gemeinsame Vorlagen wie Harpokration, teils eng verwandte Quellen.
So ist die grosse Uebereinstimnmng zwischen Photios und Suidas zu er-
klären. Von dem Lexikon des Photios stehen nur etwa zwei Drittel auch
bei Suidas. Dass nun aber gerade das fehlende Drittel hauptsächlii-h
auf eine bestimmte Quelle, auf das fünfte lexicon Coislinianum (345)
') Kinen Anhaltspunkt gewähren die { ihm .gelesenen' WörterbUclier, liibliuthok
eigenen Notizen des Photios Qbcr die von cod. 151 — 15') und sonst.
B.Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren n. Scholiasten. (§111.) 229
zurückgeht, kann unmöglich Zufall sein: es erklärt sich nur dadurch, dass
Suidas nicht den Photios selbst, wenigstens nicht unsere Redaktion des
Photios, benützte. An Bedeutung für die Philologie stehen die Bibliothek
und das Lexikon des Photios ohne Zweifel obenan; wenn wir aber die
gesamte litterarische Thätigkeit des Mannes betrachten, so nehmen sie
einen geringen Raum ein. Das Hauptgewicht seiner schriftstellerischen
Wirksamkeit fällt vielmehr auf seine theologischen Werke. Sie ge-
hören dem reiferen, durch Erfahrung belehrten Alter an; in ihnen hat
Photios die Ergebnisse seiner früheren Studien in abgeklärter Form nieder-
gelegt. Die erste Stelle unter ihnen gebührt den
3. Amphilochia oder Quaestiones Amphilochianae. Das ist
eine an den Metropoliten von Kyzikos, Amphilochios, gerichtete und nach
ihm benannte Sammlung von Abhandlungen und Miszellen über Fragen
aus der hl. Schrift, über dogmatische, exegetische, mythologische, philo-
sophische, grammatische, historische und andere Dinge. Die Mehrzahl der
Stücke (über drei Viertel) ist freilich exegetischen Inhalts. Die Zahl der
uns bekannten Amphilochien beträgt im ganzen 326, nach anderer Zählung
333. Photios selbst nennt in seiner Vorrede in runder Zahl 300 Fragen,
die ihm sein Freund vorgelegt; auch entnehmen wir aus der Vorrede, dass
Photios selbst etwa 300 Quästionen zu einem Corpus vereinigte. Die meisten
Amphilochien entstanden in der Zeit des ersten Exils, also nach 867;
denn wir finden darin vielfach Klagen über äussere Bedrängnis, über Mangel
an Büchern und Abschreibern, über die Schwere der Verfolgung. Das
ganze Corpus trägt das Gepräge des Zufälligen, ohne strengen Plan Ent-
standenen; es ist wie die Bibliothek eine Sammlung von Essays ohne
systematische Ordnung und ohne Gleichheit der Behandlung. Auch inhalt-
lich sind die Amphilochien das Seitenstück zur Bibliothek: eine Antho-
logie über theologische und andere wissenschaftliche Fragen. Nicht selten
hat Photios nach byzantinischer Sitte umfangi'eiche Stücke älteren Autoren,
ohne ihren Namen zu nennen, wörtlich entlehnt; 32 seiner exegetischen
Abhandlungen sind sogar oft ganz wörtlich aus Theodor et vonKyrrhos
herübergenommen, i)
4. Die historischen und dogmatisch-polemischen Schriften des
Photios sind vier Bücher gegen die byzantinische Sekte der Pauli-
cianer oder neuen Manichäer, worin er besonders aus einem jetzt ver-
lorenen Werke des Georgios Hamartolos über denselben Gegenstand
schöpfte, und eine Sammlung von Streitschriften gegen die Lateiner.
Der unter denselben befindliche Traktat: JleQi rwv (pQÜyyoiv xal toJv Xoinwv
Aativon' kann jedoch unmöglich in der uns überlieferten Gestalt eine Arbeit
des Photios sein: ja er ist wahrscheinlich überhaupt erst nach der Kirchen-
trennung (1054) verfasst.
. 5. Die gewöhnlich dem Photios zugeschriebene, im Jahre 883 voll-
endete Bearbeitung des Nomokanon-) wird ihm neuerdings abgesprochen
') Hergenröther III 43. gelehrte Theodor Balsamon. von dem
^) Einen Kommentar zum Nomokanon auch sonstige kirchenrechtliche Schriften wie
des Photios (?) schrieb um 1150 im Auftrage Scholien zu Konzilien, kanonistische fieXeiai
des Manuel Komnenos der berühmte Rechts- u. a. erhalten sind. Einige Briefe des Balsa-
230 Byzautinlsche Liiteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
(s. § 19 Anm. '^). Sicher aber erlangte Photios einen erheblichen Einfluss
auf das orientalische Kirchenrecht durch die von ihm herausgegebenen
Synodaldekrete und durch kanonische Briefe oder Dekretalen. Die
von ihm 861 und 879 — 880 gehaltenen Synoden, die er auch den Kanones-
Sammlungen einverleibte, erlangten nach und nach fast ökumenisches An-
sehen. Photios wollte nicht bloss Gesetzsammler, sondern auch Gesetz-
geber sein. 6. Bibelkommentare. lieber die Echtheit der dem Photios
zugeschriebenen Stücke dieser Art herrschen viele Kontroversen; am besten
gesichert sind wohl die Scholien zu den Briefen des hl. Paulus. Ein Stück
flg Tov Aovxciv eQfir^rfiag bei A. Mai, Scriptor. vet. nov. coli. I 189 ff.
7. Von seinen geistlichen Reden (Homilien) ist wenig erhalten und noch
weniger gedruckt; verzeichnet sind bis jetzt 22 Nummern. Eine der ge-
druckten Homilien bezieht sich auf die Einweihung der von Basilios dem
Makedonier im Kaiserpalaste erbauten Basilika.^) Historisch wichtig sind
die zwei Homilien Elg Ttjv i'(fo6ov rwi- 'Paig. Sie bezie'ien sich nämlich
auf den Ueberfall Konstantinopels durch die Russen 865 und ge-
hören zu den ältesten Zeugnissen von den Unternehmungen der nordischen
Slaven gegen das byzantinische Reich. 8. Briefe des Photios sind bis
jetzt etwa 263 bekannt geworden. Es sind Höflichkeits-, Empfehlungs-
und Trostschreiben; manche enthalten auch Warnungen und Strafpredigten,
andere wiederum behandeln gelehrte Fragen; von den letzteren wurden
71 Stücke unter die Quaestiones Amphilochianae eingereiht. Bei der
Beurteilung der Briefe ist nicht zu übersehen, dass sie in Form und In-
halt sehr verschieden sind nach der Stimmung des Autors, nach der
Person, an die er schreibt, und nach dem Zwecke, den er verfolgt. Dass
Photios das weitschweifige Pathos und die schwülstige Fülle der Byzan-
tiner auch hiei .licht verleugnet, kann nicht auffallen; denn das ist dem 1
Byzantiner eine nationale Eigentümlichkeit, ein völlig elementarer Zug, "
von dem er sich nicht frei machen kann. Aber sicher zeigt sich Photios
in den Briefen als gelehrter, welterfahrener, vielseitiger, gewandter, witziger
und stets überlegener Schriftsteller. Mehr noch als die mit theologischen
Diskussionen erfüllten Schreiben, welche uns ein lebendiges Bild der kirch-
lichen Streitigkeiten entrollen, gefallen die kleinen Gelegenheitsbillete, die M
durch Witz, Kürze und Präzision oft zu wahren Kabinetstücken werden, %
z. B. das feine Briefchen an den schlechten Klosterküchenmeister Georgios.')
9. Die Abneigung des durchaus realistisch angelegten Patriarchen gegen
die Poesie wurde schon bei der Besprechung seiner Bibliothek erwähnt. So
kann es uns denn nicht wundern, wenn die wenigen Versifikationen,
die unter seinem Namen gehen, nur als unbedeutende Versuche erscheinen.
Drei Oden des Photios enthalten devote Schmeicheleien gegen den Kaiser
Basilios. Auch wird ihm ein ^nxr^QÖv auf den Patriarchen Methodios zu-
geteilt. Sehr zweifelhaft sind Epigramme und einiges andere; s. Fabricius,
Bibl. Gr. ed. Harl. 11, 32. 10. Endlich hat Photios auch der alten Spruch-
weisheit seine Aufmerksamkeit zugewendet. Gnomen finden sich zer-
streut in seinen Werken, be.sonders in seinen Briefen; ausserdem aber
mon ed. E. Miller, Annuaire de l'association | ') Kd. Migne 102, 664—574. Vgl. § 79.
poor l'eocour. des 6t Gr. 18 (1884) 8—19. | >) Ed. Valettas S. 248; ed. Migne S. 872.
5. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 111.) 231
haben wir von ihm eine eigene Spruchsammlung: IIctQcuvtaic 6id yvoiiio-
Xoyiag, die 214 kürzere und längere Stücke enthält. Ihr Verhältnis zu den
zahlreichen sonstigen Sammlungen griechischer Sentenzen scheint noch nicht
genügend untersucht, i)
11, Unsicheres und A'erlorenes. Mit den hier aufgezählten Wer-
ken ist die Summe der litt^rarischen Thätigkeit des Photios nicht erschöpft;
doch ist nichts Wichtiges übergangen worden. Manchen an verschiedenen
Orten zerstreuten, besonders theologischen Stücken scheint der Name des
Photios erst später zur grösseren Zierde vorgesetzt worden zu sein. S.
die Zusammenstellung dieser Dinge bei Hergenröther III 242—258. End-
lich ist ein Teil der sicher als photianisch bezeugten Werke verloren ge-
gangen oder wenigstens bis jetzt noch nicht ans Tageslicht gekommen;
dieses Schicksal traf viele seiner Reden, mehrere Gedichte und wohl
auch einen Teil seiner biblischen Exegesen. Auch vermissen wir die
genaueren Akten seiner ersten Synode und manche Akten aus seinem
zweiten Patriarchat. Endlich sind ganz oder grösstenteils verloren: eine
Schrift gegen Kaiser Julian, die Photios selbst erwähnt, eine andere
gegen Leontios von Antiochien, welche Suidas anführt; mehrere dia-
lektische und philosophische Abhandlungen über Plato und Aristo-
teles, die er vor seiner Patriarchenzeit zum Gebrauch seiner Schüler ver-
fasste;^) wahrscheinlich auch ein Werk über Widersprüche in den
römischen Rechtsbüchern.
Ausgaben und Hilfsmittel: 1. Eine Gesamtausgabe der Werke des Photios
lieferte unter Mitwirkung des gelehrten Bischofs von Brügge J. B. Malou und des Kardinals
J. Hergenröther Migne. Patrologia Graeca 101 — 104, Paris 1860. Hier findet man die
Schriften des Photios mit Ausnahme des Lexikons fast vollständig in ziemlich lesbarer
Form (schlecht und fehlerhaft ist nur der Nomokanon abgedruckt) ; dazu auch Notizen über
die meist sehr zerstreuten älteren Einzelausgaben. Wir nennen daher im folgenden
nur noch die wichtigste neuere Litteratur. — Zur Ergänzung dienen die Monumenta Graeca
ad Photium eiusque historiam pertinentia ed. J. Hergenröther. Ratisbonae 1869. Sie
enthalten dialektische Stücke Jleqi rov yirovg, Tisoi etdovg, TteQi diacpogag, negi idiov u. s. w. ;
das Fragment einer Homilie, die TlttQaiveaig JV« yv<ouoi.oyiag und einige auf den Bilderstreit
und das Schisma bezügliche Schriften teils von Photios, teils von anderen Byzantinern.
2. Bibliothek: Nach älteren Drucken ed. Imm. Bekker, 2 voll., Berlin 1824;
verbesserter Text mit einem Index. Migne gibt neben dem Bekker'schen Text die alte
lateinische ^'ersion von Schottus, ohne deren Fehler zu korrigieren. Eine noch ungedruckte
lateinische Uebersetzung mit Noten, die der Grieche Antonios Katiphoros abfasste,
liegt in der Markusbibliothek zu Venedig (Catal. opp. class. 11 opp. Photii tom. VU). —
Bekker benützte vier Handschriften der Bibliothek, andere zählt Hergenröther, Photius
Hl 13 und Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 10. 682 auf; vgl. ebenda 10, 678—776 und 11,
1 — 10. — A^gl. Rud. Ballheimer, De Photi vitis decem oratorum, Bonner Diss. 1877. —
Ant. Elter. De Joannis Stobaei codice Photiano, Bonner Diss. 1880.
3. Lexikon: Ed. pr. G. Hermann mit dem Lexikon des Zonaras, vol. 111, Leipzig
1808 (nach einem Apographum des Codex Galeanus und einer Dresdener Handschrift). —
Die erste Ausgabe nach dem Galeanus selbst besorgte P. Dobree mit Benützung der Vor-
arbeit von Person: Photii lexicon e codice Galeano descr. R. Porsonus. Londini 1822.
Davon erschien ein billiger Nachdruck. Leipzig 1823. — Besprechung dieser Ausgabe von
G. Bernhardy, Hallesche Literaturzeitung 1825 N. 77; 78. — Jetzt benützt man die
mit holländischer Gründlichkeit gearbeitete Ausgabe von S. A. Naber, 2 voU.. Leidae
1864 — 65 (mit ausführlicher Einleitung über die Quellen, kritischem Kommentar und wert-
vollen Indices). — Emendationen von G. Cobet. Mnemosyne 7 (1858) 475 ff.. 8 (1859)
18 ff., 9 (1860) 399 ff., 10 (1861) .50 ff. — L. Dindorf. Ueber Photius Lexikon und Biblio-
thek, Jahns .Jahrb. 103 (1871) 361—369. — M. Haupt. Opuscula H (1876) 421 ff. — Ueber
') S. Hergenröther IH 240 ff. I Fragmente im cod. Monac. 222.
^) Vielleicht gehören zu denselben einige
232 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
das Verliältnis zu den riatoscholien und zu dem r>. IJekker'schen und zum Bachmann'schen
Lexikon s. L. Colin, Jahns Jahrb. 18. Supplementb. (1882 — 84) 794 ff. — lieber die Frage,
ob Suidas das Lexikon des Photios selbst oder dessen Vorlagen benützt hat, handelt be-
sonders P. Roellig, Quae ratio inter Photii et Suidae lexica int^rcedat, Halle 1887 =
Dissertat. philol. Halenses vol. 8, 1 — 67; hier ist auch sonstige auf die Frage bezügliche
Litt«ratur verzeichnet. Vgl. auch §§ 127. 130.
4. Amphilochien: Nach verschiedenen Ausgaben einzelner Gruppen (durch Mont-
faucon, Wolf, Scottus, A. Mai u. a.) ziemlich vollständig von Malou und Hergenröther bei
Migne, Patrol. Graeea 101 (1860) 1—1190 imd 1277—1296. — Dazu dient als wichtige
Ergänzung die den Pariser Herausgebern unbekannt gebliebene, auf einer früher nicht
benützten Athoshandschrift beruhende Ausgabe, welche von dem gelehrten K. Oikononios
lange vorbereitet, aber erst nach seinem Tode (1857) von seinem Sohne, dem Chirurgen
Sophokles Oikonom OS veröffentlicht wurde: Tor eV dyioig natQos tjjnuiy 4>MTiov nreTQtäQ-
/ov KiovarauxiyovnöXetoq ru 'Afi(piXü)(uc .... exSiSoytog lorfoxXiovg K. xov i^ Oixoyöuwy,
'ASrjyrjat 1858; sie enthält, von Varianten abgesehen, elf bisher völlig unbekannte
Quaestionen. Die ausführlichen Prolegomena handeln mit reichlicher Benützung der abend-
ländischen Litteratur über Leben und Werke des Photios, besonders über die Amphilochien
und die Handschriften derselben.
5. Historische und dogmatische Schriften bei Migne; die Litteratur über die
kanonistischen Arbeiten s. bei Hergenröther, Photius 111 92 ff.; über die Bibel-
kommentare ebenda III 70 ft". — Homilien bei Migne. — Die zwei auf den Einfall
der Russen bezüglichen Homilien edierte zuerst nach einer noch andere Homilien
und sonstige Werke des Photios enthaltenden Athoshandschrift recht fehlerhaft und un-
vollständig der Archimandrit Porphyrius Uspcnskij, Petersburg 1864 (mit zwei anderen
Homilien). — Vollständig und genau nach demselben Codex erst Aug. Nauck, Lexicon
Vindobonense, Petropoli 1867 S. 201—232; vgl. sein Prooemium S. 23—30. — Endlich
wiederholt von C. Müller, Fragmenta histor. Graec. vol. 5 (1870) 162 — 173. Hier und
bei Nauck auch Angabe der älteren auf das Ereignis bezüglichen Litteratur, wie E. Kunik,
Die Berufung der schwedischen Rodsen 2 (1845) 332 — 336 und Bullet, de la classe hist.-
phil. de l'acad. des sciences de St. P(5tersbourg 6 (1849) 373—379, 7 (1850) 72—74, 8 (1851)
185 ff. — Eine Analyse beider Homilien gab A. Chassang, Annuaire de l'assoc. 5(1871)
75 — 85. — lieber die Chronologie des Ereignisses spricht zuletzt noch E. Kunik, Bullet,
de la cl. hist.-phil. de l'acad. des sciences de St. Petersbourg 27 (1881) 338—362. — Ueber
Fragmente von Homilien des Photios im cod. Palatinus 129 handelt K. Müller, Zeit-
schrift für Kirchengeschichte 4 (1880-81) 130—136.
6. Briefe: Nach älteren Drucken fast vollständig bei Migne, Patrol. Graec. 102,
585—990. — Dazu kam bald als Ergänzung die Ausgabe von J. N. Valettas, London
1864. Sie enthält nicht viel Neues, aber sachdienliche Erläuterungen und viele Ver-
besserungen des Textes. — Ueber eine Stelle in einem Briefe des Photios handelt H. Usener,
Rhein. Mus. 28 (1873) 409 — 412. — Varianten zu einigen Briefen des Photios nebst
6 Briefen eines Gnostikers an den Magister von Antiochia Nikephoros Uranos gab aus
einem, wie es scheint, auch sonst nicht unwichtigen cpistolographischen Sammelcodex in
Patmos J. Sakellion, 'Ji^rjyraoy 9 (1880) 285—300. — Für die übrigen Schriften s. Mignes
Gesamtausgabe und Hergenröthers Monumenta (s. oben).
7. Allgemeine Hilfsmittel: Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 10, 670 — 776 und
11, 1 — 37. — Hauptschrift über Photios ist und bleibt wohl noch lange Zeit das durch
Gelehrsamkeit und Objektivität ausgezeichnete Werk des Kardinals J. Hergenröther,
Photius, Patriarch von Konstantinopel, 3 Bände, Regensburg 1867 1869. Das Haupt-
gewicht ist hier auf die Seite des Photios gelegt, die ja in der That die wichtigste ist,
auf die theologische; der Verfasser schildert das Bild des Patriarchen auf der Folie
einer Geschichte der orientalischen Kirche vom 4. Jahrhundert bis nach dem Schisma.
Die Objektivität des Urteils ist trotz der Stellung des Verfassers nur selten wirklich ge-
trübt, jedenfalls nicht in dem Grade wie bei den meisten griechischen Beurteilern des
Photios. Der dritte Band enthält S. 3 — 260 einen Abschnitt über die Schriften des
Photios, woselbst auch vollständigere Angaben über Handschriften und .\usgaben zu finden
sind. — Dazu kommen die Einleitungen von K. Oikononios und Valettas zu den oben
erwähnten Ausgaben. — Wenig Zweckdienliches enthalten A. Pich 1er, (leschicht« der
kirchlichen Trennung zwischen Orient und Occident, 2 Bände, München 1864 — 1865, und
K. Diniitrakopulos, laTOQtn rov a/lau€(roi rijg .innyix^g ixxXtjOing tlno jtji öo'todoiov
'EXi.r^yixrj<;, Leipzig 1867 (kurze Darstellung mit besonderer Betonung der weiteren Aus-
bildung des Schismas nach 1054). — Ganz wertlos ist die tendenziöse Abhandlung von
Diom. KyriakoH, '.h'hjyruoy 111 (1S74) 135—163. — Den römischen Standpunkt vertriü
A. Fr. (tfrörer, Byzantinische (ieschichten, v. 11 — 111, Graz 1873 77. Ueber die dog-
matischen Kämpfe des Photios, besonders über sein Verhältnis zu Ignatios handelt auch
5. Altertamswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 112.) 233
J. Malvsevskij, Die Hll. Kyrillos und Methodios. die ersten slavischen Lehrer, Kiew
1886 (Russ.). Vgl. die Besprechung von V. Oblak, Arch. slav. PhUol. 12 (1889) 216—221. —
Die sagenhaften Berichte über das Lehen des Photios bespricht Bas. Georgiades, 'Hfisgo-
Xöyiof T^f 'AytcjoXrjg. 'Ey KcofOTayTiyovTiöXei 1887 S. 104—115. — Die Beziehungen des Ph.
zu Papst Nicolaus 1 untersucht A. Gasquet, L'empire Byzantin et la monarchie Franque,
Paris 1888 S. 348—372. — Für die theologische Seite s. noch den verständigen Artikel
von Gass, Realencyklopädie für prot«st. Theologie, 11. B. (Leipzig 1883) und die kurze
Uebersicht von Garnett, Encyclopaedia Britannica vol. 18 (1885) 819 ff.
112. Arethas, um 860 in Patrae geboren, war wie alle hervorragen-
den Männer dieser Zeit ein Schüler des Photios. Seit dem Anfang des
10. Jahrhunderts (sicher seit 907) war er Erzbischof von Käsarea. Die
anonyme Lebensbeschreibung des Patriarchen Euthymios,^ eine
Hauptquelle für die Biographie des Arethas, zeigt ihn an den kirchlichen
Streitigkeiten der Zeit lebhaft beteiligt. Er war zuerst Anhänger des
Isikolaos,2) versöhnte sich aber bald mit Euthymios. Nach derselben Quelle
war Arethas Lehrer des angesehenen „Philosophen" Niketas des Paphla-
goniers. Das letzte bekannte Datum seiner Biographie ist das Jahr 932,
aus welchem einer der in seinem Auftrage geschriebenen Codices stammt.
In der Geschichte der byzantinischen Bildung nimmt Arethas eine sehr
beachtenswerte Stellung ein. In einem dunkeln Jahrhundert und an einem
von den wenigen noch übriggebliebenen Bildungsstätten weit abgelegenen
Orte widmete er sich mit bewunderungswürdigem Eifer der Sammlung
und Erklärung kirchlicher wie profaner Schriften. Der älteste
bzw. einzige griechische Kommentar zur Apokalypse ist nur in der
von Arethas stammenden Form auf uns gekommen. Ausserdem haben wir
von ihm Bemerkungen zu Plato, Lukian und Eusebios. Sein Interesse
für Litteratur bezeugen mehrere erhaltene Handschriften, welche in seinem
Auftrage und auf seine Kosten kopiert wurden; dazu gehören ein wichtiger
Codex der Apologeten (Paris. Gr. 451), ein Codex dogmatischen In-
halts, Handschriften des Euklides, des Rhetors Aristides, vielleicht auch
des Dion Chrysostomos, endlich der berühmte von Clarke aus Patmos
nach England entführte Platocodex. Von selbständigen Schriften des
Arethas kennen wir eine Grabrede auf den Patriarchen Euthymios (f 917)
und eine Homilie auf drei Märtyrer. Ein Moskauer Codex enthält
viele noch unedierte Gelegenheitsschriften und Briefe des Arethas, aus
denen sich noch genauere Nachrichten über seine Lebensverhältnisse er-
warten lassen. Wenn auch die Hauptbedeutung des Mannes darin beruht,
dass man ihm einen wertvollen Teil der apologetischen und sonstigen
kirchlichen Litteratur verdankt, so ist ihm doch für seine unermüdliche
Sammelthätigkeit auch die klassische Altertumswissenschaft zum Danke
verpflichtet.
Kommentar zur Apokalypse ed. J. A. Gramer, Oxonii 1840. Wiederholt von
Migne. Patrol. Gr. 106 (1863) 494—786; 787 ff. zwei theolog. Reden (nur lateinisch). —
Pur eme genauere Kenntnis und bessere Würdigung des Arethas zog die Grundlinien Ad.
Harnack, Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristl. Lit., herausgeg von
0. von Gebhardt und Ad. Harnack 1 1—2 (Leipzig 1882) 36-46. — Ueber den cod. Paris.
Gr. 4ol benchtet 0. von Gebhardt, Texte und Untersuchungen 1 3 (1883) 154—196 -
Leber die philologische Bedeutung des Arethas handelt mit überschätzender Begeisterung
•) S. § 28.
*) Patriarch 901—907 und 912—925. Vgl. § 89.
234 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
E. Maasa, Observationes palaeograplucae in den Melanges Graux, Paris 1884 S. 749
bis 766. — Biographische Notizen und Mitteilungen über Moskauer Handschriften des Arethas
von Ad. Jülicher, Götting. Gel. Anzeigen 1889, 383—387.
113. Isaak Porphyrogennetos, wahrscheinlich jener Komnene Isaak,
der 1057 — 1059 den byzantinischen Kaiserthron inne hatte und sich dann
freiwillig ins Kloster zurückzog, verfasste zwei kleine Schriften zu
Homer. Die erste führt den Titel: IJeQi twv xaxaleKfO^ivrwv vtxo tov
^O^tr^Qov d. h. Ueber die von Homer weggelassenen Dinge. Nachdem der
Verfasser eine ziemlich naive Lobrede auf Homer und eine Inhaltsangabe
der Ilias vorausgeschickt hat, bemerkt er, Homer habe unbegreiflicher
Weise viele mit der Eroberung Trojas zusammenhängende Ereignisse über-
gangen, wie den Tod des Priamos, das Schicksal der Hekabe u. s. w. Er
habe deshalb aus alten Büchern jene Dinge zusammengestellt, um das Werk
des Homer zu ergänzen und abzurunden; in Anbetracht seines poeti-
schen und sprachlichen Unvermögens habe er jedoch hiezu nicht das hero-
ische Metrum, sondern die prosaische Form gewählt. Er gibt nun in
unbeholfener und doch pretiöser Diktion eine Erzählung der an die home-
rischen Geschichten anschliessenden Ereignisse, wie sie namentlich im
Philoktet des Sophokles und in der Hekabe des Euripides vorkommen. Ob
er die Dramen direkt benützte und welche Quellen er etwa ausserdem noch
verwertete, muss noch untersucht werden. Daran schliesst sich ein
zweites Schriftchen, worin ganz im Geschmack des Zeitalters die home-
rischen Helden, zuerst die Griechen, dann die Trojaner mit einer genauen
Personalbeschreibung, wie sie besonders in den Romanen Sitte ge-
worden war, bedacht werden: IlfQi idiöttiTog xm x«?«'«^»;^»^»' ^wv er Tq(h<tc ^
'EkXr^i'wv T£ xai Tqwmv. Agamemnon z. B., der den Reigen eröffnet, wird |
bezeichnet als „gross, weiss, schönnasig, von dichtem Bartwuchs, schwar-
zem Haar, grossen Augen, furchtlos, edel, grossmütig." Die Schrift besitzt
mithin Verwandtschaft mit Dares Phrygius und Dictys Cretensis;
letzteren nennt der Verfasser am Schlüsse (S. 88) auch wirklich als Ge-
währsmann seiner Beschreibungen; trotzdem hat er nicht aus Dictys selbst,
sondern aus seinem Ausschreiber Malalas geschöpft. Die vielfache Ueber-
einstimmung des Werkes mit den Posthomerica des Tzetzes ist wohl
aus der Benützung gleicher Quellen durch beide zu erklären. Obschon
litterarisch und philologisch wertlos, sind beide Schriftchen immerhin cha-
rakteristisch für jene im Dictys, Dares, Malalas und sonst bekundete
romantische Auffassung der trojanischen Geschichten, welche im spä-
teren Altertum den Homer teils zu ersetzen, teils zu ergänzen suchte und
schliesslich in den phantastischen Trojaromanen des Mittelalters einen
breiten und bleibenden Ausdruck fand. In solchem Zusammenhange müssen
also die zwei Versuche des Exkaisers Isaak gewürdigt werden.
Ausgaben: Die homerisclie Physiognomik edierte zuerst J. Rutgorsiua. Vnriaruni
Icctionum libri sex, Lugd. Hatavoruni 1(518 8. r)09 51(5. — Dann ed. Iteide Stücke Leo
Allatius, Kxcerpta varin, Honiae 1641 S. 259-820 (mit lateinisclter l'ebersetzung).
Wiederholt auf Grund neuen liandschriftlichen Materials in: Polemonis dechunationos roc.
Hugo Hinck, Leipzig, hilil. 'I'eiil)ner, IXT^ 8. 57 88 (ohne die hitoinische rebersotzung).
Ueber eine dem Isaak Porphyr. /,uges(hriel»ene Epitonie der pseudo-plutarehi sehen
Schrift Ueber das Leben und die Poesie des Moiner beriehtet ('. Waelisiniitli, h'liein.
Mus. N. F. 18 (1863) 136 ff.; 326 H.
I
5. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 113—114.) 235
114. Johannes Tzetzes {T^sT^r^g),^) wurde als Sohn eines gebildeten
Mannes um das Jahr 1110 in Konstantinopel geboren und erhielt, wie er
selbst ausdrücklich bezeugt, eine sorgfältige Erziehung: von früher Jugend
an philologischen Studien ergeben, widmete er sich, nachdem er eine Zeit
lang als Sekretär und Lehrer der Grammatik thätig gewesen war, alsbald
einer ausgedehnten litterarischen Thätigkeit, die ihm auch seinen Unter-
halt verschaffte. Ueber seine Lebensverhältnisse sind wir ziemlich
genau unterrichtet, da er jede Gelegenheit ergreift, von sich selbst zu er-
zählen. Durch alle Notizen, die seine Person betreffen, zieht sich die end-
lose Klage über Armut, Missgeschick und über die Yerkennung seiner
grossen Verdienste. In dieser Hinsicht wie auch in manchen anderen
Zügen ist Tzetzes mit seinem würdigen Zeitgenossen Ptochoprodromos
eng verwandt. Einmal geriet Tzetzes in so grosse Not, dass ihm von
allen seinen Büchern nur der Plutarch übrig blieb. Stets erscheint er
von der Gnade der vornehmen Gönner abhängig, denen er seine Schriften
widmet. Besonders sind es Mitglieder des kaiserlichen Hauses, an die er
sich wendet, Isaak Komnenos, der Bruder des Kaisers Johannes Kom-
nenos, Kaiser Manuel Komnenos und seine aus deutschem Geschlechte
stammende Gemahlin Irene: auch die mit den Komnenen verwandte, mäch-
tige Familie Kamateros und andere Würdenträger bedachten ihn, wie
sich aus den Briefen ergibt, mit reichlichen Geschenken. Sein Hauptgönner
war lange Zeit ein gewisser Konstantin Kotertzes, der die Fortsetzung
der Allegorien zu Homer und eine zweite Bearbeitung der Chiliaden ver-
schuldet hat. Das Todesjahr des Johannes Tzetzes lässt sich nicht mit
Sicherheit bestimmen. Wenn die ihm zugeschriebenen Jamben auf den
Tod des Manuel Komnenos ihm wirklich gehören, müsste er das Jahr 1180
überlebt haben. Eine genauere Bestimmung ergäbe sich vielleicht aus
einer im cod. Paris. 2644 erhaltenen, angeblich von Tzetzes stammenden
Monodie De imperatore occiso, die man auf Andronikos Komnenos
(t 1185) bezogen hat: allein solange das Gedicht nicht ediert ist, bleibt
die Autorschaft des Tzetzes ebenso unsicher als die Beziehung auf jenen
Kaiser.
Das Gesamturteil über die litterarische Thätigkeit des Tzetzes kann
nicht günstig ausfallen; seine unmässige Selbstüberhebung, mit der sich
die derbste Polemik gegen andere Grammatiker verbindet, ist ebenso gross
als seine Sorglosigkeit, in welcher er selbst die zeitgenössischen Fach-
genossen noch weit übertrifft. Man glaubt in der Chronik eines Malalas
zu lesen, wenn Tzetzes z. B. den aus Amorgos stammenden Dichter Simo-
nides einen Sohn des Amorgos nennt, wenn er Naxos für eine Stadt auf
Euboea hält, den Servius Tullius als Konsul und Kaiser der Römer be-
zeichnet, den Euphrat mit dem Nil verwechselt u. s. w. Die meisten
seiner zahllosen Irrtümer und Missverständnisse erklären sich daraus, dass
er in Ermangelung von Büchern seinem Gedächtnisse allzuviel zutraute; er
rahmt von sich selbst Alleg. II. 15, 87:
') Die in ganz späten Handschriften Schreibweise Ceces, Cetces, Cecus und ist
vorkommende Form Kexog entstand aus der 1 also gänzlich zu verwerfen.
im 15. bis 16. Jahrb. üblichen lateinischen
236 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Ejnoi ßißkioßtjxtj yuQ rj xetfnktj Tvy)(((yei '
liijikoi d t'jfily ot< TiÜQEiai Seirwg ü/Qr^/nnrovaiy.
Aehnlich sagt er Chiliad. I 277 von seinem Gedächtnisse:
Ovde yuQ in'rj/not'tarfQoy rov Tfe'rCou f^eog i'cXXof
"Jy&Qfc rttJ»' TiQiy re xai reif rvv iSetftjyef iv ßiot.
Es muss daher ausdrücklich betont werden, dass auffallende, sonst nicht
belegte Namen und Nachrichten, die sich nur bei Tzetzes finden, mit
grösster Vorsicht entgegenzunehmen sind; mancher scheinbare Fund er-
weist sich bei näherer Betrachtung als eitel Katzengold.
Immerhin erhebt sich die Belesenheit des Tzetzes weit über das
Normalmass byzantinischer Bildung; sie umfasst, wie sich namentlich aus
den Chiliaden ergibt, Homer, Hesiod, Pindar, die Tragiker, Aristophanes,
Theokrit, Apollonius Rhodius, Lykophron, Nikander, Dionysios Periegetes,
Oppian, die Orphica, Quintus Smyrnaeus, eine Anthologie; von Histo-
rikern den Herodot, Diodor, Joseph, Sueton oder eine abgeleitete Quelle,
Plutarch, Arrian, Dio Cassius, Prokop von Kaesarea, Pseudokallisthenes,
Hesychios Milesios, Malalas, Theopliylaktos u. a., von Rednern den Ly-
sias, Demosthenes, Aeschines, auch verlorene Schriften wie Aristogiton
gegen Hyperides u. s. w., von Philosophen den Plato, Aristoteles, Psellos
u. a. ; von Geographen den Strabon und Stephanos von Byzanz; von
Belletristen vor allem den Lukian. Manches bleibt hier freilich recht
unsicher; denn die Untersuchung der Quellen des Tzetzes wird, von der
Ungenauigkeit seiner Gedächtniszitate und der Flüchtigkeit seiner Lektüre
abgesehen, noch besonders dadurch erschwert, dass er nach einer in Byzanz
weit verbreiteten Unsitte zahlreiche Autoren nur aus zweiter Hand an-
führt, manche auch auf Geratewohl zitiert und hiebei Autoren und Schriften
verwechselt. Trotz dieser Mängel verdienen die Werke des Tzetzes eine
eingehende Betrachtung, die sich vor allem darauf richten muss, den Weizen
von der Spreu zu sondern und in die noch wenig gesichteten Massen Licht
und Klarheit zu bringen. Neben der Bedeutung, die Tzetzes für das
Altertum hat, ist er unstreitig für die litterar- und kulturhistorische
Würdigung seiner Zeit eine bedeutende Figur, die in einem Gesamtbilde
des zwölften Jahrhunderts so wenig fehlen darf als Anna Komnena,
Eustathios, Ptochoprodromos u. a. Die Schriften des Tzetzes kann man
in drei Gruppen teilen, in antiquarisch-historische SammelwerkeJ
(Briefe mit den Chiliaden), in Ergänzungen, Allegorien und Schollen
zu den alten Dichtern und endich in allgemeine Traktate über Poesie.
Metrik und Grammatik, wozu einige kleinere Stücke vermischten Inhalt
kommen. Wir beschränken uns auf eine kurze Aufzählung sämtlicher
Werke:
1. Eine von Tzetzes selbst geordnete und in zwei Bände eingeteilte j
Sammlung von 1(^7 Briefen. Als Prinzip der Heihenfolge ist mit völ- i
liger Sicherheit die Zeit der Abfassung erkannt. Die frühesten Stücke i
beginnen mit dem Jahre 1138; die letzten sind kaum vor 1165 geschrieben, ;
der dem Ganzen als Einleitung vorgesetzte Brief an den Diakon p]piphanios ;
schwerlich vor 1170. Eine geringe Zahl der Briefe geluirt in die seit der
Sophistenzeit beliebte Gattung der fingierten Episteln; sie sind schon
5. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§114.) 237
in der Ueberschrift als rhetorische Uebungsstücke bezeichnet z. B. 'Sig anö
Tivoq Siaxovov noog enioxonov. Die meisten dagegen sind an wirkliche
Personen gerichtet, an Männer und Frauen aus dem Kaiserhause, an geist-
liche und weltliche Würdenträger, an Freunde und Schüler. Aus ihnen
erfahren wir manches biographische Detail über den Verfasser und
die Adressaten; doch verschwinden solche Personalnotizen in dem Wüste
mythologischer, litterargeschichtlicher und historischer Weisheit, die den
Kern und das Wesen dieser schwergelehrten Korrespondenz bildet. Wenn
Photios in seinen Briefen auch wissenschaftliche Fragen mit Eleganz und
Leichtigkeit zu behandeln weiss, so treffen wir bei Tzetzes nur krausen
Notizenkram und dazwischen, wie als Erkennungszeichen eingestreut, die
Ergüsse seiner morosen und launenhaften Selbstüberhebung.
Erste Gesamtausgabe von Theod. Pressel, Tubingae 1851 (mit einem Index
tiraecitatis und einem kritischen Apparate zu den Chiliaden).
2. Die Chiliaden. Das umfassendste Werk des Tzetzes, wahrschein-
lich zwischen 1144 und 1170 abgefasst, ist ein philologisch-historisches
Lehrgedicht in 12 674 politischen Versen, das von Tzetzes BißXog taxo-
Qioh' betitelt wurde; die jetzt übliche Bezeichnung Chiliades stammt von
dem ersten Herausgeber Gerbel (1546), welcher das ganze Werk zur Er-
leichterung des Zitierens in 13 Verstausende einteilte. Nach seiner ur-
sprünglichen Anordnung zerfällt das Werk in 660 Kapitel {taroQiat), Den
Inhalt dieser „Geschichten" bilden mythologische, litterargeschichtliche
und historische Miszellen, welche die in den Briefen vorkommenden ge-
lehrten Abschweifungen in ausführlicher Weise erklären. Die Chiliaden
sind mithin nichts anderes als ein ungeheuerer versifizierter Kom-
mentar zu den eigenen Briefen des Tzetzes, die Stück für Stück teils in
einer, teils in mehreren laxoQifxi erläutert werden. So eng ist die Bezieh-
ung zwischen den Briefen und Chiliaden, dass man die ersteren geradezu
als einen detaillierten Index zu den letzteren betrachten kann. Die Briefe
bilden das Gerippe, die Chiliaden die bauschige Umhüllung desselben. Die
Manie des Kommentierens Hess Tzetzes nicht ruhen. Er dachte: „Doppelt
genäht hält besser" und versah die Chiliaden noch mit ausführlichen, teils
in Prosa, teils in politische und jambische Verse gefassten Randscholien,
in welchen er teils historische Irrtümer verbessert, teils Quellen angibt,
die Erzählung, Orthographie, W^ortbildung und Prosodie rechtfertigt und
Einzelheiten hinzufügt. Auch zieht er hier in derbster Weise gegen
den nachlässigen Abschreiber los, der Koprograph, nicht Kalligraph zu
heissen verdiene;') in Wirklichkeit scheint jedoch dieser Koprograph, ähn-
lich wie heute zuweilen der „Druckfehlerteufel", nur den Sündenbock ab-
zugeben für die Schnitzer, die nachträglich von Tzetzes oder von andern
entdeckt wurden. Diese verbesserte Ausgabe widmete Tzetzes seinem
Gönner Kotertzes, an den auch zwei Briefe gerichtet sind. Genau ge-
nommen sind übrigens drei Ausgaben der Chiliaden zu unterscheiden. Als
Anhang der Chiliaden finden sich in zwei Handschriften drei kleinere
•) Zu Chil. V 201: | (Oj/rw ;^pca>V xaT-eiv ydq ij xu)LXiyQceq:oy).
Tov xoiQiiüvtog Tovife xui xoTtQoygüffov
238 Byzantinische tiitteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
Gedichte, deren Inhalt im wesentlichen eine bittere Polemik gegen die
Feinde des Tzetzes, besonders gegen den Eparchen Kamateros bildet.
Ausgaben: Ed. pr. Nie. Gerbelius, Basileae 1546; wiederholt von Jac. Lectius
im Corpus poet. Graecor., Coloniae AUobrog. 1614, v. II 274 ff. — Ed. Theophil. Kiess-
ling, Lipsiac 1826 (Johannis Tzetzae historiarum variarum chiliades); eine ganz unkritische
und unglaublich nachlässige Arbeit. Vgl. die gehaltreichen Besprechungen von Struve,
Neue kritische Bibliothek, herausgeg. von G. Seebode 1827 S. 241—306 und 370-436
(auch als eigene Schrift unter dem Titel: Ueber den politischen Vers der Mittelgriechen.
Hildesheim 1828) und von Hamaker, Bibliotheca nova critica (Lugduni Batavorum) vol. IV
(1828) 372—403, endlich die freilich auch sehr ungenaue Kollation von Pariser Hand-
schriften in der Ausgabe der Briefe des Tzetzes von Pressel. — Scholia ad Tzetzae
Chiliades ed. Cramer, Anecdota Oxon. III (1836) 350 — 375. — Eine brauchbare Ausgabe
der Chiliaden, in welcher das Verhältnis der Codices und Rezensionen klargelegt und ein
verlässiger Text gegeben werden müsste, fehlt uns noch. Von Handschriften sind bis jetzt
2 Münchener und 2 Pariser bekannt. — Die Quellen der mythologischen, historischen,
geographischen und litterargeschichtlichen Nachrichten der Chiliaden behandelt die gründ-
liche Arbeit von Christian Härder, De Joannis Tzetzae historiarum fontibus quaestiones
selectae, Diss. Kiel, 1886.
3. Allegorien zur Ilias und Odyssee, zwei Lehrgedichte in poli-
tischen Versen, in welchen O "OfirjQog o yrarcoyoc, i) O^äXaaaa tmv Aoyojv
(V. 51) breit erläutert und insbesondere die homerische Götterwelt nach
den Grundsätzen des Euhemerismus allegorisch umgedeutet wird. Das
Doppelwerk ist betitelt: '^Ynöd^eaic rov "^Ohj^qov aklrjogi^ü^tTaa nagd 'Iioävrov
YQUjiifiaiixov rov TXtt^ov rf^ xQaiaioxcctri ßaaiXicfafj xai oftr^Qtxunctii^ xv()((
EiQi]vi] TJf £^ 'AXaf^iarwv. Das Werk ist demnach der Kaiserin Irene ge-
widmet; doch gehören ihr nur die ersten 15 Gesänge der Allegorien zur
Ilias. Als nämlich der kaiserliche Schatzmeister, der die ersten Gesänge
reichlich belohnt hatte, anfing den unermüdlichen Dichter mit leeren Worten
abzuspeisen, widmete er aus Rache den Schluss dem Konstantin Ko-
tertzes. Der Anfang des Werkes ist um 1145 abgefasst, der Schluss um
1158, die Allegorien zur (Odyssee erst nach diesem Jahre, da im Proömium
der Tod Irenes (f 1158) erwähnt ist. Von den letzteren sind bis jetzt nur
das Proömium und die Allegorien zu den ersten 13 Gesängen aufgefunden.
Beide Gedichte umfassen jetzt etwa 10 000 Verse.
Ausgaben: Die Allegorien zur Ilias und Odyssee ed. P. Matranga, Anecdot;i
Graeca I (1850) 1 — 295. - Nur die Allegorien zur Ilia.s ed. Fr. Boissonade, Lutt-tiac
1851 (mit den Allegorien des Psellos). Scholia ad Allegorias lliadis ed. J. A. Cramer.
Anecdota Oxon. HI (1836) 376—884.
4. Exegesis zur Ilias des Homer, ein aus der Lchrthätigkeit dos
Tzetzes hervorgegangener, wie eine moderne Doctordissertation von giftiger
Polemik gegen alle Vorgänger eingeleiteter Kommentar, der um das Jahr
1143 veröffentlicht und später mit den unvermeidlichen Scholien ausge-
stattet wurde.
Ed. G. Hermann mit Draco Stratonicensis, Lipsiae 1812. Ed. L. Bacli-
mann, Scholia in Homeri lliadem, Lipsiae 1835 38 S. 746—845. Vgl. K. Sathas,
Bulletin de correspond. hellön. 1 (1877) 121 if.
5. Ein weiteres auf Homer bezügliches Werk des Tzetzes ist sein
hexametrisches Gedicht Tdnqo 'Oini^gov, td 'Ofii^gov, rd /i* »'/' 7>iM^(ior,
ediert und gewöhnlich zitiert unter dem lateinischen Titel: Antohonierica,
Homerica, l'osthomerica, auch einfach als Carmina Iliaca. Die
Homerica behandeln denselben Stoff wie die Ilias; die Antehoniericu troja-
nische Geschichten, die der homerischen Erzählung vorausgehen, wie den
6. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 114.) 239
Raub der Helena, die Rüstungen der Griechen u. s. w.; die Posthomerica
endlich Ereignisse, die nach den von Homer erzählten eintraten, wie der
Bau des hölzernen Pferdes, die Zerstörung Trojas u. s. w. Das Ganze
bildet demnach ein poetisches Supplement zu Homer. Auch auf dieses
Werk, das vor der Exegesis abgefasst ist, setzte Tzetzes später erklärende
Scholien,
Ed. Fr. Jacobs, Lipsiae 1793. — Dann mit manchen Verbesserungen ed. I. Bekker,
Berolini 1816. — Die Ausgabe von Jacobs ^vurde wiederholt in der Bibliotheca Tauch-
nitiana mit Quintus Smyrnaeus u. a., Lipsiae 1829: der Bekker'sche Text von Lehrs
und Dübner mit Hesiod, ApoUon. Rhod. u. a., Paris 1868.
6. Auf Homer und Hesiod bezieht sich endlich die Theogonia:
'Icoürrov youiiuanxov tov T^tr^ov noir^ucc uvO^ojqov nüvvi] xcti düfXtvrjov
diä GTix(tiV TToXiTixöJv nsQikxoY Tiuaav ö^toyoriav iv ßqu^^i i^urd nooad^t^xr^g
xal xttTaXöyov täv i/ti rrjv iXiov dgiarcov ^£XX}jv(ov t£ xal Tgomv. Das
Gedicht scheint um dieselbe Zeit abgefasst wie die Exegesis zur Ilias.
Ed. I. Bekker, Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften 1840
S. 147—169. — Ed. Matranga, Anecdota Graeca, vol. II (1850) 577—598. Wegen der
starken Verschiedenheit der benutzten Handschriften müssen beide Ausgaben,
die sich gegenseitig ergänzen, herangezogen werden. — Dazu kommt noch der kleine Prosa-
traktat /Ifpt rrjg yeyyt'jasioi rwy i^ewy, ed. von J. A. Gramer. Anecdota Paris. III (1841)
101 — 112 und in anderer Fassung von Matranga, Anecdota Graeca II (1850) 364 — 371.
7. Scholien zu Hesiods Werken und Tagen und zum Schild
des Herakles, abgefasst vor 1138. Im Vorworte entwickelt Tzetzes
unter heftigen Angriifen auf Proklos die Grundsätze, nach welchen ein
Kommentar anzufertigen sei; man müsse die Dichter nach ihren Eigen-
tümlichkeiten unterscheiden, über die Abkunft, das Leben, die Werke und
die Zeitgenossen des zu erklärenden Dichters handeln; man müsse den
Zweck des betreffenden Werkes darlegen und die mythischen Geschichten
allegorisieren ; das Metrum und was sonst nötig sei, müsse in klarer und
lehrhafter Weise erklärt werden, nicht mit jener labyrinthischen Verworren-
heit, die selbst wiederum nach Erklärung schreie. Abgesehen von dem
leidigen Allegorisieren, das Leute wie Tzetzes nun einmal für den un-
entbehrlichen Bestandteil eines guten Kommentars hielten, ist gegen diese
Grundsätze nichts einzuwenden. Hätte sie nur Tzetzes selbst treuer be-
folgt. So aber klingt sein Seitenhieb auf die labyrinthische Verworrenheit,
die selbst wiederum eines Kommentars bedürfe, wie ein Hohn auf seine
eigenste Gewohnheit, Kommentar auf Kommentar zu pfropfen.
Ed. Gaisford, Poetae Graeci minores, vol. lU (deutsche Ausgabe vol. II). — lieber
die Quellen dieser Scholien s. E. Sehe er, De Plutarchi in Hesiodi Opera et Dies commen-
tario, Rendsburg 1870. — Vgl. L. Cohn. Philol. Abhandl.. Martin Hertz zum 70. Geburts-
tage dargebr. 1888, 130 ff. — Eugen Abel, Zum TtVo? 'Haiödov des Johannes Tzetzes,
Wiener Studien 11 (1889) 88—93. — Hesiod ed. K. Sittl S. 4 ff.; 383; 393 ff.
8. Scholien zu Aristophanes. Der Cod. Ambrosian. C 222 ord. inf.
und andere Handschriften enthalten Scholien des Tzetzes zum Plutos, den
Wolken und den Fröschen, dazu ein Argument zu den Rittern und Vögeln,
"woraus sich vermuten lässt, dass er auch diese Stücke kommentiert habe.
Die selbständige Thätigkeit des Tzetzes scheint bei der Abfassung der
Scholien eine sehr geringe gewesen zu sein; denn sie stimmen vielfach
&st wörtlich mit anderen, von Küster edierten Aristophanesscholien überein.
240 Byzantinische Litteratargeschichte. 1. Prosaische Litieratur.
Ausgaben: Zuerst wurde die Aufmerksamkeit der Gelelirten auf diese Scholieii
gelenkt durch ein Fragment derselben, welches Fr. Ritschi in lateinischer Uebersetzung
in einer Plautushandschrift fand und in der Schrift: Die alexandrinischen Bibliotheken,
Breslau 1838, verwertete. — Die Prolegomena dieser Scholieu edierte H. Keil, Rhein. Mus.
N. F. t) (1848) 108 ff.; 243 ff. - Die Abhandlung von Ritschi und die Ausgabe von Keil
sind mit Nachträgen wiederholt in Fr. Ritschis Opuscula philologica 1 (1866) 1 — 172;
197 — 237. — Zu Ritschis Abhandlung vgl. noch G. Beruh ardy, Berliner Jahrbücher für
wissenschaftliche Kritik 1838, II 821 840. — Die Prolegomena auch bei A. Nauck,
Lexicon Vindobonense (1867) 233 252; dazu vgl. E. Miller, Journal des savants 1870,
169—173. Eine genauere Kollation mit bibliographischen und litterarhistorischen Notizen
gab W. Studemund, Anecdota varia Graeca I (1886) 250—255. Weitere Beiträge zu
diesen Scholien von: Fr. Dübner und M. Schmidt. Philologus 25 (1867) 687-691; Ad.
von Velsen, Philologus 35 (1876) 696 — 703; Max Consbruch in den Commentat. in
honor. G. Studemund, Argentorati 1889, 211—236.
9. Scholien zu Lykophrons Alexandra. Sie wurden früher dem
älteren Bruder Isaak Tzetzes zugewiesen oder wenigstens als gemein-
same Arbeit beider Brüder angesehen; doch gehören auch sie dem Johannes,
der diese Jugendarbeit seinem Bruder Isaak als litterarisches Eigentum
abtrat, sie aber nach dem Tode desselben wiederum ausdrücklich für sich
reklamierte.
Ed. Leop. Sebastiani, Romae 1803. Ed. (iottfr. Müller, 3 voll., Lipsiae
1811. Beide Ausgaben sind unhandlich und nach holländischer Art übermässig mit Varianten
und sonstigen Zugaben belastet. — Vgl. E. Sehe er. Die Ueberlieferung der Alexandra
des Lykophron, Rhein. Mus. 34 (1879) 272 ff; 442 ff. — Besser als der Kommentar des
Tzetzes sind die Scholien im cod. Pai'is. 345, ed. von L. Bachmann, Anecdota Graeca II
(1828) 199—386 und in Lycophronis Alexandra rec. Ed. Scheer, Berolini 1881; vgl.
dessen Prolegom. S. 10 ff. über Handschriften des Kommentars von Tzetzes. — Zu den
Quellen dieser Scholien vgl. G. Wentzel, 'ETtix'ÄtjaEig O^ewy sive de deorum cognominibus
etc., Diss. Göttingen 1889, cap. V.
10. Endlich schrieb Tzetzes auch Scholien zu den Halieutika
des Oppianos, die noch unediert in mehreren Handschriften vorkommen,
wahrscheinlich auch solche zu den Theriaka und Alexipharmaka des
Nikandros, auf die in anderen Scholien öfter verwiesen wird. — Zur
Scholienlitteratur kommt noch eine in politischen Versen abgefasste Epitome
der Rhetorik des Her mögen es, in welcher Tzetzes den Inhalt des
Buches kurz wiedergibt, dabei aber in der üblichen Weise gegen den Ver-
fasser und gegen frühere Erklärer desselben wie Georgios und Johann«
Doxopatres polemisiert.
Ed. von Walz. Rhet. Graec. III (1834) 670—686 und vollständiger von J. A. Granu m.
Anecdot. Graec. Oxon. IV (1837) 1 — 148.
11. Unter die Schriften verschiedenen Inhalts gehören die Allr
gorien, unter dem Titel: 'lojäwov tov IXt'i^ov u}.XtjoQiai ex t»*c xq^^'"^'.
fietQixijg ßißXov, ein Gedicht, in welchem die Methode rov dXXijoQiir dar-
gelegt und durch Beispiele erläutert wird. Der Ueberschrift zufolge bildet
das Stück nur einen Abschnitt einer grösseren, nicht erhaltenen X^turixi]
ßi'ßXog, auf die auch in anderen Schriften des Tzetzes Bezug genommen wird.
Johannis Tzetzae allegoriae mythologicae, physicae, morales ed. F. Morellus,
Lutetiae 1616.
12. Ein aus 57 jambischen Versen bestehendes dramatisches Ge-
dicht, in welchem ein 'AyQotxog, ein 2So<f6g, ein äoqÖc und Movaai auf-
treten. Der Bauer, der Chor und die Musen preisen das Leben des Ge-
lehrten glücklich; der Weise, durch dessen Mund offenbar Tzetzes selbst
5. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 115.) 241
spricht, vertritt die entgegengesetzte Anschauung und bejammert die trau-
rige Lage des Weisen, dem das Glück seine Gunst versage, während es
Unwissende mit Gütern überhäufe. Uebrigens sprechen gegen die Autor-
schaft des Tzetzes metrische Bedenken und eine Ueberlieferung, die das
Werk dem Plochiros (s. § 202) zuweist.
Ed. Matranga, Anecdota Graec. 11 622 — 624.
13. IlfQl tÜ)y ir ToTg arixoig nitQOJV dTrävroiv, ein Lehrgedicht,
das in politischen Yersen die verschiedenen Versfüsse und Metra be-
handelt. In einem hexametrischen Prolog widmet Johannes das Werkchen
den Manen seines Bruders Isaak; demnach ist es nach 1138 abgefasst.
Ed. Gramer, Anecdot. Gr. Oxon. III (1836) 302—333. S. § 148.
14. ^Ti'xoi TtfQi dictifOQÜg Troir^röir, dazu laußoi Texvixol neQi
xtofioiäi'ac, endlich Verse JlfQi xQayixr^c noir^asaig. Tzetzes verweist
auf dieses dreiteilige Lehrgedicht schon in seinem Kommentar zu Hesiod.
Ed. Dübner. Rhein. Mus. 4 (1836) 393--409. - Vollständiger ed. von J. A. Gramer,
Anecdot. Oxon. III (1836) 334— 349. — Das erste Stück ed. auch L. Bachmanu. Rostock
1851. — Vgl. K. 0. Müller. Rhein. Mus. 5 (1837) 333-380, wo die Schrift des Tzetzes
über die verschiedenen Dichtungsgattungen zum Ausgangspimkt einer Untersuchung über
das alte Theater und die alte Poesie genommen wird.
15. 2x1x01 i'cei.ißoi xXijuaxcotoi jTqoc tot ßuaiXta xvgiov Ma-
Yoin]X enitäifioi. Es sind 91 jambische Verse auf den Tod des Kaisers
Manuel (1180). Ä///mxo)r6c heisst sonst ein Vers, in welchem jedes fol-
gende Wort um eine Silbe länger ist wie Yi uüxuq ^Arq^idr^ iioiQijtrt'c,
okßiödaijiov: dagegen besteht die Eigentümlichkeit der Leiterverse des
Tzetzes darin, dass das Schlusswort jedes Verses im Anfange des folgen-
den sich wiederholt, gleichsam die Sprosse bildet, auf der man zum fol-
genden Verse emporklimmt z. B. 'Ava^ ßaaiXev, aov nsaüvrog ov (ftgo),
Kai /n: (feqoiv xo näO^oc avtog öaxovoi, Kai daxQVOJV x6 (ftXxQor eig ai
dtixvvü) etc. Diese wunderliche Form ist offenbar darauf berechnet, das
tragische Pathos (90 Stufen hoch!) zu steigern; die ungeheuer komische
Wirkung des Bravourstückes scheint dem Verfasser entgangen zu sein.
Neuerdings wurde auch dieses Stück dem Tzetzes abgesprochen; doch
wirken die vorgebrachten metrischen Gründe nicht überzeugend. Ed. Ma-
tranga, Anecdota Graeca II 619 — 622.
1. Allgemeine Hilfsmittel: Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 11, 228—260. —
F. Henrichsen, Ueber die sogen, politischen Verse bei den Griechen. Uebersetzt von
P. Friedrichsen, Leipzig 1839 S. 110—114. — G. Seelmann, De propagatione scho-
liorum Aeschyleorum, Diss. Halle 1875 S. 33—37 (,Quo ordine Tzetzarum libri editi sint"). -
H. Haupt, Ueber Dio Gassius als Quelle der Ghiliaden und des Kommentars zu Lykophron,
Hermes 14(1879)431 ff. — Herm. Schrader. Ueber die daktylischen Verse des Theod.
Prodromus und des Johannes Tzetzes, Jahns Jahrb. 137 (1888) 601—609. — Haupt -
Schriften: G. Hart, De Tzetzarum nomine vitis scriptis, Jahns Jahrb. 12. Supplementb.
(1880— 1881) 1 — 75. — Henr. Giske, De Joannis Tzetzae scriptis ac vita, Dissert.
Rostock 1881.
2. Viele Schriften des Tzetzes sind noch unediert, so ein Lexikon, ein Kommentar
zu Aristoteles De partibus animalium, politische Verse liegt (jtjfiärtaif uv&vrioTÜXTbiy (hievon
eine Probe bei I. Bekker, Anecdota Gr. III 1088) u. a. — Manche Schriften, die von
Tzetzes in den Ghiliaden und sonst, freilich meist nur undeutlich, genannt werden, scheinen
verloren zu sein. Ein keineswegs vollständiges Verzeichnis derselben bei Fabricius,
Bibl. Gr. ed. Harl. 11, 236 ff. und bei Giske a. a. 0. S. 73 ff.
115. Isaak Tzetzes, der ältere Bruder des Johannes Tzetzes, nicht
lange vor 1110 geboren, beschäftigte sich in ähnlicher Weise wie Johannes
Handbuch der klasa. Altertumswissenscliaft. IX. ]. Abtlg. 16
242 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
mit philologischen Studien, besonders mit Metrik. Auch scheint er dem
jüngeren Bruder, der stets mit der grössten Verehrung von ihm spricht,
mit Rat und That an die Seite gegangen zu sein. Doch wurde das brüder-
liche Verhältnis früh zerstört; Isaak starb schon im Jahre 1138 auf Rho-
dos, als er von dem Feldzuge des Johannes Komnenos gegen Halep zurück-
kehrte, an dem er sich, wir wissen nicht in welcher Eigenschaft, beteiligt
hatte. Unter dem Namen des Isaak Tzetzes gehen drei Werke, die Scho-
llen zur Alexandra des Lykophron, ein astronomisches Lehrge-
dicht im cod. Monac. 287 {'Iaaaxi'oi> an'xoi ttsqI dvaioXf^c xai Svastog ron
aaTQMv iaf^tßixoi') und ein versifizierter Traktat über die pindarische
Metrik. Die Schollen zu Lykophron gehören ohne Zweifel dem Johannes
(s. oben); aber auch für das astronomische Gedicht hat die Autorschaft
des Isaak wenig Gewähr; denn dieselben Verse finden sich auch in den
Schollen des Johannes zu Hesiods Werken und Tagen und sind seinen
übrigen Schriften in Vortrag und Metrum so verwandt, dass wir die Zu-
teilung an Isaak ohne Bedenken auf die Willkür eines Abschreibers, der
den Isaak etwa aus Handschriften des Lykophronkommentars kannte,
zurückführen dürfen. Als sicheres Eigentum des Isaak Tzetzes bleibt
mithin nur das Stück Jlegl rwv IIivSaQixMv iitTQOiv übrig; es ist ein
umfangreiches Lehrgedicht in politischen Versen, dem ein kurzes jam-
bisches Proömium vorausgeht. Dass Isaak metrische Studien mit Liebe
und Verständnis betrieb, ist durch seinen Bruder wiederholt und ausdrück-
lich bezeugt. Der Raum, welchen der ältere Tzetzes in der Litteratur-
geschichte beanspruchen darf, ist mithin ein verschwindend kleiner, und
wenn in der philologischen Litteratur gemeinhin von den „beiden Tzetzes"
die Rede ist, so kann das zu unrichtigen Vorstellungen Anlass geben. Es
ist w^ohl geraten, künftig von dieser Terminologie abzusehen und, wenn
es sich nicht um die erwähnte metrische Schrift handelt, einfach den Jo-
hannes Tzetzes anzuführen.
Schrift über die pindar. Metren ed. J. A. Gramer, Anecd. Paris. I (1839) 59-162. — ,
Im übrigen s. die Litteratur zu .Johannes Tzetzes, besonders Hart S. 24 32.
llö. Eustathios {EvarccO^iog) wurde wahrscheinlich in Konstantinopc
geboren; wenigstens erhielt er dort seine Jugendbildung. Anfjinglich b(
kleidete er die Stelle eines Diakons an der Sophienkirche und wirkt
ausserdem als öffentlicher Lehrer der Beredsamkeit. Im Jahre 117^
wurde er zum Erzbischof von Myra in Lykien bestimmt, gab aber dei
gleichzeitig verwaisten kleineren Sprengel von Thessalonike den Vorzug
Mit seiner Ernennung zum Erzbischof i. J. 1175 beginnt ein neuer Absclmitt
in seinem reichen Leben, sozusagen der praktische Teil, was sich auch in
der Reihenfolge seiner Werke ausspricht; seine wissenschaftlichen
Arbeiten, die Kommentare, entstanden in der Zeit seiner Lehrthätigkeit in
Konstantinopel, die auf die Geschichte seiner eigenen Zeit bezüglichen,
meist aus aktuellen Anlässen hervorgegangenen Schriften während seines
Episkopats. Als geistlicher Vorstand von Thessalonike, damals der zweiten
Stadt des Reiches, wirkte er nn't aufopfernder Liebe und blieb seiner Ge-
meinde auch in der Bedrängnis des Normannenkrieges 1185 treu. Mit
grösster Energie bemühte er sich, den Stand der Mönche geistig und
5. Altertumswissenscliaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 116.) 243
moralisch zu heben, ein Streben, das ihm in der Klostergeistlichkeit zahl-
reiche Feinde machte und sogar heftige Schmähschriften gegen seine Person
hervorrief. Kulturgeschichtlich interessant sind seine eindringlichen Mah-
nungen an die Mönche, die Schätze der Bibliotheken nicht zu ver-
geuden, er sagt in seiner Schrift über den Mönchsstand mit Beziehung
darauf; „Ach, Du Unwissender, warum machst Du die Klosterbibliotheken
Deiner Seele gleich? Und weil Du von allen Kenntnissen entblösst bist,
willst Du auch aus diesen alle Bücherbehälter wegräumen? Lass sie das
Kostbare behalten; nach Dir wird ein Kenner oder Freund der Litteratur
kommen." Nach einer reichen litterarischen und praktischen Wirksamkeit
starb Eustathios zwischen 1192 und 1194; sein Freund und Amtsgenosse
Michael Akom inatos in Athen ehrte ihn durch einen begeisterten Nekro-
log, ebenso sein Freund Euthymios, Metropolit von Xeupatras in Thes-
salien.
Eustathios gehört dank seinen Homerkommentaren zu den wenigen
Byzantinern, für die sich die klassische Philologie zu erwärmen vermochte.
Er ist aber viel mehr als ein blosser Scholiast, mehr als ein trockener
Stubengelehrter. Eine selbständige Betrachtung der byzantinischen Kultur
und Litteratur erblickt in Eustathios eine an sich bedeutende und für die
Würdigung der Zustände des zwölften Jahrhunderts massgebende Persön-
lichkeit. Von diesem Standpunkte aus sehen wir in ihm den klugen Mann
von politischem Blick, dessen zeitgeschichtliche Stücke uns über einen
wichtigen Abschnitt der byzantinischen Aera aufklären; wir bewundern in
dem Theologen Eustathios den kühnen Freimut, womit er die Korruption
des Klosterlebens bekämpft und ein lebendiges Sittengemälde seiner Zeit
vor Augen führt; wir schätzen endlich den Gelehrten, der, obschon er
an dem politischen, kirchlichen und sozialen Leben der Zeit rege beteiligt
ist, durch sein Wissen die Zeitgenossen überragt, ja in der Geschichte
der griechischen Philologie überhaupt eine bemerkenswerte Stelle be-
hauptet. Wenn wir den Eustathios in diesem Sinne würdigen, so
tritt er aus dem Dunstkreis unfruchtbarer Scholiastenweisheit heraus
und erscheint uns als eine weniger für die philologische Disziplin als für
die Litteratur- und Kulturgeschichte seiner Zeit bedeutsame und in vielen
Zügen auch dem modernen Gefühle hochsympathische Individualität. Die
litterarische Hinterlassenschaft des Eustathios zerfällt in zwei der Ent-
stehungszeit und dem Inhalte nach verschiedene Gruppen, nämlich 1. die
während seiner Lehrthätigkeit in Konstantinopel entstandenen Kommen-
tare zu alten Autoren. 2. Werke von aktuellem Charakter d. h. Ab-
handlungen, Reden, Briefe, welche, meist während seines Episkopats
abgefasst, teils auf die Zeitgeschichte, teils auf kirchliche Reform und Be-
lehrung Bezug haben.
. 1. An der Spitze der ersten Gruppe stehen nach Umfang und Be-
deutung die Kommentare zur Ilias und Odyssee des Homer: Ev-
ataiXov uQxifTTicxönov QiaaaXovixr^c TTctgsxßoXal tig tijv 'Oui^oov 'Odvacsiav —
'iXtäöa. Der Kommentar zur Ilias ist doppelt so umfangi-eich als der zur
Odyssee, was teils mit der früheren Abfassungszeit, teils mit dem grösseren
Reichtum der alten Quellen für die Ilias zusammenhängt. Beiden Kom-
16*
244 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
mentaren gehen JjQooi'/^ua voraus, in welchen Eiistatliios über poetiscli«
Unterschiede zwischen Ilias und Odyssee, über die Schicksale der homeri-
schen Poesie, über die Bedeutung des Homer für die gesamte spätere
Kultur und Litteratur u. s. w. handelt: fJartfc nctq avio) xait'Xvactv, ot
ftkv (de xal diäyeir uap' avifl) ftt'xQi riXovg xal tmv avrov ai^aaiiluiv uno-
TQi(f talhat, Ol öt SiGTB xqtXctv dnoirXijffai riva xcd avvsiaereyxtTv i^ avrov
Tfo Xoyo) Tt xQi]aiiiov u. s. w. Der Hauptwert dieser zwei Werke besteht
nicht in selbständiger Auffassung und Deutung, sondern in der Sammlung
alter Gelehrsamkeit. Die wichtigsten Quellen derselben sind: Homer-
scholien, Athenäos, Strabon und Stephanos von Byzanz: ausserdem Aristo-
phanes von Byzanz, Heraklides aus Milet und zwei griechische Schriften
des Sueton; endlich Lexikographen wie die Attizisten Aelios Dionysios
und Tansanias, vielleicht auch rhetorische Lexika, wenn diese nicht etwa
mit den genannten Attizisten identisch sind. Auch Suidas, das Etymo-
logicum Magnum und ein „anonymes rhetorisches Lexikon" werden aus-
drücklich zitiert. Ob das Wörterbuch des Eudemos direkt benützt ist.
lässt sich noch nicht entscheiden.') Wohl ungefähr gleichzeitig vcrfasst(
Eustathios eine Paraphrase und Scholien zu dem geographischen Epos
des Dionysios Periegetes, die er noch vor den Homerkommentareii
(zwischen 1170 — 1175) veröffentlichte. Diese 'FTro/ny'"^") denen ein wort-
reicher Widmungsbrief über Dionysios vorhergeht, sind eine freie prosaische
Umschreibung mit erklärenden Zusätzen, die mit der Paraphrase in ein
Ganzes zusammenfliessen. Auch hier liegt die Hauptbedeutung in der Ver-
wertung guter, zum Teil verlorener Quellen, wie der alten Scholien des
Dionysios Periegetes, des vollständigen Stephanos von Byzanz und ver-
lorener Schriften des Arrianos. Noch früher als die Kommentare zu Homer
und Dionysios scheint der Kommentar zu Pindar entstanden, von dem
bis jetzt nur die treffliche Vorrede bekannt geworden ist: EvaratHov fitjQo-
noXhox^ GaaaaXoyfxr^c exi er diaxövoic ovrog JiQÖXoyoc tmv IlivdttQixiov txuq-
exßoXüw. Er berichtet hier zuerst über den Charakter der lyrischen und
besonders der pindarischen Poesie, dann über das Leben des Pindar, end-
lich über die Entstehung der olympischen Spiele, das Pentathlon u. s. w.
Das ganze Stück gehört durch die Fülle guter, sonst nicht bekannter Nach-
richten und Bemerkungen zu den wertvollsten Proben byzantinischer Ge-
lehrsamkeit. Unter den vier Vitae Pindari, die wir besitzen, nimmt die
des Eustathios bei weitem die erste Stelle ein. Vielleicht könnte es ge-
lingen, über die Beschaffenheit der Pindarscholien aus den übrigen Kom-
mentaren des Eustathios nähere Kenntnis zu gewinnen. Scholien des
Eustathios zu den Epigrammen soll ein durch Feuersbrunst verzehrter
cod. Escurial. enthalten haben. ''^) Als Erzbischof von Thessalonike schrieb
er endlich einen Kommentar zum Pfingsthymnus des Johannes
Damaskenos, den er nach der Eroberung der Stadt durch die Normannen
im J. 1185 veröffentlichte.
2. Zur zweiten Gruppe gehören : A. Eine Geschichte der Eroberung
*) Vgl. Christ, Griech. Litteraturgesch. 1 de la bibliotheque de rEscurial, Paris 1848
2. Aufl. « 40. I S. VI.
'') S. E. Miller, Cataloguo des mss. grecs ;
5. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 116.) 245
der Stadt Thessalonike durch die Normannen und der dieser Kata-
strophe vorausgegangenen Ereignisse. B. Eine Rede an Kaiser Manuel,
gehalten 1174 oder 1175, eine Trauerrede auf den Tod desselben Kaisers
(1180), eine Ansprache an Kaiser Isaak Angelos: Avroax^'^iog XaXid
TTQvg TOI' avToxQcctOQa 'Icfaccxior rov 'AyyfXov sv <PiXinnovn6Xei^ öts ovo
vvxTfQovg fx^QOf^idg inoni](iaTO xaxd tmv 2xvd^<ay dvatSevaaf^ievcov trjvixäöe
wgag fm TTQorof^if^ rov &fov. C. Eine Sammlung von 7 4 Briefen an
den Kaiser, an sonstige geistliche und weltliche Würdenträger und an
Privatpersonen. Briefe an Eustathios besitzen wir von seinem Freunde, dem
Bischöfe Michael Akominatos. D. Eine Reihe von Schriften, die aus
seinen reformatorischen Bestrebungen und seinen Kämpfen gegen die ihm
feindlichen Klosteräbte hervorgingen, so vor allem die berühmte Abhand-
lung über die notwendige Reform des Klosterlebens: 'Eniaxfif^fig
ßi'ov f^iijYayuxov in) Siood^oiaei roh' negl avtöv, eine heftige Anklageschrift,
aus welcher wir deutlich erkennen, welchen Widerstand die Mönche der
gewissenhaften Aufsicht ihres erzbischöflichen Vorstandes entgegengesetzt
hatten. Eustathios war in diesem Kampfe unterlegen und hatte, wahr-
scheinlich bald nach 1185, Thessalonike verlassen; in dieser zeitweiligen
Verbannung schrieb er wohl die genannte Abhandlung und einen Brief an
die Thessalonizenser. In die polemische Litteratur gehört ferner die grosse,
rhetorisch gefärbte Schrift, worin er sich gegen den Vorwurf der Un-
versöhnlichkeit verteidigte: ÜQog zovg ineyxaXovYtccg avtoi firr^aixaxiai.,
sTnoTs drafiir^a^fii^ xaxoia^wg yevofAevr^g no&iv aino). Eustathios scheint
sie nach seiner Wiedereinsetzung geschrieben zu haben, als die unterlegene
Partei seiner Gegner sich wohl durch den Vorwurf der Unversöhnlichkeit
zu rächen suchte. In dieser Zeit entstand endlich die Abhandlung über
die Heuchelei: Jlfoi imoxoi'aewg, in welcher die Schrift gegen die Mönche
schon als bekannt vorausgesetzt ist; sie gehört zum Besten, was in der
byzantinischen Zeit geschrieben worden ist. Eustathios bekämpft das Laster
der falschen Frömmigkeit mit einer Frische und einer Schärfe, die uns
seinen klaren Blick und seinen unabhängigen Charakter im besten Lichte
erscheinen lassen, i) E. Weniger fesseln die rein kirchlichen Schriften, in
denen das persönliche und zeitgeschichtliche Interesse zurücktritt, wie die
Predigten über die Fastenzeit, über den Gehorsam gegen die christliche
Obrigkeit, über den Schutzheiligen von Thessalonike, Demetrios Myroblytes,
den heiligen Philotheos u. s. w. Hübsch ist die in dialogische Form (Per-
sonen: Hierokles und Theophilos) gekleidete Betrachtung über die geist-
lichen Attribute: ^eoifiXtaTog und ifQOitaxog; sehr merkwürdig der
kleine Traktat: Ilgog rör ßagewc dxovovta, fmeg ifQMj^ie'rog wv xakencti
nanäg, in welchem Eustathios mit allerlei antiquarischer und etymologi-
scher Gelehrsamkeit nachweist, dass die Priester unrecht hätten, sich des
ihnen vom Volke erteilten (noch heute üblichen) Titels na nag zu schämen;
es liege in diesem Worte ebensowenig etwas Gemeines als in der Bezeich-
nung ndnnog oder nönog (davon russisch Pope) oder ndnag. F. Endlich ver-
suchte sich Eustathios auch auf dem Gebiete der Kirchendichtung; zwei
') Man lese z. B. die interessante Stelle ' Eustathii opusc. ed. Tafel 1832 S. 94 (Cap. 27).
iil)erdieäu88ereEr8cheinungderMönche,
246 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
Kanones von ihm stehen in Eustathii Thess. op. ed. Tafel S. 36 ff.; 166 ff.,
wo sie freilich durch das Missverständnis des Herausgebers wie Prosa ge-
druckt sind.
Ausgaben und Hilfsmittel: 1. Kommentar zur Ilias und Odyssee: Ed.
pr. Romae 1542 — 1550, 3 voll. (vol. I zur Ilias, vol. II zur Odyssee, vol. III Index). —
Wiederholt Basel 1559- -1560. — Unvollendet blieb die Ausgabe mit Kommentar und Ueber-
setzung, Florenz 1730 -1735. — Endlich wurde der Ed. pr. (ohne Beiziehung handschrift-
licher Hilfsmittel) zu einem neuen Abdrucke verholfen von Stallbaum, 7 Bände, Leipzig
1825—1830. — Auszüge finden sich in verschiedenen Homerausgaben. — Ueber die Quellen
der Homerkommentare: Photii lexicon ed. Naber (1864) I S. 48 ff. — K. Lehrs,
De Aristarchi studiis Homericis, Lipsiae 1865 S. 33 f.; 370 — 375. Aug. Lentz, Herodiani
technici reliquiae t. I, Praef. S. 215. — La Roche, Die homerische Texteskritik (1866)
S. 151—174. — H. Schrader, Ueber die Porphyrianischen Iliasscholien, Hamburg 1872
S. 23 f. — Sehr lehrreich ist L. Cohn, De Aristophane Byzantio et Suetonio Tranquillo
Eustathii auctoribus, Jahns Jahrb., 12. Supplementb. (1881)283—374; vgl. 13. Supplementb.
(1884) 858- 862. — L. Cohn, De Heraclide Milesio grammatico, Berliner Studien 1 (1884)
603—718. — Aug. Hotop, De Eustathii proverbiis, Jahns Jahrb. 16. Supplementb. (1888)
249—314 gibt eine unvollständige Sammlung der in den Kommentaren zur Ilias und Odyssee
angeführten Sprichwörter. — Aelii Dionysii et Pausaniae Atticistarum fragmenta coli. Em.
Schwabe, Lipsiae 1890; in den Prolegomena findet man eine Untersuchung über die lexiko-
graphischen Vorlagen des Eustathios. — Prologos zum Pindarkommentar: Ed. pr.
L.F.Tafel in: Eustathii Thess. opuscula, Francofurti 1832 S. 53—61. — Dann bearbeitet
mit Erläut«nmgen von F. G. Schneidewin: Eustathii prooemium commentariorum Pindari-
corura, Gottingae 1837. — Vgl. Pindari carmina ed. Dissen-Schneidewin, Gothae 1843
S. C. - Kommentar zu Dionysios Periegetes: Ediert mit einer anderen (anonymen)
Prosaparaphrase in: Dionysios Periegetes ed. G. Bernhardy, Lipsiae 1828 S. 67 ff., eine
hervoiTagende Jugendarbeit des grossen Gelehrten, welche die früheren Leistungen weit
überholte und den Nachfolgern wenig zu thun übrig Hess. — Auf Bernhardy ruht im
Wesentlichen die Ausgabe von C. Müller, Geogr. Gr. min. II 201 ff.; vgl. seine Pracfatio
S. 31 ff.; S. 39 über die früheren Ausgaben. — Komm, zu Job. Damaskenos ed.
A. Mai, Spicilegium Rom. 5, 161 ff. — Ueber die Abfassungszeit der Kommentare: Fr.
Kuhn. Commentationes in honorem Guil. Studemund, Argentorati 1889 S. 249 257. —
Heinrich Grossmann, De doctrinae metricae reliquiis ab Eustathio servatis, Diss. Strass-
burg 1887. Vgl. P. Egenolff, Bursian-Müllei-s Jahresber. 48 (1890) 284 ff.
2. Die Werke der zweiten Gruppe zumeist in: Eustathii Metropolitae Thessalon i-
censis opuscula. E codd. mss. Basileensi, Parisinis, Veneto nunc prinium ed. L. Fr. Tafel.
Francofurti ad Moenum 1832. - Das historische Werk De Thessalonica a Latinis capta
wurde mit lat. Uebersetzung wiederholt von I. Bekker im Bonner Corpus mit Leo Gram-
maticus, Bonn 1842 S. 365-512. — Reden des Eustathios mit einigen anderen auf Eu-
stathios bezüglichen Stücken edierte Tafel: De The.ssalonica eiusque agro dissertatio geo-
graphica, Berolini 1839 S. 350 — 439 (6 Briefe des Michael Akominatos an Eustathios; dn'
2 Trauerreden auf den Tod des Eustathios von Michael Akominatos und Euthymios; Redr
des Eustathios an Kaiser Manuel, als er zum Erzbischof von Myra bestimmt war; Reii'
an Manuel, gehalten im Namen der Stadt Konstantinopel, als dieselbe durch ungcwöhnlicli'
Trockenheit litt). — Bezüglich der Briefe ist zu bemerken, dass Tafel in den genanntii;
Ausgaben mehrere Stücke dem Eustathios zuteilt, die, wie sich schon aus den Namen der
Adressaten ergibt, in Wahrheit dem Michael Psellos gehören. Aus Tafel ging die Ver-
wirrung auch in die Patrol. Gr. von Migne über. Genaueres hierüber s. bei K. N. Sathas.
Mea. ßißXio&rjxtj vol. 4 IlQÖkoyos S. 30; 67; vol 5 IlQcXoyog S. 75 (oe). — Gesamtaus-
gabe der meisten Werke der 2. Gruppe nach Tafel, A. Mai u. s. w. bei Migne, Patrol.
Gr. 135 (1864) und 136 (1865), grösstenteils mit lateinischer Uebersetzung.
3. Einige Stücke gab L. F. Tafel in deutscher Uebersetzung, nämlich die
'EniaxeilJii ßiov fxoyajfixov: Betrachtungen über den Mönchsstand. Aus dem Griechischen
des Eustathius von Thessalonich von L. F. Tafel, Berlin 1847. — Dann die (trab red«'
auf den Kaiser Manuel Komnenos, das historische Stück (1180—11(^5) und die Rode an
Manuel, als Eustathios zum Erzbischof von Myra bestimmt war. in dem Werke: Komnenci
und Normannen. Von L. F. Tafel, Ulm 1852 (2. unveränderte .\usg. 1870). -■- Weiter^
Uebersctzungen und sonstige Eustathiaiia finden sich im ungedruckten Nachlasse Tafeis.
Vgl. Neander. Charakteristik des Kusfatbius von Thessalonike in .seiner refonnatorischen
Richtung, phil.-hist. Abhandlungen der Berliner Akademie 1^*41, 67-79. - Briefe de-
Michael Akominatos an Eu.statliioH und de.ssen Trauerrede auf Eustathios edierte grii'
chisch und deutsch Ad. Ellis^cn. Micluu'I Akominatos von Chonae, (töttingcn 1S4(>. Vcl.
die Litteratur zu g 96.
5. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 117— 118.) 247
117. Michael Senacherim {2fiaxrjQei\ii) lebte um die Mitte des
13. Jahrhunderts als Lehrer der Rhetorik und Poesie in Nikäa. Ein an
ihn gerichteter Brief des Kaisers Theodor Dukas Laskaris ist in einem
cod. Casin. erhalten. Von ihm stammen unedierte Schollen zu Homer, die
in mehreren Handschriften vorkommen. Bemerkungen über Handschriften
nebst litterarischen Nachweisen gibt AmadeusPeyron, Notitia librorum
manu typisve descriptorum, qui donante Ab. Thoma Valperga-Calusio v. cl.
illati sunt in reg. Taurin. Atlienaei bibliothecam, Lipsiae 1820 S. 23.
118. Die Philologen der Palaeologenzeit sind nach Charakter,
Vermögen und Sinnesrichtung Vorboten einer neuen geistigen Aera. Sie
sind in ihrer Studien weise und Tendenz weniger mit einem Photios, Ai-ethas
und Eustathios verbunden als mit den ersten Bahnbrechern der klassischen
Wiedergeburt im Abendlande. Wenn nun Männer wie Plan u des, Moscho-
pulos, Thomas Magistros, Triklinios jenen ärmlichen Schulbetrieb
altgriechischer Weisheit darstellen, wie er in den letzten Jahrhunderten
des Reiches unter dem härtesten Drucke der äusseren Verhältnisse fort-
gefristet wurde, so verlangt die geschichtliche Gerechtigkeit, dass ihre Be-
strebungen und Erfolge vom Standpunkte ihrer Zeit aus gewürdigt werden.
Dann können wir nicht umhin, manchen dieser Frühhumanisten unsere
höchste Anerkennung zu zollen. Ein grosser Teil der philologischen Hand-
schriften dieser Epoche sind freilich nur wertlose Lehr- und Lernhefte,
die häufig anonym oder unter verschiedenen Namen gehen. Sie bildeten
ein wohlfeiles Gemeingut für Lehrer und Schüler, worin ursprüngliche
Vorlagen nach dem zufälligen Bedürfnis ausgezogen , erweitert , inter-
poliert und miteinander verquickt sind. Solche AVillkür in der Her-
stellung und Verbreitung von rhetorischen, grammatischen, lexikalischen
und metrischen Schulbüchern herrschte indessen auch schon in früherer
Zeit, nur dass wir aus ihr weniger Exemplare besitzen. Hierin verfuhren
also die Schulleute unter den Palaeologen nicht anders als ihre Vorfahren.
Ganz scharf und prinzipiell aber unterscheiden sich die Gelehrten der
letzten Jahrhunderte von den Erklärern und Kopisten der makedonischen
und komnenischen Aera in der Behandlung der klassischen Texte.
Während die meisten Handschriften des 9. bis 12. Jahrhunderts im grossen
und ganzen die üeberlieferung der alexandrinischen und römischen Zeit
darstellen, begannen die Byzantiner der Paläologenzeit die alten Werke nach
vorgefassten Ideen und selbsterfundenen metrischen Schablonen so frisch
und fröhlich zu ändern wie die noch nicht ganz ausgestorbene moderne
Philologenschule, die sämtliche Texte ins Krankenzimmer verwies und dann
den armen Patienten durch ungezählte Konjekturalpflästerchen aufzuhelfen
wähnte. So schlecht wie manche neuere Doktoren haben nun freilich die
byzantinischen Verbesserer ihre Sache nicht gemacht. Wir Klugen und
Weisen hätten ja sonst nicht so lange gebraucht, um ihnen allmählich
hinter ihre Kniffe zu kommen und mit ihren kecken Uebermalungen auf-
zuräumen. „Sie haben so manchen Vers für immer geheilt, und viel öfter
248 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur,
das Auge von Jaliiluindeitcn geblendet." ') Für die Wissenschaft aber
entspringt aus der Erkenntnis dieser Thatsache die Forderung auf dem
ganzen Umkreise der klassischen Litteratur, wo es nur immer möglich ist,
den vorpalaeologischen Stand der Ueberlieferung zu ermitteln.
Treffende Würdigung der byzantinischen Philologen der Paläologenzeit und ihres
Verhältnisses zu Früheren und Späteren von Ulr. von Wilamowitz-Moellendorff,
Euripides Herakles, Band 1 (Berlin 1889) 193 flF. — Wichtige Beiträge zu den philologi-
schen Biographien der Paläologenzeit gibt Max Treu im Kommentar seiner Ausgabe der
Briefe des Planudes, 2 Progr. Breslau 1889-1890.
110, Maximos Planudes {Ma^ij^iog o nXavovdi^c), vor seinem Eintritt
in den Mönchsstand Manuel genannt, wurde um 1260 zu Nikomedia ge-
boren und lebte als Mönch, wissenschaftlichen Studien und der Lehrthätig-
keit ergeben, in Konstantinopel unter den Palaeologen Michael VIII und
Andronikos II. Von dem Letzteren wurde er 1296 zusammen mit dem
Waisenhausvorsteher Leon Bardales als Gesandter nach Venedig geschickt.
Er starb im 50. Lebensjahre um 1310. Planudes gehört nach seiner Geistes-
richtung und seinen persönlichen Beziehungen in den Kreis der byzantini-
schen Vorläufer des westeuropäischen Humanismus. Was ihn aber mit
der neu erstehenden Bildung des Abendlandes noch enger verknüpft als
einen Moschopulos, Triklinios u. a., ist seine Kenntnis der lateinischen
Sprache und Litteratur. Seit langer Zeit war den Griechen alles
lateinische Wissen abhanden gekommen, und Rom war den Rhomäerri ein
fernes, durch Hass und Vorurteil abgesperrtes Gebiet geworden. Indem
nun Planudes eine grössere Zahl lateinischer Werke ins Griechische über-
trug, schlug er die Brücke, über welche später byzantinische Flüchtlinge
als Apostel des Hellenismus nach Italien wanderten, um die grossen Werke
ihrer Vorfahren mündlich und schriftlich zu erklären und so den lange
unterbrochenen Wechselverkehr römischer und griechischer Kultur wieder-
herzustellen. Die Anregung zu seinen lateinischen Studien erhielt Planudes
^vahrscheinlicli durch die dogmatischen Kämpfe zwischen Ilom und Byzanz.
Seiner Kenntnis des Lateinischen verdankte er wohl auch die Wahl zum
Gesandten nach Venedig. Die litterarische Thätigkeit des Planudes war
vorzüglich den Bedürfnissen des Unterrichts gewidmet; doch umfasste er
hier ein ziemlich weites Gebiet. Wir nennen zuerst die Werke von selb-
ständiger Form, dann die Sammlungen, endlich die Uebersetzungen.
1. Der Schule diente Planudes zunächst durch eine Grammatik
{/JfQi /(>«,«/< «t/x/^c) in der Form eines Dialogs zwischen Palactimos und
Neophron, also ein ähnliches Werk wie die 'EQoni]i^ictia des Moschopulos;
am Schlüsse findet sich eine bemerkenswerte Notiz über die Herkunft des
politischen Verses. Daran reiht sich eine syntaktische Allhandlung
{llfQi avvTtt^foyg). Als Thema einer sophistischen Deklamation wählte er
sich die oft behandelte Vergleichung des Winters und Frühlings:
^vyxQKttg x^ifiüirog x(d PaQog. Seine Stilgewandtheit verwertete Plaiuules
reichlich in einer ausgedehnten Korrespondenz; er hinterliess eine Samm-
lung von 121 (meist zwischen 1292 und 1300 abgefassten) Briefen an
Andronikos II, dessen Bruder Konstantin Porphyrogennetos, Nikephoros
') U. von Wilamowitz-Moollondortf, Kuripidos Heraklos I 194.
I
5. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 119.) 249
Chumnos, Johannes Phakrases, ') an seinen Kollegen auf der Gesandtschaft
nach Venedig, den Waisenvater Leon Bardales, und sonstige geistliche und
weltliche Würdenträger. Hier erscheint Planudes als Stilist wie als Mensch
von der besten Seite; manche Briefe enthalten auch interessante Aufschlüsse
über sein Leben, seinen wissenschaftlichen Eifer und seine Studien. End-
lich gehören ihm Schollen zu Theokrit und Hermogenes; eine Biographie
des Aesop und eine Prosabearbeitung der äsopischen Fabeln, ein metri-
sches Enkomion auf Cl. Ptolemaeos, kleinere Gedichte in verschiedenen
Versmassen und zahlreiche theologische Schriften. Planudes vereinigte —
ein seltener Fall — mit philologisch-grammatischen Kenntnissen auch
mathematische. Wir kennen ihn auf diesem Gebiete durch ein für
die Geschichte der Mathematik nicht unwichtiges Rechenbuch: ^i^ffotfoqta
xccT 'Irdoi'c ?; Xfyoiievi) ueyctXr^. Wahrscheinlich stammen von Planudes
auch Schollen zu den zwei ersten Büchern der Arithmetik des Diophantos.
2. Die rein kompilatorischen Arbeiten des Planudes eröffnet eine
Exzerptensammlung historisch-geographischen Inhalts, ^vvctywyr^
txleyiToct dno SiccifÖQow ßiß).iün\ ein Werk, das in der überlieferten Ge-
stalt wenig Ordnung und Plan verrät. Vielleicht beabsichtigte aber Pla-
nudes auf Grund des hier gesammelten Materials ein ähnliches Miszellen-
werk auszuarbeiten, wie es uns in den '^Vnoi.iir^i.iaTiaßoi des Theodoros
Metochites vorliegt. In diesen für Textkritik beachtenswerten Auszügen
sind vertreten Plato, Aristoteles, Strabo, Pausanias, Dio Cassius (bzw.
spätere Ausschreiber desselben), Synesios, Dio Chrysostomos, Johannes
Lydos; vielleicht benützte Planudes auch die Chronik des Manasses.^) Daran
reiht sich seine Sammlung von Epigrammen: 'Avd^oXoyi'a 6ia(f6QO)v ijxi-
yQaminxun'. Endlich veranstaltete er eine Sammlung byzantinischer
Sprichwörter: /Ic(qoii.iuu ör^fKÖdeig avXXeyftaai naoa tov aotfonäiov xvqov
Mce^i'uov toi) nlavovSov. Auch gehört hieher ein Verzeichnis oder viel-
mehr eine Redaktion der Schriften des Plutarch.
3. Die Uebersetzungen des Planudes können nicht als Muster von
Treue und stilistischer Gewandtheit gelten; aber man darf nicht vergessen,
dass wortgetreue und dem gesamten Kolorit des Originales nachstrebende
üebertragungen im Mittelalter überhaupt unbekannt waren. Auch muss
zur Entschuldigung für manche Versehen beachtet werden, dass Planudes
bei der Vernachlässigung lateinischer Studien in Byzanz hier völlig als
Autodidakt arbeitete. Die Schriften, welche er übertrug, gehören zur Lieb-
lingslektüre des Mittelalters und spielen daher auch in der sonstigen Ueber-
setzungslitteratur eine grosse Rolle. In den ersten Zeiten des Humanismus
dienten die Uebersetzungen des Planudes wohl vielfach als Lehr- und
üebungsbücher im griechischen Unterrichte; so erklärt sich die fast un-
übersehbare Zahl der Handschriften. Die wichtigsten Stücke sind: Die
unter dem Namen des Cato gehende Sammlung von Spruchgedichten;
Ovids Metamorphosen und Herolden (in Prosa); Ciceros Somnium Sci-
pionis mit dem Kommentar des Macrobius; Caesars Bellu Gallicum;
') Ueber die Familie Phakrases s. die -) S. jedoch (4. Sotiriadis, Zur Kritik
Ausgabe der Briefe des Planudes von M. Treu des Johannes von Antiochia S. 52.
■S. 197 f.
250 Byzantinische Litteraturgeschichte. I, Prosaische Litteratur.
des Boethius Werk De consolatione philosophiae, wobei die in das Werk
eingestreuten metrischen Stücke in gleichen Versmassen wiedergegeben
sind; die kleine Grammatik (ars minor) des Donatus; des Augustinus
Buch De trinitate. Bei einigen Stücken ist die Autorschaft zweifelhaft;
so streitet sich um die Uebersetzung eines Teiles der Rhetorik Ad Heren-
nium Thomas Gazes mit Planudes.
Ausgaben und Hilfsmittel: 1. Grammatik und Syntax ed. L. Bachmann,
Anecdota Graeca II (1828) 1—166. Vgl. Fr. Ritschi, Opuscula, vol. I (1866) 291 299. —
Verglcichung des Winters und Frühlings: Ed. Fr. Boissonade, Anecdota Graeca
II (1830) 310 — 339. Erste kritische Ausgabe von Max Treu, Gymnasialprogramm, Ohlau
1878. — Briefe: Teilweise von E. Piccolomini, Estratti inediti dai codici Greci, Pisa
1879 S. 49 — 89; vgl. die Vorrede S. 43 ff. Ein Stück ed. aus einem die ganze Sammlung
entbaltcnden Codex Athous Sp. Lambros, JsXrioy rijg iaroQ. xcd e9yoXoy. sTatgiag Jt'jg
'EAArtJo? 2 (1885 - 89) 62— 64. Vollständig ed. Max Treu, 5 Programme des K. Friedriohs-
gymnasiums, Breslau 1886—1890 (auch als selbständiges Buch, Breslau 1890) mit einem
trefflichen, für die Kenntnis des Planudes und .seiner persönlichen Beziehungen grundlegen-
den Kommentar. — Scholien zu Hermogenes ed. Chr. Walz, Rhetores Graeci, vol. 5
(1833) 212 — 576. — Biographie des Aesop und Fabeln ed. Aldus, Venedig 1505;
ed. Accursius Pisanus s. 1. et a. Eine vulgärgriechische Bearbeitung der Sammlung des
Planudes erschien Venedig 1543. Vgl. E. Legrand, Bibliogr. hell. I 241. — Einzelne
Gedichte des Planudes bei Iriarte, Catalogus codd. Matrit. (1769) I 263; Boisso-
nade, Anecdota Graeca III (1831) 461—464; Max Treu a. a. 0. S. 204; 220 ff.; 267 ff.
Rechenbuch: Ed. C. I. Gerhardt, Halle 1865. Das Rechenbuch des M. PI. deutscli
übersetzt von H. Wasch ke, Halle 1879. Vgl. Moritz Cantor. Vorlesungen über (Ji
schichte der Mathematik I (1880) 432 ff. Paul Tannery, Les chiffres arabes dans 1«
mss. Grecs, Revue archeolog III. serie 7 (1886) 355 — 360. - Scholien zu Diophantos
in: Diophanti Alexandrini rerum arithmeticarum libri sex, quorum primi duo adiecta habeiii
scholia Maximi Planudis, ed. G. Xylander, Basileae 1575 (nur in lateinischer Uebor
Setzung). — Sammelausgabc der theologischen Schriften mit der Vergleichung dts
Wint«rs und Frühlings, einigen Gedichten und Briefen: Migne, Patrol. Graeca 147 (1865)
967—1178.
2. Zur historischen Exzerptensammlung: E. Piccolomini, Rivista di filo-
logia 2 (1873) 101-117; 149-163, H. Haupt, Hermes 14 (1879) 36 ff.; 291 ff.; 431 ff.
imd die Litteratur zu den einzelnen Autoren der Sammlung, besonders zu Strabo, Diu
Cas.sius und Johannes von Antiochia (§ 48). — Zur Anthologie: Christ, Grioch. Litte
raturgesch.- S. 444. Einen ergänzenden Nachtrag zur Anthologie des Planudes ed. an
einem cod. Barberin. und einem Vatican. mit einem Kommentar, der zahlreiche Beiträi;
zur Kritik und Erklärung der spätgriechischen Poesie (z. B. der Epigramme des Agatliia
enthält, Leo Sternbach, Anthologiae Planudeae appendix Barberino-Vaticana, Lipsij
1890. — Sprichwörtersammlung: Ed. pr. E. Piccolomini, Estratti inediti dai codi» i
Greci, Pisa 1879 S. 93 — 100. — Die Sprichwörtersammlung des Max. PI. erläut^^rt von Ed.
Kurtz, Leipzig 1886 (mit deutscher Uebersetzung und zahlreichen Parallelstellen). Roidio
Beiträge von 0. Crusius, Rhein. Museum 42 (1887) 386 425. Eine ältere verwandt»
Sammlung ed. K. Krumbacher, Sitzungsber. d. bayer. Akad. d. Wissensch., phil.-hist. (.'!
1887, 43 96, woselbst auch die Handschriften und die ganze einschlägige Litteratur vei
zeichnet sind. Vgl. die reichhaltigen Besprechungen von E. Kurtz, Blätter für das hayt'i.
Gymnasialschulwesen 1888, 205 ff., K. Weymann, Zeitschrift für vergleich. Littoratui
geschichte 2 (1888) 382 ff., J. Psichari, Revue critique 1888, N. 25 S. 505 ff. und K
Foy, Bezzenbergers Beiträge 14 (1888) 33 49.
3. Uebersetzungen: Catos Sentenzen, Basileae 1553; Lugduni Batav. 159-^
(mit dem lat. Text); Cygneae 1672 (lat. Text, vier griechische und eine deutsche Uober-
tragung) und öfter. Ovid: P. Ovidii Nasonis metamorph, libri XV Graeco versi a M.
PI. ed. Fr. Boissonade, Paris 1822. Heroiden: Nur Epistel XX und XXI 1 12 ed.
von C. Dilthey, De Callimachi Cydippa, Lipsiae 1863 S. 157 162. Vgl. Alfr. Ciudoman,
De Heroidum Ovidii codice Planudeo, Di.ss. Berlin 1888. — Cicoro-Macrobius in den
Varia (iraeca ed. Chr. Fr. Matthaei, Mosquae 1811 S. 91-221 (mit einem Stück der Ueber-
setzung des Auetor ad llerennium). Ed. Meissner, Leipzig 1878. - Caesar: Ed. Ant.
Baumstark, Freiburg 1834 (in der Vorrede Verzeichnis der älteren Ausgaben). — Boe-
thius: Zuerst nur die metrischen Stücke von Fr. Weber. Dannstadt 1833. Das ganze
Werk von E.A. Betaut. Genöve 1871 (ohne genügende diplomatische (Jrundlage). Ein
reiches Verzeichnis der Handschriften und älteren Drucke dieser Uebersetzungen gibt Fr.
Weber in der Vorrede seiner Au.sgabe.
5. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 120) 251
4. Biographie und Charakteristik: Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 11, 682 bis
693. — E. Piccolomini in den Estratti inediti, Pref. S. 43 ff. — Hauptschriften:
Max Treu, Zur Geschichte der Ueberlieferung von Plutarchs Moraba, Progr. Waldenbuig
1877 S. 14 — 17, wo zum erstenmale die Chronologie des Planudes richtig gestellt wird und
desselben oben erwähnte Ausgabe der Briefe des Planudes.
1*20. Manuel Moschopulos, ein Neffe des aus dem 18. Briefe des
Planudes, aus einem Gedichte des Manuel Philes und sonst bekannten
Metropoliten von Kreta Nikephoros Moschopulos, war Schüler und
Freund des Maximos Planudes und lebte demnach unter Andronikos II
Palaeologos (1282—1328). Seine Chi'onologie und seine persönlichen Ver-
hältnisse werden unter anderm durch seinen Briefwechsel genauer bestimmt ;
er stand zwischen 1295 und 1316 im schriftlichen Verkehr mit dem Logo-
theten Konstantin Akropolites, dem Sohne des Historikers Georgios
Akropolites, mit dem Logotheten Theodoros Metochites, mit seinem
Onkel Nikephoros Moschopulos und mit Kaiser Andronikos 11 Pa-
laeologos. Der Diakon Georgios Metochites, der in der Unionsfrage
gegen Planudes geschrieben hatte, richtete um 1308 auch gegen dessen
Schüler Moschopulos eine \4rTi'Qgr^aic.^) Die Schriften des Manuel Moscho-
pulos sind wie die seines Lehrers Maximos Planudes für die Erkenntnis
der byzantinischen Studienweise am Schlüsse des 13. und im Beginn des
11. Jahrhunderts von grösster Wichtigkeit. Das bekannteste unter dem
Namen des Moschopulos überlieferte Werk sind die ^Egcon^fiaTa ygctu-
liaTixä. Sie gehen auf eine anonyme, aus zwei Büchern bestehende
'ETiiTofii] na YQC(uij.aTtxt]c zurück, welche Moschopulos in die für die Schule
geeignete Form von Frage und Antwort umarbeitete. Manche Abschnitte
des Werkes wie das Kapitel Jlegi toottwv sind in den Handschriften selb-
ständig überliefert und zum Teil auch gesondert herausgegeben; als An-
hang der 'Egiorr^nara erscheint das Buch üegl axeÖMv, das auch besonders
gedruckt wurde. Die 'Booni^iiaia erfreuten sich in der ersten Zeit des
Humanismus grosser Beliebtheit und haben für die Förderung der klassi-
schen Studien nachhaltig gewirkt. Selbst das berühmte Lehrbuch des
Melanchthon geht indirekt auf Moschopulos zurück: denn Konstantinos
Laskaris, aus welchem der „praeceptor Germaniae" zunächst schöpfte, ist
von Theodoros Gazes abhängig und dieser wiederum von Moschopulos. Zu
dieser Grammatik kommt ein ebenfalls dem Zwecke des Unterrichts dienen-
des Lexikon: ^vXkoyi] ovoiickwv Uttixwv. Dagegen trägt das von Titze
dem Moschopulos zugeschriebene metrische Kompendium den Namen
dieses Verfassers mit Unrecht.^) Endlich hat sich Moschopulos auch auf
dem Gebiete der Klassikerinterpretation versucht. Wir haben von
ihm Schollen zu den ersten zwei Gesängen der Ilias, genauer gesagt eine
Art Schülerpräparation d. h. eine wörtliche Paraphrase des Textes und
eine sprachliche Analyse, die (auch heute noch in Griechenland) sogenannte
%(Xvo).oy(a. Damit verbinden sich ähnliche Erläuterungen zu Hesiod, zu
Pindars Olympioniken, zu Euripides, zu Theokrit und zu den Heroica
des Philostratos. In diesen Kommentaren ist Moschopulos im allgemeinen
kurz und sachlich. Den Schluss bilden Briefe im cod. Coislinianus 311,
') Ediert bei Migne, Patrol. Gr. 141, i *) S. § 148. 8.
1307-1406. S. § 122 Anm. 4. |
252 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
ein Traktat über die magischen Quadrate und noch manche unedierte
Schriften, die in den Handschriftenkatalogen häufig so undeutlich bezeichnet
werden, dass eine Identifizierung oder nähere Bestimmung ohne Autopsie
nicht möglich ist.
1. 'Eq (oitj finrn: Ed. princcps: Tov aotptotcitov xnl XoyuoTf'etov xvqov MayovtjX ror
^fo(rxo71oiXov dtoQx^w&e'fTwi' sQwirjfjiäxMv. IIeqI TiQoaw^iwy. S. 1. et a., aber wahrscheinlich
Mailand 1493 gedruckt (mit den 'EQtortjfittKe des Demetrios Chalkokondylcs). Dann oft wieder-
holt z. B. (iramniaticae artis Graecae methodus Manuele Moschopulo authore, Basileae 1540.
Ex officina Joann. Vualder. — IIsqi axe^My. Lutetiae 1545. Ex officina II. Stephani. —
Manuelis Moschopuli Cret. opuscula grammatica ed. Fr. Nicol. Titze, Lipsiae 1822,
enthält den ersten Teil der iTutofxtj vin yQdfificcTixi^g und einige kleinere Stücke. Einen
Abschnitt dieser 'EniTo/utj edierte schon G. H. Schaefer mit Grcgorius Corinthius,
Lipsiae 1811 S. 675 — 7Ü0. — Vollständig: Anonymi Grammaticae epitoma, L. I. ed. P.
Egenolff. Berolini 1877; L. IL pr. ed. P. Egenolff, in den Comment. in honorem G.
Studemundi. Argentorati 1889 S. 291 — 331. Vgl. G. Uhligs Ausgabe des Dionysius Thrax,
Proleg. S. 41 und P. Egenolff, Die orthoepischen Stücke der byzant. Lit. S. 23 ff. —
L. Bachmann, Anecdota Graeca II 351 — 382 edierte Excerpt« aus Moschopulos, Thomas
Magister u. a.; Boissonade, Anecdota Graeca I (1829) 404 ff. eine angeblich von Moscho-
pulos stammende Schrift IJeQi iniQQrjfiKTWP.
2. 2ivX}.oyrj 6v ofiäxoiv 'Ar n,xü> v ed. Franc. Asulanus, Vonet. apud Aldum 1524;
wiederholt Paris 1532 (mit der 'ExXoytj des Thomas Magister u. a.).
3. Scholien zu Homer: Homeri Iliadis liber I. IL cum scholiis M. Moschop. ed.
Jo. Scherpezeel, Amstelodami 1702; wiederholt Trajecti 1719. — Besser in den Scholia
in Homeri Iliadem ed. Lud. Bachmann, Lipsiae 1835 — 1838 S. 689 — 745 {TexvoXoyLu
xai'oi'KTfiratoy avXXsys'yTWf ix rijg Tjagncpgda ewg xvgiov Mayovtjk tov Moa)(onovXov iiof dvo
()uipu)(futh' TOV 'OfiTjQov). Vgl. K. Sittl, Sitzungsberichte d. philos.-philol.-hi.st. Cl. d. bayer.
Akad. d. Wiss. 1889, 371. - Scholien zu Hesiod in der Ausgabe von Gaisford; zu Pin-
dar in der Ausgabe von A. Boeckh, womit zu vergl. K. Lehrs, die Pindarscholien (1873)
S. 73 — 78. — Zu Theokrit in den Ausgaben von Gaisford und Duebner; vgl. Bucoli( .
Graecorum reliquiae ed. L. Ähren s II (1859) Prolegom. S. 49 ff.
4. Traktat über die magischen Quadrate: Ed. S. Günther, Vermischte Unter-
suchungen zur Geschichte der mathematischen Wissenschaften, Leipzig 1876 S. 195 — 203;
dazu Emendationen von A. Eberhard, Hermes 11 (1876) 434 — 442. -^ Verbesserter Text
mit französ. Uebersetzung von P. Tannery, Annuaire de I'assoc. 20 (1886) 88—118, wo
jedoch die Beiträge Eberhards übersehen sind. — Vgl. Paul Tannery, Manuel Moscho-
pulos et Nicolas Ilhabdas, Bulletin des sciences mathematiques t. 8, 1 (Paris 1884) 263 ff.
und desselben Notices sur les deux lottres arithmetiques de Nicolas Khabdas, Not. et extr.
t. 32, 1 (1886) 130 ff.; auch S. Günther, Handbuch d. klass. Altertumswiss. V 1, 46.
5. Ein kleines jambisches Gedicht des Moschopulos ed. E. Miller, Annuaire de
I'assoc. 8 (1874J 251 f.
6. Hilfsmittel: Wonig nützen jetzt die Prolegomena in Titzes Ausgabe des
Moschopulos und Fr. Ritschis Bearbeitung des Thomas Magister, S. LH ff. — Ueber die
Wirkung des Moschopulos auf die Humanisten s. Karl Hartfelder. Philipp Melanchthon,
Berlin 1889 S. 255 und L. Voltz, Jahns Jahrb. 139 (1889) 579-599 (Verhältnis des Mos-
chopulos zu den Erotcmata des Chrysoloras, Chalkokondylcs u. s. w.l. — Das Verdienst, die
Biographie des Moschopulos, über dessen Lebenszeit und Person früher die verworrensten
Ansichten herrschten, in den Hauptzügen völlig .sichergestellt zu haben, gebührt Max
Treu, Maximi monachi Planudis epistulae S. 208 — 212 (Progr. Breslau 1890).
121. Thomas Magister {0o)fiag u f^iäyiaiQoq), in Handschriften und
Ausgaben häufig auch nach seinem Klosternamen Theodulos monachos
genannt, wirkte unter Andronikos H (1283— l;i28) als Sehriftstellor und
Berater des Kaisers. Er gehört in den litterarischen Kreis des Moscho-
pulos, Theodoros Metochites und Nikephoros Gregoras; von dem letzteren
besitzen wir auch einen Brief an Thomas. Den wichtigsten Teil seines
Nachlasses bilden philologische Schulschriften, die sich in lexikalische
Arbeiten, Scholien und rhetorische Uebungs.stücke .scheiden.
1. Das Hauptwerk, durch welches der Name des Thomas vorzüg-
lich bekannt geblieben ist, führt den Titel: 'Exkoyij (auch fxXoyni) oro-
5. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 121.) 253
lictTOiv xul Qr^närcov 'Attixwv. Es ist eine, nur im ersten Buchstaben
alphabetisch geordnete Sammlung von Wörtern und Ausdrücken, die den
Schülern die Kunst griechisch zu schreiben, erleichtern sollen. Bei aller
Exilität ist die Sammlung durch den Reichtum ihrer Zeugnisse nicht ohne
Wert. Als Quellen benützte Thomas, wie es scheint, den Phrynichos,
Ammonios, Herodianos, Moeris und die von Bachmann edierte 2vray(oyt]
Xi^foyv x^/^rrn/wv, nach Ritschi auch des Moschopulos ^r//oy»- und seine
Schrift JJeoi ax^6o)r. Zu den Exzerpten aus älteren Wörterbüchern fügte
Thomas reichliche Notizen aus seiner eigenen Lektüre; dieselbe umfasste
vornehmlich Herodot, Thukydides, Aristides und die Briefe des Synesios;
weniger gründlich verwertete er für seinen Zweck den Philostrat und den
Homer; Einzelnes endlich entnahm er dem Plato, Demosthenes, Lukian und-
Libanios. Die meisten Autoren zitiert natürlich auch er aus zweiter oder
dritter Hand.
2. Scholien zu Aeschylos, Sophokles, Euripides, zu 3 Komödien des
Aristophanes und zu Briefen des Synesios. Dagegen werden Pindarscholien,
welche in zwei Handschriften den Namen des Thomas an der Spitze tragen,
von Lehrs wohl mit Recht dem Triklinios zugesprochen.
3. Reden und Briefe, teils blosse Uebungsstücke über fingierte
Themen, teils auf einen wirklichen Anlass der Zeitgeschichte verfasst. Ein
seit Polemon beliebtes Thema behandeln die zwei fieXarai: 'O rot- Kvrai-
ytiQov nari^o Ev(fooio)y und 0 rov KaXXiucr/^ov nartjQ IloXifiaQxoi-^) Einen
freieren Charakter trägt die im Tone des Isokrates gehaltene Studie über
die Pflichten des Königs {^öyog tt^q} ßaailfiKc) mit ihrem Seitenstück
über die Pflichten der Unterthanen {Tltol noXiTHag). Ein Jlotaßav-
Tixoc TTQog r&v ßaaiXäa 'Ayöqövixov rov UaXaioXoyor enthält eine Verteidigung
des byzantinischen Feldherrn Chandrenos. Die bei einem Einfall der
Katalanen und Türken in Thessalien und Makedonien verübten Greuel,
deren auch in der eben erwähnten Rede gedacht ist, schildert der Brief
Tfo iaayyiXfo ttcctqi uov xai ^iXo<TÖ(fo) ^I(aai](f nfQi tü)v er zfj ^IraXon- xcd
ütoaüH' iifööoi ytyivr.iuvon'. Der Adressat ist derselbe, an den auch viele
Briefe des Nikephoros Ohumnos gerichtet sind. Endlich finden wir Gra-
tulationsreden an den Feldherrn Angelos und an den Grosslogotheten
Theodoros Metochites, eine Rede an den Patriarchen Niphon und einen
Panegyrikus auf den König von Cypern. Dazu kommen noch unedierte
Stücke wie: Eiq rov ayiov 'Iwävvr^v rov ßaTTTiart^v eyxwuiov, "^Ynio ^OXvv-
■i^ifor, 'AvuTiXovc, ein Brief QtaauXovixtvai ntoi uiiorofag, ein Jlqoaifonijia
t€p fifyüX(i) dofiearixo) u. a.
1. 'ExXoyrj: Ed. pr. Zach. Kalliergi, Romae 1517. — Thomae Magistri sive
Theoduli monachi «cloga voeum Atticarum ex rec. Frid. Ritschelii, Halis 18:32;
bedeutendste Jugendarbeit Ritschis; ausführliche Prolegomena und Indices; S. XIV ff. kri-
tische Uebersicht der älteren Ausgaben und Hilfsmittel. — Sonstige grammatische Ex-
') In der Schlacht bei Marathon fallen zuerst zu reden gebühre: ein recht charak-
die zwei Helden Kallimachos und Kjiiaigei- teristischer Vorwurf für jene leere Schul-
I ros; nach dem Gesetze müssen die Väter beredsanikeit, wie sie bei den Griechen von
I der Gefallenen diesen eine Leichenrede hal- der Sophistenzeit bis ins späteste Mittelalter
ten ; nun entsteht zwischen den beiden Vätern hinein mit zäher Gleichförmigkeit gepflegt
"lemarchos uud Euphorion ein Streit, wem wurde.
^54 Byzantinische Litteraturgeschichte. 1. Prosaische Litteratar.
zerpte bei L. Bachmann, Anecd. Graec. II 351—382; vgl. Ritschis Ausgabe der 'ExXoyn
S. CXXXIX «.
2. Zu den Scholien: 0. Schneider, De veterum in Aristophanem scholiorum fon-
tibus, Sundiae 1838 S. 122 ff. — K. Lehrs, Die Pindarscholien (1873) 97—99. W. Din-
dorf, Philologus 20 (1863) 5 ff. — M. Schmidt, Sitzungsberichte der Wiener Akademie
d. Wiss., philos.-histor. Cl. 21 (1856) 278—286 (unbedeutende Mitteilungen aus Wiener
Handschriften). — Endlich die kritischen Ausgaben der betreffenden Klassiker.
3. Einige Reden und Briefe ed. zuerst L. Normann, Upsalae 1693 (mir unzu-
gänglich). Die zwei Reden über die Pflichten des Königs und der Unterthanen bei A. Mai,
Scriptorum vetenim nova collectio tom. III (Romae 1828) pars III 145—201. — Die übrigen
Stücke bei Fr. Boissonade, Anecdota Graeca II (1830) 188 — 268. — Französische Ueber-
setzung der Deklamation Kallimachos und Kynägiros von E. Groussard, Annuaire de
l'assoc. 18 (1884) 142—160. — Gesamtausgabe der Reden und Briefe: Migne, Patrol.
Gr. 145 (1865) 213 — 548 (nach den Texten von Normann, Mai und Boissonade).
4. Zur Biographie: Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 6, 181 190 und die Prolego-
mena von Ritschi.
122. Theodoros Metochites, einer der bedeutendsten Polyhistoren
der letzten Jahrhunderte von Byzanz, blühte unter Andronikos II Palaeo-
logos (1283—1328). Nach einer reichen Thätigkeit im staatlichen Leben
zog er sich, nachdem er infolge der Absetzung Andronikos II (1328) seiner
Würde als Grosslogothet enthoben worden war, in das Kloster Tf^c x^Q"?
zu Konstantinopel zurück und starb i. J. 1332. Das Andenken des ausser-
ge wohnlichen Mannes wurde von seinem hochbegabten Schüler Nikephoros
Gregoras in einer Gedächtnisrede gefeiert, die er uns in seinem Geschicht.s-
werk ') erhalten hat. Auch sonst gedenkt Gregoras des Theodoros mit
den Ausdrücken der höchsten Bewunderung: BißXioO^i'jxr] ya^ ijv «/li/'i'xoc
ovTog xai xmv ^rjxoviiivmv ttqox^iqoc evnoqia • oi>t(o nävrag fiaxQO)
TOI fit'TQ(,i TtaQa'dQa/iUv, offoi nott köyiov ijipavToJ) An derselben Stelle gibt
Gregoras eine höchst merkwürdige, ausführliche Charakteristik der Diktion
des hochverehrten Lehrers; zu tadeln sei an ihm nur das eine, dass er
sich keinen der Alten zum Vorbilde genommen, sondern ganz seine eigenen
Wege gegangen, hiebei aber in stürmischen Schwall verfallen sei. In
ähnlicher Weise preisen ihn auch andere Byzantiner z. B. Thomas Ma-
gister als Licht der Wissenschaften. In der That überragt die Gelehr-
samkeit des Theodoros Metochites das gewöhnliche Mass seiner Zeit, wenn
er auch hinter den grossen Polyhistoren wie Photios und Psellos zurück-
stehen muss. Der Umfang seiner Kenntnisse ist aber um so mehr zu be-
wundern, als er, wie Gregoras erzählt, den ganzen Tag über am Hofe be-
schäftigt war und sich nur des Nachts seinen Studien widmen konnte.
Von der ausgedehnten litterarischen Thätigkeit des Theodoros, di»^
Gregoras a. a. 0. erwähnt, kennen wir bis jetzt nur wenige Proben; man-
ches mag verloren oder noch in den Bibliotheken verborgen sein.
1. Als Hauptwerk des Theodoros erscheint nach dem gegenwärtigen
Besitzstande eine grosse Miszellensammlung, herausgegeben und zitiert
unter dem nicht hinlänglich gesicherten (wahrscheinlich von einem Kopiston
liorrührenden) Titel: 'ynofin^fiaiiafiot xai aijieioiatig yvioinxai (Mis-
cellanea philosophica et historica). Das Werk, gewissermassen ein prosai-
sclicr I*endant zu den Chiliaden des Tzetzes, umfasst 120 grössere und
kleinere Essays über die verschiedensten Thonieu «lei- Pliilos<»i)hi«% der Ge-
') X 2 = S. 474 ff. ed. Bonn.
») VII 11 = S. 272, 3 ff. ed. Bonn.
5. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren a. Scholiasten. (§ 122.) 255
schichte und der alten Litteratur. Einige Titelproben mögen den Cliarakter
dieser vermischten Aufsätze deutlich machen. Aus dem Gebiete der Lebens-
weisheit und Philosophie finden wir Artikel über das ironische Element
bei den alten Philosophen, besonders bei Sokrates und Plato; über das
polemische Verhalten aller Philosophen gegen ihre Vorgänger: über den
Satz, dass keines Menschen Leben leidlos verlaufe; über die auffallende
Thatsache, dass manche Menschen stets glücklich, andere stets unglücklich
sind (eine uraoxsvi] des vorigen Themas); über die Wechselfälle des Schick-
sals mit besonderer Beziehung auf seine eigenen Erlebnisse; über die Ge-
wohnheit der Menschen, die gute alte Zeit zu preisen; über die Seltenheit
völlig zutreffender und leidenschaftsloser L^rteile; über die (natürlich im
christlichen Sinne beantwortete) Frage, ob es dem Menschen besser sei,
geboren zu werden oder nicht; über den Satz AäO^e ßmaug; über den
praktischen Nutzen der Mathematik und Geometrie. Auch die christ-
liche Moral wird berücksichtigt: so bespricht der Verfasser die Frage,
ob es besser sei, in der Welt zu leben oder im Kloster; ob der Ehestand
einem tugendhaften Leben förderlich sei. Dazu kommen philosophische
Betrachtungen über politische Fragen, wie über das demokratische,
aristokratische und monarchische Prinzip, über die Notwendigkeit einer
guten Finanzverwaltung ; selbst ästhetische Themen, wie Gedanken über
die Schönheit des Meeres. In das Gebiet der Geschichte gehören die
Abhandlungen über den Staat der Athener und Lakedämonier ; über Epa-
minondas und Pelopidas; über Kyrene und Karthago; über das allmähliche
Wachstum des römischen Staates. Auch vernehmen wii-, wie in so vielen
anderen Schriften dieser Zeit, elegische Klagen über den unaufhalt-
samen Niedergang des Byzantinerreiches. Der Litteratur-
geschichte widmet Theodor Artikel über Aristoteles, gegen den er pole-
misiert, über Plato, Xenophon, Joseph, Philo, Dio Chrysostomos, Plutarch,
auch allgemeinere Darlegungen wie eine Studie über die Gleichgültigkeit
der griechischen Philosophen gegen die Politik. Die Quellen des Meto-
ehites sind, was bei einem Byzantiner dieser Zeit ziemlich selbstverständ-
lich ist, nur griechische Werke. Er zitiert über 70 Autoren und zwar
oft in einer Form, die von der sonst überlieferten Lesung abweicht; doch
ist er für die Texteskritik nur mit grösster Vorsicht zu verwenden, da er
seine Vorlagen häufig absichtlich ändert. Ein Hauptgewährsmann ist
Synesios.
2. Weitere Anhaltspunkte für die Beurteilung des Metochites ge-
währen 18 rhetorische Stücke, wie der iV;xaf i'c, ein /ZofC/^fi^n xöc, meh-
rere Epitaphien und Reden religiösen und moralischen Inhalts. Hieher
gehört auch das Proömion einer Goldbulle.
3. Die umfangreichen philosophischen und astronomischen
Werke Theodors sind noch nicht genügend bekannt. Die wertvollsten
derselben sind, wie es scheint, Paraphrasen zu Aristoteles Physik, zu dessen
Büchern über die Seele, über den Himmel, über Entstehen und Vergehen,
eine ^Toixticoaig im rij daiQoroi.nxij emari^iiij, eine Einleitung und ein Kom-
Intar zu Ptolemäos.
4. Eine an Nikephoros Gregoras gerichtete, in Hexametern abge-
256 Byzantinische Litteraturgeschichte. 1. Prosaische Litteratar.
fasste Schrift: Eig lov aoifov Nixi^tfÖQov i6i' FQijoQav vnoOtjxui xul 7if()l
löiv oixtiMi' awiayiiÜKoi., von der nur eine kleine Probe ediert ist, ') erregt
durch Nachrichten des Verfassers über sein eigenes Leben unsere Teil-
nahme. Sein Vorbild scheint hier die poetische Selbstbiographie des Geor-
gios Pachy mores (s. § 37). Endlich hat Theodor Briefe hinterlassen.-)
Nicht genügend bezeugt ist eine angebliche Kirchengeschichte in zwei
Büchern und ein Buch Bv^am'c. Die von Meursius dem Metochites zu-
geteilte Chronik gehört dem Michael Glykas; s. S. 148.
1. Ausgaben: Miszellensamnilung: Zuerst einzelne Stücke: Specimina operum
Tlieodori Metochit^ie quae inscribuntur 'Ynofiyijfxana fio'i xa't atjufiwaeii yvtufiixcd ed. Janus
Bloch, Hauniae 1790. — Die Kapitel über Kyrene und Karthago sind wiederholt in:
Supplementum editionis Lipsiensis Nicolai Damasceni ed. C. Orelli, Lipsiae 1811 S. 91 bis
96. — Das Kapitel über Karthago mit Kommentar in : Aristotelis de politia Carthaginiensium
ed. Fr. G. Kluge, Vratislaviae 1824 S. 195—216. — Einzige vollständige Ausgabe: Theo-
dor! Metochitae miscellanea edd. Chr. G. Müller-Th. Kiessling, Lipsiae 1821. -
JSixaevg, U Qsa ji evTixög und Chrysobulle ed. pr. K. Sathas, Meaanüvixrl ßißXio&ijxtj
I (1872) 139—195. — Ueber die Chrysobulle s. K. E. Zachariae von Lingenthal.
Sitzungsber. d. k. preuss. Akademie d. Wiss. 1888, 1410. Vgl. § 102. — Philos. und
astron. Werke: Paraphrase zu Aristoteles nur in latein. Uebersetzung, Basileae 1559;
Aviederholt 1562. — Die astronom. Schriften sind noch unediert. Proben der Originaltexte
gibt Sathas a. a. 0. nQ6Xoyo<; S. 79 ff. (o»').
2. Leben und Werke: Pabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 10, 412—426. - Haupt
Schrift: K. Sathas a. a. O. UQ6Xoyog S. 19—135 (<*'— pAc).
3. Mit Theodoros Metochites ist nicht zu verwechseln, wie häufig geschehen ist, der
mit ihm verwandte, etwas ältere Georgios Metochites. Während Theodoros st«ts zur
orthodoxen Partei hielt, war Georgios ein eifriger Anhänger der Union und wurde als
solcher unt«r Michael VIII Palaeologos (1277) mit einer Gesandtschaft an den Papst be-
traut. Unter Andronikos II erlitt er mit dem gleichgesinnt«n Patriarchen Bekkos und
dem Chartophylax Konstant inos Meliteniotes die heftigsten Verfolgungen von Seiten
der antirömischen Partei und starb nach 1308 im Gefängnisse. Einige seiner Schriften ed.
Leo Allatius, Graecia orthodoxa II (Romae 1659) 922-1074; wiederholt bei Migne,
Patrol. Gr. 141 (18(j5) 1307—1425. — Vgl. Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl.lO, 412, K. Sathas
a. a. 0. UqoX. S. 19; 125 f. und M. Treu, Maximi monachi Planudis epistulae S. 211 f.
4. Von Leon Bardales {liaQ^aA-^g), einem Neffen des Theodoros Metochites, viel-
leicht demselben, der auch in der Biographie des Maximos Planudes wiederkehrt, besitzen
wir einen kurzen Brief an Theodoros, ed. von Boissonade, Anecd. Graeca 1 (1829)402;
dortselbst S. 399 ff. von demselben Bardales jambische Trimeter auf eine bildliche
Darstellung des jüngsten Gerichts, auf einen Silberbecher u. a. — LTeber die vei-schiedenen
Träger des Namens Bardales (Leon, Johannes, Manuel) vgl. Max Treu. Maximi mon.
Planudis epistulae S. 200.
123. Demetrios Triklinios, ein seiner Herkunft und äusseren Stel-
lung nach unbekannter Mann, der im Anfang des 14. Jahrhunderts, wahr-
scheinlich in Konstantinopel, lebte, ist der bedeutendste Philologe der
Palaeologenzeit. Als Textkritiker ragt er über die geistesverwandten
Zeitgenossen wie Manuel Moschopulos und Thomas Magister turmhoch
empor und darf manchen modernen Herausgebern an die Seite gestellt
werden. In einem anderen Zeitalter und unter günstigeren Umstünden
Ijätte ein so sprachkundiger, erfinderischer und selbständiger Kopf Hervor-
ragendes und Bleibendes geleistet. Was den Triklinios niederdrückt, ist
die dumpfe wissenschaftliche Atmosphäre, in der er arbeitete. Es ist da-
her ein grosses Unrecht, wenn neuere Forscher auch diesen tüchtigen
Byzantiner der herkömmlichen Sitte gemäss, von aller Umgebung losgelöst,
') Von Boivin im Kommentar zu Nike- [ wir von Nikephoros (iregoras, Thomas Magi*
pboros Gregoras ed. Bonn. 11 122ti. stros, Nikephoros Chumnos, Theodoros Hyrta«
'') Briefe an Theodoros Metochites haben | keuos, Leon Bardales.
5. Altertumswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 123.) 257
nach dem strengsten Massstabe einer durch zahllose Sünden geläuterten
und mit ganz anderen Mitteln ausgerüsteten Schule abschätzen. Schon die
Ausdehnung der wissenschaftlichen Thätigkeit des Triklinios erregt unser
Staunen. Pindar, Aeschylos, Sophokles, Euripides und Aristophanes. Hesiod
und Theokrit sind von ihm erklärt und emendiert worden: und zwar be-
schränkte er sich bezüglich der Dramatiker nicht auf die im byzantinischen
Mittelalter übliche Auswahl, sondern veranstaltete von sämtlichen Stücken
des Aeschylos und Sophokles, die er erreichen konnte, und von den drei
ersten Tragödien des Euripides Bearbeitungen, die bis in die neueste Zeit
fortgewirkt haben.
In der Metrik besass Triklinios nicht unerhebliche, durch eigene
Beobachtung erworbene Kenntnisse. Doch war infolge der Wandelungen,
welche sich seit den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeit im Laut-
wesen der griechischen Sprache vollzogen hatten, gerade dieses Gebiet den
Byzantinern recht fremd geworden. Es ist daher nicht zu verwundern,
dass Triklinios schwere Niederlagen erlitt, als er es wagte, die alten Werke
nach ihrem Versmass zu analysieren und sowohl die metrischen Gesetze
des Dialogs als die strophischen Kompositionen zu erklären. Wie er die
Metrik misshandelte, so trug er auch in die alten Texte eine Unmasse
von plumpen Fehlern hinein, freilich nicht plumper, als sie auch in unserem
erleuchteten Zeitalter so oft in Dissertationen. Programmen und Ausgaben
mit anmasslicher Miene aufgetischt werden. Nicht selten traf er aber auch
das Richtige. Die wichtigsten Arbeiten des Triklinios sind: 1. Scholien
zu Pindar mit zwei metrischen Abhandlungen. Dem Triklinios allein
gehören auch nach Lehrs die von Schneider unter dem Xamen des Thomas
Magistros und Demetrios Triklinios herausgegebenen Scholien zu den ersten
p}i;hischen Hymnen. Auch stammt von Triklinios die eine der zwei uns
erhaltenen Pindarparaphrasen, wie Lehrs ^ mit guten Gründen dargethan
hat. 2. Eine Bearbeitung des Sophokles mit Scholien, besonders für
die ersten 4 Dramen. Die in einem cod. Paris, überlieferte triklinianische
Rezension des Sophokles hat lange Zeit ihre schädliche Wirkung ausgeübt,
bis es endlich der Forschung gelang, einen klaren Einblick in die Grund-
sätze des allzu kühnen Textverbesserers zu gewinnen. 3. Scholien zu
5 Stücken des Aeschylos; ausgeschlossen blieben die Choephoren und
die Schutzflehenden. Diese Scholien, mit welchen sich auch Erklärungen
des Thomas Magister verbunden haben, sind wortreiche Paraphrasen mit
' metrischen Erklärungen zum Teil nach unerhörten, von Triklinios selbst
schaffenen Silbenmassen. Wir besitzen die Scholien zu Aeschylos in
»liier von des Triklinios eigener Hand stammenden, jetzt in Neapel be-
findlichen Handschrift, neben welcher die verwirrten Exzerpte in einigen
' jüngeren Codices nicht mehr in Betracht kommen. 4. Weniger ist über seine
"^ hohen zu Hesiod, Aristophanes und Theokrit bekannt geworden,
ch haben wir einen von Triklinios selbst in den Jahren 1316—1320
f' liebenen Codex des Hesiod (Marcianus 464); s. Zanetti, Graeca D.
bibliotheca codicum mss., Yenetiae 1740 S. XTY f. und 246.
■
ä
') Pindarscholien S. 78.
adbnch der klaaa. AltertumavtaenacliAft. IX. 1. Abtlg. 17
258 Byzantinische Litteraturgeschichto. I. Prosaische Litteratar.
Ausgaben und Hilfsmittel: Für die Scholien ist zunächst auf die Litteratur zu
den einzelnen Dichtern zu verweisen. Pindarscholien: Thomae Magistri et Demetrii
Triklinii scholia in Pythia quattuor prima ed. Chr. Schneider. Breslau 1844. — Scholia
recentiora Thomano-Tricliniana in Pindari Nemea et Isthmia ed. Tycho Mommsen,
Lipsiae 1865; dazu: Scholia etc. in Pindari Pythia V — XII ed. Tycho Mommsen,
Francofurti 1867. — Vgl. K. Lehrs, Die Pindarscholien, Leipzig 1873 S. 78—96. — Einen
Teil der Scholien zu Aeschylos edierte mit einer Abhandlung über den codex Medi-
ceus W. Dindorf, Philologus 20 (1863) 1 ff.: 385 ff. und 21 (1864) 193 ff. - Vgl. Moritz
Schmidt: Aus Wiener Handschriften, Sitzungsber. der Wiener Akad. der Wissensch. phil.-
hist. Cl. 21 (1856) 278—289, wo 5 Wiener Handschriften mit zum Teil Trikliniauischen
Scholien zu Aeschylos besprochen werden. -- Sophoklesscholien: JtjuijTQiov toi*
l'Qixhriov fiV T« Tov 2'oqpoxAcoi'c inTte ÖQÜ^aia, tisqi ixtXQtay, oig i^qi'jaujo 2:n(poxXijg, TtfQi
axtjfi€<Tü}y xni a](öha. Parisiis 1553. — Treffende Charakteristik jles Triklinios von
U. von WilamoAvitz-Möllendorff, Euripides Herakles I (1889) 194 f. Vgl. auch des-
selben: Die Ueberlieferung der Aeschylosscholien, Hermes 25 (1890) 161 — 170.
124. Johannes Pediasimos war Diakon, später Chartophylax von
Bulgarien unter Andronikos III Palaeologos (1328—1341); eine Aufzählung
seiner Stellen und Titel findet sich in der Ueberschrift der Geometrie:
Tov aoifunÜTOv x^QtO(fvXaxoq rijc nqwtrfi 'lovaciriavijg xal näaifi BovXyaqiaq,
tov xal vnätov tmv (fiXoaö^cov, xvqov 'luävvov Jiaxövov tov Ilföiaaitiov.
Wir besitzen von ihm mehrere zum Teil noch unedierte philologische
und philosophische Arbeiten, wie Scholien zu Hesiods Schild und
Theogonie, desgleichen zur Syrinx des Theokrit, zur Sphära des Kleo-
medes, Erklärungen zu Aristoteles, Allegorien zu Homer, eine Schrift
über die zwölf Arbeiten des Herakles u. a. Dazu kommt eine musi-
kalische Abhandlung, voll falscher Anschauungen und schiefer Deutungen,
mit dem Titel: 'Eiiiaraai'ai i^uQixai'.^) Ausserdem schrieb Pediasimos eine
Geometrie: reoif^uTQi'u, mit dem Nebentitel: ^vroif.iig ntQi ^istgi'^aeMg xal
fitQKtnov y^c. In der Einleitung spricht er als seine Absicht aus, von
dem Werke des Heron über y(>a/*/m/', yontai und iußadä einen Abriss zu
geben und dort Fehlendes in Kürze zu ergänzen. Doch lässt die Verglei-
chung mit dem uns erhaltenen Werke des Heron nicht darüber ins Keine
kommen, ob Pediasimos ein unverfälschtes Exemplar des Heron vor sich
hatte. Jedenfalls ist bei weitem nicht alles, was wir bei Pediasimos finden,
Eigentum des echten Heron; vieles ist geradezu verkehrt und falsch. Ein-
mal hat der ernste Gelehrte auch den Musen geopfert. Dazu begeisterte
ihn das ewig Weibliche. Als echter Kritiker aber prüft er sowohl die
guten als die schlimmen Seiten desselben. Das jambische Doppel-
gedicht des Pediasimos hat den zusammenfassenden und versöhnenden
Titel nöd-og {^Iioärrov tov Uediacffnov tov Bovlyagi'ag ;{a(»royi'A«xos' Ilöi/og.
Ilegl yvvaixog xaxijg — JJtql yrrmxoc ayaO^ijg). Das erste Stück erscheint
mit seinen heftigen Schmähungen als ein byzantinisches Pendant zum
Frauenspiegel des Simonides aus Amorgos; im zweiten Gedicht wird das
schöne Geschlecht durch ebenso überschwängliche Loheserhebungen wieder
gerettet. In Wahrheit ist dieses poeti.sche Spiel mit entgegengesetzten
Themen nichts anderes als die rhetorische Form der Kataaxtv)] und
'Aiuaxtvi].'^) Aehnlich hatte auch Theodoros Metochites diese zur Schul-
übung ja wohl geeignete Schablone in die praktische Litteratur übertragen.^
') So die Handschrift und der Herausgeber; ") S. § 86.
es ist aber vielleicht fjfiQtxui zu schreiben. ') S. § 122.
5, Altertninswissenschaft. A. Philol. Polyhistoren u. Scholiasten. (§ 124—125.) 259
1. Ausgaben und Hilfsmittel: Scholien zu Hesiod und des Oalenos Allegorien
zur Theogonie in den Poetae Minores Graeci ed. Gaisford. vol. II, Lipsiae 1823. —
Scholien zur Syrinx des Tlieokrit in den Scholia ad Theocritum ed. Fr. Dübner, Paris
1849 S. HO f. — Ueber die Arbeiten des Herakles: ed. A. Westermann. Mv^oy^äcfoi,
Brunsvigiae 1843 S. 349-354. — Die "Eniaraa'uu usQixai ed. aus cod. Par. 2762 H. Vin-
cent, Not. et extr. t. 16 (1847) 2. partie, 289 — 315. — Die Geometrie ed. G. Friedlein,
Progr. Ansbach 1866 (S. 4 Ober das Leben und die Werke des Pediasimos). — Das Ge-
dicht nö&og: Nach früheren Drucken bei Fabricius, Bibl. Graeca 13 (1726) 576 fF.
mit lat. Uebersetzung (in der ed. Harl. nicht aufgenommen). Mit der Uebersetzung wieder-
holt von C. Orelli, Opuscula Graecorum veterum sententiosa et moralia I (1819) 240 fF.
Ohne die Uebersetzung auch in Arsenii Yioletum ed. Chr. Walz 1832 S. 515-517. End-
lich nach einer Handschrift des Escurial von E. Miller. Catalogue des mss. de l'Escurial
1848 S. 75-82 (mit einer im Jahre 1797 verfassten hübschen Uebersetzung in französi-
schen Versen). Deutsche metrische Uebersetzung von Ad. Elissen. Versuch
einer Polyglotte der europäischen Poesie I (1846) 229 f. — Vgl. Fabricius. Bibl. Graeca
ed. Harl. 6, 371 und 11. 648 f., wo reiche, aber wenig gesichtete Notizen über Pediasimos
und Galenos gegeben sind.
2. Früher wurde Pedia-simos für identisch gehalten mit einem Diakon Galenos, unter
dessen Namen Allegorien zur Theogonie des Hesiod gehen : Eig rr^y tov 'Haiödov Ssoyoyiay
aHtjyoQUd Toii aocftorÜTov xul koyitonirov xvoov 'Iwüyyov Jiaxöyov rov FaXtjyov (Ausgabe
s. 0.). Die Annahme der Identität stützte sich vornehmlich auf den Umstand, dass die
Namen Ilsdueai.uog und FaXt^yög synonj-m zu sein scheinen (= tranquillus). C. Muetzell
hat es in seinem Buche: De emendatione Theogoniae Hesiodeae libri tres. Lipsiae 1833
5. 295 — 301, wahrscheinlich gemacht, dass beide Personen zu trennen seien. Weniger
überzeugend ist. was er vorbringt, um den Galenos ins 11. Jahrb. zu setzen; auch die
Behauptung, Eustathios ad. II. S. 989 (imd sonst) habe den Galenos im Auge, wird nicht
genügend gestützt. Noch weniger kann die schwergelehrte .\useinandersetzxmg gewinnen,
mit welcher Muetzell auch unter dem Namen Pediasimos selbst zwei verschiedene Per-
sonen, einen älteren Ped. Diakonos und einen jüngeren Ped.. den Chartophylax
von Bulgarien, unterscheiden will. Eine wirklich überzeugende Lösung dieser ganzen
Personalfrage, die übrigens von geringer Wichtigkeit ist, kann schwerlich gegeben werden,
solange nicht ein völliger Ueberblick über den handschriftlichen Bestand der unter den
Namen Pediasimos und Galenos gehenden Werke zu erreichen ist. Die von Fabricius
a. a. 0. zusammengestellten und von da in andere Werke übergegangenen Titelverzeichnisse
sind zu einem solchen Behufe viel zu ungenau, imd Muetzell a. a. 0. trägt ebensoviel zur
Verwirrung als zur Aufklärung der Frage bei.
125. Johannes Kanabutzes, ein gräzisierter Italiener aus Chios, ver-
fasste in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine ziemlich umfangreiche
Schrift, die betitelt ist: 'Iwäriov KccraßovT^r^ xov fiayiaTooi' ngog tov avO^tizt^v
rf^g ATrov xcel ^aaoO^Quxt^g. Er verbreitet sich im Anschlüsse an Diony-
ßios von Halikarnassos über die Wanderungen griechischer Stämme
nach Italien und spricht dabei in breiten Exkursen über den Ursprung der
Wissenschaften und Künste, über Gesetzgebung, über Chemie, die zur Ver-
wandelung des Metalles und zur Entdeckung des Steines der Weisen ver-
helfe, u. a. Für die Kritik des Dionysios lehrt Kanabutzes nichts Neues,
und sein weitschweifiges Machwerk bliebe wohl gänzlich wertlos, wenn
sich aus demselben nicht für das mittelgriechische Wörterbuch, die
geographische Nomenklatur und den griechischen Volksglauben
einiges entnehmen Hesse.
Joannis Canabutzae etc. in Dionysiuna Halicam. commentarius, ed. pr. Max. Lehn-
erdt, Lipsiae. bibl. Teubn. 1890. — Eine kurze Inhaltsangabe erschien schon in Not. et
extr. I (1787) 538—541. — Handschriftliches bei Fabricius, Bibl. Gr. ed. Hari. 4, 393. —
Ueber die Familie der Kanabutzes berichtet auf grund arcliivalischer Forschungen in Chios
6. J. Zolotas in der '^ExSeaig xiay x«r« to a^oXixoy eiog 1888 — 1889 nenQayfiiyiov iy rolg
iNHvoig naiiEvir^^iotg rijg noXeoig Xiov, 'F.y Xtw 1889 S. 112 ff.
17^
260 Byzantinische Litteraturgescliichte. I. Prosaische Litteratnr.
B. Wörterbücher.
126. Doppelsprachige Glossare. Die lebhaften und andauernden
Kulturbeziehungen, welche seit dem 3. Jahrhundert vor Christus den grie-
chischen Orient mit dem lateinischen Westen verknüpften, haben ausser
den zahllosen Uebersetzungen auch verschiedene gelehrte und triviale
Hilfsmittel zur Vermittelung der sprachlichen Kenntnisse hervorgerufen.
Das interessanteste Zeugnis dieser praktischen Studien ist der Konver-
sationsführer und die grammatisch-lexikalischen Verzeichnisse des Pseudo-
Dositheos.') Ausserdem sind die wertvollsten Proben der bilinguen lexi-
kalischen Litteratur das lateinisch -griechische Glossar des sogenannten
Philoxenos und das griechisch-lateinische des sogenannten Kyrillos.
Früher wurde das erste dieser Wörterbücher dem oströmischen Konsul
Flavios Theodoros Philoxenos (525 n. Chr.) zugeschrieben ; es ist aber
jetzt völlig sicher erwiesen, dass nicht nur die Identifizierung des Namens
mit dem Konsul Philoxenos, sondern die Zuteilung an einen Mann dieses
Namens überhaupt auf einem nichtigen Grunde beruht. Wenn nun auch
das Wörterbuch künftighin als anonymes Werk gehen muss, so verliert
es dadurch nichts von seinem Werte. Es gehört zu den besten Glossaren,
die wir haben, und ist voll seltener, alter Gelehrsamkeit, die allerdings
vorzüglich auf das Gebiet des Lateinischen fällt. Ueber die Entstell-
ungszeit des ausgezeichneten Werkes sind wir, nachdem der Name Phi-
loxenos fallen musste, ohne einen positiven Anhalt; aus inneren Gründen
aber ist es wahrscheinlich, dass der Kern des Werkes auf das zweite oder
dritte Jahrhundert der Kaiserzeit zurückgeht. Ebenso wenig als dieses
Glossar mit dem Namen des Philoxenos hat das griechisch-lateinische
Glossar, welches H. Stephanus mit der rätselhaften Ueberschrift: In cal
quorundam Cyrilli scriptorum inventum edierte, mit einem Kyrillos zu
thun. Es darf auch nicht mit jenem rein griechischen Wörterbuch ver-
wechselt werden, das in zahllosen Handschriften unter dem Namen des
Kyrillos, Patriarchen von Alexandria, überliefert ist. Auch das
Glossar dieses Pseudo-Kyrillos geht auf alte Zeit zurück, und zwar
macht eine Gaiusstelle wahrscheinlich, dass die uns erhaltene Form des
Werkes nach Marc Aurel und vor Justinian entstand; in keinem Falle darf
dasselbe unter Justinian herabgerückt werden. >. Namentlich ist zu be-
achten, dass die älteste Handschrift des Werkes dem 7. Jahrhundert
angehört und nach dem überzeugenden Nachweise Thompsons auf rinen
opisthographen Papyrus zurückgeht.
1. Ausgaben: Beide Glossare edierte zuerst H. Stephanus, («lossaria duo e situ
vetustatis enita, Paris 1573; darnach U. Vulcanius, I^ugd. Bat. IfiÜO; endlich mit eigen-
tümlicher Vei'schnielzung beider zu einem grossen doppelsprachigen VVörterbuclie Labl)aeu3,
Paris 1679: des letzteren Bearbeitung wurde noch wiederliolt im Anhange der l.ondt>ner
Ausgabe des Thesaurus Henrici Stephani. London LS'JG. — Die erst»' kritische, mit
einem vollständigen Apparate» versehene und für wissenschaftliche Zwecke allein Itrauchbare
Bearbeitung gaben (i. (ioetz und (i. (iundermann im Corpus glossariorum Latinorum
vol. II, Lipsiae \HHH. Ueber die Zeit und die Quellen heikler (ilossare verspricht der erate
Band des Corpus gloss. Lat. nilhere Aufschlüsse.
2. Hilfsmittel: Uudorff, l'eber die (ilossare des Philoxenus und Cyrillus, Ab*
•) 8. W. Christ, Griech. Litteraturgesch.^ S Mi*.
5. Altertumswissenschaft. B. Wörterbücher. (§ 126—127.) 261
handl. der Berliner Akad. d. Wiss. 1865. 181 — 231 (366). wo besonders die juridischen
Glossen behandelt sind. — Jos. Klein, Zu den Glossen des Philoxenus, Rhein. Mus. 24
(1869) 289—302. — G. L o e w e , Prodromus corporis gloss. Latin., Lipsiae 1876 S. 180 flF. ; 210 S.
127. Suidas. Unter diesem Namen besitzen wir ein grosses, in
mehreren Handschriften überliefertes Wort- und Sachlexikon, welches
dm-ch Fülle und Gelehrsamkeit über die sonstige byzantinische Exzerpten-
litteratur hoch emporragt und den grossen Sammelwerken des Konstantin
Porphyrogennetos würdig zur Seite steht. Leber die Person des Ver-
fassers ist nichts bekannt, selbst sein altthessalischer Xame [2ovtdag, auch
^ov6ac) ist etwas problematisch; doch ist es wahrscheinlich, dass er ein
wissenschaftlicher Thätigkeit ergebener Diener der Kiiche war. Dagegen
ist als Abfassungszeit des Werkes mit Sicherheit wenigstens annäherungs-
weise die Mitte des 10. Jahrhunderts dargethan; 976 muss es schon
im Gebrauche gewesen sein. Der älteste Schriftsteller, der sich auf Suidas
beruft, ist Eustathios von Thessalonike. Eine rege Thätigkeit wandte
sich dem Suidas mit dem Beginn des Wiederauflebens der klassischen
Studien zu; besonders waren es griechische Gelehrte, die ihn mehrfach
exzerpierten, soMakarios, 0 Michael Apostolios (für seine Sprichwörter),
KonstantinLaskaris, ein Emmanuel (wahrscheinlich Chry soloras) . Auch
das unter dem Xamen der Eudokia gehende Falsifikat ist ein der Huma-
nistenzeit angehöriger Auszug aus Suidas.
Das Werk des Suidas ist kein eigentliches Konversationslexikon im
modernen Sinne; es ist vielmehr der die spätgriechische und byzantinische
Zeit beherrschende grammatisch-philologische Grundzug, der auch
in diesem Werke deutlich zum Ausdrucke kommt, d. h. es ist ein gross-
artiges Rüstzeug für die grammatischen, lexikalischen, geschichtlichen und
litterarhistorischen Bedürfnisse. Es steht demnach in der Mitte zwischen
den Werken, die rein lexikalisch-grammatisch-etymologisch sind,
d. h. nur Wörter, Formen und Ableitungen enthalten, und unseren mo-
dernen Enzyklopädien oder Konversationslexika, in denen die rein sach-
liche Erklärung vorherrscht. In den grammatisch-etymologischen Teilen
hat Suidas denselben Charakter wie die rein verbalen Werke, d. h. wie
Harpokration u. a., die er auch benützte. Nach dieser Seite hin bietet er
also nichts besonders Bemerkenswertes oder Auffallendes. Von höchster
Wichtigkeit und in der jganzen byzantinischen Litteratur einzig dastehend
ist dagegen die Masse der ausführlichen Sachartikel. Sie beziehen
sich auf die verschiedensten Wissensgebiete, wie Philosophie, Naturwissen-
schaften, Geographie, Geschichte u. s. w. Unter allen ragen aber durch
ihren unschätzbaren Wert die litterarhistorischen Artikel hervor;
sie sind der Purpurmantel, welcher gar viele Schwächen und Sünden der
übrigen Teile zudeckt; sie machen den Suidas zu einem der wichtigsten
Denkmäler der ganzen byzantinischen Zeit, zu einem wenigstens fragmen-
tarischen Ersätze für zahllose sonst verlorene Nachrichten von Autoren
und Werken. Sie sind es auch, welche die Aufmerksamkeit der Philologen
') Macarii hieromonachi ecloge e lexico
Suidae; eine Probe von Tittmann ad Zo-
naram I S. XCIV. Damit scheint verwandt
das Etymologicum des Suidas, welches Vil-
loison, Anecdota Gr. II 250 beschreibt. Vgl.
M. Schmidt, Hesychii lexicon IV S. L.
262 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
und Litterarhistoriker dem Suidas seit Beginn der Humanistenzeit zuge-
wendet haben und sein Werk zu einem fast unentbehrlichen Hilfsmittel
für jeden selbständig wissenschaftlich arbeitenden Gräzisten machen. Fast
sämtliche neuere Monographien über Suidas beziehen sich demgemäss auf
seine biographischen und litterarhistorischen Notizen.
Was die Form des Werkes betriflFt, so sind die einzelnen Artikel
nicht nach dem jetzt gewöhnlichen alphabetischen Prinzip, sondern nach
dem damals und schon früher üblichen System der sogenannten Anti-
stoechie geordnet. Die antistoechische Ordnung unterbricht das gewöhn-
liche Alphabet durch Zusammenstellung der Buchstaben und Buchstaben-
verbindungen (Vokale und Diphthonge) gleichen Lautes; so folgt z. B.
ai nicht auf cc, sondern nach dem <f, weil es mit dem gleichlautenden e
zusammengestellt wird; auf C folgen «, r^, i, weil sie alle I lauten; ebenso
steht 0) nach o u. s. w. Dasselbe Prinzip gilt dann auch für den zweiton
und dritten Buchstaben der Wörter, so dass also die Artikel nach dem
Schema na; nctv: Tiai, ne; Titi, ni], ni zu suchen sind. Die Verdoppelung
der Buchstaben, besonders der Liquida, wird bei diesem Prinzip nicht
berücksichtigt. Mit dieser uns ungewohnten, aber im Grunde doch sehr
einfachen Anordnung konnten sich selbst Gelehrte nicht recht befreunden,
weshalb Gaisford das Auffinden der Glossen durch einen Glossenindex,
Bekker sogar ganz unverständigerweise durch eine vollständige Um-
arbeitung des Lexikons zu erleichtern suchte.')
Bei einem Werke, welches so völlig aus fremdem Material zusammen-
gebaut ist und dessen einziger Wert auf diesem fremden Material beruht,
ist die Frage nach den benützten Quellen wichtiger als jede andere. Dit
Quellenforschung des Suidas gehört nun freilich zu den allerschwicrigstcn
philologischen Arbeiten, die nur mit gereifter Erfahrung durchgeführt und
zu einem nennenswerten Besultate gebracht werden können. Die Schwierig-
keit liegt hauptsächlich darin, dass es nicht auf die Entdeckung der älte-
sten, sondern der jüngsten d. h. der direkten Quellen ankommt. Die
strenge Scheidung zwischen den unmittelbaren, von Suidas selbst benutzten
Vorlagen und jenen Quellen, aus welchen diese Vorlagen unmittelbar oder
wiederum mittelbar geflossen sind, muss für die gesamte Untersuchung'
das leitende Prinzip bilden. Eine erschöpfende und jedem Ansprüche ge-
nügende Darlegung der Fragen, welche sich auf den Stammbaum, die
ursprünglichste Form und die Glaubwürdigkeit der einzelnen Artikel
beziehen, würde zu einem langwierigen Forschungsgange durch die ab-
gelegensten Gegenden der gesamten altgriechischen Litteratur. Auf die
Erreichung .so ferner Ziele muss in einem Abrisse der byzantinischen
Litteratur aus inneren und äusseren Gründen verzichtet werden. Hier
kann vornehmlich nur die eine Frage in Betracht kommen, welche Quellen
Suidas selbst benützt hat, mit andeien Worten, woraus sich seine Privat-
bibliothek zusammensetzte. Zuerst nuiss noch ausdrücklich betont werden,
dass trotz der eingehenden Untersuchungen Bernhardys und vieler neueren
Gelehrten für eine Reihe von Fragen nicht einmal jener relative Grad
') Das System der Antistoechie ist Ubri- folgt, nämlich in dem bayeris.lioo Wörtor-
gens auch in einem deutschen Werke be- buche von Seh melier.
5. AltertumsTnssenschaft. B. Wörterbücher. (§ 127.) 263
von Sicherheit, bei dem man sich in solchen Dingen zu beruhigen pflegt,
wirklich erreicht worden ist. Ein Hauptresultat aber hat sich aus den
neuesten Forschungen immer deutlicher ergeben, die Thatsache, dass die
Vielheit von Autoren, die man früher als Quellen des Suidas annahm,
immer mehr beschränkt wird, d. h. dass manche Werke, die man einst
für direkte Quellen des Suidas hielt, jetzt nur mehr als indirekte
gelten können. Die wichtigsten Quellen des Suidas sind im allgemeinen
Lexica, Scholiensammlungen, Historiker (wahrscheinlich meist in
verlorenen Teilen des konstantinischen Exzerptenwerkes) und vor allem
das grosse Werk des Hesychios Milesios. Des Näheren erkennen wir
folgendes :
1. Von Wörterbüchern benützte Suidas den Harpokration in der
kürzeren Fassung, jedoch in einem besseren Codex, als Photios, hatte; das
Lexikon des Helladios, dem er seine auf Phrynichos zurückgehenden
Artikel verdankt; vielleicht das Lexikon des Eudemos und zwar in einer
besseren Redaktion, als sie uns im cod. Parisinus vorliegt; endlich Glossen
zu Herodot, juristische und theologische Glossen. Xichts Genaueres
wissen wir über die Benützung sonstiger Wörterbücher, wie syntakti-
scher Lexika, der Werke des Aelios Dionysios und Pausanias u. s. w.
Die starke Uebereinstimmung mit dem Lexikon des Photios scheint
nicht, wie Bernhardy, Cobet, Naber u. a. annahmen, auf Benützung des
Photios selbst, sondern grösstenteils auf Verwertung gemeinsamer
Quellen zurückzugehen. 2. Scholiensammlungen und zwar besonders
vier: nämlich die Scholien des Symmachos und Phaeinos zu Aristophanes
in einem vollständigeren Exemplare, so dass seine Exzerpte neben dem
Ravennas und Venetus den Wert eines dritten Codex haben; die zu Sopho-
kles (besonders zu OC. OT. Ai.) in einer dem Laurentianus sehr ähnlichen
Redaktion; die homerischen in einer mehr dem Venetus B als dem
Venetus A gleichenden Fassung ; endlich die älteren und besseren Scholien
zu Thukydides. 3. Nach den grammatischen Partien kommen in Be-
tracht die weit- und kirchengeschichtlichen Artikel, bei welchen
die Feststellung der direkten Quellen noch grössere Schwierigkeiten bietet.
Sie weisen zwar auf zahlreiche ältere Autoren zurück, auf Polybios,
Josephos, Eutrops Breviarium in der griechischen L ebersetzung des Kapi-
ton, Johannes von Antiochia, Prokopios, Theophylaktos Simokattes, Malalas,
die Osterchronik, Georgios Synkellos, Nikephoros Patriarches, Georgios
Monachos u. a. Allein bei dem lückenhaften Zustande unserer L^eber-
lieferung ist es kaum möglich, im einzelnen festzustellen, welche Autoren
Suidas für seine geschichtlichen Nachrichten selbst benützt hat. Zur Ge-
winnung eines sicheren Standpunktes jnüssen wir bedenken, dass die histo-
rischen Artikel des Suidas so gut wie nichts enthalten, was wir nicht auch
anderswoher wüssten, also meist nui* triviale Dinge; wir müssen ferner
erwägen, dass Suidas nicht etwa eine vollständige historische Enzyklopädie
abfassen wollte, sondern nur ein bequemes alphabetisches Namensregister
der Personen, an welche sich die Hauptmomente der Universalgeschichte
knüpfen. Nimmt man dazu noch die allgemeine und fast ausnahmelose
Abneigung der Byzantiner gegen umfassende historische Quellenstudien
264 Byzautiniscbe Litteratargeschichte. I. Prosaische Litteratar.
und erinnert man sich, dass selbst Gesehiclitschreiber von Fach ihre Werke,
an die man doch höhere Anforderungen stellen musste als an ein Lexikon,
fast durchweg aus den bequemsten, zunächstliegenden Quellen kompi-
lierten, ein Verfahren, an dem niemand einen Anstoss nahm: so werden
wir es höchst wahrscheinlich finden, dass auch Suidas trotz seiner von
niemand bezweifelten Belesenheit für die historischen Artikel jenen be-
quemen Weg der Kompilation einschlug, der längst vor ihm sanktioniert
war. Nachdem feststeht, dass Suidas in sehr vielen Artikeln mit Johannes
Antiochenos übereinstimmt, kann die Bestimmung jener Haupt quelle für
die historischen Artikel nicht zweifelhaft bleiben: es ist das grosse, kurz
vor Suidas entstandene Exzerptenwerk des Konstantin Porphyro-
gennetos. Hier fand er auch die Exzerpte aus Johannes Antiochenos,
welchem er namentlich die auf römische Geschichte bezüglichen Artikel
zu verdanken scheint. Für die christlich-byzantinische Zeit, für welche
die konstantinischen Exzerpte wohl nicht mehr ausreichten, benützte Suidas,
wie C. de ßoor nachgewiesen "liat, vor allem die Chronik des Georgios
Monachos, freilich nicht in der von Muralt edierten Ueberarbeitung,
sondern in ihrer ursprünglichen Gestalt. Georgios hat dem Suidas mehr
Stoff geliefert als irgend ein anderer seiner historischen Gewährsmänner.
Demnach reduzieren sich die Quellen der historischen Artikel des Suidas
auf zwei Hauptstücke, nämlich für die ältere Zeit auf die konstan-
tinische Enzyklopädie, für die byzantinische Epoche auf die landläufigen
Chroniken der Byzantiner, vor allem Georgios Monachos. 4. Wie im
Werke des Suidas die litterarhistorischen Notizen als die eigentlichen
Goldkörner erkannt werden, so steht natürlich auch bei der Quellenuntei-
suchung die Frage über die Herkunft dieser Teile an Wichtigkeit obenan.
Sicher wissen wir hier fast nur das eine, dass die Hauptquelle in dem
grossen und gelehrten 'OvoixaToXöyoc dos Hesychios Milesios zu suchen
ist und dass Suidas dieses Werk in einem vollständigen Exemplar benützte.
Da nun das Werk des Hesychios verloren ist, wird man niemals zur Evi-
denz erweisen können, welche Nachrichten Suidas nicht aus ihm. sondern
aus anderen Hilfsmitteln schöpfte. Jedenfalls aber ist auch bezüglich der
litterarhistorischen Notizen wahrscheinlich, dass Suidas nicht allzu schwie-
rige und zeitraubende Quellenstudien machte. Noch mehr als bei anderen
Abschnitten laufen wir hier Gefahr, als Quellen des Suidas Werke anzu-
sehen, die nur Quellen des Hesychios sind. Doch scheint Suidas be-
sonders die Notizen über die Komiker aus Athenaeos selbst ergänzt zu
haben, wobei er auch die ersten zwei Bücher nicht in der heute allein
erhaltenen Epitome benützte, sondern in der vollständigen Fassung.
wie sie für die übrigen dreizehn Bücher in der venezianischen Handscliritl
vorliegt. Dagegen hat er das mächtige Werk des Philon von Byblos
schwerlich selbst in der Hand gehabt. Die Notizen über Heilige und
Ketzer scheint or nicht aus den Kirchonschriftstellern wie Sokratos, Philo-
storgios u. 8. w. selbst, sondern wiederum nur aus Georgios Monachos
geschöpft zu haben. Das einzige Werk der patristischen Litteratur, welches
wir aus der von Suidas benützten Bibliothek nicht auszuscheiden vormögen,
ist Theodorets Psalmcnkommontar.
5. Altertumswissenschaft. B. Wörterbücher. (§ 127.) 265
Ausser diesen eigentlichen Quellen, in welchen Suidas seinen Stoff
schon verarbeitet fand, ist seine sonstige selbständige Lektüre zu be-
achten, als deren Frucht vielleicht mehr als die Hälfte seines Glossen-
schatzes angesehen werden muss. Die Belesenheit des Suidas darf für seine
Zeit eine sehr umfangreiche heissen. Sie umfasste (von den oben ge-
nannten Wörterbüchern und Sammelwerken natürlich abgesehen): 1. Von
Dichtern: Homer, Hesiod, Pindar, Sophokles, Aristophanes, Babrios, Geor-
gios Pisides (bezeichnenderweise sein Lieblingsautor) und die Anthologie.
2. Von Pro fanhis torikern: Herodot, Thukydides (mit dem an sechs
Stellen zitierten Biographen Markellinos), Xenophon (Anabasis), Polybios,
Joseph, Arrian, Prokop, Agathias, Theophylaktos, aber das Meiste wohl
nur in der konstantinischen Enzyklopädie; von Kirchenschriftstellern:
sicher nur Theodoret: vielleicht auch den Basilios, Sokrates, Gregor von
Nazianz, Johannes Chrysostomos u. a., wenn nicht statt derselben einfach
durchaus Georgios Monachos zu setzen ist, worüber man jetzt, da die
ursprüngliche Fassung dieses Werkes noch nicht ediert ist, unmöglich
sicher urteilen kann. 3. Philosophen und Sophisten: Diogenes Laertios,
Johannes Philoponos, Alexander von Aphrodisias, M. Antoninus, Marinos,
Jamblichos, Philostratos, Damaskios, Artemidoros. 4. Darsteller ver-
schiedener Stoffe wie Synesios, Julian, Aelian. Lukian. 5. VonAeschy-
los scheint Suidas kaum die drei in Byzanz vornehmlich gelesenen Stücke
beachtet zu haben: auch die Belegstellen aus Euripides, aus verlorenen
Komikern (Menander) und den alexandrinischen Dichtern (Kallima-
chos, Xikander) verdankt er nicht seiner eigenen Lektüre, sondern sekun-
dären Quellen d. h. Glossaren, rhetorischen Wörterbüchern, Attizisten und
Antiattizisten. Solchen Quellen entnahm er auch die Zitate aus Antiphon,
Isaeos. Lykurgos, Hyperides. Die Anführung des Lysias, Demosthenes und
besonders des Isokrates geht wohl grösstenteils auf syntaktische Lexika
zurück. Die Geographen (Strabon) scheint er ganz vernachlässigt zu haben.
Zur richtigen Beurteilung des Umfanges dieser Lektüre muss jedoch
noch einmal betont werden, dass er einen grossen Teil der Werke nicht
im Original, sondern durch Vermittelung der verschiedenen Sammlungen
des Konstantin Porphyrogennetos kennen lernte. Solchen Ursprung
hat wohl das Meiste aus Polybios, Diodor, Xikolaos von Damaskos, Dio-
nysios von Halikarnass, Eunapios und den kleinen Historikern wie Priskos,
Malchos, Menander Protektor: endlich aus Johannes Antiochenos und wohl
auch aus Joseph, Dio Cassius und Appian. Auch hat er die genannten
Autoren nicht mit gleicher Genauigkeit durchgenommen. Noch weniger
war es seine Absicht, von ihren Eigentümlichkeiten ein vollständiges und
erschöpfendes Verzeichnis zu geben: aber immerhin hat er sie oder
wenigstens Stücke aus ihnen mit der Feder in der Hand durchgegangen.
Warum hat nun Suidas ausser den Wörterbüchern für seine Glossen auch
noch die genannten Autoren selbst beigezogen ? Warum hat er sich
für den rein grammatischen, verbalen und etymologischen Teil nicht auf
die grossen schon vorhandenen gelehrten Wörterbücher beschränkt? Die
Antwort auf diese Frage ist leicht zu geben: Die Attizisten und Lexiko-
'^•aphen beschränkten sich, ihrem besonderen Zwecke gemäss, auf einen
■
266 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
kleinen Kreis von Autoren und auf eine massige Zahl von Belegen. Suidas
aber wollte in seinem Werke alle Gattungen der Litteratur und alle
Jahrhunderte umfassen; für diesen Zweck konnten die vorhandenen
Sammlungen und Glossare allein nicht genügen. Daher vermehrte er die
Exzerpte aus diesen vielleicht um mehr als das Doppelte durch die Früchte
seiner eigenen Lektüre, freilich ohne rechte Methode und namentlich ohne
historischen Sinn. Er scheidet weder die ältere Sprache von der späteren,
noch das Seltene vom Gewöhnlichen, noch Prosa von Poesie; nicht einmal
die Namen der Gewährsmänner verzeichnet er konsequent, zum grössten
Aerger der neueren Kritiker. Am deutlichsten zeigt sich der unmethodischc
Sinn in seinem Verfahren, wo er mehrere Glossen zu einem Lemma
fand; statt dieselben in einen Artikel zu verarbeiten, führt er sie nach
einander auf, ohne auch nur die etwa vorhandenen Widersprüche zu be-
seitigen. Wäre nur wenigstens diese Arbeit sauber geschehen, so hätten
wir uns nicht zu beklagen. Wir könnten dann die verschiedenen Notizen
und Nachrichten selbst kritisch sichten; leider aber sind bei dieser Ver-
einigung verschiedener Glossen die einzelnen Stücke unglaublich verwirrt,
durch Zusätze vermehrt und durch Weglassungen verstümmelt worden.
Den Gipfelpunkt erreicht die Konfusion in biographischen Notizen über
homonyme Persönlichkeiten. Es lässt sich übrigens schwer entscheiden,
inwieweit an all der Unklarheit und Verwirrung, die dem Werke jetzt
anhaftet, Suidas selbst schuld ist und inwieweit spätere Hände geschadet
haben. Als sicher kann gelten, dass das Werk — wie es bei dem Cha-
rakter desselben auch wohl verständlich ist — durch Interpolationen
stark verunstaltet wurde; ein bedenkliches Unternehmen ist es aber, den
Umfang der Interpolation genau bestimmen zu wollen. Selbst Bernhardy
ist hier zu weit gegangen z. B. bezüglich des Athenaeos, obschon
sein kritischer Sinn im allgemeinen die Kennzeichen der Interpolation im
Suidas richtig festgestellt hat. Auf Interpolation gehen z. B. sicher zurück
neue Lemmata, welche fleissige Leser aus wichtigen Stellen des Wörtei-
buches selbst schufen, wobei sie denn meist (durch Ci;it(, i'ariv fr tw u. s. w.)
auf die Urstelle zurückverwiesen; natürlich auch Zusätze aus Autoren einer
späteren Zeit wie Michael Psellos oder aus solchen, die Suidas nachweis-
lich nicht benützte, wie Pausanias; Glossen, die in den Haupthandschriften
am Rande oder nur in einer derselben stehen; knappere Paraphrasen
längerer Stellen neben dem Originale u. s. w.; auch Sentenzen und Sprich-
wörter scheinen vielfach interpoliert, obschon hier die Entscheidung im
einzelnen schwerer fällt. Bei allen Mängeln ist das Wörterbuch des Suidas
ein grossartiges Denkmal gelehrten Sammelfleisses aus einer Zeit,
in welcher im ganzen übrigen Europa die gelehrten Studien fast völlig
darnieder lagen, ein neuer Beweis dafür, in welchem Umfange Byzanz
trotz aller inneren und äusseren Stürme die Ueberreste der alten Bildung
erhielt und fortpflanzte.
1. Ausgaben: Kd. princep.s von Dcniot rios Chalkondy los. Modiolani 1499. —
lieber die folgenden AuHgahen, eine Aldina, die von l'ortiis. Kuesterus u. s. w. s. Hern-
hanlys Prolegomena S. 9U ff. — Jetxt kommt mir in Betracht : Suidao lexicon etc. ree.
Thomas (»aisford, 3 voll., Oxonii IHIU. Der dritte F^and enthiilt die Vorrede und drei
schöne Indices. — Auch diese Leistung wurde weit überholt in: Suidae Icxicou etc. rec.
5. Altertumswissenschaft. B. Wörterbücher. (§ 127.) 267
Godofredus Bernhardy, 2 voll, in vier Teilen, Halis et Bnmsvigae 1834 — 1853, eine
der grossartigsten Leistungen der neueren Philologie. Der erste Band enthält die grund-
legenden vier Commentationes de Suidae lexico. in welchen Person und Zeit des
Suidas, die Geschichte seines Werkes, seine Quellen, die handschriftliche Ueberlieferung,
die Ausgaben und Beiträge mit scharfer Kritik besprochen werden. Den kritischen Apparat
Gaisfords hat Bernhardy in umgearbeiteter Form ganz aufgenommen, die erklärenden Noten
von dem alten Ballaste befreit und nur das wirklich Wichtige in knappster Form wieder-
gegeben; ziemlich überflüssig ist die lateinische Uebersetzung, welche Bernhardy auf
Wunsch des Verlegers beifügte. — Neben diesem Riesenwerke hat fast nur ein patho-
logisches Interesse die Ausgabe, welche kurz nach Abschluss von Bernhardy s Werk
unter dem Titel erschien: Suidae lexicon ex recogn. Imm. Bekkeri, Berolini, G. Reimer
1854. Durch Weglassimg des kritischen Apparates und der lateinischen Uebersetzung,
Beschränkung des Kommentars wie der Indices und ähnliche Kunststücke ist hier der
ganze Suidas glücklich in einem Bande untergebracht, freilich so. dass für den Geletrten
(und wer benützt sonst den Suidas?) die Ausgabe unbrauchbar ist. Die vereinzelten glück-
lichen Emendationen Bekkers, die in einem massigen Aufsatze hätten untergebracht werden
können, vermögen an dieser Thatsache nichts zu ändern.
2. Hilfsmittel: Fabricius, Bibl. Graeca ed. Harl. 6, 389—595. — Die sonstige
ältere Litteratur ist aufgezählt von Bernhardy, Prolegomena S. 96 S. — Hauptschrift:
Die aus vier Abhandlungen bestehende Einleitung in der Ausgabe von Bernhardy, vol. II. —
Ausserdem: Moritz Schmidts Rezension der Ausgaben von Bernhardy und Bekker, Jahns
Jahrb. 71 (1855) 469—500 imd 775 — 800. — Did. Yolkmann, De Suidae biographicis
quaestiones selectae, Bonnae 1861 : De Suidae biogr. quaest. alterae in den Symbola philo-
logorum Bonnensium in honorem Fr. Ritschelii coUecta, Lipsiae 1864 — 1867 S. 715—730;
De Suidae biogr. quaest. novae, Progr. Schulpforta 1873; — Otto Schneider, De Calli-
machi openim tabula quae exstat apud Suidam, Gotha 1862; dann wiederholt und erweitert
in seinen Callimachea, vol. II (Lipsiae 1873) 2 — 33. — C. Wachsmuth, De fontibus,
ex quibus Suidas in scriptorura Graecorum vitis hauserit, in den Symbola philol. Bonnens.
in honorem Fr. Ritschelii collecta, Lipsiae 1864—1867 S. 135 — 152. — A. Naber, Photii
lexicon. Proleg. 164—167. — Fr. Nietzsche, De Laertii Diogenis fontibus, Rhein. Mus.
24 (1869) 210 tf. — E. Hiller, Photios, Suidas, Apostolios, Philologus 34 (1876) 226-234
(über Benützung des Photios und Suidas durch Apostolios für seine Sprichwörtersamnüung.) —
Ueber eine zum Teil aus älteren Quellen, zum Teil aus Suidas kompilierte Sprichwörter-
sammlimg in einer Escurialhandschrift handelt Ch. Graux, Revue de philologie 2 (1878)
219—237. — E. Rohde, re'yops in den Biographica des Suidas, Rhein. Mus. 33 (1878)
161 — 220 imd 638 f. — H. Flach, Untersuchungen über Eudokia und Suidas, Leipzig 1879
(betrifft wesentlich die Echtheitsfrage des Violariimis der Eudokia). — A. Daub, De Suidae
biographicorum origine et fide, Jahns Jahrb.. 11. Supplementb. (1880) 401—490; Studien
zu den Biographica des Suidas, Freiburg i. Br. und Tübingen 1882. — Guilelra. Kausch,
De Sophoclis fabularum apud Suidam reliquiis, Dissert. Halle 1883. — G. Fr. Unger,
Die troische Aera des Suidas. Abhandl. der bayer. Akad. d. Wiss. I. Cl.. 17. Band, 3. Abteil.
(1885) S. 515—605. Vgl. die Besprechung von L. Cohn, Berliner philol. Wochenschrift
1886, 838-845. — C. de Boor, Zu Johannes Antiochenus, Hennes 20 (1885) 321—330
und: Die Chronik des Georgios Monachos als Quelle des Suidas, Hermes 21 (1886) 1 — 26. —
P. Roellig, Quae ratio int«r Photii et Suidae lexica intercedat. Diss. Halle 1887 = Disser-
tationes philologicae Halenses. vol. VTII 1 — 66. Die von Roellig bekämpfte Ansicht, dass
Suidas den Photios exzerpiert habe, vertraten bes. Cobet. Mnemosyne 9 (1860) 399 ff.;
411 ff. und Nah er, Photii lexicon, Proleg. 150 ff.: 164 fl". — G. Kai bei, Athenaeus und
Suidas. Hermes 22 (1887) 323—333. — Ueber die Quelle des Suidas für Kultusbeinamen
der Götter: G. Wentzel, 'ETiixXtjasig &so)y sive de deorum cognominibus etc., Diss. Göt-
tingen 1889 S. 3 ff. — Ew. Bruhn. Suidea, Rhein. Mus. 45 (1890) 273—283. — Die weit
zerstreuten kleineren Beiträge, bes. die Emendationen einzelner Stellen können hier nicht
aufgezählt werden. Man vgl. Engelmanns Bibl. script. class. und für die neueste Zeit
die Bibliotheca philologica classica von Calvary. — Vgl. Christ, Griechische Litteratur-
geschichte- § 572.
3. Ueber einen neuen Suidascodex des 13./14. Jahrb., der übrigens wertlos scheint,
C. Tisch endorf, Notitia editionis codicis biblion Sinaitici, Lipsiae 1860 S. 59 f. —
L eher einen im 13. Jahrb. durch den Bischof Robert von Lincoln (f 1253) veranlassten,
nur die grösseren historisch-biographischen Artikel umfassenden lateinischen Auszug
des Suidas (Liber Suda) s. Valentin Rose. Hennes 5 (1871) 155—158.
4. Der Name unseres Lexikographen ist höchst selt«n; doch gibt es einen alten
Historiker Suidas, der bei Strabo, Stephanos von Byzanz u. a. als Verfasser von 9ea-
«akixii zitiert wird. S. G. Bernhardys Prolegom. S. 27 und C. Müller. Fragm. bist.
Gr., vol. ü (1848) 464 f.
268 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
128. Kyrillos. Unter dem Namen eines Kyrillos, Patriarchen von
Alexandria, ist in zahllosen, oft völlig voneinander abweichenden Hand-
schriften ein alphabetisches Glossar überliefert: KvqiXXov tov «yrcoräroi'
aQXi^rrtaxÖTTov UXf^ar^Qfi'ag It'^fcor avvrtyo)yi] xnifi aioixtrTov. Die Frage,
ob dasselbe wirklich auf den Patriarchen Kyrillos aus der ersten Hälfte
des 5. Jahrhunderts zurückgeht, ist noch ebenso wenig entschieden, als über-
haupt die Quellen und die Verwandtschaft des Glossars genügend unter-
sucht sind. Den Hauptbestandteil bildet, wie es scheint, ein altes rhetori-
sches Lexikon, das der Verfasser durch Einschaltungen aus verschiedenen
Glossaren zu Homer, Euripides, der Bibel und anderen Schriften erweiterte.
Von Wichtigkeit ist die Erkenntnis, dass das Kyrillglossar von späteren
Kedaktoren in das Lexikon des Hesychios hineingearbeitet wurde. Im
übrigen bedarf die Stellung des Kyrill noch der Aufklärung. In der
neueren Litteratur ist dieses rein griechische Glossar zuweilen mit
dem griechisch-lateinischen Pseudo-Kyrillos verwechselt
worden (s. § 126). Ueber das mit Kyrill verwandte Lexikon des Zonaras
s. § 62.
1. Was bis jetzt von Drucken vorliegt, ist elendes und nutzloses Stückwerk; es sind
nur einzelne Partien und auch diese nur nach einzelnen, willkürlich gewählten Handschriften
ediert, so dass ein gesichertes Urteil über Kyrill aus der Litteratur überhaupt noch nicht
zu gewinnen ist: Ein Stück aus einer Moskauer Handschrift edierte Chr. Fr. Matthaei
in den Glossaria Graeca minora, Mosquae 1774, I 11 ff. — Aus einem cod. Monacensis
ediert* die Buchstaben M und .V B. F. Dozen in Aretins Beiträgen zur Geschichte und
Litteratur 9 (1807) 1253 ff. — Dann verwertete Tittmann die Abschrift von Matthaeis
Codex für seine Ausgabe des Zonaras I S. XCVII — CXIV. — Aus Wiener Handschriften
gibt Proben des Buchstabens -4 Barth. Kopitar, Hesychii Glossographi discipulus et ini-
yXwaaiartjg Russus, Vindobonae 1839 S. V — XXIV. — Aus einem Bodleianus und Baroc-
cianus ed. Proben A. Cramer, Anecdota Parisina 4 (1841) 177 — 201. — Ueber eine Leidener
Handschrift und ihre Verwandtschaft mit den Wiener Codices handelt E. Mehl er, De
Cyrilli archiepiscopi Alexandrini lexico inedito, Mnemosyne 3 (1854) 213 — 225 und 353 — 362.
Die von Mehler geplante Ausgabe des Kyrill kam nicht zu stände. — Hesychii Alexandrini
lexicon cd. Maur. Schmidt, vol. 4 (Jenae 1862) 339—368 enthält Exzerpte des Kyrilli-
schen Lexikons aus Wiener, Moskauer, Leidener u. a. Handschriften. Vgl. in demselben i
Bande S. XLlll — LX Schmidts Abhandlung: De Cyrillo Alexandrino, Athanasio, Eudemo -s
personato et Icxicis Seguerianis, wo auch die Kyrillischen Handschriften beschrieben und
die ältere Litteratur aufgezählt wird; zu den von Schmidt genannten Codices kommt noch
eine freilich schwer zugängliche Handschrift in der Klosterbibliothek von Patmos. — Mit-
teilungen aus Kopenhagener Handschriften gab Ch. Graux, Archives des missions scienti- j
fiques et litt. 111 serie t. 6 (1880) 198 ff. — Eine Ausgabe der älteren Kyrillglossare wird
vorbereitet von R. Reitzenstein; vorerst s. seine Bemerkungen im Rhein. Museum 43
(1888) 458 ff.
2. Eine Redaktion des Kyrill steht in einer Pariser Handschrift unter dem Titel:
Tot? eV (tyioiq TiuTQog tjfxdiv^Ai^ ((vnalov TiatQidQXov 'AXeittv^Qeiag Xf'Sets iQ,uf]»'f (siel) fif't'oi-
Proben bei A. Cramer, Anecdota Parisina 4 (1841) 201—215 und im Hesychius ed. V..
Schmidt, vol. 4 S. XLVll ff.
129. Eudemos. Eine der Hauptquellen des Suidas war angeblich i
ein Lexikon unter dem Namen des Eudemos; dasselbe war nicht nach
dem Prinzip der Antistoechie, sondern nach dem gewöhnlichen Alphabet ;
geordnet. Dei* Verfa.sser des Lexikons schwebt in der Luft, ähnlich wie
Philoxenos und Kyrillos; wir kennen aus Suidas selbst und aus Doxopatres
einen iHietor Eudemos aus Argos als Verfasser eines Werkes: NfQt /.^'^nov
^i^ioQixöir und eines zweiten (vielleicht aber mit dem ersten identischen ?)
/U()i ni)v nagtt loTg (n^togai ^tjiovf^iti'o)y. Welcher Zusammenhang aber
zwischen jenen alten Werken und unserem Lexikon besteht, ist nicht be-
5. Altertumswissenschaft. B. Wörterbücher. (§ 128—130.) 269
kaimt. M. Schmidt*) glaubt, dass das Werk jenes alten Eudemos,
den er um das Jahr 13U n.Chr. setzt, zwar verloren sei, dass aber ein
Auszug daraus (eine ^vrayoiyr] Xt^foiv xQi^aiuon) zeitig mit Nachträgen,
namentlich aus Phrynichos und Pamphilos, versehen und in dieser Gestalt
in vielen Exemplaren verbreitet worden sei. Von diesem vollständigen
Eudemos, den Suidas benützt haben soll, würden dann unsere Eudemos-
handschi'iften (in Paris, Wien und Florenz) Auszüge oder Bearbeitungen
darstellen. Genaueres über diese höchst verwickelten Dinge ist erst zu
erwarten, wenn die von Boysen in Aussicht gestellte Ausgabe des
Eudemos vorliegen wird. Gegenwärtig ist für jemand, der die Hand-
schriften nicht selbst einsehen kann, ein klares Bild nicht zu gewinnen,
und man wäre kaum überrascht, wenn schliesslich der ganze Eudemos
sich als ein interpoliertes Exzerpt aus Kyrill, Photios und Suidas ent-
puppen würde.
Beschreibung einer Wiener Handschrift von M. Schmidt. Sitzungsber. d. philos.-
histor. Cl. der Wiener Akad. d. Wiss. 21 (1856) 288 f. — Vgl. M. Schmidt. Jahns Jahrb.
71 (1850) 481—500 und seinen Hesychius, vol. 4 S. XLIX— LS. — Car. Boysen, De
Harpocrationis lexici fontibus quaestiones selectae, .Schriften der Univ. Kiel. 23. B. 1876,
gibt Proben des Eudemos und verspricht eine Ausgabe desselben.
130. Die Lexica Segueriana stehen in einer ehemals im Besitze
von Seguier befindlichen Handschrift des 1 1 . Jahrhunderts, welche jetzt in
der Pariser Bibliothek als Coislinianus 345 registriert ist. Sie enthält
eine Menge lexikalischer und syntaktischer Sammlungen, welche von dem
Umfange der grammatischen Studien in Byzanz im 10. und 11. Jahr-
hundert ein deutliches Zeugnis ablegen. Den Anfang bildet: \4noXkon(ov
ao(fiaTov Xt^ixov xarä aioixtiov tj^c 'iXiudog xut 'Odvaasictg. Darauf folgt
ein Exzerpt Ex twv ^qvvi'xov tov 'Jggaßfoü xf^g aotfiatixi^q nQonuQuaxtvT^q,
des Timäos Platolexikon. ein Lexikon zu Herodot, Moeris. zahlreiche Samm-
lungen von '/.t'^tis; aus den heiligen Schriften, Scholien zur Alexandra des
Lykophron, eine Reihe syntaktischer Exzerpte und endlich jene fünf ano-
nymen Stücke, die unter dem Namen lexica Segueriana bekannt sind.
Vollständige Inhaltsangabe der Handschrift bei Bachmann, Anecd. Gr.,
vol. I (1828) V— X.
An 1. Stelle edierte Bekker aus dem Coisl. 345 den Phrynichos; dann
fünf anonyme Stücke, nämlich • 2. '^J//oc uÄqdßt^Tog, von Ruhnken 'Arri-
uTTixiaTi]z betitelt und unter diesem Titel von I. Bekker herausgegeben,
Anecdota vol. I 75 — 116. Es ist eine Sammlung von polemischen Be-
merkungen gegen die Regeln der Attizisten, besonders des Phrynichos.
Wie weit dieses Werk mit der aus Suidas bekannten Schrift des Oros
KuTu (Pqvvi'xov zusammenhängt, ist nicht festzustellen. 3. Ileol awrä-
^stog. IIoTa xoiv Qi^^iärmv yerixjj xal öoTixf^ xcu ahiaTixJj avvTctaaovTaiy
eine alphabetisch geordnete Syntax der Kasusrektion. Sie ist von Wert
durch die Menge der zitierten Belege aus Rednern und Historikern, deren
Ueihe bis auf Prokop von Kaesarea und Petros Patrikios herabreicht. Ed.
von I. Bekker, Anecd. I 117 — 180. 4. Jixwv oröfiara xuiu uAtfäßr^ror.
Ed. von I. Bekker, Anecd. I 181 — 194. 5. At'^sig Qi^roQixai, ein Wort-
') Jahns Jahrb. 71, 496.
270 Byzantinische Litteratnrgeschichte. t. Prosaische Litteratnr.
und Sachlexikon in (allerdings nicht strenge durchgeführter) alphabetischer
Ordnung, wichtig durch zahlreiche Notizen über griechische Altertümer.
Hauptquelle war ein Rednerlexikon. Ed. von I. Bekker, Anecd. J 195 — 318.
6. ^vray^Y^] Xt'^acov xc^/O"/'/' w^' *'< 6ia(fÖQ0)r aoqoh' le xai otjÖQMv noX-
Xüiv. Dieses umfangreiche Wörterbuch scheidet sich deutlich in zwei ver-
schieden gearbeitete Teile, von welchen der eine, sehr reichhaltige den
Buchstaben J, der andere, dürftige die übrigen Buchstaben umfasst. Der
Kern des ganzen Wörterbuches geht vielleicht auf das Lexikon des Kyrill
zurück. Die erwähnte Ungleichheit beruht darauf, dass im Buchstaben A
von einem Gelehrten eine bedeutende Glossenmasse aus Phrynichos, Aelios
Dionysios, Pausanias u. a. eingeschaltet wurde, so dass jetzt in diesem
Buchstaben eine doppelte Glossenreihe zu bemerken ist. Dasselbe Lexikon
steht auch in dem älteren Coislin. 347, doch ohne die erwähnte doppelte
Glossenschicht in Littera A. Bekker, Anecd. I 319 — 476 edierte nur
den Buchstaben A, die ganze ^vray^Yii edierte in seiner dilettantenhaften
Weise L. Bachmann, Anecd. Graeca I 1 — 422. — Von grösster Wichtig-
keit ist natürlich auch bei diesen Wörterbüchern die Untersuchung ihrer
Quellen und ihrer gegenseitigen Verwandtschaft; doch hat die Forschung
hier noch nicht viel gefördert, und aus dem flutenden Chaos von Behaup-
tungen, Widersprüchen, Möglichkeiten und Vermutungen treten die wirk-
lich sicheren Ergebnisse nur wenig hervor.
1. Ausgabe von 1. Bekker, Anecd. Graeca, vol. I (Beroliui 1814) 7ö — 476, dazu
annotatio critica im vol. III (Berolini 1821) 1074 ff. Das 6. Stück vollständig von L. Bach-
niann (s. den Text). — Vgl. Pliotii lexicon ed. Naber, Prolegomena S. 95 — lOö; 127 — 164;
173—184. — Hesychius ed. M. Schmidt, vol. 4 S. XLIII ff. und .Jahns Jahrb. 71 (1855)
482 ff. — Fr. Ritschi, Thom. Magister, Prolegom. 73; 77 und De Oro et Orione 43; 58
u. s. w. = Opuscula I 628; 646 u. s. w. (s. den Index). — Car. Boysen, De Harpocr.
lex. fontibus (s. S. 269). — L. Cohn, Untersuchungen über die Quellen der Platoscholien,
Jahns Jahrbücher, 13. Supplementb. (1884) 813 ff. — C. Z. Boer, De tertio lexico Bekkcri,
Diss. Lugd. Bat. (mir unzugänglich). — J. Sicking, Adnotationes ad Antiatticistani, Am-
stelodami 1883 (mir unzugänglich). — P. Roellig, Quae ratio int«r Photii et Suidae lexica
intercedat, Halle 1887, sowie die übrige zu Photios und Suidas angeführte Litteratur.
2. Zu dem lexic. Seg. ITsqI avrTÜieois vgl. das anonyme Stück lleQi TJjg rdy ^»/,u«-
Ttav avyrdisMg xard rovg TiitXmovs, ed. von L. Bachmann, Anecdota Gr., vol. II (1828)
289 — 316 und die mit Beispielen aus den heiligen Schriften belegten, alphabetisch geord-
neten syntaktischen Regeln bei A. Gramer, Anecdota Oxon.. vol. 4 (1837) 275 — 307 mit
dem wunderlichen Titel: •■<(?/»/ ovy S^so) rwi' awrü^sioy nun; dfi' öcpelXsiy (!) avyrdaaeiy
riig (njfinrixilg kt'^eig iy ratg tov oyöfimog miöaBai. Wie notwendig solche syntaktische
Voi-schriften für die dem Leben immer mehr entfremdete byzantinische Kunstgräzität wurden,
zeigt die unerhörte Verwirrung der Kasusrektion, wie sie sich z.B. in der Vita Euthymii
(s, § 28) breit macht. ■
3. Weit verbreitet waren im Mittelalter Wörterverzeichni.sse zur Krleichterung des
Verständnisses der hl. Schriften und der Kirchenlieder; vielfach wurden diese (tlossae
sacrae auch in profane Wörterbücher hineingearbeitet. Ein Verzeiclmis von Aeiftg rijg
öxraievxov u. s. w. bei Bachmann, Anecd. Gr. I, Vll f.; ebenda S. 450—459 ein kleines,
wertloses Lexikon zu Kirchenliedern.
4. Eine Art von Kommentar zu Dionysios Tlirax bildet das dUrftige M^xoy t^(
yQafJLfinnxrjg in Bachmanns Anecd. Gr. I 425—450. Vgl. Dionysii Thracis ara gramm. ed.
G. Uhlig, Proleg. S. 40.
131. Die etymologischen Lexika. Kine besondere (Jruppo bilden
in der grammatischen Litteratur der Byzantiner einige unter sich ver-
wandte grö.ssere und kleinere Wörterbücher, welche von den anderen lexi-
kalischen Werken wie dem des Fhotios, Eudemos, Zonaras sich vor allem
dadurch unterscheiden, dass sie neben der Erklärung der Wörter die Ab-
5. Altertumswissenschaft. B. Wörterbücher. (§ 131.) 271
leitung in hervorragender und charakteristischer Weise berücksichtigen.
Für keinen Teil der Grammatik ist die vergleichende Sprachwissenschaft
so unentbehrlich wie für die Etymologie: daher ist es nicht zu ver-
wundern, dass gerade sie die schwächste Seite der griechischen Grammatik
bildet. Die Byzantiner, die all ihr grammatisches Wissen aus den Alten
schöpften, haben diese Disziplin nicht gehoben, vielmehr noch vergröbert
und verwässert. Infolgedessen ist die Etymologie, die uns in den ge-
nannten Lexika geboten wird, ein wahres Zerrbild der heutigen Wissen-
schaft dieses Namens. Bezeichnend für die Unsicherheit der byzantinischen
Etymologen ist es namentlich, dass sie sich selten mit einer Ableitung
zufrieden geben, sondern daneben noch eine zweite, dritte, vierte, fünfte,
sechste zur gefälligen Auswahl vorlegen. Als Beispiel diene der erste
Artikel des Etymologicum Magnum: AXqa t6 üioi^tTov, naoa tu a^qw t6
evQiaxo) • TTQÖivov yuo roir u).'ku)Y aroiXiiuiY iVQäO-i]. 'H und rov xavu unoißac
nokiTtvea^cei • ct),(ftiv yuo t6 ditei'ßfir. Eine wahre Musterkarte von Ein-
fällen enthält u. a. der Artikel: 'AvO^ocottoc. Ilaou t6 aroj ^otTv ijovv
avw ßXinetr • iioro; yao räv aXXoov ^(öo)i' ö cci^oMiiog dv(o ßkeTiet. ^H nuQtt
t6 ceraS^ofTr a oTKiintv, rjovv avaJ.oyi^fff^ai u tidf xai Yxovas 'H
naqd t6 Soöj, xo ßXtTroj, uvdownoQ xai uv^oo^noc. H naou t6 aro) otTTfir,
ttvtÖQOTiög Tig wV u. s. w. Die Ordnung dieser Lexika ist die gewöhnliche
alphabetische, nicht die antistoechische : doch ist die Reihenfolge nicht
streng eingehalten und bald mehr, bald weniger verwirrt. Bisher sind
folgende Vertreter dieser Gattung bzw. folgende Redaktionen bekannt ge-
worden: 1. Das sogenannte Etymologicum Magnum, 'EriHioJ.oyixov niya
xav cü.ifüßijov. 2. Das Etymologicum Gudianum, so genannt, weil
es in einer ehemals dem Gudius gehörigen Handschrift in Wolfenbüttel
erhalten ist. 3. Das Etymologicum Angelicanum in einer selu- ver-
dorbenen Handschrift der angelikanischen Bibliothek in Rom, nahe ver-
wandt mit dem Gudianum. 4. Das Etymologicum Florentinum in einer
Handschrift der bibliotheca Laurentiana. 5. Das „Etymologicum Flo-
rentinum parvum" in derselben Florentiner Handschrift. Es zeigt grosse
Verwandtschaft mit dem Gudianum.
Nachdem dieser handschriftliche Thatbestand in grossen Zwischen-
räumen allmählich ans Licht gezogen war, erhob sich hier wie in der ge-
samten grammatischen Litteratur der Byzantiner die Forderung, das diplo-
matische und genealogische Verhältnis dieser Werke, die offenbar
alle unter sich verwandt sind, näher zu bestimmen und die Originalwerke
herauszuschälen. Die neueren Untersuchungen ergaben hierüber folgendes:
Das unter dem Namen Etymologicum Magnum gehende Werk
trägt diesen Namen mit L^nrecht; er ist ihm willkürlich vom ersten
Herausgeber Kalliergis beigelegt, der, um dies zu verbergen, sogar einige
Quellenangaben im Werke änderte. In Wahrheit wird nämlich als Haupt-
quelle ein 'EivjiwXoyixdy fit'ya und ein 'Ervfio/.oyixor aX/.o, neben diesen
das ^/.atijfJ^fn-Lexikon und eine Sammlung ^Emiitoiaiioi genannt. Sowohl
dieses echte 'ErvnoXoyixov tu'ya, als das ^ETviioXoyixav ciXXo sind, wie
R. Reitzenstein nachgewiesen hat, gesondert erhalten; das ^Et. iitya
steht in zwei Handschriften, in dem von Reitzenstein gefundenen Vati-
272 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratur.
caniis Gr. 1818 (suec. X) und im Florent. S. Marci ;U)4 (saec. X), aus
welchem E. Miller dasselbe als Etymologicum Florentinum veröffentlicht
hat; das 'Er. alko ist in sehr vielen Handschriften aufbewahrt; bisher
ist aber nur ein Auszug desselben gedruckt, das Etymologicum Gudianum.
Das sogenannte Etymologicum Magnum entstand wahrscheinlich
im 10. Jahrhundert, um die Zeit, in welcher durch die Anregungen des
Konstantin Porphyrogennetos solche Sammlungen im grösseren Stile be-
liebt wurden und auch Suidas sein Lexikon abfasste.') Als Quellen des
sogenannten Etymologicum Magnum bzw. seiner zwei Hauptbestandteile,
des 'Et. fit'ya und des 'Er. aXXo, ergeben sich das hauptsächlich aus Homer-
epimerismen gezogene Werk des Methodios, das auch in dem sogenannten
Ai fiMSeTr-hexikon {aif.i(o6Hr bis aaMirög), sowie in den von Gramer, Anccd.
Oxon. vol. I., herausgegebenen 'Enif^ieQianoi io\. 71 'Ae\ bis fol. 85, 19 'Aa(fd-
Quyoc verarbeitet ist,'^) rhetorische Lexika wie Aelios Dionysios und
Pausanias,^) Diogenianos, Orion, Oros, Schollen zu Homer, Hesiod
und anderen Dichtern. Ferner dienten als Vorlagen des Aristonikos
Buch UfQi 'AQiarÜQxov ar^fieiwr ^O/nr^Qov, die Grammatiker Herodianos,
Choiroboskos und Theognostos, des Zenobios Kommentar zum ^Pijfia-
tixov des Apollonios, der das Apollonianische Gut vermittelte; vielleicht
sind auch noch andere Kommentare des Zenobios zu Apollonios als Quellen
anzunehmen. Die grösste Schwierigkeit der Untersuchung liegt wi^ bei
Photios und Suidas in der Unterscheidung mittelbarer und unmittelbarer
Benützung der erkennbaren Quellen, und es ist wohl zu erwarten, dass
durch weitere Forschung die vermeintliche Mannigfaltigkeit direkter Vor-
lagen auch hier noch bedeutend zusammenschrumpfen wird.
1. Ausgaben: Das sogenannte Etymologicum Magnum: Ed. pr. M. Musuitis
opera Zach. Calliergis, Venetiae 1499. Eine genaue Beschreibung dieser Ausgabe gibt
E. Legrand, Bibliographie hellenique I 5.5 ff. — Ed. Aldus, Venetiae 1.549. — Ed. Fr.
Sylburg, Heidelberg 1594 (tüchtige Leistung). — Ed. H. Schaefer, Leipzig 1816 (nur
verbesserter Abdruck der Ausgabe Sylburgs). — .Jetzt ist nur zu benutzen : Etj'mologicum
Magnum etc. ad codd. niss. recensuit et notis variorum instruxit Thomas Gaisford.
Oxonii 1848 (mit einem Autoren-, Wort- und Sachindex). — Jltymol. Gudianum: Ed.
Fr. G. Sturz, Lipsiae 1818 (blos.ser Abdruck der verdorbenen Handschrift). Eine neue
Ausgabe des Et. Gud. ist in Aussicht gestellt von 0. Carnuth (s. Berliner phil. Wochen-
schrift 1890 S. 42 f.). — Etymol. Angelicanum: Kurze Beschreibung von Fr. Ritsch 1.
Opuscula 1(1866)674—692. — Etymol. Florentinum und Et. parvum ed. E.Miller.
Melanges de littt>rature grecque, Paris 1868 S. 11 — 318; 319—340. — Ueber ein 'Etviio-
Xoyixop lvfie(ayo(; rov fieyäXov yQnjAfi«TtxQv in einem codex Parmonsis gibt eine
handschriftliche Notiz mit einer Probe aus Litt, ß W. Studemund, Anecdota varia Graeca
I (1886) 113 f. — Ueber eine Hand.schrift, welche ein mit dem Etymol. tJud. verwandtes
Werk fragmentarisch enthält, berichtigt C. Tischendorf, Notitia editionis codicis biltlimi
Sinaitici, Lipsiae 1860 S. 63.
2. Hilfsmittel: Zu den Handschriften des Etym. Gud. s. Zimmermanns Zeitschrift
für die Altertumswissenschaft 7 (1840) N. 145 ff. — Besprechung der Ausgabe (»aisfords
von F. W. S. (Schneidewin?) in den Götting. (iel. Anzeigen 184S. 1777—1797. - Fr.
Ritschi, De Oro et Orione in den Opu.scula 1 596 ff. und Thomas Magister. Proleg. S. 16;
64; 70. — A. Naber. Photii lexicon vol. 1 Proleg. 167 173. - O. Carnuth. De Etym.
Magni fontibus, pars 1, Berolini 1873; pars 11, Jever 1876. Derselbe: Quellenstudien zum
Etym. (iudianuni, p. 1 und 11, zwei Progr. Danzig 1880 und 1889. - (». Srhoemann, De
Etym. Magni fVmtibus, p. 1 und 11, zwei Progr. Danzig 1881 und 1887, p. HI in den Con»mentat.
') Photios wird öfter zitiert. Vgl. Naber, 1 ') Nach Heyden, dem auch Röllig, Quae
Photii lexicon I 167. ratio inter Photii et Suidae lex. intercedat
■'') Nach einer privaten Mitteilung von S. 22 beistimmt.
R. Ueitzenstein.
I
5. Altertumswissenschaft. B. Wörterbücher. (§ 132—133.) 273
in honorem G. Studemund, Argentorati 1889 S. 121-128. — Aug. Brosow, Quomodo sit
Apoll onius sophista ex Etym. Magno explendus atque emendandus. Diss. Königsberg 1884. —
Henr. Hey den, Quaestiones de Aelio Dionysio et Pausania attieistis EtjTU. Magni fontibus,
Diss. Leipzig 1885 (= 8. Band der Leipziger Studien). — A. Kopp, De Ammonii, Eranii,
aliorum distinct. syn., Diss. Königsberg 1883 S. 72 — 103 und: Zur Quellenkunde des Et}^n.
Magnum, Rhein. Mus. 40 (188-5) 371—376. — R. Reitzenstein, Zu den Quellen des so-
genannten Etym. Magnum, Philologus 48 (1889) 450—455.
3. Als' eine Quelle des Etymol. Magnum galt früher ein Sanmielwerk: KavövuiP
S^tjaavQÖS; das imter dem stolzen Namen des .jüngeren Aristarch"* im cod. Paris. 2-544
(saec. XVI.) erhalten ist. S. z. B. I. Bekker, Anecdota III 1400 und Schneid ewin,
Götting. Gel. Anzeigen 1848, 1792. In Wahrheit ist dieser ,jüngere Aristarch'' einer jener
Griechen des 16. Jahrhunderts, die sich zu Ersverbszwecken mit der Verfertigung angeb-
licher alter Autoren befassten. Das Machwerk, dem der Fälscher zur Beglaubigung den
Namen des jüngeren Aristarch und sogar ein srjiyQteuua lidtjXoi^ vorsetzte, ist eine Kompi-
lation aus dem Etym. Magnum und einigen anderen grammatischen Schriften. W. C. Kayser,
De Aristarchi aetate minoris canonibus, Philologus 13 (1858) 59—67.
132. Ein anonymes ^«^txor ax^^oyQacfixöv aus der Komnenenzeit
gibt in 907 politischen Fünfzehnsilbern orthographische Regeln in alpha-
betischer Reihenfolge. Titel und Anfang des Prooemiums lauten: 2vYoilnc
Tt'x»'/^c Go(ftxt]g ygafitnarwr dvTiaToi xoiv, 'S2(ftXiij.ug, aonTr^oiog näai roTg iqua-
fii'otg: der erste Vers des Lexikons selbst heisst: 'Ava^ vjiüqx^i ßaoiXevg •
avaaace i\ Ssanoivi]. Solche axtSai, die in rein praktischer Weise ein
düi-ftiges Wissen verbreiteten, bildeten die unterste Stufe des grammati-
kalischen Unterrichtes bei den Byzantinern.
¥A. Fr. Boissonade. Anecd. Gr. 4 (1832) 366 — 412. — L'eber andere derartige
grammatische Lexika s. P. Egenolff, Die orthographischen Stücke der byz. Lit. S. 25 ff.
133. Das Lexicon Vindobonense ist ein Wörterbuch ohne streng
alphabetische Reihenfolge, in welchem zu den einzelnen Wörtern zahlreiche
Belege aus Dichtern und Prosaikern zitiert werden. Als Autor des Werkes
ist durch einen im Jahre 1343 geschriebenen cod. Yatic. ein gewisser
Andreas Lopadiotes erwiesen worden, der, wie seine Zitate aus Gregor
von Cypern darthun, in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts schrieb.')
Den Wert dieser Kompilation bezeichnet Nauck durch den Satz des Athe-
naeos (XV p. 666 A.): d ui] iarool raav, ov6h' av rjv rdiv yQuuuaiixwv
HoiQÖTfooY und bemerkt dazu: Virtutes eins nullae sunt, vitia innumera,
Stupor incredibilis. Allerdings geht aus den angeführten Beispielen hervor,
dass hier der Gipfelpunkt des Blödsinnes und der Unbesonnenheit erreicht
ist. Der Autor kennt das Griechische nicht und kompiliert nachlässig und
stumpfsinnig aus fremden Quellen, wiederholt dieselben Dinge an ver-
schiedenen Stellen und verwirrt die Angaben seiner Vorlagen. Doch ent-
hält das sonst so entsetzliche Machwerk Verse aus Sophokles und Phere-
krates, die sonst nicht überliefert sind, und nützt auch zur Emendation
einiger Autoren wie des Maximos Tyrios, Libanios und besonders des
Himerios. Hauptquelle ist die Epitome des Harpokration,
1. Lex. Vind. pr. ed. (,vel potius abdidit' wie Nauck S. III richtig bemerkt)
Theod. Bergk in Programmen der Universität Halle 1859—1862 (unter dem Titel: Ety-
mologicum Vindobonense). — Lexicon Vindobonense rec. et adnotatione critica instruxit
Aug. Nauck, Petropoli 1867. — Vgl. die Besprechung von A. Hart, Jahns Jahrb. 99
(1869) 49— .56. wo namentlich die Quellen des Lex. Vindob. erörtert sind, und die aus-
fUhrliche Anzeige des ganzen Bandes von E. Miller, Journal des savants 1870, 159--177.
2. Unter den Stücken, die Nauck mit dem Lex. Vind. abdruckte, beansprucht die
') S. Guil. Studemund, Anecdota varia Gr. I (1886) 105.
Bkudbucli der klass. AltertumswiaaeDachaft. IX. 1. AbtIg. 13
274 Byzantinisclie Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
erste Stelle das Lexicon Cantabrigiense, ein altes, höchst wertvolles rhetorisches
Wörterbuch, das am Rande der Harpokrationhandschrift von Cambridge erhalten ist. Zu
vergleichen ist vielleicht die von E. Miller aus dem Orient mitgebrachte Schrift 'Ex iiüy
Kkavdiov KnalXiot'og 7t sqI tiSy nuQu loig 'AuixoTg ^tjtoQai ^rjTovueviuv. Das Lex. Cantabr.
veröffentlichte Dobree, zuerst mit dem Lexikon des Photios, London 1822 (wiederholt
Leipzig 1823); dann separat unter dem Titel: Lexicon rhetoricum Cantabrigiense etc. ex-
scripsit eo consilio, ut ederetur P. P. Dobree, Cantabrigiae 1834. — Ed. Ed. Meier,
Halle 1843. — Ed. A. Nauck mit dem Lexicon Vindobonense S. 329-358; vgl. Prooem.
S. 42 f. — Endlich: Lexicon rhetoricum Cantabrigiense rec. et annot. critica instruxit
E. 0. Houtsma, Lugd. Bat. 1870, mit einer länglichen, aber inhaltsarmen Einleitung.
134. Phavorinus (Favorinus), nicht zu verwechseln mit dem Sophisten
Favoriniis aus der Zeit des Hadrian, mit vollem Namen Varinus Phavo-
rinus Camers (d. h. Varinus aus Favere bei Camerino), ein italienischer
Benediktiner, der ein Schüler des Johannes Laskaris, Lehrer Leos X, seit
1512 Vorstand der mediceischen Bibliothek zu Florenz, später Bischof von
Nuceria war und 1537 starb, kompilierte aus Suidas, dem Et. Magnuni,
Eustathios, Moschopulos, Thomas Magister u. a. ein grosses Wörterbuch
der griechischen Sprache, welches u. a. von dem falschen Philemon
ausgebeutet wurde: Mt'ya xal nävv oi(ftXif.iov Xs^txöv, ottsq BaqXvoq, (Paßw-
Qivoc, Käfir^Qg, 6 NovxaiQiag iniGxonoq, ix tioXXmv xal diacfoqon' ßißXiiov
xard arotjeiov üvreXe^aro. Von ihm ist auch das ebenfalls alphabetisch
geordnete grammatische Sammelwerk: 'Ex tmv EvaraOiov xal aXXo)v
s'räü^wv yQaj^ifiavixMv Bagirov Käfir^QTog ixXoyal xaid aioix^iov. Das Werk,
dem ein Verzeichnis der benützten Grammatiker vorausgeht, ist füt* uns
ziemlich nutzlos, und es ist noch nicht einmal erwiesen, ob es zur Emen-
dation der exzerpierten Grammatiker erhebliche Dienste leistet.
1. Wörterbuch: Zuerst gedruckt Romae 1523; wiederholt Basileae 1538; endlicli
vermehrt Venetiis 1712. Doch ist für wissenschaftliche Zwecke nur die ed. Romana zu
benützen, nicht die ed. Veneta, welche z. B. Ritschi heranzog. — Vgl. Suidae et Phavorini
glossae sacrae em. et ill. J. Chr. Gottlieb Ernesti, Lipsiae 1786. - Fr. Osann. Qnao-
stionum Homericarum particula III, Univ.-Progr. Giessen 1853. — Fr. Ritschi, Thoma
magistri ecloga, Prolegom. S. 43 f.; 63 f. — K. Lehrs, Die Pindarscholien, Leipzig \f<~ '■
S. 165 f. (über die Ausbeutung des Favorinus durch den falschen Philemon).
2. 'ExXoyal: Zuerst ediert in: Thesaurus comucopiae et horti Adonidis, Aldii
Venet. 1496; wiederholt von W. Dindorf, Gramm. Graeci, vol. I (1823) 71—455.
135. Der falsche Philemon. Unter dem Namen eines ^^iXi'jiMv ist
in einer Pariser Handschrift des 16. Jahrh. ein Af^ixov tfxroXoyixöv über-
liefert. Der dem Werke vorausgeschickten Bemerkung zufolge bestand
dasselbe ursprünglich aus einem alphabetischen Wörterbuche der 8 Rede-
teile (d. h. mofia, Qrj/^ia, i^ieroxi], ckq^qov, drtMVVjiiia, ngöO^eaic, e7iiQ^i^f.ia^
avrdfafiog; s. z. B. Bekker, Anecd. Gr. II 840); davon ist in unserer Hand-
schrift der Abschnitt Ilfgl oroßäTow und ein Teil des Abschnittes IhQi
QrjfxÜTUiv erhalten. In derselben Vorbemerkung, die an einen gewissen
Antiphanes gerichtet ist, wendet sich der Verfasser polemisch gegen den
Grammatiker Hypereschios (YnfQkaxtog) aus Alexandria (um 450 n. Chr.)
und verheisst etwas Besseres zu geben. Nach diesen und anderen Indizien
setzte Osann den Philemon ins 5. bis 6. Jahrhundert. Dagegen bewies
K. Lehrs mit scharfsinniger und völlig überzeugender Argumentation, da.ss
die Schrift des angeblichen Philemon im IG. Jahrh. entstand, also in die
Kategorie der Schwindelwerke gehört, wie dasViolarium derEudokia, der
falsche Hesychios Milesios, Pseudo-Drakon u. s. w. Die Hauptquelle des
6. Altertumswissenschaft. B. "Wörterbücher, (§ 134—136.) 275
Philemon ist nämlich keine andere als das Lexikon des Phavorinus (wahr-
scheinlich in der 2. Ausgabe, Basel 1538). Auch die vielfache Ueberein-
stimmung mit Eustathios geht nicht direkt auf ihn zurück, sondern eben-
falls auf Phavorinus, der den Eustathios fleissig verwertete. Mit Recht
wird das Werk als eine Fälschung bezeichnet; denn der Verfasser suchte,
wie sich aus verschiedenen Stellen ergibt, zu verheimlichen, dass er den
Phavorinus ausgeschrieben hat, und selbst, dass er Christ war. Nach
neueren Untersuchungen ist der Pariser Codex des Philemon von derselben
Hand geschrieben wie der des Pseudo-Drakon, nämlich von dem Griechen
Jakob Diassorinos, der nun wohl auch als Verfasser des Machwerkes
bezeichnet werden darf. Damit erledigen sich die weitschweifigen Ver-
mutungen Osanns und anderer über die alten Quellen des Philemon.
Ausgaben und Hilfsmittel: Zuerst edierte den falschen Philemon C. Burney,
4>iXTJfuoyo? Xesixoy re/foXoytxöy. Ex bibliotheca Parisiensi, Londini 1812. — Genauer gab
den Text Frid. Osann, Philemonis grammatici quae supersunt, Berolini 1821. Zum Pariser
Philemon fügte Osann aus einem cod. Laurentianus ein 4'ihjuoyoi überschriebenes, eben-
falls wertloses Glossarfragment, welches mit diffiksro beginnt und mit delXr^g oxpiag ab-
bricht. Dazu Prolegomena und Kommentar, die beide mehr die blinde Voreingenommenheit
des Herausgebers, als seinen kritischen Sinn bezeugen. — Vgl. Photii lexicon ed. A. Naber,
1 189 — 192, wo schon nachgewiesen wird, dass Philemon jünger sein muss als Eustathios. —
Hauptschrift: K. Lehrs, Die Pindarscholien, Leipzig 1873 S. 164 — 190. Einen gelegent-
lichen Hinweis auf die Unechtheit des Philemon hatte übrigens Lehrs schon in Herodiani
scripta tria, Regimontii 1843 S. 439 gegeben. — Ueber den wahrscheinhchen Verfasser des
Werkes s. L. Cohn, Philologische Abhandlungen, Martin Hertz zum 70. Geburtstage von
ehemaligen Schülern dargebracht, Berlin 1888 S. 133 — 143.
136, Die falsche Eudokia. Eudokia Makrembolitissa, Gemahlin
des Konstantin Dukas (1059 — 1067), galt früher als Verfasserin des mytho-
logisch-antiquarischen Sammelwerks 7w vf a (Violarium), das zuerst von Vil-
loison, Anecd. Gr. vol. I ediert worden ist und in der auf Hesychios Mile-
sios, Photios und Suidas bezüglichen Litteratur lange Zeit eine grosse Rolle
spielte. Nachdem noch K. Sathas, Maaatoyv. ßißXiod^. V, UqoL S. 32; 44
{Xß': f^id) das Werk dem Psellos zugeschrieben hatte, wurde es von
H. Flach neu herausgegeben, und die längst angezweifelte Echtheit in
leidenschaftlicher, aber vergeblicher Polemik verteidigt; selbst die Kon-
zession, dass der echte Kern durch spätere Zusätze überwuchert sei, konnte
nicht befriedigen. Es bleibt jetzt nicht der geringste Zweifel übrig, dass
das Veilchenbeet um das Jahr 1543 von dem Griechen Konstantin
Palaeokappa aus verschiedenen, meist ziemlich trivialen Quellen kompi-
liert worden ist. Fast die Hälfte des Werkes ist aus dem 1538 in Basel
gedruckten Phavorinus abgeschrieben; ausserdem ist für die biographi-
schen Artikel Hauptquelle Suidas, aber auch dieser wahrscheinlich nicht
in einer Handschrift, sondern in der Ausgabe von 1514; ferner benützte
der Kompilator die Baseler Ausgabe des Palaephatus und Cornutus
von 1543, endlich die Kommentare des Nonnos zu 4 Reden des Gregor
von Nazianz.
. Litteratur: H. Flach, Untersuchungen über Eudokia und Suidas, I^eipzig 1879. —
Eudociae Violarium recens. H. Flach, Leipzig 1880. — A. Daub, De Eudociae violarii
etc. fontibus, Progr. Freiburg i. Br. 1880. — Hauptschrift: P. Pulch, De Eudociae,
quod fertur, Violario, Stra.ssburg 1880 (= Dissert. philol. Argentor. IV 313—411). Dazu
P. Pulch, Die Pariser Handschriften des Nonnus Abbas und Eudocia, Philol ogus 41 (1882)
341 — 346 und dess. Abb. Konstantin Palaeocappa, der Verfasser des Violariums der Eudokia,
Hermes 17 (1882) 177—192. — Vgl. die Besprechung von K. Boysen, Philologischer
18*
276 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratar.
Anzeiger (von Leutsch) 12(1882)480—488. — E. Patzig, Die Nonnusquelle der Eudokin,
Rhein. Miis. 37 (1882) 67-82 und: Zur Textur im Violarium der Eudokia, Philologus 4M
(1884) 249-260. — Ueber das Leben und sonstige Handschriften von der Hand des
Palaeokappa sowie seines Kollegen Jakob Di assorinos geben interessante Mitteilungen
H. Oinont, Catalogue de manuscrits grecs copies ä Paris au XVP' siecle par C. Palaeo-
cappa, Annuaire de l'assoc. 20 (1886) 241—279 und L. Cohn in: Philologische Abhand-
lungen, Martin Hertz zum 70. Geburtstage . . . dargebracht, Berlin 1888 S. 123-^143. -
Vgl. P. Egenolff, Bursian-Müllers Jahresbericht 58 (1890) 294 if.
G. Grammatik.
137. Allgemeine Charakteristik. Wie in Byzanz alle Fächer der
Altertumswissenschaft in der Hauptsache auf Leistungen der hellenischen
Vorfahren beruhen, so bestehen auch die grammatischen Studien im
engeren Sinne nur in einer teils verkürzenden, teils erweiternden Ueber-
arbeitung älterer Werke. Vor allem ist es das Büchlein des Dionysios
Thrax, das seine unermesslichen, selbst in armenischen und syrischen
Handbüchern erkennbaren Wirkungen auch auf die byzantinische Zeit er-
streckt; zur Ergänzung und Erläuterung dienten die Kommentatoren des-
selben. Ebenso dauerte das Ansehen der bahnbrechenden Arbeiten des
Apollonios Dyskolos und seines Sohnes Herodianos ungeschmälert
fort. Von ihnen ergoss sich ein breiter Strom von Exzerpten und Scholien
über die byzantinischen Jahrhunderte. Apollonios war die unerschöpf-
liche Fundgrube für Schriften über die einzelnen Redeteile und über die
Syntax, Herodianos blieb massgebende Autorität für die Formenlehre
und insbesondere für die Orthographie. Verdünnt und oft mit unechten
Bestandteilen versetzt, wurde das alte grammatische Gut in trivialen Hand-
büchern, zuweilen in lexikalischer Anordnung, nachmals in der Form von
jambischen und politischen Versen, endlich seit dem 13. Jahrhundert in
der bequemen Gestalt des Frag- und Antwortspiels dem wechselnden Be-
dürfnis der Schule vermittelt. Der Hauptwert dieser zerstreuten und erst
in neuester Zeit von Uhlig, Egenolff, Hilgard, L. Cohn, R. Schneider.
F. Bölte u. a. kritisch gesichteten Litteratur beruht demnach in der Hilfe,
welche sie für die Rekonstruktion der alten Grammatiker gewährt;
ausserdem erfahren wir durch sie manche keineswegs nutzlose Einzelheiten
zur Geschichte des byzantinischen Unterrichts. Die grösste Betonung
erfuhren in Byzanz die elementaren Teile der Grammatik, Accent und
Orthographie; weniger Gewicht fällt auf die Formenlehre; noch stief-
mütterlicher wurde die eigentliche Syntax behandelt. Wie die Byzan-
tiner in der Praxis dem Vorbilde der altgriechischen Sprache mehr äusser-
lich als innerlich nachstrebten und nachkamen, so geschah es auch in der
Theorie. Mit der Erlernung des groben Gerüstes der Formen und der
Rechtschreibung Hess man es in der Regel bewenden. In der That hatte
der des Altgriechischen beflissene Byzantiner nirgends grössere Schwierig-
keiten zu überwinden als gerade in der Orthographie, weil die Aus-
sprache sich im Laufe der Zeit von der Schreibung immer mehr entfernte.
So erklärt sich, dass die Rechtschreibung im grammatischen Unterrichte
eine so hervorragende Rolle spielen durfte. Wie selten aber trotzdem
feste Kenntnisse erreicht wurden, beweisen die zahllosen orthographischen
Schnitzer in griechischen Hundschriften aller Jahrhunderte.
5. Altertumswissenschaft. C. Grammatik. (§ 137—139.) 277
Eine kritische Sammlung auch der byzantinischen Leistungen auf dem Gebiete der
Grammatik verspricht das längst vorbereitete Corpus der griechischen Grammatiker
(Grammatici Graeci recogniti et apparatu critico instructi, 8 Teile in 15 Bänden), über
dessen Plan in den Mitteilungen der Verlagsbuchhandlung B. G. Teubner 1888 N. 1
berichtet wird. Zur Orientierung über die Arbeiten genannter und ungenannter Grammatiker
A'on Byzanz s. vorerst die zwei Schriften von P. Egenolff: Die orthoepischen Stücke der
byzant. Litteratur, Mannheimer Progr. 1887. und: Die orthographischen Stücke der byzant.
Idtteratur. Heidelberger Progr. 1888. sowie desselben Verf. Berichte über die griechischen
Grammatiker in Bursian-MüUers Jahresbericht über die Fortschritte der klass. Alter-
tumswissenschaft Bd. 38 (1884) 43 S. ; 46 (1888) 109 S. ; 58 (1890) 265 flF., wo auch die
Lexikographen und Metriker berücksichtigt sind. \^
138. Johannes Philoponos. Eine lebhafte und noch einigermassen
selbständige Thätigkeit herrschte auf dem Gebiete der Grammatik im
6. Jahrhundert. Im Anfange desselben blühte Johannes mit dem Bei-
namen Philoponos aus Käsarea, der als Bischof von Alexandria auch
'Akf^arSoevg genannt wird.') Als seine Lehrer werden der Grammatiker
Romanos und der Aristoteleserklärer Ammonios genannt. Seine litte-
rarische Thätigkeit umfasste ausser der Grammatik namentlich Philo-
sophie und Theologie; sein Gegner im Dogma war der antiochenische
Patriarch Severus (513 — 518). Von grammatischen Schriften des Philoponos
kennen wir die Tovixd TraQayyiXfiara und eine in lexikalischer Form ge-
haltene, im Mittelalter stark verbreitete Schi'ift JlfQi rwv öiaifÖQoig tovov-
/lijwr xcd 6iä(fooa ar^iiaivövTon'. Der Grundstock beider Werke, die sich
ergänzen, geht auf die xa^o/.ixi^ des Herodianos zurück, und sie bilden
demnach wie der grosse Auszug des Theodosios aus Alexandria ein
Hilfsmittel zur Rekonstruktion des Original werkes.
Tovixil nag. ed. mit Herodian tlsgi a-/r,ucir<av W. Dindorf, Lipsiae 1825. —
HsQi iwv diaqiÖQO)? rov. etc. am besten ed. von P. Egenolff. Breslau 1880 (ak Fest-
schrift zur Philologenvers, in Trier). — Vgl. P. Egenolff, Die orthoepischen Stiicke etc.
S. 37 ff.; Die orthographischen Stücke etc. S. 33 und M. Petschenig. Wiener Studien
3 (1881) 294 — 297. — Hauptschrift: A. Ludwich, De Joanne Philopono grammatico.
Ind. lect. Königsberg 1888 89. — Lieber die sonstigen Schriften des Philoponos s. Christ,
Griechische Litteratnrgesch."- §§ 567. 614. 617. — Eine monographische Darstellung der ge-
samten litterarischen Thätigkeit des vielseitigen Mannes ist noch ein Bedürfnis.
139. Sonstige Grammatiker des 6. Jahrhunderts. Ein wohl etwas
jüngerer Zeitgenosse des Philoponos, der aber jedenfalls noch dem 6. Jahr-
hundert angehört, ist der Grammatiker Johannes Charax, der den Philo-
ponos zitiert und selbst eine massgebende Quelle für Choiroboskos ist.
Er schrieb einen Auszug der Orthographie des Herodian: 'Iwävvov ao-
(fwiärov yQaiiixaTixov XÜQaxog Ttegi 6o0^oyQcc(fiac, Scholien zu Theodosios
u. a. Veröffentlicht ist von ihm ein Fragment IlfQi fyxhronsyoyr- fxoQtwv.
Einen Auszug aus Charax veranstaltete im 9. Jahrhundert der Patriarch von
Alexandria, Sophronios. Ein Zeitgenosse des Charax ist der Grammatiker
Timotheos von Gaza, von dem eine ebenfalls auf Herodian zurückgehende
syntaktische Abhandlung erhalten ist: TifioO^iov Fä^i^c xavövfc xad^okixoi
neql avvrä^toic. In dieselbe Zeit gehört wahrscheinlich auch der von
Choiroboskos in seinen Diktaten zitierte Grammatiker Sergios; denn der-
') Ein anderer Grammatiker Johannes Johannes Philoponos mit Johannes von Ale-
Philoponos. der von ApoUonios Dyskolos xandria haben Cohn, Ludwich u. a. Zweifel
erwähnt wird, lebte unter Tiberius oder erhoben. Vgl. P. Egenolff, Bursian-Müllers
Augustus. Gegen die Identifizierung des Jahresbericht Bd. 58 (1890) 275.
278 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
selbe ist doch wohl mit jenem Grammatiker Sergios identisch, der mit
dem antiochenischen Patriarchen Severus, dem Gegner des Philoponos,
in Briefwechsel stand; dann haben wir in ihm den Verfasser des unter
dem Titel: ^egyfov dvayrwatoi) ^Efjuarjrov innour] twv ovoj^iartxöJv xavövwv
AlXiov 'HqwSiavov erhaltenen Exzerptes zu suchen.
1. Charax, JleQi og&oyQ.: Proben bei I. Bekker, Anecd. Gr. 1127. — J. A.
Gramer, Anecd. Grr. Oxon. 4 (1837) 331 f. — Ch. Graux, Archives des missions scienti-
fiques et litt., III. s«5rie t. 6 (1880) 195 f. — Jlepi iyxXty. ed. I. Bekker, Anecd. Gr.
1149—1155. — Timotheos ed. J. A. Gramer, Anecd. Gr. Paris. 4 (1841) 239—244. —
Vgl. P. Egenolff, Die orthoepischen Stücke S. 37; Die orthographischen Stücke 4 ff.; 34. —
A. Lud wich, De Joanne Philopono grammatico S. 9 ff.
2. Von Johannes Charax, dem Zeitgenossen des Philoponos, ist zu scheiden
der aus dem Stamme der Morocharzanen entsprossene Abenteurer Johannes Gharax.
Nach den ziemlich ausführlichen Notizen der Ghronisten, deren Darstellung freilich vom
Hass gegen die Bilderstürmer beeinflusst erscheint, war derselbe ein bösartiger, exzentri-
scher, der Schwarzkunst und dem Intriguenspiel ergebener Grammatiker und Diplomat.
Sicher ist, dass er vom Kaiser Michael II Traulos zum Erzieher seines Sohnes erkoren,
von Kaiser Theophilos (829 — 842) zum Patriarchen erhoben, aber noch zu Lebzeiten seines
Gönners auf Betreiben der Kaiserin dieser Würde entsetzt wurde, lieber sein Leben s.
Theophanes contin. ed. Bonn. S. 95 und sonst, Kedrenos (Skylitzes) ed. Bonn. II 144 ff.
und Zonaras. Hierauf gründet sich die Darstellung von J. v. Hammer, Gonstantinopolis
und der Bosporus, 1822 B. II 235—240. — Eine kritische Würdigung der auf diesen J. Gharax
bezüglichen Stellen gibt F. Hirsch, Byzant. Studien S. 17 und sonst (s. seinen Index s. v.
Johannes grammaticus).
140. Georgios Ghoiroboskos (XoiQoßoaxöc) mit dem Beinamen 6 ifx-
vixöc, Diakon, Grosschartophylax und ökumenischer Professor in Konstanti-
nopel, lebte wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts.
Er verfasste mehrere grammatische Schriften, in denen er vorzüglich von
Apollonios und Herodianos, daneben auch von späteren Grammatikern wie
Oros und noch von Johannes Philoponos und Sergios abhängig erscheint.
Den grössten Einfluss gewannen in den byzantinischen Schulen seine Dik-
tate zu den Kavoreg des Theodosios. Ebenso beruht auf alten Quellen
seine Schrift Tlegi 6Q^oYQcc(fi'ag, von der wir nur einen stark verkürzten
Auszug besitzen. Dazu kommt noch ein Kommentar zu Hephästion:
'E^rjr^aig fig ro tov 'H^aiörtwvog iyxeiQidiov. Andere Partien seines Nach-
lasses harren noch einer kritischen Sichtung und Abgrenzung.
Diktate: Ed. Th. Gaisford, 3 voll., Oxford 1842. — Orthographie: Ed. J. A.
Gramer, Anecd. Oxon. II (1835) 167 281. — Neue Kollation der Orthographie von Rieh.
Schneider, Bodleiana, Leipzig 1887 S. 20 — 33. — Theodosii Alexandrini canones, Goorgii
Ghoerobosci scholia, Sophronii patriarchae Alexandrini excerpta rec. AI fr. Hilgard, Leipzig
1889 (= Grammatici Graeci IV 1). — Vgl. P. Egenolff, Die orthoepischen Stücke S. 25 ff;
Die orthographischen Stücke S. 17 ff. — Kommentar zu Hephästion ed. G. Hoerschel-
niann in Studemunds Anecd. varia Graeca I (1886) 31 — 96.
141. Theognostos, ein Grammatiker, dessen Blüte wahrscheinlich
in den Anfang des 9. Jahrhunderts zu setzen ist, verfasste für die prak-
tischen Bedürfnisse der Schule und daher ohne Rücksicht auf die wissen-
schaftliche Grammatik ein Itechtschreibebuch in der Gestalt von
10 03 Regeln. Dem Werke geht eine aus 7 Trimetern und einer
prosaischen Epistel bestehende Widmung an einen Kaiser Leo, wahrschein-
lich Leo V den Armenier, voraus, deren plumper und fehlerhafter Stil
einem Sprachlehrer von Fach wenig Ehre macht. Unter Beziehung auf
die Kriegsthaten des Kaisers bietet er sich ihm als Kampfgenossen an —
auf dem Schlachtfelde der Grammatik. Schon längst pflege er die Sprach-
5. Altertumswissenschaft. C. Grammatik. (§ 140—141.) 279
kunst und treibe unerbittlich von seinen Schülern eines jeden Wortes Regel
ein. Sein Wissen stamme aus dem inhaltreichen Buche des Herodian;
vielfach aber habe er die ungeschickte Fassung der alten Regeln ver-
bessert: Ircc xai avrög ri roig aoTg Sö^o) avvaywriaaaO^ai ' näXca yäq iioi
öic(7ioYovj.itv(>i Tcl yQa}.ii.iaTixc( xai exäarr^g X^'^eag zov dgiiödiov xavöva vjio
twv (foixr^TMv cmaQaiTr^Tcog eianquTxonevo^ fioi ' ovg 6i ix xr^g ttoXvvXov
ßißXov xf^g xaO^öXov '^HqoiSiarov avccXe^üfievog xai Xs'iei Xil^iv ttJv Ttqoarxovüav
STtiüvrceipag, eqyov ovxiri xwv ngo siiov fift^ieXr^jusrov u. s. w. In der That
ist das Riesenwerk des Herodian Hagi xa^oXixr^g ngoaroStag eine der
Hauptquellen, aus denen Theognost sein Regelbuch zusammenstellte. Auch
seine Bemerkung, er habe die alten Regeln verbessert, ist in seinem Sinne
richtig; sie bezieht sich nämlich offenbar auf das eigentümliche Verfahren,
das er seiner Vorlage gegenüber beobachtete. Das Werk des Herodian
enthält eine vollständige Lehre vom griechischen Accent, wobei die Ortho-
graphie nur nebenbei berücksichtigt ist. Dem Theognost aber war es um
die Orthographie zu thun; daher schmolz er die prosodischen Regeln
des Herodian in orthographische um. Während z. B, Herodian die Wörter
auf -i]v nach dem Accent in Oxytona und Paroxytona unterschieden hatte
und ebenso die Wörter auf -ir, vereinigte Theognost Oxytona und Par-
oxytona, schied aber die auf -tv von denen auf -ip'. Für die Anordnung
hielt er sich an die Aussprache seiner Zeit, welche ai-e, fi-i-ij, oi-v (damals
nicht = i, sondern = ü), o-o) nicht mehr unterschied, d. h. er befolgte
das Prinzip der sogenannten Antistoechie, das ausserdem in Byzanz
hauptsächlich durch Suidas vertreten wird. Wie rein äusserlich und ver-
ständnislos die orthographischen Regeln des Theognost sind, lehre ein
Beispiel: nqd xov n xax ctq^r^v Xi^toag r^ oi Si(fi}oyyog ovx eaxiv • Sto oaa
TTQO xov 71 iv agxjl Xs'^ecog, ^iqxft x6 v did xov v xpiXov yqanxtov ' vneq-
r.(fuvog, vTiödixog, vJiäqxaxog. Bei solchen Vorschriften war die Erlernung
der griechischen Orthographie allerdings eine wahre Herkulesarbeit. Trotz
aller Mangelhaftigkeit bewahrt Theognost als Mittel zur Rekonstruktion
des Herodian wie als Zeugnis der byzantinischen Unterrichtsmethode
seine Bedeutung.
Im höheren Alter verfasste Theognost einen Bericht über den
Aufstand des Duphemios in Sizilien und die Festsetzung der Araber
auf dieser Insel (826 827); die Schrift ist uns nicht erhalten, wird aber
bezeugt und benützt von dem Fortsetzer des Theophanes*): SriXot 6h
xavxa auiftaraxa xcti nXaxixoheqov rj xöxe yQaq.eTaa Oeoyvcöaxrt} xm neQi
OQ^oyQUifiag ytyqctiföxi xai fig x*r^ag iXO^ovon yto' u. S. W.
1. Ausgaben und Hilfsmittel: Ed. A. Gramer, Anecdota Oxon. II (1835) 1 — 165
aus cod. Baroccianus 50 (saec. XI). — Neue Kollation des Barocc. von R. Schneider,
Bodleiana, Leipzig 1887 S. 4 — 20. — Eine neue Ausgabe übernahm für das Corpus gramm.
Gr. P. Egenolff. — F. Guil. Schneidewin, Coniectanea critica, Gottingae 1839 S. 166
gibt Emendationen zum Cramerschen Texte. — G. Bernhardy, Suidae lexicon t. I (1853)
Praef. 37 f. über die antistöchische Anordnung des- Theognost. — M. Schmidt, Hesychii
Alexandrini lexicon, vol. 4, quaest. Hesych. 99 — 103, gegen Lobecks beiläufig ausgesprochene
Meinung, Theognost habe aus Hesychios geschöpft. — Aug. Lentz, Herodiani reliquiae
(Lipsiae 1867—70), vol. I Praef. 180—184, über das Verhältnis des Theognost zu Herodian
und Arkadios. — F. Hirsch, Byzantinische Studien S. 196 f. setzt den Theognost unter
') Ed. Bonn. 82, 18.
280 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
Leo VI. — P. Egenolff, Die orthographischen Stücke der byzantinischen Litteratur
(1888) S. 21 fF.
2. Ueber die Zeitbestimmung des Theognost herrscht eine Kontroverse, die sich
an die Frage knüpft, ob unter dem Kaiser, dem der Grammatiker sein Elaborat widmet,
Leo V der Armenier (813 — 820) oder Leo VI der Weise (886 — 911) zu verstehen ist.
Für das erstere spricht die Thatsache, dass die erwähnt« historische Monographie des
Theognost mit den Worten r) töte ygutpetaa angeführt wird. Dagegen scheint die Wid-
mung des Werkes allerdings mehr auf Leo VI als auf den dem Schulwesen ferner stehenden
Armenier zu passen. Eine sichere Entscheidung hängt von der Auffindung neuer Beweis-
mittel ab.
142. Michael Synkellos, Patriarch von Jerusalem, in der ersten
Hälfte des 9. Jahrhunderts, gehört in den Kreis der Bilderverehrer, der
Studiten Theodoros und seines Bruders Theophanes, des Theophanes Con-
fessor u. s. w.; von dem bilderfeindlichen Kaiser Theophilos (829 — 842)
wurde er mit den Brüdern Theophanes ') und Theodoros Studites einge-
kerkert und misshandelt. ^) Michael verfasste eine viel benützte und in
zahlreichen Handschriften überlieferte Schrift über die Syntax: Mixcci]k
nqeaßmäQov xccl avyxtXkov lov dnoüioXixov ^qÖvov rwr '^IsgoaoXvi.Kav Mt-
^odog TieQi trjg tov köyov avvrä^emg ax^^iftoO^^tf^ft ^yEdtaüi] rijg Mfdo-
TioTafuag ahr^aei ^a^ägov diaxövov xai Aoyo^«roy, (fiXoXoYOV ovtog.
1. Ausgaben: Das Werk des Michael Synkellos wurde zuerst öfter gedruckt unter
dem fälschlich vorgeschobenen Namen des Georgios Lekapenos in: Theodor! Gazae
grammatices introductionis libri quattuor, Florenz 1515, 1520 u. öfter. Wer das Werk
dem Lekapenos zuteilte, ist nicht klar; wahrscheinlich geschah es durch ein Missverständ-
nis, w-eil in Handschriften dem Werke des Michael zuweilen Werke des Georgios Lekapenos
vorangehen; das ist z. B. der Fall im cod. Taurin. 274; s. Catalog. codd. Taurin. 1 (1749)
S. 379. Zweifellos aber hat Lekapenos keinen Anspruch auf die Autorschaft, da das Werk
in zahlreichen Handschriften unter dem richtigen Namen des Michael Synkellos überliefert
ist. — Unter dem Namen des wahren Verfassers erschien das Werk erst: 'EntfAeXsUe xrd
äioQ^iöasi 'JXel^dyÖQov Kccyxe'AXaQiov tov i((TQo(fiXoa6(pov, Venetiis, apud Nie. Glyceni
1745 (aus einem cod. Venetus). — Das Kapitel Tlfpi vnoxoQiatixiav öyo/näiioy gab (ohne
Kenntnis der früheren Drucke des ganzen Werkes) J. A. Gramer, Anecdota Oxon. 4, 272 f. —
Eine neue Ausgabe erwartet man von Felix Bölte im 8. Teile des Corpus gramm. Grae-
conim. — Vgl. Fabricius, Bibl. Graeca ed. Harl. 6, 133; 297; 345; 382; 11, 186—188
(über die kirchl. Schriften des Michael Synkellos). — Ueber sein Leben s. auch F. Hirsch,
Byz. Studien S. 149.
2. Ob die unter dem Namen eines Mönches Michael gehende Biographie des
Theodoros Studites von Michael Synkellos herrührt, ist nicht festgestellt. Ed. A. Mai,
Patrum nova bibliotheca 6 (1853) 293-863.
3. Verschieden von dem Werke des Michael Synkellos ist die anonyme Schrift:
ücq! r^s" iw»' ^rjfithioy avvTÜ^ei»? xnTtc toi;? naXcaovg. Ed. L. Bach mann, Anecdota
Graeca, vol. II (1828) 288-316. — In lexikalischer Form behandelt die Konstruktion der
Vorba ein Traktat, der von G. Hermann, De emendanda ratione (traecae grammaticao,
pars prima (Lipsiae 1801) S. 353—421 ediert ist: '^p/»; ff«'»' 5fw Twy ne(fi Ttji avyiäSewi
T(öy (>rjfi(CTwy TtQos r« öyö/xarn xai riov aXXiag fiern 7iQo9eas(i)y eynXXaaaofie'yioy (itjficirtoy.
143. Niketas von Serrae, ursprünglich Diakon in Konstantinopel,
später Bischof von Serrae in Makedonien, endlich Metropolit im pontischen
Heraklea, blühte am Ende des 11. Jahrhunderts; einige Briefe bezeugen uns
freundschaftliche Beziehungen zu dem durch seine reiche Thätigkeit in
') Genesios ed. Bonn. 74, 16. Der als i spätere Erzbischof von Nikaea. S. Hirsch,
sein I>eidensgenosse unter Kaiser Theophilos j Byzantinische Studien S. 340 und sonst,
dortselbst erwähnte Theophanes kann aber *) Eine Lebensge-schichto des Michael
nicht Theophanes Confessor sein, mit Synkellos schrieb Nikophoros (tregoras.
dem er im Index der Ausgabe S. 195 iden- S. Nik. Gregor, cd. Bonn. I S. XLVIII. wo
tifiziert wird; denn Theophanes Confessor als Gewährsmann Leo .Mlatius De Symeo-
starb schon 817 unter l^eo V. Es ist viel- nibus S. 100 zitiert ist. Das Stück scheint
mehr der Bnider des Theodoros Studites, der aber noch nicht ediert.
5. Altertumswissenschaft. C. Grammatik. f§ 142—144.) 281
theologischer Litteratur bekannten Bischof Theophylaktos von Bul-
garien. Niketas verfasste zahlreiche theologische Schriften, wie Kommen-
tare zur hl. Schrift und zu mehreren Reden des Gregor von Nazianz, auch
kirchenrechtliche Stücke. Hier findet er seine Stelle als xlutor von gram-
matisch-lexikalischen Lehrgedichten, die sich offenbar grosser Be-
liebtheit erfreuten und daher in zahlreichen Handschriften vorkommen.
Vereinzelte Kapitel der Formenlehre und Orthographie behandeln seine
^Ti'xoi rreoi YQaufictTixi]c, 100 langweilige Trimeter mit der charakteristischen
Einleitung: Kaigoc fitv vnvov xal xaO^evdeiv r^v Seov, AkX ovr di vficeg, rrccTSfc,
ccyQVTTrt^Tior, ed. von Fr. Boissonade, Anecd. Graeca III (1831) 322 — 327.
Mit Vorliebe hat Niketas, wie später Ptochoprodromos u. a.^) schulmässige
Stoffe der leichteren Erlernung halber in die Form von Kirchenliedern
gebracht. Solcher Art sind die Verse über die Beinamen der 12 Götter,
die W. Studemund in den Anecd. varia Gr. I (1886) 270—279 mit einem
überreichen kritischen Apparate veröffentlichte. Ferner gehören hieher
seine Bearbeitung des orthographischen Regelbuches des Timotheos
von Gaza und seine Verse über die Namen der Meere, Flüsse, Seen,
Berge, Städte, Völker und Edelsteine: für letztere schöpfte Niketas
aus einem (wahrscheinlich auch von Suidas benützten) geographischen Schul-
buche, das selbst wiederum auf die gewöhnliche poetische Schullektüre,
besonders auf Dionysios Periegetes zurückging.
1. Proben dieser Schulpoesien edierte ausser Studemund noch L. Cohn. .Jahns Jahrb.
133 (1886) 649-666. — Vgl. P. Egenolff. Die orthographischen Stücke der bvz. Lit.
1888 S. 27 fF. ; ebenda S. 24 über einen fälschlich dem Niketas zugeschriebenen ortho-
graphischen Traktat. Zu den von Egenolff genannten Handschriften der grammatischen
Hymnen sind u. a. die codd. Patmiaci 110 und 322 nachzutragen.
2. Zur Biographie s. Fabricius, Bibl. Graeca ed. Harl. 7, 750. — F. Henrichsen,
Ueber die sogenannten politischen Verse S. 103. — Theologische Schriften des Niketas bei
Migne, Patrol. Gr. 36 (18-58) 9.55-984.
144. Gregorios, Metropolit von Korinth, ursprünglich Pardos ge-
nannt, lebte am Schlüsse des 12, oder am Anfang des 13. Jahrhunderts:
denn er zitiert einerseits noch den Theodoros Prodromos unter den jüngsten
Jambographen ; andrerseits soll eine Handschrift des Gregorios dem 13. Jahr-
hundert angehören. Dieser nicht ungelehrte Theologe ist als Grammatiker
vorzüglich bekannt durch seine Schrift über die Dialekte: llegl ton'
iSiayfiärwi' rwy SiaXtxrwr. In der Widmungsepistel beruft er sich auf
Tryphon und Johannes Philoponos als seine Vorgänger, nennt die für
die Kenntnis der alten Dialekte wichtigen Schriftsteller und bittet um
Nachsicht, wenn er einzelnes übersehen habe; er sei jedenfalls viel voll-
ständiger als die früheren Dialektologen. Gregor schöpft aus Johannes
Philoponos, aus Schollen und Glossaren zu Pindar. Aristophanes
und besonders zu Theokrit, vielleicht auch aus unmittelbaren Quellen,
nämlich aus den Dialektschriftstellern selbst, wie Pindar, Herodot,
Theokrit. Doch ist der Stoff nicht durchgearbeitet, und Zusammengehöriges
an verschiedenen Orten zertreut, wie es der Verfasser eben im Laufe seiner
Studien fand. Welches Ansehen aber das Werk genoss, beweisen die zahl-
reichen Handschriften. Zu vergleichen sind einige andere anonyme Stücke
0 S. § 170.
282 Byzantinische Litteraturgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
Über Dialekte, wie der Grammaticus Leidensis, Meermannianus und
Augustanus.') Als zweite grammatische Schrift des Gregorios haben
wir einen Kommentar zu Hermogenes: ^Atto ti^g s^i^Yti^foog tov firjvQo-
noXhov KoQirO^ov fig zo negl (leO^ödov 6fir6irjTog tov '^Egfioyt'ioifg ßißXiov.
Ein drittes (wohl noch unediertes) Schriftchen desselben führt den Titel:
neQi avrTci^€0)g tov Xöyov ijtoi Trsgi tov firj üoXoixiXtiv.^) Dagegen scheint
die unter dem Namen des Gregor überlieferte und öfter edierte Schrift
IlfQ) TQÖTTMv, in der 27 Redefiguren aufgezählt und erläutert werden,
einem älteren Verfasser anzugehören, da sie von Gregor selbst im Kom-
mentar zu Hermogenes als fremdes Werk benützt wird.
Ausgaben und Hilfsmittel: 1. Ueber die Dialekte: Ed. Gisbertus Koen;
accedunt grammatici Leidensis et Meermanniani de dialectis opuscula, Lugduni Batav. 1766;
Praef. S. 36 ff. Verzeichnis der älteren Ausgaben (zuerst Venedig 1496J. — Gregorii
Corinthii et aliorum grammaticorum libri de dialectis linguae Graecae. Quibus additur nunc
primum editus Manuelis Moschopuli libellus de vocum passionibus. Rec. G. Henr. Schäfer,
Lip.siae 1811; mit der VoiTede und den Beigaben von Koen; dazu der grammaticus Augu-
stanus, ein dickleibiger Kommentar und fünffacher Index. — Vgl. W. Brambach, Zu
Theokrit-Scholien und Gregor von Korinth, Rhein. Mus. 22 (1867) 449—451. — L. Mors-
bach, Gregor von Corinth über den dorischen Dialekt, Rhein. Mus. 31 (1876)567—581. —
Das von Julius Petzhol dt hinter seinem Aphthonius (Lipsiae 1839) S. 79 If. veröffentlichte
Stück des Gregorios von Korinth IJegi ti^i lancpovg dircXsxiov ist als eine, wahrscheinlich
vom Herausgeber selbst herrührende, jedenfalls der allerneuesten Zeit angehörende Fäl-
schung nachgewiesen von Ahrens, Rhein. Mus. I (1842) 274—277.
2. Kommentar zu Hermogenes: Unvollständig ed. von Jac. Reiske in den
Rhetor. Graec, vol. 8 (Lipsiae 1773) 887—971. — Vollständig erst von Chr. Walz, Rhetor.
Graec, vol. 7 (1834) 1088 — 13.52. — Vgl. Herm. Schrader, Porphyrii qnaestionum Home-
ricarum ad Odysseam pertinentium rel., Leipzig 1890 S. 207.
8. Die pseudogregor. Schrift Usgi rgöjiwy ed. F. Boissonade, Anecdota Graeca,
vol. III (1831) 270—284 unter dem Namen des Grammatikers Tryphon. Zu vergleichen
sind andere dort edierte anonyme Stücke. — Unter dem Namen des Gregorios
edierte die Schrift Chr. Walz, Rhetor. Graec, vol. 8 (1835) 751—778 (mit den erwähnten
anonymen Stücken imd Kokondrios). — Wiederholt endlich in den Rhetor. Graec. ed.
L. Spengel vol. 3 (1856) 215 ff. — Ueber die Unechtheit dieser Schrift s. C. E. Finckh,
Zimmermanns Zeitschr. für die Altertumswissensch., Bd. 5 (1838) 1053 und Philologus 24
(1866)545—549. Für die Unechtheit spricht vielleicht auch der von Finckh nicht erwähnte
Umstand, dass die 2 von Boissonade benützten codd. Paris, das Werk unt«r dem Namen
des Tryphon zu haben scheinen.
4. Ueber kirchliche Schriften des Gregor. Cor. s. Fabricius, Bibl. Graeca
ed. Karl., vol. 12, 122—127.
145. Johannes Glykys, 'lamvir^g 6 rXvxvg (meist unrichtig Glykas
genannt) aus Byzanz, blühte unter Kaiser Andronikos II (1283 — 1328). Er
war ein gelehrter, rhetorisch und grammatisch gebildeter Mann,^) der, von
seiner eigenen schriftstellerischen Thätigkeit abgesehen, auch als Lehrer
und väterlicher Freund des grossen Polyhistors des 14. Jahrhunderts, des
Historikers und Astronomen Nikephoros Gregoras, zu den litterarischen
Bewegungen seiner Zeit in enger Beziehung stand. Er besass die Würde
eines yioyoO^tTifi tov dgöfiov und bestieg im Jahre 131t), obschon ursprüng-
lich Laie und verheiratet, den Patriarchenthron von Konstantinopel, zog sich
aber schon 1320, von Kränklichkeit geplagt, in das Kloster KvQtohiaaa
') So benannt nach den Handschriften, ' »;/oi;f fincQ ti? i/öitei'og xat xvnoy fxfö'oy
in denen sie erhalten sind. x«j TQÖnoy x«»«nfp ii 9fior itjQwt' «p/t-
*) S. Gregor. Corinth. ed. Koen S. XIV. ttmov • avyf'afM<; d' f/ißQ(9ei<f xai yym^n
') Nie. Gregoras, ed. Bonn. I 270, 8 AT.: ßovXivofiivn xtl Sfovra xai tQÖnioy afut'öttjti
Uv dk i) äyrJQ ao(f6( iy loig judXiarn xai f^f^Q^ f^ fiixQt^ näntti rixuh'.
a<f6d^a xiji tvytyov( ixetyrjs xmy ' A&ijyttiu)y \
5. Altertumswissenschaft. C. Grammatik. (§ 145—147.) 283
zurück, wo er bald starb. Wir besitzen von ihm ein ziemlich umfang-
reiches syntaktisches Werk unter dem Titel: Tov naxQiäoxov xvqiov
Io)ävrov TOV rXvxeoc negl ogO^örrjog awrce^swc. Die mehr durch Klarheit
der Sprache als durch Gelehrsamkeit ausgezeichnete Schrift enthält nicht
ein vollständiges Lehrgebäude, sondern behandelt nur einzelne Haupt-
abschnitte, so die Lehre von der Kasusrektion, von der Konstruktion des
Partizips, vom Solözismus und Barbarismus. In einer philosophierenden
Einleitung erörtert der Verfasser die Entstehung und Entwickelung
1er Sprache als eines göttlichen Geschenkes. Von den alten Autoren
zitiert er vornehmlich den Homer, Thukydides, Plato, Demosthenes, auch
die Septuaginta. Ausserdem verfasste Johannes einen Bericht über seine
gemeinschaftlich mit Theodoros Metochites ausgeführte Gesandt-
schaft nach Cypern und Armenien, der, von Xikephoros Gregoras ^) als
klar und schön geschrieben bezeichnet, uns verloren zu sein scheint. Das
Vorwort seines Testaments hat uns derselbe Xikephoros Gregoras
erhalten, 2) dem wir auch weitere Nachrichten über sein Leben verdanken.
1. Ein kleines Stück der Syntax edierte I. Bekker, .\necdota Graeca S. 1077 ff.
und J. A. Gramer, Anecdota Paris. I (1839) 401. — Erste vollständige Ausgabe: Joannis
Glycae (!) patriarchae Cpolitani opus de vera sj-ntaxeos ratione ed. Albertus Jahnius,
Bernae 1849; mit ausfüirlichen Prolegomena. einem etwas zu sehr holländernden Kom-
mentar und vierfachem Index. — Vgl. die Besprechungen dieser Ausgabe: Heidelberger
Jahrbücher 1840, 792 f. imd Zeitschrift für die Altertumswissenschaft, herausgegeben von
Th. Bergk und Jul. Caesar 184.5, N. 59 S. 465 — 472 (von Gräfenhan). — Eine neue Aus-
gabe verspricht Felix Bölte im 8. Teil der bei Teubner erscheinenden Sammlung der
griechischen Grammatiker.
2. Das von Du Gange im Index auctorum seines Glossarium mediae et infimae
Graecitatis col. 51 erwähnte imd öfter zitierte Gedicht eines Johannes Glycas: De vani-
tate vitae hat mit unserem Autor nichts zu thun; es ist nämlich nichts anderes als das
öfter edierte AVerk üf'y&og &uvärov etc., dessen Verfasser, dem 16. Jahrh. angehörig, sich
Justus, Sohn des Johannes Glykos {t^ig 'loiüyvov lov T'/.vxov), nennt. S. E. Legrand,
Bibliogr. hell., vol. I (1885) S. 179 und 238 flf.
146. Georgios Lekapenos ist ein wenig bekannter Schulmann aus
der Mitte des 14. Jahrhunderts. Er gilt als Verfasser einer grammatischen
Schrift, welche den Stoff alphabetisch ordnet: Aqx^i ^''*' ^*'i' ^^i'^ y?«,«,«""
rtxr^q xvqov Fewqyiov rov Aexanr^rov. Quelle ist die Sylloge des Moscho-
[tulos. Fälschlich geht unter dem Namen des Lekapenos der dem Michael
.Synkellos gehörende Traktat UsqI avvvä^eoyc twv Qr^iiäton'. S. § 142.
1. Die Grammatik ist ediert von Matthaei, Lection. Mosquens. I (Lipsiae 1779)
55—79. — Dieselbe Schrift findet sich in einem cod. Marcianus, aus welchem Villoison,
Anecdota Graeca II (Venetiis 1781) 79 einige Zeilen mitteilt. — Vgl. Fr. Ritschi, Thomae
Magistri ecloga (1832) Proleg. S. 71 f.
2. In demselben cod. Marcianus 486, den VUloison a. a. 0. exzerpiert, befindet sich
eine anonyme Schrift : 'AiTixiafioi rwy Xoyiioy, welche er Anecd. II 79—85 mitteilt. Voll-
ständiger steht dieselbe Schrift im cod. Ambrosianus E. 81, woraus Villoisons Text ergänzt
ist von Angelo Mai, Glassicorum auctorum e Vaticanis codicibus editonun t. IV (Romae
1831) .523-528.
147. Anonymes, Inedita u. s. w. Mit den angeführten Werken ist die
grammatische Litteratur der Byzantiner natürlich nicht erschöpft. Infolge
der vielseitigen Sorgfalt, welche den grammatischen Studien selbst in der
Zeit des grössten Verfalls wenigstens für praktische Zwecke zu teil wurde,
') Ed. Bonn. I 194. 21.
») Ed. Bonn. I 289, 23 flF.
284 Byzantinische Litteratnrgeachichte. I. Prosaische Litteratnr.
finden sich in zahlreichen Handschriften ausser den bekannten und ver-
öffentlichten Werken noch eine Menge zum Teil anonymer und fragmen-
tarischer Bücher grammatischen Inhalts. Eine Uebersicht der in der spät-
byzantinischen Zeit hauptsächlich benützten grammatischen Hilfsmittel gibt
Pachomios Rhusanos (IG. Jahrhundert) im cod. Nanianus 305. S. AI.
Mingar elli, Graeci Codices mss. apud Nanios patricios Venetos asservati,
Bononiae 1784 S. 511 ; vgl die dortselbst S. 491 — 517 beschriebenen Codices.
Ein anderes Verzeichnis von Namen altgriechischer und byzantinischer
Grammatiker aus einem Pariser Codex steht bei Montfaucon, Bibliotheca
Coisliniana S. 597. Eine reiche Fundgrube von kleineren Traktaten und
handschriftlichen Notizen sind ausser den älteren Sammlungen von Bekker,
Cramer u. a. jetzt besonders die Anecdota varia Graeca ed. G. Studemund
vol. I (1886). Ausserdem sind natürlich sämtliche Kataloge griechischer
Handschriften (s. § 110) beizuziehen. Eine kritische Sonderung und genea-
logische Gruppierung dieser Massen machen sich die Bearbeiter des Corpus
gramm. Gr. zur Aufgabe.
D. Metrik und Musik.
148. Metrik. Auf keinem Gebiete der Altertumswissenschaft erweist
sich das Können der Byzantiner so dürftig und ihre Produktion so unselb-
ständig wie in der Metrik. Der Hauptgrund davon liegt in dem Umstände,
dass die Grundlage des alten Versbaues, das Prinzip der Quantität, in
der lebendigen Sprache verloren gegangen war. Wie in der Grammatik
manche Benennungen und Definitionen infolge der veränderten Lautverhält-
nisse der Sprache den späteren Geschlechtern unverständlich wurden und
nur noch als konventionelle Termini fortlebten, so wurde die Theorie der
alten Metrik durch den Uebergang der quantitierenden Rede zur accen-
tuierenden Konversationssprache den Byzantinern um so dunkler, als sie
von dieser im Laufe der Jahrhunderte unmerklich vollzogenen Veränderung
des sprachlichen Klanges und ihrer Tragweite für den Versbau schwerlich
eine deutliche Vorstellung hatten. Die Folgen der sprachlichen Umbildung
waren für die metrische Theorie bedeutender als für die Grammatik,
weil dort die gesamte Grundlage, in der Grammatik zunächst nur einzelne
Teile der Lautlehre erschüttert wurden. Von der rein mechanischen Art,
mit welcher die Byzantiner die alten Metren anwendeten, legen die zahl-
reichen Stücke der kunstmässigen Poesie Zeugnis ab; ihr originelles und
selbstverfertigtes Metrum aber, der politische Vers, beruht auf dem
Accent. Aus diesen Verhältnissen erklärt sich die Bedeutungslosigkeit der
byzantinischen Elaborate über Metrik. Sie zerfallen in zwei Hauptgattungen,
in theoretische Abhandlungen über Füsse und Versarten, und in
metrische Scholicn und Kczensionen der alten Dichter.
Ausgangspunkt und Grundlage der gesamten byzantinischen
Metrik ist das Handbuch ('Eyx'^(>/'J/or) des Hophaestion mit seinen
Scholien. Doch muss bei der Quellenbetrachtung das gesamte Scholien-
konglomerat, das sich an Hephaestion angehängt hat, in seine ursprüng-
lichen Bestandteile geschieden werden. Ein Teil der Scholien geht auf alto
Zeit zurück und enthält reiche Schätze der besten Geleinsamkeit. Das ist
5. Altertumswissenschaft. D. Metrik und Musik. (§ 148.) 285
die von Westphal als Scholia A bezeichnete Gruppe und das erste Buch
der Westphalischen Scholia B, die beide auf den Kommentar des Longinos
zurückgehen, wenn sie auch nicht die Originalform desselben darstellen;
des weiteren das vierte Buch der Scholia B, das vielleicht aus dem
Kommentar des Oros stammt; eine andere Gruppe weist auf die 'E^tjt^aig
des Choeroboskos; einzelne Stücke lassen sich nach ihrer Herkunft nicht
näher bestimmen. Von dieser Masse scheidet sich deutlich das den Scholia B
als fünftes Buch angehängte, in einer etwas verschiedenen Form auch als
Appendix eines rhetorischen Corpus und des Dionysios Thrax über-
lieferte, triviale byzantinische Kompendium, welches eine spätere Stufe
metrischen Wissens darstellt ; dasselbe muss in seiner Urgestalt jünger sein
als das 9. Jahrhundert, da Konstantinos der Sizilier (s. § 190) darin
benützt ist;') wahrscheinlich gehört es dem 10. Jahrhundert an, der Zeit
der Enzyklopädien und Sammelwerke. Wir müssen uns mit dieser allge-
meinen Andeutung begnügen ; eine genauere Scheidung und Definition
könnte nur im Zusammenhange und auf Grund einer ausführlichen Be-
schreibung des ganzen handschriftlichen Thatbestandes gegeben werden.
A. Ein mit den alten Schollen versehenes Exemplar des Hephaestion
kompilierte etwa im 11. Jahrhundert (wahrscheinlich vor Tzetzes) ein sonst
unbekannter Grammatiker Trichas-) in seinem erhaltenen Traktate:
'ETn^itqiGixol Twv svria i^itxQoiv. Demselben geht ein Hymnus an die
hl. Jungfrau voraus, in welchem die neun Hauptmetren praktisch veran-
schaulicht werden: Tov ao(fonaTuv Tqiia avvoxpiQ raiv srra'a fjitTQoor. Zwei
andere religiöse Hymnen mit metrischer Erklärung hatte Trichas schon
früher abgefasst und verweist mehrfach auf sie; sie sind in antiken Metreu,
aber nach byzantinischen Prosodieregeln gedichtet. Die Abhandlung selbst
erscheint als eine im byzantinischen Geiste gehaltene Umarbeitung des
Hephaestion ohne weitere Hilfsmittel als einen schlechten Text der guten
Schollen. Nachdem die Schollen A in einer besseren Fassung ans Licht
gezogen sind, als sie dem Trichas zu Gebote stand, ist das Schriftchen
wertlos geworden.
Ed. von Franc, de Furia (ehemaligem Bibliothekar der Laurentiana in Florenz) als
Appendix der Ausgabe des Draco Stratonicensis von Gottfried Hermann, Lipsiae 1814. —
Dann in den Scriptores metrici Graeci ed. R. Westphal, vol. 1 (1866) 251—302. — Neben
Trichas ist zu nennen Johannes Tzetzes, der den Text des Hephaestion in bj'zantinischen
Metren versifizierte ; ihm lag ein noch schlechterer Text des Hephaestion vor als dem (wohl
etwas früheren) Trichas. Ed. von J. A. Cramer, Anecdota Oxon. 3 (1836) 302—3.33; vgl.
die handschriftliche Notiz S. 111 und Hörschelmann, Rhein. Mus. 36 (1881) 285.
B. Einen weit grösseren Einfluss erlangte das oben erwähnte triviale
Kompendium. Aus ihm (und einigen anderen Stücken der Scholia B)
stammt alles metrische Besitztum der Byzantiner ausser den Werken
des Trichas und Tzetzes und den alten Dichterscholien. Manche Lehrer der
Metrik, die aus dieser trüben Quelle schöpften, suchten ihre Machwerke
durch erborgte Namen wie Hephaestion, Herodian, Drakon zu empfehlen,
andere schrieben unter eigener Firma, andere wiederum in löblicher Selbst-
') Wenn nicht wieder eine Interpolation j -) Nicht Tri c ha, wie er in der ganzen
im Spiele ist, was L. Voltz (s. unten) S. 6 | neueren Litteratur (ausser Cramer, An. Ox.
annimmt. i HI 101) fälschlich genannt wird.
286 Byzantinische Litteratnrgescliichte. t. Prosaische Litteratnr.
erkenntnis anonym ; aber keiner hat sonstige Gewälirsmänner benützt und
keiner hat etwas Brauchbares selbst hinzugefügt. Ihre Abweichungen ent-
springen nur aus Umstellungen, aus Aenderungen des Wortlautes und aus
der verschiedenen Auswahl und Ausführlichkeit, die jedem beliebte. Meist
finden sich diese Stücke als Anhang oder Lückenbüsser in Dichterhand-
schriften ; manche Irrlichtern noch unerkannt in den Bibliotheken und
erwecken wohl dann und wann einem Novizen die trügerische Hoffnung,
einen neuen Codex oder ein Fragment des Hephaestion entdeckt zu haben.
Eine vollständige Uebersicht über den Thatbestand dieser exilen Schul-
litteratur ist nicht möglich, auch kaum wünschenswert. Ebensowenig
kann auf unserem beschränkten Räume das sehr verwickelte genealogische
Detail, welches in jüngster Zeit namentlich durch Studemund und Hörschel-
raann aufgeklärt worden ist, mit genügender Präzision dargelegt werden.
Die wichtigsten der hierher gehörigen Stücke sind folgende:
1. J Qäxovtog ^TQaTovixkoyg tc^qI ftt'vQMi' Tcoit^rixüir xai nqwxov ttsqI
XQÖioov, ein breites, aus Isaak Monachos, Pseudo-Hephaestion u. a. stammen-
des Elaborat, das den stolzen Namen des alten Grammatikers Drakon an
der Stirne trägt, in Wirklichkeit aber eine Fälschung des 16. -Jahr-
hunderts ist. Der Kompilator Jakob Diassorinos benützte die Editio
princeps der grossen Hephaestionscholien (von 1526). Zuerst teilweise ediert
von Hase, Not. et extr. 8, 2, 43 — 75. — Vollständig: Draco Stratoni-
censis ed. G. Hermann, Lipsiae 1812. Schon Hermann sah, dass das
Werk in der überlieferten Form unmöglich dem alten Drakon gehören
könne ; den näheren Nachweis des jungen Ursprunges führten Lehrs und
Voltz. — Vgl. L. Cohn, Philol. Abhandlungen, Martin Hertz . . . darge-
bracht 1888, 133—143. - L. Voltz, Jahns Jahrb. 139 (1889) 579—599.
2. 'laaaxi'ov rov üoifwtatov fiovaxov tisqI jutrQMV Ttotrjzixdov. Ed. von
L. Bachmann, Anecdota Graeca H (1828) 167 — 196. Isaak Monachos, der
von Maximos Planudes abhängig ist, schrieb am Schlüsse des 14. Jahrhunderts.
3. ^HXiov iXaxiCTOV fiovccxov Xägccxog ngog 'icoävvrjV tov ddekffov atnov
TtfQi öiacfÖQCDv liUTQon'. Die Zeit dieses Hellas Charax ist gänzlich unbe-
stimmt; sicher lebte er nicht vor dem 7. Jahrhundert n. Chr. Ed. Franc,
de Furia als Appendix des Draco Stratonic. von G. Hermann, Lipsiae 1814
(mit Trichas). — Dann ed. das Werk W. Studemund, Anecdota varia I
(1886) 167—184.
4. Eine anonyme, entweder von Triklinios selbst stammende oder
von einem späteren Grammatiker aus Triklinios kompilierte Abhandlung
über Metrik im codex Harleianus 5635, die in einigen Handschriften
auch den Titel ^Hgaiaifcorog nsql f^urgcov führt. Ed. von Gaisford in
der zweiten Ausgabe des Hephaestion I (1855) 317—334. — Erste kritische
Ausgabe des tractatus Harleianus auf neuer diplomatischer Grundlage von
W. Studemund, Index lect., Breslau 1887.
5. Der kurze pseudoherodianischo Traktat ' Hgw^iarov nn^i Ti]g
Xt^ewg T(öv ari'xon' (in einigen Handschriften "^Hq. nf(jl aiixiov rijc AtJto)c),
der die «J/y des heroischen Hexameters behandelt. Eiuo ähnliche Dar-
stellung der SiatfoQui und «Vi; des Hexameters geht sogar unter dem
Namen des Plutarch. Ed. Villoison, Anecdota Graeca II (1781) 85 f
5. Altertumewiasenschaft. D. Metrik und Musik. (§ 148.) 287
und Furia in der oben erwähnten Appendix S. 88, — Ed. Studemund
Anecdota varia I 185—188. — Pseudo-Plutarchus De metris ed. D.
Wyttenbach mit Plutarchs Moralia t. V (Oxford 1800) 1283—1288.
6. Die pseudohephäst. Abhandlung: ^H(fcaaTio)rog negi nitqatv,
im ersten Abschnitt eng verwandt mit Isaak Monachos, in einem anderen
Kapitel identisch mit Pseudoplutarch neol /^oonxov ihtooik Pseudo-Hephae-
stion de metris ed. HenricuszurJacobsmuehlen, Dissertationes philolog.
Argentoratenses, vol. 10 (1886) 187—294.
7. Ein anonymes Stück Jl^gi rr^g rwv nodow orouaafag ('Grammati-
eus Ambrosianus") im cod. Ambros. C. 222 (saec. XIII). Ed. von H. Keil
im Progr. von Halle 1848; dann von A. Nauck mit dem Lexicon Vindo-
bonense S. 253—267; endlich vollständiger von W. Studemund, Anecdota
varia I 211—247.
8. Eine kleine Abhandlung Ileol /ntTQMv, welche fälschlich unter
dem Namen des Moschopulos ediert ist. Ed. Nie. Titze in: Manuelis
Moschopuli Cretens. opuscula grammatica, Lipsiae 1822 S. 43 — 50.
9. Metrische Kompilationen im codex Chisianus miscell. R IV 11
(Rom). Anecdota Chisiana ed. Guil. Mangelsdorf, Progr. Carlsruhe
1876. — Der erste Abschnitt vollständig bei Studemund, Anecdota varia
I 205—209. — In derselben Handschrift steht ein jambisches Gedicht in
100 Versen, worin ein Tabularios Johannes Botaniates aus Kreta einem
Diakon Isidor das jambische Metrum erklärt. Ed. Studemund, Anecdota
varia I 201 ff.; ebendort I 198 f. ein Gedicht über das jambische Metrum
von Michael Psellos. — Das Gedicht des Bot. war schon nach dem cod.
Paris. Gr. 1773 ediert von E. Cougny, Annuaire de l'assoc. 9 (1875) 90 — 96.
Zu diesen allgemeinen Abhandlungen über Metrik kommen als zweite
Gruppe die metrischen Schollen und Rezensionen einzelner Dichter,
in welchen die byzantinischen Vorstellungen von Metrik, meist zum grossen
Schaden der alten Texte, praktisch angewendet werden. Die wichtigsten
Arbeiten dieser Art stammen von Tzetzes, Manuel Moschopulos, Thomas
Magister und vor allem von Demetrios Triklinios. Näheres s. §§ 114 f.,
120 f., 123 und in der griechischen Litteraturgesch. von W. Christ in den
Abschnitten über Pindar und die übrigen Dichter.
Hilfsmittel: A. Rossbach und R. Westphal, Metrik der Griechen P (1867)
189 — 214; ebendort IP (1868) 53 — 58 über die Prinzipien der Accentpoesie bei den Bj-zan-
tinem. — Reiches Detail über die Handschriften und eine Untersuchung über das Verhält-
nis des Pseudo-Herodian zu Pseudo-Drakon, Pseudo-Moschopulos, Triklinios u. a. gab W.
Studemund, Der Pseudo-herodianische Tractat über die e'idtj des Hexameters, Jahns
Jahrb. 95 (1867) 609-623. — W. Hörschelmann, Scholia Hephaestionea altera (B)
integra primum edita, Index lect. Dorpat 1882. — Carl Denig, Quaestiones Hephaestioneae.
Adiecit codicis Darmstadiensis n. 2773 coUationem cum scholiis praestantioris classis (A)
ineditis, Progr. Bensheim 1886. — Ludovicus Voltz, De Helia Monacho, Isaaco Monacho,
Pseudo-Dracone, Diss. Strassburg 1886, imd: Die Tractate UeQi twy -nu&tav rov ijgmxov
utTQov in den Commentat. in hon. 6. Studemund, Argentorati 1889, 77—89. — G. Rauscher,
De scholiis Homericis ad rem metr. pertin., Diss. Strassburg 1886. — Heinrich Gross-
111 an n, De doctrinae metricae reliquiis ab Eustathio servatis, Diss. Strassburg. 1887. —
'i. Amsel, De vi atque indole rhythmorum quid veteres iudicaverint, Breslau 1887 {j=
lireslauer philol. Abhandlungen vol. I). — Hauptschriften: W. Hoerschelmann, Unter-
suchungen zur Geschichte der griechischen Metriker. Die Composition der Hephaestion-
schoUen, Rhein. Mus. 36 (1881) 260—301 und besonders die abschliessende Schrift: Ein
griechisches Lehrbuch der Metrik, Dorpat 1888, wo alle Nachkommen des erwähnten 5. Buches
■
288 Byzantinische titteratnrgeschichte. 1. Prosaische Litteratur.
der Hephaestionscholien B auf drei Haupttypen zurückgefülu^. sind. — W. Studemund,
Anecdota varia Graeca, vol. I, Berolini 1886. wo eine Reihe metrischer Stücke aus byzan-
tinischer Zeit zum ersten Male mit genauem kritischen Apparate und einleitenden Unter-
suchungen ediert sind. Nachträge und Ergänzungen liiezu von W. Hoerschelmann,
Götting. Gel. Anz. 1887, 594 — 613. - Vgl. das Referat über die einschlägige Litteratur
von P. Egenolff. Bursian-Müllers Jahresber. 58 (1890) 278-293.
149. Musik. Für die Geschichte der griechischen Musik und
Musiklitteratur im Mittelalter ist kaum das notwendigste Material zu-
gänglich gemacht. Ehe wir eine diplomatisch gesicherte Sammlung der
byzantinischen Schriftsteller über Musik besitzen, hat eine Untersuchung
über die genealogischen Verhältnisse der verschiedenen Traktate wenig
Aussicht auf Erfolg, und solange diese Untersuchung nicht geschehen ist,
kann auch die litterarhistorische Würdigung dieser Gattung nicht über eine
blosse Aufzählung hinausgehen. Begründer des griechischen Kirchen-
gesanges ist Johannes Damaskenos durch sein xaroviov tfjg fiovatxi^c.
Für das Mittelalter ist von Wichtigkeit der sogenannte ^AyionoXivijg,
eine verstümmelte, anonyme Abhandlung, welche den theoretischen und
praktischen Teil der griechischen Kirchenmusik enthält. Der Name Hagio-
polites ist nicht der des Verfassers, sondern bezeichnet das Werk als
Gesangbuch der Kirche von Jerusalem. Im Anfang des 14. Jahrhunderts
verfasste Manuel Bryennios drei Bücher UQjnorixd, worin im Wider-
spruche mit der Praxis der Zeit die alten Musiktheorien zu Grunde gelegt
sind. Durch das doktrinäre Festhalten an der alten Terminologie wird
der Wert dieser Schrift für unsere Kenntnis der Musikgeschichte wesent-
lich gemindert. Ausserdem kennen wir eine anonyme ^alnxi] rt'xrrj,
Melodien über die bekanntesten Zeichen von Johannes Glykys (wahr-
scheinlich dem Grammatiker; s. § 145) und Johannes Kukuzelis (15/16.
Jahrb.), von dem wir auch eine ^EQfirjveia Ttjg TraQaXXayijg tov tqoxov be-
sitzen. Dazu kommen in Betracht die Schrift des Manuel Chrysaphes
(15/16. Jahrh.) im cod. Clark. 36 (Beginn: 'Aqxi] tmv t-Qünijiäiiov ri^g x^iaXit-
xijg tt'xvrig) und ein anonymer Traktat im cod. Barocc. 48: ^vvoi^ng agiati^
xMv oxTM rjxojv. Harmonika schrieb auch Georgios Pachymeres, s. § 37.
1. Ausgaben: 'JyionokiTi/g ed. mit französ. Uebersetzung und Kommentar von
Vincent, Not. et extr. 16 (1847) 2, 259 — 281; in demselben Bande noch andere auf Musik
bezügliche Stücke von Synesios, Pediasimos u. s. w. — Manuel Bryennios ed. von .loh.
Wallis, Opera mathematica, vol. III (1699) 359—508 (mit latein. Uebersetzung). - t'aX-
T/xjy rt'xt'f] ed. Gerbert, De cantu et musica sacra tom. II (1774) tab. VIII; besser von
W. Christ, Sitzungsber. d. bayer. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Cl. 1870, Band II 267 flF. -
Musikalische Stücke aus spanischen Handschriften edierte zum Teil mit franz. Uebersetzung
Kmile Ruelle, Archives des missions scientifiques 3. s«5rie, 2. tome (1875) 530 ff.; 605 ff.
und Annuaire de l'assoc. 8 (1874) 123 ff. imd 11 (1877j 147 ff. — Ein wichtiger harmoni-
scher Traktat ist aus einem cod. Laurent, ediert und erklärt von Ad. Stamm in Stude-
munds Anecdota varia Graeca vol. I 4—30.
2. Hilfsmittel: Wenig brauchbar für den geschichtlichen Teil sind die für
praktische Bedürfnisse bestimmten neugriechischen Werke: XQvaayx^og. Wfwpi/r/xoi« ftt'yn
Tjjf fiovaixtjs, Triest 1832. MaQyuQtTtjg, t-hioQtjrixt] x«< TJQaxxixt] fxxhjataattxi] uonaixij,
Constantinopel 1851. 'f'iXö^eyoc. Aeiixoy und t^eioQtjiixöy arotj^fuöifa rij^ uovaixtji, Con-
stantinopel 18.59. — R. Westphal, Metrik der Griechen I' 310 ff. -- .1. B. I»itra.
Hymnographie de IV'glise grecque, Rome 1867 S. 64 ff. - Hauptschriften: W. Christ,
Ueber die Harmonik des Manuel Bryennios und das System der byzantinischen Musik,
Sitzungsber. der bayer. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Cl. 1870, Band II 241 270, wo auch
einige musikgeschichtliche Texte ediert smd. — Ueber die Quellen des Manuel Bryennios
vgl. C V. .lan, üie Hannonik des Aristoxenianers Kleonides, I'rngr. Laiidsborg 1^<70 S. 19 ff. —
Ueber das Ijvben des Manuel Bryennios s. Max Treu, Maximi nionachi l'lanudis epistuluo
5. Altertumswissenschaft. E. Sentenzen und Sprichwörter. (§ 149—151.) 289
S. 226 f. (Progr. Breslau 1890). — Joh. Tzetzes, üeber die altgriechische Musik in der
griechischen Kirche, München 1874, behandelt die musikalische Theorie der Byzantiner,
gibt aber auch Mitteilimgen über Handschriften und über die neuere Litteratur. — K. N.
Sathas, laroQixoy doxifxioy nsgi rov &ec(TQov xai xi]? fiovaixi^g rwp Bvl^ayriywy, 'Ev Beyer ia
1878, bes. S. p«r ff. — A. Bourgault-Ducoudray, Etudes sur la musique ecclesiastique
Grecque, Paris 1877, und: Souvenirs d'une mission musicale en Grece et en Orient, Paris
1878. Vgl. den orientierenden Bericht von Ch. LevSque, Journal des savants 1879,
33—40; 82—93; 202—218. — Auf Westphal und Schmidt stützt sich im wesentlichen das
schöne Werk von Aug. Gevaert, Histoire et theorie de la musique de l'antiquite, 2 voll.,
Gand 1875 — 81. — Heinrich Reimann, Zur Geschichte und Theorie der byzantinischen
Musik, Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 5 (1889) 322 ff.
E. Sammlungen von Sentenzen und Sprichwörtern.
150. Maximos. Antonios. Die Litteratur der byzantinischen Flori-
legien wird eröffnet durch Johannes Stobäos; s. Christ, Griechische
Litteraturgeschichte^ § 577. Eine viel gelesene Sammlung von Sentenzen
aus profanen und christlichen Schriften sind die Ka<fäXaiu &so?.oyixd ijroi
ixloyai, welche um 645 Maximos o ofioXoyijTrjg zusammenstellte. Daran
schliessen sich die '^Isqu naQÜXXrjXa des Johannes von Damaskos; s. §81.
Aus Johannes und anderen QueUen schöpfte im 11. Jahrhundert ein Mönch
Antonios eine Sammlung, die er MeXiaaa betitelte. Die Uebertragung
dieses Titels auf den Namen des Autors, der seit Combefis von den Neueren
schlechtweg Antonius Melissa genannt wird, ist ohne die mindeste Be-
rechtigung.
1. Kollektivausgabe des Maximos (nach älteren Drucken) bei Migne, Patrol. Gr.
90 und 91 (1860); die xerpüXcau »eokoyixä dortselbst 91, 719—1018. — Antonios , Me-
lissa" bei Migne, Patrol. Gr. 136 (1865) 765—1244. - Eine Ergänzung gab aus cod.
Athen. 32 J. Sakkelion, JeXxiop rrjs ictoQixiig xai e&yoXoycxrjs ercciQUcs Tjy? 'EXXa&og 2
(1885 — 1889) 661 — 666. — Reinh. Dressler, Quaestiones criticae ad Maximi et Antonii
gnomologias spectantes, Jahns Jahrb. 5. Supplementb. (1864—72) 307—350.
2. Die Bezeichnung eines Sammelwerkes durch den Namen der fleissigen Biene
fand in anderen Litteraturen des Mittelalters Nachahmung. Der syrische Bischof Solo-
mon von Basra schrieb im Anfange des 13. Jahrhunderts eine Art Historienbibel, die er
„Buch der Biene" betitelte. Der syrische Text ist mit englischer Uebersetzung
ediert von Ernest A. Wallis Budge, Anecdota Oxoniensia, Semitic series, vol. I, part 2,
Oxford 1886. — Auch in der slavischen Litteratur des Mittelalters spielen die Bienen
eine Rolle (vgl. S. 27).
151. Johannes Georgides, ein Mönch, stellte aus zahlreichen pro-
fanen und kirchlichen Autoren eine alphabetisch geordnete Sentenzen-
sammlung zusammen: rvwfxai avXXeyeiaai vno 'Icodrrov [jiovä^ovTog rov
xal FewQyidov. Als der jüngste der zitierten Autoren erscheint in der uns
überlieferten Fassung des Werkes der Patriarch Photios; wenn die Stelle
zum ursprünglichen Bestände gehört, wäre also der Verfasser nach dem
9. Jahrhundert zu datieren. Unter den übrigen Autoren, welche Georgides
benützte, treffen wir vor allem die sentenzenreichen Stücke des Isokrates ')
wie die auch sonst als Lieblingslektüre der Byzantiner erfundene Rede
IJQog Jrjumixov, dann Menander bzw. Menandersprüche, Lukian, Galen,
daneben zahlreiche Kirchenschriftsteller, auch das alte Testament.
Die Sammlung ist nach cod. Paris. 1166 ediert von Fr. Boissonade, Anecdota
Graeca I (1829) 1-108; darnach bei Migne, Patrol. Gr. 117 (1864) 1057—1164. — Eine
kurze Probe aus einem Vaticanus gibt A. Mai, Spicilegium Romanum 6 (1841) 611—615. —
Mehrere ähnliche Sanunlungen veröffentlichte Boissonade a. a. 0. S. 109—164, nämlich
') Bzw. Pseudo-Isokrates; vgl. Christ, Griech. Litteraturgesch.^ § 251.
Handbuch der Uass. Altortumswisscnscbafl. IX. 1. Abtlg. 19
290 Byzantinische Litteratnrgeschichte. I. Prosaische Litteratnr.
'A-notp&eyfjLata ayiiav Seocpögioy natiQUiv d. i. eine Sammlung von Gnomen aas der heil.
Schrift und den Kirchenvätern (Basilios, Johannes Chrysostomos, Gregor von Nazianz,
Gregor von Nyssa, Johannes Damaskenos u. s. w.); dann ryujfAcei. ^läcpogoi aus heiligen
imd profanen Schriften; 4>iXoa6(fü)v Xöyoi (Jamblichos, Pythagoras, Epicharmos u. s. w.);
rytifiai aogxöy; Fviafint, rtoy inTci aofpüiy; Eyyea aocpwy {cno^f^eyfXfUK tjqos 'Aks^ayd^oy
Toy Msyay d. h. apokryphe Antworten der Brahmanen oder Gymnosophisten an Alexander
den Grossen; Gnomen des Menander und Philistion; die Verse des Menander Jlsgi yvyai-
xdiy; endlich Xxixoi x«r« aToi/ei^oy Tor aocpwTftTov TjQioraaexg^Tii, von welchem Boissonade
(I 399) vemmtet, dass er mit Leon Bardales identisch sei. (Vgl. § 122 Anm. 4). —
Eine prosaische Sammlung ryat/nixti iiya edierte Boissonade, Anecdota Graeca III (1831)
465 — 474. — Eine der byzantinischen Zeit angehörende metrische Paraphrase der Sprüche
der 7 Weisen ed. aus einem Pariser Codex Vi. Woelfflin, Sitzungsber. d. bayer. Akad.
d. Wiss., phil.-hist. Cl. 1886, 287—298. Vgl. W. Brunco, De dictis VII sapientium, Acta
seminarii Erlang. III 299—398. — Eine Wiener Apophthegmensammlung ed. C. Wachs-
muth in der Festschrift zur Begrüssung der Karlsruher Philologenvers., Freiburg 1882.-
Eine kritische Ausgabe der Pythagoreersprüche gibt nach einer Wiener Handschrift H.
Schenkl, Wiener Studien 8 (1886) 262—281. — Leo Sternbach, De gnomologio Vati-
cano inedito, Wiener Studien 9 (1887) 175—206 und 10 (1888) 1—49; 211-260. — H.
Schenkl, Florilegia duo Graeca, Progr. Wien 1888. — Dazu vgl. die Litteratur bei
Christ, Griech. Litteraturgesch.'^ § 577 f.
152. Makarios. Eine Sammlung von Sprichwörtern veranstaltete
Gregor von Cypern; s. § 97. Ausser ihm ist hier zu nennen: Makarios
Chrysokephalos, Metropolit von Philadelphia, in der Mitte des 14. Jahr-
hunderts. Seinen Beinamen Chrysokephalos erhielt er angeblich, weil er
aus den Schriften der Kirchenväter XQ^'^^ xeipäXma exzerpierte. Ausser
zahlreichen theologischen Traktaten, geistlichen Homilien und Kommen-
taren zur hl. Schrift hinterliess Makarios eine umfangreiche Sammlung
unter dem Titel '^Podoaviä d. h. Rosengarten.^) Das Werk enthält Aus-
sprüche, Sentenzen und Exzerpte aus Synesios, Dio Chrysostomos, Plu-
tarch, Chorikios, Prokop von Gaza, Joseph, Aelian, den Kirchenhistorikern
Eusebios und Theodoretos, selbst noch aus Nikephoros Chumnos und vielen
anderen profanen und christlichen Autoren. Einen Abschnitt des Ganzen
bildet eine alphabetisch geordnete Sammlung von Sprichwörtern (/7a-
Qoifii'm xavd aToixeiov).
Eine genaue Beschreibung der Venezianer Handschrift gab Villoison, Anecdota
Graeca (1781) 11 4 — 79. — Dann benützte das Werk Chr. Walz im Kommentar seiner Aus-
gabe des Arsenios (s. § 153). — Der die Sprichwörter enthaltende Abschnitt ist ediert im
Corpus paroemiograph. Graec. von Schneidewin-Leutsch II (1851) 135^227.
153. Michael Apostolios (auch ^AnoaTÖXriq), um 1422 geboren, wurde
bei der Eroberung Konstantinopels 1453 von den Türken gefangen. Nach
Wiedererlangung seiner Freiheit begab er sich nach Italien, wo er in
Bologna mit dem Kardinal Bessarion zusammentraf, kehrte jedoch bald
nach Griechenland zurück und Hess sich in Kreta nieder, wo er als Lehrer
und Handschriftenkopist mit Mühe sein Leben fristete. Ein Versuch, durch
ein injuriöses Pamphlet gegen Theodoros Gazes (für Piaton und Plethon)
sich die Gunst und Hilfe des Bessarion zu gewinnen, wurde von diesem
in würdiger und feiner Weise zurückgewiesen (1462). Mit der Absicht,
zunächst eine Sammlung von Sprichwörtern zu veranstalten, las Apostolios
zahlreiche alte Autoren, notierte sich aber gleichzeitig auch Sentenzen,
Aussprüche grosser Männer u. s. w. und bereitete so ein grösseres Ex-
zerptenwerk vor. Von dem Bande, der die Sprichwörter enthielt — frei-
') Nach Analogie des häufig als Titol verwendeten 'Itavia d. h. Voilchenbeet.
5. Altertumswissenschaft. E. Sentenzen und Sprichwörter. (§ 152—153.) 291
lieh hat Apostolios auch Ausdrücke, die nie sprichwörtlich waren, zu Pro-
verbien gestempelt — , sandte er ein Exemplar an Gaspar, Bischof von
Osmus in Spanien, der damals in Rom weilte, ein zweites an den gelehrten
Laurus Quirinus (jetzt cod. Parisin. 3059). Das übrige Material behielt
er zur weiteren Bearbeitung, an deren Vollendung er durch den Tod ver-
hindert wurde.
Sein Sohn Aristobulos, später als (von den orthodoxen Griechen
nicht anerkannter) Erzbischof von Monembasia Arsenios (Apostolios)
genannt (1465—1535), übernahm den gesamten Nachlass, unterzog den-
selben einer Ueberarbeitung und sandte das bedeutend vermehrte Werk
unter dem Titel 'Icoviä an Papst Leo X. Einen Abschnitt desselben, der
die dnocfd^e'YficcTa enthält, veröffentlichte er selbst durch den Druck: Prae-
clara dicta philosophorum etc. s. 1. et a., wahrscheinlich Rom 1519; s.
Legrand, Bibliogr. hellen. I 169 ff.
1. Eine lateinische Uebersetzung der 'liayiü mit Noten von Pantinus erschien
Lugduni Batavorum 1619. — Den griechischen Text (Arsenii Violetum) ed. Chr. Walz,
Stuttgart 1832. — Die Sprichwörtersammlung des Apostolios am besten ed. im Corpus
paroemiograph. Graec. von Schneidewin und Leutsch, v. II (1851) 233—744. — Vgl.
E. Hiller, Photios, Suidas, Apostolios, Philologus 34 (1876) 226—234, wo nachgewiesen
wird, dass Apostolios für seine Sprichwörter die Lexika des Suidas und des Photios be-
nützte und zwar das letztere in einer besseren Ueberlieferung, als sie der cod. Galeanus bietet.
2. Ueber Biographie und sonstige Schriften des Apostolios und Arsenios
handelt Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 11, 189 — 195 und K. Sathas, SeosXXtivixtj -PiXo-
XoyUc, Athen 1868 S. 70—74 und 126—130. — Vollständiger und korrekter E. Legrand,
Bibhographie hellen. I (1885) Introd. S. 58-70 und 165—174; ebenda II 233—259 Briefe
des Michael Apostolios und U 337—346 Briefe des Arsenios Apostolios. — Lettres inedites
de Michel Apostolis ed. Hipp. Noiret, Bibl. des ecoles fran9. d'Athenes et de Rome,
fasc. 54, Paris 1889.
3. Neben diesen byzantinischen Sammlungen ist auch das alte aus Zenobios,
Plutarch u. a. zusammengesetzte Sprichwörtercorpus, freilich in überarbeiteter Form, auf
uns gekommen. Die neuere Forschung war daher vorzüglich auf die Wiederherstellung
der ursprünglichen Form dieser Werke imd die Untersuchung ihres Verhältnisses zu den
byzantinischen Sammlungen gerichtet; wesentliche Förderung erwuchs aus der Prüfung
bzw. Auffindung neuer Handschriften (bes. eines Laurentianus, Athous und Vindobonensis).
Hauptschrift: 0. Crusius, Analecta critica ad paroemiographos Graecos, Lipsiae 1883,
wo auch die sonstige neuere Litteratur verzeichnet ist. Eine noch genauere Darlegung des
Verhältnisses der byzantinischen Sammlungen zu den früheren, sowie der Handschriften-
genealogie ist zu erwarten von dem Corpus paroemiogr. Graec, das 0. Crusius vor-
bereitet. — Vgl. Christ, Griech. Litteraturgesch.* § 520 und meine Litteraturangabe zur
Sprichwörtersammlung des Planudes (S. 250).
■
19^
Zweite Abteilung.
Poetische Litteratur.
154. Allgemeine Charakteristik. „Poesie im wahren Sinne des
Wortes kannten die Byzantiner nicht, und sie hat unter ihnen
niemals bestanden." Dieses UrteiP) ist hart und rücksichtslos. Wenn
wir aber die schlichte Wahrheit sagen wollen, müssen wir zugestehen,
dass das scharfe Wort für die Werke, welche Bernhardy im Auge haben
konnte, mit verschwindenden Ausnahmen, die höchstens die Regel bestä-
tigen, zutrifft. Die einzigen Gattungen, in welchen auch Byzanz wahr
empfundene und originell ausgeführte Poesie hervorgebracht hat, waren
zur Zeit des grossen Meisters der griechischen Litteraturgeschichte fast un-
bekannt und daher auch unbeachtet geblieben. Wie die Prosalitteratur
der Mittelgriechen gemeinhin nur als nützliches Repertorium alter Ueber-
reste betrachtet wurde, so hatte man auch in der Poesie nur das einiger
Aufmerksamkeit gewürdigt, was mit dem Altgriechischen im Zusammen-
hang stand, vornehmlich die grossen Versromane, poetische Be-
schreibungen von Denkmälern, epigrammatische und didaktische
Gedichte. Die Gattungen der Dichtung, welche aus dem originellen
Leben des christlich-byzantinischen Volkes hervorsprossten, blieben bei
Seite liegen. Sie wurzeln nicht in der Antike, sie folgen keinem alten
Muster, sie werfen kein unmittelbares Licht auf die Werke der klassischen
Vorfahren, und doch oder vielmehr gerade deshalb sind sie die einzigen
Zeugen, welche den Ausspruch widerlegen, dass die poetische Ader im
Geschlechte der byzantinischen Menschen vertrocknet sei: die kirchliche
und die volksmässige Dichtung. Die eine entspringt aus dem völlig
neuen Prinzipe der christlichen Religion, aus der leidenschaftlichen Be-
geisterung für ihre wunderbaren Siege, ihre heldenmütigen Blutzeugen,
ihre erhabenen Geheimnisse; die zweite erwächst als ein originelles Gebilde
aus dem eigenartig vorbereiteten Boden des byzantinischen Volkslebens.
Gemeinsames Merkmal ist beiden der Bruch mit der hellenischen Tradition
') Bernhardy, Grundriss der griech. Litt«ratur II 2 (1880) 77J.
Allgemeine Charakteristik. Einteilung. (§ 154—155.) 293
in Form und in Gehalt. Beide verschmähen die Nachahmung der alten
Muster, beide giessen neuen Stoff in neue Formen, beide sind mit dem
lebendigen Fühlen des zeitgenössischen Volkes enge verknüpft, Blut und
Geist vom Blut und Geist der christlichen Rhomäer.
Will man den litterarischen Wert beider Gattungen vergleichend ab-
schätzen, so ist zweifellos, dass die Kirchendichtung hoch über der
Volkspoesie steht. Das hat verschiedene Gründe. Die Kirchendichtung
ergriff einen Inhalt, der an Gewaltigkeit und Popularität auch die glück-
lichsten Stoffe der volksmässigen Litteratur weit übertraf. Dazu hatte sie
in der populär temperierten Kirchensprache und in der rythmi-
schen Metrik ein vortreffliches, allen Anforderungen genügendes Aus-
drucksmittel gefunden, während die Volkspoesie sich mit dem eintönigen
Aller weltsv er se behelfen musste und das ungeschlachte Werkzeug der
Vulgärsprache infolge der ablehnenden Haltung der gebildeten Kreise
nicht genugsam zu glätten und auszubilden vermochte.
155, Einteilung. Indem wir nun den Versuch machen, die byzan-
tinische Poesie nach ihren Arten zu gliedern, muss von der Volksdich-
tung, deren Betrachtung dem Anhang vorbehalten ist, abgesehen werden.
Der schöne Aufbau aus Epos, Lyrik und Drama, durch welchen die
Geschichte der klassischen Poesie so einzig dasteht, ist selbstverständlich
in der byzantinischen Periode nicht durchzuführen. Der Begriff der rein
nationalen Dichtung, die als ein zusammenhängendes Ganze sich nach
inneren Gesetzen organisch entwickelt, kann auf den Zeitraum, welchen
die Namen Alexanders und Mohameds II begrenzen, keine Anwendung
finden. Aus der grossen Masse byzantinischer Dichtungen lässt sich nur
eine Gruppe absondern, die eine vollständige Entwickelung mit den un-
verkennbaren Merkmalen des Anwachsens, der Blüte und des Niederganges
durchgemacht hat: das ist die für den liturgischen Gebrauch bestimmte
rythmische Kirchenpoesie. Sie ist — natürlich immer abgesehen von
der eigentlichen Vulgärdichtung — die einzige poetische Neuschöpfung der
spätgriechisch-byzantinischen Zeit und sie verdient daher in einem eigenen
Abschnitte betrachtet zu werden.
AUe übrige Dichtung wird der zweite Abschnitt umfassen. Gemein-
sames Merkmal dieser aus sehr verschiedenartigen Teilen zusammenge-
setzten Gruppe ist die formale Anlehnung an das Altertum. Alle
hieher gehörigen Werke setzen in irgend einer Weise eine antike Gattung
fort und sind nach alten Mustern gearbeitet: ausschliesslich herrscht hier
die quantitierende Metrik und der politische Vers. Der St^ff ist
für die Bestimmung der Zugehörigkeit gleichgültig: daher müssen auch
Dichtungen, welche geistliche Vorwürfe behandeln, wie der Ägiarog na-
oxon\ Epigramme auf Kultusgegenstände u. s, w. zur zweiten Gruppe ge-
rechnet werden, da ihre Form auf hellenischen Vorbildern beniht. Man
könnte die erste Gruppe als kirchlich-byzantinisch, die zweite als
christlich-hellenisch bezeichnen. Da über Herkunft, Geschichte und
Hilfsmittel der Kirchendichtung in den einleitenden Kapiteln des ersten
Abschnittes ausführlich gehandelt ist, wird sich die folgende Erörterung
294 Byzantinische Litteratnrgeschichte. II. Poetische Litteratur.
im wesentlichen auf die Werke der zweiten Gruppe, auf die profane
und nichtliturgische Poesie beschränken. Zuerst möge eine kurze
Uebersicht über den Charakter und die Schicksale der einzelnen Dich-
tungsarten bei den Byzantinern gegeben werden.
156. Epos. Roman. Eine epische Volksdichtung im antiken Sinne
beginnt in Byzanz erst mit der vulgärgriechischen Litteratur; doch besitzt
die Kunstlitteratur mehrere Werke, die mit den Epen der alexandrinischen
und spätrömischen Zeit verglichen werden können. Georg ios Pisides
besingt in mehreren jambischen Gedichten den Kriegsruhm des Heraklios,
in anderen belehrt er über die Eitelkeit des Lebens und über die Er-
schaifung der Welt. Der fromme Diakon Theodosios verherrlicht in über-
schwänglichen Tönen die Siege des tapferen Nikephoros Phokas. Massen-
haft erscheinen seit dem 12. Jahrhundert grammatische, medizinische,
astrologische und allegorisch-moralische Lehrgedichte teils im Trimeter,
teils im bequemen Schlenderton des politischen Verses. Das erzählende
Epos der alten Zeit wird jedoch bei den Mittelgriechen weniger durch diese
historischen, panegyrischen und didaktischen Werke vertreten als vielmehr
durch die Litteraturgattung, welche in der neuesten Zeit das alte Epos
in der denkbar grossartigsten Weise ersetzt, durch den Roman. Nirgends
aber haben die Byzantiner eine so völlige Niederlage erlitten als gerade
in dieser Gattung. Darüber mag man sich wundern. Wenn das Drama
nicht aufblühen konnte, so war das eine natürliche Folge der schon aus
der hellenischen Zeit herrührenden Umwälzung der Kulturverhältnisse. Der
Roman aber, ein Kind der spätgriechischen Sophistik, ruht rn seiner eigen-
tümlichen Form auf Bedingungen, die in der byzantinischen Epoche keines-
wegs verloren gegangen waren; sein Verfall ist nicht ohne weiteres ver-
ständlich. Wahrscheinlich aber ist die letzte und wichtigste Ursache dieses
Misserfolges mehr im inneren Wesen des griechischen Romans als in
äusseren Umständen zu suchen. Schon an der Wiege dieser Gattung stand
die Todfeindin jeder echten Kunst, die Unwahrheit. So erwuchsen kalte,
schematische Werke, die alles eher sind als ein getreuer Ausdruck ihrer
eigenen Zeit. Nach einem leicht erworbenen Rezepte wird das dürre
Gerüste einer herkömmlichen Erzählung mit einem bauschigen Apparate
von Beschreibungen, Deklamationen und Briefen überkleidet. Wie der
geographische, ethnographische und kulturelle Hintergrund, so sind auch
die Intelligenzen und Charaktere nach konventionellen Schul mustern ohne
Rücksicht auf das wirkliche Leben geschildert. Es sind Schattenfiguren,
nebelhafte Gegenden Grau in Grau, ohne bestimmte, der Seele sich ein-
prägende Eigenart in Form und Farbe. Kein griechischer Romanschreibor
hat den Griff ins volle Menschenleben gewagt; keiner kam auf den Ein-
fall, seine eigene Zeit, ihre familiären, sozialen und politischen Verhält-
nisse, ihre philosophischen und religiösen Stimmungen, den unendlichen
Reichtum ihres Volkslebens zu studieren und künstkMJsch zu verwerten.
Keine Litteraturgattung lehrt uns so wenig über die feineren Züge der
hellenistischen Kultur als die, aus welcher man hierüber das Meiste er-
warten sollte. Der Blick auf das lebende Modell wird von diesen Kunst-
Epos. Roman. (§ 156.) 295
lern ängstlich gemieden; sie verschliessen sich in den staubigen Antiken-
saal und arbeiten nach toten Gipsabgüssen. Sie haben kaum eine Ader
des modernen Naturalismus. Sie bilden den äussersten Gegensatz zu
einem Flaubert, Zola, Freytag, Keller, Dostojevskij, Tolstoi.
Wenn demnach schon die Originale auf hohlem Scheine beruhten, so
ist es natürlich, dass nun gar die Nachahmer solcher Phrasenwerke jede
Fühlung mit dem Leben und mit dem gesunden Geschmacke verlieren
mussten. Vom lesenden Publikum war in der mittelgriechischen Zeit noch
viel weniger als früher eine Reaktion gegen solche Art von Schriftstellerei
zu erwarten. Die Stufe der allgemeinen Bildung war im Laufe der Zeit
liedeutend gesunken, damit auch das feinere Gefühl für die Harmonie von
Inhalt und Form. Manches hatte zur Veränderung des Geschmackes auch
die Ueberschwänglichkeit morgenländischer Erzählungen beigetragen,
welche zuerst in die untersten Kreise des Volkes eindrangen und bald zu
einem bedeutsamen Faktor im rhomäischen Kulturleben wurden, wie sich
ja orientalische Einflüsse auch in der byzantinischen Kunst deutlich be-
merkbar machen. Der mittelgriechische Roman ist uns in seiner grenzen-
losen Abgeschmacktheit ein Rätsel, und schwerlich lässt sich ein Stand-
punkt entdecken, von welchem sich dieser Missgeburt eine gefällige Seite
abgewinnen Hesse. Dass er trotzdem ein eifriges Publikum fand, wird
durch die grosse Zahl der Handschriften zur Genüge bezeugt. Wenn wir
in der neueren Litteratur nach Werken verwandten Geistes suchen, müssen
wir auf die wüsten Erzeugnisse der zweiten schlesischen Schule
zurückgehen, welche von den seit dem 16. Jahrhundert in zahlreichen
üebersetzungen verbreiteten Sophistenromanen w^ohl auch einen direkten
Einfluss erfahren haben. Es ist sehr bezeichnend, dass hier wie in Byzanz
die Vereinigung von kannibalischer Roheit mit süsslicher Tändelei und
äusserstem Schwulst für den Gipfelpunkt des Schönen gehalten wird.
Die Verbindungsbrücken, welche vom hellenischen Roman zum
byzantinischen hinüberführen, sind nicht mit genügender Deutlichkeit zu
erkennen. Zwar ist es sicher, dass die Romane der Sophistenzeit noch in
den folgenden Jahrhunderten gelesen und sogar exzerpiert und kommentieii
wurden. Hielt ja doch selbst der Patriarch Photios diese erotischen
Werke seiner Beachtung für würdig, i) Aber es bleibt bemerkenswert,
dass nach Chariton, dem letzten Vertreter des Romans auf heidnischem
Boden, eine selbständige Produktion viele Jahrhunderte hindurch gänzlich
zu fehlen scheint. Wir sehen in dieser Thatsache eine der Wirkungen
des exklusiv christlichen Geistes der Litteratur, die vom 7. bis zum
11. Jahrhundert fast ausschliesslich von Angehörigen des Klerikerstandes
gepflegt wurde. So verstehen wir auch, dass das Wiederaufleben des
Romans in die Epoche fällt, in welcher man dem hellenischen Altertum
wieder ganz unbefangen gegenüberzutreten begann: Die uns bekannten
byzantinischen Romanschreiber, Prodromos, Manasses, Niketas Eu-
genianos und Eustathios, lebten im Zeitalter der humanistischen Re-
naissance unter den Komnenen. Uebrigens liegt wohl auch in dieser
») Cod. 94.
296 Byzantinische Litter atnrgeschichte. 11. Poetische Litteratnr.
langen Unterbrechung der technischen Tradition eine weitere Ursache der
plumpen Ungeschicklichkeit, mit welcher unsere Romanschriftsteller an ihr
Werk gingen. Die übrigen Versromane der Mittelgriechen, welche, teils
vom Orient, teils vom Occident beeinflusst, teils auf nationalem Boden
erwachsen, in Form und Auffassung vom Altertum losgelöst sind, gehören
zur vulgärgriechischen Litteratur.
Hauptschrift bleibt auch für den byzantinischen Roman: E. Rohde, Der
griechische Roman, Leipzig 1876 S. 521—542. Vgl. die gut« und einige selbständige Bei-
träge enthaltende Besprechimg von E. Egger, Journal des Savants 1879, 41 52. — Ver-
altet ist K. Struve, Ueber die Romanen- und Novellenliteratur der Mittelgriechen, Histo-
rische und literarische Abhandl. d. k. deutschen Gesellschaft zu Königsberg, herausgeg. von
Schubert, 3. Sammlung (1834) S. 47 — 110. — Ganz nutzlos war schon für seine Zeit:
Härtung, Die byzantinische Novelle, Herrigs Archiv für das Studium der neueren Sprachen
und Litteraturen 50 (1872) 1—38. — Auch R. Nicolai, Ueber Entstehung und Wesen des
griechischen Romans, Progr. Bernburg 1854, und A. Chassang, Histoire du roman etc.,
Paris 1862, sind durch RohdesBuch völlig überflüssig geworden. — Ueber das Fortwirken
des griechisch-byzantinischen Romans handelt A. Kirpiönikov, Griechische Romane in
der neueren LitTkratur, Charkov 1876 (Russ.); über den byzantinischen Roman s. bes.
I 95 ff. — Ueber die christlichen Metamorphosen des griechischen Romans u. a. handelt
A. N. Veselovskij. Zur Geschichte des Romans und der Erzählung I (Petersburg 1886)
29 128 (Russ.). Vgl. den Bericht von Jagic, Archiv slav. Philol. 10 (1887)233-243. —
Die Nachahmung alter Dichter in byzantinischen Romanen untei-sucht J. G. Brambs, Ueber
Citat« und Reminiszenzen aus Dichtern bei Lucian und einigen späteren Schriftstellern,
Progr. Eichstätt 1888 S. 57 ff.
157. Die lyrische und dramatische Poesie sind bei den Byzan-
tinern am besten durch die Kirchendichtung vertreten, in welcher Elemente
beider Gattungen zu grossartigen Kunstwerken verschmolzen sind. Da-
gegen hat der objektive Grundton, der das ganze byzantinische Zeitalter
beherrscht, eine weltliche Lyrik nicht aufkommen lassen. Man kann
einige Stücke des Christophoros von Mytilene, des Johannes Euchaites,
des Ptochoprodromos u. a., in welchen persönliche Erlebnisse nicht ohne
Geschmack vorgetragen werden, hieher rechnen; die herrschende Form
aber bleibt auch für diese subjektive Dichtung das in allen Variationen
spielende Epigramm. Manche wie Konstantin der Sizilier versuchten
sich in anakreontischen Tändeleien. Besser kamen lyrische Stim-
mungen später in der vulgärgriechischen Poesie zum Ausdruck. Drama-
tische Poesie im strengen Sinne des Wortes fehlte den Mittelgriechen
ebenso vollständig als die Voraussetzung derselben, die öffentliche Auf-
führung von Dramen. K. Sathas hat ein dickes und schwergelehrtes
Buch geschrieben, um das Gegenteil zu beweisen; aber so sehr er sich
auch bemüht, jede gut oder schlecht bezeugte Thatsache zu seinen Gunsten
zu wenden und jedes Hindernis beiseite zu schieben, erreicht er doch nur
das Ziel, den objektiv gestimmten Leser unzähligemal zu ärgern und ihn
schliesslich erst recht im Glauben an die Dramenlosigkeit der byzantini-
schen Zeit zu bestärken. Der Geschmack an der ernsten Gattung des
Dramas war schon in der spätrömischen Zeit durch den Mimus und die
leichtfertige Pantomime verdrängt worden; die Stelle des Theaters hatten
die banalen Lustbarkeiten des Zirkus und des Tingeltangels eingenommen.
Dem rücksichtslosen Kampfe, welchen das erstarkende Christentum gegen
alles Theaterwesen eröffnete, fielen die noch übrigen, von der Volksgunst
verlassenen Bühnen ernsteren Charakters leichter zum Opfer als die
Die Ijrrische und dramatische Poesie. (§ 157.) 297
galanten Obszönitäten der pantomimischen Posse, an welche ein starker
Bruchteil der höchsten und niedrigsten Gesellschaftskreise sich mit krank-
hafter Gier anklammerte. Die dramatische Litteratur blieb dem schul-
mässigen Studium und der Lektüre überlassen. Einen Ersatz für die
alte Bühne schuf das Christentum durch seine reich und sinnvoll aus-
gebüdete Liturgie, durch die Vorlesung heiliger und profaner Gedichte bei
öffentlichen Gastmählern, durch dramatische Behandlung christlicher Stoffe
und endlich durch geistliche Aufführungen, aus denen später das abend-
ländische Mysterienspiel hervorwuchs.
Von christlichen Dramen oder \'ielmehr dramatischen Dia-
logen, zu denen die 'E^ayoiyi] des Juden Ezechiel (um 150 v. Chr.) einen
Vorläufer bildet, hören wir seit dem Anfang des 4. Jahrhunderts. Der
hl. Methodios (f 321) wird als Verfasser von Dialogen genannt, in
welchen er die Gnostiker bekämpfte. In einem derselben streiten Valen-
tinianer und Orthodoxe IleQi avte^ovffiov; in einem Prolog wird wie in
einem euripideischen Drama der Inhalt des Stückes angedeutet und dabei
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Drama nicht hellenisch, sondern
christlich sein werde, was den Verfasser jedoch keineswegs hindert,
homerische Verse einzuflechten. ^ Das zweite dramaähnliche Gedicht des
hl. Methodios ist sein berühmtes Symposion der zehn Jungfrauen,
das ebenfalls aus einem Prolog und einem Dialog besteht (s. § 159). In
ähnlicher Weise scheint Arios durch sein bis auf einige Trümmer ver-
lorenes Gedicht QäXeia, das wohl eine Art liturgisches Drama war, sich
bemüht zu haben, ein Gegengewicht gegen die heidnische Schaubühne zu
schaffen.-) Die Popularität der Thalia des grossen Häretikers blieb bei
der orthodoxen Partei nicht unbeachtet; sie schuf daher, um die Arianer
mit ihren eigenen Waffen zu bekämpfen, eine 'Arrid^aXtia, von der leider
nichts Näheres bekannt ist.^) Unter Kaiser Maurikios (591) wird von
einem wohl pantomimischen Mysterienspiel berichtet, das Theophylaktos
Simokattes^) als ^eardgixov nvarr^Qiov und als d^eavÖQixi] naröaiaia be-
zeichnet. Im 8. Jahrhundert sollen die Bilderstürmer theatralische Vor-
stellungen begünstigt haben; angeblich als homöopathisches Mittel dagegen
verfasste Johannes von Damaskos ein nicht erhaltenes Drama Susanna,
das Eustathios euripideisch nennt. 5) Recht schwach bezeugt ist ein Drama
*0 ^ccratog rov Xotaroi, das um 790 Stephanos der Sabbaite geschrieben
haben soll.'') Wenn man sich einen Begriff von diesen „Dramen" machen
will, muss man wohl eher an den kleinen Dialog des Ignatios als an den
XgKfTog TiäaxMv denken. Das sind die in nahezu völliges Dunkel gehüllten
Anfänge der geistlichen Dramatik, die auch in der späteren byzantinischen
Zeit nicht völlig zu Grunde ging. Wenn Bischof Li utpr and unter vielen
anderen Anstössigkeiten, die er bei den Griechen sah, auch die Verwande-
lung der Hagia Sophia in ein Theater bemerkt, so kann er nichts anderes
') K. Sathas. 'laxoq. Soxifuop ixtQi rov *) Ed. Bonn. S. 201; 237 = Ed. C. de
^etixQov xcti XTJg uovaixtji xwv BvCayr. aeX. Boor S. 187; 219.
pV «'• j ^) K. Sathas a. a. 0. to»'.
*) K. Sathas a. a. 0. Q/aa xi. *) K. Sathas a. a. 0. xn'.
») K. Sathas a. a. 0. Qfid'. \
298
Byzantinische Litteratnrgeschichte. II. Poetische Litterator.
meinen als eine Art von Mysterienspiel. Daran schliessen sich endlich
die dramaähnlichen Stücke aus der Zeit der Komnenen und Paläologen, der
Xgiffiog Tiäaxoiv und die moralisch-allegorischen Dialoge des Ignatios,
Plochiros,*) Ptochoprodromos und Philes. Aber keines derselben
war zur Aufführung bestimmt; es sind Lesedramen in der Art der
TQayifdonodc'tyQa und des 'iiximovg Lukians. Heutigestags scheint von
geistlichen Spielen in der orthodoxen Kirche wenig mehr übrig zu sein.
Das einzige mir bekannte Beispiel ist der sogenannte Nimr^Q d. h. die
Fusswaschung, welche in Patmos und Jerusalem alljährlich, zuweilen
auch in Konstantinopel, am grünen Donnerstag dargestellt wird. Es ist
eine von Mönchen veranstaltete Aufführung, die jedoch kein Mysterienspiel
genannt werden kann, da ihrem spärlichen Dialoge nicht ein origineller
und volksmässiger Text, sondern einfach die Worte der hl. Schrift zu
Grunde gelegt werden. 2)
Die Reste des weltlichen Theaterwesens fristeten seit dem Aus-
gange des Altertums im Hippodrom und an ähnlichen Orten ein nicht
immer sehr ehrenvolles Dasein. Welche Freiheiten sich die entarteten
Nachkommen der Dionysoskünstler noch mitten in der christlichen Aera
vor der genusssüchtigen Bevölkerung der Grossstädte erlauben durften oder
mussten, zeigen die Erzählungen des Prokop über das Vorleben der Theo-
dora. Die Nachrichten von der Aufführung eigentlicher Theaterstücke
unter Anastasios P) und Justinian I,^) womit sich die Rede des
Chorikios auf die Schauspieler, 5) ein Epigramm des Agathias auf eine
Schauspielerin und die Notiz in der Selbstbiographie des Menander
Protektor") verbinden, lauten ziemlich unbestimmt und beweisen jeden-
falls nur für das 6. Jahrhundert, das, wie früher^) gezeigt wurde, in
Wahrheit gar nicht zum byzantinischen Zeitalter gezogen werden darf.
Die Bestimmungen der zweiten trullanischen Synode 691 richten
sich offenbar nicht gegen Theateraufführungen im antiken Sinne, sondern
gegen pantomimische und verwandte Darstellungen: Den Anwälten wird
verboten, sich ins Theater zu mischen und Theaterkostüme zu tragen;
Theatermelodien sollen aus der Kirche verbannt sein; ebenso wird der
Hippodrom verdammt und den Priestern befohlen, nicht bloss den Anblick
von Schaustellungen zn meiden, sondern auch von jeder Hochzeit sich zu
entfernen, bei der axi]vixoi auftreten. Die Zirkusparteien beeilten sich
natürlich gegen so strenge Massnahmen Protest einzulegen.^) Auch später-
hin vernehmen wir noch öfter von Verordnungen der Kirche gegen
die öffentlichen Schaustellungen und das leichtfertige Volk der Mimen.
Was Sathas sonst noch zur Unterstützung seiner Theorie von der Unsterb-
lichkeit der antiken Bühne anführt, sind die bekannten Akklamationen
') Sathas setzt a. a. 0. osX. rotj den
I'Iochiros gewiss mit Unrecht in die 25cit
des Bildersturmes.
*) Vgl. K. Kruml)aclii>r, (iriechische
Reise S. 376. Eine ausführliche lieschreibung
des yinrtJQ in Patmos gibt Kp. Alexakis
in der griechischen Zeitschrift 'Eatia 1889
8. 336 ff. (Nr. 693).
*) K. iSathas a. a. 0. iXy'.
*) K. Sathas a. a. O. ry.
'') K. Sathas a. a. O. Tft' xe.
") S. § 12. Menander schrieb angehliclu
selbst eine Tragödie über einen |ter.sis<hen
Magier, der sich zum Christentum bekehrte
und daher von seinen fanatischen liandsleut«!!
gekreuzigt wurde. S. Sathas a. a. O. rf**,
') § 1.
») K. Sathas a. a. 0. ro^' xt.
Die lyrische und dramatische Poesie. (§ 157.) 299
der Zirkusparteien und des Heeres an den Kaiser, die öffentlichen Ver-
spottungen [öianonnevaeic), das von Konstantin Porphyrogennetos be-
schriebene gothische Weihnachtspiel*) und Aehnliches. Wenn man auch
diesen Veranstaltungen einen gewissen dramatischen Charakter nicht ab-
sprechen kann, so sieht doch jeder, der sehen will, dass all diese Dinge
nicht das Fortleben eines wahren Theaters in der byzantini-
schen Zeit beweisen können. Es mögen noch im 6. Jahrhundert da
und dort einzelne Stücke der neueren Komödie aufgeführt worden sein;
diesen Bemühungen machte aber die einbrechende Barbarei bald ein Ende,
und als einige Jahrhunderte später die Lust an der alten Litteratur wieder
zu erwachen begann, hatten sich die kulturellen Bedingungen so sehr ver-
ändert, dass an eine praktische Wiederbelebung des alten Theaters nicht
mehr zu denken war. Wie in der Litteratur und im gesamten Geistes-
leben, so schneidet auch im Theaterwesen die dunkle Kluft vom 7. bis
9. Jahrhundert tief ein zwischen Altertum und Mittelalter.
Eine lehrreiche Illustration zur späteren Geschichte des alten Theaters
bildet die Thatsache, dass die Ausdrücke rgayo^Sia, Squ^a und wohl auch
xo)fio}6ia im Laufe der Zeit ihren ursprünglichen Sinn ähnlich ver-
änderten, wie auf lateinischem Boden das Wort comoedia, dessen mittel-
alterliche Bedeutung durch Dantes Divina Comedia zu weltgeschichtlicher
Berühmtheit gelangt ist. Wie sich der Begriff von ToayMÖia erweiterte,
zeigen die „Tragödien" der Kyniker Diogenes, Krates und Oenomaos.^)
Daneben erscheinen aber die Wörter TQccyo^diu, rgayo^Sw und roaytodoq schon
bei Diodor, Dionysios Thrax, in Theokritscholien und bei Kirchenvätern
geradezu in der Bedeutung: Gesang, ich singe, Sänger. Ebenso be-
deutet im Neugriechischen roayovdw einfach: ich singe, und t6 tQuyovdi
ist der technische Ausdruck für das Volkslied. Bemerkenswert ist, dass
TQuyovdoi [rQctyovöi) nur vom weltlichen Gesänge gebraucht wird; vom
Kirchengesange kann auch in der Volkssprache nur iL'äXXoj, ipakf.io)6ia,
ipäkrifi gesagt werden. 3) Aehnliche Schicksale erlitt das Wort ÖQccjxa.
Als seine ursprüngliche Bedeutung sich verdunkelte, wurde mit dem Worte
ein pathetisches Ereignis, später, wahrscheinlich schon seit dem S.Jahr-
hundert n. Chr., geradezu der Roman bezeichnet. So nennt Photios den
Roman des Antonios Diogenes SQccuaxixöv (cod. 166) und bei den byzantini-
schen Romanschreibern heisst J(>«aa regelmässig „Roman '',^) Endlich wurde,
wie es scheint, auch xo)/.ioidicc in der nachchristlichen Zeit von prosaischen
Erzählungen frei erfundener Stoffe gebraucht.^)
Hauptschrift über das byzantinische Theater: K. Sathas, latoQixSy doxtjuiof Tifot
tov &eaxQov xtd rrj? fxovaixtjg twv Bv^ceyriycSy, Venedig 1878. In dem Buche ist eine
erhebliche Menge von Materialien zur Geschichte des Ueberganges vom heidnischen zum
christlichen Kulturleben, zur griechischen Dogmatik, zur kirchlichen Poesie, Liturgie und
*) S. § 18 (S. 62). I historische Untersuchung über die Bedeutungs-
*) E. Rohde, Der griechische Roman : Verschiebung von rpw/wtfai, sondern fast
S. 3.52. I nur allgemeine Betrachtungen über die Ver
') K. Sathas a. a. 0. fff . — Sp. Zam- ' drängung der heidnischen Kultur durch die
belios, n69ey tj xoiyrj Xih? rgayovddt; \ christliche und über neugriechische Poesie
"Ey 'A9rjyfag 18.59, ein oft zitiertes Schrift- ; enthält.
chen, das jedoch keineswegs, wie nach dem j *) E. Rohde a. a. 0. S. 350 S.; 450; 545.
Titel zu erwarten wäre, eine brauchbare *) E. Rohde a. a. 0. S. 352.
300 Byzantinische Litteratnrgeschichte. ü. Poetische Litteratnr.
Musik, selbst zur Etymologie, Numismatik u. a. ausgeschüttet. Die Verwertung dieser
Schätze wird aber durch den Mangel an chronologischer oder sonstiger Disposition, an
Klarheit und Kritik, sowie durch die Abwesenheit einer Inhaltsangabe und eines Index zu
einer so unerquicklichen Aufgabe, dass das Buch thatsächlich , soweit ich sehe, fast
gänzlich unbenutzt geblieben ist. Ks wäre im Interesse der Wissenschaft sehr zu
wünschen, dass der Verfasser sich dazu entschliessen könnte, durch strengere Methode
und durch grössere Genauigkeit sein eminentes Wissen wahrhaft fruchtbar zu machen.
Dass übrigens der Hauptzweck des Buches, die Existenz eines wirklichen Theaters in
Byzanz zu erweisen, meines Erachtens nicht erreicht ist, habe ich schon oben bemerkt.
158. Die metrischen Formen der byzantinischen Poesie. Im
byzantinischen Zeitalter gibt es drei metrische Hauptgattungen:
1. Die aus dem Altertum überkommene quantitierende Metrik.
Von den mannigfaltigen antiken Versarten gebrauchten die Mittelgriechen
vornehmlich den jambischen Trimeter, selten den daktylischen Hexa-
meter, das elegische Distichon und anakreontische Dimeter und
Trimeter. Die Schicksale der letzteren Versarten während der byzan-
tinischen Zeit sind noch nicht näher untersucht; nur dem jambischen Tri-
meter, der in der Mehrzahl aller nach dem Prinzipe der Quantität gedich-
teten Werke herrscht, hat sich in der letzten Zeit die Aufmerksamkeit
einiger Gelehrten zugewendet. Der byzantinische Trimeter besteht in der
Regel aus 12 Silben, eine Neuerung, die man keineswegs aus poetischer
Impotenz erklären darf; es hat vielmehr, wie W.Meyer*) richtig erklärt,
eine griechische Dichterschule im 6. Jahrhundert mit vollem Bewusstsein
den dramatischen Trimeter mit seinen Auflösungen und Anapästen ver-
worfen und den sogenannten lyrischen Trimeter, von welchem der viel-
gelesene Lykophron ein gutes Beispiel bot, mit vollem Bewusstsein gewählt.
Georgios Pisides wendet seinen neugeregelten Trimeter mit nicht geringe-
rem Stolze und Eifer an als Nonnos seinen Hexameter. Eine zweite Eigentüm-
lichkeit des byzantinischen Trimeters besteht darin, dass die vorletzte
(11.) Silbe regelmässig den Accent hat. „Bei Agathias und Johannes
von Gaza sind Trimeter mit accentuierter Endsilbe ziemlich gemieden, bei
Georgios Pisides fast gänzlich ; auf der drittletzten Silbe betont Agathias
viele Trimeter, Johannes von Gaza keine, Georgios Pisides in 2 Schriften
viele, in den übrigen nur wenige. Die gänzliche Vermeidung des Pro-
paroxytonon im Trimeterschluss ist erst im 10. Jahrhundert fertig." *) Eine
geschichtliche Ent Wickelung lässt die Pro so die des byzantinischen Tri-
meters wie der übrigen Versmasse namentlich in der allmählich zunehmenden
Freiheit im Gebrauche kurzer, langer und mittelzeitiger Silben wahrnehmen.
Mit Rücksicht hierauf wie auf die erwähnte Beschränkung der Silbenzahl
und den paroxytonen Schluss sondert Hilberg^) die Gesamtmasse der
byzantinischen Jambographen in drei Gruppen: A. Die Klassiker.
Diese zeichnen sich durch absolute Korrektheit der Versifikation aus, so-
weit Quantität und Zäsuren in Frage kommen. Die Längungsfähigkeit
vokalisch auslautender kurzer Endsilben durch folgende Doppelkonsonanz
welche im Altertum in enge Schranken gebannt war, beginnt jedoch bereits
') Zur Geschieht« des griech. und lat. =*) Wiener Studien S (188«) 291 fF.. wo
Hexameters S. 1020 (s. die Litteraturangabe j man die nähere Ausführung und Begründung
am Schluss des §). dieser Gruppierung nachlesen kann.
^) Wilh. Meyer a, a. 0. S. 1020. 1
Die metrischen Formen der byzantinischen Poesie. (§ 158.) 301
allgemach diese Fesseln abzustreifen. B. Die Epigonen. Sie teilen die
Korrektheit bezüglich der Zäsuren mit den Klassikern. Die Quantität
jedoch wird nur in jenen Fällen rein bewahrt, wo sie für das Auge kennt-
lich ist. Somit sind die Diphthonge, rj und « stets lang und die längende
Wirkung der Doppelkonsonanz wird nie vernachlässigt. Auch das durch
Kontraktion oder Krasis entstandene, sowie das mit iota subscriptum ver-
sehene a bleiben in der Regel lang, und Verkürzung ist nur in streng
fixierten Fällen gestattet (vgl. das Nähere darüber bei Hercher, Erot. Script.
Gr. 2, p. LI sq.). Die Vokale £ und o können nur in Eigennamen und
Kunstausdrücken lang gemessen werden, bei den letzteren nur, bei den
ersteren fast nur, wenn sonst die Verwendung im 12 silbigen Trimeter
unmöglich wäre. Langes a (abgesehen von den oben hervorgehobenen
Arten desselben), i und v können nach Belieben auch als Kürzen ver-
wendet werden, wobei verräterische Circumflexe über den betreffenden
Vokalen dem Acutus weichen müssen. Kurzes a, t und v werden im An-
und Inlaut ohne jede Beschränkung auch als Längen gebraucht,
im Auslaut jedoch nur in freien Wörtern (über den Begriff der
freien Wörter vgl. Prinzip der Silbenwägung S. 2). Die Längungsfähigkeit
vokalisch auslautender kurzer Endsilben durch folgende Doppelkonsonanz
ist gänzlich unbeschränkt (vgl. a. a. 0. S. 218 und 234 f.). Ein Vertreter
dieser Gruppe ist Theodoros Prodromos. C. Die Stümper. Die Verse-
macher, welche dieser Gruppe angehören, sind nicht alle von einem^Schlage.
Ihr gemeinsames Unterscheidungszeichen aber gegenüber der Epigonen-
gruppe ist der unbeschränkte Gebrauch von auslautendem kurzem
et, i und V als Längen, Im übrigen zeigt sich zwar das Bestreben, die
Gesetze der Epigonengruppe zu befolgen, aber die Unbeholfenheit, bisweilen
auch Eilfertigkeit dieser Dichterlinge verursacht zahlreiche Verstösse. Bei
alledem aber haben nur die Unfähigsten in dieser Gruppe der Unfähigen
sich gestattet, die Diphthonge, das /y und o) zu verkürzen und die längende
Wirkung der starken Doppelkonsonanz zu vernachlässigen. Einer der
Stümper leichteren Grades ist der Verfasser des Christus patiens.
Bezüglich der Chronologie ist zu bemerken, dass, soweit die erhaltenen
jambographischen Erzeugnisse einen Schluss gestatten, auf die Periode der
Klassiker die Periode der Epigonen folgte, während die Stümper zum
Teile Zeitgenossen der Epigonen waren, zum Teile über die Epigonen
hinausreichten.
In wie weit diese Gesetze auf die von Hilberg nicht herangezogenen
Jambographen zutreffen und in wie weit sie auch für die daktylische und
anakreontische Poesie gelten, kann ich nicht beurteilen, da es mir nicht
möglich war, über die Metrik der Profanpoesie selbständige Untersuchungen
anzustellen. Auf keinem Gebiete bedarf es so sehr der genauen und um-
fassenden Vorarbeiten als hier, wo zufällige und isolierte Beobachtungen
stets mehr verwirren als aufliellen. Zuletzt muss noch ausdrücklich betont
werden, dass die gesamte quantitierende Poesie in der byzantinischen
Zeit des festen Fundamentes der lebendigen Sprache entbehrt und als
eine mechanische, mühsam auf dem Papier aufgebaute Spielerei erscheint,
der eine wahrhaft künstlerische Berechtigung in weit geringerem Masse
302
fiyzantinisclie Litteratnrgeschichte. ll. Poetische Litteratar.
zukommt als den oft als barbarisch gebrandmarkten auf dem Accent be-
ruhenden Versarten.
2. Das rythmische System. Dasselbe wurde durch die Kirchen-
poesie geschaffen und wird fast ausschliesslich durch sie vertreten. An
Stelle der Quantität tritt hier als Hauptprinzip die Silbenzählung und der
Schlussaccent. Unter sich ungleiche Verse werden zu Perioden und diese
zu Strophen vereinigt. Ueber die Entstehung, die Formen und die Haupt-
eigentümlichkeiten der rythmischen Poesie ist §§ 173—182 ausführlicher
gehandelt.
3. Das politische System. Mit der rythmischen Poesie ist der
politischen die grundsätzliche Vernachlässigung der in der lebendigen
Sprache längst geschwundenen antiken Quantitätsgesetze gemeinsam;
was sie von der rythmischen Poesie unterscheidet, ist die ununterbro-
chene Wiederholung des gleichen Verses {notrjfia xata aii'xov), wäh-
rend dort innerhalb der Periode ein Wechsel der Versmasse eintritt {noirj^ia
xatct neQioöov). Unter politischen Versen im weiteren Sinne verstehen wir
demnach alle zwar nach dem Accent gebauten, aber Zeile für Zeile {xaxd
aTi'xor) wiederkehrenden Verse. Solche gleichzeilige rythmische Gedichte
sind bei den Griechen vor dem 10. Jahrhundert ziemlich selten. Der be-
kannteste Vers dieser Gattung ist der 15silbige, nach der achten Silbe
mit einer Zäsur versehene jambische Vers:
v-» z. w
'U J. <^ J- <J
Kai niög ^Qaavg 6 rrjy aidui \\ nQoßeßXt]fi£yt]y s^toy.
Dieses Schema erleidet verschiedene Schwankungen, besonders kann
im Anfange der beiden Halbzeilen ebensogut ^ - als - ^ stehen. Manch-
mal geht die Freiheit so weit, dass abgesehen vom Schlüsse alle Rück-
sichten auf bestimmte Füsse bei Seite gelassen und nur Silben gezählt
werden. ^) Ausser dem Fünfzehnsilber wurden auch andere gleichzeilige
Verse nach dem Accent gebaut, 12silbige jambische Trimeter, jambische
und trochäische Dimeter u. a. Doch haben sich diese Variationen nicht
zu grösserer Bedeutung zu erheben vermocht, und wenn vom politischen
Verse^) schlechthin die Rede ist, wird bei den Byzantinern stets
und meist auch bei den Neueren der jambische Fünfzehnsilber
verstanden. Er beherrscht die für das gemeine Bedürfnis berechneten
Litteraturgattungen wie die gesamte Volkspoesie bis herab auf die Gesänge
der heutigen Griechen; seine tausendjährige und noch kaum erschütterte
Lebenskraft gehört zu den merkwürdigsten Thatsachen in der allgemeinen
Geschichte der volksmässigen poetischen Formen.
Aus welcher alten Form der politische Vers stamme, ist eine oft
besprochene Frage. Eustathios^) will ihn aus trochäischen V^ersen er-
klären, wobei er wohl an alte Verse denkt, die sich wie politische lesen
lassen z. B. des Aeschylos ß ßaO^v^mvaiv avadüa JIsQatdcov vnsQxcni^. Aehn-
') W. Meyer, Anfang und Ursprung
S. 325 f, (s, Litteraturangabe).
*) Irixos 7toXiTix6( d. li. b ü r g e rl i c li e r ,
gemeiner, von allen verstandener und ge-
brauchter Vers, im (icgensatze zu der nur
den (lelehrten zugänglichen Quantitilts-
poesie. Die ich weiss nicht von wem er-
fundene und in unserer Litteratur ziemlich
eingebtlrgerte Uebersetzung : Allerwel ts-
vers ist mehr geistreich als zutreffend.
*) Kommentar zu llias «' S. 11,
Die metrischen Formen der byzantinischen Poesie. (§ 158.) S03
lieh sagt Maximos PlanudesS) der den Gedanken des Eustathios weiter
verfolgt, schon bei den Tragikern und Aristophanes seien unter den tro-
chäisehen und jambischen katalektischen Tetrametern zuweilen politische
Verse zu finden: ToTg eic rö noXixtxov agri ^uTaraffräaiv ovofia arixotg
xai Toayixol ndixeg xctl ö Kü)i.uxdq tariv ov xC^>0'«/'**'0' (fairorrai, ovx
af^iäxQOüQ uivToi, «//' ol i.dv rooxcn'oig noir^auvreq, o Ko)i.iix6g 6t xal
läußoig • exccraooi f^ievroi xsTQäi^ierQOV xaiuXr^xtixav avvoig oQor iarijCarzo.
Dazu nennt er dann mehrere Beispiele wie den oben angeführten Vers
des Aeschylos. Von einem absichtlichen Bau politischer Verse, woran
auch Planudes nicht zu denken scheint, kann bei den Alten natürlich keine
Rede sein. Dagegen mag man die von Planudes erwähnten Versarten als
Ausgangspunkte im Auge behalten. Nun wird aber die sichere Lösung
der ganzen Frage deshalb schwierig, weil die Stufen und Mittelglieder,
die zwischen der quantitierenden Verskunst und dem politischen Masse
liegen, nicht überliefert scheinen. Zwar sind beide Dichtungsfonnen durch
neuere Beobachtungen chronologisch etwas näher gerückt worden. Wäh-
rend Henrichsen und Bernhardy^) glauben, dass politische Verse sich vor
dem 12. Jahrhundert in der Litteratur nicht nachweisen lassen, hatW.
Meyer 3) den P sei los als politischen Dichter namhaft gemacht und dabei
die Vermutung ausgesprochen, dass jedenfalls zuerst ein Gelehrter auf
diesen Vers, den er für eine Nachbildung des jambischen Tetrameters der
Alten hält, verfallen sei. Allein weit älter als Psellos sind die politischen
Verse, welche Konstantin Porphyrogennetos^) in einer volksmässigen
Akklamation überliefert. Hiedurch, wie durch die Thatsache, dass der
politische Fünfzehnsilber sich bis auf den heutigen Tag in allen griechi-
schen Gegenden als das fast einzige Versmass des Volksliedes behauptet
hat, scheint doch der populäre Ursprung des Masses wahrscheinlicher
zu werden. Man wird mit Bernhardy^) an Tetrameter wie den in Plu-
tarchs Sulla überlieferten Vers 2vxccuir6v iaiy' 6 2v).lag uXtfiTo^ jienaa-
iii'ror anknüpfen, vielleicht aber zur Vergleichung auch die aus 14 Silben
bestehende Zeilenart beiziehen dürfen, die sich bei Methodios und Gregor
von Nazianz findet. **) Der Streit dreht sich zuletzt eigentlich nur um die
Frage, ob der jambische oder der trochäische Tetrameter für die
Entstehung des Verses verantwortlich sei. Wahrscheinlich aber haben sich
beide in die Ehre der Vaterschaft zu teilen d. h. der politische Vers ist
wohl aus einer Kontamination dieser zwei alten populären Masse her-
vorgegangen.
1. Quantitierende Poesie: Die Gesetze des byzantinischen Trimeters entwickelt
Is. Hilberg, Wiener Studien 8 (1886) 282-314. Weitere Beiträge gab er ebenda 10
(1888) 50-92. Vgl. auch desselben: Princip der Silbenwägung, Wien 1879 S. 3 ff.; 217 flf. —
Wilh. Meyer, Zur Geschichte des griech. und des latein. Hexameters, Sitzungsber. der
bayer. Akad. d. Wiss., philos.-philol. bist. Cl. 1884, 1013—1023 (über die vermeintlichen
') Im JuiXoyos nsgi ygafifiarix^g, Bach-
mann, Anecd. Graeca II 99.
• ^) Grundriss der griech. Litterat. I*
(1876) 696
klamationen anführt, werden sie ■wohl noch
bedeutend älter sein als die erste Hälfte des
10. Jahrb., in welcher der Kaiser schrieb. Den
Text der Verse s. S. 61.
) Anfang und Ursprung u. s. w. S. 325. , '") Grundriss der griech. Litterat I* (1876)
*) De caerim. S. 367 ed. Bonn. Da Kon- 696; 276.
intin die Verse als eine der üblichen Ak- «) W. Meyer a. a. O. S. 310.
I
304 Byzantinische Litteratargeschichte. 11. Poetische Litteratnr.
Vorläufer der griechischen Accentpoesie). Derselbe: üeber die Beobachtung des Wort-
accentes in der altlat. Poesie, Abhandl. der bayer. Akad. d. Wiss. I. Cl. 17. Bd. 1. Abteil.
(1884) S. 66 ff.; 110 If. (über den lyrischen Trimeter).
2. Die Litteratur zur rythmischen Poesie s. §§ 160 ff. Politische Verse:
K. L. Struve, Der politische Vers der Mittelgriechen, Hildesheim 1828. -- F. Henrichsen,
Ueber die sogenannten politischen Verse bei den Griechen. Aus dem Dänischen übersetzt
von P. Friedrichsen, Leipzig 1839; gilt noch immer als Hauptschrift, ist aber durch die
Veröffentlichung zahlreicher neuer Texte so entwertet, dass eine völlig neue Bearbeitung
des Gegenstandes dringendes Bedürfnis ist. — Fr. Ritschi, Accentuierte Verse, Opuscula
I (1866) 289—299. — Ueber den Ursprung des politischen Verses und sein Verhältnis zur
rythmischen Poesie handeln: W. Meyer, Anfang und Urspnmg der lat. und griech. ryth-
mischen Dichtung, Abhandl. der bayer. Akad. d. Wiss. I. CL, 17. Bd., 2. Abteil. (1885)
S. 308; 325; 386 und E. Bouvy, Etüde sur les origines du rythme tonique, Nimes 1886
S. 159; 322 flF. — Ueber sonstige accentuierte Verse (trochäische Fünfzehnsilber u. a.) s.
K. Krumbacher, Sitzungsber. der bayer. Akad. d. Wiss., philos.-philol. bist. Cl. 1887
Bd. II 53 ff.
1. Kirchenpoesie.
159. Werke in der antiken Form. Wie die übrigen Gattungen der
spätgriechisch-byzantinischen Litteratur, so steht auch die Kirchendichtung
anfänglich unter dem mächtigen, für die Entwickelung einer freien Ori-
ginalität verhängnisvollen Einfluss der altgriechischen Formen. Die
meisten poetischen Versuche der chi-istlichen Griechen, welche bisher in
weiteren Kreisen bekannt geworden sind, schliessen sich in Sprache, Metrum
und Darstellung an die alten Vorbilder an. Es sind gelehrte Imitationen
von ähnlicher Art wie die meisten Werke der Profanpoesie dieser
Epoche. Hieher gehört der in anapästischen Monometern und Dimetern
abgefasste, wahrscheinlich mit Unrecht dem Clemens von Alexandria
(t zwischen 211—218) zugeschriebene Hymnus, der in den Handschriften
von dessen JlcaSayoiyöc steht.') Das zweite Stück dieser Art ist das be-
rühmte Jungfrauenlied im „Gastmahl" des hl. Methodios (f 321). Das
Werk, offenbar eine Xachahmung des platonischen Symposion, ist in Prosa
abgefasst und schildert durch den Mund von zehn Jungfrauen das Lob
der Keuschheit; zum Schluss folgt ein Gesang: eine Jungfrau singt, die
übrigen, zur Rechten und Linken stehend, antworten nach jeder Strophe
mit einem fröhlichen Refrain [vnaxovovai). Das Gedicht steht in seinem
Motiv vielleicht unter dem Einflüsse der Ilaod^kvia des Alkman und Pin-
dar; doch bietet die Form schon recht viel Auffallendes. Das Versmass
ist zwar jambisch, aber im ganzen Gedichte finden sich so unbegreifliche
Verstösse gegen die Gesetze der Quantität, dass von zufälligen Versehen
keine Rede sein kann. Der Gegensatz zur altheidnischen Dichtung, viel-
leicht auch, wie Meyer bemerkt, das Bewusstsein, dass neben dem ein-
heimischen Prinzip der quantitierenden Dichtung die fremdsprachlichen
Christen ein ganz anderes, kräftiges Dichtungsprinzip besassen, führte zu-
nächst zur Geringschätzung und zum teilweisen Aufgeben der Gesetze der
quantitierenden Poesie. 2) Viel treuer blieb der antiken Schultradition
Gregor von Xazianz (1389). Er verwendet in seinen zahlreichen Dich-
tungen mit zwei Ausnahmen (s. § 161) nur alte Versmasse wie Hexa-
meter, trochäische Septenare, jambische Trimeter u. s. w. Da er von einem
') Vgl. Bouvy a. a. 0. S. 25 f., wo | «) W.Meyer a.a.O. 309 ff. Vgl. Bouvy
ich einige Litteratur zu Clemens verzeichnet 1 a. a. 0. 30 ff., der auch einige Litteratur zu
— Christ, Griech. Litterat.'^ § 607. Methodios angibt.
Haiidhnch der kUss. AltertumawiaaenschafL IX. 1. Abtlg. 20
306
Byzantinische Litteraturgeschichte. 11. Poetische Litteratur.
warmen religiösen Gefühle beseelt ist, wurde er in der spätem Zeit viel
bewundert und wie die Profandichter mit regelrechten, gelehrten Kommen-
taren versehen. Unter den christlichen Griechen, die in den antiken Formen
dichteten, verdient er die erste Stelle; aber trotzdem blieben seine Werke
dem Volke, der Gemeinde, der kirchlichen Praxis fern. Man
verstand das mächtig eindringende Wort des Gregor, wenn er von der
Kanzel sprach, aber niemals hat die Kirche in ihrem öffentlichen Kultus
eines seiner kunstvollen Gedichte wiederholt. Die starren Formen der ver-
alteten Metrik Hessen das Feuer seiner Empfindung nicht frei genug auf-
flackern. Ein wahrer, aus dem Innern gewaltig hervorbrechender Enthu-
siasmus, wie er manche Hymnographen auszeichnet, wird bei ihm vergeb-
lich gesucht; seine Poesie ist edel und gross, voll Kunst und Ueberlegung,
aber sie reisst den Menschen nicht mit sich fort, sie hat nie so von Herz
zu Herz gesprochen wie etwa das unvergleichliche Weihnachtslied des
Romanos.^) Noch mehr als Gregor stand sein Zeitgenosse Apollinarios
der Jüngere (f 390) auf dem Boden der antiken Ueberlieferung. Bei
ihm war strenge Schulung in den alten Formen Erbteil der Familie. Der
Vater des Apollinarios, von dessen Werken nichts erhalten ist, schrieb
Tragödien nach dem Muster des Euripides, Komödien nach Menander,
Oden nach Pindar, jüdische Altertümer nach Homer. Von dem Jüngeren
besitzen wir eine Paraphrase der Psalmen in Hexametern, deren Technik
für Nonnos vorbildlich wurde. Das Geschick, mit welchem er zahllose
Reminiszenzen aus alten Dichtern, ihre berühmten Bilder, ihre glänzenden
Beiwörter, ihre dialektischen Formen verwendet, kann den Antiquar zu-
frieden stellen. Die Psalmen verloren aber durch solche Umbildung ihr
eigentümliches Gepräge und ihre erhabene Einfachheit; sie wurden zu
homerisch, um noch Psalmen sein zu können. Solche humanistische Spie-
lereien konnten unmöglich populär werden, und wir verstehen die Nach-
richt des Kirchenhistorikers Sokrates, dass die Werke der beiden Apol-
linarios schon zu seiner Zeit so unbekannt waren, als hätten sie nie exi-
stiert. 2) Ebenso gelehrt sind die berühmten Gedichte des Synesios (370
bis ca. 413). Für das Ueberwiegen des hellenischen Elementes ist es hior
besonders charakteristisch, dass die Hymnen, welche Synesios als Christ
dichtete, mit denen aus seiner heidnischen Zeit brüderlich zusammengehen.
Der Neuplatoniker verrät sich in den ersteren fast ebenso deutlich als
in den letzteren. Selbst der dorische Dialekt, dessen sich Synesios
bedient, beruht sicher nicht auf der damaligen Mundart seiner Heimat
Kyrene, sondern auf rein gelehrter Imitation. Ueberhaupt ist er viel mehr
Philosoph als Dichter ; seine metaphysischen Darlegungen sind eine passende
Lektüre für die Gelehrtenstube, sie sind aber nicht geeignet, von der tausend-
stimmigen Menge gesungen und begriffen zu werden.'') Selbst Nonnos
') Vgl. Bouvy a. a. 0. 51 ff.
*) A. Ludwich, Apullinarii inotaphrasis
psalmoruin 1 III (als Probe einer kritischen
Ausgabe), Progr. Königsberg 1880; dazu des-
selben Verf. Abhandlungen im Hermes 1.3
(1878) 335-.350 und Königsberger Studien I
(1887) 80 ff. - K. Bouvy a. a. 0. S. 43 ff. -
Job. Dräseke, Zeitschrift fQr wissenschaft-
liche Theol. 31 (1888) 477-487. — Kriti-
sches bei Leo Sternbach, Antholugiae Pla-
nudeae appendix Harberino-Vaticana, Leipzig
1890 S. (57 und sonst.
») Vgl. Bouvy a. n. 0. 63 ff.
1. Kirchenpoesie. A. Rythmische Kirchendichtnng. (§ 159—160.) 307
(im Anfange des 5. Jahrb.), dessen Metrik für die Profanpoesie in einem
gewissen Sinne bahnbrechend wurde und zahlreiche Nachahmer fand wie
Tryphiodoros, Kolluthos und Musaeos, hatte mit der metrischen Paraphrase
des Evangelium Johannis, die er als Christ und wohl im hohen Alter ver-
fasste, keinen Erfolg; ein Unternehmen, das von Anbeginn so gänzlich
verfehlt war, wäre auch einem grösseren Dichtergenie nicht gelungen, i)
Nonnos ist nicht der letzte Grieche, der das Gerüste altgriechischer
Formen zur Ausstellung christlicher Ideen verwertete: die Sitte gelehrter
Imitation der antiken Metrik ist auch nach dem Auftreten der rythmischen
Dichtung und des politischen Verses nicht ausgestorben. Das beweisen
die trockenen Dichtungen des hl. Sophronios (s. § 164), die drei jambi-
schen Kanones des Johannes von Damaskos und die zahlreichen in
anakreontischen und anderen Massen verfassten Poesien geistlichen In-
halts eines Elias, Ignatios, Leo des Weisen, Prodromos, Manuel
Phil es u. a. Die für wahre Kunst immer verhängnisvolle Wirkung des
Nachleierns toter und nicht mehr verständlicher Formen hat sich auch
hier im vollen Masse bewährt. Nur ganz wenige dieser Kunstgedichte
verdienen den Namen Poesie. Mit Klängen, die in der lebendigen Sprache
keinen Widerhall mehr fanden, konnte niemand zum Herzen des Volkes
sprechen. Die Gefahr, welche hierin lag, wird von dem Historiker nicht
unterschätzt werden; hätte sich nicht zur rechten Stunde eine andere
Kunstform gefunden und eingebürgert, so wäre dem griechischen Volke
der Segen einer wahren religiösen Poesie für immer versagt geblieben.
Nur dieser neuen Form ist es zu verdanken, dass nun eine Litteratur-
gattung erstand, die an poetischem Gehalt, an Mannigfaltigkeit und Tiefe
den vorzüglichsten Teilen der alten Dichtung zur Seite gestellt werden
darf. Diese wirkungsreiche Kunstform, welche wie mit einem Zauber-
schlage das poetische Vermögen der Hellenen von neuem wachrief und der
verstummenden Zunge wiederum Laute von alter Kraft verlieh, ist die
rythmische Dichtung.
A. Rythmische Kirchendichtung.
160. Begriff und allgemeine Geschichte. Der lebendigen Sprache
war die feine Differenz der kurzen und langen Silben in der römischen
Zeit, wie die Buchstabenverwechselungen auf Inschriften und andere That-
sachen beweisen, abhanden gekommen. Der neue Vokalismus besass
weder lange noch kurze, sondern nur isochrone Vokale d. h. Vokale, die
alle mit derselben Zeitdauer gesprochen wurden. 2) Aus der alten musi-
kalischen Quantitätsprache war ein modernes Konversationsidiom ge-
worden, in welchem ein Wort wie avO^gomog als einfacher Daktylus klang.
Wer jetzt also nach der Quantität dichtete, gebrauchte eine tote Form,
die auf dem Papiere künstlich zugerichtet werden konnte, von dem Ohre
aber nicht mehr verstanden wurde. Erst als die christliche Poesie sich
von diesem unerträglichen Zwange losmachte und zum rythmischen
•) Vgl. Bouvy a. a. 0. 60 ff. ! für vergleich. Sprachforsch. N. F. X (1889)
'') Vgl. G.H atz idakis, Kuhns Zeitschr. , 3.57 ff.; auch Bouvy a. a. 0. 127 ff.
20*
1
308 Byzantinische Litteratnrgeschichte. II. Poetische Litteratur.
Versbau ihre Zuflucht nahm, begann sie wahrhaft zu leben. Das Prinzip
der neuen Form ist nicht Länge oder Kürze, sondern die Zahl der Sil-
ben und der Accent d. h. die Dinge, welche damals allein hörbar waren
und welche auch die Poesie der modernen Völker beherrschen. Keines-
wegs aber trat der Wortaccent einfach an die Stelle des früheren Vers-
accentes; die alten Versformen wurden vielmehr gänzlich beiseite ge-
schoben und dafür neue, ganz verschiedenartige Zeilen und Strophen
erfunden (Näheres s. §§ 174 ff.).
Nur in den Werken der rythmischen Form besitzt die christliche
Poesie bei den Griechen eine wahrhafte, von schwachen Versuchen rasch
zur Vollendung aufsteigende und endlich wieder sinkende innere Ent-
wickelung. Leider ist die Geschichte derselben noch wenig erforscht.
Wir erkennen zwar mit genügender Deutlichkeit, dass der ungeheuere uns
erhaltene Vorrat an Kirchenliedern eine nach und nach entstandene Schö-
pfung ist; wir bemerken bedeutende Unterschiede in den Formen, im poe-
tischen Gehalte, in der Darstellung und Auffassung; wir sehen, dass aus
unscheinbaren Quellen allmählich ein mächtiger, reichverzweigter Strom
anwächst, aber es ist gegenwärtig nicht möglich, den Lauf desselben in
seinen Verästelungen und Zuflüssen klar nachzuweisen. An einer genaueren
Feststellung der Geschichte dieser Litteraturgattung hindert vornehmlich
ihre Anonymität. Wenige Dichter sind nach ihrer Person, ihrer Zeit
und ihren Lebensverhältnissen näher bekannt; von vielen hören wir nichts
als die blossen Namen ; eine grosse Zahl und darunter manche der ältesten
Stücke sind völlig herrenlos überliefert. Wir können daher die Ent-
wickelungsgeschichte der griechischen Kirchendichtung vorerst nur in
allgemeinen Umrissen beschreiben. Mit genügender Sicherheit lassen sich
in derselben drei Hauptepochen unterscheiden, nämlich L die Zeit der
Vorbereitung, welche hauptsächlich durch kleine, zwischen die Psalmen
und andere Teile der hl. Schrift eingeschobene Stücke, durch Akklamationen
des Volkes und einige isolierte Gedichte von bekannten Verfassern be-
zeichnet wird, 2, die Blüteperiode, in welcher die umfangreichen, aus
20 — 30 und mehr Strophen bestehenden Hymnen zur Ausbildung und höch-
sten Vollendung gelangen, 3. eine Periode, welche mit der Entstehung
einer neuen architektonischen Form von Gedichten, den sogenannten Ka-
nones, anhebt. Diese Abteilung ist jedoch nicht so zu verstehen, als
ob die für jede Periode charakteristische Gattung in derselben ausschliess-
lich geherrscht hätte. Die Akklamationen und die kleinen Stücke,
welche die Signatur der ersten Periode bilden, dauern auch in der zweiten
und dritten fort; die Hymnen, das Kennzeichen der zweiten Periode,
werden auch in der dritten weitergepflegt.
1. Sammelausgabeii: Die ältesten Dnicke griechischer Kirchenlieder befinden
sich in den für den praktischen Gebrauch bestimmten liturgisclien Werken. Ks sind
namentlich folgende Venezianer Drucke: MijyttUt 1586 — 1596, oft wiederholt, zuletzt be-
arbeitet von Barthol. Kutlumusianos 1880. — Dazu in zahlreichen Ausgaben dei- '()xrw'»;/os',
das TQiiiidioy, UefxtjxoatÜQiof, 'iiQoköyioy, F.v}[oX6ytoy, ElQuoXöytov. Darnach gab eine
kleine Auswahl Vormbaum in Daniels Thesaurus hymnologicus, vol. III (Lipsiae 1846)
1 — 138 (die übrigen Bünde enthalten nur lattünische und syrische Lieder). — Für selb-
HtAndi^e Studien kann man die alten Drucke nicht ganz entbehren; sie enthalten aber
Uieibt unzuverlässige und stark verstümmelte 'I'exte, die für eine litterarische, philologische
1. Kirchenpoesie. A. Rythmische Kirchendichtung. (§ 161.) 309
und geschichtliche Betrachtung des Kirchenliedes nicht ausreichen. Diesem Behufe dienen
nur folgende vier Werke: J. P. Pitra, Hymnographie de l'eglise grecque, Rome 1867;
Hymnen auf den hl. Petrus. — W. Christ und M. Paranikas, Anthologia Graeca car-
mmum Christianorum, Lipsiae 1871: reiche Auswahl christlicher Poesien in chronologischer
Ordnung mit einer ausführlichen Einleitung über Geschichte und Form der Kirchendichtung. —
J. B. Pitra, Analecta sacra spicilegio Solesmensi parata, tom. I, Parisiis 1876; enthält
eine überraschend grosse Zahl früher gänzlich oder teilweise unbekannter Hymnen des
Romanos, Anastasios, Sergios, Kyriakos, Theodoros Studites u. a. — Archimandrit Am-
philochius (jetzt Bischof von Rostov), Kov^uxüqiov nach der griechischen Originalhand-
schrift der Moskauer Synodalbibliothek N. 437, zusammengestellt mit der ältesten slavischen
Uebersetzung, 2 voll., Moskau 1879 (Titel, Einleitung u. s. w. russ.). Der erste Band
bringt im grossen und ganzen dieselben Texte wie Pitra, dessen Ausgabe nur noch im
Nachtrage verwertet ist; der zweite Band (in kleinerem Formate) enthält Facsimileproben
in mangelhafter Ausführung. Der Textband dürfte durch den völligen Mangel an
Genauigkeit, Kritik und Methode in der ganzen philologischen Litteratur als
ein Unikum dastehen. Damit der skeptische Leser nicht glaube, mein Urteil sei vom
blassen Neide der Rivalität angekränkelt, bemerke ich nur, dass auf den 208 Seiten, welche
der Text (ohne den Anhang) umfasst, bei oberflächlichster Durchsicht 15000—20000
Fehler jeder Art aufstossen — was denn doch selbst bei der weitesten Ausdehnung der
Nachsicht, die man gegen eine editio princeps walten zu lassen geneigt ist, des
Schlechten etwas zu viel sein dürfte. Merkwürdigerweise ist die famose Leistung im
Buchhandel schon vergriffen und so schwer aufzutreiben wie ein Inkunabeldruck. — Dazu
kommt noch die kleine Publikation von J. Pomjalovskij, Zwei liturgische Koviüxia auf
Pergament, Petersburg 1884.
2. Hilfsmittel: Den Grund zur Erforschung der Form und Geschichte des griechi-
schen Kirchenliedes legten Pitra und Christ in den Prolegomena der oben genannten
Werke. — Ausserdem W. Christ. Ueber die Bedeutung von Hirmos, Troparion und Kanon
in der griechischen Poesie des Mittelalters, Sitzungsber. d. bayer. Akad. d. Wiss., phil.-hist.
Cl. 1870, Band II 7-5—108. — Zwei ausführliche Referate über den ganzen von Pitra und
Christ gebotenen Stoff gaben H. Stevenson, L'h^\-mnographie de l'eglise grecque, Revue
des que.stions historiques 11 (1876) 482 — 543 und L. Jacobi, Zur Geschichte des griechi-
-( hen Kirchenliedes, Zeitschrift für Kirchengeschichte herausgeg. von Th. Brieger 5 (1882)
177—250. — Ein Referat über das Referat von Stevenson ist der Aufsatz von D. Kupi-
toris, Bulletin de correspond. hellen. 2 (1878) 372—391, wo ohne Beweis die alte Idee
verteidigt wird, dass die rythmische Form aus der altgriechischen Poesie abzuleiten sei. —
Mehrere Fragen behandelt auch K. Sathas, 'larooixoy doxifiiov nsoi xov &sc'ctqov xtci rr^s
iioiaixr/g roiv BvC., Venedig 1878. — Hauptschrift: Wilh. Meyer (aus Speyer), Anfang
und L'rsprung der lateinischen und griechischen rvthmischen Dichtung, Abhandl. d. bayer.
Akad. d. Wiss. 1. CL. 17. Bd., 2. Abteüung, München 1885 S. 270—450. YgL die ziemlich
ungerechte Rezension von Dreves. Götting. Gel. Anzeigen 1886, 1, 284 — 293. — Nützlich,
besonders für die allgemeine Geschichte und Würdigvmg der griechischen Kirchenpoesie,
weniger für die Erkenntnis der metrischen Formen ist: Edm. Bouvy, Etüde sur les ori-
gines du rythme tonique dans Fhymnographie de l'eglise grecque, Nimes 1886. — Gegen
einen Teil der Ansichten von W. Meyer richten sich Karl Deutschmann, De poesis
Graecorvmi rhythmicae usu et origine, Progr. Coblenz 1889, und Maximilien Kawczynski,
Essai comparatif sur l'origine et l'histoire des rythmes, Paris 1889 S. 138 ff. — Für die
musikalische Seite s. die zu § 149 angeführte Litteratur.
Erste Periode,
161. Aelteste Kirctiengesänge. Die Gewohnheit, bei religiösen Zu-
sammenkünften Gott durch Gesang zu verherrlichen, übernahmen die Ckristen
von der Synagoge. Daher sind in den ersten Jahrhunderten ihre Kirchen-
gesänge mit denen der Juden fast identisch. Den wichtigsten Teil bildeten
die Psalmen ; dazu kommen noch einige andere Stücke des alten und neuen
Testaments, die Dankesworte Marias nach der Botschaft des Engels Gabriel,
die Weissagung des Zacharias und der Jubelhymnus des greisen Symeon.
Den sichersten Beweis für diese Thatsache gibt uns der dem 5, Jahrhundert
angehörige codex Alexandrinus; derselbe enthält nämlich nach der
griechischen Uebersetzunsc des alten Testaments ein kirchliches Gesang-
310 Byzantinische Litteraturgeschichte. II. Poetische Litteratnr.
buch, in welchem wir den erwähnten uralten Bestand der griechischen
Liturgie vorfinden. *) Das Volk beteiligte sich damals am Kirchengesange
wohl nur durch die Schlussakklamationen, das Alleluija, Amen, Hosanna,
Adonai, das oft wiederholte Kyrie eleison. In diesen Akklamationen
liegt der Keim eines wichtigen Bestandteiles des späteren Kirchenliedes:
aus ihnen entstand der Nachgesang oder das Ephymnion (s. § 177).
Bald hören wir auch schon von neuen Liedern der Christen; frei-
lich sind diese Nachrichten zum Teil so unbestimmt, dass wir nur schwer
ein deutliches Bild gewinnen können. Schon Plinius der Jüngere be-
richtet in einem Briefe (10, 96), dass die Christen vor Tagesanbruch sich
zu versammeln und Christo ein Lied zu singen (ante lucem convenire
carmenque Christo dicere) pflegten. Doch lässt sich bei der Unbestimmt-
heit des Ausdrucks und der mangelhaften Bekanntschaft des Plinius mit
christlichen Dingen nicht sicher genug ersehen, ob er damit wirkliche
Kirchengesänge meinte. Dafür haben wir aber von Origenes und Eu-
sebios völlig sichere Zeugnisse, dass die Christen Gott und seinen einge-
borenen Sohn in Hymnen besangen. 2) Besonders übten die Häretiker kirch-
lichen Gesang und kirchliche Dichtung, so Nepos in Aegypten, der syrische
Gnostiker Bardesanes und vor allen Arios. Ein Beweis hiefür ist auch
der merkwürdige alte Psalm der Naassener.^) Von der Vorliebe, mit
welcher das Volk solche Gesänge aufnahm, wird mehrfach berichtet, und
es ist nur natürlich, dass auch die Orthodoxen sich bemühten, dem reli-
giösen Bedürfnisse in dieser Weise entgegenzukommen. Die ältesten Ge-
sänge, von welchen wir genauere Kunde haben, sind Lieder am Morgen
und Abend, bei der Lichtanzündung und beim Frühstücke: vfivog fioO^irög,
fffTregirög, intXvxviog, fvxr/ eVr' ocQiairoA) Der berühmte Morgenhymnus:
Jö^a SV vipffTToig i>f/>) xal snl yfjg €iQr]vrj u. s. w. wurde auch in der abend-
ländischen Kirche bis ins Mittelalter hinein im griechischen Urtexte ge-
sungen. 5) Diese Stücke unterscheiden sich aber von den späteren Kirchen-
gesängen dadurch, dass sie fast noch ganz aus Worten der hl. Schrift
zusammengesetzt sind. Die ältesten selbständigen rythmischen Ge-
dichte stammen von Gregor von Nazianz; es ist sein Jungfrauenlicd
und sein Abendhymnus. '^) Wie Gregor, der Hauptvertreter der christlichen
Quantitätspoesie, dazu kam, sich auch in der neuen Form zu versuchen,
ist schwer zu erklären; doch scheint seine Autorschaft für diese zwei
Gedichte völlig gesichert. Sie bestehen aus Langzeilen von 14 — 16 Silben,
welche in zwei Halbzeilen von verschiedener Silbenzahl zerfallen; Quan-
tität und Tonfall ist durchaus freigegeben, nur muss die vorletzte Silbe
der zweiten Halbzeile betont sein. Zweifellos gehören also beide Stücke
') S. Christ, Anthol. I'rolegom. S. 20 f.; i the use of the (.treck languagp, writton pho-
63 f. j iictically, in the early service-books of the
') S. Christ, Anthol. Proleg. S. 21. j chiirch in Kngland etc., Archaeologia v. 46
») S&thm a.a.O. asX.Qft'xin; W.Meyer ' (London 1880-81) ;W)— 402 und K. Krum-
375 und Bouvy 364 flF. bacher, Rhein. Museum 39 (1884) 357 f.|
*) Ed. von Christ, Anthol. :^8 flF. Vgl. «) Ed. von Christ, Anthol. 29 ff. Kri-
.loh. Kayser, Beiträge zur (JeHchichto und ! tische Ausgabe von \V. Meyer a. a. 0. 400 flF.
Erklärung der ältesten Kirchcnhyninen S.30f. j Vgl. Haussen. Philolog. 44 (1885) 228—285;
*) Nachweise von VV. Chappoll, On 1 Meyer a. a. ü. 313 If.; Bouvy 133 flF.
1. Kirchenpoesie. A. Rythmische Kirchendichtung. (§ 162.) 311
zur rythmischen Dichtung. Eine höchst altertümliche Form zeigt auch
der anonyme Gesang auf das hl. Kreuz.')
Ueber die erste Periode des Kirchengesangs s. ausser den oben genannten Werken
von Pitra, Christ, Bouvy u. s. w. auch die ausführlichen Darlegungen von Job. Kayser,
Beiträge zur Geschichte und Erklärung der ältesten Kirchenhjmnen, Paderborn 1881 S. 15 — 51
^wo S. 48 statt Theophanes Damascenus Johannes D. zu schreiben ist). — Ad. Ebert,
Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters im Abendlande I- (1889) 172 — 184;
553 — 556. bespricht die Entwickelungsgeschichte der lateinischen Kirchendichtung und
die Hymnen des Ambrosius und Gregoriua des Grossen.
Zweite Periode.
162. Anfänge der Hymnendichtung. Die eigentliche Hymnendich-
tung beginnt wahrscheinlich im 5. .Jahrhundert; sie blühte besonders im
6. und 7. Jahrhundert. Ihre Anfänge sind ebenso in Dunkel gehüllt wie
die Anfänge des Kirchenliedes überhaupt. Wenn wir die kunstvoll aus-
geführten, grossartigen Gesänge eines Romanos und Sergios betrachten,
so drängt uns das historische Gefühl, die Vorstufen solcher Vollendung
aufzusuchen. Wir vermuten, dass eine Epoche tastender Versuche und
kleinerer Proben des dichterischen Vermögens vorausging. Hievon ist aber
wenig Sicheres bekannt. Vielleicht sind die Anfänge der reicheren Hymnen-
dichtung in den fast völlig verlorenen häretischen Dichtungen des
;'). — 5. Jahrhunderts, in den Werken eines Valentinus, Basilides, Bar-
desanes u. a. zu suchen;*) auch die rasch populär gewordene Thalia
des Arios und die gegen dieselbe von den Orthodoxen verfassten Ge-
dichte^) mögen namentlich wegen ihres dramatischen Charakters mit der
Hymnographie, die ja auch in ihren frühesten und besten Vertretern
durch dramatische Bewegung ausgezeichnet ist, in Zusammenhang gebracht
werden.
Sehr bemerkenswert sind einige Xachrichten, welche uns zeigen, dass
im 5. und 6. Jahrhundert bezüglich des Kirchengesanges eine konser-
vative und eine fortschrittliche Partei gegen einander standen. Die
Klöster der strengsten Observanz in Aegypten verpönten das Singen der
neuen Lieder als einen dem Seelenheil gefährlichen Luxus; dagegen wui'de
in Kappadokien der Kirchengesang auch in Klöstern geübt, von den Welt-
priestern wohl allenthalben; insbesondere wird die Sitte von Alexandria
bezeugt.^) Von hier und anderen grossen Zentren des Hellenismus ver-
breitete sich die Sitte des Kirchengesanges und wurde überall freudig auf-
genommen. Er bot dem Volke einen erbaulichen Ersatz für das Theater
und den Mimus, und als sich die Menge in den nunmehr staatlich unter-
stützten Kirchen mehrte, nahm die Ausbildung des liturgischen Dramas
einen schnellen Verlauf. Als die ältesten Hymnendichter gelten Anthimos
und Timokles, die nach dem glaubwürdigen, auch bei Theophanes wieder-
holten Zeugnisse des Theodoros Lector um 457 blühten. 5)
') Ed. von Pitra, Anal. Sacra I 481 und 1 bei Christ, Antholog. Proleg. 29 f.
von W. Meyer a. a. 0. 410 f. I *) 'ExXoyid and Trjg ixx'ATjaiaatixrji; laro-
*) S. Pitra, Hymnographie S. 41. giag ed. J. A. Gramer, Anecd. Gr. Paris.
») Vgl. S. 297. I U (1839) 104. — Theophanes ed. Bonn.
*) Die hierauf bezüglichen Erzählungen ; I 177 = ed. De Boor I 114.
312 Byzantinische Litteraturgeschichte. II. Poetische Litteratar.
Andere Meloden, die im 5. Jahrhundert genannt werden, sind Mar-
kianos, Johannes monachos, Seta und besonders Auxentios. Einen
Hymnus des letzteren besitzen wir in seiner von seinem jüngeren Zeit-
genossen Georg verfassten Biographie. *) Dass wir sonst keine Hymnen
aus dem fünften Jahrhundert kennen, hat seinen Grund wohl in der Ano-
nymität der Ueberheferung. Das Meiste mag verloren gegangen sein;
aber manche dieser Inkunabeln der Kirchendichtung gehen wohl unerkannt
unter den zahlreichen grösseren und kleineren Stücken, die herrenlos über-
liefert sind. Zur vollen Blüte gelangte der Hymnus im 6. Jahrhundert.
Durch gute und alte Zeugnisse wird Kaiser Justinian (527 — 565) als
Verfasser des Hymnus: 'O pLoroyevric vioq xal Xoyoq tov ^eov erwiesen. *)
Um dieselbe Zeit blühten wohl auch die Meloden Anastasios, Kyria-
kos') und vor allem der grösste Vertreter dieser Gattung, Romanos.
163. Romanos, mit dem Beinamen 6 f.ieX(o66g, ist der grösste Dich-
ter des byzantinischen Zeitalters; er hat dem religiösen Hymnus den
feierlichsten und erhabensten Charakter aufgedrückt. Von den Lebens-
umständen des „Pindar der rythmischen Poesie", wie ihn Bouvy nennt,
erfahren wir fast nur durch eine alte Legende, welche in den Menäen an
seinem Festtage, dem 1. Oktober, eingereiht ist: 'O oaiog '^Putfxavoq vnfjQxe
/ttr ano ^vgi'ac, Siäxoroq xvyxävMV trjg ev Br^Qvtfo dyiccg fxxXr^aing . Kata-
kaßwv St Tijv KonaiccvTivoimoXiv fm twv xqövwv Avaaiaaiov lov ßctai-
Xf'iog, anfjX^e xal xarefievsv ev xff vao) tfjg vTisgayiag Gsoröxov eig rd Kvqov,
OTiov xal To %äQ(ai.itt xwv xovxccxi'wv iöel^axo . 'Ev ei'Xaßfict ydg Siäyiov xal
diavvxxeQevMv xal Xixavevwv fv xfi navvvxiSi x(ov BXaxfQi'iöv, vJxtaxQffje
näXiv eig xd Kvqov . 'Ev [ni^ Si xmv vvxiwv, xoi^no(ihv(ii avto) itfdvrj xad-'
VTTVovg i] VJTfQayia Seoxöxog, xal drckdwxe xöi-iov x^(>fo" ^«' ^i^^ ' -^dßs tov
Xdqxr^v xal xaidtfays avxöv . 'Evöfuafv ovv 6 ayiog drol^ai zo axäfia xal
xaxanutv rov x^Q'^W • '^^ <^* V ^^Q^^J ^*"*' dymv Xgtffxovytvvwv • xal
fvO^tiog eyfQO^flg ex xov vttvov sO^av^ia^e xal eSö^a^f xor ^föv . Ena dvaßdg
t-ig xov ixußuna, t^Q^axo xov ipdXXfiv ■ 'H naqO-tvog af'jfifQov xov vnirQovaiov
xi'xxfi . üoir^aag Ja xal Htqmv eoqxwv xorxdxia, oJg negl xd X''^'^» ngog
KvQiov e'^edrjij,r^(jevJ) Darnach wurde Romanos in Syrien geboren, war in
Berytus Diakon und kam unter Kaiser Anastasios nach Konstantinopel,
wo er durch einen wunderbaren Traum die Gabe der Hymnendichtung er-
hielt. Den einzigen positiven Anhaltspunkt für die Zeitbestimmung ge-
währt somit der Name Anastasios. Leider wird nicht angegeben, ob
darunter Anastasios I (491 — 518) oder Anastasios H (713 — 716) zu verstehen
ist. Pitra und Stevenson entscheiden sich für den ersten, Christ und
mit einer Modifikation auch Jacob i'') für den jüngeren Anastasios; Bouvy
') Migne, Patrol. Graeca 114, 1416. S.
Pitra, Anal. Sacra I Proleg. S. 23; Bouvy
a. a. 0. 230—234.
'•') Christ, Anthol. Proleg. S. 32.
gennetos (cod. V^atic. 161H) ed. von Pitra
in der zum Papstjubiläuin veranstalteten Aus-
gabe von drei Hymnen des Konuuios. S. die
Litteraturangabo S. 318.
*) S. Pitra, Anal. Sacra I Prologom. \ *) A. a. O. 206 f. Jacobi meint, dass
S. 32 f. und .lacobi a. a. O. 202. Romanos vielleiebt noeb unter Anastasios II
*) Facsimilo der Legende mit einem (ieistlicber an der IMacbernenkirclu' gewesen,
schönen Miniatur})ilde aus dem herrlichen jedocli selion viel früher nach Konstantinopol
Menologion des Kaisers Konstantin Porphyro- gekommen sei.
1. Eirchenpoesie. A. Rythmische Kirchendichtung. (§ 163.) 313
spricht sich nicht entschieden aus und meint, nach der allgemeinen Ge-
schichte der Hymnendichtung möchte man den Romanos am liebsten etwa
in der Mitte des Zeitraumes zwischen beiden Kaisern ansetzen. Neuer-
dings hat Deutschmann zur Lösung der Schwierigkeit auf einen wahr-
scheinlich dem 6. Jahrhundert angehörigen lateinischen Hymnus hinge-
wiesen, welcher einem Gedichte des Romanos nachgeahmt sei;^ darnach
käme man mit Sicherheit auf den älteren Anastasios. Doch scheint weder
die Chronologie des lateinischen Hymnus noch die direkte Nachahmung des
Romanos so fest zu stehen, dass sich auf dieser Grundlage allein die
Frage entscheiden Hesse.
Es finden sich aber noch weitere Argumente. Dass der jüngere
Anastasios nicht genug bekannt ist und zu kurz (eigentlich nur 1 '/a Jahre)
regierte, um zur Bezeichnung der Lebenszeit eines Autors verwendet zu
werden, will wenig besagen; aber vielleicht spricht gerade der Umstand,
dass Anastasios schlechthin genannt ist, dafür, dass in der Zeit, als
das Original unserer Legende abgefasst wurde, ein zweiter Anastasios noch
gar nicht existierte. Wichtiger noch ist die Thatsache, dass Anastasios H
von Theophanes und Georgios, die hierin gewiss der populären Ge-
wohnheit folgten, regelmässig mit seinem früheren Namen Artemios ge-
nannt wird. 2) A^on dem Verfasser der Legende, der sicher ein Mönch war
und die in den Klöstern beliebten Chroniken des Theophanes und Georgios
wohl kennen musste, Hesse sich dann Gleiches oder wenigstens eine Be-
zeichnung durch beide Namen erwarten. Ferner darf nicht übersehen
werden, dass die Legende, an deren Glaubwürdigkeit wir festhalten müssen,
wenn wir nicht allen Boden verlieren wollen, die Regierung des Anastasios
nicht etwa als die Blüte- oder Sterbezeit des Romanos erwähnt, sondern
ausdrücklich sagt, dass er damals nach Konstantinopel kam und die Gabe
der Hymnendichtung empfing. Romanos war also unter Anastasios noch
jung und begann erst seine dichterische Thätigkeit. Wenn wir nun seine
Ankunft in Konstantinopel ans Ende der Regierung Anastasios I setzen
und für den Dichter eine so lange Lebensdauer annehmen, wie sie bei der
Menge seiner Werke wahrscheinlich ist, 3) so füllt seine Blütezeit leicht die
erste Hälfte des 6. Jahrhunderts, ja er kann den Justinian noch überlebt
haben. In dieser Zeit aber war die Form des Hymnus, wie das oben er-
wähnte Werk des Kaisers Justinian selbst beweist, schon völlig ausge-
bildet. Halten wir dagegen am zweiten Anastasios fest, so müsste sich
die Blüte des Romanos tief ins 8. Jahrhundert hinein, in die Zeit eines
Kosmas und Johannes von Damaskos, erstrecken, was aus verschie-
denen inneren Gründen unwahrscheinlich ist.
Es wurde bemerkt, dass der Mangel an Nachrichten über einen so
') De poesis Graecorum rhythmicae usu u. s. w.; im weiteren Text ebenfalls stets
et origine S. 22. ', Artemios.
*) Theophanes ed. Bonn. I 588, 4 (ed. ') Die 1000 xoktkxj«, welche der Legen-
DeBoorl^S^): iaTf'qiffTj 'jQTf'utog 6 TtQWTo- dar angibt, mögen eine sehr runde Summe'
fcoTjXQTJng, nfToi'o^aadiig 'Jiicatäaiog. Im sein; wenn wir aber trotz der grossen Ver-
Folgenden heis.st er aber stets Artemios. — luste noch gegen 80 Hymnen besitzen, so
'ieorgios Monachos ed. Muralt S. 626: linoi- ergibt sich schon daraus eine litt^rarische
/et« 'JqtsuIov. Merd di 4'i).in7itx6y ißtt- Thätigkeit, für welche eine lange Lebens-
ai'Aevasy 'jQXifAiog 6 xiü 'Jyaaiäaiog htj ß' dauer notwendig vorauszusetzen ist.
314 Byzantinische Litteraturgeschichte. II. Poetische Litteratnr.
grossen Dichter aus einer Zeit, über die wir sonst genau unterrichtet sind,
befremden müsse; aber dieser Mangel ist auffallend an sich und wäre es
noch mehr, wenn man den Romanos zum Zeitgenossen des Johannes von
Damaskos machen wollte. Denn über die kirchlichen Persönlichkeiten des
8. und 9, Jahrhunderts haben wir infolge der grossen Umständlichkeit,
mit welcher die ganze Zeit des Bildersturmes von späteren Chronisten,
Biographen und Historikern geschildert wird, genauere Nachrichten als
über manche bedeutende Kleriker der zwei vorhergehenden Jahrhunderte,
in welchen das Leben der Kirche ein friedlicheres war. Sicher hätte Ro-
manos, wie sich aus seiner gesamten Geistesart und seinem Fortleben als
Heiliger der orthodoxen Kirche schliessen lässt, sich der Partei der
Bilderverehrer angeschlossen,') und dann wäre das Schweigen der Chro-
nisten über ihn undenkbar. Uebrigens hängt der Mangel an biographischen
Nachrichten wohl auch damit zusammen, dass Romanos wie fast die
ganze Hymnenlitteratur des 6. und 7. Jahrhunderts später teils durch
Johannes von Damaskos und Kosmas, teils durch die Hymnographen des
9. Jahrhunderts stark in den Hintergrund gedrängt wurde.
Des weiteren ist folgende Thatsache zu erwägen. Der schöne Hym-
nus des Romanos auf Joseph von Aegypten trägt den Hirmusvermerk
llQog To 'AyyeXog TiQoyroavtttrjg. So beginnt (nach dem Proömion) der Aka-
thistos des Sergios. Liesse sich beweisen, dass Romanos dieses Werk
wirklich vor sich hatte, so könnte er nicht in das 6. Jahrhundert gesetzt
werden. Allein das Verhältnis beider Hymnen ist sehr dunkel; die Ueber-
einstimmung ist eine so schwankende, dass wohl vielmehr an eine gemein-
same ältere Vorlage zu denken ist. Besonders muss es auffallen, dass
das charakteristische Xaiqe im Akathistos, mit welchem in den übrigen
Gedichten dieses Tones die letzten Zeilen der Strophe anfangen, bei Ro-
manos durch beliebige Wörter ersetzt ist, so dass die erste Silbe dieser
Zeilen oft tonlos ist. „Es scheint undenkbar, dass Romanos das Gedicht
des Sergios mit dem alle architektonischen Glieder so scharf kennzeichnen-
den und deshalb von den übrigen Dichtern festgehaltenen Worte xcxTqs
gekannt und dennoch in seiner Nachbildung diese signifikante Versstelle
so gänzlich beiseite geschoben habe." 2) Ebenso undenkbar aber ist es,
dass dem Romanos, wenn er im 8. Jahrhundert gelebt hätte, gerade das
berühmteste aller Kirchenlieder unbekannt geblieben wäre.
Ein dogmatisches Moment möge nicht unerwähnt bleiben. Die
Marienverehruhg spielt in den Hymnen der späteren Jahrhunderte eine
stets zunehmende Rolle. Orestes z. B. erbittet von ihr Vergebung der
Sünden, Kraft der Heiligung u. s. w. Wenn wir nun in dieser Hinsicht
den Romanos mit Sergios vergleichen, so bemerken wir bei dem letzteren
eine Steigerung, die sich mit der späteren Datierung des Romanos schwer
vereinbaren liesse. „Romanos besingt Maria nicht mit der Ueberschwäng-
. lichkeit und der verschwenderischen Fülle von Prädikaten, wie Sergios,
welcher durch Bezeichnungen wie : Herstellerin der Versöhnung, Vergebung
der Sünden, sie bereits nahe an die Würde Christi heranrückt." 3)
') S. Jacobi a. a. O. 205. 1 Anal. Sacra I S. 68 Ann».
•) W. Meyer a. a. 0. 344. Vgl. Pitra, | ») Jacobi a. a. 0. 247.
1. Kirchenpoesie. Ä. Rythmische Eirchendichtang. (§ 163.) 315
Für die frühere Datierung spricht auch die Legendenhaftigkeit
des oben erwähnten Berichtes über Romanos, die sich schwer erklären
Hesse, wenn er dem 8. Jahrhundert, d. h. einer der Abfassung der bio-
graphischen Notiz naheliegenden Zeit angehörte. Die Tradition, dass
Romanos die Gabe des Hyranengesanges durch ein Wunder erhielt, zeigt,
dass man seine dichterische Thätigkeit als etwas besonders Merkwürdiges
betrachtete; das ist wohl verständlich für die erste Periode der Hymnen-
poesie, nicht aber für das 8. Jahrhundert, in welchem zahlreiche Kirchen-
dichter blühten.
Als letztes Argument für die ältere Datierung diene eine Stelle, in
welcher Romanos augenscheinlich imitiert ist. Andreas von Kreta, der
ungefähr von 650—720 lebte,*) hat in zwei Strophen seines „grossen
Kanon" das Proömion eines Hymnus des Romanos vor Augen gehabt.
Die Worte des Andreas lauten:
^Eyyi^ei, '/'*'/'?? ^^ reXog, [ iyyiCsi xal ov tfqovri^eig,
ovj( itoifitt^ri '
6 xatQog avvtiuvei, ^lavt'caxrj&i '
iyyvg inl &vgctig 6 XQitiqg iativ '
tos ofccQ, (ög uyd^og 6 -/qövog \ xov ßiov rge^^si '
xi fidxrjf xctQaxTÖue^a :
' AvävTj\f)ov, CO xpv^T] fiov, j xag noä^sig aov, ag ei^ytcato,
apctXoyiCov.
xcci ravxaig in' oxpeai riQcxJccyaye etc.^)
Zum Vorbild diente offenbar das schöne Proömion des Romanos:')
Wv/rj fiov, ^iv/rj fiov. | äväaxn, xi xcc&ei'ifeig ;
x6 xekog iyyjC^i | xcu fj.sXkeig ^oQvßsTadai '
(ifdyr^ipof oiV, | i'va fpe'iarjxa'i aov Xgiaxog 6 &e6g,
6 Tiavtfc^ov Ttagioy \ xal xcc nütna nXrjgdöv.
Der Nachahmer hat den Gedanken seiner Vorlage in zwei wortreiche
Strophen auseinander gezogen, aber das Gold seines Musters schimmert
noch so deutlich durch, dass diese zwei Strophen zum Besten des ganzen
„grossen Kanon" gehören, weshalb sie auch von Jacobi a. a. 0. besonders
hervorgehoben worden sind.
Wenn, wie Jacobi^) mit Recht bemerkt, zwischen den unsicheren
Leistungen des 4. und 5. Jahrhunderts, von welchen wir Kenntnis haben,
und der sicheren Technik zur Zeit des Sergios ein ausserordentlich grosser
Abstand bemerkt wird und es unzw^eifelhaft scheint, dass in dieser Zwischen-
zeit die Ausbildung der kirchlichen Poesie bis zur Blüte gelangte, und das
Jahrhundert des Justinian einen Hauptanteil daranhat, so ist es eben
Romanos, der diese Lücke in der historischen Entwickelung des Hymnus
in völlig genügender Weise auszufüllen vermag. Dass ein so grossartiger
Dichter fast im Anfange der Hymnenlitteratur auftritt, wird nicht auf-
fallen, wenn man sich erinnert, dass an der Spitze der griechischen Litte-
ratur ein Homer, im Eingange der italienischen ein Dante steht. Auch
ist schon erwähnt, das Romanos viel weniger isoliert erschiene, wenn uns
die Werke aller seiner Vorgänger bekannt wären. Wir hoffen, mit Hilfe
des unerwartet reichen Materials, das die zwei Handschriften von Patmos
>) S. Jacobi a. a. 0. 208 f. und 223. Anthol. S. 90.
*) Christ, Anthol. S. 150. *) A. a. 0. 202.
') Cod. Patm. 213 fol. 42^ und Christ,
316 Byzantinische Litteraturgeschichte. II. Poetische Litteratur.
für Romanos gewähren, die chronologische Frage noch genauer prüfen und
endgiltig lösen zu können.
Ausser in der genannten Legende wird Romanos noch in einem dem
hl. Germanos (8. Jahrhundert) zugeschriebenen Idiomeion ') erwähnt und
als Begründer der Hymnographie gefeiert:
nQüirt] y.nku)f (tnaQX^
'Vwfxave, näreQ ^foHv •
uyysXixijy yuQ vfH'i^6U(v avarr^aüineyos,
In einem anderen Hymnus hat er das ehrende Beiwort IteoQQi'iTWQ. Unter
den Profanschriftstellern nennt den Romanos nur Suidas s. v. araxAw/ifiov:
tÖ anr^xovueiov. 'Qg e/tl lov xvQiov 'Po)iiavov xov iieXMdov. 2v ydq vnägxfig
t6 (f(ög t6 ariQoatzovJ) Für die Kommentatoren der religiösen Poesie
Zonaras, Prodromos und Gregorios von Korinth scheint Romanos
nicht existiert zu haben. Die Männer nach ihrem Herzen waren Gregor
von Nazianz, Johannes von Damaskos und Kosmas; bei ihnen bot sich
mehr Stoff für die Ausbreitung schulmässiger Gelehrsamkeit als in der
grossartigen und doch volkstümlich einfachen Poesie des Romanos.
So spärlich nun auch die Nachrichten über das Leben des Romanos
bleiben, so sicher ist es, dass er an poetischer Begabung, an Feuer der
Begeisterung, an Tiefe der Empfindung und Erhabenheit der Sprache alle
anderen Meloden weit übertrifft. Die Litteraturgeschichte der Zukunft wird
vielleicht den Romanos als den grössten Kirchendichter aller Zeiten
feiern. Ohne Zweifel bezeichnet er die interessanteste Phase in der Geschichte
der griechischen Hymnenpoesie, und in ihm erscheint diese Gattung
in ihrer höchsten Vollendung. Nicht überall freilich erhält sich Romanos
auf gleicher Höhe; eine objektive Betrachtung wird zugeben, dass er zu-
weilen trocken und breit wird. Doch hängt das wesentlich mit der
Sprödigkeit der Stoffe, an die er gebunden war, zusammen ; es ist schwer,
auf jeden Heiligen und jedes Fest des langen Kirchenjahres einen schönen,
in den Gedanken originalen, in der Komposition und Ausführung vollendeten
Gesang zu dichten. Immerhin weiss sich Romanos auch in seinen
schwächeren Werken von dem pomphaften Schwulste, den bauschigen, oft
unreinen Metaphern, der gespreizten und frostigen Reflexion der Hymno-
graphen des 8. — 11. Jahrhunderts fernzuhalten. Auch die rhetorische
Breite, die unvermeidliche Krankheit aller byzantinischen Geistesäusse-
rungen, wird uns bei Romanos nicht erspart; zum Teil entspringt sie aus
der Form seiner Hymnen selbst, welche die Ausfüllung von 24 oder
mehr Strophen erheischte. Wenn wir diese aus der Zeit und der littera-
rischen Umgebung des Dichters verständlichen Schattenseiten anerkennen,
dürfen wir seinen grossen Vorzügen um so rückhaltloser gerecht werden.
Was uns immer aufs neue zu Romanos zurückkehren lässt, was selbst
') Nur im cod. MoHquonsis 4H7. Im
Corsiii. und Taurin. fehlen diese Stücke und
leider sind auch in den patmischen Hand- •') Kd. Ucrnhnrdy I, 1, 334. Ueber die
Bchriften die auf den 1. Oktober, den Fest
tag des liomanos, bezüglichen Blätter aus
f;efallen. S. I'itra. Anal. iSacra 1 Troleg.
S. 2(5 und 2!» »f.
Hedeutung von ayaxXwfieyov s. § 177.
1. Eirchenpoesie. A. Rythmische Eirchendichtnng. (§ 163.) 317
seinen langwierigsten Hymnen einen unzerstörbaren Reiz verleiht und auch
mit den undankbarsten seiner Stoffe aussöhnt, ist die glänzende drama-
tische Steigerung, die kein Melode so meisterhaft wie er begriffen
und durchgeführt hat. Dazu kommen andere Vorzüge, die bei keinem
zweiten Dichter der byzantinischen Zeit in gleichem Grade wiederkehren,
ein nie versiegender Reichtum an Ideen, eine oft unübertreffliche Plastik
des Ausdrucks, eine volle und kernige Sprache, die sich meist ebenso
glücklich vom geschraubten Pompe als von populärer Trivialität fernhält,
alles veredelt und in die feinste Beleuchtung gehoben durch das mannig-
faltige und kunstvolle rythmische Gefüge. Der Reichtum der Vorwürfe,
welche Romanos umfasst, ist unerschöpflich; wir finden bei ihm auch
seltene und sonst nicht vorkommende Themen wie ein Gedicht voll lebendiger
Leidenschaft gegen den Verräter Judas. Nicht minder behandelt Romanos
die üblichsten Objekte, wie das Weihnachtsfest, die hl. Jungfrau am
Kreuze, das letzte Gericht u. s. w. mit unverkennbarer Originalität. Leider
ist es unmöglich, hier auch nur einen Teil der Gedichte im einzelnen zu
betrachten und ihren Charakter durch Proben zu veranschaulichen. Da es
sich jedoch um die gerechte Würdigung eines der grössten, aber ver-
borgensten Dichter, ja geradezu um die erste Einführung desselben
in die griechische Litteraturgeschichte handelt, mag wenigstens noch
ein zusammenfassendes LMeil folgen, das ein feinsinniger Kritiker *) dem
Romanos widmet: „S. Romanus est le premier des Melodes par le genie
poetique. Ses oeuvres representent l'hymne liturgique, ou plutöt le drame
religieux, dans sa perfection. Qu'on imagine le chretien en priere, le
meine en oraison, le Saint en extase : sous ses regards passent tour ä tour
les grandes figures des deux Testaments; il voit les patriarches et les
prophetes, il les entend et medite leurs paroles; il contemple le Sauveur
des hommes et sa Mere, les apötres et les martyrs: il assiste en temoin
attentif et enthousiaste ä tous ces evenements du passe, dont Dieu lui-
meme est le heros. Cette contemplation du monde surnaturel surexcite
ses puissances, et son esprit aussi bien que son coeur. II s'epanche en
adorations, en louanges. en actions de gräces. Si vous donnez ä ce con-
templatif, pour Interpreter ce qu'il a vu et entendu, des rythmes souples,
harmonieux, populaires, et, pour nourrir le feu sacre de son genie, l'incom-
parable auditoire des basiliques orientales; si votre imagination peut se
representer un tel home, non point dans Athenes, ni meme ä Constan-
tinople au temps de S. Gregoire et de S. Chrysostome, mais ä Byzance,
dans la vraie Byzance des Byzantins, si vous le voyez monter ä l'ambon
de Sainte-Sophie dans la nuit de Xoel, apres un sommeil miraculeux, et
si vous entendez le prelude de son grand cantique:
'H naQ&ifog atjusQoy
toy vnsQovaioy rixxsi
xrei 7J yrj ro antjXaioy
raJ ÜTJQoaixtü TiQoaäytc
n'ädmirez pas encore, attendez la fin, laissez se derouler la majestueuse
Serie des vingt-cinq tropaires. Ne jugez pas meme d'apres un seul can-
>) E. Bouvy a. a. 0. S. 367.
318 Byzantinische Litteratnrgeschichte. H. Poetische Litteratur.
tique, suivez le Melode dans toutes les phases du cycle sacre, depuis la
fete d'Etienne le premier martyr jusqu'aux solennites de Päques, de
l'Ascension et de la Pentecöte, et vous concluerez peut-etre que le christia-
nisme ne doit envier a Tantiquite aucun de ses poetes lyriques." Ebenso
nennt Pitra den Romanos „veterum melodorum princeps", womit auch
die Urteile von Christ, Stevenson und W. Meyer übereinstimmen. Nur
dem Geschmacke der späteren Byzantiner wollte die ernste Grossartigkeit
des Romanos nicht zusagen ; wenigstens wurden seine Werke in den litur-
gischen Büchern durch die Hymnographen des 8. und 9. Jahrhunderts ver-
drängt; von den meisten blieben nur wenige Strophen übrig. Dauerndes
Ansehen behauptete der berühmte Weihnachtshymnus; bis ins 12. Jahr-
hundert wurde er alljährlich zu Weihnachten von einem doppelten Chore
der Hagia Sophia und der Kirche der hl. Apostel (den ayioaoifirai und
dnoatoXhai) bei der feierlichen Hoftafel aufgeführt. ^)
Ausgaben und Hilfsmittel: 29 Gedichte ed. Pitra, Analecta Sacra I 1 — 241. —
3 weitere Stücke in: Sanctus Romanus veterum melodorum princeps. Cantica sacra ex
eodd. mss. monasterii S. Joannis in insula Patmo primam in lucem ed. J. B. Pitra, Anno
Jubilaei Pontificii (1888). — Vollständige Ausgabe des Romanos auf Grund des ganzen
Handschriftenmaterials, besonders der patmischen Codices, in Vorbereitung von K. Krum-
b ach er. — Vgl. Pitra, Hvmnographie S. 47 ff. und Analecta Sacra I Proleg. S. 25 ff. —
Jacobi a. a. 0. S. 220 ff. — Bouvy a. a. 0. S. 367-375.
164. Sergios und Sophronios. Aus dem Ende des 6. und aus dem
7. Jahrhundert haben wir nur wenige chronologisch sicher bestimmbare
Hymnen. Zu diesen gehört vor allem das gefeiertste Lied der griechischen
Kirche, der Akathistos des Patriarchen Sergios; er wurde nach einer
glaubwürdigen Nachricht im Jahre 626 verfasst, als die Hauptstadt von
den Avaren bedroht war. Der Name 'Axü^^kttoc, der durch den Gegensatz
der sogenannten xa^ia/iara verständlicher wird, deutet an, dass die Sänger
beim Vortrage dieses Gedichtes stehen blieben. Sergios ist in der Kirchen-
geschichte als Monothelet übel vermerkt;''^) trotzdem hat sein Werk bei
der orthodoxen Kirche Gnade gefunden, ja es ist sogar der einzige alte
Hymnus, der sich bis auf den heutigen Tag unverkürzt in den Menäen
erhalten hat.^) Sergios scheint auch sonst für die Ausbildung des griechi-
schen Ritus viel gesorgt zu haben; eine grosse Rolle als Urheber litur-
gischer Neuerungen spielt er in der Osterchronik (s. § 51). Die von einigen
vorgenommene Zuteilung des Akathistos an Georgios Pisides ist ganz
willkürlich. Der emsige Versmacher Manuel Philes verballhornte das
schöne Werk in jambische Trimeter.'*)
Um Sergios gruppieren sich einige andere, zum Teil nur dem Namen
nach bekannte Meloden wie Andreas Pyrrhos, Byzantios, Kyprianos.
Ein Zeitgenosse des Sergios, der im monotheletischen Streite einflussreiche
Sophronios, seit 629 Patriarch von Jerusalem, hat sich vorzugsweise der
') Pitra, Anal. S. Proleg. S. 21.
') S. J. vonHefele, Conciliengeschichte
Bd. III (Freiburg i. Br. 1877) 141 ff.
») Vgl. Stevenson a. a. 0. 485 f.;
Bouvy a. a. O. 206 ff. — Die grosse Popu-
larität des Hymnus bezeugt auch die merk-
würdige That«ache, dass aus seinen Anfangs-
wurt«n Tf, vniQ(jn'txt^ aTQartjyi^ sich durch ) Vgl. § 204.
Volksetymologie ein vulgärgrieohischer Nomi-
nativ tj IIeguä](My riji llfQftft/ioi gebildet
hat; s. Hatzidakis in der JubililuniHschrift
der UniversitÄt Athen (7« xaxd rijy ioQft]y
liji 7isytr]xoyTaerf]Qtdoi rov if^ytxov naveni-
aiijfiiov ^xdidöfAcya, 'A&riyrjat, 1888) S. 188.
<) M. Phil, carmina ed. E. Miller II 317 ff.
1. Eirclieiipoesie. A. Hythmisclie Eirchendichtnng. (§ 164 — 165.) 319
gelehrten Kunstdichtung gewidmet und ist hier ebenso gelehrt, empfindungs-
leer und trocken als in seinen aus rhetorischen Breiten und dogmatischen
Längen zusammengebauten Predigten. Von den rji;hmischen Gedichten,
die dem Sophronios zugeteilt werden, scheint sehr wenig gesichert.
1. Für den öflFentlichen Kultus sind von den Gedichten des Sophronios nur einige
Idiomela bestimmt; seine anakieontischen Oden sind kunstmässige Stücke wie die Gedichte
des S}Tiesios und offenbar nur für einen ausemählten Leserkreis berechnet. Ediert sind
die Anakreontika nebst einigen Prosastücken von A. Mai, Spicilegium Romanum IV (1840)
1 — 2'25. — Wiederholt bei Migne, Patrol. Graeca 87 (1860) 3, 373.3 ff. — Drei Nummern
auch bei Christ, Anthologia S. 43 ff.; dazu S. 96 f. einige Idiomela; s. »eine Proleg. S. 27 f.;
53. — M. Paranikas, lieber das angebliche Triodium des hl. Sophronios, Sitzungsber. d.
bayer. Ak. d. Wiss., phil.-hist. Gl. 1870. Bd. II 53—74. - Jacobi a. a. 0. 202 f. - Aus-
führliche Charakteristik des Sophronios nebst Emendationen bei Bouvy a. a. 0. 169 — 182. —
Prosawerke des Sophronios bei Migne, Patrol. Gr. 87, 3, 3115-3726. — Die inter-
essante Homilie, welche S. am Weihnachtstage des J. 634 hielt, ed. H. Usener, Rhein.
Mus. 41 (1886) 500 ff.; die Rede auf die Darstellung Jesu ed. H. Usener mit Emenda-
tionen zu den Gedichten und sprachlichen Bemerkungen, Progr. Bonn 1889.
2. Einen Kanon und einen HjTnnus eines wahrscheinlich dem 7. Jahrhundert ange-
hörenden Anastasios ed. J. B. Pitra, Juris ecclesiastici Graecorum historia et nionu-
menta, tom. II (Romae 1868) 280—287.
Dritte Periode.
165. Andreas von Kreta. In ein neues Stadium, das durch eine
Steigerung der Technik, keineswegs aber durch Zunahme der poetischen
Kraft ausgezeichnet ist, tritt die Kirchenpoesie mit der Ausbildung der
Kanon es. Als Erfinder derselben gilt Andreas, Erzbischof von Kreta
(ungef. 650—720). Andreas, der, weil er Sekretär des Patriarchen von
Jerusalem war, auch den Beinamen Hierosolymitanus führt, gehörte zu
den Bischöfen, welche zur Zeit des Philippikos Bardanes die Beschlüsse
dieses Kaisers und seiner Synode zur Herstellung des Monotheletismus und
gegen die sechste ökumenische Synode (680) guthiessen. Nach dem Sturze
des Philippikos (713) bekannte er sich zum Dyotheletismus. Dass er trotz
dieses Wankelmutes unter den Heiligen der Kirche verehrt wird, verdankt
er wohl dem Umstände, dass er unter Leo dem Isaurier für die Bilder
kämpfte.^) Sein Hauptwerk, der sogenannte Grosse Kanon (o .«*>«?
xaron), dessen Umfang sprichwörtlich wurde, zählt nicht weniger als
250 Strophen; es entspricht nämlich fast jedem Verse der alttestament-
lichen Oden eine Strophe.'^) Unter seinen Vorbildern ist Romanos (siehe
S. 315). Wo Andreas auf eigenen Füssen steht, erscheint er trocken, wort-
reich und mehr durch verstandesmässige Reflexion als durch innere Em-
pfindung und Begeisterung ausgezeichnet. Die endlose Breite, mit welcher
derselbe Gedanke in schlangenartigen Arabesken fortgesponnen wird, er-
müdet den gutwilligsten Hörer. Die häufige und fast zudringliche Definition
dogmatischer Lehrsätze wirkt kalt und schulmässig. In der mühsamen
Sorgfalt, mit welcher Andreas Antithesen, Wortspiele und Gleichnisse aus-
zuführen liebt, steht er der gekünstelten Poesie des Johannes Damas-
kenos und des Kosmas schon weit näher als der ungezwungenen Erhaben-
heit der früheren Meloden; dagegen besitzt er vor Johannes und Kosmas
den Vorzug einer einfachen und verständlichen Darstellung.
') Jacobi a. a. 0. 20S f. I S. 147 ff. der erste Abschnitt des grossen
*) Christ, Anthol. Proleg. S. 42; ebenda ' Kanon.
■
320 Byzantinische Litteratnrgeschichte. 11. Poetische Litteratar.
166. Johannes von Damaskus und Kosmas von Jerusalem sind
die bedeutendsten Vertreter der dritten Periode der Kirchendichtung. Ueber
das Leben des Johannes s. § 81. Kosmas erscheint mit ihm brüderlich
verbunden. Beide wurden gemeinschaftlich von einem älteren Kosmas aus
Sizilien, den der Vater des Johannes aus der arabischen Gefangenschaft
losgekauft hatte, unterrichtet. Mit Johannes begab sich auch Kosmas von
Damaskos nach Jerusalem und Hess sich mit ihm in das altberühmte
Kloster des hl. Sabas aufnehmen. Nachdem er viele Jahre hindurch
der Wissenschaft und der Kirchenpoesie gelebt hatte, wurde er 743 Bischof
von Maiuma in Phönizien.') Die Zeit seines Todes scheint nicht ermittelt.
Johannes gilt allgemein als Urheber des Oktoechos; doch ist neuer-
dings diese Ansicht bestritten und wahrscheinlich gemacht worden, dass
dieses berühmte liturgische Buch bedeutend älter ist und Johannes nicht
als sein Erfinder, sondern nur als sein Reformator gelten darf.*) Da-
gegen ist die litterargeschichtliche Stellung des Johannes und Kosmas
als der bedeutendsten Vertreter der Kanones gesichert. Als Dichter
steht Johannes wohl höher als Kosmas ; beide sind sich aber im Grundtone
sehr ähnlich. Vorbildlich ist ihnen die gewählte Poesie eines Gregor von
Nazianz, dessen Gedichte Kosmas auch durch Kommentare erläuterte.
Zur Einfachheit des Romanos und seiner Schule stehen sie in einem noch
deutlicheren Gegensatze als ihr Vorgänger Andreas von Kreta. Möglichst
grosse Feinheit, Mannigfaltigkeit und Künstlichkeit des Aufbaues gilt ihnen
wichtiger als Wärme der Empfindung und Klarheit des Ausdrucks. Johannes
gefällt sich geradezu in den allerschwierigsten und mühevollsten Spielereien.
Statt sich mit der einfachen Strophenakrostichis der alten Meloden zu
begnügen, ordnet er die Anfangsbuchstaben der einzelnen Verse nach
einem Akrostichon, das selbst aus heroischen Distichen besteht. Durch
diese und ähnliche Kunststücke leidet natürlich auch die Verständlichkeit
der Darstellung; manche Stücke sind so dunkel wie altgriechische Clior-
lieder. Johannes ist der einzige Melode, der das Prinzip der Quantität
für die Kirchenpoesie wieder aufnahm. Er verfasste seine drei Kanones
auf Weihnachten, Epiphanie und Pfingsten in jambischen Trimetern;
doch sind dieselben mit einem für Johannes ganz bezeichnenden Aufwand
von silbenstechender Mühe so gebaut, dass auch die neue Technik ihr Recht
erhält, indem an bestimmten Versstellen regelmässig betonte Silben wieder-
kehren,^) Aehnlich überwiegt bei Kosmas gelehrte Sorgfalt und mystische
Theologie die dichterische Empfindung.
Dass trotzdem Kosmas und Johannes von den späteren Byzantinern
mehr als alle anderen Kirchendichter bewundert wurden, erklärt sich aus
der wachsenden Vorliebe dieses rätselhaften Geschlechtes für unnatürliche
Künstelei und grammatische Raritäten. Den besten Beweis für diese That-
sache gibt Suidas; die einzigen Meloden, die in seinem Lexikon vor-
kommen, sind Romanos, Johannes und Kosmas. Während er aber
') Deshalb wird er zuweilen auch Koafiüg | *) Sathas, 'latoQixoy doxifuov ne^i rot
6 Midovfuei genannt. Sein gewöhnlicher Bei- { >9f«rpow xai x^s ftoviixijf tcuV BvC. aeX.
niima'IfQoaoXv/jiTt]! oder 'JyionoXiitjs bezieht
sich auf seinen langjährigen Aufenthalt im
Kloster des hl. Sabas.
Qy»', eis.
») Christ, Anthol. Proleg. 46.
1. Kirchenpoesie. A. Rythmische Zirchendichtung. (§ 166—167.) 321
den Romanos nur bei der Erklärung eines technischen Ausdruckes ganz
beiläufig erwähnt (s. S. 316), spricht er (bzw. sein Gewährsmann) von
Johannes und Kosmas mit einer auffallenden Begeisterung. Nach einer
Aufzählung der Werke des Johannes lesen wir:*) avrr^xfxa^s J' avro) xai
Koci^iäg o fj 'leooaoXviiMV, uvi^o svifviararog xai nveon' novaixr^v oXwc n]v
evaQuöviov ot yovv aafiurixol xavöveg ^lojc'cvvov t€ xai KoCf-iä avyxgiaiv
ovx ide^avTo ovdt de^aivro av, fi^XQ'? ^ xa,^' ^'««? ßiog TifQuiwÜ^r^afrai.
„Die Liederkanones des Johannes und Kosmas waren über jeden Vergleich
erhaben und werden es bleiben bis ans Ende aller Tage" — ein volles
und rückhaltloses Urteil, das an die bekannte briefliche Aeusserung
Goethes über Wielands Oberon erinnert. Bei der Yergleichung beider
Meloden gehen übrigens die Urteile der Byzantiner auseinander; während
Suidas und ähnlich Kedrenos beide ziemlich gleichstellen, betrachtet
der Patriarch Johannes in seiner Biographie des Johannes Damaskenos den
Kosmas als weniger originell. Andere wiederum wie Prodromos haben
nicht genug Worte, um die Vorzüge des Kosmas, ro noXvtia^s'g, to ^isya-
Xoifvtg, TO ^fOTigentg, to naraouöriov zu preisen. In der Praxis fand
Johannes mehr Anklang; denn die späteren Dichter haben seine Strophen
sehr häufig, die des Kosmas nur selten als Vorbild benützt.
Hymnen und Kanones des Johannes ed. Migne, Patrol. Gr. 96 (1860) 818 — 856
und 1363—1408; des Kosmas ed. Migne, Patrol. Gr. 98 (1860) 4.56-524. — Proben von
beiden bei Christ, Anthol. 117 ff.; 161 ff. — Einige Kanones ed. recht ungenügend aus
einer Handschrift der herzoglichen Bibliothek zu Gotha L. Pertsch, Blätter für Hj-mno-
logie 1889 N. 2—4.
167. Nachblüte und Verfall. Noch zu Lebzeiten des Johannes und
Kosmas brach über die griechische Kirche das verheerende Ungewitter des
Bildersturmes herein^) und wirkte durch die Zerstörung von Kirchen,
Schulen und Bibliotheken, durch die Verfolgung der Altgläubigen und die
Unterbrechung der Tradition nachteilig auf die Erhaltung der alten Kirchen-
lieder. Andrerseits hatte diese heftige Bewegung auch eine heilsame
Reaktion und vor allem eine nachhaltige Steigerung des religiösen
Lebens zur Folge, welche auf die kirchliche Dichtung nicht minder be-
fruchtend wirkte als auf das zunächst bedrohte Gebiet der bildenden Kunst.
Wie die Miniaturmalerei gerade in dieser Zeit der wütenden Verfolgung
emporblühte, so erstand auf der blutigen Walstatt aus den grausam unter-
drückten, heldenmütigen Freunden der Bilder eine begeisterte Schar neuer
Meloden. Ihre Werke sind es hauptsächlich, welche in der griechischen
Liturgie bleibende Aufnahme fanden und die alten Lieder verdrängten.
Wahrscheinlich sind die grossen Hymnen des Romanos und seiner Schule
vornehmlich schon in dieser Zeit der Vergessenheit anheimgefallen.
Die neue Bewegung ging von Syrien und Italien aus und vereinigte
sich in Konstantinopel mit den dort heimischen Elementen. Dass in
') S. V. 'lüiüyyrji; ed. Bemhardy I 2
8. 1028.
*) F. C. Schlosser, Geschichte der
bilderstürmenden Kaiser, Frankfurt 1812. —
J. Marx, Der Bilderstreit, Trier 1839 (un-
bedeutend). — Fr. Gfrörer, Byzantinische
Geschichten II (Graz 1873) 460—478. —
Hauptschrift: J. von Hefele, Concüien-
geschichte lU (Freiburg 1877) 366 ff. —
Unzugänglich war mir G. Vasilievskij,
Die Gesetzgebung der Ikonoklasten, Journal
Min. Volksaufkl. 1878, Okt. 258 ff., Nov.
95 ff.; 1879 Jan. 161 ff.
Handbuch der Ums. AltcrtnmswiMenscbaft. IX. 1. Abtlg.
21
322
Byzantinische Litteratnrgeschichte. 11. Poetische Litteratur.
Syrien der Geist des Johannes und Kosmas kräftig weiter wirkte, ist leicht
verständlich; merkwürdiger Weise sind aber um dieselbe Zeit auch im
äussersten Westwinkel der byzantinischen Kulturwelt, in Sizilien und Unter-
italien, mehrere bedeutende Meloden erstanden. Gregor und Theodosios
von Syrakus eröffnen hier die Reihe. Aus Syrakus war auch Methodios
gebürtig, der später nach Konstantinopel kam; er ist der letzte Melode,
der nach dem Muster des Johannes Damaskenos einen zwölfsilbigen jam-
bischen Vers in den Kanones verwendete. Aus Sizilien stammt endlich
Joseph der Hymnograph; durch die Araber vertrieben, flüchtete er nach
dem Peloponnes, dann nach Thessalonike ; hier geriet er in die Skylla des
Bildersturmes und musste abermals fliehen ; auf der Fahrt nach Rom fiel
der vom Unheil seltsam verfolgte Mann in die Hände von Piraten, die ihn
nach Kreta brachten; endlich kam er nach Konstantinopel, wo er unter
Kaiserin Theodora (842 — 856) starb.
Der eigentliche Mittelpunkt der Kirchenpoesie wurde seit dem Anfang
des 9. Jahrhunderts das Kloster Studion') in Konstantinopel, Hier dichtete
Theodoros Studites (759 — 826), von dem zahlreiche Hymnen vorhanden
sind. Hier weilte der heldenmütige Theophanes o rgautög,^) der nach
der Beendigung des Bilderstreites durch die Synode von Konstantinopel
842 den erzbischöflichen Thron von Nikaea bestieg. Aus diesem Kreise
ging Joseph, der Bruder des Theodoros Studites, hervor, der später Bischof
von Thessalonike wurde und unter Theophilos den Marter tod starb. Hier
trafen sich auch Georg von Nikomedien, Metrophanes und Theo-
doros von Smyrna, die Studiten Antonios, Arsenios, Basilios,
Gabriel, Nikolaos u. a. Eine gemeinsame Eigenschaft dieser Dichter ist
schwülstige Breite, die, namentlich durch massenhafte neugebildete Bei-
wörter bezeichnet,^) häufig in leeres Wortgepränge ausartet. In dieser Zeit
werden auch gänzlich wertlose, poesieverlassene Machwerke häufiger; wir
finden Hymnen, die nichts anderes sind als trockene Paraphrasen ge-
schwätziger Prosalegenden. Die tiefste Stufe erreicht der geradezu läppische
Hymnus auf den hl. Euthymios, dessen Verfasser sich vorsichtiger Weise
in den Mantel ,der Anonymität hüllt (cod. Patm. 212 f. 166 ff.). Eine merk-
würdige Erscheinung in diesem allgemeinen poetischen Wettkampfe ist die
Dichterin Kasia [Kaaia, auch Kccaaia), die in einem sehr originellen Ge-
dichte eine Parallele zwischen dem Reiche Christi und dem römischen
Reiche zieht; Augustus habe der Vielherrschaft auf Erden ein Ende ge-
macht, Christi Menschwerdung habe die Vielgötterei gebrochen.*) Auch
in ihren übrigen Idiomela zeigt sie grosse Selbständigkeit und Tiefe der
Empfindung. Die vereinzelten poetischen Versuche des Patriarchen Photios,
der Kaiser Leo des Weisen und Konstantin Porphyrogennetos sind
') Dasselbe wurde 463 von einem Manne
namens Studios gegründet und spielt in
der fieschiclite der byzantinischen Kirche
eine wichtige Rollo.
'^) D. h. der „Gezeichnete"; er wurde
so benannt, weil ihm Kaiser Theophilos zur
8traf«' für seine freimütige Haltung im Bilder-
streit gottlose Jamben auf die Stirnu brennen
liess.
*) In einem Kanon des Theodoros
Studites findet man nicht woniger als 104
mit 7"wc, (ft'tog und verwandten Wörtern
zusammengesetzte Kpitheta.
*) Christ, Authol. S. 103 f. Vgl. J a-
cobi a. a. 0. S. 238.
1. Kirchenpoesie. A. Rythmische Kirchendichtung. (§ 167.) 323
schwach und wohl nur infolge der Stellung ihrer Verfasser der Nachwelt
erhalten worden.
Im 11. Jahrhundert ging die Blüte der Hymnendichtung zu Ende.
Die Frische des religiösen Sinnes war geschwunden, und die Pflege dog-
matischer Kontroversen, die jetzt durch den Gegensatz zur römischen
Kirche überreiche Nahrung erhielten und auch am kaiserlichen Hofe mit
wachsendem Eifer betrieben wurden, konnte die Unmittelbarkeit der
Begeisterung nicht ersetzen. Das bedeutendste Hindernis für eine weitere
Entwickelung der Kirchenpoesie lag aber in dem nun vollzogenen Ab-
schluss der Liturgie. Hiemit war dem Dichter die fi-uchtbarste An-
regung, die Hoffnung auf praktische Verwertung, d. h. auf Einführung
seiner Lieder in das kirchliche Repertoir fast vollständig geraubt. Etwas
länger als im byzantinischen Reiche selbst erhielt sich die Kirchendichtung
in Italien, Hier war das von Nilos dem Jüngeren im Jahre 1004 ge-
gründete Basilianerkloster Grotta-Ferrata bei Rom') eine Pflanzstätte
zahlreicher Hymnendichter, die noch im 12. Jahrhundert thätig waren. An
der Spitze steht der hl. Bartholomaeos, um den sich ein Arsenios,
Germanos, Joseph, Paulos, Prokopios u. a. scharen. Doch blieben
diese Nachzügler ohne Einfluss auf die byzantinische Liturgie.
Gleichsam zum Ersatz für den Niedergang der dichterischen Thätig-
keit wurde im 13. und 14. Jahrhundert wenigstens die musikalische
Seite weiter ausgebildet und das einfache Rezitativ zu einem reicheren
Koloraturgesang gesteigert. Die musikalischen Techniker erfanden dafür
auch eigene Namen, indem sie den einfachen Vortrag x^,u<x oder avirofiov
lu'Xog nannten und davon den gedehnten, koloraturreichen Gesang, bei dem
auf eine Silbe nur selten bloss eine, meistens zwei bis zehn Noten kamen,
als ccQYov nt'Xog unterschieden. 2) Aber nur selten fanden noch später-
hin neue Lieder Aufnahme in den stereotypen Bestand der liturgischen
Werke, in den Oktoechos, das Triodion und die Menäen. Im 14. Jahr-
hundert verfasste Nikephoros Xanthopulos, Sohn des Kallistos (s. § 39),
eine \4xoXovi^(u dg xr]v Osotöxov, die nachträglich in das Pentekostarion
eingefügt wurde. Etwas später widerfuhr dieselbe Ehre einem Kanon,
durch welchen der Patriarch Philotheos (s. § 101, Anm. 2) den Ver-
teidiger der Orthodoxie Palamas (s. § 100) verherrlichte. Im 16. Jahr-
hundert schrieb Nikolaos Malaxos Kirchenlieder, von welchen einige
Stücke in das Pentekostarion und die Menäen eingereiht wurden. Selbst in
unserem Jahrhundert hat die liturgische Poesie noch einen Zuwachs erhalten.
Als nämlich die orthodoxe Kirche im Jahre 1869 den Patriarchen Photios
und den heftigen Verteidiger des Schismas Markos Eugenikos (s. § 107)
kanonisierte, wurden zu ihrer Ehre zwei neue Troparien verfasst und in
das Horologion aufgenommen.
Die Liste der griechischen Hymnendichter ist in unserem kurzen Abriss nicht an-
nähernd erschöpft. Reichere Verzeichnisse der Meloden und Melurgen finden sich bei
Pitra, Hymnographie S. CLIE ff. und Christ, Anthol. S. 264 f.
') Eine anziehende Schilderung des heu-
tigen Zustandes der Abtei mit einer geschicht-
lichen Uebersicht und einer Planskizze gibt
A. Rocchi, La badia di S. Maria di Grotta-
Ferrata. Roma 1884.
*) VgL Christ, Anthol. Proleg. S. 115.
21«
324 Byzantinische Litteratnrgeschichte. II. Poetische Litteratnr.
168. Kommentatoren. Im 11. und 12. Jahrhundert erscheinen denn
auch die unvermeidlichen Begleiter des Verfalles der poetischen Produktion,
die Erklärer. Wie schon Kosmas von Jerusalem und Niketas David,
Bischof von Dadybra in Paphlagonien (f um 880), die schwierigen Gedichte
des Gregor von Nazianz mit breiten Kommentaren versehen hatten, so
schrieben jetzt der Historiker Zonaras, der Homerkommentator Eusta-
thios von Thessalonike, der Dichter Theodoros Prodromos, der
Grammatiker Gregorios von Korinth u. a. Schollen zu Johannes von
Damaskos und Kosmas von Jerusalem. Insbesondere hinterliess Eusta-
thios einen grossen Kommentar zum Pfingsthymnus des Johannes und
Zonaras Erklärungen zu dessen ^Avaaväaifioi xarövsg. Die Vertreter der
eigentlichen Hymnendichtung wie Romanos, Joseph u. s. w., deren einfache
Darstellung dem Verständnis keine Schwierigkeiten bot, blieben von dem
Eifer der Scholiasten verschont.
1. Ausgaben: Kommentare des Kosmas ed. A.Mai, Spicileg. Romanura II (1839)
2, 1—373. — Wiederholt bei Migne, Patrol. Gr. 38 (1858) 340—680. Ebenda S. 681—842
des Niketas David Paraphrase der tmÖQQtjTa ent] des Gregor von Nazianz; S. 842-846
noch zwei anonyme Paraphrasen. — Eustathios und Zonaras: Ed. A. Mai, Spicileg.
Romammi V (1841) 2, 161 — 383. — Das Material für eine neue Ausgabe des Kommentars
des Eustathios findet sich im Nachlasse Tafeis. Vgl. §§ 62; 116. — Prodromos: Ed.
Migne, Patrol. Gr. 133, 1229 ff. Vollständiger: Theod. Prodromi commentarios in carmina
Sacra melodorum Cosmae Hierosol. et Joannis Dam. etc. ed. H. M. Stevenson, praefatus
est J. B. Pitra, Romae 1888 (noch nicht abgeschlossen). Vgl. § 197. — Ueber andere
Kommentatoren s. Pitra in der Ausgabe Stevensons S. VI ff.
2. Eine der wichtigsten Quellen der Kommentare des Kosmas sind die ausführ-
lichen mythologischen Erklärungen zu vier Reden des Gregor von Nazianz, welche
einem gewissen Abte Nonnos zugeschrieben werden und wahrscheinlich im 6. Jahrhundert
abgefasst sind. Später wurde derselbe Mythograph von Suidas und Tzetzes benützt.
Nonnos ist zum Teil ed. von Rieh. Montacutius, Eton 1610; anderes von Fr. Creuzer,
Meletemata e disciplina antiquitatis 1 (1817) 59 ff. und A. Mai, Spicilegium Roman. II
(1839) 2, 374 ff. Das Meiste wiederholt bei Migne, Patrol. Gr. 36 (1858) 985-1072. —
Erste kritische Ausgabe von Edwin Patzig, Leipzig, bibl. Teubn. 1890. — Vgl. E. Patzig.
Die Nonnusquelle der Eudokia, Rhein. Mus. 37 (1882) 67 — 82 und desselben Abhandlung:
De Nonnianis in IV orationes Gregorii Nazianzeni commentariis, Progr. der Thomasschule,
Leipzig 1890, wo über die Handschriften, Redaktionen und die späteren Ausschreiber des
Nonnos erschöpfend gehandelt ist. Vgl. § 136.
169. Rückblick. Für die Erkenntnis des wahren Geistes, welcher
in der griechischen Kirche nach dem Ablauf ihres Heroenzeitalters herrschte,
sind uns die Gesänge und Gebete des Volkes ein treueres Zeugnis, als
die mit allen Mitteln der alten Philosophie ausgerüsteten Streitschriften
und die rhetorisch abgerundeten, innerlich aber oft so trockenen Predigten
der gelehrten Wortführer der Orthodoxie. Die innere Geschichte der
orientalischen Kirche, die uns jetzt viel zu sehr im Lichte dogmatischer
Kämpfe und hohler Schönrednerei erscheint, erhält daher durch die religiöse
Poesie eine wichtige und notwendige Ergänzung. Zur Würdigung derselben
ist es freilich unerlässlich, dass der Leser sich voll und ganz in die geistigen
Zustände jener Zeit hineinversetze. Wer an die griechischen Hymnen von
einem modernen, sei es nun vom romantischen oder vom realistischen
Standpunkt herantritt, wird ihnen niemals gerecht werden. Wie die tiefsten
Wurzeln jeder Kunst in ihrer eigenen Zeit ruhen, so geschieht es auch
hier. Wer eine solche Konzession ablehnt, mag ])edoiiken, dass auch die
älteste Profandiclitinig, die homerische, zu einem st-hr grossen Teile
1. Kirchenpoesie. A. Rythmische Kirchendichtung. (§§ 168—170.) 325
nur bei einem gründlichen Eingehen in ihre kulturellen und religiösen
Grundlagen verständlich wird. Wer den Dichter will verstehen,
muss in Dichters Lande gehen, nicht bloss geographisch, sondern auch
chronologisch und mit seinem ganzen Denken und Fühlen. Als den allge-
meinen Charakter der griechischen Kirchenpoesie bezeichnet JacobiO ganz
richtig die dem Objectiven zugewandte Richtung, welche das Erbe des
antiken Standpunktes ist und welche auch der abendländischen Dichtung
des Mittelalters eignet. Es ist dieselbe Objektivität, die auch in der
bildenden Kunst des Altertums und des Mittelalters bis kurz vor dem
Beginne der Reformationszeit herrscht. Auf eine hervorragende Eigentüm-
lichkeit der älteren Hymnenpoesie, das dramatische Element, ist schon
oben (§ 163) hingewiesen worden. Doch ist mit dieser allgemeinen Ein-
sicht noch wenig gewonnen. Für eine feinere Charakteristik, für die Dar-
legung der inneren Entwickelung, für die Unterscheidung der Individuen
und Zeiten ist hier noch alles zu thun. Diese Aufgabe wird nicht mit
Erfolg gelöst werden können, ehe die wichtigsten Vertreter, besonders
Romanos, vollständiger ediert sind.
1. Zur Charakteristik s. bes. Jacobi a. a. 0. 219 ff. und Bouvy, Etudes sur les
origines etc. — Ueber die Stellung des Kirchenhyninus in der Poesie überhaupt handelt
Job. Kayser, Beiträge zur Geschichte und Erklärung der ältesten Kirchenhymnen, Pader-
born 1881 S. 1—14.
2. Früher war allgemein die Ansicht verbreitet, dass die griechischen Kirchen-
dichter an Reichtum der Erzeugnisse wie an poetischem Talente den Lateinern weit
nachstehen; s. z. B. F. Bahr, Geschichte der römischen Liter. IV- (Carlsruhe 1872) S. 10 ff.
und noch Alzog, Grundriss der Patrologie ^ (1888) S. 542. Das mochte man gelten lassen,
solange die griechischen Lieder nur aus den verstümmelten und schlechten Drucken der
rituellen Bücher und aus Daniels Thesaurus bekannt waren. Sind aber einmal die
grossartigen Vorräte alter Werke vollständig und in lesbarer Gestalt ans Licht gezogen,
so wird man die griechische Produktion der lateinischen an Umfang Avie an innerer Kraft
und Mannigfaltigkeit zum wenigsten an die Seite stellen dürfen. Dann wird man vielleicht
auch untersuchen können, welcher von beiden Litteraturen eine grössere Gesamtsumme von
Originalität und poetischem Werte zukommt.
170. Spielereien in der Form des Kirchenliedes. Eine begleitende
Erscheinung des Verfalles der Kirchendichtung ist die Parodie derselben.
Der erste Autor, den wir mit völliger Sicherheit als Verfasser solcher
Stücke kennen, ist kein geringerer als der berühmte Premierminister und
Hofphilosoph Michael Psellos. Im Jahre 1054 hatte er, wohl weniger
aus innerer Neigung, als weil damals seine Stellung am Hofe erschüttert
war, den Entschluss gefasst, der Welt zu entsagen; zu diesem Behufe
wählte er das auf dem Berge Olympos in Bithynien gelegene Kloster.
Bald aber war der turbulente Mann des eintönigen Lebens unter den
frommen Weltüberwindern überdrüssig und verliess seine Zelle, um sich
von neuem in die dumpfe Atmosphäre der politischen Kämpfe und Intriguen
zu stürzen. Die Klostergenossen waren über den Flüchtling nicht wenig
ungehalten und ein Mönch namens Jakob, der sich zum Sprecher der
übrigen machte, dichtete ein witziges Epigramm in vier Trimetern, worin
er den Psellos als Zeus anspricht und sagt, er sei dem Olymp nur ent-
flohen, weil er auf demselben seine Göttinnen nicht wiedergefunden habe.
Psellos antwortete in einer für den Exmönch wenig passenden Weise durch
») A. a. 0. S. 219.
326 Byzantinische Litteraturgeschichte. II. Poetische Litteratur.
ein derbes Schmähgedicht, worin der gute Jakob mit wenig Witz und viel
Behagen in den grellsten Farben als wüster Trunkenbold geschildert wird.
„Gott der Herr, der die Abgründe verstopfte und die weite Höhlung des
Ozeans mit Wasser füllte, vermochte es nicht, Deinen Bauch zu sättigen,
der wie ein Kanal alles aufnimmt und alles leert." In der dritten Strophe
vergleicht Psellos den Klosterbruder mit einem Weinstocke. „Man sah
Dich auf der Erde liegen, o Vater, als fruchtbeladenen Weinstock ; dicker
Wein sickerte Dir aus allen Poren, aus Deinem Halse, aus Deinen Augen,
aus der Unterthüre und aus Deinem ganzen Körper. Schwere Trunkenheit
schwitztest Du aus wie ein rissiger Schlauch." Das ganze Gedicht, dessen
Grobheit man nach diesen Proben beurteilen mag, hat die regelrechte Form
eines Kirchenliedes; die Akrostichis lautet: MeO^vaov^Iäxwßov evQvO^iiwg
«(fw, Konarag; dazu der übliche Vermerk des Tones und der Melodie:
^Hxog nXccyioq 6'. jlQiiaTrjkäTr^v.^)
Sehr weite Verbreitung fanden in der byzantinischen Zeit Lehr-
gedichte, welche die äussere Form von Kirchenhymnen für Zwecke
der wissenschaftlichen Mitteilung und des Unterrichtes verwenden. Der
Gedanke, den Lehrstoff durch metrische Formulierung leichter dem Ge-
dächtnisse einzuprägen, ist bekanntlich fast ebenso alt als der schulmässige
Betrieb selbst; eigentümlich scheint aber den Byzantinern, dass sie zu
diesem Behufe ganz allgemein die ehrwürdige Form des Kirchenliedes ver-
wendeten. ^TixrjQcc über Lufterscheinungen, wie Wolken, Regen und über
die zwischen der Erde und dem Himmel befindlichen Elemente, und ein
Kanon über die Benennung der verschiedenen Lebensalter sind unter dem
Namen des Photios überliefert. 2) Der bekannteste Autor solcher Hymnen
über grammatische und andere Schulgegenstände istNiketas vonSerrae
um 1100 (s. § 143). Auch Johannes Zonaras, Theodoros Prodromos,^)
Hierotheos Monachos u. a. haben solche Schulgedichte verfasst. Wie
wenig die Byzantiner das Unpassende solcher Profanation heiliger Rythmen
fühlten, beweist die Thatsache, dass diese Schulmuse selbst vor ekelhaften
Gegenständen nicht zurückscheute. So finden wir die Form des Kirchen-
liedes in einem Traktate über den Urin {HeQi ovqwi'), um dessen Autor-
schaft sich sogar mehrere Namen wie Matthaeos Blastarnes, Planudes,
Nikephoros Blemmides, ja selbst Photios zu streiten scheinen.*) Eines
der schlimmsten Beispiele ist die wohl dem 15. Jahrhundert angehörende
„Messe des Bartlosen", wo eine liturgische Handlung mit ihrem ganzen
Apparate von Hymnen, Kanones, Legenden u. s. w. derb parodiert wird
(s. den Anhang). Manche derartige Werke gehen noch anonym in den
Handschriften.
171. Uebersetzungen und Imitationen. Die griechische Kirchen-
poesie hat nach verschiedenen Seiten hin eine mächtige Anregung aUvSge-
übt. Wie einst das heidnische Rom von Griechenland aus seine Kultur
und Litteratur empfing, so nahmen die Lateiner in der christlichen Zeit
') Ediert ist das Stück von K. Sathas ' ') Seinen Kanon llfQi dvtiaxoixMv mit
Meaauayunj ßißXio»ijxij vol. V (1876) 177 fF. alphnbotiachor Akrostichis ed. K. Miller,
») Pitra, Anal. S. I S. 441 flF. Vgl. 1 Annuairo do Tassoc. 10 (1876) 131—134.
Pitra, Hymnographie S. 61. | *) Pitra. Anal. S. 1 S. 441.
1. Kirchenpoesie. A. Rythmisclie Kirchendichtung. (§171.) 327
abermals ihre Zuflucht zu dem glücklicher begabten Volke des Ostens.
Zu den ältesten Beweisen dieses litterarischen Verhältnisses gehört die
kurze Akklamation, die seit den Zeiten des hl. Benedikt allmorgendlich
im Klosterchore ertönt; der griechische Text darf nach Pitra •) nicht unter
das 3. Jahrhundert herabgerückt werden:
lol TjQSTiei cayo; Te decet laus
aoi Tjpe'nsi vuvog te decet hymnus
ao'i do'^cc TTos'nsi rio Ilccrol tibi gloria Deo Patri
xai 1(0 Yiio xal reo iiylM JlysvficeTt et filio cum Sancto Spiritu
eig tovg amvag rojf (doh'Mv. \4ujjy. in saecula saeculorum. Amen.
Dem berühmten Dies irae, dies illa, das gewöhnlich dem Thomas von
Celano (13. Jahrh.) zugeschrieben wird, in seinen Hauptbestandteilen aber
sicher viel älter ist, 2) scheint als Vorbild der Hymnus des Romanos über
das letzte Gericht gedient zu haben. ^) Auch der sogenannte Hymnus
Ambrosianus, dessen Abfassung Kayser mit Wahrscheinlichkeit in das
6. .Jahrhundert versetzt, erinnert in mehreren Einzelheiten wie im Ge-
dankengange an ein Gedicht des Romanos.^) Bei der Betrachtung dieser
poetischen Anleihen darf auch die Thatsache nicht vergessen werden, dass
sich in der abendländischen Liturgie mehrere griechische Texte bis ins
Mittelalter hinein erhielten. Dazu gehört ausser dem S. 310 erwähnten Bei-
spiele eine kurze Akklamation, die am Osterfeste bis ins 9. Jahrhundert und
vielleicht noch länger im Lateran üblich war.^) Umgekehrt blieben auch Refor-
men im lateinischen Ritus nicht ohne Einfluss auf den griechischen Osten.")
Eine genauere Erforschung dieser Beziehungen würde auf die christliche
Kultur- und Litteraturgeschichte manches neue Licht werfen. Vieles wird
uns freilich immer verborgen bleiben, weil die griechischen Gesänge der
älteren Zeit nur trümmerhaft überliefert sind. Unter Papst Hadrian II
(867 — 872), also in einer Zeit, in w^elcher der litterarische und kulturelle
Zusammenhang zwischen dem Osten und Westen sich schon sehr gelockert
hatte, wurden die Formen der griechischen Hymnenpoesie nach einer
glaubwürdigen Nachricht in der römischen Kirche eingeführt. So erklärt
sich der griechische Ursprung der lateinischen Bezeichnungen Tropus und
Sequentia {rgonägiov, äxokov^ta).'') Bald begann der griechische Kirchen-
gesang einen siegreichen Eroberungszug über neue, bis dahin der Kultur
des oströmischen Reiches verschlossene Gebiete. Bulgaren und Walachen,
Serben, Russen und andere Slaven erhielten von Byzanz mit der
christlichen Religion auch den griechischen Ritus und die griechische Hym-
nologie. Die unbändigen Völkerschaften des kaukasischen Berglandes,
Iberer und Georgier, beugten sich unter die Macht des Christentums,
und der hl. Euthymios übersetzte nicht bloss die Bibel und die Kirchen-
väter, sondern auch die griechischen Hymnen.^) So erfüllte die byzan-
') Hymnographie S. .36 f. 1 *) Deutschmann a. a. 0. S. 21 f.
2) Vgl. Mone, Lat. Hymnen I (1853) | ') Pitra, Hymnographie S. 37. Vgl.
S. 3.54 und 408. — Henry Tode, Franz Christ, Anthol. Proleg. S. 25 f.
von Assisi und die Anfänge der Kunst der j *) Pitra, Hymnographie S. 50 f. —
Renaissance in Italien, Berlin 1885 S. 400. —
L. Traube, Karolingische Dichtungen, Ber-
lin 1888 S. 152.
») Deutschmann a. a. 0. (s. S. 309) S. 17.
Bouvy a. a. O. S. 376 S.
') Vgl. Christ, Anthol. Proleg. S. 25 f.
M. Kawczynski a. a. 0. S. 149 S.
«) Pitra, HjTunographie S. 67 S.
328 Byzantinische Litteraturgeschichte. II. Poetische Litteratur.
tinische Kirchenpoesie eine wichtige kulturhistorische Aufgabe. Sie
erhielt in ihrer eigentlichen Heimat das religiöse Gefühl wach und stärkte
zuletzt das von furchtbaren Stürmen niedergeworfene Volk im langen und
schweren Widerstände gegen die andersgläubigen Bedrücker ; sie befruchtete
das lateinische Abendland und erzeugte im äussersten Osten und Norden
bei barbarischen Völkerschaften eine religiöse Kultur, die bis auf den heu-
tigen Tag die Spuren ihres Ursprungs treu bewahrt hat.
1. Eine gute Untersuchung über Begriff und Geschichte der abendländischen Tropen
gab L^on Gautier, Histoire de la poßsie liturgiqne au moyen-äge, vol. I, Les Tropes,
Paris 1886. — Dazu das zu § 160 angeführte Buch von M. Kawczynski. — Zur Beur-
teilung des Verhältnisses der griechischen und lateinischen Rythmenpoesie dient Ad. Ebert,
Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters im Abendlande 1- (1889) 554 ff.;
II (1880) 86 ff.; 311 ff.; 326 ff. und allenth. - Ein sehr nützliches Material über griechische
Einflüsse in der lateinischen Gesellschaft und Kirche vom 6. bis 8. Jahrhundert gibt, ohne
auf die Kirchenpoesie selbst einzugehen, Ch. Diehl, Etudes sur l'administration Byzantine
dans I'exarchat de Ravenne, Paris 1888 S. 240—288.
2. Zahlreiche Mitteilungen über die rituellen Beziehungen der byzantinischen Kirche
zu ihren slavischen, georgischen, iberischen und äthiopischen Dependenzen gibt John
Mason Neale, A history of the holy eastern church, 2 P., London 1847 — 1850. — Haupt-
werk für die slavische Hagiographie : Archimandrit Sergius, Vollständiges Menologion
des Ostens, 2 voll., Moskau 1875 — 76 (Russ.); Bd. I S. III ff. ein reiches Veraeichnis hagio-
graphischer und martyrologischer Druckwerke und Handschriften. — Mehrere Proben alt-
slavischer Texte ed. der Archimandrit Amphilochius, Paläographische Beschreibung
griechischer Handschriften etc. von bestimmten Jahren, 4 voll., Moskau 1879 — 1880 (Russ.).
Desselben Verfassers: Altslavischer Psalter des Symeon vom Jahre 1280, 4 voll., Moskau
1880—1881 (Russ.). Der Wert, dieser wie aller übrigen Publikationen des emsigen Ge-
lehrten wird durch den Mangel an philologischer Methode und Genauigkeit stark
beeinträchtigt. — Einige kleinere Schriften von Amphilochius, die Arch. slav. Philol. 2
(1877) 402 f. angeführt werden, sind mir unzugänglich. Vgl. die Litteratur zu § 160. —
V. Jagic, Die Menäen für den September, Oktober und November in der kirchensla vischen
Uebersetzung nach russischen Handschi-iften der J. 1095—1097, Petersburg 1886 (Russ.).
Die Einleitung des musterhaften Werkes enthält eine gründliche Untersuchung über die
Geschichte der slavischen Hymnologie. Darnach entstand die älteste slavische Ueber-
setzung der griechischen Hymnen in Bulgarien oder auf dem Athos spätestens in der
ersten Hälfte des 11. Jahrb. und sie fand gerade in Russland grosse Verbreitung:
gegen Ende des 14. Jahrb. begann eine neue serbische Version die alte bulgarische
zuerst bei den Südslaven, dann auch bei den Russen zu verdrängen und wurde auch in dir
gedruckten Menäen aufgenommen.
3. Wie die Kirchenpoesie, ging auch die byzantinische Musik und Notenschrift
zu den Slaven über. Hierüber vgl. V. Jagic, Arch. slav. Philol. 8 (1885) 659 f. und
die dortselbst angeführten (mir unzugänglichen) russischen Werke; mit Recht weist Jagiö
darauf hin, dass hier noch ein weites Feld der Forschung brach liegt. Vielleicht lassen
.sich sogar dunkle Punkte in der byzantinischen Musik und Rythmik durch Vergleichung
der slavischen Formen aufklären.
172. Die Ueberlieferung der griechischen Kirchenpoesie. Die
rythmische Kirchenpoesie entsprang nicht einem blossen ästhetischen oder
gelehrten Vergnügen wie etwa die Werke eines Synesios und Gregor von
Nazianz; sie ging aus dem praktischen Bedürfnis der Liturgie selbst her-
vor. Die vornehmste Absicht aller Dichter dieser Gattung war und blieb
die Einführung ihrer Werke in den Gebrauch der Kirche. Was
wir demnach von denselben heute wirklich besitzen, haben wir ausschliess-
lich in den verschiedenen Gesangbüchern der griechischen Kirche zu suchen.
Handschriften, in welchen Hymnen und Kanones zu rein litterarischem
Behufe gesammelt wären, existieren nicht. Wenn man die eingestreuton
Stücke aus dem alten und neuen Testament, die Legenden, die Gebete des
Priesters und einiges andere ausnimmt, gehört fast alles, was die 2-i llitus-
1. Eirchenpoesie. A. Rythmische Eirchendichttmg. (§ 172.) 329
bücher der orientalischen Kirche enthalten, in das Gebiet der Hymno-
graphie. Die Menaeen, das Triodion, Pentekostarion, Parakletikon, Horo-
logion, Anthologien, Hirmologion u. s, w., wie sie seit dem 10. und 11.
Jahrhundert von den kirchlichen Obrigkeiten festgestellt,') in zahlreichen
Handschriften und später in verschiedenen Drucken verbreitet wurden,
sind die schwer übersehbaren Fundstätten griechischer Kirchen-
poesien. Wenn man hört, dass in Europa über 400 liturgische Hand-
schriften der griechischen Kirche sind, 2) wozu noch die ungezählten
Exemplare der orientalischen Bibliotheken kommen, so ahnt man die grosse
Ausdehnung dieses Gebietes und erkennt, dass an eine erschöpfende philo-
logische Sichtung und Würdigung des StoJÖFes gegenwärtig noch nicht zu
denken ist. Für die ältesten Hymnen liegt die Sache jedoch etwas
einfacher, als man bei einem oberflächlichen Blicke auf das Chaos von
Handschriften und Drucken glauben sollte. Das hat folgenden Grund. Als
die genannten liturgischen Werke allmählich fest konstituiert wurden,
musste aus den bedrohlichen Massen der vorhandenen Poesien, welche
weder von den Abschreibern noch von den Sängern bewältigt werden
konnten, eine Auswahl getroffen werden. Hiebei wurden gerade die Werke
der älteren Zeit recht stiefmütterlich behandelt ; nur ganz vereinzelte Stücke
wie der Akathistos retteten sich unversehrt in die neuen Redaktionen
hinüber. Die übrigen Werke wurden teils völlig beseitigt, teils nur
fragmentarisch aufgenommen. Aus den verstümmelten Akrosticha
erkennen wir Blatt für Blatt die ungeheuren Verluste, welche der alte
Bestand in den liturgischen Büchern erlitten hat. Die schönsten Hymnen
des Romanos wurden bis auf zwei Strophen beiseite geworfen. Wenn
wir ausschliesslich auf die Handschriften der späteren Redaktionen ange-
wiesen wären, stünde es mit unserer Kenntnis der Blütezeit des Hymnen-
gesanges sehr schlimm. Zum Glücke haben wir einige Handschriften, die
einer früheren Stufe der Liturgie angehören. Ausser dem Triodion,
welches die beweglichen Feste enthält, findet sich in ihnen ein frühzeitig
ausser allgemeinem Gebrauch gekommenes liturgisches Buch, das Tropo-
logion, dessen Inhalt später, stark verstümmelt, in den Typika, Horologia,
Menäen, dem Triodion und Euchologion aufging. 3) Von einem Einzelblatte
im cod. Vatic. 2008 abgesehen besitzen wir aus diesem älteren Stadium
der Liturgie fünf Handschriften: 1. Cod. Corsinianus 366, aus 163 Blättern
bestehend, um 1050 geschrieben.^) 2. Cod. Taurinensis B. IV. 34., noch
196 Blätter enthaltend, im 11. Jahi-hundert geschrieben. 3. Codex der
Synodalbibliothek zu Moskau Nr. 437, 328 Blätter umfassend, gegen
das Ende des 12. Jahrhunderts auf dem Athos geschrieben und aus dem
') Zur Geschichte der liturgischen Bücher j pologion weggenommen habe. S. Pitra,
des Orients, die noch geschrieben werden i Anal. S. I Proleg. S. 8. Die AbschaflFung
muss, vgl. das Verzeichnis in der Jichaiis \ des Tropologions hatte auch die verderbliche
des Michael Attaliates. K. Sathas, Folge, dass bei der Reduktion der alten
Meaauov. ßtßX. I S. 49. Vgl. § 30 Anm. 3. Hymnen die Akrostichis zerstört wurde
*)^ Pitra, Hymnographie S. 24. i und damit der Name vieler Verfasser ver-
^j Theodoros Studites beklagt sich 1 loren ging,
in einem Briefe, dass man ihm in seinem ■♦) Beschreibung von Pitra, Anal. S. I
Gefangnisse alle Bücher und auch dasTro- S. 663 ff.
I
330
Byzantinische Litteraturgeschichte. II. Poetische Litteratur,
Kloster BaTOTiaiöiov nach Moskau gebracht.')- 4. und 5. Codd. Patmiaci
212 und 213, zusammen, obschon ebenfalls stark verstümmelt, noch
441 Blätter umfassend, beide von der gleichen Hand im 11. Jahrhundert
geschrieben; der erste enthält das Tropologion, der zweite das Triodion.^)
Wenn nun auch diese Handschriften im wesentlichen dasselbe Werk
d. h. das Tropologion mit dem Triodion enthalten, so weichen sie doch
in der Auswahl und Vollständigkeit der Hymnen wie auch im Texte der
allen oder mehreren gemeinsamen Stücke erheblich von einander ab. Ihre
Vorlagen stammen offenbar aus einer Zeit, in welcher für die liturgischen
Bücher noch keine stereotype Liste geschaffen war und daher die Auswahl
der Hymnen durch persönlichen Geschmack oder Zufall sich verschieden
gestaltete. So enthält der Corsinianus vorzüglich Hymnen des Romanos
und Theodoros Studites, ausserdem des Kyriakos, Domitios, Elias, Gregor,
Orestes. Im Taurinensis ist am besten vertreten Joseph, der Bruder
des Theodoros Studites, dazu Georg, Gabriel, Stephanos, Arsenios, Tarasios
(der Patriarch). Der Doppelcodex des Klosters zu Patmos enthält vor-
nehmlich Romanos; ausserdem sind durch einzelne Lieder vertreten
Theodoros Studites, Gabriel, Joseph, Stephan, Abbas, Johannes, Leon,
Paulos, Joannikios, Symeon, Georg. Dazu kommen in allen fünf Hand-
schriften sehr zahlreiche Adespota, unter denen sich manche Fragmente
aus der frühesten Zeit der Hymnographie bergen mögen. Wie verschieden
die Handschriften sind, mag aus der einen Thatsache erhellen, dass Pitra
aus cod. Corsin. und Taurin. nur 29 Werke des Romanos konstituieren
konnte, während der patmische Doppelcodex gegen 80 Hymnen desselben
mit voller Akrostichis enthält.
Hieraus ergibt sich auch, dass eine neue Ausgabe der Hymno-
graphen, besonders des Romanos, ein dringendes Bedürfnis ist. Pitra hat
von den genannten Handschriften nur die zwei ärmsten, den Corsin. und
Taurin., vollständig verwertet; aber selbst seine Angaben über die Lesung
des Taurin. sind von einer unglaublichen Unzuverlässigkeit. Von der Mos-
kauer Handschrift hatte er nur Proben; die zwei patmischen blieben
ihm für seine Analecta ganz unzugänglich; erst seine Gabe zum Papst-
jubiläum (s. § 163) brachte drei Hymnen aus Patmos nach der Abschrift
eines dortigen Mönches. Die Veröffentlichung der Moskauer Handschrift
von Amphilochius ist im vollsten Sinne des Wortes unbrauchbar (vgl.
S. 309). Für eine Ausgabe des Romanos, die zum grösseren Teil editio
princeps sein wird, müssen demnach die 5 Handschriften, die uns aus dem
ungeheuren Schiffbruch der alten Hymnenlitteratur so wertvolle Reste
gerettet haben, teils abgeschrieben, teils vollständig neu verglichen werden.
B. Die Form der Kirchenpoesie.
173. Geschichtliche Vorbemerkung. Eine kurze Darlegung der in
der Kirchenpocsio angewandten Formen ist um so notwendiger, als dieselben
') Kurze Notiz von Pitra, Anal. S. I
Proleg. S. 13 f. Vollständig ediert von Am-
philochius; s. S. 309.
-) Kurze Beschreibung von Sakcllion
bei Pitra, Anal. S. I 676 f.
1. Zirchenpoesie. B. Die Form der Kirchenpoesie. (§ 173.) 331
weder in dem metrischen Abriss des Handbuchs der klassischen Altertums-
wissenschaft, noch auch in den grösseren Lehrbüchern der Metrik erörtert
sind. Zum Verständnis ist es nicht unwichtig, zuerst die verschiedenen
Auffassungen der rythmischen Form geschichtlich zu überblicken. Die
Erkenntnis der den griechischen Kirchenpoesien zu Grunde liegenden
metrischen Gesetze blieb merkwürdiger Weise den abendländischen Ge-
lehrten mehrere Jahrhunderte lang verschlossen, obschon sie bei den
Griechen in der Praxis nie verloren gegangen war. Wie der bayerische
Jesuit Simon Wangnereck') ausdrücklich versicherte, dass die unzähligen
Oden der Menäen aus purer Prosa beständen, wie sein Ordensgenosse
Gretser zum Schlüsse kam, das einzige hier herrschende Gesetz sei die
Willkür, so entdeckten auch noch spätere wie Hippol. Maracci, der sich
mit Joseph dem Hymnographen eingehend beschäftigte, und der Kardinal
Querini, der zahlreiche Hymnen übersetzte, nicht die Spur eines Verses
in dieser rätselhaften Litteraturgattung. Die Deutungsversuche des fran-
zösischen Benediktiners Dom Toustain wie auch anderer Gelehiiien schei-
terten vornehmlich an der vorgefassten Ueberzeugung, dass in der Kirchen-
poesie klassische Metren verborgen seien.-) So edierte auch der gelehrte
L. Fr. Tafel zwei Kanones des Eustathios wie einen Prosatext. 3) Selbst
nach dem Erscheinen der Hymnographie von Pitra meinte P. Gagarin
noch, Verse wie die der Hymnographen könne man im offiziellen Teile des
Moniteur finden, und versicherte sehr entscliieden : „Nous croyons que les
hymnographes grecs ont ecrit en prose."^) Das mag als Schrulle eines
Ignoranten gelten; aber noch im Jahre 1879, nachdem auch das Werk von
Christ-Paranikas und die Analecta von Pitra vorlagen, hält kein Geringerer
als Sathas, der bis zu einem gewissen Grade auch als Vertreter der in
Griechenland herrschenden Meinung gelten kann, die Form der Hymnen
für ein unlösbares Rätsel.^) Selbst noch im Jahre 1889 konnte es ge-
schehen, dass L. Pertsch mehrere Kanones ohne Kenntnis des Versbaues
wie einen Prosatext veröffentlichte.^) Inzwischen war man der Antwort
auf das Rätsel doch schon etwas näher gekommen. Pitra hat das unleugbare
Verdienst, zuerst wieder energisch auf den metrischen Charakter der
Hymnen hingewiesen zu haben, obschon die Erkenntnis desselben nie
verloren gegangen und z. B. schon im Jahre 1830 von dem gelehrten
Konstantin Oekonomos ganz deutlich ausgesprochen war.') Besonders
merkwürdig erschien Pitra und anderen der Umstand, dass die Byzan-
tiner selbst die Hymnen für Prosa zu halten schienen. Suidas und
die Kommentatoren der Kirchenpoesie sagen mit trockenen Worten, diese
Werke seien xaraloyäSr^i; ne^c^ Xöyo^ geschrieben.») Es wäre aber völlig
') Pietas Mariana, Monachii 1647, Praef.
S. 32.
*) Pitra, Hymnographie S. 3 ff.
•') Eustathii opuscula, Francof. 1832
S. 36 f.; 166 f.
" ••) S. Stevenson a, a. 0. S. 489.
') 'laroQixov doxijuioy nsgl toi"' d^eaxQOv
XQÖvo) oucog cmaQ-(ai(o&eyrog rov uergov (!),
iyQci(potno eV ns^ij avve)(eict, xcd wg xoiavxa
nsoi^Xd^ov i^fxiv, ovdsyog fis^Qi Tovde
dvytj&eyrog yd fxayxevari x6 fxex^oy r]
xoy nccXttioy Qv&jLi6y ccvxwy.'^
8) Blätter für HjTnnologie 1889 N. 2—4.
•) Tlsgi XTJg yyr^aiag 7igo(poQäg x^g 'Ekkfj-
xca xtjg fiovatx^g xtüy ßrCw^r. asX. gy- , T« ' yixfjg yXwoat;g (Petersburg 1830) S. 667—669.
ixxXr^aiHaxixti xuvxn aauura tjaay iy «p^fl 1 Vgl. W. Meyer a. a. 0. S. 364.
ififxexQct rj xovXäxiaioy eQQv9fia, atSy tw | «) Vgl. Stevenson a. a. 0. 491 ff.
332 Byzantinische Litter aturgeschichte. ü. Poetische Litteratur.
verfehlt, daraus zu schliessen, dass den Byzantinern die Kenntnis des
metrischen Baues der Hymnen verloren gegangen sei. Dagegen spricht
schon die einfache Thatsache, dass zu allen Zeiten und noch in unserem
Jahrhundert (s. § 167) neue Hymnen ohne einen Verstoss gegen die Technik
gedichtet wurden. Was den Byzantinern hier mangelte, ist nicht die
Kenntnis der Sache, sondern nur der treffende Ausdruck für dieselbe.
Der Grund davon liegt in den allgemeinen Zuständen von Schule und
Litteratur. Wie in Grammatik, Geschichte, Philosophie, Rhetorik und
anderen Zweigen, so waren die Byzantiner auch in der Metrik und Pro-
sodie vollständig in der alten Schultradition befangen; infolge dessen be-
trachteten sie als wirklich metrische Rede nur das, was auch bei den
Alten als solche galt, d. h. quantitierende Dichtung. Der Begriff Poesie
war bei ihnen infolge der gänzlich auf dem Altertum beruhenden Schul-
erziehung so enge mit dem Prinzipe der alten Quantität verwachsen,
dass sie gar nicht auf den Gedanken kamen, ihn auch auf rythmisch ge-
baute Werke zu übertragen. Wenn sie daher die Hymnen als Prosa
bezeichnen, so thun sie es nur im Gegensatze zur alten Metrik; denn
gleichzeitig verraten sie durch zahlreiche Andeutungen, dass diese „Prosa"
durch Silbenzahl, Accent und Reim bestimmt ist und dass sie dieselbe wohl
von der gewöhnlichen Prosa zu scheiden wissen. ') Hätten sie die Hymnen
wirklich für Prosa angesehen, so konnten sie ihre Verfasser nicht als
Meloden, Sänger und Dichter bezeichnen, wie sie es wirklich thaten.
Für die ästhetische Theorie des Byzantiners war die rythmische Dichtung
weder Prosa noch Poesie; sie war ihm eine zwischen beiden in der Mitte
stehende neue Erscheinung, die in dem altüberlieferten Codex der Kunstformen
und litterarischen Gattungen nicht vorgesehen war; daher sind ihm die
Werke xaraAoyäJr^v geschrieben, ihre Verfasser aber nichtsdestoweniger
TioirjTai. Warum haben aber die byzantinischen Metriker und Kommen-
tatoren es versäumt, die rythmische Form genauer und ausdrücklicher
zu erklären? Auch das ist nicht schwer zu beantworten. Wie ihre Gram-
matiker nur in der Sprache des Altertums wühlten, das zeitgenössische
Idiom aber einer wissenschaftlichen Behandlung für unwürdig hielten, so
geschah es auch auf dem Gebiete der Metrik. Kommentiert und erklärt
wurde nur die quantitierende Poesie; was über den Rahmen des He-
phaestion hinausging, also namentlich die gesamte rythmische Formen-
lehre galt als selbstverständlich und trivial. Es vollzog sich also hier im
Grunde genommen dieselbe Entwickelung, die in der Litteratur und Kunst
allenthalben bemerkt wird. Die anatomische Zergliederung der Werke,
die Formulierung ihrer Gesetze, die historische Einschachtelung und das
Aufkleben der richtigen Etiketten, kurz die sogenannte wissenschaft-
liche Erkenntnis folgt — glücklicherweise — meist erst geraume Zeit
nach den Perioden der genialen Erfindung und lebensvollen Blüte. Wäre
in Byzanz nicht durch den politischen Untergang alles litterarische und
wissenschaftliche Leben plötzlich abgebrochen worden, so hätte die gelelirto
') Man denke an ihre Definitionen des ! Proleg. 47 flP.; Stevenson a. 8. 0. 495 ff.
Uirmos (s. § 175). Vgl. Pitra, Anal. S. ,
1. Elrchenpoesie. B. Die Form der EirchenpoeBie. (§ 174.) 333
Behandlung der Rythmenpoesie wahrscheinlich dortselbst ihre ersten
Triumphe gefeiert.
In der That banden sich die Meloden in der Dichtung von Kirchen-
gesängen nicht bloss ganz streng an bestimmte Normen, schrieben also in
gebundener, nicht in freier Rede (vincta, non soluta oratione), sie kehrten
auch zur Kunst der altgriechischen Lyriker in der Art zurück, dass sie
noir^xai in doppeltem Sinne wurden, das heisst nicht bloss Texte
{'BTir^ nach bestimmten metrischen Schemen dichteten, sondern dazu auch
die Melodien (ut^) erfanden. Ja das letztere war bei manchen von
ihnen sogar die Hauptsache, wovon sie auch den Namen Meloden (fUfXoidoi),
d. i. Sänger und Erfinder von Melodien, erhielten. Wir selbst aber sind
beim Studium der byzantinischen Lieder und Kirchengesänge weit besser
daran, als bei dem der altgriechischen Meliker und Chordichter. Wir wissen
zwar, dass Alkman und Pindar ihre Gedichte auch mit Noten, nach denen
dieselben gesungen werden sollten, versahen; auf uns sind aber nur die
Worte, nicht die Melodien gekommen. In den Handschriften der byzan-
tinischen Kirchenlieder hingegen sind zum Teil auch noch die Noten
(reiifiara) der Melodien erhalten. Dieselben weichen zwar von dem alt-
griechischen wie dem modernen Notensystem ab, indem sie immer nur
andeuten, um wie viel der folgende Ton gegenüber dem vorausgehenden
hinauf- oder herabging; sie sind aber in ihrer Anlage vermittelst der
theoretischen Sätze der musikalischen Techniker der mittelalterlichen und
der neuen Zeit derart erkannt, dass sie ohne grosse Schwierigkeit in unsere
Noten umgesetzt werden können.
174. Allgemeine Erklärung. Das Prinzip der rythmischen Poesie
ist die Silben zahl und der Accent. Die Silben werden einfach gezählt
ohne Rücksicht auf die Kürze oder Länge. Der Hiatus wird ohne
Scheu zugelassen, und die Elision bleibt fast völlig vernachlässigt, eine
Eigenheit, die mit der gedehnten, die einzelnen Wörter trennenden Vor-
tragsweise zusammenhängt. Der Unterschied zwischen Acut und Circum-
flex, den die lebendige Sprache nicht mehr kannte, bleibt folgerichtig
unbeachtet. Die Gleichheit des Accentes ist vor allem unverletzlich am
Schlüsse der Verse. Das Verhältnis zur antiken Poesie ist jedoch keines-
wegs so zu denken, dass man nun einfach die alten Verse oder Strophen
nach dem accentuierenden Prinzipe wiederholt hätte. Die rythmische
Dichtung geht vielmehr auch in dieser Beziehung ihre eigenen, von der
klassischen Tradition unabhängigen Wege. In ihr sind keine bestimmten
Füsse festgehalten. Durch den Mangel der Gleichzeiligkeit unterscheidet
sie sich auch sehr wesentlich von den ebenfalls nach dem Accent gebauten
politischen Versen, die erst später auftreten. Auch mit den gleich-
zeiligen lateinischen und mit den neueren protestantischen Kirchenliedern
hat sie wenig Aehnlichkeit. „Während diese in sehr einfachen Formen
sich bewegen und an bestimmte überlieferte Versfüsse und Zeilenarten sich
binden, sind bei den Griechen alle Schranken gefallen. Selten sind ein-
fache Strophen, häufiger umfangreiche, die bis zu 20 und mehr Kurzzeilen
steigen, von denen wieder jede wechselnden Tonfall haben kann, so dass
334 Byzantinische Litteratnrgeschichte. II. Poetische Litteratur.
man diese Formen mit den freien Strophen der lyrischen Dichter des 12.
und 13. Jahrhunderts, manchen Opernarien oder auch Goethes dithyramben-
artigen Dichtungen, wie ,Gränzen der Menschheit' oder ,Der Strom* ver-
gleichen möchte. Der Schöpfer der Melodie wollte nicht bestimmte Füsse
und Zeilen wiedergeben, sondern er folgte frei dem musikalischen Gefühle;
dies allein bestimmte den Tonfall und die Länge der Kurzzeilen und die
Gruppierung dieser Kurzzeilen zu Langzeilen oder Absätzen und zum ganzen
Gebäude (otxog) der Strophe."') Zur Veranschaulichung diene das Prooemion
des berühmten Weihnachtshymnus des Romanos, wobei die Kurzzeilen durch
einen * abgeteilt sind:
'H uaQx^e'yog ^ aijjusQoy :f: rov vTXSQovaioy rixTSi
Kai 7] yrj :f: xo OTiTJXatoy ^ t(o (ingoaltw TiQoadyei
"JyysXoi :{: /Ltera noinivotv ^ So^oXoyovaiv
Mäyoi öe :fj fierd (tatSQog ^ o&oinoQovaiy
Ji ijfictg yttQ :i: iyeyytj^t] :{: naidlov viov jf: 6 nqo atiüvtav *edf,
ww ± <j ;ljli \j Kj ± w:j;w ± ^ J. yy i^ ^ -L \y J. ^ ^ J.
Dem neuen Metrum fehlt weder Weichheit noch Abwechselung und
Präzision. Die Strophen schreiten bald gemessen vorwärts, bald stürzt
eine Flut kleiner Versglieder eilends dahin, meist ist beides geschickt ver-
bunden. Die Abteilung der Verse ist übrigens nicht ganz willkürlich. Die
Dichter verstehen es sehr wohl, wie man schon aus der mitgeteilten Probe
sehen kann, mit jedem Verse eine kleine Ruhepause des Sinnes eintreten
zu lassen. Eine müssige Frage ist es, ob die quantitierende oder die
rythmische Form den Vorzug verdiene. Es geht hier wie mit den
sprachlichen Epochen; das Bestehende hat recht, das Wirkliche ist ver-
nünftig, schön und gut. Nachdem die sprachlichen Voraussetzungen für
die alte Quantitätspoesie geschwunden waren, war sie zu einem stumpfen,
untauglichen Instrumente geworden; in der neuen Lautatmosphäre konnte
nur noch accentuierende Dichtung gedeihen.
175. Hirmos. In der ersten Zeit der rythmischen Dichtung schuf
die frische Erfindsamkeit der Meloden eine unglaubliche Zahl neuer Strophen-
gebäude und entsprechender Melodien. Das war gut vom litterarischen
und ästhetischen Standpunkte ; die Praxis vermochte aber zu grosse Mengen
verschiedenartiger Melodien nicht zu bewältigen; das beste Gedächtnis
musste endlich irre werden. Man fing daher bald an, neue Gesänge
nach einem schon vorhandenen populären Muster zu bauen. Diese Muster-
strophe heisst Hirmos {tiQ/xög). Daher erteilt der seiner Zeit nach unbe-
kannte Grammatiker Theodosios folgende Anleitung:*) Oiov iäv ttg O^tXy
>) W. Meyer a. a. 0. 328 f., dem auch ' 1870, 11 100 flF. und Anthol. Proleg. S. 60. —
das Schema des Tones 'H naqfHvof entnom- I Stevenson a. a. 0. S. 504. — W. Meyer
men ist. i a. a. 0. S. 328. — Bouvy a. a. 0. S. 219 ff.;
») Zur Erklärung vgl. Pitra, Anal. S. I 1 258 ff.; 270 ff. — Kawczynski a. a. 0.
Proleg. S. 47. — Christ, Sifaungsber. der I S. 147 f.
bayer. Akud. d. Wissensch. phil.-hiut. (Jl. |
1. Circhenpoesie. B. Die Form der Eirchenpoesie. (§ 175—177.) 335
Tcoirjaui xavova, nqwxov SsT fieXiaai rov ftg/xör, slra STiayaysTv rd xqo-
TiÜQia, iaoavXXaßovvra xal ofiorovovvta xöi €iQf.io) xal rov axonov
dnoau)^ovTa. Die einzelnen Troparien müssen in Silbenzahl und Accent
das Schema der Musterstrophe einhalten. In den liturgischen Büchern
wird daher wie in unseren Kirchen- und Studentengesangbüchern, wo eine
neue Strophenart beginnt, mit dem Vermerk IlQog t6 die Melodie ange-
geben z. B. Ilqog t6 'Ena<fävrfi. Die wichtigsten Hirmi wurden in einem
eigenen Buche, dem Hirmologion, gesammelt, das öfter gedruckt ist; ein
handschriftliches Hirmologion enthält u. a. cod. Patm. 206.
176. Hauptformen. Von den verschiedenen Liederformen der
rythmischen Poesie sind besonders zwei wichtig. Die eine besteht aus
20, 30 und mehr gleichgebauten Strophen, denen als Einleitung eine, seltener
zwei, sehr selten drei kleinere Strophen von verschiedenartigem Bau als
Prooemion vorangeschickt werden. Alle Strophen haben den gleichen,
regelmässig 1 — 2 Kurzzeilen umfassenden Refrain. Die gewöhnliche Be-
zeichnung dieser Art von Liedern ist xorräxiv oder xoiTcrxior ; ') wir nennen
sie nach dem Vorgang von W. Meyer Hymnen. Die einzelnen Strophen
heissen rqonÜQia^) oder auch oixoi.^) Zu dieser Art gehören alle erhaltenen
Werke des Romanos. Die Gesänge der anderen Hauptart, die xavövsg,
sind aus 8 oder 9 verschiedenen Liedern zusammengesetzt, von denen jedes
seinen besonderen Bau hatte und ursprünglich aus mehr, später meistens
aus 3 oder 4 Strophen bestand.^) Die Neunzahl der Lieder entspricht
offenbar den 9 Liedern des alten Testaments, welche von den Christen
seit den ältesten Zeiten gesungen zu werden pflegten. Die Hauptvertreter
dieser Art sind Andreas von Kreta, Johannes von Damaskos und
Kosmas (s, §§ 165; 166).
177, Refrain. Am Schlüsse der Strophen wiederholt sich gewöhnlich
ein Refrain oder Nachgesang. Dieser Teil, der vom ganzen Volke
gesungen wurde, ist von besonderer Bedeutung, weil in ihm wahrscheinlich
der erste Keim des Kirchenliedes zu erkennen ist. Eine bemerkenswerte
Nachricht findet sich hierüber in dem Buche des Philo bzw. Pseudo-Philo
De vita contemplativa. In demselben wird das Leben einer asketischen
Sekte, der Therapeuten, geschildert. Nach Eusebios sind darunter Christen
zu verstehen; neuerdings ist die Schrift dem Philo abgesprochen und ins
3. Jahrhundert gesetzt worden; jedenfalls aber stellt sie Zustände dar, die
vor Eusebios wirklich vorhanden waren. ^) Dort wird auch eine religiöse
Versammlung der Therapeuten geschildert ; zuerst singt ein einzelner einen
') Eigentlich Stäbchen; der Name be- ! den erhaltenen Hymnenhandschrift«n findet
zeichnete ursprünglich die das Lied enthal
tende, auf ein Stäbchen d. h. einen rotulus
gewickelte Pergamentrolle. Die Behauptung
von V. Gardthausen, Griech. Palaeo-
graphie (1879) S. 59, es sei erst seit dem
12. Jahrh. üblich geworden, die Liturgie zur
p]rhöhung der Feierlichkeit von einer solchen
Rolle abzulesen, scheint mir unrichtig. Der
alte volkstümliche Name xorräxiov macht
vielmehr wahrscheinlich, dass die Sitte wenig-
sich keine einzige Rolle.
2) Vgl. Bouvy a. a. 0. S. 221 flF.
') Wahrscheinlich nach dem Hebräischen,
wo „Haus" für Lied gebraucht wird. Damit
ist das italienische Stanza (Aufenthalt,
Zimmer, Strophe) zu vergleichen, wo derselbe
Bedeutungsübergang vorliegt. S. F. Diez,
Wörterbuch der rom. Sprachen * S. 307.
*) Vgl. Christ, Sitzungsber. d. bayer.
Akad. d. Wiss. phil.-hist. Cl. 1870, II 94 flf.
stens für die Gesänge früher bestand. Unter | ^) W. Meyer a. a. 0. 374 f.
■
336 Byzantinische Litteratnrgescliichte. U. Poetische Litteratnr.
Hymnus auf Gott, /xeO^ '6v xai ol ixXXoi xaxd ra^eig er xuCfio) TtQoarjxovvt,
nccvTiov xaid rcoXkr^v r^avxiav dxQOiüf.ii\u)%', TiXrjV onörs rd uxQoxeXevria
xai itfVfivia aSsiv deoi' röte y^Q c^'/X^yo"' ncvteq re xai Ttaaai.
Aus solchen Akklamationen entwickelte sich der Kirchengesang (s. § 161).
Durch dieses geschichtliche Verhältnis erklärt es sich auch, dass die Nach-
gesänge in der älteren Gattung der Kirchenlieder, in den Hymnen, regel-
mässig erscheinen, während sie in den späteren Kanon es seltener werden.
Der technische Ausdruck für den Refrain ist itfv^ivior oder dxqo-
TsXevtiov; auch äxQÖaxixov, d. h. Spitzvers, Schlussvers kommt in diesem
Sinne vor. Eine sehr treffende, von Suidas und sonst bezeugte Benennung
ist dvaxXwnevov, d. h. Reflex- oder Gegengesang. Nichts anderes als der
Refrain ist auch die viiaxorj, d. h. die Responsion des Volkes (schon im Jung-
frauenliede des Methodios: vrtaxovovai). Zu vergleichen sind die in der
byzantinischen Geschichte oft erwähnten Prosphoneme, womit das Volk den
Kaiser bei öffentlichen Gelegenheiten im Zirkus, Hippodrom und sonst zu
empfangen pflegte. In der alten Profanpoesie entspricht dem Refrain der
Kirchendichtung ganz deutlich das €(fVfiviov, das auch sjiifis^iSrjixa oder ini-
(fmrji^a heisst, z. B. in den Eumeniden des Aeschylos V. 1036 und 1040:
evffaixelte dh TiavSafu, V. 1044 und 1048: oXoXv^are vvv im fioXnaTg.
178. Akrostichis. Eine wichtige Eigentümlichkeit der Kirchenpoesie
ist die Akrostichis, d. h. die Einrichtung, dass die Anfangsbuchstaben
der Strophen oder auch der Verse nach einer bestimmten Absicht ver-
bunden sind. Das verknüpfende Band besteht teils im Alphabete {A — ii
oder auch Si — A), teils in Angaben über den Verfasser oder über den In-
halt des Gedichtes, zuweilen auch in selbständigen Versen. Am frühesten
scheint in der Kirchenpoesie die dxQoartxig xar dXffäßrjXov nachweisbar;
sie findet sich schon im Jungfrauenliede des Methodios, das aus 24 Stro-
phen mit den Initialen A — ß besteht, in einem jambischen Gedichte des
Gregor von Nazianz und sonst. Das berühmteste Beispiel der alpha-
betischen Akrostichis ist der Akathistos des Patriarchen Sergios. Auch
in den Kanones findet sie sich. Sie hatte ohne Zweifel einen bemerkens-
werten Einfluss auf den Umfang der Hymnen; da nämlich durch sie die
Strophenzahl (24) fest bestimmt war, gewöhnte man sich, auch ohne den
Zwang der alphabetischen Akrostichis eine ähnliche Strophenzahl (20 — 30)
einzuhalten. Im übrigen ist zwischen den Hymnen und Kanones ein be-
deutender Unterschied bemerkbar. Auch hier zeigen nämlich die Hymnen
grössere Einfachheit ; in ihnen wird nur der Anfangsbuchstabe der Strophen
ausgezeichnet und die Akrostichis enthält meist nur einen kurzen Prosa-
vermerk über den Verfasser oder den Gegenstand des Gedichtes z. B. Toi»
TuneiYov 'Pwfiarov vfirog, Aivog 'Pu)fiarov fig %d ytrt'^Xia, "Vfiiog eig lov
^toXöyov 'Pcofiavov, Tov raßgnjX, Tov raneivov 2T€(fdvov u. s. w. In den
Kanones dagegen besteht die Akrostichis häufig aus einem oder mehreren
Versen; den Gipfelpunkt erreicht die Künstelei bei Johannes Damaskenos,
der die einzelnen Verse durch ein ausgedehntes metrisches Akrostichon
verbindet. Die durch 130 Verse hergestellte Akrostichis seines Weihnachts-
hymnus lautet:
1. Kirchenpoesie. B. Die Form der Kirchenpoesie. (§ 178.) 337
Evenlrjs fieXesaaty iffvuvut ruvta Xiyaiyei
VI« &€ov, jusQÖnwy ei'yexcc rixröfisyoy
iv x&oyi xai Xvoyra noXvaroya Tiiifxata xoofiov '
äXi.', «V«, QrjTiJQas ^vso ruiyde növwv.
Die Veranlassung der Sitte, den Namen durch die Akrostichis zu ver-
raten, ist nicht bekannt. Vielleicht gehorchten die Meloden hiemit an-
fänglich einer kirchlichen Vorschrift. Durch zwei Bestimmungen des Kon-
zils von Laodikea war es verboten, unbekannte Lieder zu singen; die
Namensangabe verlieh den Hymnen also gewissermassen die Signatur ihrer
Legitimität, sie beugte dem Verdacht häretischen Ursprungs vor. Für die
Litteraturgeschichte ist die Sache von grosser Bedeutung; denn von
300 Meloden ist etwa der dritte Teil nur durch die Anfangsbuchstaben
der Strophen bekannt. Freilich hilft der blosse Name nicht immer zur
genaueren Bestimmung, weil viele Homonyma vorkommen. Besonders
herrscht unter den zahlreichen Trägern der Namen Theodoros, Georgios,
Johannes eine schwer zu lichtende Verwirrung. Leider ging die Be-
scheidenheit der Dichter später oft so weit, dass sie ihre Person unter
irgend einem Beiworte verbargen. Theodoros Studites z. B. verrät sich
häufig nur durch das demütige Akrostichon Tov nxoixov, Tov daoiTov, Toi
Tv<fX6vov. In einem Briefe berichtet er uns, dass 24 Meloden des Klosters
Studien wähi-end des Bildersturmes ihre Namen unter bestimmten Buch-
staben des Alphabets verhüllten. Da sind wir freilich ratloser als die
Kunsthistoriker bei manchem Monogramm alter Maler. Ganz vereinzelt
stehen Akrosticha mit polemischem Charakter z. B. ToTg elxovoxXdaxaig
ovm (cod. Patm. 213, fol. 15). i) Zuweilen beginnt die Akrostichis schon
beim Prooemion bzw. beim Hirmos, so öft^r bei Romanos und Anastasios;
in diesem Falle ist der Hirmos mit grosser Wahrscheinlichkeit dem Ver-
fasser des Gedichtes selbst zuzuschreiben, was für die Zeitbestimmung
der Meloden und Gedichte von Wichtigkeit ist. Im cod. Patm. 212, fol. 161
findet sich vor einem kurzen Liede mit der Akrostichis 'Jc/m, in welche
das Prooemion miteingeschlossen ist, der interessante Vermerk: (Psqsi
ttxQoorixiSa avv rov xovtaxiov (!) • ^Aapia, d. h. das Gedicht hat mit dem
Prooemion die Akrostichis 'A(f/.ia.^)
Die ästhetische Beurteilung kann der Akrostichis nur eine sehr
untergeordnete Bedeutung zuerkennen. Während der Tonfall, der Reim
und sonstige poetische Mittel zum Ohre dringen, bemerkt man die Akro-
stichis nur auf dem Papier 3) und muss sie mühsam zusammenstellen. Man
könnte zur Verteidigung höchstens anführen, dass durch sie die Strophen
oder Verse deutlich auseinandergehalten werden; aber hiefür boten sich
andere graphische Mittel. Auch der angebliche Vorteil, dass durch die
Akrostichis der unbemerkte Ausfall einer Strophe oder eines Verses ver-
hindert werde, vermag den künstlerischen Wert derselben nicht zu erhöhen.
') üeber andere Spielarten der Akrosti-
chis s. Pitra, HjTnnographie Gr. S. 18 S.;
Anal. S. I Proleg. S. 77 f.; Bouvy a. a. 0.
332 S.
^) Zur Bezeichnung einer einzelnen Strophe
oder des Proömions scheint xovxctxiov sonst _^ _
nicht üblich zu sein. ! zu vergleichen sind
HADdbQch der Uabs. Altertumswiwenscbaft. IX. 1. Abtlg. 22
*) Dagegen spricht nicht, dass in der
Akrostichis zuweilen ähnliche Laute wie oi,
V, et, i, t], tu, E verwechselt werden, dass
also z. B. tdofisy statt stdofxey steht. Das
sind orthographische Willkürlichkeiten, die
mit dem lexikalischen Prinzip der Antistoechie
338 Byzantinische LitteratnrgeBchichte. 11. Poetisclie Litteratur.
Ueber den Ursprung der Akrostichis ist es schwer, etwas ganz
Sicheres zu ermitteln. Wie es scheint, war sie bei den Orientalen früh
und allgemein verbreitet. Aber auch in der quantitierenden Poesie der
Griechen und Lateiner finden sich schon in alter Zeit Akrosticha.
Vielleicht ist diese Künstelei, in der man ein Mittel besass, poetische Texte
einigermassen vor Interpolationen und Verkürzungen zu schützen, zuerst
in der Orakellitteratur zur Anwendung gekommen. Wenigstens scheint
das älteste Beispiel einer erhaltenen Akrostichis in den um das Jahr 200
V. Chr. abgefassten sibylJinischen Orakeln vorzuliegen, welche uns in dem
Wunderbuche des Phlegon von Tralles erhalten sind.') Nun verstehen
wir, was Cicero, De Divin. II 54, 111 von einem Orakel der Sibylla sagt:
„Non esse autem illud carmen furentis cum ipsum poema declarat (est
enim magis artis et diligentiae quam incitationis et motus), tum vero ea
quae acrostichis dicitur, cum deinceps ex primis <cuiusque> versus
litteris aliquid conectitur, ut in quibusdam Ennianis: Q. ENNIVS FECIT,
id certe magis est attenti animi quam furentis. Atque in Sibyllinis ex
primo versu cuiusque sententiae primis litteris illius sententiae Carmen
omne praetexitur. " 2) Ein anderes altes Beispiel ist die wohl in Aegypten
193/190 V. Chr. verfasste EvSö^ov rt'xvrj. Zwei interessante Akrosticha
aus nachchristlicher Zeit haben zur Bestimmung der Autorschaft ano-
nymer Werke verholfen; ein in Jamben abgefasstes geographisches Ge-
dicht beginnt mit dem Akrostichon Jiovvaiov rov KalXnpwvToq, ein in Hexa-
metern geschriebenes hat von Vers 109 an das Akrostichon '£/n; Jiovvaiov
jdov ivTog <Pc(Qov (sc. iativ rj ßiß^og) und von Vers 513 an ötög "^Egfiijg im
'ASqiuvovJ) Mit Vorliebe wurde die Akrostichis seit alter Zeit in der
Epigrammenlitteratur gepflegt.*) Bei den Römern hat Ennius die
akrostichische Kunst aus der alexandrinischen Poesie entlehnt (Q. ENNIVS
FECIT; s, 0.). Aehnlich nannte sich Aurelius Opilius etwa um 100 v. Chr.
nach Sueton (Grammat. 6) „in parastichide libelli qui inscribitur Pinax."
Eine Reihe von Argumenten plautinischer Komödien, die vielleicht
noch aus vorchristlicher Zeit stammen, enthalten im Akrostichon den Namen
des Stückes. Die Ilias Latina (im 1. Jahrhundert n. Chr.) beginnt mit dem
Akrostichon Italiens und schliesst mit Scripsit. Zur vollen Herrschaft
gelangte die Akrostichis bei den christlichen Dichtern der Lateiner
und Griechen, zuerst bei Commodianus und Methodios. Dass die An-
wendung akrostichischer Künste auch in der Prosa nicht verschmäht
wurde, beweist Philostorgios, der die Anfänge seiner 12 Bücher Kirchen-
geschichte mit den 12 Buchstaben seines Namens verziert hat,'') und die
Paränese des Kaisers Basilios (s. § 88). Endlich hat die Akrostichis in
die vulgärgriechische Litteratur Eingang gefunden; wir treffen sie in
der Ilias des Hermoniakos und in den 'AXifäßi^toi xatavvxrixoi und iqwvtxoi
•) H. Diels, Sibyllinische Blätter, Berlin Vgl. W. Meyer a. a. 0. S. 870 und H. DieU
1890, wo S. 111 ff. auch der Text der Orakel a. a. 0. S. 25 ff.
kritisch ediert ist. 1 ») Vgl. Christ, Griech. Litt.» §380; 448
■■') Eh ist hier nicht der Ort auf die Er-
klärung und P^mcndation dieser augenschein-
lich verdorbenen Stelle näher einzugehen.
und H. Diels a. a. 0. S. 34.
*) Belege bei H. Diels a, a. O. S. 35.
') S. den Bericht desPhotios, cod. 40.
1. Kirchenpoesie. B. Die Form der Kirchenpoesie. (§ 179.) 339
(s. den Anhang), Selbst heute noch scheint sie dem Volksmunde nicht
fremd zu sein. Ein in Andros während der Oster woche gesungenes an-
gebliches Volkslied mit alphabetischer Akrostichis veröffentlichte Karysti-
nakis;^) es beginnt: '^QX^] ^ov xöafiov, BaaiXsvg eQx^Tcti, Fsvvcnai 6 Xqiatoq.
Hauptschrift en zur Geschichte der Akrostichis: W. Meyer, Anfang und Ur-
sprung der latein. und griech. rythraischen Dichtung (s. S. 309) S. 370 f. — H. Diels,
Sibyllinische Blätter, Berlin 1890 S. 25 — 37, wo S. 36 Anm. 1 noch weitere Litteratur und
einige von Tobler mitgeteilte romanische Beispiele verzeichnet sind.
179. Beim. Zu den Kunstmitteln der. rythmischen Poesie gehört
auch der Reim. In den Hymnen des Romanos, im Akathistos des Sergios
und in dem des Anonymus, sowie in vielen der späteren Hymnen spielt
er eine unbestrittene Rolle. Als Beispiel folge eine Strophe des Ro-
manos: 2)
T'ig dxovaas :{: ovx ivÜQxrjae
rj rlg ^sioQijaag ^ ovx ixQÖ^aas
roy 'Ir^aovy if: döXw (fiXovfievop,
xov XQiaxov ^ (f&öpw nwkovfueyoy,
roy &e6y ijfi yyw/ir} xQarov/ueyoy u. s. w.
Zuweilen bindet der Reim nicht bloss die entsprechenden Langzeilen, son-
dern auch die Kurzzeilen. Er ist demnach nur ein rhetorisches Kunst-
mittel und mit dem modernen Reim in gleichzeiligen Versen
nicht auf gleiche Stufe zu stellen. In den gleichzeiligen Versen
der griechischen Accentpoesie, also vor allem in den politischen Fünfzehn-
silbern fehlt er; hier wird er erst im 15. Jahrhundert aus der roma-
nischen Poesie eingeführt.^) Das Vorbild dieses rhetorischen Reimes ist
in der altgriechischen Poesie und Prosa zu suchen. Schon bei Homer
und den Tragikern, bei Plato, Isokrates u. a. finden sich unverkenn-
bare Beispiele beabsichtigter Assonanzen. Zur vollen Ausbildung gelangt
diese Eigentümlichkeit in der Kirchenprosa. Im Epilog des Briefes an
Diognetos, der in das 8. Jahrhundert gesetzt wird,*) liest man z. B.:
ily o(fig ovx ftTtrsrai
ov&€ nXüytj avyxQwtiCeTai
ovde Eva rp&Eiqexai,
fiXXfl TiccQ^e'yog niaxevsxai
xal atüxtJQioy öeixyvxai
xcü ((TiöaxoXoi avyexlCoyxcci
xtd x6 xfQiov 7iäaj(a ngoeQ/exai u. s. w.
In einer Homilie des Sophronios erreicht die Assonanz und Isokolie einen
Grad, dass man einen regelrechten Hymnus zu lesen glaubt z. B.:
XaiQoig, iü X"Q"^ ^^? inovQctylov yeyv^XQia,
XttiQoig. (J /«p«? xrjg vneQxäxrjg fjaisvxQia,
^ctigoig, w /agäg xrjg atoxrjQiov fiTjXQÖnoXtg,
XaiQoig, 0* /uQäg x^g u&itycixov naqaixiog u. s. w.^)
Von solchen Assonanzen in der Prosa war kein grosser Schritt zur An-
wendung des rhetorischen Reimes in der Poesie. Für die rythmische
^) 'EffWa 1889, N. 693, S. 335. Doch
kann das Lied wenigstens in der mitgeteilten
Fassung unmöglich wirklich volksmässig sein.
'') Pitra. Anal. S. I S. 92
I
*) W. Meyer a. a. 0. 378.
5) Bouvy S. 199; ebenda S. 184 ff. son-
stige Beispiele rj'thmischer Prosa. Beson-
ders deutlich sind die Assonanzen u. a. bei
W. Meyer a. a. 0. 355 ff. Vgl. Ja- | Eulogios, Migne, Patrol. Gr. 86 (1860)
i a. a. 0. 190 ff. und Bouvy a. a. 0. 325 ff. \ 2913 ff.
22*
340
Byzantinische Litteratnrgeschichte. 11. Poetische Litteratnr.
Dichtung war derselbe sehr wichtig ; denn bei ungleichen Versen, die nach
dem Prinzip der Silbenzählung gebaut sind, werden gewisse Marksteine der
Zeilen erforderlich, damit die Gliederung des Gedichtes dem Gefühle des
Hörers fassbar wird und nicht alles ineinander verfliesst wie in der
Prosa. ')
lieber Assonanzen, Reimverschlingung u. s. w. in der altgriechischen Poesie
und Prosa: J. Gustaffson, De vocum in poematis Graecis consonantia, Acta societ. scien-
tiarum Fennicae t. 11 (1880) 295 — 327. — Otto Dingeldein, Gleichklang und Reim in
antiker Poesie, Progr. Büdingen 1888 S. 10 ff. — Zur Geschichte des Reims in der latei-
nischen Poesie s. Ad. Ebert, Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters im
Abendlande 1* (1889) 250 f. und sonst (s. den Index s. v.).
180. Gleichzeilige rythmische Gedichte kommen nur selten und
erst in später Zeit vor. Hieher gehört das 'iiiddcQiov xuzarvxTixov des
Kaisers Leo,*) der Yfivog ix TtQoa(oTcov Baaileiov ätcnötov des Patriarchen
Photios^) u. a. In dem Gedichte des Leo, das aus 189 (bei Christ 150)
Zeilen zu je 8 Silben besteht, ist eine bestimmte Zeilenart der quanti-
tierenden Poesie nachgeahmt. Auch in dem Gedichte des Photios scheint
eine anakreontische Zeile die Grundlage zu bilden. Wenn diese kleinen
gleichzeiligen Gedichte als private Versuche ohne litterarhistorische Be-
deutung erscheinen, so hat eine andere gleichzeilige Versart der accen-
tuierenden Poesie im späteren Mittelalter fast die ganze Litteratur erobert,
der sogenannte politische Vers. Ueber diesen s. S. 302 f.
181. Sprache. Die Stabilität, welche die byzantinische Schriftsprache
im allgemeinen charakterisiert, ist auch in der Sprache der Kirchen-
dichter bemerkbar. Doch konnten bei einer Gattung, die sich auf einen
so langen Zeitraum und so zahlreiche Autoren verteilt, sprachliche und
namentlich stilistische Differenzen nicht ausbleiben. Wie in der byzan-
tinischen Prosa so vollzog sich auch hier bei aller Gleichförmigkeit durch
die Zeit und durch individuelles Bemühen eine wenn auch nicht sehr auf-
fallende innere Entwickelung. Bis jetzt sind freilich nur die allgemeinsten
Thatsachen erkennbar. Die allen Dichtern gemeinsame sprachliche Grund-
lage, die durch die Stoffe selbst bedingt war, bilden die Schriften des alten
und neuen Bundes sowie die Kirchenväter. Im übrigen macht sich der
Dualismus, der die Prosa beherrscht, auch hier fühlbar; wir unter-
scheiden nämlich eine strengere, schulmässige, sogar mit alten Dialekt-
formen aufgeputzte und eine einfachere, dem volksmässigen Verständnis
näher stehende Stilgattung. Vertreter der ersteren sind vor allem die
ältesten christlichen Dichter, welche auch in ihrer Metrik mit wenigen
Ausnahmen der klassischen Tradition folgen, wie Clemens von Ale-
xandria, Gregor von Nazianz, Synesios u. s. w. Von den Späteren
gehören hieher Sophronios, Johannes von Damaskos, Kosmas u, a.
Haupttypus für die zweite Gattung ist Romanos, der sich nicht nur
durch die grösste Einfachheit des Satzbaues auszeichnet, sondern auch in
der Formenlehre und im Wörterbuche eine Annäherung an das Volks-
•) W. Meyer a. a. 0. S. 385.
*) Kd. Matranga, Anecd. II 683 und
Christ, Anthol. 8. 48.
«) Ed. Christ, Anthol. S. 50. Vgl.
seine Prolog. S. 28; H9. Zu beiden Gedieh-
ton W. Meyer «. 316 ff.
1. Kirchenpoesie. B. Die Form der Kirchenpoesie. (§ 180—182.) 341
massige nicht scheut. Bei ihm treffen wir schon Analogiebildungen wie
^avrjvm für ^areh; Spuren des vulgärgriechischen absoluten Partizips in
der häufigen Konstruktion des Neutrum Singularis mit einem Partizip auf
-ovra, z. B. ro Gwi-ict — ovTa. Manche Lizenzen gestatteten sich die Me-
loden wegen des Metrums; daher findet man orav und iccv bald mit dem
Konjunktiv, bald mit dem Indikativ verbunden, den Vokativ cwtsq neben
ao}T7]Q, ^vyareQ neben Ü^vyccTr^Q, tcötsq neben natr^g u. s. w. Weniger auf-
fällig ist die häufige Verbindung eines Superlativs in der Maskulinform
mit einem Substantiv weiblichen Geschlechtes z. B. dvawdeaxaTov (f^ogdv
u. s. w.; denn Aehnliches hat schon Homer, Thukydides und andere alte
Autoren.') Im grossen und ganzen bewahren auch die Meloden des freieren
Stils eine richtige Mitte; sie bleiben dem Volke verständlich, ohne etwas
von der dem erhabenen Gegenstande angemessenen Würde preiszugeben.
Die nicht unbedeutenden Differenzen innerhalb dieser Gruppe, insbesondere
das sprachliche Verhältnis der Studiten zu Romanos und den übrigen
älteren Meloden bedarf noch der Untersuchung.
182. Ursprung der rythmischen Poesie. Ueber die Herkunft der
rythmischen Form gab es früher zwei Hypothesen. Nach der einen be-
stand rythmische oder vielmehr durch den Accent bestimmte Dichtung schon
in alter Zeit bei dem ungebildeten griechischen Volke neben der gelehrteren,
auf der Quantität beruhenden Poesie. Da es jedoch an sicheren Beweisen
für diese Hj-pothese mangelt,-) hat sie wenig Anhänger gefunden') und
darf, wie die ihr verwandte Behauptung, das Neugriechische habe schon
in altgriechischer Zeit im Volksmunde bestanden, ohne weitere Erörterung
bei Seite geschoben werden. Verlockender schien die zweite Erklärungs-
weise: Als die Unterscheidung der kurzen und langen Silben, d. h. der
Quantität, allmählich verloren ging und in der lebendigen Sprache nur noch
der Accent herrschte, sei an Stelle der alten Quantitätspoesie die Accent-
poesie getreten. Dass die genannte Veränderung der Aussprache viel
älter ist als die ersten Spuren der rythmischen Poesie, würde diese Er-
klärung nicht hindern; denn von der langsamen Veränderung der Aus-
sprache bis zu einer auf sie gestützten Neuschaffung einer poetischen Form
ist ein sehr weiter Schritt, der keineswegs sofort gemacht werden musste.
Viel grössere Schwierigkeiten bereitet eine andere Erwägung. Wäre die
rythmische Poesie geraden Weges aus der quantitierenden hervorgegangen,
so wäre zu erwarten, dass man einfach an Stelle der langen und kurzen
Silben die stark betonten und die schwach betonten gesetzt, d. h. dass
') Belege bei Bouvy a. a. 0. S. 301. | a. a. 0. S. 520: ,L'accent qui seul agissait
6. z. B. Thukyd. ed. Classen III 89. Ueber | sur les masses et provoquait les acclama-
eine ähnliche Erscheinung (das Schema \ tions ou les sifflets des amphitheätres, a et4
Twv TioXewy tinsyviiixoxtay) s. Lob eck, Ag- | de tout temps Tarne de la poesie popnlaire.
laophamus, Königsberg 1829 S. 216 ff. i A l'epoque de la decadence litteraire de la
^) Vgl. Fr. Ritschi, Opuscula I (1866) , Grece et de Rome, ce n'est pas un element
289. — 299 und W. Wagner, Medieval Greek nouveau qui surgit; loin de lä, c'est un prin-
texts, London 1870 S. I fF. Metrische Er- cipe essentiellement populaire, toujours \'ital,
klärung des lesbischen Mühlenliedes, auf das mais refoule longtemps par l'aristocratie de
sich Ritschi stützte, von U. v. Wilamowitz- < la prosodie classique, qui revient ä la surface
Möllendorff, Hermes 25 (1890) 227. ! et reprend sa revanche."
') Zu ihnen gehört z. B. Stevenson j
842 Byzantinische Litteratnrgeschichte. II. Poetische Litteratur.
man die alten jambischen, trochäischen und anderen Zeilen nach dem neuen
Prinzip des Accents nachgebildet hätte. Statt des alten, nach der Quan-
tität gebauten Trimeters erwarteten wir also einen nach dem Accent ge-
bauten; so lesen wir z. B. auf lateinischen Grabinschriften nach dem
Wortaccent betonte Nachbildungen des quantitierenden Hexameters wie:
Si meritis iacentum piis laus datur sepulchri. Allein merkwürdiger Weise
ist dieses scheinbar so nahe liegende Verfahren, welches Opitz für die
deutsche Nachbildung antiker Strophen eingeführt hat, nicht eingeschlagen
worden. Von einer Nachbildung bestimmter Verszeilen, ja auch
nur bestimmter Versfüsse der quantitierenden Metrik ist in der
rythmischen Dichtung keine Spur. Eine wirkliche Nachbildung einer
alten Zeilenart ist, von unbedeutenden einzelnen Versuchen wie den Ge-
dichten des Leo und Photios abgesehen, nur der politische Vers, der
aber erst auftritt, als die rythmische Poesie schon ihre Blüte erreicht hat.
Mithin wird auch die zweite Hypothese vom Ursprünge der rythmischen
Poesie durch die Thatsachen widerlegt.')
Nachdem sich so die zwei Erklärungen, welche die rythmische Poesie
als ein einheimisches Erzeugnis auffassten, als verfehlt erwiesen hatten,
wurde der Versuch gemacht, sie aus semitischen Vorbildern abzuleiten.
Pitra, Stevenson und Bouvy äusserten diese Idee nur ganz allgemein
und mit vorsichtiger Zurückhaltung; Wilhelm Meyer hat sie mit grosser
Gelehrsamkeit methodisch durchgeführt und zu begründen versucht: Von
den semitischen Christen, welche der Quelle des Christentums näher standen
als die Griechen und Lateiner, sei mit dem Christentum die rythmische
Dichtungsform zu den lateinischen und griechischen Christen gewandert.
Sicher erwiesen sind bei den Semiten die alphabetische Akrostichis
und der Reim; allein die Keime dieser zwei Eigentümlichkeiten der ryth-
mischen Poesie finden sich, wie in §§ 178 f. dargelegt wurde, auch bei
den Griechen und Lateinern so deutlich vorgebildet, dass für sie die
Annahme einer Entlehnung aus der Fremde nicht notwendig erscheint.
Auch wenn die eine oder andere dieser Eigentümlichkeiten mit völliger
Sicherheit auf ein semitisches Vorbild zurückgeführt werden könnte, so
wäre damit noch keineswegs die Entlehnung des ganzen Gebäudes der
rythmischen Dichtung erwiesen. Wenn wir aber von Reim und Akro-
stichis absehen, so herrscht über die Grundgesetze der hebräischen und
syrischen Poesie unter den Orientalisten der heftigste Streit; selbst in
prinzipiellen Punkten gehen die Meinungen noch weit auseinander.*) Hier
stehen wir mithin auf einer sehr schwankenden Grundlage, und auch der
umfassenden Gelehrsamkeit W. Meyers ist es nicht gelungen, dieselbe
ausreichend zu befestigen. Solange die Orientalisten sich über die Grund-
fragen der hebräisch-syrischen Metrik nicht geeinigt haben, kann eine
Beweisführung, die doch wesentlich von der richtigen Entscheidung dieser
Grundfragen abhängt, nicht überzeugen. Die Frage ist daher wohl noch
als eine offene zu betrachten.
') W. Meyer S. 315; 318; 371; 8. auch 1 •) Bouvy a. a. 0. S. 10 fF.
Bouvy S. 322 ff. |
1. Kirchenpoesie. B. Die Form der Kirchenpoesie. (§ 182.) 343
Wenig günstig für die Hypothese einer einfachen Entlehnung aus
der Fremde ist die kaum zu leugnende Thatsache, dass in der griechi-
schen Eythmenpoesie eine langsame Entwickelung von kleinen und
schwachen Anfängen zu grösster Kunstfertigkeit vorliegt. Wäre das Ganze
ein importiertes Werk, so hätten wir wohl das plötzliche Auftreten fertiger
Schöpfungen zu erwarten, ähnlich wie in der römischen Litteratur die vom
griechischen Boden verpflanzten Gattungen sofort im wesentlichen abge-
schlossen erscheinen. Gegen die Entlehnung spricht ferner der sehr be-
deutende Unterschied zwischen der griechischen und lateini-
schen Kirchendichtung. Wäre sie aus dem Orient eingeführt, so Hesse
sich wohl gerade in den frühesten Proben derselben auf lateinischem und
griechischem Boden eine grosse Gleichmässigkeit erwarten,^) Man wird
zwar die Wirkung orientalischer Einflüsse auf die griechische Kirehen-
dichtung nicht ableugnen dürfen, unsicher bleibt aber, in welcher Weise,
in welcher Ausdehnung, ob auf direktem oder indirektem Wege
wir uns dieselben wirksam denken müssen. Manche Eigentümlichkeit der
hebräischen Poesie wie der Parallelismus, die kurzen Satzglieder klingen
auch in der Septuaginta nach und wirkten von hier auf die Kirchen-
dichtung der Griechen : die ältesten Akklamationen wie das J6%a €v vipiavoic
u. s. w. stammen aus der Psalmenübersetzung. Wenn ferner die Existenz
einer stark rythmischen Prosa voll Assonanzen und kurzer, gleich-
massiger Satzteile schon bei heidnischen Profanautoren und noch mehr in
der Septuaginta und bei christlichen Schriftstellern zweifellos ist, so muss
doch sehr erwogen werden, ob nicht hier der erste und wahre Aus-
gangspunkt zu suchen ist; die einzige, durch die Bekanntschaft mit der
antiken Lyrik sehr nahe gerückte Idee der öfteren, strophenmässigen
Wiederholung des rythmischen Prosasatzes genügte, um den Uebergang
zur rythmischen Poesie zu vollziehen, die ja von den Griechen selbst noch
im Mittelalter nur als eine Abart von Prosa betrachtet wurde. Daneben
kann immerhin die Bekanntschaft mit dem syrisch-hebräischen Kirchen-
gesang mitgewirkt, kann die Bewegung beschleunigt oder in ihrer Kichtung
beeinflusst haben. Als in der lebendigen Sprache die Unterscheidung der
Quantität verloren gegangen w^ar, musste die Dichtung ganz von selbst
eine neue Form aufsuchen, wie die Pflanze, der auf einer Seite Boden
und Licht entzogen wh-d, sich instinktiv nach der andern Seite hinwendet
und dort ihren Lebensbedingungen nachstrebt. Für lebendigen, herz-
erhebenden Gesang war die quantitierende Poesie völlig unbrauchbar ge-
worden; als natürlicher Ersatz bot sich zunächst eine rythmisch ausge-
bildete Prosa, die durch Verfeinerung der Assonanzen und durch die
Wiederholung gleicher Komplexe sich zur rythmischen Poesie erhob, 2) Ganz
ausgeschlossen scheint uns die noch zuletzt von Deutschmann verteidigte
Anschauung, die Rythmendichtung sei aus einer Nachahmung altgriechischer
Formen entstanden. 3) Dass die rythmische Poesie mit dem Christentum
auftrat und auch später auf die Kirche beschränkt blieb, kann für den
') Dreves, Götting. Gel. Anz. 1886, | =>) ^ ^ q. (s. S. 309) 29: ,Rhythmica
1) 291. ' cannina et politica et hjTnnica eodem modo
^) Bouvy a. a 0. S. 19 f.; 273. , ex imitatione vet^rum Graecorum nata sunt."
344 Byzantinische Litteratargeschichte. II. Poetische Litteratar.
Ursprung schwerlich etwas beweisen; denn es ist natürlich, dass der
konsequente und rücksichtslose Bruch mit der heidnischen Tradition zuerst
von den Christen vollzogen wurde, die auch in anderen Beziehungen ohne
Scheu das hellenische Herkommen überschritten. In den Dichtungen der
heidnischen Griechen und auch in den cluistlichen Profanpoesien, die nur
auf gelehrte Uebung und ästhetisches Vergnügen abzielten, behauptete sich
die alte Schultradition der quantitierenden Metrik.
Hauptschrift: W.Meyer, Anfang und Ursprung der lateinischen und griechischen
rythmischen Dichtung; dagegen Dreves, Deutschmann und Kawczynski a. a. 0. (s. S. 309).
2. Profanpoesie.
183. Vorbemerkung. Die Ueberschrift dieser Abteilung ist im
weitesten Sinne zu verstehen. Wir fassen hier, wie schon oben (§ 155)
angedeutet ist, alle nichtliturgische Poesie zusammen, die zum Teil wirk-
liche Profanpoesie ist, zum Teil aber auch religiöse Gegenstände besingt.
Das unterscheidende Merkmal ist also weniger der Stoff als die Absicht
und Form. Während die KJrchenpoesie dem praktischen Bedürfnisse der
Erbauung und Erhebung dient und in ihrer Form ganz neue Bahnen ein-
schlägt, verfolgen die Werke der zweiten Abteilung rein litterarische Zwecke
und erscheinen als mehr oder weniger getreue Fortbildungen antiker
Gattungen. Die wichtigste Konzession, welche die byzantinische Profan-
poesie dem Geiste ihres Zeitalters machte, ist der politische Vers, der
nun mit den antiken Metren um die Herrschaft streitet. Bei der Anord-
nung des ganzen Abschnittes erhob sich die Frage, ob die poetischen
Gattungen, deren Charakter und Geschichte oben (§ 156 f.) in allgemeinen
Zügen geschildert worden ist, nun auch in der speziellen Darstellung ab-
gesondert werden sollen. So sehr die systematische Betrachtung nach
Epos, Lyrik, Drama, lehrhafter Poesie, Satire u. s. w. sich namentlich für
ein Handbuch zu empfehlen scheint, so sprechen doch bei der byzantinischen
Poesie innere und äussere Gründe, namentlich der eklektische Charakter
der Dichter und der Mangel einer grossen, deutlichen Entwickelung inner-
halb der einzelnen Arten, gegen die strenge Durchführung der Eidologie.
Während in der altgriechischen Litteratur die schöne Gliederung nach
Gattungen auf der Thatsache eines organischen Wachstums beruht,
müsste sie hier künstlich erzwungen werden. Dadurch entstünde im Leser
eine geschichtlich unrichtige Vorstellung von dem Wesen und Entwicke-
lungsgange der byzantinischen Poesie. Die Einsicht in ihren verschwom-
menen Grundcharakter würde durch das willkürlich erzeugte Trugbild
eines selbständigen Eigenlebens der Arten gestört. Nicht weniger schwer
sind die praktischen Bedenken gegen die Anwendung des eidologischen
Systems. Einerseits müssten die meisten Poeten in mehrere Stücke zer-
rissen werden, was dem tektonischen Prinzipe des ganzen Buches wider-
spricht, andererseits könnten die einzelnen Fächer doch nur sehr ungleich-
massig ausgefüllt und abgerundet werden. Was für einen Sinn hätte
z. B. eine Abteilung für dramatische Dichtung, die nahezu mit der
346 Byzantinische Litteraturgeschichte. II. Poetische Litteratur.
anonymen Passion beginnen und mit derselben wieder aufhören müsste?
Ebenso fehlt es auf dem Gebiete des Romans an einer dauernden und
greifbaren Entwickelung ; nachdem die Gattung über ein halbes Jahr-
tausend brach gelegen war, erscheinen auf einmal vier Werke, fast isoliert
und durch keine Mittelglieder mit ihren Vorbildern verbunden. Am dank-
barsten wäre noch eine selbständige Betrachtung des spätgriechischen und
byzantinischen Epigrammes; doch konnte um dieser einen Art willen das
allgemeine Prinzip nicht durchbrochen werden.
An einer zusammenhängenden Untersuchung der gesamten byzan-
tinischen Profanpoesie fehlt es noch. Daher konnten die Entwickelungs-
stufen, die inneren Zusammenhänge, die wechselseitigen Beziehungen und
die Einflüsse der poetischen Arten unter sich und der Prosalitteratur nur
stückweise angedeutet werden. Wir vermochten auch hier beim besten
Willen und den höchsten Ansprüchen an Zeit und Kraft nur eine vorläufige
Uebersicht zu geben, die zu weiteren Forschungen anregen mag.
Georgios Pisides, der in unserer Darstellung die Reihe der Profan-
dichter eröffnet, gehört, wie oben (S. 7) dargelegt wurde, als letzter Aus-
läufer der Schule des Nonnos, geschichtlich noch zur altgriechischen
Epoche. Auf ihn folgt in der hellenisierenden Dichtung eine grosse Lücke. J|
Erst mit dem 9. Jahrhundert beginnt hier wie in den meisten übrigen
Fächern wieder eine regere Thätigkeit, die unter den Komnenen und
Paläologen an Umfang und Mannigfaltigkeit gewinnt, ohne jedoch Werke
von wahrhafter Kraft und Innerlichkeit hervorzubringen. Von Christo-
phoros aus Mytilene und Johannes Mauropus abgesehen, vermag
selbst die nachsichtigste Beurteilung in den Profanpoesien des byzantini-
schen Mittelalters wenig nach Inhalt und Form Genügendes zu entdecken.
Mehr als auf anderen Gebieten der mittelgriechischen Litteratur muss man
hier von einer absoluten ästhetischen Wertschätzung absehen und sich
bemühen, von einem relativen, rein wissenschaftlichen Standpunkt aus dit-
Flucht der Erscheinungen mit dem resignierten, aber liebevoll begierigen
Blicke des Philologen, des Kulturhistorikers, des Völkerpsychologen zu
begleiten.
184. Georgios Pisides, nach seiner Heimat Pisidien benannt, unter
Kaiser Heraklios (610—041) Diakon der Sophienkirche und Chartophylax in
Konstantinopel, ist der letzte Dichter der griechischen Zeit. Seine Dar-
stellung ist einfach und verständlich, seine Verse fliessend und von grosser
Korrektheit. Auffallend ist, dass er auch für die rein historischen Gegen-
stände ausschliesslich den jambischen Trimeter verwendet. Die formalen
Vorzüge des Pisidiers blieben auch den späteren Byzantinern nicht ver-
borgen, und Psellos beantwortete in einem ausführlichen Briefe die an ihn
gerichtete Frage: Ti'g anx'C^i xqhttov, 6 EvQin(6rfi r] 6 Utafdr^g; Dem Chro-
nisten Theophanes diente er als historische Quelle; ausserdem verwerteten
ihn vor allem Suidas und Tzetzes. Die zahlreichen Gedichte des Pisides
behandeln teils politische Ereignisse seiner Zeit, teils philosophisch-theo-
logische und rein dogmatische Gegenstände; dazu kommen Epigramme und
sonstige kleinere Stücke. Wir nennen zuerst die drei historischen Go-
2. Profanpoesie. (§ 184—185.) 347
dichte: 1. Eig Ttjv xaru Fleoaüiv ixargaTsiav "^HQaxXeiov tov ßaaiXtwq, in
drei Abschnitten {ccxQoäaeiq), worin Pisides die glücklichen Kämpfe des
Heraklios gegen die Perser schildert (1093 Trimeter). 2. Ein Gedicht über
den Angriff der Avaren auf Konstantinopel im Jahre 626 und die Ab-
wehrung desselben durch die Hilfe der hl. Jungfrau: Eig xr^v yevoiitvr^v
ftfodov TÖir ßccQßccQon' xai fig ri^v avton' daroxictv r^i^oi exO^eaig xov yevo-
HkYov noXäfiov eig t6 xei^og xr^g KutvöxavxiYOvn öXfwg fiexa^v 'Aßäqtov xai
xbüv nu?uxö)i' (541 Verse). 3. '^HgaxXiäg rjxoi sig xi]v xfXeiav nxwaiv Xoa-
Qtov ßaaiXküjg tlfgaoh-, ein Panegyrikus auf des Kaisers Heraklios end-
gültigen Sieg über Chosroes (471 Verse in zwei Akroasen). 4. Das um-
fangreichste Werk des Pisides ist sein 'E^ar](ieQov [r] xoaiiovQyia), ein philo-
sophisch-theologisches Lehrgedicht über die Erschaffung der Welt mit
zahlreichen Beziehungen auf die Zeitgeschichte. Der schon von den Alten
behandelte Vorwurf (Ovids Metamorphosen, Philon Ilfoi xoafiojioti'ag u.s.w.)
bildet ein Lieblingsthema der christlichen Autoren; schon Justinus Martyr
schrieb '^YTroi.iirjfiaxa eig x6 e^ar^ßeQov, weitere Darstellungen gaben Basilios
der Grosse, Epiphanios, Bischof von Constantia auf Cypern (4. Jahrb.),
Kosmas Indikopleustes in seinem geographischen Werke (s. § 70) und viele
andere. Pisides schliesst sich in seinen naturwissenschaftlichen Erklärungen
vorzüglich an Aristoteles an. Zu beachten ist auch sein Verhältnis zu
Aelians Varia Historia. (1910, bei Hercher 1894 Trimeter). 5. Elg xov
fiäxaiov ßiov (262 Verse), eine elegische Betrachtung nach dem Muster
des Ecclesiasten ; das Gedicht ist dem Patriarchen Sergios gewidmet, auf
dessen Veranlassung es auch entstanden zu sein scheint. 6. Kaxd öva-
afßovg 2svi]oov ^Avxioxfi'ccg (726 Trimeter), ein dogmatisches Lehrgedicht
gegen den Häretiker Severus, der, anfänglich Advokat in Berytos, 513
zum Bischof erhoben, 536 wegen seiner Irrlehre verdammt wurde. 7. Ein
Hymnus Ek xr]v dyiuv xov Xqkjtov rjiiwv ceiäffxcidir, um 628 abgefasst;
eine Prosabiographie des hl. Anastasios: 'Eyxo)i.iior eig x6r dyiov Ava-
axdoiov: endlich Epigramme auf den hl. Paulos, auf den Kaiser Heraklios,
auf die Podagra u. s. w. Dagegen gehört der von Querci auf Grund einer
unzulänglichen Kombination dem Pisides zugeschriebene 'Fi^irug üxäi>iaiog
nach dem Zeugnis der Handschriften dem Patriarchen Sergios (s. § 164).
Ausgaben und Hilfsmittel: Opera Georgii Pisidae, Theodosii Diaconi et Corippi
Africani Grammatici ed. J. Querci, Romae 1777 (als Corporis historiae Byzantinae nova
appendix). — Die drei historischen Gedichte auch im Bonner Corpus ed. von I. Bekker,
Bonn 1836. — Sämtliche Werke nach Querci und Bekker wiederholt bei Migne, Patrol.
Gr. 92 (1860) 116'2 — 1756. — Das Hexaemeron edierte neuerdings mit zahlreichen Ver-
besserungen R. Hercher in: Claudii Aeliani varia historia, Lipsiae 1866, vol. 11 603—662. —
Zur Beurteilung: E. Bouvy, Etüde sur les origines du rythme tonique, Nimes 1886
S. 164—169. — Zur Metrik und Kritik: W. Meyer, Zur Geschichte des griechischen
und lateinischen Hexameters, Sitzungsber. d. baver. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Cl. 1884
S. 1019 ff. — Is. Hilberg, Wiener Studien 8 (1886) 292-304 und 9 (1887) 207-222. —
P. Nikitin, Bemerkungen zum Texte des Hexaemeron des G. Pis., Joum. Minist. Volks
aufkl. 1888, Januar, verwertet fftr die Texteskritik die altsioTenische Uebersetzung des
Hexaemeron.
185. Ignatios, Diakon in Konstantin opel und später Metropolit von
Nikaea im Anfang des 9. Jahrhunderts, verfasste die uns erhaltenen histo-
risch nicht unwichtigen Biographien seiner älteren, ihm persönlich be-
freundeten Zeitgenossen, der Patriarchen Tarasios (f 806) und Nike-
348 Byzantinische Litteraturgeschichte. II. Poetische Litteratur.
phoros (t 829). Ausser diesen Prosawerken besitzen wir von ihm mehrere
Poesien. Durch die dramatische Form ist bemerkenswert das Gedicht
über den Sünden fall: ^it'xoi dg rov 'Adäfi (143 Trimeter), „le premier
essai d'un Paradis perdu", worin Gott, Adam, Eva und die Schlange redend
auftreten. Vom Anfang und Schluss abgesehen herrscht in der Verteilung
der Rollen (je 8 Verse auf eine Person) eine ähnliche Symmetrie wie in
den dialogischen Gedichten des Phil es. Schwerlich darf man das Werk-
chen mit den mysterienartigen Aufführungen in der Hagia Sophia (s. § 157)
in Verbindung bringen; es ist vielmehr ein Lesedrama wie der XQiardg
7Tciax<iJv, das Stück des Plochiros u. a. Bekannter ist des Ignatios Para-
phrase der äsopischen Fabeln: ^lyraxiov Siaxövov texqäaxixa elq fivihovg
AiaüJTiixovq (in einem Wiener Codex: Baßqiov sv sTtirofif^ fistaygaifhv vno
'lyvariov ^layiarqov).
1. Gedicht über den Sündenfall ed. Fr. Dübner nach den Fragmenta Euri-
pidis ed. G. Wagner, Paris, Didot 1846. Vgl. Magnin, Journal des savants 1849, 461 ff. —
Dasselbe und die Paraphrase Aesops in: Ignatii Diaconi tetrasticha iambica 53, versus in
Adamum 143 rec. et brevi adnotatione instruxit Car. Frid. Müller, Progr. Kiel 1886.
S. 19 und 28 Verzeichnis der früheren Drucke beider Stücke; vorausgeht eine Abhandlung
über die Metrik und Zeit des Ignatios. — Vgl. Carl de Boor, Der Epigrammendichter
Ignatius, Hermes 23 (1888) 149—152; auch P. Wolters, Rhein. Mus. 38 (1883) 117 und
Haussen, Philol. Anzeiger 17 (1887) 141.
2. Die Lebensbeschreibung des Nikephoros ed. zuletzt C. de Boor in seiner
Ausgabe der Werke des Nikephoros P., Leipzig 1880. — Das Leben des Tarasios ed.
griechisch zum ersten Male J. A. Heikel im 17. Bande der Acta societatis scientiarum
Fennicae, Helsingfors 1889 (mit Kommentar und Indices).
186. Ignatios mit dem Beinamen fxayiatMq twv ygafjifiaTixwv ist von
dem Diakon und Metropoliten Ignatios (§ 185) verschieden, der Zeit nach
etwa ein Menschenalter später. Wir haben von ihm melirere Epigramme
und eine Elegie an seinen Schüler Paulos, denselben, an welchen auch
das Epigramm Anthol. Palat. XV 30 gerichtet ist. Sein Epigramm auf die
Wiedererbauung der Marienkirche in der Vorstadt Pege (Anthol. Palat. I
109) ist zwischen 870 und 880 verfasst, woraus sich mit fast absoluter Sicher-
heit ergibt, dass er mit dem Diakon Ignatios nicht identisch sein kann.
In einem anderen Epigramme (Anthol. Palat. XV 39) nennt er sich Wieder-
hersteller der Grammatik:
'lyyärios räde revier, bg is rpäog fjynye xix^V*'
rQafifiaxixTjv ^?i9T]s xev&ofitvrjv nekäyei.
Wir wissen von seinen grammatischen Arbeiten nichts Näheres; doch stimmt
zu seiner Prahlerei wenigstens sein Titel, den er vielleicht als Professor
der vom Caesar Bardas wiederhergestellten Hochschule in Konstantinopel
geführt hat.
1. Die Elegie an Paulos ed. P. Matranga, Anecdota Graeca (Romae 1850) II
664 ff.; wiederholt bei Migne, Patrol. Gr. 117 (1864) 1174. — Epigramme in der An-
tholog. Palat. I 109; XV 29—31; 39. — Dazu vgl. die zu § 185 angeführte Litt«ratur,
bes. Müller und De Boor.
2. Einem dritten, wohl bedeutend späteren Ignatios gehört ein alphabetisches
Akrostichon ('/«^u/Soi xatee atoi^eiov), welches die Lehren der christlichen Moral in 24
barbarischen Trimetern nach Art der Sprüche der sieben Weisen zusammenfasst. Ed. F.
Boissonade, Anecdota Graeca IV 436 f.; auch bei Migne, Patrol. Gr. 117, 1175. —
lieber ähnliche Akrostichen s. Boissonade, Anecd. Gr. I 161; dortaelbst drei solche Ge-
dichte xuxii aiot^etoy von einem ungenannten Protosekretarios.
187. Eometas {KofUjTäg), im Besitze der Würde eines Xagiüvkägiog
2. Profanpoesie. (§ 186—188.) 349
und des Titels ^xo^aaiixög, wohl identisch mit jenem Kometas, der seit
863 Lehrer der Grammatik in Konstantinopel war, beschäftigte sich mit
einer Diorthose des Homer, von welcher er uns selbst ziemlich ruhmredig
in zwei Epigrammen Kenntnis gibt: Anthol. Palat. XV 37 und 38, Andere
Epigramme von ihm in der Anthol. Palat. V 265; IX 586, 597; XV 36, 40;
das letzte, umfangreichste, behandelt die Erweckung des Lazarus. Die
Person des Mannes ist nicht näher bekannt ; nur belehrt uns eine boshafte
Randbemerkung der Anthologie, dass er durch einen hässlichen Buckel ver-
unstaltet war: Anthol. Palat. ed. Dübner II S. 526 (= ed. Jacobs III S. 834).
Vgl. Fabricius, Bibl. Gr. ed. Harl. 6, 361 und E. de Muralt, Essai de
Chronographie Byzantine I (1855) 438.
188. Leo der Weise {Atwv 6 coyö?, auch (fiX6ao<foq), als Nachfolger
des Makedoniers Basilios 886 — 911 Kaiser des römischen Reiches, ein
charakterschwacher, aber emsig mit der Feder beschäftigter Mann, er-
scheint in der Litteratur ebenso unbedeutend wie in der politischen Ge-
schichte des Reiches. Wo er überhaupt Selbständiges leistet, zeigt er sich
als einen schwachen Dilettanten, unbehilflich in der Form und voll mysti-
scher Sucht. Die stoffliche Mannigfaltigkeit der mit seinem Namen ver-
knüpften Werke macht es schwer, ihn einer bestimmten Litteraturgattung
zuzuweisen. Den grössten L^mfang nehmen seine theologischen Schriften
ein; da jedoch die Patristik nach unserem Plane nur nebenbei berücksichtigt
werden kann, so mag er bei der Dichtung untergebracht werden, wo er
bei aller Schwäche wenigstens einige Originalität zu besitzen scheint.
1, Die unter Leos Namen überlieferten Versifikationen sind nicht ohne
kulturhistorisches und sprachliches Interesse. Es sind jambische Verse
über die traurige Lage des Reiches; ein Erbauungslied {o^dttgiov xara-
rvxTixöv) in sechszeiligen, akrostichisch geordneten Strophen (s. § 180);
Morgenlieder {(pdagta icod-iva) und Aehnliches. Dazu kommen Epigramme
z. B. auf ein Lehrbuch der Mechanik, auf die Monate der Römer, auf die
Tierkämpfe im Zirkus u. s. w. Eine wertlose Spielerei sind seine xaoxTroi
(Krebse) d. h. Verse, welche vorwärts und rückwärts gelesen gleich lauten,
z. B. 'ß ytrog eiior, €v o) usaov iyw. Grosses Ansehen genossen in der
byzantinischen Welt seine Orakelsprüche {xQi]a^ioi) über künftige Kaiser,
Patriarchen und die Geschicke des Reiches, die in den Handschriften mit
mystischen Figuren ausgestattet, später in vulgärgriechischen Versionen
verbreitet (s. den Anhang) und in fremde Sprachen übersetzt, noch im
16. Jahrhundert der abergläubischen Kuriositätensucht eine erwünschte
Nahrung boten. Uebrigens sind solche mit Figuren illustrierte Orakel-
sprüche schon früher ausdrücklich bezeugt und scheinen ein unentbehr-
liches Inventarstück des byzantinischen Hausarchivs gebildet zu haben.*)
Durch die Existenz gleichzeitiger homonymer Dichter wird für manche
dieser poetischen Kleinigkeiten die Autorschaft des Kaisers zweifelhaft;
eine genügende Grenzscheidung zwischen den verschiedenen Trägern des
Namens Leo wäre nur auf Grund einer kritischen Untersuchung des weit
') Theophanes contin. ed. Bonn. S. 36, j fievog, ov j^Qtjafxovg fiövov unhig, äXk« xtd
\: 6 ih XQ'^iOf^os rjy IißvXXtaxog ey Tiyi ßiß- \ fJ.0Q(pug xal aj(7JficeTcc ^](ovace rwy y6yt]aof/i'~
Xiu ei; rrjy ßftathxrjy ßißXiodtjxtjy ivanoxei- foty ßaaike'wy did ^QüijÄUtuiy.
35Ö Byzantinische Litteraturgeschichte. H. Poetische Litteratur.
zerstreuten Handschriftenmaterials und einer genauen metriscli-sprachlichen
Prüfung der einzelnen Stücke möglich. Endlich wird der Kaiser in dem
Lehrgedichte des Tzetzes IltQi Jlivdagixun' litTQUiv als Verfasser einer (uns
nicht erhaltenen) anapästischen Inschrift an der Sophienkirche erwähnt. ')
2. Unter dem Namen des Kaisers geht die taktische Schrift: Ton-
tv noXäfKrt Tccxiixm' avvToi^ioq naQÜdoaig. Sie ist nicht von Leo selbst ver-
fasst, entstand aber auf seine Anregung; später wurde sie auf Anordnung
Konstantins VIII erweitert (s. § 20). Das Werk ist aus älteren Quellen,
wie Onosander, Aelian, Polyaen u. s. w. zusammengestellt und gibt ohne
viel Konsequenz mannigfaltige, nach Kapiteln geordnete Notizen über die
Einteilung, Ausrüstung und Uebung des Heeres, über das Lager- und Be-
lagerungswesen, über Märsche, über fremde taktische Systeme, auch über
den Seekampf u. s. w. Für die Sprachgeschichte dieser Zeit gewährt es
ähnliche Aufschlüsse wie die halbvulgären Schriften Konstantins VII. Die
Taktik Leos wirkte wie seine Orakelsprüche bis in die neuere Zeit; seit
dem 16. Jahrhundert wurde sie wiederholt in moderne Sprachen übersetzt
(zuerst italienisch 1541) und durch Vergleichung mit Schlachtplänen und
taktischen Systemen der letzten Jahrhunderte erläutert.
3. Der Anregung Leos entsprang ferner eine Redaktion des Corpus
iuris und der später dazugekommenen Gesetze und Kommentare. Das
Werk wurde unter dem Titel Basiliken (ßaadixal Siara^sig, kaiserliche
Verordnungen) veröffentlicht und unter Leos Sohn Konstantin VII über-
arbeitet und vervollständigt. Daran schliessen sich die meist auf das
kanonische Recht bezüglichen Novellen, die Leo veranlasste, und die
unter seinem Namen überlieferten Verzeichnisse der Patriarchensitze
und der dem Patriarchen von Konstantinopel untergebenen Kirchen, die
später fortgesetzt und modifiziert wurden. S. § 73.
4. Am umfangreichsten ist die schriftstellerische Thätigkeit Leos auf
dem Gebiete der Theologie. Wir haben von ihm 29 langwierige Ho-
milien und panegyrische Reden, liturgische Gebete u.a. Hiehergehört
auch sein (nur in lat. Uebersetzung edierter) Brief an Omar, worin er,
wie später Johannes Kantakuzenos und Manuel Palaeologos die Wahrheit
des Christentums gegen die Lehre Mohameds verteidigt. Manches ist noch
unediert, so ein Kanon auf den Palmsonntag, Lieder auf den hl. Clemens
von Alexandria u. s. w. Seiner theologischen Schriftstellerei wie den
Orakelsprüchen, die schnell zur Popularität gelangten, verdankt Leo wohl
auch den Beinamen des Weisen.
1. Bequeme Gesamtausgabe der Schriften Leos nach den sehr zerstreuten älteren
Drucken von Migne, Patrol. Gr. 107 (1863). — Die Taktik ed. zuerst Meursiua, Lugd.
Bat. 1612; wiederholt von Lamius in den Opera Meursii, vol. 6 (Florenz 1745) 529 — 920.
Zusätze von Köchly, Zürich 1854. Hauptschrift zur Taktik: Max Jahns, Geschichte
der Kriegswissenschaften I (München 1889) 160-171, wo auch die übrige Litteratur ge-
nauer verzeichnet ist. Vgl. § 20. — Die Verzeichnisse der Patriarchensitze u. s. w. ed.
Parthey mit Hierocles S. 55 — 101. Georgii Cyprii descriptio orbis Romani — accedit
Leonis imp. diatyposis genuina adhuc inedita — ed. H. Geizer, Leipzig, bibl. Teubn.
1890. - Zur Bibliographie und Handschriftenkunde: Fabricius, Biblioth. Graeca ed. Harl.
7, 693 — 713. — Orakel des Leo und anderer ed. aus einer Koponhagonor Hand.schrift
Ch. Graux, Archives dos missions scientifiques et litt. III. serie, t. 6 (1880) 218 f.
') Gramer, Anecd. Gr. Paris. 1 (1889) 78.
2. Profanpoesie. (§ 189.) 351
2. Dem Mathematiker und Philosophen Stephanos, der imter Kaiser Heraklios in
Alexandria lebte, wird eine i'inoxeXsauurixrj TiQuyfxujeiu zugeschrieben, welche Prophe-
zeiungen über Mohamed xmd die Zukunft des Islams enthält. In Wahrheit kann diese
Schrift nicht von Stephanos herrühren, sondern ist erst später, wahrscheinlich um 775 ab-
gefasst. H. Usener, De Stephano Alexandrino, Index lect., Bonn 1879/80.
189. Leo der Philosoph, jnäyiaroog, uv^vTraroc und nazQixiog, ein in
Philosophie, Astrologie und Medizin erfahrener Gelehrter zur Zeit Leos
des Weisen, Schüler des älteren Psellos, später öffentlicher Lehrer der
mathematischen Wissenschaften in Konstantinopel und öfter als Gesandter
verwendet, ist wie sein kaiserlicher Namens- und Zeitgenosse durch poe-
tische Versuche und prosaische Schriften bekannt; der Grenzstreitigkeiten
zwischen ihm und dem Kaiser ist schon oben gedacht worden. Sicher
gehören ihm mehrere epigrammatische Gedichte auf Lukian, auf die
Batrachomyomachie, auf die drei Philosophen Archytas, Piaton und Aristo-
teles, auf Porphyrios, auf aristotelische Definitionen u. s. w. Ed. von Fr.
Boissonade, Anecd. Graeca II (1830) 469 — 478. Zwei Verse von ihm
auf ein Werk des Mathematikers Theon stehen bei Gramer, Anecd, Paris.
I (1839) 399. Ein längeres Gedicht, in welchem er sich gegen den
Vorwurf der Gottlosigkeit verteidigt und die Verehrer der hellenischen
Götter verflucht {'ATioXoyia Akovxoq xov <fiXoa(t(fov, xad-^ r^v Xqiütoi' {.liv
Gt'ßei, rd "^EXXipoiv öt (favki^si), ist wahrscheinlich gegen die unten zu er-
wähnenden Schmähverse seines Schülers Konstantin gerichtet. In einem
vierzeiligen Epigramme gedenkt er seines Lehrers Photios, der ihn
mit der Milch göttlicher Weisheit genährt habe. Auf die erwähnten gegen
ihn erhobenen Vorwürfe bezieht sich wohl auch das kleine jambische
Stück, in dem er klagt, dass Bildung, Ehre und Gottesfurcht verschwun-
den sei und nur noch Schurkerei, Lüge und rohe Gewalt herrsche. Die
näheren Umstände der gegen Leo geschmiedeten Intriguen kennen wir
nicht; doch ist zu vermuten, dass dieselben mit dem Konflikte zwischen
Photios und dem Kaiser Leo in Zusammenhang stehen. Diese 3 Stücke
sind ed. von Matranga, Anecd. Gr. II (1850) 557 — 560, wo sie jedoch
dem Kaiser Leo zugeschrieben werden. Wahrscheinlich gehören demselben
Leo auch die anakreontischen Gedichte auf die Hochzeit des Kaisers
Leo, auf ein von diesem Kaiser erbautes Bad und auf Helene, die Gemalilin
des jungen Konstantin, die Matranga a. a. 0. 561—570 ediert und Th.
Bergk, Poetae lyr. Gr. III 1091—97 wiederholt hat; endlich w^ohl auch
einige xQonccqia, die in den Menäen unter dem Titel AiovTog nayiarqov
oder fiai'aTOQog gehen.
Von prosaischen Schriften Leos, die noch unediert sind, nennt
Du Gange ein Werk über Königtum und Fürsten; dazu kommt ein Kom-
pendium der Medizin und eine astrologische Schrift. Ein Bruchstück der
letzteren scheint der Traktat über die Bedeutung von Sonnen- und Monds-
finsternissen {IleQi i^XiaxT^q fxXsiiffecog rr^g h' roi ßafftXixoi tQiycövo) xov ao(f(o-
xäxov yit'ovxog), welchen C. Hertlein, Hermes 8 (1874) 173—176 veröffent-
licht hat. Da sich hieraus ergibt, dass sich auch der „Philosoph" Leo der
geheimen Kunst hingab, mag man ihm auch die unter dem Namen Leos
überlieferte Anleitung zur Wahrsagekunst zuteilen, die den Titel führt:
HfQi TiQoyvoiaewv UQayixäxcov ■ fit'O^oSog TTQoyrcoaxixrj xov dyi'ov svayyeXiov
352 Byzantinische Litteraturgeschichte. 11. Poetische Litteratur.
xai rov ipaXrr^'ov; doch bleibt auch hier der Zweifel, ob nicht vielmehr
der Kaiser selbst als Verfassei- gelten muss. Endlich wird unserm Leo
ein Werk über Falkenzucht (ein sogenanntes leQaxoaö(fior) zuge-
schrieben.
1. Zu den Epigrammen vgl. P. Wolters, Rhein. Mus. 38 (1883) 115 ff. und
Leo Sternbach, Anthologiae Planudeae appendix Barberino-Vaticana, Leipzig 1890 S. 84 ff. —
Briefe Leos an den gefürchteten Bulgarenfürsten Symeon, dem der pedantische Byzan-
tiner Vorschriften über den richtigen Gebrauch der Vemeinungswörter erteilt, an Kaiser
Leo imd an den äy&vnaxos und TiuTQixiog Genesios nebst einigen an Leo gerichteten
Schreiben eines Symeon, eines Anastasios xoiaiaxiaQ, eines Thomas naxQixiog, Prokopios
ayjaS-itQiog u. a. edierte aus cod. Patm. 178 J. Sakkelion, JeXxiov Tijg 'usioq. xal i9yoX.
iraigiag xijg 'EXXddog 1 (1883 — 84) 377 — 410 mit Einleitung und Kommentar.
2. Verschieden von dem Philosophen Leo ist Leon Magistros, mit dem Bei-
namen KaxttxvXag, der ebenfalls Zeitgenosse und Vertrauter Leos des Weisen war und
als Mönch im Kloster Sigriane {fioytj Iiyginv^g) starb. Wir kennen ihn durch eine aus-
führliche Erwähnung bei Konstantin Porphyrogennetos, De caerim. S. 456 f. (ed.
Bonn.); er wird dort als ein sehr frommer, aber wenig gebildeter Mann — fiovaix^g 'EXXt]-
vixrjg lijuexoj^og — geschildert, der im Auftrag des Kaisers Leo ein Werk über das Zere-
moniell und Gefolge bei kaiserlichen Reisen geschrieben habe. Konstantin, der diese Schrift
benützte, rügt, dass sie noXXu ßcegßagä xe xai aoXoixa xal davyxailag enthalte.
190. Konstantin der Sizilier {KotvaravTivog 6 2ix€X6g oder 2ix€-
hcÖTT^g), Schüler des „Philosophen" Leo, gehört in den Kreis der um Leo
den Weisen versammelten Gelehrten, welche nach dem Vorbilde ilires Herr-
schers und ihm zu Gefallen sich gelegentlich in poetischen Leistungen er-
gingen. Er bedient sich mit Vorliebe anakreontischer Masse und einer
alphabetischen Akrostichis. Die wenigen uns erhaltenen Proben
zeichnen sich durch lebendige Natürlichkeit aus und sind frei von dem
panegyrischen Schwulste der in Byzanz üblichen Hofpoesie. Ein weh-
mütiges Klagelied schildert seinen Schmerz über den Untergang seiner
Eltern und Geschwister auf einer stürmischen Seereise: 2tixoi 'Araxgeävteioi
xuxd 'AX(p(xßrjtov KwvGTavTivov (piXoaötpov tov 2ixeXov xivdvrsvi^t'vTwv rwv
yoveoov avTov xal adeXqxJöv iv tf, ^aXaTTj]. Ein hübscher Versuch ist sein
anakreontisches Liebeslied: 'Qiöüqiov egonixor öi dvaxQt'ovTog xal xov-
xovXXiov XaßovTog (?) rr^v vnöd^eaiv ix {.isko^dov rivog. Dazu kommt sein
'AraxQeövTSiov x^^Q'^ ävaxXMf^ieviav ' ngög Tita egöUvta naqd^hvov. Drei Ge-
dichte richten sich in scharfer, uns nicht verständlicher Polemik gegen
seinen Lehrer Leo: 2tixoi tjQouxol xal iXeyeiaxol eig Aiovva (fiXoaotfoy.
Ed. Matranga, Anecd. Gr. II (1850)^555 f. und 689—698. — Zum Teil wiederholt
von Th. Bergk, Poetae lyr. Gr. III (1867) 1085—1090. — Die Gedichte gegen Leo auch
bei Migne, Patrol. Gr. 107, Praef. S. 61 ff.
191. Konstantin der Rhodier, seines Zeichens Notar, später Hof-
geistlicher, lebte im Anfange des 10. Jahrhunderts. Dass er, wie Reiske
vermutete, mit Konstantin Kephalas identisch sei, lässt sich nicht be-
weisen und ist aus verschiedenen Gründen sogar sehr unwahrscheinlich.
Wir haben von dem Rhodier ausser einigen Epigrammen im 15. Buche
der Anthologie mehrere recht geschmacklose Spottgedichte in byzantini-
schen Trimetern. Ein Stück Ugog tov XoiQoa^äxrrjv Aeovta besteht fast
ganz aus aristophanischen Wortungeheuern, von denen jedes einen Vers
füllt; so wird Leo angesprochen:
'AXXavxoxoQdoxothfvjfQouXtxa
'üQyi9oxr]yoytjXioTieQdtxo7iQi'tra.
2. Profanpoesie. (§ 190—192.) 353
Der schale Witz dreht sich meist um den verhängnisvollen Namen Leos
„ Schweinemetzger ". Im gleichen Tone ist ein Gedicht gegen den Eunuchen
Theodor aus Paphlagonien gehalten, in welchem abermals Vergleiche aus
dem Schweineleben und lange Komposita humoristisch wirken sollen. Der
Paphlagonier war, wie es scheint, ein Kind gleichen Geistes; denn den
Beschluss der Sammlung bilden wechselseitige Spottepigramme, in
welchen Theodor und Konstantin sich in rohen Beschimpfungen zu über-
trumpfen suchen. Es sind wüste Verse, neben welchen unsere bäuerischen
Trutzschnaderhüpfeln als Muster von Feinheit und Witz bestehen können.
Wir vermögen dieser ungeschlachten Derbheit kein Verständnis abzuge-
winnen; sie gehört aber zu den echtesten Seiten des byzantinischen Wesens
und kehrt auch später in manchen Anekdoten und bei Poeten wie Ptocho-
prodromos unverfälscht wieder.
Ed. P. Matranga, Anecd. Gr. H (1850) 624—632. Vgl. seine Praefatio S. 33. —
P. Wolters, Rhein. Mus. 38 (1883) 117 ff.
192. Theodosios, um die Mitte des 10. Jahrhunderts Diakon in Kon-
stantinopel, verfasste ein panegyrisches Gedicht: "Alwoig zr^q KqijTi^c
(1039 Trimeter in 5 Akroasen), in welchem er die Vertreibung der Araber
aus Kreta (961) und den darauffolgenden Sieg über die Sarazenen in Syrien
(besonders die Eroberung von Chalep) besingt. Das Werk ist kurz nach
diesen Ereignissen abgefasst, wurde jedoch, wie sich aus dem Proömion
ergibt, von Theodosios erst nach dem Tode des jugendlichen Romanos II
(959 — 963) veröffentlicht und seinem Nachfolger Nikephoros Phokas
(963 — 969) gewidmet, dessen Kriegsthaten den Hauptgegenstand desselben
bilden. Der Verfasser sucht sich und seinen Vorwurf durch eine krause
Polemik gegen Homer zu empfehlen; derselbe habe einen winzigen Feld-
zug in bombastischer Weise besungen und kleine Dinge zu grossen Thaten
aufgebauscht; sein Lügengewebe sei lächerlich; unbedeutend erscheine das
griechische Heer, schwach seine Führer wie Achilles und Aias; wenn
Homer den Pfad der Wahrheit wandeln wolle, so möge er die Kämpfe
vor Ilion aufgeben und statt dessen die Ströme von Blut besingen, die auf
Kreta geflossen seien. Aehnliche Hiebe auf Homer erheitern auch im
weitern Verlaufe des Gedichtes nicht minder als die hyperbolischen Ver-
gleiche seines Helden mit allen Berühmtheiten des Altertums. Trotzdem
besitzt die Darstellung des Theodosios manchen poetischen Reiz und erhebt
sich zuweilen sogar zu wahrer Begeisterung, öfter freilich ermüdet sie durch
breiten Schwulst (eine wunderbare Probe z. B. III 157 f.) und chroniken-
artige Aufzählung. Wenn so der dichterische Wert der "AXcoatg starken
Bedenken unterliegt, so gewinnt sie doch einige Bedeutung durch die Nach-
richten über eines der wichtigsten Ereignisse der byzantinischen Geschichte,
die schon von Konstantin Porphyrogennetos gründlich vorbereitete und von
dem gewaltigen Feldherrn und nachmaligen Kaiser Nikephoros Phokas aus-
geführte Wiedereroberung der seit 826 von den Arabern besetzten, stra-
tegisch und kommerziell hochwichtigen Insel, durch deren Verlust alle
übrigen Inseln, ja die ganze Seefront des Reiches in beständigen Blokade-
zustand versetzt worden waren.
1. Ausgaben: Ed. pr. Fl. Cornelius in seinem Werke Greta Sacra, Venetüs
Handbuch der klass. AUertamswiaseiischaft. IX. 1. Abtlg. 23
354 Byzantinische Litteraturgeschichte. 11. Poetische Litteratnr.
1755 vol. I 269 — 327. — Darnach ed. F. Foggini, Nova appendix corp. hist. Byzantin.H',
Romae 1777 S. 351—390. — Ed. Fr. Jacobs im Bonner Corpus mit Leo Diaconus, Bonn
1828. Vgl. Praef. S; 32—36. — Wiederholt von Migne, Patrol. Gr. 113 (1864) 987—1060.
2. lieber die Kriegsthaten des Nikephoros Phokas s. 6. Hertzberg, Geschichte
der Byzantiner, Berlin 1883 (Onckens allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen II 7)
S. 168 f.; K. Leonhardt, Kaiser Nikephoros II Phokas und die Hamdaniden 9607—969,
Diss. Halle 1887, und bes. das glänzende Werk von G. Schlumberger, Nicephore Phocas,
Paris 1890.
193. Christophoros aus Mytilene gehört zu den besten byzantini-
schen Dichtern. Seine Lebenszeit erstreckt sich von ungefähr 1000 bis
ungefähr 1050.^) Von seiner Biographie ist wenig mehr bekannt, als dass
er den Titel eines Prokonsuls und später eines Patrikios, sowie die Würde
eines kaiserlichen Sekretärs {vTtoyqatfevg) und (wohl später) eines Statt-
halters {xQirrig) von Paphlagonien besass. Weitere Nachrichten, die sich
aus seinen Gedichten ergeben, betreffen meist unwesentliche Dinge; wir
erfahren die Namen seiner zahlreichen Freunde und hören, dass er ein
Haus in der Nähe des Stadtteiles Protasion bewohnte; auch wird deutlich,
dass er den grössten Teil seines Lebens in Konstantinopel verbrachte; von
einer anderen Gegend oder Stadt ist bei ihm nie die Rede. Die Profan-
gedichte des Christophoros, teils Gelegenheitspoesien, teils Epigramme,
sind erst jüngst bekannt geworden. Die Themen, welche er behandelt,
sind zum grossen Teil identisch mit denen des Johannes Euchaites, Pro-
dromos und Philes, als deren Vorläufer und Vorbild er betrachtet werden
muss. Das Versmass des Christophoros ist meist der jambische Trimeter,
seltener der Hexameter (nur in 14 Stücken unter 145).
Unter den Adressaten der Gelegenheitsgedichte finden wir die
vier Kaiser Romanos HI, Michael IV Paphlagon, Michael V Kalaphates und
Konstantin IX Monomachos, den aus der Geschichte des Schismas bekannten
Patriarchen Michael Kerularios, dem er zu seiner Erwählung (1043) gra-
tuliert, und verschiedene andere geistliche und weltliche Würdenträger,
endlich ihm befreundete Privatpersonen. Stets beweist Christophoros Ge-
schmack, nicht selten auch die in Byzanz nicht eben häufige Eigenschaft
des Humors. An den trunksüchtigen Rhetor Menas richtet er vertrauliche
Ermahnungen, dem Metropoliten Demetrios von Kyzikos schickt er ein
Trostgedicht wegen der ihn quälenden Podagra, auch für den geblendeten
und entthronten Kaiser Michael Kalaphates findet er Worte der Teilnahme
und Ermutigung. In d,en Epigrammen treffen wir die aus der alten
Sophistenzeit bekannten Themen wieder, wie das Lob der Ameise, der
Spinne, ein Gedicht auf die Sperlinge u. a. Dazu kommen Stücke ver-
mischten und religiösen Inhalts, z. B. ein Gedicht auf die Ungleichheit des
menschlichen Lebens, auf die vier Jahreszeiten, auf die Taufe des Herrn,
auf verschiedene Heilige, auf Kunstgegenstände wie auf ein ehernes
Pferd im Hippodrom und ein Gemälde der 40 hl. Märtyrer, endlich Grab-
ßchriften und Rätsel. Manche dieser niedlichen Sachen erinnern an die
besten Erzeugnisse des Altertums, z. B. das hübsche Rätsel auf den Schnee:
„Du packtest mich und doch floh ich; Du siehst mich fliehen und kannst
mich nicht festhalten; Du drückst mich in die Hand, aber ich entrinne
') Die sicheren Daten in seinen Gedichten reichen von 1028 bis 1048.
2. Profanpoesie. (§ 193—194.) 355
und Deine Faust bleibt leer!" Nicht übel ist eine jambische Anklage-
schrift gegen die Mäuse, welche sein Haus beunruliigen ; ihre Grösse — sie
kommen ihm wie Schweine vor — , ihre Menge und ihre unglaubliche Keck-
heit werden in launiger Weise geschildert; selbst der Wissenschaft bringen
sie Verderben:
Ol näy (payoyres ßgioaifioy rije oixias
TU /agria XQtüyovai xcd xä ßtßXla.
Die Nachkommen des bösen Geschlechtes haben an dem Armen furchtbar
Rache genommen; denn die einzige Handschrift, welche uns seine
Profanpoesien überliefert, ist von ihnen halb aufgefressen.
Von Christophoros stammt auch eine, wie es scheint, noch unedierte
Sammlung jambischer Distichen auf die Heiligen des ganzen
Jahres {^vra^doiov Siarixov laußixöv und ähnlich betitelt), also ein poe-
tischer Kalender, wie wir ähnliche von Theodoros Prodromos, Johannes
Euchaites und Nikephoros Kallistos Xanthopulos besitzen. *)
1. Versi di Cristoforo Patrizio ed. Antonio Rocchi, Roma, tipografia poliglotta
1887 (mit einer sorgfaltigen Einleitung imd Kommentar). — Die von Rocchi benützte Hand-
schrift der Abtei Grotta-Ferrata ist die einzige bis jetzt bekannte, welche die vollständige
Sammlung dieser Poesien enthält. Einzelne Stücke finden sich auch in anderen Hand-
schriften, zum Teil unter dem Namen des Philosophen Leo, des Psellos und des Basüios
Megalomites. — Aus derselben Handschrift edierte Rocchi nach Christophoros unbedeutende
Reimereien eines Nikolaos von Otranto, des Bischofs Georgios von Kerkyra und
eines Mönches Nektarios.
2. Von einem Christophoros a Secretis edierte P. Matranga, Anecdota Gr.
II 667 ff. eine anakreontische Spielerei, deren Inhalt eine Mahnung an die Israeliten bildet.
Ob der Verfasser mit Christophoros aus Mytilene identisch ist, vermag ich nicht zu sagen.
194. Johannes Mauropus, als Metropolit der kleinasiatischen Stadt
Euchania oder Euchaita (t« £rxä(Va)-') Euchaites zubenannt, blühte unter
Kaiser Konstantin Monomachos (1042 — 1055). Michael Psellos widmete
ihm ein Enkomion. Ausser 77 Briefen, mehreren Homilien auf ver-
schiedene Heilige des Kirchenjahres und einer historisch nicht unwichtigen
Rede, die er während der Belagerung Konstantinopels durch Leon Tor-
nikios hielt, haben wir von ihni eine ansehnliche Zahl jambischer Kunst-
poesien. Es sind teils kürzere Stücke im Tone der alten Epigrammatik,
teils umfangreichere Gelegenheitsgedichte. In seiner Auffassung wie in
der Wahl seiner Themen hat Johannes grosse Aehnlichkeit mit Cliristo-
phoros aus Mytilene und Prodi'omos. Auch bei ihm treffen wir Epigramme
auf Kunstwerke und Kultgegenstände z. B. auf bildliche Darstellungen der
Kreuzigung, des Lazarus, verschiedener Heiligen und Kirchenväter, auf ein
illustriertes Evangelium, auf ein Bild des Kaisers in Euchaita; damit ver-
binden sich Grabinschriften, worunter mehrere eig tov iavzov xä<foi\,
Spottverse auf die Zunft der Poetaster {ÜQog rovg dxaigtog arixi^ovrag),
ein Gedicht über ein gegen den Kaiser und den Patriarchen gerichtetes
Pamphlet, ein Epigramm auf Plato und Plutarch, Rätsel und zahlreiche
sonstige Stücke kirchlichen und profanen Inhalts. Den Beschluss bilden
einige Poesien, in welchen der Euchaite Ereignisse aus seinem Privat-
leben feiert. Hier finden wir ein Abschiedsgedicht an sein Haus, das er
fr
1) S. Migne, Patrol. Gr. 120, 1119 ff. und 1 '^) Die Stadt lag eine Tagreise von Amasia
133, 1078. I entfernt, zwischen den Flüssen Iris und Halys.
23*
356 Byzantinische Litteraturgeschichte. 11. Poetische Litteratur.
verkauft hatte; eine Begrüssung desselben, als er es zurückbekam; eine
poetische Epistel über seine erste Bekanntschaft mit der kaiserlichen
Familie u. a. Auch ein etymologisches Lexikon in jambischen Versen
geht unter dem Namen des Johannes. Rythmische Kirchengedichte,
die ihm gehören, harren noch der Veröffentlichung.
Ed. pr. M. Bustus, Eton 1610. —Wiederholt bei Migne, Patrolog. Gr. 120(1880)
1039 — 1200. — Weit vollständiger aus cod. Vatic. Gr. 676 nach einer von W. Studemund
revidierten Abschrift J. Bolligs zum Abdruck vermittelt von Paul de Lagard e, Abhand-
lungen d. Göttinger Gesellschaft d. Wissensch., hist.-phil. Cl. 28 (1881) 1—228. — Das
Enkomion des Psellos auf Johannes bei Sathas, Mea. ßtßX. 5 (1876) 142-167. — Bio-
graphie und Charakteristik von G. Dreves, Stimmen aus Maria-Laach 26 (1884) 159 bis
179. — Eine Auswahl von Gedichten des Johannes ist metrisch übersetzt von Arthur
Bern dt, Progr. Plauen 1887.
195. Philippos mit dem Beinamen o fiovötQonog (Solitarius) ist
seiner Person nach nicht näher bekannt. Wir wissen nur, dass er Mönch
war und unter Alexios Komnenos (1081 — 1118) lebte. Er verfasste
zwei langweilige, aber im Mittelalter viel gelesene und oft abgeschriebene
dialogische Erbauungsgedichte in politischen Fünfzehnsilbern: die im
Jahre 1105 vollendete, an einen Mönch Kallinikos gerichtete JiomQa,^)
welche christliche Lebensregeln enthält, und ein inhaltlich verwandtes Stück,
das wahrscheinlich KXav^f^ioi betitelt war. Nach Ton und Anlage mögen
diese Machwerke, die weder sprachlich noch sachlich etwas Bemerkens-
wertes bieten, mit den Moralgedichten eines Manasses und Georgios La-
pithes verglichen werden. Auch eine dogmatische Abhandlung gegen
die armenischen Häresien wird dem Philipp zugeschrieben. Dionysios
Euzoitos, Erzbischof von Mytilene, veranlasste (spätestens in der Mitte
des 13. Jahrhunderts) eine verbesserte Redaktion der zwei Gedichte, die von
einem gewissen Phialites besorgt wurde.
Ausgaben: Die JionrQa mit der Abhandlung gegen die Armenier nur in lateinischer
Uebersetzung ed. von J. Pontanus, Ingolstadt 1604. — Darnach wiederholt bei Migne,
Patrol. Gr. 127 (1864) 701—902. — Die KXav»/noi (mit der Ueberarbeitung des Phialit«s)
ed. Emm. Auvray, Bibliotheque de l'ecole des hautes ätudes fasc. 22, Paris 1875, mit
einem Bericht über die Handschriften und einem umständlichen Kommentar.
196. Passionspiel. Das einzige uns erhaltene Drama der byzanti-
nischen Zeit ist der gewöhnlich X^iatog naaxwv (Christus patiens)
betitelte Cento. Nachdem die Meinung, das Werk gehöre dem Gregor
von Nazianz, allgemein aufgegeben ist, bleibt der Verfasser vorerst un-
ermittelt; sicher ist nur, dass er in einer ganz späten Zeit, wahrscheinlich
im 11. oder 12. Jahrhundert lebte. Er dichtete im verwegensten Sinne
des Wortes nach berühmten Mustern, indem er eine ganze Reihe alter
Werke mit der Schere bearbeitete. Ein volles Drittel der 2640 Verse
(ausser den vereinzelten Anapästen V. 1461 if. nur Trimeter), aus welchen
das Drama besteht, ist fremdes Eigentum. Den grössten Teil dieses Lehn-
gutes lieferten sieben Dramen des Euripides, nämlich Hekabe, Medea,
Orestes, Hippolytos, Troades, Rhesos und Bacchen; dazu kommen einige
Dutzend Verse aus dem Prometheus und Agamemnon des Aeschylos und
aus der Kassandra des Lykophron. Vielleicht hat der Verfasser auch
') Etwa .Tugendspiegel"; «fi'onrp« ist | zeug, der Vorljlufcr unseres Nivollierinstru-
ein zu Höbenineiutungen gebrauchtes Werk- j ment«s.
2. Profanpoesie. (§ 195—196.) 357
verlorene Stücke der Tragiker verwertet. 9 Ausserdem benützte er für
die Erzählung wie für die Phi'aseologie die heiligen Schriften, besonders
die vier Evangelien, die Apokalypse, die Paulusbriefe, die Psalmen, die
Genesis und Exodus. Selbst apokryphe Stücke wie das Evangelium
Nicodemi, das Protoevangelium Jacobi, das Evangelium über die Geburt
Marias und die Apostelakten wurden nicht verschmäht. Selbstverständlich
konnten die Verse aus den alten Dramen nicht immer wörtlich verwendet
werden; sie wurden zugeschnitten und umgeändert, wie es der Zusammen-
hang erforderte. Zur Veranschaulichung des hiebei beobachteten Verfahrens
diene der Anfang des von der Jungfrau Maria gesprochenen Prologs:
Ei&' MCfsk' SV ksifxüiyi jut^if' EQieiv otfig.
fXT]<r eV yäncciat tovö" vcfsSoEveiv dgccxwv etc.;
ZU Grunde liegen Vers 1 und 3 der Medea:
Ei&' liicfeX' 'Jgyovg fxrj dtanräa&ai axätpog
fiT]6' iv väntaat ÜT^Xiov neasJv note.
Zur richtigen Würdigung dieser künstlichen Mosaikarbeit müssen wir uns
auf den Standpunkt der Byzantiner begeben, die den Begriff des litterari-
schen Eigentums nicht kannten und auch auf anderen Gebieten die Schätze
ihrer Vorfahren erbarmungslos zu Rate zogen. Das Stück ist nicht ein
Plagiat im modernen Sinne, sondern nur ein eigenartiges Beispiel jener
Imitation, welche die ganze Kunstlitteratur der Byzantiner beherrscht.
Daher berichtet uns der Dichter auch ganz offen im Proömion, dass er
das Leiden Christi xat" Evoi7T(di]v besingen werde. Weit unbegreiflicher
und störender als die Entlehnung an sich ist für unser Gefühl die Ver-
quickung von zwei so verschiedenen Ideenkreisen. Wir empfinden
die Ausstattung der heiligen Personen mit den übel zugerichteten Lappen
der attischen Bühne als eine wüste Profanierung. Das mumienhaft er-
starrte Gewand der alten Tragödie passt den auf einem ganz anderen
Boden erwachsenen Gestalten nicht; ihre Bewegungen erscheinen darin
ungereimt, und wir haben beim Anblick der so bunt aufgeputzten Figuren
mehr mit der Heiterkeit als mit den Thränen zu kämpfen. Ungebildeten
blieb das Stück wegen seiner altertümlichen Sprache überhaupt unzugäng-
lich: auf den Gebildeten aber musste es ähnlich wirken wie jene musika-
lischen Potpourris, in welchen Fragmente verschiedener Texte und Melodien
ohne Vermittelung aneinander gereiht sind. Mit dem bekannten ETO^
axfs'Ji^ tritt die Gottesmutter als Maria Medea auf die Bühne; in schnell-
ster Folge wechselt sie ihr Kostüm, sie wird zur Hekabe, Kassandra, Kly-
täraestra, Andromache, sogar zum Hermes; dieselbe Chamäleonnatur haben
aUe andern Personen. Selbst die in der lebendigen Sprache längst ver-
schollenen Exklamationen ottototoi, toi /^loi, ioj erzeugen hier eine komische
Wirkung. Wie sehr gerade die Mischung heterogener Elemente den
ungünstigen Gesamteindruck verschuldet, wird recht klar, wenn man neben
den klassischen Versen die aus den heiligen Schriften entnommenen
Sentenzen und Vergleiche studiert ; sie passen zur Stimmung des gesamten
*) Es finden sich ausser den nachweis-
bar entlehnten Partien verschiedene form-
vollendete Verse und Gedanken, die nicht
auf byzantinischem Boden gewachsen zu sein
scheinen. N. Wecklein, Berliner philol.
Wochenschrift 1886, 426.
358 Byzantinische Litteratnrgeschichte. n. Poetische Litteratnr.
Vorwurfes und wirken daher nicht nur nicht störend, sondern erhöhen
sogar den Eindruck des Wahren, wie man Aehnliches ja auch im Ober-
ammergauer Passionspiel beobachten kann.
Das Drama beginnt mit dem Gang auf Golgatha und endet mit der
Auferstehung Christi und seiner Ankunft im Hause der Mutter des Marcus.
Die Personen sind Christus, Maria, Johannes, Joseph von Arimathea,
Nicodemus, Maria Magdalena, Boten, ein Engel, die Wache ; dazu kommen
zwei Halbchöre galiläischer Weiber, die aber nicht singen, sondern im
bequemen Trimeter konversieren wie die übrigen Personen. Die Haupt-
rolle trägt nicht Christus, sondern Maria. Damit hängt der Mangel einer
Handlung und einer dramatischen Steigerung zusammen; der grösste Teil
des Stückes besteht aus langen Botenerzählungen und ebenso ausge-
dehnten Klagereden; Christus selbst steht im Hintergrunde, und wir
hören von ihm meist nur durch Berichte anderer Personen. Dass die ari-
stotelische Einheit von Ort und Zeit überschritten wird, darf nicht
auffallen; das Drama leidet aber auch an starken Verstössen gegen die
elementarsten Regeln der Technik. Trotzdem hat man versucht, durch
verschiedene Kunstgriffe das Werk mit den Anforderungen der Dramatik
in Einklang zu bringen — gewiss mit Unrecht, In der Zeit, als dieses
Scheindrama entstand, fehlte die wichtigste Voraussetzung dieser Litteratur-
gattung, die Aufführung; und auch das Studium der alten Stücke wurde
nicht derart betrieben, dass aus demselben eine Einsicht in die Technik
hätte erwachsen können. Es wäre ein wahres Wunder, wenn unter solchen
Verhältnissen ein Dichter die inneren und äusseren Gesetze der Dra-
matik erfasst und in einem wirklichen Kunstwerke zum Ausdrucke ge-
bracht hätte. Der Ägiatog näaxwv, um es kurz zu sagen, ist ein Lese-
stück wie die dialogischen Gedichte des Ignatios, des Plochiros, des Pro-
dromos und Philes. Bei alledem kann die isolierte Stellung dieses späten
Nachzüglers der dramatischen Litteratur Bedenken erregen. Die eben
erwähnten dialogischen Stücke sind doch wiederum zu sehr verschieden,
um als Vorläufer bzw. Fortsetzer gelten zu können ; vielleicht läge es näher,
die § 157 erwähnten Dinge, wie die Dramen des Synesios, des Arios und
seiner Gegner mit unserem Werke in Verbindung zu bringen; doch ist
ein thatsächlicher Zusammenhang auch hier nicht nachgewiesen und wohl
überhaupt schwer nachweisbar.
Die Sprache des Werkes hat wenig Individuelles; Metaplasmen wie
i] xÜQa (das Haupt), Präsensformen wie jUoAoJ, igw, ^iyw, die Konstruktion
von iäv, oiccv mit dem Indikativ, von d mit dem Konjunktiv und Aehn-
liches sind Vulgarismen, die in der kirchlichen Litteratur schon früh vor-
kommen und sich durch die ganze byzantinische Zeit verfolgen lassen.
Bezüglich der Metrik gehört der Verfasser nach der von Hilberg ge-
troffenen Einteilung (s, § 158) zu den „Stümpern", welche der unbeschränkte
Gebrauch von auslautendem a, t, v als Länge kennzeichnet, und steht
also unter Prodromos, der a, *, v nur im An- und Inlaute ohne Beschrän-
kung auch als Länge gebraucht. Wenig byzantinische Schriftwerke sind
so viel gelesen, bearbeitet und erörtert worden wie der Ägiaioq näaxMw
Den Theologen war er wichtig als das einzige christliche Drama auf
2. Profanpoesie. (§ 197.) 359
griechischem Boden; seine dogmatischen Vorstellungen und seine kirch-
liehen Quellen boten der Forschung reichen Stoif und sein Inhalt diente
der Erbauung. Nicht minder eifrig wurde er in philologischen Kreisen
studiert; hier war es namentlich seine Wichtigkeit für die Textkritik
der benützten Vorbilder, welche ihm Freunde erwarb und die unaussprech-
liche Zeit seiner Entstehung vergessen Hess; als wertvollste Ausbeute er-
gaben sich einige Verse aus den verlorenen Partien der Bacchen.
Von der Bedeutung des Dramas für die Kultur- und Litteraturgeschichte
der dunkeln Jahrhunderte und von seiner Stellung als Vorläufer der mittel-
alterlichen Mysterien war bis jetzt weniger die Rede.
1. Ausgaben: Ed. Migne, Patrol. Gr. 38 (1858) 131—338 mit doppelter lateini-
scher Uebersetzimg ; der Text beruht noch auf der mangelhaften Ausgabe von Caillau. —
Erste kritische Ausgabe von Fr. Dübner nach den Fragmenta Euripidis ed. G. Wagner,
Paris, Didot 1846. Ausführlich besprochen von M agnin, Journal des savants 1849,
12 ff.; 275 ff. — Nach dem Dübner'schen Texte mit deutscher Uebersetzung ed. von A.
Ellissen in seinen Analekten der mittel- imd neugriechischen Literatur, 1. Teil, Leipzig
1855; die wortreiche Einleitung belehrt weniger über die Kritik und Utterargeschichtliche
SteUung des Dramas selbst als über die Geschichte der demselben geAvidmeten Kontro-
versen. — Ed. J. G. Brambs, Leipzig, bibl. Teubneriana, 1885: er erweitert den kritischen
Apparat durch 3 von Dübner nicht benützte Handschriften und gibt das erste vollstän-
dige Verzeichnis der Lehnverse nebst einer Untersuchung über Zeit und Autor des
Werkes.
2. Hilfsmittel: Aug. Döring, De tragoedia Christiana quae inscr. XQiaroe ndaxwv,
Progr. Bannen 1864. — Joh. Dräseke, Jahrbücher für protest. Theologie 10 (1884)
689 — 704 hält wie einst Baronius den Apollinarios von Laodikea für den Verfasser des
Werkes, das vor 363 entstanden sei. — J. G. Brambs, De auctoritate tragoediae Chr. quae
inscribi solet Xq. n., Progr. Eichstädt 1884 (zum Teil wiederholt in der Vorrede seiner
Ausgabe). — Is. Hilberg, Kann Theodorus Prodromus der Verf. des Xgiaxog Tiäa/üjy sein?
Wiener Studien 8 (1886) 282—314; Nachtrag 9 (1887) 150. — Verwertung des Stückes für
die Kritik des Euripides: Kirchhoff, Philologus 8 (1853) 78 ff. A. Döring, Philologus
21 (1864) 539 ff.; 23 (1866) 577 ff.; 25 (1867) 221 ff. — In der Kontroverse über Zeit
und Autor des Werkes herrscht jetzt wenigstens Einstimmigkeit in der Ueberzeugung,
dass das Werk unmöglich dem Gregor von Nazianz gehören kann. Des weiteren haben
die Untersuchungen einige sichere Anhaltspunkte über die Zeit des Werkes ergeben;
■während früher die Meinungen zwischen dem 4. und 13. Jahrhundert schwankten, ist es
jetzt zweifellos, dass das Drama nicht über das 11. Jahrb. hinaufgerückt werden darf.
Verfehlt aber waren die Bemühungen, den Namen des Verfassers selbst aus dem wirren
Gedränge mfttelgriechischer Litteraten herauszufinden. Dörings Wahl fiel auf Tzetzes
(s. sein Programm und noch neuerdings in der Philol. Rundschau 1885, 424), Brambs ent-
schied sich für Ptochoprodromos, eine Hypothese, deren Unrichtigkeit Hilberg a. a. O.
überzeugend nachgewiesen hat. Die Wahrheit bleibt also, dass wir uns vorerst mit der
allgemeinen Bestimmung der Zeit (11. — 12. Jahrh.) begnügen müssen.
3. Hauptcodex ist der Parisinus 2875 (13. Jahrh.). Die Handschriften haben ver-
schiedene wortreiche Titel, die aber in der Benenmmg des Gregor von Nazianz als Autor
fibereinstimmen z. B. rgrjyogiov tov &eoX6yov XQuytpdia sig ro acjttJQtof nti&og rov xvoiov
ijfiuiy 'Itjaov XQiarov. Der jetzt übliche Titel Xqmtos niiaxoiy stammt von dem ersten
Herausgeber Ant. Bladus (Rom 1542).
197. Theodoros Prodromos, der sich selbst wegen seiner Dürftig-
keit Ptochoprodromos (d. h. der arme Prodromos) nannte, lebte unter
Kaiser Johannes und Manuel Komnenos (1118—1180) in Konstantinopel.
In einem an Johannes Komnenos (f 1143) gerichteten Gedichte (s. den
Anhang) nennt er sich im zwölften Jahre verheiratet und einen Greis
(/tlpwr), woraus zu schüessen ist, dass er schon vor 1143 die Blüte dt -5
Alters überschritten hatte; dazu kommt, dass keines seiner datierbaren
Gedichte über das Jahr 1159 hinausweist. Der grössere Teil seines Lebens
td seiner Thätigkeit fäUt demnach zweifellos noch in die erste Hälfte
360 Byzantinische Litteratnrgeschichte. II. Poetische Litteratur.
des 12. Jahrhunderts. Von seinem Lebensgange wissen wir sehr wenig.
Als der wichtigste und stets wiederkehrende Zug erscheint seine unheil-
bare Armut, der er durch zahllose Preisgedichte, Lobreden und Episteln
abzuhelfen suchte. Zu seinen Gönnern gehörten die zwei Kaiser Johannes
und Manuel, verschiedene Prinzen und Prinzessinnen des kaiserlichen
Hauses, endlich hohe Würdenträger, besonders Alexios Aristenos, ein
einflussreicher Gelehrter und Beamter {vo/joqvXa^, nQuntxdixoc und oqtfa-
roTQÖcpog) der von Johannes Komnenos mit der Abfassung von Kommen-
taren zum kanonischen Rechte betraut wurde. Die Unterstützungen, die
sich der vielgeplagte Litterat auf solche Weise erbettelte, scheinen jedoch
weder bedeutend noch regelmässig gewesen zu sein; denn seine Klagen
begannen stets aufs neue, und in einem längeren Gedichte von 50 Hexa-
metern drohte er gar den Byzantinern, die seine Verdienste nicht zu wür-
digen verstünden, den Rücken zu kehren und sich zum Erzbischof von
Trapezunt zu flüchten; doch Hess er es bei der Drohung bewenden. End-
lich erhielt er von Manuel Komnenos eine Pfründe im manganischen
Stift, die ihm jedoch später wieder entzogen wurde. Er beschloss sein
Leben in einem Kloster zu Konstantinopel unter dem Mönchsnamen Hi-
larion.
Die litterarische Thätigkeit des Prodromos ist ebenso reich als
mannigfaltig. Wir finden ihn als Romanschreiber, Gelegenheitsdichter und
Epigrammatiker, als Verfasser von astrologischen, grammatischen, philo-
sophischen und theologischen Werken, von rhetorischen Schulübungen,
Satiren, Reden und Briefen. Ein Schriftsteller von solcher Fruchtbarkeit
verlangt eine vorsichtige Beurteilung. Die Litteratnrgeschichte hat
dem Prodromos Unrecht gethan, indem sie zu ausschliesslich den hohlen
Schwulst und die Charakterlosigkeit des Betteldichters hervorkehrte. Es
ist allerdings richtig, dass er vielfach als ein typischer Vertreter der übel-
sten Seiten des byzantinischen Wesens, der kriechenden Schmeichelei, der
prahlerischen Halbbildung und der barbarischen Geschmacklosigkeit er-
scheint; aber sein Wesen wird mit diesen Schlagwörtern, die nachgerade
für Byzantiner stereotyp und daher zur Individualisierung wertlos geworden
sind, keineswegs erschöpft. Am besten gefällt uns Prodromos in prosai-
schen Versuchen, wo er mit Geschick und Grazie den besten Vorbildern
des Altertums, besonders Lukian folgt; auch seine Briefe verraten eine
unverächtliche Gewandtheit in der Form und lassen sich den besten Lei-
stungen der byzantinischen Epistolographie beigesellen. Nicht viel schwächer
sind seine kleinen Spottgedichte; sein Witz ist zwar etwas derb und
ostentativ und der Gedanke meist zu breit ausgesponnen; aber das Gleiche
lässt sich auch von alten Spottgedichten z. B. von dem Weiberspiegel des
Simonides Amorginus behaupten, mit dem des Prodromos Satire auf das
lüsterne Weib verglichen werden mag. Auch die Epigramme enthalten man-
chen guten Einfall und berechtigen nicht zu der radikalen Verdammung, die
für Prodromos üblich geworden ist. Zu dieser haben vielmehr seine grtissten
und leider auch bekanntesten Werke Anlass gegeben, der geschmacklose
Versroman und die langatmigen, in schwülstigen Metaphern sich über-
stürzenden Lob- und Bittgedichte. Beachten wir neben diesen auch die
2. Profanpoesie. (§ 197.) 361
oben genannten Werke, so wird das Gesamtuiieil wohl günstiger ausfallen.
Sicher gehört Prodromos bei allen seinen Mängeln zu den merkwürdigsten
Erscheinungen der byzantinischen Litteratur. Den schulmässigen Werken
eines Suidas, Tzetzes, Eustathios gegenüber erscheint in Prodromos die
emsige Geschäftigkeit des von den zünftigen Kreisen zurückgestossenen
Dilettanten. An Stelle der zeremoniellen Gemessenheit, die sonst bei den
Byzantinern so sehr ermüdet, finden wir bei ihm eine derbe, aber immer-
hin witzige Polemik und eine freilich etwas holperige Urwüchsigkeit. Der
steifleinenen Würde der byzantinischen Kunstsprache, wie sie gerade in
der Komnenenzeit wieder mehr als je betont und gepflegt wurde, wagt
Prodromos mit Scherzgedichten in der Vulgärsprache entgegenzutreten.
So machen uns gerade die Teile seines Wesens, in welchen er von den
gleichgearteten Durchschnittslitterat^n seiner Zeit abweicht, den Mann
interessant. Er ist wie wenige Byzantiner eine deutlich ausgesprochene
kulturhistorische Figur.
Der litterarische Xachlass des Prodromos ist so reichhaltig, dass
schon eine blosse Aufzählung der genauen Titel mit dem dazu gehörigen
bibliographischen Material viele Seiten füllen würde. Trotzdem wäre selbst
damit strengeren Anforderungen nicht genügt, da wir uns beim Mangel
exakter und erschöpfender Vorarbeiten zum Teil auf die Wiedergabe
älterer Zusammenstellungen von schwankender Zuverlässigkeit beschränken
müssten. Wir begnügen uns daher mit einer Aufzählung der ^sichtigsten
und bekanntesten Werke und notieren für das übrige die bibliographische
Litteratur.
1. Das umfangreichste Werk des Prodromos ist sein Versroman
Rodanthe und Dosikles {Td xard '^PoSäv^rjv xai JoffixXt'a). Er erzählt
in 4614 Trimetern, die in 9 Bücher eingeteilt sind, folgendes: Dosikles
aus Abydos entführt mit Hilfe einiger Freunde die schöne Rodanthe, aber
auf Rhodos wird das Paar von Räubern überfallen und nach mancherlei
Abenteuern getrennt; Rodanthe wird nach Cypem als Sklavin verkauft,
Dosikles soll den Göttern geopfert werden. Glücklich befreit gelangt er
nach Cypern, wo er mit seiner Geliebten wieder zusammentrifft; bald reisen
die beiden Väter auf Anraten des delphischen Orakels von Abydos nach
Cypern und fahren mit den Kindern nach Hause zurück, wo frohe Hoch-
zeit gefeiert wird. Zum Vorbilde dienten dem Prodromos vornehmlich die
Aethiopica des Heliodor, welchen die künstliche Disposition der ersten
drei Bücher, d. h. das Motiv, dass wir erst nachträglich durch eine Er-
zählung des Dosikles die früheren Schicksale des Liebespaares erfahren,
sowie eine Reihe einzelner Züge entnommen sind. Die Anklänge an des
Eustathios Erzählung von Hysmine und Hysminias sind wohl aus der
Benützung gemeinsamer Vorbilder zu erklären. Einzelne früher nicht vor-
kommende Motive gehen vielleicht auf die populäre Ueberlieferung orien-
talischer Märchen zurück. Die unmässige Breite, die schwülstige, bar-
barisch ungeschlachte und doch anspruchsvolle Darstellung beweisen den
völligen Mangel an Befähigung zu einer solchen Aufgabe und machen die
Lektüre des nur durch seine Länge imponierenden Gedichtes zu einer
wahren Qual. Trotzdem diente dasselbe einem Späteren als Vorbild, dem
362 Byzantinische Litteratargeschichte. II. Poetische Litteratur.
Niketas Eugenianos, von dem auch eine Monodie auf Prodromos hand-
schriftlich erhalten ist.')
Ed. pr. G. Gaulminus, Paris 1625 (griechisch und lateinisch). — Ed. R. Hercher
in den Scriptores erotici Graeci, vol. II (Lipsiae 1859) 287 — 434. — Vgl. Ph. Lebas.
Bibliotlieque de l'ecole des chartes, mai-juin 1841. — Härtung, Die byzant. Novelle.
Archiv für das Studium d. neueren Sprachen und Literaturen 50 (1872) 4 ff. (nutzlos). —
J. Hilberg, Epistola critica ad J. Vahlen, Wien 1877. — Hauptschrift: E. Rohde, Der
griechische Roman (1876) S. 527—5-30.
2. Der Katzenmäusekrieg (in der Handschrift ohne Titel; vom
ersten Herausgeber FaXeoptvo^axia, von Hercher richtiger Karoftvoinaxice
überschrieben), eine dramatische Parodie in 384 Trimetern, in welcher
die auch der ^x^'^rj nvog (s. u.) zu Grunde liegende Idee eines Kampfes
zwischen Katze und Maus weiter ausgeführt wird. Personen dieses dra-
matischen Gegenstückes zur homerischen Batrachomyomachie sind der
Mäusekönig Kreillos und seine Gattin, die Maus Tyrokleptes (Käsedieb),
ein Herold und ein Bote, dazu der aus Dienerinnen bestehende Chor. Un-
gehalten über die ewigen Nachstellungen der Katze beschliesst Kreillos,
alle Mäuse zum Kampfe gegen die unholde Widersacherin aufzubieten ; die
Katze richtet ein fürchterliches Blutbad unter den Mäusen an, schliesslicli
aber erscheint als deus ex machina ein von der Decke fallender Balken,
der die Katze erschlägt und so den Mäusen den Sieg verschaift.
Zahlreiche ältere Ausgaben. Zuletzt: Theod. Prodromi Catomyomachia ed. R. Her-
cher, Lipsiae, bibl. Teubn., 1873.
3. Die Freundschaft in der Verbannung, 'ATi6dr]iiog (fiXi'a, ein
Dialog in jambischen Trimetern zwischen einem ^t'vog und der <t>iXia. Das
Argument des Gedichtes lautet: Die Freundschaft wird von ihrem Manne
Kosmos, d. h. dem menschlichen Leben, Verstössen; er verbindet sich auf
Anraten seiner Magd Dummheit mit der Buhlerin Feindschaft. Der Nutzen
der Freundschaft und die Nachteile der Feindschaft werden nun in schul-
mässiger Weise an Beispielen aus der alten Mythologie wie an Eteokles
und Polyneikes, an Orest und Pylades dargethan.
Oft ediert, zuletzt von Fr. Dübner in Euripidis fragmenta ed. G. Wagner, Paris
1846 S. 83—90. — Wiederholt bei Migne, PatroL Gr. 133, 1321 ff. — Vgl Magnin,
Journal des savants 1849, 469 ff.
4. Satire gegen eine lüsterne Alte, Kard (fiXonögrov ygaog
(102 Trimeter). In der Form einer entrüsteten Anrede werden die Schänd-
lichkeiten einer bejahrten Buhlerin aufgezählt. Charakteristisch für Pro-
dromos ist der Gedanke: „Zwei mächtige Hauzähne hat ihr die Zeit in
weiser Erwägung gelassen, damit man sie nicht für ein neugeborenes Kind
halte." Zum Schluss fordert der Dichter die Richter der Unterwelt auf,
sie dem Rachen des Kerberos zu übergeben; freilich, meint er, an so ur-
altem Scherbenfleisch könnten selbst die Zähne des Höllenhundes ermatten.
Ed. unter dem Namen des Manuel Philes in den Prolusiones et opuscula academioa
8cr. M. Birgerus Thorlacius, vol. III, Havniae 1815 S. 51 ff. — Wiederholt von E. Miller,
Manuelis Philae carmina II (1857) 306 ff.
5. Satire gegen einen alten Langbart, Kard fiaxQoyevefov y*'-
Qovtog^ mit der vorigen in Ton und Haltung eng verwandt (ebenfalls
') £. Miller, Catalogue des mss. grecs de l'Escurial S. 211.
2. Profanpoesie. (§ 197.) 363
102 Trimeter). Das Gedicht ist nicht ohne Witz, wenn auch die Gedanken
zu aufdringlich und breit ausgesponnen sind. Nach seiner langen Philippika
erteilt Prodromos dem Alten den Rat, sich seinen Riesenbart abzuschneiden,
damit die Symmetrie seiner äusseren Erscheinung wiederhergestellt werde.
Ed. Fr. Boissonade, Anecdota Graeca IV (1832) 430—435.
6. Klageverse über die Beschimpfung der Vernunft, 2xsr).ia-
0X1X01 sm Ti] ccTif^iicc Tov Xöyov. Der Dichter macht seinem Unmute über
die mangelhafte Anerkennung seiner gelehrten Verdienste Luft und nimmt
zuletzt scherzhaft von aller Wissenschaft Abschied: 'Eqqst £f.iov ßiöroio
uTiÖTTQOÜ^i-r, eQQsre ß(ßXoi\
Ed. in den Not. et extr. 8 (1810) 2, 195 und bei Migne, Patrol. Gr. 133, 1419 f.
7. Ein astrologisches Gedicht in 593 politischen Fünfzehnsilbern,
gerichtet an Irene, die Gemahlin des Sebastokrator Andronikos Komnenos,
des zweiten Sohnes des Kaisers Johannes Komnenos, an deren mildthätiges
Herz die Muse des Prodromos sich auch in anderen, zum Teil unedierten
Gedichten wendet. Das Werk handelt über die Kraft und Bedeutung
der Planeten und ist ein Muster von geziertem Schwulst, voll seltsamer
Epitheta.
Aus einem Athoscodex und einer Wiener Handschrift ed. von E. Miller, Not. et
extr. 23 (1872) 2, 1—39.
8. Elg eixori<Tf.i£'vov tov ßior, ein kleines Gedicht auf eine alle-
gorische Darstellung des menschlichen Lebens. Dasselbe erscheint als eine
Flügelfigur mit Rädern und Flügeln an den Füssen und einer Wage in der
Hand ; nach diesen seltsamen Attributen bleibt es zweifelhaft, ob Prodromos
liier ein wirkliches Bildwerk vor Augen hatte.
Ed. Not. et extr. 8, 2, 191 und bei Migne, Patrol. Gr. 133, 1419.
9. Wichtiger für die byzantinische Kunstgeschichte sind die ^ti'xoi
ftg Tovg 6o')6exa ni]rag, worin nach einer im Mittelalter weit ver-
breiteten und noch in unsern Bauernkalendern fortlebenden Sitte diätetische
Vorschriften, Jagd- und Wetterregeln für die 12 Monate des Jahres
gegeben werden; häufig sind die Verse durch bildliche Darstellungen
illustriert worden.
Ed. Fr. Boissonade, Not. et extr. 11 (1827) 2, 181 ff.; darnach von Ideler, Phy-
sici et medici Graeci minores I (1841) 418 ff. — Kritische Ausgabe von Bruno Keil in
der Abhandlung: Die Monatscyclen der byzantinischen Kunst in spätgriechischer Literatur,
Wiener Studien 11 (1889) 94 — 142, wo auch Nachweise über die Handschriften imd An-
gaben über die einschlägige Litteratur zu finden sind. — Zu den bildlichen Darstel-
lungen der 12 Monate: James Fowler, On mediaeval representations of the months
and seasons, Archaeologia 44 (London 1873) 137 — 224. — Ch. Boutell, Symbols of the
seasons and months represented in early art, Art Journal 1877, 113 ff.; 177 ff.; 237 ff. —
Mit spezieller Beziehung auf die byzantinischen Darstellungen: J. Strzygowski, Reper-
torium für Kunstwissenschaft 1888, 23—46 und 1890, 241 — 263. — Eine zusammenfassende
historische Untersuchung über die Tierkreiszeichen und Monatsbilder in der alten und mittel-
alterlichen Kunst imd Litteratur mit weiteren Litteratumachweisen, Nachträgen zu Stray-
gowskis erster Abhandlung (aus einer vatikanischen Handschrift des Jahres 814) und einigen
Abbildungen gab Alois Riegl, Mitteilungen des Instituts für Österreich. Geschichtsforschung
10 (1889) 1-74.
10. Unter den kleineren Poesien beanspruchen den breitesten Raum
die zahllosen Gelegenheitsgedichte an Kaiser und Kaiserinnen, Prinzen
und Prinzessinnen, weltliche und geistliche Wüi'denträger , überhaupt an
364 Byzantinische Litteratnrgeschichte. 11. Poetische Litteratnr.
alle, die im stände waren, dem Dichter des Lebens Not zu erleichtern.
Für diese unerquickliche Litteraturgattung ist Prodromos typisch geworden,
und Sammlungen dieser abgeschmackten Nichtigkeiten wurden wohl bei
ähnlichen Anlässen als willkommene Bettelbriefsteller verwertet; daraus
erklärt sich die grosse Zahl der Handschriften. Sie möchte uns fast leid
thun, wenn nicht manche dieser schalen Erzeugnisse wenigstens einigen
historischen Wert besässen. Den Reigen eröffnen Preisgedichte an Kaiser
Johannes bei verschiedenen Gelegenheiten, so anlässlich seiner Triumph-
züge über die Perser, der Eroberung von Kastamon, des zehnten Feld-
zuges gegen die Perser u. s. w. ; demselben Kaiser ist auch ein jambischer
'Emrätfiog gewidmet. Es folgen Gedichte auf die Vermählung wie auf den
Tod der Kaiserin Irene, der Gemahlin des Johannes Komnenos, auf die
Hochzeit des Prinzen Alexis, an die Kaiserin Irene Dukaena, an den
Grammatiker Theodoros Stypiotes, an den Waisenvater Alexios Aristenos,
Bittschreiben an Kaiser Manuel, Gedichte auf eine von Manuel in Abydos
gebaute Brücke u. a. Besonderes Interesse erregen die Gedichte auf die
Hochzeit des Kaisers Manuel mit der Schwägerin des deutschen Königs
Konrad III, Bertha von Sulzbach (1146), und auf die Vermählung einer
Nichte Kaiser Manuels mit dem Halbbruder König Konrads. Mitten unter
so viel Lob und Huldigung findet sich wenigstens ein Stück polemischer
Natur; es richtet sich gegen einen Mann, der den Dichter der Häresie
beschuldigt hatte: Eig xov BaQta rov xaTa(fXvaQrj(Tavici avtov ro tov
mqsTtxov ovofxa. Endlich erwähnen wir hier ein Gedicht in 50 Hexametern,
worin Prodromos droht, Konstantinopel zu verlassen und bei seinem Gönner,
dem Erzbischofe von Trapezunt, Zuflucht zu suchen.
Ueber Handschriften und Ausgaben dieser noch wenig gesichteten Stücke s. die
am Schlüsse angeführte Litteratur, bes. La Porte du Theil, A. Mai, E. Miller, Migno
und C. Neumann S. 44 ff. — PJin Epithalamion ed. neulich Carlo Castellani, Venedig
1888 (mit Uebersetzung in italienischen Versen). — Ueber die hieher gehörigen vulgär-
griechischen Gedichte s. den Anhang.
11. Religiöse Gedichte und Epigramme. Hier sind zu nennen
Hymnen an Kaiser Johannes an den Festen der Geburt und Taufe Christi,
Gedichte auf die Heiligen des ganzen Jahres, auf die Kirchenväter, auf die
hl. Dreieinigkeit, auf die Kreuzigung des hl. Petrus, auf die 12 Feste Jesu
Christi, endlich ein jambisches Gedicht mit alphabetischer Akrostichis auf die
Eigenschaften Gottes, eine Art orthodoxes Glaubensbekenntnis (Boissonade,
Anecd. Gr. 4, 440 f. = Migne, Patr. Gr. 133, 1221) und die ^x^rhaatixül
elg TTjv TTQÖvoiar, eine Aufzählung von Beispielen unverdienten Missgeschickes,
die aber mit der Ergebung in Gottes unerforschlichen Ratschluss endet.
Auch die Epigramme sind grösstenteils kirchlichen Inhalts; es sind
nämlich meist vierzeilige Inhaltsangaben zur Genesis, zu den Büchern der
Könige, den vier Evangelisten u. s. w. Nur wenige behandeln profane
Gegenstände; hieher gehören 16 Gedichte verschiedenen Umfangs auf
einen gewissen Machaon, der in vorgerücktem Alter ein junges Mädchen
geheiratet hatte; die selbst bei Prodromos auffallende Derbheit und Ob-
szönität, mit welcher das widerliche Thema behandelt ist, erinnert an das
im Anhang genannte vulgärgriechische Gedicht über denselben Vorwurf.
Besser gefallen kleinere Sachen, wie das Epigramm auf einen Siegelring,
2. Profanpoesie. (§ 197.) 365
auf dem ein Liebespaar dargestellt ist, auf einen vom Meere ausgeworfenen,
der Hände beraubten Leichnam, auf einen Mönch Joannikios. Dazu kommen
noch metrische Rätsel und Grabschriften auf einen geizigen Mönch
und auf Konstantin Kamytzes, den Gemahl der Maria Komnena, letztere
in der uralten Form eines Dialogs zwischen dem Grabmal und einem Fremden
(Ti Tovg Tvnovg earr^xag lazoQon' ^ärs u. s. w.).
Die Epigramme erschienen zuerst Basel 1536. Vgl. Not. et extr. 8, 2, 183 ff. —
Wiederholt mit den religiösen Gedichten von Migne, Patrol. Gr. 133, 1101 ff. — Die 16
Epigramme gegen Machaon ed. E. Miller, Annuaire de Tassoc. 17 (1883) 58 ff.
Glücklicher als in der Poesie erweist sich die Befähigung des Pro-
dromos in seinen Prosawerken. An der Spitze stehen hier Dialoge nach
dem Vorbilde Lukians; dazu kommen rhetorische Aufsätze, philosophische,
grammatische und theologische Kleinigkeiten, Gelegenheitsreden und Briefe :
12. 'AucioceiTog i] ytgorrog egoizeg, ein Dialog zwischen Anhängern
verschiedener Philosophenschulen, einem alten Mediziner, einem Grammatiker,
einem Komödiendichter und einem gewissen Aristobulos. Das Thema bildet
die alte und ewig neue Geschichte von der armen Jungfrau, die einen
reichen Greis heiraten soll.
Ed. in den Not. et extr. 8, 2, 105—127.
Blüjv TTOuaig ttoit^tixwv xai ttoXitixwv, d. h. Versteigerung von
poetischen und staatlichen Lebensstellungen. Verschiedene Zelebritäten
wie Homer. Aristophanes, Hippokrates u. s. w. werden von Zeus unter
Assistenz des Hermes öffentlich verkauft; so entspinnt sich zwischen Zeus
und Hermes einerseits und den Käufern andrerseits ein Gespräch, an dem
sich auch die dem Verkaufe unterstellten Personen beteiligen. Das Stück,
eine Imitation von Lukians Dialog Bf cor Trociaig, neben dem auch des-
selben Zevg TQay(n66g reichlich verwertet ist, beweist, wie der eben ge-
nannte Amarantes und die teils einer früheren, teils einer späteren Zeit
angehörenden Dialoge Philopatris, Timarion, Mazaris, das sorgfältige
Studium, welches dem Lukian in der ganzen byzantinischen Zeit zu teil
geworden ist.
Ed. Not. et extr. 8, 2, 129 — 150. — Verwandt mit diesen Dialogen im StDe Lukians
sind die drei imedierten Stücke: 'Aua&rjg rj tiuq eavua ygafi/aaTixog, der Ignorant
oder Privatgrammatiker ; 4>t'j.onX€(Twy rj axvTodi%pr,g, Plato Verehrer oder Gerber, eben-
falls gegen einen Scheinweisen gerichtet, der sich für einen Kenner des Plato ausgab;
Jrjfxiog Tj iaiQÖg, Henker oder Arzt, eine launige Satire auf einen Sohn des Aeskiüap,
der dem Dichter gegen Kopfweh das Ausreissen eines Zahnes verordnet hatte; um das
Unglück voll zu machen, extrahierte der Zahnkünstler statt eines Zahnes mehrere, das
Kopfweh aber blieb.
13. ^x^'^r^ ^v6g (Maushumoreske), eine mit Antithesen und Schnörkeln
beladene Schulrede über ein fingiertes Thema, wie sie von der alten
Sophistenzeit bis ins tiefe Mittelalter hinein üblich waren. Eine Maus
schleicht sich in ein Speisezimmer und lässt sich durch die hier zerstreuten
Ueberreste eines Gastmahles zu üppigen Monologen begeistern, bis sie der
lauernden Katze zum Opfer fällt. Die Katze fragt sie um Name, Abkunft
und Heimat; nach einem vergeblichen Versuche, durch List zu entrinnen,
antwortet die Maus, sie hiesse ^EXaionÖTr^g, ihr Vater AaoSocfüyog und ihre
Mutter IlctaröXHxog. Weiter forscht die Katze: Habt auch Ihr Mönche
voU Gebet und Thränen und bist auch Du einer von ihnen ^ Wo ist Deine
366
Byzantinische Litteratnrgeschichte. IL Poetische Litteratnr.
Kutte? Wo Deine Sandalen? Die Maus erklärt sich nun für den Abt
unter den Klausnern ihres Geschlechts und bittet schlagfertig mit den
Worten des Psalmisten: Mrj r([) O^vfio) aov eley^ijg /^s ^itj^J* tj^ oQyrj aov
nai6ev(rr^g /i€ u. s. w. Die Katze widerlegt sie, nicht minder bibelfest,
mit Worten der hl. Schrift. So endet die traurige Geschichte damit, dass
der kleine Mäuseabt im Rachen der grausamen Feindin ein vorzeitiges
Grab findet. Das Stück, ein merkwürdiges Beispiel der bei den Byzantinern
nicht seltenen Parodie heiliger Schriften, ist mit der Katomyomachie
desselben Verfassers und mit den späteren vulgärgriechischen Tierepen
zu vergleichen, für deren Urgeschichte hiemit vielleicht ein brauchbarer
Anhaltspunkt gewonnen ist. Vgl. den Anhang.
Ed. Fr. Boissonade, Anecd, Graeca I (1829) 429 -435.
14. Zwei Essays behandeln das bei Prodromos stets wiederkehrende
Thema der Armut: 'AvaTQonrj ruv ' 2o(firiV Ttsvirj i'Xax^v, d. h. Widerlegung
des (dem Euripides zugeschriebenen) Ausspruches : Der Armut ist Weisheit
verliehen; JlQog zovg öid nsviav ßXaa(pr^fiovvtag ttjv ngovoiav, d. h. gegen
diejenigen, so wegen ihrer Armut die Vorsehung schelten.
Ed. Migne, Patrol. Gr. 133, 1313 und 1291 ff.
15. Philosophie, Theologie, Grammatik. Ein gegen Porphyrios
polemisierender Dialog Xenedemos, der als Anleitung zur Lektüre der
Kategorien des Aristoteles dienen soll; eine Schrift über das Grosse und
Kleine, über das Viel und Wenig ;^) eine Paraphrase zur zweiten Analytik
des Aristoteles. S. Not. et extr. 8, 2, 215 ff. Die Theologie ist unter
den Prosawerken schwach vertreten; wir finden nur einen Kommentar zu
den Kirchengedichten des Kosmas und des Johannes von Damaskos (s. § 168)
und eine Schrift zu der im späteren Byzanz tausendfach behandelten, gegen
die römische Kirche gerichteten Kontroverse über den Ausgang des hl. Geistes.
Auch hat Prodromos wie sein Zeitgenosse Nikolaos, Bischof von Me-
thone, eine Lebensbeschreibung des jüngeren Meletios verfasst,*) die
über das religiöse, soziale und politische Leben der Komnenenzeit einige
Aufschlüsse gewährt. Die grammatischen Arbeiten, die dem Prodromos
zugeschrieben werden, sind wenig gesichert.
Proben eines zum Teil in politischen Versen abgefassten pneumatologisclien und ortho-
graphischen Lexikons, um dessen Autorschaft sich Prodromos mit Georgios Zigabenos streitet,
ed. E. Miller, Annuaire de l'assoc. 8 (1874) 222—248 und 10 (1876) 121- 136; dabei auch
Regeln TIept ayrcaroi^^wy in der Form eines Kirchenkanon. — Vgl. Uhligs Ausg. des
Dionysios Thrax (Lips. 1884) Proleg. S. 37 und Egenolff, Die orthoepischen Stücke der
byzantinischen Literatur, Mannheim 1887 S. 22. — Auf einer leeren Hypothese beruht« es,
dass dem Prodromos die zwei rhetorischen Traktate IleQi öiacpogüs ardaetos und UQoßXrjfiaxa
^tjxoQixu eig axtioBig zugeteilt wurden; s. Rhetores Graeci ed. Chr. Walz 8 (1835) 386 — 413.
16. Gelegenheitsreden, Monodien, Briefe. Die Persönlichkeiten,
welchen der Dichter diese Prosastücke widmet, sind zum Teil dieselben, an
welche er auch in Versen Worte des Dankes und Lobes, der Bitte und
Ergebenheit gerichtet hat. Am reichlichsten wird der oben genannte
') Proben ed. P. Tannery, Annuaire
de l'assoc. 21 (1887) 104-119.
') Beide Vitae sind mit Einleitung und
rassischer Uebersetziing zum ersten Male
ediert von V. Vasilievskij in den Publi-
kationen der russischen Palästinagesellschaft,
Petersburg 1886. Ueber das Leben des
WunderthUters Meletios ( 1 03') 1 1 05) s. F o r d.
Gregorovius, Geschichte der Stadt Athen
im Mittelalter I 183-188.
2. Profanpoesie. (§ 1Ö7.) 367
Waisenvater Alexios Aristenos bedacht. Als er zum zweiten Male die
Würde eines Waisenvorstandes erlangte, beglückwünschte ihn Prodromos
nicht nur mit einem jambischen Gedichte, sondern auch mit einem Vor-
trage in Prosa ; dazu widmete er ihm eine begeisterte Dankrede und feierte
in einer überschwänglichen Deklamation seine Beredsamkeit. Daran reihen
sich Reden Eic rov TioQtfvqoyivvr^Tov 'laaäxiov tov Kofivr^vöv, Eic tov KuiauQu
Tj vntQ TCQaaivov (für die Partei der Grünen), an den Patriarchen von
Konstantinopel Johannes; ein ^ETTid^aXäf.iiog zur Hochzeit zweier Söhne des
Nikephoros Bryennios und der Anna Komnena; Trauerreden auf den Tod
des Kaisers Johannes und der Kaiserin Irene, des Andronikos Komnenos
(eines Sohnes des Kaisers Johannes), des Logotheten Gregor Kamateros,
des Metropoliten von Trapezunt Stephanos Skylitzes u. a. Den Beschluss
bilden die zahlreichen Briefe an Alexios Aristenos, an den Metropoliten
von Trapezunt, den Patriarchen Älichael Oxites (114:6) und verschiedene
nicht näher bekannte Privatpersonen.
Die meisten dieser Stücke nach früheren Drucken bei Migne, Patrol. Gr. 133;
ausserdem s. die unten genannte bibliographische Litteratur.
17, Die Zahl der dem Prodromos zugeteilten Schriften scheint noch
immer anzuwachsen. Fr. Blass führt im Hermes 23 (1888) 224 aus einer
Serailhandschrift an: Theodoros Prodromos Beschreibung der vier-
füssigen Tiere mit einer Vorrede an Manuel Komnenos, gibt aber leider
keine Probe des Werkes ; vielleicht ist in demselben die Vorlage des vulgär-
griechischen Gedichtes: Jn^Yi^aig TraidiücfoaaTog rwj- T€TQairöd(or ^omr zu
erkennen, wenn es nicht gar mit demselben identisch und dem Prodromos
nur fälschlich zugeschrieben ist. Für seine Autorschaft Hesse sich die
erwähnte Verwandtschaft der 2xtSr^ }.iv6g mit den vulgärgriechischen Tier-
epen anführen. — Dass in einer Handschrift dem Prodromos auch Er-
klärungen zu volksmässigen Sprüchen zugeschrieben sind, wurde schon
S. 180 bemerkt. — Zu allem Ueberfluss ist Prodromos von J. G. Brambs
noch für das Drama XQiaxog näaxcav verantwortlich gemacht worden
(s. S. 359).
1. Sammelausgaben und Hilfsmittel: Den Anfang einer bibliographischen
Uebersicht machte LeoAllatius: De Theodoris, jetzt wiederholt von Migne. — Die erste
grössere, noch heute nicht ersetzte litterarhistorische Arbeit verdanken wir La Porte du
Theil, Notices et extraits 6 (1801) 496—566; 7 (1804) 2, 235—260; 8 (1810) 2, 78—220;
doch gibt er meist nur Proben und kurze Inhaltsangaben. — Einiges Neue edierte Fr.
Boissonade, Anecd. nova (1844) 871—388; A. Mai, Nova patrum bibliotheca Yl (1853)
2. 398—416 und E. Miller, Annuaire de l'assoc. 17 (1883) 18-64 und Re\-ue archeo-
logique, nouv. serie 25 (187.3) 251 ff.; 344 ff; 415 ff. und 26 (1873) 23 f.; 153 ff. — Diese
Arbeiten sind grösstenteils wiederholt von Migne, Patrol. Gr. 133 (1864) 1003—1424, wo
auch manche profane Stücke wie Gelegenheitsgedichte, Briefe xmd Reden aufgenommen
Bind. — Zur Metrik vgl. die S. 359 erwähnte Abhandlung von Hilberg; ausserdem
H. Schrader, Ueber die daktyl. Verse des Th. Prodromus und des Johannes Tzetzes, Jahns
Jahrb. 137 (1886) 601 — 609. — Die Litteratur zu den vulgärgr. Gedichten s. im Anhang.
Hauptschriften: C. Neumann, Griechische Geschichtschreiber und Geschichts-
quellen im zwölften Jahrhundert, Leipzig 1888 S. 37—77 (treffende Charakteristik; histo-
rische Untersuchimgen über Gelegenheitsgedichte und einen Brief; Verzeichnis der neueren
Litteratur). — J. B. Pitra, Vorrede zur Ausgabe der Kommentare des Prodromos zu
Joh. Dam. und Kosraas von Stevenson, Romae 1888 (s. § 168), wo aber manches recht
willkürlich ist und z. B. der Roman mit ganz ungenügenden Gründen (eigentlich nur per
decenza) dem Prodromos abgesprochen wird.
2. Annahme von zwei Prodromos. Nachdem schon Iken und Petersen den
Ptochoprodromos für einen von Theodor Prodromos verschiedenen Autor erklärt hatten, hat
368 Byzantinische Litteratnrgeschichte. II. Poetische Litteratnr.
C. Neumann a. a. 0. S. 46 ff. dieser Hypothese durch ein neues Argument erhöhte Be-
deutung verschafft, ohne jedocli selbst die Frage abschliessen zu können. Zur Entscheidung
wäre eine vollständigere Publikation des handschriftlichen Materials und eine eingehende
litterarhistorische, sprachliche und metrische Untersuchung notwendig. Wir müssen uns
daher vorerst bescheiden, den bestehenden Zweifel einfach zu registrieren, möchten aber
dabei nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer Gesamtausgabe und einer mono-
graphischen Bearbeitung des oder der Prodromos hingewiesen haben. Gegen Neu-
manns Aufstellung s. die Bemerkungen von Bruno Keil, Wiener Studien 11 (1889) 106 f.
3. Einige anonyme jambische Gedichte auf die hl. Jungfrau, den Erzengel
Michael, den Patriarchen Methodios (842 — 846) u. a., die etwa der Zeit des Prodromos
angehören mögen, sind aus einem cod. Athen, ed. von J. Sakkelion, JeXrloy xrjg latoQ.
xnl i9yokoy. er«/?!«? t»;? TAXädog 2 (1885—89) 584-586.
198. Johannes Kamateros, ein jüngerer Zeitgenosse des Prodromos,
mit der Würde eines 'Eni tov xarixXeiov bekleidet, später Erzbischof von
Bulgarien, verfasste ein astrologisches Lehrgedicht in 1351 jambischen
Trimetern, JIfQi ^coSiaxov xvxXov xal tmv aXXcov dnärrow rwj' ev tw ovgavo}.
Wie Prodromos sein astrologisches Gedicht einer Prinzessin widmete, so
richtete Kamateros sein Werk an Kaiser Manuel (1143 — 1180). Auch hier
fehlt in der Vorrede nicht die übliche Devotion, die in Byzanz so selbst-
verständlich war, dass sich ihr niemand entziehen konnte. Der Dichter
spendet dem Kaiser seine Verse, nicht um seine Kenntnisse zu mehren —
denn was vermöge ein Fluss, der sich ins Meer ergiesst — , sondern um
der Nachwelt kund zu thun, dass Manuel die Weisheit höher achtete als
Gold und Edelsteine, als Königswürde und Herrschergewalt. In Wirklich-
keit ist das Poem auf die dilettantische Liebhaberei berechnet, welche
Orakel und astrologische Weistümer zu unentbehrlichen Inventarstückeii
des byzantinischen Hofhaltes machte. Von Kaiser Manuel sind astrologische
Neigungen ausdrücklich bezeugt und es wird erzählt, dass er auf dem
Todbette Gott für sein übermässiges Vertrauen auf die Sterne um Ver-
zeihung bat.
Das Gedicht des Kamateros unterscheidet sich von dem des Prodromos
durch engeren Anschluss an die Thatsachen der wissenschaftlichen Astro-
nomie, durch grössere Systematik und Vollständigkeit. Nach einer Be-
schreibung der Planeten und des Tierkreises folgt das übliche Detail astro-
logischer Belehrung über Kraft und Temperament der Sterne, ihren Ein-
fluss auf die menschliche Lebensdauer, über Konjunktion und Opposition,
über die Bedeutung der zwölf Stellen des Tierkreises, über die zwei Hemi-
sphären und endlich in grosser Ausführlichkeit über die speziellen Kräfte
eines jeden Planeten, Uns interessiert an diesem poesieverlassenen Mach-
werke vorzüglich die Frage, aus welchen Quellen Kamateros seine Weis-
heit geschöpft hat. Er nennt selbst als Gewährsmänner die babyloni-
schen Astronomen Selech und Meslas. Doch hat er diese Namen,
wenn sie nicht gar auf Trug beruhen, jedenfalls aus zweiter Hand, und
seine wahre Vorlage wird ohne Zweifel in griechischen Werken zu suchen
sein. Eine Untersuchung hierüber mangelt; der Herausgeber begnügt sicli
mit der bequemlichen Bemerkung, die astrologische Weisheit der Chaldäor
und Aegypter habe in den Gedichten des Prodromos und Kamateros ihren
letzten Nachklang gefunden.
Ein zweites astrologisches Gedicht des Kamateros, das mehr auf
das populäre Bedürfnis berechnet und daher in politischen Fünfzohnsilbern
2. Profanpoesie. (§ 198 -199.) 369
abgefasst ist, steckt noch unediert im cod. 2419 der Pariser National-
bibliothek. Vielleicht gehört ihm auch die in einer Eskm-ialhandschrift
erhaltene geistliche Rede: Aöyoq drayvüyaO^eig üvirj^wg sv ir^ togrij xwv
(f(üro)r rov aocfonÜTov QtjroQog xal vnsQTifiov xvq. 'icodvvov tov Kafiaxr^Qov.
Das astronomische Gedicht edierte aus mehreren Pariser Handschriften E. Miller,
Not. et extr. 23 (1872j 2, 40—112. — üeber die zwei genannten Inedita des Kamateros
und die zahlreichen anderen Träger dieses Namens s. Millers Einleitung. — Von
Andronikos Kamateros, einem Verwandten des Manuel Komnenos, finden sich mehrere
theologische Werke handschriftlich in der Münchener Staatsbibliothek.
199. Konstantin Manasses (o Mavaaarjc), zur Zeit des Kaisers
Manuel Komnenos (1143 — 1180), verfasste in politischen Fünfzehnsilbern
eine Chronik, einen Roman und vielleicht ein moralisches Lehrgedicht.
1. Die Chronik, 2vroipic taroQixrj betitelt, 6733 Verse umfassend, beginnt
nach der üblichen Weise mit der Erschaffung der Welt und schliesst mit
dem Tode des Nikephoros Botaniates i. J. 1081. Dem ausführlichen
Titel folgt in einigen Handschriften die Notiz: £^€(foyvi]^ri di ngog rrjv
CißccaxoxQaTÖQiaoav Elgr^vr^v rrjv vvfitprjv tov ßaaiXswg xvqov Mccrov}]X avv
toi avTa6eX(fo} avrov xvqi'o) \4vdQovi'x(n. Das Werk entstand demnach auf
Veranlassung der Schwägerin des Kaisers Manuel, der Gemahlin seines
Bruders, des Sebastokrator Andronikos. In dem kurzen Prooemion gedenkt
der Verfasser der wiederholten Gaben, durch welche die Prinzessin die
Dürre seiner mühevollen Arbeit erfrischte, geht aber dann sofort zu seinem
Thema über, „damit nicht gewissen Leuten seine Rede allzu schmeichlerisch
vorkomme" {f.ir^noyg xokaxixwzaqog do^fj rialv 6 Xoyog). Die etwas auffallende
Bemerkung ist wohl ein Seitenblick auf Leute wie Ptochoprodromos,
dessen abgrundtiefe Devotion damals selbst am Hofe zum Gespötte der
Verständigen geworden sein mochte; Manasses will als ein Mann von Ge-
schmack des Guten lieber zu wenig als zu viel thun. Nur am Schlüsse
des Werkes macht er den Komnenen noch ein grobes und ziemlich unge-
schicktes Kompliment; ihre Geschichte habe er nicht mehr behandelt, da
sie einen Ozean von Grossthaten durchsegelt haben, wie ihn selbst der
starke Herakles nicht durchmessen könnte. Während Ephraim einfach
eine trockene Prosaerzählung versifiziert, sucht der Romandichter Ma-
nasses seiner Darstellung durch Redeblumen und Beiwörter, durch mytho-
logische Anspielungen, reichliche Umschreibungen, ') breit ausgeführte Gleich-
nisse 2) und moralische Exkurse 3) einen poetischen Schwung zu verleihen.
Als Quellen benützte er den Dionys von Halikarnassos und den Johannes
Lydos, für die spätere Zeit vor allem die Chroniken des Michael Glykas und
Zonaras, ausserdem Symeon Magister und ein unbekanntes, mit Glykas
verwandtes Geschichtswerk. Wie andere Chronisten ging auch Manasses
zu den Slaven über. Die um 1350 entstandene slavische Uebersetzung
seiner Chronik gehört zu den hervorragendsten Leistungen der sogenannten
mittleren bulgarisch-slovenischen Litteratur. Ein prächtiger, mit
0 Statt , sterben* sagt er z. B. tfovyai 1 2) Z. B. V. 2648 flF.; 4039 fF.; 4184 «.;
Toy }[oi>y xov awfAcrros Tfl yf} Tfl daysiaäan \ 4498.
(3797), xü(fw xQvnrsa&ai xai yfi Tjj navio- | ') Z. B. Ober die verderblichen Wir-
rfo/w (4308), ToV TiTiXoy rov aiofzutos ij qivoii \ kungen des Neides V. 3234; 3248 ff.
> ine^ijtei (6320) u. s. w. |
Handbuch der Uasa. AltertnmairiaBeDflchAft. IX. 1. AbtIg. 24
370 Byzantinische Litteratnrgeschichte. tl. Poetische Litteratnr.
Illustrationen versehener Codex dieser noch unedierten Uebertragung be-
findet sich in der vatikanischen Bibliothek.
2. Von dem Romane des Manasses: Töiv xatd 'AqiaxavdQov xal
KttlXt&£'av ivvia Xöyoi^ d. h. Neun Bücher von der Liebe des Aristander
und der Kallithea, ist noch keine Handschrift aufgefunden; wir kennen
das Werk nur durch die umfangreichen Fragmente, welche Makarios
Chrysokephalos (s. § 152) seiner '^PoSoniä einverleibt hat. Es sind zwar
nur Sentenzen und moralische Betrachtungen, aber sie enthalten genug
Andeutungen, um uns zu zeigen, dass die aus den früheren Romanen be-
kannten Grundmotive auch hier beibehalten waren. Nach dem Trimeter
des Prodromos und Niketas Eugenianos erscheint in diesem letzten
Versromane der kunstsprachlichen Litteratur schon der politische Fünf-
zehnsilber, womit der Uebergang zum vulgären und halb vulgären Roman-
gedicht deutlich vorbereitet ist. Mit der Chronik hat der Roman die zahl-
reichen Bilder und die moralischen Betrachtungen über Verrat (V. 15 If.),
Verleumdung (V. 33 ff.), Neid (V. 61 ff.) u. s. w. gemeinsam.
3. Endlich wurde dem Manasses von E. Miller ein im cod. Paris.
2750 anonym überliefertes moralisches Lehrgedicht (916 politische
Fünfzehnsilber in 100 Kapiteln) zugeschrieben. Die Annahme stützt sich
auf sprachliche Anklänge und auf die Beobachtung, dass mehrere Stellen
des Werkes mit Fragmenten des Romanes identisch sind, so dass also
Manasses sich hier selbst kopiert hätte. Mehr gegen als für die Hypothese
spricht der Umstand, dass dieselbe Handschrift noch ein zweites, eben-
falls in 100 Kapitel geteiltes Moralgedicht enthält. Immerhin bleibt die
enge Verwandtschaft des Werkes mit Manasses zweifellos; wenn es
nicht von ihm selbst stammt, gehört es sicher einem seiner Bewunderer
und Nachahmer. Das Gedicht handelt in buntester Reihenfolge übei
Tugenden, Laster, Gewohnheiten, Begriffe und Zustände z. B. über Treue,
Hoffnung, Liebe, Neid, Zorn, Jungfernschaft, Tapferkeit, die Seele, Schaden-
freude, Versuchungen, Selbsterkenntnis u. s. w. Es erscheint somit als
eine ins Breite getretene und durch allerlei Zuthaten (auch Sprichwörter
wie V. 620 f.) aufgebauschte Sentenzen Sammlung und ist mit den didak-
tischen Werken des Spaneas, Lapithes, Sachlikis u. s. w. zu vergleichen.
1. Chronik: Zuerst lateinisch ed. von Jo. Leunclaius, Basileae 1573. — Den
griechischen Text ed. pr. J. Meursius, Lugd. Batav. 1616. — Ed. A. Fabroti. Pariser
Corpus der byz. Historiker 1655. — Ed. I. Bekker im Bonner Corpus, Bonn 1837 (mit
Joe! und Georgios Akropolites). — lieber die Quellen: F. Hirsch, Byzantinische Studien
S. 404 flF. und H. Haupt, Hermes 14 (1879) 291. — Ueber die slavische Uebersetzung:
V. Jagi6, Arch. slav. Philol. 2 (1877) 12 ff.
2. Roman (Fragmente): Ed. Fr. Boissonade, Paris 1819 (mit Niketas Eugenia-
nos). — Ed. R. Hercher, Scriptores erotici Graeci, vol. 11, Lipsiae, bibl. Teubn. 1859. —
Vgl. R. Hercher, Hermes 7 (1873) 488 f., wo eine neue Kollation des cod. Marcianus
mitgeteilt wird.
3. Moralgedicht: Ed. Emm. Miller, Annuaire de l'assoc. 9 (1875) 23—75.
2(K). Niketas Eugenianos verfasste bald nach dem Tode des Pro-
dromos, also wohl noch am Ende des 12. Jahrhunderts einen Versroman
in 3641 Trimetern: Töiv xard jQÖaiXXav xal XagixXt'a ßißXta 0- , d. h. Neun
Bücher von der Liebe der Drosilla und des Charikles. In der Pariser
Handschrift ist das Werk betitelt: noh^atg xvqhv NuiJtov tov Evyerfia%'ov
2. Profanpoesie. (§ 200-201.) 371
xard fiiiir^aiv tov (laxaQi'vov (fiXoaö(fov rov IIqoS qÖ{.lov. Diese Ueber-
schrift ist lautere Wahrheit; Niketas wusste in der ganzen älteren Litte-
ratur kein besseres Vorbild zu finden als des Prodromos Geschichte
von Rhodanthe und Dosikles; daraus erklärt sich auch, dass in der
Handschrift der Markusbibliothek das Werk geradezu dem Prodromos zu-
geteilt ist. Doch entlehnte Niketas seiner Vorlage nur das Gerippe und
die allgemeine Disposition der Erzählung; in der Ausschmückung der ein-
zelnen Teile behielt er sich vor, älteren Dichtern und seinem eigenen Ge-
schmacke zu folgen. An Stelle der martialischen Roheit des Prodromos
tritt bei ihm weichliche Erotik in Liebesbriefen, Gefühlsergüssen und aus-
führlichen Schilderungen im Sophistenstil. Freilich wenn ihn der Humor
anwandelt, verfällt auch er in eine mehr als aristophanische Ungezogen-
heit; übrigens scheint gerade das stärkste Stück dieser Art, ein ausge-
lassenes Gastmahl, das durch den Cancan einer betrunkenen alten Vettel
verherrlicht wird, dem Leben abgelauscht (7, 271 ff.). Charakteristisch ist
auch hier die vollständige Flucht aus den Verhältnissen der eigenen Zeit
in eine ziemlich verschwommene heidnisch-hellenische Vergangenheit. „Ein
origineller Zug begegnet auch hier nirgends ; vielmehr stiehlt Niketas seine
Redeblumen und galanten Wendungen sich sehr unbefangen überallher
zusammen, aus den Anakreonteen, den bukolischen Poeten, dem Musäos,
den Epigrammen der Anthologie, auch aus Heliodor und Longos. zumal
aber aus Achilles Tatios" (Rohde). Im Versbau folgt Niketas seinem
Vorgänger Prodromos, obschon er in einigen Details hinter der strengeren
Technik desselben zurückbleibt.
1. Ausgaben: Ed. Fr. Boissonade, 2 voll. Paris 1819 (mit den Fragmenten des
Manasses). — Boissonade wiederholte seine Ausgabe in den Scriptores erotici, Paris,
Didot 1856. — Ed. R. Hercher, Scriptores erotici Gr., vol. II, Lipsiae, bibl. Teubn. 18.59.
2. Hilfsmittel: Eine kritische Analyse des Romans (Vergleichung mit Prodromos)
nebst Auszügen von J. Levesque, Not. et extr. 6 (1801) 223 ff.; 489 ff. — Neue Frag-
mente gab Ph. Le Bas, Bibl. de l'ecole des chartes, mai-juin 1841. — A. Nauck, Zeit-
schrift für Altertumswiss., herausgeg. von J. Caesar, 13 (1855) 276 f. (Emendationen). —
Zur Charakteristik: E. Rohde, Der griechische Roman S. 530 ff. — Zur Metrik: J. Hilberg,
Wiener Studien 8 (1886) 313. — Ueber die Entlehnungen aus Paulos Silentiarios und
Prodromos: Leo Sternbach, Anthologiae Planudeae appendix Barberino-Vaticana, Leipzig
1890 S. 3; 42; 44 f.; 62 f.; 72.
201. Eustathios (Eumathios ?) Makrembolites, durch den Titel und
Rang eines IlQWTovwßth'aiiioi und angeblich eines yityaq /aoro^rAcf^ aus-
gezeichnet, im übrigen seiner Person nach unbekannt, schrieb in der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts einen Prosaroman: Tow xad^ '^Fff/nivr^v xal
'^Yaixiviav löyoi icc, d. h. Elf Bücher von Hysmine und Hysminias.*) Der
Inhalt der Erzählung lässt, selbst in der knappsten Form angedeutet, das
bekannte Schema der griechischen Sophistenromane wiedererkennen. Hys-
minias schliesst als Festherold einen Liebesbund mit Hysmine, der Tochter
eines Gastfreundes, und entflieht mit ihr. Bei einem Sturme wird die
Jungfrau als Sühnopfer in die See gestürzt, ihr Geliebter von Räubern
gefangen und verkauft. Später findet er die durch ein Wunder gerettete
') So die besten Handschriften; aber am
Schlüsse des Werkes sagt Hysminias : xXrjaig
d' ioTM Tij ßißXü) To xa9' 'Yaftiytjy dgäfia
xai roy 'Ya/Atyiay iue. Ueber diese Bedeu-
tiing von ÖQttfia s. S. 299.
24*
372 Byzantinische Litteraturgeschichte. H. Poetische Litteratur.
Hysmine als Sklavin wieder. Nach verschiedenen glücklich bestandenen
Keuschheitsproben der beiden Liebenden erfolgt Freilassung und Hochzeit.
Das Ganze ist eine vergröberte und geschmacklose Imitation der nicht sehr
geschmackvollen Erzählung des Achilles Tatios von Leukippe und Klito-
phon. Die Darstellung des Eustathios gehört zu dem Wunderlichsten,
was Byzanz aufzuweisen hat; das ist kein style precieux und kein eng-
lischer euphuism mehr, sondern ein in nervösen Windungen aufgeführter
stilistischer Eiertanz, bei dem uns vor Augen und Ohren schwindelt ; dabei
verrät sich die Armseligkeit dieses Wortjongleurs in der steten Wiederkehr
der gleichen Ausdrücke und der gleichen Kunststückchen, von denen das
wichtigste in der Häufung kurzer, um jeden Preis antithetisch gedrehter
Satzglieder besteht •) z. B. „Kummer ergriff mich, ich verlor den Mut, ein
unbekannter Schrecken durchzitterte mich, mir schwindelte vor den Augen,
meine Seele zerschmolz, meine Stärke erlahmte, mein Körper erschlaffte,
mein Atem stockte, mein Herz klopfte heftig und süsses Weh lief mir wie
ein Kitzel durch die Glieder und unsagbare, unnennbare, unausprechliche
Liebe erfasste mich" (S. 41 ed. Hilberg) oder „Die Jungfrau schenkt nun
wie üblich ein; ich aber trinke wie nicht üblich und trinkend trinke ich
nicht und nicht trinkend trinke ich Liebe, es trinkt Sosthenes und endlich
ich, da mir auch Panthia zutrank, und trinkend drücke ich mit dem Fusse
den Fuss der Jungfrau; sie aber mit der Zunge schweigend spricht mit
Geberden, und sprechend schweigt sie u. s. w. (S. 46). Zu dem krampf-
haften Bemühen, witzig, elegant und hochattisch zu schreiben, passt auch,
dass er den Hiatus vermeidet. Als Glanzlichter sind Verse und Ausdrücke
aus Homer, Hesiod und Euripides eingesprengt; noch ausgedehnter
benützte er für die Phraseologie den Sophisten Chorikios aus Gaza. Der-
selbe Eustathios veranstaltete eine Sammlung von Rätseln in jambischen
Trimetern, welche zum Teil einer bedeutend älteren Zeit, wahrscheinlich
dem 9. oder 10. Jahrhundert angehören, zum Teil von Michael Psellos,
Aulikalamos und anderen Autoren des 11., bzw. 12. Jahrhunderts stammen.
1. Zeit, Name und Titel: In der Zeitbestimmung des Eustatliios schwankten die
Meinungen früher vom 7. bis zum 12. Jahrhundert. Zuletzt hat Hilberg (in der Vorrede
seiner Ausgabe) aus der Erwähnung der Russen als eines heidnischen Volkes in einem
dem Eustathios zugeschriebenen Rätsel und aus dem Fehlen seines Namens bei Photios
cod. 94, wo mehrere Romanschreiber aufgezählt sind, den Schluss gezogen, dass das
Werk zwischen 850 und 988 verfasst sei. Auf die Begründung der Frühgrenze, die
übrigens kaum Beifall finden wird, da Photios auch andere Erotiker mit Stillschweigen
übergeht, kommt es nicht an; denn älter als Photios ist das Werk in keinem Falle. Aber
auch die Datierung vor der offiziellen Bekehrung der Russen (988) ist zu verwerfen, weil
das hiezu verwertete Rätsel wie ja auch die meisten übrigen Stücke der Sammlung von
Eustathios nicht selbst verfasst, sondern aus einer älteren Quelle entnommen ist. Gegen
die Datierung vor 988 musste schon der Umstand schwere Bedenken prregen, dass hie-
durch der Autor von den drei Romanschreibern der Komnenenzeit getrennt und litterar-
historisch völlig vereinsamen würde. Die Frage wird durch ein vor kurzem veröffentlicht*?»
Dokument unseres Erachtens endgültig entschieden. Unter den Briefen des bekannten
Rechtflgelehrten Theodoros Balsamon, der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhnnderta
lebt«, findet sich ein wahrscheinlich noch vor 1186 abgefa-sstes Schreiben : Toi fVirrp/w xvqm
EvfxuHiu» TW MaxQtjußoXiTiJ. Da die Form FjV/jn9iog für EvaTf(9tog auch in Handschriften
des Romans vorkommt, kann kaum ein Zweifel übrig bleiben, dass der Adressat mit unserem
Romanschreiber identisch ist. Dass seine Stellung als Eparch im Titel des Romans nicht
') Aehnlich schreibt auch Philipp von j Werkes wohl kennen mochte.
Zesen, der deutsche Uebersetzungen unseres |
2. Profanpoesie. (§ 202.) 373
aufgeführt wird, hat nichts zu bedeut«n. Den erwähnten Brief des Balsamon edierte
E. Miller, Annuaire de l'assoc. 18 (1884) 18.
Die von Le Bas vorgezogene Namensform Enmathios wird durch eine der
besseren Handschriften und durch die Adresse des genannten Briefes bezeugt. Eine über-
zeugende Entscheidung der Frage, weiche von beiden Formen die richtige sei, ist bei diesem
Stande der Ueberlieferimg kaimi möglich. Statt des Beinamens Makrembolites bieten
vier Handschriften der schlechteren Klasse Parembolites, was zweifellos unrichtig ist.
Makrembolites mit dem Femininum Makrembolitissa (z. B. Eudokia M.), als Bei-
name öfter bezeugt (z. B. auf mehreren Bleibullen bei Schlumberger, Sigillographie de
l'empire Byzantin S. 674), bedeutet wohl ursprünglich einen ,am langen Bazar woh-
nenden;" eußo'f.01. sind in Byzanz Säulengänge, Verkaufshallen, aus denen sich jedenfalls
die türkische Einrichtung der Bazare entwickelte. Der Titel UQWTOfwße'Aiaijuog (rrpwro-
nobilissimus) ist gut bezeugt; dagegen führt E. den Titel eines Miyug /aQiocfvXa^, womit
eine hohe Würde der byzantinischen Geistlichkeit bezeichnet wird, nur in den schlechteren
Handschriften; zu diesem Verdachtgrunde kommt noch, dass der Zusatz jusyag dem /ccqto-
(fvXaS nach Joh. Kantakuzenos erst von Andronikos II verliehen wurde (Rohde S. 523).
2. Ausgaben: Ed. pr. G. Gaulminus, Paris 1617 (griech. und lat.). — Ed. Ph.
Le Bas in den Scriptores erotici, Paris, Didot 1856. — Ed. R. Her eher, Scriptores erotici
Graeci, vol. II, Lipsiae, bibl. Teubn. 1859. — Roman imd Rätsel mit den Lösungen ed.
Is. Hilberg, Vindobonae, Hoelder 1876; mit einem Variantenverzeichnis der früheren Aus-
gaben, einem vollständigen kritischen Apparate aus 22 Handschriften und reichlichen
Indices; in der Vorrede Untersuchung über Name, Zeit und Sprache des Eustathios und
die handschriftliche Ueberlieferung. — • 25 anonyme Rätsel in jambischen Versen, deren
Bau auf spätbyzantinische Zeit weist, ed. aus einem codex Athous Sp. Lambros, JsXxiov
rfjQ laioQ. x(d e9i'o'Aoy. sTcttQiag rrjg 'Eji.Xädog 2 (1885 — 89) 152 — 166, der auch eine L'nter-
suchung über die byzantinischen Rätsel und ihr Verhältnis zu den altgriechischen in Aus-
sicht stellt.
3. Hilfsmittel: Aeltere Litteratur verzeichnet Fabricius, BibL Gr. ed. Harl. 8,
136 f. — Th. Grässe, Lieber den griechischen Erotiker Eustathius und dessen auf uns
gekommenen Roman, Jahns Jahrb. Supplementb. (= Jahns Archiv) 4 (1836) 267 — 283, nur
durch die bibliographischen Notizen von einigem Nutzen. — Fr. Osann, Prolegomena ad
Eustath. Macrembolitae De amoribus H. et H. drama ab se edendum, Giessen 1855
(dilettantenhafte und fa.st nutzlose Arbeit). — E. Rohde, Der griechische Roman S. 522 ff. —
A. Kirpicnikov, Griech. Romane in der neueren Litteratur, Charkov 1876 (Russ.) I 80 ff;
il 59 ff. — Das Verhältnis des Eust. zur alten Litteratur imtersucht J. G. Brambs, Ueber
Citate und Reminiszenzen aus Dichtem bei Lucian und einigen späteren Schriftstellern,
Progr. Eichstätt 1888 S. 69 ff. — J. Hilberg, Wiener Studien 10 (1888) 77. — Zu der
Schilderung einer allegorischen Darstellung der 12 Monate im 4. Buche (S. 49 ff. ed. Hilberg)
s. die Litteratur § 197, 9. — Zu der Rätselsammlung: Leo Sternbach, Meletemata
Graeca, Vindobonae 1886 S. 25 ff.; 86 f.
4. Vom Romane gibt es zahlreiche Uebersetzungen in moderne Sprachen: Eine
deutsche erschien anonjon Strassburg 1573. — Von J. Chr. Artopeus, genandt Wolken-
stern in Teutsch gefertigt, 1594. — Von G. Schirm er, Leipzig 1663. — Von Emestine
Christiane Reiske in , Hellas" I 101—206, Mitau 1778. Hieraus erklärt sich der Einfluss
auf die deutsche Litteratur, der sich bes. in der zweiten schlesischen Schule erkennen
lässt. — Französisch von dem Herausgeber (s. 0.) Ph. Le Bas, in der Collection des
romans grecs, vol. 15, Paris 1828 (mit Kommentar).
5. Mit den von Eustathios gesammelten Rätseln edierte Hilberg S. 203 ff. jambische
Lösungen eines gewissen Protosynkellos Max im os Ho lob olos (OXößo'Aog). Zeit und Person
dieses Mannes sind unbekannt; da sich jedoch seine Lösungen nicht auf die Rätsel des
Psellos, Aulikalamos u. s. w., sondern nur auf die 11 ersten, wahrscheinlich ältesten Stücke
und namentlich auf das Rätsel, welches die Russen als ein heidnisches Volk erwähnt,
beziehen, so lässt sich vermuten, dass er nicht bloss vor Eustathios, sondern auch vor
Psellos gelebt habe. Vgl. Sternbach a. a. 0. S. 26 f. — Unter dem Namen des Proto-
sjTikellos MaximosHolobolos existiert auch ein Gedicht in 53 Trimetem auf die hl. Maria
von Aegypten. Es ist ediert von E. Miller, Manuelis Philae carmina II (1857) 373 ff.
202. Michael Plochiros, seiner Person nach gänzlich unbekannt,
schrieb, schwerlich vor dem Ende des 12. Jahrhunderts, ein als JQajiiäTiov
bezeichnetes Werkchen in 122 Trimetern. In die Rollen dieses Schau-
spielchens teilen sich ein Bauer [aygotxog), ein Weiser, die Tyche, die
Musen und ein Chor. Der Bauer begrüsst freudig die Tyche; darüber
macht ihm der Weise Vorwürfe, und es entspinnt sich zwischen beiden
374 Byzantinische Litteraturgeschichte. II. Poetische Litteratnr.
ein Streit, in welchem die Tyche von dem Bauern gepriesen, von dem
Weisen geschmäht und eine TTt/nnelog YQ<^vi genannt wird; sie, die alte
Hinkerin, sei einmal nachts gestolpert, habe sich am Fusse verletzt und
nun ihre Zuflucht im Hause gesucht. Die Tyche, die man sich wohl aus
dem Nebenzimmer tretend vorstellen muss, gibt ihrer Entrüstung Ausdruck
und verteidigt sich mit lebhaften Worten ; die Musen solle er anklagen,
nicht das Glück. Wie der Wolf in der Fabel sind die Musen sofort zur
Stelle. Der Weise gebietet Ruhe, er höre ein Geräusch, es sei ihm, als ob
jemand anklopfe; der Chor — der demnach aus Hausmägden zu bestehen
scheint — möge nachsehen, wer draussen sei. Es sind die Musen! Wider
Erwarten befiehlt der Weise, sie hinauszusperren. Auf die Vorstellungen
des Chores, wie sehr er den Musen zum Danke verpflichtet sei, entgegnet
er, was nütze ihm alles Wissen, das kaufe niemand auf dem Markte und
der Ruhm fülle seinen leeren Magen nicht ; er wünsche sich den Reichtum
des Bauern und wolle lieber Gerber, Steinklopfer oder etwas Aehnliches
werden ; der Schuster oder Krämer wandle bei aller Dummheit mit ehren-
vollem Geleite wie ein Fürst durch die Strassen, während der Weise elend,
arm und verlassen bleibe. Die Musen sind inzwischen trotz des Verbotes
eingetreten und klagen ihr Leid, dass sie, die Hüterinnen aller Weisheit,
von dem Weisen missachtet werden. Als er auch ihnen sein Hungerlied
vorträgt, bedeuten sie ihm boshaft, die Erde erzeuge Gras und Kräuter in
Fülle. lieber solche Zumutung empört, macht der Weise vom Hausrecht
Gebrauch und will die Musen hinauspeitschen lassen; er sei ein Mensch,
kein grasfressendes Grautier. Nachdem sich noch die Tyche durch eine
schnippische Bemerkung einen erneuten Injurienhagel zugezogen hat, er-
barmen sich endlich die Musen ihres geplagten Schützlings und versprechen
ihm Gold und ein üppiges Leben. Mit dem Zweifel des Weisen, ob dieses
Glück auch beständig sein werde, schliesst die seltsame Comedietta.
Das Werkchen ist eng verwandt mit dem kleinen dramatischen Ge-
dichte des Tzetzes (s. § 114, 12) und mit dem Ideenkreise des Prodromos:
Dieselben Klagen über die Unbeständigkeit des Glückes, derselbe Hinweis
auf die glänzende materielle Lage der rohen Handwerker, dasselbe Stöhnen
über die Geld- und Brotlosigkeit der Wissenschaft ; dazu dieselbe Drallheit
des Ausdrucks mit der Beigabe eines gewissen derben Humors; auch die
dialogische Form des Stückes finden wir bei Prodromos ganz ähnlich ange-
wendet; dazu kommt endlich, dass V. 33 unseres Stückes mit V. 1 des dem
Prodromos zugeschriebenen Gedichtes „Gegen eine lüsterne Alte" iden-
tisch ist. Plochiros gehört demnach wie Niketas Eugenianos und
Phil es zu jenen Spätlingen der byzantinischen Dichtkunst, welche selbst
der welke Ruhm eines Ptochoprodromos nicht schlafen Hess. Hiemit ist
auch für die Zeitbestimmung eine Frühgrenze gegeben; wir werden das
Werk zwischen Prodromos und Philes, d. h. ins Ende des 12. oder ins
13. Jahrhundert zu setzen haben.
¥A. pr. F. Morellus, Paris 1593. — Kd. Fr. Dübncr nach den Fragmonta Kuri-
pidis ed. ({. Wagner, Paris, Didot 1846; da Dübncr keine Handschrift des Werkes zu finden
vermocht«, so niusstfl ««r den schlimmen Text der Kditio princeps zu (»runde legen. -
Vgl. Magn in, .Journal des savants 1849, 463 ff. Deutsche Uehorsetzung von Ad. Ellissen,
Versuch einer Polyglotte der europäischen Poesie, Leipzig 1846 S. 23Ü— 237.
2. Profanpoesie. (§ 203—204.) 375
203. Manuel Holobolos, MavovrjX ^0/.6ßo/.oc (auch 'OXößwloc ge-
schrieben), war unter Kaiser Michael VIII Paläologos (1261 — 1283)
„QT^xwQ jwv QrjoQon" an der Sophienkirche, später Vorstand eines Kleriker-
seminars in Konstantinopel. Seine durch den Historiker Georgios Pachy-
meres ziemlich genau bekannte Biographie ist ein recht lehrreiches Beispiel
der Unsicherheit des Glückes, das einem byzantinischen Höflinge verliehen
war; um 1261 Hess ihm der Kaiser Xase und Lippen abschneiden, später
kam er wieder in Gunst, fiel jedoch abermals in Ungnade und wurde um
1273 in schimpflichem Aufzuge (einer sogenannten nofinr^) durch die
Strassen Konstantinopels geschleppt; aber noch unter Kaiser Andronikos
erscheint er als öffentlicher Verfechter der Orthodoxie gegen Bekkos.^)
Die üble Behandlung, welche dem Holobolos zeitweise von dem launischen
Machthaber zu teil ward, verhinderte ihn nicht, demselben zur Besänftigung
oder zur Erhaltung der unbeständigen Gunst eine Reihe von Gedichten
meist kirchlichen Inhalts zu widmen, so z. B. ein Stück: Eig xr^v nQÖxvif'iv^)
TTQoc Tov ßaaO.ta xvoiov Mixccr^X tov JJaXaioköyov iv rfj Xqiüxov yarvr^aet,
mehrere Hymnen: Eic ti]v eooxi]v xwi- (foWoar u. s. w. Einige dieser Ge-
dichte sind an Michaels Sohn Andronikos gerichtet und demnach wohl
nach 1283 geschrieben. Sämtliche Stücke, 19 an Zahl, in den codd.
Paris. 400 und 39 erhalten, sind in politischen Fünfzehnsilbern abge-
fasst. Die besungenen Kirchenfeste ergeben die Folie zu niedrigen Schmeiche-
leien gegen die zwei Kaiser, die „avxoxgccxoQeg twv Avüövatv", deren Macht
und Herrscherglanz in bedenklichem Widerspruche zur Wirklichkeit in
schwülstigen Tönen gefeiert wird. So war die christliche Poesie nach
langsamem Verfalle endlich zum erbännlichen Werkzeuge höfischer Speichel-
leckerei herabgesunken.
Von demselben Holobolos existiert eine metrische Grabschrift auf
einen Andronikos Komnenos: 2ti'xoi irnxvfißioi dq xov Koiivrp^dv xvqiov
^Ai'dgörixov tov Toorixr^v. Td ngöauina Tviußoc xai Sevoc, also ein Dialog
wie des Prodromos Grabepigramm auf Konstantin Kamytzes (siehe
§ 197, 11); handschriftliche Notiz bei E. Miller, Catalogue des mss. grecs
de la bibl. de l'Escurial, Paris 1848 S. 146.
1. Die 19 Gedichte ed. Fr. Boissonade, Anecdota Graeca, vol. 5, 159 — 182. —
Ueber das Leben des Manuel Holobolos vgl. Fabricius, Bibl. Graeca ed. Harl. 11, 669
und B. Hase. Not. et extr. 9 (1813) 2, 139. — Vgl. auch Max Treu, Maximi monachi
Plann dis epistulae S. 192 f.
2. Einem Holobolos wird auch ein Scholion zur Syrinx des Theokrit zugeschrieben:
Tov ao(fwjc(Tov gijrogog 'OXoßökov iTtiyQafufite sig Tijy ^votyya, Scholia in Theocritum ed.
Fr. Dübner, Paris 1849 S. 111 ff. Da jedoch kein Beiname genannt ist, erhebt sich eine
Grenzstreitigkeit zwischen Manuel und Maximos Holobolos (s. § 201. 5).
3. Ein Manuel Holobolos (vielleicht nur eine fingierte Person) kommt in der
Satire Mazaris vor (s. § 106); ein dritter Mann desselben Namens, aus dem Peloponnes
gebürtig, hat sich um den Schluss des 1-5. Jahrhunderts durch eine Menge in zahlreichen
Handschriften vorkommender Schriften gegen die lateinische Kirche verewigt.
204. Manuel Philes aus Ephesos lebte unter Kaiser Michael Paläo-
logos und den beiden Andronikos, vielleicht auch noch unter Johannes
Kantakuzenos (ungefähr 1280—1350) in Konstantinopel. Genaueres über
') Pachym. ed. Bonn. 11 2-5 ff. Menge abgeschlos-sene kostbare Thron des
') Eigentlich der von den Blicken der Kaisers in der Kirche und im Palast.
376 Byzantinische Litteratnrgeschichte. II. Poetische Litteratur.
den äusseren Verlauf seines Lebens ist uns nicht bekannt, was offenbar
damit zusammenhängt, dass er keine erheblichen Aemter bekleidete und
keine politische Rolle spielte. In seiner Jugend erfreute er sich der Unter-
weisung des Historikers Georgios Pachymeres, auf dessen Tod er eine
jambische Monodie verfasste. Zu seinen Freunden zählte Maximos Pla-
nudes, von dem wir einen Brief an Philes besitzen, und viele andere
Byzantiner, die zum Teil nur durch seine Gelegenheitsgedichte bekannt
sind. Einmal wurde Philes vom Kaiser nach Russland geschickt, um
über die Heirat einer byzantinischen Prinzessin zu unterhandeln. Auch
erwähnt er Reisen nach Persien, Arabien und Indien; wir wissen
aber nicht, in welcher Eigenschaft er dieselben unternahm. Dunkel bleiben
auch die näheren Umstände eines Konfliktes mit dem Kaiser; er wurde
wegen Majestätsbeleidigung, die er sich angeblich in einer (uns nicht be-
kannten) Chronographie zu schulden kommen Hess, ins Gefängnis geworfen
und erst freigelassen, als er beschwor, nie etwas Böses gegen den Herrscher
geschrieben zu haben ; ^) es steht aber nicht einmal fest , unter welchem
Kaiser dem Philes dieses Unglück begegnete. Um so genauer werden wir
über die drückenden Vermögensverhältnisse unterrichtet, unter welchen
er zeitlebens zu leiden hatte. Weinerliche Klagen über Hunger, Durst und
Kälte ziehen sich durch seine zahllosen Werke. Wenn Nicolardot sich
die Mühe nahm, den Einnahmen und Ausgaben Voltaires ein dickes Buch
zu widmen, so ergäbe sich wenigstens Stoff für eine massige Abhandlung
über die Quellen, aus welchen Philes seinen jeweiligen Bedarf an Geld.
Lebensmitteln, Winterkleidern und Pferdefutter bestritt. Er verkehrt mit
den hervorragendsten Persönlichkeiten seiner Zeit, aber seine Beziehungen
sind stets die eines Unterwürfigen, Bittenden, Lobpreisenden, eines Mannes,
der sich dankbar erweisen, die Aufmerksamkeit auf sich lenken und Unter-
stützung gewinnen will.
Philes gehört zu den fruchtbarsten Autoren der byzantinischen Zeit
und zwar zu den wenigen, die sich ausschliesslich der poetischen
Form bedienten. Sein Lieblingsmass ist der zwölfsilbige jambische
Trimeter, in welchem der Hiatus sorgfältig vermieden und die vorletzte,
zuweilen die drittletzte, niemals die letzte Silbe betont ist. Das Haupt-
versmass der spätbyzantinischen Zeit, den politischen Fünfzehnsilber,
verwendet er nur in wenigen Stücken. Wir teilen die schwer überseh-
baren, vom Herausgeber zur grösseren Unbequemlichkeit des Lesers in
wüstem Durcheinander aus den Handschriften abgedruckten Massen (im
ganzen über 20 000 Verse) in einige Hauptgruppen.
1. Naturwissenschaftliche Gedichte. An der Spitze steht das
dem Kaiser Michael Paläologos gewidmete Lehrgedicht flegl ^(öojr i^iö-
Ti]tog, d. h. über die Eigenschaften der Tiere. In 2015 Trimetern
und 119 Abschnitten werden die wichtigsten Vögel, Vierfüssler und Fische,
natürlich auch die Phantasiotiere wie das Einhorn und der Onokentaur mit
dem üblichen Zusatz von Wundergeschichten kurz beschrieben. Als Quelle
diente vornehmlich das Tiergeschichtenbuch des Aelian; doch mangelt hierüber
') Dan liicruiif bezügliche Gedicht in der j von Ad. Kllissen, Versuch einer Polyglotte
Ausg. von Miller 11397. Deutsch Uberttotzi j der europäischen Poesie, l^ipzig 1846, IS. 210 f.
2. Profanpoesie. (§ 204.) 377
eine Untersuchung. — 2vvTOjnog extfQaaig eXeifarrog, d.h. kurze Be-
schreibung des Elephanten, in 381 Trimetern, mit einer Widmung an
den Kaiser, deren Gedankengang für unseren Dichter sehr bezeichnend ist:
Grosser Kaiser, Du tapferer Löwe, einen Elephanten habe ich, der treue
Jagdhund, im Fangnetz der Sprache erbeutet und bringe ihn Dir als
schuldigen Tribut! — Das gewöhnlich De plantis zitierte Werk besteht
aus mehreren selbständigen, ohne einen zusammenfassenden Titel über-
lieferten Gedichten: Die Aehre, die Traube, die Rose, der Granatapfel.
2. Dialogische Stücke. Philes lässt in einigen seiner Gelegenheits-
gedichte zwei oder mehrere Personen auftreten, eine Eigentümlichkeit,
welche ihm die unverdiente Ehre verschafft hat, den griechischen Drama-
tikern beigesellt zu werden. In Wirklichkeit fehlen diesen Gedichten
alle wesentlichen Erfordernisse eines Dramas. Hieher gehört das nekro-
logische Gedicht in 602 Trimetern, welches B. Stark unter dem trüge-
rischen und von ihm selbst in der Vorbemerkung eigentlich widerrufenen
Titel Tragödie veröffentlicht hat. Dieser „Tragödie" fehlt jede Handlung
und sogar der Dialog ; sie besteht nämlich aus monologischen Ergüssen der
nach einander auftretenden Personen, die wir uns am Grabe eines Toten
versammelt zu denken haben. Zuerst erscheint ein Diener und fragt nach
dem Orte, an dem der Tote sich jetzt befinde. Dann preist der Vater
den Sohn glücklich und erinnert an den Gärtner und den jungen Baum
u. s. w., die Mutter ruft dreimal den Sohn und vergleicht sich mit Niobe,
der Bruder erklärt sich bereit, sein Leben für das des Toten hinzugeben
und schildert dessen ritterliche Eigenschaften, die Witwe gibt ihi'em
Schmerze bewegten Ausdruck, Der Vater endigt die Totenfeier mit Worten
des Trostes und spricht zum Schlüsse die Grabschrift. ^) Wahrscheinlich
bezieht sich das Werk auf den um 1321 erfolgten Tod eines Sohnes des
Andronikos Paläologos (1283 — 1328); die auftretenden Personen sind
also der Kaiser und die Kaiserin, die Witwe und der Bruder des Prinzen
und Philes selbst (als Diener!). — Zu dieser Gattung gehört ferner die
^Hd^onoita SgafiarixT], ein in dialogischer Form gehaltener Panegyrikus
auf den Grossdomestikos Johannes Kantakuzenos; Personen des
Dialogs sind Philes und der personifizierte Geist (Novg). Der erstere
forscht in ausführlicher Weise nach den Tugenden des Gefeierten, der Novg
Aveiss jede Frage mit steigender Begeisterung zu beantworten : er ist eben
bei einem Vergleiche mit Achilles angelangt, als er das Geräusch eines
Gefährtes vernimmt; es ist der Wagen der Tugenden. Sie treten, als eine
Art Chor, einzeln auf und eine jede erklärt den Helden Kantakuzenos für
ihren Freund, ihren Bräutigam, ihren Schützling u. s. w.'^) Nach dieser
Ruhepause hebt Philes aufs neue an zu fragen und der Novg erhält Ge-
legenheit, seine rühmenden Schilderungen zu vollenden. Zum Schlüsse
erscheint der in allen Tönen gepriesene Domestikos selbst und gibt seiner
') Zu vergleichen ist u. a. der von Zin- griech. rythmischen Dichtung S. 367,
gerle, Ausgewählte Schriften des Ephrem *) Aehnlich werden in der Monodie des
4, 61 übersetzte syrische Hj-mnus auf den i Theodoros Hyrtakenos auf Kaiser Mi-
Tod einer Hausmutter, wo auch verschiedene chael IX die einzelnen Tugenden klagend ein-
Personen redend eingeführt werden. S. W. geführt. Boissonade, Anecdota Graeca I
Meyer, Anfang und Ursprung der lat. und ; (1829) 262. Vgl. § 99.
378 Byzantinische Litteraturgeschichte. II. Poetische Litteratur.
Befriedigung Ausdruck. In der symmetrischen Anordnung der Reden
dürften selbst die feurigsten Verehrer des dialogischen Parallelismus des
Guten zu viel finden; jede Person spricht nämlich stets sieben Verse, so
dass sich also die 966 Trimeter des ganzen Werkes in 138siebenzeilige
Strophen zerlegen. — Das dritte Stück dieser Gattung ist ein Dialog
des Menschen mit einer Seele: 'AvÜ^QWTiog diaXfyöfievnq fierd ipvxtjc.
Gegen den Schluss nimmt die verstorbene Gemahlin des Menschen an dem
philosophierenden Gespräche teil und tadelt ihn, dass er sie aus dem ewigen
Lichte in die Finsternis der Leidenschaften, aus der Freiheit in das Ge-
fängnis zurückgerufen habe ; darauf fasst sich der Gatte und schliesst, das
Andenken an sein Weib werde ihm für sein noch übriges Leben als Richt-
schnur und Leitstern dienen. Das Ganze ist demnach wie die „Tragödie"
ein nekrologisches Trostgedicht. Es umfasst 240 politische Fünfzehn-
silber, die sich auf 24 zehnzeilige Strophen verteilen.
3. Gedichte auf kirchliche Stoffe, d. h. Distichen, Tetrastichen
und grössere Stücke auf die Kirchenfeste, auf einzelne Teile der hl. Schrift
wie die Briefe des hl. Paulus, auf Reden des hl. Basilios, des hl. Gregor
u. a., auf christliche Glaubenssätze, auf Heilige und Kirchenväter u. s. w.
Es sind schulmässige Imitationen, in welchen die epigrammatische Ge-
pflogenheit der altgriechischen Zeit mit ihrem ganzen rhetorischen Rüst-
zeug an Pointen, Antithesen und Eleganzen auf christliche Gegenstände
übertragen wird; daher fehlt jene innerliche Begeisterung, welche z. B.
die Hymnen des Romanos und seiner Nachfolger auszeichnet. So ist es
denn auch für das poetische Verständnis des Philes ganz bezeichnend, dass
er eines der grossartigsten alten Kirchenlieder, den berühmten 'AxccO^iatoq
des Patriarchen Sergios (s. S. 318), in jambische Trimeter verwässerte,
gleich als wollte er den weiten Abstand seiner steifleinenen Versifikation
von wahrer Poesie dem Leser ad oculos demonstrieren (Ausg. von Miller
n 317 ff.).
4. Gedichte auf Kunstwerke, teils kurze, teils ausführlichere Epi-
gramme auf religiöse Bilder, Skulpturen, Votivgegenstände, liturgische
Bücher und Gefässe, Gotteshäuser, Medaillen, Gemmen, auch auf profane
Objekte wie auf eine Reiterstatue des Justinian, auf einen Becher, einen
Siegelring u. a.; selbst so unscheinbaren Dingen wie einer zersprungenen
und durch Eisenklammern zusammengehaltenen Marmorschwelle weiss Philes
eine epigrammatische Spitze abzugewinnen. Manche Stücke beziehen sich
auf bestimmte, näher bezeichnete Werke wie auf die Marmorstatuo
des hl. Georg im Kloster Manganon, auf eine Reliefdarstellung des Opfers
Abrahams im Blachernenpalaste. Hiezu kommt die Beschreibung eines im
Kaiserpalaste befindlichen Bildes (oder Mosaiks?) der Erde, die jedoch
im cod. Vaticanus einem Manuel Melissenos zugeschrieben wird.») Das
Gedicht auf eine Darstellung der Hochzeit Alexanders des Grossen
ist, wie im Titel selbst verraten wird, eine Paraphrase des kleinen lukia-
nischen Stückes Herodot oder Aetion. Eine besondere Erwähnung ver-
dienen noch sechs Gedichte auf bildliche Darstellungen der aus dem Bar-
') B. Stark, De Tellure dea dequo eius 1 Auch bei E. Miller II 267 f.
imagine a Man. Phile descripta, Jenae 1848. |
I
2. Profanpoesie. (§ 204.) 379
laamroman bekannten indischen Parabel vom Lebensbaum, den Mäusen
und dem Drachen. Endlich gehören hieher die Verse auf eine allegorische
Darstellung der zwölf Monate (s. § 197, 9). So gewährt uns Philes eine
förmliche Bilder- und Skulpturengallerie seiner Zeit. Da er — ganz
im Gegensatze zu den Phantasiegebilden des Meliteniotes — allem An-
scheine nach meist wirkliche Werke vor sich hatte, so sind aus einer
Untersuchung dieser Gedichte brauchbare Aufschlüsse für die byzantinische
Ikonographie zu erwarten. \) Auch rein litterarisch betrachtet sind sie
nicht ohne Wert, und jedenfalls gehören sie zu den besten Leistungen des
Philes.
5. Gelegenheitsgedichte und Vermischtes. Den breitesten Raum
beanspruchen in dieser Gattung die von knechtischer Devotion überfliessen-
den Lob-, Bitt- und Dankgedichte an die Mitglieder des Kaiserhauses
und hohe Würdenträger in Staat und Kirche. Manche besitzen histori-
schen Wert, so die Schilderung seiner Gesandtschaftsreise zu den Russen,
verschiedene Gedichte an den Protostrator Glabas (bes. das umfangreiche
Stück II 240 ff.), an seinen Gönner Patrikiotis, ein Trostgedicht an den
Kaiser, als die „Sikelioten" Thrazien verwüsteten, u. a. Weitere Anlässe,
welche Philes zu poetischen Versuchen begeistern, sind die Rückkehr des
Michael Palaeologos aus dem Abendlande, ein angeblicher Sieg des
Kaisers über die -Barbaren", eine Feuersbrunst im Kynegesion, Todes-
fälle in der kaiserlichen Familie und verschiedene Kirchenfeste. An
einen Bardales 2) sendet er ein Gedicht als Begleitschreiben eines Theo-
phrastexemplares, das ihm jener geliehen hatte, und bittet ihn um den
Alexander von Aphrodisias. Die meisten dieser Stücke sind voll der wider-
lichsten Schmeicheleien. Den Gipfelpunkt erreicht die lakaienhafte Unter-
würfigkeit aber in den eigentlichen Bettelgedichten. Zu allen Thüren
streckt er seine leere Hand herein. Einen Neffen des Kaisers mahnt
er an sein Versprechen, ihm Wein und ein Pferd zu schenken: „Ich bin
Dein, Dein, der beste Kalligraph Deiner Verdienste: aber lass Deine Miss-
gunst fallen und zögere nicht länger, mir das Versprochene zu spenden!"
Den Domestikos der orientalischen Themen bittet er um Hasen und
Rebhühner, denn er habe das ewige Schweinefleisch endlich satt; oder aber
er möge ihm goldene Schlingen senden, damit er die in der Stadt allent-
halben aufgehängten Gänse und Enten erhaschen könne. Der kaiserliche
Jagdmeister soll ihm Gerste für seine Pferde, der Patriarch ein ver-
sprochenes Rind liefern. Die Muse wird hier zur wahren Hochstaplerin,
die ihrem Herrn sogar die nötige Garderobe besorgen muss. Den Patri-
archen Theodor Xanthopulos bittet Philes in einem langen Gedichte
um einen warmen, wohlgefütterten russischen Pelzmantel, ausserdem um
Wein, Pferdefutter und das unentbehrliche Kleingeld. Wenn er sich gar
dem Kaiser selbst naht, verliert er alle Besinnung und seufzt wie ein
') Eine Probe einer solchen Untersuchung I gleicht. Comptes rendus de l'acadeniie des
gibt G. Schlumberger, indem er den Deckel inscriptions et heiles lettres IV. serie 13
eines byzantinischen Reliquiariums des hl. , (1886) 351 f.
Stephanos mit Gedichten des Philes, in denen I *) Vgl. Max Treu, Max. monachi Pla-
solche Reliquiarien beschrieben werden, ver- | nudis epistulae S. 200.
380 Byzantinische Litteraturgeschichte. II. Poetische Litteratur.
liebestoller Seladon: „0 Kaiser, Dein bin ich, Dich allein atme ich; o Kaiser.
Dein bin ich, Dich allein schaue ich; und lebe durch Dich, den Hauch der
Ausonen; und lebe durch Dich, den mächtigen Lichthort, der das Dunkel
der Seele verscheucht, wenn der Sturm des Kummers über mich herein-
bricht!" (II 131). Dazu kommen Stücke vermischten Inhalts, so eine
Apologie gegen einen, der ihn verspottete, weil er angeblich behauptet
hatte, er habe in Persien eiergebärende Weiber gesehen, Epigramme auf
die Rose, ^) auf Sonne, Mond, Erde und Meer, ein grosses paränetisches
Gedicht (I 359) u. s. w. Manche Stücke sind wohl als vorrätige Ware
für plötzliche Bestellungen zu denken z. B. Klageverse eines Mannes,
dessen Kinder gestorben sind, eine Grabschrift auf eine tugendhafte
Frau u. a.
Philes besitzt ohne Zweifel eine bedeutende Gewandtheit in der
Form und erfreut uns namentlich in den kleineren Stücken nicht selten
durch glückliche Gedanken; die meisten seiner Machwerke ermüden
aber durch den übermässigen Schwulst, durch die Ueberhäufung mit Me-
taphern, Wortspielen und Allegorien, auch durch sonstige Geschmacklosig-
keiten. Als Mensch stösst uns Philes ab durch den selbst bei Byzan-
tinern seltenen Grad gemeiner Speichelleckerei. Darnach ergibt sich seine
Charakteristik von selbst. Ganz verfehlt ist es, wenn man ihm einen
Platz unter den Dramatikern anweist; dazu berechtigt nichts, auch nicht
die erwähnten dialogischen Stücke, die zudem für seine litterarische Ge-
samterscheinung ganz unwesentlich sind. Philes ist nach der Mannigfaltig-
keit seiner Produktion vorzüglich mit zwei byzantinischen Dichtern zu
vergleichen, mit Georgios Pisides und mit Theodoros Prodromos, mit
denen er auch in den Handschriften zusammengeht. Sein eigentlicher
Vorläufer und Doppelgänger aber ist Prodromos; Philes ist ein
Ptochoprodromos in stark vermehrter und verschlechterter Auflage. Beide
sind die byzantinischen Hofdichter xar s^oxrjr und beide sind hierin für
die spätere Zeit typisch geworden; wie Prodromos von Philes und manchen
anderen, so wurde auch noch Philes von späteren Dichterlingen nachge-
ahmt, ein Verhältnis, das sich schon äusserlich dadurch ausspricht, dass
in den Handschriften die Gedichte des Prodromos, Philes und verwandter
Geisteskinder so durcheinander gemischt sind, dass ihr Eigentum sich oft
schwer absondern lässt. Wie bei Prodromos treffen wir auch bei Philes
zahlreiche epigrammatische Gedichte auf Kirchenfeste, Stücke der hl. Schrift
und ähnliche Stoffe; wie Prodromos, so besang auch Philes eine allegorische
Darstellung der 12 Monate; bei beiden finden wir Spuren Lukians; bei
beiden auch das dialogische Element. Dieselbe Verwandtschaft zeigen sie
in ihrem Charakter und in ihrer äusseren Lebensstellung; Philes ist wie
sein Vorgänger ein Stiefkind des Schicksals, ein Hunger- und Betteldichter,
ein Ptochophiles wie jener ein Ptochoprodromos. Wie Prodromos für die
Komnenenepoche so ist Philes für die Paläologenzeit der Typus des
vielgeschäftigen, dürftigen, aber anspruchsvollen litterarischen Dilettanten,
') In solchen Stücken erkennt man wie- der Nachtigall, der Kose u. dergl. üblich
denim dio NuchM'irkung der antiken Soplii- waren. S. E. Rohde, Der griech. Roman.
Stik, in welcher Schilderungen des Frühlings, S. 335.
2. Profanpoesie. (§ 205—207.) 381
der die Leiter der staatlichen Aemter nicht zu erklimmen vermag und froh
ist, in den Vorhöfen wohlhabender Gönner sein Fortkommen zu sichern.
1. Ausgaben und Hilfsmittel: Ein Teil der Gedichte \\Tirde ediert von Werns-
dorf, Ideler, Pauw und anderen. Jetzt sind sämtliche Gedichte in zwei Ausgaben ver-
einigt: Die naturwissenschaftlichen Stücke in den Pogtae bucolici et didactici edd. Fr.
Dübner et F. S. Lehrs, Paris, Didot 1862; alles Uebrige in: Manuelis Philae carmina
ed. E. Miller, 2 voll., Paris 1855 — 57 (unmethodische, nachlässige und oberflächliche
Arbeit). — Kritische Beiträge zum Gedicht über die Eigenschaften der Tiere: G. Patakis,
Philologus 8 (1853j 524 ff. (einige gute Verbessenmgen neben manchen Willkürlichkeiten)
und C. Ludw. Struve, Opuscula selecta, vol. I (Lipsiae 1854) 158 ff. (fast wertlos). —
Zur Ikonographie vgl. ausser den oben zitierten Arbeiten von Stark und Schlumberger
noch Bruno Keil, Wiener Studien 11 (1889) 115 ff., wo das Gedicht über die 12 Monate
ediert und besprochen ist. — Zu den dialogischen Stücken s. C. N. Sathas, 'larogixoy
doxiutoy Tiegi rov ^sktqov xal rijs fxovaiy.fjg Tujy Bv^ayr. S. 390 ff.
2. Handschriften: Miller benützte für seine Ausgabe vier grosse Sammel-
codices, einen Escurialensis, Parisinus, Florentinus, Vaticanus; dazu verwertete er noch
einen Monacensis. Gänzlich unbenutzt ist noch eine reichhaltige Turiner Handschrift,
in der sich vielleicht noch unedierte Stücke befinden ; s. Millers Praefatio S. XIH. — Ausser
den Gedichten des Philes edierte Miller auch die in seinen Handschriften imter dieselben
gemischten Stücke des Prodromos, Christophoros von Mytilene, Maximos Holo-
bolos, eines Athanasios Monachos, Alexios Makrembolites u. a.
205. Georgios der Grammatiker, aus unbekannter Zeit, verfasste
in achtsilbigen byzantinischen Anakreonteen schwächliche Epithalamien
und eine Reihe von Gedichten, die zu der ziemlich seltenen Art der poe-
tischen /ifAtT/; gehören. Sein Lieblingsthema bilden die verschiedenen
Rollen, welche die Rose in der alten Mythologie spielt, z. B. Was sagte
wohl Ares, als Aphrodite durch einen Rosendorn verletzt wurde? Was
sagte wohl Apollo, als er bei der Verfolgung der Daphne durch Rosen-
dornen aufgehalten wurde? Was sagte Phädra, als sie den Hippolytos mit
Rosen bekränzt sah?
1. Ed. P. Matranga, Anecdota Graeca II (1850) 573 ff.; 648 ff. — Zum Teil wieder-
holt von Th. Bergk, Poetae lyrici Graeci IH (1867) 1098—1108. — Ueber andere poetische
Schilderungen der Rose s. S. 380.
2. Verwandt mit den schulmässigen Gedichten des Georgios ist das mythologisierende
Anakreontikon Eig t« BQovfiüXicc von einem gewissen Grammatiker Akoluthos. Ed.
Matranga a. a. 0. II 571 f. — Wiederholt bei Th. Bergk, Poetae lyr. Gr. Ill 1097.
3. Gänzlich unbekannt ist auch der Sj-nkeUos und Priester Elias, von dem Ma-
tranga a. a. 0. II 641 — 648 ein , erbauliches" 'Jyaxosöyreioy, das aus vierzeiligen, akro-
stichisch geordneten Strophen besteht, und ein 0Q7]yt]Tix6y eig euvröy veröffentlicht hat.
206. Johannes Katrares, ein sonst nur als Kopist bekannter Mann,
der im 14. Jahrhundert lebte, verfasste ein für die byzantinische Ethno-
graphie beachtenswertes Spottgedicht. Das aus 219 prosodielosen, acht-
silbigen Anakreonteen bestehende Pamphlet richtet sich gegen den „Phi-
losophen" und „Rhetor" Neophytos, dem neben anderen Lastern auch
unreine Abstammung und barbarische Sprache vorgeworfen wird:
Boi'Xtt xcd uoQ(ft]y (ixovaai;
Trjv ^uey yt'yytjy iarl Bkä^og,
'AXßayitrjg de rrjy oxpiy,
Tov de aw/uarog rrjy d^t'aiy
BovXy(tQa}.ßccyitoßXd)[og.
Ed. Matranga, Anecdota Graeca H (1850) 675—682.
207. Georgios Lapithes lebte in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts
in Cypern. In behaglicher und angesehener Lebensstellung und mit der
griechischen wie abendländischen Wissenschaft vertraut, genoss er die
Freundschaft der Herrscher aus dem Hause Lusignan und verkehrte
SÖ2 Byzantinisciie Litteraturgesckichie. 11. ^oetisclie Litterahir.
brieflich mit den gelehrtesten Griechen seiner Zeit. Wir finden unter
seinen Korrespondenten den Historiker Nikephoros Gregoras und den
berühmten Kalabreser Mönch Bari aam (f 1348); der letztere schrieb auch
Lösungen zu wissenschaftlichen Fragen, die ihm Lapithes aufgegeben
hatte: BaqXadfx liioraxov Xvaetg eig rag €7T€vex^£i(Tctg avio) uKOQiag nagte
Tov aotfoirätov rfoigyfov rov ^ajitO^ov. Weitere biographische Nachrichten
verdanken wir seinem Zeitgenossen Agat hangelos, einem litterarischen
Gegner des Nikephoros Gregoras.
Lapithes hinterliess uns ein moralisches Lehrgedicht in 1491
ziemlich nachlässig gebauten politischen Fünfzehnsilbern: ^ti'xoi avxo-
GxtSioi eig xoivi]v äxor^v d. h. Stegreifverse zu allgemeiner Kunde. Die
gute Meinung, die wir uns aus dem erwähnten Briefwechsel über Lapithes
zu bilden geneigt sind, wird durch dieses Werk sehr herabgedrückt. Neben
philosophischen und moralischen Grundsätzen werden hier praktische Regeln
für das Verhalten im Staate, in der Gesellschaft, in den verschiedenen
Lebensstellungen und besonders in der Familie mit langweiliger Breite vor-
getragen. Statt des derben, aber doch urwüchsigen Tones, welcher den
verwandten Erzeugnissen der vulgärgriechischen Litteratur wie dem Spa-
neas und den späten Gedichten eines Sachlikis und Depharanas eine
gewisse Teilnahme sichert, herrscht hier nur seichte Trivialität. Die Kom-
position des Werkes scheint original, im einzelnen sind Sentenzen der hl.
Schrift, des Isokrates u. a. verwertet. Der Herausgeber hatte den merk-
würdigen Einfall, diese lendenlahme Versprosa als Lektüre für Griechisch
lernende Studenten zu empfehlen.
Ed. aus cod. Paris. 2877 von Fr. Boissonade, Not. et extr. 12 (1831) 2, 1—74:
in der Einleitung die biographische Notiz des Agathangelos und drei Briefe des Lapithes
an Nikephoros Gregoras. — Wiederholt von Migne, Patrol. Gr. 149 (1865) 1002—1046.
208. Meliteniotes. Unter diesem Namen geht ein grosses allegori-
sches Gedicht in 3060 politischen Fünfzehnsilbern: Elg xi]v aojtfQooavvr^v,
mit dem metrischen Nebentitel: 'EQonixrj dirjyr^aig, aXld aoitfQorfffTavr] ||
MtTQov Ti xai}r^dvvovaa rovg iqaaxdg tov Xöyov. Aus der Familie der
Melitenioten, die am Ende des 13. und im Anfange des 14. Jahrhunderts
in Konstantinopel blühte, kennen wir fünf zum Teil in theologischer und
medizinischer Litteratur thätige Glieder, einen Theodor, zwei Kon-
stantin, einen Manuel und einen Johannes; ob einer, bzw. welcher
von ihnen der Verfasser unseres Gedichtes ist, bleibt dahingestellt. AVenn
V. 1348 mit den Worten BuXadf.i (sehr. Bagkad/n) 6 xdxiaiog fidriig ifievdo-
nQO(fr]Ti^g der durch seine dogmatischen Streitigkeiten bekannte Kalabreser
Mönch Barlaam (f 1348) gemeint ist, müssen wir das Gedicht, welches
der Herausgeber in die Scheide des 13. und 14. Jahrhunderts zu setzen
geneigt ist, wohl in die Mitte des 14. Jahrhunderts herabrücken.
Jedenfalls gehört es zu den spätesten Produkten der byzantinischen Poesie.
Der Dichter beginnt mit scharfen Hieben auf die lügenhaften Er-
zählungen des Aesop, die Truggeschichten des Stephanites und Ichne-
lates und ähnliche Fabeleien des Altertums, denen er sein Werk als
XufiTXQd öu'ji^aig xal naraXijO^faiditj gegenüberstellt. Diese herrliche und
durchaus wahre Erzählung hat folgenden Inhalt: Der Dichter ergeht sich
ö. Profanpoesie. (§ 208.) gÖä
in freier Grottesnatur, um die Schönheit des ersten Maitages zu gemessen;
da erscheint ihm eine wunderbare Jungfrau, Sophrosyne; vor Schrecken
fällt er beinahe in Ohnmacht und kann sich erst fassen, als ihm die Jung-
frau den Zweck ihrer Sendung, ihre Heimat und Abkunft verrät und ihm
ausdrücklich versichert, dass er es nicht mit einem bösen Geiste zu thun
hat. Nachdem der Dichter weitere Anfälle von Zähneklappern siegreich
überwunden hat, ermannt er sich endlich und bittet die Sophrosyne um
Belehrung. Sie erzählt ihm, als er so ganz verlassen und ohne Kenntnis
des drohenden Todes umherirrte, habe sie sich seiner erbarmt und wolle
ihn nun in der Wahrheit unterrichten. Zu diesem Zwecke führt sie ihn
in den wundervollen Wohnsitz, welchen Gott ihr verliehen hat. Es ist
ein herrlicher Lustgarten mit einem zauberhaft ausgeschmückten Schlosse.
Den Eingang zum Parke versperren sieben Hindernisse {(fgovQta), so
da sind ein Strom, eine Brücke, das Thor der Brücke, wilde Tiere, ein
Graben, ein dorniger Hain, endlich eine Mauer. Bei jedem (foovQiov gerät
der Dichter in neue Furcht, aber die stets wiederholte Ermunterung der
Jungfrau lässt ihn alle Schwierigkeiten überwinden. Die Schilderung der
Hindernisse gibt Gelegenheit zur Ausbreitung mythologischer und natur-
wissenschaftlicher Kenntnisse; bei den wilden Tieren z. B. wird der ganze
Vorrat alter und mittelalterlicher Fabelwesen, wie Drache, Pegasos, Ker-
beros, Vogel Greif, Onokentauros, Chimära, sogar der „Satyr", mit ihren
Eigenschaften ausführlichst beschrieben. Endlich betritt der Dichter das
Schloss. Auch hier wird dem Leser nichts erlassen; Wände, Decke,
Säulenhallen, Kuppeln werden mit unverwüstlicher Redeseligkeit geschildert.
Den Gipfel und Mittelpunkt des Ganzen bildet das Ruhelager der Sophro-
syne. Zwar sind Zeichen des Todes angebracht, damit sie nicht in irdische
Gedanken verfalle; im übrigen finden wir eine Verschwendung von Gold,
Silber und Edelsteinen, wie sie kaum in einem anderen Werke der phan-
tastischen Märchenlitteratur wiederkehrt; die Aufzählung der zum Schmucke
des Bettgestelles dienenden Edelsteine füllt allein mehi'ere Seiten; es ist
ein förmliches Wörterbuch der Mineralogie in politischen Versen.
Neuen Anlass zur Ausschüttung mythologischer, historischer und litterari-
scher Erudition bietet die Schilderung der Umfassungsmauern des
Parkes; ihren Schmuck bilden nämlich Standbilder aller berühmten
Männer des alten und neuen Bundes, des heidnischen Altertums und der
christlichen Aera. Die phantastische Afterweisheit, die bei der Beschrei-
bung dieser Werke entfaltet wird, überbietet alles, was sich ein Malalas
in dieser Hinsicht geleistet hat. In wunderlicher, nur durch den Zufall
bedingter Zusammenstellung wird eine endlose Gallerie anerkannter und
dunkler Zelebritäten vorgeführt, Prometheus, der „Erfinder der Grammatik",
neben dem falschen Propheten Barlaam, Euripides neben Nachor, Julius
Africanus neben Lykurgos, Heraklitos neben Sophokles, Enoch, der „Er-
finder der Buchstaben", neben dem Periegeten Dionysios; der ganze Suidas
scheint ausgeschöpft, um die überschwellende Fülle von Namen zu liefern.
Auf einer zweiten Mauer finden wir alle Götter der Griechen, überladen
mit echten und unechten Attributen; selbst Venus stellt sich ein, freilich
als xäxiarog ^sd xai ^tQvn:aQ0Dfurr^. Die dritte Mauer bringt eine Art
384 Byzantinische Litteraturgescliichte. II. Poetische Litteratur.
Nachlese zu den Standbildern der ersten, besonders Helden des alten Bundes
und des heroischen Zeitalters der Griechen, Moses, David, Herakles, Kad-
mos u. a. Endlich wird der Park selbst mit allem Zubehör, wie einer
Weinpflanzung, einem Teiche und einem Bade geschildert; den Beschluss
bildet ein ebenso wortreicher als nichtssagender Panegyrikus auf die Schön-
heit der Schlossherrin selbst. Wii- fragen uns noch immer, was bezweckt
diese nebelhafte Sammlung von Raritäten mit dem hochaufgetürmten
Flitterstaat ellenlanger Beiwörter! Die Antwort erteilt uns der Dichter
in den letzten hundert Versen, in der egfur^ieia tüv tnxu (fQovQtcov. Die
sieben Hindernisse bedeuten die Fallstricke, die den Weg zur Tugend
versperren, die gefährliche Wanderung durch die sieben Weltalter und
Aehnliches; der Park ist das Paradies. Wie der Dichter den sinnlichen
Baumgarten in seiner Herrlichkeit erblickte, so möge ihm dereinst ver-
liehen werden, das geistige Paradies zu schauen!
So erscheint das Werk des Meliteniotes poetisch als ein Monstrum;
aber auch der vermeintliche antiquarische Nutzen schwindet bei ge-
nauerer Betrachtung auf ein sehr bescheidenes Mass zusammen. Von einer
Benützung guter, uns verlorener Quellen kann kaum die Rede sein; was
in dem Wüste von Raritäten und Attributen neu zu sein scheint, ist meist
nur Verunstaltung bekannter Namen und willkürliche Erfindung. Immerhin
mag das Gedicht in einer Geschichte der allegorisch-moralisierenden
Poesien als eines der wundersamsten Beispiele der ganzen Gattung seine
Stelle finden. Von byzantinischen Werken ist in der Gesamtanlage besonders
der yiöyog TTagrjoQr^Tixog neq! evTt'xiccg (s. den Anhang) zu vergleichen; die
phantastischen Schilderungen des Parkes und Schlosses erinnern an die
byzantinischen Versromane, besonders an die vulgären und halbvulgären
Rittergeschichten. Mit diesen Erzeugnissen, auf die schon der erwähnte
Nebentitel hinweist, hat unser Werk auch die zahllosen zum Teil will-
kürlichen, zum Teil aber auf wohl bezeugten Thatsachen der Vulgärsprache
beruhenden Komposita gemeinsam wie 7roQ(fVQok€vxoxöxxivog, xq^^^otiqu-
aivi^oo, hyvQotfO^oyytM, ßsvsTotf^oQäw, navsvTXQenrfi u. s. w.
Das Werk ist aus cod. Paris. 1720 keineswegs mustergültig ediert von E. Miller,
Notices et extraits 19 (1858) 2, 1 — 138. — Theologische Schriften eines Theodoros Meli-
teniotes, der nach AUatius um 1361 schrieb und in der Ueberschrift seiner Werke als
fisyag aaxsXXäQioi rrj? ayiwriaj]? [xsyüXrjg xov &£ov ixxXrjaing xni didnaxakog rwy didaa-
xäXuy xcd dQ^idiäxavog bezeichnet wird, ed. A. Mai, Nova patrum bibliotheca, vol. 6
(Romae 1853) 2, 449 — 509. — Wiederholt nebst einem Stücke eines Werkes über Astro-
nomie bei Migne, Patrol. Gr. 149 (1865) 877 — 1002. - Theologische Schriften eines
Konstantinos Meliteniotes bei Migne, Patrol. Gr. 141 (1865) 1031—1274.
Dritte Abteilung.
Anhang.
Vulgärgriechische Litteratur.
Einleitung'.
209. Begriffliche Erklärung. Wie sich in den lateinischen und
latinisierten Ländern neben der relativ einheitlichen Schriftsprache volks-
mässige Idiome ausbildeten, so entfernte sich auch im griechischen Osten
die lebendige Sprache von der im grossen und ganzen stabilen Schrift-
gräzität im Laufe der Zeit in einem solchen Grade, dass man sie als etwas
Besonderes fühlte und bezeichnete. Die Griechen nannten ihre einfache,
volksmässige Umgangssprache yXwaaa 6rj!ioJ6r^g, arrA/J, anXosXXrjVixi], xad^^-
f.ia^fi\u6rr^, xad^o)i.iiXr^fjsrrj, '^Pcoixaiixr^ im Gegensatz zum Attischen, Helle-
nischen und zur xoiri] diäXexroc. Während jedoch im Abendlande das eine
Latein sich in verschiedene Landessprachen auflöste, blieb im Osten
die Einheit gewahrt. Zwar entstanden auch hier einige neue, von den
alten Mundarten nach ihrer inneren Beschaffenheit und ihrer geographischen
Verbreitung völlig verschiedene Lokaldialekte; ihre Differenzen waren
aber nicht bedeutend genug, um eine Sprachspaltung hervorzubringen;
auch hätte die stets zentralistische Tendenz des byzantinischen Reiches,
welches in den kritischen Jahrhunderten der Sprachenneubildung noch die
meisten griechischen Provinzen in sich vereinigte, jedem Sondergelüste
mächtige Schranken entgegengesetzt. Weit folgenreicher wurde ein anderer
Unterschied in der sprachlichen Entwickelung der Griechen und Lateiner.
Die grosse Sprachenhäutung vollzog sich im Osten wie im Westen ziemlich
gleichmässig und gleichzeitig; während jedoch die lateinischen Nationen
die frischen, kräftigen Neubildungen dankbar annahmen und sorgsam pfleg-
ten, zogen die Griechen es vor, die im Spiritus der Schulbildung künst-
lich aufbewahrte, erstarrte, verblasste und leblose alte Haut als litterarischen
Sonntagsstaat auch fernerhin zu tragen oder wenigstens die neue Haut mit
Fetzen der alten zu verkleistern und zu verdecken. Das Latein wurde
von den Landessprachen in einem langsam fortschreitenden, aber unauf-
Handbuch der klass. AltcrtumswIasenRcbaft. IX. 1. Abtlg. 25
386 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vulgärgriecliische Litteratur.
haltsamen Prozesse zuerst aus den populären, dann aus den gelehrten
Litteraturgattungen verdrängt und konnte zuletzt naturgemäss nur noch
die Stellung einer schriftlich aufbewahrten toten Sprache behaupten; im
griechischen Osten ist es zu einer so konsequenten Trennung zwischen
dem Alten und Neuen, dem Toten und Lebendigen niemals gekommen.
Die schulmässige Tradition besass hier eine solche Widerstandsfähig-
keit, dass die Volkssprache ihr gegenüber eine schwache Rivalin blieb
und auf keinem Gebiete des schriftlichen Ausdrucks einen nachhaltigen
Sieg errang. Die im wesentlichen auf der Formenlehre und dem Wörter-
buche des Altgriechischen beruhende byzantinische Schriftsprache
behauptete in den wichtigsten Litteraturgattungen, in der Geschichtschrei-
bung, in der Philosophie, Theologie, Rhetorik, Altertumswissenschaft und
selbst in der Poesie die Oberhand; ihre Herrschaft überdauerte die ge-
waltigen politischen Umwälzungen, welche die erste und zweite Eroberung
von Konstantinopel mit sich brachten, und sie besteht mit einigen Modifi-
kationen noch heute. Bei den Griechen fand sich kein Dante, der die
verachtete Volkssprache in Denkmälern von unbestrittener Schönheit und
Wahrheit schriftlich fixiert, ihre Ausdrucksfähigkeit bewiesen und ihr vor
aller Welt zum gesetzlichen Rechte verhelfen hätte. Vielmehr bemächtigte
sich gerade in der Zeit, welche zur Ausbildung einer neuen Litteratur-
sprache die günstigsten Bedingungen geboten hätte, nämlich im 12. bis
15. Jahrhundert, durch das Wiederaufleben der klassischen Studien der
Litteratur ein sprachlicher Purismus, der dieselbe von der lebendigen
Sprache mehr als je entfernte. Obschon sich die Volkssprache seit dem
11. Jahrhundert einige Plätze in der Litteratur eroberte, wurde sie von
den Wortführern der Nation und den meisten Gebildeten wie ehedem als
ein niedriges, gemeines, zum Ausdruck feinerer Gedanken und zu künst-
lerischer Gestaltung unbrauchbares Werkzeug bei Seite geschoben. Ihre
verachtete Stellung spricht sich deutlich genug in der litterarhistorischen
Thatsache aus, dass die Schriftsteller mit verschwindenden Ausnahmen
(Prodromos '), Glykas) entweder ausschliesslich die Schriftsprache oder aus-
schliesslich die Volkssprache anwenden, eine Scheidung, die um so mehr
in die Wagschale fällt, als bei den Byzantinern im übrigen die schranken-
loseste Vermischung der Litteraturgattungen und Stilarten herrscht. Auf
solche Weise hat die litterarische Ent Wickelung bei den Griechen seit
dem Mittelalter einen anderen Verlauf genommen als bei den Romanen.
Während die italienische, französische und spanische Litteratur seit dem
10., bzw. 11. oder 12. Jahrhundert als eine einheitliche Schöpfung er-
scheint, trat bei den Griechen ein Dualismus ein, der bis jetzt nicht
überwunden ist und schwerlich jemals überwunden werden wird. Eine
äussere Folge dieser in der Geschichte der europäischen Sprachen und
Litteraturen einzig dastehenden Thatsache ist der Mangel eines allgemein
anerkannten und eingeführten Namens für die mittel- und neugriechische
Volkssprache. Neugriechisch deckt den Begriif nicht, weil hiemit einer-
seits das mittelalterliche Volksgriechisch ausgeschlossen, andrerseits die
M Oh Prodromos zu ihnen gehört, hängt 1 ob es einen oder zw ei Autoren dieses Namens
von der noch nicht entschiedenen Frage üb, | gegeben hut. Vgl. S. 3(37 f.
Einleitung. (§ 209—210.) 387
heutige Kunstsprache miteingeschlossen bleibt. Passender wäre der aus
der einstigen politischen Zugehörigkeit der Griechen zum römischen Reiche
entsprungene, beim Volke noch heute übliche Ausdruck Rhomäisch; doch
hat er wenig Anklang gefunden, weil er eine fremde Nationalität bezeichnet
und leicht zu irrigen Vorstellungen Anlass geben könnte. Wir sind daher
gezwungen in Ermangelung eines genügenden Ersatzes den keineswegs
sehr treffenden Terminus Vulgärgriechisch oder Volksgriechisch bei-
zubehalten, und wir verwenden ihn, ohne chronologische Eingrenzung für
die Volkssprache des Altertums, des Mittelalters und der neueren Zeit.
Dem vulgärgriechischen Begriffe gegenüber steht die altgriechische, mittel-
griechische und neugriechische Kunst- oder Schriftsprache. In unserer
Darstellung bezieht sich der Ausdruck Vulgärgriechisch, wenn er ohne
näheren Zusatz gebraucht wird, natürlich auf die mittelalterliche Volks-
sprache.
Aus dem Gesagten ergibt sich auch, dass der Begriff Vulgär-
griechisch sich mit Vulgärlateinisch nicht völlig deckt. Vom Vul-
gärlatein kann nur die Rede sein bis zu dem Zeitpunkte, in welchem
die Landessprachen als erkennbare und nachweisbare Existenzen hervor-
treten: das Vulgär griechische dagegen erhält gerade von der Zeit an,
in welcher der vulgärlateinische Begriff sich in den Landessprachen
auflöst, eine erhöhte Bedeutung. Was man Vulgär- und Provinzial-
latein nennt, geht (in runder Summe gesprochen) im 9. bis 10. Jahrhun-
dert zu Ende; was wir unter Vulgärgriechisch verstehen, reicht über
diese Zeit hinaus bis auf den heutigen Tag. Zuletzt möge noch ausdrück-
lich vor der in manchen Büchern und Köpfen spukenden Anschauung
gewarnt werden, welche das Vulgärgriechische mit der xoirt] SiäksxTog
identifiziert oder vermischt. Die xonrj ist eine vom Attischen durch man-
cherlei Konzessionen an die Sprache des Volkes, des Militärs, der Kanzlei,
vielleicht auch des makedonisch-alexandrinischen Dialekts abweichende, in
der alexandrinischen Zeit ausgebildete und dann ziemlich stereotyp ver-
bliebene Schriftsprache: ihre Abweichungen vom Attischen erstrecken
sich viel weniger auf die Formenlehre als auf das Wörterbuch und die
Syntax. Der lebendigen Sprache der alexandrinischen und römischen Zeit
steht sie zwar näher als der von den Klassikern gebrauchte attische Dialekt,
sie ist aber etwas anderes als die einem ewigen Wechsel in den Lauten,
Formen, Wörtern und in der Konstruktion unterworfene Redeweise der
gemeinen Leute. Sie steht auf einer Mittelstufe zwischen der attischen
Reinsprache und dem schwankenden Idiom des Volkes. ^)
210. Geschichtliche Uebersicht. Die Existenz einer volksmässigen
Ausdrucksweise, die sich namentlich in der Vernachlässigung der Aussprache
und der Satzbildung, in der Auflösung grammatischer Formen, in der
Anwendung von Analogiebildungen und in der Verwirrung und Verein-
fachung des Wörterbuches kundgab, trat bei den Griechen wie bei den
Lateinern hervor, sobald durch eine reichhaltige und wertvolle Litteratur
eine sprachliche Norm festgestellt worden war. Bei den Griechen wurde
') Vgl. K. Erumbacher, Ein irrationaler Spirant im Griechischen S. 434 ff.
25*
388 Byzantinische Litteratnrgeschichte. III. Vnlgärgriechische Litteratnr.
diese Folie, ohne welche die Eigenheiten der niederen Redeweise nicht er-
kennbar wären, von den Autoren der attischen Glanzzeit geschaffen. Bald
nach dem Ablauf dieser Epoche erscheinen die ersten nachweisbaren Spuren
eines von den Sclu'iftdialekten abweichenden volksmässigen Idioms.
Wir finden sie seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. auf ägyptischen Pa-
pyrusurkunden, auf Inschriften und in Litteraturwerken, bald in erheb-
lichen Massen, bald vereinzelt, bald dicht hintereinander, bald in grösseren
Zwischenräumen, wie es die zufälligen Umstände der Ueberlieferung mit
sich bringen. Dieses gemeine Idiom blieb nicht unverändert stehen, sondern
bildete sich im Laufe der Zeit naturgemäss weiter, i) Einen gewaltigen
Stoss erhielt die attische und hellenische Alleinherrschaft durch das Chri-
stentum, dessen Schriftsteller zuerst ausschliesslich, später wenigstens
noch teilweise die Sprache als ein rein praktisches Verständigungsmittel
auffassten und sich über die Vorschriften der Schule kühn hinwegsetzten.
Wie schon das neue Testament in Wahrheit mehr ein Denkmal der
Vulgärsprache als der xoivrj ist, so dringen manche Eigentümlichkeiten
der Volkssprache in die für weitere Kreise bestimmten Legenden,
Kirchengesänge und erbaulichen Schriften. In der Profanlittera-
tur der Kaiserzeit sind zur Beurteilung des Einflusses der vulgären Rede-
weise auf die schriftliche Darstellung vornehmlich die Warnungen der
Attizisten zu verwerten. Ein bemerkenswertes Denkmal, das uns in
seiner ältesten Form ein Bild von der Umgangssprache des dritten Jahr-
hunderts n. Chr. gewährt, ist der doppelsprachige Konversationsführer und
das Wörterbüchlein des Pseudo-Dositheos. Einzelne morphologische und
lexikalische Spuren der Vulgärsprache finden sich in der fachwissen- Ji
schaftlichen Litteratur, besonders bei den Medizinern. Schon aus
dieser Skizze wird hoff'entlich klar, dass das Vulgärgriechische nicht, wie
man früher häufig meinte, als ein Ergebnis der „Entartung in Barbarei",
der „Zersetzung des Hellenismus mit fremden Nationen", der „Völker-
wirren und Länderverluste in byzantinischer Zeit", sondern als eine in
der vorchristlichen Epoche beginnende, von äusseren Einflüssen wenig be-
rührte, natürliche Weiterbildung der griechischen Sprache selbst zu be-
trachten ist.^)
') Die im Grunde doch so ungeheuer
natürliche und einfache Thatsache, dass auch
die griechische Sprache wie jede andere ilire
Geschichte durchgemacht d. h. sich un-
aufhaltsam verändert hat, ist oft und von
bewährten Forschern verkannt worden. Wie
einerseits K. Sathas {Mea. ß(ßkio&. (J //pöA.
rj—ftrf) u. a. mehr oder weniger unverblümt
behaupteten, die heutige Volkssprache
habe schon zur Zeit der Ptolemäer exi-
stiert, glaubten andere wie Skarl. Byzan-
tios (in der Vorrede seines Wörterbuches)
undKangab^ (in der Vorrede seiner neugr.
Grammatik) der patriotischen Sache einen
Dienst zu erweisen, indem sie uns weiszu-
machen suchten, das Hochgriechische (die
xttBaQtvovan) habe als feinere Umgangs-
sprache im Munde der Gebildeten immer
fortgelebt. Selbst B. G. Niebuhr, lieber
das Aegyptisch-Griechische, Kleine historische
imd philologische Schriften, 2. Sammlung,
Bonn 1843 S. 197—208, ist in ähnlichen
Vorstellungen befangen und meint z. B., das
Neugriechische verhalte sich zum Altgriechi-
schen wie die Kreolensprache zum Englischen
und Französischen. Unzugänglich blieben mir
E. Beul «5, An vulgaris lingua apud veterea
Graecos exstiteritV l'aris 1853, und M. F.
Talbert, De lingua Graeca vulgari, Paris
1874.
") Eine genaue Aufzählung und kritische
Würdigung der in der vormitt<>lalterliclien
Zeit nachweisbaren vulgärgriechischen That-
sachen mag dem Verfasser einer histori-
schen (iranniiatik des Vulgärgriechischen
vorbehalten bleiben.
Einleitung. (§ 210.) 389
Das erste umfangreichere Werk, in welchem das Volksidiom über
die traditionelle Schriftsprache gesiegt hat, ist die Chronik des Malalas.
Doch kann sie noch nicht zur mittelgriechischen Vulgärlitteratur
gerechnet werden — aus demselben Grunde, der es verbietet den Gregor
von Tours, den Fredegar und andere gallische Autoren des 6. bis 9.
Jahrhunderts der französischen Litteratur beizugesellen. Die Sprache des
Malalas ist vulgärgriechisch noch im alten Sinne d. h. so, wie es etwa
die Sprache gewisser Papyrusurkunden und der Silkoinschrift ist; sie ist
aber nicht mittelalterliches Vulgärgriechisch oder Rhomäisch, weil damals
die lebendige Sprache selbst noch nicht auf der Stufe angelangt war,
die wir als Mittelvulgärgriechisch oder Rhomäisch bezeichnen. Bald nach
Malalas erscheinen als bedeutsame Vorboten der vulgärgriechischen Lit-
teratur im engeren Sinne die volksbuchartigen Lebensbeschreibungen
des Erzbischofs Johannes des Mitleidigen von Alexandria und des Mönches
Symeon, des „Narren um Christi willen", welche der Bischof Leontios
von Neapolis auf Cypern unter Kaiser Constans II (642 bis 668) ver-
fasste.') Ein ähnliches Werk, das angeblich ebenfalls dem 7. Jahrhundert
angehört, ist die Legende des hl. Theodosios. -) Eine reiche Sammlung
solcher volksbuchartiger Heiligenleben enthält u. a. der aus dem 9. Jahr-
hundert stammende cod. Patmiacus 48. 3) In die volksmässige Litteratur
der frühbyzantinischen Zeit gehört endlich der symbolisch-christliche Roman
Barlaam und loasaph. Ein grossartiges Denkmal der temperierten Vul-
gärsprache aus dem Anfang des 9. Jahrhunderts ist die Chronik des Theo-
phanes, deren Wert auch in dieser Hinsicht erst durch die ausgezeichnete
Bearbeitung von C. de Boor ins volle Licht gestellt worden ist. Im fol-
genden Jahrhundert sind vor allem die Schriften des Konstantin Por-
phyrogennetos für das Studium der Geschichte des Vulgärgriechischen
von Bedeutung.
Ausser diesen und anderen Werken, in denen das Vulgärgriechische
durch die Kunstsprache noch vielfach gemässigt und getrübt zu Tage tritt,
kommen für die Entstehungsgeschichte der vulgärgriechischen Litteratur
eine Reihe kleinerer Zeugnisse in Betracht, die seit dem 7. Jahrhundert
in mehreren Geschichtswerken überliefert sind, namentlich die von den
Zirkusparteien gesungenen politischen Gassenhauer, Spottverse, Bei-
fallsbezeugungen, sprichwörtliche Redensarten, geflügelte Worte
und die berühmten Akklamationen des Volkes und Heeres. Einige
Beispiele mögen den Charakter dieser Stücke veranschaulichen: Im Jahre
600 wurde gegen Kaiser Maurikios ein Spottgedicht in Umlauf gesetzt,
das offenbar in der damaligen V^ulgärsprache abgefasst ist:
') Vgl. H. Geizer, Ein griechischer • kritische Veröffentlichung der älteren
Volksschriftsteller des 7. Jahrh., Sybelshistor. volksmässigen Legenden wäre höchst wün-
Zeitschrift 25 (1889) 1 — 39. Von Geizer wird sehenswert; denn was an Drucken vorliegt,
auch eine Ausgabe des Leontios vorbereitet. , sind meist die nach einer willkürlichen Ein-
*) Theophilos Joannu, 3/*/;;^««« «;'(o- I heitsschablone angefertigten Ueberarbeitun-
Xoyixä, 'Ev Beyer i<f 1884, ÜQoXoyog ae'A. xd". gen des Symeon Metaphrastes. üeber
') Zwei Stacke aus demselben, die Mar- , die sprachlichen Grundsätze des SjTneon vgl.
tyrien des hl. Petrus und Paulus, ed. A. | die langatmige, aber ganz lehrreiche Aus-
Lipsius, Jahrbücher für protestantische einandersetzung des P s e 1 1 o s , Migne, Patrol.
Theologie 1886 S. 86-106. Eine vollständige , Gr. 114 (1864) 192 ff.
390 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vulgärgriechische Litteratur.
Evgrjxe x^y &af4(eXi<fK (inaXtjv xal tQt'q)tQuy
Km (ug To xairoy äXexTÖQH' ravin nsTitjdr/xey
Kai inohjas Tiaidla cJ? r« ^vXoxovxovdn.
Kai ovdeis ToXfx^ XaXijaai ' dXX' oXovg icplfitaaBv.
"JyiB (jov, ayts, q^oßsge xai dvyare,
Jos avTM xaxti xgayiov, l'ya fiij vnBqa'iQTjitti, '
Kayai aot, xov ßovv xov fieyay ngoaayayo} eig «v/i/i/.*)
Bald darauf (602) begrüsste die Partei der Blauen den Usurpator ^
Phokas im Hippodrom mit den Worten: Mavgi'xiog ovx aniO^ave^ MceO^e 1
rrjv alri^eiav (w_v^_|w_w_||_.^_w_.^_)^ wodurch Phokas be-
wogen wurde, den Exkaiser Maurikios mit seinen Kindern töten zu lassen. 2)
Gegen denselben Phokas sang im Jahre 608 die Partei der Grünen die
zwei jambischen Dimeter:
ndXiy 'g Toy xavxoy tmsg,
TIc'cXty toy yovy (inoiXeang.^)
Michael II (820- 829) Hess bei der Belagerung von Saniana dem
Kommandanten der Stadt durch einen Unterhändler folgendes berichten:
^Axoi'oe, xvQ Oixoyöfjis,
Toy FvßsQiy, t'l aov Xsyei '
"Jy /Ltov diog rtjy ^ayiüyay,
M7]TQ07J0XlT7]y 06 Tlolow,
Neoxaiafigeiäy aov doicfü),*)
Seinen Nachfolger Theophilos (829 — 842) begrüsste das Volk als
Sieger im Kampfspiel mit den Worten: Kakwg r'jXlheg^ aavyxQite qaxioraQi^.'')
Die Zahl dieser Beispiele Hesse sich leicht um das Dreifache vermehren.")
Das Privilegium des byzantinischen Volkes, dem Kaiser und anderen hohen
Würdenträgern in Akklamationen Beifall oder Missfallen zu bezeugen,
dauerte auch später fort; doch sind die seit dem 11. Jahrhundert von den
Historikern angeführten Beispiele ohne erhebliche Bedeutung, weil um diese
Zeit die Vulgärsprache schon in grösseren Htterarischen Denkmälern selb-
ständig auftritt.
Die ältesten Poesien, in welchen die rhomäische Volkssprache an-
gewendet wurde, waren höchst wahrscheinlich jene nationalen Held en-
gesänge, die später von halbgelehrten Litteraten zu dem Epos Digenis
1
') Johannes Antioch. fragm. 218'', ■ Aus ihm schöpfte wohl The oph an es (1448, 1
C. Müller, Fr. hist. Gr. V 36; vollständiger 1 ed. Bonn. = I 289, 29 ed. De Boor).
hei Theophanes ed. De Boor I 283 (= ed. | *) Johannes Antioch. fragm. 218",
Bonn. 1 437); ganz verdorben ist der Text | C. Müller, Fr. hist. Gr. V 37. Theophanes,
bei Kedrenos 1 703 (ed. Bonn.). Der Ori- j ed. De Boor 1 296, 26 (= ed. Bonn. 1 4.')7,
ginalgeschichtschreibcr des Maurikios, Theo- 20). Vgl. den Anonymus bei Gramer,
phylaktos, erwähnt den Vorfall nur kurz Anecd. Paris. II (1839) 333.
und ohne die Verse selbst anzuführen (S. 331, j *) Theophanes contin. cd. Bonn.
19 ed. Bonn. = S. 301, 4 ed. De Boor). — | S. 72, 18 flf., wo der Text verdorben ist.
Kino Rekonstruktion der ursprünglichen Form j *) Georgios Mon. S. 799, 3. Leo
des Spottgesanges versuchte Sp. Lambros, ; Gramm, ed. Bonn. S. 221, 9.
Ilagyaaaög 1879 S. 405 ff. ' ") Vgl. die Zusammenstellung bei Sp.
*) Johannes Antioch. fragm. 218"^, | Lambros, Coli, de rom. gr. Introdurtion
C. Müller, Fr. hist. Gr. V 37. Theophy- S. 8 ff., und J. Psichari, Es-sais de ^ramni.
laktos (S. 335, 17 ed. Bonn. = S. 304, 17 hist. nöo-grecque 1 (1886) 23 f. — Die Bei-
ed. De Boor) überliefert den Doppelvers in spiele, welche Sp. Zambelios. "Aiaftaia
der Form: "Yuaye, fidf^e rrjy xniäoinaiy • dvi^iniixü. KfQxvQti 18.V2 S. 3.53 ff. anführt,
o MavQixiog ovx dnit^aysy, und macht dazu sind unzuverlässig, weil er nach seiner llhlen
die interesminte Bemerkung: KaXny yilg xui (lewohnhoit durchweg die Quellen' zu nennen
iijg iinäiidog tf^ujyijs /tn'tjfiTjy noitjaaa&ai,. \ vorgituit.
Einleitung. (§ 210.) 391
Akritas vereinigt wurden; von den ursprünglichen Formen dieser Lieder
scheint nichts erhalten zu sein. Als die frühesten Prosadenkmäler des
Rhomäischen darf man wohl einige aus dem 10. Jahrhundert stammende,
in Unteritalien abgefasste Urkunden bezeichnen, welche in der Samm-
lung von Trinchera (s. S. 36) veröffentlicht sind. In den litterarischen
Kreisen der Hauptstadt wurde die Volkssprache seit dem Ausgang des
11. Jahrhunderts in Mahn-, Lob- und Bittgedichten verwendet. Einen
breiteren ßaum erobert das Yulgärgriechische in der byzantinischen Lit-
teratur erst im 13. und 14. Jahrhundert. An der Spitze stehen nach Um-
fang und Bedeutung einige romanhafte Dichtungen, in welchen teils
antike, teils mittelalterliche Stoffe behandelt, zum Teil auch frän-
kische Vorbilder nachgeahmt sind. Eine Gruppe für sich bilden poetische
Tier- und Pflanzengeschichten, als deren Mittel- und vielleicht Aus-
gangspunkt der Physiologus zu betrachten ist. Mit dem nationalen
Heldenepos Digenis Akritas verbinden sich einige spätere Werke, welche
historische Ereignisse in mehr oder weniger sagenhafter Umbildung
besingen. Ziemlich vereinzelt steht nach Auffassung und Inhalt die grosse
Yerschronik von Morea. Dazu kommen endlich Poesien vermischten
Inhalts, Liebeslieder, lehrhafte, erbauliche und allegorische Ge-
dichte. Besonders reichlich fliesst der Strom der poetischen KleinUtteratur
seit dem Ende des 15. Jahrhunderts auf Kreta. Die vulgärgriechische
Prosa ist durch die erwähnten italischen Urkunden, einige Volksbücher,
Gesetzessammlungen und Chroniken ziemlich notdürftig vertreten.
Für eine wissenschaftliche Darstellung der vulgärgriechischen
Litteraturgeschichte mangelt es noch allenthalben an den nötigsten Vor-
arbeiten. Nicht einmal das äussere Gerüste, die Abteilung nach den
Zeiten und Orten der Entstehung, kann gegenwärtig auf einer ver-
lässigen Grundlage aufgerichtet werden; die wenigsten Werke sind fest
datiert und lokalisiert. Doch scheint sich wenigstens die allgemeine Er-
kenntnis Bahn zu brechen, dass die Hauptproduktion auf wenige Orte,
vornehmlich auf Konstantinopel, Cypern und Kreta beschränkt blieb.
Noch weniger als der Entstehungsort ist die Chronologie der meisten
Werke gesichert; für sie ist namentlich von exakten und umfassenden
Untersuchungen der Sprache manche Aufklärung zu erwarten. Fast
alles ist noch zu thun für die Erforschung des inneren Verhältnisses
der einzelnen Werke und Gattungen, sowie für die Klarlegung der Be-
ziehungen, welche die vulgärgriechischen Schriften einerseits mit der
altgriechischen und byzantinischen Kunstlitteratur, mit christlichen Legenden
und mit der neugriechischen Volkspoesie ') und Mythologie, andererseits
mit den Litteraturen und Volksüberlieferungen der orientalischen, slavischen
und abendländischen Völker verknüpfen,-) Was ich zunächst geben konnte,
ist nicht viel mehr als eine zur Erweckung der Teilnahme und zm* Er-
■ ') Die volkspoetischen Reflexe, [ 224 — 229; 242; 250 unseres Abrisses,
welche die mittelvulgärgriechische Litteratur | ^) Vgl. die bibliographischen Angaben
in grosser Anzahl enthält, verdienten vor von E.Kuhn, Zur vergleichenden Literatur-
allem andern eine genaue Untersuchung. geschichte, Wissenschaftl. Jahresbericht über
Vgl. vorerst Sp. Lambros. Coli, de rom. die morgenländ. Studien 1877, 1, 32 ff.
gr. Introduction S. 20 ff., und §§ 219; 221; |
392 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vulgärgriechische Litteratnr.
leichterung künftiger Detailstudien bestimmte Aufzeichnung der Hauptthat-
sachen und des bibliographischen Materials.
211. Sprache und Metrik. Die sprachliche Form der vulgärgriechi-
schen Werke zeigt erhebliche Verschiedenheiten, die sowohl die Laut- und
Formenlehre als das Wörterbuch und die Syntax betreffen. Diese Ab-
weichungen erklären sich teils aus der Verschiedenheit der Entstehungs-
zeit und des Entstehungsortes, teils aus der verschiedenen Stel-
lung, welche die einzelnen Autoren der Volkssprache und der Schriftsprache
gegenüber einnahmen. Die Differenzen der ersten Art bedürfen keiner
Erklärung; denn es ist natürlich, dass volkssprachliche Aufzeichnungen im
12. Jahrhundert anders aussahen als im 1(5. Jahrhundert und dass ein
Cyprier zu seinen Landsleuten anders sprach als ein Kreter. Eine wirk-
liche, bis jetzt noch nicht völlig gehobene Schwierigkeit enthält nur die
Frage, wie sich die Schriftsteller zur Volks- und Kunstsprache verhielten,
d. h. inwieweit die vulgärgriechischen Litteraturwerke über-
haupt den wirklichen Sprachzustand ihrer Zeit und ihrer Hei-
mat darstellen. Von einer genaueren Darlegung der Geschichte und
des Inhaltes der hierauf bezüglichen Kontroversen sehe ich ab; doch ist
zur formalen Würdigung der vulgärgriechischen Litteratur eine An-
deutung des Sachverhaltes notwendig. Wie es in der Wissenschaft zu
geschehen pflegt, so standen sich auch hier bald nach Eröffnung der Dis-
kussion zwei extreme Ansichten scharf und scheinbar unversöhnlich
gegenüber. Die einen behaupteten, die Sprache der mittelgriechischen
Vulgärwerke sei ein willkürliches und daher für sprachgeschichtliche Unter-
suchungen fast nutzloses Mischmasch schriftsprachlicher, selbstverfertigter
und lebendiger Bestandteile; die anderen erklärten dieses angeblich un-
entwirrbare und unbrauchbare Durcheinander für den reinsten Ausdruck
der nach Zeiten und Orten wechselnden lebendigen Gräzität. Die Wahr-
heit liegt in der Mitte. Zuerst darf man nicht übersehen, dass die Frage
nicht allgemein, sondern für jeden Autor, ja für jedes Werk besonders
geprüft und beantwortet werden muss. Es ist z. B. ganz zweifellos, dass
manche kretische Werke des 16. Jahrhunderts ungemein treue Ab-
bilder der in den kretischen Städten üblichen, durch fremde Einflüsse ab-
getönten Volkssprache sind; man darf aber diese Thatsache nicht ohne
weiteres auf die gesamte übrige Litteratur übertragen. Die Existenz
eines starken Makaronismus in der vulgärgricchischen Litteratur lässt
sich nicht ableugnen. Es gibt Werke, deren Verfasser thatsächlicli wie
Buridans Esel zwischen den Heubündeln der Schriftsprache und des Volks-
idioms hin- und herschwankten. Im allgemeinen lässt sich sagen, dass die
naive Treue in der Wiedergabe des gesprochenen Lautes und Wortes
mit der fortschreitenden Entwicklung der vulgärgricchischen Litteratur
zunimmt. Völlig befreit von den kunstsprachlichen Flocken und selbständig
durchgebildet erscheint die Vulgärsprache in der kretischen Poesie des
16. und 17. Jahrhunderts. Dass dieser geläuterte Zustand nicht sofort
erreicht werden konnte, ist ganz natürlich. Sobald ein Autor Lesen und
Sclu'eiben gelernt und die Kirche öfter besucht hatte, befand er sich, ohne
Einleitung. (§ 211-212.) 393
sich dessen hinlänglich bewusst zu sein, unter dem mächtigen Banne der
Kunstgräzität. Denn der byzantinische Unterricht, auch der allerelemen-
tarste, wurde ausschliesslich auf Grund der alten Grammatik und Litteratur
erteilt, und in keiner byzantinischen Kirche hat man je ein in der Volks-
sprache abgefasstes Lied oder Gebet vernommen. Unter diesen Umständen
wäre es ein Wunder, wenn die kühnen Neuerer, welche zuerst vulgär-
griechische Texte abfassten, zwischen der zeitgenössischen Volkssprache
und der schulmässigen Kunstgräzität sofort in lautlicher, morphologischer,
lexikalischer und syntaktischer Hinsicht mit konsequenter Sicherheit hätten
unterscheiden können. Zu diesem Ziele gelangte man erst durch lange
Gewohnheit und Uebung. Schwer ist es nun, im einzelnen Falle zwischen
schriftsprachlichen Einflüssen und allgemein volkstümlichen oder dialek-
tischen Eigenheiten die Grenzen zu ziehen. Hiezu ist die feinste Methode,
ein wohl ausgebildetes Sprachgefühl, eine reiche litterarische Erfahrung
und vor allem die einmütige Arbeit vereinter Kräfte notwendig;
dann werden manche Fragen, über denen jetzt ein undurchdringliches Dunkel
zu lasten scheint, aufgehellt und der Lösung näher gebracht werden.
Die metrische Form der vulgärgriechischen Poesie ist fast durch-
aus der politische Vers, über dessen Bau und Geschichte S. 802 ff. ge-
handelt worden ist. Neben ihm erscheint in mehreren Werken wie in der
nias des Hermoniakos, in den Orakeln Leos des Weisen, in der Geschichte
vom weisen Greise, in Gedichten des Phortios, Trivolis u. a. der trochäische
Achtsilber, der auch in der schriftsprachlichen Litteratur der Byzantiner
(s. § 205 f.) zuweilen vorkommt. Sonstige accentuierte Verse sind höchst
selten und in grösseren Gedichten bis zum 16, Jahrhundert wohl niemals
zu finden (vgl. S. 302 ff.).
212. Die Ueberlieferung der vulgärgriechischen Werke zeigt ähn-
liche Eigentümlichkeiten wie die der lateinischen und landessprachlichen
Volkslitteratur des abendländischen Mittelalters. Die vulgärgriechischen
Texte galten nicht wie die klassischen und heiligen Bücher als unantast-
bare, formal und inhaltlich vollkommene Schöpfungen, sondern sie wurden
als echte Volksbücher nach dem wechselnden Geschmack und Bedürfnis
der Zeit bald mehr, bald weniger durchgreifenden Umarbeitungen unter-
zogen, die teils in der Modernisierung der Sprache und in der Glättung
der Verse, teils in der Erweiterung, Abrundung oder auch in der Ver-
kürzung des Inhaltes bestanden. Durch diese neuen Auflagen wurden die
ursprünglichen Formen fast regelmässig verdeckt oder verdrängt. Von
manchen Werken sind zwei oder mehrere Redaktionen erhalten, so
dass man die allmählichen Veränderungen beobachten und die ältesten
Bestandteile bis zu einem gewissen Grade aus dem Wüste der Zusätze
herausschälen kann; aber auch bei Schriften, die nur in einer Form auf
uns gekommen sind, lassen sich aus der Beobachtung der in mehreren
Redaktionen überlieferten Werke auf ebensolche Ueberarbeitungen Schlüsse
ziehen. Das vergleichende Studium dieser Abstufungen und Ab-
zweigungen eines Grund Werkes, für das die schärfste diplomatische
Methode der klassischen Philologie sich schnell als ein stumpfes Werkzeug
394 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vnlgärgriechische Litteratnr.
erwiesen hat, ist die wichtigste, bisher noch unerfüllte Vorbedingung eines
chronologischen und genetischen Aufbaues der vulgärgriechischen Litteratur-
geschichte. Als ein äusseres Kennzeichen der Reihenfolge der Bearbeitungen
gilt die mit der Zeit anwachsende Zahl der Verse; doch besitzt diese Regel,
wie die Ueberlieferung der Geschichte vom weisen Greise zeigt, nicht aus-
schliessliche Geltung.
Allgemeine Hilfsmittel zur vnlgärgriechischen Litteratur. 1. Sammelausgaben:
Ad. Ellissen, Analekten der mittel- und neugriechischen Litteratur, 5 Bde., Leipzig
1855 — 1862. — D. J. Maurophrydes, ^koyt] fxyrjuslwv Ttjg yewriQag'FA'AriVixfjg yXwaarjg,
'Jfftjyrjaiy 1866 (mit einem Glossar). — K. N. Sathas, 'EXXtjnxu dfsx&ota, 2 Bde., 'J&^vrjai
1867. — K. N. Sathas, Meamiovixrj ßißho&tixrj, 6 Bde., Venedig 1872-1877. - K. N.
Sathas, Kgr^xixov »eaxQov, 2 Bde., Venedig 1878. — E. Legrand, CoUection de monu-
ments pour servir ä l'ötude de la langue nöo-hell^nique, I. s4rie, 19 Bde.; Nouvelle s^rie
7 Bde., Paris 1869 — 1875. — E. Legrand, Recueil de poSmes historiques en Grec vul-
gaire relatifs ä la Turquie et aux principautes Danubiennes, Paris 1877 = Publications
de l'ecole des langues orientales Vivantes, vol. 5 (Texte des 17. und 18. Jahrhunderts.) —
E. Legrand, Bibliotheque grecque vulgaire, 5 Bde., Paris 1880 — 1890. — W. Wagner,
Medieval greek texts: being a coUection of the earliest compositions in vulgär Greek, prior
to the year 1500, London 1870. — W. Wagner, Carmina Graeca medii aevi, Leipzig 1874
(enthält meist Texte aus dem reichhaltigen cod. Vindobon. 297). — W. Wagner, Trois
poemes grecs du moyen-äge, Berlin 1881 (aus Wagners Nachlass ediert von D. Bikelas). —
Spyr. Lambros, CoUection de romans grecs en langue vulgaire et en vers publies pour
la premiere fois d'apres les mss. de Leyde et d'Oxford, Paris 1880.
2. Bibliographie: Eine Bibliographie der gesamten vulgärgriechischen Litteratur
gibt es nicht; doch kommen für die ältesten Drucke, besonders für die schwer zugänglichen
venezianischen Volksbücher, einige bibliographische Werke in Betracht, in welchen
die von Griechen seit dem 15. Jahrhundert im Drucke herausgegebenen Bücher ver-
zeichnet sind. Den ersten Versuch einer solchen Zusammenstellung machte A. Papädo-
pulos Vretos, NeoeXXrjvixrj (piXoXoyia rjioi xmukoyog ruiv und mwasMg xrjg BvCnyriyijg
avTOXQctTOQues fi^XQ'' ^yxn^i^'^QvOEOig r^g iv 'FAhiSv ßccaikeiag TVTKof^e'fTMy ßißkiwy, 2 Bde.,
Athen 1854 — 1857. — Aehnlich angelegt ist das biographisch-bibliographische Werk von
K. N. Sathas, NsosX'Ärjyixrj (filo'koyia. BioyQafpUa xwv eV xoTg yQÜfiuuai Sia'Aauxpüvxtay
'EXhjywy ilno x^g xaxaXvasiog xrjg Bv^avxiy^g ai'ZoxQnxoging fie^Qi xrjg Ekkt]y(xrjg OfyeycQ-
alceg (1453 — 1821), Athen 1868. — Diese Arbeiten werden im bibliographischen Teile weit
überholt durch das grossartig angelegte und nach den Forderungen der heutigen biblio-
graphischen Wissenschaft gearbeitete Werk von E. Legrand, Bibliographie hell^nique ou
description raisonnee des ouvrages publies en Grec par des Grecs aux XV»-' et XVI'' siecles,
bis jetzt 2 Bde., Paris 1885.
3. Litterarhistorische Beiträge: Eine zusammenfassende Darstellung fehlt. In
den der neugriechischen Litteraturgeschichte gewidmeten Büchern von J. Risos Nerulos
(Genf 1828), Rangabe (Berlin 1877) und Rangabe-Sanders (Leipzigs, a.) ist das Mittel-
alter gar nicht, in der Geschichte der neugriechischen Litteratur von R. Nicolai (Leipzig
1876) nur oberflächlich und ohne die mindeste Sachkenntnis berührt.. — Die aus fränkischen
Vorlagen abgeleiteten oder wenigstens von fränkischen Kultureinflüssen berührten vulgär-
griechischen Poesien untersucht mit ungenügenden Hilfsmitteln Ch. Gidel, Etudes sur la
litterature grecque moderne, Paris 1866. — Vermischte Themen der mittel- und neu-
griechischen Litteratur betrifft Ch. Gidel, Nouvelles ötudes sur la litterature grecque
moderne, Paris 1878. Vgl. die ausführliche Besprechung dieses Bandes von ¥j. Miller,
Journal des savants 1878 S. 208-219; 351—361. - Wertlos ist: Härtung, Die byzan-
tinische Novelle, Herrigs Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen
50 (1872) 1 — 38. — Manche litterarhistorische Beiträge enthalten die Einleitungen in den
Ausgaben von Legrand, Sathas und Lambros.
Zur byzantinischen Sagen- und Legcndenlitteratur: A. N. Veselovskij,
Die Sage vom babylonischen Reiche, Arch. slav. Phil. 2 (1877) 129—143; 308-333. —
A.N. Veselovskij, Versuche zur Entwickelungsgeschichte der christlichen Legende (u.a.
über die Apokalypse des Methodios und die byzantinisch-germanische Kaisersage), Journ.
Min. Volksaufkl. 1875 — 1876. — lieber die Kaisensage vgl. auch V. Jagic, Arch. slav.
Phil. 2 (1877) 20 und 11 (1888) 630 f.; A. N. Veselovskij, Arch. slav. Phil. 3 (1878)
84—86. — A. N. Veselovskij, Beiträge zur Erklärung des nussischon Heldenepos, Arch.
slav. Phil. 3 (1878) 549—593. — G. v. Zezschwitz, Vom rilmi.sclu'n Kaisertum deutscher
Nation, ein mittelalterliches Drama. Neljst rntersuchungen über die byzantinischen Quellen
dor <lout«chen Kaisersage, Leipzig 1877. Vgl. die eingehende Besprechung von A. v. Gut-
Einleitung. (§ 212.) 395
schmid, Sybels historische Zeitschrift 41 (1879) 145 — 154. — Ueber die mittelalterlichen
Sagen von Phidias, Praxiteles und der Tochter des Hippokrates handelt K. N. Sathas,
Annuaire de Tassoc. 16 (1882) 122—149. — Dasselbe Thema untersucht N. Politis,
JeXriov Tjjg iaroQ. xtd iQyoXoy. STcugiag r^? 'EXXädog 1 (1883 — 1884) 77 — 101. — Arthur
Amiaud, La legende syriaque de Saint Alexis, Thomme de dieu, Paris 1889 (^= Bibl. de
l'ecole des hautes etudes, 79 fasc); als Original dieser Legende wird eine byzantinische
Erzählung nachgewiesen. — Vgl. die von Christ, Griechische Litteraturgeschichte "■' §623
angeführten Schriften von Usener und Harnack. — Auf eine vollständigere Aufzälilung
der mächtig angewachsenen Lifteratur. die sich unmiftelbar oder mittelbar auf die byzan-
tinischen Sagen und Legenden bezieht, muss ich verzichten. — Zur Erklärung der in
der vulgärgriechischen Litteratur erwähnten Yolksanschauungen und Gebräuche
nützen vor allem die zwei vortreflFlichen Bücher von Beruh. Schmidt, Das Volksleben
der Neugriechen und das hellenische Alterthum, Leipzig 1871, und: Griechische Märchen,
Sagen und Volkslieder, Leipzig 1877, wo man auch die sonstige auf neugriechische Mytho-
logie imd Folkloristik bezügliche Litteratur verzeichnet findet.
4. Sprachliche Hilfsmittel: A. Wörterbücher: Meursius, Glossarium Graeco-
barbarum, Lugd. Batav. 1610; 2. Ausgabe 1614. — Meursius wurde weit überholt von Du
Gange, Glossariimi mediae et infimae Graecitatis, Lugduni 1688. Das Werk T^ämmelt
zwar von Fehlem und Missverständnissen, ist aber noch heute das vollständigste Reper-
torium des mittelvulgärgriechischen Wortschatzes und soU sogar demnächst in einem un-
veränderten Abdrucke neu aufgelegt werden. — Eine Ergänzung zu Du Gange bildet AI.
daSomavera, Tesoro della lingua Greca-volgare ed Italiana, Parigi 1709, wo ausschliess-
lich die lebende Sprache der Zeit des Verf. berücksichtigt ist. — Das brauchbarste Wörter-
buch der heutigen Volkssprache schrieb Skarlatos Byzantios, As;tx6y jrjg xcc&' r^udg
^EkXtjfixtjg dudsxrov, 3. Aufl., Athen 1874. — Nur anhangsweise beriicksichtigt das Vulgär-
griechische E. A. Sophocles, Greek lexicon of the Roman and Byzantine periods, 3. Aufl.,
New-York 1888.
B. Grammatiken: Die bis jetzt vorhandenen Lehrbücher betrefl"en fast ausschliess-
lich die neuere Sprache. Die älteste \iilgärgriechische Grammatik verfasste Nikolaos
Sophianos in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Sie wurde aus einer Pariser Hand-
schrift ediert von E. Legrand, Coli, de mon. N. S. vol. 2. Vgl. E. Legrand, Bibliogr.
hell. I Introduct. S. 187 — 194. — Die erste vom Verfasser selbst im Drucke veröffentlichte
vulgärgr. Grammatik ist das Werk des italienischen Jesuiten Girolamo Germano, Romae
1622. — Dann folgte das vortreffliche Buch von Simon Portius, Paris 1632. Eine neue
Ausgabe desselben mit reichhaltigem Kommentar und einer wertvollen Einleitung von
J. Psichari veranstaltete W. Meyer-Lübke, Paris 1889 (= BibL de l'ecole des hautes
etudes, 78 fasc). — Im Rufe eines wissenschaftlichen Werkes stand lange das jetzt ganz
veraltete und auch im historischen Teile imgenügende Buch von Mull ach, Granunatik
der griechischen Vulgärsprache, Berlin 1856. — E. Legrand, Grammaire grecque moderne,
Paris 1878. — Die praktischen Lehrbücher des Neugriechischen von A. Vlachos (Leipzig
1876), Jannarakis (Hannover 1877), Vincent undDickson (London 1879; in deutscher
Verballhomung von D. Sanders, Leipzig 1881) u. s. w. kommen für das Studium des
Mittehiilgärgriechischen nicht in Betracht. — Eine wissenschaftliche historische
Grammatik des Vulgärgriechischen ist noch ein Bedürfnis, dessen Erfüllung vor zehn
Jahren Karl Foy in Aussicht gestellt hat.
C. Beiträge zur Geschichte, Lautlehre, Morphologie, Etymologie und
Syntax des Vulgärgriechischen: Eine vollständige Aufzählung der Monographien ge-
hört nicht hieher; ich nenne nur das Wichtigste imd verweise für die übrige Litteratur
auf die Angaben in den unten genannten Schriften und auf die Zusammenstellung bei
G. Meyer, Griechi-sche Grammatik- (1886) S. XXXV f. — D. J. Maurophrydes, Joxiuiop
iaroQÜeg jrjg 'EX'ir^y. yXoiaar,g. Smyma 1871 (erst nach dem Tode des Verfassers gedruckt
und daher nicht genügend geordnet und abgerundet). — G. Morosi, Studi sui dialetti
Greci della terra d'Otranto, Lecce 1870. Dialetti Romaici del mandamento di Bova in
Calabria, Archivio glottologico 4 (1878) 1—116. Dieselbe Zeitschrift bringt demnächst eine
nachgelassene Arbeit des der Wissenschaft und seinen Freunden so plötzlich entrissenen
trefflichen Gelehrten. — M. Deffner, Neograeca, in Ciu^ius Studien 4 (1871) 231 — 322.
Von demselben eine Abhandlung über das Zakonische, Sitzungsber. d. Berliner Akademie
d. Wiss. 1875, 15 — 30; 176—195, und über die Infinitive in den pontischen Dialekten,
ebenda 1877, 191-230. Zakonische Grammatik, Beriin 1881 (unvollendet). Archiv für
mittel- und neugriechische Philologie, Athen 1880 (nur 1 Doppelheft). — Karl Foy, Laut-
system der griechischen Vulgärsprache, Leipzig 1879. Von demselben: Beiträge zur Kennt-
nis des Vulgärgriechischen. Bezzenbergers Beiträge 6 (1881) 220—230. Griechische Vokal-
studien, Bezzenbergers Beiträge 12 (1887) 38 — 75. T6 Cfiti],u(t nHy (eTiaQsuq:aTtxoiy xvmrw
cV rfi yeoeXXtjyixiJ yXwaar,, 'HfneQoXöyioy r^f 'jy<aok^g 1886 S. 207—216 und 1887 S. 148
396 Byzantinische Litteraturgeschichte. HI. Vulgärgriechische Litteratur.
bis 169. — G. N. Hatzidakis, MeXiirj inl rrjg viaq 'EkXtjviXTJ?, 'Ev 'Adi^vaig 1884. IIsqI
roSy (t7iaQe/Li(paTixwy Xeitpäfoty iy tfi vewreQff 'EXXt^yix^, 'HftegoXöyioy T7J<; 'JyctroX^g 1887
S. 132 — 148. Zui" rräsensbildung des Neugriechischen, Kuhns Zeitschrift für vergleich.
Sprachf. 27 (1882 — 85) 69 — 84. Zum Vocalismus des Neugriechischen, Kuhns Zeitschrift
30 (1890) 357—398. Zur Geschichte des Mittel- und Neugriechischen, Kuhns Zeitschrift
31 (1890) 103 — 156. Dazu zahlreiche durch eindringenden Scharfsinn und Gründlichkeit
ausgezeichnete Untersuchungen im 10. Bande des ^Adt^vaioy, im IlXnTCjy, im 1. und 2. Bande
des JsXtiov rijg iatoQixrjq xcd iSvoXoyix^g kiaigiag, im 1. und 2. Bande der 'J&rjyä, in der
Jubiläumsschrift der Universität Athen (Athen 1888) und anderswo. Eine Gesamtausgabe
dieser leider sehr zerstreuten und schwer zugänglichen Schriften würde dem Studium des
Yulgärgriechischen die reichste Förderung bringen. — K. Krumbacher, Beiträge zu einer
Geschichte der griechischen Sprache, Kuhns Zeitschrift für vergleich. Sprachf. 27 (1882 — 85)
481 — 545 (in der Einleitung eine Skizze der Geschichte der vulgärgriechischen Studien).
Nachtrag dazu, Kuhns Zeitschr. 29 (1888) 188 — 192. Ein irrationaler Spirant im Griechi-
schen, Sitzungsberichte der bayer. Akad. d. Wiss. 1886 S. 365 — 444. — Jean Psichari,
Essai de phonötique neo-grecque, M^m. de la sociät^ de linguistique 5 (1884) 349—393.
Essais de grammaire historique neo-grecque, 2 voll., Paris 1886 — 1889. Questions d'histoire
et de linguistique, im Supplement des 18. Bandes der Zeitschrift des IvXXoyog tpiXoXoyixög
in Konstantinopel. To laiiSv fiov, Athen 1888, gibt in Form einer Reiseschilderung eine
praktische Darstellung der neuvulgärgriechischen Phonetik, Morphologie, Syntax und des
Wörterbuches. Ein Verzeichnis der sonstigen Beiträge des geistreichen Gelehrten zur
vulgärgriechischen Sprache, Litteratur und Folklore findet man vor dem 2. Bande seiner
Essais de gramm. bist, nöo-grecque.
Erster Abschnitt.
Poetische Litteratur.
1. Lehr- und Gelegenheitsgedichte. Darstellung
vermischter Stoffe.
213. Spaneas. Unter diesem Namen geht ein vulgärgriechisches
Lehrgedicht, welchem die Rede des Pseudo-Isokrates /7(>öc ^j;.aoi7xor
als Grundlage diente. Dasselbe existiert in mehreren stark von einander
abweichenden Versionen, die verschiedenen Bearbeitern und verschiedenen
Zeiten angehören. Die älteste, vielleicht am p]nde des 11. Jalu'hunderts
entstandene Form enthält wohl das von Legrand herausgegebene Gedicht;
es zeichnet sich vor allen anderen durch Objektivität, vornehmen Ton und
gute Komposition aus. Ihm gegenüber stehen mehrere inhaltlich ver-
gröberte und sprachlich weniger ursprüngliche Versionen, in
welchen der enge Anschluss an Pseudo-Isokrates aufgegeben ist. Zu dieser
Gruppe gehört die Version der alten Venezianer Ausgabe, die des
Maurophrydes, die zwei von Wagner zu einem Gedichte kontaminierten
Stücke, die des cod. Neapel. III A a 9 und die der Handschrift von
Grotta Ferrata. Auch das von Legrand') unter dem Titel JiSa-pi
^oZ-ofiMirog nfQi tov ctvxov vioii '^Poßoäa herausgegebene Gedicht ist ein
Spaneasfragment der zweiten Gruppe. Gemeinsam ist diesen Bearbeitungen
ausser einer kleinen Einleitung die Anspielung auf bestimmte Privatver-
hältnisse, die geschwätzige Fassung und die bedenkliche Moralität der
väterlichen Ratschläge. Ganz für sich steht die Version des Oxforder
Codex, die zwar im Titel den Namen Spaneas enthält und die Form einer
väterlichen Mahnrede bewahrt, im übrigen aber wenig Aehnlichkeit mit
den Spaneasgedichten besitzt. Ueber den Verfasser scheint undurch-
dringliches Dunkel zu herrschen; bald wird das Werk einem gewissen
Spaneas zugeschrieben, bald dem Kaiser Alexios Komnenos, der es an
seinen Neffen Spaneas, den Sohn des Nikephoros Bryennios, oder
auch an seinen eigenen Sohn gerichtet habe. Vorerst bleibt selbst die
Frage unentschieden, ob Spaneas als Autor oder als Adressat der Ori-
ginalform des Gedichtes zu betrachten ist. Später scheint der Name
Spaneas, wie die Oxforder Version beweist, geradezu für paränetische
') Bibl. gr. vulg. I 11—16.
398 Byzantinische Litteraturgeschiciite. Itl. Vulgärgriech. Litteratur, 1. Poesie.
Gedichte typisch geworden zu sein. So schwach die ästhetische Beurteilung
dieses väterliche Mahngedicht finden mag, so bedeutend ist sein Wert für
die Geschichte der mittelgriechischen Sprache und Kultur. Wie die ritter-
lichen Lehren des Theognis und die kategorischen Vorschriften des alten
Cato den Geist ihres Zeitalters ausdrücken, so spiegelt sich im Spaneas
das byzantinische Wesen mit seiner Ränkesucht, seiner Scheu vor offenem
Handeln, seinem Misstrauen und seiner mit Frömmigkeit übertünchten
Frivolität. Wio sehr das Werk dem rhomäischen Geschmacke behagte,
beweisen die zahlreichen Bearbeitungen und Handschriften. Noch spät
vernimmt man einen Nachklang desselben Tones in den derben Lebens-
regeln des Sachlikis (s. § 231) und in den väterlichen Mahnworten des
Markos Depharanas (s. § 232). In der kunstsprachlichen Litteratur er-
scheint als Gegenstück zum Spaneas das salbungsvolle Moralgedicht des
Georgios Lapithes (s. § 207).
Ausgaben und Hilfsmittel: Zuerst erschien ein Spaneas in der Reihe jener
volksgriechischen Büchlein, welche seit dem Anfang des 16. Jahrh. in Venedig gedrackt
wurden : Ji&naxaXia naQcafeitxtj xvqov 'Ji.£^iov Kofivijvov rov Xeyo/nEfov, ^naysa. 'Eye-
TiTjai nagd XQiatocpÖQio no Zaysrio s. a. (ungefähr 1550). Vgl. E. Legrand, Bibliogr.
hell. I 285 f. — Ed. Maurophrydes, r.xXoytj S. 1—16 (480 Verse). — Ed. W. Wagner,
Carmina S. 1-27 (538 + 674 V.). — Ed. E. Legrand, Bibl. gr. vulg. I 1—10 (285 V.) —
Hauptschrift: J. Psichari, Le poeme ä Spaneas, Melanges Renier = Bibl. de l'öcole des
hautes etudes, 73. fasc, Paris 1887 S. 261 — 283. Vgl. desselben Essais de gramm. bist,
neo-grecque I (1886) 22; 217 f.
214. Theodoros Prodromos, der sich wegen seiner Armut in seinen
Bettelgedichten Ptochoprodromos nennt, ist einer der wenigen Autoren,
welche sowohl in der schriftsprachlichen als in der volksmässigen Litte-
ratur der byzantinischen Zeit eine Stelle beanspruchen. Ueber sein Leben
und seine zahlreichen Werke in der Kunstsprache ist § 197 gehandelt.
Der Vulgärsprache und des politischen Verses bediente sich Pro-
dromos in einigen Bettelgedichten, die nach Form und Inhalt zu den
merkwürdigsten Denkmälern des griechischen Mittelalters gehören. Ge-
meinsam ist diesen Erzeugnissen, die an unvergesslicher Originalität die
Verse des Spaneas und Glykas weit übertreffen, demütige Vertraulichkeit,
galgenhumoristische Selbstbetrachtung und realistische Derbheit. Im ersten
Gedicht (274 politische Verse) schildert Prodromos dem Kaiser Johannes
Komnenos (1118—1143) die unerträglichen Qualen seines ehelichen
Lebens. Alltäglich habe er von seinem Weibe die bittersten Vorwürfe
zu hören; niemals, so zanke sie, habe er ihr ein seiden Tuch um den
Nacken gelegt, nie ein hübsches Ringlein oder ein Armband geschenkt;
man verlache sie ob ihrer altfränkischen Tracht, da Herr Prodromos kein
modisches Gewand zur Stelle schaffe ; nie komme sie in ein Bad ; habe sie
einen Tag gegessen, so müsse sie zwei Tage hungern. Alle Mittel, die
der Arme versucht, um die Widerspenstige zu zähmen, bleiben vergeblieh;
zum Beweise schildert Prodromos dem Kaiser eines der Gewitter, die so
oft den Himmel seines ehelichen Glückes verfinstern: Er ergreift den
Besen, um die Gattin zur Vernunft zu bringen, sie entweicht und ver-
riegelt sich in eine Kammer; als er nun den Besen durch die Thürspalto
zwängt, entreisst sie ihm den Stiel, schmettert ihn zu I^oden und verhöhnt
ihn triumphierend. Endlich wird das Mahl zugerichtet; als nach langem
1. Lehr- und Gelegenheitsgedichte. Darstellnng vermischter Stoffe. (§ 214.) 399
Warten auch er, der Xährvater des Hauses, etwas von den Speisen zu
erhaschen sucht, ergreifen seine hoffnungsvollen Sprösslinge Stöcke und
Steine und werfen ihn die Treppe hinunter. Das Endziel, welchem diese
Satire auf das Elend eines Pantoffelhelden zusteuert, ist eine unverblümte
Bitte um Unterstützung: „Wenn Du also, Gebieter, Dich meiner nicht
erbarmst und die Unersättliche mit Gaben und Geschenken sättigst, so
zittere, bebe, fürchte ich, ich möchte vor der Zeit ins Grab sinken und
Du möchtest Deinen Prodromos, Deinen besten Höfling, verlieren." Im
gleichen Tone sind nun auch die übrigen Stücke gehalten.
Im zweiten Gedichte (117 V.) wendet sich Prodromos hilfesuchend
an einen Sebastokrator, wahrscheinlich an Andronikos Komnenos,
den zweiten Sohn des Kaisers Johannes. Zur Einleitung seiner Bitte be-
nützt er diesmal eine Aufzählung der mannigfaltigen Bedürfnisse seiner
Famüie und schliesst dann, ähnlich wie im ersten Gedichte, schleunig
möge ihm der Fürst beispringen, ehe er noch die Immobilien verzehre, zu
Boden stürze und sterbe. Das kurze Stück ist durch das wörterbuchartige
Verzeichnis der für ein byzantinisches Hauswesen nötigen Gebrauchs- und
Verbrauchsartikel für die Geschichte der Sprache und Kultur von erheb-
licher Bedeutung.
Das dritte Gedicht (655 V.) ist an Kaiser Manuel gerichtet und
enthält eine gramerfüllte Anklageschrift gegen zwei Aebte {xara
rjyovi.i£y(oi). Prodromos hat sich, um sein geplagtes Dasein in Ruhe zu
beschliessen, unter dem Namen Hilarion in ein Kloster zurückgezogen;
doch ist er hiebei vom Regen in die Traufe geraten. Mehr als fi'üher
durch sein Eheweib wird er jetzt von zwei Aebten geplagt; in dem Asyl,
das sich Prodromos erwählt, herrschen nämlich gegen alles Recht und Her-
kommen zwei Vorstände, „Vater und Sohn, ein scheusslich Paar, o gött-
liche Gerechtigkeit!" Dieses entmenschte Paar quält den armen Hilarion
durch Nörgeleien aller Art; sie drücken ihn durch lästige Aufträge, schmä-
lern ihm die Kost, verbieten ihm den Wein und sogar das erfrischende
Bad; sobald er sich muckst, fallen sie über ihn her. Daher bittet der
Dichter den Kaiser, ihn gegen die Anmassung der Aebte zu schützen und
sein Pönitentenleben zu erleichtern. Wenn Prodromos auch nach seiner
Gewohnheit die Farben etwas kräftig aufträgt, so schildert er doch treu
und lebenswahr, und einzelne Züge des von ihm entworfenen Bildes sind
noch im heutigen Basilianerkloster deutlich wiederzuerkennen.
Das vierte Gedicht (167 V.), das dem dritten wohl chronologisch
vorangeht, ist wiederum eine an Kaiser Manuel gerichtete Bittschrift. Als
Folie dient dem Dichter, der seinem Thema stets neue Seiten abzugewinnen
weiss, eine melancholische Schilderung der materiellen Unfruchtbar-
keit des wissenschaftlichen Studiums. Oft habe ihm sein Vater ans
Herz gelegt: „Studiere, mein Sohn; dann kommst Du zu Reichtum und
Ehren." Er habe den Rat befolgt und sei ein regelrechter Grammaticus
geworden; die Weissagung des Vaters aber bleibe unerfüllt, die Wissen-
schaft bringe ihm keinen Gewinn, und er verfluche den Tag, da er zum
ersten Male der Schule überliefert worden sei. Schuster und Schneider,
Bäcker und Metzgergesellen seien besser daran als er. Indem nun Pro-
400 Byzantinische Litteratnrgescliichte. III. Ynlgärgriech. Litteratnr. 1. Poesie.
dromos in launiger Breite eine Reihe von Gewerben mit dem Gelehrten-
berufe vergleicht, zeichnet er köstliche Bilder aus dem Geschäfts- und
Strassenleben im mittelalterlichen Byzanz. Inhaltlich verwandt mit diesem
traurigsten Klageliede, das die stets zur Armut verdammte Zunft der
Grammatiker je angestimmt hat, ist das Dramation des Plochiros (s.
§ 202).
Das dritte und vierte Gedicht sind in zwei Redaktionen er-
halten, die so stark von einander abweichen, dass Legrand mit Recht
beide in extenso mitgeteilt hat. Beim dritten Gedichte beschränkt sich
die Verschiedenheit auf redaktionelle Aenderungen der einzelnen Verse,
während Inhalt und Umfang gleich bleiben; beim vierten dagegen steht
neben einer kurzen, wohl ursprünglichen Version eine stark erweiterte
(397 Verse gegen 167). Beide Bearbeitungen der zwei Gedichte scheinen
von Prodromos selbst herzustammen; doch bedarf ihr gegenseitiges Ver-
hältnis noch der Aufklärung. Merkwürdig ist, dass Prodromos auch in
seinen Vulgärgedichten die Schriftsprache nicht ganz vermissen konnte;
doch verfuhr er hiebei anders als sein Zeitgenosse Glykas. Während
dieser zwischen die vulgärgriechischen Verse da und dort altgriechische
einschiebt, so dass ein sprachliches Mosaik entsteht, dient dem Prodromos
die herkömmliche Form der Kunstsprache zur Einrahmung seiner volks-
mässigen Erzählung, indem er sie in der Einleitung und im Epilog oder
wenigstens in einem dieser Teile anwendet.
1. Ausgaben: Zuerst edierte zwei Gedichte (je eine Redaktion des 3. und 4. Stückes)
Ad. Korais, 'Aiaxta, röfx. I, *Ei/ üagiaioig 1828, mit einem wichtigen Kommentar. —
Schlechter Abdruck dieser Ausgabe (ohne den Kommentar) von Maurophrydes, 'ExXoytj
S. 17—72. -- E. Miller, Melanges de philologie et d'epigraphie, Paris 1876 S. 129—171,
edierte das erste, zweite und vierte Gedicht (in der von Korais nicht mitgeteilten Redaktion)
mit einer französischen Uebersetzung von Legrand. Ein Abdruck dieser Ausgabe auch bei
E. Legrand, Coli, de monum. N. S. vol. 7, Paris 1875. — Gesamtausgabe der 4, bzw. 6
Gedichte von E. Legrand, Bibl. gr. vulg. I 38—124 (ohne Uebersetzung).
2. Hilfsmittel: Hauptschrift zur sprachlichen Erklärung ist noch immer der Kom-
mentar von Korais (s. 0.). — E. Miller, Un poöte de la cour des Comnenes, lu dans
la seance publ. annuelle des cinq academies le 28 octobre 1874 (nur eine Analyse der von
Miller herausgegebenen Gedichte). — J. Psichari, Essais de gramm. bist, n^o-grecque
I 19; 66; 120 ff. (zur Sprache und handschriftlichen Ueberlieferung des Prodromos).
215. Michael Glykas hat ausser seiner Weltchronik (s. § 63) ein
aus 581 politischen Versen bestehendes Gedicht hinterlassen, das zu den
ältesten Denkmälern des Vulgärgriechischen gehört. Der handschriftliche
Titel lautet: ^ti'xoi yqctfifiaTixov Mixar]X tov FXvxa, ovg ^ygaipe xaO^ ov
xatscxti^r^ xaiQor €x nQoaayysXiag xaigexäxov tiröq d. h. „Verse des Gram-
matikers Michael Glykas, welche er abfasste, als er auf die Anzeige eines
schadenfrohen Menschen hin gefangen gehalten wurde." Nach weiteren
Angaben im Gedichte selbst ist Glykas durch die Verleumdung eines Nach-
barn in den Kerker geraten. Der Gefangene bittet den Kaiser um Be-
freiung; es habe ein leidiges Missverständnis stattgefunden, das der
schleunigsten Aufklärung bedürfe. In khigendon Tönen schildert Glykas
das Elend, das er im Kerker zu erdulden habe. Doch lindot er trotz
seiner schlimmen Lage noch die Stimmung zu scherzhaften Vergleichen.
„Das Weib des Pfafifen hat einen Fehltritt begangen und das Ehelager
geschändet; den Pfaffen aber zieht man zur Verantwortung! Welch ein
1. Lehr- u. Gelegenheitsgedichte. Darstellung vermischter Stoffe. (§ 215—216.) 401
Missgeschick! Jene hat das Gesetz übertreten, diesen aber straft man.
Ist das nicht traurig, nicht zum Verzweifeln? Der Esel schlägt aus und
den Sack prügelt man, damit er artig werde" u. s. w. (V. 270 ff.). Warum
sich Glykas in einer so wichtigen Sache des volksmässigen Idioms
bediente, wissen wir nicht; doch lässt sich vermuten, dass Kaiser Manuel
für die Volkssprache, in welcher er ja auch von Ptochoprodromos Bitten
und Dankesworte entgegennahm, eine scherzhafte oder herablassende Vor-
liebe verraten hatte. Auch das Bedürfnis, möglichst eindringlich von Herz
zu Herz zu reden, mag bei der Wahl dieser seltenen Form mitgewii-kt
haben. ') Wie dem sei, Glykas vermochte den Ernst seiner Angelegenheit
nicht in Heiterkeit aufzulösen. Wenn man der Subscriptio des Gedichtes
glauben darf, schickte der Kaiser, der damals gerade in Kilikien weilte,
nach Konstantinopel den Befehl, den Gefangenen unverzüglich zu blenden.
Worin nun das so grausam bestrafte Verbrechen des Glykas bestand,
bleibt in ein ebenso undurchdringliches Dunkel gehüllt als die Schuld des
Dichters der Tristia. Die Abfassung des Gedichtes fällt wohl in das
Jahr 1156; denn die Bemerkung der Subscriptio über den Aufenthalt des
Kaisers in Kilikien bezieht sich höchst wahi'scheinlich auf die Expedition,
welche Manuel im Jahre 1156 persönlich geleitet hat.
Ed. pr. E. Legrand, Bibl. gr. Aiilg. I 18—37. Vgl. Introduktion S. 14 ff.
216. Die Geschichte von Ptocholeon oder von dem weisen, beohr-
feigten und geschorenen (d. h. unglücklichen) Greise, IIsQi xov ysqovrog
Tov (fQovii.iov f.iovT^oxovQ£{j.irovJ) Dcr reiche Leon verliert durch Einfälle
der Araber seine Habe und bittet daher seine Verwandten, ihn als Sklaven
zu verkaufen; seine Söhne bringen ihn zum Schatzmeister des Fürsten
in Konstantinopel und verkünden ihm, dass der Sklave kostbare Weisheit
besitze, die Menschen, das Geld, die Edelsteine und die Pferde kenne.
Der Kauf wird abgeschlossen. Der Greis, anfänglich nicht beachtet, legt
bald Proben seiner Weisheit ab. Von einem Edelsteine, den der Fürst
erworben hat, erklärt er, dass er nichts wert sei und einen Wurm in sich
berge; die Aussage bestätigt sich. Nun wird er besser gehalten und be-
kommt täglich statt eines Brotes zwei. Als der Fürst sich vermählen will,
offenbart ihm der Sklave, dass seine Braut schlechter Abkunft, die Tochter
eines Muselmannes sei; wiederum wird seine Rede als wahr erfunden.
Endlich bittet der König den weisen Ptocholeon, ihm nun auch das Ge-
heimnis seiner eigenen Abstammung zu enthüllen. Nach vergeblicher
Weigerung eröffnet der Sklave dem König, dass er nicht von seinem
legitimen Vater Peter, sondern von einem elenden Knechte erzeugt sei.
Der König verhört seine Mutter und erfährt, dass Ptocholeon die Wahrheit
gesprochen; er bittet ihn, das Geheimnis zu bewahren und überhäuft ihn
mit Glücksgütern. So ehrt Gott die weisen Menschen.
Der Charakter der ganzen Erzählung weist auf orientalischen, wahr-
•) Die vulgärgriechische Litteratur be-
sitzt noch ein zweites Werk, das einem
ähnlichen Anlasse seine Entstehung verdankt.
Der Kreter Sachlikis (16. Jahrh.) beschreibt
in der Einleitung seines zweiten Gedichtes
die Qualen seiner Kerkerschaft. S. § 231.
*) Zur Erklärung dieses seltsamen At-
tributs vgl. Ptocholeon (1. Version) V. 96 f.:
Handbuch der klasa. Altertumswissenschaft IX. 1. Abtlg.
xai nofiTisvsi xai xovQsvst
xal fiovTCotyfi' XI i^ooi^ei.
26
402 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vulgärgriech. Litteratur. 1. Poesie-
scheinlich indischen Ursprung. Aus einer älteren, wohl verlorenen byzan-
tinischen Bearbeitung desselben Stoffes schöpfte im 12. Jahrhundert Gautier
von Arras die Anregung zu seinem epischen Gedicht Eracles, von dem
auch eine deutsche Version existiert; dieser Eracles ist, obschon Gautier
die Erzählung nach abendländischer Sitte in Rom lokalisiert hat (s. § 269),
kein anderer als der byzantinische Kaiser Heraklios, für dessen Geschichte
auch einige Züge verwertet sind, die in der Osterchronik wiederkehren.
Aus einer ähnlichen Quelle stammt das russische Lied von Iwan, dem
Kaufmannssohne, und die türkische Erzählung „der weise Reisende und
der Bastardsultan " . Ebenso scheint die vulgärgriechische Geschichte des
Ptocholeon eine spätere Abzweigung jener von Gautier benützten byzan-
tinischen Quelle zu sein. Das Werkchen ist in drei sehr stark von
einander abweichenden Bearbeitungen erhalten, von welchen die
älteste 384, die zweite 939, die dritte, wohl erst dem 17. Jahrhundert
angehörige, 409 Verse umfasst; das Versmass ist in allen drei derselbe
trochäische Achtsilber, der aus der Ilias des Hermoniakos (s. § 248)
und anderen byzantinischen Werken bekannt ist. Die Vergleich ung der
drei Redaktionen ergäbe eine Fülle nützlicher Beobachtungen, weil sich
in ihnen die fortschreitende Veränderung der sprachlichen und kulturellen
Basis und die Methode, nach der solche Ueberarbeitungen älterer Werke
vorgenommen wurden, deutlicher als sonst widerspiegelt. Leider gebricht es
hier an Raum, um auf diese Erörterung wie auch auf andere Untersuchungen,
zu denen das merkwürdige Denkmal dringend auffordert, näher einzugehen.
1. Ausgaben: Die erste Version ed. aus cod. Pai'is. Gr. 390 E. Legrand, Coli,
de mon. vol. 19, Paris 1872, mit einer litterarhistorischen Skizze von Ch. Gidel (auch in
seinen Nouvelles ötudes S. 385—400). — Die zweite ed. aus cod. Vindobon. 297 W.
Wagner, Carmina S. 277 — 303. — Die dritte ed. aus einer Handschrift der griechischen
Schule in BvTiyTJ E. Legrand, Coli, de mon. N. S. vol. 1, Paris 1874 S. 257-285. —
Die zweite Version steht auch (mit bedeutenden Abweichungen von der Wiener Handschrift)
im cod. Neapol. lüAa 9 fol. 24*»— 84«.
2. Ursprung und abendländische Bearbeitungen des Stoffes: Dunlop,
Geschichte der Prosadichtung, übers, v. Liebrecht, Berlin 1851 S. 212. — Alessandro
d'Ancona, Romania 3 (1874) 164 f. — J. Perles, Frankels Monatsschrift für die Ge-
schichte und Wissenschaft des Judentums 22 (1873) 68 f. — A. N. Veselovskij, Arch.
slav. Phil. 3 (1878) 576 ff. — A. Schiefner, Mömoires de l'academie de St.-P«5tersbourg,
VII« s^rie, t. 22, no. 7 (1875) S. IV f. und 7. — Felix Liebrecht, Zur Volkskunde,
Heilbronn 1879 S. 203. — Georg Huth, Zeitsclir. f. vergl. Litteraturgesch. N. F. 2 (1889)
406 — 414. — Zu der deutschen Bearbeitung: Karl Goedeke, Grundriss zur Geschichte
der deutschen Dichtung I'' (1884) S. 84. — Zur französischen: Gaston Paris, La litt,
fran^aise au moyen äge, Paris 1888 S. 251 f. H. P. Junker, Grundriss der Geschichte
der französischen Litteratur, Münster 1889 S. 89 f.
217. Orakel Leos des "Weisen. Von den in der byzantinischen
Kunstsprache und im jambischen Trimeter abgefassten Orakeln, die unter
dem Namen des Kaisers Leo gehen (s. § 188), haben sich im spätem
Mittelalter vulgärgriechische Redaktionen in reimlosen trochäischen
Achtsilbern abgezweigt, die in der wachsenden Bedrängnis der Zeiten ein
begieriges Publikum fanden und einen lehrreichen Einblick in die von
trüben Ahnungen erfüllte Stimmung der letzten Jahrhunderte von Byzanz
gewähren. Natürlich wurden die schriftsprachlichen Originale nicht ein-
fach übersetzt, sondern durch Zusätze bereichert und nach dem wechselnden
Kindruck der politischen Lage umgearbeitet. Einige Gedichte, die zu dieser
1. Lehr- n. Gelegenheitsgedichte. Darstellung vermischter Stoffe. (§ 217 —219.) 403
Litteratur gehören, stehen im cod. Paris. 929 unter dem Titel: Ainyiia
Xs^emv AkOYTog xov ao(f(üTccrov. Die wichtigsten Ereignisse, die mehr oder
weniger dunkel angedeutet werden, sind die Eroberung von Konstantinopel
durch die Lateiner, die Restauration der Paläologen und die Einnahme
des „neuen Babylon" durch die Türken. Die Chronologie und das
genealogische Verhältnis dieser Poesien, die auch im Zusammenhange
mit der Orakelweisheit des Altertums studiert zu werden verdienten, sind
noch nicht genügend aufgeklärt. Das Verständnis der Texte wird durch
die geheimnisvolle Sprache und die allegorische Einkleidung ungemein
erschwert.
Ed. E. Legrand, Annuaire de l'assoc. 8 (1874) 150 — 192, mit einer Einleitung von
Ch. Gidel (auch in seinen Nouvelles etudes S. .303—312). — Wiederholt Coli, de mon.
N. S. vol. 5, Paris 1875. — Vgl. die Litteratur zu § 188.
218. Die Messe des Bartlosen. Der Titel dieses seltsamen Erzeug-
nisses lautet in der Wiener Handschrift: 'JxoXov&ta xov dvoaiov TQayoyevij
GTcavov Tov ovQiov xal e^ovQiov, j^ir^rl toi cciVm, ntovai sv erei iffero d. h.
Sequenz des unheiligen, vom Bock erzeugten Glattgesichtes, des Verrückten
und ganz Verrückten (?), in demselben Monate, voriges Jahr im Jahre
heuer. Der Zweck der unflätigen Satire ist die Verspottung der Bart-
losen, denen der griechische Volksglaube gerne verbrecherische Gesinnungen
und Thaten zuschreibt. Das ganze Stück, in dem die roheste Indezenz
herrscht, ist in die Formen einer gottesdienstlichen Handlung gekleidet
und gehört demnach in die Gattung der § 170 besprochenen Parodien.
Die Messe beginnt mit ^rixt^oä nach dem „vierten Querton' ; es folgen
ein 'AtioXvtixiv, verschiedene 'Qidai, ein Käd^iaua, ein Kovxäxi,^) endlich
ein ^wa^ägiov d. h. eine Legende in Prosa. Den Schluss bildet ein
IIooixoGviKfwrov d. h. ein AussteuerprotokoU, durch welches der Pfarrer
seine Tochter dem Bartlosen zur Frau gibt. Die Entstehungszeit des
rohen Pamphlets darf aus sprachlichen und andern Gründen ins 14., viel-
leicht noch ins 13. Jahrhundert gesetzt werden; doch sind die Spuren
einer späteren Ueberarbeitung erkennbar. Bei aller Grobheit gehört die
Messe des Bartlosen zu den interessantesten Werken der mittelgriechischen
Litteratur; sie enthält ein beachtenswertes, freilich noch nicht genügend
erklärtes Sprachmaterial und zahlreiche Anspielungen auf volksmässige
Vorstellungen und Gebräuche.
Ausgaben: Zuerst öfter als venezianisches Volksbuch (z. B. Venedig 1817), jedoch
in einer von dem Wiener Texte stark abweichenden Form. — Nach cod. Vindobon. 297
ed. pr. E. Legrand, Bibl. gr. vulg. H (1881) 28—47. Vgl. die Einleitung S. 24 ff.
Uebrigens hätte der Herausgeber das Stück (bis zur Legende) nicht als Prosa drucken
sollen; der metrische Charakter ist trotz mancher Verunstaltung des Textes noch völlig
deutlich erkennbar. Vgl. §§ 173 ff.
219. Religiöse Gedichte. Zur Erbauung des ungebildeten Volkes,
dem selbst die temperierte Schriftsprache der kirchlichen Gebete und Lieder
allmählich unverständlich geworden war, wurden religiöse Gedichte im
Vulgäridiom abgefasst, obschon die Kirche selbst an der Schriftsprache
festhielt. Zu den ältesten dieser Texte gehört das Gebet des Sünders,
^AiiuoToilov 7iaoäxXi]üiq (16 reimlose politische Verse), das vielleicht noch
') Ueber die Bedeutung dieser Ausdrücke s. § 176 und Christ, Antholog., Prolegomena.
26*
404 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vulgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
ins 12. Jahrhundert gesetzt werden darf. Die ersten drei Verse klingen
merkwürdigerweise wie ein modernes Volkslied (vgl. z. B. Passow,
Popularia carm. N. 157). Inhaltlich verwandt, in der Form aber der
Kunstsprache näher stehend, ist das Klagegedicht über Adam und
das Paradies, JSri'xoi ^Qi]vr^iixol ^Add^i xai Ttaqadfiaov (118 reimlose
politische Verse), in welchem ein Sünder ob seiner Missethaten mit sich
selbst zu Gerichte geht. Beide Stücke erscheinen wie das erbauliche
ABC als vulgärgriechische Reflexe der griechischen Hymnendichtung, von
der sie im Ausdruck und im Gedanken deutlich beeinflusst sind.
Ed. E. Legrand, Bibl. gr. vulg. I 17 und XI ff. — Vgl. § 222.
220. Trostgedicht. Aöyoc, TiaQrjYOQrjrixog negi evtvxi'occ xal 6vaTvxt«c
(776 reimlose politische Verse). Das mit dem allegorisch-moralisieren-
den Epos des Meliteniotes verwandte, anonym überlieferte Werkchen
richtet sich an alle Glücklichen und Unglücklichen. Der Dichter erzählt
das Schicksal eines unglücklichen Jünglings. Vom Unheil verfolgt, ver-
lässt er die Heimat, um im Kastron der Dystychia zu erfahren, von
welcher Art sie sei, und wie sie die Menschen quäle. Nach sechsmonat-
licher Wanderung trifft er einen jungen, rotgewandeten Mann, den
Chronos, der in seiner Hand das Buch der Glücklichen und Unglücklichen
hält. Von ihm wird er ermuntert, die Eutychia aufzusuchen. Er gelangt
in das Schloss des Chronos, das ähnlich geschildert wird wie die verschie-
denen Kastra in den Märchen- und Ritterromanen (s. §§ 255 — 257), erhält
ein Empfehlungsschreiben an die Dystychia, die seinen Namen aus ihrem
Verzeichnis auslöscht, und wird endlich von ihrer Schwester Eutychia in
Gnaden aufgenommen. Die Herkunft des Stoffes ist nicht bekannt; Lam-
bros erinnert an den Pinax des Kebes und hält das ganze W^erk für
eine Ueberarbeitung einer alten griechischen Volkssage.
Ed. pr. Sp. Lambros, Coli, de rom. gr. S. 289 — 321 (aus cod. Bodleianus 282).
221. Die „rhodischen*' Liebeslieder. Unter dem Titel ^ti'xoi negi
€Q(üTog xal ayänrfi ist in einer Handschrift des 15. Jahrhunderts (Addit.
mss. des British museum Nr. 8241) eine Sammlung von erotischen Gedichten
erhalten, welche von dem Herausgeber willkürlich ABC der Liebe (Al-
(f.(ißrjTog TT^g dyaTirjg) betitelt und jetzt auch unter dem konventionellen
Namen „rhodische Liebeslieder" bekannt ist. Leider ist das kleine Corpus
(707 reimlose politische Verse) in der einzigen Handschrift sehr übel zu-
gerichtet; der Abschreiber hatte ein lückenhaftes Original vor sich oder
er hat sein Original nicht treu wiedergegeben. Trotzdem lassen sich in
der ganzen Sammlung noch deutlich vier Lieder zyklen erkennen: 1. Den
Anfang bilden 11 nach den Buchstaben A bis M akrostichiseh geordnete,
abwechselnd von einem Jüngling und einem Mädchen gesungene Lieder
verschiedenen Umfangs, offenbar Trümmer eines Zyklus mit vollständiger
alphabetischer Akrostichis. 2. Darauf folgt eine Gruppe von 15 Disticlien
(nur zuletzt 1 Tristichon), in denen trotz mehrerer Lücken die alphabetisclie
Akrostichis A bisß erkennbar ist; sie enthalten keine Wechselrede, sondern
durchaus Liebesklagen eines Mannes. 3. Mit dem 27. Gedichte beginnt
das dritte llauptstück der Sunnnlung. Es besteht aus einer Erzählung
1. Lehr- u. Gelegenheitsgedichte. Darstellung vermischter Stoffe. (§220 — 221.) 405
und zwanzig eingestreuten Liebesliedern: Ein Jüngling liebt seit 2 Jahren
ein Mädchen und schickt ihr eine Erklärung; sie erwidert ihm, er sei noch
zu jung ; der Jüngling meint jedoch, auch die Kleinen verstünden zu lieben.
Xun sagt das Mädchen, 100 Liebesworte wolle sie von ihm erforschen und,
wenn er sie beantworte, ihn mit Küssen sättigen. Der Jüngling .,löst sich
die Yerse aus dem Herzen" und reiht sie ,wie eine Kette" aneinander.
Die Glieder dieser Kette sind die Zahlen von 1 bis 100; nach dem zehnten
Gedichte fühlt sich das Mädchen bezwungen und gibt dem Jüngling einen
Kuss; dann schenkt sie ihm einen Teil seiner Aufgabe, d. h. sie gestattet
ihm, nun mit den Zehnern (20, 30 u. s. w.) fortzufahren. Als schliesslich
das Mädchen dem Jungen nichts mehr versagt, fängt er an zu spotten.
Das ganze Werkchen ist also eine poetische Liebesnovelle, in welche
eine nachzahlen akrostichisch geordnete ') Liedersammlung ein-
gefügt ist. Leider ist auch dieser Komplex unvollständig überliefert.
4. Zum Schlüsse folgt eine Gruppe selbständiger, weder durch ein formales
noch durch ein inhaltliches Band verknüpfter Liebesgedichte.
Die bestimmten Erklärungen, welche W. Wagner über die Zeit
und den Ort der Entstehung des Corpus abgegeben hat, erweisen sich
bei einer näheren Prüfung als unzulänglich. Mit einiger Sicherheit lässt
sich nur sagen, dass die Sammlung nicht später als ins 14. oder in die
erste Hälfte des 15. Jahrhunderts gesetzt werden darf; triftige innere
Gründe, namentlich die Erwähnung der TovoxotiovXoi, des Kaisers und
eines Logotheten in Byzanz, auch die hohe Vorstellung von der Macht
und Unverletzbarkeit einer kaiserlichen Chrysobiille verbieten an die Zeit
nach dem FaUe des Reiches zu denken. Auch der Entstehungsort
bleibt unsicher, da sich aus der Anspielung auf Rhodos (32, 11) kein
Schluss ziehen lässt; doch weisen viele unverkennbare Anzeichen auf eine
Gegend, die eine fränkische Besatzung hatte und mit abendländischer
Sitte — und Unsitte durch lange Gewöhnung vertraut war. Der poe-
tische Wert der „rhodischen" Lieder ist über alle Zweifel erhaben; sie
gehören zu den besten und merkwürdigsten Erzeugnissen der gesamten
vulgärgriechischen Poesie.
1. Ausgaben und Hilfsmittel: 'A).(pdßr,toi; ttjs ayanrjs. Das ABC der Liebe.
Eine Sammlung rhodischer Liebeslieder zum erstenmaJe herausgegeben, metrisch übersetzt
imd mit einem Wörterbuche versehen von W.Wagner, Leipzig 1879. —.Besprechungen
von C. Bursian, Literar. Centralbl. 1880 S. 237 f., Gust. Meyer, Beilage zur allgemeinen
Zeitung 1880 S. 2123 und H. F. Tozer, The Journal of HeUenic studies 1 (1880) 308—313. —
Die glückliche Aufdeckung der Komposition des ganzen Corpus ist das Verdienst von E.
C. Holzer, Berliner philol. Wochenschrift 1885 S. 514 ff.; 545 ff. — Sprachliche und
textkritische Bemerkungen von C. Foy, Bezzenbergers Beiträge 6 (1881) 220—230. —
Italienische Uebersetzung von Vito Palumbo, Leipzig (mir nur durch die Erwäh-
nung in der Zeitschrift Le Museon 1 (1882) 620 bekannt). — Da der Herausgeber, der
den Zusammenhang der einzelnen Gruppen nicht erkannte, die ganze Sammlung alpha-
betisch ordnete und dabei die Reihenfolge der Komplexe und der Lieder völlig verwirrte,
kann der Text nur durch eine neue Ausgabe verständlich und lesbar gemacht werden. Der
tüchtige Neogräzist E. Emerson hat mir zu diesem Zwecke eine genaue Kollation der
Handschrift zur Verfügung gestellt.
2. Eine andere Sammlung i-ulgärgriechischer Liebeslieder {^(ouxd tgceyovdia), in
welcher ebenfalls ein Liebesalphabet vorkommt, ed. aus cod. Vindobon. 297 E. Le-
') Der Gedanke scheint völlig origi- i Litteratur ein zweites Beispiel einer arith-
nell zu sein; wenigstens ist mir aus keiner , metischen Akrostichis bekannt.
406 Byzantinische Litteratnrgeschichte. HI. Vulgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
grand, Coli, de mon. N. S. I (1874) 1—71. Auch hier finden sich manche wahr und tief
empfundene, echt volksmässige Stücke.
3. In einem cod. Marcianus des 16. Jahrhunderts steht eine Sammlung von Liebe s-
liedern im neucyprischen Dialekt. Die meisten derselben sind nichts anderes als
TJebersetzungen aus Petrarca, wobei sogar die Versmasse der Originale beibehalten sind.
Das kleine Corpus ist sprachgeschichtlich von Wert, indem es die von den Assisen,
Machäras und Bustrone eröfinete Reihe mittel- und neucyprischer Denkmäler fort-
setzt. Ed. E. Legrand, Bibl. gr. vulg. II 58—93 (nur eine Auswahl). Vgl. seine Ein-
leitung S. 64 ff.
222. Erbauliches ABC, 'jX(fäßrjtog xavawxuxog xal ipvxM(feXrjg
Tiegi Tov ixaiawv xoüf^iov tovtov, betitelt sich ein im cod. Vindob. 297 und
mit bedeutenden Abweichungen in cod. Montepessul. 405 anonym über-
liefertes Gedicht, das aus 24 fünfzeiligen Strophen mit alphabetischer
Akrostichis besteht (120 politische Verse mit sporadischer Anwendung
des Reimes). Den Inhalt bilden religiöse Unterweisungen über die Unbe-
ständigkeit des Irdischen, die Notwendigkeit der Busse und das jüngste
Gericht. Um die alphabetische Strophenreihe glücklich zum Ende zu
führen, wiederholt der Verfasser unablässig dieselben Gedanken in neuer
Form. Manche Wendung (z. B. V. 41) verdankt er der Kirchendichtung,
von welcher er im übrigen herzlich wenig gelernt hat. Doch hat auch
er seinen Nachtreter gefunden; V. 6 bis 8 des Alphabets sind von dem
Verfasser des Lebens in der Fremde (V. 431 ff.) mit einigen Modifi-
kationen adoptiert worden.
Ed. pr. W. Wagner, Carmina S. 242 — 247. — Von Werken der Kunstlitteratur ist
namentlich das 'AXcpaßijtäquov nävv wqishfioy zu vergleichen, das Chr. Walz, Arsenii Vio-
letvmi S. 515 ediert hat. — Zur Akrostichis vgl. § 178.
223. Mahngedicht an einen alten Bräutigam, Uegl yeqovxoq vd (.u]
naQn xoQiiai, ein anonymes, im cod. Vindob. 297 überliefertes, aus 198
gereimten politischen Versen bestehendes Machwerk, schildert im Tone
ernster Belehrung, die vor drastischer und ekelhafter Ausmalung des De-
tails nicht zurückschreckt, die schlimmen Folgen der Vermählung eines
Greises mit einem jungen Mädchen. Auch hier (V. 74 bis 79) spielt der
volkstümliche Charos eine Rolle (vgl. §§ 224 bis 227). Das Gedicht ent-
stand am Ende des 15. oder im Anfang des 16. Jahrhunderts und
zwar wahrscheinlich in Kreta.
Ed. pr. W. Wagner, Carmina S. 106-111. — Vgl. § 197, 11 (S. 364).
224. Die Verführung, ^Pr^fxätct xöqrp; xal viov d. h. Reimerei vom
Mädchen und Jüngling. Dieses im cod. Ambros. Y 89 sup. und weniger
vollständig im cod. Vindobon. 297 erhaltene, aus 198 politischen Reim-
versen bestehende Gedicht ist ohne Zweifel als eine echte Probe der
Volkspoesie des 16. Jahrhunderts zu bezeichnen. Dafür sprechen die
zahlreichen Anklänge an heutige Volkslieder, auch einzelne Züge wie die
Erwähnung des Charos (V. 74; 184). Das Gedicht schildert einen Vor-
wurf, für welchen man anderswo nicht die Muse, sondern das Strafgesetz-
buch zur Hilfe ruft, nämlich die Geschichte einer nächtlichen Vergewaltigung.
Nachdem der Jüngling das Mädchen mit dem Rechte des Stärkeren er-
obert hat, verspottet er sie, eine Hörzlosigkeit, die ganz ähnlich in den
„rhodischen Liebesliedern" wiederkehrt und wohl aus der realistischen
Auflfasßung der Liebe bei den Südländern erklärt werden muss. Die
1. Lehr- u. Gelegenheitsgedichte. Darstellung vermischter Stoffe. (§222—226.) 4,07
Sprache des Werkchens (z. B. eig iiiöv V. 154) scheint auf Kreta hin-
zuweisen.
Ed. pr. E. Legrand, Coli, de mon. N. S. I (1874) 21 — 35 mit französischer üeber-
setzimg. — Vollständiger nach der Mailänder Handschrift ed. E. Legrand, Bibl. gr. vnlg.
n (1881) 51—57.
225. Das Leben in der Fremde, Ileqi rijg ^evnsiag. In 548 reim-
losen politischen Versen, die der cod. Vindobon. 297 aufbewahrt, schilderte
ein poesieverlassener Anonymus, der Sprache nach (s. z. B. V. 19, 21, 346)
wohl ein Kreter, im 15. 16. Jahrhundert die Mühsale und Trübsale, so
ein Mensch in der Fremde erdulden muss. Der Verfasser wusste den
Vorwurf, der in neugriechischen Volksliedern häufig so glücklich behandelt
ist, nicht poetisch zu gestalten; sein Klagegesang gleicht einem poetischen
Karrussel, in welchem dieselben Gestalten immer aufs Neue an uns vor-
überschweben. Nachdem er sich in endlosen Wiederholungen, pathetischen
Ausrufen und überschwänglichen Gemeinplätzen erschöpft hat, verrät er
uns, dass er nicht theoretisch gesprochen, sondern sein eigenes, in der
Fremde schmerzlich verwundetes Herz ausgeleert hat. Im weiteren Ver-
lauf der Schilderung wird die Stimmung des Dichters immer trüber, bis
er sich zuletzt in ganz unverständlichen Klagen über die Nichtigkeit der
Welt und in bitteren Verwünschungen seines eigenen Daseins verliert.
Trotz aller Gedankenarmut und Formlosigkeit felüt es auch in diesem Ge-
dicht nicht an Spuren volkspoetischer Impulse; V. 359 und 372 ff.
spielen die Vögel als Boten eine ähnliche Rolle wie in der neugriechischen
Volksdichtung; V. 481 wird Charos als Totengott erwähnt; auch der Ge-
samtton wird von V. 300 an frischer und volksmässiger. So bewahrt
dieser Klagegesang als privater Reflex der alten Anschauung von der
Bitterkeit des Lebens in der Fremde ') seine Bedeutung für die
griechische Folkloristik; er verhält sich zu den Tragudia, die das Leben
in der Fremde und die Rückkehr in die Heimat besingen, ähnlich wie das
Gedicht auf den unersättlichen Hades (s. § 227) zu den heutigen
Charosliedern.
Ed. pr. K. N. Sathas, naydaiga vol. 22. 472—478. — Ed. W. Wagner, Carmina
S. 203-220.
226. Der Apokopos,^) das Werk eines seiner Person und Herkunft
nach nicht bekannten Dichters Bergadis^) (JfTrf pyaJ »-c) , schildert in
558 gereimten politischen Versen eine im Traume unternommene Hades-
fahrt. Den eigentlichen Vorwurf bildet eine Satire auf die üble Gewohn-
heit der Lebenden, die Verstorbenen zu vergessen. In der allegorischen
Einleitung ist die aus dem Barlaamromane entlehnte indische Parabel
von dem Manne, dem Drachen, dem Baume mit dem Bienenstocke und
den zwei Mäusen mit einer Modifikation verwerfet; der Baum bricht und
der Honignascher, d. h, der Dichter, stürzt in den Schlund des Drachen,
der, wie bei Pikatoros, mit dem Hades identisch ist. Der neue An-
') Ein mittelalteriiches Zeugnis dieser
Anschauimg enthält z. B. Belthandros V. 151 f.
2) 'AnöxoTiog heisst hier nicht ,abge-
Abendruhe*.
^) Vielleicht ist sein wahrer Name Ber-
nard; vgl. die neugriechischen Namen Mn$-
schnitten", sondern ,Zeit nach der Arbeit, j yuQd^s, Mnegyad^g u. s. w.
408 Byzantinische Litteraturgeschiclite. III. Vulgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
kömmling wird von den Schatten befragt, wie die Welt aussehe, ob noch
die Quellen rauschen und die Vögelein singen, ob noch Angehörige um
die Verstorbenen trauern. Diese Frage, das Hauptthema des Gedich-
tes, wird nun in ausführlichem Zwiegespräch erörtert. Einen merkwür-
digen Zug bildet die scharfe Polemik gegen die unersättliche Habsucht
der Mönche, Das Gedicht zeigt neben manchen Anklängen an neugrie-
chische Charoslieder eine unverkennbare Verwandtschaft mit italienischen
Poesien, namentlich mit Dantes Inferno. Doch ist eine abendländische
Quelle nicht nachgewiesen. Die Darstellung ist fliessend, malerisch und
häufig echt poetisch ; doch dürfte die Lektüre gerade wegen der urwüchsigen
Kraft der Diktion dem Anfänger im Vulgärgriechischen ungewöhnliche
Schwierigkeiten bereiten.
Ausgaben und Hilfsmittel: Zuerst als venezianisches Volksbuch, Venedig 1534,
1543 und öfter. — Ed. K. Legrand, Coli, de mon. 9 (1870) (nach dem Venez. Drucke
von 1667) und: Bibl. gr. vulg. II (1881) 94—122 (nach der Ausgabe von 1534 mit den
Varianten des cod. Vindobon. 297). Vgl. die Einleitung S. 66 ff. — Zu der indischen
Parabel: E. Kuhn, Der Mann im Brunnen, Festgruss an Otto von Böhtlingk, Stuttgart
1888 S. 68-76. — Vgl. die Litteratur zu § 268.
227. Johannes Pikatoros aus Rhethymne auf Kreta beschrieb
wahrscheinlich im Anfange des 16. Jahrhunderts in seiner heimatlichen
Mundart das Traumgesicht einer Hadesfahrt: fV'/ta ^Qrjvr^rixij eig tdv
nixQov xal axo^earov ''Aidrjv (563 gereimte politische Verse). Der Dichter
wird von einem schwarzen Manne in den Schlund eines furchtbaren Drachen
geschleudert; im Innern des Untieres angekommen sieht er, dass er sich
im Hades befindet; vor dem Thore kauert eine dreiköpfige Schlange;
Charos reitet auf ihn zu und fragt, warum er in den Hades gefahren
sei, ob er etwa den Weg verfehlt habe und noch hoffe, in die Welt zu-
rückzukehren. Der Unglückliche antwortet, er sei gekommen, um den
Thron, die Schlösser, die Länder und die Gefangenen des Charos kennen
zu lernen. Charos nimmt ihn auf sein Ross, und sie reiten gemeinsam
durch die schauerlichen Räume der Unterwelt. Mit einer Disputation über
die Ursachen des Todes und die Geheimnisse der Schöpfung bricht das
am Schlüsse verstümmelte Gedicht ab. Die merkwürdige Verquickung des
antiken Hadesbegriffes mit dem volksmässigen Charos und mit gelehrter
Theologie macht dieses poetische Seitenstück zu den Dialogen Timarion
(s. S. 193) und Mazaris (s. S. 210) für das Studium des neugriechischen
Volksglaubens höchst beachtenswert.
Ed. pr. W. Wagner, Carmina S. 224—241 (aus cod. Vindobon. 297).
228. Marino Falieri leiht seinen Namen zwei Versifikationen, die
im cod. Ambros. Y 89 sup. (16. Jahrh.) fol. 77»»— 99'» erhalten sind.
1. Das erste, in der Handschrift ohne Titel überlieferte Stück ist ein an
einen Freund gerichtetes religiöses Mahngedicht (283 politische Reim-
verse), in welchem Betrachtungen über die Vergänglichkeit des Irdischen,
über die Verwerflichkeit des weltlichen Lebens, über Tod. Sünde und Ikisse
in breiter Weise vorgetragen werden. Von den Derbheiten, welche sich
die lehi-hafte Muse eines Sachlikis und Depharanas gestattet, ist das
Gedicht völlig frei, es ermüdet aber durch die flache Allgemeinheit der
Gedanken und den Mangel eines lokalen oder zeitlichen Kolorits. In den
1. Lehr- u. Gelegenheitsgedichte. Darstellung vermischter Stofife. (§ 227—230.) 409
letzten zwei Versen nennt der Verfasser seinen Namen: 'ßg idenä Tfleiai-
^r^xsv Tj Qiiia Tov WaXiiqov | TcKfivri] zov fiiaho MaQTj, rot nccXaiov xov
yägov. 2. Eine in dialogische Form gefasste allegorische Traiimge-
schichte, ^larogia xal hraigo tov avysrsGTdrov uQxovrog xvQi'ov MaQivov
OaXitQov. Der Verfasser erzählt wie Pikatoros und Bergadis ein von
ihm selbst erlebtes Traumgespräch. Die Personen des Dialogs sind Falieri,
die Moera, Pothula (Sehnsucht) \md Athusa (Unschuld). Nachdem
Falieri mit der Moera ein längeres, ziemlich inhaltsarmes Zwiegespräch
gepflogen hat, erscheinen Pothula und Athusa. Der Dichter entbrennt in
begehrlicher Liebe zu Athusa und bestürmt sie mit heissen Werbungen,
wobei ihm Pothula getreulich beisteht. Athusa weist seine verführerischen
Worte standhaft zurück. Endlich schwört er ihr bei Christus und Maria
ewige Treue, verlangt aber eine Gegenleistung. Hier bricht die am Schlüsse
verstümmelte Handschi'ift ab. Auch dieses sonst ziemlich trockene Moral-
gedicht, ein später Nachzügler der allegorischen Dialoge des Tzetzes,
Plochiros, Philes, erhebt sich an einer Stelle, in der Schilderung der
Liebeswerbung des Falieri, unter dem Einfluss volkspoetischer An-
regungen zu warmer Empfindung und lebensvoller Darstellung.
Ueber die Person des Verfassers ist nichts bekannt; vielleicht ist
der berühmte venezianische Name nur Aushängeschild eines Anonjinus.
Jedenfalls aber gehören beide Gedichte demselben Autor; das beweist
nicht nur die Unterschrift des einen und die Ueberschrift des anderen
Stückes, sondern auch die unverkennbare Aehnlichkeit der Auffassung und
Darstellung, die sich bis auf die Wiederholung einzelner Wendungen (z. B.
yXvxonaxi fiov vaToi) erstreckt. Die Sprache beider Werkchen ist das
reinste Volksgriechisch, das man sich denken kann ; zu einer dialektischen
Bestimmung fehlt ein sicherer Anhalt; doch scheinen da^iäxi und 6ovf.iäxi
(fol. 96^; 99*) auf Kreta hinzuweisen. Die Ueberlieferung zeigt dieselbe
Verwakrlosung der Orthographie, welche die meisten Handschriften und
auch die Venezianer Drucke der griechischen Volksbücher des 16. Jahr-
hunderts für den Anfänger fast unzugänglich macht.
Proben beider Stücke ed. E. Legrand, Bibl. gr. vulg. H (1881) Einleitung S.62 ff. —
fär die von mir mitgeteilte Analyse des Inhalts habe ich die Handschrift selbst durch-
gearbeitet.
229. Manuel Sklavos, ein biographisch nicht bekannter Kreter, be-
schrieb in 284 gereimten politischen Versen, die er ^vf.i(foQC( t/;c KQr^Ttfi
betitelte, das furchtbare Erdbeben, welches im Jahre 1508 seine Hei-
matinsel verwüstete. Das Gedicht ist litterarhistorisch mit den Klage-
gesängen auf den Fall von Konstantinopel, auf die Pest von Rhodos
u. s. w, zu vergleichen. Der Verfasser erzählt in unbeholfener Weise
einzelne Episoden des Ereignisses; erst von V. 175 an gewinnt die Dar-
stellung durch das offenbar der Volkspoesie abgelauschte Motiv eines
Gespräches zwischen einem Fremden und der personifizierten
Kreta einige Lebendigkeit.
Ed. pr. W. Wagner aus cod. Vindobon. 297, Carmina S. 53—61.
230. Auf Venedig, Ek Bfreriav (84 reimlose politische Verse). Der
Verfasser dieses Lobgesanges auf die Lagunenstadt ist ein völlig unge-
410 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vulgärgriech.. Litteratur. 1. Poesie.
bildeter Mensch, der in naiver Weise sein Erstaunen über die Wasser-
strassen, die Märcuskirche und den Dogenpalast in verständliche Worte
zu kleiden sucht; dabei verrät er aber eine Unbeholfenheit, die in der
Geschichte des vulgärgriechischen Stils fast einzig dasteht.
Ed. pr. aus cod. Vindobon. 297 W. Wagner, Carmina S. 221—223.
231. Stephanos Sachlikis aus Kreta verfasste im Anfang des
16. Jahrhunderts in seiner heimatlichen Mundart einige durch die grobe
Realistik der Sprache und der Anschauung merkwürdige Gedichte. 1. Das
erste (365 gereimte politische Verse) enthält Ermahnungen an einen ge-
wissen Franciscus, den Sohn eines hochgestellten Freundes des Ver-
fassers. Namentlich warnt er ihn vor den gefährlichen Lastern der Nacht-
schwärmerei und des Würfelspiels. Den grössten Teil des Mahngedichtes
füllt die rohe Schilderung des listigen und habsüchtigen Treibens der
Buhldirnen. Das sittliche Moment mangelt vollständig; die Gründe, mit
denen der kretische Sokrates seinen Alkibiades auf die Bahn der Tugend
zu leiten sucht, sind rein praktischer Natur. Auf die wenig erbaulichen
Zustände, die unter den Venezianern in den Städten Kretas herrschten,
wirft das Machwerk ein grelles Licht. 2. Die schlimmen Erfahrungen, die
Sachlikis, der „Totengott der Buhldirnen " (Xägog xwv noXirixcöv), wie er
sich selbst nennt, seinem Franz über das Nachtschwärmen vermittelt,
scheint er in eigenster Person gesammelt zu haben. Denn in seinem
zweiten Gedichte (712 politische Verse, in welchen von V. 378 an der
Reim verwendet ist) schildert er die Drangsale, welche böse Weiber
über ihn gebracht haben. Ihretwegen schmachtet er im Gefängnisse, von
welchem aus auch sein Gedicht geschrieben ist. Sachlikis klagt über die
Unbeständigkeit seiner Freunde, die Leiden seiner Haft und die Rück-
sichtslosigkeit der Wächter, die ihm zum Hohne mit ihren Kumpanen
lateinische (d. i. italienische) Lieder singen; dann nennt er die Ursache
seiner Einkerkerung — Weiberbosheit — und beschert uns zum Schluss
eine langwierige Schilderung des Lebens der öffentlichen Dirnen in Kreta,
die an plumper Derbheit das im ersten Gedichte Gebotene noch weit
übertrifft.
Ausgaben: Das erste Gedicht ed. E. Legrand, Coli, de mon. vol. 15, Paris 1871
= Annuaire de l'assoc. 5 (1871) 201—242. — Beide Gedichte ed. W. Wagner, Carmina
S. 62—105 (nach cod. Paris. 2909 und cod. Montepessul. 409). — Vgl. Legrand, Bibliogr.
hell, n 262. — Noch unbenutzt ist cod. Neapol. III A a 9, der ausser dem ersten Gedichte
ein noch unbekanntes Werk des Sachlikis enthält {'Aqtrjytjatg na^ä^evt] xov laneivov
lax^^xtj xov iv Kqi]T[j; etwa 900 politische Reimverse).
232. Markos Depharanas aus Zante schrieb im Anfang des 16.
Jahrhunderts zwei Gedichte, die sich an Derbheit der Auffassung und
des Ausdruckes am besten mit den Werken des Sachlikis vergleichen
lassen. 1. Lehrgedicht eines Vaters an seinen Sohn, .^öyoi 6i6ax-
rixoi Tov naxQoq nqdq xov vlöv (788 gereimte politische Verse). Das Werk-
chen hat mit der Paränese des Sachlikis nicht nur die Gemeinheit der
Darstellung, sondern sogar mehrere Verse gemeinsam, wobei sich jedoch
vorerst nicht sicher sagen lässt, wer der Entlehner ist. Manche Züge
scheinen auf eine italienische Quelle hinzudeuten. 2. Die Geschichte
der Susanna, 'larogia ex im< zov Jayn]l Tiegi rrfi Sioaävvijg (376 gereimte
1. Lehr- u. Gelegenheitsgedichte. Darstellung vermischter Stoffe. (§231—235.) 411
politische Verse). Es ist wahrscheinlich eine dem Bedürfnis des Zeitalters
angepasste Bearbeitung eines älteren Originals. Dass dieser Stoff schon
früher poetisch behandelt wurde, beweist ein aus 80 reimlosen politischen
Versen bestehendes schriftsprachliches Gedicht, das im cod. Marcianus 408
erhalten ist.
Ausgaben: 1. Das Lehrgedicht ist nur in einem wegen seiner absoluten Inkor-
rektheit fast unlesbaren Venezianer Druck des Jahres 1543 erhalten, von welchem bis
jetzt 2 Exemplare bekannt geworden sind. Ich habe vor mehreren Jahren eine neue Aus-
gabe des sprachgeschichtlich und kulturhistorisch interessanten Werkes vorbereitet, für die
sich leider noch kein Verleger gefunden hat.
2. Geschichte der Susanna: Zuerst Venedig 1638, 1671 und öfter. — Ed. E.
Legrand, Bibl. gr. vulg. I 269 — 282. — Das erwähnte Susannagedicht des Marcianus ed.
E. Legrand, Bibl. gr. vulg. U 48 ff. Vgl. seine Einleitung S. 28 ff.
3. Vielleicht gehört dem Depharanas auch die gereimte Bearbeitung der Geschichte
Alexanders des Grossen, Venedig 1553. Vgl. E. Legrand, Bibliogr. hell. I 289.
233. Leonardos Phortios verfasste im Anfange des 16. Jahrhunderts
ein Gedicht über das Militärwesen, Hegi argaTicauxr^g TroayfxaTsiag
(912 gereimte trochäische Achtsilber). Der Verfasser, der sich auf dem
Titel ^Poii^iaTog und xö/^ir^g TTaXaxTvog nennt, ist seiner Person nach unbe-
kannt. Die Sprache seines Werkes erhält durch die starke Mischung einer-
seits mit Wörtern der Kunstgräzität, andrerseits mit italienischen Aus-
drücken ein merkwürdig buntes Kolorit.
Ed. pr. Venedig 1531. — Neudruck von E. Legrand. Coli, de mon. vol. 17,
Paris 1871.
234. Das Opfer Abrahams, ^H ^vaia rov 'AßQaäiti, ist eine Art
Mysterienspiel (1154 politische Reimverse). Religiöse Dialoge und geist-
liche Aufführungen sind aus der älteren byzantinischen Zeit sicher nach-
gewiesen (s. § 157); doch scheint das Opfer Abrahams mehr auf eine
italienische Quelle als auf ein byzantinisches Original hinzuweisen. Der
uns erhaltene Text, der von einem gewandten Stilisten herrührt, darf
jedenfalls nicht über das 16. Jahrhundert hinaufgerückt werden.
Ed. pr. ist wahrscheinlich der Venezianer Druck von 1535. Er wurde wiederholt
Venedig 1668, 1694, 1709 und öfter. — Neudruck nach der Ausgabe von 1535 von E.
Legrand, Bibl. gr. vulg. I 226—268.
235. Theologitos Moscholeos aus Kreta schrieb im Anfange des
17. Jahrhunderts ein Leben des hl. Xikolaos {Biog rov dyiov xal (xeyüXov
NixoXdov) in 268 politischen Reimversen. Das Werk ist wahrscheinlich
wie die Susanna des Depharanas nur Bearbeitung einer älteren Dich-
tung über dasselbe Thema, das auch in der lateinischen Poesie des
Mittelalters eine erhebliche Rolle spielt.
Ed. pr. Venedig 1626. — Neudruck von E. Legrand, Bibl. gr. vulg. I 321 — 329.
2. Sagenhafte und historische Dichtungen auf nationaler
Grundlage.
236. Allgemeine Erklärung. Wie im Abendlande so entstanden
auch bei den Byzantinern während des Mittelalters epische Volksdich-
tungen, in welchen die Thaten berühmter Helden, wichtige Episoden der
heimatlichen Geschichte und häufig wiederkehrende, durch die Kulturver-
bältnisse des Landes bedingte Familienereignisse in heroischen oder elegi-
schen Tönen besungen werden. Die epische Grundform dieser Werke
ist meistens mit dramatischen Elementen versetzt; der Gang der Er-
zählung wird durch kürzere und längere Dialoge unterbrochen, in welchen
die handelnden Personen ihre Gefühle, ihre Entschlüsse, ihre Erlebnisse
vortragen. Es ist dieselbe dramatische Beweglichkeit, deren ältester und
bester Vertreter Homer selbst ist und deren Spuren sich im griechischen
Volke trotz des völligen Unterganges der kunstmässigen Dramatik
niemals verloren haben. Diese byzantinischen chansons de geste, nach
alter Weise von wandernden Rhapsoden gesungen, verlieren ihren lokalen
Charakter und werden zum Gemeingut der Nation; nach und nach beginnt
man sie aufzuzeichnen; verschiedene Stücke werden zu einem Ganzen ver-
bunden. Leider wird hiebei die Frische des ursprünglichen Kolorits ge-
trübt, der echte Bestand durch Interpolationen erweitert und selbst die
sprachliche Form von den Regeln der Schule und von der kunstmässigen
Litteratur über Gebühr beeinflusst. Fast alle Handschriften mittelgriechi-
scher Volkspoesie zeigen die Spuren solcher Umarbeitungen.
Die Entstehungszeit der nationalen Gedichte ist wahrscheinlich
gleich der Lebensdauer des byzantinischen Volkes, die Orte, wo sie spielen
und wo sie verbreitet werden, sind so weit zerstreut als die Grenzen des
oströmischen Reiches, die Anlässe so mannigfaltig als die Geschichte dieses
grossen Organismus. Mit ihrer Ueberlieferung ist es leider schlimm
bestellt; einerseits sind die wenigen handschriftlich erhaltenen Stücke, wie
bemerkt, stark überarbeitet, andrerseits haben die endlosen Drangsale,
welche der 'gricchischsprechende Orient namentlich seit dem \'^. Jahr-
hundert zu erdulden hatte, und zuletzt die blutige Unterjochung durch
eine in Sprache, Sitte und Religion grundverschiedene Nation mit den
poetischen Volksstimmen des griechischen Mittelalters furchtbar aufgeräumt.
Nur der einsichtigsten Prüfung der litterarischen Uebcrreste und der Fort-
2. Sagenhafte u. historische Dichtungen auf nationaler Grundlage. (§236—237.) 413
Wirkungen des mittelalterlichen Dichtens bei den heutigen Griechen wie
bei den Völkern, die byzantinische Einflüsse erfahren haben, wird es ge-
lingen können, von dem Bestände und dem Wesen der byzantinischen
Volkspoesie eine genügende Vorstellung zu gewinnen.
Wie man die mittelalterlichen Poesien des Abendlandes nach Sagen-
kreisen geordnet hat, so lassen sich auch in der populären Dichtung der
Byzantiner und ihrer Nachkommen wenigstens einige Hauptgruppen er-
kennen. Am deutlichsten tritt diese Thatsache in der neueren Volksdich-
tung hervor, die mit der byzantinischen in Form und Gehalt enge ver-
wandt ist. Hier findet man einen Zyklus von Liedern, die sich auf den
Fall von Konstantinopel und den Tod des letzten oströmischen Kaisers
beziehen; eine andere Gruppe betrifft die Erober\jng von Trapezunt;
eine dritte den geheimnisvollen Bau der Brücke von Arta. Weit ver-
breitet ist ein Lieder kreis, der die Einnahme des „Schlosses der schönen
Frau" erzählt, eine Sage, unter der sich zweifellos ein historischer Kern ver-
birgt. Eine tragische Episode aus dem Leben Peters I von Lusignan
hat in Cypern die noch heute im Volksmunde lebenden Lieder vom Tode
der Arodaphnusa ^) hervorgerufen. In zahllosen Liedern wird die Wieder-
erkennung lange getrennter Ehegatten geschildert, auch die Heimkehr
des Mannes zu der Stunde, da sich die Frau eben wieder verheiraten
will. An der Spitze all dieser Liederkreise steht durch sein hohes Alter,
seine ungewöhnliche Verbreitung und seine hervorragende kulturhistorische
Wichtigkeit der Akritenzyklus.^)
Zur Charakteristik der mittelgriechischen Volksepen: Sp. Lambros, Coli, de rom.
gr. Introduction S. 7 S.
237. Basilios Digenis Akritas [BaaiXsiog JiY€vi]q 'Axq(rac) ist der
Held einer nach ihm benannten volksmässigen Dichtung, welche als das
wahre Nationalepos der Byzantiner bezeichnet werden kann. Den
Namen Digenis, der „Z wiegeborene " erhielt er, weil sein Vater ein Heide,
seine Mutter eine Griechin war; 2) Akritas (axotrceg oder axgCrr^g yon axQct
die Grenze) ist der byzantinische Ausdruck für die Verteidiger der äusser-
sten Grenzen des Reiches. Die Akriten genossen eine vom Hofe halb un-
abhängige Stellung, welche von Sathas treffend mit der eines Markgrafen
verglichen worden ist. Vornehmlich entfalteten sie ihre Thätigkeit an den
weit vorgeschobenen Süd- und Ostgrenzen des Reiches, vom zerklüfteten
Bergland des Kaukasus bis an die lachenden Ufer des Euphrat und die
sandigen Gestade des roten Meeres. Hier wurden Friede und Sicherheit
unablässig gestört teils durch die Einfälle der Mohamedaner, teils
durch die sogenannten Apelaten. Dieses Wort bedeutet ursprünglich den
Viehwegtreiber, dann überhaupt den Wegelagerer, den Räuber im grossen
Stil, den mit einem romantischen Schimmer umkleideten Verächter der
staatlichen Ordnung und Ruhe. Die Apelaten sind für Byzanz in ähnlicher
•') Ch. Gidel, La chanson d'Arodaph- i tungen aufführen,
nusa, Nouvelles etudes sur la litt. gr. mod., j ») So nennt auch Paehymeres I 309, 14
Paris 1878 S. 445—475. ed. Bonn, die Gasmulen d. h. die Kinder
*) Wir werden in diesem Kapitel ausser einer griechischen Mutter und eines lateini-
den eigentlichen Volksepen auch die histo- sehen Vaters diyeyeTs.
rischen und chronikenartigen Dich-
414 Byzantinische Litteraturgeschichte. Ilt. Vnlgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
Weise kulturhistorische Signatur, wie etwa die Raubritter für unser
Mittelalter, wie die Klephten für die Zeit der Türkenherrschaft in Grie-
chenland. Die langwierigen, selten unterbrochenen Kämpfe, welche die
byzantinischen Grenzsoldaten im fernen Osten des Reiches mit Ungläubigen
und Apelaten führten, bilden die kulturhistorische Grundlage der
Akritensagen. Die Geschichte des Digenis selbst spielt, wie sich aus
verschiedenen Andeutungen des Gedichtes mit Sicherheit ergibt, um die
Mitte des 10. Jahrhunderts in Kappadokien und in der Gegend
des Euphrat; doch wäre es verfehlt, alle im Epos vorkommenden Per-
sonen und Ereignisse näher zu bestimmen und mit historischen Ueber-
lieferungen zu verknüpfen. So zweifellos das Akritenepos einen geschicht-
lichen Untergrund besitzt, so schwankend wird der Boden, wenn wir das
Gedicht im einzelnen als ein historisches Denkmal verwerten wollen. Die
historische Ausdeutung des Details wird hier ebensowenig gelingen als
etwa im Rolandsliede oder in den Romanzen des Cid, jenen zwei
abendländischen Werken, welche mit dem Akritenepos in Stoff, Anlage und
Geschichte am nächsten verwandt sind.
Basilios Digenis ist der Sohn des syrischen Emirs Musur und
einer Tochter des Andronikos Dukas, welche jener bei einem Ueber-
falle geraubt hat. Ihre fünf Brüder forderten sie vom Emir zurück; der-
selbe trat jedoch zum Christentum über und vermählte sich mit der ge-
raubten Tochter aus fürstlichem Geblüte. Der Sohn, den sie ihm schenkt,
entwickelt sich körperlich und geistig mit wunderbarer Schnelligkeit. Im
Alter von zwölf Jahren besteht Digenis schon gefährliche Jagdabenteuer;
alsbald sucht er die Apelaten auf und erschlägt eine Menge von ihnen mit
seiner Keule. Auf einem seiner Züge gewinnt er die Liebe der schönen
Eudokia aus dem Geschlechte der Dukas; als ihm der stolze Vater ihre
Hand verweigert, gebraucht er dasselbe Mittel, wie einst sein Erzeuger,
er entführt die Geliebte und spielt den Verfolgern übel mit. Schliesslich
erfolgt Versöhnung und fröhliche Hochzeit. Auf allen seinen Unterneh-
mungen begleitet nun den Digenis die jugendliche Gattin. In Kappadokien
trifft er mit Kaiser Romanos (womit wohl Romanos Lakapenos [912
bis 944] gemeint ist) zusammen, der ihn mit Ehren überhäuft. Merkwürdig
und echt volkstümlich byzantinisch sind zwei Episoden, in welchen ge- ,
schildert wird, wie Held Digenis trotz seiner treuen Gattenliebe der Ver-
suchung anderer weiblichen Reize unterliegt, jedoch der schönen Eudokia
mit grosser Schlauheit seine Fehltritte zu verheimlichen weiss. Nach viel-
fachen Abenteuern zieht sich der Akrite mit Eudokia an den Euphrat
zurück, wo er sich einen fürstlichen Wohnsitz gründet. Im Alter von
33 Jahren verfällt er in eine schwere Krankheit und stirbt; nach einer
Version presst er seine Gattin beim letzten Lebewohl so heftig an sich,
dass sie erstickt. Das ist der durch mancherlei Episoden ausgeschmückte
Kern des Epos vom Digenis Akritas.
Wie die älteren Lieder aus dem Kreise des Roland und Cid, so sind
auch die ursprünglichen Formen des Digenisgedichtes verloren. Da-
gegen besitzen wir nicht weniger als vier Epopöen, in welchen Digenis-
licder von verschiedenen Bearbeitern zu einem Ganzen verschmolzen sind.
2. Sagenhafte und historische Dichtungen auf nationaler Grundlage. (§237.) 415
Zuerst wurde dieses vor kurzem noch gänzlich unbekannte Denkmal der
byzantinischen Volksdichtung in einer am Anfang und Schluss verstüm-
melten Handschrift des 16. Jahrhunderts im fernen Trapezunt aufge-
funden (3182 politische Verse). Nachdem durch die Veröffentlichung dieses
Gedichtes die Aufmerksamkeit der Gelehrten auf den Gegenstand gelenkt
war, wurden bald noch mehrere Handschriften bekannt, eine des 14. Jahr-
hunderts in Grotta-Ferrata, von der erst einige Bruchstücke ediert sind,
eine des 16. Jahrhunderts auf der Insel Andros (4778 Verse), endlich
eine des 17. Jahrhunderts in Oxford (3094 Verse). Als Bearbeiter der
in der Handschrift von Andros erhaltenen Version nennt sich ein ge-
wisser Eustathios; die der Oxforder Handschrift, die sich von den
übrigen durch die Anwendung des Reimes unterscheidet, ist von dem
Mönche Ignatios Petritzis in Chios im Jahre 1670 vollendet worden.
Die zwei übrigen Bearbeitungen sind anonym überliefert; aber auch in
der von Trapezunt erkennt man deutlich die Hand eines Dichters, der
den in einzelnen Liedern umlaufenden Stoff zu einer fortlaufenden Erzäh-
lung verband und dabei leider den frischen Ton der Originale, der noch
in manchen der heutigen Akritenlieder vernehmlich nachklingt, durch das
Bestreben, den Anforderungen der Schule, der Kii'che und — seines eigenen
üblen Geschmackes gerecht zu werden, sehr wesentlich getrübt hat. Sein
griechisch-orthodoxer Standpunkt tritt in theologischen Exkursen und Bibel-
zitaten mehr als erwünscht hervor; daneben bekundet er einige populäre
Kenntnis der alten Litteratur, verwendet mythologische Vergleiche und
nimmt sich sogar den Homer zum Vorbild, i) Ebenso hat die Version von
Grotta-Ferrata, soweit sich aus den bis jetzt bekannt gewordenen Proben
schliessen lässt, durch die Verwässerung eines poesieverlassenen Pedanten,
der dem Werke sogar ein Proömion in schlechten byzantinischen Trimetern
vorausschickte, schweren Schaden genommen.
Noch muss ausdrücklich betont werden, dass die Echtheit dieser
mittelalterlichen Epen über allen Zweifel erhaben ist. Solange nur eine
Handschrift bekannt war, mochte man sich im Hinblicke auf die berüch-
tigten Fälschungen eines Simonides und anderer etwas skeptisch ver-
halten — obschon ein Fälscher schwerlich auf die Herstellung eines so
späten und so wenig gewinnversprechenden Werkes verfallen wäre; nach-
dem sich aber Versionen des Digenis auch in anderen Handschriften ge-
funden haben, und zwar zum Teil in solchen, die längst zum anerkannten
Besitze alter Bibliotheken gehören, darf auch der letzt« Zweifel als be-
seitigt gelten. Um so merkwürdiger ist nun folgende Thatsache: Schon
lange vor der Entdeckung der mittelalterlichen Epen kannte man
moderne Volkslieder aus der Gegend von Trapezunt, aus Kappadokien
und selbst aus Cypern, in welchen einzelne Episoden desselben Sagen-
Btoffes erzählt werden. Mehrere derselben waren längst in den Samm-
lungen neugriechischer Volkspoesien von Passow u. a. herausgegeben,
andere sind nach der Veröffentlichung der Handschrift von Trapezunt ge-
druckt worden, und ihre von Tag zu Tag wachsende Zahl lässt die un-
') A. Eberhard a. unten a. 0. S. 5,
416 Byzantinische Litter aturgeschichte. III. Vnlgärgriech. Litteratnr. 1. Poesie.
geheuere Verbreitung dieses volkstümlichen Stoffes immer deutlicher er-
kennen. Ein Sagenkreis, dessen erste Wurzeln in eine längst entschwundene
Kulturepoche zurückgehen, hat sich also mit jener wunderbaren Zähigkeit,
mit der die Griechen auch ihre Sprache, ihre Sitten und Gebräuche er-
halten haben, bis auf den heutigen Tag fortgepflanzt, nicht auf litterari-
schem Wege, sondern im lebendigen Munde des Volkes selbst. End-
lich erfuhr man durch russische Gelehrte, dass der Akritenstoff auch in
die Volkspoesie der sarmatischen Steppen gedrungen und dort in
mehreren Uebertragungen oder Nachahmungen verbreitet ist — eine That-
sache, die bei dem unbezweifelten Einflüsse der byzantinischen Religion,
Kultur und Litteratur auf das barbarische Reich der „Skythen" nicht mehr
auffallen darf als das Vorkommen byzantinischer Miniaturen in altslavi-
schen Handschriften oder die Existenz byzantinischer Sprichwörter bei den
heutigen Russen (vgl. S. 25 ff.). Der Uebergang der Erzählung in die
russische Litteratur erfolgte wahrscheinlich durch Vermittelung südslavi-
scher Uebersetzungen, deren Spuren noch in einzelnen Wörtern und Aus-
drücken des russischen Textes „Die Thaten und das Leben des Deuge-
niusAkritas" zu bemerken sind. So ist ein Sagenkreis aufgedeckt worden,
der für den Orient nicht weniger Bedeutung hat als die längst bekannten
grossen Sagenkreise des Mittelalters für das Abendland. Cid, der grosse
Held des europäischen Westens, „el mas famoso Castellano", hat im
äussersten Ostwiukel der mittelalterlichen Kulturwelt ein merkwürdiges
Gegenstück erhalten. Durch das Studium des Akritenepos, aus dem uns
nach all der staubigen Schulweisheit endlich einmal der frische Duft des
Waldes entgegen weht, eröffnen sich auch neue Gesichtspunkte für das
Verständnis der byzantinischen Kultur, die bisher viel zu ausschliesslich
nach den unerfreulichen Erzeugnissen trockener Gelehrsamkeit und dogma-
tischer Polemik beurteilt worden ist.
An die wissenschaftliche Forschung richtet der Digenis Akritas
noch eine Reihe wichtiger Fragen. Nicht einmal die Entstehungszeit
der uns erhaltenen Versionen (mit Ausnahme der des Petritzis) ist fest-
gestellt. Die Handschriften bieten wenig Anhalt, da sie einer späten Zeit
(dem 14., bzw. 16. Jahrh.) angehören. Mit Sicherheit lässt sich aber schon
jetzt sagen, dass keine Version in die Zeit hinaufreicht, in welcher die
Ausbildung der Akritensage selbst stattfand. Um eine genauere Unter-
suchung dieser Frage wie auch des genealogischen Verhältnisses der
verschiedenen Formen des Gedichtes zu ermöglichen, müsste zunächst noch
die Handschrift von Grotta-Ferrata vollständig veröffentlicht werden. A\^
weitere Aufgabe, deren Grundlinien von Sathas, Legrand, Lambros.
Veselovskij, Rambaud u. a. schon gezogen worden sind, ergibt sicli
dann eine erschöpfende Darstellung der Geschichte und Verbreitung
des gesamten Akritenzyklus, wobei ausser den litterarisch überlieferton
Gedichten die noch heute im Munde des Volkes erhaltenen Lieder nebst
den slavischen Reflexen zu verwerten und selbst so weit abgelegene Dinge
wie die Lenorensage, deren Zusammenhang mit dem Akritenkreise übri-
gens noch nicht sicher erwiesen ist, zu vergleichen sein werden.
1. Ausgaben: Version von Trapezunt: Edd. K. Sathas et E. Legrand, Gull.
2. Sagenhafte und historische Dichtungen auf nationaler Grundlage. (§ 237.) 417
de mon. N. S. vol. 6, Paris 1875, verbesserungsbedürftiger Text mit französischer Ueber-
setzung, einem Glossar mid einer ausführhchen Einleitung, in welcher die Bedeutung des
Epos zum erstenmale nachgewiesen ist. — Zweite Ausgabe derselben Version von Sabbas
Joannides, Konstantinopel 1887, mit einer Einleitung über die Geschichte des Epos und
mehreren modernen AkritenHedem. — Version des Petritzis: Ed. Sp. Lambros, Coli,
de rom. gr. 111 — 237 mit Glossar; vgl. Introduct. S. 88 ff. — Version von Andres: Ed.
Ant. Miliarakis, Athen 1881, mit kurzer Einleitung, Glossar und Facsimile der Hand-
schrift. — Version von Grotta-Ferrata: Einige Proben ed. Sp. Lambros a. a. O. In-
troduct. S. 90 ff.; eine vollständige Ausgabe versprach Jos. Müller. — Moderne Akriten-
lieder: E. Legrand, Coli, de mon. N. S. vol. 1, 182 ff.; s. auch seine Chansons populaires
grecques, Paris 1876 S. 18. — Manche moderne Lieder auch in den zahlreichen Samm-
lungen neugriechischer Volkslieder, in den Einleitungen der Ausgaben des Digenis Akritas
und in den unten angeführten Hilfsmitteln.
2. Hilfsmittel: Die Ausgabe von Sathas-Legrand rief zahlreiche ausführhche Be-
sprechungen und kritische Referate hervor; die wichtigsten schrieben: K. Paparrigopulos,
Jittiy vom 21. Aug. 1875. — Sp. Lambros, 'A&ijyaioy 4 (1875) 173 — 189 (mit vielen
Emendationen). — E. Miller, Journal des savants 1876 S. 18 — 32. — A. Rambaud,
Revue des deux mondes v. 15. Aug. 1875. — W. Wagner, Literar. Centralbl. 1876
S. 16 ff. — K. Bursian, Jenaer Literatm^eitung 1876 S. 695. — Ausserdem beziehen sich
auf das Akritenepos und den Akritenzyklus : A. Sakellarios, KvnQiaxä 111 (Athen 1868)
273. — K. Sathas, Msatamv. ßißkiod: II (1873) S. fis -y (cj-prische Akritenheder). —
Beruh. Schmidt. Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder, Leipzig 1877S. 37— 40. —
Ch. Gidel, Nouvelles etudes sur la litt. gr. moderne, Paris 1878 S. 291—302. — Alfr.
Eberhard. Leber ein mittelgriechisches Epos, Verhandlungen der 34. Philologenversamm-
lung zu Trier, Leipzig 1879 ; eingehende Analyse der Version von Trapezrmt und Unter-
suchimg der historischen Grundlage des Gedichtes. — A. Luber, Digenis Akritas, Progr.
Salzburg 1885; kurze Nacherzählung mit einzelnen Proben einer Uebersetzung ins
Deutsche.
Beziehungen des Digenis zur slavischen Volkspoesie und zur Lenorensage:
Hauptschrift: A. N. Veselovskij, Röttgers Russ. Revue, Band 6 (Petersburg 1875)
539 — 570. Desselben Verfassers Abhandlung im Viestnik E\Topy, Petersburg, April 1875
(Russ.) ist mir unzugänglich. — A. Rambaud, La Russie epique, Paris 1876 S. 421- 428. —
W. Wollner. Der Lenorenstoff in der slavischen Volkspoesie, Arch. slav. Phü. 6 (1882)
239 — 269. — J. Psichari, La ballade de Lenore en Grece, Revue de l'histoire des reli-
gions 9 (1884) 27 — 64. — Gegen Wollner und Psichari wendet sich N. Politis, Td
drjuotixoy äaua nsol zov ysxgov uSsX(fov. JeXrioy XTJg iaroQ. xcci e&yoXoy. er. Ttjg 'EXXädog
n '(1885 -1889) 193—261; Nachtrag S. 552-557. — Gegen PoUtis endlich sprachen J.
Girard, Joum. des Savants 1886 S. 143 — 152 und W. Mever-Lübke, Deutsche Litte-
raturzeittmg 1886 S. 1197 ff. — V. Jagic, Arch. slav. Phil. 7' (1884) 89 f. — M. Gaster,
Greeko-Slavonic, London 1887 S. 105 ff. — K. Krumbacher, Ein Problem der verglei-
chenden Sagenkunde und Litteraturgeschichte, Zeitschrift f. vergl. Litteratiu-gesch. 1 (1887)
214 — 220, wo auch die sonstige neuere Litteratur zusammengestellt ist.
Selbst zur Tellsage scheint imser Digenis Beziehungen zu haben, wenn anders
nicht der Name Digenis überhaupt im Orient für einen tapferen Helden typisch geworden
ist. Ueber eine siebenbürgisch-bulgarische Sage, in welcher ein Held Digenis
unter ähnlichen fmständen wie Teil als Apfelschütze auftritt, berichtet G. v. Wlislocki,
Zeitschrift für deutsche Philologie 22 (1889) 103—106.
3. Akriten undApelaten: Die Akriten sind die Nachkommen der römischen
milites limitanei; verwandt mit ihnen sind die milites claustrini, die Passver-
teidiger, die im byzantinischen Zeitalter als xXeiaovQÜQ^ca {xXsiaovQa Klamm, Kluft, Pass)
eine wichtige Rolle spielten. Konstantin Porphyrogennetos beschreibt in seinem
Werke De caerimoniis (1 489, 6 ff. ed. Bonn.) eine der wichtigsten Funktionen der Akriten.
Wenn der Kaiser sich in die unwirtlichen Gegenden der äussersten Grenzgebiete begab,
so wurde das gewöhnliche Hofgefolge durch mehrere Abteilungen von je 500 Akriten er-
setzt: Ore 6e tcnoßüXn 6 ßaaiXsvg sig rüg iorjuovg, ovte t] xöqxt] TigoXaußäyei, ovre rä
ßaaiXixd ngtr/ficera, ovTS tiXXov Tiyog oioydijnoTS ngiiyua, nXrjy ovg s^bi ogiaeiy 6 dgovy-
yägiog TTJg ßiyXrjg und -ngocKigBOig xov ßaoiXe'wg ex xwy &ejuehcoy, ngotfvXÜTTovai xai Titgi-
naxovai s/nngoa^ey xov ßaaiXewg wg €cn6 /uiXiwy dvo uxgixai qc', tcy&gsg i^wnXtautyoi, xni
exsgoy Se'fia, oioy oglaei, t'ya wai nXccyiotpvXaxeg (og ceno ifiaaxtj/nctxog xov ßccaiXswg iniXiioy
dvo. xni i'xjga 6vo &efiux(t, out ögiati 6 dgovyyägiog xijg ßiyXijg ix TTgoaxägSiog xov ßaai-
Xiwg. l'ya oiaiv oniaSocfvXaxsg. Schon im 12. Jahrhundert war ein durch Stärke und Tapfer-
keit besonders ausgezeichneter Akrite, der mit dem Helden unseres Gedichtes jeden-
falls identisch ist, eine populäre Figur geworden und das Wort 'Axgixtjg wurde wie ein
Eigenname zur Bezeichnung eines bekannten Helden angewendet. Das beweisen zwei
Handbuch der klas8. Altcrtumswi.ssenschaft. IX. 1. Abtl(>. 27
418 Byzantinisohe Litteraturgeschichte. III. Vulgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
Stellen in den Gedichten des Ptochoprodromos (s. § 214); in dem Gedichte gegen die
Aebte V. 180 (S. 58 ed. Legrand) äussert Prodromos den frommen Wunsch, ein anderer
Akrites möchte die bösen Aebte seines Klosters züchtigen: xal rig 'Ax^br^g eregog ixer yd
ßQs'&T] röre, und in der zweiten Redaktion desselben Gedichtes V. 546 a (S. 96 ed. Legrand)
nennt der Dichter den Manuel Komnenos einen neuen Akrites: Toy noXefiuQxt^y roy
aiBQQov, Toy yeoy röy 'Axgixijy. Sonst habe ich den Akritas in der mittelgriechischen Lit-
teratur nirgends erwähnt gefunden.
Das Wort üneXäTijg ist bisher in der ganzen Akritaslitteratur unrichtig erklärt.
Sathas, Mia. ßißX. II S. /ne, Sathas-Legrand in ihrer Ausgabe S. 286, Lambros in seiner
Ausgabe S. 328, Eberhard a. a. 0. S. 2 und Luber a. a. 0. S. 9 fassen übereinstimmend
ftTie'ActTjjg passivisch = änößXtjxog, banni, verbannte, vertriebene Leute. Das Wort hat
aber, wie schon seine Bildung zeigt, aktiven Sinn; es bedeutet ursprünglich den Vieh-
wegtreiber, den Viehdieb, dann überhaupt den Räuber, Freibeuter und entspricht also genau
dem abigeus, abigeator, abactor der römischen Rechtsbücher; vgl. Wölfflin's Archiv für
latein. Lexikographie I 428. Auch in anderen vulgärgriechischen Gedichten werden die
Apelaten erwähnt z. B. mit einem etymologischen Wortspiel im Belthandros V. 104 Nu
diuixr} x'ftTieXdafi ae wg fxiyng clnsXfitTjg. Von tcneXärrig ist das häufig vorkommende
Wort (in eXaTixi\y) gebildet, womit die Räuberkeule bezeichnet wird, z. B. Belthan-
dros V. 207 Kai avyto^a 6 BeL^aydQog avQsi ro cineXaTixt. Uebrigens hatte auch dieses
Wort das Schicksal missverstanden zu werden. Jakob Grimm, Sendschreiben an Karl
Lachmann über Reinhart Fuchs, Leipzig 1840, erklärt im Glossar dneXcttixi aus einem
wegen des französischen pele (geschält) vorausgesetzten italienischen pelato, so dass das
Wort anfänglich den geschälten Stock bedeutet hätte!
238. Der Sohn des Andronikos. So hat man em zum Akriten-
zyklus gehörendes Gedicht (64 Verse) betitelt, das längst vor den grossen
Digenisepen bekannt war. Schon M. Büdinger hatte die Vermutung
ausgesprochen, dass diesem Andronikos eine historische Persönlichkeit
zu Grunde liege, und zwar glaubte er, der Andronikos des Gedichtes sei
ein Sohn des Kaisers Andronikos Komnenos (1183 bis 1185), in dessen
Biographie allerdings zahlreiche zur Sagenbildung geeignete Züge begegnen,
wie seine riesige Körperkraft, seine Liebeshändel und seine abenteuerlichen
Irrfahrten unter den Türken. Neues Licht brachte die Auffindung der
Digenishandschrift von Trapezunt. Nach dem dort erhaltenen Epos ist
die Mutter des Digenis eine Tochter des Stratarchen Andronikos
Dukas; von demselben Andronikos scheint nun auch in unserem kleinen
Gedichte die Rede zu sein. Seinen Inhalt bildet ohne Zweifel eine Episode
des Akritenzyklus. Sarazenen und Räuber überfallen den Andronikos
und nehmen seine Gattin gefangen, die sich in gesegneten Umständen be-
findet. Sie gebiert einen Sohn, der, ganz ähnlich wie Digenis, ungewöhn-
lich schnell heranwächst, nach einem Jahre schon das Schwert führt,
nach zwei Jahren die Lanze schwingt;
Xnoyiog inidae t6 antc&i xul &i£TT]g ro xoytaQi,
Kl orav innTTjas rovg XQSig, XQareisTai naXhjxdqi.
Die Sarazenen fesseln ihn mit dreifachen Ketten; er aber zerbricht seine
Bande und entweicht zu seinem Vater, wo die freudige Wiedererken-
nung statt hat. Das kulturhistorische Kolorit des Andronikosliedes ist
altertümlich und dem des Digenisepos sehr ähnlich; doch gehört die uns
erhaltene Redaktion in späte Zeit, wahi-scheinlich in das 1 7. Jahrhundert.
Ein zweites mit dem Akritenkreise zusammenhängendes Werk ist
das mittelgriechische Lied vom Armuris. Der tapfere Sohn des alten
Armuris vermählt sich nach mancherlei Abenteuern mit der Tochter des
früher von ihm bekämpften sarazenischen Emirs. Auch das trapezuntische
Lied vom Xanthinos gehört hioher.
2. Sagenhafte u. historische Dichtungen auf nationaler Grundlage. (§ 238— 239.) 419
1. Sohn des Andronikos: Zuerst veröffentlichte Sp. Zambelios in seinem Werke
77di9f y {] xoivfi Af'cf? Tguyordw ; Athen 1859 einen von ihm gefälschten und interpolierten
Text. — Denselben Text wiederholten nach ihm (unter dem Titel "H ch'ceyywQiatg) Th.
Kind, Anthologie neugriechischer Volkslieder, Leipzig 1861 S. 2 ff., M. Büdinger, Mittel-
griechisches Volksepos, Leipzig 1866 und W. Wagner, Medieval gr. texts, Proleg. S. 22
ff. — Erst E. Legrand gelang es, die Fälschung zu entdecken; er edierte den authenti-
schen Text Coli, de mon. N. S. vol. I 186 ff. — Ein mit dem Sohne des Andronikos
verwandtes Volkslied aus Kephallenia ed. Bernh. Schmidt, Griechische Märchen, Sagen
und Volkslieder, Leipzig 1877 S. 198 ff. ; vgl. seine Bemerkimgen S. 274 f. — Eine Variante
des von Schmidt mitgeteilten Liedes, von welcher bei Arn. Passow, Popularia carmina
Graeciae recentioris, Leipzig 1860 S. 402 f. ein Fragment gedruckt ist, wurde vollständig
mitgeteilt von N. Politis in den NsosXkTjyixd 'Apc'i'/.sxru I (1870) 342—349.
2. Das Armurislied ed. Gabr. Destunis, Petersburg 1877, mit gründlicher Ein-
leitung, russischer üebersetzimg, Kommentar und einem Facsimile der Handschrift. — Dar-
nach wiederholt im 'Adi^vcaov 8 (1879) 385 — 394. — Analyse des Gedichts mit einer litte-
rarhistorischen Untersuchung von A. Veselovskij, Arch. slav. Phil. 3 (1878) 549 ff. —
Das Xanthinoslied ed. G. Destunis mit russischer Uebersetzung und Kommentar,
Petersburg 1881 (= Beilage des 39. Bandes der Denkschriften der kaiserlichen Akad. d.
Wiss. Nr. 6).
239. Die Chronik von Morea. Mit diesem konventionellen Titel
bezeichnet man eine umfangreiche Yerschronik, in welcher die Ent-
stehung und Fortbildung der nach dem vierten Kreuzzuge von französi-
schen Adelsgeschlechtern imPeloponnes gegründeten Feudalherrschaften
erzählt wird. Der handschriftliche Titel der einen griechischen Version
(in der zweiten fehlt der Anfang) lautet: Xqoyixov twv Iv "^Pmiiaria xal
fiäXiara €v T<>) MoQta noXii.i(av rö)v Wgäyxmv. Die zweite griechische
Version betitelte Buchon ohne hinreichenden Grund: Bißliov rfjg Kovy-
xiarag zrg 'Poji^iaii'ag xal rov MwQuiwg, was bemerkt werden muss, weil
das Werk zuweilen auch unter dieser Bezeichnung zitiert wird. Zuerst
ist eine kurze Darlegung der ziemlich verwickelten Ueberlieferungs-
geschichte nötig. Die Chronik von Morea ist in zwei versifizierten
griechischen Versionen, einer französischen, einer aragonischen
und einer italienischen Bearbeitung erhalten:
1. Die griechischen Versionen. Die ältere und treuere Ueber-
lieferung des Originaltextes enthält die Kopenhagener Handschrift
(Abteil. Fabricius Nr. 57), in welcher das Gedicht 9219 politische Verse
umfasst; eng verwandt mit ihr ist der cod. Taurin, C. III. 9 (nach der
neuen Bezeichnung B. II. 1). Der Kopenhagener Text wurde von einem
Griechen einer freien Ueberarbeitung unterzogen, wobei das Original
sprachlich und metrisch geglättet und allzu heftige Ausfälle gegen das
griechische Volk teils gemildert, teils ausgemerzt wurden. Diese Bear-
beitung überliefern drei Handschriften, der cod. Paris. Gr. 2898 und
zwei jüngere Abschriften desselben, der von Fehlern wimmelnde cod.
Paris. Gr. 2753 und der cod. Bern. 509; das Gedicht zählt hier 8191
Verse. Zu diesen Handschriften kommt noch ein im Anfange des 17. Jahr-
hunderts verfasster Auszug, welchen Dorotheos, Bischof von Monem-
basia, seiner von der Schöpfung bis auf das Jahr 1591 reichenden Welt-
chronik, die in Venedig 1631 zum ersten Male gedruckt wurde, einver-
leibt hat.
2. Die französische Version. In einer Brüsseler Handschrift
des 15. Jahrhunderts (Nr. 15702) steht ein französisches Prosawerk mit
der üeberschrift: C'est le livre de la conqueste de Costantinople et
27*
420 Byzantinische Litteratnrgeschichte. III. Vulgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
de l'empire de Romanie, et dou pays de la princee de la Moree, qui fii
trovee en un livre qui fu jadis del noble baron messire Bartholomee Guys, le
grant conestable, lequel livre il avoit en son chastel d'Estives (d. h. in seiner
Burg zu Theben). Dieser Livre delaconquesteistim grossen und ganzen
inhaltlich mit der griechischen Chronik von Morea identisch. Da nun
der Verfasser der griechischen Chronik als Quelle für den ersten Kreuzzug
ein BißXiov rrjg xovyxtatag erwähnt, schloss Buchen, dem es darum zu
thun war, die Priorität und Originalität des französischen Textes zu er-
weisen, der griechische Autor verstehe unter dem „Buche der Erobe-
rung" eben das in der Brüsseler Handschrift erhaltene Werk. Diese
Annahme ist aber aus verschiedenen Gründen, die ich hier nicht darlegen
kann •), unzulässig. Wahrscheinlich meint der Verfasser der griechischen
Chronik mit seinem „Buche der Eroberung", das er ja nur als Quelle für
den ersten Kreuzzug, nicht für die Geschichte der Franken in Morea an-
führt, das Werk des Wilhelm von Tyrus. Somit hat auch der Titel
BißXiov trjq KovyxtGTag, welchen Buchen dem Kopenhagener Texte vor-
gesetzt hat, keine Berechtigung. In Wahrheit ist der französische Livre
de la conqueste eine freie Uebertragung einer mit dem Kopenhagener
Texte eng verwandten, wenn nicht identischen griechischen Chronik, wobei
die Erzählung über den Endpunkt des Originals (1292) bis zum Jahre 1304
weitergeführt und am Schlüsse durch eine bis 1333 reichende chronolo-
gische Tabelle ergänzt wurde. Die Abfassung des französischen Werkes
geschah, wie sich aus einer chronologischen Andeutung mit Sicherheit er-
gibt, zwischen 1333 und 1341. Ein Exemplar gelangte aus dem Besitze
des Venezianers Ghisi von der Burg Saint Omer bei Theben nach Flan-
dern und diente dem Kopisten des Brüsseler Codex als Vorlage.
3. Die aragonische Version gehört zu den Werken, welche aus
der Anregung des für Litteratur und Wissenschaft begeisterten Johanniter-
grossmeisters Juan Fernandez de Heredia (ca. 1310 bis ca. 1396) her-
vorgegangen sind. Sie wurde i. J. 1393 vollendet und bildet einen Teil
des zweibändigen Werkes „Grand cronica de los conquiridores";
vorausgeschickt ist der Chronik eine aus Zonaras geschöpfte Geschichte
der byzantinischen Kaiser von Konstantin VI bis Alexios Komnenos (780
bis 1118). Die Erzählung ist noch weiter fortgeführt als in der französi-
schen Version, nämlich bis zum Jahre 1377; neben der Chronik von Moroa
hat der aragonische Bearbeiter noch andere, uns unbekannte Quellen
benützt.
4. Eine italienische Uebertragung der Chronik von Morea steht
in einer venezianischen Handschrift (cod. Marcian. append. Ital. cl. VII 712)
unter dem Titel: Istoria della Morea. Der italienische Bearbeiter be-
nutzte den griechischen Text und zwar in der Kopenhagener Version; wie
wenig er aber seine Vorlage verstand, beweisen manche lächerliche Miss-
verständnisse.
Die Chronik von Morea zerfällt in zwei Hauptteile; der erste,
der als Prolog bezeichnet werden kann, behandelt summarisch die Geschichte
') Vgl. die unten angeführte Schrift von John Schmitt.
2. Sagenhafte und historische Dichtungen auf nationaler Grundlage. (§ 239.) 421
des ersten Kreuzzuges und, nach üeberspringung eines Zeitraums von
100 Jahren, die Eroberung Konstantinopels durch die Franken (1204) mit
den unmittelbar darauf folgenden Ereignissen; der weit umfangreichere
zweite Teil, die eigentliche Chronik, erzählt die Geschichte des Pelo-
ponnes von der Eroberung desselben durch Guillaume de Champ-Litte und
Geoffroy de Ville-Hardouin i) i. J. 1205 bis zum Jahre 1292. Episodisch
werden noch einige spätere Ereignisse erwähnt, von denen die letzten in
das dritte Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts fallen; eine Partie, in
welcher der Tod eines im Jahre 1388 verstorbenen Ritters erwähnt wird,
ist als spätere Zuthat erwiesen. Wir haben in der griechischen Chronik
von Morea das Werk eines den erzählten Begebenheiten zeitlich nahe-
stehenden und mit den peloponnesischen Zuständen wohl vertrauten
Gasmulen^) oder gräzisierten Franken zu erblicken. Der Verfasser
berichtet ausser den auch sonst bekannten Hauptereignissen eine Menge
von Einzelheiten über die Einrichtung der fränkischen Herrschaften in
Morea, über die unaufhörlichen gegenseitigen Fehden der fränkischen
Barone, über die festen Plätze, über die Thätigkeit der Kirche, über die
Einführung des Feudalcodex u. s. w. Litter arisch betrachtet ist die
Chronik ein völliges Unding: öde, unbeholfene und zuweilen schwülstige
Prosa in holperigen Versen. Dichterische Begeisterung ist dem Chronisten,
den wir uns wohl als einen Mann des rauhen Kriegshandwerkes zu denken
haben, völlig unbekannt, und es bleibt wenigstens die Besorgnis erspart,
dass er sich vom Schwünge der Phantasie zur Entstellung der Thatsachen
habe hinreissen lassen; er erzählt schlicht und grob, so gut er es vermag
und so gut er die Dinge kennt. Seine Objektivität wird nur durch seinen
unverhohlenen Griechenhass etwas beeinträchtigt; tief durchdrungen vom
fränkischen Nationalgefühl weiss er von den Rhomäern nur Schlimmes zu
berichten. Sein Werk war offenbar nicht auf orthodoxe Griechen, sondern
auf die griechisch sprechenden Franzosen und Gasmulen berechnet. Dass
eine Chronik, die sich ausschliesslich an fränkische und fränkisch ge-
sinnte Kreise wandte, in der griechischen Volkssprache abgefasst werden
konnte, ist ein neuer Beweis für die vielfach bezeugte Thatsache, dass
auch im Mittelalter die im Orient angesiedelten Abendländer in kurzer
Zeit der sprachlichen Gräzisierung unterlagen. Die Abfassungszeit der
griechischen Chronik lässt sich nicht genau bestimmen, weil einige
chronologische Indizien in den erhaltenen Texten aus einer späteren üeber-
arbeitung herzurühren scheinen; eine Spätgrenze bezeichnet jedenfalls
das Jahr 1326, weil in beiden griechischen Versionen 3) bemerkt wird,
die katalanische Kompanie herrsche noch in Athen, was nach 1326 nicht
mehr zutraf. Zur sachlichen Kritik und Ergänzung des Werkes dienen
die katalanische Chronik des Ramon Muntaner, die des Bernard d'Es-
clot und vor allem das (zwischen 1328 und 1333) abgefasste Werk des
') Einen Neffen des berühmten Chro-
nisten. Vgl. S. 86.
'') Gasmulen heissen die Sprösslinge
fränkisch-griechischer Mischehen. Die Ety- 1 der Pariser S. 169, 16
mologie des Wortes (ycta^ov'Aog, ßaafxoiXog)
ist noch nicht genügend aufgeklärt. Vgl.
Buchen, Recherches 1 S. XVII Anm.
^) In der Kopenhagener V. 5955, in
422 ByzantiniBche Litteratnrgeschichte. III. Vulgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
Venezianers Marino Sanudo Torsello: Istoria del regno di Romania
sive di Morea, Wenn nun die Chronik von Morea durch die Existenz
dieser und sonstiger abendländischen Quellen an rein historischem Werte
verliert, so bleibt sie doch eines der bedeutendsten Denkmäler der aus
der Verquickung des abendländischen Rittertums mit der byzantinischen
Bevölkerung erwachsenen Mischkultur und der durch lokale Verhältnisse
besonders stark von fränkischen Elementen beeinflussten mittelgriechi-
schen Volkssprache.
1. Ausgaben: Nachdem schon im 17. Jahrhundert Du Gange und Boivin eine
Ausgabe der Chronik geplant hatten, setzte es sich ihr Landsmann J. A. Buchon zur
Lebensaufgabe, die Chronik und das auf sie bezügliche Quellenmaterial zu erforschen und
zu veröffentlichen. Seine Arbeiten sind leider etwas unpraktisch und breit angelegt, und
die Konstitution der griechischen Texte lässt infolge der mangelhaften Sprachkenntnis des
Herausgebers fast alles zu wünschen übrig: J. A. Buchon, Chroniques ötrangeres relatives
aux expöditions fran9aises pendant le XIII. siecle, Paris 1840 (manche Exemplare sind
1841 datiert); der Band enthält die Pariser Version der griechischen Chronik mit
französischer Uebersetzung, den Auszug des Dorotheos und die katalanischen Chroniken
des Muntaner und des B. d'Esclot. — J. A. Buchon, Recherches historiques sur la
principaut« fran^aise de Mor^e et ses hautes baronnies, 2 voll. Paris 1845; der erste Band
enthält die französische Chronik (den Livre de la conqueste), der zweite die Kopen-
hagener Version der griechischen Chronik u.a. — Aragonische Chronik: Chronique
de Moröe aux 13. et 14. siecles, publiee et traduite pour la premiere fois par Alfred
Morel-Fatio, Geneve 1885 (= Publications de la societ^ de l'orient latin, s^rie historique
vol. IV) ; mit französischer Uebersetzung imd einem historischen Index. — Italienische
Chronik: Chroniques gr^co-romanes etc. par Charles Hopf, Berlin 1873 S. 414 — 468. —
Einen Teil der griechischen Chronik ed. mit einer historisch -kritischen Einleitung und
deutscher Uebersetzung Ad. Ellissen, Analekten der mittel- und neugriechischen Literatur,
2. Teil, Leipzig 1856. — Der grösste Teil des Prologs der griechischen Chronik i.st mit
lateinischer Uebersetzung und kritischem Apparat ediert von E. Miller im Recueil des
historiens grecs des croisades t. I (Paris 1875) 2, 581 — 623. — Ein Teil des Livre de la
conqueste ist wiederholt von Tafel und Thomas, Oesterreichische Geschichtsquellen.
2. Abteil., 12. Bd. (Wien 1856) S. 315 flf. — Eine kritische Ausgabe der Chronik wird
vorbereitet von John Schmitt.
2. Hilfsmittel: Zur sachlichen Erläuterung und Ergänzung der Chronik dienen
lateinische, französische und italienische Chroniken, Urkunden, Siegel, Münzen, Medaillen,
genealogische und topographische Monographien u. s. w. , die namentlich in folgenden
Werken veröffentlicht sind: J. A. Buchon, Recherches et mat^riaux pour servir a uno
histoire de la domination fran^aise aux 13., 14. et 15. siecles dans les provinces demem-
brees de l'empire grec, 2 voll. Paris 1841. — J. A. Buchon, Nouvelles recherches histo-
riques sur la principaute fran9aise de Moree et ses hautes baronnies, 2 voll. Paris 1843. -
J. A. Buchon, La Grece continentale et la Moree, Paris 1843 (Reisewerk). — J. A. Bu-
chon, Voyage dans les lies de l'Archipel et de la mer Jonienne, Paris 1845 (mir nicht
zugänglich, aber von dem Verf. in den Recherches hist. I S. X als unter der Presse befind-
lich erwähnt). — J. A. Buchon, Histoire des conqußtes et de l'etablissement des Franvai.s
dans les etats de l'ancienne Grece etc., I. vol. Paris 1846 (reicht bis 1290; an der Voll-
endung dieses zusammenfassenden Werkes wurde der Verf. durch den Tod verhindert). —
Nach Buchon kommen vor allen die bahnbrechenden Arbeiten von Karl Hopf in Betracht:
De historiae ducatus Atheniensis fontibus, Bonn 1852. Veneto-byzantinische Analekton,
Sitzungsber. d. phil.-hist. Cl. der Wiener Akad. d. Wiss. 32 (1859) 365 if. Geschichte
(iriechenlands, Ersch- und Gruber'sche Enzyklopädie, I. Sekt. Bd. 85 imd 86 (1867—68).
Chroniques gröco-romanes, Berlin 1873 (bes. wichtig durch die beigefügten genealogischen
Tafeln). — Ein unentbehrliches Hilfsmittel ist das auf einer staunenswerten Beherrschung
des riesigen Materials beruhende Werk von G. Schlumberger, Numismatique de Torient
latin, Paris 1878. Unzugänglich blieb mir desselben Verfassers Werk : Les principautt^s
franques du Levant au moyen-äge. — Ch. A. Leving, La jirincipaute dWchaüe et de
Mon''e, Brüssel 1879 (mir unzugänglich). — Eine wesentlich auf Ihuhon und Hopf gestützte
Uebersicht gibt De Mas Latrie, Les princes de Morde ou d'Achaüe 1203—1461, Venedig
1882 (= Monumenti storici pubblicati della R. deputazione Veneta di storia patria, vol. 8).
H. F. Tozor, The Franks in the Peloponnese, Journal of Hellenic studies 4 (1883) 165—236
(besonders von Wert durch topograpiiische Heiträge). - J. B. Bury, The Ijonibards and
Venetians in Euboea, Journal of Hellenic studies 7 (1886) 309—352 u. 8 (1887) 194—213.
2. Sagenhafte n. historische Dichtungen auf nationaler Grundlage. '(§240—241. ) 423
Nur einzelne Punkte, die mit der Chronik zusammenhängen, berührt Dela vi 11 e le Roulx,
La France en Orient au XIY" siecle, 2 voll. Paris 1886 (= Bibl. des ecoles fran^. d'Athenes
et de Rome, fasc. 44 — 45). — Baronne Diane de Guldencrone, L'Achaie feodale
(1205 — 1456), Paris 1886 (populäre Zusammenfassung). — Wenig Neues verspricht nach
der bis jetzt vorliegenden Probe: A. Christomanos, Abendländische Geschlechter im
Orient, im Anschluss an Du Cange's FamiUes d'outre mer, 1. Lieferung, Wien 1889. —
F. Gregorovius, Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter, 2 Bde., Stuttgart 1889, be-
sonders 1 380 ff. ; 472 ff. ; 11 324 ff. — Den Anteü der Katalanen an der Latinisierung des
Orients behandeln: 'E. IrttuariäStjg, Ol KceraXceroi ev rfi 'AyaxoXf,, Athen 1869. — D.
Antonio Rubiö y Lluch, La expedicion j dominacion de los Catalanes en Oriente
juzgadas por los Griegos, Memorias de la real academia de buenas letras de Barcelona,
t. IV 1, 1883. Desselben: Los Navarros en Grecia j el ducado Catalan de Atenas en
la epoca de su Invasion, Barcelona 1886 (berücksichtigt bes. die aragonische Chronik). End-
lich gab Rubiö y Lluch einen Beitrag zur Geschichte der Katalanen in Griechenland im
JsXriov xt]i; laxoo. xcu i9yoi.oy. er. rrj? 'EX).. 2 (1885 — 89) 458 — 466. — Ueber den Gross-
meister Heredia, der die Abfassimg der aragonischen Chronik veranlasste, vgl. Karl
Herquet, Juan Femandez de Heredia, Mühlhausen i. Th. 1878, und desselben Verf. Ab-
handlimg in Cottas Zeitschrift für allgemeine Geschichte 4 (1887) 769 — 792. — Marquis
Terrier de Loray, PubUcations de l'academie de Besannen 1880 S. 205 ff. (über das
Verhältnis der griechischen Chronik zur französischen). — Hauptschrift über das Ver-
hältnis der Versionen und Handschriften der Chronik: John Schmitt, Die Chronik von
Morea, Diss. München 1889. — Ueber die Kopenhagener Handschrift handelt John
Schmitt, Romanische Forschungen herausgeg. von K. Vollmöller 5 (1890) 525 ff.
Endlich sind die einschlägigen allgemeinen geschichtlichen und geographischen
Werke beiziiziehen, namentlich: J. Ph. Fallmerayer, Geschichte der Halbinsel Morea
während des ]Mittelalters, 2 Bde., München 1830 — 36. — Expedition scientifique de Moree
ordonnee par le gouvemement fran^ais etc., 3 voU. Paris 1831 — 38. — Leake, Pelopon-
nesiaca, London 1846 (S. 136—160 über die Chronik von Morea). — E. Curtius, Pelo-
ponnesos, 2 Bde., Gotha 1851 — 52. — G. Finlay, A history of Greece, 4. vol., Oxford
1877. — Eine venezianische Karte von Morea ed. K. Sathas, Documents inedits relatifs
ä l'histoire de la Grece, I. serie, vol. 1, Paris 1880. — Vgl. die Litteratur bei H. G. Lolling,
Hellenische Landeskunde, Handbuch d. klass. Altertumswissenschaft IH 159 ff.
3. Die Ableitungsversuche des Namens Morea haben noch zu keinem befriedigenden
Resultate geführt. Vgl. K. N. Sathas, Documents inedits I. serie, vol. 1 (1880) Intro-
duction S. 31 ff., K. Paparrigopulos, Bulletin de correspond. hellenique 5 (1881) 145 ff.
und F. Gregorovius. GescHchte der Stadt Athen im Mittelalter 1 (1889) 309 f. nebst
der an diesen Stellen angeführten Litteratur.
4. Der historische Stoff der Chronik von Morea ist novellistisch behandelt worden
von A. R. R angabt in seiner Erzählung ,der Fürst von Morea' ("Ö av&e'yrrjg tov MwQewg).
Deutsch übersetzt von Ad. Ellissen, Analekten der mittel- und neugriech. Lit. 2 (1856)
111—285.
240. Klagegesang über Timur Lenk, ©ojyroc nsgi TanvQlccyyov,
ein anonymes Gedieht in 96 reimlosen politischen Versen, welches in dem
1403 geschriebenen cod. Paris. 2914 überliefert und somit noch während
des grossen Verheerungszuges Timurs abgefasst ist. Der Verfasser
beginnt seine Erzählung mit der Belagerung Konstantinopels durch Bajesid,
welche durch das plötzliche Auftreten des mongolischen Welteroberers
abgebrochen wurde, erwähnt kurz die Niederlage des türkischen Heeres
(bei Angora 1402) und schildert dann mit drastischen Worten die uner-
hörten Greuel, welche die Horden Timurs über die Bevölkerung Kleinasiens
verhängten.
Ed. pr. W. Wagner, Medieval gr. texts S. 105—109. — Wiederholt Carmina
S. 28—31. — üeber den cod. Paris, vgl. Psichari, Essais de grammaire bist, neo-grecque
I (1886) 26.
241. Paraspondylos Zotikos, naoaanovdvXog ZojTixog, ein gänzlich
unbekannter Mann, verfasste in 465 reimlosen politischen Versen eine
Beschreibung der folgenreichen Schlacht bei Varna i. J. 1444, in
welcher Sultan Murad II die vereinigten Heere der Ungarn und Polen
424 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vulgftrgriech. Litteratur. 1. Poesie.
überwältigte. Der Verfasser behauptet, er berichte als Augenzeuge; in
einem Walde habe er sich versteckt gehalten, und sein Herz habe sich
beim Anblicke des ungeheueren Menschenmeeres versteinert. Wie es sich
immer mit der Wahrheit dieser Notiz verhalten mag, die Erzählung dieses
poetischen Kriegskorrespondenten erhebt sich nicht über eine ziemlich
phantastische, in den Zahlenangaben stark übertreibende Schilderung.
Immerhin gibt er die Situation im allgemeinen richtig wieder und berichtet
sogar einige sonst nicht bekannte oder nicht genügend gesicherte Einzel-
heiten. Seine Darstellung verrät ein massiges Studium schriftsprach-
licher Werke, denen er wohl auch die Einstreuung langer Reden und
Briefe abgelernt hat,
Kd. E. Legrand, Coli, de mon. N. S. vol. 5 (1875) 51—84. — Ueber die Schlacht
bei Vama vgl. G. Hertzberg, Geschichte der Byzantiner und des osmanischen Reiches,
Berlin 1883 S. 564 ff.
242. Ein Klagegesang auf den Fall von Konstantinopel, 'Ava-
xXr^fxa rrjg KcovaTavrivÖTTolr^g, in 118 reimlosen politischen Versen von einem
unbekannten Verfasser steht im cod. Paris. 2873. Durch das Zwiege-
spräch zweier sich bei Tenedos begegnenden Schiffe, von denen das eine
aus der „vom Blitze verbrannten" Stadt kommt, erfahren wir das
traurige Ereignis; in einfachen, ergreifenden Tönen werden die bei der
Eroberung verübten Greuel, die Profanation alles Heiligen und die schmäh-
liche Knechtung des christlichen Volkes geschildert. Die dramatische Ein-
kleidung, für welche sich in der neugriechischen Volkspoesie zahlreiche
Seitenstücke finden, die Abwesenheit des Reimes wie auch der gesamte
Ton der Erzählung lassen vermuten, dass dem Gedichte ein Volkslied
zu Grunde liege; wir hätten somit im Kerne unseres Textes eine der
ältesten Formen der noch heute fortlebenden Gesänge auf den Fall von
Konstantinopel und den Tod des letzten Paläologen. Merkwürdig ist, dass
einige Stellen des Gedichtes an das demselben Vorwurfe gewidmete Werk
des Georgillas (s. § 244) anklingen. Will man nicht annehmen, dass die
gleiche Situation die gleichen Wendungen hervorbrachte, so lässt sich die
Uebereinstimmung wohl nur daraus erklären, dass der rhodische Dichter
die Verse des Anonymus oder ein denselben zu Grunde liegendes Volks-
lied kannte; die umgekehrte Möglichkeit, dass der Anonymus den Spuren
des (an dichterischer Begabung tief unter ihm stehenden) Georgillas gefolgt
sei, hat sehr wenig für sich. Ob die starke Hervorhebung Kretas und
der Kreter (V. 38 ff.) berechtigt, auf den Entstehungsort des Gedichtes
oder seiner Vorlage einen Schluss zu ziehen, wage ich nicht zu entscheiden."
Ed. pr. E. Legrand, Coli, de mon. N. S. vol. 5 (1875) 85-100 (mit einem Glos-
sar). Die einzige Handschrift, die den Text überliefert, ist ein solches Musterstück von
absoluter Fehlerhaftigkeit, dass man sie für toxtkritische Seminarübungen empfehlen
könnte. Ausser all den Fehlern, die sich aus dem Jotazismus und der Aohnliohkeit ge-
wisser Laute erklären, findet man hier namentlich jene Verwirrung in der Trennung
und Verbindung der Wörter, durch die auch manche Venezianer Drucke der Lektüre
80 viele Hindernisse bereiten, in einem ganz ungewöhnlichen Masse vertreten; man liest
z. B. ras xaißv statt r« axevt], vatpüviaao rixüfxov statt vd rpny r« awiixn fiov, naQdnh'iat
yovfittivei statt naQ&iyaif, rjyovfiivan u. s. w.
243. Ein Klagelied auf die Eroberung von Athen durch die
Türken (1458) von oinuni ungenannten \'erfasser steht in einer Peters-
2. Sagenhafte u. historische Dichtungen auf nationaler Grundlage. (§ 242—244.) 425
burger Handschrift unter dem Titel: neQi rr^g araXcoaecog xal zrjg aixi^a-
Xwaiag i] ysyarev vno xwv Ileoffcör slg ^ÄTvixrjt' 'Ad^rjva (69 reimlose politische
Verse). Nach einem geschichtlichen Rückblick auf den Ruhm der Stadt,
welche den Gregor von Nazianz, den Basilios und Chrysostomos
unterrichtet habe, verleiht der Verfasser der personifizierten 'A^r]ra selbst
das Wort; sie beklagt in unsäglich plumpen und ihres erlauchten Namens
wenig würdigen Versen die Erniedrigung, Schande und Sklaverei ihrer
Kinder und ruft zuletzt die Schutzpatronin Maria um Rache und Ret-
tung an.
Ed. Gabriel Destunis, Petersburg 1881 mit Einleitung, Kommentar imd üeber-
setzung (Russ.). — Vgl. F. Gregorovius, Geschichte der Stadt Athen II 382 f.
244. Emmanuel Georgillas aus Rhodos, ein eifriger Freund der
kirchlichen Union, lebte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Die Zeit seiner litterarischen Thätigkeit begrenzen zwei datierbare Gedichte,
von welchen das eine kurz nach 1453, das andere im Jahre 1498 oder
kurz nachher abgefasst ist. Georgillas hat ein geringes Formtalent und
ist in seiner Darstellung breit, plump, weinerlich, zuweilen auch unerlaubt
derb ; ^) was aber mit diesen Mängeln aussöhnt, ist die erschütternde Wahr-
heit seiner Schilderung, der aufrichtige Patriotismus und die Innigkeit der
Naturanschauung,-) Bei den Griechen hat er wegen seiner Hinneigung
zur päpstlichen Politik jegliche Sympathie verscherzt und ist von den besten
AVortführern des nationalen Bewusstseins wie Korais, Paparrigopulos
u. a. mit leidenschaftlichen Schmähungen überschüttet worden. Allein es
ist zu bedenken, dass es in jenen Tagen der schwersten Bedrängnis viele
wohlgesinnte Anhänger der Orthodoxie gab, welche die Rettung der christ-
lichen Ostwelt von den katholischen Mächten erwarteten, und schwerlich
ist es zum Glücke der hellenischen Kultur ausgeschlagen, dass die radikalen
Feinde der Union in der kritischen Zeit die Oberhand gewannen und durch
ihre Unbeugsamkeit endlich den Vernichtern jeder Bildung und Gesittung
die Thore öffneten. Eine nüchterne und von den Strömungen der Gegen-
wart ungetrübte Auffassung wird daher eines Tages auch dem rhodischen
Dichter Gerechtigkeit widerfahren lassen und anerkennen, dass er in
seinen Mahnungen zur Einigkeit, von Gunst und Vorteil unbestochen, nm^
seiner innersten Ueberzeugung Ausdruck verliehen hat. Darüber dürfte
wohl jetzt schon die griechische Auffassung mit der abendländischen sich
einig fühlen, dass Georgillas eine für die Kultur- und Litteraturgeschichte
des 15, Jahrhunderts höchst beachtenswerte Erscheinung ist. Wir haben
von ihm drei Gedichte, die in formaler Hinsicht dadurch merkwürdig sind,
dass sich in ihnen der allmähliche Uebergang vom reimlosen zum
gereimten Verse darstellt:
1. Die Geschichte Belisars, "^laTOQixrj s^rjyr^aig ttsqI Behaaqiov
(840 politische Verse, in welchen zuletzt V. 810 ff. plötzlich der Reim
auftritt). Georgillas hat hier nur ein älteres Gedicht umgearbeitet und
erweitert (s. § 253). In der Einleitung (V. 17 ff.) und am Schlüsse (V. 803 ff.)
') In der "AXwai? "V. 562 wünscht er j ähnliche Grobheit im Quycctixöv V. 590.
Mohamed dem Eroberer: vd ;fea»? x6 av- 2) g. B. Belisar V. 474 f.; "AXiomg V.
Xüixiv rov x«t oXt]y xtjv ovaiüv tov. Eine ' 406 S.; ßayatixoy V. 90 ff.
426 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vulgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
spielt der Verfasser auf das Unglück an, das seine Nation betroffen hat,
und fordert zuletzt die ganze Christenheit auf, das Kreuz zu erheben und
Konstantinopel den Türken zu entreissen.
2. Klagegesang auf den Fall Konstantinopels, "AXwaiq KnöXewq
(1044 politische Verse mit sporadischer Anwendung des Reimes). Unter
dem frischen Eindrucke des niederschmetternden Ereignisses erhebt Georgillas
die bittere Anklage, dass die Rhomäer an dem Unheil, das über sie herein-
gebrochen, selbst Schuld seien durch ihre unverbesserliche Zwietracht, ihre
kleinliche Habsucht und ihre eitlen Hoffnungen:
TQLa nQttyfiuta i;(cikaac(y Ttjy 'Piofuayiay oXtjy,
'0 cp&ovog, T] (fiXuQyvQici xai ij xeyt] iXni&a (V. 834 f.).
Daran schliesst er voll glühender Begeisterung für die gute Sache seines
Volkes die inständigsten Bitten und Aufforderungen an die Mächte von
Europa, Konstantinopel zurückzuerobern und die morgenländische Christen-
heit vom osmanischen Joche zu befreien. Wie sehr es dem Dichter ernst
war, ergibt sich aus der wiederholten Aufforderung, sein Werk genau ab-
zuschreiben und für die Verbreitung im Abendlande zu sorgen (V. 837 ff. ;
1008 ff.). Das Gedicht muss kurz nach 1453 abgefasst sein, da Adria-
nopel (V. 749; 782) noch als Residenz des Sultans erwähnt wird; die
definitive Uebersiedelung nach Konstantinopel erfolgte im dritten Jahre
nach der Eroberung.
3. Die Pest von Rhodos, Tö ^arartxdv rrjg "^PöSov (644 gereimte
politische Verse). Das Gedicht bezieht sich auf die furchtbare Pest, welche
im Jahre 1498 auf Rhodos wütete. Georgillas erblickt in der Krankheit
eine göttliche Strafe und begleitet daher seine wehmütigen Klagen mit
eindringlichen Mahnungen, zu einer einfacheren und reineren Lebensart
zurückzukehren. Für seine moralischen Lehren führt er keine geringeren
Autoren als Plato, Aristoteles, Cato und Oribasios ins Feld (V. 513;
536 ff.). Das Gedicht ist litterarhistorisch mit den paränetischen Werken
des Spaneas, Lapithes, Sachlikis und Depharanas zu vergleichen.
Ausgaben und Hilfsmittel: 1. Belisar: S. §253. 2. Klagegesang auf
den Fall Kpels: Ed. pr. A. Ellissen, Analekten der mittel- und neugriechischen Litte-
ratur, 3. Teil, Leipzig 1857 (mangelhafter Text mit breiter Einleitung und deutscher Ueber-
setzung). - Ed. W. Wagner, Medieval gr. texts S. 141-170 (mit einigen Verbesserungen,
doch ohne neue Kollation der Handschrift). ^ Ed. E. Legrand, Bibl. gr. vulg. I (1880)
169 — 202 (wesentlich verbesserter Text auf Grund einer Neuvergleichung der Handschrift).
3. Pest in Rhodos: Ed. pr. W. Wagner, Medieval gr. texts S. 171—190; wiederholt
Carmina S. ,32—52. — Ed. E. Legrand, Bibl. gr. vulg. I (1880) 203—225 (wesentlich
verbesserter Text).
Ueber Georgillas vgl. Korais, 'Axaxta II IIqöX. S. 3 if. — Ueber den Klagegesanp
auf Konstantinopel vgl. die Betrachtungen von E. Egger, L'Hellönisme en France vol. 1
(Paris 1869) 439—446. — Alle drei Stücke überliefert der einzige cod. Paris. 2909.
245. Johannes Koronaeos {KoQwvaTog) schrieb i. J. 1519 ein ebenso
weitschweifiges als poesieloses Heldenepos über die Thaten des Merkurios
Bua, 'ArSgayadTj^ara Msqxovqiov Mnovct (gegen 5000 gereimte Fünfzehn-
silber). Der Held des Gedichtes, ein tapferer Albanese aus Nauplia, trat
1495 in venezianische Dienste und erwarb sich später unter Kaiser Maxi-
milian als Anführer griechischer Soldtruppen, der sogenannten Stratioti,
reiche Lorbeeren. Er starb nach 1527 in Treviso, wo in der. Kirche
S. Maria Maggioro sein Grabmal errichtet ist. Koronäos erfasste seine
2. Sagenhafte u. historische Dichtungen auf nationaler Grundlage. (§ 245—246.) 427
Aufgabe mit der Gewissenhaftigkeit eines Historikers ; er erholte sich, wie
er selbst erzählt, nicht nur mündlichen Aufschluss bei Bua, sondern stu-
dierte auch dessen Farailiendokumente und ging sogar nach Griechenland,
um über das Geschlecht der Bua Näheres zu erfahren. Das prachtvolle,
von Koronäos selbst geschriebene Widmungsexemplar ist in der Turin er
Bibliothek aufbewahrt.
Ed. pr. K. Sathas, 'EXkrjyixn avexdoxa I (1867) 4—153 (mit einer ausführlichen
historischen Einleitung). — Vgl. Ch. Gidel, Nouvelles etudes sur la htt. gr. mod.
S. 533—557. — üeber die sogenannten Stratioti {argariwrai, französ. Estradiots). grie-
chische Söldnerscharen, die im 15. und 16. Jahrhundert an den in Italien ausgefochtenen
Kriegen einen bedeutenden Anteil nahmen imd nach ihrer kulturhistorischen Stellung mit
unseren Landsknechten zu vergleichen sind, hat ein reiches Material von lateinischen und
italienischen Dokumenten nebst einer historischen Untersuchung veröffentlicht K. Sathas,
Documents inedits relatifs & Thistoire de la Grece vol. 7 und 8, Paris 1888.
246. Jakob Trivolis (TgißtöXr^c), ein vornehmer Grieche aus Korfu
in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, verfasste ein panegyrisches
Gedicht (in 312 achtsilbigen trochäischen Reimversen) über die Thaten
des Grafen Tajapiera, "^latogi'a xov TccyiajiitQa. Derselbe hatte sich als
venezianischer Kapitän durch Bestrafung der Piraten Verdienste um die
Insel Korfu erworben und wird nun von dem dankbaren Dichter über die
Helden der Ilias erhoben. Eine zweite Reimerei des Trivolis, die
laxoQia Tov Qt rr^g 2x(OTiag ,u* rr^v Qrjiffcfa zfjg 'EyyXrjT6Qag (376 gereimte
Fünfzehnsilber) ist eine freie Imitation der 7. Novelle des 7. Tages in
Boccaccios Decamerone. In seiner Darstellungsweise ist Trivolis
völlig ungeschlacht und wie die meisten Heptanesioten seiner Zeit in einem
unheimlichen Grade italienischen Einflüssen ergeben.
1. Die Geschichte des Tajapiera ist gedruckt Venedig 1528 und öft«r. — Neu
ediert von E. Legrand, Coli, de mon. vol. 3 (1869) und zum zweitenmale Coli, de mon.
N. S. vol. 4 (1875) mit Utterarhistorischer Einleitung, Kommentar und französischer Ueber-
setzung.
2. Geschichte des Königs von Schottland: Oft in Venedig gedruckt, zuerst
wahrscheinlich 1540, dann 1577. 1779, 1795. — Neudruck von E. Legrand, CoU. de
mon. vol. 13 (1871). — Vgl. E. Legrand, Bibliogr. hell. I (1885) 202 ff.
3. Romantische Dichtungen über antike Stoffe.
247. Vorbemerkung. Die romantische Auffassung antiker Helden-
geschichten hat in Byzanz keinen so günstigen Boden gefunden wie im
Abendlande. Zwar sind die wichtigsten Elemente einer sagenhaften Ver-
gröberung der alten Stoffe schon in griechischen Schriften wie im Schwindel-
buche des Sisyphos von Kos, das den Spätem vornehmlich durch
Malalas vermittelt wurde, im Pseudo-Kallisthenes und in ähnlichen
Machwerken enthalten; aber die Byzantiner blieben durch ihre gelehrten
Studien und durch den Schulunterricht mit den Originalwerken so enge
verbunden, dass die Uebertragung der alten Erzählungen in die volks-
mässige und zeitgenössische Anschauungsweise lange zurückgedrängt wurde.
Es ist hiefür bezeichnend, dass die Bücher des Dictys und Dares, von
welchen die sagenhafte und romantische Verarbeitung der homerischen
Geschichten vornehmlich ausgegangen ist, bei den Griechen fast völlig
unbekannt geblieben sind. Zur Einkleidung antiker Helden in höfische
Kostüme kam es bei den Byzantinern, wenn nicht alles täuscht, erst unter
dem Einflüsse abendländischer Vorbilder. Selbst die auf griechischem
Boden erwachsene Alexandersage ist in Byzanz weniger eifrig weiter-
gebildet und poetisch ausgeschmückt worden als im Abendlande. Ich be-
spreche zuerst zwei vulgärgriechische Bearbeitungen der homerischen
Geschichten, dann eine romantische Achilleis, zuletzt den Alexander-
roman und schliesse daran die Geschichte des Apollonios von Tyros
und die Belisarsage, die sich, wenn man ihnen nicht eine eigene Ab-
teilung eröffnen will, am besten hier einfügen lassen.
1. Allgemeine Hilfsmittel: Die bekanntesten trojanischen Schwindelbücher, die
des Dictys und Dares, gehören in die lateinische Litteratur; Ausgaben und Hilfsmittel
verzeichnet W. S. Teuffei, Geschichte der römischen Litteratur' (1882) §§ 423; 471. —
Zu den französischen, englischen imd deutschen Trojaromanen vgl. Gaston Paris, La
litt. fran«;aise au moyen äge, Paris 1888 S. 76 f.; 139. — H. P. Junker, Grundriss der
(ieschichte der französischen Litteratur, Münster 1889 S. 86 f.; 150. — Gust. Körting.
(Jnmdriss der Geschichte der englischen Litteratur, Münster 1887 S. 113 f. — Karl (Joe-
deke, Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung 1* (1884) S. 87 f.; 126; 218. —
Von Spezialschriften vgl. besonders: H. Dunger, Die Sage vom trojanischen Kriege in
den Bearbeitungen des Mittelalters und ihre antiken Quellen, Progr. Dresden 1869. Dca-
Kelben: Dictys-Septimius, Progr. Dresdi^n 1878. Desselben: De Dictye-Soptimio Vergilii
imitatore, Progr. Dresden 1886, — Willi, (ireif, Die mittelalterlichen Bearbeitungen der
Trojanorsage. Marburg 1886. - M'" de Queux de Saint-Hilairo, Homere dans le
mcyen-Age occidcntal, Annuiiire de rassoc. 14 (1880) 80 98.
3. Romantische Dichtungen über antike Stoffe. (§ 247—248.) 429
2 . Aus byzantinischen Quellen stammen verschiedene slavischeTrojageschichten:
Vgl. Y. Jagic, Arch. slav. Philol. 7 (1884) 79 f. — A. Veselovskij, Die altslavische
Erzählung vom trojanischen Kriege, Arch. slav. Philol. 10 (1887) 27 — 42, wo noch weitere
Litteratur zu den slavischen Reflexen der Sage verzeichnet ist. — M. Gaster, Greeko-
Slavonic, London 1887 S. 101 ff.
248. Die Ilias des Hermoniakos. Im Anfang des 14. Jahrhunderts
erhielt ein sonst nicht bekannter Mann namens Konstantin Hermoniakos
CEQiiioviaxdg) von dem epirotischen Despoten Johannes II Komnenos
Angelodukas (1323 — 1335)^) den Auftrag, die homerischen Gedichte von
schwierigen Wörtern frei zu machen und in eine klare, verständliche
Sprache zu übertragen: sTtQoaräx^r^v tov Ttf^svaai \ ix vag SvaxoXovaag
Xe^sig I TOV '^Of.u^Qov QuilxoSiag \ dg rcavxoiav aaffrjVeiav, \ im t6 acctftg ini-
Tiav. Die volksgriechische Bearbeitung der homerischen Geschichten, welche
der epirotische Hofpoetaster seinem Gebieter überreichte, besteht aus 8799
achtsilbigen, reimlosen, trochäischen Versen, die sich auf 24 Rhap-
sodien verteilen. Die Anfänge der Gesänge sind durch eine alphabetische
Akrostichis {A — i2) verziert. Die erste Rhapsodie erzählt von der Ab-
stammung und den Lebensschicksalen des Homer und vom Urteile des
Paris, die zweite von der Sühnefahrt des Paris zum Heiligtum des Apollo
und seiner Begegnung mit Helena, die dritte von dem Raube der Helena
und den Rüstungen der Griechen, die vierte vornehmlich von der äusseren
Erscheinung der griechischen Helden, die fünfte von dem ersten Kampfe
zwischen Griechen und Trojanern, von der Herstellung einer Wurfmaschine
u. s. w. Das letzte Ereignis, von welchem Hermoniakos berichtet, ist
die Rache der Hekabe, die Blendung des Königs Polymestor und die Er-
mordung seiner acht Söhne. Den Epilog bildet eine seltsame Erörterung
über das Werden und Wiesen des Menschen, über die vier Temperamente
und über die Gefahren, Mühsale und Jammernisse des Lebens. Schon
nach dieser fragmentarischen Inhaltsangabe lässt sich erwarten, wo die
Quellen dieser mittelgriechischen Ilias zu suchen sind. Vor der klippen-
reichen Sprache des echten, alten Homeros hatte der gute Hermoniakos
wohl ebenso viel Angst als sein bildungsbedürftiger Häuptling: er benützte
daher für sein Epos nicht die Ihas selbst, sondern die Allegorien und
die Carmina Iliaca des Tzetzes, den er auch zitiert,-) daneben wohl
noch irgend eine Paraphrase der homerischen Gesänge. Dass aber Her-
moniakos sogar die politischen Verse eines Tzetzes nicht immer begriff,
beweisen allerlei Missverständnisse. Litterarisch und ästhetisch betrachtet
steht sein Werk, in welchem heroische, biblische und mittelalter-
liche Elemente mit einander vermischt sind, 3) tief unter allem, was je
ein Byzantiner an wüster Geschmacklosigkeit geleistet hat. Die Geburt
eines solchen Monstrums ist kultur- und litterargeschichtlich ein Rätsel, das
sich nur durch die Annahme eines seltenen Vereines von geistiger Armut
und Roheit sowohl beim Bearbeiter als beim Besteller erklären lässt. Das
') Ueber diesen Herrscher vgl. K. Hopf,
Ersch- und Gruber'sche Enzyklopädie, I. Sekt.
Bd. 85 S. 421; 429 und G. Schlumberger,
Xumismatique de 1 orient latin, Paris 1878
S. 369.
*) S. 61, 59 ed. Legrand.
^) ÄchUles zieht mit einem Heere von
Bulgaren, Ungarn und Myrmidonen
vor Troja. Die Trojaner bewerben sich durch
eine Gesandtschaft um die Hilfe des Pro-
pheten David; erweist sie zurück, weil sie
ihm wegen ihres Heidentums verdächtig sind.
430 Byzantinische Litteratnrgeschichte. III. Vulgärgriecli. Litteratur. 1. Poesie.
ganze Unternehmen musste schon an dem Metrum scheitern, welches sich
der Dichter ausgewählt hat; während die Byzantiner sonst didaktische und
epische Stoffe ganz passend im zwölfsilbigen Trimeter oder in dem
volkstümlichen politischen Verse behandeln, verfiel Hermoniakos auf
die Idee, die trojanischen Heldenthaten in einem Masse zu besingen, das
sich für anakreontische Lieder und für Spottgedichte ') eignen mag, nicht
aber für ein langes Epos. Da nun die Monotonie weder durch Reim und
Strophenabteilung, noch durch den Wechsel zwischen katalektischen und
akatalektischen Versen gemildert wird, entsteht ein Tonfall, der den Leser
quält wie das nächtliche Picken einer Schwarzwälderuhr. Wären die Verse
wenigstens noch gut gebaut! Hermoniakos aber erlaubt sich, um seine
Trochäen zu regulieren, die unerhörtesten Accente und schüttet in die
zahllosen Lücken ganze Säcke voll sinnloser Flickwörter wie yä^, ovv, re,
äs'.^) Wie der Epirote auf sein Metrum verfiel, wissen die Götter; doch
ist zu vermuten, dass ihm der französische Trojaroman des Benoit de
Sainte-More, der in achtsilbigen jambischen Fableauxversen abgefasst ist,
als Vorbild diente. Bekanntschaft mit fränkischer Poesie wäre im 14. Jahr-
hundert selbst bei einem sonst sehr unwissenden Griechen nicht im min-
desten auffallend. Von der krausen Sprache des Werkes kann man sich
aus den mitgeteilten Proben eine Vorstellung bilden; für die geschichtliche
Erforschung des Vulgärgriechischen mag das Werk immerhin seinen Nutzen
behaupten, nur darf man nicht vergessen, dass bei der Ausbeutung dieses
Sprachmaterials die grösste Vorsicht nötig ist, weil viele Seltsamkeiten
zweifellos nur der schrullenhaften Gewaltthätigkeit des Verfassers ihr Da-
sein verdanken. Das Schlimmste an dem Werke ist der völlige Mangel
alles dessen, was man poetische Empfindung und Gestaltungskraft
nennt; das ungeheuere Gedicht ist vom Anfang bis zum Ende eine Poesie
im Stile des Pyramus im Sommernachtstraum: „0 Nacht, so schwarz von
Färb', o rabenschwarze Nacht! 0 Nacht, die du immer bist, sobald der
Tag vorbei." Dass es dieser Jammerilias trotz alledem nicht an Lesern
gefehlt hat, beweisen die drei uns erhaltenen Handschriften (zwei
Pariser und eine Leidener); noch im Zeitalter des Humanismus fand
das Werk einen Bewunderer in Nikolaos Lukanis, der für seine 1526
zu Venedig gedruckte Ilias kein besseres Vorbild zu finden wusste als den
Konstantin Hermoniakos.
1. Ausgaben: Zuerst edierte umfangreiche I*roben (3044 Verse) nach einer von
Sp. Zambelios angefertigten, fehlerhaften Abschrift des cod. Paris. 444 suppl. gr. Mauro-
phrydes, ^^Xoytj S. 73 — 182. — Der undankbaren Mühe einer vollständigen kritischen
Ausgabe unterzog sich E. Legrand, La guerre de Troie par Const. Hemioniacos, Hibl. gr.
vulg. V, Paris 1890 (mit einem genauen Variantenverzoichnis der drei Handschriften und
einem grammatischen Index).
2.. Die erste Ausgabe der Ilias des Nikolaos Lukanis (Venedig 1526) ist mit
einer Einleitung von K. Sathas wiederholt von E. Legrand Coli, de mon. vol. 5 (1870).
Doch ist das Bändchen leider nur unvollständig im Buchhandel (XII, 112 Seiten), weil die
') Vgl. § 206. Die beste humoristische
Verwendung fanden die achtsilbigen IVo-
chäen (doch mit dem Wechsel zwischen aka-
talektischen und katalektischen Versen) in
den reizenden Werken von Moritz Busch.
*) Sein Lieblingswort ist yäg. Man ver-
nehme ein Beispiel (S. 7 ed. Legrand):
Orrwf ßovXo^uai xiyuj yaQ
//pdf Ti^y at'jy ynQ [inaiXeinr
Kni Tovi VTiü aov ydq SovXovi
Tili Tf axoxeivtig ydg XiS$i(
Tiji 'OfiijQOV (5«i/'o»<f(«f u. 8. w.
3. Romantische Dichtungen tiher antike Stoffe. (§ 249—250.) 431
Exemplare des zweiten Heftes im Mai 1871 durch eine Feuersbrunst zu Grunde gingen.
Ueber Lukanis und sein Verhältnis zu Hermoniakos s. Legrand, Bibliogr. hell. I
(1885) 188—192.
249. Der trojanische Krieg, nökfiiog t/]c Tgroädog. Während Her-
moniakos seine Ihas wenigstens noch aus griechischen Quellen, wenn auch
sehr trüb fliessenden, geschöpft hat, fand es der anonyme Dichter des
trojanischen Krieges nicht unter seiner Würde, sich die Kenntnis von den
homerischen Geschichten bei einem fränkischen „Barbaren" zu holen. Sein
Werk ist nichts anderes als eine fast wörtliche Uebersetzung des berühmten
altfranzösischen Trojaromans von Benoit de Saint e-More. Die fränkische
Quelle verrät sich schon in den seltsam verunstalteten Eigennamen z. B.
"EqxovXsc, Mc'coog (Mars), Kovßä (Hecuba), IlävxQovxXog,^) auch in zahlreichen
fränkischen Appellativen wie r^äiinocc (chambre) u. s. w. Das Gedicht
ist in reimlosen politischen Fünfzehnsilbern abgefasst und gehört wahr-
scheinlich dem 14. Jahrhundert an.
Bis jetzt sind nur einige Proben aus cod. Paris. 2878 (14. Jahrhundert) ediert von
Maurophrydes, 'Exkayr} S. 183—211. — Ob die im cod. Vindob. theol. 297 authe-
wahrte Tgonidce. welche W. Wagner, Carmina S. XllI erwähnt, mit dem Werke des Pa-
risinus identisch ist, vermag ich nicht zu sagen. Auch in einem Codex der L'niversitäts-
bibhothek Bologna soll ein ^^llgär-griechischer Trojaroman stehen. — Vergleichung
des Parisinus mit Benoit de Sainte-More von Ch. Gidel, Etudes sur la litt. gr. mod.
S. 197—229.
250. Achilleis. Diese romantisch umkleidete Lebensgeschichte
des homerischen Helden ist in zwei stark von einander abweichenden
Bearbeitungen überliefert; die kürzere umfasst 761, die ausführliche
1820 reimlose politische Verse. Trotz des verschiedenen Umfanges ist der
Gang der Handlung derselbe; es finden sich in beiden dieselben Episoden
und sogar viele identische Verse. Das längere Gedicht ist offenbar eine
ausschmückende Ueberarbeitung des kürzeren. Ich skizziere den Inhalt
nach der ausführlicheren Redaktion: Dem mächtigen König des Myrmi-
donenlandes wird, nachdem er mit seiner Gattin 12 Jahre in kinderloser
Ehe-') verlebt hatte, ein Sohn geboren, der den Namen Achilles erhält;
er wird wohl erzogen und in allen Wissenschaften unterrichtet. Im Alter
von 8 Jahren vollendet er seine Studien und widmet sich von nun an
ritterlichen Künsten; in einem Turnier besiegt er mit vorgeschlagenem
Visier seine Gegner. Eines Tages wird gemeldet, dass ein fremder Fürst
das Land bedroht. Achilles zieht mit 12 auserlesenen Rittern in den
Kampf, erblickt Polyxene, die schöne Tochter des feindlichen Königs, und
gewinnt ihr Herz durch Liebesbillete {nirTäxia)-, es folgt Versöhnung und
fröhhche Hochzeit. Beim Vermählungsfeste überwindet ein fränkischer
Edelmann alle Ritter des Achilles, auch den Patroklos, wird aber zuletzt
von Achilles aus dem Sattel geworfen. Nach 6 Jahren glücklicher Ehe
stirbt Polyxene. Ein Jahr nach diesem Unglück zieht Achilles mit den
Myrmidonen in den Krieg gegen Troja. Paris verspricht ihm seine
Schwester zur Frau zu geben, damit zwischen den Trojanern und Griechen
Friede werde ; Achilles glaubt seinen Worten, wu-d aber in der Kirche zu
') Diese Form findet sich jedoch auch
in der Achill eis, weshalb vielleicht an
volksetj-mologischen Einfluss zu denken ist.
^) Ein beliebtes Romanmotiv, das z. B.
auch in der Erzählung von Flore und
Blancheflore vorkommt.
432 Byzantinische Litteratnrgescliichte. m. Vulgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
Troja, wo er mit der versprochenen Maid getraut zu werden hoffte, von
Paris und Deiphobos überfallen und meuchlings ermordet. Der Dichter
nennt noch Homer, Aristoteles und Plato als seine Quellen und schliesst
mit einer moralischen Betrachtung des irdischen Glückes.
Das antike Kolorit ist in der Achilleis noch mehr verwischt als in
den oben genannten Trojageschichten. Wenn man die griechischen Namen
wegnimmt, so bleibt ein höfisches Romangedicht übrig mit der üb-
lichen Schilderung von Turnieren, sittsamen Jungfrauen, Palästen und
Gärten, dazu das acht byzantinische Beiwerk einer goldenen Platane mit
automatischen Vögeln; ein mittelalterliches Motiv ist auch die Zwölfzahl
der auserlesenen Ritter des Achilles, die seine Geheimnisse teilen und in
der Not sich um ihn scharen (König Artus). Uebrigens ist die Beschrei-
bung der Orte und Personen ziemlich nebelhaft; nur durch die häufige
Erwähnung der Franken, fränkischer Ritter und fränkischer Sitten ent-
steht ein verschwommenes Lokalkolorit. Eine unmittelbare Vorlage
des Werkes scheint nicht bekannt zu sein; einige Züge weisen auf Malalas
als Quelle zurück, so der Name Polyxene und die Erzählung von der be-
absichtigten Vermählung des Achilles mit der Schwester des Paris *). Doch
ist nicht sicher, ob der Verfasser den Malalas selbst benützt hat. An
Geschmack und poetischer Kraft steht die Achilleis hoch über den zwei
oben genannten Trojageschichten ; namentlich sind manche der eingestreuten
Liebesbillete wahr empfunden und gut ausgeführt. Der volksmässige Ton
kommt in der Einführung des Totengottes Charon (V. 1624) und in der
Scliilderung vom Mitleide der Nachtigall (V. 1063 ff) 2) glücklich zum
Ausdrucke. Für die Erkenntnis des Grundcharakters des Gedichtes ist
namentlich die unverkennbare Aehnlichkeit des Achilles mit dem rho-
mäischen Nationalhelden Digenis Akritas zu beachten; die wichtigsten
Züge sind beiden gemeinsam, das wunderbar schnelle Wachstum, die
jugendlichen Heldenthaten, der frühe Tod der Gemahlin und des Helden
selbst. Nach seinem inneren Gehalte ist das Werk trotz der homerischen
Namen mit dem Akritenzyklus und den Märchenromanen enger verwandt
als mit den Trojageschichten. Die Abfassungszeit der Achilleis ist un-
bekannt; doch stammen wahrscheinlich beide Bearbeitungen aus dem 14.
Jahrhundert.
Ausgaben: Die kürzere Version (des cod. Bodleianus) ed. K. Satlias, Annuaii.
de l'assoc. LS (1879) 126—175. — Die umfangreichere edierte nach einem cod. Neapol..
doch ohne Benützung einer dasselbe Werk enthaltenden Handschrift im British Museum
W. Wagner, Trois poämes gr. S. 1 — 55.
251. Der Alexanderroman. Die Entstehungs- und Entwickelungs-
geschichte der Alexandersage ist etwas genauer bekannt als die der troja-
nischen Humbuglitteratur. Unter dem Namen des gelehrten Kallisthenes.
der eine berühmte, uns leider fast vollständig verlorene Geschichte der
Kriegszüge Alexanders des Grossen verfasst hat, wurde eine apokryphe
Alexandergeschichte in Umlauf gebracht, deren Kern wahrscheinlich
') Malalas ed. Bonn. S. 130 f. I Rolle. Vgl. A. Luber. Die Vögel in den
*) Die Teilnalime der Vögel an den historischen Liedern der Neugriochen, Progr.
Cieschicken der Menschen spielt noch in der Salzburg 1882.
neugriechischen Volkspoesie eine erhebliche |
3. Romantische Dichtungen über antike Stoffe. (§ 251.) 433
in der Ptolemäerzeit zu Alexandria entstanden ist; später, besonders im
Anfang des 3. Jahrhunderts n. Chr., erfuhr die Geschichte des Pseudo-
Kallisthenes weitere Umarbeitungen und alsbald auch verschiedene Ueber-
setzungen. Die griechische Fassung des Werkes ist in drei Versionen
überliefert, einer alten, welche der Urform am nächsten kommt, und zwei
jüngeren, durch Zusätze und Interpolationen entstellten. Daran reihen sich
die lateinische Uebertragung des Julius Valerius, die vor 340, wahr-
scheinlich im Anfang des 4. Jahrhunderts abgefasst ist, eine armenische
Uebersetzung aus dem 5., spätestens 6. Jahrhundert, die dem ursprüng-
lichen Pseudo-Kallisthenes wohl am nächsten steht und schon von Moses
von Khoren benützt ist, endlich eine syrische Bearbeitung, die viel-
leicht ebenfalls dem 5. Jahrhundert angehört. Die lateinische Uebertra-
gung des Julius Valerius wurde später fast völlig verdrängt durch eine
zweite lateinische Bearbeitung, die sogenannte Historia de preliis,
welche in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts der Archipresbyter
Leo, unabhängig von Julius Valerius, aus einem griechischen Texte ge-
schöpft hat. Sein Werk, in welchem sich der occidentalische Geist des
10. Jahrhunderts treu widerspiegelt, wurde mit Beifall aufgenommen und
in zahlreichen Uebersetzungen über das ganze Abendland verbreitet.
Wie bei den Romanen und Germanen, so wurde auch bei den
Griechen der ursprüngliche Text des Pseudo-Kallisthenes modernisiert,
d. h. dem veränderten Geschmack und Bedürfnis des Mittelalters angepasst.
Eine mittelgriechische Bearbeitung der Alexandersage in 6117 reim-
losen politischen Versen ist in dem schönen, aus der Bibliothek des Kar-
dinals Bessarion stammenden cod. Marcianus 408 aufbewahrt. Die
Handschrift ist, wie in drei Versen am Schlüsse vermerkt wird, im Jahi-e
1388 geschrieben; die Abfassung des Gedichtes selbst dürfte nicht viel
früher, jedenfalls nicht vor dem 14. Jahrhundert erfolgt sein. Der
unbekannte Verfasser beweist Geschmack und ein erhebliches Talent für
anschauliche Darstellung. Seine Sprache ist fliessend, wird aber durch
die verunglückte Nachahmung altgriechischer Konstruktionen und Formen
zuweilen fehlerhaft. Leider ist die einzige Ausgabe unzuverlässig und
namentlich für sprachliche Detailforschung nur mit grösster Vorsicht zu
verwerten. Eine zweite vulgärgriechische Bearbeitung, die viel-
leicht von Markos Depharanas stammt, ist als venezianisches Volks-
buch öfter gedruckt worden.
1. Ausgaben: Das Alexanderlied des cod. Marc. ed. W. Wagner, Trois po6mes
gr. S. 56—241. — Die ersten 800 Verse ed. gleichzeitig E. Legrand, Bibl. gr. vulg. II
(1881) S. XXXV— LIX. — Die zweite Bearbeitung erschien zuerst Venedig 1529; dann
ebenda 1553. Vgl. Legrand, Bibliogr. hell. 1 (1885) 205; 286 ff. — St. Kapp, Mittei-
lungen aus griechischen Handschriften als Beitrag zur Geschichte der Alexandersage im
Mittelalter, Progr. Wien 1872.
2. Allgemeine Hilfsmittel: Zum altgriechischen Ps.-Kallisthenes : W. Christ,
Griech. Litteraturgesch. ^ § 555. — Zu Julius Valerius: W. S. Teuffei, Geschichte
der römischen Litteratur " (1882) § 399. — Zu den orientalischen Bearbeitungen: Th.
Nöldeke, Beiträge zur Geschichte des Alexanderromans, Denkschriften der Wiener Akad.,
phil.-hist. Cl. 38 (1890). — Zur armenischen Bearbeitung: J. Gildemeister, Pseudo-
kallisthenes bei Moses von Khoren, Zeitschrift der deutschen morgenländ. Gesellschaft 40
(1886) 88 f. — Zu den französischen, englischen und deutschen Bearbeitungen:
Th. Grässe, Lehrbuch einer allgemeinen Literärgeschichte II 3 (1842) 435—456. —
Gaston Paris, La litt. fran9aise au moyen äge, Paris 1888 S. 74 ff.; 251. — H. P. Junker,
Handbuch der klass. Altertumswissenschaft. IX. 1. Abtlg. 28
434 Byzantinische Litteraturgeschichte. M. Vulgärgriech. Litteratur. 1, Poesie.
Grundriss der Greschichte der französischen Litteratur, Münster 1889 S. 85 f. — Gust.
Körting, Grundriss der Geschichte der englischen Litteratur, Münster 1887 S. 112 f. —
Karl Goedeke, Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung I- (1884) S. 59 f. —
Auch Boccaccio scheint eine Version des Alexanderromans benützt zu haben; S.Marcus
Landau, Die Quellen des Dekameron, Stuttgart 1884 S. 293 ff. — Ch. Gidel, La legende
d'Aristote au moyen äge, Nouvelles etudes sur la litt. gr. mod., Paris 1878 S. 321—384. —
W. Hertz, Aristoteles in den Alexanderdichtungen des Mittelalters, Abhandl. d. bayer.
Akad. d. Wiss. L Gl. 19. Bd. 1. Abt. (1890). — Hauptschrift: Jul. Zacher, Pseudo-
kallisthenes, Halle 1867.
3. Eine besondere Beachtung verdienen hier die zum grössten Teil von Byzanz aus-
gegangenen slavischen und rumänischen Bearbeitungen: A. Veselovskij, Zur bul-
garischen Alexandersage, Arch. slav. Phil. 1 (1876) 608—611. Desselben Bemerkungen,
Arch. slav. Phil. 8 (1879) 572. Desselben: Die Wunderepisode der mittelgriechischen
Alexandreis, Arch. slav. Phil. 11 (1888) 327—343 (über eine altserbische Bearbeitung
mit Proben einer mittelgriechischen Prosaversion). — Einen altserbischen Text
des Alexanderromans ed. St. Novakoviö, Belgrad 1878. Vgl. den Bericht von V. Jagiö,
Arch. slav. Phil. 3 (1879) 734. — Ueber eine Ausgabe altböhmischer Alexanderfrag-
mente vgl. V. Jagiß, Arch. slav. Phil. 5 (1881) 669 ff. — Zum bulgarisch-sloveni-
schen Texte: P. Syrku und V. Jagiö, Arch. slav. Phil. 7 (1884) 78—88. — Einen
russischen Alexanderroman ed. die russische Gesellschaft der Bibliophilen, Peters-
burg 1880—1886, Nr. 67; 87. — Hauptwerk über die slavischen Bearbeitungen: A. Ve-
selovskij, Zur Geschichte des Romans und der Erzählung 1 (Petersburg 1886) 131—511
(Russ.). Hier wird u. a. eine ausführliche Analyse und Quellenuntersuchung der serbi-
schen Version gegeben und auch der Wiener Text der mittelgriechischen Alexandreis
zum ersten Male vollständig mitgeteilt. Als unmittelbare Vorlage des serbischen Romans
diente wahrscheinlich nicht eine byzantinische Version; vielmehr weisen manche Spuren
auf Vertrautheit des Verfassers mit der Litteratur der westlichen Romantik, so dass wohl
an Vermittelung oder Beeinflussung irgend einer abendländischen Version in der Art der
Historia de preliis zu denken ist. Vgl. V. Jagic, Arch. slav. Phil. 10 (1887) 233—243.
— Ueber eine rumänische Bearbeitung handelt M. Gaster, Literatura populara romana,
Bukarest 1883 S. 7-31. Vgl. desselben: Greeko-Slavonic, London 1887 S. 97 ff.
252. Apollonios von Tyros ist der Held eines griechischen
Romans, der höchst wahrscheinlich im 3. Jahrhundert n. Chr. entstanden
ist. Das Werk zeigt in Anlage und Inhalt grosse Verwandtschaft mit den
Sophistenromanen, besonders mit dem des Xenophon Ephesios, dem
es vielleicht sogar als Vorbild gedient hat. Statt des zweifellos verlorenen
griechisch-heidnischen Originals haben wir eine mit christlichen und spät-
römischen Elementen versetzte lateinische Bearbeitung, die spätestens
im Anfang des 6, Jahrhunderts entstanden ist. Im Mittelalter wurde der
lateinische Apolloniusroman zu einem beliebten Volksbuch, das sich
fast alle Nationen aneigneten. Damals kehrte die Erzählung vom
Abendlande nach dem griechischen Osten zurück, wo längst
jede Spur des alten Originalwerkes verloren gegangen war. Der
vulgärgriechische Apolloniosroman ist in zwei metrischen Bearbeitungen
erhalten: 1. Die ältere, wohl dem Ende des 14. oder dem Anfang dos
15. Jahrhunderts angehörige Version (857 reimlose politische Verse) steht
im cod. Paris. 390 und ist betitelt: MezayXwvTia/ia arco Aativixov eig
'^Po}}imxöv. Jirjrioig nokvTiaO^ovg 'AttoXXcoviuv tov Ti'qov. In der That ist
das Gedicht nach dem lateinischen Texte gearbeitet und zwar nach der
Rezension {B") der Historia Apollonii regis Tyrii (ed. A. Riese, Leipzig
1871), welche am besten durch die Tegernseer Fragmente vertreten wird.')
2. Die zweite Bearbeitung, die gegen das Ende des 15. Jahrhundorts
') Vgl. L. Traube, Neues Archiv d. 1 künde 10 (1884) 382.
QesellHchaft f. ältere deutsche Geschieht«- ]
3. Romantische Dichtungen über antike Stoffe. (§ 252—253.) 435
entstanden ist, unterscheidet sich von der ersten durch eine breitere Dar-
-tellung und durch die Anwendung des Reimes (1894 politische Verse).
^le wird in der neueren Litteratur bald einem gewissen Gabriel Kon-
tianos, bald einem Konstantin Temenos zugeschrieben; in der That
sind aber beide höchst wahrscheinlich nur Kopisten des Werkes. ^) Wenn
nun die Apolloniosgeschichte noch heutigestags an der kleinasiatischen
Küste im Munde des Volkes lebt,^) so ist darin nicht etwa ein direkter
Keflex des altgriechischen Romans, sondern einfach eine Reminiszenz an
das beliebte, seit dem 16. Jahrhundert in venezianischen Drucken ver-
breitete vulgärgriechische Volksbuch zu erblicken.')
1. Ausgaben und Hilfsmittel: Die ältere Version edierte zuerst W. "Wagner,
Medieval gr. texts S. 57—104 (nach einer fehlerhaften Abschrift des codex Paris.). —
Besser nach einer genauen Kollation von E. Legrand ed. W. Wagner, Carmina
S. 248 — 276. - Die gereimte Version erschien in der gewöhnlichen Ausstattung der vene-
zianischen Volksbücher, Venedig 1534, 1553 und öfter. — Vgl. E. Legrand, Bibliogr.
hell. I 289 S. — Die reiche Litteratur zum lateinischen Apollonius imd den sonstigen
abendländischen Bearbeitungen verzeichnen: Th. Grässe, Lehrbuch einer allgemeinen
Literärgeschichte U 3 (1842) 457—460, W. S. Teuffei, Geschichte der römischen Litte-
ratur * (1882) § 489 und Karl Goedeke, Grundriss zur Geschichte der deutschen Dich-
tung r- (1884) S. 367 f. — Analyse des Romans bei E. Rohde, Der griechische Roman
S. 408 ff.
_2. W. Wagner bemerkt im Liter. Centralbl. 1876 S. 18, er habe in der Academy
4, 147 nachgewiesen, dass der vgr. Apollonios in Cypern entstanden sei. Da sich
Wagner selbst falsch zitiert, weiss ich nicht, worauf er seine Annahme stützt. Mit sprach-
lichen Momenten dürfte sich beim g.egenwärHgen Stand der Dialektforschung ein solcher
Nachweis schwerlich überzeugend durchführen lassen.
253. Der Belisarroman. Kein griechischer Feldherr nach Alexander
dem Grossen war mehr geeignet eine volkstümliche Person zu werden
als Belisar. Wie er durch einen kühnen Handstreich den blutigen Auf-
stand der Parteien erstickte, wie er im raschen Sturmlauf das Vandalen-
reich zertrümmerte, wie er Sizilien und Italien eroberte, wde er den ge-
fürchteten Perserkönig überwältigt« und wie er zuletzt den Verleumdungen
der Höflinge unterlag und bei Justinian in Ungnade fiel, all das musste
sich den Zeitgenossen gewaltig ins Gedächtnis prägen und bei den Nach-
kommen in ausschmückender und übertreibender Erzählung fortleben. Doch
konnte seine Geschichte nicht mehr wie die der homerischen Helden und
Alexanders zum Gemeingut des ganzen Mittelalters werden. Als man
anfing, den Belisar als nationalen Helden zu feiern, hatte sich die grie-
chische Ostwelt vom romanischen und germanischen Westen in Sprache,
Sitte und Lebensart schon weit abgesondert; so blieb diesem Stoffe die
Latinisierung und damit die Verpflanzung auf den abendländischen
Kulturboden versagt. Um welche Zeit sich die volksmässige Sage der
Heldengestalt des oströmischen Heerführei-s bemächtigte, ist nicht bekannt.
Die Erzählung, dass Belisar von Justinian geblendet worden sei und dann
sein Brot gebettelt habe, findet sich zuerst in den JlävQia rrjg rrö/.swg,*)
') Vgl. E. Legrand, Bibliogr. hell. I ! ») Dieser Sachverhalt ist richtig erkannt
(1885) 290, wo zu berichtigen ist, dass im ; von B. Schmidt, Griechische Märchen, Sa-
cod. Ambros. Y 89 sup. der Name^ nicht
Axovxiüvog, sondern 'Axoiiävog {yavQirjX axo-
riäyo)) lautet.
^) J. G. V. Hahn, Griechische und alba-
nesische Märchen I 273 ff. und U 250 ff.
gen und Volkslieder, Leipzig 1877 S. 7.
*) Georgios Kodinos, De Signis, ed.
L Bekker (Bonn 1843) S. 29. VgL S. 167
unseres Abrisses.
28^
436 Byzantinische Litteratnrgeschichte. HI. Vnlgärgriech. Litteratnr. 1. Poesie.
welche unter Kaiser Alexios Komnenos (1081 — 1118) aus älteren Quellen
zusammengestellt wurden,*) dann mit einer Modifikation bei Tzetzes,^) der
jedoch ausdrücklich bemerkt, dass „andere Chronisten" von der Blendung
des Belisar nichts wissen. Die uns erhaltenen Belisargeschichten gehören
jedenfalls erst dem 15. und 16. Jahrhundert an, und auch ihre Vorlage
kann nicht vor der Paläologenzeit entstanden sein; das beweisen die V. 296 ff.
der ältesten Version angeführten Namen byzantinischer Edelleute,
die ganz ähnlich in der zweiten und dritten Version wiederkehren, und
die ebenfalls allen drei gemeinsame moralische Schlussbetrachtung
über die verderblichen Wirkungen der unter den Rhomäern herrschenden
Zwietracht, welche dem ungestümen Volke der Türken zu gute komme.
Immerhin bleibt die Annahme offen, dass es ältere Formen der Belisar-
geschichte gegeben habe, die dann durch die uns erhaltenen Neubearbei-
tungen völlig überdeckt und verdrängt worden wären.
Das abwechselnde Obsiegen und Unterliegen des verleumderischen
Neides der Höflinge, die Undankbarkeit und spätere Reue des Kaisers,
der jähe Sturz menschlichen Glückes waren offenbar höchst ergiebige
Motive, die von einem geschickten Darsteller, wie der einst so beliebte
Roman Marmontels^) beweist, zu einem wirksamen Ganzen verarbeitet
werden konnten. In der vulgärgriechischen Erzählung sind die Vorteile
des Stoffes nicht genugsam ausgebeutet. Es folge eine Skizze des Inhalts
der ältesten Version: Die Höflinge verleumden den tapferen Belisar. Er
wird drei Jahre in einen dunkeln Turm gesperrt. Um diese Zeit rüstet
der Kaiser eine Flotte gegen einen fernen Feind. Die Grossen des Reiches
streiten sich um den Oberbefehl, das Volk aber rottet sich zusammen und
verlangt, dass Belisar zum Heerführer gewählt werde. Der Kaiser ge-
horcht. Belisar segelt gegen England (EyyhiTkQo), lässt die Schiffe hinter
sich verbrennen, erobert das Kastron von England, nimmt den König ge-
fangen und kehrt mit Beute beladen nach Konstantinopel zurück. Von
neuem beschuldigen ihn seine Feinde des Hochverrats. Der Kaiser
glaubt ihnen und lässt Belisar blenden. Bald kommt das Reich durch
die Perser und Sarazenen in grosse Gefahr. Da gibt der Kaiser dem
Sohne des Belisar, Alexis, den Oberbefehl, und dieser überwindet die
Feinde.
Bis jetzt sind drei Versionen dieser Geschichte bekannt geworden:
Die älteste (556 reimlose politische Fünfzehnsilber) steht im cod. Vindob.
theol. 297; die zweite (840 mit Ausnahme der Schlusspartie reimlose
Fünfzehnsilber) stammt von dem rhodischen Dichter Emmanuel Geor-
gillas (s. § 244); die dritte (997 gereimte Fünfzehnsilber) überliefern
mehrere Venezianer Drucke und eine im Besitze von E. Legrand befind-
liche Handschrift. Alle drei Bearbeitungen stimmen im Gange der Er-
') Darnach ist die Angabe von L.Ranke,
Weltgeschichte IV 2 (1883) 91, zu berichtigen.
^) Chiliaden III 339 ff. Weniger kri-
tisch als Tzetzes hält Lord Mahon in
seinem weitschweifigen Buche: The life of
lielisanuH, London 1829, die Blendung und
dos Bettlertum des Belisar fUr historische
Wahrheit.
*) Auf Marmontels Bölisaire, der boi
seinem Erscheinen (1767) das grösste Auf-
sehen erregte, beruht die spätere Verwer-
tung dos Stoffes durch Dramatiker (E. v.
Schenk), Komponisten (Donizetti), Maler (Da-
vid) und Bildhauer.
3. Romantische Dichtungen über antike Stoffe. (§ 253.) 437
Zählung und in der gesamten Auffassung überein und hängen offenbar
genealogisch aufs engste zusammen, obschon eine genauere Bestimmung
ihres gegenseitigen Verhältnisses noch fehlt.
Ausgaben: Die älteste Version ed. W. Wagner, Progr. Hamburg 1873. — Die
des Georgillas ed. Allen Giles, Oxford 1843 (fast unzugänglich, weil nur in 60 Exem-
plaren abgezogen). Dann W. Wagner, Medieval gr. texts S. 110 — 140. — Die gereimte
Version erschien als venezianisches Volksbuch, Venedig 1548, 1554, 1562 (und wohl öfter).
S. E. Legrand, Bibliogr. hell. I (1885) 281; 296; II (188-5) 190. — Sammelausgabe
der drei Versionen von W. Wagner. Carmina S. 304—378.
4. Romantische Dichtungen über mittelalterliche,
zum Teil abendländische Stoffe.
254. Vorbemerkung. Ich fasse in diesem Abschnitte einige roman-
hafte Dichtungen zusammen, die teils auf einheimische Märchenstoffe zurück-
gehen, teils aus fränkischen Vorbildern stammen, teils von zweifelhafter
Herkunft sind. Ihr gemeinsames Merkmal ist der rein mittelalterliche,
romantische Charakter des Stoffes und der Behandlungsweise. Der kul-
turelle Untergrund, der diese ritterlichen und märchenhaften Erzäh-
lungen bei den Griechen erzeugte oder wenigstens ihre Verbreitung be-
förderte, ist in den lateinischen Herrschaften zu suchen, die seitdem
vierten Kreuzzuge in den Waldgebirgen von Livadien und Morea, auf den
liebreizenden Inseln des Archipelagus und in den üppigen Niederungen der
kleinasiatischen Küste allenthalben emporwuchsen; hier war ein reiches
Lebensgebiet, voll von kühnen Abenteuern, wundersamen Glücksfällen und
tragischen Geschicken, ein Märchenland, wo fahrende Ritter wie Lybistros
auszogen und sich schöne Fürstentöchter, stolze Burgen und Kronen er-
oberten. Dass die Byzantiner im späteren Mittelalter sich einige abend-
ländische Erzählungstoffe angeeignet haben, ist zweifellos (s. g§ 258
bis 260). Viel schwieriger ist die umgekehrte Frage, inwieweit mittel-
alterliche Erzählungen des Abendlandes auf spätgriechische oder byzan-
tinische Quellen zurückgehen. E. Rohde ') hat die Vermutung ausge-
sprochen, dass der Geschichte des Boccaccio von Galeso und Efigenia
(Novelle 5, 1) ein griechisches Original Kvnqiaxä zu Grunde liege. Gautier
von Arras hat für sein Gedicht Eraclius ein uns verlorenes byzantini-
sches Original benützt (s. § 216). Für manche Stoffe sind spätgriechisch-
byzantinische Vorbilder wenigstens wahrscheinlich. 2) Selbst die scheinbar
echt germanische Tierfabel stammt vielleicht aus dem Osten (s. § 261).
Die Hauptschriftcn für diesen Abschnitt sind die S. 394 angeführten Bücher von
Ch. Gidel, der jedoch in einer Art von wissenschaftlichem Patriotismus bei seiner Unter-
suchung für die Landsleute möglichst viel herauszuschlagen sucht und selbst offenbar grie-
chische oder ganz allgemein verbreitete Dingo als französisches Urbesitztum reklamiert.
Eine objektive Erforschung der gesamten abendländisch-byzantinischen Tausch- und
') Der griechische Roman S. 538 ff. | Hier kann auf diese verwickelten Fragen,
') Einiges berührt Cholevius, Ge- | an denen die byzantinische Litteratur nur
schichte der deutschen Poesie nach ihren | indirekt beteiligt ist, nicht näher eingegangen
antiken Elementen, 2 Teile, Leipzig 1854. | werden.
4. Romantische Dichtungen üb. mittelalterl., z. T. abendländ. Stoffe. (§ 254—255.) 4,39
Lehnlitteratur, bei der man sich jetzt auf weit zahlreichere und bessere Texte stützen
könnte, als sie Gidel zugänglich waren, ist eines der dringendsten Bedürfnisse der vulgär-
griechischen Litt«raturgeschichte.
255. Kallimachos und Chrysorrhoe, T« xard KaXXifxaxov xal Xqv-
aoQoöi]r. 'Eq(otix6v dnjr^^ua (2607 reimlose politische Verse). Ein König
hat drei Söhne, Nikokles, Xanthippos und Kallimachos, die sich in gleicher
Weise durch Schönheit und Tüchtigkeit auszeichnen. Der Vater, in Zweifel
darüber, welcher des Thrones am würdigsten sei, bestimmt den zu seinem
Xachfolger, der sich durch eine Heldenthat am meisten hervorthue. Alle
drei ziehen daher auf Abenteuer aus; nach mühseliger Wanderung durch
einen wilden Bergwald gelangen sie zu einer Drachenburg [Jquxovtö-
xaavQov). Kallimachos beschliesst trotz der Warnungen seiner Brüder ins
Innere der Burg einzudringen; er ersteigt die Mauer und gelangt durch
einen herrlichen Park und menschenleere Säle, die mit reichbesetzten Tafeln
ausgestattet sind, in ein prächtiges Gemach, wo er eine an den Haaren
aufgehängte Jungfrau erblickt. Bald verkünden rauhe Laute und Donner-
schläge das Nahen des Drachen; Kallimachos versteckt sich auf den Rat
der Jungfrau in einem silbernen Fasse. Nachdem der Drache die Jung-
frau nach seiner Gewohnheit gequält und ihr zur Nahrung Brot und Wasser
gereicht hat, nimmt er selbst ein reichliches Mahl zu sich und versinkt
darauf in tiefen Schlaf. Kallimachos schlägt dem schnarchenden Untier
das Haupt ab und befreit die Jungfrau, die ihm nun ihre Leidensgeschichte
erzählt: Sie heisse Chrysorrhoe und stamme aus einer königlichen Familie ;
der Drache, in heftiger Liebe zu ihr entbrannt, habe ihre Eltern getötet
und sie selbst entführt ; sie aber habe standhaft alle Qualen erduldet, ohne
ihre jungfräuliche Reinheit zu opfern. Nach diesen Mitteilungen verbindet
sich Chrysorrhoe in zärtlicher Neigung mit Kallimachos, und das glück-
liche Paar verlebt im Drachenschloss Tage der Liebe und Wonne. Doch
nehmen die Honig wochen ein grauses Ende; ein junger Prinz, der mit
seinem Heere am Drachenschloss vorüberzieht, erblickt Chrysorrhoe und
beschliesst, die Burg und ihre schöne Insassin für sich zu erobern. Da
seine Feldherrn ihre Macht für zu gering halten, um eine so furchtbare
Festung zu nehmen, kehrt der Prinz in seine Heimat zurück, um ein
grösseres Heer auszurüsten. Hier wird er vor Liebeskummer krank; eine
alte Zauberin verspricht ihn zu heilen und gibt ihm einen goldenen
Apfel mit einer magischen Inschrift, der, an die Brust eines Menschen
gelegt, tötet, an die Nase gebracht, ins Leben zurückruft; dann führt sie
den Prinzen mit hundert Begleitern zur Drachenburg, lockt den Kalli-
machos durch List an sich und gibt ihm den Apfel, der sofort seine töd-
liche Wirkung ausübt. Nun wird Chrysorrhoe mit leichter Mühe gefangen
genommen und in die königliche Residenz verbracht. Unterdessen erfahren
die zwei älteren Brüder durch einen Traum, dass sich Kallimachos in Ge-
fahr befinde; sie ziehen nach der Drachenburg zurück und beleben den
toten Bruder dadurch, dass sie ihn an dem Apfel, den sie an seinem Busen
finden, riechen lassen. Kallimachos erfährt das Schicksal der Chrysorrhoe
und verdingt sich im Palaste ihres Entführers als Gärtnergehilfe, um
eine Gelegenheit zu finden, seine Geliebte wiederzusehen. Durch einen
440 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vulgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
Ring verrät sie ihm ihre Anwesenheit, die Liebenden treffen sich und
halten in einem Gartenpavillon nächtliche Zusammenkünfte, die im Ge-
dichte mit romantischer Freiheit geschildert sind. Endlich wird der ge-
heime Liebesbund entdeckt, und der König lässt Chrysorrhoe und den ver-
meintlichen Gärtner vor ein Volksgericht führen ; hier rechtfertigt sich die
junge Frau durch eine allegorische Erzählung, Kallimächos offenbart seine
fürstliche Abstammung, der König erkennt sein Unrecht, befiehlt die Zau-
berin in einem glühenden Ofen zu verbrennen und entlässt Kallimächos
und Chrysorrhoe mit reichen Geschenken in ihre Heimat.
Die Herkunft dieser phantastischen Erzählung scheint bis jetzt
nicht ermittelt zu sein; doch wird sofort klar, dass wir es hier mit einem
Zaubermärchen zu thun haben. Wenn man die von J. G. v. Hahn*)
herausgegebenen neugriechischen Märchen vergleicht, so findet man die
meisten Ereignisse des mittelalterlichen Gedichtes wieder; zwar enthält
nicht ein Märchen den gesamten Gang der Handlung, aber die einzelnen
Motive und charakteristischen Züge lassen sich aus verschiedenen Märchen
zusammenstellen. Und so ist auch der Verfasser des mittelalterlichen
Gedichtes verfahren; denn dass seine Erzählung aus verschiedenen
Märchentypen zusammengesetzt ist, beweist schon die Wiederholung
derselben Motive, z. B. die ausführliche Doppelschilderung der Liebes-
freuden des Paares zuerst im Drachenschlosse und später im Gartenpavillon.
Die Sprache des Werkes ist von der volksmässigen Naivität weiter ent-
fernt als die des Prodromos und Glykas; sie erscheint durch Lektüre
stark temperiert und nähert sich zuweilen der byzantinischen Kunstgräzität.
Auch sonst prunkt der Verfasser mit schulmässigen Kenntnissen; im
Drachenschlosse überraschen den Kallimächos bildliche Darstellungen
der Liebeständelei des Ares und der Aphrodite, Bilder der Athene, der
Chariten und des Eros. In den sehr äusserlich in die Erzählung einge-
sprengten „ex(fQäaeig-^ der Herrlichkeiten des Parkes und Schlosses, 2) in
der übermässigen Verwendung des Begriffes der Tvxrj, in den Schwüren
bei Eros und Aphrodite und in vielen anderen Zügen verrät sich deutlich
genug der Einfluss der Technik des griechisch -byzantinischen
Sophistenromane s. Wahrscheinlich hat der Verfasser auch schon die
grossen Romane der Komnenenzeit (s. §§ 197; 199; 200; 201) vor Augen
gehabt; zwischen diesen und den rein romantischen Gedichten wie Bel-
thandros, Florios u. s. w. steht sein Werk in der Mitte — vielleicht auch
chronologisch. Die Abfassungszeit lässt sich zwar noch nicht mit Sicher-
heit bestimmen ; doch scheinen litterarhistorische Gründe wie auch einzelne
Spuren eines älteren Stadiums der Vulgärsprache ^) dieses mit klassischen
Lappen aufgeputzte orientalisch-byzantinische Märchengedicht in das 1 2.
') Griechische und albanesische Märchen, einer Verschwendung von (lohl. Perlen und
2 Hände, Leipzig 1864. Vgl. besonders Bd. 1 Kdelsteinen, wie sie selbst in Märchen selten
II N. 64 und die Variante S. 259 ff. vorkommt.
*) Von V. 274 an folgen in ununter- | *) Vielleicht darf man u. a. die durch
brochener Reihe die üppigsten Schilderungen I den Vers empfohlene altertümliche Betonung
des Gartens, des Bades, seiner Pforten, seiner | (ixofnj V. 200Ü beiziehon, die sich ebenso bei
Portiere und seines Ofens, der reichbesetzten j Glykas V. 178 und in Lybistros V. 1424
Tafel, eines Ruhelagers u. s. w., alles mit | und 3779 findet.
4. Romantische Dichtungen über mittelalterliche, z. T. abendländ. Stoffe. (§ 256.) 441
Jahrhundert zu verweisen. Zu einer endgiltigen Entscheidung bedarf
es hier wie bei den meisten vulgärgriechisehen Romanen der feinsten
sprachliehen, metrischen und litterarhistorischen Untersuchungen.
Das Gedicht ist in einer einzigen, schon von Meursius für die zweite Auflage
seines Glossarium Graecobarbarum (Lugd. Bat. 1614) benutzten, seitdem aber fast völlig
verschollenen Leydener Handschrift des 16. Jahrhunderiis (cod. Scalig. 55) überliefert:. Da-
raus ed. von Sp.' Lambros, Coli, de rom. gr. 1 — 109; vgl. introduct. S. 63—87. — Auf
die Handschrift hatte schon E. Rohde. Der griechische Roman S. 535 f. aufmerksam ge-
macht. — Zur Chronologie vgl. J. Psichari. Essais de grammaire historique neo-gr.
I 6; 70.
256. Belthandros und Chrysantza, Jirji]aig s^aiQevog BsX&äröqov
rov 'Po)incciov (1348 politische Yerse). Rhodophilos, König des Rhomäer-
landes, hat zwei Söhne, Philarmos und Belthandros. Der jüngere, der
von seinem Vater in unverdienter Weise zurückgesetzt wird, entschliesst
sich, sein Glück in der Fremde zu suchen und zieht mit drei Knappen
von dannen. Nach seiner Abreise gelingt es dem Philarmos, der seinen
Bruder aufrichtig liebt, den Vater milder zu stimmen; dieser sendet 24
Ritter aus, um den verstossenen Sohn zurückzurufen; doch lässt sich der-
selbe nicht zur Umkehr bewegen. Auf seiner Wanderfahi't kommt Bel-
thandros durch Anatolien und die Türkei, die noch im Orient und zwar
in der Nähe von Armenien gedacht ist; er besteht ähnliche Abenteuer wie
Digenis i^kritas. Bei Tarsos bemerkt er in einem Flusse einen wunder-
baren Feuerstern ; er zieht flussaufwärts, um seine Quelle und den Ursprung
des Feuers zu entdecken. Nach zehn Tagen gelangt er zu einem herr-
lichen, aus Sardonyx gebauten Schlosse, aus welchem der Feuerstrom ent-
quillt ; von den Zinnen blicken goldene Löwen- und Drachenköpfe ; an einem
Thore aus Demant entdeckt er eine Inschrift, die ihm verkündet, dass er
das Erotokastron vor sich habe. Er befiehlt seinen Knappen auf ihn
zu warten und betritt das Liebesschloss, dessen kunstvolle Einrichtung nun
sorgfältig beschrieben wird. Unter anderem erblickt Belthandros einen
wunderbaren Vogel Greif, einen kostbaren Pfau, aus dessen Augen und
Schnabel jener Feuerquell entströmt, bildliche Darstellungen der Gewalt
des Eros, Inschriften von Liebenden, die hier ihr Geschick verewigt haben,
endlich eine Inschrift, die sein eigenes Schicksal verkündet: Belthandros,
der Sohn des Rhomäerkönigs Rhodophilos, ist in Liebe entbrannt zu Chry-
santza, der Tochter des Königs von Antiochia, und durch das Schicksal für
sie bestimmt. Nach dieser tröstlichen Lesung erscheint dem Belthandros
in einem von Gold und Edelsteinen blitzenden Gemache ein geflügelter
Eros und bescheidet ihn zum König der Liebe; dieser gibt ihm einen
wundervollen Stab aus Gold und Topas und befiehlt ihm, denselben der
schönsten unter 40 edlen Jungfrauen zu übeiTeichen, die er ihm vor
Augen führt. Belthandros mustert die Mädchen und nennt ziemlich un-
höflich die körperlichen Mängel, die den meisten anhaften ; zuletzt bleiben
3 Jungfrauen übrig, von welchen er mit Bedacht die allerschönste aus-
wählt. Jetzt gedenkt Belthandros der glückverheissenden Inschrift und
verlässt das Liebesschloss, um nach Antiochia zu ziehen. Vom Herrscher
des Landes als Lehensmann angenommen, erkennt er in Chrysantza, der
Tochter des. Königs, jenes Mädchen wieder, dem er im Liebesschloss den
4-42 Byzantinische Litteratnrgeschichte. III. Vnlgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
Preis der Schönheit zuerkannt hatte. Nach einer nächtlichen Zusammen-
kunft, die ihm Chrysantza im Parke gewährt, wird er von Wächtern ent-
deckt und gefesselt. Phädrokaza, die treue Kammerzofe der Königs-
tochter, nimmt die Schuld auf sich und Belthandros erklärt vor dem Richter-
stuhle des Königs, dass er sich um Phädrokazas willen in den Garten
geschlichen habe. Man verzeiht ihm unter der Bedingung, dass er die
Kammerzofe heirate. Nachdem Belthandros unter dem Schutzmantel der
ehelichen Verbindung, die er scheinbar mit Phädrokaza eingeht, den Ver-
kehr mit der Königstochter einige Zeit fortgesetzt hat, fürchtet er Ent-
deckung und entführt die Geliebte. Auf der Flucht ertrinken die Knappen
des Belthandros und die treue Phädrokaza in einem reissenden Strome,
Belthandros selbst und Chrysantza gelangen ans Meer und werden von
einem Schiffe, das der Rhomäerkönig nach dem verlorenen Sohne ausge-
sandt hat, glücklich aufgenommen; Philarmos ist nämlich gestorben und
Belthandros Erbe des Thrones geworden. Nach fünftägiger Fahrt gelangt
das gerettete Paar an den Hof (nach Byzanz!) und der Patriarch voll-
zieht die kirchliche Trauung.
Ein Vorbild dieser romantischen Erzählung ist bis jetzt nicht auf-
gefunden; doch hat Gidel a. unten a. 0. nachzuweisen versucht, dass ein
verlorener oder verschollener französischer Ritterroman zum Muster
gedient habe. Er stützt sich namentlich auf folgende Punkte: 1. Der
Sohn des Rhomäerkönigs wird von dem König von Antiochia, der doch
wohl als Franke gedacht ist, als Lehensmann {h'^iog V. 789) angenommen.')
2. Vorbild des Erotokastron scheint das aus der provenzalischen Poesie
bekannte Chäteau d'amour zu sein. 3. Die Einkleidung der Erzählung ist
ähnlich wie in manchen altfranzösischen Gedichten; der Verfasser richtet
nämlich im Anfang (V. 1 — 5) die Aufforderung an seine H<)rer, wohl auf-
zumerken und teilt ihnen dann zur Aufklärung den Plan des Gedichtes
mit. Ebenso bitten die französischen Troubadours ihre Hörer andächtig
zu lauschen, 2) und ebenso wird in den chansons de geste der Plan der
Erzählung im voraus angegeben. 3) 4. Am Hofe des Königs von Antiochia
wird eine Falkenjagd erwähnt und dabei das romanische Wort qaXxüh'iv
(V. 791 ff.) gebraucht. 5. Drei Personennamen sind fränkischen Ur-
sprungs, nämlich Rhodophilos, eine volksetymologische Gräzisierung von
Rodolphe, Philarmos (= Willerm) und Belthandros (= Bertrand), Im
Gedichte wird ausdrücklich betont, dass der König in griechischer
Sprache Rhodophilos, der Sohn Belthandros heisse: 'Po66(fiXoc oxmtg, id
ovo/na '^Pwfiaixor (V. 25 f.), BtXO^avdgog öi 6 SevifQog zrjv twv 'Poofiaicor A«Jtv
') Der abendländ. Begriff der Lehens-
herrschaft wurde den Byzantinern durch
die Kreuzzüge bekannt; schon Anna Kom-
nena gebraucht das Wort Ai'Ciof (lat. ligius,
franz. lige); Kinnanios erklärt es S. 223, 5
ed. Bonn, nicht übel durch dnvXoi ißeXödovXog.
Während die Historiker das fremde Wort
öfter mit entschuldigenden und erklärenden
Bemerkungen begleiten, scheint unser Dichter
die Kenntnis dieser fränkischen Einrichtung
ohne weiteres vorauszusetzen.
^) So beginnt z. B. das Gedicht Floire
et Blancheflor (Ausgabe von Edölestand du
M^ril, Paris 1856 S. 125):
Seignor baron, or entendeiz
Faites pais et si oscoutez
Bone estoire, par tel sonblant,
Que Diex vos soit a toz garant.
') Vgl. die von Benediktinern begonnene,
von Mitgliedern des Instituts fort^;e8etzte
Histoire litt^raire de la France t. 22 (Paris
1852) 259 f[.
4. Romantische Dichtungen über mittelalterliche, z. T. abendländ. Stoffe. (§ 256.) 443
(V. 81) ; diese Bemerkungen bleiben dunkel, wenn man nicht annimmt, dass
durch sie auf eine Uebertragung fremder Namen ins Griechische hinge-
deutet werden soll. 6. Ganz bedeutungslos sind die übrigen Punkte, welche
Gidel für sich anführt, wie der Umstand, dass das Eintreten der Hof-
dame für ihre Gebieterin auch in französischen Romanen vorkommt, dass
Belthandros blond ist und nach Art fränkischer Ritter langes Haar trägt,
dass er ein guter Jäger ist u. s. w.
Gidel hat die Beweiskraft seiner Gründe ohne Zweifel überschätzt.
Die Erwähnung des Feudalismus an sich beweist nicht die Existenz eines
fränkischen Originals, sondern nur die Vertrautheit mit fränkischen Ver-
hältnissen; die Aufforderung an die Hörer aufzumerken lässt sich
ebensogut aus der Nachahmung des lebendigen Vortrages orientalischer
und griechischer Märchen erklären, und für die Idee einer orientierenden
Inhaltsangabe brauchte ein Grieche, auch wenn er die alten vTioO^e'asig
nur vom Hörensagen kannte, erst recht kein fremdes Vorbild; ebensowenig
ist die Sitte der Falkenjagd eine fränkische Erfindung. Den romani-
schen Personennamen des Gedichtes stehen die echt griechischen
(paiSgoxä^a und XQvaävT^a gegenüber, und zwar ist es merkwürdig, dass
die Tochter und die Zofe des fränkischen Fürsten griechisch, der rho-
mäische König und seine Söhne fränkisch benannt sind;^) übrigens ist
selbst der fränkische Ursprung von "^PoSöifi/.og nicht ganz sicher; denn bei
Johannes Kameniates S. 569, 7 ed. Bonn, wird unter den bei der Eroberung
von Thessalonike i. J. 904 Gefangenen auch ein Eunuch des Kaisers namens
'^Po6o(fvh]c erwähnt. Am schwersten scheint das Liebesschloss in die
Wagschale zu fallen; doch ist auch hier die Annahme eines fränkischen
Originals nicht zwingend, da zwar nicht ein Erotokastron, aber doch
sonstige allegorische Schlösser auch in originalen mittelgriechischen
Gedichten häufig vorkommen. 2) Wenn ferner einzelne Züge der Erzählung
sich auch in französischen Romanen wiederfinden, so muss dagegen betont
werden, dass umgekehrt eine Reihe von Motiven an die griechischen
Sophistenromane anklingen; die Beschreibung des Vogels Greif und das
Erscheinen des Eros ist mit ähnlichen Dingen bei Eustathios^) zu ver-
gleichen; das märchenhafte Beiwerk, die Schilderung der kostbaren
Gemächer u. s. w. findet sich ebenso in Sophistenromanen, in Kallimachos
und Chrysorrhoe und sonst; automatische Vögel und ähnliche Kunstwerke
sind als echt byzantinische Liebhabereien bekannt. Zu erwähnen ist end-
lich, dass der Kaiser des rhomäischen Landes nach altbyzantinischer
Sitte ganz korrekt als ßaaiXevg (V. 25) oder als avxoxqcacoQ (V. 1333), der
fränkische Fürst von Antiochia dagegen als ^i/V«? (V. 387 und öfter)
bezeichnet wird; byzantinisch ist auch die Trauung durch den Patriarchen.
Mit Gewissheit ergibt sich mithin nur die eine Thatsache, dass dieses
Gedicht zwar von einem Griechen abgefasst ist, aber in einer Gegend, die
.') Oder ist etwa als , König des Rho-
mäerlandes" einer der lateinischen Kai-
ser (1204—1261) gedacht? Dem widerspricht
aber jedenfalls die Trauung durch den Pa-
triarchen.
") Z. B. To xäatQoy xrjg Jvaxvxiai im
Aöyos nuQTjyoQTjtixög ed. Sp. Lambros, Coli,
de rem. gr. S. 288 ff.; rö xäazQoy t^s 2'a»-
(pQoavfTjg bei Meliteniotes (s. § 208); to
dgaxoyröxaazQoy im Kallimachos (s. § 255).
») Buch 2, 10 f.; 3, 1 ff.; 6, 18 (S. 25 f.;
30 flF.; 106 f. ed. Hüberg).
444 Byzantinische Litteraturgeschichte. HI. Vulgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
mit der fränkischen Kultur schon längere Zeit bekannt geworden war.
Wie von den zwei Hauptpersonen die eine einen griechischen, die andere
einen fränkischen Namen trägt, so ist auch das Gedicht selbst eines
jener Mischprodukte, wie sie nach der Verpflanzung abendländischer
Romantik auf den alten Kulturboden von Byzanz öfter entstanden sind.
Eine schärfere Abgrenzung der fremden und der einheimischen Bestand-
teile lässt sich vorerst nicht durchführen und namentlich muss die Haupt-
frage, ob der Kern der Erzählung fränkischer oder griechisch-orientalischer
Abkunft sei, so lange unentschieden bleiben, bis ein deutlich erkennbares
Vorbild wirklich aufgefunden ist.
Woher nun auch der Stoff des Werkes stamme, jedenfalls ist er mit
Geschick behandelt. Der Dichter besitzt frische Empfindung und eine er-
hebliche Gestaltungsgabe; die schöne Apostrophe an die Natur V. 129 ff.
mahnt an die berühmte Prometheusklage des Aeschylos und an die herr-
lichsten Klänge der neugriechischen Volkspoesie. ^) Der sittliche Grundton
ist ernst und nichts findet sich hier, was mit der lasziven Prüderie und
der unverblümten Ueppigkeit mittelalterlicher Romane des Frankenlandes
zu vergleichen wäre. Nur vereinzelt stören Ungeschicklichkeiten wie
V. 587, wo Belthandros infolge der Mühe, welche ihm die Auswahl der
schönsten Jungfrau verursacht, ganz von Schweiss trieft: xi ix tov
idgcÖTog tov noXXov xaräßqoxoq eyivrj. Mit Prodromos und Niketas
Eugenianos verglichen ist der Dichter des Belthandros ein Muster von
Geschmack und Feinheit. Die Entstehungszeit des Gedichtes lässt sich
nur nach inneren Gründen annähernd bestimmen. Von Wichtigkeit ist
besonders die Thatsache, dass die Türkei noch als ein auf das innere
Kleinasien beschränktes Reich gedacht ist (V. 218; 220; 234) und dass
Antiochia, das 1269 durch den Sultan von Ikonion erobert wurde, noch
als ein christliches Reich erscheint. Wahrscheinlich ist die erste Form
des Gedichtes im 13. Jahrhundert entstanden; doch zeigt der uns er-
haltene Text Spuren einer späteren Ueberarbeitung, die vielleicht dem
15, Jahrhundert angehört.
Ausgaben und Hilfsmittel: Das Werk ist aus der einzigen bis jetzt bekannten
Handschrift, dem cod. Paris. 2909, zum erstenmale ediert von Ad. E Hissen, Analekt«n
der mittel- und neugriechischen Litteratur, 5. Bd., Leipzig 1862; mangelhafter Text mit
deutscher Uebersetzung und einem Kommentar, der nur mit grosser Vorsicht zu benützen
ist. — Ed. Maurophrydes, 'ExXoytj S. 212 — 256 (sehr ungenau in der Wiedergabe der
handschriftlichen Thatsachen). — Am besten ed. E. Legrand, Bibl. gr. vulg. I 125 — 168.
■ Ueber die Beziehungen zur fränkischen Poesie: Ch. Gidel, Etudes sur la litt. gr. med.,
Paris 1866 S. 105-150. — A. Korais, "JTaxTu II Prolegom. S. 7.
257. Lybistros und Rhodamne (3841 reimlose politische Verse).
Der handschriftliche Titel des Gedichtes wird durch ein Distichon gebildet:
£ti](oi noXv iQ(i)Tixoi, Kfpj^yrjatg AvßiatQov,
Iluig 6 (flXog 6 KXeiroßög dit^yehat, rrjg Mvqtävrig.
Der eigentliche Kern des Werkes ist in seiner jetzigen, vielleicht niclit
ursprünglichen Fassung, in eine doppelte Hülle eingekleidet. Der ge-
samte Roman wird, wie der Titel und die Schlussverse verraten, von Kli-
M Eines der besten Beispiele tiefer Na-
turempfindung ist das Distichon aus Karda-
myla auf Chics:
XttQti 's Tf? rt'XV ott(, ßovyä, nov X«po di
(foßäare,
Möye nävi' f/fr' uyoi^i xni uQtiait'a Xoyäaxe
4. Romantische Dichtungen über mittelalterliche, z. T. abendländ. Stofife. (§ 257.) 445
tob OS {KXsiToßog, Kltnoßvör)^) nach seiner Rückkehr in die Heimat seiner
dort als Witwe wiedergefundenen Jugendgeliebten Myrtane erzählt. Den
ersten Hauptteil der Ereignisse aber berichtet Lybistros dem Klitobos,
den er auf dem Wege nach Aegypten antrifft. Klitobos, der Erzähler des
Romans, zieht auf einem engen Pfade hinter einem jungen Krieger ein-
her; da er bemerkt, dass derselbe häufig aufseufzt und reichliche Thränen
vergiesst, fasst er sich das Herz, ihn anzm*eden und den Grund seines
Schmerzes zu erforschen. Nach einiger Weigerung macht ihn der Fremde,
der sich später als Fürst Lybistros aus dem Lateinerlande, Beherr-
scher von Libandros, zu erkennen gibt, zum Vertrauten seiner Schick-
sale: Er wusste nicht, was Liebe bedeutet; da tötete er einst auf der
Jagd eine Turteltaube und sah auch die Gefährtin, die der Liebesschmerz
über den Verlust ihrer Genossin getötet hatte, zu seinen Füssen nieder-
fallen. 2) So erfuhr Lybistros die Gewalt der Liebe. Weitere Belehrung
empfängt er durch ein Traumbild; Agape und Pothos führen ihn in das
Heiligtum des Eros, wo ihn zwei Frauengestalten, die Gerechtigkeit und
Wahrheit, über die Liebe unterrichten; zuletzt erhält er, wie Belthandros
in der Minneburg, eine Weissagung, dass er die indische Prinzessin Rho-
damne, die Tochter des Königs Chrysos, zur Gattin gewinnen werde;
er werde sie dann durch eine böse Zauberin verlieren und noch ein Jahr
umherirren, um sie wiederzufinden; endlich werde er König von Argyro-
kastron.3) Lybistros, dessen Herz durch einen zweiten Traum völlig ent-
flammt wird, fährt mit hundert tapferen Rittern in die weite Welt, um
Rhodamne aufzusuchen. Nach mühseliger Wanderung gelangt er vor die
Stadt Argyrokastron, die Residenz des Königs Chrysos. Ihre Herr-
lichkeiten, namentlich ihre zwölf Türme, allegorische Statuen der zwölf
Tugenden, der zwölf Monate und der zwölf Liebesgenien werden ausfühi-
lich beschrieben. Lybistros sendet durch Pfeile acht Liebesbriefe in das
Schloss, lernt dann Rhodamne auf einer Jagd kennen und gewinnt ihre
Liebe. Da Berderichos {Bfo6eotxog), König von Aegypten, der sich um
die Hand Rhodamnes bewii-bt, von Lybistros im Zweikampfe überwunden
wird, erwählt König Chi-ysos den Sieger zum Schwiegersohn und ernennt
ihn, da er keine Söhne hat, zu seinem Nachfolger. Nach zwei Jahren
glücklicher Ehe erfüllt sich der zweite Teil der Weissagung, die Lybistros
im Traume erhalten hat. Auf der Jagd treffen Lybistros und Rhodamne
einen reisenden Handelsmann aus Babylon mit einem alten Weibe, das auf
einem Kamele reitet; der Babylonier bietet dem Fürstenpaar ein Pferd
und einen Ring an. Durch die geheime Zauberkraft des Ringes stürzt
Lybistros tot zu Boden; als ihm die Freunde den Ring vom Finger ziehen,
kommt er wieder zu sich, erfährt aber, dass Rhodamne und der fi-emde
Kaufmann verschwunden sind. Um die geraubte Gattin wieder aufzufinden,
begibt er sich von neuem auf die Wanderung. Hier schliesst die Erzäh-
?) Beide Formen, die sich verhalten wie ] ') Der poetische Name Argyrokastron
ÖQKxoi; zu dQÜxojv, gehen im Gedichte neben \ (Silberveste) ist im Orient noch heute zu
einander. Vorbild des Namens ist wohl finden; das bekannteste ArgjTokastron liegt
KXeiToq:ü}y im Romane des Achill es Tat ios. j in Epirus, ein zweites (tärk. Gümisch-Chane)
*) Dieselbe Idee auch imPhysiologus. j bei Trapezunt.
E. Legrand, Coli, de mon. vol. 16 V. 726 S. I
446 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vulgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
lung des Lybistros und damit der erste Hauptteil des Romans. Zum
Entgelt muss nun auch Klitobos, der dem Leser bisher unbekannt ge-
blieben ist, seine Geschichte berichten. Er stammt, wie er dem schnell
gewonnenen Freunde mitteilt, aus Litauen {Anaßin), einem Teile von
Armenien, und ist der Neffe des dortigen Königs; dessen Tochter, die
schöne Myrtane, schwur ihm Liebe, obschon sie mit dem König von Persien
verlobt war. Darüber ergrimmte der König; der Neffe wurde ins Gefäng-
nis geworfen und von dem inzwischen aus einem Kriege zurückgekehrten
Perserkönig mit dem Tode bedroht, Hiemit bricht die Erzählung des Kli-
tobos, die ebenso kurz und dürftig ist als die des Lybistros lang und aus-
führlich, unvermittelt ab, und es muss wohl, wenn keine Lücke in der
Ueberlieferung ist, vorausgesetzt werden, dass er sich den von seinem
Onkel und seinem Nebenbuhler drohenden Gefahren durch Flucht entzogen
habe. Nach der Erzählung des Klitobos, die wie ein Verbindungsglied
eingeschoben ist, beginnt der zweite Hauptteil des Romanos. Nach-
dem sich nämlich Lybistros und Klitobos ihre Lebensgeschicke anvertraut
haben, beschliessen sie gemeinsam den Weg fortzusetzen, um die geraubte
Gattin wiederzufinden. Durch einen Traum erfahren sie, dass sich Rho-
damne in der Gewalt des Königs von Aegypten befindet. Auf dem Wege
dahin treffen sie die babylonische Zauberin, die dem König Berderichos
zur Ausführung seines Frauenraubes geholfen hatte, später aber von ihm
undankbar Verstössen worden war. Nach gegenseitiger Wiedererkennung
erfahren sie von der Hexe das Schicksal der Rhodamne; sie ist von Ber-
derichos noch unberührt, denn sie hat sich vier Jahre Wartezeit ausbe-
dungen und lebt während dieser Zeit als Gastwirtin am Meere, um etwa
von Lybistros Kunde zu erspähen. Die Alte führt beide Wanderer durch
Zaubermittel trockenen Pferdes über das Meer nach Aegypten. Klitobos,
der überhaupt im zweiten Teile des Romanos die geistige Führerrolle über-
nimmt, sucht Rhodamne auf, um sie auf das plötzliche Glück vorzubereiten;
es folgt eine ausführliche Schilderung der bewegten Szenen des Wieder-
sehens der liebenden Gatten. Sie fliehen mit dem Freunde nach Argyro-
kastron. Klitobos vermählt sich mit Rhodamnes schöner Schwester Me-
lanthia, kehrt aber nach dem frühen Tode derselben in seine Heimat
zurück; hier findet er seine Jugendgeliebte Myrtane als Witwe wieder,
erzählt ihr seine und des Lybistros Abenteuer und schliesst mit einer er-
neuten Liebeserklärung und der Aufforderung, sich gemeinsam ihres väter-
lichen Gutes zu freuen.
Einzelne Motive dieses romantischen Gedichtes, wie die Entführung
der Gattin durch die Beihilfe einer alten Zauberin, finden sich in dem
Märchenroman Kallimachos und Chrysorrhoe wieder. Weit inniger
ist aber das ganze Werk mit Belthandros und Chrysantza verwandt.
In beiden Romanen wird der Held durch geheimnisvolle Weissagungen zur
Aufsuchung der Geliebten angespornt; zwar ist die Art der Mitteilung des
Orakels nicht dieselbe, aber der Traum des Lybistros mit seinen allego-
rischen Figuren und langen Reden ist dem Liebesschloss des Belthandros
ungemein ähnlich. In beiden Romanen herrscht als Hauptideo die Forde-
rung, dass der Besitz der Geliebten durch Ausdauer und Tapferkeit er-
4. Romantische Dichtungen über mittelalterliche, z. T. abendländ. Stoffe. (§ 257.) 447
rungen werde; in beiden treffen wir dieselben ausführlichen Schilderungen
wunderbarer Paläste und Kunstwerke; gemeinsam ist beiden Werken auch
der feine sittliche Grundton und die dezente Darstellung der erotischen
Verhältnisse. Die wichtigste Eigentümlichkeit aber, in der Belthandros
undLybistros übereinstimmen, ist die Vermischung fränkischer Kultur
mit griechisch-orientalischer Lebensart. Der kulturelle Dualismus
ist schon in der Abstammung der zwei Hauptpersonen angedeutet; wie
im Belthandros ein rhomäischer Königssohn eine fränkische Prinzessin
heiratet, so erobert im Lybistros ein lateinischer Prinz eine orientalische
Fürstentochter. Das wichtige Erkennungszeichen abendländischer Sitte,
der Lehensbegriff, findet sich in beiden Romanen, doch mit einem
bemerkenswerten Unterschiede; während im Belthandros (V. 789) A/'^/o^ im
ursprünglichen Sinne gebraucht wird, ist das Wort im Lybistros in über-
tragener Bedeutung angewendet: Ai^iog rov ^eXriaarog xal rov Trouaräy-
f-iavög aov (V. 327 ed. Wagner); JovXohoiiai eig roj' 'Egana, Xi^ioirouai
dg rov Död^ov (V. 295 ed. Maurophrydes) ; wahrscheinlich muss auch in
V. 449 ed. Wagner JovXüivo{.icti «c tov eqwva, ^i^Xtog rov rd ys'rco ge-
schrieben werden: Xi'^tog tov vd ytvM. Auch in anderen Zügen tritt die
genaue Vertrautheit mit der fränkischen Kultur allenthalben deut-
lich zu Tage; V. 3768 wendet sich Lybistros an seine Freunde, Verwandten,
Toparchen und Herzöge {TonÜQxai uov, 6ovxä6eg); V. 1890 wird hervor-
gehoben, dass Rhodamne nach fränkischer Mode gekleidet war {Aarnixa
TU Qovxcc Tr^g i^actffi Ti^g (oQctiag); V. 1966 gesteht Rhodamne ihrem Vater
ihre Neigung zum tapferen Geschlechte der Franken: Jlod^oj ydg tö Auti-
rixo, TÖ ytrog tmv dvÖQeiwv.^) Auf abendländische Sitten deutet endlich
der ritterliche Zweikampf zwischen den beiden Nebenbuhlern. Von den
Personennamen des Gedichtes ist nur einer fränkischen L^rsprungs und
zwar seltsamer Weise der des Königs von Aegypten; denn Begdeoixog ist
offenbar ein gräzisierter Friedrich. In einer Version soll sich sogar ein
deutsches Wort gefunden haben; in dem Auszuge, welchen M. Crusius
aus seiner Handschrift mitteilt, ruft Lybistros dem aus dem Sattel ge-
stürzten Berderichos zu: Tooga djTo^n^axfig, axtlnel Dieses rätselhafte
axtXne hat man für identisch erklärt mit Schelme und daraus sogar auf
deutschen Ursprung des ganzen Gedichtes geschlossen. Das geht natürlich
nicht an; denn da Schimpfwörter bekanntlich der internationalen Verbrei-
tung im hohen Grade ausgesetzt sind, könnte das Wort, auch wenn es
wirklich deutsch ist, im besten Falle nicht mehr beweisen als die übrigen
abendländischen Ausdrücke und Begriffe, nämlich eine innige Vertrautheit
mit fränkischen Sitten. Uebrigens ist in den erhaltenen Versionen das
Wort axekTTs nicht aufzufinden. Neben diesen deutlichen Spuren einer
fremden Kultur steht im Kallimachos wie im Belthandros der unzweifel-
hafte Einfluss des griechischen Romans. Für die allegorischen Dar-
stellungen der 12 Tugenden und der 12 Monate findet sich das Vorbild
im Romane des Eustathios;^) besondere Beachtung verdient die That-
*) Dass die Lesart der Ausgabe von Wagner { Richtige hat schon Maurophrydes (V. 896).
(Sathas): no»6TyaQ rd AcnivLxov ro yivog ttjv ^) Buch 2, 2 ff.; 4, 5 S. (S. 15 S.; 49 flf.
«»'(fi^ci'«»' falsch ist, zeigt derfolgende Vers. Das [ ed. HUberg).
448 Byzantinische Litteratnrgeschichte. HI. Vulgargriech. Litteratur. 1. Poesie.
Sache, dass die ganz verschiedene Darstellungsweise der Monatszyklen,
die im Occident üblich war, dem Verfasser völlig unbekannt ist;') Eusta-
thios ist auch das Muster für die Schilderung des Liebesgottes und seiner
Attribute.^) Ausser Eustathios scheint dem Dichter auch Achilles Tatios
bekannt gewesen zu sein.^) Selbst für die eigentümliche Einkleidung
des Kernes der Handlung (s. o.) sind vielleicht griechische Werke verant-
wortlich zu machen; denn ähnlich sind auch die Romane des Heliodor
und seines Nachahmers Prodromos disponiert, wo man erst durch eine
nachträgliche Erzählung die früheren Schicksale des Liebespaares erfährt.
Beide Romane sind mithin Mischprodukte fränkischer und orien-
talischer Kultur; beide sind in Teilen des byzantinischen Reiches entstanden,
welche durch die fränkische Eroberung mit abendländischer Sitte genau
bekannt geworden waren; doch ruhen sie nicht ganz auf denselben Vor-
aussetzungen. Während im Belthandros fränkische und griechische
Kultur noch nicht völlig verquickt erscheinen, gehört Lybistros einer
Zeit an, in welcher die fränkische Lebensart feiner ausgebildet und tiefer
in den byzantinischen Boden eingedrungen war, aber auch schon durch
die griechische Umgebung assimiliert und aufgesogen zu werden begann. ^)
Um das Gesagte vollständig zu erklären und nachzuweisen, müssten beide
Gedichte weit ausführlicher analysiert und nach ihren Anschauungen,
Bildern und sprachlichen Eigentümlichkeiten mit einander verglichen
werden, als der Raum es hier gestattet; es sollen daher nur einige
charakteristische Punkte herausgegriffen werden, welche das Ergebnis der
Untersuchung zu illustrieren geeignet sind. Im Lybistros herrscht eine
grössere Mannigfaltigkeit in den Abenteuern, Empfindungen und Ent-
schlüssen der handelnden Personen. Namentlich ist alles, was die Liebes-
kunst betrifft, sorgfältig ausgearbeitet. Der Erosdienst ist wie in der
Troubadour- und Minnesängerpoesie zu einem förmlichen Sport geworden,
dem der sqmronmdevutvoq zu obliegen hat;'') die Macht und die Satzungen
des Eros sind mit dogmatischer Genauigkeit festgestellt. Die schmach-
tenden Pfeilbillete, mit denen Lybistros das Herz der Prinzessin zu treffen
sucht, lassen die Mühe erkennen, welche der Dichter aufwandte, um dem
Thema der Liebe neue Seiten abzuzwingen. Uebrigens bricht durch den
W^ust von Schnörkeln und stereotypen Allegorien nicht selten das Feucn-
wahrer Empfindung durch, und manche Verse atmen dieselbe Ursprüng-
lichkeit, welche die „rhodischen" Liebeslieder (s. § 221) vor den meisten
mittelgriechischen Gedichten auszeichnet. Wie die Anlage und Auffassun^^
so ist auch die Sprache im Lybistros weniger einfach als im Belthandros;
es wimmelt von verkünstelten Redensarten, subtilen Vergleichen und
anderen Mitteln eines raffinierten Barockstils. Von Einzelnheiten sei be-
merkt, dass das romanische (palxutviv (Belth. V. 791 ff) im Lybistros
durch das griechische yeqäxiv (V. 38; 95; 123; 126 u. ö.) ersetzt ist;
') Vgl. Bruno Keil a. unten a. 0. S. 140.
") Buch 2, 10 f.; 3, 1 «. (S. 25 f.; 30 ff.
ed. Hilberg).
») Vgl. Gidel a. unten a. 0. S. 171 f.
*) Kin Prozess, der sich bekanntlich auf
Cyporn wie in alh'ii ilbrigon fränkischon
Herrschafton auf griocliiscliem Hoden mit
erstaunlicher Schnelligkeit und (irUndlichkoit
vollzogen hat.
*J Vers 1; 5; 19.
4. Romantische Dichtungen über mittelalterliche, z. T. abendländ. Stoffe. (§ 257.) 449
man hatte sich besonnen, dass die Sitte der Falkenjagd, die zuerst wohl
als eine besondere Eigentümlichkeit der fränkischen Ritter erschien, auch
im Orient nicht unbekannt war und dass für den Jagdvogel auch ein
griechisches Wort existierte. Unter den Personennamen ist nur noch
ein einziger fränkisch; das Wort Xi^iog wird als völlig bekannt voraus-
gesetzt und schon im übertragenen Sinne gebraucht. Alles deutet
darauf hin, dass das Gedicht aus einem Kultm-boden erwuchs, dem das
fränkische Wesen so lange eingefurcht war, dass es von der griechi-
schen Umgebung schon wieder überwuchert wurde. Genauer lässt sich
natürlich weder der Ort noch die Zeit der Entstehung des Werkes fest-
stellen. Am besten geeignet zur Hervorbringung solcher Mischpoesien
waren wohl die grossen, von den Franken mit nachhaltiger Kraft besetzten
Inseln an der kleinasiatischen Küste, und von diesen wiederum weniger
die vom nüchternen Geiste italienischer Kaufherrn verwalteten nördlichen
(Lesbos, Chios) als vielmehr die Sonneninsel Rhodos und das üppige
Cypern, wo das fränkische Rittertum und die Romantik zur vollkom-
mensten Blüte gelangten. Die Wahl zwischen diesen beiden Inseln fällt
schwer; für Cypern sprechen dialektische Eigentümlichkeiten — soweit
bei der mangelhaften lokalen Differenzierung der mittelgriechischen Vul-
gärsprache auf sie gebaut werden kann — und der Umstand, dass die
eine unserer Handschriften (der cod. Scalig. 55) auf Cypern geschrieben
zu sein scheint^). Die erste Fassung des Gedichtes ist wohl noch ins
14. Jahrhundert zu setzen; dass aber das Werk eine durchgreifende
Umarbeitung erfahren hat, wird schon aus der Vergleichung der zwei
Versionen klar; namentlich dürfte sich die ganze Geschichte des Klitobos,
der zur Belohnung für seine kluge Führung die Schwester Rhodamnes zur
Frau erhält, dann aber gerade noch zeitig genug von ihr erlöst wird, um
seine inzwischen verwitwete Jugendliebe heimzuführen, sich als eine dem
originalen Kern äusserlich aufgepfropfte Zuthat erweisen.
1. Ueberlieferung: Bis jetzt sind drei Handschriften bekannt: der cod. Paris.
2910; der cod. Neapol. IE A a 9 (fol. 44— 116) und der cod. Scalig. .55 (der auch Kal-
limachos und Chrysorrhoe enthält). Ausserdem besass Martin Crusius eine Handschrift,
aus welcher er Auszüge mitteüt ; sie muss von den uns bekannten drei Handschriften ver-
schieden gewesen sein, da sich der oben erwähnte Vers mit dem Worte axsXns in keiner
derselben findet. Das Verhältnis der drei Handschriften wird auch aus der Ausgabe von
Wagner nicht klar; nur so viel ergibt sich aus einer Vergleichung derselben mit der von
Maurophrj'des, dass zwei bedeutend verschiedene Versionen vorliegen. Die Partie
über die 12 Monate steht auch im cod. Barber. Gr. I 172.
2. Ausgaben: Ed. pr. Maurophrydes, 'ExXoyij S. 324—428 (2853 Verse in ziem-
lich unlesbarer Gestalt nach dem cod. Paris. 2910). — Ed. W. Wagner, Trois poemes gr.
5. 242—349 (3841 Verse nach den codd. Neapol. und Scalig.); die Ausgabe ist aus dem
Nachlasse Wagners von Sathas besorgt und leidet im höchsten Grade an allen Mängeln,
die gewöhnlich postumen Werken anhaften. — Eine kritische Ausgabe bleibt somit
noch ein Bedürfnis.
3. Hilfsmittel: Martin Crusius, Turco-Graecia, Basel 1584 S. 489 f., gibt eine
kurze Analyse nach einer nicht wiedergefundenen Handschrift. Wiederholt bei Fabricius,
Bibl. Gr. ed. Harl. 8, 154 flf. — Analyse imd litterarhistorische Untersuchung von Ch.
Gidel, Etudes sur la litt. gr. mod. S. 151 — 196. — Beschreibung des cod. Scalig. bei
Lambros, Coli, de rom. gr. Introd. S. 83 flF. — Beurteilung der in dem Romane geschil-
derten Darstellung der 12 Monate und Vergleichung derselben mit den Monatszyklen der
byzantinischen und abendländischen Kunst von Bruno Keil, Wiener Studien 11 (1889)
*) Sp. Lambros, Coli, de rom. gr. Introd. S. 87.
H«ndbach der Ums. Altertmnririaseiiscbaft. IX. 1. Abtlg. 29
450 Byzantinische Litteratnrgeschiclite. IH. Vulgärgriech. Litteratnr. 1. Poesie.
120— 142, wo die Partie Ober die 12 Monate mit Apparat und Kommentar mitgeteilt und
auch eine Analyse imd Kritik des Gedichtes gegeben sind. Vgl. § 197, 9.
258. Der alte Ritter, 'O nQtaßvq Innörrfi (306 reimlose politische
Verse), ein griechisches Gedicht aus dem Kreise der Ritter von der
Tafelrunde, das zwar in der konventionellen Schriftsprache abgefasst ist,
aber wegen seines Stoffes hieher gehört '), ist eine freie, abkürzende und
ziemlich trockene Bearbeitung des gegen das Ende des 12. Jahrhunderts
abgefassten französischen Prosaromans Gyron le Courtois. Der
Held des Gedichtes ist ein alter Ritter, der alle jungen Ritter vom Hofe
des Königs Artus überwindet. Die Begriffe und Namen der Artussage
sind zum Teil wörtlich ins Griechische übersetzt; aus der Tafelrunde
wird eine etwas prosaische atqoyyvXij rqdjie^a, aus dem berüchtigten
Franzosen Lancelot du Lac ein AavaeXwxoq ix yiifivrß. Solche Treue in
der Uebertragung hindert den Verfasser aber nicht, auch dem Vorbilde des
Homer zu folgen; ihm entlehnt er Vergleiche und nach ihm richtet er
sich sogar in seiner Erzählung, ohne sich um die Verschiedenheit der
Sitten des trojanischen und des bretonischen Hofes zu kümmern.
Wie Hektor der Andromache, so gebietet König Artus seiner Gattin
Genievre {Nt^sreßga), die ihn vom Kampfe mit dem alten Ritter abhalten
will: „Geh und sprich nicht weiter; du gehörst sittsam ins Frauengemacli
und zu den Mägden; ich aber waffne mich um der Tafelrunde willen"
(V. 139 ff) 2). Die Handschrift des „alten Ritters" soll dem Ende des
13. oder dem Anfange des 14. Jahrhunderts angehören, und um
dieselbe Zeit ist wohl auch das Gedicht selbst abgefasst. An Bedeutung
für die Geschichte der byzantinischen Litteratur und Kultur steht das
Werk tief unter den von abendländischem Geiste durchwehten vulgär-
griechischen Romangedichten; die Sage von der Tafelrunde ist im Osten
nie in weitere Kreise gedrungen, und das Gedicht vom alten Ritter erhebt
sich deshalb nicht über die Bedeutung eines vereinzelten und privaten
Versuches, einen höfischen Stoff dem griechischen Verständnis zu vermitteln.
Ausgaben und Hilfsmittel: Zuerst aus der einzigen vatikanischen Handschrift
ediert von F. H. von der Hagen, Berlin 1821. — Abdruck dieser Ausgabe bei Fr. Mi-
chel, Tristan, recueil de ce qui reste des poßmes relatifs ä ses aventures etc. (3 voll.,
Londrea et Paris 1835—39) vol. II 267—297. — Ed. Ad. Ellissen im: Nachtrag zum
ersten Teil des Versuchs einer Polyglotte der europäischen Poesie, Leipzig 1846 (mit Ein-
leitung und deutscher Uebersetzung). — Litterarhistorische Untersuchung von Ch. Gidel,
ritudes sur la litt. gr. med. S. 75 — 103. — Ueber die französischen und deutschen Werke
aus dem Artuskreise vgl. Gaston Paris, La litt. fran9aiso au moyen äge, Paris 1888
S. 86 fF. — H. P. Junker, Grundriss der Geschichte der französischen Litteratur, Münster
1889 S. 76 flF. — Karl Goedeke, Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung I*
(1884; S. 77 f.
259. Phlorios und Platziaphlora (1874 reimlose politische Verse);
der handschriftliche Titel lautet:
Jn]y7]<ng i^nlQetos, iQionxrj x«t |fV»/
'i'kwQiov rov 7iayet<TV)(oi>g xal xÖQTjg JlXarCif((pXi6Qt](.
') Der Titel stammt von dem ersten
Herausgeber; doch hat Brunet de Presle mit
Hecht bemerkt, dass die Aufschrift eigentlich
]aut4)n mÜHste '0 TtgeaßvTTjs Innöttji, da im
Gedicht« selbst nur diese Form gebraucht
wird. S. Gidel a. unten a. 0. S. 100.
'') Im französischen Roman wird nur ge-
sagt: ,Le roy la fi.st ostor de devant luy, et
dist qu'il ne s'en tiendroit pour rien au monde*.
Gidel a. unten a. 0. S. 9(3.
4. Romantische Dichtungen üb. mittelalterl., z. T. abendländ. Stoffe. (§ 258—259.) 451
Diese Liebesgeschichte des sarazenischen Prinzen Phlorios und der in der
Gefangenschaft geborenen Christin Platziaphlora ist eine freie Bearbeitung
der schon im 12. Jahrhundert in der Provence bekannten und alsbald bei
den meisten Völkern des Mittelalters verbreiteten Sage von Flore und
Blanche fleur. Die erste dichterische Bearbeitung derselben ist wohl
der im 13. Jahrhundert entstandene französische Roman Floire et Blance-
flor. Doch hat der griechische Dichter, wie es scheint^), nicht aus einer
französischen Redaktion geschöpft, sondern aus dem um das Jahr 1340
abgefassten Filocopo des Boccaccio, in welchem die volksmässig ein-
fache Erzählung des Originals in einen breiten, mit klassischem Beiwerk
aufgeputzten Prosaroman auseinandergezerrt ist. Das griechische Werk
besitzt einzelne Züge, welche in den französischen Bearbeitungen fehlen,
dagegen bei Boccaccio vorkommen. Manches Eigenartige stammt auch
von dem griechischen Dichter selbst; er hat Namen von Personen und
Lokalitäten verändert und die langen Liebesreden, welche der Italiener
seinem Helden in den Mund legt, weggelassen. Der Verfasser des Ge-
dichtes, der wohl der zweiten Hälfte des 14. oder dem Beginn des
15, Jahrhunderts angehört, war übrigens nicht ein Nationalgrieche
sondern ein Gasmule oder ein hellenisierter Franke; darauf deutet der
Umstand, dass bei aller sonstigen Freiheit der Umarbeitung gerade mehrere
Züge, die sich auf das religiöse Bekenntnis der Hauptpersonen be-
ziehen, beibehalten sind; der Vater Platziaphloras ist ein edler Ritter in
Rom; er wallfahrtet nach St. Jago di Compostela in Spanien; die
Eltern des Phlorios bekehren sich zuletzt mit ihrem ganzen Volke zum
orthodoxen katholischen Glauben. Ein Anhänger der orientalischen
Kirche, die sich im 14. Jahrhundert im schärfsten Gegensatze zur römi-
schen befand, hätte solche Motive schwerlich unangetastet gelassen.
1. Ausgaben: Ed. pr. aus cod. Yindobon. theol. 297 I. Bekker. Abhandl. der
Berliner Akad. der Wiss. 1845 S. 127—180. — Ed. Maurophrydes, "ExXoy^ S. 257—323
(sehr fehlerhaft). — Ed. W. Wagner, Medieval gr. texts S. 1 — 56; der Text bleibt auch
hier noch verbesserungsbedürftig.
2. Hilfsmittel: Emendationen zur Ausgabe von Bekker gab A. Mullach, Con-
iectaneorum Byzantinorum ,libri duo, Berlin 1852 S. 37 — 60. — Litterarhistorische Unter-
suchung von Ch. Gidel, Etudes sur la litt. gr. mod. S. 231 — 255. — ^ßdelestand du
Meril, Floire et Blanceflor, poemes du XIII'^ siecle, Paris 1856, gibt zwei französische Ge-
dichte und eine Episode aus einer dritten französischen Version; über das griechische Ge-
dicht vgl. Introd. S. 21 ff., 84 ff.; über den Filocopo S. 67 ff., 179 ff. — Filocopo: Oft
gedruckt, z. B. in den Opere volgari di Giovanni Boccaccio, vol. 7., Florenz 1829. — Eine
italienische Bearbeitung in Versen: II cantare di Fiorio e Biancifiore edierte E.
Hausknecht, Herrigs Archiv f. d. Studium der neueren Sprachen und Litt. 71 (1884)
1 — 48. — Ueber die englischen, französischen und deutschen Bearbeitungen des Stoffes:
Gust. Körting, Grundriss der Geschichte der englischen Litteratur, Münster 1887 S. 115 f. —
Gaston Paris, La litt, francjaise au moyen äge, Paris 1888 S. 82; 252. — H. P. Junker,
Grundriss der Geschichte der französischen Litteratur, Münster 1889 S. 90 f. — G. Ger-
vinus, Geschichte der deutschen Dichtimg P S. 635 ff. — Karl Gödeke, Grundriss zur
Geschichte der deutschen Dichtung I' (1884) 103 f.; 353 f.; 463. — Die erste deutsche
Bearbeitung wurde im Anfang des 13. Jahrhunderts von dem schwäbischen oder schwei-
zerischen Dichter Konrad Fleck abgefasst.
3. Die Frage, wo der Urkern der Erzählimg von Flore und Blanchefleur zu suchen
sei, liegt unserem Plane ferne. Ed. du Meril a. a. 0. S. 182 ff., Gervinus a. a. 0.
5. 638 und Gas ton Paris a. a. 0. S. 82 glauben, dass der Stoff von Byzanz ausgegangen
') Die Frage scheint mir auch nach den I schlössen zu sein.
Untersuchungen von Gidel noch nicht abge- |
29^
452 Byzantinische Litteraturgeschichte. m. Valgärgriech. Litteratar. 1. Poesie.
ist, so dass in dem vulgärgriechischen Gedichte der Endpunkt eines litterargeschichtlichen
Kreislaufes vorläge. Möchte sich doch A. N. Veselovskij oder ein anderer Pfadfinder
im Urwalde der westöstlichen Sagenwelt der Sache annehmen!
260. Imberios und Margarona. In mehreren Versionen ist ein
vulgärgriechisches Gedicht überliefert, das die Ueberschrift trägt:
Jcijytjais f|«iperof, igtotixt] xai S.evt}
Tov HfinEQiov &t(v/iaaTov xai xÖQtjg MaQyaQoiyag.
Von einer Inhaltsangabe kann auch hier abgesehen werden; denn wie
schon der Titel erraten lässt, ist das Werk nichts anderes als eine Be-
arbeitung der allbekannten, im deutschen Volksbuch bis auf den heutigen
Tag verbreiteten und viel gelesenen französischen Geschichte: Pierre
de Provence et la belle Maguelonne. Aus Pierre hat der griechische
Bearbeiter nicht einen Jlt'tQog, sondern im engsten Anschluss an die fran-
zösische Form einen 'Hfim'Qiog gemacht; aus Maguelonne wurde durch
volksetymologische Anlehnung an i^iaQyuQira (Goldblume) und ^uQyaQixÜQiv
(Perle) eine MaqyaQutva. Die erste Bearbeitung der in Südfrankreich
lokalisierten Sage von der schönen Maguelonne wird einem Kanonikus der
Kirche von Maguelonne, Bernard Triviez, zugeschrieben, der um 1178
lebte; die älteste uns erhaltene Bearbeitung ist der französische Prosa-
roman, der 1453 zum ersten Male im Drucke erschien. Doch scheint die
Vorlage des griechischen Gedichtes nicht dieses Prosawerk gewesen zu
sein, sondern ein älterer provenzalischer Versroman, auf welchen
wohl auch die französische Prosabearbeitung zurückgeht. Wie sehr die
in ganz Europa verbreitete Erzählung auch bei den Griechen Gefallen
fand, beweist die Thatsache, dass das Gedicht in verschiedenen Bearbei-
tungen dem veränderten Bedürfnis der Zeit angepasst und zuletzt in zahl-
reichen Drucken verbreitet wurde. Die zwei älteren Versionen (die
eine in 814, die andere in 862 Versen) sind noch in reimlosen Fünf-
zehnsilbern abgefasst; eine verflachte gereimte Bearbeitung (1046 Verse)
wurde in die venezianische Sammlung griechischer Volksbücher aufge-
nommen. Die zwei reimlosen Versionen entstanden wahrscheinlich in der
ersten Hälfte des 15., die gereimte nicht vor dem Anfang des
16. Jahrhunderts.
1. Ausgaben: Von der gereimten Version existieren zahlreiche Venezianer. J
Drucke; der älteste derselben, von dem jedoch kein Exemplar wieder aufgefunden ist, J
soll dem Jahre 1562 angehören; sicher bezeugt sind die Nachdrucke von 1688, 1666, 1770,
1779, 1806. Da diese Volksbücher jetzt sehr selten sind und nur die späteste Version ent-
halten, sind wir auf die neuen kritischen Ausgaben angewiesen. — Ed. W. Wagner in
Legrands Coli, de mon. N. S. vol. 3 (reimlose Version nach cod. Vindob. theol. 297 mit
einem grammatischen und kritischen Kommentar). - - Ed. Sp. Lambros, Coli, de rem. gr. \
S. 239—288 (reimlose Version nach cod. Bodl. misc. 287 mit Verwertung des erwähnten
cod. Vindob. und des cod. Neapel. 251). — Ed. Gust. Meyer, Gymnasialprogr. Prag 1876
(gereimte Version nach dem Venez. Druck von 1666). — Ed. P]. Legrand, Bibl. gr. vulg.
I 283 — 320 (gereimte Version nach dem Venez. Druck von 1638).
2. Hilfsmittel: Litterarhistorische Untersuchung von Ch. Gidel, Etudes sur la
litt. gr. mod. S. 269—288. — Ueber die deutschen Bearbeitungen (zuerst von Magister
Veit Warbeck, Augsburg 1536) vgl. Karl Goedeke, (irundriss zur Goschichte der
deutschen Dichtung 11'' (1886) 20. — Zum Venez. Druck von 1562 vgl. E. Legrand, Bibliogr.
hell. I (1885) 313 f.
3. Hier sei noch erwähnt, dass die in dem französischen Romane La Manekine
(12. Jahrh.) behandelte legende von der Jungfrau, der eine Hand abgehauen und durch
Marias Hilfü wieder angeheilt wird, auch auf griechischem Boden bekannt ist. Sic steckt
4. Romantische Dichtungen über mittelalterliche, z. T. abendländ. Stoffe. (§ 260.) 453
in dem Buche 'H rtSy ceuceQTO}'/.oiy awTTjQia des Mönches Agapios, welches zu Venedig
1641 als 3. Teü seines Legendenwerkes AVo? Jlceoccdsiaog erschien. Doch hat niemand auf-
geklärt, wie sich die beiden Texte genealogisch zu einander verhalten. Vgl. Ch. Gidel,
Etudes sur la litt. gr. mod. S. 289 — 301. — Th. de Puymaigre. La fille aux mains
coupees, Revue de Thistoire des religions 10(1884) 193 ff. — Leon Sichler, La fille aux
bras coupes. Revue de l'histoire des religions 13 (1886) 83 ff.; 215 ff. — Rene Basset,
H. Gaidoz und F. Liebrecht, Melusine 2 (Paris 1884—85) Sp. 309 f.; 392 ff.: 446 ff. —
H. P. Junker, Gnindriss der Geschichte der französischen Litteratur, Münster 1889 S. 129 ff.
4. Eine vulgärgriechische Lebersetzung der Theseide des Boccaccio in acht-
zeiligen Stanzen erschien zu Venedig 1529 unter dem Titel: Qr^aeog xul yäuoi jrjg 'Ef4T]Xlag
(sie!). Die Abfassung der t'ebersetzimg erfolgt wohl bald nach der ersten Veröffentlichung
des italienischen Textes (Ferrara 1475). Das Werk ist bis jetzt der Forschung fast unzu-
gänglich, da von dem Venezianer Druck nur wenige Exemplare (in Kopenhagen, im British
Museum, in der Bibliothek des Fürsten G. Mavrogordatos und in der GjTnnasialbibliothek
zu Korfu) bekannt sind. Ausserdem ist die üebersetzung im cod. Paris. Gr. 2898 imd im
cod. Vatican. Gr. 426 (H. Stevenson, Codd. Mss. Palatini Graeci bibl. Vaticanae, Romae
1885 S. 266) aufbewahrt, woraus sie John Schmitt zu veröffentlicben beabsichtigt. Ein-
zelne Proben sind mitgeteilt von K. Sathas, 'EXX. 'JyExdora I IIqoX. asX. nß' xin. — Vgl.
E. Legrand, Bibliogr. hell. I (1885) 206 f.
5. Tiergeschichten.
261. Vorbemerkung. Die volksmässige Kehrseite der naturwissen-
schaftlichen Studien zeigt sich bei den Griechen schon früh in der Samm-
lung von seltsamen und wunderbaren Thatsachen aus dem Naturleben.
In den breiteren Schichten des Volkes fanden nur diejenigen Teile der
Wissenschaft Aufnahme, welche der Kuriositätensucht Nahrung boten.
Dieser Popularisierung konnte sich kein Gebiet der Naturkunde entziehen.
Neben die gelehrte Mathematik und Astronomie tritt die mystische Astro-
logie; mit der ernsthaften Erforschung des Wesens der Stoffe verbindet
sich der alchimistische Aberwitz; die wissenschaftliche Zoologie unter-
liegt ihrem volkstümlichen Nebenbuhlex, dem Physiologus. Durch seine
christlich-dogmatische Tendenz hat er auf die Kultur und Litteratur einen
grösseren Einfluss erlangt als irgend eine andere populäre Abzweigung
der Naturwissenschaft. Mit dem Physiologus sind die mittelalterlichen
Tierepen verwandt: auch bei ihnen bildet den Grundton das poetische
Erblicken menschlicher Eigenschaften in der Tierwelt. Wir fassen daher
diese ganze Tierlitteratur in einen Abschnitt zusammen und fügen dazu
auch ein Stück aus der Pflanzenwelt, den Porikologos, obgleich derselbe
in Prosa abgefasst ist und daher eigentlich in der zweiten Abteilung Platz
finden müsste.
Obschon die wichtigsten Züge des Physiologus und der Tiersage auf
griechisch-orientalischem Boden entstanden sind, spielt die populäre und
christliche Naturgeschichte bei den Byzantinern eine ziemlich bescheidene
Rolle; von jener unermesslichen Wirkung auf Poesie, Kunst und Volks-
anschauung, welche dem Physiologus und den übrigen Tiergeschichten ira
Abendlande beschieden war, ist in Ostrom wenig aufzufinden. Die
Gründe dieser unzweifelhaften Thatsache liegen in dem verschiedenen
Gange der allgemeinen Kulturentwickelung. Im Westen wuchsen neue,
frische Geschlechter heran, die unbeirrt von der alten Schulüberlieferung
ihre eigenen Wege gingen und ohne Scheu die Volkssprachen zum Aus-
drucke des geistigen und gemütlichen Inhaltes ihrer Zeit verwandten ; hier
fand die naive Betrachtung der Natur und die symbolische oder künst-
lerische Verwertung derselben durch Dichter, Spielleute, Steinmetze, Pre-
diger und Magister einen weit günstigeren Boden als bei den Mittelgriechcn,
die allzusehr im Banne der gelehrten Tradition befangen blieben und nur
I
i
5. Tiergeschichten. (§ 261—262.) 455
langsam dazu kamen, der lebendigen Sprache und der volksmässigen An-
schauung ihr litterarisches Recht zu verschaffen. Bis jetzt kennen wir
in der vulgärgriechischen Litteratur folgende Werke aus der fabelhaften
Naturgeschichte: 1. Den Physiologos, 2. Die Geschichte von den Vier-
füsslern, 3. Den Pulologos, 4. Zwei Gedichte aus dem Kreise des
Reinhart Fuchs, 5, Den Porikologos.
1. Als allgemeine Hilfsmittel dienen die zu § 262 zitierten Werke, besonders
das Buch von Lauche rt. — C. Prantl, Einige Reste des Thierepos bei den Sammel-
schriftstellem und Naturhistorikem des späteren Altertums, Phüologus 7 (1852) 61—76.
2. Neben den mit christlicher Symbolik versetzten Physiologosversionen und den
poetisch verarbeiteten Tiergeschichten üefen im byzantinischen wie im abendländischen
Mittelalter zoologische und sonstige naturwissenschaftliche Sammlungen, die
von der Beimischung christlicher oder poetischer Elemente frei sind. Hieher gehören z. B.
die natursvissenschaftlichen Fragen des Theophylaktos Simokattes (s. § 15) und die
von Chr. Fr. Matthaei, JloixiXa 'E^Jitjyixä. Mosquae 1811 S. 1 — 90 edierte anonyme
Tiergeschichte: üegi Cww»' rty(öy idiorrirog. In der letzteren Schrift werden in 53 (ur-
sprünglich 56) Kapiteln die wichtigsten Tiere nach ihrer Beschaffenheit und ihren Eigen-
schaften, aber ohne eine Spur allegorischer Deutung, kurz beschrieben. Vgl. § 24. — Ver-
einzelte Spuren der im Physiologos oder sonst verbreiteten fabelhaften Naturgeschichten
finden sich auch in mittelgriechischen Romanen z. B. im Lybistros V. 128 flF.;
166 flF. Sonst scheint sich die byzantinische Litteratur gegen die Anregungen, die im Phy-
siologus enthalten sind, ziemlich ablehnend verhalten zu haben.
262. Der Physiologos, das naturwissenschaftliche Haus- und Hand-
buch des Mittelalters, die Quelle all der wundersamen Geschichten von
dem sich selbst aufopfernden Vogel Pelikan, von dem aus der Asche
wiedererstehenden Phönix, von dem merkwürdigen Tiere Einhorn und
anderen seltsamen Wesen, ist eine populäre Fabelzoologie mit christ-
lich-dogmatischem Beiwerke. Der Gedanke, auf Vorgänge in der
Natur, besonders in der Tierwelt, zu exemplifizieren, findet sich schon
häufig im alten und neuen Testament verwendet; die Kirchenväter folgten
den heiligen Schriften, und für die Religiosität des Mittelalters ist nichts
so bezeichnend, als das Bestreben, für- alle Heilswahrheiten und Einrich-
tungen der christlichen Kirche in der Natur geheimnisvolle Vordeutungen
und Seitenstücke aufzusuchen. Die christliche Kunst fand in dieser reich
ausgebildeten Symbolik die dankbarsten Vorwürfe, und die Spuren des
Physiologos blicken uns an Portalen und Kanzeln romanischer und früh-
gothischer Dome, in Randzeichnungen und Initialen alter Handschriften
allenthalben wohl erkennbar entgegen. Nicht geringeren Einfluss übte
der Physiologos auf die Schule und die Wissenschaft; ja man kann
behaupten, dass fast alle mittelalterliche Naturforschung im Sinne des
Physiologos gehalten ist. Wie manche Physiologosideen endlich noch im
modernen Sprachgebrauch in ebenso beliebten als abgenützten Bildern
fortleben, ist zur genüge bekannt. Wer zuerst auf den Gedanken kam,
aus den heiligen Schriften und aus der zoologischen Profanlitteratur eine
christliche Natursymbolik zusammenzustellen, ist nicht überliefert.
Man hat die ansprechende Vermutung aufgestellt, dass das erste Buch
dieser Art im zweiten Jahrhundert n. Chr. in Aegypten, dem fi'ucht-
baren Sammelpunkte hellenischer, jüdischer und orientalischer Ideen, ent-
standen sei. Jedenfalls lassen sich Spuren des Physiologus schon bei
griechischen Kirchenvätern des 3. und 4. Jahrhunderts wie Clemens
von Alexandrien, Origenes, Johannes Chrysostomos u. a. nachweisen;
456 Byzantinische Litteraturgeschichte. HI. Vulgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
selbst Justinus Martyr (f um 165) hat schon Physiologosideen ver-
wertet. In den besten Handschriften des griechischen Physiologos wird
das Werk dem Bischof Epiphanios (f 403) zugeteilt; doch ist seine
Autorschaft nicht genügend gesichert.*) Die Spuren des lateinischen
Physiologus reichen bis an die Grenzscheide des 4. und 5. Jahrhunderts.
Im Mittelalter wurde der Physiologos in äthiopischen, armenischen, syri-
schen, arabischen, althochdeutschen, angelsächsischen, isländischen, fran-
zösischen, vulgärgriechischen, rumänischen, serbischen, russischen und
anderen Bearbeitungen massenhaft verbreitet.
Der uns erhaltene vulgärgriechische Physiologos besteht aus
1131 politischen Versen; mitten unter den versifizierten Partien stehen,
vielleicht infolge mangelhafter Ueberlieferung, zwei kleine Prosastücke.
Das ganze Werk ist in 48 (bzw. 49) Abschnitte eingeteilt; zuerst werden
vorzugsweise Landtiere behandelt wie der Elefant, der Hirsch, der Basi-
lisk u. s. w., dann zwei Doppelwesen, der Satyr und der Kentaur, end-
lich die Vögel, wie der Pfau, der Geier, die Turteltaube, der Phönix, der
Pelikan u. s. w. Wie dieser metrische Physiologus inhaltlich als eine
späte und ziemlich roh interpolierte Rezension erscheint, so gehört der-
selbe auch in formaler Hinsicht zu den schlechtesten Erzeugnissen der
vulgärgriechischen Litteratur; der Versbau ist holperig und fehlerhaft;
die Sprache unbeholfen, trocken und leblos; der Verfasser schwelgt wie
Hermoniakos in Makaronismen, halbgelehrten Missbildungen und sinn-
losen Füllwörtern {toi'vvv, yäq u. s. w.). Bezeichnend für die unausrottbare
grammatische Sucht der Byzantiner ist es, dass sie selbst dieses populäre
Tierbuch nicht mit den Pröbchen ihrer etymologischen Weisheit ver-
schont haben; im 32. Kapitel wird erklärt, der yvip habe seinen Namen
ort und yrjg vipovvai ; ebenso verständnisvoll ist V. 826 das Wort x^^'^w^'
gedeutet: xal id rd x^^^V ^f]^^^^^ ^^^ xeilidwv dxovti. Aus welcher Vor-
lage nun der vulgärgriechische Physiologos stammt und wie er sich zum
üovXoXöyog und den anderen Tierepen verhält, bedarf noch der Unter-
suchung. Auch die Chronologie des Werkes schwebt vorerst ziemlich
in der Luft; die zwei einzigen, bis jetzt bekannt gewordenen (Pariser)
Handschriften stammen aus dem 16. Jahrhundert, die in ihnen überlieferte
Redaktion des Physiologos dürfte dem 14. oder 15. Jahrhundert an-
gehören.
1. Ausgaben: Ed. E. Legrand, Annuaire de l'assoc. 7 (1873) 225-286 = Coli,
de raon. vol. 16 (1873), mit einer oberflächlichen litterarhistorischen Einleitung von Ch.
Gidel und einem kleinen Glossar. Die Abhandlung von Gidel ist wiederholt in seinen
Nouvelles 4tudes sur la litt. gr. mod., Paris 1878 S. 401—443. - Kritische Ausgabe des
dem Epiphanios zugeschriebenen Prosaphysiologos bei Fr. Lauch ert, Geschichte
des Physiologus, S. 229 — 279. — Auszüge aus einer griechischen Prosaversion in einer
Venezianer Handschrift sind mitgeteilt von Mustoxydes, ^vXXoyt) {Inoanna/näTtoy ayex-
dörtüy, 2. Heft, 'Ey Bevexia 1817. — Der letzte Ausläufer der Physiologosweisheit auf
griechischem Gebiete ist die Bearbeitung des Metropoliten von Naupaktos Damaskenos
Studites (um 1568), die zu Venedig 1695 gedruckt worden ist.
2. Allgemeine Hilfsmittel und Ausgaben anderer Physiologi: .1. B.
Pitra, Spicilegium Solesmense tom. III (Paris 1855), Hauptwerk über christliche Natur-
symbolik mit einer Sammlung verschiedener Physiologusvorsionen ; S. 388 ff. eine griochi-
Bche Prosabearboitung, S. 374 ff. ein armenischer Physiologus. — A. Mai, Classicorum
') Vgl. Christ, Griech. Litteraturgesch.' § 614.
5. Tiergeschichten. (§ 263.) 457
auctorum tom. 7 fRomae 1835) 588—596, gibt Exzerpte aus einem durch seine skeptische
Haltung merkwürdigen lateinischen Physiologus, der auf eine griechische Vorlage zurück-
weist. — Den berühmten Bestiaire divin des Guillaume aus der Normandie (13. Jahrb.)
edierte zum ersten Male vollständig mit einer kritischen Einleitung xmd einem Glossare
Robert Reinsch. Leipzig 1890. — Die Ausgabe von Charles Cahier, Melanges d'archeo-
logie 2 (Paris 1851) 85—232: 3 (1853) 203—288; 4(1856) 55—87 bleibt von Wert durch
die Veröffentlichung zahlreicher Physiologusbilder aus alten Handschriften. — Ch.
Cahier, Nouveaux melanges d'archeologie, Paris 1874 S. 106—164 (französische Ueber-
setzung eines armenischen Physiologus u. a.). — N. Land, Anecdota Syriaca vol. 4 (Lugd.
ßatav. 1875) 115 ff. (Abhandlung über den Physiologus mit reichen Litteratumachweisen).
— Fr. Hommel, die äthiopische Uebersetzung des Physiologus, Leipzig 1877; im Anhange
eine Uebersetzung des isländischen Physiologus. — Angelsächsische Version bei Mätz-
ner, Altenghsche Sprachproben 1 1 (Berlin 1867) 55 ff. — Vgl. Gust. Körting, Grund-
riss der Geschichte der engUschen Litteratur, Münster 1887 S. 51 f. — Althochdeutsche
bei K. Müllenhoff und W. Scher er, Denkmäler deutscher Poesie und Prosa aus dem
8.— 12. Jahrb.. N. 81; vgl. S. 498. — Ed. Kolloff, Die sagenhafte und symbolische Tier-
geschichte des Mittelalters. Raumers histor. Taschenbuch 1867 S. 177—269 (zur Orien-
tierung über den allegorischen Inhalt des Physiologus sehr empfehlenswert). — V. Carus,
Geschichte der Zoologie, München 1872 S. 109—145 (wichtig!). — 0. Zöckler, Geschichte
der Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft 1 (1877) 93 ff. — Eine cechisch
geschriebene Abhandlung über den Physiologus von J. Gebauer erwähnt V. Jagic, Arch.
slav. Phil. 2 (1877) 752. — Karl Ahrens. Zur Geschichte des sogen. Physiologus, Progr.
Ploen 1885. handelt über einen syrischen Physiologus und versucht eine Klassifizierung
sämtlicher Physiologi. — Neueste Hauptschrift: Fr. Lauche rt. Geschichte des Physio-
logus, Strassburg 1889. Hier und bei Reinsch a. a. 0. findet man auch sonstige Litte-
ratur zum Physiologus verzeichnet. Eine kurze Darlegung des gegenwärtigen Standes der
Kritik des lateinischen Physiologus gibt L. Traube, Wochenschnft für klass. Philologie
1890, 322 ff. — Ein umfassendes "Werk über Tiersymbolik steht in Aussicht von dem
geistvollen Amerikaner P. Evans. — Zur Erforschung der Urgeschichte der Physiologus-
ideen mag man beiziehen Ang. de Gubernatis, Zoological mythology, 2 voll., London
1872, wo freilich der Physiologus selbst nicht berücksichtigt ist.
3. Titel und Verfasser: Unter dem Namen Physiologos wird ursprünglich
nicht ein Buch verstanden, sondern ein Mann, der sich mit der Natur beschäftigt, ein
Naturforscher. Wer zuerst xax" iio-jcijv als der Physiologos bezeichnet wurde, wissen
wir nicht; man hat mit gutem Grunde an Aristoteles gedacht. Vgl. Ahrens a. a. 0.
S. 13 imd Lauchert a. a. 0. S. 44. Dem entsprechend wird im Titel der griechischen
Versionen meist ein Werk angekündigt über oder aus dem Physiologos {Eig x6v <f'vaio-
köyoy, "Ex tov ^raioXöyov). In den französischen, englischen und sonstigen mittelalterlichen
Bearbeitungen ist die alte Ueberschrift gewöhnlich durch ein in der Volkssprache verständ-
Ucheres Wort ersetzt (Bestiaire, Bestiary u. s. w.). Als Verfasser eines Physiologus
galten im Mittelalter alle möglichen Beriüimtheiten der heidnischen, jüdischen und christ-
hchen Litteratur, wie Salomon, Aristoteles, Demokritos, Epiphanios, Job. Cluysostomos,
Hieronymus, Ambrosius u. a. Vgl. Pitra a. a. 0. S. 101 und Lauchert a. a. b. S. 65 f.
In Wahrheit muss er als eine anonyme Schrift bezeichnet werden.
4. Wie so viele andere volksmässige Stoffe kam auch der Physiologus von den
Byzantiner zu den übrigen Osteuropäern. Ueber die rumänischen und die slavischen
Physiologusversionen s. R. Reinsch a. a. 0. S. 156—183.
263. Die Kindergeschichte von den Vierfüsslem, Jiijr^aig nmdio-
(fQuaroQ TÖJv zeTQanodwr ^(awv. In diesem Gedichte, das aus 1082 poHti-
schen Versen besteht, wird eine Versammlung der vierfüssigen Tiere
geschildert. König Löwe sitzt mit dem Elefanten auf dem Throne; Panther
und Leopard stehen als Minister zur Seite; den übrigen Hofstaat bilden
der Wolf, der Hund und der Fuchs. König Löwe beschliesst, in seinem
Reiche ewigen Frieden herzustellen. Zu diesem Behufe werden durch
die Abgesandten Katze und Maus, die der Affe begleitet, alle Unterthanen
zu einer grossen Versammlung einberufen. Nun folgen langwierige Wort-
gefechte zwischen den feindseligen Tieren, von welchen jedes dem Gegner
seine Sünden vorwirft und seine eigenen Tugenden preist; zuerst spricht
die Katze, dann die Maus, der Hund, der Fuchs, der Hase, der Hirsch,
458 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Yolgärgriech. Litteratnr. 1. Poesie.
das Schwein, das Schaf, die Ziege u. s. w. Zum Schlüsse erhebt sich König
Löwe und erklärt, der Worte seien nun genug gesprochen, der Waffen-
stillstand sei aufgehoben, die Fleischfresser sollen die übrigen Tiere wieder
verschlingen, wie es von jeher Brauch gewesen sei. Es entsteht eine
blutige Schlacht, bis endlich beide Parteien ermatten und die einbrechende
Nacht dem Gemetzel ein Ende setzt. Der Verfasser schliesst mit der Be-
merkung, damals habe sich das Wort des Hymnographen erfüllt: „Den
König rettet nicht seine Macht und der Riese wird sich nicht retten in-
mitten seiner Stärke." Seit jener Zeit leben die vierfüssigen Tiere in
ewiger Feindschaft.
Ueber den Zweck des Gedichtes sagt die Einleitung, Kinder, Stu-
denten und junge Leute sollen diese Verse lesen wegen ihrer hübschen
Art; sie seien nämlich geschrieben, um das Lernen mit dem Vergnügen
zu verbinden. Darauf wird in recht dunkeln Worten die moralische
Absicht des Werkes angedeutet: „Diese Dinge haben jedoch auch eine
tiefere Bedeutung; erkenne nur genau ihren Sinn; wenn die Völker mit
uns falsche Freundschaft schliessen, indem sie auf ihre Stärke bauen, um
uns gänzlich zu verderben, so rettet uns das untrügliche Recht des Eides;
denn Gott als Richter der Welt verteilt den Segen." Man begreift nicht,
wie man diese Vorbemerkung mit dem Gedichte selbst zusammenreimen
soll. Wenn Gidel meint, das Werk verfolge den Zweck, die Kinder
über die verschiedenen Arten der Tiere und ihre Eigenschaften zu unter-
richten, so spricht dagegen die Form und der Inhalt des Gedichtes. Wo
im byzantinischen Reiche Kinder unterrichtet wurden, gab man ihnen die
heiligen Schriften und die landläufigen Schulbücher wie Homer, Isokrates,
Johannes Chrysostomos u. a. in die Hand, nicht aber Schriften, deren
Sprache der ganzen festeingewurzelten Lehrtradition schnurstracks zuwider-
lief. Noch mehr musste der Inhalt des Gedichtes, das von unanständigen
und obszönen Stellen wimmelt, seine Einführung in die Schule verbieten.
Ebensowenig als die Versicherung, das Gedicht sei für Schüler bestimmt,
versteht man den „tiefen Sinn", welchen der Verfasser seiner Tier-
geschichte unterlegt, da der Vergleichungspunkt doch nur in der ewigen
Feindschaft liegt, die unter den Menschen wie unter den Tieren wütet.
Die Verwandtschaft des Werkes mit dem Physiologos verrät sich sowohl
in der symbolischen Ausdeutung als in der Beschreibung einzelner Tiere
z. B. des gelenk- und knöchellosen Elefanten (V. 20; 943 ff.). Zur Ver-
gleichung dienen die abendländischen Epen, in welchen Tierversamm-
lungen geschildert werden; doch ist für die „Kindergeschichte" ein direktes
fränkisches Vorbild nicht bekannt; sie ist vielmehr im grossen und ganzen
eine selbständige griechische Arbeit. Ihre Hauptvorzüge sind derl)r
Naturwüchsigkeit und ein burlesker, häufig ungeschlachter Humor. Da-
gegen leiden die Wechselreden der Tiere an unmässiger Breite, in der
Einführung der sprechenden Personen herrscht eine wohl dem Volkslied
(wenn nicht dem alten Epos) abgelauschte, hier aber ermüdende Monotonie;
der landschaftliche Hintergrund ist vernachlässigt, die Komposition mangel-
haft. Die satirische Tendenz kommt nur in einem Hiebe auf die
römische Kirche und auf die Juden zum Ausdruck; V. 385 ff. prahlt das
5. Tiergeschichten. (§ 264.) 459
^ eh wein, dass die fränkischen Geistlichen (r« (fQayyonaTiaSovQia) seine
Jaorsten zum Spenden des Weihwassers gebrauchen, und Y. 424 wird in
< iner sprichwörtlichen Redensart auf den üblen Geruch des Hebräers an-
gespielt. Die Sprache ist namentlich durch gelungene Komposita im Stile
des Prodromos ausdrucksvoll und häufig originell; übrigens begegnet auch
hier die leidige Mischung gelehrter und volkstümlicher Elemente. Wie im
Physiologos verrät sich auch in der „ Kindergeschichte " der byzantinische
Schulmeister durch eine gelehrte Etymologie, die V. 335 dem Hirsche
in den Mund gelegt wii'd [nxw^ yQu(fix(äq 6 layiooq, (oq mr^aato x6 (foßov-
fim). Zur chronologischen Bestimmung des Gedichtes ist die Bemerkung
V. 11 f. zu beachten, dass die Tierversammlung im Jahre 1365 statt-
gefunden habe; denn es ist wahrscheinlich, dass in dieser Angabe das
Datum der Abfassung zu suchen ist. Jedenfalls darf das Werk nicht ins
15. Jahrhundert herabgerückt werden.
Ed. aus cod. Paris. 2911 und cod. Vindob. theol. 297 von W. Wagner, Carmina
S. 141 — 178. — Litterarhistorische Bemerkungen von Ch. Gidel, Etudes sur la litt. gr.
mod. S. 303—331. — Vgl. unseren Abriss S. 867.
264. Der Pulologos^) (650 politische Verse) ist nach Komposition
und Inhalt mit der „Geschichte der Vierfüssler" eng verwandt: König
Adler veranstaltet zur Hochzeit seines Sohnes ein grosses Freudenfest,
zu welchem sämtliche Vögel eingeladen werden. Sie essen und trinken,
bringen aber alsbald einen Streit aufs Tapet {i](f6Qar xai dixdoifiov dndro)
eig t6 rgaTiä^ir). Der Zwist, dessen Anlass verschwiegen bleibt, wird von
jedesmal zwei Vögeln ausgefochten. Der Storch schmäht den Schwan, der
Schwan den Storch; die Möve streitet mit der Gans, der Strandläufer mit
dem Fasan, die Krähe mit der Turteltaube, die Eule mit der Wachtel,
der Uhu mit der Drossel u. s. w. Endlich ruft der König dem zankenden
Geflügel sein Quos ego zu und droht, den Habicht und den Falken auf
sie loszulassen; alle Vögel hören auf seine Worte, lassen ab von ihrem
Hader und bringen die Hochzeit fröhlich und friedlich zu Ende.
Die Annahme eines lehrhaften Zweckes liegt bei diesem Gedichte
näher als bei der Kindergeschichte von den Vierf üsslern ; obschon auch
hier Derbheiten vorkommen (z. B. V. 216 S.), fehlen wenigstens gröbere
Obszönitäten, und durch die massenhafte Aufzählung von Vogelnamen
gleicht das Werk einem Kompendium der Ornithologie. Ganz zweifellos
ist die satirische Tendenz. Indem die Vögel in ihren Schmähreden
tierische und menschliche Verhältnisse fortwährend mit einander ver-
mischen, ergeben sich zahlreiche Anspielungen auf allgemein mensch-
liche Schwächen und auf die kirchlichen, politischen und ethno-
graphischen Verhältnisse des byzantinischen Reiches. Der
Strandläufer z. B. wirft dem Fasan vor, er trage sich nur so auffallend,
um für einen Junker aus adeligem Geschlechte {doxorTÖTtovXov dno xovq
aeßaaräöfg) zu gelten; der Fasan beschuldigt den Strandläufer, er habe
') IlovXoXöyog d. h. Vogelgelehrter ist j den Vogelsteller bedeutet, zeigt die elfte
(wie ütüQixoXoyog) nach Analogie von •Pvaio- \ äsopische Fabel in der vulgärgriechischen
id/ofgebüdet, ähnlich wie Volu er aire nach | Bearbeitung (Venedig 1543): Ilovkoköyos xai
Bestiaire. Dass übrigens novkoXöyos auch , o/crrpa.
460 Byzantinische Litteraturgeschichte. m. Ynlgärgriecli. Litteratnr. 1. Poesie.
Geld entlehnt, könne seine Schulden nicht bezahlen und halte die Gläubiger
zum besten. Die Henne rühmt sich, sie bringe Junge zur Welt, die
Bischöfe, Exarchen und Priester werden. Den reichsten Stoff zu Schmäh-
ungen liefert das bunte Gewimmel der den Byzantinern benachbarten
Völker; die heftigen Hiebe auf die Franken, Vlachen, Bulgaren, Tartaren
und Chazaren versetzen den Leser schon ganz in die Atmosphäre der
modernen Nationalitätenkonflikte. Die Henne wirft dem xaQxavTaäg vor,
er stamme aus Rom, sei 6 Jahre als Bruder {(fQt'gr^c) im Spital gewesen
und habe sich dort mit dem Weibe eines fränkischen Ritters vergangen.
Die Drossel schilt den Uhu Tartarenschädel, Bulgarensprössling; der Häher
nennt seine Gegnerin naaidöra eine Sklavin der Franken und rühmt sich
selbst seiner rhomäischen Abkunft; der Pfau wird als Franke mit der
Kapuze bezeichnet u. s. w. Besondere Beachtung verdient der Pulologos
wegen der Reinheit und Rundung der volksmässigen Sprache. Freilich
wird das Verständnis durch seltene Wörter wie auch durch manche Text-
verderbnisse bedeutend erschwert; ein gründlicher Kommentar wäre liier
wie bei so vielen vulgärgriechischen Texten das dringendste Bedürfnis.
Zeit und Ort der Entstehung des Gedichtes lassen sich trotz der
häufigen ethnographischen und geographischen Anspielungen zunächst nur
annähernd bestimmen. Eine Frühgrenze ergibt sich aus der Erwähnung
der Bussole (V. 531), deren Gebrauch sich schwerlich vor den ersten Jahr-
zehnten des 14. Jahrhunderts nachweisen lässt; andererseits verbieten
sprachliche Gründe und die Art, wie das Verhältnis der Rhomäer zu den
Nachbarvölkern gedacht ist, in die letzten Jahrzehnte des byzantinischen
Reiches herabzugehen. Darnach ist die Abfassung in das 14. Jahrhundert
und zwar eher in die erste als in die zweite Hälfte desselben zu setzen.
Bezüglich des Ortes der Entstehung lässt sich nur sagen, dass zahl-
reiche Anspielungen auf eine Gegend hindeuten, in welcher die Griechen
mit den fränkischen Gebräuchen genau vertraut geworden waren. Aus
der Erwähnung von Glarentza V. 629 auf den Peloponnes zu schliessen,
geht nicht an, da auch andere, weit von einander abliegende Oertlichkeitcii
wie Zagora und Nikaea genannt sind.
Ed. W. Wagner, Carmina S. 179—198 (nach cod. Vindob. theol. 297). — Eine
von Du Gange im Glossai-ium II 38 erwähnte Pariser Handschrift ist noch nicht
verwertet.
265. Die Legende vom ehrsamen Esel, ^wa^ägiov rov Tifir]iJi€vov
yadäoov (.393 reimlose politische Verse). Die schöne Geschichte vom
Esel, Wolf und Fuchs, radäqov, Xvxov xi ccXoimoig dtrjijaig wQm'a (540
gereimte politische Verse). Diese zwei Gedichte sind Versionen eines und
desselben Werkes und verlangen daher eine gemeinsame Betrachtung. Der
Inhalt der Erzählung möge nach der gereimten Bearbeitung angegeben
werden, weil diese vollständiger ist und manche Züge enthält, die in der
reimlosen Redaktion fehlen; Der unglückliche Esel entrinnt einmal seinem
harten Gebieter und geht zur Weide auf eine benachbarte Wiese; hier
gesellen sich der Wolf und der Fuchs zu ihm mit der Absicht, ihn durcli
eine Hinterlist zu bewältigen und gemeinsam zu verspeisen. Vergeblich
sucht der Esel durch die lügnerische Drohung, sein Herr weile mit furcht-
5. Tiergeschichten. (§ 265.) 461
baren Jagdhunden in der Nähe, die gefährlichen Freunde los zu werden.
Der Fuchs fordert ihn vielmehr auf, sich ihrer Gesellschaft anzuschliessen ;
ihr Plan sei, über das Meer in das Morgenland zu fahren, Gelder einzu-
sammeln und unter sich zu verteilen. So wandern denn alle drei dem
Gestade zu und besteigen ein Segelschiff; der Wolf wird Kapitän, der
Fuchs Steuermann, der Esel Ruderknecht. Da erzählt der Fuchs, ihm
habe von einem entsetzlichen Sturme geträumt; es sei daher geraten, zu
beichten und Busse zu thun. Der Wolf beichtet, er habe Schafe, Ziegen,
Hirsche, Kälber, Ochsen und Schweine gefressen ; jetzt aber wolle er Busse
thun, auf den Berg wandern und Mönch werden. Der Fuchs spricht das
Beichtkind von allen Missethaten los. Darauf beichtet der Fuchs, er
schleiche sich in die Dörfer, erwürge Enten, Hühner und Gänse; „das
Leben der Hühner ist mein Tod." Besonders drücke sein Gewissen, dass
er einst eine arme Witwe um ihren einzigen Trost gebracht habe, um eine
Henne, die zweidottrige Eier legte; ausser dieser Henne hatte die Alte
noch einen grossen, rothaarigen Kater; beide hielt sie wie Sohn und
Tochter. Nun schlich er sich einmal in ihre Hütte, setzte sich neben die
halbblinde Alte und Hess sich von ihr als vermeintlicher Kater streicheln;
dann erspähte er die Gelegenheit und packte die harmlose Henne. lieber
diese Missethat fühle er jetzt Reue, er wolle sich die Haare scheren lassen,
auf den Berg gehen und Nonne 9 werden. Auch der Fuchs erhält die
Absolution. Endlich kommt der Esel an die Reihe; der Wolf bringt den
Nomokanon^) herbei und ergreift Feder und Papier, um die Sünden des
Pönitenten aufzuschreiben. Der Arme weiss keine andere Frevelthat zu
berichten, als dass er einmal ein Lattichblatt sich widerrechtlich angeeignet
und dafür von seinem Herrn furchtbare Prügel empfangen habe. Fuchs
und Wolf erklären, dieses Verbrechen verdiene nach den Regeln des Ge-
setzes die schwerste Strafe ; die Hand solle ihm abgehauen, das Auge aus-
gerissen werden, ja nach dem zwölften Kapitel des Gesetzbuches sei ihm
der Galgen bestimmt. In dieser Not erfindet der Esel eine List: Ehe er
sterbe, wolle er ein Geheimnis offenbaren; sein Hinterfuss sei mit einer
wunderbaren Kraft begabt; wer sie zu Gesichte bekomme, vermöge 40
Tagereisen weit zu sehen und zu hören und alle Widersacher in die Flucht
zu schlagen. Fuchs und Wolf versprechen dem Esel Verzeihung und
Freundschaft, wenn er ihnen seine kostbare Gabe mitteile; insgeheim aber
hegen sie den Plan, sobald sie die Zauberkraft erlangt hätten, den Esel
zu zerreissen und aufzuzehren. „So dachten sie; der Esel aber dachte
anders und verrichtete grosse Thaten." „'Exehoi iXiyaaiv avrd xi avTcg
fxajwfj' aXXa Ki exctue ngäyiiiava noXXd, xauw^aara {.uyccka.^ Er gebietet
dem Wolfe auf dem Hinterteile des Schiffes drei Stunden lang unbeweg-
lich zu knien und das Paternoster zu beten. Nachdem der Wolf so auf
den Empfang der Zauberkraft vorbereitet ist, versetzt ihm der Esel mit
seinem Hufe plötzlich einige so gewaltige Schläge, dass er über Bord
stürmt. Da der Fuchs sieht, wie bedenklich sich der Esel gebärdet, befällt
ihn Zittern und er springt aus freien Stücken ins Meer. Wolf und Fuchs
1) Der Fuchs {äXomiov) ist im Griechi- | *) Vgl. § 19 Aum. 3.
sehen Femininum.
462 Byzantinische Litteraturgöachichte. HI. Vulgärgriech. Litteratnr. 1. Poesie.
werden von den Wellen ans Ufer getragen und erholen sich von ihrer
Niederlage. Die Erzählung schliesst mit dem Lobe des Esels aus dem
Munde des Fuchses; man müsse ihn künftig nicht mehr Esel, sondern
Nikos') nennen.
Diese Pilgerfahrt der drei Tiere ist offenbar ein Ableger der be-
rühmten Geschichte vom Reinhart Fuchs. Die wichtigsten Züge der
Erzählung finden sich in abendländischen Reinhartgeschichten wieder; doch
sind sie im griechischen Gedichte zu einem Ganzen vereinigt, für welches
ein unmittelbares Vorbild nicht bekannt ist. Jedenfalls aber stammt die
Idee des Werkes aus abendländischen Tiergeschichten, so dass hier also
eine Sage, deren Kern vielleicht ursprünglich von Griechenland ausgegangen
war, am Schlüsse des Mittelalters in reich ausgebildeter Form wieder zu
den Griechen zurückgekehrt ist. Der Charakter der Tiere ist in den
griechischen Gedichten derselbe wie in den abendländischen Versionen; auf
Mönchtum und Kirche wird so lebhaft angespielt wie in den besten Aben-
teuern der westlichen Reinhartsage. Die satirische Absicht verrät schon
der Titel des älteren Gedichtes: ^vra^agiov d. h. Legende, der in der
gereimten Bearbeitung vielleicht aus Rücksicht auf fromme Leser geändert
worden ist. 2) Mit den sonstigen Tierfabeln stimmt auch, dass sich Wolf
und Fuchs als Gevatter {avvrexvog, GvvTexnaaa) anreden. Daneben finden
sich manche Abweichungen von der gewöhnlichen Ueberlieferung. Das
Abhören der Beichte ist durch das Traumgesicht des Fuchses besonders
motiviert; die Pilgerfahrt der Tiere, die sonst als Landreise gedacht ist,
erfolgt hier — für eine griechische Bearbeitung sehr bezeichnend — zur
See, und zwar wollen sie auf den Berg d. h. nach Hagion Oros wall-
fahren. Eine besondere Differenz entsteht dadurch, dass im Griechischen
der Fuchs als weibliches Wesen gedacht ist und so dem Mönche Wolf
eine Nonne Fuchs zur Seite tritt. Auch die Geschichte von der alten
Witwe, die der Fuchs durch seine Katerähnlichkeit betrügt, scheint sonst
nicht vorzukommen. Echt griechisch ist auch, dass der Fuchs bzw. die
aXovnov sich Schülerin des weisen Leo nennt, ^) worunter natürlich nicht,
wie Grimm •') meinte, der Tierkönig Löwe, sondern der durch seine Orakel
und Rätsel zu einer populären Figur gewordene Kaiser Leo der Weise
(s. § 188) zu verstehen ist. Die bekannten Eigennamen des Reinhart-
kreises, die bei den Germanen und Romanen typisch geworden sind, blieben
für den Griechen unverständlich und wurden deshalb weggelassen.
Das Verhältnis der zwei griechischen Reinhartgedichte ist nicht
genügend klar ; wahrscheinlich aber stammt nicht die jüngere Version aus
der älteren, sondern beide aus einer gemeinsamen griechischen Vorlage.
Als Entstehungsort der Gedichte, die von italienischen Wörtern wim-
') Volkstümliche Form von Nikolaos,
in der hier natürlich die Ableitung von vixaw
betont ist.
*) Dem neckischen Titel der älteren Re-
daktion hat es der ehrsame yridaQoi zu
danken, dass er richtig unter die Heiligen
aufgenommen wurde. In der Beschreibung
des cod. Vindobon. 297 liest man wörtlich:
, Anonymi cuiusdam auctoris synaxarium sive
narratio succincta de quodam Gadaro,
sanctitate vitae claro, lingua Graeco-
barbara*. P. Lambecii commentariorum
de Augustissima bibliothcca Caesarea Vindo-
boneusi liber V (1778) 551.
*) V. 104: xai rov xvq Aiov rot» aoqtii
iyui 'fiovye fia9evTQa. Aehnlich V. 508.
♦) A. a. 0. S. 70; 105.
5. Tiergeschichten. (§ 266.) 463
mein, kann wohl nur eine jonische Insel oder Kreta in Betracht kommen.
Dass beide Bearbeitungen einer sehr späten Zeit angehören, beweisen
nicht nur die Sprache und bei der zweiten die Anwendung des Reimes,
sondern auch sachliche Gründe, wie die Erwähnung von Feuerwaffen (Bom-
liarden u. s. w.); in der zweiten Version findet sich (V. 483) schon das
türkische Wort für Flinte {coviftxi). Eine Spätgrenze ergibt sich für die
erste Version aus dem Alter der Handschrift, die zwischen 1508 und 1560
geschrieben ist, für die zweite aus dem Datum der ältesten Ausgabe 1539.
Darnach dürfte die kürzere Bearbeitung um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts, die ausführlichere am Ende desselben oder erst im 16.
Jahrhundert entstanden sein.
Ausgaben und Hilfsmittel: Die erste (reimlose) Version ed. aus cod. Vindob.
theol. 297 W. Wagner, Carmina S. 112 — 123. — Die zweite (gereimte) Version erschien
zuerst als venezianisches Volksbuch, Venedig 1539. Den Venezianer Druck von 1832 wie-
derholte mit einer trefflichen litterarhistorischen Einleitung und einem an Missverständnissen
reichen Glossar Jac. Grimm, Sendschreiben an Karl Lachmann über Reinhart Fuchs,
Leipzig 1840. — Darnach ebenfalls wiederholt von W. Wagner, Carmina S. 124—140. —
Analyse imd litterarhistorische Untersuchung von Ch. Gidel, Etudes sur la litt. gr. mod.
S. 331—351. — Litteratumachweise zur deutschen, französischen und anderen Reinhart-
geschichten: K. Goedeke, Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung 1- (1884) 15;
32 f.; 70 f.; 481 IF. — Gaston Paris, La litt. fran9aise au moyen äge, Paris 1888
S. 117 ff.; 256. — H. P. Junker, Grundriss der Geschichte der französischen Litteratur,
Münster 1889 S. 101 ff.
266. Der Porikologos, Jn]yi]aiq zov JIcoQixoXoyov ^) d. h. das Obst-
buch, 1) ist eine kleine Prosaerzählung, in der eine Versammlung von Baum-
früchten geschildert wird. Unter dem König Quitte versammeln sich der
Truchsess Granatapfel, der Protonotar Birne, der Logothet Apfel, der Proto-
vestiar Pomeranze, der Protostator Pfirsich, der Grrossdrungar Zitrone und
andere Würdenträger. Vor sie tritt die Traube und erhebt gegen mehrere
Beamte des Obstreiches die Anklage auf Verschwörung und Hochverrat.
Zeugenschaft leisten die Aebtissin Olive, die Hausverwalterin Linse, die
Nonne Korinthe, die Eulennase Erbse, der schwarzäugige Bauchschwelling
Bohne u. a. Gegen sie erhebt sich Herr Zwiebling mit doppeltem und
dreifachem rotem Ueberwurf, seinen Bart auf dem Boden schleppend, und
schwört bei allen seinen Verwandten, seinem Bruder Knoblauch, seinem
Vetter Senf, seinem Neffen Rettig u. a., die Anklage der Traube sei er-
logen. Zur Entscheidung des Prozesses werden die Archonten und Hege-
monen berufen und mit ihnen die kaiserliche Leibgarde, die Warangen;
es erscheint der fröhliche, alte Kriegsrichter Melone, der Sakellarios Gurke
u. a. Die Traube wird der Lüge überführt und der König verkündet das
Urteil: sie solle an ein krummes Holz gehängt, mit Messern geschnitten
und von Männern getreten werden; ihr Blut sollen die Menschen trinken,
um sich zu berauschen und den Sinn zu verlieren. Die Archonten klatschen
Beifall und begrüssen den König mit der byzantinischen Akklamation : Ei^
noXXa £Ttj !
. Den Kern dieser Obstgeschichte bildet die Schilderung der gefähr-
lichen Eigenschaften des Weines ; gleichzeitig aber enthält sie eine scherz-
') üwQixo'Aöyoi (nach Analogie von 4>v- I Obstgelehrten (nojQixä = ötiojqixu).
aioköyos, Ilov'/.o'/.öyos) bedeutet eigentlich den
464 Byzantinisclie Litteraturgeschichte III. Valgärgriech. Litteratur. 1. Poesie.
hafte und gutmütige Parodie des verwickelten Apparates der byzantini-
schen Aeniter und Titel. Welcher Zeit der uns vorliegende Text ange-
hört, ist unbekannt; doch dürfte der Kern des Werkes, wie namentlich die
Erwähnung der Warangen zeigt, vielleicht noch ins zwölfte Jahrhun-
dert zurückgehen.') Aus einer nicht erhaltenen griechischen Version des
Porikologos, die einige eigenartige Züge enthielt, floss eine serbisch-
slovenische Uebertragung, von der bis jetzt drei Handschriften bekannt
sind. Auch eine türkische Bearbeitung des weinfeindlichen Stückes ist
überliefert.
Handschriften und Ausgaben: Den griechischen Text enthalten der cod. Vin-
dob. theol. 297 und in einer etwas abgekürzten Form der cod. Paris. 2316. — Zuerst wurde
eine jüngere und verkürzte Bearbeitung gedruckt in : Bio; Jiauinov tov ^gvyiov, Venedig
1783 S. 93 — 96. — Aus dem Wiener Codex ed. den Por. zuerst K. Sathas in der Zeitung
KXeiiii 1871 Nr. 516. — Aus demselben Codex ed. W. Wagner, Carmina S. 199-202;
S. 380 fF. die Varianten des Venezianer Druckes. — Die serbisch-slovenische Bear-
beitung ed. Jagiö, Arch. slav. Phil. 1 (1876) 611 — 617, wo auch Varianten aus cod.
Paris. 2316 mitgeteilt sind. — Den türkischen Text ed. 0. Blau, Zeitschr. d. deutschen
morgenländ. Gesellschaft 28 (1874) 569 f. — Deutsche Uebersetzung des türkischen
Textes von R. Köhler, Arch. slav. Phil. 2 (1877) 192 S.
') Einigen Anhalt zur Bestimmung der 1 dass sie um 1240 in Europa noch nicht bo-
Früh grenze gewähren vielleicht die ange- kannt gewesen sei; doch hat das von ihm
führten Früchte. Von der Limone, die als
Grossdrungar auftritt, glaubt V. Hehn, Kul-
tui-pflanzen und Hausthiere 3. Aufl. S. 390,
angeführte Zeugnis offenbar nur für West-
europa Beweiskraft.
Zweiter Abschnitt.
Prosaische Litteratur.
267, Vorbemerkung. Wie die Volkssprache im Abendlande zuerst
vorzugsweise in die Poesie und Prosadichtung eindrang, so geschah es
auch bei den Byzantinern. In den ernsteren und gelehrteren Prosagattungen
erhielt sich fast ausschliesslich die traditionelle Kunstsprache. Wo man
das Vulgärgriechische für Prosawerke verwendete, geschah es in der vor-
türkischen Zeit wohl nm' bei völligem Unvermögen die Schriftsprache zu
gebrauchen oder bei der Unmöglichkeit ihr Verständnis vorauszusetzen.
So erklärt sich die Zulassung der niederen Redeweise in den italischen
Urkunden und in den cyprischen Assisen und Chroniken. In den
Prosadichtungen wie im Syntipas kann die Anwendung der Volkssprache
nicht mehr auffallen als in den versifizierten Romanen. Die Erzählung
von Barlaam undJoasaph und der Fürstenspiegel, die ich in diesen
Abschnitt aufgenommen habe, gehören ihrer Form nach in die kunstsprach-
liche Abteilung; doch hängen sie nach ihrem Inhalt und ihrer litterarhisto-
rischen Stellung so eng mit den Volksbüchern zusammen, dass sie nicht
wohl von ihnen getrennt werden konnten. Mehr Anklang hatte eine dem
Volkstümlichen genäherte ProsadarsteUung in der vorkomnenischen Zeit
gefunden. Malalas, Theophanes und Konstantin Porphyrogennetos
bezeichnen hier drei höchst bemerkenswerte und charakteristische Versuche
zur Ausbildung eines vulgärgriechischen Prosastils. Doch wurde die von
ihnen betretene Bahn infolge der litterarischen Reaktion unter den Kom-
nenen verlassen. Es fehlt zwar auch in der nun folgenden Periode des
sprachlichen Purismus nicht an einzelnen Vertretern einer halbvulgären
Ausdrucksweise; die allgemeine Thatsache bleibt aber bestehen, dass die
Volkssprache in der Prosalitteratur nur eine dürftige und gleichsam
zufällige Rolle spielt. Um so mehr muss man sich bemühen, in den
schriftsprachlichen Texten die Spuren des vulgären Einflusses aufzu-
decken, und an ihnen ist kein Mangel. Die Volkssprache hat sich für ihre
offizielle Zurückweisung aus der Prosa gerächt, indem sie heimlich in die
Texte eindrang; unfreiwillige Vulgarismen lassen sich vom 6. bis zum
15. Jahrhundert durch die ganze Prosalitteratur verfolgen.
Handbuch der Ums. AltertomswlBsenschaft. IX. 1. Abtlg. 30
466 Byzantinische Litteratargeschichte. III. Vnlgärgriech. Litteratar. d. I^rosä.
268. Barlaam und Joasaph, der berühmteste und beste geistliche
Roman des Mittelalters, gehört zu den internationalen Volksbüchern, die
vom fernen Osten her über Asien, Nordafrika und Europa verbreitet wurden.
Sein Inhalt sei kurz angedeutet: Ein heidnischer König in Indien, namens
Abenner, erfährt durch Sterndeuter, dass sein durch Schönheit und Klug-
heit ausgezeichneter Sohn Joasaph sich der christlichen Religion zuwenden
werde. Um die Erfüllung dieser Prophezeiung zu verhindern, lässt der
König für seinen Sohn einen herrlichen Palast bauen, damit er fern von
allen Uebeln des Lebens in immerwährender Lust und Freude erzogen
werde; in seine Umgebung kommen nur Diener, die in Jugend und Schön-
heit prangen; kein Fremder wird zugelassen, damit Joasaph von der Ver-
gänglichkeit des Irdischen nichts erfahre. Trotz der strengen Bewachung
erblickt der Königssohn durch Zufall einen Kranken und einen Blinden,
ein anderes Mal einen Greis, endlich auch einen Toten. Er forscht bei
seinen Begleitern über die Gründe dieser ihm früher unbekannten Er-
scheinungen und beginnt, was er gesehen und gehört, unaufhörlich zu er-
wägen. Entscheidend für seine innere Wandelung wird die Begegnung
mit dem strengen Asketen und Einsiedler Barlaam, von welchem er in
den christlichen Glauben eingeführt wird. Vergeblich versucht König
Abenner seinen Sohn von der neuen Lehre abwendig zu machen, zuletzt
entschliesst er sich, sein Reich in zwei Hälften zu teilen und dem Sohne
eine derselben zu überlassen. Joasaph übernimmt die Regierung, leistet
aber bald auf die Krone öffentlich Verzicht, um sich in die Einsamkeit
zurückzuziehen. Er bekehrt die von seinem Vater abgeordneten Boten,
endlich den Abenner selbst mit seinen Unterthanen. Nachdem er so seine
heilige Sendung vollendet hat, begibt er sich in die Wüste und beschliesst
sein Leben als frommer Einsiedler. Sein Leichnam wird in einer herr-
lichen Kirche beigesetzt und verrichtet viele Wunder und Heilungen.
Der ästhetische Wert dieser feurigen Apologie des christlichen Lebens,
in welcher der Kampf gegen die Weltlust mit überzeugender Kraft ge-
schildert wird, ist über allen Zweifel erhaben. Die Komposition ist vor-
trefflich; die Gegensätze der Gesinnungen, Personen und Zustände sind
ausgezeichnet verwertet. So musste das Buch auf die gläubigen Völker
Europas den tiefsten Eindruck machen. Und doch ist die Herkunft des
Werkes nichts weniger als christlich. Wie die Sindibadgeschichten
und Kaliiah va Dimnah ist auch der Barlaamroman von Indien ausge-
gangen ; er ist eine im chiistlichen Sinne vorgenommene Verarbeitung der
Lebensgeschichte des Siddhärtha, der später unter dem Namen Buddha
Stifter des Buddhismus wurde (f 543 v. Chr.). Die historische Grundlage
der Erzählung ist also nicht ein Joasaph und ein König Abenner, die
thatsächlich nie existiert haben, sondern Buddha und sein Vater, der
König von Kapilavastu. Diese merkwürdige Thatsache ist durch die
genaue Uebereinstimmung der Barlaamgeschichte mit den in indischen
Quellen erhaltenen Nachrichten über das Leben Buddhas völlig erwiesen.
Der Verfasser hat den erzählenden Teil mit geringen Abweichungen
aus der Biographie Buddhas entnommen und nur den christlich-dog-
paatischen Inhalt selbst hinzugefügt. Ausser der Lobensgeschichte des
Barlaam und Joasaph. (§ 268.) 467
Buddha, welche den Kern des Werkes bildet, haben auch andere bud-
dhistische Ueberlieferungen Aufnahme gefunden. Dahin gehört vor
allem die berühmte Parabel von dem Manne, der sich vor dem wütenden
Einhorn flüchtet: Er stürzt in einen Abgrund, hält sich glücklich an einem
Bäumchen fest, bemerkt aber, dass eine weisse und eine schwarze Maus
unaufhörlich die Wurzeln des rettenden Baumes benagen, während in der
Tiefe ein furchtbarer Drache den Schlund gegen ihn aufsperrt; mitten in
solcher Not sieht er von den Zweigen des Baumes Honig träufeln und
richtet, aller Gefahr vergessend, seinen Sinn auf den süssen Honig. Diese
Geschichte soll lehren, wie der vom Tode (dem Einhorne) verfolgte Mensch,
an dessen Leben Tag und Nacht (die weisse und schwarze Maus) unauf-
hörlich nagen, in kurzsichtiger Verblendung sich um die eitle Weltlust
(den Honig) bemüht, obschon ihn die Hölle (der Drache) bedroht. Die-
selbe Erzählung, die in Deutschland durch das Gedicht von flückert popu-
lär geworden ist, findet sich auch in Kalilah va Dimnah und in anderen
orientalischen Büchern; sie ging in die mittelalterlichen Gesta Roma-
norum über und ist auch in einem vulgärgriechischen Werke, dem
Apokopos (s. § 226), selbständig verwertet; von ihrem Ansehen zeugen
mittelalterliche Bildwerke wie das berühmte Relief am Baptisterium zu
Parma; byzantinische Darstellungen der Parabel schildern mehrere Ge-
dichte des Manuel Philes (s. S. 379). Ueber den Verfasser und die
Entstehungszeit des griechischen Barlaam schweben noch manche Kontro-
versen. Die Ansicht, dass Johannes von Da maskos der Autor des
Werkes sei, ist jetzt allgemein aufgegeben; er ist nur in einer Gruppe
jüngerer Handschriften als Verfasser genannt; dagegen wird in allen
älteren Handschriften des Barlaam einstimmig berichtet, dass diese er-
bauliche Geschichte von Johannes, einem Mönche des Sabasklosters, aus
Indien nach Jerusalem gebracht worden sei: '^lazoqia xpvxwifeXrfi ix rijg
ivdoxsQag zcöv Ald^iÖTvan' xoäqag, rijg 'ivSäv Xayoixävr^g^ Tigog r?jv dyiav nöXiv
jWfTfif/i^frtra Sid 'iwävrov {.loray^ov, drSoog xiixiov xal evagsTov t.ioyrg xov
dyiov Iccßa. Nur zwei Handschriften vermerken im Titel, das Werk sei
von Euthymios, dem Iberer (f 1026), ins Griechische übersetzt worden.
Dass diese Angabe nicht richtig sein kann, hat Zotenberg nachgewiesen;
sie stammt offenbar von einem iberischen Mönche, der im Schwünge patrio-
tischer Begeisterung dem Ruhmeskranze seines Landsmannes noch ein
weiteres Blatt hinzufügen wollte. Mit einiger Sicherheit lässt sich jetzt
folgendes sagen: Der griechische Barlaamroman ist in Palästina,
wohl in dem uralten Kloster des hl. Sabas, von einem griechischen Mönche
Johannes verfasst worden. Die Abfassung geschah, wie sich namentlich
aus dogmatischen Gründen ergibt, in der ersten Hälfte des 7, Jahr-
hunderts. Es ist die Zeit, in welcher der Geschmack an der christlich-
populären Belletristik auch sonst hervortritt; damals las man volks-
mässige Legenden wie die von Kyrillos aus Skythopolis in Palästina
verfasste Lebensbeschreibung des hl. Theodosios; i) damals entstanden
') KjTrillos schrieb um die Mitte des schrift: Der heilige Theodosios, Schriften
6. Jahrhunderts; darnach ist die Bemer- | des Theodoros und Kyrillos, herausgegeben
kung S. 389 Z. 17 zu berichtigen. Haupt- ; von Hermann Usener, Leipzig 1890. Leider
30*
468 Byzantinische Litteratnrgeschichte. HI. Vulgargriech. Litteratnr. 2. Prosa.
die auf die weitesten Kreise berechneten Erzählungen des Leontios von
Neapolis (s. S.389); damals begann auch der mönchisch-ägyptische Sagen-
kreis wie das Adambuch sich zu verbreiten.')
Wenn nun auch der Barlaamroman nach seinem Gehalte, seiner
Tendenz und Verbreitung zu den wahren Volksbüchern der byzantini-
schen Zeit gerechnet werden muss, so steht seine Sprache doch dem
Vulgärgriechischen fern. Sein Verfasser ist ein gebildeter Mann, der sich
die Darstellung der Kirchenväter zum Muster nimmt; seine Diktion ist
korrekt und fliessend, sein Stil lebhaft und bilderreich mit der in Byzanz
unvermeidlichen Zugabe rhetorischer Färbung. Wirkliche Vulgärformen
stehen so isoliert, dass man sie wohl einem Kopisten zuschreiben muss. -)
Die Ueberlieferung des griechischen Textes beruht auf zahllosen Hand-
schriften, von denen die ältesten dem 11. Jahrhundert angehören. Jene
leidigen Umarbeitungen, Zusätze und Weglassungen, welche bei der Textes-
konstitution der meisten mittelalterlichen Volksbücher so grosse Schwierig-
keiten bereiten, sind beim Barlaamroman nicht zu bemerken. Er wurde
als ein ehrwürdiges und formal abgerundetes Denkmal betrachtet, gegen
welches die Abschreiber eine ähnliche Zurückhaltung beobachteten wie
gegen die klassischen Texte und die Kirchenväter. Sehr auffallend ist,
dass sich das Buch anfänglich wenig verbreitet zu haben scheint; erst
seit dem 1 1 . Jahrhundert wissen wir von Vervielfältigungen, die von dieser
Zeit an zahlreich erhalten sind; auch geschieht des Barlaam vorher keine
Erwähnung, weder in Legenden, noch in geistlichen Liedern, vielleicht weil
die Sanction der Kirche erst später erfolgte. Eine vulgärgriechische
Uebersetzung des Barlaam von Petros Kasimatis steht im cod. Nania-
nus 163 (Venedig) und im cod. Canonicianus 2 (Oxford, Bodl.). Die Ver-
breitung des Barlaam datiert mithin aus derselben Zeit, in welcher auch
die Sindibadgeschichten und Kalilah va Dimnah bekannt wurden.
Dass die Wanderung dieser orientalischen Bücher gerade im 11. Jahrhundert
beginnt, hängt wohl mit der grossen, von Westen nach Osten und von
Osten nach Westen flutenden Kulturbewegung zusammen, welche die Kreuz-
züge einleitete und begleitete. Die meisten abendländischen Bearbei-
tungen des Barlaam flössen aus einer lateinischen, in Italien, Frank-
reich und Deutschland stark verbreiteten Uebersetzung des griechischen
Textes, deren älteste Handschriften ins 12. Jahrhundert zurückreichen.
In Deutschland wurde er vornehmlich durch das schöne Werk des
Rudolf von Ems (ca. 1220 bis ca. 1254) bekannt; zwei andere deutsche
Versionen gehören ebenfalls noch dem 13. Jahrhundert an. Aus derselben
Zeit stammt eine christlich-arabische Uebersetzung des griechischen
Textes und eine französische Bearbeitung des lateinischen. Der christ-
lich-arabische Barlaam wurde im 16. Jahrhundert ins Aethiopische über-
setzt. Endlich ist das Werk auch zu den Slaven und anderen Ostvölkern
wie den Georgiern und Armeniern übergegangen. Auch ist eine
wt mir dieses für die Erkenntnis und Wür- [ ') Vgl. H. Geizer, Sextus Julius Afri-
digung der griechischen Legendenlitteratur canus II 1, 264—278.
höchHt förderliche Werk erst bei der Kor- 1 «) Z. B. »Jtf^wff S. 110; i»ifai<fa( S. 220.
rt'ktur zugegangen. ,
Barlaam und Joasaph. (§ 268.) 469
ältere arabische Version vorhanden, die nicht aus dem griechischen
Texte, sondern aus einem Pehlevioriginal abgeleitet ist. Aus einem
solchen arabischen Texte floss die hebräische Bearbeitung des Ibn-Chisdai
(im 13. Jahrb.).
1. Ausgaben: Erste iind einzige Ausgabe des griechischen Textes von Fr.
Boissonade, Anecdota Gr. 4 (1832). — Wiederholt (unter den Werken des Johannes
Dam.) bei Migne, Patrol. Gr. 96 (1860) 857—1250. — Eine Neubearbeitung des Textes
auf Gnmd einer kritischen Sichtung der Handschriften ist ein Bedürfnis, da Boissonade,
um einer von Schmidt und Kopitar geplanten Ausgabe zuvorzukommen, mit grosser Eil-
fertigkeit gearbeitet und selbst von den 20 Pariser Handschriften nur 2 benutzt hat. —
Eine lateinische Uebersetzung des griechischen Textes wiu-de oft gedruckt, z. B. in
den Opera Job. Damasc, Basileae 1575 S. 815 — 904.
2. Hilfsmittel: Kritische Bemerkungen und Varianten zum griechischen Text aus
6 Wiener Handschriften gab A. Schubert. Wiener Jahrbücher der Literatur 63 (1833)
44—83; 72 (1835) 274—288; 73 (1836) 176—203. — Litterarhistorische Abhandlung von
Val. Schmidt, Wiener Jahrbücher der Literatur 26 (1824) 25—45. — Th. Grässe,
Lehrbuch einer allgemeinen Literärgeschichte H 1, 351; 11 3, 460. — John Dunlop, Ge-
schichte der Prosadichtungen, aus dem Englischen übertragen von FeUx Liebrecht, Berlin.
1851 S. 27 ff.: 462 f. — Karl Goedeke, Everv-Man, Hannover 1865 S. 7 ff. — Nachweis
der indischen Herkimft dee Barlaam: Felix Liebrecht, Die Quellen des Barlaam und
Josaphat, Eberts Jahrbuch für romanische und englische Litteratur 2 (1862) 314 — 334. Mit
einigen Veränderungen wiederholt in: F. Liebrecht, Zur Volkskunde, Heilbronn 1879
S. 441 — 460. Italienisch mit Zusätzen des L'ebersetzers Emilio Teza, Fonti del Barlaam
e Giosafatte in den: Sacre rappresentazioni dei secoli 14, 15 e 16, raccolte e illustrate per
ciu-a di Alessandro d'Ancona vol. II (Florenz 1872) 146—162. Vgl. noch Liebrecht,
Literaturblatt für gemian. u. rom. Philologie 1884 S. 118. — E. Cosquin, La legende
des saints Barlaam et Josaphat, Revue des questions historiques t. 28 (1880) 579 — 600.
Wiederholt in desselben Verfassers: Contes populaires de Lorraine 1 (Paris 1887) Introd.
S. 47—56. — Max Müller, Selected essays I (1881) 533 ff. — M. Landau, Die QueUen
des Dekameron, 2. Aufl., Stuttgart 1884 S. 221 — 224. — Hauptschrift ist das scharfsin-
nige imd ergebnisreiche Werk von H. Zotenberg, Notice sur le livre de Barlaam et
Josaphat, Paris 1886 (= Not. et extr. 26, 1). Er handelt namentlich über die Abfassungs-
zeit und den Autor des Barlaam imd gibt handschriftliches Material zum griechischen Texte,
sowie Auszüge aus der christlich-arabischen und äthiopischen Version. Vgl. die Besprechungen
von Gaston Paris, Revue critique 1886, Jxmi S. 444 — 447, und J. Halevy, Revue de
rhistoire des religions 15 (1887) 94—107.
Litteratur zu den deutschen Bearbeitungen bei Karl Goedeke, Grundriss zur
Geschichte der deutschen Dichtung F- (1884) S. 120 ff.; 373. — üeber die ältesten deutschen
Drucke s. R. Muther, Die deutsche Bücherillustration, München 1884 S.U. — Deutsche
L'ebersetzung des griechischen Textes von Felix Liebrecht, Münster 1847.
Arabische Bearbeitimgen : Zotenberg a. a. 0. Dazu: Fr. Hommel, Die älteste
arabische Barlaamversion , Verhandlimgen des 7. internationalen Orientalistencongresses,
semit. Section (Wien 1887) S. 115 ff. Von Hommel wird auch eine Ausgabe der vollstän-
digen arabischen Version und des aus dieser übersetzten persischen Textes vorbereitet.
Hebräische Redaktion: Nathan Weisslovits, Prinz und Derwisch, ein indi-
scher Roman, enthaltend die Jugendgeschichte Buddhas, in hebräischer Darstellung aus
dem Mittelalter, nebst einer Vergleichung der arabischen und griechischen Paralleltexte.
Mit einem Anhang (S. 129—178) von Fr. Hommel, München 1890. — Auf diesen Anhang
bezieht sich der Artikel von R. 0. Alexius, Josaphat, Buddha, Beilage ziu- allgemeinen
Zeitung 1890 Nr. 207; 215; 217. Die von Hommel aufgestellte und von R. 0. angenom-
mene Behauptung, dass die Legende von Alexius, dem Manne Gottes, ein Reflex der
Buddha-Barlaamgeschichte sei, schwebt in der Luft.
Slavische imd sonstige östliche Bearbeitungen: A. Kirpicnikov, Griechische
Romane in der neueren Litteratur, 2. Teil, Charkov 1876 (Russ.). — An das Buch von
Kirpicnikov schliesst sich die Abhandlung von A. N. Veselovskij, Byzant. Erzählungen
und Barlaam und Joasaph, Joum. Min. Volksaufkl. Bd. 192 (1877) 122—159. — St. No-
vakovic, Barlaam und Joasaph, Belgrad 1881 (= Glasnik Srpskog ücenog Drustva, Bd.
50) (Serbisch). — M. Gaster, Literatura populara romana, Bukarest 1883 S. 32 — 53. Vgl.
desselben Greeko-Slavonic, London 1887 S. 111 ff. — Eine russische üebersetzimg des
Barlaam veröffentlichte die Gesellschaft der Freunde des alten Schrifttums, Peters-
burg 1887.
üeber zwei armenische Redaktionen berichtet M. Brosset, Bull, de l'academie
des Sciences de St.-P6tersbourg 24 (1878) 561—567.
470 Byzantinische Litteratnrgeschichte. III. Vulgargriech. Litteratur. 2. l*rosa.
Bibliographische Uebersicht sämtlicher orientalischen und occidentalischen Versionen
des Barlaara von E. Kuhn, Abhandl. d. bayer. Akad. d. Wiss., phil.-philol. und histor. Cl.
1890 (wird demnächst erscheinen).
269. Syntipas. Das berühmte Volksbuch, welches in den orientali-
schen Versionen als Geschichte des Philosophen Sindbad, Sindibad,
Sindabad, Sendebad, Sandabar oder Sendabar, im Abendlandc als
Geschichte der sieben weisen Meister, Dolopathos oder Erasto
überliefert ist, führt in der griechischen Bearbeitung den Titel: Aller-
schönste Geschichte des Philosophen Syntipas (laiogixov ^wrina
xov (fiXoaöffov (OQuiöratov rtdvv). Das Grundschema des Buches, welches
in den meisten Versionen wiederkehrt, ist folgende -Erzählung: Ein König
hat einen klugen Sohn, der von einem weisen Lehrer erzogen wird. Nach
Ablauf der Studienjahre erkennt der Lehrer aus den Sternen, dass seinem
Zögling Gefahr droht, und befiehlt ihm, der Konjunktur zufolge, 7 (in
anderen Versionen 10, auch 40) Tage lang zu schweigen. Um dieselbe
Zeit macht die Stiefmutter dem Sohne unkeusche Anträge, für deren
Zurückweisung sie sich durch Verleumdung desselben rächt. Er wird vom
Könige zum Tode verurteilt. Um ihn zu retten, erzählen die am Hofe
versammelten 7 Weisen (10, bzw. 40 Veziere) jeder an einem Tage eine.
Geschichte über die Arglist der Frauen und die Bedenklichkeit einer ohne ;
Beweise angeordneten Verurteilung; das rachsüchtige Weib erzählt jedes-
mal eine Gegengeschichte, um die Hinrichtung zu bewirken. Nachdem so
die Schweigezeit verbracht ist, entdeckt der Sohn den Sachverhalt und
wird als unschuldig erfunden. Das ganze Werk besteht demnach aus einer
einrahmenden Erzählung und einer je nach der Zahl der weisen Meister
(Veziere) kleineren oder grösseren Anzahl eingeschobener Geschichten.
Die Abweichungen der verschiedenen Bearbeitungen erstrecken sich sowohl
auf die Rahmenerzählung als auf den Inhalt und die Anordnung der Ein-
schiebgeschichten .
Die grösste Teilnahme erregt bei der Betrachtung dieses internatio-
nalen Volksbuches, das, wie Görres^) bemerkte, in Rücksicht auf die
Zelebrität und die Grösse seines Wirkungskreises die heiligen Bücher erreicht
und alle klassischen übertrifft, die Frage nach seiner Herkunft und nach
dem verwandtschaftlichen Verhältnisse der zahllosen Abzweigungen.
Als ausgemachte Thatsache darf gelten, dass die Heimat des Werkes in
Indien zu suchen ist. Den wahrscheinlichen Verlust des indischen Ori-
ginals erklärt Benfey^) sehr überzeugend daraus, dass die meisten ein-
zelnen Sindbadgeschichten schon früh in andere indische Werke, besonders
in das Pancatantra, übergegangen sind. Die Namensform Sindbad
ist, wie es scheint, eine in muhamedanischen Bearbeitungen erfolgte Um-
bildung eines indischen Siddhapati d. h. Herr der Siddhas, der Weisen,
der Vollkommenen. Von Indien kam das Buch nach Persien und wurde
dort ins Pehlevi übersetzt; vom Pehlevi übertrug es Musa im S.Jahr-
hundert ins Arabische; vom Arabischen wurde es ins Syrische, Alt-
') Die teutschen Volksbtlcher, Heidel- 1 *) M^langes asiatiques (s. die Litteratur-
berg 1807 S. 155. | angab«) Ul 2 S. 190.
Syntipas. (§ 269.) 471
spanische (i. J. 1253) und Hebräische übersetzt; ') vom Syrischen ins
Griechische, Da jedoch die persische, arabische und sonstige Versionen
meist noch spätere Ueberarbeitungen erfahren haben, gestaltet sich das
Verhältnis der Texte keineswegs so einfach, als man nach dem Gesagten
wähnen könnte. Jedenfalls aber bildet die arabische Uebersetzung
den Hauptausgangspunkt für die Verbreitung des Stoffes nach den ver-
ehiedenen Himmelsgegenden. Auch die griechische Version hat eine
grosse litterarhistorische Bedeutung; denn sie scheint trotz ihrer tiefen
Stellung im Stammbaume die älteste und dem Original am nächsten stehende
zu sein. Vom Orient verbreitete sich der Syntipas, ungefähr gleichzeitig
mit dem Barlaamroman und dem Fürstenspiegel, in zahllosen stark
abweichenden Bearbeitungen einem stetig anwachsenden Strome vergleich-
bar über das ganze Abendland, Wir besitzen lateinische, altfranzösische,
italienische, englische, holländische, skandinavische, deutsche und slavische
Syntipasabkömmlinge. Den meisten europäischen Bearbeitungen liegt
der altfranzösische Roman des sept sages de Rome unmittelbar oder
mittelbar zu Grunde, Eine zweite französische Version, die von einem
Dichter Herbert nach einem lateinischen Texte in Verse umgedichtet
wurde, ist nach dem Namen des Helden Dolopathos (Dolopatos) betitelt.
Neben den Bearbeitungen des gesamten Syntipas sind auch die nicht
minder zahlreichen Reflexe einzelner Erzählungen zu beachten, die
in orientalischen Büchern und besonders in der ganzen mittelalterlichen
Novellenlitteratur aufleuchten. Zwei Hauptwerke, in welchen Geschichten
von den sieben weisen Meistern verarbeitet wurden, sind die mittelalter-
lichen Gesta Romanorum und der Dekamerone des Boccaccio.
Alle Volksbücher, welche auf den Sindbadgeschichten beruhen, gliedern
sich in zwei Hauptgruppen, eine orientalische und eine occidentalische.
Zur ersten gehören die meisten Texte in orientalischen Sprachen und
einige europäische, welche unmittelbar aus jenen übersetzt sind, wie der
griechische und altspanische; die zweite umfasst vorzugsweise die Be-
arbeitungen des europäischen Mittelalters, die Historia septem sapientium,
den Dolopathos, Erasto (Erastus) u, s. w., auffallenderweise aber auch einen
armenischen Text, Alle orientalischen Versionen haben gemeinsame Ele-
mente, unter welchen ein Buch als Grundlage erkennbar ist, ebenso die
occidentalischen, wobei aber die Berührungspunkte der orientalischen ver-
schwinden. Diese zwei Gruppen bilden die zwei wichtigsten Phasen
in der Gesamtgeschichte des indischen Buches. Unter den mannigfachen
Veränderungen, die der Syntipas auf seinen Kreuz- und Querfahrten
erlitt, ist die Thatsache beachtenswert, dass der Schauplatz der Rahmen-
erzählung und die Personennamen mit den Bearbeitungen selbst von
Osten nach Westen vorrücken: in den orientalischen Versionen spielt die
Geschichte in China, Indien, Persien; in der einen altfranzösischen zuerst
in Konstantinopel, später in Rom, in den übrigen abendländischen durch-
aus in Rom, und der Fürst erscheint als ein römischer Kaiser (Diocletian) ;
so hat auch der griechische Bearbeiter mit Rücksicht darauf, dass für
') Der Ausdruck , übersetzen* ist hier ] Sinne einer freien Uebertragung oder Um-
natürlich immer im mittelalterlichen . arbeitung zu nehmen.
472 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vulgärgriech. Litteratur. 2. Prosa.
seinen Leserkreis der indische Kuru ein unbekannter Name war, den
König seiner Erzählung zu einem Perser Kyros gemacht. Auf das genea-
logische Detail der einzelnen Bearbeitungen kann hier nicht eingegangen
werden.
Der griechische Syntipas gehört, wie bemerkt, zur orientali-
schen Gruppe. In einem jambischen Gedichte, welches dem Prosatexte
vorausgeht, berichtet ein gewisser Michael Andreopulos, dass er das
in syrischer Sprache verfasste Buch im Auftrage des erhabenen Herzogs
Gabriel „nöXsajg iieX(ovvi.iov" ins Griechische übertragen habe; unter diesem
Fürsten ist nach der scharfsinnigen und zweifellos richtigen Vermutung
Comparettis der historisch wohl bezeugte, nominell vom byzantinischen
Hofe abhängige Fürst Gabriel von Melitene (in Armenien) zu verstehen,
der am Ende des 11. Jahrhunderts herrschte. Der griechische Bearbeiter
war natürlich, wie er auch selbst verrät, Kgiarov Xärgig, und in der That
zeigen sich in dieser Version zum ersten Male Spuren christlicher Welt-
anschauung, obschon die orientalische Färbung noch vorherrscht; sie bildet
also ein Mittelglied zwischen den rein orientalischen Versionen und den
abendländischen, welche vom Geiste des christlichen Rittertums erfüllt
sind. Der griechische Syntipas ist in drei stark von einander abweichenden
Redaktionen erhalten. Die erste, welche allein das erwähnte Gedicht des
Andreopulos enthält, steht in einem Moskauer Doppelkodex, der von
Matthaei benützt, seitdem aber nicht mehr eingesehen und vielleicht ver-
schollen ist, in einer Strassburger Handschrift und im cod. Monac. Gr.
525. Diese Bearbeitung ist in der byzantinischen Kunstgräzität abgefasst.
Eine zweite Redaktion, die der ursprünglichen Uebertragung vielleicht
näher steht als die vorher genannte, ist in einer Wiener und zwei Pariser
Handschriften überliefert; sie ist in einer einfachen, fliessenden, lexikalisch
und syntaktisch auf dem volksmässigen Idiome beruhenden, jedoch durch
gelehrten Einfluss namentlich in der Formenlehre wesentlich temperierten
Sprache geschrieben. Eine dritte Redaktion ist die aus dem Jahre 1626
stammende neugriechische Uebersetzung im cod. Dresdensis D33. Die
Entstehungszeit der Moskauer Redaktion muss dem erwähnten Gedichte
zufolge ins 11. Jahrhundert gesetzt werden; dagegen lässt sich der
Pariser-Wiener Text, auf dessen Chronologie es vor allem ankommt,
vorerst nicht genauer datieren.
1. Ausgaben und Hilfsmittel: Ed. pr. Fr. Boissonade, Paris 1828 (nach den
codd. Paris, mit Kommentar). — Ed. Alfr. Eberhard, Fabulae Romanenses, vol. I. Leip-
zig, bibl. Teubner. 1872 (die zwei älteren Redaktionen vollständig, die neugriechische in
einzelnen Proben ; im Anhange einige Vitae Aesopi). — f]ine von dem Dresdener Codex
abweichende neugriechische Uebersetzung erschien Venedig 1805 unt<>r dorn Titel:
Mv&oXoytxov 2vvxina rov cfiXoaöcpov rd nXetara ■nsQieQyov. — Emendationen zur Ausgabe
Eberhards von C. Bursian, Liter. Centralbl. 1873 S. 1103 f. — Zur Sprache: Gust.
Meyer, Die sprachlichen Eigentümlichkeiten im Syntipas, Zeitschrift f. d. Österreich. Gym-
nasien 1875 S. 331—345. — Zur Chronologie: J. Psichari, Essais de grammaire hwto-
rique näo-grecque, I (Paris 1886) 25 f.
2. Ausgaben sonstiger Bearbeitungen des Syntipas und allgemeine Hilfs-
mittel: Eine syrische Version ed. Fr. Baethgen, Sindban oder die 7 weisen Meistor,
Disa. Leipzig 1879. Nöldeke, Zeitschr. d. deutschon morgenländ. (Jesellsoh. 33 (1879)
513 — 536, hält diese syrische Version für das Original, welches dem Andreopulos vorlag,
und will die vorhandenen Abweichungen im wesentlichen auf die weitschweifige und schwül-
stige Ausmalung dos griechischen Ueborsetzers zurückführen (V). — A. Clouston, The
I
Stephanites und Ichnelates. (§ 270.) 473
'look of Sindibäd from the Persian and Arabic with introduction, notes and appendix. Pri-
\ately printed 1884 (s. 1.: Vorrede gezeichnet in Glasgow). Das Werk enthält ausser den
l'exten eine treffliche Einleitung über die Komposition des Sindibäd und über die Quellen
lud das Verhältnis der orientalischen Versionen; über die griechische Bearbeitung s. bes.
^. 37 ff. — Ueber eine der westlichen Gruppe angehörige armenische Bearbeitimg s.
P. Lerch in der Zeitschrift : Orient und Occident 2 (1864) 369—374. — Fr. Müller, Ueber
die armenische Bearbeitung der ,. Sieben weisen Meister*, Wiener Zeitschrift für die Kunde
des Morgenlandes 4 (1890) 213 — 216. — Eine russische Version ed. Th. Bulgakov,
Petersburg 1878. Vgl. W. Nehring, Arch. slav. Phil. 4 (1880) 335 ff. — Die slavischen
Versionen überhaupt betrifft eine Abhandlung von M. Murko, Sitzungsber. der Wiener
Akad. d. Wiss. (wird demnächst erscheinen). — Das Buch von den Sieben weisen Meistern
aus dem Hebräischen und Griechischen zum erstenmale übersetzt von Heinr. Sengel-
mann, Halle 1842. — Mischle Sindbad, Secundus-Syntipas. Edirt, emendirt und erklärt
von Paulus Cassel, Berlin 1888 (hebräischer Text mit Uebersete.).
Ueber die orientalischen Versionen, besonders über das vorauszusetzende indische
Original: Th. Benfey. Melanges asiatiques tires du bullettn historico-philologique de
l'academie imperiale de St.-Petersbourg, tome IE 2 (Petersbourg 18-58) 188 — 203. — Th.
Benfey, Pantschatantra. I. Teil, Leipzig 1859. — Karl Goedeke, Liber de Septem
sapientibus, in der Zeitschrift: Orient und Occident 3 (1864-66) 385—423.
Die zwei neuesten Hauptschriften sind: Dom. Comparetti, Ricerche intomo
al libro di Sindibäd, Memorie del R. istituto Lombardo di scienze e lettere, ciasse di
lettere. vol. 11, Milano 1870, imd Marcus Landau, Die Quellen des Dekameron- Stutt-
gart 1884 S. 28—89. — Vgl. noch M. Gaster, Literatura populara romana. Bukarest
1883 S. 54—72 und desselben: Greeko-Slavonic, London 1^87 S. 115 ff. — Mit den 7 Weisen
am Hofe des Königs Kroisos bringt den Syntipas in Zusammenhang L^. v. Wilamowitz-
Möllendorff, Hermes 25 (1890) 198 f. — Ein Verzeichnis von Ausgaben imd Hilfsmit-
teln (bes. für die abendländischen Versionen) gibt Karl Goedeke, Gnmdriss zur Geschichte
der deutschen Dichtung 1- (1884) S. 348 ff.; 466 f. — Zu den französischen Bearbeitungen:
Gaston Paris, La litt. fran(;aise au moyen äge, Paris 1888 S. 82; 255 f., imd H. P.
Junker, Gnmdriss der Geschichte der französischen Litteratur, Münster 1889 S. 99 f. —
Zu den englischen: Gust. Körting. Grundriss der Geschichte der engl. Litt. S. 117 f.
3. Dem Philosophen Syntipas schreibt Mätthaei auch eine Sammlimg äsopi-
scher Fabeln zu, die in demselben Moskauer Codex, der auch die Geschichte von den
Sieben weisen Meistern enthält, unter dem Titel : Ivyrincc rov cpiXoaötfov ix rwv naQudsiy-
fiarixwy tevrov Xöywv überliefert ist. Diese Ueberschrift stammt jedenfalls von einem
Kopisten, der sich durch die äussere Aehnlichkeit beider Werke und ihre Vereinigung in
einer Handschrift zu der Annahme verleiten Hess, dass sie von demselben Autor stammen.
In der neueren bibliographischen Litteratur ist diese mit dem Namen des Syntipas ge-
schmückte Fabelsammlung öfter mit dem wahren Syntipasbu che verwechselt worden.
Eine aramäische Bearbeitung derselben Sammlung geht unter dem (jedenfalls aus Aeso-
p OS verunstalteten) Namen Sophos, eine Thatsache, die übrigens für die Frage nach dem
Ursprünge der äsopischen Fabeln ohne Bedeutung bleibt. Ed. pr. dieses Pseudo-Syn-
tipas von Chr. Fr. Matthaei, Syntipae philosophi Persae fabulae LXIl Graece et Latine,
Lipsiae 1781. — Varianten zum Texte gab Matthaei. IloixiXa 'EXXtjyixd seu Varia Graeca,
Mosquae 1811 S. 276 ff. — Die aramäische Bearbeitung ed. Jul. Landsberger, Mathle
desuphus. die Fabeln des Sophos. Sj-risches Original (! '?) der griechischen Fabeln des Syn-
tipas, Posen 1859. — Vgl. Landsberger, Zeitschr. d. deutschen morgenländ. Gesellsch.
12 (1858) 149—159. — Besprechungen des Buches von Landsberger gaben Th. Ben-
fey. Orient und Occident 1 (1862) 354-365. Geiger, Zeitschr. d. deutschen morgenländ.
Gesellschaft 14 (1860) 586—593, und L. Roth, Heidelberger Jahrbücher 53 (1860) I.Hälfte
S. 49 — 58. Sämtliche drei Gelehrte verhalten sich gegen die kritiklose Behauptung Lands-
bergers, die syrische Fabelsammlung sei das Original, gänzlich ablehnend imd be-
weisen zur Evidenz, dass es sich um eine L^ebersetzung aus dem Griechischen handelt. —
Vgl. auch H. Grauert, De Aesopo et fabulis Aesopiis, Bonnae 1825 S. 95 ff.
4. Das dem Maximos Planudes (s. S. 249) zugeschriebene Leben des Aesop,
welches Eberhard mit dem Syntipas S. 226 ff. ediert hat, ist eine Bearbeitung der mit dem
Salomonischen Sagenkreise verknüpften Geschichte vom weisen Akir, dem Sultan Sina-
grip und Anadam, dem Neffen des Akir. M. Gaster, Literatura populara romana, Buka-
rest. 1883 S. 104—113. — Desselben: Greeko-Slavonic, London 1887 S. 112—115. — Einen
verwandten syrischen Text erwähnt G. Hoff mann, Auszüge aus sjTischen Akten
persischer Märtyrer, Leipzig 1880 S. 182 f. (= Abhandl. für die Kunde des Morgen-
landes VII 3).
270. Stephanites und Ichnelates. Die berühmte Geschichte von
474 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vulgärgriech. Litteratur. 2. Prosa.
Kaliiah und Dimnah (Kaliiah va Dimnah), die in der griechischen Be-
arbeitung ^tetfaviTr^g xal ^IxvrjXcarfi betitelt ist und wegen ihres Inhaltes
auch Fürstenspiegel genannt wird, hat nach ihrem Stoffe, ihrer Ge-
schichte und Verbreitung grosse Aehnlichkeit mit dem Syntipasbuche. Um
das Jahr 500 n. Chr. befand sich in Indien — wir wissen nicht, seit welcher
Zeit, vielleicht schon seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. — ein von Buddhisten
abgefasstes Sanskritwerk, in welchem unter der Hülle von Tierfabeln
oder genauer von Erzählungen, in welchen Tiere die Rolle von Menschen
spielen, gelehrt wurde, wie Fürsten über ihre Völker herrschen
sollen. Dieses didaktische Buch, das später in Indien selbst noch mannig-
fache Wandelungen erlitten hat und zum Teil, mit Verwischung des ur-
sprünglichen Zweckes und der buddhistischen Färbung, in das Pancatantra
verarbeitet worden ist, wurde im 6. Jahrhundert n. Chr. von einem persischen
Arzte Barzöe in die Pehlevisprache übersetzt. Der uns verlorene Fehle vi-
text wurde, etwa 100 Jahre nach der Eroberung Persiens durch die Muha-
medaner, im 8. Jahrhundert ins Arabische übertragen, wobei, ähnlich
wie beim Syntipasbuche, eine im Werke selbst vorkommende Person, der
Philosoph Bidpai, zum Verfasser gestempelt wurde. Alsbald verbreitete
sich das Werk über alle Völker, die mit den Arabern in Berührung
kamen. Durch eine hebräische Uebersetzung wurde der Fürstenspiegel
in die europäischen Litteraturen eingebürgert; aus ihr stammt die schlechte
lateinische Uebertragung des Johannes von Capua, die zwischen 1263
und 1278 abgefasst wurde. Dagegen floss eine altspanische, um 1251
geschriebene Bearbeitung wahrscheinlich aus einem unmittelbar aus dem
Arabischen übersetzten lateinischen Texte. Neben diesen aus dem Arabi-
schen abgeleiteten Uebertragungen existiert eine syrische Uebersetzung,
die unmittelbar nach dem Pehlevitexte angefertigt ist und jetzt, von den
fehlenden Teilen abgesehen, als der treueste Repräsentant des verlorenen
indischen Originals erscheint. Endlich wurde der Fürstenspiegel im 14.
und 15. Jahrhundert in italienischen, deutschen, englischen, hol-
ländischen, dänischen und anderen Bearbeitungen verbreitet. Die Ur-
form des Werkes zersplitterte sich durch die willkürlichen Aenderungen,
Zusätze und Weglassungen der Uebersetzer in zahllose Redaktionen.
Die griechische Uebertragung des Fürstenspiegels wurde um das
Jahr 1080 von dem Magister und Protosekretarios SymeonSeth im Auf-
trage des Alexios Komnenos abgefasst. Er teilte das Werk in zwei
Hauptabschnitte: 1. Die Sendung des persischen Arztes Barzöe {I7fg^o)ii)
und die schwierige Erwerbung des belehrenden Buches, 2. Das indische
Buch, und zwar a. die Geschichte der beiden Schakale Stephanites und
Ichnelates (Kaliiah und Dimnah), b. die Geschichte von der Ringeltaube.
Die Uebersetzung des Seth beruht, wie auch die hebräische, bzw. die
lateinische des Johannes von Capua, auf einer ausführlicheren und
besseren arabischen Redaktion, als sie in dem uns erhaltenen, von
Silv. de Sacy edierten Texte vorliegt. Der Zersplitterung ist bei der Ueber-
lieferung dieses volksmässigen Fürstenbuches kein Ende gewesen; von der
griechischen Uebertragung selbst sind wiederum vier, zum Teil sehr
von einander abweichende Rodaktionen bekannt; genauere Aufschlüsse
Die Assisen der Königreiche Jerusalem und Cypem. (§ 271.) 475
über das Verhältnis und die Ueberlieferung derselben enthält die Ausgabe
von Puntoni (s. u.).
Von den Griechen ging der Fürstenspiegel zu den Slaven über.
Das geschah spätestens im 13. Jahi'hundert, vielleicht schon früher. Von
den drei ältesten sla vischen Handschriften enthalten zwei eine serbisch-
slo venische, die dritte eine bulgarisch-russische Redaktion des Werkes.
Wie es scheint, stammt die slavische Uebersetzung aus einer besonderen,
sonst nicht bekannten Redaktion des griechischen Textes.
1. Ausgaben und Hilfsmittel: Vor dem griechischen Texte erschien eine latei-
nische Uebersetzimg desselben von P. Possinus in der Ausgabe des Pachymeres (s. § 37)
vol. I (Romae 1666) 545—620; vgl. vol. I 389 flF. und vol. II 482. — Den griechischen
Text ed. zuerst G. Stark, Berlin 1697 (mit lat. Uebersetzung). — MitteUimgen aus einem
Codex in Upsala gab P. F. Aurivillius, Prolegomena ad librum Ire(fc(viTi]g xal 'ix^V
).(tTr,g, Upsala 1780. — Die Ausgabe von Stark wurde wiederholt als Anhang der inter-
essanten Pancatantraübersetzimg des Demetrios Galanos: XiroTjatfciaaa ij TIavraaTtivTQn
{Tleyrätsv^og) /iieTcccpoaa&syTa ix rov BQa/fiaytxov nagcc JtjurjTQiov rceXayov 'A&r]-
yaiov, vt-v de nQMXov ix6o9Evxa fiskerrj FewQylov K. TvTiciXdov, 'Ey \4&Tjvcag 1851. — Erste
kritische Ausgabe der vier Rezensionen des griechischen Textes von Vittorio Puntoni,
Firenze 1889 (= Pubbhcazioni deUa societä asiatica italiana, vol. IL). — Handschriftliche
Mitteilungen gab Emilio Teza, Appunti per la bibliografia del Pancatantra, Orient und
Occident 2 (1864) 707 — 717. — Mit einer noch ungedruckten Redaktion, als deren Autor
sich ein Priester Johannes ..o iaxauuaTiauivog'-'- nennt, macht bekannt Y. Puntoni,
Studi di filologia Greca pubbl. da E. Piccolomini vol. I (Torino 1882—84) 29 — 58. —
Zuletzt gab eine Ergänzung zum handschriftlichen Material P. Battifol, Comptes rendus de
lacademie des inscriptions et beUes-lettres IV. serie, 16 (1888) 254 ff.
2. Sonstige Bearbeitungen und allgemeine Hilfsmittel: Eine arabische
Redaktion ed. mit Notizen über sonstige orientalische Bearbeitimgen und Bruchstücken einer
lateinischen Uebersetzung Silvestre de Sacv, Not. et extr. 10 (1818) 1, 94 — 432
imd 2, 1-65. Vgl. S. de Sacy, Not. et extr. 9 (1813) 1.397-466. — Den alten syri-
schen Text ed. (mit deutscher Uebersetzxmg imd einer Einleitung von Th. Benfey) Gustav
B ick eil, Kalilag und Danmag, Leipzig 1876. Vgl. die Besprechung von Th. Nöldeke.
Zeitschr. d. deutschen morgenländ. Ges. 30 (1876) 752 — 772 und die Nachträge ebenda 31
(1877) 535 — 541; femer L. Blumenthal, Krit. Emendationen zu G. Bickell's K. u. D., ebd.
44 (1890) 267-320.. — W. Wright, The book of Kalilah and Dimnah translated from Arabic
into Syriac, Oxford und London 1884. Eine englische Uebersetzimg desselben Textes
gab Keith-Fal coner, Cambridge 1885. Vgl. die gehaltreichen Besprechungen beider
Publikationen von Th. Nöldeke, Götting. Gel. Anzeigen 1884, 673—687 und 1885,
753 — 757. — Zwei hebräische Versionen ed. J. Derenbourg, Bibliotheque de l'ecole
des hautes etudes, 49. fasc. (1881). — Das Directorium vitae humanae des Johannes von
Capua ed. J. Derenbourg, Bibl. de l'ecole des hautes et., 72. fasc. (1887). — Die sla-
vische Uebersetzung ed. A. Viktorov, Moskau 1881. Vgl. V. Jagic, Arch. slav. Phil.
ö (1881) 682 ff. — LTeber die auf Befehl des Grafen Eberhard von Württemberg abge-
fasste deutsche Uebersetzung handelt Th. Benfey, Orient und Occident 1 (1862) 138 — 187;
ebenda S. 497 — 507 bespricht Benfey eine alte spanische L'ebersetzung. — Lieber die
von Nuti abgefasste italienische Bearbeitung des griechischen Textes (gedruckt Fen-ara
1583) spricht W. Pertsch, Orient und Occident 2 (1864) 261—268. Einen Neudruck der
italienischen Bearbeitung von 1583 veranstaltete Emilio Teza, Scelta di curiositä lette-
rarie inedite o rare dal secolo 13 al 17, vol. 125, Bologna 1872 (mit Bemerkungen über
das Verhältnis zu den griechischen Texten des Aurivillius und des cod. Laur. 57, 30). —
Hauptwerk über die Quellen, die Verbreitung und die Umwandelung der einzelnen Ge-
schichten des Kalüahkreises : Th. Benfey, Pantschatantra, 1. TeU, Leipzig 1859. - - Zur
Orientierung dient auch M. Müller, Selected essays 1 (1881) 514 ff. ; 548 ff., und M. Landau,
Quellen des Dekameron- S. 5 — 19.
271. Die Assisen der Königreiche Jerusalem und Cypern. Die
Gesetzgebung, welche die Kreuzfahrer in den von ihnen begründeten orien-
talischen Herrschaften einfülu-ten, gliederte sich von Anfang an in zwei
Hauptstücke, in einen Codex, der das Verhältnis zwischen den fränki-
schen Fürsten und Lehensleuten regelte, und in einen zweiten, der das
476 Byzantinische Litteraturgeschichte. III. Vulgärgriech. Litteratur. 2. Prosa.
Civil- und Strafrecht enthielt: die Assisen^) der Haute court und die
Assisen der Basse court oder Court des bourgeois. Der uns erhaltene
französische Text der Assisen des Oberhofes wurde in der Mitte des
13. Jahrhunderts (um 1255) von den zwei französisch-cyprischen Rechts-
lehrern Philipp de Navarre und Jean d'Ibelin abgefasst; der franzö-
sische Text der Assisen des Unterhofes ist anonym; er entstand wahr-
scheinlich zwischen 1173 und 1188, Ueber die Zeit und die Umstände
der Einführung dieser Gesetzbücher in Cypern, in Morea und in anderen
lateinischen Herrschaften sind wir mangelhaft unterrichtet. In beiden
Chroniken von Morea, sowohl der griechischen wie der französischen, wird
erzählt, dass der lateinische Kaiser Robert von Courtenay (1217 — 1228)
dem GeofFroy II Villehardouin das Recht erteilt habe, in Achaja nach den
Assisen zu richten. Anderen Nachrichten zufolge soll schon Kaiser Hein-
rich um 1210 dem Fürsten von Achaja die Assisen übergeben haben.
Sicher steht, dass um 1275 die Assisen des Oberhofes in Morea geltendes
Recht waren. Nach Euböa kamen die Assisen wahrscheinlich von Morea;
ein Auszug der Assisen des Oberhofes wurde i. J. 1443 für Euböa von der
venezianischen Republik geordnet und bestätigt. Dass übrigens die Assisen
nicht in allen Teilen des lateinischen Orients dieselben waren, vielmehr
mannigfache Modifikationen erlitten und auch mit älteren Lokalrechten
vermischt wurden, beweist u. a. eine armenische Uebersetzung der Assisen
von Antiochia aus dem Jahre 1265, in welcher die Assisen beider Höfe in
einer von der sonstigen Ueberlieferung vielfach abweichenden Form zu
einem Codex von 39 Kapiteln vereinigt sind. Der hohe Wert dieser
fränkisch-orientalischen Rechtsbücher für die Geschichte des lateinischen
Orients und des griechisch-byzantinischen, ja selbst für manche Teile des
ottomanischen Rechtes ist längst anerkannt.
Die griechische Uebersetzung der Assisen, die zunächst für das
Königreich Cypern bestimmt war, umfasst nur die Gesetze des Unter-
hofes; eine Uebertragung der wesentlich die internen Verhältnisse der
Fürsten und Lehensleute betreffenden Assisen des Oberhofes in die Landes-
sprache wurde als überflüssig und vielleicht sogar als wenig wünschens-
wert betrachtet. Die Entstehungszeit der griechischen Uebersetzung
lässt sich nicht genauer bestimmen. Die Annahme, dass sie schon unter
König Hugo I (1205—1218), dessen Regierung für die Ordnung der Assisen
allerdings von Bedeutung zu sein scheint, abgefasst worden sei, ist nicht
erweislich; jedenfalls gehören die uns erhaltenen Texte einer späteren Zeit,
wohl erst dem 14. Jahrhundert an. Ihr Wert beruht hauptsächlich auf
ihrer sprachlichen Form; den Assisen und den Chroniken des Machaeras
und Bustrone ist es zu danken, dass der neucyprische Dialekt in
seinem geschichtlichen Werden mit grösserer Vollständigkeit studiert werden
kann als irgend eine andere vulgärgriechische Mundart. Bezeichnend für
die längst erkannte Thatsache, dass die westliche Kultur dem griechischen
Boden nirgends tiefere, bleibende Spuren einzuprägen vermochte, ist die
Beobachtung, dass die meisten fränkischen Ausdrücke, von denen die
') Assise, Partizip vom altfranz. assire I sitzunp, ({oricht als Ciosetzbuch. S. Diez,
setzen, sieb setzen, bedeutet sowohl Gericht«- \ Wörterbuch der roiiian. Spr. * S. 510.
Die Chroniken des Leoniios Hachaeras nnd des Georg Bastrone. (§ 272.) 477
griechischen Assisen wimmehi, heutigestags in Cypern wie im übrigen
griechischen Orient völlig unbekannt und unverständlich sind. Den griechi-
schen Text überliefern drei verwandte Handschriften, der cod. Paris.
Gr. 1390, der 1512 geschriebene cod. Paris, suppl. gr. 465, der von
Mynas Mynoides vom Athos nach Paris gebracht wurde, und ein von
Zachariä von Lingenthal benutzter zweiter Athoscodex des Laura-
klosters, der ebenfalls i. J. 1512 geschrieben ist, jedoch nach Lingenthals
Beschreibung mit dem jetzt in Paris befindlichen Athoscodex nicht identisch
sein kann. Eine vierte Handschrift der griechischen Assisen lag dem
Florio Bustrone (tl570) vor, der dieselben für die venezianische Repu-
blik ins Italienische übersetzte. Die uns erhaltenen drei Handschriften
weichen von dem Original des Bustrone, das verloren zu sein scheint,
erheblich ab und stimmen mehr mit dem ältesten der französischen Codices
überein.
1. Ausgaben: Die griechischen Assisen ed. K. N. Sathas, Msa. ßißXto&TJxrj VI,
Venedig 1877. Ausser den Assisen enthält der Band byzantinische Notariatsschemen,
Formebi kaiserlicher Entscheidungen und eine Sammlung von kretischen Notariats -
Urkunden. In der Einleitung handelt Sathas über die Geschichte der griechischen Sprache
imd über die Entstehung der Assisen. — Französische Assisen: Les livres des assises
et des usages dou reaume de Jerusalem pr. ed. E. H. Kausler, Stuttgart 18-39. — Assises
de la court des bourgeois ed. V. Foucher, Rennes 1841. — Beide Arbeiten sind verwertet
in dem zusammenfassenden Werke des Grafen Beugnot, Assises de Jerusalem ou recueil
des ouvrages de jurisprudence composes pendant le 13** siecle dans les royaumes de Jeru-
salem et de Chypre, 2 voU. Paris 1841 — 43 (= Recueü des historiens des croisades, Lois,
t. 1 — 2). — Die italienische Uebersetzxmg des Florio Bustrone wurde nach der Ausgabe
von Venedig 1535 wiederholt von Canciani, Leges barbarorum, tom. V (Venedig 1792)
109 — 309. — Armenische Uebersetzimg : Assises d'Antiochie reproduites en fran9ais et
publiees par la societe Mekhitariste (le pere Leon Alishan), Venise 1876.
2. Hilfsmittel: Zachariae von Lingenthal, Historiae iuris Graeco-Romani de-
lineatio, Heidelberg 1839 S. 137 — 190 (Mitteilungen über die Athoshandschrift der grossen
Laura). — Paulin Paris, Journal des savants 1841 S. 291—309. — Francis Monnier,
Godefroi de Bouillon et les assises de Jerusalem, Paris 1874. — Sonstige Litteratiir ver-
zeichnen Beugnot und Sathas.
272. Die Chroniken des Leontios Machaeras und des Georg
Bustrone sind neben den Assisen die wichtigsten griechischen Quellen
für die Erkenntnis der mittelalterlichen Geschichte, Geographie, Kultur
und Sprache der Insel Cypern. I^eontios Machaeras war ein Sohn des
Stavrinos Machaeras, der 1382 an den Beratungen über die Wahl des
Nachfolgers Peters H Anteil nahm und für Jakob I Lusignan stimmte.
Auch Leontios stand zum fränkischen Hofe in nahen Beziehungen; er
folgte dem König Janus 1426 auf seinem unglücklichen Zuge gegen die
in Cypern eingefallenen Araber und unternahm 1434 eine Gesandtschafts-
reise zum Sultan von Ikonion; auf dieser Reise traf er in Laranda mit
dem französischen Reisenden Bertrandon de la Brocquiere zusammen,
der sein gutes Französisch rühmt.») Ueber die Nationalität des Machaeras
kann mithin kein Zweifel bestehen; er gehörte zu jenen Griechen, die
sich mit den fränkischen Herrschern befreundeten, ihre Sprache erlernten
und ihnen als Dolmetscher, Sekretäre, Diplomaten u. s. w. dienlich waren.
*) ,Item trouvay en ceste dicte ville j loient asses bon fran^ois." M. L. De Mas
de Larande ung gentil homme de Cypre que | Latrie, Histoire de l'ile de Chypre IH
Ten nomme Lyachin Caatrico et ung aultre j (1855) 3.
que Ten nomme Lyon Maschere, qui par- ,
478 Byzantinische Litteratnrgeschichte. lll. Vulgärgriech. Litteratnr. 2. Prosa.
Die Chronik des Machaeras beginnt nach einem Ueberblicke über die
ältere Geschichte der Insel Cypern und einem Verzeichnis ihrer bedeutend-
sten Heiligen, Bischöfe und Klöster in ausführlicher Darstellung mit dem
Jahre 1359 d. h. mit König Peter I Lusignan (1359—1369) und reicht
bis zum Jahre 1432 d. h, bis zum Tode des Königs Janus (1398 — 1432).
Am Schlüsse folgen noch einige kurze chronologische Notizen bis zum Jahre
1458, die offenbar von einem späteren Kopisten oder Besitzer der Chronik
stammen.') Als Quellen benützte Machaeras ältere Chroniken und sicher
auch offizielle Archive; einmal zitiert er das uns verlorene Buch des
TXovdv ri MinccQq (Juan de Mimars); ebenso verweist er für die Geschichte
Hugos IV (1324 — 1359) auf ein älteres, uns unbekanntes Werk. Für den
grössten Teil seiner Erzählung konnte er sich von seinem Vater und
anderen Verwandten, die am cyprischen Königshofe eine Rolle spielten,
genügende Informationen erholen; die spätere Zeit kannte er durch eigene
Beobachtung in einer dem regierenden Hause eng verbundenen Stellung.
Machaeras verstand es jedoch nicht, das Wichtige vom Bedeutungslosen
zu unterscheiden und den Stoff übersichtlich zu verarbeiten; er gibt mehr
eine wüste Materialiensammlung als eine historische Erzählung. Durch-
aus lobenswert ist seine Haltung; er steht zwar im Dienste der fremden
Herrscher und spricht mit Achtung von ihnen und ihrer Kirche; er ver-
leugnet aber keineswegs seine griechische Nationalität und seine Ortho-
doxie; in freimütigem Tone beklagt er den Verfall der griechischen Sprache
unter der lateinischen Herrschaft und verurteilt gelegentlich einen griechi-
schen Apostaten mit scharfen Worten. Die Sprache des Machaeras ist
jenes seltsame franko-griechische Mischidiom, das sich an den lateini-
schen Höfen des Orients ausbildete. Die Grundlage bleibt für die Laut-
und Formenlehre wie für das Wörterbuch der cyprische Volksdialekt;
dazu kommt aber eine massenhafte Beigabe französischer und italienischer
Wörter, die nach Gutdünken und mit willkürlicher Verwechselung von
Kasus, Genus und Numerus gräzisiert sind. Mehr noch als durch die bunte
Mischung des Sprachmaterials wird die Darstellung des Machaeras nieder-
gedrückt durch den völligen Mangel an Stilgefühl; er hat keine Vorstellung
vom Satzbau und von einer logischen Anfügung der Gedanken, Der gute
Chronist muss selbst gefühlt haben, wie übel es mit seiner Diktion bestellt
war ; er macht einmal die sprachgeschichtlich höchst interessante Bemerkung,
seit die Lateiner auf Cypern herrschen, habe man angefangen, französisch
zu lernen und man verderbe das Rhomäische und „wir schreiben fränkisch
und rhomäisch, so dass niemand mehr weiss, was wir für eine Sprache
reden.*'-') Das Werk des Machaeras wurde von Späteren reichlichst aus-
genützt. Diomedes Strambaldi veranstaltete eine unvollständige und
höchst fehlerhafte Uebersetzung desselben in venezianisches Italienisch:
Francisco Amadi verwertete es für seine Chronik, ohne jedoch auch nur
') Aehnliche BUinmarischo Fortsetzungen
finden sich in zahlreichen Chronikenhnnd-
8chrift«n; vgl. z. B, §§51; 55 f. (S. 117;
127; 131).
*) Kai ano töxes aqxi\f>av vä fiu&dvovv
(fQtipyxixa xai ßaQjiaQlant' t« ^(Oftcaxa cJf
yoToy xal (irjf^fQov, xa\ yQti(fOjuey (fgdvyxixa
xai ^(üfiatxa, ort eis roy xoofxoy d^y rj(svQovy,
tyra avyxvxdvo^ity. S. 124 der ersten Aus-
gabe (= S. 85 der zweiten).
Die Chroniken des Leontios Machaeras und des Georg Bustrone. (§ 272.) 479
anzudeuten, dass er wörtlich aus einem fremden Werke schöpfe; endlich
hat Florio Bustrone (f 1570) für seine italienische Geschichte der Insel
C>T)ern den Machaeras wie auch dessen Fortsetzer Georg Bustrone
ausgiebig zu Rate gezogen.
Georg Bustrone oder, wie er sich selbst schreibt, T^ogT^r^g üov-
axQovg {MnovaxQovz), ein gräzisierter cj^rischer Franke aus dem alten
französischen Geschlechte Bustrone, war ein treuer Gefährte und Freund
des letzten Königs von Cypern, Jakobs II. Sein Leben ist nicht genauer
bekannt; doch wissen wir, dass er im Jahre 1458 als Gesandter verwendet
und einige Zeit von der Königin Charlotta im Kastell von Nikosia gefangen
gehalten wurde; er scheint das Jahr 1501, mit welchem sein Werk schliesst,
nicht lange überlebt zu haben. Georg Bustrone schrieb in seinem heimat-
lichen Dialekte eine Chronik der cyprischen Ereignisse von 1456 bis
15 01, die er zum grössten Teil als Augenzeuge beobachtet hatte. Seine
Darstellung ist ebenso unbeholfen wie die des Machaeras; immerhin erzählt
er fliessender und ist leichter verständlich als sein Vorgänger. Sein Werk
wurde später ausgeschrieben von Antonio Colbertaldo in seiner Historia
di D. D. Catterina Corner Regina di Cipro, von seinem Verwandten Florio
Bustrone, der im Auftrage der venezianischen Republik auch die cypri-
schen Assisen ins Italienische übersetzte (s. S. 477), endlich von Stephan
Lusignan in seiner Histoire generale des royaumes de Hierusalem, Cypre
(Paris 1579).
1. Ausgaben der griechischen Chroniken: Beide Chroniken ed. zuerst K.
Sathas, Msa.ßtßXto9ijxT] v. II, Venedig 1873. Der Band enthält noch eine Reihe sonstiger
auf die Geschichte Cypems bezüglicher Texte, über welche die ausführliche Einleitung zu
vergleichen ist, und unedierte cyprische Münzen mit einer Abhandlung von P. Lambros. —
Eine neue Ausgabe des Machaeras (ohne Bustrone) veranstalteten E. Miller und K.
Sathas, 2 voll., Paris 1881 — 82 (= Publications de l'ecole des langues orientales Vivantes
IP Serie, vol. 2 — 3). Der erste Band enthält den durch Benützung der Oxforder Hand-
schrift verbesserten griechischen Text, dazu einen Brief des Nikephoros Gregoras an
König Hugo IV, zwei auf eine romantische Episode aus dem Leben Peters I Lusignan
bezügliche Volkslieder (s. S. 413), ein Glossar der cyprischen Idiotismen und das Facsi-
mile einer um die Mitte des 16. Jahrhunderts von dem Venezianer Baptist Agnese (auch
PalneSe genannt) gezeichneten Karte von Cypem. Im zweiten Bande folgt eine franzö-
sische Uebersetzung der Chronik und ein Sachindex.
2. Quellen und Ausschreiber der cyprischen Chroniken: Les gestes des
Chiprois, recueil de chroniques fran9aises ecrites en Orient aux 13* et 14*^ siecles (Philippe
de Navarre et Gerard de Monreal) publie etc. par Gaston Raynaud, Geneve 1887 (=:
Publications de la societe de l'Orient latin, serie historique, vol. 5). — Die italienische Ge-
schichte Cypems des Florio Bustrone ed. mit guten chronologischen und saclilichen In-
dices Rene deMasLatrie, CoUection de documents inedits sur l'histoire de France.
Melanges historiques, tome 5, Paris 1886 S. 1 — 533.
3. Geschichtliche und geographische Hilfsmittel: Sehr verdienstlich war
für seine Zeit das Werk des Erlanger Professors J. P. Reinhard, Vollständige Geschichte
des Königreichs Cypem, 2 Teile, Erlangen und Leipzig 1766—68. — Hauptwerk: Louis
de Mas Latrie, Histoire de l'ile de Chypre sous le regne des princes de la maison de
Lusignan, 3 voll., Paris 1852 — 55 — 61. — Von demselben (ausser vielen kleineren Beiträ-
gen): Nouvelles preuves de l'histoire de Chypre sous le regne des princes de la maison de
Lusignan, 2 voll., Paris 1873 — 74 (Extrait de la bibliotheque de l'ecole des chartes, t. 33 --35)
und: L'ile de Chypre, sa Situation präsente et ses Souvenirs etc., Paris 1879 (topographische
Notizen, inschriftliches Material u. s. w.). — Einzelne Regierungen behandelt Karl Her-
quet, Cyprische Königsgestalten des Hauses Lusignan, Halle 1881 (über Peter I, Janus,
Charlotta, Caterina). — Sonstige ält«re Litteratur ist zusammengestellt in dem naturwissen-
schaftlichen Werke von F. Unger und Th. Kotschy, Die Insel Cj'pera, Wien 1865
S. 595 flf. und bei Mas Latrie, Histoire de l'ile de Chypre II Preface S. 2 ff. — Hans
Müller, Der Longebardenkrieg auf Cypem 1229 — 1233, Dissert. Halle 1890. — Eine
480 Byzantinische Litteraturgeschichte. tll. Vnlgärgriech. Litteratar. 2. Prosa.
umfassende Monographie über die Geschichte und Geographie von Cypern erwartet man
von E. Oberhummer; vgl. vorerst desselben: Aus Cypern, Zeitschrift d. Gesellschaft für
Erdkunde zu Berlin 25. Bd., 1890. — Die mittelalterlichen Münzen von Cypern behandelt
am besten G. Schlumberger, Numismatique de l'Orient latin, Paris 1878.
4. Zur Sprache: Die älteste Monographie über den neucyprischen Dialekt ist das
seltene Buch des Peter Mercado, Nova encyclopaedia missionis apostolicae in regno Cypri
seu institutiones linguae Graecae vulgaris, Romae 1732 (cyprische Grammatik und Glossar,
für Missionszwecke bestimmt). — Sakellarios, Kvnginxd, bes. Bd. 3, Athen 1868. —
Zwei Hauptschriften: Gust. Meyer, II dialetto delle cronache di Cipro, Rivista di filol.
4 (1875) 255 — 286, und desselben Monographie über die romanischen Wörter in den cypri-
schen Chroniken, Jahrbuch für romanische und englische Sprache und Literatur 15 (= Neue
Folge 3) (1876) 33—56. — Mondry Beaudouin, Etüde du dialecte chypriote moderne
et medi^val, Paris 1884 (Bibl. des ecoles fran9. d'Athenes et de Rome, 36. fasc).
5. Ueberlieferung: Das Werk des Machaeras enthält cod. Marcian. class. VII
16, der kurz nach 1571 geschrieben ist, imd ein 1555 in Paphos geschriebener cod. Bod-
leianus, der einige Lücken des Marcianus ergänzt. Den Bustrone überliefert der erwähnte
cod. Marcian. class. VII 16, ausserdem cod. Marcian. VII 17 und cod. Arundel. 518 (Bri-
tish Museum), der die Venezianer Handschriften am Schlüsse ergänzt.
273. Hausarzneibücher, 'laTQoaöcpia, waren im Mittelalter bei den
Griechen ebenso stark verbreitet als verwandte lateinische Werke im Abend-
lande. Wie die medizinischen Schriftsteller schon im Altertum auf die
Deutlichkeit mehr Wert legten als auf grammatische und lexikalische Rein-
heit, so sind auch die populären Arzneibücher des Mittelalters stets dem
sprachlichen Bedürfnis ihrer Zeit und ihres Leserkreises angepasst worden.
Die älteren Vorlagen wurden teils durch vulgärgriechische Randglossen
erläutert, teils einer durchgreifenden sprachlichen Umarbeitung unterzogen.
Hiedurch werden die verschiedenen Redaktionen nützliche Fundgruben der
vulgären naturwissenschaftlichen Terminologie; durch die Rand-
glossen erhalten auch manche altgriechische Namen von Pflanzen, Tieren
und Steinen erwünschte Aufklärung. Häufig sind mit den Arzneibüchern,
in welchen die tierische Sympathie eine Hauptrolle spielt, auch Beschwö-
rungsformeln (gegen Hexen, Vampyre u. s. w.), Zaubersprüche und
ähnliche, für das geschichtliche Studium der Volksanschauungen wertvolle
Texte verbunden. Eine Sammlung von 'larqixd diäifOQu ah^O^earara dg
näaav äai>ivsiav enthält neben vielen anderen Dingen das Geoponikon
des kretischen Mönches Agapios Landes, das sich bis auf die neuere
Zeit grosser Beliebtheit erfreut hat (erster Druck Venedig 1647). An eine
erschöpfende Darstellung dieser zerstreuten Kuriositätenlitteratur kann nicht
gedacht werden, solange die meisten Texte noch unediert sind.
Ein vulgärgriechisches 'laTQoaocpiov, das in dem aus einer Handschrift des Jahres
1384 abgeschriebenen cod. Paris. Gr. 2315 aufbewahrt ist, ed. E. Legrand, Bibl. gr.
vulg. II (1881) 1—27. Vgl. die Einleitung S. 9 ff. — Die handschriftliche Bemerkung Jia
XfiQog 'Iwdyyov rov Iraipi&a, die Legrand auf den Verfasser bezieht, ist doch wohl nur
die Unterschrift des Kopisten,
1
Register der Personen und Sachen.
Die Zififern beziehen sich mit die Seiten; die mit * bezeichneten Seiten enthalten die Hauptstellen.
ABC s. Alphabet.
Abendmahl, in der byzantin.
Kunst 30.
Abenner, König 466.
Abraham, apokrj'phe Ge-
schichte 27; vgr. Gedicht
411.
Abram, Vater des Nonnosos 49.
Accentpoesie s. Metrik und
n-thmische Poesie.
Achilleis 431 f.
Achilles Tatios 218, 371 f.,
445, 448.
Achrida 191.
Adam und Eva. apokryphe
Geschichte 26 f., 468.'
Adam, Gedicht über 348.
Adam und das Paradies 404.
Adrianopel 76, 103, 426.
Adulis 158 f.
Aegvpten 158, 188.
Aelianos 55, 68, 265, 290,
347, 350, 376.
Aelios Dionvsios 227 f., 244,
263, 270,' 272.
Aera, alexandr., byz. u. s. w.
s. Zeitrechnung.
Aeschines 236.
Aeschylos 42, 218, 236, 253,
257 f., 265, 302, 356, 444.
Aesopos 249, 348, 382, 473.
Aethiopien 153, 158,456f.,468.
Agapios s. Landos.
Agathangelos von Byzanz 154.
Agathangelos, Gegner des Gre-
goras 382.
Agathias 7, 21, 37, 49 ff.*,
52, 55 ff., 65, 73, 121, 265,
298, 300.
Agnese, Baptist 479.
Akathistos, Kirchenhymnus
314, 318*, 329, 339,347,378.
Akinoj-nos 94 f., 203 f.
Akir, der weise 473.
Akklamationen 61, 298, 308,
310, 327, 336, 343, 389 f.*.
Akoluthos 381.
Akominatos. Michael 9, 84,
87, 186, 194 ff.*, 243, 245.
Akominatos Niketas, Erzbi-
schof 87.
Akominatos Niketas, Histori-
ker 9, 38, 83 f., 84 ff.*,
151, 153, 167, 181, 193.
Akonitis, Insel 47.
Akritas s. Digenis Akritas.
Akriten 417 f.
Akropolites 201.
Akropolites Georgios 88 f.*,
90,97,151,153, 186, 196 f.,
200.
Akropolites Konstantin 251.
Akrostichis 61, 187, 320, 326,
329, 336 ff.*, 342, 348 f.,
352, 364, 381, 404 ff., 429.
Aksakov 25.
Aktuarios Johannes 67.
Albertus Magnus 176.
Alcuin 215.
Alcyonius Peter 218.
Alexander von Aphrodisias
182 f., 265, 379.
Alexander Polyhistor 50.
Alexanderroman 27, 411,428,
432 ff.*
Alexandria 49, 116, 157, 222,
277, 311.
Alexias s. Komnena Anna.
Alexios s. Aristenos.
Alexios I s. Komnenos.
Alexios Makrembolites 381.
Alexios, der Mann Gottes 395,
469.
Alexios ^Murzuphlus* 85.
Alexis, Sohn Belisars 436.
Alkman 305, 333.
AUegorien 238 ff.. 362 ff.,382 ff.,
407 ff., 441 ff., 467.
Handbuch der klass. Altertomswlasenschaft. DC. 1. Abtlg.
Alopos, Theodoros 175.
Alphabet, erbauliches 220, 338,
406.*
Alphabet der Liebe 404ff.*,448.
Amadi Francisco 478.
Amalasuntha 47.
Amarantes 365.
Ambrosius 311, 457.; hj-nmus
Ambrosianus 327.
Ammonios, Aristoteliker 172,
224, 277.
Ammonios, Lexikograph 253.
Amorion 125.
Amphilochios 229.
Anadam 473.
Anagnostes Johannes 58 f.,
100*.
Anakreon 352 f., 371, 381.
Anastasios, der hl. 347.
Anastasios von Heraklea 188.
Anastasios I. Kaiser 3, 49, 109,
110, 312 f.
Anastasios II 312 f.
Anastasios, Melode 312, 819,
337.
Anastasios, Quästor 352.
Anastasius, Bibliothekar 28 f.,
118, 122 f.*, 124, 127.
Anatolios s. Yindanios.
Andreas, Apostel 150.
Andreas von Kreta 8, 315,
319*, 835.
Andreopulos Michael 472.
Andronikos, Sohn des 418 f.
Andronikos s. Komnenos, Pa-
laeologos.
Andros 339.
Angelos, General 253.
Angelos, Haus der 85, 195,
245.
Aninas, der hl. 201.
AnkjTa 208.
Annianos 116, 119*, 154.
Anna s. Komnena.
81
482
Register der Personen nnd Sachen.
Anonyme Grammatiker 283 f. ;
Musikschriftsteller 288 ;
Anonymus über Jerusalem
164; über Kaisergräber 167 ;
über die Belagerung von
Konstantinopel unter Hera-
klios 58; über die Erobe-
nmg von Konstantinopel
durch die Lateiner 153 ; über
Leo den Armenier 130, 137;
geographischer 160.
Anselm von Canterbury 215.
Anthimos 311.
Antiphon 265.
Antisthenes 55.
Antistoechie 262*, 279, 337.
Anthologien s. Spruchsamm-
lungen.
Anthologia Palatina 8, 68*,
265, 371.
Antiochia53, 109, 112 f., 116,
444, 476.
Antithalia 297.
Antoninus Marcus 265.
Antonios , Melissa" 27, 173,
289*.
Antonios Monachos 145.
Antonios Studites 322.
Apelaten 413, 418*.
Aphthonios 184, 190.
Apion 228.
Apokalj-pse 211, 233, 357.
Apokaukos Alexios 200, 201.
Apokopos 407 f.*, 467.
Apokryphe Litteratur 26 f.,
119, 357 ; s. auch Legenden.
Apollinarios 306.
ApoUonios Dyskolos 272, 276,
278.
ApoUonios, Lexikograph 228,
269.
ApoUonios Rhodios 236.
ApoUonios von Tyana 195.
ApoUonios von Tyros 434 f.*
Apostolios Aristobulos (Arse-
nios) 217, 291*.
Apostolios Michael 217, 261,
290 f.*
Appianos 64, 143, 265.
Apsyrtos 67 f.
Apuleius 64.
Araber 24, 30 ff., 72, 153,
156 f., 175, 188, 353, 456,
468 ff.
Archilochos 218.
Architektur s. Kunst.
Archytas 351.
Arethas 8, 71, 215, 233 f.*
Argyrokastron 152, 445.
Ario8 297, 310 f., 358.
Aristander und Kallithea 370.
AristarcboB, Kritiker 215.
Aristarchos «der jüngere" 273.
Aristenos Alexios 63, 360, 364,
3G7.
Aristides 199, 233, 253.
Aristobulos s. Apostolios.
Aristobulos, Dialogperson 365.
Aristogiton 236.
Aristonikos, 6rammatiker272.
Aristophanes von ßyzanz 68,
215, 244.
Aristophanes, Komiker 78, 218,
236, 239 f.*, 253, 257 f.,
263, 265, 281, 303, 365.
Aristoteles 11, 42, 68, 78, 91,
94, 98 f., 171, 172 f., 177 f.,
181 f.*, 196, 198, 217 f.,
222, 224, 226, 231, 236, 249,
255, 258, 347, 351, 358, 366,
426, 432, 434, 457.
Armenier 24 f., 30, 32, 40,
154, 177, 182, 188, 356, 433,
456, 468 f., 476 f.
Armuris, Lied vom 418 f.
Arodaphnusa, Volkslieder von
413, 479.
Arrianos 42, 143, 226, 236,
244, 265.
Arrianos (Pseudo-) 163.
Arsenios von Grotta-Ferrata
323.
Arsenios Studites 322, 330.
Arta, Brücke von 413.
Arternidoros 265.
Artemios s. Anastasios IL
Artus. König 432, 450.
Asan Johannes, Bulgarenkönig
89.
Asanes Andreas 209.
Asanes Demetrios 213.
Asanes Konstantin 209.
Asianismus 185.
Asinius Quadratus 50.
Assisen von Jerusalem und
Cypern 47J3 ff.
Athanasios, Lexikograph 268.
Athanasios Monachos 381.
Athanasios, Patriarch von Ale-
xandria 91.
Athen 178; Aufhebung der
Universität 4, 170; seine
mittelalterliche Geschichte
28 f., 194 ff.*; sein Anteil
an der byz. Litt. 100 ; Klage-
lied auf Athen 424 f.
Athenaeos 244, 264.
Athenokles 50.
Athos 31, 188, 220 f., 222*,
328 f., 462.
Attaliates Michael 38, 74 f.*,
77, 80, 139, 221, 329.
Attizismus 10, 199, 283 ; s. auch
Humanismus und Schrift-
sprache.
Attizisten 269 f., 388.
Augaros 69.
Augustinus, der hl. 172, 250.
Aulikulaiuos 180, 372.
Avaren 318, 847.
Auxentios 312.
Axumiten 49, 158 f.*
Babrios 265.
Babylonisches Reich, Sage 27,
394.
Bacon Roger 171, 176.
Bajesid 104, 208 f.
Balduin I 85.
Balsamen, Protekdikos 209.
Balsamen Theodoros, Jurisr
229 f.
Barbarismen, byz. 22.
Barbarus Scaligeri 154.
Bardales Leon 200, 248 f., 290,
379.
Bardas Caesar 8, 59, 348.
Bardesanes 310 f.
Bar-Hebraeus 154.
Barlaam und Joasaph 27, 173,
379, 389, 407, 466 ff.*
Barlaam, Theologe 94 ff.*.
203 ff., 206, 220, 382 f.
Barockstil s. Marinismus.
Barsymes Petros 46.
Bartholomaeos, Kirchendich-
ter 323.
Barzoe 474.
Basilakes Nikephoros 185.
Basilides, Häretiker 311.
Basiliken 62 f.*, 74, 177; 350.
Basilios der Grosse 26, 119,
147, 172 f., 265, 290, 347,
425.
BasiHos I, Kaiser 60, 69, 167.
187*, 208, 224 f., 230, 338.
Basilios II, Kaiser 16, 72, 75,
140.
Basilios Studites 322.
Bassos Cassianos 67.
Batatzes Basilios 165.
Bauemgrundbesitz in Byzanz
29.
Bekkos s. Vekkos.
Belisar 41, 425 f.*, 435 f.*
Belthandros und Chrysantza
441 ff.*, 446, 448.
Benoit de Sainte-More 430,
431.*
Bergadis 407 f.
Berosos 50.
Bertha. Braut Romanos II 188.
Bertha von Sulzbach 364.
Bessarion 11, 207, 212,217*.
290, 433.
Best«s Theodoros 63.
Bibliotheken s. Handschriften-
sammlungen.
Bidpai 474.
Bienen (Sammelwerke) 27.
289*.
Bilderapokalypsen 30.
Bilderstürmer 28 f., 31, 69,
126, 129, 173 f., 223, 231,
297, 314, 319, 321*, 337.
I
Register der Personen und Sachen.
483
Bischofslisten 124, 143,149ff.*
Blastarnes Matthaeos 169,326.
Bleibullen s. Bullen.
Blemmides Nikephoros 89,
159 f.*, 171, 196, 326.
Boccaccio 427, 434, 438, 451,
453, 471.
Boethius 250.
Boethos 228.
Bogomilen 193.
Bogomüus, Presbyter 46.
Bonner Corpus 35.
Botaneiates Johannes, Metri-
ker 287.
Botaneiates Nikephoros, Kai-
ser 74, 76.
Brahmanen , Antworten der
290.
Briefsanimlungen -55, 91, 96,
147, 186, 187 f., 192, 195,
197, 200, 201, 206, 209 f.,
230, 232, 236 f., 245, 248 f.,
251 f., 253, 256, 355, 366 f.
Brocquiere, Bertrandon de la
477.
Bryennios Manuel 288.
Bryennios Nikephoros 9, 75,
76 ff.*, 79, 179, 367, 397.
Bua Merkurios 426 f.
Buddha 466 ff.
Bulgaren 26, 28. 72, 107. 127*,
191. 327 f., 369, 429 Anm. 3,
434.
Bullen 29, 156 f., 175, 199,
206*, 210, 255.
Burtzes Georgios 196.
Bustrone Florio 477, 479.
Bustrone Georg 477 ff.
Byzantinische Frage in der
Kunstgeschichte 31.
Byzantios, Kirchendichter 318.
Byzanz s. Konstantinopel.
C vgl. K.
Candidus 109, 144.
Cassianus Bassus s. Bassos.
Cassiodorius 47.
Cato, der ältere 249, 398, 426.
Chaeremon 180.
Chalep 242. 353.
Chalke 222.
Chalkokondyles Demetrios
102 f.*, 217 f., 252.
Chalkokondyles Laonikos 33,
40, 100 ff.*, 104, 106, 107.
Chalkondyles s. Chalkokon-
dyles.
Chandrenos 253.
Charax Johannes 7, 277*.
Charax Johannes, der jüngere
278.
Charax Hellas 286.
Charikles s. Drosilla.
Chariton 295.
Charos 406 ff.
China, Beziehungen zu Byzanz
32, 158 f.
Chinesen 33.
Choiroboskos Georgios 7, 272,
277, 278*, 285.
Chomjakov 25.
Chonae in Phrygien 84 Anm. 3.
Choniates s. Akominatos.
Chorikios 290, 298, 372.
Chosroes I 47 f. ; Chosroes 11
52 f., 347.
Christentum 4 f., 26 f., 29,
32. 188, 193 f., 208, 296 f.,
305 ff., 342 ff., 350, 388,
472.
Christodulos, Mönchsname des
Joh. Kantakuzenos 97.
Christophoros von Mytilene
296, 346, 354 f.*, 381.
Christophoros a Secretis 355.
Christus patiens {Xotarog nd-
axtjy) 297 f.. 301, 356 ff.*,
367.
Chronicum Alexandrinum,
Constantinopolitanum, Pa-
schale s. Osterchronik.
Chromk von Argyrokastron
152.
Chronik von Morea 419 ff.*
Chronisten (Charakteristik)
107 ff.
XQoyoyQaq:Eiov avvrouov 136.
Chronologie , byzantinische
28*, 133; s. auch Zeitrech-
nung.
Chrj'santhos s." Notaras.
Chrysaphes Manuel 288.
Chiysobullen s. Bullen.
Chrj'sokephalos s. Makarios.
Chrj'soloras Demetrios 209.
Chrysoloras Manuel 209, 216,
217, 252, 261.
Chrysorrhoe s. KaUimachos.
Chrj'sostomos s. Dion, Jo-
hannes.
Chumnos Johannes 200, 201*.
Chumnos Nikephoros 89, 185 f.,
197 ff.*, 249, 290.
Cicero 114. 249. 338.
Cid 414, 416.
Clemens von Alexandria 305,
340, 350, 455.
Colbertaldo Antonio 479.
Commodianus 338.
Comoedia, spätere Bedeutung
von 299.
Comutus, Stoiker 275.
Cypem 88*, 196. 219, 253, 381,
391, 406, 415, 435, 449,
475 f.*, 477 ff.*
Damaskios 183, 265.
Daniel von Ephesos 164.
Dante 193, 386, 408.
Daphniaka des Agathias 50.
Daphnopates Theodoros 1 52 f.,
188 *
Dares 113, 234, 428.
Darmarios Andreas 183.
David s. Niketas.
Dekadyos Justinos 217.
Demetrios s. Chalkokondyles.
Demetrios aus Konstantinopel
s. Pepagomenos.
Demetrios s. Kydones.
Demetrios von Kyzikos 153,
354.
Demetrios ^.Myrohlyt^s" 70,
193, 212, 245.
Demetrios s. Triklinios.
Demokrit aus Abdera 114,
457.
Dem osthenes, Redner 195, 213,
218, 236, 253, 265, 283.
Depharanas Markos 382, 398,
408, 410*, 433.
Deutsche, ihre byz. Benennung
101.
Deutschland 165, 447.
Devaris Matthaeos 217.
Dexippos, Historiker 48, 118,
119, 217.
Dialoge 9. 55 f., 96, 188 ff.,
193 f., 210 f., 297 f., 362,
365 f., 377 f., 409.
Diassorinos Jakob 275 f.*. 286.
Dictys 234, 428.
Jidfc/Tj rwv ävädexa unoatö-
X(av 220.
Digenis Akritas 27, 390 f.
413 ff.*, 432.
Didymos Chalkenteros 7.
Didymos, Geoponiker 67.
Didymotoichon 103.
Digesten 62.
Diktys s. Dictys.
Diocletian 118, 471.
Diodoros Sikeliot«s 50, 64, 119,
220, 226, 236, 265, 299.
Diogenes Antonios 299.
Diogenes aus Kyzikos 111.
Diogenes Laertios 265.
Diogenes von Sinope 194, 238.
Diogenianos 7, 228, 272.
Diognetos. Brief an 339.
Dion Cassius 22. 48, 64. 109,
141 ff.*, 156, 217, 236, 241,
249, 265.
Dion Chrysostomos 233, 249,
255, 290.
DionysiosAreopagites91, 172.
Dionysios, Geograph 338.
Dionysios von Halikamass 64,
259, 265, 369.
Dionysios, Sohn des Ealliphon
338.
Dionysios Periegetes 159, 218,
236, 244*, 281, 383.
Dionysios aus Phuma 31.
Dionysios von Telmahar 154.
31*
484
Hegister der Personen und Sachen.
Dionysios Thrax 270, 276, 285,
299.
Diophantos 249.
Dioptra 356.
Diplomatische Korresponden-
zen der Sultane 11.
Dokianos Johannes 212 f.*
Dolopathos 470 f.
Domitios, Kirchendichter 330.
Donatus 250.
Dorotheos von Monembasia
419*, 422.
Dosikles s. Rodanthe.
Dositheos (Pseudo-) 260, 388.
Dostojevskij 25.
Doxopatres Georgios 240.
Doxopatres Gregorios 190.
Doxopatres Johannes 189 ff.*,
240.
Doxopatres Nikolaos 63*, 190.
Doxopatres Kilos 161*, 190.
Dragasis Konstantin, Despot
100.
Drakon (Pseudo-) 274, 286*.
Drama 9, 240 f., 296 ff.*, 317,
325, 348, 356 ff.*, 373, 377 f.,
409, 411.
Jqh^u, spätere Bedeutung von
299.
Drosilla und Charikles 370 f.
Dualismus , im römischen
Reiche 2.
Dukas Andronikos 414, 418.
Dukas, Chronist 102, 103 ff.*,
106, 107, 151 f., 219.
Dukas Johannes, Perieget 164.
Dukas, Haus der 74.
Dukas Michael 103.
Duns Scotus 170.
Duschan Stephan 207.
Dyotheletismus 319.
Eidologie 18, 345.
Kinhorn 158, 455.
Elephant 377.
Elias, Kirchendichter 307, 330.
Elias, Synkellos 381.
Elision 333.
Ennius 338.
Enoch , Erfinder der Buch-
staben 383.
Entwicklung derbyz.Litt. 19ff.
Epaminondaa 255.
Epanagoge 62.
Eparchos Antonios 217.
Ephesos 196, 201, 375; Synode
von (i. J. 431) 53.
Ephoros 221.
Ephrära, Chronist 86, 89, 144,
149 f.*, 369.
Ephräm, der hl. 212.
Epiiyniiiion ». Refrain.
EpichiirmoH 290.
Epigrammü 9, 50, 180, 244,
;J49, 296, 838, 346, 847—881.
Epiphania in Syrien 53 f.
Epiphanios aus Cypem 117,
161, 172, 347, 456.
Epiphanios, Diakon 236.
Epiphanios, Perieget 164.
Epirus 152*.
Epistolographie s. Briefsamm-
lungen.
Erasto 470.
Eratosthenes 156.
Erosdienst 448.
Esclot Bernard d' 421 f.
Esel, Legende vom 460 ff.
Ethnographie, byz. 29 ff., 101 f.,
150, 156, 381, 459 f.
Etymologicum Magnum, Flo-
rentinum , Gudianum etc.
228, 244, 270 ff.*, 274.
Etymologien in Gedichten 456,
459.
Euagrios , Kirchenhistoriker
52, 53 f.*, 56, 92, 158.
Euboea 422, 476.
Euchaita 355.
Euchaites Johannes s. Mau-
ropus.
Euderaos, Lexikograph 244,
263, 268 f.*
Eudemos, Rhetor 268 f.
Eudokia, Gattin des Digenis
414.
Eudokia, Makrembolitissa 74,
261, 275 f.*
Eudoxos 338.
Eugenianos Niketas 202, 295,
362, 370, 371 f.*, 374, 444.
Eugenikos Johannes 160,
211 f.*
Eugenikos Markos 212*, 323.
Euhemerismus 238.
Euklides 196, 233.
Eulogios 339 Anm. 5.
Eumathios s. Eustathios.
Eunapios 7, 48, 109,217,221,
265.
Euodios 125.
Euphemios 279.
Euripides 114, 218, 234, 236,
251, 253, 257 f., 265, 297,
806, 346, 356 ff.*, 366, 372,
383.
Eusebios, Kirchenvater 53, 92,
109. 116 f., 118, 119, 143,
154,167,233,290,310,335.
Eustathios, Chronist 54, 109.
Eustathios, Dichter 415.
Eustathios, Erzbischof 9, 86,
159, 186, 194 ff., 216, 218,
221, 242 ff.*, 259, 261, 274 f.,
297, 302, 324, 331.
Eustathios Makrombolitos, Ro-
HianHchriftstcIlor 295, 361,
371 ff.*, 443, 447 f.
pjustratios, Arititutclikur 9, 181,
182*.
Euthymios, der Georgier 327,
467.
Euthymios, der hl. 322.
Euthymios vonNeupatras 24:5.
Euthymios , Patriarch (Vita
Euthymii) 71 f.*, 233.
Euthymios s. Zigabenos.
Eutropius 109, 263.
Euzoitos Dionysios 356.
Exarchat 29.
Ezechiel, Tragiker 297.
Fälschungen 111, 183, 185,
273, 274 f., 282, 286 f., 419.
Falieri Marino 408 f.
Fasti Siculi s. Osterchronik.
Faustos von Byzanz 154.
Favorinus s. Phavorinos.
Filioque. das 172 f.
Fleck Konrad 451.
Flore und Blanchefleur s. Phlo-
rios.
Florilegien s. Spruchsamm-
lungen.
Franken 23, 50, 419 ff., 442 f..
447 f., 460.
Frankenreich 31.
Franzosen, ihre byz. Benenn-
ung 101.
Fredegar 389.
Fremde, Leben in der 407.
Fürstenspiegel s. Stephanites
und Ichnelates.
Gabras Johannes 201.
Gabras Michael 200, 201*.
Gabriel von Melitene 472.
Gabriel Studites 322, 330.
Galenos, Arzt 183, 289.
Galenos, Diakon 259.
Galesiotes Georgios' 159.
Gasmulen 413 Anm. 3, 421*,
451.
Gaspar, Bischof von Osmus 291.
Gateluzzi 103.
Gautier von Arras 402*, 438.
Gaza 185, 277.
Gebet des Stlnders, Gedicht
403 f.
Genesios, Historiker 60, 69 f.*,
80, 125. 131, 137, 139.
Genesios Patrikios 352.
Gennadios, Patriarch 107. 171.
Genuesen 103, 155.
Geoffroy de Ville-Hardouiii s.
Villehardouin.
Geoponiker 66 f.*. 180.
Georgides Johannes 289.
Georgier 30, 327, 408.
Georgillas Emmanuel 424,
425 f.*, 436.
Georgios ». Akropolites.
Georgios s. Chocroboskos.
Georgios von Cyporn s. Gio-
gorios von Cypem.
Register der Personen nnd Sachen.
485
Georgios Grammatikos 381.
Georgios Haraartolos s. G.
Monachos.
Georgios s. Kedrenos.
Georgios von Kerkyra 355.
Georgios s. Kodinos.
Georgios s. Lapithes.
Georgios s. Lekapenos.
Georgios Monachos 21. 26.
65, 70. 114. 119. 121, 123,
127, 128 ff.*, 134 f., 137,
140, 144. 149, 190, 229,
263 ff.*, 313.
Georgios von Nikomedien,
Kirchendichter 322.
Georgios s. Pachymeres.
Georgios der .Philosoph" 206.
Georgios s. Phrantzes.
Georgios s. Pisides.
Georgios Svnkellos 116,
118 ff.*, 12Ü f., 122, 139 f.,
263.
Gerasimos von Kerasunt 165.
Gerlach Stephan 219.
Germanos, Erzbischof (f 740)
8, 316.
Germanos, Kirchendichter 323.
Gesangbuch , altchristliches
309 f.
Gesandtschaftswesen 65.
Geschichtswerke über Bj-zanz
27 ff.
Gesetzbücher, byzant. 27, 62 f.,
74, 179, 187, 229 ff.
Gesta Romanorum 467, 471.
Ghisi. Venezianer 420.
Glabas Isidor 206.
Glabas, Protostrator 379.
Glarentza 460.
Glossare s. Lexika.
Glvkas Michael 132, 138, 142,
144, 146 ff.*, 180, 220, 369,
400 f.*
Glvkos Johannes und Justus
283.
Glykys Johannes 93, 191,
200 f., 20:^, 282 f.*, 288.
Gnostiker 297, 310.
Goldbullen s. Bullen.
Gothen 41, 50.
Gottfried von Bouillon 76.
Grammaticus Ambrosianus
287.
Grammaticus Augustanus, Lei-
densis, Meermannianus 282.
Gregoras Nikephoros 11, 17,
90, 93 ff.*. 97, 104, 171,
196, 203 f., 205 f., 252,
254 f., 280 Anm. 2, 282 f.,
• 382, 479.
Gregorios von Antiochia, Pa-
triarch 53.
Gregorios von Cypem 17, 89,
90, 185 f. ,196 f.*, 198 f., 201,
210, 273.
Gregorios von Kappadokien 70. i
Gregorios von Korinth 9, 185, i
281, 316, 324. j
Gregorios. o sv uovoxQÖnoig \
(Solitarius) 178. ■
Gregorios von Nazianz 4, 26,
69. 119, 144, 172, 177, 218,
265, 281, 290,303, 305 f.*,
310 f.*, 320, 324, 336, 340,
356, 425.
Gregorios von Nyssa 147, 172,
177, 290.
Gregorios s. Pakurianos.
Gregorios, Priester 154.
Gregorios von Syrakus 322.
Gregoriiis der Grosse 226, 311.
Gregorius von Tours 389.
Greis, der weise s. Ptocholeon.
Grotta-Ferrata 30, 323*.
Guarini 209.
Guillaiune aus der Nonnandie
457.
GuiUermus Apuliensis 79.
Guiscard Robert 79.
Gyllius, Reisender 167.
Gyron le Courtois 450.
Hagia Sophia s. Sophienkirche.
Hagion Oros s. Athos.
Hagiopolites 288.
Halep s. Chalep.
Hamartolos, als Beiname 128
Anm. 1.
Handelsgeographie 156 f.
Handschriftensammlungen u.
-kataloge 219 ff.*, 243.
Harmenopulos Konst. 62.
Harpokration 228, 263, 273.
Hausarzneibücher s. Jatro-
sophia.
Hebräer s. Juden.
Hebräische Sprache 119, 224.
Heidentum 4 f., 172.
Hekataeos von Milet 226.
Heliodoros, Grammatiker 228.
Heliodoros von Prusa 182.
Heliodoros , Romanschreiber
212, 218, 361, 371.
Helladios 263.
Hellenen (>= Heiden) 70; Pa-
negyrikus auf die 102.
Hephaestion 278, 284 ff.*, 332.
Heraklea, das pontische 93,
96, 280.
Heraklea, das thrazische 204.
Heraklides aus Milet 244.
Heraklios, Kaiser 3, 12, 28,
41, 54, 58, 116, 160, 188,
.347. 402.
Heraklitos 383.
Heredia, Juan Femandez de
420, 423.
Herbert 471.
Herennios (Pseudo-) 183.
Herennius, Rhetorik ad H. 250.
Hermas 220.
Hermogenes 184 f., 190. 240,
249, 282.
Hermoniakos 202, 338, 393,
429 ff.*, 456.
Herodianos. Grammatiker 253,
272, 276 ff., 279, (Pseudo-)
286.
Herodianos, Historiker22, 109.
Herodotos, Historiker 33, 42,
44, 50, 78, 84, 102, 114,
143, 156, 236, 253, 263,
265, 269, 281.
Heron, Mathematiker 258.
Hesiodos 218, 236, 239, 242,
251, 257 f., 265, 272, .372.
Hesychios Illustrios (von Mi-
let) 109, 110 ff.*. 167 f..
236, 263 f., 275.
Hesychios (Pseudo-) 112.
Hesychios.Lexikograph 7, 268.
Hexabibios s. Harmenopulos.
Hexagmeron 347.
Hexameter, accentuierende
342.
Hexapterygos Theodoros 89.
Hiatus 333.
Hierakosophion 68, 352.
Hierax, Grosslogothet 107.
Hierokles, Geograph 60, 162*.
Hierokles, Hippiatriker 67.
Hierokles, Dialogperson 245.
Hieronymos,Kirchenvater457.
Hierotheos Monachos 326.
Hilarion s. Prodromos (360,
399).
Himerios, Sophist 273.
Hippiatrika 67 f.*
Hippokrates. Arzt 183, 226,
365; Tochter des Hippo-
krates, Sage von der 395.
Hippokrates, der jüngere 67.
Hirmologion 329, 335*.
Hirmos 145, 334 f.*, 337.
Historia de preliis 433.
Hofgeschichtschreiber 40, 73,
178.
Hohes Lied 158, 177, 207.
Holobolos Manuel. Dichter
375*.
Holobolos Manuel, Rhetor210,
375.
Holobolos Manuel, Theologe
375.
Holobolos Maximos 373*, 375,
381
Homer 57, 70, 73, 78, 96,
100, 102, 178, 193, 195,
202. 213, 218, 234, 236,
238 f., 243 f., 247, 251, 253,
258, 263, 265, 272, 283,
306, 339, 341, 351, 353,
365, 372, 412, 415, 428 ff.*,
432, 450.
Homologos, Diakon 158.
486
Register der Personen und Sachen.
Humanismus 10 f., 12 ff., 24,
80, 92, 102, 186, 198, 201,
215, 217*, 247 f., 251 f.
Hymnen, kirchliche 308, 335f.*
Hypatia 218.
Hypereschios, Grammatiker
274.
Hyperides 265.
Hyrtakenos Theodoros 185,
198,201 fr.*, 213, 377 Anm. 2.
Hysmine u. Hysminias 371 ff.
Jahjä von Antiochia, Chro-
nist 140.
Jakobiten 173.
Jamblichos,Neuplatonikerl77,
265, 290.
Jatrosophia 480.
Iberer s. Georgier.
Ibn-Chisdai 469.
Jchnelates s. Stephanites.
Jean d'Ibelin 476.
Jenisalem 222, 298, 320.
Idrisi, Geograph 157.
Ignatios, Diakon 69, 128, 131,
297 f., 307, 347 f.*
Ignatios, Grammatiker 348.
Ignatios. Patriarch 70, 224.
Igorlied 27.
Ikasia s. Kasia.
Ikonographie 29 ff. ; s. auch
Kunst.
Ikonoklasten s. Bilderstürmer.
Ilias Latina 338.
Illustrios (Rang) 41, 110.
Illyrier 46.
Imberios und Margarona 452 f.*
Imbros 212.
Indien 158, 376, 466f., 470, 474.
Indisches Reich, Sage 27.
Joannikios , Kirchendichter
330.
Joannikios, Mönch 365.
Joasaph s. Barlaam.
Jo6l 148 f.
Johannes s. Aktuarios.
Johannes von Alexandria 154.
Johannes von Alexandria, der
Mitleidige 389.
Johannes s. Anagnostes.
Johannes von Antiochia 64,
109f.*, 113, 153, 217, 263 ff.
Johannes von Asien 154.
Johannes von Bari 79.
Johannes von Capua 474.
Johannes s. Charax.
Jobannes Chrysostomos 119,
147, 177, 192, 212, 218,
265, 290, 425, 455, 457.
Johannes von Damaskos 8,
26 f., 112, 170 ff.*, 224, 244,
288f., 290,297. 307, 313 f.,
320 f.*, 324, 335 f., 340,
366, 467.
Johannes, Diakon 122.
Johannes s. Dokianos.
Johannes s. Doxopatres.
Johannes von Epliesos 154.
Johannes von I]piphania 52 f.*,
54, 56, 81, 121.
Johannes, 6 iaxu^fxaxia^ivog
475.
Johannes Euchaites s. Mau-
ropus.
Johannes s. Eugenikos.
Johannes s. Gabras.
Johannes Gaza 160, 300.
Johannes s. Georgides.
Johannes s. Glykys.
Johannes von Jerusalem 126,
172.
JohannesItaIosl71, 181f.*, 194.
Johannes s. Kamateros.
Johannes s. Kameniates.
Johannes s. Kanabutzes.
Johannes s. Kananos.
Johannes VI s. Kantakuzenos.
Johannes s. Kinnamos.
Johannes Lydos 47, 167 f.*,
219, 249, 369.
Johannes Lydos, Mönch 153.
Johannes s. Malalas.
Johannes Monachos, Melode
312.
Johannes von Nikiu 108, 115,
153 f.*
Johannes VHI, Papst 225.
Johannes, Patriarch 321.
Johannes Patrikios, Schüler
des Psellos 181.
Johannes s. Pediasimos.
Johannes s. Philoponos.
Johannes „ Presbyterkönig " 27 .
Johannes Scotus 215.
Johannes Sikeliotes s. Doxo-
patres Johannes.
Johannes s. Skylitzes.
Johannes s. Tziraiskes.
Johannes s. Xiphilinos.
Johannes s. Zonaras.
Josephos von Aegypten 314.
Josephos Flavios 26, 64, 143,
173, 236, 255, 263, 265, 290.
Josephos von Grotta-Ferrata
323.
Josephos , der Hymnograph
322*, 331.
Josephos der Philosoph 200 f.,
253.
Josephos, Studites 322, 330.
Joshua s. Stylites.
Irene, Gemahlin des Alexios
Komnenos 75, 78.
Irene, Tochter des Chumnos
198 f.
Isaak Komnenos s. Komnenos.
Isaak. Metriker 286*.
Isaak Porphyrogennetos 234*.
Isaeos 265.
Isaurior 12 f.
Island 165.
Isokrates 186, 187, 199, 253,
265, 289, 339, 382, 397.
Italicus 338.
Italien, Beziehungen zu Byzanz
23, 31, 36*, 63, 322 f.,
327 f., 391, 406, 408, 409 ff,
420.
Itinerarien 162 ff.*
Juden 24, 31, 99, 309, 342 f.,
458 f., 469.
Julianos 231, 265.
Julius Sextus Africanus s.
Sextus Jul. Afr.
Jurisprudenz s. Gesetzbücher.
Justin I 49, 111.
Justin II 28, 56.
Justinianl,4f., 12f.,28,41ff.,
111, 112, 160, 312*, 435 f.
Justinus Martyr 347, 456.
Iwan, der Kaufmannssohn 402.
Eabasilas Demetrios, Kalli-
graph 200.
Kabasilas, fiByng^ioixrjXTJgiQl.
Kaba.silas Nikolaos 171, 204*,
206, 209.
Kachrie-Djamisi 30; s. auch
Kloster 7';;? /^w'p«?.
Kaesarea in Kappadokien 233.
Kaesarea in Palaestina 41.
Kaiserkrönung, des Androni-
kos III 99; in Kimstdenk-
mälern 30.
Kaisersage, byzant.-german.
394 f.
Kalenderverbesscrung 93.
Kalilah va Dimnah s. Stepha-
nites.
Kalliergis Zacharias 217.
Kallimachos 265.
Kallimachos und Chrysorrhoe
439 ff*, 443, 446.
Kallipolis 205.
Kallisthenes (Pseudo-) 116,
236, 428, 432 f.*
Kallistos Andronikos 217.
Kallithea s. Aristander.
Kaloe am Tmolos 72.
Kalosynas Antonios 103.
Kamariotes Matthaeos 185.
Kamateros Andronikos 369.
Kamateros, Eparch 238.
Kamateros, Familie der 235,
369.
Kamateros Gregor 367.
Kamateros Johannes, Astro-
nom 368.
Kamateros Johannes, Patri-
arch 191.
Kameniates .Johannes 58 f..
70f.*. 99, 160. 188. 199.211.
Kamytzes Konstantin 365*,
375.
Kanabutzes Johannes 259*.
Register der Personen nnd Sachen.
487
Kananos Johannes 58, 99 f.*
165,
Kananos Laskaris 165.
Kanones(in der Kirchenpoesie)
145, 308, 319 ff.*, 335 f.*
Kantakuzenos Johannes VI 90,
94 ff., 97 ff.*, 104, 200,
205 ff., 377.
Kantakuzenos Matthaeos 207.
Kantakuzenos Michael 219.
Kanzleistil 22.
Kapiton 109, 263.
Kappadokien 311, 414 f.
Karien 114.
KrcQxtyoi (Verse) 349.
Karten, geographische 162 ff.
Karthago 255.
Kasandrenos Alexios 206.
Kasia, Kirchendichterin 322.
Kasilon Klaudios 274.
Kasimatis Petros 468.
Kastor (Pseudo-) von Rhodos
185.
Kastra, allegorische 441 ff.
Kastrenos Demetrios 217.
Katalanen 253, 423.
Katasterbücher, byzant. 29.
Katiphoros Antonios 231.
Katrares Johannes 381.
Kebes 404.
Kedrenos Georgios 56, 126,
130, 132, 138 f., 140 f.*,
144, 147, 321.
Kekaumenos 74.
Keos 195.
Kephalas Konstantinos 50, 68,
352.
Kerkyra s. Korfu.
Kemlarios Michael 175*. 179,
225, 354.
Kinnamos Johannes 9, 80,
82 ff.*, 85 f.
Kirchengeschichte 29, 36 f.,
40, 43, 53 f., 92 f., 95.
Kirchenpoesie 23, 57, 98,
144 f.. 161, 176 f.. 230,
245 f., 281, 285, 305 ff.*,
856, 404, 406.
Kirchenrecht 63*, 281.
Kirchentrennung s. Schisma.
Kirchenverzeichnisse s. Noti-
tiae episcopatuuni.
Klassizismus 14, 81 ; s. auch
Attizisten, Humanismus und
Schriftsprache.
Kleolaos 188.
Kleomedes 258.
Klitobos, Klitophon 445.
Kloster rov Meyäkov 'JyQOv
.120; Baron aidiop 330; r^?
'EyxXeiaTQugSS; Grotta-Fer-
rata s. dieses; rtHy 'Ißrjgwy
207 ; des hl. Johannes auf
Patmos 164, 220 ff.; r^?
Ksxf<QiTWfxtyrjS 78; rujy
K).7]uced(oy 146; KvQKÖiiaffie
282 ; Laurakloster 204 ; rcjy
Mccyyäyojy 97, 360, 378;
jijg nsTQtTCoyiTttjaijg 75;
des hl. Sabas bei Jerusalem
172, 320, 467 ; Sigriane 352;
Studien 322*; rrj? '/^igug
94, 254; s. auch Kachrie-
Djamisi.
Klosterregeln 36, 74 ff.*, 78,
88, 92, 188.
Kodinos Georgios 111, 165 ff.*
Koiy^] {(fuiUxros) 67, 385, 387*.
Kokondrios 185.
KoUuthos 307.
Kometas 348 f.
Komnena Anna 9, 53, 75 ff.,
78ff.*, 85, 179, 181, 193,367.
Komnenen 3, 20, 29, 41, 74,
77 ff., 176, 295.
Komnenos Alexios I 76, 78 ff.,
166 f., 192 f., 397; Alexios
n 87.
Komnenos Andronikos 82 f.,
85, 195, 235, 418.
Komnenos Andronikos Tomi-
kes 375.
Komnenos Johannes 16. 76,
78, 83, 85, 235. 242, 359 f.,
364, 398.
KomnenosJohannes,der„letzte
Komnene" 99.
Komnenos Isaak 75, 140.
Komnenos Manuel 16, 82 ff.,
85, 148, 168, 235, 241, 245,
859 f., 364, 367 f., 399, 401.
Komnenos, Chronist 151 f.*
Konstantinische Exzerpte 48,
50, 52, 56, 64 ff.*, 109 f..
114, 132, 217, 219, 264 f.
Konstantinopel 2, 8, 29, 30,
32, 110 f.*, 166 ff.*, 219.
Konstantinopel, Klagegesang
auf 413, 424*, 426*.
Konstantinos i. Hannenopulos.
Konstantinos s. Kephalas.
Konstantinos s. Manasses.
Konstantinos Monomachos 68,
178 f.
Konstantinos s. Palaeokappa.
Konstantinos Vll Porphyro-
gennetos 10, 26, 28, 48,
59 ff.*, 73, 81, 120, 123 ff.,
141, 161, 163, 166, 173, 177,
187, 264 f., 272, 303, 312
Anm. 4, 322, 352, 389, 465.
Konstantinos Vlll 63.
Konstantinos, der Rhodier
852 f.
Konstantinos, der Sizilier 285,
296, 351, 352*.
Konsularfasten 116 f.
Kontakion 318, 335*, 837.
Kontianos Gabriel 485.
Kopten 30.
Korais Adamantios 197.
Koran 11, 206.
Korfu 105, 146. 192, 355, 427.
Korinth 195, 212.
Koronaeos Johannes 426 f.*
Korydalleus Theophilos 182.
Kosmas von Jerusalem 8, 172,
313, 820 f.*, 324, 335, 340.
866.
Kosmas Indikopleustes 26 ,
157 ff.*, 173, 347.
Kotertzes Konstantin 235 ,
237 f.
Krates. Kyniker 299.
Kreta 125, 163. 188, 319. 322,
353.391,406-411,424,463.
Kreuzzüge 23, 31, 80, 84,
85 f., 219, 419 ff., 468.
Kriegswissenschaft 63 f.*, 65f .,
73 f., 222, 350, 411.
Kritias 188.
Kritobulos aus Imbros 107*.
219.
Kroaten 28, 62.
Ktesias 50, 226.
Kukuzelis Johannes 288.
Kultur, byzant. 23 ff., 29 f.,
442 ff., 447 f. ; orientalische
24 f.. 31 f.; romanische
23f.,29ff.;slavische25ff..
32 ; s. auch slavische Völker.
Kunst, byzant. 5 f., 24, 30f., 86,
159, 193, 354, 363 f., 378 f.,
381; germanisch - romani-
sche 23 f.. 30 f., 455, 457,
467; slavische 27, 30 f., 159.
Kurkuas Johannes 152.
Kuropalat, Amt desselb. 165.
Kuru 472.
Kydion 193.
Kydones Demetrios 95, 185,
204 ff.*, 207, 209 f.
Kykliker 217.
K}Tiosophion 68.
Kyprianos,Kirchendichter318.
Kyprianos, Philosoph 200.
Kyrene 255.
Kyriakos, Kirchen dichter 812,
330.
KvriUos von Alexandria 7,
'260, 268*, 269.
KjTillos (Pseudo-) 260 f.*, 268.
Kyrillos aus Skythopolis 467.
Kyrillos, Slavenapostel 26, 32*,
175, 233.
Kyros 472.
K<i}fi(aÖLK, spätere Bedeutung
von 299.
Lachares 185.
Lakapenos Laomedon 148.
Lakapenos Romanos I 188*.
414.
Landes Agapios 69, 458, 480.
Landwirtschaft s. Geoponiker.
488
Register der Personen und Sachen.
Laodikea, Konzil von 387.
Laonikos s. Chalkokondyles.
LapithesGeorgio8 94, 356, 370,
381 f.*, 398.
Larissa 200.
Laskaris Janos 217, 222, 274.
Laskaris Kananos s. Kananos.
Laskaris Konstantin 216, 217,
251, 261.
Laskaris Theodoros , Kaiser
85, 87, 159, 247.
Lateinische Sprache bei den
Byzantinern 2 f., 205 f.,
224, 248, 249 f.
Lateinische Litteratur des
Mittelalters 17 f.
Laurentius, der hl. 206.
Lazaros, Diakon 280.
Legenden 12, 26, 68 f.*, 328,
388 f., 394 f., 460, 462, 467 f.
Lehensbegriff in Byz. 441 fF.,
447.
Lekapenos Georgios 280, 283*.
Lekapenos Romanos s. Laka-
penos.
Lenorensage 416 f.
Leo, Archipresbyter 433.
Leon der Asiate 134.
Leon der Byzantier 8.
Leon von Chalkedon 181.
Leon Diakonos 50 Anm. 5,
72 f.*, 80, 139, 178.
Leon, der Diakon, Freund des
Theodosios 59.
Leon Grammatikos 110, 121,
130, 132, 133 ff.*, 140, 144,
147.
Leon der Isaurier 8, 173.
Leon der Karier 134.
Leon Magister 352.
Leon der Philosoph 189, 351 f.*,
355.
Leon von Tripolis 70.
Leon III, Kaiser 28.
Leon V 69, 120, 278.
Leon VI der Weise, Kaiser
62, 63, 71, 160, 187, 220,
225, 307, 322, 340, 349 f.*,
352, 393, 402 f.*, 462.
Leo X, Papst 274, 291.
Leonardas Chius 103.
Leontios von Antiochien 231.
Leontios von Byzanz 172.
Leontios von Neapolis 112,
389*, 468.
Lerubna von Edessa 154.
Lesbos 103, 220.
Lexika 260 ff.*
Lexika, etymologische 350;
s. auch Etymologicum Mag-
■ num.
Lexika, kirrhliche 270.
I.«xika, urthographisdie 366.
I.«xika, rhetorische 244, 268 ff.,
272.
Lexika, syntaktische 48, 263,
265, 269 f., 280.
Lexika Segueriana 228, 253,
269 f.*
Lexikon- Ai/LtM^s^y 271 f.
Lexikon Bachmannianum s.
Lexika Segueriana.
Lexikon Cantabrigiense 274.
Lexikon des Photios 227 f.*,
263.
Lexikon , schedographisches
273.
Lexikon Vindobonense 273.
Lexikon , vulgärgriechisches
220.
Lexikon des Zonaras 145.
Libadenos Andreas 165.
Libandros 445.
Libanios 186, 218, 253, 273.
Lichudes Konstantin 175, 179.
Liebeslieder, rhodische s. Al-
phabet der Liebe.
Lingua Franca 163, 478.
Litauen 446.
Liturgie, liturg. Bücher 26,
308 ff.*, 323, 328 f.*
Livre de la conqueste 419 ff.
„Logothet", Chronist 71, 125,
131*.
Longinos, Metriker 285.
Longos 371.
Lopadiotes Andreas 273.
Lorenzi Johannes 103.
Luitprand von Cremona 72,
74, 297.
Lukanis Nikolaos 430 f.
Lukas, St., Kloster des 30.
Lukianos 188 f., 193, 210 f.*,
218, 233, 236, 253, 265,
289, 296, 298, 351, 365,
378, 380.
Lusignan 381, 477 ff.
Lusignan Peter I 413, 479.
Lusignan Stephan 479.
Lybistros und Rhodamne
444 ff.*, 455.
Lykophron 218, 236, 240*,
242, 269, 300, 356.
Lykurgos, Gesetzgeber 383.
Lykurgos, Redner 265.
Lyrik 296.
Lysias 236, 265.
Machaeras Leontios 477 ff.
Machaon 364.
Macrobius 249.
Maerchen 27, 361, 395.
Märtyrerakten 117, 226.
Magentinos Leon 182.
Magister officiorum 47 Anm. 1 .
Magnetes Stephanos 67.
Maguelonne h. Iniberios.
Malingediclit an einen alten
Mräiitignm 4U6.
Maiuina, Bischofsitz 320.
Makarios „Chrysokephalos"
290*, 370.
Makarios Hieromonachos 261.
Makaronismus 392.
Makedonisches Haus 41, 74.
Makrembolites , Makremboli-
tissa 373; s. auch Alexios
und Eustathios M.
Malalas Johannes 10, 26, 49,
65, 108, 112 ff.*, 117, 121,
130, 153, 234, 236, 263,
383, 389, 428, 465.
Malaxos Nikolaos 323.
Malbuch des Athos 31.
Malchos 7, 64, 144, 217, 265.
Manasses Konstantin 26, 137,
144, 146, 249, 295, 356,
369 f.*
Manekinelegende 220, 452 f.*
Manetho 119.
Maniakis Georgios 153.
Manichäer 76, 178, 229.
Mansur 172.
Manuel, Chronist 152.
Manuel s. Bryennios, Holobo-
los, Komnenos, Palaeologos,
Philes.
Margarona s. Imberios.
Maria, die hl. 285, 357 f., 425.
Marienverehrung 314.
Marinismus 44, 57, 185. '
Marinos, Philosoph 265.
Markellinos 265.
Markianos, Melode 312.
Markos s. Eugenikos.
Matarankos 201.
Mathias, Köuig v. Ungarn 101 .
Matthaeos s. Blastarnes.
Matthaeos von Edessa 154.
Maurikios, Kaiser 51, 56, 389 f.
Mauropus Johannes 296, 346,
354, 355 f.*
Maximos s. Holobolos, Pla-
nudes.
Maxinios,Homologet 192,289*.
Maximos Tyrios 273.
Mazaris' Fahrt in die Unter-
welt 210 f.*. 365, 408.
Mediziner 67 f.*, 177, 180. 480.
Megalomites Basilios 180, 355.
Melanchthon 215, 251 f.*
Meletios, der jünger« 366.
Melissa s. Antonios Melissa.
Melissa Augustana 173.
Melissenos Manuel 378.
Meliteniotes. Dichter 379,
382 ff.*
Meliteniotes Johannes 382.
Meliteniotes Konstantinos 256.
382, 384.
Meliteniotes Manuel 382.
Meliteniotes Theodoros 382,
3S4.
Mciiinonios 49.
.M.'iiaoen 308 f.*, 318, 328*.
Register der Personen nnd Sachen.
489
Menandros. Komiker 178, 218,
221*, 265, 289 f., 306.
Menandros. Protektor 7, 37,
47 f.. 50. 51 f.*, 54, 56,
217, 265, 298.
Menas, Rhetor 354.
Mendoza, Diego de 219.
Meslas, Astronom 368.
Messe des Bartlosen 326,
403*.
Methodios, Bischof 297, 303.
305*, 336, 338.
Methodios. Grammatiker 272.
Methodios, Patriarch 230, 368 ;
Apokalypse des M. 394 f.
Methodios. Slavenapostel 26,
32*, 175, 233.
Methodios aus Syrakus, Kir-
chendichter 322.
Metochites Georgios 251 , 256*.
Metochites Nikephoros 201.
Metochites Theodoros 93, 148,
171, 197, 201, 203, 215,
249, 251 f., 253, 254 ff.*,
258, 283.
Metrik 241 f.. 257, 284 ff.*,
300 ff.*. 330 ff.*, 358, 367,
393, 430.
Metrophanes, Kirchendicht«r
322.
Michael von Ephesos 182.
Michael II. Kaiser 69.
Michael ITl 69.
Michael VII Parapinakes 74,
76. 141, 176. 178, 181.
Michael Synkellos 280.
Michael der Syrer 3, 154.*
Michael s. Akominatos, Apo-
stolios, Attaliates, Dukas,
Glykas, Plocheiros, PseUos,
Senacherim.
Mimars. Juan de 478.
Mineralogie 383.
Miniaturen s. Kunst.
Mirabilien 44.
Misithra 97.
Mittelalter, Grenzen des 6.
Mönche = Philosophen 57.
Moeris 253. 260.
Mohamed, der Prophet 121,
220.
Mohamed I 208.
Mohamed II 104, 107*, 213.
Mohamedaner 350 f.; s. auch
Türken.
Monatsnamen, attische 91 f.
Monatszyklen 363*, 373, 379,
447 ff.
Monembasia 291.
Monotheleten 173, 318 f.
Monte Cassino, ApoUotempel
o.
Morea 419 ff., 423*, 476.
Mosaiken, byz. 30.
Moscholeos Theologitos 411.
Moschopulos Manuel 215 f.,
247 f., 251 f.*, 253, 274,
283, 287.
Moschopulos Nikephoros 251.
Moschos 213.
Moschos Demetrios 217.
Moses von Khoren 433.
I Münzwesen, byzantinisches 3,
I 6, 31, 479 f.
Muntaner Ramon 421 f.
I Murad II 99. 100, 206, 208,
I 423. _
Musa 470.
; Musaeos Epiker 218, 307, 371 .
i Musik, byz. 23. 258, 288 f.*.
j 323*, 328.
I Musur 414.
! Musuros Markos 217.
j Muzalon Georgios 200.
i Muzalon Theodoros 197.
I MjTa, Stadt 242.
Myrepsos Nikolaos 67.
MjTina, Stadt 49.
Mysterienspiel s. Drama.
Mystik , byzantinische 171,
204*.
Ifaassener 310.
Nachgesang s. Refrain.
Nachor 383.
Narses 41, 50.
Nathanael (Chumnos) 198.
Nationalität der Kaiser 3.
Naxos 235.
Nektarios, Mönch 355.
Neophron, Dialogperson 248.
Neophvtos ,.Enkleistos'* 88.
Neophytos. Rhetor 381.
Nepos, Haeretiker 310.
Nestor, Chronist 26, 132 f.*
Nestorianos, Chronist 113.
Neuplatonismus 170, 181, 189,
306.
Nikaea 85, 89 f., 196, 247,
460.
Nikandros 236, 240*, 265.
Nikephoros von Ephesos 179.
Nikephoros Phokas, Kaiser 16.
29, 61, 72 ff.*, 211, 353.
Nikephoros Patriarches 26, 69,
121 f., 126 ff.*, 130. 144,
263, 347.
Nikephoros der Phrygier 153.
Nikephoros s. Basilakes, Blem-
mides, Botaneiates, Bryen-
nios, Chumnos, Gregoras,
Xanthopulos.
Niketas David 324.
Niketas Paphlagon 70, 137 f.,
147, 233.
Niketas, Schulvorstand 179.
Niketas von Serrae 280 f.*, 326.
Niketas s. Akominatos, Euge-
nianos.
Nicolas di Gasöle 36, 76.
Nikolaos von Damaskos 265.
Nikolaos, der hl., vgr. Gedicht
411.
Nikolaos von Kerkyra 192.
Nikolaos von Methone 366.
Nikolaos von Otranto 355
Nikolaos, Patriarch 187 f.*.
233.
Nikolaos Studites 322.
Nikolaos s. Kabasilas, Myrep-
sos, Rhabdas.
Nikos 462.
Nikomedia 248.
Nilos, der jüngere 323.
Niphon, Patriarch 199, 200,
253.
Noah, apokryphe Geschichte
27.
Nomokanon 63*, 229 f., 461.
Nonnos Epiker 7, 160, 202,
306 f.*, 346.
Nonnos (Abbas) Mythograph
275, 324*.
Nonnos Theophanes 67.
Nonnosos 49*, 226.
Normannenkrieg 86, 242, 244 f.
Norwegen 165.
Notaras Anna 217.
Notaras Chrysanthos 207,
221 f.*
Notitiae episcopatuum 160 ff.*,
350.
Novellen (jur.) 62, 74, 162,
175, 350.
Numeniu Alexander 190.
Oinaiotes Georgios 159.
Oinomaos, Kyniker 299.
Oktoechos 145, 320*, 323.
Olga, Grossfürstin 26.
Olympiodor 7.
Olympos in Bithynien 175*,
325.
Omar 350.
Onosander 350.
Ophrydas 179.
Opilius Aurelius 338.
Oppianos 236, 240*.
Orakel, chaldäische 177.
Orakellitteratur 338, 349, 351,
368, 403.
Orestes, Kirchendichter 314,
330.
Oribasios 67, 426.
Origenes 310, 455.
Orion 272.
Ornamentik s. Kunst.
Omeosophion 68.
Gros 269, 272, 278, 285.
Orpheus 70, 218.
Orphica 236.
Osterchronik 114 f., 115 ff.*,
140, 168, 263, 318, 402.
Ostertafeln 116.
Osterzyklus 116 f.
490
Register der Personen und Sachen.
Ovid 249, 347.
Oxites Michael 367.
Pachymeres Georgios 11,
90 ff.*, 95, 167, 171, 183,
185, 196. 256, 288, 375 f.
Paeanios 109.
Pakurianos Gregorios 75.
Palaeokappa Konstantin 92,
182, 185, 275 f.*
Palaeologenzeit 10, 21, 91 ff.,
247 f.
Palaeologos Andi-onikos II 93,
161, 197, 199, 201, 248,
251, 254, 375.
Palaeologos Andronikos III 97,
99.
Palaeologos Helene 213.
Palaeologos Johannes V 97,
205, 207, 210.
Palaeologos Johannes VIII
104 ff.
Palaeologos Johannes, Despot
198.
Palaeologos Konstantin IX
104 flf., 148, 213.
Palaelogos Manuel II 104 f.,
171, 205, 206, 207 ff.*,
211.
Palaeologos Michael VIII 89,
92*, 105, 150, 197, 248,
256, 375.
Palaeologos Theodoros, Despot
208 f., 213.
Palaelogos Thomas , Despot
105, 107.
Palaephatos 275.
Palästina 164 f.
Palaetimos, Dialogperson 248.
Palamas Gregorios 94. 203 f.*,
205, 323.
Pamphilos 7. 269.
Panaretos Michael 151*, 165.
Panaretos Theodoros 151.
Pancatantra 470, 474.
Panodoros 116, 118, 119*,
140.
Panormos 59.
Pantechnes Konstantin 196.
Paränesen 187, 192, 199,
208, 370, 381 ff., 397 f.,
403 f., 406 ff., 426, 474.
Paraphrasen kunstsprachli-
cher Werke 81, 88 f., 107,
133, 159, 348, 393 f.
Pardos s. Gregorios von Ko-
rinth.
Pariser Corpus der byz. Hi-
storiker 35.
Parodien 189, 2S1, 325 f.*,
3(36, 403, 4.08 ff., 464.
Parömiographie b. Sprich-
wört(!r.
PaH8ionHj)iol s. Christus pa-
tiens.
Patmos 164. 220 ff.*, 298,
330, 389.
Patrae 233.
Patria d. h. Urgeschichten
110 f., 166 ff.*
Patrikios, Titel 47, Anm. 2.
Patrikiotis 379.
Paulicianer 229.
Paulos, Apostel 70, 193, 230,
. 347, 389.
Paulos, Kirchendichter 323.
Paulos Silentiarios 7, 12, 167,
371.
Pausanias, Lexikograph 227 f.,
244, 263, 270, 272.
Pausanias, Perieget 226, 249,
266.
Pediadites Basilios 192.
Pediasimos Johannes 197,
258 f.*
Pehlevi 470, 474.
Pelopidas 255.
Peloponnes s. Morea.
Pepagomenos Demetrios 68.
Pepagomenos, Korrespondent
des Hyrtakenos 201.
Perdikkas von Ephesos 164.
Perser 24 f., 32, 41, 50, 347,
380.
Peter von der Provence s.
Imberios.
Petrarca 94, 406.
Petritzis Ignatios 415 f.
Petritzos bei Philippopel 75.
Petros, Apostel 309, 364, 389.
Petros Patrikios 7, 46 ff.*,
217, 269.
Petros, Protospathar 211.
Petrus Hispanus 178.
Petrus Lombardus 174.
Petschenegen 29.
Phaeinos, Scholiast 263.
Phakrases, Grosslogothet (?)
200, 249.
Phakrases, Primikerios 206.
Phavorinos, Lexikograph 274*,
275.
Pherekrates 273.
Phialites 356.
Phidias, Sage von 395.
Philadelphia 175, 200, 290.
Philarmos 442.
Philemon, der falsche 274 f.
Philemon, Komiker 221.
Philes Manuel 17, 90, 202 f.,
220, 298, 307, 318, 348,
354 f., 362, 374, 375 ff.*,
409, 467.
Philippopel 85. 200, 201,
245.
Philipp de Navarre 476, 479.
Phili|»pos ^Solitarius" 356.
Philistion, Gnomen des 290.
Philochoros 221.
Philon von BybIos 111. 264.
Philon Judaeos 173 f., 183,
255, 347.
Philon (Pseudo-) 335.
Philopatris 188 f.*, 365.
Philoponos Johannes 7, 265,
277*, 278, 281.
Philostorgios 264, 338.
Philostratos 21 1 , 251 , 253, 265.
Philotheos, der hl. 245.
Philotheos, Patriarch 95, 204*,
206, 323.
Philoxenos (Pseudo-jLexiko-
graph 260 f.
Phlegon von Tralles 226,
338.
Phlorentios, Dialog 96.
Phlorios u. Platziaphlora 442,
450 ff.*
Phokaea 103.
Phokas, Kaiser 92, 390.
Phokas, Wunderthäter 165.
Phortios Leonardos 217, 393,
411*.
Photios 8, 17, 48 f., 51, 54,
56,63,64, 110, 127 f., 157 f..
167, 172, 177, 179, 185 f..
187, 215, 220, 223 ff.*, 237.
263, 269, 275, 289, 295,
322 f., 326, 340, 351, 372.
Phrankopulos 209.
Phrantzes Georgios 102, 104,
105 ff.*, 210.
Phrynichos Attizist 253, 263,
268, 269 f.
Physiologos 445, 454, 455 ff.*,
458.
Pikatoros Johannes 407, 408*.
Pinaros Joseph, Rakendytes
185.
Pindaros, Dichter 195, 202,
213, 217 f., 236, 242*, 244*,
251, 253, 257 f., 265, 281,
305 f., 333.
Pisides Georgios 7, 12, 121,
265, 294, 300, 318, 346 f.*,
380.
Planudes Maximos 110, 1^5, ■;
197,215,220, 247, 248 ff.*, f
286, 303, 326, HIQ.
Platen, Philosoph 78, 95, 98,
129, 171, 175 f., 177 f.,
181, 193, 198, 204 f., 213,
217 f., 220, 224, 226, 228.
231, 233, 236, 249, 253.
255, 283, 290, 305, 339.
351, 355, 426. 432; Plato-
scholien 270.
Plautus 338.
Plethon (ieorgios Gemistos
11. 171*, 185, 290.
Plinius, der iiltere 64.
Pliiiius, der jüngere 310.
l'locheiros Micliael 241, 298,
373 f.*, 400, 409.
Plütinos 177. 198.
Register der Personen und Sachen.
491
Plutarchos 66, 109, 143*, 193.
218, 226, 234, 235 f., 249,
255, (Pseudo-) 286 f., 290 f.,
303, 354.
Podagra 347. 354.
Pollux s. Polydeukes.
Polyaenos 350.
Polybios, Historiker 22, 33,
45, 64. 78, 81. 143, 156.
217, 222, 226, 263, 265.
Polvdeukes Julies, Chronist
121. 132, 133 ff.*, 147.
Polyhistoren 11, 91, 93 ff.
Polykrates 55.
Polyxene, Gattin des Achilles
431 f.
Porikologos 463 f.
Porphyrio3l59, 172, 177, 224,
351, 366.
Potakios s. Potaraios.
Potamios Theodoros 207.
Praxiteles, Sage von 395.
Priskos. Historiker 7, 54, 64,
109, 217. 265.
Prochiron (Eechtsbuch) 62, 74.
Prodromos Theodoros 17, 180,
202f., 220, 235, 281, 295 f..
298, 301, 307. 316, 321,
324, 326. 353 ff., 359 ff.*,
369 f., 371, 374 f., 380 f..
398 ff.*. 418. 444.
Proklos, Chronist 151 f.
Proklos, Neuplatoniker 183,
239.
Prokopios, Historiker 7, 12,
21. 37, 41 ff.*, 47, 50, 51,
54, 56 f.. 65, 73, 121, 144.
167, 236, 263, 265, 269.
Prokopios, Kirchendichter 323.
Prokopios, Rhetor 290.
Prokopios, Spatharios 352.
Prometheus, Ei"finder d. Gram-
matik 383.
Pronoia. byz. und südslavische
29.
Protasion 354.
Protektor, Titel 51.
Provinzenverzeichnisse 162.
Psalmen 158, 193, 306, 309,
343.
Psellos Michael, der ältere
174, 351.
Psellos Michael, der jüngere
9. 16 f., 38, 72, 75, 77. 80,
139, 144, 147, 159, 170 f.,
174 ff.*, l^b f., 192, 194,
201, 215, 217 f.*, 220 f,
236, 266, 275, 287, 303,
325 f.*, 346, 355, 372, 389.
Psychagogie 220.
Ptocholeon 393, 401 f.*
Ptochoprodromos s. Prodro-
mos.
Ptolemaeos, Astronom 156 f.,
173, 249, 255.
Ptolemaeos Euergetes 158.
Pulologos 456, 459 f.*
Pyrrhos Andreas 318.
Pythagoras, Sprüche des 290.
Quadrivium 90.
Quellenforschung zu byzant.
Histor. 37 und allenth.
Quirinus Laurentius 219, 291.
Quintus, Epiker 236.
Rätsel 180, 354 f., 365, 372 f.
Ravenna 30.
Rechtsbücher s. Gesetzbücher.
Rechtsgeschichte, byz. 62 f.
Refrain, in der Kirchenpoesie
305, 310. 335 f.*
Reim 337, 339 f.*, 342.
Reinhart Fuchs 460 ff.
Religionsgeschichte 4, 29 f.
Renaissance unter den Kom-
nenen 9, 75, 80, 176, 195.
Rhakendyt€s s. Pinaros.
Rhetorik 87 f., 90, 96, 159 f,
178 ff., 184 ff.*, 240, 245,
255, 365 ff., 381, 440.
Rhodophilos 442 f.
Rhodos 242, 405, 425 f.*,
449.
Rhomaer 2, 101, 387.
Rhusanos Pachomios 284.
Ricardus Florentinus 206.
Ritter, der alte 450.
Robert von Lincoln 267.
Rodanthe imd Dosikles 361 f.
Rodosto 221.
Roger II von Sizilien 157, 161.
Rolandslied 414.
Rom, Bezieh, zu Byzanz 31.
Romania = byz. Reich 157,
426.
Romanlitteratur 9, 294 ff.*,
346, 361 f., 384, 404, 428 ff.*,
438 ff.*
Romanos Diogenes 74, 193.
Romanos, Grammatiker 277.
Romanos, Kirchendichter 15,
57,177, 311. 312 ff.*, 320 f.,
324 f., 327, 329 f., 334 f.,
337, 339 ff.
Romanos Lekapenos s. Laka-
penos.
Romanos II 188*.
Rudolf von Ems 468.
Rumänen s. Walachen.
Russen 26. 29 ff., 72, 101,
107, 144, 230, 327 f., 372 f.,
376, 379, 402, 416 f., 456;
s. auch Slavische Völker.
Rythmische Poesie 302, 307 ff.,
330 ff.*
Sachlikis Stephanos 370, 382,
398, 401 An. 1, 408, 410*.
Sagen 26 f., 46, 394 f., 413.
Sallust 114.
Salmasische Exzerpte 109 f.
Salomon 457.
Salamonsage 27, 473.
Samothrake 120.
Sanudo Marino 422.-
Sappho 114, 218, 282.
Sarazenen 72, 130, 173, 190,
193.
Satire 9; s. auch Parodien,
Prodromos, Tiergeschichten
u. s. w.
Sbomiki (Sammelwerke) 27.
Schedographie 273.
Schisma 71, 89, 90 f., 150,
225, 229, 231 ff.*, 366.
Scholastikos, Beiname 49, 53.
Schriftsprache, byz. 10, 21 f.*,
32, 33 f., 38 f., 44, 57 f..
60, 70 f., 73, 75, 77, 80 f..
84, 87, 91, 102, 131 f., 144,
150, 161 f., 185 f., 195,
340 f.*, 358, 386, 400, 465,
468, 477.
Schweden 165.
Scott Walter 82.
Seewesen, bvz. 163 f.
Segelhandbücher 162 ff*.
Seidenzucht 51.
Selech, Astronom 368.
Semiten s. Araber, Juden,
SjTer.
Senacherim Michael 247.
Sentenzen s. Spruchsamm-
lungen.
Septuagirita 71, 73, 119, 143,
283, 289, 343, 357.
Sequentia, in der Kirchen-
poesie 327.
Serai 220, 222*.
Serben 26, 28, 32, 62, 101.
107, 144, 200, 327 f., 434,
456, 464.
Sergios, Grammatiker 277 f.
Sergios, Patriarch 57, 99, 116,
311, 314. 318 f.*, 336, 347.
378.
Sergios, Patrizier 224.
Sergios, Perser 50 f.
Serrae 280.
Servius Tullius 235.
Seta, Melode 312.
Seth Syraeon 67, 474.
Severus. Patriarch 277 f.,
347.
Sextus Julius Africanus 108,
109, 113, 116*, 119, 134,
383.
Sguros Leon 195.
SibyUen 218.
Sibyllinische Orakel s. Orakel-
litteratur.
Siddhärtha 466.
Sieben Weise, Sprüche der
290*, 348.
492
Begister der Personen nnd Sachen.
Sieben weisen Meister, die, s.
Syntipas.
Sigillographie s. Bullen.
Sigriane 120.
Silberbullen s. Bullen.
Silentiarios s. Paulus.
Silkoinschrift 158, 389.
Simeon s. Symeon.
Simokattes s. Theopbylaktos.
Simonides von Amorgos 235,
258, 360.
Sinagrip 473.
Sinai 220, 222*.
Sindbad, Sindibad s. Syntipas.
Sisvpbos aus Kos 11.3, 428.
Sizilien 146, 322.
Sklavos Manuel 409.
Skylitzes Johannes 70, 72, 75,
77, 114, 126, 138 flf.*, 144,
147, 149, 152 f., 179, 191.
Skylitzes Stephanos 367.
Slavische Völker, ihre Be-
ziehungen zu Byzanz 25 fF.,
29 ff., 32, 63, 114 f., 128,
132 f., 144, 164 f., .327 f.,
347, 369. 416 f., 429, 434,
456 f., 468 ff., 475; s. auch
Bulgaren, Kroaten, Russen.
Serben, Südslaven.
Smyma 220. 222.
Sokrates , Kirchenhistoriker
53, 92, 121, 167, 264 f..
306.
Sokrates, Philosoph 255.
Soliman II 219.
Solomon von Basra*289.
Solomon, Jida^ri loXofxwviog
397.
Sophianos Nikolaos 217, 395.
Sophienkirche 5 f., 167 ff.*,
179, 318.
Sophokles 218, 234, 236, 253,
257 f., 263, 265, 273, 383.
Sophonias 182.
Sophos 473.
Sophronios, Patriarch vou Ale-
xandria 277.
Sophronios, Patriarch v. Jeru-
salem 172, 182, 307, 318 f.*,
339 f.
Sothisbuch 119.
Sozomenos 53, 92, \1\.
Spaneas 370, 382, 397 f.*
Spanien, Beziehungen zu Byz.
31, 420, 422 f.
Spielereien, poetiche 91, 241 ;
s. auch Parodien.
Spottverse 211, 389 f.*
Sprache s. Schriftsprache und
Vulgürsprache.
Sprichwörter 27, 180. 192,
202, 213, 246, 249, 290 f.*,
367, 401.
Spruchsammlungen 229 f., 249,
2»y ff.', 370.
Stambul s. Konstantinopel.
Staphidas Johannes 480.
Stephanites und Ichnelates 27,
220, 382, 465, 466 ff., 473 ff.*
Stephanos von Byzanz 60, 162,
236, 244.
Stephanos, der hl. 379 Anm. 1.
Stephanos,Kirchendichter330.
Stephanos s. Magnetes.
Stephanos, Mathematiker 351.
Stephanos, der Sabbaite 297.
Stilarten s. Schriftsprache.
Stilbes, Konstantinos 192.
Stobaeos 173, 289.
Strabon 42, 156, 236, 244,
249, 265.
Strambaldi Diomedea 478.
Stratioti (Estradiots) 426 f.
Studien, Kloster 322.
Studiten 322, 341.
Studites Damaskenos 456.
Stylites Joshua, Chronist 46.
Stypiotes Theodoros 364.
Südslaven 26, 29, 32, 62, 96,
416; s. auch Slav. Völker,
Bulgaren und Serben.
Suetonius 236, 244.
Suidas, Historiker 267.
Suidas, Lexikograph 7 f.. 41 f.,
68, 109 ff., 16><, 209, 215,
221, 228, 244, v'61 ff.*, 269,
272. 274 f., 279, 316, 320,
.324, 331, 346, 383.
Suleiman 208.
Susanna, Drama 297; vgr.
Gedicht 410 f.
Symeon, Fürst von Bulgarien
188, 352.
Symeon, der „grosse Gramma-
tiker" 272.
Symeon, Kirchendichter 330.
Symeon, Magister und Logo-
thet63,70, 126, 13:^,136 ff.*,
223, 369.
Symeon Metaphrastes 8, 68 f.*,
137, 389.
Symeon, der Narr 389.
Symeon Seth s. Seth.
Symmachos, Historiker 50.
Symmachos, Scholiaat 263.
Synchronistische Methode 18.
Synesios von Kyrene 96, 179,
249, 253, 255, 265, 290,
306*, 340, 358.
Synkellos s. Georgios und
Michael Synkellos.
Synkellos, Amt des 118.
Synodaldekrete 230.
Synode , zweite tnillanische
298.
Syntipas 27, 465, 468, 470 ff*.
Syrakus 59.
Syrer 24 f., 30 ff, 157. 342,
377, 433, 456.
Syrien 322.
Tafelrunde s. Artus.
Tajapiera 427.
Taktiker s. Kriegswissen-
schaft.
Tarasios, Patriarch 8, 126,
223, 330, 347 f.
Tarasios, Bruder des Photios
225 f.
Teilsage 417.
Temenos Konstantinos 435.
Testament, neues 70, 388.
Thalia 297.
Theano 195, 218.
Themen des byzant. Reiches
60, 62.
Themistios 182, 218.
Theodat 47.
Theodora, Kaiserin 45*, 47.
Theodoretos, Kirchenhistori-
ker 53, 54, 92, 121, 143.
172, 229, 264 f., 290.
Theodorich der Grosse 47.
Theodoros Abukara 8.
Theodoros Anagnostes 121,
130, 154, 167, 311.
Theodoros s. Balsamon.
Theodoros von Gaza 138, 216,
217, 250 f., 280, 290.
Theodoros s. Hyrtakenos.
Theodoros Lector s. Th. Ana-
gnostes.
Theodoros s. Metochites.
Theodoros aus Paphlagonien
353.
Theodoros, Sohn des Petros
Patrikios 47.
Theodoros «. Prodromos.
Theodoros von Sebasteia 153.
Theodoros von Side 153.
Theodoros von Smyma, Kir-
chendichter 322.
Theodoros von Smyma.Sophist
193.
Theodoros Studites 126, 280,
322*. 329 f., 337.
Theodosios Diakonos 294,
353 f.*
Theodosios, Grammatiker 216,
277 f., 334.
Theodosios, der hl. 389,
467*.
Theodosios Melitenos 132,
133 ff.*, 147.
Theodosios, Perieget 165.
Theodosios , Redaktor des
Konst. Porphyrogennetos
64.
Theodosios von Syrakus, Hi-
storiker 59*, 99.
Theodosios von Syrakus, Me-
lode 322.
Theodulos monachos s. Tho-
mas Magister.
Thoognis 398.
Theognostos 1'2'>. '27 J, _'7^ I.'
Register der Personen und Sachen.
49S
Theokritos 218, 236, 249, 251,
257 f., 281.
Tlieoleptos, Metropolit 199.
Theon, Mathematiker 351.
Theophanes von Byzanz 7,
51*, 52.
Theophanes Confessor 10, 21,
24, 49, 50, 53, 56, 65, 114,
118, 120 flF.*, 130, 139 f.,
144, 168, 280, 313, 346, 389,
465.
Theophanes continuatus (Fort-
selzung des Theophanes) 60,
70, 123, 124 ff.*, 127, 131,
137, 138 f., 144, 152, 279.
Theophanes Nonnos s.Nonnos.
Theophanes Studites 280, 322*.
Theophilos, Chronograph 113.
Theophüos, Kaiser (829—841)
8, 69, 193, 280, 390.
Theophilos, Person in einem
Dialoge 245.
Theophilos, Presbyter s. Bogo-
milus.
Theophrast 379.
Theophylaktos von Achrida,
Erzbischof 75, 186, 191 f.*,
208, 281.
Theophylaktos Simokattes, Hi-
storiker 7, 12, 37, 51, 53,
54ff.*, 65, 73, 121,185,236,
263, 265, 297, 455.
Theopompos, Historiker 221,
226.
Therapeuten 335.
Theseide Boccaccios 453.
Thessalonike 46, 70 f., 100,
160, 188, 193, 199, 200,
203, 204 f., 206 f., 242 ff.,
253, 322.
Thomas von Aquino 170, 174,
206.
Thomas von Celano 327.
Thomas Magister 247. 252 ff.*,
257, 274, 287.
Thomas Patrikios 352.
Thomas Protospatharios 227.
Thukydides 33, 44, 46, 53,
78, 81, 102, 156, 195, 218,
226, 253, 263, 265. 283,
341.
Tiberios, oström. Kaiser 3,
52 f., 56.
Tiergeschichten 362, 366 f.,
376 f., 383, 454 ff.*, 474.
Timaeos , Lexikograph 228,
269.
Timarion 176, 193 f.*, 365,
408.
Timokles 311.
Tiraotheos, Chronograph 113.
Tiraotheos von Gaza 277. |
Timotheos von Konstantinopel i
172.
Timotheos, Zoolog 68. 1
Timur Lenk 209, 423*.
Tolstoi Leon 25.
Tornikios Leon 355.
Toter Bruder, Lied von d.
32, 417.
Tractatus Harleianus 286.
Toayovdui 299.
ToaytpdUc, Bedeutung 299.
Traianus. Chronist 153.
Trapezunt 82, 151*. 165, 209,
211, 364, 367, 413, 415.
Traube, Verurteilung der 463 f.
Traumgeschichten 407 ff.
Trjasavicy, die zwölf 27.
Trichas, Metriker 285.
Triephon 188.
Triklinios Demetrios 215, 247,
253, 256 ff.*, 286 f.
Trimeter, byzant. 300 ff.
Triodion 329 f.
Triviez Bemard 452.
Trivolis Jakob 393, 427*.
Trojaromane und Trojasage
27, 234, 428 ff.*
Troparion 145, 327, 335.
Trophonios 190.
Tropologion 329 f.
Tropus, in der Kirchenpoesie
327 f,
Trostgedicht 404.
Tryphiodoros 307.
Tryphon 281 f.
Türken 24 f., 51, 77, 84, 99,
100 ff., 104 ff.. 138, 208,
219,253,402,436,441,444,
464.
Turgenjev 25.
Tyche 44.
T}-pika s. Klosterregeln.
Tzetzes Johannes 9, 17, 185,
221, 234, 235 ff.*, 254, 285,
287, 324, 346, 350, 359,
374. 409, 429, 436.
Tzetzes Isaak 240, 241 f.*
Tzimiskes Johannes 16, 72,
188, 211.
Uebersetzungen byz. Werke
36 f., 114. 122, 132 f.,
144 f., 153 f., 164, 326 ff.,
347, 349, 369, 433, 456,
468 ff.
Ungarn 429 Anm. 3.
Union der röm. und griech.
Kirche 11, 89, 94 ff., 101,
104, 171 f., 196 f., 203 ff.,
207 f., 212 f., 256, 425.
Upravda (Justinian) 46.
Uranos Nikephoros 232.
Valentinianer 297.
Valentinus 311.
Valerius Julius 433.
Vandalen 41, 50.
Varangen 8. Warangen.
Vama, Sclüacht bei 423 f.*
Varo Marcus Terentius 64.
Vekkos 196, 256, 375.
Venedig, Beziehimgen zu By-
zanz 31, 155, 422.
Venedig, Gedicht auf 409 f.
Venezianer Nachdruck der
byzant. Historiker 35.
Verfuhrung, vgr. Gedicht 406 f.
Vergetius (Vergikios) Angelos
und Nikolaos 217.
Vers, politischer 61, 248,
802 ff.*, 339 f., 342, 345,
370, 375.
Verschroniken 93, 149 f., 153,
369, 419 ff.
Verwaltungswesen , byzant.
29 f., 60 ff.
Vierfüssler, Kindergeschichte
457 ff.*
Vigilius, Papst 47.
Ville-Hardouin Geoffroy de
86 ff., 421.
Vindanios Anatolios 66.
Vitiges 47.
Vladimir I 26, 32.
Vlastos Nikolaos 217.
Vögel in der Volkspoesie 407,
432*.
Volksbücher 1 1 3, 389, 435, 46S.
VolksUeder 27, 339, 391, 404,
407 ff., 413, 415 f., 424.
Vulgärsprache, griechische 10,
21, 49, 60 f., 67, 81 f., 89,
99, 104 f., 107, 114 f.,
121 f., 150, 180, 341, 350.
358, 361, 385—396*, 478,
480.
Walachen 327, 434, 456 f.
Wallfahrerbücher 164*.
Warangen 29, 463 f.
Warbeck Veit 452.
Weihnachtspiel, altgermani-
sches 62, 299.
Weltchroniken 26, 34, 100,
103, 105, 107 ff.*, 168, 190,
369, 419.
Wilhelm von Tyrus 420.
Xanthinoslied 418 f.
Xanthopulos, Nikephoros Kal-
listos 53, 56, 92 f.*, 197,
200, 220, 323, 355.
Xanthopulos Theodoros 200 f.,
379.
Xenedemos, Dialog 366.
Xenophon, Historiker 50, 77,
84, 143, 226, 255, 265.
Xenophon , Romanschreiber
434.
Xiphilinos Johannes, Chronist
141*, 217.
Xiphilinos Johannes, Patriarch
175 f., 179, 181*.
404
Register der Personen und Sachen.
Zacharias von Mytilene 154.
Zagora 460.
Zakonen 211.
Zante 410.
Zaubersprüche 27, 480.
Zeitbestimmung byz. Werke
20, 161 f., 337.
Zeitrechnung, christl. 116 f.*,
118 flf., 127.
Zellenemails 30.
Zenobios, Grammatiker 272,
291.
Zenodotos 215.
Zeremonienwesen, byz. 61 f.
Zesen Philipp von 372 Anm. 1.
Zigabenos Euthymios 192 f.*
Zigabenos Georgios 366.
Zonaras Johannes 26, 48, 56,
63, 72, 81, 85, 108, 110.
126, 130. 141 flF.*, 146 f..
150 f., 179, 217, 316, 324.
326, 369, 420.
Zosimos, Historiker 7, 64,
109.
Zotikos Paraspondylos 423 f.
Zygomalas Theodosios 107,
222.
Pur die Benützung des Registers sei bemerkt, dass die SlcUoii vollstäudig verzeichnet sind. Wer
sich also für eine Frage interessiert, die nach dem Plane des Buches nicht im Zusammenhange dargestellt
worden konnte, kann sich in den meisten Fällen mit Hilfe des Index wenigstens einen Überblick über die
Hauptthatsachen verschafifen. So repräsentieren die Zahlenverzeichnisse unter den Artikeln Aristoteles,
Homer, Isokrates , Lukianos, Plato u. a. kleine Abhandlungen über das Fortleben dieser alten
Alltoren in der byzantinischen Litteratur; aus den Angaben unter dem Schlagworte Slavische Völker
lässt sich ein Bild des Einflusses der byzantinischen Kultur auf die Slaven zusammenstellen, aus dem Artikel
Akrostichis eine Geschichte dieser Spielerei in der byzantinischen Litteratur u. s. w.
Verzeichnis der oströmischen Kaiser.
Arcadius 395—408
Theodosius II 408—450
Marcianus 450—457
Leo I 457—474 (Mitkaiser Leo II 473—474)
Zeno 474—491
Anastasios I 491 — 518
Justinos I 518—527
Justtnianos I 527—565
Justinos II 565—578
Tiberios II 578—582
Maurikios 582-602
Phokas 602-610
Heraklios 610—641
Heraklios Konstantin III 641
Herakleonas 641
Konstans II 642—668
Konstantinos IV Pogonatos 668 — 685
Justinianos II 685 — 695
Leontios 695—698
Tiberios III Apsimaros 698—705
Justinianos II nochmals 705 — 711
Philippikos (Bardanes) 711—713
Anastasios II (Artemios) 713—716
Theodosios HI 716— 717
Haus des Leo.
Leo m der Isaurier 717—741
Konstantinos V Kopronvmos 741—775
Leo IV 775—780
Konstantinos VI 780 — 797
Irene von Athen 797—802
Nikephoros 802—811
Staurakios 811.
Michael I Rhangabe 811—813
Leo V der Armenier 813—820
Michael II der Stammler 820—829
Theophüos 829—842
Michael HI 842-867
Makedonische Dynastie.
Basilios I 867—886
Leo VI der Weise 886—911
Alexander 911—912
Konstantinos VII Porphyrogennetos 912 — 959
Romanos II 959—963
Nikephoros II Phokas 963—969
Joannes I Tzimiskes 969—976
Basilios II Bulgaroktonos 976—1025
Konstantinos VIII 1025—1028
Romanos IE Argyros 1028-1034
Michael IV der Paphlagonier 1034—1041
Michael V Kalaphates 1041—1042.
Konstantinos IX Monomachos 1042 — 1054
Theodora 1054-1056
Michael VI Stratiotikos 1056—1057
Dukas und Komnenen.
Isaak I Komnenos 1057 — 1059
Konstantinos X Dukas 1059—1067
Romanos IV Diogenes 1067 — 1071
Michael VU Dukas (Parapinakes) 1071—1078
Nikephoros lU Botaniates 1078—1081
Alexios I Komnenos 1081 — 1118
Joannes II Komnenos 1118—1143
Manuel I Komnenos 1143 — 1180
Alexios II Komnenos 1180—1183
Andronikos I Komnenos 1183 — 1185
Haus Angelos.
Isaak II Angelos 1185— 1195
Alexios ni Angelos 1195—1203
Isaak II nochmals 1203 — 1204 (Alexios IV,
sein Sohn, Mitkaiser)
Alexios V Dukas (Murtzuphlus) 1204
Kaiser in Nikaea.
Theodoros I Laskaris 1204—1222
Joannes III Dukas Vatatzes 1222—1254
Theodoros 11 Laskaris 1254—1258
Joannes IV Laskaris 1258—1259
Michael VIII Palaeologos 1259—1260.
Wiedereroberung von Konstantinopel 1261
Haus der Palaeologen.
Michael VIII Palaeologos 1261 — 1283
Andronikos II 1282—1328
Ajidronikos HI 1328—1341
Joannes V 1341—1376
Joannes VI Kantakuzenos Gegenkaiser und
Mitkaiser 1341—1355
Andronikos IV 1376—1379
Joannes V nochmals 1379—1391
(Joannes VII Gegenkaiser 1390)
Manuel 11 1391—1425
Joannes VHI 1425—1448
Konstantinos XI (IX) Dragases 1448-1453.
Eroberung von Konstantinopel durch die
Türken 29. Mai 1453
Lateinische Kaiser von Konstantinopel.
Balduin I von Flandern 1204—1206
Heinrich von Flandern 1206—1216
Peter von Courtenay 1217
Robert U 1217—1228
Johann von Brienne, Regent und Titularkaiser,
t 1237
Balduin H 1228—1261.
/Ai.ö 4
t)
PA Krumbacher, Karl
5110 Geschichte der byzantinis-
K7 chen Litteratur
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNiVERSITY OF TORONTO LIBRARY