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Full text of "Geschichte der byzantinischen Litteratur von Justinian bis zum Ende des oströmischen Reiches, 527-1453"

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HANDBUCH 

DER 

KLASSISCHEN 


ALTEKTÜMS-WISSENSCHAFT 

in  systematischer  Darstellung 

mit  besonderer  Rücksicht  auf  Geschichte  und  Methodik  der  einzelnen 

Disziplinen. 


In  Verbindung  mit  Gymn.-Rektor  Dr.  Autenrieth  (Nürnberg),  Prof.  Dr.  Ad. 
Bauer  (Graz),  Prof.  Dr.  Blass  (Kiel),  Prof.  Dr.  Brugmann  (Leipzig),  Prof. 
Dr.  Busolt  (Kiel),  Prof.  Dr.  v.  Christ  (München),  Prof.  Dr.  Flasch  (Erlangen), 
Prof.  Dr.  Gleditsch  (Berlin),  Prof.  Dr.  Günther  (München),  Prof.  Dr.  Heer- 
deg-en  (Erlangen),  Oberl.  Dr.  Hinrichs  f  (Berlin),  Prof.  Dr.  Hommel  (Mün- 
chen), Prof.  Dr.  Hübner  (Berlin),  Prof.  Dr.  Jul.  Jung"  (Prag),  Dr.  Knaack 
(Stettin),  Priv.-Doz.  Dr.  Krumbacher  (München),  Dr.  Larfeld  (Remscheid),  Dr. 
Lolling  (Athen),  Prof.  Dr.  Niese  (Marburg),  Geh.  Regierungsrat  Prof.  Dr.  Nissen 
(Bonn),  Priv.-Doz.  Dr.  Öhmichen  (München),  Prof.  Dr.  Pöhlmann  (Erlangen), 
Prof.  Dr.  0.  Richter  (Berlin),  Prof.  Dr.  Schanz  (Würzburg),  Geh.  Oberschulrat 
Prof.  Dr.  Schiller  (Giessen),  Gymn.-Dir.  Schmalz  (Tauberbischofsheim),  Ober- 
lehrer Dr.  P.  Steng'el  (Berlin),  Professor  Dr.  Stolz  (Innsbruck),  Priv.-Doz.  Dr. 
Traube  (München), Prof.Dr.Ung'er(Würzburg), Geh. -Rat Dr. v.Urlichsf  (Würz- 
burg), Prof.  Dr.  Moritz  Voigt  (Leipzig),  Gymn.-Dir.  Dr.  Volkmann  (.lauer),  Dr. 
Weil  (Berlin),  Prof.  Dr.  Windelband  (Strassburg),  Prof.  Dr.  Wissowa  (Marburg) 

herausgegeben  von 

Dr.  Iwan  von  Müller, 

ord.  Prof.  der  klassischen  Pliih)logie  in  Erlangen. 


Neunter  Band,  1.  Abteilung. 

Geschichte  der  byzantinischen  Litteratnr 

von  Justinian  bis  znni  En<lo  des  oströiiiisclicii  Uciclics  (r)27 — 11  "0 


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MÜNCHEN. 
C.  11.  HECK'SCIIK   VKHI.AiiSHrciIllANDLÜNO  (OSKAH  BECK). 


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GESCHICHTE 


DER 


BYZANTINISCHEN  LITTERÄTÜR 

VON  JÜSTINIAN  BIS  ZUM  ENDE  DES  OSTRÖMISCHEN  REICHES 

(527—1453) 


Von 


Karl  Krumbacher 

Privatdozent  an  der  Universität  München 


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MÜNCHEN 

C.  H.  BECK'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  (OSKAR  BECK) 

1891 


Alle  Rechte  vorbclialten. 


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0.  H.  " 


Vorwort. 


Wenn  ein  Naturforscher  erklärte,  er  wolle  nur  mit  dem  Löwen 
und  Adler,  der  Eiche  und  Eose,  mit  Perlen  und  Edelsteinen,  nicht 
aber  mit  widerwärtigen  oder  hässlichen  Gegenständen,  wie  der  Spinne, 
der  lOette,  der  Schwefelsäure  sich  beschäftigen,  so  würde  er  einen  Sturm 
von  Heiterkeit  entfesseln.  In  der  Philologie  sind  solche  Feinschmecker 
die  Regel,  die  es  unter  ihrer  Würde  finden,  ihre  kostbare  Kraft 
anderem  als  dem  majestätischen  Königsadler  und  der  duftigen  Rose  zu 
weihen  —  und  wir  haben  noch  nicht  gelernt,  über  diese  Würdevollen 
zu  lächeln.  Einer  der  ersten  Sterne  am  philologisch-historischen  Himmel 
von  Europa  warnte  mich  einst  mit  eindringlichen  Worten  vor  dem 
Studium  der  unaussprechlichen  Jahrhunderte  und  ihrer  geistigen  Er- 
zeugnisse; die  reine  Liebe  zum  Altertum  und  die  pädagogische  Kraft 
müssen  verkümmern,  wenn  sich  die  Philologie  auf  solche  Abwege  ver- 
irre; ich  möge  Busse  thun  und  zu  den  ästhetischen  Fleischtöpfen  der 
klassischen  Zeit  zurückkehren.  Wenn  solches  am  grünen  Holze  ge- 
schieht, was  soll  man  vom  dürren  erwarten?  Es  ist  wohl  zweifellos, 
dass  die  Mehrzahl  unserer  Fachgenossen  sich  noch  auf  dem  Stand- 
punkte des  Bonner  Doktors  befindet,  dem  es  unbegreiflich  war,  dass  man 
sich  mit  einer  Zeit  beschäftigen  könne,  in  der  ccnö  den  Akkusativ 
regierte.  Ich  brauche  deshalb  hier  nicht,  wie  es  sonst  in  Vorreden 
hergebracht  ist,  mein  Verhältnis  zu  Vorgängern  darzulegen  —  denn 
i'h  habe  keine;  was  mir  obliegt,  ist  vielmehr,  das  wissenschaftliche 
iieclit  des  Gegenstandes  an  sich  in  Schutz  zu  nehmen.  Ich  will  mich 
dabei  nicht  in  die  Aufzälilung  von  Einzelheiten  und  Nebenumständen 
verlieren,   nicht   von   den  mannigfachen  Anregungen  sprechen,   welche 


VI  Vorwort. 

aus  der  byzantinischen  Litteratur  für  ein  vertieftes  Studium  des  helle- 
nischen Altertums  und  der  griechischen  Gegenwart,  für  die  Erforschung 
des  mittelalterlichen  Kulturlebens  der  Orientalen,  Slaven  und  Abend- 
länder, insbesondere  für  die  Erkenntnis  der  aus  einem  analogen  Ent- 
wickelungsprozcss  hervorgewachsenen  Sprache  und  Litteratur  der  roma- 
nischen Völker  geschöpft  werden  können.  Die  llauptsaclie  liegt 
anderswo.  Die  auf  allen  Gebieten  anerkannte  Forderung,  dass  die 
historische  Kontinuität  im  weitesten  Umfange  aufgedeckt  und  be- 
schrieben werde,  darf  auch  in  der  griechischen  Philologie  nicht  länger 
beiseite  geschoben  werden.  Was  dem  oberflächlichen  Betrachter  der 
dunkeln  Jahrhunderte  nichtig  und  wertlos  dünkt,  erweist  sich  bei  einem 
liebevollen  Studium  des  gesamten  politischen,  kulturellen  und  sprach- 
lichen Hintergrundes  als  bedeutend.  Diesen  Vorgang  des  Anwachsens 
der  Teilnahme  und  des  Verständnisses  habe  ich  unzähligemal  an  mir 
selbst  erlebt,  er  wird  sich  auch  in  anderen  vollziehen  und  wird  end- 
lich der  byzantinischen  Kulturwelt  in  der  Wissenschaft  ilire  berechtigte 
Stellung  erobern.  Homer,  Sophokles  und  Plato  sind  ewig:  die  isolierte 
Betrachtung  dieser  Geisteshelden  ist  aber  nicht  das  Höchste;  auch  sie 
treten  näher,  gewinnen  an  Leben  und  sprechen  deutlicher,  wenn  wir 
sie  auf  der  Riesenfolie  einer  Geschichte  des  griechischen  Geistes  und 
der  griechischen  Sprache  zu  begreifen  und  zu  gemessen  versuchen. 
Um  es  kurz  zu  sagen:  Soll  sich  die  Philologie  als  eine  geschicht- 
liche Wissenschaft  im  vollsten  Sinne  des  Wortes  bewähren,  so 
muss  sie  auch  die  Erforscliung  der  byzantinischen  Zeit  ohne  Rück- 
halt in  ihr  Bereich  ziehen;  dann  müssen  auch  die  gutgemeinten  Be- 
denken der  sinnenden  Gemüter  verstummen,  die  noch  niclit  gelernt  haben, 
die  Begriffe  des  ästhetischen  Vergnügens  und  der  pädagogischen  Brauch- 
barkeit von  dem  der  wissenschaftlichen  Forschung  zu  trennen;  ver- 
stummen werden  die  Einwände  der  wissenschaftlichen  Bureaukraten, 
welt/lie  die  philologisclien  Studien  auf  einen  durch  liöliere  Verfügung 
bestimmten  Kreis  anerkannter  Schriftwerke  bescliränken  möclitcn;  die 
Erforscliung  einer  Wahrheit  im  4.  Jahrhundert  v.  (Jhr.  wird  nicht 
mehr  für  verdienstlicher  gehalten  werden  als  die  Aufdeckung  einer 
solchen  aus  dem    14.  Jahrhundert  n.  Chr. 

Alles  das  ist  so  einfach  und  selbstverständlich,  dass  mau  sich 
scheuen  müsste  es  öffentlich  auszusprechen,  wenn  es  nicht  das  Schick- 
sal des  Einfachen  und  Selbstverständlichen  wäre,  dass  es  im  bitteren 


Vorwort.  VII 

Streite  erkämpft  werden  miiss.  Die  Kraft  der  Thatsaclien  wird  aber 
aiicli  hier  zum  Siege  gelangen.  Es  wird  in  der  philologischen  Wissen- 
schaft Ähnliches  geschehen  wie  in  der  Landschaftsmalerei.  Da  gab  es 
eine  Zeit,  in  der  man  sich  nur  für  himmelblaue  Seen,  für  rosiges  Alpen- 
glühen oder  üppige  Frühlingsgelände  begeisterte ;  seitdem  hat  man  gelernt, 
in  jedem  Stücke  der  unendlichen  Natur  das  Göttliche  und  Ewige  zu 
finden;  man  hat  entdeckt,  dass  sich  einem  polnischen  Novemberabend 
auf  morastigem  Neubruchland  ebensoviel  Feinheit  und  seelische  Stimmung 
entlocken  lässt  als  den  früher  beliebten  „schönen  Gegenden".  So  wird 
auch  der  Litterarhistoriker  der  Zukunft  jeder  Epoche,  in  welcher 
Menschen  dichteten  und  dachten,  dieselbe  Teilnahme  entgegenbringen. 
Wie  der  beschränkte  ethnographische  Standpunkt  der  alten  Hellenen 
durch  den  weltgemeinschaftlichen  Gedanken  des  Christentums  längst 
praktisch  überwunden  ist,  so  wird  auch  die  Wissenschaft  bei  aller 
Versenkung  in  die  Einzelforschung  gleichzeitig  ihren  Gesichtskreis  mit 
ungeschmälerter  Sorgfalt  über  Zeiten  und  Völker  ausbreiten. 

Was  ich  in  diesem  Sinne  für  das  byzantinische  Zeitalter  zu  thun 
vermochte,  ist  freilich  nur  eine  Arbeit  aus  dem  Eohen.  Die  erste 
Aufgabe  war  hier,  Grundlagen  zu  schaffen  und  ein  Gerüste  aufzu- 
richten. Kein  Mitforscher  wird  das  Fachwerk,  das  er  sich  zur  Be- 
arbeitung ausgewählt  hat,  schon  so  vollendet  und  geglättet  vorfinden, 
dass  ihm  nicht  noch  sehr  viel  zu  thun  übrig  bliebe;  dafür  wird  aber 
jedem  wenigstens  eine  Planskizze,  ein  roher  Unterbau  und  ein  Schutz- 
dach gegen  Wind  und  Wetter  geboten.  Nur  eine  Gattung,  die  eine 
selbständige  Abteilung  gebieterisch  verlangt  hätte,  ist  vorläufig  in 
fremden  Gemächern  untergebracht  worden,  die  Theologie  und  die 
mit  ihr  verbundene  Hagiographie.  Daran  ist  nicht  Abneigung 
schuld,  sondern  Mangel  an  Zeit  und  Vorarbeiten.  Eine  wissenschaft- 
liche Darstellung  der  theologischen  Litteratur  konnte  ohne  ein  gründ- 
liches Studium  der  Kirchengeschiclite  niclit  gewagt  werden;  hiefür 
fehlt  es  aber  an  geeigneten  Hilfsmitteln;  die  Lehrbücher  der  Patristik 
wie  auch  die  neueren  Spezialuntersuchungen  reichen  kaum  bis  auf 
Johannes  von  Damaskos;  die  spätere  Zeit  ist  nur  an  einzelnen  Punkten 
aufgehellt.  Gerne  hätte  ich  wenigstens  dem  interessanten  Gebiete  der 
Hagiographie  ein  eigenes  Kapitel  gewidmet;  aber  auch  hier  gebrach 
es  an  Vorarbeiten  und  an  der  Kraft,  das  Fehlen  derselben  durch 
eigene  Forschung  auszugleichen;    die    trefflichen  Werke    von  Usener 


Vni  Vorwort. 

lind  Harnack  beziehen  sich  meist  auf  die  vorbyzantinische  Zeit, 
und  die  Studien  zur  Entwickelungsgeschichte  der  cliristlichen  Le- 
gende von  Veselovskij  sind  mir  leider  noch  nicht  zugänglich  ge- 
worden. Immerhin  ist  der  Ausfall  weniger  empfindlich,  als  es  auf 
den  ersten  Blick  scheinen  könnte.  Die  hervorragendsten  Wortfülirer 
der  Theologie  sind  in  den  Fächern  untergebracht,  welchen  sie  in  ihrer 
sonstigen  Schriftstellerei  am  nächsten  stehen;  so  findet  man  Johannes 
von  Damaskos  bei  den  Philosophen,  Photios  im  Abschnitte  über 
Altertumswissenschaft,  Zigabenos,  Michael  Akominatos  und  Palamas 
bei  den  Ehetoren,  andere  bei  der  Geschichtschreibung,  Geograpliie 
und  Poesie.  Da  nun  zudem  die  kirchliche  Gattung,  welche  in  ästhe- 
tischer Hinsicht  am  höchsten  steht,  die  liturgische  Poesie,  in  einer 
eigenen  Abteilung  ausführlich  behandelt  ist,  so  wird  ersichtlich,  dass 
die  vorhandene  Lücke  sich  weniger  auf  die  litterarischen  Personen 
und  die  künstlerisch  wertvollen  Denkmäler  als  auf  die  innere  Geschiclite 
der  Theologie  und  besonders  der  Dogmatik  erstreckt. 

Was  die  übrigen  Fächer  anlangt,  so  ging  mein  Streben  dahin, 
den  gegenwärtigen  Stand  unseres  Wissens  mögliclist  klar,  anschaulicli 
und  zweckmässig  darzulegen.  Manchmal  befand  ich  mich  freilich  in 
der  peinlichen  Lage  eines  Richters,  der  das  Urteil  sprechen  soll,  und 
nicht  die  Zeit  hatte,  um  die  Prozessakten  genau  und  mit  sorgsamer 
Überlegung  zu  prüfen.  Oft  musste  ich  gerade  da  abbrechen,  wo  sich 
eine  Stelle  zu  lichten  begann  und  wo  unter  dem  wüsten  Geröll  ein 
Goldkorn  durchschimmerte.  Auch  möge  man  bedenken,  dass,  wie  die 
byzantinische  Litteratur  selbst  zu  allen  Teilen  der  altgriechischen  in 
enger  Beziehung  steht,  so  auch  der  Bearbeiter  derselben  die  Doppel- 
aufgabe übernehmen  musste,  sowohl  den  alten  Originalen  als  den 
mittelgriechischen  Reflexen  seine  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Unter 
solchen  Umständen  war  es  nicht  möglicli,  innerluilb  einer  absehbaren 
Zeit  zu  einer  gleichmässigen  Durcliarbeitung  des  ganzen,  mannigfaltigen 
und  schwer  zu  sichtenden  Stoffes  zu  gelangen;  doch  war  ich  stets  be- 
strebt, auf  unebene  und  dunkle  Stellen  mit  sclilichten  Worten  aus- 
drücklich liinzuweisen.  Was  sich  an  Vorarbeiten  finden  Hess,  habe 
ich  dankbar  und  gewissenhaft  benützt,  ohne  nacli  einem  falsclien  Scheine 
von  Selbständigkeit  zu  streben.  Für  grössere  Partien  der  Chroniken- 
litteratur  dienten  die  ausgezeichneten  Forschungen  von  F.  Hirsch, 
C.  de  Boor  und  U.  Geizer,  für  den  Roman  das  berühmte  Buch  von 


Vorwort.  JX 

E.  Eohde,  für  die  Kirchenpoesie  die  grundlegenden  Werke  Ton  J.  B. 
Pitra,  W.  Christ  und  W.  Meyer.  Die  weitesten  Strecken  waren 
freilich  ohne  Führer  zu  durchwandern,  und  auf  manchen  Gebieten  wie 
in  dem  Urwald  der  Yulgärgriechischen  Litteratur  fehlte  es  sogar  an 
den  notdürftigsten  Wegweisern. 

Fast  völlig  musste  ich  darauf  verzichten,  die  litterarischen  That- 
sachen  durch  eine  begleitende  Schilderung  der  geschichtlichen  und 
kulturellen  Grundlagen  zu  erläutern.  Gerne  hätte  ich  den  byzan- 
tinischen Menschen  bei  der  Arbeit,  in  der  Familie,  im  gesellschaft- 
lichen und  politischen  Leben  dargestellt;  wie  verlockend  war  es,  das 
Gewühl  der  orientalischen  und  fränkischen  Handelsleute  in  den  Ba- 
zaren,  das  Treiben  der  vielsprachigen  Söldnerscharen  in  ihren  Ka- 
sernen, die  Thätigkeit  der  Matrosen  auf  den  flinken  Dromonen,  die 
Lebensführung  und  Sitte  der  Mönche  in  den  zahllosen  Riesenklöstern 
und  das  festliche  Gepränge  des  kaiserlichen  Hofes  an  geeigneten  Stellen 
in  das  litterarische  Bild  zu  verweben.  Doch  war  für  einen  solchen 
Plan,  selbst  wenn  die  knapp  zugemessene  Zeit  seine  Ausführung  ver- 
gönnt hätte,  der  Eahmen  der  Arbeit  durch  den  Zweck  c^es  L'nter- 
nehmens,  dem  sie  einverleibt  ist,  von  Anfang  an  zu  enge  gezogen. 
Es  war  nicht  möglich,  in  einem  Kompendium  den  ungeheuren  Reichtum 
von  Ideen,  Sitten,  Gewohnheiten,  Einrichtungen,  politischen,  sozialen, 
religiösen  und  künstlerischen  Thatsachen,  die  zur  Ausführung  eines 
lebensvollen  Bildes  der  Litteraturgeschichte  nötig  wären,  auch  nur 
andeutungsweise  zu  umfassen. 

Ein  möglichst  reichhaltiges  und  zuverlässiges  Verzeichnis  der 
Ausgaben  und  Hilfsmittel  erschien  mir  für  den  gedeihlichen  Fort- 
schritt der  byzantinischen  Studien  um  so  mehr  von  Bedeutung,  als  es 
bis  jetzt  für  die  byzantinische  Litteratur  weder  eine  Bibliographie 
noch  eine  Fachzeitschrift  oder  einen  kritischen  Jahresbericht  gibt.  Eine 
absolute  Vollständigkeit  war  ohne  den  Besuch  zahlreicher  Bibliotheken 
nicht  zu  erreichen  und  konnte  bei  einzelnen  Autoren  wie  bei  Psellos 
nicht  einmal  angestrebt  werden.  Prinzipiell  habe  ich  mehr  Wert  auf 
die  neueren  Erscheinungen  gelegt  als  auf  die  häufig  gänzlich 
u(?rtlosen  und  schwer  zugänglichen  alten  Drucke,  die  später  in  be- 
quemerer Form  wiederholt  worden  sind.  Vor  Abschluss  meiner  Ar- 
beit habe  ich  ein  halbes  Jahr  geopfert,  um  die  letzten  15  —  30  Jahr- 
gänge aller  mir  zugänglichen  philologischen,  archäologischen,  theologi- 


X  Vorwort. 

sehen  und  liistorisclien  Zeitschriften  Europas  sorgfältig  durchzugehen. 
Wenn  die  mühevolle  Wanderung  auch  zuweilen  auf  lange  Strecken 
ohne  Ausbeute  blieb,  so  erfreute  nicht  selten  ein  glücklicher  Fund  an 
einem  Orte,  wo  niemand  etwas  Byzantinisches  vermutet  hätte.  Wenn 
es  nun  auch  bei  einem  Unternehmen  von  so  grosser  Ausdehnung 
niemals  an  Nachträgen  fehlen  kann,  so  hoffe  ich  doch,  dass  von  den 
in  unserem  Jahrhundert  veröffentlichten  Ausgaben  und  Hilfsschriften 
wenig  Bedeutendes  übersehen  worden  ist.  Erheblichere  Lücken  bleiben  ' 
wahrscheinlich  nur  in  der  auf  Byzanz  bezüglichen  russischen  Litte- 
ratur  übrig.  Denn  obschon  der  Direktor  der  Münchener  Staatsbibliothek,  ] 
Herr  G.  Laubmann,  meinen  Wünschen,  soweit  es  möglich  war,  mit  , 
grösster  Liberalität  entgegenkam,  so  waren  mir  doch  manche  wichtige 
Erscheinungen  unerreichbar,  leider  auch  die  allerwichtigste,  das  Jour- 
nal des  Ministeriums  für  Volksaufklärung.  Einen  teilweisen 
Ersatz  bot  das  Archiv  für  slavische  Philologie,  eine  der  ge- 
diegensten Zeitschriften  Europas,  die  frei  von  chauvinistischen  Ten- 
denzen und  gelehrtem  Dünkel  fest  und  zielbewusst  ihren  Weg  schreitet. 
Noch  sei  gestattet,  dass  ich  den  wenigen  Freunden,  die  durch 
Zusendung  von  Schriften  oder  durch  persönliche  Anregungen  das 
dornenvolle  Werk  gefördert  haben,  öffentlich  meinen  Dank  aussi^rechc. 
Insbesondere  fühle  ich  mich  den  HH.  Professoren  G.  Destunis  in 
Petersburg  und  E.  Kuhn  in  München  für  zahlreiche  und  wertvolle 
bibliographische  Nachweise  verpflichtet. 

München,  im  Oktober  1890. 

Karl  Krumbacher. 


spezielles  Inhaltsverzeichnis 

von  Band  IX,  1.  Abteilung: 
Geschichte  der  byzantinischen  Litteratur. 


£iiileitnng.  s«te 

Begriif  und  allgemeine  Geschichte  der  b^'z.  Litteratur 1 

Charakteristik 13 

Internationale  Kulturbeziehungen 23 

Erste  Abteilung. 
Prosaische  L.itteratnr. 

1.  Geschichtschreiber  und  Chronisten 33 

Einteilung .  33 

A.  Die  Geschichtschreiber 37 

B.  Die  Chronisten             107 

2.  Geographie 155 

'S.  Philosophie 170 

4.  Rhetorik.  Sophistik  und  Epistolographie 184 

5.  Altertumswissenschaft             . 214 

Allgemeine  Charakteristik 214 

A.  Philologische  Polyhistoren  und  Scholiast«n 217 

B.  "Wörterbücher 260 

C.  Grammatik 276 

D.  Metrik  und  Musik 284 

E.  Sammlungen  von  Sentenzen  imd  Sprichwörtern 289 

Zweite  Abteilung. 
Poetische  liitteratnr. 

Allgemeine  Charakteristik.  Einteilung,  metrische  Formen 292 

1.  Kirchenpoesie 305 

A.  Rjiihmische  Kirchen dichtung 307 

B.  Die  Form  der  Kirchenpoesie 330 

2.  Profanpoesie 345 

Dritte  Abteilung. 

Anhang. 

Tnigärgriechische  liitteratnr. 

Einleitung            335 

Erster  Abschnitt. 
Poetische  Litteratur. 

1.  Lehr-  und  Gelegenheitsgedichte.     Darstellung  vermischter  StoflFe          .         .  397 

2.  Sagenhafte  und  historische  Dichtungen  auf  nationaler  Grundlage          .         .         .  412 

3.  Romantische  Dichtungen  über  antike  Stoffe 428 

4.  Romantische  Dichtungen  über  mittelalterliche,  zum  Teil  abendländische  Stoffe  438 

5.  Tiergeschichten 454 


Xn  Abkürzungen. 

Zweiter  Abschnitt. 

Prosaische  Litteratnr.  Seite 

Vorbemerkung     .        .     ' 465 

Barlaara  und  Joasaph 466 

Syntipas 470 

Stephanites  und  Ichnelates 473 

Die  Assisen  der  Königreiche  Jerusalem  und  Cypem 475 

Die  Chroniken  des  Leontios  Machaeras  und  des  Georg  Bustrone      ....  477 

Hausarzneibücher 480 


Register  481 

Verzeichnis  der  oströmischen  Kaiser 4'.)"> 


Abkürzungen. 

Annuaire  de  l'assoc.  =  Annuaire  de  l'association  pour  Tencouragement  des  ^tudes  grecques 

en  France. 
Arch.  slav.  Phil.  =  Archiv  für  slavische  Philologie  (vgl.  S.  32). 

Bibl.  gr.  vulg.  =  Bibliotheque  grecque  vulgaire  publice  par  E.  Legrand  (vgl.  S.  394). 
Bibliogr.  hell.  =  Bibliographie  hellenique  par  E.  Legrand  (vgl.  S.  394). 
Carmina  =  Carmina  Graeca  medii  aevi  ed.  Guil.  Wagner  (vgl.  S.  394). 
Coli,  de  mon.  =  Collection  de  monuraents  pour  servir  ä  l'etude  de  la  langue  neo-hellänique 

par  E.  Legrand  (vgl.  S.  394). 
Coli,  de  mon.  N.  S.  =  Coli,  de  monuments  etc.  Nouvelle  särie  par  E.  Legrand  (vgl,  S.  394).; 
Coli,  de  rom.  gr.  =  Collection  de  romans  grecs  publi^s  par  Sp.  P.  Lambros  (vgl.  S.  394)., 
'Kx'AoyTJ  =  'ExXoyrj  fivr^iueiwy  xfj^  yewriQag  tXXr^vixfjg  /Aw'fffft;?  ixStS.  vno  J.  I.  MavgocpQvdov 

(vgl.  S.  394). 
Jahns  Jahrb.  =  Neue   Jahrbücher   für   Philologie    und  Pädagogik    (die    [alten]    Jahrbücher 

werden  durch  die  beigesetzten  Jahreszahlen  unterschieden). 
Joum.  Min.  Volksaufkl.  =  Journal   des  Ministeriums  für  Volksaufklärung  (Journal  mini 

sterstva  narodnago  prosvjestcenija). 
Medieval  Gr.  text.  =  Medieval  Greek  texts,  ed.  by  Wilh.  Wagner  (vgl.  S.  394). 
Not.  et  extr.  =  Notices  et  extraits  des  manuscrits  de  la  bibliotheque  imperiale  (nationale) 

et  autres  bibliotheques. 
Rhein.  Mus.  =  Rheinisches  Museum  für  Philologie. 
Trois  poämes  gr.  =  Trois  po^mes  grecs  du  moyen-ftge  .  .  .  par  W.  Wagner  (vgl.  S.  394). 


Einleitung. 


Begriff  und  allgemeine  Geschichte  der  byzantinischen 

Litteratur. 

1 .  In  der  litterarischen  wie  in  der  politischen  Geschichtsbetrachtung  ist 
es  üblich  geworden,  das  byzantinische  Zeitalter  durch  die  Jahreszahlen 
527  und  1453  abzugrenzen,  d.  h.  man  lässt  dasselbe  mit  dem  Regierungs- 
antritt Justinians  oder  auch  mit  der  von  ihm  veranlassten  Aufhebung  der 
Universität  Athen  (529)  beginnen  und  mit  der  Eroberung  Konstantinopels 
durch  die  Türken  abschliessen.  Über  den  Endpunkt  ist  nicht  zu  streiten; 
denn  die  Aufpflanzung  des  Halbmondes  auf  der  Hagia  Sophia  hat  durch 
die  endgültige  Vernichtung  des  politischen,  litterarischen  und  kulturellen 
Eigenlebens  der  Byzantiner  einen  so  gewaltigen  und  zweifellosen  histori- 
schen Einschnitt  hervorgebracht,  wie  er  in  der  Geschichte  der  Menschheit 
selten  zu  finden  ist.  Um  so  grössere  Bedenken  erheben  sich  gegen  die 
Richtigkeit  der  Anschauung,  welche  sich  über  den  Anfang  der  byzantini- 
schen Periode  eingebürgert  hat.  Sie  widerstreitet  den  Thatsachen 
und  ist  geschichtlich  ohne  Begründung.  Durch  die  willkürliche  An- 
nahme eines  Abschnittes  um  die  Zeit  des  Justinian  ist  das  Verständnis  der 
litterarischen  Entwickelung  in  wichtigen  Punkten  getrübt  worden;  es  ist 
höchste  Zeit,  die  Haltlosigkeit  dieser  Abteilung  zu  begründen  und  aus- 
drücklich festzustellen.  Um  zu  einem  widerstandsfähigen  Urteile  zu  ge- 
langen, ist  es  nötig,  ausser  der  litterarischen  auch  die  politische,  kirch- 
liche und  kulturelle  Entwickelung  des  späteren  römischen  Reiches  kurz 
zu  betrachten. 

Zuerst  mag  man  fragen,  ob  nicht  der  Anfang  der  byzantinischen 
Litteratur  wie  ihr  Ende  mit  einem  politischen  Ereignis  zusammen- 
!  gebracht  werden  kann.  Das  sogenannte  oströmische  oder  byzantinische  Reich 
beginnt  in  einem  gewissen  Sinne  schon  mit  dem  Jahre  395,  mit  der  Tei- 
lung des  römischen  Reiches  in  eine  östliche  und  eine  westliche  Hälfte. 
iDenn  wenn  diese  Teilung  auch  keineswegs  eine  Aufhebung  der  alten  Reichs- 
'  einheit  bedeuten  sollte  und  von  den  Zeitgenossen  sicher  noch  in  demselben 
i  Lichte  betrachtet  wurde  wie  die  früheren  Reichsteilungen   seit  Diokletian, 

'         Handbuch  der  klass.  AUertuiu-swissenschaft.  IX.     1..  Abtlg.  1 


2  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    Einleitung. 

SO  ist  doch  gerade  die  Massregel  des  Theodosius  der  Keim  einer  bleibenden 
Trennung  des  griechischen  Ostens  und  des  lateinischen  Westens  geworden. 
Der  schon  früher  bestehende  sprachliche  und  kulturelle  Dualismus  hatte 
nun  gewissermassen  seine  offizielle  Bestätigung  erhalten  und  konnte  sich 
auf  Grund  derselben  ungehindert  weiter  bilden.  Derselbe  wurde  namentlich 
durch  das  Anwachsen  der  neuen  Hauptstadt  Konstantinopel,  welche  der 
griechischen  oder  gräzisierten  Reichshälfte  einen  politischen,  geographischen 
und  litterarischen  Mittelpunkt  verlieh,  gefördert  und  verstärkt.  Trotzdem 
kann  von  einem  selbständigen  oströmischen  Reich  zu  dieser  Zeit  noch 
nicht  gesprochen  werden.  Die  Idee  der  Einheit  blieb  gewahrt,  und  als 
476  die  westliche  Reichshälfte  teilweise  verloren  ging,  war  die  drohende 
Gefahr  einer  völligen  Spaltung  des  Reiches  beseitigt.  Die  Verlegung  des 
Schwerpunktes  änderte  nichts  an  dem  Charakter  des  Imperium  Romanum, 
und  bald  begann  das  bis  ins  12.  Jahrhundert  fortgesetzte  Ringen  um  die 
Wiederherstellung  der  Integrität  des  alten  Länderbesitzes.  Durch  die  Er- 
eignisse der  Jahre  455  und  476  wurde  die  Kraft  des  Reiches  noch  mehr 
als  schon  früher  auf  die  orientalischen  Ländermassen  konzentriert;  der 
gesamte  Staatsorganismus  aber  blieb  in  Sprache,  Gesetz  und  Sitte  noch 
römisch,  wenn  auch  das  Griechentum  den  Kampf  um  die  Herrschaft  jetzt 
mit  besserer  Aussicht  auf  Erfolg  führen  konnte;  das  innere  Wesen  des 
Staates  blieb  hievon  noch  unberührt.  Denn  obgleich  die  Griechen  jetzt 
sozusagen  wieder  Herr  im  eigenen  Hause  sind  und  alsbald  den  Staat  an 
Haupt  und  Gliedern  zu  gräzisieren  beginnen,  so  fühlen  sie  sich  doch  politisch 
als  'Pw,«aro<;  so  tief  war  dieses  Bewusstsein  eingewurzelt,  dass  der  Name 
Rhomäer  sich  durch  die  Schreckenszeit  der  Türkenherrschaft  bis  auf  den 
heutigen  Tag  behaupten  konnte.  Daher  wich  auch  die  lateinische  Sprache 
in  der  Rechtspflege  und  Verwaltung  nur  langsam  der  griechischen,  obschon 
diese  nach  der  Abbröckelung  der  westlichen  Reichsteile  allein  den  prakti- 
schen Anforderungen  genügen  konnte.  Bei  der  Konservierung  des  lateini- 
schen Systems  spielte  wohl  auch  der  zäh  festgehaltene  Gedanke  mit,  Italien 
wieder  mit  dem  Ostreiche  zu  vereinigen  und  zu  behaupten;  die  Abschaifung 
der  lateinischen  Regierungssprache  konnte  wie  ein  Verzicht  auf  die  west- 
lichen Länder  gedeutet  werden.  Nur  langsam  eroberte  das  Griochischo 
die  einzelnen  Zweige  des  öffentlichen  Lebens;  die  Vertauschung  der  römi- 
schen Basis  des  Reiches  mit  der  griechischen,  der  Übergang  vom  Römischen 
zum  Rhomäischen  oder  Byzantinischen  vollzog  sich  auf  den  verschiedenenTj 
Gebieten  des  staatlichen  Organismus  mit  ungleicher  Schnelligkeit.  Zuletzt  ■ 
musste  das  alte  System  durch  die  Kraft  der  natürlichen  Verhältnisse  immt  i 
gründlicher  durchbrochen  werden.  Wenn  in  der  grossen  Sammlung  voi 
Rechtsbüchern,  welche  den  Namen  Justinians  berüiimt  genuicht  hat,  di' 
lateinische  Form  noch  völlig  beibehalten  ist,  sind  schon  die  meisten  Nc 
vellen  dieses  Kaisers  wie  alle  Gesetze  der  Folgezeit  griechiscli  abgefavsst, ' ) 

')  l)ip  fipHcliiclito  (Ips  nllnuililiclicn  Zu-  '  «los  fintoiinsclM»!!  uIh  Sprach»»  dor  Rpnioriiim 

rflckweichcriH   clor  IntoiniHrhon  Sprach o  und  Vorwaltun^  im  oströinischon  Hoiclio  seit 

im  «HtröiniHchoii  Koicho    vonlionfo   oino  |  KoimtMiitin  dorn  iirossoii  hiH  zur  Kpocho,  wo 

ZUHAinmoiihUnKondo  rntorHUcium^.    Kino  von  j  dio  latoinisclio  Spradio  vollstiindi^  durch  <lio 

der  däniiH-hon  (joHollHchaft  dor  WiHMouHchaf-  grio<Oiischo  oi-wotzt  \vurd<>.  und  ühor  dio  Uo- 

t«n  gestellte  PrciHaufgaho  übor  dio  ^SUdlung  |  zichungon,  wolcho  zwischon  dioHoni  (tobraucho 


Begriff  und  allgemeine  Geschichte  der  byzantinischen  Litter atur.     (§1.)  3 

Am  langsamsten  verlief  dieser  Sprachenkampf  im  Münzwesen,  wo 
er  gewissermassen  in  figura  demonstriert  werden  kann.  Zuerst  dringt 
das  Griechische  in  die  kleine  Scheidemünze  aus  Kupfer,  später  in  die 
Silbermünze,  zuletzt  in  die  aristokratische  Goldmünze.  Als  Wertbezeich- 
nung erscheinen  griechische  Buchstaben  schon  unter  Kaiser  Anastasios 
(491 — 518);  doch  erst  Heraklios  (610 — 641)  führte  die  griechische  Legende 
'Er  Tovro)  ri'xa  ein,  und  zwar  nur  auf  rohen  Kupfermünzen,  die  wahrschein- 
lich vorzüglich  zum  Gebrauch  der  Truppen  und  Provinzialen  während  seines 
persischen  Feldzugs  geprägt  wm-den.  Statt  des  lateinischen  Titels  Augustus 
erscheinen  die  echt  griechischen  Bezeichnungen  BuaiXevg  und  JeonÖTi^g 
erst  während  des  8.  Jahrhunderts.  Erst  in  der  Mitte  des  9.  Jahrhunderts 
finden  wir  griechische  Legenden  auf  dem  Revers  verschiedener  Münzen. 
Selbst  unter  der  makedonischen  Dynastie  haben  Goldmünzen  noch  die  Büste 
des  Erlösers  mit  der  Inschrift:  lesus  Christus  rex  regnantium.  Solche 
lateinische  Inschriften  dauern  auf  gewissen  Münzen  noch  bis  in  die  zweite 
Hälfte  des  11.  Jahrhunderts.  Erst  unter  den  Komnenen  hat  sich  die 
Gräzisierung  des  Kaisertums  und  des  Staates  ganz  vollendet.') 

Ein  verwandter  Gesichtspunkt  ist  die  Nationalität  der  Herrscher. 
Auch  hier  kommt  das  griechische  Element  nur  langsam  und  mit  grossen 
Schwankungen  zur  unbestrittenen  Herrschaft.  Vor  Justinian  trifft  man 
unter  den  Kaisern  vornehmlich  romanisierte  Barbaren  aus  den  Grenz- 
provinzen, die  ihre  Erhebung  zumeist  militärischer  Tüchtigkeit  verdankten. 
Der  erste  griechische  Kaiser  war  Tiberios,  der  578  nach  dem  Erlöschen 
des  justinianischen  Hauses  den  Thron  bestieg,  weshalb  der  syrische  Chronist 
Michael  -)  nicht  übel  Justin  II.  den  letzten  römischen  Kaiser  nennt  und 
mit  Tiberios  das  Reich  der  Griechen  beginnen  lässt.  Aber  bald  gewährt 
der  Kaiserthron  in  ethnographischer  Hinsicht  aufs  neue  ein  ziemlich  buntes 
Bild,  in  welchem  romanische,  gräko-slavische,  armenische  und  andere 
asiatische  Elemente  wechseln.  Erst  die  letzten  Dynastien,  die  Komnenen, 
Dukas,  Angelos,  Paläologen  und  Kantakuzenen  sind  vollständig  Griechen 
und  fühlen  sich  als  Griechen,  wie  denn  bezeichnenderweise  gerade  unter 
ihnen  der  Hellenismus  in  der  Litteratur  am  kräftigsten  auftritt. 

Von  einem  oströmischen  oder  byzantinischen  Reich  kann  man, 
genau  genommen,  erst  seit  dem  Jahre  800  sprechen.  Damals  wurde  im 
Westen  ein  neues  römisches  Reich  gegründet,  das  auf  die  echte  Erbschaft  des 
Imperium  Romanum  Ansprüche  erhob  und  von  dem  Reiche,  das  sich  bisher 
als  einzigen  Inhaber  dieser  Erbfolge  betrachtete,  gründlich  verschieden  war. 

des  Lateinischen  und  der  Litteratur  und  den   ]   bis  276.  —  Eine  Hauptstelle  über  den  Grund 

Schulen  bestehen",  scheint  keinen  Bearbeiter  der  Abschaifung   des  Lateinischen   steht   im 

gefunden  zu  haben;  die  Notiz  über  die  Auf-  Corpus  iuris  civilis,  nov.  VII  (ed.  Ed.  Osen- 

gabe   findet   sich   in   der  Oversigt  over  det  brüggen  S.  49). 

K.  Danske  videnskabemes  selskabs  forhand-  ')  lieber  diese  Seite  des  byzantinischen 

linger  188.^,  Anhang  S.  XV.  —  Wenig  bietet  Münzwesens  s.  die  Abhandlung  von  G.  Finlay, 

für  die  byzantinische  Epoche  Al.Budinszky,  A  history  of  Greece  l  (1877)  .583—5.55. 
Die   Ausbreitung    der   lateinischen   Sprache.  '■)  Journal   asiatique,   4.  serie,    tome  12 

Berlin  1881,  S.  201  ff.  —  Nur  die  vorbyzan-  (1848)  293.    Vgl.  Guido  Hertzsch,  De  scrip- 

tinische  Zeit   berücksichtigt  E.  Egg  er.    De  toribus  rerum  imperatoris  Tiberii  Constantini, 

I    l'etude   de   la  langue  latine   chez  les  Grecs  Comment.  philol.  Jen.  III  (1884)  S.  3  ff.  Ueber 

dans  l'antiquite  in  seinen  Memoires  d'histoire  den  Chronisten  Michael  s.  §  68. 
ancienne  et  de  philologie,  Paris  1863,  S.  259 


4  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    Einleitung. 

Von  dieser  Zeit  an  herrscht  ein  thatsächlicher  Dualismus.  Dom  römischen 
Kaiserreiche  des  Ostens  steht  ein  neues  Imperium  Komanum  des  Westens 
als  Rivale  gegenüber.')  Hieraus  ergibt  sich,  dass  für  die  politische  Ge- 
schichte des  Reiches  nicht  die  Zeit  des  Justinian,  sondern  nur  die  Jährt 
395  oder  800  einen  Anfangspunkt  bedeuten  können.  In  der  Litteratur 
bedeutet  weder  der  erstere,  noch  der  letztere  Zeitpunkt  einen  nennens- 
werten Abschnitt. 

Da  der  Gegensatz  des  Byzantinismus  zum  Hellenismus  zu  einem 
grossen  Teile  auf  dem  Gegensatz  des  Christentums  zum  Heidentum 
beruht,  ist  der  Versuch  berechtigt,  den  Streit  über  die  Grenzlinie  zwischen 
der  griechischen  und  byzantinischen  Litteratur  auf  dem  Gebiete  der  Rc- 
ligionsgeschichte  zu  entscheiden.  Diesem  Versuche  ist  offenbar  dl« 
übliche  Einteilung  entsprungen;  man  sagte,  Justinian  habe  durch  das  Edikt 
des  Jahres  529,  welches  der  hellenischen  Hochschule  in  Athen  die  Lebens- 
bedingungen abschnitt,  den  letzten  Rest  des  alten  Heidentums  vernichtet, 
und  daher  beginne  von  dieser  Zeit  an  die  christlich-byzantinische  Ära. 
Allein  abgesehen  von  der  Unsicherheit,  mit  welcher  die  Thatsache  dieses 
Ediktes  und  seine  näheren  Umstände  überliefert  sind, 2)  erweist  sich  die 
Verfügung,  auch  wenn  sie  geschichtlichen  Grund  hat,  bei  näherer  Betrai;li- 
tung  als  recht  bedeutungsarm  für  die  Geschichte  der  Kultur  und  Litteratur. 
Der  Sieg  des  Christentums  über  die  alte  Lebensanschauung  war  schon  frühei 
entschieden  und  die  Umwandlung  des  heidnischen  Staates  in  einen  christ- 
lichen schon  durch  Konstantin  den  Grossen  vollzogen  worden.  Die  neu- 
platonische Akademie  in  Athen  bildete  in  der  grossen  römischen  Welt  nur 
noch  einen  winzigen  Punkt,  dessen  Beseitigung  nicht  die  mindeste  Störung 
oder  Erschütterung  im  Gefüge  des  Ganzen  hervorbrachte.  Das  von  manchen 
Neueren  über  Gebühr  aufgebauschte  Ereignis  ist  an  den  Zeitgenossen  fast 
unbemerkt  vorübergegangen.  Die  betroffenen  Kreise  waren  geringfügig 
und  hatten,  was  noch  wichtiger  ist,  längst  jede  Fühlung  mit  den  grossen 
bewegenden  Massen  verloren.  Höchstens  empfanden  die  Bewohner  dei 
Periklesstadt  den  materiellen  Nachteil  des  Erlasses,  bei  welchem  es  der 
Kaiser  namentlich  auf  die  Konfiskation  des  uralten  Stiftungsvermögens  der 
Schule  abgesehen  zu  haben  scheint.  Aber  nicht  einmal  in  der  Geschichte 
der  Stadt  Athen  selbst  machte  die  Verfügung  Epoche;  denn  ihr  alter  Glanz 
war,  wie  wir  durch  Gregor  von  Nazianz  und  andere  wissen,  schon  längst 
unwiederbringlich  dahingeschwunden.  In  der  Geschichte  des  Übergang 
vom  Heidentum  zum  Christentum  bildet  die  Aufliebung  der  athenischen 
Akademie  jedenfalls  keinen  bedeutenderen  Abschnitt    als  etwa  die  Zerstö- 


')    Dieser   richtige    (iedunko    ist    nilluT  und  26  (S.  78  und  142  i-d.  Bonn.)  nnti  Aya- 

ausgoführt   von   .T.  Biiry,    A    history    of  tlio  '  lliiiw    II    80   (S.    181    »«d.    Bonn.)    verltindon, 

later  Hoinun  cinpiro  I  (liondon  1889)  prefuco  '  gewiss  zu  (irunde,  wenn  sioli  auch,  wi«»  (Jrc- 

S.  6  ff.  I  gorovius,    (u'HchicIitt»    dor   Stadt    Atlu>n  I  .^(^ 

')  Bei  Malalas  B.  18  (S.  451  ed.  Bonn.).  |  riclitin  b«'morkt,    dio  Aufhchnng    dt>r    llooh- 

(Jegen    die    (iliiuhwürdigkcit    dos    Berichtes  |  schuh«   durch  .lustiniiin    als  ein  H(>h'nn«>r  gc- 

ftuHHerie  sich  ctwus  zu  cnt-schicden  K.  I'apar-  j  schichtlichcr  Akt  nicht  erweisen  lässt.   l'eber 

rigopuloH,  'htoQÜt  to{<'F.XX.  »•'»roDf  III^(18H7)  '  die  Verfflgunjj;en  .lustinians  .i.';«'j{en  das  Heiden- 

174   f.     Kine  Thatsache  lie^t  der  Kr/.ählunK  tum  vgl.  K.  von  Lasaulx.    Der  Int^'r^ang  des 

des  C'hrünist«*n,  mit  der  sich  einige  Aeusse-  j  Hellenismus,  München   ls:,J  S.   1 J2  IF. 
rungen  den  i'rokop,  (ieheimgeschiclite  cap.  11 


Begriff  und  allgemeine  Geschichte  der  byzantinischen  Litteratnr.    (§  1.)  5 

lung  des  letzten  Apollotempels  auf  Monte  Casino  durch  den  hl.  Benedikt, 
die  ebenfalls  im  Jahre  529  erfolgt  sein  soll;')  einerseits  war  der  Sieg  der 
neuen  Lehre  schon  fi-üher  entschieden,  andererseits  lebten  heidnische  Ele- 
mente noch  lange  nach  Justinian  fort.  Die  letzten  Reste  der  Anhänger 
des  alten  Glaubens  entschlossen  sich,  wie  Konstantin  Porphyrogennetos  ^)  er- 
zählt, erst  unter  Basilios  I.  (867 — 886)  zur  Annahme  des  Christentums. 
AVollte  man  also  als  das  wichtigste  und  entscheidende  Merkmal  des  By- 
zantinertums  das  Christentum  festhalten,  so  wäre  der  Anfang  der  Epoche 
viel  eher  in  die  Zeit  Konstantins  des  Grossen  zu  setzen  als  in  die  Justi- 
nians,  der  eine  isolierte  heidnische  Institution  abschaffte  und  gegen  die 
Keste  des  Heidentums  wütete,  ohne  sie  gänzlich  vernichten  zu  können. 

Weitere  Gesichtspunkte  ergeben  sich  aus  der  Betrachtung  der  all- 
Lremeinen  Kulturverhältnisse,  der  nationalen  Bildung  und  der 
Kunstgeschichte.  Auf  keinem  dieser  verwandten  Gebiete  bildet  das  Zeit- 
alter des  Justinian  einen  Abschnitt.  Die  meisten  Faktoren,  welche  im 
äusseren  Leben  des  Hofes  und  Staates  das  byzantinische  Kolorit  bedingen, 
>tammen  aus  dem  3.  und  4.  Jahrhundert,  als  die  Umwandlung  der  römischen 
Militärmonarchie  in  einen  grossartigen  bureaukratischen  Organismus  statt- 
fand. Diokletian  und  Konstantin  der  Grosse  haben  den  meisten  Anteil  an 
dieser  Neuordnung  der  Dinge,  spätere  Kaiser  haben  dieselbe  im  gleichen 
Geiste  ausgebaut  und  weitergeführt.  Die  hervorstechendste  Eigentümlich- 
keit, die  Stufenleiter  der  Hofämter  und  das  damit  verknüpfte  Rang-  und 
Zeremonien wesen,  wurzelt  hauptsächlich  im  3.  und  4.  Jahrhundert.  Ebenso 
lassen  sich  die  geistigen  und  moralischen  Erscheinungen,  welche  die  üb- 
liche Auffassung  als  Symptome  und  Merkmale  des  Byzantinismus  bezeichnet, 
höfische  Intrigue,  kriechende  Gesinnung,  rücksichtslose  Grausamkeit  und 
Hinterlist,  Mangel  an  Charakter  und  Originalität,  breite  Verschwommen- 
heit, Vermischung  lateinischer,  griechischer  und  orientalischer  Elemente, 
schon  in  den  ersten  Jahrhunderten  der  Kaiserzeit  nachweisen.  Eine  ge- 
nauere Chronologie  kann  in  diesen  psychologischen  Seiten  des  Völkerlebens, 
deren  Ausbildung  den  Zeitgenossen  kaum  bemerkbar  vor  sich  geht,  über- 
haupt nicht  aufgestellt  und  zur  allgemeinen  Anerkennung  gebracht  werden. 

Greifbarer  ist  die  Entwickelung  in  der  bildenden  Kunst.  Auch 
hier  bezeichnet  die  Zeit  des  Justinian  keinen  Abschnitt.  Von  dem  ersten 
Kenner  der  mittelalterlichen  und  neueren  Kunstgeschichte,  von  Anton 
Springer  ist  mit  den  triftigsten  Gründen  nachgewiesen  worden, 3)  dass  die 
byzantinische  Kunst,  die  ein  schwerer  historischer  Irrtum  oft  mit  der  alt- 
christlich-orientalischen verwechselt  hat,  erst  geraume  Zeit  nach  Justinian 
beginnt.  Bis  zum  6.  Jahrhundert  wandelt  die  christliche  Kunst  im  Orient 
und  im  Occident  gemeinsame  Bahnen  und  zeigt  eine  grosse  Gleichförmig- 
keit des  Stils;  eine  Trennung  lässt  sich  bis  zu  dieser  Zeit  nicht  durch- 
führen, eine  eigenartige  Richtung  der  christlichen  Kunst  im  Osten  wird 
erst  später  bemerkbar.   Die  grösste  Kunstschöpfung  Justinians,  die  Sophien- 

')  E.  von  Lasaulx,  Der  Untergang   des               ')  Die  byzantinische  Kunst  und  ihr  Ein- 

Hellenismns  S.  142.  fluss  im  Abendlande,  in :  Bilder  aus  der  neue- 

^)  De  admin.   imp.  cap.  50   (III   S.  224       ren   Kunstgeschichte.    2.   Aufl.,    Bonn    1886 

ed.»  Bonn.).  S.  84  fF. 


Q  Byzantinische  Litteraturgeschichto.     Einleitung. 

kirclie,  steht  nicht  etwa  am  Anfange  einer  neuen  Ära,  sondern  am  Ende 
der  alten.  Sie  beginnt  nicht  die  Reihe  der  mittehilterlich-byzantinischen 
Bauten,  sondern  ist  der  letzte  Ausklang  der  antiken  Kunstwelt,  die  bald 
darauf  kinderlos  stirbt.  Die  späteren  byzantinischen  Kirchen  weichen  in 
Bezug  auf  die  Konstruktion  und  Form  der  Kuppel  und  die  Anordnung  der 
einzelnen  Bauteile,  wie  auch  in  dem  Schmucke  der  Mauern  von  derselben 
ab  und  müssen  auf  andere  Muster  zurückgeführt  werden.  Man  wird  daher 
den  Anfang  der  echt  byzantinischen  Kunst  nicht  in  die  Zeit  des  Justinian, 
sondern  etwa  in  die  des  Heraklios  setzen  dürfen.  „Auch  die  Köpfe  auf 
Münzen  ändern  namentlich  seit  dem  7.  Jahrhundert  die  Typen;  der  starke 
Schnurrbart,  die  Seitenlocken  (zuerst  bei  Leo  dem  Isaurier),  die  niedrige, 
breite  Stirn,  die  veränderten  Umrisse  des  Gesichtes  überhaupt  widersprechen 
der  antiken  Auffassung  und  deuten  neue  Gewohnheiten,  selbst  das  Auf- 
kommen einer  neuen  Rasse  an".') 

Verwandt  mit  der  Erörterung  über  die  Grenze  zwischen  griechischer 
und  byzantinischer  Zeit  ist  die  allgemein  geschichtliche  Frage,  um  welche 
Zeit  der  Beginn  des  Mittelalters  anzusetzen  sei.  Obschon  beim  Be- 
griff des  Mittelalters  vorzugsweise  das  Abendland  in  Betracht  kommt,  wo 
die  kulturhistorische  Entwickelung  anders  verlief  als  im  Osten,  kann  der 
Gesichtspunkt  zur  Aufklärung  dienlich  sein.  A.  v.  Gutschmid,  der  über 
dieses  Thema  eine  berühmte  Abhandlung  geschrieben  hat,'^)  kommt  auf 
Grund  einer  ungemein  treffenden  Erörterung  zu  dem  Ergebnis,  dass  das 
Jahr  476,  mit  welchem  in  den  Kompendien  gewöhnlich  das  Altertum  ab- 
geschlossen wird,  in  Wirklichkeit  durchaus  keinen  Abschnitt  bildet,  dass 
vielmehr  das  6.  Jahrhundert  mit  den  so  echt  römischen  Gestalten  wie 
Boethius,  Cassiodor  und  Priscian  noch  zum  Altertum  gehört  und  etwa  das 
Jahr  568,  welches  die  Begründung  der  ersten  eigentlich  nationalen  Herr- 
schaft in  Italien  bezeichnet,  oder  in  runder  Summe  das  Jahr  600  alsGrenznuil 
zwischen  Altertum  und  Mittelalter  anzunehmen  sei,  wie  man  ja  ähnlich 
durch  Kombination  verschiedener  wichtiger  Daten  etwa  das  Jahr  1500  als 
Beginn  der  neuen  Zeit  erhalten  mag. 

Nach  der  vorbereitenden  Erwägung  der  verschiedenen  Formen  und 
Zeiten,  in  welchen  sich  der  Übergang  vom  Hellenischen  zum  Byzantini- 
schen in  der  Politik,  Religion  und  Kultur  vollzog,  und  nach  der  Erwäh- 
nung des  Versuches,  Altertum  und  Mittelalter  chronologisch  auseinander- 
zuhalten, ist  die  Frage  über  die  Grenze  zwischen  Antik  und  Byzantinisch 
auf  dem  engeren  Gebiete  der  griechischen  Litteratur  selbst  zur  Ent- 
scheidung zu  bringen.  Auch  hier  bildet  das  Zeitalter  des  Justinian  keinen 
Einschnitt.  Der  griechische  Geist  reicht  über  diese  Zeit  hinaus.  Die  Schrift- 
steller des  6.  und  der  ersten  Hälfte  des  7.  Jahrhunderts  gehören  nach  ihrer 
Form  und  Anschauungsweise  in  den  Ausgang  des  Altertums,  nicht  in  den 
Beginn  einer  neuen  Epoche;  sie  bilden  eine  Nachldüte  der  antik(>n  Litteratur, 
nicht  eine  Vorfrucht  des  Byzantinisnuis.  Am  deutlichsten  wird  diese  That- 
sache  innerhalb  der  Litteraturgattung,  welche  um  diese  Zeit  alle  andern 
an   Umfang   und    Bedeutung    überragt,    in    der    Geschieht  Schreibung. 

')  A.  Springer  a.  u.  0.  S.  91.  '1^<"'   i   •;•!..     i(7 

')  In  der  Zeitochrift :  Die  Grenzboten  22 


Begriff  und  allgemeine  Geschichte  der  byzantinischen  Litteratnr.    (§1.)  7 

\\'as  sie  im  6.  und  im  Anfang  des  7.  Jahrhunderts  geschaffen  hat,  ist  eine 
Fortsetzung  der  von  Eunapios  begründeten  Schule,  die  im  o.  Jahrhundert 
durch  den  überzeugungstreuen  Heiden  Zosimos,  durch  Olympiodor,  Priskos, 
]kIalchos  und  andere  vertreten  wird.  Unmittelbar  an  sie  schliessen  sich 
in  Stoff  und  Form  die  grossen  Historiker  des  6.  Jahrhunderts,  der  ge- 
waltige Prokop,  der  feingebildete  Agathias,  Petros  Patrikios,  Theophanes 
aus  Byzanz,  Menander  Protektor,  endlich  im  Anfange  des  7.  Jahrhunderts 
der  eigenartige  Theophylaktos.  Xicht  ein  wesentliches  Merkmal  scheidet 
iliese  Männer  von  den  Geschichtschreibern  der  vorhergehenden  Jahrhunderte ; 
>ie  bezeichnen  keine  neue  Epoche  der  nationalen  Bildung  und  stehen  nicht 
im  Beginne  einer  veränderten  Geistesströmung.  Es  ist  sehr  bemerkenswert, 
dass  dieses  litterargeschichtliche  Verhältnis  schon  den  Byzantinern  völlig 
zum  Bewusstsein  gekommen  war.  Der  letzte  der  antiken  Autoren,  welche 
in  die  grosse  historische  Enzyklopädie  des  Konstantin  Porphyrogennetos 
aufgenommen  wurden,  ist  Theophylaktos;  mit  ihm  schloss  schon  füi*  jene 
Redaktoren  des  10.  Jahrhunderts  die  Reihe  der  alten  Historiker. 

Ahnlich  steht  es  auf  anderen  Litteraturgebieten.  Die  Dichtungen 
des  Paulos  Silentiarios  unter  Justinian  und  des  Georgios  Pisides  unter 
Heraklios  können  als  Vorboten  der  späteren  byzantinischen  Poesie,  die  an 
Korrektheit  und  Eleganz  des  Versbaues  keinen  Vergleich  mit  ihnen  aus- 
hält, geschichtlich  nicht  verstanden  werden;  sie  sind  vielmehr  die  letzten, 
sehr  beachtenswerten  Ausläufer  jener  auf  Feinheit  der  Form  gerichteten 
Bestrebungen,  die  im  5.  Jahrhundert  von  Nonnos  und  seiner  Schule  aus- 
gingen. Selbst  das  scheinbar  geringfügige,  aber  für  die  Beurteilung  der 
allgemeinen  Bildungshöhe  und  der  Studienweise  immerhin  wichtige  Gebiet 
der  Philologie  kann  in  Betracht  gezogen  werden.  In  der  Lexikographie 
geht  die  antike  Entwickelung  von  Didymos  bis  auf  Kyrillos.  Nachdem 
Diogenianos  das  grosse  Werk  des  Pamphilos  für  praktische  Zwecke  ex- 
zerpiert und  verkürzt  hatte,  wurde  Diogenianos  dmch  Hesychios  über- 
arbeitet und  mit  dürftigem  Material  erweitert;  endlich  hat  im  5.  oder  im 
Anfang  des  6.  Jahrhunderts  der  Verfasser  des  unter  dem  Namen  des  Ky- 
rillos überlieferten  Werkes  ein  altes  rhetorisches  Lexikon  aus  geringfügigen 
Glossaren  erweitert  und  vergröbert.  Hiemit  versinken  wenigstens  für  unser 
Auge  die  letzten  Wellen  der  antiken  Lexikographie.  Ein  neuer  Abschnitt 
beginnt  erst  im  9.  Jahrhundert  mit  Photios,  an  den  sich  im  10.  Jahrhundert 
die  Etymologika  und  Suidas  anschliessen.  Im  Gegensatze  zu  den  alten 
Wörterbüchern  ist  diesen  byzantinischen  Werken  das  Bestreben  eigentüm- 
lich, möglichst  viele  Überreste  der  antiken  Litteratur  unvermittelt  an- 
einander zu  reihen. ')  Ebenso  stehen  die  dem  6.  Jahrhundert  angehörenden 
Grammatiker  im  engeren  Sinne,  wie  Johannes  Philoponos,  Johannes  Charax 
und  Georgios  Choiroboskos,  der  Betriebsweise  des  4.  und  5.  Jahrhunderts 
näher  als  der  byzantinischen  Kompendiengrammatik,  die,  wie  die  Lexiko- 
graphie, erst  im  9.  Jahrhundert  beginnt. 

Wenn  so  die  lebendige  Entwickelung  der  Litteratur  und  die  Fort- 
pflanzung der  hellenischen  Bildung   bis   zum  Schlüsse  des  6.  und  auf  ein- 

')   Siehe   den  Versuch    einer  geschieht-       graphie  von  R.  Keitzenstein,  Rhein.  Mus.  43 
liehen  Darstellung  der  griechischen  Lexiko-   ,   (1888)  455  ff. 


g  Byzantinische  Litteraturgeschichte.     Einleitung. 

zelnen  Gebieten  bis  gegen  die  Mitte  des  7.  Jahrhunderts  fortdauert,  so 
überrascht  nach  diesem  Zeitpunkte  eine  ungeheure  Lücke.  Auf  die 
Zeit  einer  reichen  und  häufig  glücklichen  Produktion  folgt  ganz  unerwarti  i 
und  fast  unvermittelt  eine  trostlose  Verödung,  die  sich  auf  alle  Litteratur- 
gattungen  mit  Ausnahme  der  kirchlichen  gleichmässig  ausdehnt.  Diese 
unfruchtbare  Periode  erstreckt  sfch,  in  runder  Zahl  gesprochen,  von  650 
bis  800,  wenn  man  von  einigen  volksmässigen  Chronisten  absieht,  sogar 
bis  850.  Niemals  ist  der  unermessliche  geistige  Strom,  den  die  griechische 
Litteratur  von  Homer  bis  auf  die  Tage  Mohammeds  des  Eroberers  dar- 
stellt, so  lange  und  so  gründlich  vertrocknet  wie  in  diesen  beiden  Jahr- 
hunderten. Die  profane  Schriftstellerei  schweigt  so  gut  wie  vollständig; 
Leo  der  Isaurier  schloss  die  Akademie  in  Konstantinopel  und  verbrannte 
angeblich  sogar  ihre  Bibliothek.  Was  von  Gelehrsamkeit,  Formgefühl  uud 
dichterischer  Begeisterung  noch  übrig  ist,  dient  den  Zwecken  der  Theo- 
logie und  Erbauung.  Aber  selbst  hier  ist  eine  bedeutende  Erschlaffung 
der  Produktion  zu  bemerken;  ausser  Johannes  von  Damaskos,  der  die 
Leistungen  der  alten  Theologie  abschliessend  zusammenfasste  und  syste- 
matisch verarbeitete,  und  seinem  Freunde  Kosmas  von  Jerusalem  sind  in 
diesem  Zeitraum  nur  noch  Theodoros  Abukara  von  Karlen,  Andreas  von 
Kreta,  der  Erzbischof  Germanos  (f  740)  und  der  Patriarch  Tarasios  (781 
bis  806),  die  durch  asketische,  moralische  und  hermeneutische  Schriften 
gewirkt  haben,  und  einige  Kirchendiehter  von  Bedeutimg.') 

Mit  dem  Anfange  des  9.  Jahrhunderts  regt  sich  wiederum  einiges 
Leben.  Mönchische  Chroniken,  in  deren  Unbeholfenheit  die  Barbarei  der 
voraufgellenden  Zeiten  nur  zu  vernehmbar  nachklingt,  wagen  sich  an  die 
Öffentlichkeit.  Leo  der  Byzantier  erhält  unter  Kaiser  Theophilos  (829  l)is 
841)  die  Erlaubnis,  öffentlich  zu  lehren;  unter  dem  Nachfolger  dieses  Kaisers. 
Caesar  Bardas,  der  in  Wahrheit  im  Namen  Michaels  IIL  regierte,  wird  die 
Universität  Konstantinopel  wiederhergestellt.  Ein  neuer  und  kräftiger  Hauch 
kommt  in  die  geistige  Bildung  durch  den  grossen  Lehrer  seiner  Nation, 
den  Wiederhersteller  der  alten  Litteratur,  den  echtesten  Byzantiner  nach 
Charakter  und  Lebensart,  Photios  (um  850).  Jetzt  gewinnt  die  Teilnahme 
an  dem  alten  Schriftentum,  wie  auch  die  produktive  Bethätigung  an  Aus- 
dehnung und  Gehalt;  es  ist  eine  aufsteigende  Entwickelung  zu  be- 
obachten, die  im  12.  und  13.  Jahrhundert  ihren  Höhepunkt  erreicht.  Auf 
das  Zeitalter  des  Photios  folgt  das  weniger  durch  originelle  Erzeugnisse 
als  durch  grossartige  Sammclthätigkeit  hervorragende  10.  Jahrhundert, 
das  man  als  das  Jahrhundert  der  Enzyklopädien  bezeichnen  könnte.  An 
der  Spitze  stehen  die  auf  die  meisten  Gebiete  der  alten  Litteratur  aus- 
gedehnten Sammelwerke  des  Konstantin  Porphyrogennetos.  Damit  ver- 
binden sich  Werke  des  Privatfleisses,  wie  die  Schollen  des  Arethas,  das 
Lexikon  des  Suidas,  die  Etymologika,  die  Anthologie  und  auf  theologischem 
(iebiete  die  Legendenredaktion  des  Syineon  Metaphrastes. 

')  Wie  sehr  die  thoologiHcho  Produktion  |   7.  und  8.  Jahrhundert   in   zwoi  HUndc  zu- 

in  di<»fM>r  Z««i(  /.lll-fl^kKin^,    läHHt    sich  in  dor  '   sHninir>np«Mlriln;;t.    wiüiioiul  sonst   im  OinTli- 

iinKclu'itrcn   ratrologio    von    iMignc    liinullich  scluiitt   ül»>r  /.i>lin  Mihidc  nur  ein  .liilirliiiii<l<>rt 

nnd  urciOtar  »Tkonncn.     V<»n  .loluinnos   und  koinmcn. 
KoMtniM  H))^4*Hidi(>n    ist    lii<>r   faxt    das  ganze 


Begriff  und  allgemeine  Geschichte  der  byzantinischen  Litteratur.     (§  1.)  9 

Es  war  in  der  That  höchste  Zeit,  dass  dem  Altertum  wieder  regere 
Aufmerksamkeit  zugewandt  wurde.  Wir  verdanken  diesem  Umstände  die 
Erhaltung  eines  grossen  Teiles  der  antiken  Litteratur;  die  wichtigsten 
Handschriften  stammen  aus  der  Zeit  dieses  Wiederauflebens  der  klassischen 
Studien,  aus  dem  10.,  11.  und  12.  Jahrhundert.  Hätte  die  Barbarei,  die 
in  der  Zeit  des  Bildersturms  am  verderblichsten  wirkte,  noch  lange  fort- 
gedauert, so  wäre  wahrscheinlich  ein  grosser  Teil  der  weniger  gelesenen 
alten  Autoren,  von  denen  schon  in  der  ersten  Hälfte  des  10.  Jahrhunderts 
selbst  die  kaiserliche  Allmacht  manche  nicht  mehr  in  vollständigen  Exem- 
plaren aufzutreiben  vermochte,  vollständig  zu  Grunde  gegangen,  und  der 
Studientrieb,  der  unter  den  Komnenen  zu  hoher  Ausbreitung  gelangte, 
hätte  keine  genügenden  Stoffe  mehr  zur  Verarbeitung  gefunden. 

Dem  11.  Jahrhundert  verleiht  die  universalistische  Erscheinung  des 
P seilos  ein  rhetorisch-philosophisches  Gepräge.  Gleichzeitig  beginnt  die 
Geschichtschreibung,  die  im  9.  und  10.  Jahrhundert  auf  trockene  Annalistik 
beschränkt  war,  unter  dem  Einflüsse  der  lebhafter  betriebenen  Studien  einen 
höheren  Flug  zu  nehmen.  Zur  völligen  Entfaltung  gelangt  die  litterarische 
Renaissance  im  12.  Jahrhundert.  Wie  am  Schlüsse  des  Altertums, 
so  ist  es  auch  jetzt  wiederum  die  Geschichtschreibung,  in  der  sich  die 
besten  Früchte  der  pliilologischen  Betriebsamkeit  offenbaren.  Nikephoros 
Bryennios,  Anna  Komnena,  Kinnamos  und  Niketas  Akominatos  schildern 
in  vier  bedeutenden  Werken  das  letzte  Aufblühen  des  Byzantinertums, 
das  grosse  Zeitalter  der  Komnenen.  Das  Studium  der  alten  Litteratur 
wird  mit  erneuter  Regsamkeit  und  nicht  selten  mit  dem  besten  Erfolge 
von  Laien  und  Theologen  betrieben.  Nicht  weniger  als  vier  Metropoliten 
treten  im  12.  Jahrhundert  in  den  Dienst  der  profanen  Litteratur,  der 
Aristoteliker  Eustratios  von  Xikäa,  der  Grammatiker  Gregorios  von  Korinth, 
der  rhetorisch  gebildete  und  dichterisch  begabte  Michael  Akominatos  und 
der  durch  echte  Humanität,  wie  durch  Gelehrsamkeit  ausgezeichnete  Eu- 
stathios,  der  nicht  minder  eifrig  den  Homer  und  Pindar  erklärte,  als  er 
das  geistige  Niveau  des  für  die  byzantinische  Kultur  bedeutungsvollen 
Standes  der  Mönche  zu  heben  suchte.  Weniger  erfreulich  offenbart  sich 
der  grammatische  Eifer  in  Schulhäuptern  vom  Schlage  des  Tzetzes;  doch 
legen  auch  sie  wenigstens  von  der  Mannigfaltigkeit  der  gelelu'ten  Interessen 
dieser  Epoche  Zeugnis  ab.  Kaum  ein  Fach  der  alten  Litteratur  bleibt 
von  der  allgemeinen  Bewegung  unberührt.  Selbst  der  Geschmack  an  eroti- 
scher Erzählung  scheint  wieder  zu  erwachen  und  die  Gattung  des  griechi- 
schen Romans,  die  mehr  als  ein  halbes  Jahrtausend  unfruchtbar  geblieben 
war,  wird  auf  einmal  um  vier  freilich  recht  übel  gelungene  Spätgeburten 
bereichert.  Mit  grösserem  Glücke  versuchen  sich  die  Zeitgenossen  der 
Kreuzfahrer  in  der  poetischen  Satire  und  in  Dialogen  nach  dem  Vorbilde 
Lukians.  Sogar  die  Litteraturgattung,  in  welcher  Byzanz  sich  am  wenig- 
sten produktiv  erweisen  konnte,  das  Drama,  hat  damals  noch  einen  späten 
und  fast  völlig  isolierten  Nachzügler  hervorgebracht,  in  welchem  freilich 
nichts  gelungen  ist  als  der  Nachweis,  dass  für  diese  Dichtung  längst  alle 
Voraussetzungen  fehlten.  Besser  glückten  manche  panegyrische  und  epi- 
grammatische Versuche. 


10  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    Einleitung. 

Trotz  aller  äusseren  Erfolge  krankt  die  Bildung  dieser  Blütezeit  an 
einem  unheilbaren  Uebel;  ihr  fehlt  die  Frische  des  Lebens,  die  erhaltende, 
umgestaltende  und  stets  Neues  erzeugende  Kraft  der  Natur.  Sie  gleicht 
mehr  einer  sorgfältig  hergerichteten  Mumie  als  einem  lebendigen  Organismus. 
Dadurch,  dass  die  kunstmässige  Litteratur  wiederum  prinzipiell  zur  klassi- 
schen oder  hellenistischen  Form  zurückkehrte,  entfernte  sie  sich  mehr  als 
je  von  dem  volksmässigen  Bewusstsein  und  Verständnis.  Die  Kluft  zwi- 
schen Schrift-  und  Umgangssprache  erweiterte  sich  bis  zu  einem 
Grade,  der  keine  freundschaftliche  Vermittlung  mehr  zuliess.  Die  Existenz 
und  die  Berechtigung  eines  eigenen  Vulgäridioms  kam  jetzt  deutlicher 
zum  Bewusstsein  und  seit  dem  Ende  des  11.  Jahrhunderts  findet  die  neue 
Form,  von  der  bisher  nur  einzelne  wörtlich  angeführte  Spottverse,  un- 
übersetzbare Ausdrücke  und  besonders  geläufige  Formen  in  die  Litteratur 
eingesickert  waren,  in  grösseren  Schriftdenkmälern  Verwendung.  Die  gut 
gemeinte,  aber  mit  den  Thatsachen  der  lebendigen  Sprache  unvereinbare 
Zurückschraubung  der  litterarischen  Formen  auf  den  Standpunkt  eines 
längst  entschwundenen  Zeitalters  rief  eine  demokratische  Reaktion  hervor, 
als  deren  Frucht  die  vulgärgriechische  Litteratur  erkannt  wird. 
Jetzt  berühren  sich  die  schärfsten  Gegensätze:  auf  der  einen  Seite  der 
mühsam  erlernte,  übermässig  gekünstelte,  steifleinene  und  innerlich  ver- 
trocknete Attizismus  und  Hellenismus,  der  durch  die  unüberwindliche  Macht 
der  Tradition  siegreich  das  Feld  behauptet,  auf  der  andern  Seite  die  lebens- 
volle, aber  unbeholfene  Herzenssprache  des  Volkes,  die  in  der  Orthographie 
und  Morphologie,  im  Wörterbuch  und  in  der  Syntax  mit  kunstsprachlichen 
Elementen  oft  ganz  bizarr  versetzt,  von  den  massgebenden  Kreisen  der 
Gebildeten  fast  ängstlich  gemieden  und  zurückgestossen,  sich  erst  nach 
langem  Bemühen  zu  einiger  Beweglichkeit,  Reinheit  und  Ausdrucksfahig- 
keit  emporarbeitete.  So  entstand  jener  Riss  im  geistigen  Leben  der  Griechen, 
welcher  seit  dem  11.  Jahrhundert  ihrer  Litteratur  mehr  als  irgend  einer 
andern  das  Gepräge  der  Doppelköpfigkeit  verleiht.  Wahrscheinlich  hätte 
diese  aus  vielen  Gründen  beklagenswerte  Spaltung  vermieden  werden  können, 
wenn  die  Schriftsteller  des  11.  und  12.  Jahrhunderts  das  von  Malalas,  Theo- 
phanes  und  Konstantin  Porphyrogennetos  vorgebildete  System  einer  tem- 
perierten Umgangssprache  beibehalten  und  in  ähnlicher  Weise  fortgebildet 
hätten,  wie  es  in  den  romanischen  Litteraturen  geschah. 

In  der  nun  folgenden  Paläologenzeit  scheint  die  Thätigkeit  in  der 
kunstmässigen  Litteratur,  wenn  nicht  an  Gehalt  und  Tiefe,  so  doch  an 
Mannigfaltigkeit  und  Ausdehnung  fast  noch  zu  gewinnen.  Indem  der  ge- 
lehrte Attizismus  noch  schärfer  betont  wird  als  selbst  in  der  Komnenen- 
zeit  und  bald  jede  Vermittlung  mit  der  Sprache  des  Lebens  und  der  volks- 
mässigen Schriftstellerei  zurückweist,  erwachsen  aus  den  Studien  dieser 
Epoche  immer  deutlicher  die  Bestrebungen,  welche  die  unmittelbare  Vor- 
schule des  westeuropäischen  II  u man ism US  bilden.  So  stehen  die  Autoreu 
dieser  Epoche  zwischen  dem  Mittelalter  und  der  Neuzeit,  zwischen  den 
letzten  Traditionen  des  AltertunKs  im  Orient  und  der  Wiedergeburt  desselben 
im  Abendlande.  ObsclMUi  der  stiuil liehe  Organismus,  «leui  die  lateinisclui 
£roborung  den  Lebensnerv  gebrochen   hatte,   langsam,   aber  unaufhaltsam  | 


Begriff  und  allgemeine  Geschichte  der  byzantinischen  Litteratar.     (§1.)        H 

[  seinem  endgültigen  Verfalle  entgegenging,   haben  die  letzten  Jahrhunderte 
I  auf  den   meisten    Gebieten   der   Litteratur,    in   Philosophie   und    Rhetorik, 
I  Grammatik   und   Exegese,   Epistolographie   und   Geschichtschreibung,    wie 
auch  in  der  Poesie  noch  eine  Fülle  an  Wert  ungleicher,  aber  für  die  Er- 
kenntnis   des  politischen,    religiösen    und    kulturellen   Lebens    der    letzten 
I  Lebenstage   des   byzantinischen   Volkes    wichtiger  Werke    hervorgebracht. 
[  Ein  hervorstechendes  Gepräge,  das  oft  mit  Unrecht  auf  das  ganze  byzan- 
tinische Zeitalter  übertragen  wird,   erhält    dieser  Abschnitt   dui-ch  die  mit 
der  Leidenschaftlichkeit  südländischer  Xaturen  gefühlten,  auf  die  Union 
bezüglichen  Kämpfe,    die  in  einzelnen  Nachklängen  noch  den  Fall  des 
f  Reiches  überdauern.   Merkwürdig  unansehnlich  und  ruhig  erscheint  daneben 
j!  die  Polemik    gegen   den  Koran,    gerade   als   hätten   die   Byzantiner  ihren 
I  wahren  Lebensfeind,  den  sie  politisch  lange  unterschätzten,  auch  auf  reli- 
j  giösem   Gebiete    nicht    erkannt.     Für   die   Mannigfaltigkeit,    wie   auch    für 
I  die  Oberflächlichkeit   und  Haltlosigkeit  der  Bildung   dieses  Zeitraumes   ist 
j  namentlich  die  Thatsache  bezeichnend,  dass  die  Litteratur  jetzt  noch  mehr 
als    früher    einen    pol y historischen    Charakter    gewinnt.      Rhetorisch- 
philosophisch   gebildete   Männer  versuchen  sich    auf   den   verschiedensten 
Feldern,  so  dass  es  zuweilen  schwer  ist,  sie  nach  ihrer  Hauptleistung  einer 
bestimmten  Litteraturgattung  zuzuweisen.  Der  bedeutendste  Vertreter  dieser 
schriftstellerischen  Vielseitigkeit  ist  im  13.  Jahrhundert  Georgios  Pachy- 
meres.     Hoch  über   ihm   steht  Xikephoros  Gregoras.    die  litterarische 
Hauptperson   des    14.  Jahrhunderts,    ein  Mann,    der   an   Gediegenheit   und 
Umfang   des  Wissens,    an   Scharfsinn,    an  Gewandtheit   der  Dialektik  und 
an  Festigkeit   des  Charakters    von   keinem  Byzantiner   der  Paläologenzeit 
übertroffen  wird.     Die  wichtigsten  Polyhistoren  des  15.  Jahrhunderts  end- 
lich, ein  Gemistos  Plethon  und  Bessarion,  führen  schon  in  die  ausser- 
halb des  ßahmens  unserer  Darstellung  liegenden  Kreise  des  Humanismus. 
Auf  dem  alten  Kulturboden  von  Byzanz  selbst  war  mit  der  Eroberung  des 
Reiches   durch   die   Osmanen   für    längere   Zeit  jede  Voraussetzung   einer 
höheren  geistigen  und  litterarischen  Bildung  vernichtet.    Von  der  Barbarei, 
die  jetzt  mit  elementarer  Gewalt  hereinbricht,   legen  unter  anderm  die  in 
griechischer  Sprache  abgefassten  diplomatischen  Korrespondenzen  der  ersten 
Sultane')  ein  merkwürdiges  Zeugnis  ab;   sie  bilden  in  ihrer  wunderlichen 
Formlosigkeit  zu  den  wohlgesetzten  Aktenstücken  der  byzantinischen  Kanzlei 
einen  Gegensatz,   als  wären  sie   von   ihnen   um   ein  Jahrtausend  getrennt. 
Wenn  die  Litteraturen  wie  die  meisten  menschlichen  Dinge  allmäh- 
Hch   aufblühen  und  verfallen   und  daher   so  scharfe  Abteilungen,   wie  sie 
'^  -  Kompendiengehirn  des  Unerfahrenen  und  Gedankenlosen  sich  zurecht- 
-t,  in  Wirklichkeit  selten  existieren,  so  gibt  es  doch  im  geistigen  Leben 
des  einzelnen,    wie  der  Nationen   und   der  ganzen  Menschheit  Zeitpunkte, 
die    ohne   Uebertreibung    als    wahrhaftige   Einschnitte   bezeichnet    werden 
können.     Wer  zweifelt  daran,   dass  Aristoteles  den  Grenzpfeiler   zwischen 
der  klassischen    und   alexandrinischen  Litteratur   bildet?    Wer  wollt«   he- 
«t?eiten,  dass  mit  dem  Jahre  1453  das  geistige  Eigenleben  der  Byzantiner 

')  Reiche  Proben  im  3.  Bande  der  Acta       von  Miklosich  und  Müller, 
dt  diplomata  Graeca  medii  aevi  herausgegeben 


12  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    Einleitung. 

abgelaufen  ist?  Mit  demselben  Rechte  darf  der  litterargeschichtliche  Be- 
obachter versuchen,  den  Endpunkt  des  Altertums  festzustellen.  Von  der 
glücklichen  Lösung  dieser  Frage  ist  das  geschichtliche  Verständnis  der 
byzantinischen  Litteratur  zu  einem  grossen  Teile  abhängig.  Wenn  ein  so 
feiner  Kenner  wie  Bernhardy  ^)  das  schwere  Wort  aussprach,  dass  auch 
die  gewissenhaftesten  Studien  aus  der  weitschichtigen  Masse 
der  byzantinischen  Litteratur  kein  Ganzes  hervorzulocken  ver- 
möchten, so  war  es  vornehmlich  seine  falsche  Grenzbestimmung,  die  ihn 
zu  diesem  Irrtum  verleitete.  Indem  er  die  mittelgriechische  Litteratur 
mit  Justinian  beginnen  Hess,  ergab  sich  dem  unbefangenen  Blicke  zunächst 
eine  unvorbereitete  und  wenig  verständliche  Höhenreihe  von  Prokop  bis 
auf  Theophylaktos,  von  Paulos  Silentiarios  bis  auf  Georgios  Pisides,  dann 
eine  klaffende  Lücke,  endlich  eine  allmähliche  Erhebung  über  das  niedrigste 
Niveau.  Auch  sie  wurde  von  Bernhardy  und  seinen  Nachfolgern,  welche 
die  ganze  mittelgriechische  Litteratur  vom  Standpunkte  des  6.  Jahrhunderts 
aus  betrachten,  einer  apriorischen  Doktrin  zu  liebe  verkannt  und  geleugnet. 
An  die  Stelle  der  unverkennbarsten  Thatsachen  setzte  man  eine  luftige 
Konstruktion,  als  deren  Kernpunkt  die  Idee  eines  unaufhaltsamen,  immer 
tieferen  Verfalls  vom  6.  bis  zum  15.  Jahrhundert  erscheint.  Während  in 
Wahrheit  die  Litteratur  von  Justinian  bis  auf  Heraklios  und  das  Schrifttum 
der  folgenden  Zeit  zwei  an  innerem  Werte,  an  Kolorit,  Technik  und  An- 
schauung vielfach  verschiedene,  an  Umfang  sehr  ungleiche  Massen  bilden, 
verband  man  beide  Zeiträume  mit  künstlichen  Mitteln  und  schuf  so  ein 
widerspruchsvolles  und  zerrissenes  Gesamtbild.  Alles  wird  klar,  so  bald 
wir  zu  der  geschichtlichen  Einsicht  vordringen,  dass  erst  mit  der  zweiten 
dieser  beiden  Gruppen  das  Eigenleben  des  byzantinischen  Geistes  beginnt. 
Dann  erhalten  wir  eine  einheitliche,  gesetzmässige,  im  Sinne  des  Zeitalters 
naturgemäss  aufsteigende  Entwickelung,  die  von  dogmatischen,  asketischen 
und  moralischen  Schriften,  von  Kirchenliedern,  volksmässigen  Legenden 
und  mönchischen  Chroniken  ausgeht,  dann  allmählich  durch  das  erneute 
Studium  der  antiken  Autoren  und  durch  eine  naivere  Auffassung  der  zeit- 
genössischen Dinge  an  Mannigfaltigkeit  des  Inhalts  und  Keichtuni  der 
Form  beträchtlich  gewinnt  und  sich  mehrere  Jahrhunderte  hindurch  auf 
einer  beträchtlichen  Höhe  erhält,  um  endlich  einerseits  im  Humanismus 
und  andererseits  in  der  Volksdichtung  die  letzten  Früchte  zu  reifen. 

Obschon  sich  der  Uebergang  vom  antiken  zum  byzantinischen  Wesen 
in  der  Litteratur  und  Kunst  nicht  zur  gleichen  Zeit  vollzog  wie  auf  anderen 
Gebieten,  so  mag  doch  vermerkt  werden,  dass  unsere  Grenzbestimmung 
sich  nahe  berührt  mit  der  Auffassung  zweier  hervorragender  Forscher,  von 
welchen  der  eine  das  byzantinische  Zeitalter  vom  Staats-  und  civilrecht- 
lichen,  der  andere  vom  historischen  Standpunkte  aus  betrachtete.  Finlay-') 
setzt  die  Ausbildung  des  byzantinischen  Staatswesens  in  das  7.  .lahrhuudert 
(H',V.\ — 71())  und  beginnt  die  eigentlich  byzantinische  Geschichte  mit  den 
IsHuriern.     Ebenso  betrachtet  Zachariä  von  Lingenthal')  das  7.  Jahr- 

')  OrundriHH  der  griecliischon  Litt«ratur  j    II   1  ff. 
I«  fl876)  S.  XV,  I  »)   (ioHcliicIit«'    d.'s    griocliiscli  rimuHchoii 

»)  A  hiHtory  of  ({rocco  I  (1877)  851  ff.,   I   Rechtos,  2.  Aufl.,  IWlin  1877  f<.  IX. 


Charakteristik.    f§  2.)  13 

hundert  als  eine  Zeit  des  Verfalls  und  der  Auflösung  des  griechisch-römi- 
schen Kaisertums  und  sieht  im  Zeitalter  der  isa mischen  Kaiser  den  Beginn 
einer  Neugestaltung  von  vielfach  eigentümlichem  Gepräge,  das  sich  all- 
mählich zu  dem  entwickelte,  was  man  mit  dem  Ausdruck  Byzantinismus 
zu  bezeichnen  pflege, 

Dass  unser  Abriss  trotz  der  gewonnenen  Erkenntnis  noch  nach  alter 
Weise  mit  Justinian  beginnt,  geschieht  lediglich  aus  praktischen  Gründen, 
welche  einen  unmittelbaren  Anschluss  an  die  Litteraturgescliichte  von  Christ 
erforderten.  Solange  die  griechische  Litteraturgeschichte  nicht  bis  zum 
Tode  des  Heraklios  herabgeführt  wird,  kann  die  byzantinische  nicht,  wie 
es  die  Thatsachen  ihrer  Entwickelung  verlangten,  um  die  Mitte  des  7.  Jahr- 
hunderts anheben.  Hoffentlich  gelingt  es  später,  das  bisher  anerkannte 
Grenzmal  den  beiderseitigen  Rechtsansprüchen  gemäss  zu  verrücken.  Der 
Umstand,  dass  die  übliche  Abteilung  längst  den  wissenschaftlichen  Sprach- 
gebrauch für  sich  gewonnen  hat,  bildet  keine  unüberwindliche  Schwierig- 
keit, denn  bekanntlich  sind  in  den  letzten  .Jahrzehnten  auch  andere  falsche 
Terminologien  in  der  Sprachen-  und  Litteratm-geschichte  mit  Erfolg  be- 
kämpft und  endgültig  beseitigt  worden.  In  unserer  Darstellung,  die  noch 
von  der  bisher  üblichen  Grenze  ausgeht,  ist  auch  der  Ausdruck  byzantinisch 
der  Kürze  halber  zuweilen  im  alten  Sinne  gebraucht  worden. 


Charakteristik. 

2.  Die  byzantinische  Litteratm-  ist  der  wichtigste  Ausdruck  des 
geistigen  Lebens  der  griechischen  Nation  und  des  römischen  Staates  vom 
Ausgange  des  Altertums  bis  an  die  Schwelle  der  neueren  Zeit.  Von  dieser 
Thatsache  hat  ihre  Wertschätzung  vornehmlich  auszugehen.  Daneben  ruht  ihre 
Bedeutung  in  den  Einflüssen,  welche  von  ihr  auf  die  orientalischen,  slavischen 
und  westeuropäischen  Völker  des  Mittelalters  gewirkt  haben,  endlich  in  ihrem 
engen  Zusammenhange  mit  der  klassischen  Philologie.  Bis  auf  die  neueste 
Zeit  ist  namentlich  der  zuletzt  genannte  Punkt  betont  worden.  Wenn  die 
klassische  Philologie,  wie  Bücheier  ')  bemerkt,  jetzt  ihren  Fortsclu-itt  haupt- 
sächlich darin  sucht,  dass  sie  aus  der  früheren  Abgeschlossenheit  heraus- 
tritt und  mit  Vorliebe  dem  Zusammenhange  und  der  Gemeinschaft  nach- 
forscht, durch  welche  Griechen  und  Römer  in  Sprache,  Sitte  und  Kultur 
mit  Völkern  vor  ihnen  und  nach  ihnen  verbunden  sind,  so  findet  diese 
Erweiterung  des  Gesichtskreises  in  der  That  das  reichste  und  ergiebigste 
Arbeitsfeld  in  dem  Schrifttum  der  Byzantiner.  Es  gibt  kaum  ein  Gebiet 
der  alten  Philologie  und  Sprachwissenschaft,  welchem  eine  vertiefte  Unter- 
suchung der  raittclgriechischen  Litteratur  nicht  irgend  einen  Nutzen  brächte. 
Diese  Thatsache  wird  längst  zugestanden  und  bedarf  keines  Beweises.  Die 
antike  Tradition  ist  in  Byzanz  niemals  gänzlich  ausgestorben,  und  ein  Zeit- 
!  alter  des  Humanismus  hätte  dort  nicht  im  gleichen  Sinne  erfolgen  können, 
wie  im  Abendlande.  Der  Zusammenhang  mit  dem  Altertum  blieb  bei  den 
I  Mittelgriechen   in  litterarischer  und    politischer  Hinsicht,    wenn  man  etwa 

')  Philologische  Kritik,  Bonn  1878  S.  1. 


14  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    Einleitung. 

von  der  Finsternis  des  7.  und  8.  Jahrhunderts  absieht,  immer  gewahrt. 
Daher  kommt  es,  dass  aucli  der  künstlich  gesteigerte  Klassizismus,  wie  ei- 
seit  der  Komnenenzeit  üblich  wurde,  den  Byzantinern  keineswegs  als  etwas 
Fremdartiges  und  Lebloses  erschien,  ganz  im  Gegensatze  zu  der  lateini- 
schen Humanistenlitteratur,  die  nicht  einmal  von  den  Italienern  als  etwji- 
Nationales  betrachtet  wird.  In  der  neueren  Fachlitteratur  kommen  di. 
Beziehungen  der  Byzantiner  zum  Altertum  immer  deutlicher  zum  Worte. 
Wenn  man  die  Gesamtsumme  der  philologischen  Produktion  in  den  letzten 
Jahrzehnten  überblickt,  bemerkt  man  mit  Staunen,  welchen  Umfang  fast 
unbemerkt  die  Arbeiten  auf  dem  spätgriechisch-byzantinischen  Gebiete  ge- 
wonnen haben.  Eine  Reihe  von  Gelehrten,  die  unter  dem  Banner  der 
klassischen  Philologie  streiten,  haben  die  Gegenstände  ihrer  Untersuchuni; 
in  den  unaussprechlichen  Jahrhunderten  gesucht.  Man  denke  an  die  gross- 
artigen Leistungen,  durch  welche  im  Chaos  der  byzantinischen  Grammatik, 
Lexikographie,  Metrik,  Florilegienlitteratur  und  Kirchenpoesie  allmählich 
Licht  und  Ordnung  geschaffen  wird.  Die  besten  Forscher,  wie  Th.  Mommsen, 
Usener,  Studemund,  Reifferscheid,  Wachsmuth,  Bursian,  Christ,  W.  Meyer, 
Crusius,  L.  Cohn  u.  a.,  haben  den  Byzantinern  längere  und  ergebnisreiche 
Besuche  abgestattet.  Andere  scheinen  sich  schon  ganz  im  Byzantinischen 
verloren  zu  haben.  Wenn  die  innerliche  Begeisterung  für  das  Altertum 
durch  diese  abgelegenen  Studien  schwerlich  gewonnen  hat,  so  ist  der  wissen- 
schaftliche Nutzen  zweifellos,  und  das  muss  uns  genügen.  Wollte  man 
die  Berechtigung  jeder  Arbeit  nach  ästhetischen  und  pädagogischen  Rück- 
sichten abmessen  und  den  Selbstzweck  der  Wissenschaft  negieren,  so  bliebe 
in  der  Philologie  wie  in  anderen  Disziplinen  für  die  Forschung  herzlich 
wenig  übrig.  Eine  künstliche  Beschränkung  auf  die  inhaltlich  und  formal 
vollendeten  Zeiten  hätte  erst  recht  eine  Ermattung  und  Stagnation  dei' 
Geister  zur  Folge,  in  welcher  sicher  auch  die  vielgepriesene  reine  Be- 
geisterung und  die  pädagogische  Kraft  versinken  würden.  Nicht  auf  d<Mi 
Stoff,  auf  den  Menschen  kommt  es  an.  Wer  hellen  Geistes  und  frischen 
Gemütes  arbeitet,  wird  auch  von  Byzanz  aus  den  Weg  zur  Wahrheit  uiul 
Schönheit  finden. 

Trotzdem  muss  vor  der  übermässigen  Betonung  der  antiken 
Elemente  in  Ostrom  gewarnt  werden.  Nichts  hat  das  tiefere  Verstiindiii 
und  die  Wertschätzung  der  byzantinischen  Zeit  mehr  beirrt  als  die  G» 
wohnheit,  in  ihr  alles  nur  als  Ausläufer  und  Ausfluss  des  Altertums  zu 
betrachten.  Byzanz  war  den  meisten  Forschern  die  ungeheuere  Leichen- 
kammer des  hellenischen  Hünengeschlechtes,  der  Beachtung  nur  würdig 
wegen  der  hier  aufbewahrten  Reste  und  Kleinodien  aus  längst  entscliwun- 
dener  Zeit.  Wie  die  prosaische  Litteratur  der  Mittelgriechen  gemeinhin 
nur  als  Repertorium  alter  Formen  und  Wörter,  als  eine  FundsUitte  von 
Varianten,  Fragmenten,  mythologischen,  antiquarischen  und  historischen 
Notizen  angesehen  wurde,  so  fand  auch  in  der  Poesie  nur  das  Beachtung, 
woH  an  das  Altgriechischo  anknüpfte  und  den  Gelehrten  die  erwünschte 
Gelegenheit  gab,  sofort  den  Quellen  nachzugehen  und  die  «historischen 
Brücken'  zu  schlagen.  Dieses  mehr  oder  weniger  bewusst  festgehaltene 
Prinzip  leitete  die  Forschung  auf  jene  Schriften,  in  welchen  die  Verwertung 


Charakteristik,    (§  2.)  15 

alten  Gutes,  die  Beziehung  zu  den  Vorbildern  am  deutlichsten  zu  Tage 
lag.  d.  h.  gerade  auf  die  schlimmsten  Machwerke  sklavischer  Imitation. 
>()  wurde  den  Erzeugnissen  dieses  Zeitalters  die  dogmatische  Zensur  der 
Wertlosigkeit  aufgedrückt.  Die  einmal  geprägte  Note  ward  unzählige 
Male  wiederholt,  selten  auch  nur  teilweise  nachgeprüft,  niemals  in  ihrem 
ganzen  Umfange  untersucht.  Keine  litterarische  Kritik  ruht  auf  einem  so 
utringen  Masse  thatsächlicher  und  selbsterworbener  Kenntnis  als  die  üb- 
lichen Verdikte  über  das  byzantinische  Schrifttum.  Trotzdem  lauten  die 
Urteile  meist  hart  und  exklusiv;  denn  die  Halbwissenheit  ist  in  Lob  und 
Tadel  stets  kühner  und  massloser  als  die  gewissenhafte  Forschung.  Das 
Lutsetzliche  Wort  „Weh  dir,  dass  du  ein  Enkel  bist"  ist  an  den  Byzan- 
tinern hundertfach  in  Erfüllung  gegangen.  Selbst  Kenner  wie  Bernhardy 
Hessen  sich  durch  die  exklusiv  „philologische"  Betrachtung  der  byzantini- 
schen Litteratur,  dadurch,  dass  sie  jedes  Werk,  jede  Aeusserung,  jedes 
A\'ort  nur  als  Nachklang  aus  dem  Altertume  vernehmen  wollten,  zu  ge- 
schichtlich ungerechten  und  verwirrenden  Urteilen  hinreissen.  Wer  sich 
nur  auf  dem  klassischen  Standpunkte  wohl  fühlt,  verschliesst  sich  natur- 
inäss  von  Anfang  an  der  Einsicht  in  das  byzantinische  Wesen.  Wer 
Kann  z.  B.  der  gesamten  Persönlichkeit  eines  Eustathios  oder  eines  Niketas 
Akominatos  gerecht  werden,  wenn  er  keinen  andern  Massstab  für  sie  findet 
als  Aristarchos  oder  Thukydides?  Wer  kann  die  unvergleichliche  Erhaben- 
heit eines  Romanos  empfinden,  wenn  ihm  die  christlich-gläubige  Begeiste- 
rung völlig  verloren  gegangen  ist? 

Einen  weiteren  Grund  hat  die  fahrlässige  Massenhinrichtung,  welche 
die  Kritik  an  den  Byzantinern  zu  vollstrecken  beliebt,  in  der  üblen  Ge- 
wohnheit die  griechische  Litteratur  des  Mittelalters  als  eine  gleichförmige 
und  gleichfarbige  Masse  zu  betrachten,  als  ob  die  überall  geltenden 
l  nterschiede  der  Zeit,  der  Gattungen  und  der  Individuen  hier  ihre  Wirkung 
Versagt  hätten.  Man  kann  zugeben,  dass  der  byzantinische  Charakter 
I  ine  auffallende  Zähigkeit  besitzt  und  bis  ins  15.  Jahrhundert  ohne  grosse 
\  oränderung  fortdauert;  aber  man  darf  nicht  übersehen,  dass  dieser  Cha- 
rakter nicht  so  leicht  zu  bestimmen  ist,  wie  man  gemeiniglich  annimmt, 
und  dass  namentlich  die  jeder  klaren  Anschauung  feindlichen  Schlagwörter 
wie  dogmatische  Starrheit, ')  religiöser  Fanatismus,  Verschwommenheit  und 
sklavische  Imitation  ihn  weder  erschöpfen  noch  zutreffend  bezeichnen.  Was 
uar  den  gegenwärtig  so  sehr  in  Schwang  gekommenen  Gebrauch  des  Wortes 
lyzantinisch  zur  Bezeichnung  des  gemeinen  Servilismus  im  staatlichen 
l-tben  betrifft,  so  muss  die  unbefangene  Geschichtsbetrachtung  zugeben, 
dass  diese  schlimme  Eigenschaft  durchaus  nicht  den  Byzantinern  eigentüm- 
lich ist,  sondern  sich  immer  und  überall  findet,  wo  absolute  Herrscher  sind. 
Mit  dem  äusserlichen  Hofzeremoniell  kam  der  innerliche  Servilismus  auch 
im  Abendlande    zu    so    grosser   Verbreitung,    dass    das   gebildete   Mittel- 


*)  Wir  meinen  damit  natürlich  nicht  so  '  schüttet,  sondern  die  allgemein  herrschende, 

dünkelhafte  Verdikte,    wie   sie  z.  B.  Prutz  '  von    Uspenskij    mit    Recht    bekämpfte    An- 

(Kulturgeschicht«    der   Kreuzzüge   S.  24)    in  ,  schauung    über   die   geistige  Verknöcherung 

seinem     bombastischen     Kathedertone    über  der  byzantinischen  ^rche. 

das   Christentum    des   7.   Jahrhunderts   aus-  . 


16  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    Einleitung. 

europa  den  Byzantinern  durchaus  nichts  mehr  vorzuwerfen  hat.  Nie- 
mals hat  der  Byzantinismus  in  Byzanz  so  geblüht  wie  an  den  Höfoii 
Karls  V.,  Philipp  II.,  Ludwigs  XIV.  und  mancher  Duodezfürsten  unsere  ^ 
Vaterlandes.')  Die  deutschen  Hofpoeten  der  guten  alten  Zeit  übertreflfon 
an  hündischer  Kriecherei  alles,  was  die  mittelgriechische  Litteratur  an 
verwandten  Ergüssen  besitzt,  und  der  r^Xiog  ßaoiXevc  des  Psellos  hat  im 
roi-soleil  Frankreichs  sein  getreues  Gegenstück  gefunden.  In  Wahrheit 
ist  Byzanz  weit  weniger  absolutistisch  als  sein  Ruf.  Die  Abhängigkeit 
des  Kaisers  vom  Willen  der  Masse,  die  blutigen  Aufstände  der  haupt- 
städtischen Bevölkerung  und  ähnliche  demokratische  Züge,  die  der  schärfere 
Beobachter  im  byzantinischen  Kulturleben  entdeckt,  erinnern  weit  mein- 
an  das  moderne  Frankreich  als  an  die  Zeiten  vor  1789.  Trotz  aller  Zen- 
tralisation der  Staatsgewalt  in  der  heiligen  Person  des  Kaisers  durfte  sicli 
der  byzantinische  Hof  niemals  jene  grenzenlose  Korruption  und  Verschwen- 
dung erlauben,  die  im  17.  und  18.  Jahrhundert  in  Frankreich  und  in  ge- 
horsamer Nachäffung  des  berühmten  Musters  in  so  manchen  deutscheu 
Kleinstaaten  wucherte.  Von  der  fabelhaften  Ueppigkeit  der  endlosen  Ver- 
gnügungen, der  Maskeraden,  der  Aufzüge  und  süssen  Schäferspiele,  dt  r 
Illuminationen  und  Feuerwerke,  von  den  wilden  Zechgelagen,  den  berücli- 
tigten  Jagd-  und  Waldfesten,  von  den  als  Pagen  verkleideten  filles  d'honnenr 
hören  wir  in  Byzanz  nichts.  Die  Steuerschraube  wurde  dort  nicht  mindi  i 
erbarmungslos  angezogen  als  bei  uns;  aber  der  grösste  Teil  der  gewon- 
nenen Einkünfte  wurde  durch  die  unvermeidlichen  Kriege  gegen  die  von 
allen  Seiten  drohenden  Nachbarvölker  und  durch  sonstige  Bedürfnisse  di  - 
Staates,  nicht  durch  die  Ueppigkeit  des  Hofes  verschlungen.  Eine  stall 
liehe  Reihe  byzantinischer  Herrscher  war  durch  Massigkeit  und  streuL; 
Selbstzucht  ausgezeichnet,  und  selbst  die  dunkelsten  Gestalten  dieser  Kaiser- 
reihe haben  weniger  mit  der  Liederlichkeit  deutscher  und  französische i 
Fürsten  jüngst  vergangener  Zeiten  als  mit  der  unheimlichen  Art  russisclu  r 
und  türkischer  Machthaber  der  vergangenen  Jahrhunderte  gemein.  Mas 
lose  Selbstsucht  und  unersättliche  Herrschbegierde  haben  in  Byzanz  on 
blutige  Verbrechen  geboren;  aber  in  einem  Staatswesen,  wo  so  grossi 
Interessen  wider  einander  streiten,  lässt  man  sich  derartige  Konflikte  wirK 
lieh  noch  besser  gefallen  als  die  „satte  Tugend"  und  die  „zahlungsfähii:. 
Moral".  Das  harte  Metall,  aus  dem  manche  Byzantiner  wie  Tziniiske- 
Nikephoros  Phokas  und  Basilios  II.  geschmiedet  sind,  ist  uns  sympathisclier 
als  der  galante  Schmutz  mancher  mitteleuropäischer  Höfe  der  neueren 
Zeit.  Dabei  fehlt  es  auch  nicht  an  Fürsten,  die  mit  eiserner  Energie  milde 
Humanität  vereinigen  wie  der  treffliche  .Johannes  Komnenos  und  die  glän- 
zende Rittergostalt  seines  Sohnes  Manuel.  Der  widerliche  Ciiarakter,  der 
thatsächlich  einzelnen  Abschnitten,  wie  der  traurigen  Uebergangs- 
periode  von  1025—1081  anhaftet,  wird  mit  Unrecht  auf  das  ganze  byzan- 
tinische Zeitalter  übeHragen.  Ebenso  mu.ss  bei  der  Hetraehtung  der 
Litteratur  selbst  zwischen  den  Zeiten,  Gattungen  und  Individuen 
untoi-KclnCden  worden.   Sobald  wir  uns  mit  liebevoller  Sorgfalt  ins  Einzelne 

')  8.  W.  KiM<lier.   Kin   Wort   ül.or   den    '   srliirhto  5  (Stuttgart  1S8H)  »89-997. 
U^'zantiniHinuH,  /«•itHchril't  Tilr  ullgfincinc  (>e- 


Charakteristik.    (§  2.)  17 

versenken,  werden  Abstände  offenbar,  die  uns  den  Mut  benehmen,  der  üb- 
lichen Generalisierung  der  Urteile  beizupflichten. 

Die  selbständige  Bedeutung  des  geistigen  Lebens  der  By- 
zantiner kann  nicht  ausdi'ücklich  genug  betont  werden.  Was  sie  ge- 
schaffen haben,  ist  mehr  als  ein  blosses  Anhängsel  des  Altertums.  Neben 
der  griechischen  und  römischen  Litteratur  steht  das  byzantinische  Schrift- 
tum als  ein  neues  Gebilde,  in  welchem  sich  römische,  griechische  und 
orientalische  Elemente  zu  einem  eigenartigen  Ganzen  verschmolzen  haben. 
Niemals  ist  dem  Griechentum  eine  so  bedeutende  politische  Rolle  zu- 
gefallen als  wähi-end  des  Mittelalters.  Das  antike  Kleinleben  der  Staaten 
und  Stämme  erscheint  daneben  ebenso  besclu-änkt  als  die  politische  Kraft 
der  heutigen  Griechen.  Dieser  gewaltige  reelle  Hintergrund  darf  bei  der 
Abschätzung  der  byzantinischen  Litteratur  nicht  übersehen  werden.  Etwas 
Aehnliches  gi])t  es  im  Abendlande  nicht.  Wenn  daher  im  zweiten  Teile 
dieses  Bandes  eine  lateinische  Litteraturgeschichte  des  Mittel- 
alters als  Gegenstück  unseres  Abrisses  in  Aussicht  genommen  ist,  so  be- 
ruht diese  Zusammenstellung  mehr  auf  einer  äusseren  Analogie  als  auf 
einer  inneren  Verwandtschaft.  Wie  im  Westen  an  die  Stelle  des  alten 
Imperium  neue  Herrschaften  traten,  so  löste  sich  auch  die  unmittelbare 
Tradition  der  Sprache  und  Litteratur  in  ungleiche  Sonderexistenzen  auf. 
Daran  vermochte  die  künstliche  Wiederaufrichtung  des  römischen  Kaiser- 
throns durch  Karl  den  Grossen  nichts  mehr  zu  ändern.  Der  lateinischen 
Litteratur  des  Mittelalters  fehlt  die  geschlossene  Einheit,  ihr  mangelt  die 
nationale,  politische  und  soziale  Grundlage.  Ihre  Dichter  unternehmen 
keinen  bewussten  Wettstreit  mit  den  Alten;  sie  schreiben  private  Schul- 
übungen, und  das  Streben  nach  dem  Lorbeer  der  Unsterblichkeit  ist  ihnen 
unbekannt.  Ein  Hauptgrund  dieses  grossen  Gegensatzes  zwischen  der  mittel- 
lateinischen und  mittelgriechischen  Litteratur  ist  in  der  Verschieden- 
heit der  sozialen  Stellung  der  litterarischen  Personen  beider  Gebiete 
zu  suchen.  Im  Abendlande  ist  alles  litterarische  Schaffen  auf  die  stilleh 
Räume  der  Klosterzelle  beschränkt;  Mönche  schreiben,  und  sie  schreiben 
für  Mönche.  Auch  in  Byzanz  arbeiten  manche  Litteraten  im  sicheren  Horte 
eines  Klosters;  die  meisten  Autoren  aber  stehen  hier  in  lebhafter  Wechsel- 
lieziehung  zum  sozialen  und  politischen  Leben.  Manche  der  bedeutendsten 
Geister,  wie  Photios,  Psellos,  Gregor  von  Cypern,  Nikephoros  Gregoras  u.  a., 
nehmen  in  hervorragenden  Aemtern  des  Staates  oder  der  Kirche  thatkräftigen 
Anteil  an  den  grossen  Bewegungen  ihrer  Zeit;  andere  lernen  das  Leben  der 
Welt  in  untergeordneten  Stellen  kennen;  eine  Gruppe  für  sich  bildet  end- 
lich das  arme  Litteratenvolk,  dürftige,  stets  von  der  Hand  in  den  Mund 
lebende  Leute,  wie  Ptochoprodromos,  Tzetzes,  Philes,  welche  die  Leiter  zu 
den  einträglichen  Aemtern  nicht  zu  erklimmen  vermögen  und  daher  in 
weinerlichen  Klagetönen  um  die  Gunst  der  Reichen  und  Mächtigen  buhlen. 
Durch  diese  mannigfache  Abstufung  der  äusseren  Lebensstellung  der  Autoren 
erhält  die  Litteratur  selbst  einen  lebendigen,  bunten  und  vielseitigen  Cha- 
rakter. Die  abendländische  Litteratur  verlangt  infolge  ihrer  inneren  Ver- 
liiedenheit  eine  andere  Behandlungsweise  als  die  byzantinische.  Da  in 
ihr   die   selbständige  Entwicklung  zurücktritt,   empfiehlt  es  sich,   ihre  Er- 

Uaudbtich  der  klaa»*.  Allortiiniswissonscbaft.  IX.     1.  AbtIg.  2 


Xg  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    Einleitung. 

Zeugnisse  ganz  vom  Standpunkt  des  Alterturas  aus  zu  betrachten  d.  h. 
nicht  die  Werke  und  Autoren  als  solche,  sondern  das  Fortleben  der 
antiken  Gattungen  und  Individuen  in  ihnen  zu  beschreiben,  ähnlich 
wie  Cholevius  die  antiken  Elemente  in  der  deutschen  Litteratur  untersucht 
hat.  Diesen  Plan  hat  L.  Traube  seiner  Arbeit,  die,  wie  wir  hoflfen,  der 
unserigen  bald  nachfolgen  wird,  zu  gründe  gelegt.  Die  Anwendung  des 
nämlichen  Systems  auf  die  byzantinische  Litteratur  ergäbe  ein  unrichtiges 
Gesamtbild.  Denn  obschon  auch  hier  alte  Gattungen  fortwirken,  bleibt 
doch  die  Hauptsache  die  selbständige  Produktion,  die  Darstellung  neuer 
Stoffe.  Nur  in  einigen  gelehrten  Fächern,  wie  in  der  Grammatik  und 
Metrik,  wo  einzelne  Schriften  typische  Geltung  erlangten  und  behaupteten, 
Hesse  sich  der  Versuch  rechtfertigen,  alle  Produktion  ausschliesslich  vom 
antiken  Ufer  aus  zu  betrachten;  doch  musste  solche  Ungleichheit  der  Be- 
handlungsweise  vermieden  werden. 

Die  unvergleichliche  Gliederung  in  litterarische  Gattungen, 
welche  die  klassische  Litteratur  auszeichnet,  ging  seit  Alexander  dem 
Grossen  verloren.  Der  synkretistische,  verschwommene  Charakter,  welcher 
der  griechischen  Litteratur  im  alexandrinischen  und  römischen  Zeitalter 
anhaftet,  herrscht  auch  in  der  byzantinischen  Litteratur.  Die  meisten 
Schriftsteller  versuchten  sich  gleichzeitig  auf  mehreren,  oft  ganz  verschieden- 
artigen Gebieten.  Dadurch  entsteht  ein  litterarisches  Chaos,  in  das  schwer 
Ordnung  und  Klarheit  zu  bringen  ist.  Wollte  man.  wie  Fabricius  und 
Scholl  thaten,  eine  strenge  Gliederung  nach  Arten  und  Stoffen  vornehmen, 
so  müssten  die  meisten  Autoren  in  zwei,  drei  und  mehrere  Stücke  aus- 
einander gerissen  werden;  die  Persönlichkeiten  gingen  hiebei  völlig  ver- 
loren und  die  ganze  Litteratur  löste  sich  in  eine  unendliche  Menge  von 
Büchern,  Traktaten  und  Fragmenten  auf,  woraus  sich  dann  ein  jeder  nach 
Lust  und  Vermögen  die  einzelnen  Autoren  mühsam  wieder  zusammensuchen 
müsste.  Ein  gerechtes  und  zutreffendes  Urteil  über  die  litterarischen  Pei- 
sonen  und  damit  auch  über  die  Zeit  und  das  Volk,  welches  sie  vertreten, 
würde  durch  eine  streng  eidologische  Behandlungsweise  ungeheuer  erschwert . 
Andererseits  mussten  doch  wenigstens  die  Hauptgattungen  im  historischen 
Zusammenhange  dargestellt  werden.  Daher  empfahl  sich  ein  Kompromiss 
zwischen  der  synchronistischen  und  eidologischen  Methode ;  jeder  Autor  wurd»; 
der  Hauptgattung  zugewiesen,  in  welche  der  Schwerpunkt  seiner  Leistungen 
fällt.  Die  Theologen,  für  welche  kein  eigenes  Fach  eröffnet  werden  konnte, 
mussten  in  den  Abschnitten  unterkommen,  welchen  sie  durch  iiire  nicht- 
theologische Schriftstelleroi  nahestehen.  Innerhalb  der  einzelnen  Gattungen 
wurde  dann  die  chronologische  Ordnung  streng  beobachtet.  Was  die  Keilien- 
folge  der  Hauptgattungen  betrifft,  so  verlangte  in  der  kunstmässigen  Lit- 
teratur naturgemäss  die  Prosa,  in  der  volkstümlichen  dagegen  die  Poesie 
den  Vorrang.  Die  Durchsichtigkeit,  mit  welcher  in  der  alten  Litteratur 
die  Hauptformen  und  Stufen  der  Entwickelung  erkennbar  sind,  konnte  bei 
diesem  MiscliHystem  unmöglich  erreicht  werden.  Doch  vereinigt  dasselbe 
jedenfalls  vor  der  strengen  Eidologie,  welche  eine  unermesaliche  Zersplit- 
terung der  einzelnen  Autoren  zur  Folge  hätte,  wie  vor  dem  synchronistischen 
System,   bei  welchem   die  Entwicklung   der  Gattungen    gar   zu   undeutlich 


Charakteristik.    (§  2.)  19 

würde,  die  meisten  Vorzüge.  Hier  wie  überall  schien  mir  eine  gewisse 
Zweckmässigkeit  wünschenswerter  als  doktrinäres  Festhalten  an  über- 
lieferten Schablonen. 

Was  heute  mit  Recht  als  das  Lebenselement  jeder  litterarhistorischen 
Darstellung  betrachtet  wird,  die  Darlegung  der  genetischen  Zusam- 
menhänge, lässt  sich  in  der  byzantinischen  Litteratur  noch  nicht  im 
vollen  Umfange  und  mit  genügender  Deutlichkeit  durchführen.  Nicht  als 
ob  eine  Entwickelung,  wie  manche  etwas  vorschnell  angenommen  haben, 
in  der  byzantinischen  Zeit  mangelte.  Wachstum  und  Verfall  existieren 
auch  hier,  die  Prozesse  verlaufen  aber  langsam  und  unregelmässig,  und 
eine  so  wunderbare,  dem  Leben  eines  Individuums  vergleichbare  Entwick- 
lungsgeschichte, wie  sie  die  vorchristliche  Litteratur  der  Griechen  bietet, 
dai-f  in  dem  mit  Tradition  übersättigten  Zeitalter  der  Byzantiner  nicht 
gesucht  werden.  Tief  eingreifende  Umwälzungen  des  Geschmackes  und 
prinzipielle  Veränderungen  der  Anschauungsweise  blieben  einem  Zeitalter 
fern,  in  welchem  die  konservative  Tendenz  auf  allen  Gebieten  des  mensch- 
lichen Lebens  vorherrschte.  Um  die  L^nter schiede  des  Alters  und  der 
Individuen,  die  hier  feiner  sind  als  in  Epochen  wild  gärender  Kraft, 
kennen  zu  lernen,  muss  unser  Auge  noch  durch  lange  Uebung  geschärft 
werden.  Wenn  wir  uns  freilich  mit  der  Versicherung  Bernhardys  be- 
ruhigen, dass  alle  Byzantiner  eine  gewisse  Familienähnlichkeit  besitzen, 
werden  wir  in  der  Erkenntnis  nicht  weiter  kommen.  Denselben  Eindruck 
der  Verwandtschaft  erhält  der  ferner  stehende  Beobachter  auch  von  den 
meisten  Autoren  anderer  Litteraturen.  Wie  lang  bedarf  es  z.  B.,  bis  man 
aus  der  scheinbar  ziemlich  gleichmässig  realistisch-erotisch  gefärbten  Masse 
der  französischen  Romanschriftsteller  die  Typen  herausgreifen  und  von 
einander  so  unterscheiden  lernt,  dass  eine  beliebige  Stichprobe  zur  Be- 
stimmung des  Autors  hinreicht.  Auch  in  Byzanz  existieren  so  grundver- 
schiedene Gestalten  wie  Victor  Hugo,  Daudet,  Zola.  Wer  an  diese  Unter- 
schiede nicht  zu  glauben  vermag,  sei  daran  erinnert,  welche  Vertiefung 
der  Studien  erforderlich  war,  bis  die  Kunstgeschichte  aus  dem  all- 
gemeinen Begriff  antiker  Kunst  zur  Unterscheidung  des  Griechischen  und 
Römischen,  dann  zur  Erkenntnis  einer  attischen,  peloponnesischen  und 
nordgriechischen  Schule,  endlich  zur  feineren  Distinktion  einzelner  Künstler 
gelangte.  Wer  glaubt  heute  noch  an  die  Ueberzeugung  Friedrich  Schlegels, 
dass  in  der  christlichen  Malerei  und  Bildhauerei  von  den  frühesten  Zeiten 
bis  zum  14.  Jahrhundert  die  vollkommenste  Einheit  und  Gleichheit  in  der 
Zeichnung  und  ganzen  künstlerischen  Behandlung  geherrscht  haben.  „Wo 
die  alten  Kunstfreunde  starre  Unveränderlichkeit  zu  sehen  wähnten,  er- 
blicken wir  einen  gar  mannigfaltigen  Wechsel." ')  Die  von  Springer  be- 
tonte Schwierigkeit,  in  der  Kunstgeschichte  die  Abweichungen  vom  gemein- 
samen Typus,  das  Auseinanderfallen  des  letzteren  in  unzählige  Individua- 
litäten zu  erkennen,  trifft  auch  für  die  Betrachtung  fremder  Litteraturen  zu. 
Auch  hier  werden  wir  von  dem  starken  Eindrucke,  den  die  allgemeinen 
Eigenschaften  der  Gattung  erwecken,   gefangen  genommen   und  vermögen 


F*     ')  A.  Springer,  Bilder  aus  der  neueren   j    danke  in  feinsinniger  Weise  noch  weiter  aus- 
Kunstgeschichte  I«  (1886)   82,   wo   der   Ge-       geführt  ist. 

2* 


20  Byzantinische  Litteratnrgeschiohte.    Einleitung. 

nur   sehr   mühsam   die   besonderen   Schulen    und  Persönlichkeiten    zu   er- 
kennen. 

Ein  Grund,  der  die  Einsicht  in  die  Entwickelungsgeschichte  der 
byzantinischen  Litteratur  vornehmlich  getrübt  hat,  ist  schon  oben  berührt 
worden;  es  ist  die  von  Bernhardy  und  anderen  befolgte  Methode,  alle 
mittelgriechischen  Schriften  auf  eine  vom  6.  bis  zum  15.  Jahrhundert  un- 
unterbrochen abfallende  Ebene  künstlich  hinzuzwängen.  So  sehr  war  der 
grosse  Geschichtschreiber  des  griechischen  Geistes  durch  seine  apriorische 
Doktrin  verblendet,  dass  ihm  selbst  der  unzweifelhafte  Aufschwung  vom 
9.  bis  zum  12.  Jahrhundert  entgehen  konnte;  nach  ihm  sinkt  seit  dem  Ablauf 
des  11.  Jahrhunderts  die  griechische  Litteratur  unaufhaltsam  und  die  That- 
sachen  ihrer  Entkräftung  werden  immer  häufiger ; ')  von  den  Komnenen  des 
12.  Jahrhunderts  ist  nach  ihm  wenig  Litterarisches  zu  berichten-)  u.  s.  w.; 
kurz  jedes  folgende  Jahrhundert  erscheint  immer  dunkler,  düsterer  und 
leerer  als  das  vorhergehende.  Aus  derselben  Anschauung  entspringen  auch 
die  oft  wiederholten  mechanischen  Zeitbestimmungen  nach  dem  un- 
sinnigen und  tausendfach  durch  Thatsachen  widerlegten  Schema :  Je  besser 
Stil  und  Sprache,  desto  älter;  je  schlechter,  desto  später.  Die  verderbliche 
Konstruktionsmanic  der  Schule  Hegels,  in  welcher  Bernhardy  wie  kein 
anderer  Litterarhistoriker  befangen  war,  hat  selten  so  schlimme  Früchte 
gezeitigt  wie  in  der  geschichtlichen  Betrachtung  der  byzantinischen  Litte- 
ratur. Es  ist  nicht  überflüssig,  den  wahren  Grund  dieser  wissenschaft- 
lichen Verirrung  ausdrücklich  zu  betonen,  damit  endlich  einmal  mit  einer 
Gewöhnung  gebrochen  werde,  welche  den  historischen  Blick  für  eine  ge- 
waltige Epoche  getrübt  hat.  Erst  wenn  das  falsche  Grundprinzip  auf- 
gegeben ist,  kann  der  Ausbau  des  Einzelnen  mit  neuen  Mitteln  und  mit; 
Aussicht  auf  Erfolg  unternommen  werden.   Hiefür  ist  fast  noch  alles  zuthu 

Welches  Dunkel  noch  über  der  inneren  Geschichte  der  byzantinischeiv 
litteratur  liegt,  geht  schon  aus  der  einfachen  Thatsache  hervor,  dass  di( 
Ansichten  über  die  Entstehungszeit  mancher  umfangreiclien  Werke  um 
viele  Jahrhunderte  auseinander  gehen.  Eine  schärfere  Untersuchung  dfi 
Zeiten  und  Studienweisen  wird  hier  zweifellos  wichtige  Aufklärungen 
schaffen.  Ebenso  wird  die  Ungewissheit,  die  über  die  Autorschaft 
mancher  Stücke  herrscht,  durch  eine  genauere  Individualisierung  da  und 
dort  gehoben  werden  können.  Bis  jetzt  leidet  das  litterarhistoi'ische  Bild 
mancher  Autoren  unter  einem  Wüste  fremder  Arbeiten,  die  einige  berühmte 
Namen  wie  mit  chemischer  Anziehungskraft  um  sich  gesammelt  haben. 
Freilich  bedarf  es  einer  erheblichen  Vereinigung  von  Vorstudien,  um  solche 
rntersuchungen  mit  Aussicht  auf  Erfolg  führen  zu  können.  Die  zahllosen 
Verkehrtheiten  und  nutzlosen  Anstrengungen,  die  in  der  auf  Byzanz  be- 
züglichen Litteratur  bemerkt  werden,  rühren  namentlich  von  der  Selh.st- 
täuschung  naiver  Gemüter  her,  welche  glauben,  nach  einiger  Bekanntschaft 
mit  dem  wohl  angebauten  Gebiete  der  klassisclien  Litteratur  sich  sofort 
auch  in  den  byzantinischen  Urwäldern  zurecht  zu  finden.  Auch  die  alte 
Philologie  empfängt  alljährlich  eine  Bcili«'  vr»ll ig  absurder  Bridii".  •  ^ie  ist 

')  GrundriH»  dor  griocli.  Litt.  !♦  722. 
»)  Ebend«  I'  7:i7. 


litj 


Charakteristik.    (§  2.)  21 

aber  zu  gut  organisiert,  als  dass  solche  Privatsünden  mehr  als  eine  vor- 
übergehende Heiterkeit  anzustiften  vermöchten.  Byzanz  dagegen  ist  von 
so  wenigen  verlässigen  Truppen  beschützt,  dass  oft  ganz  kindische  Ein- 
fälle für  längere  Zeit  erfolgreich  bleiben.  Es  gibt  in  der  Wissenschaft 
kein  Monopol;  aber  einige  Ausrüstung  darf  von  jedem  verlangt  werden, 
der  ein  dornenvolles  und  dunkles  Gebiet  mit  Nutzen  durchwandern  will. 
Wie  viel  gegen  diese  Forderung  in  byzantinischen  Forschungen  gesündigt 
worden  ist,  muss  man  oft  mit  schwerer  Unlust  erfahren.  Wie  häufig 
mangelt  die  Kenntnis  der  notwendigsten  Hilfsmittel!  Wie  übel  steht  es 
mit  der  Kenntnis  des  raittelgriechischen  Sprachgebrauches  selbst  bei  solchen, 
die  auf  diesen  Sprachgebrauch  weittragende  Schlüsse  bauen !  Wie  manche 
scheinen  zu  wähnen,  dass  die  überall  geltenden  Grundsätze  der  Kritik  in 
Byzanz  ein  überflüssiger  Zierat  seien!  Wie  vorlaut  sind  oft  die  ästheti- 
schen Urteile!  Nicht  wenige  scheinen  in  dem  Wahne  befangen,  im  10.  Jahr- 
hundert nach  Chr.  müsse  sich  in  griechischen  Autoren  noch  alles  ebenso 
finden  wie  15  Jahrhunderte  früher.  Solchen  Irrungen  gegenüber  muss 
immer  ausdrücklich  betont  werden,  dass  man  die  byzantinische  Epoche  wie 
jede  andere  aus  sich  selbst  heraus  studiere  und  namentlich  die  zahllosen 
Veränderungen  beachte,  die  sich  in  den  religiösen,  nationalen,  politischen,  ge- 
sellschaftlichen und  spraclilichen  Bedingungen  allniählich  vollzogen  haben. 
Die  wichtigsten  Thatsachen  in  der  Detailgeschichte  der  byzantini- 
schen Gräzität  kommen  teils  in  den  Einleitungen  der  Hauptabschnitte, 
teils  bei  den  einzelnen  Autoren  zur  Sprache.  Hier  sei  nur  der  allgemeine 
Entwickelungsgang  beschrieben.  Innerhalb  der  Schriftsprache  sind  zwei 
Hauptperioden  zu  unterscheiden.  In  der  ersten,  welche  etwa  das  7. 
bis  10.  Jahrhundert  umfasst,  wird  eine  stark  kirchlich  gefärbte  Diktion 
mit  echt  byzantinischen  Mitteln  weiter  ausgebaut.  Einige  Schriftsteller 
wie  Theophanes  und  Georgios  Monachos  machen  der  Volkssprache  so  viele 
Konzessionen,  dass  sie  ohne  Zweifel  allgemein  verständlich  bleiben.  Alm- 
lich wahren  die  meisten  Kirchendichter  den  Zusammenhang  mit  dem  Leben. 
Es  herrscht  ein  ungekünstelter,  naiver,  wenn  auch  häufig  etwas  unbeholfener 
Zug  in  der  Schriftsprache.  Selbst  Autoren,  welche  sich  einer  gewählteren 
Ausdrucksweise  befleissen,  schöpfen  nicht  aus  den  durch  eine  unüberbrück- 
bare Kluft  getrennten  klassischen  Vorbildern,  sondern  aus  Spätgriechen 
wie  Prokop  und  Agathias,  die  ihnen  in  Stoff  und  Form  mehr  verwandt 
sind.  In  der  gesamten  Litteratursprache  herrscht  bei  allen  Stilunterschieden 
no«'h  ein  einheitlicher  Charakter.  In  der  zweiten  Periode,  welche  durch  das 
Wiedererwachen  der  klassischen  Studien  vorbereitet  wurde,  gehen  die  mass- 
gebenden Kreise  auf  die  alten  Quellen  zurück,  wodurch  die  natürliche 
Entwicklung  der  vorigen  Periode  und  der  geschichtliche  Zusammenhang 
unterbrochen  wird.  Die  höchste  Steigerung  erfährt  dieses  Streben  nach 
Purismus  und  Altertümlichkeit  unter  den  Paläologen.  Indem  so  die  Sclirift- 
Rteller  sich  künstlich  über  ihre  Zeitgenossen  emporschrauben,  wird  der 
Gegensatz  zwischen  der  lebendigen  und  der  schriftniässigen  Sprache  immer 
^irker.  Seit  dem  11.  Jahrhundert  erscheint  neben  der  Kunstsprache  auch 
Vulgärsprache  in  litterarischen  Denkmälern.  Ueber  sie  wird  in  der 
nleitung  des  Anhanges  gehandelt  werden. 


22  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    Einleitung. 

Das  Hauptmerkmal  der  byzantinischen  Kunstsprache  besonders  in 
der  zweiten  Periode  ist  der  Mangel  des  einheitlichen  Gusses,  die  bunte  Zu- 
sanimenklebung  verschiedener,  oft  sich  widerstreitender  Elemente.  Poetische 
Blumen  aus  alter  Zeit,  jonische  und  attische  Prosa,  hellenistische  Neuerungen, 
kirchensprachliche  Eigenheiten,  Wendungen  des  byzantinischen  Kanzleistiles, 
technische  Ausdrücke  des  römischen  und  mittelalterlichen  Lebens  werden 
bald  geschickt  zu  einem  gefälligen  Ganzen  verbunden,  bald  oberflächlicli 
aufeinander  gepfropft.  Obschon  nun  diese  Sprache  häufig  zum  Ersticken 
an  der  Überfülle  von  Tradition  leidet,  kann  sie  selbst  in  der  zweiten 
Periode  nicht  als  völlig  tot  bezeichnet  werden.  Bei  manchen  Autoren 
fühlt  man  noch  den  Pulsschlag  des  Lebens,  ihre  Darstellung  ist  frei  von 
Verknöcherung,  die  Sätze  gleiten  ihnen  ohne  Mühe  aus  der  Feder.  Die 
Vorstellung  von  der  Mumienhaftigkeit  dieser  Schriftsprache  ist  ebensowenig 
zutreffend  als  die  entgegengesetzte  Behauptung,  dass  die  gebildeten  Kreis- 
des  griechischen  Mittelalters  ihre  Schriftsprache  auch  wirklich  gesprochen 
hätten.  Die  Buntheit  der  byzantinischen  Diktion  macht  die  formal' 
Charakteristik  der  Autoren  schwierig.  Eine  isolierte  Vergleichung  inii 
irgend  einem  alten  Vorbilde  hilft  nicht  weit;  die  Sprache  jedes  einzelnen 
muss  als  ein  Ganzes  gefasst  und  gewürdigt  werden,  wozu  allerdings  di. 
bequemen  lexikalischen  Hilfsmittel  nicht  ausreichen.  Hoffentlich  ist  abii 
wenigstens  die  Zeit  vorüber,  in  der  man  sich  durch  nichtssagende  Schlag- 
wörter wie  gedunsene  Breite,  übler  Wortschwall,  Mangel  an  Geschmack 
u.  s.  w.  der  Notwendigkeit  einer  gerechten  historischen  Würdigung  über- 
heben zu  dürfen  glaubte.  Neben  den  erwähnten  allgemeinen  Merkmalen 
ist  noch  ein  beträchtlicher  Raum  für  individuelle  Eigenheit;  die  Schrift- 
steller arbeiten  mit  verwandten  Mitteln,  aber  in  der  Verwertung  diosci- 
Mittel  gehen  sie  gar  sehr  ihre  eigenen  Wege. 

Viel  Missverständnis  ist  aus  der  Sitte  erwachsen,  die  byzantinische 
Gräzität  als  barbarisch  zu  brandmarken.  Es  ist  ein  Urteil,  das  sich 
zumeist  auf  die  lateinischen,  italienischen,  slavischen  und  sonstigen  Fremd- 
wörter stützt.  Schriftsteller,  die  vor  Ausdrücken  wie  (foaaäiov,  Af'^/oc, 
(fQtQiog  nicht  zurückscheuten,  hatten  die  Gunst  engherziger  Philologen  schuell 
verscherzt.  Die  historische  Betrachtung  wird  auch  in  dieser  Hinsicht  den 
Byzantinern  Recht  widerfahren  lassen.  Da  sie  eine  Menge  neuer  Ideen 
besonders  im  Staats-  und  Militärwesen  auszudrücken  hatten,  so  konnten 
sie  sich  immöglich  auf  das  klassische  Wörterbuch  beschränken.  Indem 
sie  teils  die  von  den  Römern  geprägten  Bezeichnungen  in  die  Schriftspracho 
aufnahmen,  teils  auch  neue  Mittel  des  Ausdrucks  schufen,  verfuhren  sie 
nicht  anders  als  schon  Polybios,  Dio  Cassius,  Herodianos  und  andere  Histo- 
riker der  römischen  Zeit.  Die  oft  geschmähten  «Barbarismen"  sind  für 
das  byzantinische  Wörterbuch  unentbehrlich;  sie  erfüllen  ihren  Zweck  und 
verleihen  der  Gräzität  ein  scharfes  knlturhistorisches  Gepräge.  Man  wird 
sie  daher  von  demselben  Standpunkt  aus  zu  würdigen  haben,  wie  etwa 
die  unklassischon,  aber  notwendigen  Neubildungen  der  lateinischen  Scho- 
lastik (■/..  B.  essentia),  welchen  nur  ein  völlig  Befangener  die  innere  Be- 
rechtigung absprechen  kann. 


Internationale  Enltorbeziehongen.    (§  3.)  23 


Internationale  Kulturbeziehungen. 

3.  Neben  dem  inneren  Werte  der  byzantinischen  Litt^ratur  und  ihren 
Beziehungen  zur  klassischen  Philologie  sind  für  eine  richtige  Wertschätzung 
derselben  noch  die  Wirkungen  zu  beachten,  welche  von  ihr  auf  die  übrigen 
Völker  des  Mittelalters  ausgegangen  sind,  wie  auch  die  Einflüsse,  welche 
sie  selbst  von  auswärts  erfahren  hat.  Wenn  sich  unser  Blick  zunächst 
nach  den  Gebieten  richtet,  welche  im  Altertum  von  den  Schöpfungen  des 
griechischen  Geistes  am  reichsten  und  nachhaltigsten  befruchtet  worden 
sind,  so  zeigt  sich,  dass  gerade  sie  von  der  byzantinischen  Kultur  am 
wenigsten  empfangen  haben.  Italien  und  das  übrige  romanische 
und  germanische  Abendland  ist  von  byzantinischen  Kultm'elementen 
weit  weniger  berührt  worden  als  die  orientalischen  und  sla\'ischen  Nach- 
barvölker. Die  dem  Einflüsse  zunächst  ausgesetzten  Teile  des  Abend- 
landes hatten  im  Anfange  der  byzantinischen  Periode  noch  überreich  von 
der  eigenen  römischen  Kultur  zu  zehren  und  waren  somit  zur  Aufnahme 
fremder  Kultur  wenig  geeignet;  damit  blieben  auch  die  übrigen  Gebiete 
des  Abendlandes,  für  welche  Italien  die  notwendige  Vermittlung  hätte  über- 
nehmen müssen,  den  Wirkungen  des  byzantinischen  Kulturlebens  ziemlich 
entrückt.  Später  wurde  die  trennende  Kluft  zwischen  Orient  und  Occident 
durch  die  immer  mehr  verschärfte  Abneigung  der  „Franken"  gegen  das 
griechisch-byzantinische  Wesen  und  durch  die  zum  Teil  aus  diesem  Rassen- 
hass  hervorgegangenen  kirchlichen  Streitigkeiten  so  erweitert,  dass  schon 
im  10.  .Jahrhundert  die  östliche  Welt  der  romanisch-germanischen  als  etwas 
ganz  Fremdartiges  und  Feindliches  gegenüberstand.  Eine  nähere  Berüh- 
rung des  Abendlandes  mit  dem  Morgenlande  brachten  die  Kreuzzüge  mit 
sich;  allein  einerseits  war  diese  Berührung  fast  durchwegs  mehr  eine  feind- 
liche als  eine  freundliche  und  andererseits  entwickelte  sich  damals  im  Abend- 
laiide  schon  eine  neue,  kräftige  Kultur,  die  aus  den  Bedingungen  des 
heimatlichen  Bodens  hervorwuchs  und  sich  deshalb  gegen  die  fremdartigen 
Elemente  des  Orients  ablehnend  verhielt.  Jedenfalls  ist  die  Summe  der 
Kulturelemente,  welche  in  dieser  Zeit  des  lebhaftesten  Wechselverkehrs 
nach  dem  Abendlande  strömten,  geringer  als  die  der  Neuerungen,  welche 
die  Kreuzfahrer  nach  dem  Orient  brachten.  Wenn  nun  die  byzantinische 
Kultur  auf  die  abendländische  nicht  in  weiterem  Umfange  einwirkte  und 
ihr  Gesamtkolorit  nicht  zu  bestimmen  vermochte,  so  fehlt  es  doch  nicht 
an  einzelnen,  lokal  und  zeitlich  beschränkten  Eroberungen.  Am  wirk- 
samsten äusserte  sich  der  orientalische  Einfluss  in  der  christlichen 
Litteratur  und  Kunst.  Die  Beziehungen  der  lateinischen  Kirchenpoesie 
zur  griechischen  sind  unzweifelhaft  (s.  §  171);  aber  selbst  hier  wird  die 
Verbindung  seit  dem  7.  Jahrhundert  locker  und  nur  in  der  kirchlichen 
Musik  scheint  sich  die  byzantinische  Lehre  längere  Zeit  zu  erhalten 
(Notker).  Auf  dem  Gebiete  der  Prosalitteratur  ist  eine  hervorragende  und 
folgenreiche  Thatsache  noch  aus  der  Zeit  zu  verzeichnen,  in  welcher  das 
nahe  Verhältnis  zwischen  der  östlichen  und  westlichen  Kulturwelt  sich 
schon  zu  lösen  begann;   es  ist  die  von  dem  päpstlichen  Bibliothekar  Ana- 


24  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    Einleitung. 

stasius  um  870  veranstaltete  lateinische  Übersetzung  der  Chronik  des 
Theophanes,  die  für  die  lateinische  Annalistik  des  Mittelalters  von  Be- 
deutung wurde  (s.  §  53).  Für  die  ältere  christliche  Kunst  hat  A.  Springer 
wahrscheinlich  gemacht,  dass  Ostrom  der  gebende,  Westrom  der  empfangende 
Teil  war,  gleichzeitig  aber  dargethan,  dass  im  späteren  Mittelalter  die 
byzantinische  Kunst  weit  woniger  auf  die  abendländische  gewirkt  hat,  als 
man  früher  gemeiniglich  annahm.  „Die  grossen  abendländischen  Völker 
waren  ein  naturwüchsiges  Geschlecht,  welches  sich  mühsam  seinen  eigenen 
Weg  bahnte  und  es  schlecht  verstand,  in  dem  Scheinglanze  der  ahnen- 
stolzen Griechen  aufzugehen."  Die  meisten  byzantinischen  Spuren  lassen 
sich  naturgemäss  in  den  Gebieten  Italiens  nachweisen,  welche  längere  Zeit 
mit  Ostrom  verbunden  waren.  Diehl  hat  mit  peinlichster  Sorgfalt  alles 
zusammengetragen,  was  hierüber  in  den  weit  zerstreuten  Quellen  zu  finden 
war,  und  die  zahllosen  Stücke  zu  einem  schönen  Gesamtbilde  vereinigt; 
aber  alles  in  allem  muss  man  sagen,  dass  dieses  Bild  blass  und  unbe- 
deutend ist.  So  rücksichtslos  das  Griechentum  vordrang,  so  lang  es  von 
der  Staatsgewalt  unterstützt  wurde,  so  blieben  die  Byzantiner  doch  hier 
mehr  als  anderswo  fremd,  und  bald  beginnt  die  Ausbildung  des  unheil- 
baren Gegensatzes  zwischen  der  lateinischen  und  griechischen  Kirche,  der 
die  Trennung  Europas  in  eine  lateinisch-germanische  und  eine  gräko- 
slavische  Welt  zur  Folge  hatte.  Eine  wirklich  grossartige  und  von  unermess- 
lichen  Wirkungen  begleitete  Gabe  empfing  das  Abendland  von  Byzanz  erst 
gegen  den  Schluss  des  Mittelalters,  die  Kenntnis  der  griechischen  Spraclu 
und  die  Ueberreste  der  griechischen  Litteratur.  Allein  hier  waren  dir 
Byzantiner  nur  Vermittler,  und  das  geistige  Leben,  das  sie  durch  ihn 
Lehre  im  Abendlande  erwecken  halfen,  trug  nicht  den  byzantinischen, 
sondern  den  antik-hellenischen  Charakter.  Immerhin  wurden  damals  mit 
der  altgriechischen  Litteratur  auch  die  wichtigsten  Werke  der  byzantini 
sehen  Zeit  im  Abendlande  verbreitet. 

Enger  verwandt  als    mit   den  Abendländern   sind  die   Byzantiner   i 
Lebensanschauungen,  Gewohnheiten  und   Interessen  mit   ihren    unmitti 
baren  Nachbarvölkern  im  Orient.    Mit  den  Syrern,  Arabern,  Perser 
luden,  Armeniern  und  Türken  standen  die  Byzantiner  so  lange  in  engst» 
Wechselbeziehung,  dass  ihr  Gesa mtcharakter  etwas  Halbasiatisehes  erhielt 
Wie  nun  der  orientalische  Ton  beiden  Mittelgriechen  in  Fabeln,  Märchei: 
Sprichwörtern,    Volksanschauungen,    im   Zeremoniell    des    Hofes    und   der 
Kirche,  im  Gestus,  in  der  Gewandung,  endlich  in  der  dekorativen  HichtuiiL 
der  Kunst  und  im  Kunsthandwerk   bemerkbar  ist,   so  haben  die  orienttili 
sehen  Völker   von    den    Spätgriechen   und   Byzantinern    das   reiche  Gegen 
geschenk   des   geistigen   und   litterari.schen  Besitzes  erhalten.     Nanieiitlii  1 
haben  die  Araber  seit  ihren  grossen  politischen  Erfolgen  im  7.  und  8.  .Iaht 
hundert  bodeulcnde  Bruchteile  der  griechischen  und  byzaiitinisclien  Litt« 
ratur,  die  iiinen  durch  die  Syrer  vermittelt  wurden,  s«'lbstäudig  verarbeit«  ! 
und    nach    der   Eroberung   Spaniens   (711)   den    lateinischen    Völkern    di 
Abendlandes  mitgeteilt.    Das  ist  eine  längst  bekannte  und  oft  dargcstelH' 
kulturgeschichtliche  Tiuitsache,   die  hier  nicht  genauer  erörtert  zu  werde  n 
braucht.     Nicht  minder  haben  aber  auch  die  übrigen  Völker  des  Orionts,| 


i 


Internationale  Eultnrbeziehungen.    (§  3.)  25 

I  die  Syrer,  Perser  und  Armenier,  geschichtliche,  philosophische,  medizinische 
I  und  landwirtschaftliche  Werke  griechischer  und  byzantinischer  Autoren 
übersetzt  und  bearbeitet.  Manches  hievon  kommt  im  Verlaufe  der  Einzel- 
darstellung zur  Sprache;  eine  erschöpfende  Beschreibung  dieser  litterarischen 
Strömung  und  Gegenströmung  in  ihrer  Gesamtheit  scheint  zur  Zeit  noch 
zu  fehlen.  Zuletzt  haben  die  Türken  wichtige  Seiten  der  byzantinischen 
Kultur,  besonders  die  Satzungen  des  bürgerlichen  Lebens  übernommen.-) 
Von  allen  Fernwirkungen  der  byzantinischen  Kultur  hat  die  grösste 
welthistorische  Bedeutung  ihr  unermesslicher  Einfluss  auf  die  slavi- 
sche  Völkerwelt.  Dass  die  südslavische  und  russische  Zivilisation  in 
ihrem  allgemeinen  Charakter  wie  in  zahllosen  Einzelheiten  auf  byzantini- 
schem Untergrunde  beruht,  ist  eine  geschichtliche  Thatsache,  die  niemals 
ernstlich  bestritten  und  in  der  jüngsten  Zeit  durch  eine  stattliche  Reihe 
neuer  Zeugnisse  genauer  nachgewiesen  und  illustriert  worden  ist.  Durch 
die  ungeheuere  Eroberung,  welche  das  Byzantinertum  im  Osten  Europas 
gemacht  hat,  ist  in  der  allgemeinen  europäischen  Kulturentwicklung  ein 
Dualismus  geschaffen  worden,  der  noch  bis  in  die  neueste  Zeit  fortdauert. 
Wenn  auch  der  grosse  Gegensatz  der  gräko-slavischen  und  der  germano- 
romanischen  Welt  von  den  Panslavisten  häufig  übertrieben  worden  ist,  so 
besteht  die  Spaltung  doch  thatsächlich  noch  heute,  und  es  ist  nicht  abzu- 
sehen, wann  durch  die  fortschreitenden  Mittel  des  geistigen  und  materiellen 
Verkehrs  und  durch  die  Europäisierung  Russlands  der  alte,  tiefgehende 
Kontrast  sich  ausgleichen  wird.  Die  gegenwärtigen  Strömungen  im  Ge- 
biete der  schönen  Litteratur  scheinen  keineswegs  dafür  zu  sprechen,  dass 
das  , heilige"  Russland  sein  orthodox-slavisches  Ausschliesslichkeitsgefühl 
so  bald  den  Einflüssen  des  Occidents  preiszugeben  gewillt  sei.  Die  Ideen 
des  Dichters  Chomjakov,  die  durch  die  Familie  der  hochbegabten  Aksakov 
eine  unermessliche  Verbreitung  gewonnen  haben,  leben  heute  kräftiger 
denn  je.  Der  abendländisch  angekränkelte  Turgenjev  hatte  trotz  seiner 
'  i  unleugbaren  poetischen  Begabung  schon  bei  seinen  Lebzeiten  mit  der  Kon- 
kurrenz von  Schriftstellern,  in  denen  das  Russentum  unverfälschter  zum 
Ausdruck  kam,  schwer  zu  kämpfen,  und  gegenwärtig  scheint  der  echteste 
aller  Russen,  Dostojevskij,  und  der  ihm  innerlich  verwandte  Leo  Tolstoi 
über  den  mit  fremden  Elementen  versetzten  Ton  ihres  grossen  Rivalen  in 
Russland  wie  bei  uns  den  Sieg  davonzutragen.  Welche  Kluft  zwischen 
Russland  und  dem  Occident  selbst  in  der  wissenschaftlichen  Litteratur  noch 
herrscht,  lehrt  eine  oberflächliche  Durchsicht  des  Archivs  für  slavische 
IMiilologie,  welches  über  eine  Menge  wichtiger,  in  , Europa"  unbekannter 
und  selbst  in  den  Berliner  Jahresberichten  der  Geschichtswissenschaft  trotz 
fies  sla vischen  Namens  ihres  Herausgebers  nicht  verzeichneter  Werke  be- 
btet. So  sicher  nun  die  Thatsache  des  byzantinischen  Charakters  der 
vischen  Kultur  feststeht,  so  sehr  sind  die  Ansichten  über  die  Frage  ge- 
lt, ob  der  byzantinische  Einfluss  für  die  slavischen  Völker  ein  Glück 
!•.  Wenn  so  hervorragende  Gelehrte  wie  Pypin  den  Byzantinismus  be- 
inpften  und  in  ihm  nur  die  chinesische  Mauer  erblickten,   durch  welche 

')  Zachariä   von  Lingonthal,   Geschichte   des  griechisch-römischen  Rechtes,   2.  Aufl., 
JBerlin  1877  S.  VI  f. 


26 


Byzantinische  Litteratargeschichte.    Einleitung. 


llussland  von  aller  Sitten-  und  Geistesbildung  abgeschlossen  wurde,  scheint 
Byzanz  in  Lamanskij,  Uspenskij,  Veselovskij,  Vasilevskij  und  anderen  scharf- 
sinnige und  begeisterte  Verehrer  gefunden  zu  haben.  Uns  steht  die  Teil- 
nahme an  dieser  Kontroverse  natürlich  fern. 

Die  kulturelle   Eroberung  der  slavischen   Länder  geschah  durch  das 
Christentum  und  die  ersten  Träger  der  geistigen  Bildung  waren  griechi- 
sche  oder  gräzisierte   Priester;   auch   nach  Abschluss   der  Bekehrung  be- 
hauptete in  den  geistigen  Einflüssen,  durch  welche  Byzanz  auf  die  Slaven 
wirkte,   das   kirchliche   Element   die  Oberhand.     Für    das  Gelingen   dieser 
zivilisatorischen  Bestrebungen   war   es   von   grosser  Wichtigkeit,    dass   di' 
Christianisierung  der  Slaven  in  einer  Epoche  begann,  in  der  das  oströmisclii 
Reich  noch  eine  sehr  erhebliche  politische  Kraft  besass,  im  9.  Jahrhundert . 
Von   der   Thätigkeit   der   berühmten   Slavenapostel   Kyrillos   (f    869)    und 
Methodios  (f  885)  und  der  Einführung  eines  slavischen  Alphabets  hat  dio 
byzantinische  Mission  ihren  Ausgang  genommen.    Zuerst  wurde  das  Christen- 
tum  bei   den   Südslaven,    den   Bulgaren   und    Serben,    bald   auch   bei   den 
Russen  ^  verbreitet,   und   nachdem   schon  956  (oder  957)  die  Grossfürstin 
Olga  mit  zahlreichem  Gefolge  in  Konstantinopel  die  Taufe  erhalten  hatte, 
wurde  988    durch  Vladimir  I.   das  Christentum  im  Kiew'schen  Russland 
zur  Staatsreligion  erhoben.     Mit  der  christlichen  Lehre   kamen  zahlreiche 
Werke  der  griechisch-byzantinischen  Litteratur  und  Kunst  zu  den 
Slaven;  die  Vermittlung  übernahmen  in  den  meisten  Fällen  die  Südslaven, 
die  Bulgaren  und  die   Serben.     Kyrillos  und   Methodios  und   ihre   Schüler 
übertrugen   die  heiligen   Schriften,    Werke  der   Kirchenväter  wie  di 
Basilios,  Gregor  von  Nazianz,  Johannes  von  Damaskos  u.  a.,  Legenden  und  . 
liturgische  Bücher  ins   Slavische.     Bald  folgten   byzantinische  Chroniken  1 
wie  Malalas,   das   Kompendium   des   Nikephoros,   Georgios  Monachos,   den 
der  russische  Chronist  Nestor  verarbeitete,  Zonaras,  Manasses;    sogar  alt-  j 
griechische  Werke  wie  die  jüdischen  Altertümer  des  Josephos  Flavios  waren  I 
schon  früh  in  slavischer  Uebersetzung  vorhanden.    Vorzüglich  war  es  den  j 
Uebersetzern  um  die  Kenntnis  der  kirchlichen  Dinge  zu  thun,  weshall^ 
mönchische  Weltchroniken  wie  die  des  Georgios  Monachos  sich  besondere 
Vorliebe  erfreuten;  so  stark  war  das  rein  theologische  Interesse,  dass  selbst  ( 
Autoren,  welche  die  Vorgeschichte  der  Slaven   behandeln,   wie  Konstantin  j 
Porphyrogennetos  unbeachtet   blieben.     Aus  dem  gleichen  Geschmacke  er-  | 
klärt  sich  die  Auswahl,  welche  in  der  geographischen  Litteratur  ge- 
troffen   wurde;    die    Hauptquelle   geographischer    Kenntniss    war    für    das 
slavische  Mittelalter  die  christliche  Topographie  des  Kosmas  Indikopleustos. 
Neben  den   kirchlichen,    historischen    und   geographischen  Werken   spielen 
in    dieser    Uebersetzungslitteratur    die    grösste    Rolle    mittelalterliche 
Sagen   und   Volksdichtungen.     Zum  Teil   gehören  auch  sie   noch  dem 
jüdisch-christlichen  Ideenkreise  an,  wie  die  apokryphen  Geschichten  von  Adamj 


')  Das  ältcfli«  ZougnJR  übor  dun  Auf- 
treten der  RAso-Wilrjageni  in  Uyzanz  ist  ein 
Brief  de»  Kainem  Thcophilos  au«  «leni  .Jahre 
XSy.  Die  nächuten  wirhtig«'n  Dat^-ii  in  der 
Her(l}irungHK<*Hr}iic1ito  der  HtiHHen  und  Hyzan- 
tinor  bind  l:<ü')  und  y41.     Im  crHteren  Jahre 


fand  der  russisohe  Angriff  auf  Konstantin<>j>ell 
Htatt,  auf  welchen  sicli  die  zwei  lloinilienl 
des  i'hutioH  beziehen;  !M1  unternahm  Igolj 
seinen  grossen  Verheernngszng.  S.  K.  Kunikf 
Bulletin  de  Tacadc^mie  impi'riale  dt»s  seiencoij 
de  St.  IVtersbourg  27  (1881)  338-362. 


Internationale  Enltnrbeziehnngen.    (§  3.)  27 

und  Eva,  von  Noah,  von  Abraham,  die  berühmte  Sage  vom  König  Salomon, 
die  Geschichte  von  Barlaam  und  Joasaph,  Auf  kirchlich-politischer  Ten- 
denz beruht  die  Sage  vom  babylonischen  Reich  und  das  Schreiben  des 
Presbyterkönigs  Johannes  (die  „Sage  vom  indischen  Reiche").  Dazu  kommen 
die  im  ganzen  Mittelalter  verbreiteten  Sagenki-eise  vom  trojanischen  Krieg 
und  von  Alexander  dem  Grossen;  orientalische  Yolksbücher  wie  Syntipas 
und  Stephanites  und  Ichnelates  und  das  rein  byzantinische  Volksepos  über 
das  Leben  und  die  Thaten  des  Digenis  Akritas.  Selbst  in  dem  national- 
russischen Igorliede  ist  man  neuerdings  mit  Erfolg  byzantinischen  Spuren 
nachgegangen.  ^)  Ebenso  lassen  sich  in  Märchen,  ^)  Volksliedern,  Sprich- 
A\örtern3)  und  Zaubersprüchen*)  vielfach  byzantinische  Reflexe  aufdecken. 
Endlich  stammen  aus  Byzanz  altslavische  Sammelwerke  (Sborniki)  ver- 
mischten Inhalts  und  die  sogenannten  Bienen,  denen  die  MtXiaaa  des  An- 
tniios,  die  Parallelen  des  Johannes  von  Damaskos  und  die  Eklogen  des 
Alaximos  als  Muster  dienten.  Für  das  staatliche  und  bürgerliche  Leben 
der  sla vischen  Völker  gewann  die  Uebertragung  der  byzantinischen  Rechts- 
bücher Bedeutung. 

Noch  unumschränkter  als  in  der  Litteratur  herrscht  der  Byzantinis- 
mus in  der  slavischen  Kunst.  Griechische  Architekten  bauten  die  sla- 
vischen  Kirchen  und  griechische  Maler  schmückten  sie  mit  religiösen  Bildern. 
Bis  auf  den  heutigen  Tag  sind  die  slavischen  wie  die  griechischen  Heiligen- 
bilder rein  byzantinisch.  Schwerer  lässt  sich  nachweisen,  inwieweit  die 
slavische,  besonders  die  russische  Hierokratie  und  Bureaukratie 
und  sonstige  allgemeine  Charakterzüge  auf  byzantinische  Einflüsse  zurück- 
gehen. Sicher  aber  ist  die  slavische  Litteratur  und  Kunst  in  ihren  wichtigsten 
Teilen  bis  auf  die  neuere  Zeit  ein  Abbild  der  byzantinischen,  und  sie  kann 
nur  durch  das  Studium  ihres  Vorbildes  verstanden  und  gewürdigt  werden. 
Hiedurch  sind  die  altslavischen  und  byzantinischen  Studien  in  engste  Wechsel- 
beziehung getreten.  Doch  dürfen  auch  wir  Westeuropäer  das  abgelegene 
Gebiet  nicht  vernachlässigen ;  denn  für  den  Riesenbau  einer  Gesamtgeschichte 
der  mittelalterlichen  Kultur  bildet  die  Ostwelt  eine  unentbehrliche  Er- 
gänzung, das  Gegen-  und  Seitenstück  des  Abendlandes. 

Litteratur  zu  §§  1 — 3.  1.  Allgemeine  Darstellungen  der  byzantinischen 
Geschichte:  Einen  bedeutenden  Grund  legte  Charles  du  Fresne  (Du  Gange)  durch 
seine  Histoire  de  l'empire  de  Constantinople  sous  les  empereurs  Fran9ois,  Paris  1668,  seine 
Historia  Byzantina  duplici  commentario  illustrata,  Paris  1680  und  durch  seine  Kommentare 
zu  mehreren  byzantinischen  Historikern.  Zur  Einführung  können  diese  schwergelehrten, 
zudem  heute  vielfach  veralteten  Werke  nicht  empfohlen  werden.  Das  Gleiche  gilt  von 
Le  Beau,  Histoire  du  bas-empire,  Paris  1757 — 84;  nouvelle  edition  par  Saint-Martin  21  voll., 
Paris  1824 — 36:  auch  in  deutscher  Uebersetzung,  Leipzig  1765 — 1783.  Es  ist  eine  wenig 
verarbeitete  und  daher  ziemlich  unverdauliche  Kompilation  aus  den  Originalquellen.  —  Weit 
mehr  ist  die  Kenntnis  und  das  Verständnis  der  byzantinischen  Geschichte  durch  die  Eng- 
linder gefordert  worden.  Ihre  erste  und  grossartigste  Leistung  auf  diesem  Gebiet«  ist  das 
klassi.schc  Werk  von  E.  Gibbon  (1737 — 1794),  History  of  the  decline  and  fall  of  the 
Roman  empire,  6  voll.,  London  1776 — 88  und  oft  wiederholt;  deutsch  übersetzt  von  Sporschil, 
Leipzig  1837  (neue  Aufl.  1843,  1854,  1862).    Dieses  Werk,    das  jetzt  in  vielen  Einzelheiten 


')  Archiv  slav.  Philol.  2  (1877)  660.  1   Cl.  1887,  II,  65. 

')  S.  z.  B.  Veselovskij    und   G.  Meyer,  '           *)  D.  Mansvetov,  Das  bj-zantinische  Ma- 

Archiv  slav.  Philol.  7  (1884)  309—319.  terial  der  Erzählung  von  den  12  Trjasavioy, 

»)  K.  Krumbacher,  Sitzungsberichte  der  Moskau  1881.  Arch.  slav.  Philol.  7  (1884)  509. 
b»yer.  Akad.  d.  Wiss.,  philos.-philol.  u.  bist. 


28  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    Einleitung. 

der  Berichtigung  bedarf,  ist  durch  seine  markige  Darstelhing  und  durch  das  geistvolle 
Raisonnement  für  die  Kenntnis  der  byzantinischen  Welt  wahrhaft  bahnbrechend  geworden. 

—  Auf  Gibbon  folgte  in  diesem  Jahrhundert  Georg  Finlay  (1799—1876),  der,  durch  eine 
lebendige  Auffassung  der  politischen  Verhältnisse  und  durch  intimste  Kenntnis  der  Geo- 
graphie und  Ethnographie  des  Orients  ausgezeichnet,  die  weiten  Perioden  der  römiscli- 
byzantinisch-neugriechischen  Geschichte  in  vier  grossen  Werken  darstellte.  Nach  seinem 
Tode  besorgte  H.  F.  Tozer  eine  von  dem  Verfasser  selbst  längst  vorbereitete  und  bedeutend 
vermehrte  Gesamtausgabe  derselben  unter  dem  Titel:  A  history  of  Greece  from  its  conquest 
by  the  Romans  to  the  present  time  (B.  C.  146  to  A.  D.  1864),  7  voll.,  Oxford  1877.  — 
Einen  bedeutenden  Fortschritt  in  der  kritischen  Verwertung  der  Quellen  bezeichnet  das 
Werk  von  J.  B.  Bury,  A  history  of  the  later  Roman  empire  from  Arcadius  to  Irene  (395 
A.  D.  —  800  A.  D.),  '2  voll.,  London  1889.  Da  sich  die  Spezialstudien  des  Verfassers  auch 
auf  die  Folgezeit  erstrecken,  steht  wohl  eine  Fortsetzung  der  allgemeinen  Darstellung  in 
Aussicht.  —  Deutsche  Werke:  Wenig  nützt  jetzt  W.  Zinkeisen,  Geschichte  Griechen- 
lands, 1.  Teil  (bis  zum  Heereszuge  König  Rogers),  Leipzig  1832.  —  Eine  völlig  kindische 
Kompilation  aus  Gibbon  ist  das  Buch  von  Fr.  v.  Andlaw,  Die  byzantinischen  Kaiser, 
Mainz  1865.  —  Der  beste  und  gründlichste  deutsche  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  byzan- 
tinischen Geschichte  ist  Karl  Hopf  (f  1873).  Ausser  verschiedenen  Monographien  g-ab  er 
eine  zusammenfassende,  namentlich  für  die  Geschichte  der  fränkischen  Herrschaften  grund- 
legende Darstellung  der  griechischen  Geschichte  vom  Ausgange  des  Altertums  (395  n.  Chr.) 
bis  auf  die  neueste  Zeit  (1821);  sie  ist  leider  vergraben  in  der  ebenso  grossartigen  als 
unzweckmässigen  Ersch-  und  Gruber'schen  Enzyklopädie,  I.  Sekt.,  Bd.  85  u.  86  (1867—68). 

—  Zur  Einführung  dienen  für  deutsche  Leser  am  besten  die  wenig  selbständigen,  aber 
durch  schwungvolle  Darstellung  und  gute  Gruppierung  des  Stoffes  ausgezeichneten  Werke  M 
von  G.  Fr.  Hertzberg,  Geschichte  Griechenlands  seit  dem  Absterben  des  antiken  Lebens  * 
bis  zur  Gegenwart,  3  Teile  und  Registerband,  Gotha  1876 — 78,  und  Geschichte  der  Byzan- 
tiner und  des  osmanischen  Reiches  bis  gegen  Ende  des  16.  Jahrb.,  Berlin  1883  (in  der 
von  Oncken  herausgegebenen  allgemeinen  Geschichte  in  Einzeldarstellungen  II  7.  Teil). 
Eine   LTebersicht   gab   Hertzberg   auch   in   Pauly's   Realenzyklopädie  I.  Bd.  2.  Aufl.  (1866) 

S.  2562  ff.  —  Sehr  nützlich  ist  F.  Gregorovius,    Geschichte  der  Stadt  Athen  im  Mittel-  J 
alter,  2  Bde.,  Stuttgart  1889,  eine  geistvolle  Betrachtung  der  byzantinischen  Gesamtgeschicht©  fl 
vom  Standpunkte  der  athenischen  Akropolis.  —  Endlich   sind   zwei   griechische  Werke   zu 
nennen:    K.  Paparrigopulos,   'larogla   xov  'EXXrjv.   a&vovg,   2.  Aufl.,   5  Bde.   (mit   Atlas), 
Athen  1887 — 88,    ein    auf  selbständigen  Studien  begründetes  Werk,    das   von    den  ältesten  j 
Zeiten  bis  auf  1832  reicht.     Ein  Auszug  aus  dem  Werke  erschien  französisch  als:  Histoire  I 
de  la  civilisation  Hellenique,  Paris  1878.  —  Sp.  Lambros  {AccjUTjQog).  'laroQin  r^g  'FAXcnfo?,  M 
Athen  1888  ff.  (noch  unvollendet;    das  Werk   beginnt  ebenfalls   mit   der  ältesten  Zeit   und  ^ 
soll  bis  auf  König  Otto  geführt  werden).  —  Ausserdem  sind  natürlich    die  auf  Byzanz  be- 
züglichen Abschnitte  in  den  universalhistorischen  Werken  von  Leo,  Ranke  (Weltgeschichte 
Bd.  4 — 6,   Leipzig  1883 — 85)  u.  a.,    sowie    die  Darstellungen    der  italienischen,    slavischen, 
persischen,  arabischen  und  türkischen  Geschichte  beizuziehen. 

Zur  Chronologie:  Henry  F.  Clinton,  Fasti  Romani.  The  civil  and  literary 
chronology  of  Rome  and  Constantinople,  2  voll.,  Oxford  1845 — 50,  ein  bedeutendes  Werk, 
welches  leider  nur  einen  kleinen  Teil  der  byzantinischen  Zeit  (bis  641)  umfasst.  —  E.  de 
Muralt,  P^ssai  de  Chronographie  Byzantine,  2  voll.,  St.  Petersbourg  1855  73  (die  Zeit  von 
395 — 1453  umfassend)  bleibt  noch  immer  unentbehrlich,  ist  aber  wegen  seiner  Oberflächlich- 
keit nur  mit  der  grössten  Vorsicht  zu  benützen.  —  Reiches  Licht  erhalten  die  chronologi- 
schen Teile  der  byzantinischen  Litteratur  durch  das  grundlegende  Werk  von  H.  Geiz  er, 
Sextus  Julius  Africanus,  2  Teile,  Leipzig  1880 — 85. 

Spezial werke  und  Monographien:  Geistreich,  aber  tendenziös  gegen  die  neu- 
hellenische Nationalität  und  jetzt  zum  Teil  sehr  veraltet  sind  zwei  Werke  des  berühmten 
Fragnientisten  Ph.  Fallmerayer,  Geschichte  des  Kaisertums  von  Trapezunt,  München 
1827,  und  Geschichte  der  Halbin.sel  Morea,  2  Bde.,  Stuttgart-Tübingen  1830.  —  Aug.  Fr. 
Gfrörer,  Byzantinische  (leschichten,  3  Bde.,  Graz  1872 — 77.  Der  erste  Band  behandelt 
die  Geschichte  Venedigs  bis  1084,  der  zweite  die  Völker  südlich  der  Donau  (Serben,  Kroaten 
und  Bulgaren)  und  ihre  Beziehungen  zu  Byzanz,  der  dritte  die  byzjint.  (Jeschichte  von 
976 — 1071  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  kirchlichen  und  sozialen  Verhältni.sHc.  — 
Isambert,  Histoire  de  Justinion,  2  Bde.,  Paris  1856  (unkritisch).  —  Kurt  (»roh,  Ge- 
schichte des  oströmischen  Kaisers  Justin  11,  licipzig  1889.  —  li.  Drapeyron,  L'empereur 
H^raclius  et  l'empire  Byzantin  au  Vll'"  siecle,  Paris  1869  (ein  dickes,  aber  ganz  luftiges 
Buch).  —  Chr.  Schlosser,  (teschichte  der  bilderstUrmenden  Kaiser,  Frankfurt  1812.  — 
Karl  Schenk,  Kaiser  Leon  ML,  Diss.  Halle  1880.  -  Alfr.  Hambaud.  L'empire  Grec  «u 
dixi^me  siecle.  Constantin  P()rphyrüg«''nete,  Paris  1870  (reichhaltig  und  im  allgemeinen 
recht  gründlich).  —  Eine  glänzende,    bes.    die  Kulturgeschichte  betonende  Dai-ntellung    der 


Litteratur  zu  §§  1-3.  29 

zweiten  Hälfte  des  10.  Jahrhunderts  gibt  G.  Schlumberger,  Nicephore  Phocas.  Paris  1890 
(mit  einer  grossen  Anzahl  guter  Chromolithographien  und  Zinkographien).  —  Für  die  Kom- 
nenenzeit:  Fr.  Wilken,  Rerum  ab  Alexio  I,  Joanne  et  Manuele  Comnenis  gestarum  libri  r\', 
Heidelberg  1811.  —  Henri  Yast,  Le  siege  et  la  prise  de  Cple  par  les  Turcs,  Revue  bist. 
5  (1880)  1-40.  —  Sonstige  Monographien  s.  in  den  Litteratumachweisen  der  einschlägigen  §§. 
Auf  eine  vollständige  Mitteilung  der  historischen  Kleinlitteratur  ist  es  hiebei  nicht  abgesehen ; 
eine  Uebersicht  der  neueren  Leistungen  gibt  F.  Hirsch  in  den  Jahresberichten  der  Ge- 
schichtswissenschaft von  J.  Jastrow. 

2.  Kultur,  innere  Geschichte,  kirchliche  Verhältnisse:  H.  Krause,  Die 
Byzantiner  des  Mittelalters,  Halle  1869,  ein  ganz  oberflächliches,  häufig  geradezu  kindisch 
leichtgläubiges  imd  naives  Machwerk,  in  welchem  die  Möglichkeit  eines  geschichtlichen 
UeberbUckes  durch  die  willkürliche  Beschränkung  auf  den  Zeiti-aum  vom  10. — 14.  Jahrb. 
benommen  und  weder  die  Byzantiner  noch  die  neueren  Arbeiten  genügend  verwertet  sind. 
Vgl.  die  einsichtige  Besprechung  von  F.  Hirsch,  Götting.  Gel.  Anz.  1869,  1681 — 1694.  — 
Besser  sind  manche  Teile  der  inneren  Geschichte,  bes.  die  Themen,  Provinzen  und  die 
ethnographischen  Verhältnisse  behandelt  in  den  oben  angeführten  Werken  von  Rambaud 
und  Gfrörer.  —  Augustin  Marrast.  La  vie  Byz.  au  VP  siecle,  Paris  1881  (Romanhafte 
Skizzen  mit  einem  ziemlich  leeren  Kommentar).  —  Einen  ganz  neuen  Weg  zur  Erforschung 
der  inneren  Geschichte  von  Byzanz  eröflFnete  Gust.  Schlumberger,  indem  er  die  Tausende 
uns  erhaltener  Bleibullen  (auch  einige  Gold-  und  Silberbullen)  untersuchte  und  aus  ihnen  für 
die  Ikonographie,  das  Verwaltungswesen,  die  politische  und  privat«  Geschichte,  die  Geographie 
und  Topographie  der  Byzantiner  ein  ebenso  zuverlässiges  als  reichhaltiges  Material  gewann. 
Die  Ergebnisse  seiner  Forschungen  hat  er  zuletzt  zusammengefasst  in  seiner:  Sigillographie 
de  l'empire  Byzantin,  Paris  1884.  Die  ganze  reichgegliederte  byzant.  Gesellschaft,  der  Hof,  der 
Adel,  die  CivU-  und  Militär\-erwaltimg  mit  ihrer  verwickelten  Beamtenhierarchie  passieren 
in  den  kleinen  Denkmälern,  die  hier  veröffentlicht  und  erklärt  sind,  vor  unseren  Augen. 
Wichtige  Beiträge  zur  byzant.  Kulturgeschichte  enthält  auch  das  oben  erwähnte  Buch 
Schlumbergers  über  Nikephoros  Phokas.  - —  Gründliche  Forschungen  zur  inneren  Geschichte 
von  Byzanz  verdanken  wir  den  Russen,  die  sich  dieses  Gebiet  wie  auch  die  bj-zant.  Kunst- 
geschichte zur  Domäne  erwählt  zu  haben  scheinen  und  hier  vielfach  neue  Bahnen  gebrochen 
haben.  Leider  .sind  die  meisten  ihrer  Arbeiten  im  Journal  des  Ministeriums  für  Volks- 
anfklärung  und  in  anderen  seltenen  Zeitschriften  vergraben  und  zudem  durch  ihre  russische 
Form  dem  grössten  Teile  unserer  Gelehrten  schwer  zugänglich.  Die  folgenden  Angaben, 
von  denen  ich  einige  der  Freundlichkeit  von  G.  Destunis  verdanke,  erheben  keinen  An- 
spruch auf  Vollständigkeit:  Th.  L'spenskij,  Bedeutung  der  byzant.  Studien  für  das  Ver- 
ständnis der  mittelalterlichen  Geschieht«,  Odessa  1875  (16.  Band  der  Berichte  der  Univer- 
sität Odessa).  Von  demselben:  Materialien  zur  Geschichte  des  Bauemgnmdbesitzes  im  14. 
Jahrhundert,  Odessa  1883.  Zur  Geschichte  des  Bauemgnmdbesitzes  in  Byzanz,  Joum.  Min. 
Volksaufkl.  1883,  Januar  und  Februar.  Spuren  der  Katasterbücher  in  Byzanz,  Joum.  Min. 
Volksaufkl.  1884,  Februar.  Die  Bedeutung  der  byzantinischen  und  südslavischen  VQÖyoi« 
(eine  Art  von  Benefiz):  darüber  ein  Bericht  in  der  RevTie  des  questions  bist.  35  (1884)  270. 
Zt]T^fiar((  TTQos  fAskertjy  rijs  sawteQixi^i  iatogUcg  rov  Bv^ayr.  xoütovc.  JeXrioy  rtjg  iaroQ. 
xai  £9yoXoy.  iraigiag  jrjg  'EXXä&og  2  (1885 — 89)  533 — 552.  Byzantinische  Besitzimgen  am 
nördlichen  L'fer  des  schwarzen  Meeres  im  9.  und  10.  Jahrb..  im  Kievskaja  Starina  1889.  — 
V.  Vasilievskij:  Byzanz  imd  die  Petschenegen  (1048 — 1094),  Joum.  Min.  Volksaufkl.  1872, 
Nov.  und  Dez.  Warjago-russ.  und  warjago-engl.  Miliz  (drujina)  in  Konstantinopel  im  11. 
und  12.  Jalirh.,  Joum.  Min.  Volksaufkl.  1874 — 75.  L'eber  die  Gesetzgebung  der  Ikonoklasten, 
Joum.  Min.  Volksaufkl.  1878,  Okt.  und  Nov.  Beiträge  zur  inneren  Geschichte  des  byzant. 
Reiches,  Joum.  Min.  Volksaufkl.  1880,  Juli  und  August.  —  Die  kirchlichen  Verhält- 
nisse von  Byzanz  behandeln  imter  anderm:  Skabalanovic,  Byzant.  Staat  und  Kirche  im 
11.  Jahrb.,  Petersburg  1882.  —  Ternovskij,  Die  griechische  Kirche  in  der  Periode  der 
allgemeinen  Kirchenversammlungen,  Kiew  1883.  —  N.  Kapterev,  Charakter  der  Beziehungen 
Rasslands  zum  orthodoxen  Osten  im  16.  und  17.  Jahrb.,  Moskau  1885.  —  J.  Hasemann, 
Griech. Kirche,  Ersch-  und  Gmbersche  Enzykl.  I.Sekt.,  Bd. 84  (1886)  1—290.  -  A.Mommsen, 
Athenae  christianae,  Lipsiae  1868.  —  Eine  nützliche  Monographie  über  die  kirchlichen 
Verhältnisse  der  Stadt  Athen  im  Mittelalter  gab  Dim.  Nerutsos,  XQianceyixai  'J9ijyat, 
Athen  1889  (S.  A.  aus  dem  JaXiloy  Ttjg  iar.  xai  i&yokoy.  iratgiag  Ttjg  'EkX(cdog).  —  L'eber 
das  Verhältnis  des  Staates  zur  Kirche  in  Byzanz:  A.  Gasquet,  De  l'autorite  imperiale  en 
matiere  religieuse  ä  Byzance,  Paris  1879.  —  Eine  sehr  lehrreiche  Skizze  der  vorkomneni- 
schen  Zustände  enthält  der  Vortrag  von  H.  Geizer,  Die  politische  und  kirchliche  Stellung 
von  Byzanz,  Verhandl.  der  33.  Philologenvers,  in  Gera,  Leipz.  1879,  32—55.  —  Ueber  das 
Beamten-,  Verwalümgs-  und  Steuerwesen  im  Exarchat:  C.  Calisse,  II  govemo  dei  Bisan- 
tini  in  Italia,  Rivista  storica  Italiana  2  (1885)  265—335.  Ueber  dasselbe  Thema  erschienen 
neuerdings    unabhängig    von   einander    zwei    sehr  gründliche  Arbeiten:    Charles    Diehl, 


30  Byzantinisclie  Litteratargeschichte.    Einleitung. 

Etudos  sur  radministration  Byzantine  dans  Tcxarchat  de  Ravenne  (568—751),  Paris  1888 
und  Moriz  Hartmann,  Untersuchungen  zur  Geschichte  der  byzantinischen  Verwaltung  in 
Italien  (540—750),  Leipzig  1889.   Vgl.  auch  die  von  Diehl  S.  XIII  ff.  verzeichnet«  Litteratur. 

3.  Geschichte  der  byzantinischen  Kunst:  Verzeichnis  älterer  Hilfsmittel  bei 
G.  Bernhardy,  Grundriss  der  griechischen  Litteratur  I^  (1876)  691  f.  —  Den  ersten  Ver- 
such einer  Gesamtdarstellung,  der  jetzt  freilich  als  mis.slungen  erscheint,  macht«  F.  W.  Unger . 
Christlich-griechische  oder  byzantinische  Kunst,  Ersch-  und  Grubersche  Enzyklopädi. 
I.  Section,  84. — 85.  Bd.  (1866 — 67).  Von  demselben:  Quellen  der  byzantinischen  Kunst 
geschichte,  1.  Bd.,  Wien  1878;  an  der  Vollendung  des  Werks  wurde  der  Verf.  durch  den 
Tod  verhindert.  —  Ch.  Bayet,  Recherches  pour  servir  ä  l'histoire  de  la  peinture  et  de  la 
sculpture  chretiennes  en  Orient  avant  la  querelle  des  Iconoclastes,  Paris  1879  (=  Bibl. 
des  ecoles  Franc;.  d'Athenes  et  de  Rome,  fasc.  10).  Bayet  schrieb  auch  eine  kurzgefassto. 
voi-züglich  auf  den  Werken  von  Labarte,  De  Vogue,  Schnaase,  Unger  und  Salzenberg  be- 
ruhende Uebersicht:  L'art  Byzantin,  Paris  (ohne  Jahreszahl,  aber  wohl  1883  erschienen).  — 
Für  manche  Fragen  sind  die  trefflichen  Werke  von  E.  Müntz,  die  freilich  vorzugsweise 
die  abendländische  Kunst  betreffen,  mit  Nutzen  beizuziehen,  besonders  seine:  Notes  sur  les 
mosaiques  de  l'Italie,  Paris  1874.  Desselben:  Etudes  sur  l'histoire  de  la  peinture  et  de 
l'iconographie  chrötienne,  Paris  1882.  Desselben:  J]tudes  iconographiques  et  arch^ologiques 
sur  le  moyen-äge,  premiere  Serie,  Paris  1887.  —  Eine  feine  und  klare  Schrift  ist  Jean 
Paul  Richter's  Die  Mosaiken  von  Ravenna,  Wien  1878.  —  L.  Frothingham,  Les  mo 
saiques  de  Grotta-Ferrata,  Gazette  archeologique  8  (1883)  348—356.  --  Ueber  das  byzan- 
tinische Ornament  s.  die  Bemerkungen  von  H.  Bordier,  Description  des  peintures  et 
autres  ornements  contenus  dans  les  mss  grecs  de  la  biblioth.  nationale,  Paris  1883.  — 
Hervorragendes  leistete  auch  für  die  byzantinische  Kunst  Charles  Diehl:  Ravenno. 
etudes  d'archeologie  Byzantine,  Paris  1885  und  desselben:  L'eglise  et  les  mosaiques  du 
couvent  de  Saint-Luc  en  Phocide,  Paris  1889  (=  Bibl.  des  ecoles  Fran^.  d'Athenes  et  d. 
Rome,  fasc.  55).  Vgl.  Diehls  Schriften,  die  S.  36  angeführt  sind.  —  Zahlreiche  Beitrat: 
zur  byzantinischen  Kleinkunst  enthalten  die  von  Ch.  Ca  hier  und  A.  Martin  herausgi 
gebenen  Melanges  d'archeologie,  vol.  1 — 4,  Paris  1848 — 56  und  die  Nouveaux  m^Iangf 
vol.  5 — 8,  Paris  1874 — 77.  —  Joh.  Schulz,  Die  byzantinischen  Zellen-Emails  der  Samni 
hing  Svenigorodskoi,  Aachen  1884.  —  J.  Strzygowski,  IJaXaid  Bv^avtiaxi)  ßaatXixtj  ti 
Xa'Axldi,  JeXrioy  rij?  IßtoQ.  xtd  i9yoX.  et.  rijs  'EXXddog  2  (1885 — 89)  711 — 728.  Vgl.  die  zu 
§  197,  9  zitierte  Schrift  desselben.  —  Eine  Sammlung  von  Skizzen  byzantinischer  Kirchen 
im  Königreich  Griechenland  gibt:  A.  Couchaud,  Clioix  d't^gliscs  Bysantines  en  Greoi 
Paris  1842.  —  Vieles  enthält  auch  zur  byzant.  Kunst  das  berühmte  Werk  von  M.  »1 
Vogue,  Syrie  centrale.  Architecture  civile  et  religieuso  du  I.  au  VII.  siecle,  2  tomes,  Paris 
1865 — 77.  —  Gut  ausgeführte  Pläne  der  alten  Kirchen  in  Konstantinopel  mit  Berücksichtigung 
des  plastischen,  malerischen  und  dekorativen  Details  (am  genauesten  für  die  Kachrie- 
Djamisi)  von  D.  Pulgher,  Les  anciennes  eglises  Byzantines  de  Constiintinople,  Vienne 
1880.  —  Hauptwerk  über  byzantinische  Architectur:  A.  Choisy,  L'art  de  bätir  chez 
les  Byzantins,  Paris  1884.  Dazu  die  zu  §  79  zitierte  Litteratur.  — ■  Treffliche  Beiträge 
verdanken  wir  einigen  russischen  Gelehrten,  welche  durch  die  uralten  Beziehungen  ihrer 
Heimsit  zu  Byzanz  dem  Verständnis  der  östlichen  Kunst  näher  st«hen  als  wir  Abendländer : 
K.  Goertz,  Ueber  den  Zustand  der  Malerei  im  nördlichen  Europa  von  Karl  dem  Grossen 
bis  zum  Beginne  der  romanischen  Epoche,  Moskau  1873  (Russ.).  Ausführlicher  Bericht 
darüber  von  E.  Dobbert,  Repertorium  für  Kunstwissenschaft,  herausgeg.  von  Janitschek 
5  (1882)  288 — 302.  —  N.  Kondakov,  Geschichte  der  byzantinischen  Kunst  und  Ikono- 
graphie, Odessa  1876  (Russ.).  In  französischer  Bearbeitung  von  M.  Travinskij,  bis  jetzt 
tome  I,  Paris  1886.  N.  Kondakov,  Die  Mosaiken  der  Kachrie-Djamisi  [uoyi]  n)?  ;fw'p«s) 
in  Konstantinopel  (mit  12  Tafeln),  Odessa  1881  (Russ.).  Von  demselben:  Die  byzantinischen 
Kirchen  und  Denkmäler  Konstantinopels,  Odessa  1886  (in  den  Schriften  der  6.  archät)log. 
Versammlung,  T.  III).  Kritische  Analyse  dieser  Unt«rsuchmig  von  G.  Destunis,  Journ. 
Min.  Volksaufkl.  1887.  —  E.  v.  Barsov,  Altrussische  Denkmäler  die  Kaiserkrönung  be- 
treffend, Vorträge  der  Moskauer  Gesollschaft  für  Geschichte  und  Altertümer.  Moskau  18)^:\ 
Bd.  I  1  — 160  (Russ.).  —  Fedor  Buslaev,  82  nissische  Bildeiapokalypsen.  Sammlung 
von  Abbildungen  aus  illustrierten  Apokalypsen  in  russischen  Hand.schriften  des  16. — 19.  Jahrb., 
3  Bde.,  Moskau  und  Petersburg  1884  (Russ.).  —  Hauptwerk  für  die  Erkenntnis  des  Ver- 
hältnisses der  byzantinischen  Kunst  zur  Miniatur  und  Ornamentik  bei  den  slavischen  Völkern, 
sowie  bei  den  Syrern,  Kopten,  Armeniern,  Georgiern  und  Arabern  ist  die  koio.s.sale,  auf  oiiuM- 
Arbeit  von  25  Jahren  beruhende,  durch  kaiserliche  Munilizenz  i)rachtvoll  nusgestatt^tc 
Sammlung  von  Wladimir  Stasov,  L'ornement  slave  et  oriental  d'apres  les  mss  ancieii-^ 
et  modernes,  2  voll.,  Pj^tersbourg  1887  (Text  russisch  und  französisch).  —  E.  Dobberi 
Die  Darstellung  dos  Abendmahles  durch  die  byz.  Kunst,  Zolins  Jahrb.  f.  Kunstwiss.  4  (1871 
281—346.  —  Skizze  der  christlich-griechischen  Kunst  im  G.  Jahrli.  von  Frau  J.  B.  Uury  in 


Litteratur  zu  §§  1—3.  31 

ilires  Gatten  History  of  the  later  Roman  empire  II  (London  1889)  40 — 54.  —  Die  beste 
allgemeine  Charakteristik  enthält  der  kurze,  aber  gehaltreiche  Aufsatz  von  A.  Springer, 
Die  byzantinische  Kunst  und  ihr  Einfluss  im  Abendlande,  in  seineu  Bildern  aus  der  neueren 
Kunstgeschichte  I-  (Bonn  1886)  79 — 112.  —  Die  -wichtigste  OriginalqueUe  über  die  traditio- 
nellen Vorschriften  der  byzantinischen  Maltechnik  und  Ikonographie  ist  das  berühmte, 
i.  J.  1468  von  dem  Mönche  Dionysios  aus  Phuma  Twy\-1yQä(f(oy  verfasste  Malbuch  des 
Athos  'EQuijveia  xwv  ^(oyQÜ^tjt',  Athen  1853,  2.  Ausgabe  von  A.  Konstantinidis.  Athen 
1885.  Französisch  übersetzt  von  Didron.  Manuel  diconographie  Chretienne  Grecque  et  Latine, 
Paris  1845.  Deutseh  von  G.  Schäfer,  Das  Handbuch  der  Malerei  vom  Berge  Athos,  Ti-ier 
1855.  Russisch  vom  Bischof  Porphj-rius.  Kiew  1868.  Vgl.  Buslaev,  82  russische  Bilder- 
apokah-psen  (s.  o.).  Textband  S.  140 — 161.  —  Vgl.  auch  noch  die  Litteratur  zu  §§  34.  79.  197, 9. 
Zum  byzant.  Münzwesen:  F.  de  Saulcy,  Essai  de  Classification  des  suites  mo- 
netaires  Byzantines,  2  voll.  Metz  1836.  —  Auf  diesem  Werke  beruht  J.  Sabatier,  De- 
scription  generale  des  monnaies  Byzantines,  2  voll.  Paris  1862.  —  Eine  gute  Uebersicht 
gibt  G.  Finlay,  A  history  of  Greece  vol.  I  (Oxford  1877)  432 — 453.  —  G.  Schlumberger, 
Sigillographie  de  l'empire  Byzantin,  Paris  1884. 

4.  Internationale  Kulturbeziehungen:  A.  Einfluss  auf  das  Abendland. 
Manches  enthalten  zunächst  mehrere  Sclmften  über  die  griechischen  Studien  des  Mittel- 
alters im  Abendlande.  Fr.  Gramer.  De  Graecis  medii  aevi  studiis,  2  partes,  Stralsund 
1849 — 53.  —  H.  Jacoby,  Die  klassische  Bildung  im  Mittelalter,  Allgemeine  Zeitimg  1881, 
2122,  2139.  —  Ign.  v.  Döllinger,  Einfluss  der  griechischen  Litteratur  und  Kultur  auf 
die  abendländische  Welt  im  Mittelalter,  Akademische  Vorträge  I.  Bd.,  München  1890  (nur 
ganz  allgemeine  Betrachtungen).  — ^  K.  Bursian,  Geschichte  der  klassischen  Philologie  in 
Deutschland.  München  1883,  S.  28  fF.  —  G.  Voigt,  Die  Wiederbelebung  des  klassischen 
Altertums  11  2.  Aufl.  (1881)  102  ff.  —  D.  Bikelas,  Die  Griechen  des  Mittelalters  und  Uir 
Einfluss  auf  die  europäische  Kultiir.  Deutsch  übersetzt  von  W.  Wagner,  Gütersloh  1878; 
auch  französisch  von  E.  Legrand,  Paris  1878.  —  Beziehungen  zum  Frankenreiche:  0.  Har- 
nack.  Die  Beziehungen  des  fränkisch-italischen  zu  dem  byzantinischen  Reiche,  Diss.  Göt- 
tingen 1880  (behandelt  ziemlich  ungenügend  die  Zeit  von  774 — 887).  —  Haupt^verk:  A.  Gas- 
quet,  L'empire  Byzantin  et  la  monarchie  Franque,  Paris  1888.  —  Hauptschrift  über  den 
byzantinischen  Einfluss  in  Italien  vom  6. — 8.  Jahrhimdert:  Ch.  Diehl.  Etüde  sur  l'admini- 
stration  Byzantine  dans  l'exarchat  de  Ravenne,  Paris  1888.  S.  241 — 288.  Vgl.  desselben 
S.  36  genannte  Schriften.  —  Byzantinische  Spuren  im  mittelalterlichen  Rom:  F.  Gre- 
gorovius,  Geschichte  der  Stadt  Rom  im  Mittelalter,  bes.  2.  und  3.  Band.  —  Pierre 
Batiffol.  Inscriptions  Byzantines  de  Saint-Georges  au  Velabre,  Melanges  d'archeologie  et 
d'histoire  de  Tecole  Fran9.  de  Rome  7  (1887)  419 — 431;  Librairies  Byzantines  k  Rome, 
ebenda  8  (1888)  297 — 308.  —  Wichtig  sind  seit  dem  10.  Jahrhundert  die  Beziehungen  zu 
Venedig  und  Genua.  S.  ausser  den  zahlreichen  auf  die  Geschichte  dieser  Städte  be- 
züglichen Monographien  bes.  M.  J.  Armingaud,  Venise  et  le  Bas-empire.  Histoire  des 
relations  de  Venise  avec  l'empire  d'Orient.  Archives  des  missions  scientifiques  et  litteraires 
2.  Serie,  tome  4  (Paris  1867)  299 — 443,  wo  auch  weitere  Litt«ratur  verzeichnet  ist.  —  Ein- 
fluss der  byzantinischen  Kunst  im  Abendlande:  Die  früher  herrschende  Anschauung, 
dass  die  ganze  mittelalterliche  Kunst  des  Abendlandes  byzantinisch  sei,  ist  in  der  neueren 
Zeit  immer  gründlicher  erschüttert  worden,  und  die  berufensten  Forscher  haben  erwiesen, 
dass  von  einem  engeren  künstlerischen  Zusammenhang  der  abendländischen  Völker  mit 
den  Byzantinern  imd  von  einer  rückhaltlosen  Anerkennung  ihrer  Superiorität  nicht  die 
Rede  sein  kann.  Schon  Carl  Schnaase,  der  wie  in  so  vielen  anderen  Dingen  so  auch 
in  dieser  Frage  intuitiv  das  Richtige  erkannte,  kam  zu  dem  Schlüsse,  dass  der  byzantinische 
Einfluss  nirgends  in  einer  völligen  Unterwerfung,  nirgends  in  der  Anerkennung  einer 
höheren  bleibend  zu  erstrebenden  Schönheit  besteht  und  sich  vielmehr  immer  nur  auf 
einzelne  Zweige  der  Kunst  erstreckt;  s.  seinen  Exkurs:  Die  byzantinische  Frage,  Geschichte 
der  bildenden  Künste,  2.  Aufl.,  Bd.  4  (1871)  718—735.  —  Noch  radikaler  ist  in  der  Be- 
streitung des  byzantinischen  Einflusses  A.  Springer,  Bilder  aus  der  neueren  Kunstge- 
schichte I- (Bonn  1886)  79— 112.  —  Vgl.  auch  H.  Janitschek,  Zwei  Studien  zur  Geschichte 
der  carolingischen  Malerei  (1.  Das  orientalische  Element  in  der  Miniaturmalerei,  2.  Bilderstreit 
und  Bilderproduction),  Strassburger  Festgruss  an  A.  Springer,  Berlin  und  Stuttgart  1885.  — 
Einzelne  Reflexe  der  bj-z.  Kunst  in  Spanien  bespricht  D.Jose  Amador  de  Los  Rios,  El 
arte  Latino-Bizantino  en  Espana,  Madrid  1861.  —  Doch  hat  die  Reaktion  gegen  die  traditio- 
nelle Ansicht  auch  schon  gehörig  über  das  Ziel  hinausgeschossen ;  entschieden  zu  weit  geht 
in  der  Leugnung  geistiger  Beziehungen  zwischen  Byzanz  und  dem  Abendlande  bes.  H.  Prutz, 
Kulturgeschichte  der  Kreuzzüge,  Berlin  1883,  S.  476  f.  —  B.Beziehungen  zum  Orient. 
Ueber  den  griechisch-byzantinischen  Einfluss  auf  die  Syrer,  Araber  und  Juden  orientiert  am 
besten  Fr.  Ueberweg,  Grundriss  der  Geschieht«  der  Philosophie,  6.  Aufl.  11  (Berlin  1881) 
176—209,   wo    auch  die    reiche    Speziallitteratur   mit   grösster   Sorgfalt  verzeichnet   ist.  — 


32  fiyzantinische  Litteratargeschichte.    Einleitung. 

G.  Wenrich,  De  auctorum  Graecorum  versionibus  et  commentariis  Syriacis,  Arabicis, 
Arinenicis  Persicisque,  Lipsiae  1842  (mit  einem  Index  der  Autoren,  die  als  Uebersetzer 
thätig  waren).  —  E.  Renan,  De  philosophis  peripateticis  apud  Syros,  Paris  1852.  —  P.  de 
Lagarde,  Analecta  Syriaca,  Leipzig  1858.  —  Ed.  Sachau,  Inedita  Syriaca,  Wien  1870. 
—  Gust.  Bickell,  Conspectus  rei  Syrorum  litterariae,  Münster  1871.  —  Beziehungen 
zu  China:  F.  Hirth,  China  and  the  Roman  Orient,  researches  into  their  ancient  and  me- 
diacval  relations,  Leipzig  und  München  1885.  Vgl.  die  gehaltreiche  Besprechung  von 
K.  Himly,  Götting.  Gel.Anzeigen  1886,  709 — 740.  —  Wenig  bietet  für  unsere  Zwecke: 
E.  Bretschneider,  On  the  knowledge  possessed  by  the  ancient  Chinese  of  the  Arabs  and 
Arabian  colonies  and  other  westem  coimtries  mentioned  in  Chinese  books,  London  1871 
{S.  23  über  den  chines.  Namen  von  Stambul)  und  desselben  Verf.:  Mediaeval  research« 
from  eastern  Asiatic  sources,  2  voll.,  London  1888  (II  135;  332  über  Konstantinopel). 
C.  Byzantinischer  Einfluss  auf  die  slavischen  Völker.  Nur  das  AUgemein.st 
enthält  A.  N.  Pypin  imd  V.  D.  Spasovic,  Geschichte  der  slavischen  Litteraturen,  deutsch 
Uebersetz.,  2  Bände,  Leipzig  1880 — 84.  —  Eine  kurze,  nicht  ganz  verlässige  Skizze  über 
die  Ursprünge  der  südslavisch-russischen  Litteratur  gibt  vom  radikal  antibyzantinischen 
Standpunkt  aus:  AI.  von  Reinholdt,  Geschichte  der  russischen  Litteratur,  Leipzig  1886, 
102 — 128.  —  Die  allgemein  kulturhistorische  Frage  über  die  Stellung  der  griechisch-slavi- 
schen  Welt  dem  europäischen  Westen  gegenüber  behandelt  mit  grosser  Belesenheit  der 
Philobyzantiner  VI.  Lamanskij,  LTeber  das  historische  Studium  der  gräkoslavischen  Welt 
in  Europa,  Petersburg  1871  (Russ.).  —  Archimandrit  (jetzt  Bischof)  Amphilochius, 
Ueber  den  Einfluss  des  griechischen  Schrifttums  auf  das  Slavische  vom  9.  bis  zum  Anfang 
des  16.  Jahrb.,  Moskau  1872  (Russ.).  —  M.  S.  Drinov,  Die  Südslaven  und  Byzanz  im 
10.  Jahrb.,  Moskau  1876  (Russ.).  —  Ueber  die  Wanderungen  der  volksmässigen  Litteratur 
handelt  besonders  M.  Gaster,  Greeko-Slavonic,  London  1887.  Vgl.  dazu  Alfr.  Rambaud. 
La  Russie  epique,  Paris  1876  S.  421  if.,  A.  Veselovskij,  Archiv  .slav.  Philol.  3  (187- 
549  ff.  und  Nik.  Politis,  T6  (frjuonxoy  ila^a  Tiegi  rov  rsxQov  ädeXtpov,  'Ey  ^Adrivan;  18> 
S.  29  fl^.  —  Eine  grosse  Anzahl  von  Beiträgen  enthält  das  Archiv  für  slavische  Philologi. 
(bis  jetzt  12  Bände,  Berlin  1876 — 90).  Von  den  selbständigen  Artikeln  ist  liei'voi-zuhebeii : 
V.  Jagic,  Ein  Beitrag  zur  serbischen  Annalistik  mit  litteraturgeschichtlicher  Einleitung, 
Arch.  .slav.  Phil.  2  (1877)  1 — 27,  wo  die  Ueberlieferung  imd  Chronologie  der  slavischen 
Bearbeitungen  byzant.  Geschichtswerke  und  Sagen  genau  dargestellt  ist.  —  Ph.  Ternovskij, 
Studie  der  byzant.  Geschichte  und  ihrer  tendenziösen  Anwendung  im  alten  Russland,  Kiew 
1875  (SA.  aus  den  Kiewer  Universitätsberichten  N.  6 — 12)  (Russ.).  —  V.  Kaöanovskij. 
Die  byzant.  Annalisten  als  Quelle  zur  Geschichte  der  Südslaven.  Journ.  Min.  Volksaufkl. 
1878,  Bd.  198,  63—112  (Russ.).  —  A.  N.  Veselovskij  hat  in  der  neuen  Bearbeitung  der 
russischen  Litteraturgeschichte  von  A.  Galachov  I  1,  394 — 517  die  in  der  älteren  russi- 
schen Litteratur  bekannten  und  beliebten  ErzählungsstofFe  nach  ihrem  Inhalt  und  ihrer 
Abhängigkeit  von  den  byzantinisch-südslavischen  oder  westeuropäischen,  polnischen  und 
deutschen  Vorlagen  analysiert  (Russ).  S.  Arch.  slav.  Phil.  5  (1881)  482.  —  Reiches  Ma- 
terial liefert  aucli  für  unser  Thema  Gregor  Krek,  Einleitung  in  die  slavische  Litteratur- 
geschichte, 2.  Aufl.,  Gi-az  1887.  —  Ueber  die  lautliche  Behandlung  griechischer  Namen  im 
Slavischen  existiert  ein  Werk  von  A.  Sobolevskij;  s.  Arch.  slav.  Phil.  7,  647  IF.  —  Zur 
Einführung  des  Christentums  in  Russland:  E.  Golubinskij,  Das  Christentum  in  Russland 
vor  Vladimir  dem  Heiligen,  Journ.  Min.  Volksaufkl.  1876,  Bd.  187,  46—84;  133—169 
(Russ.).  —  Zu  der  ungeheueren,  in  ihrem  Werte  sehr  imgleichen  neueren  Litteratur  über 
die  Slavenapostel  Kyrillos  und  Methodios  s.  Arch.  slav.  Phil.  1  (1876)  529  fl'.:  4  (1880)  97  ft.. 
297  fl".;  10  (1887)  296  fl^.;  12  (1889)  216  ff.  —  Vgl.  auch  die  Litteratur  zu  §§  50.  56.  171. 
5.  Sprache:  Noch  immer  unentbehrlich,  obschon  einer  gründlichen  Neubearbeitung 
auf  jeder  Zeile  bedürftig  ist  Du  Cange,  Glossarium  mediae  et  infimae  graecitatis,  Lugduni 
1688;  hier  ist  namentlich  die  vom  Altgriech.  abweichende  und  die  volksmässigo  Spradic 
berücksichtigt.  —  Eine  Ergänzung  dazu  bildet  das  im  allgemeinen  gut  gearbeitete,  die  Zeit 
von  146  V.  Chr.  bis  1100  n.  Chr.  umfassende  Werk  des  jüngst  verstorbenen  Professors  dti 
Universität  Cambridge,  Massachusetts,  E.  A.  Sophocles,  Greek  loxicon  of  the  Roman  and 
Byzantine  periods,  3.  Aufl.,  New-York  1888.  —  Zahlreiche  Nachträge  liefert  auch  für  byzan 
tinische  Autoren  St.  A.  Kumanudes,  ^Svytcytoytj  Xe'^ewy  af^ijaavQiaiiot'  iy  tois  'EXXijyixo 
ke£ixo?(,  Athen  1883.  —  Ueber  die  innere  Berechtigung  der  byzantinischen  (iräzität  dem 
Attischen  und  Hollenischen  gegenüber  handelt  Edw.  A.  Freenian.  Sonie  points  in  tlic 
later  hi.story  of  the  Greek  language,  Journal  of  Hellenic  studies  3  (1882)  361—392.  — 
An  zusammenfassenden  Arbeiten  über  dio  Geschichte  der  byzantinischen  Schriftspracho 
fehlt  es  noch;  doch  können  für  einzelne  Fälle  dio  Kommentare  und  Indices  der  Ausgaben 
mit  Nutzen  beigezogen  werden.  Ueber  die  Hilfsmittel  zum  Studium  der  vulgUrgriechi 
sehen  Sprache  s.  den  Anhang. 


Erste  Abteilung. 

Prosaische  Litteratur. 


1.  Geschichtschreiber  und  Chronisten. 

4.  Einteilung.  Kein  Volk,  die  Chinesen  vielleicht  ausgenommen, 
besitzt  eine  so  reiche  historische  Litteratur  als  die  Griechen.  In  ununter- 
brochener Reihenfolge  geht  die  Ueberlieferung  von  Herodot  bis  auf  Laonikos 
Chalkokondyles.  Die  Griechen  und  Byzantiner  haben  die  Chronik  des 
Ostens  über  zwei  Jahrtausende  mit  gewissenhafter  Treue  fortgeführt.  Bei 
allen  Schwankungen,  die  sich  aus  der  Empfänglichkeit  und  dem  Vermögen 
der  Zeitalter,  aus  dem  Wechsel  der  Stoffe  und  aus  der  individuellen 
Fähigkeit  ergaben,  hat  sich  die  historische  Litteraturgattung  bei  den 
Griechen  bis  zur  Vernichtung  ihrer  nationalen  Selbständigkeit  durch  die 
Osmanen  stets  auf  einer  ansehnlichen  Höhe  erhalten. 

In  der  byzantinischen  Zeit  zerfällt  alle  Darstellung  geschichtlicher 
Ereignisse  in  zwei  stark  verschiedene  Gruppen:  in  Geschichts werke 
im  antiken  Sinne  und  in  Chroniken.  Der  Unterschied  beider  Gattungen 
erstreckt  sich  auf  Stoff  und  Form  und  demgemäss  auch  auf  das  voraus- 
gesetzte Publikum.  Die  Verfasser  der  Geschichtswerke,  die  wir  schlecht- 
hin als  Historiker  bezeichnen,  behandeln  einen  massigen,  von  ihnen  selbst 
erlebten  oder  ihrer  Zeit  kurz  vorausgehenden  Abschnitt  der  byzantinischen 
Geschichte  (zuweilen  ziehen  sie  ihrem  Thema  auch  örtliche  Grenzen); 
sie  schreiben  also  Zeitgeschichte.  In  ihrer  Technik  und  Sprache 
folgen  sie  alten  Vorbildern  wie  Herodot,  Thukydides,  Polybios  oder  solchen 
Byzantinern,  die  sich  nach  diesen  alten  Mustern  gebildet  haben.  Ihre 
Diktion  ist  daher,  wenn  sich  auch  nach  Zeit  und  Individuen  bedeutende 
Abweichungen  ergeben,  im  Prinzip  altertümlich  und  puristisch;  sie  strebt 
nach  attischer  oder  wenigstens  hellenischer  Vollkommenheit.  Das  Publi- 
kum, für  welches  sie  schreiben,  ist  der  auserlesene  Kreis  der  Gebildeten, 
des  Hofes,  der  höheren  Geistlichkeit  und  Beamtenwelt,  ein  Kreis,  der  nach 
dem  allgemeinen  Stande  der  byzantinischen  Kultur  bald  grösser,  bald 
kleiner  wird. 

Uaudbucb  der  klas«.  Altertumswiasenscbaft.  IX.     1.  Abtlg.  3 


34  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Neben  den  Historikern  stehen  die  Chronisten,  die,  wenn  sie  auch 
nicht  ausschliesslich  der  byzantinischen  Epoche  angehören,  doch  erst  in 
dieser  Zeit  zu  einer  grösseren  litterarischen  Bedeutung  gelangten.  Ihr 
Stoff  ist  die  Weltgeschichte,  die  sie  von  der  Schöpfung  bis  auf  ihre  eigene 
Zeit  oder  einen  kurz  vorhergehenden  Abschnitt  herunterführen.  Sie  fassen 
dieses  grosse  Thema  jedoch  nicht  im  Sinne  einer  pragmatischen  Darstel- 
lung der  für  alle  Zeit  bedeutsamen  Thaten,  Ereignisse  und  Personen,  der 
Aufklärung  des  grossen  Zusammenhanges  in  der  Entwicklungsgeschichte 
der  Menschheit;  ihre  Absicht  ist  vielmehr  volksmässig,  spiessbürgerlich, 
sie  richtet  sich  auf  die  naive  Aufzählung  einer  möglichst  ausgiebigen 
Summe  von  geschichtlichen  Einzelheiten,  auf  die  Beschreibung  von  Ereig- 
nissen und  Personen,  deren  Kenntnis  dem  gemeinen  Verständnis  merk- 
würdig erscheinen  mochte.  Mit  Vorliebe  werden  Teuerungen,  Seuchen, 
Kometen  und  sonstige  Wunderzeichen,  Erdbeben,  Bauten  und  die  Ange- 
legenheiten der  Rennbahn  behandelt.  Der  leitende  Gesichtspunkt  ist  das 
kirchliche  Interesse;  daher  wird  der  chronologische  Aufbau  der  Bibel  an- 
gepasst  und  die  alte  Mythengeschichte  zu  christlich-apologetischen  Zwecken 
ausgebeutet.  Eine  wahrhaft  kritische  Forschung,  ja  nur  eine  oberflächliche 
Abwägung  der  Quellen  wird  bei  den  Chronisten  nur  selten  bemerkt.  Ihre 
Thätigkeit  bleibt  meist  rein  kompilatorisch.  Der  äusserlichen  und  be- 
schränkten Auffassung  des  geschichtlichen  Stoffes  entspricht  die  Form, 
welche  die  Chronisten  verwenden.  Der  schöne  Periodenbau  eines  Thuky- 
dides  ist  ihnen  gleichgiltig ;  sie  schreiben  eine  gemeinverständliche  Sprache, 
die  als  ein  temperiertes  Umgangsidiom  bezeichnet  werden  kann.  Da  aber 
alle  feiner  gebildeten  Schriftsteller  wie  auch  der  Staat  und  die  Kirche 
fortfuhren,  die  traditionelle  Kunstsprache  als  das  einzig  Mögliche  anzusehen, 
so  gelang  es  den  schwachen  und  vereinzelten  Kräften  der  Chronisten  nicht, 
die  volksmässige  Diktion  phraseologisch  und  syntaktisch  zu  veredeln;  sie 
blieb  unter  ihren  Händen  ein  ziemlich  ungefüges  und  plumpes  Werkzeug.  , 
Schon  die  Wahl  eines  von  den  Führern  der  Litteratur  so  gründlich  ver- 
achteten Mittels  der  Verständigung  beweist,  dass  die  Clu'onisten  sich  nicht 
an  denselben  Leserkreis  wenden,  wie  die  Historiker,  sondern  an  die  grosse 
Masse  des  Volkes,  in  erster  Linie  an  die  Tausende  schwachgebildeter,  aber 
nach  frommer  Belehrung  über  den  Gang  der  Weltbegebenheiten  begieriger 
Klosterbewohner. 

Natürlich  ist  mit  diesen  zwei  Gruppen  die  Gesamtmasse  der  auf  Ge- 
schichte bezüglichen  Schriftwerke  der  byzantinischen  Zeit  nicht  erschöpft. 
Es  kommen  zu  den  Historikern  und  Chronisten  noch  monographische  Schil- 
derungen wichtiger  Ereignisse,  Biographien  und  sonstige  Kleinigkeiten, 
endlich  die  unübersehbare  Zahl  von  öffentlichen  und  privaten  Urkunden 
jeder  Art.  Da  es  nicht  thunlich  erschien,  dieser  Kleinlitteratur  einenj 
eigenen  Abschnitt  zu  widmen,  so  sind  die  wichtigsten  Stücke  in  chront 
logischer  Folge  unter  die  Geschichtswerke  eingereiht,  zu  deren  Ergänzung 
sie  dienen.  Für  die  ungleich  grössere  Masse  der  Aktenstücke,  die  für  di( 
Geschichtsforschung  wiclitig  sind,  ohne  irgend  eine  selbständige  litterarische 
Bedeutung  zu  beanspruchen,  kann  nur  iinf  (li<'  unten  nngeführten  Ausgab«>n 
verwiesen  werden. 


1.  Geschichtschreiber  und  Chronisten.     (§  4.)  35 

1.  Sammelausgaben    der    Historiker    und    Chronisten.      A.    Das    Pariser 
Jorpus  wurde,  nachdem  durch  frühere  Ausgaben  einzelner  Autoren  der  Boden  vorbereitet 

war,  im  Auftrage  des  Königs  Ludwig  XIV  unter  der  Leitung  des  Jesuiten  Philipp  Labbe 
bearbeitet.  Durch  die  Mitwirkung  der  hervorragendsten  Philologen  des  17.  Jahrhunderts, 
eines  Du  Cange,  Leo  Allatius,  Maltrait,  Combefis,  Banduri  u.  a.  wurde  diese  Sammlung  zu 
einem  für  seine  Zeit  staunenswerten  und  heute  noch  nicht  ersetzten  Werke.  In  42  Teilen 
schritt  das  1648  begonnene  Unternehmen  bis  1711  in  ungleichen  Zwischenräumen  vorwärts 
und  erhielt  noch  1819  einen  verspäteten  Nachtrag  im  Leon  Diakonos  von  B.  Hase. 

B.  Der  Venezianer  Nachdruck.  Das  bald  selten  gewordene  Pariser  Corpus 
wurde  zu  Venedig  1729 — 1733  mit  unglaublicher  Hast  ohne  Verbesserungen,  dagegen  mit 
einer  reichlichen  Zugabe  von  Druckfehlem  in  schlechterer  Ausstattimg  nachgedruckt.  Neu 
^zu  kamen  hier  nur  Malalas,  Genesios  imd  einige  kleinere  Stücke. 

C.  Das  Bonner  Corpus,  auf  Anregung  B.  G.  Niebuhrs  unternommen,  später  vou 
der  Berliner  Akademie  fortgesetzt,  erschien  in  49  Bänden,  Bonn  1828 — 1878.  Gegenwärtig 
wird  für  das  Corpus  noch  der  Schlussband  des  Zonaras  von  Büttner-AVobst  vorbereitet. 
Die  grossen  Hoffnungen,  die  sich  an  dieses  L'ntemehmen  geknüpft  hatten,  wurden  durch 
den  Mangel  einer  energischen  Oberleitung  und  mehr  noch  durch  die  Gleichgiltigkeit  und 
Abneigung  der  meisten  Mitarbeiter  (bes.  I.  Bekkers  und  W.  Dindorfs)  fast  völlig  vereitelt. 
Von  den  seit  dem  Erscheinen  des  Venezianer  Nachdruckes  zum  erstenmal  veröffentlichten 
Autoren  wie  Kon.st.  Porphyrogennetos,  Georgios  Pisides,  Phrantzes  u.  s.  w.  abgesehen,  ist  das 
Bonner  Corpus  mit  wenigen  Ausnahmen  nichts  als  ein  schlecht  revidierter  Abdruck  der 
Pariser  Sammlung.  Wie  die  Texte  wenig  gefördert  wurden,  so  unterblieb  auch  die  L^m- 
arbeitung  oder  Neugestaltung  der  Kommentare  und  Indices;  man  begnügte  sich  meist  mit 
dem  Abdrucke  der  alten,  oft  weitschweifigen  und  der  Verbessenmg  bedürftigen  Anmerkungen 
der  Pariser  Ausgaben.  So  ist  das  Bonner  Corpus  durchaus  nicht  zu  einem  ,.fär  die  Philo- 
logie und  Geschichte  höchst  erheblichen,  für  unsere  Nation  ruhmvollen"  Werke  geworden, 
wie  es  Niebuhr  in  Aussicht  gestellt  hatte;  übrigens  hat  er  selbst  kurz  vor  seinem  Tode 
das  ganze  L"nt«rnehmen  als  unüberlegt  bezeichnet.  Man  zitiert  in  Frankreich  noch  meist 
nach  der  Pariser  Sammlimg,  bei  uns  gewöhnlich  nach  dem  Bonner  Corpus;  das  letztere 
ist  aus  praktischen  Gründen  empfehlenswert,  da  die  etwas  seltene  Pariser  Sammlung 
manchem  unzugänglich  bleibt  und  zudem  in  ihr  mehrere  im  Bonner  Corpus  aufgenommene 
Autoren  fehlen.  Beurteilungen  des  Bonner  Corpus  von  K.  Hopf,  Jahns  Jahrbücher  75 
(1857)  769  ff.;  von  L.  Tafel,  Komnenen  imd  Normannen  S.  XX  ff.,  Sitzungsber.  d.  Wiener 
Akad.,  phil.-hist.  Cl.  1852,  31  ff.  und  Münchener  Gelehrte  Anzeigen,  bist.  Cl.  1854,  2,  150  f., 
181  f.;  von  C.  de  Boor,  Theophanes  II  (1885)  352  f. 

D.  Endlich  wurden  die  meisten  Teile  des  Bonner  Corpus  mit  Kommentaren  und 
Indices  ohne  kritische  Verbesserungen,  aber  auch  ohne  allzu  reichliche  Druckfehler  wieder- 
holt in  der  Patrologia  Graeca  von  Migne  (161  Bände,  Paris  1857 — 1866),  die  sich 
demnach  zum  Bonner  Corpus  ähnlich  verhält  wie  der  Venezianer  Nachdruck  zur  Pariser 
Sammlung.  Von  den  griechischen  Texten  des  Bonner  Corpus  fehlen  hier  nur  Zosimos, 
Prokopios,  Theophylaktos  Simokattes,  Michael  Attaliates  und  die  Stücke  aus  der  Turco- 
graecia  des  Martin  Crusius.  Der  von  Migne  veranstaltete  Abdruck  hat  für  die  byzantini- 
schen Studien  wenigstens  die  Bedeutung  eines  Notbehelfes,  Aveil  sich  in  manchen,  besonders 
theologischen  Bibliotheken  keine  der  drei  früheren  Sammlungen,  wohl  aber  die  gesamte 
Patrologie  befindet.  Wer  sich  eingehender  mit  den  Byzantinern  beschäftigen  will,  wird 
immer  auf  das  Pariser  bzw.  das  Bonner  Corpus  zurückgreifen,  soweit  nicht  völlig  neue 
Bearbeitungen  vorliegen  wie  für  Theophanes  u.  a. 

E.  Zuletzt  muss  noch  erwähnt  werden,  dass  die  Verlagshandlung  B.  G.  Teubner 
begonnen  hat,  auch  die  bj-zantinischen  Historiker  und  Chronisten  in  kritischen  Bearbeitungen 
der  weltbekannten  Bibliotheca  Teubneriana  einzuverleiben.  Bis  jetzt  sind  die  Frag- 
mente der  kleinen  Historiker,  Agathias,  Tlieophylaktos,  Nikephoros  P.  und  Anna  Komnena 
erschienen.  -  Einige  auf  die  Kreuzzüge  bezügliche  Stücke  wurden,  zum  Teil  mit  wertvollen 
neuen  Kommentaren,  aufgenommen  in  den  Recueil  des  historiens  des  croisades. 
Historiens  Grecs,  2  voll.,  Paris  1875—81. 

2.  Fragmente  der  Historiker.  Sammlungen  von  Urkunden  u.a.  A.  Frag- 
mente spätgriechischer  und  byzantinischer  Historiker  (Dexippos  u.  s.  w.)  ed.  B.  G.  Nie- 
buhr im  ersten  Bande  des  Bonner  Corpus,  Bonn  1829.  —  Historici  Graeci  minores 
ed.  L.  Dindorf,  2  voll.,  Leipzig,  bibl.  Teubneriana  1870—71;  der  erste  Band  enthält  vor- 
nehmlich die  von  Niebuhr  a.  a.  0.  herausgegebenen  Fragmente,  der  zweite  Menander  Pro- 
tektor imd  Agathias.  —  Fragmenta  historicorum  Graecorum  ed.  Car.  Müller, 
vol.  4  und  5,  Paris.  Didot  1868—70;  enthält  auch  annenische,  auf  griechischen  und  syri- 
schen Quellen  beruhende  Historiker  in  französischer  Uebersetzung. 

B.  Acta  et  diplomata  Graeca  medii  aevi  edd.  Fr.  Miklosich  et  J.  Müller,  6  voll., 
Vindobonae  1860—1890.    Diese  für  die  mittelalterliche  Geschichte  und  Geographie  des  Ostens 


36  Byzantinische  Litteratargeschichte.     I.  Prosaische  Litteratnr. 

ungemein  wichtige  Sammlung  enthält  Erlasse  der  Kaiser  und  Patriarchen,  politische  Ver- 
träge und  Korrespondenzen,  Stiftungs-,  Kauf-  und  Schenkurkunden,  Prozessakten,  Kloster- 
regeln u.  s.  w.  aus  dem  10.— 19.  Jahrhundert.  —  Aug.  Theiner  et  Fr.  Miklosich, 
Monumenta  spectantia  ad  uniouem  ecclesiarum,  Vindobonae  1872  (auf  die  Unionsversuche 
bezügliche  Aktenstücke  von  1124—1582).  —  K.  N.  Sathas,  Mfaaiwyixij  ßißX(o,tijx)].  6  Bände, 
Venedig  1872 — 77;  enthält  meist  unedierte  Werke  wie  die  Geschichte,  Reden  und  Briefe 
des  Psellos,  Nachträge  zu  Attaliates,  die  Chroniken  des  Machäras  und  Bustronios,  Hand- 
schriftenkataloge, Briefe,  Münzen,  Urkunden  des  Patriarchats,  Gesetzsammlungen  u.  a.  — 
K.  N.  Sathas,  MytjfisTa  'EAAj^wxr;?  laTogiag.  Documents  inedits  relatifs  ä  l'histoire  de  la 
Grece  au  moyen-äge.  P*'  s^rie:  Documenta  tires  des  Archives  de  Vönise  (1400 — 1500). 
8  Bände,  Paris  1880 — 1888.  Hier  findet  man  lateinische  und  italienische  auf  die  venezianische 
Herrschaft  im  Orient  bezügliche  Urkunden,  Karten  u.  s.  w.,  die  zu  den  letzten  byzantinischen 
Historikern  wertvolle  P]rgänzungen  bilden.  —  Ebenfalls  auf  die  lateinischen  Herrschaften 
im  Orient  bezieht  sich  das  letzte  Werk  des  grossen  Erforschers  der  byzantinischen  Ge- 
schichte Karl  Hopf,  Chroniques  Greco-Romanes  inedites  ou  peu  connues,  Berlin  1873: 
von  hei-vorragendem  Werte  sind  die  beigefügten  genealogischen  Tafeln  der  lateinischen 
Geschlechter  des  Orients. 

C.  Byzantinische  Urkunden  aus  Sizilien  und  Unteritalien  enthalten 
folgende  Werke:  2'.  Zafin eXiog,  'lTcdoe'/.hp'ix((  fjroi  xQtrtxij  TtQuyfifCTsin  tisqI  ruiy  iy  To?g 
€(Q](eioig  NeanoXswg  dyexifÖTcoy  iXhjy.  neQyn/nt^yuJy,  'Ey  'Ad^i']yta?  1864  (Urkunden  aus  der 
Zeit  von  983 — 1281).  —  G.  Spata,  Le  pergamene  Greche  esistenti  nel  grande  archivio  di 
Palermo,  Palermo  1862—64  (Urkunden  von  1091  —  1280).  —  G.  Spata,  Diplomi  Greci 
Siciliani  inediti,  in  den  Miscellanea  di  storia  Italiana,  tomo  9  (Torino  1870)  373 — 507  und 
12  (1871)  1—112  (Urkunden  von  1084—1243).  —  Vgl.  G.  Spata,  Sul  cimelio  diplomatieo 
del  duomo  di  Monreale,  Palenno  1865.  —  Fr.  Trinchera,  Syllabus  Graecarum  membra- 
narum  etc.,  Neapoli  1865  (Urkunden  aus  der  Zeit  von  885 — 1450).  —  Salv.  Cusa,  1  di- 
plomi Greci  ed  Arabi  di  Sicilia,  2  voll.,  Palermo  1869 — 82  (aus  der  Zeit  von  1079 — 1335). 
—  Zwei  Nachträge  zu  Trinchera  gab  N.  Parisio,  Archivio  storico  per  le  provincie  Napole- 
tane  11  (1886)  855—860  und  13  (1888)  772—781.  —  Einige  der  schon  von  Trinchera 
herausgegebenen  Urkunden  (des  11.  Jahrb.)  sind  wiederholt  und  zum  Teil  facsimiliert  in: 
Codex  diplomaticiis  Cavensis  nunc  primum  in  lucem  editus  cur.  DD.  Michaele  Mor- 
caldi,  Mauro  Schiani,  Sylvano  de  Stephane  0.  S.  B.  Tom.  4.  5.  7  (Neapoli  1877-79—88).  — 
Zur  Erläuterung  dieser  Urkunden  dienen  einige  Schriften,  welche  die  byzantinische  Herr- 
schaft und  die  byzantinischen  Einflüsse  in  Sizilien  und  Unteritalien  vom  9. — 12.  Jahr- 
hundort und  die  damals  in  Italien  gegründeten  griechischen  Kolonien  mit  ihren  heutigen 
Dialekten  behandeln:  G.  Morosi,  Studi  sui  dialetti  Greci  della  terra  d'Otranto,  Lecce  1870 
und  Dialetti  Romaici  del  mandamento  di  Bova  in  Calabria,  Archivio  glottologico  Italiano  4 
(1874)  1  — 116;  über  das  Historische  s.  bes.  S.  71  if.  —  Ast.  Pellegrini,  II  dialetto  Greco- 
Calabro  di  Bova,  vol.  I  (es  erschien  nicht  mehr),  Torino  1880.  —  Ettore  Capialbi  e 
Luigi  ßruzzano,  Racconti  Greci  di  Roccaforte,  Monteleone  1886.  —  Eine  nützliche  Ueber- 
sicht  gibt  H.  F.  Tozer,  The  Greek  speaking  population  of  southern  Italy,  Journal  of  Hell, 
studies  10  (1889)  11—42.  —  V.  D.  Palumbo,  Les  trois  conseils  du  roi  Salomon  (eine 
griechisch-salentinische  Volkserzählung),  Le  Museon  3  (1884)  552 — 1560.  —  Verschiedene 
Beiträge  enthält  auch  die  von  Palumbo  herausgegebene  Zeitsclmft :  La  cultura  Salentina, 
Lecce  1887  ff.  —  Für  das  Geschichtliche  s.  bes.  M.  Brun,  Die  Byzantiner  in  Süditalien 
im  9.  und  10.  Jahrhundert,  Odessa  1883  (Russ.).  —  Fr.  d'Ovidio,  Di  alcuni  documenti 
Greci  e  di  imo  Latino  dell'  Italia  meridionale  dei  secoli  XI,  XII  e  XI 11,  Arch.  stör,  per  le 
prov.  Napol.  7  (1882)  596—607  und  Giov.  Beltrani,  Duo  reliquie  del  Bizantinismo  in 
Puglia,  ebenda  7  (1882)  608—620.  —  Die  byzantinischen  Kunstdenkniäler  in  Süditalien 
behandelt  Charles  Diehl,  Peintures  Byzantines  de  ITtalie  meridionale,  Bulletin  de  corre- 
spondance  Hellen.  8  (1884)  264  ff.,  9  (1885)  207  ff.,  12  (1888)  441  ff.  Djmi  Ch.  Diehl,  Le 
monastere  de  S.  Nicolas  di  Gasöle  pres  d'Otranto,  Melanges  de  l'ecole  Fran^.  de  Ronie  6 
(1886)  173—189.  —  Die  unbedeutende  ältere  Litteratur  findet  man  bei  Morosi  und  Pelle- 
grini verzeichnet. 

3.  Uebersetzungon.  Ohne  Bedeutung  sind  jetzt  die  seit  dem  16.  Jahrhundert  ver- 
anstalteten, oft  wiederholten  lateinischen  Uebersetzungon  einzelner  Historiker,  aus  deren 
Vereinigung  sich  ein  vielgelesenes  Handbuch  der  byzantinischen  Geschiclite  ergab:  Corpus 
aniversae  historiae,  praesertim  Byzantinae  .  ,  .  .  Jo.  Zonarae  annalcs.  Nie.  Aoominati,  Nie. 
Gregorae,  Laonici  Chalcondylae,  Lutetiae  1567;  Francofurti  ad  Moenum  156S  und  öfter 
wiederholt.  -  Ein  ähnliches  Handbuch  erschien  auch  französisch:  Histoire  de  Ct>n.stan- 
tinople  depuis  le  regne  de  Justin  ju.squ'ä  la  fin  de  Tempire,  tradnite  .sur  les  originau.x  grecs 
par  L.  Cousin,  8  voll.,  Paris  1671  74;  wiederholt  Paris  1685.  Noch  die  Histoire  du 
baH-Empiro  von  Le  Beau  nüt  ihren  Fortsetzungen  best«>ht  zum  gros.sen  Teil  aus  Ueber- 
setzungen   byzantinischer  Texte.    —   Eine  zum   Teil    recht    ungenaue   imd    mehr   als   freie 


A.  Die  Qeschichtschreiber.    (§  5.)  37 

lateinische  Uebersetzung  ist  dem  Paiiser  Corpus  (auch  dem  Venez.  Nachdruck)  beigegehen 
und  im  Bonner  Corpus  wiederholt,  aber  leider  nur  für  einzelne  Autoren  revidiert.  Dadurch 
dass  manche  Forscher  nach  dem  Satze  ,Graeca  sunt,  non  leguntur"  sich  mehr  an  die  oft 
ganz  verdrehte  lateinische  Uebertragung  statt  an  die  Originale  hielten,  ist  viel  Verwirrung 
und  Missverständnis  entstanden.  —  Eine  russische  Uebersetzung  einiger  byzantinischer 
Historiker  veranstaltete  die  geistliche  Akademie  in  Petersbtirg,  4  Bände,  Petersburg  1860 — 63 
(mir  unzugänglich). 

4.  Allgemeine  Hilfsmittel.  A.  Fast  nutzlos  ist  jetzt  das  für  seine  Zeit  be- 
deutende Werk  von  Ger.  J.  Vossius,  De  historicis  Graecis,  Lugduni  Bat.  1624;  wieder- 
holt Lugd.  Bat.  1651;  Francofurti  ad  M.  1677;  Amstelodami  1699;  endlich  notdürftig  um- 
gearbeitet von  Ant.  Westermann,  Lipsiae  1838.  —  Gnmdlegende  und  heute  noch  nicht 
ersetzte  Hilfsmittel  zum  Studium  der  bj-zantinischen  Geschichtslitteratiu-  hat  Du  Cange 
geschaffen;  es  sind  ausser  seinen  Kommentaren  zu  Nikephoros  Bryennios,  Anna  Komnena 
und  Kiunamos  bes.  die  S.  27  zitierten  Werke.  —  Eine  ziemlich  oberflächliche  litterar- 
geschichtliche  Kompilation  machte  der  Breslauer  Professor  M.  Hanke,  De  Byzantinanim 
rerum  scriptoribus  Graecis.  Lipsiae  1677.  —  Weniger  wichtig  als  Du  Cange.  aber  für  Einzel- 
heiten noch  immer  brauchbar  ist  A.  Banduri,  Imperium  Orientale,  2  tomi,  Paris  1711 
(wiederholt  Venedig  1729).  —  Für  die  kirchlichen  Verhältnisse  (Geschichte  der  Patriarchen, 
Bischöfe  u.  s.  w.)  bleibt  das  Hauptwerk  Le  Quien.  Oriens  christianus,  Paris  1740.  —  Für 
das  Bibliographische  ist  natürlich  auch  hier  die  Bibliotheca  Graeca  von  Fabricius  bei- 
zuziehen. —  Gänzlich  wertlos  ist:  Raymond  Francois,  Les  demiers  jours  d'un  empire. 
Etudes  sur  les  historiens  Byzantins,  Paris  1870;  es  sind  keine  „Studien",  sondern  geistlose, 
auf  sekundären  Quellen  beruhende  Salbadereien.  —  Uebersicht  der  Avichtigsten  byzant. 
Quellen  für  griechische  und  römische  Geschichte  bei  Arn.  Schäfer.  Abriss  der  Quellen- 
kunde der  griech.  und  röm.  Geschichte,  2.  Abt.  Leipzig  1881  S.  186—196.  —  Unentbehrlich 
zu  tieferen  Studien  i.st  das  schöne  Werk  von  G.  Schlumberger,  Sigillographie  de  l'empire 
Bj'zantin,  Paris  1884;  darüber  ein  orientierender  Bericht  im  Journal  des  savants  1885,  213  flF., 
323  ff.  —  Für  die  neuere  auf  byzantinische  Geschichte  bezügliche  Litteratur  ist  die  biblio- 
graphische Uebersicht  von  F.  Hirsch  in  J.  Jastrow's  Jahresberichten  der  Geschichtswissen- 
schaft (bis  jetzt  10  Bände.  Beriin  1880—1889)  beizuziehen. 

B.  In  neuester  Zeit  hat  man  auch  angefangen,  die  Quellenverhältnisse  kritisch 
zu  untersuchen ;  doch  sind  erst  einzelne  Abschnitte  aufgehellt.  Den  ersten  Versuch  machten 
Dändliker  und  Müller,  Untersuchungen  zur  mittleren  Geschichte  herausgeg.  von  Max 
Büdinger  1(1871)  268— 289;  die  Arbeit  betrilft  die  Quellen  für  die  Zeit  von  888—967.  — 
Einen  mächtigen  Anstoss  gab  Ferd.  Hirsch  durch  sein  grundlegendes  Werk:  Byzantinische 
Studien.  Leipzig  1876;  es  umfasst  die  auf  die  Zeit  von  813 — 963  bezüglichen  Geschichts- 
werke  und  Chroniken.  —  Das  Verhältnis  des  Skylitzes,  Attaliates.  Psellos  und  der  übrigen 
Quellen  für  die  Zeit  von  976—1076  stellt  in  den  Hauptzügen  fest  S.  Röckl,  Studien  zu 
byzantinischen  Geschichtschreibem,  Blätter  für  das  bayer.  Gymnasialschulwesen  20  (1884) 
277—282  und  21  (1885)  4—19.  —  Dann  versprach  H.  Seger  die  Quellen  der  zweiten 
Hälfte  des  10.  und  die  des  11.  Jahrh.  zu  prüfen;  erschienen  ist:  H.  Seger,  Byzantinische 
Geschichtschreiber  des  10.  und  11.  Jahrhunderts.  1.  Nikephoros  Bryennios,  München  1888. 
—  Daran  schhesst  sich  das  geistvolle  Buch  von  C.  Neumann,  Griechische  Geschicht- 
schreiber und  Geschichtsquellen  im  12.  Jahrhundert,  Leipzig  1888  (Ober  Anna  Komnena, 
Theodoros  Prodromos,  Kinnamos).  —  Kurze  Uebersicht  über  die  byzantinischen  Historiker 
des  6.  Jahrh.  und  über  die  auf  ihnen  beruhenden  Chronisten  (Theophanes,  Georgios  Mona- 
chos,  Glykas,  Zonaras  u.  a.),  sowie  über  einige  orientalische  Quellen  bei  Kurt  Groh,  Ge- 
schichte des  oströmischen  Kaisers  Ju.stin  II,  Leipzig  1889  S.  1—32.  —  Nur  zimi  Teil  auf 
die  byzantinische  Zeit  (Euagrios,  Theophanes  u.  a.)  bezieht  sich  die  gründliche  Monographie 
von  L.  Jeep,  Quellenuntersuchungen  zu  den  griechischen  Kirchenhistorikem,  Jahns  Jahr- 
bücher 14.  Supplementb.  (1885)  53—178.  —  Ausser  den  hier  genannten  Hilfsmitteln  sind 
die  S.  27  ff.  genannten  allgemeinen  historischen  und  chronologischen  Werke  bei- 
zuziehen. 

A.  Die  Geschichtschreiber. 

5.  Allgemeine  Charakteristik.  Die  byzantinischen  Darsteller  zeitgenös- 
sischer Ereignisse  folgen  ohne  Ausnahme  der  altgriechischen  Tradition.  Bei 
den  Historikern  aus  dem  6.  und  dem  Anfang  des  7.  Jahrhunderts  wie  Prokop, 
Agathias,  Menander,  Theophylaktos  ist  das  ziemlich  selbstverständlich;  denn 
sie  gehören  noch  zur  altgriechischen  Zeit  und  knüpfen  unmittelbar  an  die 
vorausgehende  Historiographie  an.   Aber  auch  die  Autoren,  welche  nach  der 


38  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

verhängnisvollen,  von  der  Mitte  des  7.  bis  in  die  Mitte  des  9.  Jahrhunderts 
reichenden  litterarischen  Lücke  die  Geschichtschreibung  von  neuem  ins  Leben 
rufen,  wenden  sich  alsbald  wieder  alten  Vorbildern  zu,  und  in  der  Zeit  der 
Koninenen  und  Paläologen  ist  in  der  Anlehnung  an  das  Altertum  sogar 
noch  eine  bedeutende  Steigerung  zu  bemerken.  Von  den  Geschichtschrei- 
bern des  C.  und  7.  Jahrhunderts  unterscheiden  sich  die  des  IL  — 15.  Jahr- 
hunderts im  grossen  und  ganzen  nur  dadurch,  dass  die  äusseren  Mittel 
ihrer  Darstellung  in  einem  viel  höheren  Grade  künstliche,  schulmässig  er- 
lernte geworden  sind.  Prokop,  Agathias,  Menander,  Euagrios,  Theophy- 
laktos  verbleiben  bei  all  ihrer  verschiedenartigen  Künstelei  und  bei  aller 
Imitation  doch  noch  einigermassen  auf  dem  Boden  der  feineren  Umgangs- 
sprache ihrer  Zeit;  eine  Anna  Komnena  dagegen  studiert  das  Altgriechische 
wie  eine  fremde  Sprache,  und  in  der  gleichen  Notlage  befinden  sich  alle 
Historiker  des  12.  und  der  folgenden  Jahrhunderte.  Zu  ihrer  Zeit  hatte 
sich  die  lebendige  Sprache  vom  Altgriechischen  morphologisch,  lexikalisch 
und  syntaktisch  so  weit  entfernt,  dass  die  herkömmliche  Kunstsprache 
ohne  gründliche  Vorbereitung  nicht  einmal  mehr  verstanden  wurde.  Das 
ist  der  einzige  wirklich  durchgreifende  formale  Unterschied,  welcher  die 
spätgriechischen  und  die  eigentlich  byzantinischen  Historiker  trennt.  Es 
ist  aber  zu  betonen,  dass  dieser  Unterschied  nicht  aus  der  Individualität 
und  freien  Absicht  der  Schriftsteller,  sondern  aus  der  unabhängig  von  ihrem 
Willen  vollzogenen  natürlichen  Umgestaltung  der  Sprache  selbst  er- 
wachsen ist. 

In  allen  übrigen  Dingen  bieten  die  Historiker  von  Prokop  bis  auf 
Laonikos  Chalkokondyles  herab  ein  ziemlich  gleichförmiges  Bild.  Ver- 
schieden sind  die  Stoffe,  indem  ein  Darsteller  meist  da  anknüpft,  wo  sein 
Vorgänger  aufgehört  hat,  verschieden  ist  nach  der  Bildungsbasis  der  Zeit 
und  nach  der  persönlichen  Stimmung  und  Fähigkeit  die  Erzählungsweise, 
die  psychologische  Charakteristik,  die  Gründlichkeit  der  Information,  die 
Betonung  des  kirchlichen  oder  staatlichen  Lebens:  aber  keine  neue 
Technik,  keine  neue  kritische  Methode,  keine  prinzipiell  neue 
Auffassung  verändert  erkennbar  den  Gesamtcharakter  der  geschichtlichen 
Forschung  und  Darstellung. 

Wie  im  Leben  des  byzantinischen  Staates  die  alte  römische  Idee 
durch  alle  Stürme  der  Jahrhunderte  ungebrochen  fortdauerte,  so  herrscht 
die  alte  Tradition  auch  in  der  Darstellung  dieses  Lebens.  Die  unge- 
heuere Wirksamkeit  der  uralten  Schulung  wird  sofort  klar,  wenn  man  sich 
die  Mühe  nimmt,  einen  Psellos,  einen  Michael  Attaliates,  einen  Niketiis 
Akominatos  mit  gleichzeitigen  Erzählern  des  Abendlandes,  mit  italienischen, 
französischen  und  deutschen  Chronisten  zu  vergleichen.  Wie  unbeholfen 
und  wie  barbarisch  erscheinen  die  Abendländer  in  der  Komposition,  in  der 
psychologischen  Charakteristik,  im  Verständnis  politischer  Absichten  und 
Thaten.  Die  byzantinischen  Historiker  haben  sich  niemals  bei  der  trockenen 
Aufzälilung  von  Ereignissen,  bei  der  V'erfertigung  nutzbarer  Handbücher 
zur  Belehrung  über  vergangene  Zeiten  beruhigt.  In  ihnen  blieb  stets  die 
Ueherzeugung  lebendig,  dass  ein  Geschichtswerk  eine  geschlos.sene,  wohl 
überlegte   und   sorgfältig   durchgearbeitete   Kunstschöpfung,    nicht  ein   zur 


A.    Die  Geschichtschreiber.    (§  5.)  39 

hausbackenen  Belehrung  dienender  Bilderbogen,  sondern  ein  die  Jahr- 
hunderte überdauerndes  Gemälde  sein  müsse.  Die  Grundsätze  und  Hilfs- 
mittel dieser  künstlerischen  Bethätigung  übernahmen  sie  voll  und  ganz 
von  den  Vorfahren;  sie  haben  nichts  hinzugefügt  und  nur  wenig  hinweg- 
uenommen.  Selbst  die  bedenklichste  Seite  der  antiken  Geschichtschreibung, 
die  heidnische  Form,    wirkt  wenigstens  bei  einzelnen  kräftig  fort. 

Wie  die  allgemeine  Tektonik,  so  ruht  auch  die  sprachliche  Dar- 
stellung der  Historiker  auf  antiken  Mustern.  In  keiner  anderen  Litteratur- 
gattung  hat  die  sprachliche  Tradition  so  nachhaltig  fortgewirkt  wie  in  der 
Geschichte.  Das  ist  aber  keineswegs  so  zu  verstehen,  als  ob  alle  Ver- 
treter der  Gattung  über  denselben  Leisten  gearbeitet  hätten.  Wenn  sich 
Prokop  vornehmlich  an  Thukydides  anschliesst,  so  glaubt  Agathias  dem 
Ideale  einer  kunstmässigen  Form  durch  reichliche  Anleihen  bei  den  alten 
Dichtern  näher  zu  kommen;  Theophylaktos  hält  sich  mehr  an  die  bilder- 
reiche Sprache  der  heiligen  Schriften  und  des  Romans,  die  er  durch 
Schnörkel  eigener  Erfindung  zu  bereichern  sucht.  Menander  Protektor 
und  Leon  Diakonos  folgen  dem  Agathias,  Kinnamos  dem  Prokop;  der  sol- 
datische Nikephoros  Bryennios  greift  auf  den  einfachen  Xenophon  zurück, 
dagegen  wetteifert  seine  gelehrte  Gemahlin  Anna  mit  Thukydides  und  Po- 
lybios;  Niketas  Akominatos  fühlt  sich  zu  den  alten  Kirchenschriftstellern 
hingezogen.  Chalkokondyles  endlich,  der  letzte  Vertreter  der  Gattung, 
vollendet  den  Kreislauf,  indem  er  sich  wiederum  aufs  engste  an  die  ersten 
Historiker,  an  Herodot  und  Thukydides,  anschliesst.  Zu  den  klassischen 
Mustern  kommt  natürlich  auch  bei  den  Geschichtschreibern  wie  bei  fast 
allen  Autoren  von  Byzanz   der  mächtige  Einfluss   der  kirchlichen  Diktion. 

Von  der  Mannigfaltigkeit  der  Vorbilder  abgesehen  ergaben  sich  noch 
bedeutende  Schwankungen  durch  die  Verschiedenheit  der  individuellen 
Bildung,  der  stilistischen  Befähigung  und  des  künstlerischen  Geschmacks, 
nicht  zum  wenigsten  endlich  durch  die  Wandelungen,  die  sich  unabhängig 
von  der  blossen  Imitation  im  Innern  der  offiziellen  Kunstsprache  selbst 
vollzogen.  Nichts  wäre  daher  unrichtiger  als  aus  der  Thatsache  der  all- 
gemeinen Nachahmungslust  auf  eine  rein  mechanische,  schablonenartige 
Form  zu  schliessen.  Die  byzantinischen  Historiker  traten  hinter  ihren 
Vorbildern  keineswegs  völlig  selbstlos  zurück.  Sie  besassen  meist  so  viel 
allgemeine  Bildung  und  künstlerisches  Empfinden,  dass  sie  die  reichen 
Schätze  der  Vorfahren  bis  zu  einem  gewissen  Grade  mit  selbständiger  Kraft 
für  ihre  eigenen  Zwecke  zu  verarbeiten  wussten.  Eine  genauere  Er- 
forschung der  tausendjährigen  Geschichte  des  historischen  Stils  bei  den 
Byzantinern  fehlt  noch;  sicher  aber  ist  schon  jetzt,  dass  mit  der  land- 
läufigen Vorstellung  von  der  chinesischen  Starrheit  desselben  durchaus  ge- 
brochen werden  muss. 

Wie  die  Form  der  byzantinischen  Geschichtschreibung  durch  die 
iintike  Tradition  bedingt  ist,  so  beherrscht  der  alte  Geist  auch  die  Auf- 
fassung des  inneren  Wesens  und  Berufes  der  Geschichte.  Die 
meisten  Historiker  von  Byzanz  besitzen  ohne  Zweifel  geschichtlichen  Sinn 
imd  üben  an  der  Ueberlieferung  Kritik.  Dass  sie  hinter  der  modernen 
Genauigkeit  weit  zurückbleiben,  ist  kein  Vorwurf;  denn  diese  ist  erst  durch 


40  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

die  gesteigerten  Mittel  der  Veröffentlichung  und  Vervielfältigung  möglich 
geworden.  Soweit  es  aber  die  persönlichen  Kräfte  und  die  Bedingungen 
des  Zeitalters  gestatten,  streben  die  Geschichtschreiber  in  Byzanz  nach 
Information  und  bemühen  sich  von  wohlunterrichteten  Personen  ausführ- 
liche Nachi-ichten  zu  erhalten.  Sie  verschmähen  es  nicht,  zu  diesem  Be- 
hufe  rohe  Kriegsleute,  die  wichtigen  Ereignissen  beiwohnten,  gründlich 
auszufragen;  sie  verstehen  sich  sogar  dazu,  fremde,  von  „Barbaren"  wie 
Armeniern  abgefasste  Schriftwerke  zu  benützen.  Grosse  Sorgfalt  ver- 
wenden manche  auf  die  Beschreibung  der  Lokalitäten,  in  denen  die  Be- 
gebenheiten spielen;  mit  Vorliebe  werden  geographische  und  sogar  ethno- 
graphische Skizzen  eingeschaltet.  Sehr  bemerkenswert  ist  auch  das  Streben, 
der  Erzählung  durch  Einreihung  von  Aktenstücken  und  Briefen  einen 
möglichst  urkundlichen  Charakter  zu  verleihen.  Nicht  allen  gelingt  es 
freilich  zur  richtigen  Erkenntnis  der  Thatsachen  vorzudringen;  am  besten 
erreichen  dieses  Ziel  die  Darsteller,  welche  in  hohen  Aemtern  des  Staates 
oder  der  Kirche  an  den  politischen  Dingen  selbstthätig  Anteil  nehmen; 
die  Zahl  dieser  Bevorzugten  ist  recht  stattlich.  Schwieriger  wird  die  In- 
formation in  den  letzten  Jahrhunderten,  als  die  Oberleitung  der  Angelegen- 
heiten den  Händen  der  Byzantiner  entschlüpfte  und  von  fremden  Völkern 
wie  den  Türken  übernommen  wurde.  So  konnte  es  namentlich  dem  letzten 
byzantinischen  Historiker,  Laonikos  Chalkokondyles,  beim  besten  Willen 
nicht  mehr  gelingen,  den  Schauplatz  der  politischen  und  kriegerischen  Ver- 
wickelungen zu  übersehen.  Charakteristisch  für  den  theoretischen  Grund- 
zug des  ganzen  Byzantinertums  ist  das  grosse  Gewicht,  welches  die  meisten 
Historiker  auf  diplomatische  und  theologische  Konflikte  legen.  Bei 
aller  Wichtigkeit,  welche  seit  der  Komnenenzeit  die  dogmatischen  Streitig- 
keiten für  die  Lebensinteressen  des  Staates  besassen,  scheint  der  Raum, 
den  die  Erzählung  dieser  Kämpfe  beansprucht,  doch  allzu  reichlich  be- 
messen. Uebrigens  ist  diese  Richtung  erst  in  der  Paläologenzeit,  die  man 
als  die  theologische  Epoche  der  byzantinischen  Geschichtschreibung  be- 
zeichnen könnte,  stärker  hervorgetreten. 

Kein  Grundsatz  der  alten  historischen  Schule  hat  sich  den  Byzan- 
tinern treuer  vererbt  als  die  Objektivität;  dass  der  Historiker  unpar- 
teiisch und  wahrheitsgetreu  verfahren  müsse,  ist  allen  ohne  Ausnahme  bc- 
wusst  und  wird  von  vielen  ausdrücklich  hervorgehoben.  Dass  trotzdem 
die  konventionelle  Neutralität  häufig  durchbrochen  wird,  erklärt  sich  teils 
aus  dem  despotischen  Drucke,  unter  dem  die  meisten  schrieben,  teils  aus 
persönlichen  Antipathien  und  Sympathien.  Am  bedenklichsten  wird  die 
Objektivität  getrübt  bei  den  eigentlichen  Hofgeschichtschreibern  wie 
Psellos.  *)  Aber  auch  wenn  diese  Erzähler  parteiisch  sind,  bemühen 
sie  sich,  sorgfältigst  ihre  Empfindungen  zurückzuhalten  und  sprechen 
mit  der  Miene  des  Gleichmutes  über  Freunde  und  Feinde,  über  Glück  und 
Unglück. 

So  stehen  die  Historiker  ohne  Zweifel  an  der  Spitze  der  gesamten 
byzantinischen  Prosa.     In   keiner  anderen  Litteraturgattung  ausser  in  der 

')  IJeber   di«  Kxi8tt>nz   einer   byzantini-   1    Mittoilungcn    dos    Institut8    für    tisterr.    tto- 
schen    HofhiHtoriographic    s.    W.   Fischer,   |   schichtsforschiing  7  (1886)  874  ff. 


A.  Die  Geschichtschreiber.    (§  6.)  41 

Kirchenpoesie  hat  das  byzantinische  Vermögen  so  reiche  und  so  gediegene 
Früchte  hervorgebracht.  Bei  aller  formalen  Abhängigkeit  mussten  die 
Geschichtschreiber  doch  etwas  Neues  schaffen;  denn  sie  hatten  durchaus 
neue  Stoffe  vor  sich.  Diese  Stoffe  waren,  namentlich  bis  zum  13.  Jahr- 
hundert, keineswegs  unbedeutend.  Die  mächtigen  Figuren  eines  Justinian, 
Belisar  und  Narses,  eines  Heraklios,  die  ungeheuere  Kraftbethätigung  unter 
den  Kaisern  des  makedonischen  Hauses,  der  politische  und  litterarische 
Aufschwung  unter  den  Komnenen  gehören  zum  grossartigsten  Material,  das 
die  Weltgeschichte  kennt.  Ein  tausendjähriges  Ringen,  furchtbare  aus- 
wärtige Kriege  und  blutige  innere  Konflikte,  staunenswerte  Heldenthaten 
und  das  unheimliche  Spiel  der  feinsten  Diplomatie,  die  edelsten  und  die 
verworfensten  Züge  der  menschlichen  Natur  waren  hier  zu  schildern  und 
sind  häufig  mit  bestem  Erfolg  geschildert  worden. 

Zur  Charakteristik  der  byzantinischen  Historiker:  A.  v.  Gutschmid,  Die  Grenz- 
bot€n  22  (1863)  1,344.  —  C.  Neumann,  Griechische  Geschichtschreiber  und  Geschichts- 
quellen im  zwölften  Jahrhimdert,  Leipzig  1888,  1  —  16. 

6.  Prokopios,  der  bedeutendste  Geschichtschreiber  der  spätgriechisch- 
byzantinischen  Epoche,  wurde  gegen  das  Ende  des  5.  Jahrhunderts  zu 
Kaesarea  in  Palästina  geboren.  Er  wandte  sich  der  juridischen  Laufbahn 
zu  und  suchte  das  Feld  seiner  Thätigkeit,  wie  es  schon  damals  und  noch 
mehr  später  die  fähigen  Köpfe  zu  thun  pflegten,  in  der  Hauptstadt  des 
Reiches.  In  Konstantinopel  muss  er  sich  bald  bekannt  gemacht  haben; 
denn  schon  im  Jahre  527,  kurz  vor  dem  Tode  des  Kaisers  Justin,  wurde 
er  aufgefordert  dem  General  Belisar  als  rechtskundiger  Rat  und  Sekretär  •) 
zu  dienen.  In  dieser  wichtigen  und  verantwortungsvollen  Stellung  be- 
gleitete Prokop  den  Belisar  auf  den  meisten  seiner  Kriegszüge.  Im  Jahre 
533  zog  er  mit  Belisar  gegen  die  Vandalen  nach  Afrika,  wo  er  nach  dem 
Abzüge  Belisars  noch  einige  Zeit  verblieb;  536  ging  er  nach  Italien,  wo 
Belisar  gegen  die  Gothen  kämpfte;  dann  folgte  er  ihm  nach  dem  fernen 
Osten  zum  Feldzuge  gegen  die  Perser;  542  treffen  wir  ihn  wieder  in  Kon- 
stantinopel. Nach  Nikephoros  P.  und  Suidas  wurde  er  zum  Range  eines 
Illustrios  erhoben.  Die  Zeit  seines  Todes  ist  nicht  genau  bekannt;  doch 
hat  er  wahrscheinlich  das  Jahr  562  noch  erlebt.  Prokop  hat  die  Zeit  des 
Justinian  durch  drei  nach  Inhalt  und  Zweck  sehr  verschiedene,  sich  gegen- 
seitig ergänzende  Werke  bekannt  gemacht. 

1,  An  der  Spitze  steht  sowohl  chronologisch  als  nach  seinem  inneren 
Werte  das  grosse  Geschichtswerk  in  8  Büchern.'^)  Prokop  erzählt  in 
demselben  die  Kriege  der  Byzantiner  gegen  die  Perser  (2  Bücher),  gegen 
die  Vandalen  (2  Bücher)  und  gegen  die  Gothen  (3  Bücher);  im  8.  Buche 
gibt  er  noch  eine  übersichtliche  Darstellung  der  Ereignisse  bis  zum  Jahre 
554.  Da  jedoch  ausser  diesen  Kriegen  auch  andere  Begebenheiten  er- 
wähnt werden,  kann  man  das  Werk  geradezu  als  eine  Geschichte  der 
Zeit  Justinians  bezeichnen.  3)    Die  Anordnung  des  Stofl'es  ist  in  den  ersten 

')  Als   ^vfißovXo?,   nÜQsdqog   und    vno-  Proömion,  Prokop  habe  rti  nXtTaxn  tmv  xnxtl 

yQatfsvg.  \  rot'?  'lovariviurov   ^(QÖyovg  yeyeytjfie'ytay   be- 

*)  'loTOQtxoy   fV  ,3ißXioig  oxrw.     Photios  i  schrieben.      Dass    bei    späteren    Historikern 

<5od.  63.  j  das  Werk  häufig  als  Geschichte  der  Kriegs- 

')  Daher   bemerkt   Agathias   in   seinem  '  thaten  Belisars  aufgefasst  wird,  erklärt  sich 


42  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratar. 

sieben  Büchern  wie  bei  Appian  eine  lokale,  wodurch  freilich  der  geschicht- 
liche Zusammenhang  häufig  unterbrochen  wird;  nur  im  achten  Buche  ist 
Prokop  von  diesem  Prinzipe  abgegangen,  weshalb  er  seine  Darstellung 
hier  noixikrj,  buntscheckig  nennt.  Die  ersten  sieben  Bücher  sind  von  dem 
Verfasser  selbst  im  Jahre  550  oder  551  herausgegeben  worden;  das  achte 
Buch,  das  eine  Art  Supplement  bildet,  erschien  nicht  vor  554.  Für  den 
Bericht  über  die  seiner  Zeit  vorausgehenden  Thatsachen  hat  Prokop  um- 
fassende Quellenstudien  •)  gemacht.  Er  erwähnt  Spezialhistoriker,'-)  zitiert 
den  Herodot,  Aeschylos,  Aristoteles,  Arrian  und  Strabo;  doch  nennt  er 
seine  Quellen  meist  nur,  wenn  er  von  ihnen  abweicht.  Die  Darstellung 
der  zeitgenössischen  Ereignisse  beruht  grösstenteils  auf  seinen  eigenen  Er- 
lebnissen, Beobachtungen  und  persönlichen  Erkundigungen.  Daher  rührt 
die  grosse  Menge  spezieller  Züge  und  charakteristischer  Anekdoten,  die 
das  Werk  beleben. 

2.  Nach  der  Kriegsgeschichte  schrieb  Prokop  ein  Werk  über  die 
Bauten  Justinians:  nsQi  KTiandrcov,  das  im  Jahre  558  (spätestens  An- 
fang 559)  vollendet  und  herausgegeben  wurde.  Während  er  in  der  Kriegs- 
geschichte manche  bittere  Wahrheit  ausgesprochen  hatte,  erscheint  die 
Schrift  über  die  Gebäude  als  ein  echt  byzantinischer  Panegyrikus  auf 
den  Kaiser,  als  ein  Musterstück  und  Vorbild  jener  unerquicklichen  Gattung, 
welche  in  der  Zeit  der  Komnenen  und  Paläologen  ihre  höchste  Ausbildung 
erreichte.  Die  Veranlassung  des  Werkes  ist  nicht  bekannt;  wahrschein- 
lich hatte  Prokop  dringenden  Grund,  die  Verstimmung,  die  seine  ziemlich 
unverhohlene  Kritik  in  der  Kriegsgeschichte  hervorgerufen  haben  mochte, 
durch  eine  duftige  Lobrede  zu  beseitigen;  vielleicht  handelte  er  auch 
geradezu  im  Auftrage  des  Kaisers.  Er  rühmt  alle  guten  Eigenschaften 
Justinians,  seine  Milde,  seine  gesetzgeberische  und  politische  Thätigkeit: 
dann  wendet  er  sich  zum  Hauptgegenstande  seiner  Schrift,  einer  Beschrei- 
bung von  Justinians  Bauten  in  allen  Teilen  des  weiten  Reiches.  Um 
diesem  Thema  eine  panegyrische  Seite  abzugewinnen,  stellt  er  alles,  was 
unter  Justinians  Regierung  irgendwo  aus  Staatsmitteln  gebaut  wurde,  als 
selbsteigenes  Werk  des  Kaisers  hin.  Trotz  der  rhetorischen  Uebertreibung 
und  des  unmässigen  Lobes,  das  zuweilen  fast  wie  Ironie  klingt,  gehört  die 
Schrift  durch  das  in  ihr  angehäufte  geographische,  topographische  und 
finanzwirtschaftliche  Material  zu  den  wichtigsten  Quellen  der  inneren  Ge- 
schichte des  byzantinischen  Reiches. 

3.  Ein  merkwürdiges  Gegenstück  der  Schrift  über  die  Bauten  bihlet 
das  Memoirenwerk  des  Prokop,  die  Anekdota,^')  die  häufig  auch  als  Ge- 
heimgeschichte (Historia  arcana)  bezeichnet  werden.    Sie  schliessen  un- 


aus  der  dominierenden  Stellung,  die  Belisar   1  ')  Suidas  s.  v.    //poxdntof:    «;'p«i/'f    x, 

als    Lenker    der   Ereignisse    einnimmt,    und    :    titQoi'    ßißXioy,    ja    xftkovfiteva    \lyexdoj 


aucli  aus  der  grossen  Popularität,  die  der 
selbst  zum  Helden  einer  Volkssagc  erhobono 
Feldherr  im   Mittelalter  gonoss. 

•)  Agathias  IV  26  (S.  264  od.  Bonn.): 
o»i  TiXtiaxd  fie/ice!)t]x6ta  xai  Ttfiattv  o5f  eirteiy 
laroQttty  uvaXciiifiit'oy. 

■')  Z.  B.  Vandal.  II  10  (S.  449  od.  Bonn.), 
Pers.  il  12  (S.  2U8  ed.  Bonn.). 


TMV  ni'Tov  (sc.  'lovarit'iayov)  TtgriSeiüy,  v 
eirai  (ifjrpöreQn  id  litiiktn  ivven  .  t6  fitjihoi 
llQoxo7tiot\  To  xaXot'jUft'oi'  '.■lyf'xdotn  tJ'öyoK 
xni  xutfAunfiai'lovanyirtyor  tov  ßaaiXfMi  7i(()i- 
f'/f<  xal  T»;?  «i'for  yvyraxo^  Heodiw'p««:,  äXkii 
fjtjy  xni  (tviov  lifXiaaQiov  xai  tiji  y€tften'j< 
avioi. 


A.  Die  Geschichtschreiber.    (§  6.)  43 

mittelbar  an  die  Kiiegsgeschichte  an,  weshalb  sie  Suidas  geradezu  als 
neuntes  Buch  derselben  aufführt;  sie  bilden  zu  jenem  Werke  eine  Be- 
richtigung und  Ergänzung,  indem  sie  alles  nachtragen,  was  dort  aus  Furcht 
vor  dem  Kaiser  und  seiner  Gemahlin  Theodora  entweder  gar  nicht  oder 
nicht  wahrheitsgetreu  gesagt  werden  konnte.  So  wird  die  Geheimgeschichte 
zu  einer  beispiellos  bitteren  Anklageschrift  gegen  die  despotische  Regierung 
des  Justinian  und  der  Theodora,  zum  Teil  auch  gegen  Belisar  und  seine 
Gemahlin.  Trotzdem  finden  sich  zwischen  den  Anekdota  und  der  Kriegs- 
geschichte wenig  sachliche  Widersprüche.  Dort  hatte  er  die  Thatsachen 
objektiv  angeführt  und  dem  verständigen  Leser  überlassen  zwischen  den 
Zeilen  zu  lesen;  hier  zieht  er  die  Moral  selbst  und  zwar  mit  einer  rück- 
sichtslosen Strenge,  die  manchmal  ungerecht  und  kurzsichtig  wird.  Justi- 
.^  nian  ist  nach  Prokop  an  allem  schuld,  sogar  an  elementaren  Ereignissen 
wie  Gewittern  und  Feuersbrünsten.  Bei  der  Schilderung  der  Verworfen- 
heit Theodoras  scheut  der  Geschichtschreiber  im  Schwünge  seiner  Ent- 
rüstung selbst  vor  bedenklichen  Obscönitäten  nicht  zurück.  Die  Geheim- 
geschichte schliesst  im  Jahre  558  59  äusserlich  ab;  sie  scheint  aber  nicht 
vollendet  oder  wenigstens  nicht  vollendet  überliefert.  Es  ist  zu  vermuten, 
dass  Prokop  dieselbe  als  eine  Art  geheimes  Tagebuch  stetig  ausarbeitete 
und  als  Vermächtnis  seiner  Wahrheitsliebe  einem  Freunde  zur  Veröffent- 
lichung nach  Justinians  Tode  übergab.') 

Wegen  der  unerhörten  Angriffe  auf  Justinian  ist  die  Echtheit  der 
Anekdota  häufig  bestritten  worden,  und  die  überreiche,  zum  Teil  recht 
unkritische  Litteratur  über  diese  Frage  steht  im  Mittelpunkt  aller  auf 
Prokop  gerichteten  gelehrten  Bestrebungen.-)  Gegenwärtig  ist  die  Autor- 
schaft des  Prokop  durch  sachliche  und  stilistische^)  Gründe  völlig  erwiesen 
und  wird  auch  ziemlich  allgemein  zugestanden.  Aus  verschiedenen  Hin- 
Weisen  geht  hervor,  dass  Prokop  beabsichtigte,  auch  die  kirchlichen 
Verhältnisse  des  byzantinischen  Reiches  in  einem  Werke  zu  behandeln; 
doch  kam  er  nicht  zur  Ausführung  dieses  Planes. 

Prokop  steht  als  Historiker  wie  als  Schriftsteller  bedeutend  da.  Er 
besass  einen  hohen  Grad  litterarischer  Bildung  und  erwarb  sich  durch 
seine  Stellung  als  Begleiter  Belisars  eine  zuverlässige  Summe  von  staats- 
männischen, militärischen,  geographischen  und  ethnographischen  Kennt- 
nissen; so  konnte  er  seine  Werke  auf  einer  sicheren  Grundlage  aufbauen 
wie  wenig  andere.  Wie  Polybios  legt  er  besonders  grossen  Wert  darauf, 
die  Leser  durch  geographische  Exkurse  über  die  fremden  Völker  und  die 
Schauplätze  der  geschilderten   Thaten   zu  unterrichten,    damit  sie,   wie  er 

')  S.  TeuflFel  Studien  und  Charakt.  S.  267.   ;  »)  S.  Dalins  Werk  über  Prokop  S.  416 

■-)  Die  Erkenntnis  des  Richtigen  wurde  bis  447  und  H.  Braun,  Procopius  C.  quat«mis 

früher  namentlich  durch  die  unsinnige  Manie  imit.    sit  Thucyd.    S.    54  ff.    —    Gegen    die 

getrübt,    die   Frage   als   Parteisache  zu   be-  Echtheit  hat  sich  noch  die  gewichtige  Stimme 

handeln.     Die  Juristen  kämpften  gegen   die  von   L.   v.    Ranke   erhoben,   der   in   seiner 

Echtheit,   weil   sie   auf  iliren   geliebten  Ju-  Weltgeschichte  IV  2,  300  ff.  nachweisen  will, 

stinian  nichts  Böses  kommen  lassen  wollten;  dass  die  Geheimgeschichte  eine  Kompilation 

katholische   Theologen    glaubten    durch   Er-  aus  drei  Stücken  sei,    von  welchen  nur  das 

Weisung  der  Echtheit,  protestantische  durch  eine  dem  Prokop  gehören  könne.  Seine  Argu- 

Behauptung    der   ünechtheit    dem    Interesse  mente  sind  nicht  überzeugend. 
ihrer  Kirche  zu  dienen. 


44  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

einmal  bemerkt, ')  nicht  Leuten  glichen ,  die  mit  unsichtbaren  Schatten 
kämpfen,  sondern  wüssten,  mit  was  für  einer  Menschenart  sie  zu  thun 
haben.  Selbst  die  Mirabilien  verschiedener  Landschaften  verwertet  er  zur 
Charakteristik  und  zur  Erregung  der  Teilnahme.  Seine  nahe  Verbindung 
mit  den  leitenden  Kreisen  machte  es  ihm  möglich,  sein  Zeitalter  von  einem 
erhabenen  Standpunkte  aus  zu  überschauen.  Mit  diesen  Vorzügen  ver- 
bindet er  eine  achtungswerte  Wahrheitsliebe.  Das  devote  Verhalten  gegen 
Justinian  in  der  Kriegsgeschichte  und  noch  mehr  in  der  Schrift  über  die 
Bauten  wird  durch  den  despotischen  Druck  entschuldigt,  unter  dem  er 
schrieb;  trotz  aller  scheinbaren  Anerkennung  gibt  Prokop  dem  verständigen 
Leser  immerhin  noch  genug  Mittel  an  die  Hand,  um  die  verschleierte 
Wahrheit  zu  erkennen.  In  Komposition  und  Darstellung  folgte  Prokop 
alten  Vorbildern,  vor  allem  dem  Herodot  und  Thukydides.  Ihnen  ent- 
lehnt er  nicht  nur  zahlreiche  Lieblingswörter  und  Wendungen,  sondern 
ganze  Beschreibungen,-)  ja  zuweilen  scheint  er  selbst  die  genaue  Wahr- 
heit der  aus  Thukydides  entnommenen  Phrase  geopfert  zu  haben.  Im 
schwierigsten  Teil  der  Sprache,  der  sich  am  wenigsten  nachahmen  lässt. 
in  der  Syntax  verrät  sich  freilich  auch  bei  Prokop  das  Schwinden  des 
altgriechischen  Sprachgefühls;  Symptome  hiefür  sind  der  unpassende  Ge- 
brauch des  Optativs  und  die  Verwirrung  in  der  Konstruktion  der  Präpo- 
sitionen. Immerhin  schreibt  Prokop  im  ganzen  einen  klaren,  anschaulichen 
und  kräftigen  Stil,  der  sich  von  der  blumigen  Schnörkelei  des  Agathias 
und  dem  dunkeln  Marinismus  des  Theophylaktos  vorteilhaft  unterscheidet. 
Wie  sehr  Prokop  von  der  alten  Geschichtschreibung  abhängig  ist,  beweist 
am  deutlichsten  die  seltsame  Verwirrung,  die  in  seinem  Werke  durch  die 
Verquickung  antiker  Weltanschauung  und  christlicher  Lehre  entstanden  ist. 
Von  der  höheren  Macht,  die  über  den  menschlichen  Angelegenheiten  waltet, 
spricht  Prokop  bald  wie  ein  Christ,  bald  wie  ein  alter  Hellene;  sie  er- 
scheint bei  ihm  bald  als  ^eög,  bald  als  ^dor,  Sai'ßcov,  Sainoviov  oder  gar 
als  Ti'xrj.  Die  aus  den  antiken  Autoren  übernommene  Schicksalsidee  durch- 
kreuzt, sich  mit  der  theistischen  A^orstellung  des  Christen ;  zu  einer  Ver- 
mittelung  kann  dieser  Gegensatz  aus  dem  einfachen  Grunde  nicht  gelangen, 
weil  bei  Prokop  die  Konzession  an  die  alten  Vorstellungen  nicht  aus  phi- 
losophischer Ueberlegung  und  Ueberzeugung,  sondern  aus  rein  tektonischen 
Absichten  entspringt.  Wie  er  seinen  alten  Vorbildern  Wörter,  Phrasen 
und  Bilder  entnahm,  so  folgte  er  ihnen  auch  in  der  Art,  wie  sie  sich  über 
die  letzten  Gründe  der  menschlichen  Begebenheiten  äussern.  Dass  die  antike 
Tyche  sich  mit  dem  Christentum  nicht  verträgt,  Hess  er  unbemerkt  oder 
wenigstens  unbeachtet. 

Wenn   man   das   Bild   des   Prokop   durch   einen  Vergleicli    mit   altin 
Historikern   noch   deutlicher   machen    will,    so   fällt   die   Aehnlichkeit   mit 


')  floth.  IV  1  (S.  462  ed.  Bonn.): 'i^TTitff  1  (fjy    TQihioy    th'dQionoi    oixovai    rör  Ev^ett'oi 

Ji    ToJV    räife  uyu'Atyouivotg    IxdrjXu    tu    ini  |  xaXoi'utvoy  nörtoy. 

/laOxijc  /(i>(»('«  torra.  öan  re  yr'ytj  ('(y'iQtÖTJtüy  I             ")   Z.   H.    sind    Motive    und    WondMiigt'ii 

i'tutf'  ax'ijT^y  'nfQvyTM,  xm  fir)  vn^Q  Twy  tlffct-  '  aus  der  boiiihmtiMi  Scliildcninjj  der  Holagr 

ytjy  (j^iaty  üJantQ  oi  axKtfKeyovyjti  (ftuXe'yfa-  i  rung  von  l'latäii.  Thiikvd.   II   7.")  -  7H,  III 

,'ha  ('<y€(yxt(^(i)yt(a,  nv  f^oi  ktio  xniQov  idoSey  i  20     24 ;  .Vi  von  Prokop  allenthalben  in  seinem 

nyru  äynygntpaafha  h'iuvÜK  xnv  Xnyov  'üyiiya  \  Werke  verstreut. 


A.  Die  Geschichtschreiber.    (§  6.)  45 

Polybios  in  die  Augen.  Beide  stehen  am  Wendepunkt  zweier  Epochen 
der  griechischen  Geschichtschreibung.  Polybios  v^ermittelt  den  Uebergang 
von  der  klassischen  Zeit  zum  Hellenismus,  Prokop  blickt  aus  dem  sinken- 
den Altertum  ins  byzantinische  Mittelalter.  Polybios  und  Prokop  haben 
im  Gegensatz  zu  den  zahlreichen  Stubenhistorikern  der  hellenistischen  und 
byzantinischen  Zeit  den  Vorzug  gemeinsam,  dass  sie  als  Begleiter  und 
Berater  eines  grossen  Feldherrn  an  den  politischen  und  militärischen  Er- 
eignissen als  Augen-  und  Ohrenzeugen  lebendigen  Anteil  nahmen  und  die 
weit  ausgedehnten  Schauplätze  der  geschilderten  Thaten  meist  durch  eigene 
Anschauung  kennen  lernten. 

1.  Ausgaben:  Die  ältesten  Ausgaben  einzelner  Werke  von  Leonardos  Aretinus, 
Beatus  Rhenanus.  David  Hoeschelius  u.  a.  haben  nur  antiquarischen  Wert.  Wichtiger  sind : 
Anecdota  ed.  pr.  N.  Alemannus,  Lugduni  1623,  mit  einem  gelehrten  Kommentare,  der 
in  der  Bonner  Ausgabe  wiederholt  ist,  und  Anecdota  ed.  Joh.  Eichelius,  Helmstadi 
1654.  Beide  Ausgaben  sind  charakteristisch  für  die  Art,  wie  Prokop  in  die  politischen  und 
religiösen  Streitigkeiten  der  Reformation  hineingezogen  wurde.  —  Neuere  Ausgaben  der 
Anecdota  von  Orelli,  Turici  1827,  imd  von  Isambert,  Paris  1856  (ein  unglaublich  ober- 
flächliches Machwerk).  —  Gesamtausgabe  zuerst  im  Pariser  Corpus  von  dem  Jesuiten 
Cl.  Maltretus,  2  voll.,  Paris  1662—63  (auf  imgenügender  Grundlage).  —  Wiederholt 
Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus  ex  rec.  G.  Dindorfii,  3  voll.,  Bonnae  1833 — 38,  ohne 
nennenswerte  Förderung  des  noch  immer  stark  verdorbenen  Textes.  Vgl.  van  Her  werden, 
Mnemosyne  9  (1881)  151    und  Schenkl,  Bursians  Jahresbericht  38,  255.  —  Eine  kritische 

I    Ausgabe    des  Prokop   ist   eines   der  fühlbarsten  Bedürfnisse    der  byzantinischen  Philologie. 

2.  Uebersetzungen:  Ueber  die  ältesten  lateinischen  Uebersetzungen  s.  die  Aus- 
gaben. —  Vier  Bücher  der  Kriegsgeschichte  mit  Exzerpten  aus  Agathias  übertrug  ins 
Lateinische  kein  Geringerer  als  Hugo  G  rot  ins:  Historia  Gothorum  etc.  ab  H.  Grotio 
partim  versa,  partim  in  ordinem  digesta,  Amstelodami  1655.  —  Lateinische  L'ebersetzung 
sämtlicher  Werke  von  dem  Pariser  Herausgeber  Maltretus,  die  auch  in  der  Bonner  Aus- 
gabe wiederholt  ist.  —  Anekdota,  französisch  in  der  Ausgabe  von  Isambert.  —  Deutsch: 
Kriegsgeschichte:  von  Fr.  Kanngiesser,  4  Bde..  Greifswalde  1827 — 31.  —  Vandalenkrieg : 
von  D.  Coste  in:  Geschichtschreiber  der  deutschen  Vorzeit,  73.  Lieferung  (6.  Jahrhundert 
H.  Band). 

3.  Hilfsmittel:  Die  drei  Hauptschriften  sind:  W.  S.  Teuffel's  Abhandl.  in  Schniid's 
Zeitschrift  für  Geschichtswissenschaft  8  (1847)  38—79,  wiederholt  in  W.  S.  Teuffel's  Studien 
und  Charakteristiken,  Leipzig  1871  (in  2.  Aufl.  Leipz.  1889  S.  248  ff.).  Felix  Dahn's 
Procopius  von  Cä.sarea,  Berlin  1865,  ein  ausführliches  Werk,  das  den  Prokop  vornehmlich 
vom  Standpunkt  des  Historikers  aus  behandelt,  imd  die  nicht  ganz  glückliche  Monographie 
von  L.  V.  Ranke,  Weltgeschichte  IV  2  (1883)  285—312.  —  Eine  Erläuterung  und  Er- 
klärung von  Prokops  Nachrichten  über  die  nordischen  Länder  versucht  E.  C.  Wer- 
ls uff,  Det  Kong.  Danske  Videnskabernes  Selskabs  historiske  og  philosophiske  Afhandlinger 
1845,41 — 104.  —  Hauptschrift  über  die  Herkunft  und  den  Charakter  der  geographischen 
Nachrichten  des  Prokop:  Julius  Jung,  Geographisch-Historisches  bei  Procopius  von 
Caesarea,  Wiener  Studien  5  (1883)  85 — 115.  —  Gute  Bemerkungen  von  K.  Hopf  in  einer 
Besprechung  der  Ausgabe  Isambert's,  Jahns  Jahrbücher  75  (1857)  769 — 777.  — 
Ueber  Glaubwürdigkeit  und  Quellen  s.  ausser  den  einschlägigen  Geschichtswerken 
folgende  Monographien:  H.  Reinkens,  Anecdota  sintne  scripta  a  Procopio  Caesariensi, 
Vratislaviae  1858,  gibt  schwache  Argumente  gegen  die  Echtheit  der  Anekdota.  —  W.  Gund- 
lach,  Quaestiones  Prokopianae,  Progr.  Hanau  1861  (auch  als  Dissert.  Marburg  1861),  eine 
besonnene  Arbeit  über  die  Glaubwürdigkeit  der  An.  mit  guter  L'ebersicht  über  die  ganze 
Frage  und  die  auf  sie  bezügliche  Litteratur.  —  H.  Eckardt,  De  Anecdotis  Prokopii,  Diss. 
Königsberg  1861,  und:  Zur  Charakteristik  des  Prok.  und  Agathias  als  Quellenschriftsteller 
für  den  Gothenkrieg  in  Italien.  Progr.  Königsberg  1864.  —  Aug.  Aul  er,  De  fide  Procopii 
Caes.  in  secundo  hello  Persico  Justiniani  imp.  enarrando,  Diss.  Bonn.  1876.  —  Karl  Hof- 
mann, Zur  Kritik  der  byzant.  Quellen  für  die  Römerkriege  Kobads  I,  Progr.  Schweinfurt 
1877.  —  Kirchner,  Bemerkungen  zu  Prokops  Darstellung  der  Perserkriege  des  Anastasios, 
Justin  und  Justinian,  Progr.  Wismar  1887.  —  Gegen  die  Glaubwürdigkeit  der  'Jyt'xdoTre, 
auf  die  sich  durch  Sardou's  Theodora  neuerdings  ein  allgemeineres  Interesse  gerichtet  hat. 
spricht  ausser  L.  v.  Ranke  a.  a.  0.  noch  Debidour,  L'imperatrice  Theodora,  Paris  1885 
und  Mallet,  The  empress  Theodora,  The  English  bist,  review  2  (1887)  1  21.  —  Ueber 
die  takti.schen  und  strategischen  Kenntnisse  des  Prokop  s.  Max  Jahns,  Geschichte  der 
Kriegswissenschaften  1  (^München  1889)  143  ff. 


46 


Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    1.  Prosaisclie  Litteratur. 


4.  Sprache  und  Textkritik:  Ueber  die  Nachahmung  des  Tlmkydides  spi-arh 
schon  Poppe  in  seiner  Ausgabe  des  Thukydides,  Pars  II  1,  S.  77  flF.  -  Felix  Dahn, 
Procopius  S.  416-447  und  die  Könige  der  Gothen  (1861)  2.  Abt.  S.  260  268.  —  A.  DuAve, 
Quatenus  Procopius  Thucydidem  iniitatus  sit,  Progr.  Jever  1885,  eine  magere  und  fast 
wertlose  lexikalische  Zusammenstellung.  —  Weit  methodischer  und  fruchtbarer  behandelte 
dasselbe  Thema  H.  Braun,  Procopius  Caes.  quatenus  imitatus  sit  Thucydidem,  Diss.  Erlangen 
1885  ^  Acta  seminarii  Krl.  4  (1886)  161—221.  Derselbe  Verf.  verspricht  eine  Unter- 
suchung über  das  Verhältnis  Prokops  zu  Herodot.  —  Zur  Kritik:  K.  L.  Struve,  Opuscula 
selecta  vol.  I  (Lipsiae  1854)  243  ff.  -  Van  Herwerden,  Mnemosyne  9  (1881)  104—112; 
149-166.  —  Nachtrag  dazu  von  J.  C.  Volgraff,  Mnemosyne  10  (1882)  422  f.  -  Th. 
Gomperz,  Wiener  Studien  2  (1880)  6  f.      4 

5.  Zur  Ergänzung  der  ersten  Kapitel  von  Prokops  Perserkrieg  dient  die  im  J.  507 
von  Joshua  Stylites  in  syrischer  Sprache  verfasste  Chronik,  die  als  glaubwürdig  und 
anschaulich  gerühmt  wird.  W.  Wright,  The  chronicle  of  Joshua  the  Stylite,  Cambridge 
1882  (syrischer  Text  mit  englischer  Uebersetzung  und  Kommentar). 

7.  Eine  recht  dunkle  Existenz  ist  der  Presbyter  Bogomilus  d.  h. 
Theophilos,  angeblich  Zeitgenosse  und  Lehrer  Justinians  I,  der  eine 
Biographie  dieses  Kaisers  verfasst  haben  soll.  Dieses  sonst  nirgends 
bezeugte  Werk  will  der  als  Vielwisser,  aber  auch  als  phantastischer  Genea- 
logist bekannte  Johannes  Marnavich,  der  Kanonikus  in  Sebenico,  später 
Bischof  von  Bosnien  war  (f  1639),  in  einer  mit  ,,illyrischen''  Zeichen  ge- 
schriebenen Athoshandschrift  für  die  von  ihm  in  lateinischer  Sprache  ab- 
gefasste  Lebensbeschreibung  des  Justinian  benützt  haben.  Bryce,  der  Heraus- 
geber des  Stückes  hat  gezeigt,  dass  die  Erzählung  des  Marnavich  einen 
ganz  romanhaften  Charakter  trägt,  und  vermutet,  dass  seine  Quelle  einem 
Sagenkreis  angehöre,  welcher  sich  bei  den  Slavoniern  um  die  Persönlichkeit 
des  Justinian  gebildet  habe.  Aber  selbst  diese  Annahme  wird  noch  zu 
günstig  sein.  Da  selbst  K.  Jirecek  die  vorkommenden  slavischen  Namen, 
welche  angeblich  Justinian  und  seine  Verwandten  geführt  haben,  für  ver- 
dächtig hält,  dürfte  sich  die  ganze  Arbeit  als  eine  im  slavophilen  Sinin 
unternommene  Fälschung  herausstellen.  Die  Erkenntnis  dieser  Sachlage 
ist  nicht  ohne  Wichtigkeit;  denn  das  Schwindel  werk  dieses  angeblichen 
Bogomil  ist  die  einzige  Quelle,  in  welcher  die  zuerst  von  Alemannus  in 
seiner  Ausgabe  der  Anekdota  des  Prokop  mitgeteilten  und  daraus  in  die 
ganze  historische  Litteratur  übergegangenen  Notizen  über  die  slavisclic 
Abkunft  des  Justinian,  seinen  Namen  Upravda  und  andere  sonst  unbe- 
kannte Züge  überliefert  sind.  Immerhin  verdient  die  Angelegenheit  noch 
einmal  von  einem  in  der  slavischen  Philologie  erfahrenen  Historiker  ge- 
prüft zu  werden. 

Ed.  James  Bryce,  The  English  historical  review  2  (1887)  657—686  mit  den  Be- 
merkungen von  K.  Jirecek  über  die  in  der  Biographie  vorkommenden  slavischen  Namen.  — 
Vgl.  Jagic,  Arch.  .slav.  Phil.  11  (1888)  300—304. 

8.  Petros,  gewöhnlich  nach  seiner  Würde  Patrikios,  auch  Ma- 
gister genannt,  wurde  um  das  Jahr  500  in  Thessalonike  geboren.  Pro- 
kop') nennt  ihn  Illyrier,   was  vielleicht  nicht  von  der  Nationalität  zu  ver- 


•)  Goth.  I  3  (21,  7  ed.  Bonn.).  Dagegen 
hei.s8t  es  bei  Kodinos,  De  aedificiisCpolis  1 14, 10 
(ed.  Bonn.)  von  einem  unter  .Justinian  leben- 
den Uitiiog  lldTQixioi,  der  mit  dem  unserigen 
jedenfalls  identisch  sein  soll,  man  habe  ihn 
auch  H((Qavfii«yöy  löy  IvQof  geheissen.  Diese 
Notiz  beruht  olfenbar  auf  dem  Missverständ- 


nis  einer  Nachricht,  die  bei  Suidas  s.  v.  Je^f 
steht;  dort  wirtl  nämlich  erwilhnt.  datw  tmter 
Justinian  ein  gewisser  //f'rpoc  IU(()ai\utji  nis 
gewandter  Tjischendieb  bekannt   war.     Eii 
auf  diesen  //f'rpof  Ha^aviuji   bezügliehe  II. 
merkung  niuss  Kodinos  irgendwo  (nicht  bei 
Suidas   selbst,    wo    der   Zusittz   2°i'(>o(   fehlt) 


A.  Die  Geschichtschreiber.    (§  7 — 8.) 


47 


stehen,  sondern  daraus  zu  erklären  ist,  dass  die  Diözese  Makedonien  zur 
Jurisdiktion  des  Praefectus  praetorio  von  Illyrien  gehörte.  Sein  äusserer 
Lebensgang  hat  manche  Aehnlichkeit  mit  dem  seines  Zeitgenossen  Prokop. 
Durch  ausgezeichnete  Beredsamkeit  als  Anwalt  in  Konstantinopel  schnell 
bekannt  geworden,  wurde  er  vom  Kaiser  Justinian  534  als  Gesandter  an 
die  Ostgothin  Amalasuntha  geschickt,  die  nach  dem  Tode  ihres  Vaters 
Theodorich  des  Grossen  im  Namen  ihres  unmündigen  Sohnes  regierte. 
Infolge  der  politischen  Verwickelungen  in  Italien  wurde  Petros  lange  ge- 
fangen gehalten;  erst  538  erhielt  er  durch  Vitiges  die  Freiheit.  Für  seine 
Verdienste  wurde  er  vom  Kaiser  zum  Magister  officiorum ')  und  später  zur 
Würde  eines  Patrikios-)  erhoben.  Um  das  Jahr  550  ging  er  als  Ge- 
sandter des  byzantinischen  Hofes  zum  Perserkönig  Chosroes,  ohne  jedoch 
wesentliche  Erfolge  zu  erzielen.  552  führte  er  zu  Chalkedon  dogmatische 
Unterhandlungen  mit  dem  Papste  Vigilius.  Zehn  Jahre  später  reiste  er 
abermals  als  Gesandter  nach  Persien  und  brachte  einen  Frieden  auf  50  Jahre 
zu  stände.  Bald  darauf  starb  er  mit  Hinterlassung  eines  Sohnes  Theodoros, 
der  576  ebenfalls  als  Gesandter  nach  Persien  geschickt  wurde. 

Johannes  Lydos,  Cassiodor,  Menander  Protektor  u,  a.  be- 
zeugen übereinstimmend,  dass  Petros  sich  durch  eine  unwiderstehliche  Be- 
redsamkeit, durch  Gewandtheit,  genaue  Kenntnis  der  Gesetze  und  einen 
hohen  Grad  allgemeiner  Bildung  auszeichnete;  mit  diesen  Eigenschaften 
verband  er  einen  liebenswürdigen,  heiteren,  weltmännischen  Charakter,  der 
ihm  bei  der  Ausübung  seines  diplomatischen  Berufes  wohl  zu  statten  kam. 
Nur  Prokop  3)  ist  nicht  gut  auf  ihn  zu  sprechen  und  wirft  ihm  vor,  er 
habe  im  Auftrage  der  Theodora  den  Theodat  zur  Ermordung  der  Amala- 
suntha angestiftet;  auch  beschuldigt  er  ihn  einer  unersättlichen  Habsucht. 
Allein  seine  Schilderung  ist  mit  grosser  Vorsicht  aufzunehmen;  schon  der 
eine  Umstand,  dass  Petros  sich  bei  Justinian  und  Theodora  in  steter 
Gunst  zu  erhalten  wusste,  reichte  für  Prokop  hin,  ihm  das  Schlimmste 
zur  Last  zu  legen  und  nur  die  dunkeln  oder  zweifelhaften  Seiten  seines 
Charakters  zu  betonen.  Der  grosse  Reichtum  des  Petros  wird  allerdings 
sicher  bezeugt;  er  besass  nämlich  nach  Stephanos  Byz.  (s.  v,  \ix6rai)  die 
gegenüber  von  Chalkedon  liegende  Insel  Akonitis,  auf  der  sich  bedeutende 
Wetzsteinlager  befanden.  Diese  Thatsache  ist  aber  zum  Erweise  einer 
übermässig  materiellen  Gesinnung  nicht  ausreichend. 

Von  der  schriftstellerischen  Thätigkeit  des  Petros  zeugen  2  Werke, 
von  denen  umfangreiche   Bruchstücke  erhalten  sind, 

1.   '^laroQi'tti,  die  von   Suidas  s,  v.  JlirQoc  ohne  nähere  Angabe  des 


gefunden  haben  und  er  verwechselte  diesen 
Petros  mit  dem  Petros  Patrikios.  Uebrigens 
erwähnt  Prokop  selbst  Anecd.  c.  22  (123,  15 
ed.  Bonn.)  als  Liebling  der  Theodora  einen 
Geldwechsler  syrischer  Abkunft  Namens  Tli- 
TQog  lifcQovm]?,  den  er  offenbar  von  dem 
Patrizier  unterscheidet.  Man  darf  also  nicht 
daran  denken,  mit  C.  Müller  den  Prokop 
nach  Kodinos  zu  emendieren.  Vgl.  Wäschke 
S.  9  der  unten  zitierten  Schrift. 

')  Ein  Amt,  das  etwa  dem  Minister  der 


auswärtigen  Angelegenheiten  entspricht,  mit 
dem  aber  noch  andere  Obliegenheiten  wie 
das  Hofmarschallamt  verbunden  waren. 

'^)  Kin  Rangtitel,  den  Personen  in  ver- 
schiedenen Aemtem  erhalten  konnten.  Vgl. 
die  Praefatio  der  Bonner  Ausgabe  des  Petros 
S.  21;  auch  Ch.  Diehl,  Etudes  sur  l'admini- 
stration  Byzantine  dans  l'exarchat  de  Ravenne, 
Paris  1888  S.  173. 

*)  Anekdota  c.  16  (96,  17  ed.  Bonn.)  und 
c.  24  (136,  17  ed.  Bonn.). 


48 


Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaisclie  Litteratnr. 


Inhalts  genannt  werden  J)  Wir  haben  von  diesem  Geschiclits werke  19  Frag- 
mente, von  denen  17  in  den  beiden  Titehi  De  legationibus  der  Konstan- 
tinischen Exzerpte  stehen.  Das  erste  derselben  bezieht  sich  auf  eine 
Gesandtschaft  der  Parther  an  Kaiser  Tiberius  im  Jahre  35  n.  Chr.,  die 
folgenden  auf  Ereignisse  aus  der  Zeit  des  Claudius,  Domitian,  Trajan  und 
mehrerer  der  folgenden  Kaiser;  das  letzte  Bruchstück  berichtet  über  den 
Oberbefehl,  welchen  Julianus  Apostata  als  Caesar  im  Jahre  358  n.  Chr. 
in  Gallien  führte.  Ausserdem  stehen  noch  zwei  kleine  Fragmente  in  einem 
syntaktischen  Lexikon,  ^)  wo  fJe'iQog  elg  id  ntql  'Avioniov  und  elg  id  ti^c 
liovaQxiag  Kaiffagog  zitiert  wird.  Daraus  lässt  sich  schliessen,  dass  di( 
'IffTOQi'at  die  Geschichte  vom  zweiten  Triumvirat  bis  auf  Kaiser  Julian  be- 
handelten d.  h.  bis  auf  den  Zeitpunkt,  von  welchem  an  Eunapios  die  Er- 
eignisse ausführlicher  darstellt.  Unter  den  Quellen  des  Petros  können 
wir  vor  allem  den  Dio  Cassius  nachweisen,  dem  er  vielfach  mit  wört- 
licher Anlehnung  folgt.  Für  die  spätere  Zeit  (Dio  schliesst  mit  dem 
Jahre  229)  scheint  Petros  einen  Autor  benützt  zu  haben,  aus  dem  auch 
Zonaras  schöpfte,  wahrscheinlich  den  Dexippos,  ausserdem  für  den  Schluss 
den  Eunapios,  aus  dem  das  letzte  Fragment  exzerpiert  scheint.  Dass 
dem  Petros  auch  die  Exzerpte  De  sententiis  gehören,  die  in  einem  vati- 
kanischen Palimpsest  auf  Auszüge  aus  Dio  Cassius  folgen  und  das  Werk 
des  Dio  bis  auf  Konstantin  den  Grossen  fortführen,  ist  eine  Vernmtung 
Niebuhrs,  die  sich  bis  jetzt  nicht  erweisen  Hess.  3) 

2.  IJsQi  TToXiTixtjg  xataaräaeoig  d.  h.  über  Staatswesen,  staatliche 
Einrichtung.  Aus  diesem  von  Suidas  bezeugten  Werke  des  Petros  stammen 
wahrscheinlich  das  84.  und  85.  Kapitel  des  Konstantin  Porphyrogennetos, 
De  caerimoniis  aulae  Byzantinae,  die  dort  mit  dem  Vermerke  'Ex  rmv  xov 
luayi'aTQov  Jlt'iQov  und  Tov  avtov  JltxQov  ausdrücklich  auf  Petros  zurück- 
geführt werden.^)  A.  Mai  versuchte  mit  dem  Werke  lleQl  noXiiixt^g  xatct- 
üTÜaeoig  ein  in  einem  vatikanischen  Palimpseste  fragmentarisch  erhaltenes 
anonymes  Werk  zu  identifizieren,  welches  nfQi  nokiTixr^g  iTiiüir](irfi  betitelt 
ist.^)  Allein  seine  Hypothese  hat  gewichtige  Gründe  gegen  und  sehr  wenig 
für  sich.*')  Noch  weniger  geht  es  natürlich  an,  die  Schrift  als  ein  selbst- 
ständiges drittes  Werk  des  Petros  aufzuführen. 

Mit  grösserem  Rechte  kann  man  den  Petros  als  Verfasser  eines 
anderen  freilich  nicht  erhaltenen  Schriftstückes  bezeichnen.  Menander 
Protektor  erwähnt  bei  der  Schilderung  der  Friedensgesandtschaft  an  Chos- 
roes,  dass  er  die  von  Petros  mit  Chosroes  geführten  Unterhandlungen  nicht 


')  Quelle  des  Suidas  ist  violleicht  He- 
sychios  von  Milet.  S.  Hesycli.  Miles.  Ono- 
matol.  ed.  Flach  (1882)  S.  167. 

*)  I.  Bekker,  Anecd.  Gr.  I  130;  149. 

')  Die  Kxzerpte  stehen  in  den  Fragmente 
hist.  (iraoc.  ed.  C.  Müller  IV  191  —  199.  Zo- 
naras hat  auH  diesem  unbekannten  Autor 
manches  fast  wörtlich  ausgeschrieben. 

*)  Kciskc  wollte  die  ganze  Partie  von 
Kap.  84—96  dem  Petros  zuteilen,  was  von 
Wüschke  mit  triftigen  Gründen  zurückge- 
wiesen wurde. 

'')  Kd.  von  A.  Mai,   Scriptor.  vet.  nova 


collectio  II  (Romae  1827)  571-609.  Di. 
erhaltenen  Teile  handeln  über  militäriscli 
Disziplin,  über  den  Vorzug  des  Fussvolkt 
vor  der  Reiterei,  die  A'^erwondung  der  Reitoni 
das  Verhalten  der  Soldaten  gegen  die  liürgei 
zuletzt  über  das  Königtum  und  die  richtiu. 
Regierung. 

*^)  Dagegen  hat  Mai  recht,  wenn  «>r  di<' 
von  ihm  gefundene  Schrift  mit  dem  von 
Photios  cod.  37  analysierton  anonymen  Werki 
Ueqi  Tto'ÄiTixiji  für  identisch  erklUrt;  dann; 
hätte  er  sicli  begnügen  sollen. 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  8—10.)  49 

in  attischer  Sprache  wiedergebe,  sondern  mit  authentischer  Treue  und  in 
derselben  Form,  die  Petros  selbst  gebraucht  habe.*)  Daraus  folgt,  dass 
Petros  über  seine  Gesandtschaft  einen  ausführlichen  Bericht  erstattete. 
Wo  und  wie  das  geschah,  wissen  wir  nicht.  In  dem  Werke  Ueoi  7roXiTixi]g 
xaraffväasüyg  hätte  dergleichen  wohl  Platz  gehabt;  aber  ebenso  leicht  ist 
es  denkbar,  dass  Menander  einen  offiziellen  Bericht  des  Petros  an  die  Re- 
gierung vor  Augen  hatte. 

1.  Fragmente  der 'laroQidi:  Ed.  B.  G.  Niebuhr  im  Bonner  Corpus  v.  I  121  — 132, 
Bonnae  1829.  —  Ed.  C.  Müller.  Fragm.  bist.  Graec.  IV  184-191;  addenda  S.  670.  — 
Ed.  L.  Dindorf,  Hist.  Graec.  min.  I  42.5—437. 

2.  Leben  und  Werke:  Niebuhr  in  seiner  Ausgabe  S.  XXI — XXVII;  wiederholt  in 
den  Ausgaben  von  Müller  imd  Dindorf.  —  Hauptschrift:  H.  Wäschke,  Ueber  das  von 
Reiske  vermutete  Fragment  der  Exzerpte  Konstantins  Ilegi  dyttyogevaeojs.  Progr.  Dessau  1878. 

9.  Nonnosos  stammte  aus  einer  Familie,  in  welcher,  wie  in  der  des 
Petros,  der  diplomatische  Dienst  erblich  war.  Sein  Grossvater  wm*de  von 
Kaiser  Anastasios  an  einen  sarazenischen  Fürsten  geschickt;  sein  Vater 
Abram  diente  in  der  gleichen  Eigenschaft  dem  Kaiser  Justin  I;  Non- 
nosos selbst  führte  unter  Justinian  um  533  eine  Gesandtschaft  zu  den 
Sarazenen  und  andern  Völkern  des  Orients.  Aus  dem  Namen  seines 
Vaters,  den  Photios  überliefert,  lässt  sich  schliessen,  dass  Nonnosos  semi- 
tischer Abkunft  war.  Vermutlich  war  es  die  in  der  Familie  vererbte 
Kenntnis  orientalischer  Sprachen,  welche  den  Grossvater,  Vater  und  Sohn 
zu  diplomatischen  Missionen  gelangen  Hess.  Seine  Stelle  in  der  griechi- 
schen Litteraturgeschichte  verdankt  Nonnosos  einer  Schrift,  in  welcher  er 
seine  Gesandtschaftsreise  schilderte.  Wir  besitzen  daraus  ein  Stück  bei 
Photios  (cod.  8),  der  uns  auch  einiges  über  den  Verfasser  mitteilt.  Das 
geographisch  und  ethnographisch  nicht  unwichtige  Fragment  enthält  ausser 
Bemerkungen  über  die  natürliche  Beschaffenheit  der  auf  der  Reise  berührten 
Gegenden  Nachrichten  über  ein  von  Nonnosos  getroffenes  Volk,  das  von 
kleiner  Statur,  von  schwarzer  Hautfarbe  und  am  ganzen  Körper  behaart 
war.  Ausser  Photios  benützten  den  Nonnosos  die  Chronisten  Malalas 
(S.  456  ff.  ed.  Bonn.)  und  Theophanes  Confessor  (vol.  I  S.  377  ff.  ed.  Bonn.), 
ohne  jedoch  ihren  Gewährsmann  zu  nennen. 

Fragment:  Ed.  Niebuhr  im  Bonner  Corpus  v.  1  478—482.  —  Ed.  C.  Müller, 
Fragm.  hist.  Graec.  IV  178  180.  —  Ed.  L.  Dindorf,  Hist.  Graec.  min.  I  473-478.  — 
Zur  Erläuterung:  Dill  mann,  Zur  Geschichte  des  axumitischen  Reiches,  Abh.  d.  Berliner 
Akad.  d.  Wiss.,  philos.-hist.  Kl.  1878,  177-238  und  1880,  1—51. 

10.  Agathias  wurde  um  das  Jahr  536  zu  Myrina  in  der  kleinasia- 
tischen Aeolis  geboren.  Als  Knabe  folgte  er  seinem  Vater  Memnonios, 
der  Lehrer  der  Beredsamkeit  war,  nach  Konstantinopel.  Im  Jahre  554 
weilte  er  zu  seiner  juridischen  Ausbildung  in  Alexandria.  Nachdem  er  in 
Byzanz  seinen  Kursus  vollendet  hatte,  wurde  er  Advokat;  daher  sein  Bei- 
name o-xoAaorrtxöc.  Er  starb,  etwa  46  Jahre  alt,  im  Jahre  582.  Agathias 
gehört  zu  jenen  Byzantinern,  welche  dem  antiken  Prinzipe  zuwider  in 
völlig  verschiedenen  Litteraturgattungen   thätig  waren.     In  seiner  Jugend 

')  Fragm.  hist.  Gr.  ed.  C.  Müller  IV  217    '   offenbar  im  allgemein  verständlichen  Vulgär- 
==  Hist.  Gr.  min.  ed.  Dindorf  II  32.   Wichtig   '    idiom  geführt.    Wäre  uns  dieser  Bericht  er- 
ist  die  Bemerkung    des  Menander   über   die    i   halten,  so  wollten  wir  gerne  auf  alle  übrigen 
Sprache  jener   Verhandlungen;    sie   wurden   j    Fragmente  des  Petros  verzichten. 
Bandbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.  IX.     ].  Abtlg.  4 


50  Byzantinisclie  Litteratnrgeschiclite.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

widmete  er  sich  der  Poesie,  später  der  Geschichtschreibung.  In  seine  erste 
Periode  gehören  1)  Neun  Bücher  Ja(pviaxä  in  Hexametern;  Ueberreste 
derselben  stehen  in  der  griechischen  Anthologie  2)  Eine  Sammlung  von 
Epigrammen  teils  seiner  Zeitgenossen,  teils  älterer  Dichter,')  offenbar 
ein  ähnliches  Werk,  wie  es  später  Konstantin  Kephalas  zusammenstellte, 
3)  Andere  kleinere  Gedichte  und  Prosaisches.'^)  In  seinen  Epi- 
grammen erscheint  Agathias  als  ein  glücklicher  Nachahmer  der  Alten; 
namentlich  sind  unter  den  Erotika  treffliche  Stücke,  die  sein  poetisches 
Talent  ausser  Zweifel  setzen. 

Erst  nach  dem  Tode  des  Justinian  Hess  sich  Agathias  von  seinen 
Freunden  bewegen,  geschichtliche  Studien  zu  unternehmen.  Als  Frucht 
derselben  besitzen  wir  das  Werk  JI^qI  rr^q  ^lovativiavov  ßaai Xeiac^ 
das  in  5  Büchern  die  Jahre  552 — 558  umfasst;  den  Inhalt  bilden 
vornehmlich  die  Kämpfe,  welche  die  Byzantiner  unter  Narses  gegen  die 
Gothen,  Vandalen,  Franken  und  Perser  führten.  So  schliesst  Agathias 
unmittelbar  an  die  Kriegsgeschichten  des  Prokop  an  und  übergeht  daher 
auch  alles,  was  jener  schon  erzählt  hatte,  mit  ausdrücklicher  (Beziehung 
auf  denselben.  3)  An  der  Vollendung  des  Werkes  wurde  er  durch  seinen 
frühen  Tod  verhindert;  seine  bestimmte  Absicht  auch  die  folgende  Zeit 
zu  behandeln  erhellt  aus  vielen  Hinweisen  auf  später  zu  Erzählendes  und 
besonders  aus  dem  letzten  Kapitel,  wo  er  deutlich  eine  Darstellung  der 
Ereignisse  nach  558  verspricht.  Wie  Agathias  den  Prokop  stofflich  fort- 
setzt, so  folgt  er  ihm  auch  in  der  Form,  in  dem  episodenreichen  Gange 
und  in  vielen  einzelnen  Wendungen.^)  Doch  erreicht  er  sein  Vorbild  nur 
in  äusserlichen  Dingen.  Bei  ihm  überwuchert  die  dichterische  Neigung 
die  Freiheit  und  Schärfe  des  historischen  Blickes ;  Phantasie  und  Reflexion 
trübt  die  Zuverlässigkeit  der  Erzählung;  die  Sprache  ist  über  Gebühr  mit 
Bildern  und  pretiösen,  altertümlichen  Ausdrücken  beladen."')  Richtig  cha- 
rakterisiert ihn  Gibbon  als  den  Dichter  und  Rhetoriker  im  Gegensatze  zu 
Prokop,  dem  Staatsmann  und  Soldaten.  Während  sich  Prokop  vermöge  seiner 
Stellung  militärische,  politische  und  geographische  Detailkenntnisse  er- 
warb, scheint  sich  Agathias  vorzugsweise  an  die  mündlichen  Berichte  von 
Augenzeugen  gehalten  zu  haben.  Für  gelegentliche  Exkurse  und  Bemer- 
kungen über  die  Vergangenheit  verwertet  er  die  Alten ;  ausdrücklich  zitiert 
er  den  Asinius  Quadratus,  Diodor,  Herodot,  Xenophon,  Berosos,  Athenokles, 
Symmachos,  Alexander  Polyhistor,  Ktesias  u.  a.  Bemerkenswert  ist,  dass 
er  auch  persische  Chroniken  benützte,  aus  denen  ihm  sein  Freund,  der 
Dolmetscher  Sergios,  Auszüge  machte  und  ins  Griechische  übersetzte. 
Fortsetzer  des  Agathias  wurde  Menander  Protektor;  als  Quelle  diente 
er  dem  Theophanes  Confessor,  und  einzelne  Teile  seines  Werkes  fingen 
in  die  konstantinische  Exzerptensammlung  über. 


')  Buidas  s.  v.  Toy  KvxXoy  rtöy  viiav 
in I )'(}(( fifdi'dioy.  wy  «rröf  avyrjiey  ix  riöy 
xftiu  xtuQoy  Tjonjxtüy.  Vgl.  Leo  Sternbacb, 
Meletoniata  Graoca  S.  21  f. 

*)  HiiidaH  8.  V.  i'xeqa  ßißXia  efi/tergä  re 
Kai  xtn€<koyt(tfijy. 

")  Z.  B.   11   19;   IV  15   (S.  105,  G  und 


2.37,  G  ed.  Bonn.). 

*}  Wie  in  dem  hftufigen  f&o^e  fiot  ovx 
dno  iQÖnov  eiym.  ' 

")  Diese  Manit-r  war  im  (lesrlimacki'  diT 
Zeit,  und  Agatliias  fand  eifrige  Hewunderer 
lind  Naclialinier  wie  den  Menander  Protektor 
und    niirii   sjtät  den  Ix'on  Diakuiios.  < 


A.  Die  Qeschichtschreiber.   (§  10-12.)  51 

1.  Ausgaben:  Vor  dem  griechischen  Texte  erschien  eine  lat.  Uebersetzung :  Aga- 
thius  (I)  de  hello  Gothorum  et  aliis  peregrinis  historiis  temporum  siionun  per  Chr.  Persona 
Romanum  e  Graeco  in  Latinum  traductus.  Aug.  Yind.  1519.  Wiederholt  mit  Zosimos, 
Prokopios  u.  a.  in  Basel  bei  Pema  (sine  anno).  -  Ed.  pr.  des  griechischen  Textes  von 
B.  Vulcanius,  Lugd.  Batav.  1594.  —  Wiederholt  Paris  1660.  —  Venedig  1729.  —  Im 
Bonner  Corpus  ed.  B.  G.  Niebuhr,  Bonn  1828,  mit  der  lat.  Uebersetzung  des  Persona, 
den  Noten  des  Vulcanius,  den  Epigrammen,  einem  Sachindex  und  einem  ungenügenden 
Verzeichnis  der  sprachlichen  Eigentümlichkeiten.  —  Wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  88 
(1860)  1248-1608.  —  Ed.  L.  Dindorf,  Histor.  Graeci  minores,  vol.  II,  Lipsiae  1871.  — 
Die  Epigramme  stehen  ausser  in  den  Ausgaben  der  Geschichte  von  Vulcanius,  Niebuhr, 
Dindorf  auch  bei  Ph.  Brunck,  Analecta  III  33 — 68,  Fr.  Jacobs,  Anthologia  Graeca  lY 
3-39;  XIII  617  und  in  der  Anthol.  Palatina  ed.  Dübner. 

2.  Hilfsmittel:  Bemerkungen  von  K.  0.  Müller.  Rhein.  Mus.  3  (1829)  22  S.  = 
Kleine  deutsche  Schriften  2  (Breslau  1848)  100  ff.  —  Einige  Emendationen  von  A.  Meineke, 
Philologus  14  (1859)  15  ff.  —  L.  Dindorf,  Jahns  Jahrb.  99  (1869)  457-465  gibt  nach 
einer  imaginären  Einheitsschablone  gearbeitete  und  daher  zum  Teil  verfehlte  Korrekturen 
des  Textes.  —  H.  Eckhardt,  Agathias  und  Prokop  als  Quellenschriftsteller  füi-  den 
Gothenkrieg.  Progr.  Königsberg  1864.  —  Hauptschrift:  W.  S.  Teuffei,  Philologus  1, 
495—511  =  Studien  und  Charakteristiken,  Leipzig  1871  S.  237  ff.  (in  zweiter  Aufl.  Leipz. 
1889,  296  ff.).  —  Ueber  den  mit  Agathias  befreundeten  Perser  Sergios,  der  wahrscheinlich 
auch  landwirtschaftliche  mid  andere  griechische  Schriften  ins  Persische  übertrug,  s.  Ernst 
Meyer,  Geschichte  der  Botanik  III  (Königsberg  1856)  33  ff.  —  Kritische  Bemerkungen 
zu  den  Epigrammen  von  Leo  Sternbach,  Meletemata  Graeca,  P.  I.,  Vindobonae  1886 
S.  20  ff.  und  sonst. 

11.  Theophanes  aus  Byzanz  schrieb  ein  Geschichtswerk  in  10 
Büchern,  das  nach  Photios  (cod.  64)  die  Ereignisse  von  566  —  581  behandelte. 
Er  begann  mit  der  Erzählung  der  Begebenheiten,  welche  nach  dem  Bruche 
des  562  von  Petros  Patrikios  auf  50  Jahre  abgeschlossenen  Friedens  mit 
den  Persern  erfolgten.  Ausserdem  beschrieb  Theophanes  nach  der  nicht 
ganz  klaren  Angabe  des  Photios  auch  Dinge  aus  der  Regierungszeit  des 
Justinian  und  fügte  zu  den  erwähnten  10  Büchern  noch  eine  Fortsetzung, 
die  Photios  nicht  gesehen  zu  haben  scheint.  Vermutlich  hat  Theophanes 
in  derselben  noch  einen  Teil  der  Regierung  des  Maurikios  dargestellt  und 
demnach  wohl  gegen  das  Ende  des  6.  Jahrhunderts  geschrieben.  Das  bei 
Photios  erhaltene  Fragment  ist  wichtig  durch  die  auch  von  Prokop  und 
Theophylaktos  bestätigte  Nachricht  von  der  Einführung  der  Seidenzucht 
in  Byzanz  unter  Justinian  und  durch  die  erste  Erwähnung  der  Türken, 
die  seitdem  aus  der   byzantinischen  Geschichte   nicht   mehr  verschwinden. 

Fragment:  Ed.  Niebuhr  im  Bonner  Corpus  v.  I  483—486:  S.  589—600  der 
gelehrte  Kommentar  des  Phil.  Labbäus.  —  Ed.  C.  Müller.  Fr.  bist.  Gr.  IV  270  f.  —  Ed. 
L.  Dindorf,  Eist.  Gr.  min.  1  446  ff. 

12.  Menander,  als  Mitglied  der  kaiserlichen  Leibwache  Protektor 
genannt,  wurde  um  die  Mitte  des  6.  Jahrhunderts  in  Byzanz  geboren. 
Ueber  sein  Leben  macht  er  selbst  in  der  merkwürdigen  und  durch  den  in 
Byzanz  seltenen  Charakter  der  Ursprünglichkeit  und  Lebenswahi-heit  aus- 
gezeichneten Vorrede  mit  anerkennenswerter  Aufrichtigkeit  genauere  Mit- 
teilungen. In  seiner  Jugend  widmete  er  sich  dem  Studium  der  Jurisprudenz, 
nahm  es  jedoch  damit  wenig  ernst  und  noch  weniger  fand  er  nach  Be- 
endigung seines  Kurses  an  der  gerichtlichen  Praxis  Gefallen.  Um  so 
eifriger  folgte  er  den  Reizen  des  Hippodroms  und  der  Pantomime.  Erst 
als  er  durch  sein  leichtfertiges  Leben  in  die  äusserste  Not  geriet,  wurde 
er  aus  einem  Saulus  ein  Paulus;  es  war  zu  der  Zeit,  da  Maurikios,  ein 
Freund   der   Künste  und   Wissenschaften,   zur   Herrschaft  gelangte  (582). 

4* 


52  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Menander  beschloss  sich  einer  ernsteren  und  durch  die  kaiserliche  Muni- 
fizenz  nun  auch  materiell  lohnenden  Thätigkeit  zuzuwenden.  Zum  Vorbild 
nahm  er  sich  den  Agathias.  Wie  jener  wurde  er  vom  Juristen  zum  Histo- 
riker; wie  jener  versuchte  er  sich  daneben  in  poetischen  Kleinigkeiten; 
Agathias  ist  auch  für  die  sprachliche  Form  das  Muster,  dem  er  unermüd- 
lich nachstrebte.  Das  Geschichtswerk,  welches  Menander  nach  seiner 
Sinnesänderung  abfasste,  schliesst  unmittelbar  an  das  des  Agathias  an  und 
behandelt  die  Zeit  von  558—582.  Wir  besitzen  von  demselben  bei  Suidas 
und  in  konstantinischen  Exzerpten  zahlreiche  und  sachlich  hochwichtige 
Fragmente.  Durch  den  Reichtum  und  die  Verlässigkeit  der  Nachrichten, 
besonders  durch  ihre  geographischen  und  ethnographischen  Angaben  gehören 
sie  zu  den  bedeutendsten  Geschichtsquellen  des  6.  Jahrhunderts.  Ausser 
diesen  sicher  bezeugten  Bruchstücken  sind  die  politischen  Nachrichten   im 

5.  Buche  der  Kirchengeschichte  des  Euagrios  beizuziehen,  die  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  direkt  oder  indirekt  auf  Menander  zurückgehen.  In 
Verlegenheit  sind  wir  bezüglich  der  Quellen,  nach  denen  Menander  eine 
so  ereignisreiche  Periode  ausführlich  darstellen  konnte.  Einen  Teil  der 
Begebenheiten  hat  er  selbst  erlebt;  aber  seine  Erzählung  beginnt  mit 
einer  Zeit,  in  welcher  er  nach  seinen  eigenen  Andeutungen  doch  noch 
recht  jugendlich  gewesen  sein  muss.  Für  die  persischen  Angelegenheiten 
diente  ihm  vielleicht  Theophanes  von  Byzanz. 

Ausgaben:  Die  Fragmente  in  den  Exzerpten  De  sententiis  ed.  zuerst  aus  einem 
vatikanischen  Palimpsest  A.  Mai,  Scriptor.  vet.  nova  coUectio  II  (Romae  1827)  352—366.  - 
Edd.  Niebuhr  im  Bonner  Corpus  I  282-444;  C.  Müller,  Fragm.  bist.  Gr.  IV  200-269; 
L.  Dindorf,  Hist.  Gr.  min.  II  1 — 131  (mit  neuer  Kollation  zweier  codd.  Monac).  —  Eine 
Nachkollation  des  vatik.  Palimpsestes  mit  Emendationen  gab  van  Herwerden,  Spicilegium 
Vaticanum,  Lugduni  Batavorum  1860,  216 — 221.  —  Einige  Emendationen  von  Meineke, 
Hermes  3  (1869)  162  f.  —  Ueber  das  Verhältnis  zu  Euagrios:  Guido  Hertzsch,  De 
scriptoribus  renun  imperatoris  Tiberii  Constantini.  Comment.  phil.  Jenenses  3  (1884)  21  ff. 
und  L.  Jeep,  Jahns  Jahrb.,  14.  Supplementb.  (188.5)  162  ff.  —  Ueber  die  geographischen 
Nachrichten  des  Menander:  G.  Marineil i,  Die  Erdkunde  bei  den  Kirchenvätern,  Leipzig 
1884  S.  6  f. 

13.   Johannes  von  Epiphania  in   Syrien  verfasste  gegen   Ende  des 

6.  Jahrhunderts  ein  Geschichtswerk  über  die  Zeit  von  572 — 59293  (bis 
zur  Wiedereinsetzung  Chosroes  II).  Eine  (wohl  die  einzige)  Nachricht 
über  dasselbe  verdanken  wir  seinem  Landsmanne  und  Zeitgenossen,  dem 
Kirchenhistoriker  Euagrios:  Kut  r«  ex^iuxa  di  rovioyv  Uya^iro  (!)  rr»)  (h'-toqi 
xal  'looüvvy  €fi^  rs  noXhr^  xai  avy/tvel  xai^  eiQfidv  tarÖQrjTai,  ^u'xQf'  "/? 
XoffQÖov  Tov  vtov  TTQoq  '^Pwf.iaiovg  (fvyi]g  xal  irjg  eig  rt^^v  avrov  ßaatXfuxv 
ujioxavaaxäatMg.^)  Wir  haben  von  Johannes  ein  ziemlich  umfangreiches 
Fragment,  welches  die  Vorrede  und  den  Anfang  des  ersten  Buches  ent- 
hält. Der  Titel  lautet  in  der  Handschrift,  einem  Vatic.  des  13.  Jahr- 
hunderts: lo)üri'ov  axoXaaiixov  xai  dnu  enixQx^jv  EnKfctvtMg  nfQi  iT^g  tov 
vt'ov  Xoaqöov  nQoaxo)Qij(JfO)g  nqog  Mavqixiov  %6%'  '^Putf.iaiuiv  avioxQäiofta 
iatoqmv  TÖfnog  a.     Nach   dieser   Ueberschrift,   die  jedoch   schwerlich  vom 


')  Historia  eccles.  cd.  H.  Valesiua,  Paris  1    vorHtilndlicIii'n  AuffuHsnng  der  Stelle  im  IVo- 

1673,  V  24  (S.  443).     Die  Bemerkung,  das.s  |    öniion  zu  erklären,  wo  Johannes  den  l'rokop 

Johannes  an  Agathius  anschliesHe  (xttü'  (Iq-  und  Agathias  als  seine  Vorgänger  nennt. 
fiöf),  ist  ungenau  und  wohl  aus  einer  niiss- 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  13-14.)  53 

Verfasser  selbst  herrührt,  hätten  den  Hauptgegenstand  der  Schrift  die  Er- 
eignisse gebildet,  welche  die  Beendigung  des  zwanzigjälu-igen  Krieges 
zwischen  den  Rhomäern  und  Persern  herbeifühi-ten ;  doch  beginnt  die  Dar- 
stellung in  dem  erhaltenen  Anfange  des  ersten  Buches  mit  den  Ursachen 
und  dem  Ausbruche  des  Krieges  (571  72).  Die  Gründe,  welche  den  Johannes 
zur  Wahl  seines  Stoffes  bewogen,  erzählt  er  selbst  in  seiner  Vorrede.  Als 
Rat  und  Sekretär  des  Metropoliten  von  Antiochia  hatte  er  Gelegenheit, 
mit  König  Chosroes  und  vielen  anderen  hervorragenden  Persern  persön- 
lich zu  verkehren;  nach  Beendigung  des  Krieges  ging  er  selbst  nach 
Persien  und  lernte  den  Schauplatz  des  Krieges  kennen.  Seine  Scliilderung 
beruht  demnach  auf  eigener  Anschauung  und  auf  Berichten  von  Personen, 
die  an  den  Ereignissen  beteiligt  waren.  Der  Verlust  des  wichtigen  Werkes 
wird  teilweise  ersetzt  durch  Theophylaktos,  der  seine  ausführliche  Er- 
zählung der  Flucht  und  Wiedereinsetzung  des  Chosroes  im  4.  und  5.  Buche 
höchst  wahrscheinlich  dem  Johannes  von  Epiphania  entnommen  hat.  Die 
einfache  und  klare  Sprache  des  .Johannes,  der  offenbar  den  Spuren  des 
Thukydides  folgte,  ist  freilich  bei  Theophylaktos  nicht  wieder  zu  erkennen; 
er  hat  seine  Quelle  in  die  ihm  eigene  schwülstige  Diktion  umgegossen. 
Auch  Euagrios  hat  im  6.  Buche  seiner  Kirchengeschichte  den  Johannes 
benützt.  Endlich  fand  Johannes  eine  späte  Bewunderin  in  der  kaiserlichen 
Geschichtschreiberin  Anna  Komnena,  welche  für  die  mosaikartige  Vor- 
rede ihrer  Alexias  auch  dem  Proömion  des  Johannes  einige  Phrasen  wört- 
lich entlehnte.  Vielleicht  hat  sie  ihm  auch  ihre  Manier  im  Tone  des  Thu- 
kydides zu  reden  abgelauscht. 

Das   Fragment   des   Job.    ed.   zuerst   B.   Hase   mit   Leo   Diaconus,   Paris    1819 

5.  169-176:  vgl.  seine  Vorrede  S.  XIII.  seine  Prolegom.  zum  Job.  Lydus  S.  X  (=  S.  XIV 
ed.  Bonn.)  und  Not.  et  exü-.  8.2.259.  —  Ed.  C.  Müller,  Fr.  bist.  Gr.  IV  272—276.  - 
Ed.  L.  Dindorf.  Hist.  Gr.  min.  I  371-382.  Vgl.  L.  Jeep,  Jahns  Jahrb.  U.  Supplementb. 
(1885)  178  und  die  zu  §  12  genannte  Schrift  von  G.  Hertzsch  S.  21  ff. 

14.  Euagrios  (EvciyQing),  der  bedeutendste  Fortsetzer  des  Eusebios, 
wurde  um  536  zu  Epiphania  in  Syrien  geboren.  Er  lebte  meist  in  Anti- 
ochia und  bekleidete  dort  das  Amt  eines  Advokaten,  weshalb  er  wie 
Agathias  den  Beinamen  ffxoXcearixoc  führt.  Als  der  Patriarch  Gregorios 
von  Antiochia  sich  wegen  einer  gegen  ihn  erhobenen  Anklage  in  Kon- 
stantinopel zu  verantworten  hatte,  folgte  ihm  Euagrios  als  Rechtsbeistand ; 
hiedurch  wurde  er  am  kaiserlichen  Hofe  bekannt  und  erhielt  von  Kaiser 
Tiberios  die  Würde  der  Quästur,  später  von  Maurikios  die  eines  Ehren- 
präfekten.  Sein  Todesjahr  ist  nicht  genau  bekannt;  doch  lebte  er  jeden- 
falls bis  gegen  das  Ende  des  6.  Jahrhunderts.  Wir  besitzen  von  Euagrios 
eine  umfangreiche  Kirchengeschichte  in  6  Büchern,  welche  im  An- 
schlüsse an  Sokrates,  Sozomenos  und  Theodoretos  mit  der  Synode  von 
Ephesos  i.  J.  431  beginnt  und  bis  zum  Jahre  593  fortgeführt  ist.  Euagrios 
ist    der   wichtigste   Gewährsmann    für   die    Dogmengeschichte   des    5.  und 

6.  Jahrhunderts  und  diente  hiefür  dem  Chronisten  Theophanes,  dem  Kirchen- 
historiker Nikephoros  Kallistos  Xanthopulos  u.  a.  als  Quelle.  Auch  die 
litterarische  Bedeutung  des  Werkes  ist  zu  beachten.  Während  im  Abend- 
lande die  Kirchengeschichte,  soweit  man  sich  nicht  mit  der  Uebersetzung 
griechischer  Werke  begnügte,   bald  die  dürre  Form   der  Chronik  annahm, 


54  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

lebte  in  Euagrios  nicht  minder  als  in  den  Profanhistorikern  seiner  Zeit 
die  mächtige  Tradition  der  altgriechischen  Geschichtschreibung  wirksam 
fort.  Seine  Darstellung  charakterisiert  Photios  ^)  mit  Recht  als  anmutig, 
wenn  auch  etwas  breit. 

Neben  der  kirchlichen  Entwickelung,  auf  die  wir  dem  Plane  des 
Buches  gemäss  nicht  eingehen  können,  berücksichtigt  Euagrios  auch  die 
Profangeschichte.  Die  auf  sie  bezüglichen  Partien  seines  Werkes  sind 
trotz  mancher  Oberflächlichkeit  und  Parteilichkeit  von  erheblichem  Werte, 
weil  sie  auf  gute,  zum  Teil  verlorene  Quellen  zurückgehen.  Im  2.  und 
3.  Buche  benützte  er  die  bis  zum  Jahre  502  reichende  Chronik  seines 
Landsmannes  Eustathios,  dem  er  auch  seine  Zitate  aus  Priskos  ver- 
dankt. Für  das  4.  Buch  diente  ihm  Prokopios,  und  zwar  nicht  bloss  die 
Kriegsgeschichten,  sondern  auch  die  Anekdota  und  wahrscheinlich  auch 
das   Buch   IlfQi   xnafidron'J)     Die   profangeschichtlichen  Nachrichten   des 

5.  Buches  gehen  direkt  oder  indirekt  auf  Menander  Protektor  zurück. 
Die  im  5.  Buche  bemerkbare  Verwandtschaft  des  Euagrios  mit  Johannes 
von  Epiphania  erklärt  sich  nicht  aus  direkter  Benützung  des  Johannes, 
sondern   daraus,    dass   auch   Johannes   von    Menander   abhängt.     Erst   im 

6.  Buche,  das  vornehmlich  der  Erzählung  des  persischen  Krieges  gewidmet 
ist,  schöpfte  Euagrios  aus  Johannes  von  Epiphania,  der  ihm  sein  da- 
mals noch  nicht  veröffentlichtes  Werk  privatim  zur  Verfügung  stellte. 

Ein  zweites  Werk  des  Euagrios,  welches  nach  seiner  eigenen  Angabe  ^) 
Relationen,  Briefe,  Erlasse,  Reden,  Dialoge  u.  a.  enthielt,  scheint  verloren. 

1.  Ausgaben:  Nach  früheren  Drucken  am  besten  ed.  von  H.  Valesius,  Paris 
1673.  —  Neu  aufgelegt  von  Reading,  Cambridge  1720  (mit  einigen  Zusätzen  und  vielen 
Stümpereien).  -  Wertloser  Abdruck  ohne  latein.  Uebersetzung  und  ohne  Noten,  Oxford 
1844.  -  Zuletzt  wiederholt  von  Migne,  Patrolog.  Gr.  86,  2  (1860)  2405  2906.  -  Ua 
Valesius  nur  zwei  Handsclu-iften  einer  getrübten  Redaktion  benützte,  ist  eine  kritische  Nou- 
bearbeitimg,    die  sich  vornehmlich  auf  cod.  Laurent.  70,  23  stützen  müsste,   ein  Bedürfnis. 

2.  Hilfsmittel:  C.  Fr.  Stäudlin,  CTCSchichte  und  Literatur  der  Kirchengeschichte, 
Hannover  1827,  79 — 85  (unbedeutend).  —  F.  Chr.  Baur,  Die  Epochen  der  kirchlichen 
Geschichtslitteratur,  Tübingen  1852,  29  —  32  charakterisiert,  ohne  auf  Einzelheiten  einzu- 
gehen, sehr  treffend  die  Stellung  des  E.  in  der  Reihe  der  griechischen  Kirchenhistoriker. 
—  Einen  guten  Ueberblick  über  den  dogmengeschichtlichen  Inhalt  des  E.  gibt  W.  Gass, 
Kealenzyklopädie  für  prot.  Theologie  4  (1879)  420  f.  —  Zur  Verbesserung  des  Textes: 
Nolte,  Tübinger  theologische  Quartalschrift  43  (1861)  674^706.  -  Zur  handschriftlichen 
Ueberlieferung :  Carl  de  Boor,  Zeitschrift  für  Kirchengeschichte  5  (1881—82)  315  322 
und  6  (1883 — 84)  482  f.  —  Quellenforschung:  Die  Gnmdlinien  zog  Gust.  Dangers 
in  seiner  fast  verschollenen  und  von  den  Neueren  ignorierten  Prei.sschrift:  De  fontibus, 
indole  et  dignitate  librorum  quos  de  historia  ecclesiastica  scripserunt  Theodorus  Lector  et 
Evagrius,  Göttingen  1841.  —  Genauer  Lud w.  Jeep,  Jahns  Jahrb.,  14.  Supplementb.  (1885) 
159—178.  —  Vgl.  die  zu  §  12  zitierte  Schrift  von  G.  Hertzsch  S.  22  If.  und  A.  (ifllden- 
penning,  Die  Kirchengeschichte  des  Theodoret  von  Kyrrhos,  Halle  1889. 

16.    Theophylaktos,  mit  dem  seiner  Bedeutung  nach  unbekannten  Bei- 
namen Simokattes  (weniger  beglaubigt  Simokatos),  aus  Aegypten  gebürtig, 
nach  Photios  kaiserlicher  Sekretär  und  Präfekt,  blühte  unter  Kaiser  Herak-  f 
lios  (610— ö40).     Wir  haben  von   ihm  ein  naturwissenschaftliches  Schrift- 
chen, eine  Briefsammlung  und  ein  Geschichtswerk.     Die  beiden  ersten  sind 

')  Cod.29'>>Tri  cf^  r»;V<^p«<r<»' ot'x  «/«(»f,  rev^os,    ayatfogds,    iniaroXni,    tj^^tfiaftara. 

ei  xai  Tiwf  TJfQureveafhm  it'iote  doxei'.  i    Xnyovg  re  xui  ^n(Xt<ei<;  xnt  freQu  uria  t/oi'. 

*)  Vgl.  G.  Dangers  a.  unten  a.  O.  S.  42  |    Von  den  äyaqo^xti  bemerkt  er  noch,  daas  er 

und  L.  Jeep  a.  a.  O.  S.  161.  sie    im    Namen    «les    Patriarchen    Gregorios 

*)  VI  24  Ihrtöytjtui  <fi  rjfiiy  xai  i'ie^oy  .   abfasste. 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  15.)  55 

Avahrscheinlich  Jugendschriften.  Wie  Agathias  versuchte  er  sich  zuerst  in 
leichteren  Litteraturgattungen,  ehe  er  sich  den  ernsteren  Aufgaben  der  Ge- 
t^chichtschreibung  zuwandte. 

1.  Seine  Schrift  IIsqI  SiatfÖQcov  (fvaixmv  dTroQt-ficcTwv  xai  ini- 
Xvaeoic  avtcöv  (gewöhnlich  kurz  zitiert:  Quaestiones  physicae)  gehört  in 
die  reiche  Gattung  der  HagäSo^a  und  Oavudaia,  die  sich  als  wunderlicher 
Kuriositätenkram  schon  früh  von  den  umfassenden  naturwissenschaftlichen 
Leistungen  der  Alten  ablösten,  bis  tief  ins  Mittelalter  hinein  eifrig  bear- 
beitet wurden  und  ihre  Wirkung  bis  in  die  neuere  Zeit  fortpflanzten. 
Dem  Werke  geht  ein  kleines  Proömion  voraus,  eine  wahre  Mustersamm- 
lung geschraubter  und  geschnörkelter  Redewendungen,  aus  denen  es  schwer 
wird,  die  Gedanken  herauszuschälen. ')  Die  Schrift  selbst  handelt  in  Form 
eines  platonischen  Dialogs  zwischen  Antisthenes  und  Polykrates  über  alchi- 
mistische und  andere  geheimwissenschaftliche  Probleme,  z.  B.  Warum  wird 
der  Diamant  vom  Feuer  nicht  angegriffen?  Warum  erweicht  Bocksblut 
Diamanten?  Warum  trinken  die  Raben  im  Sommer  nicht?  Warum  setzt 
sich  auf  den  attischen  Honig  keine  Fliege?  Es  sind  meist  die  aus  Aelians 
Tiergeschichtenbuch  bekannten  Probleme.  Trotzdem  lauscht  Polykrates 
den  Belehrungen  des  Antisthenes  mit  steigender  Bewunderung  und  fragt 
ihn  zuletzt  ganz  ausser  sich,  woher  all  diese  Weisheit  stamme.  Darauf 
nennt  ihm  dieser  eine  imponierende  Reihe  von  Schriftstellern,  gleichsam 
ein  Quellenverzeichnis,  das  sich  freilich  bei  näherer  Betrachtung  als  eitel 
Humbug  erweist. 

2.  'EniüToXal  rj^ixai,  dygorixal^  iraiQixai,  eine  der  zahllosen 
Sammlungen  rhetorisch-sophistischer  üebungsstücke  in  Brieffoim,  die  uns 
in  der  griechischen  Litteratur  bis  zum  letzten  Tage  des  byzantinischen 
Reiches  begleiten.  Einzelne  Stücke  sind  dem  Theophylaktos  nicht  übel 
geraten;  in  den  meisten  fehlt  aber  das  Studium  der  Natur,  die  naive  Auf- 
fassung der  wirklichen  Verhältnisse  des  Lebens,  die  malerische  Treue  in 
der  Schilderung  der  Empfindungen  und  Erlebnisse  der  fingierten  Personen.  2) 
Das  Landleben  erscheint  im  falschen  Spiegelbilde  einer  süsslichen  Schön- 
rednerei. Am  erträglichsten  sind  die  moralischen  Briefe;  sie  enthalten  Cha- 
rakterschilderungen mit  berühmten  Xamen  an  der  Spitze;  bezeichnend  für 
diese  Phantasiestücke  ist  die  Shakespeare'sche  Missachtung  der  Chrono- 
logie; Antisthenes  richtet  z.  B.  an  Perikles  einen  Brief  über  König  Ale- 
xander. Wir  wissen  nicht,  ob  diese  zwei  Jugendarbeiten  den  Ruhm  des 
Theophylaktos  begründeten;  jedenfalls  aber  wurden  sie,  wie  die  grosse 
Zahl  der  Handschriften  beweist,  später  viel  häufiger  gelesen  als  das  für 
weitere  Kreise  zu  ernste  und  zu  spezielle  Geschichtswerk.  Naturwissen- 
schaftliche  Kuriositäten    haben    dem   Geschmacke    des  Mittelalters   immer 


')  Theophylaktos  scheint  sein  Werk  als  i  land  gehört,  gehört  auch  mir.* 
eine  öffentliche  Vorlesung  anzukündigen,  j  ^)  Komisch  wirkt  der  gespreizte  Schwulst 
Zuerst  bittet  er  um  Nachsicht,  dann  aber  !  des  Briefschreibers,  wenn  er  harmlose  Per- 
schöpft er  Mut:  ,.Ich  werde  siegreich  sein,  sonen  von  gemeinen  und  alltäglichen  Dingen 
ich  weiss  es,  obschon  ich  kein  Barbarenland  \  sprechen  lässt  z.  B.  N.  74,  wo  ein  Bauer  von 
betrete;  wenn  ich  auch  kein  Sohn  der  Kunst  ,  seinem  Nachbarn  riöy  Sfefifuirioy  rijy  xöttqov 
bin,  so  habe  ich  doch  Vernunft  wie  ihr;  die  ',  erbittet. 
Rede  ist  mein  Vaterland,  und  was  Griechen-  | 


56  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

zugesagt   und   rhetorische  Briefsammluiigen  waren   das   beliebteste  Mittel 
zur  Ausbildung  des  Stils. 

3.  Die  Vcrop/afi)  des  Theophylaktos  erzählen  in  8  Büchern  die 
Regierungszeit  des  Kaisers  Maurikios  (582—602).  Wir  besitzen  ausser 
dem  Werke  selbst  einen  umfangreichen  Auszug  bei  Photios.  Die  rheto- 
rische Richtung  des  Autors  verrät  sich  sofort  in  dem  künstlich  geschraubten 
Proömion,  das  durch  einen  Dialog  zwischen  Philosophie  und  Geschichte 
eingeleitet  wird.  Sie  herrscht  aber  auch  im  ganzen  Werke,  während  die 
für  einen  Historiker  notwendigen  Eigenschaften  sehr  vermisst  werden. 
Theophylaktos  war  nicht  in  der  glücklichen  Lage  eines  Prokop,  der  die 
Personen,  Schauplätze  und  Begebenheiten  selbst  beobachten  konnte;  es 
fehlt  ihm  an  politischer,  militärischer  und  geographischer  Sachkenntnis, 
weshalb  er,  wie  Gibbon  sehr  richtig  bemerkt,  in  kleinlichen  Dingen  weit- 
schweifig, in  wesentlichen  dagegen  schweigsam  ist.  Freilich  gebricht  es 
ihm  auch  an  einem  bedeutenden  Stoffe;  die  Zeit  des  Maurikios  ist  ohne 
jene  grossen,  heroisch  durchgekämpften  Kriegszüge,  die  das  Zeitalter  des 
Justinian  auszeichnen.  Bei  allen  Mängeln  der  historischen  Auffassung  kann 
die  Wahrheitsliebe  des  Theophylaktos  kaum  verdächtigt  werden.  Er  ist 
nicht  nur  für  die  Zeit  des  Maurikios  der  älteste  und  beste  Gewährsmann, 
sondern  einer  der  wichtigsten  Historiker  der  ganzen  spätgriechischen  Lit- 
teratur. Prokop,  Agathias,  Menander  und  Theophylaktos  lernen  wir  als 
Quellenschriftsteller  des  6.  Jahrhunderts  hochschätzen,  wenn  wir  in  die 
trostlose  Leere  der  folgenden  Periode  blicken;  für  mehrere  Jahrhunderte 
nach  Maurikios  müssen  wir  uns  in  Ermangelung  zeitgenössischer  und 
direkter  Nachrichten  mit  der  unkritischen  und  dürren  Auslese  späterer 
Chronisten  begnügen.  Als  Quelle  diente  dem  Theophylaktos  für  einen 
Exkurs  über  die  Perserkriege  unter  Justin  und  Tiberios  das  Werk  des 
Menander,^)  für  das  4.  und  5.  Buch  Johannes  von  Epiphania  (s.  §  13), 
Eine  Ergänzung  findet  man  in  der  sechsbändigen  Kirchengeschichte  des 
Euagrios,  der  die  ersten  11  Regierungsjahre  des  Maurikios  noch  zu 
dessen  Lebzeiten  beschrieb,  aber  freilich  gerade  hiedurch  in  der  Unbe-] 
fangenheit  seiner  Darstellung  stark  beeinträchtigt  wurde. 

Die  Bedeutung  des  Theophylaktos  zeigt  sich  auch  in  der  Benützung 
durch  die  Späteren.  Photios  (cod.  65)  widmet  ihm  einen  ungewöhnlich 
ausführlichen  Artikel;  Theophanes  Confessor  exzerpierte  ihn;  er  ist 
der  jüngste  Historiker,  der  in  die  historische  Enzyklopädie  des  Konstantin 
Porphyrogennctos  Aufnahme  fand.  Inwieweit  die  aus  Theophylaktos 
stammenden  Berichte  bei  Zonaras,  Kedrenos  und  Nikephoros  Kal- 
listos  Xanthopulos  auf  ihn  selbst  oder  auf  konstantinische  Exzerpte j 
zurückgehen,  muss  noch  untersucht  werden. 

Eine  besondere  Beachtung  verdient  die  Darstellung  des  Theophy- 
laktos. Photios  spricht  über  sie  das  überraschend  scharfe  und  treffende  j 
Urteil  aus,   sie  sei  nicht  ohne  Anmut,  aber  der  nnmässige  Gebrauch  bild-j 


')  So  wird  (las  W(?rk  von  Pliotios  (cod.  j  ßXioy  «',  [i'  etc. 

65)  bezeichnet;    in  den   HandHclirifton  lautet  I  *)  T6  d"   '6nto<  Meydy&Qt,»  r\«  7ieQt(payeL 

der   Titel:    Hto(fvkiixTov    und   inÜQxtay    xni  '  <r«<;p<iif  (f/r;;/<)p6f;r«/.  1,3,5  (S. 38, 16  ed.  Bonn.),] 

tiytiyQutfttüs  oi'xovfteyixiji    laTO(>lns  /9t-  ! 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  15.)  57 

lieber  Ausdrücke  und  allegorischer  Gedanken  arte  in  frostigen  Ton  und 
jugendliche  Geschmacklosigkeit  aus;  auch  sei  sein  unzeitiges  Einmischen 
von  Sentenzen  ein  Beweis  von  überschwänglicher  und  ungezügelter  Eitel- 
keit. In  anderen  Dingen  könne  man  ihn  weniger  tadeln.  Mit  Prokop 
und  Agathias  verglichen  bildet  er  den  Gipfelpunkt  einer  steil  ansteigenden 
Linie,  Der  Geschichtschreiber  Belisars  ist  bei  aller  Fülle  noch  einfach 
und  natürlich:  weit  freigebiger  mit  Blumen  und  poetischen  Ausdrücken  ist 
der  Dichter  Agathias ;  aber  beide  erscheinen  harmlos  neben  Theophylaktos ; 
er  überrascht  jeden  Augenblick  durch  ein  Magazinfeuer  gesuchter  Bilder, 
Allegorien,  Sentenzen,  mythologischer  und  sonstiger  Raritäten.  Dabei  ist 
merkwürdig,  dass  die  aus  der  hellenistischen  Litteratur  bekannte  phanta- 
stische Tonart  der  ägyptischen  Heimat  sich  noch  bei  einem  so  späten 
Nachzügler  bemerklich  macht.  Die  Erfindsamkeit  des  Theophylaktos  in 
tropischen  Wendungen  ist  erstaunlich.  John  Lilly  hätte  für  seinen  berühm- 
ten Euphues  keine  reichere  Fundstätte  entdecken  können,  als  die  drei 
Werke  unseres  Byzantiners.  Sowohl  die  duftige,  gefällige,  blumige  Manier 
als  der  auf  Stelzen  gaukelnde  Bramarbaston  Pistols  haben  hier  ihre  Vor- 
bilder. 9  Zu  diesem  Marinismus  stimmen  die  seltsame  Vornehmheit,  welche 
allbekannte  Dinge  behutsam  erklärt,  die  breitspurige  Umschreibung  ge- 
wöhnlicher Thatsachen,  auch  tektonische  Mittel  wie  die  Häufung  kleiner, 
stetig  anwachsender  Satzteile.  Das  letztere  Kunststück  mag  er  den  be- 
kannten Kirchenhymnen  eines  Romanos  oder  Sergios  abgelauscht  haben, 
obschon  die  rhythmische  Verbindung  kleiner  Satzglieder  sich  schon  früher 
in  der  Prosa  nachweisen  lässt.^)  Uebrigens  scheint  die  Kirchen dichtung 
und  Kirchenprosa  auch  für  sein  Wörterbuch  mehr  Anregungen  geliefert 
zu  haben,  als  sein  gespreiztes  Wesen  christlichen  Dingen  gegenüber^)  er- 
warten Hesse.  Ein  anderes  zum  Ueberdruss  wiederholtes  Kunstmittel  des 
Theophylaktos  besteht  in  der  Stellung  des  Verbums  zwischen  Adjektiv 
und  Substantiv.^)  Zu  den  Mustern,  denen  er  gerne  folgt,  gehören  die 
landschaftlichen  Schilderungen,  die  aus  den  Rhetorenschulen  und  den  Ro- 
manen jedem  Byzantiner  geläufig  waren.  ^^)  Dagegen  hat  er,  im  Gegen- 
satz zu  dem  klassisch  gezierten  Agathias,  von  den  übrigen  alten  Autoren 
ausser  Homer  nur  wenig  gelesen.  Klassische  Reminiszenzen  sind  bei  ihm 
selten.     Was  er   nicht  aus   der  Sprache   der  Kirche   in  Prosa   und  Poesie, 

')  Glaubt   mau   nicht   in   einem  Shake-  ^)  Er  ist  Christ  und  lebt  in  einem  völlig 

speare'schen  Jugenddrama  zu  lesen ,  wenn  christlichen  Zeitalter,  schreibt  aber  von  christ- 
ein Soldat  einen  lästigen  C4egner  ,die  Drohne    '   liehen  Dingen   wie    ein   Heide.     Von   einem 

seiner  Tapferkeif    nennt?    Tof  xTj(fijy€t  Kloster  z.  B.  sagt  er  (S.  62,  11  ed.  Bonn.): 

T^f  ücvTov  fiQ6Tt;g  ixeivor  ttv^ov  lov  UeQatjy  , Dortselbst  befindet   sich   auch    eine  Pflanz- 

unexreive  (108,  13  ed.  Bonn.).    In  den  Natur-  schule  von  Männern,  die  ein  philosophisches 

tiroblemen  will  er  den  Polykrates  sagen  Leben  führen.  Mönche  nennt  man  diese 
assen:  ,,Die  Leute  sprechen  über  einen  wich-  ;  Leute."  Der  Mönch  als  , Philosoph"  hat  sich 
tigen  Gegenstand,  über  den  Diamanten,  und  durch  das  ganze  Mittelalter  erhalten, 
suchen  in  die  Geheimnisse  der  Natur  ein-  *)  Z.  B.  £/V  irjv  xoiXtjy  r'KftxysTtai  Hi- 
zudringen";  das  lautet  bei  ihm:  ,Kein  ge-  Qiicy.  Dieses  Schema  ist  ein  altes  Lieblings- 
ringer Vorwurf  ist  es,  für  den  Zungen  und  stück  der  rhythmischen  Prosa  und  v(>rdi<iito 
Reden  und  Theorien  schlagen  und  geschlagen  wohl  eine  historische  Untersuchung, 
werden;  zu  einem  Diamantenkrieg  hat  man  ■')  Man  sehe  z.  B.,  mit  welchem  Auf- 
sich gewappnet  und  entrollt  uns  den  ge-  wände  von  Bildern  er  den  geschlängelten 
heimnisvollen  Gottesdienst  der  Natur".  Lauf  des  Tigris  vor  Augen  stellt  (86  2  ff 
*)  Vgl.  §  179.  ed.  Bonn.). 


58  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

aus  der  des  Romanes  und  des  Lebens  schöpfte,  darf  als  seine  eigene  Er- 
findung gelten.  Daher  ist  der  Wortschatz  des  Aegypters  neu  und  fremd- 
artig; er  hat  die  griechischen  Wörterbücher,  zuletzt  noch  das  Supplement 
des  Thesaurus  H.  Stephani  von  Kumanudes,  mit  einer  Masse  von  seltsamen 
Eindringlingen  bereichert,  die  nur  seiner  überquellenden  Phantastik  ihre 
Entstehung  veidanken.  Die  Abnormität  dieser  Diktion  erstreckt  sich  jedoch 
nur  auf  das  Wörterbuch  und  den  Stil;  in  der  Formenlehre  und  Syntax  ist 
er  auch  nach  den  Vorstellungen  der  Schulgrammatik  ziemlich  korrekt.') 
Theophylaktos  hat  durch  seine  geblähte  Rhetorik  der  späteren  Entwicke- 
lung  der  byzantinischen  Kunstsprache  wahrscheinlich  viel  geschadet,  ob- 
schon  ein  pretiöser  Stil,  wie  das  Shakespeare'sche  Zeitalter  beweist,  nicht 
immer  zum  Verderben  ausschlägt;  es  muss  aber  wenigstens  betont  werden, 
dass  durch  ihn  wie  noch  durch  manche  andere  die  stereotype  Vorstellung, 
welche  in  aller  byzantinischen  Produktion  Unselbständigkeit  und  blosses 
Imitationstalent  erblickt,  eine  sehr  wesentliche  Beschränkung  erleidet. 
Freilich  ist  Theophylaktos  gerade  durch  sein  Streben  nach  Neuheit  und 
Originalität  aus  der  Charybdis  der  Nachahmung  in  die  Skylla  der  Manie- 
riertheit geraten. 

1.  Ausgaben:  Naturpr'obleme:  Ed.  pr.  B.  Vulcanius,  Lugd.  Batav.  1596  (bzw. 
1597).  —  Ed.  Fr.  Boissonade,  Paris  1835  (mit  den  Briefen).  —  Ed.  J.  Ideler,  Scrip- 
tores  physici  et  medici,  vol.  I  (1841)  168 — 183.  —  Eine  französische  Uebersetzung  von 
F.  Morel,  Paris  1603;  Aviederholt  1608.  —  Briefe:  Edd.  Vulcanius  und  Boissonade 
mit  den  Naturproblemen.  —  Ed.  R.  Hercher,  Epistolographi  Graeci,  Paris  1873  S.  763—786 
(mit  Benützung  zahlreicher  Handschriften).  —  Vgl.  Ant.  Westermann,  De  epistolanun 
scriptoribus  Graecis,  pars  VIII  (Lipsiae  1855)  S.  7.  —  Geschichte:  Ed.  pr.  (aus  einem 
schlechten  cod.  Bavaricus  des  16.  Jahrh.  =  Monac.  Gr.  48)  von  dem  Ingolstädt«r  Jesuiten 
Jac.  Pontanus,  Ingoist.  1604.  —  Im  Pariser  Corpus  ed.  A.  Fabrottus,  Paris  1647  (mit 
den  Fehlem  der  Ingolstädt«r  Ausgabe  und  einer  Zugabe  von  neuen).  —  Wiederholt  Venedig 
1729.  -  Rec.  I.  Bekker,  Bonnae  1834  (wieder  nur  Abdruck  der  Ausgabe  des  Pontanus 
mit  unwesentlichen  Kon-ekturen).  —  Erste  imd  einzige  kritische  Ausgabe  auf  Grund  des 
alten  cod.  Vatic.  977  von  Carl  de  Boor,  Leipzig,  bibl.  Teubn.,  1887  (mit  einem  sorgfältigen 
Wort-  und  Sachindex). 

2.  Hilfsmittel:  Treffende,  nur  etwas  zu  sehr  im  Standpunkt  der  Klassizität  be- 
fangene Beurteihmg  von  G.  Bemhardy  in  Form  einer  Rezension  der  Ausgaben  von  Bekker 
und  Boissonade,  Berliner  Jahrb.  für  wissensch.  Kritik  1836,  Nr.  56 — 59.  —  Zur  Kritik:  Aug. 
Nauck,  Melanges  Greco-Romaines  III  59  f.  —  Zur  Beurteilung  der  Nachrichten  des  Theo 
phylaktos  über  China:  Ferd.  von  Richthofen,  China  I  (1877)  551  ff.  —  Ueber  dii 
Quellen  des  Geschichtswerkes:  L.  Jeep,  Rhein.  Mus.  36  (1881)  357  ff.  und  Jahns  Jahili 
14.  Supplementb.  (1885)  164-178.  —  Gegen  Jeep  sucht  G.  Hertzsch  in  seiner  zu  §  1.1 
genannten  Schrift  S.  25  ff.  zu  erweisen,  dass  Theophylaktos  den  Johannes  von  Epiphania 
schon  vom  9.  Kapitel  des  3.  Buches  an  benützt  habe.  —  Ueber  chronologische  Schwierig- 
keiten in  der  zweiten  Hälfte  der  Regierung  des  Maurikios,  namentlich  über  eine  Lücke  von 
593—597  handelt  J.  B.  Bury,  The  chronology  of  Theoph.  Simokatta.  Tho  English  histor. 
review  3  (1888)  310-315. 

3.  Hier  möge  noch  der  aus  unbestimmter  Zeit  stammende  anonyme  Bericht  übn 
die  Belagerung  von  Konstantinopel  unter  Heraklios  erwähnt  werden,  der  im 
cod.  Vatic.  1572  (10.  Jahrh.)  erhalten  ist:  lleQi  iwy  ilS^iiüv  'A^ÜQioy  re  xni  llsQaviy  xttia 
TTJg  i^eofpvXäxTov  TiöXetoc;  /jayiuitfovg  xn'ijasiog  xcel  ifi  tpiXuy!>QU)niu  lov  &eov  tftti  lijg  fffo- 
Toxov  fiei'  fna^vvTjg  ieTto;(WQ7'jaswg.  Die  legendenhafte  Ei-zählung  ist  mit  den  Monographien 
des  Kameniates,  Kananos  und  Anagnostes  zu  vergleichen.  Ed.  A.  Mai,  Nova  patnim  biblic- 
theca  vol.  6  (Romae  1853)  2,398—416. 


')  Zu  den  auffallendsten  Dingen  gehören 
die  Form  i(>(ö  als  J'räsens  (v<»n  Bekker 
S.  265.6   mit  InnTlit  angegriffen)    und    die 


dem  die  Konstniktion  (>ines  Superl.  im  Mask. 
mit  einem  Feminiinini  (s.  {J  \Hl)  verwandt 
ist,  genie8.st  seit  Diodor  eine  Art  von  Hürgi  i 


häufige  Verbindung  eines  Partizips  im  Mask.  recht.  S.  Lobeck,  Agiaophamus  (Königsbti 
mit  einem  Femininum  z.  B.  avQQivadytuiv  \  1829)  S.  216  ff.  Zu  *p<»  vgl.  K.  Knimbacb. 
^vyäfAfwy.     Allein   dieser   Vulgarismus,   mit   |   Sitzungsber.  d.  bayer.  Ak.  d.  Wiss.  1886,  41 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  16—17.)  59 

16.  Theodosios,  ein  griechischer  Mönch  in  Syrakus,  wurde,  nach- 
dem die  Stadt  im  Mai  880  durch  die  Sarazenen  erobert  worden  war,  von 
den  Feinden  nach  Panormos  geführt.  Dort  schrieb  er  im  Gefängnisse  an 
einen  gewissen  Diakon  Leo  einen  Brief  über  die  ihm  noch  frisch  im  Ge- 
dächtnis stehende  Katastrophe:  Qeoöoaiov  ßoray^ov  rov  xal  yQctuiiavixov 
iniazoXi]  ttqoc  Atovia  diäxoror  Tifoi  rf^g  aXo'yafcog  ^voaxovar^g.  Er  gibt  frei- 
lich weniger  eine  objektive  Erzählung  als  eine  an  wichtigen  Thatsachen 
ziemlich  arme  Deklamation  über  die  lange  Not  der  Belagerung  und  sein 
eigenes  Schicksal.  Verwandte  Stücke  sind  die  kleinen  Monographien  des 
Kameniates  und  Anagnostes  über  die  Eroberung  von  Thessalonike  durch 
die  Araber  904  und  durch  die  Türken  1430. 

Ed.  B.  Hase  mit  Leo  Diaconus,  Paiis  1819  S.  177—182;  vgl.  die  praef.  S.  XV. 

Konstantin  Porphyrogennetos. 

17.  Leben.  Konstantin  VII,  Sohn  Leo's  des  Weisen,  Enkel  Basi- 
lios  I,  des  Begründers  der  makedonischen  Dynastie,  war  dem  Namen  nach 
Kaiser  von  912 — 959;  doch  blieb  er  durch  die  Ränke  seines  Schwieger- 
vaters und  seines  Schwagers  lange  von  der  Regierung  ausgeschlossen,  bis 
er  945  durch  die  Gunst  der  Verhältnisse  zur  Alleinherrschaft  gelangte. 
Damals  waren  die  schwierigsten  Kämpfe  gegen  die  von  verschiedenen 
Seiten  drohenden  Feinde  ausgefochten  und  das  rhomäische  Reich  erfreute 
sich  längere  Zeit  hindurch  verhältnismässiger  Ruhe.     So  hatte  Konstantin 

;  reichliche  Gelegenheit,  die  litterarischen  und  wissenschaftlichen  Bestre- 
I  bungen,  welchen  er  seit  früher  Jugend  ergeben  war,  auch  als  Allein- 
herrscher fortzusetzen  und  im  grösseren  Masstabe  durchzuführen.  Er 
that  es,  indem  er  mit  kaiserlicher  Macht  und  kaiserlichen  Mitteln  grosse 
Sammelwerke  veranstalten  liess,  welche  die  nicht  mehr  übersichtlichen, 
oft  schwer  zugänglichen  und  zum  Teil  schon  vom  Untergang  bedrohten 
Schätze  der  alten  Litteratur  für  die  Zwecke  des  Staates  und  der  Kirche 
nutzbar  machen  sollten.  Für  die  Heranbildung  der  jungen  Generation 
sorgte  er  durch  die  glänzende  Erneuerung  der  grossen  Bardasuniversität 
in  Konstantinopel,  die  für  das  Wiederaufblühen  der  höheren  Bildung  in 
Byzanz  von  nachhaltiger  Bedeutung  war.  Endlich  versuchte  er  sich  selbst 
als  Schriftsteller.  Wir  können  die  mächtigen  Litteraturmassen,  die  mit 
dem  Namen  Konstantins  zusammenhängen,  in  zwei  grosse  Gruppen  teilen, 
1.  in  die  von  ihm  selbst  oder  unter  seiner  persönlichen  Mitwirkung  ver- 
fassten  Werke,  2.  in  die  durch  den  Kaiser  veranlassten  Sammlungen 
älterer  Texte  und  die  aus  Exzerpten  bestehenden  Enzyklopädien.') 

Leben  und  Werke:    Eine   panegyrisch  gehaltene  Biographie  Konstantins  steht   in 

der  Fortsetzung  des  Theophanes  ed.  Bonn.  S.  381— 469.  —  Eine  kritische  üebersicht 

ij  der    biographischen    Thatsachen    gibt    Ferd.   Hirsch,    Konstantin   VII   Porphyrogennetos. 

I  Programm  der  Königstädtischen  Realschule,  Berlin  1873.  -    Hauptschrift:    Alfr.  Ram- 

'  baud,  L'empire  grec  au  dixieme  siecle.    Constantin  Porphyrogenete,  Paris  1870;  dortselbst 

')  Die  Werke  der  zweiten  Gruppe  werden  Textesüberlieferung   gehören.     Eine   erschö- 

hier  nur  summarisch  behandelt,  weil  sie  bei  pfende  Darstellung   des  verwickelten  philo- 

aller  Wichtigkeit  doch  nur  Ergebnisse  eines  logischen  Details,    das   sich  an  die  konstan- 

mechanischen  Sammelfieisses  .sind  und  weni-  tini.schen    Sammlungen    knüpft,    würde    die 

ger  in  die  Geschichte  der  Litteratur  als  der  Grenzen  unseres  Abrisses  überschreiten. 


60  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

auch    reichlieho    Nachweise    der    zerstreuten    Hflfslitteratur.     Vgl.   die    inhaltsreiche    !>■ 
sprechung  von  F.  Hirsch,  Götting.  Gelehrte  Anzeigen  1878,  490—505.  —  Zur  Uebersiiln 
der  Leistungen    des  Kaisers   dient   die    im    einzelnen   freilich   recht  mangelhafte  Gesamt 
ausgäbe  bei  Migne.  Patrolog.  Graeca  109,225—369,  112  und  113  (1864). 

18.   Konstantins  schriftstellerische  Thätigkeit.     Wenn    wir   von 
selbsteigenen   Werken    des   Kaisers    sprechen,    so    muss   ausdrücklich 
bemerkt  werden,   dass  bei  ihm  wie  bei  vielen  anderen  fürstlichen  Schrift- 
stellern   die  Grenze  zwischen   eigener  Geistesarbeit   und  blosser  Anreguntr 
oder  Ueberwachung   schwer  zu   ziehen  ist.     Inwieweit  die  Werke,  weicht 
jetzt  unter  dem  Namen  Konstantins  gehen,  auf  seinem  Schreibtische  oder 
in  der  Nähe  desselben  entstanden  sind,   lässt  sich  heute  kaum  mehr  fest- 
stellen.    1.  Am   meisten  Anspruch  auf  den  Namen   des  Kaisers  hat  ohiK 
Zweifel    die    Geschichte     seines    Grossvaters    Basilios    I:    ^laroQixi] 
ön'jt^aig   tov  ßi'ov  xal   tmv  Trqdl^ewv  lov  BaaiXeiov.     Die   hauptsächlich  auf 
Genesios  beruhende  Schrift,  welche  jetzt  das  5.  Buch  der  Fortsetzung  di 
Theophanes    bildet,    ist   von    Konstantin   während    seiner  Alleinherrschal  l 
(945—959)    abgefasst.      Der   Bericht,    in    welchem    Basilios    natürlich    im 
reinsten  Lichte  erscheint,   muss   mit   ziemlicher  Vorsicht   benützt  werden. 

2.  An  seinen  Sohn  Romanos  richtet  er  das  Werk  über  die  Staats- 
verwaltung (De  administrando  imperio).  Konstantin  oder  sein  gelehrter 
Berater  behandelt  hier  die  auswärtige  Geographie  des  10.  Jahrhunderts 
mit  Digressionen  über  die  Methode,  nach  welcher  man  mit  den  wichtigsten 
Nachbarvölkern  verkehren  solle.  Der  Hauptwert  der  Schrift  besteht  in 
den  zahlreichen  Nachrichten  über  die  Völker,  welche  das  byzantinische 
Reich  im  Norden,  Osten  und  Westen  umgaben.  Wie  Konstantin,  der  in 
sprachlichen  Dingen  einen  gesunden  Sinn  besass,  eine  volkstümliche  Aus- 
drucksweise schon  in  der  Geschichte  des  Basilios  wegen  der  Ignoranz  der 
Menge  empfohlen  hatte,  so  verzichtet  er  auch  hier  aus  praktischen  Gründen 
auf  den  sonst  in  Byzanz  herrschenden  Pseudoattizismus  und  verwendet 
nach   Bedarf    vulgäre,    ja    selbst    slavische    und    andere    fremde    Wörter. 

3.  Ein  Werk  über  die  militärische  und  administrative  Einteilung 
des  Reiches,  die  zwei  Bücher  negl  xon-  O^tfiätoyv^)  (De  praefecturis).  Wie 
die  vorhergenannte  Schrift  die  auswärtige  Geographie  des  10.  Jahrhunderts 
behandelt,  so  erwartet  man  hier  für  denselben  Zeitraum  eine  geographische 
Statistik  des  Reiches  selbst,  authentische  Mitteilungen  über  Grösse,  Bevöl- 
kerungszahl, Verwaltung  und  Hilfsmittel  der  einzelnen  Städte  und  Bezirke 
zu  finden;  statt  dessen  enthält  das  Werk  im  grossen  und  ganzen  die 
Geographie  des  Reiches  unter  Justinian  (nebst  allerlei  fabelhaften  Erzäh- 
lungen über  den  Ursprung  der  Städte  und  boshaften  Epigrammen  über 
ihre  Einwohner),  während  aus  dem  10.  Jahrhundort  nur  die  neue  Be- 
nennung und  Einteilung  der  i^rovinzen  vermerkt  wird.  Statt  ein  getreues, 
auf  selbständigen  Studien  beruhendes  Bild  der  zeitgenössischen  Verhält- 
nisse zu  geben,  hat  der  Verfasser  die  zwei  wichtigsten  geographischen 
Hilfsmittel  einer  längst  entschwundenen  Periode,  die  Werke  des  Stepha- 
nos  von  I^yziinz  (walu'schcinlich  im  5.  Jaln-h.)  und  des  llicroklcs  (unter 

')  Di«;  Kintciluug  des  Reiches  in 'riiemen       fasste  17,  der  Occident   12  Themen.    Vgl.  die 
ist   eine  rein  n)iliUiri.sche.     Der  Orient    um-       Litteruturiuichweise  S.  62. 


A.  Die  Geschichtschreiber.  (§  18.)  61 

.lustinian)  exzerpiert  und  zum  Teil  wörtlich  ausgeschrieben,  i.  Eine  um- 
fangreiche Schrift  über  das  Zeremonienwesen  des  byzantinischen 
Hofes,  Ex!}faig  tr^g  ßaaiXsiov  rä^scog  (De  caerimoniis  aulae  Byzantinae). 
L>ie  bis  ins  Feinste  ausgebildete  Etikette  des  oströmischen  Kaiserhofes 
iK-bst  den  Gegenständen,  welche  die  modernen  Staatshandbücher  enthalten, 
^\  erden  hier  in  umständlicher  Breite  (auf  800  Seiten  der  Bonner  Ausgabe) 
A  erhandelt.  So  seltsam  uns  jetzt  das  ungeheuere  Gerüste  von  Vorschi-iften 
für  die  Feierlichkeiten  des  Hofes  bei  einer  Taufe,  Vermählung,  Krönung 
lind  Beerdigung,  bei  Beförderungen,  beim  Empfange  und  Abschiede  aus- 
^värtiger  Gesandten,  bei  Triumphen  u.  s.  w.  anmutet,  so  hat  dieser  riesige 
Haus-,  Hof-  und  Staatskalender  doch  eine  unverächtliche  kulturhistorische 
Bedeutung,  indem  wir  dm-ch  ihn  einen  Faktor  kennen  lernen,  durch  welchen 
Byzanz  im  diplomatischen  und  sonstigen  Verkehr  den  barbarischen  Xatio- 
nalitäten  lange  als  das  erste  Reich  der  Welt  zu  imponieren  wusste.  Das 
starre,  mit  Volk  und  Staat  fest  verwachsene  Formenwesen  hat  der  Stabi- 
lität der  oströmischen  Herrschaft  viel  genützt:  es  hat  einen  grossen,  leider 
noch  zu  wenig  untersuchten  Einfluss  auf  die  Höfe  des  Abendlandes  und 
des  slavischen  Ostens  ausgeübt,  und  lebt  in  manchen  Ausläufern  noch 
heute  an  der  hohen  Pforte,  der  unmittelbaren  Erbfolgerin  der  oströmischen 
Herrlichkeit.  An  fesselndem  Detail  ist  diese  Sammlung  byzantinischer 
Hof-  und  Staatsaltertümer  unerwartet  reich:  zu  den  für  die  Litteratur- 
geschichte  wichtigsten  Teilen  gehören  die  poetischen  Akklamationen,  die 
dem  Kaiser  bei  verschiedenen  Gelegenheiten  dargebracht  wurden.  Die 
Faktionen  hatten  ihre  eigenen  Poeten  und  Musiker,  welche  für  die  Fest- 
lichkeiten Lieder  verfassten  und  komponierten ;  für  ihi-e  Mitwirliung  erhielten 
sie  Geldspenden,  deren  Höhe  geregelt  war.  Im  Text«  des  Werkes,  wie 
er  in  den  Ausgaben  gedruckt  ist,  sind  die  metrischen  Partien  freilich 
schwer  als  solche  zu  erkennen.  Ihre  Form  ist  bald  jambisch,  bald  tro- 
chäisch; auch  finden  sich  kunstvoll  gegliederte  Gedicht«  in  der  Art  christ- 
licher Hymnen,  z.  B.  ein  in  Oden  und  Troparien  geteiltes  \il<faßi^TccQiov.^) 
Die  grösste  Beachtung  verdient  ein  volksmässiges  Lied  in  politischen 
Versen,  \4elleicht  das  älteste  Beispiel  dieses  Metrums. "2)  Die  Diktion  ist 
im  Zeremonienbuch  ebenso  harmlos  volksmässig  wie  in  der  Schrift  über 
die  Verwaltung  des  Reiches.  Das  Werk  bildete  offenbar  ein  unentbehr- 
liches Inventarstück  im  kaiserlichen  Hofhalt  und  wurde  später  gelegent- 
lich durch  Zusätze  vermehrt;  am  deutlichsten  ist  das  im  96.  Kapitel  des 
1.  Buchs  (S.  433  ff.  ed.  Bonn.),  wo  die  Proklamation  des  Nikephoros 
Phokas  zum  Kaiser  (963 — 969)  beschrieben  ist.  L^ebrigens  gehört  die 
einzige  (in  Leipzig  befindliche)  Handschrift,  die  das  Werk  überliefert, 
noch  dem  10.  Jahrhundert  an. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:    1.  Leben  des  Basilios:    Ed.  pr.  Leo  Allatius, 

-   uuixia.    Colon.  Agripp.  16.53.  —  Ed.  F.  Combefis  in  den  Scriptores  post  Theophanem, 

,  Taris   1685,   S.  132  flF.    —  Ed.  1.  Bekker.   Theophanes   continuatus.  Bonnae  18:38.  S.  211 

bis   353.    —    Wiederholt   bei   Migne,   Patrol.   Graeca    109,   225—369.   —    Hauptschriften: 


')  De  caer.  S.  383, 4  ed.  Bonn.  Vgl.  §  178.  !    €fvdQaya9if(y  ix  9eov  roT'g  ßaaiXevai  (rol  ßa- 

»)  S.  367,  19  ed.  Bonn.:  j                                                aiXt?'?)  Puifxaluy 

ro  eaQ  rc  yXvxv  utcXiv  inavareiiXei  xai  vixt;y  &{odwQtjToy  x«r«  ruiy  noktfitioy. 

'ff»';    vyciciy  xm  ^lotjy  xai   rijy  tt'rj/ieQiay  Ueber  den  politischen  Vers  s.  §  158. 


62  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

A.  Rambaud,  L'empire  grec  au  dixierae  siecle  S.  137 — 164  und  F.  Hirsch,  Byzantiniscli' 
Studien  S.  225—267. 

2.  De  administr.  imperio:  ¥A.  J.  Meursius,  Lugd.  Bat.  1611;  wiederholt  1617. 

—  Zur  historischen  und  ethnographischen  Erläuterung:  C.  J.  Groh,  Die  Nachrichten  di-> 
Konst.  Porph.  über  die  Serben  und  Chorwaten,  Petersburg  1880  (Russ.);  einen  Auszug  seinti 
Schrift  gibt  der  V.  Archiv  slav.  Philol.  5  (1881)  390—397.  —  Vgl.  die  Besprechung  von 
T.  Florinsky,  Joum.  Min.  Volksaufkl.  1881,  März-  und  Juniheft.  —  Ueber  eine  dem 
selben  Gegenstand  gewidmete  Schrift  von  Fr.  Racki  (in  Agrani)  berichtet  V.  Jagit 
Arch.  slav.  Philol.  5  (1881)  178  ff.  —  Zahlreiche  andere  Schriften  zur  Geschichte  der  Süd 
slaven,  z.  B.  die  Arbeiten  von  Novakoviß;  s.  Archiv  slav.  Philol.  4  (1880)  546.  —  G.  Krek, 
Einleitung  in  die  slavische  Literaturgeschichte,  2.  Aufl.  Graz  1887,  S.  340  und  sonst. 

3.  De  thematibus:  Das  erste  Buch  ed.  Bon.  Vulcanius,  Lugd.  Bat.  1588.  —  Beidr 
Bücher  ed.  F.  Morellus,  Paris  1609.  —  Mit  De  admin.  imp.  ed.  J.  Meursius,  Lugd.  Bat. 
1617.  —  Ed.  A.  Banduri,  Imperium  Orientale,  Paris  1711,  vol.  I.  —  Das  zweite  Bucli 
edierte  mit  einer  Einleitung,  die  zu  den  besten  Leistungen  über  byzantinische  Geograph!-' 
gehört,  L.  Fr.  Tafel,  Const.  Porph.  De  provinciis  regni  Byz.  liber  secundus,  Tubingae  1847. 

—  Ueber  die  Themen  vgl.  A.  Rambaud  a.  a.  0.  S.  175  ff.  —  Ch.  Diehl,  Etudes  siir 
l'administration  Byzantine  dans  l'exarchat  de  Ravenne,  Paris  1888,  S.  31  ff.,  85  ff.  — 
L.  M.  Hartmann,  Untersuchungen  zur  Geschichte  der  byz.  Verwaltung  in  Italien,  Leipzig 
1889,  S.  69  ff.,  103  f.  —  Die  genauesten  Aufschlüsse  gibt  G.  Schlumberger,  Sigillo- 
graphie  de  l'empire  Byzantin  S.  97 — 320. 

4.  De  caerimoniis:  Ed.  pr.  Henr.  Leichius  et  .1.  Reiske,  2  voll.  Lip.siae  1751—54. 

—  Zur  Erläuterung:  G.  Bernhardy,  Berliner  Jahrbücher  für  wissenschaftliche  Kritik 
1832,  2,  144  ff.  —  A.  Rambaud  a.  a.  0.  S.  128—136.  —  Ueber  das  merkwürdige  ali 
germanische  Weihnachtspiel,  welches  in  dem  Buche  De  caerim.  I  83  beschrieben  ist,  .--. 
Massmann,  Haupts  Zeitschr.  f.  deutsches  Altertum  I  (1841)  366 — 373  und  Conr.  Müller. 
Zeitschr.  f.  deutsche  Philologie  14  (1882)  442—460.  —  H.  Wäschke,  Studien  zu  den 
Ceremonien  des  Konst.  Porphyrogennetos,  Progr.  Zerbst  1884.  —  Ueber  eine  Handschrift 
des  18.  Jahrb.,  die  ein  Fragment  des  Buches  De  caer.  enthält,  handelt  Zachariae  von 
Lingenthal,  Monatsber.  d.  Berl.  Akademie  d.  Wiss.  1880  S.  79  ff. 

5.  Gesamtausgabe  der  drei  Schriften  De  admin.  imp..  De  them..  De  caerim.  im 
Bonner  Corpus  ex  rec.  I.  Bekkeri,  3  voll.  Bonnae  1829 — 40.  —  Wiederholt  bei  Mignc. 
Patrol.  Graeca  t.  112—113. 

19.  Die  Basiliken.  Von  den  litterarischen  Unternehmungen,  welclu 
Konstantin  Porphyrogennetos  veranlasste  oder  unterstützte  ohne  persönlich 
im  einzelnen  mitzuwirken,  nennen  wir  zuerst  ein  Werk,  welches  in  seinen 
Hauptbestandteilen  noch  unter  die  Regierung  Leo's  des  Weisen  gehört,  die 
Basiliken  (vd  Baailixa).  Dieses  grosse  Gesetzbuch  des  byzantinischen 
Staates  ist  eine  Kompilation  aus  den  Indices  der  Digesten  und  des  Codex 
Justinianus  und  aus  den  Novellen;  sie  wurde  unter  Basilios  begonnen, 
wie  sich  aus  den  Vorreden  der  unter  diesem  Kaiser  entstandenen  Rechts- 
bücher Prochiron  und  Epanagoge  ergibt,  und  unter  Leo  dem  Weisen 
vollendet.  Unter  Konstantin  Porphyrogennetos  wurde  der  Text  der 
Basiliken  durch  Auszüge  aus  Bearbeitungen  der  Digesten,  des  Codex  und 
der  Novellen  erweitert.  Auch  später  wurden  die  Basiliken  noch  vielfach 
exzerpiert,  erklärt  und  durch  Novellen  bereichert.  Weite  Verbreitung  fand 
das  Handbuch  des  byzantinischen  Rechts  in  6  Büchern  (E^äßißXoq),  welches 
um  1345  Konstantinos  Harmenopulos  bearbeitete.  Für  die  Sprach- 
geschichte bietet  die  Gräzität  dieser  zum  grossen  Teil  aus  dem  Lateini- 
schen übertragenen  Texte  manches  gute  Material. 

1.  Letzte  Ausgabe  der  Basiliken  von  W.  Ernst  Heimbach,  6  voll.,  Lipsiae  1833 — 70, 
ein  Werk  ehernen  Fleisses,  das  trotz  des  Mangels  an  philologischer  Methode  für  die  Ge- 
schichte des  byzantinischen  Rechtes  noch  immer  die  (Trundlage  bihlet;  dem  Texte  sind  eine 
lateinische  L^obersetzung  und  kritische  Bemerkungen  beigegeben,  der  6.  Haiul  enthält  Pro- 
legomena  über  die  («eschichto  des  byzantinischen  Rechtes  von  534 — 867,  Notizen  über  dio 
Ueberliefening  der  Biusiliken  und  die  neuere  Litteratur.  —  W.  E.  Heimbach,  l)a.s  byzan- 
tinische Hecht,    in    der    Ersch-    und    (iniber'schen    Enzyklo])ädie,    1.  Sektion,    86.   WiwxA.    — 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  19—20.)  63 

Ausserdem  hat  für  die  Geschichte  des  byzantinischen  Rechts  und  die  Veröflfentlichung  von 
Novellen  u.  s.  w.  das  meiste  K.  E.  Zachariä  von  Lingenthal  gethan;  seine  Haupt- 
werke sind:  Historiae  iuris  Graeco-Romani  delineatio,  Heidelbergae  1839.  —  'Avixdortt, 
Lipsiae  1843.  —  Collectio  libronmi  iuris  Graeco-Romani  ineditorum,  Lipsiae  18.52.  —  Jus 
<  haeco-Romanum.  7  partes.  Lipsiae  1856 — 84.  —  Geschichte  des  griechisch-römischen  Rechts, 
'1.  Auflage,  Berlin  1877.  Hier  findet  man  S.  3 — 32  ein  vollständiges  chronologisches 
Verzeichnis  der  byzantinischen  Rechtsquellen  mit  bibliographischen  Angaben, 
auf  welches  ich  verweise,  da  es  mir  unmöglich  ist,  die  juridische  Litteratur  der  Byzantiner 
in  einem  selbständigen  Abschnitte  geschichtlich  zu  behandeln.  —  Auf  dem  erstgenannten 
Werke  von  Zachariä  von  Lingenthal  beruht  die  ausführliche  DarsteUimg  von  J.  A.  B.  Mort- 
reuil,  Histoire  du  droit  Byzantin,  3  voll.  Paris  1843 — 47.  —  Eine  treffliche  Uebersicht 
der  byzantinischen  Rechtslitteratur  gibt  Paul  Krüger,  Geschieht«  der  Quellen  und  Lit- 
teratur des  römischen  Rechts,  Leipzig  1888  S.  3-59 — 370. 

2.  Wie  so  viele  andere  Werke  der  byzantinischen  Litteratur  gingen  auch  die  Gesetz- 
bücher in  Auszügen  und  Kompilationen  zu  den  Slaven  über:  A.  Pavlov,  Gesetzbücher. 
Altrussische  Uebersetzung  mit  griechischem  Text  u.  s.  w.,  Petersburg  1885  (Russ.). 
Vgl.  V.  .lagic,  Archiv  slav.  Phil.  9  (1886)  151  ff.  —  Ebenso  wirkte  das  byzantinische  Recht 
in  Süditalien  und  Sizilien  auf  die  normannische  Gesetzgebung:  F.  Brandileone,  Fram- 
menti  di  legislazione  nonnanna  e  di  giurisprudenza  bizantina  nell'ltalia  meridionale  in  den 
Atti  della  R.  accademia  dei  Lincei,  Serie  IV,  vol.  2  (1886)  260 — 284  und  desselben  Werk: 
11   diritto   bizantino   nell'ltalia    meridionale   dal  8.    al   12.  secolo,   Bologna    1886.  —  V.  La 

i    Mantia.    Cenni   storici    su   li   fonti  del  diritto  greco-romano   e   le  assise  e  leggi  dei  re  di 
Sicilia,  Roma  1887. 

3.  Durch  Verschmelzung  der  weltlichen  und  kirchlichen  RechtsqueUen  (der  vöuoi 
und  der  xavöpBg)  entstanden  die  Nomokanones.  Sammlimgen  kirchenrechtlicher  Bestim- 
mungen, welche  im  Laufe  der  Zeit  vielfach  durch  Zusätze  und  Erklärungen  erweitert  wurden. 
Die  wichtigste  Bearbeitung  ist  nicht  die  von  883,  welche  fälschlich  dem  Patriai-chen  Photios 
zugeschrieben  wurde,  sondern  eine  um  1090  von  Theodoros  Bestes  hergestellte  Re- 
zension. Eine  xaroyixfj  avroxVt?  stammt  von  einem  Magister  und  Logotheten  Symeon, 
der  nach  Zachariä  von  Lingenthal  mit  dem  unter  Nikephoros  Phokas  vorkommenden  Logo- 
theten SjTueon  nicht  identisch  Lst,  sondern  erst  lun  das  Jahr  1000  lebte.  L'nter  Kaiser 
Johannes  Komnenos  (1118 — 1143)  hat  Alexios  Aristenos  die  Synopsis  mit  einem  Kom- 
mentar versehen,  auf  den  Zonaras  Rücksicht  nimmt,  ohne  ihn  zu  nennen.  Die  Bearbeitung 
des  Aristenos  wurde  einem  Nikolaos  Doxopatres  (Doxapatres?)  fälschlich  untergeschoben. 
Vgl.  Paul  Krüger,  Zeitschrift  für  Rechtsgeschichte  9  (187U)  185  ff.  und  desselben :  Geschichte 
der  Quellen  und  Litteratur  des  römischen  Rechts,  Leipzig  1888  S.  367  f.  —  K.  E.  Zachariä 
von  Lingenthal,  Die  Sj-nopsis  canonum,  Monatsber.  d.  k.  preussischen  Akademie  der 
Wiss.  1887,  1147 — 1163.  — i  Die  wichtigsten  Ausgaben  und  Werke,  die  für  das  griechi- 
sche Kirchenrecht  sonst  in  Betracht  kommen,  sind:  Bibliotheca  juris  canonici  veteris 
....  op.  G.  Voelli  et  H.  Justelli.  Paris  1661.  —  Ivyxttyua  iwy  Seiioy  xal  ifQtoy 
xavöyojy  ....  vno  F.  J.  Päkkrj  xal  M.  nörkt],  6  voll.  Athen  1852 — 59.  —  Juris  ecclesia- 
stici  Graecorum  historia  et  monumenta  .  .  .  cur.  J.  B.  Pitra,  2  voU.  Romae  1864 — 68  (ent- 
hält Denkmäler  vom  1. — 9.  Jahrhundert).  —  Die  Geschichte  des  kanonischen  Rechts  bei 
den  Griechen  skizzierte  Fr.  Aug.  Biener,  De  collectionibus  canonum  ecclesiae  Graecae, 
Berolini  1827.  —  Slavisch-griechischer  Nomokanon  mit  dem  bis  jetzt  unbekannten  Original 
herausgeg.  von  A.  Pavlov,  Odessa  1872  (Mitteilung  von  Destunis). 

20.  Kriegswissenschaft.  Ohne  Bedeutung  ist  die  fragmentarisch 
erhaltene  kriegswissenschaftliche  Kompilation,  die  unter  dem  Namen  Kon- 
stantins geht,  ein  ^rgaTr^yixdv  negl  sO^öiv  6ia(f<)Qon'  iih-iav,  das  ältere 
Nachrichten  über  die  verschiedenen  Kampfesarten  fremder  Völker  zusam- 
menstellt. Inhaltlich  verwandt  sind  einige  Titel  der  von  dem  Kaiser  ver- 
anlassten historischen  Enzyklopädie.  Die  gewöhnlich  ebenfalls  dem  Kon- 
stantin Porphyrogennetos  beigelegte  Taktik,  eine  ganz  unselbständige, 
fast  wörtliche  Wiederholung  der  Taktik  Leo's  des  Weisen,  trägt  in  der 
Ueberschrift  den  Vermerk:  oneq  ^vviyQail'e  KtorGraviTvog  ßaaiAtvc,  6  jov 
'Pwfiavov  v'iög,  und  gehört  also  nicht  unserem  Kaiser,  sondern  Konstantin  VIII, 
dem  Sohne  Romanos  II  (1025-1028). 

1.  Beide  Schriften  sind  ed.  von  J.  Meursius,  Lugduni  Bat.  1617  (mit  De  admin.. 
De  theni.);  auch  in  J.  Meursii  opera  ex  rec.    J.  Lami,  vol.  6  (Florentiae  1745)  1211  bis 


64  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

1418.    —   Vgl.  C.  Müller,   Fragm.   hist.  Graec.  V  Praef.  S.  13.   —   F.  Hirsch,  Götting. 
Gel.  Anzeigen  1873,  496  ff. 

2.  Kine  anonyme  taktische  Schrift,  angeblich  aus  der  Zeit  des  Justinian,  edd.  H. 
Köchly  und  W.  Rüstow,  Griechische  Kriegsschriftsteller  II,  2.  Abteil.,  Leipz.  1855;  dort- 
selbst  im  Anhange  noch  zwei  weitere  Anonymi.  Das  genealogische  Verhältnis  dieser,  wie 
der  übrigen  griechisch-byzantinischen  Taktika  bedarf  noch  der  Untersuchung.  Eine  Ueber- 
sicht  gibt  Max  Jahns,  Geschichte  der  Kriegswissenschaften,  1.  Abteil.  (München  1889) 
143  ff.,  wo  man  auch  noch  weitere  Litteraturangaben  findet.  —  lieber  die  Taktik  Leos  des 
Weisen  s.  §  188. 

21.  Exzerptensammlungen.     Die  juridischen  und  taktischen  Samm- 
lungen aus  der  Zeit  Konstantins  werden  an  litterarhistorischer  Bedeutung 
weit   übertroffen  von  seinen  Exzerptenenzyklopädien.     Der  Gedanke, 
die   zu    ungeheuren  Massen   angeschwollenen   Geisteserzeugnisse   der  Ver- 
gangenheit in  methodisch  angelegten  Auszügen  dem  bequemeren  Bedürfnis 
der  Zeitgenossen  und  der  Nachwelt  zu  vermitteln,  war  im  10.  Jahrhundert 
nicht  mehr   neu;    für  die  Geschichtschreibung  waren  längst  Johannes   von 
Antiochia  und  andere  Chronisten,  für  ein  umfassenderes  Gebiet  der  Patriarch 
Photios  vorangegangen,  der  in  seiner  Bibliothek  fast  alle  Zweige  der  alten 
Litteratur  berücksichtigte.     Neu   scheint   aber  die  Idee,   die  Exzerpte   in 
handbuchartigen   Sammlungen   nach  Fächern   und   Materien  in  Abschnitte, 
oder  Kapitel  zu  zerlegen.     Die  römischen  Enzyklopädien  des  M.  Terentii 
Varro,  des  älteren  Plinius,  des  Apuleius  u.  a.')  waren  doch  im  Grundplan« 
von   den  Konstantinischen  Unternehmungen   wesentlich   verschieden.     Die] 
Frage,  ob  durch  diese  Sammlungen  die  Tradition  der  alten  Texte  gewon-^ 
nen   oder  verloren  hat,   ist  schwer  zu   beantworten.     Dadurch,   dass  mal 
statt  der  vollständigen  Werke   bequeme  Auszüge  erhielt,  mag  der  Untei 
gang  mancher  Originale   beschleunigt  worden  sein;   mehr  aber  muss  wol 
die  konservierende  Bedeutung  des  Unternehmens  betont  werden;  vieU 
Texte,  die  schon  damals  nur  noch  in  spärlichen  und  verstümmelten  Exem^j 
plaren  vorhanden  waren,   wären   ohne   die   durchgreifende  Operation  Kon-j 
stantins  ganz  verloren  gegangen. 

22.  Enzyklopädie  der  Geschichte.  Den  ersten  Rang  unter  den] 
durch  Konstantin  veranlassten  Exzerptenwerken  beansprucht  die  grosse] 
Enzyklopädie  der  Geschichte  und  Staatswissenschaft.  Im  Proömion 
der  Exzerpte  De  virtutibus  et  vitiis  ist  das  Motiv  des  Unternehmens  an- 
gegeben: „Ins  Unendliche  und  nicht  mehr  zu  Bewältigende  ist  der  Umfang 
der  Geschichte  angewachsen"  (f/r'  ajieiQÖv  xs  xai  a!.irjxctvoi'  rj  rijg  iaiogiag 
tvQvrero  avfinXoxrj).  Dem  wollte  Konstantin  durch  eine  methodische  Blumen- 
lese aus  den  alten  Historikern  abhelfen.  Zur  Ausführung  des  Planes 
dienten  jedenfalls  zahlreiche  in  litterarischen  Dingen  bewanderte  Zeit- 
genossen; doch  ist  von  den  Namen  dieser  Redaktoren  nur  &fod6aiog  o 
fiixQÖg  gesichert.  Berücksichtigung  fand  fast  die  gesamte  historische  Lit- 
teratur der  Griechen  bis  in  die  byzantinische  Zeit,  von  den  alten  Meistern, 
die  noch  immer  in  vollständigen  Exemplaren  abgeschrieben  und  gelesen 
wurden,  allerdings  nur  Ilerodot,  um  so  reichlicher  aber  die  Autoren  der 
alexandrinischen  und  römischen  Periode,  wie  Polybios,  Diodoroa,  Dionysios 
von  Halikarnass,  Josephos,  Appianos,  Dio  Cassius,  Zosimos,  Priskos,  Mal- 

')  Vgl.  0.  Jahn,   Berichte   der  sächs.  Gesellsch.  der  Wissenschaften  1850,  263  ff. 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  21  -22.j  65 

chos,  Prokopios,  Agathias  u.  a.;  den  Beschluss  bildet  Theophylaktos,  der 
letzte  Historiker  der  vorbyzantinischen  Zeit.  Auch  Chronisten  wie  Malalas, 
Theophanes  und  Georgios  Monachos  wurden  beigezogen.  Bemerkenswert  ist, 
dass  die  Handschriften  der  alten  Geschichtschreiber,  welche  den  Redaktoren 
zur  Verfügung  standen,  nachweislich  schon  zum  Teil  unvollständig  waren. 
Dass  die  Ausführung  des  Planes  nicht  exakt  und  gleichmässig  vor  sich  ging, 
darf  bei  der  Ausdehnung  des  Unternehmens,  bei  dem  wahrscheinlich  sehr 
fühlbaren  Mangel  wirklich  gelehrter  Mitarbeiter  und  bei  den  lockeren 
wissenschaftlichen  Grundsätzen  der  Zeit  nicht  im  mindesten  verwundern. 
Das  für  die  Arbeit  aufgestellte  Programm  ist  ziemlich  mechanisch  und 
nüchtern;  ohne  Rücksicht  auf  den  litterarischen  und  ästhetischen  Wert 
der  Schriftsteller  sollte  das  gesamte  Material  nach  sachlichen  Gesichts- 
punkten in  53  Abschnitten  untergebracht  werden.  Soweit  wir  den  Plan 
des  Ganzen  noch  zu  überblicken  vermögen,  verteilten  sich  die  Titel  auf 
die  drei  Hauptgruppen  Staat,  Kirche  und  Moral.  Mit  Sicherheit  können 
wir  in  den  überlieferten  Bruchteilen  4  Titel  erkennen.  1.  Die  'ExXoyccl 
TctQi  Tioeaßeiöjy,  Excerpta  de  legationibus,  also  eine  Monographie,  in 
der  die  Nachrichten  der  Historiker  über  das  Gesandtschaftswesen  zusammen- 
gestellt wurden.  Das  Ganze  zerfällt  in  einen  Abschnitt  über  die  Gesandt- 
schaften fremder  Völker  an  die  Römer  und  einen  zweiten  über  die  Ge- 
sandtschaften der  Römer  an  fremde  Völker.  Die  spezielle  Beachtung  dieses 
Gegenstandes  wird  verständlich,  wenn  man  sich  erinnert,  welche  Bedeu- 
tung für  das  durch  endlose  Kriege  beunruhigte  Reich  der  diplomatische 
Verkehr  mit  den  mehr  oder  weniger  wilden  Nachbarvölkern  besass.*) 
2.  Exzerpte  Ufgi  agezf^g  xai  xaxtag,  De  virtutibus  et  vitiis,  eine 
Sammlung  von  merkwürdigen  Fällen  aus  dem  Gebiete  der  Moral.  3.  Ex- 
zerpte IJ^Qi  yxdiiuwY^  De  sententiis.  4.  Exzerpte  neqi  ijiißovXwv  xard 
ßaailtooY  yeYorviiöv,  De  insidiis,  ein  Titel,  der  zeigt,  dass  auf  die 
speziellsten  Zwecke  des  Hofes  und  der  Regierung  Rücksicht  genommen 
wurde.  ^)  Weniger  sicher  ist  unsere  Kenntnis  bezüglich  der  zwei  folgenden 
Titel  5.  Jleg}  ffToctTrjrjiävojv,  De  strategematis.  Das  sind  Auszüge  aus 
der  historischen  Litteratur  in  einer  von  I^Iinoides  Minas  gefundenen  Athos- 
handschrift  und  in  einem  Parisinus,  deren  Zusammenhang  mit  Konstantins 
Enzyklopädie  jedoch  nicht  sicher  erwiesen  ist. 3)  6.  üegl  öi^nr^yoQKÖr,  De 
contionibus  militaribus.  Solche  Ansprachen  an  das  Heer,  die  zur  Tapfer- 
keit anfeuern  sollen,  6r^i^ujoQica  ngorgeTCTixal  itgog  ardgsiar  ex  dicetfÖQon' 
äifOQiiwv  Äaußdrovaai  rag  vTro^tCftg,  stehen  zwar  in  einer  Florentiner 
Handschrift  des  10.  Jahrhunderts;  doch  ist  diese  Schrift  nicht  eine  Samm- 
lung von  Reden  aus  alten  Autoren,  sondern  eine  militärische  Rhetorik 
d.  h.  eine  mit  kleinen  Beispielen  aus  ungenannten  Quellen  untermischte 
schulmässige  Anweisung  zur  Abfassung  von  Feldherrnreden.  Ob  das  Mach- 
werk den  Konstantinischen  Titel //*(»<  Si^uijoQioiv  vorstellt  oder  wenigstens 
in  einem  näheren  Zusammenhange  mit  ihm  steht,  ist  bis  jetzt  nicht  fest- 
gestellt.    Alle  übrigen  Teile  der  historischen  Enzyklopädie  scheinen  ver- 

')  Man  vergleiche  die  ausführlichen  Vor-   j    II  c.  47  niedergelegt  sind. 
Schriften   über  den  Verkehr   mit  Gesandten,   |  =*)  Vgl.  Müller,  Fragm.  hist.  Gr.  V,  XIV. 

die  in  dem  Werke  De  caerimon.  1  c.  87-90,   |  ')  Ibid.  V,  XU. 

Dandbuch  der  kUss.  Altertumswiasenschaft.   IX.    1.  Abtlg.  5 


Qß  Byzantinisclie  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

loren;  doch  können  wir  aus  Randbemerkungen  zu  den  erhaltenen  Stücken 

von  einer  Anzahl  der  verlorenen  Kapitel  wenigstens  den  Inhalt  vermuten, 

so  werden  Titel  llfQi  ßaaikitav  avayoqsvdfMq,  Tlegl  diadox^jg  ßaatXtuyv,  llfQt 

yotjttwv,  IJsqI  xvvrjysaiaq  u.  s.  w.  genannt. ') 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  IIsqi  TtQsaßeiuiy.  Ex  libris  Polybii  Megalop. 
selecta  de  legationibus  etc.  ex  bibliotheca  Fulvii  Ursini,  Antverpiae  1582.  Die  hier 
fehlenden  Fragmente  veröffentlichte  Hoeschel  (Excerpta  Hoescheliana),  Aug.  Vindel.  1608. 

—  Vgl.  Historie!  Graeti  min.  ed.  L.  Dindorf  I  Praef.  S.  27  ff.  58  ff.  —  Mit  dem  Proömion 
dieser  Exzerpte  ist  das  43.  Kapitel  der  von  Köchly,  Griech.  Kriegschriftsteller  II  2,  heraus- 
gegebenen anonymen  Taktik  identisch.  —  IIsqI  uQettjs  xui  xnxiag.  Ed.  H.  Valesius. 
Paris  1634  (aus  einem  cod.  Peirescianus,  daher  Excerpta  Peiresciana  genannt).  —  Vgl. 
Dio  Cassius  ed.  E.  Gros  vol.  I  (1845)  Introd.  S.  57 — 84.  —  Dindorf  Hist.  Gr.  min.  I  Praef. 
S.  7.  55  ff.  —  J.  Wollenberg,  Excerpta  ex  Joanne  Antiocheno  ad  librum  Peirescianuiii 
a  se  excussum  emend.,  Progr.  des  französ.  Gymnasiimis,  Berlin  1861.  —  LXlll  locos  ex 
Herodoto  excerptos,  qui  ex  conlectaneis  Constantini  Aug.  Porph.  ntQl  (eQstijg  xai  xttxiag  in 
codice  Peire.sciano  exstant,  rec.  J.  Wollenberg,  Progr.  des  französ.  Gymna.siums,  Berlin 
1862.  —  nsQi  yvwfiiöv.     Ed.  A.  Mai,    Scriptor.  vet.  nova  collectio  v.  II    (Romae  1827). 

—  Die  Exzerpte  tieqI  yywfiojy  aus  Polybios  gab  neu  heraus  Theod.  Heyse,  Berlin  1846. 

—  Dazu  Verbesserungen  nach  einer  neuen  Kollation  von  H.  van  Herwerden,  Spicilegium 
Vaticanum,  Lugd.  Batav.  1860.  —  Eine  Neuvergleichung  der  den  Dio  Cassius  betreffenden 
Exzerpte  negl  yvtafxiüv  lieferte  U.  Ph.  Boissevain,  Progr.  Rotterdam  1884.  —  Vgl.  Th. 
Mommsen,  Hermes  6,  89  f.  —  JIeqI  in  i  ßovXwy.  E  cod.  Escurialiensi  ed.  L.  Feder, 
3  voll.  Darmstadii  1848 — 55.  —  Vgl.  Th.  Mommsen,  Hermes  6,  323.  —  neql  axQu- 
TijyTjfiitT (oy.  Vgl.  C.  Müller,  Fragm.  hist.  Gr.  II  31 — 42,  V  Proleg.  S.  7  f.  —  Einen 
Auszug  aus  alten  Poliorketikern,  dessen  Zusammenhang  mit  einem  Konstant.  Titel  sich 
nicht  erweisen  lässt,   ed.  C.  Wescher,   Poliorcetique   des  Grecs,  Paris  1867    S.  195 — 279. 

—  negi    &Tjfii]yoQi(ijy.     Anonymi   Byzantini   rhetorica   militaris    ed.   A.  Koechly,   zwei 
Indices  lectionum,  Zürich  1855 — 56.  —  IIsqi  dvayoQsvaews.     H.  Wäschke,  Ueber  da- 
von  Reiske   vermutete   Fragment   der  Exzerpte   Konstantins   Tieqi   dyKyoQsvastüg.      Progr 
Dessau  1878. 

Ausserdem  vgl.  G.  Bernhardy,  Berliner  Jahrbücher  für  wissenschaftliche  Kritik 
1831,  2,  330  ff.  —  Heinr.  Nissen,  Kritische  Untersuchungen  über  die  Quellen  der  4. 
und  5.  Dekade  des  Livius,  Berlin  1863,  S.  313 — 323  (über  die  Gesandtschaftsexzerpte). 
E.  Schulze,  De  excerptis  Constant.  quaest.  criticae,  Diss.  Bonn  1866.  —  L.  Dindorf. 
Jahns  Jahrb.  99  (1869)  114.  —  Eine  sachliche  Gruppierung  der  Titel  und  Herstellung  d«T 
ursprünglichen  Ordnung  versucht  H.  Wäschke,  Ueber  die  Reihenfolge  der  Exzerpte  Kon 
stantins,  Philologus  41  (1882)  270 — 283.  —  Ueber  Doppelexzerpte,  d.  h.  über  solche,  die 
ausführlich  und  daneben  in  einer  Epitome  vorkommen,  handelt  C.  de  Boor,  Hermes  l!' 
(1884)  123 — 148.  —  Sp.  Lambros,  UXovic'cqxsiu  dnuy^iafiaitc  iy  'JyioQeiTixio  xttidixt  ti]\- 
fioyiji  Jioyvaiov,  Jubiläumsschrift  der  Univei-sität  Athen,  Athen  1888  S.  315 — 337  versutlit 
Exzerpte    aus  den  Biographien  des  Plutarch  mit  Konstantin    in  Zusammenhang  zu  ])ringeii. 

—  Weitere  Litteratur  s.  in  der  Abhandlung  von  Schulze  S.  6.    Ausserdem  sind  für  einzelni' 
Fragen    natürlich    die  Ausgaben   und   kritischen   Hilfsmittel    der    einzelnen    ex 
zerpierten  Historiker,    besonders   die  Vorreden   in    den  Ausgaben    des  Polybios   von 
Hultsch  und  Büttner- Wobst  heranzuziehen. 

23.  Enzyklopädie  der  Landwirtschaft,  eine  Sammlung  der  Ftb)- 
Ttonxa,  ein  glänzendes  Zeugnis  für  die  praktischen  Bestrebungen  und  den 
weiten  Blick  des  Kaisers,  dem  man  mit  Unrecht  mechanische  und  tote 
Büchergelehrsamkeit  vorgeworfen  hat.  Das  vorzüglich  von  den  Homern 
gepflegte  Gebiet  der  Landwirtschaft  hatte  auch  bei  den  Griechen  besonders 
seit  der  alexandrinischen  Zeit  wissenschaftliche  Darstellungen  hervor- 
gerufen, die  bald  zu  ähnlichen  Massen  anwuchsen  wie  die  geschichtlichen 
Werke.  Das  praktische  Bedürfnis  musste  hier  noch  mehr  als  in  der  Ge- 
schichte Sammlungen  und  Auszüge  veranlassen.  So  trug  ein  gewisser 
Vindanios  Anatolios,  den  man  willkürlich  mit  dem  von  Libanios  öfter 
erwähnten  gleichnamigen  Juristen  aus  Berytos  identifiziert  hat,  aus  älteren 

')  Aufzählung  der  Titel  in  der  unten  zitierten  Schrift  von  Wäschke  S.  4. 


A.  Die  Geschichtachreiber.   (§  23—24.)  67 

Werken  eine  ^vvaywYr]  yswQyixwv  emTr^dsvackcav  zusammen,  welche  Photios 
(cod.  163)  gelesen  hat.  Ungefähr  um  dieselbe  Zeit  (im  4.  oder  5.  Jahr- 
hundert) verfasste  ein  gewisser  Didymos  Feowyixä  in  15  Büchern.  Mit 
Hilfe  dieser  wichtigen  Vorarbeiten  veranstaltete  im  Auftrage  des  Konstantin 
Porphyrogennetos  Kassianos  Bassos  aus  Bithynien  eine  Redaktion  von 
landwirtschaftlichen  Regeln  und  Vorschriften  in  20  Büchern.  Die  zahl- 
reichen Zitate  aus  anderen  Autoren  über  Landwirtschaft  verdankt  Bassos 
wohl  ausschliesslich  der  Vermittelung  des  Anatolios  und  Didymos.  Die 
ursprünglich  jonisch  geschriebenen  Stücke  sind  des  leichteren  Verständnisses 
halber  in  die  attische  Form  der  xoirii]  umgegossen,  eine  Aenderung,  die 
vielleicht  zum  Teil  schon  auf  frühere  Exzerptoren  wie  Anatolios  zurück- 
geht; selbst  vor  der  Aufnahme  volkstümlicher  Wörter  und  Formen  scheute 
die  Redaktion,  die  hierin  ganz  im  Geiste  Konstantins  handelte,  nicht  zurück. 

1.  Ausgaben  und  Uebersetzungen:  Zuerst  vollständig  von  P.  Needham, 
Cantabr.  1704.  —  Besser  von  N.  Niclas.  4  voll..  Lipsiae  1781,  mit  den  Präfationen  der 
früheren  Ausgaben,  einem  spärlichen  kritischen  Apparat,  Register  der  zitierten  Autoren, 
historischem,  geographischem,  grammatischem  und  sachlichem  Index,  doch  ohne  genügende 
handschriftliche  Grundlage.  —  Eine  kritische  Ausgabe  wird  von  Heinr.  Beckh  für 
die  biblioth.  Teubneriana  vorbereitet.  —  Paul  de  Lagarde,  De  Geoponiconim  versione 
Syriaca.  Lipsiae  1855.  —  Geoponiconim  in  serm.  S^Tiacum  versorum  quae  supersunt  ed. 
P.  de  Lagarde,  Lipsiae  1860.  Nach  W.  Gemoll  S.  211  (s.  u.)  geht  der  syrische  Text 
auf  dieselben  Quellen  zurück  wie  unsere  Geoponica,  ist  aber  keine  direkte  Uebersetzimg 
dieser.  —  Das  Vertrauen,  welches  man  in  der  Humanistenzeit  jeder  alten  Weisheit  ent- 
gegenbrachte, bezeugt  die  oft  aufgelegte  französische  und  deutsche  febersetzung  des  16. 
Jahrhunderts:  Les  XX  liures  de  Constantin  Cesar  ....  traduicts  en  Francoys  par  M.  An- 
thoine  Pierre,  licentie  en  droit.  Poictiers  1545  (Vorrede  datiert  von  1.543).  —  Der 
veldtbaw  oder  das  buch  von  der  veld  arbeyt  ....  Alles  vor  tausend  jaren  von  dem  Keyser 
Constantino  dem  vierdten  (!)  in  Kriechischer  sprach  beschrieben  fnd  yetz  newlich  durch 
D.  Michael  Her  reu  auss  der  Kriechischen  in  Teutsche  sprach  vertolmetscht,  Strassburg 
1.545;  wiederholt  1-551,  1556,  1565  u.  ö. 

2.  Hilfsmittel:  Artikel  Geoponici  von  A.  Baumstark  in  Pauly's  R^alenzyklo- 
pädie.  wo  jedoch  besonders  die  vorbyzantinische  Zeit  berücksichtigt  ist.  —  Ernst  Meyer, 
Geschichte  der  Botanik  3.  Bd.  (Königsberg  1856)  338 — 390,  wo  auch  über  die  naturwissen- 
schaftlichen Scliriften  des  S  y  m  e  o  n  S  e  t  h  (11.  Jahrb.).  des  Stephanos  Magnetes 
(11.  Jahrb.).  des  Nikolaos  Myrepsos  (um  1280)  und  des  Johannes  Aktuarios 
(14.  Jahrb.)  gehandelt  wird.  —  Eine  kurze  Analyse  der  Geoponika  gibt  M.  de  Raynal, 
Etudes  sur  les  Geoponiques,  Annuaire  de  l'assoc.  8  (1874)  89 — 122.  —  Hauptschriften: 
W.  Gera  oll,  Untersuchimgen  über  die  Quellen,  den  Verfasser  imd  die  Abfassungszeit  der 
Geoponica,  Berliner  Studien  1  (1884)  1 — 280,  Henr.  Beckh,  De  Geoponicorum  codicibus 
manuscriptis.  Acta  .seminarii  philol.  Erlangensis  4  (1886)  261 — 346.  und  Eugen  Oder, 
Beiträge  zur  Geschichte  der  Landwirtschaft  bei  den  Griechen,  Rhein.  Museum  45  (1890) 
58—99;  212—222. 

24.  Enzyklopädie  der  Medizin,  ein  medizinisches  Handbuch,  die 
Sammlung  der  'Icctqixü.  Als  umfassende  Vorarbeit  diente  die  um  350  durch 
Oribasios  veranstaltete  'Emrofirj  rwr  iazQixoiv  iheonQr^f^ittxon'.  Im  Auftrage 
Konstantins  übernahm  der  Arzt  Theophanes  Nonnos  eine  summarische 
Redaktion,  die  von  dem  Verfalle  der  medizinischen  Wissenschaft  im  by- 
zantinischen Zeitalter  ein  unverkennbares  Zeugnis  ablegt.  Bedeutender  ist 
das  Handbuch  der  Tierarzneikunde,  die  Sammlung  der  "^InTnatQixcc. 
Unter  Konstantin  dem  Grossen  hatte  Hippokrates  von  Kos,  ein  Landsmann 
des  grossen  Arztes,  die  Tierarzneikunde  behandelt;  zu  derselben  Zeit 
schrieb  Apsyrtos  zwei  Bücher  über  Pferdeheilkunde.  Unter  Konstantin 
Porphyrogennetos  verfasste  Hierokles  zwei  Bücher  über  dasselbe  Thema, 
die   er    dem   oben   erwähnten   Kassianos   Bassos   widmete.     Hierokles  hat 


6g  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

dann,  vielleicht  in  Verbindung  mit  Bassos,  die  Konstantinische  Sammlung 
der  'iTiTiiaTQixd  redigiert.     Die  meisten    Partien  stammen  aus  Apsyrtos. 

Eine  Ergänzung  der  landwirtschaftlichen  und  medizinischen  Hand- 
bücher bildet  ein  Auszug  aus  der  Tiergeschichte  des  Aristoteles: 
Twr  'AQiaioTkXovg  ntgl  ^tiJwr  iniToiin].  Die  Grundlage  bildete  Aristoteles 
in  der  Epitome  des  Aristophanes  von  Byzanz ;  damit  verband  sich  manches, 
was  aus  späteren  Quellen  bei  Aelian  und  Timotheos  zu  finden  war.  Die 
Fassung  ist  ziemlich  frei  und  selbständig.  Von  den  4  Büchern,  welche 
die  Sammlung  ursprünglich  umfasste,  sind  bis  jetzt  nur  2  gefunden.  Die 
in  Paris  befindliche  Athoshandschrift  trägt  den  Titel:  ^vlloyi]  rijg  negl 
^o')(av  iGTOQiag,  x^Qaaiwv,  nrr^vMi'  re  xal  i^aXaTTiwr,  KutvOtavxivu^  t(i)  fisyäXo^ 
ßaaiXei  xal  uvtoxquxoqi  (piXoTiorrj^eTaa. 

1.  'laiQixä:  Unter  dem  Titel:  Nonnus  Theophanes,  epitome  de  curatione  morborum 
ed.  Steph.  Bernard,  2  voll.  Gotliae  1794 — 9.5.  —  Vgl.  Kurt  Sprengel,  Geschichte  der 
Arzneikunde  II  (1823)  322  ff.  (unbedeutend). 

2.  'Inniutqixä:  Veterinariae  medicinae  libri  duo  a  Joanne  Ruellio  Suessoniensi 
olim  quidem  latinitate  donati,  nunc  vero  iidem  sua,  hoc  est  Graeca  lingua,  primam  in  lucem 
editi,  Basileae  1537  (mit  einer  Vorrede  von  S.  Grynaeus).  —  Kinen  Text,  der  die  Baseler 
Ausgabe  berichtigt  und  ergänzt,  ed.  aus  cod.  Paris.  Gr.  2322  E.  Miller,  Not.  et  extr.  21 
(1865)  2,  1 — 163.  —  Französische  Uebersetzung  von  .Jean  Masse  unter  dem  Titel:  L'artj 
vetärinaire,  Paris  1563.  —  Ueber  eine  neugefundene  lat.  Uebersetzung  des  Apsyrtos  vgl 
W.  Meyer,  Sitzungsber.  d.  bayer.  Ak.  d.  Wiss.,  pliil.-hist.  Gl.  1885,  395. 

3.  lleQi  Cw'w»'  iniTOfxtj:   Das  erste  Buch  ed.  aus  einer  in  Paris  befindlichen  Athoa 
handschrift  Val.  Rose,  Anecdota  Graeca  et  Graecolatina  II  (Berolini  1870)3 — 12;  17 — 401 
—  Emendationen   von  H.  Sauppe,    Götting.  Gel.  Anz.  1872,  220  ff.  —  Zwei    Bücher  miij 
Benützung    des   Parisinus   und    eines   neuen    Athous   ed.   von  Sp.  Lambros,   Excerptorui 
Constantini    de   natura   animalium   libri    duo.     Berolini  1885  (als  Vol.  I,  1    des   von    der  1 
preuss.  Ak.  d.  Wi.ss.  herausgegebenen  Supplementum  Aristotelicum).  —  Eine  älmliche  Kom^ 
pilation    aus  Aristoteles,    Aelian  u.  a.   ist   die   unter  Kaiser  Konstantin  Monomachos  (1042l 
verfasste  anonyme  Tiergeschichte.    Ed.  C.  Fr.  Matthaei:   lloixiXu  'EXhjyixä,  Mosquae  181lJ 

4.  Ins  Gebiet  der  Tierheilkunde  gehören    auch    die    in    der  byzantinischen  Zeit   viel 
verbreiteten  Bücher   über  Falken-,  Geflügel-  und  Hundezucht.     Ein  'leQuxoaücfioy  eines  geJ 
wissen   Demetrios   Pepagomenos    aus   Konstantiuopel    edierte    mit   einem   anonymen! 
'OQysoaoffiof   und  einem  Kvyoaöqioy  eines  (mit  dem  vorigen  vielleicht  identischen)  Deme 
trios   aus   Konstantinopel    R.  Hercher,   Aeliani  varia  historia,    vol.  II  (1866)  333  f1'.. 
517  ff.,  585  ff. 

25.  Sonstige  Sammlungen.  Ausser  den  genannten  Unternehmungen, 
die  mit  genügender  Sicherheit  auf  einen  direkten  Befehl  des  Konstantin 
Porphyrogennetos  zurückzuführen  sind,  gibt  es  noch  einige  Sammel- 
werke des  10.  Jahrhunderts,  von  denen  sich  ein  Zusammenhang  mit  Kon- 
stantinischen Anregungen  vermuten  lässt.  Man  fühlt  sich  versucht,  die  in 
dem  berühmten  codex  Palatinus  erhaltene  Anthologie  griechischer  Epi- 
gramme, welche  Konstantin  Kephalas  redigierte,  auf  die  rastlosen  Be- 
mühungen des  Kaisers  für  die  Sammlung  und  Konservierung  der  alten 
Litteraturschätze  zurückzuführen.  Auch  die  dem  Programme  Konstantin.s 
fernerstehenden  grammatischen  Sammelwerke  wie  Suidas  und  andere 
Lexika  mag  die  vom  Kaiser  so  grossartig  durchgeführte  Idee  beeinflusst 
haben. 

Vielleicht  darf  selbst  die  grosse  Legendensammlung,  durch  welche 
der  Name  des  Symeon  Metaphrastes  zum  meistgenannten  der  byzan- 
tinischen Zeit  geworden  ist,  an  dieser  Stelle  erwähnt  werden.  Freilicli  ist 
die  Entstehungszeit  des  Unternehmens  nicht  sicher  gestellt.  Nach  Leo 
Allatius  war  Symeon  ein  jüngerer  Zeitgenosse  Leo's  des  Weisen  (886— IM  1). 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  25  -  26.)  69 

und  F.  Hirsch,  der  ihm  beistimmt,  glaubt,  dass  er  wahrscheinlich  noch  die 
Zeit  der  Alleinherrschaft  Konstantins  (945)  erlebte:  dagegen  wird  er  von 
I  i  r.  Vasilievskij  auf  Grund  neuer  Dokumente  in  den  Schluss  des  10.  Jahr- 
liunderts  versetzt  und  mit  dem  Chronisten  Symeon  identifiziert.  Wie  dem 
auch  sei,  jedenfalls  ist  die  Art,  wie  Symeon  die  alten  Heiligenlegenden 
überarbeitete  und  in  leidiger  Weise  verflachte,  ein  ergänzender  Zug  zur 
Charakteristik  der  kompilatorischen  Neigungen  dieses  Zeitalters.  Wenige 
Werke  sind  in  so  zahllosen  Handschriften  verbreitet  wie  die  Heiligenakten 
des  Metaphrasten.  Eine  Ueberarbeitung  derselben  veranstaltete  der  kre- 
tische Mönch  Agapios  Landes  in  seinem:  Neog  naqäSeiaog,  Venedig  1641. 
Sicherer  als  die  Legenden  des  Symeon  scheint  mit  dem  Namen  des 
Konstantin  Porphyrogennetos  verbunden  eine  kleine  Schrift  über  die 
Translation  eines  wunderbaren  Christusbildes:  Jiijyi^aiq  Tregl  rf^g 
TTQog  AvyaQov  ajioGTaXeiar^g    dx^iQOTioirjTOV    O^fiag  sixörog  XqkTtov    tov    ^sov 

1.  Die  Legenden  des  Svmeon  mit  anderen  Werken  desselben  sind  zuletzt  gedruckt 
;  in  der  Patrol.  Gr.  von  Migne  t.  114—116.  —  Vgl.  F.  Hirsch,  Byzant.  Studien  S.  308  flF.  — 
i  Hauptschriften:  Gr.  Vasilievskij,  Ueber  das  Leben  und  die  Werke  des  Sjoneon 
j   Metaphrastes,  Joum.  Minist.  Volksaufkl.  1880,  379 — 437    ist   mir   leider  unzugänglich   und 

nur  durch  den  kurzen  Bericht  von  V.  Jagic.  Archiv  slav.  Philol.  5  (1881)  487  f.  bekannt. 
Theophilos  Joannu,  M^tjueia  {iyiokoyixä.  'E»'  BsvsiUi  1884,  no6'/.oyog.  —  Schrift  über 
das  Bild  Christi:  Ed.  Combefis.  Origines  et  antiquitates  Cpolis,  Paris  1664  S.  75  ff.  — 
Wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  t.  118. 

2.  Eine  dem  Konstantin  Porph.  zugeschriebene,  in  Briefform  gehaltene  Bittrede  an 
den  hl.  Gregor  von  Nazianz  ed.  J.  Sakkelion,  Js'Ailoy  rrjg  I^jtoq.  xal  i&voXoy.  txaiqing 
ifjg  'EXXdiog  2  (1885—89)  261—265. 

I  26.   Joseph    Qenesios    stammte    aus    einer    vornehmen    Familie    in 

Byzanz;  sein  Vater  Konstantin  war  unter  Michael  HI  Befehlshaber  der 
Leibgarde  und  Logothet.  Genesios  gehörte  dem  Kreise  der  Gelehrten  an, 
welche  Konstantin  Porphyrogennetos  um  sich  versammelte.  Im  Auftrage 
des  Kaisers  schrieb  er  (zwischen  945 — 959)  vier  Bücher  Königsge- 
schichten [ßttGiXaiwv),  nämlich  die  Geschichte  Leos  V  (813—820), 
Michaels  H  (820-829),  des  Theophilos  (829—842),  Michaels  HI  (842—867) 
und  Basilios  I  (867 — 886).  Nach  dem  ursprünglichen  Plane  sollte  das 
Werk  wohl  nur  die  4  ersten  Kaiser  umfassen,  also  bis  zur  makedonischen 
Dynastie  reichen.  Die  Geschichte  des  Basilios,  welche  Genesios  mit  der 
Michaels  III  im  letzten  Buche  vereinigt  hat,  ist  dürftiger  behandelt  und 
erscheint  als  ein  Anhang  des  ganzen  Werkes,  das  der  Verfasser  in  zwei 
heroischen  Distichen  dem  Kaiser  Konstantin  widmet.  Seine  Quellen 
waren,  wie  er  selbst  im  Anfange  des  ersten  Buches  verrät,  Mitteilungen 
von  älteren  Leuten,  welche  die  erzählten  Ereignisse  noch  erlebten,  und 
das  „umherlaufende  Gerücht".  Dass  er  mündliche  Berichte  von  Zeitgenossen 
reichlich  verwerten  konnte,  erklärt  sich  aus  der  hervorragenden  Stellung, 
die  seine  Familie  am  Hofe  Michaels  III  eingenommen  hatte.  Auf  volks- 
mässiger  Tradition  mögen  namentlich  seine  Nachrichten  über  Weissagungen, 
Visionen  und  andere  Wunderdinge  beruhen;  auch  den  von  der  orthodoxen 
Partei  gegen  die  bilderstürmenden  Kaiser  verbreiteten  Lügen  schenkte  Gene- 
sios leichtgläubige  Aufmerksamkeit.  Daneben  benützte  er  aber  auch  schrift- 
liche Quellen,  so  die  Biographie  des  Patriarchen  Nikephoros  von  Ignatios 


70  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

(s.  §  185)  und  die  des  Patriarchen  Ignatios  von  NiketasPaphlagon,  end- 
lich die  ursprüngliche  Redaktion  der  Chronik  des  Georgios  Monachos. 
An  Material  hat  es  dem  Genesios  mithin  nicht  gemangelt,  wohl  aber  an 
Kritik  und  Wahrheitsliebe.  Seine  Liebhaberei  für  Vorzeichen  und  anderen 
Wunderkram  mag  man  ihm  nachsehen,  und  auch  der  heftige  Hass  gegen 
die  Bilderstürmer,  den  er  mit  seinen  schriftlichen  Quellen  und  anderen 
Chronisten  gemein  hat,  lässt  sich  aus  der  orthodoxen  Reaktion  seiner  Zeit 
leicht  erklären;  bedenklich  ist  aber  der  offene  Parteistandpunkt  im  letzten 
Buche,  wo  er  die  dunkeln  Punkte  im  Leben  Basilios  I,  besonders  die  von 
ihm  veranlasste  Ermordung  Michaels  III  nach  Kräften  zu  verschleiern 
sucht.  Vielleicht  hat  er  hier  im  Auftrage  Konstantins  VII  gehandelt, 
dem  daran  liegen  musste,  seiner  eigenen  Schrift  über  seinen  Grossvater, 
deren  Objektivität  der  Nachwelt  leicht  verdächtig  erscheinen  konnte,  ein 
zweites  Werk  als  Stütze  und  Bestätigung  zur  Seite  zu  stellen.  Trotz 
solcher  Mängel  ist  Genesios  als  primäre  Quelle  für  eine  wichtige  Epoche  wie 
als  sprachgeschichtliches  Denkmal  von  Bedeutung.  Seine  tendenziöse  Dar- 
stellung hat  als  Vorlage  der  Fortsetzung  des  Theophanes,  des  Symeon 
Logothetes  und  des  Johannes  Skylitzes  noch  später  fortgewirkt. 

Die  Sprache  des  Genesios  riecht  noch  sehr  nach  der  Barbarei  und^ 
Leere  des  8.  und  9.  Jahrhunderts.  Verkünstelt,  schwerfällig  und  holperig 
bereitet  sie  sogar  dem  Verständnis  manche  Schwierigkeiten.  Die  Frucht« 
einer  dürftigen  Belesenheit  in  der  klassischen  Litteratur  werden  in  ge- 
schmacklosen, bei  den  Haaren  herbeigezogenen  Homerzitaten  und  in  un- 
passenden etymologischen,  historischen  und  mythologischen  Abschweifungei 
vorgelegt. 

Ausgaben:  Ed.  pr.  im  2.3.  Bande  des  Venezianer  Corpus  der  byzantinischen  Hist 
riker,  mit  historisch-kritischen  Noten  von  Stephan  Bergler,  Venedig  1733.  —  Nacl 
einer  neuen,  von  E.  Wunder  veranstalteten  Kollation  der  einzigen  Handschrift  (cod.  Li| 
siensis)  ed.  von  Carl  Lachmann,  Bonnae  1834  (ohne  die  bei  L.  gewohnt«  Sorgfalt). 
Nach  der  Bonner  Ausgabe  wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  109  (1863)  985—1179. 
Vgl.  G.  Beruh ardy,  Berliner  Jahrbücher  für  wissenschaftliche  Kritik  1836,  Nr.  58.  — 
Hauptschrift:  F.  Hirsch,  Byzantinische  Studien  S.  116 — 174.  —  H.  Wäschke,  Philologus 
37  (1878)  255—275  handelt  über  die  Handschrift  und  Biographie  des  Genesios  und  sucht 
namentlich  gegen  Hirsch  zu  erweisen,  dass  jener  Konstantin,  der  unt«r  Michael  III  lebte, 
nicht  der  Vater  des  Genesios  gewesen  sein  könne. 

27.  Johannes  Eameniates,  ein  frommer  Priester  aus  Thessaloniko. 
beschrieb  auf  Ersuchen  Gregors  von  Kappadokien  die  Eroberung  seiner 
Vaterstadt  durch  den  gefürchteten  Anführer  der  kretischen  Korsareii 
Leo  von  Tripolis  (31.  Juli  904):  'lojärvov  xXr^qixov  xni  xoi^ßovxXnaiov  jor 
Kafieridtoii  tig  Tip>  akujatv  tijg  Qf-affaXoii'xr^g.  Johannes  steht  ganz  auf 
dem  Standpunkte  des  byzantinischen  Klerikers;  daher  ist  ihm  aus  der 
Vorgeschichte  der  Stadt  nur  ihr  Verhältnis  zum  Apostel  Paulus  und  zu 
ihrem  berühmten  Schutzpatron  Demetrios  f.n'Qoßkvii^g  nennenswert.  Seine 
ablehnende  Stellung  gegen  die  heidnische  Vorwelt  glaubt  er  durch  schaifV 
Ausfälle  gegen  Orpheus  und  Homer,  gegen  Sirenen  und  Hellenen  luicli- 
drücklich   betonen   zu  müssen.*)     Sein  politischer  Blick  reicht  kaum   über 


')  Das  ist  wohl  eines  der  letzton  Bei-  !  Komnenon  wird  das  Verhältnis  zum  Alter- 
spiele offener  Polemik  gegen  das  hellenische  |  tum  rein  anficjuariscli;  unter  den  Palüologeii 
llcidcntum    als    uolches.      Schon    unter   den   ,    beginnt  in  Byzanz  diu  Zeit  des  Ihuntuiisnuüs. 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  27—28.)  71 

die  Mauern  seiner  Vaterstadt  hinaus;  wir  vermissen  vor  allem  eine  Dar- 
legung der  Machtentwickelung  des  arabischen  Piratentums,  durch  welche 
der  waghalsige  Schlag  auf  die  zweitgrösste  Stadt  des  Kaiserreiches  mög- 
lich wurde.  Trotzdem  verdient  die  Erzählung  des  Kameniates  im  allge- 
meinen Glaubwürdigkeit  und  wirkt  durch  die  frische  Wiedergabe  des  Selbst- 
f  richten  sogar  künstlerisch.  Seine  historische  Erudition  ist  allerdings  eine 
minimale,  wie  seine  Leichtgläubigkeit  gegen  Volkssagen  und  ein  bedenk- 
licher Anachronismus  (S.  498,  17  ff.  ed.  Bonn.)  erkennen  lässt;  er  ist  kein 
(Teschichtschreiber  von  Fach  und  hat  die  Feder  nur  aus  einem  persönlichen 
Anlasse  ergriffen;  aber  gerade  hiedurch  erhebt  er  sich  über  manche  Scha- 
]>lonenhistoriker  der  byzantinischen  Zeit,  welche  mit  dem  landläufigen 
Quellenapparate  wohl  vertraut  sind,  selten  aber  zu  einer  selbständigen 
Auffassung  und  warmen  Empfindung  gelangen.  Im  Verlaufe  des  Berichtes 
erfahren  wir  über  die  in  der  Umgegend  von  Thessalonike  wohnenden 
nichtgriechischen  Völkerschaften  und  über  das  friedliche  merkantile  Ver- 
hältnis zu  denselben  wichtige  Details,  aus  denen  sich  ergibt,  dass  die 
ethnographische  Gruppierung  Makedoniens  schon  im  10.  Jahrhundert  eine 
ähnliche  w^ar  wie  heutigen  Tages.  Wegen  seiner  sprachlichen  Form 
erspart  uns  Kameniates  nicht  die  bei  den  Byzantinern  stereotype  Entschul- 
digung der  eigenen  Unwissenheit.  Wie  sehr  ihm  aber  eine  gute  Form  am 
Herzen  liegt,  beweisen  die  wiederholten  naiven  Hinweise  auf  die  Not- 
wendigkeit einer  symmetrischen  Komposition.  Sein  Sprachschatz  ruht 
ganz  auf  der  Septuaginta,  dem  neuen  Testament  und  anderen  kirchlichen 
Schi'iften.  Er  weiss  seine  Hilfsmittel  aber  wohl  zu  verwenden,  und  der 
lebhafte,  klare  Fluss  seiner  Rede  z.  B.  in  der  reizenden  Schilderung  der 
Lage  von  Thessalonike  (492  ff.)  und  in  der  anschaulichen  Beschreibung 
der  Erstürmung  der  Stadt  (534  ff.)  verrät  ein  natürliches  Formtalent. 

Ausgaben:  Ed.  pr.  Leo  Allatius,  Ivuuixtu  II  179  ff.  —  Ed.  F.  Combefis  mit 
den  Scriptores  post  Tbeophanem.  Paris  1685  S.  317  fF.  —  Ed.  I.  Bekker  mit  Theophanes 
continuatus,  Bonnae  1838  S.  487—600.  —  Wiederholt  von  Migne,  Patrol.  Gr.  109  (1863) 
519—653. 

28.  Vita  Euthymii.  Wichtiger  als  die  Schrift  des  Kameniates  ist 
als  Ergänzung  der  mangelhaften  Nachrichten  über  die  Regierung  Leos  des 
Weisen  (886  —  912)  eine  anonyme  Lebensbeschreibung  des  Euthy- 
mios,  der  907 — 912  den  Patriarchenstuhl  inne  hatte.  Der  Bericht  be- 
schäftigt sich  zwar  vorzugsweise  mit  kirchlichen  Angelegenheiten  und  den 
Ereignissen  am  Hofe.  Doch  ist  gerade  die  Thatsache,  welche  den  Mittel- 
punkt der  Biographie  bildet,  die  vierte  Ehe  Leos  des  Weisen  von  weltge- 
schichtlicher Bedeutung;  denn  sie  bildet  eine  der  ersten  Etappen  auf  dem 
Wege  zur  endgiltigen  Trennung  der  orientalischen  und  occidentalischen 
Kirche  (1054).  Ausserdem  gewährt  die  Schrift  manchen  Anhalt,  um  in 
die  verworrene  Chronologie  der  Zeit  Ordnung  zu  bringen;  auch  zieht  sie 
eine  Reihe  wichtiger  Persönlichkeiten  aus  völliger  Verschollenheit  ans 
Licht;  die  Biographie  des  berühmten  Erzbischofs  Arethas  (s.  §  112)  erhält 
durch  sie  wertvolle  Ergänzungen.  So  darf  das  Werkchen  der  Chi'onik  des 
Logotheten  (s.  §  56)  als  ebenbürtige  Quelle  für  die  Geschichte  Leos  an 
die  Seite  gestellt  werden.     Der  Verfasser,  der  seine  Nachrichten  offenbar 


72  Byzantinische  Litteraturgeschichte.     I.  Prosaische  Litteratur. 

aus  der  Umgebung  des  Eutliymios  selbst  erhielt,  empfiehlt  sich  durclil 
Wahrheitsliebe  und  durch  einfache,  sachgemässe,  freilich  ziemlich  unbe-j 
holfene  Darstellung.  Sein  Name  ist  mit  dem  Anfange  der  Biographie  ver- 
loren gegangen;  doch  lässt  sich  aus  verschiedenen  Andeutungen  erkennen, 
dass  er  zu  den  Mönchen  des  von  Euthymios  regierten  Klosters  gehörte;) 
die  Abfassung  des  Werkes  fand  nicht  lange  nach  dem  Tode  des  Euthymios| 
(917),  doch  schwerlich  vor  dem  Jahre  021  statt. 

Die  Vit«  Kuthymii  ist  in  einer  einzigen  am  Anfange  verstümmelten  Handschrift  er- 
halten, welche  Prof.  G.  Hirschfeld  1874  unter  den  Resten  einer  Klostcrbibliothek  auf  einer 
Insel  im  Egherdirsee  in  Pisidien  für  die  Berliner  Bibliothek  kaufte;  daraus  ed.  von  Carl 
de  Boor,  Berlin  1888,  mit  einer  gründlichen  Abhandlung  über  die  historischen  Resultate 
und  einem  Wort-  und  Sachregister.  —  Gehaltreiche  Besprechung  von  A.  Jülicher,  Gott. 
Gel.  Anzeigen  1889,  383—387. 

29.  Leon  Diakonos  wurde  um  das  Jahr  950  zu  Kaloe  am  Tmolos 
geboren  und  kam  schon  als  Jüngling  nach  Konstantinopel.  Als  Diakon 
folgte  er  dem  Kaiser  Basilios  II  Bulgaroktonos  in  den  Krieg  gegen  die 
Bulgaren  (986),  wohnte  der  Belagerung  von  Triaditza')  bei  und  entkam 
nach  der  Niederlage  des  kaiserlichen  Heeres  mit  Mühe  den  Händen  der 
Feinde.  Er  beschrieb  in  10  Büchern  die  Geschichte  der  Zeit  von 
959 — 975,  also  vornehmlich  die  drei  grossen  Kriege  der  Rhomäer  gegen 
die  arabischen  Korsaren  auf  Kreta,  gegen  die  Sarazenen  in  Asien  und 
gegen  die  Bulgaren  und  Russen.  Das  Werk  ist  nach  992  geschrieben;  an 
der  beabsichtigten  Vollendung  wurde  Leo  vermutlich  durch  den  Tod  ver- 
hindert. Die  Wichtigkeit  dieser  Darstellung  leuchtet  sofort  ein,  weil  die 
Regierungszeit  des  Nikephoros  Phokas  und  des  Johannes  Tzimiskes,  eine 
der  glänzendsten  und  erfolgreichsten  Perioden  der  byzantinischen  Geschichte, 
früher  nur  durch  Chronisten  wie  Zonaras  und  Skylitzes,  durch  arabische 
Historiker,  den  Gesandtschaftsbericht  des  Luitprand  und  beiläufige  Erwäh- 
nungen bekannt  war.  Leon  Diakonos  ist  der  einzige  zeitgenössische  Hi- 
storiker. Seine  Quellen  sind  mündliche  Mitteilungen  von  Augenzeugen 
und  eigene  Beobachtungen.-)  Er  folgt  seinem  Stoffe  mit  grosser  Teil- 
nahme bis  ins  einzelne  und  belebt  ihn  durch  eine  Menge  charakteristischer 
Züge.  Wir  finden  unter  anderm  wertvolle  Nachweise  über  Wohnsitze, 
Abkunft  und  Sitten  der  Bulgaren  und  Russen,  für  deren  Geschichte  Leo 
einer  der  ältesten  Gewährsmänner  ist.  Die  Glaubwürdigkeit  seiner  Er- 
zählung wird  nur  durch  ihre  loyale  Tendenz  etwas  beeinträchtigt.  Aus 
Leo  schöpfte  später  Zonaras  und  Skylitzes;  das  Werk  selbst  geriet, 
wie  es  scheint,  früh  in  Vergessenheit.  3)  Eine  unmittelbare  Fortsetzung 
der  Darstellung  Leos  bildet  das  Geschichtswerk  des  Michael  Psellos 
(s.  §  82),  der  noch  mehr  als  sein  Vorgänger  als  eigentlicher  Hofgeschicht- 
schreiber erscheint. 

In   seiner  Darstellung  nimmt  sich   Leo  wie  einst   Menandcr   Pro- 

')  Das   alte  Sardica,   die   Heimat  Justi-  *)  Spezialgeschichten  wnirdcn  durch  die 

nians;  das  heutige  Sophia.  bequemeren  und  umfassenden  Weltchroniken 

'■')   Tu  di  Tovxwy  ^/öfift'u.    x«i    dart  i'xf-  sehr  zurückgedrängt;  wie  (Jenesios,  Michael 

9a%fjioig    ßi'rdf    rei^tttfjui     {e'infQ    öq^OnXfjoi  Attaliates   und  Nikephoros  Bryennios,  so  ist 
üiTfUf  TttaröreQoi  x«.V  'H^wöoroy),    r«   (Tf  xtii    '    auch    Leo    in    einer    ein/.igen    Handschrift 

7iQd(  xtiiy  tiöytiav  t'jXQijiwaa.   ntvin  xai  ifoiaio  überliefert. 
yga^'ß.     S.  T),  19  ed.  Bonn. 


A.  Die  Qeschichtechreiber.   (§  29.)  73 

ttktor  vorzüglich  den  blumigen  Stil  des  Agathias  zum  Muster:  doch 
kann  er  aus  Mangel  an  selbständigen  Dichterstudien  und  feinerem  Sprach- 
gefühl nur  den  Schatten  des  Vorbildes  erhaschen.  Sein  Stil  bleibt  trivial 
und  schwerfällig,  der  Periodenbau  unerträglich  einförmig.  In  seinen  affek- 
tierten Umschreibungen  wie  in  den  schwülstigen  Bildern,  mit  denen  er 
das  Erscheinen  der  Jahres-  und  Tageszeiten  schildert,  gleicht  Leo  dem 
Theophylaktos;  mit  ihm  hat  er  auch  die  Manier  gemein,  gewöhnliche 
Wörter  so  viel  als  möglich  durch  poetische  oder  seltene  Ausdrücke  zu 
einsetzen.  *)  Von  anderen  Profanschriftstellern  verwertet  er  nur  noch  den 
Prokop  und  in  einzelnen  Ausdrücken  Homer,  den  eigentlichen  Schulautor 
von  Byzanz.  Um  so  belesener  ist  er  in  der  Septuaginta  und  anderen 
kirchlichen  Schriften,  denen  er  sowohl  den  grössten  Teil  seines  Wort- 
schatzes als  auch  vollständige  Sentenzen  und  Bilder  entlehnt.  Syntaktische 
Seltsamkeiten  wie  den  unerlaubten  Gebrauch  des  Dativs  hat  er  mit  anderen 
I   halbgelehrten  Byzantinern  gemein.^) 

1.  Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Schon  Combefis  hatte  nach  der  einzigen  Hand- 
schrift, dem  cod.  Paris.  1712  (s.  XI — XII)  eine  Ausgabe  vorbereitet;  doch  wurde  der  Druck 
durch  den  spanischen  Erbfolgekrieg  unterbrochen  und  nicht  mehr  aufgenommen.  -  Ed.  pr. 
(als  letzter  Band  des  Pariser  Corpus  der  byz.  Historiker)  von  B.  Hase,  Paris  1819.  mit 
einem  musterhaften  Kommentar,  in  dem  Hase  besonders  sein  grossartiges  lexikalisches 
Wissen  verwertete.  Das  treflTliche  Werk  wurde  bald  selten,  weil  der  grösste  Teil  der 
Exemplare  durch  einen  Schiffbruch  verloren  ging.  Doch  wurde  die  Ausgabe  wiederholt 
im  Bonner  Corpus  1828  (mit  Hase's  Kommentar,  aber  ohne  die  dem  Pariser  Drucke  bei- 
gegebenen Gemmentafeln  und  die  dazu  gehörigen  Bemerkungen).  Vgl.  G.  Bernhardy, 
Berliner  Jahrbücher  für  wissenschaftliche  Kritik  1832,  1,  121—132.  Eine  vorläufige  litterar- 
historische  Notiz  hatte  Hase  schon  Not.  et  extr.  8  (1810)  2-54—296  gegeben.  —  Wiederholt 
bei  Migne,  Patrol.  Gr.  117  (1864)  635—926.  —  W.  Fischer,  Beiträge  zur  bist.  Kritik 
des  Leon  Diakonos  u.  s.  w.,  Mitteil.  d.  Instituts  für  Österreich.  Geschichtsforschung  7  (1886) 
353 — 377  (handelt  über  chronologische  Fragen  und  den  offiziellen  Charakter  der  Geschicht- 
schreibung Leos).  —  Vgl.  die  durch  Herbeiziehung  der  arabischen  Quellen  wertvolle  Ab- 
handlung von  K.  Leonhardt,  Kaiser  Nikephoros  U  Phokas  und  die  Hamdaniden  960—969. 
Diss.  Halle  1887.  —  Hauptwerk  zur  Erläuterung:  G.  Schlumberger,  Nicephore  Phocas, 
Paris  1890;  S.  763  ff.  Verzeichnis  aller  für  die  Zeitgeschichte  wichtigen  Quellen,  u.  a.  einer 
"von  P.  Syrkov,  Petersburg  1873,  herausgegebenen  altbulgar.  Aversion  der  Erzählung  vom 
Tode  des  Nikephoros. 

2.  Mit  Leo  edierte  Hase  einige  andere  auf  die  Zeit  des  Nikephoros  Phokas  and 
Johannes  Tzimiskes  bezügliche  Schriften,  die  auch  im  Bonner  Corpus  aufgenommen  und 
dort  von  Niebulir  noch  um  einige  Stücke  vermehrt  sind:  A.  Ein  Buch  Uegi  tt a g a dg ofx^? 
itoXf'fiov  (De  velitatione  bellica)  d.  h.  über  den  kleinen  Krieg,  über  Plänklergefechte;  es 
geht  unter  dem  Namen  des  Nikephoros  Phokas,  ist  aber  nicht  von  ihm,  sondern  von 
einem  seiner  Offiziere  abgefasst  und  wohl  erst  unter  Basilios  II  herausgegeben.  Der  histo- 
rische Wert  des  Buches  i.st  gering;   was  uns  in  demselben  fesselt,   ist  die  naive  Soldaten- 

t  gräzität,  die  ganz  an  die  sprachlichen  Gnmdsätze  des  Konstantin  PorphjTogennetos  erinnert, 
und  die  fachmännische  Sclulderung  des  byzantinischen  Kriegswesens  mit  seinen  detaillierten 
Vorschriften  und  seiner  grausamen  Disziplin.  Vgl.  Max  Jahns.  Ge.schichte  der  Kriegswissen- 
Bchaften  I   (München   1889j    176  ff.     G.  Schlumberger,   Nicephore   Phocas  S.  169  ff.   — 


')    Statt    ddeX(f6g    gebraucht    er    lieber  1   von   dem  gemeinen  Gebrauch  abweichenden 

fr-rädfiffog.  öiKcitAwy.  avvaiuog;  für  die  ab-  '   Formen    ist    freilich   in   Byzanz   auch   sonst 

.rriffenen  imd  wegen  der  itazistischen  Aus-  weit  verbreitet. 

,  räche   in  der  ITiat  undeutlich  gewordenen  2)    Auf    halbgelehrtem    Missverständnis 

Formen  von  fi^l  hat  er  eine  wahre  Muster-  beruht  z.  B.  die  Verbindung  von  rtgorgeTio- 

karte    von    Periphrasen    wie    Tiekio,    TeXt9io,  uta   mit   Dativ;   zahlreiche   Beispiele    dieser 

/6w,  vnaQxot.  7ii'(fr^t'€(,  Tjf'tfvya,  xgtjftaTt^to;  Dativmanie  finden  sich  in  der  Vita  Euthvmii 

-<  geläufige  «xoi/w  ersetzt   er  gerne  durch  und   im  mittelgriechischen  Alexanderroman. 

uxovTi;ofi(u.  dteytj/to»,    dievoni^w.    irwil^ta;  Vgl.  Krumbacher,  Kuhns  Zeitschr.  f.  ver- 

statt  oiiiog  sagt  er  oft  loioviog,  statt  fV  lieber  gleich.  Sprachforschung  B.  29  (1887)  191  imd 

rii.    Dieses  Streben  nach  klangvollen  und  Berliner  phil.  Wochenschrift  1889,  1270. 


74  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litieratur. 

B.  NertQni  duträ^eig  d.  h.  Novellen  des  Fhokas,  die  sich  vorzüglich  mit  Einschrän- 
kungen der  Macht  des  Kleras  beschäftigen.  C.  Die  Akroasen  des  Theodosios;  s.  §  192. 
D.  Philopatris;  s.  ij  91.  E.  Der  lateinische  Gesandtschaftsbericht  des  Luitprand  von 
Cremona.  Vgl.  Dändliker  und  Müller,  Liudprand  von  Cremona,  Untersuchungen  zur 
mittleren  Geschichte  herausgeg.  von  M.  Büdinger  Bd.  I,  Leipzig  1871.  F.  Exzerpte  aus 
arabischen  Historikern. 

3.  Proben  der  ebenfalls  unter  dem  Namen  des  Nikephoros  Phokas  gehenden 
militärischen  Schrift  lleQi  xaricarciaecog  ((nXtjxrov  ed.  Ch.  Graux,  Annuaire  de  rassoc.  9 
(1875)  82-89. 

4.  Ein  ähnliches  Werk  wie  das  oben  genannte  taktische  Büchlein  aus  der  Zeit  des 
Nikephoros  Phokas  verfasste  im  11.  Jahrhundert  der  byzantinische  Optimat  Kekaumenos. 
Es  sind  anekdotenhafte  Aufzeichnungen  eines  Soldaten  von  Beruf,  der  sich  erst  im  späteren 
Alter  mit  dem  Schriftwe.sen  und  der  Lektüre  taktischer  und  historischer  Werke  beschäftigte. 
Der  Hauptwert  des  Schriftchens,  das  sich  durch  volksmässigc  Naivität  auszeichnet,  beruht 
in  Aufschlüssen  über  die  ethnographischen  Verhältnisse  des  byzantinischen  Reiches  im 
11.  Jahrhundert.  Ed.  V.  Vasilievskij  unter  dem  Titel:  Ratschläge  und  ?]rzählungen 
(Sovjety  i  razkazy)  eines  byzantinischen  Magnaten  des  11.  Jahrb.,  Petersburg  1881  (aus 
dem  Journal  des  Ministeriums  für  Volksaufklärung).  —  Vgl.  W.  Tomaschek,  Sitzungsber. 
der  Wiener  Akad.  d.  Wiss.,  phil.-hist.  Gl.  99  (1881)  492-498. 

30.  Michael  aus  Attalia  (o  'AiraXsidtrjg)^)  bekleidete  als  angesehener 
Jurist  unter  Eudokia,  Romanos  Diogenes,  dem  er  auf  seinem  Feldzuge 
gegen  die  Sarazenen  folgte,  Michael  Parapinakes  und  Nikephoros  Bota- 
neiates  verschiedene  hohe  Aemter  und  Würden.  2)  Er  schrieb  1.  im  Auf- 
trage des  Michael  Parapinakes  1072  ein  Kechtskompendium:  //6vy<« 
ro/iUx6v  rjToi  avvoipiq  TT^ayuaTixi^.  Obschon  er  die  nach  den  Basiliken  er- 
lassenen Novellen  nicht  genau  berücksichtigte,  so  hatte  das  in  zahlreichen 
Handschriften  überlieferte  Werkchen  doch  grossen  Erfolg.  Uns  dient  es 
namentlich  zur  Ergänzung  lückenhafter  Teile  der  Basiliken.  Identisch  mit 
dieser  ^vioipig  scheint  das  in  einer  Handschrift  des  Athosklosters  Tov^ 
BatoTttdiov  stehende  ÜQÖyieiqov  rö/Kov.  2.  Eine  Jidra^ig  im  rot  nagi 
avTov  avarävTi  TrrMxoTQoqttm  xal  rrp  i.iovceaTrjQÜi>.  Es  sind  testamentarische 
Bestimmungen  und  Inventare  für  das  von  dem  Attaliaten  1077  gegründet 
Armenhaus  und  Kloster.  Diese  umfangreiche  Stiftungsurkunde  ist  durch' 
zahlreiche  Einzelheiten  für  die  byzantinische  Kulturgeschichte  des  11.  Jahr- 
hunderts von  erheblicher  Bedeutung.  Von  Wichtigkeit  ist  u.  a.  das  Ver- 
zeichnis der  für  die  Klosterbibliothek  gestifteten  Bücher,  3.  Im  Jahre 
1080  vollendete  Michael  ein  dem  Kaiser  Nikephoros  Botaneiates  gewidmetes 
Geschichtswerk  über  die  Zeit  von  1034  — 1079:  laroQi'a  ixteO^fiaic 
Tiagd  Mix^yjX  aidfaifiMtäiov  xqitov  im  tov  iTTUoSgöfiov  xcc)  rov  ßi^Xor  101 
*AtiaXfi('(cov  (so  in  der  Pariser  Handschrift).  Das  Werk  beschreibt  mithin 
die  verhängnisvolle,  durch  endlose  Intriguen,  Palastrevolutionen  und  Weiber- 
herrschaft getrübte  Uebergangszeit,  welche  das  Ende  der  grossen  make- 
donischen Dynastie  und  das  Aufblühen  der  Komnenen  und  Dukas  in  sicli 
begreift.  Dem  Schlussworte  zufolge  beabsichtigte  Michael  das  Werk  noch 
über  das  zweite  Regierungsjahr  des  Nikephoros  fortzuführen;  wir  wissen 
nicht,   ob   dieses  Vorhaben    durch  den  Tod   des  Verfassers   oder  vielleicht 


')  Die  Vermutung  von  Sathas,  Mea.  ßitiX.  1   nicht  in  der  Hauptstadt  geboren  war:   aTiiji 

I  S.  C,  dass  Michael  aus  Konstantinopel  ge-  >   y((Q  ijy  e^X"^   ^*'  ü   "/*'  y^f'^^ty  fa/tjxa,   xw 

bOrtig  sei.    stützt    sich    auf  eine  Hemerkung  xah  (?)  avyy6riui   xani    yyuiftrjy    ffttjy  <fia- 

der  Juiiahg.  er  habe  in  Konstantinopel  kein  yeyefitjTtu  tinaan. 

erbliches  Besitztum  überkommen.    Allein  der  i            ■')   Eines    xQiTtji    ini    rov    axQaxoniiot . 

unmittelbar  folgende,    von  Sathas    nicht   an-  xQitiqi   im    ror   Inno^QÖ^tov   xal    lov  (itjkot. 

geführte  Satz  beweist  im  iJogenteil,  duss  M.  ,    üvdvnutoi,  nttutixioi  u.  s.  w. 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  80.)  75 

durch  den  plötzlichen  Sturz  seines  kaiserlichen  Gönners  vereitelt  wurde. 
Der  Attaliate  schildert,  wie  Leon  Diakonos,  zum  grossen  Teil  Ereignisse, 
die  er  selbst  erlebt  und  beobachtet  hat.^)  Sein  Werk  wurde  von  Nike- 
phoros  Bryenni OS  ergänzt  und  weitergeführt,  von  Johannes  Skylitzes 
tür  seine  Chronik  ausgebeutet.  Zur  Ergänzung  dient  das  Geschichtswerk 
les  Psellos  (s.  §  82):  doch  verdient  die  verständige  und  aufrichtige  Er- 
zählung des  Attaliaten,  in  der  sich  das  scharfe  Urteil  und  der  Gerechtig- 
keitsinn des  Richters  wiederspiegelt,  vor  den  panegyrischen  Wendungen 
des  glatten  Hofmanns  zweifellos  den  Vorzug. 

Zur  Beurteilung  der  Darstellung  des  Michael  Attaliates  ist  von  der 
schwülstigen  Widmungsepistel  und  der  verschnörkelten  Einleitung  abzusehen. 
Im  Geschichtswerk  selbst  zeigt  er  zwar  trotz  seiner  Versicherung,  ßgct'/.^^ 
tivi  Qrjiari  xcd  cl-rXoixoi  schreiben  zu  wollen,  die  lästige  Häufung  von 
Pleonasmen,  Bildern  und  poetischen  Eleganzen,  die  sich  seit  Agathias  fast 
alle  Historiker  eigen  gemacht  haben;  im  übrigen  aber  schreibt  er  weit 
geschickter  und  fliessender  als  seine  Vorgänger  Leo  und  Genesios:  sein 
Werk  steht  sprachlich  schon  auf  der  L^ebergangsstufe  von  der  dem  Alter- 
tume  abgewendeten  Periode  des  7. — 10.  Jahrhunderts  zur  künstlichen  Wieder- 
geburt des  Klassizismus  unter  den  Komnenen. 

1.  Ausgaben:  Rechtskompendiuni.  Juris  Graeco-Roiuani  ...  tomi  duo  Johannis 
Leunclavii  .  .  .  studio  ex  variis  Europae  Asiaeque  bibliothecis  eniti  .  .  .  nunc  primum 
editi  cura  Marquardi  Freheri  J.  C.  Francofurti  1596,  v.  II  1 — 79.  -  Vgl.  E.  Zacha- 
riae  vonLingenthal,  Historiae  iuris  Graeco-Romani  delineatio,  Heidelbergae  1839,  S.  71  ff.; 
B.  Mortreuil,  Histoire  du  droit  Byzantin  t.  III  218 — 229  und  die  übrige  zu  §  19  citierte 
Litteratur. 

Die  Jidrcc^ig  ed.  K.  Sathas  aus  einer  mit  des  Attaliaten  eigenhändiger  Bestäti- 
gung versehenen  Handschrift  des  bei  Konstantinopel  liegenden  usTÖ/iof  zbv  nafaylov  xüffov 
in  der  Mea.  ^ißkio&rixr]  I  (1872)  1  —  69;  vgl.  seinen  ÜQÖkoyog  S.  T — "?'.  —  Wiederholt 
von  Fr.  Miklosich  und  J.  Müller,  Acta  et  diplomata  Graeca  medii  aevi  5  (1887)  293—327. 

Das  Geschichtswerk  zog  aus  cod.  Paris.  Sangerm.  136  mit  teilweiser  Benützung 
eines  Scoriacensis  Brunet  dePresle,  der  sein  Material  an  I.  Bekker  zur  Veröfifentlichung 
im  Bonner  Corpus  überliess:  Mich.  Attal.  bist,  opus  a  Wladimiro  Bruneto  de  Presle 
inventum  descriptum  correctimi  recogn.  I.  Bekker,  Bonnae  1853.  -  Die  auf  die  Kreuzzüge 
bezüglichen  Partien  sind  wiederholt  in  dem  unpraktischen  Sammelwerke:  Recueil  des 
historiens  des  croisades.  Historiens  grecs.  T.  I  (Paris  1875)  mit  einem  Kommentar  von 
B.  Hase. 

2.  Ueber  das  Verhältnis  des  Skylitzes  imd  Kedrenos  zum  Attaliaten  s.  Brunet  de 
Presle,  Praef.  der  Bonner  Ausgabe  S.  9  ff.  —  S.  Röckl,  Blätter  für  das  baver.  Gymnasial- 
schulwesen 20  (1884)  277  ff.;  21  (1885)  4  flf.  —  W.  Fischer,  Mitteilungen  des  Instituts 
für  Österreich.  Geschichtsforschung  7  (1886)  372  ff.  —  H.  Seger,  Nikephoros  Bryennios 
S.  38  ff.  —  Zur  Erläutenmg  vgl.  die  Studie  von  J.  B.  Bury,  Roman  emperors  from  Basil 
U  to  Isaac  Komnenos,  The  English  histörical  review  4  (188*9)  41—64;  251—285. 

3.  Die  Jiuxfc^ig,  welche  der  Attaliate  dem  von  ihm  gestifteten  Kloster  hinterliess, 
gehört  in  eine  noch  wenig  beachtete,  aber  für  die  bj-zantinische  Kultur-  und  Lokalgeschicht« 
höchst  wichtige  Litteratiu-gattung.  Solche  Klostersatzungen  oder  Tvnixü  sind  in 
grosser  Zahl  erhalten  und  die  meisten  können  für  die  historische  Forschung  mit  Erfolg 
verwertet  werden.  Zu  den  hervorragendsten  Beispielen  gehört  das  Tvtiixöv  der  Kaiserin 
Irene  (s.  §  32),  des  Neophytos  (s.  §  35)  und  des  Michael  Paläologos  (s.  §  38).  —  Aus  der 
Zeit  des  Attaliaten  stammt  das  Tvjiixoy  xrjg  fxoy^g  tTJg  Seoroxov  xrjg  UergitCoyiTlaarig  (d.  h. 
der  Gottesmutter  von  Petritzos  bei  Philippopel),  welches  von  dem  aus  dem  Briefwechsel 
des  Theophylaktos  Achridensis  und  aus  Anna  Komnena  bekannten  iberischen  Grossdomesticus 
Gregorios  Pakurianos  (JlrcxovQtai'ög}  [f  10861  verfasst  ist.  Ediert  ist  leider  nicht  das 
erhaltene  Original,   sondern   nur   eine   aus   dem  18.  Jahrhundert  stammende  neugriechische 


|)  Jltoi  cn'  ot'y.  (-.xoft   x<d  /uvffoig  ktiowi-       n]^  t/ot^uäitaa.     S.  8,   13  ed.  Bonn. 

rrcoi^.t'J'jr.   c.'/./.'  un'  ciiog  avTÖmtjg  xui  Oeic- 


76  Byzantinische  Litteraturgeschichte.     I.  Prosaische  Litterainr. 

Bearbpitiing  nebst  einer  Einleitung  über  das  Leben  des  Pakurianos  von  Georg.  Musaeos, 
Leipzig  1888  (=  Dissert.  philol.  Jenens.  vol.  IV  133—210).  —  Ueber  das  im  Jahre  1174 
von  dem  Abte  Nikolaos  abgefassto  Typikon  des  griechischen  Klosters  des  hl.  Nikolaoa 
di  Gasöle  (bei  Otranto)  s.  Ch.  Diehl,  Melanges  d'archeologie  et  d'histoire  de  l'^cole 
Fran<;'aise  de  Rome  6  (1886)  176  ff.  —  P.  Bezobrazov,  Unedierte  Klosterregeln,  Journal] 
Minist.  Volksaufkl.  254.  Band  (mir  unzugänglich). 

31.   Nikephoros  Bryennios  wurde  um  1062  in  Adrianopel  geboren; 
er    stammte   aus    einer    berühmten,    schon    im    9.  Jahrhundert    erwähnten 
Familie,  der  das  byzantinische  Reich  einige  ausgezeichnete  Feldherrn  ver- 
dankte.    Sein  Vater  war  jener  Stratege   Nikephoros  Bryennios,    der  1078 
mit   Erfolg  gegen  den  unfähigen    Michael  VIT   Dukas  als   Kronprätendent 
auftrat,   dann  aber  von  Alexios  Komnenos,    dem  Feldherrn  seines  Rivalen 
Nikephoros  Botaneiates,  überwunden  und  auf  Befehl  des  Kaisers  geblendet 
wurde.     Bald  aber  finden  wir  den  alten  Bryennios,  der  freilich  nach  dem 
Verluste  des  Augenlichtes  nicht  mehr  gefährlich  sein  konnte,  am  Hofe  des 
Alexios   Komnenos  in  nicht  unbedeutenden    Stellungen.     Sein   Sohn   Nike- 
phoros, der  sich  durch  Schönheit  und  Bildung  aller  Herzen  gewann,  wurde 
von  Alexios  zum  Gemahl  seiner  gelehrten  Tochter  Anna  erwählt  und  durch 
die  hohe  Würde  eines  Caesar  ausgezeichnet.     Fortan  erscheint   er  als  der 
Vertraute   des   Kaisers,    dem  er  durch  seine   militärische   Tüchtigkeit  undj 
noch   mehr  durch  seine   glänzende   Beredsamkeit  wichtige   Dienste  erwies. 
Im  Jahre  1097  leitete  Nikephoros  die  Verteidigung  der  Mauern  von  Kon-j 
stantinopel  gegen  Gottfried  von  Bouillon;  1108  vermittelte  er  den  Frieden! 
zwischen   Bohemund  und  Alexios;    1116   entschied   er   durch    rechtzeitiges] 
Eingreifen  den   Sieg   über   den   Sultan  von   Ikonion;    in   demselben  Jahre] 
bediente  sich  der  Kaiser  seines   Beistandes  bei  der   Bekehrung  der   Mani- 
chäer.     Gegen  den  Plan  seiner  Schwiegermutter  Irene  und  seiner  Gemahlinl 
Anna,  ihm  statt  dem  Sohne  des  Alexios  die  Thronfolge  zu  sichern,  verhieltj 
sich    Bryennios   ablehnend,    besass   aber  doch   nicht   die  Energie,  der  ver-j 
brecherischen  Intrigue  der  beiden   Frauen  von  Anfang  an  offen  entgegen-^ 
zutreten.     Auch    unter   Johannes    Komnenos   war   Nikephoros   vielfach   an 
den  Regierungsgeschäften   beteiligt;    nachdem  er  den   Kaiser   zuletzt  noch 
in  den  syrischen  Feldzug  des  Jahres  1137  begleitet  hatte,  starb  er  zu  Byzanz 
an  einer  Krankheit. 

Eine  litterarische  Leistung  von  einem  so  vielseitigen,  militärisch  und 
diplomatisch  so  erfahrenen,  mit  dem  kaiserlichen  Hause  so  lange  und  so 
enge  verbundenen  Manne  muss  ohne  weiteres  die  grösste  Spannung  erregen. 
Ausser  philosophisch-rhetorischen  und  historischen  Schriften,  von  welchen 
wir  nichts  Genaues  wissen,  schrieb  Nikephoros  im  Auftrage  seiner  Schwieger- 
mutter Irene  ein  Werk  über  die  Geschichte  des  Alexios  Komnenos, 
das  er  in  der  Vorrede  als  Geschichtsmaterial  {vXrj  imoQi'ac)  bezeichnet. 
Nach  einigen  Vorbemerkungen  über  den  Vater  des  Alexios  beginnt  mit 
dem  Jahre  1070  die  ausführliche  Erzählung,  die  Bryennios  bis  in  den  An- 
fang der  Regierung  des  Botaneiates  (1079)  herabführt.  Die  ersten  zwei 
Bücher  scheint  er  noch  zu  Lebzeiten  des  Alexios  abgefasst  zu  haben,  die 
beiden  anderen  erst  später;  an  der  Vollendung  des  mitten  in  der  Er- 
zählung abbrechenden  Werkes  hinderte  ihn  der  Tod.  \'ernmtlich  wollte 
er  in  einem  fünften  Buche  die  Regierung  des  Botaneiates  zu  P]nde  führen. 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  31.)  77 

Das  Werk  des  Bryennios  ist  weniger  eine  Zeitgeschichte,  als  eine 
Art  Familienchronik.  Den  Inhalt  bilden  die  inneren  Kämpfe,  welche  die 
Erhebung  des  Komnenenhauses  vorbereiteten,  die  Empörungen  der  Adels- 
parteien und  die  Intriguen  des  Hofes,  von  äusseren  Ereignissen  vornehm- 
lich die  stets  wachsende  Bedrängung  durch  die  Türken.  Der  Hauptnach- 
druck fällt  auf  die  Thätigkeit  der  Mitglieder  des  Komnenenhauses,  für 
deren  Schilderung  die  übrigen  Ereignisse  als  Folie  dienen.  Die  chrono- 
logische Anordnung  des  Stoffes  wird  wie  bei  den  meisten  Byzantinern  von 
einer  lokalen  gekreuzt,  bei  welcher  die  alte  Einteilung  des  Reiches  in  die 
europäischen  und  asiatischen  Provinzen  massgebend  war.  Seinem  histori- 
schen Werte  nach  betrachtet  hat  das  Werk  die  Licht-  und  Schattenseiten, 
welche  allen  von  politisch  hervorragenden  Persönlichkeiten  verfassten  Me- 
moiren anzuhaften  pflegen.  Durch  seine  enge  Verbindung  mit  dem  Kom- 
nenenhause  verliert  Bryennios  an  Objektivität,  was  er  an  Sachkenntnis 
gewinnt.  Er  verschweigt  vieles,  was  wir  wissen  möchten,  und  schildert 
manches  mit  offenbarer  Tendenz  und  nach  persönlichen  Rücksichten :  anderer- 
seits ist  er  besser  als  ein  Privatmann  im  stände,  sich  offizielle  Berichte 
zu  verschaffen  und  den  Zusammenhang  der  Dinge  zu  überschauen.  So 
liefert  er  der  Geschichtsforschung  ein  wertvolles  Material,  das  jedoch  der 
kritischen  Sichtung  bedarf.  Die  Fortsetzung  und  Ergänzung  seines  Werkes 
übernahm  seine  Gemahlin  Anna  Komnena. 

Zur  Information  dienten  ihm  zunächst  mündliche  Berichte  älterer 
Zeitgenossen,  wie  seines  Vaters  und  Schwiegervaters;  auf  sie  gehen  allerlei 
Anekdoten  zui-ück,  die  aus  dem  Leben  der  Komnenen,  der  Dukas  u.  s.  w. 
erzählt  werden.  Daneben  benützte  er  aber  auch  ausgiebigst  schrift- 
liche Quellen;  im  ersten  Buche  hat  er  das  Geschichtswerk  des  Psellos 
und  die  Chronik  des  Skylitzes  auf  längere  Strecken  ausgeschrieben,  in 
den  übrigen  drei  Büchern  verwertet  er  neben  Skylitzes  auch  den  Mi- 
chael Attaliates;  an  zahlreichen  Stellen  hat  er  seine  Vorlagen  aus  seiner 
eigenen  Kenntnis  und  von  seinem  Parteistandpunkt  aus  ergänzt  und  be- 
richtigt. Seiner  Darstellung  nach  gehört  Bryennios  in  den  Kreis  der 
Schriftsteller,  welche  die  litterarische  Reformation  der  Komnenenzeit  er- 
öffnen. Doch  tritt  bei  ihm  das  Streben  nach  abgerundeter  und  klassischer 
Diktion  viel  weniger  hervor  als  bei  dem  Haupte  der  neuen  Kunstrichtung, 
dem  grossen  Stilisten  Psellos,  weniger  auch  als  bei  seiner  gelehrten  Ge- 
mahlin Anna.  Wie  sein  Werk  nicht  eine  nach  den  traditionellen  Prin- 
zipien der  historischen  Technik  aufgebaute  Geschichte,  sondern  eine  naive, 
fast  novellenartige,  mit  humoristischen  und  heldenhaften  Zügen  ausge- 
stattete Schöpfung  ist,  so  hat  auch  seine  Sprache  nicht  jene  runde,  wohl- 
geglättete Fülle,  welche  den  meisten  übrigen  Autoren  der  Komnenenzeit 
eigen  ist.  In  der  Anwendung  von  Tropen,  Sentenzen  und  Gleichnissen  ist 
er  verhältnismässig  sparsam;  sein  Satzbau  ist  schlicht  und  knapp;  er  hat 
etwas  von  der  soldatenmässigen  Einfachheit  des  Kinnamos.  Der  grösste 
Teil  seines  Sprachmaterials  ist  natürlich  byzantinisches  Gemeingut;  von 
den  alten  Autoren  erscheint  nur  Xenophon  mit  genügender  Deutlich- 
keit als  Vorbild,  dem  er  militärische  Ausdrücke  und  ganze  Satzschemen 
entlehnt. 


78 


fiyzantinische  Litter atnrgeschichte.    1.  Prosaische  Litteratnr. 


1.  Ausgaben:  Das  Werk  des  Bryennios  wurde  aus  der  einzigen,  jetzt  gänzlich 
verscliollenen  Handschrift,  die  sicli  einst  im  Besitze  des  Rechtsgelehrten  Jakob  Cujas  be- 
fand, sehr  mangelhaft  ediert  von  P.  Possinus,  Paris  1661.  —  Wiederholt  Venedig  1729 
mit  dem  guten  Kommentar  von  Du  Cange,  der  im  Pariser  Corpus  erst  nachträglich  sub 
calce  Cinnami  veröffentlicht  worden  war.  —  Ed.  A.  Meine ke,  Bonnae  1836,  mit  Beseiti- 
gung der  phantastischen  Konjekturen  des  Possin,  jedoch  ohne  selbständige  Förderung  des 
Textes  und  ohne  Verbesserung  der  elenden  lateinischen  Uebersetzung  des  Pariser  Heraus- 
gebers; der  Kommentar  von  Du  Cange  ist  auch  hier  wiederholt.  —  Abdruck  bei  Migne, 
Patrol.  Gr.  127  (1864)  1-216. 

2.  Hilfsmittel:  F.  C.  Petersen,  Kritisk  Undersögelse  om  Aegtheden  af  Fortalen 
.  .  .  .  af  Nikephoros  Bryennios,  Det  Kong.  Danske  Videnskabemes  Selskabs  bist,  og  phil. 
Afh.  7  (1845)  21—89.  -  E.  Oster.  Anna  Komnena  I  (Rastatt  1868)  S.  5;  dortselbst  S.  58 
Verzeichnis  der  älteren  Litteratur.  -  Für  das  Geschichtliche:  Gfrörer,  Byzantinische  Ge- 
schichten III  (Graz  1877)  741  f.  791;  828  f.  —  Emendationen  von  S.  Röckl,  Blätter  filr 
das  bayer.  Gymnasialschulwesen  21  (1885)  18.  -  Hauptschrift:  Hans  Seger,  Byzan- 
tinische Historiker  des  10.  und  11.  Jahrhunderts,  I.  Nikephoros  Bryennios.  Diss.  München  1888. 
—  Vgl.  C.  Weyman,  Berliner  philol.  Wochenschrift  1889,  1242  ff. 

3.  Ein  kritisches  Problem  bildet  die  dem  Werke  vorausgehende,  am  Anfange  ver- 
stümmelte Einleitung,  die  von  Petersen  aus  sachlichen  und  sprachlichen  Gründen  für 
unecht  erklärt  worden  ist.  Seger,  der  (a.  a.  0.  S.  83  ff.)  neue  und  bessere  Argumente 
beibrachte,  hat  sehr  wahrscheinlich  gemacht,  dass  nicht  die  ganze  Vorrede,  sondern  nur 
der  grösste  Teil  derselben  (bis  S.  15,  16  der  Bonner  Ausgabe)  ein  fremdes  Machwerk  ist, 
welches  dem  echten,  mit  ^Af^Xoy  (fi]  rovro  beginnenden  Proömion  des  Bryennios  nachträglich ' 
vorangestellt  wurde. 

32.  Anna  Komnena  {"Arvu  r)  Koi^inp'rj)  wurde  als  das  älteste  Kind 
des  Kaisers  Alexios  Komnenos  1083  geboren.  Wie  die  meisten  byzanti- 
nischen Prinzessinnen  erhielt  sie  eine  auserwählte  Erziehung,  die  anfäng- 
lich von  Maria,  der  Witwe  des  verstorbenen  Kaisers  Nikephoros  Bota- 
neiates,  geleitet  wurde.  In  ihrer  umfassenden  Bildung  spiegelt  sich  schon 
der  litterarische  Aufschwung  der  Komnenenepoche.  Sie  liest  Homer, 
Herodot,  Thukydides,  Aristophanes,  die  Tragiker  und  den  Polybios,  selbst- 
verständlich die  heiligen  Schriften;  sie  beweist  Kenntnisse  in  der  alten 
Mythologie,  Geographie  und  Geschichte,  in  Rhetorik  und  Dialektik,  selbst 
in  platonischer  und  aristotelischer  Philosophie.  Ihr  Vater  vermählte  sit 
mit  dem  trefflichen  Nikephoros  Bryennios,  dem  Sohne  des  Kronpräten- 
denten unter  Nikephoros  Botaneiates.  Beim  Tode  des  Alexios  (1118)  Hess 
sich  Anna  von  ihrem  Ehrgeiz  und  ihrer  weiblichen  Eitelkeit  dazu  hin- 
reissen,  im  Verein  mit  ihrer  Mutter  Irene  eine  Verschwörung  gegen  den 
rechtmässigen  Nachfolger  des  Alexios,  seinen  Sohn  Johannes  anzustiften, 
um  ihren  eigenen  Gemahl  Nikephoros  auf  den  Thron  zu  erheben  und  durch 
ihn  über  das  Reich  der  Rhomäer  zu  herrschen.  Als  durch  die  kluge  Ent- 
schlossenheit des  Johannes  wie  durch  die  ablehnende  Haltung  des  Bryen- 
nios')  die  weibliche  Intrigue  vereitelt  worden  war,  fügte  sich  Anna  ins 
Unvermeidliche.  Bald  nach  dem  Tode  des  Alexios  zog  sie  sich  mit  der 
Kaiserin  Irene  in  das  von  dieser  gegründete  Kloster   Ti'^g  Ä^*x"?"^/***'V^  *) 


')  Anna  war  über  das  Benehmen  ihres 
(jlemahls,  das  sie  als  Mutlosigkeit  auslegte, 
höchst  unglücklich  und  machte  ihrem  Aerger 
in  einem  derben  und  kaum  übersetzbaren 
Spottworte  Luft,  djis  uns  Niketas  Akominatos 
(15,  18  ed.  Bonn.)  überliefert  hat:  rtjf  Kataii- 
Qiaany  "Avvnv  TiQog  ro  /(tvyoy  tov  xuvTtjg 
itydgoi  dva}(eQ(tiyovaay  ....  tijy  <pvaiy  tu 
TtoXXii  iTtifii'/nffea&ui  vn'  aixiay  it9elany 
ot')[l  fiixgny,  löi  ttvxfj  fxiy  iy&i«a ^ovaay 
70    (<(»9Qoy   xul   iyxoiXtiyuauy ,    rw    li't 


liQveyyito  t6  fxÖQioy   ttnot eiynaay  xni 
aq^cciQtiiauan  y. 

*)  Die  im  Original  erhaltene,  geschicht- 
lich nicht  unwichtige  Stiftungsurkunde 
wurde  ediert  von  Montfaucon,  .\nalecta 
(4raeca  1688  S.  136  ff.,  darnach  wiederholt 
von  Migne,  Patrologia  Grneca  127,  985-- 
1128  und  von  Fr.  Miklosich-J.  Müller, 
Acta  et  diulom.  (Jr.  medii  aevi  5  (1887)  327 
bis  391.  Vgl.  H.  Seper,  Nikephoros  Bry- 
ennios S.  24. 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  32.)  7d 

zurück,  um  in  tiefer  Abgeschiedenheit  ihr  Leben  zu  beschliessen.  Hier 
verfasste  sie  das  ohne  Zweifel  schon  früher  vorbereitete  Werk,  welches 
ihr  eine  nicht  unbedeutende  Stelle  in  der  byzantinischen  Litteraturge- 
schichte  sichert,  die  'AXe^iäg:  im  Jahre  1148  hatte  sie  das  Werk  voU- 
endet;  ihr  Todesjahr  ist  unbekannt.  Die  Alexias.  ein  umfangreiches 
Werk  in  15  Büchern,  ist  die  Geschichte  des  Alexios  Komnenos  und 
umfasst  die  Zeit  von  1069 — 1118;  es  werden  also  nicht  nur  die  Ereignisse 
unter  der  Regierung  des  Kaisers  Alexios,  sondern  auch  seine  früheren 
Thaten  und  die  Machtentwickelung  des  Komnenenhauses  geschildert.  So 
ist  Anna's  Werk  eine  Ergänzung  und  Fortsetzung  des  von  ihrem  Gemahl 
Nikephoros  Bryennios  hinterlassenen,  bis  1079  reichenden  „Geschichts- 
materials", auf  das  sie  auch  häufig  verw^eist. ') 

Ueber  ihre  Quellen  macht  Anna  manche  Andeutungen.  Da  sie  Er- 
eignisse ihrer  eigenen  und  der  kurz  vorausgegangenen  Zeit  schildert,  so 
kannte  sie  vieles  aus  eigener  Beobachtung:  durch  ihre  hervorragende 
Stellung  am  Hofe  erfuhr  sie  manches  persönliche  und  sachliche  Detail, 
das  sich  der  Wahrnehmung  anderer  Autoren  entzogen  hätte.  So  verwertete 
sie  mündliche  Erzählungen  ihrer  Verwandten  und  anderer  Personen,  die 
den  Begebenheiten  nahe  standen;  als  Zeugen  nennt  sie  auch  alte  Krieger, 
von  denen  sie  sich  über  die  Feldzüge  ihres  Vaters  berichten  Hess. 2)  Ausser 
diesen  mündlichen  Mitteilungen  benützte  sie  aber  sicher  auch  schriftliche 
Quellen  wie  Staatsarchive,  diplomatische  Korrespondenzen,  kaiserliche  Re- 
skripte. Was  sie  unter  den  schlechten  und  formlosen  Sclmften  versteht, 
von  deren  Verwendung  sie  einmal  spricht,  3)  ist  dunkel;  vielleicht  waren 
es  biographische  oder  memoirenhafte  Werke,  die  von  ungebildeten  Kriegern 
oder  Beamten  in  der  Zurückgezogenheit  abgefasst  wurden.  Endlich  ist 
eine  merkwürdige  Quelle  der  Alexias  nachgewiesen  worden,  die  deutlich 
beweist,  wie  sehr  sich  Anna  genaue  Informationen  angelegen  sein  Hess. 
Sie  hat  nämlich  für  Dinge,  die  sich  auf  Robert  Guiscard  beziehen,  eine 
verschollene  lateinische  Chronik,  vielleicht  ein  Werk  des  Archidiaconus 
Johannes  von  Bari,  benützt,  die  auch  von  Guillermus  Apuliensis  für 
sein  zwischen  1099—1111  abgefasstes  lateinisches  Gedicht  Gesta  Roberti 
Wiscardi  verwertet  worden  ist.^) 

Die  Kritik,  welche  Anna  an  ihre  Hilfsmittel  anlegte,  ist  häufig  nur 
eine  äusserliche  und  scheinbare;  sie  sichtet  zwar  sorgfältig,  sie  stellt  ge- 
wissenhaft verschieden  lautende  Nachrichten  zusammen  und  spricht  gerne 
von  ihrer  unbestechlichen  Wahrheitsliebe;  im  Grunde  aber  siegt,  was  auch 
jedermann  natürlich  finden  wird,  die  kindliche  Eitelkeit  und  Liebe  über 
die  konsequente  Objektivität;  es  kommt  ihr  wesentlich  darauf  an,  das  Bild 
ihres  Vaters  und  ihrer  Familie  im  besten  Lichte  zu  zeigen.  Die  pane- 
gyrische Tendenz  verrät  sich  schon  im  Titel  Alexias,  der  ein  Epos  oder 

*)  Z.  B.  X  2  (vol.  II  S.  59  ed.  Teubn.)  [   die  wohl  manches  Jägerlatein  in  der  Alexias 

oTitas    (ff    Toi    XeTXTofieQeareQoy    i9EXoyTi  I   zurückgeht. 

/iay9(iy(ty  siiarai  und  xüiy  xov  xXsiyov  Kai-  i             *)  Anö  riviay  avyeke^dfÄijy  ^vyyQa/ifittrtoy 

coQOi    at'yygauuärtoy    disyTt>xsTy.       Ebenso  ü/Qsimy   xtu    uanovJwy   Ttityrunaai  u.  s.  w. 

Praef.  3;  I  1;  I  4;  II  1:  VII  2  (Ed.  Teubn.  XIV  7  (vol.  II  254,  13  ed.  Teubn.). 

vol.  I  S.  5;  11;  17;  58;  2-30;  231).  *)  S.  R.  Wilnians  am  unten  angeführten 

^)  Eine  ziemlich  bedenkliche  Quelle,  auf  [   Orte. 


So  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

ein  Gedicht  in  Prosa  anzukündigen  scheint.  In  ihrer  Auffassung  der 
Kreuzzüge  ist  Anna  selbstverständlich  ganz  und  gar  Byzantinerin.  Dio 
christliche  und  soziale  Idee,  welche  diese  mächtigen  Vülkerbewegungeii 
ursprünglich  leitete,  hat  in  Byzanz  stets  taube  Ohren  gefunden.')  So  er- 
blickt auch  Anna  in  den  Unternehmungen  der  Kreuzfahrer  nur  drohende 
Gefahren  für  das  byzantinische  Reich  und  eine  Quelle  von  Misshelligkeiteii 
für  Alexios.  Dazu  stimmt  der  konfessionelle  Hass  gegen  die  Lateiner, 
den  sie  mit  ihren  Zeitgenossen  wie  mit  ihrem  Nachfolger  Kinnamos  ge- 
mein hat.  Bedenklicher  als  diese  aus  ihrer  verwandtschaftlichen  Stellung 
und  ihrer  Nationalität  leicht  erklärbaren  Eigenheiten  ist  ihre  mangel- 
hafte Chronologie. 

Eine  wirklich  historische  Auffassung  der  Begebenheiten  wird 
man  im  12.  Jahrhundert  nicht  erwarten,  am  wenigsten  von  einer  Geschicht- 
schreiberin.  Wie  sich  die  Frauen  immer  und  überall  mehr  für  das  Aeusser- 
liche,  Individuelle  und  Konkrete  als  für  innere  Zusammenhänge  und  letzte 
Motive  erwärmen,  so  schildert  auch  Anna  lieber  glänzende  Staatsaktionen, 
pomphafte  Audienzen,  Kirchenfeste  und  Aehnliches  als  die  Bestrebungen  und 
Erfolge  ihres  Vaters  im  Heere,  in  der  Verwaltung,  im  Finanz-  und  Ge- 
richtswesen. Bei  allen  Mängeln  bleiben  diese  Memoiren  einer  Tochter  über 
ihren  Vater  eine  der  hervorragendsten  Leistungen  der  mittelgriechischon 
Geschichtschreibung;  sie  sind  ein  quellenmässiger  Bericht  über  eine  glän- 
zende, auch  für  das  Abendland  wichtige  Periode  der  byzantinischen  G( 
schichte;  wir  erblicken  in  ihnen  das  mit  liebevoller  Sorgfalt  ausgeführt!. 
Gemälde  eines  Herrschers,  der,  durch  militärische  und  politische  Thatkraft 
wie  durch  überlegene  Klugheit  gleich  ausgezeichnet,  zu  den  grossartigsten 
Gestalten  des  Mittelalters  gehört.  Unter  den  menschlichen  Zügen,  die  in 
Anna's  Werk  hervortreten,  bemerkt  man  ein  beträchtliches  Talent  für 
Witz  und  Spott,  die  weibliche  Schwäche  für  Klatsch  und  Verleumdung 
vor  allem  eine  starke  i]itelkeit;  der  Stolz  auf  ihre  Bildung,  ihren  Kanu 
und  ihre  griechische  Abstammung  tritt  bei  jeder  Gelegenheit  hervor. 
Schwer  wird  das  idyllische  Bild  dieser  sonst  so  anziehenden  Frau  durch 
die  dämonische  Herrschsucht  getrübt,  welche  sie  sogar  der  schwesterlichen 
Liebe  untreu  werden  Hess. 

In  formaler  Hinsicht  ist  die  Alexias  das  erste  grössere  Denkmal 
der  litterarischen  Renaissance,  welche,  durch  Männer  wie  Psellos 
wirksam  vorbereitet,  im  Zeitalter  der  Komnenen  ihre  schönsten  Früchte 
zeitigte  und  noch  unter  den  Paläologen  fortdauerte.  Während  Genesios^ 
Leon  Diakonos  und  zum  Teil  auch  der  Attaliate  noch  unter  dem  Einflüsse 
der  dem  Klassischen  abgewandten,  wesentlich  auf  kirchlichen  und  byzan- 
tinischen Mitteln  beruhenden  Darstellungsweise  der  makedonischen  Zeit 
stehen,  ist  Anna  schon  ganz  Humanistin.  Sie  schreibt  nicht  mehr  die 
Sprache  ihrer  Zeit  wie  es  bis  zu  einem  gewissen  Grade  die  Autoron  der 
genannten  Epoche  thaten,  sie  wählt  ihre  Muster  nicht  bei  Agathias,  Theo- 
phylaktos,  Genesios  oder  Leo,  sie  ist  ferne  von  jener  Gleichgiltigkeit  gegen 
Vulgarismen  und  Fremdwörter,   welche  man  in  den  litterarischen  Kreisen 

')  Wie  Belir  diw  Miustrauon  der  («riei^heii    i    und  preuolvoll«'  Auscans  dos  vierten  Kreux- 
begründet  war,   liat   8]iUtur   der   »(-handliche    ,   zugeu  nur  zu  deutlich  bewiesen. 


A.  Die  Geschichtschreiber.  (§  32.)  81 

des  Konstantin  Porphyrogennetos  und  seiner  nächsten  Vorfahren  bemerkt; 
ihr  Ideal  ist  der  Attizismus,  ihre  Vorbilder  sind  Thukydides  und  Poly- 
bios,^)  nur  nebenbei  auch  Spätgriechen  wie  Johannes  von  Epiphania.-) 
Fremde  Namen,  die  nach  ihrer  Ansicht  den  historischen  Stil  beflecken, 
wie  auch  vulgäre  Wörter  gebraucht  sie  nur  im  Notfalle  und  häufig  mit 
ausdrücklichster  Entschuldigung.^)  Was  die  Form  der  Alexias  am  prin- 
zipiellsten von  den  Werken  der  vorhergehenden  Jahrhunderte  unterscheidet, 
ist  die  Thatsache,  dass  die  Gräzität  hier  eine  völlig  künstliche,  schulmässig 
erlernte  geworden  ist;*)  der  originalbyzantinische  Zug.  der  die  Litteratur 
vom  7. — 10.  Jahrhundert  belebt,  ist  einer  fast  ganz  mumienhaften  Schul- 
sprache gewichen,  die  zu  dem  gleichzeitig  hervortretenden  Vulgäridiom  ^) 
den  denkbar  grössten  Gegensatz  bildet.  Die  Doppelköpfigkeit  der  griechi- 
schen Sprache  und  Litteratur  ist  von  nun  an  unwiderruflich  entschieden. 
Trotz  ihres  pedantischen  Klassizismus  kann  aber  auch  Anna  die  Spuren 
ihrer  Zeit  nicht  verleugnen;  auch  sie  beweist,  dass  es  leichter  ist,  den 
alten  Vorbildern  Wörter  und  Phrasen  zu  entnehmen  als  ihnen  in  den 
schwierigeren  Teilen  der  Sprache,  in  der  Konstruktion  und  im  Stile,  gleich- 
zukommen. Selbst  im  Wörterbuch  sieht  sie  sich  zu  manchen  Konzes- 
sionen an  die  militärische  und  politische  Terminologie  ihrer  Zeit  ge- 
nötigt. 

1.  Ueberlieferung:  Die  Alexias  ist  in  wenigen  Handschriften  erhalten,  deren 
Verhältnis  noch  nicht  ganz  aufgeklärt  ist.  An  der  Spitze  steht  der  Florentinus  70,  2 
(s.  XII).  mit  welchem  eine  in  8  Bücher  eingeteilte  Epitorae  der  ersten  14  Bücher  im  cod. 
Monac.  Gr.  35.5  und  im  cod.  Vatic.  Gr.  981  übereinstimmt.  Urnen  gegenüber  steht  der 
am  Schlüsse  den  Florent.  ergänzende  Paris.  Goisl.  311  (s.  XII),  aus  welchem  ein  Barberin. 
und  ein  Vatican.  geflossen  sind.  Der  Paris,  enthält  eine  grosse  Zahl  offenbar  im  Partei- 
interesse der  Komnenen  ausgeführter  Aenderungen  und  Interpolationen.  Ob  dieselben  von 
einem  Kopisten  oder  von  der  Verfasserin  selbst  herrühren,  bleibt  noch  eine  offene  Frage. 
Auch  Ober  die  Entstehungszeit  der  genannten  Epitome  des  Monac.  und  Yatic.  die  an  einer 
Stelle  aus  Zonaras  interpoliert  ist.  lässt  sich  nichts  Sicheres  feststellen.  —  Endlich  über- 
liefert eine  leider  verstümmelte  Leydener  Handschrift  einen  Auszug  der  Alexias  in 
einfacherer  imd  mehr  volksmässiger  Sprache;  s.  Schopen,  ed.  Bonn.  vol.  I,  XVI.  Ediert 
ist  dieser  Text  von  E.  Miller,  Recueil  des  bist.  Grecs  des  croisades  t.  I  (Paris  1875) 
2,  65 — 179.  Vgl.  J.  Psichari,  Essais  de  grammaire  historique  neo-grecque  vol.  I  (Paris 
1886)  S.  16. 


')  Dem   Polybios   (I  14)    hat   sie   sogar  gegen  fremdklingende  Namen  mag  durch  die 

in  der  Vorrede  (S.  4,  26  =  5,  3  ed.  Teubn.)  ,   Schwierigkeit   ihrer  Wiedergabe   in   griechi- 

einen  ganzen  Satz  entwendet.  \   scher    Schrift    gesteigert    worden    sein,    ihr 

^)  S.  §  13.  Aber  auch  er  dient  ihr  wohl  '•  Hauptgrund  ist  aber  der  seltsame  sprach- 
nicht  als  Original,  sondern  als  Fimdgrube  liehe  Purismus,  der  noch  heute  in  Griechen- 
schöner Phrasen  aus  Thukydides.  land  historisch  gewordene  neuere  Ortsnamen 

^)  Nachdem   sie    (X  8  =  vol.  II   S.  81  |   massenhaft  ins  Altgriechische  übersetzt  hat. 

ed.  Teubn.)   eine  Reihe  fremder  Namen    an-  Ebenso  liebt  es  Anna,  beim  Gebrauche  volks- 

geführt  hat,  sagt  sie:  xcü  u£u(fiad(o  u>;Jeig  tümlicher  Wörter   auf   den    dunkeln  Ur- 

i^fiTf   TotovToig    /Qwuf'ro(g    öyöuaat    ßf(Q-  sprung  derselben  hinzuweisen,  z.  B.  ^fffrt«pi- 

ßaQixoTg   x((i    ticp'  cjy   iaxi    rd    v(fog    rtjs  tag  »J  avyij9eia  xaXei  (IV  4  =  I  S.  138  ed. 

IcTogiug   x(eTauiaiysa&(u  .  ovde   yuQ    6  Teubn.). 

't)fit]Qog    <c7irjii(oae    lioiwiovg    oyouüCeiy    xai  ;             *)  To'EXXijyl^ety  eig rtxQoy  ianovdaxvTa 

nyttg  ßaQiiuQw&eig  yijaovg  dicc  XTJy  TTJg  iaxo-  rülmit  sie  im  Proömion  ganz  richtig  von  sich ; 

Qiug    rix^ißsiay.     AehnUch    rechtfertigt    sie  sie  hat   das  Griechische  , studiert*  wie  eine 

(VI  14  =  I  S.  222  ed.  Teubn.)  die  Aufzäh-  fremde  Sprache. 

lung  russischer  Namen: /e»;  ;'«(»  x«t  r»/?  c;tü>-  ^)  Anna   führt    selbst   an    zwei   Stellen 

Wfiiag  ufu%'f,a9(a  rwr  x«r'  avTovg  uQiaxiov  (II  4  und  VII  3  =  vol.  I  S.  69,  6  und  240,  5 

KviQÜjy,    ei  x((i    xd   aujfict   rijg  iaxoQiag  ed.    Teubn.)    vulgärgriechi.sche.    vom    Volke 

fotxoig  xuxttuiidyBxut,.  Diese  Abneigung  ;   gegen  Alexios  gesungene  Spottverse  an. 

Bandbuch  der  klass.  AltortumswisscDHcluift.    IX.  1.  Abtlg.                                                              (J 


82  Byzantinische  Litteratnrgeschiclite.    I.  Prosaische  Litteratur. 

2.  Ausgaben:  Zuerst  erschien  die  Epitome  des  Monac.  opera  D.  Hoeschelii, 
Aug.  Vindel.  1610;  wiederholt  1618.  —  Das  ganze  Werk:  Pr.  ed.  Petrus  Possinus, 
Paris  1651  (unlesbarer  Text  mit  einem  wertlosen  Glossar).  —  Wiederholt  Venedig  1729.  — 
Im  Bonner  Corpus  vol.  I  (Buch  1—9)  ed.  J.  Schopen  1839,  vol.  II  (Buch  10—15)  ed. 
A.  Reifferscheid  1878;  beigegeben  sind  Parallelstellen  aus  lateinischen  Chroniken,  eine 
neue  lateinische  Uebersetzung,  das  Glossar  des  Possin,  der  unschätzbare  Kommentar  von 
Du  Gange,  ein  historischer  und  sprachlicher  Index,  Register  der  Sprichwörter  und  Münz- 
tafeln; der  Florent.  ist  erst  für  den  2.  Band  beigezogen.  —  Abdruck  der  Pariser  Ausgabe 
bei  Migne,  Patrol.  Gr.  131  (1864)  59-1244.  -  Die  auf  den  ersten  Kreuzzug  bezüglichen 
Partien  edierte  (ohne  den  Florent.)  E.  Miller,  Recueil  des  historiens  des  croiaades.  Hist. 
Grecs  t.  1,  2  (Paris  1875);  dazu  ein  Kommentar  in  tome  II  (1881).  —  Auf  einer  voll- 
ständigen Kollation  des  Florent.  beruht  erat  die  neue  Ausgabe  von  A.  Reifferscheid, 
2  voll.  Lipsiae,  bibl.  Teubn.,  1884;  doch  ist  daneben  die  Bonner  Ausgabe  wegen  der  er- 
wähnten Beigaben  nicht  ganz  zu  entbehren. 

3.  Hilfsmittel:  Fr.  Wilken,  Rerum  ab  Alexio  1,  Joanne,  Manuele  Comnenis 
gestarum  libri  IV,  Heidelbergae  1811,  S.  180  und  sonst.  —  R.  Wilmans,  Anna  Comn. 
verglichen  mit  Guil.  Apuliensis,  Archiv  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  Geschichts- 
kunde von  Pertz  10  (1851)  87—121.  —  H.  Krause,  Die  Byzantiner  des  Mittelalters, 
Halle  1869  S.  299—303  (wertlos).  —  H.  von  Sybel,  Geschichte  des  ersten  Kreuzzugs, 
2.  Aufl.,  Leipzig  1881,  wo  die  Alexias  allenthalben  benützt  und  kommentiert  ist.  —  Bei- 
träge zur  sachlichen  Kritik  und  Erklärung  von  W.  Fischer,  Trapezus  im  11.  und  12.  Jahr- 
hundert, Mitteil,  des  Instituts  für  Österreich.  Geschichtsforschung  10  (1889)  177 — 207.  — 
Zur  Sprache:  A.  Reifferscheid,  Anal.  crit.  et  gramm.,  Index  lect.  Breslau  1877 — 78 
S.  11.  —  Richtige  Erklärung  eines  der  von  Anna  angeführten  vulgärgriechischen  Spott- 
verse von  W.  Fischer,  Berliner  philologische  Wochenschrift  5  (1885)  391  f.  —  Haupt- 
schriften:  E.  Oster,  Anna  Komnena,  3  Progr.  Rastatt  1868,  1870,  1871.  —  C.  Neu- 
mann, Griechische  Geschichtschreiber  und  Geschichtsquellen  im  12.  Jahrhundert,  Leipzig 
1888  S.  17 — 30.  —  Zusammenstellung  der  älteren  Litteratur  bei  Oster  1  52. 

4.  Eine  deutsche  Uebersetzung  in  Fr.  Schillers  Allgemeiner  Sammlung  historischer 
Memoires  vom  12.  Jahrh.  bis  auf  die  neuesten  Zeiten,  Jena  1790,  I  1 — 2.  —  Selbst  zu 
einem  freilich  ziemlich  missratenen  historischen  Roman  hat  die  Alexias  nebst  Nikephoros 
Bryennios  die  Grundlage  liefern  müssen,  zu  Walter  Scott 's  Count  Robert  of  Paris. 

33.  Johannes  Kinnamos  wurde  kurz  nach  dem  Tode  des  Johannes 
Komnenos  (1143)  als  Sohn  einer  vornehmen  Familie  geboren  und  gelangte 
früh  an  den  Hof  Manuels  (1143 — 1180),  den  er  als  Sekretär")  auf  seinen 
Feldzügen  in  Europa  und  Asien  begleiten  durfte.-)  Dass  er  unter  Kaiser 
Andronikos  noch  lebte,  wissen  wir  aus  Niketas  Akominatos;  ^)  dieser  erzählt 
nämlich  von  Kinnamos  eine  hübsche  und  für  byzantinische  Gepflogenheiten 
recht  bezeichnende  Anekdote,  die  sich  in  der  Umgebung  des  Andronikos 
Komnenos  abspielte.  Der  Kaiser  vernahm  einst,  dass  der  Bischof  von 
Neu-Patras  und  Kinnamos  in  seinem  Zelte  über  den  Ausspruch  Christi 
„Mein  Vater  ist  grösser  als  ich"  eine  lebhafte  Diskussion  führten;  da  ge- 
riet er  in  Zorn  und  drohte  beiden,  sie  in  den  Fluss  Khyndakos  zu  stürzen, 
wenn  sie  ihr  dogmatisches  Gezänk  nicht  sofort  beendigten.  Auch  den 
Andronikos  (f  1185)  muss  Kinnamos  noch  überlebt  haben;  denn  in  einer 
Handschrift  des  Eskurial  wird  eine  Rede  des  Kinnamos  an  einen  Kaiser 
aus  dem  Hause  Angelos  erwähnt.^) 

')  In  der   Ueberschrift  des  Werkes  wie  ^)^  Ta  ye  fiijy  rov  fier'  rxe^roy  MtiyovtjX 

Mich  im  Titel  der  verlorenen  Itedf^  an  Kaiser       ovx    oi'ifa    et    tk    iuov    xükXioy    fiiaioQijani 
Angelos  (s.  u.)  wird  er  }'Qa/itfi(<Ti.x6g  genannt;       t/f/,    insi    xai    ovthd   fiiiQftxiii)  ye    «rri  fioi 


dieses  Wort  scheint  nicht  ein  offizieller  Aus- 
druck für  eine  bestimmte  Stufe  der  byzantini- 
schen Beamtenhierarchie,  sondern  nur  eine 
allgenn^ine,  populäre  Bezeichnung  filr  einen 
Beamtt'n,  der  schriftliche  Arbeiten  zu  besorgen 


Ttkeiarai  avytxthdtjut;xtt'ai  ol  ttoy  ei(  tjnetQoy 
ixarigayavyf'jiaiyey  txaiQaietiuy.  S.5ed. Bonn. 

»)  S.  430  ed.  Bonn. 

*)  E.  Miller,  Catal.  des  mss.  Grecs  de 
la   bibliotiieque    de   rKscurial,    1848    S.  218. 


hatte,  HO  daHH  es  wtdil  am  besten  mit  unserm       Vgl.  L.  Fr.  Tafel ,  Komnenen  und  Normannen, 
vielsugundcn  Sekretär  zu  überwetzen  ist.  S.  XVI II  und  C.  Neu  mann  a.  a.  ü.  S.  94. 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  33.)  83 

Kinnamos  verfasste  ein  Geschichtswerk,  welches  in  den  uns  er- 
lialtenen  sieben  Büchern  die  byzantinische  Geschichte  von  1118—1176, 
also  die  Regierung  des  Johannes  Komnenos  und  den  grössten  Teil  der  des 
Manuel  darstellt:  ^Enivoni]  twv  xaTOQd^wnaTuyv  tm  i^iaxagirt]  ßaaiXu  xal 
.TOQ(fVQoy€rrr^Tfo  xvoifo  ^Io)ävrrj  toi  Kourr^ro)  xcd  d(fiji^Gig  tmv  noaxO-tvroov 
ifö  doiSifioi  vio)  aviov  to)  ßaaiXti  xai  noQ(fVQoyavv)]T(o  xvQup  Maroin]X  rrö 
Kourr^vM  Txorr^&eTaa  ^Icoärvr^  ßaat hxoi  yQaufiarixrp  tw  Kiryäjuou  Das  Haupt- 
gewicht fällt,  wie  die  Fassung  des  Titels  andeutet,  auf  die  Geschichte 
Manuels;  die  Zeit  des  Johannes  wird  ziemlich  summarisch  in  dem  kurzen 
ersten  Buche  abgethan;  dass  er  sie  überhaupt  behandelte,  hat  seinen  Grund 
wohl  in  dem  Streben,  an  die  Vorgänger  (Zonaras  und  Anna  Komnena)  un- 
mittelbar anzuschliessen.  Vermutlich  reichte  das  jetzt  am  Schlüsse  ver- 
stümmelte Werk  ursprünglich  bis  zum  Tode  Manuels.  Die  Ausarbeitung 
desselben  scheint  in  die  Zeit  zwischen  1180—1183  zu  fallen;  denn  in  der 
Vorrede  wird  Manuels  Hinscheiden  erwähnt  und  an  einer  anderen  Stelle') 
spricht  Kinnamos  von  dem  Sohne  Manuels,  dem  jungen  Alexios  (f  1183), 
als  einem  noch  Lebenden;  die  Veröffentlichung  erfolgte  aber  wohl  erst 
nach  dem  Sturze  des  Andronikos,  wie  aus  der  scharfen  Aeusserung  II  7 
geschlossen  werden  kann. 2)  Das  Werk  des  Kinnamos  scheint  wenig  Ver- 
lireitung  gefunden  zu  haben;  Niketas  Akominatos  kennt  es  nicht,  und  uns 
ist  es  in  einer  einzigen  am  Schlüsse  verstümmelten  Handschrift  über- 
liefert. Leider  lehrt  eine  genauere  Prüfung,  dass  auch  sie  nicht  das 
Originalwerk  des  Kinnamos,  sondern  nur  einen  Auszug  desselben 
enthält.  2)  An  mehreren  Stellen  verweist  der  Verfasser  ausdrücklich  auf 
früher  erzählte  Dinge,  die  nun  in  unserem  Texte  vergeblich  gesucht 
werden;  dazu  scheint  dem  fünften  und  sechsten  Buche  die  Einleitung  zu 
fehlen.  Schwerlich  lassen  sich  diese  Thatsachen  durch  die  Annahme  er- 
klären, dass  Kinnamos  plötzlich  gestorben  sei,  ehe  er  sein  Werk  in  allen 
Partien  zum  Abschluss  bringen  und  sein  Material  völlig  einarbeiten 
konnte. 

Dieser  schlechte  Zustand  der  Ueberlieferung,  zu  dem  sich  noch 
schwere  Textverderbnisse  gesellen,  macht  die  historische  und  schriftstel- 
lerische Beurteilung  des  Kinnamos  schwierig.  Wegen  seiner  scharfen 
Polemik  gegen  die  Abendländer  ist  er  bis  auf  die  neueste  Zeit  vielfach 
angefeindet  worden.  Sein  nationales  Selbstbewusstsein  ist  allerdings  un- 
geheuer; seine  zähe  Betonung  der  ausschliesslichen  Legitimität  des  ost- 
römischen Thrones  und  seine  scharfe  Polemik  gegen  die  Ansprüche  des 
römischen  Papsttums  und  der  deutschen  Kaiserherrschaft  stehen  in  einem 
schreienden  Widerspruche  mit  den  Thatsachen  der  Zeit;  sein  Stolz  auf 
das  echte  Römertum,  das  er  nur  in  Byzanz  findet,  erscheint  uns  wie  ein 
seltsamer  Anachronismus.  Zudem  erhält  seine  Darstellung  dadurch,  dass 
der  Hauptheld  sein  kaiserlicher  Gönner  Manuel  ist,  einen  panegyrischen 
Grundton,  der  sich  wohl  selbst  von  Schönfärberei  und  Erfindung  nicht 
ganz  frei  hält.  Alles  das  berechtigt  aber  nicht  dazu,  die  Glaubwürdigkeit 
des  Kinnamos   überhaupt   in  Abrede   zu   stellen.     Er   ist  vielmehr,   wenn 

1)  VI  2  =  257.  10  ed.  Bonn.  *)  Diese  wichtige  Entdeckung  verdankt 


*)  Kap-Herr  a.  a.  0.  S.  119. 


man  Neumann  a.  a.  O.  S.  79  ff. 

6^ 


g4  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

man  von  seinem  patriotischen  und  dynastischen  Chauvinismus  absieht,  ein 
durchaus  tüchtiger  Erzähler.  Die  Darstellung  des  zweiten  Kreuzzuges 
macht  ganz  den  Eindruck,  als  beruhe  sie  auf  archivalischen  Studien;  auch 
sonst  verfügt  er  über  treffliches,  wohlgeordnetes  Material,  das  er  wahr- 
scheinlich längst  vor  dem  Tode  Manuels  gesammelt  hatte.  Vornehmlich 
verdankt  er  seine  Kenntnisse  militärischen  Kreisen,  wie  ja  auch  der  grössto 
Teil  seines  Werkes  Kriegsgeschichte  ist.  „Was  er  so  erfahren  hat,  gibt 
er  ausserordentlich  gewissenhaft  wieder;  nicht  selten,  dass  er  bekennt,  er 
wisse  etwas  nicht  oder  nur  unsicher.  Er  hütet  sich  seine  Berichte  zu  be- 
arbeiten, er  kombiniert  nicht  und  scheint  die  ursprünglichen  Notate  un- 
mittelbar in  sein  Geschichtswerk  einzutragen." ')  In  seinem  Werke  herrscht, 
wie  Neumann  weiter  richtig  urteilt,  ein  ehrlicher,  soldatischer  Ton,  ge- 
gründet auf  eine  natürliche  und  unverhohlene  Begeisterung  für  den  Kaiser. 
Kinnamos  ist  der  beste  und  gläubigste  Wortführer  der  weitblickenden 
Ideen,  welche  Manuel  praktisch  durchzuführen  gedachte. 

Die  Darstellung  des  Kinnamos  hat,  wie  seine  gesamte  Auffassung 
etwas  soldatenmässig  Knappes;  von  seinem  Zeitgenossen  Niketas  Akomi- 
natos,  der  ihn  an  Bildung  und  historischem  Blick  weit  übertrifft,  unter- 
scheidet er  sich  vorteilhaft  durch  Kürze,  einfache  Satzbildung  und  Ver- 
ständlichkeit. Von  den  beliebten  poetischen  Bildern  und  schwülstigen 
Umschreibungen  hält  er  sich  ferne.  Seine  Vorbilder  sind  Herodot  und 
Xenophon;  freilich  erhält  seine  Sprache  durch  die  künstliche  Nachahmung 
etwas  Lebloses  und  Schablonenhaftes.  In  der  Benennung  der  Völker  und 
Orte  treibt  er  die  puristische  Pedanterie  noch  weiter  als  seine  Vorgängerin 
Anna  Komnena;  während  sie  bei  aller  Abneigung  gegen  fremde  Namen 
wenigstens  noch  Tovqxoi  kennt,  gibt  es  bei  Kinnamos,  als  lebe  er  im 
Zeitalter  des  Themistokles ,  nur  Perser,  wobei  wohl  auch  wieder  das 
patriotische  Bestreben  mitspielt,  die  Türkenkriege  des  Mittelalters  mit  den 
Perserkriegen  des  Altertums  auf  eine  Stufe  zu  stellen.-) 

1.  Ausgaben:  Ed.  pr.  Cornelius  Tollius,  Trajecti  ad  Rhenum  1652.  —  Im 
Pariser  Corpus  ed.  Du  Cange,  Paris  1670,  mit  wertvollem  Kommentare.  —  Wiederholt 
Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus  rec.  A.  Meineke,  Bonn  1836,  nach  einer  neuen 
Kollation  des  cod.  Vaticanus.  --  Wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Graeca  133  (1864)  299—678. 
—  Die  auf  die  Kreuzfahrer  bezüglichen  Partien  auch  im  Recueil  des  hist.  des  crois.  Hist. 
Gr.  t.  I,  Paris  1875  (Kommentar  in  t.  II). 

2.  Hilfsmittel:  B.  Kugler,  Studien  zur  Geschichte  des  2.  Kreuzzuges,  Stuttgart 
1866  S.  36  ff.  —  Hans  von  Kap -Herr,  Die  abendländische  Politik  Kaiser  Manuels, 
Stra.ssburg  1881  S.  119  ff.  132  ff.  —  Hauptschrift:  C.  Neumann,  Griechische  Geschicht- 
schreiber und  Geschicht.squellon  im  12.  .lahrh.,  Leipzig  1888  S.  78  —  102. 

34.  Niketas  Akominatos  {^AxomväTog)  wurde  um  die  Mitte  des 
12.  Jahrhunderts  zu  Chonae'')  in  Phrygien  als  Sohn  wohlhabender  Eltern 
geboren.  Sein  Vater  sandte  den  neunjährigen  Knaben  nach  Konstantinopel, 
wo  er  unter  der  Obhut  seines  älteren  Bruders  Michael  in  den  Wissen- 
schaften  unterrichtet   wurde.     Während  Michael   die   kirchliche  Laufbahn 


>)  Neumann  a.  a.  0.  S.  89. 

*)  Vgl.  die  Anmerkung  zu  §  44. 

Eh    ist    das    alt<>,    durch    den  Paulus- 


:{ 


schlechthin  Niketas  Choniates,  obschon 
sein  Gcschleeht^name  Akominatos  bekannt 
ist.    Ks  wäre  /u  wünschen,  da.s8  die  Hezeich- 


brief  berUhnite  Kidossä.     Daher  nennen    ihn       nuiig    Niketas    .\kuminatos    allgemein    ange- 
nianche  nacli  dem  Vorgänge  iU-r  HandHehrifteii       ii(>inni«>ii  wilnie. 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  34.)  85 

einschlug,  widmete  sich  Niketas  dem  Staatsdienste.  Anfänglich  (wohl  noch 
vor  1180)  kaiserlicher  Sekretär,  stieg  er  unter  den  Kaisern  aus  dem  Hause 
Angelos  bald  zu  den  höchsten  Stellen  empor;  *)  während  des  dritten  Kreuz- 
zuges (um  1189)  ist  er  Gouverneur  des  Themas  von  Philippopel:  bald  da- 
rauf erscheint  er  als  Berater  des  Kaisers  in  wichtigen  Staatsangelegen- 
heiten. Nachdrücklich  hebt  Michael  in  seiner  Monodie  auf  Niketas  her- 
vor, dass  derselbe  trotz  der  häufigen  Thronwechsel,  die  nach  Manuels  Tode 
erfolgten,  sich  in  seiner  Stellung  erhielt,  weil  kein  Kaiser  einen  so  unent- 
behrlichen Staatsdiener  fallen  lassen  wollte.  Erst  von  dem  üsm'pator 
Alexios  Murzuphlus  Avurde  Niketas  1204  seiner  Stelle  als  Grosslogothet 
enthoben.  Bald  darauf  sah  er  die  furchtbare  Katastrophe,  welche  das 
Reich  der  Byzantiner  zu  Boden  schmetterte,  die  Eroberung  und  Plünderung 
der  Stadt  Konstantinopel  durch  die  Lateiner.  Unter  dem  Schutze  eines 
befreundeten  Venezianers  flüchtete  er  nach  Nikäa,  wo  er  am  Hofe  des 
Theodoros  Laskaris  abermals  eine  bedeutende  Rolle  spielte.  Sein  Todes- 
jahr lässt  sich  nur  annähernd  bestimmen.  Die  bis  jetzt  veröffentlichten 
Reden  reichen  bis  zum  Jahre  1210;  sein  Bruder  Michael,  der  ihm  eine 
Klagerede  widmete,  starb  um  1220. 

Niketas  war  wie  sein  Bruder  (s.  §  96)   mit   grossem   Erfolge  schrift- 
stellerisch thätig.     1.  Seine  wichtigste  Leistung  ist  das  grosse  vollständig 
erhaltene    Geschichtswerk    in    21    Büchern,    welches    die    Zeit    von 
1118 — 1206   schildert  und  somit   unmittelbar  an  Anna   Komnena  und   Zo- 
naras  anschliesst.    Die  Abfassungszeit  des  Werkes  ist  unsicher;  doch  muss 
das  4.  Buch  der  Biographie  Manuels  nach  dem  Regierungsantritt  des  Isaak 
Angelos  geschrieben   sein;    die   Vollendung   erfolgte    nach    1206.     Wahr- 
scheinlich arbeitete  Niketas  das  ganze  Werk  in  Nikäa  aus,   wo  ihm  nach 
dem  wirrvollen,  durch  seine  amtliche  Thätigkeit,    durch  Rev^olutionen  und 
äussere   Konflikte  gestörten  Leben  in   Konstantinopel  eine   Zeit  der   Ruhe 
gegönnt  war.    Wie  Kinnamos  behandelt  auch  der  Choniate  die  Regierung 
des  .Johannes  Komnenos  summarisch;   er  erklärt  in  der  Vorrede  wie  Kin- 
;  namos,  er  wolle  mit  der  Regierung  des  Johannes  beginnen,   weil  die  Zeit 
[1  bis  zum  Tode  des  Alexios  schon  andere  erzählt  haben;  doch  werde  er  die 
1  Regierung  des   Johannes   nur  im   Umrisse  darstellen,   weil  er  jene   Ereig- 
nisse nicht  selbst   gesehen,   sondern  nur  von  Augenzeugen   habe  schildern 
•'  hören.     Den   Hauptinhalt    des  Werkes   bilden    also    die    Regierung    des 
I  Manuel  Komnenos,    die  seinem  Tode  folgenden  inneren   Streitigkeiten,   die 
kurze   Herrschaft   des   Andronikos   Komnenos,    die   Erhebung    des    Hauses 
■  Angelos,  endlich  das  traurige  Schicksal  des  Reiches  und  der  Stadt  in  den 
I  Jahren   1203   und    1204.     Der  Schluss  enthält  die  Schilderung   der  ersten 
Kämpfe,    welche    das   lateinische    Kaisertum   gegen    die    sofort    von    allen 
Seiten   anstürmenden   Feinde  zu   führen   hatte.     Nach  der   Erzählung   der 
kurzen  Herrschaft  Balduins  I  bricht  das  Werk  mit  dem  zweiten  Regierungs- 
jahre seines  Bruders  und  Nachfolgers  Heinrich  ab. 


')  Niketas   bekleidete   die   Aemter   und  eines    erpoQog    xtä    xntTijg    tov   ßrjXov.    eines 

Würden  eines  Xoyo9frf]g  rwy  asxQtTtjy,  eines  7fQox«9^/neyog    tov    xoirviyos ,    eines    ueyag 

fx    TTJg    avyxi.7JTov    ßovXijg.     eines    ini    imy  koyo&tTi^g. 
necjy,    eines  yivixög  XoytaTt;g  rwy  (pö^toy, 


S6  Byzantinische  Litteraturgeschichte.     I.  Prosaische  Litteratur. 

Die  Haupt  quellen  des  Niketas  sind  seine  eigenen  Beobachtungen 
und  mündliche  Mitteilungen.  Den  grössten  Teil  der  von  ihm  ausführlicher 
geschilderten  Epoche  hat  er  selbst  erlebt;  als  hoher  Beamter  und  Ver- 
trauter des  kaiserlichen  Hofes  konnte  er  sich  leicht  die  nötigen  Aufschlüsse 
verschaffen.  Der  Abschnitt  über  den  Normannenkrieg  (1180 — 1185)  ist 
ein  Auszug  aus  dem  Berichte  des  Erzbischofs  Eustathios  von  Thessalonike.^) 
Für  die  ihm  vorausgehende  Zeit  beruft  er  sich  auf  die  Mitteilungen  von 
Augenzeugen.  Ob  er  daneben  auch  schriftliche  Quellen  benützt  hat,  wissen 
wir  nicht;  sicher  ist  aber,  dass  er  das  Werk  des  Kinnamos  nicht  kannte.^) 

Als  Historiker  hat  sich  Niketas  durch  seine  objektive  Haltung 
gegenüber  den  Kreuzfahrern  viel  Vertrauen  erworben.  Er  schüttet  zwar 
an  einzelnen  Stellen  die  Fülle  seines  Ingrimms  über  die  abendländischen 
Ritter  aus;  sie  sind  ihm  rov  xaXov  dvtQaaxoi  xrjQsai^öoTjioi  ßÜQßnQoc  am 
Schlüsse  des  19.  Buches  meint  er  sogar  in  einer  rhetorischen  Anwandlung, 
es  sei  eine  Schande,  die  Thaten  der  Barbaren  zu  feiern  und  Kriege  zu  er- 
zählen, in  denen  die  Griechen  nicht  gesiegt;  jene  Feinde  müssten  vielmehr 
wie  Herostratos  der  ewigen  Vergessenheit  preisgegeben  werden.  Trotz 
dieser  vereinzelten  Zornesausbrüche  ist  er  gegen  die  Lateiner  gerecht  und 
verrät  in  seiner  Darstellung  sogar  häufig  eine  besondere  Wärme,  wenn  es 
sich  um  die  Angelegenheiten  der  Kreuzfahrer  handelt.  Doch  hat  ihn  diese 
objektive  Stimmung  nicht  verhindert,  oft  ungründlich  und  kritiklos  zu  ver- 
fahren. Er  verfügt  zwar  teilweise  über  gute  und  ausführliche  Nachrichten, 
aber  ihre  Verbindung  ist  oft  unchronologisch  und  fehlerhaft;  ja  in  dem 
Bestreben  eine  pragmatische  Verbindung  herzustellen,  werden  selbst  die 
Thatsachen  gefälscht.  Er  zieht  oft  zwei  Ereignisse  in  eins  zusammen 
oder  er  erzählt  ein  Ereignis,  das  einem  anderen  ähnlich  ist,  an  derjenigen 
Stelle,  die  dem  zweiten  zukommt.  3)  Zu  den  wertvollsten  Stücken  gehört 
die  Partie,  welche  den  Marsch  des  Filgerheeres  durch  Thrakien  schildert. 
Die  Nachrichten,  welche  er  in  den  letzten  fünf  Büchern  über  den  lateini- 
schen Kreuzzug  und  die  ihm  vorausgehenden  Ereignisse  gibt,  können  wir 
ergänzen  und  kontrolieren  durch  den  gleichzeitigen  Bericht  des  französi- 
schen Herodot  der  Kreuzzüge,  Geoffroy  de  Ville-Hardouin. ')  Niketas  wurde 
Quelle  für  die  Verschronik  des  Ephräm  (s.  §  65). 

2.  Eine  Beilage  zum  Geschichtswerke  bildet  die  selbständig  über- 
lieferte kleine  Abhandlung  über  die  Statuen,  welche  die  Lateiner  1201 
in  Konstantinopel  zerstörten.  Bei  der  geringen  Beachtung,  welche  die 
Byzantiner  im  allgemeinen  den  alten  Kunstwerken  entgegenbringen,  ist 
das  Schriftchen,  das  in  der  mittelgriechischen  Litteratur  fast  als  Unikum 
dasteht,  gern  beachtet  und  vielfach  kommentiert  worden. 

')  S.Tafel,  Komnenen  und  Normannen       ist  etwa  das  Werk  dos  Kinnamos  erst  lantif 
S.  232.  !   nach   der  Vollendunj;   an  die  Oeffentliclikeit 

'■')  Wir    besitzen    nicht    die    Mittel,    um    \   gekommen V  Was  nützen  aber  so  kurzbeinige 


diese  auffallende  Thatsache  Itefriedigend  zu 
erklären,  (iegen  die  Annahme,  dass  Kin- 
namos erst  ungefähr  gleichzeitig  mit  Niketas 
geschrieben  habe,  sprechen  gewichtige!  Jründe, 


Hypothesen? 

')  Kap-Herr  a.  a.  0.  123. 

■*)   La    con((ucte    de    Constantinople    par 
Cieofifroi  de  \ille-Hardouin  avec  la  continua 


die  das  Werk  des  K.  in  die  Zeit  vonllHO— 83       tion    de    Henri    de    Valenciennes    ....    pai 
vorweisen.  Und  Niketas  selbst  kann  sein  Werk   i    Natalis  de  Wailly.  l'mis  1X12. 
doch   erst  1206  abgeschlossen  haben.     Oder  j 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  34.)  87 

3.  Rhetorische  Sachen,  wie  zwei  panegyrische  Reden  an  Kaiser 
Alexios  II  Komnenos,  eine  Rede  an  Kaiser  Isaak  Angelos,  dem  er  zu  seinen 
Erfolgen  gegen  die  Ränke  der  Kreuzfakrer  {tag  "Akafiaytxdg  6oko(fQoavvac) 
und  gegen  die  Angriife  der  „Skythen"  Glück  wünscht,  ein  'EirarayroxTuxdv 
an  den  Patriarchen  und  die  Synode,  zwei  Reden  an  Kaiser  Theodoros  Las- 
karis  in  Xikäa,  ^)  ein  im  Namen  desselben  Kaisers  abgefasstes  SiXsiziov 
11.  a.  Im  Barocc.  131  wird  dem  Niketas  auch  ein  , Vergleich  des  Winters 
und  Sommers  zugeschrieben",'^) 

4.  Unter  dem  Namen  des  Niketas  geht  endlich  ein  umfangreiches 
theologisches  Werk,  der  Oi^aavQog  oQ^oSo^i'ag.  Da  von  theologischen 
Bestrebungen  unseres  Niketas  sonst  nichts  verlautet  und  für  ein  so  grosses 
Werk  bei  seiner  ausgedehnten  praktischen  und  litterarischen  Thätigkeit 
kaum  noch  Raum  bleibt,  ist  zu  vermuten,  dass  diese  27  Bücher  umfassende 
Apologie  und  Dogmatik  der  orientalischen  Kirche  nicht  von  dem  Historiker 
Niketas  stamme,  sondern  von  jenem  Erzbischof  von  Chonä  Niketas 
Akominatos,  der  als  Taufpate  unseres  Niketas  erwähnt  wird.  ■"') 

In  seiner  Darstellung  unterscheidet  sich  Niketas  bedeutend  von 
Kinnamos  und  Anna  Komnena;  er  gefällt  sich  in  einer  bombastischen, 
bilderreichen  und  schwülstigen  Manier,  wobei  er  jedoch  weniger  älteren 
Historikern  wie  Agathias  und  Theophylaktos  als  dem  üblichen  Schnörkel- 
stil der  byzantinischen  Theologie  nachgeht.  Die  Verantwortung  dafür 
trägt  wohl  der  Lehi-er  des  Niketas,  sein  theologisch  gebildeter  Bruder 
Michael,  dessen  Werke  selbst  als  Muster  eines  geschraubten  Predigertons 
gelten  können.  So  sind  die  Bilder  und  Wortvorräte  des  Niketas  meist  den 
heiligen  Schriften  entnommen.  Eine  besonders  reichliche  Sammlung  von 
Metaphern  und  Eleganzen  enthält  die  gespreizte  Vorrede.  Und  doch  ver- 
sichert auch  Niketas,  er  werde  einfach  und  klar  schreiben!*) 

1.  Ausgaben  und  Uebersetzungen  des  Geschichtswerkes:  Ed.  pr.  Hierony- 
mus  Wolf,  Basileae  1557.  -  Wiederholt  s.  1.  1593.  —  Nachdruck  der  latein.  Uebersetzung 
von  Wolf  (mit  Zonaras  etc.)  Lutetiae  1567.  Francofurti  ad  M.  1578.  —  Im  Pariser  Corpus 
ed.  Annib.  Fabrotus,  Paris  1647.  —  Wiederholt  Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus 
reo.  I.  Bekker.  Bonnae  18-35.  —  Wiederholt  bei  Migne,  Patrolog.  Graeca  t.  139  u.  140 
(mit  der  Schrift  De  signis  und  dem  Thesaurus  orth.).  —  Die  auf  die  Kreuzfahrer  bezüg- 
lichen Partien  auch  im  Recueil  des  bist,  des  crois.  Hist.  grecs  t.  I,  Paris  1875.  —  Deutsche 
Uebersetzung  einzelner  Partien  von  Tafel,  Komnenen  und  Normannen,  Ulm  1852  S.  2-32  ff. 
—  Ein  Auszug  aus  Niketas  ist  der  Artikel  von  Fr.  Wilken.  Andronicus  Comnenus.  Raumers 
hist.  Taschenbuch  II  (1831)  431—545. 

Hilfsmittel:  C.  Hopf.  De  historiae  ducatus  Athen,  fönt.,  Bonnae  18-52  S.  66.  — 
Eine  häbsche  Skizze  über  Niketas  und  seinen  abendländischen  Gegenpart  Villehardonin 
verdankt  man  keinem  Geringeren  als  C.  A.  Saint e-Beuve,  Causeries  du  lundi  t.  9  (Paris 
1854)  305—330.  —  B.  Kugle r,  Studien  zur  Geschichte  des  2.  Kreuzzuges,  Stuttgart  1866 

')  Die   eine   derselben,    die    durch    des  Mich.  Akominatos  S.  51.   Unter  den  Werken 

Kaisers  Sieg   über  den  Sultan   von   Ikonion  des  Michael  Akominatos   ed.  Sp.  Lambros 

veranlasst  wurde,   trägt   in    der  Handschrift  I  24  ff.  steht  ein  ^Eyxuiuioy  tii  roy  tiaxäqiov 
den  bezeichnenden  Vermerk :  iis&69T]  de  aa-   •    fitjxQonoXixrft'  Xwyojy  xvQioy  Stxijttty. 
tpr/ytUeg  n'Afigig   rd  nagoy  TiQoccfwyt^ute    diu  *)  Den  Widerspriich  bemerkte  ein  witziger 

Ttjy  Toiy  ((XQOferdjy  t'ia&eyeiay.     Ebenso  Abschreiber,    der  seine  Kritik   in  Versen  an 

klagt  Michael  Akominatos  wiederholt  über  die  den  R^nd  notierte : 

Unfähigkeit  seiner  Diözesankinder  in  Athen,  Ovx  oMce,  xi  (ff^g  iy&dds,  Xa»rft«r«. 

seinen  wohlstilisierten  Reden  zu  folgen.  ^otfoy  x6  acupsg  avyyQc'efptjy  f/Vra  ksytig, 

*)  H.  0.  Coxe,  Catal.  codd.  mss.  biblioth.  E^r«  ygixfwdrj  xai  i}aQ€(9Q<6&t]  yQfi<f(is: 

Hodleianae  1  (Oxonii  18-53)  211.  Ed.  Bonn.  S.  871. 

')  Ueber  den  älteren  Niketas  s.Ellissen, 


88  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 


J 


S.  38 — 43.  —  Hans  von  Kap-IIerr,  Die  abendländische  Politik  Kaiser  Manuels  mit  besj 
Rücksicht  auf  Deutschland.  Diss.  Strassburg  1881  S.  121—131.  -  Carl  Neumann,! 
Griechische  Geschichtschreibcr  und  Geschichtsquellen  im  12.  Jahrhundert,  Leipzig  1888 
S.  103  ff.  —  Sonstige  Litteratur  zum  3.  und  4.  Kreuzzuge.  —  Unzugänglich  blieb  mir: 
Theod.  Uspenskij,  Der  byz.  Schriftsteller  Niketas  Akominatos  Chon.,  Petersburg  1874 
(Russ.),  wie  auch  dessen  Bericht  über  die  Pariser  Handschriften  des  Akominatos  im  Journal 
Minist.  Volksaufkl.  1877,  November  64 — 75  und  seine  Abhandlung  über  die  Kaiser  Alexios 
und  Andronikos  Komnenos,  Journal  Minist.  Volksaufkl.  1881,  März  52—85.  —  Vergleich  ^ 
zwischen  Niketas  und  Villehardouin  von  Salomon  Reinach,  La  fin  de  l'empiro  grec  in 
seinen  Esquisses  archcologiqnes,  Paris  1888  S.  281  —  312. 

2.  Schrift  über  die  Statuen:  Kd.  (nach  Banduri  und  C.  Wolf)  Fr.  Wilken,  Ge- 
schieht« der  Kreuzzüge,  5.  Teil,  Leipzig  li^29.  —  Wiederholt  in  der  Bonner  Ausgabe  des 
Geschichtswerkes  S.  854—868.  —  Vgl.  Gottl.  Heyne's  Abhandlungen  über  die  Kunst- 
Averke  in  Konstantinopel,  Comment.  societ.  reg.  scient.  Gottingensis  11  (1790—91)  3—62 
und  bes.  12  (1792)  273  —  308.  —  F.  C.  Petersen,  Allgemeine  Einleitung  in  das  Studium 
der  Archäologie,  übers,  von  Friedrichsen,  Leipz.  1829  S.  139     149;  324  ff. 

3.  Die  rhetorischen  Stücke  edierte  aus  einem  cod.  Marcianus,  auf  den  schon 
J.  Müller,  Sitzungsbericht  der  phil.-hist.  Gl.  der  Wiener  Akademie  d.  Wiss.  9  (1852)  338 
hingewiesen  hatte,  K.  Sathas,  Msa.  ßip.io9rjxr}  I  (1872)  73-136.  —  Eine  bei  Sathaa 
fehlende  Rede  an  Isaak  Angelos  im  Recueil  des  bist,  des  crois.,  Histor.  grecs  II  (Paris 
1881)  737—741. 

4.  SrjaavQo?  ÖQ&o^oSiccs:  Zuerst  die  ersten  5  Bücher  in  latein.  Uebersetzung  ed. 
F.  Morelli,  Lutetiae  1580.  —  Dann  grössere  Partien  und  zum  Teil  auch  griechischer  Text 
nach  A.  Mai,  Spicil.  Romanum  4  (1840)  398-498  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  139,  1088-1444 
und  140,  9—292.  Eine  vollständige  Ausgabe  fehlt  noch,  weshalb  die  Frage  nach  dem 
Verfasser  des  Werkes  kaum  mit  Erfolg  untersucht  werden  kann.  —  Vgl.  C.  Neumann, 
Griech.  Geschichtschr.  u.  Geschichtsquellen  im  12.  Jahrh.  S.  35. 

5.  Von  dem  Geschichtswerke  des  Niketas  ist  ausser  dem  Originale  eine  verkürate 
und  ziemlich  formlose  vulgärgriechische  Paraphrase  unbekannten  Ursprungs  über- 
liefert, aus  welcher  Fabrotus  ein  (ilossar  der  angeblichen  vocahuln  Graecoharhara  des 
Niketas  zusammengestellt  und  I.  Bekker  ohne  ein  Wort  zur  Aufklärung  des  wahren 
Sachverhaltes  ganz  unnützerweise  seinen  Apparat  belastet  hat.  Wie  wenig  die  geschraubte 
Kunstsprache  der  späteren  Historiker  von  den  eigenen  Zeitgenossen  verstanden  wurde,  be- 
weist nichts  deutlicher  als  diese  volkstümlichen  Uebertragungen,  wie  sie  ausser  zu  Niketas 
auch  zu  Anna  Komnena,  zu  Georgios  Akropolites,  selbst  zu  Geörgios  Monachos 
veranstaltet  wurden. 

35,  Neophytos,  ein  Zeitgenosse  des  Niketas  Akominatos,  mit  dem 
Beinamen  ^EyxXfnaToc,  wurde  um  1134  geboren  und  lebte  als  Priester 
und  Mönch  in  einem  Kloster  seiner  Heimat  Cypern,  Er  schrieb,  wahr- 
scheinlich bald  nach  1191,  einen  Brief  IJegl  rüiv  xaid  rtjv  x  <•>(?«»■  A ''- 
riQov  axaiöiv,  in  welchem  er  die  traurige  Lage  des  cyprischen  Volki'> 
und  der  orthodoxen  Kirche  unter  der  lateinischen  Herrschaft  in  klagondcu 
Tönen  schildert.  Ausserdem  haben  wir  von  ilmi  zehn  Reden  und  eine 
Tvnixrj  öiaO^r^xr^,  d.  h.  Satzungen  für  das  von  ihm  gegründete  Kloster 
tr^g  'EyxXefaTQag,  die,  in  einfacher,  volksmässiger  Sprache  abgefasst,  auf  die 
Lebensführung  byzantinischer  Mönche  wie  auf  cyprische  Dinge  insbesondere 
manches  Licht  werfen. 

1.  Den  Brief  über  das  cyprische  Ungemach  ed.  zuerst  Cotelerius,  Monum.  ecclesiar 
Graecae  II  (1681)  457  ff.;  darnach  wiederholte  ihn  J.  P.  Reinhard.  Vollständige  (teschichtc 
des  Königreichs  Cvpem  II  (1768)  Beylagen  S.  1  ff.  —  Nach  neuer  Kollation  eines  Marcianus 
ed.  K.  Sathas,  Also.  liißXto.'h'jxij  II  (1S73)  1  ff.  Vgl.  seinen  IlQÖkoyoi  S.  Qxß'  f[.  —  Endlich 
nach  einer  neuen  Kollation  der  Hand.schrift  ed.  von  E.  Miller,  Recueil  des  hi.storiens 
grecs  des  croisades  t.  I  (Paris  1875)  2,  559—563. 

2.  TvTiixTj  dtai^rjxT]  nebst  geistlichen  Reden  ed.  Kypriunos,  Venedig  1779;  neuer- 
dings ohne  Kenntnis  der  ersten  Ausgabe  ed.  Edw.  Warren  in  der  Zeitschrift  Archaeologia 
47  (1882—83)  1—40. 

36.  Georgios  Akropolites  wurde  1220  in  Konstantinopel  geboren; 
als  Jüngling  ging  er  12'M)  an  den  griechischen  Hof  nach  Nikäa  und  wurde 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  35—36.)  89 

ilortselbst  von  Theodor  Hexapterygos  und  dem  berühmten  Xikephoros  Blem- 
inydes  wissenschaftlich  ausgebildet,  um  alsbald  in  die  Dienste  des  Kaisers 
zu  treten.  Nach  der  griechischen  Restauration  kehrte  er  nach  Konstanti- 
iiopel  zurück,  von  wo  ihn  Michael  VIII  Paläologos  1274  zum  zweiten  Konzil 
ach  Lyon  entsandte,  um  über  die  Vereinigung  der  occidentalischen  und 
riechischen  Kirche  zu  unterhandeln.  Nachdem  er  1282  noch  eine  Gesandt- 
schaft an  den  Bulgarenkönig  Johannes  Asan  geführt  hatte,  wurde  seine 
Stellung  durch  das  Uebergewicht  der  unionsfeindlichen  Partei  erschüttert 
und  er  starb  als  ein  Opfer  des  schismatischen  Fanatismus  im  Gefängnisse. 
Das  hohe  Ansehen,  das  Akropolites  als  Staatsmann  genoss.  bezeugen  mehrere 
an  ihn  gerichtete  Briefe  des  kaiserlichen  Kanzlers  Nikephoros  Chumnos 
(s.  §  98);  seine  wissenschaftliche  und  litterarische  Bedeutung  feiert  ein 
Enkomion  seines  Schülers,  des  Patriarchen  Gregor  von  Cypern  (s.  §  97). 
Georgios  Akropolites  schildert  in  seiner  Xqovixi]  avyygatfr^  die 
Ereignisse  von  der  Bestürmung  Konstantinopels  durch  die  Lateiner  bis  zur 
byzantinischen  Restauration  (1203 — 1261)  und  gibt  mithin  eine  Fortsetzung 
des  Niketas  Akominatos.  Er  ist  über  den  schwierigen  Stoff  wohl  unter- 
richtet; denn  er  hat  die  Schwankungen  der  lateinischen  Herrschaft  in  Kon- 
stantinopel wie  die  Machtentwickelung  des  griechischen  Kaisertums  in  Nikäa 
zum  grossen  Teil  als  Zeitgenosse  beobachtet  und  in  seiner  Stellung  als 
Gesandter.  Feldherr  und  Grosslogothet  selbst  allenthalben  an  den  Ereig- 
nissen Anteil  genommen.  Seine  Auffassung  ist  nüchtern  und  sachlich,  seine 
Erzählung  aus  inneren  Gründen  glaubwürdig,  auch  wenn  er  nicht  selbst  das 
taciteische  Sine  ira  et  studio  ausdrücklich  als  seinen  obersten  Grundsatz 
bezeichnete.^)  Sein  Stil  ist  sehr  verständlich,  wenn  auch  etwas  kanzlei- 
mässig  plump  und  besonders  im  Satzbau  nachlässig.  Vulgarismen  sucht 
Aki'opolites  wie  fast  alle  Historiker  der  Komnenen-  und  Paläologenzeit 
eifrigst  zu  vermeiden  oder  wenigstens  gelehrt  zuzuschneiden.-)  Das  Werk 
diente  späteren  Chronisten  wie  Ephräm  als  Quelle. 

1.  Akropolites  ist  wie  Niketas  Akominatos  u.  a.  in  einer  doppelten  Fassung  über- 
liefert. Die  vollständige  edierte  Allatius  nach  einer  von  ihm  in  Chios  abgeschriebenen 
Handschrift,  die  verkürzte,  in  der  viele  persönliche  Züge  übergangen  sind,  Theodor  Dousa 
nach  einem  in  Clalata  gekauften  Codex. 

2.  Ausgaben:  Die  verkürzte  Fassung  ed.  pr.  Theod.  Dousa,  Lugd.  Bat.  1614.  — 
Beide  Fassungen:  Graece  et  Latine  ed.  Leo  Allatius,  Paris  1651,  mit  Joel  und  Kananos; 
am  Schlüsse  die  berühmte  Abhandlung  De  Georgiis  eonmique  scriptis  S.  229 — 427.  — 
Wiederholt  Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus  rec.  I.  Bekker.  Bonnae  1836,  mit  den 
Noten  des  Dousa  und  Allatius;  die  kürzere  Fassung  ist  nur  im  Apparate  beigezogen.  — 
Wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  140  (1865)  969—1220.  —  Auf  die  Kreuzfahrer  bezüg- 
liche Partien   auch   im  Rec.  des  historiens  grecs  des  crois.  t.  I  und  II  (Kommentar). 

3.  Ueber  zwei  andere  dem  Akropolites  zugeschriebene  Werke  s.  Leo  Allatius, 
I'e  Georgiis  S.  357  f.  —  Vgl.  M.  Hanke,  De  Byz.  rer.  scriptoribus  S.  542 — 565.  — 
Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  HarL  7,  766-773;  12,  50.  —  C.  Hopf.  De  bist,  duc  Athen, 
fontibus  S.  67. 


')    Ovte    yovy    tiqos    (f96vov,    äXV  wo  er  die  vulgärgriechische  Bezeichnung  des 

ovJe  TiQog   fiiaog    ij    xtil    TiQog    evfoiay  J^sels  yä^uQog  [yatdagog)  einer  auch  in  Glos- 

ovyyQKcpdy    ^Qtoiv   iari    roV    avyyQf'ctfovru,  saren  vorkommenden  Etymologie  zu  liebe  in 

alX   laxogiug  fuöyot'  /dgiy  xid  rov  iiitj  i.r,9tig  {ieidtegog  (icsl-dfQw:   der  stets  Geschundene) 

ßv&M,  TJy  6  xQÖfog  oide  yfyytiy,  naQtedofUjrca  umändert:  'Eni  yag  rotg  dijXois  xai  oi  ciei- 

td  vnö  riywy  yeyeyr/fie'ya,    «iV    i'eya&ä    eiie  dngoi  Xf'yovaiy.   'Hy  d'  iyw  '  tdov  ,M6r«  iwy 

^rA«  Tvy;(((yoiey.     S.  5  ed.  Bonn.  üeiJttQbiy  xai  tj/jelg  avyteTÜy/neDal 

»)  Das  thut  er  z.  l',.  <.  1  '-.  1  ">  ..I.Bonn., 


90  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

37.  Georgios  Pachymeres  (/y«x»'.«fcp>/c)  wurde  1242  in  Nikäa  ge- 
boren, ging  12t)l  nach  der  Vertreibung  der  Lateiner  mit  Georg  Akropolites, 
Gregor  von  Cypern  und  anderen  hervorragenden  Griechen  nacli  Konstanti- 
nopel und  gelangte,  durch  seine  reiche  Bildung  gefördert,  schnell  zu  hohen 
Stellen  in  Kirche  und  Staat.')  Er  starb  um  1310  (jedenfalls  nach  1308). 
lieber  seine  Lebensverhältnisse  spricht  er  selbst  an  mehreren  Stellen  seines 
Geschichtswerkes ;  anderes  erfahren  wir  aus  einer  poetischen  Selbstbiographie 
und  aus  dem  nekrologischen  Gedichte  seines  Schülers  Manuel  Philes.^) 
Der  bedeutende  litterarische  Nachlass  des  Pachymeres  scheint  ziemlich 
vollständig  erhalten.  1.  An  der  Spitze  steht  das  grosse  Geschichtswerk, 
welches  in  13  Büchern  den  Zeitraum  von  1261  (genau  genommen  von 
1255)  bis  1308  umspannt  und  somit  die  unmittelbare  Fortsetzung  des 
Akropolites  bildet.  Pachymeres  schreibt  die  Geschichte  einer  Periode, 
die  er  selbst  erlebte,  und  ist  daher  mit  dem  Stoffe  wohl  vertraut;  seine 
Glaubwürdigkeit  wird  nur  durch  seine  schismatische  Tendenz  etwas 
beeinträchtigt.  Ein  echter  Sohn  der  von  theologischen  Kämpfen  er- 
füllten Paläologenzeit  ist  er  der  erste  byzantinische  Historiker,  bei  dem 
das  Hauptgewicht  auf  die  breite  Ausspinnung  dogmatischer  Streitigkeiten 
fällt;  in  dieser  dialektischen  Manie,  die  das  Werk  zu  einer  qualvollen 
Lektüre  macht,  sind  ihm  Nikephoros  Gregoras  und  Joh.  Kantakuzenos  ge- 
treulich nachgefolgt.  Es  ist,  als  ob  diese  Männer,  von  dem  Elend  der 
politischen  Geschichte  des  Reiches  abgeschreckt,  in  den  abstrakten  Erörte- 
rungen der  damals  alle  Geister  bewegenden  dogmatischen  Fragen  Trost  und 
Erleichterung  gesucht  hätten.  2.  Rhetorische  Sachen:  Tlqoyvpiväa  naxa 
über  die  uralten,  unausrottbaren  Themen  der  Rhetorenschulen,  z.  B.  eine^ 
Chrie  über  den  Satz:  IJärra  td  dyaiyd  iv  [.iöim  im  (fQorfTv  iati;  eine  Be- 
arbeitung des  für  die  Paläologen  allerdings  recht  zeitgemässen  demostheni- 
schen  Ausspruches:  Geld  ist  nötig  und  ohne  Geld  kann  nichts  geförderl 
werden;  ein  xoivvg  tönoc  xard  Xoi^öqov  u.  a.  Daran  schliessen  sich  II 
MeXtrai,  d.  h.  Deklamationen  über  fingierte  Themen  aus  der  Politik,] 
Rechtswissenschaft  und  Moral,  z.  B.  die  ebenso  alte  als  blödsinnige,  schoa| 
von  Synesios'')  verspottete  Aufgabe:  „Ein  Sieger  im  Wettkampfe  verlangt 
als  Ehrengeschenk  die  Tötung  eines  Bürgers.  Die  Stadt  billigt  es.  Es 
zeigt  sich  aber,  dass  er  den  Mann  schon  vorher  getötet  hat  und  er  wird 
des  Mordes  angeklagt.  Wir  studieren  den  Kläger."  Hierher  gehört  auch 
seine  ' ExqqaaiQ  tov  Avyovaiem'og.  Vgl.  i^§  79.  87.  3.  Eine  Schrift  übei- 
das  Quadrivium:  ^vviay^ia  iwv  teoadqMV  fiaO^i^fjidTwr,  dgii/fit^ixi^g,  i^iov- 
ffixfjg,  YSoyfieiQiag  xai  datgorofifag.  Hievon  sind  erst  das  zweite  Buch: 
Tifgl  uQfiovixr^g  ijtoi  fiovatxtjg  und  Stücke  des  vierten  Buches:  "Oqoi  aifni-  . 
Qixr^g  r^tot,  nfgl  daTQoio/xiftg  ediert.  Beide  beruhen  grösstenteils  auf  alten 
Vorlagen,  sind  aber  von  Wichtigkeit  für  die  Geschichte  der  mittolalter-  ; 
liehen  Musik  und  Astronomie.    Vgl.  g  82,  1.     4.  Eine  Reihe  von   exegeti-    | 

')  Er  war  legofit^firny.  nQfoxt'xdixos,  ß«-  ')  //fpi  iwrivitay  cap,  13  (Migne,  Patrol.     (: 

aiXixoi  dix(uo(fvXr4  u.  8.  w.  (Jr.  fiO,   1320):    lloii    üf    eitj   noXaela   yi\n«( 

')  In  den  Ausguhcn  des  Tliilps  von  Worns-  «(Uörer  didovaa  xrciVnt  noXiftjy  üyiinoXitevö- 

dorf  und  Miller;  auch  bei  BoiHHonad^,  l'jicliv-  f^isroy; 
mens  declam.  XIII  S.  253— 2G0. 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  37.)  91 

hen  Traktaten  zu  Aristoteles,  die  in  der  Ueberlieferung  vielfach 
/ trsplittert  und  auch  nur  fragmentarisch  veröffentlicht  sind.  Am  bekann- 
testen ist  die  Periphrase  der  Schrift  Uegi  avoiioiv  YQC(}if.iön',  ein  Kompendium 
der  Logik    und    die  Kommentare  Eiq  rd  7ref.i7TTOv  tmv  ^uereoyookoyixoh',    Eig 

10  TTfQi  if'vxt]?-,  Eh  t6  TtfQt  ^i6o)v  yevYii]at(i)g.  Vgl.  §  82  ff.  5.  Eine  Para- 
}»hrase  zu  den  Reden  und  Briefen  des  Dionysios  Areopagites; 
die  zu  den  Briefen  entstand  auf  Anregung  des  Patriarchen  Athanasios  von 
Alexandria.  G.  Poesien.  Neun  Gesänge  einer  Selbstbiographie  in  Hexa- 
metern. Das  Werk  ist  nicht  ediert,  doch  gibt  Pachymeres  einige  Proben 
desselben  in  seinem  Geschichtswerke.')  Seine  Vorbilder  sind  Homer  und 
Gregor  von  Nazianz,  Weniger  gesichert  scheinen  die  ^ti'xoi  vcfarvoi,  eine 
poetische  Spielerei. 2)  7.  Briefe  von  Pachymeres  sollen  in  italienischen 
Bibliotheken   liegen; 3)  doch  ist  von  denselben  nichts  bekannt  gemacht. 

Pachymeres  ragt  durch  seine  Bildung  und  litterarische  Thätigkeit 
über  seine  Zeitgenossen  empor  und  kann  als  der  grösste  byzantinische 
Polyhistor  des  13.  Jahrhunderts  bezeichnet  werden.  In  ihm  erblickt  man 
deutlich  die  Licht-  und  Schattenseiten  des  Zeitalters  der  Paläologen.  Es 
fehlt  dem  Pachymeres  nicht  an  Originalität  und  Witz;  sein  merkwürdiger 
Einfall,  das  eigene  Leben  in  epischen  Tönen  zu  schildern,  dürfte  sogar  in 
der  Weltlitteratur  ziemlich  einzig  dastehen.  Trotzdem  bringt  er  es  nicht 
mehr  zu  jener  Selbständigkeit  der  Anschauung  und  des  Ausdrucks,  welche 
Männer  wie  Photios  und  Psellos  auszeichnet.  Der  einzige  scharf  aus- 
geprägte Charakterzug  in  ihm  ist  die  schismatische  Tendenz;  doch  wird 
gerade  durch  den  theologischen  Grundton  die  Wirksamkeit  der  humanisti- 
schen Richtung  bei  ihm  noch  mehr  als  bei  Niketas  Akominatos  durch- 
kreuzt. Das  gilt  namentlich  von  seiner  Darstellung,  in  der  sich  das 
bunte  Spiel  homerischer  Phrasen  mit  theologischer  Deklamation  vermischt. 
Obschon  er  wie  Anna  und  ihre  Xachfolger  die  üblichen  technischen  Aus- 
drücke fremder  und  gemeiner  Herkunft  *)  zulässt,  geht  bei  ihm  die  puristi- 
sche Pedanterie  so  weit,  dass  er  auf  Kosten  der  Deutlichkeit  sogar  statt 
der  christlichen  Monatsnamen  die  attischen  gebraucht.^) 

1.  Ausgaben:  Geschichtswerk:  Ed.  pr.  P.  Possinus,  Romac  1666 — 69.  — 
Im  Bonner  Corpus  rec.  I.  Bekker,  2  voll.  Bonnae  1835,  mit  den  Beigaben  des  Possimis 
und  einem  sprachlichen  und  historischen  Index.  —  Rhetorisches:  TlooyvuvdafiaTcc  in  den 
Rhetores  Graeci  ed.  Chr.  Walz  v.  1(1832)  549-596.  —  MeXeTm,  zuerst  die  13.  in  Anecd. 
Gr.  ed.  Boissonade  V  350  fF.;  dann  alle:  G.  Pachymeris  declamationes  XIII  ed.  Fr. 
Boissonade,  Paris  1848  (mit  dem  Philogelos).  — "ExcfQctaig  tov  Aiy.  ed.  Banduri,  Imper. 
Orient.  I  98  fF.;  Nikeph.  Greg.  ed.  Bonn.  II  1217  ff.  —  Quadrivium:  Das  Buch  über  Musik 
ed.  H.  Vincent,  Notices  et  extraits  16  (1847)  2,  362— .553,  mit  einer  Abhandlung  über 
alte  und  mittelalterliche  Musik.  —  Das  Buch  über  Astronomie  ed.  H.  Martin,  Theonis 
Smymaei  Platonici  liber  de  a.stronomia,  Paris  1849,  mit  einer  Darlegung  des  Verhältnisses 

')  Kai  töte  uaTTJQ  xofjuijtrjg  uqi'  eansQag  |   S.  120  ff. 

i^iXafiTtey,  TieQJ  ov  xal  cV  roig  xai'  ifxav-  ')  Villoison  a.a.O.  II  77.    Erwähnt  ist 

TOI'     dl'    eniöf    V7if\uyr]a(c,     ovrot    yQÜtfwy  ein  Brief  des  Pachymeres  im  Kommentare  zu 

'Hdt]  fiey  (f9iyon(OQig  iatjUf()H'ij  enekicvycy  etc.  Nikeph.  Gregoras,  ed.  Bonn.  II  1200,30. 

11  304  ff.  ed.  Bonn.  ■•)    Z.   B.    xofxutQxiov,    (fgegioi    (freres), 

^)  Die  Venez.  Handschrift  gibt  die  geist-  !    nglyrtt]?  (prince),  xoVrof  (conte),  xaßaXXäQioi 

reiche    P^rklärung:    tan    de    ö    v(faiy6/nfyog  |    u.  s.  w. 

tfWjfOf  €eyo)9ey  xüiw  xai  xnrwifey  uyti).    Vil-  '■             *)  Z.  B.   II  146,  1    ed.  Bonn,  fir^yog  'EXn- 

loison,  Anec.  Gr.  II  77  f.,  wo  auch  eine  Probe  ^rjßoXiwyog.     II  249,  11    rafitjkuuy   d'   iyei- 

gegeben  ist.    Ueber  ähnliche  Spielereien  s.  V.  «rriyxft  fxtjy. 
Gardthausen,  Griech.  Paläograpbie  (1879) 


92  Byzantinische  Littcraturgeschichte.     I.  Prosaische  Litteratar. 

zu  den  alten  Astronomen.  —  Zu  Aristoteles:  Abriss  der  gesamten  aristotelischen  Philo- 
sophie bis  jetzt  nur  in  lateinischer  Uebersetzung :  Georgii  Pachyinerii  Hieromnemonis,  in 
universam  fere  Aristotelis  philosophiam  epitome  .  .  .  e  graeco  in  latinum  sermonem  .  .  . 
conversa  a  D.  Philippo  Becchio,  Basileae  1560.  —  JJeQi  fhö/uMf  yQu/jf/oh'  öfter  mit 
Aristoteles  z.  B.  Oper.  Aristot.  nova  editio  ...  ex  bibl.  Is.  Casauboni,  Lugd.  1.590,  t.  I 
745 — 752.  —  'EntTofAij  i^g  'J.  Xoyixrjq:  teilweise  Venedig  1532  bei  de  Sabio  (mit  dem  Kom- 
pendium des  Psellos).  —  Paris  1548  (apud  Vascosanum);  wiederholt  1581.  —  In  latein. 
Uebersetzung;  Rasario  interprete  Vcnetiis  1545;  wiederholt  Lugduni  1547.  -  Zu  den  Mt- 
TEwQoXoyix€(:  Ed.  Em.  Ruelle,  Annuaire  de  l'assoc.  7  (1873)  158—187.  —  Verzeichnis 
sonstiger  Aristotelica  des  Pachymeres  im  cod.  Paris.  2328  bei  A.  Gramer,  Anecd.  Paris. 
I  (1839)392.  ~  Vgl.  C.  Prantl,  Geschichte  der  Logik  I  (1855)  658.  Paraphrase  zu 
Dionys.  Areop.:  Zuerst  zu  den  Briefen  in  lat.  Uebersetzung  ed.  G.  Tilmannus,  Parisiis 
1538.  —  Vollständiger  gricch.  Text  apud  Guil.  Morelium,  Parisiis  1561.  —  Migne,  Patrol. 
Gr.  t.  3  (1857).  —  Ein  Buch  des  Pachymeres  Do  probatione  capitum  soll  Leo  Allatius 
1643  ediert  haben,  doch  hat  niemand  ein  Exemplar  dieses  Druckes  gesehen;  s.  Walz,  Rhet. 
Gr.  I  550.  —  Sammelausgabe  nach  den  älteren  Drucken:  Migne,  Patrol.  Gr.  t.  143 
(1865)  407—1216  und  144  (1865)  1—930  (Geschichte,  'ExrpQ.  rov  Avy.  und  einige  theolo- 
gische Schriften). 

2.  Biographie  und  Werke:  M.  Hanke,  De  byz.  rer.  scriptoribus,  Lips.  1677 
S.  566-578.  -  C.  Hopf,  De  bist.  duc.  Ath.  fontibus  S.  67  f.  —  Bes.  Em.  Ruelle,  Annuaire 
de  l'assoc.  7  (1873)  158 — 166  (der  aber  die  Ausgabe  des  Quadrivium  von  Martin  nicht  kennt). 

3.  Ueber  die  von  Pachymeres  aufgebracht«,  für  das  Nalien  des  Humanismus  recht 
symptomatische  Neuemng  statt  der  christlichen  (römischen)  die  attischen  Monats- 
namen zu  gebrauchen  und  das  hiebei  angewandte  System  handelt  Paul  Tannery,  Revue 
archeologique  III.  serie  9  (1887)  23-36.  Viel  später  (erst  um  1500)  dringt  die  attisch»' 
Nomenklatur  auch  in  die  Subskriptionen  griechischer  Handschriften.  In  früheren  Byzan- 
tinern sind  attische  Monatsnamen  stets  mit  Misstrauen  aufzunehmen;  Tannery  hat  a.  a.  ü. 
schlagend  nachgewiesen,  dass  der  bekannte  Fälscher  Konstantin  Palaeokappa  aus  besonderer 
Absicht  in  einem  Texte  des  11.  Jahrhunderts  die  römischen  Monatsnamen  durch  die  atti- 
schen ersetzte.     Vgl.  V.  Gardthausen,  Griech.  Paläographie  (1879)  S.  400. 

38,  Eine  Ergänzung  zum  Geschichtswerk  des  Pachymeres  bildet  eine 
kleine  Schrift,  in  welcher  Kaiser  Michael  VIII  Paläologos  im  Jahre 
1282  in  apologetischem  Tone  sein  eigenes  Leben  beschrieb;  der  zweite 
Teil  des  Werkes  handelt  über  das  nach  der  Zerstörung  durch  die  Lateiner 
wiederhergestellte  Kloster  des  hl.  Demetrios  und  die  demselben  von  dem 
Kaiser  erteilte  Verfassung  {rvnixri  diccta^ig).  Ueber  den  historischen  und 
litterarischen  Wert  wie  über  die  Authentizität  dieser  kaiserlichen  Auto- 
biographic, die  sonst  nirgends  bezeugt  scheint,  vermag  ich  nicht  zu  ur- 
teilen, da  mir  die  einzige  Ausgabe  unzugänglich  geblieben  ist. 

Ed.  pr.:  Imperatoris  Michaelis  Palaeologi  de  vita  sua  opusculum  necnon  regnlac 
quam  ip.se  monasterio  S.  Demetrii  praescripsit  fragmentum  ed.  G.  Troickij,  Petersburi; 
1885,  mit  russischer  Uebersetzung  und  Kommentar.  —  Berichte  darüber  im  Arch.  slav 
Philol.  10  (1887)  319  f.,  in  der  Revue  archeolog.  III.  serie  7  (1886)  316  ff.  und  am  aus 
führlichsteo  im  .^e'Axlov  rtjg  laxoQ.  xcci   elhyoXoy.  irfeiQtac;  rij? 'F/Akädog  2  (1885  —  89)  521-  53i'>. 

39.  Nikephoros  Kallistos  Xanthopulos  verfasste  im  Anfange  des 
14.  Jahrhunderts  eine  Kirchengeschichte  in  18  Büchern,  die,  vor- 
nehmlich auf  Eusebios,  Sozomenos,  Sokrates,  Theodoretos  und  Euagrios 
beruhend,  bis  zum  Tode  des  Kaisers  Phokas  (610)  reicht.  Von  5  weiteren 
Büchern  ist  eine  Inhaltsanzeige  erhalten,  die  mit  dem  Jahre  911  abschliesst; 
wir  wissen  aber  nicht,  ob  Nikephoros  seine  Geschichte  wirklich  bis  zu 
diesem  Zeitpunkte  fortgeführt  hat.  Jedenfalls  blieb  das  Werk  weit  hintvi 
dem  ursprünglichen  Plane  zurück;  denn  da  der  Verfasser  sein  Befremden 
darüber  äussert,  dass  seit  dem  Ende  des  6.  Jahrli.  (Euagrio.s)  niemand  auf 
den  Gedanken  gekommen  sei,  die  kirclilichen  p]reignis.se  zu  beschreiben, 
müsste  man  eine  bis  zum  Anfange  des  14.  Jahrhunderts  fortlaufende  Kirchen- 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  38—40.)  93 

geschichte  erwarten.  „Aber  auch  in  seiner  unvollendeten  Gestalt  ist  das 
Werk  dadurch  bemerkenswert,  dass  in  ihm  zuerst  die  Idee  einer  allgemeinen, 
den  ganzen  Verlauf  der  katholischen  Kirche  umfassenden  Geschichte  aus- 
gesprochen und  wenigstens  teilweise  zur  Ausführung  gebracht  ist"  (Baur). 
Ausserdem  verfasste  Nikephoros  neben  anderen  kirchlichen  Schriften 
mit  besonderer  Vorliebe  historische  und  litterargeschichtliche  Tabellen  in 
jambischen  Versen,  z.  B.  Verzeichnisse  der  Kaiser  und  der  Patriarchen, 
Elaborate,  die  mit  dem  ausführlichen  Gedichte  des  Ephräm  zu  vergleichen 
sind,  dann  in  dem  gleichen  Masse  eine  ^vro^ug  t»~c  ^ei'ag  yQ^fffi?,  eine 
2vroTiTixt':  TiQog  {htiav  yQU(fi]v  auf  Grund  des  Josephus,  nach  demselben 
Autor  auch  eine  ebenfalls  jambische  "Alwaig  "^IsQovaaXr^t^i,  endlich  Kirchen- 
hymnen und   einen   freilich  sehr   unvollständigen    jambischen   Katalog 

i  derHymnographen,  auch  eine  theoretische  Schrift  über  die  Form  der 
Kirchenhymnen:  ^EQ}ii]veicc  tov  xorraxiov,  rov  oTxov  xul  xov  i'§anoaveikaQioVy 

j    TtoO^sv  ovTwg  ixXijd^r^aav  (s.  §  176). 

Ausgaben:  Nach  früheren  meist  schwer  zugänglichen  Drucken  Gesamtausgabe  von 
Migne,  Patrolog.  Graeca  145  (1865)  549—1331,  146  und  147,  1—632.  -  Zwei  jambische 
Kataloge  der  Kaiser  und  Patriarchen  bei  Labbaeus,  Protrept.  bist.  Byzant.  (dem  Pariser 
Corpus  vorausgeschickt)  S.  34  f.  —  Vgl.  Fabricius,  Bibl.  Graeca,  ed.  Harl.  7,437—444 
(auch  bei  Migne  wiederholt)  und  G.  J.  Voss,  De  historicis  Graecis  (ed.  Westermann,  Lipsiae 
1838)  S.  367  f.,  wo  auch  die  übrige  Litteratur  verzeichnet  ist.  —  Ueber  die  Kirchengeschichte 
s.  F.  Ch.  Baur,  Die  Epochen  der  kirchlichen  Geschichtschreibung,  Tübingen  1852,  32  if.  — 
üeber  die  Quellen  derselben:  Ludw.  Jeep,  Jahns  Jahrb.  14.  Supplementb.  (1885)  98  ff. — 
Zur  üeberlieferung :  C.  de  Boor,  Zeitschrift  für  Kirchengeschichte  6  (1883—84)  482  ff.  — 
Zu  den  jambischen  Katalogen  vgl.  §  65. 

40.  Nikephoros  Gregoras,  der  grösste  Polyhistor  der  zwei  letzten 
Jahrhunderte  von  Byzanz,  wurde  1295  im  pontischen  Herakleia  geboren  ; 
hier  erhielt  er  durch  seinen  Oheim,  den  gelehrten  Metropoliten  Johannes,  den 
ersten  Unterricht.  Als  Jüngling  begab  er  sich  nach  Konstantinopel,  wo 
er  zu  den  höchsten  Kreisen  der  theologischen  Gesellschaft  in  nahe  Beziehung 
trat.  Der  Patriarch  Johannes  Glykys  (s.  §  145),  dem  er  mit  kindlicher 
Anhänglichkeit  zugethan  war,  unterrichtete  ihn  in  der  Rhetorik  und  fand 
an  seinem  Talente  solches  Gefallen,  dass  er  ihm  1320  die  Abfassung  seines 
Testamentes  übertrug.  Von  grösserer  Bedeutung  für  den  Bildungsgang 
des  Gregoras  war  der  vielseitige  Grosslogothet  Theodoros  Metochites 
(s.  §  122),  der  ihn  in  die  Geheimnisse  der  Astronomie  einweihte;  zum 
Danke  interpretierte  Gregoras  mit  den  Kindern  des  Metochites  die  schwierig- 
sten Werke  der  Alten.  Nun  kam  der  junge  Gelehrte  an  den  kaiserlichen 
Hof  und  gewann  das  Vertrauen  des  Andronikos  Paläologos  (1282—1328);  er 
unterbreitete  demselben  1325  einen  wohl  ausgearbeiteten  Plan  zu  einer 
chronologischen  Verbesserung  des  Kalenders;  doch  trug  der  Kaiser 
Bedenken,  die  Reform  durchzuführen,  weil  es  zu  schwer  sei,  die  übrigen 
Völker  zur  Annahme  derselben  zu  bewegen,  i)  Als  1328  der  alte  Andro- 
nikos des  Thrones  entsetzt  wurde,  verlor  Gregoras  nach  der  in  Byzanz 
üblichen  Praxis  als  Parteigänger  desselben  seine  Güter;   doch   wurde   ihm 


')  Später  behandelten  noch  andere  By-  !    Idee  der  Kalenderverbesserung  ausgegangen 

ii     zantiner  wie  Isaak  Argyros  dasselbe  Tliema.  war,   nachdem   dieselbe   durch    Gregor   XHI 

t     Es  ist  eine  merkwürdige  Ironie  des  Schick-  wirklich   durchgeführt  ward,    ihren   Beitritt 

!    sals,  dass  eben  die  Griechen,  von  welchen  die  |   bis  auf  den  heutigen  Tag  verweigerten. 


94  Byzantinische  titteraturgeschichte.    1.  Prosaische  Litteratur. 

das  Los  der  Verbannung  erspart,  welches  unter  anderen  seinen  Freund 
und  Beschützer  Theodoros  Metochites  betraf.  Nach  dieser  Katastrophe  gab 
Gregoras,  der  längst  einen  Kreis  von  Schülern  um  sich  versammelt  hatte, 
seine  öffentliche  Lehrthätigkeit  auf,  um  sich  in  stiller  Zurückgezogenheit 
astronomischen  und  philosophischen  Studien  zu  widmen.  Bald  aber  wurde 
er  durch  einen  Anlass,  der  auf  sein  ganzes  künftiges  Leben  bestimmend 
einwirkte,  von  neuem  an  die  Oeffentlichkeit  gerufen.  Der  lateinische  Mönch 
Barlaam  aus  Kalabrien, ')  ein  in  Philosophie  und  Theologie  wohl  be- 
wanderter Gelehrter,  von  dem  Petrarca  Griechisch  gelernt  hat,  begab  sich, 
um  die  Lehre  des  Aristoteles  gründlicher  studieren  zu  können,  nach  Thes- 
salonike  und  später  nach  Konstantinopel,  wo  er  manche  Schüler  um  sich 
versammelte.  Durch  heftige  Angriffe  Barlaams  herausgefordert,  trat  Gre- 
goras aus  seiner  Abgeschiedenheit  hervor  und  mass  sich  mit  dem  Kala- , 
brcsen  im  dialektischen  Kampfe;  nachdem  er  aus  demselben  als  Sieger 
hervorgegangen  war,  wurde  er  vom  Kaiser  zum  Lohne  in  seine  früheren 
Aemter  und  Würden  eingesetzt  und  auch  für  das  öffentliche  Lehramt  wieder- 
ge\yonnen.2)  Der  Streit  mit  Barlaam  barg  aber  die  Keime  weiterer  Ver- 
wickelungen, welche  Gregoras  zuletzt  in  schweres  Ungemach  stürzten. 
Nach  dem  Tode  des  älteren  Andronikos  (1332)  wurden  die  alten  Versuche 
einer  Wiedervereinigung  beider  Kirchen  erneuert.  Zwei  Abgesandte  des 
Papstes  kamen  1333  nach  Konstantinopel,  um  Verhandlungen  anzuknüpfen. 
Der  Patriarch  übertrug  die  Führung  derselben  dem  Gregoras,  der,  obschon 
Laie,  alle  Bischöfe  an  theologischer  Gelehrsamkeit  und  dialektischer  Ge- 
wandtheit übertraf.  Mit  Eifer  mischte  sich  Barlaam  in  die  Angelegenheit 
und  schrieb,  obwohl  er  ursprünglich  selbst  der  römischen  Kirche  angehörte, 
in  heftigem  Tone  gegen  die  päpstlichen  Gesandten.  Nachdem  der  Plan  einer 
Wiedervereinigung  der  Kirchen  in  den  Hintergrund  getreten  war,  dauerten 
die  Zänkereien  auf  griechischem  Boden  fort.  Verschiedene  Parteien,  deren 
bedeutendste  Wortführer  Barlaam,  Palamas,  Gregoras  und  Akindynos  waren, 
bekämpften  sich  mit  steigender  Erbitterung;  eine  Synode  1341  vermochte 
dem  Zwiste  kein  Ende  zu  setzen,  und  als  1347  Johannes  Kantakuzenos 
den  Thron  bestieg,  entbrannte  der  Fanatismus  der  gegnerischen  Parteien 
durch  die  Teilnahme  des  Kaisers  mehr  als  je.  Nach  mancherlei  Schwank- 
ungen des  Kampfes  wurden  die  Ansichten  des  Gregoras,  der  schliesslich 
den  Patriarchen  und  einen  grossen  Teil  der  höheren  Geistlichkeit  gegen 
sich  hatte,  durch  eine  Synode  1351  verworfen.  Als  er  fortfuhr,  in  Briefen 
an  seine  Freunde  in  Trapezunt  und  Cypern,  besonders  an  Georgios  Lapithes 
(s.  §  207)  sein  Recht  zu  behaupten,  fiel  er  endlich  beim  Kaiser  völlig  in 
Ungnade  und  wurde  in  dem  berühmten  Kloster  Ti]g  XwQag  wie  in  einem 
Gefängnisse  festgehalten  und  streng  bewacht;  erst  nach  zwei  Jahren  ent- 
liess  man  ihn  aus  seiner  Haft.     Endlich  wurde  Gregoras  von  seinen  Geg- 


')  Ueber  das  Leben  dieses  exzentrischen   |   gewicht  auf  Naturwissenschaften,   besonders 


Mannes,  in  dem  sich  italienisches  und  byzan- 
tinisches Wesen  merkwürdig  vereinigt,  vgl. 
Mazzuchelli,  (Jli  scrittori  d'Italia  vol.  il  1, 
369—372  und  Ueberweg,  (ioschicht«  der  Phi- 
losophie 111  rt.  Aufl.  S.  7. 

■•')  Als  Lehrer  legte  (j!regoras  ein  Haupt- 


auf die  Astronomie.  In  einem  schmJthsüch- 
tigen  Pamphlete  wirft  ihm  ein  (Jegner  vor, 
er  habe  keine  \Vis.sensohaft  auf  tler  Zunge, 
nur  seine  Wohnung  sei  voll  von  (Jloben  und 
Linien  und  all  sein  Wissen  sei  auf  Hrett- 
ge.stellen  aufge.sjK'ichert. 


A.  Die  Öeschichtschreiber.  (§  40.)  95 

nern,  die  kein  Mittel  der  Verleumdung  scheuten,  angeschuldigt,  in  seinem 
Werke  ehrenrührige  Lügen  gegen  Kantakuzenos  verbreitet  zu  haben;  er 
fiel  von  neuem  in  Ungnade  und  wurde  walu'scheinlich  abermals  eingesperrt. 
Wann  und  unter  welchen  Umständen  der  viel  gefeierte  und  viel  verfolgte 
Mann  sein  ruheloses  Dasein  beschloss,  ist  nicht  bekannt;  doch  scheint  er 
das  Jahr  1359,  mit  dem  sein  Werk  endet,  nicht  lange  überlebt  zu  haben. i) 
Die  schriftstellerische  Thätigkeit  des  Gregoras  umfasst  nahezu  alle 
Gebiete  des  byzantinischen  Wissens,  vorzüglich  Theologie,  Philosophie, 
Astronomie,  Geschichte,  Rhetorik  und  Grammatik.  Auf  eine  voll- 
ständige Beschreibung  seines  reichen  Nachlasses  muss  hier  verzichtet  werden. 
1.  Für  uns  steht  an  Wichtigkeit  obenan  seine  'Pw/taix/j  iaioQia.  Das 
Werk  schildert  in  37  Büchern  die  Zeit  von  1204  bis  1359  und  bildet 
demnach  teils  eine  Ergänzung,  teils  eine  Fortsetzung  des  Fach yme res, 
der  mit  1308  abschliesst.  Gregoras  hat  die  Ereignisse,  welche  seiner 
eigenen  Zeit  vorausgehen,  nur  summarisch  behandelt;  der  lange  Zeit- 
raum von  1204 — 1320  ist  in  den  ersten  sieben  Büchern  zusammenge- 
drängt. Auch  in  den  übrigen  30  Büchern  ist  die  Darstellung  ungleich- 
massig;  in  der  Schilderung  der  dogmatischen  Kämpfe  wächst  die  Erzählung 
zu  unmässiger  Breite  und  wird  zu  einer  förmlichen  Aktensammlung,  die 
in  den  Verband  der  Geschichte  lose  eingeschaltet  ist.  So  ist  das  Werk 
eine  memoirenhafte  Parteischrift  im  vollsten  Sinne  des  Wortes,  das 
subjektiv  gefärbte  Gemälde  eines  grossartigen  kirchlichen  Gärungsprozesses. 
Seine  Töne  erscheinen  uns  aber  kalt  und  trocken;  denn  wir  können  diesen 
Kämpfen,  die  trotz  des  ungeheueren  Aufwandes  von  Scharfsinn,  Fleiss  und 
Begeisterung  weder  der  Menschheit  noch  der  griechischen  Nation  einen 
erkennbaren  Nutzen  gebracht  haben,  keine  sympathische  Seite  abgewinnen. 
Wie  die  Komposition  so  ist  auch  die  Darstellung  im  Geschichts werke 
des  Gregoras  ungleichmässig,  zuweilen  sogar  nachlässig,  ein  Mangel,  der 
sich  aus  der  wohlverbürgten  Thatsache  erklärt,  dass  er  einen  grossen  Teil 
des  Werkes  unter  höchst  ungünstigen  äusseren  Verhältnissen  verfasste; 
zehn  Bücher  schrieb  er  1352  während  seiner  Haft  in  kaum  40  Tagen. 
Sein  stilistisches  Vorbild  ist  Plato,  den  er  auch  in  seinen  Dialogen  nach- 
ahmt, s^) 


')    Die     barlaamitisclien    Streitigkeiten,  den   Vorwurf  machen,    dass   sie   Stellen    in 

■welche    mit    blinder   Wut    geführt    M-urden,  seinen  Werken  fälschten  und  interpolierten, 

während  die  gefährlichsten  Feinde  den  klag-  um  ihn  nachher   zu  verdächtigen;    er  bittet 

liehen  Ueberrest  des  alten  Reiches  bedrohten,  daher  seine  Schüler  und  Freunde,  die  Exem- 

haben  eine  unübersehbare  Flut  von  Schriften  plare    seiner    Schriften    oft    und    genau    zu 

hervorgerufen,  die  zum  grösseren  Teil  noch  kopieren.   Unter  seinen  Parteigängern  führte 

in  den  Bibliotheken  der  wohlverdienten  Ruhe  neben    Akindynos    vor     allem    Demetrios 

gemessen.     Mehrere   Pamphlete   gegen  Gre-  Kydones  (s.  §  102)  eine  scharfe  Feder.    Er 

goras,  deren  Seichtigkeit  den  Charakter  und  schreibt  z.  13.  an  den  Patriarchen  Philotheos: 

die  Bildung   seiner  Gegner   im  schlimmsten  Was  drohst   du  mir  also?    Willst   du   etwa 

lichte  erscheinen  lässt,   sind  in  der  Bonner  deine    Freundinnen    vei-sammeln,    um    auch 
Ausgabe   des   Gregoras  Praef.  S.  61  ff.   ab-   i    meine  Reden   zu  verbrennen    wie   die   eines 

gedruckt.      Der   Patriarch    Philotheos    wirft  anderen   (des   Gregoras),    der   stets   Tugend 

ihm   seine  paphlagonische  Abkunft  vor   und  und   Wei.sheit    übte    und    den   Glanz   seines 
sagt,  er  sei  noch  schlimmer  als  jene  Paphla-   '    Lebens  durch  die  Widerlegung  deines  Wahnes 

gonier,   die   nur   in    der  Sprache  barbarisch,  erhöhte!    Gregor,  ed.  Bonn..  Praef.  S.  76. 
in    ihren   Sitten    aber    rein    seien.     Solchen  *)  Vgl.  den  Brief  des  Akindynos,  Gregor, 

i  Feinden   konnte   Gregoras    wohl   mit   Recht  ed.  Bonn.  Praef.  S.  70. 


96  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

2.  Der  grösste  Teil  der  übrigen  Schriften  des  Gregoras,  die  sich 
auf  die  meisten  Gebiete  der  byzantinisclicn  Produktion  erstrecken,  liegt 
noch  unediert  in  europäischen  und  orientalischen  Bibliotheken.  Von  der 
Mannigfaltigkeit  ihres  Inhaltes  kann  das  unvollständige  Verzeichnis  Boivins  ^) 
eine  Vorstellung  gewähren.  Es  finden  sich  unter  diesen  wenig  gesichteten 
Massen  Dialoge,  Gebete,  Enkomien,  rhetorische  Schuldeklania- 
tionen,  Reden,  Testamente,  Biographien,  grammatische  Schriften 
wie  eine  Tex^oXoyta  yqa^ifiaTixijq  und  ein  Traktat  IleQ)  6()!}oYQcc(fi'ac,  Exe- 
gesen, so  eine  'Euhouog  s'^r^yt^aig  €ig  xäg  xaO^'  'Ofir^gov  nXävag  xov  \)dvG- 
at'(og,  ein  Kommentar  zu  Synesios  IIsqI  evvTrviwv,  astronomische  Ab- 
handlungen wie  IlfQl  XMV  vßQi^övTWY  VTjV  uavQOYOfn'av,  TlaQctxXrfiixri  ntin 
uaiQoroaiac,  TIuk  du  xavaüxeiml^tiv  äaiQÖXaßov;  selbst  jambische  Poesien 
werden  verzeichnet.  Endlich  hat  Gregoras  wie  fast  alle  hervorragenden 
Byzantiner  der  Paläologenzeit  2)  eine  reiche  Sammlung  von  Briefen  hinter- 
lassen, die  wohl  zunächst  eine  vollständige  Publikation  verdienten.  So- 
lange von  dieser  reichen  Kleinlitteratur  nur  ein  geringer  Teil  und  selbst 
dieser  mangelhaft,  fragmentarisch  und  an  schwer  zugänglichen  Orten  ge- 
druckt ist,  wäre  es  wohl  ein  vergebliches  Bemühen,  das  litterarhistorischc 
und  persönliche  Gesamtbild  dieses  hochbedeutenden  Mannes,  der  wie  wenige 
andere  für  das  Paläologenzeitalter  eine  geistige  Signatur  bildet,  in  seinen 
feineren  Zügen  mit  zuverlässiger  Treue  auszuführen. 

1.  Geschichtswerk:  In  latein.  Uebersetzung  (mit  Zonaras,  Niketas  und  Chalko- 
kondyles)  Lutetiae  1567;  Francofurti  ad  M.  1578.  —  Vom  griech.  Texte  zuerst  Buch  1  11 
ed.  H.  Wolfius,  Basileae  1562.  —  Buch  1-  24  ed.  J.  Boivinus,  2  voll.,  Paiis  1702. 
Wiederholt  Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus  B.  1--23  ed.  J.  Schopen,  2  voll.,  Bonna. 
1829-30;  B.  24—37  ed.  pr.  (nach  einem  von  H.  Brunn  kopierten  Vatic.  und  einem  Paris.) 
I.  Bekker  als  3.  vol.  Bonnae  1855.  —  Das  37.  Buch  (nach  der  Zählung  der  Bonner  Aus- 
gabe das  36.)  ed.  mit  französischer  Uebersetzung  Val.  Parisot,  Notices  et  extraits  17 
(1851)  2,  1—406  (nebst  handschriftlichen  Notizen  und  einem  historischen  Kommentar). 
Zum  Wortschatz  s.  L.  Dindorf,  Jahns  Jahrb.  99  (1869)  466.  —  Zur  sachlichen  Krläutc- 
rung:  Tim.  Florinskij,  Die  Südslaven  und  Byzanz  im  ZAveiten  Viertel  des  14.  Jahrb.. 
2  voll.,  Petersburg  1882  (Russ.). 

2.  Kxegese  zur  Odyssee:  Ed.  P.  Matranga,  Anecdota  Gr.  11  520—531.  - 
R.  Hercher,  Zu  Nikephoros  Gregoras  De  erroribus  Ulixis,  Philologus  8  (1853)  755 — 7."»^ 
gibt  Varianten  aus  einer  Wiener  Handschrift.  —  Kommentar  zu  Synesios:  ed.  Dion 
Petavius,  Opera  Synesii,  Lutetiae  1632  S.  351-429  (auch  1612.  1640).  —  Dialo- 
4'Xu>Qtyrtog  rj  tisqI  aocpictg:  ed.  A.  Jahn,  Jahns  Jahrb.  10  (1844)  485—536;  ebenda  11 
(1845)  387 — 392  Emendationen  zum  Texte.  —  Eine  Rede  an  Kaiser  Andronikos  III 
Paläologos  (1328 — 1341)  ed.  Westermann,  Excerptorum  ex  biblioth.  Paul.  Lipsiensis  libris 
mss.  p.  I,  Progr.  Leipzig  1865.  —  Gedächtnisrede  auf  Theodoros  Metochites:  ed. 
J.  Meursius  in  Theodori  Metochitae  historiae  Romanac  über  singularis,  Lugd.  Bat.  1618. 
—  Lobrede  auf  des  Nikephoros  Vaterstadt,  das  pontische  Heraklea  ed.  C.  N. 
Sathas,  Annuaire  de  l'assoc.  14  (1880)  217—224.  --  Briefe:  Einer  angeblich  in  Opus- 
cula  Theoduli  ed.  L.  Normann,  Upsalae  1693.  —  Ein  zweiter  von  Xav.  Berger,  Aretin's 
Beiträge  zur  Geschichte  und  Literatur  4(1805)609-619.  •  Andere  von  A.  Mustoxydes, 
IvXXoyrj  'EXXTjyixdiy  (ifexdÖTwr,  'Ey  Heyeritf,  6.  Heft;  A.  Craraer,  Anecd.  Oxon.  4  (1837) 
426-432;  Fr.  Boissonade,  Anecd.  Gr.  3  (1831)  187— 199.  -Sammelausgabe:  Migne, 
Patrologia  Graeca  t.  148  (1865)  und  149  (1865)  1—671;  sie  enthält  da.s  Geschichtswork, 
ein  Martyrium,  den  Kommentar  zu  Synesios  Ilegl  iyvnyitoy,  ein  Fragment  des  Dialogs 
Florentios,  16  Briefe. 

3.  Leben  und  Werke:  Boivin,  ed.  Bonn.  Praef.  19—96.  -  Ueber  die  Beziehungen 


')  Ed.  Bonn.  Praef.  44-58.  metrios  Kydones,  Manuel  Paläologos  u.  s.  w. 

'^)  Z.  B.  (iregor  von  Cyponi,  Nikephoros  !  Vgl.  M.  Treu.  Maxinii  mon.  l'lanudis  epiat. 

ChnnmoM.  'i'heodor  Hyrtakenos,  Georgios  I'a-  I  S.  187  f. 

chyuiere.s,   Tliouias  Magiutvr,    i'hinudes,  De-  j 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  41.)  97 

zu  Bailaam  und  Kantakuzenos  s.  J.  Kantakuzenos,  ed.  Bonn.  vol.  I  543 — 557,  lU  171 — 184 
und  sonst.  —  Acta  et  diplomata  Graeca  medii  aevi  edd.  Miklosich  et  Müller,  v.  1 201  —216; 
■_'o8;  243;  490.  —  C.  Hopf,  De  historiae  duc.  Ath.  fönt.  S.  68  f.  —  Vgl.  auch  die  Litteratur 
zu  §  41,  besonders  Parisot. 

41.   Johannes  VI  Kantakuzenos  nimmt  unter  den  Kaisern,  welche 

(He  Geschichte  der  byzantinischen  Litteratur  verzeichnet,  wohl  die  erste 
Stelle  ein.  Durch  seine  Mutter  wie  durch  seine  Gemahlin  mit  den  Paläo- 
lögen  nahe  verwandt,  diente  er  dem  Herrscherhause  als  Grossdomestikos 
und  Präfekt  von  Thrazien.  Als  er  nach  dem  Tode  des  Paläologen  Andro- 
nikos  III  von  der  Hofpartei  völlig  verdi'ängt  zu  werden  drohte,  Hess  er 
-ich  1341  zum  Kaiser  ki'önen,  konnte  sich  jedoch  erst  nach  einem  furchtbar 
verderblichen  dynastischen  Kriege  im  Jahre  1347  der  Hauptstadt  bemäch- 
tigen und  die  Anerkennung  der  Paläologenpartei  für  eine  vormundschaft- 
liche Regierung  erringen.  Noch  im  kräftigsten  Alter  stehend,  wurde  er 
1355  von  dem  rechtmässigen  Thronfolger  Johannes  V  Paläologos  durch 
(inen  kühnen  Handstreich  zur  Abdankung  gezwungen  und  vertauschte  den 
Purpur  mit  dem  Mönchsgewand.  Anfänglich  wählte  er,  als  Mönch  Christo- 
dulos  genannt,  die  fiorij  xwv  Mayyävwv  bei  Konstantinopel  zu  seinem  Auf- 
enthalt, später  ein  Athoskloster;  er  starb  1383  im  Peloponnes  und  wurde 
neben  seinen  Söhnen  in  Misithra^)  begraben.  Während  seiner  unfreiwilligen 
Zurückgezogenheit  widmete  sich  der  vielerfahrene  und  gebildete  Mann 
wissenschaftlichen  Studien  und  litterarischer  Thätigkeit.  Sein  Hauptwerk 
sind  die  4  Bücher  "^laroQiwv,  in  welchen  die  Geschichte  des  byzantini- 
schen Reiches  von  1320 — 1356  (in  einzelnen  Notizen  bis  1362)  dargestellt 
ist.  Die  Einleitung  des  Werkes  bildet  ein  Briefwechsel,  in  welchem  Nilos 
den  Christodulos  auffordert,  seine  Geschichte  zu  erzählen.  Christodulos  ver- 
sichert ganz  ähnlich  wie  Akropolites,  er  werde  sine  ira  et  studio  schreiben 
und  nur  über  Dinge  berichten,  die  er  selbst  erlebt  und  beobachtet  habe.*) 
lieber  seine  Vorgänger,  unter  denen  er  vornehmlich  den  Gregoras  ver- 
steht, fällt  er  ein  strenges  Urteil  und  wirft  ihnen  absichtliches  Verschweigen 
der  Wahrheit  vor.  Allein  seine  eigene  Objektivität  scheitert  an  derselben 
Klippe,  welche  der  historischen  Treue  seines  grossen  Gegners  im  Dogma 
gefährlich  wurde.  Auch  er  schildert  Ereignisse,  in  welchen  er  selbst  eine 
bedeutende,  zum  Teil  die  erste  Rolle  spielte.  So  wird  sein  Werk  in  einem 
noch  höheren  Grade  als  das  des  Gregoras  zur  Parteischrift,  zu  einer 
grossen  Apologie  seiner  eigenen  Wirksamkeit.  Durch  diese  einseitige  Be- 
tonung seiner  Person  leidet  nicht  nur  die  Richtigkeit,  sondern  auch  die 
Vollständigkeit  und  Uebersichtlichkeit  der  Darstellung.  Wir  erfahren  zwar 
eine  Menge  hübscher  Details,  und  manche  Ereignisse  wie  der  nächtliche 
Marsch  auf  Konstantinopel  (1328)  werden  sogar  lebensvoll  und  genau  ge- 
schildert;  es  kommt  aber  nicht  zu  einer   pragmatischen  Verarbeitung  des 


')  Misithra  in  Lakonien  spielte  im  letzten 
Jahrhundert  des  byzantinischen  Reiches  als 
Sitz   eines   griechischen   Despotats   eine   be- 


Stadt Athen  II  (1889)  280  ff. 

*)  Ov  yiiQ  tcTiB^f^eUt  rivi  rj  {piXUt, 
e^  loy   ro   xf/evöog    ini    tioAv    lixrerai,    tjqos 


deutende  Rolle  und  wurde  zu  einem  Sammel-    i    tovtovs  v7ijjx9T]y  rovs  Xöyovg,  ukX'  ähj9eiag 
platz  von  Edelleuten  und  Gelehrten,  der  sich    ■    i'ysxa    xai   Trpof   t(Xt]9eiai    iQaatrjv    xovxovg 
mit   italienischen    Fürstenhöfen    vergleichen       rtoiovudi  u.  s.  w.     Vol.  I  10  ed.  Bonn, 
lässt.     S.  F.  Gregorovius,  Geschichte  der   , 

BkLdliQcb  der  klaaa.  Altertiuuawlsaeiischaft    IX.     1.  Abtlg.  7 


98  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

ganzen  Stoffes;  grosse  Partien  bleiben  in  völligem  Dunkel,  und  über  den 
ins  Licht  gestellten  herrscht  die  ziemlich  unverhüUte  Tendenz,  alles,  was 
Kantakuzenos  und  seine  Freunde  thaten,  als  gut,  klug  und  rechtlich  dar- 
zustellen. Um  diese  kaiserlichen  Memoiren  für  geschichtliche  Forschung 
verwerten  zu  können,  ist  eine  stete  Vergleichung  mit  anderen  zeitgenös- 
sischen Berichten,  vor  allem  mit  Gregoras  unerlässlich ; ')  beide  Werke  er- 
gänzen und  berichtigen  sich  gegenseitig,  nicht  bloss  in  der  Tendenz,  son- 
dern auch  stofflich;  denn  Gregoras  erzählt  auch  die  äussere  Geschichte, 
während  Kantakuzenos  sich  fast  völlig  auf  die  inneren  Streitigkeiten  be- 
schränkt. Das  beste  Urteil  über  Kantakuzenos  hat  Gibbon 2)  ausge- 
sprochen: „Der  Name  und  die  Stellung  des  Kaisers  J.  Kantakuzenos 
flössen  uns  wohl  das  lebhafteste  Interesse  ein.  Seine  Memoiren  über 
40  Jahre  erstrecken  sich  von  der  Erhebung  des  jüngeren  Andronikus 
bis  zu  seiner  eigenen  Abdankung,  und  man  bemerkt,  dass  er  wie  Moses 
und  Caesar  in  den  Szenen,  die  er  beschreibt,  die  wichtigste  Rollo 
spielte.  Doch  suchen  wir  in  diesem  beredten  Werke  vergebens  die 
Aufrichtigkeit  eines  Helden  oder  eines  Büssers.  Er  hat  sich  von  den 
Lastern  und  Leidenschaften  der  Welt  in  ein  friedliches  Kloster  zurückge- 
zogen, bietet  uns  aber  keine  Beicht,  sondern  eine  Apologie  des  Lebens 
eines  ehrgeizigen  Staatsmannes.  Anstatt  die  wahren  Absichten  und  Cha- 
raktere der  Personen  zu  entfalten,  entwickelt  er  uns  nur  die  glatte  und 
glänzende  Oberfläche  der  Geschehnisse,  die  mit  seinem  und  seiner  Freunde 
Lob  überreichlich  aufgeputzt  ist.  Ihre  Motive  sind  immer  rein,  ihre  Zwecke 
immer  legitim;  sie  verschwören  sich  und  rebellieren  ohne  selbstsüchtiges 
Interesse;  die  Gewalt,  welche  sie  üben  oder  ertragen,  wird  als  die  spon- 
tane Wirkung  der  Vernunft  und  Tugend  gefeiert".  Ganz  richtig  sagl 
auch  Paris ot:  „Die  Details  sind  wahr;  das  Ganze  aber  täuscht  oder  sucht 
zu  täuschen". 

In  formaler  Hinsicht  hat  das  Werk  bedeutende  Vorzüge;  es  ist 
einheitlich  in  der  Komposition,  im  Tone  und  in  der  Entwickelung.  Der  ' 
Grund  dieses  straffen  Zusammenhanges  liegt  vornehmlich  darin,  dass  sich 
das  Ganze  um  einen  festen  Mittelpunkt  gruppiert,  um  die  Person  des 
Verfassers.  So  handelt  das  erste  Buch  über  Kantakuzenos  als  Günstling 
des  präsumtiven  Thronerben,  das  zweite  über  Kantakuzenos  als  ersten 
Staatsminister,  das  dritte  über  Kantakuzenos  als  Mitbewerber  um  den 
Thron,  das  vierte  endlich  über  Kantakuzenos  als  Regenten  und  über  die 
Ursachen  seines  Falles.  In  seiner  Sprache  verrät  Kantakuzenos  nicht 
eine  so  umfassende  Belesenheit  wie  Gregoras;  er  schreibt  aber,  vielleicht 
gerade  deshalb,  etwas  einfacher  und  verständlicher.^)  Ausser  dem  Ge- 
schichtswerke verfasste  der  Kaiser  eine  grosse  dogmatische  Schrift  gegen 


')  Die  Hauptstellp    über   das  Verhältnis  '<    Kanhikuzenos  schon  verkörpert;  der  erstore 

des  K.  zu  (iregoras  ist  B.  IV  24  f.  (vol.  111  I    folgt   dem    IMato,    der   letztere    konnuentiert 

171  — 184    ed.    Bonn.).     Wie    sich    beide    im  aristotelische  Schriften. 

Leben  schroff  gegenüber  standen,  so  ist  auch  *)  Hist.  of  the  decl.  chapter  Cy'A. 

in     ihrer    wissenschaftlichen    Richtung     ein  *)  Trotz  seines  kla-ssischen  Tones  enthiilt 

Gegensatz  bemerkbar.     Selbst  der  spjlter  so  das    Werk    eines    der    fdUiesten    Denkmiiler 

bedeutsam  gewordene  Streit  zwischen  Aristo-  der    vulgilrgriechisdien     l'rosa;    es    ist    ein 

t^likcm  und  Platonikem  ist  in  Gregoras  und  '   Brief  des   Sultans    an   den    Kaiser,    den    K. 


A.  Die  Geschichtschreiber.   (§  42.)  99 

die  Juden  und  Mohamedaner  und  eine  Paraphrase  der  ersten  fünf  Bücher 
der  Nikomachischen  Ethik, 

1.  Ausgaben:  Geschichtswerk.  Zuerst  lateinisch  ediert  von  Jac.  Pontanus, 
Ingoist.  1603.  —  Dann  von  einem  Ungenannten  Graece  et  Latine,  3  voll.  Paris  1645.  — 
Wiederholt  Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus  ed.  J.  Schopen,  8  voll.  Bonnae  1828—32 
mit  den  Beilagen  der  Pariser  Ausgabe:  der  Text  ist  gefördert  durch  Emendationen  von 
Niebuhr  und  Heinrich  Grauert.  —  Wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  153  und  154  (1866J 
mit  den  Schriften  gegen  Barlaam,  Mohamed  u.  a. 

2.  Hilfsmittel:  M.  Hanke,  De  byzant.  rer.  scriptor.  S.  602—626.  —  J.  von 
Hammer,  De  byz.  bist,  ultim.  scriptor.  ex  bist.  Osmanica  elucidandis,  in  den  Comment. 
societatis  reg.  scient.  Gottingensis,  cl.  bist,  et  phil.  6  (1823—27)  233—252.  —  Zur  sach- 
lichen Erläuterung  das  S.  96  zitierte  Werk  von  T.  Florinskij  und  desselben  Verf. 
Schrift:  Andronikos  der  Jüngere  und  Johannes  Kantakuzenos,  Journ.  Minist.  Volksaufkl. 
1879,  Juli  87-143,  August  220-251,  Sept.  1-48.  Vgl.  Archiv  slav.  Phil.  4  (1880)  716.  — 
Den  Bericht  des  Kantakuzenos  über  die  Krönung  Andronikos  III  (1325)  illustriert  W.  Fischer, 
Eine  Kaiserkrönung  in  Byzantion,  Zeitschr.  für  allgemeine  Geschichte  4  (1887)  81-102.  — 
Hauptschrift:  Val.  Parisot,  Cantacuzene,  homme  d'etat  et  historien,  Paris  1845. 

3.  Eine  von  Johannes  Komnenos  verfasste  Biographie  des  Joh.  Kantakuzenos, 
die  durch  Ergänzung  einiger  Lücken  des  Geschichtswerkes  des  Kant,  von  Wert  sein  soll, 
veröffentlichte  Chr.  Loparev,  Petersburg  1888  (mir  unzugänglich).  —  Ueber  diesen 
Johannes  Komnenos  (1657—1719),  der  für  den  letzten  Sprössling  des  Kaiserhauses  der 
Komnenen  gehalten  wird,  s.  die  Untersuchung  von  A.  PapadopulosKerameus,  Jelrioy 
rijg  ioTOQ.  xcd  s&yo'Aoy.  iratglug  T^c  'Ekkü&og  2  (1885  —89)  667 — 679. 

42.  Johannes  Kananos  ergriff  aus  einem  ähnlichen  Anlasse  die 
Feder  wie  einst  Theodosios  von  Syrakus  und  Johannes  Kameniates.  Im 
Sommer  des  Jahres  1422  hatte  Murad  II  beschlossen,  dem  Reste  des 
Rhomäerreiches  den  Todesstoss  zu  versetzen.  Er  sammelte  gegen  50000 
Krieger  vor  der  Stadt  und  unternahm  am  24.  August  einen  Sturm  auf  die 
Mauern;  doch  wurden  die  Türken  durch  die  tapfere  Gegenwehr  des  Volkes 
zurückgeschlagen  und  verloren  sogar  ihre  Belagerungsmaschinen.  Als  bald 
darauf  der  Bruder  Murads  mit  einem  Heere  vor  Brussa  erschien,  um  sich 
des  Thrones  zu  bemächtigen,  sah  sich  der  Sultan  genötigt,  die  Belagerung 
aufzuheben.  Kananos,  der  die  Rettung  der  Stadt  wie  einst  der  Patriarch 
Sergios  der  Hilfe  der  hl.  Jungfrau  zuschreibt,  schildert  das  Ereignis  in 
einer  Schrift,  die  den  Titel  führt:  ^Icodrrov  rov  Kavavov  dn]yi]ai<;  Tiegl  rov 
€V  KioraiavTivoimöXei  ysyovärog  noktfiov  xazd  to  q'^X'  i'vog,  ut€  o  'AfiovQcig 
neig  naQhnsüs  ravrtj  fisTcc  Svväfieojg  ßaqsiag  xal  naq  oXiyov  Tavtr^v  sxQcersi, 
«  /{/]  i]  vTitQayvog  }.irjVi]Q  rov  xvQiov  xavzr^v  e<fvXa^e.  Kananos  ist  ebenso- 
wenig Historiker  von  Fach  wie  Theodosios  und  Kameniates;  er  versteht 
nicht  einmal  die  byzantinische  Kunstsprache  zu  gebrauchen;  aber  gerade 
die  Naivität  seiner  Diktion  verleiht  dem  Schriftchen  Reiz.  Merkwürdig 
ist,  dass  die  Darstellung  sich  im  Verlaufe  der  Erzählung  immer  mehr  dem 
Vulgären  nähert,  bis  der  Verfasser  endlich  bei  der  Beschreibung  des 
Hauptsturmes  sich  ganz  vergisst  und,  von  der  Erregung  fortgerissen,  jede 
Rücksicht  auf  die  schriftsprachliche  Konvenienz  bei  Seite  setzt.  So  ge- 
winnt die  Darstellung  trotz  des  weinerlichen  Tones  und  trotz  ihrer  Plump- 
heit eine  gewisse  Frische  und  wird  anschaulicher  und  verständlicher  als 
die    rauschenden    Periodenströme    mancher    Kunsthistoriker    von    Byzanz. 


Wortlich  mitteilt  (B.  rV^  14  =  vol.  III  94—99  i  Form  vom  Sultan  aus;  das  zeigen  sobon  die 

ed.  Bonn.).    Parisot  meint,  der  Brief  sei  erst  j  Worte,  mit  denen  das  Scbriftstück  angofübrt 

von    K.    ins    Griechiscbe    übersetzt    worden;  '  wird:  infftne  di  xrd  TiQog  -inailia  ynduuiaa 

er  ging  aber  sicher  in  der  vulgärgriechischen  ^  ovxvjg  l^ovTa  iy  Xs^ei. 


100  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Wäliiend  jene  durch  ihre  Pedanterie,  Völker,  Orte,  Zeiten  und  sonstige 
Begriffe  mit  attischen  Ausdrücken  zu  belegen,  häufig  undeutlich  werden,  er- 
fahren wir  aus  Kananos  die  authentischen  Namen  von  Truppengattungen, 
Waffen,  Belagerungswerkzeugen  u.  s.  w. 

YA.  pr.  Leo  Allatius,  Paris  1651  (mit  Joel  und  G.  Akropolites).  —  Im  Bonner 
Corpus  ed.  I.  Bekker,  Bonnae  1838  (mit  G.  Phrantzes  imd  J.  Anagnostes).  —  Wiederholt 
bei  Migne,  Patrol.  Gr.  156  (1866).     Vgl.  §  78. 

43.  Johannes  Anagnostes  aus  Thessalonike  beschrieb  auf  Ersuchen 
einer  hohen  Persönlichkeit  die  Eroberung  seiner  Vaterstadt  durch  die 
Türken  im  Jahre  1430:  ^tj^yryc/g  ttsqI  rrjg  vekevraiag  dkcöasmg  Ttjg  Geaau- 
Xovixijg  (TvvTsO-fTüa  nqög  riva  twv  cc^ioXöybH'  nokXäxig  ahr^aavTa  negl  tavTr^g, 
iv  ircnößfi).  Chronologisch  steht  Anagnostes  dem  Kananos  nahe,  der  kurz 
zuvor  einen  verwandten  Gegenstand  geschildert  hatte.  Doch  sind  beide  in 
der  Behandlung  ihres  Stoffes  ziemlich  verschieden.  Während  Kananos  in 
volkstümlicher  und  naiver  Weise  seine  Eindrücke  wiedergibt,  strebt  Ana- 
gnostes sichtlich  nach  kunstgemässer  Gruppierung  und  reinlicher  Gräzität. 
Seine  Erzählung  ist  im  ganzen  sachlich  und  glaubwürdig;  abgesehen  von 
der  Einleitung,  wo  er  in  einen  weinerlichen  Predigerton  verfällt,  hält  er 
sich  von  Uebertreibung  und  Deklamation  ferne.  Die  üblichen  Zitate  aus 
Homer  und  der  hl.  Schrift  hat  er  mit  den  Fachhistorikern,  denen  er  nach- 
eifert, gemein. 

Ed.  pr.  Leo  Allatius,  Ivfifxixxa,  Coloniae  Agripp.  1653.  —  Mit  Genesios  Venedig 
1733.  —  Im  Bonner  Corpus  ed.  I.  Bekker,  Bonnae  1838  (mit  Phrantzes  und  Kananos).  — 
Wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  156  (1866). 

44.  Laonikos  Chalkokondyles  stammte  aus  einer  vornehmen  Familie 
Athens,  welche  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  durch  die  dynastischen 
Fehden  der  fränkischen  Beherrscher  vertrieben  nach  Italien  flüchtete. 
Laonikos  verblieb  in  Griechenland  und  hatte  reichliche  Gelegenheit,  die 
blutigen  Kämpfe  der  fränkischen  und  griechischen  Herren  unter  sich  und 
mit  den  Türken  aus  der  Nähe  zu  betrachten.  Als  Gesandter  an  Murad  II 
wurde  er  von  demselben  gefangen  gehalten;  dasselbe  Los  erlitt  er  zum 
zweiten  Male  1446  als  Abgesandter  des  Despoten  von  Lakonien  Konstantin 
Dragasis.  lieber  seine  weiteren  Schicksale  ist  nichts  bekannt;  doch  er- 
lebte er  noch  den  Fall  von  Konstantinopel  und  Trapezunt  (1461).  Laonikos, 
der  einzige  Athener,  den  die  byzantinische  Litteraturgeschichte  kennt, 
verfasste  10  Bücher  'latogiMv  über  die  Zeit  von  1298 — 1468.  Der 
fundamentale  Unterschied  dieses  Werkes  von  allen  früheren  Leistungen 
der  byzantinischen  Geschichtschreibung  liegt  in  der  Thatsache,  dass  hier 
nicht  mehr  Byzanz,  sondern  der  türkische  Staat  im  Mittelpunkte  der 
Erzählung  steht.  Laonikos  schildert  nicht  den  Todeskampf  des  griechischen 
Kaisertums,  nicht  die  kleinlichen  Intriguen  und  die  dogmatischen  Streitig- 
keiten der  Byzantiner  wie  Gregoras  und  Kantakuzenos,  sondern  ein  grosses 
und  neues  Thema,  die  ungeheuere  Machtentwickelung  des  jungen  Osmanen- 
reiches,  das  sich  auf  den  Trümmern  griechischer,  fränkischer  und  slavi- 
scher  Herrschaften  aufbaute.  In  der  Einleitung  gibt  Laonikos  eine  sehr 
klar  gefa-sste  Uebersicht  der  Weltgeschichte  von  den  Assyriern  bis  zum 
13.  Jahrhundert.     Die  geschickte  Erörterung  des  Ueberganges  vom  Helle- 


A.  Die  Geschichtachreiber.    (%  43—44.)  101 

nismiis  zum  Byzantinertum,  die  scharfe  Trennung  der  Begriflfe  Römer  und 
Khomäer  und  die  besonnene  Darlegung  der  Unionsversuche  machen  seinem 
geschichtlichen  Verständnis  alle  Ehre.  Nachdem  er  noch  den  geringen 
Umfang  des  byzantinischen  Reiches  am  Schlüsse  des  13.  Jahrhunderts  be- 
sclirieben  hat,  entwickelt  er  seinen  Plan,  die  Erstarkung  des  Türkentums 
zu  schildern.  ^) 

Der  Stoff,  welchen  sich  der  athenische  Historiker  gewählt  hat,  ist 
wohl  der  grossartigste,  aber  auch  der  schwierigste,  der  in  der  gesamten 
liyzantinischen  Geschichtschreibung  vorkommt.  Seine  Vorgänger  schildern 
Ereignisse,  die  von  dem  grossen  Mittelpunkte  Konstantinopel  ausgingen 
und  stets  auf  ihn  zurückliefen:  das  zentralistische  System  hat  ihnen  ihi-e 
Aufgabe  wesentlich  erleichtert.  Laonikos  dagegen  stellt  eine  Epoche  dar, 
in  welcher  die  byzantinischen  Dinge  in  der  Geschichte  der  Türken,  Franken, 
Slaven  und  der  griechischen  Despoten  versinken.  Der  Schwerpunkt  ver- 
legt sich  nach  dem  jeweiligen  Standlager  der  osmanischen  Machthaber; 
die  militärischen  und  politischen  Bewegungen  gehen  nicht  mehr  von  der 
alten  Bosporusstadt  aus,  sondern  eilen  von  stets  wechselnden  Punkten  bald 
auf  Byzanz,  bald  auf  die  übrigen  noch  selbständigen  Gebiet«  von  Osteuropa. 
Dass  die  Völker,  welche  die  Neugestaltung  der  Dinge  übernahmen,  fremde 
Idiome  sprachen,  musste  die  Schwierigkeit  einer  genauen  Information  be- 
deutend erhöhen.  So  versteht  man,  dass  es  selbst  einem  Talente  wie 
Chalkokondyles  nicht  gelingen  wollte,  den  fremdartigen,  von  keinem  Vor- 
gänger gesichteten  Stoff  gleichmässig  zu  durchdringen  und  zu  einem  deut- 
lich abgerundeten  Gesamtbilde  zusammenzufassen.  Die  störende  Ungleich- 
heit, mit  der  er  die  Ereignisse  behandelt,  hat  thatsächlich  ihren  Haupt- 
grund im  Ueberfluss  oder  im  Mangel  an  Material;  wenn  er  z.  B.  über  die 
wichtigen  Kämpfe  des  Königs  Mathias  gegen  die  Türken  auffallend  schnell 
hinweggeht,  dagegen  die  peloponnesischen  Wirren  an  dieser  Stelle  wie  im 
ganzen  Werke  ausführlich  behandelt,  so  thut  er  es  nur,  weil  er  über  die 
Angelegenheiten  im  Norden  weniger  unterrichtet  ist  als  über  die  in  Morea, 
die  er  zum  grossen  Teil  selbst  beobachten  konnte.  Ganz  ungerecht  wäre 
es,  ihm  gar  seine  fabelhaften  Berichte  über  die  Völker  von  Mitteleuropa 
vorzuwerfen:  dieselbe  Mischung  von  Wahrheit  und  Dichtung  über  fremde 
Völker  findet  sich  auch  in  den  abendländischen  Werken  des  15.  Jahr- 
hunderts. Charakteristisch  für  die  geographischen  Anschauungen  seiner 
Zeit  sind  die  Exkurse  über  Frankreich,  England  und  Deutschland,  die  er 
bei  der  Erwähnung  der  griechischen  Versuche,  vom  Abendlande  Hilfe  zu 
erlangen,  einreiht.  Freilich  leidet  auch  bei  ihm  die  Deutlichkeit  der  ethno- 
graphischen Angaben  durch  die  in  Byzanz  übliche  Sitte,  statt  der  zeit- 
genössischen   Bezeichnungen    altgriechische    Namen    anzuwenden,  2)      Die 

')  S.  5  ed.  Bonn,  w?  ovy  exaatn  rovitav  \  baller;  beachtenswert  ist,  dass  die  Franzosen 

cvysßtjysyea&ai,  (6?  Tfirtüy'EXXtiyütyTiQäytiaTft  !  oft    rsQfiayoi,    die    Deutschen  'JXauayoi   ge- 

xoT«  ßQnx*'  (inwXtTo  (f^eiQÖ^ueyci  ino  TovQxtoy,  '■  nannt   werden.     Ueber    die   ethnographische 

X€(i    ois    T(i    ixelyioy    ueyaktc   iysyeio,  \  Nomenklatur  der  Byzantiner   vgl.  Parisot, 

iifjiiya  dei  ig  röytfe  tov  xQÖyoy  iöyTu  Notices  et  extraits  17.  2.  123;    H.  Krause, 

n'd€fifioyias,  iniuyrjaöfit^a  irteciöyteg,  i(p'  Die  Byzantiner  des  Mittelalters  S.  156 — 165 

Toy  dt]  ig  rö  dxQißiaxaQoy  inv&öfjie&a.  und    bes.   AI  fr.  Karabaud.    L'empire   Grec 

*)  Die  Türken   heissen    im   hohem   Stil  1  au  dixieme  siecle  S.  308  —  405;    für  die  Be- 

l'erser,  die  Russen  Skythen,  die  Serben  Tri-  j  nennungen  der  slavischen  Völker  s.  Georg 


102  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

schwächste  Seite  des  Laonikos  ist  vielleicht  seine  Chronologie;  er  bedarf 
hier  gar  sehr  der  Kontrolle  durch  Dukas,  Phrantzes  und  andere  zeitgenös- 
sische Quellen. 

In  seiner  Darstellung  hat  Chalkokondyles  noch  viel  gründlicher  als 
seine  nächsten  Vorgänger  mit  der  byzantinischen  Tradition  gebrochen;  er 
nimmt  sich  ganz  bcwusst  und  ernsthaft  den  Herodot  und  Thukydides  *) 
zum  Vorbild.  Seine  Versuche,  um  jeden  Preis  in  ihrem  Stile  zu  schildern, 
machen  seine  Sprache  undurchsichtig  und  schwerfällig;  er  ringt  mühsam 
nach  dem  Ausdrucke  und  kann  das  richtige  Wort  nicht  immer  finden. 
Von  Barbarismen  und  Dunkelheiten  ist  er  frei,  dafür  leidet  er  aber  wie 
alle,  die  ein  künstlich  angelerntes  Idiom  verwenden,  an  Dürftigkeit  und 
Monotonie;  die  Verbindung  der  Sätze  beruht  auf  einförmigen  Schemen, 
und  gewisse  Lieblingswörter  kehren  zum  Ueberdruss  oft  wieder.  Dazu 
verrät  dieses  Griechisch  einen  ganz  modernen  Sprachgeist;  viele  Stellen 
lesen  sich  genau  wie  das  misslungeue  Altgriechisch,  dessen  sich  manche 
Griechen  der  Gegenwart  befleissigen;  Wörter  und  Formen  sind  alt,  der  Ge- 
dankengang, die  Verbindung,  oft  auch  die  Phraseologie  bleiben  modern. 
Deutlicher  als  je  zuvor  zeigt  sich  bei  Laonikos,  wie  selbst  ein  Grieche  das 
Altgriechische  nur  äusserlich  erlernt  und  nicht  mehr  geistig  zu  beleben 
weiss.  Bei  alldem  spiegelt  sich  in  seinem  aufrichtigen  Streben,  der  Herodot 
des  15.  Jahrhunderts  zu  werden,  der  Morgenstrahl  des  heranbrechenden 
neuen  Tages.  Durch  seinen  Bruder  Demetrios,  der  die  erste  Ausgabe  der 
Ilias  besorgte  und  die  für  das  Studium  des  Griechischen  im  Abendlande 
wichtigen  'EQwrrjfxaia  abfasste,^)  ist  der  Name  Chalkokondyles  für  immer 
mit  den  Anfängen  des  Humanismus  verknüpft.  Dass  aber  auch  Laonikos, 
obschon  er  durch  seinen  Lebensgang  und  seine  litterarische  Thätigkeit  den 
Wirren  des  Orients  näher  stand  als  den  Gelehrtenkreisen  Italiens,  die 
Regung  des  neuen  Geistes  verspürte,  beweist  seine  Form,  seine  allgemeine 
Anschauung  und  manche  einzelne  Aeusserung.  Seine  Rechtfertigung  des 
Gebrauches  der  altgriechischen  Sprache,  die  über  den  ganzen  Erdkreis  ver- 
breitet sei,^^)  bezieht  sich  offenbar  auf  den  Beginn  der  griechischen  Studien 
im  Abendlande.  Sein  Panegyrikus  auf  die  Hellenen"*)  liest  sich  wie  eine 
Stelle  aus  einem  italienischen  oder  französischen  Humanisten.  Wie  der 
Stoff,  den  Laonikos  darstellt,  zum  Teil  schon  über  den  tragischen  Schlussakt 
der  byzantinischen  Geschichte  hinausfällt,  so  blickt  auch  seine  Auffassung 
des  Hellenismus  in  das  Zeitalter  der  durch  griechische  Flüchtlinge  auf 
italischem  Boden   vorbereiteten  Wiedergeburt   des   klassischen  Altertums. 


Krek,  Einleitung  in  die  slavische  Literatur- 
geschichte, 2.  Aufl.,  Graz  1887. 

')  Wie  Thukydides  hobt  er  feierlich  an: 
ylaofixM  'J&t]f€ciio  juiv  xtttu  jov  ßiov  ol  ig 
t^f'ay  re  x«t  (ixotji^  ncpiyfxeyioy  ig  iatoQiny 
^vyyiyQnnrat   räds. 

*)  Ilias,  Florenz  1488;  'KgtoTtjfiara,  Mai 


lingo  über  ein  griechisches  Reich 
herrschen  werden,  klingt  wie  eine  Pro- 
phezeiung der  in  unserem  .lahrhundert  er- 
rungenen Wiedergeburt  des  hellenischon  N'ol- 
kes:  xui  xXe'og  fih'  aviij  (sc.  jfj  'KXXtjrixfi 
(pun'f'l)  /Mfy«  ro  TiaQaviixa,  ufiCoy  d^  xid 
iaav&ig,   önöte  dtj  äyu  jinaikeiay  ov  q;nvi.t]y 


land  1498.     Vgl.  E.  Legrand,  Bibliographie  "HXhjy   ye   avtog  jinatkevg   xai  ii  avrov  iaö 

hellöniquc  I  (Paris  188.'i)  S.  !);   17.  fieyoi  flaaiXeh  ol   dt],    xni    ol    tmy  'F^XX^toy 

')  S.  4  ed.   Honn.    Die  danin  geknüpfte  rifudeg    ivXXtyöfieyoi    xntu    rd   atftoy    avtuiy 

Bemerkung,  dans  der  Huhm  des  (iriochischen  t'hfi«  i6g  ijdiaru  fitjy  atfiaiy  nvfo?g,  roi^g  di 

noch  grösser  sein  werde,  wenn  einmal  ein  i    äXXoig  üg  XQÜTiata  noXitevoiyto. 

griechischer  König  und  seine  Spröss-  ,           *)  S.  5  ed.  Bonn. 


A.  Die  Oeschichtschreiber.   (§  45.)  103 

1.  Ausgaben:  Zuerst  lateinisch  von  Conr.  Clauserus,  Basileae  1556,  mit 
Theodorus  Gaza:  De  origine  Turcarum,  Leonardas  Chiensis:  De  captivitate  Cpolis  u.  a.  — 
Lateinisch  noch  öfter  mit  Zonaras,  Niketas  Akominatos  mid  Nikephoros  Gregoras  als 
Lorpus  universae  historiae  praesertim  Byzantinae,  Basileae  1562;  Lutetiae  1567;  Francofurti 
ad  M.  1578.  -  Ed.  pr.  Graece  et  Latine,  Genev.  1615  (?).  —  Ed.  H.  Fabrotus,  Paris 
IßöO.  —  Wiederholt  Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus  rec.  I.  Bekker,  Bonnae  1843.  — 
\\'iederholt  bei  Migne,  Patrol.  Graeca  159  (1866)  mit  Leonardas  Chius  und  anderen  Er- 
_' ä  uzungsschriften . 

2.  Französische  üebersetzung  von  Blaise  de  Vigenere,  Paris  1577  (and 
iifter).  —  Wiederholt  mit  anderen  Stücken,  welche  die  türkische  Geschieht«  fortsetzen,  von 
Artus  Thomas,  2  voll.  Paris  1620;  dem  prachtvollen  Werke  sind  kulturhistorisch  äusserst 
wichtige  Illustrationen  beigegeben,  welche  die  durch  Tradition  und  Vorschrift  genau  ge- 
regelte Tracht  der  Nationalitäten,  Klassen  und  Stände  des  Türkenreiches  veranschaulichen. 
—  Ohne  die  Illustrationen  wiederholt  von  F.  E.  du  Mezeray,  2  voll.  Ronen  1660. 

3.  Hilfsmittel:  J.  von  Hammer's  zu  §  41  zitierte  Schrift,  in  der  sclilecht  über- 
lieferte Eigennamen  bei  Laonikos,  Dukas,  Anagnostes  u.  a.  verbessert  werden.  —  L.  Fr. 
Tafel,  In  Laonici  Chalcocondylae  Athen,  bist.  Türe,  meletemata  critica,  Monachii  1858 
(Festschrift  zur  Thierschfeier).  Reiches  Material  zur  Texteskritik  findet  sich  im  Nachlass 
Tafeis.  —  F.  Gregorovius,  Geschichte  der  Stadt  Athen  im  Mittelalter,  Stuttgart  1889 
II  318  «. 

4.  Name:  Die  Pariser  Handschriften  haben  sowohl  im  Titel  als  im  Texte  die  Form 
XfcXxoxceydv>.i]s,  so  dass  man  an  eine  Ableitung  von  xftydtjXa  (Kerze,  Leuchter)  denken 
könnte.  Im  cod.  Monac.  150  wechselt  die  Schreibung  zwischen  XaXxöydvkog  und  XetXxö- 
drjXoi.  Demetrios  nennt  sich  in  seinen  Schriften  gewöhnlich  XaXxoydvXvjq,  einmal  in  einem 
Briefe  XnXxoydvXa?.  Die  ursprüngliche  Form  ist  wohl  XaXxoxovdvXrjg  (der  Mann  mit  dem 
ehernen  Griffel);  daraus  wurde  durch  eine  im  Vulgärgriechischen  sehr  gewöhnliche  Ver- 
kürzimg (z.  B.  avyaaTQocptj  aus  avvavtcaxQocf^)  XaXxoydvXrjS,  und  hieraus  lautgesetzUch 
XagxoydvXTjs.     S.  E.  Legrand,  Bibliographie  hellenique  I  Introd.  S.  94. 

5.  Eine  Art  Biographie  des  Laonikos  imd  Demetrios  Chalk.  schrieb  der  griechische 
Arzt  Antonios  Kalosynas  zu  Toledo  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts.  Ed. 
K.  Hopf,  Chroniques  Greco-Romanes  S.  243  ff.  —  Hauptschrift  über  Demetrios  Chalk. 
(geb.  1424,  gest.  1511):  E.  Legrand.  BibUographie  hellenique  I  (1885)  Introd.  S.  94—101.  — 
Acht  Briefe  des  Demetrios  Chalk.  an  Johannes  Lorenzi  ed.  H.  Noiret,  Melanges  d'archeo- 
logie  et  d'histoire  de  l'ecole  fran^aise  de  Rome  7  (1887)  472 — 500. 

45.  Dukas  verfasste  ein  Geschichtswerk  über  die  Zeit  von 
1341—1462.  Der  Autor  des  ohne  Titel  in  einer  einzigen  Handschrift 
(cod.  Paris.)  überlieferten  Werkes  gibt  sich  im  Verlaufe  der  Erzählung*) 
als  einen  Enkel  jenes  mit  der  Kaiserfamilie  Dukas  verwandten  Michael 
Dukas  zu  erkennen,  der  in  dem  verhängnisvollen  Streite  zwischen 
Johannes  VI  Kantakuzenos  und  Johannes  V  Paläologos  eine  Rolle  spielte. 
Sein  Vorname  wie  auch  Ort  und  Zeit  seiner  Geburt  bleiben  uns  unbekannt; 
dafür  erfahren  wir  aus  seinem  Werke  sonstige  biographische  Details.  Er 
war  in  Phokäa  ansässig,  diente  dem  dortigen  genuesischen  Podestä  als 
Sekretär  und  war  später  Zeuge  der  Vorbereitungen,  welche  die  Türken  in 
Didymotoichon  zur  Eroberung  Konstantinopels  trafen.  Nach  dem  Falle 
der  Stadt  wurde  er  von  den  Gateluzzis,  den  Beherrschern  von  Lesbos, 
als  Gesandter  verwendet,  verhandelte  mit  dem  Sultan  wegen  seiner  An- 
sprüche auf  Lesbos  und  brachte  ihm  1455  und  1456  den  Tribut  nach 
Adrianopel.  Aus  seinem  freundschaftlichen  Verhältnisse  zu  den  Genuesen 
erklärt  sich  auch,    dass  er  sich  als  eifrigen  Anhänger  der  Union  bekennt. 

Dem  Geschichtswerke  des  Dukas  geht  wie  dem  des  Chalkokondyles 
eine  weltgeschichtliche  Uebersicht  voraus,  die  hier,  dem  populären 
Charakter  des  ganzen  Werkes  entsprechend,  in  der  aus  den  Chroniken 
übernommenen  Form  einer  genealogischen  Uebersicht   von  Adam  bis  auf 


')  S.  23,  9  ed.  Bonn. 


104  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

die  Paläologen  gegeben  wird.  Schon  im  zweiten  Kapitel  kommt  er  zu 
seinem  eigentlichen  Thema,  indem  er  die  Entfaltung  der  Türkenherrschaft 
bis  zum  Untergange  Bajesids  (1402)  darlegt.  Erst  dann  wendet  er  sich 
zur  byzantinischen  Geschichte  selbst  und  beginnt  hier  mit  der  Erzählung 
der  Aspirationen  des  Johannes  Kantakuzenos.  Man  kann  demnach  das 
Jahr  1341  als  den  eigentlichen  Anfangspunkt  des  Werkes  bezeichnen; 
doch  behandelt  Dukas  die  zunächst  folgenden  Ereignisse  noch  ziemlich 
summarisch;  zu  grösserer  Ausführlichkeit  gelangt  er  erst  mit  dem  Regie- 
rungsantritte Bajesids  (1389).  Von  den  byzantinischen  Kaisern  werden 
also  nur  die  drei  letzten  Paläologen  Manuel,  Johannes  und  Konstantin 
(1391 — 1453)  eingehender  behandelt.  Mit  der  Eroberung  von  Lesbos  durch 
Mohamed  II  im  Jahre  1462  schliesst  Dukas.  Das  Werk  bildet  mithin 
eine  Fortsetzung  des  Gregoras  und  Kantakuzenos,  eine  Ergänzung  des 
Chalkokondyles  und  Phrantzes.  Dukas,  der  einen  grossen  Teil  der  er- 
zählten Ereignisse  selbst  beobachten  konnte,  hat  nicht  versäumt,  auch  von 
Augen-  und  Ohrenzeugen  sichere  Erkundigungen  einzuziehen;  sogar  von 
Türken  liess  er  sich  manches  berichten. ')  Seine  Wahrheitsliebe  ist  zweifellos 
und  an  Genauigkeit  steht  er  hoch  über  Laonikos.^)  Dazu  erzählt  Dukas 
mit  lebhafter  Anschauung  und  dramatischer  Bewegung.  Er  weiss  nichts 
von  rhetorischen  Floskeln  und  mühsam  abgerundeten  Perioden,  fesselt 
aber  durch  die  einfache,  wenn  auch  etwas  unbeholfene  Beredsamkeit  des 
Herzens.  3)  Harte  Vorwürfe  schleudert  er  gegen  die  unversöhnlichen  Feinde 
der  Union,  die  selbst  in  der  höchsten  Gefahr  nichts  von  abendländischer 
Hilfe  wissen  wollten.*)  Trotzdem  ist  er  streng  orthodox  und  gerät  nirgends 
in  so  tiefe  Erregung,  als  wenn  er  von  der  Verunglimpfung  spricht,  welche 
die  Türken  den  heiligen  Bildern  und  Gefässen  zufügten.  Die  Frische  der 
Erzählung  wird  durch  die  häufige  Einflechtung  eigener  Erlebnisse  und 
persönlicher  Züge  erhöht. 

In  seiner  sprachlichen  Form  steht  Dukas  in  einem  scharfen  Gegen- 
satze zu  Chalkokondyles;  unbekümmert  um  die  herrschende  Konvenienz 
macht  er  den  Versuch,  auf  Grundlage  des  gesprochenen  Idioms  eine  Schrift- 
sprache zu  bilden;  seine  Diktion  ist  temperiertes  Volksgriechisch, 
wie  es  auch  im  diplomatischen  Verkehr  jener  Zeit  häufig  angewendet  wurde. 
Diesem  glücklichen  Griffe  ist  es  vornehmlich  zu  danken,  dass  die  Erzählung 
des  Dukas  bedeutend  wahrer  und  anschaulicher  wirkt  als  die  des  Laonikos. 
Dadurch  dass  er  die  Dinge  stets  beim  rechten  Namen  zu  nennen  wagt, 
wird   er  auch  weit  verständlicher  als  jener.     Wer  an  klassische  Lektüre 

')   Wem    er   für   die   ältere   Geschichte    [   Vogels,  noch  das  Winseln  eines  Kindes;  son- 

folgt,  muss  noch  untersucht  werden.  dem  wie  der  Fischer  sein  Netz  aus  der  Tiefe 

^)  Vgl.  Berger  de  Xivrey,  M^nioires   i    ans  Land  zieht  und  alles,  was  ihm  entgegen 

sur    la   vie    et  les   ouvrages    de   l'empereur  kommt,    mitschleppt ,    seien    es    nun    gros.se 

Manuel    Palöologue,    M^moires    de   I 'Institut  Fische  oder  kloine  oder  selbst  elende  Fiscli- 

de  France,  acadömio  des  in.scriptions  et  helles-  lein  und  Krabben,  so  verwüsteten  jene  ganz 

lettres  19  (1853)  S.  21.  Asien   u.  s.  w.     S.  76  f.    ed.  Bonn.    —    Kin 

')  Man  lese  z.  B.  seine  Schildenmg  des  wichtiges    und    ergreifendes    Dokument    ist 

Verheenmgszuges  der  Mongolen  unter  Tim  ur  auch  seine  Beschreibung  der  Eroberung  von 

Lenk:  Indem  sie  von  Stadt  zu  Stndt  zogen,  Konstantinopel  S.  2H'2     'Ml. 

machten  sie  das  verlas.sone  Land  so  einHam,  ^)  Das    Prinzip    die.ser   extremen   rart<>i 

dass   weder  das  Bellen   eines  Hundes  mehr  war:  xQeliTof  einTteaei^y  eii  x^'Q"^  ""*'  "^"''Q- 

gehört  wurde,    noch    der   Ruf  eines  zahmen  xtoy  tj  4'^(iyxiof.     S.  291,  3  ed.  Bonn. 


A.  Die  Qeschichtschreiber.    (§  46.)  105 

_e wohnt  ist,  wird  diese  von  türkischen,  italienischen  und  anderen  Fremd- 
wörtern wimmelnde  Sprache  allerdings  recht  ungezogen  finden;  sie  ist  aber 
\  om  Standpunkte  ihrer  Zeit  zu  beurteilen,  von  der  sie  ein  treues  Spiegel- 
lüld  gewährt.')  In  solchen  Werken  liegen  die  deutlichen  Keime  einer 
lebensfähigen  neugriechischen  Schriftsprache,  deren  Entwickelung  leider 
durch  den  politischen  Untergang  des  Volkes  auf  allzu  lange  Zeit  abge- 
schnitten wurde. 

1.  Ausgaben:  Ed.  pr.  Ism.  Bullialdus,  Paris  1649  mit  latein.  Uebersetzung  und 
Kommentar.  —  Wiederholt  Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus  rec.  I.  Bekker,  Bonnae 
1834;  hier  ist  noch  eine  das  lückenhafte  Original  mehrfach  ergänzende  italienische 
Uebersetzung  beigegeben,  die  von  einem  venezianischen  Geistlichen  wohl  bald  nach  der 
Vollendung  des  Originales  abgefasst  wurde.  —  Wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Graeca  157 
(1866)739 — 1166  (ohne  die  ital.  Uebersetzung).  —  Emendationen  von  A.  Mull  ach,  Coniect. 
Byzant.  libri  duo,  Berolini  1852  S.  3  ff. 

2.  Nach  Dukas  gaben  Bullialdus  und  Bekker  eine  ganz  magere  Chronik,  welche  in 
vulgärgriechischer  Sprache  tabellenartig  die  Ereignisse  von  1089 — 1523  aufzählt.  Das 
Machwerk  wurde  offenbar  kurz  nach  1523  von  einem  unter  venezianischer  Herrschaft 
lebenden  Griechen  abgefasst.     Emendationen  von  Mullach  a.  a.  0.  S.  5  ff. 

46.  Georgios  Phrantzes  {(pQavr^r^g)  wurde  1401  in  Konstantinopel 
geboren.  Nachdem  er  1417  seine  Eltern  durch  die  Pest  verloren  hatte, 
wurde  er  Sekretär  Manuels  II  und  diente  fortan  der  kaiserlichen  Familie 
zu  Hause,  im  Felde  und  im  diplomatischen  Verkehr.  Er  rettete  den  Sohn 
Manuels,  Konstantin,  bei  Patras  1429  aus  den  Händen  der  Feinde  und 
ward  statt  seiner  gefangen.  Für  seine  Dienste  wurde  er  1432  zum  Proto- 
vestiarios,  1446  zum  Präfekten  von  Sparta,  später  zum  Grosslogotheten 
erhoben.  Bei  der  Eroberung  von  Konstantinopel  geriet  er  mit  seiner 
Familie  in  türkische  Gefangenschaft.  Nach  Wiedererlangung  der  Freiheit 
flüchtete  er  zum  Despoten  Thomas  Paläologos  nach  dem  Peloponnes,  und 
als  sich  die  Türken  auch  hier  festgesetzt  hatten,  nach  Italien,  wo  er 
Venedig  und  Rom  besuchte.  Nach  einem  vielbewegten,  an  Thaten  und 
traurigen  Schicksalen  überreichen  Leben  zog  er  sich  als  Mönch  unter  dem 
Namen  Gregorios  in  ein  Kloster  auf  Korfu  zurück.  Hier  verfasste  er  auf 
Anregung  einiger  vornehmen  Korfioten  sein  Xqovixövj  das  er  im  Jahre 
1477  vollendete;  das  Werk  umfasst  die  Zeit  von  1258—1476. 

In  der  Vorrede  spricht  auch  Phrantzes  nach  der  herkömmlichen  Sitte 
vom  Nutzen  der  Historiographie  und  gibt  die  jetzt  ganz  stereotyp  gewordene 
Versicherung,  Geschichte  müsse  sine  ira  et  studio  geschrieben  werden;*) 
sie  müsse  für  alle  Ewigkeit  eine  lebendige  Stimme,  ein  vernehmlicher 
Herold  der  Vergangenheit  bleiben.  So  wolle  auch  er  die  Geschichte  der 
Paläologen  darstellen.  Nach  einigen  Vorbemerkungen  über  die  Familie 
des  Michael  Paläologos  beschreibt  er  dessen  Flucht  von  Nikäa  zum  türki- 
schen Sultan  nach  Ikonion  (1258),  seine  Krönung,  die  abenteuerliche  Wieder- 
eroberung Konstantinopels  und  gelangt  im  ersten  Buche  in  ziemlich  knapper 
üebersicht  bis  zum  Tode  Manuels  II  (1425).     Erst   von   hier  an  wird   die 


').  I.  Bekker  erblickt  in  Dukas  natürlich  kommenen  Jahrhunderts  nennen. 
vor   (barbarum   perditorum   temporum  ■*)  Ovre   jiQog  x^Q*^"   <""^*  TXQog  <f96voi', 

testem',  den  er  ,sordibus  suis'  überlassen  uXX'    ovde   ngog   ft?aog   17   xni    riQog   fvvoiav. 

habe.     Mit    demselben    Rechte    könnte    ein  Es  verlohnte,  sich  der  Geschichte  dieses  taci- 

verbohrter  Ciceronianer  die  göttliche  Ko-  teischen  Satzes  in  der  griechischen  Historio- 

mödie   das  barbarische  Zeugnis   eines    ver-  graphie  etwas  nachzugehen. 


106  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

Darstellung  ausführlicher.  Das  zweite  Buch  behandelt  die  Regierung 
Johannes  VIII  Paläologos  (1425—1448),  das  dritte  die  des  letzten  Paläo- 
logen,  Konstantin  IX  (1448 — 1453)  und  den  Fall  des  Reiches,  das  vierte 
endlich  die  Kämpfe  der  paläologischen  Despoten  im  Peloponnes,  die  Er- 
oberung desselben  durch  die  Türken  nebst  einigen  weiteren  Begebenheiten, 
die  er  bis  zum  Jahre  147G  verzeichnet.  Die  Hauptbedeutung  des  Werkes 
liegt  in  den  drei  letzten  Büchern.  An  den  Ereignissen,  die  hier  geschildert 
werden,  hat  Phrantzes  selbst  als  Staatsbeamter  und  Diplomat  Anteil  ge- 
nommen, und  er  versteht  seine  Beobachtungen  wahrheitsgetreu,  mit  Sach- 
kenntnis und  Anschaulichkeit  wiederzugeben.  Der  bittere  Unmut,  mit  dem 
er  seine  Feder  gegen  die  Türken  führt,  ist  bei  einem  Manne,  der  selbst 
mit  seiner  Familie  und  seinem  ganzen  Volke  so  viel  von  ihnen  erduldete, 
wohl  zu  erklären.  Bezeichnend  für  die  Anschauungen  der  Zeit  ist  seine 
scharfe  Polemik  gegen  die  Lateiner,  welche  die  über  Byzanz  herein- 
gebrochene Katastrophe  als  eine  wohlverdiente  Strafe  für  die  griechische 
Ketzerei  auffassten;  die  politischen  Geschicke,  bemerkt  Phrantzes,  haben 
nichts  zu  thun  mit  der  Rechtgläubigkeit;  auch  die  Osmanenherrschaft  werde 
einst  ihr  Ende  nehmen.  Daran  schliesst  er  eine  langwierige  Deutung  alter 
Prophezeiungen  über  die  Dauer  des  Türkenreiches  und  eine  Widerlegung 
der  Lehre  Mohameds. 

In  seiner  Darstellung  gehört  Phrantzes  zu  den  liebenswürdigsten 
Erscheinungen  der  Paläologenzeit;  er  steht  auf  einer  Mittelstufe  zwischen 
Chalkokondyles  und  Dukas.  Ebensoweit  entfernt  von  dem  künstlichen 
Archaismus  des  ersteren  wie  von  dem  vulgären  Niveau  des  letzteren 
schreibt  er  einfach  und  fliessend  und  macht  im  Wortschatze  wie  in  ein- 
zelnen Formen  und  im  Satzbau  der  Volkssprache  manche  Konzessionen, 
ohne  den  Ueberlieferungen  der  byzantinischen  Kunstgräzität  vollständig 
untreu  zu  werden. 

So  besitzen  wir  für  die  letzte  Paläologenzeit  drei  Geschicht- 
schreiber, die  sich  gegenseitig  im  weitesten  Umfange  ergänzen  und  be- 
richtigen. Ihre  Abweichungen  erklären  sich  teils  aus  der  Verschiedenheit 
ihrer  Zwecke  und  Mittel,  teils  aus  dem  verschiedenen  Standpunkte,  von 
welchem  aus  sie  die  Ereignisse  beobachteten.  Der  Athener  Laonikos 
gehört  dem  Kreise  der  peloponnesischen  Despoten  an  und  betont  daher 
vornehmlich  die  inneren  und  äusseren  Konflikte  im  Süden  der  Balkan- 
halbinsel; Dukas,  diplomatischer  Agent  genuesischer  Herrscher  und  daher 
Freund  der  Union,  betrachtet  den  Gang  der  Ereignisse  von  den  fränkischen 
Besitzungen  an  der  kleinasiatischen  Küste  und  in  Lesbos;  Phrantzes 
endlich,  der  kaiserliche  Beamte  und  eifrige  Anhänger  der  antirömischen 
Partei,  befindet  sich  auf  dem  Standpunkte,  der  früher  allein  möglich  ge- 
wesen wäre,  auf  dem  des  byzantinischen  Hofes  und  der  byzantinischen 
Metropole. 

1.  Ausgaben:  Zuerst  ein  Auszug  in  lateinischer  l'ehorsotxung  von  Jac.  Pon- 
tanus,  im  Anhang  seiner  Ausgabe  des  Thcophyhiktos  Siniokattos.  Ingoist.  1604.  —  Wieder- 
holt Venedig  ll'.Vii   mit  (Jenesios  u.  a.  —  Ed.  pr.   des   griechischen   Textes:    XQoyixoy 

rtotQyiov  <l'Qf(yt!irj    rov  TiQvjToßeafinQiov yvy   nQdtov    ix^o^iv  inifteXelif    ♦p.  KaQ. 

'UkitQ  (Alt4T).  'Ky  lUtyyfi  '»?f  AvaxQiug  1796.  Die  im  Helt«am8t<'n  Pidgingriechisch  ab- 
gefa«st«  Vorrede  berichtet  über  das  Werk    und  die  Handschriften  des  Phrantzes   und  über 


B.  Die  ChroniBten.  (§  47.)  107 

das  Leben  des  Pontanus;  der  Text  beruht  auf  cod.  Monac.  Gr.  239.  Beigegeben  sind  einige 
stofflich  verwandte  Stücke,  wie  jene  'latogiu  no'/.iTixt]  Kcjyaiaytivovnökeiog  (1391  —  1578), 
welche  einst  Martin  Crusius  von  Theod.  Zygomalas  erhalten  und  in  seiner  Turcograecia 
veröffentlicht  hatte,  dazu  der  Begleitbrief  des  Zygomalas,  ein  durch  die  \Tilgäre  Diktion 
und  Auffassung  merkwürdiger  Bericht  über  eine  Unterredung  des  Patriarchen  Gennadios 
mit  dem  Sultan  u.  a.  —  Im  Bonner  Corpus  ed.  I.  Bekker,  Bonnae  1838,  nach  einem 
besseren  Parisinus,  jedoch  ohne  Verwertung  des  seiner  Bedeutung  nach  noch  immer  un- 
bekannten Taurin.  102.  C.  IV  22.  —  Wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Graeca  156  (1866) 
631—1080. 

2.  Biographisches  bei  Fabricius,  Bibl.  Graeca  ed.  Harl.  8,  74  ff.  und  12,  132  ff. 
—  Zur  Ueberlieferung :  C.  Angelini,  Di  un  codice  Greco  contenente  la  cronaca  bizant. 
di  Giorgio  Franza,  Bibliofilo  di  Bologna  14,  3—4  (mir  unzugänglich).  —  Zur  Erläuterung 
der  Nachrichten  des  Phrantzes  über  Thomas  Paläologos  dient  die  Untersuchung  von  Pier- 
ling,  Le  mariage  d'un  Tsar  au  Vatican,  Re\'ue  des  quest.  bist.  42  (1887)  353 — 396;  48 
(1888)  580—583. 

3.  Einen  vulgärgriechischen  Auszug  des  Phrantzes,  der  jedoch  nur  die  Partie  von 
1402—1476  umfasst,  edierte  Job.  Franz  aus  einem  Vaticanus  in  A.  Mai"s  Class.  auct.  9 
(Romae  1837)  594  ff.  —  Wiederholt  bei  Migne  a.  a.  0. 

4.  Kritobulos  aus  Imbros,  ein  vornehmer  Grieche,  der  sich  mit  der  Thatsache 
der  türkischen  Eroberung  schnell  befreundete,  schrieb  in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrb. 
(wahrscheinlich  vor  1470)  eine  von  Schmeichelei  überfliessende  Geschichte  Mohameds  II, 
die  von  1451—1467  reicht  imd  in  manchen  Pxmkten  zur  Ergänzung  des  Chalkokondyles, 
Dukas  und  Phrantzes  dienlich  ist.  Ed.  C.  Müller,  Fragmenta  histor.  Graecor.  vol.  5  (1870) 
40—161.  Vgl.  seine  Proleg.  S.  14  ff.;  51  ff.  —  Eine  Analyse  des  Werkes  gab  Ubicini, 
Annuaire  de^Fassoc.  5  (1871)  49—74.  —  Der  Grosslogothet  Hierax  (leQcec)  schrieb  um 
die  Mitte  des  16.  Jahihunderts  ein  langweiliges  Gedicht,  welches  in  734  politischen  Versen 
die  letzten  Schicksale  des  byzantinischen  Reiches  erzählt.  Ed.  K.  N.  Sathas,  -Vcff.  ßißX. 
1  (1872)  243—268.  —  Ueber  andere  griechische  Historiker  und  Chronisten  aus  der  Zeit 
der  Türkenherrschaft  s.  J.  Gedeon,  'A^vfuov  6  (1877)  3  ff.  —  Eine  reiche  Samndung 
von  Chroniken  und  kirchengeschichtlichen  Dokumenten   aus   der  Türkenzeit  veröffentlichte 

N.  Sathas,  Mea.  ßißk.  3  (1872). 


_^  N.  Sa 


B.  Die  Chronisten. 


47.  Allgemeine  Charakteristik.  Der  Wert  der  byzantinischen  Chro- 
nisten besteht  wesentlich  darin,  dass  sie  verloren  gegangene  Geschichts- 
werke teilweise  ersetzen  und  die  in  der  Reihe  der  zeitgenössischen  Dar- 
steller bestehenden  Lücken  ausfüllen.  Ihre  Form  erhebt  keine  künstleri- 
schen Ansprüche;  aber  gerade  dadurch,  dass  sie  auf  die  altertümliche 
Gräzität  verzichten,  werden  sie  für  die  Geschichte  der  lebendigen  Sprache 
wichtiger  als  die  Historiker,  die  sich  der  konventionellen  Kunstsprache 
bedienen.  Die  Verfasser  der  Chroniken  sind  meist  Mönche,  die  für  ihre 
Standesgenossen  und  für  fromme  Laien  übersichtliche  Handbücher  der  Welt- 
geschichte geben  wollen.  Daraus  erklärt  sich  die  vorherrschend  kirch- 
liche und  populäre  Tendenz  dieser  Werke.  Diesen  zwei  Eigenschaften 
verdanken  sie  ihre  Verbreitung  im  lateinischen  Abendlande  und  namentlich 
bei  den  von  Byzanz  aus  zum  Christentum  bekehrten  slavischen  Völker- 
schaften, den  Bulgaren,  Serben  und  Russen.  So  sind  die  Chroniken  für 
die  allgemeine  Kultur  des  Mittelalters  wichtiger  geworden  als  die  nur  auf 
•lie   engsten  litterarischen  Kreise   von  Byzanz   wirksamen  Zeitgeschichten. 

Die  Chronisten  haben  sich  ihre  Arbeit  meist  sehr  leicht  gemacht;  mit 
wenigen  Ausnahmen  haben  sie  einfach  die  ihnen  zu  Gebote  stehenden  Ge- 
schichtswerke und  älteren  Chroniken  mehr  oder  weniger  ausfühi'lich  ex- 
zerpiert. Bei  manchen  Chroniken  geht  die  Abhängigkeit  von  den  Vor- 
lagen so  weit,  dass  sie  fast  nui-  die  Bedeutung  von  Handschriften  älterer 


108  Byzantinische  Litteratargeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Werke  besitzen.  So  kommt  es  auch  vor,  dass  ein  und  dasselbe  Werk 
unter  verschiedenen  Namen  geht.  Die  moderne  Vorstelhmg  vom  geistigen 
Eigentum  ist  in  dieser  Litteraturgattung  nicht  vorhanden,  und  es  ist  daher 
ein  Kampf  gegen  Windmühlen,  wenn  man,  wie  so  oft  geschehen  ist,  die 
harmlosen  Chronisten  als  unverschämte  Plagiatoren  brandmarkt.  Einen 
solchen  Vorwurf  hätte  ein  Byzantiner  gar  nicht  verstanden.  Die  sprach- 
liche Form  und  das  Raisonnement  ist  ihm  Nebensache,  den  Stoff  aber,  die 
Thatsachen  betrachtet  er  als  Gemeingut,  aus  dem  jeder  nach  Belieben 
auswählen  möge.  Dieser  litterarische  Kommunismus  hatte  zur  Folge,  dass 
hier  die  Grenzen  zwischen  den  Begriffen  der  selbständigen  Kompilation, 
der  blossen  Redaktion  und  der  handschriftlichen  Abweichung  jetzt 
häufig  schwer  zu  ziehen  sind.  Daraus  ergeben  sich  fast  unüberwindliche 
Schwierigkeiten  für  die  diplomatische  Kritik  und  die  wissenschaftliche  Ver- 
öffentlichung. Das  schlimmste  Problem  bietet  in  dieser  Hinsicht  Georgios 
Monachos,  der  das  ganze  Mittelalter  beherrscht  und  daher  in  unzähligen, 
stark  abweichenden  Handschriften  überliefert  ist.  Selbst  Carl  de  Boor 
scheint  sich,  nachdem  er  das  riesige  Material  gesammelt  und  bearbeitet 
hat,  vor  den  äusseren  und  inneren  Hemmnissen  einer  solchen  Publikation 
vorerst  zurückgezogen  zu  haben. 

Neben  der  volksmässigen,  kirchlich  gestimmten  Weltchronik  bestand 
eine  höhere,  in  Auffassung  und  Form  mehr  den  zeitgeschicht- 
lichen Werken  verwandte  Art  von  weltgeschichtlicher  Darstel- 
lung, die  im  6.  Jahrhundert  durch  Johannes  von  Antiochia  und  Hesy- 
chios  von  Milet  vertreten  ist.  Wie  sich  diese  höhere  Weltgeschichte  zur 
gemeinen  byzantinischen  Chronik  im  litterarhistorischen  Sinne  verhält,  ist 
nicht  genügend  aufgeklärt.  Höchst  wahrscheinlich  aber  haben  sich  die 
byzantinischen  Weltchroniken  nicht  aus  Werken  dieser  gelehrten  Gattung, 
sondern  aus  städtischen  Annalen  entwickelt.  Daher  kommt  es,  dass 
die  ältesten  Chronisten  die  Weltgeschichte  zunächst  vom  Standpunkte  ihrer 
engeren  Heimat  aus  betrachten.  So  steht  bei  Malalas  Antiochia,  bei 
Johannes  von  Nikiu  Aegypten  im  Mittelpunkte  des  Interesses.  Wir  wissen 
nicht,  in  welcher  Zeit  die  ersten  Keime  der  byzantinischen  Weltchronik 
zu  suchen  sind;  vielleicht  muss  man  bis  auf  Julius  Africanus  zurückgehen. 
Für  unsere  Ueberlieferung  ist  der  erste  Vertreter  der  Gattung  der  gräzi- 
sierte  Syrer  Johannes  Malalas.  Das  Schema  seiner  Geschichtsauffassung 
beherrscht  die  byzantinischen  Chronisten  bis  auf  Michael  Glykas  herab. 
Einen  höheren  Flug  nimmt  die  weltgeschichtliche  Darstellung  noch  einmal 
in  Zonaras  (11.  Jahrb.).  In  den  letzten  Jahrhunderten  tritt  die  Annalistik 
unter  dem  Einflüsse  der  seit  der  Komnencnzeit  erstarkenden  kunstmässigen 
Litteratur  fast  völlig  zurück.  Die  wenigen  Weltchronisten,  die  jetzt  noch 
auftauchen,  meinen  iiire  Existenzberechtigung  durch  Anwendung  der  ge- 
bundenen Form  erweisen  zu  müssen.  In  dürren  chronologischen  Auf- 
zäbhingen  läuft  die  Gattung  zu  Ende. 

A.  V.  Gutschmid,  Die  Grenzboten  22  (1863)  1,  345  f.  und  desselben  Kleine 
Schriften,  herausgeg.  von  Kr.  Kiilil  I  (Leipzig  1889)  32  f.  -  Für  das  Chronologisobo  s. 
die  Litteratur  S.  28.  —  Zur  Orient iorimg  über  dio  Arbeitsweise  und  lelterlii'fcrmiK  der 
Chronisten  s.  die  Litteratur  zu  (ijlj  -t'^.  "><).  -ü  und  insbesondere  C  de  boor,  'rii<>..|.hane8, 
Hand  iL 


B.  Die  Chronisten.   (§  48.)  109 

4^8.  Johannes  von  Antiochia  {6  Urrioxfvg)  blühte  im  Anfange  des 
0.  Jahrhunderts  (c.  500— c.  53U).')  Von  seiner  Biographie  ist  ausser  seiner 
Abstammung  und  seiner  Zeit  nichts  bekannt ;  -)  doch  ist  die  Existenz  dieses 
Johannes  im  Gegensatz  zu  Johannes  Malalas  durch  Anführungen  in  kon- 
stantinischen Exzerpten,  bei  Suidas  und  sonst  völlig  sicher  bezeugt.  Er 
verfasste  eine  nur  in  einer  Anzahl  von  Fragmenten  erhaltene  Universal- 
geschichte: Xoorixi]  iaioQia,  die  von  Adam  bis  zum  Tode  des  Anastasios 
(518)  reichte.  Das  Werk  beruht  grösstenteils  auf  guten,  alten  Quellen, 
die  Johannes  sachlich  und  sprachlich  mit  Geschmack  und  Verständnis  ver- 
arbeitet hat.  Er  unterscheidet  sich  hierin  himmelweit  von  den  späteren 
byzantinischen  Chronisten,  die  in  roher  und  oft  recht  sinnloser  Weise  aus 
älteren  Historikern  oder  aus  Exzerpten  derselben  kompilierten.  Johannes 
gehört  nach  seinem  schriftstellerischen  Charakter  in  den  Kreis 
eines  Eustathios  von  Epiphania  und  eines  Hesychios  von  Milet,  nicht  zu 
jenen  sachlich  und  sprachlich  verwahrlosten  Annalisten,  an  deren  Spitze 
Malalas  steht.  Wenn  man  das  Verhältnis  noch  schärfer  ausdrücken  will, 
kann  man  sagen,  dass  Eustathios  von  Epiphania,  Johannes  und  Hesychios 
von  Milet  als  Chronisten  den  Ausgang  des  Altertums  bezeichnen,  während 
Malalas  die  byzantinische  Leistung  in  diesem  Fache  eröffnet,  die  sich  erst 
unter  dem  Einflüsse  der  litterarischen  Reaktion  der  Komnenenzeit  in  Sky- 
litzes  und  Zonaras  wiederum  zu  einiger  Kunst  und  Reinheit  erhob. 

Die  Quellen  des  Johannes  von  Antiochia  sind  bei  der  unsichern 
und  fragmentarischen  Ueberlieferung  seines  W^erkes  nicht  mehr  völlig 
sicher  zu  stellen.  Für  die  ältere  Zeit  schöpfte  er  wohl  vornehmlich  aus 
Julius  Africanus  und  Eusebios;  für  die  römische  Geschichte,  für  die 
er  grosse  Wichtigkeit  besitzt,  verwei-tete  er  ausgiebigst  den  Dio  Cassius 
und  den  Eutrop;^)  ausserdem  benützte  er  die  Biographien  des  Plutarchos, 
den  Herodianos,  Eunapios,  Zosimos,  Priskos,  für  die  Zeit  des  Zeno 
wahrscheinlich  auch  den  Candidus.  In  der  Behandlung  seiner  Quellen 
verfuhr  Johannes  ungleichmässig ;  bald  verkürzt  er  sie  bedeutend,  bald 
verhält  er  sich  konservativer.  Sein  Werk  diente  den  späteren  Kompi- 
latoren  als  willkommene  Fundgrube;  vornehmlich  fanden  die  hier  auf- 
gespeicherten Reichtümer  Verwertung  in  den  konstantinischen  Exzerpten, 
von  wo  viele  Stücke  wiederum  in  spätere  Chronisten  übergingen.  Nach- 
dem die  Bedeutung  des  Johannes  erkannt  war,  ist  auch  die  Ueberschä- 
tzung  desselben  nicht  ausgeblieben;  sein  Werk  wurde  die  Urquelle, 
aus  der  man  alle  möglichen  historischen  Stücke  unbekannter  Herkunft 
ableiten  zu  können  glaubte.  Vor  der  unbesonnenen  Verbindung  des  Suidas 
mit  Johannes  hat  De  Boor  mit  Recht  gewarnt;  aber  auch  die  auf  Johannes 
zurückgeführten  salmasischen  Exzerpte  bedürfen  einer  sehr  scharfen 
Sichtung ;  ein  grosser,  freilich  schwer  abzugrenzender  Teil  derselben  stammt 

')  Gewöhnlich  setzt  man  den  Johannes  |  auch  nicht  angeht, 

in  die  Zeit  des  Heraklios,  weil  Fr.  219  sich  I  ^)  Die  Annahme,  er  sei  Mönch  gewesen, 

auf  die   Regierung    des   Phokas   (600—  610)  '  beruht  einzig  auf  der  verdächtigen  Subscriptio 

bezieht;   allein  dieses  Bruchstück  kann   aus  j  des  cod.  Turon.     Sotiriadis  a.  a.  O.  77. 

sachlichen   und   sprachlichen  Gründen  nicht  '  *)  Nicht  in   der  uns  erhaltenen  Ueber- 

dem    Johannes    gehören ;    Sotiriadis  a.  a.  0.  Setzung  des  Päanios  (um  380),  sondern  wahi-- 

78  ff.  wollte  es  dem  Malalas  zuteilen,    was  scheinlich  in  der  des  Kapito  (um  500). 


110  Byzantinische  Litteratnrgescliichte.    I.  Prosaische  Litteratar. 

nicht  aus  Johannes,  sondern  aus  einem  Anonymus,  der  wahrscheinlich  nicht 

vor   der   zweiten   Hälfte    des   9.  Jahrhunderts    schrieb.*)     Ebenso    scheint 

PlanudiBs   nicht  den   Johannes  selbst,   sondern   einen   späteren  Eclogarius 

benützt  zu  haben.  *) 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Das  grösste  Verdienst  hat  C.  Müller,  der  die  zu 
seiner  Zeit  bekannten  Stücke  zum  erstenmal  zusammenfasste :  Fragm.  bist.  Gr.  4,  535 — 622  : 
5,  27 — 38.  Doch  bleibt  eine  Ausgabe  der  Fragmente  auf  Grund  der  zahlreichen  neueren 
Forschungen  ein  dringendes  Bedürfnis.  —  Vgl.  J.  Wollenberg,  Excerpta  e  Joanne  An- 
tiocheno  et«.,  Programm  des  französischen  Gymnasiums,  Berlin  1861  (Kollation  des  cod. 
Turon.).  —  A.  v.  Gutschmid,  Die  Grenzboten  22,  1,  346  (über  das  Verhältnis  zu  Malalas, 
den  er  für  eine  Quelle  des  Johannes  hält).  —  Eine  höchst  erfolgreiche  Anregung  erhielt 
das  Studium  des  Johannes  und  des  Malalas  durch  Th.  Mommsens  Abhandlung  über  di< 
dem  Cassius  Dio  beigelegten  Teile  der  planudeischen  und  kon.stantinischen  Exzerptr, 
Hermes  6  (1871)  82 — 91  und  seine  Veröffentlichung  neuer  Bruchstücke  des  Johannes  von 
Ant.  und  des  Johannes  Malalas,  ebenda  323 — 383.  —  Ad.  Koecher,  De  Joannis  Antiocheni 
aetate  fontibus  auctoritate,  Diss.  Bonn  1871.  —  E.  Piccolomini,  Intomo  ai  collectaneii 
di  Massimo  Planude,  Rivista  di  filologia  2  (1874)  101  ff.;  149  ff.  —  H.  Haupt,  Ueber  die 
Herkunft  der  dem  Dio  Cassius  beigelegten  planud.  Exzerpte,  Hermes  14  (1879)  36 — 64: 
291—297;  431—446.  —  Carl  de  Boor,  Zu  Johannes  Antiochenus,  Hermes  19  (1884) 
123—148  und  20  (1885)  321  ff.  —  H.  Geizer,  Sextus  Julius  Africanus,  T.  1  und  II,  1 
allenthalben  (s.  den  Index).  —  Ph.  Boissevain,  De  excerptis  Planudeis  et  Constantinianis 
ab  A.  Mai  editis  quae  vulgo  Cassio  Dioni  attribuuntur.  Progr.  Rotterdam  1884  und:  Ueber 
die  dem  Johannes  Antiochenus  zugeschriebenen  Excerpta  Salmasiana,  Hermes  22  (1887) 
161 — 178.  —  Hauptschrift:  G.  Sotiriadis,  Zur  Kritik  des  Johannes  von  Antiochia, 
Jahns  Jahrb.  16.  Supplementb.  (1888)  1—125.  —  Vgl.  auch  die  Litteratur  zu  §§  22.  50.  119. 

49.  Hesychios  von  Milet,  von  seiner  Würde  auch  Illustris  {'llXov- 
azQiog)  zubenannt,  lebte  wahrscheinlich  um  die  Mitte  des  6.  Jahrhunderts. 
Aus  dem  Umstände,  dass  Hesychios  in  seinem  Onomatologos  keinen  Kirchen- 
vater nennt,  hatte  Suidas  den  Verdacht  geschöpft,  er  sei  Heide  gewesen; 
doch  spricht  schon  der  Umstand,  dass  er  frühestens  unter  Justinian  schrieb, 
für  die  Annahme,  dass  er  dem  christlichen  Bekenntnis  angehörte.^)  Hesy- 
chios verfasste  drei  Werke;  zwei  derselben  werden  von  Photios  (cod.  69) 
und  Suidas  (s.  v.)  erwähnt  und  sind  fragmentarisch  erhalten;  von  dem 
dritten  wissen  wir  nur  durch  Photios.  1.  Eine  Weltgeschichte:  2V'J'oj/'/? 
xoafuxi]g  taroQiag  bei  Photios,  Xqovixij  laioqia  bei  Suidas.  Das  Werk  war 
in  6  Bücher  eingeteilt,  die  Hesychios  diaGTi]naia  (Abstände,  Abschnitte) 
nannte,  und  umfasste  die  Weltgeschichte  von  der  trojanischen  Zeit  bis  auf 
Anastasios  (518).  Ausser  kleineren  Fragmenten  besitzen  wir  ein  grosses 
Bruchstück  aus  dem  Anfange  des  G.Buches,  das  unter  dem  Titel  IläxQia 
KwvaravTivovTiöXswg  die  Urgeschichte  der  Stadt  Byzanz  bis  auf  Kaiser 


')  Es  ist  derselbe  Kompilator,  dem  auch 
die  vatikanischen  Exzerpte  IJegl  yyuftwv  (Ed. 
von  A.  Mai,  Script,  vet.  nov.  coli.  II)  ge- 
hören und  der  bei  Leo  Grammatikos,  viel- 
leicht auch  bei  Zonaras  wiederkehrt.  S. 
Sotiriadis  a.  a.  0.  S.  6  ff.  und  Jeep  a.  a.  O. 

*)  Ueber  den  wahren  Besitzstand  des 
Johannes  schweben  noch  zahlreiche  Fragen; 
die  Untt^rsuchung  befindet  sich  auf  einem 
zerklüfteten  und  schwankenden  Boden;  Argu- 
ment steht  gegen  Argument,  Behauptung 
gegen  Behauptung,  Hypothese  gegen  Hypo- 
these.   Um  auch  nur  den  gegenwärtigen 


handschriftlichen  Thatsachen  in  einem  solchen 
Umfange  vorgetragen,  werden,  dass  der  Ar- 
tikel weit  über  den  Rahmen  des  Handbuches 
hinausfiele.  Wir  begnügen  uns  daher  mit 
dem  Verweise  auf  die  neueste  Litttiratur. 

')  Die  im  Grunde  recht  unwichtige  Frage 
hat  merkwürdiger  Weise  schon  im  Anfange 
des  vorigen  Jahrhunderts  eine  eigene  Schrift 
hervorgerufen:  Chr.Thorschmid,  De  Hesy- 
chio  Mil.  ill.  Chri-stiano,  Wittembergae  1716; 
wiederholt  in  der  Ausgabe  von  Oreili  S.  261 
bis  294.  Vgl.  E.  Rohde,  Der  griechische 
Roman    S.   475    und    Rhein.    Mus.   34,    563; 


Stand    der   ganzen    Angelegenheit    klar  zu    i   J.  Flach.  Rhein.  Mus.  35.  199;  P.  Egenolff, 
legen,   müssten   die  textgeschichtlichen   und   {   Bursian-Müllers  Jahresber.  58  (189Ü)  297. 


B.  Die  Chronisten.   (§  49.)  111 

Konstantin  den  Grossen  erzählt;')  es  wurde  wohl  schon  früh  vom  Gesamt- 
werke losgelöst  und  selbständig  überliefert.  Aus  dieser  Schrift  oder  richtiger 
aus  einem  Auszuge  derselben  stammt  der  erste  Abschnitt  des  Sammelwerkes 
über  Konstantinopel,  das  Georgios  Kodinos  im  15.  Jahrhundert  kompiliert 
hat.  2.  Das  zweite  historische  Werk  des  Hesychios  kennen  wir  nur 
durch  Photios  (cod.  69).  Es  war  eine  Darstellung  der  Regierungszeit 
des  Kaisers  Justin  (518— 527)  und  der  ersten  Jahre  des  Justinian. 
Aeusserlich  eine  Fortsetzung  des  ersten  Werkes  wurde  es  von  demselben 
offenbar  wegen  des  verschiedenen  Charakters  der  Darstellung  geschieden: 
das  erste  war  eine  Art  Weltchronik,  das  zweite  eine  ausführliche  Zeit- 
geschichte. Dieses  Werk  scheint  völlig  verloren  gegangen,  und  es  ist  auch 
nicht  gelungen,  Spui*en  desselben  in  späteren  Autoren  naclizu weisen.  Die 
Sprache  des  Hesychios  in  seinen  Geschichtswerken  wird  von  Photios  als 
knapp,  treffend  und  elegant  sehr  hervorgehoben,  und  in  der  That  lässt  das 
erhaltene  Fragment  der  Weltgeschichte,  obschon  es  durch  die  Ueberliefe- 
rung  viel  gelitten  hat,  die  Spuren  einer  einfachen  und  klaren  Diktion  er- 
kennen. 3.  Das  dritte  Werk,  um  dessentwillen  Hesychios  in  der  jüngsten 
Zeit  am  meisten  genannt  worden  ist,  war  nach  Suidas  ein 'Oro/zaro/öyo? 
r^mra^  tcöv  sr  ncadficc  ovoiiaffzöiy.  Dazu  fügt  Suidas  die  Bemerkung: 
oif  innoiu]  iari  tovto  t6  ßißh'ov.  Man  hat  geglaubt,  Suidas  bezeichne 
damit  sein  eigenes  Lexikon  als  einen  Auszug  jenes  ^OvofiuToXÖYoc:  andere 
dagegen  meinten,  Suidas  wolle  sagen,  dass  er  nicht  das  vollständige  Werk 
des  Hesychios  vor  sich  hatte,  sondern  einen  Auszug  desselben,  der  den 
von  ihm  angeführten  Vermerk  auf  dem  Titel  trug.  Wie  dem  auch  sein 
mag,  der  vollständige  'OroinaToXöyog  des  Hesychios,  dem  nach  Rohdes  Nach- 
weis unter  anderm  ein  Werk  des  Philon  von  Byblos  als  sekundäre  Quelle 
diente,  ist  verloren,  ebenso  der  angebliche  Auszug  desselben.  Dafür  haben 
wir  ein  kleines  und  recht  nichtsnutziges  Büchlein  mit  dem  vielversprechenden 
Titel:  Ufg}  tmv  iv  Tiaideiu  diaXauUicevTMV  aog^cor,  in  welchem  man  früher 
den  Hesychios  zu  finden  glaubte.  In  Wahrheit  ist  das  Schriftchen  weder 
das  Originalwerk  des  Hesychios  noch  ein  alter  Auszug  desselben,  sondern, 
wie  Lehrs  erwiesen  hat,  eine  in  der  Humanistenzeit  entstandene,  arm- 
selige Kompilation  aus  Diogenes  Laertios  und  Suidas.  Neuerdings  hat  Flach 
versucht,  den  alten,  echten  Hesychios  aus  Suidas  und  anderen  Autoren 
(auch  aus  der  falschen  Eudokia!)  zu  rekonstruieren.  Das  ganze  Unter- 
nehmen schwebt  aber  in  der  Luft;  es  lässt  sich  zwar  bei  allen  biographi- 
schen Glossen  des  Suidas  über  Leute,  die  vor  und  in  der  Zeit  des  Hesy- 
chios gelebt  haben,  Hesychios  als  Quelle  annehmen;  wie  viel  Fremdartiges 
aber  dann  noch  darunter  bleibt,  wie  viel  noch  fehlt,  vermag  kein  Sterb- 
licher zu  sagen. 

1.  Ausgaben:  Ueber  die  älteren  Drucke  s.  die  Ausgaben  von  Orelli  und  Flach.  — 
Gesamtausgabe  (das  historische  Fragment  und  Pseudohesychios) :  Hesychii  Milesii  opus- 
cula  duo  quae  supersunt  rec.  Jo.  Conr.  Orelli,  Lipsiae  1820,  ein  dickes  Buch,  das  ausser 
73  Seiten  Text  mit  latein.  Uebersetzung  auf  320  Seiten  verschiedene  Beilagen,  wie  Kom- 
mentare  früherer  Herausgeber,    die  Abhandlung   von  Thorschmid,    einen  Teil   von  HejTie's 

')  Solche  TXÜTQui  d.  h.  Wiegengeschichten  !  andere  Schriftsteller,  welche  die  Urgeschichte 
gab  es  von  vielen  Städten  z.  B.  r«  ntirgia  von  Konstantinopel  behandelten,  s.  die  Aus- 
Kviixov   von  Diogenes  aus  Kyzikos.     Ueber   :   gäbe  von  Orelli  S.  362  ff. 


112  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Comment.  de  antiquit.  Byzant.  u.  a.  enthält.  —  Nach  Orelli  ed.  beide  Schriften  C.  Müller, 
Fragm.  hist.  Graec.  4,  143 — 177  (mit  einem  guten  kritischen  Apparate  für  das  historische 
Fragment).  —  Den  Pseudohesychios  ed.  neuerdings  mit  einem  reichlichen  kritischen 
Apparate,  doch  ohne  hinlängliche  Genauigkeit  in  der  Texteskonstitution  Jo.  Flach,  Leipzig, 
bibl.  Teubn.  1880.  —  Der  , rekonstruierte*  Hesychios:  Hesychii  Milesii  Onomatologi 
quae  supersunt  cum  prolegomenis  ed.  Jo  Flach,  Lipsiae,  Teubner  1882.  —  Dann  mit  Bei- 
gabe einiger  nicht  von  Hesychios  stammenden  Vitae  und  mit  Weglassung  der  Prolegomena 
und  des  kritischen  Apparates  als  billige  Studentenausgabe  (als  ob  arme  Studenten 
keinen  Apparat  brauchten!)  unter  neuem  Titel  und  in  neuem  Verlage:  Biographi  Graeci 
qui  ab  Hesychio  pendent  rec.  Jo.  Flach,  Berolini,  Calvary  1883. 

2.  Hilfsmittel:  Naeke,  Choerili  Samii  quae  supersunt  "tetc..  Lipsiae  1817  S.  34.  — 
K.  Lehrs,  Rhein.  Mus.  17,  453—457  =  Pindarscholien,  Leipzig  1873,  159—164.  —  Fr. 
Nietzsche,  De  Laertio  et  Hesychio,  Rhein.  Mus.  24  (1869)  210  ff.  —  E.  Rohde,  Philo 
von  Byblus  und  Hes.  von  Milet,  Rhein.  Mus.  33  (1878)  161—220;  34  (1879)  561—574; 
41  (1886)  380  und  524.  —  A.  Daub,  Jahns  Jahrbücher  121  (1880)  24;  123  (1881)  241—276; 
Jahns  Jahrb.  11.  Supplementb.  (1880)  405  ff.;  Rhein.  Mus.  35  (1880)  56  und:  Studien  zu 
den  biographica  des  Suidas,  Freiburg -Tübingen  1882  S.  124 — 153.  —  J.Flach,  Ueber  den 
gegenwärtigen  Stand  der  Quellenkritik  des  Hesychios  von  Milet,  Jahns  Jahrb.  121  (1880) 
821—833.  —  P.  Pulch,  Philol.  Anzeiger  herausgeg.  von  Leutsch  12  (1882)  519—526  (ab- 
lehnende Besprechung  der  Ausgabe  des  Onomatologos  von  Flach).  —  EUis  Hesselmeyer, 
Jahns  Jahrb.  127  (1883)  552.  —  P.  Egenolff,  Bursian-Müllers  Jahresber.  58  (1890)  297  ff. 
—  Vgl.  auch  die  Litteratur  zu  §§  127.  136. 

50.  Johannes  Malalas  aus  Antiochia  in  Syrien  ist  seinen  Lebens- 
verhältnissen nach  gänzlich  unbekannt;  aus  seinem  Beinamen  *)  lässt  sich 
nur  vermuten,  dass  er  ein  gräzisierter  Syrer  war  und  das  Amt  eines 
Predigers  ausübte.  Selbst  die  Bestimmung  seiner  Zeit  machte  grosse 
Schwierigkeiten;  doch  haben  neuere  Forschungen  mit  völliger  Sicherheit 
ergeben,  dass  er  ein  Zeitgenosse  der  Kaiser  Zeno,  Anastasios  I,  Justin  I 
und  Justinian  I  war  und  auch  noch  den  Regierungsantritt  Justins  II 
(565)  erlebte.  Malalas  verfasste  eine  Weltchronik  (A'(>ovoypa^/a)  2),  welche 
in  dem  einzigen  erhaltenen,  am  Ende  und  am  Anfange  verstümmelten  Codex 
von  der  sagenhaften  Geschichte  der  Aegyptier  bis  in  die  letzte  Zeit  des 
Justinian  (563)  reicht,  ursprünglich  aber  wohl  bis  zum  Ende  dieses  Kaisers 
(565)  geführt  war.  3)  Das  Werk  ist  ebenso  erbärmlich  an  sich  als  wichtig 
für  die  Litteraturgeschichte ;  denn  nicht  Eustathios  von  Epiphania,  nicht 
der  gelehrte  Johannes  von  Antiochia  und  nicht  Hesychios  aus  Milet,  sondern 
Malalas  wurde  das  Vorbild  für  die  Chronisten  bis  ins  12.  Jahr- 
hundert herab;  in  ihm  erscheint  wenigstens  für  unsere  Ueberlieferung  zum 
erstenmal  der  kultur-  und  litterargeschichtlich  wichtige  Typus  der  byzan- 
tinischen Mönchschronik.  Eine  Charakteristik  seines  Werkes  erschliesst 
das  Verständnis  der  ganzen  Gattung.  Malalas  ist  in  seiner  historiographi- 
schen  Technik,  in  seiner  Auffassung  und  Darstellung  von  einer  Grobheit, 
wie  sie  bisher  in  der  geschichtlichen  Litteratur  unerhört  war.  Selbst  jeder 
feineren  Bildung  bar,  schreibt  er  auch  nicht  für  das  höher  gebildete  Pu- 
blikum, sondern  für  die  grosse  Masse  von  Mönchen  und  Laien,  die  sich 
in  bequemer  und  unterhaltender  Weise  über  den  Gang  der  Weltgeschichte 
unterrichten  wollen,  für  dieselben  Kreise,  die  sich  an  den  Legenden  des 
Leontios  und  ähnlichen  Volksbüchern  vergnügten.     Er  verzichtet  auf  den 


')  Vom  syrischen  mahil  —-  rhetor. 

')  Unt<!r  diesem  Titel  wird  das  Werk 
schon  von  Johannes  Damaskenos  in  der 
dritten  Rede  De  imaginibus  zitiert:  'Ex  ryj( 
^ffoyoyQttffiui   'luüyyov    'Ayxio^tiui    lov    xat 


MaXäXa  tkq'i  Ttje  it!uo()^ot''atji  xni  iji  i7ioh;ae 
T(^  aioTt'jQi  XQiart^  ajtjhji  (ed.  Let^uien  1  368 
=  Migue,  Patrol.  iJr.  94,  1369). 

»)  Sotiriadis   a.  a.  O.  S.  72  ff.   will   er- 
weisen, dass  das  Werk  bis  610  reichte. 


I 


B.  Die  Chronisten.  (§  50.)  113 

Ehrgeiz,  es  dem  Thukydides  oder  Polybios  gleiclizuthun  und  bricht  mit 
der  ganzen  historiographischen  Tradition,  die  wie  eine  unzerstörbare  Satzung 
die  hellenistische  und  byzantinische  Geschichtschreibung  beherrscht;  in 
dieser  Beziehung  hat  er  „alles  von  sich  selbst  gelernt;  es  ist  auch  darnach." 
Seine  Richtschnur  ist  das  Bedürfnis  und  Gefallen  der  Menge ;  in  echt  volks- 
mässiger  Weise  werden  eine  ungeheuere  Menge  von  Thatsachen  verworren 
aufgezählt;  Bedeutendes  und  Geringfügiges  wird  mit  gleichem  Ernste  vor- 
getragen. Das  grösste  Gewicht  fällt  auf  einzelne,  aus  dem  Zusammen- 
hange gerissene  Ereignisse,  besonders  auf  alles,  was  ins  Gebiet  der  Kurio- 
sität gehört.  Eine  Eigentümlichkeit,  die  wohl  auf  den  Einfluss  des  Romans 
und  auf  Schwindelbücher  in  der  Art  des  Dares  zui'ückgeht,  sind  die  ge- 
nauen Personalbeschreibungen,  die  sich  durch  das  ganze  Werk  bemerkbar 
machen.  Die  Darstellung  der  Mythen  und  Heroengeschichten  verfolgt  einen 
christlich-apologetischen  Zweck:  die  Greuel  des  Heidentums  z.  B.  Menschen- 
opfer bei  Städtegründungen  werden  mit  Vorliebe  notiert.  Ebenso  bezeich- 
nend für  die  Tendenz  des  Buches  ist  die  korrekte  Gesinnung  gegen  die 
weltliche  Obrigkeit.  Ueberall  tritt  die  Absicht  hervor,  eine  der  ungebildeten 
Menge  zusagende,  weder  Thron  noch  Altar  verletzende  und  doch  pikante, 
anziehende  und  verständliche  Lektüre  zu  gewähren.  So  ist  das  Werk  des 
Malalas  ein  geschichtliches  Volksbuch  im  genauen  Sinne  des  Wortes. 
Nicht  wenig  fesselt  die  Frage,  aus  welchen  Vorlagen  eine  so  seltsame  und 
fremdartige  Leistung  abgeleitet  ist.  Leider  hat  Malalas  die  Untersuchung 
seiner  Quellen  zu  einer  recht  schweren  Aufgabe  gemacht;  sein  Werk  ist 
auch  in  dieser  Hinsicht  ein  echtes  Volksbuch,  in  dem  die  derbste  Speku- 
lation auf  den  Köhlerglauben  eines  gutmütigen  Leserkreises  sich  breit 
macht.  Er  zitiert  mit  prahlerischem  Behagen  eine  Menge  von  Autoren; 
welche  von  ihnen  er  aber  thatsächlich  und  vorzugsweise  benützt  hat,  lässt 
sich  jetzt  nicht  mehr  genauer  feststellen.  Jedenfalls  hat  er  seine  Vorlagen 
noch  wesentlich  vergröbert,  da  er  weder  die  Thatsachen  noch  die  alt- 
griechische Diktion  seiner  Quellen,  geschweige  denn  lateinische i)  und 
sonstige  fremde  Ausdrücke  verstand.  Man  nimmt  gewöhnlich  an,  dass 
Julius  Africanus  eine  Hauptquelle  für  Malalas  war;  allein  selbst  das 
ist  unerweislich.  Jedenfalls  stehen  zwischen  Africanus  und  Malalas  einige 
uns  verlorene  Vermittler;  es  sind  vielleicht  die  von  ihm  oft  zitierten  Chrono- 
graphen Theophilos,  Timotheos  und  besonders  Nestorianos,^)  der 
Verfasser  einer  Chronik  bis  auf  Leo  H  (474).  In  seinen  trojanischen  Ge- 
schichten weist  Malalas  auf  das  Schwindelbuch  des  Sisyphos  aus  Kos 
zurück,  aus  dem  auch  Dares  geschöpft  hat.  3)  Eine  Haupt  quelle  war  wohl 
auch  Johannes  von  Antiochia,  dem  er  vielleicht  die  auf  seine  Vater- 
stadt bezüglichen  Nachrichten  entnahm.  Antiochia  ist  für  Malalas  der 
Mittelpunkt,  von  dem  er  die  Weltereignisse  betrachtet;  das  Werk  er- 
scheint geradezu  als  eine  Stadtchronik,  welche  nachträglich  mit  einer  Welt- 
geschichte verwoben   wurde.     Aehnlich   scheint  der   Schluss  des  Werkes, 


')  Aus  triumvir  z.  B.  wird  bei  ihm  durch       ao(fiäxaxo^   /po»'oyp«9Po?    eoif    Aioyxo^    xov 

eine  Verwechselung   mit  Wörtern   auf  -ator  |   /iix^ov.     S.  376,  19  ed.  Bonn, 

wie  triumphator  ein  r(«o,u;Ji'(»ßrft.p.  ^  I  »)  S.H.Haupt,  PhUologus 40 (1881)  107 flf. 

-)    kiciitui    avyfyQiitpato    SearoQiayog    6 


Handbuch  der  klasi.  Altertumswisaenscfaaft.  IX.     1.  Abtlg.  3 


i 


114 


Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratni*. 


der  vornehmlich  Ereignisse  der  Hauptstadt  behandelt,  auf  eine  Stadtchronik 
von  Konstantinopel  zurückzugehen.  Von  einer  kritischen  Betrachtung,  ja 
auch  nur  von  einer  verständigen  Verarbeitung  der  Quellen  ist  natür- 
lich keine  Rede.  Man  müsste  ein  Buch  schreiben,  wenn  man  die  zahllosen 
Irrtümer  und  Missverständnisse  dieses  Erzählers  durchmustern  wollte.  Die 
lesbische  Sängerin  Sappho  ist  bei  ihm  Zeitgenossin  des  Kekrops  und  Kra- 
naos;*)  während  der  Philosoph  Demokrit  aus  Abdera  in  die  graue  Vorzeit 
des  Pelops  hinaufgerückt  wird,  2)  muss  sich  Herodot  zum  Nachfolger  des 
Polybios  degradieren  lassen; 3)  Cicero  und  Sallust  sind  dem  Malalas  hoch- 
weise römische  Dichter;*)  die  Landschaft  Karlen  ist  nach  ihm  so  benannt, 
weil  sie  der  Kaiser  Carus  unterwarf;'*)  der  Kyklops  des  Euripides  hat 
3  Augen  ^)  u.  s.  w.  Ebenso  ungenau  wie  die  Ausarbeitung  des  Einzelnen 
ist  die  ganze  Komposition;  es  wimmelt  von  Wiederholungen  und  In- 
konsequenzen. Trotz  all  dieser  Mängel  hatte  Malalas  den  richtigen  Ton 
getroffen  und  genoss  daher  bis  zur  litterarischen  Reformation  der  Komnenen- 
zeit  kanonisches  Ansehen.  Schon  der  Verfasser  der  Osterchronik  be- 
nützte ihn  ausgiebig,  dann  Theophanes,  Georgios  Monachos,  die 
konstantinischen  Redaktoren,  Skylitzes  u.  a.  Endlich  wurde  Malalas 
ins  Slavische  übertragen;  die  ursprüngliche  Uebersetzung  scheint  ver- 
loren, dafür  haben  wir  aber  zwei  spätere  slavische  Kompilationen,  in  denen 
Malalas  den  Hauptbestandteil  bildet.  Die  höchste  Beachtung  verdient  die 
Sprache  dieses  Dunkelmannes.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  wir 
in  Malalas  das  erste  grössere  Denkmal  der  volksmässigen  Gräzität 
vor  uns  haben.  In  seiner  Diktion  spiegelt  sich  die  im  ganzen  Orient  ver- 
breitete, mit  lateinischen  und  orientalischen  Elementen  versetzte  griechische 
Gemeinsprache.  So  sehr  atmet  das  ganze  Werk  den  vulgärgriechischen 
Geist,  dass  sich  mit  geringen  morphologischen  und  lexikalischen  Aendc- 
rungen  Satz  für  Satz  ins  Neugriechische  umgiessen  lässt.  Alle  Spuren 
den  Volkssprache,  die  sich  seit  der  alexandrinischen  Zeit  nur  schüchtern  und 
vereinzelt  hatten  blicken  lassen,  sind  hier  zum  vollen  Rechte  gekommen. '') 
Leider  ist  das  Werk  des  Malalas  nicht  in  seiner  ursprünglichen  Ge- 
stalt überliefert.  Die  einzige  Handschrift  (in  Oxford)  enthält  nur 
eine  abgekürzte  Redaktion  des  Originals.  Doch  war  die  Thätigkeit 
des  Epitomators  nicht  in  allen  Teilen  gleich  gründlich;  in  den  ersten 
14  Büchern  hat  er  sich,  wie  es  scheint,  auf  unwesentliche  Text  Verkürzungen 
beschränkt,  von  da  ist  er  radikaler  verfahren  und  hat  das  Original  gegen 
den  Schluss  zu  immer  mehr  misshandelt,  so  dass  jetzt  nur  noch  knappe 
Auszüge  ausführlicher  Berichte  vorliegen.  Diese  wichtige  Thatsacho  ist 
völlig  klar  geworden  durch  die  Veröffentlichung  der  aus  dem  vollständigen 
Malalas  stammenden  konstantinischen  Exzerpte  Utgl  emßoidMr.^)    Vau-  Her- 


»)  S.  72,  2  ed.  Bonn. 

»)  S.  85,  3. 

»)  S.  157,  19. 

*)  hy  Toii  avToig  ovy  ^Qoyoi;  tjy  o  ki- 
xe'Q<üy  xni  ö  lakXovatio(,  ol  aogxürieToi  'Pto- 
fiaiuiy  nottjrai.     S.  212,   18. 

«•)  S.  302,  20. 

•)  '0  yi'Q   aotfos  KvQiTtiJtjc   (tQÜfut   iSi- 


t^cro  Tifpt  jov  Kvxkionog,  on  i{iti<  ti/ey 
ofpx^aXfiov  g,  atjfiaiyuty  roi'f  rpe/'f  tidfXffovi 
u.  s.  w.     S.   117.   1. 

')  Für  sprachgcscliiclitlicho  Zwpcko  ist 
Malalnfl  vorzüglich  auHgoboutot  von  liatzi- 
(1  a  k  i  a  in  der  Jubiläums-schrift  der  Universität 
Athen  1888  S.  117  ff. 

*)  Von  Th.  Monunsen,  Hormos  6,  36n  ff. 


B.  Die  Chronisten.   (§51.)  115 

stellang  des  Originaltextes  sind  ausser  diesen  Exzerpten  die  übrigen  Aus- 
schreiber wie  der  Osterchroniker,  Theophanes,  die  slavischen  Reflexe  u.  a. 
herbeizuziehen.  1)  Die  sprachliche  Form  des  originalen  Malalas  wurde 
von  dem  Redaktor  im  allgemeinen  unverändert  beibehalten;  das  beweisen 
die  aus  der  ersten  Form  des  Werkes  stammenden  konstantinischen  Exzerpte, 
sowie  die  zahlreichen  Stellen,  welche  in  die  Osterchronik  und  in  den  Theo- 
phanes übergegangen  sind. 2)  Der  Epitomator  hat  sich  nicht  die  Mühe 
genommen,  die  naive  Gräzität  des  ganzen  Werkes  zu  verbessern.  Somit 
ist  Malalas  trotz  des  üblen  Standes  der  Ueberlieferung  im  grossen  und 
ganzen  als  ein  sprachgeschichtliches  Denkmal  aus  dem  zweiten  Drittel 
des  6.  Jahrhunderts  zu  betrachten. 

1.  Ausgaben:  Ed.  pr.  Edm.  Chilmeadus,  Oxonii  1691,  mit  Kommentar  und 
lateinischer  üebersetzung  des  Herausgebers,  einer  Abhandlung  von  H.  Hody  und  der  be- 
rühmten epistola  von  R.  Bentley  an  J.  Mill.  —  Schlechter  Abdruck  Venedig  1733  (mit 
Genesios).  —  Im  Bonner  Corpus  rec.  L.  Dindorf,  Bonnae  1831,  mit  den  Beigaben  der 
ed.  pr.  ohne  bemerkenswerte  selbständige  Förderung.  —  Wiederholt  bei  Migne,  Paü-ol. 
Graeca  97,  9 — 790.  —  Eine  kritische  und  auf  Grund  der  neueren  Forschimgen  ven^oll- 
ständigte  Ausgabe  ,  würde  dem  Studium  einer  ebenso  merkwürdigen  wie  vernachlässigten 
Geschichtsperiode  die  grösste  Förderung  bringen"  (Th.  Mommsen).  Als  Hilfsmittel  wäre 
hiebei  auch  Johannes  von  Nikiu  beizuziehen  (s.  §  68). 

2.  Hilfsmittel:  G.  Bernhardy,  Berliner  Jahrbücher  f.  wissenschaftliche  Kritik 
1S32,  2,  1.32—144  (Besprechung  der  Bonner  Ausgabe).  —  Alfr.  v.  Gutschmid,  Grenz- 
hoten  22  (1863)  1,  345  f.  betrachtet  den  Malalas  sicher  mit  Unrecht  als  Quelle  des  Johannes 
von  Antiochia.  —  Ad.  Koecher.  De  Jo.  Antiocheni  aetate,  Diss.  Bonn  1871  S.  7.  — 
C.  Müller,  Fragm.  bist.  Gr.  4,  536  ff.;  5,  XIV  und  38  f.  —  Th.  Mommsen,  Hermes 
6  (1872)  323—383,  gibt  die  wichtigen  Ergänzungen  aus  cod.  Scorialensis  I.  ii.  11.  — 
Emendationen  von  M.  Haupt,  Hermes  7  (1873)  296  f.  —  Gust.  Körting,  De  vocibus 
Latinis,  quae  apud  Joannem  Malalam  chronogr.  Byz.  inveniuntur,  2  Indd.  lect.  Münster 
1^79  und  1879,80  sucht  zu  beweisen,  dass  M.  kein  Latein  verstanden  habe.  Dagegen  s. 
Wagener,  Götting.  philol.  Anzeiger  10  (1879—80)  91  ff.;  M.  Dunger,  Dictys-Septimius, 
Progr.  Dresden  1878  imd  De  Dictj'S-Septimio  Vergili  imit.,  Progr.  Dresden  1886.  —  H.  Haupt, 
Dares,  Malalas  und  Sisj-phos.  Philologus  40  (1881)  107 — 121.  —  Ludw.  Jeep,  Die  Lücken 
in  ..der  Chronik  des  Malalas,  Rhein.  Mus.  36  (1881)  351—361.  —  Karl  Neumann,  Der 
Umfang  der  Chronik  des  Malalas  in  der  Oxforder  Handschrift,  Hermes  15  (1880)  356 — 360. 
—  H.  Geizer,  Sextus  Julius  Africanus  I  (1880)  57  ff.  und  H  1  (1885)  129  ff.  —  Ph.  Bois- 
sevain,  Ueber  die  dem  Jo.  Antioch.  zugeschriebenen  Excerpta  Salmasiana,  Hermes  22 
(1887)161 — 178.  —  G.  Sotiriadis,  Zur  &itik  des  Job.  von  Ant.,  Jahns  Jahrb.  16.  Supple- 
mentband (1888),  bes.  105  ff.  —  Edwin  Patzig,  Unerkannt  und  unbekannt  gebliebene 
Malalas-Fragmente,  Progr.  der  Thomasschule,  Leipzig  1891.  In  dieser  (beim  Abschlüsse 
unseres  Manuskriptes  noch  nicht  gedruckten)  Arbeit  werden  einige  von  A.  Mai,  Spicileg. 
Roman,  vol.  E  (1839)  pars  3  veröffentlichte  Stücke  dem  Malalas  zugeteilt. 

Zur  slavischen  Üebersetzung  des  Malalas:  Jagic,  Archiv  slav.  Philol.  2(1877) 
4—9.  —  H.  Haupt  und  Jagic.  Hermes  15  (1880)  230—237.  —  Pypin-Spasovic,  Ge- 
schichte der  slav.  Literaturen,  übersetzt  von  Pech,  I  (Leipzig  1880)  78  f.  —  C.  Fr  ick  in: 
Historische  und  philologische  Aufsätze,  Ernst  Curtius  zu  seinem  70.  Geburtstage  gewidmet, 
Berlin  1884  S.  53 — 66  gelangt  zum  Ergebnis,  dass  der  slavische  Uebersetzer  ausser  dem 
Auszuge  des  Malalas  noch  anderes  benützte,  so  den  Pseudokallisthenes  in  der  Rezension 
des  cod.  C.  —  Ed.  Wolter,  Archiv  slav.  Philol.  9  (1886)  6-36  ff.  —  M.  Erdmann,  Ad- 
versaria  critica  in  Malalae  chronographiam,  in  der  Festschrift  zur  Feier  des  300jährigen 
Bestehens  des  prot.  GjTnnasiums  zu  Strassburg,  Strassburg  1888,  II  69—88,  wo  auch  die 
mir  jetzt  unzugänglichen  russischen  Publikationen  von  Obolenskij,  A.  Popov  und  Sreznevskij 
angefahrt  werden.  Eine  zusammenfassende  und  vollständige  Verwertung  des  slavischen 
Materials  für  die  Kritik  des  Malalas  ist  noch  ein  Bedürfnis,  das  freilich  nur  von  einem 
in  beiden  Sprachen  wohl  bewanderten  Gelehrten  befriedigt  werden  kann. 

51.  Die  Osterchronik.  Mit  dem  konventionellen  Namen  Chronicon 
paschale   d.  h.   Osterchronik  (wegen  der  der   christlichen   Chronologie   zu 

')  S.  Soüriadis  a.  a.  0.  S.  105  f. 
2)  S.  Sotiriadis  a.  a.  0.  S.  67. 


116  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

Grunde  liegenden  Berechnung  des  Osterkanons),  auch  Chronicon  Alexandri- 
num,  Chronicon  Constantinopolitanum  oder  Fasti  Siculi,  wird  ein  umfang- 
reiches clironologisches  Werk  bezeichnet,  welches  von  dem  Verfasser  selbst 
betitelt  ist:  ^Ennofirj  xQÖi'oav  t(ov  ano  'Addfi  xov  TtQOixonkäaxov  avd-Qutnov 
Idng  x  ^Tovg  rfjg  ßaaiXei'ag  ^HqaxXeiov  tov  evafßeaxäxov  xal  luxd  vrtaxeiav 
ixovg  id-  xal  ir/  l'xovg  T/*g  ßuatXaiag  '^Hqaxktt'ov  vt'ov  Ko)yaiarxivov  xov 
avxov  vloi  ivdixxiun'og  y .  Die  Osterchronik,  neben  Eusebios  und  Synkellos 
nach  Umfang  und  Einfluss  die  Hauptleistung  der  griechisch-christlichen 
Chronographie,  besteht  aus  einem  durch  zahlreiche  eingesprengte  historische 
Notizen  erweiterten  und  ausgeschmückten  chronologischen  Verzeichnis, 
welches  von  der  Erschaffung  Adams  bis  auf  das  Jahr  630  n.  Chr.  reichte; 
doch  bricht  die  einzige  in  Betracht  kommende,  am  Anfang  und  Schluss 
verstümmelte  Handschrift  (cod.  Vatic.  1941)  schon  im  Jahr  627  n.  Chr.  ab. 
Der  eigentlichen  Chronik  geht  eine  Einleitung  voraus,  welche  kompila- 
torische  Erörterungen  über  die  christliche  Zeitrechnung  und  über  die 
Berechnung  des  Osterz yklus  enthält.  Der  Verfasser  war  Zeitgenosse 
des  Kaisers  Heraklios  (610—641)  und  zwar  offenbar  ein  Kleriker,  wahr- 
scheinlich aus  der  Umgebung  des  ökumenischen  Patriarchen  Sergios,  der 
in  dem  Werke  auffallend  hervortritt  und  besonders  als  Schöpfer  liturgischer 
Neuerungen  sorgfältig  erwähnt  wird.  Die  Abfassungszeit  des  mit  dem 
Jahre  630  abschliessenden  Werkes  kam  demnach  mit  Sicherheit  in  das 
letzte  Jahrzehnt  des  Heraklios  gesetzt  werden.  Die  früher  verbreitete 
Annahme  einer  älteren  Redaktion  unter  Kaiser  Constantius,  die  mit 
dem  Jahre  354  geschlossen  und  dann  unter  Heraklios  einen  Fortsetz^r 
gefunden  haben  soll,  ist  durch  Gelzer's  tiefgehende  Untersuchungen  hin- 
fällig geworden. 

Die  wichtigste  Aufgabe  bei  der  Betrachtung  dieses  unselbständigen, 
fast  gänzlich  aus  älteren  Stücken  zusammengebauten  Werkes  ist  die 
kritische  Untersuchung  seiner  Quellen.  Hauptgewährsmann  für  die  älteste 
Zeit  war  Sextus  Julius  Africanus,  mit  welchem  unser  Verfasser  in 
seiner  Chronologie  der  vorflutigen  Epoche  genau  übereinstimmt.  Für  die 
Bekleidung  des  genealogischen  Gerippes  diente  dem  Verfasser  die  Bibel, 
aus  welcher  öfter  grössere  Auszüge  mitgeteilt  werden,  und  eine  uns  un- 
bekannte einheitliche  Quelle  erbaulichen  Charakters.  Von  Abraham 
an  benützte  er  mit  Beschränkung  auf  seine  rein  kirchlichen  Zwecke  den 
Kanon  des  Eusebios;  einige  wertvolle  Angaben  deuten  jedoch  auf  eine 
zweite  unbekannte  Quelle,  die  wahrscheinlich  irgendwie  auf  Panodoros 
oder  Annianos  zurückgfeht  und  unter  anderem  auch  Nachrichten,  aus 
Pseudokallisthenes  besass.')  Mit  dem  Beginne  der  römischen  Bepublik 
(S.  309  ed.  Bonn.)  erscheint  eine  neue  Quelle,  die  Konsularfasten,  wobei 
eingestreute  chronikalische  Notizen  den  Charakter  der  sogenannten.  Kon- 
sulartafelannalen  zeigen.  Des  weiteren  weisen  deutliche  Spuren  (Berück- 
sichtigung der  syromakedonischen  Jahre  u.  s.  w.)  auf  die  Ostortafeln  der 
Diözesen  von  Alexandria  und  Antiochia.  Die  kirchengeschichtlichen  Notizen 
des  Werkes  stammen  fast  alle  aus  noch  erhaltenen  Quellen,  besonders  aus 

*)  Letztere  stammen  vielleicht  aus  dem   !   mutete.     Geizer,    S.   Juliu««    Africiuius    II   1 
VoUstAndigen  Malalan,  wie  schon  Frick  vcr-       S.  154  Anm.  4. 


B.  Die  Chronisten.  (§  51.)  117 

(1er  Chronik  und  der  Kirchengeschichte  des  Eusebios  und  aus  Mala  las, 
der  auch  für  die  Profangeschichte  zur  Belebung  des  chronologischen  Ge- 
rippes reichlich  ausgebeutet  ist;  endlich  aus  Märtyrerakten  und  aus  der 
Schrift  des  Epiphanios  Ileol  ue'TQwr  xcd  aTad^fxwr.  Von  532  an  wird 
die  Chronik  ganz  ärmlich  und  besteht  bis  in  die  letzte  Zeit  des  Maurikios 
(582—602)  fast  nur  aus  den  Konsularfasten.  Erst  für  den  letzten  Ab- 
schnitt, welcher  das  Ende  des  Maurikios,  die  Regierung  des  Phokas  und 
die  ersten  17  Jahre  des  Heraklios  (also  ungefähr  600—627)  umfasst,  wird 
er  wieder  ausführlicher,  offenbar,  weil  er  hier  als  Zeitgenosse  erzählt. 
Seine  Chronologie  basiert  in  der  bei  den  christlichen  Chronographen 
hergebrachten  Weise  auf  den  biblischen  Zahlen,  welche  durch  die  baby- 
lonischen und  persischen  Könige,  die  Ptolemäer  und  die  römischen  Könige 
abgelöst  werden.  Die  christliche  Zeitrechnung  läuft  vom  21.  März  5507 
und  ist  der  erste  Beleg  der  sogenannten  byzantinischen  oder  römi- 
schen Aera  (im  Gegensatz  zur  alexandrinischen  und  antiochenischen), 
welche  bei  den  Bekennern  der  griechischen  Kirche  bis  in  die  neuere  Zeit 
üblich  war.')  Die  eigene  Thätigkeit  des  Osterchronikers  war  (von  der 
zuletzt  erwähnten  zeitgenössischen  Partie  abgesehen)  eine  geringe.  Sie 
beschränkte  sich  im  wesentlichen  auf  gelegentliche  Epitomierung  und  Kon- 
taminierung: nicht  selten  gibt  er  durch  starke  Missverständnisse  deutliche 
Beweise  der  äussersten  Unwissenheit.  2)  Wissenschaftlich  und  litterarisch 
steht  die  Osterchronik  weit  unter  Eusebios  und  Synkellos;  jedoch  war  sie 
in  ihrer  populären  Fassung  von  grosser  praktischer  Wirkung  und  behauptete 
in  der  Chronologie  der  Folgezeit  eine  hervorragende  Stellung.  Die  Oster- 
chronik und  das  Werk  des  Malalas  repräsentieren  die  vulgäre  Stufe  des 
historischen  Interesses  und  Betriebes  der  Byzantiner;  in  höheren 
wissenschaftlichen  Kreisen  wurden  sie  weniger  geachtet  und  daher  ver- 
bessert und  durch  Neues  ersetzt  (Synkellos,  Zonaras  u.  s.  w.).  Nach  dem 
ersten  Jahre  des  Julius  Caesar  (S.  355,  6  ed.  Bonn.)  ist  von  später  Hand 
ein  nacktes  Verzeichnis  der  römisch-byzantinischen  Kaiser  bis  auf  Kon- 
stantin Monomachos  (1042)  eingeschoben,  welches  von  den  Herausgebern 
billigerweise  ausgeschieden  und  nur  im  Anhang  mitgeteilt  ist  (ed.  Bonn. 
II  90  ff. ;  vgl.  n  292). 

1.  Ausgaben:  Ed.  pr.  Chronicon  Alexandrinum  etc.  studio  Matthaei  Raderi, 
Monachii  1615,  schlechter  Text  nach  dem  jungen  und  verderbten  cod.  Monacensis  (mit 
lateinischer  Uebersetzung).  —  Auf  derselben  Gnmdlage,  wenn  auch  mit  manchen  Besse- 
rungen ed.  C.  du  Gange,  Paris  1688.  —  Wiederholt  Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus 
t'd.  L.  Dindorf,  2  voll.,  Bonn  18-32;  bedeutend  verbesserter  Text  auf  Grundlage  der  hier 
zum  erstenmal  methodisch  ven^'erteten  Haupthandschrift,  des  codex  Vaticanus  1941;  im 
2.  Ba\ide  Praefatio  und  Kommentar  von  Du  Gange  nebst  anderen  auf  die  Osterchronik  be- 
züglichen Beigaben.  —  Wiederholt  von  Migne,  Patrolog.  Graeca  92  (1860)  1  —  1158  (mit 
den  früheren  Beigaben;  Text  nach  Dindorf). 

2.  Hilfsmittel:  Frid.  Roesler,  Ghronica  medii  aevi  etc.  res  saec.  FV.  V.  VI. 
txponfcntia,  tom.  I.  Tubingae  1798  S.  108 — 110.  —  L.  Ideler,  Handbuch  der  mathematischen 
Mild  technischen  Chronologie  II  (1826)  350  ff.  und  459 — 465.  —  A.  Gramer.  Anecd.  Paris. 
I  (18.39)  352  ff.,  wo  unter  anonymen  naturwissenschaftlichen  Stücken  auch  verschiedene 
Methoden  zur  Berechnung  des  Osterzyklus  ediert  sind.  —  Th.  Mommsen,  Römische 
Chronologie,   2.  Aufl.,   Berlin  1859  S.  113  f.  —  Edouard  Dulaurier,   Recherches   sur 

_la   Chronologie   Armenienne,   Paris  1859  S.  VII  flF.  und  167  ff.   —   Sonstige   chronologische 

')  üeber  ihre  Reduktion   auf  vor-  und       Africanus  U  1,  150. 
ichchristliche   Daten    s.   Geizer,    S.   Julius  ■')  Th.  Mommsen,  Chronologie  S.  113. 


118  Byzantinische  Litteratargeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Litteratur  s.  bei  F  r.  U  n  g  e  r ,  Zeitrechnung  der  Griechen  und  Römer,  Handbuch  der  klass. 
Altertuniswissensch.  I  551.  —  Hauptschrift:  Heinrich  Geizer,  Sextus  Julius  Afri- 
canus  und  die  byzantinische  Chronographie  II  1  (Leipzig  1885)  138—176  (auch  I  228  ff. 
und  sonst). 

52.  Georgios  Synkellos.  Der  Mönch  Georgios  mit  dem  Beinamen 
d  Svy'^fXXog  d.  h.  Geheimsekretär  des  Patriarchen,  •)  verfasste  eine  ^Exloyr] 
XQovoYQct(fiag,  die  von  der  Erschaffung  der  Welt  bis  auf  Diocletian 
(284  n.  Chr.)  reicht.  lieber  das  Leben  des  Verfassers  haben  wir  nur  die 
Notizen  in  seinem  eigenen  Werke,  die  Angaben  seines  Fortsetzers  Theo- 
phanes  im  Eingang  seiner  Chronik  und  die  nachweislich  zum  Teil  unrich- 
tigen Bemerkungen  des  Anastasius  bibliothecarius,  welche  dieser  seiner 
kirchengeschichtlichen  Kompilation  über  des  Synkellos  und  Theophanes 
Leben  vorausschickte.  Ehe  Georg  zur  Würde  des  Synkellos  erhoben  wurde, 
verweilte  er  längere  Zeit  im  heiligen  Land. 2)  Unter  dem  Patriarchen 
Tarasios  (784 — 806)  war  Synkellos  Geheimsekretär;  nach  dem  Tode 
des  Tarasios  zog  er  sich  in  ein  Kloster  zurück  und  schrieb  hier  seine 
Chronik.  Im  J.  810  war  er  noch  unter  den  Lebenden.  3)  Die  Fortsetzung 
des  Werkes,  an  der  Georgios  Synkellos  selbst  verhindert  wurde,  übernahm 
sein  Zeitgenosse  und  Freund  Theophanes  Confessor.  Die  Chronik  des 
Synkellos  ist  neben  Eusebios  für  die  Kenntnis  der  christlichen  Chrono- 
graphie das  bedeutendste  Werk.  Seine  eigentümlichen  und  wichtigsten 
Züge  gehören  nicht  dem  Synkellos  selbst  an,  sondern  seinen  Vorgängern, 
deren  Angaben  er  übrigens  nicht  ganz  ohne  Kritik  entgegennahm.  Die 
Anordnung  des  Werkes  ist  echt  chronikenartig,  d.  h.  die  Erzählung  der 
einzelnen  Thatsachen  ist  ohne  einen  fortlaufenden  Faden  lose  aneinandei*- 
gereiht  und  zwar  so,  dass  der  Text  fortwährend  von  langen,  trockenen 
Tabellen  unterbrochen  wird;  es  ist  also  in  unserem  Sinne  mehr  eine  gross- 
artige Geschichtstabelle  mit  eingestreuten  Erläuterungen  als  eine  Uni- 
versalgeschichte. In  der  Ausarbeitung  des  einzelnen  bemerken  wir  eine 
gewisse  Ungleichheit.  Während  Synkellos  auf  die  Berechnung  der  Geburt 
Christi  und  die  Erzählung  der  neutestamentlichen  Zeitgeschichte  noch 
grösseren  Fleiss  verwendete,  ist  die  nachfolgende  Kaisergeschichte  bis  auf 
Diocletian  ein  ziemlich  dürftiges  Machwerk,  wenig  mehr  als  eine  Kompi- 
lation aus  dem  Kanon  und  der  Kirchengeschichte  des  Eusebios  und  der 
Chronik  des  Dexippos;  und  selbst  hievon  hat  er  wahrscheinlich  schon 
vieles  in  seiner  Hauptvorlage  Panodoros  zusammengearbeitet  gefunden. 
Das  Hauptgewicht  fiel  ihm  offenbar  auf  die  Konstruktion  der  vorchrist- 
lichen Geschichte,  auf  die  Vereinigung  der  profanen  und  der  kirchlichen 
Angaben.  Das  Werk  des  Synkellos  ist  eben  vollständig  vom  theologisthon 
Geiste  beherrscht. 

Ueber  seine  Quellen  ist  besonders  durch  Geizer  Licht  verbreitet 
worden.     Zunächst  erscheint  die  frühere  Anschauung  hinfällig,   dass'Syn- 

■)  Ueber   dieses   hohe   Amt,    eines    der  später   wird  wenigstens   ein  TtgtüroavyxeXXof 

ansehnlichsten  uiitifAaxn  —  folgte  ja   doch  unterschieden.     Das    Wort    ist    von    xiXXa, 

häufig    der   Synkellos   dem   Patriarchen    auf  cclla,    also  =  concollaneus    d.  h.   Teiüiabcr 
dem  Patriarchonstuhl  —  s.  Du  Gange,  Glossar,    j   der  Zelle,  Vertrauter,  (iehoimsekretär. 
med.  et  inf.  Graec.  s.  v.  avyxeXXoi  c.  1470  ff.,  *)  S.  200,  21  ff.  ed.  Bonn, 

und  Goar  in  seiner  Vorrede,  ed.  Bonn.  II  55  ff.  »)  S.  389.  20,  wo  er  6302  (==  810)  als 

Die   Zahl   der  avyxtXkoi    war   verschieden;  das  gegenwärtige  Weltjahr  nennt 


B.  Die  Chronisten.  (§  52.)  119^ 

kellos  den  Julius  Africanus  und  sogar  den  echten  Manetho  als  unmittelbare 
Vorlage  benützt  habe.  Wirkliche  Quellen  des  Synkellos  kann  man  nm* 
die  zwei  alexandrinischen  Chi'onisten  Panodoros  und  Annianos  und  die 
heilige  Schrift  nennen.  Freilich  ist  die  genauere  Bestimmung  seines 
Verhältnisses  zu  Panodoros  und  Annianos  schwierig,  weil  ihre  Werke  bis 
auf  die  von  Synkellos  selbst  zitierten  Stücke  und  wenige  besonders  bei 
den  Syrern  gerettete  Fragmente  verloren  sind,  Panodoros,  der  „kenntnis- 
reiche Nachfolger"  des  Africanus  und  Eusebios,  uns  fast  nur  durch  Syn- 
kellos bekannt,  blühte  zwischen  395 — 408;  Annianos,  der  dem  Panodoros 
in  chronologischen  Dingen  und  in  der  Profangeschichte  folgte,  ist  der  Zeit 
nach  etwas  später:  er  vollendete  sein  Werk  im  Jalu'e  412.  Panodoros 
selbst  schöpfte  hauptsächlich  aus  .Julius  Africanus,  aus  dem  um  hundert 
Jahre  jüngeren  Eusebios  und  aus  Dexippos.  Was  also  bei  S}Tikellos  auf 
diese  drei  Quellen  zurückweist,  verdankt  er  wahrscheinlich  meist  dem 
Panodoros.  Aus  ihm  stammt  ferner  alles,  was  Synkellos  über  ägyptische 
Geschichte  berichtet;  bei  ihm  fand  er  den  Kanon  des  Manetho  in  der 
Redaktion  des  Julius  Africanus  und  Eusebios,  dann  die  unter  dem  Namen 
„Sothisbuch"  nur  aus  Synkellos  bekannte  Rezension  der  ägyptischen  Ge- 
schichte und  das  ebenfalls  nur  bei  Synkellos  erwähnte  Tiakatöv  xqovixlv 
(eine  ägyptische  Königsliste).  Auch  die  aus  Diodor  und  anderen  Profan- 
historikern zitierten  Stücke  hat  Synkellos  im  besten  Falle  aus  Eusebios, 
den  er  in  der  Patriarchenbibliothek  wohl  eingesehen  haben  wii*d;  vielleicht 
aber  ebenfalls  nur  aus  Panodoros.  Aus  ihm  hat  er  auch  die  apoki-j-phi- 
schen  Stücke  aus  der  sogenannten  kleinen  Genesis  u.  a.  Annianos 
andrerseits  war  dem  Synkellos  der  ^Mann  nach  dem  Herzen"  für  die  chrono- 
logischen Feinheiten  der  kirchlichen  Aera;  besonders  bewundert  er  ihn 
unter  anderem  wegen  der  Entdeckung,  dass  der  25.  März,  der  erste  Tag 
seines  Kii'chenjalires,  das  Datum  sei  1.  füi'  die  göttliche  Weltschöpfung, 
2.  für  die  göttliche  Fleischwerdung,  3.  für  die  Auferstehung.  Selbständige 
Studien  machte  Synkellos  vornehmlich  in  den  kanonischen  Schriften  des 
alten  und  neuen  Bundes.  Hier  liess  er  sich  selbst  die  Mühe  handschrift- 
licher Vorarbeiten  nicht  verdriessen;  er  kollationierte  eine  ausgezeichnete 
Kopie  {civTiyQaifov  Xiccv  r^xoißwaerov  xccxä  ts  ariyfju^y  xcd  ngoffMdiav),  welche 
aus  der  Metropolitanbibliothek  von  Käsarea  stammte  und  von  dem  grossen 
Basilios  selbst  mit  einer  Diorthose  versehen  worden  war.  Die  biblischen 
Berichte  sind  es  auch,  welche  ihn  öfter  veranlassen,  seinen  sonst  hoch- 
verehrten alexandrinischen  Autoritäten  Panodoros  und  Annianos  die  Glaub- 
würdigkeit in  der  chaldäischen  und  ägyptischen  Geschichte  zu  kündigen. 
Der  hebräischen  Sprache  war  Synkellos  übrigens  nicht  kundig  und  er  be- 
nützte das  alte  Testament  xavd  tijv  tojv  o'  fQfxiivei'av;  er  hält  sogar  — 
echt  griechisch  —  den  Septuagintatext  für  vorzüglicher  als  den  hebräischen ! 
Ausser  den  heiligen  Schriften  hat  er  auch  die  Kirchenväter  meist  direkt 
eingesehen,  so  den  Gregor  von  Nazianz,  den  Johannes  Chrysostomos.  — 
Die  Chronik  des  G.  Synkellos  selbst  wurde  Quelle  für  Spätere,  besonders 
für  Georgios  Monachos. 

1.   Ausgaben:    Ed.   pr.   Georgii   Monachi  .  .  .  Syncelli   chronographia   et   Niccphori 
Patriarchae  CP  breviarium  chronographicum  ciira  et  studio  P.  Jacobi  Goar,  Parisüs  1652 


120  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratar. 

(Pariser  Corpus).  —  Im  Bonner  Corpus  ed.  Guil.  Dindorf,  2  voll.,  Bonnae  1829  mit  der 
Abhandlung  des  G.  Bredow  (zuerst  gedi-uckt  in  dessen  Epistolae  Paris.  Lipsiae  1812),  dann 
der  Vorrede,  den  chronologischen  Tafeln,  dem  Kommentar  und  Index  Goar's.  endlich  den 
polemischen  Bemerkungen  Scaligers. 

2.  Hilfsmittel:  Die  älteren,  in  der  Bonner  Ausg.  wieder  abgedruckten  Leistungen 
sind  durch  neuere  Forschungen  entwertet  worden.  Besonders  sind  zu  nennen:  G.  Friedrich 
Unger.  Chronologie  des  Manetho,  Berlin  1867  S.  20  ff.  —  E.  Hiller,  Eusebius  und  Cvrillus, 
Rhein.  Mus.  25  (1870)  253-262.  ~  Carl  Frick,  Rhein.  Mus.  29  (1874)  252-281  und 
Jahns  Jahrb.  135  (1887)  320.  —  Hauptwerk:  Heinrich  Geizer,  Sextus  Julius  Afri- 
canus  II  1  (1885)  176—249,  wo  auch  sonstige  neuere  Litt«ratur  angeführt  ist.  —  Vgl. 
noch  Christ,  Griech.  Litteraturgesch.  2.  Aufl.  §  609. 

53.  Theophanes  Confessor.  Theophanes,  unter  der  Regierung  des 
Konstantin  Kopronymos  (741 — 775),  als  einziger  Sohn  vornehmer  und 
reicher  Eltern  geboren,  zog  sich  nach  kurzer  Josephsehe  mit  der  frommen 
Tochter  eines  byzantinischen  Patriziers*  von  der  Welt  zurück  und  be- 
gründete das  Kloster  Toi  }xeyäXov  'Ayqov  bei  Sigriane  in  Bithynien.  Be- 
züglich seiner  Herkunft  ist  zu  erwähnen,  dass  Kaiser  Konstantin  Porphyro- 
gennetos  erzählt,  er  sei  mit  dem  Chronisten  Theophanes  verwandt,  i)  Im 
Bilderstreit  eifriger  und  freimütiger  Gegner  Leos  V,  des  Armeniers,  wurde 
Theophanes  nach  Konstantinopel  gerufen,  einem  Verhöre  unterworfen  und 
nach  zweijähriger  Gefangenschaft  auf  die  Felseninsel  Samothrake  ver- 
bannt, wo  er  alsbald  sein  Leben  beschloss  (um  817).  Die  Kirche  ehrt  ihn 
als  Confessor  ('O/toAoyfyr/yc)  unter  den  Heiligen. 

Theophanes  übernahm  auf  dringliche  Bitten  seines  dem  Tode  nahen 
Freundes  Georgios  Synkellos  (f  810/11)  die  Fortsetzung  der  unvoll- 
endet gebliebenen  Chronik  desselben  und  führte  das  Werk  von  dem 
Punkt,,  an  welchem  Synkellos  abgebrochen  hatte,  d.  h.  von  Diocletian,  b!s 
auf  den  Sturz  des  Kaisers  Michael  I  Rhangabe,  also  von  284  bis  813.  Die 
Abfassung  der  XQovoygaifiu  des  Theophanes  fällt  in  die  Jalu'e  810/11  bis 
814/15,  d.  h.  in  die  Zeit  vom  Tode  des  Synkellos  bis  zur  Einkerkenfng 
des  Theophanes.  Ohne  Zweifel  übernahm  Theophanes  von  seinem  Freunde 
Synkellos  auch  die  litterarischen  Mittel,  aus  denen  derselbe  bereits  ge- 
schöpft hatte  und  noch  ferner  schöpfen  wollte.  Ueber  die  Veranlassung 
des  Werkes  gibt  uns  Theophanes  selbst  in  seinem  kurzen  Vorworte  ge- 
nügende Aufschlüsse.  Er  bemerkt  dabei,  dass  er  das  schwere  Werk  nur 
übernommen  habe,  um  dem  dringenden  Wunsche  seines  Freundes  zu 
willfahren. 

Das  Hauptprinzip,  welches  Theophanes  bei  der  Komposition  seiner 
Chronik  befolgte,  ist  das  chronologische,  d.  h.  die  Einfügung  des  ge-  1 
samten  historischen  Stoffes  in  Jahresabschnitte.  Wenn  auch  in  anderen 
Chroniken  in  ähnlicher  Weise  der  Zusammenhang  der  Ereignisse  zerschiiitten 
wird  und  mit  jedem  Jahre  die  Erzählung  von  neuem  anhebt,  so  finden  sich 
doch  neben  den  Jahren  der  Welt  und  der  üblichen  Aera  höchstens  noch 
die  laufenden  Regierungsjahre  der  Kaiser  zur  Markierung  der  Einschnitte 
verwendet;  Theophanes  aber  fügt  in  das  chronologische  Fachwerk  auch 
noch  die  Kegierungsjahre  der  Fürsten   der  Perser   und   der  Araber,   sowie 

')  De  administr.  imp.  c.  22  =  od.  Bonn.  lov  '.4yQov,  ftt}TQ6»eioi  ivyxnrmv  rov  fityü- 

III  106,  IH  ff.  :"/ü(jf  wrff  fxavöviae  rovi  /qö-  Xov  xai  evaeßovf  x«j  /(>»Tr««»'<xo)r«ror  linai- 

yovf  1WV  'jQ((ß(üf   6    iy   üyioii  tieoffnvijg,  Xiuii  Kwvatnvrivov,  vlov  Aeoytoi  rov  aotpta- 

6  ttjy  fioytjy  avarijaas  tov  xaXovfiiyov  jueyd-  räiov  xal  dya9ov  ßaaikfiof. 


B.  Die  Chronisten.    (§  53.)  121 

der  fünf  ökumenischen  Patriarchen.  Diese  chronologischen  Stücke  sind 
mit  vielen  Schwankungen  und  Lücken  in  tabellarischer  Form  in  den  er- 
zählenden Text  eingeschoben.  Angedeutet  war  diese  Idee  allerdings  schon 
in  der  Chronik  des  Synkellos,  welche  Theophanes  fortsetzte;  allein  im 
Werke  des  Synkellos,  das  überhaupt  den  Eindruck  einer  nur  vorläufig 
geordneten,  noch  nicht  durchgearbeiteten  Materialiensammlung  macht,  ist 
der  Gedanke  nicht  systematisch  durchgefühi-t. ') 

Theophanes,  dem  es  wie  seinem  Vorgänger  Synkellos  nur  um  eine 
nützliche  und  übersichtliche  Mitteilung  des  rein  Stofflichen  zu  thun  war, 
nennt  seine  Gewährsmänner  nur  selten  und  beiläufig.  Die  Quellen  Unter- 
suchung stösst  daher  auf  grosse  Schwierigkeiten.  Für  die  ältere  Zeit 
bis  zum  Tode  Theodosios  II  weist  das  Werk  vorzüglich  auf  die  Kirchen- 
geschichten des  Sokrates,  Sozomenos  und  Theodoretos ;  2)  doch  benützte 
Theophanes  diese  Autoren  wahrscheinlich  nicht  direkt,  sondern  in  einer 
aus  einem  Werke  des  Theodoros  Lector  stammenden  Ekloge.^)  Es  ist 
dieselbe  Quelle,  welche  hernach  auch  von  Georgios  Monachos,  Julios  Poly- 
deukes,  Leon  Grammatikos  und  andern  verwertet  wurde,  weshalb  Theo- 
phanes in  einzelnen  Partien  mit  diesen  Chronisten  übereinstimmt.  Für  die 
spätere  Zeit  befindet  sich  Theophanes  in  Uebereinstimmung  mit  Prokopios, 
Agathias,  Johannes  von  Epiphania,  Theophylaktos  Simokattes, 
Malalas,  Georgios  Pisides  und  dem  Breviarium  des  Patriarchen  Nike- 
phoros.  Inwieweit  er  aber  diese  Autoren  selbst  oder  eine  aus  ihnen  ab- 
geleitete Quelle  benützt  hat,  muss  erst  eine  nähere  Untersuchung  lehren. 
Wo  er  mit  Xikephoros  stimmt,  scheint  er  nicht  diesen  selbst,  sondern 
eine  gemeinsame  ältere  Vorlage  benützt  zu  haben.  Leber  die  Quellen  der 
Bischofslisten  s.  Ed.  C.  de  Boor  II  484.  Bezüglich  der  Abschnitte,  welche 
von  Mohamed  und  den  nächsten  Chalifen  handeln,  vermutet  Reiske,  dass 
sie  auf  eine  syrisch-griechische  Quelle  zurückgehen;  doch  lässt  sich  auch 
hierüber  nichts  Genaueres  feststellen.  Eine  tiefere  Gelehrsamkeit,  chrono- 
logische Genauigkeit,  eine  feinere  Kritik,  überhaupt  eine  genügende,  nur 
durch  langjähriges  Studium  zu  erwerbende  Beherrschung  des  unge- 
heueren Stoffes  dürfen  wir  bei  dem  Asketen  Theophanes,  der,  seiner 
Schwäche  sich  wohl  bewusst,  nur  durch  eine  zufällige  Veranlassung  aus  einem 
Theologen  zum  Historiker  wurde  und  zudem  offenbar  genötigt  war,  mit 
ungewöhnlicher  Hast  zu  arbeiten,  füglich  nicht  erwarten.  Trotzdem  ragt 
dieses  umfassende  Werk,  welches  uns  manche  verlorene  Quellen  ersetzt 
und  für  die  folgenden  Chronisten  eine  Hauptfundgrube  wurde,  an  sach- 
licher Bedeutung  über  die  meisten  anderen  byzantinischen  Chroniken 
empor.  Theophanes  ist  für  seine  Zeit  epochemachend  und  bildet  einen 
wichtigen  Abschluss  der  älteren  byzantinischen  Chronographie. 

Die  Sprache  des  Theophanes  ist  wichtig  und  bemerkenswert  durch 
ihre  vermittelnde  Stellung  zwischen  der  Redeweise  des  Volkes  und  der  er- 
starrten byzantinischen  Kunstgräzität.  Sie  steht  nicht  so  tief  wie  die  des 
Malalas,  ist  aber  auch  weit  entfernt  von  dem  künstlichen  Attizismus,  wie 

')  S.  die  Aiusgabe  des  Theophanes  von  ')  8.    Christ.    Griech.  Litterat.  *  §  622; 

C.  de  Boor  JI  464  ff.  C.  de  Boor.  a.  a.  0.  I  S.  VIII  und  Sarrazin 

0  S.  Christ,  Griech.  Litterat.  ^  §  622.         a.  unten  a.  0. 


i 


122  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratar. 

er  namentlich  seit  der  Komnenenzeit  die  Litteratur  wieder  zu  beherrschen 
beginnt.  Malalas,  Theophanes  und  Konstantin  Porphyrogennetos 
bezeichnen  die  drei  Hauptphasen  in  der  Geschichte  der  Versuche  zur  Aus- 
bildung einer  dem  Volksmässigen  genäherten  Schriftsprache.  Wie  bei 
Malalas,  so  tritt  auch  bei  Theophanes  die  sprachliche  Neuerung  weniger 
hervor  in  der  Morphologie,  wo  die  attisch-hellenische  Grammatik  in  ihrem 
festen  Gefüge  und  in  ihrer  alten  Tradition  dem  Eindringen  volkstümlicher 
Elemente  einen  festen  Damm  entgegenstellte,  als  vielmehr  im  Wörterbuche 
und  in  der  Konstruktion.  Doch  zeigt  auch  die  Formenlehre  die  Vulga- 
rismen, welche  seit  Polybios  und  dem  neuen  Testamente  neben  den  atti- 
schen Formen  immer  mehr  Raum  gewinnen,  z.  B.  analogische  Aoriste 
wie  ißaXa,  ^y^waa,  eäwffa,  VjQX^r^v  {ttQxofi.ai),  viele  Fälle  von  Doppel- 
augment, von  Vernachlässigung  des  Augments  und  der  Reduplikation  und 
Aehnliches.  Dass  das  Wörterbuch  zum  grossen  Teile  auf  der  kirch- 
lichen Gräzität  beruht,  kann  bei  dem  Werke  eines  Mönches  nicht  auf- 
fallen. Ausserdem  finden  sich  im  Wortbestande  wie  in  der  Semasiologie 
sehr  zahlreiche  Spuren  des  Vulgärgriechischen;  wir  treffen  taytXw  ich  füttere, 
6mx(t)  ich  vertreibe,  verjage,  xarägTiov  der  Mastbaum,  Xißäöiov  die  Wiese, 
Dvandvakomposita  wie  yvvccixönmöa  u.  s.  w.  Die  Syntax  ist  reich  an 
den  schönsten  Beweisen  der  Trübung  des  altgriechischen  Sprachbewusst- 
seins;  cijxa  steht  regelmässig  mit  dem  Genetiv,  häufig  aber  auch  mit  einem 
Genetiv  und  Dativ  zugleich,  ebenso  avv  mit  Genetiv,  anö  mit  Accusativ; 
dazu  kommen  Formen  wie  avafxiaov  und  drafifta^v,  Pleonasmen  wie  fx 
7iaidi6i)-€v,  die  Verbindung  von  oxav  mit  dem  Indikativ,  die  Umschreibung 
des  Futurs  mit  s'x«  und  Infinitiv;  sehr  häufig  ist  der  Zweckinfinitiv  mit 
Tov  und  der  absolute  Nominativ. 

Eine  lateinische  Uebersetzung  des  Theophanes  ist  für  die  mittel- 
alterliche Geschichtschreibung  des  Abendlandes  kaum  minder  wichtig  ge- 
worden als  das  Original  für  den  Orient.  Diese  Uebersetzung  verfasste 
zwischen  873 — 875  der  päpstliche  Bibliothekar  Anastasius.  Derselbe  kom-» 
pilierte  nämlich  auf  Bitten  eines  Diakons  Johannes  aus  den  drei  Chroniken 
des  Nikephoros,  Synkellos  und  Theophanes  eine  historia  tripertita,  welche 
der  Diakon  seiner  Kirchengeschichte  einverleiben  wollte.  Anastasius  nahm 
bei  seiner  Arbeit  sofort  praktische  Rücksicht  auf  diesen  Zweck  und  Hess 
daher  alles  bei  Seite,  was  schon  in  lateinischen  Werken  vorhanden  war, 
also  namentlich  die  auf  die  frühere  Zeit  bezüglichen  Partien.  Bis  auf 
Justinian  hat  er  seine  Vorlagen  nur  sporadisch  exzerpiert.  Erst  von 
Justin  II  und  noch  mehr  von  Maurikios  ab  kann  man  von  einer  eigent- 
lichen Uebersetzung  reden.  Jedoch  hat  er  sich  auch  hier  nicht  so  treu  an 
sein  Original  gehalten,  wie  es  etwa  ein  moderner  Uebersetzer  thun  würde; 
zuweilen  hat  er  den  Sinn  absichtlich  geändert,  nicht  selten  gestattete  er 
sich  auch  Zusätze  und  Ergänzungen.  Trotzdem  ist  die  Uebersetzung  in 
vielen  Partien  sprachlich  völlig  vom  Original  beherrscht,  so  dass  nicht 
selten  ganz  unlateinische  Wendungen  entstehen;  häufig  sind  auch  die 
drolligsten   Missverständnisse.')     Die   richtige  Erkenntnis   dieses   Verhält- 

')  Daa  griechische  Wissen  des  Anastasius   |    trotzdem    zu    einer   wichtigen  (Jesandtschaft 
war    offenbar    recht    oberflfichlich ;    daas    er   \    nach    Konstantinopel    auserwfthlt    und    von 


B.  Die  Chronisten.   (§  53.)  123 

nisses  ist  von  Wichtigkeit,  weil  sich  daraus  auch  die  Grundsätze  ergeben, 
nach  welchen  die  Uebersetzung  des  Anastasius  für  die  Texteskonstitu- 
tion des  griechischen  Theophanes  verwendet  werden  darf. 

Wie  im  Occident,  so  wurde  Theophanes  auch  im  Orient  bald  eine 
Hauptquelle  für  die  Chronisten.  Wie  ihn  Anastasius  ins  Lateinische 
übertrug,  so  hat  ihn  Georgios  Monachos  für  seine  Chronik  gründlich  aus- 
gebeutet. Theophanes  und  Georgios  waren  die  unentbehrlichen  Hand-  und 
Hilfsbücher  für  alle,  welche  sich  über  die  Zeit  vor  Leo  dem  Armenier 
unterrichten  wollten.  Wir  erkennen  diese  Thatsache  sehr  deutlich  durch 
das  Alter  und  die  Zahl  der  Handschriften.  Einige  Zeit  mag  Theo- 
phanes mit  der  Rivalität  des  Georgios  zu  kämpfen  gehabt  haben;  aber  im 
10.  Jahrhundert  steht  das  Werk  des  Theophanes  jenem  völlig  an  Ansehen 
gleich.  Der  Kaiser  Konstantin  Porphyrogennetos  plündert  es;  zu  derselben 
Zeit  erscheint  die  Litter atur  der  , Fortsetzer  des  Theophanes",  welche 
ausdrücklich  an  den  Schluss  seines  Werkes  anknüpften,  als  wollten  sie 
sagen,  dass  nach  ihrer  Ansicht  für  die  von  Theophanes  behandelte  Zeit 
durch  sein  Werk  ein  Abschluss  für  die  historische  Darstellung  erreicht  sei. 
Neben  und  nach  Theophanes  und  Georgios  wurden  dann  wieder  andere 
Weltchroniken  kompiliert,  teils  in  der  Weise,  dass  man  die  Chronik  des 
Georgios  erweiterte  und  überarbeitete,  wozu  Theophanes  den  meisten  Stoff 
lieferte,  teils  indem  man  die  Chroniken  des  Theophanes  und  Georgios, 
meistens  ohne  bedeutende  andere  Zuthaten,  zusammenschweisste.  Es  liegt 
in  diesen  Machwerken  der  Ausdruck  einer  vermittelnden  Geistesrichtung, 
welche  zwar  den  theologischen  Wust  des  Georgios  nicht  entbehren  mochte, 
doch  aber  eine  etwas  grössere  Mannigfaltigkeit  und  Ausdehnung  des  histori- 
schen Stoffes  wünschte.  Von  dem  Schicksal  des  Exzerpierens  und  Inter- 
polierens  ist  übrigens  die  Chronik  des  Theophanes  fast  ganz  verschont 
geblieben.  Der  Textbestand  ist  also  ziemlich  gesichert,  was  z.  B.  bei 
Georgios  Monachos  nicht  der  Fall  ist,  wo  überhaupt  erst  festgestellt  werden 
muss,  was  zuerst  der  wahre  Bestand  des  Original  Werkes  gewesen  ist.  Was 
die  Ueberlieferung  im  einzelnen  betrifft,  so  steht  über  allen  anderen 
Handschriften  der  Vaticanus  154  aus  dem  12.  Jahrhundert:  er  übertrifft 
an  Güte  sogar  die  von  dem  lateinischen  t^ebersetzer  Anastasius  benützte 
Handschrift  und  bildet  daher  für  die  in  ihm  erhaltenen  Partien  die  Basis 
der  Textgestaltung;  leider  enthält  er  nur  einen  Teil  des  Werkes.  Eng 
verwandt  mit  Vatic.  154  ist  Barberin.  V,  49.  Die  älteste,  aber  nicht  beste 
Handschrift  ist  der  Paris,  regius  1710  aus  dem  10.  Jahrhundert;  er  ent- 
hält jedoch  nur  eine  exzerpierende  Bearbeitung,  ähnlich  wie  Malalas  heute 
im  Baroccianus  vorliegt,  der  ja  auch  im  10.  .Jahrhundert  geschrieben  ist. 
S.  die  Uebersicht  in  der  Ausgabe  von  De  Boor  II  399. 

1.  Ausgaben:  Ed.  pr.  Jac.  Goar  (zusammen  mit  Leo  Grammaticus)  gedruckt  nach 
dem  Tode  Goars,  Paris  1655;  eine  Revision  übernahm  Combefis,  indem  er  seine  Verbesse- 
rungen  und  Zusätze   in  jiotae  posteriores  niederlegte.  —  Wiederholt  Venedig  1729.  —  Im 

^nner  Corpus   in   2  Bänden  1839—1841;    der    1.  Band    enthält   den   Theophanes   ex   rec. 

^Sannis  Classeni,  der  2.  die  historia  tripertita  des  Anastasius  ex  rec.  I.Bekkeri.  — 


len  Freunden  um  Uebersetzungen  bestünnt       damals   die   Kenntnis   des   Griechischen    im 
rde,   beweist   deutlich,   wie   selten   schon      Abendlande  geworden  war. 


124  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litter atnr. 

L.F.Tafel,  Thoophanis  chronographia.  Probe  einer  neuen  kritisch-exegetischen  Ausgabe, 
Sitzungsber.  der  phil.-hist.  Cl.  der  Wiener  Akad.  der  Wissensch.  9  (1852)  21 — 172,  gibt 
nach  einer  sehr  verständigen  Einleitung  den  Abschnitt  über  Kaiser  Heraklios  mit  der  lat. 
Uebersetzung  des  Anastasius.  —  Nachdruck  der  Bonner  Ausgabe  bei  Migne,  Patrol.  Graeca 
t.  108  (1861)  mit  den  Noten  des  Uoar  und  Combefis  und  der  Uebersetzung  des  Anastasius. 
—  Nach  diesen  gänzlich  ungenügenden  und  mit  Ausnahme  der  von  Tafel  gegebenen  Probe 
xmkritischen  Leistiingen  hat  Carl  de  Boor  eine  auf  völlig  neuer  Grundlage  ruhende  Aus- 
gabe des  Theophanes  besorgt,  2  voll.,  Leipzig  1883  —  1885.  Vol.  1  enthält  den  emendierten 
Text  dos  Theophanes.  vol.  H  die  vitae  Theophanis,  die  historia  tripertita  des  Anastasius,  eine 
erschöpfende  Abhandlung  über  die  handschriftliche  Ueberlieferung  des  Theophanes  und  einen 
ausgezeichneten  Sach-  und  Wortindex. 

2.  Hilfsmittel:  F.  Hirsch,  Byzantinische  Studien  S.  375  f.  und  passim  (s.  den 
Index).  —  Jos.  Victor  Sarrazin,  De  Theodore  Lectore  Theophanis  fönt«  praecipuo, 
in  den  Comment.  philol.  Jenenses  vol.  I  (1881)  163  -  238.  —  C.  deBoor,  Hermes  17  (1882) 
489  f.  und  Zeitschrift  f.  Kirchengeschichte  6  (1883—1884)  489  flF.  —  G.  Hertzsch  in  der 
zu  §  12  genannten  Schrift  S.  36  ff.  —  Ludwig  Jeep,  Jahns  Jahrb.  14.  Supplementb. 
(1885)  81  ff.  —  H.  Geizer,  Sextus  Julius  Africanus  11  1  (1885)  176  ff.  —  Zu  den  Bischofs- 
listen des  Theophanes  vgl.  das  abweichende  Verzeichnis  bei  Gust.  Grosch,  De  codice 
Coisliniano  120,  Diss.  Jena  1886.  —  Zum  Text«:  K.  Krumbacher,  Hermes  23  (1888)  626  ff. 
und  C.  de  Boor,  Hermes  25  (1890)  301  ff.  '' 

3.  Uebersetzung  des  Anastasius:  Ed.  Fabrotus,  Paris  1649.  —  Alle  späteren 
Ausgaben  sind  Nachdrucke  des  Pariser  Textes.  Daher  musste  De  Boor  auch  für  den  Ana- 
stasius, den  er  im  2.  Bande  des  Theophanes  edierte,  einen  neuen  Apparat  schaffen.  --- 
Ueber  das  Leben  des  Anastasius  und  Johannes  s.  Hergenröther,  Photius  11  (1867)  228  ff. 
und  H.  Usener,  Jahrbücher  für  protest.  Theologie  12  (1887)  241  ff. 

54.  Die  Fortsetzung  des  Theophanes.  Unter  dem  Titel  Ol  fierci 
0eo(färrjv,  Scriptores  post  Theophanem,  was  in  der  Bonner  Ausgabe  in 
die  seitdem  üblich  gewordene  Benennung  Theophanes  continuatus  ab- 
geändert ist,  wird  eine  Gruppe  von  meist  anonymen  Chronisten  zusammen- 
gefasst,  welche  auf  Veranlassung  des  Konstantin  Porphyrogennetos  das 
Werk  des  Theophanes  in  die  spätere  Zeit  fortführten.  Die  hier  vereinigten 
Stücke  behandeln  die  Zeit  von  813 — 961.  Der  Titel  „Fortsetzung 
des  Theophanes"  ist  ganz  passend;  denn  in  der  Ueberschrift  wird  aus- 
drücklich gesagt,  die  Chronik  fange  da  an,  wo  Theophanes  aufgehört 
habe,  und  das  Gleiche  wird  auch  am  Schlüsse  der  Vorrede  bemerkt.  Der 
in  der  einzigen  Handschrift  nicht  vollständig  lesbare  Titel  lautet:  Xqovo- 
YQaqia  avyyQatfeiaa  ex  TtQoaväYfimoq  KiavaruvTivov  tov  (fiXoxQicftov  xai 
noQ(fVQoyevvi\TOV  dtanöiov,  vlov  AiovtoQ  tov  ffo(fün(iiov  öecnötov  xai  avio- 
xQtttoQog  ....  aQxofxevri  onov  ^'Xrj'^s  Qeotpctvrfi  ....  tö)  ßaaiXfT  Mix(tii]k 
iHov  &eo(fiXov  TOV  xovQonaXäTOV,  rjyovi'  äno  tr^g  ßaaiXfi'ag  Asovtoc  tov  'Agf^if- 
ri'ov.  Das  ganze  Werk  zerfällt  in  6  Bücher;  das  erste  umfasst  die  Ge- 
schichte Leos  V  des  Armeniers,  das  zweite  die  Michaels  II,  das  dritte  die 
des  Theophilos,  das  vierte  die  Michaels  III,  das  fünfte  die  des  Basilios,  das 
sechste  endlich  die  Geschichte  Leos  VI,  Alexanders,  Konstantins  VII  Porphyro- 
gennetos, Romanos  I  und  Romanos  II.  Der  unvcrhältuismässig  grosse 
historische  Inhalt  des  sechsten  Buches,  welches  fünf  Kaiserbiographien 
umfasst,  während  die  übrigen  nur  je  eine  enthalten,  erklärt  sich  aus  der 
verschiedenen  Entstehungszeit  und  Entstehungswoise  der  einzelnen  Bücher. 
In  unmittelbarem  Zusammenhang  mit  Konstantin  Porph.  stehen  nämlich 
nur  die  ersten  fünf  Bücher,  die  daher  auch  im  einzelnen  besser  disponiert 
sind;  das  sechste  Buch  dagegen,  welches  ja  in  seinem  letzten  Teile  über 
das  Lebensende  Konstantins  hinausreicht,  steht  wohl  nur  zum  geringsten 
Teile  der  Anregung  des  Kaisers  nahe,  während  der  grössere  Teil  ein  später 


B.  Die  Chronisten.  (§  54.)  125 

angefügtes  Supplement    ist,   in  welchem   die    frühere  Einteilung,   nach  der 
jedem  Kaiser  ein  Buch  gewidmet  wurde,  fallen  gelassen  wurde. 

Den  ersten  fünf  Büchern  des  Theophanes  continuatus  liegt  als  Haupt- 
quelle, gewissermassen  als  Folie  das  Geschichtswerk  des  Genesios  zu 
Grunde,  der  in  seinen  vier  Büchern  ßaaüeiwr  dieselbe  Zeit  (813 — 886)  be- 
handelt hatte.  Ausserdem  dienten  für  die  4  ersten  Bücher  als  Quellen  des 
Kaisers  Konstantin  Porph.  Schrift  De  administrando  imperio,  sowie  der 
Appendix  zum  ersten  Buche  der  Schrift  De  caerimoniis,  ferner  das  Ge- 
schichtswerk des  Theognostos  und  die  Schrift  des  Euodios  über  die 
Schicksale  der  Märtyrer  von  Amorion.  Daneben  finden  sich  Nachrichten, 
die  sich  nicht  auf  eine  uns  bekannte  Quelle  zurückführen  lassen.  Welche 
Quellen  im  5.  Buche  ausser  Genesios  benützt  worden  sind,  ist  dunkel. 
Durch  die  ersten  fünf  Bücher  zieht  sich  die  unleugbare  Tendenz,  die 
Persönlichkeit  und  Thätigkeit  der  Vorgänger  des  makedonischen  Kaiser- 
hauses möglichst  dunkel  zu  malen,  dagegen  die  neue  Dynastie  in  einem 
glänzenden  Lichte  erscheinen  zu  lassen.  Dieser  panegyrische  Ton,  der  am 
meisten  im  5.  Buche  hervortritt,  macht  die  Glaubwürdigkeit  der  Erzählung 
vielfach  zweifelhaft.  Eine  eigenartige  Stellung  nimmt  das  sechste  Buch 
ein,  das  die  Zeit  von  886 — 961  behandelt.  Es  sondert  sich  in  2  Haupt- 
teile: Der  erste  Teil  (Leo  VI  bis  incl.  7.  Kapitel  der  Geschichte  des  Kon- 
stantin Porph.,  S.  353 — 441  ed.  Bonn.)  ist  in  sich  durchaus  gleichartig  und 
zeigt  zugleich  eine  merkwürdige  Verschiedenheit  von  den  vorhergehenden 
Büchern.  Einmal  was  die  Quellen  betrifft:  statt  des  Genesios,  der  mit 
Basilios  schliesst,  tritt  hier  eine  neue  Quelle  auf,  nämlich  die  Arbeit  des 
(anonymen)  „Logotheten*",  welche  die  Fortsetzung  des  Georgios  Monachos 
bildet  (s.  §  56).  In  der  Form  ist  diese  Partie  roher  als  die  ersten  fünf 
Bücher;  ebenso  erscheint  die  Tendenz  verschieden;  jener  Logothet  war 
dem  Basilios  wenig  günstig  gesinnt;  sein  Mann  war  vielmehr  Romanos, 
also  derjenige  Kaiser,  welcher  so  lange  den  Konstantin  Porph.  in  den 
Hintergrund  gedrängt  hatte.  Merkwürdig  ist  nun,  dass  der  Bearbeiter 
dieses  Teiles  die  Tendenz  seiner  Vorlage  nicht  geändert  hat.  Schon  das 
deutet  darauf  hin,  dass  er  nicht  identisch  ist  mit  dem  Redakteur  der  ersten 
vier  (fünf)  Bücher,  der  von  Loyalität  gegen  Konstantin  Porph.  überfliesst 
und  in  durchaus  bewusster  Weise  den  Ruhm  dieses  Kaisers  vertritt.  Freilich 
könnte  man  annehmen,  dass  die  plötzliche  Erkaltung  seines  Eifers  ihren 
Grund  in  dem  Tode  des  kaiserlichen  Beschützers  hatte.  Die  Chronik  des 
Logotheten  ist  während  der  Regierung  des  Nikephoros  Phokas  (963—969) 
geschrieben ;  in  derselben  Zeit  entstand  wohl  auch  der  erste  Teil  des  sechsten 
Buches  der  Fortsetzung  des  Theophanes,  so  dass  hier  also  ein  eben  er- 
schienenes Werk  ausgeschrieben  ist.  Der  letzte  Teil  des  sechsten 
Buches,  nämlich  der  Hauptteil  der  Geschichte  des  Konstantin  Porph.,  und 
die  nicht  vollständige  Geschichte  Romanos  II  ist  allem  Anscheine  nach 
nicht  aus  einem  anderen  Werke  entlehnt,  sondern  selbständige  Darstellung 
eines  Zeitgenossen,  der  von  dem  Verfasser  des  ersten  Teiles  des  sechsten 
Buches  verschieden  ist.  Da  er  die  Eroberung  Kretas  961  noch  erwähnt, 
muss  er  nach  961  geschrieben  haben,  wahrscheinlich  aber  nicht  lange  nach 
dieser  Zeit,  sondern  wohl  zwischen  961  —  963. 


126  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaisclie  Litteratur. 

Die  Fortsetzung  des  Theophanes  wurde  vor  allem  benützt  von  Sy- 
meon  Magister;  ausserdem  ist  sie  von  Johannes  Skylitzes  in  den 
früheren  Teilen  seines  Werkes  ausgeschrieben;  auf  Skylitzes  wiederum 
beruhen  sein  Nachtreter  Kedrenos,  Zonaras  und  andere  spätere  Chronisten. 
Während  Theophanes  selbst  in  einer  Menge  von  Handschriften  verbreitet 
ist,  besitzen  wir  für  die  Fortsetzung  nur  einen  cod.  Parisinus  (ehemals 
Vaticanus  167)  aus  dem  12.  Jahrhundert;  der  Grund  des  Mangels  an  Hand- 
schriften liegt  wohl  darin,  dass  die  Fortsetzung  des  Theophanes  noch  mehr 
als  Theophanes  selbst  durch  spätere  Chronisten  ausgeschrieben  und  über- 
flüssig gemacht  wurde;  auch  lockte  das  Werk  nicht  so  wie  Theophanes 
selbst  durch  eine  geschlossene  und  abgerundete  Behandlung  zur  Verviel- 
fältigung. Die  Texteskritik  wird  bei  diesem  Zustande  der  Ueberliefel-ung 
vorzugsweise  durch  eine  ausgedehnte  Vergleichung  der  späteren  Ausschreiber 
gefördert  werden  müssen,  eine  Arbeit,  die  in  der  Bonner  Ausgabe  noch 
nicht  vollzogen  ist. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Das  5.  Buch  (vita  Basilii)  ed.  zuerst  Leo  Allatius 
in  seinen  ^v/ufxixTce,  Coloniae  Agrippinae  1653,  II  1  —  179.  —  Das  gesamte  Werk  ed.  pr. 
F.  Combefis,  Scriptores  post  Tlieophanem,  Paris  1G85,  mit  .loh.  Kameniates,  Symeon 
Magister,  Georg.  Monachos  und  anderen  zum  Teil  auf  eine  viel  spätere  Zeit  bezüglichen 
Arbeiten.  —  Im  Bonner  Corpus  als  Theophanes  continuatus  ed.  I.  Bekker,  Bonn  1838; 
dazu  S.  481 — 484  einige  Notizen  über  die  Bilderstüniier  von  einem  Mönche  Johannes 
von  Jerusalem.  -  Vgl.  Rambaud,  L'empire  Grec  au  dixieme  siecle  S.  545  f.  —  Haupt- 
schrift: Ferd.  Hirsch,  Byzantinische  Studien  S.  175—302,  woselbst  auch  die  einschlägige 
historische  Litteratur  nachgewiesen  ist.  —  Zum  5.  Buche  vgl.  §  18. 

55.  Nikephoros  Patriarches,  Nachfolger  des  Tarasios,  hatte  den 
Patriarchenstuhl  von  806 — 815  inne.  Seine  Stellung  in  der  Zeitgeschichte 
bezeichnen  namentlich  die  innige  Freundschaft  mit  dem  durch  seine  Hymnen- 
dichtungen und  andere  Schriften  bekannten  Theodoros  Studites  und  die 
energischen  Kämpfe,  welche  er  im  Verein  mit  demselben  gegen  den  bilder- 
stürmenden Kaiser  Leo  V  den  Armenier  (813 — 820),  geführt  hat.  Nike- 
phoros büsste  seinen  unerschrockenen  Eifer  mit  der  Entsetzung  von  der 
Patriarchenwürde  und  der  Verbannung  (815);  er  starb  als  Mönch  im  Jahre 
829.  Sein  Andenken  wird  sowohl  in  der  katholischen  als  in  der  griechi- 
schen Kirche  gefeiert.  Die  Hauptstärke  des  Nikephoros  als  Schriftsteller 
liegt  ohne  Zweifel  in  seinen  theologischen  Werken,  in  welchen  er  die 
Haupt-  und  Grundfrage  jener  Zeit,  die  Bilder  Verehrung,  mit  unermüd- 
licher Begeisterung  behandelt.  Sie  sind  durch  energischen  Freimut  und 
eine  kraftvolle,  fliessende  Darstellung  ausgezeichnet.  Die  hochgradige  Er- 
bitterung, mit  welcher  der  Bilderstreit  in  Wort,  Schrift  und  That  geführt 
wurde,  kommt  hier  deutlich  zum  Ausdruck.  Ausserdem  haben  wir  von 
Nikephoros  zwei  historische  Werke :  1.  Das  umfangreichere  und  bedeutendere 
derselben  ist  betitelt:  laroQia  ainrof^iog  (bei  Photius  cod.  06  laioqixov 
avvTOfiov)  ccTto  rfjg  Mavqixiov  ßaffiXaiag.  Das  Werk  umfasst  die  Zeit  vom 
Tode  des  Kaisers  Maurikios  bis  auf  die  Vermählung  des  ältesten  Sohnes 
des  Kaisers  Konstantin  Kopronymos,  des  späteren  Kaisers  Leo  IV,  d.  h. 
von  602—769.')    Gewöhnlich  wird  diese  wichtige  Schrift  als  Breviarium 


')  Einige  Schwierigkeiten  bereitete  früher   |   (nicht   Tlieophanes,    wie    Potavius   glaubte) 
ein    Fragment,   welches   Georgios  Monachos   |   aus  dorn  Nikephoros  V.  anführt.    Da  nämlich 


B.  Die  Chronisten.   (§  55.)  127 

Nicephori  bezeichnet.  Es  ist  eine  hauptsächlich  auf  das  populäre  Ver- 
ständnis berechnete  Erzählung  der  hervorragendsten  und  der  unbedeutend- 
sten Ereignisse.  Gemäss  dem  Zwecke  des  Buches,  die  Darstellung  für 
einen  grösseren  Leserkreis  interessant  und  zugleich  erbaulich  zu  machen, 
werden  persönliche  Angelegenheiten,  Revolutionen,  merkwürdige  Kämpfe, 
kirchliche  Schenkungen,  theologische  Streitigkeiten  unverhältnismässig  be- 
tont, während  die  Darstellung  des  politischen  Entwicklungsganges  nur 
höchst  locker  gehalten  ist.  Uebrigens  fehlt  es  nicht  an  interessanten  Par- 
tien, wozu  unter  anderem  der  ethnographisch  wichtige  Exkurs  über  die 
Herkunft  und  die  Wanderungen  der  Bulgaren  gehört.')  Der  Bericht, 
der  ganz  ähnlich  bei  Theophanes  wiederkehrt,  ist  wohl  von  beiden  aus 
einer  gemeinsamen  oder  verwandten  Vorlage  geschöpft.  Die  Quellen  des 
Nikephoros  für  das  Breviarium  sind  uns  nicht  einmal  dem  Namen  nach 
bekannt  und  scheinen  gänzlich  verloren.  Mit  Theophanes  stimmt  er  oft 
fast  wörtlich  überein;  doch  hat  weder  er  den  Theophanes,  noch  Theophanes 
ihn  benützt,  sondern  beide  schöpften  aus  einem  unbekannten  älteren  Autor. 
Von  den  übrigen  Chronisten,  welche  dieselbe  Zeit  behandeln,  hat  nur 
Georgios  Monachos  einen  Teil  der  Chronik  des  Nikephoros  frei  exzer- 
piert (S.  3—31  ed.  De  Boor);  für  das  Folgende  hat  Georgios  nicht  mehr 
den  Nikephoros,  sondern  den  Theophanes  benützt.  Auch  sonst  scheint  das 
Breviarium  des  Nikephoros,  das  nur  in  einer  Handschrift  auf  uns  ge- 
kommen ist,  nicht  viel  Anklang  gefunden  zu  haben.  2.  Die  zweite  histori- 
sche Arbeit  des  Nikephoros  ist  die  XgoroYQccifta  avvroi^iog,  ein  äusserst 
mageres  chronologisches  Verzeichnis  von  Adam  bis  auf  das  Todes- 
jahr des  Nikephoros  828.  In  knappen  Tabellen  werden  hier  die  Könige 
der  Juden,  der  Perser,  die  Ptolemäer,  die  römischen  Kaiser,  die  Bischöfe 
von  Konstantinopel,  Rom,  Jerusalem,  Alexandria  und  Antiochia  (d.  h.  der 
fünf  ökumenischen  Sitze)  aufgeführt.  Dieses  Werk  ist  nur  in  einer  Ueber- 
arbeitung  überliefert,  welche  unter  Michael  HI  um  das  Jahr  850  vei- 
anstaltet  wurde.  Um  870  wurde  sie  von  dem  päpstlichen  Bibliothekar 
Anastasius  ins  Lateinische  übersetzt  und  seiner  chronographia  tripertita 
einverleibt.  Während  das  Breviarium  bald  durch  andere  Werke  verdrängt 
wurde,  blieb  die  Chronographie  ein  beliebtes  Nachschlagebüchlein  und  ist 
infolge  dessen  in  zahlreichen  Handschriften  verbreitet,  die  jedoch  fast  alle 
interpoliert  sind  und  bedeutend  von  einander  abweichen.  Die  verschiedenen 
Abschreiber  und  Besitzer  der  Exemplare  haben  nämlich  die  chronologische 
Reihe  meist  über  das  ursprüngliche  Ende  weitergeführt,  so  dass  sie  in 
einem  cod.  bis  auf  886,  in  einem  anderen  bis  auf  944,  in  einem  dritten 
bis  auf  Job.  Tzimiskes  (976)  reicht.  Dazu  kommen  noch  manche  Einschiebsel 
im  Werke  selbst.  Zwei  ähnliche  kurze  chronographische  Stücke  aus  cod. 
Coislin.  193  und  Monac.  Gr.  510  hat  C.  de  Boor  seiner  Ausgabe  beigefügt. 
Photios  gibt  in  seiner  Bibliotheca  cod.  66  eine  ziemlich  anerkennende 

in  demselben  von  dem  Tode  des  Konstantin  '    dieses  Stück   aus   dem  3.  Antirrheticus  des 

KopronjTnos  (775)   die  Rede   ist.    so  schloss  Nikephoros   genommen   ist,   womit   sich    die 

Petavius   (ed.  Bonn.    S.  132  ff.)   dass   das  Sache  erledigt.     S.  Nicephor.  ed.  De  Boor, 

Breviarium  ursprünglich  weiter  gereicht  habe.  Praef.  S.  19. 

als  in  seiner  jetzigen  Gestalt.   Allein  A.  Mai,  ')  Ed.  Bonn.  38  ff.;  ed.  De  Boor  33  ff. 
Bibl.  nova  patrum  V  3,  136  hat  bemerkt,  dass 


128  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    t.  Prosaische  Litteratur. 

Charakteristik  des  Nikephoros  P.  Er  rühmt  ihm  Einfacliheit  und  Klarheit, 
einen  weder  zu  lockeren  noch  zu  knappen  Vortrag  nach  und  sagt,  er  sei 
weder  auf  unnötige  Neuerungen  erpicht,  noch  allzu  altertümlich  und  ge- 
künstelt, nur  könne  vielleicht  die  allzu  grosse  Kürze  und  Dürftigkeit  seiner 
Mitteilungen  Missbilligung  finden.  Vielleicht  war  die  Charakterfestigkeit 
und  Frömmigkeit  des  Nikephoros  nicht  ohne  Einfluss  auf  dieses  lobende 
Urteil.  Richtig  ist  jedenfalls  die  Hervorhebung  der  Einfachheit  und 
Klarheit,  denn  gerade  durch  sie  zeichnete  sich  Nikephoros  vor  vielen 
anderen  Byzantinern  vorteilhaft  aus;  er  spricht  schmucklos,  ohne  viele 
Bilder,  meist  im  einfachsten  Satzbau.  Einen  recht  deutlichen  Gegensatz 
bildet  die  in  schwülstiger  Breite  gehaltene  Biographie  des  Nikephoros 
von  seinem  Schüler  Ignatios  (s.  §  185). 

1.  Ausgaben:  A.  Breviarium  ed.  pr.  D.  Petavius,  Paris  1616.  Diese  Ausgabe 
wiederholte  Petavius  mit  vielen  Verbesserungen  im  1.  Bande  des  Pariser  Corpus  Script. 
Byz.  1648.  —  Wiederholt  Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus  gab  das  Breviarium  ohne 
neue  Hilfsmittel,  doch  mit  zahlreichen  Emendationen  I.  Bekker,  Bonn  1837  (zusamnuMi 
mit  Paulus  Silentiarius  und  Georgios  Pisides).  —  Weit  überholt  und  völlig  überflüssig 
wurden  diese  Arbeiten  durch  die  neue  Ausgabe  von  Carl  de  Boor,  Leipzig,  bibl.  Teubn., 
1880.  De  Boor  fand  den  vatikanischen  Originalcodex,  auf  dessen  Abschrift  alle  bisherigen 
Arbeiten  beruht  hatten,  und  konnte  mit  Hilfe  desselben  die  Lücken  jener  Abschrift  ergänzen 
und  eine  Unzahl  von  verderbten  Stellen  heilen.  Ausser  dieser  Handschrift  verwertete 
De  Boor  einige  aus  Nikephoros  stammende  Suidasstellen,  ein  von  Cramer  aus  cod.  Baroc- 
cianus  50  in  den  Anecd.  Oxon.  11  427  ff.  ediert«s  Glossar,  in  dem  sich  eine  kleine  Samm- 
lung von  Ae^eig  ix  TTJg  iarogiag  rov  ayiov  yixtjtpÖQov  findet,  und  endlich  die  späteren 
Chronisten,  welche  aus  Nikephoros  schöpften.  Mit  dem  Breviarium  gab  De  Boor  auch 
das  XgoyoyQa^ixoy  avyxo(xov,  die  Biographie  des  Nikephoros  von  Ignatios  und  die  2  oben 
erwähnten  chronographischen  Stücke,   endlich  einen  ausgezeichneten  Sach-  und  Wortiudex. 

B.  XQoyoyQC(q)ia  avyTofj,og:  Zuerst  die  lateinische  Uebersetzung  des  Anastasius, 
Basileae  1561  und  in  zahlreichen  Nachdrucken  und  Neubearbeitungen  im  17.  und  18.  Jahr- 
hundert. —  Der  griechische  Text  zuerst  bei  Jos.  Justus  Scaliger,  Thesaur.  tem- 
porum,  Eusebii  Pamphili  etc.  libri  duo,  Lugd.  Batav.  1606  S.  293 — 816;  auch  im  Nachdruck 
dieses  Werkes  von  AI.  Morus,  Amstelodami  1658  S.  301 — 312.  —  Ed.  J.  Goar  griechisch 
und  lateinisch  mit  Noten  als  Anhang  des  Georg.  Synkellos,  Paris  1652.  —  Abdruck  in  der 
Ausgabe  des  G.  Synkellos  von  Dindorf,  Bonn  1829.  —  Diese  Ausgaben  beruhen  auf  dem 
fehlerhaften  cod.  Paris.  1711  und  sind  daher  heute  ohne  Bedeutung.  Einen  Fortschritt 
bezeichnet  die  Leistung  von  Carl  Aug.  Credner,  der  den  griechischen  Text  mit  der  latei- 
nischen Uebersetzung  des  Anastasius  nach  neuen  Hilfsmitteln  herausgab:  Nicephori  chrono- 
logia  brevis,  2  Universitätsprogramme,  Giessen  1832 — 38.  —  Ed.  Carl  de  Boor  (mit  dem 
Breviarium),  der  auch  für  dieses  Werk  eine  völlig  neue  Grundlage  geschaffen  hat.  —  Die 
lateinische  Uebersetzung  des  Anastasius  gab  (nach  zahlreichen  früheren  Ausgaben)  C.  de 
Boor  in  seiner  Ausgabe  des  Theophanes  II  (1885)  36-59. 

C.  Die  theologischen  Stücke  des  Nikephoros  P.  ed.  A.  Mai,  Nova  patrum  biblio- 
theca,  tom.  V,  Romae  1849.  —  Gesamtausgabe  der  theologischen  und  historischen 
Schriften  des  Nikephoros  von  Migne,  Patrol.  Graec.  t.  100  (1860). 

2.  Hilfsmittel:  M.  Hanke,  De  byz.  rerum  Script.  Graecis  S.  223 — 251.  Iriarte, 
Catalog.  codd.  Matrit.  vol.  1  S.  480  (über  eine  Madrider  Handschrift  des  Nikephoros).  — 
Fabricius,  Bibl.  Graeca  ed.  Harl.  7,  462  und  603—609.  —  F.  Hirsch.  Byzant.  Studien 
S.  17  ff.;  127  ff.  -  Ueber  slavische  Uebersefczungen  des  Kompendiums  s.  V.  Jagic,  Arch. 
slav.  Philol.  II  (1877)  17.  —  Hauptschrift  über  die  XgoyoyQ.  at'< yrofiog:  H.  (Jelzer, 
Sextus  Julius  Africanus  II  1,  384—388;  389  ff.  über  andere  chronologische  Tabellen  der 
byzant.  Zeit.  —  Ueber  das  kirchliche  und  politische  Leben  des  Nikephoros  P.  s.  Heryen- 
röther,  Photius  II  (1867)  261  ff. 

66.  Georgios  Monachos  (llamartolos).  Georgios  Monaehos,  häutig 
auch  durch  das  Attribut  llamartolos*)  näher  bezeichnet,  verfasste  unter 


')  Der  Beiname  €(iuaQT<ok6g  ist  nicht  I  daher  in  unseren  handschriftlichen  Titeln 
Eigenname  oder  Standesbezeichnung,  sondern  |  auch  viele  andere  Autoren  führen,  wie  z.  ti. 
das  ständige  Epitbet  von  Mönchen,  welches  j   Theophanes,  Humanob  u.  u.  w. 


B.  Die  Chronisten.   (§  56.)  129 

Michael  UI  (842—867)  ein  4  Bücher  umfassendes  Werk,  welches  betitelt 
ist:  XQortxor  avrroiiov  sx  diacföoon'  xQ^royoctcfoyi'  Tf  xcei  i'§i^yrj(av  avXXsyiv 
xal  aviTB^ir  V7i6  Feüigyiov  duaoTwJ.ov.  Von  der  Person  des  Verfassers 
wissen  wir  nur.  dass  er  ein  Mönch  war,  was  sich  übrigens  auch  ohne 
seine  ausdrückliche  Bezeichnung  als  uoraxög  und  ceiiaoTiokög  schon  aus  der 
klösterlichen  Tendenz  des  Werkes,  dem  fanatischen  Eifer  gegen  die  Bilder- 
stürmer und  der  Vorliebe  für  theologische  Digressionen  deutlich  erkennen 
Hesse.  Die  Zeit  des  Georgios  ergibt  sich  aus  der  Vorrede,  wo  er 
Michael  III  (842—867)  den  letzten  Kaiser  nennt;  ausserdem  zeigt  die  un- 
gewöhnliche Heftigkeit,  mit  welcher  er  sich  gegen  die  Bilderfeinde  wendet, 
dass  ihm  die  ikonoklastische  Bewegung  noch  in  frischester  Erinnerung  war. 
Abgeschlossen  scheint  seine  Arbeit,  wie  sich  aus  einer  auf  die  Regierungs- 
dauer IVIichaels  III  bezüglichen  Stelle  schliessen  lässt,  erst  kurz  vor  dem 
Tode  dieses  Kaisers,  d.  h.  866  oder  867.  Die  Weltchronik  des  Geor- 
gios Monachos  umfasst  die  ganze  Weltgeschichte  von  Adam  bis 
auf  den  Tod  des  Kaisers  Theophilos  842  n.  Chr.')  An  diesen  Kern 
wurden  aber  im  Laufe  der  Zeit  von  verschiedenen  Verfassern  zum  privaten 
Gebrauch  und  nach  privatem  Bedürfnis  Fortsetzungen  angefügt,  die  sich 
in  einigen  Handschriften  bis  948,  in  andern  noch  weiter  ausdehnen.  Dass 
sich  die  Sache  so  verhält,  wird  zweifellos  durch  die  Vorrede  des  Werkes, 
wo  ausdrücklich  erklärt  ist,  das  letzte  Buch  werde  die  Geschichte  der 
Kaiser  bis  Theophilos  (842)  behandeln.  Ausserdem  schliessen  einige  Hand- 
schriften, darunter  die  älteste  (cod.  Coisl.  310  saec.  X)  in  der  That  mit 
dem  Jahre  842  und  haben  die  ausdrückliche  Schlussbemerkung:  rt'Xog  ey- 
ravO^a  tov  xco»'(xo?  ßißXiov;  endlich  haben  einige  der  weiter  reichenden 
Handsclu-iften  an  dieser  Stelle  (.lahr  842)  die  Bemerkung  erhalten:  tiog 
(ade  TU  xQOVixd  Fecogyiov  '  dno  rwr  dids  ixorov  tov  XoyoS-iTov.  Das  Werk 
des  Georgios  zerfällt  in  4  Bücher;  das  erste  handelt  in  ziemlich  verwor- 
rener Weise  von  Adam,  Nimrod,  Ninus,  den  Persern,  Römern,  Philipp, 
Alexander,  den  Brahmanen.  Chaldäern,  Amazonen  u.  s.  w.,  d.  h.  es  gibt 
einen  Ueberblick  über  die  für  den  Mönchsgeschmack  interessantesten  Dinge 
der  Profangeschichte  von  Adam  bis  auf  Alexander  den  Grossen.  Das  zweite 
Buch  beginnt  ebenfalls  mit  Adam  und  enthält  in  grosser  Ausführlichkeit 
im  wesentlichen  die  biblische  Geschichte  bis  auf  die  Römerzeit;  darunter 
sind  allerlei  Exkurse  über  Plato,  den  Götzendienst  u.  s.  w.  eingeschoben. 
Das  dritte  Buch  berichtet  die  römische  Geschichte  von  Cäsar  bis  auf  Kon- 
stantin den  Grossen.  Das  vierte  Buch  endlich  erzählt  die  römisch- 
byzantinische Geschichte  von  Konstantin  dem  Grossen  bis  842. 

Ueber  die  Grundsätze,  Mittel  und  Zwecke  seiner  Arbeit  spricht 
der  Verfasser  selbst  in  seiner  Vorrede:  er  habe  für  sein  Werk  sowolil 
ältere  hellenische  als  auch  neuere  (byzantinische)  Geschichtswerke,  sowie 
erbauliche  Schriften  benützt,  aber  aus  dem  reichen  Stoffe  nur  das  Not- 
wendige und  Nützliche  ausgewählt,  er  habe  sich  stets  bemüht,  die  Wahr- 
heit zu  sagen  und  sich  jedes  Schmuckes  der  Darstellung  enthalten.  Wie 
er  die  Begriffe  von   nützlich   und  notwendig  versteht,    zeigt  die   folgende 

•)  Dieser  Zeitpunkt   ist    in    der  inneren       herstellung   des   Bilderdienstes   von    grosser 
•  schichte    von    Byzanz    durch    die  Wieder-       Wichtigkeit. 

Bandbnch  der  klass.  Alt)  rluniswisBcnscbafl.  IX.     1.  Abtlg.  9 


130  Byzantinisclie  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Aufzählung  der  Dinge,  welche  den  Hauptgegenstand  der  Darstellung  bilden 
sollen,  d.  i.  Erfindung  der  Götzenbilder,  die  Mythologie  der  Griechen,  das 
Mönchswesen,  die  Entstehung  und  Verbreitung  der  bilderfeindlichen  Ketzerei, 
der  Glaube  der  Sarazenen  u.  s.  w.  Es  sind  eben  die  Fragen,  welche  in 
byzantinischen  Klöstern  das  wissenschaftliche  Gesprächsthema  der  auf- 
geweckteren und  unterrichteten  Mönche  bildeten.  So  erklären  sicli  auch 
die  zahlreichen  theologischen  Digressionen,  die  häufige  Einstreuung  langer 
Stellen  aus  Kirchenvätern.  Eine  derartige  Auffassung  der  Geschichte  darf 
uns  daher  bei  Georgios  nicht  im  mindesten  wundern;  mehr  könnte  man 
sich  darüber  wundern,  dass  manche  der  neueren  Geschichtschreiber  und 
Litteraturhistoriker  über  die  mönchische  und  niedrige  Denkart  solcher 
Chronisten  so  viel  Entrüstung  fühlten  und  nicht  verstehen  wollten,  dass 
sie  es  hier  mit  Werken  zu  thun  haben,  die  im  Kloster  und  für  das  Kloster 
geschrieben  sind.  Wenn  wir  das  Werk  des  Georgios  in  gerechter  Weise 
als  eine  mittelalterliche  Mönchschronik  auffassen,  so  erblicken 
wir  in  ihm  ein  kulturhistorisch  wichtiges  Abbild  des  Geistes,  der  Bestre- 
bungen und  der  litterarischen  Mittel,  über  welche  im  neunten  Jahrhundert 
das  byzantinische  Kloster  gebot.  Die  Fernwirkungen  dieses  vielgeschmähten 
Lehr-  und  Lesebuches  sind  unermesslich.  Es  bildet  die  Grundlage  für 
zahlreiche  spätere  Bearbeitungen  der  Weltgeschichte  bei  den  Byzantinern 
und  es  brachte  den  Slaven  den  ersten  Keim  historischer  Kenntnis  und  den 
ersten  Anstoss  zu  litterarischer  Produktion  auf  diesem  Gebiete. 

Welche  Quellen  Georgios  für  die  ältere  Zeit,  d.  h.  für  jenes  Chaos 
zerstreuter  Notizen  in  den  ersten  drei  Büchern  verwertete,  muss  erst  noch 
untersucht  werden.  In  der  Kaisergeschichte  bis  auf  Diocletian  scheint  er 
dasselbe  verlorene  Werk  vor  sich  gehabt  zu  haben,  dessen  Spuren  auch 
bei  Kedrenos,  Leon  Grammatikos  und  Zonaras  wiederkehren.  Für  das 
vierte  Buch  d.  h,  für  die  eigentlich  byzantinische  Zeit  ist  seine  Haupt- 
quelle die  Chronik  des  Theophanes.  Doch  benützte  er  anfänglich  neben 
Theophanes  noch  andere  Autoren ;  so  erweisen  sich  z.  B.  für  die  Zeit  des 
Anastasios  nicht  Theophanes  selbst,  mit  dem  Georgios  häufig  stimmt,  son- 
dern die  von  Theophanes  benützten  Autoren,  nämlich  Mala  las  und  Theo- 
doros  Lector  als  die  Vorlagen  des  Georgios.  Eine  Hauptquelle  war  auch 
das  Breviarium  des  Nikephoros  Patr.*)  Allmählich  aber  schrumpft 
die  Chronik  zu  einem  blossen  Auszuge  aus  Theophanes  zusammen,  den 
er  nur  seinem  besonderen  Geschmacke  gemäss  mit  den  unvermeidlichen 
theologischen  Digressionen  untermischt.  Eine  eigenartige  Stellung  nimmt 
der  letzte  Teil  der  Chronik  ein,  der  die  Geschichte  von  813—842  ent- 
hält. Hier  haben  wir  es  allem  Anscheine  nach  mit  einer  selbständigen 
Arbeit  des  Georgios  zu  thun.  Da  er  zudem  der  einzige  zeitgenös- 
sische Chronist  *)  ist,  der  diese  Ereignisse  behandelt,  bringen  wir  diesem 
Abschnitte  eine  besondere  Teilnahme  entgegen.  Leider  erfüllt  Georgios 
auch  hier  nicht  die  Erwartungen,  die  wir  auf  ihn  zu  setzen  geneigt  sind; 
denn  statt  einer  geordneten,  wirklich  geschichtlichen  Erzählung  finden  wir 

0  S.  Ed.  De  Boor,  Praef.  23.  1  nössischen  Autor,   den  Scriptor  incertus 

^  Nur  für  einen  Teil  dieses  Abschnittes   ,    de  Leone  Annonio   (in  der  Bonner  Ausgabe 
besitzen    wir    noch   einen  zweiten  zeitge-       liinter  Leo  (irannnaticus). 


B.  Die  Chronisten.   (§  56.)  131 

den  fanatischen  Erguss  eines  leidenschaftlichen  Feindes  der  Ikonoklasten, 
der  nur  für  kii-chliche  Dinge,  besonders  für  die  auf  den  Bildersturm  be- 
züglichen Dinge  Interesse  hat.  Die  wirklich  historischen  Nachrichten  sind 
verhältnismässig  spärlich:  sie  verschwinden  in  dem  Wüste  theologischer 
Digressionen  und  der  heftigsten  Schmähungen  gegen  die  Bilderfeinde.  Eine 
Quelle  dieses  Abschnittes  ist  die  von  Ignatios  verfasste  Biographie  des 
Patriarchen  Nikephoros.  Im  übrigen  Ts-ird  diese  Partie  wohl  grösstenteils 
auf  mündlichen  Berichten  und  auf  eigener  Erfahrung  beruhen. 

Nach  der  von  Georgios  selbst  verfassten  Chronik  findet  sich  in  den 
meisten  Handschriften  eine  längere  Fortsetzung,  die  bis  zum  Tode  des 
Romanos  Lakapenos  948,  in  einigen  Handschriften  bis  1071,  1081,  in  einer 
sogar  bis  1143  reicht.  Immerhin  schKesst  der  Haupttext  der  Fortsetzung 
mit  948;  die  erwähnten  weiter  reichenden  Zugaben  sind  meist  nur  dürftige 
Notizen,  zum  Teil  nur  tabellarische  Verzeichnisse,  die  offenbar  die  Besitzer 
der  betreffenden  Handschriften  für  ihren  Privatgebrauch  an  den  Schluss 
der  früheren  Fortsetzung  anfügten.  Ueber  den  Verfasser  des  allein 
wichtigen  Teiles  der  Fortsetzung,  d.  h.  der  Partie  bis  948,  sind  wir  sehr 
übel  unterrichtet.  Nach  einem  handschriftlichen  Vermerk,  der  sich  am 
Schlüsse  der  Chronik  des  Georgios  und  auch  am  Schlüsse  der  Fortsetzung 
findet,  wäre  letztere  das  Werk  eines  loyod^tTr^c,  dessen  Name  aber  nicht 
genannt  wird.  Doch  lässt  sich  wenigstens  feststellen,  dass  dieser  Logothet 
zu  Anfang  der  Regierung  des  Nikephoros  Phokas  (963 — 969)  sein  Werk 
beendete.  Wie  sich  aus  Verweisen  auf  Dinge,  die  sich  in  unserem  Georgios 
nicht  finden,  ergibt,  hatte  dieser  Fortsetzer  nicht  die  Absicht,  mit  seinem 
Werke  eine  Ergänzung  des  Georgios  zu  geben;  seine  Arbeit  wurde  viel- 
mehr erst  von  einem  andern  mit  unserer  Chronik  verbunden.  Der  Zu- 
sammenhang beider  Werke  ist  also  ein  äusserlicher,  und  die  Bezeichnung 
als  „Fortsetzung  des  Georgios  Monachos"  ist  nur  von  dieser  zufälligen 
Vereinigung  zu  verstehen.  Der  „Logothet"  ist  nicht  nur  äusserlich  ohne 
eigentlichen  Zusammenhang  mit  Georgios,  sondern  auch  in  Auffassung  und 
Charakter  ein  ganz  verschiedener  Autor.  Bei  ihm  tritt  das  Kirchliche  in 
den  Hintergrund,  und  das  Hauptinteresse  ist  den  Vorgängen  am  Hofe 
zugewendet;  diese  schildert  er  mit  grosser  Ausführlichkeit,  Genauigkeit 
und  Klarheit,  allem  Anscheine  nach  auch  im  allgemeinen  unparteiisch  und 
getreu.  Besonders  wohl  unterrichtet  zeigt  er  sich  über  Romanos  Laka- 
penos, den  er  mit  Vorliebe  und  offenbar  als  zeitgenössischer  Berichterstatter 
behandelt.  Es  lässt  sich  darnach  vermuten,  dass  er  unter  diesem  Kaiser 
das  Amt  eines  Logotheten  bekleidete^  Die  Geschichte  der  selbständigen 
Regierung  des  Konstantin  Porphyr,  hat  der  Logothet  noch  begonnen,  ge- 
langte aber  nur  bis  zum  Tode  des  Romanos  Lakapenos  948.  Eine  seiner 
Hauptquellen  ist  Genesios.  Die  in  einigen  Handschriften  angehängte 
Fortsetzung  über  948  hinaus  stammt  zum  grössten  Teil  aus  der  Fort- 
setzung des  Theophanes. 

Sprachlich  bietet  Georgios  weniger  Interessantes  als  Theophanes. 
Wie  er  in  der  Vorrede  mit  bescheidenem  Stolze  hervorhebt,  hat  er  sich 
um  Kunst  der  Darstellung  nicht  bekümmert;  sein  Prinzip  ist:  Kgaacov 
fieice  aXtj^tiag  xj^itkXi^tiv  ij  fieta  ipev^oiyg  nkaTcoriXeiv,  ein  Satz,  der  für  die 

9* 


132  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    1.  Prosaische  Litteratur. 

byzantinische  Zeit  vor  der  grossen  litterarischen  Reaktion  unter  den  Kom- 
nenen  überhaupt  bezeichnend  ist.  Trotzdem  sehreibt  Georgios  nicht  so 
einfach  und  natürlich,  wie  man  nach  diesem  ausdrücklichen  Versprechen 
erwarten  sollte.  Seine  Diktion  ist  durch  die  Kirchensprache  und 
ihre  mannigfaltigen,  manchmal  etwas  geschraubten  Hilfsmittel  stark  be- 
einllusst.  Doch  wäre  es  bedenklich,  hierüber  ein  schärferes  Urteil  aus- 
zusprechen, ehe  der  echte  Originaltext  festgestellt  ist;  die  mühsamste 
Untersuchung  dieser  Gräzität  würde  vielleicht  nur  zu  bald  durch  eine  neue 
kritische  Ausgabe  umgestürzt.  Jedenfalls  aber  gehört  Georgios  zu  den 
Autoren,  die  auf  eine  strengere  Form  Verzicht  leisten,  obschon  er  sich 
von  Theophanes  durch  grössere  Annäherung  an  kirchliche  Ausdrucksweise 
unterscheidet,  wie  er  ja  auch  stofflich  durch  noch  grössere  Betonung  der 
kirchlichen  Angelegenheiten  von  ihm  abweicht.  Ein  ganz  ungenügendes 
Glossar  der  neuen  und  fremden  Wörter  des  Georgios  und  der  Fortsetzer 
gab  Muralt  in  seiner  Ausgabe  S.  963—977. 

Die  Ueberlieferung  des  Georgios  Monachos  gehört  zu  den  schwie- 
rigsten Fragen  der  byzantinischen  Philologie.  Da  nämlich  diese  Welt- 
chronik seit  dem  9.  Jahrhundert  das  beliebteste  Hand-  und  Hausbuch  für 
geschichtliche  Belehrung  und  Unterhaltung  wurde,  hat  dasselbe  im  Laufe 
der  Zeit  verschiedene  „verbesserte  und  vermehrte  Auflagen"  erfahren. 
Wir  können  bis  jetzt  vorzüglich  zwei  Haupt redaktionen  unter- 
scheiden: eine  kürzere  und  eine  an  thatsächlichen  Angaben  reichhaltigere, 
aber  vom  Original  wahrscheinlich  weiter  entfernte,  durch  Zusätze  ver- 
mehrte. Unter  den  bis  jetzt  bekannten  27  Handschriften  stehen  obenan 
Coisl.  134  und  310,  in  welchen  das  Original  der  Chronik  am  treuesten 
wiedergegeben  ist;  am  nächsten  kommt  denselben  der  Vatican.  153;  stark 
überarbeitet  ist  das  Werk  im  Vatican.  154  und  in  dem  von  Muralt  vor- 
züglich benützten  Mosquensis.  Wie  Malalas  wurde  auch  Geoi'gios  Monachos 
frühzeitig  in  slavische  Sprachen  übertragen;  er  spielt  in  der  älteren 
slavischen  Litteratur  eine  grössere  Rolle  als  irgend  ein  anderer  byzantini- 
scher Chronist;  es  sind  bis  jetzt  mindestens  12  Exemplare  des  Georgios 
teils  bulgarisch-slovenischer,  teils  serbisch-slovenischer  Redaktion  bekannt. 
In  der  slavischen  Uebersetzung  wurde  Georgios  die  Hauptquelle  aller  nicht- 
russischen Geschichte  für  die  älteste  russische  Chronik,  die  ohne  genügenden 
Grund  dem  Mönche  Nestor  in  Kiew  zugeschrieben  wird,  in  der  Tliat  abrr 
ein  anonymes  Werk  aus  dem  Anfang  des  12.  Jahrh.  ist.  Nicht  minder 
fruchtbar  als  für  die  russische  Chronikenlitteratur  wurde  Georgios  für  die 
byzantinische  Geschichtschreib^ng  selbst.  Er  gehört  zu  den  Autoren, 
aus  welchen  Stücke  in  das  konstantinische  Exzerptenwerk  Aufnahme  fanden. 
Ausserdem  wurde  er  von  den  späteren  Chronisten,  wie  von  Kedrenos, 
Theodosios  Melitenos  und  seinem  Nachtreter  Leon  Grammatikos,  Julios 
Polydeukes,  Symeon  Magistros  und  Glykas  in  einem  solchen  Umfange  aus- 
geschrieben, dass  wir  durch  die  Veröffentlichung  des  ganzen  Georgios  wenig 
neue  historische  Nachrichten  gewonnen  haben. 

1.  Ausgaben:  In  der  Pariser  .Sammlung  wurde  nur  die  Solilus.spart ie  des  (TeorgioS 
und  die  Fortsetzung,  also  der  auf  die  Zeit  von  Si:i— 94S  bezügliche  Teil  atifgenommen 
unter  dem  Tit<>l  Hirn  roiy  i-ttoy  jiitaih'ioy  in  den  Scri|>tores  post  Tlieophaneni  ed.  Conibefis. 
Paris  lüÖJ.   —   Wiederholt  Venedig   17'_'U.  N'arianten    aus    ein«'r    Mündiener   llandsehritt 


B.  Die  Chronisten.   (§  57.)  133 

gab  der  ehemalige  Vorstand  der  Münchener  Hof  Bibliothek ,  Ign.  Hardt.  im  Neuen  literar. 
Anzeiger,  3.  Jahrg.  1.  Hälfte,  Tübingen  1808  S.  61  ff.;  derselbe  Gelehrte  hatte  auch  eine 
Ausgabe  vorbereitet;  s.  seinen  Catalogus  codicum  mss.  Graec.  bibliothecae  regiae  Bavaricae 
tom.  II  (1806)  S.  103  ff.,  wo  cod.  Gr.  Monac.  139  besprochen  ist.  —  Exzerpte  aus  den 
ersten  Abschnitten  des  Georgios  edierte  aus  3  Oxforder  Handschriften  A.  Gramer,  Anecdot. 
Oxoniens.  4  (1837)  218—246.  —  Dasselbe  Stück,  das  in  der  Pariser  Ausgabe  vorliegt,  edierte 
im  Bonner  Corpus  ohne  Rücksicht  auf  die  Publikationen  von  Hardt  und  Gramer  und  ohne 
sonstige  nennenswerte  Förderung  I.  Bekker  mit  dem  Theophanes  continuatus,  Bonn  1838 
S.  763—924.  —  Die  gesamte  Chronik  des  Georgios  Monachos  mit  den  Fortsetzungen 
ed.  pr.  Edouard  de  Muralt:  Georgii  monachi,  dicti  Hamartoli,  chronicon  ab  orbe  condito 
ad  annum  p.  Chr.  842  et  a  diversis  scriptoribus  usque  ad  a.  1143  continuatum  etc..  Petro- 
poli  1859.  Leider  ist  diese  Ausgabe  gänzlich  ungenügend;  der  Herausgeber  beschreibt  zwar 
27  Handschriften,  hat  aber  nur  einen  Teil  derselben  wirklich  benützt  und  auch  von  diesen 
die  wenigsten  vollständig  verwertet;  dem  Texte  hat  er  in  der  Hauptsache  nur  eine  Moskauer 
Handschrift  aus  dem  12.  Jahrb.  zu  Grunde  gelegt,  die  eine  stark  überarbeitete  Redaktion 
enthält.  Infolgedessen  bietet  seine  dickleibige  Ausgabe  nicht  den  wirklichen  Ori- 
ginaltext des  Georgios  Monachos,  sondern  ein  mit  ungenügenden  Varianten  und 
Konkordanzen  ausgestattetes  Elaborat  einer  späteren  Zeit,  aus  dem  der  wahre  Text  des 
Georgios  unmöglich  festzustellen  ist.  —  Die  Ausgabe  von  Muralt  wurde  nachgedruckt  von 
Migne,  Patrolog.  Graeca  110  (1863),  wo  auch  eine  lateinische  üebersetzung  bei- 
gegeben ist.  —  Eine  kritische  Ausgabe  ist  daher  noch  ein  Bedürfnis,  vor  dessen  Er- 
füllung sprachliche,  litterarhistorische  und  geschichtliche  Untersuchungen,  wie  auch  die 
Erforschung  der  Quellen  des  Georgios  ohne  genügende  Grundlage  bleiben.  Das  Material 
für  ein  solches  Unternehmen  hat  C.  de  Boor  gesammelt.  Gelänge  es,  die  äusseren  Schwierig- 
keiten der  Veröffentlichung  zu  überwinden,  so  erhielten  wir  durch  die  Ausgabe  des  Geor- 
gios in  Verbindung  mit  der  des  Theophanes  das  Mittel,  die  ganze  spätere  Chronographie 
in  ihre  Teile  zu  zerlegen  und  eine  Anzahl  Bände  des  Corpus  der  byzantinischen  Historiker 
auf  ein  Minimum  zu  reduzieren. 

2.  Hilfsmittel:  Leo  Allatius,  Diatribe  de  Georgiis,  in  seiner  Ausgabe  des 
Georgios  Akropolites,  Paris  1651  S.  325  ff.  Wiederholt  bei  Fabricius,  Bibl.  Graec. 
ed.  Harl.  12,  30  ff.  —  In  Philipp  Krug's  Forschungen  in  der  älteren  Geschichte  Russ- 
lands, herausgeg.  von  Ed.  Kunik,  Petersburg  1848,  ist  Band  II  785—807  ein  Anhang  von 
Kunik  beigefügt,  der  besonders  über  den  Logotheten  handelt.  —  L.  Tafel,  Sitzungsber. 
der  Wiener  Akad.  d.  Wiss.  9  (1852)  44 — 53  und  dessen  Vorrede  zu  Theodosii  Meliteni 
chron.  (s.  §  57)  S.  9  f.  —  Ueber  Muralts  Ausgabe  s.  die  inhaltreiche  Besprechung  im 
Liter.  Centralbl.  1861,  527  ff.  —  Nolte,  Ein  Exzerpt  aus  dem  zimi  grössten  Teil  noch 
ungedruckten  Chronicon  des  Georgios  Hamartolos,  Tübinger  theol.  Quartalschrift  44  (1862) 
464—468.  —  Ueber  die  Beziehungen  zum  russischen  Chronisten  Nestor  imd  andern 
slavischen  Chronisten:  Krug,  Kritischer  Versuch  zur  Aufklärung  der  byzantinischen 
Chronologie,  Petersburg  1810  (eine  sehr  verständige  Vorarbeit  zu  Muralts  Chronologie 
Byzantine)  und  die  Prolegomena  der  Ausgabe  von  Muralt  cap.  III  (S.  30 — 37).  wo  die 
einschlägige  neuere  russische  Litteratur  über  den  Gegenstand  genannt  ist;  ausserdem 
Chronica  Nestoris  ed.  Fr.  Miklosich,  Vindobonae  1860  S.  183  —  186  und  Chronique  dite 
de  Nestor  traduite  sur  le  texte  slavon-russe  ....  par  Louis  Leger,  Paris  1884  {=  Pu- 
blications  de  l'ecole  des  langues  orientales  Vivantes  II.  serie  vol.  13),  wo  S.  XXIII  ff.  auch 
die  wichtigste  Litteratur  zur  Nestorchronik  verzeichnet  ist.  —  V.  Jagic,  Arch.  slav.  Philol.  2 
(1877)  9  ff.  und  8  (1885)  578  ff.  —  Die  aus  dem  Jahre  1386  stammende  serbische  Üeber- 
setzung des  Georgios  wurde  ediert  von  der  russischen  Gesellschaft  der  Bibliophilen, 
3  Bände.  Petersburg  1878—81:  s.  den  Bericht  von  V.  Jagic.  Archiv  slav.  Philol.  4  (1880) 
648  und  6  (1882)  133.  —  Hauptschriften:  Ferd.  Hirsch,  Byzant.  Studien  S.  1—88 
(woselbst  auch  die  einschlägige  historische  Litteratur  angeführt  ist)  imd  Carl  de  Boor, 
Zur  Kenntnis  der  AVeltchronik  des  Georgios  Monachos  in:  Historische  L^ntersuchungen, 
Arnold  Schäfer  zum  25jährigen  Jubiläum  gewidmet,  Bonn  1882  S.  276 — 295. 

3.  Eine  abgekürzte,  halb  vulgärgriechische  Paraphrase  des  Georgios  und 
seiner  Fortsetzung  bis  auf  die  Regierung  des  Nikephoros  Botaneiates  (L.  VI  cap.  4  inclus. 
der  Ausgabe  Muralts)  enthält,  nach  einer  gütigen  Mitteilung  von  Dr.  H.  Seger,  Cod.  Lau- 
rentianus  59,  13  fol.  134—149. 

57.  Leon  Grammatikos,  Theodosios  von  Melite,  Julios  Polydeukes 
(PoUux).  Diese  Exzerptoren  führen  in  das  verworrenste  Gebiet  der  byzan- 
tinischen Chronographie.  Schon  bei  Georgios  Monachos  entstehen  Schwierig- 
keiten dadurch,  dass  nicht  ein  bestimmter  Text,  sondern  verschiedene 
Redaktionen  desselben  vorliegen.    Doch  haftet  diesen  Bearbeitungen  wenig- 


134  Byzantinische  Litteratargeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

stens  der  Name  des  Georgios  an  und  ihr  ursprünglicher  Bestand  lässt 
sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  erkennen.  In  Leon,  Theodosios  und 
Julies  Polydeukes  haben  wir  aber  Chronisten,  die  sich  zwar  auch  an 
Georgios  anlehnen,  aber  nicht  in  dem  Grade,  dass  man  ihre  Werke  noch 
als  Redaktionen  dieser  Vorlage  bezeichnen  könnte.  Dagegen  sind  sie 
unter  sich  selbst  so  enge  verwandt,  dass  sie  eine  gemeinsame  Betrach- 
tung erheischen.  Wäre  nur  mit  einer  dieser  drei  Chroniken  der  Name 
eines  bestimmten  Autors  überliefert,  so  würde  die  Litteraturgeschichte 
wahrscheinlich  einfach  von  dem  Werke  des  Leon  bzw.  Theodosios  oder 
Polydeukes  und  seinen  Ueberarbeitungeii  oder  Auszügen  sprechen.  Immer- 
hin mögen  wir  aus  praktischen  Rücksichten  diesen  di*ei  Abschreibern  dank- 
bar sein,  da  sie  uns  für  ihre  doch  vielfach  von  einander  abweichenden 
Kompilationen  eine  verständliche  Nomenklatur  an  die  Hand  gaben.  Wie 
bei  Georgios,  so  ist  auch  hier  nicht  nur  zwischen  den  Redaktionen, 
sondern  auch  zwischen  den  einzelnen  Codices  zu  unterscheiden,  wodurch 
die  Erkenntnis  der  litterarhistorischen  Thatsachen  noch  weiter  erschwert 
wird.  Werke  dieser  Art  wurden  eben  in  Byzanz  niemals  als  abgeschlossene 
Monumente  von  litterarischer  Bedeutung  angesehen,  sondern  als  praktische 
Hand-  und  Hausbücher,  die  jeder  Besitzer  oder  Kopist  nach  Bedürfnis 
und  Geschmack  exzerpierte,  erweiterte  und  umarbeitete.  Die  litterar- 
historischen  Begriffe  des  selbständigen  Werkes,  der  Redaktion  und 
der  blossen  handschriftlichen  Differenz  fliessen  hier  vielfach  inein- 
ander über.  So  hat  z.  B,  Tafel  den  Leon  und  den  Theodosios  für  völlig 
identisch,  „für  eine  und  dieselbe  Person"  erklärt,  ^  die  nur  verschiedene 
Namen  trüge,  eine  Auffassung,  die  aber  doch  nicht  ganz  richtig  ist  und 
falsche  Vorstellungen  erwecken  könnte. 

Die  Chronik  des  Leon  Gramm  atikos,  die  im  Anfang  verstümmelt 
ist,  beginnt  mitten  im  Satze  mit  Reflexionen  über  den  Sündenfall;  darauf 
folgt  eine  Geschichte  Adams  bis  zur  Sintflut,  eine  Geschichte  der  Juden, 
der  babylonischen  und  persischen  Könige,  Alexanders  des  Grossen,  der 
Ptolemäer  bis  auf  Kleopatra,  endlich  eine  Geschichte  der  römischen  und 
byzantinischen  Kaiser  bis  948.  lieber  den  Autor  und  seine  Zeit  be- 
lehrt eine  Notiz  am  Schluss  des  Werkes  (ed.  Bonn.  S.331);  es  heisst  dort, 
das  Werk  r}  iwv  vtMV  ßaaüeon'  xQovoygaqiia  sei  von  dem  Grammatiker 
Leon  im  Jahre  1013  vollendet  worden.^)  Die  öfters  behauptete  Identität 
dieses  Leon  mit  dem  von  Skylitzes  „Leon  der  Asiate",  von  Kedrenos 
„Leon  der  Karier"  genannten  Leon  lässt  sich  nicht  erweisen.  Der  erste 
Teil  bis  auf  Kleopatra  ist  ein  Reflex  aus  Sextus  Julius  Africanus,  der 
ganz  ähnlich  bei  Theodosios  Melitenos  und  Julios  Polydeukes  wiederkehrt. 
Ausserdem  zeigt  sowohl  Leon  als  Theodosios  und  Polydeukes  grosse  Ver- 
wandtschaft mit  Georgios  Monachos,  welche  uns  wahrscheinlich  macht, 
dass  alle  drei  die  gleichen  Quellen  benützten,  die  sie  jedoch  verschieden 
bearbeiteten.  Auch  in  der  Geschichte  der  riunischen  Kaiser  bemerken  wir 
grosse  Aehnlichkeit  zwischen  Leon  und  Polydeukes;  doch  ist  hier  Poly- 
deukes reichhaltiger   und  berücksichtigt  hauptsächlich   die  kirchlichen  An- 

')  MUncbuner  Gelohrtc  Anzeigen    1854,  ■')  Damnch  wäre  Leon  allerdings  zunftcliHt 

2,  3.  Ci.  8.  166.  nur  Verfasser  des  späteren  Teiles  (813  -948). 


B.  Die  Chronisten.  (§  57.)  135 

gelegenheiten ,  während  Leon  grössere  Vorliebe  für  anekdotenartige  Er- 
zählungen verrät.  Die  Verwandtschaft  des  Leon  mit  Georgios  nimmt  in 
diesem  Teile  noch  zu  und  erreicht  die  höchste  Stufe  mit  der  Geschichte 
Justinians  11  (685  n.  Chr.).  Von  hier  ab  ist  Georgios  ohne  Zweifel  un- 
mittelbare Quelle  des  Leon,  welcher  den  seiner  Vorlage  entlehnten  Nach- 
richten nur  weniges  aus  anderen  Quellen  hinzufügte.  Für  den  letzten  Teil 
(813—948)  hat  Leon  den  Georgios  und  seinen  Fortsetzer  einfach  aus- 
geschrieben unter  Weglassung  der  ihm  überflüssig  erscheinenden  Digres- 
sionen  und  subjektiven  Ergüsse.  Historisch  ist  demnach  dieser  Teil  der 
Chronik  Leons  als  Exzerpt  eines  noch  erhaltenen  Werkes  gänzlich  wertlos. 
Wir  erkennen  sogar,  welche  Beschaffenheit  das  von  Leon  benützte  Exem- 
plar des  Georgios  hatte;  es  gehörte  ohne  Zweifel  zu  der  durch  zahlreiche 
Zusätze  erweiterten  Redaktion,  scheint  aber  doch  von  allen  bis  jetzt  be- 
kannten Handschriften  verschieden  gewesen  zu  sein. 

Enge  verwandt  mit  dem  W^erke  des  Leon  ist  die  unter  dem  Namen 
des  Theodosios  Melitenos  erhaltene  Chronik.  Auch  hier  haben  wir 
zuerst  dieselbe  Schöpfungsgeschichte,  die  bei  Leon  im  Anfange  verstümmelt 
und  bei  Polydeukes  vollständig  wiederkehi't,  dann  die  orientalische  Ge- 
schichte U.S.  w.  Der  Hauptunterschied  des  Theodosios  (in  seiner  jetzigen 
Ueberlieferung)  von  Leon  besteht  darin,  dass  bei  Theodosios  das  ganze 
Stück  von  Caesar  bis  auf  Konstantin  den  Grossen  fehlt.  Im  folgenden 
unterscheidet  sich  Theodosios  von  Leon  vor  allem  dadurch,  dass  er  den 
Georgios  Monachos  und  seinen  Fortsetzer  noch  genauer  ausschreibt.  Theo- 
dosios hat  für  seine  Chronik  zuerst  einfach  die  des  Leon  bearbeitet,  dann 
neben  Leon  auch  dessen  Quelle  Georgios  beigezogen,  endlich  zuletzt  den 
Georgios  allein  selbständig  exzerpiert.  Wir  haben  also  in  Theodosios  eine 
spätere  mit  einem  selbständigen  Namen  versehene  lieber  arbeitung  des 
Leon  Grammatikos. 

Unter  dem  Namen  des  Julies  Polydeukes  (Pollux)  ist  eine  ^laToqia 
(fvaixi]  xcei  xQo^'txör  ^(fe^r^c  überliefert.  Ueber  den  Verfasser  und  seine 
Zeit  ist  uns  nichts  Näheres  bekannt.  In  den  zwei  bis  jetzt  veröffentlichten 
Handschriften  des  Julies  Polydeukes  (einer  Mailänder  und  einer  Münchener) 
bricht  das  Werk,  nachdem  die  Geschichte  der  Schöpfung,  der  Juden,  Baby- 
lonier,  Perser,  Alexanders  und  der  Ptolemäer,  endlich  in  immer  ausführ- 
licher werdender  Darstellung  die  der  römischen  Kaiser  behandelt  ist,  mitten 
in  der  Regierung  des  Kaisers  Valens  (377)  ab;  dagegen  steht  in  einer 
vatikanischen  Handschrift  (cod.  163),  auf  welche  B.  Hase  i)  aufmerksam 
gemacht  hat,  unter  dem  Namen  des  Julies  Polydeukes  eine  Chronik,  welche 
bis  zum  Jahre  963  reicht,  übrigens  mitten  im  Satze  aufhört,  also  ebenfalls 
am  Schlüsse  verstümmelt  ist.  Ueber  diese  Handschrift  haben  wir  noch 
keine  näheren  Angaben;  wir  ersehen  aus  den  von  Hase  mitgeteilten  Proben 
nur,  dass  der  Verfasser  über  Romanos  II  (959 — 963)  als  Zeitgenosse 
berichtet.  Diese  letzten  Stücke  zeigen  grosse  Verwandtschaft  mit  der 
Schlusspaiiie  der  Fortsetzung  des  Theophanes.  Von  Leon  und  Theodosios 
unterscheidet   sich  Julios  Polydeukes   unter  anderm  dadurch,   dass   er   für 


•)  Leo  Diaconus,  ed.  Bonn.  Praef.  S.  27  f.  und  414;  43L 


■ 


136  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratar. 

die  profanen  Königsreihen  der  vorchristlichen  Zeit  das  845  entstandene, 
von  A.  Mai  edierte  Xqovo-^QaffsTov  avvTOf^iov  verwertete.  Im  übrigen 
lässt  sich  über  das  Verhältnis  des  Polydeukes  zu  den  verwandten  Autoren 
kein  Urteil  abgeben,  solange  das  Werk  nicht  vollständig  ediert  ist.  Selbst 
das  scheint  noch  nicht  sicher,  ob  die  im  cod.  Vaticanus  163  erhaltene 
Fortsetzung  des  Polydeukes  von  Valens  bis  auf  963  ursprünglich  zu  dem 
Werke  gehörte  oder  als  Zuthat  eines  fremden  Autors  zu  betrachten  ist, 
wie  sie  in  den  Fortsetzungen  des  Theophanes  und  Georgios  vorliegt.  Jeden- 
falls aber  sind  die  Chroniken  des  Leon,  des  Theodosios  und  Polydeukes 
eng  verwandte  Konkurrenzarbeiten,  die  durch  den  wechselnden  Ge- 
schmack an  solchen  Weltchroniken  im  10.  und  11.  Jahrhundert  hervor- 
gerufen wurden. 

1.  Ausgaben:  Leon  Grammatikos.  Den  Schlussteil  (813—948)  edierte  zuerst 
Combefis  in  der  Pariser  Sammlung  hinter  dem  Theophanes  1655.  —  Wiederholt  Venedig 
1729.  —  Dann  gab  den  früheren  Teil  der  Chronik  J.  A.  Gramer,  Anecdota  Parisina  11 
(1839)  243-379.  —  Beide  Teile  vereinigte  I.  Bekkor  im  Bonner  Corpus  als:  Leo  gram- 
maticus,  Bonn  1842.  Der  Text  ist  hier  wenig  gefördert  und  es  ist  sogar  übersehen,  dass 
J.  Hardt  schon  früher  eine  reiche  Variantensammlung  zu  Leon  veröffentlicht  hatte  (im 
Neuen  literar.  Anzeiger  3.  Jahrg.  1.  Hälfte,  Tübingen  1808,  61 — 389);  auch  die  Ausgabe 
des  Julius  Pollux  von  Ign.  Hardt,  woraus  der  Anfang  des  Leon  hätte  ergänzt  werden 
können,  ist  von  Bekker  ignoriert.  —  Ausführliche  Rezension  der  Ausgabe  Bekkers  von 
L.  Tafel,  Gelehrte  Anzeigen  der  k.  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften  1854,  Juli- 
Dezember,  histor.  Classe  S.  150—183. 

Theodosios  von  Melite:  P]d.  pr.  L.  Tafel  in  den  Monumenta  saecularia,  heraus- 
geg.  von  der  k.  bayer.  Akad.  der  Wissenschaften  III.  Classe,  1.  Teil,  Monachii  1859.  — 
Ein  Stück  hatte  schon  Martin  Crusius  aus  demselben  Münchener  Codex,  den  Tafel  be- 
nützte, ediert  in:  Aethiopicae  Heliodori  historiae  epitome,  Francofurti  1584  S.  359 — 375 
(Nuptiae  imper.  Theophili  Const.  anno  Chr.  830  e  chronico  ms.  Seodoaiov  tov  MeXirwov, 
quod  a.  1578  Steph.  Gerlachius  ex  illa  urbe  Tybingam  attulit).  —  Vgl.  L.  Tafel,  De  Theo- 
dosio  Meliteno,  Tubingae  1828. 

Julios  Polydeukes:  Ed.  pr.  Anonymi  scriptoris  liistoria  sacra  ab  orbe  condito  ad 
Valentinianum  et  Valentem  impp.  e  veteri  codice  Graeco  descripta  J.  B.  Bianconi  etc. 
latine  vertit  et  nonnulla  annotavit,  Bononiae  1779  (aus  einem  Mailänder  Codex  ohne  weitere 
Hilfsmittel  und  ohne  Berücksichtigung  der  verwandten  Autoren).  —  Nach  der  Münchener 
Handschrift  edierte  das  Werk  ohne  Kenntnis  von  der  Ausgabe  des  Bologneser  Professors 
der  Bibliothekar  Ign.  Hardt:  'lovXlov  Uokvdevxovg  iütoQi«  ^vaixij.  Julii  Pollucis  historia 
physica  seu  chronicon  ab  origine  mundi  usque  ad  Valentis  tempora.  Nunc  pr.  ed.  ab 
J.  H.  Monachii  et  Lipsiae  1792.  Hardt  verglich  den  Theodosios  Melitenos,  Kedrenos, 
Malalas  und  andere  Chronisten  zur  Feststellung  des  Textes,  that  also  schon  mehr  als  später 
Bekker  für  seinen  Leo  Grammaticus.  —  Julii  Pollucis  historia  physica  et  chronicon  a 
J.  B.  Bianconio  e  codice  Mediolanensi  äxetpäho  primum  descripta,  nunc  e  codice  Bavarico 
aucta  et  emendata  op.  Ph.  Schiasii,  Bononiae  1795. 

2.  Hilfsmittel:  Birkenmeyer,  Ueber  Julius  Pollux  und  sein  Geschichte  werk, 
Ra.statt  1861  (mir  unzugänglich).  —  Ueber  das  jjfpoi'oypwqpero»'  avvro^uov  als  Quelle  des 
Pollux  s.  H.  Geizer,  Sextus  Julius  Africanus  II  1,  329 — 345;  vgl.  ebenda  I  57  ff.  — 
Th.  Büttner-Wobst,  Studia  Byzantina,  pars  I.  Progr.  Dresden  1890  (bes.  über  da.s  Ver- 
hältnis des  Leon  Grammatikos  zu  Kedrenos).  —  Hauptschrift:  F.  Hirsch,  Bvzantinische 
Studien  S.  89—115. 

58.  Symeon,  der  Magister  und  Logothet.  Ueber  den  handschrift- 
lichen Bestand  dieses  Chronisten  sind  wir  noch  so  mangelhaft  unterrichtet, 
dass  die  Bestimmung  seiner  litterarhistorischen  Stellung  auf  unüberwind- 
liche Schwierigkeiten  stösst.  Erst  wenn  eine  neue,  auf  sorgfältiger  Be- 
nützung der  stark  abweichenden  Handschriften  beruhende  Ausgabe  vor- 
liegt, werden  wir  Umfang,  Zeit,  Abfassung  und  das  wirkliche  Eigentum 
des  Symeon  magister  mit  einiger  Sicherheit  feststellen  können;  erst  dann 
wird  auch  die  Quollcnfrago  endgültig  entschieden  werden  können.   Vorerst 


B.  Die  Chronisten.  (§  58.)  137 

kennen  wir  das  Werk  nur  in  der  Redaktion  des  Parisinus  1712,  die  von 
Combefis  veröffentlicht  worden  ist.  Alle  sonstigen  Angaben  über  Hand- 
schriften, die  den  Namen  des  ^vi^ifwi'  {.lüyiarQog  xai  Xoyoi^sx i^c  tragen,  sind 
so  dürftig,  dass  es  ein  vergebliches  Bemühen  wäre,  auf  sie  weitere  Schlüsse 
zu  bauen.  Bis  jetzt  lässt  sich  Folgendes  sagen:  Symeon,  der  Magister 
und  Logothet,  ist  höchst  w^ahrscheinlich  nicht  identisch  mit  Symeon  Meta- 
phi'astes,  dem  berühmten  Verfasser  der  Heiligenbiograpliien,  auch  nicht 
mit  jenem  Symeon,  der  bei  der  Einnahme  von  Thessalonike  904  eine 
wichtige  Rolle  spielte;  er  scheint  frühestens  unter  Nikephoros  Phokas 
(963 — 969)  geschiieben  zu  haben.  Der  ursprüngliche  Umfang  des  unter 
seinem  Namen  überlieferten  Werkes  ist  schwer  zu  bestimmen;  in  dem 
bisher  allein  näher  bekannten  cod.  Parisin.  1712  reicht  die  Chronik,  in 
verschiedene  Abteilungen  gegliedert,  von  Adam  bis  in  die  Regierung 
Romanos  II  (959 — 963),  in  der  venezianischen  Handschrift  dagegen  geht 
sie  bis  auf  Kaiser  Michael  Parapinakes  (1071 — 1078).  Ebenso  ist  der 
Anfang  der  Chronik  nicht  in  allen  Handschriften  derselbe;  in  den  einen 
findet  sich  zuerst  jene  Schöpfungsgeschichte,  welche  auch  den  Anfang  des 
Leon,  Theodosios  und  Polydeukes  bildet:  in  anderen  beginnt  das  Werk 
erst  mit  Adam;  in  einer  gar  erst  mit  der  Regierung  Leos  V.  Die  Quellen- 
frage kann  nur  für  den  bis  jetzt  edierten  Teil  geprüft  werden,  der  von 
813 — 963  reicht.  Hauptquelle  ist  hier  Georgios  Monachos  in  der  zweiten, 
durch  Zusätze  vermehrten  Redaktion ;  dann  die  Fortsetzung  desGeorgios. 
Eine  dritte  Hauptquelle  ist  Genesios  und  zwar  für  die  Zeit  von  813  —  867, 
nicht  aber  für  Basilios  I,  den  Genesios  nur  ganz  kurz  behandelt.  Eine 
vierte  Quelle  ist  die  Fortsetzung  des  Theophanes,  bes.  für  den  letzten 
Teil  d.  h.  die  Geschichte  des  Konstantin  Porphyrogennetos  und  Romanos  II. 
Endlich  benützte  Symeon  den  Script or  incertus  über  Leo  den  Armenier, 
der  in  der  Bonner  Ausgabe  hinter  Leo  Grammaticus  S.  335  ff.  abgedruckt 
ist.  Als  sechste  Quelle  erscheint  die  von  Niketas  dem  Paphlagonier 
verfasste  Lebensbeschreibung  des  Patriarchen  Ignatios.  Die  aus  den  uns 
bekannten  und  erhaltenen  Quellen  geschöpften  Partien  bilden  den  über- 
wiegenden Hauptteil  der  Chronik  des  Symeon,  so  dass  diese  selbst  als 
Geschichtsquelle  nur  geringen  Wert  hat.  L^ebrigens  hat  Symeon  seine 
Vorlagen  im  allgemeinen  treu  wiedergegeben;  auch  da,  wo  er  sie  in  ver- 
kürzter Form  bietet.  Höchst  auffallend  sind  die  massenhaften  chrono- 
logischen Angaben  des  Symeon;  doch  zeigt  sich  bei  einer  näheren  Unter- 
suchung, dass  diese  Daten,  soweit  er  nicht  auch  für  sie  die  genannten 
Quellen  benützt  hat,  von  ihm  ungemein  willkürlich  und  vielfach  geradezu 
nach  eigenem  Gutdünken  gemacht  sind.  Von  späteren  Chronisten  verwertete 
den  Symeon  besonders  Konstantin  Manasses. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Ed.  pr.  Combefis  in  den  Scriptores  post  Theopha- 
nem,  Paris  168-5  S.  401—498.  —  Wiederholt  von  1.  Bekker  im  Bonner  Corpus  nach  dem 
Theophanes  continuatus  S.  603—760. 

Vgl.  Ed.  Kunik.  Ueber  das  Verhältnis  des  Continuator  Theophanis  zu  dem  Symeon 
Logothetes  oder  Pseudometaphrastes  als  Anhang  in  Philipp  Krugs  Forschimgen  in  der 
älteren  Geschichte  Russlands  II  (Petersburg  1848)  S.  785—807.  —  Hauptschrift:  F.  Hirsch. 
Byzantin.  Studien  S.  52  f.,  30.S— 355,  wo  auch  sonstige  Litteratur  genannt  ist.  —  Die 
Identität  des  Chronisten  Symeon  mit  Symeon  Metaphrastes  und  auch  mit  Niketas  Pa- 
phlagon,   dem  Verfasser   des  'Eyxuiuioy  auf  den  Patriarchen  Ignatios,   behauptet   ohne  ge- 


138  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

nügende  Kenntnis  der  neueren  Litteratur  und  der  Handschriften  der  Chronik  Theophilos 
Joannu  in  seinen  nützlichen  MytjfieTa  ayioXoyixr'e.  'Ev  Ueyerltf  1884,  ÜQoXoyog  S.  11  flF.; 
immerhin  verdienen  seine  Argumente  Erwägung  bei  einer  künftigen  Untersuchung.  —  Vgl. 
die  zu  §  25  zitierte  Schrift  von  Gr.  Vasilievskij. 

59.  Johannes  Skylitzes,  aus  dem  Thema  &Q^xrj<nov  in  Kleinasien 
gebürtig,  war  ein  Mann  in  ansehnlicher  Stellung;  auf  dem  Titel  seines 
Werkes  wird  er  als  Kuropalates  und  Drungarios  der  Leibwache  bezeichnet; 
Kedrenos  nennt  ihn  Protovestiarios.  Seine  Zeit  lässt  sich  ziemlich  genau 
bestimmen.  In  der  Vorrede  nennt  er  sich  einen  Zeitgenossen  des  Michael 
Psellos  (c.  1018 — c.  1079),  sein  Werk  reicht  bis  1079  und  einige  seiner 
juridischen  Schriften  sind  an  Kaiser  Alexios  Komnenos  gerichtet;  daraus 
ergibt  sich  mit  Sicherheit,  dass  er  in  der  zweiten  Hälfte  des  11.  Jahrh. 
blühte  und  dass  er  das  Jahr  1081  noch  einige  Zeit  überlebte.  Die  Chronik 
des  Joh.  Skylitzes  umfasst  die  Zeit  von  der  Erhebung  Michaels  I  Ran- 
gabe bis  in  die  Regierung  des  Nikephoros  Botaniates  d.  h.  von 
811  — 1079.  In  einer  Wiener  Handschrift  soll  dem  Titel  zufolge  das 
Werk  bis  zum  Regierungsantritt  des  Alexios  Komnenos  (1081)  reichen. 
Nach  einer  bisher  allgemein  herrschenden  Ansicht  hat  Skylitzes  zwei 
Redaktionen  seiner  Arbeit  veranstaltet;  in  der  früheren  reichte  das 
Werk  angeblich  von  811 — 1057  (bis  auf  Isaak  Komnenos),  in  der  späteren 
soll  er  dasselbe  bis  1079  (1081)  fortgeführt  haben.  Diese  Annahme  stützte 
sich  auf  die  Thatsache,  dass  Kedrenos  die  Chronik  des  Skylitzes  nur  bis 
zum  Jahre  1057  in  die  seinige  aufnahm.  Doch  genügt  das  Argument  nicht; 
Kedrenos  geht  in  seinem  Werke  überhaupt  nur  bis  zu  diesem  Jahre;  hätte 
er  es  weiterführen  wollen,  so  konnte  er  statt  aus  Skylitzes  aus  anderen 
Quellen  schöpfen.  Auch  der  Umstand,  dass  Theodoros  Gazes  in  seiner 
Schrift  „lieber  den  Ursprung  der  Türken"  ')  bemerkt,  Skylitzes  schliesse 
mit  Isaak  Komnenos,  beweist  zu  wenig,  denn  wahrscheinlich  hat  auch  er 
nur  den  Kedrenos  vor  sich  gehabt  und  wurde  hiedurch  ebenso  irre  geleitet 
wie  die  neueren  Forscher.  Eine  Entscheidung  der  Frage  ist  nur  von  einer 
genaueren  Untersuchung  der  Handschriften  zu  erwarten.*'')  Das  Werk  des 
Skylitzes  ist  ähnlich  wie  die  früheren  Chroniken  eine  byzantinische 
Kaisergeschichte,  d.  h.  es  ist  nach  den  Regierungen  der  einzelnen  Kaiser 
geordnet,  deren  jede  einen  besonderen  Abschnitt  bildet  (eine  Einteilung, 
die  bei  Kedrenos  verwischt  ist).  Ferner  ist  sein  Werk  ebenfalls  eine 
Fortsetzung  des  Theophanes,  ein  deutlicher  Beweis  des  Ansehens, 
das  diese  Chronik  in  den  folgenden  Jahrhunderten  genoss.  Zwar  ist  die 
Angabe  des  Verfassers,  er  schliesse  an  Theophanes  an,  nicht  ganz  wört- 
lich zu  nehmen;  denn  er  beginnt  etwa  2  Jahre  vor  dem  Zeitpunkte,  mit 
welchem  Theophanes  endete;  doch  behandelt  Skylitzes  diese  Zeit,  nämlich 
die  Geschichte  Michaels  I,  nur  ganz  kurz,  er  gibt  sie  nur  als  Einleitung 
zum  eigentlichen  Anfang,  der  Geschichte  Leos  V,  des  Armeniers.  Als 
Fortsetzung  des  Theophanes  wird  Skylitzes  schon  von  Glykas')  ausdrück- 
lich bezeichnet. 

Litterarhistorisch  höchst  interessant  sind  die  Bemerkungen,  welche 

>)  Ed.  von   Leo  Allatius    Ivfifiixin  II   |   Manchen  1888  8.  ;^9. 
373  flF,  »)  Ed.  Bonn.  S.  457.   17  tT 

')  VgL  U.  Segor,  Nikephoros  Bryennios,  | 


B.  Die  Chronisten.   (§  59.)  139 

Skylitzes  seinem  Werke  vorausschickt.  Sie  zeigen,  dass  selbst  bei  einem 
der  trockenen  und  angeblich  völlig  stumpfsinnigen  byzantinischen  Chronisten 
ein  lebhaftes  Interesse  für  die  Geschichte  und  ein  ziemlich  klares  Bewusst- 
sein  über  Ziel  und  Zweck  seiner  Arbeit,  über  die  Benützung  von  Quellen 
und  über  die  Bedürfnisse  seiner  Zeit  vorhanden  war.  Skylitzes  gibt  in 
seiner  Vorrede  eine  Uebersicht  der  Bücher,  aus  welchen  man  sich  bisher 
über  byzantinische  Geschichte  unterrichten  konnte.  Für  die  frühere  Zeit 
gebe  es  ein  treffliches  Handbuch,  das  von  Georgios  Synkellos  begonnene 
und  von  Theophanes  fortgesetzte  Geschichtswerk,  Leider  aber  habe  nach 
diesen  kein  anderer  eine  ähnliche  Arbeit  unternommen.  Die  vorhandenen 
Werke  seien  teils  zu  kurz  und  zu  ungründlich,  wie  das  seines  Zeitgenossen 
Psellos,  teils  seien  es  Monographien,  wie  das  Werk  des  Genesios,  des 
Leon  Diakonos  u.  s.  w.  In  diesen  seien  nur  einzelne  Abschnitte  und 
auch  diese  meist  parteiisch  und  tendenziös  dargestellt,  so  dass  der  Leser 
oft  in  Verwirrung  gerate.  Daher  habe  er  sich  zm*  Aufgabe  gemacht, 
mit  Benützung  sowohl  dieser  früheren  Arbeiten  als  auch  mündlicher,  von 
älteren  Männern  ihm  zugegangener  Berichte  ein  zusammenfassendes  Hand- 
buch der  Geschichte  zu  schreiben,  in  welchem  die  parteiischen  Angaben 
weggelassen,  die  Widersprüche  der  früheren  Berichte  ausgeglichen  und 
eine  bequeme,  kurze  Darstellung  der  wichtigsten  Ereignisse  gegeben  werde. 
Freilich  werden  die  Erwartungen,  welche  man  nach  diesen  Worten  hegt, 
nur  zum  Teil  erfüllt;  der  Wille  und  das  Selbstbewusstsein  des  Skylitzes 
waren  stärker  als  seine  Kraft  und  seine  Mittel. 

Was  die  Quellen  des  Skylitzes  betrifft,  so  hat  er  für  die  Geschichte 
der  byzantinischen  Kaiser  von  der  Thronbesteigung  Leos  V  bis  zum  Stui-ze 
Romanos  I  vornehmlich  die  Fortsetzung  des  Theophanes  benützt, 
daneben  zu  Anfang  für  die  Geschichte  Leos  V  und  für  die  Michaels  HI 
an  einigen  Stellen  Genesios,  nachher  für  die  Geschichte  der  Minderjährig- 
keit des  Konstantin  Porphyrogennetos  und  der  Regierung  Romanos  I  ein- 
mal den  Leon  Diakonos,  an  anderen  Stellen  eine  uns  unbekannte  Quelle, 
welche  einen  dem  Kaiser  feindlichen  Parteistandpunkt  verrät.  Die  Ge- 
schichte der  Alleinherrschaft  des  Konstantin  Porphyrogennetos  und  Roma- 
nos II  ist  von  der  Fortsetzung  des  Theophanes  ganz  unabhängig  und  eben- 
falls auf  keine  bestimmte  Quelle  zurückzuführen.  Für  die  Zeit  von  Isaak 
Komnenos  an  benützte  er  das  Werk  des  Michael  Attaleiates.  Skylitzes 
selbst  wurde  Quelle  für  die  späteren  Chi'onisten,  besonders  für  Kedrenos, 
der  ihn  fast  ganz  in  sein  Werk  aufnahm. 

1.  Ausgaben:  Der  vollständige  Text  ist  bisher  nur  in  einer  jener  lateinischen 
Uebersetzungen  gedruckt,  wie  sie  im  16.  Jahrh.  ohne  Rücksicht  auf  die  philologischen  und 
litterarhistorischen  Bedürfnisse  nur  zum  Zweck  historischer  Belehrung  von  den  meisten 
byzantinischen  Historikern  veranstaltet  wurden:  Historiarum  compendium,  quod  .  .  .  .  a 
Joanne  Curopalate  Scillizae  (I)  ....  conscriptum  et  nunc  recens  a  Joanne  Baptista  Gabio 
e  Graeco  in  I^tinum  conversum,  Venetiis  1-570.  —  Eine  vollständige  Ausgabe  des  griechi- 
schen Textes  wurde  für  überflüssig  erachtet,  weil  der  grösste  Teil  des  Werkes  fast  unver- 
ändert in  der  Chronik  des  Kedrenos  wiederkehrt.  Die  Vorrede  des  Skylitzes  ed.  pr. 
Montfaucon.  Bibliotheca  Coisliniana  S.  206  fi".  und  darnach  1.  Bekker  in  seiner  Ausgabe 
des  Kedrenos  1  S.  -3  ff".  —  Der  letzte  Teü  des  Skylitzes  (1057—1079),  welchen  Kedrenos 
nicht  mehr  aufgenommen  hat,  wurde  im  Pariser  Corpus  als  Anhang  des  Kedrenos  heraus- 
gegeben vol.  II  (1647)  807—868;  darnach  im  Venezianer  Abdruck  1729  und  endlich  von 
I.  Bekker  mit  Kedrenos,  Bonn  1838—39,  vol.  11  641—744. 


140  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur, 

2.  Hilfsmittel:  Fabricius,  Bibl.  Graeca  ed.  Harl.  7,  722  ff.  —  Hauptschrift: 
F.  Hirsch,  Bj-zantinische  Studien  S.  356  ff.  —  S.  Röckl.  Blätter  für  das  bayer.  Gymnasial- 
schulwesen 20  (1884)  277 — 282.  —  Zur  stofflichen  Krläuterung:  J.  ß.  Bury,  Roman  em- 
perors  from  Basil  11  to  Isaac  Koninenos,  The  English  bist,  review  4  (1889)  41—64;  251 — 285. 

3.  Wichtige  Ergänzungen,  besondere  für  die  Geschichte  des  Basilios  Bulgaroktonos, 
enthält  die  in  der  Haupt.sache  vor  1015  abgefasste,  später  aber  noch  bis  zum  Jahre  1028 
fortgeführte  Clironik  des  arabischen  Arztes  Jahjä  von  Antiochia.  Auszüge  aus 
dem  arabischen  Original  mit  russischer  Uebersetzung  und  Kommentar  gab  V.  R.  Rosen: 
Kaiser  Basilios  Bulgaroktonos,  Auszüge  aus  der  Chronik  Jahjäs  von  Antiochien,  Petersburg 
1883  (Russ.).  —  Ausführliche  Besprochung  des  Werkes  und  Vergleich  mit  den  byzantini- 
schen Quellen  von  Th.  J.  Uspenskij,  Journ.  Min.  Volksaufkl.  1884,  April  282—315.  Vgl. 
V.  Jagic,  Archiv  slav.  Philol.  7  (1884)  515. 

60.  Georgios  Kedrenos,  ein  nach  seinen  persönlichen  Verhältnissen 
gänzlich  unbekannter  Mann,  wahrscheinlich  Mönch,  verfasste  am  Ende  des 
11.  oder  im  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  eine  ^vroilug  imoQicov,  d.  h.  eben- 
falls eine  Weltchronik.  Auch  dieses  Werk  beginnt  mit  der  Schöpfung, 
enthält  dann  ähnlich  wie  Georgios  Monachos  oder  Leon  Grammatikos  die 
jüdische  und  sonstige  orientalische,  endlich  die  römische  und  byzantinische 
Geschichte  bis  zum  Regierungsantritte  des  Kaisers  Isaak  Kom- 
nenos  1057  n.  Chr.  Der  selbst  für  einen  byzantinischen  Chronisten  sel- 
tene Grad  der  Unselbständigkeit  des  Verfassers  tritt  schon  in  seiner  Vor- 
rede deutlich  genug  hervor.  Dieselbe  ist  nämlich  in  der  Hauptsache  aus 
der  des  Skylitzes  abgeschrieben ;  am  Schlüsse  bemerkt  der  Verfasser,  dass 
er  aus  dem  Werke  des  Protovestiarios  Johannes  (Skylitzes),  aus  Georgios 
Synkellos,  Theophanes  und  einigen  anderen  Büchern  sein  Handbuch  der 
Weltgeschichte  zusammengestellt  habe.  Wenn  wir  seine  Arbeit  auf  die 
Quellen,  die  in  der  Vorrede  nur  teilweise  mit  Namen  genannt  sind,  unter- 
suchen, sehen  wir  in  der  That,  dass  sie  nichts  ist  als  eine  Kompilation 
aus  anderen  uns  meist  bekannten  Werken.  Hauptquelle  ist  Georgios 
Monachos,  bzw.  eine  Vorlage  desselben,  daneben  Theophanes;  ausser- 
dem stammen  verschiedene  Nachrichten  aus  einem  nicht  näher  bekannten 
Werke,  welches  auch  Leon  Grammatikos  verwertet  hatte.  Für  chrono- 
logische Dinge  hält  sich  Kedrenos  an  Panodoros  und  dessen  Nachtreter 
Synkellos;  daneben  benützt  er  reichlich  die  Osterchronik.  Vom  Jahre 
811  an  endlich  ist  das  Werk  des  Kedrenos  nichts  anderes  als  eine  wört- 
Hche  Wiedergabe  der  Chronik  des  Skylitzes,  wobei  nur  die  originale 
Einteilung  verwischt  und  einige  Stellen  weggelassen  sind.  Dieser  Teil 
(811 — 1057)  hat  für  uns  also  nur  so  lange  einen  Wert,  als  der  griechische 
Text  des  Skylitzes  nicht  in  einer  eigenen  Ausgabe  vorliegt. 

1.  Ausgaben:  Ed.  pr.  Graece  et  Latine  G.  Xylander  Basileae  1566  (mit  Kom- 
mentar, Index,  chronologischen  Tafeln).  —  Im  Pariser  Corpus  ed.  Annib.  Fabrotns, 
2  voll.  Paris  1647.  mit  Kommentar  von  Goar,  lateinischer  Uebei-setzung  und  Glossar.  — 
Abdruck  Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus  ed.  I.  Bekker.  2  voll.  Bonnae  1838—1885), 
mit  den  Beigaben  der  Pariser  Ausgabe;  der  Text  wurde  hier  ausnahmsweise  etwas  ge- 
fördert, indem  Bekker  für  den  aus  Skylitzes  st^unmenden  .\bschnitt  eine  von  Bnmet  de 
Preslo  gefertigte  Kollation  des  das  Originalwerk  des  Skylitzes  enthaltenden  cod.  Coislinianus 
136  benützte.  —  Wiederholt  bei  Migne,  l'atrol.  Graeca  t.  121     122  (1864). 

2.  Hilfsmittel:  Leo  Allatius.  Diatribe  de  (teorgiis,  wiederholt  bei  Fabricius, 
bibl.  Graeca  ed.  Harl.  12,  32  ff.;  s.  auch  7,  464  f.  -  .T.  Voss,  De  historicis  («raecis  in 
der  Neubearbeitung  von  Westermann  S.  351  f.  —  Düiulliker  und  Müller.  Untersuch, 
zur  mittleren  Geschichte  herausgegeben  von  M.  Büdinger  i  (1871)  268  -289.  --  Ferd. 
Hirsch,  Byzantin.  Studien  375  f.  -  Die  im  cod.  Paris.  1712  erhaltene  Chronik  ist  als 
eine  lluuptijuvilc  des  Kedrenos  nachgewiesen  von  H.  Geizer,  Sextus  .Julius  Africanus  II  I 


B.  Die  Chronisten.   (%  60-62.)  141 

(1885)  3-37 — 384.  —  Ueber  das  von  der  Paiiser  Nationalbibliothek  neuerdings  erworbene 
Fragment  einer  Handschrift  des  Kedrenos  s.  L.  Deslisle,  Comptes-rendus  de  Tacademie 
des  inscriptions  et  belies  lettres  IV".  serie  9  (1882)  167  flF.  —  Th.  Büttner-Wobst.  Studia 
Byzantina,  Progr.  Dresden  1890,  untersucht  das  Verhältnis  des  Kedrenos  zu  Leon  Gram- 
matikos  für  die  Kaiserzeit  bis  auf  Diocletian. 

61.  Johannes  Xiphilinos.  Das  vor  allem  durch  die  umfassende  Thä- 
tigkeit  des  Konstantin  Poiphyrogennetos  und  seiner  Redaktoren  wachge- 
rufene Interesse  an  historischen  Studien  und  an  der  älteren  Litteratur 
überhaupt  blieb  nicht  ohne  nachhaltige  Folgen.  Im  folgenden  Jahrhundert 
wie  noch  mehr  in  der  Komnenenzeit  treffen  wü"  allenthalben  Spuren  einer 
auf  die  Bewahrung  der  alten  Litteratur  gerichteten  Betriebsamkeit.  Zu 
den  Autoren,  welche  damals  neu  bearbeitet  und  wenigstens  in  umfangreichen 
Exzerpten  der  Nachwelt  erhalten  wurden,  gehört  Dio  Cassius.  Zwei 
Byzantiner,  der  eine  aus  dem  Ende  des  elften,  der  zweite  aus  dem  Anfang 
des  zwölften  Jahrhunderts  haben,  nachdem  schon  die  konstantinischen 
Exzerptoren  den  Dio  Cassius  verwertet  hatten,  das  Werk  dieses  Geschicht- 
schreibers zur  Grundlage  ihrer  historischen  Schriftstellerei  gemacht;  der 
erste,  indem  er  aus  den  ihm  zugänglichen  Büchern  des  Dio  einen  für  die 
Bedürfnisse  der  Zeit  berechneten,  höchst  umfangreichen  Auszug  veranstaltete, 
der  zweite,  indem  er  einen  anderen  Teil  des  offenbar  schon  sehr  selten 
gewordenen  Werkes  in  den  Rahmen  einer  grossen  Weltchronik  verwob. 
Der  erste  dieser  beiden  Geistesverwandten  ist  Xiphilinos,  der  zweite 
Zonaras;  beide  Xamen  sind  hiedurch  mit  der  Geschichte  der  antiken 
Historiographie  aufs  innigste  verknüpft.  Johannes  Xiphilinos  aus 
Trapezunt,  ein  Neffe  des  gleichnamigen  Patriarchen,  lebte  in  der  2.  Hälfte 
des  11.  Jahrhunderts  als  Mönch  in  Konstantinopel.  Auf  Veranlassung  des 
Kaisers  Michael  Parapinakes  (1071—1078)  veranstaltete  er  einen  Aus- 
zug {ixkoyai)  der  römischen  Geschichte  des  Dio  Cassius.  Leider  umfasst 
derselbe  nur  Buch  35 — 80,  weil  in  dem  von  Xiphilinos  benützten  Exemplare 
des  Dio  die  früheren  Bücher  fehlten:  auch  .sonst  war  sein  Exemplar  lücken- 
haft, ein  sprechender  Beweis  dafür,  dass  es  in  der  That  höchste  Zeit  war, 
diesen  alten  Autor  wenigstens  teilweise  zu  retten.  Durch  Xiphilinos  werden 
also  die  sonst  ganz  verlorenen  letzten  Bücher  des  Dio  (etwa  die  zwei 
letzten  Dekaden)  ersetzt  und  die  früheren  ^^elfach  ergänzt  und  berichtigt. 

Eine  Zusammenstellung  aller  älteren  Ausgaben  und  Uebersetzungen  gibt  Samuel 
Reimarus  in  seiner  Ausgabe  des  Dio  Cassius  (2  voll.  Hamburg  1750 — 1752)  vol.  II  S.  1.543.  — 
Wiederholt  ist  Xiphilinos  in  den  neueren  Ausgaben  des  Dio  Cassius  von  Bekker,  Dindorf, 
zuletzt  von  J.  Melber.  Leipzig,  bibl.  Teubner.  1890.  —  Vgl.  Christ,  Geschichte  der 
griech.  Litteratur.  2.  Aufl.  §  440. 

62.  Johannes  Zonaras  {ZmvaQag),  bekleidete  wie  Skylitzes  hohe 
Stellen  im  Staatsdienste.  Er  war  Befehlshaber  der  Leibgarde  und  Vor- 
steher der  kaiserlichen  Kanzlei  {lu'yccg  dQovyyägiog  Tt]g  ßiyh,g  xal  nooiraar- 
xqT^ig)',  später  zog  er  sich  als  Mönch  auf  eine  (nirgends  näher  genannte) 
kleine  Insel  zurück  und  verfasste  in  dieser  Abgeschiedenheit,  nach  seiner 
eigenen  Versicherung  nur  der  dringenden  Aufforderung  einiger  Freunde 
folgend,  seine  ^EniTOfiri  tarogiag.  Die  Abfassungszeit  lässt  sich  nur 
annähernd  bestimmen.  Ein  terminus  post  quem  ist  das  Jahr  1118;  denn 
einmal  schliesst  das  Werk  mit  diesem  Jahre  und  dann  bemerkt  Zonaras 
am  Schlüsse  (IV  260  ed.  Dindorf)  ausdrücklich,  er  habe  es  nicht  für  nütz- 


142  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    1.  Prosaische  Litteratur. 

lieh  und  geraten  gehalten,  die  noch  fehlende  Zeit  zu  berücksichtigen: 
^EvTccvö^ä  [.loi  To  neqag  r^xu)  irjg  avyyQatpr^g  xal  6  ^Qo^og  (TT/Jrw  rf^g  iaiOQtag, 
og  ßoi  TiQog  f^iaxQov  ^xfiefu^xiarai  •  6ovvai  yaQ  YQ'^^h  ^^^  ^^  Xtinovxa  ov 
fioi  XvaiTsXig  ovS'  tvxaiQor  xixQixm.  Spätestens  muss  die  Vollendung  des 
Werkes  in  der  ersten  Zeit  des  Manuel  Komnenos  (1143—1180)  erfolgt 
sein,  weil  dasselbe  schon  von  Glykas,  der  unter  diesem  Kaiser  schrieb, 
zitiert  und  benützt  wird.  Darnach  bestimmt  sich  auch  die  Lebenszeit 
des  Verfassers;  sie  erstreckt  sich  vom  Ausgange  des  11.  bis  etwa  in 
die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts.  Das  Werk  des  Zonaras,  von  Du  Gange 
in  18  Bücher  eingeteilt,  ist  eine  Weltchronik;  sie  beginnt  mit  der 
Schöpfung  und  endigt  mit  der  Thronbesteigung  des  Johannes  Kom- 
nenos 1118.  Doch  nimmt  sie  unter  den  übrigen  byzantinischen  Welt- 
chroniken eine  hervorragende  Stellung  ein;  sie  ist  ausführlicher  und  durch 
reichste  Verwertung  jetzt  verlorener  Quellen  ausgezeichnet.  Wir  haben 
es  hier  nicht  mit  einem  jener  mageren,  wundersüchtigen  Geschichtskom- 
pendien zu  thun,  wie  sie  seit  Malalas  die  historische  Litteratur  der  Byzan- 
tiner begleiten,  sondern  mit  einem  Handbuch  der  Weltgeschichte,  das 
offenbar  auf  höhere  Bedürfnisse  berechnet  ist.  Während  andere  Chro- 
nisten sich  auf  die  früheren  byzantinischen  Sammelwerke,  besonders  auf 
Theophanes  und  Georgios  Monachos,  beschränkten,  hat  Zonaras  wiederum 
auf  einige  umfangreichere  alte  Geschichtswerke  zurückgegriffen  und  aus 
ihnen  neues  Material  gewonnen.  Wie  er  stofflich  reichhaltiger  ist  als 
die  meisten  übrigen  Chronisten,  so  unterscheidet  er  sich  von  ihnen  auch  ii 
durch  seine  Form.  Während  die  Chronisten  ihre  Quellen  häufig  fast  wört-  ■] 
lieh  wiedergeben,  zeigt  Zonaras  eine  gewisse  Selbständigkeit;  er  drückt 
meistens  den  Inhalt  seiner  Vorlage  kürzer  und  wenigstens  zum  Teil  in  | 
anderen  Worten  aus.  Trotz  dieser  relativen  Vorzüge  bleibt  das  Werk  eine 
Mönchsarbeit.  Das  verrät  sieh  schon  sehr  bezeichnend  in  der  Vorrede; 
nach  den  Grundsätzen,  die  Zonaras  hier  entwickelt,  wäre  alle  profan- 
wissenschaftliche Arbeit  für  geschäftigen  Müssiggang  zu  halten ;  daher  wälzt 
er  förmlich  und  ausdrücklich  die  Schuld  an  seiner  Arbeit  auf  seine  Freunde. 
Von  ihnen  erhielt  er  auch,  wenn  wir  ihm  glauben  dürfen,  genaue  Lehren 
über  die  Grundsätze  der  Geschichtschreibung,  die  im  wesentlichen  auf  die 
Forderung  einer  kurzen,  aber  doch  reichhaltigen  Zusammenstellung  hinaus- 
laufen, lieber  die  Hilfsmittel  seiner  Arbeit  bemerkt  Zonaras,  in  einem 
von  aller  Welt  abgeschiedenen  Winkel  sehe  er  sich  auf  wenige  Werke 
beschränkt  (I  S.  5  ed.  Dind.);  manche  Bücher  habe  er  trotz  aller  Bemüh- 
ungen nicht  erhalten  können,  sei  es,  dass  sie  überhaupt  verloren  gegangen 
seien,  sei  es,  dass  die  Freunde,  die  ihm  dieselben  verschaffen  sollten,  sich 
nicht  ernstlich  genug  bemüht  hätten;  er  selbst  aber  weile  ferne  von  Kon- 
stantinopel auf  einer  kleinen  Insel  {tiöqqo)  xov  ciaxfojg  *»•  yi^atdi<i)  hötaiidi' 
fitvog  II  S.  339  ed.  Dind.).  Beachtenswert  ist,  dass  er  unter  anderem  kein 
vollständiges  Exemplar  des  Dio  Cassius  hatte. 

Der  Hauptwert  des  Zonaras  beruht  in  der  Erhaltung  guter  Quellen. 
Wenn  er  auch  dieselben  in  formaler  Beziehung  ziemlieh  selbständig 
verarbeitet,  so  gilt  das  nicht  vom  Inhalte;  das  Thatsächlicho  lässt 
er  so  gut  wie  unangetastet.     Eine   ausscheidende  Prüfung  der  Ueberliofe- 


B.  Die  Chronisten.   (§  62.)  143 

rung  lag  ihm  fern;  er  bemerkt  hierüber  selbst  in  der  Vorrede,  die  Be- 
richte der  verschiedenen  Autoren  wichen  oft  voneinander  ab,  und  er  hätte 
ganze  Abhandlungen  sehreiben  müssen,  wenn  er  die  Widersprüche  alle 
ausgleichen  und  ihre  Gründe  hätte  untersuchen  wollen;  darauf  habe  er 
verzichten  müssen.  Die  Angaben,  welche  Zonaras  selbst  über  seine  Quellen 
macht,  sind  ungenügend :  zwar  nennt  er  in  der  Vorrede  die  hl.  Schrift,  die 
Antiquitäten  des  Joseph  und  zitiert  auch  im  Werke  selbst  seine  Autoren 
häufig  namentlich,  doch  geschieht  das  selbstverständlich  ohne  ein  bestimmtes 
System,  so  dass  wir  sehr  im  Unklaren  blieben,  wenn  nicht  einige  neuere 
Untersuchungen  das  Dunkel  aufgehellt  hätten.  Für  die  ersten  12  Bücher 
(Schöpfung  bis  auf  Konstantin  den  Grossen)  verwertete  Zonaras  abwech- 
selnd je  nach  dem  Stoffe:  das  alte  Testament,  in  hervorragendem  Masse 
den  jüdischen  Krieg  und  die  jüdischen  Altertümer  des  Joseph,  die  Chronik 
des  Eusebios,  den  Kirchenhistoriker  Theodore  tos,  in  ausgedehnter 
Weise  Xenophon,  von  dem  er  die  ganze  Kyrupädie  im  Auszuge  mitteilt, 
und  ebenso  reichlich  Plutarch,  endlich  noch  Herodot  und  Arrian.  Für 
die  römische  Geschichte  von  Aeneas  bis  auf  die  Zerstörung  von  Karthago 
und  Korinth  hat  Zonaras  nur  zwei  Hauptquellen,  nämlich  für  den  Faden 
der  fortlaufenden  Erzählung  den  Dio  Cassius  und  daneben  zur  Ergänzung 
des  biographischen  Details  die  Lebensbeschreibungendes  Plutarch.')  Auf 
dieser  Partie  beruht  die  Hauptbedeutung  des  Zonaras;  denn  hier  hat  er 
uns  die  im  übrigen  bis  auf  einzelne  Fragmente  verlorenen  etwa  21  ersten 
Bücher  des  Dio  Cassius,  also  ungefähr  ein  Viertel  des  ganzen  Werkes, 
erhalten.  Mit  Xiphilinos,  dessen  Exzerpte  uns  die  verlorenen  Schlussbücher 
des  Dio  teilweise  ersetzen,  ist  demnach  Zonaras  das  Haupthilfsmittel  für 
die  Wiederherstellung  dieses  Autors,  von  welchem  uns  nur  die  mittleren 
Partien,  etwa  B.  37—54,  selbständig  und  annähernd  vollständig  überliefert 
sind.  Für  die  Zeit  nach  der  Zerstörung  Karthagos,  für  welche  dem  Zo- 
naras Dio  Cassius  fehlte,  half  er  sich  durch  Auszüge  aus  Plutarchs 
Lebensbeschreibungen  des  Pompejus  und  Cäsar.  Dann  aber  erscheint  aber- 
mals Dio  Cassius  als  Hauptquelle,  von  welchem  ihm  nach  der  erwähnten 
etwa  mit  Buch  21  beginnenden  Lücke  Buch  44—80  wieder  vollständig  zu 
Gebote  standen.  Für  die  christlichen  Dinge  hat  Zonaras  die  Kirchenge- 
schichte des  Eusebios  herangezogen,  aus  welcher  er  eine  Ai-t  kirchlicher 
Statistik  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Bischofslisten  gibt.  Für  die 
Zeit  nach  Antoninus  Pius  benützte  er  wieder  den  Dio  Cassius,  von  Ale- 
xander Severus  bis  auf  Konstantin  den  Grossen  endlich  für  die  politische 
Geschichte,  wie  es  scheint,  den  anonymen  Fortsetzer  des  Dio,  für  die 
Kirchengeschichte  den  Eusebios,  An  eine  Benützung  des  Polybios  und 
Appian  ist  nicht  zu  denken;  denn  obgleich  Zonaras  sie  zitiert,  so  sind 
dies  einerseits  nur  Scheinzitate  und  andrerseits  nennt  er  dieselben  auch 
nicht  einriial  in  unserem  Abschnitt  (7.-9.  Buch),  wodurch  allenfalls  die 
Vermutung  hätte  ein  grösseres  Gewicht  bekommen   können.     Der  Anfang 


')  H.  Nissen,  Krit.  Untersuchungen  über  subsidiären  Verwendung  des  letzteren  durch 

die  Quellen  der  4.  und  5.  Dekade  des  Livius,  Dio  Cassius   selbst    ableiten.     Vgl.   dagegen 

Berlin  1863  S.  308  wollte  die  Uebereinstim-  i   H.   Haupt,  Hermes  14,  440  S. 

inung   des   Zonaras   mit  Plutarch   aus   einer  i 


■ 


144  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    1.  Prosaische  Litteratnr. 

des  13.  Buches  (322— 450  n.  Chr.)  scheint  aus  einer  unbekannten,  uns  ver- 
lorenen Quelle  zu  stammen.  Für  die  folgende  Zeit  bis  auf  965  ist  die 
Hauptquelle  die  Chronik  des  Theophanes.  Von  Leo  I  bis  auf  Justin  II 
(457—565)  benützte  er  daneben  eine  andere  uns  nicht  erhaltene  und  nicht 
bekannte,  aber  sicher  vortreffliche  Quelle,  durch  deren  Erhaltung  Zo- 
naras  auch  in  dieser  Partie  von  grossem  Werte  ist.  Dieser  unbekannte 
zweite  Gewährsmann  ist  auch  von  Kedrenos  verwertet  und  stützte  sich 
auf  gute  ältere  Quellen  wie  Candidus  und  Malchos.  Ausser  Theophanes 
benützte  Zonaras  auch  den  Prokop,  den  Nikephoros  Patriarches,  den 
Georgios  Monachos  in  einer  vollständigen  Redaktion,  den  Kedrenos 
und  Leon  Grammatikos,  zuweilen  auch  kirchliche  Schriften,  endlich  die 
Fortsetzung  des  Georgios  und  die  des  Theophanes  (Biographie  des 
Basilios).  lieber  die  Quellen  des  letzten  Teiles  d.  h.  für  die  Zeit  von 
965 — 1118  haben  wir  noch  keine  Untersuchung;  doch  ist  er  hier  jedenfalls 
von  Skylitzes  und,  wie  es  geheint,  von  Psellos  abhängig. 

Der  Fülle  historischen  Steifes,  welchen  Zonaras  in  ein  Kompendium 
zusammenbrachte,  verdankt  er  seine  grosse  Beliebtheit,  von  welcher  die 
zahlreichen  Handschriften  Zeugnis  ablegen.  Spätere  Chronisten  wie 
Glykas,  Manasses  (s.  §  199),  Ephräm  haben  ihn  reichlich  ausgeschrieben. 
In  der  Blütezeit  der  serbisch-slovenischen  üebersetzungsthätigkeit  wurde 
er  ins  Serbische,  später  auch  in  andere  slavische  Sprachen  übertragen 
und  von  russischen  Chronisten  kompiliert.  Auch  in  der  Epoche  des 
Wiederauflebens  der  Altertumsstudien  fand  Zonaras  alsbald  zahl- 
reiche Liebhaber  und  wurde  in  lateinischen,  französischen  und  italienischen 
Uebersetzungen  verbreitet.  Erst  viel  später  wandte  sich  dem  Autor  die 
wissenschaftliche  Forschung  zu,  die  vor  allem  darauf  ausging,  die  hier  in 
buntem  Mosaik  aneinander  gefügten  Stücke  alter  Autoren  auszuscheiden 
und  zu  benennen.  Die  Darstellung  des  Zonaras  ist  besser  als  die  der 
vorhergehenden  Chronisten,  besonders  des  Theophanes.  Zwar  ist  sein  Stil 
nicht  einheitlich.  Wie  er  selbst  in  der  Vorrede  sagt,  hat  er  seine  Sprache 
den  jeweiligen  Quellen  angepasst,  womit  er  wahrscheinlich  eigentlich  nur 
andeuten  will,  dass  er  sich  ohne  Bedenken  durch  die  Vorlagen  auch  sprach- 
lich beeinflussen  liess.  Auf  diese  Weise  wird  seine  Form  gewissermassen 
zu  einem  Kompromiss  zwischen  den  verschieden  sprechenden  Quellen;  in- 
dem er  eine  gar  zu  hohe  Diktion  temperiert,  eine  gar  zu  gemeine,  wie  die 
von  Vulgarismen  strotzende  des  Theophanes,  reinigt,  gewinnt  er  einen 
ziemlich  fliessenden,  durch  nichts  Auffallendes  gestörten,  in  selbständigen 
Teilen  kirchlich  gefärbten  Vortrag. 

Unter  dem  Namen  des  Zonaras  gehen  auch  kirchliche  Schriften. 
Wenn  wir  auch  keine  positiven  Zeugnisse  für  die  Identität  dieses  Zonaras 
mit  dem  Chronisten  besitzen,  so  spricht  doch  auch  nichts  dagegen.  Vielmehr 
macht  der  Umstand,  dass  der  Chronist  Zonaras  zuletzt  Mönch  geworden  ist, 
es  sehr  wahrscheinlich,  dass  wir  in  ihm  auch  den  Verfasser  jener  kirch- 
lichen Schriften  zu  sehen  haben.  Es  sind  Briefe,  Kommentare  zu  den 
Kirchenvätern  und  Synoden,  Heiligenbiographien  u.  s.  w.  Wichtiger 
sind  ein  Hymnus  des  Zonaras  und  eine  exegetische  Schrift  zu  den 
Gedichten  des  Gregor  von  Nazianz,  sowie  sein  für  die  byzantinische  Kirchen- 


B.  Die  Chronisten.   (§  62.)  U5 

poesie  wichtiger  Traktat  über  die  Namen  xcawv,  «(>.«öc,  TQOTiäQior,  <odi], 
den  er  seiner  Erklärung  der  Ä«ior*c  arceaTäaifioi  des  Oktoechos  voraus- 
schickt. Dagegen  gehört  das  Lexikon,  welches  unter  dem  Namen  des 
Zonaras  überliefert  und  ediert  ist,  wahrscheinlich  einem  gewissen  Antonios 
Monachos;^)  es  ist  eine  kurz  gehaltene  Kompilation,  in  welcher  ein  durch 
etymologische  Glossen  erweiterter  Kyrill  den  Kern  zu  bilden  scheint. 

1.  Ausgaben  der  Chronik:  Ed.  pr.  Joannis  Zonarae  Monachi  etc.  in  tres  tomos 
distinctum  etc.  labore  Hieronymi  Wolfii  Graece  ac  Latine,  Basileae  1557  (mit  kleinem 
Kommentar,  Index  und  lateinischer  Uebersetzung).  —  Im  Pariser  Corpus  ed.  C.  Ducangius, 
2  voll..  Paris  1686—87.  —  Wiederholt  Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus:  Ex  recensione 
Mauricii  Pinderi,  2  voll.,  Bonnae  1841 — 1844;  nur  die  ersten  12  Bücher  mit  den  Vor- 
reden von  Wolf  und  Du  Cange:  der  Abschluss  dieser  Ausgabe  wird  vorbereitet  von  Th. 
Büttner-Wobst.  —  Vollständig  ed.  von  L.  Dindorf,  6  voU.  Lipsiae,  bibliotheca  Teubn., 
1868 — ^1875;  mit  einer  neuen  Kollation  eines  Monacensis  imd  Parisinus  sowie  den  Beigaben 
der  Pariser  Ausgabe  und  einem  Sachindex.  —  Gesamtausgabe:  Migne,  Patrolog.  Graeca 
134  und  135.  1—438  (1864);  137  (1865)  die  theologischen  Schriften  des  Zonaras:  vgl. 
119.  1011. 

2.  Uebersetzungen:  Ueber  die  slavischen  Uebertragungen  s.  V.  Jagic,  Archiv 
slav.  Philol.  II  (1877)  14  S.  —  Französisch:  Chroniques  ou  annales  de  Jean  Zonaras, 
iadis  et  quatre  cens  ans  y  ha,  grand  drungaire  du  guet  et  premier  secretaire  de  Constanti- 
nople  etc.  traduites  par  J.  Millet  de  S.  Amour  au  conte  de  Bourgongne,  A  Lyon  1560.  — 
Nachdruck  unter  dem  Titel:  Les  histoires  et  chroniques  du  monde  de  Jean  Zonaras  etc. 
tr.  par  J.  Milles  (sehr.  Millet!)  de  S.  Amour,  A  Paris  1583;  die  Vorrede  an  die  Königin 
ist  gezeichnet  von  Jean  de  Maumont.  —  Histoire  Romaine  ecrite  par  Xiphiline.  par  Zonare, 
et  par  Zosime,  traduite  sur  les  originaux  Grecs,  par  Monsieur  Cousin,  president  en  la 
cour  des  monnoyes,  A  Paris  1678,  gibt  nur  die  zur  Ergänzung  des  Xiphilinos  und  Zosimos 
dienenden  Stücke.  —  Italienisch:  Historia  di  Giovanni  Zonara,  primo  consigliere  et  capi- 
tano  deUa  guardia  imperiale  etc.  onde  si  apprende  vera  notitia  delle  cose  piu  memorabili 
auuenute  in  spatio  di  6626  anni.  Nuovamente  tradotta  dal  Greco  per  Marco  Emilio 
Fiorentino,  In  Vinegia  1560.  —  Lateinisch:  Corpiis  L'niversae  historiae,  praesertim 
byzantinae:  J.  Zonarae  Annales,  Nie.  Acominati,  Nie.  Gregorae,  Laonici  Chalcocondylae, 
Lutetiae  1567,  apud  Guil.  Chaudiere.  —  Wohl  nur  ein  Nachdruck  Ist  das:  Corpus  historiae 
Byzantinae  etc.  Joannes  Zonaras,  Nicetas  Acominatus,  Nie.  Gregoras,  Laonicus  Chalcondyles, 
Francofurti  ad  Moenum  a.  1568  (und  öfter). 

3.  Hilfsmittel:  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Hari.  7,  465—468  und  11,222—228.— 
Godofr.  Klaiber,  Observationes  ad  Zonarae  bellum  Punicum  secundum,  Stuttgartiae  1825 
(wertloses  Gerede  über  die  aus  Dion  stammenden  Naclirichten  des  Zonaras  über  den  2. 
punischen  Krieg).  —  Wilh.  Ad.  Schmidt.  Lieber  die  Quellen  des  Zonaras.  zuerst  in 
Zimmermanns  Zeitschrift  für  die  Altertumswissenschaft  1839,  238 — 285;  dann  wiederholt 
in  Dindorfs  Ausgabe  des  Zonaras  vol.  VI  (untersucht  in  grundlegender  Weise  die  ersten 
12  Bücher  d.  h.  die  Zeit  von  der  Schöpfung  bis  auf  323).  —  E.  Zander.  Quibus  e  fontibus 
Joannes  Zonaras  hauserit  annales  suos  Romanos.  Progr.  Ratzeburg  1849  (ohne  Kenntnis  der 
Arbeit  von  A.  Schmidt  und  ohne  selbständige  Fördenmg).  ^  Ferd.  Hirsch,  Byzantin. 
Studien  S.  377—391  (untersucht  die  Quellen  für  die  Zeit  von  813—965).  —  Paulus  Sauer- 
brei, De  fontibus  Zonarae  quaestiones  selectae  in  den  Commentat.  philol.  Jenenses  vol.  I 
(1881)  1—81  (betriflft  die  Zeit  von  450—811).  Vgl.  die  Besprechung  von  H.  Haupt, 
Philol.  Anzeiger  12  (1882)  88 — 92.  —  Ueber  das  Verhältnis  des  Z.  zu  Eunapios  s.  L.  Jeep, 
Jahns  Jahrb.  14.  Supplementb.  (1885)  S.  64  S.  —  S.  Röckl,  Blätter  für  das  bayerische 
Gymnasialschulwesen  21  (1885)  4—19.  —  G.  Sotiriadis,  Zur  Kritik  des  Johannes  von 
Antiochia  (s.  §  48)  S.  36  f.  —  Ueber  das  Verhältnis  zu  Dio  Cassius  vgl.  J.  Melber,  Bei- 
träge zur  Neuordnung  der  Fragmente  des  Dio  Cassius.  Sitzmigsbericht  d.  bayer.  Akad.  d. 
Wissensch..  philos.-philoL  und  bist.  Cl.  1889.  93—118.  —  Th.  Büttner-Wobst,  Studia 
Byzantina.  pars  I.  Progr.  Dresden  1890  fV'erhältnis  zu  Leon  Gr.  und  Kedrenos).  —  Ueber 
Benützung  des  Zonaras  zur  Emendation  des  Pinta rch:  Theod.  Doehner,  Analectorum 
Byzantinorum  specimen  primum,  Meissen  1863. 

4.  Kirchliche  Schriften:  Ed.  Migne  s.  oben;  dortselbst  auch  t.  137,  27  if.  über 
die  früheren  Ausgaben.  —  Vgl.  W.  Christ,  Ueber  die  Bedeutimg  von  Hirmos,  Troparion 
und  Kanon  in  der  griechischen  Poesie  des  Mittelalters  erläutert  an  der  Hand  einer  Schrift 

')  S.  Herodotus  rec.  H.  Stein  (ed.  mai.)  '  tisch  mit  Antonios,  dem  Verf.  des  bekannten 
V.  1  (Berolini  1869)  Praef.  S.  75.  Wahr-  Florilegiums;  s.  C.  Wachsmuth,  Studien  zu 
soheinlich  ist  dieser  Antonios  Monachos  iden-       den  griech.  Florilegien,  Berlin  1882  S.  109  f. 

Haiiilliiirli  (Ifr  klajis.  AUrTtiims-n-isseuscliafl.  IX.     1.  Abtlg.  10 


146  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaisctie  Litteratur. 

des  Zonaras,  Sitzungsber.  der  bayer.  Akad.  d.  Wissensch.,  philos.  philol.-histor.  Cl.  1870,  II 
75 — 108.  —  Em.  Dronke,  De  Niceta  Davide  et  Zonara,  interpretibus  carminum  Gregorii 
Nazianzeni  etc.  Confluentibus  1839  (mir  unzugänglich)  und  S.  Gregorii  Nazianzeni  carmina 
selecta  etc.  cura  K.  Dronke.  Gottingae  1840  S.  IX  f. 

5.  Lexikon:  Johannis  Zonarae  Lexicon  etc.  nunc  prinium  edidit  Henr.  Tittmann, 

2  voll.,    Lipsiae  1808.  —  Vgl.  Zonarae   glossae   sacrae   N.   T.    illustratae   a   F.  W.  Sturz, 

3  Programme  Grimae  1818 — 1820  (mir  unzugänglich)  und  bes.  die  Litteratur  zu  §S  111 
127.  130. 

63.  Michael  Glykas  (o  rXvxäc),  der  Chronist,  blühte  in  der  ersten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts.  Die  Abfassungszeit  seines  Hauptwerkes 
wie  die  Zeit  seiner  schriftstellerischen  Thätigkeit  überhaupt  lässt 
sich  ziemlich  genau  bestimmen.  Einen  terminus  post  quem  finden  wir 
in  dem  Werke  selbst,  das  1118  schliesst;  ausserdem  umfasst  das  chrono- 
logische Verzeichnis  am  Schlüsse  des  3.  Buches  noch  die  ganze  Regierungs- 
zeit des  Johannes  Komnenos  (11143);  ferner  benützt  Glykas  den  Zonaras, 
Andererseits  wird  Glykas  selbst  schon  von  Manasses,  einem  Zeitgenossen 
des  Manuel  Komnenos  (s.  §199),  verwertet.  Eine  noch  engere  Begrenzung 
gewinnen  wir  durch  das  vulgärgriechische  Gedicht,  welches  Glykas  aus 
dem  Gefängnis  an  Manuel  Komnenos  richtete;  nach  einer  höchst  wahr- 
scheinlichen Kombination  von  Legrand  i)  fällt  jene  Gefangenschaft  und  die 
darauf  erfolgte  Strafe  der  Blendung  in  das  Jahr  1156.  Demnach  ist  das 
Werk  zwischen  1143  und  1156  abgefasst.  Eine  Bestätigung  dieser  Be- 
stimmung liegt  auch  in  dem  alten  Petersburger  Kodex  des  Glykas,  der 
vom  Jahre  1176  datiert  ist.  Sonstige  Nachrichten  über  das  Leben  des 
Glykas  fehlen  fast  gänzlich;  aus  seinen  Werken  erkennen  wir,  dass  er  ein 
belesener  und  für  seine  Zeit  nicht  ungebildeter  Mann  war,  und  die  Sub- 
scription  des  erwähnten  vulgärgriechischen  Gedichtes,  welche  uns  berichtet, 
dass  er  unter  Manuel  Komnenos  schwerer  Vergehen  angeklagt,  gefangen 
gehalten  und  endlich  geblendet  wurde,  zeigt  uns,  dass  auch  seine  äussere 
Stellung  eine  nicht  unbedeutende  gewesen  sein  kann.  In  den  Handschriften 
hat  er  die  in  der  byzantinischen  Zeit  so  gewöhnlichen  und  so  nichtssagen- 
den Epithete  y(»a////«r/xöc,  /.oyiohaTog  u.  s.  w.  lieber  seine  Abkunft  be- 
richten, wenn  wir  Labbaeus  glauben  dürfen,  die  handschriftlichen  Titel 
übereinstimmend,  er  sei  ^ixfhohr^g  gewesen.  An  sich  würde  das  nicht 
auffallen,  aber  in  einer  anderen  Handschrift  findet  sich  eine  positive  An- 
gabe, welche  der  von  Labbaeus  mitgeteilten  widerspricht.  In  dem  Kodex 
des  Klosters  rwr  Kki^fiüdoor  auf  dem  Olympos,  nach  welcher  Euthymiadis 
einen  Teil  der  Chronik  veröffentlicht  hat,  soll  ein  auch  in  anderen  Hand- 
schriften ähnlich  wiederkehrendes  Titelepigramm  folgende  zwei  Schluss- 
verse enthalten: 

av  yuQ  viiiiQXf^?  ö  avyyQatpevg  rijq  jiliikov. 

Wenn  diese  Verse  authentisch  sind,  wäre  demnach  als  Vaterland  des 
Glykas  die  Insel  Korfu  zu  bezeichnen. 2)  1.  Das  Hauptwerk  des  Michael 
Glykas  ist  seine  BißXoi;  xQ'>i'ixt'j.    Sie  zerfällt  in  vier  Teile,  von  denen  der 

')  Biblioth.  gr.  vulg.  I  Introd.  S.  18  f.  I   in  den  mitgeteilten  Versionen  des  Titels  fehlt 

*)  Legrund   a.  a.  O.  Introd.   S.  20.  —  |   sie.     Wichtig  wäre  »'s  vor  «ll«*in  zu  wissen. 

In  der  Bonner  Ausgabe  wird  die  Frage  nicht  j    wie    in    der   alten    Petei-sburger  Handschrift 

näher  berührt   und  nicht  einmal  angegeben,  die  Fassung  des  Titels  und  des  Epigramms 

'Vt'o    sich  die  Bezeichnung  lixthMii^i  tindet;  lautet. 


B.  Die  Chronisten.  (§  63.)  147 

erste  die  Schöpfungsgeschichte,  der  zweite  die  jüdisch-orientalischen  Dinge, 
der  dritte  die  römische  Zeit  bis  auf  Konstantin  den  Grossen,  der  vierte 
die  Geschichte  der  folgenden  Kaiser  bis  auf  des  Alexios  Komnenos  Tod 
(1118)  behandelt.  Glykas  richtet  sein  Werk  an  seinen  Sohn  und  sein 
Hauptbestreben  ist,  wie  er  in  einer  Vorbemerkung  verrät,  möglichste  Kürze. 
Diesem  Grundsatze  bleibt  er  auch  getreu,  freilich  nicht  in  dem  Sinne,  dass 
er  uns  nur  die  wichtigsten  Thatsachen  summarisch  aufzählte  und  so  ein 
Gerippe  der  Weltgeschichte  gäbe;  vielmehr  werden  viele  der  wichtigsten 
Dinge,  besonders  kriegerische  Ereignisse  nur  wenig  und  obenhin  berührt, 
während  auf  naturhistorische,  anekdotenhafte  und  theologische  Digressionen 
unverhältnismässig  viel  Raum  verwendet  ist.  Der  Grundton  ist  also 
derselbe  wie  in  den  übrigen  Weltchroniken.  Das  zeigt  sich  schon  im  ersten 
Buche,  wo  die  Geschichte  der  sechs  Schöpfungstage  erzählt  wird. 
Ihren  Hauptinhalt  bilden  naturwissenschaftliche  Exkurse,  welche  uns  etwa 
die  Summe  der  populären  Naturkunde  jener  Zeit  darstellen.  Mit  jener 
Schöpfungsgeschichte,  welche  unter  dem  Xamen  des  Julius  Polydeukes  geht 
und  ähnlich  bei  Leon  Grammatikos  und  Theodosios  Melitenos  wiederkehrt, 
hat  die  einschlägige  Partie  des  Glykas  nichts  zu  thun.  Ueberhaupt  zeigt 
Glykas  den  anderen  Chronisten  gegenüber  eine  gewisse  Selbständigkeit:  er 
hat  offenbar  nach  eigenem  Geschmacke  sich  das  für  seinen  Sohn  bestimmte 
Kompendium  der  Geschichte  zusammengestellt,  indem  er  den  rein  geschicht- 
lichen Stoff  mit  zahlreichen  Nachrichten  aus  allen  Gebieten  der  Naturkunde 
und  Theologie  verquickte.  Die  Quellenuntersuchung  wird  einigermassen 
dadurch  erleichtert,  dass  Glykas  sich  bei  jeder  Gelegenheit  auf  die  Auto- 
ritäten seiner  Mitteilungen  beruft,  wobei  freilich  noch  immer  zu  prüfen  ist, 
ob  wir  es  nicht  mit  Scheinzitaten  zu  thun  haben.  Vor  allem  scheinen 
Kirchenväter  wie  Gregorios  von  Nyssa,  Johannes  Chrysostomos,  Basilios 
der  Grosse  u.  a.  als  Quellen  in  Betracht  zu  kommen.  Ausserdem  benützte 
er  den  Psellos,  besonders  aber  Zonaras  und  für  die  Geschichte  seit  811 
Skylitzes  neben  Zonaras,  wobei  manchmal  schwer  zu  entscheiden  ist,  ob 
eine  Partie  aus  Skylitzes  selbst  oder  aus  seinem  Aussclu-eiber  Zonaras 
stammt.  Ausser  Skylitzes  und  Zonaras,  aus  welchen  der  Hauptteil  der 
späteren  Geschichte  floss,  hat  Glykas  für  einige  Nachrichten  noch  Spezial- 
schriften  wie  die  Biographie  des  Patriarchen  Ignatios  von  Niketas  dem 
Paphlagonier  verwertet.  In  der  Art  seiner  Quellenbenützung  erhebt  sich 
Glykas  nicht  über  andere  Chronisten;  manchmal  sind  ihm  infolge  seiner 
Flüchtigkeit  sogar  grobe  Versehen  begegnet. 

2.  Unter  dem  Namen  des  Glykas  gehen  zahlreiche  Briefe,  die  jedoch 
in  einigen  Handschriften  dem  Zonaras  zugeschrieben  werden.  Eine  Unter- 
suchung über  den  Verfasser  derselben  gehört  um  so  weniger  hieher,  als  die- 
selben, soweit  ihr  Inhalt  bis  jetzt  bekannt  ist,  nur  theologische  Streit- 
fragen betreffen,  welche  der  Autor  auf  Anfragen  befreundeter  Männer  zu 
beantworten  sucht.  Die  anspruchsvolle  Art,  mit  welcher  auch  hier  fort- 
während alle  möglichen  kirchlichen  und  profanen  Autoritäten  (u.  a.  Georgios 
Kedrenos)  zitiert  werden,  mahnt  mehr  an  Glykas  als  an  Zonaras;  doch 
lässt  sich  damit  die  Autorfrage  nicht  entscheiden.  Einzelne  Stücke  müssen 
in  jedem  Fall  als  später  eingeschoben  betrachtet  werden,  weil  sie  an  den 

10* 


148  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

Kaiser  Konstantin  IX  Palaeologos  gerichtet  sind.  Ausserdem  sollen  dem 
Glykas  noch  theologische  Abhandlungen  gehören,  von  welchen  Pontanus 
zwei  in  lateinischer  Uebersetzung  zugänglich  gemacht  hat.  3.  Ein  Gedicht 
an  Kaiser  Manuel  Komnenos,  worin  er  ihn  wegen  seiner  Erfolge  im  Kampfe 
gegen  die  Ungarn  beglückwünscht.  Cod.  Paris.  228.  4.  Ueber  ein  zweites 
ebenfalls  an  Manuel  Komnenos  gerichtetes  Gedicht  des  Glykas,  das  sich 
von  dem  erstgenannten  durch  seine  vulgärgriechische  Form  unter- 
scheidet, s.  den  Anhang. 

1.  Ausgaben:  Annalen:  Zuerst  eine  lateinische  Uebersetzung:  Annales  Michaelis 
Glycae  Siculi  etc.  nunc  primum  Latinam  in  linguam  transcripti  et  editi  per  Jo.  Leun- 
claium,  Basileae  1572.  —  Vom  griechischen  Texte  zuerst  das  Stück  von  Julius  Caesar 
bis  auf  Konstantin  den  Grossen  unter  dem  Titel:  Theodori  Metochitae  historiae  Romanae  a 
Julio  Caesare  ad  Constant.  M.  liber  singularis,  Joannes  Meursius  primus  vulgavit  et  in 
linguam  Latinam  transtulit  etc.,  Lugduni  Batavorum  1618.  Die  Zuteilung  des  Stückes  an 
den  Lehrer  des  Nikephoros  Gregoras,  den  vielseitig  gebildeten  Theodoros  Metochites 
(t  1332)  beruht  darauf,  dass  die  von  Meursius  benützte  Handschrift  den  Titel  trug:  7'ot5 
kayiiOTÜTov  x«(  aotpwxärov  Ssodtö^ov  rov  Meto/irov  ^QOfixoy  und  xriaeios  xöafiov  dte^ioi' 
Tiegi  Tf  oi'Qayov  xai  XTJg  ytjg  etc.  S.  die  Beschreibung  dieser  später  nach  Berlin  gelangten 
Handschrift  von  Fried.  Bodenburg,  Miscellanea  Lipsiensia  t.  12  (1723)  S.  20 — 31,  wo 
Meursius  verteidigt  und  mit  unzulänglichen  Gründen  der  Nachweis  versucht  wird,  Th.  Meto- 
chites habe  das  Werk  des  Glykas  abgeschrieben  und  für  sein  eigenes  ausgegeben,  ähnlich 
wie  Kedrenos  den  Skylitzes  fast  unverändert  in  seine  Chronik  aufnahm.  —  Erste  voll- 
ständige Ausgabe  im  Pariser  Corpus  von  Phil.  Labbaeus,  Paris  1660.  —  Wiederholt 
Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus  recogn.  J.  Bekker.  Bonn  1836.  —  Wiederholt  bei 
Migne,  Patrol.  Gr.  158  (1866).  —  Einen  Teil  der  Annalen  ed.  aus  einer  in  einem 
Olymposkloster  befindlichen  Handschrift,  seltsamerweise  ohne  irgend  eine  Kenntnis  von 
früheren  Ausgaben,  Christodulos  Euthymiadis,  'Ey  SeaaaXoAxri  1858,  8",  208  Seiten. 
S.  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  I  (1880)  Introd.  S.  19  f.  —  Briefe:  Nach  den  älteren  Ausgaben 
von  Lamius  (in  den  Deliciae  eruditorum,  vol.  I  Florentiae  1736),  Matthaei  (Mosquae  1776). 
A  Mai  und  anderen  sind  jetzt  25  (mit  einigen  Fragmenten  29)  Nummern  vereinigt  bei 
Migne,  Patrol.  Gr.  158  (1866).  —  Eine  vollständige,  auf  einer  Kenntnis  der  zahlreichen 
Handschriften  beruliende  und  von  einer  Untersuchung  über  die  Echtheit  der  Briefe  be- 
gleitete Gesamtausgabe  derselben  fehlt;  was  Migne  gibt,  ist  ein  Mosaik  aus  früheren 
Drucken.  —  Gesamtausgabe:  Migne,  Patrol.  Gr.  158  (1866)  gibt  ein  ziemlich  voll 
ständiges  Repertorium  der  früheren  Leistungen  für  Glykas,  so  die  Notizen  von  Fabricius. 
die  inhaltsarmen  Abhandlungen  von  Lamius  (Deliciae  eruditorum  vol.  I  und  VI),  Casim. 
Oudini  diss.  de  aetate  et  scriptis  M.  Glycae,  endlich  aus  dem  Turiner  Handschriften - 
kataloge  ein  Verzeichnis  der  in  Turin  befindlichen  Briefe  des  Glykas,  nach  den  Annalen 
auch  die  bis  1453  reichende  Fortsetzung  des  Leunclaius,  dazu  die  Briefe. 

2.  Hilfslitteratnr:  Einige  ältere  Schriften  bei  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl. 
7,  468  f.;  11,  199—204.  —  Friedr.  Vater,  Die  Annalen  des  Michael  GIyka.s,  Jahns  Jahrb., 
9.  Supplementband  (=  Archiv  für  Philol.  und  Pädagogik)  1843  S.  5—11  gibt  ans  einer 
in  Petersburg  befindlichen  Handschrift  wichtige  Varianten ;  S.  15  ein  Verzeichnis  der  theo- 
logischen Schriften  des  Glykas.  —  E.  de  Muralt,  Essai  de  Chronographie  Byzantine,  vol.  I 
(1855)  S.  XXVII.  —  F.  Hirsch,  Byzant.  Studien  S.  396     403. 

3.  Wie  die  Chronik  des  Glykas  in  einer  Handschrift  fälschlich  dem  Theodoros 
Metochites  zugeteilt  wird,  so  enthält  eine  Madrider  Handschrift  das  Werk  unter  dem 
von  Nicolas  de  la  Torre  rührenden  Titel:  Auouedoyrog  rov  AaxuTttjyov  fteyüXov  (laiQU- 
ÖQj^ov  ^Qoyixöy  fitTu  ffvatoXoyiag  xai'  intTOjuijy  tw?  r^s  ßuaiXeicti  liodyyov  rov  T^iiitaxtj. 
Dieser  sonst  unbekannte  und  ziemlich  rätselhafte  Laomedon  Lakapenos  wird  nur  noch 
in  einer  Handschrift  der  Pariser  Nationalbibliothek,  welche  mehrere  auf  die  Eroberung 
Kretas  (961)  bezügliche  Stücke  in  italienischer  Uebersetzung  enthält,  als  Chronist  erwähnt. 
Sp.  Lambros,  Bulletin  de  correspond.  hellten.  2  (1878)  516—521. 

64.  Joel  (7w>^A),  ein  gänzlich  unbekannter  Mann,  verfasste,  wahr- 
scheinlich in  der  Zeit  des  lateinischen  Kaisertums  (120-1  — 1201),  auf  wel- 
ches   die    Schlussbemerkung    hinzudeuten    scheint,')    eine    summarische 

•)  8.  66  ed.  Bonn.  *ftJ  *ai  rttvx«  Xqi-  '.  aiyfittXtoaiay  x«i  iSoX69(>fi>aiy ;  S  ««i  yiyotft, 
arittyoi  XQiarn(yov<:  .  xni  nute  tfifXXey  ^ffr/-  '  xai  tj  nfgi,lXenroi;  KMyatnyttyov  fti€<  tti(  roi- 
at'j(i:a«i   tj  öixtj  xiii  fn'j  71  «fticö'oii  ui  tj/nni  <<V    ,    icvnti  ityoaiovftyiui  7H({tiJu3ij  toi\   ItaXoii, 


B,  Die  Chronisten.   (§  64—65.)  149 

Weltchronik:  XQoroyoa(fia  iv  avvoxpfi.  Sie  beginnt  mit  Adam,  behandelt 
im  Abriss  die  jüdische  und  sonstige  orientalische,  dann  die  römische  Ge- 
schichte, endlich  die  byzantinische  Zeit  bis  zur  Eroberung  Konstantinopels 
durch  die  Lateiner  1204.  Auch  diese  Chronik  ist  in  ihrem  Hauptteile 
nichts  anderes  als  ein  noch  mehr  als  die  des  Leon  Grammatikos  und  Theo- 
dosios  Melitenos  verkürzter  Auszug  aus  Georg ios  Monachos  und  der 
ersten  Fortsetzung  desselben  (bis  948).  Für  die  spätere  Zeit  benützte 
Joel  den  Skylitzes.  Das  ganze  Machwerk  ist  äusserst  dürftig  und  hat 
weder  historischen  noch  litterarischen  Wert;  der  Verfasser  berichtet  nur 
Namen  und  Regierungszeit  der  einzelnen  Kaiser  und  knüpft  daran  einige 
kurze  Nachrichten,  welche  persönliche  Verhältnisse  oder  kirchliche  Dinge 
betreffen. 

Ed.  pr.  im  Pariser  Corpus  von  Leo  Allatius  zus.  mit  Georgios  Akropolites  und 
Joannes  Kananos,  Paris  1651.  —  Wiederholt  Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus  recogn. 
I.  Bekker.  Bonn  1837.  mit  Manasses  und  Georgios  Akropolites  (ohne  Förderung  des 
Textes).  —  Vgl.  Hirsch,  Byzant.  Studien  S.  109—115. 

65.  Ephräm,  der  Verfasser  einer  versifizierten  Chronik,  ist  seinen 
Lebensverhältnissen  nach  unbekannt; ')  sein  Werk  scheint  um  das  Jahr  1313 
abgefasst  zu  sein;  denn  mit  diesem  Jahre  schliesst  das  als  Anhang  beige- 
gebene Patriarchenverzeichnis,  welches  höchst  wahrscheinlich  der  Verfasser 
selbst  bis  auf  seine  eigene  Zeit  fortgeführt  hat.  Die  Chronik  des  Ephräm 
behandelt  in  9564  byzantinischen  Trimetern  die  römisch-byzantinische 
Geschichte  von  Julius  Caesar  bis  auf  die  Wiedereroberung  Konstantinopels 
1261.  Im  Anfang  ist  in  der  einzigen  bekannten  Handschrift  (cod.  Vatican. 
1003)  das  Stück  ausgefallen,  welches  von  Julius  Caesar,  Augustus  und 
Tiberius  erzählte.  Auch  der  ursprüngliche  Titel  ist  verloren  gegangen;  der 
Herausgeber  A.  Mai  überschrieb  das  Werk  aus  eigener  Vermutung:  'Eyjgai- 
fu'ov  xQoiixov  Kaiaaofc.  Dass  Ephräm  der  Verfasser  ist,  wissen  wir  aus 
Allatius,  der  die  Handschrift  noch  vollständig  sah  und  sie  öfter  zitiert. 
Die  Nachrichten,  welche  Ephräm  über  die  früheren  Kaiser  mitteilt,  be- 
schränken sich  meist  auf  einige  persönliche  Züge  und  merkwürdige  Anek- 
doten. Das  Hauptgewicht  fällt  bei  jedem  auf  die  Darlegung  seiner  Stel- 
lung zum  Christentum  und  seiner  sittlichen  Beschaffenheit;  jeder  Kaiser- 
biographie wird  als  Titel  der  Name  des  Kaisers  und  die  Zahl  seiner 
Kegierungsjahre  vorausgeschickt.  So  erscheint  das  Ganze  als  ein  versi- 
fizierter  Kaiserkalender  von  christlich-erbaulicher  Tendenz.  Der 
erste  Kaiser,  Avelcher  ausführlicher  und  mit  grösserer  Teilnahme  behandelt 
wird,  ist  natürlich  Konstantin  der  Grosse: 

7t((TrJQ  ayäxTojy  svaf^ciiy  xsxXtjiieyos 
XHi  /oiaToXaTQiör  xquxÖqmv  tcQ/t]yeT>;c. 
TiQtoTtjg  ögiaTtis  noifxeyaQ^cjy  avyödov. 
ued^  tx>y  xa9eiXey  \4Qsiov  döy/aa  v69oy. 

Der  politische  Niedergang  des  Reiches  macht  dem  Verfasser  wenig  Sorgen. 

*)  Angelo  Mai  vermutete,    der  Chronist  tiven    Beweise    erbracht.      Die    Zeit    würde 

Kphräm    sei    identisch    mit   jenem   Ephräm,  stimmen ;  dagegen  macht  die  Art,  wie  Ephräm 

der  ab?  legitimer  Sohn  des  nachmaligen  Pa-  V.  10352  ff.    dieses  Patriarchen    und    seines 

triarehen  Johannes  XII  (bis  1304  im  Amte)  Sohnes  gedenkt,  wenig  wahrscheinlich.   da.ss 

von    Georgios    Pachymeres    erwähnt    wird;  es  sich  hier  um  seinen  Vater  und  um  seine 

doch   sind   für   diese  Hypothese  keine  posi-  ;    eigene  Person  handle. 


150  Byzantinische  Litteratargeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Seine  ethnographischen  Vorstellungen  sind  ebenso  verworren  und 
durch  die  Scheu  vor  barbarischen  Namen  noch  mehr  getrübt  als  bei  anderen 
Byzantinern;  unter  dem  Namen  der  Skythen  werden  bei  ihm  alle  mög- 
lichen germanischen  und  anderen  Völker  zusammengefasst,  welche  das 
römische  Reich  bestürmten.  Den  völligen  Mangel  an  geschichtlichem  Ueber- 
blick  zeigt  u.  a.  der  Umstand,  dass  die  Regierung  des  Justinian,  über 
die  er  in  seinen  Vorlagen  doch  mehr  hätte  finden  können,  in  ganzen  33 
Versen,  kürzer  als  die  der  meisten  Vorgänger  und  Nachfolger  abgethan 
wird.  Etwas  ausführlicher  wird  die  Erzählung  vom  achten  Jahrhundert 
abwärts;  mehr  als  die  Hälfte  des  ganzen  Gedichtes  fällt  aber  auf  die  dem 
Verfasser  zunächst  liegende  Epoche  der  Komnenen,  der  Angelos  und 
der  Kaiser  von  Nikäa,  die  mit  zunehmender  Ausführlichkeit  geschildert 
wird;  den  Schluss  bildet  die  Beschreibung  des  feierlichen  Einzuges  Michaels 
Palaeologos  in  das  wiedereroberte  Konstantinopel  1261.  Als  Anhang, 
gleichsam  als  kirchengeschichtliches  Supplement,  folgt  von  demselben  Ver- 
fasser ein  Verzeichnis  der  Bischöfe  und  Patriarchen  von  Byzanz 
bis  auf  das  Jahr  1313  (Vers  9565—10392),  mit  der  deutlichen  schismati- 
schen Tendenz,  den  Anfang  des  byzantinischen  Episkopats  in  möglichst 
frühe  Zeit  hinaufzurücken,  so  dass  der  Apostel  Andreas  als  der  Begründer 
desselben  genannt  wird.')  Die  einzelnen  Patriarchen  werden  mit  wenigen 
Worten  und  noch  weit  einförmiger  als  die  ersten  römischen  Kaiser  nach 
Abkunft,  Charakter,  Bildung  und  Schicksalen  bezeichnet.  Die  ungleiche 
zeitliche  Ausdehnung  beider  Werke  erklärt  sich  am  besten  durch  die  An- 
nahme, dass  der  Verfasser  für  das  Geschichtswerk  einen  natürlichen  Ab- 
schluss  suchte  und  denselben  in  der  Wiederherstellung  des  byzantinischen 
Reiches  fand,  während  er  das  Patriarchenverzeichnis  als  blossen  Katalog 
naturgemäss  bis  auf  seine  eigene  Zeit  fortführte. 

Das  für  ein  historisches  Epos  unpassende  Versmass,  welches  bei 
der  Ausdehnung  des  Gedichtes  unerträglich  wird,  und  die  poesieverlassene, 
durch  stete  Wiederholung  ähnlicher  Ausdrücke  eintönige  Diktion  machen 
die  Lektüre  des  Werkes  zu  einer  langwierigen  Mühe,  die  nur  selten  durch 
eine  gelungene  Phrase  oder  durch  ein  treffendes  Attribut  belohnt  wird. 
Sprachlich  unterscheidet  sich  Ephräm  von  den  Prosa-Chronisten  durch  das 
sehr  starke  Streben,  der  klassischen  Gräzität  nahe  zu  kommen  und  durch 
Verwendung  altertümlicher  und  zusammengesetzter  Wörter  poetisch  zu 
wirken.  Trotz  aller  Bemühungen  treten  aber,  wie  bei  den  meisten  dieser 
Talmiklassizisten  die  Spuren  der  Zeit  unverkennbar  hervor;  so  finden  wir 
auch  hier  füv  zuweilen  mit  dem  Indikativ,  starken  Missbrauch  des  Optativs, 
passive  Anwendung  medialer  Verba,  Formen  wie  tt'^affa  (7833),  n'^ovai 
=  tii>iaai  (8708)  u.  s.  w.  Dass  der  Verfasser  eines  so  dürftigen  Mach- 
werkes, dessen  Hauptsorge  offenbar  nicht  die  geschichtliche  Treue,  sondern 
die  Versifikation  eines  gegebenen  Stoffes  war,  nicht  viel  Zeit  auf  gründ- 
liche Quellenstudien  verwandte,  ist  natürlich.  In  der  That  hat  Ephräm, 
wie  es  scheint,  für  den  ganzen  ersten  Teil  bis  auf  den  Tod  des  Alexios 
Komnenos  1118  das  umfassende  Geschichtswerk  des  Zonaras,  in  welchem 

')  Nach    Ive   (juiun    i.st    (H«>8e    Hiigoblich       Hiscliofslistc  oin  FulHifikat  hur  iiHchphotiani- 
;iuf   lU'ii  .MärtyriT  Ddintlu'H.s  zurUckgohoiid«'       scher  Zeit. 


B.  Die  Chronisten.   (§  66—67.)  151 

er  den  Stoff  für  seine  Paraphrase  bequem  verarbeitet  fand,  zu  Grunde  ge- 
legt; für  die  Zeit  bis  1204  folgte  er  dem  Niketas  Ghoniates,  für  den 
Schluss  bis  1261  dem  Georgios  Akropolites. 

1.  Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Ed.  pr.  aus  dem  einzigen  bekannten  cod.  Vatic. 
1003  Angel o  Mai.  Script or.  veter.  nova  coUectio,  tom.  III  (Romae  1828)  pars  I.  —  Dar- 
nach wiederholt  im  Bonner  Corpus  ex  recogn.  I.  Bekkeri,  Bonnae  1840,  mit  einem  kleinen 
grammatischen  und  Sach-Index.  —  Ueber  die  Quellen  s.  F.  Hirsch,  Byzantin.  Studien 
S.  391 — 396.  —  Zur  Metrik:  J.  Hilberg,  Die  Verstechnik  des  Ephrämios,  Wiener  Studien 
10  (1888)  50—92. 

2.  Zum  Patriarchenverzeichnis  vgl.  ausser  Le  Quien,  Oriens  christianus,  tom.  I 
die  Bemerkung  von  A.  Mai  S.  383  ed.  Bonn.,  die  zwei  Verzeichnisse,  welche  Labbaeus  in 
seiner  historischen  Einleitung  zum  Pariser  Corpus  mitteilte  und  die  series  fabulosa  und 
series  vera.  welche  A.  Mai  seiner  Ausgabe  der  Chronik  vorausschickte  (im  Bonner  Corpus 
nicht  aufgenommen).  —  Ein  geringfügiges  Verzeichnis  der  Bischöfe  von  Rom,  Jerusalem, 
Alexandrien,  Antiochien  und  Konstantinopel  bis  zum  7.  (der  letzteren  bis  zum  10.  Jahrh.) 
bespricht  G.  Grosch,  De  codice  Coisliniano  120,  Diss.  Jena  1886.  —  Hauptschrift: 
Franc.  Fischer.  De  patriarcharum  Constantinopolitanorum  catalogis,  Comment.  philol. 
Jenenses.  vol.  3  (Lipsiae  1884)  263 — 333,  wo  die  bis  jetzt  bekannten  Verzeichnisse  be- 
sprochen, ihre  Quellen  und  ihr  verwandtschaftliches  Verhältnis  untersucht  und  zwei  noch 
imedierte  Stücke  mitgeteilt  werden. 

66.  Michael  Panaretos  hinterliess  eine  ganz  summarisch  gehaltene 
Chronik  des  Kaisertums  Trapezunt,  welche  die  Zeit  von  1204 — 1426 
umfasst:  JleQl  twv  Ti]g  Tqane^ovvToq  ßaaiÄecov,  rwv  MeyccXon'  Kourr^vcor, 
üTi o)g  xai  tiots  xai  nöaor  exaaTog  ißaaiXevaev.  Die  Schrift  hat  trotz  ihrer 
üblen  Form  und  ihres  dürftigen  Inhaltes  ein  besonderes  Interesse  als  Er- 
gänzung der  spärlichen  Xachrichten  über  jene  merkwürdige,  durch  Fall- 
merayer  aufgehellte  und  berühmt  gewordene  politische  Gründung  im  inneren 
Winkel  des  schwarzen  Meeres,  die  sich  auch  nach  der  Wiederherstellung 
des  oströmischen  Reiches  lange  erhielt  und  erst  unter  dem  Anprall  der 
türkischen  Heere  zusammenbrach.  Der  Verfasser  berichtet  über  die  letzten 
Ereignisse  als  Zeitgenosse  und  lebte  demnach  in  der  ersten  Hälfte  des 
15.  Jahrhunderts.  Als  gewiss  darf  auch  angenommen  werden,  dass  er 
selbst  Trapezuntier  war;  dagegen  vermögen  wir  nicht  zu  bestimmen,  ob 
er  verwandt  ist  mit  jenem  Theodoros  Panaretos,  welchem  eine  un- 
datierte Urkunde  die  Verwaltung  der  patriarchalischen  Rechte  in  Trapezunt 
und  anderen  Kirchen  des  Orients  verleiht. ') 

Ausgaben:  Ed.  L.  Fr.  Tafel  als  Anhang  zu:  Eustathii  Metropolitae  Thess.  opus- 
cula  etc.,  Francofurti  ad  Moenum  1832  S.  362—370.  —  Wiederholt  mit  deutscher  Ueber- 
setzung  und  wertvollen  Anmerkungen  von  Ph.  Fallmerayer,  Abhandlungen  der  k.  bayer. 
Akademie  d.  Wissensch.  3.  Classe,  4.  Band.  2.  Abteil.  (1844).  —  Reichlich  verwertet  in 
der  neuen  Ausgabe  von  Le  Beau's  Histohe  du  bas-empire  und  dortselbst  t.  20  (1836) 
482 — .509  von  Brosset  französisch  übersetzt.  —  Sonstiges  Material  zur  Geschichte  von 
Trapezunt  veröffentlichte  Ph.  Fallmerayer,  Abb.  d.  k.  bayer.  Akad.  d.  Wiss.  3.  Cl., 
3.  Bd.,  3.  Abt.  —  Vgl.  Ph.  Fallmerayer.  Geschichte  des  Kaiserthums  von  Trapezimt, 
München  1827.  und  die  Skizze  von  W.  Fischer,  Trapezunt  und  seine  Bedeutung  in  der 
Geschichte,  Zeitschrift  für  allgemeine  Geschichte  3  (Stuttgart  1886)  13-39. 

67.  Komnenos  und  Proklos.  Unter  dem  Namen  eines  Mixfxi]l 
rsTi&rr^g  tov  Jovxög  ist  ein  ganz  kleines  Fragment  einer  angeblichen  Ge- 
schichte von  Epirus  herausgegeben;  dieses  Fragment  ist  nichts  anderes  als 
eine  universalhistorische  Uebersicht,  welche  fast  wörtlich  mit  der  Einleitung 
der  Geschichte  des  Dukas^)  übereinstimmt.  Es  ist  daher  höchst  wahrschein- 

')    In    den    Acta    of    diplnmata    Graeca   |    U  (1862)  154. 
modii  a.'vi  ed.  Fr.  Miki..-i(h    .r  Jos.  Müller   !  '')  S.  §  45. 


152  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

lieh,  dass  dieser  mysteriöse  „Michael,  Enkel  des  Dukas"  mit  dem  uns  wohl- 
bekannten Geschichtschreiber  Dukas  identisch  ist;  denn  jener  Dukas  ist 
ein  Enkel  eines  Michael  Dukas  (s.  §  45)  und  von  einem  zweiten  Historiker 
Dukas  wissen  wir  absolut  nichts.  Der  Name  geriet  wohl  auf  den  Titel  der 
verlorenen  Geschichte  von  Epirus,  weil  der  Verfasser  oder  ein  Abschreiber 
die  Einleitung  aus  dem  Werke  des  Dukas  fast  unverändert  herübernahm, 
um  daran  seine  Geschichte  von  Epirus  zu  schliessen.  Dieses  kleine  Stück 
edierte  zuerst  Pouqueville,  Voyage  dans  la  Grece,  tom.  5  (1821) 
200 — 210  und  nach  ihm  Bekker  mit  der  (einst  von  Martin  Crusius  und 
Alter  edierten)  Historia  politica  et  patriarchica  Constantinopoleos, 
Bonnae  1849  S.  207  f.  In  demselben  Bande  gab  Bekker  S.  209—279 
ebenfalls  nach  Pouqueville  a.  a.  0.  einige  umfangreichere,  teils  auf  die 
mittelalterliche  Geschichte  von  Epirus,  teils  auf  die  türkische  Geschichte 
(bis  ins  18.  Jahrb.)  bezügliche  Chronikenfragmente,  die  er  alle  unter  dem 
Titel  Epirotica  zusammenfasste.  Das  zweite  dieser  Fragmente,  betitelt: 
'latoQia  IjQfXovfiTiov  xal  akXon'  SiacfÖQoyv  //fanoimv  twv  'icaavi'ivMV  ano  tj~c 
dkMOSbyc,  ainüJv  naQcc  zwv  ^tQßoov  tw^  irjg  nagctSöüsotq  fic  xovq  Tovqxovc, 
ist  nur  ein  Stück  eines  vollständigeren,  schon  früher  herausgegebenen, 
Bekker  aber  unbekannt  gebliebenen  Werkes,  nämlich  der  Chronik  des 
Komnenos  und  Proklos.  Vielleicht  sind  "diese  zwei  wohl  dem  15.  Jahr- 
hundert angehörigen  Autoren,  auch  die  wahren  Verfasser  jener  oben  er- 
wähnten Geschichte  von  Epirus,  zu  welcher  ein  Abschreiber  dann  jene 
universalhistorische  Uebersicht  gefügt  haben  mag. 

Ausgaben:  Das  vollständige  Werk  des  Komnenos  und  Proklos  edierte  zuerst 
A.  Mustoxydes  im 'EXkTji^ofjytj/LKOP  1845 — 47  S.  407 — 579  (Nr.  8-10).  —  Nach  ihm  wieder- 
holte es  Gabriel  Destunis  unter  dem  Titel:  laxoQixov  Ko/nyTjvov  fiova^ov  xni  IIqöxXov 
fiovcc](ov  TiSQi  ditcffÖQiav  öeanorwv  lijg  'Hnel()ov,  Petersburg  1858  (mit  russischer  Ueber- 
setzung  und  Kommentar).  Doch  sind  beide  Ausgaben  so  selten,  dass  der  vollständige 
Komnenos  und  Proklos  wohl  den  meisten  Gelehrten  unzugänglich  bleiben.  —  Vgl.  K.  Hopf, 
Chroniques  Greco-Romanes,  Berlin  1873,  avo  S.  XXXI  f.  alle  auf  die  Epirotica  bezüglichen 
bibliographischen  Thatsachen  und  S.  259 — 265  Varianten  und  PiUiendationen  zum  zweiten 
Fragment  mitgeteilt  sind.  —  P.  Arabantinos,  XQoyoyQurpin  ttj?  'nnetQov  (2  voll.  Athen 
1856—57)  vol.  1  Ugooifiioy  S.  X  f.,  wo  auch  eine  Ausgiibe  des  Komnenos  und  Prokh)« 
,i57io  Tov  xvqIov  Aiviävog  tw  1881  cV  nvi  (!?)  neQio^txu)'^  erwähnt  ist  und  verschiedene 
Angaben  über  die  Ueberlieferung  des  Komnenos  und  Proklos  ams  der  Lokaltradition  ge- 
sammelt sind.  -  Die  im  17.  Jahrh.  abgefasste,  ungemein  dürftige  , Chronik  von  Argyro- 
kastron"  {Xqovixov  jQvoTtidog)  ed.  mit  einem  Kommentar  Ath.  Petridis,  .SeoeXhjyixd 
'AfilXsxta  1  2  (1871)  1 — 64.  —  Eine  neue  kritische  Ausgabe  dieser  Epirotica  und  besonders 
des  Komnenos  und  Proklos  mit  einer  Untersuchung  der  Autorfrage  wäre  eine  dankbare 
Aufgabe  für  einen  in  Janina  lebenden  und  mit  der  epirotisch-türkischen  Geschichte  ver- 
trauten Griechen. 

68.  Unediertes,  Anonymes,  Fragmente,  orientalische  Chronisten 
u.  s.  w.  Einige  uns  wahrscheinlich  nicht  erhaltene  Chronisten  nennt  Jo- 
hannes Skylitzes  in  der  Vorrede  seines  Werkes  S.  4  ed.  Bonn.  (s.  §  59). 
Von  dem  dort  erwähnten  Manuel  wissen  wir,  dass  er  die  Thaten  des 
Johannes  Kurkuas,  des  berühmten  Feldhcrrn  unter  Bomanos  I,  in  8  Büchern 
beschrieben  hat.  Der  von  Skylitzes  a.  a.  ().  als  Geschichtschreiber  ge- 
nannte Theodoros  Daphnopates  wurde  bald  nach  der  Thronbesteigung 
Romanos  II  (959)  zum  Stadtpräfokten  von  Konstantinopol  erholxMi  tnid  ist 
vielleicht  der  Vei-fasser  des  letzten  Teiles  der  Fortsetzung  des  Theophanes 
d.  h.   der  Geschichte   des    Konstantin    Porphyrogennetos   und   Romanos  II 


B.  Die  Chronisten.  (§  68.)  153 

(s.  §  90).  Die  anderen  von  Skylitzes  genannten  Autoren  ausser  Genesios, 
Leon  Diakonos  und  Xiketas  Paphlagon  sind  völlig  unbekannt,  so  der  Diakon 
Nikephoros  der  Phrygier,  die  Bischöfe  Theodoros  von  Side  und 
sein  Neffe  Theodoros  von  Sebasteia,  Demetrios  von  Kyzikos  und 
der  Mönch  .Johannes  der  Lyder,  der  mit  dem  bekannten  Johannes  Lydus 
nicht  identisch  sein  kann. 

Aus  cod.  Marcianus  408  wurde  ediert  ein  im  Jahre  1392  verfasstes 
Gedicht  (759  politische  Fünfzehnsilber),  welches  den  Fall  und  die 
Wiedereroberung  Konstantinopels  (1204—1261)  mit  einer  Reihe  von 
Wundergeschichten  erzählt  und  mit  dem  Regierungsantritte  des  Andronikos 
Palaeologos  (1283)  abschliesst.  Der  Verfasser  beruft  sich  auf  Niketas 
Akom inatos  als  seinen  Gewährsmann,  benützt  aber  neben  ihm  auch  den 
Georgios  Akropolites.  Ein  historischer  Wert  ist  in  dem  Stücke  nicht 
zu  entdecken.  Die  Stelle  des  Titels  vertreten  wie  in  v-ielen  anderen  mittel- 
alterlichen Gedichten  die  Anfangsverse: 

'H  ßfcaiXig  twv  nöXsoiy  -nwg  'Ixa'Aotg  k(iX(o 

xai  To?5  'Pwuaioig  votsqov  nöig  nne&öthj  naXtv, 

iyQc'ccprj  xux    (cxQißeuty  .  ei  ov  de  ßovktj,  /aci&oig. 

1.  Ed.  pr.  Biichon,  Recherches  historiques  sur  la  principaute  fran^aise  de  Moree  II 
(1845)  335—367.  —  Damach  edierte  das  Gedicht  ohne  Kenntnis  von  Buchons  Ausgabe 
J.  Malier,  Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  d.  Wissensch.  philos.-hist.  Cl.  9  (1852)  366  If. 
(nebst  einigen  anderen  byzantinischen  Urkunden  und  Goldbullen).  —  Ein  Stück  ed.  auch 
E.  Miller  im  Recueil  des  histor.  Grecs  des  croisades,  toni.  I  2,  647  ff.  (fehlerhaft  nach 
Buchen  ohne  Kenntnis  von  der  Ausgabe  Müllers).  Vgl.  C.  Neumann,  Griechische  Ge- 
schichtschreiber und  Geschichtsquellen  im  12.  Jahrb.,  Leipzig  1888  S.  105. 

2.  Ueber  einen  nicht  erhaltenen  Chronisten  T  r  a  i  a  n  u  s  ,  der  unter  Justinian  II 
(685—695)  ein  Xgoyixoy  avpxo^ov  schrieb,  s.  C.  De  Boor.  Hermes  17  (1882)  489—492.  — 
Ein  unediertes  Gedicht  über  den  Kampf,  in  welchem  Georgios  Maniakis,  der  Empörer 
gegen  Konstantin  Mononjachos.  fiel  (1043),  erwähnt  Sp.  Lambros,  Bulletin  de  correspond. 
hellen.  2  (1878)  448. 

3.  Einige  imedierte  anonyme  Stücke  liegen  in  der  Markusbibliothek  zu  Venedig, 
so  eine  Chronik  vom  Anfang  der  christlichen  Zeitrechnung  bis  auf  Kaiser  Heraklios  und 
eine  zweite  von  der  ältesten  Zeit  bis  auf  Kaiser  Romanos  Diogenes  (1068).  Proben  und 
Auszüge  edierte  I.  Bekker,  Abhandl.  der  k.  preuss.  Akad.  d.  Wissensch.,  phil.-histor.  Cl. 
1841,43 — 65.  —  Ueber  die  noch  unediert«  Chronik  des  Johannes  Doxopatres  s.  §  92. 

Johannes,  Bischof  von  Xikiu  in  Unterägypten,  verfasste  am  Ende 
des  7.  Jahrhunderts  eine  Weltchronik,  die  merkwürdiger  Weise  in  der 
historischen  Litteratm*  der  Byzantiner  nirgends  erwähnt  wird.  Ganz  ähn- 
lich angelegt  wie  das  Werk  des  Malalas  und  die  späteren  Weltchroniken, 
beginnt  sie  mit  Adam  und  Eva,  behandelt  kursorisch  die  orientalische, 
griechische  und  römische  Geschichte  und  wird  ausführlicher  in  der  byzan- 
tinischen Zeit;  sie  reicht  bis  ans  Ende  des  7,  Jahrhunderts.  Am  wichtig- 
sten ist  der  letzte  Teil,  in  welchem  Johannes  als  Zeitgenosse  und  zum 
Teil  als  Augenzeuge  die  uns  bisher  nur  mangelhaft  bekannte  Geschichte 
der  Eroberung  Aegyptens  durch  die  Mohamedaner  erzählt.  Das  grie- 
chische Original  dieses  Werkes  wurde  in  unbekannter  Zeit  ins  Arabi- 
sche und  aus  dem  Arabischen  im  Jahre  1601  ins  Aethiopische  über- 
setzt. Erhalten  scheint  uns  nur  die  äthiopische  üebersetzung  zu  sein.  Die 
'.»uellen  der  Chronik  und  ihr  Verhältnis  zu  Johannes  von  Antiochia  und 
^lalalas  sind  nicht  genauer  festgestellt;  die  Uebereinstimmung  mit  Malalas 
scheint  auf  der  Benützung  gemeinsamer  Quellen  zu  beruhen. 

Sehr  umfangreiche  Auszüge  ed.  äthiopisch  und  französisch  unter  steter  Vergleichung 


154  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

mit  den  übrigen  Chronisten  H.  Zotenberg:  Memoire  sur  la  chronique  byzantine  de  Jean, 
^vßque  de  Nikiou,  Journal  Asiatique,  7.  sörie,  t.  10  (1877)  451-517;  12  (1878)  245-347; 
13  (1879)  291 — 386.  Vollständig  äthiop.  und  französ.  von  H.  Zotenberg,  Notices  et  ex- 
traits,  t.  24,  1.  partie  (1883)  125  605.  -  -  Vgl.  die  guten  Besprechungen  von  Th.  Noel- 
deke,  Göttinger  Gel.  Anzeigen  1881,  587-594;  1883,  1364—1374  und  von  Ed.  Drouin, 
Le  Museon  3  (1884)  253—268. 

Michael  der  Syrer,  ein  gelehrter  Mann,  der  im  Jahre  1199  als 
Patriarch  von  Antiochia  starb,  schrieb  in  syrischer  Sprache  eine  Chro- 
nik, die  von  der  Erschaffung  der  Welt  bis  auf  seine  Zeit  reichte.  Die 
Zeit  bis  zum  6.  Jahrhundert  n.  Chr.  ist  in  der  auch  bei  Byzantinern  üb- 
lichen Form  eines  chronologischen  Abrisses  dargestellt;  von  da  an  wird 
die  Erzählung  ausführlicher.  In  der  Vorrede  nennt  der  des  Griechischen, 
Syrischen,  Armenischen  und  Arabischen  kundige  Verfasser  seine  Quellen, 
teils  syrische,  teils  griechische;  es  sind,  wenn  wir  ihm  Glauben  schenken 
dürfen,  unter  anderem  der  Chronograph  Annianos  von  Alexandrien,  Euse- 
bios,  Johannes  von  Alexandrien  (Philoponos?),  der  Kirchenhistoriker 
Theodoros  Lector,  Zacharias,  Bischof  von  Mytilene,  Johannes  von 
Asien  und  andere  zum  Teil  unbekannte  Chronisten.  Ausser  dem  erst  vor 
kurzem  wieder  entdeckten  und  noch  nicht  veröffentlichten  Originale  besitzen 
wir  das  Werk  des  Michael  Syrus  in  einer  armenischen  Uebersetzung  aus 
dem  Jahre  1248,  in  welcher  es,  wohl  vom  Uebersetzer  selbst,  noch  über 
den  Tod  Michaels  fortgesetzt  ist. 

Einen  Abschnitt  des  Werkes,  der  die  Zeit  von  573  717  umfa.sst,  veröffentlichte  in 
französischer  Uebersetzung  Edouard  Dulaurier,  Journal  Asiatique  4.  serie,  t.  12  (1848) 
281  ff.  und  13  (1849)  315  ff.;  über  die  Quellen  S.  288  und  314  ff.  Eine  Uebersetzung  des 
vollständigen  Werkes  wurde  von  Dulaurier  im  Prospekte  seiner  Bibliothcque  Armenienne 
in  Aussicht  gestellt,  kam  aber  nicht  zur  Ausführung.  —  Verwertet  i.st  Michael  von  Guido 
Hertzsch,  De  scriptoribus  rerum  imperatoris  Tiberii  Constantini,  Comment.  philol.  Jenenses 
3  (1884)  1 — 48,  wo  auch  über  andere  syrische  Chronisten  wie  Johannes  Ephesius  und 
Bar-Hebraeus  gehandelt  wird. 

Die  armenische  Chronik  des  Matthaeus  von  Edessa  umfasst  die  Zeif  von  96;') 
bis  1136  und  ist  vom  Priester  Gregor  bis  1162  fortgesetzt  worden.  Sie  ist  auf  ihre  (juelleii 
noch  nicht  untersucht.  Ed.  in  französischer  Uebersetzung  nach  3  Pariser  Handschriften  von 
Edouard  Dulaurier,  Bibliothcque  historique  Armenienne,  Paris  1858.  —  Eine  Sammlung 
von  griechischen  und  syrischen  Historikem,  die  nur  in  armenischer  Uebersetzung  vorhanden 
sind  (Agathangelos  und  Faustos  von  Byzanz;  herubna  von  Edessa  u.  a.)  sowie 
Fragmente  griechischer  Historiker,  die  in  armenischen  Schriften  vorkommen,  veröffentlichte 
Victor  Langlois  in  C.  Müllers  Fragm.  bist.  Gr.,  vol.  5,  pars  2,  Paris  1867  (1884).  — 
Ueber  die  Chronik  Jahjäs  s.  §  59. 

Ueber  die  apokryphischen,  anonymen  und  fragmentarischen  Chroniken  und  chrono- 
graphi.schen  Tabellen  der  Byzantiner  und  Orientalen,  die  hier  nicht  genauer  dargestellt 
werden  können,  namentlich  die  von  Cramer,  Anecd.  Paris.  II  165-230  edierte  "Kx^oyt} 
laioQioiy,  den  sogenannten  Barbarus  Scaligeri,  das  um  845  entstandene,  von  Julios 
Polydeukes  benützte  XQOPoyQaq^eToy  avvxofxoy,  das  unter  Manuel  Komnenos  verfaasto 
XQoyixov  iniTOfioy  des  Wiener  Cod.  Th.  Gr.  40,  die  syrische  Weltchronik  des  Dio- 
nysios  von  Telmahar  (Patriarch  von  Antiochia  818  845),  die  auf  Michael  Syrus  be- 
ruhende Chronik  des  Bar-Hebraeus  (13.  Jahrh.)  u.  a.  handelt  erschöpfend  H.  Geizer, 
Sextus  Julius  Africanus  11.  Teil.  1.  Abt.  (Leipzig  1885)  249-410. 


2.  Geographie. 

69.  Einteilung.  In  einem  auffallenden  Gegensatze  zu  der  frucht- 
baren Regsamkeit,  welche  die  Byzantiner  in  historischen  Studien  und  Dar- 
stellungen entwickeln,  steht  die  unleugbare  Vernachlässigung  der  Geographie. 
Wie  in  ihren  historischen  und  grammatischen  Werken  oft  eine  erschreckende 
Unwissenheit  in  der  Geographie  und  Ethnographie  zu  tage  tritt,  so  mangelt 
es  auch  an  selbständiger  theoretischer  Thätigkeit  auf  diesem  Ge- 
biete: hierin  sind  die  Byzantiner  ihren  politischen  Vorgängern,  den  Römern, 
ähnlich,  welche  die  Geographie,  ganz  im  Gegensatze  zu  den  Griechen, 
ebenfalls  vernachlässigten  und  ihre  Thätigkeit  mit  geringen  Ausnahmen 
auf  Itinerarien  und  ähnliche  Erzeugnisse  des  praktischen  Bedürfnisses  be- 
schränkten. Die  Gründe  davon  liegen  zum  Teil  in  dem  allgemeinen  Nieder- 
gange originaler  wissenschaftlicher  Forschung,  zum  Teil  wohl  auch  in  der 
Unsicherheit,  mit  der  in  den  meisten  Abschnitten  dieses  Zeitraumes  grössere 
Reisen  verbunden  waren,  endlich  in  dem  Verfalle  des  Seewesens,  in  welchem 
die  Byzantiner  durch  die  Venezianer  und  Genuesen  schon  zur  Zeit  der 
Kreuzzüge  überflügelt  wurden. 

Um  über  die  verworrene  Masse  der  zum  Teil  anonymen,  zum  Teil 
fragmentarischen  geographischen  Werke  einen  Ueberblick  zu  gewinnen, 
unterscheiden  wir  zwei  Haupt gruppen,  die  sich  freilich  zuweilen  nahe 
berühren,  nämlich:  1.  Erzeugnisse  der  wissenschaftlichen  (theoretischen) 
Geographie.  2.  Werke,  die  den  praktischen  Zwecken  der  Kirche,  des 
Staates  und  des  Handels  dienten. ')  In  der  ersten  Gruppe  treffen  wir  fast 
nur  Kommentare,  Bearbeitungen  und  Exzerpte  älterer  Werke.  Wie 
in  allen  anderen  Zweigen  der  byzantinischen  Litteratur,  so  ist  auch  hier 
vor  allem  das  erhaltene  alte  Gut  auszuscheiden  und  daneben  die  etwa 
hinzufügende,  modifizierende  Thätigkeit  des  byzantinischen  Geistes  zu  er- 
wägen. Als  ein  wenig  erfreuliches  neues  Moment  tritt  hier  das  pole- 
mische Verhältnis  gegen  die   alten  Weltsysteme  entgegen;   wie  in 


')  Völlig   zutreffend   ist   die  Einteilung,  schaftlicbe  Grundlage  sind.    Doch  entspricht 

wie   die  meisten  Systematisierungen,    natür-  die  Einteilung    in   zwei  Hauptgruppen   wohl 

'    h  nicht,  da  einzelne  Werke  einen  gemisch-  am  meisten    den  Thatsachen   und  verschafft 

II  Charakter  tragen  und  eineraeits  die  theo-  am  besten  einen  Ueberblick  über  den  mannig- 

I 'tischen  Bücher  auch  praktisch  verwendbar,  ,    faltigen  Stoff, 
andrerseits  die  praktischen  nicht  ohne  wissen- 


156  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

der  Chronologie,  so  besteht  auch  in  der  Geographie,  wenigstens  in  ihrem 
physikalischen  Teile,  das  lebhafte  Bestreben,  die  alten  Systeme  mit  der 
Bibel  in  Einklang  zu  bringen  und  wirkliche  oder  scheinbare  Widersprüche 
zu  beseitigen.  Uebrigens  tritt  selbst  bei  dieser  unselbständigen,  exzerpieren- 
den Thätigkeit  der  Gegensatz  zur  Historiographie  deutlich  hervor; 
während  die  Meister  der  alten  Geschichtschreibung,  Herodot,  Thuky- 
dides,  Polybios,  Dio  Cassius  u.  a.  im  byzantinischen  Zeitalter  noch  vielfach 
gelesen  und  nachgeahmt  werden,  finden  wir  die  grossen  Geographen  der 
Vorzeit,  wie  Eratosthenes,  Ptolemaeos,  Strabon  fast  vergessen.  Etwas 
selbständiger  erscheint  die  Produktion  in  der  zweiten  Gruppe;  hieher  ge- 
hören Werke,  die  der  kirchlichen  und  staatlichen  Verwaltung  dien- 
ten, statistische  Abrisse  des  byzantinischen  Reiches  u.  s.  w.,  Itine- 
rarien,  Schifferbücher,  Karten,  Wallfahrerbücher  u.  s.  w.  Für 
sich  steht  der  antiquarische  Kompilator  Kodinos. 

1.  Sammclausgabcn:  Die  erste  Sammlung  der  kleinen  freographen,  unter  denen 
sich  auch  Stücke  des  byzantinischen  Zeitalters  finden,  unternahm  der  Engländer  Hudson: 
Geographi  Graeci  minores,  4  voll.,  Oxford  1697 — 1712;  die  höchst  selten  gewordene  Samm- 
lung ist  durch  die  Beigabe  arabischer  Geograplien  von  Nutzen,  die  griechischen  Texte  sind 
ohne  genügende  diplomatische  Grimdlage.  —  Ein  Teil  der  von  Hudson  mitgeteilten  Stücke 
wurde  ganz  fehlerhaft  wiederholt  in  der  von  einem  Griechen  besorgten,  für  philologische 
Zwecke  wenig  brauchbaren:  ^vXXoyt]  jwv  iy  initofi^  rotg  Tifikai  ysiayQafptjr^iyiMV,  8  voll., 
'Ev  liit'yyrj  TTJg  .Ivargiag  1807 — 1808;  der  3.  Bd.  enthält  arabische  Cieographen  in  neu- 
griechischer Uebersetzung.  —  Einen  zweiten,  ebenfalls  misslungencn  Versuch,  da.s  Werk 
von  Hudson  zu  ersetzen,  machte  J.  F.  Gail:  Geographi  Graeci  minores,  3  voll.,  Paris  1826 — 31 
(ohne  nennenswerte  selbständige  Arbeit).  Auch  andere  Unternehmungen  blieben  stecken.  -- 
Endlich  erhielten  wir  eine  neue,  auf  kritischer  Grundlage  aufgebaute,  leider  nicht  ganz 
zum  Abschluss  gebrachte  Sammlung  von  C.  Müller:  Geographi  Graeci  minores,  2  voll., 
mit  einem  Atlas  von  30  Karten,  Paris,  Didot  1855 — 61.  —  Zur  Ergänzung  dient  L.  Fr.  Tafel, 
Const.  Porphyr.  De  provinc.  regni  Byzant.  1.  II,  Tubingae  1847  (s.  §  18)  und  die  Ausgabe 
des  Hierokles  von  Parthey,  wo  verschiedene  bei  Müller  fehlende  Stücke  beigegeben  sind. 

2.  Allgemeine  Hilfsmittel:  Zur  allgemeinen  Orientierung  dient  das  für  weitere 
Kreise  berechnete  Werk  von  M.  Vivien  de  Saint -Martin,  Histoire  de  la  geographie  et 
des  decouvertes  g^ographiques,  Paris  1873;  S.  232 — 236  über  die  byzantinischen  und  aus- 
führlicher S.  237 — 263  über  die  arabischen  Geographen.  —  L.  Fr.  Tafel.  Symbolarum 
criticarum  geographiam  Byzantinam  spectant.  partes  duae,  Abhandlungen  d.  bayer.  Akad. 
d.  Wiss.  3.  Gl.,  5.  Band,  2.  u.  3.  Abteil.  (Handelsvertrag  von  1199  und  Vertrag  über  die 
Teilung  des  Reiches  1204  mit  Erklärung  der  darin  vorkommenden  Namen).  Die  Geo- 
graphie Griechenlands  im  Mittelalter  und  in  der  neueren  Zeit  (bis  zur  Gründung  des 
Königreiches)  ist  dargestellt  von  J.  H.  Krause,  Ersch-  'und  Gruber'sche  Enzyklopädie 
1.  Sektion,  83.  Bd.  (1866)  259  444.  —  Reiches  Licht  über  dio  gesamte  byzantinische 
Geographie,  besonders  die  Handelsgeographie,  verbreiteten  die  Schriften  von  Willi. 
Heyd:  Zuerst  zehn  Abliandlungen  in  der  Tübinger  Zeitschrift  für  die  gesamte 
Staatswissenschaft,  B.  14—20  (1858  1864);  dann  durch  Zusätze  und  eine  neue  Ab- 
handlung über  Cypeni  vermehrte  italienische  Buchausgabe:  Le  colonie  commerciali  degli 
Italiani  in  Oriente  nel  medio  aevo,  dissertazioni  del  prof.  (lugl.  Heyd.  etc.,  ora  rifatto 
dair  autore  e  recate  in  italiano  dal  prof.  (iius.  Müller,  2  voll.,  Venezia  1866 — 1868.  End- 
lich veröffentlichte  W.  Heyd  als  Endergebnis  seiner  zwanzigjährigen  Studien  die  gründlich 
durchgearbeitete  und  umfa.s.sende  Geschichte  des  Levantehandels  im  Mittelalter, 
2  Bände,  Stuttgart  1879.  Hier  findet  man  aiich  die  weit  zerstreute  Speziallitteratur  ver- 
zeichnet. Da.sselbe  Werk  mit  Nachträgen  und  Berichtigungen  in  französischer  Ueb«'rsetzung 
von  Raynaud,  2  Bände,  Leipzig  1885-86.  Vgl.  A.  (iottlob.  Hi.stor.  Jahrbuch  der  Görres- 
gesellschaft  9  (1888)  678—714.  ~  Ethnographische  Fragen  und  die  Handelswege  im  12. 
.Jahrb.  behandelt  die  ergebnisreiche  Schrift  von  W.  Tomaschek:  Zur  Kunde  der  Hämus- 
halbinsel,  Sitzungsbcr.  d.  Wiener  Akad.  d.  Wiss..  phil.-hist.  Cl.  9!»  (1S81)  437—507  und 
113  (18H6)  285—373.  --  G.  Marinelli.  Die  Knlkiinde  bei  den  Kirchenvätern.  Deut.sch  von 
L.  Naumann,  Leipzig  1884.  —  AuHführlicIier  behandelt  das,selhe  Thema  Konr.  Kretschmer, 
Die  physisch«?  Erdkunde  im  christlichen  Mittelalter.  Wien  ISSi»  (--  (;j.ogr.  Abli.  heraus- 
gegeben von  A.  i'enck  IV  1).  Sehr  wichtige  Aufklärungen  erhielt  die  geogni|>his(-he 
Nomenklatur    durch    die    zahlreichen    uns    erhaltenen    byzantiniselien    Bleibullen,    welche 


2.  Geographie.   (§  70.)  157 

G.  Schluraberger  in  seiner  Sigillogiaphie  de  Tempire  Byzantin,  Paris  1884,  veiöflFentlicht 
hat.  -  Endlich  sind  auch  die  modernen  Reiseberichte  und  geographischen  Monographien 
beizuziehen,  die  man  in  der  Geographie  Griechenlands  von  Lolling,  Handbuch  der 
kl.  Altertumswiss.  Band  111  109  f.  und  imter  den  einzelnen  Artikeln  verzeichnet  findet. 

3.  Bei  der  Mangelhaftigkeit  der  Nachrichten,  welche  ims  die  Byzantiner  selbst  über 
die  Geographie  ihrer  Zeit  überliefern,  ist  jeder  Aufschluss  aus  fremden  Quellen  wichtig. 
Unter  den  nichtgriechischen  Geographen,  die  über  das  Reich  „Romania"'  berichten,  steht 
in  erster  Linie  der  arabische  Scherif  Idrisi,  von  dem  ^vir  ein  im  Jahre  1153  voll- 
endetes, vornehmlich  der  Handelsgeographie  gewidmetes  Sammelwerk  besitzen.  Durch 
seinen  Aufenthalt  am  Hofe  Königs  Roger  II  von  Sizilien  hatte  er  reichlich  Gelegenheit, 
von  arabischen,  jüdischen,  fränkischen  und  besonders  griechischen  Kaufleuten  über  die 
Handelsplätze  und  Handelswege  Erkundigungen  einzuziehen.  —  Französische  Uebersetzung 
des  Idrisi  von  P.  Amedee  Jaubert,  Paris  1840.  —  Hauptschrift:  W.  Tomaschek, 
Die  Handelswege  im  12.  Jahrh.  nach  den  Erkundigungen  des  Arabers  Idrisi,  Sitzungsber. 
d.  Wiener  Akad.  d.  Wiss.,  phü.-hist.  Cl.  113  (1886)  285—373.  Vgl.  Jagic,  Arch.  slav. 
Philol.  10  (1887)  377  ff. 

A.  Wissenschaftliche  Geographie. 

70.  Kosmas  Indikopleustes  (der  Indienfalirer) ')  aus  Alexandria, 
Zeitgenosse  des  Kaisers  Justinian  und  also  auch  des  Geographen  Hierokles, 
unternahm  als  Kaufmann  weite  Reisen  nach  Arabien  und  Ostafrika;  später 
vertauschte  er  seinen  Beruf  mit  dem  klösterlichen  Leben  und  schrieb  in 
einem  Sinaikloster  (vielleicht  ist  Kosmas  nur  sein  Mönchsname)  um  das 
Jahr  547  n.  Chr.  ein  grosses  geographisches  Werk:  X^iaTiurixi]  rorro- 
YQa(fi'a.  Der  Hauptzweck  dieses  Buches  war  die  Aufstellung  einer  neuen,  mit 
der  christlichen  Lehre  in  Einklang  stehenden  physikalischen  Geographie,  eine 
physikalisch-astronomische  Ausdeutung  der  heiligen  Schriften, 
weshalb  Photios  das  Werk  geradezu  als  igur^rtiu  ng  n]v  öxrccTevxov  bezeichnet. 
Daher  kämpft  der  fromme,  aber  ungelehrte  Verfasser  mit  dem  Eifer  des 
Neophyten  gegen  das  System  des  Ptolemaeos,  in  welchem  er  unversöhn- 
liche Widersprüche  mit  der  christlichen  Lehre  erblickt.  Die  Tendenz  des 
ganzen  Werkes  verrät  sich  schon  in  der  Aufschrift  des  ersten  Kapitels: 
JJqoc  tovc  x^/öT<ai7'^6n'  //*r  sO-eXorvag,  xaxd  rovg  s'Scod^sv  St  atfcaooeidt^  rov 
ovQuvov  voiif^orTctg  xcd  do'^ä^ovTag.  Die  alte  Meinung,  dass  die  Erde  eine 
sphärische  Gestalt  habe,  verwirft  er  und  sucht  nachzuweisen,  dass  sie  eine 
länglich  viereckige  Scheibe  sei;  darüber  erhebt  sich  nach  ihm,  von  den 
Rändern  des  Vierecks  erst  mit  geraden  Wänden  aufsteigend,  dann  oben 
gewölbt,  das  krystallene  Firmament  nach  dem  Vorbild  von  Noahs  Arche. 
Diese  Seite  des  Buches,  die  dem  Verfasser  freilich  die  wichtigste  war, 
kann  uns  heute  wenig  Sympathie  abgewinnen;  doch  werden  wir  ihn  auch 
hier  milder  beurteilen,  wenn  wir  uns  erinnern,  dass  ähnliche  Tendenzen, 
angebliche  Widersprüche  der  Astronomie  mit  der  Bibel  auf  künstlichem 
Wege  zu  beseitigen,  bis  auf  die  neueste  Zeit  geherrscht  und  mannigfachen 
Unsinn  hervorgerufen  haben.  Uebrigens  beruhen  die  kosmologischen  An- 
schauungen des  Kosmas  wesentlich  auf  syrischer  Grundlage.  Dass  sie 
auch  in  By.anz  keineswegs  allgemeinen  Beifall  fanden,  zeigt  der  scharfe 
Tadel  des  Photios  (s.  unten). 

')  Genau  genommen  führt  er  seinen  Bei-   [  richten  Über  Indien  verdankt  er  mündlichen 
■  i.imen  mit  Unrecht,  da  er  selbst  nicht  nach    !    Berichten  anderer  Reisenden. 
lit-m    eigentlidien   [ndien    kam;    seine  Nach- 


158  Byzantinische  Littcraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Für  uns  liegt  die  Hauptbedeutung  des  Buches  nicht  in  den  phan- 
tastischen Ergüssen  des  Mönches  Kosmas,  sondern  in  den  Nachrich- 
ten, die  er  uns  als  Kaufmann,  als  Reisender  überliefert,  nicht 
im  Hauptwerk,  sondern  im  Nebenwerk.  Was  ihm  auf  seinen  eigenen 
Fahrten  begegnete  und  was  er  auf  denselben  von  andern  vernahm,  erzählt 
er  mit  lobenswerter  Wahrheitsliebe;  hier  treffen  wir  bemerkenswerte  ein- 
zelne Notizen  und  wichtige  grössere  Beiträge  zur  Kenntnis  der  alten  Be- 
ziehungen des  römischen  Reiches  zu  Aegypten,  Indien  und  China.  Der 
w^ertvollste  dieser  Exkurse  ist  die  genaue  Beschreibung  eines  mit  zwei 
Inschriften  versehenen  Marmorsitzes,  welchen  er  in  der  äthiopischen  (abessy- 
nischen)  Stadt  Adulis^)  fand;  die  eine  Inschrift  berichtet  kriegerische  Er- 
folge des  Ptolemaeos  Euergetes;  in  der  zweiten,  einer  viel  späteren 
Zeit  angehörigen,  erzählt  ein  axumitischer  König  in  barbarischer  Grä- 
zität  seine  Kriegsthaten ;  sie  bildet  also  ein  Seitenstück  der  berühmten 
Inschrift  des  nubischen  Königs  Silko'-')  und  einer  ebenfalls  barbarischen  bei 
Axum  in  Abessynien  gefundenen  Inschrift  (s.  die  Litteraturangaben).  Recht 
genau  und  gewissenhaft  ist  er  auch  in  der  Schilderung  afrikanischer  und 
indischer  Tiere;  vom  Einhorn  z.  B.  sagt  er,  dieses  Tier  habe  er  nicht  selbst 
gesehen,  aber  vier  eherne  Standbilder  desselben  im  Palast  der  vier  Türme, 
welcher  dem  ägyptischen  Grossnegus  gehöre;  darnach  habe  er  ein  Bild 
desselben  angefertigt. 

Die  Sprache  des  Kosmas  zeichnet  sich  durch  Klarheit  und  laichten 
Fluss  aus,  Eigenschaften,  die  wir  bei  gleichzeitigen  Historikern  wie  Aga- 
thias  vergeblich  suchen.  Mit  den  Regeln  der  kunstmässigen  Gräzität  steht 
er  freilich  auf  gespanntem  Fusse;  daher  behandelt  ihn  Photios  (cod.  36), 
der  das  Werk  ohne  Autornamen  mit  dem  Titel:  Xqiotiuvov  ßi'ßXog  tgni- 
vei'a  dg  ti]v  oxrdrevxov  las,^)  mit  gründlicher  Verachtung  und  widmet  ihm 
eines  seiner  gehässigsten  Urteile.  Ueber  seinen  Stil  sagt  er:  ean  d.^ 
ransivoq  rip'  (fQccaiv  xal  avrrä^ecog  ovdi  ii]g  xoivrjg  /neTt'xoov.  Dann  gibt  er 
mit  wegwerfenden  Worten  einen  kurzen  Bericht  über  die  astronomisch- 
dogmatischen Anschauungen  des  Verfassers  und  schliesst  verdriesslich : 
Xt'yti  di  xa}  aXXa  Tivd  dllöxoxa.  Es  scheint,  dass  die  Aufstellungen  des 
Kosmas  über  die  Gestalt  der  Erde,  über  die  Thätigkeit  der  Engel  als 
Beweger  der  Gestirne,  über  ihren  Aufenthalt  unter  dem  Firmamente  u.  s.  w. 
der  gewöhnlichen  byzantinischen  Dogmatik  nicht  entsprachen.  Die  übrigen 
Schriften  des  Kosmas,  eine  ausführliche  Erdbeschreibung,  die  an  einen 
gewissen  Konstantin  gerichtet  war,  eine  astronomische  Schrift  an  den 
Diakon  Homologes  und  ein  Kommentar  zum  hohen  Liede  und  den 
Psalmen  scheinen  verloren  gegangen  zu  sein.  Nach  Kosmas  tritt  in  der 
wissenschaftlichen  geographischen  Litteratur  eine  ähnliche  Verödung  ein 
wie  nach  Euagrios  in  der  Kirchengeschichtschreibung.    Das  einzige  erheb- 


')HeuteZulla,  etwa.s südlich  von  Massaua.  |  unter  welchoni  .lust  in,    ist  violloiclit  .lusti- 

'■')  V'gl.    die    vortreffliche    Ausgabe    und  I  nian  zu  schreiben :  jedenfalls  braucht  uns  die 

Erklärung  derselben  von  Lepsius,  Hermes  10  |  Notiz  des  Thotios  in  unserer  gut  g»'sicherten 

(187.'>)  129—144.  i  Datierung  des  Autors  nicht  irre  zu  machen. 

*)    Er  sagt ,    der   Verfasser  habe  unter  Auch  kann  er  ja  wohl  unter  Justin  I  geboren 

Justin  gelebt;    da    er   nicht  näher    bemerkt,  und  unter  .Justin  II  gestorbeu  sein. 


2.  Geographie.   (§  71.)  159 

liehe  Werk,   das   die  bis  zum  13.  Jahrhundert  dauernde  Lücke  notdürftig 
füllt,  ist  der  Kommentar  des  Eustathios  zum  Dionysios  Periegetes  (s.  §  116). 

1.  Ausgaben:  Nach  den  älteren  Drucken  (Montfaucon.  Collectio  nova  patrum  1707 
vol.  II)  jetzt  bei  Migne,  Patrolog.  Gr.  88  (1860)  10-476;  hier  ist  auch  die  litterarische 
Notiz  über  Kosmas  aus  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  4,  2.51 — 262  wiederholt  und  sonstige 
ältere  Litteratur  verzeichnet;  S.  463  die  zugehörigen  handschriftlichen  Zeichnungen  des 
Tierkreises,  orientalischer  Tiere  u.  s.  w. 

2.  Hilfsmittel:  Ph.  Buttmann,  Ueber  die  Echtheit  des  Adulitanischen  Monuments, 
Museum  der  Altertumswissenschaft,  herausgegeben  von  Fr.  A.  Wolf  und  Ph.  Buttmann  2 
(1808—1810)  105—166  und  ebenda  573—612  Ph.  Buttmann  und  G.  Niebuhr.  Die  axu- 
mitische  Inschrift  nebst  Bemerkungen  über  diese  und  die  adulitanische.  Niebuhrs  Aufsatz 
ist  wiederholt  in  seinen:  Kleinen  historischen  und  philologischen  Schriften  I  (Bonn  1828j 
401—412.  —  Dillmann,  Abh.  d.  Berliner  Akad.  d.  Wiss.,  phil.-hist.  Cl.  1878,  195—205.  — 
Ueber  die  Miniaturen  in  den  Handschriften  des  Kosmas  s.  N.  Kondakov,  Geschichte  der 
byzantinischen  Kunst,  Odessa  1876  S.  86  if.  (Russ.)  —  Eine  aus  dem  16.  .Jahrh.  stammende, 
mit  bunten  Illustrationen  versehene  russische  Uebersetzung  des  Kosmas  edierte  die  russ. 
Gesellschaft  der  Bibliophilen.  N.  86,  Petersburg  1886.  Vgl.  Arch.  slav.  Philol.  11 
(1888)  155.  —  Zur  Würdigung  des  Kosmas:  Ferd.  v.  Richthofen,  China  I  (1877)  524  f.; 
550;  625  f.  —  Zu  seiner  Kosmologie :  G.  Marinelli,  Die  Erdkunde  bei  den  Kirchenvätern, 
Leipzig  1884  S.  8  f.  und  ausführlicher:  Konr.  Kretschmer,  Die  physische  Erdkunde  im 
christlichen  Mittelalter,  Wien  1889  S.  41  ff.  —  Hauptschrift:  H.  Geizer,  Kosmas,  der 
ludienfahrer.  Jahrbücher  für  protest.  Theologie  9  (1883)  105—141. 

Tl .  Nikephoros  Blemmides  {BÄfiif^uSr^g,  weniger  verbürgt  i5/*.u;t«'Ji/g) 
mit  dem  in  Byzanz  ziemlich  billigen  Beinamen  o  (fiÄöaoqog  ausgestattet, 
blühte  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts.  Von  Theodoros  Laskaris,  Kaiser 
von  Nikaea,  wurde  er  1255  zum  Patriarchen  von  Konstantinopel  in  Aus- 
sicht genommen,  schlug  aber  diese  Würde  aus  und  begnügte  sich  damit, 
im  Mönchskleide  die  Interessen  der  Kirche  durch  schriftstellerische  Thätig- 
keit  zu  fördern.  Ausser  theologischen  Schi'iften  (Ueber  den  Ausgang 
des  hl.  Geistes  u.  s.  w.)  besitzen  wir  von  ihm  eine  Rede  über  die 
Pflichten  eines  Regenten:  yiöyog,  og  enearcch^  roi  ßaaikai^  ßaaikixog 
xki^^ftg  ardQiäg  (d.  h.  Musterbild  eines  Königs).  Dieser  in  geschraub- 
ter, blumenreicher  und  oft  unklarer  Sprache  abgefasste  Traktat,  der  noch 
auf  seine  antiken  Muster  untersucht  werden  muss,  wurde  später  von  dem 
Diakon  Georgios  Galesiotes  in  Gemeinschaft  mit  Georgios  Oinaiotes  einer 
Paraphrase  unterzogen:  Tov  aog^corärov  xvoov  Nixr.cfoQOv  tov  BXejuuvdov 
Xöyog  TifQi  ßaaiXeiag  invaifQua O^eig  ngog  rö  üafftGTeoov  tiuqcc  tov 
auxskXiov  rr^g  f.ieyäXrfi  ixxXr^atag  xvqov  Fecogyiov  tov  FaXt^aicoTov  xtd  tov 
Olraionov  xvoov  Ftuioyiov,  t(ov  XoyionäTon'  ctvögüiv  xai  ui-TÖQitiv.  Aus  dem 
Gebiete  der  Philosophie  hinterliess  Blemmides  ein  Handbuch  der  Logik 
und  Physik  in  2  Teilen:  Eiaaywyixr^g  sTiiroini^g  ßißXiov  a:  sTiitoinij  Xoyixr.g^ 
ßißXiov  ß':  TTtgi  (fvaixf^g  axQoccfffcog.  Grundlage  des  Werkes  ist  Psellos. 
Ohne  Bedeutung  ist  sein  Auszug  aus  der  Isagoge  des  Porphyrios.  Im 
Zusammenhang  mit  seinen  physikalischen  Kompilationen  steht  seine  Thätig- 
keit  auf  dem  in  Byzanz  sonst  wenig  beliebten  Gebiete  der  Geographie, 
welchem  er  zwei  kleine  Schriften  gewidmet  hat:  1.  Eine  yswyQatfia  rrvv- 
onxixri,  ein  ärmliches  und  verständnisloses  Exzerpt  aus  einer  Paraphrase 
des  Dionysios  Periegetes.  2.  Die  ittga  larogia  negt  t»;c  yi]g  er  avvöipH 
nqog  tiru  ßaaiXt'a  oQ^ödo^or,  ein  Aufsatz  über  Grösse  und  Kugelgestalt  der 

'  Erde  (hier  z.  B.  die  Wahrnehmung,  dass  man  bei  Segelfahrten  zuerst  nur 

;  die  Spitzen  der  Berge  erblickt). 

1.   Ausgaben:  BuaiXixoe  uvSQidg  mit  der  erwähnten  Paraphrase  und  lateinischer 


160  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

Uebersetzung  ed.  A.  Mai,  Scriptor.  veterum  nova  collectio  II  (Roinae  1827)  609—670.  — 
Gesamtausgabe  der  theologischen  Schriften,  des  ßaaiX.  uy&Q.  (nach  A.  Mai)  und 
des  Handbuches  der  Logik  und  Physik  bei  Migne,  Patrol.  (ir.  142  (1865)  527—1622. 
Die  2  geographischen  Schriften:  ed.  Ct.  Spohn,  Nicephori  Blenimidae  duo  opuscuhi 
geographica,  Lipsiae  1818  (mit  reiclilichem  Kommentar  und  einer  kartograi)hischen  Tafel). 
Dann  in:  Jixniäg/ov  tov  Meaatjyiov  ürayQctiptj  xal  ßiog 'EkXädog  studio  Gul.  Man zi,  Romac 
1819  S.  62 — 102.  ^  Die  yswyQ.  avv.  auch  bei  Bernhardy,  Dionys.  Perieg.  S.  404 — 426.  - 
Endlich  beide  Schriften  bei  C.  Müller,  Geograph!  Graeci  minores  II  458—470. 

2.  Ein  mit  der  ixtQn  latoQtte  verwandtes  anonymes  Werk  liegt  ovQayov  xal  y^c, 
i'jkiov,  asXrjyr]g,  ^QÖyov  xal  tjjufgwy  steht  noch  unediert  im  cod.  Paris.  Gr.  854;  s.  ßredow. 
Epistolae  Parisienses,  Lipsiae  1812  S.  60. 

8.  LTeber  das  Handbuch  der  Logik  und  Physik  s.  Carl  Prantl,  Geschichte  dtM 
Logik  im  Abendlande  I  (1855)  658  und  H  (1861)  295. 

72.  Rhetorische  Schilderungen.  Als  eine  Abzweigung  der  theore- 
tischen Geographie  können  wir  die  schönrednerischen  Schilderungen  {ix(fQÜ- 
attg)  von  Ortschaften  und  Gegenden  betrachten,  insoferne  sie  bei  allem 
Schwulst  doch  meist  eine  geographische  oder  topographische  Grund- 
lage haben.  Freilich  erweitern  sie  unsere  geographischen  Kenntnisse  nui- 
selten;  das  geographische  Thema  ist  ihnen  nur  Anlass  zu  einer  rhetorischen 
Uebung,  wie  ja  auch  Schilderungen  von  Statuen,  Bildern  u.  s.  w.  zu  den 
beliebten  Gegenständen  der  alten  Rhetorik  gehörten.  Diese  'ExffQÜatic  sind 
keine  Schöpfung  der  byzantinischen  Zeit;  schon  in  den  alten  Rhetoren- 
schulen  gab  es  solche  Uebungen,  und  aus  ihnen  entsprangen  die  landschaft- 
lichen Schilderungen,  die  einen  so  beliebten  Schmuck  der  griechischen 
Romane  bilden.  Man  kann  in  diesem  Zusammenhang  die  metrische  ' Ex- 
(fjQaaig  xov  xoa^ixov  niraxog  nennen,  in  welcher  Johannes  Gaza  um  5;'.' 
im  Geschmacke  der  Poesie  des  Nonnos  eine  Weltkarte  erläutert  hat.  Eiii' 
echt  rhetorische  "Ex^gaaig  ist  die  Schilderung  der  Stadt  Thessalonike,  welche 
Johannes  Kameniates  seiner  kleinen  historischen  Monographie  voraus- 
schickte (s.  §  27).  Endlich  gehören  hieher  die  'ExtfQÜatig  von  Trapezunt. 
Imbros  und  Korinth  des  Rhetors  Johannes  Eugenikos;  s.  §  107. 

B.  Werke  der  Praxis. 

73.  Kirchliche  Geographie.  Den  Zwecken  der  kirchlichen  Verwal- 
tung dienten  Verzeichnisse  der  Patriarchensitze  und  der  in  genau  be- 
stimmter Rangordnung  ihnen  untergebenen  Hauptkirchen  und  bischöf- 
lichen Sitze.  Im  allgemeinen  zeigt  sich  in  diesen  Notitien  die  Kirchon- 
ordnung  des  Justinian  und  des  Heraklios  erhalten.  Wichtige  Umwäl- 
zungen vollzogen  sich  am  Ende  des  9.  Jahrhunderts  unter  Kaiser  Leo  VI 
dem  Weisen.  In  seine  Zeit  gehört  der  Ueberschrift  zufolge:  7/  yfyoi/i« 
diatvTKoaig  naqd  zov  ßccaiXbUig  Aeovvog  xov  ^o(fov,  onuyg  ixovüi  la^twc  «' 
Ihgövoi  TO)V  fxxh](Tiö)y  rojr  vnoxfifit'vuyv  T«p  naiQiäQXi}  Ko)raitti'itrov7röXtü)g. 
Aus  späterer  Zeit  stammt  die  umfangreiche  Rangordnungsliste  der  dem 
apostolischen  Throne  von  Konstantinopel  unterstehenden  Metropolen  und 
bischöflichen  Sitze:  Tii^ig  TiQoxaO^e^Qiag  iwr  imo  lov  unuaioXixov  ,'>(>öj'or 
K(aratuvtivovTi6Xe(og  teXovvTtay  jLit^iQOTroXiiwy  xal  iiäy  vn'  itviovg  t/naxörriov 
Daran  schliesst  sich  ein  Verzeichnis  der  den  Metropoliten  gebiilirenden| 
Titel,  die  in  Ryzanz,  der  Wiege  und  Heimat  aller  Etikette,  selbstver 
stündlich  ebenfalls  aufs  genauestt*    fixiert  waren:    JJuii    i  t^g    lu'^twg   tm 


2.  Geographie.  (§  72—73.)  161 

d-Qovoov  Twv  iu]Tqo7ioXiT(üv  '  xCvsq  avTwr  Xeyovrai  s^aQxoi  xal  victoxi^ioi^ 
Ti'vfq  vntQTiHoi  fiorov.  Aus  vorschismatischer  Zeit  stammt  noch  die  'Ara- 
xe(faXai(oaig  twv  ctyKOTÖTcor  nuTQiaqx^v,  twv  OQoO-eaiMv  xal  avvagi^i^i^aig 
Ttäv  änoaToXixwy  ^görcor.  Wichtig  ist  die  dem  Werke  des  Konst.  Por- 
phyrogennetos  De  caerimoniis  einverleibte  'Ex&saiz  ngiinoxli^aiwr,  nav- 
QiaQX(äv  T€  xccl  {ir^TQOTioXnwv  des  Erzbischofs  Epiphanios  von  Cypern 
(aus  dem  4.  Jahrb.).  Eine  ausführliche  Statistik  und  Geschichte  der  Pat- 
riarchate, Episkopate  und  Metropolen  schrieb  im  Auftrage  Königs  Roger  II 
von  Sizilien  (1101^1154)  im  Jahre  1143  der  Archimandrit  Nilos  Doxo- 
patres  (Doxapatres?) ')  Ntikov  Jo^unaTgiov  (lies:  Jo^aTravQi])  rä^ic  tmv 
naxQiaoxixoiv  ^qÖvcüv.  Der  Verfasser,  der  auch  als  Hymnendichter  genannt 
wird,  lebte  eine  Zeitlang  in  Palermo,  und  wurde  später  Notar  des  Pat- 
riarchats in  Konstantinopel  und  Nomophylax  des  Reiches.  Da  die  Rang- 
ordnung und  der  Bestand  der  Metropolen  und  Episkopate  sich  im  Laufe 
der  Zeit  vielfach  änderte,  entstanden  noch  zahlreiche  Neubearbeitungen. 
Unter  anderm  besitzen  wir  zwei  revidierte  Verzeichnisse  aus  der  Zeit  des 
Kaisers  Andronikos  II  Palaeologos  (1283 — 1328)  nämlich  die  "Ex&eaig  ßaai- 
Xe'wg  \4vdQOvixov  rov  IlaXaioXöyov  rov  ytqovrog,  7)7T(og  rin'  s^ovai  rä^ecog  at 
VJtoxeijiisrai  m^xQonöXsig  X(o  naxQiagxixo)  d^göro)  xT^g  KwraTavrivovTxöXeoog  und 
die  Ex&eaig  via  'ArdQOvixov  ßaaiXt'wg,  offxig  xdg  xov  KTioXewg  f^ir^XQonöXtig 
dXXag  iilv  /nixQoir  dvsßißaaer,  dXXag  6i  näXiv  eig  ^utxQoxtQag  xcov  i^QÖvuiV 
xaxsßißaaer,  wc  srrav&a  avvdg  aiiineio'yffoi^uv. 

Die  chronologische  Bestimmung  aller  dieser  Notitien  wird  durch 
die  zahlreichen  späteren  Zusätze  und  Erweiterungen  sehr  erschwert;  auch 
reicht  hiefür  das  veröffentlichte  Material  nicht  aus,  da  noch  manche  wich- 
tige Rezensionen  ungedruckt  sind.  Für  die  Untersuchung  ist  vor  allem 
die  Heranziehung  der  Konzilsakten  nötig,  welche  uns  über  die  allmähliche 
Veränderung  in  der  Hierarchie  nützliche  Aufschlüsse  gewähren.  Bei  aller 
Trockenheit  sind  die  Verzeichnisse  immerhin  interessant  als  Zeugen  der 
straffen  Organisation  der  byzantinischen  Kirche  selbst  in  der  Zeit  des  grössten 
politischen  Verfalls  und  durch  die  in  ihnen  enthaltenen  Beiträge  zur  geo- 
graphischen Nomenklatur  des  Mittelalters.  Merkwürdig  scheint  die  Zähig- 
keit in  der  Erhaltung  der  alten  Namen;  doch  steht  sicher,  dass  viele 
der  hier  noch  aufgeführten  alten  Benennungen  im  Volksmunde  teils  ver- 
loren gegangen,  teils  durch  andere  ersetzt  worden  waren.  Die  Sprache 
der  Verwaltung  hielt  an  den  alten  Namen  fest  selbst  bei  Sitzen,  die  gar 
nicht  mehr  existierten,  ähnlich,  wie  es  die  römische  Kirche  mit  ihren 
Bischöfen  in  partibusinfidelium  thut.  Lehrreich  ist  in  dieser  Beziehung 
die  Schlussbemerkung  der  Nia  ixd^saig  des  Andronikos  Palaeologos:  Aviai 
ftaiv  ttt  xov  O^QÖvov  xov  KnoXswg  näaai  fir^xQonöXeig  •  dr^Xoröxi  at  nqoyt- 
YQafifitrai  ivvia  TtQog  xaig  ixaxöv  •  acö^ovxai  Jt  ai]ixsQ0Y  jiisQixai  und 
der  Zusatz  im  Titel  eines  anderen  Verzeichnisses  (S.  243  ed.  Parthey}: 
KaxäXoyog  iniaxonwv  at  xirai  (!)  i'xaaxog  twi-  fjir^xQonöXecov  vnoxixXiviai, 
oaai  aw^ovxai  vvv  ex  fitQovg'  ex  xovxcav  at  nXeiaxai  riipavidxr^aav. 
Um  diese  reichen  Listen  für  Geschichte  und  Geographie  wirklich  fruchtbar 


')  Vgl.  §  92  Anm.  2. 
Hftndbucb  der  klas8.  AltertumsvlaBenschaft.   IX.    1.  Abtlg.  11 


162  Byzantinische  Litteraturgeschichto.    I.  Prosaische  Litteratur. 

zu  machen,  bedürften  wir  zuerst  einer  erschöpfenden  Untersuchung  ihrer 
Chronologie  und  ihres  genealogischen  Verhältnisses,  sowie  eines  erklärenden 
Kommentars,  eine  Aufgabe,  die  der  letzte  Herausgeber  leider  andern 
überlassen  hat. 

Ausgaben:  Nach  den  alten,  weit  zerstreuten  und  meist  schwer  zugänglichen  Drucken 
sind  diese  Verzeichnisse  (im  ganzen  14  Nummern)  mit  Benützung  handschriftlicher  Mittel, 
die  freilich  zum  Teil  erst  in  leidigen  Nachträgen  Verwertung  fanden,  mit  einem  Index 
herausgegeben  in:  Hieroclis  Synecdemus  ex  rec.  Gust.  Parthey,  Berolini  1866  S.  55  ff.; 
dortselbst  findet  man  auch  für  jedes  einzelne  Stück  die  gesamte  ältere  Litteratur  ver- 
zeichnet. —  Vgl.  K.  E.  Zachariae  von  Lingenthal,  Zur  Kenntnis  der  notitiae  epis- 
copatuum  Graecorum,  Monatsber.  d.  k.  preuss.  Akad.  d.  Wiss.  1878,  276—288,  wo  an  einem 
Beispiele  aus  dem  17.  Jahrhundert  nachgewiesen  wird,  wie  diese  Verzeichnisse  für  die 
kirchliche  Geographie  nutzbar  zu  machen  sind.  —  Hauptschrift:  H.  Geizer,  Zur  Zeit- 
bestimmung der  griechischen  Notitiae  episcopatuum,  Jahrbücher  für  protest.  Theologie  12 
(1886)  337—372;  528—575. 

74.  Hierokles.  An  der  Spitze  der  im  Interesse  des  Staates  thä- 
tigen  Geographen  steht  der  Grammatiker  Hierokles  aus  der  Zeit  des 
Justinian.  Sein  vor  dem  Jahre  535  veröffentlichtes  Werk  ^vvtxdijfiog  ist 
ein  statistischer  Abriss  des  oströmischen  Reiches,  in  welchem 
64  Provinzen  und  912  Städte  (statt  der  im  Titel  angekündigten  935)  auf- 
gezählt werden.  Das  Werk  zeigt  einige  Verwandtschaft  mit  den  Hand- 
büchern der  kirchlichen  Verwaltung,  gehört  aber  nicht  zu  diesen,  sondern 
ist  als  Hauptgrundlage  der  politischen  Geographie  bei  den  Byzantinern 
zu  betrachten.  Die  Absicht  des  Verfassers,  eine  politische  (nicht  kirch- 
liche) Statistik  zu  geben,  ist  in  den  Worten  der  Einleitung  ausgesprochen: 
Elalv  ttt  näaai  inaQxtcci  xal  nöXtig  at  vtvo  tov  ßaaiXta  rwr  'Ponfiaitov 
Tov  €v  KnöXei  inaQxicci  ^d\  nöXetg  ^Xe',  Mg  vnottjaxtm.  Ob  er  die  An- 
regung zu  seinem  Werke  durch  einen  höheren  Auftrag  erhielt,  ist  uns 
nicht  bekannt.  Hierokles  war  neben  Stephanos  von  Byzanz  Haupt- 
quelle für  das  Werk  des  Konstantin  Porphyrogennetos  üsqI  tmv  O^eftä- 
tcov  (s.  §  18). 

1.  Hieroclis  Synecdemus  ex  recogn.  Gust.  Parthey,  Berolini  1866;  in  der  Vorrede 
Uebersicht  über  die  früheren  Leistungen  und  die  Handschriften.  —  Gute  ErklärungtMi 
dunkler  Ortsnamen  bei  Hierokles  von  W.  Tomaschek,  Zeitschr.  f.  d.  Österreich.  Gymn. 
18  (1867)  715 — 720.  —  Als  Hilfsmittel  ist  noch  das  (iebührenverzeichnis  in  der 
8.  Justinianischen  Novelle  zu  erwähnen,  welches  Parthey  für  seine  Ausgabe  dos 
Hierokles  unbenutzt  lie.ss;  es  wird  hier  die  Einteilung  des  Reiches  ersichtlich,  indem  die 
Beamten  der  einzelnen  Provinzen  aufgeführt  werden  mit  Rücksicht  auf  die  Anstellungs- 
gebühren, die  sie  entrichten  mussten.  ¥A.  im  Corpus  iuris  civilis  edd.  Th.  Mommsen, 
Krueger,  R.  Schoell,  fascic.  X  (Berolini  1888)  80  ff.  Ausserdem  vgl.  auch  die  von 
Tafel,  Const.  Porphyrogenn.  De  provinciis  1.  II  (1847)  beigegebonen  Stücke. 

2.  Beachtung  verdienen  drei  kleine  Verzeichnisse  von  Landschaften  und 
Städten,  die  in  späterer  Zeit  ihren  Namen  geändert  haben:  "Oom  xuif  nöXttoy  fiertoi'o- 
ludaSr^any  eig  vaieQov  etc.;  alle  drei  scheinen  einer  späten  Epoche  anzugehören,  die  sich 
durch  Vergleichung  der  neuen  Namen  in  Historikern  und  anderen  Werken  viel  leicht  nähor 
bestimmen  Hesse;  sie  sind  ediert  bei  Parthey,  Hierocles  8.  311 — 318.  Vgl.  Nike^>horos 
Bryennios  IV  5  (ed.  Bonn.  S.  134,  22)  lUtQit  notnuoy  ovx  oitf'  'önios  «(>/»}.'>{»'  xnkovufyot' 
diti  ro  tifiBKpd^vtti  Tuiv  6vofi(ixii)v  r ti  TiAeTarn  u.  s.  w.  —  Ein  kloines  und,  wie 
es  scheint,  ganz  wertloses  Provinzenverzeichnis  hat  Montfaucon,  Bibl.  Coisliniana 
(Paris  171.5)  .5H1-   .584  ediert. 

75.  Itinerarien,  Segelhandbücher  und  Karten.  Wie  es  schon  in 
der  hellenischen  Zeit  für  den  praktischen  Gebrauch  bestimmte  Aufzeich- 
nungen der  Entfernungen  von  Städten,  Häfen  und  Inseln  gab,^)  so  waren 

')  Vgl.  Lolling  im  Handbuch  der  klass.   AUeHinnsiwiss.  111   108. 


2.  Geographie.  (§  74-75.)  163 

derartige  Handbücher,  welche  die  heutigen  Generalstabspläne,  Distanzen- 
messer, Pilotenbücher  und  Seekarten  vertraten,  auch  im  byzantinischen 
Reiche,  besonders  in  der  Marine,  sehr  gebräuchlich.  Das  beste  und 
reichhaltigste  Werk  dieser  Art;  ist  der  2Ta6ic«ji.i6c  iJToi  ttsqittXovc  T»]g 
lieyäh]c  ^aXdaar^g:  der  anonyme  byzantinische  Verfasser,  der  aus  treff- 
lichen älteren  Quellen  schöpfte,  beschreibt  darin  die  Fahrt  von  Alexandria 
zu  den  Säulen  des  Herakles  an  der  afrikanischen  Küste,  dann  die  von 
Alexandria  bis  nach  Dioskurias  an  der  asiatischen,  endlich  die  von  Byzanz 
bis  zu  den  Säulen  des  Herakles  an  der  europäischen  Küste.  Dazwischen 
sind  einzelne  Inselumsegelungen  und  zahlreiche  Seitenfahrten  eingestreut. 
Die  genauen  Angaben,  welche  dieses  Seehandbuch  über  Entfernungen, 
Hafenverhältnisse,  Klippen,  Untiefen,  Fundorte  von  Trinkwasser  u.  s.  w. 
macht,  geben  uns  einen  Begriff  von  der  technischen  Ausbildung  des  grie- 
chisch-byzantinischen Seewesens.  Leider  ist  uns  von  dem  Werke  der 
grössere  Teil  verloren  gegangen.  Ohne  Wert  ist  die  vorzugsweise  aus  dem 
pseudoarrianischen  JleQlnXovc  JIövtov  Ev^eivov  geschöpfte  anonyme  'Ava- 
fi£rQ}]atg  Ti]g  oixoviiiyi]c  näai]z  xard  avvoipiv.  Durch  die  Beziehung  zu  einem 
folgenreichen  historischen  Ereignisse  erregt  unsere  Teilnahme  ein  im  Werke 
des  Konstantin  Porph.  De  caerimoniis  erhaltenes  kleines  J^TaSioSgofiixav 
(d.  h.  Distanzentabelle)  für  die  Linie  Konstantinopel-Kreta,  welches  bei  den 
Vorbereitungen  des  Konstantin  Porph.  zu  der  Expedition  gegen  die  Sara- 
zenen auf  Kreta  im  Jahre  949  verfasst  wurde. 

Eine  Ergänzung  der  Itinerarien  und  Pilotenbücher  bilden  geogra- 
phische Karten,  die  zu  strategischen  Zwecken,  wie  wir  aus  Anna  Kom- 
nena  wissen,  besonders  aber  zur  Erleichterung  der  Seefahrten  dienten. 
Echt  byzantinische  Karten  mit  griechischer  Legende  scheinen  nicht 
erhalten;  doch  haben  wir  einen  Ersatz  an  mehreren  dem  15.  Jahrhundert 
angehörenden  Exemplaren  italienischer  Provenienz.  Die  oft  wunder- 
sam verunstalteten  und  schwer  zu  erklärenden  Ortsnamen  sind  hier  in  dem 
seltsamen  Kauderwelsch,  das  die  Seesprache  des  Mittelmeers  bildete  (lingua 
Franca),  mit  lateinischer  Schrift  angegeben;  der  Hauptteil  der  Benennungen 
ist  italienisch,  daneben  aber  finden  wir  auch  andere  romanische  Sprachen 
vertreten  und  natürlich  auch  die  griechische ;  letztere  in  einer  den  Italienern 
mundgerechten  Form. 

1.  Ausgaben:  iTteäiuafiöi;  etc.  ed.  C.  Müller,  Geogr.  Gr.  min.  I  427 — 514; 
vgl.  Praefatio  S.  123  ff.  Die  'Ayauergr^ais  ebenda  S.  424 — 426.  —  Ixa6ioiQouix6v 
des  Konst.  Porph.  in  dem  Werke  De  caerim.  II  45  {^=  I  664  ff.  ed.  Bonn.)  und  von  Tafel, 
Constantini  Porph.  De  provinciis  regni  Byzantini,  Tubingae  1847  S.  17  f.,  wo  auch  noch 
verschiedene  Redaktionen  eines  Periplus  des  schwarzen  Meeres  u.  a.  beigegeben  sind.  -  - 
Vgl.  Joh.  Iriarte,  Regiae  bibliothecae  Matritensis  codd.  Graeci  vol.  1  (1769)  480  ff.,  wo 
der  den  Ixadiaauög  r^g  usy.  f^aX.  und  andere  geographisch-historische  Stücke  enthaltende 
cod.  Matrit.  121  beschrieben  ist. 

2.  Geographische  Karten:  Mehrere  in  der  Münchener  Bibliothek  befindliche 
Stücke  beschrieb  Schmeller,  Abhandl.  der  bayer.  Akad.  d.  Wiss.,  philos.-philol.  Cl.  Bd.  4 
(1844-47)  Abt.  1,  243—273.  —  M.  Thomas,  Der  Periplus  des  Pontus  Euxinus.  Ingleichen 
der  Paraplus  von  Svrien  und  Palästina  und  der  Paraplus  von  Armenien,  Abhandl.  d.  bayer. 
Akad.  d.  Wiss.,  philos.-philol.  Cl.  10  (1864—1866)  221-290;  dortselbst  S.  226  f.  u.  231  f. 
■weitere  Litteraturangaben.  —  Vgl.  die  (aus  dem  16.  Jahrhundert  stammende)  venezianische 
Karte  von  Morea  bei  K.  Sathas,  Documents  inedits  relatifs  h  Thistoire  de  la  Grece, 
I.  Serie,  vol.  1  (Paris  1880)  und  die  Karte  von  Cypern  in:  Aeovriov  MaxfUQÜ  \Qoyixoy 
KvTtQov  edd.  E.  Miller  et  C.  Sathas.  Paris  1881  (texte  Grec),  sowie  das  von  E.  Miller  a.  a.  0. 

IX* 


164  Byzantinische  Litteraturgeschictite.    I.  Prosaische  Litteratur. 

S.  IX  zitierte  Werk  von  Cristoforo  Negri,  Portolani  esistenti  nelle  principali  biblioteche 
di  Venezia,  Venezia  1866. 

3.  Reiche  Hilfsmittel  zur  Kenntnis  der  byz.  Geographie  sind  die  uns  erhaltenen 
byzantinisch-italienischen  Handelsverträge,  Goldbullen,  Schenkungs-  und  Kaufurkunden  u.  s.  w. 
Sie  sind  herausgegeben  teils  in  den  Acta  et  diploin.  Gr.  med.  aevi  edd.  Fr.  Miklosich 
et.  J.  Müller  {vgl.  S.  35  f.),  teils  von  L.  Fr.  Tafel  und  M.  Thomas,  Urkundenbuch 
zur  älteren  Handels-  und  Staatsgeschichte  der  Republik  Venedig  mit  bes.  Beziehung  auf 
Byzanz  und  die  Levante,  3  Bde.,  1856—57  (=  Band  12 — 14  der  H.  Abteil,  der  , öster- 
reichischen Geschichtsquellen ");  dortselbst  I  375 — 381  ein  venezianisches  Schifferbuch 
über  die  armenische  Küst<?  aus  Marino  Sanuto  und  II  399 — 416  ein  ähnliches,  ebenfalls  aus 
M.  Sanuto  entnommenes  für  die  syrische  Küste.  —  Ueber  das  byzantinische  Seewesen  vgl. 
A.  Fr.  Gfrörer,  Byzantinische  Geschichten  II  (Graz  1873)  401—436. 

76.  Wallfahrerbücher.  Dem  religiösen  Privatinteresse,  welches  sich 
bekanntlich  schon  vor  den  Kreuzzügen  in  häufigen  Wanderungen  nach 
Jerusalem  kundgab,  dienten  einige  periegetische  Schriften,  welche  Palästina 
und  die  heiligen  Orte  schildern,  gleichsam  byzantinische  Reisehand- 
bücher für  das  heilige  Land.  l.  Das  älteste  dieser  für  die  mittelalter- 
liche Topographie  und  Geschichte  von  Palästina  wichtigen  Büchlein  schrieb 
im  Anfange  des  9.  Jahrhunderts  (vor  820)  ein  Mönch  Epiphanios,  von 
dem  wir  auch  ein  Leben  des  hl.  Andreas  haben:  ^Ennfaviov  tov  ^lova^ov 
Tov  ^AyioTToXiTov  tov  JTvei'/^iaTixov  ij^mv  nargdg  öirjyriaic  dg  tvtcüv  7ieQH]yrixov 
negl  tf^g  2vQiag  xal  rr^g  äyiag  nöXtcog  xal  tmv  ei'  avifi  dyiwv  xortMV.  2,  Ein 
ähnliches  Werk  ist  des  Johannes  Dukas  Ex^gaaig  er  avvöipti  rwr  an' 
'AvTiox^iag  ^i^XQig  'hqoaoXvf^ioiv  xäüTQwv  xal  x^iQMV ')  2t<Qtag,  (Poivixr^g  xai 
Twv  xard  UaXaiaTivrjv  dyion'  TÖTTOiv.  Der  aus  Kreta  gebürtige  Verfasser 
leistete,  wie  er  selbst  erzählt,  unter  Manuel  Komnenos  Kriegsdienste  und 
zog  sich  später  als  Mönch  in  das  Kloster  des  hl.  Johannes  auf  Patmos 
zurück.  Seine  Palästinareise  fällt  in  das  Jahr  1177.  3.  Auch  eine  versi- 
fizierte  Bearbeitung  des  Themas  ist  uns  erhalten;  der  Protonotar  Perdik- 
kas  von  Ephesos  schrieb,  wir  wissen  nicht  wann,  260  recht  ärmliche 
politische  Fünfzehnsilber  IJegt  reHv  er  'IfQoaoXvftoig  xvQiaxüiv  ^fufiätiav.  f 
4.  In  unbeholfener  Gräzität  abgefasst,  aber  reichhaltig  im  Stoffe  ist  die 
anonyme,  schwerlich  vor  dem  15.  Jahrhundert  entstandene  'Anödei^ig  nt()i 
T(öv  '^IfQoaoXvfioov.  5.  Endlich  beschrieb  gegen  das  Ende  des  15.  Jahrhun- 
derts der  Metropolit  Daniel  von  Ephesos  eine  um  1476  ausgeführte 
Reise  nach  dem  hl.  Lande:  Jii'jyrjaig  /favn]l  f^UjXQonoknov  'Eift'nov  xai  nt' 
Qiodog  rwv  äyioav  totiiov. 

1.  Ausgaben:  Nr.  1-4  ed.  pr.  Leo  Allatius,  Iv^fuxta.  Köln  1653.  I  1 — 102.  - 
Daraus  wiederholt  im  Venezianer  Corpus  der  byz.  Hist.  mit  Genesios,  Venedig  1733 
und  bei  Migne,  Patrol.  Graeca  120  (1880)  259-272  und  133  (1864)  924-1004.  -  -  Von 
Epiphanios  ediert«  zwei  griechische  Texte  und  eine  slavische  Redaktion  mit  russischer 
Uebersetzung  und  einem  wertvollen  Kommentar  V.  Vasilievskij  in  den  Publikationen 
der  russischen  Palästinagesellschaft,  Petersburg  1886  (mir  unzugänglich)-  Vgl.  dou  aus- 
führlichen Bericht  von  P.  Bezobrazov,  Revue  arch^ologique,  IILserio  7  (1886)308 — 316.  — 
.Johannes  Dukas  winde  nach  einer  neuen  Kollation  der  einzigen  bckannt^Mi  Handschrift 
mit  Verbesserungen  wieder  ediert  von  K.  Miller,  Recueil  des  historiens  des  croi.sade.s 
Hist.  Grecs  I  (Paris  1875)  2,  527  558;  vgl.  die  Vorrede  S.  8  flF.  —  Nr.  5:  Kd.  Mingarelli, 
Graeci  codd.  ms-s.  apud  Nanianos  asservati,  Bologna  1784  S.  282  ff.  —  Kd.  Andr.  Musto- 
xydes,  'EkXtjyo/jytjiiwy  1843,  1H1--193  (unvollständig).  —  Ed..I.  Belludes,  Venedig  1875.  — 
Ed.  G.  Destunis  in  den  Publikationen  der  russischen  Palä-stinagesellschaft  1884.  —  Vgl. 
PapadopulosKerameus  im  lla^ciQtri/Att  der  Berichte  dea'EXkijytxos  <piXoXoytx6(  ovXXoyos 
in  Kunstantinopel  1886  8.  54  if. 

')  Wohl  =   , Stadt"  im  ncufrriech.  Sinne. 


2.  Geographie.   (§  76—79.)  165 

2.  Ziir  Aufklärung  und  Ergänzung  dienen  namentlich  die  abendländischen  und 
russischen  Wallfahrbücher.  Eine  grossartige  Sammlung  dei-selben  ist  veröffentlicht 
in  der  Serie  geographique  der  Publications  de  la  societe  de  l'Orient  Latin.  Vol.  1 — 2, 
Genf  1879,  enthält  lateinische  Itinerarien,  herausgeg.  von  Titus  Tobler  und  A.  Molinier; 
vol.  3.  Genf  1883,  französische  Itinerarien  des  11. — 13.  Jahrhunderts  von  H.  Michelant 
und  Gaston  Raynaud;  vol.  4,  Genf  1885,  lateinische  Wallfahrbücher  von  A.  Molinier 
imd  C.  Kohler;  vol.  5,  Genf  1889,  russische  Itinerarien  in  französischer  Uebersetzung 
von  M™®  de  Khitrovo.  Die  Sammlung  soll  auch  italienische  imd  griechische  Texte 
bringen.  —  Dazu  noch:  Theodosius,  De  situ  terrae  sanctae  ed.  J.  Gildemeister,  Bonn 
1882.  —  Die  reichhaltigste  Zusammenstellung  gedruckter  und  ungedruckter  Beschreibungen 
von  Palästinareisen  gab  T.  Tobler.  Bibliographia  geographica  Palaestinae,  Leipzig  1867. 
Von  demselben:  Descriptiones  terrae  sanctae  ex  saeculo  VIII,  IX,  XII  et  XV,  Leipzig  1874. 

77.  Andreas  Libadenos  {^itßadr^rög)  lebte  als  Prototabularios  und 
Chartophylax  der  Metropolitankirche  von  Trapezunt  um  die  Mitte  des  14. 
Jahrhunderts  unter  den  Grosskomnenen  Basilios  I  und  Alexis  III.  Sein 
Hauptwerk  ist  eine  IleQirjr^Tixi]  larogice,  in  welcher  er  eine  Reise  von 
Konstantinopel  nach  Aegypten  und  Palästina  und  zurück  nach  Konstan- 
tinopel und  Trapezunt  schildert.  In  dem  Reisebericht  sind  ziemlich  aus- 
führliche Notizen  über  die  damalige  Geschichte  von  Trapezunt,  besonders 
über  die  Streitigkeiten  in  dieser  Stadt  nach  dem  Tode  des  Kaisers  Basi- 
lios I  (1340)  eingeflochten.  In  diesen  geschichtlichen  Nachrichten  ruht  der 
Hauptwert  der  von  Fallmerayer  noch  nicht  benützten  Schrift,  die  eine 
Ergänzung  der  trapezuntischen  Chronik  des  Panaretos  (s.  §  66)  bildet; 
aber  auch  die  zahlreichen  Beschreibungen  der  besuchten  Oertlichkeiten  sind 
für  die  Geschichte  der  geographischen  exifqaaiq  nicht  ohne  Nutzen.  Ausser 
dieser  Periegese  enthält  der  cod.  Monac.  525  von  demselben  Autor  eine 
X>fiokoYi'cc  TTiatewc,  Gebete,  ein  Enkomion  auf  den  Wunderthäter  Phokas, 
Briefe  an  Gerasimos,  Bischof  von  Kerasunt.  mehrere  Poesien  religiösen 
Inhalts  und  einige  Rätsel. 

Eine  Analyse  des  Hauptwerkes  mit  biographischen  und  historischen  Bemerkungen 
gab  M.  Paranikas,    Beiträge  zur  byzantinischen  Litteratur,  Diss.  München  1870  S.  23  ff. 

78.  Von  einem  sonst  nicht  bekannten  Kananos  Laskaris  (Ka- 
vavoc  Adaxaqig)  haben  wir  kurze  und  ziemlich  formlose  Notizen  über 
eine  Reise  nach  Deutschland,  Schweden,  Norwegen  und  Is- 
land, die  er,  w^ie  sich  aus  inneren  Gründen  mit  Wahrscheinlichkeit  er- 
gibt, zwischen  1397  und  1448  ausführte.  Lambros  vermutet,  dass  dieser 
Kananos  mit  dem  Verfasser  des  Berichtes  über  die  Belagerung  von  Kon- 
stantinopel i.  J.  1422  (s.  §  42)  identisch  sei,  was  sich  weder  beweisen  noch 
widerlegen  lässt. 

Ed.  Sp,  Lambros.  Ktcyavog  AüaxaQig  xtu  BaaiXeiog  Barär^irjc.  Separatabzug  aus  dem 
5.  Bande  des  ntcQfaaaög,  Athen  1881.  Der  im  Titel  erwähnte  Batatzes  bereiste  1727 
Russland  und  Asien  und  widmet«  der  Schilderimg  seiner  Erlebnisse  ein  grosses  Gedicht  in 
politischen  FünfzehnsUbem,  von  dem  Lambros  Proben  mitteilt. 

79.  Georgios  Kodinos  {remgyiog  Koidhog),  von  seiner  Würde  Kovqo- 
TraAcrri^g  genannt,')  war  unter  den  letzten  Paläologen  als  fleissiger  Kompi- 
lator  thätig;  wenn  der  Schluss  seiner  Chronik,  in  welcher  noch  der  Fall 
Konstantinopels  erwähnt  wird,  echt  ist,  muss  er  das  Jahr  1453  noch 
überlebt  haben.  Seine  übrigen  Werke  sind  aber  jedenfalls  vor  dieser 
Katastrophe   verfasst,    da   sie   zweifellos   den  Bestand   des  byzantinischen 

')  Ueber  das  Amt  des  Kuropalaten  s.  Codin.  de  offic.  ed.  Bonn.  S.  184. 


166  Byzantinische  Litteratargeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Kaisertums  voraussetzen.  Er  gibt  in  denselben  gerade  noch  vor  Thorschluss 
einen  Ueberblick  über  die  starren  Formen  des  byzantinischen  Hofes,  die 
so  bald  einer  neuen  Lebensart  weichen  sollten,  und  über  die  Merkwürdig- 
keiten der  Hauptstadt,  die  nicht  lange  darauf  teils  zerstört,  teils  gründlich 
umgestaltet  wurden.  Wir  besitzen  von  ihm  ein  Werk  über  die  byzantini- 
schen Hofämter,  eine  Sammlung  von  Exzerpten  über  Geschichte,  Topo- 
graphie und  Denkmäler  von  Konstantinopel,   endlich  eine   kleine  Chronik. 

1.  Das  Werk  über  die  Hofämter,  nach  Umfang  und  Inhalt  die 
bedeutendste  seiner  Leistungen,  hat  den  Titel:  Tov  aoifancciov  xovQona- 
Xärov  7i€Qi  T(iov  6(fffii)i((ov  TOV  TiaXaTi'ov  KnöXeuig  xal  rmv  offtfiximv  trjg  fie- 
yäXrfi  ixxXr^aiaq  (gewöhnlich  lateinisch  zitiert:  De  officiis).  Ein  aus- 
führliches Verzeichnis  der  zahlreichen  Stufen  in  der  griechischen  Hierarchie 
und  der  Beamten  des  kaiserlichen  Hofes  und  Staates,  hat  das  Werk  für 
byzantinische  Kulturgeschichte  eine  hohe  Bedeutung  und  erhält  auch  durch 
die  gelegentlichen  Rückblicke  auf  frühere  Zustände  bzw.  auf  Neuerungen, 
wie  sie  Alexios  Komnenos  und  andere  vornahmen,  ein  historisches  Interesse. 
Wir  erhalten  die  genauesten  Aufschlüsse  über  die  den  Beamten  zukommende 
Uniform,  die  Form  der  Kopfbedeckung,  den  Schnitt  der  Kleidung,  die 
Farbe  der  Schuhe  (ein  besonders  wichtiger  Punkt !),  über  ihre  dienstlichen 
Vorschriften,  über  das  ins  feinste  Detail  ausgearbeitete  Hofzeremoniell  bei 
Kirchenfesten,  über  die  Gebräuche  bei  der  Kaiserkrönung,  bei  der  Ernen- 
nung des  Despotes,  des  Sebastokrator,  Kaesar  und  Patriarchen,  bei  der 
Ankunft  einer  kaiserlichen  Braut,  über  Hoftrauer  u.  s.  w.  Die  Schrift  ist 
mithin  eine  Ergänzung  des  von  Konstantin  Porphyrogennetos  verfassten 
Werkes  De  caerimoniis.  Es  berührt  uns  wie  eine  Ironie  des  Schicksals, 
dass  all  der  massenhafte  Flitterstaat,  der  ein  Jahrtausend  alte,  verwickelte 
Apparat  von  Aemtern  und  Aemtchen,  von  Titeln,  Vorschriften  und  Ge- 
pflogenheiten, die  bald  auf  immer  von  der  Weltbühne  verschwinden  sollten, 
noch  in  der  Todesstunde  des  rhomäischen  Staates  einer  litterarischen  Be- 
achtung für  würdig  befunden  wurde.  Nicht  ohne  Grund  fragen  wir  uns 
auch,  was  für  einen  Zweck  eine  solche  Bemühung  in  der  Zeit  haben  konnte, 
da  das  morsch  gewordene,  auf  ein  winziges  Teilchen  zusammengeschmolzene 
Reich  vor  aller  Augen  sich  zum  Sturz  neigte,  und  fürwahr  alles  nötiger 
war  als  eine  Wiederholung  der  Vorschriften  über  die  Form  und  Farbe  der 
Beamtentracht.  Es  scheint,  dass  der  Verfasser  bei  dieser  Kompilation 
von  einem  rein  antiquarischen  Interesse  geleitet  wurde. 

2.  Der  Geschichte  und  Topographie,  sowie  den  Denkmäloni 
Konstantinopels  widmete  Kodinus  5  Kompilationen,  die  bei  aller  Form- 
losigkeit durch  ihre  zum  Teil  vortrefflichen  Quellen  und  wegen  der  Armut 
der  byzantinischen  Litteratur  an  ähnlichen  Schriften  von  grösster  Wich- 
tigkeit sind:  A.  Die  llaQfxßoXni  ex  ti]g  ßißXov  tov  XC*"''*""  negi  tair 
naTQiiov  rr-g  KnöXeoyg  behandeln  die  Gründungsgeschichte  der  Stadt  Byzanz 
und  den  Ursprung  einzelner  Stadtteile  nach  älteren  Quellen.  B.  Utg) 
trjg  ax^ilicttoyQa(ftag  tijg  KnöXeoyg  d.  h.  über  den  Plan  oder,  wie  wir 
jetzt  sagen  würden,  über  die  Topographie  von  Konstantinopel,  ein  kurzes 
Exzerpt  unbekannter  Provenienz.  C.  IleQ)  (tynXiini  mw  (Th^Xmi-  xal 
i^euficciMv  Ti*$  KnöXeoig^  eine   ungemein  reichhaltige  Abhandlung  über  den 


2.  Geographie.    §  79.)  167 

Anlass  und  die  Geschichte  der  in  Konstantinopel  einst  befindlichen  Statuen 
und  sonstigen  Kunstdenkmäler.  Das  bedeutende  hier  aufgespeicherte  Ma- 
terial geht  auf  die  besten  Quellen  zui'ück,  ein  grosser  Teil  auf  Johannes 
Lydos,  das  übrige  auf  ein  uns  erhaltenes  Werk  nagctarctaeig  gvvtoiioi 
XQovixai\  welches  ein  anonymer  Autor  in  der  Zeit  des  Manuel  Konmenos 
(1143 — 1180)  aus  Eusebios,  Soki*ates,  Theodoros  Lector  bzw.  aus  einer  von 
diesen  abgeleiteten  Quelle  zusammengestellt  hatte.  D.  n^ql  xTiauccTwv 
Ti]q  Krxokewc,  eine  Kompilation  über  die  Entstehungsgeschichte  der  Waisen- 
häuser, Hospitäler,  Paläste,  der  wichtigen  Privatgebäude  und  besonders  der 
zahllosen  Klöster,  Kirchen  und  Kapellen  Konstantinopels ;  auch  sie  stammt 
zum  Teil  aus  den  naQuaiäasic  avitofioi  x^ov/x«/.  E.  IJfql  ti]q  olxo- 
Sofirjg  Tov  vctov  rrjg  dyiag  2o(fiag.  Diese  Schrift  über  die  gross- 
artige Schöpfung  Justinians,  den  Tempel,  oiog  ovx  dyiveto  ano  'ASdii  ovvs 
ytvr^aetcci,  wie  Kodinos  oder  seine  Vorlage  mit  berechtigtem  Stolze  sagt, 
trägt  leider  einen  legendenhaften  Charakter  und  geht  offenbar  auf  eine 
ganz  ungelehrte,  mönchische  Quelle  zurück.  Die  wenigen  brauchbaren  Mit- 
teilungen, wie  die  Nachi'ichten  über  die  beim  Bau  angewendeten  technischen 
Mittel,  verschwinden  in  einem  Wüste  fabelhafter  Wundergeschichten,  die 
sich  während  des  Baues  zugetragen  haben  sollen.  Aus  der  von  Kodinos 
unverändert  aus  seiner  Vorlage  herübergenommenen  Bemerkung  (S.  145,  7), 
seit  der  Gründung  der  Hagia  Sophia  seien  458  Jahre  verflossen,  ergibt 
sich,  dass  die  Quelle  aus  dem  Ende  des  10.  Jahrhunderts  stammte  (995  96), 
da  die  Vollendung  des  Baues  537/38  erfolgte.  Die  Sprache  ist  in  den 
letzten  drei  Stücken  auffallend  einfach,  ganz  parataktisch  und  lose  in  der 
Struktur  der  Sätze. 

Zur  Vergleichung  und  Ergänzung  dieser  fünf  Kompilationen  dienen 
besonders  das  Fragment  der  närgia  r/;c  KjiöXf oyg  des  Hesychios  von 
Milet,  die  Schrift  des  Prokopios  Ilfoi  xnafidTwr,  des  Paulos  Silen- 
tiarios  Gedicht  über  die  Sophienkirche,  des  Patriarchen  Photios  Schrift 
über  die  von  Basilios  dem  Makedonier  gegründete  Kirche  der  Mutter  Gottes, 
des  Niketas  Akominatos  Traktat  über  die  von  den  Lateinern  zerstörten 
Statuen,  des  Georgios  Pachymeres  Ex<fqaaig  tov  Aryorareonog  und  das 
anonyme  Schriftchen  TIsqi  twv  Tctifow  rwr  ßaaiXioiv  tmv  mrayv  ev  toj 
iaf[}  TÖiv  dyioiv  dnoarökwv.  Dazu  kommt  als  Bericht  aus  etwas  späterer 
Zeit  das  Werk  des  französischen  Reisenden  P.  Gyllius  (f  1555):  De  topo- 
graphia  Cpoleos  libri  IV,  Lugduni  1561—62. 

Direkte  Quelle  des  ganzen  Exzerptencorpus  ist  ausser  den  oben 
erwähnten  naQccozdfieig  avrxofioi  xQovixai  vor  allem  ein  unter  Alexios  Kom- 
nenos  (1081  —  1118)  zusammengestelltes  anonymes  Werk:  Td  ndtgia  rf^g 
TiöXewg.  Demselben  geht  ein  kleines  Gedicht  in  jambischen  Trimetern 
voraus,  in  welchem  der  Verfasser  seine  Leistung  dem  Kaiser  Alexios  Kom- 
nenos  widmet: 

oixot<s,  raovg,  artjXag  re  xu'i  reixiHy  ^eaeig, 
eis  (y  avytixpag  axQtßjjg  Bv^ctyriov, 
'JXe^ibt  ufdoyri  Kofirrjyw  (fSQco. 

Der  Anonymus  teilt  die  Stadt  in  3  Quartiere,  die  er  der  Reihe  nach  in 
3  Büchern  beschreibt;   im  4.  Buche  schildert  er  den  Bau  der  Uyia  2o(fia. 


■ 


16g  Byzantinische  Litieratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

Seine  Quellen  sind  nicht  vollständig  festzustellen;  doch  weist  die  Unter- 
suchung des  Materials  namentlich  auf  Hesychios  von  Milet,  die  Oster- 
chronik  und  Theophanes.  Aus  ihm  schöpfte  nun  Kodinos  so  ausgiebig, 
dass  viele  Partien  fast  wörtlich  übereinstimmen.  Durch  die  Einsicht  in 
diese  Vorlage  sinkt  Kodinos  zu  einem  ganz  unselbständigen  Autor  herab, 
der  zum  grossen  Teil  nur  die  Bedeutung  eines  späten  Kopisten  besitzt, 
eine  Thatsache,  die  auffallender  Weise  auch  nach  der  Veröffentlichung  der 
nÜTQia  von  niemand  bemerkt  und  durch  das  von  I.  Bekker  in  der  Bonner 
Ausgabe  beliebte  Verfahren  geradezu  auf  den  Kopf  gestellt  wurde. 

3.  Eine  ganz  untergeordnete  Stelle  nimmt  die  dem  Kodinos  zuge- 
schriebene Chronik  ein:  IleQi  tmv  ano  xttaewg  xoüfxov  iimv  fxt'xQi  irjg  ßaai- 
kftag  Tov  ueyäXov  Kwvaiavih'ov  xal  jxeQi  rwv  ßaaiXevffärTon'  ev  avTr^  xf^ 
ßaath'6i  tmv  nöXewv  fiiXQi  xal  avtr^q  rrjg  naQci  rwv  'Ayaqrivön'  ravir^g  dXo')- 
asMg.  Es  ist  ein  wertloses  Machwerk,  in  welchem  die  Thatsachen  der 
Weltgeschichte  bis  zum  Falle  Konstantinopels  1453  in  der  Form  eines 
dürftigen  chronologischen  Abrisses  auf  wenige  Seiten  zusammengedrängt 
sind.  Dass  als  Quelle  ein  unter  Kaiser  Manuel  abgefasstes  Verzeich- 
nis diente,  ergibt  sich  aus  der  Bemerkung:  'O  xvqiog  'AXt^iog  6  Ko/jivrjvög, 
ö  TKXTtTiog  TOV  xQuiMov  xttl  dyi'ov  riiiurv  ßaaiXtoig  d.  h.  des  Manuel  Komnenos 
(S.  158,  20  ed.  Bonn.).  Was  Kodinos  für  die  spätere  Zeit  benützte,  ist 
nicht  bekannt.  Da  im  Titel  zuerst  eine  Chronik  bis  auf  Konstantin  den 
Grossen  verheissen  wird,  scheint  das  uns  erhaltene  Stück  nur  Auszug  aus 
einem  grösseren  Werke;  denn  das  in  der  Ueberschrift  besonders  vermerkte 
Stück  bis  auf  Konstantin  füllt  kaum  eine  Seite. 

1.  Ausgaben:  JIeqI  riov  ofpcpixiwy.  Sapientissimi  curopalatae  de  officialibus 
palatii  Cpolitani  ex  bibliotheca  Julii  Pacii  ed.  Gr.  et  Lat.  Franc.  Junius  (unter  dem 
Pseudonym  Nadabi  Agmonii),  Lugduni  1.588.  Wiederholt  mit  neuem  Titel  Heidelberg 
1.596.  —  Georgius  Codinus  curopalata  De  officiis  etc.  studio  J.  Gretseri,  Parisiis  162.5 
(mit  lat.  Uebersetzung  und  Kommentar).  —  Dann  im  Pariser  Corpus  ed.  J.  Goar,  Parisiis 
1648.  —  Wiederholt  Venedig  1729.  —  Im  Bonner  Corpus  ex  recogn.  1.  Bekkeri,  Bonn 
1839,  mit  den  Kommentaren  und  Indices  von  Gretaer  und  Goar  ohne  eine  Spur  selbst- 
ständiger Leistung. 

Die  5  Exzerpte  über  Konstantinopel  und  die  Chronik  nach  früheren  Einzel- 
drucken (bes.  De  antiquitatibus  Cpol.  von  P.  Lambecius,  Paris  165.5,  wo  auch  3  Briefe 
des  Manuel  Chrysoloras  an  Joh.  Palaeologos  über  die  Vergleichung  des  alten  und  neuen 
Roms  beigegeben  sind)  jetzt  vereinigt  im  Bonner  Corpus:  Georgii  Codini  excerpta  de  anti- 
quitt.  Cpolitanis  ex  recogn.  I.  Bekkeri,  Bonn  1843;  hier  auch  die  naQuardaetg  avrrojuoi 
XQovixni  (aus  Banduri's  Imperium  Orientale  vol.  I),  des  Patriarchen  Pliotios  "Exffgaati  ri/f 
fV  ro/V  ßf(ai),eloi?  viag  ixxktjaiui  rrj^  vTifQayias  9eor6xov  vno  liaatXelov  rov  Mf<xed6i-o<; 
oixodouTjfi^siarjg  und  die  anonyme  Schrift  über  die  Kaisergräber  in  der  Kirche  der  lil.  .\postel 
(ebenfalls  aus  Banduri,  imp.  Orient.  I),  sowie  die  Kommentare  von  Meursius  und  Lambecius 
und  ein  grammatischer  Index  (aber  leider  kein  Sachregister!).  —  Die  anonymen  Uutqiu 
rtjg  TiöXeoig  edierte  Ans.  Banduri,  Imperium  Orientale,  Paris  1711,  vol.  I,  pars  III  1 — 80. 
Bekker  hat,  statt  die.se  Vorlage  in  exttmso  mitzuteilen,  in  seiner  Ausgabe  (s.  S.  XIV)  die 
abweichenden  Stellen  unvollständig  im  Apparat  veraeichnet,  wodurch  die  Einsicht  in  die 
verschiedene  Anordnung  der  lläiQin  und  ihr  Verhältnis  zu  Kodinos  völlig  verdunkelt  wurde. 
Da  wäre  es  doch  besser  gewesen  ,crambem  totam  recoquere!"  .Tedenfalls  gehörte  der  Text 
der  lUtTQia  nach  oben  und  Kodinos  als  der  .\usschreiber  in  den  .\pparat.  -  -  Gesamt- 
ausgabc: Migne,  Patrolog.  (ir.  1.57  (1866):  Der  gesamte  Kodinos,  dazu  die  llaQaarriadf 
ovyt.  XQ-i  Schrift  über  die  Kaisergräber  und  die  Notiz  über  Kodinos  aus  Fabricius.  Bibl. 
Gr.  cd.  Harl.  7,795—804;  die  erwähnte  Schrift  des  Patriarchen  Photios  steht  bei  Migne, 
Patr.  Gr.  102,  563-574. 

2.  Hilfsmittel:  Anecduta  8acra  et  profana  od.  Const.  Tischondorf,  Lipsiac 
1855  S.  58 — 64,  wo  ein  Exzerpt  aus  Johannes  Lydos  mit  Suidas  und  Kodinos  verglichen 
wird.  —  Zu  den  ll(t(>tx,1oi.fn  ix  itji  ifi/ikov  tov  XQ-  otc.  s.  C.  Müller,  Fragm.  histor.  Graec. 


2.  Geographie.   (§  79.)  169 

4  (1868)  S.  4  und  146  f.  —  Für  die  Quellenuntersuchung  sind  zu  beachten  die  anonymen 
Exzerpte  im  cod.  Paris,  suppl.  Gr.  607A,  ediert  von  Max  Treu,  Progr.  Ohlau  1880.  — 
Zur  sachlichen  Erläuterung:  Nützlich  ist  noch  immer  A.  Banduri.  Imperium  Orientale, 
2  voll.,  Paris  1711.  —  Die  sonstige  ältere  Litteratur  über  Geschichte,  Topographie  und 
Denkmäler  Kpels  ist  gut  zusammengestellt  von  0.  Frick  in  Paulys  Realenzyklopädie, 
Artikel  Byzantium.  —  Neuere  Werke:  W.  Salzenberg,  Altchristliche  Baudenkmale  von 
Constantinopel  vom  5.  bis  12.  Jahrh..  Berlin  18-54.  —  Jules  Labarte.  Le  palais  imperial 
de  Cple  et  ses  abords,  Paris  1861.  —  Auf  Labarte  stützt  sich  der  orientierende  Artikel 
von  G.  Hertzberg,  Byzantinische  Kaiserpaläste.  Sybels  historische  Zeitschrift  51  (1883) 
4-51 — 462.  —  Edw.  Freshfield,  On  Byzantine  churches  etc.,  Archaeologia  vol.  44 
(London  1873)  383 — 392.  --  Fr.  W.  Unger,  Ueber  die  4  Kolossalsäulen  in  Cpel,  Reper- 
torium  für  Kunstwissenschaft  2  (1879)  105 — 137.  —  G.  Destunis,  Topographie  des  mittel- 
alterl.  Konstantinopel.  Journ.  Minist.  Volksaufkl.  1883  Jan.  1—29.  Febr.  229 — 263,  ,eine 
fleissige.  über  viele  der  Erforschung  dieses  Gebietes  gewidmete  Werke  referierende  Ab- 
handlung"' (V.  Jagic).  —  A.  G.  Paspatis,  r«  Bv^uvrivii  dycixxoQa  xni  r«  rre'ptc  ra'rw»' 
i^Qvjuara.  'Ey  'J&tjycas  1885.  —  N.  Kondakov,  Byz.  Kirchen  und  Monumente  in  Kon- 
stantinopel. Odessa  1886  (mir  unzugänglich).  —  Ueber  die  im  16.  Jahrh.  noch  erhaltenen 
Denkmäler  von  Konstantinopel  berichtet  kurz  ein  zwischen  1565 — 1575  abgefasstes  Schrift- 
chen, das  R.  Foerster,  De  antiquitatibus  et  libris  mss.  Cpolitanis.  Rostock  1877.  ediert  hat. 
3.  Ein  Gedicht  über  die  Hofämter  in  politischen  Fünfzehnsilbem  von  Matthaeos 
Blastarnes  (um  1355)  ist  mit  Kodinos,  De  officiis  herausgegeben,  ed.  Bonn.  S.  116;  213—215; 
ebenda  S.  215 — 219  über  dasselbe  Thema  ein  anonymes  Gedicht  in  jambischen  Tri- 
metem.  —  Ueber  Blastarnes,  der  auch  juridische  Schriften  verfasste,  s.  Fabricius. 
Bibl.  Gr.  ed.  Hari.  11,  588  flF.  und  12,  221  f. 


3.  Philosophie. 

80,  Allgemeine  Charakteristik.  Durch  die  Auflösung  der  Philo- 
sophenschule zu  Athen  (529)  war  das  Schicksal  des  letzten  Ausläufers  der 
antiken  Philosophie,  des  Neuplatonismus,  endgültig  besiegelt.  Uebrigens 
hätte  dieses  nebelhafte  System,  das  zuletzt  durch  die  auf  den  Schein  ur- 
alter Weisheit  berechnete  Verquickung  mit  pythagoreischen  und  chaldäischen 
Formen,  mit  Orakeln  und  phantastischen  Hymnen  in  eine  überschwäng- 
liche  Spekulation  ausgeartet  war,  wohl  auch  ohne  die  Verfügung  Justi- 
nians  kein  langes  Leben  mehr  zu  fristen  gehabt.  Eine  originale  und  wirk- 
lich fruchtbare  Thätigkeit  auf  dem  philosophischen  Gebiete  konnte  in  der 
Folgezeit  in  Byzanz  ebensowenig  erblühen  als  im  Abendlande.  Dazu  fehlten 
hier  wie  dort  die  allgemeinen  geistigen  Voraussetzungen.  Die  philosophi- 
sche Litteratur  der  Byzantiner  hat  daher  im  allgemeinen  denselben  Cha- 
rakter wie  die  ihrer  abendländischen  Zeitgenossen.  Zunächst  wird  die 
formale  Philosophie  der  Alten  auf  die  christliche  Lehre  angewandt;  dann 
herrscht  breitspurige  Erklärung  und  Umschreibung  der  überlieferten  Werke. 
Doch  ist  Byzanz  in  der  philosophischen  Produktion  unstreitig  ärmer  als 
das  Abendland.  Scholastiker  wie  Thomas  von  Aquino  und  Duns  Scotus 
fehlen  der  orthodoxen  Kirche. 

Dafür  hat  das  Morgenland  den  Ruhm,  den  Vater  und  Begründer  der 
mittelalterlichen  Kirchenphilosophie  hervorgebracht  zu  haben:  Johannes 
von  Damaskos.  Auch  diesmal  wie  so  oft  gab  der  griechische  Geist  die 
erste  Anregung,  die  dann  im  Westen  weiter  verarbeitet  wurde.  In  diesem 
Verdienste  liegt  aber  wahrscheinlich  auch  der  Grund  der  späteren  Un- 
fruchtbarkeit. Dadurch,  dass  Johannes  bald  völlig  kanonisches  Ansehen 
erlangte,  wurde  die  selbständige  Fortführung  der  Kirchenphilosophie  be- 
hindert. Es  vollzog  sich  hier  etwas  Aehnliches  wie  auf  einigen  anderen 
Gebieten  der  byzantinischen  Geistesthätigkeit.  Durch  die  unbegrenzte 
Autorität  imponierender  Vorfahren  verkümmerte  der  unbefangene  Mut  des 
originellen  Schaffens.  Wenn  daher  von  philoHO})hischer  Thätigkeit  bei  den 
Byzantinern  nach  Johannes  überhaupt  noch  die  Hede  sein  kann,  so  kommt 
weniger  die  Scholastik  als  vielmehr  ein  schulmässiges,  philologisches  Stu- 
dium der  alten  Philosophen  in  Betracht.  Als  sich  im  11.  .lahrhuudert  das 
philosophische  Interesse  wieder  zu  regen  begann  und  durch  die  Stiftung 
der  Stelle  eines  tmatog  (fikoffö</o)v,  die  zuerst  Psellos  bekleidete,  auch 
äusserlich  gefördert  wurde,  waren  es  vornehmlicli  die  propädeutischen  Fächer, 


3.  Phüosophie.  (§  80-81.)  171 

die  ohne  direkte  Beziehung  zur  Theologie  betrieben  wurden.  Während 
jedoch  im  Abendlande  Aristoteles  fast  die  Alleinherrschaft  behauptete 
und  auch  die  platonisierenden  Scholastiker  des  12.  Jahrhunderts  den  Plato 
nur  aus  zweiter  Quelle  oberflächlich  kannten,  während  noch  Petrarca  seine 
Vorliebe  iür  die  Akademie  nur  schüchtern  zu  äussern  wagte,  begann  man  in 
Byzanz  schon  um  das  11.  Jahrhundert  neben  Aristoteles  den  Plato  gründ- 
lich zu  studieren.  Psellos  und  sein  Nachfolger  Johannes  Italos  ver- 
einigten mit  der  Bewunderung  für  Aristoteles  eine  genaue  Kenntnis  des 
Plato,  ebenso  Theodoros  Metochites  u.  a.  Der  später  so  bedeutungsvolle 
Kampf  der  Aristoteliker  und  Platoniker  ist  in  Byzanz  mehrere  Jahrhunderte 
vorbereitet  worden. 

Erfreulicher  als  die  unübersehbare,  aber  wohl  gänzlich  fruchtlose 
Thätigkeit,  die  seit  dem  11.  Jahrhundert  der  Erklärung  und  Paraphrase 
der  alten  Philosophen  gewidmet  wurde,  sind  die  astronomischen  und 
mathematischen  Studien,  die  im  Zeitalter  der  Palaologen  blühten. 
Nikephoros  Blemmydes,  Georgios  Pachymeres,  Theodoros  Metochites,  vor 
allem  Nikephoros  Gregoras  haben  sich  in  dem  beschränkten  Kreise  von 
Byzanz  um  die  empiristische,  naturwissenschaftliche  Forschung  vielleicht 
nicht  geringere  Verdienste  erworben  als  Roger  Bacon  im  Abendlande. 
Gleichzeitig  erhebt  sich,  durch  die  Unionsfrage  hervorgerufen,  eine  leb- 
hafte Polemik  in  theologischen  Kreisen,  und  wie  die  Kirchenväter  im  Streite 
gegen  das  Heidentum  die  besten  Waffen  aus  der  heidnischen  Litteratur 
selbst  entnommen  hatten,  so  ist  es  nun  abermals  die  alte  Philosophie 
und  Rhetorik,  welche  für  die  mit  Scharfsinn  und  Fanatismus  gefültrt^n 
dogmatischen  Kämpfe  der  letzten  Byzantiner  die  technischen  Mittel  und 
Formen  liefert.  Gegen  Schluss  der  Epoche  wirkte  die  Pliilosophie  der 
Byzantiner  wie  ihre  Philologie  am-egend  und  befruchtend  auf  das  Abend- 
land. Doch  fallen  die  hierauf  bezüglichen  litterarischen  Thatsachen  wie 
die  Werke  des  Gennadios,  Plethon  u.  a.  ausserhalb  des  Rahmens  unserer 
Darstellung. 

Fr.  Ueberweg.  Geschichte  der  Philosophie  11^  (1881)  176  ff.  —  Ausführlicher: 
C.  PrantL  Geschichte  der  Logik  im  Abendlande  I  (1855)  643  ff.,  U  (1861)  261  ff.  —  Zum 
Fortleben  des  Aristoteles  in  der  byzantinischen  Litteratur  s.  Val.  Rose,  Aristoteles  pseud- 
epigraphus,  Lipsiae  1863.  —  W.  Gass.  Gennadius  und  Pletho,  Aristotelismus  und  Plato- 
nisuius  in  der  griechischen  Kirche,  Breslau  1844,  ein  gutes  Buch,  das  namentlich  denen 
zum  Studium  zu  empfehlen  ist,  welche  sich  in  der  landläufigen  Vorstelhmg  von  der  gänz- 
lichen Erstarrung  des  Geistes  in  der  byzantinischen  Kirche  befangen  fühlen.  Man  vergleiche 
■ach  W.  Gass,  Die  Mystik  des  Nikolaus  Cabasilas,  Greifswald  1849,  wo  eine  früher  so 
gut  wie  imbekannte  Seite  des  b^'zantinischen  Geisteslebens  mit  Kenntnis  und  Scharfblick 
aufgedeckt  ist.  —  Fritz  Schnitze,  Geschichte  der  Philosophie  der  Renaissance,  I.  Band, 
Georgios  Gemistos  Plethon  imd  seine  reformatorischen  Bestrebungen,  Jena  1874.  — 
H.  F.  Tozer.  A  Byzantine  reformer.  The  Journal  of  Hellenic  studies  7  (1886)  353—380, 
behandelt  die  zwei  von  Plethon  an  Kaiser  Manuel  II  Paläologos  und  an  seinen  Sohn,  den 
Despoten  Theodor,  gerichteten  Schriften  über  die  peloponnesischen  Angelegenheiten.  — 
Bammelausgabe  der  Schriften  des  Plethon:  Migne,  Patrol.  Gr.  160  (1866). 

81.  Johannes  von  Damaskos,  von  Theophanes  und  anderen  mit 
dem  ehrenden  Beinamen  XovaoootKcg  bezeichnet,  wurde  gegen  das  Ende 
des  7.  Jahrhunderts  in  Damaskos  geboren   und   starb  vor  754. ^     Er  ent- 

')  Auf  der  bilderfeindlichen  Synode  von    '   i.  J.  754  wurde  über  ihn  als  einen  nicht  mehr 
Konstantinopel  unter  Konstantin  Kopronymos   ;   Lebenden  das  Anathem  ausgesprochen. 


172  Byzantimsche  Litieratargeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

spross  aus  einer  Familie  Namens  Mansur,  in  der  sich  ein  sarazenisches 
Staatsamt,  etwa  die  Oberaufsicht  über  die  in  Syrien  einzutreibenden  Steuern, 
vererbte.  Durch  einen  Mönch  Kosmas,  der  als  Kriegsgefangener  aus  Si- 
zilien nach  Damaskos  kam,  wurde  er  zusammen  mit  seinem  Adoptivbruder 
Kosmas  von  Jerusalem  in  der  kirchlichen  und  profanen  Wissenschaft  unter- 
richtet. Anfänglich  stand  Johannes  wahrscheinlich  wie  sein  Vater  im 
staatlichen  Dienste  des  Chalifats;  dann  zog  er  sich,  zum  Priester  ordiniert , 
als  Mönch  in  das  Sabaskloster  bei  Jerusalem  zurück,  wo  er  auch  gestorben 
zu  sein  scheint.  Die  schon  bei  seinem  ältesten  Biographen  Johannes 
von  Jerusalem  (aus  dem  10.  Jahrhundert)  vorkommende  Nachricht,  der 
Chalife  habe  Johannes  die  rechte  Hand  abhauen  lassen,  die  ihm  dann  durch 
ein  Wunder  wieder  angeheilt  sei,  beruht  offenbar  auf  Erfindung. 

Johannes  von  Damaskos  ist  der  grösste  und  klassische  Dog- 
matiker  des  Orients,  auf  dem  die  Theologie  der  griechischen  Kirche  bis 
auf  den  heutigen  Tag  beruht;  kein  späterer  Byzantiner  kann  sich  mit  ihm 
an  Einfluss  messen,  nicht  einmal  Photios.  Auch  das  Abendland  zählt 
Johannes  zu  den  orthodoxen  Lehrern  der  Kirche;  doch  ist  er  schon  ein 
Vorbote  der  kommenden  Trennung.  Wir  besitzen  von  Johannes  dogma- 
tische, polemische  und  exegetische  Schriften,  Homilien  und  Hym- 
nen; auf  eine  vollständige  Aufzählung  muss  hier  verzichtet  werden. 

1.  Das  theologische  Hauptwerk  des  Damaszeners  ist  die  Quelle 
der  Erkenntnis,  nt^yr]  yvwafwc.  Es  zerfällt  in  drei  Teile:  eine  dia- 
lektische Einleitung  [Kstfälaia  (fi/.oao(fixä),  einen  historischen  Ab- 
schnitt {JJsQi  aiQs'aeon')  und  in  die  eigentliche  Dogmatik  (Exdoaig  axqtßi]q 
irjg  ogO^odo^ov  TctüveMg).  Die  Dialektik  liegt  stellenweise  in  zwei  Rezen- 
sionen vor,  einer  längeren  und  einer  kürzeren,  die  wahrscheinlich  beide 
vom  Verfasser  selbst  stammen.  Die  rein  philosophischen  Partien  sind 
namentlich  aus  Aristoteles,  Porphyrios  und  Ammonios  geschöpft.  Bemerkens- 
wert scheint,  dass  Johannes  noch  ganz  wie  die  früheren  Kirchenväter  von 
Hass  gegen  die  „heidnischen  Weisen"  erfüllt  ist  und  von  ihren  „satanischen 
Irrlehren"  redet,  während  die  späteren  Byzantiner  wie  auch  die  abend- 
ländischen Scholastiker  über  das  Heidentum  des  Aristoteles  hinwegsehen. 
Johannes  glaubt  die  Benützung  der  alten  Philosophen  noch  ausdrücklich 
entschuldigen  zu  müssen,  folgt  ihnen  auch  nicht  in  allen  Stücken  und  stellt 
ihren  Lehren  oft  die  heiligen  Väter  wie  Gregor  von  Nazianz  gegenüber. 
In  der  Geschichte  der  Häresien,  die  sich  an  die  Dialektik  ansch Messt, 
wiederholt  Johannes  vornehmlich  die  gleichnamige  Schrift  des  Epiphanios; 
dazu  fügt  er  einiges  aus  Theodoretos,  dem  Presbyter  Timotheos  von  Kon- 
stantinopel, Sophronios  und  Leontios  von  Byzanz;  nur  der  Schluss  stammt 
von  Johannes  selbst.  Auch  der  dritte  Teil,  die  Glaubenslehre,  ist  im 
wesentlichen  eine  Zusammenstellung  aus  früheren  Kirchenvätern  wie  Gregor 
von  Nazianz,  dem  vorgeblichen  Dionysios  Areopagites.  Basilios  dem  Grossen, 
Gregor  von  Nyssa  u.  s.  w.  Bezüglich  der  Dogmatik  sei  bemerkt,  dass  die 
von  Augustin  aufgestellte  Lehre  vom  Ausgange  des  hl.  Geistes  auch 
vom   Sohne   (filioque)   dem   Damaszener   fremd   ist.')     Seine   Anschauung 

')  Da«  Fi lioq II e  bildet  einen  <ler  wich-    |    schon    und    ori«>nt«li.sc.hon    Kirche    und    hat 
tigsten  Differenzpunkte  im  »Streit«  der  römi-   i   namentlich    in    der  Zeit   der  L'nionsversucli 


3.  Philosophie.   (§  81.)  173 

über  das  Weltgebäude  konstruiert  Johannes  in  seltsamer  Weise  aus 
Aristoteles  und  Ptolemäos,  dann  aus  chi'istlichen  Autoren  wie  Basilios  und 
Kosmas  Indikopleustes;  wie  sie  huldigt  er  der  Ansicht,  dass  diese  Materie 
Gegenstand  der  Offenbarung  sei. 

2.  Selbständiger  erscheint  Johannes  in  seinen  berühmten  3  Reden 
gegen  die  Bilderfeinde:  IIooc  rovg  öiaßuXXovTug  rag  dyiac  eixovaq.  Sie 
sind  veranlasst  durch  das  726  erlassene  Bilderverbot  des  Kaisers  Leon  des 
Isauriers.  Die  erste  Rede  wurde  bald  nach  726,  die  zweite,  in  der  schon 
die  Absetzung  des  Patriarchen  Germanos  erwähnt  wird,  nach  730,  die 
dritte  wohl  noch  etwas  später  verfasst.  Sie  gelten  mit  Recht  für  das  Beste, 
was  zur  Verteidigung  der  Bilder  geschrieben  worden  ist,  und  ihnen  ver- 
dankt Johannes  vornehmlich  seinen  Ruf  als  gelehrter  Vertreter  der  Ortho- 
doxie, als  unerschrockener  Bekämpfer  des  religiösen  Despotismus.^) 

3.  Die  heiligen  Parallelen,  Tu  isqu  nccQÜXXr^Xa,  eine  gross- 
artige Sammlung  von  Bibel-  und  Väterstellen,  die  in  der  gegenwärtigen 
Gestalt  des  Werkes  nach  Stichwörtern  alphabetisch  geordnet  sind;  jeder 
Buchstabe  umfasst  eine  Anzahl  Kapitel  oder  Titel.  Diese  Anthologie,  deren 
Einrichtung,  von  der  alphabetischen  Reihenfolge  abgesehen,  mit  der  histo- 
rischen Enzyklopädie  des  Konstantin  Porphyrogennetos  einige  Aehnlichkeit 
hat,  existiert  in  mehreren  stark  von  einander  abweichenden  Bearbeitungen. 
Ob  Johannes  wirklich  der  Verfasser  eines  derartigen  Werkes  ist  und 
welche  der  vielen  Rezensionen  dem  Originale  am  nächsten  steht,  ist  eine 
sehr  schwierige  und  noch  nicht  entschiedene  Frage.  Sicher  ist  nur,  dass 
keine  der  uns  erhaltenen  Bearbeitungen  die  Sammlung  in  der  Originalform 
wiedergibt;  wenn  die  Vorreden  der  vatikanischen  Rezension  nicht  trügen, 
bestand  das  Werk  ursprünglich  aus  einer  Zusammenstellung  von  Aus- 
sprüchen über  Tugenden  und  Laster;  dann  wurde  es  vermehrt  und  in  drei 
Bücher  geteilt,  von  welchen  das  erste  von  Gott,  das  zweite  von  den  Men- 
schen, das  dritte  von  Tugenden  und  Lastern  handelte.  Endlich  wurde  die 
alphabetische  Anordnung  vorgenommen,  wobei  jedoch  die  Spuren  der 
ursprünglichen  Einteilung  in  drei  Bücher  sichtbar  blieben.  Ein  späterer 
Bearbeiter  vermehrte  den  ursprünglichen  Bestand  durch  Stellen  aus  Philon 
und  Josephos,  ein  anderer  durch  zahlreiche  Sentenzen  aus  der  klassischen 
Litteratur.  Hiedurch  treten  die  heiligen  Parallelen  in  Beziehung  zu  anderen 
Florilegien  wie  denen  des  Stobäos,  Maximos,  Antonios  Monachos  und 
der  sog.  Melissa  Augustana.*) 

4.  An  diese  Hauptwerke  reihen  sich  zahlreiche  kleinere  Stücke 
wie  die  polemischen  Schriften  gegen  die  Jakobiten,  die  Manichäer  und  die 
Monotheliten ;  ein  Dialog  zwischen  einem  Christen  und  einem  Sarazenen; 
Traktate  über  die  hl.  Dreieinigkeit,  über  Drachen  und  Hexen,  über  die 
Fastenzeit  u.  s.  w.;  ein  Kommentar  zum  Hymnus  Dreimal  heilig  {IlfQi  xov 
TQiaayi'ov  vi^ivov);  Homilien,  Gebete  und  Kirchengesänge;  über  letztere 
s.  §  166.  Der  Mönchsroman  Barlaam  und  Joasaph  scheint  dem  Johannes 
mit  Unrecht  zugeschrieben  zu  werden;  s.  den  Anhang. 


eine  unübersehbare  Litteratur  hervorgerufen. 
Vgl.  Langen  a.  nnten  a.  0.  109  ff.,  283  flF. 
und  §§  40.  41.  100  unseres  Abrisses. 


')  Ueber  den  Bilderstreit  s.  die  zu  §  167 
angeführte  Litteratur. 
»)  VgL  §  150. 


174  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    1.  Prosaische  Litterainr. 

Wenn  man  die  gesarate  Thätigkeit  des  Damaszeners  überblickt,  so 
wird  ersichtlich,  dass  er  weniger  durch  völlig  originales  Schaffen,  als  viel- 
mehr durch  einen  grossartigen  Sammelfleiss  und  durch  das  Talent  des 
Konstruierens  hervorragt.  Indem  er  sich  auf  den  im  Orient  nie  aufge- 
gebenen Standpunkt  des  strengen  Ueberlieferungsprinzips  stellte,  beschränkt  i 
er  sich  im  wesentlichen  darauf,  die  Lehre  der  Kirchenväter  und  Konzile 
zu  reproduzieren  und  in  eine  systematische  Form  zu  bringen.  So  wurde 
seine  „Quelle  der  Erkenntnis"  das  klassische  Grundbuch  der  orthodoxen 
Kirche,  über  welches  sie  bis  auf  den  heutigen  Tag  nicht  hinausgegangen 
ist;  so  erlangte  Johannes  für  seine  Kirche  eine  grössere  Bedeutung  als 
irgend  ein  abendländischer  Lehrer  für  die  römische.  Dadurch,  dass  Johannes 
zum  erstenmal  die  hellenische  Philosophie  methodisch  und  umfassend 
mit  der  christlichen  Dogmatik  in  Verbindung  brachte  und  dem  Studium 
des  Aristoteles  zu  neuem  Ansehn  verhalf,  wurde  er  Vorbild  für  die 
mittelalterliche  Scholastik;  auf  die  grossen  abendländischen  Lehrer  Petrus 
Lombardus  und  Thomas  von  Aquino  war  er  von  massgebendem  Ein- 
fluss.  Nur  in  eine  Kontroverse  hat  Johannes  in  selbständiger  Weise 
dialektisch  eingegriffen,  in  den  Bilderstreit.  Da  diese  Lehrstreitigkeit  die 
letzte  war,  welche  den  Orient  nachhaltig  erschütterte,  und  Johannes  mit 
äusserster  Energie  die  Partei  verteidigte,  welche  später  siegreich  blieb, 
so  hat  auch  diese  Episode  seiner  litterarischen  Thätigkeit  wesentlich  dazu 
beigetragen,  sein  Ansehen  als  des  eigentlich  klassischen  Dogmatikers  zu 
befestigen. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  üeber  die  älteren  Diiicke  s.  Langen  a.  a.  0.  S.  27  ff.  — 
Gesamtausgabe:  Migne,  Patrol.  Graeca  94—96  (1860),  mit  mehreren  Abhandlungen 
über  Johannes,  den  alten  Vitae  u.  s.  w.  Vgl.  Prantl,  Geschichte  der  Logik  I  (1855) 
657.  —  Dorner,  Realenzyklop.  für  die  protest.  Theologie  7.  B.  (Leipzig  1880).  —  J.  Alzog, 
Gi-undriss  der  Patrologie  ■•  (1888)  476  ff.  —  J.  Hergenröther,  Handbuch  der  Kirchen- 
geschichte I  (1876)  528  ff.  —  Zu  den  heiligen  Parallelen:  C.  Wachsmuth,  Studien 
zu  den  griechischen  Florilegien,  Berlin  1882  S.  1  ff.,  90  ff.  und  J.  Rendel  Harris,  Frag- 
ments of  Philo  Judaeus,  Cambridge  1886,  Introd.  S.  8  ff.  Eine  Untersuchung  über  den 
Ursprung  der  Parallelenlitteratur  verspricht  Fr.  Loofs,  Texte  und  Untersuchungen  heraus- 
gegeben von  0.  V.  Gebhardt  und  Ad.  Hamack  HI  1—2  (1883)  Vorwort.  Ueber  den  cod. 
Athen.  32,  der  eine  von  den  bekannten  Texten  abweichende  Redaktion  der  Pjirallelen 
enthält,  vgl.  J.  Sakkelion,  Je'^xioi>  rtjg  laroQ.  xid  s9foXoy.  ticugictg  t»;?  'KAA«<fof  2 
(1885—89)  681—685.  —  Ueber  die  Sprache  des  .Johannes:  Zoten berg.  Notices  et  ex- 
traits  28  (1886)  1,  18  ff.  —  Hauptschrift:  J.  Langen,  Johannes  von  Dama-skus,  Gotha 
1879.  —  Unzugänglich  blieb  mir  J.  H.  Lupton,  John  of  Damascus,  London  1883. 

82.  Michael  Psellos.  Ein  älterer  Michael  Psellos  blühte  im  An- 
fange des  9.  Jahrhunderts  als  Lehrer  der  Philosophie;  doch  ist  von  ihm 
wenig  bekannt  und  von  seinen  Werken  scheint  nichts  erhalten.  Wenn 
also  in  der  Litteratur  von  den  beiden  Pselli  die  Rede  ist,  so  hat  das 
noch  weniger  praktische  Bedeutung  als  der  ähnliche  Dualismus,  der  sich 
an  den  Namen  Tzetzes  knüpft;  somit  ist  auch  die  Bezeichiumg  unseres 
Psellos  als  des  jüngeren  überflüssig,  und  man  kann  nach  dem  gegenwärtigen 
Stande  der  litterarhistorischen  Forschung  schlechthin  von  Michael 
Psellos  sprechen.  Konstantinos  Psellos  {^ft-Xköc),  gewöhnlich  nach 
seinem  Mönchsnamen  Michael  genannt,  wurde  1018  zu  Konstant! nopel 
als  Sohn  ehrsamer  Leute  geboren.  Dem  unermüdlichen  Eifer  seiner  Muttor, 
der  er  auch  ein  litterarisches  Denkmal  gesetzt  hat,  verdankte  er  seine  erste 


3.  Philosophie.  (§  82.)  175 

Ausbildung  und  damit  den  Grund  seiner  späteren  glänzenden  Laufbahn. 
Unter  mannigfachen  Kämpfen  mit  der  Xot  des  Lebens  vollendete  er  die 
üblichen  rhetorischen  und  philosophischen  Kurse.  Von  dem  aus  Trapezunt 
nach  Konstantinopel  gekommenen  Johannes  Xiphilinos,  dem  nachmaligen 
Patriarchen,  erhielt  er  L^nterricht  in  der  Rechtswissenschaft,  wofür  er 
diesen  in  die  Philosophie  einführte.  Bald  verdiente  sich  Psellos  seinen 
Lebensunterhalt  als  Advokat;  unter  Michael  Paphlagon  (1034 — 1041)  wurde 
er  Richter  in  Philadelphia,  unter  seinem  Nachfolger  Michael  Kalaphates 
kaiserlicher  Sekretär.  Nun  stieg  er  von  Stufe  zu  Stufe;  schon  unter 
Konstantin  Monomachos  (1042 — 1055)  war  Psellos  eine  der  einfluss- 
reichsten Persönlichkeiten  des  Reiches.  Der  Kaiser  verlieh  ihm  an  der 
neubegründeten  Akademie  zu  Konstantinopel  die  Professur  der  Philo- 
sophie. In  diesem  Amte  wirkte  Psellos  mit  Eifer  und  Erfolg.  Er  wagte 
es  sogar,  die  platonische  Philosophie  aus  ihrem  langen  Schlafe  zu  erwecken 
und  erhob  Plato  über  Aristoteles,  den  Philosophen  der  Kirche.  Seine 
Gegner  benützten  die  Aeusserung  so  freimütiger  Ansichten,  um  den  Psellos 
beim  Kaiser  als  einen  L^ngläubigen  zu  verdächtigen;  doch  begnügte  sich 
dieser,  ihm  ein  schriftliches  Bekenntnis  seiner  Orthodoxie  abzufordern. 
Sicher  hat  Psellos  als  Professor  viel  zur  Wiederbelebung  der  griechischen 
Litteratur,  besonders  der  platonischen  Lehren  gethan;  selbst  Araber  und 
Abendländer  sassen  als  Hörer  zu  seinen  Füssen.  Die  Lehrthätigkeit  des 
Psellos  wurde  durch  seine  Zurückberufung  an  den  kaiserlichen  Hof  bald 
unterbrochen;  er  wurde  Staatssekretär  {TTQcoTaat^xor^Tig),  Vestarch  und  er- 
hielt die  Ehrentitel  tmkQxiiwq  und  vtiutoc  toh'  (fiXoa6(fU)v.  Fortan  diente 
er  dem  Kaiser  als  Berater,  verfasste  kaiserliche  Bullen,  auch  Novellen 
und  richterliche  Erkenntnisse.  Als  sich  1054  sein  Jugendfreund  Xiphilinos 
in  das  berühmte  Kloster  auf  dem  Olympos^)  zurückzog,  nahm  auch  Psellos 
das  Mönchsgewand  und  nannte  sich  von  nun  an  Michael;  nach  dem  Tode 
des  Kaisers  wählte  Psellos,  der  anfänglich  noch  in  der  Hauptstadt  ver- 
blieben war,  das  Kloster  seines  Freundes.  Doch  behagte  ihm  der  Auf- 
enthalt unter  den  frommen  Weltüberwindern  wenig,  und  bald  nahm  er  in 
recht  unhöflicher  Weise  vom  Kloster  Abschied.  2)  Nach  seiner  Rückkehr 
ins  öffentliche  Leben  treffen  wir  den  Psellos  wiederum  in  den  wichtigsten 
Stellungen  bei  Hofe.  Als  der  Usurpator  Isaak  Komnenos  bei  Nikaea  das 
kaiserliche  Heer  besiegt  hatte,  wurde  Psellos  mit  Theodor  Alopos  und 
Konstantin  Lichudes  abgeschickt,  um  mit  dem  Rebellen  Unterhandlungen 
anzuknüpfen.  Nach  dem  Sturze  Michaels  trat  Psellos  in  die  Dienste  des 
neuen  Kaisers  Isaak  Komnenos;  in  dem  Prozesse,  welchen  dieser  gegen 
den  unverträglichen  und  herrschsüchtigen  Patriarchen  Michael  Kerularios  ^) 
richtete,    musste   er  die   Anklageschrift    verfassen.     Noch  grösser   wurde 


')  In  Bithynien  bei  Prusa,  was  ich  aus-       und  Methodius,  die  ersten  slavischen  Lehrer, 
drücklich  bemerke,  da  dieser  Olympos  jüngst   1   Kiew  1886  (Russ.)  S.  441—479. 


von  einem  Gelehrten  mit  dem  thessalischen 
Götterberg  verwechselt  worden  ist.  Auch 
unter  dem  Olymp,   der   in  der  Legende  des 


*)  Vgl.  §  170. 
')  Ueber  Kerularios  s.  die  freilich  nicht 
ganz  objektive  Darstellung  von  Fr.  G frörer, 


hL   Kyrillos   und   Methodios   vorkommt,    ist    |    Byzantinische   Geschichten    III   (Graz   1877) 
der  kleinasiatische  Götterberg  zu  verstehen.       266  ff.,  314  ff. 
8.  hierüber  J.  M  a  1  y  s  e  v  s  k  i j ,  Die  Hll.  Kyrill 


176  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  I^rosaische  Litteratnr. 

sein  Einfluss  unter  Konstantin  Dukas  (1059—1067).  Auch  während  der 
vormundsehaftlichen  Regierung  der  ihm  wenig  geneigten  Eudokia  und  der 
kurzen  Regierung  ihres  neuen  Gemahls  Romanos  Diogenes  verstand  der 
gewandte,  um  kein  Mittel  verlegene  Mann  sich  zu  behaupten,  und  als  der 
von  Psellos  erzogene,  unfähige  Michael  Parapinakes  (1071  —  1078)  den 
Thron  bestieg,  wurde  Psellos  der  erste  Minister  (oder  wie  man  damals 
sagte:  nagaSwaartvcov  ro}  ßaaiXn)  und  mächtiger  als  je  zuvor.  Jm  Jahre 
1075  hielt  er  dem  Patriarchen  Johannes  Xiphilinos  die  feierliche  Leichen- 
rede, Nach  dieser  Zeit  erfahren  wir  nichts  Bestimmtes  mehr  von  ihm. 
Wahrscheinlich  trat  er  nach  dem  Sturze  seines  Zöglings  (1078)  vom  öffent- 
lichen Leben  zurück;  nach  unsicheren  Andeutungen  wäre  er  (wahrschein- 
lich um  1079)  in  Not  und  Elend  gestorben. 

Das  Leben  des  Psellos  fällt  in  die  traurigste  Periode  der  byzantini- 
schen Geschichte  (1025 — 1081);  es  ist  die  Zeit  der  verhängnisvollen  Herr- 
schaft von  Weibern  und  rohen  Günstlingen,  des  unheimlichen  Intriguen- 
spieles,  der  blutigen  Palastrevolutionen  und  Thronstreitigkeiten,  welche 
vom  Tode  des  Basilios  Bulgaroktonos  bis  zum  Auftreten  des  staatsklugen 
Alexios  Komnenos  das  Reich  zerrütteten.  Dieser  Umstand  darf  nicht  ausser 
acht  bleiben,  wenn  man  der  Persönlichkeit  des  Psellos  gerecht  werden  will. 
Kein  Abschnitt  der  byzantinischen  Aera  war  für  den  Charakter  eines 
Staatsmannes  gefährlicher  als  diese  Zeit  des  unaufliörlichen  Wechsels 
schwacher  und  allen  Einflüssen  zugänglicher  Regenten.  Psellos  erwies 
sich  den  Anforderungen,  die  eine  solche  Umgebung  an  die  sittliche  Kraft 
stellt,  nicht  gewachsen;  der  wertvollste  Schmuck  des  Mannes,  Offenheit 
und  Ehrlichkeit,  ging  ihm  in  der  zersetzenden  Luft  des  Hofes  verloren. 
Es  ist  über  allen  Zweifel  erhaben,  dass  kriechender  Servilismus  und  Rück- 
sichtslosigkeit in  der  Wahl  der  Mittel,  unersättlicher  Ehrgeiz  und  mass- 
lose Eitelkeit  die  hervorstechenden  Züge  seines  Charakters  bilden.  Er  ist 
in  dieser  Hinsicht  ein  typischer  Vertreter  der  widerwärtigsten  Seite  des 
Byzantinismus.  Die  groben  Schmeicheleien,  wie  er  sie  z.  B.  vor  Konstantin 
Monomachos  ausschüttet,  waren  selbst  dem  byzantinischen  Geschmacke  zu 
stark  und  werden  in  der  Satire  Timarion  fein  verspottet.  Das  Gegenstück 
zu  diesen  devoten  Ergüssen  bilden  die  mit  Derbheit  geladenen  Pamphlete, 
welche  Psellos  gegen  seine  Widersacher  schleuderte. 

Wenn  wir  die  Schattenseiten  des  Psellos  rückhaltlos  zugeben,  können 
wir  seinen  litterarischen  Verdiensten  um  so  besser  gerecht  werden.  Psellos 
ist  an  Umfang  des  Wissens,  an  Schärfe  der  Beobaclitnng  und  vor  allem 
an  Formgewandtheit  der  erste  Mann  seiner  Zeit.  An  IJeichtuin  der 
litterarischen  Thätigkeit  mag  er  mit  Albertus  Magnus  und  Roger  Bacon 
verglichen  werden.  Indem  er  im  Gegensatze  zu  den  vorigen  Jahrhunderten 
das  hellenische  Ideal  wiederum  aufs  kräftigste  betonte,  hat  er  die  littera- 
rische Renaissance  der  Komnenenzeit  wirksamst  vorbereitet.  Die  stärkste 
Seite  des  Mannes  ist  freilich  die  Form;  das  erkannten  schon  die  Zeit- 
genossen, indem  sie  ihn  mit  dem  treffenden  Worte  charakterisierten: 
i)  noXvq  ti]v  yköirtav.  Sein  Hauptvorbild  für  die  Darstellung  ist  Plato;] 
dagegen  erinnern  die  Briefe  mit  ihrer  Häufung  von  kurzen  rhythmischen] 
Gliedern,   von  Antithesen   und  Beiwörtern  sehr  U'bhaft  an   die  christlichej 


3.  Philosophie.  f§  82.)  177 

Hymnendichtung ;  man  vergleiche  z.  B.  den  panegyrischen  Brief  an  Diogenes 
Romanos ')  mit  irgend  einem  Gedichte  des  Romanos.  Xach  Erwägung 
aller  Vorzüge  und  Mängel  bleibt  Psellos  für  das  elfte  Jahrhundert 
litterarhistorische  Signatur  ähnlich,  wie  Photios  für  das  neunte  und  Kon- 
stantin Porphyrogennetos  für  das  zehnte.  Die  Werke  des  Psellos  er- 
strecken sich  auf  Theologie,  Philosophie,  Naturwissenschaften  wie  Medizin, 
Physik,  Mathematik,  Astronomie,  auf  die  Jurisprudenz,  auf  Altertümer,  Gram- 
matik und  Geschichte;  dazu  kommen  Reden,  Briefe,  rhetorische  Uebungs- 
stücke,  vermischte  Aufsätze  und  poetische  Versuche.  Manches  ist  noch 
unediert,  anderes  ungenügend  bekannt,  so  dass  zu  einer  vollständigen  Be- 
schreibung dieses  litterarischen  Nachlasses  noch  eine  Reihe  von  Einzel- 
untersuchungen nötig  wäre.  Da  zudem  schon  die  blosse  Aufzählung  der 
Itekannten  Titel  und  Ausgaben  den  uns  zugemessenen  Raum  überschreiten 
würde,  beschränken  wir  uns  auf  ein  Verzeichnis  der  wichtigsten  Stücke. 
1.  Theologie,  Philosophie,  Naturwissenschaften.  Ein  Kom- 
mentar zum  hohen  Liede;  eine  Charakteristik  des  Gregor  von  Nazianz, 
Basilios  des  Grossen,  des  Chrysostomos  und  des  Gregor  von  Nyssa;  poli- 
tische Verse  an  Michael  Dukas  über  das  Dogma  [IlfQl  döynaxoc).  Auf 
den  Aberglauben  einer  um  840  in  Armenien  entstandenen  und  noch  zur  Zeit 
des  Psellos  verbreiteten  Sekte  bezieht  sich  der  Dialog  Ueber  die  Kraft 
der  Dämonen  {IleQi  iregysiaq  dai/^iövwv);  damit  verbindet  sich  eine  Abhand- 
lung Ueber  den  Dämonenglauben  der  alten  Griechen  {Tna  n€oi  Saiuörcov 
do^ü^ovatr  "EXki^rec:).  Von  philosophischen  Schriften  sind  zu  nennen 
ein  Kommentar  zu  des  Aristoteles  Schrift  llegl  igiir^vstag,  ein  Auszug  aus 
des  Porphyrios  Werk  IIsqi  tt£vt€  (fwvoh',  ein  psychologischer  Traktat 
(Jö^ai  TisQi  j/'i'/»*c),  eine  Abhandlung  Eig  rr^v  xpvxoyoviuv  rov  nXcarcoroc, 
Studien  über  die  chaldäischen  Orakel:  ^E^rji]aic  dg  xd  XaXSaixd  köyia, 
dazu  eine  ^ Exi}taig  xs(fakaiu)Sr^g  xal  ainToinog  tmv  Tiagd  Xakdaioig  Soyiiccrojr. 
Daran  reihen  sich  naturwissenschaftliche  Arbeiten,  z.  B.  ein  Aufsatz 
über  Anatomie  (merkwürdig  durch  die  Uebersetzung  der  alten  Termini  in 
die  vulgärgriechische  Sprache);  ein  Verzeichnis  von  Krankheitsnamen  {llfQi 
xtttvwr  oroiidron'  T<öv  iv  voatlf-iaair);  ein  medizinisches  Gedicht  in  1373  Tri- 
metern ;  Essays  über  ein  wunderbares  Echo  in  Nikomedia ;  über  den  Zweck  der 
Geometrie;  über  die  Kräfte  der  Steine;  über  Regen,  Blitz  und  Donner  u.  s.  w. 
Das  Hauptwerk  aus  diesem  Gebiete  ist  seine  JiöaaxuXia  narTodani] 
(Allerlei  Lehre),  eine  Sammlung  vermischter  Aufsätze  (im  ganzen  193  Titel),  in 
welchen  Fragen  der  Theologie,  Philosophie,  Astronomie,  Physiologie,  die  im 
Mittelalter  so  beliebten  Themen  über  die  Temperamente,  über  Bewegung,  über 
die  Möglichkeit,  nach  Belieben  männliche  oder  weibliche  Kinder  zu  erzeugen, 
über  die  Frage  Jid  xi  yviij  noXXdxtg  ffvvovaid^ovau  ov  arkkai^ißdrei,  über  das 
Problem,  ob  beim  Tode  sich  die  Seele  vom  Körper  trennt  oder  der  Körper 
von  der  Seele  u.  s.  w.  mit  manchen  Belegen  aus  alten  Autoren  wie  Plato, 
Aristoteles,  Plotin,  Jamblichos,  bald  kurz,  bald  ausführlich,  aber  ohne  rechte 
Konsequenz  behandelt  sind.  Dazu  kommen  endlich  noch  die  Kurzen  Lösun- 
gen  physikalischer   Fragen    (Emkvaeig   avvvo^ioi   (fvaixüv  ^r^xr^t^idTMi). 


')  Sathas,  Mea.  ßißX.  V  222. 
Handbuch  der  klass.  AltertumswisseDschaft.    IX.     1.  Abtlg.  12 


178  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Abgesehen  von  diesen  Spezialschriften,  in  welchen  freilich  die  geheim- 
wissenschaftlichen,  astrologischen  und  paradoxographischen  Gesichtspunkte 
vorherrschen,  tritt  die  spekulative  Tendenz  und  Schulung  des  Psellos  auch 
in  seinen  übrigen  Werken  hervor;  überall  aber  zeigt  er  sich  als  reinen 
Platoniker,  selbst  auf  Kosten  des  Aristoteles,  den  er  für  verworren  hält. 
Um  den  Plato  seinen  Zeitgenossen  möglichst  kräftig  zu  empfehlen,  bemüht 
er  sich,  die  Uebereinstimmung  dieses  Philosophen  mit  dem  Christentum 
nachzuweisen,  wie  er  auch  den  Homer  durch  allegorische  Umdeutung  zu 
einem  Propheten  der  christlichen  Wahrheiten  zu  machen  versteht.  Schon  j 
wegen  dieses  ausgesprochenen  Piatonismus  konnte  es  auffallend  scheinen,  | 
dass  Psellos  auch  grössere  Werke  zu  Aristoteles  verfasst  habe.  In  der 
That  ist  es  nicht  sicher,  ob  das  Kompendium  der  Logik  des  Aristoteles, 
aus  welchem  die  Summulae  logicales  des  Petrus  Hispanus  übersetzt  scheinen, 
von  Psellos  stammt,  wenn  es  auch  als  ausgemacht  gelten  darf,  dass  dem 
lateinischen  Text  des  Petrus  ein  griechischer  zu  Grunde  lag  und  nicht 
umgekehrt.*)  Noch  weniger  ist  des  Psellos  Autorschaft  gesichert  für  die 
Fortsetzung  einer  Synopsis  des  Aristotelischen  Organons,  das 
2vvo7rTix6v  avvtayiia  dg  rag  Ttaffagag  (.laO-rj^atixccg  i7natrji.iccQ;  der  wahre 
Verfasser  scheint  vielmehr  ein  Gregorios  Monachos,  o  tv  inovoTQÖnoig 
genannt  („Gregorius  Solitarius"),  der  um  1008  schrieb. 

2.  Philologie.  Hieher  gehört  ein  Schriftchen  über  die  Topographie 
von  Athen  und  Allegorien  zu  Homer.  Angeblich  verfasste  Psellos  auch 
einen  Kommentar  zu  24  Komödien  des  Menander,  der  aber  nicht  wieder- 
gefunden ist,  wenn  er  überhaupt  je  existiert  hat  (s.  §  110).  Rhetorischen 
Inhalts  sind  ein  Gedicht  in  politischen  Versen  Usgi  Qi^rogi^r^g  und  die  in 
Briefform  gefassten  Abhandlungen  Jlcgi  avv&t'jxr^g  tmv  tov  Äoyov  /negcöv  und 
die  ^vvoxpic  rm'  qy^toqixüöv  idem'.  Ein  an  Kaiser  Konstantin  Monomachos 
gerichtetes  Gedicht  in  483  politischen  Versen  handelt  kurz  und  oberfläch- 
lich über  die  griechischen  Dialekte,  über  Laute,  Formen  und  seltene  Wörter. 
Dazu  kommt  ein  Aufsatz  über  die  Tenues,  Mediae  und  Aspiratae,  endlich 
jambische  Verse  metrischen  Inhalts. 

3.  Geschichte,  Psellos  verfasste  eine  XQovoyqaifia  der  Zeit  von 
976 — 1077;  der  jetzt  übliche  Titel:  Bv^avtivfig  laTogiag  txmovTaetrjQi'g 
rührt  von  dem  Herausgeber  Satlias  her.  Psellos  beginnt  seine  Erzählung  mit 
dem  Ereignis,  mit  dem  Leon  Diakonos  schliesst,  nämlich  mit  dem  Tode 
des  Johannes  Tzimiskes  (976),  schildert  die  Zeit  bis  auf  Michael  Kalaphates 
kursorisch  und  wird  erst  ausführlicher  mit  seiner  eigenen  Epoche.  Nach 
Form  und  Tendenz  sind  in  dem  Werke  zwei  stark  verschiedene  Teile  zu 
unterscheiden:  Die  erste  Partie  bis  zur  Regierung  des  Isaak  Komnenos 
erscheint  nach  den  traditionellen  Grundsätzen  der  Historiographie  wohl 
ausgearbeitet  und  auch  in  der  Haltung  noch  cinigermassen  objektiv;  da- 
gegen wird  der  folgende  Teil,  welcher  auf  speziellen  Wunsch  des  Micliael 
Parapinakes  und  unter  seinen  Augen  geschrieben  wurde,  durcli  die  stete 
Rücksicht  auf  diesen  Kaiser  und  seinen  Vater  Konstantin  Dukas  unzuver- 
lässig und  parteiisch.    Trotz  dieser  Mängel  ist  das  Werk  des  Psellos  nicht 

')  Die  hierauf  bezügliche  Litteratur  s.  unten.  i 


3.  Philosophie.   f§  82.)  179 

ohne  Wichtigkeit,  weil  es  eine  früher  recht  empfindliche  Lücke  in  der 
sonst  fast  ununterbrochenen  Reihe  der  byzantinischen  Geschichtschreiber 
ausfüllt.  Von  den  Späteren  wurde  es  ausgiebigst  verwertet;  Nikephoros 
Bryennios  entnahm  demselben  mehrere  Kapitel  fast  wörtlich,  ebenso  be- 
nützten es  Anna  Komnena.  Skylitzes,  der  übrigens  in  seiner  Vorrede  auf 
Psellos  mit  Recht  übel  zu  sprechen  ist,  und  am  ausgedehntesten  Zonaras. 

4.  Jurisprudenz.  Hauptwerk  ist  ein  juridisches  Kompendium  in 
Versen:  ^vroif-ug  tmy  vÖjukoi'  did  ari'xoov  m/t/Swr  xal  noXirixwv  txqoq  tov 
ßaailitt  Mixai]X  xov  Jovxav.  Daran  schliesst  sich  eine  Abhandlung  über 
die  alte  juridische  Terminologie  [nsQl  twv  ovofiÜTmv  räv  Jixmv),  eine  Er- 
klärung der  lateinischen  Ausdrücke  in  der  Rechtswissenschaft,  richterliche 
Erkenntnisse  und  eine  kaiserliche  Goldbulle. 

5.  Reden  und  Briefe.  Unter  den  zahlreichen  rhetorischen  Leistungen 
des  Psellos  ragen  durch  ihre  Wichtigkeit  für  die  Zeitgeschichte  wie  durch 
ihre  künstlerische  Form  die  drei  grossen  Leichenreden  hervor,  welche 
( r  den  Patriarchen  Michael  Kerularios,  Konstantin  Lichudes  und  Johannes 
Xiphilinos  widmete.  Durch  Wärme  der  Empfindung  gefällt  die  Leichen- 
rede auf  seine  Mutter;  dazu  kommen  Nekrologe  auf  den  Metropoliten 
Nikephoros  von  Ephesos,  auf  den  Grammatiker  und  Vorstand  der  Schule 
des  hl.  Petrus  Niketas  u.  a.  Für  das  Studium  des  Charakters  und  der 
Biographie  des  Psellos  sind  seine  Verteidigungsschriften  beachtens- 
wert, z.  B.  das  Pamphlet  gegen  diejenigen,  welche  ihm  den  Titel  vrceQxi^iog 
missgönnten,  seine  Rechtfertigung  wegen  der  Niederlegung  der  Würde 
eines  Staatssekretärs,  seine  ^AnoXoyfu  vntQ  rov  vofio(fvkaxog  xard  tov 
^0(fovdcc.  Schwülstig  und  leer  sind  die  Enkomien  auf  den  Kaiser  Kon- 
stantin Monomachos  und  den  Metropoliten  Johannes.  Eine  wichtige  Er- 
gänzung unserer  Kenntnis  des  Psellos  erhalten  wir  durch  seine  ausgedehnte 
Korrespondenz;  wir  haben  von  ihm  gegen  500  Briefe,  von  welchen  erst 
ein  Teil  ediert  ist.  Es  sind  keine  rhetorischen  L^ebungsstücke  über  fingierte 
Themen  oder  theologische  Abhandlungen  wie  viele  Briefe  des  Photios ;  die 
meisten  beziehen  sich  vielmehr  auf  bestimmte  praktische  Anlässe.  Durch 
sie  erhalten  wir  reiche  Aufschlüsse  über  byzantinische  Kulturzustände, 
Verwaltung  und  Geschichte,  auch  eine  Menge  biographischer  Details.  Der 
Briefwechsel  des  Psellos  erstreckt  sich  auf  alle  Teile  des  Reiches:  allent- 
halben hat  der  allmächtige  Mann  seine  Klienten,  Freunde  und  Bewunderer. 
Bald  erteilt  er  als  Minister  an  Feldherrn,  Statthalter  und  Richter  nützliche 
Winke,  bald  verwendet  er  sich  für  dürftige  Kleriker,  bald  legt  er  das 
Gewicht  seines  Namens  für  misshandelte  Provinzen  in  die  Wagschale; 
niemand  wird  zurückgewiesen,  für  jeden  hat  er  wenigstens  schöne  Worte. 
Das  dem  Psellos  eigene  Korn  attischer  Eleganz  kommt  besonders  in  den 
kleineren  Stücken  glücklich  zur  Geltung;  er  ringt  hier  mit  Photios  um 
die  Palme,  während  er  hinter  seinem  eigentlichen  Vorbilde  Synesios 
zurückbleibt. 

6.  Uebungen,  vermischte  Aufsätze,  Poesien.  Sophistische 
Bravourstücke  nach  der  alten  Tradition  der  Rhetorenschulen  z.  B.  Lobreden 
auf  den  Floh,  die  Laus,  die  Wanze;  ein  Aufsatz  über  Taktik;  eine  Monodie 
auf   den   Einsturz   der  Kuppel   der   Hagia  Sophia;   vier  Strafpredigten   an 

12* 


180  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

seine  Schüler,  als  sie  wegen  eines  heftigen  Regens  das  Kolleg  versäumt 
hatten,  als  sie  zu  spät  kamen  oder  wegen  Trägheit  eine  Rüge  verdienten. 
Selbst  das  entlegene  Gebiet  der  populären  Mythologie  wurde,  wie  es 
scheint,  von  Psellos  beachtet;  wenigstens  gehen  unter  seinem  Namen  Er- 
klärungen zu  abergläubischen  Vorstellungen  des  Volkes  (EQ/^uptlai  dg  di^- 
ficööeig  dfiaidainoYiag).  Die  metrischen  Exegesen  vulgärgriechischer  Sprich- 
wörter, welche  in  einer  Pariser  Handschrift  dem  „Psellos  oder  Ptocho- 
prodromos"  zugeschrieben  werden,  sind  von  Sathas  einem  Zeitgenossen  des 
Manuel  Komnenos,  dem  Michael  Glykas  (nicht  Johannes,  wie  er  von  Sathas 
irrtümlich  genannt  wird),  zugeteilt  worden.  Ausser  den  oben  erwähnten 
grösseren  Lehrgedichten  besitzen  wir  von  Psellos  auch  kleinere  poetische 
Versuche  z.  B.  ein  Epigramm  auf  ein  ehernes  Pferd  im  Hippodrom  und 
Rätsel  in  politischen  Fünfzehnsilbern.  Aehnliche  metrische  cclviynaxu 
schrieben  Basilios  Megalomites,  Aulikalamos  u.  a.  (s.  §  201). 

1.  Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Von  den  zahllosen,  meist  schwer  zugänglichen 
älteren  Drucken  muss  hier  abgesehen  werden.  Die  Hauptfundstätten  Psellianischer 
Schriften  sind  jetzt:  De  operatione  daemonum  ed.  Fr.  Boissonade,  Norimbergae  1838, 
mit  26  anderen  Stücken  verschiedenen  Inhalts.  —  Migne,  Patrol.  Gr.  122  (1864)  477—1186, 
Sammelausgabe  theologischer,  philosophischer  und  juridischer  Werke.  —  K.  N.  Sathas, 
Meataiorixrj  ßtßXioihjxij,  vol.  IV  (1874)  und  V  (1875)  enthält  das  Ueschichtswerk,  Reden, 
Enkomien,  apologetische  Schriften,  gerichtliche  Entscheidungen,  Briefe  u.  a.  —  Auf  die 
einzelnen  Gattungen  verteilt  sich  die  wichtigste  neuere  Litteratur  folgendermassen : 

Theologie,  Philosophie  und  Naturwissenschaften:  Das  Meiste  bei  Boisso- 
nade und  Migne  a.  a.  O.  —  Kommentar  zum  Timäos  des  Piaton  (tVV  t»;»'  toi;  Ilkätioyo^ 
tpvxoyoyiaf)  ed.  Vincent,  Not.  et  extr.  16  (1847)  2,  316—337.  —  G.  Linder,  In  Piatonis 
de  animae  procreatione  praecepta  commentarius,  Upsalae  1854.  Einen  anonymen,  angeblich 
dem  Psellos  gehörigen  Traktat  IIsqi  tmv  iSeutr  üg  o  llXärcoy  Xeysi  ed.  G.  Linder,  Philo- 
logus  16  (1860)  523 — 526.  --  Einen  Traktat  llQog  ror?  eQMf^aaytng.  jiöaa  yevtj  luiy  tpiko- 
aotpovfievMP  XöyMv,  der  durch  die  Erhaltung  von  Fragmenten  der  AiyvnnaxH  des  Chäremon 
(1.  Jahrh.  n.  Chr.)  wichtig  ist,  ed.  K.  N.  Sathas,  Bulletin  de  correspond.  hellen.  1  (1877) 
121  ff.,  194  ff.,  309  ff.  —  Stücke  aus  der  JtöaaxaXia  jiceyrodtcTitj  ed.  Gramer,  Anecd. 
Gr.  Paris.  1  (1839)  335  ff.  (die  übrigen  bei  Migne  a.  a.  0.).  Weitere  Ergänzungen  gab 
Ruelle,  Annuaire  de  l'assoc.  13  (1879)  230—278.  —  Die  Einleitung  in  die  Rhythmik  ed. 
J.  Caesar,  Rhein.  Mus.  1  (1842)  620 — 633.  —  Eine  meteorologi.sche  Schrift  ed.  Ludw. 
Jan,  Jahns  Jahrb.  7.  Supplementb.  (1841)  538 — 550.  —  Das  medizinische  Gedicht  edierte 
Fr.  Boissonade,  Anecd.  Gr.  1  (1829)  175-232;  ebenda  S.  233  -241  das  Verzeichnis  der 
Krankheitsnamen  und  S.  242—247  der  Aufsatz  über  Landwirtschaft.  Auch  bei  L.  Ideler, 
Physici  et  medici  Graeci  minores,  vol.  l  (1841)  203  ff.  —  Zu  den  physikalischen  Problemen: 
Th.  Dühner,  Zu  Michael  Psellus  und  Plutarch,  Philologus  14  (1859)  407—410.  -  Ueber 
den  Verfasser  des  logischen  Kompendiums  s.  C.  Prantl,  Geschichte  der  Logik  II  264  ff. 
und  III  18,  sowie  seine  Schrift:  Michael  Psellos  und  Petrus  Hispanus,  eine  Rechtfertigung, 
Leipzig  1867.  Dagegen  Ch.  Thurot,  Revue  arch«?ol.  nouv.  s.  10(1864)  Juli-Dezember  und 
Revue  critique  1867,  N.  13  und  17.  Val.  Rose,  Hermes  2  (1867)  140  ff.;  ebendort  465  ff. 
über  Gregorius  Solitarius.  Vgl.  auch  noch  Ueberweg-Heinze,  Grundriss  der  Geschichte 
der  Philosophie  II®  186  f.  und  W.  Christ,  (iedächtnisrede  auf  K.  Prantl,  Abhandl.  der 
bayer.  Akad.  d.  Wiss.  1889  S.  49.  —  Einein  Brief  des  P.sellos  lle(>'i  ^graoTiotiag  bespricht 
Emm.  Ruelle,  Revue  des  ^tudes  grecques  2  (1889)  260—267. 

Philologie:  Gedicht  über  Grammatik  ed.  Fr.  Boissonade,  Anecd.  (ir.  3  (1831) 
200—228;  ebendort  429—436  die  Rätsel  des  Psellos  und  437-452  die  des  Megalomites 
und  Aulikalamos.  Zum  gramniat.  Gedichte  s.  (i.  Uhlig's  Ausgabe  des  Dionysius  Thrax, 
Proleg.  S.  40  und  vgl.  das  anonyme  (Jedicht  in  1087  politischen  Vei-sen  bei  Boissonade, 
Anecd.  Gr.  2  (1830)  340—393  und  das  anonynje.  ebenfalls  in  politischen  Versen  abgefas-^te 
Lexikon,  das  E.  Miller  aus  einer  Athoshand.schrift  im  Annuaire  de  Ta-ssoc.  8  (1874)  253—284 
ediert  hat.  —  (iedicht  über  das  jambische  Metrum  edd.  A.  Nauck,  Melanges  ({r»?co-Rora. 
II  492  f.  und  W.  Studemund,  Anecdota  Varia  1  198  f.  —  Homerische  .MIegorien  ed. 
Fr.  Boissonade  mit  den  Allegorien  des  Tzetzes,  Paris  1851.  -  Proben  aus  Honier- 
kommentaren  ed.  K.  Sathas  mit  der  Abhandlung:  Sur  lea  commentaires  Byzantins  relatifs 
aux   comödies   de    Menandre,    aux    poCnies   d'Homere    etc.,    Annuaire    de    l'assoc.   9   (1875) 


3.  PhUosophie.  (§  83.)  181 

187—222.  —  Gedicht  und  Briefe  über  Rhetorik  ed.  Chr.  Walz.  Rhetores  Graeci,  vol.  3 
(1834)  687-703  und  vol.  5  (1833)  598—605. 

Geschichtswerk:  Ed.  pr.  K.  N.  Sathas.  Mea.  iii^Xio».  vol.  lY  [1814).  —  Ein  Teil 
des  Werkes  mit  einem  Kommentar  von  Hase  wiederholt  im  R ecueil  des  historiens  grecs 
des  croisades  I  (Paris  1875)  1—69.  —  Hilfsmittel:  S.  Röckl,  Blätter  f.  d.  bayer.  G^-mna- 
sialschulwe.sen  21  (1885)  4  —  19  (über  die  Quellen  und  Ausschreiber).  —  W.  Fischer,  Bei- 
träge zur  historischen  Kritik  des  Leon  Diakonos  und  Michael  Psellos,  Mitteil.  d.  Instituts 
für  Österreich.  Geschichtsforschung  7  (1886)  353 — 377.  —  Joh.  Seger,  Nikephoros  Bryen- 
nios,  München  1888  S.  36  ff.  —  J.  B.  Bur}',  Roman  emperors  from  Basil  II  to  Isaac 
Komnenos,  The  English  histor.  review  4  (1889)  41 — 64;  251 — 285.  —  Emendationen  von 
J.  Pantazides,  'Adi^vaiov  3  (1874)  668—686.  Unzugänglich  blieben  mir  die  im  JeXxiov 
rijg  laroQ  xcd  i&yoXoy.  er.  rijg'E'AX.  1,  175  erwähnten  Beiträge  desselben  Gelehrten,  Athen  1882. 

Juridische  Schriften,  Reden,  Briefe,  Uebungsstücke  u.  s.  w.:  Juridische 
Schriften  bei  Migne  a.  a.  0.  —  Reden  und  208  Briefe  ed.  Sathas,  Mea.  ßißX.  vol.  V. 
Zwei  Briefe  mit  französischer  Uebersetzung  hatte  Sathas  schon  im  Annuaire  de  l'assoc.  8 
(1874)  193—221  mitgeteilt.  —  Monodie  auf  den  Schüler  Johannes  Patrikios  ed.  Alb.  Jahn, 
Jahns  Jahib.  11.  Supplementb.  (1845)  347—381.  -  Das  übrige  bei  Boissonade,  Migne  und 
Sathas  a.  a.  0. 

2.  Leben  und  Schriften:  Die  Grundlage  bildet«  bis  in  die  neueste  Zeit  des  Leo 
Allatius  Abhandlung:  De  Psellis  et  eorum  scriptis,  Romae  1634;  wiederholt  mit  Berich- 
tigungen bei  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  10.  41  —  97  und  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  122, 
477 — 538.  —  Zur  Bibliographie  vgl.  F.  Henrichsen.  L'eber  die  sogenannten  politischen 
Verse,  Leipzig  1839  S.  98—102.  —  Viele  Berichtigungen  und  Zusätze  zur  Biographie  gab 
K.  Sathas  in  den  Vorreden  zum  4.  und  5.  Bande  der  Msa.  ßißX.  Auf  Sathas  beruht  die 
hübsche  Skizze  von  E.  Egger  im  Dictionnaire  des  sciences  philosophiques  sous  la  direction 
de  Ad.  Franck,  Paris  1875  S.  1418  ff.  und  die  ausführlichere  Darstellung  von  A.  Rambaud, 
Revue  historique  3  (1877)  241--282.  —  Will.  Fischer.  Studien  zur  byzantinischen  Ge- 
schichte des  11.  Jahrb.,  Progr.  Plauen  1883,  handelt  über  das  mit  der  Biographie  des  Psellos 
eng  verbimdene  Leben  des  Patriarchen  Johannes  Xiphilinos  und  über  die  juridische 
Synopsis  des  Psellos.  —  Handschriftliche  Mitteilungen  gab  besonders  Ruelle,  Archives 
des  missions  scientifiques,  3.  serie,  tome  2  (1875).  Von  demselben  Bibliographie  mit  3 
kleinen  Anecdota  in  der  Jubiläumsschrift  des  'Ekkr^yixog  q:iXoXoy.  avXXoyog.  Konstantinopel  1886 
S.  591 — 614.  —  Anfang  einer  Bibliographie  des  Psellos  auf  Grund  des  cod.  Paris.  Gr.  1182 
bei  Sathas,  Mea.  ßiß'A.  5.  aeX.  4 — ttcT.  —  Zur  Charakteristik:  Ferd.  Gregorovius,  Ge- 
schichte der  Stadt  Athen  im  Mittelalter  I  176  ff. 

83.  Johannes  Italos,  am  byzantinischen  Hofe  wohl  angesehen  und 
auch  als  Gesandter  verwendet,  folgte  dem  Psellos  in  der  Würde  des  vriaroq 
Twv  (fiXoa6(fon'  und  wirkte  noch  mehr  als  sein  Vorgänger  durch  eine  reg- 
same Lehrthätigkeit :  ein  starker  und  heftiger  Dialektiker,  widmete  er  sich 
vornehmlich  der  Erklärung  aristotelischer  Schriften,  berücksichtigte  aber 
auch  den  Plato  und  die  Neuplatoniker.  Eine  interessante  Schilderung  seines 
turbulenten  Charakters  und  der  handgreiflichen  Art  seines  Unterrichtes 
haben  wir  in  der  Alexias  der  Anna  Komnena  (V  8;  X  1).  Mit  der  byzan- 
tinischen Orthodoxie  hatte  er  wie  auch  Eustratios  von  Nikaea  und  Leon 
von  Chalkedon  heftige  Kämpfe  zu  bestehen.  Ueber  diese  in  die  erste  Zeit 
des  Alexios  Komnenos  fallenden  Streitigkeiten  berichtet  ausführlich  Niketas 
Akominatos  in  seiner  2vroipig  twv  doyfiävwv  twv  xtvrjiß-s'vTcov  ini  trjg  ßaai- 
Xfi'aq  xov  ßaaiXiwg  xvqov  'AXe'^iov  xov  Koi^ivt]rov.^)  Von  seinen  meist  noch 
unedierten  Schriften  sind  zu  nennen:  1.  Eine  Sammlung  von  93  Antworten 
auf  Anfragen  hochstehender  Personen  wie  des  Michael  Parapinakes  und 
des  Andronikos  Dukas.  Diese  in  der  Art  der  JiSaaxaXia  naviodanri  des 
Psellos  gehaltenen  Stücke  betreffen  meist  die  metaphysischen  Definitionen 
des  Aristoteles.  2.  Ein  Kommentar  zum  2.  bis  4.  Buche  der  Topika  des 
Aristoteles.  3.  Ein  Kommentar  zu  Aristoteles  Ilfqi  eQjir^vei'ac.  4.  Ein  Traktat 

■)  S.  Fr.  Tafel,  Supplementa  historiae   ,   binger  Progr.  1832. 
ecclesiasticae  Graecorum  saec.  XI.  XH.,  Tu-   I 


182  Byzantinische  Litteratargeschiohte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Über  Dialektik.   5.  Ein  Auszug  der  Rhetorik   {ne&odog  rijg  gr^TOQixf^g  xaid 

avvoipiv). 

Vgl.  B.  Hase.  Notices  et  extraits  9  (1813)  2,  148  ff.  und  C.  Prantl,  Geschichte 
der  Logik  II  293—295. 

84.  Spätere  Aristoteleserklärer.  Mit  Psellos  und  Italos  ist  die 
Thätigkeit  der  Byzantiner  auf  diesem  Gebiete  nicht  abgeschlossen;  Aus- 
leger des  Aristoteles,  des  Hauptphilosophen  des  Mittelalters,  waren  bis  in 
die  letzten  Zeiten  des  Reiches  thätig;  ihre  vielfach  noch  unedierten,  in 
zahllosen  Handschriften  vorkommenden,  häufig  anonym  überlieferten,  meist 
unendlich  langweiligen  Kommentare  sind  fast  ohne  Wert,  wenn  auch  da 
und  dort  verirrte  Körner  aus  alten  Quellen  sich  finden  mögen.  Eine  voll- 
ständige Uebersicht  dieser  zerstreuten  und  trivialen  Litteratur,  die  immer 
wieder  auf  dieselben  Quellen  zurückweist,  soll  hier  nicht  gegeben  werden. 
Michael  von  Ephesos,  ein  Schüler  des  Psellos,  kommentierte  Teile  des 
Organons,  wobei  er  den  Alexander  von  Aphrodisias  exzerpierte.  Vgl. 
Ch.  Thurot,  Notices  et  extraits  25  (1875)  2,  382.  Eustratios,  Metropolit 
von  Nikaea,  im  Anfang  des  12.  Jahrhunderts,  schrieb  ausser  zwei  Reden 
gegen  die  armenische  Häresie  und  anderen  theologischen  Sachen  Kommen- 
tare zur  Nikomachischen  Ethik  und  zum  zweiten  Buch  der  zweiten  Analytik. 

EvaTQcniov  x(u  itXXtDy  tiviov  imaiifjuov  vTio/uvtjuKra  eig  rtl  dexn  rwr  jov  'jQtaroTsXovg 
tji^ixwy  Nixofia;(£iti)y  ßißXia,  Venetiae  1536.  Der  Kommentar  zur  2.  Analytik  erschien 
Venedig  1534.  —  Neue  Beiträge  zu  seiner  Biographie  gab  J.  Sakellion,  \497Jfmoy  4 
(1875)  221-233. 

Sophonias,  ein  Mönch,  wahrscheinlich  identisch  mit  dem  von  Geor- 
gios  Pachymeres  II  202  (ed.  Bonn.)  erwähnten  S.  und  demnach  dem  Schluss 
des  13.  und  dem  Anfange  des  14.  Jahrhunderts  angehörig,  verfasste  Para- 
phrasen zu  des  Aristoteles  Kategorien,  zur  ersten  Analytik,  zur  Sophistik, 
zur  Schrift  De  anima  und  zu  De  memoria  et  somno.  Diese  aus  dem  Texte 
des  Aristoteles  und  aus  Stücken  seiner  angesehensten  Erklärer  zusammen- 
gesetzten Kommentare  werden  in  Handschriften  zuweilen  als  Werk  des 
alten  Paraphrasten  Themistios  ausgegeben;  auch  finden  sich  einzelne  Stücke 
in  einer  vatikanischen  Handschrift  fälschlich  unter  dem  Namen  des 
(dem  7.  Jahrh.  angehörenden)  Hymnendichters  und  Patriarchen  von  Jeru- 
salem, Sophronios.  Ein  anderer  Aristoteleserklärer  des  14.  Jahrhunderts 
ist  Leon  Magentinos,  Metropolit  von  Mytilene;  er  schrieb  Schollen  zu  flfgi 
tQfir^veiag  und  zur  ersten  Analytik.  Die  erstere  Schrift  ist  griechisch  ediert, 
Venetiae  1503  (mit  Ammonius) ;  beide  lateinisch,  Lugduni  1547,  Der  Name 
Heliodor  von  Prusa,  der  einer  Paraphrase  der  Nikomachischen  Ethik 
vorgesetzt  ist,  wurde  von  L.  Cohn  als  eine  Fälschung  des  Konstantin 
Palaeokappa  erwiesen.     Berliner  philol.  Wochenschrift  1889  S.  1419. 

Sophoniao  in  libros  Aristotolis  De  anima  paraphrasis  ed.  Mich.  Hayduck,  Herolini 
1883  (vol.  23,  1  der  von  der  Berliner  Akademie  herausgegebenen  Aristoteleskonunentaro). 
Wahrscheinlich  stammen  von  Sophonias  auch  die  ebenda  23.  2  und  4  von  M.  Hayduck 
edierten  anonymen  Taraphra-sen  zu  den  kartjyoQlnt  und  loqiatixol  tXtyxoi  des  Aristoteles. 
Val.  Rose,  Ueber  eine  angeldirhe  Paraphrase  des  Themistius.  Hermes  2  (1867) 
191—213.  —  Die  angebliche  Paraphrase  des  Themistios  ed.  Max  VVallies,  Beroiini  1884 
(vol.  23,  3  der  Aristoteleskommentare).  —  Noch  nach  dem  Falle  des  Reiches  fand  Aristoteles 
unter  den  (iriechen  manche  Erklärer.  Der  berühmteste  unter  ihnen  ist  Theophilos 
Korydalleus  aus  dem  Anfange  des  17.  Jahrhundert«.  Handschriftliche  und  bibliographische 
Notizen  über  ihn  von  Huellc,  Annuaire  de  l'assoc.  15  (1881)  192  ff. 


I 


3.  Philosophie.   (§  84—85.)  183 

85.  Die  angebliche  Metaphysik  des  Herennios:  ^Eoei'viov  tfiko- 
a6(fov  i^r^yr^oig  fig  td  lUTci  xd  (fvaixä  ist  eine  oberflächliche,  wahrschein- 
lich dem  16.  Jahrhundert  angehörende  Kompilation  aus  Philo  De  ebrietate, 
Alexander  von  Aphrodisias  Quaest.  physic,  Proklos  Kommentar  zu 
Piatos  Parmenides,  Damaskios  De  principiis,  endlich  aus  dem  von  Geor- 
gios  Pachymeres  verfassten  Abriss  der  gesamten  aristotelischen  Philo- 
sophie und  aus  einer  noch  nicht  nachgewiesenen,  schwerlich  aber  alten 
Quelle.  Den  Verfertiger  des  Machwerkes,  von  dem  sich  kaum  eine  über 
die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  hinaufreichende  Handschrift  findet,  hat 
man  vielleicht  in  dem  berüchtigten  Epiroten  Andreas  Darmarios  zu 
suchen,  der  wahrscheinlich  auch  für  den  unter  des  Damaskios  Namen 
aus  Galenos  zusammengestellten  Kommentar  zu  den  Aphorismen  des  Hippo- 
krates  verantwortlich  zu  machen  ist. 

Der  erste,  nie  veröffentlichte  Druck  dieses  Falsifikats  mit  latein.  Uebersetziing  von 
Simon  Simonides.  Samosc  (in  Polen)  um  das  Jahr  1604,  ist  eine  erst  jüngst  in  einem 
Exemplar  der  Krakauer  Universitätsbibliothek  bekannt  gewordene  Rarität.  —  Ohne  Kenntnis 
dieses  Druckes  ed.  A.  Mai,  Classic,  auct.  9.  513—593.  —  Hauptschrift:  E.  Heitz.  Die 
angebliche  Metaphysik  des  Herennios,  Sitzungsberichte  der  preuss.  Akademie  der  Wiss. 
1889,  1167-1190. 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie. 

86.  Schulrhetorik.  Wie  alle  Schulfächer  ist  auch  die  Beredsamkeit 
im  byzantinischen  Zeitalter  emsig  gepflegt  worden;  zur  Erfindung  einer 
neuen  und  originalen  Methode  ist  es  jedoch  hier  noch  weniger  gekommen 
als  in  anderen  Disziplinen.  Schon  in  der  römischen  Zeit  war  das  fein 
ausgebaute  System  der  alten  Rhetorik  durch  Hermogenes  und  Aphtho- 
nios  auf  das  Niveau  einer  äusserlichen  und  mechanischen  Unterweisung 
herabgesunken.  Die  Vorschriften  dieser  zwei  unbedeutenden  Köpfe  erlangten 
bald  eine  unbeschränkte  Herrschaft  über  die  Schule  und  wurden  auch  das 
ganze  Mittelalter  hindurch  in  einer  endlosen  Kette  von  Traktaten  und 
Handbüchern  von  Generation  zu  Generation  verpflanzt,  ausgezogen,  erklärt 
und  durch  Musterübungen  erweitert;  vergeblich  aber  suchen  wir  einen 
neuen  Grundgedanken.  Die  ungeordneten  Massen  dieser  Schulhefte  und 
Lehrbücher  beschweren  die  Bibliotheken  und  die  Bibliographie;  sie  lassen 
sich  aber,  bei  Lichte  besehen,  alle  auf  einige  Urquellen  zurückführen.  Eine 
ausführliche  Betrachtung  und  genealogische  Prüfung  dieser  unreinlichen 
Abklatsche  uns  erhaltener  Vorbilder  kann  weder  der  Philologie  noch  der 
Kulturgeschichte  von  Byzanz  erheblichen  Nutzen  bringen.  Höchstens  ge- 
winnt durch  die  Einsicht  in  diese  unselbständigen  neuen  Auflagen  und 
Ueberarbeitungen  unsere  Vorstellung  vom  byzantinischen  Schulbetriebe 
einiges  an  Deutlichkeit;  aber  auch  hiefür  genügt  die  allgemeine  Beobach- 
tung der  ununterbrochenen  Erbfolge  dieser  Werke  und  die  Sicherheit,  dass 
die  rhetorische  Schultradition  von  der  römischen  Zeit  bis  in  die  letzten 
Jahrhunderte  von  Byzanz  sich  gleich  geblieben  ist  in  den  Formen  und  in 
den  Stoffen,  nur  dass  sich  jetzt  zu  den  hergebrachten  Themen  aus  der 
alten  Mythologie  und  Geschichte  christliche  Motive  gesellen  und  im 
friedlichen  Vereine  neben  jenen  einhergehen. 

Die  wichtigste  Rolle  spielten  die  alten  Progymnasmata  d.  h.  die 
methodisch  ansteigende  Bearbeitung  von  Fabeln  {/iv'h)i),  Erzählungen 
{Siijijßaia),  Chrien  (xQttcti),  Widerlegungen  (dtnaxu'ai),  Begründungen 
(xaTaaxivai),  Sinnsprüchen  (yiw/iort)  und  Ethopöien  (»^'//«/ro//«/).  Eine  über- 
grosse Zahl  von  IVoben  dieser  Schulbücher  hat  Chr.  Walz  in  den  neim 
Bänden  seiner  Hhetores  Graeci  veröffentlicht;  weniger  bemühte  er  sich 
um  die  Aufhellung  der  ('hronologio  und  Genealogie  dieser  Werke;  der 
gleiche  Vorwurf  trifft  auch  Bokker  und  Gramer,  in  deren  Anocdota  sich 


I 


4.  Rhetorik,  Sophistik  nnd  Epistolographie.  (§  86—87.)  185 

tinige  weitere  Stücke  verirrt  haben.  Wii*  finden  bei  Walz  ausser  vielen 
anonymen  Werken  die  rhetorischen  Schriften  des  Michael  Psellos  (s.  §  82), 
des  Nikephoros  Basilakes  (um  die  Mitte  des  12.  .Jahrhunderts),  des 
Johannes  Tzetzes  (s.  §  114),  des  Gregor  von  Korinth  (s.  §  144),  des 
Georgios  Pachymeres  (s.  §  37),  des  Maximos  Planudes  (s.  §  119), 
des  Georgios  Plethon  ^vrroixil  negt  tivcov  usgöiv  r/~c  QrjoQixt]c,  endlich 
die  rhetorische  Epitome  eines  seiner  Zeit  nach  unbekannten  Matthaeos 
Kamariotes,  die  ^vvoipic  Qi^rogtxric  eines  gewissen  Joseph  Pinaros  Raken- 
d  y  t  e  s ,  eine  Schrift  Uegi  tqötiw  v  eines  ebenfalls  unbekannten  Kokondriosu.a. 
Uebrigens  versteht  sich  von  selbst,  dass  die  handschriftlich  überlieferten 
Autornamen  bei  diesen  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  sich  vererbenden 
Schulbüchern  stets  mit  der  grössten  Vorsicht  entgegenzunehmen  sind. 

1.  Hauptwerk:  Chr.  Walz.  Rhetores  Graeci,  9  voll..  Stuttgartiae  1832 — 36.  — 
Bedeutend  gesichtet  ist  der  von  Walz  gebotene  Stoff  in  den  Rhetores  Graeci  ex  recogn. 
L.  Spengel,  3  voll.,  Leipzig,  bibl.  Teubn.  1853 — 56.  —  Ueber  die  vorbyzantinischen  Fort- 
setzer des  Herrn ogenes  und  Aphthonios  s.  W.  Christ.  Griechische  Litteraturgeschichte, 
2.  Aufl.  §  495  ff. 

2.  Die  Exzerpte  aus  Hermogenes  JleQi  idetSy  und  aus  der  von  Suidas  bezeugten 
Schrift  des  Lachares  Uegi  xaiXov  xai  xojuuatog  xcd  nsQtö&ov.  welche  Walz.  Rhet.  Gr.  III 
712 — 723  unter  dem  Namen  des  Kastor  veröffentlichte,  stammen  in  Wahrheit  von  einem 
Anonymus,  der  wahrscheinlich  im  Anfang  des  10.  Jahrhunderts  lebte;  der  Titel  Küarooog 
'Podiov  QtJTOQog  rov  xai  cfi).oo(oijaiov  ist  eine  Fälschimg  des  Konstantin  Falaeokappa. 
Die  namentlich  im  zweiten  Teil  wertvolle  Schrift  wurde  neuerdings  kritisch  untersucht 
und  ediert  von  W.  St  u  dem  und:  Pseudo-Castoris  excerpta  rhetorica,  Breslau  1888  (Gratu- 
lationsschrift zum  Jubiläum  der  Universität  Bologna). 

3.  Eine  gute  Vorstellung  der  ganzen  Gattung  gewähren  die  Progymnasmata  des 
Nikephoros  Basilakes.  Sie  sind  zuerst  ediert  von  Leo  Allatius  in  seinen  Excerpta 
varia  Graec.  sophist.  (1641)  S.  125—220;  dann  von  Walz,  Rhet.  Gr.  I  421—525.  Eine 
Art  von  litterarischer  Selbstbiographie  desselben  edierte  E.  Miller,  Annuaire  de  Tassoc.  7 
(1873)  135 — 157.  —  L'eber  sein  Leben  s.  C.  Neumann,  Griech.  Geschichtschreiber  imd 
Geschicbtsquellen  im  12.  Jahrb.,  Leipzig  1888  S.  72—77.  —  Vgl.  K.  Sathas,  JoxifAiov 
Ttegi  xov  9e('cTQov  xai  xrjq  uovaixrjg  rwj/  Bv^avx.,  Venedig  1878,  aeX.  in&'. 

87.  Angewandte  Bhetorik.  Wertvoller  an  sich  und  wichtiger  für 
eine  Würdigung  des  litterarischen  Vermögens  der  Mittelgriechen  sind  die 
zahlreichen  Werke,  in  welchen  die  alte  Kunst  der  Rhetorik  praktisch 
verwertet  wurde.  Den  Ausgang  nimmt  hier  die  historische  Betrachtung 
von  der  besonders  im  5.  und  6.  Jahrhundert  blühenden  Rheto renschule 
von  Gaza.  Der  orientalisch  gefärbte,  schwülstig  überladene  Barockstil, 
der  in  Gaza  den  alten  Asianismus  noch  zu  überbieten  suchte,  ist  auch  für 
die  byzantinische  Diktion  stets  ein  wichtiger  Faktor  geblieben,  obschon 
man  zwischen  den  verschiedenen  Stilarten  unterschied  und  durchaus  nicht 
eine  und  dieselbe  als  ausschliesslich  berechtigt  anerkannte.  Einer  der 
hervorragendsten  Vertreter  des  orientalischen  Marinismus  ist  in  seinen 
Briefen  wie  in  seiner  Geschichte  der  Historiker  Theophylaktos  Simo- 
kattes.  Den  Gipfelpunkt  bezeichnet  in  der  feinen  Ausbildung  rhetorischer 
Darstellung  Photios.  Unter  den  Komnenen  und  Paläologen  wuchs  in  dieser 
Gattung  —  im  umgekehrten  Verhältnis  zum  politischen  Zustande  des 
Reiches  —  Kraft  und  Betriebsamkeit.  Die  fruchtbarsten  Vertreter  der 
rhetorischen  Litteratur  gehören  den  letzten  Jahrhunderten  von  Byzanz  an, 
wie  Gregor  von  Cypern,  Nikephoros  Chumnos,  Theodoros  Hyrta- 
kenos,  Demetrios  von  Kydone.  Wie  Moschopulos,  Planudes  und  die 
übrigen   Grammatiker  der  Paläologenzeit,    so  sind  auch  die  Schönredner 


186  Byzantinische  Litteratargeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

dieser  Epoche  bedeutsame  Vorläufer  des  griechisch-italienischen  Huma- 
nismus. Der  byzantinische  Charakter  erscheint  bei  ihnen  nicht  selten 
schon  mit  einem  ganz  modernen,  realistischen  Zuge  versetzt. 

Die  zähe  Beharrlichkeit,  mit  welcher  die  Pflege  eines  gewählten 
Ausdruckes  und  einer  kunstvollen  Komposition  fortbetrieben  wurde,  hat 
bei  einzelnen  Talenten  noch  sehr  rühmliche  Erfolge  erzielt.  Ja  vielleicht 
ist  Byzanz  dem  Altertum  in  keiner  Gattung  näher  gekommen  als  hier;  die 
Stufe  eines  Isokrates,  Libanios,  Themistios  und  verwandter  Geister 
ist  ohne  Zweifel  mehr  denn  einmal  erreicht  worden,  vor  allem  von  Photios, 
der  sich  in  seinen  Briefen  als  ebenbürtigen  Schüler  der  alten  Meister  zeigt, 
aber  auch  von  manchen  andern  wie  Eustathios,  Michael  Akominatos,  Gregor 
von  Cypern  und  zuletzt  von  einigen  der  griechischen  Humanisten.  Keine 
antike  Eigenschaft  hat  sich  bei  den  Griechen  in  die  byzantinische  und  neuere 
Zeit  unverfälschter  fortgepflanzt  als  die  Freude  am  schönen  Wortgefüge 
und  am  tönenden  Pathos,  dem  freilich  auch  der  leere  Prunk  und  der  tosende 
Schwall  unzertrennlich  verbunden  blieben.  Alle  Arten  der  praktischen 
Rhetorik  des  Altertums  kehren  in  Byzanz  wieder.  Neben  den  rein 
progymnasmatischen  Sachen,  den  diaXe^sig,  fisXe'Tat  u.  s.  w.,  herrschen  die 
panegyrischen  Reden  an  Kaiser,  Prinzen  und  Gönner,  die  Leichenreden 
und  die  Prunkschilderungen;  letztere,  die  sogenannten  excpQdaeigj  welche 
die  Beschreibung  von  Kunstwerken,  Landschaften,  Jahreszeiten  u.  a.  um- 
fassen, haben  durch  ihre  Verwertung  in  den  hellenistischen  Kunstdichtungen 
und  in  den  Romanen  bis  in  die  spätbyzantinische  Zeit  hinein  eine  erheb- 
liche litterarhistorische  Bedeutung  erlangt.^)  Reich  an  Aufschlüssen  über 
Geschichte,  Geographie  und  Kultur  von  Byzanz  und  auch  rein  litterarisch 
betrachtet  erfreulich  ist  die  Gattung  der  Briefstellerei,  an  welcher  fast 
alle  Ijedeutenden  Byzantiner  Anteil  haben. 

Für  eine  detaillierte  Geschichte  der  mittelgriechischen  Produktion  in 
Rhetorik  und  Epistolographie  fehlt  es  noch  ganz  an  Vorarbeiten.  Wahr- 
scheinlich aber  wird  man  nach  einer  gründlicheren  Erforschung  der  weit 
auseinander  liegenden  Massen  zur  Einsicht  kommen,  dass  eine  wirkliche 
und  reine  Entwickelung  hier  nur  in  massigem  Umfange  statt  hatte.  Wir 
hören  zwar  auch  in  Byzanz  nicht  selten,  dass  ein  Autor  seine  sachliche 
und  formale  Ausbildung  einem  bestimmten  zeitgenössischen  Lehrer  verdankt; 
Theophylaktos  von  Bulgarien  folgt  dem  Psellos,  Gregor  von  Cypern  ist 
Schüler  des  Georgios  Akropolites,  Nikephoros  Chumnos  der  des  Gregor 
von  Cypern  u.  s.  w.  Eine  schärfere  Untersuchung  wird  wahrscheinlich  auch 
die  Spuren  dieser  unmittelbaren  lehrhaften  Einflüsse  nachweisen  können; 
die  Haupt  lehr  meister  aber  waren  für  alle  Byzantiner  in  gleicher 
Weise  die  Alten.  Daher  sind  sie  häufig  so  gleichmässig;  daher  wird  die 
vorauszusetzende  Entwickelungsreihe  zuweilen  so  unerwartet  unterbrochen; 
daher  konnte  z.  B.  plötzlich  ein  Photios  erstehen,  dessen  Formvollendung 
unter  antiken  Verhältnissen  eine  bedeutende  Epoche  der  Vorbereitung  ver- 
langen würde;  hier  aber  hing  schliesslich  alles  von  der  grösseren  oder 
geringeren  Fähigkeit  der  Individuen  ab,   die   alten  Vorbilder  für  die  ver- 

<)  Vgl.  Rohde,  Der  griechische  Roman  S.  335,  508  f.,  512  f. 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie.  (§  88—89.)  187 

änderten  Zwecke  und  Stojffe  zu  verwerten.  Xachdem  oben  die  Thätigkeit 
der  Byzantiner  in  der  Schulrhetorik  kurz  dargelegt  wurde,  nennen  wir  im 
folgenden  jene  Vertreter  der  angewandten  Rhetorik  und  der  Epistolo- 
graphie, welche  nicht  wie  Photios,  Psellos  u.  s.  w.  in  anderen  Abschnitten 
zur  Besprechung  gelangen. 

88.  Basilios  I,  Kaiser  von  867 — 886,  der  energische  Begründer  der 
makedonischen  Dynastie,  war  selbst  ohne  höhere  Bildung,  bemühte  sich 
aber  wie  Karl  der  Grosse,  durch  Unterstützung  bedeutender  Kräfte  wissen- 
schaftliche und  litterarische  Bestrebungen  zu  fördern.  Er  Hess  die  römi- 
schen Rechtsbücher  griechisch  bearbeiten  und  erweitern,  ein  Werk,  das 
von  seinem  gelehrten  Enkel  Konstantin  Porphyrogennetos  fortgesetzt  und 
in  der  Hauptsache  abgeschlossen  wurde  (s.  §  19).  Ausserdem  wird  Basilios 
in  der  Litteraturgeschichte  genannt,  weil  unter  seinem  Namen  zwei  Er- 
mahnungsschriften an  seinen  Sohn  Leo  überliefert  sind.  Die  erste, 
weit  umfangreichere:  Buoikeiov  vov  'Poj/fß/wv  ßuaiXboig  xe<fäXaia  nagaivf- 
Tixd  ^q'  TTQoc  Tov  iavTov  vtöv  Aiovxtt  ist  nach  Materien  in  66  Paragraphen 
geteilt,  welche  wie  die  Strophen  der  Kirchenhymnen  durch  ein  Akrosti- 
chon verbunden  sind;  die  Worte  desselben  lauten:  Baaikeiog  ev  Xoigtm 
ßaaiXevg  '^Poi^ciioiv  Atom  r<>)  neTcoO-r^{iev(o  vim  xal  av^ißaüiXei.  Das  Ganze 
ist  ein  moralisches  Vademecum,  welches  über  die  verschiedensten  Themen 
der  Sitte  und  Religion  wie  über  Almosen,  Begierden,  Bildung,  über  Mut 
und  Besonnenheit,  Demut,  Keuschheit  u.  s.  w.  in  kurzen,  sentenzenartigen 
Sätzen  und  abgedroschenen  Gemeinplätzen  belehrt.  Echt  byzantinisch  ist 
der  Mangel  näherer  Beziehungen  auf  die  Person  und  die  Zeitumstände; 
statt  spezieller  Vorschriften  über  Regierungskunst  und  über  die  zur  Förde- 
rung des  byzantinischen  Reiches  notwendigen  Massregeln  lesen  wir  all- 
gemeine Moralitäten,  die  fast  alle  ebensogut  auf  ein  weitabliegendes  Zeit- 
alter und  ganz  verschiedene  Verhältnisse  passen  würden.  Als  Vorbild 
dienten  die  paränetischen  Reden  des  Isokrates.  Das  zw^eite  Stück:  Baai- 
Xeiov  ßaaiXtüig  ersga  uagairsaig  eig  tw  avrov  vtov  Asovxa  ßaaiXäa  enthält 
eine  kurze  Aufmunterung  zu  einem  gottgefälligen  Lebenswandel.  Schwerlich 
werden  uns  die  Manen  des  Basilios  zürnen,  wenn  wir  ihm  diese  zwei 
Paränesen,  die  eine  wohlgeübte,  rhetorisch  geschulte  Feder  verraten,  ab- 
sprechen; der  wahre  Verfasser  ist  ohne  Zweifel  in  der  gelehrten  Um- 
gebung des  Kaisers,  vielleicht  in  der  Person  des  Patriarchen  Photios  zu 
suchen. 

Die  kfcpäkcetfc  sind  öfter  ediert,  u.  a.  bei  Banduri,  Imper.  Orientale  I  171  ff.; 
das  zweite  Stück  zuerst  von  A.  Mai,  Scriptorum  vetenun  nova  collectio  II  (1827)  679—681.  — 
Jetzt  beide  zusammen  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  107  (1863)  S.  XXI  ff.,  LVII  ff. 

89.  Nikolaos  (852—925),  ein  Verwandter  des  Patriarchen  Photios, 
wurde  zusammen  mit  Kaiser  Leo  dem  Weisen  erzogen,  später  von  dem- 
selben mit  der  Würde  eines  Vertrauten  (fivffTixög)  bekleidet  und  hatte  von 
901 — 907  und  zum  zweitenmale  von  912 — 925  den  Patriarchenthron  inne. 
Dieser  geistig  begabte,  aber  leidenschaftliche  und  ehrgeizige  Kirchenfürst 
verdient  hier  wegen  seiner  i-eichhaltigen  Korrespondenz  Erwähnung.  Eine 
vatikanische  Handschrift  enthält  163  Briefe  desselben,  welche  für  die 
politische  und  kirchliche  Geschichte  seiner  Zeit  wichtige  Aufschlüsse  ent- 


188  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

halten.  Unter  den  Adressaten  sind  der  arabische  Emir  von  Kreta,  den 
der  Patriarch  zur  Milde  gegen  seine  christlichen  Unterthanen  auffordert, 
der  Fürst  Symeon  von  Bulgarien,  der  römische  Papst,  Kaiser  Romanos  I 
Lakapenos,  ein  Fürst  von  Armenien,  endlich  verschiedene  Bischöfe,  Zivil- 
beamten, Mönche  und  Privatleute.  Dazu  kommt  eine  Homilie,  welche 
Nikolaos  nach  der  durch  den  Bericht  des  Johannes  Kameniates  (s.  §  27) 
näher  bekannten  Zerstörung  der  Stadt  Thessalonike  durch  Leo  von  Tri- 
polis (904)  an  das  Volk  von  Byzanz  richtete,  und  eine  dem  Klostervorstand 
des  heiligen  Berges  übersandte  Unterweisung  über  das  Mönchsleben: 
IIqoc  t6v  TtQunov  tov  dytov  oQovg  (og  tVTrtxöv  did  aroixov  (!). 

Ed.  pr.  A.  Mai,  Spicilegium  Romanum  vol.  X  2  (1844)  161-440.  —  Wiederholt 
von  Migne.  Patrol.  Gr.  111  (1863)  1-406.  —  Ueber  das  Loben  und  den  Charakter  des 
Nikolaos  bringt  manches  Neue  die  Vita  Euthymii  ed.  C.  de  Boor,  Berlin  1888;  vgl. 
die  auf  diesem  Texte  beruhende  Darstellung  von  C.  de  Boor  S.  98  fF.,  160  ff.,  176  ff. 

90.  Theodoros  Daphnopates,  der  die  Würde  eines  Patrikios  besass, 
verfasste  im  Auftrage  und  Namen  des  Kaisers  Romanos  I  Lakapenos  (021 
bis  944)1)  Briefe  an  den  Papst,  an  den  Metropoliten  Anastasios  von  Hera- 
klea,  an  den  Emir  von  Aegypten  und  an  den  Fürsten  Symeon  von  Bul- 
garien, sowie  eine  Rede  an  die  Metropoliten.  Ein  verlorenes  Geschichts- 
werk des  Daphnopates  erwähnt  Skylitzes  im  Proömion.^) 

1.  Die  Briefe  und  die  Rede  edierte  mit  einem  für  die  Zeitgeschichte  wichtigen 
Kommentar  J.  Sakkelion,  JeXtioy  ttjg  latoQ.  xal  i^yo'Aoy.  iiuigias  xijg  'EX'käSog  1  (1883 — 84) 
657-666  und  2  (1885—89)38—48;  385-409.  —  Eine  geistliche  Homilie  des  Daphnopates 
steht  nur  lateinisch  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  111  (1863)  611  ff.  —  Ueber  unedierte  Schriften 
desselben  s.  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  10,  385  f.  und  Migne  a.  a.  0.  607  ff. 

2.  Hier  sei  noch  die  Monodie  erwähnt,  welche  Kaiser  Romanos  H  seiner  Braut 
Bertha,  die  949  noch  vor  der  Vermählung  starb,  gewidmet  hat.  Sie  ist  aus  einer  Wiener 
Handschrift  ed.  von  Sp.  Lambros,    Bulletin  de  correspondance  hellen.  2  (1878)  266—273. 

91.  Philopatris  {<ViXÖTiaTQiq  fj  Jidaaxöfisvoq)  betitelt  sich  eine  merk- 
würdige Nachahmung  des  Lukianos,  die  in  der  zweiten  Hälfte  des  10. 
Jahrhunderts  entstanden  ist.  Die  Personen  dieses  Dialogs  sind  Triephon, 
Kritias  und  Kleolaos.  Der  dialogische  Charakter  erscheint  deutlich  nur 
im  ersten  Teile,  einer  langen  Disputation  über  Heidentum  und  Christentum; 
der  zweite  Teil  enthält  grösstenteils  eine  fortlaufende  Rede  des  Kritias. 
Der  Verfasser  gibt  sich,  um  den  wahren  Zweck  des  Dialogs  zu  verhüllen, 
zuerst  den  Anschein,  als  handle  es  sich  um  die  Bekehrung  eines  alten 
Heiden  zum  Christentum.  In  der  That  ist  das  Werk  vorzüglich  gegen 
den  Patriarchen  und  seine  Umgebung  gerichtet;  sie  werden  ver- 
spottet und  denunziert  wegen  ihrer  Anschläge  gegen  den  Kaiser.  Ver- 
schiedene, sehr  deutliche  Anspielungen  auf  Ereignisse  der  äusseren  und 
inneren  Politik  wie  auf  Siege  über  die  Perser  und  Skythen,  ein  grosses 
Blutbad  in  Kreta,  Naturereignisse,  eine  unzufriedene  Oppositionspartei  u.s.  w. 
verweisen  den  Philopatris  mit  grösstcr  Wahrscheinlichkeit  in  die  Zeit  des 
Kaisers  Tzimiskes  und  zwar  etwa  in  das  Jahr  974.  Das  Werk 
ging  früher  unter  den  Schriften  des  Lukianos;  nachdem  es  als  unterge- 
schoben erkannt  war,  setzte  man  es  in  die  Zeit  des  Kaisers  Julian 
(361  —  363);  Gutschmid   rückte  es  in  die  Epoche  des  Kaisers  Herakliofl 

')  ytaxnTttjvng    d.    h.    aus    Auxtint];    die       verworfen  zu  sein. 
übliche  iSchreibweiHo  .iexftnijyöf  scheint  zu   |  -')  Goorgios  Kedrenos  od.  Bonn.  I  S.  4 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie.  (§  90-92.)  189 

{um  623);  endlich  kam  man  nach  einer  jetzt  allgemein  angenommenen 
Kombination  in  die  zweite  Hälfte  des  10.  Jahrhunderts.  Niebuhr 
und  Gfrörer  stimmten  für  das  Jahr  968,  mehrere  Gründe  sprechen  für  die 
oben  angenommene,  noch  etwas  spätere  Datierung.  Jedenfalls  entstand  das 
Werk  nach  der  Wiedereroberung  Kretas  durch  die  Byzantiner  (961),  wo- 
durch nun  auch  manche  sprachliche  Eigenheiten  ihre  Erklärung  finden. 
Mit  dieser  Zeitbestimmung  muss  natürlich  das  theologische  Interesse, 
um  dessentwillen  früher  der  Dialog  eifrig  gelesen  und  kommentiert  wurde, 
verloren  gehen;  das  Werk  hört  auf  unter  den  antichristlichen  Denkmälern 
des  alten  Heidentums  zu  figurieren.  Die  spöttischen  Ausfälle  gegen  Ortho- 
doxie und  Mönchtum  gehen  nicht  von  einem  Hellenen  aus,  sondern  von 
einem  etwas  frivolen  Feinde  der  Hierarchie,  deren  es  in  Byzanz  in  den 
Zeiten  der  erbitterten  Kämpfe  zwischen  Hof  und  Patriarchat  genug  geben 
mochte.  Auch  hier  berührten  sich  die  Extreme;  auf  der  einen  Seite  findet 
man  die  strengste,  silbenstechende  Rechtgläubigkeit,  auf  der  anderen  Seite 
eine  fast  freigeistige  Profanierung  des  Heiligen;  man  denke  nur  an  die 
Parodie  der  Kirchenlieder  (s.  §  170).  Dunkel  bleibt  immerhin  die  wahre 
Absicht  der  Polemik  gegen  die  alten  Götter.  Ein  merkwürdiges  Seiten- 
stück hiezu  bilden  die  apologetischen  Gedichte  Leos  des  Philosophen, 
der  in  einer  dem  Philopatris  nicht  lange  vorausgehenden  Zeit  ebenfalls 
die  Verehrer  der  hellenischen  Götter  verflucht  (s.  §  189).  üeber  spätere 
byzantinische  Imitationen  des  Lukianos  s.  §§  95.  106.  197,  12. 

1.  Ausgaben:  Im  Bonner  Corpus  ed.  B.  Hase  mit  Leon  Diakonos,  Bonnae  1828.  — 
Ausserdem  meist  mit  den  Werken  des  Lukianos.  zuletzt  in  Luciani  opera  ex  recogn. 
C.  Jakobitz,  Lipsiae,  bibl.  Teubner.,  1876  voL  III  411 — 425. 

2.  Hilfsmittel:  M.  Ehemann,  Bemerkungen  u.  s.  w.  in  den:  Studien  der  evan- 
gelischen Geistlichkeit  Württembergs  11  (1839)  47 — 101  (setzt  das  Werk  auf  Grund  ganz 
nichtiger  Argumente  in  die  Zeit  des  Kaisers  Valens).  —  Den  wichtigsten  Schritt  zur  Er- 
grnndung  der  litterarhistorischen  Stellung  des  Philopatris  that  B.  G.  Niebuhr.  Lieber  das 
Alter  des  Dialogs  Philopatris,  Kleine  historische  und  philologische  Schriften,  2.  Sammlung, 
Bonn  1843.  —  Ganz  nutzlos  ist:  H.Kellner,  Der  Dialog  Philopatris,  Tübinger  theologische 
Quartalschrift  46  (1864)  48—78;  wiederholt  in  des  Verfassers:  Hellenismus  und  Christentum, 
Köln  1866  S.  323 — 347.  —  H.  Wessig,  De  aetate  et  auctore  Philopatridis  dialogi,  Dissert., 
Koblenz  1866.  —  Fr.  Gfrörer,  Byzantinische  Geschichten  Bd.  III  (Graz  1811)  64 — 82 
»bt  eine  gute  Analyse  des  Dialogs.  —  C.  J.  Aninger  (f),  Zeit  und  Zweck  des  pseudoluc. 
Dialogs  Philopatris,  Tübinger  Dissert.,  die  demnächst  im  histor.  Jahrbuch  der  Görresgesell- 
schaft  veröffentlicht  werden  soll. 

92.  Johannes  Doxopatres  (Doxapatres?  Jo^oTrarQijg,  Jo'^ccrcaiQT^q), 
mit  dem  Beinamen  der  Sikeliote,  nimmt  unter  den  byzantinischen  Rhe- 
toren  eine  bemerkenswerte  Stelle  ein.  Von  seiner  Person  ist  wenig  be- 
kannt; er  verrät  uns  nur,  dass  er  ein  dürftiger,  von  des  Lebens  Not  hart 
gedrückter  Mönch  war;  seine  Armut  und  die  Gleichgültigkeit  der  Fürsten 
und  der  Zeit  hinderten  ihn,  wie  er  sagt,  an  einer  ausgedehnteren  littera- 
rischen Thätigkeit.  Auch  seine  Zeit  lässt  sich  nicht  völlig  genau  und 
sicher  bestimmen;  doch  verweisen  ihn  triftige  Gründe  in  die  zweite 
Hälfte  des  11.  Jahrhunderts.») 

Wir  haben  von  Johannes  eine  Vorrede  und  rhetorische  Homilien 

')  In  einer  Ethopöie  des  Johannes  wird  Skylitzes  den  Sikeliotes  zusammen  mit  Psellos 

deutlich    auf  den   Sturz    des   Michael   Kala-  als   Chronisten    nennt,    wenn    anders    dieser 

l^tes  J1041)    angespielt.     Walz,    Rhet.  Gr.  SUceliotes   mit   dem   unsrigen    identisch   ist. 

n  (1835)  S.  r\'.     Dazu    stimmt    auch,    dass  Georg.  Kedrenos  ed.  Bonn.  I  S.  4. 


190  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    1.  Prosaische  Litteratur. 

zu  den  Progymnasmata  des  Aplithonios;  ausserdem  Prolegomena  zur 
Rhetorik,  in  welchen  nach  dem  üblichen  Schema  untersucht  wird,  woraus 
die  Rhetorik  entsprungen  sei,  ob  auch  die  Halbgötter  Rhetorik  hatten,  wie 
sie  zu  den  Menschen  kam  u.  s.  w.;  endlich  grosse  Kommentare  zu  den 
Abschnitten  des  Hermogenes  Uegi  aräaetov,  IJegi  fVQt'aecog  und  flfQi  ideoUv. 
Diese  Schriften  haben  einigen  Wert,  weil  Johannes  den  Reichtum  der  alten 
Kommentatoren  freilich  mit  grosser  Geschwätzigkeit  wiedergibt  und  zu- 
weilen auch  die  Namen  seiner  Vorgänger  gewissenhaft  nennt.  Besonders 
ist  zu  bemerken,  dass  in  den  Homilien  zu  Aphthonios  wie  auch  im  Kom- 
mentar zu  JJfQt  (näffforr  Bruchstücke  der  Techne  des  Alexander  Nu- 
meniu  vorkommen,  welche  zur  Emendation  der  erhaltenen  Epitome  dieses 
Werkes  nützliche  Dienste  leisten.')  Später  wurde  Johannes  viel  benützt 
und  ausgeschrieben,  unter  anderm  von  einem  Rhetor  Trophonios  aus 
unbekannter  Zeit. 

Einige  Schuldeklamationen,  als  deren  Verfasser  sich  Johannes  im 
Kommentare  zu  Hermogenes  IIsqi  i6scöv  nennt,  scheinen  nicht  erhalten  zu 
sein;  ihre  Titel  sind:  O  tov  ittttov  Xoyog,  'Jraaxevi]  xov  Ugo/^ir^O^tcog  fivi^ov, 
BaaiXeiog  SevxeQog^  IloXnixdg  Xoyogy  'O  xard  2aQaxrjV(üv  Xoyog;  die  ersten 
vier  behandelten  mithin  gewöhnliche  Schulthemata,  zu  bedauern  ist  nur  der 
Verlust  des  letzten  Stückes. 

Ausser  den  rhetorischen  Sachen  scheint  Johannes  eine  Chronik  Ver- 
fasst  zu  haben.  In  einem  cod.  Vatic.  befindet  sich  ein:  Xqovixov  avvTOf^ior  ex 
6ia(fÖQ(t>v  '/^Qovoyqäq.uiv  xcd  e^ijyt^zwv  üvXleytv  xal  avvTtO^ii'  nagd  'Icoävvov 
fiiovaxov  TOV  2ixsXio)Tov,  tov  xal  %Qij(xaTiauvTog  vaieqov  naxQidQxov 
KwvGzavTi'vov  jioXecog  vt'ag  '^Poöf^irjg.  Diese  Chronik  reicht  nach  Allatius  bis 
zum  Jahre  866  und  ist  nichts  anderes  als  ein  Exzerpt  aus  Georgios  Mo- 
nachos.  Wie  sich  zu  derselben  das  in  einem  Vindobonensis  unter  dem 
Titel  'Icodvvov  ^ixeXiokov  avroifug  xQovixt']  überlieferte  Werk  verhält,  ist 
unbekannt.  In  dem  genannten  Vaticanus  soll  auch  eine  theologische 
Abhandlung  des  Sikelioten  stehen. 

1.  Ausgaben:  Rhetores  Graeci  ed.  Chr.  Walz  TI  (1835)  69  564;  VI  (1834)  1-33; 
56—504.  —  Exzerpte  aus  dem  Kommentar  zu  ITegi  evQsaeo}?  ed.  .1.  A.  Gramer,  Anecdota 
Graeca  Oxon.  IV  (1837)  155-169.  —  Proben  auch  bei  I.  liekker,   Aneed.  Gr.  1454—57. 

2.  Name:  Das  übereinstimmende  Zeugnis  der  Handschriften  wie  der  codd.  Barocc. 
175,  Vatic.  106,  Medic.  47,  5,  Taurin.  119  u.  a.  (s.  die  Ausgaben)  bietet  die  Genetivform 
Toi7  Jd|«  ntiTQi  neben  JoionctxQi  und  Jo^oTJuzQij,  woraus  sich  als  Nomin.  der  echt  byzaiit. 
Name  JoSonnTg^?  ergibt ;  das  JöSa  nttXQi  des  Barocc.  ist  Versehen  des  Schreibers,  der  den 
Namen  in  zwei  Wörter  zerlegte;  übrigens  schreibt  auch  er  weiter  unten  Jo^onaTQt]; 
8.  Bekker,  Anecd.  Gr.  1454.  Zweifelhaft  ist  also  nur,  ob  Jo^oTJtcrgTJg  oder  Jo|«n«rpiJf 
die  wahre  Form  ist.  Walz  schrieb  ganz  willkürlich  Jo^onäxQov  (bzw.  Nom.  JocÖTintQog, 
lat.  Doxopater)  und  diese  falsche  Namensform  ist  dann  in  die  gesamte  philologische  Litteratur 
übergegangen.  Andere  Gelehrte  dieser  Familie  sind  Gregorios  Doxopatres,  der  als 
Verf.  von  Basilikenscholien  genannt  wird,  der  Archimandrit  Nilos  Doxopatres,  der  im 
Auftrage  des  Königs  Roger  II  von  Sizilien  (1101  —  1154)  im  .lahre  1143  UsqI  rtjy  nivre 
naiQiuQ^ixcjy  Oqqpwv  einen  Bericht  ei-stattete  (s.  §73)  und  Nikolaus  D.  (s.  §  19)  S.  die 
Mitteilungen  von  K.  K.  Zachariä  von  Lingenthal,  Monatsber.  der  k.  preuss.  Akad.  d. 
Wiss.  1887,  1159  ff. 

3.  Die  Chronik:   Ueber  die  Echtheit  und  den  Wert  der  angeblich  von  dem  Sike- 


')  Vgl.  E.  Finckh,  De  incerti  auctoris  1   Gelehrte  Anzeigen  Bd.  41  (1855)  1—13.  — 

artis   rhetoricae    etc.   a  L.  Spengelio   editae  Sonstige  Litteratur  verzeichnet  W.  Christ, 

loc.  al.  cm.  Heilbronnne  1K54  und  die  Rezen-  (tricchiache    Litt-eraturgeschichte .    2.    ,\ufl.. 

»ion  dieser  Schrift  von  Knyser,  Münchener  §S  493.  495. 


4.  Rhetorik,  Sophlstik  und  Epistolographie.   (§  93.)  191 

lioten  verfassten  Chronik  herrscht  noch  völliges  Dunkel.     Zunächst   hat   der   im  Titel   des 


Walz  dachte  an  Johannes  Kamateros,  der  1204  den  Patriarchenthron  innehatte,  und 
meint,  Johannes  habe  bei  seiner  Erhebung  seinen  früheren  Namen  mit  Kamateros  ver- 
tauscht. In  Wirklichkeit  pflegten  jedoch  beim  Eintritte  in  den  Mönchstand  oder  bei  der 
Erhebung  zum  Patriarchen  nur  die  Taufnamen  geändert  zu  werden.  Beide  Hypothesen 
werden  also  schon  durch  diese  Thatsache  hinfällig.  Sie  Verstössen  aber  auch  gegen  die 
Chronologie;  selbst  wenn  man  zweifelte,  ob  der  Chronist  Johannes  Sikeliotes  mit 
dem  Rhetor  dieses  Namens  identisch  sei,  muss  man  wenigstens  daran  festhalten,  dass 
der  Chronist  eben  der  von  Skylitzes  im  Proömion  erwähnte  Sikeliotes  ist,  und  auch 
dieser  kann  nicht  nach  dem  11.  Jahrhundert  gelebt  haben.  Man  muss  also  wohl  die  Notiz 
des  Vaticanus,  die  im  Yindobonensis  fehlt,  als  irgend  ein  Missverständnis  des  Kopisten  auf 
sich  beruhen  lassen.  Eine  kurze  Beschreibimg  der  vatikanischen  Handschrift  (cod. 
Vatic.  Gr.  394,  saec.  16,  382  Blätter)  gibt  H.  Stevenson,  Codices  mss.  Palatini  Graeci 
bibliothecae  Vaticanae,  Romae  1885  S.  253.  Der  Anfang  des  Werkes  lautet  hier:  tloXkol 
TcJj'  l|w  (fi'köi.oyoi  xcei  ;(QoyoyQci(foi  .  .  .  .,  der  Schluss:  "Eiag  ra  ;(ooyixd  rewgyiov  xal  rov 
Xoyo^hov.  Nach  "Etag  ist  wohl  tuSs  ausgefallen,  und  man  begreift  nur  nicht,  wie  diese 
Schlussnotiz,  auf  welcher  wohl  auch  die  im  Texte  erwähnte  Vermutung  des  AUatius  beruht, 
mit  dem  Titel,  der  den  Sikelioten  als  Verf.  des  Werkes  nennt,  zusammengereimt  werden 
soll.  Ueber  die  Wiener  Handschrift  handelt  (nach  Nesselius  und  Lambecius)  Franc. 
Kollarii  Ad  P.  Lambecii  commentariorum  etc.  supplementorum  über  primus,  Vindobonae 
1790  S.  762,  Cod.  CXXXIV.  Eine  neue  Beschreibung  gab  R.  Foerster,  De  antiquitatibus 
et  libris  mss.  Constantinopolitanis,  Rostock  1877  S.  5;  nach  ihm  ist  die  Handschrift  nicht, 
wie  Kollar  angibt,  aus  dem  14.,  sondern  aus  dem  16.  Jahrhundert,  trägt  die  Nummer  99 
(früher  cod.  bist.  Gr.  22)  und  enthält  von  fol.  1  — 14  die  Chronik  des  Johannes  Sikeliotes, 
von  fol.  15 — 34  eine  Epitome  des  Akropolites.  Da  der  Vindobonensis  weder  im  Titel  noch 
im  Anfang  des  Werkes  (Addu  o  nQÜixog  vno  &sov  nkanSslg  uy&Qwnog)  mit  dem  Vaticanus 
übereinstimmt  und  der  Umfang  beider  Handschriften  so  gewaltig  verschieden  ist,  handelt 
es  sich  ofi'enbar  um  zwei  verschiedene  Text^.  Ob  nun  der  Vaticanus,  wie  aus  den  An- 
fangsworten und  der  Subskription  höchst  wahrscheinlich  wird,  nur  eine  der  zahllosen 
Redaktionen  des  Georgios  Monachos  enthält,  ob  vielleicht  Johannes  Sikeliotes  (Doxopatres) 
sich  das  Werk  fälschlich  zugeschrieben  hat,  wie  Nikolaos  Doxopatres  mit  einer  kanonischen 
Synopsis  that  (s.  §  19),  und  ob  die  Chronik  des  Vindobonensis  nur  ein  Auszug  dieser 
Redaktion  oder  ein  ganz  verschiedenes  Werk,  vielleicht  die  echte,  von  Skylitzes  erwähnte 
Chronik  ist.  alles  das  lässt  sich  aus  den  kurzen  Beschreibungen  beider  Handschriften  nicht 
erkennen,  und  es  wäre  daher  sehr  wünschenswert,  dass  jemand  über  diese  dunkle  Stelle 
in  der  byzantinischen  Chronikenlitteratur  durch  eine  Untersuchung  der  zwei  Handschriften 
Aufkläning  verschafi"te.  Vgl.  noch  Fabricius,  Bibliotheca  Graeca  ed.  Harl.  7,  471  und 
Georgios  Monachos  ed.  Muralt  S.  XXIX.  —  Ein  kleines  Stück  aus  dem  Vaticanus  ed. 
A.  Mai,  Scriptorum  veterum  nova  coUectio  9  (Romae  1837)  375  f.  {lleQi  rwy  xteXovue'yüiy 
ßaQßÜQüjy.     Ort  iy  ixdaTOJ  e&ysi   ^läcpoQÖg  sariy  i]  äö^tc). 

93,  Theophylaktos,  gewöhnlich  nach  seinein  erzbischöflichen  Sitze 
Achrida  als  Bulgarus  oder  Achridensis  bezeichnet,  war  einer  der  be- 
deutendsten Theologen  des  11.  Jahrhunderts,  Er  stammt  wahrscheinlich 
aus  Konstantinopel,  wo  er  seine  Laufbahn  als  Diakon  der  Sophienkirche 
begann;  Kaiser  Michael  VII  Dukas  (1071— 1078)  wählte  ihn  zum  Erzieher 
seines  Sohnes  Konstantin;  bald  darauf  wurde  er  Erzbischof  von  Bul- 
garien. Doch  erschien  ihm  wie  jedem  echten  Byzantiner  Konstantinopel 
nach  wie  vor  als  der  einzige  menschenwürdige  Wohnort,  und  wir  ver- 
nehmen in  seinen  Briefen  melancholische  Klagen  über  den  Schmutz  und 
die  Rohheit  der  seinem  erzbischöflichen  Sitze  Achrida  unterstehenden  Be- 
völkerung, Sein  Todesjahr  ist  unbekannt;  das  letzte  erweisliche  Datum 
seiner  Biographie  scheint  das  Jahr  1118.^) 

Theophylaktos  steht  auf  der  Bildungshöhe  seiner  Zeit,  wenn  er  auch 
an  Umfang  des  Wissens  und  Formgewandtheit   mit  seinem  älteren  Zeit- 

•)  Vgl.  H.  Seger,  Nikephoros  Bryennios  S.  21, 


192  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

genossen  Psellos,  dem  er  als  eifriger  Schüler  nachstrebte,')  nicht  ver- 
glichen werden  kann.  Die  Hauptmasse  seiner  Werke  fällt  in  das  Gebiet 
der  Theologie;  es  sind  umfangreiche,  vornehmlich  auf  Johannes  Chryso- 
stomos  fussende  Kommentare  zu  den  vier  Evangelien,  den  Paulusbriefen, 
fünf  der  kleineren  Propheten  und  anderen  heiligen  Schriften.  Wichtiger 
sind  seine  zahlreichen  Briefe;  an  hohe  Würdenträger  wie  an  Privatper- 
sonen, besonders  an  geistliche  Kollegen  in  Konstantinopel  und  in  anderen 
Städten  des  Reiches  gerichtet,  sind  sie  uns  wie  die  Briefe  des  Photios, 
Psellos,  Gregor  von  Cypern,  Planudes  und  anderer  Byzantiner  ein  unver- 
ächtliches, freilich  noch  recht  wenig  verwertetes  Hilfsmittel  zu  einer  ge- 
naueren Erforschung  der  politischen,  kirchlichen  und  kulturellen  Zustände 
der  Zeit.  Endlich  haben  wir  von  Theophylaktos  zwei  Schriften  rhe- 
torischer Art.  Die  eine  enthält  eine  Unterweisung  an  seinen  Schü- 
ler, den  kaiserlichen  Prinzen  Konstantin:  Uaiösia  ßaaiXixrj  rcgog 
Tov  noQcfvQOYt'vnjTov  KcovaiaviTvov.  Von  den  verwandten  paränetischen 
Schriften  des  Kaisers  Basilios  unterscheidet  sie  sich  vorteilhaft  durch  die 
Berücksichtigung  der  speziellen  Verhältnisse  und  durch  höhere  Originalität; 
im  ersten  Teile  verweist  Theophylaktos  seinen  Zögling  auf  die  Tugenden 
seiner  Eltern,  besonders  auf  das  leuchtende  Vorbild  seiner  Mutter  Maria, 
im  zweiten  erteilt  er  ihm  Lehren  über  Religion,  Sittlichkeit,  Regierungs- 
kunst, sogar  über  die  Notwendigkeit  militärischer  Uebungen.  Der  zweite 
rhetorische  Versuch  des  Theophylaktos  ist  eine  um  das  Jahr  1092  abge- 
fasste-)  panegyrische  Rede  an  Kaiser  Alexios  Komnenos,  Nach 
dem  überschwänglichen  Muster,  das  für  solche  Reden  in  Byzanz  wie  anders- 
wo üblich  ist,  werden  die  Milde,  Gerechtigkeit,  Tapferkeit  und  andere 
Tugenden  des  Herrschers  gefeiert ;  zum  Schluss  erfreut  uns  wenigstens  die 
nachdrückliche  Aufforderung  an  den  Kaiser,  die  Wissenschaft  zu  unter- 
stützen,  „xiv6vievei  ya^  ovx  im  yövv,  akX'  em  fftöfia  TreaeTv.^ 

1.  Gesamtausgabe:  Migne,  Patrol.  Gr.  123  —  126  (1864);  die  Unterweisungsschrift 
126,  250  ff.;  die  Rede  an  Alexios  126,  287  flf.;  die  Briefe  126,  307  ff.  -  Ueber  die  Briefe 
des  Theophylaktos  handelt,  wie  ich  aus  Archiv  slav.  Philol.  4  (1880)  716  ersehe,  V.  Vasi- 
lievskij  in  seiner  Besprechung  der  Schrift  von  Uspenskij,  Ueber  die  Entstehung  des 
2.  bulgarischen  Kaiserreiches  (Odessa  1879),  Joum.  Minist.  Volksaufkl.  1879,  Juli  144—217 
und  August  318—348. 

2.  Drei  Briefe  des  Theophylaktos  Hellten  sich  an  Nikolaos,  den  Metropoliten 
von  Kerkyra,  der  durch  seine  Teilnahme  an  der  von  Alexios  Komnenos  1017  veranstal- 
teten Synode  bekannt  ist.  Von  diesem  Nikolaos  sind  jambische  Verse  „yeyoyörei;  ini 
Tfl  naQuiTtjaei  «i^ror"  nebst  einem  in  politischen  Fünfzehnsilbern  abgefassten 
Prolog  zu  einem  Kommentar  der  Asketik  des  hl.  Maximos  ediert  von  Sp.  Lambros, 
KsQxvQa'Cxie  i'tyf'xdoTa,  Athen  1882  S.  23-  41.  —  Ebenda  S.  42—  49  gibt  Lambros  einen 
Brief  des  dem  Ende  des  12.  Jahrb.  angehörenden  Metropoliten  von  Kerkyra,  Basilios- 
Pediadites  {llediadlTtjg)  an  Konstantin  Stilbes  (^iiiXjii'jg),  worin  derselbe  in  ganz  ühnliciier 
Weise  wie  Tlieophylaktos  und  Michael  Akominatos  über  die  Unwissenlieit  und  den  Stumpf- 
sinn der  ihm  untergebenen  Provinzialen  jammert.  Von  seinem  Adressaten  Stilbes  stehen 
in  einem  cod.  Marcianus  jambische  Trimeter  über  die  grosse  Feuersbrunst  in  Konstanti- 
nopel i.  J.  1198  ("E/ft  TW  avfjßüyri  iy  KwyarrtyTiyovTiöXet  {^ftjXnTio  fdeyuXio  ifin(>i;afnö). 

04.  Euthymios  Zigabenos  {Zc/aßi^röq^  Zvyaßi^vöc,  auch  Ziyaäipög^ 
Zvyaötrog),    ein   in   seinem   Zeitalter   einflussreicher   Theologe,    war    unter 

')  In   einem    Briefe   an    Kamateropulos,  j  ötfilkto  fify,  tJc  f «Vöf,  ovx  fvartodÖTovi  X"9'- 

bei   Migne,    Patrol.  Gr.  126,  384   sagt   er:  !  t«?  .  lloXXa  yaQ  oida  jijf  fiovatjt  rov  ayd^ot 

'AfjiO.n    xi<\    riö  TQiafjaxnquiijt'tTM    vneQjlfiio  I  unoyüfieyof  u.  s.  w. 

/i.<      1  i'/.Xt^    xui    anuqufAiAXio    rijy    yXiütTay  \  *)  Vgl.  H.  Seger  ji  105. 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie.   (§  94—95.)  193 

Alexios  Komnenos  (1081 — 1118),  den  er  noch  überlebte,  Mönch  in  einem 
Kloster  unweit  von  Konstantinopel.  Er  stand  bei  dem  Kaiser  in  hohem 
Ansehen,  und  Anna  Komnena  rühmt  in  ihrer  Alexias ')  seine  Kenntnisse 
in  der  Grammatik,  Rhetorik  und  im  Dogma.  Seine  rhetorisch-theologische 
Schulung  verwertete  er  in  exegetischen  und  polemischen  Schriften.  Die 
bedeutendsten  derselben  sind  ein  Kommentar  zu  den  Psalmen,  Erklä- 
rungen zu  den  vier  Evangelien  und  ein  grosses  dogmatisches  Werk: 
navonXia  doyaaTixi].  Dazu  kommen  einige  kleinere,  für  die  Geschichte 
der  kirchlichen  Bewegungen  seiner  Zeit  wichtige  Schriften,  wie  ein  Traktat 
gegen  die  Bogomilen,  eine  Disputation  mit  einem  Sarazenen  u.  s.  w. 
ünediert  sind  seine  Erklärungen  zu  den  Briefen  des  hl.  Paulus. 

Gesamtausgabe  (nach  den  älteren,  zum  Teil  sehr  seltenen  Drucken):  Migne, 
Patrol.  Gr.  128—131,  1 — 58  (1864).  —  Zur  kirchengeschichtlichen  Stellung  des  Zigabenos 
vgl.  Ullmann,  Nikolaos  von  Methone,  Euth.  Z.  und  Niketas  Choniates,  Tlieologische  Studien 
und  Kritiken  1833,  647  fF.  (mir  unzugänglich).  —  Eine  kurze  Uebersieht  gibt  Gass,  Real- 
enzyklopädie für  protestantische  Theologie  4  (1879)  407  f.  —  N.  Kalogeras,  'Adi'jyuiov 
9  (1880)  255—284  und  10  (1881)  331—362  behandelt  das  Verhältnis  des  Z.  zu  den  Bogo- 
milen und  gibt  Proben  seiner  noch  unedierten  Kommentare.  —  C.  Neu  mann.  Griechische 
Geschichtschreiber  und  Geschichtsquellen  im  12.  Jahrh.  S.  31 — 35  beschreibt  den  cod.  Vatic. 
666,  eine  mit  schönen  Miniaturen  versehene,  wahrscheinlich  für  den  Kaiser  bestimmte 
Hand.schrift  der  Ilitron'Aia;  an  der  Spitze  stehen  dort  einige  von  Neumann  mitgeteilte  jam- 
bische Widmimgsgedichte.  Ein  zweites  Exemplar  der  üayonkUe  mit  genau  denselben 
Miniaturen  ist  cod.  387  der  Moskauer  Synodalbibliothek. 

95.  Tiniarioil  {TiuaQioiv  ij  thqI  rwv  xav'  avTOY  nad-r^j^taToor),  eine 
der  zahlreichen  byzantinischen  Imitationen  des  Lukian,  ist  anonym  über- 
liefert; als  Abfassungszeit  des  Werkes  ergibt  sich  aus  verschiedenen 
Anspielungen  mit  genügender  Sicherheit  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts. 
Das  Thema  bildet  wie  im  Mazaris  die  uralte,  seit  Homer,  Plato  und  Plu- 
tarch  so  oft  behandelte,  von  Dante  unsterblich  gemachte  Vorstellung  einer 
Fahrt  zu  den  Sitzen  der  Verstorbenen;  unmittelbares  Vorbild  ist 
Lukians  Nekyomantie.  Die  dialogische  Form  ist  in  dem  Gespräche 
zwischen  Kydion  und  Timarion  äusserlich  festgehalten,  doch  füllt  den 
grössten  Teil  des  Werkes  die  Erzählung  des  Timarion  über  seine  Aben- 
teuer. Von  Konstantinopel  reist  er  nach  Thessalonike  und  wohnt  dort 
einem  grossen  Volksfeste  bei,  das  dem  berühmten  Schutzheiligen  der  Stadt, 
Demetrios  Myroblytes,  zu  Ehren  begangen  wird;  auf  der  Rücki'eise  er- 
krankt Timarion  an  einer  Leberentzündung  und  stirbt.  Nun  werden  seine 
Beobachtungen  auf  der  Totenfahrt,  die  mannigfaltigen  Räumlichkeiten  des 
Hades  und  seine  Gespräche  mit  den  Bewohnern  desselben  in  launiger  Weise 
geschildert.  Unter  anderen  Zelebritäten  trifft  er  in  der  Unterwelt  den 
Kaiser  Romanos  Diogenes  und  seinen  früheren  Lehrer  Theodoros  von 
Smyrna.2)  Den  letzteren  bittet  Timarion,  ihm  zur  Rückkehr  ins  Leben 
zu  verhelfen.  Die  Angelegenheit  kommt  vor  das  Richterkollegium  der 
Unterwelt,  in  dem  sich  auch  ein  Christ  in  der  Person  des  bilderstürmen- 
den Kaisers  Theophilos  befindet.  Timarion  und  Theodor  verklagen  die 
Totenführer   wegen   Missbrauches   ihrer  Amtsgewalt.     Nachdem  Aeskulap 

»)  XV  9  =  II  S.  357  ed.  Bonn,  yga/i-  *)  DerSophist  Theodoros  von  Smyrna 

fiartXTJg  di  eig  axQov  eXrjXaxöra  xai  ^r^TOQi-  '  wird  unter  Alexios  I  als  vnarog  tfiXoaötfoiv 
x^f  ovx  ('(fisXtTrjoy  öVr«  x(d  xu  döyua  «if  erwähnt.  S.  Fabricius,  Bibl.  Graeca  ed.  Harl. 
ovx  üÄAo;  r/s  tniaTÜuiyoy  etc.  10,  434. 

Hai  d>>acb  der  klaan.  Altnrtnnui Wissenschaft    IX.     1.  Abtlg.  13 


194  Byzantinische  Litteratargeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

und  Hippokrates  als  Sachverständige  erklärt  haben,  dass  Tiniarion  gegen 
die  Regeln  der  Pathologie  aus  dem  Leben  abgerufen  worden  sei,  werden 
die  Totenführer  verurteilt  und  abgesetzt.  Timarion  trifft  noch  mit  Dio- 
genes von  Sinope,  Johannes  Italos,  Michael  Psellos  und  einem 
ungenannten  Jambendichter  zusammen  und  kehrt  dann  nach  der  Ober- 
welt zurück,  von  wo  er  seinem  Anwalt  Theodor  zum  Danke  reichliche 
Esswaren  schickt.  Die  Imitation  des  Lukian  ist  nicht  übel  gelungen; 
Humor  und  Witz  sind  in  Byzanz  so  selten,  dass  man  für  die  kleinste  Gabe 
dankbar  ist.  Die  Darstellung  ist  klar  und  verrät  eine  lebhafte  An- 
schauungskraft. Manche  Partien,  wie  die  genaue  Ausmalung  des  grossen 
Volksfestes  und  Jahrmarktes  in  Thessalonike,  sind  auch  kulturhistorisch 
wichtig.  *)  In  der  Beschreibung  der  Unterwelt,  der  Gespräche  mit  den 
Toten  und  der  Gerichtsverhandlung  bekundet  der  Verfasser  einen  natür- 
lichen Witz,  der  freilich  nicht  selten  ans  Burleske  streift.  Im  Gegensatz 
zur  Auffassung  Dantes  herrscht  in  der  Hadesfahrt  des  Timarion  ein  hu- 
moristischer Zug;  die  Fehler  werden  weniger  mit  schweren  Strafen,  als 
mit  den  Geissein  des  Spottes  geahndet.  Mit  dem  Philopatris  hat  Timarion 
die  freie  Stellung  zum  Christentum  gemeinsam, 2)  ein  neuer  Beweis 
für  die  öfter  erwähnte  Thatsache,  dass  es  in  Byzanz  wenigstens  vor  der 
Paläologenzeit  neben  den  Orthodoxen  eine  freigeistige  Partei  gab,  an  deren 
Spitze  zuweilen  der  Kaiser  selbst  stand. 

Ed.  pr.  B.  Hase,  Notices  et  extraits  9  (1813)  2,  163-246  mit  trefflichem  Kom- 
mentar. —  Darnach  mit  deutscher  Uebersetzung  ed.  Ad.  Ellissen,  Analekten  der  mittei- 
und  neugriechischen  Literatur,  4.  Teil,  Leipzig  1860.  —  Analyse  und  Würdigung  des  Werkes 
von  H.  F.  Tozer,  The  Journal  of  Hellenic  studies  2  (1881)  241  ff. 

96.  Michael  Akominatos,  der  ältere  Bruder  des  Geschichtschreibers 
Niketas  Akominatos,  wurde  um  das  Jahr  1140  zu  Chonae  in  Phrygien  ge- 
boren; als  Jüngling  schickte  ihn  sein  Vater  zur  wissenschaftlichen  Aus- 
bildung nach  Konstantinopel,  wo  er  sich  des  Schutzes  und  der  Unterwei- 
sung des  gelehrten  Eustathios,  des  späteren  Erzbischofs  von  Thessalonike, 
erfreute.  Wie  sein  Lehrer  nahm  Michael  das  geistliche  Gewand;  um  1175 
bestieg  er  den  erzbischöflichen  Thron  von  Athen.  Ueber  30  Jahre  stand 
er  seiner  Gemeinde  vor  und  entfaltete  in  dieser  Zeit  eine  segensvolle  prak- 
tische und  litterarische  Wirksamkeit.  Das  Episkopat  des  Akominatos  ge- 
hört zu  den  wenigen  lichten  Abschnitten  im  trostlosen  Dunkel  der  mittel- 


')   Die   aus    einer   langen    Hauptstrasse  [  Erde    verbreitet    ist    und    ganz  Europa   wie 

und  vielen  Nebengassen   bestehende  Buden-  I  auch  einen  grossen  Teil  Asiens  erobert  hat, 

Stadt  erscheint  dem  Timarion  wie  ein  unge-  |  beschloss   die    Vorsehung,    den    hellenischen 

heurer  Tausendfuss,  der  unter  seinem  Bauche  Richtern  auch  einen    aus   ilirer  Mitte  beizu- 


eine  Unzahl  winziger  Füsse  ausstreckt,  ein 
Vergleich,  der  an  die  seltsamen  Bilder  des 
Ptochoprodromos  erinnert. 

'■')  Indem  Theodor  es  rechtfertigt,  dass 
im  Hichterkoliegium  des  Hades  auch  das 
Christentum  vertreten  ist,  sagt  er:  „Wegen 
des  Heidentums  der  Richter  sei  ohne  Sorge; 


gesellen."  —  Später  wird  der  Schutzengel 
des  Kaisers  seinem  .\u.ssehen  nach  mit  einem 
Eunuchen  verglichen.  Da  sich  .lohannes 
Italos  neben  l'ythagoras  niederla.ssen  will, 
lilsst  ihn  dieser  an:  ,Was,  du  schmutziger 
Bursche,  in  deinem  (ialilUermantel,  den  sie 
für  eine  göttliche  und  himmlische  Mülle  aus- 


die  Verschiedenheit  des  Bekenntnisses  geben,    du    willst    dich  zu  uns  gesellen,    die 
der    vor    Gericht    Kommenden    hat    für    sie  I    der  Wissenschaft  und  vernunftgeniässen  Weis- 
nichts zu  sagen;   jeder    mag  vielmehr    nach  heit  lebten:  entweder  lege  die  gemeine  Hülle 
Belieben  seiner  eigenen  Sekte  anhängen.    Da  '    ab  oder  hebe  dich  aus  unserem  Kreise!" 
jedoch  der  Glaube  derOaliläer  über  die  ganze 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie.   (§  96.)  195 

alterlichen  Geschichte  Athens.  Die  erlauchte  Musenstadt  befand  sich  da- 
mals in  einem  sehr  traurigen  Zustande.  Eine  spärliche,  durch  den  furcht- 
baren Steuerdruck,  die  ewigen  Bedrängnisse  der  Seeräuber  und  den  Mangel 
natürlicher  Hilfsquellen  gänzlich  verarmte  Bevölkerung  wohnte  in  trümmer- 
vollen Stadtvierteln  und  in  der  verödeten  attischen  Landschaft.  Auch  in 
geistiger  Hinsicht  sind  diese  Athener  so  verkommen,  dass  Michael  völlig 
zu  verbauern  fürchtet  und  mit  einer  Reminiszenz  an  einen  sarkastischen 
Ausspruch  des  Apollonios  von  Tyana  in  einem  Briefe  klagt,  da  er 
lange  in  Athen  lebe,  sei  er  ein  Barbar  geworden.')  Im  Jakre  1203  ver- 
teidigte der  Erzbischof  die  Stadt  gegen  den  Angriff  des  Leon  Sguros, 
eines  griechischen  Archonten,  der  sich  in  Korinth  und  Argolis  eine  selb- 
ständige Herrschaft  gegründet  hatte.  Als  nach  der  Einnahme  Konstan- 
tinopels 1204  auch  Athen  den  fränkischen  Eroberern  zur  Beute  fiel,  ver- 
liess  Michael  schmerzerfüllt  die  Stadt,  in  der  jetzt  ein  römisches  Bistum 
errichtet  wurde,  und  zog  sich  nach  der  Insel  Keos  zurück,  wo  er  in  stiller 
Abgeschiedenheit  um  das  Jahr  1220  sein  Leben  beschloss. 

Michael  Akominatos  hinterliess  katechetische  Homilien,  pane- 
gyrische, threnodische  und  sonstige  Gelegenheitsreden,  Briefe 
und  Dichtungen.  Die  Reden  werfen  manches  Licht  auf  die  litterarischen 
und  politischen  Zustände  der  Zeit,  besonders  auf  die  traurige  Lage  von 
Attika;  wir  finden  unter  diesen  Stücken  einen  Panegyrikus  auf  Kaiser  Isaak 
Angelos,  eine  Beschwerdeschrift  anAlexios  III  Angelos  über  die  Nichts- 
würdigkeit der  kaiserlichen  Verwaltungsbeamten,  Trauerreden  auf  den  Tod 
des  Eustathios  von  Thessalonike  (1194  95)  und  seines  Bruders  Niketas  u.a. 
Die  Sammlung  der  Briefe  des  Michael  umfasst  jetzt  180  Nummern,  unter 
denen  die  an  Eustathios  und  seinen  Bruder  Niketas  gerichteten  hervor- 
ragen. L'nter  den  poetischen  Sachen  gebührt  die  erste  Stelle  der  be- 
rühmten jambischen  Elegie  auf  die  Stadt  Athen,  der  „ersten  und 
einzigen  Klagestimme  über  den  Untergang  der  alten,  erlauchten  Stadt, 
welche  auf  uns  gekommen  ist".  Daran  schliessen  sich  ein  episches  Gedicht 
Theano  in  457  Hexametern  und  kleinere  Poesien  kirchlichen  Inhalts. 

Michael  Akominatos  war  wie  sein  Bruder  klassisch  gebildet;  er  kennt 
Homer,  Pindar,  Demosthenes,  Thukydides  und  andere  Profanautoren;  seine 
Darstellung  wurzelt  aber  vornehmlich  in  kirchlichen  Schriften;  von  seinem 
Lehrer  Eustathios  stark  beeinflusst,  bezeichnet  er  noch  mehr  als  Niketas 
die  theologisierende  Richtung  in  der  sprachlichen  Reformationsbewe- 
gung der  Komnenenzeit.  Sein  Charakter  erscheint  energisch,  edel  und 
milde,  soweit  es  sich  um  seine  Stellung  in  der  Gemeinde  und  in  der  Ge- 
sellschaft handelt.  In  seinen  Reden  an  das  Staatsoberhaupt  kann  er 
natürlich  die  byzantinische  Atmosphäre  nicht  verleugnen ;  während  er  z.  B. 
den  grausamen  Andronikos  zu  seinen  Lebzeiten  in  schwülstigen  Tönen 
als.  einen  neuen  Salomon  preist,  weiss  er  nach  dem  schrecklichen  Unter- 
gange desselben  nicht  genug  Worte  zu  finden,  um  ihn  als  ein  scheussliches 
Ungeheuer  zu  brandmarken. 

1.  Ausgaben:  Hvmnus  auf  Athen  zuerst  ed.  von  Fr.  Boissonade,  Anecd.  Gr.  5 
(Paris  1833)  373  ff.;    dann   bei  EUissen   und  Lambros.  —  L.  Fr.  Tafel,    De    Thessalonica 

')  BeßuQßÜQiaucu  xQÖnog  wy  iv  'j&ijfttis  II  44  ed.  Lambros. 

13* 


196  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

eiiisque  agro,  Berolini  1839,  teilt  Briefe  und  die  Monodie  auf  Kustathios  mit.  —  L.  Fv.  Tafel, 
Mich.  Acom.  Ath.  metr.  panegyricus  Isaacio  Angelo  dictus,  Universitätsprogr.  Tübingen 
1846.  —  Mehrere  Schriften  mit  deutscher  Uebersetzung  von  Ad.  Ellissen:  Michael  Ako- 
minatos,  Gott.  1846.  —  Wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  140,  298—384  und  1247—1258.  — 
Gesamtausgabe,  die  zum  grössten  Teile  ed.  princeps  ist,  von  Sp.  Lambros,  Mij^aiß 
'Axofxiydrov  jov  Xtoyiärov  r«  aioCöfitya,  2  voll.,  Athen  1879 — 80.  —  Dazu  lieferte  zahl- 
reiche handschriftliche  Nachträge  und  Emendationen  P.  N.  Papageorgiu,  'EnixQiaig  xrj^ 
InvQidiüyos  U.  Aä^uQov  sxd6ae(og  rov  Mi/aijX  ' Axofiivutov,  ' ABrjftjaiy  1883.  • —  Ausführliche 
Berichte  über  die  Ausgabe  von  Lambros  gaben  ausserdem  E.  Miller,  Journal  des  savants 
1880,  755 — 770  und  Th.  Uspenskij  in  seiner  Abhandlung:  Die  Werke  des  M.  Ak.,  Odes.sa 
1881  (Russ.).  —  Eine  bei  Lambros  fehlende  Homilie  edierte  Bas.  Georgiadis,  3//./ß»;A 
'Axofiiviiiov  Tov  XioyiÜTov  xtd  VeMQyiov  Bovqj^ov  fxijxQonoXiTiäy  ' Abijydiy  Xöyot  etc.,  'Ey 
'A9ijymg  1882. 

2.  Hilfsmittel:  Das  oben  erwähnte  Buch  von  Ellissen.  —  Sp.  Lambros,  JleQi 
lijg  ßtßXiod-ijxr]g  tov  fitjTQOTio'AUov  'Attyjyuiy  Ati^eetjX  tov  'AxofiiyaTov,  Ax^'^yaioy  6  (1877) 
354 — 367  und  Ai  'Ad-^yai  negi  r«  Ts'Xtj  tov  dwdexc'tTov  aiuiyog,  Ey  ' ASijvaig  1878.  — 
Zur  Erläuterung  dient  die  vornehmlich  auf  Briefen  des  M.  Akom.  beruhende  Schrift  von 
Th.  Uspenskij,  Zur  Geschichte  des  Bauerngrundbesitzes  in  Byzanz,  Journ.  Minist.  Volks- 
auf kl.  1883,  Jan.-Februar.  —  Ausgezeichnete  Charakteristik  von  F.  Gregorovius,  Ge- 
schichte der  Stadt  Athen  im  Mittelalter,  Stuttgart  1889,  I  204—349. 

3.  Ein  Zeitgenosse  des  Akominatos  ist  der  Metropolit  von  Philippopel,  Konstan- 
tin Pantechnes,  von  welchem  die  Schilderung  einer  Jagd  auf  Rebhühner  und  Hasen 
{"Ex(pQt(aig  xvyijyeaiov  Tiegöixwy  xcd  Xttyouay)  erhalten  ist.  Ed.  E.  Miller,  Annuaire  de 
l'assoc.  6  (1872)  28—52.   Ebenda  7  (1873)  133  f.  Emendationen  von  Wyndham. 

97.  Georgios,  später  als  Patriarch  Gregorios  genannt,  einer 
der  bedeutendsten  Litteraten  des  13.  Jahrhunderts,  ist  durch  eine  Selbst- 
biographie, durch  seinen  Briefwechsel  und  durch  die  Berichte  des  Georgios 
Pachymeres  und  Nikephoros  Gregoras  seinen  Lebensverhältnissen  nach 
genau  bekannt.  Er  wurde  um  1241  in  Cypern  geboren  und  besuchte  dort 
nach  Beendigung  des  Elementarunterrichtes  eine  fränkische  Schule,^)  in 
der  er  wegen  seiner  mangelhaften  Kenntnis  der  fremden  Sprache  wenig 
Fortschritte  machte.  Trotz  des  Widerstrebens  seiner  Eltern  unternahm  er 
die  Reise  nach  Nikaea,  um  seine  wissenschaftlichen  Studien  in  der  Mutter- 
sprache fortsetzen  zu  können.  In  Ephesos  versuchte  er  den  dort  lebenden 
gelehrten  Nikephoros  Blemmides  kennen  zu  lernen,  wurde  aber  von  dem 
mürrischen  Manne,  der  sich  von  der  Aussenwelt  fast  völlig  abschloss, 
nicht  vorgelassen.  Auch  in  Nikaea  erlebte  er  eine  unerwartete  Enttäu- 
schung; statt  der  gehofften  Unterweisung  in  philosophischen  Wissenschaften 
fand  er  nur  Lehrer  der  grammatischen  und  rhetorischen  Elenientarfächer. 
Erst  in  Konstantinopel,  das  eben  damals  von  den  Griechen  zurücker- 
obert wurde  (1261),  erreichte  er  das  Ziel  seiner  Wünsche;  er  wurde  der 
eifrige  und  ergebene  Schüler  des  hochgebildeten  Staatsmannes  und  Histo- 
rikers Georgios  Akropolites,  der  ihn  namentlich  in  das  Studium  des 
Euklides  und  Aristoteles  einführte.  Bald  beteiligte  sich  Georg  aufs  leb- 
hafteste an  den  Kontroversen,  welche  durch  die  Versuche  einer  Aussöhnung 
mit  Rom  hervorgerufen  wurden.  Nachdem  er  anfänglich  mit  Vekkos  auf 
Seite  der  lateinischen  Partei  gestanden,  folgte  er  später  den  Feinden  der 
Union.  Durch  Kaiser  Andronikos  II  wurde  er  1283  auf  den  Patriarchen- 
thron erhoben,  den  er  bis  1289  innehatte.  Nach  seiner  nicht  ganz  frei- 
willigen Abdankung  zog  er  sich  in   ein  Kloster   zurück,   wo   er   bald  ge- 

')  Er   nennt    die    Lehrer  'PtoftnToi,    wo-    |   ein   Zeichen    des   beginnentlen    Humanismus, 
runter  hier  wahrHcheinlich  Italiener   zu  ver-    ■  "EXktjyfc.     Vgl.  S.  2  unseres  Abrisses, 
stehen  sind ;  »eine  Landsleute  sind  ihm,  schon 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie.   (§  97—98.)  197 

sterben  sein  muss.    Einer  seiner  begeistertsten  Schüler  und  Anhänger  war 
Nikephoros  Chumnos.*) 

Die  theologischen  Schriften  des  Gregor  beziehen  sich  grösstenteils 
auf  den  unerquicklichen  dogmatischen  Streit,  welcher  unter  den  Paläologen 
den  griechischen  Klerus  in  eine  unionsfreundliche  und  eine  radikale,  anti- 
römische Partei  spaltete;  hieher  gehört  seine  Abhandlung  über  den  Aus- 
gang des  hl.  Geistes,  seine  Schrift  gegen  Yekkos,  seine  Apologie  u.  a. 
Unter  seinen  Profanwerken  gebührt  ohne  Zweifel  die  erste  Stelle  seiner 
Selbstbiographie:  /iirjr^asoK  iiegixr^g  Xöyog  rd  xad^'  iavTov  negtixior.  Es 
ist  eine  liebenswürdige,  durch  Klarheit.  Einfachheit  und  naive  Realistik 
ausgezeichnete  Schrift,  die  mit  der  schönen  Selbstbiographie  des  Adaman- 
tios  Korais  verglichen  werden  kann.  Aehnliche  Vorzüge  darf  man  in  den 
Briefen  Gregors  vermuten,  die,  wie  die  wenigen  bis  jetzt  veröffentlichten 
Proben  zeigen,  auch  ein  historisches  Interesse  beanspruchen.  Die  in  meh- 
reren Handschriften  erhaltene  Sammlung  umfasst  gegen  200  Nummern; 
am  zahlreichsten  sind  die  Briefe  an  seinen  ehemaligen  Zögling,  den  Gross- 
logotheten  Theodoros  Muzalon;  andere  Adressaten  sind  Georgios  Akro- 
polites,  Johannes  Pediasimos,  Chartophylax  in  Achrida,  ausserdem 
natürlich  die  Kaiser  und  sonstige  hohe  Würdenträger.  Dagegen  ge- 
hören die  zwei  Enkomien  auf  Kaiser  Michael  und  Andronikos  Paläo- 
logos  zu  den  abstossendsten  Beispielen  dieser  Gattung.  Hier  ist  Gregor 
so  luftig,  unwahr  und  schwerfällig,  dass  man  ihn  kaum  wiedererkennt; 
einige  Bemerkungen  über  die  Yölkerraischung  in  Konstantinopel  und  die 
vereinzelten  Beziehungen  auf  politische  Ereignisse  vermögen  über  die 
schwülstige  Leere  dieser  unterwürfigen  Produkte  nicht  hinwegzutrösten. 
Die  Schulrhetorik  ist  vertreten  durch  mehrere  Deklamationen,  eine  Chrie 
und  eine  Lobrede  auf  das  nasse  Element:  'EyxMuiov  sie  ti]v  d^d/.aaaav  rjovv 
fig  tr^v  Tov  xaO^öXov  xov  vöarog  (fvaiv.  Endlich  gehört  dem  Gregor  eine 
Sammlung  von  Sprichwörtern;  s,  §  152. 

Ausgaben:  Selbstbiographie  ed.  M.  De  Rubeis.  Venedig  1753;  wiederholt  von 
Jos.  Bergauer.  Wien  1773;  griechisch  und  deutsch  von  F.  C.  Matthiae,  Frankfurt  am 
Mayn  1817.  —  Die  zwei  Enkomien  auf  Michael  und  Andronikos  ed.  pr.  Fr.  Boissonade, 
Anecdota  Graeca  1  (1829)  313—393.  —  Schuldeklamationen  und  8  Briefe  ed.  ein  Unge- 
nannter aus  einem  cod.  Leidensis  in  drei  Lektionskatalogen  der  Universität  Jena  1875 — 1877. 
—  Eine  Ausgabe  der  Briefe  wird  erwartet  von  Max  Treu.  —  Sammelausgabe  nach  den 
älteren  Drucken:  Migne,  Patrol.  Gr.  U2  (1865)  1—470.  —  Vgl.  Aug.  Nauck,  Lexicon 
Vindobonense,  S.  XI  f. 

98.  Nikephoros  Chumnos,  der  ergebene  Schüler  und  Anhänger  des 
Gregor  von  Cypern,  mit  dem  Grosslogotheten  Theodoros  Metochites,») 
den  Historikern  Georgios  Akropolites^')  und  Nikephoros  Kallistos 
Xanthopulos,^)  mit  Maximos  Planudes  und  anderen  hervorragenden 
Byzantinern  durch  Freundschaft  verbunden,  gehörte  unter  Michael  YHI 
(1261—1283)   und  Andronikos  H  (1283—1328)   zu  den  einflussreichsten 

')  Er   sagt    in  einer  R«de:    Ka&tjytfiojy  fiiy   tjyeyxe  kvngog.    eh'    tjy  r»;f  oixovfjievrjg 

ffAoi   X(ü  utu&evTtji;    xai  /bivaneywyog  vnrJQ^i  (cTiäar,g  /tiQOToyfj9e'ig    «p/tfpci;?   xai   didäa- 

xfü  6i6(iaxa'Aog  ,ut/Qi  nuvTog  xov  xttx'  ttvtor  xnXog,     Boissonade,  Anecd.  Graeca  I  313. 

Hiov  .  .  .  6  jjoXvg  ixtivog  xtjr  aorfinv,    noiiV  -)  S.  Boissonade,    Anecd.  Nova   S.  126. 

xßj    Toi'f  Xöyovg,    x6   fxiytt   9avua   xov  xa»'  ^)  S.  Boissonade  a.  a.  0.  S.  97  flF. 

tjfdäs  ßiov,  6  ntiyv  rgt/yS^iog,   öv  Ttuxgig  «)  S.  Boissonade  a.  a.  0.  S.  171  f. 


198  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Männern  des  Hofes  und  bekleidete  zuletzt  die  hohe  Stelle  eines  em  rnv 
xarixXfi'ov.^)  Durch  Vermählung  seiner  Tochter  Irene  mit  dem  Despoten 
Johannes  Paläologos,  dem  Sohne  Andronikos  II,  kam  er  in  engste  ver- 
wandtschaftliche Beziehung  zum  Kaiserhause.  Um  1320  zog  er  sich,  von 
den  Wirren  des  öffentlichen  Lebens  abgestossen,  nach  alter  byzantinischer 
Gepflogenheit  in  ein  Kloster  zurück,  wo  er  als  Mönch  den  Namen  Natha- 
nael  führte.  Eine  Monodie  auf  seinen  Tod  schrieb  sein  Freund  Theodor 
Ilyrtakenos.2)  Der  litterarische  Nachlass  des  Chumnos  lässt  sich  in  drei 
Gruppen  teilen. 

1.  Philosophische  und  theologische  Schriften.  Unter  den  phi- 
losophischen Stücken,  die  meist  gegen  Lehren  des  Plato  und  der  Neu- 
platoniker  gerichtet  sind,  befinden  sich  eine  Abhandlung  über  den  Stoff, 
ein  Traktat  über  die  Seele  und  eine  Streitschrift  gegen  Plotin. 
Chumnos  ist  jedoch  kein  blinder  Verehrer  des  Aristoteles;  als  Gegenstück 
zu  den  antiplatonischen  Schriften  dient  eine  durch  Bitterkeit  und 
scharfe,  wenn  auch  etwas  breitspurige  und  dunkle  Ironie  ausgezeichnete 
Abhandlung  gegen  einen  der  aristotelischen  Philosophie  ergebenen  After- 
gelehrten: IJQog  Tovg  dvaxfQCti'i'oi'tag  fm  toTq  eke'yxotg  löii'  danifMg  xal  xnxo- 
Tt^rw?  Qr^TOQfvöviwv  xal  tdvavti'a  JlXäiwvi  xal  toTg  avro)  Soxovaiv  daxQo- 
rofiovvrag.  Mit  grösster  Verehrung  gedenkt  er  hier  seines  Lehrers  Gregor 
von  Cypern  und  geisselt  in  heftiger,  aber  schwerlich  ganz  objektiver 
Polemik  die  unwissenden  Verkleinerer  und  ungeschickten  Nacheiferer  des- 
selben. 3)  Ebenda  zitiert  er  andere  von  ihm  verfasste  philosophische  Schriften 
wie  JleQi  xöaiiiov  (fvaewg,  JleQi  tcov  rcQUitwv  xal  änkwv  (Jo)iidio)v  u.  s.  w.*) 
Es  zeigt  sich  mithin  abermals,  dass  die  platonisch-aristotelischen 
Kontroversen,  welche  später  eine  so  wichtige  Rolle  spielen,  schon  in  die 
byzantinische  Zeit  zurückgehen,  eine  Thatsache,  die  gewöhnlich  übersehen 
wird.'')  Gregor  von  Cypern  und  Chumnos  sind  nicht  minder  als  die  Gram- 
matiker Planudes,  Moschopulos,  Triklinios  u.  a.  bedeutsame  Vorläufer  des 
griechisch-italienischen  und  damit  auch  des  französisch-deutschen  Huma- 
nismus. Ueber  eine  Partie  aus  den  physikalischen  Vorstellungen  des 
Mittelalters  unterrichtet  der  Aufsatz  über  die  Luft,  in  welchem  die  Gründe, 
warum  bewegte  Luft  kälter  wird,  sowie  die  Entstehung  des  Hagels  und 
das  Wesen  der  Winde  untersucht  wird;  dasselbe  Thema  behandelt  der 
'AvTiO^fTixog  TiQog  Tovg  näkai  aoifovg.  Mehrere  theologische  Abhand- 
lungen des  Chumnos  sind  noch  unediert;  ausserdem  erörtert  er  dogma- 
tische Fragen  allenthalben  in  seinen  Deklamationen  und  Briefen. 

2.  Rhetorische  Schriften.  Gewissermassen  als  theoretische  Ein- 
leitung dient  der  kurze,  relativ  verständige  Essay  über  die  Beurteilung 
und  Wirkung  der  Reden  {IhQi  Xoyuiv  xqtaswg  xal  fQyaafag).  Chumnos 
verlangt  zwar  sehr  energisch  einen  m(>glichst  kurzen,   scharfen   und  sinn- 


')  D.   h.    Vorstand   dos  xufixXeioy,    der       gendo  Rede  lolirt  uns  nichts  Neues  Ober  das 
Kanzlei,  also  etwa  Kanzler  oder  Staat«sekre-       Leben  des  Chumnos. 


tÄr,  obschon  keiner  dieser  modernen  Begriffe 
sich  mit  dem  byzantinischen  Amte  deckt. 

')  F'id.  Fr.  Hoissonade,  Anecdota  (traeca 
I  282—292.  Die  in  den  üblichen  rhetori- 
schen Antithesen  und  Gemeinplätzen  schwel- 


^)  Boissonade.  An.  Hr.  111  :^67  ff. 

*)  A.  a.  O.  S.  377. 

*)  In  Ueborwegs  (tesrhichte  der  Philo- 
sophie wird  Chumnos  nicht  mit  einem  Wort« 
erwähnt. 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie.   (§  98.)  199 

gemässen  Ausdruck;  die  Hauptsache  bleibt  aber  auch  für  ihn  neben  pas- 
sender Verwertung  der  heiligen  Schriften  des  Chi'istentums  die  sorgfältige 
Nachahmung  der  alten  und  nie  übertroffenen  Vorbilder  des  Attizismus  d.  h. 
jenes  verderbliche  und  hohle  Prinzip,  welches  die  Entwickelung  einer  origi- 
nalen Litteratur  in  Byzanz  mehr  als  alles  andere  beeinträchtigt  hat.  Auf 
Imitation  in  des  Wortes  schrecklichster  Bedeutung  beruhen  denn  auch  die 
eigenen  rhetorischen  Versuche  des  Chumnos.  Als  Vorbild  dient  ihm  neben 
Isokrates  und  Aristides  vornehmlich  Gregor  von  Cypern,  dem  er 
nicht  nur  die  schulmässige  Anordnung,  Bilder  und  Phrasen,  sondern  auch 
die  ganze  Skala  widerlicher  Schmeicheltöne  entlehnt.  Am  deutlichsten  er- 
scheint die  Abhängigkeit  von  fremden  Gedanken  und  Worten  in  dem  lang- 
atmigen Enkomion  auf  Kaiser  Andronikos  IL  Die  Beziehungen  auf 
zeitgeschichtliche  Ereignisse,  welche  der  Panegyrikus  enthält,  sind  viel  zu 
verschwommen,  als  dass  sie  uns  irgend  etwas  lehrten,  was  wir  nicht  aus 
anderen  Quellen  wüssten.  Die  Tapferkeit  des  Kaisers,  der  alle  „Barbaren" 
besiegt  habe,  seine  Weisheit,  Klugheit,  Gerechtigkeit  und  Milde  werden 
nach  dem  üblichen  Schema  gefeiert,  nur  dass  diese  Schmeicheleien  jetzt 
viel  abstossender  wirken  als  in  früheren  Jahrhunderten,  da  ihnen  die  That- 
sachen  noch  nicht  so  vollständig  widersprachen.  Nicht  viel  besser  sind 
die  übrigen  rhetorischen  Proben  des  Chumnos,  Trostreden  an  seine 
Tochter  Irene  und  an  den  Kaiser  beim  frühen  Tode  des  Johannes 
Palaeologos  (1304),  eine  Trost  rede  an  einen  Freund,  den  ein  schweres 
Unglück  betroffen,  und  ein  Epitaph  auf  Theoleptos,  den  Metropoliten 
von  Philadelphia:  der  letztere  wird  durch  breite  Exkurse  über  das  in 
Byzanz  totgehetzte  Thema  vom  Ausgange  des  hl.  Geistes  zu  einer  förm- 
lichen dogmatischen  Abhandlung.  Mit  den  paränetischen  Schriften  des 
Basilios  (s.  §  88)  und  Theophylaktos  (s.  §  93)  mag  man  das  Testament 
des  Chumnos  vergleichen,  welches  praktische  und  moralische  Ermahnungen 
an  seine  Kinder  enthält.  Eine  lehrreiche  Probe  byzantinischer  Advokaten- 
kniffe gewährt  die  im  Jahre  1315  der  hl.  Synode  und  dem  Kaiser  unter- 
breitete Anklageschrift  gegen  den  Patriarchen  Niphon,  mit  dem 
Chumnos  früher  eine  freundschaftliche  Korrespondenz  unterhalten  hatte: 
' EXeyxoc  xctxd  xuv  xaxwg  rd  nävia  natQiaoxevGctvToc  Ni'ifwvoc.  Weniger 
missfällt  ein  umfangreiches  Schreiben,  worin  die  Einwohner  von 
Thessalonike  zur  Gerechtigkeit  ermahnt  werden:  Oeaaulorixivai 
aviißovXfviixog  Tregi  Sixaioüinr^c.  Der  Anlass  des  offenbar  von  der  Regierung 
inspirierten  Schriftstückes  ist  nicht  bekannt  und  aus  der  allgemeinen 
Fassung  der  Ermahnungen  nicht  ersichtlich;  wie  es  scheint,  war  die  Ge- 
meinde von  Thessalonike  damals  durch  innere  Parteiungen  zerrüttet.*) 
Der  Ermahnungsrede,  die  im  Stile  bischöflicher  Hirtenbriefe  gehalten  ist, 
geht  wie  dem  Berichte  des  Kameniates  über  die  Eroberung  von  Thessa- 
lonike (904)  eine  panegyrische  Schilderung  der  Stadt  voraus.  In  das  Ge- 
biet der  Rhetorik  gehören  endlich  mehrere  Aktenstücke,  die  Chumnos  als 
Staatsbeamter  im  Namen   des  Kaisers  verfasste,   wie   eine  Goldbulle   an 

')  Darauf  deutet  auch  ein  Aktenstück  gistros:  Toig  ßeaaaXot'ixevat  negi  öfAoyoias 
fihnlichen  Inhaltes  von  einem  Zeitgenossen  (s.  §  121).  üeber  den  Zwist,  der  die  Stadt 
des  Chumnos,   der  Brief  des  Thomas  Ma-      i.  J.  1346  beunruhigte,  s.  S.  205. 


200  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

den  Kral  von  Serbien,  den  Schwiegersohn  des  Kaisers,  mit  der  Bitte 
um  Hilfe  gegen  die  Türken,  einErlass  zurVermittelung  eines  zwischen 
Mönchen  ausgebrochenen  Streites,  eine  Verordnung  über  die  Vereini- 
gung zweier  Klöster  zu  einer  Abtei,  ein  kaiserliches  Edikt  aus  dem 
Jahre  1296  zur  Reformation  des  Gerichtswesens.  Recht  bezeichnend  für 
die  theologischen  Neigungen  des  paläologischen  Kaisertums  ist  ein  ausführ- 
lich motiviertes  ^t'aniana,  durch  welches  befohlen  wird,  Maria  Himmel- 
fahrt statt  nur  an  einem  Tage  während  des  ganzen  Monats  August  zu  feiern. 
3.  Eine  Sammlung  von  172  Briefen.  Es  sind  teils  rhetorisch- 
philosophische Uebungsstücke,  teils  Privatbriefe  an  den  Kaiser,  an  hohe 
Würdenträger,  Verwandte  und  Freunde.  Unter  den  Adressaten  befinden 
sich  die  Patriarchen  Niphon  und  Johannes  Glykys;  die  Bischöfe  von  Thes- 
salonike,  Larissa,  Philippopel  und  Philadelphia;  der  (1341  zum  Kaiser  er- 
hobene) Grossdomestikos  Johannes  Kantakuzenos ;  der  Protovestiarios  Geor- 
gios  Muzalon,  der  Protosekretär  Leon  Bardales, ')  der  Kubikularios  Alexios 
Apokaukos;  die  Historiker  Georgios  Akropolites  und  Nikephoros  Kallistos 
Xanthopulos;  dessen  Bruder  Theodoros  Xanthopulos;  ein  imarog  tmv  (fiXo- 
aö(fon'^)  Kyprianos  und  der  „Philosoph"  Joseph;  Phakrases  (wahrscheinlich 
der  Grosslogothet  dieses  Namens),  Michael  Gabras,  der  Kalligraph  Deme- 
trios  Kabasilas,  des  Chumnos  Sohn  Johannes,  seine  Tochter  Irene  u.  a. 
Manche  Briefe  sind  Begleitschreiben  und  Kommentare  philosophischer  Ab- 
handlungen, andere  erörtern  selbständig  wissenschaftliche  Fragen;  zahl- 
reiche Schreiben  an  den  Kaiser  enthalten  Rechtfertigungen  des  Verfassers, 
auch  intriguenhafte  Anklagen  gegen  Feinde  und  Verleumder;  dazu  kommen 
private  Themen  verschiedener  Art,  wie  ein  Bericht  über  die  Heilung  einer 
Geschwulst,  Klagen  über  Mangel  an  Büchern,  über  die  Schwierigkeit,  einen 
dauerhaften  Beschreibestoff  zu  finden,  endlich  zahlreiche  Uebungsstücke, 
tagebuchartige  Selbstgespräche  und  Erörterungen  von  Gemeinplätzen;  auch 
Briefe,  die  Chumnos  für  weniger  geübte  Freunde  verfasste,  werden  nicht 
vorenthalten.  Das  Urteil  über  den  litterarischen  Wert  dieser  Samm- 
lung kann  nicht  günstig  ausfallen.  Zwar  hat  auch  Chumnos  wie  manche 
andere  Byzantiner  die  besten  Erfolge  in  der  Briefstellerei  errungen,  und 
in  manchen  Nummern  ist  der  knappe  Pointenstil  so  wohl  geglückt,  dass 
sie  dem  besten  Zeitalter  angehören  könnten.  Allein  der  Verfasser  ist  zu 
sehr  in  den  beengenden  Vorschriften  der  Schulrhetorik  stecken  geblieben; 
es  gibt  in  Byzanz  kaum  eine  zweite  Briefsammlung,  in  der  die  blosse 
rhetorische  Technik  die  Unbefangenheit  des  Augenblicks  und  die  Regun- 
gen einer  freieren  Individualität  so  völlig  zurückdrängte.  Dass  Chumnos 
selbst  in  seinen  Briefen  vorzüglich  eine  Samnihnig  rhetorischer  Muster- 
stücke erblickte,  beweist  nicht  nur  die  sicher  von  ihm  selbst  stammende 
sorgfältige  Redaktion,  in  welcher  die  Briefe  mit  wenigen  Ausnahmen 
chronologisch  geordnet  erscheinen,  sondern  auch  eine  Bemerkung  in 
einem  Schreiben  an  seinen  Sohn  Johannes,  in  welchem  er  srine  Briefe 
ausdrücklich  in  attische  und  in  lakonische  Stücke  unterscheidet.^) 

')  Vgl.  §  122  Anm.  4.  *>f«'f  '«f  h^*'  ^(tttavi^ova at,   rat  di  «r- 

4  lieber  dieson  Tit«l  8.  S.  175;  181.  rixi^ovatfc      iif';    «eVrot    fia^ofi^yas    nQog 

')  UoiHsonade,  Anocdota  Nova  S.  5.:  kni       (cXhjkus. 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie.   (§  99.)  201 

So  kann  Chumnos  alles  in  allem  keine  erfreuliche  Persönlichkeit  ge- 
nannt werden;  in  seinem  Charakter  tritt  berechnende  Ränkesucht  und 
kluges  Strebertum  hervor,  in  seinem  Wissen  und  Können  steht  er  tief 
unter  Männern  wie  Psellos,  ja  noch  unter  Gregor  von  Cypern.  Sein  Stil 
krankt  in  ungewöhnlichem  Grade  an  dem  Fehler,  der  jeder  künstlich  er- 
lernten Diktion  mehr  oder  weniger  anhaftet,  nämlich  an  der  engen  Be- 
grenzung des  Woii-  und  Phrasenschatzes  und  ihrer  natürlichen  Folge,  der 
stereotypen  AViederholung  gleicher  Ausdrücke  und  Konstruktionen.')  Immer- 
hin muss  Chumnos  als  einer  der  Vorläufer  des  griechisch-italienischen 
Humanismus  im  Auge  behalten  werden. 

1.  Ausgaben:  Was  bis  jetzt  von  Chumnos  ediert  ist,  verdanken  wir  meist  Fr.  Bois- 
sonade;  leider  hat  er  in  recht  unpraktischer  Weise  die  einzelnen  Stücke  ohne  einen  er- 
sichtlichen Gnmd  in  mehrere  Bände  zerstreut:  Anecdota  Graeca  ed.  Fr.  Boissonade  I 
(1829)  293-312;  II  (1830)  137—187;  III  (1831)  356-408;  V  (1833)  183-350.  —  Die 
Briefe  und  die  Abhandlung  über  den  StoflF  ed.  Fr.  Boissonade,  Ajiecdota  Nova  (Paris 
1S44)  1 — 201.  —  Die  auf  Theologie  bezüglichen  Stücke  (auch  das  Testament  u.  a.)  sind 
wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  140  (1865)  1397  —  1.526.  —  Schrift  gegen  Plotin  und 
Dialog  über  die  Seele  in:  Plotini  opera  ed.  Fr.  Creuzer,  vol.  II  (Oxonii  1835)  1413 — 1447. 

2.  Johannes  Chumnos.  ein  Sohn  des  Nikephoros,  der  das  Hofamt  eines  ntegaxot- 
uuiuivog  Trjg  ueyd'lr,?  ag:svd6yr;g  bekleidete,  hinterliess  Briefe  an  die  Bischöfe  von  Philip- 
popel und  Ephesos.  an  einen  ge^nsseu  Matarankos,  an  den  lasyas  &toixi]T^g  Kabasilas  und 
an  den  .Philosophen"'  .Joseph,  ausserdem  einen  hygienischen  Aufsatz  über  prophylaktische 
-Mittel  gegen  Podagra  {J'imra  riQOifv'AaxTixtj  eig  noddygat').  Alles  ed.  von  Boissonade, 
Anecd.  Nova  S.  203-222. 

3.  Von  Michael  Gabras,  einem  der  Korrespondenten  des  Chumnos,  stehen  in  einer 
venezianischen  Handschrift  zahlreiche  Briefe  an  Theodoros  Xanthopulos;  vgl.  Boissonade, 
Anecd.  Nova  S.  2.  —  Von  Johannes  Gabras,  wahrscheinlich  einem  Bruder  des  Genannten, 
haben  wir  eine  Rede  Ei'g  rt]i'  fiaotfoy  r^g  vnsgayiag  deanolvr/g  rjixviiv  &eox6xov  rrjy  sig  r« 
fiyue  T(6y  äyliov.  Ed.  Boissonade.  Anecd.  Gr.  III  (1831)  71 — 111.  Vgl.  Max  Treu, 
Maximi  mon.  Planudis  epistulae  S.  187;  203. 

99.  Theodoros  Hyrtakenos,^)  ein  jüngerer  Zeitgenosse  des  Chumnos, 
lebte  unter  Andronikos  dem  Aelteren  (1283—1328),  vielleicht  auch  noch 
unter  Andronikos  dem  jüngeren  (1328 — 1341)  als  Lehrer  der  Grammatik 
und  Rhetorik  in  Konstantinopel.  Von  seinen  Schriften  sind  erhalten: 
1.  Sieben  Deklamationen:  eine  Gratulationsschrift  an  Kaiser  Andronikos 
bei  seiner  Rückkehr  nach  Konstantinopel:  Leichenreden  auf  Kaiser  Michael  IX 
(t  1320),  die  Kaiserin  Irene,  Gemahlin  Andronikos  II,  und  auf  Nikephoros 
Chumnos;  eine  Lobrede  auf  die  hl.  Jungfrau;  ein  Panegyrikus  auf  den 
Heiligen  und  Wunderthäter  Aninas:  endlich  eine  in  der  Art  der  im  Romane 
beliebten  landschaftlichen  ix(foäafig  gehaltene  Schilderung  des  Gartens  der 
hl.  Anna.  2.  Eine  Sammlung  von  93  Briefen.  Unter  den  Adressaten 
sind  Kaiser  Andronikos  der  Aeltere,  des  Kaisers  Vetter  Andronikos  Palaeo- 
logos,  der  Grossdomestikos  Kantakuzenos,  der  Kämmerer  Apokaukos,  der 
Patriarch  Johannes  Glykys  (1316 — 1320),  der  Kanzler  Nikephoros  Chumnos, 
der  Grosslogothet  Theodoros  Metochites  und  dessen  Sohn  Nikephoros,  ein 
Akropolites,  ein  Pepagomenos  u.  a. 

An   litterarischem  Werte  steht  Theodor  tief  unter  den  übrigen 


')  Dahin  gehört  z.  B.   die  stets  wieder-  *)  Der  Name  hängt  wahrscheinlich   mit 

kehrende  Anknüpfung  mit  ov  fir/v  teXkri,  dXXd  der  alten  Stadt  "Vpr««©?  (oder 'VpffKxtV«)  auf 

fir^y.  xdi  yuQ,   die    den  Leser  schon    fast  in  Kreta  zusammen,    womit  jedoch  keineswegs 

den  trüben  Dimstkreis   unserer  griechischen  bewiesen  ist,  dass  Theodor  selbst  aus  Kreta 

und  lateinischen  Schulübungen  versetzt.  stammte. 


202 


Byzantinische  Litteraturgeschichte.     I.  Prosaische  Litteratur. 


Deklamatoren  von  Byzanz,  wie  Gregor  von  Cypern,  Chumnos,  Maniiöl 
Palaeologos;  Ungeschmack,  Gedankenarmut  und  Charakterschwäche 
sind  seine  hervorragenden  Eigenschaften.  Seine  Deklamationen,  in  denen 
ein  weinerlicher  Predigerton  mit  tosendem  Bombast  abwechselt,  sind  aus 
schwerfälligen  Perioden  zusammengesetzt  und  vollgepfropft  mit  Zitaten  aus 
der  alten  Litteratur  wie  Homer,  Pindar,  Nonnos  (Dionysiaka)  und  den 
heiligen  Schriften.  Das  ganze  bunte  Volk  der  Mythologie,  Grazien,  Heliaden, 
Sirenen,  Parzen,  Niobe,  Helios,  Selene  und  Gaia,  stürmen  ohne  Unterlass 
auf  den  Leser  ein.  So  werden  diese  Reden  förmliche  Centonen  aus 
hellenischen  und  heiligen  Autoren,  aus  antiquarischen  und  historischen 
Notizen,  langweilige  Repertorien  des  trivialen  Wissens  der  byzantinischen 
Schule.  Mit  Sprichwörtern  treibt  Theodor  grösseren  Unfug  als  Sancho 
Panza,  freilich  ohne  eine  Spur  von  der  volkstümlichen  Schlagfertigkeit  des 
Spaniers  zu  besitzen;  denn  die  Sprüche  unseres  Rhetors  sind  wie  all  sein 
sonstiges  Wissen  aus  der  alten  Litteratur  zusammengeholt,  und  schwerlich 
findet  sich  bei  ihm  auch  nur  ein  Sprichwort,  das  nicht  aus  den  erhaltenen 
Sammlungen  bekannt  wäre.^)  Zu  diesen  Untugenden  kommt  eine  ganz 
erstaunliche  Gedankenarmut.  Hat  man  eine  seiner  Trauerreden  gelesen, 
so  kennt  man  auch  die  übrigen.  Theodor  weiss  dem  Vorwurfe  keine  neue 
Seite  abzugewinnen;  die  Anordnung,  die  Gedanken,  die  Vergleiche 2)  kehren 
unverändert  wieder.  Der  Arme  wusste  ohne  Zweifel  ziemlich  viel  Griechisch, 
obschon  er  sich  Solözismen  wie  artgov  (für  O^aitgov),  fir^  statt  01'  u.  a. 
erlaubt;  aber  sein  ganzes  Studium  der  alten  Litteratur  hat  ihn  nicht  vor 
orientalischer  Uebertreibungssucht  und  barbarischer  Geschmacklosigkeit  3) 
bewahrt.  Seine  Deklamationen  wirken  tötend  auf  Geist  und  Gemüt  wie 
die  Versromane  eines  Prodromos  und  Niketas,  wie  die  Ilias  des  Her- 
moniakos. 

In  seinen  äusseren  Schicksalen  und  seinem  Charakter  ist  Theodor 
das  Abbild  seines  Namensgenossen  Theodor  Ptochoprodromos  und  seines 
Zeitgenossen  Phil  es;  was  sie  in  der  Poesie  sind,  ist  Theodor  Hyrtakenos 
in  der  Prosa,  ein  Bettelprosaiker,  wie  Byzanz  keinen  zweiten  kennt. 
Ueber  diese  Seite  unseres  Rhetors  belehren  uns  seine  Briefe;  fast  sämt- 
liche 93  Nummern  enthalten  Klagen  über  unverdientes  Missgeschick,  Bitten 
um  Unterstützungen,  Dankesworte  für  empfangene  Wohlthaten.  Wenn 
Prodromos  und  Philes  bei  allem  Servilismus  weniger  verletzen,  weil  sie 
ihre  zahlreichen  Anliegen  mit  einem  gewissen  Galgenhumor  in  poetische 
und  oft  witzige  Form  zu  kleiden  verstanden,  so  erhalten  wir  von  dem 
Hyrtakener  einen  unverblümten  Briefsteller  für  Bettellitteraten  und  zwar 
für  recht  zudringliche,  unabweisbare.  Wie  einst  Prodromos  seine  Studien 
verfluchte,  die  ihm  nur  Hunger  und  Armut  eingebracht  hätten,  so  beginnt 


')  Verse  und  Sprüche  macht  er  sich, 
wenn  sie  nicht  recht  passen,  gerne  mit  der 
stereotypen  Phrase  zurecht:  So  und  so  sagt 
der  Dichter,  iyui  de  fiiXQop  v na XX ding 
tpnirjv  <iy. 

')  Selbst  die  wüstesten;  nicht  weniger 
als  dreimal  gebraucht  er  zum  Ausdruck  seiner 
Trauer    die    unappetitliche    Wendung:    i/uif 


Xtyu),  X(d  fitj  diUQ^tjyt'VTui  ftot  tj  xuQ&ia 
fitjd'  iSfiaeiTai  TiöytrtSi  tj  dirinXnai (\ 
Boissonade.  An.  (Jr.  I  '_»()(»:  279;  286. 

•')  Im  l'anegyrikiis  auf  .\ndronikoa  sagt 
Theodor  z.  H..  der  Kaiser  habe  den  Charakter 
Konstantins  des  ( J rossen  w  i  e  e i n  Sc  h  w  a m  m 
in  sich  aufgesogen  und  sei  so  ein  zweiter 
Konstantin  ge wurden.     A.  a.  0.  S.  252. 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie.  (§  100.)  203 

auch  unser  Rhetor  den  ersten  Brief  an  den  Kaiser  mit  der  Klage,  dass 
er  vergeblich  gehofft  habe,  durch  gelehrte  Studien  sich  Einkünfte  zu  er- 
werben, und  dass  er  trotz  seiner  Weisheit  von  der  grössten  Not  gedrückt 
sei.  Wie  einst  Prodromos  wollte  auch  er  der  undankbaren  Hauptstadt 
den  Rücken  kehren  und  in  der  Klosterrepublik  des  heiligen  Berges  eine 
Zuflucht  suchen:  natürlich  machte  er  mit  diesem  Plane  ebensowenig  Ernst 
als  Prodromos  mit  seiner  Drohung,  nach  Trapezunt  zu  entweichen.  Häufig 
wendet  sich  Theodor  mit  seinen  Bitten  um  Nahrung  und  Kleider  an  die 
undankbaren  und  hochmütigen  Eltern  seiner  Schüler,  wie  auch  an  seine 
früheren  Zöglinge  selbst.  Die  ganze  Misere  des  Privatschulmeistertums, 
wie  es  früher  auch  bei  uns  da  und  dort  blühte,  wird  in  diesen  jammer- 
vollen Schriftstücken  vor  uns  aufgerollt.  Wie  Phil  es  huldigt  Theodor  dem 
Grundsatze,  dass  man  ohne  die  Zier  der  Bescheidenheit  weiterkomme;  sehr 
lebhaft  mahnt  er  z.  B.  den  Vetter  des  Kaisers,  ihm  endlich  das  längst 
versprochene  Pferd  zu  schicken.  Zuweilen  muss  sich  denn  freilich  seine 
Zudringlichkeit  die  äusserste  Zurücksetzung  gefallen  lassen.  Wie  Prodromos 
über  die  Etikette  der  Paläste  klagt,  wo  man  den  Püffen  der  Hofbeamten 
ausgesetzt  sei,  so  beschwert  sich  auch  unser  Theodor  wiederholt  beim 
Patriarchen  Johannes  Glykys,  dass  ihm  die  Thürsteher  schnöde  den  Ein- 
tritt ins  Patriarchat  verweigert  hätten.  Von  der  Darstellung  in  den 
Briefen  gilt  dasselbe  wie  von  den  Reden;  auch  hier  kopiert  Theodor  un- 
ablässig sich  selbst,  auch  hier  strotzt  er  von  mythologischen,  antiquarischen 
und  historischen  Anspielungen.  Immerhin  ist  er  wie  alle  Byzantiner  in 
den  Briefen  glücklicher  als  sonst,  und  einzelne  Stücke  sind  sogar  ganz  gut 
ausgefallen,  so  der  Brief  an  Theodor os  Metochites,  worin  er  sich  in 
urbaner  Weise  über  die  unverbesserliche  Trägheit  und  das  schlechte  Be- 
tragen des  ihm  anvertrauten  jungen  IMetochites  beklagt,  ein  Schriftstück, 
das  sich  noch  heute  jeder  Lehrer  für  seine  Praxis  auf  den  Tisch  legen 
dürfte. 

Ausgaben:  Deklamationen  ed.  Fr.  Boissonade,  Anecdota  Graeca  I  (1829) 
248-^2;  11(1830)409-453;  UI  (1831)  1—70.  -  Die  Briefe  sehr  nachlässig  und  fehler- 
haft ed.  von  La  Porte  du  Theil,  Notices  et  extraits  des  mss.  V  (1798)  709—744;  VI 
(1800)  1 — 48.  —  Beide  Herausgeber  benützten  den  Cod.  Paris.  Gr.  1209,  die  einzige  Hand- 
schrift, wie  es  scheint,  die  uns  den  unglücklichen  Byzantiner  aufbewahrt. 

1()0.  Palamas.  Manche  Anregung  verdankten  der  alten  Rhetorik  und 
Philosophie  die  Wortführer  der  dogmatischen  Streitigkeiten,  welche  beson- 
ders seit  dem  13.  Jahrhundert  aus  den  Versuchen,  eine  Wiedervereinigung 
der  beiden  Kirchen  herzustellen,  entbrannt  sind.  Der  hervorragendste  dieser 
rhetorisch-philosophisch  geschulten  Theologen  war  Gregor  Palamas,  der 
in  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  lebte.  Nachdem  er  einige  Zeit 
am  kaiserlichen  Hofe  verbracht  hatte,  zog  er  sich  als  Mönch  in  ein  Athos- 
kloster  zurück  und  versenkte  sich  in  die  dort  herrschende  Mystik,  Später 
begab  er  sich  nach  Thessalonike,  wo  seine  langwierigen,  erbitterten  Kämpfe 
mit  Barlaam,  Akindynos  und  Nikephoros  Gregoras  begannen.  Nach- 
dem Palamas  1349  zum  Erzbischof  von  Thessalonike  ernannt,  von  der  Stadt 
aber  zurückgewiesen  worden  war,  gab  nach  verschiedenen  Schwankungen 
des  Streites  endlich  die  Synode  des  Jahres  1351  für  Palamas  und  seine 
Partei  den  Ausschlag.     Die   meisten  Schriften   des   geistvollen   Theologen 


204  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

sind  aus  seinen  dogmatischen  Kämpfen  hervorgewachsen.  In  das  Gebiet 
der  Rhetorik  gehört  seine  „Prosopopoeie  der  Seele,  die  den  Körper 
anklagt,  und  des  Körpers,  der  sich  verteidigt."  Es  ist  eine  regel- 
rechte, glatt  und  nicht  ohne  Witz  geschriebene  J/f  At'r?;  im  grösseren  Mass- 
stabe; sie  besteht  aus  einer  platonisierenden  Vorrede  über  die  Teile  und 
die  Beschaffenheit  der  Seele,  aus  der  Anklagerede  der  Seele,  der  Verteidi- 
gung des  Körpers  und  der  gerichtlichen  Entscheidung.  Mit  Beziehung  auf 
den  alten  Sophistenschluss,  dass  nicht  der  böse  Knabe,  sondern  der  Lehrer, 
der  ihn  nicht  gehörig  gezogen,  Strafe  verdiene,  erteilen  die  Richter  dem 
Körper  Recht  und  schliessen  dann  etwas  plötzlich  mit  den  Worten  des 
Esaias:  (Päyo)f^ifv  xal  niui}Xfv  '  ahgiov  yccQ  ccnoihvi]axoii&v. 

1.  Gesamtausgabe  des  Palamas  (mit  Schriften  des  Kabasilas,  Barlaam  u.  a.): 
Migne,  Patrol.  Gr.  It50  und  1.51  (186.5).  —  Die  Prosopopoeie  ed.  zuerst  G.  Morelius, 
Paris  1553  (ex  officina  Turnebi).  —  Wiederholt  bei  Migne  150,  959  ff.,  1347  ff.  —  Mit 
Einleitung  und  Kommentar,  aber  ohne  diplomatische  Förderung  des  Textes  ed.  Alb.  Jahn, 
Halle  1884. 

2.  Leben  und  Schriften:  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  11,494—506.  —  Orien- 
tierender Artikel  von  Gass.  Realenzyklopädie  für  protest,  Theologie  11  (1883)  163  f.  — 
Vgl.  §  40. 

101.  Nikolaos  Kabasilas,  einer  der  bedeutendsten  rhetorisch-philo- 
sophisch gebildeten  Freunde  des  Palamas,  folgte  diesem  (nicht  vor  1354) 
auf  dem  erzbischöflichen  Throne  von  Thessalonike.  Er  kämpfte  mit  Palamas 
in  zahlreichen  Streitschriften  gegen  Barlaam,  Akindynos  und  Nike- 
phoros  Gregoras.  Sein  wichtigstes  Werk  sind  die  sieben  Bücher  vom 
Leben  in  Christus,  welche  uns  die  byzantinische  Mystik  kennen  lehren. 

1.  Ausgabe:  W.  Gass,  Die  Mystik  des  Nikolaus  Cabasilas  vom  Leben  in  Christo. 
Greifswald  1849;  mit  ausführlicher  P^inleitung  über  die  Stellung  des  Kaba.silas  zu  den 
byzantinischen  Theologen  seiner  Zeit  und  sein  Verhältnis  zur  deutschen  Mystik;  S.  16  ff. 
über  das  Leben  und  die  Schriften  des  Kabasilas. 

2.  Ein  heftiger  Wortführer  im  Barlaamstreit  war  auch  der  Patriarch  Philotheos 
(t  1379),  ein  Gegner  des  Nikephoros  Gregoras  (vgl.  S.  95  Anm.).  P^r  war  Abt  des  Laura- 
klosters auf  dem  Athos,  später  Bischof  von  Heraklea  (in  Thrazien);  1353  wurde  er  Patriarch, 
musste  jedoch  infolge  der  Restauration  der  Paläologen  schon  1356  abdanken;  zum  zweiten- 
mal bestieg  er  den  Patriarchenthron  1364  und  besass  ihn  bis  1375.  Wir  haben  von  ihm 
eine  Rede  über  die  Eroberung  von  Heraklea  durch  die  Genuesen  i.  J.  1351,  einen  Trost- 
brief an  seine  Diözesankinder,  als  sie  nach  der  Eroberung  flüchteten,  und  mehrere  geist 
liehe  Homilien.  Ediert  .sind  diese  ebenso  wortreichen  als  inhaltsarmen  Stücke  von  Konst. 
Triantafillis  und  Alb.  Grapputo,  Anecdot«  Graeca,  vol.  I,  Venedig  1874  (mit  einer 
unkritischen  Einleitung  über  das  Verhältnis  des  Philotheos  zu  Nikephoros  Gregoras  und 
Joh.  Kantakuzenos). 

102.  Demetrios  Kydones  («  Kt^ömr^c)  war  einer  der  fruchtbarsten 
und  elegantesten  Essayisten  der  Paläologenzeit.  Der  Ort  seiner  Abstam- 
mung ist  unbekannt,  sein  Aufenthalt  scheint  namentlich  zwischen  Thessa- 
lonike und  Konstantinopel  gewechselt  zu  haben.')  Seine  Lebenszeit  er- 
streckt sich  vom  zweiten  oder  dritten  Jahrzehnt  des  14.  Jahrhunderts  bis 
gegen  das  Ende  desselben.  Schon  als  junger  Mann  muss  er  sich  eingehend 
mit  den  theologischen  Fragen   beschäftigt  haben,   die   damals   die  Geister 

')  Der  Name  Kydones   deutet  auf  die  !    dem  Briefe  an  Phakra-sos.  wo  Kydones  Tho.s- 

Rtadt  Kydonia  in  Kreta  hin;  doch  beweist  saUmikesoineVatorstadt  nennt, orscliliefwen 

das   für  die   Herkunft   des   Mannes   ebenso-  zu  können.    da.SH  er  in  dieser  Stadt  geboion 

wenig  wie  der  Beiname  Hyrtakenos  (s.  tj  99).  sei.    Not.  et  extr.  H.  2.  314.    Doch  läs.st  sich 

In  mehreren  Uandseluiften  heisst  Demetrios  |    der  Ausdruck  wolil  auch  aus  seinen»  langen 

ö  ix  Hfoaidofixtjf,    und   Hase   glaubte    aus  1   Aufenthalt  in  Thessalonike  erklären. 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie.  (§  101—102.)  205 

der  anatolischen  Christenheit  aufs  heftigste  bewegten.  Er  stand  in  persön- 
lichen Beziehungen  zu  den  bedeutendsten  Männern,  die  sich  an  den  durch 
die  Unionsversuche  hervorgerufenen  Streitigkeiten  beteiligten.  Den  be- 
rühmten Kalabreser  Barlaam  (f  um  1348)  bittet  er  brieflich  um  nähere 
Erklärungen  über  den  Ausgang  des  hl.  Geistes:  gegen  Palamas  kämpft 
er  in  einer  längeren  Abhandlung;  mit  dem  in  dieselben  Kontroversen  ver- 
wickelten Historiker  Xikephoros  Gregoras  steht  er  in  Korrespondenz.*) 
Dem  Theologen  auf  dem  Kaiserthrone  Johannes  YI  Kantakuzenos  dient 
er  als  vertrauter  Freund  und  Minister; 2)  als  derselbe  der  Regierung  ent- 
sagen musste  und  sich  in  ein  Kloster  zurückzog  (1355),  begleitete  ihn 
Demetrios,  ohne  jedoch  selbst  das  Mönchsgewand  anzulegen. 3)  Für  einige 
Zeit  ging  er  nach  Mailand,  wo  er  die  lateinische  Sprache  studierte; 
später  lebte  er  wohl  meist  in  Thessalonike  und  Konstantinopel,  angeblich 
auch  in  Kreta.  Die  späteste  bekannte  Thatsache  seiner  Biographie  bildet 
der  Briefwechsel  mit  Kaiser  Manuel  II  Paläologos,  der  wenigstens 
bis  ins  Jahr  1391,   vielleicht  bis  1396  oder  1397  reicht.^) 

Demetrios  Kydones  hat  eine  grosse  Zahl  rhetorischer  und  theologi- 
scher Schriften  hinterlassen,  in  welchen  er  den  Lieblingsautor  der  spät- 
byzantinischen Zeit,  Plato,  nicht  ohne  Glück  zum  stilistischen  Vorbilde 
wählte. 

1.  Zu  seinen  fi'ühesten  Werken  gehört  die  Monodie  auf  die  in 
Thessalonike  Gefallenen  {'Em  lou  sr  QtaauXovixi]  neaovair).  Die 
äussere  Veranlassung  der  mit  allen  Mitteln  der  Rhetorik  ausgestatteten 
Rede,  in  der  sich  wehmütige  Klage  mit  ernster  Warnung  verbindet,  war 
der  blutige  Bürgerkrieg,  der  im  Jahre  1346  die  Stadt  Thessalonike  zer- 
rüttete.^) Die  lebhafte  Teilnahme  des  Kydones  an  den  Geschicken  seiner 
schwer  bedrängten  Nation  bezeugen  ausser  dieser  Monodie  mehrere  poli- 
tische Flugschriften.  In  einer  2i\ußovXn<Tixög  betitelten  Rede,  die  wäh- 
rend der  diplomatischen  Reise  des  Kaisers  Johannes  V  Paläologos  nach 
Italien  (1369)  geschrieben  ist,  ermahnt  Demetrios  die  Griechen,  sich  unter 
sich  selbst  und  mit  den  Lateinern  zu  einigen,  von  denen  allein  ernstliche 
Hilfe  zur  Vertreibung  der  Türken  zu  erwarten  sei.  In  einem  zweiten 
2viißovXtvTixög  erörtert  er  die  Gründe,  warum  man  der  Forderung  des 
Sultans  Murad,  die  Stadt  Kallipolis  an  die  Türken  abzutreten,   nicht  will- 


>)  Nikeph.  Gregoras  ed.  Bonn.  I  S.  XCI.  doch  wohl  nur  so  zu  verstehen,  dass  Deme- 

*)  Kantakuzenos  B.  IV  39  (ed.  Bonn.  III  trios  den  Kaiser  ins  Kloster  begleitete,  ohne 

285)    TiaQÖyrog    ds    xcci    K  v  dai  y »;.    6V    eydoy  dort  zu  bleiben ;  denn  er  erscheint  noch  später 

ßaaiXsiioy  diiTQißey   (iei.    ov    uöyoy   dtfi  irjy  im  öffentlichen  Leben  thätig. 
evfiiyaay,    ijy  7toXXt}y   TiaQa  ßaaiXe'iog  ixug-  *)  S.    Berger    de    Xivrey,    Alemoires 

Ttovro.  äXk'  oTi  x(a  joTg  nQÜyuaat  ueati-  de  Tacademie  des  inscriptions  vol.  19(1853) 

Cioy    tlyiiyxr^y    fi/fy    «f«     avyeiyfu    ßaaiXfi  190  f. 

yt'XTMQ  xttl  uf9'  t'juf'gay.  ]  ^)  Den  Ursprung  und  die  näheren  Um- 

^)  Kantakuzenos  B.  YV  16  (ed.  Bonn.  III   [   stände  dieses  Zwistes,  der  eine  der  jämmer- 

107)  avysinoyro  de  ttvtM  TjQog  xi]y  ix  rov  liebsten  Episoden  in  dem  dynastischen  Kriege 

ßiov  €(yaxwQt;aiy  xtu  Kteßüatkag  yixöXaog  xai  zwischen    Johannes   Kantakuzenos    und    der 

jTjfitiTQt  og  6  Kvduiytjg,  ao(fiag  fiey  {ig  Paläologenpartei  bildet,  erzählen  Kant aku- 

äxQoy  r^c   £iio9sy  ineiktjuut'yoi,    or/  ^rroy  zenos  B.  III  93  f.  (ed.  Bonn.  II  568  ff.)  und 

de  xai  tgyoig  g:tXoooq^ovyreg  xfü  Toy  atjtfgoya  Nikephoros    Gregoras    B.   XTV    10    (ed. 

ßioy  xtci  xwy  ex  rov  yüuov  xuxwy  dntjXXay-  Bonn.  II  740  f.). 
^ivov   it^riitiyoi.     Die    Bemerkung   ist   aber 


206  Byzantinische  Litteratnrgeschiclite.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

fahren  dürfe.  Hieher  gehören  aucli  die  Reden  an  Johannes  Kantakuzenos 
und  Johannes  Paläologos,  endlich  drei  Proömien  zu  Chrysobullen,  die 
Kydones  im  kaiserlichen  Auftrage  (die  ersten  2  nach  1355,  die  dritte  um 
1370)  abfasste.») 

2.  Den  breitesten  Raum  beanspruchen  die  Werke  theologischen 
Inhalts,  wie  die  oft  edierte  Abhandlung  über  die  Verachtung  des 
Todes  {IleQi  tov  xaTa(fQortTv  tov  O^dvaror),  mehrere  Schriften  über  den 
Ausgang  des  hl.  Geistes,  Homilien  auf  den  hl.  Laurentius,  auf  Pfingsten, 
auf  Maria  Verkündigung  u.  s.  w.  Auch  seine  Kenntnis  des  Lateinischen 
verwertete  Demetrios  für  die  Zwecke  der  theologischen  Wissenschaft. 
Unter  anderem  übersetzte  er  Schriften  des  Thomas  vonAquino  und  die 
Widerlegung  des  Koran  (Confutatio  Alcorani  Muhamedici)  des  gelehrten 
Predigermönches  Ricardus  Florentinus  (um  1300)  ins  Griechische.-) 

3.  Endlich  haben  wir  von  Kydones  eine  Sammlung  von  Briefen. 
Sie  richten  sich  an  eine  Reihe  der  bedeutendsten  seiner  Zeitgenossen,  an 
den  Historiker  Nikephoros  Gregoras,  an  den  Mönch  Barlaam,  an  den 
Patriarchen  Philotheos,  ^)  an  Nikolaos  Kabasilas,  an  den  Erzbischof  von 
Thessalonike  Isidor  Glabas,  an  Alexios  Kasandrenos,  an  einen  sonst  nicht 
l)ekannten  „Philosophen"  Georgios,  an  den  Primikerios  Phakrases,  an  Kaiser 
Manuel  II  Paläologos^)  u.  a. 

1.  Ausgaben:  Die  Monodie  auf  die  in  Thessalonike  Gefallenen  ed.  Combefis 
mit  den  Scriptores  post  Theophanem,  Paris  1685.  —  Die  '2  2ivfißovkevTixoi  ed.  Com- 
befis, Patrum  bibliotliecae  novum  auetar.,  Paris  1648,  Vol.  II  1221  — 1820.  —  Zwei  Pro- 
ömien zu  Chrysobullen  ed.  K.  E.  Zachariae  von  Lingenthal,  Sitzungsberichte  der 
k.  preussischen  Akademie  der  Wiss.  1888,  1409 — 1422;  seiner  Ausgabe  liegt  ein  Hand- 
schriftenfragment des  Professors  Rhallis  in  Athen  zu  Grunde,  von  welchem  nur  bemerkt 
wird,  dass  es  aus  einer  Handschrift  des  Demetrios  Kydones  herausgerissen  sei,  ein  Umstand, 
der  die  Autoi-schaft  des  Demetrios  etwas  zweifelhaft  macht.  —  Die  theologischen  und 
rhetorischen  Schriften  findet  man  jetzt  nach  den  älteren  Drucken  bequem  vereinigt  in  der 
Sammelausgabe  von  Migne,  Patrolog.  Gr.  154  (1866)  825—1216;  ebenda  109  (186.S) 
637-652  die  Monodie  auf  die  in  Thessalonike  Gefallenen  und  151  (1865)  1283—1301  der 
Brief  an  Barlaam  (nur  lateinisch). 

Briefe:  8  Briefe  an  Kaiser  Manuel  ed.  F.  C.  Matthaei,  Isocratis,  Dem.  Cyd.  etc. 
epistolae  Mosquae  1776  S.  33  -  46;  andere  in  einem  Programm  Dresden  1789  und  in  den 
Iloixii.«  'EkXtjyixä,  Mosquae  1811  S.  250 — 258.  —  Jiine  grös.sere  Auswahl  gab  Fr.  Bois- 
sonade,  Anecd.  Nova,  Paris  1844  S.  251 — 327.  —  Eine  vollständige  und  kritische  Au.<<gabe 
fehlt  noch. 

2.  lieber  Leben  und  Schriften  s.  Fabricius,  Biblioth.  Gr.  ed.  Harl.  11,  398—405.  - 
In  die  Biographie  des  Kydones  ist  ein  grober  Irrtum  eingedrungen,  der  nirgends  berichtigt 
wird.  B.  C.  Hase  veröffentlichte  in  den  Not.  et  extr.  8  (1810)  2,  314  ff",  einen  Hrief  des 
Kydones  an  den  Primikerios  Phakrases,  in  welchem  von  vergangenen  Zwistigkeiten  in 
The.ssalouike  und  von  einer  der  Stadt  drohenden  Belagerung  die  Rede  ist.  Ha.se  bezog 
diese  Andeutung  auf  die  Belagerung  und  Eroberung  der  Stadt  durch  Murad  II 
und  setzte  daher  den  Brief  in  das-Iahr  1430;  Boissonade  edierte  denselben  Hrief  An.  Nova 
S.  288  ff',  ohne  Kenntnis  von  der  Aufstellung  Hases,  dagegen  ging  der  Irrtum  in  Mignes 
Patrologie  über,  wo  t.  154,  1213  ff",  der  Brief  mit  der  Notiz  Hases  abgedruckt  ist.  Die 
Annahme,    dass   ein  Mann,    der   in    den  vieraiger  Jahren   des    14.  .lahrlnindert.s   sch«)n    mit 


')  Auf  eleganten  und  würdevollen  Stil 
in  kaiserlichen  Erlassen  wurde  in  Byzanz 
stet«  grosser  Wert  gelegt.  Die  Abfa.s.sung 
der  Einleitungen  dieser  Schriftstücke  bildete 
einen  wichtigen  Zweig  der  rhetorischen  Aus- 
bildung. Sohh«'  Proömien  wurden  als  stili- 
stische Muster  in  Abschriften  verbreitet.  Aehn- 
liches  gilt  von  den  Briefen  und  Verord- 
nungen der  Patriarchen.   Daraus  erklärt 


sich  die  steife  Gleichförmigkeit  dieser  Akten- 
stücke. 

*)  Vgl. Steinschneider.  Abhandlungen 
für  die  Kunde  des  Morgenlandes  Bd.  6  (Leipzig 
1878)  226;  dortseUiHt  S.  218  ff",  ein  wertvolles 
Verzeichnis  der  übrigen  polemis(  lirii  I.ittt»- 
ratur  gegen  die  Muhamedaner. 

»)  Vgl.  iH  101  Anm.  2. 

*)  Vgl.  §  105. 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie.   (§  103—105.)  207 

grossen  Arbeiten  über  dogmatisclie  Fragen  hervortrat,  noch  im  Jahre  1430  Briefe  geschrieben 
habe,  ist  selbst  bei  der  weitesten  Ausdehnung  der  Vorstellung  von  griechischer  Langlebig- 
keit ganz  unwahrscheinlich;  zudem  ist  zu  bedenken,  dass  seit  1396  oder  1397  jede  sonstige 
biographische  Spur  von  Kydones  mangelt.  In  der  That  beruht  die  Annahme  Hases  auf 
einer  Flüchtigkeit.  Auf  den  Bürgerkrieg  des  Jahres  1346  wird  in  dem  Briefe  ganz  deut- 
lich als  auf  ein  in  aller  Gedächtnis  haftendes,  nicht  allzu  lang  vergangenes  Ereignis  an- 
gespielt; das  konnte  im  Jahre  1430  nicht  geschehen,  und  der  äussere  Feind,  von  dem 
der  Brief  berichtet,  kann  also  nicht  Murad  II  sein.  Wer  darunter  zu  verstehen  ist,  lässt 
sich  nicht  sicher  feststellen;  am  nächsten  liegt  es,  an  den  gewaltigen  Serbenkaiser  Stefan 
Du  seh  an  zu  denken,  der  im  Jahre  1349  Thessalonike  ernstlich  bedrohte. 

103.  Matthaeos  Kantakuzenos,  Sohn  des  Kaisers  Johannes  Kanta- 

kuzenos  (1341  —  1355),    wurde    von    seinem  Vater   gegen    den    Willen    des 

Johannes  Palaeologos  zum  Kaiser  gekrönt,  nach  dem  Sturze  seines  Vaters 

aber  wie  dieser  zur  Flucht  ins  Kloster  genötigt,  wo  er  sich  theologischen 

Studien  widmete.     Wir  haben  von  ihm   zwei   an   seine  Tochter  gerichtete 

Skizzen:  Ueber  die  Wissbegierde  und  lieber  die  drei  Seelenkräfte 

(IlfQi  ^iXoi^ia^iac,   neQi  roh'  TQiöir  rT^g  if>vx>]?  dvi'ä/.i€a)i);    ausserdem    einen 

Kommentar   zum  hohen  Liede  und  moralische  Schriften,   von  welchen 

manche  noch  unediert  zu  sein  scheinen. 

Die  2  Skizzen  an  seine  Tochter  ed.  J.  Sakkelion,  Je'Ärloy  rtj?  iaxoQ.  xtd  i^yoXoy. 
iruiQiag  rtjg  'EXhidog  2  (1885 — 89)  425—439.  —  Kommentar  zum  hohen  Lied  und  andere 
theologische  Sachen  bei  Migue,  Patrol.  Gr.  100  (1860)  395;  411;  418;  447;  489  und  152 
(1866)  997-1084.  —  Vgl.  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  7,  793. 

104.  Theodoros  Potamios  (o  /7or«/»oc,  in  zwei  Handschriften  un- 
richtig üoTccxioc  genannt),  ein  seinen  Lebensverhältnissen  nach  gänzlich 
unbekannter  Grieche  aus  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts,  hinter- 
liess  eine  langweilige  Monodie  auf  den  Tod  des  Kaisers  Johannes  V  Pa- 
laeologos (1391)  und  einige  Briefe  an  des  Kaisers  Onkel  Kantakuzenos, 
an  Kydones  (doch  wohl  Demetrios  Kydones)  u.  a. 

Die  Monodie  edierte  zuerst  aus  einer  verstümmelten  Wiener  Handschrift  K.  Sathas, 
Msa.  ßißho9iixtj  1  (1872)  196—200;  dann  vollständig  aus  einer  Oxforder  Handschrift  Sp. 
Lambros,  Jekrloy  t^?  larog.  xai  i&yoXoy.  iTceiQtag  rijg  'EXXüdog  2  (1885 — 89)  48 — 62. 
Lambros  beschreibt  auch  den  cod.  184  des  Athosklosters  rtiy  'Ißijgcjy,  der  einige  Briefe  des 
Potamios  enthält.  Vollständiger  sah  dieses  Exemplar  noch  im  Anfange  des  18.  Jahrhunderts 
Chrysanthos  Notaras,  der  aus  der  Bibliothek  des  iberischen  Klostei-s  eine  Handschrift 
mit  20  Briefen  des  Th.  Potamios  anführt.     Sathas,  Mea.  ßißX.  1,  282. 

105.  Manuel  II  Palaeologos  (1350—1425;  Kaiser  1391—1425)  ge- 
hört als  Herrscher  wie  als  Schriftsteller  zu  den  erfreulichsten  Erschei- 
nungen der  letzten  Jahrhunderte  von  Byzanz.  Aus  den  zeitgenössischen 
Quellen  ergibt  sich  mit  Sicherheit,  dass  Manuel  nicht  nur  eine  durchaus 
sympathische  Persönlichkeit  war,  sondern  moralische  und  intellektuelle 
Vorzüge  besass,  die  ihm  in  einer  weniger  unglücklichen  Epoche  zweifel- 
los bedeutende  Erfolge  gesichert  hätten.  In  allen  ritterlichen  und  militä- 
rischen Künsten  wohl  geübt,  stand  er  geistig  auf  der  Höhe  seiner  Zeit. 
Der  gelehrte  Bessarion  bezeugt  den  Reichtum,  das  Feuer  und  die  Beweg- 
lichkeit seiner  Konversation  wie  seine  unermüdliche  Thätigkeit.  In  seinen 
Schriften  erscheint  er  als  ein  guter  Kenner  der  attischen  Sprache,  als  er- 
fahrener  Theologe,')   als   gewandter  Dialektiker   und   vor    allem    als   ein 


')  Dass  sich  der  Kaiser  mit  Theologie  traut  ist.  Die  mit  der  Union  zusammen- 
beschäftigte, wird  ihm  niemand  vorwerfen,  !  hängenden  dogmatischen  Streitfragen  be- 
der  mit  der  Geschichte  der  Palaeologen  ver-       herrschten   die  Masse   des  Volkes   wie    den 


208  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Stilist,  der  einem  weit  besseren  Zeitalter  Ehre  gemacht  hätte.  Die  Ge- 
schichte seiner  langen  Regierung  gewährt  sichere  Proben  seiner  Staats- 
klugheit, seiner  Entschlossenheit  und  seines  ehrlichen  Wollens.  Wenn  er 
das  auf  einen  winzigen  Bruchteil  zusammengeschwundene  Reich  nicht  retten 
konnte,  so  war  es  nicht  seine  Schuld.  Der  Prozess  des  Zusammenbruches 
der  alten  Herrschaft  vollzog  sich  mit  der  eisernen  Notwendigkeit  eines 
Naturereignisses  und  war  durch  das  stärkste  individuelle  Bemühen  nicht 
mehr  zu  hemmen.  Durch  seinen  Aufenthalt  am  Hofe  Bajazets  mit  den 
kolossalen  Hilfsmitteln  und  den  Endzielen  seiner  Feinde  wohl  vertraut,  hat 
Manuel,  als  er  zur  Alleinherrschaft  gelangte,  mit  grösster  Umsicht  und 
Energie  alles  aufgeboten,  um  der  drohenden  Katastrophe  vorzubeugen. 
Trotz  des  unüberwindlichen  religiösen  Gegensatzes  zwischen  Rom  und  Byzanz 
und  des  Widerstandes  einer  politisch  kurzsichtigen,  aber  einflussreichen 
Partei  im  griechischen  Klerus  unternahm  Manuel  in  eigener  Person  als 
Schutzflehender  eine  Reise  nach  Italien,  Frankreich  und  England 
(1399 — 1403),  um  von  den  christlichen  Fürsten  Hilfe  gegen  die  Türken  zu 
erlangen.  Als  er  sich  endlich  überzeugen  musste,  dass  eine  ernstgemeinte 
und  genügende  Unterstützung  nicht  zu  hoffen  sei,  verstand  er  es,  durch 
die  in  Byzanz  traditionelle  Kunst  der  Diplomatie  mit  Suleiman  und 
später  mit  Mohamed  I  wenigstens  einen  modus  vivendi  herzustellen.  Es 
war  die  letzte  Zeit  verhältnismässiger  Ruhe,  die  dem  rhomäischen  Reiche 
noch  beschieden  war.  Sie  endete  mit  dem  Regierungsantritte  Murads  II, 
der  1422  seinen  gewaltigen  Angriff  auf  Konstantinopel  unternahm.  Kurz 
vor  seinem  Tode  musste  Manuel  noch  einen  entehrenden  Vertrag  unter- 
zeichnen, wodurch  das  Reich  der  Byzantiner  dem  Sultan  tributpflichtig 
wurde.  Nach  einem  Leben,  das  an  Arbeit  und  Sorgen  ebenso  reich  war 
wie  an  Misserfolgen  und  Enttäuschungen,  starb  Manuel  im  Jahre  1425. 
Es  ist  für  die  Zähigkeit  der  litterarischen  Neigung  der  Byzantiner  bezeich- 
nend, dass  ein  Kaiser,  den  die  jämmerlichsten  politischen  Verhältnisse  un- 
aufhörlich beunruhigten,  noch  für  schriftstellerische  Arbeiten  Zeit 
und  Stimmung  finden  konnte.  Der  Grundcharakter  der  zahlreichen  Schriften 
Manuels  ist  dialektisch  und  rhetorisch.  Wir  haben  von  ihm  philo- 
sophisch-theologische Abhandlungen,  Gelegenheitsreden,  rheto- 
rische Versuche,  poetische  Kleinigkeiten,  endlich  eine  Samm- 
lung von  Briefen. 

1.  An  der  Spitze  der  dialektischen  Werke  steht  der  umfangreiche 
Dialog,  den  Manuel  mit  einem  türkischen  Muterizis  in  Ankyra  über  die 
christliche  und  mohamedanische  Lehre  führte.  Die  Schrift,  die  von 
Manuel  seinem  Bruder  Theodor,  dem  Despoten  des  l'eloponnes,  gewidmet 
und  wahrscheinlich  um  1390  abgefasst  ist,  gehört  zu  den  wichtigsten  Zeug- 
nissen der  kulturellen  Beziehungen  zwischen  Türken  und  Griechen  vor  dem 
Falle  des  Reiches.  Eine  Art  politisch-moralisches  Testament,  wie 
wir  es  von  dem  Kaiser  Basilios,  dem  Erzbischof  Theophylaktos  u.  a.  be- 
sitzen,   sind    die    'Ynod-Tjxat   ßü(TiXixi]g   dywyrfq^    die   Manuel    seinem    Sohne 

mächtigen  Klorus  in  einem  solchen  (Jrade  ihnen  ehensowenig  fernbleiben  durfte,  als 
und  waren  für  iiolitiBche  Kntschliessungen  etwa  heute  ein  gutor  Regent  sicli  der  Kr- 
•o  wichtig,  du88  om  gewissenhafter  Herrscher  |   wHgungdersoziulen  Fragen  versohliessen  kann. 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie.  (§  105.)  209 

hinterliess.  Weitere  Proben  seines  stilistischen  Talentes  sind  eine  Rede 
über  die  Gesundheit  des  Kaisers,  die  Manuel  bei  der  Genesung  seines 
Vaters  von  einer  schweren  Krankheit  verfasste;  die  Leichenrede  auf 
seinen  Bruder  Theodor,  Despoten  des  Peloponnes  (f  1407),  die  zu  den 
vollkommensten  Erzeugnissen  der  in  Byzanz  stets  sorgsam  gepflegten  Gat- 
tung der  Epitaphien  gehört;  ein  Schreiben  an  Andreas  Asanes  über  das 
Wesen  der  Träume;  ein  Dialog  mit  seiner  Mutter  77*^/  ycmov,  worin 
er  die  Gründe  erörtert,  die  bei  der  Lage  des  Reiches  gegen  oder  für  seine 
Verheiratung  vorgebracht  werden  könnten.  Dazu  kommen  an  seinen  Sohn 
Johannes  gerichtete  Essays  über  die  Bedeutung  der  Redekunst,  über 
das  Gute,  über  die  Willensfreiheit  und  Selbstbestimmung,  über 
die  Sünde,  über  die  Demut.  Endlich  begegnen  auch  hier  einige  Stücke, 
die  in  der  Art  der  rhetorischen  Schulübungen  gehalten  sind,  so  eine  Ab- 
handlung über  die  Verwerflichkeit  der  Sinnenlust  und  als  Gegen- 
stück {avTid^iaic)  ein  Traktat  über  die  Berechtigung  der  Sinnenlust; 
eine  rhetorische  Uebung:  -Qc  #?  fvaerovg  agxoirog  ttooc  eviovg  vm^xöoi'g 
d.  h.  eine  fingierte  Rede  eines  wohlwollenden  Herrschers  an  gut- 
gesinnte Unterthanen.  Nicht  übel  geraten  ist  die  witzige  Melete: 
IlQog  i^it&vaov  d.  h.  die  Verteidigungsrede  eines  Trunkenboldes,  der  seinen 
dem  Wein  abholden  Sohn  als  unechten  Sprössling  enterbte  und  sein  Weib 
eben  deshalb  der  Untreue  beschuldigte.  Die  Spielart  der  hxffQuaig  ist  ver- 
treten durch  die  Schilderung  eines  Gobelins  mit  einer  Darstellung 
des  Frühlings  (Eaoog  hxmv  ev  v(favToi  TxuouneTccauccti  Qrjixoi),  die  Ethopoeie 
durch  das  zeitgeschichtlich  merkwürdige  Stück:  Was  wohl  Timur  Lenk 
zu  dem  besiegten  Bajazet  gesprochen  haben  mag!  Wohl  aus  der 
letzten  Zeit  seines  Lebens  stammen  verschiedene  Werke  theologischen 
Inhalts,  wie  eine  Abhandlung  über  das  unvermeidlichste  Thema  der  Palaeo- 
logenzeit,  den  Ausgang  des  hl.  Geistes,  zwei  Morgengebete  und  ein 
durch  Einfachheit  und  wahre  Empfindung  ausgezeichnetes  Erbauungslied. 
2.  Die  Briefe  Manuels,  deren  Wichtigkeit  für  die  Kulturgeschichte 
der  Palaeologenzeit  wir  leider  nach  den  wenigen  bis  jetzt  veröffentlichten 
Proben  nur  zu  ahnen  vermögen,  richten  sich  an  seinen  Bruder,  den 
Despoten  Theodor,  an  den  Kaiser  von  Trapezunt,  an  Demetrios 
Kydones,  Nikolaos  Kabasilas,  an  den  Protekdikos  Balsamon,  an 
Andreas  und  Konstantin  Asanes,  an  Phrankopulos,  Demetrios  und 
Manuel  Chrysoloras,  an  den  Italiener  Guarini,  den  er  bittet  die 
Leichenrede  auf  den  Despoten  Theodor  ins  Lateinische  zu  übersetzen,  end- 
lich an  mehrere  Bischöfe  und  Metropoliten.  Oft  beklagt  sich  der 
Kaiser  in  seiner  Korrespondenz  über  die  erdrückende  Last  seiner  Regie- 
rungsgeschäfte und  über  den  Mangel  an  Zeit  für  litterarische  Dinge.  Noch 
mehr  als  in  den  Abhandlungen  bekundet  er  hier  den  wohlausgebildeten 
Sinn  für  elegante  Darstellung,  sogar  die  in  Byzanz  seltene  Eigenschaft  des 
Humors. ^)  Eine  kritische  Ausgabe  dieser  in  der  Pariser  Handschrift 
offenbar  chronologisch  geordneten  Kaiserbriefe  wäre   ebenso  erwünscht 

')  An  Demetrios  Kydones,  der  ihm   '   xai   evQwy    iy    iitioqüc   ^Qi^uÜTtüv.    ^tjutercjy 
ein  Exemplar  des  S u  i  d  a s  überschickt  hatte,       ityrl  ^^QTjudrtoy  7ji.ovalovg  aJie'ffrjyey. 
schreibt   er:    'f'&daag    d'  aJff  rifAiiq   6  JovTdag   , 

Handbuch  der  klag».  Altertumswissenschaft.  IX.    1.  Abllg.  14 


210  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

als  die  in  Aussicht  gestellte  Veröffentlichung  der  Briefsammlung  des  Gregor 
von  Cypern  und  eine  vollständige  Ausgabe  der  Korrespondenz  des  Deme- 
trios  Kydones. 

1.  Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Manuelis  Palaeologi  Aug.  praecepta  educationis 
regiae  etc.  ed.  J.  A.  Leunclavius,  üasileae  1578  (enthält  ausser  den  vno&rjxai  die  meisten 
rhetorischen  iStücke).  —  Leichenrede  auf  Theodor  ed.  Fr.  Combefis,  Patrum  biblio- 
thecae  novum  auctariuni,  Paris  1648,  Vol.  II  1045-1220.  —  Dialog  mit  dem  türkischen 
Muterizis  ed.  C.  B.  Hase,  Not.  et  extr.  8  (1810)  2,  309-382  (mit  einer  ausführlichen 
Einleitung).  —  Dazu  ed.  Fr.  Boissonade,  Anecdota  Graeca  II  (1830)  274—309  die  Rede 
des  Trunkenbolds  und  die  Einleitung  der  Rede  des  Antenor  an  Odysseus;  Anecdota  nova 
(Paris  1844)  223  — .250  die  Rede  über  die  Gesundheit  des  Kaisers  und  einige  Briefe.  — 
Ein  witziges  Spottgedicht  auf  einen  unerträglichen  Schwätzer  ed.  Matranga.  Anecdota 
Graeca  II  (1850)  682.  -  Sammelausgabe  der  meisten  Stücke  nach  Leunclavius,  Com- 
befis und  Hase  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  156  (1866)  82—582.  —  Vgl.  Hase,  Not.  et  extr. 
9  (1813)  2,  137  über  cod.  Paris.  Gr.  3041,  der  66  meist  noch  unedierte  Briefe  des  Manuel 
enthält.  —  Hauptschrift:  Berger  de  Xivrey,  Mömoire  sur  la  vie  et  les  ouvrages  de 
l'empereur  Manuel  Paleologue,  in  den  Memoires  de  l'institut  de  France,  academie  des  in- 
scriptions  et  belles-lettres  v.  19  (1853)  1—201,  eine  der  besten  Monographien,  die 
man  für  die  byzantinische  Litteraturgeschichte  besitzt;  am  Schlus.se  gibt  der  Verfasser 
eine  chronologische  Tabelle  der  wichtigsten  Thataachen  in  der  Biographie  Manuels 
und  seiner  sämtlichen  Werke  mit  Notizen  über  die  Hand.schriften  und  Ausgaben. 

2.  Das  Geburtsjahr  des  Manuel  setzt  Berger  de  Xivrey  S.  16  nach  den  bestimmten 
Angaben  des  Phrantzes  ins  Jahr  1348;  dagegen  bemerkt  Zachariae  von  Lingenthal, 
Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  der  Wiss.  1888  S.  1413,  dass  Manuel  nicht  vor 
1350  zur  Welt  gekommen  sein  könne,  da  Johannes  Paläologos  erst  1347  heiratete  und 
ihm  vor  Manuel  ein  Sohn  Andronikos  und  eine  Tochter  Irene  geboren  wurden. 

106.  Mazaris'  Fahrt  in  die  Unterwelt,  'Emörjfifu  Mä^agi  iv  ''Aidov, 
ist  wie  Timarion  eine  Imitation  der  Nekyomantie  des  Lukian.  Das 
Werkchen  entstand,  wie  sich  aus  verschiedenen  Anspielungen  mit  Sicher- 
heit ergibt,  in  der  zweiten  Hälfte  der  Regierung  Manuels  II  Palaeologos, 
wahrscheinlich  um  1416.  An  einer  epidemischen  Krankheit,  die  in 
Konstantinopel  wütet,  stirbt  Mazaris  und  kommt  in  die  Unterwelt.  Hier 
empfängt  ihn  sofort  Manuel  Holobolos,  des  Kaisers  erster  Sekretär,  sein 
Begleiter  nach  Italien  und  Frankreich,  der  Verfasser  zahlreicher  Chryso- 
bullen,  Rhetor  und  Arzt  in  einer  Person,  und  befragt  ihn  nach  den  Zu- 
ständen am  byzantinischen  Hofe.  Im  Zwiegespräche  mit  Holobolos  und 
anderen  Hadesbewohnern  schildert  nun  Mazaris  das  schamlose,  selbstsüch- 
tige und  kleinliche  Treiben  der  Hofschranzen  in  Konstantinopel  und  die 
wilden  Streitigkeiten  der  griechischen  Despoten  im  Peloponnes.  Endlich 
findet  er  ein  Mittel  wieder  in  die  Oberwelt  zu  entschlüpfen.  Anhangsweise 
folgen  noch  einige  Briefe  an  und  von  Holobolos.  Die  Hadesfahrt  des 
Mazaris  ist  zweifellos  die  schlechteste  der  bis  jetzt  bekannt  gewordenen 
Imitationen  des  Lukian.  Die  ganze  Satire  besteht  aus  einer  langwierigen 
Reihe  roher  Schimpfreden,  aus  einer  trostlosen  Gallerie  bestechlicher  Richter, 
heuchlerischer  Mönche,  quacksalbernder  Aerzte,  blöder  Weibernarren,  gott- 
vergessener Ehebrecher,  Renegaten  und  sonstiger  Nichtsnutze,  die  uns 
völlig  unbekannt  sind  und  daher  trotz  der  genauen  Personalbeschreibung 
den  Leser  kalt  lassen;  die  einzige  erfreuliche  Erscheinung  in  der  verkom- 
menen Gesellschaft  ist  die  edle  Figur  des  verständigen,  aber  ohnmächtigen 
Kaisers.  Es  ist,  als  hätte  jemand  noch  vor  Thorscbluss  das  verfallende 
Rhomäertum  in  seinen  schlininiston  Seiten  abmalen  und  der  Nachwelt 
zeigen  wollen,  wie  sehr  Byzanz  für  den  drohenden  Untergang  reif  gewor- 
den war.     Immerhin  fesseln  in  diesem  seltsamen  Machwerke  manche  De- 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie.  (§  106-107.)  211 

tails  zur  Geschichte  der  byzantinischen  Kultur  und  Politik  wie 
der  Bericht  über  die  Unternehmung  Kaiser  Manuels  II  gegen  Thasos  (1413).^) 
Der  Dialekt  forscher  notiert  sich  die  Bemerkung  des  Mazaris,  er  fürchte 
bei  einem  längeren  Aufenthalte  im  Peloponnes  durch  die  barbarische  Mund- 
art der  Zakonen  seine  eigene  Sprache  zu  verderben,  sowie  die  merk- 
würdige ethnographische  Einteilung  des  Peloponnes.'-) 

1.  Ed.  pr.  Fr.  Boissonade,  Anecd.  Gr.  3  (1831)  112 -186.  ~  Mit  deutscher  Ueber- 
setzung  und  Kommentar  ed.  Ad.  Ellissen.  Analekten  der  mittel-  und  neugriechischen 
Litteratur,  4.  Teil,  Leipzig  1860.  —  Vorläufige  Notiz  von  B.  Hase,  Not.  et  extr.  9  (1813) 
2,  131  ff.  —  Vgl.  Berger  de  Xivrey,  Memoires  de  l'institut  de  France,  aeademie  des 
inscriptions  19  (1853)  159—162.  —  Analyse  und  Charakteristik  von  H.  F.  Tozer,  Journal 
of  Hellenic  studies  2  (1881)  233-270.  —  S.  auch  die  zu  §  80  zitierte  Litteratur  über 
Plethon. 

2.  A.  a.  0.  S.  129  fF.  berichtet  Hase  über  eine  weitere,  noch  unedierte  Imitation 
der  Nekyomantie,  die  im  cod.  Paris.  1631  steckt.  Es  ist  nach  seinen  Mitteilungen  ein 
bizaiTes  Gemisch  aus  Lukian  und  der  Apokalypse,  das  in  der  Form  einer  Vision  die 
Strafen  der  Unterwelt  ausmalt.  Der  Erzähler  durchwandert  die  Gegenden  des  Hades  unter 
der  Führung  eines  Engels,  der  ihm  die  Schreckensszenen  erklärt.  Unter  den  Seltsamkeiten, 
die  ihm  begegnen,  sind  der  grüne  Donnerstag,  der  Karfreitag  und  die  Fastenzeit, 
die  als  weibliche  Wesen  vor  Gottes  Thron  erscheinen,  um  alle  zu  verklagen,  die  das  Fasten- 
gebot gebrochen  haben.  Meineidige,  falsche  Zeugen,  betrügerische  Kaufleute,  Sünder  jeder 
Art  werden  von  Feuerströmen  verschlungen;  besonders  streng  ist  der  Verfasser  gegen 
den  Protospathar  Petros  von  Korinth,  den  er  mit  siedendem  Pech  und  ähnlichen 
Liebenswürdigkeiten  behandelt.  Von  historischen  Pei*sonen  werden  die  Kaiser  Nikephoros 
Phokas  und  Johannes  Tzimiskes  erwähnt,  was  jedoch  für  die  Zeitbestimmung  nicht 
genug  Anhalt  gewährt;  nach  der  Sprache  glaubt  Hase  das  Stück  in  das  14.  oder  15.  Jahr- 
hundert verweisen  zu  müssen.  Eine  grössere  Zahl  byzantinischer  Imitationen  des 
Lukian  liegt  noch  unediert  in  der  Pariser  Bibliothek  (Hase  a.  a.  0.  S.  129)  und  wohl  auch 
anderswo.  Die  Neigung  zu  scharfer  und  witziger  Kritik,  die  sich  namentlich  in  der  haupt- 
städtischen Bevölkerung  so  oft  in  den  bekannten  Spottversen  und  Pamphleten  {(pä/iovaa) 
Luft  machte,  hat  offenbar  in  der  Satire  im  Sinne  Lukians  ein  beliebtes  Ausdrucksmittel 
gefunden.  Eine  vollständige  Veröffentlichung  und  geschichtliche  Untersuchung  dieser  Stücke 
A\ürde  sehr  dazu  beitragen,  die  übliche  Vorstellung  von  der  akademischen  Gleichförmigkeit 
und  trostlosen  Dürre  des  byzantinischen  Geisteslebens  zu  berichtigen.  —  Ueber  die  Spuren 
des  Lukian  in  der  byzant.  Litteratur  vgl.  auch  J.  G.  Brambs  in  der  zu  §  156  zitierten 
Schrift  S.  57  ff. 

107.  Johannes  Eugenikos  (Evyfrixöc)  aus  Trapezunt,  im  Besitze  der 
Würde  eines  Xomophylax,  blühte  in  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts. Er  bekundet  das  unverwüstliche  Fortleben  der  rhetorischen 
Schulung  durch  eine  Reihe  von  ix(foüaeic,  in  welchen  die  eixoreg  oder 
ix(fQÜat:ig  des  Philostratos  mit  peinlicher  Sorgfalt  und  nicht  ohne  Ge- 
schick nachgeahmt  sind.  In  der  'ExifQuaig  TQanf^ovvioc  schildert  Euge- 
nikos seine  seit  der  Gründung  des  Kaisertums  Trapezunt  geistig  und 
materiell  bedeutend  gehobene  Vaterstadt  nach  ihrer  Lage  und  Umgebung, 
doch  ohne  Rücksicht  auf  ihre  geschichtliche  Vergangenheit.  Eine  wirklich 
originelle,  anschauliche  und  lebensvolle  Beschreibung  der  trapezuntischen 
Gegend,  deren  grossartige  Schönheit  Fallmerayer  zu  einem  seiner  schönsten 
Landschaftsgemälde  begeistert  hat,  darf  man  freilich  in  dem  schul  massig 
angelegten  und  mehr  nach  berühmten  Mustern  als  nach  der  Natur  ge- 
arbeiteten Werke  des  Byzantiners  nicht  suchen.  Aus  der  Anlehnung  an 
gemeinsame  Vorbilder  erklärt  sich  die  Verwandtschaft  des  Stückes  mit  der 
Beschreibung   von   Thessalonike,    welche  Johannes   Kameniates   seiner 


')  S.  241  f.  ed.  Ellissen.  I   Gregorovius.  Geschichte  der  Stadt  Athen  II 

*)  S.  230  und   239   ed.   Ellissen.     Vgl.      285  f. 

14* 


212  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Erzählung  der  Katastrophe  des  Jahres  904  vorausgeschickt  hat.  Eine 
zweite  in  Anordnung  und  Sprache  mit  der  genannten  auffallend  überein- 
stimmende 'Ex(fQaatg  ist  der  Insel  Imbros  gewidmet,  eine  dritte  der 
Stadt  Korinth.  Ausser  diesen  landschaftlichen  Schilderungen  hinterliess 
Eugenikos  mehrere  ex(fQdaf(c  im  engeren  Sinne  d.  h.  Beschreibungen 
von  Gemälden.  So  zeigt  er  uns  eine  mit  Vögeln,  Jagdhunden  und  anderem 
Beiwerke  ausgestattete  Phantasielandschaft,  deren  Mittelpunkt  eine  Pla- 
tane bildet,  ein  Bild  der  hl.  Jungfrau  und  ein  Gemälde,  dasein  junges 
Fürstenpaar  in  einem  Lustgarten  darstellte, *)  Endlich  schrieb  Eugenikos 
eine  Vorrede  (nQo^eMQia)  zu  den  Aethiopica  des  Heliodor,  ein  jambi- 
sches Gedicht  Eig  fixöra  rov  fisyäXov  XQvaoaröfiov,  ein  Emtäifiov  to) 
avO^evTOTiovXo}  in  96  Trimetern  u.  a. 

Auch  der  Bruder  unseres  Rhetors,  Markos  Eugenikos,  Metropolit 
von  Ephesos,  der  durch  seine  Teilnahme  am  Konzil  von  Florenz  1439  und 
durch  zahlreiche  Schriften  gegen  die  Union  und  ihre  Anhänger  (wie  Bes- 
sarion)  bekannt  ist,  gilt  als  Verfasser  von  ex(fQä(ffig.  Sie  schildern  den 
Martertod  des  hl.  Demetrios,  die  Geburt  Christi,  den  Tod  des  hl.  Ephräm, 
einen  Sterbenden  u.  s.  w.;  auch  zwei  Briefe  wurden  ihm  zugeteilt.  Doch 
herrscht  bezüglich  dieser  Stücke  zwischen  den  beiden  Brüdern  ein  Grenz- 
streit, zu  dessen  Schlichtung  genaue  sprachliche  und  handschriftliche  Unter- 
suchungen nötig  wären.  Kayser  wollte  sogar  die  Ekphrasis  von  Korinth 
dem  Markos  zuteilen,  obschon  auch  in  seiner  Handschrift  der  Nomo- 
phylax  Eugenikos  als  Autor  bezeichnet  ist.  Es  ist  aber  vielmehr  zu  ver- 
muten, dass  alle  diese  rhetorischen  Stücke  dem  Johannes  gehören  und 
die  Zuteilung  derselben  an  Markos  nur  durch  die  grössere  Berühmtheit  des 
produktiven  Theologen  veranlasst  wurde. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Ekphr.  von  Trapezunt  in  Paistathii  opp.  ed.  L.  Fr. 
Tafel  1832  S.  370-373.  —  Ekphr.  von  Imbros,  Platane,  hl.  Jungfrau,  Fürstenpaar  ed. 
Fr.  Boissonade,  Anecdota  nova  (Paris  1844)  329 — 346.  —  Später  edierte  die  Ekphr.  von 
Imbros  noch  einmal  ohne  Kenntnis  der  Ausgabe  von  Boissonade  und  nicht  ohne  einijje 
Verschlechterungen  W.  Fröhner,  Philologus  20  (1863)  509  f.;  s.  die  Berichtigung  dort- 
selbst  S.  767.  —  Vorrede  zu  den  Aethiopica  ed.  Bandini,  Catalogus  codd.  Graec. 
biblioth.  Laurentianae  (1768)  III  322  f.;  dortselbst  II  522  Notizen  über  die  theologischen 
Schriften  des  Johannes  F^ugenikos.  —  'Enirdcpioy  ed.  E.  Legrand,  JeXiiov  t»}<:  laioQixiji 
X€u  i9vo'/.oyixijg  tTiaging  rrjg  'EkX.  1  (1883 — 84)  455  if. ;  dazu  459  ff.  bibliographische  Be- 
merkungen von  N.  Politis. 

Ekphrasen  und  Briefe  des  Markos  (?)  Eugenikos  ed.  L.  Kayser  nach:  Philo- 
strati  libri  de  gymnastica,  Heidelbergae  1840.  -  Des  Markos  Schrift  J/fp«  ÖQUjy  l^ioijg  ed. 
Boissonade,  Anecd.  nova  S.  349—362.  —  Theologische  Schriften  des  Markos  bei  Migne, 
Patrol.  Gr.  160  (1866).  -  Vgl.  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  11,  653  und  670-677, 
sowie  die  Praefatio  in  Kaysers  Ausgabe  S.  13  f.  —  Ueber  einen  reichhaltigen  auto- 
graphen  Codex  des  Markos  s.  l'apadopulos  Kerameus  im  //«p«'(>r»;^u«  der  Berichte 
des  FAXt^y,  cpiXoXoyixog  atdkoyog  in  Konstantinopel  17.  Bd.  (1886)  8.  47  f.  und  vgl.  JtXiiov 
rijg  lar.  xai  idyoX.  er.  t»/?  FM.  2  (1885  1889)  679  ff.  —  Zur  Polemik  des  Markos  Eu- 
genikos gegen  Bessarion  über  die  damals  viel  erörtert«  Frage,  ob  es  für  die  Griechen 
besser  sei,  den  Lateineni  oder  den  Türken  unterthan  zu  werden,  vgl.  die  Abhandlung  in 
der  'ETtKpvnig  der  Zeitung  A'*V<  '//,ufp«  1S90  Nr.  809—812  (14.  Juni  bis  5.  Juli). 

108.  Johannes  Dokianos  {Joxeiavog),  ein  sonst  nicht  genannter 
byzantinischer  Rhetor,   der  um   die  Mitte   des  15.  Jahrliunderts  lebte,   ist 

')  Es   gebricht   mir   leider   an   Zeit,    zu  I    Auf  byzantinischem  Boden  hat  er  seine  Vor- 

nntersuchen,    ob  Eugenikos    für  seine  Schil-  bilder  (von  der  Madonna  abgesehen)  schwer- 

derungen  nicht  etwa  Gemälde  der  italieni-  lieh  finden  können, 
geben  FrUhrenaissance  vor  Augen  hattt 


4.  Rhetorik,  Sophistik  und  Epistolographie.  (§  108.)  213 

durch  mehrere  zum  grössten  Teile  nur  fragmentarisch  erhaltene  Dekla- 
mationen bekannt,  welche  auf  die  letzte  Zeit  der  Palaeologen  einiges 
Licht  werfen.  Vollständig  besitzen  wir  ein  um  1450  verfasstes  Enkomion 
auf  den  letzten  byzantinischen  Kaiser  Konstantin  IX.  Die  häufige  Ver- 
wertung von  Zitaten  aus  alten  x\utoren  wie  Homer,  Pindar,  Plato  und 
Demosthenes,  von  Sprichwörtern,  antiquarischen  und  mythologischen  An- 
spielungen hat  Dokianos  mit  den  übrigen  Vertretern  der  Gattung  gemein- 
sam; doch  haben  ausser  Theodor  Hyrtakenos  wenige  dieser  rhetorischen 
Unsitte  so  reichlich  nachgegeben.  Von  den  übrigen  Stücken  sind  nur  Ex- 
zerpte erhalten.  In  einem  nQoa(fo)rr^iiceriov  beglückwünscht  Dokianos 
den  Kaiser  zu  einigen  politischen  Erfolgen,  von  denen  freilich  die  Geschichte 
wenig  zu  berichten  weiss.  Daran  reihen  sich  eine  panegyrische  Rede 
an  den  Despoten  Theodor,  ein  Trost  schreiben  an  einen  gewissen  De- 
metrios  Asanes,  der  3  Söhne  verlor,  ein  Brief  an  einen  gewissen  Mos- 
chos,  worin  sich  der  Verfasser  als  erbitterten  Feind  der  Lateiner  zu 
erkennen  gibt,  einige  Gratulationsbriefe,  die  der  Rhetor  für  eine 
kaiserliche  Prinzessin  abfasste,  endlich  ein  Schreiben  an  Helene,  die 
Tochter  des  Demetrios  Palaeologos.  Despoten  von  Morea  (1449—1460),  die 
später  Gemahlin  des  Sultans  Mohamed  II  wurde. 

Ed.  nach  einem  Autographon  des  Martin  Crusius  von  L.  Fr.  Tafel  in  dem  schwer 
zugänglichen  Tübinger  Programm  1827.  —  Besser  von  K.  Hopf.  Chroniques  Greco-Romanes. 
Berlin  1873  S.  246-258. 


I 


5.  Altertumswissenschaft. 

109.  Allgemeine  Charakteristik.  Für  die  byzantinische  Geistes- 
thätigkeit  ist  es  bezeichnend,  dass  vielleicht  die  Hälfte  der  gesamten  uns 
überlieferten  schriftlichen  Produktion,  wenn  man  von  der  Theologie  ab- 
sieht, in  das  Gebiet  fällt,  das  wir  im  weiteren  Sinne  als  Philologie  defi- 
nieren können.  Es  ist  der  Teil  der  byzantinischen  Litteratur,  in  welchem 
der  Zusammenhang  mit  dem  Altertum  am  unmittelbarsten,  gleichsam  hand- 
greiflich hervortritt.  Es  ist  die  Seite  des  Byzantinertums,  um  derentwillen 
selbst  die  unerbittlichsten  Anhänger  der  klassischen  Alleinherrschaft  eine 
Verbindung  der  mittelgriechischen  Studien  mit  den  altgriechischen  für  thun- 
lich  und  wünschenswert  erachteten.  Daher  kommt  es  auch,  dass  fast  nur 
dieser  Teil  des  byzantinischen  Schrifttums  in  weiteren  philologischen  Kreisen 
näher  bekannt  geworden  ist  und  dass  man  häufig  die  Kraft  und  Eigenart 
des  byzantinischen  Geistes  vornehmlich  nach  dieser  Gattung  beurteilt.  Hie- 
vor  muss  gewarnt  werden.  Zwar  hat  die  Beschäftigung  mit  dem  Alter- 
tum das  geistige  Leben  von  Byzanz  zu  einem  grossen  Teile  bedingt;  denn 
ihr  verdanken  die  Byzantiner  die  Erhaltung  einer  Bildungsbasis,  wie  sie 
kein  anderes  Volk  des  Mittelalters  besass.  Es  darf  aber  nicht  vergessen 
werden,  dass  die  Werke,  durch  welche  die  Rhomäer  am  engsten  mit  ihren 
Vorahnen  verknüpft  sind,  für  die  allgemeine  Kultur-  und  Litteratur- 
geschichte  des  Mittelalters  weniger  bedeuten  als  z.  B.  die  Erzeug- 
nisse ihrer  Geschichtschreibung,  ihrer  Kirchenpoesie  und  Volksdichtung. 
Erst  am  Ausgange  des  Mittelalters,  als  die  Byzantiner  selbst  zu  Grunde 
gingen,  ist  ihr  Philologenwerk  für  die  allgemeine  Bildung  der  Menschheit 
in  ungeahnter  Weise  fruchtbar  geworden. 

Ueber  den  Betrieb  der  philologischen  Studien  in  Byzanz  gilt 
im  allgemeinen  dasselbe,  was  sich  von  der  Grammatik  der  spätröniischen 
Zeit  sagen  lässt.  Mangel  an  selbsterworbener  Gelehrsamkeit  und  systema- 
tischer Kritik,  breite  Geschwätzigkeit  und  köhlergläubige  Wiederholung 
alter  Vorlagen  blieben  auch  bei  den  Byzantinern  die  wichtigsten  Charaktor- 
züge.  Eine  wirkliche  Förderung  philologischer  Fragen,  ja  auch  nur  ein 
unbefangenes  und  gesundes  Urteil  ist  ziemlich  selten  zu  entdecken.  Bei 
alledem  muss  vor  einer  unbilligen  Beurteilung  der  byzantinischen  Philo- 
logen gewarnt  werden.  Will  man  ihnen  geschichtlich  gerecht  werden, 
so  darf  man  sie  nicht  mit  Gelehrten  des  Altertums,   mit  einem  Zenodot, 


5.  Altertumswissenschaft.    Allgemeine  Charakteristik.   (§  109.)  215 

Aristophanes  oder  Aristarch  zusammenstellen.  Sie  sind  von  diesen  durch 
ein  .Jahrtausend  getrennt,  in  welchem  sich  die  Lebensbedingungen  der 
philologischen  Gelehrsamkeit  durch  und  durch  verschlechtert  hatten.  Wie 
unbillig  ist  es,  einen  Planudes  oder  Triklinios  schlankweg  nach  dem 
Massstabe  alexandrinischer  Kritik  abzuschätzen!  Mit  einem  Aristarch  hat 
ein  Moschopulos  doch  nicht  viel  mehr  zu  schaffen  als  etwa  ein  Me- 
lanchthon;  und  wie  übel  müsste  der  gute  praeceptor  Germaniae  bei  einem 
Vergleiche  mit  dem  scharfsinnigen  Alexandriner  wegkommen.  Ebenso 
selbstverständlich  ist  es,  dass  man  Gelelu'ten  der  mittelgriechischen  Zeit 
nicht  die  Hilfsmittel  und  die  Schärfe  der  heutigen  Kritik  zumute.  Und 
doch  ist  auch  dieser  Fehler  von  manchen,  die  über  alles  Byzantinische 
verächtlich  die  Nase  rümpfen,  nicht  selten  begangen  worden! 

Möge  man  endlich  auch  hier,  wie  es  sich  bei  jeder  geschichtlichen 
Betrachtungsweise  ziemt,  auf  die  allgemeinen  Voraussetzungen  der 
Zeit,  der  Nation  und  der  Gesellschaft  etwas  Rücksicht  nehmen;  nur 
dann  kann  das  Urteil  ein  wahrhaft  billiges  werden.  Dass  man  die  Be- 
rechtigung dieser  Forderung  nicht  schon  längst  anerkannt  hat,  erklärt  sich 
nur  aus  der  Übeln  Gewohnheit,  die  byzantinischen  Jahrhunderte  lediglich 
als  ein  lästiges  Anhängsel  der  grossen  klassischen  Zeit  zu  betrachten.  Mit 
solchen  Vorurteilen  muss  gebrochen  werden.  Man  studiere  die  byzantini- 
schen Gelehrten  mitten  in  ihrem  eigenen  Zeitalter;  man  vergleiche  ihre 
Leistungen  mit  den  gleichzeitigen  Bestrebungen  des  Abendlandes,  einen 
Photios  etwa  mit  Alcuin  oder  Johannes  Scotus,  einen  Psellos  mit 
Anselm  von  Canterbury  u.  s.  w.  Die  polyhistorischen  Philologen  der 
letzten  Jahrhunderte  endlich,  wie  Planudes,  Moschopulos,  Theodoros 
Metochites  u.  a.  sind  geschichtlich  unmöglich  richtig  zu  verstehen,  wenn 
man  sie  als  verlotterte  Schüler  des  grossen  Aristarchos  auffasst;  sie 
müssen  als  das  genommen  werden,  was  sie  sind,  als  die  ersten,  bisher 
fast  gänzlich  verkannten  Vorbereiter  des  europäischen  Humanismus. 
Auf  das  Verdienst  der  Wiederbelebung  der  griechischen  Studien  haben 
nicht  nur  jene  Flüchtlinge  Anspruch,  die  im  15.  Jahrhundert  durch  poli- 
tische Stürme  an  die  gastlichen  Ufer  Italiens  verschlagen  wurden;  der 
humanistische  Geist  wirkte  in  Byzanz  schon  bedeutend  früher.  Er  leuchtet 
im  9.  Jahrhundert  auf  in  der  glänzenden  Gestalt  des  Photios,  die  über 
ein  dunkles  und  fast  in  Barbarei  versunkenes  Zeitalter  urplötzlich  wie  die 
Sonne  des  Südens  das  reichste  Licht  verbreitete.  Im  nächsten  Jahr- 
hundert scheint  das  Verständnis  des  Altertums  und  die  Hoffnung  auf 
Erhaltung  desselben  zu  sinken;  ein  despotischer  Wille  droht  durch  gross- 
artige, aber  doch  mechanisch  angelegte  Sammelwerke  die  alte  Litteratur 
zu  verdrängen:  daneben  wirken  aber  auch  verständige  Hüter  und  Erklärer 
der  alten  Schätze  wie  der  merkwürdige  Arethas,  fleissige  Bearbeiter  litterar- 
historischer  Hilfsmittel  wie  Suidas.  Im  elften  Jahrhundert  nähert  sich 
der  universalistische  Geist  des  Psellos  dem  heidnischen  Altertum  schon 
ganz  in  jener  unbefangenen  Weise,  die  den  Humanismus  charakterisiert. 
Völlig  deutlich  erscheinen  humanistische  Bestrebungen  in  der  Zeit  der 
Komnenen  und  Paläologen.  Wer  künftig  eine  Geschichte  des  Hu- 
manismus  schreiben   will,    muss   auf  Moschopulos,   Planudes,  ja   bis   auf 


■ 


216  Byzantinische  Litteratargeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Eustathios,  Psellos,  Arethas  und  Photios  zurückgehen.  Dass  sich  die  Sache 
geschichtlich  so  veiliält,  geht  schon  aus  der  einfachen  Beobachtung  her- 
vor, dass  gerade  die  Werke,  durch  welche  ein  Theodor os  Gazes,  ein 
Konstantin  Laskaris,  ein  Manuel  Chrysoloras  das  Studium  der  grie- 
chischen Sprache  und  Litteratur  am  meisten  beförderten,  aus  älteren  byzan- 
tinischen Vorlagen,  aus  Arbeiten  des  Theodosios,  Moschopulos  u.  a. 
abgeleitet  sind. 

Wenn  die  byzantinische  Philologie  im  wesentlichen  nur  durch  die 
Erhaltung  alter  Weisheit  und  die  segensreiche  Vermittelung  derselben 
an  das  Abendland  eine  allgemeinere  Bedeutung  erlangte,  so  fehlte  es  doch 
nicht  an  selbständigen  Köpfen,  welche,  so  gut  es  in  ihren  Kräften  stand, 
die  Kenntnis  und  Erklärung  der  Alten  förderten  und  sich  selbst  an 
die  Aufstellung  metrischer  Systeme  wagten.  Als  sicher  darf  ange- 
nommen werden,  dass  manche  Byzantiner  sogar  für  die  Verbesserung 
der  Texte  mit  Erfolg  thätig  waren,  ein  Umstand,  der  bei  der  Benützung 
mittelalterlicher  Handschriften  mehr,  als  gewöhnlich  geschieht,  im  Auge 
behalten  werden  sollte.  Die  schwächste  Seite  war  die  eigentliche  Gram- 
matik. Die  wissenschaftliche  Auffassung  derselben  wurde  durch  das  haus- 
backene Bedürfnis  der  Schule  völlig  verdrängt.  Die  unzähligen  Traktate 
über  Formenlehre,  Syntax,  Prosodie  und  Metrik,  von  denen  die  meisten 
Bibliotheken  wimmeln,  sind  nicht  etwa  als  wissenschaftliche  Arbeiten, 
sondern  als  triviale  Lehr-  und  Uebungshefte  aus  dem  byzantinischen 
Schulbetrieb  aufzufassen.  Daher  stimmt  so  selten  ein  Exemplar  mit  dem 
anderen  völlig  überein;  jeder  Magister  und  Schreiber  kontaminierte,  inter- 
polierte, reduzierte  oder  erweiterte  aufs  neue  nach  eigenem  Gutdünken  und 
privater  Willkür  seine  Vorlagen.  Hier  ist  es  also  die  erste  Aufgabe 
der  Kritik,  die  Massen  genealogisch  zu  ordnen  und  aus  dem  wirren 
Chaos,  dessen  Zusammenhänge  kein  Stammbaum  genügend  zu  erklären 
vermöchte,  die  guten  Körner  alter  Gelehrsamkeit  herauszuschälen,  eine 
Aufgabe,  deren  Bewältigung  nicht  zu  den  geringsten  Verdiensten  der  Be- 
arbeiter des  bei  Teubner  erscheinenden  Corpus  der  griechischen  Gram- 
matiker gehört.  Dann  wird  man  auch  aufhören,  irgend  ein  zufällig  be- 
gegnendes Stück,  wie  es  früher  nicht  selten  geschah,  zum  Schrecken  aller 
Fachgenossen  ohne  Besinnen  gedruckt  in  die  Welt  hinauszuschicken. 

1.  Sammclausgaben.  Für  die  philologische  Litteratur  der  spätgriediischon  und 
byzantinischen  Zeit  kommen  namentlich  folgende  hier  in  chronologischer  Reihenfolge  auf- 
gezählte Sammlungen  in  Betracht:  Casp.  d'Ansse  de  Villoison,  Anecdot«  Graeca,  2  Hde., 
Venedig  1781.  —  Imm.  ßekker,  Anecdot«  Graeca,  3  Bde.,  Berlin  1814 — 21.  —  Andr. 
Mustoxydes  (und  D.  Schinas),  IvX'Aoyrj  'FAXtji'txMi^  dyexifÖTioy.  6  Hefte,  Venedig  181(i 
(enthält  fast  nur  unbedeutende  Stücke).  —  Ludw.  Bachmann,  Anecdot«  Graeca,  2  Bde.. 
Leipzig  1828 — 29  (ergänzt  vorzüglich  die  Anecdota  von  Bekker).  —  J.  Fr.  Boissonade. 
Anecdota  Graeca,  5  Bände,  Paris  1829—33.  —  J.  A.  Gramer,  Anecdota  Graeca  e  codd. 
mss.  bibl.  Oxon.  (gewöhnlich  als  Anecd.  Oxoniensia  zitiert),  4  Bände,  Oxford  1835 — 37.  — 
.T.  A.  Cramer,  Anecdota  Graeca  e  codd.  mss.  bibl.  Paris,  (gewöhnlich  Anecd.  Parisiensia), 
3  Bände  in  4  Teilen,  Oxford  1839—41.  —  P.  Matranga,  Anecdota  Graeca,  2  Teile.  Koni 
\ShO  (sehr  ungenau  und  unmethodisch).  —  Val.  Rose.  Anecdota  Graeca  et  (iraecolatinn. 
2  Teile,  Berlin  1864—70.  -  K.  Miller,  MiManges  de  litt<^rature  (irecque.  Paris  1868.  - 
G.  Studeniund,  Anecdot«  varia  (traeca  niu.sica,  metrica,  gramnuttica,  Berlin  188(>.  - 
Im  Erscheinen  begriffen  ist  eine  von  Uhlig,  Hilgard.  Kgenolff,  K.  Scholl  u.  a.  heraus- 
gegebene Sammlung  der  griechischen  (Jrammatiker;  s.  §137.  —  Kmendationen  zu 
den  in  den  angeführten  Sammlungen  enthaltenen  Texten  bes.  bei  Leo  Stern bach,  Mele- 


6.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§110.)     217 

temata  Graeca.  P.  I,  Vindobonae  1886.  Im  übrigen  s.  die  Litteratiir  zu  den  einzelnen 
Autoren. 

2.  Ueber  die  griechischen  Humanisten  handelt  das  jetzt  veraltete  Buch  von 
Humphredus  Hodius,  De  Graecis  illustribus,  Londini  1742.  —  Charakteristik  einiger 
Hauptpersonen  bei  G.  Voigt,  Die  Wiederbelebimg  des  classischen  Altertums.  2.  Aufl. 
(2  Bände,  Berlin  1880—81),  bes.  1  225  ß.;  II  102  ff.  —  Die  besten,  auf  sorgfältigem  Studium 
aller  erreichbaren  Aktenstücke  beruhenden  Biographien  der  griechischen  Gelehrten  des 
15.  und  16.  Jahrhunderts  gab  E.  Legrand,  Bibliographie  hellenique.  tome  I,  Paris  1885; 
er  handelt  ausführlich  über  Manuel  Chrysoloras,  Theodoros  Gaza,  Andronikos  Kallistos, 
Michael  Apostolios,  Konstantin  Laskaris,  Demetrios  Moschos,  Demetrios  Chalkondyles, 
Tustinos  Dekadyos,  Markos  Musuros,  Zacharias  Kalliergis,  Nikolaos  Vlastos,  Anna  Notaras, 
fohannes  Laskaris.  Demetrios  Kastrenos,  Aristobulos  (Arsenios)  Apostolios,  Angelos  und 
Nikolaos  Yergikios  (Vergetius),  Nikolaos  Sophianos.  Matthaeos  Devaris,  Leonardos  Phortios. 
Antonios  Eparchos.  —  Von  sonstiger  Litteratur  verdient  vor  allem  noch  Erwähnung  Henri 
Vast:  Le  cardinal  Bessarion  (1403 — 1472),  Paris  1878,  ein  gründliches  Werk,  welches  über 
den  Anteil  der  Griechen  an  den  geistigen  Bewegungen  des  15.  Jahrhunderts  reiches  Licht 
verbreitet. 

A.  Philologische  Polyhistoren  und  Scholiasten. 

110.  Umfang  der  philologischen  Studien  der  Byzantiner.    Bei 

der  Betrachtung  der  philologischen  Thätigkeit  in  Byzanz  richtet  sich  die 
Aufmerksamkeit  vor  allem  auf  die  Frage,  was  die  Byzantiner  von  der 
alten  Litteratur  besassen  und  welche  Werke  ihre  Lieblings- 
lektüre bildeten.  Genau  genommen  müsste  das  Problem  chronologisch 
aufgefasst  d.  h.  etwa  für  jedes  Jahrhundert  besonders  untersucht  werden. 
Allein  zu  einer  derartigen  Verschärfung  der  Prüfung  ist  die  Zeit  nicht 
gekommen ;  mangelt  es  doch  für  unsere  Frage  selbst  in  ihrer  allgemeinsten 
Fassung  noch  an  genügenden  Vorarbeiten  und  Materialien.  Wir  geben 
daher  nur  eine  kurze  Uebersicht  und  berücksichtigen  dabei  in  Bausch  und 
Bogen  die  Zeit  nach  dem  Bildersturm.  Soweit  sich  gegenwärtig  der  Stand 
der  Dinge  überblicken  lässt,  kann  nicht  geleugnet  werden,  dass  die  mär- 
chenhaften Vorstellungen,  die  früher  von  dem  litterarischen  Besitzstande 
der  Byzantiner  herrschten  und  zu  den  kühnsten  Hoffnungen  auf  die  ver- 
borgenen Schätze  der  orientalischen  Bibliotheken  anregten,  vor  einer  ge- 
naueren Prüfung  in  sich  zusammenfallen.  Von  der  gesamten  klassischen 
Litteratur,  vom  epischen  Zyklus,  von  Pindar  und  den  anderen  Lyrikern, 
vom  attischen  Drama  und  der  Komödie,  von  Plato  und  Aristoteles,  von 
den  Historikern  und  Rednern  der  voralexandiinischen  Zeit  hatte  man  in 
Byzanz  seit  dem  9.  Jahrhundert  wenig  mehr,  als  wir  heute  besitzen.  Besser 
war  es  mit  der  spätem  historischen  und  fachgelehrten  Litteratur 
bestellt.  Die  konstantinischen  Exzerptoren  besassen  manche  jetzt 
nur  fragmentarisch  erhaltene  Geschichtschreiber  wie  Dexippos,  Eunapios, 
Priskos,  Malchos,  Petros  Patrikios,  Menander  Protektor,  Johannes  von  An- 
tiochia  u.  a.  Dagegen  ist  es  recht  bezeichnend,  dass  sie  den  Dio  Cassius 
nur  noch  in  einem  defekten  Exemplare  benützen  konnten.  Bei  Polybios 
wird  das  Fehlen  ganzer  Lagen  von  den  Redaktoren  selbst  ausdrücklich 
vermerkt.')  Ebenso  vermochten  Zonaras  und  Xiphilinos  keinen  voll- 
ständigen Dio  Cassius  mehr  aufzutreiben.  Beachtenswert  sind  einige  An- 
gaben des  Psellos.     In  der  Leichenrede   auf  seine  Mutter  erzählt  er,   er 


')  S.  L.  Dindorf,  Jahns  Jahrb.  99  (1869)  114. 


218  Byzantinische  Litteratargeschichte.    I.  Prosaische  Litterainr. 

spreche  vor  einigen  seiner  Hörer  über  Homer  und  Menander,  Archilochos, 
Orpheus  und  Musäos,  über  die  Sibyllen  und  Sappho,  über  Theano  und  die 
ägyptische  Weise  (Hypatia?).')  Allein  es  ist  sehr  gewagt,  aus  so  allge- 
meinen Redensarten  den  Schluss  zu  ziehen,  dass  Psellos  alle  diese  Autoren 
wirklich  vor  sich  gehabt  habe.  Die  Byzantiner  verstanden  ebensogut  als 
moderne  Menschen  die  Kunst,  sich  über  Dinge  zu  ergehen,  deren  Kenntnis 
sie  abgeleiteten  Quellen  verdankten.  Uebcr  Menander  konnte  Psellos  auch 
reden  auf  Grund  der  im  Mittelalter  stark  verbreiteten  Sinnsprüche  dieses 
Komikers.  Das  wird  sogar  wahrscheinlich  aus  einer  zweiten  Stelle,  wo 
er  neben  Alaxvloc,  2o(foxXr:g,  EvQiniSr^g  u.  s.  w.  nicht  den  MtrarSgog, 
sondern  id  Meräv^Qeicc  erwähnt.-)  Ebenso  zweifelhaft  ist  es,  ob  Eu- 
stathios,  wie  vermutet  wurde,  bei  der  Abfassung  seines  Pindarkommentars 
mehr  besessen  habe  als  unsere  Epinikien. 

Die  Lektüre  der  Schule  und  der  weiteren  Kreise  umfasste 
namentlich  den  Homer,  das  niemals  aufgegebene  Schulbuch  der  griechischen 
Nation,  Hesiod,  Pindar,  ausgewählte  Stücke  der  Tragiker,  nämlich  von 
Aeschylos  Prometheus,  Sieben,  Perser;  von  Sophokles  Aias,  Elektra,  König 
Oedipus;  von  Euripides  teils  die  neun  Stücke,  die  im  Marcianus  (A)  stehen, 
teils  gar  nur  drei  Stücke  (Hekabe,  Orestes,  Phönissen),  deren  Handschriften 
die  kleinste  byzantinische  Euripidesausgabe  darstellen;  dazu  Aristophanes, 
Theokritos  und  seltsamer  Weise  Lykophron;  grosser  Beliebtheit  erfreute 
sich  auch  das  geographische  Epos  des  Dionysios  Periegetes.  Unter  den 
Prosaikern  herrschte  Thukydides,  einzelne  Stücke  des  Plato  und  Demo- 
sthenes,  Aristoteles,  Biographien  des  Plutarch,  Themistios,  Libanios  und 
besonders  Lukianos,  von  dessen  Beliebtheit  die  zahlreichen,  zuweilen  nicht 
übel  gelungenen  Imitationen  Zeugnis  ablegen.  Selbst  Romanschreiber  wie 
Achilles  Tatios  und  Heliodoros  wurden  nicht  verschmäht.  Mehr  als  alles 
andere  wurden  natürlich  die  heiligen  Schriften  und  einzelne  Kirchenväter 
wie  Gregor  von  Nazianz  und  Johannes  Chrysostomos  gelesen  und  ab- 
geschrieben. Die  Mehrzahl  der  Autoren  blieb  naturgemäss  dem  Privat- 
studium überlassen ;  daher  konnte  sich  auch  manches  seltene  Werk  in  ver- 
einzelten Exemplaren  erhalten. 

Wenn  man  nach  den  Ursachen  des  Unterganges  so  vieler 
Werke  forscht,  so  ist  wohl  religiöse;  Intoleranz  auszuschliesson;  dass  man 
alte  Werke  nur  wegen  ihres  heidnischen  Charakters  vernichtet  hätte,  lässt 
sich  kaum  erweisen.'')   Wahrhaft  verhängnisvoll  wurde  dagegen  der  lange 

')  K.  Sathas,    ^fe<falon'.    ßißXioStjxt]  .5.  538:     .h'Tlxa    Jia/vXo?    fify    jQnxvrei    xi]y 

59    f.:    xai    yuQ    xai    TteQi    Tioitjfjnrtoy    tiqüc  äxoijy    ovx   et>tj/oic:   ovö/naait:    dXXd   TQn/f'ai 

it'lovg    Twv    ofxiXtjTüii'    (pßf'yyofjta,    xui    ntQi  l    xid   dvarpwyotc,  f<V  oyxoy  fSatQiar  rtjy  noitj- 

'OfitjQov  xai   Mtvüt'ö()ov.    x(u   l-Zp/'^'I/ot',  '(>Q-  :    otr    '    fUXQÖy    ti     tovtov    iinoSf?    2o<jroxA»;c, 

(ft'wg    re    x(u    Movauiov,    xai    ÖTiöaa    xai    ro  XftojfQov  Jf  rny  Xöyov  fieraj^figiCfrai  6  'Pkiä- 

ftij'Av  ^aav  ^ißvXkai  le  xai  lanffio  »;  fiovao-  atoc:    KvQiTiidtjc.      Twy    di    xiofutxiöy    'jQiain- 

Tioiog,   fteayai  re  xai  r,   Aiyxmx'ia  aocftj (fäytjf  fiiy  ßäyavaö?  firri   ta  tioXXu    xai   9tj- 

ti(  6  '.tXfitg    xai    ö   Mf'yayifQog    xid    o    avz6-       Xvfiayfj<; rä  ö^  ;'f   Mfyäyd(ietn   rov- 

fftrof   KgößaXog    xai    6  kXtjaaqoi:.    xai    ti   rig  '    rwr  fih'  xarant(f{)öyr,xe  xxX. 

i'ttQog    noiTJati    Xeyo/jfyog    ;f(>»/fffm.V«f.      Für  ')  Das  schwacho  Zciignis  des  ret<>r  Al- 

KgoßaXof  und  KXrjoutfog  verniutot  K.  Sathas,  cyonius,  dor  als  Kiiah»' von  Doriu'trios  Clialko- 

Annuaire    de    I'hshoc.  9   (1H75)    195  f.    wohl  kondyles    gehüH    hahen  wollte,    dass   früher 

richtig;  KQtüßvXog  und   KXeiaotpog.  die  griechischen  I'riester  die  profanen  Dich- 

*)  K.  Sathas,   Miaattoy.  ßißXiod^Kt]  5,  tungen   verhraiint   hätten,    wird    von  Hern- 


5.  AltertamswisseiiBchaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  n.  Scholiasten.  (§  110.)     219 

Stillstand  der  gelehrten  und  litterarisehen  Bestrebungen  von  der 
Mitte  des  7.  bis  in  die  Mitte  des  9.  Jahrhunderts.  Im  10.  Jahrhundert 
mag  der  Untergang  mancher  Werke  durch  die  konstantinischen  En- 
zyklopädien beschleunigt  worden  sein,  welche  durch  ihre  bequemen  Ex- 
zerpte die  Originalwerke  wenigstens  für  die  Bedürfnisse  des  Staates  und 
der  Kirche  zu  ersetzen  bestimmt  waren  und  im  Abschreiben  der  vollstän- 
digen Exemplare  wahrscheinlich  eine  gewisse  Erlahmung  herbeiführten. 
Grosse  Wunden  schlug  die  barbarische  Zerstörung  und  Verbrennung 
Konstantinopels  durch  die  Kreuzfahrer  (1204),  welche  ausser  zahl- 
losen Kunstwerken  auch  Akten  und  Bücher  vernichteten.  Geringer  sind 
wohl  die  Verluste,  die  der  noch  übrige  Rest  alter  Bibliotheken  durch  die 
türkische  Eroberung  erlitt.  Damals  hatte  man  längst  begonnen,  grie- 
chische Handschriften  als  einen  kostbaren  Handelsartikel  zu  schätzen. 
Vieles  ging  natürlich  trotzdem  in  der  blinden  Wut  des  ersten  Ansturms 
verloren;  daneben  ist  aber  ausdrücklich  überliefert,  dass  die  Türken  aus 
den  gefundenen  Handschriften  Geld  machten  und  ganze  Wagenladungen 
von  Büchern  nach  allen  Richtungen  des  Morgen-  und  Abendlandes  ver- 
schleuderten.') Dass  noch  unter  der  osmanischen  Herrschaft  in  Kon- 
stantinopel und  in  Provinzialstädten  reich  ausgestattete  Handschriftensamm- 
lungen bestanden,  wird  vielfach  bezeugt.  Doch  konnten  sich  infolge  der 
stets  gefährdeten  Stellung  vornehmer  Familien  und  der  häufigen  Seque- 
stration grosser  Privatvermögen  die  Bibliotheken  nicht  lange  in  einer  Hand 
erhalten.  So  wurde  die  wertvolle  Büchersammlung  des  Michael  Kanta- 
kuzenos,  nachdem  derselbe  beim  Sultan  in  Ungnade  gefallen  und  zum 
Tode  verurteilt  worden  war,  1578  öffentlich  versteigert;  vieles  kauften 
griechische  Mönche,  einiges  kam  durch  Stephan  Gerlach  nach  Deutsch- 
land. Auch  aus  anderen  Privatbibliotheken  zettelten  sich  nachweisbar 
wertvolle  Stücke  los  und  wanderten  nach  dem  Abendlande.  Eine  Samm- 
lung von  Handschriften  schenkte  Sultan  Solimanll  dem  spanischen  Ge- 
sandten Diego  de  Mendoza.^)  Im  17.  Jahrhundert  gelangte  der  wichtige 
Codex  der  konstantinischen  Exzerpte  über  Tugenden  und  Laster 
aus  Cypern  in  den  Besitz  des  Peirescius,  und  noch  gegen  das  Ende  des 
vorigen  Jahrhunderts  bescherte  eine  Privatbibliothek  bei  Konstantinopel  die 
einzige  Handschrift  des  Johannes  Lydos.  Am  sichersten  vor  gewalt- 
thätigen  Eingriffen  waren  die   Klosterbibliotheken.     Doch   beschränkte 


hardy,  Grundriss  der  gr.  Litt.  I,  4.  Aufl.  '  antHyres  tov  /Qvaoy  xcei  roy  äqyvQoy,  ä%X 
(1876)  695  und  von  Sathas,  Annuaire  de  iTiwXoi^r,  «AA'  egginroy.  Nichts  Neues  bietet 
l'assoc.  9  (187.5)  187  mit  Recht  zurückge-  die  wohl  aus  Dukas  geschöpfte  Notiz  des 
wiesen.  Kritobulos,  Müller,  Fragni.  hist.  Crraec, 
')  Die  genaueste  und  glaubwürdig.ste  vol.  5,  96.  Die  in  einem  vom  15.  Juli  145.S 
Nachricht  über  das  Schicksal  der  griechischen  datierten  Briefe  an  Papst  Nicolaus  V  ent- 
Bibliotheken nach  der  Eroberung  überliefert  haltene  Angabe  des  Lauren tius  Quirinus, 
der  Zeitgenosse  Dukas,  Cap.  42  (S.  312  ed.  es  seien  damals  über  120000  Codices  zu 
Borin.):  r«?  cT«  ßifSXov?  unäoftg,  iTifo  «pti?-  (jrunde  gegangen,  beruht  offenbar  auf  über- 
hol' vTieQßaiyot'aa?,  raig  u^ü^mg  (fagir^yw-  treibenden  Gerüchten.  Hodius,  De  Graecis 
aayreg  unuyiaxov  iy  if,  uy€ao}.f,  xcd  dvaei  illustribus  (Londini  1742)  S.  192. 
diidTieigay  •  rf/'  tyog  vofiia^uxoi;  dtxa  ßißXoi  ^)  S.  K.  Miller,  C'atalogue  des  mss. 
ini7iQ€iaxoyro,.foiaiorehxoi,ni.((TO)yixoi,»eo-  grecs  de  la  bibliotheqne  de  l'Escurial,  Paris 
Xoyixoi  xui  (cXXo  ndy  eldog  ßißkov  ■  evayyiXia  1848  S.  III  ff. 
ftfju    x6af4ov    TTuyxoiov    vnfQ    fiitgoy,    tlyte- 


220  Byzantinische  Litteratargeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

sich  ihr  Besitz  naturgcmäss  von  Anfang  an  vornehmlich  auf  theologische 
Litteratur,  und  die  wenigen  guten  Profanwerke  waren  hier  zwar  vor  den 
Krallen  türkischer  Machthaber,  nicht  aber  vor  europäischen  Reisenden 
sicher,  die  im  Laufe  der  letzten  Jahrhunderte  fast  alles  Bedeutende  all- 
mählich auf  gesetzlichem  oder  ungesetzlichem  Wege  nach  dem  Westen  zu 
bringen  verstanden.  So  kam  der  berühmte  Platocodex  durch  Clarke  aus 
den  stillen  Klosterräumen  von  Patmos  nach  England,')  wertvolle  Exem- 
plare heiliger  Schriften  durch  Tischendorf  vom  Sinai  nach  Leipzig  und 
Petersburg,  anderes  durch  Minoides  Mynas  vom  heiligen  Berge  nach  Paris 
und  durch  russische  Reisende  nach  Moskau.  Es  ist  daher  kein  Wunder, 
dass  die  Hoffnungen,  die  sich  an  die  orientalischen  Bibliotheken  geknüpft 
hatten,  durch  die  in  der  letzten  Zeit  bekannt  gewordenen  Inventare  auf 
ein  sehr  bescheidenes  Mass  von  Wirklichkeit  zusammengeschwunden  sind. 
Die  zwei  wertvollsten  Stücke,  die  noch  in  der  neueren  Zeit  ans  Licht  traten, 
der  von  Lambros  gefundene  Athoscodex  des  Hermas  und  die  von  Bry- 
ennios  veröffentlichte  ^iSa^rj  gehören  der  christlichen  Litteratur  an.  AVas 
sich  noch  an  klassischen  Texten  vorfindet,  sind  meist  ganz  wertlose, 
oft  sogar  aus  Drucken  abgeschriebene,  mit  einer  sogenannten  Psychagogie 
d.  h.  mit  einer  neugriechischen  Interlinearparaphrase  versehene  Schulhefte 
der  letzten  Jahrhunderte.  Selbst  die  alte  und  von  den  Stürmen  der  Zeit 
wohl  am  besten  verschonte  Klosterbibliothek  in  Patmos  besitzt  von 
antiken  Profantexten  nur  einen  nicht  einmal  besonders  hervorragenden 
Diodor  aus  dem  IL  Jahrhundert.  Aehnlich  steht  es  in  den  Bibliotheken 
des  Athos,  des  Sinai,  des  alten  Serai  und  in  den  kleineren  Sammlungen 
zu  Smyrna,  Lesbos  u.  s.  w.  Den  Hauptbestand  bilden  überall  dogma- 
tische, liturgische  und  asketische  Werke.  Eine  reichere  Ausbeute  ergibt 
sich  nur  für  die  byzantinischen  Studien;  in  dem  bis  jetzt  veröffent- 
lichten Teile  des  Katalogs  der  Athosklöster  finden  sich  z.  B.  zahlreiche 
Schriften  des  Photios,  Psellos,  Ptochoprodromos,  Philes,  Nikephoros  Kalli- 
stos  Xanthopulos,  Uebersetzungen  des  Planudes,  Rätsel  und  Orakel  Leos 
des  Weisen,  unedierte  Briefe  des  Michael  Glykas,  Schriften  zum  Barlaam- 
streit,  polemische  Abhandlungen  gegen  Mohamed  und  die  römische  Kirche. 
Dazu  kommen  vulgärgriechische  Texte  wie  Stephanites  und  Ichnelates,  die 
griechische  Manekinlegende,  der  von  W.  Wagner  ^)  veröffentlichte  'Ak(fäßijio(; 
xaTavvxTixög  und  ein  ähnliches,  wie  es  scheint,  noch  unediertes  Gedicht, 
endlich  ein  vulgärgriechisches  Lexikon.  Auffallend  ist  der  Mangel  an 
byzantinischen  Historikern  und  Chronisten. 

Bei  dieser  flüchtigen  Skizze  müssen  wir  es  vorerst  bewenden  lassen. 
Da  es,  wie  bemerkt,  an  umfassenden  und  verlässigen  Vorarbeiten  über 
den  Umfang  der  byzantinischen  Lektüre  fehlt,  mag  es  nicht  überflüssig 
sein,  zum  Schlüsse  noch  die  wichtigsten  Hilfsmittel  zu  nennen,  die  bei 
einer  Untersuchung  dieses  Gegenstandes  dienlich  sein  dürften.  Den  Aus- 
gangspunkt bildet  die  Bibliothek  des  Photios;   da  jedoch  die  Auswahl 


')  Die   näheren  Umstände    dieser   ,Knt-  '   (1885—89)  427. 

fülining''    erzülilt    nach    dem    Berichte    von  ;            *)  Carmina    (»raeca    niodii    aevi    S.  242 

Augenzeugen    J.    Sakkolion,    Jekiioy    irji  bis  247;  imAthoscodex  lautet  der  Titel:  *v«A- 

loioq.   »ai  i&voXoy.  iiaiQias   riyf  'FJAädoi  2  <ff(ßTjios  »atayvxttxtj. 


5.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  110.)     221 

der  hier  beschriebenen  Bücher  auf  Zufall  und  Willkür  beruht,  dürfen 
natürlich  nur  aus  seinen  positiven  Angaben,  nicht  aus  seinem  Schweigen 
Schlüsse  gezogen  werden.  Schwieriger  wird  die  Prüfung  der  Frage  bei 
Suidas,  Eustathios  und  Tzetzes.  Die  byzantinische  Unsitte,  alte  Au- 
toren aus  zweiter  oder  dritter  Quelle  anzuführen,  bereitet  auf  Schritt  und 
Tritt  Fallstricke.  Wie  sehr  diese  Scheinzitate  früher  irregeführt  haben, 
lässt  das  eine  grossartige  Beispiel  der  Quellenuntersuchung  des  Suidas 
immer  deutlicher  erkennen.  Ausser  diesen  Hauptautoren  kommen  natür- 
lich die  Handschriften  der  alten  Texte  selbst  in  Betracht,  dazu  die  Masse 
byzantinischer  Schollen,  rhetorische  Uebungsstücke,  Briefe,  selbst  Geschichts- 
werke und  Chroniken.  Aus  diesen  weiter  abliegenden  Quellen  muss  das 
Material  zum  grössten  Teil  erst  beschafft  werden.  Man  sieht,  welche 
Summe  philologischer  Erudition  eine  erfolgreiche  Untersuchung  des  Pro- 
blems voraussetzt. 

Bequemer  liegen  die  Nachrichten  in  einigen  Katalogen  byzantini- 
scher oder  aus  byzantinischer  Zeit  stammender  Bibliotheken.  Leider  sind 
von  älteren  Verzeichnissen  griechischer  Handschriften  nur  wenige  bekannt 
geworden  und  auch  diese  lassen  sich  an  Reichtum  des  Inhaltes  mit  den 
neuerdings  massenhaft  ans  Licht  gezogenen  IJegistra  abendländischer 
Bibliotheken  des  Mittelalters  nicht  vergleichen.  •)  Hieher  gehört  das  Bücher- 
inventar des  von  Michael  Attaliates  1077  gestifteten  Klosters,  das  frei- 
lich nur  die  notwendigsten  kirchlichen  Werke  aufweist,  dann  ein  aus  dem 
Jahre  1355  stammendes  Verzeichnis  der  wichtigsten  Handschriften  der 
Klosterbibliothek  zu  Patmos  und  der  im  Anfange  des  18.  Jahrhunderts 
von  Chrysanthos  Nota  ras  abgefasste  summarische  Katalog  der  in  den 
Athosklöstern  aufbewahrten  Handschriften.  Sehr  merkwürdig  sind  die 
zwischen  1565  und  1575  in  verwahrlostem  Neugriechisch  geschriebenen 
Kataloge  einiger  Privatbibliotheken  in  Konstantinopel  und  Bodos to 
(Rhaedestos),  Unter  vielen  anderen  Kostbarkeiten  verzeichnen  sie  die  Ge- 
schichtswerke des  Ephoros,  Theopompos,  Philochoros  und  Eunapios, 
endlich  gar  24  Komödien  des  Menander  mit  einem  Kommentar  des  Psellos 
und  die  Komödien  des  Philemon,  die  ersteren  sogar  in  zwei  Exemplaren. 
Leider  ist  die  Glaubwürdigkeit  dieser  Freudenbotschaft  aus  vielen  und  ge- 
wichtigen litterargeschichtlichen  Gründen  ernstlich  zu  bezweifeln.  Wenn 
es  mir  auch  nicht  möglich  ist,  auf  meine  Bedenken  näher  einzugehen,  so 
will  ich  zur  Bezeichnung  meines  Standpunktes  doch  bemerken,  dass  ich 
die  auf  die  genannten  Historiker  und  Komödiendichter  bezüglichen  Angaben 
der  Verzeichnisse  für  eine  absichtliche  Fälschung  halte.*)  Nach  Grün- 
den, die  zu  einer  so  plumpen  Mystifikation  führen  mochten,  braucht  man 
in  jener  Blütezeit  der  Schwindellitteratur  und  des  Handschriftenhandels 
nicht  lange  zu  suchen.  Immerhin  wäre  es  eine  dankenswerte  Aufgabe, 
diese  Kataloge  ausführlich  durchzunehmen  und  zu  kommentieren.    Endlich 

')  Eine    Sammlung    lateinischer    Biblio-  ;  trachtet.     Auch   K.    Sittl   glaubt   dieselben 

thekskataloge  veröffentlichte  Gust.  Becke  r,  zur   Widerlegung    der   Fabel    von    der  Ver- 

Catalogi  bibliothecarum  antiqui,  Bonnae  1885.  |  brennung    der    Profandichter    durch    byzan- 

^)  Obschon  selbst  ein  Forscher  wie  Fr.  |  tinische  Theologen  (s.  S.  218)  verwerten  zu 

Bücheier,  Philologische  Kritik,  Bonn  1878  |  dürfen.   Berliner  phil.  Wochenschi.  (Calvary) 

S.  11,   diese  Kataloge   als   glaubwürdig  be-  \  1890,  472. 


222  Byzantinische  Litteraturgescliichte.    1.  Prosaische  Litteratnr. 

sind  die  heute  noch  auf  ehemals  byzantinischem  Boden  erhaltenen 
Bibliotheken  zu  berücksichtigen.  Die  erste  Stelle  behaupten  die  grossen 
Büchereien  der  Athosklöster; ')  ihnen  folgen  die  Bibliotheken  auf  Patmos, 
auf  dem  Sinai,  im  alten  Serai,  in  Chalke,  in  den  Patriarchaten  zu  Jeru- 
salem und  Alexandria,  in  der  evangelischen  Schule  zu  Smyrna  u.  s.  w. 
Die  Handschriften  des  Königreichs  Griechenland  sind  jetzt  in  der  Univer- 
sitätsbibliothek zu  Athen  vereinigt  und  der  Obhut  des  trefflichen  J.  Sak- 
kelion  anvertraut. 

1.  Alte  Handschriftenkataloge:  Das  Bücherinventar  des  von  Michael  Attaliates 
gestifteten  Klosters  ed.  K.  Sathas,  Msaaiioy.  ßißXio»ijxr]  1  (1872)  49  ff.  Den  alten 
Katalog  von  Patmos  edierte  aus  cod.  Vatic.  120.5  A.  Mai,  Nova  patrum  bibliotheca,  vol.  6 
(Roniae  1853)  pars  2,  S.  537—539;  darnach  wiederholte  ihn  Migne,  Patrol.  Gr.  149  (1865) 
1049 — 1052;  endlich  edierte  ihn  ohne  Kenntnis  von  diesen  Drucken  W.  Studemund, 
Philologus  26  (1867)  167—173.  —  Katalog  des  Chrysanthos  Notaras  bei  K.  Sathas, 
Meamojy.  ßißXtoStjxtj  1  (1872)  271—284.  —  Die  Kataloge  der  Privatbibliotheken  in  Konstan- 
tinopel und  Rodosto  (um  1570)  sind  ed.  von  R.  Foerster,  De  antiquitatibus  et  libris  mss. 
Cpolitanis,  Rostock  1877.  Dazu  vgl.  K.  Sathas,  Sur  les  commentaires  Byzantins  relatifs 
aux  comedies  de  Menaudre  etc.,  Annuaire  de  l'assoc.  9  (1875)  187 — 222.  —  Aeltere  Kata- 
loge lateinischer  imd  griechischer  Handschriften  sind  mitgeteilt  von  Leopold  Delisle, 
Le  cabinet  des  mss.  de  la  bibliotheque  nationale,  4  voll.,  Paris  1868  —  1881  (s.  den  Index 
des  3.  Bandes).  -  Vgl.  K.  Boysen,  Ein  catalog  der  griechischen  Mss.  der  bibliothek  von 
Fontainebleau,  Philologus  41  (1882)  753 — 755.  —  Das  Inventar  der  griechischen  Hand- 
schriften des  .Johannes  Laskaris.  nebst  einigen  Briefen  desselben  ist  mitgeteilt  von  Pierre 
de  Nolhac,  Melanges  d'archeologie  et  d'histoire  de  Te^cole  fran?.  de  Rome  6  (1886) 
251 — 274.  —  Zuletzt  veröffentlichte  noch  zwei  Kataloge  aus  den  .Jahren  1572  und  1578 
E.  Legrand,  Notice  biographique  sur  Jean  et  Th^odose  Zygomalas,  Paris  1889  S.  137     155. 

2.  Gegenwärtiger  Bestand:  Die  Bibliotheken  der  Athosklöster  sind, 
nachdem  frühere  Besucher  wie  Villoison,  Fallmerayer,  Minoides  Mynas,  E.  Miller  u.  a. 
einzelne  Notizen  mitgeteilt  hatten,  im  Auftrage  der  griechischen  Regierung  von  Sp.  Lam- 
bros  genau  inventarisiert  worden.  Der  summarische  Bericht  desselben  an  die  Kammer 
("Ex.9fffK  Tinos  Tj/V  ßovXtjy)  wurde  gleichzeitig  zweimal  ins  Deutsche  übersetzt,  von  August 
Boltz,  Die  Bibliotheken  der  Klöster  des  Athos,  Bonn  1881,  und  von  Heinrich  von 
Rickenbach,  Ein  Besuch  auf  dem  Berge  Athos,  Würzburg  1881.  Von  dem  ausführlichen 
Kataloge  selbst  ist  wegen  finanzieller  Schwierigkeiten  erst  ein  kleiner  Teil  gedruckt: 
2':r.  AdfiTiQog,  Kan'cXoyog  TcJf  cV  TccTg  ßißXio!hjxcus  tov  dyiov  oQOvg  iXXt]»'.  xüidlxtay,  Töfiog  «', 
fxtQog  «',  'Ef  'J&ijyaig  1888.  —  Katalog  der  Bibliothek  im  Kloster  des  hl.  Johannes  auf 
Patmos:  */.  laxxeXltoy,  IIuTfiiaxtj  ßißXio97Jxt],  'Ey  'J&rjyuig  1890.  —  Sinaikloster: 
V.  Gardthausen,  Catalogus  codicum  Graecorum  Sinaiticorum,  Oxford  1886.  —  Die 
kühnsten  Hoffnungen  hatte  man  auf  die  bis  vor  kurzem  in  geheimnisvolles  Dunkel  gehüllte 
Büchersammlung  des  alten  Serai  geknüpft,  in  der  man  Reste  der  Palaeologenbibliothek 
vermutete.  Wenn  den  Besuchern  alles  gezeigt  worden  ist,  woran  sich  freilich  noch  zweifeln 
lässt,  so  schwindet  die  erwartete  Fülle  auf  einige  Dutzend  Handschriften  bekannter  Texte 
(Polybios,  Aristoteles'  Zoologie,  Taktiker  u.  s.  w.)  zusammen.  Die  besten  Aufschlüsse  über 
die  Seraihandschriften  gab  Fr.  Blass,  Hermes  23  (1888)  219-233;  622-625.  —  Die  Hand- 
schriften der  „evangel  ischen  Schule"  in  Smyma  beschrieb  Ath.  Papa dopu  los 
Kerameus,  KctrdXoyog  rwy  ^eiQoyQÜtfioy  t^s  iy  ^^vqi'h  ßtßXiofh'jxtjg  rrjq  evuyyeXixij'; 
axoXijg,  Smynia  1877.  —  Später  unternahm  Papadopulos  Kerameus  im  Auftrage  des 
Fürsten  Theod.  A.  Maurogordatos  mehrere  Reisen  in  der  Türkei  (Lesbos,  Thrakien,  Make- 
donien u.  s.  w.),  um  die  zerstreuten  kleineren  Bibliotheken  zu  durchforschen,  und  ver- 
öffentlichte: MavQoyoQÖÜTEtog  ßißXio<^tjxij  fjroi  ysvixog  nsQiyQttrfixog  xaxiiXoyog  iiöy 
iy  TuTg  uyti  rtjy  ('(yieToXrjy  ßißXioStjxais  evQtaxo^tywy  eXXtjyixwy  /eiQoy()(((fioy.  Konstantinopol 
1884  —  1886  als  Beilage  zum  15.,  16.  und  17.  Bande  der  Publikationen  des  'EXXtjy.  <fiXoXoy. 
avXXoyog.  —  Den  Katalog   des  Msroxioy  rov  ii€(y«yiov  ttiffov   in  Konst-iintinopel    veröffent- 


')  lieber   die    Athosklöster   existiert   !   Athos,  Paris  1889.  —  Zuletzt  gab  eine  auf 
eine  ungeheuere  Litteratur.     Neuere  Haupt-    1   selbständigen    Forschungen    beruhende    Dar- 


schriften: Victor  Langlois,  IjC  mont  Athos, 
Paris  1867  (als  Einleitung  des  Werkes: 
(j^ographie  de  Ptolemee.  reprod.  photoiitho- 
graph.  et*-,  sous  la  direction  de  M.  Pierre 
de  S^wastianoff).  —  E.  Miller,  Le  mont 


Stellung  der  neueren  Geachielite  und  des 
gegenwärtigen  Zustande»  der  Athosklöst4>r 
Philipp  Meyer,  Zeit.schrift  für  Kirciieu- 
geschicbte  11  (1890)  395-435. 


5.  Altertamswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§111.)     223 

lichte  K.  Sathas.  Meatticjy.  ßißho9r,xfj  1  (1872)  287—312.  —  Bibliothek  zu  Athen: 
G.P.Krem  OS,  KaTÜkoyos  xtHy  /eiQoyQiig^ioy  Jt]g  i&yixijg  xai  Tjjg  rov  nceyeniaTtjulov  ßtßkio- 
^ijxfjg.  4  voll.,  Athen  1876.  -  W.  Reich,  Ueber  die  Palimpseste  der  Universität^-  und 
Nationalbibl.  in  Athen.  Festgruss  an  H.  Heerwagen.  Erlangen  1882  S.  91-101  (bespricht 
8  bedeutungslose  Palimpseste).  —  Ein  vollständigeres  Verzeichnis  von  Sammlungen  griechi- 
scher Handschriften  im  Morgen-  und  Abendlande  gibt  V.  Gardthausen,  Griechische 
Palaeographie,  Leipzig  1879  S.  430     440. 

3.  Eine  Uebersicht  über  die  byzantinischen  Studien  gab  G.  Bernhardy,  Grundriss 
der  griech.  Litteratur  l*  (1876)  680  ff.  Vgl.  auch  die  Prolegomena  in  seiner  Ausgabe  des 
Suidas  und  für  die  Geschichte  der  Tragikertexte  besonders  U.  von  Wilamowitz -Mo  eilen - 
dorff,  Euripides  Herakles.  Band  1  (Berlin  1889)  120-219. 

111.  Photios  ((^  COT  log).  Nach  der  trostlosen  Oede,  welche  im  Gei- 
stesleben der  Byzantiner  von  der  Mitte  des  7.  Jahrhunderts  bis  zum  Aus- 
gange des  Bildersturmes  herrschte,  ersteht  mit  einem  Male  wie  ein  aus 
wüstem  Flachland  emporragendes  Berghaupt  eine  der  mächtigsten  Gestalten, 
welche  die  Geschichte  der  griechischen  Litteratur  kennt,  der  Patriarch 
Photios  (c.  820  — c.  891).  In  einer  mit  Bildung  gesättigten  Epoche,  etwa 
im  alexandrinischen  Zeitalter  oder  in  einem  neueren  Jahrhundert,  könnte 
eine  so  gewaltige  rezeptive  und  produktive  Thätigkeit  weniger  auffallen; 
in  seiner  Zeit  aber,  der  im  Orient  wie  im  Abendlande  die  zwei  dunkelsten 
Jahrhunderte  des  Mittelalters  vorausgegangen  waren,  erscheint  Photios  dem 
histoiuschen  Beobachter  als  eine  staunenswerte,  in  ihrer  Entstehung  fast 
rätselhafte  Grösse.  In  seiner  rastlosen  und  folgenreichen  praktischen 
Wirksamkeit  vielleicht  noch  bedeutender  als  in  seiner  litterarischen 
Thätigkeit  ist  Photios  ein  Mann,  der  sich  schwer  nach  allen  Richtungen 
hin  mit  gleicher  Sorgfalt  studieren  und  noch  schwerer  in  der  Gesamtheit 
seines  Wesens  mit  objektiver  Schärfe  darstellen  lässt.  Seine  kirchenge- 
schichtliche Stellung  kann  hier  kaum  angedeutet  werden,  und  auch  von 
seiner  litterarischen  Thätigkeit  muss  dem  Plane  unseres  Werkes  gemäss 
gerade  das  Gebiet,  auf  welchem  sein  mannigfaltiges  Talent  vielleicht  die 
grössten  Triumphe  feiert,    das   theologische,   über  Gebühr   zurücktreten. 

Photios  wurde  als  Sohn  vornehmer  Eltern,  die  wegen  ihrer  Ortho- 
doxie von  den  Bilderstürmern  viel  Schlimmes  zu  erdulden  hatten,  um  das 
Jahr  820  (jedenfalls  nicht  nach  827)  zu  Konstantinopel  geboren.') 
Von  väterlicher  Seite  war  er  mit  dem  Patriarchen  Tarasios  (f  806)  ver- 
wandt. Sein  Vater  verlor  im  Bilderstreit  Vermögen  und  Aemter;  doch 
war  die  Verfolgung  der  Familie  offenbar  keine  derartige,  dass  sie  den 
jungen  Photios  in  seiner  Ausbildung  hätte  nachhaltig  behindern  können. 
Von  seinen  Lehrern  hören  wir  nichts,  umsomehr  von  seinen  zahlreichen 
Schülern.  Kaum  den  Studienjahren  entwachsen  fühlte  Photios  das  Be- 
dürfnis, andere  heranzuziehen  und  sein  ungeheueres  Wissen  fruchtbar  zu 
machen.  Der  echt  byzantinische  Zug  der  philologischen  Lehrmei- 
ster ei,  dem  sich  zuweilen  etwas  Pedanterie  beigesellt,  hat  sich  bei  Photios 
bis  ans  Ende  seines  Lebens  als  hervorragende  Eigenschaft  erhalten.  Ueberall 
hebt  er  die  grammatische  Genauigkeit  hervor  und  korrigiert  die  Sprach- 
fehler seiner  Freunde  auch  noch  als  Patriarch  und   im  Exil.     Als  Lehrer 


*)  In  der  antischismatischen  Partei  kamen  ,  Magister  überlieferte,  sagenhafte  Berichte  in 
über  seine  Herkunft,  seine  Geburt  und  sein  |  Umlauf,  die  von  der  neueren  Forschung  mit 
Leben  verschiedene,  namentlich  von  Symeon    \   Recht  zurückgewiesen  worden  sind. 


224  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

erklärte  Photios,  dessen  Haus  ein  Sammelplatz  wissbegieriger  Jünglinge 
wurde,  die  Kategorien  des  Aristoteles,  die  Streitfragen  über  die  Gattungen 
und  Arten,  über  die  Körper  und  die  Ideen,  Auch  verfasste  er  zum  Scluil- 
gebrauche  dialektische  Lehrbücher,  namentlich  über  die  Topik,  und  ver- 
handelte mit  seinen  Schülern  theologische  und  philologische  Gegenstände. 
Auch  nachdem  Photios  zu  hohen  Staatsämtern  berufen  war,  gab  er  seine 
Lehrthätigkeit  nicht  auf.  Seine  Wohnung  blieb  ein  Sammelplatz  für  rege  und 
wissbegierige  Geister,  ein  Salon  feinerer  Bildung.  Der  unermüdliche  Herr 
des  Hauses  Hess  aus  Büchern  vorlesen,  die  er  nach  Inhalt  und  Form  be- 
urteilte; er  belehrte,  ermunterte  und  tadelte  die  Einzelnen  mit  Geduld  und 
Umsicht.')  Von  seinen  Hörern  verlangte  er  —  auch  hierin  der  echte 
Typus  eines  feurigen  Schulhauptes  —  unbedingte  Unterwerfung,  sogar 
schriftliche  Versprechen  künftigen  Gehorsams.  Die  Vielseitigkeit  der  wissen- 
schaftlichen Bildung  des  Photios,  seine  unermüdliche  Arbeitskraft  und  seine 
geistige  Beweglichkeit  wurden  von  allen,  selbst  von  seinen  Gegnern,  rück- 
haltlos anerkannt.  Er  studierte  ganze  Nächte,  sammelte  von  allen  Seiten 
Bücher  und  erwarb  sich  einen  Schatz  von  Kenntnissen,  durch  die  er  nicht 
nur  seine  Zeitgenossen  übertraf,  sondern  auch  mit  den  Alten  wetteifern 
konnte.  In  seinen  philosophischen  Studien  bevorzugte  Photios  den  Ari- 
stoteles; für  Plato  hat  er  in  seinem  durchaus  realistischen  Denken  weniger 
Verständnis  und  tadelt  an  ihm  Widersprüche,  Unlauterkeiten  und  phanta- 
stische Ideen.  2)  Für  die  dialektischen  Arbeiten  insbesondere  schloss  sich 
Photios  an  Porphyrios,  Ammonios  und  Johannes  von  Damaskos  an. 
Einseitigkeit  der  Bildung  könnte  dem  Photios  nur  in  einer  Hinsicht  vor- 
geworfen werden;  er  verstand  keine  andere  Sprache  als  die  griechische, 
auch  nicht  lateinisch  und  hebräisch.  Diese  Thatsache  erklärt  sich  aber 
völlig  aus  der  damals  noch  weltbeherrschenden  Stellung  des  oströmischen 
Staates.  Kenntnis  fremder  Sprachen  war  in  Byzanz  etwas  sehr  Ungewöhn- 
liches, und  die  Mittelgriechen  sind  in  dieser  Beziehung  echte  Söhne  ihrer 
Altvorderen,  welche  die  stolze  Genügsamkeit  mit  ihrer  eigenen  Litteratur 
und  Kultur  niemals  abgelegt  haben. 

Durch  wissenschaftliche  Bildung  und  praktische  Lebenserfahrung  im 
hohen  Masse  ausgezeichnet  musste  Photios  um  so  mehr  Aussicht  auf  die 
höchsten  Würden  des  Reiches  haben,  als  er  auch  mit  dem  Kaiserhause 
verwandt  war;  die  jüngste  Schwester  der  Kaiserin  Theodora,  die  Prin- 
zessin Irene,  war  mit  dem  Bruder  des  Photios,  dem  Patrizier  Sergios, 
vermählt.  Nach  dem  Sturze  des  Patriarchen  Ignatios  wurde  Photios, 
obgleich  er  Laie  war,  zu  seinem  Nachfolger  ausersehen.  In  sechs  Tagen 
erhielt  er  alle  Weihen  bis  zur  bischöflichen  und  bestieg  hierauf  (857)  den 
Patriarchenthron;  die  noch  immer  zahlreiche  Partei  des  Ignatios  wurde 
von  den  Photianern  aufs  grausamste  verfolgt.  Nach  langen  Verhandlungen 
und  Pcchtfertigungsver.suchen  wurde  Photios  vom  l'apste,  dem  die  Schlich- 
tung des  Streites  beider  Parteien  oblag,  verworfen  und  endlich,  sobald 
Basilios  der  Makedonier  zur  Regierung  gelangte  (867),  auch  wirklich 

')  Welches  Behagen  er  an  der  Ausübung   1   Migne  102,  597). 
seines    Jjehrberufes  fand,  verrät  z.   B.   der  I  '■')  Bibliothek,  cod.  37.  'J4'J. 

Brief  an  Papst  Nicolaus  vom  Jahre  861  (ed. 


5.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  111.)     225 

abgesetzt.  Ignatios  bestieg  nun  zum  zweiten  Male  den  Patriarchenthron. 
Doch  Hess  sich  Kaiser  Basilios  im  Laufe  der  Jahre  von  Photios,  obschon 
derselbe  durch  eine  Synode  in  Rom  (869)  auch  noch  anathematisiert  worden 
war,  wieder  gewinnen.  Er  ernannte  ihn  sogar  zum  Erzieher  seines  Sohnes 
Leo,  und  nach  dem  Tode  des  Ignatios  (877)  wurde  Photios  zum  zweiten 
Male  auf  den  Patriarchenthron  erhoben.  Um  seine  Stellung  zu  befestigen 
und  endlich  allseitige  Anerkennung  zu  erringen,  hielt  er  879 — 880  eine 
glänzende  Synode  ab,  vermochte  aber  auch  jetzt  die  Zustimmung  Roms 
nicht  zu  erlangen  und  wurde  881  vom  Papste  Johannes  VIII  abermals 
anathematisiert.  Hiedurch  ward  die  Stellung  des  Patriarchen  auch  in 
Konstantinopel  aufs  neue  erschüttert.  Sobald  des  Basilios  Sohn  Leo  zur 
Regierung  gelangte,  setzte  er  den  Photios  ab  und  relegierte  ihn  in  ein 
Kloster  (886).  Ueber  die  letzten  Lebensjahre  des  viel  gefeierten  und 
viel  verfolgten  Mannes  wissen  wir  nichts  Sicheres;  er  starb  nach  alten, 
aber  nicht  ganz  verlässigen  Xotizen  im  Jahre  891  im  Exil.  Unter  seinen 
litterarischen  Arbeiten  findet  sich  nichts,  was  mit  Bestimmtheit  in  die  Zeit 
nach  seiner  zweiten  Absetzung  verwiesen  werden  könnte.  Erst  in  einem 
späteren  Jahrhundert  nahm  die  griechische  Kirche  den  Photios  unter  ihre 
Heiligen  auf;  in  den  älteren  Menäen  fehlt  sein  Name,  der  jetzt  am 
6.  Februar  gefeiert  wird.  Die  weltgeschichtliche  Bedeutung  des 
Photios  beruht  in  seiner  Thätigkeit  als  Patriarch  und  besonders  in  seinem 
Kampfe  mit  dem  Papste;  denn  in  diesem  liegen  die  wichtigsten  Keime  der 
Spannung  zwischen  dem  griechischen  Patriarchat  und  der  römischen  Kirche, 
welche  unter  Michael  Kerularios  im  Jahre  1054  in  der  völligen  Tren- 
nung beider  Kirchengemeinschaften  ihren  Abschluss  fand.  Hier  ist  nm-  die 
Stellung  des  Photios  in  der  byzantinischen  Litteraturgeschichte  zu 
würdigen.  Die  Aufzählung  seines  reichen  Nachlasses  soll  durch  die  pro- 
fanen Schriften  eröffnet  werden. 

1.  Das  Werk,  welches  den  Namen  des  Photios  vor  allem  bekannt 
gemacht  hat,  ist  seine  gemeinhin  sogenannte  Bibliothek  oder  das  Myrio- 
biblon.  Der  handschriftliche  Titel,  dessen  Echtheit  übrigens  mit  guten 
Gründen  angezweifelt  wird,^)  lautet:  'AnoyQutfi]  xal  avvaqiO^^^ir^aig  t(Öv  dvs- 
YVtaafiirwv  yto-  ßißXmv,  wv  elq  xtifakctuödr^  diciyvioair  6  i]yani]f.itvoq  i]uiov 
ttöt).(f6c  TaQÜaiog  e^ijTi'jCaTO  '  ton  6t  ravra  tixoGi  dtörzuiv  iif  ivl  xqiaxoaia. 
Ueber  die  Veranlassung  dieser  grossartigen  Bibliographie  spricht  Photios 
selbst  in  dem  Widmungsbriefe.  Sein  Bruder  Tarasios  hatte  Mitteilungen 
über  die  Bücher  verlangt,  welche  während  seiner  Abwesenheit  in  dem  ge- 
lehrten Kreise  des  Photios  vorgelesen  und  diskutiert  worden  waren;  zu- 
gleich sollte  der  Sitzungsbericht  dieser  byzantinischen  Privatakademie  dem 
Tarasios  ein  Trost  sein  für  die  schmerzliche  Trennung  vom  Bruder,  der 
sich  damals  zur  Gesandtschaftsreise  nach  Assyrien  rüstete.  Dazu  bemerkt 
Photios,  er  habe  die  Bitte  des  Tarasios  wohl  später  erfüllt,  als  jener  ge- 
wünscht, aber  wohl  schneller  und  früher,  als  ein  anderer  es  vermocht  hätte. 
Aus  diesen  Angaben  geht  hervor,  dass  Photios  die  Bibliothek  noch  als 
Laie  und  vor  seiner  Reise  in  den  Orient,  also  sicher  noch  vor  dem  Jahre 


')  S.  L.  Dindorf.  Jahns  Jahrb.  103  (1871)  362. 

Handbuch  der  Uass.  Altcrtumswlswnscbaft.  IX.     1.  Abtlg.  lÖ 


^ 


226  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    L  Prosaische  Litteratur. 

857  verfasste.  Eine  Anordnung  der  Berichte  über  die  gelesenen  Bücher 
nach  bestimmten  Litteraturgattungen  ist  nicht  bemerkbar.  Photios  schrieb 
seine  Urteile  offenbar  in  der  Reihenfolge  nieder,  wie  er  die  Bücher  zu- 
fällig las  oder  wie  ihm  die  Erinnerung  an  die  Lektüre  ins  Gedächtnis  kam, 
und  so  ist  uns  auch  das  Werk  überliefert.  Eine  Fortsetzung,  die  er 
seinem  Bruder  Tarasios  in  Aussicht  stellt,  ist  wohl  durch  andere  Arbeiten 
und  besonders  durch  sein  Patriarchat  verhindert  worden.  Die  Bibliothek 
zerfällt  nach  der  Zahl  der  von  Photios  gelesenen  Bände  in  280  Kapitel, 
die  gewöhnlich  als  , Codices"  zitiert  werden.  Ueber  die  einzelnen  Schriften 
gibt  Photios  bald  kürzere,  bald  längere  Referate,  zuweilen  auch  grössere 
Auszüge  und  dazu  eine  Kritik  nach  Form  und  Inhalt.  Wie  wir  über  den 
Umfang  der  in  der  Bibliothek  niedergelegten  Gelehrsamkeit  staunen,  so 
bewundern  wir  noch  mehr  die  überraschende  Schärfe,  die  Selbständigkeit 
und  die  Präzision  der  Urteile.  Photios  ist  der  einzige  Byzantiner,  der  in 
dieser  Beziehung  ohne  Zweifel  mit  Aristoteles  verglichen  werden  darf.  Im 
Inhalt  der  in  die  „Bibliothek"  aufgenommenen  Bücher  spricht  sich  der 
realistische  Grundcharakter  des  Photios  nicht  minder  aus  als  in  seinen 
übrigen  Schriften  und  in  seiner  ganzen  Wirksamkeit.  Es  ist  bezeichnend, 
dass  von  allen  Litteraturgattungen  nur  die  ausgeschlossen  ist,  welche  wir 
am  schmerzlichsten  vermissen,  nämlich  die  Poesie  (nur  metrische  Para- 
phrasen biblischer  Bücher  werden  erwähnt).  Im  übrigen  lesen  wir  in  bunter 
Reihenfolge  Berichte  über  Grammatiker,  Redner,  Historiker,  Naturforscher 
und  Aerzte,  selbst  über  Romane,  über  Konzilien,  Märtyrerakten,  Heiligen- 
biographien u.  s.  w.;  von  lateinischen  W^erken  sind  nur  solche  berücksich- 
tigt, die  in  griechischer  Uebersetzung  bekannt  waren,  wie  Gregor  der 
Grosse  (übersetzt  von  Zacharias,  cod.  252).  So  erhalten  wir,  wenn  wir 
z.  B.  die  Geschichtschreiber  ins  Auge  fassen  wollen,  durch  Photios 
Fragmente  des  Hekataeos  von  Milet,  des  Ktesias,  des  Theopompos  von 
Chios,  des  Diodor,  des  Arrian,  des  Phlegon  von  Tralles,  des  Nonnosos. 
Sehr  reichhaltig  sind  die  Referate  über  die  griechischen  Rhetoren,  be- 
sonders über  die  zehn  attischen  Redner,  dann  über  Werke  der  Philo- 
sophie, Medizin  und  Naturwissenschaft;  von  hervorragender  Wich- 
tigkeit sind  endlich  die  ausführlichen  Mitteilungen  über  christliche 
Schriftsteller,  so  über  kirchengeschichtliche,  dogmatische,  exegetische 
und  asketische  Werke.  Dagegen  fehlen  ausser  den  Dichtern  die  meisten 
alten  Philosophen,  wie  Plato,  Xenophon,  Aristoteles,  die  grossen  Historiker 
wie  Thukydides,  Polybios  und  Plutarch,  Autoren  wie  Pausanias  und  Hi})- 
pokrates,  auch  viele  wichtige  christliche  Schriftsteller.  Photios  wollte  eben 
keine  Litteratnrgeschichte  geben,  sondern  eine  Reihe  von  Essays;  schon 
deshalb  konnte  er  die  bekanntesten  Autoren  weglassen.  Ueber  sie,  die 
jedem  Gebildeten  ohnehin  bekannt  waren,  schienen  ihm  solche  Berichte 
nicht  notwendig;  ausserdem  darf  man  nicht  vergessen,  dass  Photios  dem 
Verlangen  seines  Bruders  gemäss  imr  über  die  Bücher  berichten  wollte, 
welche  während  der  Abwesenheit  desselben  in  dem  gelehrten  Kreise  des 
Photios  vorgelesen  oder  diskutiert  worden  waren.  Uebrigens  ist  diese 
Angabe  selbst  schwerlich  ganz  wörtlich  zu  nehmen;  um  die  280  Bände, 
welche   die  Bibliothek   umfasst,   vorzulesen   und   zu   erörtern,   wären  viele 


5.  AltertumswisBenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§111.)     227 

Jahre    nötig   gewesen.     Photios   wird   wohl   über   manche   Werke   seinen 
Hörern  nur  das  Ergebnis  seiner  privaten  Lektüre  mitgeteilt  haben. 

2.  Das  zweite  Werk  des  Photios,  welches  der  Altertumswissenschaft 
angehört,  ist  sein  Lexikon.  Der  ursprüngliche  Titel  in  der  Widmung  an 
Thomas  lautete  wahrscheinlich  At^twv  awayioyi]:  die  uns  überlieferte 
breite  Ueberschrift :  (Dcotiov  tov  uyionäiov  nazQiuoxov  KnökeüK  ki^euiv  avva- 
ycoyi'^,  tti  /naXXov  rwv  aXXoiv  or^roQüi  xai  Xoyoyoäcfoig  dn^xovati'  fig  xq^iav. 
Jlgoaneffohr^Tai  dt  0(o^ct  noünoanai^aQifft  xai  aoxovri  tov  Avxogtouiov, 
oixfifo  ncid^r-ifi  ist,  wie  auch  die  zwei  noch  folgenden  Proömien,  welche 
zum  Teil  diesen  Titel  wiederholen,  oifenbar  Machwerk  eines  Abschreibers. 
Für  dieses  Wörterbuch  darf  Photios  wohl  nur  in  geringem  Masse  verant- 
wortlich gemacht  werden;  ein  Mann,  der  litterarisch  und  praktisch  so  un- 
geheuer in  Anspruch  genommen  war,  hatte  kaum  Zeit  und  Lust,  aus  einigen 
älteren  Wörterbüchern  ein  neues  zusammenzuflicken,  ein  Unternehmen,  bei 
welchem  die  rein  mechanische  Arbeit  immerhin  einige  Monate  in  Anspruch 
nehmen  musste.  Für  solche  Dinge  hatte  Photios  seinen  Abschreiber  oder 
seine  ihm  blind  ergebenen  Schüler,  deren  Abhängigkeit  sich  gewiss  auch 
auf  solche  praktische  Dienstleistungen  erstreckte.  Photios  selbst  wird 
seinem  Amanuensis  die  nötige  Anleitung  gegeben  und  die  erforderlichen 
Bücher  zur  Verfügung  gestellt  haben.  Die  Abfassungszeit  des  Werkes 
wird  gewöhnlich  in  die  Jünglingsjahre  des  Photios  verlegt,  weil  er  in  den 
Quaest.  Amphiloch. ')  nach  einem  grammatisch-semasiologischen  Exkurse 
bemerkt:  oia  di]  xai  r^mv  eTTQäxd^i^  ti]v  tmv  iieiQaxion-  r^Xixiar.  Allein  diese 
Worte  lauten  viel  zu  unbestimmt,  um  sie  mit  Sicherheit  auf  unser  Lexikon 
zu  beziehen.  Photios  sagt  seinem  Adressaten  damit  nur,  dass  er  sich  in 
seiner  Jugend  viel  mit  solchen  grammatisch-lexikalischen  Dingen  beschäftigt 
habe,  wie  sie  in  der  genannten  Quaestio  Amphiloch.  vorkommen.  Wollte 
er  auf  ein  bestimmtes  Werk  hindeuten,  so  hätte  er  sich  genauer  aus- 
gedrückt. Dass  Photios  das  Lexikon  in  einer  späteren  Zeit,  zum 
wenigsten  nach  der  Bibliothek,  abfasste  oder  vielmehr  abfassen  Hess, 
dafür  haben  wir  ein  positives  Zeugnis  in  der  Bibliothek  selbst.  Er  er- 
wähnt dort  das  Lexikon  des  Pausanias  als  gelesen  und  bemerkt  dazu, 
wenn  man  die  zwei  Redaktionen  des  Aelios  Dionysios  mit  Pausanias  ver- 
einigte, so  käme  ein  zum  Studium  der  attischen  Werke  höchst  brauchbares 
Hilfsmittel  zu  stände:  El  dt'  rig  extfiaic  raTc  dvaiv  exöoosaiv  xai  xr^v  Ilav- 
aariov  iyxaTara^ac  iv  untQyäaairo  acrrayiia  [qcc(Ttoi'  dt  tm  ^ov/o/ifiw), 
oinog  av  th]  xo  xäXXiaxov  xai  XQ\(^t!.i(öxaTor  xoTg  drayiyrwaxovai  xdg  'Axxixdg 
ßißXovg  aTrovdafffxa  tlfffvr^vsyi^itvogj)  So  hätte  sich  Photios  schwerlich 
ausgedrückt,  wenn  sein  Lexikon  damals  schon  existiert  hätte;  denn  in 
demselben  ist  eben  die  an  der  angeführten  Stelle  der  Bibliothek  vorge- 
schlagene Zusammenfassung  der  erwähnten  älteren  Werke  wirklich  voll- 
zogen. Photios  hat  den  Plan,  welchen  die  Kenntnisnahme  der  erwähnten 
lexikalischen  Werke  in  ihm  erweckte  und  den  er  an  der  genannten  Stelle 
der  Bibliothek  ausspricht,  wohl  bald  darauf  selbst  mit  einigen  Erweiterungen 
ausgeführt  bzw.  durch  einen  seiner  Schüler  ausführen  lassen.    Der  Zweck 

•)  Qaaest.   21,    cap.    1    =    ed.  Migne  *)  Cod.    153.     Aehnliche    Bemerkungen 

t.  101,  15:3.  ;   auch  noch  cod.  152.  155. 

15* 


228  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

des  Lexikons  ist  nicht  etwa  ein  wissenschaftlicher,  sondern  ein  durchaus 
praktischer;  es  soll  als  Hilfs-  und  Nachschlagebuch  die  Lektüre  der 
älteren,  besonders  der  klassischen  Autoren,  sowie  auch  der  heil.  Schriften 
erleichtern,  weshalb  auf  die  attischen  Ausdrücke,  die  damals  nicht  mehr 
verstanden  wurden,  besondere  Aufmerksamkeit  verwendet  wurde.  Uebri- 
gens  sollen  der  Vorrede  gemäss  nicht  alle,  sondern  nur  die  wichtigeren 
und  häufig  vorkommenden  Wörter  erklärt  werden.  Selbstverständlich  beruht 
die  eigentliche  Bedeutung  des  Werkes  wie  aller  grammatischen  Schriften 
der  Byzantiner  nur  auf  den  Quellen,  die  ihm  zu  Grunde  liegen.  Eine 
völlig  sichere  Bestimmung  derselben  stösst  auf  grosse  Schwierigkeiten,  weil 
die  Vorlagen  nur  zum  Teil  erhalten  sind.')  Das  Ergebnis  der  bisherigen 
Forschung  ist  im  allgemeinen  folgendes.  Die  wichtigsten  Quellen,  aus 
welchen  Photios  das  Lexikon  kompilieren  liess,  sind  das  Lexikon  des 
Harpokration,  welches  in  verkürzter  Form  aufgenommen  ist,  und  das 
Wörterbuch  des  Diogenianos  bzw.  ein  Auszug  aus  demselben;  dazu 
kommen  zwei  Redaktionen  der  uns  verlorenen  hochwichtigen  'ATtixüir  6ro- 
/tarwr  Xoyoi  nivre  des  Aelios  Dionysios  (aus  der  Zeit  des  Hadrian)  und 
des  Pausanias  Ae'$ixdv  xard  (TToixerov;  ferner  das  platonische  Wörter- 
buch des  Timaeos  und  die  zwei  platonischen  Lexika  des  Boethos.  Für 
die  homerischen  Glossen  diente  das  Lexikon  des  Apion,  freilich  nicht  des 
alten,  echten  Apion,  der  unter  Tiberius  zu  Rom  als  Homererklärer  berühmt 
war,  sondern  ein  später  mit  seinem  Namen  geschmücktes,  unbedeutendes 
Werk;  ausserdem  die  Homerlexika  des  Heliodoros  und  des  ApoUonios 
und  ein  mit  dem  Lexicon  Bachmannianum  eng  verwandtes,  nicht  erhaltenes 
Werk.  Von  geringer  Wichtigkeit  ist  die  Frage  nach  der  Quelle  der  meist 
dürren  Glossen  aus  der  heiligen  Schrift. 

Das  Lexikon  des  Photios  überliefert  uns  eine  einzige,  zudem  höchst 
lückenhafte  Handschrift,  der  früher  im  Besitze  des  Thomas  Gale  be- 
findliche und  nach  ihm  benannte  Codex  Galeanus,  geschrieben  um  das 
Jahr  1200  (jetzt  in  Cambridge).  Zur  Ergänzung  der  ausgefallenen  Stücke 
dient  zum  Teil  die  von  Bekker-Bachmann  edierte  .Z^i'>«ywy/J  h'^ecor  XQ'r 
aifio)i'  im  cod.  Coislin.  345,  welche  auf  ein  auch  von  Photios  benutztes 
älteres  (dem  Coisl.  347  sehr  ähnliches)  Lexikon  zurückgeht.  Später  wurde 
das  Lexikon  des  Photios  von  dem  Autor  des  Etym.  Magnum  benützt, 
Auch  Suidas,  der  ungefähr  um  dieselbe  Zeit  wie  der  Verfasser  des  Etyi 
Magnum  schrieb,  hat  das  durch  den  Namen  des  grossen  Patriarchen  em- 
pfohlene Lexikon  zweifellos  gekannt;  doch  scheint  er  auf  dasselbe  kein 
grosses  Vertrauen  gesetzt  zu  haben;  denn  er  benützte  dasselbe  höchstens 
in  einzelnen  Partien,  obschon  auch  das  noch  unentschieden  bleibt.  In  der 
Hauptsache  verwertete  er  wohl  sicher  nicht  den  Photios  selbst,  sondern 
teils  gemeinsame  Vorlagen  wie  Harpokration,  teils  eng  verwandte  Quellen. 
So  ist  die  grosse  Uebereinstimnmng  zwischen  Photios  und  Suidas  zu  er- 
klären. Von  dem  Lexikon  des  Photios  stehen  nur  etwa  zwei  Drittel  auch 
bei  Suidas.  Dass  nun  aber  gerade  das  fehlende  Drittel  hauptsächlii-h 
auf    eine    bestimmte   Quelle,    auf    das    fünfte   lexicon   Coislinianum   (345) 

')  Kinen    Anhaltspunkt    gewähren     die   {   ihm    .gelesenen'    WörterbUclier,    liibliuthok 
eigenen  Notizen    des   Photios   Qbcr   die    von       cod.   151  — 15')  und  sonst. 


B.Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  n.  Scholiasten.  (§111.)     229 

zurückgeht,  kann  unmöglich  Zufall  sein:  es  erklärt  sich  nur  dadurch,  dass 
Suidas  nicht  den  Photios  selbst,  wenigstens  nicht  unsere  Redaktion  des 
Photios,  benützte.  An  Bedeutung  für  die  Philologie  stehen  die  Bibliothek 
und  das  Lexikon  des  Photios  ohne  Zweifel  obenan;  wenn  wir  aber  die 
gesamte  litterarische  Thätigkeit  des  Mannes  betrachten,  so  nehmen  sie 
einen  geringen  Raum  ein.  Das  Hauptgewicht  seiner  schriftstellerischen 
Wirksamkeit  fällt  vielmehr  auf  seine  theologischen  Werke.  Sie  ge- 
hören dem  reiferen,  durch  Erfahrung  belehrten  Alter  an;  in  ihnen  hat 
Photios  die  Ergebnisse  seiner  früheren  Studien  in  abgeklärter  Form  nieder- 
gelegt.    Die  erste  Stelle  unter  ihnen  gebührt  den 

3.  Amphilochia  oder  Quaestiones  Amphilochianae.  Das  ist 
eine  an  den  Metropoliten  von  Kyzikos,  Amphilochios,  gerichtete  und  nach 
ihm  benannte  Sammlung  von  Abhandlungen  und  Miszellen  über  Fragen 
aus  der  hl.  Schrift,  über  dogmatische,  exegetische,  mythologische,  philo- 
sophische, grammatische,  historische  und  andere  Dinge.  Die  Mehrzahl  der 
Stücke  (über  drei  Viertel)  ist  freilich  exegetischen  Inhalts.  Die  Zahl  der 
uns  bekannten  Amphilochien  beträgt  im  ganzen  326,  nach  anderer  Zählung 
333.  Photios  selbst  nennt  in  seiner  Vorrede  in  runder  Zahl  300  Fragen, 
die  ihm  sein  Freund  vorgelegt;  auch  entnehmen  wir  aus  der  Vorrede,  dass 
Photios  selbst  etwa  300  Quästionen  zu  einem  Corpus  vereinigte.  Die  meisten 
Amphilochien  entstanden  in  der  Zeit  des  ersten  Exils,  also  nach  867; 
denn  wir  finden  darin  vielfach  Klagen  über  äussere  Bedrängnis,  über  Mangel 
an  Büchern  und  Abschreibern,  über  die  Schwere  der  Verfolgung.  Das 
ganze  Corpus  trägt  das  Gepräge  des  Zufälligen,  ohne  strengen  Plan  Ent- 
standenen; es  ist  wie  die  Bibliothek  eine  Sammlung  von  Essays  ohne 
systematische  Ordnung  und  ohne  Gleichheit  der  Behandlung.  Auch  inhalt- 
lich sind  die  Amphilochien  das  Seitenstück  zur  Bibliothek:  eine  Antho- 
logie über  theologische  und  andere  wissenschaftliche  Fragen.  Nicht  selten 
hat  Photios  nach  byzantinischer  Sitte  umfangi'eiche  Stücke  älteren  Autoren, 
ohne  ihren  Namen  zu  nennen,  wörtlich  entlehnt;  32  seiner  exegetischen 
Abhandlungen  sind  sogar  oft  ganz  wörtlich  aus  Theodor  et  vonKyrrhos 
herübergenommen,  i) 

4.  Die  historischen  und  dogmatisch-polemischen  Schriften  des 
Photios  sind  vier  Bücher  gegen  die  byzantinische  Sekte  der  Pauli- 
cianer  oder  neuen  Manichäer,  worin  er  besonders  aus  einem  jetzt  ver- 
lorenen Werke  des  Georgios  Hamartolos  über  denselben  Gegenstand 
schöpfte,  und  eine  Sammlung  von  Streitschriften  gegen  die  Lateiner. 
Der  unter  denselben  befindliche  Traktat:  JleQi  rwv  (pQÜyyoiv  xal  toJv  Xoinwv 
Aativon'  kann  jedoch  unmöglich  in  der  uns  überlieferten  Gestalt  eine  Arbeit 
des  Photios  sein:  ja  er  ist  wahrscheinlich  überhaupt  erst  nach  der  Kirchen- 
trennung (1054)  verfasst. 

.    5.   Die  gewöhnlich   dem  Photios   zugeschriebene,   im  Jahre  883  voll- 
endete Bearbeitung  des  Nomokanon-)  wird  ihm  neuerdings  abgesprochen 

')  Hergenröther  III  43.  gelehrte    Theodor    Balsamon.    von    dem 

^)  Einen    Kommentar    zum   Nomokanon  auch  sonstige  kirchenrechtliche  Schriften  wie 

des  Photios  (?)  schrieb  um  1150  im  Auftrage  Scholien  zu  Konzilien,  kanonistische  fieXeiai 

des  Manuel  Komnenos  der  berühmte  Rechts-  u.  a.  erhalten  sind.    Einige  Briefe  des  Balsa- 


230  Byzautinlsche  Liiteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

(s.  §  19  Anm.  '^).  Sicher  aber  erlangte  Photios  einen  erheblichen  Einfluss 
auf  das  orientalische  Kirchenrecht  durch  die  von  ihm  herausgegebenen 
Synodaldekrete  und  durch  kanonische  Briefe  oder  Dekretalen.  Die 
von  ihm  861  und  879 — 880  gehaltenen  Synoden,  die  er  auch  den  Kanones- 
Sammlungen  einverleibte,  erlangten  nach  und  nach  fast  ökumenisches  An- 
sehen. Photios  wollte  nicht  bloss  Gesetzsammler,  sondern  auch  Gesetz- 
geber sein.  6.  Bibelkommentare.  lieber  die  Echtheit  der  dem  Photios 
zugeschriebenen  Stücke  dieser  Art  herrschen  viele  Kontroversen;  am  besten 
gesichert  sind  wohl  die  Scholien  zu  den  Briefen  des  hl.  Paulus.  Ein  Stück 
flg  Tov  Aovxciv  eQfir^rfiag  bei  A.  Mai,  Scriptor.  vet.  nov.  coli.  I  189  ff. 
7.  Von  seinen  geistlichen  Reden  (Homilien)  ist  wenig  erhalten  und  noch 
weniger  gedruckt;  verzeichnet  sind  bis  jetzt  22  Nummern.  Eine  der  ge- 
druckten Homilien  bezieht  sich  auf  die  Einweihung  der  von  Basilios  dem 
Makedonier  im  Kaiserpalaste  erbauten  Basilika.^)  Historisch  wichtig  sind 
die  zwei  Homilien  Elg  Ttjv  i'(fo6ov  rwi-  'Paig.  Sie  bezie'ien  sich  nämlich 
auf  den  Ueberfall  Konstantinopels  durch  die  Russen  865  und  ge- 
hören zu  den  ältesten  Zeugnissen  von  den  Unternehmungen  der  nordischen 
Slaven  gegen  das  byzantinische  Reich.  8.  Briefe  des  Photios  sind  bis 
jetzt  etwa  263  bekannt  geworden.  Es  sind  Höflichkeits-,  Empfehlungs- 
und Trostschreiben;  manche  enthalten  auch  Warnungen  und  Strafpredigten, 
andere  wiederum  behandeln  gelehrte  Fragen;  von  den  letzteren  wurden 
71  Stücke  unter  die  Quaestiones  Amphilochianae  eingereiht.  Bei  der 
Beurteilung  der  Briefe  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  sie  in  Form  und  In- 
halt sehr  verschieden  sind  nach  der  Stimmung  des  Autors,  nach  der 
Person,  an  die  er  schreibt,  und  nach  dem  Zwecke,  den  er  verfolgt.  Dass 
Photios  das  weitschweifige  Pathos  und  die  schwülstige  Fülle  der  Byzan- 
tiner auch  hiei  .licht  verleugnet,  kann  nicht  auffallen;  denn  das  ist  dem  1 
Byzantiner  eine  nationale  Eigentümlichkeit,  ein  völlig  elementarer  Zug,  " 
von  dem  er  sich  nicht  frei  machen  kann.  Aber  sicher  zeigt  sich  Photios 
in  den  Briefen  als  gelehrter,  welterfahrener,  vielseitiger,  gewandter,  witziger 
und  stets  überlegener  Schriftsteller.  Mehr  noch  als  die  mit  theologischen 
Diskussionen  erfüllten  Schreiben,  welche  uns  ein  lebendiges  Bild  der  kirch- 
lichen Streitigkeiten  entrollen,  gefallen  die  kleinen  Gelegenheitsbillete,  die  M 
durch  Witz,  Kürze  und  Präzision  oft  zu  wahren  Kabinetstücken  werden,  % 
z.  B.  das  feine  Briefchen  an  den  schlechten  Klosterküchenmeister  Georgios.') 
9.  Die  Abneigung  des  durchaus  realistisch  angelegten  Patriarchen  gegen 
die  Poesie  wurde  schon  bei  der  Besprechung  seiner  Bibliothek  erwähnt.  So 
kann  es  uns  denn  nicht  wundern,  wenn  die  wenigen  Versifikationen, 
die  unter  seinem  Namen  gehen,  nur  als  unbedeutende  Versuche  erscheinen. 
Drei  Oden  des  Photios  enthalten  devote  Schmeicheleien  gegen  den  Kaiser 
Basilios.  Auch  wird  ihm  ein  ^nxr^QÖv  auf  den  Patriarchen  Methodios  zu- 
geteilt. Sehr  zweifelhaft  sind  Epigramme  und  einiges  andere;  s.  Fabricius, 
Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  11,  32.  10.  Endlich  hat  Photios  auch  der  alten  Spruch- 
weisheit seine  Aufmerksamkeit  zugewendet.  Gnomen  finden  sich  zer- 
streut in   seinen  Werken,    be.sonders   in   seinen   Briefen;    ausserdem   aber 

mon  ed.  E.  Miller,  Annuaire  de  l'association   |  ')  Kd.  Migne  102,  664—574.    Vgl.  §  79. 

poor  l'eocour.  des  6t  Gr.  18  (1884)  8—19.  |  >)  Ed.  Valettas  S.  248;  ed.  Migne  S.  872. 


5.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  111.)     231 

haben  wir  von  ihm  eine  eigene  Spruchsammlung:  IIctQcuvtaic  6id  yvoiiio- 
Xoyiag,  die  214  kürzere  und  längere  Stücke  enthält.  Ihr  Verhältnis  zu  den 
zahlreichen  sonstigen  Sammlungen  griechischer  Sentenzen  scheint  noch  nicht 
genügend  untersucht,  i) 

11,  Unsicheres  und  A'erlorenes.  Mit  den  hier  aufgezählten  Wer- 
ken ist  die  Summe  der  litt^rarischen  Thätigkeit  des  Photios  nicht  erschöpft; 
doch  ist  nichts  Wichtiges  übergangen  worden.  Manchen  an  verschiedenen 
Orten  zerstreuten,  besonders  theologischen  Stücken  scheint  der  Name  des 
Photios  erst  später  zur  grösseren  Zierde  vorgesetzt  worden  zu  sein.  S. 
die  Zusammenstellung  dieser  Dinge  bei  Hergenröther  III  242—258.  End- 
lich ist  ein  Teil  der  sicher  als  photianisch  bezeugten  Werke  verloren  ge- 
gangen oder  wenigstens  bis  jetzt  noch  nicht  ans  Tageslicht  gekommen; 
dieses  Schicksal  traf  viele  seiner  Reden,  mehrere  Gedichte  und  wohl 
auch  einen  Teil  seiner  biblischen  Exegesen.  Auch  vermissen  wir  die 
genaueren  Akten  seiner  ersten  Synode  und  manche  Akten  aus  seinem 
zweiten  Patriarchat.  Endlich  sind  ganz  oder  grösstenteils  verloren:  eine 
Schrift  gegen  Kaiser  Julian,  die  Photios  selbst  erwähnt,  eine  andere 
gegen  Leontios  von  Antiochien,  welche  Suidas  anführt;  mehrere  dia- 
lektische und  philosophische  Abhandlungen  über  Plato  und  Aristo- 
teles, die  er  vor  seiner  Patriarchenzeit  zum  Gebrauch  seiner  Schüler  ver- 
fasste;^)  wahrscheinlich  auch  ein  Werk  über  Widersprüche  in  den 
römischen  Rechtsbüchern. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  1.  Eine  Gesamtausgabe  der  Werke  des  Photios 
lieferte  unter  Mitwirkung  des  gelehrten  Bischofs  von  Brügge  J.  B.  Malou  und  des  Kardinals 
J.  Hergenröther  Migne.  Patrologia  Graeca  101  —  104,  Paris  1860.  Hier  findet  man  die 
Schriften  des  Photios  mit  Ausnahme  des  Lexikons  fast  vollständig  in  ziemlich  lesbarer 
Form  (schlecht  und  fehlerhaft  ist  nur  der  Nomokanon  abgedruckt) ;  dazu  auch  Notizen  über 
die  meist  sehr  zerstreuten  älteren  Einzelausgaben.  Wir  nennen  daher  im  folgenden 
nur  noch  die  wichtigste  neuere  Litteratur.  —  Zur  Ergänzung  dienen  die  Monumenta  Graeca 
ad  Photium  eiusque  historiam  pertinentia  ed.  J.  Hergenröther.  Ratisbonae  1869.  Sie 
enthalten  dialektische  Stücke  Jleqi  rov  yirovg,  Tisoi  etdovg,  TteQi  diacpogag,  negi  idiov  u.  s.  w. ; 
das  Fragment  einer  Homilie,  die  TlttQaiveaig  JV«  yv<ouoi.oyiag  und  einige  auf  den  Bilderstreit 
und  das  Schisma  bezügliche  Schriften  teils  von  Photios,  teils  von  anderen  Byzantinern. 

2.  Bibliothek:  Nach  älteren  Drucken  ed.  Imm.  Bekker,  2  voll.,  Berlin  1824; 
verbesserter  Text  mit  einem  Index.  Migne  gibt  neben  dem  Bekker'schen  Text  die  alte 
lateinische  ^'ersion  von  Schottus,  ohne  deren  Fehler  zu  korrigieren.  Eine  noch  ungedruckte 
lateinische  Uebersetzung  mit  Noten,  die  der  Grieche  Antonios  Katiphoros  abfasste, 
liegt  in  der  Markusbibliothek  zu  Venedig  (Catal.  opp.  class.  11  opp.  Photii  tom.  VU).  — 
Bekker  benützte  vier  Handschriften  der  Bibliothek,  andere  zählt  Hergenröther,  Photius 
Hl  13  und  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  10.  682  auf;  vgl.  ebenda  10,  678—776  und  11, 
1 — 10.  —  A^gl.  Rud.  Ballheimer,  De  Photi  vitis  decem  oratorum,  Bonner  Diss.  1877.  — 
Ant.  Elter.  De  Joannis  Stobaei  codice  Photiano,  Bonner  Diss.  1880. 

3.  Lexikon:  Ed.  pr.  G.  Hermann  mit  dem  Lexikon  des  Zonaras,  vol.  111,  Leipzig 
1808  (nach  einem  Apographum  des  Codex  Galeanus  und  einer  Dresdener  Handschrift).  — 
Die  erste  Ausgabe  nach  dem  Galeanus  selbst  besorgte  P.  Dobree  mit  Benützung  der  Vor- 
arbeit von  Person:  Photii  lexicon  e  codice  Galeano  descr.  R.  Porsonus.  Londini  1822. 
Davon  erschien  ein  billiger  Nachdruck.  Leipzig  1823.  —  Besprechung  dieser  Ausgabe  von 
G.  Bernhardy,  Hallesche  Literaturzeitung  1825  N.  77;  78.  —  Jetzt  benützt  man  die 
mit  holländischer  Gründlichkeit  gearbeitete  Ausgabe  von  S.  A.  Naber,  2  voU..  Leidae 
1864 — 65  (mit  ausführlicher  Einleitung  über  die  Quellen,  kritischem  Kommentar  und  wert- 
vollen Indices).  —  Emendationen  von  G.  Cobet.  Mnemosyne  7  (1858)  475  ff..  8  (1859) 
18  ff.,  9  (1860)  399  ff.,  10  (1861)  .50  ff.  —  L.  Dindorf.  Ueber  Photius  Lexikon  und  Biblio- 
thek, Jahns  .Jahrb.  103  (1871)  361—369.  —  M.  Haupt.  Opuscula  H  (1876)  421  ff.  —  Ueber 

')  S.  Hergenröther  IH  240  ff.  I   Fragmente  im  cod.  Monac.  222. 

^)  Vielleicht  gehören  zu  denselben  einige 


232  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

das  Verliältnis  zu  den  riatoscholien  und  zu  dem  r>.  IJekker'schen  und  zum  Bachmann'schen 
Lexikon  s.  L.  Colin,  Jahns  Jahrb.  18.  Supplementb.  (1882 — 84)  794  ff.  —  lieber  die  Frage, 
ob  Suidas  das  Lexikon  des  Photios  selbst  oder  dessen  Vorlagen  benützt  hat,  handelt  be- 
sonders P.  Roellig,  Quae  ratio  inter  Photii  et  Suidae  lexica  int^rcedat,  Halle  1887  = 
Dissertat.  philol.  Halenses  vol.  8,  1 — 67;  hier  ist  auch  sonstige  auf  die  Frage  bezügliche 
Litt«ratur  verzeichnet.     Vgl.  auch  §§  127.  130. 

4.  Amphilochien:  Nach  verschiedenen  Ausgaben  einzelner  Gruppen  (durch  Mont- 
faucon,  Wolf,  Scottus,  A.  Mai  u.  a.)  ziemlich  vollständig  von  Malou  und  Hergenröther  bei 
Migne,  Patrol.  Graeea  101  (1860)  1—1190  imd  1277—1296.  —  Dazu  dient  als  wichtige 
Ergänzung  die  den  Pariser  Herausgebern  unbekannt  gebliebene,  auf  einer  früher  nicht 
benützten  Athoshandschrift  beruhende  Ausgabe,  welche  von  dem  gelehrten  K.  Oikononios 
lange  vorbereitet,  aber  erst  nach  seinem  Tode  (1857)  von  seinem  Sohne,  dem  Chirurgen 
Sophokles  Oikonom OS  veröffentlicht  wurde:  Tor  eV  dyioig  natQos  tjjnuiy  4>MTiov  nreTQtäQ- 
/ov  KiovarauxiyovnöXetoq  ru  'Afi(piXü)(uc  ....  exSiSoytog  lorfoxXiovg  K.  xov  i^  Oixoyöuwy, 
'ASrjyrjat  1858;  sie  enthält,  von  Varianten  abgesehen,  elf  bisher  völlig  unbekannte 
Quaestionen.  Die  ausführlichen  Prolegomena  handeln  mit  reichlicher  Benützung  der  abend- 
ländischen Litteratur  über  Leben  und  Werke  des  Photios,  besonders  über  die  Amphilochien 
und    die  Handschriften  derselben. 

5.  Historische  und  dogmatische  Schriften  bei  Migne;  die  Litteratur  über  die 
kanonistischen  Arbeiten  s.  bei  Hergenröther,  Photius  111  92  ff.;  über  die  Bibel- 
kommentare ebenda  III  70  ft".  —  Homilien  bei  Migne.  —  Die  zwei  auf  den  Einfall 
der  Russen  bezüglichen  Homilien  edierte  zuerst  nach  einer  noch  andere  Homilien 
und  sonstige  Werke  des  Photios  enthaltenden  Athoshandschrift  recht  fehlerhaft  und  un- 
vollständig der  Archimandrit  Porphyrius  Uspcnskij,  Petersburg  1864  (mit  zwei  anderen 
Homilien).  —  Vollständig  und  genau  nach  demselben  Codex  erst  Aug.  Nauck,  Lexicon 
Vindobonense,  Petropoli  1867  S.  201—232;  vgl.  sein  Prooemium  S.  23—30.  —  Endlich 
wiederholt  von  C.  Müller,  Fragmenta  histor.  Graec.  vol.  5  (1870)  162 — 173.  Hier  und 
bei  Nauck  auch  Angabe  der  älteren  auf  das  Ereignis  bezüglichen  Litteratur,  wie  E.  Kunik, 
Die  Berufung  der  schwedischen  Rodsen  2  (1845)  332 — 336  und  Bullet,  de  la  classe  hist.- 
phil.  de  l'acad.  des  sciences  de  St.  P(5tersbourg  6  (1849)  373—379,  7  (1850)  72—74,  8  (1851) 
185  ff.  —  Eine  Analyse  beider  Homilien  gab  A.  Chassang,  Annuaire  de  l'assoc.  5(1871) 
75 — 85.  —  lieber  die  Chronologie  des  Ereignisses  spricht  zuletzt  noch  E.  Kunik,  Bullet, 
de  la  cl.  hist.-phil.  de  l'acad.  des  sciences  de  St.  Petersbourg  27  (1881)  338—362.  —  Ueber 
Fragmente  von  Homilien  des  Photios  im  cod.  Palatinus  129  handelt  K.  Müller,  Zeit- 
schrift für  Kirchengeschichte  4  (1880-81)  130—136. 

6.  Briefe:  Nach  älteren  Drucken  fast  vollständig  bei  Migne,  Patrol.  Graec.  102, 
585—990.  —  Dazu  kam  bald  als  Ergänzung  die  Ausgabe  von  J.  N.  Valettas,  London 
1864.  Sie  enthält  nicht  viel  Neues,  aber  sachdienliche  Erläuterungen  und  viele  Ver- 
besserungen des  Textes.  —  Ueber  eine  Stelle  in  einem  Briefe  des  Photios  handelt  H.  Usener, 
Rhein.  Mus.  28  (1873)  409 — 412.  —  Varianten  zu  einigen  Briefen  des  Photios  nebst 
6  Briefen  eines  Gnostikers  an  den  Magister  von  Antiochia  Nikephoros  Uranos  gab  aus 
einem,  wie  es  scheint,  auch  sonst  nicht  unwichtigen  cpistolographischen  Sammelcodex  in 
Patmos  J.  Sakellion,  'Ji^rjyraoy  9  (1880)  285—300.  —  Für  die  übrigen  Schriften  s.  Mignes 
Gesamtausgabe  und  Hergenröthers  Monumenta  (s.  oben). 

7.  Allgemeine  Hilfsmittel:  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  10,  670 — 776  und 
11,  1 — 37.  —  Hauptschrift  über  Photios  ist  und  bleibt  wohl  noch  lange  Zeit  das  durch 
Gelehrsamkeit  und  Objektivität  ausgezeichnete  Werk  des  Kardinals  J.  Hergenröther, 
Photius,  Patriarch  von  Konstantinopel,  3  Bände,  Regensburg  1867  1869.  Das  Haupt- 
gewicht ist  hier  auf  die  Seite  des  Photios  gelegt,  die  ja  in  der  That  die  wichtigste  ist, 
auf  die  theologische;  der  Verfasser  schildert  das  Bild  des  Patriarchen  auf  der  Folie 
einer  Geschichte  der  orientalischen  Kirche  vom  4.  Jahrhundert  bis  nach  dem  Schisma. 
Die  Objektivität  des  Urteils  ist  trotz  der  Stellung  des  Verfassers  nur  selten  wirklich  ge- 
trübt, jedenfalls  nicht  in  dem  Grade  wie  bei  den  meisten  griechischen  Beurteilern  des 
Photios.  Der  dritte  Band  enthält  S.  3 — 260  einen  Abschnitt  über  die  Schriften  des 
Photios,  woselbst  auch  vollständigere  Angaben  über  Handschriften  und  .\usgaben  zu  finden 
sind.  —  Dazu  kommen  die  Einleitungen  von  K.  Oikononios  und  Valettas  zu  den  oben 
erwähnten  Ausgaben.  —  Wenig  Zweckdienliches  enthalten  A.  Pich  1er,  (leschicht«  der 
kirchlichen  Trennung  zwischen  Orient  und  Occident,  2  Bände,  München  1864 — 1865,  und 
K.  Diniitrakopulos,  laTOQtn  rov  a/lau€(roi  rijg  .innyix^g  ixxXtjOing  tlno  jtji  öo'todoiov 
'EXi.r^yixrj<;,  Leipzig  1867  (kurze  Darstellung  mit  besonderer  Betonung  der  weiteren  Aus- 
bildung des  Schismas  nach  1054).  —  Ganz  wertlos  ist  die  tendenziöse  Abhandlung  von 
Diom.  KyriakoH,  '.h'hjyruoy  111  (1S74)  135—163.  —  Den  römischen  Standpunkt  vertriü 
A.  Fr.  (tfrörer,  Byzantinische  (ieschichten,  v.  11  —  111,  Graz  1873  77.  Ueber  die  dog- 
matischen Kämpfe   des  Photios,   besonders   über  sein  Verhältnis  zu  Ignatios   handelt  auch 


5.  Altertamswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  112.)     233 

J.  Malvsevskij,  Die  Hll.  Kyrillos  und  Methodios.  die  ersten  slavischen  Lehrer,  Kiew 
1886  (Russ.).  Vgl.  die  Besprechung  von  V.  Oblak,  Arch.  slav.  PhUol.  12  (1889)  216—221.  — 
Die  sagenhaften  Berichte  über  das  Lehen  des  Photios  bespricht  Bas.  Georgiades,  'Hfisgo- 
Xöyiof  T^f  'AytcjoXrjg.  'Ey  KcofOTayTiyovTiöXei  1887  S.  104—115.  —  Die  Beziehungen  des  Ph. 
zu  Papst  Nicolaus  1  untersucht  A.  Gasquet,  L'empire  Byzantin  et  la  monarchie  Franque, 
Paris  1888  S.  348—372.  —  Für  die  theologische  Seite  s.  noch  den  verständigen  Artikel 
von  Gass,  Realencyklopädie  für  prot«st.  Theologie,  11.  B.  (Leipzig  1883)  und  die  kurze 
Uebersicht  von  Garnett,  Encyclopaedia  Britannica  vol.  18  (1885)  819  ff. 

112.  Arethas,  um  860  in  Patrae  geboren,  war  wie  alle  hervorragen- 
den Männer  dieser  Zeit  ein  Schüler  des  Photios.  Seit  dem  Anfang  des 
10.  Jahrhunderts  (sicher  seit  907)  war  er  Erzbischof  von  Käsarea.  Die 
anonyme  Lebensbeschreibung  des  Patriarchen  Euthymios,^  eine 
Hauptquelle  für  die  Biographie  des  Arethas,  zeigt  ihn  an  den  kirchlichen 
Streitigkeiten  der  Zeit  lebhaft  beteiligt.  Er  war  zuerst  Anhänger  des 
Isikolaos,2)  versöhnte  sich  aber  bald  mit  Euthymios.  Nach  derselben  Quelle 
war  Arethas  Lehrer  des  angesehenen  „Philosophen"  Niketas  des  Paphla- 
goniers.  Das  letzte  bekannte  Datum  seiner  Biographie  ist  das  Jahr  932, 
aus  welchem  einer  der  in  seinem  Auftrage  geschriebenen  Codices  stammt. 
In  der  Geschichte  der  byzantinischen  Bildung  nimmt  Arethas  eine  sehr 
beachtenswerte  Stellung  ein.  In  einem  dunkeln  Jahrhundert  und  an  einem 
von  den  wenigen  noch  übriggebliebenen  Bildungsstätten  weit  abgelegenen 
Orte  widmete  er  sich  mit  bewunderungswürdigem  Eifer  der  Sammlung 
und  Erklärung  kirchlicher  wie  profaner  Schriften.  Der  älteste 
bzw.  einzige  griechische  Kommentar  zur  Apokalypse  ist  nur  in  der 
von  Arethas  stammenden  Form  auf  uns  gekommen.  Ausserdem  haben  wir 
von  ihm  Bemerkungen  zu  Plato,  Lukian  und  Eusebios.  Sein  Interesse 
für  Litteratur  bezeugen  mehrere  erhaltene  Handschriften,  welche  in  seinem 
Auftrage  und  auf  seine  Kosten  kopiert  wurden;  dazu  gehören  ein  wichtiger 
Codex  der  Apologeten  (Paris.  Gr.  451),  ein  Codex  dogmatischen  In- 
halts, Handschriften  des  Euklides,  des  Rhetors  Aristides,  vielleicht  auch 
des  Dion  Chrysostomos,  endlich  der  berühmte  von  Clarke  aus  Patmos 
nach  England  entführte  Platocodex.  Von  selbständigen  Schriften  des 
Arethas  kennen  wir  eine  Grabrede  auf  den  Patriarchen  Euthymios  (f  917) 
und  eine  Homilie  auf  drei  Märtyrer.  Ein  Moskauer  Codex  enthält 
viele  noch  unedierte  Gelegenheitsschriften  und  Briefe  des  Arethas,  aus 
denen  sich  noch  genauere  Nachrichten  über  seine  Lebensverhältnisse  er- 
warten lassen.  Wenn  auch  die  Hauptbedeutung  des  Mannes  darin  beruht, 
dass  man  ihm  einen  wertvollen  Teil  der  apologetischen  und  sonstigen 
kirchlichen  Litteratur  verdankt,  so  ist  ihm  doch  für  seine  unermüdliche 
Sammelthätigkeit  auch  die  klassische  Altertumswissenschaft  zum  Danke 
verpflichtet. 

Kommentar  zur  Apokalypse  ed.  J.  A.  Gramer,  Oxonii  1840.  Wiederholt  von 
Migne.  Patrol.  Gr.  106  (1863)  494—786;  787  ff.  zwei  theolog.  Reden  (nur  lateinisch).  — 
Pur  eme  genauere  Kenntnis  und  bessere  Würdigung  des  Arethas  zog  die  Grundlinien  Ad. 
Harnack,  Texte  und  Untersuchungen  zur  Geschichte  der  altchristl.  Lit.,  herausgeg  von 
0.  von  Gebhardt  und  Ad.  Harnack  1  1—2  (Leipzig  1882)  36-46.  —  Ueber  den  cod.  Paris. 
Gr.  4ol  benchtet  0.  von  Gebhardt,  Texte  und  Untersuchungen  1  3  (1883)  154—196  - 
Leber  die  philologische  Bedeutung   des  Arethas  handelt   mit  überschätzender  Begeisterung 

•)  S.  §  28. 

*)  Patriarch  901—907  und  912—925.     Vgl.  §  89. 


234  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.     I.  Prosaische  Litteratur. 

E.  Maasa,  Observationes  palaeograplucae  in  den  Melanges  Graux,  Paris  1884  S.  749 
bis  766.  —  Biographische  Notizen  und  Mitteilungen  über  Moskauer  Handschriften  des  Arethas 
von  Ad.  Jülicher,  Götting.  Gel.  Anzeigen  1889,  383—387. 

113.  Isaak  Porphyrogennetos,  wahrscheinlich  jener  Komnene  Isaak, 
der  1057 — 1059  den  byzantinischen  Kaiserthron  inne  hatte  und  sich  dann 
freiwillig  ins  Kloster  zurückzog,  verfasste  zwei  kleine  Schriften  zu 
Homer.  Die  erste  führt  den  Titel:  IJeQi  twv  xaxaleKfO^ivrwv  vtxo  tov 
^O^tr^Qov  d.  h.  Ueber  die  von  Homer  weggelassenen  Dinge.  Nachdem  der 
Verfasser  eine  ziemlich  naive  Lobrede  auf  Homer  und  eine  Inhaltsangabe 
der  Ilias  vorausgeschickt  hat,  bemerkt  er,  Homer  habe  unbegreiflicher 
Weise  viele  mit  der  Eroberung  Trojas  zusammenhängende  Ereignisse  über- 
gangen, wie  den  Tod  des  Priamos,  das  Schicksal  der  Hekabe  u.  s.  w.  Er 
habe  deshalb  aus  alten  Büchern  jene  Dinge  zusammengestellt,  um  das  Werk 
des  Homer  zu  ergänzen  und  abzurunden;  in  Anbetracht  seines  poeti- 
schen und  sprachlichen  Unvermögens  habe  er  jedoch  hiezu  nicht  das  hero- 
ische Metrum,  sondern  die  prosaische  Form  gewählt.  Er  gibt  nun  in 
unbeholfener  und  doch  pretiöser  Diktion  eine  Erzählung  der  an  die  home- 
rischen Geschichten  anschliessenden  Ereignisse,  wie  sie  namentlich  im 
Philoktet  des  Sophokles  und  in  der  Hekabe  des  Euripides  vorkommen.  Ob 
er  die  Dramen  direkt  benützte  und  welche  Quellen  er  etwa  ausserdem  noch 
verwertete,  muss  noch  untersucht  werden.  Daran  schliesst  sich  ein 
zweites  Schriftchen,  worin  ganz  im  Geschmack  des  Zeitalters  die  home- 
rischen Helden,  zuerst  die  Griechen,  dann  die  Trojaner  mit  einer  genauen 
Personalbeschreibung,  wie  sie  besonders  in  den  Romanen  Sitte  ge- 
worden war,  bedacht  werden:  IlfQi  idiöttiTog  xm  x«?«'«^»;^»^»'  ^wv  er  Tq(h<tc  ^ 
'EkXr^i'wv  T£  xai  Tqwmv.  Agamemnon  z.  B.,  der  den  Reigen  eröffnet,  wird  | 
bezeichnet  als  „gross,  weiss,  schönnasig,  von  dichtem  Bartwuchs,  schwar- 
zem Haar,  grossen  Augen,  furchtlos,  edel,  grossmütig."  Die  Schrift  besitzt 
mithin  Verwandtschaft  mit  Dares  Phrygius  und  Dictys  Cretensis; 
letzteren  nennt  der  Verfasser  am  Schlüsse  (S.  88)  auch  wirklich  als  Ge- 
währsmann seiner  Beschreibungen;  trotzdem  hat  er  nicht  aus  Dictys  selbst, 
sondern  aus  seinem  Ausschreiber  Malalas  geschöpft.  Die  vielfache  Ueber- 
einstimmung  des  Werkes  mit  den  Posthomerica  des  Tzetzes  ist  wohl 
aus  der  Benützung  gleicher  Quellen  durch  beide  zu  erklären.  Obschon 
litterarisch  und  philologisch  wertlos,  sind  beide  Schriftchen  immerhin  cha- 
rakteristisch für  jene  im  Dictys,  Dares,  Malalas  und  sonst  bekundete 
romantische  Auffassung  der  trojanischen  Geschichten,  welche  im  spä- 
teren Altertum  den  Homer  teils  zu  ersetzen,  teils  zu  ergänzen  suchte  und 
schliesslich  in  den  phantastischen  Trojaromanen  des  Mittelalters  einen 
breiten  und  bleibenden  Ausdruck  fand.  In  solchem  Zusammenhange  müssen 
also  die  zwei  Versuche  des  Exkaisers  Isaak  gewürdigt  werden. 

Ausgaben:  Die  homerisclie  Physiognomik  edierte  zuerst  J.  Rutgorsiua.  Vnriaruni 
Icctionum  libri  sex,  Lugd.  Hatavoruni  1(518  8.  r)09  51(5.  —  Dann  ed.  Iteide  Stücke  Leo 
Allatius,  Kxcerpta  varin,  Honiae  1641  S.  259-820  (mit  lateinisclter  l'ebersetzung). 
Wiederholt  auf  Grund  neuen  liandschriftlichen  Materials  in:  Polemonis  dechunationos  roc. 
Hugo  Hinck,  Leipzig,  hilil.  'I'eiil)ner,  IXT^  8.  57  88  (ohne  die  hitoinische  rebersotzung). 
Ueber  eine  dem  Isaak  Porphyr.  /,uges(hriel»ene  Epitonie  der  pseudo-plutarehi sehen 
Schrift    Ueber    das   Leben    und    die    Poesie   des   Moiner  beriehtet    ('.    Waelisiniitli,    h'liein. 

Mus.  N.  F.  18  (1863)  136  ff.;  326  H. 


I 


5.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  113—114.)     235 

114.  Johannes  Tzetzes  {T^sT^r^g),^)  wurde  als  Sohn  eines  gebildeten 
Mannes  um  das  Jahr  1110  in  Konstantinopel  geboren  und  erhielt,  wie  er 
selbst  ausdrücklich  bezeugt,  eine  sorgfältige  Erziehung:  von  früher  Jugend 
an  philologischen  Studien  ergeben,  widmete  er  sich,  nachdem  er  eine  Zeit 
lang  als  Sekretär  und  Lehrer  der  Grammatik  thätig  gewesen  war,  alsbald 
einer  ausgedehnten  litterarischen  Thätigkeit,  die  ihm  auch  seinen  Unter- 
halt verschaffte.  Ueber  seine  Lebensverhältnisse  sind  wir  ziemlich 
genau  unterrichtet,  da  er  jede  Gelegenheit  ergreift,  von  sich  selbst  zu  er- 
zählen. Durch  alle  Notizen,  die  seine  Person  betreffen,  zieht  sich  die  end- 
lose Klage  über  Armut,  Missgeschick  und  über  die  Yerkennung  seiner 
grossen  Verdienste.  In  dieser  Hinsicht  wie  auch  in  manchen  anderen 
Zügen  ist  Tzetzes  mit  seinem  würdigen  Zeitgenossen  Ptochoprodromos 
eng  verwandt.  Einmal  geriet  Tzetzes  in  so  grosse  Not,  dass  ihm  von 
allen  seinen  Büchern  nur  der  Plutarch  übrig  blieb.  Stets  erscheint  er 
von  der  Gnade  der  vornehmen  Gönner  abhängig,  denen  er  seine  Schriften 
widmet.  Besonders  sind  es  Mitglieder  des  kaiserlichen  Hauses,  an  die  er 
sich  wendet,  Isaak  Komnenos,  der  Bruder  des  Kaisers  Johannes  Kom- 
nenos,  Kaiser  Manuel  Komnenos  und  seine  aus  deutschem  Geschlechte 
stammende  Gemahlin  Irene:  auch  die  mit  den  Komnenen  verwandte,  mäch- 
tige Familie  Kamateros  und  andere  Würdenträger  bedachten  ihn,  wie 
sich  aus  den  Briefen  ergibt,  mit  reichlichen  Geschenken.  Sein  Hauptgönner 
war  lange  Zeit  ein  gewisser  Konstantin  Kotertzes,  der  die  Fortsetzung 
der  Allegorien  zu  Homer  und  eine  zweite  Bearbeitung  der  Chiliaden  ver- 
schuldet hat.  Das  Todesjahr  des  Johannes  Tzetzes  lässt  sich  nicht  mit 
Sicherheit  bestimmen.  Wenn  die  ihm  zugeschriebenen  Jamben  auf  den 
Tod  des  Manuel  Komnenos  ihm  wirklich  gehören,  müsste  er  das  Jahr  1180 
überlebt  haben.  Eine  genauere  Bestimmung  ergäbe  sich  vielleicht  aus 
einer  im  cod.  Paris.  2644  erhaltenen,  angeblich  von  Tzetzes  stammenden 
Monodie  De  imperatore  occiso,  die  man  auf  Andronikos  Komnenos 
(t  1185)  bezogen  hat:  allein  solange  das  Gedicht  nicht  ediert  ist,  bleibt 
die  Autorschaft  des  Tzetzes  ebenso  unsicher  als  die  Beziehung  auf  jenen 
Kaiser. 

Das  Gesamturteil  über  die  litterarische  Thätigkeit  des  Tzetzes  kann 
nicht  günstig  ausfallen;  seine  unmässige  Selbstüberhebung,  mit  der  sich 
die  derbste  Polemik  gegen  andere  Grammatiker  verbindet,  ist  ebenso  gross 
als  seine  Sorglosigkeit,  in  welcher  er  selbst  die  zeitgenössischen  Fach- 
genossen noch  weit  übertrifft.  Man  glaubt  in  der  Chronik  eines  Malalas 
zu  lesen,  wenn  Tzetzes  z.  B.  den  aus  Amorgos  stammenden  Dichter  Simo- 
nides einen  Sohn  des  Amorgos  nennt,  wenn  er  Naxos  für  eine  Stadt  auf 
Euboea  hält,  den  Servius  Tullius  als  Konsul  und  Kaiser  der  Römer  be- 
zeichnet, den  Euphrat  mit  dem  Nil  verwechselt  u.  s.  w.  Die  meisten 
seiner  zahllosen  Irrtümer  und  Missverständnisse  erklären  sich  daraus,  dass 
er  in  Ermangelung  von  Büchern  seinem  Gedächtnisse  allzuviel  zutraute;  er 
rahmt  von  sich  selbst  Alleg.  II.  15,  87: 

')    Die    in    ganz    späten    Handschriften       Schreibweise    Ceces,   Cetces,   Cecus  und   ist 
vorkommende  Form  Kexog  entstand  aus  der   1    also  gänzlich  zu  verwerfen. 
im  15.  bis  16.  Jahrb.   üblichen   lateinischen 


236  Byzantinische  Litteraturgeschichte.     I.  Prosaische  Litteratur. 

Ejnoi   ßißkioßtjxtj  yuQ  rj  xetfnktj  Tvy)(((yei  ' 
liijikoi   d   t'jfily  ot<  TiÜQEiai  Seirwg  ü/Qr^/nnrovaiy. 

Aehnlich  sagt  er  Chiliad.  I  277  von  seinem  Gedächtnisse: 

Ovde  yuQ  in'rj/not'tarfQoy  rov   Tfe'rCou  f^eog  i'cXXof 
"Jy&Qfc  rttJ»'  TiQiy  re  xai  reif  rvv  iSetftjyef  iv  ßiot. 

Es  muss  daher  ausdrücklich  betont  werden,  dass  auffallende,  sonst  nicht 
belegte  Namen  und  Nachrichten,  die  sich  nur  bei  Tzetzes  finden,  mit 
grösster  Vorsicht  entgegenzunehmen  sind;  mancher  scheinbare  Fund  er- 
weist sich  bei  näherer  Betrachtung  als  eitel  Katzengold. 

Immerhin  erhebt  sich  die  Belesenheit  des  Tzetzes  weit  über  das 
Normalmass  byzantinischer  Bildung;  sie  umfasst,  wie  sich  namentlich  aus 
den  Chiliaden  ergibt,  Homer,  Hesiod,  Pindar,  die  Tragiker,  Aristophanes, 
Theokrit,  Apollonius  Rhodius,  Lykophron,  Nikander,  Dionysios  Periegetes, 
Oppian,  die  Orphica,  Quintus  Smyrnaeus,  eine  Anthologie;  von  Histo- 
rikern den  Herodot,  Diodor,  Joseph,  Sueton  oder  eine  abgeleitete  Quelle, 
Plutarch,  Arrian,  Dio  Cassius,  Prokop  von  Kaesarea,  Pseudokallisthenes, 
Hesychios  Milesios,  Malalas,  Theopliylaktos  u.  a.,  von  Rednern  den  Ly- 
sias,  Demosthenes,  Aeschines,  auch  verlorene  Schriften  wie  Aristogiton 
gegen  Hyperides  u.  s.  w.,  von  Philosophen  den  Plato,  Aristoteles,  Psellos 
u.  a. ;  von  Geographen  den  Strabon  und  Stephanos  von  Byzanz;  von 
Belletristen  vor  allem  den  Lukian.  Manches  bleibt  hier  freilich  recht 
unsicher;  denn  die  Untersuchung  der  Quellen  des  Tzetzes  wird,  von  der 
Ungenauigkeit  seiner  Gedächtniszitate  und  der  Flüchtigkeit  seiner  Lektüre 
abgesehen,  noch  besonders  dadurch  erschwert,  dass  er  nach  einer  in  Byzanz 
weit  verbreiteten  Unsitte  zahlreiche  Autoren  nur  aus  zweiter  Hand  an- 
führt, manche  auch  auf  Geratewohl  zitiert  und  hiebei  Autoren  und  Schriften 
verwechselt.  Trotz  dieser  Mängel  verdienen  die  Werke  des  Tzetzes  eine 
eingehende  Betrachtung,  die  sich  vor  allem  darauf  richten  muss,  den  Weizen 
von  der  Spreu  zu  sondern  und  in  die  noch  wenig  gesichteten  Massen  Licht 
und  Klarheit  zu  bringen.  Neben  der  Bedeutung,  die  Tzetzes  für  das 
Altertum  hat,  ist  er  unstreitig  für  die  litterar-  und  kulturhistorische 
Würdigung  seiner  Zeit  eine  bedeutende  Figur,  die  in  einem  Gesamtbilde 
des  zwölften  Jahrhunderts  so  wenig  fehlen  darf  als  Anna  Komnena, 
Eustathios,  Ptochoprodromos  u.  a.  Die  Schriften  des  Tzetzes  kann  man 
in  drei  Gruppen  teilen,  in  antiquarisch-historische  SammelwerkeJ 
(Briefe  mit  den  Chiliaden),  in  Ergänzungen,  Allegorien  und  Schollen 
zu  den  alten  Dichtern  und  endich  in  allgemeine  Traktate  über  Poesie. 
Metrik  und  Grammatik,  wozu  einige  kleinere  Stücke  vermischten  Inhalt 
kommen.  Wir  beschränken  uns  auf  eine  kurze  Aufzählung  sämtlicher 
Werke: 

1.  Eine  von  Tzetzes  selbst  geordnete  und  in  zwei  Bände  eingeteilte  j 
Sammlung  von  1(^7  Briefen.  Als  Prinzip  der  Heihenfolge  ist  mit  völ-  i 
liger  Sicherheit  die  Zeit  der  Abfassung  erkannt.  Die  frühesten  Stücke  i 
beginnen  mit  dem  Jahre  1138;  die  letzten  sind  kaum  vor  1165  geschrieben,  ; 
der  dem  Ganzen  als  Einleitung  vorgesetzte  Brief  an  den  Diakon  p]piphanios  ; 
schwerlich  vor  1170.  Eine  geringe  Zahl  der  Briefe  geluirt  in  die  seit  der 
Sophistenzeit  beliebte  Gattung  der   fingierten  Episteln;   sie  sind  schon 


5.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§114.)     237 

in  der  Ueberschrift  als  rhetorische  Uebungsstücke  bezeichnet  z.  B.  'Sig  anö 
Tivoq  Siaxovov  noog  enioxonov.  Die  meisten  dagegen  sind  an  wirkliche 
Personen  gerichtet,  an  Männer  und  Frauen  aus  dem  Kaiserhause,  an  geist- 
liche und  weltliche  Würdenträger,  an  Freunde  und  Schüler.  Aus  ihnen 
erfahren  wir  manches  biographische  Detail  über  den  Verfasser  und 
die  Adressaten;  doch  verschwinden  solche  Personalnotizen  in  dem  Wüste 
mythologischer,  litterargeschichtlicher  und  historischer  Weisheit,  die  den 
Kern  und  das  Wesen  dieser  schwergelehrten  Korrespondenz  bildet.  Wenn 
Photios  in  seinen  Briefen  auch  wissenschaftliche  Fragen  mit  Eleganz  und 
Leichtigkeit  zu  behandeln  weiss,  so  treffen  wir  bei  Tzetzes  nur  krausen 
Notizenkram  und  dazwischen,  wie  als  Erkennungszeichen  eingestreut,  die 
Ergüsse  seiner  morosen  und  launenhaften  Selbstüberhebung. 

Erste  Gesamtausgabe  von  Theod.  Pressel,  Tubingae  1851  (mit  einem  Index 
tiraecitatis  und  einem  kritischen  Apparate  zu  den  Chiliaden). 

2.  Die  Chiliaden.  Das  umfassendste  Werk  des  Tzetzes,  wahrschein- 
lich zwischen  1144  und  1170  abgefasst,  ist  ein  philologisch-historisches 
Lehrgedicht  in  12  674  politischen  Versen,  das  von  Tzetzes  BißXog  taxo- 
Qioh'  betitelt  wurde;  die  jetzt  übliche  Bezeichnung  Chiliades  stammt  von 
dem  ersten  Herausgeber  Gerbel  (1546),  welcher  das  ganze  Werk  zur  Er- 
leichterung des  Zitierens  in  13  Verstausende  einteilte.  Nach  seiner  ur- 
sprünglichen Anordnung  zerfällt  das  Werk  in  660  Kapitel  {taroQiat),  Den 
Inhalt  dieser  „Geschichten"  bilden  mythologische,  litterargeschichtliche 
und  historische  Miszellen,  welche  die  in  den  Briefen  vorkommenden  ge- 
lehrten Abschweifungen  in  ausführlicher  Weise  erklären.  Die  Chiliaden 
sind  mithin  nichts  anderes  als  ein  ungeheuerer  versifizierter  Kom- 
mentar zu  den  eigenen  Briefen  des  Tzetzes,  die  Stück  für  Stück  teils  in 
einer,  teils  in  mehreren  laxoQifxi  erläutert  werden.  So  eng  ist  die  Bezieh- 
ung zwischen  den  Briefen  und  Chiliaden,  dass  man  die  ersteren  geradezu 
als  einen  detaillierten  Index  zu  den  letzteren  betrachten  kann.  Die  Briefe 
bilden  das  Gerippe,  die  Chiliaden  die  bauschige  Umhüllung  desselben.  Die 
Manie  des  Kommentierens  Hess  Tzetzes  nicht  ruhen.  Er  dachte:  „Doppelt 
genäht  hält  besser"  und  versah  die  Chiliaden  noch  mit  ausführlichen,  teils 
in  Prosa,  teils  in  politische  und  jambische  Verse  gefassten  Randscholien, 
in  welchen  er  teils  historische  Irrtümer  verbessert,  teils  Quellen  angibt, 
die  Erzählung,  Orthographie,  W^ortbildung  und  Prosodie  rechtfertigt  und 
Einzelheiten  hinzufügt.  Auch  zieht  er  hier  in  derbster  Weise  gegen 
den  nachlässigen  Abschreiber  los,  der  Koprograph,  nicht  Kalligraph  zu 
heissen  verdiene;')  in  Wirklichkeit  scheint  jedoch  dieser  Koprograph,  ähn- 
lich wie  heute  zuweilen  der  „Druckfehlerteufel",  nur  den  Sündenbock  ab- 
zugeben für  die  Schnitzer,  die  nachträglich  von  Tzetzes  oder  von  andern 
entdeckt  wurden.  Diese  verbesserte  Ausgabe  widmete  Tzetzes  seinem 
Gönner  Kotertzes,  an  den  auch  zwei  Briefe  gerichtet  sind.  Genau  ge- 
nommen sind  übrigens  drei  Ausgaben  der  Chiliaden  zu  unterscheiden.  Als 
Anhang  der  Chiliaden  finden  sich   in  zwei  Handschriften   drei  kleinere 


•)  Zu  Chil.  V  201:  |    (Oj/rw  ;^pca>V  xaT-eiv  ydq  ij  xu)LXiyQceq:oy). 

Tov  xoiQiiüvtog  Tovife  xui  xoTtQoygüffov 


238  Byzantinische  tiitteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

Gedichte,   deren  Inhalt   im  wesentlichen   eine  bittere  Polemik  gegen  die 
Feinde  des  Tzetzes,  besonders  gegen  den  Eparchen  Kamateros  bildet. 

Ausgaben:  Ed.  pr.  Nie.  Gerbelius,  Basileae  1546;  wiederholt  von  Jac.  Lectius 
im  Corpus  poet.  Graecor.,  Coloniae  AUobrog.  1614,  v.  II  274  ff.  —  Ed.  Theophil.  Kiess- 
ling,  Lipsiac  1826  (Johannis  Tzetzae  historiarum  variarum  chiliades);  eine  ganz  unkritische 
und  unglaublich  nachlässige  Arbeit.  Vgl.  die  gehaltreichen  Besprechungen  von  Struve, 
Neue  kritische  Bibliothek,  herausgeg.  von  G.  Seebode  1827  S.  241—306  und  370-436 
(auch  als  eigene  Schrift  unter  dem  Titel:  Ueber  den  politischen  Vers  der  Mittelgriechen. 
Hildesheim  1828)  und  von  Hamaker,  Bibliotheca  nova  critica  (Lugduni  Batavorum)  vol.  IV 
(1828)  372—403,  endlich  die  freilich  auch  sehr  ungenaue  Kollation  von  Pariser  Hand- 
schriften in  der  Ausgabe  der  Briefe  des  Tzetzes  von  Pressel.  —  Scholia  ad  Tzetzae 
Chiliades  ed.  Cramer,  Anecdota  Oxon.  III  (1836)  350 — 375.  —  Eine  brauchbare  Ausgabe 
der  Chiliaden,  in  welcher  das  Verhältnis  der  Codices  und  Rezensionen  klargelegt  und  ein 
verlässiger  Text  gegeben  werden  müsste,  fehlt  uns  noch.  Von  Handschriften  sind  bis  jetzt 
2  Münchener  und  2  Pariser  bekannt.  —  Die  Quellen  der  mythologischen,  historischen, 
geographischen  und  litterargeschichtlichen  Nachrichten  der  Chiliaden  behandelt  die  gründ- 
liche Arbeit  von  Christian  Härder,  De  Joannis  Tzetzae  historiarum  fontibus  quaestiones 
selectae,  Diss.  Kiel,  1886. 

3.  Allegorien  zur  Ilias  und  Odyssee,  zwei  Lehrgedichte  in  poli- 
tischen Versen,  in  welchen  O  "OfirjQog  o  yrarcoyoc,  i)  O^äXaaaa  tmv  Aoyojv 
(V.  51)  breit  erläutert  und  insbesondere  die  homerische  Götterwelt  nach 
den  Grundsätzen  des  Euhemerismus  allegorisch  umgedeutet  wird.  Das 
Doppelwerk  ist  betitelt:  '^Ynöd^eaic  rov  "^Ohj^qov  aklrjogi^ü^tTaa  nagd  'Iioävrov 
YQUjiifiaiixov  rov  TXtt^ov  rf^  xQaiaioxcctri  ßaaiXicfafj  xai  oftr^Qtxunctii^  xv()(( 
EiQi]vi]  TJf  £^  'AXaf^iarwv.  Das  Werk  ist  demnach  der  Kaiserin  Irene  ge- 
widmet; doch  gehören  ihr  nur  die  ersten  15  Gesänge  der  Allegorien  zur 
Ilias.  Als  nämlich  der  kaiserliche  Schatzmeister,  der  die  ersten  Gesänge 
reichlich  belohnt  hatte,  anfing  den  unermüdlichen  Dichter  mit  leeren  Worten 
abzuspeisen,  widmete  er  aus  Rache  den  Schluss  dem  Konstantin  Ko- 
tertzes.  Der  Anfang  des  Werkes  ist  um  1145  abgefasst,  der  Schluss  um 
1158,  die  Allegorien  zur  (Odyssee  erst  nach  diesem  Jahre,  da  im  Proömium 
der  Tod  Irenes  (f  1158)  erwähnt  ist.  Von  den  letzteren  sind  bis  jetzt  nur 
das  Proömium  und  die  Allegorien  zu  den  ersten  13  Gesängen  aufgefunden. 
Beide  Gedichte  umfassen  jetzt  etwa  10  000  Verse. 

Ausgaben:  Die  Allegorien  zur  Ilias  und  Odyssee  ed.  P.  Matranga,  Anecdot;i 
Graeca  I  (1850)  1 — 295.  -  Nur  die  Allegorien  zur  Ilia.s  ed.  Fr.  Boissonade,  Lutt-tiac 
1851  (mit  den  Allegorien  des  Psellos).  Scholia  ad  Allegorias  lliadis  ed.  J.  A.  Cramer. 
Anecdota  Oxon.  HI  (1836)  376—884. 

4.  Exegesis  zur  Ilias  des  Homer,  ein  aus  der  Lchrthätigkeit  dos 
Tzetzes  hervorgegangener,  wie  eine  moderne  Doctordissertation  von  giftiger 
Polemik  gegen  alle  Vorgänger  eingeleiteter  Kommentar,  der  um  das  Jahr 
1143  veröffentlicht  und  später  mit  den  unvermeidlichen  Scholien  ausge- 
stattet wurde. 

Ed.  G.  Hermann    mit    Draco    Stratonicensis,    Lipsiae  1812.  Ed.  L.  Bacli- 

mann,   Scholia   in   Homeri   lliadem,   Lipsiae  1835     38  S.  746—845.        Vgl.  K.  Sathas, 
Bulletin  de  correspond.  hellön.  1  (1877)  121  if. 

5.  Ein  weiteres  auf  Homer  bezügliches  Werk  des  Tzetzes  ist  sein 
hexametrisches  Gedicht  Tdnqo  'Oini^gov,  td  'Ofii^gov,  rd  /i* »'/' 7>iM^(ior, 
ediert  und  gewöhnlich  zitiert  unter  dem  lateinischen  Titel:  Antohonierica, 
Homerica,  l'osthomerica,  auch  einfach  als  Carmina  Iliaca.  Die 
Homerica  behandeln  denselben  Stoff  wie  die  Ilias;  die  Antehoniericu  troja- 
nische Geschichten,   die  der  homerischen  Erzählung  vorausgehen,   wie  den 


6.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  114.)     239 

Raub  der  Helena,  die  Rüstungen  der  Griechen  u.  s.  w.;  die  Posthomerica 
endlich  Ereignisse,  die  nach  den  von  Homer  erzählten  eintraten,  wie  der 
Bau  des  hölzernen  Pferdes,  die  Zerstörung  Trojas  u.  s.  w.  Das  Ganze 
bildet  demnach  ein  poetisches  Supplement  zu  Homer.  Auch  auf  dieses 
Werk,  das  vor  der  Exegesis  abgefasst  ist,  setzte  Tzetzes  später  erklärende 
Scholien, 

Ed.  Fr.  Jacobs,  Lipsiae  1793.  —  Dann  mit  manchen  Verbesserungen  ed.  I.  Bekker, 
Berolini  1816.  —  Die  Ausgabe  von  Jacobs  ^vurde  wiederholt  in  der  Bibliotheca  Tauch- 
nitiana  mit  Quintus  Smyrnaeus  u.  a.,  Lipsiae  1829:  der  Bekker'sche  Text  von  Lehrs 
und  Dübner  mit  Hesiod,  ApoUon.  Rhod.  u.  a.,  Paris  1868. 

6.  Auf   Homer    und   Hesiod   bezieht   sich    endlich   die   Theogonia: 

'Icoürrov  youiiuanxov  tov    T^tr^ov  noir^ucc    uvO^ojqov    nüvvi]    xcti    düfXtvrjov 

diä  GTix(tiV  TToXiTixöJv  nsQikxoY  Tiuaav   ö^toyoriav  iv  ßqu^^i   i^urd   nooad^t^xr^g 

xal   xttTaXöyov   täv   i/ti   rrjv    iXiov    dgiarcov  ^£XX}jv(ov   t£   xal    Tgomv.     Das 

Gedicht  scheint  um  dieselbe  Zeit  abgefasst  wie  die  Exegesis  zur  Ilias. 

Ed.  I.  Bekker,  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften  1840 
S.  147—169.  —  Ed.  Matranga,  Anecdota  Graeca,  vol.  II  (1850)  577—598.  Wegen  der 
starken  Verschiedenheit  der  benutzten  Handschriften  müssen  beide  Ausgaben, 
die  sich  gegenseitig  ergänzen,  herangezogen  werden.  —  Dazu  kommt  noch  der  kleine  Prosa- 
traktat /Ifpt  rrjg  yeyyt'jasioi  rwy  i^ewy,  ed.  von  J.  A.  Gramer.  Anecdota  Paris.  III  (1841) 
101  — 112   und  in  anderer  Fassung  von  Matranga,    Anecdota  Graeca  II  (1850)  364 — 371. 

7.  Scholien  zu  Hesiods  Werken  und  Tagen  und  zum  Schild 
des  Herakles,  abgefasst  vor  1138.  Im  Vorworte  entwickelt  Tzetzes 
unter  heftigen  Angriifen  auf  Proklos  die  Grundsätze,  nach  welchen  ein 
Kommentar  anzufertigen  sei;  man  müsse  die  Dichter  nach  ihren  Eigen- 
tümlichkeiten unterscheiden,  über  die  Abkunft,  das  Leben,  die  Werke  und 
die  Zeitgenossen  des  zu  erklärenden  Dichters  handeln;  man  müsse  den 
Zweck  des  betreffenden  Werkes  darlegen  und  die  mythischen  Geschichten 
allegorisieren ;  das  Metrum  und  was  sonst  nötig  sei,  müsse  in  klarer  und 
lehrhafter  Weise  erklärt  werden,  nicht  mit  jener  labyrinthischen  Verworren- 
heit, die  selbst  wiederum  nach  Erklärung  schreie.  Abgesehen  von  dem 
leidigen  Allegorisieren,  das  Leute  wie  Tzetzes  nun  einmal  für  den  un- 
entbehrlichen Bestandteil  eines  guten  Kommentars  hielten,  ist  gegen  diese 
Grundsätze  nichts  einzuwenden.  Hätte  sie  nur  Tzetzes  selbst  treuer  be- 
folgt. So  aber  klingt  sein  Seitenhieb  auf  die  labyrinthische  Verworrenheit, 
die  selbst  wiederum  eines  Kommentars  bedürfe,  wie  ein  Hohn  auf  seine 
eigenste  Gewohnheit,  Kommentar  auf  Kommentar  zu  pfropfen. 

Ed.  Gaisford,  Poetae  Graeci  minores,  vol.  lU  (deutsche  Ausgabe  vol.  II).  —  lieber 
die  Quellen  dieser  Scholien  s.  E.  Sehe  er,  De  Plutarchi  in  Hesiodi  Opera  et  Dies  commen- 
tario,  Rendsburg  1870.  —  Vgl.  L.  Cohn.  Philol.  Abhandl..  Martin  Hertz  zum  70.  Geburts- 
tage dargebr.  1888,  130  ff.  —  Eugen  Abel,  Zum  TtVo?  'Haiödov  des  Johannes  Tzetzes, 
Wiener  Studien  11  (1889)  88—93.  —  Hesiod  ed.  K.  Sittl  S.  4  ff.;  383;  393  ff. 

8.  Scholien  zu  Aristophanes.  Der  Cod.  Ambrosian.  C  222  ord.  inf. 
und  andere  Handschriften  enthalten  Scholien  des  Tzetzes  zum  Plutos,  den 
Wolken  und  den  Fröschen,  dazu  ein  Argument  zu  den  Rittern  und  Vögeln, 
"woraus  sich  vermuten  lässt,  dass  er  auch  diese  Stücke  kommentiert  habe. 
Die  selbständige  Thätigkeit  des  Tzetzes  scheint  bei  der  Abfassung  der 
Scholien  eine  sehr  geringe  gewesen  zu  sein;  denn  sie  stimmen  vielfach 
&st  wörtlich  mit  anderen,  von  Küster  edierten  Aristophanesscholien  überein. 


240  Byzantinische  Litteratargeschichte.    1.  Prosaische  Litieratur. 

Ausgaben:  Zuerst  wurde  die  Aufmerksamkeit  der  Gelelirten  auf  diese  Scholieii 
gelenkt  durch  ein  Fragment  derselben,  welches  Fr.  Ritschi  in  lateinischer  Uebersetzung 
in  einer  Plautushandschrift  fand  und  in  der  Schrift:  Die  alexandrinischen  Bibliotheken, 
Breslau  1838,  verwertete.  —  Die  Prolegomena  dieser  Scholieu  edierte  H.  Keil,  Rhein.  Mus. 
N.  F.  t)  (1848)  108  ff.;  243  ff.  -  Die  Abhandlung  von  Ritschi  und  die  Ausgabe  von  Keil 
sind  mit  Nachträgen  wiederholt  in  Fr.  Ritschis  Opuscula  philologica  1  (1866)  1 — 172; 
197 — 237.  —  Zu  Ritschis  Abhandlung  vgl.  noch  G.  Beruh ardy,  Berliner  Jahrbücher  für 
wissenschaftliche  Kritik  1838,  II  821  840.  —  Die  Prolegomena  auch  bei  A.  Nauck, 
Lexicon  Vindobonense  (1867)  233  252;  dazu  vgl.  E.  Miller,  Journal  des  savants  1870, 
169—173.  Eine  genauere  Kollation  mit  bibliographischen  und  litterarhistorischen  Notizen 
gab  W.  Studemund,  Anecdota  varia  Graeca  I  (1886)  250—255.  Weitere  Beiträge  zu 
diesen  Scholien  von:  Fr.  Dübner  und  M.  Schmidt.  Philologus  25  (1867)  687-691;  Ad. 
von  Velsen,  Philologus  35  (1876)  696 — 703;  Max  Consbruch  in  den  Commentat.  in 
honor.  G.  Studemund,  Argentorati  1889,  211—236. 

9.  Scholien  zu  Lykophrons  Alexandra.  Sie  wurden  früher  dem 
älteren  Bruder  Isaak  Tzetzes  zugewiesen  oder  wenigstens  als  gemein- 
same Arbeit  beider  Brüder  angesehen;  doch  gehören  auch  sie  dem  Johannes, 
der  diese  Jugendarbeit  seinem  Bruder  Isaak  als  litterarisches  Eigentum 
abtrat,  sie  aber  nach  dem  Tode  desselben  wiederum  ausdrücklich  für  sich 
reklamierte. 

Ed.   Leop.   Sebastiani,   Romae    1803.  Ed.  (iottfr.  Müller,   3  voll.,   Lipsiae 

1811.  Beide  Ausgaben  sind  unhandlich  und  nach  holländischer  Art  übermässig  mit  Varianten 
und  sonstigen  Zugaben  belastet.  —  Vgl.  E.  Sehe  er.  Die  Ueberlieferung  der  Alexandra 
des  Lykophron,  Rhein.  Mus.  34  (1879)  272  ff;  442  ff.  —  Besser  als  der  Kommentar  des 
Tzetzes  sind  die  Scholien  im  cod.  Pai'is.  345,  ed.  von  L.  Bachmann,  Anecdota  Graeca  II 
(1828)  199—386  und  in  Lycophronis  Alexandra  rec.  Ed.  Scheer,  Berolini  1881;  vgl. 
dessen  Prolegom.  S.  10  ff.  über  Handschriften  des  Kommentars  von  Tzetzes.  —  Zu  den 
Quellen  dieser  Scholien  vgl.  G.  Wentzel,  'ETtix'ÄtjaEig  O^ewy  sive  de  deorum  cognominibus 
etc.,  Diss.  Göttingen  1889,  cap.  V. 

10.  Endlich  schrieb  Tzetzes  auch  Scholien  zu  den  Halieutika 
des  Oppianos,  die  noch  unediert  in  mehreren  Handschriften  vorkommen, 
wahrscheinlich  auch  solche  zu  den  Theriaka  und  Alexipharmaka  des 
Nikandros,  auf  die  in  anderen  Scholien  öfter  verwiesen  wird.  —  Zur 
Scholienlitteratur  kommt  noch  eine  in  politischen  Versen  abgefasste  Epitome 
der  Rhetorik  des  Her  mögen  es,  in  welcher  Tzetzes  den  Inhalt  des 
Buches  kurz  wiedergibt,  dabei  aber  in  der  üblichen  Weise  gegen  den  Ver- 
fasser und  gegen  frühere  Erklärer  desselben  wie  Georgios  und  Johann« 
Doxopatres  polemisiert. 

Ed.  von  Walz.  Rhet.  Graec.  III  (1834)  670—686  und  vollständiger  von  J.  A.  Granu  m. 
Anecdot.  Graec.  Oxon.  IV  (1837)  1  —  148. 

11.  Unter    die    Schriften   verschiedenen    Inhalts   gehören   die  Allr 
gorien,  unter  dem  Titel:  'lojäwov  tov  IXt'i^ov  u}.XtjoQiai  ex  t»*c  xq^^'"^'. 
fietQixijg  ßißXov,  ein  Gedicht,  in  welchem  die  Methode  rov  dXXijoQiir  dar- 
gelegt und  durch  Beispiele  erläutert  wird.    Der  Ueberschrift  zufolge  bildet 
das  Stück  nur  einen  Abschnitt  einer   grösseren,    nicht  erhaltenen  X^turixi] 
ßi'ßXog,  auf  die  auch  in  anderen  Schriften  des  Tzetzes  Bezug  genommen  wird. 

Johannis  Tzetzae  allegoriae  mythologicae,  physicae,  morales  ed.  F.  Morellus, 
Lutetiae  1616. 

12.  Ein  aus  57  jambischen  Versen  bestehendes  dramatisches  Ge- 
dicht, in  welchem  ein  'AyQotxog,  ein  2So<f6g,  ein  äoqÖc  und  Movaai  auf- 
treten. Der  Bauer,  der  Chor  und  die  Musen  preisen  das  Leben  des  Ge- 
lehrten glücklich;   der  Weise,   durch  dessen  Mund  offenbar  Tzetzes  selbst 


5.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  115.)     241 

spricht,  vertritt  die  entgegengesetzte  Anschauung  und  bejammert  die  trau- 
rige Lage  des  Weisen,  dem  das  Glück  seine  Gunst  versage,  während  es 
Unwissende  mit  Gütern  überhäufe.  Uebrigens  sprechen  gegen  die  Autor- 
schaft des  Tzetzes  metrische  Bedenken  und  eine  Ueberlieferung,  die  das 
Werk  dem  Plochiros  (s.  §  202)  zuweist. 

Ed.  Matranga,  Anecdota  Graec.  11  622 — 624. 

13.  IlfQl  tÜ)y  ir  ToTg  arixoig  nitQOJV  dTrävroiv,  ein  Lehrgedicht, 
das  in  politischen  Yersen  die  verschiedenen  Versfüsse  und  Metra  be- 
handelt. In  einem  hexametrischen  Prolog  widmet  Johannes  das  Werkchen 
den  Manen  seines  Bruders  Isaak;  demnach  ist  es  nach  1138  abgefasst. 

Ed.  Gramer,  Anecdot.  Gr.  Oxon.  III  (1836)  302—333.     S.  §  148. 

14.  ^Ti'xoi  TtfQi  dictifOQÜg  Troir^röir,  dazu  laußoi  Texvixol  neQi 
xtofioiäi'ac,  endlich  Verse  JlfQi  xQayixr^c  noir^asaig.  Tzetzes  verweist 
auf  dieses  dreiteilige  Lehrgedicht  schon  in  seinem  Kommentar  zu  Hesiod. 

Ed.  Dübner.  Rhein.  Mus.  4  (1836)  393--409.  -  Vollständiger  ed.  von  J.  A.  Gramer, 
Anecdot.  Oxon.  III  (1836)  334— 349.  —  Das  erste  Stück  ed.  auch  L.  Bachmanu.  Rostock 
1851.  —  Vgl.  K.  0.  Müller.  Rhein.  Mus.  5  (1837)  333-380,  wo  die  Schrift  des  Tzetzes 
über  die  verschiedenen  Dichtungsgattungen  zum  Ausgangspimkt  einer  Untersuchung  über 
das  alte  Theater  und  die  alte  Poesie  genommen  wird. 

15.  2x1x01  i'cei.ißoi  xXijuaxcotoi  jTqoc  tot  ßuaiXta  xvgiov  Ma- 
Yoin]X  enitäifioi.  Es  sind  91  jambische  Verse  auf  den  Tod  des  Kaisers 
Manuel  (1180).  Ä///mxo)r6c  heisst  sonst  ein  Vers,  in  welchem  jedes  fol- 
gende Wort  um  eine  Silbe  länger  ist  wie  Yi  uüxuq  ^Arq^idr^  iioiQijtrt'c, 
okßiödaijiov:  dagegen  besteht  die  Eigentümlichkeit  der  Leiterverse  des 
Tzetzes  darin,  dass  das  Schlusswort  jedes  Verses  im  Anfange  des  folgen- 
den sich  wiederholt,  gleichsam  die  Sprosse  bildet,  auf  der  man  zum  fol- 
genden Verse  emporklimmt  z.  B.  'Ava^  ßaaiXev,  aov  nsaüvrog  ov  (ftgo), 
Kai  /n:  (feqoiv  xo  näO^oc  avtog  öaxovoi,  Kai  daxQVOJV  x6  (ftXxQor  eig  ai 
dtixvvü)  etc.  Diese  wunderliche  Form  ist  offenbar  darauf  berechnet,  das 
tragische  Pathos  (90  Stufen  hoch!)  zu  steigern;  die  ungeheuer  komische 
Wirkung  des  Bravourstückes  scheint  dem  Verfasser  entgangen  zu  sein. 
Neuerdings  wurde  auch  dieses  Stück  dem  Tzetzes  abgesprochen;  doch 
wirken  die  vorgebrachten  metrischen  Gründe  nicht  überzeugend.  Ed.  Ma- 
tranga, Anecdota  Graeca  II  619 — 622. 

1.  Allgemeine  Hilfsmittel:  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  11,  228—260.  — 
F.  Henrichsen,  Ueber  die  sogen,  politischen  Verse  bei  den  Griechen.  Uebersetzt  von 
P.  Friedrichsen,  Leipzig  1839  S.  110—114.  —  G.  Seelmann,  De  propagatione  scho- 
liorum  Aeschyleorum,  Diss.  Halle  1875  S.  33—37  (,Quo  ordine  Tzetzarum  libri  editi  sint").  - 
H.  Haupt,  Ueber  Dio  Gassius  als  Quelle  der  Ghiliaden  und  des  Kommentars  zu  Lykophron, 
Hermes  14(1879)431  ff.  —  Herm.  Schrader.  Ueber  die  daktylischen  Verse  des  Theod. 
Prodromus  und  des  Johannes  Tzetzes,  Jahns  Jahrb.  137  (1888)  601—609.  —  Haupt - 
Schriften:  G.  Hart,  De  Tzetzarum  nomine  vitis  scriptis,  Jahns  Jahrb.  12.  Supplementb. 
(1880— 1881)  1 — 75.  —  Henr.  Giske,  De  Joannis  Tzetzae  scriptis  ac  vita,  Dissert. 
Rostock  1881. 

2.  Viele  Schriften  des  Tzetzes  sind  noch  unediert,  so  ein  Lexikon,  ein  Kommentar 
zu  Aristoteles  De  partibus  animalium,  politische  Verse  liegt  (jtjfiärtaif  uv&vrioTÜXTbiy  (hievon 
eine  Probe  bei  I.  Bekker,  Anecdota  Gr.  III  1088)  u.  a.  —  Manche  Schriften,  die  von 
Tzetzes  in  den  Ghiliaden  und  sonst,  freilich  meist  nur  undeutlich,  genannt  werden,  scheinen 
verloren  zu  sein.  Ein  keineswegs  vollständiges  Verzeichnis  derselben  bei  Fabricius, 
Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  11,  236  ff.  und  bei  Giske  a.  a.  0.  S.  73  ff. 

115.  Isaak  Tzetzes,  der  ältere  Bruder  des  Johannes  Tzetzes,  nicht 
lange  vor  1110  geboren,  beschäftigte  sich  in  ähnlicher  Weise  wie  Johannes 

Handbuch  der  klasa.  Altertumswissenscliaft.  IX.     ].  Abtlg.  16 


242  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

mit  philologischen  Studien,  besonders  mit  Metrik.  Auch  scheint  er  dem 
jüngeren  Bruder,  der  stets  mit  der  grössten  Verehrung  von  ihm  spricht, 
mit  Rat  und  That  an  die  Seite  gegangen  zu  sein.  Doch  wurde  das  brüder- 
liche Verhältnis  früh  zerstört;  Isaak  starb  schon  im  Jahre  1138  auf  Rho- 
dos, als  er  von  dem  Feldzuge  des  Johannes  Komnenos  gegen  Halep  zurück- 
kehrte, an  dem  er  sich,  wir  wissen  nicht  in  welcher  Eigenschaft,  beteiligt 
hatte.  Unter  dem  Namen  des  Isaak  Tzetzes  gehen  drei  Werke,  die  Scho- 
llen zur  Alexandra  des  Lykophron,  ein  astronomisches  Lehrge- 
dicht im  cod.  Monac.  287  {'Iaaaxi'oi>  an'xoi  ttsqI  dvaioXf^c  xai  Svastog  ron 
aaTQMv  iaf^tßixoi')  und  ein  versifizierter  Traktat  über  die  pindarische 
Metrik.  Die  Schollen  zu  Lykophron  gehören  ohne  Zweifel  dem  Johannes 
(s.  oben);  aber  auch  für  das  astronomische  Gedicht  hat  die  Autorschaft 
des  Isaak  wenig  Gewähr;  denn  dieselben  Verse  finden  sich  auch  in  den 
Schollen  des  Johannes  zu  Hesiods  Werken  und  Tagen  und  sind  seinen 
übrigen  Schriften  in  Vortrag  und  Metrum  so  verwandt,  dass  wir  die  Zu- 
teilung an  Isaak  ohne  Bedenken  auf  die  Willkür  eines  Abschreibers,  der 
den  Isaak  etwa  aus  Handschriften  des  Lykophronkommentars  kannte, 
zurückführen  dürfen.  Als  sicheres  Eigentum  des  Isaak  Tzetzes  bleibt 
mithin  nur  das  Stück  Jlegl  rwv  IIivSaQixMv  iitTQOiv  übrig;  es  ist  ein 
umfangreiches  Lehrgedicht  in  politischen  Versen,  dem  ein  kurzes  jam- 
bisches Proömium  vorausgeht.  Dass  Isaak  metrische  Studien  mit  Liebe 
und  Verständnis  betrieb,  ist  durch  seinen  Bruder  wiederholt  und  ausdrück- 
lich bezeugt.  Der  Raum,  welchen  der  ältere  Tzetzes  in  der  Litteratur- 
geschichte beanspruchen  darf,  ist  mithin  ein  verschwindend  kleiner,  und 
wenn  in  der  philologischen  Litteratur  gemeinhin  von  den  „beiden  Tzetzes" 
die  Rede  ist,  so  kann  das  zu  unrichtigen  Vorstellungen  Anlass  geben.  Es 
ist  w^ohl  geraten,  künftig  von  dieser  Terminologie  abzusehen  und,  wenn 
es  sich  nicht  um  die  erwähnte  metrische  Schrift  handelt,  einfach  den  Jo- 
hannes Tzetzes  anzuführen. 

Schrift  über  die  pindar.  Metren  ed.  J.  A.  Gramer,  Anecd.  Paris.  I  (1839)  59-162.  — , 
Im  übrigen  s.  die  Litteratur  zu  .Johannes  Tzetzes,  besonders  Hart  S.  24     32. 

llö.  Eustathios  {EvarccO^iog)  wurde  wahrscheinlich  in  Konstantinopc 
geboren;  wenigstens  erhielt  er  dort  seine  Jugendbildung.  Anfjinglich  b( 
kleidete  er  die  Stelle  eines  Diakons  an  der  Sophienkirche  und  wirkt 
ausserdem  als  öffentlicher  Lehrer  der  Beredsamkeit.  Im  Jahre  117^ 
wurde  er  zum  Erzbischof  von  Myra  in  Lykien  bestimmt,  gab  aber  dei 
gleichzeitig  verwaisten  kleineren  Sprengel  von  Thessalonike  den  Vorzug 
Mit  seiner  Ernennung  zum  Erzbischof  i.  J.  1175  beginnt  ein  neuer  Absclmitt 
in  seinem  reichen  Leben,  sozusagen  der  praktische  Teil,  was  sich  auch  in 
der  Reihenfolge  seiner  Werke  ausspricht;  seine  wissenschaftlichen 
Arbeiten,  die  Kommentare,  entstanden  in  der  Zeit  seiner  Lehrthätigkeit  in 
Konstantinopel,  die  auf  die  Geschichte  seiner  eigenen  Zeit  bezüglichen, 
meist  aus  aktuellen  Anlässen  hervorgegangenen  Schriften  während  seines 
Episkopats.  Als  geistlicher  Vorstand  von  Thessalonike,  damals  der  zweiten 
Stadt  des  Reiches,  wirkte  er  nn't  aufopfernder  Liebe  und  blieb  seiner  Ge- 
meinde auch  in  der  Bedrängnis  des  Normannenkrieges  1185  treu.  Mit 
grösster  Energie   bemühte   er   sich,    den   Stand    der  Mönche   geistig   und 


5.  Altertumswissenscliaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  116.)     243 

moralisch  zu  heben,  ein  Streben,  das  ihm  in  der  Klostergeistlichkeit  zahl- 
reiche Feinde  machte  und  sogar  heftige  Schmähschriften  gegen  seine  Person 
hervorrief.  Kulturgeschichtlich  interessant  sind  seine  eindringlichen  Mah- 
nungen an  die  Mönche,  die  Schätze  der  Bibliotheken  nicht  zu  ver- 
geuden, er  sagt  in  seiner  Schrift  über  den  Mönchsstand  mit  Beziehung 
darauf;  „Ach,  Du  Unwissender,  warum  machst  Du  die  Klosterbibliotheken 
Deiner  Seele  gleich?  Und  weil  Du  von  allen  Kenntnissen  entblösst  bist, 
willst  Du  auch  aus  diesen  alle  Bücherbehälter  wegräumen?  Lass  sie  das 
Kostbare  behalten;  nach  Dir  wird  ein  Kenner  oder  Freund  der  Litteratur 
kommen."  Nach  einer  reichen  litterarischen  und  praktischen  Wirksamkeit 
starb  Eustathios  zwischen  1192  und  1194;  sein  Freund  und  Amtsgenosse 
Michael  Akom inatos  in  Athen  ehrte  ihn  durch  einen  begeisterten  Nekro- 
log, ebenso  sein  Freund  Euthymios,  Metropolit  von  Xeupatras  in  Thes- 
salien. 

Eustathios  gehört  dank  seinen  Homerkommentaren  zu  den  wenigen 
Byzantinern,  für  die  sich  die  klassische  Philologie  zu  erwärmen  vermochte. 
Er  ist  aber  viel  mehr  als  ein  blosser  Scholiast,  mehr  als  ein  trockener 
Stubengelehrter.  Eine  selbständige  Betrachtung  der  byzantinischen  Kultur 
und  Litteratur  erblickt  in  Eustathios  eine  an  sich  bedeutende  und  für  die 
Würdigung  der  Zustände  des  zwölften  Jahrhunderts  massgebende  Persön- 
lichkeit. Von  diesem  Standpunkte  aus  sehen  wir  in  ihm  den  klugen  Mann 
von  politischem  Blick,  dessen  zeitgeschichtliche  Stücke  uns  über  einen 
wichtigen  Abschnitt  der  byzantinischen  Aera  aufklären;  wir  bewundern  in 
dem  Theologen  Eustathios  den  kühnen  Freimut,  womit  er  die  Korruption 
des  Klosterlebens  bekämpft  und  ein  lebendiges  Sittengemälde  seiner  Zeit 
vor  Augen  führt;  wir  schätzen  endlich  den  Gelehrten,  der,  obschon  er 
an  dem  politischen,  kirchlichen  und  sozialen  Leben  der  Zeit  rege  beteiligt 
ist,  durch  sein  Wissen  die  Zeitgenossen  überragt,  ja  in  der  Geschichte 
der  griechischen  Philologie  überhaupt  eine  bemerkenswerte  Stelle  be- 
hauptet. Wenn  wir  den  Eustathios  in  diesem  Sinne  würdigen,  so 
tritt  er  aus  dem  Dunstkreis  unfruchtbarer  Scholiastenweisheit  heraus 
und  erscheint  uns  als  eine  weniger  für  die  philologische  Disziplin  als  für 
die  Litteratur-  und  Kulturgeschichte  seiner  Zeit  bedeutsame  und  in  vielen 
Zügen  auch  dem  modernen  Gefühle  hochsympathische  Individualität.  Die 
litterarische  Hinterlassenschaft  des  Eustathios  zerfällt  in  zwei  der  Ent- 
stehungszeit und  dem  Inhalte  nach  verschiedene  Gruppen,  nämlich  1.  die 
während  seiner  Lehrthätigkeit  in  Konstantinopel  entstandenen  Kommen- 
tare zu  alten  Autoren.  2.  Werke  von  aktuellem  Charakter  d.  h.  Ab- 
handlungen, Reden,  Briefe,  welche,  meist  während  seines  Episkopats 
abgefasst,  teils  auf  die  Zeitgeschichte,  teils  auf  kirchliche  Reform  und  Be- 
lehrung Bezug  haben. 

.  1.  An  der  Spitze  der  ersten  Gruppe  stehen  nach  Umfang  und  Be- 
deutung die  Kommentare  zur  Ilias  und  Odyssee  des  Homer:  Ev- 
ataiXov  uQxifTTicxönov  QiaaaXovixr^c  TTctgsxßoXal  tig  tijv  'Oui^oov  'Odvacsiav — 
'iXtäöa.  Der  Kommentar  zur  Ilias  ist  doppelt  so  umfangi-eich  als  der  zur 
Odyssee,  was  teils  mit  der  früheren  Abfassungszeit,  teils  mit  dem  grösseren 
Reichtum  der  alten  Quellen   für  die  Ilias  zusammenhängt.     Beiden  Kom- 

16* 


244  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.     I.  Prosaische  Litteratur. 

mentaren  gehen  JjQooi'/^ua  voraus,  in  welchen  Eiistatliios  über  poetiscli« 
Unterschiede  zwischen  Ilias  und  Odyssee,  über  die  Schicksale  der  homeri- 
schen Poesie,  über  die  Bedeutung  des  Homer  für  die  gesamte  spätere 
Kultur  und  Litteratur  u.  s.  w.  handelt:  fJartfc  nctq  avio)  xait'Xvactv,  ot 
ftkv  (de  xal  diäyeir  uap'  avifl)  ftt'xQi  riXovg  xal  tmv  avrov  ai^aaiiluiv  uno- 
TQi(f talhat,  Ol  öt  SiGTB  xqtXctv  dnoirXijffai  riva  xcd  avvsiaereyxtTv  i^  avrov 
Tfo  Xoyo)  Tt  xQi]aiiiov  u.  s.  w.  Der  Hauptwert  dieser  zwei  Werke  besteht 
nicht  in  selbständiger  Auffassung  und  Deutung,  sondern  in  der  Sammlung 
alter  Gelehrsamkeit.  Die  wichtigsten  Quellen  derselben  sind:  Homer- 
scholien,  Athenäos,  Strabon  und  Stephanos  von  Byzanz:  ausserdem  Aristo- 
phanes  von  Byzanz,  Heraklides  aus  Milet  und  zwei  griechische  Schriften 
des  Sueton;  endlich  Lexikographen  wie  die  Attizisten  Aelios  Dionysios 
und  Tansanias,  vielleicht  auch  rhetorische  Lexika,  wenn  diese  nicht  etwa 
mit  den  genannten  Attizisten  identisch  sind.  Auch  Suidas,  das  Etymo- 
logicum  Magnum  und  ein  „anonymes  rhetorisches  Lexikon"  werden  aus- 
drücklich zitiert.  Ob  das  Wörterbuch  des  Eudemos  direkt  benützt  ist. 
lässt  sich  noch  nicht  entscheiden.')  Wohl  ungefähr  gleichzeitig  vcrfasst( 
Eustathios  eine  Paraphrase  und  Scholien  zu  dem  geographischen  Epos 
des  Dionysios  Periegetes,  die  er  noch  vor  den  Homerkommentareii 
(zwischen  1170 — 1175)  veröffentlichte.  Diese  'FTro/ny'"^")  denen  ein  wort- 
reicher Widmungsbrief  über  Dionysios  vorhergeht,  sind  eine  freie  prosaische 
Umschreibung  mit  erklärenden  Zusätzen,  die  mit  der  Paraphrase  in  ein 
Ganzes  zusammenfliessen.  Auch  hier  liegt  die  Hauptbedeutung  in  der  Ver- 
wertung guter,  zum  Teil  verlorener  Quellen,  wie  der  alten  Scholien  des 
Dionysios  Periegetes,  des  vollständigen  Stephanos  von  Byzanz  und  ver- 
lorener Schriften  des  Arrianos.  Noch  früher  als  die  Kommentare  zu  Homer 
und  Dionysios  scheint  der  Kommentar  zu  Pindar  entstanden,  von  dem 
bis  jetzt  nur  die  treffliche  Vorrede  bekannt  geworden  ist:  EvaratHov  fitjQo- 
noXhox^  GaaaaXoyfxr^c  exi  er  diaxövoic  ovrog  JiQÖXoyoc  tmv  IlivdttQixiov  txuq- 
exßoXüw.  Er  berichtet  hier  zuerst  über  den  Charakter  der  lyrischen  und 
besonders  der  pindarischen  Poesie,  dann  über  das  Leben  des  Pindar,  end- 
lich über  die  Entstehung  der  olympischen  Spiele,  das  Pentathlon  u.  s.  w. 
Das  ganze  Stück  gehört  durch  die  Fülle  guter,  sonst  nicht  bekannter  Nach- 
richten und  Bemerkungen  zu  den  wertvollsten  Proben  byzantinischer  Ge- 
lehrsamkeit. Unter  den  vier  Vitae  Pindari,  die  wir  besitzen,  nimmt  die 
des  Eustathios  bei  weitem  die  erste  Stelle  ein.  Vielleicht  könnte  es  ge- 
lingen, über  die  Beschaffenheit  der  Pindarscholien  aus  den  übrigen  Kom- 
mentaren des  Eustathios  nähere  Kenntnis  zu  gewinnen.  Scholien  des 
Eustathios  zu  den  Epigrammen  soll  ein  durch  Feuersbrunst  verzehrter 
cod.  Escurial.  enthalten  haben. ''^)  Als  Erzbischof  von  Thessalonike  schrieb 
er  endlich  einen  Kommentar  zum  Pfingsthymnus  des  Johannes 
Damaskenos,  den  er  nach  der  Eroberung  der  Stadt  durch  die  Normannen 
im  J.  1185  veröffentlichte. 

2.   Zur  zweiten  Gruppe  gehören :  A.  Eine  Geschichte  der  Eroberung 


*)  Vgl.  Christ,    Griech.  Litteraturgesch.   1   de  la  bibliotheque  de  rEscurial,   Paris  1848 
2.  Aufl.  «  40.  I   S.  VI. 

'')  S.  E.  Miller,  Cataloguo  des  mss.  grecs   ; 


5.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  116.)     245 

der  Stadt  Thessalonike  durch  die  Normannen  und  der  dieser  Kata- 
strophe vorausgegangenen  Ereignisse.  B.  Eine  Rede  an  Kaiser  Manuel, 
gehalten  1174  oder  1175,  eine  Trauerrede  auf  den  Tod  desselben  Kaisers 
(1180),  eine  Ansprache  an  Kaiser  Isaak  Angelos:  Avroax^'^iog  XaXid 
TTQvg  TOI'  avToxQcctOQa  'Icfaccxior  rov  'AyyfXov  sv  <PiXinnovn6Xei^  öts  ovo 
vvxTfQovg  fx^QOf^idg  inoni](iaTO  xaxd  tmv  2xvd^<ay  dvatSevaaf^ievcov  trjvixäöe 
wgag  fm  TTQorof^if^  rov  &fov.  C.  Eine  Sammlung  von  7  4  Briefen  an 
den  Kaiser,  an  sonstige  geistliche  und  weltliche  Würdenträger  und  an 
Privatpersonen.  Briefe  an  Eustathios  besitzen  wir  von  seinem  Freunde,  dem 
Bischöfe  Michael  Akominatos.  D.  Eine  Reihe  von  Schriften,  die  aus 
seinen  reformatorischen  Bestrebungen  und  seinen  Kämpfen  gegen  die  ihm 
feindlichen  Klosteräbte  hervorgingen,  so  vor  allem  die  berühmte  Abhand- 
lung über  die  notwendige  Reform  des  Klosterlebens:  'Eniaxfif^fig 
ßi'ov  f^iijYayuxov  in)  Siood^oiaei  roh'  negl  avtöv,  eine  heftige  Anklageschrift, 
aus  welcher  wir  deutlich  erkennen,  welchen  Widerstand  die  Mönche  der 
gewissenhaften  Aufsicht  ihres  erzbischöflichen  Vorstandes  entgegengesetzt 
hatten.  Eustathios  war  in  diesem  Kampfe  unterlegen  und  hatte,  wahr- 
scheinlich bald  nach  1185,  Thessalonike  verlassen;  in  dieser  zeitweiligen 
Verbannung  schrieb  er  wohl  die  genannte  Abhandlung  und  einen  Brief  an 
die  Thessalonizenser.  In  die  polemische  Litteratur  gehört  ferner  die  grosse, 
rhetorisch  gefärbte  Schrift,  worin  er  sich  gegen  den  Vorwurf  der  Un- 
versöhnlichkeit  verteidigte:  ÜQog  zovg  ineyxaXovYtccg  avtoi  firr^aixaxiai., 
sTnoTs  drafiir^a^fii^  xaxoia^wg  yevofAevr^g  no&iv  aino).  Eustathios  scheint 
sie  nach  seiner  Wiedereinsetzung  geschrieben  zu  haben,  als  die  unterlegene 
Partei  seiner  Gegner  sich  wohl  durch  den  Vorwurf  der  Unversöhnlichkeit 
zu  rächen  suchte.  In  dieser  Zeit  entstand  endlich  die  Abhandlung  über 
die  Heuchelei:  Jlfoi  imoxoi'aewg,  in  welcher  die  Schrift  gegen  die  Mönche 
schon  als  bekannt  vorausgesetzt  ist;  sie  gehört  zum  Besten,  was  in  der 
byzantinischen  Zeit  geschrieben  worden  ist.  Eustathios  bekämpft  das  Laster 
der  falschen  Frömmigkeit  mit  einer  Frische  und  einer  Schärfe,  die  uns 
seinen  klaren  Blick  und  seinen  unabhängigen  Charakter  im  besten  Lichte 
erscheinen  lassen,  i)  E.  Weniger  fesseln  die  rein  kirchlichen  Schriften,  in 
denen  das  persönliche  und  zeitgeschichtliche  Interesse  zurücktritt,  wie  die 
Predigten  über  die  Fastenzeit,  über  den  Gehorsam  gegen  die  christliche 
Obrigkeit,  über  den  Schutzheiligen  von  Thessalonike,  Demetrios  Myroblytes, 
den  heiligen  Philotheos  u.  s.  w.  Hübsch  ist  die  in  dialogische  Form  (Per- 
sonen: Hierokles  und  Theophilos)  gekleidete  Betrachtung  über  die  geist- 
lichen Attribute:  ^eoifiXtaTog  und  ifQOitaxog;  sehr  merkwürdig  der 
kleine  Traktat:  Ilgog  rör  ßagewc  dxovovta,  fmeg  ifQMj^ie'rog  wv  xakencti 
nanäg,  in  welchem  Eustathios  mit  allerlei  antiquarischer  und  etymologi- 
scher Gelehrsamkeit  nachweist,  dass  die  Priester  unrecht  hätten,  sich  des 
ihnen  vom  Volke  erteilten  (noch  heute  üblichen)  Titels  na  nag  zu  schämen; 
es  liege  in  diesem  Worte  ebensowenig  etwas  Gemeines  als  in  der  Bezeich- 
nung ndnnog  oder  nönog  (davon  russisch  Pope)  oder  ndnag.  F.  Endlich  ver- 
suchte sich  Eustathios  auch  auf  dem  Gebiete  der  Kirchendichtung;  zwei 

')  Man  lese  z.  B.  die  interessante  Stelle   '   Eustathii  opusc.  ed.  Tafel  1832  S.  94  (Cap.  27). 
iil)erdieäu88ereEr8cheinungderMönche, 


246  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

Kanones  von  ihm  stehen  in  Eustathii  Thess.  op.  ed.  Tafel  S.  36  ff.;  166  ff., 
wo  sie  freilich  durch  das  Missverständnis  des  Herausgebers  wie  Prosa  ge- 
druckt sind. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  1.  Kommentar  zur  Ilias  und  Odyssee:  Ed. 
pr.  Romae  1542 — 1550,  3  voll.  (vol.  I  zur  Ilias,  vol.  II  zur  Odyssee,  vol.  III  Index).  — 
Wiederholt  Basel  1559- -1560.  —  Unvollendet  blieb  die  Ausgabe  mit  Kommentar  und  Ueber- 
setzung,  Florenz  1730  -1735.  —  Endlich  wurde  der  Ed.  pr.  (ohne  Beiziehung  handschrift- 
licher Hilfsmittel)  zu  einem  neuen  Abdrucke  verholfen  von  Stallbaum,  7  Bände,  Leipzig 
1825—1830.  —  Auszüge  finden  sich  in  verschiedenen  Homerausgaben.  —  Ueber  die  Quellen 
der  Homerkommentare:  Photii  lexicon  ed.  Naber  (1864)  I  S.  48  ff.  —  K.  Lehrs, 
De  Aristarchi  studiis  Homericis,  Lipsiae  1865  S.  33  f.;  370 — 375.  Aug.  Lentz,  Herodiani 
technici  reliquiae  t.  I,  Praef.  S.  215.  —  La  Roche,  Die  homerische  Texteskritik  (1866) 
S.  151—174.  —  H.  Schrader,  Ueber  die  Porphyrianischen  Iliasscholien,  Hamburg  1872 
S.  23  f.  —  Sehr  lehrreich  ist  L.  Cohn,  De  Aristophane  Byzantio  et  Suetonio  Tranquillo 
Eustathii  auctoribus,  Jahns  Jahrb.,  12.  Supplementb.  (1881)283—374;  vgl.  13.  Supplementb. 
(1884)  858-  862.  —  L.  Cohn,  De  Heraclide  Milesio  grammatico,  Berliner  Studien  1  (1884) 
603—718.  —  Aug.  Hotop,  De  Eustathii  proverbiis,  Jahns  Jahrb.  16.  Supplementb.  (1888) 
249—314  gibt  eine  unvollständige  Sammlung  der  in  den  Kommentaren  zur  Ilias  und  Odyssee 
angeführten  Sprichwörter.  —  Aelii  Dionysii  et  Pausaniae  Atticistarum  fragmenta  coli.  Em. 
Schwabe,  Lipsiae  1890;  in  den  Prolegomena  findet  man  eine  Untersuchung  über  die  lexiko- 
graphischen Vorlagen  des  Eustathios.  —  Prologos  zum  Pindarkommentar:  Ed.  pr. 
L.F.Tafel  in:  Eustathii  Thess.  opuscula,  Francofurti  1832  S.  53—61.  —  Dann  bearbeitet 
mit  Erläut«nmgen  von  F.  G.  Schneidewin:  Eustathii  prooemium  commentariorum  Pindari- 
corura,  Gottingae  1837.  —  Vgl.  Pindari  carmina  ed.  Dissen-Schneidewin,  Gothae  1843 
S.  C.  -  Kommentar  zu  Dionysios  Periegetes:  Ediert  mit  einer  anderen  (anonymen) 
Prosaparaphrase  in:  Dionysios  Periegetes  ed.  G.  Bernhardy,  Lipsiae  1828  S.  67  ff.,  eine 
hervoiTagende  Jugendarbeit  des  grossen  Gelehrten,  welche  die  früheren  Leistungen  weit 
überholte  und  den  Nachfolgern  wenig  zu  thun  übrig  Hess.  —  Auf  Bernhardy  ruht  im 
Wesentlichen  die  Ausgabe  von  C.  Müller,  Geogr.  Gr.  min.  II  201  ff.;  vgl.  seine  Pracfatio 
S.  31  ff.;  S.  39  über  die  früheren  Ausgaben.  —  Komm,  zu  Job.  Damaskenos  ed. 
A.  Mai,  Spicilegium  Rom.  5,  161  ff.  —  Ueber  die  Abfassungszeit  der  Kommentare:  Fr. 
Kuhn.  Commentationes  in  honorem  Guil.  Studemund,  Argentorati  1889  S.  249  257.  — 
Heinrich  Grossmann,  De  doctrinae  metricae  reliquiis  ab  Eustathio  servatis,  Diss.  Strass- 
burg  1887.     Vgl.  P.  Egenolff,  Bursian-Müllei-s  Jahresber.  48  (1890)  284  ff. 

2.  Die  Werke  der  zweiten  Gruppe  zumeist  in:  Eustathii  Metropolitae  Thessalon i- 
censis  opuscula.  E  codd.  mss.  Basileensi,  Parisinis,  Veneto  nunc  prinium  ed.  L.  Fr.  Tafel. 
Francofurti  ad  Moenum  1832.  -  Das  historische  Werk  De  Thessalonica  a  Latinis  capta 
wurde  mit  lat.  Uebersetzung  wiederholt  von  I.  Bekker  im  Bonner  Corpus  mit  Leo  Gram- 
maticus,  Bonn  1842  S.  365-512.  —  Reden  des  Eustathios  mit  einigen  anderen  auf  Eu- 
stathios bezüglichen  Stücken  edierte  Tafel:  De  The.ssalonica  eiusque  agro  dissertatio  geo- 
graphica, Berolini  1839  S.  350 — 439  (6  Briefe  des  Michael  Akominatos  an  Eustathios;  dn' 
2  Trauerreden  auf  den  Tod  des  Eustathios  von  Michael  Akominatos  und  Euthymios;  Redr 
des  Eustathios  an  Kaiser  Manuel,  als  er  zum  Erzbischof  von  Myra  bestimmt  war;  Reii' 
an  Manuel,  gehalten  im  Namen  der  Stadt  Konstantinopel,  als  dieselbe  durch  ungcwöhnlicli' 
Trockenheit  litt).  —  Bezüglich  der  Briefe  ist  zu  bemerken,  dass  Tafel  in  den  genanntii; 
Ausgaben  mehrere  Stücke  dem  Eustathios  zuteilt,  die,  wie  sich  schon  aus  den  Namen  der 
Adressaten  ergibt,  in  Wahrheit  dem  Michael  Psellos  gehören.  Aus  Tafel  ging  die  Ver- 
wirrung auch  in  die  Patrol.  Gr.  von  Migne  über.  Genaueres  hierüber  s.  bei  K.  N.  Sathas. 
Mea.  ßißXio&rjxtj  vol.  4  IlQÖkoyos  S.  30;  67;  vol  5  IlQcXoyog  S.  75  (oe).  —  Gesamtaus- 
gabe der  meisten  Werke  der  2.  Gruppe  nach  Tafel,  A.  Mai  u.  s.  w.  bei  Migne,  Patrol. 
Gr.  135  (1864)  und  136  (1865),  grösstenteils  mit  lateinischer  Uebersetzung. 

3.  Einige  Stücke  gab  L.  F.  Tafel  in  deutscher  Uebersetzung,  nämlich  die 
'EniaxeilJii  ßiov  fxoyajfixov:  Betrachtungen  über  den  Mönchsstand.  Aus  dem  Griechischen 
des  Eustathius  von  Thessalonich  von  L.  F.  Tafel,  Berlin  1847.  —  Dann  die  (trab red«' 
auf  den  Kaiser  Manuel  Komnenos,  das  historische  Stück  (1180—11(^5)  und  die  Rode  an 
Manuel,  als  Eustathios  zum  Erzbischof  von  Myra  bestimmt  war.  in  dem  Werke:  Komnenci 
und  Normannen.  Von  L.  F.  Tafel,  Ulm  1852  (2.  unveränderte  .\usg.  1870).  -■-  Weiter^ 
Uebersctzungen  und  sonstige  Eustathiaiia  finden  sich  im  ungedruckten  Nachlasse  Tafeis. 
Vgl.  Neander.  Charakteristik  des  Kusfatbius  von  Thessalonike  in  .seiner  refonnatorischen 
Richtung,  phil.-hist.  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  1^*41,  67-79.  -  Briefe  de- 
Michael Akominatos  an  Eu.statliioH  und  de.ssen  Trauerrede  auf  Eustathios  edierte  grii' 
chisch  und  deutsch  Ad.  Ellis^cn.  Micluu'I  Akominatos  von  Chonae,  (töttingcn  1S4(>.  Vcl. 
die  Litteratur  zu  g  96. 


5.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  117— 118.)     247 

117.  Michael  Senacherim  {2fiaxrjQei\ii)  lebte  um  die  Mitte  des 
13.  Jahrhunderts  als  Lehrer  der  Rhetorik  und  Poesie  in  Nikäa.  Ein  an 
ihn  gerichteter  Brief  des  Kaisers  Theodor  Dukas  Laskaris  ist  in  einem 
cod.  Casin.  erhalten.  Von  ihm  stammen  unedierte  Schollen  zu  Homer,  die 
in  mehreren  Handschriften  vorkommen.  Bemerkungen  über  Handschriften 
nebst  litterarischen  Nachweisen  gibt  AmadeusPeyron,  Notitia  librorum 
manu  typisve  descriptorum,  qui  donante  Ab.  Thoma  Valperga-Calusio  v.  cl. 
illati  sunt  in  reg.  Taurin.  Atlienaei  bibliothecam,  Lipsiae  1820  S.  23. 


118.  Die  Philologen  der  Palaeologenzeit  sind  nach  Charakter, 
Vermögen  und  Sinnesrichtung  Vorboten  einer  neuen  geistigen  Aera.  Sie 
sind  in  ihrer  Studien  weise  und  Tendenz  weniger  mit  einem  Photios,  Ai-ethas 
und  Eustathios  verbunden  als  mit  den  ersten  Bahnbrechern  der  klassischen 
Wiedergeburt  im  Abendlande.  Wenn  nun  Männer  wie  Plan u des,  Moscho- 
pulos,  Thomas  Magistros,  Triklinios  jenen  ärmlichen  Schulbetrieb 
altgriechischer  Weisheit  darstellen,  wie  er  in  den  letzten  Jahrhunderten 
des  Reiches  unter  dem  härtesten  Drucke  der  äusseren  Verhältnisse  fort- 
gefristet wurde,  so  verlangt  die  geschichtliche  Gerechtigkeit,  dass  ihre  Be- 
strebungen und  Erfolge  vom  Standpunkte  ihrer  Zeit  aus  gewürdigt  werden. 
Dann  können  wir  nicht  umhin,  manchen  dieser  Frühhumanisten  unsere 
höchste  Anerkennung  zu  zollen.  Ein  grosser  Teil  der  philologischen  Hand- 
schriften dieser  Epoche  sind  freilich  nur  wertlose  Lehr-  und  Lernhefte, 
die  häufig  anonym  oder  unter  verschiedenen  Namen  gehen.  Sie  bildeten 
ein  wohlfeiles  Gemeingut  für  Lehrer  und  Schüler,  worin  ursprüngliche 
Vorlagen  nach  dem  zufälligen  Bedürfnis  ausgezogen ,  erweitert ,  inter- 
poliert und  miteinander  verquickt  sind.  Solche  AVillkür  in  der  Her- 
stellung und  Verbreitung  von  rhetorischen,  grammatischen,  lexikalischen 
und  metrischen  Schulbüchern  herrschte  indessen  auch  schon  in  früherer 
Zeit,  nur  dass  wir  aus  ihr  weniger  Exemplare  besitzen.  Hierin  verfuhren 
also  die  Schulleute  unter  den  Palaeologen  nicht  anders  als  ihre  Vorfahren. 
Ganz  scharf  und  prinzipiell  aber  unterscheiden  sich  die  Gelehrten  der 
letzten  Jahrhunderte  von  den  Erklärern  und  Kopisten  der  makedonischen 
und  komnenischen  Aera  in  der  Behandlung  der  klassischen  Texte. 
Während  die  meisten  Handschriften  des  9.  bis  12.  Jahrhunderts  im  grossen 
und  ganzen  die  üeberlieferung  der  alexandrinischen  und  römischen  Zeit 
darstellen,  begannen  die  Byzantiner  der  Paläologenzeit  die  alten  Werke  nach 
vorgefassten  Ideen  und  selbsterfundenen  metrischen  Schablonen  so  frisch 
und  fröhlich  zu  ändern  wie  die  noch  nicht  ganz  ausgestorbene  moderne 
Philologenschule,  die  sämtliche  Texte  ins  Krankenzimmer  verwies  und  dann 
den  armen  Patienten  durch  ungezählte  Konjekturalpflästerchen  aufzuhelfen 
wähnte.  So  schlecht  wie  manche  neuere  Doktoren  haben  nun  freilich  die 
byzantinischen  Verbesserer  ihre  Sache  nicht  gemacht.  Wir  Klugen  und 
Weisen  hätten  ja  sonst  nicht  so  lange  gebraucht,  um  ihnen  allmählich 
hinter  ihre  Kniffe  zu  kommen  und  mit  ihren  kecken  Uebermalungen  auf- 
zuräumen.   „Sie  haben  so  manchen  Vers  für  immer  geheilt,  und  viel  öfter 


248  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur, 

das   Auge   von   Jaliiluindeitcn   geblendet."  ')     Für    die   Wissenschaft  aber 

entspringt   aus   der  Erkenntnis   dieser  Thatsache   die  Forderung   auf  dem 

ganzen  Umkreise  der  klassischen  Litteratur,  wo  es  nur  immer  möglich  ist, 

den  vorpalaeologischen  Stand  der  Ueberlieferung  zu  ermitteln. 

Treffende  Würdigung  der  byzantinischen  Philologen  der  Paläologenzeit  und  ihres 
Verhältnisses  zu  Früheren  und  Späteren  von  Ulr.  von  Wilamowitz-Moellendorff, 
Euripides  Herakles,  Band  1  (Berlin  1889)  193  flF.  —  Wichtige  Beiträge  zu  den  philologi- 
schen Biographien  der  Paläologenzeit  gibt  Max  Treu  im  Kommentar  seiner  Ausgabe  der 
Briefe  des  Planudes,  2  Progr.  Breslau  1889-1890. 

110,  Maximos  Planudes  {Ma^ij^iog  o  nXavovdi^c),  vor  seinem  Eintritt 
in  den  Mönchsstand  Manuel  genannt,  wurde  um  1260  zu  Nikomedia  ge- 
boren und  lebte  als  Mönch,  wissenschaftlichen  Studien  und  der  Lehrthätig- 
keit  ergeben,  in  Konstantinopel  unter  den  Palaeologen  Michael  VIII  und 
Andronikos  II.  Von  dem  Letzteren  wurde  er  1296  zusammen  mit  dem 
Waisenhausvorsteher  Leon  Bardales  als  Gesandter  nach  Venedig  geschickt. 
Er  starb  im  50.  Lebensjahre  um  1310.  Planudes  gehört  nach  seiner  Geistes- 
richtung und  seinen  persönlichen  Beziehungen  in  den  Kreis  der  byzantini- 
schen Vorläufer  des  westeuropäischen  Humanismus.  Was  ihn  aber  mit 
der  neu  erstehenden  Bildung  des  Abendlandes  noch  enger  verknüpft  als 
einen  Moschopulos,  Triklinios  u.  a.,  ist  seine  Kenntnis  der  lateinischen 
Sprache  und  Litteratur.  Seit  langer  Zeit  war  den  Griechen  alles 
lateinische  Wissen  abhanden  gekommen,  und  Rom  war  den  Rhomäerri  ein 
fernes,  durch  Hass  und  Vorurteil  abgesperrtes  Gebiet  geworden.  Indem 
nun  Planudes  eine  grössere  Zahl  lateinischer  Werke  ins  Griechische  über- 
trug, schlug  er  die  Brücke,  über  welche  später  byzantinische  Flüchtlinge 
als  Apostel  des  Hellenismus  nach  Italien  wanderten,  um  die  grossen  Werke 
ihrer  Vorfahren  mündlich  und  schriftlich  zu  erklären  und  so  den  lange 
unterbrochenen  Wechselverkehr  römischer  und  griechischer  Kultur  wieder- 
herzustellen. Die  Anregung  zu  seinen  lateinischen  Studien  erhielt  Planudes 
^vahrscheinlicli  durch  die  dogmatischen  Kämpfe  zwischen  Ilom  und  Byzanz. 
Seiner  Kenntnis  des  Lateinischen  verdankte  er  wohl  auch  die  Wahl  zum 
Gesandten  nach  Venedig.  Die  litterarische  Thätigkeit  des  Planudes  war 
vorzüglich  den  Bedürfnissen  des  Unterrichts  gewidmet;  doch  umfasste  er 
hier  ein  ziemlich  weites  Gebiet.  Wir  nennen  zuerst  die  Werke  von  selb- 
ständiger Form,  dann  die  Sammlungen,  endlich  die  Uebersetzungen. 

1.  Der  Schule  diente  Planudes  zunächst  durch  eine  Grammatik 
{/JfQi  /(>«,«/< «t/x/^c)  in  der  Form  eines  Dialogs  zwischen  Palactimos  und 
Neophron,  also  ein  ähnliches  Werk  wie  die  'EQoni]i^ictia  des  Moschopulos; 
am  Schlüsse  findet  sich  eine  bemerkenswerte  Notiz  über  die  Herkunft  des 
politischen  Verses.  Daran  reiht  sich  eine  syntaktische  Allhandlung 
{llfQi  avvTtt^foyg).  Als  Thema  einer  sophistischen  Deklamation  wählte  er 
sich  die  oft  behandelte  Vergleichung  des  Winters  und  Frühlings: 
^vyxQKttg  x^ifiüirog  x(d  PaQog.  Seine  Stilgewandtheit  verwertete  Plaiuules 
reichlich  in  einer  ausgedehnten  Korrespondenz;  er  hinterliess  eine  Samm- 
lung von  121  (meist  zwischen  1292  und  1300  abgefassten)  Briefen  an 
Andronikos  II,    dessen    Bruder   Konstantin   Porphyrogennetos,    Nikephoros 

')  U.  von  Wilamowitz-Moollondortf,  Kuripidos  Heraklos  I  194. 


I 


5.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  119.)     249 

Chumnos,  Johannes  Phakrases, ')  an  seinen  Kollegen  auf  der  Gesandtschaft 
nach  Venedig,  den  Waisenvater  Leon  Bardales,  und  sonstige  geistliche  und 
weltliche  Würdenträger.  Hier  erscheint  Planudes  als  Stilist  wie  als  Mensch 
von  der  besten  Seite;  manche  Briefe  enthalten  auch  interessante  Aufschlüsse 
über  sein  Leben,  seinen  wissenschaftlichen  Eifer  und  seine  Studien.  End- 
lich gehören  ihm  Schollen  zu  Theokrit  und  Hermogenes;  eine  Biographie 
des  Aesop  und  eine  Prosabearbeitung  der  äsopischen  Fabeln,  ein  metri- 
sches Enkomion  auf  Cl.  Ptolemaeos,  kleinere  Gedichte  in  verschiedenen 
Versmassen  und  zahlreiche  theologische  Schriften.  Planudes  vereinigte  — 
ein  seltener  Fall  —  mit  philologisch-grammatischen  Kenntnissen  auch 
mathematische.  Wir  kennen  ihn  auf  diesem  Gebiete  durch  ein  für 
die  Geschichte  der  Mathematik  nicht  unwichtiges  Rechenbuch:  ^i^ffotfoqta 
xccT  'Irdoi'c  ?;  Xfyoiievi)  ueyctXr^.  Wahrscheinlich  stammen  von  Planudes 
auch  Schollen  zu  den  zwei  ersten  Büchern  der  Arithmetik  des  Diophantos. 

2.  Die  rein  kompilatorischen  Arbeiten  des  Planudes  eröffnet  eine 
Exzerptensammlung  historisch-geographischen  Inhalts,  ^vvctywyr^ 
txleyiToct  dno  SiccifÖQow  ßiß).iün\  ein  Werk,  das  in  der  überlieferten  Ge- 
stalt wenig  Ordnung  und  Plan  verrät.  Vielleicht  beabsichtigte  aber  Pla- 
nudes auf  Grund  des  hier  gesammelten  Materials  ein  ähnliches  Miszellen- 
werk  auszuarbeiten,  wie  es  uns  in  den  '^Vnoi.iir^i.iaTiaßoi  des  Theodoros 
Metochites  vorliegt.  In  diesen  für  Textkritik  beachtenswerten  Auszügen 
sind  vertreten  Plato,  Aristoteles,  Strabo,  Pausanias,  Dio  Cassius  (bzw. 
spätere  Ausschreiber  desselben),  Synesios,  Dio  Chrysostomos,  Johannes 
Lydos;  vielleicht  benützte  Planudes  auch  die  Chronik  des  Manasses.^)  Daran 
reiht  sich  seine  Sammlung  von  Epigrammen:  'Avd^oXoyi'a  6ia(f6QO)v  ijxi- 
yQaminxun'.  Endlich  veranstaltete  er  eine  Sammlung  byzantinischer 
Sprichwörter:  /Ic(qoii.iuu  ör^fKÖdeig  avXXeyftaai  naoa  tov  aotfonäiov  xvqov 
Mce^i'uov  toi)  nlavovSov.  Auch  gehört  hieher  ein  Verzeichnis  oder  viel- 
mehr eine  Redaktion  der  Schriften  des  Plutarch. 

3.  Die  Uebersetzungen  des  Planudes  können  nicht  als  Muster  von 
Treue  und  stilistischer  Gewandtheit  gelten;  aber  man  darf  nicht  vergessen, 
dass  wortgetreue  und  dem  gesamten  Kolorit  des  Originales  nachstrebende 
üebertragungen  im  Mittelalter  überhaupt  unbekannt  waren.  Auch  muss 
zur  Entschuldigung  für  manche  Versehen  beachtet  werden,  dass  Planudes 
bei  der  Vernachlässigung  lateinischer  Studien  in  Byzanz  hier  völlig  als 
Autodidakt  arbeitete.  Die  Schriften,  welche  er  übertrug,  gehören  zur  Lieb- 
lingslektüre des  Mittelalters  und  spielen  daher  auch  in  der  sonstigen  Ueber- 
setzungslitteratur  eine  grosse  Rolle.  In  den  ersten  Zeiten  des  Humanismus 
dienten  die  Uebersetzungen  des  Planudes  wohl  vielfach  als  Lehr-  und 
üebungsbücher  im  griechischen  Unterrichte;  so  erklärt  sich  die  fast  un- 
übersehbare Zahl  der  Handschriften.  Die  wichtigsten  Stücke  sind:  Die 
unter  dem  Namen  des  Cato  gehende  Sammlung  von  Spruchgedichten; 
Ovids  Metamorphosen  und  Herolden  (in  Prosa);  Ciceros  Somnium  Sci- 
pionis   mit  dem   Kommentar   des  Macrobius;    Caesars   Bellu  Gallicum; 

')  Ueber   die   Familie  Phakrases   s.  die  -)  S.  jedoch  (4.  Sotiriadis,  Zur  Kritik 

Ausgabe  der  Briefe  des  Planudes  von  M.  Treu      des  Johannes  von  Antiochia  S.  52. 

■S.  197  f. 


250  Byzantinische  Litteraturgeschichte.     I,  Prosaische  Litteratur. 

des  Boethius  Werk  De  consolatione  philosophiae,  wobei  die  in  das  Werk 
eingestreuten  metrischen  Stücke  in  gleichen  Versmassen  wiedergegeben 
sind;  die  kleine  Grammatik  (ars  minor)  des  Donatus;  des  Augustinus 
Buch  De  trinitate.  Bei  einigen  Stücken  ist  die  Autorschaft  zweifelhaft; 
so  streitet  sich  um  die  Uebersetzung  eines  Teiles  der  Rhetorik  Ad  Heren- 
nium  Thomas  Gazes  mit  Planudes. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  1.  Grammatik  und  Syntax  ed.  L.  Bachmann, 
Anecdota  Graeca  II  (1828)  1—166.  Vgl.  Fr.  Ritschi,  Opuscula,  vol.  I  (1866)  291  299.  — 
Verglcichung  des  Winters  und  Frühlings:  Ed.  Fr.  Boissonade,  Anecdota  Graeca 
II  (1830)  310 — 339.  Erste  kritische  Ausgabe  von  Max  Treu,  Gymnasialprogramm,  Ohlau 
1878.  —  Briefe:  Teilweise  von  E.  Piccolomini,  Estratti  inediti  dai  codici  Greci,  Pisa 
1879  S.  49 — 89;  vgl.  die  Vorrede  S.  43  ff.  Ein  Stück  ed.  aus  einem  die  ganze  Sammlung 
entbaltcnden  Codex  Athous  Sp.  Lambros,  JsXrioy  rijg  iaroQ.  xcd  e9yoXoy.  sTatgiag  Jt'jg 
'EAArtJo?  2  (1885  -  89)  62— 64.  Vollständig  ed.  Max  Treu,  5  Programme  des  K.  Friedriohs- 
gymnasiums,  Breslau  1886—1890  (auch  als  selbständiges  Buch,  Breslau  1890)  mit  einem 
trefflichen,  für  die  Kenntnis  des  Planudes  und  .seiner  persönlichen  Beziehungen  grundlegen- 
den Kommentar.  —  Scholien  zu  Hermogenes  ed.  Chr.  Walz,  Rhetores  Graeci,  vol.  5 
(1833)  212 — 576.  —  Biographie  des  Aesop  und  Fabeln  ed.  Aldus,  Venedig  1505; 
ed.  Accursius  Pisanus  s.  1.  et  a.  Eine  vulgärgriechische  Bearbeitung  der  Sammlung  des 
Planudes  erschien  Venedig  1543.  Vgl.  E.  Legrand,  Bibliogr.  hell.  I  241.  —  Einzelne 
Gedichte  des  Planudes  bei  Iriarte,  Catalogus  codd.  Matrit.  (1769)  I  263;  Boisso- 
nade, Anecdota  Graeca  III  (1831)  461—464;  Max  Treu  a.  a.  0.  S.  204;  220  ff.;  267  ff. 
Rechenbuch:  Ed.  C.  I.  Gerhardt,  Halle  1865.  Das  Rechenbuch  des  M.  PI.  deutscli 
übersetzt  von  H.  Wasch ke,  Halle  1879.  Vgl.  Moritz  Cantor.  Vorlesungen  über  (Ji 
schichte  der  Mathematik  I  (1880)  432  ff.  Paul  Tannery,  Les  chiffres  arabes  dans  1« 
mss.  Grecs,  Revue  archeolog  III.  serie  7  (1886)  355 — 360.  -  Scholien  zu  Diophantos 
in:  Diophanti  Alexandrini  rerum  arithmeticarum  libri  sex,  quorum  primi  duo  adiecta  habeiii 
scholia  Maximi  Planudis,  ed.  G.  Xylander,  Basileae  1575  (nur  in  lateinischer  Uebor 
Setzung).  —  Sammelausgabc  der  theologischen  Schriften  mit  der  Vergleichung  dts 
Wint«rs  und  Frühlings,  einigen  Gedichten  und  Briefen:  Migne,  Patrol.  Graeca  147  (1865) 
967—1178. 

2.  Zur   historischen  Exzerptensammlung:    E.  Piccolomini,    Rivista  di  filo- 
logia  2  (1873)  101-117;    149-163,    H.  Haupt,    Hermes  14  (1879)  36  ff.;  291  ff.;  431  ff. 
imd    die    Litteratur  zu    den    einzelnen    Autoren    der   Sammlung,    besonders   zu  Strabo,    Diu 
Cas.sius  und  Johannes  von  Antiochia  (§  48).  —  Zur  Anthologie:    Christ,    Grioch.  Litte 
raturgesch.-  S.  444.     Einen    ergänzenden    Nachtrag   zur  Anthologie    des  Planudes    ed.   an 
einem  cod.  Barberin.  und    einem  Vatican.   mit   einem  Kommentar,   der   zahlreiche  Beiträi; 
zur  Kritik  und  Erklärung  der  spätgriechischen  Poesie  (z.  B.  der  Epigramme  des  Agatliia 
enthält,    Leo    Sternbach,    Anthologiae    Planudeae    appendix    Barberino-Vaticana,    Lipsij 
1890.  —  Sprichwörtersammlung:  Ed.  pr.  E.  Piccolomini,  Estratti  inediti  dai  codi»  i 
Greci,  Pisa  1879  S.  93 — 100.  —  Die  Sprichwörtersammlung  des  Max.  PI.  erläut^^rt  von  Ed. 
Kurtz,  Leipzig  1886  (mit  deutscher  Uebersetzung  und  zahlreichen  Parallelstellen).    Roidio 
Beiträge  von  0.  Crusius,    Rhein.  Museum  42  (1887)  386     425.         Eine  ältere  verwandt» 
Sammlung  ed.  K.  Krumbacher,  Sitzungsber.  d.  bayer.  Akad.  d.  Wissensch.,  phil.-hist.  (.'! 
1887,  43     96,  woselbst  auch  die  Handschriften  und  die  ganze    einschlägige  Litteratur  vei 
zeichnet  sind.    Vgl.  die  reichhaltigen  Besprechungen  von  E.  Kurtz,  Blätter  für  das  hayt'i. 
Gymnasialschulwesen  1888,    205  ff.,    K.  Weymann,    Zeitschrift   für   vergleich.    Littoratui 
geschichte  2  (1888)  382  ff.,    J.  Psichari,    Revue   critique    1888,   N.  25   S.  505  ff.  und  K 
Foy,  Bezzenbergers  Beiträge  14  (1888)  33     49. 

3.  Uebersetzungen:  Catos  Sentenzen,  Basileae  1553;  Lugduni  Batav.  159-^ 
(mit  dem  lat.  Text);  Cygneae  1672  (lat.  Text,  vier  griechische  und  eine  deutsche  Uober- 
tragung)  und  öfter.  Ovid:  P.  Ovidii  Nasonis  metamorph,  libri  XV  Graeco  versi  a  M. 
PI.  ed.  Fr.  Boissonade,  Paris  1822.  Heroiden:  Nur  Epistel  XX  und  XXI  1  12  ed. 
von  C.  Dilthey,  De  Callimachi  Cydippa,  Lipsiae  1863  S.  157  162.  Vgl.  Alfr.  Ciudoman, 
De  Heroidum  Ovidii  codice  Planudeo,  Di.ss.  Berlin  1888.  —  Cicoro-Macrobius  in  den 
Varia  (iraeca  ed.  Chr.  Fr.  Matthaei,  Mosquae  1811  S.  91-221  (mit  einem  Stück  der  Ueber- 
setzung des  Auetor  ad  llerennium).  Ed.  Meissner,  Leipzig  1878.  -  Caesar:  Ed.  Ant. 
Baumstark,  Freiburg  1834  (in  der  Vorrede  Verzeichnis  der  älteren  Ausgaben).  —  Boe- 
thius: Zuerst  nur  die  metrischen  Stücke  von  Fr.  Weber.  Dannstadt  1833.  Das  ganze 
Werk  von  E.A.  Betaut.  Genöve  1871  (ohne  genügende  diplomatische  (Jrundlage).  Ein 
reiches  Verzeichnis  der  Handschriften  und  älteren  Drucke  dieser  Uebersetzungen  gibt  Fr. 
Weber  in  der  Vorrede  seiner  Au.sgabe. 


5.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  120)     251 

4.  Biographie  und  Charakteristik:  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  11,  682  bis 
693.  —  E.  Piccolomini  in  den  Estratti  inediti,  Pref.  S.  43  ff.  —  Hauptschriften: 
Max  Treu,  Zur  Geschichte  der  Ueberlieferung  von  Plutarchs  Moraba,  Progr.  Waldenbuig 
1877  S.  14 — 17,  wo  zum  erstenmale  die  Chronologie  des  Planudes  richtig  gestellt  wird  und 
desselben  oben  erwähnte  Ausgabe  der  Briefe  des  Planudes. 

1*20.  Manuel  Moschopulos,  ein  Neffe  des  aus  dem  18.  Briefe  des 
Planudes,  aus  einem  Gedichte  des  Manuel  Philes  und  sonst  bekannten 
Metropoliten  von  Kreta  Nikephoros  Moschopulos,  war  Schüler  und 
Freund  des  Maximos  Planudes  und  lebte  demnach  unter  Andronikos  II 
Palaeologos  (1282—1328).  Seine  Chi'onologie  und  seine  persönlichen  Ver- 
hältnisse werden  unter  anderm  durch  seinen  Briefwechsel  genauer  bestimmt ; 
er  stand  zwischen  1295  und  1316  im  schriftlichen  Verkehr  mit  dem  Logo- 
theten  Konstantin  Akropolites,  dem  Sohne  des  Historikers  Georgios 
Akropolites,  mit  dem  Logotheten  Theodoros  Metochites,  mit  seinem 
Onkel  Nikephoros  Moschopulos  und  mit  Kaiser  Andronikos  11  Pa- 
laeologos. Der  Diakon  Georgios  Metochites,  der  in  der  Unionsfrage 
gegen  Planudes  geschrieben  hatte,  richtete  um  1308  auch  gegen  dessen 
Schüler  Moschopulos  eine  \4rTi'Qgr^aic.^)  Die  Schriften  des  Manuel  Moscho- 
pulos sind  wie  die  seines  Lehrers  Maximos  Planudes  für  die  Erkenntnis 
der  byzantinischen  Studienweise  am  Schlüsse  des  13.  und  im  Beginn  des 
11.  Jahrhunderts  von  grösster  Wichtigkeit.  Das  bekannteste  unter  dem 
Namen  des  Moschopulos  überlieferte  Werk  sind  die  ^Egcon^fiaTa  ygctu- 
liaTixä.  Sie  gehen  auf  eine  anonyme,  aus  zwei  Büchern  bestehende 
'ETiiTofii]  na  YQC(uij.aTtxt]c  zurück,  welche  Moschopulos  in  die  für  die  Schule 
geeignete  Form  von  Frage  und  Antwort  umarbeitete.  Manche  Abschnitte 
des  Werkes  wie  das  Kapitel  Jlegi  toottwv  sind  in  den  Handschriften  selb- 
ständig überliefert  und  zum  Teil  auch  gesondert  herausgegeben;  als  An- 
hang der  'Egiorr^nara  erscheint  das  Buch  üegl  axeÖMv,  das  auch  besonders 
gedruckt  wurde.  Die  'Booni^iiaia  erfreuten  sich  in  der  ersten  Zeit  des 
Humanismus  grosser  Beliebtheit  und  haben  für  die  Förderung  der  klassi- 
schen Studien  nachhaltig  gewirkt.  Selbst  das  berühmte  Lehrbuch  des 
Melanchthon  geht  indirekt  auf  Moschopulos  zurück:  denn  Konstantinos 
Laskaris,  aus  welchem  der  „praeceptor  Germaniae"  zunächst  schöpfte,  ist 
von  Theodoros  Gazes  abhängig  und  dieser  wiederum  von  Moschopulos.  Zu 
dieser  Grammatik  kommt  ein  ebenfalls  dem  Zwecke  des  Unterrichts  dienen- 
des Lexikon:  ^vXkoyi]  ovoiickwv  Uttixwv.  Dagegen  trägt  das  von  Titze 
dem  Moschopulos  zugeschriebene  metrische  Kompendium  den  Namen 
dieses  Verfassers  mit  Unrecht.^)  Endlich  hat  sich  Moschopulos  auch  auf 
dem  Gebiete  der  Klassikerinterpretation  versucht.  Wir  haben  von 
ihm  Schollen  zu  den  ersten  zwei  Gesängen  der  Ilias,  genauer  gesagt  eine 
Art  Schülerpräparation  d.  h.  eine  wörtliche  Paraphrase  des  Textes  und 
eine  sprachliche  Analyse,  die  (auch  heute  noch  in  Griechenland)  sogenannte 
%(Xvo).oy(a.  Damit  verbinden  sich  ähnliche  Erläuterungen  zu  Hesiod,  zu 
Pindars  Olympioniken,  zu  Euripides,  zu  Theokrit  und  zu  den  Heroica 
des  Philostratos.  In  diesen  Kommentaren  ist  Moschopulos  im  allgemeinen 
kurz  und  sachlich.     Den  Schluss  bilden  Briefe  im   cod.  Coislinianus  311, 

')  Ediert   bei  Migne,   Patrol.  Gr.  141,   i  *)  S.  §  148.  8. 

1307-1406.     S.  §  122  Anm.  4.  | 


252  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

ein  Traktat  über  die  magischen  Quadrate  und  noch  manche  unedierte 
Schriften,  die  in  den  Handschriftenkatalogen  häufig  so  undeutlich  bezeichnet 
werden,  dass  eine  Identifizierung  oder  nähere  Bestimmung  ohne  Autopsie 
nicht  möglich  ist. 

1.  'Eq  (oitj  finrn:  Ed.  princcps:  Tov  aotptotcitov  xnl  XoyuoTf'etov  xvqov  MayovtjX  ror 
^fo(rxo71oiXov  dtoQx^w&e'fTwi'  sQwirjfjiäxMv.  IIeqI  TiQoaw^iwy.  S.  1.  et  a.,  aber  wahrscheinlich 
Mailand  1493  gedruckt  (mit  den  'EQtortjfittKe  des  Demetrios  Chalkokondylcs).  Dann  oft  wieder- 
holt z.  B.  (iramniaticae  artis  Graecae  methodus  Manuele  Moschopulo  authore,  Basileae  1540. 
Ex  officina  Joann.  Vualder.  —  IIsqi  axe^My.  Lutetiae  1545.  Ex  officina  II.  Stephani.  — 
Manuelis  Moschopuli  Cret.  opuscula  grammatica  ed.  Fr.  Nicol.  Titze,  Lipsiae  1822, 
enthält  den  ersten  Teil  der  iTutofxtj  vin  yQdfificcTixi^g  und  einige  kleinere  Stücke.  Einen 
Abschnitt  dieser  'EniTo/utj  edierte  schon  G.  H.  Schaefer  mit  Grcgorius  Corinthius, 
Lipsiae  1811  S.  675 — 7Ü0.  —  Vollständig:  Anonymi  Grammaticae  epitoma,  L.  I.  ed.  P. 
Egenolff.  Berolini  1877;  L.  IL  pr.  ed.  P.  Egenolff,  in  den  Comment.  in  honorem  G. 
Studemundi.  Argentorati  1889  S.  291 — 331.  Vgl.  G.  Uhligs  Ausgabe  des  Dionysius  Thrax, 
Proleg.  S.  41  und  P.  Egenolff,  Die  orthoepischen  Stücke  der  byzant.  Lit.  S.  23  ff.  — 
L.  Bachmann,  Anecdota  Graeca  II  351 — 382  edierte  Excerpt«  aus  Moschopulos,  Thomas 
Magister  u.  a.;  Boissonade,  Anecdota  Graeca  I  (1829)  404  ff.  eine  angeblich  von  Moscho- 
pulos stammende  Schrift  IJeQi  iniQQrjfiKTWP. 

2.  2ivX}.oyrj  6v ofiäxoiv  'Ar n,xü> v  ed.  Franc.  Asulanus,  Vonet.  apud  Aldum  1524; 
wiederholt  Paris  1532  (mit  der  'ExXoytj  des  Thomas  Magister  u.  a.). 

3.  Scholien  zu  Homer:  Homeri  Iliadis  liber  I.  IL  cum  scholiis  M.  Moschop.  ed. 
Jo.  Scherpezeel,  Amstelodami  1702;  wiederholt  Trajecti  1719.  —  Besser  in  den  Scholia 
in  Homeri  Iliadem  ed.  Lud.  Bachmann,  Lipsiae  1835 — 1838  S.  689 — 745  {TexvoXoyLu 
xai'oi'KTfiratoy  avXXsys'yTWf  ix  rijg  Tjagncpgda ewg  xvgiov  Mayovtjk  tov  Moa)(onovXov  iiof  dvo 
()uipu)(futh'  TOV  'OfiTjQov).  Vgl.  K.  Sittl,  Sitzungsberichte  d.  philos.-philol.-hi.st.  Cl.  d.  bayer. 
Akad.  d.  Wiss.  1889,  371.  -  Scholien  zu  Hesiod  in  der  Ausgabe  von  Gaisford;  zu  Pin- 
dar  in  der  Ausgabe  von  A.  Boeckh,  womit  zu  vergl.  K.  Lehrs,  die  Pindarscholien  (1873) 
S.  73 — 78.  —  Zu  Theokrit  in  den  Ausgaben  von  Gaisford  und  Duebner;  vgl.  Bucoli( . 
Graecorum  reliquiae  ed.  L.  Ähren s  II  (1859)  Prolegom.  S.  49  ff. 

4.  Traktat  über  die  magischen  Quadrate:  Ed.  S.  Günther,  Vermischte  Unter- 
suchungen zur  Geschichte  der  mathematischen  Wissenschaften,  Leipzig  1876  S.  195 — 203; 
dazu  Emendationen  von  A.  Eberhard,  Hermes  11  (1876)  434 — 442.  -^  Verbesserter  Text 
mit  französ.  Uebersetzung  von  P.  Tannery,  Annuaire  de  I'assoc.  20  (1886)  88—118,  wo 
jedoch  die  Beiträge  Eberhards  übersehen  sind.  —  Vgl.  Paul  Tannery,  Manuel  Moscho- 
pulos et  Nicolas  Ilhabdas,  Bulletin  des  sciences  mathematiques  t.  8,  1  (Paris  1884)  263  ff. 
und  desselben  Notices  sur  les  deux  lottres  arithmetiques  de  Nicolas  Khabdas,  Not.  et  extr. 
t.  32,  1  (1886)  130  ff.;  auch  S.  Günther,  Handbuch  d.  klass.  Altertumswiss.  V  1,  46. 

5.  Ein  kleines  jambisches  Gedicht  des  Moschopulos  ed.  E.  Miller,  Annuaire  de 
I'assoc.  8  (1874J  251  f. 

6.  Hilfsmittel:  Wonig  nützen  jetzt  die  Prolegomena  in  Titzes  Ausgabe  des 
Moschopulos  und  Fr.  Ritschis  Bearbeitung  des  Thomas  Magister,  S.  LH  ff.  —  Ueber  die 
Wirkung  des  Moschopulos  auf  die  Humanisten  s.  Karl  Hartfelder.  Philipp  Melanchthon, 
Berlin  1889  S.  255  und  L.  Voltz,  Jahns  Jahrb.  139  (1889)  579-599  (Verhältnis  des  Mos- 
chopulos zu  den  Erotcmata  des  Chrysoloras,  Chalkokondylcs  u.  s.  w.l.  —  Das  Verdienst,  die 
Biographie  des  Moschopulos,  über  dessen  Lebenszeit  und  Person  früher  die  verworrensten 
Ansichten  herrschten,  in  den  Hauptzügen  völlig  .sichergestellt  zu  haben,  gebührt  Max 
Treu,  Maximi  monachi  Planudis  epistulae  S.  208 — 212  (Progr.  Breslau  1890). 

121.  Thomas  Magister  {0o)fiag  u  f^iäyiaiQoq),  in  Handschriften  und 
Ausgaben  häufig  auch  nach  seinem  Klosternamen  Theodulos  monachos 
genannt,  wirkte  unter  Andronikos  H  (1283— l;i28)  als  Sehriftstellor  und 
Berater  des  Kaisers.  Er  gehört  in  den  litterarischen  Kreis  des  Moscho- 
pulos, Theodoros  Metochites  und  Nikephoros  Gregoras;  von  dem  letzteren 
besitzen  wir  auch  einen  Brief  an  Thomas.  Den  wichtigsten  Teil  seines 
Nachlasses  bilden  philologische  Schulschriften,  die  sich  in  lexikalische 
Arbeiten,  Scholien  und  rhetorische  Uebungs.stücke  .scheiden. 

1.  Das  Hauptwerk,  durch  welches  der  Name  des  Thomas  vorzüg- 
lich bekannt   geblieben   ist,   führt  den  Titel:   'Exkoyij  (auch  fxXoyni)   oro- 


5.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  121.)     253 

lictTOiv  xul  Qr^närcov  'Attixwv.  Es  ist  eine,  nur  im  ersten  Buchstaben 
alphabetisch  geordnete  Sammlung  von  Wörtern  und  Ausdrücken,  die  den 
Schülern  die  Kunst  griechisch  zu  schreiben,  erleichtern  sollen.  Bei  aller 
Exilität  ist  die  Sammlung  durch  den  Reichtum  ihrer  Zeugnisse  nicht  ohne 
Wert.  Als  Quellen  benützte  Thomas,  wie  es  scheint,  den  Phrynichos, 
Ammonios,  Herodianos,  Moeris  und  die  von  Bachmann  edierte  2vray(oyt] 
Xi^foyv  x^/^rrn/wv,  nach  Ritschi  auch  des  Moschopulos  ^r//oy»-  und  seine 
Schrift  JJeoi  ax^6o)r.  Zu  den  Exzerpten  aus  älteren  Wörterbüchern  fügte 
Thomas  reichliche  Notizen  aus  seiner  eigenen  Lektüre;  dieselbe  umfasste 
vornehmlich  Herodot,  Thukydides,  Aristides  und  die  Briefe  des  Synesios; 
weniger  gründlich  verwertete  er  für  seinen  Zweck  den  Philostrat  und  den 
Homer;  Einzelnes  endlich  entnahm  er  dem  Plato,  Demosthenes,  Lukian  und- 
Libanios.  Die  meisten  Autoren  zitiert  natürlich  auch  er  aus  zweiter  oder 
dritter  Hand. 

2.  Scholien  zu  Aeschylos,  Sophokles,  Euripides,  zu  3  Komödien  des 
Aristophanes  und  zu  Briefen  des  Synesios.  Dagegen  werden  Pindarscholien, 
welche  in  zwei  Handschriften  den  Namen  des  Thomas  an  der  Spitze  tragen, 
von  Lehrs  wohl  mit  Recht  dem  Triklinios  zugesprochen. 

3.  Reden  und  Briefe,  teils  blosse  Uebungsstücke  über  fingierte 
Themen,  teils  auf  einen  wirklichen  Anlass  der  Zeitgeschichte  verfasst.  Ein 
seit  Polemon  beliebtes  Thema  behandeln  die  zwei  fieXarai:  'O  rot-  Kvrai- 
ytiQov  nari^o  Ev(fooio)y  und  0  rov  KaXXiucr/^ov  nartjQ  IloXifiaQxoi-^)  Einen 
freieren  Charakter  trägt  die  im  Tone  des  Isokrates  gehaltene  Studie  über 
die  Pflichten  des  Königs  {^öyog  tt^q}  ßaailfiKc)  mit  ihrem  Seitenstück 
über  die  Pflichten  der  Unterthanen  {Tltol  noXiTHag).  Ein  Jlotaßav- 
Tixoc  TTQog  r&v  ßaaiXäa  'Ayöqövixov  rov  UaXaioXoyor  enthält  eine  Verteidigung 
des  byzantinischen  Feldherrn  Chandrenos.  Die  bei  einem  Einfall  der 
Katalanen  und  Türken  in  Thessalien  und  Makedonien  verübten  Greuel, 
deren  auch  in  der  eben  erwähnten  Rede  gedacht  ist,  schildert  der  Brief 
Tfo  iaayyiXfo  ttcctqi  uov  xai  ^iXo<TÖ(fo)  ^I(aai](f  nfQi  tü)v  er  zfj  ^IraXon-  xcd 
ütoaüH'  iifööoi  ytyivr.iuvon'.  Der  Adressat  ist  derselbe,  an  den  auch  viele 
Briefe  des  Nikephoros  Ohumnos  gerichtet  sind.  Endlich  finden  wir  Gra- 
tulationsreden an  den  Feldherrn  Angelos  und  an  den  Grosslogotheten 
Theodoros  Metochites,  eine  Rede  an  den  Patriarchen  Niphon  und  einen 
Panegyrikus  auf  den  König  von  Cypern.  Dazu  kommen  noch  unedierte 
Stücke  wie:  Eiq  rov  ayiov  'Iwävvr^v  rov  ßaTTTiart^v  eyxwuiov,  "^Ynio  ^OXvv- 
■i^ifor,  'AvuTiXovc,  ein  Brief  QtaauXovixtvai  ntoi  uiiorofag,  ein  Jlqoaifonijia 
t€p  fifyüX(i)  dofiearixo)  u.  a. 

1.  'ExXoyrj:  Ed.  pr.  Zach.  Kalliergi,  Romae  1517.  —  Thomae  Magistri  sive 
Theoduli  monachi  «cloga  voeum  Atticarum  ex  rec.  Frid.  Ritschelii,  Halis  18:32; 
bedeutendste  Jugendarbeit  Ritschis;  ausführliche  Prolegomena  und  Indices;  S.  XIV  ff.  kri- 
tische  Uebersicht   der   älteren    Ausgaben   und   Hilfsmittel.  —    Sonstige   grammatische   Ex- 


')  In  der  Schlacht   bei  Marathon  fallen  zuerst  zu  reden  gebühre:  ein  recht  charak- 

die  zwei  Helden  Kallimachos  und  Kjiiaigei-  teristischer   Vorwurf   für  jene   leere   Schul- 

I     ros;   nach    dem    Gesetze   müssen    die  Väter  beredsanikeit,  wie  sie  bei  den  Griechen  von 

I     der  Gefallenen  diesen  eine  Leichenrede  hal-  der  Sophistenzeit  bis  ins  späteste  Mittelalter 

ten ;  nun  entsteht  zwischen  den  beiden  Vätern  hinein   mit   zäher  Gleichförmigkeit   gepflegt 

"lemarchos  uud  Euphorion  ein  Streit,  wem  wurde. 


^54  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    1.  Prosaische  Litteratar. 

zerpte  bei  L.  Bachmann,  Anecd.  Graec.  II  351—382;  vgl.  Ritschis  Ausgabe  der  'ExXoyn 
S.  CXXXIX  «. 

2.  Zu  den  Scholien:  0.  Schneider,  De  veterum  in  Aristophanem  scholiorum  fon- 
tibus,  Sundiae  1838  S.  122  ff.  —  K.  Lehrs,  Die  Pindarscholien  (1873)  97—99.  W.  Din- 
dorf,  Philologus  20  (1863)  5  ff.  —  M.  Schmidt,  Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie 
d.  Wiss.,  philos.-histor.  Cl.  21  (1856)  278—286  (unbedeutende  Mitteilungen  aus  Wiener 
Handschriften).  —  Endlich  die  kritischen  Ausgaben  der  betreffenden  Klassiker. 

3.  Einige  Reden  und  Briefe  ed.  zuerst  L.  Normann,  Upsalae  1693  (mir  unzu- 
gänglich). Die  zwei  Reden  über  die  Pflichten  des  Königs  und  der  Unterthanen  bei  A.  Mai, 
Scriptorum  vetenim  nova  collectio  tom.  III  (Romae  1828)  pars  III  145—201.  —  Die  übrigen 
Stücke  bei  Fr.  Boissonade,  Anecdota  Graeca  II  (1830)  188 — 268.  —  Französische  Ueber- 
setzung  der  Deklamation  Kallimachos  und  Kynägiros  von  E.  Groussard,  Annuaire  de 
l'assoc.  18  (1884)  142—160.  —  Gesamtausgabe  der  Reden  und  Briefe:  Migne,  Patrol. 
Gr.  145  (1865)  213 — 548  (nach  den  Texten  von  Normann,  Mai  und  Boissonade). 

4.  Zur  Biographie:  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  6,  181  190  und  die  Prolego- 
mena  von  Ritschi. 

122.  Theodoros  Metochites,  einer  der  bedeutendsten  Polyhistoren 
der  letzten  Jahrhunderte  von  Byzanz,  blühte  unter  Andronikos  II  Palaeo- 
logos  (1283—1328).  Nach  einer  reichen  Thätigkeit  im  staatlichen  Leben 
zog  er  sich,  nachdem  er  infolge  der  Absetzung  Andronikos  II  (1328)  seiner 
Würde  als  Grosslogothet  enthoben  worden  war,  in  das  Kloster  Tf^c  x^Q"? 
zu  Konstantinopel  zurück  und  starb  i.  J.  1332.  Das  Andenken  des  ausser- 
ge wohnlichen  Mannes  wurde  von  seinem  hochbegabten  Schüler  Nikephoros 
Gregoras  in  einer  Gedächtnisrede  gefeiert,  die  er  uns  in  seinem  Geschicht.s- 
werk ')  erhalten  hat.  Auch  sonst  gedenkt  Gregoras  des  Theodoros  mit 
den  Ausdrücken  der  höchsten  Bewunderung:  BißXioO^i'jxr]  ya^  ijv  «/li/'i'xoc 
ovTog  xai  xmv  ^rjxoviiivmv  ttqox^iqoc  evnoqia  •  oi>t(o  nävrag  fiaxQO) 
TOI  fit'TQ(,i  TtaQa'dQa/iUv,  offoi  nott  köyiov  ijipavToJ)  An  derselben  Stelle  gibt 
Gregoras  eine  höchst  merkwürdige,  ausführliche  Charakteristik  der  Diktion 
des  hochverehrten  Lehrers;  zu  tadeln  sei  an  ihm  nur  das  eine,  dass  er 
sich  keinen  der  Alten  zum  Vorbilde  genommen,  sondern  ganz  seine  eigenen 
Wege  gegangen,  hiebei  aber  in  stürmischen  Schwall  verfallen  sei.  In 
ähnlicher  Weise  preisen  ihn  auch  andere  Byzantiner  z.  B.  Thomas  Ma- 
gister als  Licht  der  Wissenschaften.  In  der  That  überragt  die  Gelehr- 
samkeit des  Theodoros  Metochites  das  gewöhnliche  Mass  seiner  Zeit,  wenn 
er  auch  hinter  den  grossen  Polyhistoren  wie  Photios  und  Psellos  zurück- 
stehen muss.  Der  Umfang  seiner  Kenntnisse  ist  aber  um  so  mehr  zu  be- 
wundern, als  er,  wie  Gregoras  erzählt,  den  ganzen  Tag  über  am  Hofe  be- 
schäftigt war  und  sich  nur  des  Nachts  seinen  Studien  widmen  konnte. 
Von  der  ausgedehnten  litterarischen  Thätigkeit  des  Theodoros,  di»^ 
Gregoras  a.  a.  0.  erwähnt,  kennen  wir  bis  jetzt  nur  wenige  Proben;  man- 
ches mag  verloren  oder  noch  in  den  Bibliotheken  verborgen  sein. 

1.  Als  Hauptwerk  des  Theodoros  erscheint  nach  dem  gegenwärtigen 
Besitzstande  eine  grosse  Miszellensammlung,  herausgegeben  und  zitiert 
unter  dem  nicht  hinlänglich  gesicherten  (wahrscheinlich  von  einem  Kopiston 
liorrührenden)  Titel:  'ynofin^fiaiiafiot  xai  aijieioiatig  yvioinxai  (Mis- 
cellanea  philosophica  et  historica).  Das  Werk,  gewissermassen  ein  prosai- 
sclicr  I*endant  zu  den  Chiliaden  des  Tzetzes,  umfasst  120  grössere  und 
kleinere  Essays  über  die  verschiedensten  Thonieu  «lei-  Pliilos<»i)hi«%  der  Ge- 

')  X  2  =  S.  474  ff.  ed.  Bonn. 

»)  VII  11  =  S.  272,  3  ff.  ed.  Bonn. 


5.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  a.  Scholiasten.  (§  122.)     255 

schichte  und  der  alten  Litteratur.  Einige  Titelproben  mögen  den  Cliarakter 
dieser  vermischten  Aufsätze  deutlich  machen.  Aus  dem  Gebiete  der  Lebens- 
weisheit und  Philosophie  finden  wir  Artikel  über  das  ironische  Element 
bei  den  alten  Philosophen,  besonders  bei  Sokrates  und  Plato;  über  das 
polemische  Verhalten  aller  Philosophen  gegen  ihre  Vorgänger:  über  den 
Satz,  dass  keines  Menschen  Leben  leidlos  verlaufe;  über  die  auffallende 
Thatsache,  dass  manche  Menschen  stets  glücklich,  andere  stets  unglücklich 
sind  (eine  uraoxsvi]  des  vorigen  Themas);  über  die  Wechselfälle  des  Schick- 
sals mit  besonderer  Beziehung  auf  seine  eigenen  Erlebnisse;  über  die  Ge- 
wohnheit der  Menschen,  die  gute  alte  Zeit  zu  preisen;  über  die  Seltenheit 
völlig  zutreffender  und  leidenschaftsloser  L^rteile;  über  die  (natürlich  im 
christlichen  Sinne  beantwortete)  Frage,  ob  es  dem  Menschen  besser  sei, 
geboren  zu  werden  oder  nicht;  über  den  Satz  AäO^e  ßmaug;  über  den 
praktischen  Nutzen  der  Mathematik  und  Geometrie.  Auch  die  christ- 
liche Moral  wird  berücksichtigt:  so  bespricht  der  Verfasser  die  Frage, 
ob  es  besser  sei,  in  der  Welt  zu  leben  oder  im  Kloster;  ob  der  Ehestand 
einem  tugendhaften  Leben  förderlich  sei.  Dazu  kommen  philosophische 
Betrachtungen  über  politische  Fragen,  wie  über  das  demokratische, 
aristokratische  und  monarchische  Prinzip,  über  die  Notwendigkeit  einer 
guten  Finanzverwaltung ;  selbst  ästhetische  Themen,  wie  Gedanken  über 
die  Schönheit  des  Meeres.  In  das  Gebiet  der  Geschichte  gehören  die 
Abhandlungen  über  den  Staat  der  Athener  und  Lakedämonier ;  über  Epa- 
minondas  und  Pelopidas;  über  Kyrene  und  Karthago;  über  das  allmähliche 
Wachstum  des  römischen  Staates.  Auch  vernehmen  wii-,  wie  in  so  vielen 
anderen  Schriften  dieser  Zeit,  elegische  Klagen  über  den  unaufhalt- 
samen Niedergang  des  Byzantinerreiches.  Der  Litteratur- 
geschichte  widmet  Theodor  Artikel  über  Aristoteles,  gegen  den  er  pole- 
misiert, über  Plato,  Xenophon,  Joseph,  Philo,  Dio  Chrysostomos,  Plutarch, 
auch  allgemeinere  Darlegungen  wie  eine  Studie  über  die  Gleichgültigkeit 
der  griechischen  Philosophen  gegen  die  Politik.  Die  Quellen  des  Meto- 
ehites  sind,  was  bei  einem  Byzantiner  dieser  Zeit  ziemlich  selbstverständ- 
lich ist,  nur  griechische  Werke.  Er  zitiert  über  70  Autoren  und  zwar 
oft  in  einer  Form,  die  von  der  sonst  überlieferten  Lesung  abweicht;  doch 
ist  er  für  die  Texteskritik  nur  mit  grösster  Vorsicht  zu  verwenden,  da  er 
seine  Vorlagen  häufig  absichtlich  ändert.  Ein  Hauptgewährsmann  ist 
Synesios. 

2.  Weitere  Anhaltspunkte  für  die  Beurteilung  des  Metochites  ge- 
währen 18  rhetorische  Stücke,  wie  der  iV;xaf i'c,  ein /ZofC/^fi^n xöc,  meh- 
rere Epitaphien  und  Reden  religiösen  und  moralischen  Inhalts.  Hieher 
gehört  auch  das  Proömion  einer  Goldbulle. 

3.  Die  umfangreichen  philosophischen  und  astronomischen 
Werke  Theodors  sind  noch  nicht  genügend  bekannt.  Die  wertvollsten 
derselben  sind,  wie  es  scheint,  Paraphrasen  zu  Aristoteles  Physik,  zu  dessen 
Büchern  über  die  Seele,  über  den  Himmel,  über  Entstehen  und  Vergehen, 
eine  ^Toixticoaig  im  rij  daiQoroi.nxij  emari^iiij,  eine  Einleitung  und  ein  Kom- 

Intar  zu  Ptolemäos. 
4.   Eine  an  Nikephoros  Gregoras  gerichtete,  in  Hexametern  abge- 


256  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    1.  Prosaische  Litteratar. 

fasste  Schrift:  Eig  lov  aoifov  Nixi^tfÖQov  i6i'  FQijoQav  vnoOtjxui  xul  7if()l 
löiv  oixtiMi'  awiayiiÜKoi.,  von  der  nur  eine  kleine  Probe  ediert  ist, ')  erregt 
durch  Nachrichten  des  Verfassers  über  sein  eigenes  Leben  unsere  Teil- 
nahme. Sein  Vorbild  scheint  hier  die  poetische  Selbstbiographie  des  Geor- 
gios  Pachy mores  (s.  §  37).  Endlich  hat  Theodor  Briefe  hinterlassen.-) 
Nicht  genügend  bezeugt  ist  eine  angebliche  Kirchengeschichte  in  zwei 
Büchern  und  ein  Buch  Bv^am'c.  Die  von  Meursius  dem  Metochites  zu- 
geteilte Chronik  gehört  dem  Michael  Glykas;  s.  S.  148. 

1.  Ausgaben:  Miszellensamnilung:  Zuerst  einzelne  Stücke:  Specimina  operum 
Tlieodori  Metochit^ie  quae  inscribuntur  'Ynofiyijfxana fio'i  xa't  atjufiwaeii  yvtufiixcd  ed.  Janus 
Bloch,  Hauniae  1790.  —  Die  Kapitel  über  Kyrene  und  Karthago  sind  wiederholt  in: 
Supplementum  editionis  Lipsiensis  Nicolai  Damasceni  ed.  C.  Orelli,  Lipsiae  1811  S.  91  bis 
96.  —  Das  Kapitel  über  Karthago  mit  Kommentar  in :  Aristotelis  de  politia  Carthaginiensium 
ed.  Fr.  G.  Kluge,  Vratislaviae  1824  S.  195—216.  —  Einzige  vollständige  Ausgabe:  Theo- 
dor! Metochitae  miscellanea  edd.  Chr.  G.  Müller-Th.  Kiessling,  Lipsiae  1821.  - 
JSixaevg,  U Qsa ji evTixög  und  Chrysobulle  ed.  pr.  K.  Sathas,  Meaanüvixrl  ßißXio&ijxtj 
I  (1872)  139—195.  —  Ueber  die  Chrysobulle  s.  K.  E.  Zachariae  von  Lingenthal. 
Sitzungsber.  d.  k.  preuss.  Akademie  d.  Wiss.  1888,  1410.  Vgl.  §  102.  —  Philos.  und 
astron.  Werke:  Paraphrase  zu  Aristoteles  nur  in  latein.  Uebersetzung,  Basileae  1559; 
Aviederholt  1562.  —  Die  astronom.  Schriften  sind  noch  unediert.  Proben  der  Originaltexte 
gibt  Sathas  a.  a.  0.  nQ6Xoyo<;  S.  79  ff.  (o»'). 

2.  Leben  und  Werke:  Pabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  10,  412—426.  -     Haupt 
Schrift:  K.  Sathas  a.  a.  O.     UQ6Xoyog  S.  19—135  (<*'— pAc). 

3.  Mit  Theodoros  Metochites  ist  nicht  zu  verwechseln,  wie  häufig  geschehen  ist,  der 
mit  ihm  verwandte,  etwas  ältere  Georgios  Metochites.  Während  Theodoros  st«ts  zur 
orthodoxen  Partei  hielt,  war  Georgios  ein  eifriger  Anhänger  der  Union  und  wurde  als 
solcher  unt«r  Michael  VIII  Palaeologos  (1277)  mit  einer  Gesandtschaft  an  den  Papst  be- 
traut. Unter  Andronikos  II  erlitt  er  mit  dem  gleichgesinnt«n  Patriarchen  Bekkos  und 
dem  Chartophylax  Konstant inos  Meliteniotes  die  heftigsten  Verfolgungen  von  Seiten 
der  antirömischen  Partei  und  starb  nach  1308  im  Gefängnisse.  Einige  seiner  Schriften  ed. 
Leo  Allatius,  Graecia  orthodoxa  II  (Romae  1659)  922-1074;  wiederholt  bei  Migne, 
Patrol.  Gr.  141  (18(j5)  1307—1425.  —  Vgl.  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.lO,  412,  K.  Sathas 
a.  a.  0.  UqoX.  S.  19;  125  f.   und  M.  Treu,  Maximi  monachi  Planudis   epistulae  S.  211  f. 

4.  Von  Leon  Bardales  {liaQ^aA-^g),  einem  Neffen  des  Theodoros  Metochites,  viel- 
leicht demselben,  der  auch  in  der  Biographie  des  Maximos  Planudes  wiederkehrt,  besitzen 
wir  einen  kurzen  Brief  an  Theodoros,  ed.  von  Boissonade,  Anecd.  Graeca  1  (1829)402; 
dortselbst  S.  399  ff.  von  demselben  Bardales  jambische  Trimeter  auf  eine  bildliche 
Darstellung  des  jüngsten  Gerichts,  auf  einen  Silberbecher  u.  a.  —  LTeber  die  vei-schiedenen 
Träger  des  Namens  Bardales  (Leon,  Johannes,  Manuel)  vgl.  Max  Treu.  Maximi  mon. 
Planudis  epistulae  S.  200. 

123.  Demetrios  Triklinios,  ein  seiner  Herkunft  und  äusseren  Stel- 
lung nach  unbekannter  Mann,  der  im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts,  wahr- 
scheinlich in  Konstantinopel,  lebte,  ist  der  bedeutendste  Philologe  der 
Palaeologenzeit.  Als  Textkritiker  ragt  er  über  die  geistesverwandten 
Zeitgenossen  wie  Manuel  Moschopulos  und  Thomas  Magister  turmhoch 
empor  und  darf  manchen  modernen  Herausgebern  an  die  Seite  gestellt 
werden.  In  einem  anderen  Zeitalter  und  unter  günstigeren  Umstünden 
Ijätte  ein  so  sprachkundiger,  erfinderischer  und  selbständiger  Kopf  Hervor- 
ragendes und  Bleibendes  geleistet.  Was  den  Triklinios  niederdrückt,  ist 
die  dumpfe  wissenschaftliche  Atmosphäre,  in  der  er  arbeitete.  Es  ist  da- 
her ein  grosses  Unrecht,  wenn  neuere  Forscher  auch  diesen  tüchtigen 
Byzantiner  der  herkömmlichen  Sitte  gemäss,  von  aller  Umgebung  losgelöst, 

')  Von  Boivin  im  Kommentar  zu  Nike-    [    wir  von  Nikephoros  (iregoras,  Thomas  Magi* 
pboros  Gregoras  ed.  Bonn.  11  122ti.  stros,  Nikephoros  Chumnos,  Theodoros  Hyrta« 

'')  Briefe  an  Theodoros  Metochites  haben   |   keuos,  Leon  Bardales. 


5.  Altertumswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  123.)     257 

nach  dem  strengsten  Massstabe  einer  durch  zahllose  Sünden  geläuterten 
und  mit  ganz  anderen  Mitteln  ausgerüsteten  Schule  abschätzen.  Schon  die 
Ausdehnung  der  wissenschaftlichen  Thätigkeit  des  Triklinios  erregt  unser 
Staunen.  Pindar,  Aeschylos,  Sophokles,  Euripides  und  Aristophanes.  Hesiod 
und  Theokrit  sind  von  ihm  erklärt  und  emendiert  worden:  und  zwar  be- 
schränkte er  sich  bezüglich  der  Dramatiker  nicht  auf  die  im  byzantinischen 
Mittelalter  übliche  Auswahl,  sondern  veranstaltete  von  sämtlichen  Stücken 
des  Aeschylos  und  Sophokles,  die  er  erreichen  konnte,  und  von  den  drei 
ersten  Tragödien  des  Euripides  Bearbeitungen,  die  bis  in  die  neueste  Zeit 
fortgewirkt  haben. 

In  der  Metrik  besass  Triklinios  nicht  unerhebliche,  durch  eigene 
Beobachtung  erworbene  Kenntnisse.  Doch  war  infolge  der  Wandelungen, 
welche  sich  seit  den  ersten  Jahrhunderten  der  christlichen  Zeit  im  Laut- 
wesen der  griechischen  Sprache  vollzogen  hatten,  gerade  dieses  Gebiet  den 
Byzantinern  recht  fremd  geworden.  Es  ist  daher  nicht  zu  verwundern, 
dass  Triklinios  schwere  Niederlagen  erlitt,  als  er  es  wagte,  die  alten  Werke 
nach  ihrem  Versmass  zu  analysieren  und  sowohl  die  metrischen  Gesetze 
des  Dialogs  als  die  strophischen  Kompositionen  zu  erklären.  Wie  er  die 
Metrik  misshandelte,  so  trug  er  auch  in  die  alten  Texte  eine  Unmasse 
von  plumpen  Fehlern  hinein,  freilich  nicht  plumper,  als  sie  auch  in  unserem 
erleuchteten  Zeitalter  so  oft  in  Dissertationen.  Programmen  und  Ausgaben 
mit  anmasslicher  Miene  aufgetischt  werden.  Nicht  selten  traf  er  aber  auch 
das  Richtige.  Die  wichtigsten  Arbeiten  des  Triklinios  sind:  1.  Scholien 
zu  Pindar  mit  zwei  metrischen  Abhandlungen.  Dem  Triklinios  allein 
gehören  auch  nach  Lehrs  die  von  Schneider  unter  dem  Xamen  des  Thomas 
Magistros  und  Demetrios  Triklinios  herausgegebenen  Scholien  zu  den  ersten 
p}i;hischen  Hymnen.  Auch  stammt  von  Triklinios  die  eine  der  zwei  uns 
erhaltenen  Pindarparaphrasen,  wie  Lehrs  ^  mit  guten  Gründen  dargethan 
hat.  2.  Eine  Bearbeitung  des  Sophokles  mit  Scholien,  besonders  für 
die  ersten  4  Dramen.  Die  in  einem  cod.  Paris,  überlieferte  triklinianische 
Rezension  des  Sophokles  hat  lange  Zeit  ihre  schädliche  Wirkung  ausgeübt, 
bis  es  endlich  der  Forschung  gelang,  einen  klaren  Einblick  in  die  Grund- 
sätze des  allzu  kühnen  Textverbesserers  zu  gewinnen.  3.  Scholien  zu 
5  Stücken  des  Aeschylos;  ausgeschlossen  blieben  die  Choephoren  und 
die  Schutzflehenden.  Diese  Scholien,  mit  welchen  sich  auch  Erklärungen 
des  Thomas  Magister  verbunden  haben,  sind  wortreiche  Paraphrasen  mit 
'  metrischen  Erklärungen  zum  Teil  nach  unerhörten,  von  Triklinios  selbst 
schaffenen  Silbenmassen.  Wir  besitzen  die  Scholien  zu  Aeschylos  in 
»liier  von  des  Triklinios  eigener  Hand  stammenden,  jetzt  in  Neapel  be- 
findlichen Handschrift,  neben  welcher  die  verwirrten  Exzerpte  in  einigen 
'  jüngeren  Codices  nicht  mehr  in  Betracht  kommen.  4.  Weniger  ist  über  seine 
"^  hohen  zu  Hesiod,  Aristophanes  und  Theokrit  bekannt  geworden, 
ch  haben   wir   einen   von   Triklinios  selbst   in   den  Jahren  1316—1320 

f'  liebenen  Codex  des  Hesiod  (Marcianus  464);   s.  Zanetti,   Graeca  D. 
bibliotheca  codicum  mss.,  Yenetiae  1740  S.  XTY  f.  und  246. 
■ 
ä 


')  Pindarscholien  S.  78. 
adbnch  der  klaaa.  AltertumavtaenacliAft.   IX.    1.  Abtlg.  17 


258  Byzantinische  Litteraturgeschichto.     I.  Prosaische  Litteratar. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Für  die  Scholien  ist  zunächst  auf  die  Litteratur  zu 
den  einzelnen  Dichtern  zu  verweisen.  Pindarscholien:  Thomae  Magistri  et  Demetrii 
Triklinii  scholia  in  Pythia  quattuor  prima  ed.  Chr.  Schneider.  Breslau  1844.  —  Scholia 
recentiora  Thomano-Tricliniana  in  Pindari  Nemea  et  Isthmia  ed.  Tycho  Mommsen, 
Lipsiae  1865;  dazu:  Scholia  etc.  in  Pindari  Pythia  V  — XII  ed.  Tycho  Mommsen, 
Francofurti  1867.  —  Vgl.  K.  Lehrs,  Die  Pindarscholien,  Leipzig  1873  S.  78—96.  —  Einen 
Teil  der  Scholien  zu  Aeschylos  edierte  mit  einer  Abhandlung  über  den  codex  Medi- 
ceus  W.  Dindorf,  Philologus  20  (1863)  1  ff.:  385  ff.  und  21  (1864)  193  ff.  -  Vgl.  Moritz 
Schmidt:  Aus  Wiener  Handschriften,  Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  der  Wissensch.  phil.- 
hist.  Cl.  21  (1856)  278—289,  wo  5  Wiener  Handschriften  mit  zum  Teil  Trikliniauischen 
Scholien  zu  Aeschylos  besprochen  werden.  --  Sophoklesscholien:  JtjuijTQiov  toi* 
l'Qixhriov  fiV  T«  Tov  2'oqpoxAcoi'c  inTte  ÖQÜ^aia,  tisqi  ixtXQtay,  oig  i^qi'jaujo  2:n(poxXijg,  TtfQi 
axtjfi€<Tü}y  xni  a](öha.  Parisiis  1553.  —  Treffende  Charakteristik  jles  Triklinios  von 
U.  von  WilamoAvitz-Möllendorff,  Euripides  Herakles  I  (1889)  194  f.  Vgl.  auch  des- 
selben: Die  Ueberlieferung  der  Aeschylosscholien,  Hermes  25  (1890)  161  — 170. 

124.  Johannes  Pediasimos  war  Diakon,  später  Chartophylax  von 
Bulgarien  unter  Andronikos  III  Palaeologos  (1328—1341);  eine  Aufzählung 
seiner  Stellen  und  Titel  findet  sich  in  der  Ueberschrift  der  Geometrie: 
Tov  aoifunÜTOv  x^QtO(fvXaxoq  rijc  nqwtrfi  'lovaciriavijg  xal  näaifi  BovXyaqiaq, 
tov  xal  vnätov  tmv  (fiXoaö^cov,  xvqov  'luävvov  Jiaxövov  tov  Ilföiaaitiov. 
Wir  besitzen  von  ihm  mehrere  zum  Teil  noch  unedierte  philologische 
und  philosophische  Arbeiten,  wie  Scholien  zu  Hesiods  Schild  und 
Theogonie,  desgleichen  zur  Syrinx  des  Theokrit,  zur  Sphära  des  Kleo- 
medes,  Erklärungen  zu  Aristoteles,  Allegorien  zu  Homer,  eine  Schrift 
über  die  zwölf  Arbeiten  des  Herakles  u.  a.  Dazu  kommt  eine  musi- 
kalische Abhandlung,  voll  falscher  Anschauungen  und  schiefer  Deutungen, 
mit  dem  Titel:  'Eiiiaraai'ai  i^uQixai'.^)  Ausserdem  schrieb  Pediasimos  eine 
Geometrie:  reoif^uTQi'u,  mit  dem  Nebentitel:  ^vroif.iig  ntQi  ^istgi'^aeMg  xal 
fitQKtnov  y^c.  In  der  Einleitung  spricht  er  als  seine  Absicht  aus,  von 
dem  Werke  des  Heron  über  y(>a/*/m/',  yontai  und  iußadä  einen  Abriss  zu 
geben  und  dort  Fehlendes  in  Kürze  zu  ergänzen.  Doch  lässt  die  Verglei- 
chung  mit  dem  uns  erhaltenen  Werke  des  Heron  nicht  darüber  ins  Keine 
kommen,  ob  Pediasimos  ein  unverfälschtes  Exemplar  des  Heron  vor  sich 
hatte.  Jedenfalls  ist  bei  weitem  nicht  alles,  was  wir  bei  Pediasimos  finden, 
Eigentum  des  echten  Heron;  vieles  ist  geradezu  verkehrt  und  falsch.  Ein- 
mal hat  der  ernste  Gelehrte  auch  den  Musen  geopfert.  Dazu  begeisterte 
ihn  das  ewig  Weibliche.  Als  echter  Kritiker  aber  prüft  er  sowohl  die 
guten  als  die  schlimmen  Seiten  desselben.  Das  jambische  Doppel- 
gedicht des  Pediasimos  hat  den  zusammenfassenden  und  versöhnenden 
Titel  nöd-og  {^Iioärrov  tov  Uediacffnov  tov  Bovlyagi'ag  ;{a(»royi'A«xos'  Ilöi/og. 
Ilegl  yvvaixog  xaxijg  —  JJtql  yrrmxoc  ayaO^ijg).  Das  erste  Stück  erscheint 
mit  seinen  heftigen  Schmähungen  als  ein  byzantinisches  Pendant  zum 
Frauenspiegel  des  Simonides  aus  Amorgos;  im  zweiten  Gedicht  wird  das 
schöne  Geschlecht  durch  ebenso  überschwängliche  Loheserhebungen  wieder 
gerettet.  In  Wahrheit  ist  dieses  poeti.sche  Spiel  mit  entgegengesetzten 
Themen  nichts  anderes  als  die  rhetorische  Form  der  Kataaxtv)]  und 
'Aiuaxtvi].'^)  Aehnlich  hatte  auch  Theodoros  Metochites  diese  zur  Schul- 
übung ja  wohl  geeignete  Schablone  in  die  praktische  Litteratur  übertragen.^ 

')  So  die  Handschrift  und  der  Herausgeber;  ")  S.  §  86. 

es  ist  aber  vielleicht  fjfiQtxui  zu  schreiben.  ')  S.  §  122. 


5,  Altertninswissenschaft.  A.  Philol.  Polyhistoren  u.  Scholiasten.  (§  124—125.)     259 

1.  Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Scholien  zu  Hesiod  und  des  Oalenos  Allegorien 
zur  Theogonie  in  den  Poetae  Minores  Graeci  ed.  Gaisford.  vol.  II,  Lipsiae  1823.  — 
Scholien  zur  Syrinx  des  Tlieokrit  in  den  Scholia  ad  Theocritum  ed.  Fr.  Dübner,  Paris 
1849  S.  HO  f.  —  Ueber  die  Arbeiten  des  Herakles:  ed.  A.  Westermann.  Mv^oy^äcfoi, 
Brunsvigiae  1843  S.  349-354.  —  Die  "Eniaraa'uu  usQixai  ed.  aus  cod.  Par.  2762  H.  Vin- 
cent, Not.  et  extr.  t.  16  (1847)  2.  partie,  289 — 315.  —  Die  Geometrie  ed.  G.  Friedlein, 
Progr.  Ansbach  1866  (S.  4  Ober  das  Leben  und  die  Werke  des  Pediasimos).  —  Das  Ge- 
dicht nö&og:  Nach  früheren  Drucken  bei  Fabricius,  Bibl.  Graeca  13  (1726)  576  fF. 
mit  lat.  Uebersetzung  (in  der  ed.  Harl.  nicht  aufgenommen).  Mit  der  Uebersetzung  wieder- 
holt von  C.  Orelli,  Opuscula  Graecorum  veterum  sententiosa  et  moralia  I  (1819)  240  fF. 
Ohne  die  Uebersetzung  auch  in  Arsenii  Yioletum  ed.  Chr.  Walz  1832  S.  515-517.  End- 
lich nach  einer  Handschrift  des  Escurial  von  E.  Miller.  Catalogue  des  mss.  de  l'Escurial 
1848  S.  75-82  (mit  einer  im  Jahre  1797  verfassten  hübschen  Uebersetzung  in  französi- 
schen Versen).  Deutsche  metrische  Uebersetzung  von  Ad.  Elissen.  Versuch 
einer  Polyglotte  der  europäischen  Poesie  I  (1846)  229  f.  — Vgl.  Fabricius.  Bibl.  Graeca 
ed.  Harl.  6,  371  und  11.  648  f.,  wo  reiche,  aber  wenig  gesichtete  Notizen  über  Pediasimos 
und  Galenos  gegeben  sind. 

2.  Früher  wurde  Pedia-simos  für  identisch  gehalten  mit  einem  Diakon  Galenos,  unter 
dessen  Namen  Allegorien  zur  Theogonie  des  Hesiod  gehen :  Eig  rr^y  tov  'Haiödov  Ssoyoyiay 
aHtjyoQUd  Toii  aocftorÜTov  xul  koyitonirov  xvoov  'Iwüyyov  Jiaxöyov  rov  FaXtjyov  (Ausgabe 
s.  0.).  Die  Annahme  der  Identität  stützte  sich  vornehmlich  auf  den  Umstand,  dass  die 
Namen  Ilsdueai.uog  und  FaXt^yög  synonj-m  zu  sein  scheinen  (=  tranquillus).  C.  Muetzell 
hat  es  in  seinem  Buche:    De   emendatione    Theogoniae   Hesiodeae   libri   tres.   Lipsiae  1833 

5.  295  —  301,  wahrscheinlich  gemacht,  dass  beide  Personen  zu  trennen  seien.  Weniger 
überzeugend  ist.  was  er  vorbringt,  um  den  Galenos  ins  11.  Jahrb.  zu  setzen;  auch  die 
Behauptung,  Eustathios  ad.  II.  S.  989  (imd  sonst)  habe  den  Galenos  im  Auge,  wird  nicht 
genügend  gestützt.  Noch  weniger  kann  die  schwergelehrte  .\useinandersetzxmg  gewinnen, 
mit  welcher  Muetzell  auch  unter  dem  Namen  Pediasimos  selbst  zwei  verschiedene  Per- 
sonen, einen  älteren  Ped.  Diakonos  und  einen  jüngeren  Ped..  den  Chartophylax 
von  Bulgarien,  unterscheiden  will.  Eine  wirklich  überzeugende  Lösung  dieser  ganzen 
Personalfrage,  die  übrigens  von  geringer  Wichtigkeit  ist,  kann  schwerlich  gegeben  werden, 
solange  nicht  ein  völliger  Ueberblick  über  den  handschriftlichen  Bestand  der  unter  den 
Namen  Pediasimos  und  Galenos  gehenden  Werke  zu  erreichen  ist.  Die  von  Fabricius 
a.  a.  0.  zusammengestellten  und  von  da  in  andere  Werke  übergegangenen  Titelverzeichnisse 
sind  zu  einem  solchen  Behufe  viel  zu  ungenau,  imd  Muetzell  a.  a.  0.  trägt  ebensoviel  zur 
Verwirrung  als  zur  Aufklärung  der  Frage  bei. 

125.  Johannes  Kanabutzes,  ein  gräzisierter  Italiener  aus  Chios,  ver- 
fasste  in  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  eine  ziemlich  umfangreiche 
Schrift,  die  betitelt  ist:  'Iwäriov  KccraßovT^r^  xov  fiayiaTooi'  ngog  tov  avO^tizt^v 
rf^g  ATrov  xcel  ^aaoO^Quxt^g.  Er  verbreitet  sich  im  Anschlüsse  an  Diony- 
ßios  von  Halikarnassos  über  die  Wanderungen  griechischer  Stämme 
nach  Italien  und  spricht  dabei  in  breiten  Exkursen  über  den  Ursprung  der 
Wissenschaften  und  Künste,  über  Gesetzgebung,  über  Chemie,  die  zur  Ver- 
wandelung  des  Metalles  und  zur  Entdeckung  des  Steines  der  Weisen  ver- 
helfe, u.  a.  Für  die  Kritik  des  Dionysios  lehrt  Kanabutzes  nichts  Neues, 
und  sein  weitschweifiges  Machwerk  bliebe  wohl  gänzlich  wertlos,  wenn 
sich  aus  demselben  nicht  für  das  mittelgriechische  Wörterbuch,  die 
geographische  Nomenklatur  und  den  griechischen  Volksglauben 
einiges  entnehmen  Hesse. 

Joannis  Canabutzae  etc.  in  Dionysiuna  Halicam.  commentarius,  ed.  pr.  Max.  Lehn- 
erdt,  Lipsiae.  bibl.  Teubn.  1890.  —  Eine  kurze  Inhaltsangabe  erschien  schon  in  Not.  et 
extr.  I  (1787)  538—541.  —  Handschriftliches  bei  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Hari.  4,  393.  — 
Ueber  die  Familie  der  Kanabutzes  berichtet  auf  grund  arcliivalischer  Forschungen  in  Chios 

6.  J.  Zolotas  in  der '^ExSeaig  xiay  x«r«  to  a^oXixoy  eiog  1888 — 1889  nenQayfiiyiov  iy  rolg 
iNHvoig  naiiEvir^^iotg  rijg  noXeoig  Xiov,  'F.y  Xtw   1889  S.  112  ff. 


17^ 


260  Byzantinische  Litteraturgescliichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

B.  Wörterbücher. 

126.  Doppelsprachige  Glossare.  Die  lebhaften  und  andauernden 
Kulturbeziehungen,  welche  seit  dem  3.  Jahrhundert  vor  Christus  den  grie- 
chischen Orient  mit  dem  lateinischen  Westen  verknüpften,  haben  ausser 
den  zahllosen  Uebersetzungen  auch  verschiedene  gelehrte  und  triviale 
Hilfsmittel  zur  Vermittelung  der  sprachlichen  Kenntnisse  hervorgerufen. 
Das  interessanteste  Zeugnis  dieser  praktischen  Studien  ist  der  Konver- 
sationsführer und  die  grammatisch-lexikalischen  Verzeichnisse  des  Pseudo- 
Dositheos.')  Ausserdem  sind  die  wertvollsten  Proben  der  bilinguen  lexi- 
kalischen Litteratur  das  lateinisch -griechische  Glossar  des  sogenannten 
Philoxenos  und  das  griechisch-lateinische  des  sogenannten  Kyrillos. 
Früher  wurde  das  erste  dieser  Wörterbücher  dem  oströmischen  Konsul 
Flavios  Theodoros  Philoxenos  (525  n.  Chr.)  zugeschrieben ;  es  ist  aber 
jetzt  völlig  sicher  erwiesen,  dass  nicht  nur  die  Identifizierung  des  Namens 
mit  dem  Konsul  Philoxenos,  sondern  die  Zuteilung  an  einen  Mann  dieses 
Namens  überhaupt  auf  einem  nichtigen  Grunde  beruht.  Wenn  nun  auch 
das  Wörterbuch  künftighin  als  anonymes  Werk  gehen  muss,  so  verliert 
es  dadurch  nichts  von  seinem  Werte.  Es  gehört  zu  den  besten  Glossaren, 
die  wir  haben,  und  ist  voll  seltener,  alter  Gelehrsamkeit,  die  allerdings 
vorzüglich  auf  das  Gebiet  des  Lateinischen  fällt.  Ueber  die  Entstell- 
ungszeit des  ausgezeichneten  Werkes  sind  wir,  nachdem  der  Name  Phi- 
loxenos fallen  musste,  ohne  einen  positiven  Anhalt;  aus  inneren  Gründen 
aber  ist  es  wahrscheinlich,  dass  der  Kern  des  Werkes  auf  das  zweite  oder 
dritte  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  zurückgeht.  Ebenso  wenig  als  dieses 
Glossar  mit  dem  Namen  des  Philoxenos  hat  das  griechisch-lateinische 
Glossar,  welches  H.  Stephanus  mit  der  rätselhaften  Ueberschrift:  In  cal 
quorundam  Cyrilli  scriptorum  inventum  edierte,  mit  einem  Kyrillos  zu 
thun.  Es  darf  auch  nicht  mit  jenem  rein  griechischen  Wörterbuch  ver- 
wechselt werden,  das  in  zahllosen  Handschriften  unter  dem  Namen  des 
Kyrillos,  Patriarchen  von  Alexandria,  überliefert  ist.  Auch  das 
Glossar  dieses  Pseudo-Kyrillos  geht  auf  alte  Zeit  zurück,  und  zwar 
macht  eine  Gaiusstelle  wahrscheinlich,  dass  die  uns  erhaltene  Form  des 
Werkes  nach  Marc  Aurel  und  vor  Justinian  entstand;  in  keinem  Falle  darf 
dasselbe  unter  Justinian  herabgerückt  werden.  >.  Namentlich  ist  zu  be- 
achten, dass  die  älteste  Handschrift  des  Werkes  dem  7.  Jahrhundert 
angehört  und  nach  dem  überzeugenden  Nachweise  Thompsons  auf  rinen 
opisthographen  Papyrus  zurückgeht. 

1.  Ausgaben:  Beide  Glossare  edierte  zuerst  H.  Stephanus,  («lossaria  duo  e  situ 
vetustatis  enita,  Paris  1573;  darnach  U.  Vulcanius,  I^ugd.  Bat.  IfiÜO;  endlich  mit  eigen- 
tümlicher  Vei'schnielzung  beider  zu  einem  grossen  doppelsprachigen  VVörterbuclie  Labl)aeu3, 
Paris  1679:  des  letzteren  Bearbeitung  wurde  noch  wiederliolt  im  Anhange  der  l.ondt>ner 
Ausgabe  des  Thesaurus  Henrici  Stephani.  London  LS'JG.  —  Die  erst»'  kritische,  mit 
einem  vollständigen  Apparate»  versehene  und  für  wissenschaftliche  Zwecke  allein  Itrauchbare 
Bearbeitung  gaben  (i.  (ioetz  und  (i.  (iundermann  im  Corpus  glossariorum  Latinorum 
vol.  II,  Lipsiae  \HHH.  Ueber  die  Zeit  und  die  Quellen  heikler  (ilossare  verspricht  der  erate 
Band  des  Corpus  gloss.   Lat.  nilhere  Aufschlüsse. 

2.  Hilfsmittel:    Uudorff,    l'eber   die  (ilossare  des  Philoxenus  und  Cyrillus,  Ab* 

•)  8.  W.  Christ,  Griech.  Litteraturgesch.^  S  Mi*. 


5.  Altertumswissenschaft.    B.  Wörterbücher.  (§  126—127.)  261 

handl.  der  Berliner  Akad.  d.  Wiss.  1865.  181 — 231  (366).  wo  besonders  die  juridischen 
Glossen  behandelt  sind.  —  Jos.  Klein,  Zu  den  Glossen  des  Philoxenus,  Rhein.  Mus.  24 
(1869)  289—302.  —  G.  L  o  e  w  e ,  Prodromus  corporis  gloss.  Latin.,  Lipsiae  1876  S.  180  flF. ;  210  S. 

127.  Suidas.  Unter  diesem  Namen  besitzen  wir  ein  grosses,  in 
mehreren  Handschriften  überliefertes  Wort-  und  Sachlexikon,  welches 
dm-ch  Fülle  und  Gelehrsamkeit  über  die  sonstige  byzantinische  Exzerpten- 
litteratur  hoch  emporragt  und  den  grossen  Sammelwerken  des  Konstantin 
Porphyrogennetos  würdig  zur  Seite  steht.  Leber  die  Person  des  Ver- 
fassers ist  nichts  bekannt,  selbst  sein  altthessalischer  Xame  [2ovtdag,  auch 
^ov6ac)  ist  etwas  problematisch;  doch  ist  es  wahrscheinlich,  dass  er  ein 
wissenschaftlicher  Thätigkeit  ergebener  Diener  der  Kiiche  war.  Dagegen 
ist  als  Abfassungszeit  des  Werkes  mit  Sicherheit  wenigstens  annäherungs- 
weise die  Mitte  des  10.  Jahrhunderts  dargethan;  976  muss  es  schon 
im  Gebrauche  gewesen  sein.  Der  älteste  Schriftsteller,  der  sich  auf  Suidas 
beruft,  ist  Eustathios  von  Thessalonike.  Eine  rege  Thätigkeit  wandte 
sich  dem  Suidas  mit  dem  Beginn  des  Wiederauflebens  der  klassischen 
Studien  zu;  besonders  waren  es  griechische  Gelehrte,  die  ihn  mehrfach 
exzerpierten,  soMakarios,  0  Michael  Apostolios  (für  seine  Sprichwörter), 
KonstantinLaskaris,  ein  Emmanuel  (wahrscheinlich  Chry soloras) .  Auch 
das  unter  dem  Xamen  der  Eudokia  gehende  Falsifikat  ist  ein  der  Huma- 
nistenzeit angehöriger  Auszug  aus  Suidas. 

Das  Werk  des  Suidas  ist  kein  eigentliches  Konversationslexikon  im 
modernen  Sinne;  es  ist  vielmehr  der  die  spätgriechische  und  byzantinische 
Zeit  beherrschende  grammatisch-philologische  Grundzug,  der  auch 
in  diesem  Werke  deutlich  zum  Ausdrucke  kommt,  d.  h.  es  ist  ein  gross- 
artiges Rüstzeug  für  die  grammatischen,  lexikalischen,  geschichtlichen  und 
litterarhistorischen  Bedürfnisse.  Es  steht  demnach  in  der  Mitte  zwischen 
den  Werken,  die  rein  lexikalisch-grammatisch-etymologisch  sind, 
d.  h.  nur  Wörter,  Formen  und  Ableitungen  enthalten,  und  unseren  mo- 
dernen Enzyklopädien  oder  Konversationslexika,  in  denen  die  rein  sach- 
liche Erklärung  vorherrscht.  In  den  grammatisch-etymologischen  Teilen 
hat  Suidas  denselben  Charakter  wie  die  rein  verbalen  Werke,  d.  h.  wie 
Harpokration  u.  a.,  die  er  auch  benützte.  Nach  dieser  Seite  hin  bietet  er 
also  nichts  besonders  Bemerkenswertes  oder  Auffallendes.  Von  höchster 
Wichtigkeit  und  in  der  jganzen  byzantinischen  Litteratur  einzig  dastehend 
ist  dagegen  die  Masse  der  ausführlichen  Sachartikel.  Sie  beziehen 
sich  auf  die  verschiedensten  Wissensgebiete,  wie  Philosophie,  Naturwissen- 
schaften, Geographie,  Geschichte  u.  s.  w.  Unter  allen  ragen  aber  durch 
ihren  unschätzbaren  Wert  die  litterarhistorischen  Artikel  hervor; 
sie  sind  der  Purpurmantel,  welcher  gar  viele  Schwächen  und  Sünden  der 
übrigen  Teile  zudeckt;  sie  machen  den  Suidas  zu  einem  der  wichtigsten 
Denkmäler  der  ganzen  byzantinischen  Zeit,  zu  einem  wenigstens  fragmen- 
tarischen Ersätze  für  zahllose  sonst  verlorene  Nachrichten  von  Autoren 
und  Werken.    Sie  sind  es  auch,  welche  die  Aufmerksamkeit  der  Philologen 


')  Macarii  hieromonachi  ecloge  e  lexico 
Suidae;  eine  Probe  von  Tittmann  ad  Zo- 
naram  I  S.  XCIV.    Damit  scheint  verwandt 


das  Etymologicum  des  Suidas,  welches  Vil- 
loison,  Anecdota  Gr.  II  250  beschreibt.  Vgl. 
M.  Schmidt,  Hesychii  lexicon  IV  S.  L. 


262  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

und  Litterarhistoriker  dem  Suidas  seit  Beginn  der  Humanistenzeit  zuge- 
wendet haben  und  sein  Werk  zu  einem  fast  unentbehrlichen  Hilfsmittel 
für  jeden  selbständig  wissenschaftlich  arbeitenden  Gräzisten  machen.  Fast 
sämtliche  neuere  Monographien  über  Suidas  beziehen  sich  demgemäss  auf 
seine  biographischen  und  litterarhistorischen  Notizen. 

Was  die  Form  des  Werkes  betriflFt,  so  sind  die  einzelnen  Artikel 
nicht  nach  dem  jetzt  gewöhnlichen  alphabetischen  Prinzip,  sondern  nach 
dem  damals  und  schon  früher  üblichen  System  der  sogenannten  Anti- 
stoechie  geordnet.  Die  antistoechische  Ordnung  unterbricht  das  gewöhn- 
liche Alphabet  durch  Zusammenstellung  der  Buchstaben  und  Buchstaben- 
verbindungen (Vokale  und  Diphthonge)  gleichen  Lautes;  so  folgt  z.  B. 
ai  nicht  auf  cc,  sondern  nach  dem  <f,  weil  es  mit  dem  gleichlautenden  e 
zusammengestellt  wird;  auf  C  folgen  «,  r^,  i,  weil  sie  alle  I  lauten;  ebenso 
steht  0)  nach  o  u.  s.  w.  Dasselbe  Prinzip  gilt  dann  auch  für  den  zweiton 
und  dritten  Buchstaben  der  Wörter,  so  dass  also  die  Artikel  nach  dem 
Schema  na;  nctv:  Tiai,  ne;  Titi,  ni],  ni  zu  suchen  sind.  Die  Verdoppelung 
der  Buchstaben,  besonders  der  Liquida,  wird  bei  diesem  Prinzip  nicht 
berücksichtigt.  Mit  dieser  uns  ungewohnten,  aber  im  Grunde  doch  sehr 
einfachen  Anordnung  konnten  sich  selbst  Gelehrte  nicht  recht  befreunden, 
weshalb  Gaisford  das  Auffinden  der  Glossen  durch  einen  Glossenindex, 
Bekker  sogar  ganz  unverständigerweise  durch  eine  vollständige  Um- 
arbeitung des  Lexikons  zu  erleichtern  suchte.') 

Bei  einem  Werke,  welches  so  völlig  aus  fremdem  Material  zusammen- 
gebaut ist  und  dessen  einziger  Wert  auf  diesem  fremden  Material  beruht, 
ist  die  Frage  nach  den  benützten  Quellen  wichtiger  als  jede  andere.  Dit 
Quellenforschung  des  Suidas  gehört  nun  freilich  zu  den  allerschwicrigstcn 
philologischen  Arbeiten,  die  nur  mit  gereifter  Erfahrung  durchgeführt  und 
zu  einem  nennenswerten  Besultate  gebracht  werden  können.  Die  Schwierig- 
keit liegt  hauptsächlich  darin,  dass  es  nicht  auf  die  Entdeckung  der  älte- 
sten, sondern  der  jüngsten  d.  h.  der  direkten  Quellen  ankommt.  Die 
strenge  Scheidung  zwischen  den  unmittelbaren,  von  Suidas  selbst  benutzten 
Vorlagen  und  jenen  Quellen,  aus  welchen  diese  Vorlagen  unmittelbar  oder 
wiederum  mittelbar  geflossen  sind,  muss  für  die  gesamte  Untersuchung' 
das  leitende  Prinzip  bilden.  Eine  erschöpfende  und  jedem  Ansprüche  ge- 
nügende Darlegung  der  Fragen,  welche  sich  auf  den  Stammbaum,  die 
ursprünglichste  Form  und  die  Glaubwürdigkeit  der  einzelnen  Artikel 
beziehen,  würde  zu  einem  langwierigen  Forschungsgange  durch  die  ab- 
gelegensten Gegenden  der  gesamten  altgriechischen  Litteratur.  Auf  die 
Erreichung  .so  ferner  Ziele  muss  in  einem  Abrisse  der  byzantinischen 
Litteratur  aus  inneren  und  äusseren  Gründen  verzichtet  werden.  Hier 
kann  vornehmlich  nur  die  eine  Frage  in  Betracht  kommen,  welche  Quellen 
Suidas  selbst  benützt  hat,  mit  andeien  Worten,  woraus  sich  seine  Privat- 
bibliothek zusammensetzte.  Zuerst  nuiss  noch  ausdrücklich  betont  werden, 
dass  trotz  der  eingehenden  Untersuchungen  Bernhardys  und  vieler  neueren 
Gelehrten   für   eine  Reihe  von  Fragen   nicht  einmal  jener  relative  Grad 

')  Das  System  der  Antistoechie  ist  Ubri-       folgt,    nämlich   in  dem  bayeris.lioo  Wörtor- 
gens  auch   in   einem   deutschen  Werke   be-      buche  von  Seh  melier. 


5.  AltertumsTnssenschaft.    B.  Wörterbücher.   (§  127.)  263 

von  Sicherheit,  bei  dem  man  sich  in  solchen  Dingen  zu  beruhigen  pflegt, 
wirklich  erreicht  worden  ist.  Ein  Hauptresultat  aber  hat  sich  aus  den 
neuesten  Forschungen  immer  deutlicher  ergeben,  die  Thatsache,  dass  die 
Vielheit  von  Autoren,  die  man  früher  als  Quellen  des  Suidas  annahm, 
immer  mehr  beschränkt  wird,  d.  h.  dass  manche  Werke,  die  man  einst 
für  direkte  Quellen  des  Suidas  hielt,  jetzt  nur  mehr  als  indirekte 
gelten  können.  Die  wichtigsten  Quellen  des  Suidas  sind  im  allgemeinen 
Lexica,  Scholiensammlungen,  Historiker  (wahrscheinlich  meist  in 
verlorenen  Teilen  des  konstantinischen  Exzerptenwerkes)  und  vor  allem 
das  grosse  Werk  des  Hesychios  Milesios.  Des  Näheren  erkennen  wir 
folgendes : 

1.  Von  Wörterbüchern  benützte  Suidas  den  Harpokration  in  der 
kürzeren  Fassung,  jedoch  in  einem  besseren  Codex,  als  Photios,  hatte;  das 
Lexikon  des  Helladios,  dem  er  seine  auf  Phrynichos  zurückgehenden 
Artikel  verdankt;  vielleicht  das  Lexikon  des  Eudemos  und  zwar  in  einer 
besseren  Redaktion,  als  sie  uns  im  cod.  Parisinus  vorliegt;  endlich  Glossen 
zu  Herodot,  juristische  und  theologische  Glossen.  Xichts  Genaueres 
wissen  wir  über  die  Benützung  sonstiger  Wörterbücher,  wie  syntakti- 
scher Lexika,  der  Werke  des  Aelios  Dionysios  und  Pausanias  u.  s.  w. 
Die  starke  Uebereinstimmung  mit  dem  Lexikon  des  Photios  scheint 
nicht,  wie  Bernhardy,  Cobet,  Naber  u.  a.  annahmen,  auf  Benützung  des 
Photios  selbst,  sondern  grösstenteils  auf  Verwertung  gemeinsamer 
Quellen  zurückzugehen.  2.  Scholiensammlungen  und  zwar  besonders 
vier:  nämlich  die  Scholien  des  Symmachos  und  Phaeinos  zu  Aristophanes 
in  einem  vollständigeren  Exemplare,  so  dass  seine  Exzerpte  neben  dem 
Ravennas  und  Venetus  den  Wert  eines  dritten  Codex  haben;  die  zu  Sopho- 
kles (besonders  zu  OC.  OT.  Ai.)  in  einer  dem  Laurentianus  sehr  ähnlichen 
Redaktion;  die  homerischen  in  einer  mehr  dem  Venetus  B  als  dem 
Venetus  A  gleichenden  Fassung ;  endlich  die  älteren  und  besseren  Scholien 
zu  Thukydides.  3.  Nach  den  grammatischen  Partien  kommen  in  Be- 
tracht die  weit-  und  kirchengeschichtlichen  Artikel,  bei  welchen 
die  Feststellung  der  direkten  Quellen  noch  grössere  Schwierigkeiten  bietet. 
Sie  weisen  zwar  auf  zahlreiche  ältere  Autoren  zurück,  auf  Polybios, 
Josephos,  Eutrops  Breviarium  in  der  griechischen  L  ebersetzung  des  Kapi- 
ton,  Johannes  von  Antiochia,  Prokopios,  Theophylaktos  Simokattes,  Malalas, 
die  Osterchronik,  Georgios  Synkellos,  Nikephoros  Patriarches,  Georgios 
Monachos  u.  a.  Allein  bei  dem  lückenhaften  Zustande  unserer  L^eber- 
lieferung  ist  es  kaum  möglich,  im  einzelnen  festzustellen,  welche  Autoren 
Suidas  für  seine  geschichtlichen  Nachrichten  selbst  benützt  hat.  Zur  Ge- 
winnung eines  sicheren  Standpunktes  jnüssen  wir  bedenken,  dass  die  histo- 
rischen Artikel  des  Suidas  so  gut  wie  nichts  enthalten,  was  wir  nicht  auch 
anderswoher  wüssten,  also  meist  nui*  triviale  Dinge;  wir  müssen  ferner 
erwägen,  dass  Suidas  nicht  etwa  eine  vollständige  historische  Enzyklopädie 
abfassen  wollte,  sondern  nur  ein  bequemes  alphabetisches  Namensregister 
der  Personen,  an  welche  sich  die  Hauptmomente  der  Universalgeschichte 
knüpfen.  Nimmt  man  dazu  noch  die  allgemeine  und  fast  ausnahmelose 
Abneigung   der   Byzantiner    gegen   umfassende    historische   Quellenstudien 


264  Byzautiniscbe  Litteratargeschichte.    I.  Prosaische  Litteratar. 

und  erinnert  man  sich,  dass  selbst  Gesehiclitschreiber  von  Fach  ihre  Werke, 
an  die  man  doch  höhere  Anforderungen  stellen  musste  als  an  ein  Lexikon, 
fast  durchweg  aus  den  bequemsten,  zunächstliegenden  Quellen  kompi- 
lierten, ein  Verfahren,  an  dem  niemand  einen  Anstoss  nahm:  so  werden 
wir  es  höchst  wahrscheinlich  finden,  dass  auch  Suidas  trotz  seiner  von 
niemand  bezweifelten  Belesenheit  für  die  historischen  Artikel  jenen  be- 
quemen Weg  der  Kompilation  einschlug,  der  längst  vor  ihm  sanktioniert 
war.  Nachdem  feststeht,  dass  Suidas  in  sehr  vielen  Artikeln  mit  Johannes 
Antiochenos  übereinstimmt,  kann  die  Bestimmung  jener  Haupt  quelle  für 
die  historischen  Artikel  nicht  zweifelhaft  bleiben:  es  ist  das  grosse,  kurz 
vor  Suidas  entstandene  Exzerptenwerk  des  Konstantin  Porphyro- 
gennetos.  Hier  fand  er  auch  die  Exzerpte  aus  Johannes  Antiochenos, 
welchem  er  namentlich  die  auf  römische  Geschichte  bezüglichen  Artikel 
zu  verdanken  scheint.  Für  die  christlich-byzantinische  Zeit,  für  welche 
die  konstantinischen  Exzerpte  wohl  nicht  mehr  ausreichten,  benützte  Suidas, 
wie  C.  de  ßoor  nachgewiesen  "liat,  vor  allem  die  Chronik  des  Georgios 
Monachos,  freilich  nicht  in  der  von  Muralt  edierten  Ueberarbeitung, 
sondern  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt.  Georgios  hat  dem  Suidas  mehr 
Stoff  geliefert  als  irgend  ein  anderer  seiner  historischen  Gewährsmänner. 
Demnach  reduzieren  sich  die  Quellen  der  historischen  Artikel  des  Suidas 
auf  zwei  Hauptstücke,  nämlich  für  die  ältere  Zeit  auf  die  konstan- 
tinische Enzyklopädie,  für  die  byzantinische  Epoche  auf  die  landläufigen 
Chroniken  der  Byzantiner,  vor  allem  Georgios  Monachos.  4.  Wie  im 
Werke  des  Suidas  die  litterarhistorischen  Notizen  als  die  eigentlichen 
Goldkörner  erkannt  werden,  so  steht  natürlich  auch  bei  der  Quellenuntei- 
suchung  die  Frage  über  die  Herkunft  dieser  Teile  an  Wichtigkeit  obenan. 
Sicher  wissen  wir  hier  fast  nur  das  eine,  dass  die  Hauptquelle  in  dem 
grossen  und  gelehrten  'OvoixaToXöyoc  dos  Hesychios  Milesios  zu  suchen 
ist  und  dass  Suidas  dieses  Werk  in  einem  vollständigen  Exemplar  benützte. 
Da  nun  das  Werk  des  Hesychios  verloren  ist,  wird  man  niemals  zur  Evi- 
denz erweisen  können,  welche  Nachrichten  Suidas  nicht  aus  ihm.  sondern 
aus  anderen  Hilfsmitteln  schöpfte.  Jedenfalls  aber  ist  auch  bezüglich  der 
litterarhistorischen  Notizen  wahrscheinlich,  dass  Suidas  nicht  allzu  schwie- 
rige und  zeitraubende  Quellenstudien  machte.  Noch  mehr  als  bei  anderen 
Abschnitten  laufen  wir  hier  Gefahr,  als  Quellen  des  Suidas  Werke  anzu- 
sehen, die  nur  Quellen  des  Hesychios  sind.  Doch  scheint  Suidas  be- 
sonders die  Notizen  über  die  Komiker  aus  Athenaeos  selbst  ergänzt  zu 
haben,  wobei  er  auch  die  ersten  zwei  Bücher  nicht  in  der  heute  allein 
erhaltenen  Epitome  benützte,  sondern  in  der  vollständigen  Fassung. 
wie  sie  für  die  übrigen  dreizehn  Bücher  in  der  venezianischen  Handscliritl 
vorliegt.  Dagegen  hat  er  das  mächtige  Werk  des  Philon  von  Byblos 
schwerlich  selbst  in  der  Hand  gehabt.  Die  Notizen  über  Heilige  und 
Ketzer  scheint  or  nicht  aus  den  Kirchonschriftstellern  wie  Sokratos,  Philo- 
storgios  u.  8.  w.  selbst,  sondern  wiederum  nur  aus  Georgios  Monachos 
geschöpft  zu  haben.  Das  einzige  Werk  der  patristischen  Litteratur,  welches 
wir  aus  der  von  Suidas  benützten  Bibliothek  nicht  auszuscheiden  vormögen, 
ist  Theodorets  Psalmcnkommontar. 


5.  Altertumswissenschaft.    B.  Wörterbücher.   (§  127.)  265 

Ausser  diesen  eigentlichen  Quellen,  in  welchen  Suidas  seinen  Stoff 
schon  verarbeitet  fand,  ist  seine  sonstige  selbständige  Lektüre  zu  be- 
achten, als  deren  Frucht  vielleicht  mehr  als  die  Hälfte  seines  Glossen- 
schatzes angesehen  werden  muss.  Die  Belesenheit  des  Suidas  darf  für  seine 
Zeit  eine  sehr  umfangreiche  heissen.  Sie  umfasste  (von  den  oben  ge- 
nannten Wörterbüchern  und  Sammelwerken  natürlich  abgesehen):  1.  Von 
Dichtern:  Homer,  Hesiod,  Pindar,  Sophokles,  Aristophanes,  Babrios,  Geor- 
gios  Pisides  (bezeichnenderweise  sein  Lieblingsautor)  und  die  Anthologie. 
2.  Von  Pro fanhis torikern:  Herodot,  Thukydides  (mit  dem  an  sechs 
Stellen  zitierten  Biographen  Markellinos),  Xenophon  (Anabasis),  Polybios, 
Joseph,  Arrian,  Prokop,  Agathias,  Theophylaktos,  aber  das  Meiste  wohl 
nur  in  der  konstantinischen  Enzyklopädie;  von  Kirchenschriftstellern: 
sicher  nur  Theodoret:  vielleicht  auch  den  Basilios,  Sokrates,  Gregor  von 
Nazianz,  Johannes  Chrysostomos  u.  a.,  wenn  nicht  statt  derselben  einfach 
durchaus  Georgios  Monachos  zu  setzen  ist,  worüber  man  jetzt,  da  die 
ursprüngliche  Fassung  dieses  Werkes  noch  nicht  ediert  ist,  unmöglich 
sicher  urteilen  kann.  3.  Philosophen  und  Sophisten:  Diogenes  Laertios, 
Johannes  Philoponos,  Alexander  von  Aphrodisias,  M.  Antoninus,  Marinos, 
Jamblichos,  Philostratos,  Damaskios,  Artemidoros.  4.  Darsteller  ver- 
schiedener Stoffe  wie  Synesios,  Julian,  Aelian.  Lukian.  5.  VonAeschy- 
los  scheint  Suidas  kaum  die  drei  in  Byzanz  vornehmlich  gelesenen  Stücke 
beachtet  zu  haben:  auch  die  Belegstellen  aus  Euripides,  aus  verlorenen 
Komikern  (Menander)  und  den  alexandrinischen  Dichtern  (Kallima- 
chos,  Xikander)  verdankt  er  nicht  seiner  eigenen  Lektüre,  sondern  sekun- 
dären Quellen  d.  h.  Glossaren,  rhetorischen  Wörterbüchern,  Attizisten  und 
Antiattizisten.  Solchen  Quellen  entnahm  er  auch  die  Zitate  aus  Antiphon, 
Isaeos.  Lykurgos,  Hyperides.  Die  Anführung  des  Lysias,  Demosthenes  und 
besonders  des  Isokrates  geht  wohl  grösstenteils  auf  syntaktische  Lexika 
zurück.   Die  Geographen  (Strabon)  scheint  er  ganz  vernachlässigt  zu  haben. 

Zur  richtigen  Beurteilung  des  Umfanges  dieser  Lektüre  muss  jedoch 
noch  einmal  betont  werden,  dass  er  einen  grossen  Teil  der  Werke  nicht 
im  Original,  sondern  durch  Vermittelung  der  verschiedenen  Sammlungen 
des  Konstantin  Porphyrogennetos  kennen  lernte.  Solchen  Ursprung 
hat  wohl  das  Meiste  aus  Polybios,  Diodor,  Xikolaos  von  Damaskos,  Dio- 
nysios  von  Halikarnass,  Eunapios  und  den  kleinen  Historikern  wie  Priskos, 
Malchos,  Menander  Protektor:  endlich  aus  Johannes  Antiochenos  und  wohl 
auch  aus  Joseph,  Dio  Cassius  und  Appian.  Auch  hat  er  die  genannten 
Autoren  nicht  mit  gleicher  Genauigkeit  durchgenommen.  Noch  weniger 
war  es  seine  Absicht,  von  ihren  Eigentümlichkeiten  ein  vollständiges  und 
erschöpfendes  Verzeichnis  zu  geben:  aber  immerhin  hat  er  sie  oder 
wenigstens  Stücke  aus  ihnen  mit  der  Feder  in  der  Hand  durchgegangen. 
Warum  hat  nun  Suidas  ausser  den  Wörterbüchern  für  seine  Glossen  auch 
noch  die  genannten  Autoren  selbst  beigezogen ?  Warum  hat  er  sich 
für  den  rein  grammatischen,  verbalen  und  etymologischen  Teil  nicht  auf 
die  grossen  schon  vorhandenen  gelehrten  Wörterbücher  beschränkt?  Die 
Antwort  auf  diese  Frage  ist  leicht  zu  geben:  Die  Attizisten  und  Lexiko- 
'^•aphen  beschränkten   sich,    ihrem   besonderen  Zwecke  gemäss,   auf  einen 


■ 


266  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

kleinen  Kreis  von  Autoren  und  auf  eine  massige  Zahl  von  Belegen.  Suidas 
aber  wollte  in  seinem  Werke  alle  Gattungen  der  Litteratur  und  alle 
Jahrhunderte  umfassen;  für  diesen  Zweck  konnten  die  vorhandenen 
Sammlungen  und  Glossare  allein  nicht  genügen.  Daher  vermehrte  er  die 
Exzerpte  aus  diesen  vielleicht  um  mehr  als  das  Doppelte  durch  die  Früchte 
seiner  eigenen  Lektüre,  freilich  ohne  rechte  Methode  und  namentlich  ohne 
historischen  Sinn.  Er  scheidet  weder  die  ältere  Sprache  von  der  späteren, 
noch  das  Seltene  vom  Gewöhnlichen,  noch  Prosa  von  Poesie;  nicht  einmal 
die  Namen  der  Gewährsmänner  verzeichnet  er  konsequent,  zum  grössten 
Aerger  der  neueren  Kritiker.  Am  deutlichsten  zeigt  sich  der  unmethodischc 
Sinn  in  seinem  Verfahren,  wo  er  mehrere  Glossen  zu  einem  Lemma 
fand;  statt  dieselben  in  einen  Artikel  zu  verarbeiten,  führt  er  sie  nach 
einander  auf,  ohne  auch  nur  die  etwa  vorhandenen  Widersprüche  zu  be- 
seitigen. Wäre  nur  wenigstens  diese  Arbeit  sauber  geschehen,  so  hätten 
wir  uns  nicht  zu  beklagen.  Wir  könnten  dann  die  verschiedenen  Notizen 
und  Nachrichten  selbst  kritisch  sichten;  leider  aber  sind  bei  dieser  Ver- 
einigung verschiedener  Glossen  die  einzelnen  Stücke  unglaublich  verwirrt, 
durch  Zusätze  vermehrt  und  durch  Weglassungen  verstümmelt  worden. 
Den  Gipfelpunkt  erreicht  die  Konfusion  in  biographischen  Notizen  über 
homonyme  Persönlichkeiten.  Es  lässt  sich  übrigens  schwer  entscheiden, 
inwieweit  an  all  der  Unklarheit  und  Verwirrung,  die  dem  Werke  jetzt 
anhaftet,  Suidas  selbst  schuld  ist  und  inwieweit  spätere  Hände  geschadet 
haben.  Als  sicher  kann  gelten,  dass  das  Werk  —  wie  es  bei  dem  Cha- 
rakter desselben  auch  wohl  verständlich  ist  —  durch  Interpolationen 
stark  verunstaltet  wurde;  ein  bedenkliches  Unternehmen  ist  es  aber,  den 
Umfang  der  Interpolation  genau  bestimmen  zu  wollen.  Selbst  Bernhardy 
ist  hier  zu  weit  gegangen  z.  B.  bezüglich  des  Athenaeos,  obschon 
sein  kritischer  Sinn  im  allgemeinen  die  Kennzeichen  der  Interpolation  im 
Suidas  richtig  festgestellt  hat.  Auf  Interpolation  gehen  z.  B.  sicher  zurück 
neue  Lemmata,  welche  fleissige  Leser  aus  wichtigen  Stellen  des  Wörtei- 
buches  selbst  schufen,  wobei  sie  denn  meist  (durch  Ci;it(,  i'ariv  fr  tw  u.  s.  w.) 
auf  die  Urstelle  zurückverwiesen;  natürlich  auch  Zusätze  aus  Autoren  einer 
späteren  Zeit  wie  Michael  Psellos  oder  aus  solchen,  die  Suidas  nachweis- 
lich nicht  benützte,  wie  Pausanias;  Glossen,  die  in  den  Haupthandschriften 
am  Rande  oder  nur  in  einer  derselben  stehen;  knappere  Paraphrasen 
längerer  Stellen  neben  dem  Originale  u.  s.  w.;  auch  Sentenzen  und  Sprich- 
wörter scheinen  vielfach  interpoliert,  obschon  hier  die  Entscheidung  im 
einzelnen  schwerer  fällt.  Bei  allen  Mängeln  ist  das  Wörterbuch  des  Suidas 
ein  grossartiges  Denkmal  gelehrten  Sammelfleisses  aus  einer  Zeit, 
in  welcher  im  ganzen  übrigen  Europa  die  gelehrten  Studien  fast  völlig 
darnieder  lagen,  ein  neuer  Beweis  dafür,  in  welchem  Umfange  Byzanz 
trotz  aller  inneren  und  äusseren  Stürme  die  Ueberreste  der  alten  Bildung 
erhielt  und  fortpflanzte. 

1.  Ausgaben:  Kd.  princep.s  von  Dcniot rios  Chalkondy los.  Modiolani  1499.  — 
lieber  die  folgenden  AuHgahen,  eine  Aldina,  die  von  l'ortiis.  Kuesterus  u.  s.  w.  s.  Hern- 
hanlys  Prolegomena  S.  9U  ff.  —  Jetxt  kommt  mir  in  Betracht :  Suidao  lexicon  etc.  ree. 
Thomas  (»aisford,  3  voll.,  Oxonii  IHIU.  Der  dritte  F^and  enthiilt  die  Vorrede  und  drei 
schöne  Indices.  —  Auch    diese  Leistung    wurde    weit  überholt   in:    Suidae  Icxicou  etc.  rec. 


5.  Altertumswissenschaft.    B.  Wörterbücher.   (§  127.)  267 

Godofredus  Bernhardy,  2  voll,  in  vier  Teilen,  Halis  et  Bnmsvigae  1834 — 1853,  eine 
der  grossartigsten  Leistungen  der  neueren  Philologie.  Der  erste  Band  enthält  die  grund- 
legenden vier  Commentationes  de  Suidae  lexico.  in  welchen  Person  und  Zeit  des 
Suidas,  die  Geschichte  seines  Werkes,  seine  Quellen,  die  handschriftliche  Ueberlieferung, 
die  Ausgaben  und  Beiträge  mit  scharfer  Kritik  besprochen  werden.  Den  kritischen  Apparat 
Gaisfords  hat  Bernhardy  in  umgearbeiteter  Form  ganz  aufgenommen,  die  erklärenden  Noten 
von  dem  alten  Ballaste  befreit  und  nur  das  wirklich  Wichtige  in  knappster  Form  wieder- 
gegeben; ziemlich  überflüssig  ist  die  lateinische  Uebersetzung,  welche  Bernhardy  auf 
Wunsch  des  Verlegers  beifügte.  —  Neben  diesem  Riesenwerke  hat  fast  nur  ein  patho- 
logisches Interesse  die  Ausgabe,  welche  kurz  nach  Abschluss  von  Bernhardy s  Werk 
unter  dem  Titel  erschien:  Suidae  lexicon  ex  recogn.  Imm.  Bekkeri,  Berolini,  G.  Reimer 
1854.  Durch  Weglassimg  des  kritischen  Apparates  und  der  lateinischen  Uebersetzung, 
Beschränkung  des  Kommentars  wie  der  Indices  und  ähnliche  Kunststücke  ist  hier  der 
ganze  Suidas  glücklich  in  einem  Bande  untergebracht,  freilich  so.  dass  für  den  Geletrten 
(und  wer  benützt  sonst  den  Suidas?)  die  Ausgabe  unbrauchbar  ist.  Die  vereinzelten  glück- 
lichen Emendationen  Bekkers,  die  in  einem  massigen  Aufsatze  hätten  untergebracht  werden 
können,  vermögen  an  dieser  Thatsache  nichts  zu  ändern. 

2.  Hilfsmittel:  Fabricius,  Bibl.  Graeca  ed.  Harl.  6,  389—595.  —  Die  sonstige 
ältere  Litteratur  ist  aufgezählt  von  Bernhardy,  Prolegomena  S.  96  S.  —  Hauptschrift: 
Die  aus  vier  Abhandlungen  bestehende  Einleitung  in  der  Ausgabe  von  Bernhardy,  vol.  II.  — 
Ausserdem:  Moritz  Schmidts  Rezension  der  Ausgaben  von  Bernhardy  und  Bekker,  Jahns 
Jahrb.  71  (1855)  469—500  imd  775 — 800.  —  Did.  Yolkmann,  De  Suidae  biographicis 
quaestiones  selectae,  Bonnae  1861 :  De  Suidae  biogr.  quaest.  alterae  in  den  Symbola  philo- 
logorum  Bonnensium  in  honorem  Fr.  Ritschelii  coUecta,  Lipsiae  1864 — 1867  S.  715—730; 
De  Suidae  biogr.  quaest.  novae,  Progr.  Schulpforta  1873;  —  Otto  Schneider,  De  Calli- 
machi  openim  tabula  quae  exstat  apud  Suidam,  Gotha  1862;  dann  wiederholt  und  erweitert 
in  seinen  Callimachea,  vol.  II  (Lipsiae  1873)  2 — 33.  —  C.  Wachsmuth,  De  fontibus, 
ex  quibus  Suidas  in  scriptorura  Graecorum  vitis  hauserit,  in  den  Symbola  philol.  Bonnens. 
in  honorem  Fr.  Ritschelii  collecta,  Lipsiae  1864—1867  S.  135  —  152.  —  A.  Naber,  Photii 
lexicon.  Proleg.  164—167.  —  Fr.  Nietzsche,  De  Laertii  Diogenis  fontibus,  Rhein.  Mus. 
24  (1869)  210  tf.  —  E.  Hiller,  Photios,  Suidas,  Apostolios,  Philologus  34  (1876)  226-234 
(über  Benützung  des  Photios  und  Suidas  durch  Apostolios  für  seine  Sprichwörtersamnüung.)  — 
Ueber  eine  zum  Teil  aus  älteren  Quellen,  zum  Teil  aus  Suidas  kompilierte  Sprichwörter- 
sammlimg  in  einer  Escurialhandschrift  handelt  Ch.  Graux,  Revue  de  philologie  2  (1878) 
219—237.  —  E.  Rohde,  re'yops  in  den  Biographica  des  Suidas,  Rhein.  Mus.  33  (1878) 
161  —  220  imd  638  f.  —  H.  Flach,  Untersuchungen  über  Eudokia  und  Suidas,  Leipzig  1879 
(betrifft  wesentlich  die  Echtheitsfrage  des  Violariimis  der  Eudokia).  —  A.  Daub,  De  Suidae 
biographicorum  origine  et  fide,  Jahns  Jahrb..  11.  Supplementb.  (1880)  401—490;  Studien 
zu  den  Biographica  des  Suidas,  Freiburg  i.  Br.  und  Tübingen  1882.  —  Guilelra.  Kausch, 
De  Sophoclis  fabularum  apud  Suidam  reliquiis,  Dissert.  Halle  1883.  —  G.  Fr.  Unger, 
Die  troische  Aera  des  Suidas.  Abhandl.  der  bayer.  Akad.  d.  Wiss.  I.  Cl..  17.  Band,  3.  Abteil. 
(1885)  S.  515—605.  Vgl.  die  Besprechung  von  L.  Cohn,  Berliner  philol.  Wochenschrift 
1886,  838-845.  —  C.  de  Boor,  Zu  Johannes  Antiochenus,  Hennes  20  (1885)  321—330 
und:  Die  Chronik  des  Georgios  Monachos  als  Quelle  des  Suidas,  Hermes  21  (1886)  1 — 26.  — 
P.  Roellig,  Quae  ratio  int«r  Photii  et  Suidae  lexica  intercedat.  Diss.  Halle  1887  =  Disser- 
tationes  philologicae  Halenses.  vol.  VTII  1  —  66.  Die  von  Roellig  bekämpfte  Ansicht,  dass 
Suidas  den  Photios  exzerpiert  habe,  vertraten  bes.  Cobet.  Mnemosyne  9  (1860)  399  ff.; 
411  ff.  und  Nah  er,  Photii  lexicon,  Proleg.  150  ff.:  164  fl".  —  G.  Kai  bei,  Athenaeus  und 
Suidas.  Hermes  22  (1887)  323—333.  —  Ueber  die  Quelle  des  Suidas  für  Kultusbeinamen 
der  Götter:  G.  Wentzel,  'ETiixXtjasig  &so)y  sive  de  deorum  cognominibus  etc.,  Diss.  Göt- 
tingen 1889  S.  3  ff.  —  Ew.  Bruhn.  Suidea,  Rhein.  Mus.  45  (1890)  273—283.  —  Die  weit 
zerstreuten  kleineren  Beiträge,  bes.  die  Emendationen  einzelner  Stellen  können  hier  nicht 
aufgezählt  werden.  Man  vgl.  Engelmanns  Bibl.  script.  class.  und  für  die  neueste  Zeit 
die  Bibliotheca  philologica  classica  von  Calvary.  —  Vgl.  Christ,  Griechische  Litteratur- 
geschichte-  §  572. 

3.  Ueber  einen  neuen  Suidascodex  des  13./14.  Jahrb.,   der  übrigens  wertlos  scheint, 
C.  Tisch endorf,    Notitia   editionis   codicis   biblion   Sinaitici,    Lipsiae   1860   S.  59  f.  — 

L  eher  einen  im  13.  Jahrb.  durch  den  Bischof  Robert  von  Lincoln  (f  1253)  veranlassten, 
nur  die  grösseren  historisch-biographischen  Artikel  umfassenden  lateinischen  Auszug 
des  Suidas  (Liber  Suda)  s.  Valentin  Rose.  Hennes  5  (1871)  155—158. 

4.  Der  Name  unseres  Lexikographen  ist  höchst  selt«n;  doch  gibt  es  einen  alten 
Historiker  Suidas,  der  bei  Strabo,  Stephanos  von  Byzanz  u.  a.  als  Verfasser  von  9ea- 
«akixii  zitiert  wird.  S.  G.  Bernhardys  Prolegom.  S.  27  und  C.  Müller.  Fragm.  bist. 
Gr.,  vol.  ü  (1848)  464  f. 


268  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

128.  Kyrillos.  Unter  dem  Namen  eines  Kyrillos,  Patriarchen  von 
Alexandria,  ist  in  zahllosen,  oft  völlig  voneinander  abweichenden  Hand- 
schriften ein  alphabetisches  Glossar  überliefert:  KvqiXXov  tov  «yrcoräroi' 
aQXi^rrtaxÖTTov  UXf^ar^Qfi'ag  It'^fcor  avvrtyo)yi]  xnifi  aioixtrTov.  Die  Frage, 
ob  dasselbe  wirklich  auf  den  Patriarchen  Kyrillos  aus  der  ersten  Hälfte 
des  5.  Jahrhunderts  zurückgeht,  ist  noch  ebenso  wenig  entschieden,  als  über- 
haupt die  Quellen  und  die  Verwandtschaft  des  Glossars  genügend  unter- 
sucht sind.  Den  Hauptbestandteil  bildet,  wie  es  scheint,  ein  altes  rhetori- 
sches Lexikon,  das  der  Verfasser  durch  Einschaltungen  aus  verschiedenen 
Glossaren  zu  Homer,  Euripides,  der  Bibel  und  anderen  Schriften  erweiterte. 
Von  Wichtigkeit  ist  die  Erkenntnis,  dass  das  Kyrillglossar  von  späteren 
Kedaktoren  in  das  Lexikon  des  Hesychios  hineingearbeitet  wurde.  Im 
übrigen  bedarf  die  Stellung  des  Kyrill  noch  der  Aufklärung.  In  der 
neueren  Litteratur  ist  dieses  rein  griechische  Glossar  zuweilen  mit 
dem  griechisch-lateinischen  Pseudo-Kyrillos  verwechselt 
worden  (s.  §  126).  Ueber  das  mit  Kyrill  verwandte  Lexikon  des  Zonaras 
s.  §  62. 

1.  Was  bis  jetzt  von  Drucken  vorliegt,  ist  elendes  und  nutzloses  Stückwerk;  es  sind 
nur  einzelne  Partien  und  auch  diese  nur  nach  einzelnen,  willkürlich  gewählten  Handschriften 
ediert,  so  dass  ein  gesichertes  Urteil  über  Kyrill  aus  der  Litteratur  überhaupt  noch  nicht 
zu  gewinnen  ist:  Ein  Stück  aus  einer  Moskauer  Handschrift  edierte  Chr.  Fr.  Matthaei 
in  den  Glossaria  Graeca  minora,  Mosquae  1774,  I  11  ff.  —  Aus  einem  cod.  Monacensis 
ediert*  die  Buchstaben  M  und  .V  B.  F.  Dozen  in  Aretins  Beiträgen  zur  Geschichte  und 
Litteratur  9  (1807)  1253  ff.  —  Dann  verwertete  Tittmann  die  Abschrift  von  Matthaeis 
Codex  für  seine  Ausgabe  des  Zonaras  I  S.  XCVII  —  CXIV.  —  Aus  Wiener  Handschriften 
gibt  Proben  des  Buchstabens -4  Barth.  Kopitar,  Hesychii  Glossographi  discipulus  et  ini- 
yXwaaiartjg  Russus,  Vindobonae  1839  S.  V — XXIV.  —  Aus  einem  Bodleianus  und  Baroc- 
cianus  ed.  Proben  A.  Cramer,  Anecdota  Parisina  4  (1841)  177 — 201.  —  Ueber  eine  Leidener 
Handschrift  und  ihre  Verwandtschaft  mit  den  Wiener  Codices  handelt  E.  Mehl  er,  De 
Cyrilli  archiepiscopi  Alexandrini  lexico  inedito,  Mnemosyne  3  (1854)  213 — 225  und  353 — 362. 
Die  von  Mehler  geplante  Ausgabe  des  Kyrill  kam  nicht  zu  stände.  —  Hesychii  Alexandrini 
lexicon  cd.  Maur.  Schmidt,  vol.  4  (Jenae  1862)  339—368  enthält  Exzerpte  des  Kyrilli- 
schen Lexikons  aus  Wiener,  Moskauer,  Leidener  u.  a.  Handschriften.  Vgl.  in  demselben  i 
Bande  S.  XLlll — LX  Schmidts  Abhandlung:  De  Cyrillo  Alexandrino,  Athanasio,  Eudemo  -s 
personato  et  Icxicis  Seguerianis,  wo  auch  die  Kyrillischen  Handschriften  beschrieben  und 
die  ältere  Litteratur  aufgezählt  wird;  zu  den  von  Schmidt  genannten  Codices  kommt  noch 
eine  freilich  schwer  zugängliche  Handschrift  in  der  Klosterbibliothek  von  Patmos.  —  Mit- 
teilungen aus  Kopenhagener  Handschriften  gab  Ch.  Graux,  Archives  des  missions  scienti-  j 
fiques  et  litt.  111  serie  t.  6  (1880)  198  ff.  —  Eine  Ausgabe  der  älteren  Kyrillglossare  wird 
vorbereitet  von  R.  Reitzenstein;  vorerst  s.  seine  Bemerkungen  im  Rhein.  Museum  43 
(1888)  458  ff. 

2.  Eine  Redaktion  des  Kyrill  steht  in  einer  Pariser  Handschrift  unter  dem  Titel: 
Tot?  eV  (tyioiq  TiuTQog  tjfxdiv^Ai^ ((vnalov  TiatQidQXov 'AXeittv^Qeiag  Xf'Sets  iQ,uf]»'f  (siel)  fif't'oi- 
Proben  bei  A.  Cramer,  Anecdota  Parisina  4  (1841)  201—215  und  im  Hesychius  ed.  V.. 
Schmidt,  vol.  4  S.  XLVll  ff. 

129.  Eudemos.  Eine  der  Hauptquellen  des  Suidas  war  angeblich  i 
ein  Lexikon  unter  dem  Namen  des  Eudemos;  dasselbe  war  nicht  nach 
dem  Prinzip  der  Antistoechie,  sondern  nach  dem  gewöhnlichen  Alphabet  ; 
geordnet.  Dei*  Verfa.sser  des  Lexikons  schwebt  in  der  Luft,  ähnlich  wie 
Philoxenos  und  Kyrillos;  wir  kennen  aus  Suidas  selbst  und  aus  Doxopatres 
einen  iHietor  Eudemos  aus  Argos  als  Verfasser  eines  Werkes:  NfQt  /.^'^nov 
^i^ioQixöir  und  eines  zweiten  (vielleicht  aber  mit  dem  ersten  identischen  ?) 
/U()i  ni)v  nagtt  loTg  (n^togai  ^tjiovf^iti'o)y.  Welcher  Zusammenhang  aber 
zwischen  jenen  alten  Werken  und  unserem  Lexikon  besteht,  ist  nicht  be- 


5.  Altertumswissenschaft.    B.  Wörterbücher.  (§  128—130.)  269 

kaimt.  M.  Schmidt*)  glaubt,  dass  das  Werk  jenes  alten  Eudemos, 
den  er  um  das  Jahr  13U  n.Chr.  setzt,  zwar  verloren  sei,  dass  aber  ein 
Auszug  daraus  (eine  ^vrayoiyr]  Xt^foiv  xQi^aiuon)  zeitig  mit  Nachträgen, 
namentlich  aus  Phrynichos  und  Pamphilos,  versehen  und  in  dieser  Gestalt 
in  vielen  Exemplaren  verbreitet  worden  sei.  Von  diesem  vollständigen 
Eudemos,  den  Suidas  benützt  haben  soll,  würden  dann  unsere  Eudemos- 
handschi'iften  (in  Paris,  Wien  und  Florenz)  Auszüge  oder  Bearbeitungen 
darstellen.  Genaueres  über  diese  höchst  verwickelten  Dinge  ist  erst  zu 
erwarten,  wenn  die  von  Boysen  in  Aussicht  gestellte  Ausgabe  des 
Eudemos  vorliegen  wird.  Gegenwärtig  ist  für  jemand,  der  die  Hand- 
schriften nicht  selbst  einsehen  kann,  ein  klares  Bild  nicht  zu  gewinnen, 
und  man  wäre  kaum  überrascht,  wenn  schliesslich  der  ganze  Eudemos 
sich  als  ein  interpoliertes  Exzerpt  aus  Kyrill,  Photios  und  Suidas  ent- 
puppen würde. 

Beschreibung  einer  Wiener  Handschrift  von  M.  Schmidt.  Sitzungsber.  d.  philos.- 
histor.  Cl.  der  Wiener  Akad.  d.  Wiss.  21  (1856)  288  f.  —  Vgl.  M.  Schmidt.  Jahns  Jahrb. 
71  (1850)  481—500  und  seinen  Hesychius,  vol.  4  S.  XLIX— LS.  —  Car.  Boysen,  De 
Harpocrationis  lexici  fontibus  quaestiones  selectae,  .Schriften  der  Univ.  Kiel.  23.  B.  1876, 
gibt  Proben  des  Eudemos  und  verspricht  eine  Ausgabe  desselben. 

130.  Die  Lexica  Segueriana  stehen  in  einer  ehemals  im  Besitze 
von  Seguier  befindlichen  Handschrift  des  1 1 .  Jahrhunderts,  welche  jetzt  in 
der  Pariser  Bibliothek  als  Coislinianus  345  registriert  ist.  Sie  enthält 
eine  Menge  lexikalischer  und  syntaktischer  Sammlungen,  welche  von  dem 
Umfange  der  grammatischen  Studien  in  Byzanz  im  10.  und  11.  Jahr- 
hundert ein  deutliches  Zeugnis  ablegen.  Den  Anfang  bildet:  \4noXkon(ov 
ao(fiaTov  Xt^ixov  xarä  aioixtiov  tj^c  'iXiudog  xut  'Odvaasictg.  Darauf  folgt 
ein  Exzerpt  Ex  twv  ^qvvi'xov  tov  'Jggaßfoü  xf^g  aotfiatixi^q  nQonuQuaxtvT^q, 
des  Timäos  Platolexikon.  ein  Lexikon  zu  Herodot,  Moeris.  zahlreiche  Samm- 
lungen von  '/.t'^tis;  aus  den  heiligen  Schriften,  Scholien  zur  Alexandra  des 
Lykophron,  eine  Reihe  syntaktischer  Exzerpte  und  endlich  jene  fünf  ano- 
nymen Stücke,  die  unter  dem  Namen  lexica  Segueriana  bekannt  sind. 
Vollständige  Inhaltsangabe  der  Handschrift  bei  Bachmann,  Anecd.  Gr., 
vol.  I  (1828)  V— X. 

An  1.  Stelle  edierte  Bekker  aus  dem  Coisl.  345  den  Phrynichos;  dann 
fünf  anonyme  Stücke,  nämlich  •  2. '^J//oc  uÄqdßt^Tog,  von  Ruhnken  'Arri- 
uTTixiaTi]z  betitelt  und  unter  diesem  Titel  von  I.  Bekker  herausgegeben, 
Anecdota  vol.  I  75 — 116.  Es  ist  eine  Sammlung  von  polemischen  Be- 
merkungen gegen  die  Regeln  der  Attizisten,  besonders  des  Phrynichos. 
Wie  weit  dieses  Werk  mit  der  aus  Suidas  bekannten  Schrift  des  Oros 
KuTu  (Pqvvi'xov  zusammenhängt,  ist  nicht  festzustellen.  3.  Ileol  awrä- 
^stog.  IIoTa  xoiv  Qi^^iärmv  yerixjj  xal  öoTixf^  xcu  ahiaTixJj  avvTctaaovTaiy 
eine  alphabetisch  geordnete  Syntax  der  Kasusrektion.  Sie  ist  von  Wert 
durch  die  Menge  der  zitierten  Belege  aus  Rednern  und  Historikern,  deren 
Ueihe  bis  auf  Prokop  von  Kaesarea  und  Petros  Patrikios  herabreicht.  Ed. 
von  I.  Bekker,  Anecd.  I  117 — 180.  4.  Jixwv  oröfiara  xuiu  uAtfäßr^ror. 
Ed.  von  I.  Bekker,  Anecd.  I  181 — 194.     5.    At'^sig  Qi^roQixai,  ein  Wort- 


')  Jahns  Jahrb.  71,  496. 


270  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    t.  Prosaische  Litteratnr. 

und  Sachlexikon  in  (allerdings  nicht  strenge  durchgeführter)  alphabetischer 
Ordnung,  wichtig  durch  zahlreiche  Notizen  über  griechische  Altertümer. 
Hauptquelle  war  ein  Rednerlexikon.  Ed.  von  I.  Bekker,  Anecd.  J  195 — 318. 
6.  ^vray^Y^]  Xt'^acov  xc^/O"/'/' w^'  *'<  6ia(fÖQ0)r  aoqoh'  le  xai  otjÖQMv  noX- 
Xüiv.  Dieses  umfangreiche  Wörterbuch  scheidet  sich  deutlich  in  zwei  ver- 
schieden gearbeitete  Teile,  von  welchen  der  eine,  sehr  reichhaltige  den 
Buchstaben  J,  der  andere,  dürftige  die  übrigen  Buchstaben  umfasst.  Der 
Kern  des  ganzen  Wörterbuches  geht  vielleicht  auf  das  Lexikon  des  Kyrill 
zurück.  Die  erwähnte  Ungleichheit  beruht  darauf,  dass  im  Buchstaben  A 
von  einem  Gelehrten  eine  bedeutende  Glossenmasse  aus  Phrynichos,  Aelios 
Dionysios,  Pausanias  u.  a.  eingeschaltet  wurde,  so  dass  jetzt  in  diesem 
Buchstaben  eine  doppelte  Glossenreihe  zu  bemerken  ist.  Dasselbe  Lexikon 
steht  auch  in  dem  älteren  Coislin.  347,  doch  ohne  die  erwähnte  doppelte 
Glossenschicht  in  Littera  A.  Bekker,  Anecd.  I  319 — 476  edierte  nur 
den  Buchstaben  A,  die  ganze  ^vray^Yii  edierte  in  seiner  dilettantenhaften 
Weise  L.  Bachmann,  Anecd.  Graeca  I  1 — 422.  —  Von  grösster  Wichtig- 
keit ist  natürlich  auch  bei  diesen  Wörterbüchern  die  Untersuchung  ihrer 
Quellen  und  ihrer  gegenseitigen  Verwandtschaft;  doch  hat  die  Forschung 
hier  noch  nicht  viel  gefördert,  und  aus  dem  flutenden  Chaos  von  Behaup- 
tungen, Widersprüchen,  Möglichkeiten  und  Vermutungen  treten  die  wirk- 
lich sicheren  Ergebnisse  nur  wenig  hervor. 

1.  Ausgabe  von  1.  Bekker,  Anecd.  Graeca,  vol.  I  (Beroliui  1814)  7ö — 476,  dazu 
annotatio  critica  im  vol.  III  (Berolini  1821)  1074  ff.  Das  6.  Stück  vollständig  von  L.  Bach- 
niann  (s.  den  Text).  —  Vgl.  Pliotii  lexicon  ed.  Naber,  Prolegomena  S.  95 — lOö;  127 — 164; 
173—184.  —  Hesychius  ed.  M.  Schmidt,  vol.  4  S.  XLIII  ff.  und  .Jahns  Jahrb.  71  (1855) 
482  ff.  —  Fr.  Ritschi,  Thom.  Magister,  Prolegom.  73;  77  und  De  Oro  et  Orione  43;  58 
u.  s.  w.  =  Opuscula  I  628;  646  u.  s.  w.  (s.  den  Index).  —  Car.  Boysen,  De  Harpocr. 
lex.  fontibus  (s.  S.  269).  —  L.  Cohn,  Untersuchungen  über  die  Quellen  der  Platoscholien, 
Jahns  Jahrbücher,  13.  Supplementb.  (1884)  813  ff.  —  C.  Z.  Boer,  De  tertio  lexico  Bekkcri, 
Diss.  Lugd.  Bat.  (mir  unzugänglich).  —  J.  Sicking,  Adnotationes  ad  Antiatticistani,  Am- 
stelodami  1883  (mir  unzugänglich).  —  P.  Roellig,  Quae  ratio  int«r  Photii  et  Suidae  lexica 
intercedat,  Halle  1887,  sowie  die  übrige  zu  Photios  und  Suidas  angeführte  Litteratur. 

2.  Zu  dem  lexic.  Seg.  ITsqI  avrTÜieois  vgl.  das  anonyme  Stück  lleQi  TJjg  rdy  ^»/,u«- 
Ttav  avyrdisMg  xard  rovg  TiitXmovs,  ed.  von  L.  Bachmann,  Anecdota  Gr.,  vol.  II  (1828) 
289 — 316  und  die  mit  Beispielen  aus  den  heiligen  Schriften  belegten,  alphabetisch  geord- 
neten syntaktischen  Regeln  bei  A.  Gramer,  Anecdota  Oxon..  vol.  4  (1837)  275 — 307  mit 
dem  wunderlichen  Titel:  •■<(?/»/  ovy  S^so)  rwi'  awrü^sioy  nun;  dfi'  öcpelXsiy  (!)  avyrdaaeiy 
riig  (njfinrixilg  kt'^eig  iy  ratg  tov  oyöfimog  miöaBai.  Wie  notwendig  solche  syntaktische 
Voi-schriften  für  die  dem  Leben  immer  mehr  entfremdete  byzantinische  Kunstgräzität  wurden, 
zeigt  die  unerhörte  Verwirrung  der  Kasusrektion,  wie  sie  sich  z.B.  in  der  Vita  Euthymii 
(s,  §  28)  breit  macht.  ■ 

3.  Weit  verbreitet  waren  im  Mittelalter  Wörterverzeichni.sse  zur  Krleichterung  des 
Verständnisses  der  hl.  Schriften  und  der  Kirchenlieder;  vielfach  wurden  diese  (tlossae 
sacrae  auch  in  profane  Wörterbücher  hineingearbeitet.  Ein  Verzeiclmis  von  Aeiftg  rijg 
öxraievxov  u.  s.  w.  bei  Bachmann,  Anecd.  Gr.  I,  Vll  f.;  ebenda  S.  450—459  ein  kleines, 
wertloses  Lexikon  zu  Kirchenliedern. 

4.  Eine  Art  von  Kommentar  zu  Dionysios  Tlirax  bildet  das  dUrftige  M^xoy  t^( 
yQafJLfinnxrjg  in  Bachmanns  Anecd.  Gr.  I  425—450.  Vgl.  Dionysii  Thracis  ara  gramm.  ed. 
G.  Uhlig,  Proleg.  S.  40. 

131.  Die  etymologischen  Lexika.  Kine  besondere  (Jruppo  bilden 
in  der  grammatischen  Litteratur  der  Byzantiner  einige  unter  sich  ver- 
wandte grö.ssere  und  kleinere  Wörterbücher,  welche  von  den  anderen  lexi- 
kalischen Werken  wie  dem  des  Fhotios,  Eudemos,  Zonaras  sich  vor  allem 
dadurch  unterscheiden,  dass  sie  neben  der  Erklärung  der  Wörter  die  Ab- 


5.  Altertumswissenschaft.    B.  Wörterbücher.   (§  131.)  271 

leitung  in  hervorragender  und  charakteristischer  Weise  berücksichtigen. 
Für  keinen  Teil  der  Grammatik  ist  die  vergleichende  Sprachwissenschaft 
so  unentbehrlich  wie  für  die  Etymologie:  daher  ist  es  nicht  zu  ver- 
wundern, dass  gerade  sie  die  schwächste  Seite  der  griechischen  Grammatik 
bildet.  Die  Byzantiner,  die  all  ihr  grammatisches  Wissen  aus  den  Alten 
schöpften,  haben  diese  Disziplin  nicht  gehoben,  vielmehr  noch  vergröbert 
und  verwässert.  Infolgedessen  ist  die  Etymologie,  die  uns  in  den  ge- 
nannten Lexika  geboten  wird,  ein  wahres  Zerrbild  der  heutigen  Wissen- 
schaft dieses  Namens.  Bezeichnend  für  die  Unsicherheit  der  byzantinischen 
Etymologen  ist  es  namentlich,  dass  sie  sich  selten  mit  einer  Ableitung 
zufrieden  geben,  sondern  daneben  noch  eine  zweite,  dritte,  vierte,  fünfte, 
sechste  zur  gefälligen  Auswahl  vorlegen.  Als  Beispiel  diene  der  erste 
Artikel  des  Etymologicum  Magnum:  AXqa  t6  üioi^tTov,  naoa  tu  a^qw  t6 
evQiaxo)  •  TTQÖivov  yuo  roir  u).'ku)Y  aroiXiiuiY  iVQäO-i].  'H  und  rov  xavu  unoißac 
nokiTtvea^cei  •  ct),(ftiv  yuo  t6  ditei'ßfir.  Eine  wahre  Musterkarte  von  Ein- 
fällen enthält  u.  a.  der  Artikel:  'AvO^ocottoc.  Ilaou  t6  aroj  ^otTv  ijovv 
avw  ßXinetr  •  iioro;  yao  räv  aXXoov  ^(öo)i'  ö  cci^oMiiog  dv(o  ßkeTiet.    ^H  nuQtt 

t6  ceraS^ofTr    a  oTKiintv,    rjovv  avaJ.oyi^fff^ai    u    tidf   xai   Yxovas 'H 

naqd  t6  Soöj,  xo  ßXtTroj,  uvdownoQ  xai  uv^oo^noc.  H  naou  t6  aro)  otTTfir, 
ttvtÖQOTiög  Tig  wV  u.  s.  w.  Die  Ordnung  dieser  Lexika  ist  die  gewöhnliche 
alphabetische,  nicht  die  antistoechische :  doch  ist  die  Reihenfolge  nicht 
streng  eingehalten  und  bald  mehr,  bald  weniger  verwirrt.  Bisher  sind 
folgende  Vertreter  dieser  Gattung  bzw.  folgende  Redaktionen  bekannt  ge- 
worden: 1.  Das  sogenannte  Etymologicum  Magnum,  'EriHioJ.oyixov  niya 
xav  cü.ifüßijov.  2.  Das  Etymologicum  Gudianum,  so  genannt,  weil 
es  in  einer  ehemals  dem  Gudius  gehörigen  Handschrift  in  Wolfenbüttel 
erhalten  ist.  3.  Das  Etymologicum  Angelicanum  in  einer  selu-  ver- 
dorbenen Handschrift  der  angelikanischen  Bibliothek  in  Rom,  nahe  ver- 
wandt mit  dem  Gudianum.  4.  Das  Etymologicum  Florentinum  in  einer 
Handschrift  der  bibliotheca  Laurentiana.  5.  Das  „Etymologicum  Flo- 
rentinum parvum"  in  derselben  Florentiner  Handschrift.  Es  zeigt  grosse 
Verwandtschaft  mit  dem  Gudianum. 

Nachdem  dieser  handschriftliche  Thatbestand  in  grossen  Zwischen- 
räumen allmählich  ans  Licht  gezogen  war,  erhob  sich  hier  wie  in  der  ge- 
samten grammatischen  Litteratur  der  Byzantiner  die  Forderung,  das  diplo- 
matische und  genealogische  Verhältnis  dieser  Werke,  die  offenbar 
alle  unter  sich  verwandt  sind,  näher  zu  bestimmen  und  die  Originalwerke 
herauszuschälen.  Die  neueren  Untersuchungen  ergaben  hierüber  folgendes: 
Das  unter  dem  Namen  Etymologicum  Magnum  gehende  Werk 
trägt  diesen  Namen  mit  L^nrecht;  er  ist  ihm  willkürlich  vom  ersten 
Herausgeber  Kalliergis  beigelegt,  der,  um  dies  zu  verbergen,  sogar  einige 
Quellenangaben  im  Werke  änderte.  In  Wahrheit  wird  nämlich  als  Haupt- 
quelle ein  'EivjiwXoyixdy  fit'ya  und  ein  'Ervfio/.oyixor  aX/.o,  neben  diesen 
das  ^/.atijfJ^fn-Lexikon  und  eine  Sammlung  ^Emiitoiaiioi  genannt.  Sowohl 
dieses  echte  'ErvnoXoyixov  tu'ya,  als  das  ^ETviioXoyixav  ciXXo  sind,  wie 
R.  Reitzenstein  nachgewiesen  hat,  gesondert  erhalten;  das  ^Et.  iitya 
steht   in   zwei  Handschriften,   in   dem   von   Reitzenstein  gefundenen  Vati- 


272  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratur. 

caniis  Gr.  1818  (suec.  X)  und  im  Florent.  S.  Marci  ;U)4  (saec.  X),  aus 
welchem  E.  Miller  dasselbe  als  Etymologicum  Florentinum  veröffentlicht 
hat;  das  'Er.  alko  ist  in  sehr  vielen  Handschriften  aufbewahrt;  bisher 
ist  aber  nur  ein  Auszug  desselben  gedruckt,  das  Etymologicum  Gudianum. 
Das  sogenannte  Etymologicum  Magnum  entstand  wahrscheinlich 
im  10.  Jahrhundert,  um  die  Zeit,  in  welcher  durch  die  Anregungen  des 
Konstantin  Porphyrogennetos  solche  Sammlungen  im  grösseren  Stile  be- 
liebt wurden  und  auch  Suidas  sein  Lexikon  abfasste.')  Als  Quellen  des 
sogenannten  Etymologicum  Magnum  bzw.  seiner  zwei  Hauptbestandteile, 
des  'Et.  fit'ya  und  des  'Er.  aXXo,  ergeben  sich  das  hauptsächlich  aus  Homer- 
epimerismen  gezogene  Werk  des  Methodios,  das  auch  in  dem  sogenannten 
Ai fiMSeTr-hexikon  {aif.i(o6Hr  bis  aaMirög),  sowie  in  den  von  Gramer,  Anccd. 
Oxon.  vol.  I.,  herausgegebenen  'Enif^ieQianoi  io\.  71  'Ae\  bis  fol.  85,  19  'Aa(fd- 
Quyoc  verarbeitet  ist,'^)  rhetorische  Lexika  wie  Aelios  Dionysios  und 
Pausanias,^)  Diogenianos,  Orion,  Oros,  Schollen  zu  Homer,  Hesiod 
und  anderen  Dichtern.  Ferner  dienten  als  Vorlagen  des  Aristonikos 
Buch  UfQi  'AQiarÜQxov  ar^fieiwr  ^O/nr^Qov,  die  Grammatiker  Herodianos, 
Choiroboskos  und  Theognostos,  des  Zenobios  Kommentar  zum  ^Pijfia- 
tixov  des  Apollonios,  der  das  Apollonianische  Gut  vermittelte;  vielleicht 
sind  auch  noch  andere  Kommentare  des  Zenobios  zu  Apollonios  als  Quellen 
anzunehmen.  Die  grösste  Schwierigkeit  der  Untersuchung  liegt  wi^  bei 
Photios  und  Suidas  in  der  Unterscheidung  mittelbarer  und  unmittelbarer 
Benützung  der  erkennbaren  Quellen,  und  es  ist  wohl  zu  erwarten,  dass 
durch  weitere  Forschung  die  vermeintliche  Mannigfaltigkeit  direkter  Vor- 
lagen auch  hier  noch  bedeutend  zusammenschrumpfen  wird. 

1.  Ausgaben:  Das  sogenannte  Etymologicum  Magnum:  Ed.  pr.  M.  Musuitis 
opera  Zach.  Calliergis,  Venetiae  1499.  Eine  genaue  Beschreibung  dieser  Ausgabe  gibt 
E.  Legrand,  Bibliographie  hellenique  I  5.5  ff.  —  Ed.  Aldus,  Venetiae  1.549.  —  Ed.  Fr. 
Sylburg,  Heidelberg  1594  (tüchtige  Leistung).  —  Ed.  H.  Schaefer,  Leipzig  1816  (nur 
verbesserter  Abdruck  der  Ausgabe  Sylburgs).  —  .Jetzt  ist  nur  zu  benutzen :  Etj'mologicum 
Magnum  etc.  ad  codd.  niss.  recensuit  et  notis  variorum  instruxit  Thomas  Gaisford. 
Oxonii  1848  (mit  einem  Autoren-,  Wort-  und  Sachindex).  —  Jltymol.  Gudianum:  Ed. 
Fr.  G.  Sturz,  Lipsiae  1818  (blos.ser  Abdruck  der  verdorbenen  Handschrift).  Eine  neue 
Ausgabe  des  Et.  Gud.  ist  in  Aussicht  gestellt  von  0.  Carnuth  (s.  Berliner  phil.  Wochen- 
schrift 1890  S.  42  f.).  —  Etymol.  Angelicanum:  Kurze  Beschreibung  von  Fr.  Ritsch  1. 
Opuscula  1(1866)674—692.  —  Etymol.  Florentinum  und  Et.  parvum  ed.  E.Miller. 
Melanges  de  littt>rature  grecque,  Paris  1868  S.  11  —  318;  319—340.  —  Ueber  ein  'Etviio- 
Xoyixop  lvfie(ayo(;  rov  fieyäXov  yQnjAfi«TtxQv  in  einem  codex  Parmonsis  gibt  eine 
handschriftliche  Notiz  mit  einer  Probe  aus  Litt,  ß  W.  Studemund,  Anecdota  varia  Graeca 
I  (1886)  113  f.  —  Ueber  eine  Hand.schrift,  welche  ein  mit  dem  Etymol.  tJud.  verwandtes 
Werk  fragmentarisch  enthält,  berichtigt  C.  Tischendorf,  Notitia  editionis  codicis  biltlimi 
Sinaitici,  Lipsiae  1860  S.  63. 

2.  Hilfsmittel:  Zu  den  Handschriften  des  Etym.  Gud.  s.  Zimmermanns  Zeitschrift 
für  die  Altertumswissenschaft  7  (1840)  N.  145  ff.  —  Besprechung  der  Ausgabe  (»aisfords 
von  F.  W.  S.  (Schneidewin?)  in  den  Götting.  (iel.  Anzeigen  184S.  1777—1797.  -  Fr. 
Ritschi,  De  Oro  et  Orione  in  den  Opu.scula  1  596  ff.  und  Thomas  Magister.  Proleg.  S.  16; 
64;  70.  —  A.  Naber.  Photii  lexicon  vol.  1  Proleg.  167  173.  -  O.  Carnuth.  De  Etym. 
Magni  fontibus,  pars  1,  Berolini  1873;  pars  11,  Jever  1876.  Derselbe:  Quellenstudien  zum 
Etym.  (iudianuni,  p.  1  und  11,  zwei  Progr.  Danzig  1880  und  1889.  -  (».  Srhoemann,  De 
Etym.  Magni  fVmtibus,  p.  1  und  11,  zwei  Progr.  Danzig  1881  und  1887,  p.  HI  in  den  Con»mentat. 

')  Photios  wird  öfter  zitiert.  Vgl.  Naber,  1           ')  Nach  Heyden,  dem  auch  Röllig,  Quae 

Photii  lexicon  I  167.  ratio   inter  Photii   et  Suidae   lex.  intercedat 

■'')  Nach   einer  privaten  Mitteilung   von  S.  22  beistimmt. 
R.  Ueitzenstein. 


I 


5.  Altertumswissenschaft.    B.  Wörterbücher.  (§  132—133.)  273 

in  honorem  G.  Studemund,  Argentorati  1889  S.  121-128.  —  Aug.  Brosow,  Quomodo  sit 
Apoll onius  sophista  ex  Etym.  Magno  explendus  atque  emendandus.  Diss.  Königsberg  1884.  — 
Henr.  Hey  den,  Quaestiones  de  Aelio  Dionysio  et  Pausania  attieistis  EtjTU.  Magni  fontibus, 
Diss.  Leipzig  1885  (=  8.  Band  der  Leipziger  Studien).  —  A.  Kopp,  De  Ammonii,  Eranii, 
aliorum  distinct.  syn.,  Diss.  Königsberg  1883  S.  72 — 103  und:  Zur  Quellenkunde  des  Et}^n. 
Magnum,  Rhein.  Mus.  40  (188-5)  371—376.  —  R.  Reitzenstein,  Zu  den  Quellen  des  so- 
genannten Etym.  Magnum,  Philologus  48  (1889)  450—455. 

3.  Als' eine  Quelle  des  Etymol.  Magnum  galt  früher  ein  Sanmielwerk:  KavövuiP 
S^tjaavQÖS;  das  imter  dem  stolzen  Namen  des  .jüngeren  Aristarch"*  im  cod.  Paris.  2-544 
(saec.  XVI.)  erhalten  ist.  S.  z.  B.  I.  Bekker,  Anecdota  III  1400  und  Schneid  ewin, 
Götting.  Gel.  Anzeigen  1848,  1792.  In  Wahrheit  ist  dieser  ,jüngere  Aristarch''  einer  jener 
Griechen  des  16.  Jahrhunderts,  die  sich  zu  Ersverbszwecken  mit  der  Verfertigung  angeb- 
licher alter  Autoren  befassten.  Das  Machwerk,  dem  der  Fälscher  zur  Beglaubigung  den 
Namen  des  jüngeren  Aristarch  und  sogar  ein  srjiyQteuua  lidtjXoi^  vorsetzte,  ist  eine  Kompi- 
lation aus  dem  Etym.  Magnum  und  einigen  anderen  grammatischen  Schriften.  W.  C.  Kayser, 
De  Aristarchi  aetate  minoris  canonibus,  Philologus  13  (1858)  59—67. 

132.  Ein  anonymes  ^«^txor  ax^^oyQacfixöv  aus  der  Komnenenzeit 
gibt  in  907  politischen  Fünfzehnsilbern  orthographische  Regeln  in  alpha- 
betischer Reihenfolge.  Titel  und  Anfang  des  Prooemiums  lauten:  2vYoilnc 
Tt'x»'/^c  Go(ftxt]g  ygafitnarwr  dvTiaToi xoiv,  'S2(ftXiij.ug,  aonTr^oiog  näai  roTg  iqua- 
fii'otg:  der  erste  Vers  des  Lexikons  selbst  heisst:  'Ava^  vjiüqx^i  ßaoiXevg  • 
avaaace  i\  Ssanoivi].  Solche  axtSai,  die  in  rein  praktischer  Weise  ein 
düi-ftiges  Wissen  verbreiteten,  bildeten  die  unterste  Stufe  des  grammati- 
kalischen Unterrichtes  bei  den  Byzantinern. 

¥A.  Fr.  Boissonade.  Anecd.  Gr.  4  (1832)  366 — 412.  —  L'eber  andere  derartige 
grammatische  Lexika  s.  P.  Egenolff,  Die  orthographischen  Stücke  der  byz.  Lit.  S.  25  ff. 

133.  Das  Lexicon  Vindobonense  ist  ein  Wörterbuch  ohne  streng 
alphabetische  Reihenfolge,  in  welchem  zu  den  einzelnen  Wörtern  zahlreiche 
Belege  aus  Dichtern  und  Prosaikern  zitiert  werden.  Als  Autor  des  Werkes 
ist  durch  einen  im  Jahre  1343  geschriebenen  cod.  Yatic.  ein  gewisser 
Andreas  Lopadiotes  erwiesen  worden,  der,  wie  seine  Zitate  aus  Gregor 
von  Cypern  darthun,  in  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  schrieb.') 
Den  Wert  dieser  Kompilation  bezeichnet  Nauck  durch  den  Satz  des  Athe- 
naeos  (XV  p.  666  A.):  d  ui]  iarool  raav,  ov6h'  av  rjv  rdiv  yQuuuaiixwv 
HoiQÖTfooY  und  bemerkt  dazu:  Virtutes  eins  nullae  sunt,  vitia  innumera, 
Stupor  incredibilis.  Allerdings  geht  aus  den  angeführten  Beispielen  hervor, 
dass  hier  der  Gipfelpunkt  des  Blödsinnes  und  der  Unbesonnenheit  erreicht 
ist.  Der  Autor  kennt  das  Griechische  nicht  und  kompiliert  nachlässig  und 
stumpfsinnig  aus  fremden  Quellen,  wiederholt  dieselben  Dinge  an  ver- 
schiedenen Stellen  und  verwirrt  die  Angaben  seiner  Vorlagen.  Doch  ent- 
hält das  sonst  so  entsetzliche  Machwerk  Verse  aus  Sophokles  und  Phere- 
krates,  die  sonst  nicht  überliefert  sind,  und  nützt  auch  zur  Emendation 
einiger  Autoren  wie  des  Maximos  Tyrios,  Libanios  und  besonders  des 
Himerios.     Hauptquelle  ist  die  Epitome  des  Harpokration, 

1.  Lex.  Vind.  pr.  ed.  (,vel  potius  abdidit'  wie  Nauck  S.  III  richtig  bemerkt) 
Theod.  Bergk  in  Programmen  der  Universität  Halle  1859—1862  (unter  dem  Titel:  Ety- 
mologicum  Vindobonense).  —  Lexicon  Vindobonense  rec.  et  adnotatione  critica  instruxit 
Aug.  Nauck,  Petropoli  1867.  —  Vgl.  die  Besprechung  von  A.  Hart,  Jahns  Jahrb.  99 
(1869)  49— .56.  wo  namentlich  die  Quellen  des  Lex.  Vindob.  erörtert  sind,  und  die  aus- 
fUhrliche  Anzeige  des  ganzen  Bandes  von  E.  Miller,  Journal  des  savants  1870,  159--177. 

2.  Unter  den  Stücken,    die  Nauck   mit   dem  Lex.  Vind.  abdruckte,   beansprucht  die 

')  S.  Guil.  Studemund,  Anecdota  varia  Gr.  I  (1886)  105. 
Bkudbucli  der  klass.  AltertumswiaaeDachaft.    IX.     1.  AbtIg.  13 


274  Byzantinisclie  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

erste  Stelle  das  Lexicon  Cantabrigiense,  ein  altes,  höchst  wertvolles  rhetorisches 
Wörterbuch,  das  am  Rande  der  Harpokrationhandschrift  von  Cambridge  erhalten  ist.  Zu 
vergleichen  ist  vielleicht  die  von  E.  Miller  aus  dem  Orient  mitgebrachte  Schrift  'Ex  iiüy 
Kkavdiov  KnalXiot'og  7t sqI  tiSy  nuQu  loig  'AuixoTg  ^tjtoQai  ^rjTovueviuv.  Das  Lex.  Cantabr. 
veröffentlichte  Dobree,  zuerst  mit  dem  Lexikon  des  Photios,  London  1822  (wiederholt 
Leipzig  1823);  dann  separat  unter  dem  Titel:  Lexicon  rhetoricum  Cantabrigiense  etc.  ex- 
scripsit  eo  consilio,  ut  ederetur  P.  P.  Dobree,  Cantabrigiae  1834.  —  Ed.  Ed.  Meier, 
Halle  1843.  —  Ed.  A.  Nauck  mit  dem  Lexicon  Vindobonense  S.  329-358;  vgl.  Prooem. 
S.  42  f.  —  Endlich:  Lexicon  rhetoricum  Cantabrigiense  rec.  et  annot.  critica  instruxit 
E.  0.  Houtsma,  Lugd.  Bat.  1870,  mit  einer  länglichen,  aber  inhaltsarmen  Einleitung. 

134.  Phavorinus  (Favorinus),  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  Sophisten 
Favoriniis  aus  der  Zeit  des  Hadrian,  mit  vollem  Namen  Varinus  Phavo- 
rinus Camers  (d.  h.  Varinus  aus  Favere  bei  Camerino),  ein  italienischer 
Benediktiner,  der  ein  Schüler  des  Johannes  Laskaris,  Lehrer  Leos  X,  seit 
1512  Vorstand  der  mediceischen  Bibliothek  zu  Florenz,  später  Bischof  von 
Nuceria  war  und  1537  starb,  kompilierte  aus  Suidas,  dem  Et.  Magnuni, 
Eustathios,  Moschopulos,  Thomas  Magister  u.  a.  ein  grosses  Wörterbuch 
der  griechischen  Sprache,  welches  u.  a.  von  dem  falschen  Philemon 
ausgebeutet  wurde:  Mt'ya  xal  nävv  oi(ftXif.iov  Xs^txöv,  ottsq  BaqXvoq,  (Paßw- 
Qivoc,  Käfir^Qg,  6  NovxaiQiag  iniGxonoq,  ix  tioXXmv  xal  diacfoqon'  ßißXiiov 
xard  arotjeiov  üvreXe^aro.  Von  ihm  ist  auch  das  ebenfalls  alphabetisch 
geordnete  grammatische  Sammelwerk:  'Ex  tmv  EvaraOiov  xal  aXXo)v 
s'räü^wv  yQaj^ifiavixMv  Bagirov  Käfir^QTog  ixXoyal  xaid  aioix^iov.  Das  Werk, 
dem  ein  Verzeichnis  der  benützten  Grammatiker  vorausgeht,  ist  füt*  uns 
ziemlich  nutzlos,  und  es  ist  noch  nicht  einmal  erwiesen,  ob  es  zur  Emen- 
dation  der  exzerpierten  Grammatiker  erhebliche  Dienste  leistet. 

1.  Wörterbuch:  Zuerst  gedruckt  Romae  1523;  wiederholt  Basileae  1538;  endlicli 
vermehrt  Venetiis  1712.  Doch  ist  für  wissenschaftliche  Zwecke  nur  die  ed.  Romana  zu 
benützen,  nicht  die  ed.  Veneta,  welche  z.  B.  Ritschi  heranzog.  —  Vgl.  Suidae  et  Phavorini 
glossae  sacrae  em.  et  ill.  J.  Chr.  Gottlieb  Ernesti,  Lipsiae  1786.  -  Fr.  Osann.  Qnao- 
stionum  Homericarum  particula  III,  Univ.-Progr.  Giessen  1853.  —  Fr.  Ritschi,  Thoma 
magistri  ecloga,  Prolegom.  S.  43  f.;  63  f.  —  K.  Lehrs,  Die  Pindarscholien,  Leipzig  \f<~  '■ 
S.  165  f.  (über  die  Ausbeutung  des  Favorinus  durch  den  falschen  Philemon). 

2.  'ExXoyal:    Zuerst    ediert    in:   Thesaurus   comucopiae    et  horti   Adonidis,    Aldii 
Venet.  1496;  wiederholt  von  W.  Dindorf,  Gramm.  Graeci,  vol.  I  (1823)  71—455. 

135.  Der  falsche  Philemon.  Unter  dem  Namen  eines  ^^iXi'jiMv  ist 
in  einer  Pariser  Handschrift  des  16.  Jahrh.  ein  Af^ixov  tfxroXoyixöv  über- 
liefert. Der  dem  Werke  vorausgeschickten  Bemerkung  zufolge  bestand 
dasselbe  ursprünglich  aus  einem  alphabetischen  Wörterbuche  der  8  Rede- 
teile (d.  h.  mofia,  Qrj/^ia,  i^ieroxi],  ckq^qov,  drtMVVjiiia,  ngöO^eaic,  e7iiQ^i^f.ia^ 
avrdfafiog;  s.  z.  B.  Bekker,  Anecd.  Gr.  II  840);  davon  ist  in  unserer  Hand- 
schrift der  Abschnitt  Ilfgl  oroßäTow  und  ein  Teil  des  Abschnittes  IhQi 
QrjfxÜTUiv  erhalten.  In  derselben  Vorbemerkung,  die  an  einen  gewissen 
Antiphanes  gerichtet  ist,  wendet  sich  der  Verfasser  polemisch  gegen  den 
Grammatiker  Hypereschios  (YnfQkaxtog)  aus  Alexandria  (um  450  n.  Chr.) 
und  verheisst  etwas  Besseres  zu  geben.  Nach  diesen  und  anderen  Indizien 
setzte  Osann  den  Philemon  ins  5.  bis  6.  Jahrhundert.  Dagegen  bewies 
K.  Lehrs  mit  scharfsinniger  und  völlig  überzeugender  Argumentation,  da.ss 
die  Schrift  des  angeblichen  Philemon  im  IG.  Jahrh.  entstand,  also  in  die 
Kategorie  der  Schwindelwerke  gehört,  wie  dasViolarium  derEudokia,  der 
falsche  Hesychios  Milesios,  Pseudo-Drakon  u.  s.  w.    Die  Hauptquelle  des 


6.  Altertumswissenschaft.    B.  "Wörterbücher,   (§  134—136.)  275 

Philemon  ist  nämlich  keine  andere  als  das  Lexikon  des  Phavorinus  (wahr- 
scheinlich in  der  2.  Ausgabe,  Basel  1538).  Auch  die  vielfache  Ueberein- 
stimmung  mit  Eustathios  geht  nicht  direkt  auf  ihn  zurück,  sondern  eben- 
falls auf  Phavorinus,  der  den  Eustathios  fleissig  verwertete.  Mit  Recht 
wird  das  Werk  als  eine  Fälschung  bezeichnet;  denn  der  Verfasser  suchte, 
wie  sich  aus  verschiedenen  Stellen  ergibt,  zu  verheimlichen,  dass  er  den 
Phavorinus  ausgeschrieben  hat,  und  selbst,  dass  er  Christ  war.  Nach 
neueren  Untersuchungen  ist  der  Pariser  Codex  des  Philemon  von  derselben 
Hand  geschrieben  wie  der  des  Pseudo-Drakon,  nämlich  von  dem  Griechen 
Jakob  Diassorinos,  der  nun  wohl  auch  als  Verfasser  des  Machwerkes 
bezeichnet  werden  darf.  Damit  erledigen  sich  die  weitschweifigen  Ver- 
mutungen Osanns  und  anderer  über  die  alten  Quellen  des  Philemon. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Zuerst  edierte  den  falschen  Philemon  C.  Burney, 
4>iXTJfuoyo?  Xesixoy  re/foXoytxöy.  Ex  bibliotheca  Parisiensi,  Londini  1812.  —  Genauer  gab 
den  Text  Frid.  Osann,  Philemonis  grammatici  quae  supersunt,  Berolini  1821.  Zum  Pariser 
Philemon  fügte  Osann  aus  einem  cod.  Laurentianus  ein  4'ihjuoyoi  überschriebenes,  eben- 
falls wertloses  Glossarfragment,  welches  mit  diffiksro  beginnt  und  mit  delXr^g  oxpiag  ab- 
bricht. Dazu  Prolegomena  und  Kommentar,  die  beide  mehr  die  blinde  Voreingenommenheit 
des  Herausgebers,  als  seinen  kritischen  Sinn  bezeugen.  —  Vgl.  Photii  lexicon  ed.  A.  Naber, 
1  189  —  192,  wo  schon  nachgewiesen  wird,  dass  Philemon  jünger  sein  muss  als  Eustathios.  — 
Hauptschrift:  K.  Lehrs,  Die  Pindarscholien,  Leipzig  1873  S.  164 — 190.  Einen  gelegent- 
lichen Hinweis  auf  die  Unechtheit  des  Philemon  hatte  übrigens  Lehrs  schon  in  Herodiani 
scripta  tria,  Regimontii  1843  S.  439  gegeben.  —  Ueber  den  wahrscheinhchen  Verfasser  des 
Werkes  s.  L.  Cohn,  Philologische  Abhandlungen,  Martin  Hertz  zum  70.  Geburtstage  von 
ehemaligen  Schülern  dargebracht,  Berlin  1888  S.  133  —  143. 

136,  Die  falsche  Eudokia.  Eudokia  Makrembolitissa,  Gemahlin 
des  Konstantin  Dukas  (1059 — 1067),  galt  früher  als  Verfasserin  des  mytho- 
logisch-antiquarischen Sammelwerks  7w  vf  a  (Violarium),  das  zuerst  von  Vil- 
loison,  Anecd.  Gr.  vol.  I  ediert  worden  ist  und  in  der  auf  Hesychios  Mile- 
sios,  Photios  und  Suidas  bezüglichen  Litteratur  lange  Zeit  eine  grosse  Rolle 
spielte.  Nachdem  noch  K.  Sathas,  Maaatoyv.  ßißXiod^.  V,  UqoL  S.  32;  44 
{Xß':  f^id)  das  Werk  dem  Psellos  zugeschrieben  hatte,  wurde  es  von 
H.  Flach  neu  herausgegeben,  und  die  längst  angezweifelte  Echtheit  in 
leidenschaftlicher,  aber  vergeblicher  Polemik  verteidigt;  selbst  die  Kon- 
zession, dass  der  echte  Kern  durch  spätere  Zusätze  überwuchert  sei,  konnte 
nicht  befriedigen.  Es  bleibt  jetzt  nicht  der  geringste  Zweifel  übrig,  dass 
das  Veilchenbeet  um  das  Jahr  1543  von  dem  Griechen  Konstantin 
Palaeokappa  aus  verschiedenen,  meist  ziemlich  trivialen  Quellen  kompi- 
liert worden  ist.  Fast  die  Hälfte  des  Werkes  ist  aus  dem  1538  in  Basel 
gedruckten  Phavorinus  abgeschrieben;  ausserdem  ist  für  die  biographi- 
schen Artikel  Hauptquelle  Suidas,  aber  auch  dieser  wahrscheinlich  nicht 
in  einer  Handschrift,  sondern  in  der  Ausgabe  von  1514;  ferner  benützte 
der  Kompilator  die  Baseler  Ausgabe  des  Palaephatus  und  Cornutus 
von  1543,  endlich  die  Kommentare  des  Nonnos  zu  4  Reden  des  Gregor 
von  Nazianz. 

.  Litteratur:  H.  Flach,  Untersuchungen  über  Eudokia  und  Suidas,  I^eipzig  1879.  — 
Eudociae  Violarium  recens.  H.  Flach,  Leipzig  1880.  —  A.  Daub,  De  Eudociae  violarii 
etc.  fontibus,  Progr.  Freiburg  i.  Br.  1880.  —  Hauptschrift:  P.  Pulch,  De  Eudociae, 
quod  fertur,  Violario,  Stra.ssburg  1880  (=  Dissert.  philol.  Argentor.  IV  313—411).  Dazu 
P.  Pulch,  Die  Pariser  Handschriften  des  Nonnus  Abbas  und  Eudocia,  Philol ogus  41  (1882) 
341 — 346  und  dess.  Abb.  Konstantin  Palaeocappa,  der  Verfasser  des  Violariums  der  Eudokia, 
Hermes  17  (1882)    177—192.    —   Vgl.    die   Besprechung   von   K.    Boysen,    Philologischer 

18* 


276  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratar. 

Anzeiger  (von  Leutsch)  12(1882)480—488.  —  E.  Patzig,  Die  Nonnusquelle  der  Eudokin, 
Rhein.  Miis.  37  (1882)  67-82  und:  Zur  Textur  im  Violarium  der  Eudokia,  Philologus  4M 
(1884)  249-260.  —  Ueber  das  Leben  und  sonstige  Handschriften  von  der  Hand  des 
Palaeokappa  sowie  seines  Kollegen  Jakob  Di assorinos  geben  interessante  Mitteilungen 
H.  Oinont,  Catalogue  de  manuscrits  grecs  copies  ä  Paris  au  XVP'  siecle  par  C.  Palaeo- 
cappa,  Annuaire  de  l'assoc.  20  (1886)  241—279  und  L.  Cohn  in:  Philologische  Abhand- 
lungen, Martin  Hertz  zum  70.  Geburtstage  .  .  .  dargebracht,  Berlin  1888  S.  123-^143.  - 
Vgl.  P.  Egenolff,  Bursian-Müllers  Jahresbericht  58  (1890)  294  if. 

G.  Grammatik. 

137.  Allgemeine  Charakteristik.  Wie  in  Byzanz  alle  Fächer  der 
Altertumswissenschaft  in  der  Hauptsache  auf  Leistungen  der  hellenischen 
Vorfahren  beruhen,  so  bestehen  auch  die  grammatischen  Studien  im 
engeren  Sinne  nur  in  einer  teils  verkürzenden,  teils  erweiternden  Ueber- 
arbeitung  älterer  Werke.  Vor  allem  ist  es  das  Büchlein  des  Dionysios 
Thrax,  das  seine  unermesslichen,  selbst  in  armenischen  und  syrischen 
Handbüchern  erkennbaren  Wirkungen  auch  auf  die  byzantinische  Zeit  er- 
streckt; zur  Ergänzung  und  Erläuterung  dienten  die  Kommentatoren  des- 
selben. Ebenso  dauerte  das  Ansehen  der  bahnbrechenden  Arbeiten  des 
Apollonios  Dyskolos  und  seines  Sohnes  Herodianos  ungeschmälert 
fort.  Von  ihnen  ergoss  sich  ein  breiter  Strom  von  Exzerpten  und  Scholien 
über  die  byzantinischen  Jahrhunderte.  Apollonios  war  die  unerschöpf- 
liche Fundgrube  für  Schriften  über  die  einzelnen  Redeteile  und  über  die 
Syntax,  Herodianos  blieb  massgebende  Autorität  für  die  Formenlehre 
und  insbesondere  für  die  Orthographie.  Verdünnt  und  oft  mit  unechten 
Bestandteilen  versetzt,  wurde  das  alte  grammatische  Gut  in  trivialen  Hand- 
büchern, zuweilen  in  lexikalischer  Anordnung,  nachmals  in  der  Form  von 
jambischen  und  politischen  Versen,  endlich  seit  dem  13.  Jahrhundert  in 
der  bequemen  Gestalt  des  Frag-  und  Antwortspiels  dem  wechselnden  Be- 
dürfnis der  Schule  vermittelt.  Der  Hauptwert  dieser  zerstreuten  und  erst 
in  neuester  Zeit  von  Uhlig,  Egenolff,  Hilgard,  L.  Cohn,  R.  Schneider. 
F.  Bölte  u.  a.  kritisch  gesichteten  Litteratur  beruht  demnach  in  der  Hilfe, 
welche  sie  für  die  Rekonstruktion  der  alten  Grammatiker  gewährt; 
ausserdem  erfahren  wir  durch  sie  manche  keineswegs  nutzlose  Einzelheiten 
zur  Geschichte  des  byzantinischen  Unterrichts.  Die  grösste  Betonung 
erfuhren  in  Byzanz  die  elementaren  Teile  der  Grammatik,  Accent  und 
Orthographie;  weniger  Gewicht  fällt  auf  die  Formenlehre;  noch  stief- 
mütterlicher wurde  die  eigentliche  Syntax  behandelt.  Wie  die  Byzan- 
tiner in  der  Praxis  dem  Vorbilde  der  altgriechischen  Sprache  mehr  äusser- 
lich  als  innerlich  nachstrebten  und  nachkamen,  so  geschah  es  auch  in  der 
Theorie.  Mit  der  Erlernung  des  groben  Gerüstes  der  Formen  und  der 
Rechtschreibung  Hess  man  es  in  der  Regel  bewenden.  In  der  That  hatte 
der  des  Altgriechischen  beflissene  Byzantiner  nirgends  grössere  Schwierig- 
keiten zu  überwinden  als  gerade  in  der  Orthographie,  weil  die  Aus- 
sprache sich  im  Laufe  der  Zeit  von  der  Schreibung  immer  mehr  entfernte. 
So  erklärt  sich,  dass  die  Rechtschreibung  im  grammatischen  Unterrichte 
eine  so  hervorragende  Rolle  spielen  durfte.  Wie  selten  aber  trotzdem 
feste  Kenntnisse  erreicht  wurden,  beweisen  die  zahllosen  orthographischen 
Schnitzer  in  griechischen  Hundschriften  aller  Jahrhunderte. 


5.  Altertumswissenschaft.    C.  Grammatik.  (§  137—139.)  277 

Eine  kritische  Sammlung  auch  der  byzantinischen  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der 
Grammatik  verspricht  das  längst  vorbereitete  Corpus  der  griechischen  Grammatiker 
(Grammatici  Graeci  recogniti  et  apparatu  critico  instructi,  8  Teile  in  15  Bänden),  über 
dessen  Plan  in  den  Mitteilungen  der  Verlagsbuchhandlung  B.  G.  Teubner  1888  N.  1 
berichtet  wird.  Zur  Orientierung  über  die  Arbeiten  genannter  und  ungenannter  Grammatiker 
A'on  Byzanz  s.  vorerst  die  zwei  Schriften  von  P.  Egenolff:  Die  orthoepischen  Stücke  der 
byzant.  Litteratur,  Mannheimer  Progr.  1887.  und:  Die  orthographischen  Stücke  der  byzant. 
Idtteratur.  Heidelberger  Progr.  1888.  sowie  desselben  Verf.  Berichte  über  die  griechischen 
Grammatiker  in  Bursian-MüUers  Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  klass.  Alter- 
tumswissenschaft Bd.  38  (1884)  43  S. ;  46  (1888)  109  S. ;  58  (1890)  265  flF.,  wo  auch  die 
Lexikographen  und  Metriker  berücksichtigt  sind.  \^ 

138.  Johannes  Philoponos.  Eine  lebhafte  und  noch  einigermassen 
selbständige  Thätigkeit  herrschte  auf  dem  Gebiete  der  Grammatik  im 
6.  Jahrhundert.  Im  Anfange  desselben  blühte  Johannes  mit  dem  Bei- 
namen Philoponos  aus  Käsarea,  der  als  Bischof  von  Alexandria  auch 
'Akf^arSoevg  genannt  wird.')  Als  seine  Lehrer  werden  der  Grammatiker 
Romanos  und  der  Aristoteleserklärer  Ammonios  genannt.  Seine  litte- 
rarische Thätigkeit  umfasste  ausser  der  Grammatik  namentlich  Philo- 
sophie und  Theologie;  sein  Gegner  im  Dogma  war  der  antiochenische 
Patriarch  Severus  (513 — 518).  Von  grammatischen  Schriften  des  Philoponos 
kennen  wir  die  Tovixd  TraQayyiXfiara  und  eine  in  lexikalischer  Form  ge- 
haltene, im  Mittelalter  stark  verbreitete  Schi'ift  JlfQi  rwv  öiaifÖQoig  tovov- 
/lijwr  xcd  6iä(fooa  ar^iiaivövTon'.  Der  Grundstock  beider  Werke,  die  sich 
ergänzen,  geht  auf  die  xa^o/.ixi^  des  Herodianos  zurück,  und  sie  bilden 
demnach  wie  der  grosse  Auszug  des  Theodosios  aus  Alexandria  ein 
Hilfsmittel  zur  Rekonstruktion  des  Original werkes. 

Tovixil  nag.  ed.  mit  Herodian  tlsgi  a-/r,ucir<av  W.  Dindorf,  Lipsiae  1825.  — 
HsQi  iwv  diaqiÖQO)?  rov.  etc.  am  besten  ed.  von  P.  Egenolff.  Breslau  1880  (ak  Fest- 
schrift zur  Philologenvers,  in  Trier).  —  Vgl.  P.  Egenolff,  Die  orthoepischen  Stiicke  etc. 
S.  37  ff.;  Die  orthographischen  Stücke  etc.  S.  33  und  M.  Petschenig.  Wiener  Studien 
3  (1881)  294 — 297.  —  Hauptschrift:  A.  Ludwich,  De  Joanne  Philopono  grammatico. 
Ind.  lect.  Königsberg  1888  89.  —  Lieber  die  sonstigen  Schriften  des  Philoponos  s.  Christ, 
Griechische  Litteratnrgesch."-  §§  567.  614.  617.  —  Eine  monographische  Darstellung  der  ge- 
samten litterarischen  Thätigkeit  des  vielseitigen  Mannes  ist  noch  ein  Bedürfnis. 

139.  Sonstige  Grammatiker  des  6.  Jahrhunderts.  Ein  wohl  etwas 
jüngerer  Zeitgenosse  des  Philoponos,  der  aber  jedenfalls  noch  dem  6.  Jahr- 
hundert angehört,  ist  der  Grammatiker  Johannes  Charax,  der  den  Philo- 
ponos zitiert  und  selbst  eine  massgebende  Quelle  für  Choiroboskos  ist. 
Er  schrieb  einen  Auszug  der  Orthographie  des  Herodian:  'Iwävvov  ao- 
(fwiärov  yQaiiixaTixov  XÜQaxog  Ttegi  6o0^oyQcc(fiac,  Scholien  zu  Theodosios 
u.  a.  Veröffentlicht  ist  von  ihm  ein  Fragment  IlfQi  fyxhronsyoyr-  fxoQtwv. 
Einen  Auszug  aus  Charax  veranstaltete  im  9.  Jahrhundert  der  Patriarch  von 
Alexandria,  Sophronios.  Ein  Zeitgenosse  des  Charax  ist  der  Grammatiker 
Timotheos  von  Gaza,  von  dem  eine  ebenfalls  auf  Herodian  zurückgehende 
syntaktische  Abhandlung  erhalten  ist:  TifioO^iov  Fä^i^c  xavövfc  xad^okixoi 
neql  avvrä^toic.  In  dieselbe  Zeit  gehört  wahrscheinlich  auch  der  von 
Choiroboskos  in  seinen  Diktaten  zitierte  Grammatiker  Sergios;  denn  der- 


')  Ein  anderer  Grammatiker  Johannes  Johannes  Philoponos  mit  Johannes  von  Ale- 

Philoponos.    der  von  ApoUonios  Dyskolos  xandria  haben  Cohn,  Ludwich  u.  a.  Zweifel 

erwähnt    wird,    lebte    unter    Tiberius    oder  erhoben.  Vgl.  P.  Egenolff,  Bursian-Müllers 

Augustus.      Gegen    die    Identifizierung    des  Jahresbericht  Bd.  58  (1890)  275. 


278  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

selbe  ist  doch  wohl  mit  jenem  Grammatiker  Sergios  identisch,  der  mit 
dem  antiochenischen  Patriarchen  Severus,  dem  Gegner  des  Philoponos, 
in  Briefwechsel  stand;  dann  haben  wir  in  ihm  den  Verfasser  des  unter 
dem  Titel:  ^egyfov  dvayrwatoi)  ^Efjuarjrov  innour]  twv  ovoj^iartxöJv  xavövwv 
AlXiov  'HqwSiavov  erhaltenen  Exzerptes  zu  suchen. 

1.  Charax,  JleQi  og&oyQ.:  Proben  bei  I.  Bekker,  Anecd.  Gr.  1127.  —  J.  A. 
Gramer,  Anecd.  Grr.  Oxon.  4  (1837)  331  f.  —  Ch.  Graux,  Archives  des  missions  scienti- 
fiques  et  litt.,  III.  s«5rie  t.  6  (1880)  195  f.  —  Jlepi  iyxXty.  ed.  I.  Bekker,  Anecd.  Gr. 
1149—1155.  —  Timotheos  ed.  J.  A.  Gramer,  Anecd.  Gr.  Paris.  4  (1841)  239—244.  — 
Vgl.  P.  Egenolff,  Die  orthoepischen  Stücke  S.  37;  Die  orthographischen  Stücke  4  ff.;  34.  — 
A.  Lud  wich,  De  Joanne  Philopono  grammatico  S.  9  ff. 

2.  Von  Johannes  Charax,  dem  Zeitgenossen  des  Philoponos,  ist  zu  scheiden 
der  aus  dem  Stamme  der  Morocharzanen  entsprossene  Abenteurer  Johannes  Gharax. 
Nach  den  ziemlich  ausführlichen  Notizen  der  Ghronisten,  deren  Darstellung  freilich  vom 
Hass  gegen  die  Bilderstürmer  beeinflusst  erscheint,  war  derselbe  ein  bösartiger,  exzentri- 
scher, der  Schwarzkunst  und  dem  Intriguenspiel  ergebener  Grammatiker  und  Diplomat. 
Sicher  ist,  dass  er  vom  Kaiser  Michael  II  Traulos  zum  Erzieher  seines  Sohnes  erkoren, 
von  Kaiser  Theophilos  (829 — 842)  zum  Patriarchen  erhoben,  aber  noch  zu  Lebzeiten  seines 
Gönners  auf  Betreiben  der  Kaiserin  dieser  Würde  entsetzt  wurde,  lieber  sein  Leben  s. 
Theophanes  contin.  ed.  Bonn.  S.  95  und  sonst,  Kedrenos  (Skylitzes)  ed.  Bonn.  II  144  ff. 
und  Zonaras.  Hierauf  gründet  sich  die  Darstellung  von  J.  v.  Hammer,  Gonstantinopolis 
und  der  Bosporus,  1822  B.  II  235—240.  —  Eine  kritische  Würdigung  der  auf  diesen  J.  Gharax 
bezüglichen  Stellen  gibt  F.  Hirsch,  Byzant.  Studien  S.  17  und  sonst  (s.  seinen  Index  s.  v. 
Johannes  grammaticus). 

140.  Georgios  Ghoiroboskos  (XoiQoßoaxöc)  mit  dem  Beinamen  6  ifx- 
vixöc,  Diakon,  Grosschartophylax  und  ökumenischer  Professor  in  Konstanti- 
nopel, lebte  wahrscheinlich  in  der  zweiten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts. 
Er  verfasste  mehrere  grammatische  Schriften,  in  denen  er  vorzüglich  von 
Apollonios  und  Herodianos,  daneben  auch  von  späteren  Grammatikern  wie 
Oros  und  noch  von  Johannes  Philoponos  und  Sergios  abhängig  erscheint. 
Den  grössten  Einfluss  gewannen  in  den  byzantinischen  Schulen  seine  Dik- 
tate zu  den  Kavoreg  des  Theodosios.  Ebenso  beruht  auf  alten  Quellen 
seine  Schrift  Tlegi  6Q^oYQcc(fi'ag,  von  der  wir  nur  einen  stark  verkürzten 
Auszug  besitzen.  Dazu  kommt  noch  ein  Kommentar  zu  Hephästion: 
'E^rjr^aig  fig  ro  tov  'H^aiörtwvog  iyxeiQidiov.  Andere  Partien  seines  Nach- 
lasses harren  noch  einer  kritischen  Sichtung  und  Abgrenzung. 

Diktate:  Ed.  Th.  Gaisford,  3  voll.,  Oxford  1842.  —  Orthographie:  Ed.  J.  A. 
Gramer,  Anecd.  Oxon.  II  (1835)  167  281.  —  Neue  Kollation  der  Orthographie  von  Rieh. 
Schneider,  Bodleiana,  Leipzig  1887  S.  20 — 33.  —  Theodosii  Alexandrini  canones,  Goorgii 
Ghoerobosci  scholia,  Sophronii  patriarchae  Alexandrini  excerpta  rec.  AI  fr.  Hilgard,  Leipzig 
1889  (=  Grammatici  Graeci  IV  1).  —  Vgl.  P.  Egenolff,  Die  orthoepischen  Stücke  S.  25  ff; 
Die  orthographischen  Stücke  S.  17  ff.  —  Kommentar  zu  Hephästion  ed.  G.  Hoerschel- 
niann  in  Studemunds  Anecd.  varia  Graeca  I  (1886)  31 — 96. 

141.  Theognostos,  ein  Grammatiker,  dessen  Blüte  wahrscheinlich 
in  den  Anfang  des  9.  Jahrhunderts  zu  setzen  ist,  verfasste  für  die  prak- 
tischen Bedürfnisse  der  Schule  und  daher  ohne  Rücksicht  auf  die  wissen- 
schaftliche Grammatik  ein  Itechtschreibebuch  in  der  Gestalt  von 
10  03  Regeln.  Dem  Werke  geht  eine  aus  7  Trimetern  und  einer 
prosaischen  Epistel  bestehende  Widmung  an  einen  Kaiser  Leo,  wahrschein- 
lich Leo  V  den  Armenier,  voraus,  deren  plumper  und  fehlerhafter  Stil 
einem  Sprachlehrer  von  Fach  wenig  Ehre  macht.  Unter  Beziehung  auf 
die  Kriegsthaten  des  Kaisers  bietet  er  sich  ihm  als  Kampfgenossen  an  — 
auf  dem  Schlachtfelde  der  Grammatik.    Schon  längst  pflege  er  die  Sprach- 


5.  Altertumswissenschaft.    C.  Grammatik.   (§  140—141.)  279 

kunst  und  treibe  unerbittlich  von  seinen  Schülern  eines  jeden  Wortes  Regel 
ein.  Sein  Wissen  stamme  aus  dem  inhaltreichen  Buche  des  Herodian; 
vielfach  aber  habe  er  die  ungeschickte  Fassung  der  alten  Regeln  ver- 
bessert: Ircc  xai  avrög  ri  roig  aoTg  Sö^o)  avvaywriaaaO^ai  '  näXca  yäq  iioi 
öic(7ioYovj.itv(>i  Tcl  yQa}.ii.iaTixc(  xai  exäarr^g  X^'^eag  zov  dgiiödiov  xavöva  vjio 
twv  (foixr^TMv  cmaQaiTr^Tcog  eianquTxonevo^  fioi  '  ovg  6i  ix  xr^g  ttoXvvXov 
ßißXov  xf^g  xaO^öXov  '^HqoiSiarov  avccXe^üfievog  xai  Xs'iei  Xil^iv  ttJv  Ttqoarxovüav 
STtiüvrceipag,  eqyov  ovxiri  xwv  ngo  siiov  fift^ieXr^jusrov  u.  s.  w.  In  der  That 
ist  das  Riesenwerk  des  Herodian  Hagi  xa^oXixr^g  ngoaroStag  eine  der 
Hauptquellen,  aus  denen  Theognost  sein  Regelbuch  zusammenstellte.  Auch 
seine  Bemerkung,  er  habe  die  alten  Regeln  verbessert,  ist  in  seinem  Sinne 
richtig;  sie  bezieht  sich  nämlich  offenbar  auf  das  eigentümliche  Verfahren, 
das  er  seiner  Vorlage  gegenüber  beobachtete.  Das  Werk  des  Herodian 
enthält  eine  vollständige  Lehre  vom  griechischen  Accent,  wobei  die  Ortho- 
graphie nur  nebenbei  berücksichtigt  ist.  Dem  Theognost  aber  war  es  um 
die  Orthographie  zu  thun;  daher  schmolz  er  die  prosodischen  Regeln 
des  Herodian  in  orthographische  um.  Während  z.  B,  Herodian  die  Wörter 
auf  -i]v  nach  dem  Accent  in  Oxytona  und  Paroxytona  unterschieden  hatte 
und  ebenso  die  Wörter  auf  -ir,  vereinigte  Theognost  Oxytona  und  Par- 
oxytona, schied  aber  die  auf  -tv  von  denen  auf  -ip'.  Für  die  Anordnung 
hielt  er  sich  an  die  Aussprache  seiner  Zeit,  welche  ai-e,  fi-i-ij,  oi-v  (damals 
nicht  =  i,  sondern  =  ü),  o-o)  nicht  mehr  unterschied,  d.  h.  er  befolgte 
das  Prinzip  der  sogenannten  Antistoechie,  das  ausserdem  in  Byzanz 
hauptsächlich  durch  Suidas  vertreten  wird.  Wie  rein  äusserlich  und  ver- 
ständnislos die  orthographischen  Regeln  des  Theognost  sind,  lehre  ein 
Beispiel:  nqd  xov  n  xax  ctq^r^v  Xi^toag  r^  oi  Si(fi}oyyog  ovx  eaxiv  •  Sto  oaa 
TTQO  xov  71  iv  agxjl  Xs'^ecog,  ^iqxft  x6  v  did  xov  v  xpiXov  yqanxtov  '  vneq- 
r.(fuvog,  vTiödixog,  vJiäqxaxog.  Bei  solchen  Vorschriften  war  die  Erlernung 
der  griechischen  Orthographie  allerdings  eine  wahre  Herkulesarbeit.  Trotz 
aller  Mangelhaftigkeit  bewahrt  Theognost  als  Mittel  zur  Rekonstruktion 
des  Herodian  wie  als  Zeugnis  der  byzantinischen  Unterrichtsmethode 
seine  Bedeutung. 

Im  höheren  Alter  verfasste  Theognost  einen  Bericht  über  den 
Aufstand  des  Duphemios  in  Sizilien  und  die  Festsetzung  der  Araber 
auf  dieser  Insel  (826  827);  die  Schrift  ist  uns  nicht  erhalten,  wird  aber 
bezeugt  und  benützt  von  dem  Fortsetzer  des  Theophanes*):  SriXot  6h 
xavxa  auiftaraxa  xcti  nXaxixoheqov  rj  xöxe  yQaq.eTaa  Oeoyvcöaxrt}  xm  neQi 
OQ^oyQUifiag  ytyqctiföxi  xai  fig  x*r^ag  iXO^ovon  yto'  u.  S.  W. 

1.  Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Ed.  A.  Gramer,  Anecdota  Oxon.  II  (1835)  1  —  165 
aus  cod.  Baroccianus  50  (saec.  XI).  —  Neue  Kollation  des  Barocc.  von  R.  Schneider, 
Bodleiana,  Leipzig  1887  S.  4 — 20.  —  Eine  neue  Ausgabe  übernahm  für  das  Corpus  gramm. 
Gr.  P.  Egenolff.  —  F.  Guil.  Schneidewin,  Coniectanea  critica,  Gottingae  1839  S.  166 
gibt  Emendationen  zum  Cramerschen  Texte.  —  G.  Bernhardy,  Suidae  lexicon  t.  I  (1853) 
Praef.  37  f.  über  die  antistöchische  Anordnung  des- Theognost.  —  M.  Schmidt,  Hesychii 
Alexandrini  lexicon,  vol.  4,  quaest.  Hesych.  99 — 103,  gegen  Lobecks  beiläufig  ausgesprochene 
Meinung,  Theognost  habe  aus  Hesychios  geschöpft.  —  Aug.  Lentz,  Herodiani  reliquiae 
(Lipsiae  1867—70),  vol.  I  Praef.  180—184,  über  das  Verhältnis  des  Theognost  zu  Herodian 
und  Arkadios.  —  F.  Hirsch,    Byzantinische  Studien  S.  196  f.  setzt   den  Theognost  unter 

')  Ed.  Bonn.  82,  18. 


280  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

Leo  VI.    —    P.  Egenolff,    Die    orthographischen    Stücke    der   byzantinischen    Litteratur 
(1888)  S.  21  fF. 

2.  Ueber  die  Zeitbestimmung  des  Theognost  herrscht  eine  Kontroverse,  die  sich 
an  die  Frage  knüpft,  ob  unter  dem  Kaiser,  dem  der  Grammatiker  sein  Elaborat  widmet, 
Leo  V  der  Armenier  (813 — 820)  oder  Leo  VI  der  Weise  (886 — 911)  zu  verstehen  ist. 
Für  das  erstere  spricht  die  Thatsache,  dass  die  erwähnt«  historische  Monographie  des 
Theognost  mit  den  Worten  r)  töte  ygutpetaa  angeführt  wird.  Dagegen  scheint  die  Wid- 
mung des  Werkes  allerdings  mehr  auf  Leo  VI  als  auf  den  dem  Schulwesen  ferner  stehenden 
Armenier  zu  passen.  Eine  sichere  Entscheidung  hängt  von  der  Auffindung  neuer  Beweis- 
mittel ab. 

142.  Michael  Synkellos,  Patriarch  von  Jerusalem,  in  der  ersten 
Hälfte  des  9.  Jahrhunderts,  gehört  in  den  Kreis  der  Bilderverehrer,  der 
Studiten  Theodoros  und  seines  Bruders  Theophanes,  des  Theophanes  Con- 
fessor  u.  s.  w.;  von  dem  bilderfeindlichen  Kaiser  Theophilos  (829  —  842) 
wurde  er  mit  den  Brüdern  Theophanes ')  und  Theodoros  Studites  einge- 
kerkert und  misshandelt.  ^)  Michael  verfasste  eine  viel  benützte  und  in 
zahlreichen  Handschriften  überlieferte  Schrift  über  die  Syntax:  Mixcci]k 
nqeaßmäQov  xccl  avyxtXkov  lov  dnoüioXixov  ^qÖvov  rwr  '^IsgoaoXvi.Kav  Mt- 
^odog  TieQi  trjg  tov  köyov  avvrä^emg  ax^^iftoO^^tf^ft  ^yEdtaüi]  rijg  Mfdo- 
TioTafuag  ahr^aei  ^a^ägov  diaxövov  xai  Aoyo^«roy,  (fiXoXoYOV  ovtog. 

1.  Ausgaben:  Das  Werk  des  Michael  Synkellos  wurde  zuerst  öfter  gedruckt  unter 
dem  fälschlich  vorgeschobenen  Namen  des  Georgios  Lekapenos  in:  Theodor!  Gazae 
grammatices  introductionis  libri  quattuor,  Florenz  1515,  1520  u.  öfter.  Wer  das  Werk 
dem  Lekapenos  zuteilte,  ist  nicht  klar;  wahrscheinlich  geschah  es  durch  ein  Missverständ- 
nis, w-eil  in  Handschriften  dem  Werke  des  Michael  zuweilen  Werke  des  Georgios  Lekapenos 
vorangehen;  das  ist  z.  B.  der  Fall  im  cod.  Taurin.  274;  s.  Catalog.  codd.  Taurin.  1  (1749) 
S.  379.  Zweifellos  aber  hat  Lekapenos  keinen  Anspruch  auf  die  Autorschaft,  da  das  Werk 
in  zahlreichen  Handschriften  unter  dem  richtigen  Namen  des  Michael  Synkellos  überliefert 
ist.  —  Unter  dem  Namen  des  wahren  Verfassers  erschien  das  Werk  erst:  'EntfAeXsUe  xrd 
äioQ^iöasi  'JXel^dyÖQov  Kccyxe'AXaQiov  tov  i((TQo(fiXoa6(pov,  Venetiis,  apud  Nie.  Glyceni 
1745  (aus  einem  cod.  Venetus).  —  Das  Kapitel  Tlfpi  vnoxoQiatixiav  öyo/näiioy  gab  (ohne 
Kenntnis  der  früheren  Drucke  des  ganzen  Werkes)  J.  A.  Gramer,  Anecdota  Oxon.  4,  272  f.  — 
Eine  neue  Ausgabe  erwartet  man  von  Felix  Bölte  im  8.  Teile  des  Corpus  gramm.  Grae- 
conim.  —  Vgl.  Fabricius,  Bibl.  Graeca  ed.  Harl.  6,  133;  297;  345;  382;  11,  186—188 
(über  die  kirchl.  Schriften  des  Michael  Synkellos).  —  Ueber  sein  Leben  s.  auch  F.  Hirsch, 
Byz.  Studien  S.  149. 

2.  Ob  die  unter  dem  Namen  eines  Mönches  Michael  gehende  Biographie  des 
Theodoros  Studites  von  Michael  Synkellos  herrührt,  ist  nicht  festgestellt.  Ed.  A.  Mai, 
Patrum  nova  bibliotheca  6  (1853)  293-863. 

3.  Verschieden  von  dem  Werke  des  Michael  Synkellos  ist  die  anonyme  Schrift: 
ücq!  r^s"  iw»'  ^rjfithioy  avvTÜ^ei»?  xnTtc  toi;?  naXcaovg.  Ed.  L.  Bach  mann,  Anecdota 
Graeca,  vol.  II  (1828)  288-316.  —  In  lexikalischer  Form  behandelt  die  Konstruktion  der 
Vorba  ein  Traktat,  der  von  G.  Hermann,  De  emendanda  ratione  (traecae  grammaticao, 
pars  prima  (Lipsiae  1801)  S.  353—421  ediert  ist:  '^p/»;  ff«'»'  5fw  Twy  ne(fi  Ttji  avyiäSewi 
T(öy  (>rjfi(CTwy  TtQos  r«  öyö/xarn   xai   riov  aXXiag  fiern  7iQo9eas(i)y  eynXXaaaofie'yioy  (itjficirtoy. 

143.  Niketas  von  Serrae,  ursprünglich  Diakon  in  Konstantinopel, 
später  Bischof  von  Serrae  in  Makedonien,  endlich  Metropolit  im  pontischen 
Heraklea,  blühte  am  Ende  des  11.  Jahrhunderts;  einige  Briefe  bezeugen  uns 
freundschaftliche   Beziehungen   zu    dem   durch   seine   reiche   Thätigkeit   in 

')  Genesios  ed.  Bonn.  74,  16.     Der   als  i   spätere  Erzbischof  von  Nikaea.    S.  Hirsch, 

sein  I>eidensgenosse  unter  Kaiser  Theophilos  j    Byzantinische  Studien  S.  340  und  sonst, 

dortselbst  erwähnte  Theophanes    kann    aber  *)  Eine    Lebensge-schichto    des    Michael 

nicht  Theophanes   Confessor   sein,    mit  Synkellos  schrieb  Nikophoros  (tregoras. 

dem  er  im  Index  der  Ausgabe  S.  195  iden-  S.  Nik.  Gregor,   cd.  Bonn.  I  S.  XLVIII.    wo 

tifiziert    wird;    denn    Theophanes    Confessor  als  Gewährsmann  Leo  .Mlatius  De  Symeo- 

starb  schon  817  unter  l^eo  V.     Es  ist  viel-  nibus  S.  100  zitiert  ist.     Das  Stück   scheint 

mehr  der  Bnider  des  Theodoros  Studites,  der  aber  noch  nicht  ediert. 


5.  Altertumswissenschaft.    C.  Grammatik.   f§  142—144.)  281 

theologischer  Litteratur  bekannten  Bischof  Theophylaktos  von  Bul- 
garien. Niketas  verfasste  zahlreiche  theologische  Schriften,  wie  Kommen- 
tare zur  hl.  Schrift  und  zu  mehreren  Reden  des  Gregor  von  Nazianz,  auch 
kirchenrechtliche  Stücke.  Hier  findet  er  seine  Stelle  als  xlutor  von  gram- 
matisch-lexikalischen Lehrgedichten,  die  sich  offenbar  grosser  Be- 
liebtheit erfreuten  und  daher  in  zahlreichen  Handschriften  vorkommen. 
Vereinzelte  Kapitel  der  Formenlehre  und  Orthographie  behandeln  seine 
^Ti'xoi  rreoi  YQaufictTixi]c,  100  langweilige  Trimeter  mit  der  charakteristischen 
Einleitung:  Kaigoc  fitv  vnvov  xal  xaO^evdeiv  r^v  Seov,  AkX  ovr  di  vficeg,  rrccTSfc, 
ccyQVTTrt^Tior,  ed.  von  Fr.  Boissonade,  Anecd.  Graeca  III  (1831)  322  —  327. 
Mit  Vorliebe  hat  Niketas,  wie  später  Ptochoprodromos  u.  a.^)  schulmässige 
Stoffe  der  leichteren  Erlernung  halber  in  die  Form  von  Kirchenliedern 
gebracht.  Solcher  Art  sind  die  Verse  über  die  Beinamen  der  12  Götter, 
die  W.  Studemund  in  den  Anecd.  varia  Gr.  I  (1886)  270—279  mit  einem 
überreichen  kritischen  Apparate  veröffentlichte.  Ferner  gehören  hieher 
seine  Bearbeitung  des  orthographischen  Regelbuches  des  Timotheos 
von  Gaza  und  seine  Verse  über  die  Namen  der  Meere,  Flüsse,  Seen, 
Berge,  Städte,  Völker  und  Edelsteine:  für  letztere  schöpfte  Niketas 
aus  einem  (wahrscheinlich  auch  von  Suidas  benützten)  geographischen  Schul- 
buche, das  selbst  wiederum  auf  die  gewöhnliche  poetische  Schullektüre, 
besonders  auf  Dionysios  Periegetes  zurückging. 

1.  Proben  dieser  Schulpoesien  edierte  ausser  Studemund  noch  L.  Cohn.  .Jahns  Jahrb. 
133  (1886)  649-666.  —  Vgl.  P.  Egenolff.  Die  orthographischen  Stücke  der  bvz.  Lit. 
1888  S.  27  fF. ;  ebenda  S.  24  über  einen  fälschlich  dem  Niketas  zugeschriebenen  ortho- 
graphischen Traktat.  Zu  den  von  Egenolff  genannten  Handschriften  der  grammatischen 
Hymnen  sind  u.  a.  die  codd.  Patmiaci  110  und  322  nachzutragen. 

2.  Zur  Biographie  s.  Fabricius,  Bibl.  Graeca  ed.  Harl.  7,  750.  —  F.  Henrichsen, 
Ueber  die  sogenannten  politischen  Verse  S.  103.  —  Theologische  Schriften  des  Niketas  bei 
Migne,  Patrol.  Gr.  36  (18-58)  9.55-984. 

144.  Gregorios,  Metropolit  von  Korinth,  ursprünglich  Pardos  ge- 
nannt, lebte  am  Schlüsse  des  12,  oder  am  Anfang  des  13.  Jahrhunderts: 
denn  er  zitiert  einerseits  noch  den  Theodoros  Prodromos  unter  den  jüngsten 
Jambographen ;  andrerseits  soll  eine  Handschrift  des  Gregorios  dem  13.  Jahr- 
hundert angehören.  Dieser  nicht  ungelehrte  Theologe  ist  als  Grammatiker 
vorzüglich  bekannt  durch  seine  Schrift  über  die  Dialekte:  llegl  ton' 
iSiayfiärwi'  rwy  SiaXtxrwr.  In  der  Widmungsepistel  beruft  er  sich  auf 
Tryphon  und  Johannes  Philoponos  als  seine  Vorgänger,  nennt  die  für 
die  Kenntnis  der  alten  Dialekte  wichtigen  Schriftsteller  und  bittet  um 
Nachsicht,  wenn  er  einzelnes  übersehen  habe;  er  sei  jedenfalls  viel  voll- 
ständiger als  die  früheren  Dialektologen.  Gregor  schöpft  aus  Johannes 
Philoponos,  aus  Schollen  und  Glossaren  zu  Pindar.  Aristophanes 
und  besonders  zu  Theokrit,  vielleicht  auch  aus  unmittelbaren  Quellen, 
nämlich  aus  den  Dialektschriftstellern  selbst,  wie  Pindar,  Herodot, 
Theokrit.  Doch  ist  der  Stoff  nicht  durchgearbeitet,  und  Zusammengehöriges 
an  verschiedenen  Orten  zertreut,  wie  es  der  Verfasser  eben  im  Laufe  seiner 
Studien  fand.  Welches  Ansehen  aber  das  Werk  genoss,  beweisen  die  zahl- 
reichen Handschriften.    Zu  vergleichen  sind  einige  andere  anonyme  Stücke 

0  S.  §  170. 


282  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

Über  Dialekte,  wie  der  Grammaticus  Leidensis,  Meermannianus  und 
Augustanus.')  Als  zweite  grammatische  Schrift  des  Gregorios  haben 
wir  einen  Kommentar  zu  Hermogenes:  ^Atto  ti^g  s^i^Yti^foog  tov  firjvQo- 
noXhov  KoQirO^ov  fig  zo  negl  (leO^ödov  6fir6irjTog  tov  '^Egfioyt'ioifg  ßißXiov. 
Ein  drittes  (wohl  noch  unediertes)  Schriftchen  desselben  führt  den  Titel: 
neQi  avrTci^€0)g  tov  Xöyov  ijtoi  Trsgi  tov  firj  üoXoixiXtiv.^)  Dagegen  scheint 
die  unter  dem  Namen  des  Gregor  überlieferte  und  öfter  edierte  Schrift 
IlfQ)  TQÖTTMv,  in  der  27  Redefiguren  aufgezählt  und  erläutert  werden, 
einem  älteren  Verfasser  anzugehören,  da  sie  von  Gregor  selbst  im  Kom- 
mentar zu  Hermogenes  als  fremdes  Werk  benützt  wird. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  1.  Ueber  die  Dialekte:  Ed.  Gisbertus  Koen; 
accedunt  grammatici  Leidensis  et  Meermanniani  de  dialectis  opuscula,  Lugduni  Batav.  1766; 
Praef.  S.  36  ff.  Verzeichnis  der  älteren  Ausgaben  (zuerst  Venedig  1496J.  —  Gregorii 
Corinthii  et  aliorum  grammaticorum  libri  de  dialectis  linguae  Graecae.  Quibus  additur  nunc 
primum  editus  Manuelis  Moschopuli  libellus  de  vocum  passionibus.  Rec.  G.  Henr.  Schäfer, 
Lip.siae  1811;  mit  der  VoiTede  und  den  Beigaben  von  Koen;  dazu  der  grammaticus  Augu- 
stanus, ein  dickleibiger  Kommentar  und  fünffacher  Index.  —  Vgl.  W.  Brambach,  Zu 
Theokrit-Scholien  und  Gregor  von  Korinth,  Rhein.  Mus.  22  (1867)  449—451.  —  L.  Mors- 
bach, Gregor  von  Corinth  über  den  dorischen  Dialekt,  Rhein.  Mus.  31  (1876)567—581.  — 
Das  von  Julius  Petzhol  dt  hinter  seinem  Aphthonius  (Lipsiae  1839)  S.  79  If.  veröffentlichte 
Stück  des  Gregorios  von  Korinth  IJegi  ti^i  lancpovg  dircXsxiov  ist  als  eine,  wahrscheinlich 
vom  Herausgeber  selbst  herrührende,  jedenfalls  der  allerneuesten  Zeit  angehörende  Fäl- 
schung nachgewiesen  von  Ahrens,  Rhein.  Mus.  I  (1842)  274—277. 

2.  Kommentar  zu  Hermogenes:  Unvollständig  ed.  von  Jac.  Reiske  in  den 
Rhetor.  Graec,  vol.  8  (Lipsiae  1773)  887—971.  —  Vollständig  erst  von  Chr.  Walz,  Rhetor. 
Graec,  vol.  7  (1834)  1088 — 13.52.  —  Vgl.  Herm.  Schrader,  Porphyrii  qnaestionum  Home- 
ricarum  ad  Odysseam  pertinentium  rel.,  Leipzig  1890  S.  207. 

8.  Die  pseudogregor.  Schrift  Usgi  rgöjiwy  ed.  F.  Boissonade,  Anecdota  Graeca, 
vol.  III  (1831)  270—284  unter  dem  Namen  des  Grammatikers  Tryphon.  Zu  vergleichen 
sind  andere  dort  edierte  anonyme  Stücke.  —  Unter  dem  Namen  des  Gregorios 
edierte  die  Schrift  Chr.  Walz,  Rhetor.  Graec,  vol.  8  (1835)  751—778  (mit  den  erwähnten 
anonymen  Stücken  imd  Kokondrios).  —  Wiederholt  endlich  in  den  Rhetor.  Graec.  ed. 
L.  Spengel  vol.  3  (1856)  215  ff.  —  Ueber  die  Unechtheit  dieser  Schrift  s.  C.  E.  Finckh, 
Zimmermanns  Zeitschr.  für  die  Altertumswissensch.,  Bd.  5  (1838)  1053  und  Philologus  24 
(1866)545—549.  Für  die  Unechtheit  spricht  vielleicht  auch  der  von  Finckh  nicht  erwähnte 
Umstand,  dass  die  2  von  Boissonade  benützten  codd.  Paris,  das  Werk  unt«r  dem  Namen 
des  Tryphon  zu  haben  scheinen. 

4.  Ueber  kirchliche  Schriften  des  Gregor.  Cor.  s.  Fabricius,  Bibl.  Graeca 
ed.  Karl.,  vol.  12,  122—127. 

145.  Johannes  Glykys,  'lamvir^g  6  rXvxvg  (meist  unrichtig  Glykas 
genannt)  aus  Byzanz,  blühte  unter  Kaiser  Andronikos  II  (1283 — 1328).  Er 
war  ein  gelehrter,  rhetorisch  und  grammatisch  gebildeter  Mann,^)  der,  von 
seiner  eigenen  schriftstellerischen  Thätigkeit  abgesehen,  auch  als  Lehrer 
und  väterlicher  Freund  des  grossen  Polyhistors  des  14.  Jahrhunderts,  des 
Historikers  und  Astronomen  Nikephoros  Gregoras,  zu  den  litterarischen 
Bewegungen  seiner  Zeit  in  enger  Beziehung  stand.  Er  besass  die  Würde 
eines  yioyoO^tTifi  tov  dgöfiov  und  bestieg  im  Jahre  131t),  obschon  ursprüng- 
lich Laie  und  verheiratet,  den  Patriarchenthron  von  Konstantinopel,  zog  sich 
aber   schon  1320,   von  Kränklichkeit  geplagt,   in   das  Kloster  KvQtohiaaa 

')  So  benannt   nach  den  Handschriften,  '    »;/oi;f  fincQ  ti?  i/öitei'og   xat  xvnoy  fxfö'oy 

in  denen  sie  erhalten  sind.  x«j  TQÖnoy  x«»«nfp   ii   9fior   itjQwt'  «p/t- 

*)  S.  Gregor.  Corinth.  ed.  Koen  S.  XIV.  ttmov  •  avyf'afM<;    d'    f/ißQ(9ei<f    xai    yym^n 

')  Nie.  Gregoras,  ed.  Bonn.  I  270,  8  AT.:  ßovXivofiivn  xtl  Sfovra  xai  tQÖnioy  afut'öttjti 

Uv   dk    i)    äyrJQ   ao(f6(    iy   loig  judXiarn    xai  f^f^Q^  f^  fiixQt^  näntti  rixuh'. 

a<f6d^a  xiji  tvytyov(  ixetyrjs  xmy  ' A&ijyttiu)y  \ 


5.  Altertumswissenschaft.    C.  Grammatik.  (§  145—147.)  283 

zurück,  wo  er  bald  starb.  Wir  besitzen  von  ihm  ein  ziemlich  umfang- 
reiches syntaktisches  Werk  unter  dem  Titel:  Tov  naxQiäoxov  xvqiov 
Io)ävrov  TOV  rXvxeoc  negl  ogO^örrjog  awrce^swc.  Die  mehr  durch  Klarheit 
der  Sprache  als  durch  Gelehrsamkeit  ausgezeichnete  Schrift  enthält  nicht 
ein  vollständiges  Lehrgebäude,  sondern  behandelt  nur  einzelne  Haupt- 
abschnitte, so  die  Lehre  von  der  Kasusrektion,  von  der  Konstruktion  des 
Partizips,  vom  Solözismus  und  Barbarismus.  In  einer  philosophierenden 
Einleitung  erörtert  der  Verfasser  die  Entstehung  und  Entwickelung 
1er  Sprache  als  eines  göttlichen  Geschenkes.  Von  den  alten  Autoren 
zitiert  er  vornehmlich  den  Homer,  Thukydides,  Plato,  Demosthenes,  auch 
die  Septuaginta.  Ausserdem  verfasste  Johannes  einen  Bericht  über  seine 
gemeinschaftlich  mit  Theodoros  Metochites  ausgeführte  Gesandt- 
schaft nach  Cypern  und  Armenien,  der,  von  Xikephoros  Gregoras  ^)  als 
klar  und  schön  geschrieben  bezeichnet,  uns  verloren  zu  sein  scheint.  Das 
Vorwort  seines  Testaments  hat  uns  derselbe  Xikephoros  Gregoras 
erhalten,  2)  dem  wir  auch  weitere  Nachrichten  über  sein  Leben  verdanken. 

1.  Ein  kleines  Stück  der  Syntax  edierte  I.  Bekker,  .\necdota  Graeca  S.  1077  ff. 
und  J.  A.  Gramer,  Anecdota  Paris.  I  (1839)  401.  —  Erste  vollständige  Ausgabe:  Joannis 
Glycae  (!)  patriarchae  Cpolitani  opus  de  vera  sj-ntaxeos  ratione  ed.  Albertus  Jahnius, 
Bernae  1849;  mit  ausfüirlichen  Prolegomena.  einem  etwas  zu  sehr  holländernden  Kom- 
mentar und  vierfachem  Index.  —  Vgl.  die  Besprechungen  dieser  Ausgabe:  Heidelberger 
Jahrbücher  1840,  792  f.  imd  Zeitschrift  für  die  Altertumswissenschaft,  herausgegeben  von 
Th.  Bergk  und  Jul.  Caesar  184.5,  N.  59  S.  465 — 472  (von  Gräfenhan).  —  Eine  neue  Aus- 
gabe verspricht  Felix  Bölte  im  8.  Teil  der  bei  Teubner  erscheinenden  Sammlung  der 
griechischen  Grammatiker. 

2.  Das  von  Du  Gange  im  Index  auctorum  seines  Glossarium  mediae  et  infimae 
Graecitatis  col.  51  erwähnte  imd  öfter  zitierte  Gedicht  eines  Johannes  Glycas:  De  vani- 
tate  vitae  hat  mit  unserem  Autor  nichts  zu  thun;  es  ist  nämlich  nichts  anderes  als  das 
öfter  edierte  AVerk  üf'y&og  &uvärov  etc.,  dessen  Verfasser,  dem  16.  Jahrh.  angehörig,  sich 
Justus,  Sohn  des  Johannes  Glykos  {t^ig  'loiüyvov  lov  T'/.vxov),  nennt.  S.  E.  Legrand, 
Bibliogr.  hell.,  vol.  I  (1885)  S.  179  und  238  flf. 

146.  Georgios  Lekapenos  ist  ein  wenig  bekannter  Schulmann  aus 
der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts.  Er  gilt  als  Verfasser  einer  grammatischen 
Schrift,  welche  den  Stoff  alphabetisch  ordnet:  Aqx^i  ^''*'  ^*'i'  ^^i'^  y?«,«,«"" 
rtxr^q  xvqov  Fewqyiov  rov  Aexanr^rov.  Quelle  ist  die  Sylloge  des  Moscho- 
[tulos.  Fälschlich  geht  unter  dem  Namen  des  Lekapenos  der  dem  Michael 
.Synkellos  gehörende  Traktat  UsqI  avvvä^eoyc  twv  Qr^iiäton'.     S.  §  142. 

1.  Die  Grammatik  ist  ediert  von  Matthaei,  Lection.  Mosquens.  I  (Lipsiae  1779) 
55—79.  —  Dieselbe  Schrift  findet  sich  in  einem  cod.  Marcianus,  aus  welchem  Villoison, 
Anecdota  Graeca  II  (Venetiis  1781)  79  einige  Zeilen  mitteilt.  —  Vgl.  Fr.  Ritschi,  Thomae 
Magistri  ecloga  (1832)  Proleg.  S.  71  f. 

2.  In  demselben  cod.  Marcianus  486,  den  VUloison  a.  a.  0.  exzerpiert,  befindet  sich 
eine  anonyme  Schrift :  'AiTixiafioi  rwy  Xoyiioy,  welche  er  Anecd.  II  79—85  mitteilt.  Voll- 
ständiger steht  dieselbe  Schrift  im  cod.  Ambrosianus  E.  81,  woraus  Villoisons  Text  ergänzt 
ist  von  Angelo  Mai,  Glassicorum  auctorum  e  Vaticanis  codicibus  editonun  t.  IV  (Romae 
1831)  .523-528. 

147.  Anonymes,  Inedita  u.  s.  w.  Mit  den  angeführten  Werken  ist  die 
grammatische  Litteratur  der  Byzantiner  natürlich  nicht  erschöpft.  Infolge 
der  vielseitigen  Sorgfalt,  welche  den  grammatischen  Studien  selbst  in  der 
Zeit  des  grössten  Verfalls  wenigstens  für  praktische  Zwecke  zu  teil  wurde, 

')  Ed.  Bonn.  I  194.  21. 
»)  Ed.  Bonn.  I  289,  23  flF. 


284  Byzantinische  Litteratnrgeachichte.     I.  Prosaische  Litteratnr. 

finden  sich  in  zahlreichen  Handschriften  ausser  den  bekannten  und  ver- 
öffentlichten Werken  noch  eine  Menge  zum  Teil  anonymer  und  fragmen- 
tarischer Bücher  grammatischen  Inhalts.  Eine  Uebersicht  der  in  der  spät- 
byzantinischen Zeit  hauptsächlich  benützten  grammatischen  Hilfsmittel  gibt 
Pachomios  Rhusanos  (IG.  Jahrhundert)  im  cod.  Nanianus  305.  S.  AI. 
Mingar elli,  Graeci  Codices  mss.  apud  Nanios  patricios  Venetos  asservati, 
Bononiae  1784  S.  511 ;  vgl  die  dortselbst  S.  491 — 517  beschriebenen  Codices. 
Ein  anderes  Verzeichnis  von  Namen  altgriechischer  und  byzantinischer 
Grammatiker  aus  einem  Pariser  Codex  steht  bei  Montfaucon,  Bibliotheca 
Coisliniana  S.  597.  Eine  reiche  Fundgrube  von  kleineren  Traktaten  und 
handschriftlichen  Notizen  sind  ausser  den  älteren  Sammlungen  von  Bekker, 
Cramer  u.  a.  jetzt  besonders  die  Anecdota  varia  Graeca  ed.  G.  Studemund 
vol.  I  (1886).  Ausserdem  sind  natürlich  sämtliche  Kataloge  griechischer 
Handschriften  (s.  §  110)  beizuziehen.  Eine  kritische  Sonderung  und  genea- 
logische Gruppierung  dieser  Massen  machen  sich  die  Bearbeiter  des  Corpus 
gramm.  Gr.  zur  Aufgabe. 

D.   Metrik  und  Musik. 

148.  Metrik.  Auf  keinem  Gebiete  der  Altertumswissenschaft  erweist 
sich  das  Können  der  Byzantiner  so  dürftig  und  ihre  Produktion  so  unselb- 
ständig wie  in  der  Metrik.  Der  Hauptgrund  davon  liegt  in  dem  Umstände, 
dass  die  Grundlage  des  alten  Versbaues,  das  Prinzip  der  Quantität,  in 
der  lebendigen  Sprache  verloren  gegangen  war.  Wie  in  der  Grammatik 
manche  Benennungen  und  Definitionen  infolge  der  veränderten  Lautverhält- 
nisse der  Sprache  den  späteren  Geschlechtern  unverständlich  wurden  und 
nur  noch  als  konventionelle  Termini  fortlebten,  so  wurde  die  Theorie  der 
alten  Metrik  durch  den  Uebergang  der  quantitierenden  Rede  zur  accen- 
tuierenden  Konversationssprache  den  Byzantinern  um  so  dunkler,  als  sie 
von  dieser  im  Laufe  der  Jahrhunderte  unmerklich  vollzogenen  Veränderung 
des  sprachlichen  Klanges  und  ihrer  Tragweite  für  den  Versbau  schwerlich 
eine  deutliche  Vorstellung  hatten.  Die  Folgen  der  sprachlichen  Umbildung 
waren  für  die  metrische  Theorie  bedeutender  als  für  die  Grammatik, 
weil  dort  die  gesamte  Grundlage,  in  der  Grammatik  zunächst  nur  einzelne 
Teile  der  Lautlehre  erschüttert  wurden.  Von  der  rein  mechanischen  Art, 
mit  welcher  die  Byzantiner  die  alten  Metren  anwendeten,  legen  die  zahl- 
reichen Stücke  der  kunstmässigen  Poesie  Zeugnis  ab;  ihr  originelles  und 
selbstverfertigtes  Metrum  aber,  der  politische  Vers,  beruht  auf  dem 
Accent.  Aus  diesen  Verhältnissen  erklärt  sich  die  Bedeutungslosigkeit  der 
byzantinischen  Elaborate  über  Metrik.  Sie  zerfallen  in  zwei  Hauptgattungen, 
in  theoretische  Abhandlungen  über  Füsse  und  Versarten,  und  in 
metrische  Scholicn  und  Kczensionen  der  alten  Dichter. 

Ausgangspunkt  und  Grundlage  der  gesamten  byzantinischen 
Metrik  ist  das  Handbuch  ('Eyx'^(>/'J/or)  des  Hophaestion  mit  seinen 
Scholien.  Doch  muss  bei  der  Quellenbetrachtung  das  gesamte  Scholien- 
konglomerat,  das  sich  an  Hephaestion  angehängt  hat,  in  seine  ursprüng- 
lichen Bestandteile  geschieden  werden.  Ein  Teil  der  Scholien  geht  auf  alto 
Zeit  zurück  und  enthält  reiche  Schätze  der  besten  Geleinsamkeit.    Das  ist 


5.  Altertumswissenschaft.    D.  Metrik  und  Musik.  (§  148.)  285 

die  von  Westphal  als  Scholia  A  bezeichnete  Gruppe  und  das  erste  Buch 
der  Westphalischen  Scholia  B,  die  beide  auf  den  Kommentar  des  Longinos 
zurückgehen,  wenn  sie  auch  nicht  die  Originalform  desselben  darstellen; 
des  weiteren  das  vierte  Buch  der  Scholia  B,  das  vielleicht  aus  dem 
Kommentar  des  Oros  stammt;  eine  andere  Gruppe  weist  auf  die 'E^tjt^aig 
des  Choeroboskos;  einzelne  Stücke  lassen  sich  nach  ihrer  Herkunft  nicht 
näher  bestimmen.  Von  dieser  Masse  scheidet  sich  deutlich  das  den  Scholia  B 
als  fünftes  Buch  angehängte,  in  einer  etwas  verschiedenen  Form  auch  als 
Appendix  eines  rhetorischen  Corpus  und  des  Dionysios  Thrax  über- 
lieferte, triviale  byzantinische  Kompendium,  welches  eine  spätere  Stufe 
metrischen  Wissens  darstellt ;  dasselbe  muss  in  seiner  Urgestalt  jünger  sein 
als  das  9.  Jahrhundert,  da  Konstantinos  der  Sizilier  (s.  §  190)  darin 
benützt  ist;')  wahrscheinlich  gehört  es  dem  10.  Jahrhundert  an,  der  Zeit 
der  Enzyklopädien  und  Sammelwerke.  Wir  müssen  uns  mit  dieser  allge- 
meinen Andeutung  begnügen ;  eine  genauere  Scheidung  und  Definition 
könnte  nur  im  Zusammenhange  und  auf  Grund  einer  ausführlichen  Be- 
schreibung des  ganzen  handschriftlichen  Thatbestandes  gegeben  werden. 

A.  Ein  mit  den  alten  Schollen  versehenes  Exemplar  des  Hephaestion 
kompilierte  etwa  im  11.  Jahrhundert  (wahrscheinlich  vor  Tzetzes)  ein  sonst 
unbekannter  Grammatiker  Trichas-)  in  seinem  erhaltenen  Traktate: 
'ETn^itqiGixol  Twv  svria  i^itxQoiv.  Demselben  geht  ein  Hymnus  an  die 
hl.  Jungfrau  voraus,  in  welchem  die  neun  Hauptmetren  praktisch  veran- 
schaulicht werden:  Tov  ao(fonaTuv  Tqiia  avvoxpiQ  raiv  srra'a  fjitTQoor.  Zwei 
andere  religiöse  Hymnen  mit  metrischer  Erklärung  hatte  Trichas  schon 
früher  abgefasst  und  verweist  mehrfach  auf  sie;  sie  sind  in  antiken  Metreu, 
aber  nach  byzantinischen  Prosodieregeln  gedichtet.  Die  Abhandlung  selbst 
erscheint  als  eine  im  byzantinischen  Geiste  gehaltene  Umarbeitung  des 
Hephaestion  ohne  weitere  Hilfsmittel  als  einen  schlechten  Text  der  guten 
Schollen.  Nachdem  die  Schollen  A  in  einer  besseren  Fassung  ans  Licht 
gezogen  sind,  als  sie  dem  Trichas  zu  Gebote  stand,  ist  das  Schriftchen 
wertlos  geworden. 

Ed.  von  Franc,  de  Furia  (ehemaligem  Bibliothekar  der  Laurentiana  in  Florenz)  als 
Appendix  der  Ausgabe  des  Draco  Stratonicensis  von  Gottfried  Hermann,  Lipsiae  1814.  — 
Dann  in  den  Scriptores  metrici  Graeci  ed.  R.  Westphal,  vol.  1  (1866)  251—302.  —  Neben 
Trichas  ist  zu  nennen  Johannes  Tzetzes,  der  den  Text  des  Hephaestion  in  bj'zantinischen 
Metren  versifizierte ;  ihm  lag  ein  noch  schlechterer  Text  des  Hephaestion  vor  als  dem  (wohl 
etwas  früheren)  Trichas.  Ed.  von  J.  A.  Cramer,  Anecdota  Oxon.  3  (1836)  302—3.33;  vgl. 
die  handschriftliche  Notiz  S.  111  und  Hörschelmann,  Rhein.  Mus.  36  (1881)  285. 

B.  Einen  weit  grösseren  Einfluss  erlangte  das  oben  erwähnte  triviale 
Kompendium.  Aus  ihm  (und  einigen  anderen  Stücken  der  Scholia  B) 
stammt  alles  metrische  Besitztum  der  Byzantiner  ausser  den  Werken 
des  Trichas  und  Tzetzes  und  den  alten  Dichterscholien.  Manche  Lehrer  der 
Metrik,  die  aus  dieser  trüben  Quelle  schöpften,  suchten  ihre  Machwerke 
durch  erborgte  Namen  wie  Hephaestion,  Herodian,  Drakon  zu  empfehlen, 
andere  schrieben  unter  eigener  Firma,  andere  wiederum  in  löblicher  Selbst- 


')  Wenn  nicht  wieder  eine  Interpolation   j  -)  Nicht  Tri c ha,  wie  er  in  der  ganzen 

im  Spiele   ist,    was  L.  Voltz  (s.  unten)   S.  6   |   neueren  Litteratur   (ausser  Cramer,  An.  Ox. 
annimmt.  i    HI  101)  fälschlich  genannt  wird. 


286  Byzantinische  Litteratnrgescliichte.    t.  Prosaische  Litteratnr. 

erkenntnis  anonym ;  aber  keiner  hat  sonstige  Gewälirsmänner  benützt  und 
keiner  hat  etwas  Brauchbares  selbst  hinzugefügt.  Ihre  Abweichungen  ent- 
springen nur  aus  Umstellungen,  aus  Aenderungen  des  Wortlautes  und  aus 
der  verschiedenen  Auswahl  und  Ausführlichkeit,  die  jedem  beliebte.  Meist 
finden  sich  diese  Stücke  als  Anhang  oder  Lückenbüsser  in  Dichterhand- 
schriften ;  manche  Irrlichtern  noch  unerkannt  in  den  Bibliotheken  und 
erwecken  wohl  dann  und  wann  einem  Novizen  die  trügerische  Hoffnung, 
einen  neuen  Codex  oder  ein  Fragment  des  Hephaestion  entdeckt  zu  haben. 
Eine  vollständige  Uebersicht  über  den  Thatbestand  dieser  exilen  Schul- 
litteratur  ist  nicht  möglich,  auch  kaum  wünschenswert.  Ebensowenig 
kann  auf  unserem  beschränkten  Räume  das  sehr  verwickelte  genealogische 
Detail,  welches  in  jüngster  Zeit  namentlich  durch  Studemund  und  Hörschel- 
raann  aufgeklärt  worden  ist,  mit  genügender  Präzision  dargelegt  werden. 
Die  wichtigsten  der  hierher  gehörigen  Stücke  sind  folgende: 

1.  J Qäxovtog  ^TQaTovixkoyg  tc^qI  ftt'vQMi'  Tcoit^rixüir  xai  nqwxov  ttsqI 
XQÖioov,  ein  breites,  aus  Isaak  Monachos,  Pseudo-Hephaestion  u.  a.  stammen- 
des Elaborat,  das  den  stolzen  Namen  des  alten  Grammatikers  Drakon  an 
der  Stirne  trägt,  in  Wirklichkeit  aber  eine  Fälschung  des  16.  -Jahr- 
hunderts ist.  Der  Kompilator  Jakob  Diassorinos  benützte  die  Editio 
princeps  der  grossen  Hephaestionscholien  (von  1526).  Zuerst  teilweise  ediert 
von  Hase,  Not.  et  extr.  8,  2,  43 — 75.  —  Vollständig:  Draco  Stratoni- 
censis  ed.  G.  Hermann,  Lipsiae  1812.  Schon  Hermann  sah,  dass  das 
Werk  in  der  überlieferten  Form  unmöglich  dem  alten  Drakon  gehören 
könne ;  den  näheren  Nachweis  des  jungen  Ursprunges  führten  Lehrs  und 
Voltz.  —  Vgl.  L.  Cohn,  Philol.  Abhandlungen,  Martin  Hertz  .  .  .  darge- 
bracht 1888,  133—143.   -   L.  Voltz,  Jahns  Jahrb.  139  (1889)  579—599. 

2.  'laaaxi'ov  rov  üoifwtatov  fiovaxov  tisqI  jutrQMV  Ttotrjzixdov.  Ed.  von 
L.  Bachmann,  Anecdota  Graeca  H  (1828)  167  —  196.  Isaak  Monachos,  der 
von  Maximos  Planudes  abhängig  ist,  schrieb  am  Schlüsse  des  14.  Jahrhunderts. 

3.  ^HXiov  iXaxiCTOV  fiovccxov  Xägccxog  ngog  'icoävvrjV  tov  ddekffov  atnov 
TtfQi  öiacfÖQCDv  liUTQon'.  Die  Zeit  dieses  Hellas  Charax  ist  gänzlich  unbe- 
stimmt; sicher  lebte  er  nicht  vor  dem  7.  Jahrhundert  n.  Chr.  Ed.  Franc, 
de  Furia  als  Appendix  des  Draco  Stratonic.  von  G.  Hermann,  Lipsiae  1814 
(mit  Trichas).  —  Dann  ed.  das  Werk  W.  Studemund,  Anecdota  varia  I 
(1886)  167—184. 

4.  Eine  anonyme,  entweder  von  Triklinios  selbst  stammende  oder 
von  einem  späteren  Grammatiker  aus  Triklinios  kompilierte  Abhandlung 
über  Metrik  im  codex  Harleianus  5635,  die  in  einigen  Handschriften 
auch  den  Titel  ^Hgaiaifcorog  nsql  f^urgcov  führt.  Ed.  von  Gaisford  in 
der  zweiten  Ausgabe  des  Hephaestion  I  (1855)  317—334.  —  Erste  kritische 
Ausgabe  des  tractatus  Harleianus  auf  neuer  diplomatischer  Grundlage  von 
W.  Studemund,  Index  lect.,  Breslau  1887. 

5.  Der  kurze  pseudoherodianischo  Traktat  ' Hgw^iarov  nn^i  Ti]g 
Xt^ewg  T(öv  ari'xon'  (in  einigen  Handschriften  "^Hq.  nf(jl  aiixiov  rijc  AtJto)c), 
der  die  «J/y  des  heroischen  Hexameters  behandelt.  Eiuo  ähnliche  Dar- 
stellung der  SiatfoQui  und  «Vi;  des  Hexameters  geht  sogar  unter  dem 
Namen  des  Plutarch.     Ed.  Villoison,   Anecdota  Graeca  II   (1781)  85  f 


5.  Altertumewiasenschaft.    D.  Metrik  und  Musik.  (§  148.)  287 

und  Furia  in  der  oben  erwähnten  Appendix  S.  88,  —  Ed.  Studemund 
Anecdota  varia  I  185—188.  —  Pseudo-Plutarchus  De  metris  ed.  D. 
Wyttenbach  mit  Plutarchs  Moralia  t.  V  (Oxford  1800)  1283—1288. 

6.  Die  pseudohephäst.  Abhandlung:  ^H(fcaaTio)rog  negi  nitqatv, 
im  ersten  Abschnitt  eng  verwandt  mit  Isaak  Monachos,  in  einem  anderen 
Kapitel  identisch  mit  Pseudoplutarch  neol  /^oonxov  ihtooik  Pseudo-Hephae- 
stion  de  metris  ed.  HenricuszurJacobsmuehlen,  Dissertationes  philolog. 
Argentoratenses,  vol.  10  (1886)  187—294. 

7.  Ein  anonymes  Stück  Jl^gi  rr^g  rwv  nodow  orouaafag  ('Grammati- 
eus  Ambrosianus")  im  cod.  Ambros.  C.  222  (saec.  XIII).  Ed.  von  H.  Keil 
im  Progr.  von  Halle  1848;  dann  von  A.  Nauck  mit  dem  Lexicon  Vindo- 
bonense  S.  253—267;  endlich  vollständiger  von  W.  Studemund,  Anecdota 
varia  I  211—247. 

8.  Eine  kleine  Abhandlung  Ileol  /ntTQMv,  welche  fälschlich  unter 
dem  Namen  des  Moschopulos  ediert  ist.  Ed.  Nie.  Titze  in:  Manuelis 
Moschopuli  Cretens.  opuscula  grammatica,  Lipsiae  1822  S.  43 — 50. 

9.  Metrische  Kompilationen  im  codex  Chisianus  miscell.  R  IV  11 
(Rom).  Anecdota  Chisiana  ed.  Guil.  Mangelsdorf,  Progr.  Carlsruhe 
1876.  —  Der  erste  Abschnitt  vollständig  bei  Studemund,  Anecdota  varia 
I  205—209.  —  In  derselben  Handschrift  steht  ein  jambisches  Gedicht  in 
100  Versen,  worin  ein  Tabularios  Johannes  Botaniates  aus  Kreta  einem 
Diakon  Isidor  das  jambische  Metrum  erklärt.  Ed.  Studemund,  Anecdota 
varia  I  201  ff.;  ebendort  I  198  f.  ein  Gedicht  über  das  jambische  Metrum 
von  Michael  Psellos.  —  Das  Gedicht  des  Bot.  war  schon  nach  dem  cod. 
Paris.  Gr.  1773  ediert  von  E.  Cougny,  Annuaire  de  l'assoc.  9  (1875)  90 — 96. 

Zu  diesen  allgemeinen  Abhandlungen  über  Metrik  kommen  als  zweite 
Gruppe  die  metrischen  Schollen  und  Rezensionen  einzelner  Dichter, 
in  welchen  die  byzantinischen  Vorstellungen  von  Metrik,  meist  zum  grossen 
Schaden  der  alten  Texte,  praktisch  angewendet  werden.  Die  wichtigsten 
Arbeiten  dieser  Art  stammen  von  Tzetzes,  Manuel  Moschopulos,  Thomas 
Magister  und  vor  allem  von  Demetrios  Triklinios.  Näheres  s.  §§  114  f., 
120  f.,  123  und  in  der  griechischen  Litteraturgesch.  von  W.  Christ  in  den 
Abschnitten  über  Pindar  und  die  übrigen  Dichter. 

Hilfsmittel:  A.  Rossbach  und  R.  Westphal,  Metrik  der  Griechen  P  (1867) 
189 — 214;  ebendort  IP  (1868)  53 — 58  über  die  Prinzipien  der  Accentpoesie  bei  den  Bj-zan- 
tinem.  —  Reiches  Detail  über  die  Handschriften  und  eine  Untersuchung  über  das  Verhält- 
nis des  Pseudo-Herodian  zu  Pseudo-Drakon,  Pseudo-Moschopulos,  Triklinios  u.  a.  gab  W. 
Studemund,  Der  Pseudo-herodianische  Tractat  über  die  e'idtj  des  Hexameters,  Jahns 
Jahrb.  95  (1867)  609-623.  —  W.  Hörschelmann,  Scholia  Hephaestionea  altera  (B) 
integra  primum  edita,  Index  lect.  Dorpat  1882.  —  Carl  Denig,  Quaestiones  Hephaestioneae. 
Adiecit  codicis  Darmstadiensis  n.  2773  coUationem  cum  scholiis  praestantioris  classis  (A) 
ineditis,  Progr.  Bensheim  1886.  —  Ludovicus  Voltz,  De  Helia  Monacho,  Isaaco  Monacho, 
Pseudo-Dracone,  Diss.  Strassburg  1886,  imd:  Die  Tractate  UeQi  twy  -nu&tav  rov  ijgmxov 
utTQov  in  den  Commentat.  in  hon.  6.  Studemund,  Argentorati  1889,  77—89.  —  G.  Rauscher, 
De  scholiis  Homericis  ad  rem  metr.  pertin.,  Diss.  Strassburg  1886.  —  Heinrich  Gross- 
111  an n,  De  doctrinae  metricae  reliquiis  ab  Eustathio  servatis,  Diss.  Strassburg.  1887.  — 
'i.  Amsel,  De  vi  atque  indole  rhythmorum  quid  veteres  iudicaverint,  Breslau  1887  {j= 
lireslauer  philol.  Abhandlungen  vol.  I).  —  Hauptschriften:  W.  Hoerschelmann,  Unter- 
suchungen zur  Geschichte  der  griechischen  Metriker.  Die  Composition  der  Hephaestion- 
schoUen,  Rhein.  Mus.  36  (1881)  260—301  und  besonders  die  abschliessende  Schrift:  Ein 
griechisches  Lehrbuch  der  Metrik,  Dorpat  1888,  wo  alle  Nachkommen  des  erwähnten  5.  Buches 


■ 


288  Byzantinische  titteratnrgeschichte.    1.  Prosaische  Litteratur. 

der  Hephaestionscholien  B  auf  drei  Haupttypen  zurückgefülu^.  sind.  —  W.  Studemund, 
Anecdota  varia  Graeca,  vol.  I,  Berolini  1886.  wo  eine  Reihe  metrischer  Stücke  aus  byzan- 
tinischer Zeit  zum  ersten  Male  mit  genauem  kritischen  Apparate  und  einleitenden  Unter- 
suchungen ediert  sind.  Nachträge  und  Ergänzungen  liiezu  von  W.  Hoerschelmann, 
Götting.  Gel.  Anz.  1887,  594 — 613.  -  Vgl.  das  Referat  über  die  einschlägige  Litteratur 
von  P.  Egenolff.  Bursian-Müllers  Jahresber.  58  (1890)  278-293. 

149.  Musik.  Für  die  Geschichte  der  griechischen  Musik  und 
Musiklitteratur  im  Mittelalter  ist  kaum  das  notwendigste  Material  zu- 
gänglich gemacht.  Ehe  wir  eine  diplomatisch  gesicherte  Sammlung  der 
byzantinischen  Schriftsteller  über  Musik  besitzen,  hat  eine  Untersuchung 
über  die  genealogischen  Verhältnisse  der  verschiedenen  Traktate  wenig 
Aussicht  auf  Erfolg,  und  solange  diese  Untersuchung  nicht  geschehen  ist, 
kann  auch  die  litterarhistorische  Würdigung  dieser  Gattung  nicht  über  eine 
blosse  Aufzählung  hinausgehen.  Begründer  des  griechischen  Kirchen- 
gesanges ist  Johannes  Damaskenos  durch  sein  xaroviov  tfjg  fiovatxi^c. 
Für  das  Mittelalter  ist  von  Wichtigkeit  der  sogenannte  ^AyionoXivijg, 
eine  verstümmelte,  anonyme  Abhandlung,  welche  den  theoretischen  und 
praktischen  Teil  der  griechischen  Kirchenmusik  enthält.  Der  Name  Hagio- 
polites  ist  nicht  der  des  Verfassers,  sondern  bezeichnet  das  Werk  als 
Gesangbuch  der  Kirche  von  Jerusalem.  Im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts 
verfasste  Manuel  Bryennios  drei  Bücher  UQjnorixd,  worin  im  Wider- 
spruche mit  der  Praxis  der  Zeit  die  alten  Musiktheorien  zu  Grunde  gelegt 
sind.  Durch  das  doktrinäre  Festhalten  an  der  alten  Terminologie  wird 
der  Wert  dieser  Schrift  für  unsere  Kenntnis  der  Musikgeschichte  wesent- 
lich gemindert.  Ausserdem  kennen  wir  eine  anonyme  ^alnxi]  rt'xrrj, 
Melodien  über  die  bekanntesten  Zeichen  von  Johannes  Glykys  (wahr- 
scheinlich dem  Grammatiker;  s.  §  145)  und  Johannes  Kukuzelis  (15/16. 
Jahrb.),  von  dem  wir  auch  eine  ^EQfirjveia  Ttjg  TraQaXXayijg  tov  tqoxov  be- 
sitzen. Dazu  kommen  in  Betracht  die  Schrift  des  Manuel  Chrysaphes 
(15/16.  Jahrh.)  im  cod.  Clark.  36  (Beginn:  'Aqxi]  tmv  t-Qünijiäiiov  ri^g  x^iaXit- 
xijg  tt'xvrig)  und  ein  anonymer  Traktat  im  cod.  Barocc.  48:  ^vvoi^ng  agiati^ 
xMv  oxTM  rjxojv.   Harmonika  schrieb  auch  Georgios  Pachymeres,  s.  §  37. 

1.  Ausgaben:  'JyionokiTi/g  ed.  mit  französ.  Uebersetzung  und  Kommentar  von 
Vincent,  Not.  et  extr.  16  (1847)  2,  259 — 281;  in  demselben  Bande  noch  andere  auf  Musik 
bezügliche  Stücke  von  Synesios,  Pediasimos  u.  s.  w.  —  Manuel  Bryennios  ed.  von  .loh. 
Wallis,  Opera  mathematica,  vol.  III  (1699)  359—508  (mit  latein.  Uebersetzung).  -  t'aX- 
T/xjy  rt'xt'f]  ed.  Gerbert,  De  cantu  et  musica  sacra  tom.  II  (1774)  tab.  VIII;  besser  von 
W.  Christ,  Sitzungsber.  d.  bayer.  Akad.  d.  Wiss.,  phil.-hist.  Cl.  1870,  Band  II  267  flF.  - 
Musikalische  Stücke  aus  spanischen  Handschriften  edierte  zum  Teil  mit  franz.  Uebersetzung 
Kmile  Ruelle,  Archives  des  missions  scientifiques  3.  s«5rie,  2.  tome  (1875)  530  ff.;  605  ff. 
und  Annuaire  de  l'assoc.  8  (1874)  123  ff.  imd  11  (1877j  147  ff.  —  Ein  wichtiger  harmoni- 
scher Traktat  ist  aus  einem  cod.  Laurent,  ediert  und  erklärt  von  Ad.  Stamm  in  Stude- 
munds  Anecdota  varia  Graeca  vol.  I  4—30. 

2.  Hilfsmittel:  Wenig  brauchbar  für  den  geschichtlichen  Teil  sind  die  für 
praktische  Bedürfnisse  bestimmten  neugriechischen  Werke:  XQvaayx^og.  Wfwpi/r/xoi«  ftt'yn 
Tjjf  fiovaixtjs,  Triest  1832.  MaQyuQtTtjg,  t-hioQtjrixt]  x«<  TJQaxxixt]  fxxhjataattxi]  uonaixij, 
Constantinopel  1851.  'f'iXö^eyoc.  Aeiixoy  und  t^eioQtjiixöy  arotj^fuöifa  rij^  uovaixtji,  Con- 
stantinopel  18.59.  —  R.  Westphal,  Metrik  der  Griechen  I'  310  ff.  --  .1.  B.  I»itra. 
Hymnographie  de  IV'glise  grecque,  Rome  1867  S.  64  ff.  -  Hauptschriften:  W.  Christ, 
Ueber  die  Harmonik  des  Manuel  Bryennios  und  das  System  der  byzantinischen  Musik, 
Sitzungsber.  der  bayer.  Akad.  d.  Wiss.,  phil.-hist.  Cl.  1870,  Band  II  241  270,  wo  auch 
einige  musikgeschichtliche  Texte  ediert  smd.  —  Ueber  die  Quellen  des  Manuel  Bryennios 
vgl.  C  V.  .lan,  üie  Hannonik  des  Aristoxenianers  Kleonides,  I'rngr.  Laiidsborg  1^<70  S.  19  ff.  — 
Ueber  das  Ijvben  des  Manuel  Bryennios  s.  Max  Treu,  Maximi  nionachi  l'lanudis  epistuluo 


5.  Altertumswissenschaft.    E.  Sentenzen  und  Sprichwörter.  (§  149—151.)     289 

S.  226  f.  (Progr.  Breslau  1890).  —  Joh.  Tzetzes,  üeber  die  altgriechische  Musik  in  der 
griechischen  Kirche,  München  1874,  behandelt  die  musikalische  Theorie  der  Byzantiner, 
gibt  aber  auch  Mitteilimgen  über  Handschriften  und  über  die  neuere  Litteratur.  —  K.  N. 
Sathas,  laroQixoy  doxifxioy  nsgi  rov  &ec(TQov  xai  xi]?  fiovaixi^g  rwp  Bvl^ayriywy,  'Ev  Beyer ia 
1878,  bes.  S.  p«r  ff.  —  A.  Bourgault-Ducoudray,  Etudes  sur  la  musique  ecclesiastique 
Grecque,  Paris  1877,  und:  Souvenirs  d'une  mission  musicale  en  Grece  et  en  Orient,  Paris 
1878.  Vgl.  den  orientierenden  Bericht  von  Ch.  LevSque,  Journal  des  savants  1879, 
33—40;  82—93;  202—218.  —  Auf  Westphal  und  Schmidt  stützt  sich  im  wesentlichen  das 
schöne  Werk  von  Aug.  Gevaert,  Histoire  et  theorie  de  la  musique  de  l'antiquite,  2  voll., 
Gand  1875 — 81.  —  Heinrich  Reimann,  Zur  Geschichte  und  Theorie  der  byzantinischen 
Musik,  Vierteljahrsschrift  für  Musikwissenschaft  5  (1889)  322  ff. 

E.  Sammlungen  von  Sentenzen  und  Sprichwörtern. 

150.  Maximos.  Antonios.  Die  Litteratur  der  byzantinischen  Flori- 
legien  wird  eröffnet  durch  Johannes  Stobäos;  s.  Christ,  Griechische 
Litteraturgeschichte^  §  577.  Eine  viel  gelesene  Sammlung  von  Sentenzen 
aus  profanen  und  christlichen  Schriften  sind  die  Ka<fäXaiu  &so?.oyixd  ijroi 
ixloyai,  welche  um  645  Maximos  o  ofioXoyijTrjg  zusammenstellte.  Daran 
schliessen  sich  die  '^Isqu  naQÜXXrjXa  des  Johannes  von  Damaskos;  s.  §81. 
Aus  Johannes  und  anderen  QueUen  schöpfte  im  11.  Jahrhundert  ein  Mönch 
Antonios  eine  Sammlung,  die  er  MeXiaaa  betitelte.  Die  Uebertragung 
dieses  Titels  auf  den  Namen  des  Autors,  der  seit  Combefis  von  den  Neueren 
schlechtweg  Antonius  Melissa  genannt  wird,  ist  ohne  die  mindeste  Be- 
rechtigung. 

1.  Kollektivausgabe  des  Maximos  (nach  älteren  Drucken)  bei  Migne,  Patrol.  Gr. 
90  und  91  (1860);  die  xerpüXcau  »eokoyixä  dortselbst  91,  719—1018.  —  Antonios  , Me- 
lissa" bei  Migne,  Patrol.  Gr.  136  (1865)  765—1244.  -  Eine  Ergänzung  gab  aus  cod. 
Athen.  32  J.  Sakkelion,  JeXxiop  rrjs  ictoQixiig  xai  e&yoXoycxrjs  ercciQUcs  Tjy?  'EXXa&og  2 
(1885 — 1889)  661 — 666.  —  Reinh.  Dressler,  Quaestiones  criticae  ad  Maximi  et  Antonii 
gnomologias  spectantes,  Jahns  Jahrb.  5.  Supplementb.  (1864—72)  307—350. 

2.  Die  Bezeichnung  eines  Sammelwerkes  durch  den  Namen  der  fleissigen  Biene 
fand  in  anderen  Litteraturen  des  Mittelalters  Nachahmung.  Der  syrische  Bischof  Solo- 
mon  von  Basra  schrieb  im  Anfange  des  13.  Jahrhunderts  eine  Art  Historienbibel,  die  er 
„Buch  der  Biene"  betitelte.  Der  syrische  Text  ist  mit  englischer  Uebersetzung 
ediert  von  Ernest  A.  Wallis  Budge,  Anecdota  Oxoniensia,  Semitic  series,  vol.  I,  part  2, 
Oxford  1886.  —  Auch  in  der  slavischen  Litteratur  des  Mittelalters  spielen  die  Bienen 
eine  Rolle  (vgl.  S.  27). 

151.  Johannes  Georgides,  ein  Mönch,  stellte  aus  zahlreichen  pro- 
fanen und  kirchlichen  Autoren  eine  alphabetisch  geordnete  Sentenzen- 
sammlung zusammen:  rvwfxai  avXXeyeiaai  vno  'Icodrrov  [jiovä^ovTog  rov 
xal  FewQyidov.  Als  der  jüngste  der  zitierten  Autoren  erscheint  in  der  uns 
überlieferten  Fassung  des  Werkes  der  Patriarch  Photios;  wenn  die  Stelle 
zum  ursprünglichen  Bestände  gehört,  wäre  also  der  Verfasser  nach  dem 
9.  Jahrhundert  zu  datieren.  Unter  den  übrigen  Autoren,  welche  Georgides 
benützte,  treffen  wir  vor  allem  die  sentenzenreichen  Stücke  des  Isokrates ') 
wie  die  auch  sonst  als  Lieblingslektüre  der  Byzantiner  erfundene  Rede 
IJQog  Jrjumixov,  dann  Menander  bzw.  Menandersprüche,  Lukian,  Galen, 
daneben  zahlreiche  Kirchenschriftsteller,  auch  das  alte  Testament. 

Die  Sammlung  ist  nach  cod.  Paris.  1166  ediert  von  Fr.  Boissonade,  Anecdota 
Graeca  I  (1829)  1-108;  darnach  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  117  (1864)  1057—1164.  —  Eine 
kurze  Probe  aus  einem  Vaticanus  gibt  A.  Mai,  Spicilegium  Romanum  6  (1841)  611—615.  — 
Mehrere  ähnliche  Sanunlungen  veröffentlichte  Boissonade  a.  a.  0.  S.  109—164,   nämlich 

')  Bzw.  Pseudo-Isokrates;  vgl.  Christ,  Griech.  Litteraturgesch.^  §  251. 

Handbuch  der  Uass.  Altortumswisscnscbafl.  IX.     1.  Abtlg.  19 


290  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    I.  Prosaische  Litteratnr. 

'A-notp&eyfjLata  ayiiav  Seocpögioy  natiQUiv  d.  i.  eine  Sammlung  von  Gnomen  aas  der  heil. 
Schrift  und  den  Kirchenvätern  (Basilios,  Johannes  Chrysostomos,  Gregor  von  Nazianz, 
Gregor  von  Nyssa,  Johannes  Damaskenos  u.  s.  w.);  dann  ryujfAcei.  ^läcpogoi  aus  heiligen 
imd  profanen  Schriften;  4>iXoa6(fü)v  Xöyoi  (Jamblichos,  Pythagoras,  Epicharmos  u.  s.  w.); 
rytifiai  aogxöy;  Fviafint,  rtoy  inTci  aofpüiy;  Eyyea  aocpwy  {cno^f^eyfXfUK  tjqos  'Aks^ayd^oy 
Toy  Msyay  d.  h.  apokryphe  Antworten  der  Brahmanen  oder  Gymnosophisten  an  Alexander 
den  Grossen;  Gnomen  des  Menander  und  Philistion;  die  Verse  des  Menander  Jlsgi  yvyai- 
xdiy;  endlich  Xxixoi  x«r«  aToi/ei^oy  Tor  aocpwTftTov  TjQioraaexg^Tii,  von  welchem  Boissonade 
(I  399)  vemmtet,  dass  er  mit  Leon  Bardales  identisch  sei.  (Vgl.  §  122  Anm.  4).  — 
Eine  prosaische  Sammlung  ryat/nixti  iiya  edierte  Boissonade,  Anecdota  Graeca  III  (1831) 
465 — 474.  —  Eine  der  byzantinischen  Zeit  angehörende  metrische  Paraphrase  der  Sprüche 
der  7  Weisen  ed.  aus  einem  Pariser  Codex  Vi.  Woelfflin,  Sitzungsber.  d.  bayer.  Akad. 
d.  Wiss.,  phil.-hist.  Cl.  1886,  287—298.  Vgl.  W.  Brunco,  De  dictis  VII  sapientium,  Acta 
seminarii  Erlang.  III  299—398.  —  Eine  Wiener  Apophthegmensammlung  ed.  C.  Wachs- 
muth  in  der  Festschrift  zur  Begrüssung  der  Karlsruher  Philologenvers.,  Freiburg  1882.- 
Eine  kritische  Ausgabe  der  Pythagoreersprüche  gibt  nach  einer  Wiener  Handschrift  H. 
Schenkl,  Wiener  Studien  8  (1886)  262—281.  —  Leo  Sternbach,  De  gnomologio  Vati- 
cano  inedito,  Wiener  Studien  9  (1887)  175—206  und  10  (1888)  1—49;  211-260.  —  H. 
Schenkl,  Florilegia  duo  Graeca,  Progr.  Wien  1888.  —  Dazu  vgl.  die  Litteratur  bei 
Christ,  Griech.  Litteraturgesch.'^  §  577  f. 

152.  Makarios.  Eine  Sammlung  von  Sprichwörtern  veranstaltete 
Gregor  von  Cypern;  s.  §  97.  Ausser  ihm  ist  hier  zu  nennen:  Makarios 
Chrysokephalos,  Metropolit  von  Philadelphia,  in  der  Mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts. Seinen  Beinamen  Chrysokephalos  erhielt  er  angeblich,  weil  er 
aus  den  Schriften  der  Kirchenväter  XQ^'^^  xeipäXma  exzerpierte.  Ausser 
zahlreichen  theologischen  Traktaten,  geistlichen  Homilien  und  Kommen- 
taren zur  hl.  Schrift  hinterliess  Makarios  eine  umfangreiche  Sammlung 
unter  dem  Titel  '^Podoaviä  d.  h.  Rosengarten.^)  Das  Werk  enthält  Aus- 
sprüche, Sentenzen  und  Exzerpte  aus  Synesios,  Dio  Chrysostomos,  Plu- 
tarch,  Chorikios,  Prokop  von  Gaza,  Joseph,  Aelian,  den  Kirchenhistorikern 
Eusebios  und  Theodoretos,  selbst  noch  aus  Nikephoros  Chumnos  und  vielen 
anderen  profanen  und  christlichen  Autoren.  Einen  Abschnitt  des  Ganzen 
bildet  eine  alphabetisch  geordnete  Sammlung  von  Sprichwörtern  (/7a- 
Qoifii'm  xavd  aToixeiov). 

Eine  genaue  Beschreibung  der  Venezianer  Handschrift  gab  Villoison,  Anecdota 
Graeca  (1781)  11  4 — 79.  —  Dann  benützte  das  Werk  Chr.  Walz  im  Kommentar  seiner  Aus- 
gabe des  Arsenios  (s.  §  153).  —  Der  die  Sprichwörter  enthaltende  Abschnitt  ist  ediert  im 
Corpus  paroemiograph.  Graec.  von  Schneidewin-Leutsch  II  (1851)  135^227. 

153.  Michael  Apostolios  (auch  ^AnoaTÖXriq),  um  1422  geboren,  wurde 
bei  der  Eroberung  Konstantinopels  1453  von  den  Türken  gefangen.  Nach 
Wiedererlangung  seiner  Freiheit  begab  er  sich  nach  Italien,  wo  er  in 
Bologna  mit  dem  Kardinal  Bessarion  zusammentraf,  kehrte  jedoch  bald 
nach  Griechenland  zurück  und  Hess  sich  in  Kreta  nieder,  wo  er  als  Lehrer 
und  Handschriftenkopist  mit  Mühe  sein  Leben  fristete.  Ein  Versuch,  durch 
ein  injuriöses  Pamphlet  gegen  Theodoros  Gazes  (für  Piaton  und  Plethon) 
sich  die  Gunst  und  Hilfe  des  Bessarion  zu  gewinnen,  wurde  von  diesem 
in  würdiger  und  feiner  Weise  zurückgewiesen  (1462).  Mit  der  Absicht, 
zunächst  eine  Sammlung  von  Sprichwörtern  zu  veranstalten,  las  Apostolios 
zahlreiche  alte  Autoren,  notierte  sich  aber  gleichzeitig  auch  Sentenzen, 
Aussprüche  grosser  Männer  u.  s.  w.  und  bereitete  so  ein  grösseres  Ex- 
zerptenwerk vor.    Von  dem  Bande,  der  die  Sprichwörter  enthielt  —  frei- 

')  Nach  Analogie  des  häufig  als  Titol  verwendeten  'Itavia  d.  h.  Voilchenbeet. 


5.  Altertumswissenschaft.    E.  Sentenzen  und  Sprichwörter.   (§  152—153.)     291 

lieh  hat  Apostolios  auch  Ausdrücke,  die  nie  sprichwörtlich  waren,  zu  Pro- 
verbien  gestempelt  — ,  sandte  er  ein  Exemplar  an  Gaspar,  Bischof  von 
Osmus  in  Spanien,  der  damals  in  Rom  weilte,  ein  zweites  an  den  gelehrten 
Laurus  Quirinus  (jetzt  cod.  Parisin.  3059).  Das  übrige  Material  behielt 
er  zur  weiteren  Bearbeitung,  an  deren  Vollendung  er  durch  den  Tod  ver- 
hindert wurde. 

Sein  Sohn  Aristobulos,  später  als  (von  den  orthodoxen  Griechen 
nicht  anerkannter)  Erzbischof  von  Monembasia  Arsenios  (Apostolios) 
genannt  (1465—1535),  übernahm  den  gesamten  Nachlass,  unterzog  den- 
selben einer  Ueberarbeitung  und  sandte  das  bedeutend  vermehrte  Werk 
unter  dem  Titel  'Icoviä  an  Papst  Leo  X.  Einen  Abschnitt  desselben,  der 
die  dnocfd^e'YficcTa  enthält,  veröffentlichte  er  selbst  durch  den  Druck:  Prae- 
clara  dicta  philosophorum  etc.  s.  1.  et  a.,  wahrscheinlich  Rom  1519;  s. 
Legrand,  Bibliogr.  hellen.  I  169  ff. 

1.  Eine  lateinische  Uebersetzung  der  'liayiü  mit  Noten  von  Pantinus  erschien 
Lugduni  Batavorum  1619.  —  Den  griechischen  Text  (Arsenii  Violetum)  ed.  Chr.  Walz, 
Stuttgart  1832.  —  Die  Sprichwörtersammlung  des  Apostolios  am  besten  ed.  im  Corpus 
paroemiograph.  Graec.  von  Schneidewin  und  Leutsch,  v.  II  (1851)  233—744.  —  Vgl. 
E.  Hiller,  Photios,  Suidas,  Apostolios,  Philologus  34  (1876)  226—234,  wo  nachgewiesen 
wird,  dass  Apostolios  für  seine  Sprichwörter  die  Lexika  des  Suidas  und  des  Photios  be- 
nützte und  zwar  das  letztere  in  einer  besseren  Ueberlieferung,  als  sie  der  cod.  Galeanus  bietet. 

2.  Ueber  Biographie  und  sonstige  Schriften  des  Apostolios  und  Arsenios 
handelt  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  11,  189  —  195  und  K.  Sathas,  SeosXXtivixtj  -PiXo- 
XoyUc,  Athen  1868  S.  70—74  und  126—130.  —  Vollständiger  und  korrekter  E.  Legrand, 
Bibhographie  hellen.  I  (1885)  Introd.  S.  58-70  und  165—174;  ebenda  II  233—259  Briefe 
des  Michael  Apostolios  und  U  337—346  Briefe  des  Arsenios  Apostolios.  —  Lettres  inedites 
de  Michel  Apostolis  ed.  Hipp.  Noiret,  Bibl.  des  ecoles  fran9.  d'Athenes  et  de  Rome, 
fasc.  54,  Paris  1889. 

3.  Neben  diesen  byzantinischen  Sammlungen  ist  auch  das  alte  aus  Zenobios, 
Plutarch  u.  a.  zusammengesetzte  Sprichwörtercorpus,  freilich  in  überarbeiteter  Form,  auf 
uns  gekommen.  Die  neuere  Forschung  war  daher  vorzüglich  auf  die  Wiederherstellung 
der  ursprünglichen  Form  dieser  Werke  imd  die  Untersuchung  ihres  Verhältnisses  zu  den 
byzantinischen  Sammlungen  gerichtet;  wesentliche  Förderung  erwuchs  aus  der  Prüfung 
bzw.  Auffindung  neuer  Handschriften  (bes.  eines  Laurentianus,  Athous  und  Vindobonensis). 
Hauptschrift:  0.  Crusius,  Analecta  critica  ad  paroemiographos  Graecos,  Lipsiae  1883, 
wo  auch  die  sonstige  neuere  Litteratur  verzeichnet  ist.  Eine  noch  genauere  Darlegung  des 
Verhältnisses  der  byzantinischen  Sammlungen  zu  den  früheren,  sowie  der  Handschriften- 
genealogie ist  zu  erwarten  von  dem  Corpus  paroemiogr.  Graec,  das  0.  Crusius  vor- 
bereitet. —  Vgl.  Christ,  Griech.  Litteraturgesch.*  §  520  und  meine  Litteraturangabe  zur 
Sprichwörtersammlung  des  Planudes  (S.  250). 


■ 


19^ 


Zweite  Abteilung. 

Poetische  Litteratur. 


154.  Allgemeine  Charakteristik.  „Poesie  im  wahren  Sinne  des 
Wortes  kannten  die  Byzantiner  nicht,  und  sie  hat  unter  ihnen 
niemals  bestanden."  Dieses  UrteiP)  ist  hart  und  rücksichtslos.  Wenn 
wir  aber  die  schlichte  Wahrheit  sagen  wollen,  müssen  wir  zugestehen, 
dass  das  scharfe  Wort  für  die  Werke,  welche  Bernhardy  im  Auge  haben 
konnte,  mit  verschwindenden  Ausnahmen,  die  höchstens  die  Regel  bestä- 
tigen, zutrifft.  Die  einzigen  Gattungen,  in  welchen  auch  Byzanz  wahr 
empfundene  und  originell  ausgeführte  Poesie  hervorgebracht  hat,  waren 
zur  Zeit  des  grossen  Meisters  der  griechischen  Litteraturgeschichte  fast  un- 
bekannt und  daher  auch  unbeachtet  geblieben.  Wie  die  Prosalitteratur 
der  Mittelgriechen  gemeinhin  nur  als  nützliches  Repertorium  alter  Ueber- 
reste  betrachtet  wurde,  so  hatte  man  auch  in  der  Poesie  nur  das  einiger 
Aufmerksamkeit  gewürdigt,  was  mit  dem  Altgriechischen  im  Zusammen- 
hang stand,  vornehmlich  die  grossen  Versromane,  poetische  Be- 
schreibungen von  Denkmälern,  epigrammatische  und  didaktische 
Gedichte.  Die  Gattungen  der  Dichtung,  welche  aus  dem  originellen 
Leben  des  christlich-byzantinischen  Volkes  hervorsprossten,  blieben  bei 
Seite  liegen.  Sie  wurzeln  nicht  in  der  Antike,  sie  folgen  keinem  alten 
Muster,  sie  werfen  kein  unmittelbares  Licht  auf  die  Werke  der  klassischen 
Vorfahren,  und  doch  oder  vielmehr  gerade  deshalb  sind  sie  die  einzigen 
Zeugen,  welche  den  Ausspruch  widerlegen,  dass  die  poetische  Ader  im 
Geschlechte  der  byzantinischen  Menschen  vertrocknet  sei:  die  kirchliche 
und  die  volksmässige  Dichtung.  Die  eine  entspringt  aus  dem  völlig 
neuen  Prinzipe  der  christlichen  Religion,  aus  der  leidenschaftlichen  Be- 
geisterung für  ihre  wunderbaren  Siege,  ihre  heldenmütigen  Blutzeugen, 
ihre  erhabenen  Geheimnisse;  die  zweite  erwächst  als  ein  originelles  Gebilde 
aus  dem  eigenartig  vorbereiteten  Boden  des  byzantinischen  Volkslebens. 
Gemeinsames  Merkmal  ist  beiden  der  Bruch  mit  der  hellenischen  Tradition 


')  Bernhardy,  Grundriss  der  griech.  Litt«ratur  II  2  (1880)  77J. 


Allgemeine  Charakteristik.    Einteilung.   (§  154—155.)  293 

in  Form  und  in  Gehalt.  Beide  verschmähen  die  Nachahmung  der  alten 
Muster,  beide  giessen  neuen  Stoff  in  neue  Formen,  beide  sind  mit  dem 
lebendigen  Fühlen  des  zeitgenössischen  Volkes  enge  verknüpft,  Blut  und 
Geist  vom  Blut  und  Geist  der  christlichen  Rhomäer. 

Will  man  den  litterarischen  Wert  beider  Gattungen  vergleichend  ab- 
schätzen, so  ist  zweifellos,  dass  die  Kirchendichtung  hoch  über  der 
Volkspoesie  steht.  Das  hat  verschiedene  Gründe.  Die  Kirchendichtung 
ergriff  einen  Inhalt,  der  an  Gewaltigkeit  und  Popularität  auch  die  glück- 
lichsten Stoffe  der  volksmässigen  Litteratur  weit  übertraf.  Dazu  hatte  sie 
in  der  populär  temperierten  Kirchensprache  und  in  der  rythmi- 
schen  Metrik  ein  vortreffliches,  allen  Anforderungen  genügendes  Aus- 
drucksmittel gefunden,  während  die  Volkspoesie  sich  mit  dem  eintönigen 
Aller weltsv er se  behelfen  musste  und  das  ungeschlachte  Werkzeug  der 
Vulgärsprache  infolge  der  ablehnenden  Haltung  der  gebildeten  Kreise 
nicht  genugsam  zu  glätten  und  auszubilden  vermochte. 

155,  Einteilung.  Indem  wir  nun  den  Versuch  machen,  die  byzan- 
tinische Poesie  nach  ihren  Arten  zu  gliedern,  muss  von  der  Volksdich- 
tung, deren  Betrachtung  dem  Anhang  vorbehalten  ist,  abgesehen  werden. 
Der  schöne  Aufbau  aus  Epos,  Lyrik  und  Drama,  durch  welchen  die 
Geschichte  der  klassischen  Poesie  so  einzig  dasteht,  ist  selbstverständlich 
in  der  byzantinischen  Periode  nicht  durchzuführen.  Der  Begriff  der  rein 
nationalen  Dichtung,  die  als  ein  zusammenhängendes  Ganze  sich  nach 
inneren  Gesetzen  organisch  entwickelt,  kann  auf  den  Zeitraum,  welchen 
die  Namen  Alexanders  und  Mohameds  II  begrenzen,  keine  Anwendung 
finden.  Aus  der  grossen  Masse  byzantinischer  Dichtungen  lässt  sich  nur 
eine  Gruppe  absondern,  die  eine  vollständige  Entwickelung  mit  den  un- 
verkennbaren Merkmalen  des  Anwachsens,  der  Blüte  und  des  Niederganges 
durchgemacht  hat:  das  ist  die  für  den  liturgischen  Gebrauch  bestimmte 
rythmische  Kirchenpoesie.  Sie  ist  —  natürlich  immer  abgesehen  von 
der  eigentlichen  Vulgärdichtung  —  die  einzige  poetische  Neuschöpfung  der 
spätgriechisch-byzantinischen  Zeit  und  sie  verdient  daher  in  einem  eigenen 
Abschnitte  betrachtet  zu  werden. 

AUe  übrige  Dichtung  wird  der  zweite  Abschnitt  umfassen.  Gemein- 
sames Merkmal  dieser  aus  sehr  verschiedenartigen  Teilen  zusammenge- 
setzten Gruppe  ist  die  formale  Anlehnung  an  das  Altertum.  Alle 
hieher  gehörigen  Werke  setzen  in  irgend  einer  Weise  eine  antike  Gattung 
fort  und  sind  nach  alten  Mustern  gearbeitet:  ausschliesslich  herrscht  hier 
die  quantitierende  Metrik  und  der  politische  Vers.  Der  St^ff  ist 
für  die  Bestimmung  der  Zugehörigkeit  gleichgültig:  daher  müssen  auch 
Dichtungen,  welche  geistliche  Vorwürfe  behandeln,  wie  der  Ägiarog  na- 
oxon\  Epigramme  auf  Kultusgegenstände  u.  s,  w.  zur  zweiten  Gruppe  ge- 
rechnet werden,  da  ihre  Form  auf  hellenischen  Vorbildern  beniht.  Man 
könnte  die  erste  Gruppe  als  kirchlich-byzantinisch,  die  zweite  als 
christlich-hellenisch  bezeichnen.  Da  über  Herkunft,  Geschichte  und 
Hilfsmittel  der  Kirchendichtung  in  den  einleitenden  Kapiteln  des  ersten 
Abschnittes  ausführlich  gehandelt  ist,   wird  sich   die  folgende  Erörterung 


294  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

im  wesentlichen  auf  die  Werke  der  zweiten  Gruppe,  auf  die  profane 
und  nichtliturgische  Poesie  beschränken.  Zuerst  möge  eine  kurze 
Uebersicht  über  den  Charakter  und  die  Schicksale  der  einzelnen  Dich- 
tungsarten bei  den  Byzantinern  gegeben  werden. 

156.  Epos.  Roman.  Eine  epische  Volksdichtung  im  antiken  Sinne 
beginnt  in  Byzanz  erst  mit  der  vulgärgriechischen  Litteratur;  doch  besitzt 
die  Kunstlitteratur  mehrere  Werke,  die  mit  den  Epen  der  alexandrinischen 
und  spätrömischen  Zeit  verglichen  werden  können.  Georg ios  Pisides 
besingt  in  mehreren  jambischen  Gedichten  den  Kriegsruhm  des  Heraklios, 
in  anderen  belehrt  er  über  die  Eitelkeit  des  Lebens  und  über  die  Er- 
schaifung  der  Welt.  Der  fromme  Diakon  Theodosios  verherrlicht  in  über- 
schwänglichen  Tönen  die  Siege  des  tapferen  Nikephoros  Phokas.  Massen- 
haft erscheinen  seit  dem  12.  Jahrhundert  grammatische,  medizinische, 
astrologische  und  allegorisch-moralische  Lehrgedichte  teils  im  Trimeter, 
teils  im  bequemen  Schlenderton  des  politischen  Verses.  Das  erzählende 
Epos  der  alten  Zeit  wird  jedoch  bei  den  Mittelgriechen  weniger  durch  diese 
historischen,  panegyrischen  und  didaktischen  Werke  vertreten  als  vielmehr 
durch  die  Litteraturgattung,  welche  in  der  neuesten  Zeit  das  alte  Epos 
in  der  denkbar  grossartigsten  Weise  ersetzt,  durch  den  Roman.  Nirgends 
aber  haben  die  Byzantiner  eine  so  völlige  Niederlage  erlitten  als  gerade 
in  dieser  Gattung.  Darüber  mag  man  sich  wundern.  Wenn  das  Drama 
nicht  aufblühen  konnte,  so  war  das  eine  natürliche  Folge  der  schon  aus 
der  hellenischen  Zeit  herrührenden  Umwälzung  der  Kulturverhältnisse.  Der 
Roman  aber,  ein  Kind  der  spätgriechischen  Sophistik,  ruht  rn  seiner  eigen- 
tümlichen Form  auf  Bedingungen,  die  in  der  byzantinischen  Epoche  keines- 
wegs verloren  gegangen  waren;  sein  Verfall  ist  nicht  ohne  weiteres  ver- 
ständlich. Wahrscheinlich  aber  ist  die  letzte  und  wichtigste  Ursache  dieses 
Misserfolges  mehr  im  inneren  Wesen  des  griechischen  Romans  als  in 
äusseren  Umständen  zu  suchen.  Schon  an  der  Wiege  dieser  Gattung  stand 
die  Todfeindin  jeder  echten  Kunst,  die  Unwahrheit.  So  erwuchsen  kalte, 
schematische  Werke,  die  alles  eher  sind  als  ein  getreuer  Ausdruck  ihrer 
eigenen  Zeit.  Nach  einem  leicht  erworbenen  Rezepte  wird  das  dürre 
Gerüste  einer  herkömmlichen  Erzählung  mit  einem  bauschigen  Apparate 
von  Beschreibungen,  Deklamationen  und  Briefen  überkleidet.  Wie  der 
geographische,  ethnographische  und  kulturelle  Hintergrund,  so  sind  auch 
die  Intelligenzen  und  Charaktere  nach  konventionellen  Schul  mustern  ohne 
Rücksicht  auf  das  wirkliche  Leben  geschildert.  Es  sind  Schattenfiguren, 
nebelhafte  Gegenden  Grau  in  Grau,  ohne  bestimmte,  der  Seele  sich  ein- 
prägende Eigenart  in  Form  und  Farbe.  Kein  griechischer  Romanschreibor 
hat  den  Griff  ins  volle  Menschenleben  gewagt;  keiner  kam  auf  den  Ein- 
fall, seine  eigene  Zeit,  ihre  familiären,  sozialen  und  politischen  Verhält- 
nisse, ihre  philosophischen  und  religiösen  Stimmungen,  den  unendlichen 
Reichtum  ihres  Volkslebens  zu  studieren  und  künstkMJsch  zu  verwerten. 
Keine  Litteraturgattung  lehrt  uns  so  wenig  über  die  feineren  Züge  der 
hellenistischen  Kultur  als  die,  aus  welcher  man  hierüber  das  Meiste  er- 
warten sollte.     Der  Blick  auf  das  lebende  Modell  wird  von  diesen  Kunst- 


Epos.    Roman.  (§  156.)  295 

lern  ängstlich  gemieden;  sie  verschliessen  sich  in  den  staubigen  Antiken- 
saal und  arbeiten  nach  toten  Gipsabgüssen.  Sie  haben  kaum  eine  Ader 
des  modernen  Naturalismus.  Sie  bilden  den  äussersten  Gegensatz  zu 
einem  Flaubert,  Zola,  Freytag,  Keller,  Dostojevskij,  Tolstoi. 

Wenn  demnach  schon  die  Originale  auf  hohlem  Scheine  beruhten,  so 
ist  es  natürlich,  dass  nun  gar  die  Nachahmer  solcher  Phrasenwerke  jede 
Fühlung  mit  dem  Leben  und  mit  dem  gesunden  Geschmacke  verlieren 
mussten.  Vom  lesenden  Publikum  war  in  der  mittelgriechischen  Zeit  noch 
viel  weniger  als  früher  eine  Reaktion  gegen  solche  Art  von  Schriftstellerei 
zu  erwarten.  Die  Stufe  der  allgemeinen  Bildung  war  im  Laufe  der  Zeit 
liedeutend  gesunken,  damit  auch  das  feinere  Gefühl  für  die  Harmonie  von 
Inhalt  und  Form.  Manches  hatte  zur  Veränderung  des  Geschmackes  auch 
die  Ueberschwänglichkeit  morgenländischer  Erzählungen  beigetragen, 
welche  zuerst  in  die  untersten  Kreise  des  Volkes  eindrangen  und  bald  zu 
einem  bedeutsamen  Faktor  im  rhomäischen  Kulturleben  wurden,  wie  sich 
ja  orientalische  Einflüsse  auch  in  der  byzantinischen  Kunst  deutlich  be- 
merkbar machen.  Der  mittelgriechische  Roman  ist  uns  in  seiner  grenzen- 
losen Abgeschmacktheit  ein  Rätsel,  und  schwerlich  lässt  sich  ein  Stand- 
punkt entdecken,  von  welchem  sich  dieser  Missgeburt  eine  gefällige  Seite 
abgewinnen  Hesse.  Dass  er  trotzdem  ein  eifriges  Publikum  fand,  wird 
durch  die  grosse  Zahl  der  Handschriften  zur  Genüge  bezeugt.  Wenn  wir 
in  der  neueren  Litteratur  nach  Werken  verwandten  Geistes  suchen,  müssen 
wir  auf  die  wüsten  Erzeugnisse  der  zweiten  schlesischen  Schule 
zurückgehen,  welche  von  den  seit  dem  16.  Jahrhundert  in  zahlreichen 
üebersetzungen  verbreiteten  Sophistenromanen  w^ohl  auch  einen  direkten 
Einfluss  erfahren  haben.  Es  ist  sehr  bezeichnend,  dass  hier  wie  in  Byzanz 
die  Vereinigung  von  kannibalischer  Roheit  mit  süsslicher  Tändelei  und 
äusserstem  Schwulst  für  den  Gipfelpunkt  des  Schönen  gehalten  wird. 

Die  Verbindungsbrücken,  welche  vom  hellenischen  Roman  zum 
byzantinischen  hinüberführen,  sind  nicht  mit  genügender  Deutlichkeit  zu 
erkennen.  Zwar  ist  es  sicher,  dass  die  Romane  der  Sophistenzeit  noch  in 
den  folgenden  Jahrhunderten  gelesen  und  sogar  exzerpiert  und  kommentieii 
wurden.  Hielt  ja  doch  selbst  der  Patriarch  Photios  diese  erotischen 
Werke  seiner  Beachtung  für  würdig,  i)  Aber  es  bleibt  bemerkenswert, 
dass  nach  Chariton,  dem  letzten  Vertreter  des  Romans  auf  heidnischem 
Boden,  eine  selbständige  Produktion  viele  Jahrhunderte  hindurch  gänzlich 
zu  fehlen  scheint.  Wir  sehen  in  dieser  Thatsache  eine  der  Wirkungen 
des  exklusiv  christlichen  Geistes  der  Litteratur,  die  vom  7.  bis  zum 
11.  Jahrhundert  fast  ausschliesslich  von  Angehörigen  des  Klerikerstandes 
gepflegt  wurde.  So  verstehen  wir  auch,  dass  das  Wiederaufleben  des 
Romans  in  die  Epoche  fällt,  in  welcher  man  dem  hellenischen  Altertum 
wieder  ganz  unbefangen  gegenüberzutreten  begann:  Die  uns  bekannten 
byzantinischen  Romanschreiber,  Prodromos,  Manasses,  Niketas  Eu- 
genianos  und  Eustathios,  lebten  im  Zeitalter  der  humanistischen  Re- 
naissance unter  den   Komnenen.     Uebrigens  liegt  wohl  auch  in   dieser 

»)  Cod.  94. 


296  Byzantinische  Litter atnrgeschichte.    11.  Poetische  Litteratnr. 

langen  Unterbrechung  der  technischen  Tradition  eine  weitere  Ursache  der 
plumpen  Ungeschicklichkeit,  mit  welcher  unsere  Romanschriftsteller  an  ihr 
Werk  gingen.  Die  übrigen  Versromane  der  Mittelgriechen,  welche,  teils 
vom  Orient,  teils  vom  Occident  beeinflusst,  teils  auf  nationalem  Boden 
erwachsen,  in  Form  und  Auffassung  vom  Altertum  losgelöst  sind,  gehören 
zur  vulgärgriechischen  Litteratur. 

Hauptschrift  bleibt  auch  für  den  byzantinischen  Roman:  E.  Rohde,  Der 
griechische  Roman,  Leipzig  1876  S.  521—542.  Vgl.  die  gut«  und  einige  selbständige  Bei- 
träge enthaltende  Besprechimg  von  E.  Egger,  Journal  des  Savants  1879,  41  52.  —  Ver- 
altet ist  K.  Struve,  Ueber  die  Romanen-  und  Novellenliteratur  der  Mittelgriechen,  Histo- 
rische und  literarische  Abhandl.  d.  k.  deutschen  Gesellschaft  zu  Königsberg,  herausgeg.  von 
Schubert,  3.  Sammlung  (1834)  S.  47 — 110.  —  Ganz  nutzlos  war  schon  für  seine  Zeit: 
Härtung,  Die  byzantinische  Novelle,  Herrigs  Archiv  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen 
und  Litteraturen  50  (1872)  1—38.  —  Auch  R.  Nicolai,  Ueber  Entstehung  und  Wesen  des 
griechischen  Romans,  Progr.  Bernburg  1854,  und  A.  Chassang,  Histoire  du  roman  etc., 
Paris  1862,  sind  durch  RohdesBuch  völlig  überflüssig  geworden.  —  Ueber  das  Fortwirken 
des  griechisch-byzantinischen  Romans  handelt  A.  Kirpiönikov,  Griechische  Romane  in 
der  neueren  LitTkratur,  Charkov  1876  (Russ.);  über  den  byzantinischen  Roman  s.  bes. 
I  95  ff.  —  Ueber  die  christlichen  Metamorphosen  des  griechischen  Romans  u.  a.  handelt 
A.  N.  Veselovskij.  Zur  Geschichte  des  Romans  und  der  Erzählung  I  (Petersburg  1886) 
29  128  (Russ.).  Vgl.  den  Bericht  von  Jagic,  Archiv  slav.  Philol.  10  (1887)233-243.  — 
Die  Nachahmung  alter  Dichter  in  byzantinischen  Romanen  untei-sucht  J.  G.  Brambs,  Ueber 
Citat«  und  Reminiszenzen  aus  Dichtern  bei  Lucian  und  einigen  späteren  Schriftstellern, 
Progr.  Eichstätt  1888  S.  57  ff. 

157.  Die  lyrische  und  dramatische  Poesie  sind  bei  den  Byzan- 
tinern am  besten  durch  die  Kirchendichtung  vertreten,  in  welcher  Elemente 
beider  Gattungen  zu  grossartigen  Kunstwerken  verschmolzen  sind.  Da- 
gegen hat  der  objektive  Grundton,  der  das  ganze  byzantinische  Zeitalter 
beherrscht,  eine  weltliche  Lyrik  nicht  aufkommen  lassen.  Man  kann 
einige  Stücke  des  Christophoros  von  Mytilene,  des  Johannes  Euchaites, 
des  Ptochoprodromos  u.  a.,  in  welchen  persönliche  Erlebnisse  nicht  ohne 
Geschmack  vorgetragen  werden,  hieher  rechnen;  die  herrschende  Form 
aber  bleibt  auch  für  diese  subjektive  Dichtung  das  in  allen  Variationen 
spielende  Epigramm.  Manche  wie  Konstantin  der  Sizilier  versuchten 
sich  in  anakreontischen  Tändeleien.  Besser  kamen  lyrische  Stim- 
mungen später  in  der  vulgärgriechischen  Poesie  zum  Ausdruck.  Drama- 
tische Poesie  im  strengen  Sinne  des  Wortes  fehlte  den  Mittelgriechen 
ebenso  vollständig  als  die  Voraussetzung  derselben,  die  öffentliche  Auf- 
führung von  Dramen.  K.  Sathas  hat  ein  dickes  und  schwergelehrtes 
Buch  geschrieben,  um  das  Gegenteil  zu  beweisen;  aber  so  sehr  er  sich 
auch  bemüht,  jede  gut  oder  schlecht  bezeugte  Thatsache  zu  seinen  Gunsten 
zu  wenden  und  jedes  Hindernis  beiseite  zu  schieben,  erreicht  er  doch  nur 
das  Ziel,  den  objektiv  gestimmten  Leser  unzähligemal  zu  ärgern  und  ihn 
schliesslich  erst  recht  im  Glauben  an  die  Dramenlosigkeit  der  byzantini- 
schen Zeit  zu  bestärken.  Der  Geschmack  an  der  ernsten  Gattung  des 
Dramas  war  schon  in  der  spätrömischen  Zeit  durch  den  Mimus  und  die 
leichtfertige  Pantomime  verdrängt  worden;  die  Stelle  des  Theaters  hatten 
die  banalen  Lustbarkeiten  des  Zirkus  und  des  Tingeltangels  eingenommen. 
Dem  rücksichtslosen  Kampfe,  welchen  das  erstarkende  Christentum  gegen 
alles  Theaterwesen  eröffnete,  fielen  die  noch  übrigen,  von  der  Volksgunst 
verlassenen    Bühnen    ernsteren   Charakters    leichter    zum   Opfer    als    die 


Die  Ijrrische  und  dramatische  Poesie.  (§  157.)  297 

galanten  Obszönitäten  der  pantomimischen  Posse,  an  welche  ein  starker 
Bruchteil  der  höchsten  und  niedrigsten  Gesellschaftskreise  sich  mit  krank- 
hafter Gier  anklammerte.  Die  dramatische  Litteratur  blieb  dem  schul- 
mässigen  Studium  und  der  Lektüre  überlassen.  Einen  Ersatz  für  die 
alte  Bühne  schuf  das  Christentum  durch  seine  reich  und  sinnvoll  aus- 
gebüdete  Liturgie,  durch  die  Vorlesung  heiliger  und  profaner  Gedichte  bei 
öffentlichen  Gastmählern,  durch  dramatische  Behandlung  christlicher  Stoffe 
und  endlich  durch  geistliche  Aufführungen,  aus  denen  später  das  abend- 
ländische Mysterienspiel  hervorwuchs. 

Von  christlichen  Dramen  oder  \'ielmehr  dramatischen  Dia- 
logen, zu  denen  die  'E^ayoiyi]  des  Juden  Ezechiel  (um  150  v.  Chr.)  einen 
Vorläufer  bildet,  hören  wir  seit  dem  Anfang  des  4.  Jahrhunderts.  Der 
hl.  Methodios  (f  321)  wird  als  Verfasser  von  Dialogen  genannt,  in 
welchen  er  die  Gnostiker  bekämpfte.  In  einem  derselben  streiten  Valen- 
tinianer  und  Orthodoxe  IleQi  avte^ovffiov;  in  einem  Prolog  wird  wie  in 
einem  euripideischen  Drama  der  Inhalt  des  Stückes  angedeutet  und  dabei 
ausdrücklich  darauf  hingewiesen,  dass  das  Drama  nicht  hellenisch,  sondern 
christlich  sein  werde,  was  den  Verfasser  jedoch  keineswegs  hindert, 
homerische  Verse  einzuflechten.  ^  Das  zweite  dramaähnliche  Gedicht  des 
hl.  Methodios  ist  sein  berühmtes  Symposion  der  zehn  Jungfrauen, 
das  ebenfalls  aus  einem  Prolog  und  einem  Dialog  besteht  (s.  §  159).  In 
ähnlicher  Weise  scheint  Arios  durch  sein  bis  auf  einige  Trümmer  ver- 
lorenes Gedicht  QäXeia,  das  wohl  eine  Art  liturgisches  Drama  war,  sich 
bemüht  zu  haben,  ein  Gegengewicht  gegen  die  heidnische  Schaubühne  zu 
schaffen.-)  Die  Popularität  der  Thalia  des  grossen  Häretikers  blieb  bei 
der  orthodoxen  Partei  nicht  unbeachtet;  sie  schuf  daher,  um  die  Arianer 
mit  ihren  eigenen  Waffen  zu  bekämpfen,  eine  'Arrid^aXtia,  von  der  leider 
nichts  Näheres  bekannt  ist.^)  Unter  Kaiser  Maurikios  (591)  wird  von 
einem  wohl  pantomimischen  Mysterienspiel  berichtet,  das  Theophylaktos 
Simokattes^)  als  ^eardgixov  nvarr^Qiov  und  als  d^eavÖQixi]  naröaiaia  be- 
zeichnet. Im  8.  Jahrhundert  sollen  die  Bilderstürmer  theatralische  Vor- 
stellungen begünstigt  haben;  angeblich  als  homöopathisches  Mittel  dagegen 
verfasste  Johannes  von  Damaskos  ein  nicht  erhaltenes  Drama  Susanna, 
das  Eustathios  euripideisch  nennt. 5)  Recht  schwach  bezeugt  ist  ein  Drama 
*0  ^ccratog  rov  Xotaroi,  das  um  790  Stephanos  der  Sabbaite  geschrieben 
haben  soll.'')  Wenn  man  sich  einen  Begriff  von  diesen  „Dramen"  machen 
will,  muss  man  wohl  eher  an  den  kleinen  Dialog  des  Ignatios  als  an  den 
XgKfTog  TiäaxMv  denken.  Das  sind  die  in  nahezu  völliges  Dunkel  gehüllten 
Anfänge  der  geistlichen  Dramatik,  die  auch  in  der  späteren  byzantinischen 
Zeit  nicht  völlig  zu  Grunde  ging.  Wenn  Bischof  Li utpr and  unter  vielen 
anderen  Anstössigkeiten,  die  er  bei  den  Griechen  sah,  auch  die  Verwande- 
lung  der  Hagia  Sophia  in  ein  Theater  bemerkt,  so  kann  er  nichts  anderes 


')  K.  Sathas.  'laxoq.  Soxifuop  ixtQi  rov  *)  Ed.  Bonn.  S.  201;  237  =  Ed.  C.  de 

^etixQov   xcti    XTJg  uovaixtji  xwv  BvCayr.  aeX.       Boor  S.   187;  219. 
pV  «'•  j  ^)  K.  Sathas  a.  a.  0.  to»'. 

*)  K.  Sathas  a.  a.  0.  Q/aa   xi.  *)  K.  Sathas  a.  a.  0.  xn'. 

»)  K.  Sathas  a.  a.  0.  Qfid'.  \ 


298 


Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    II.  Poetische  Litterator. 


meinen  als  eine  Art  von  Mysterienspiel.  Daran  schliessen  sich  endlich 
die  dramaähnlichen  Stücke  aus  der  Zeit  der  Komnenen  und  Paläologen,  der 
Xgiffiog  Tiäaxoiv  und  die  moralisch-allegorischen  Dialoge  des  Ignatios, 
Plochiros,*)  Ptochoprodromos  und  Philes.  Aber  keines  derselben 
war  zur  Aufführung  bestimmt;  es  sind  Lesedramen  in  der  Art  der 
TQayifdonodc'tyQa  und  des  'iiximovg  Lukians.  Heutigestags  scheint  von 
geistlichen  Spielen  in  der  orthodoxen  Kirche  wenig  mehr  übrig  zu  sein. 
Das  einzige  mir  bekannte  Beispiel  ist  der  sogenannte  Nimr^Q  d.  h.  die 
Fusswaschung,  welche  in  Patmos  und  Jerusalem  alljährlich,  zuweilen 
auch  in  Konstantinopel,  am  grünen  Donnerstag  dargestellt  wird.  Es  ist 
eine  von  Mönchen  veranstaltete  Aufführung,  die  jedoch  kein  Mysterienspiel 
genannt  werden  kann,  da  ihrem  spärlichen  Dialoge  nicht  ein  origineller 
und  volksmässiger  Text,  sondern  einfach  die  Worte  der  hl.  Schrift  zu 
Grunde  gelegt  werden.  2) 

Die  Reste  des  weltlichen  Theaterwesens  fristeten  seit  dem  Aus- 
gange des  Altertums  im  Hippodrom  und  an  ähnlichen  Orten  ein  nicht 
immer  sehr  ehrenvolles  Dasein.  Welche  Freiheiten  sich  die  entarteten 
Nachkommen  der  Dionysoskünstler  noch  mitten  in  der  christlichen  Aera 
vor  der  genusssüchtigen  Bevölkerung  der  Grossstädte  erlauben  durften  oder 
mussten,  zeigen  die  Erzählungen  des  Prokop  über  das  Vorleben  der  Theo- 
dora.  Die  Nachrichten  von  der  Aufführung  eigentlicher  Theaterstücke 
unter  Anastasios  P)  und  Justinian  I,^)  womit  sich  die  Rede  des 
Chorikios  auf  die  Schauspieler, 5)  ein  Epigramm  des  Agathias  auf  eine 
Schauspielerin  und  die  Notiz  in  der  Selbstbiographie  des  Menander 
Protektor")  verbinden,  lauten  ziemlich  unbestimmt  und  beweisen  jeden- 
falls nur  für  das  6.  Jahrhundert,  das,  wie  früher^)  gezeigt  wurde,  in 
Wahrheit  gar  nicht  zum  byzantinischen  Zeitalter  gezogen  werden  darf. 
Die  Bestimmungen  der  zweiten  trullanischen  Synode  691  richten 
sich  offenbar  nicht  gegen  Theateraufführungen  im  antiken  Sinne,  sondern 
gegen  pantomimische  und  verwandte  Darstellungen:  Den  Anwälten  wird 
verboten,  sich  ins  Theater  zu  mischen  und  Theaterkostüme  zu  tragen; 
Theatermelodien  sollen  aus  der  Kirche  verbannt  sein;  ebenso  wird  der 
Hippodrom  verdammt  und  den  Priestern  befohlen,  nicht  bloss  den  Anblick 
von  Schaustellungen  zn  meiden,  sondern  auch  von  jeder  Hochzeit  sich  zu 
entfernen,  bei  der  axi]vixoi  auftreten.  Die  Zirkusparteien  beeilten  sich 
natürlich  gegen  so  strenge  Massnahmen  Protest  einzulegen.^)  Auch  später- 
hin vernehmen  wir  noch  öfter  von  Verordnungen  der  Kirche  gegen 
die  öffentlichen  Schaustellungen  und  das  leichtfertige  Volk  der  Mimen. 
Was  Sathas  sonst  noch  zur  Unterstützung  seiner  Theorie  von  der  Unsterb- 
lichkeit der  antiken  Bühne  anführt,   sind  die  bekannten  Akklamationen 


')  Sathas  setzt  a.  a.  0.  osX.  rotj  den 
I'Iochiros  gewiss  mit  Unrecht  in  die  25cit 
des  Bildersturmes. 

*)  Vgl.  K.  Kruml)aclii>r,  (iriechische 
Reise  S.  376.  Eine  ausführliche  lieschreibung 
des  yinrtJQ  in  Patmos  gibt  Kp.  Alexakis 
in  der  griechischen  Zeitschrift  'Eatia  1889 
8.  336  ff.  (Nr.  693). 

*)  K.  iSathas  a.  a.  0.  iXy'. 


*)  K.  Sathas  a.  a.  O.  ry. 

'')  K.  Sathas  a.  a.  O.  Tft'  xe. 

")  S.  §  12.  Menander  schrieb  angehliclu 
selbst  eine  Tragödie  über  einen  |ter.sis<hen 
Magier,  der  sich  zum  Christentum  bekehrte 
und  daher  von  seinen  fanatischen  liandsleut«!! 
gekreuzigt   wurde.     S.  Sathas  a.  a.  O.   rf**, 

')  §  1. 

»)  K.  Sathas  a.  a.  0.  ro^'  xt. 


Die  lyrische  und  dramatische  Poesie.  (§  157.)  299 

der  Zirkusparteien  und  des  Heeres  an  den  Kaiser,  die  öffentlichen  Ver- 
spottungen [öianonnevaeic),  das  von  Konstantin  Porphyrogennetos  be- 
schriebene gothische  Weihnachtspiel*)  und  Aehnliches.  Wenn  man  auch 
diesen  Veranstaltungen  einen  gewissen  dramatischen  Charakter  nicht  ab- 
sprechen kann,  so  sieht  doch  jeder,  der  sehen  will,  dass  all  diese  Dinge 
nicht  das  Fortleben  eines  wahren  Theaters  in  der  byzantini- 
schen Zeit  beweisen  können.  Es  mögen  noch  im  6.  Jahrhundert  da 
und  dort  einzelne  Stücke  der  neueren  Komödie  aufgeführt  worden  sein; 
diesen  Bemühungen  machte  aber  die  einbrechende  Barbarei  bald  ein  Ende, 
und  als  einige  Jahrhunderte  später  die  Lust  an  der  alten  Litteratur  wieder 
zu  erwachen  begann,  hatten  sich  die  kulturellen  Bedingungen  so  sehr  ver- 
ändert, dass  an  eine  praktische  Wiederbelebung  des  alten  Theaters  nicht 
mehr  zu  denken  war.  Wie  in  der  Litteratur  und  im  gesamten  Geistes- 
leben, so  schneidet  auch  im  Theaterwesen  die  dunkle  Kluft  vom  7.  bis 
9.  Jahrhundert  tief  ein  zwischen  Altertum  und  Mittelalter. 

Eine  lehrreiche  Illustration  zur  späteren  Geschichte  des  alten  Theaters 
bildet  die  Thatsache,  dass  die  Ausdrücke  rgayo^Sia,  Squ^a  und  wohl  auch 
xo)fio}6ia  im  Laufe  der  Zeit  ihren  ursprünglichen  Sinn  ähnlich  ver- 
änderten, wie  auf  lateinischem  Boden  das  Wort  comoedia,  dessen  mittel- 
alterliche Bedeutung  durch  Dantes  Divina  Comedia  zu  weltgeschichtlicher 
Berühmtheit  gelangt  ist.  Wie  sich  der  Begriff  von  ToayMÖia  erweiterte, 
zeigen  die  „Tragödien"  der  Kyniker  Diogenes,  Krates  und  Oenomaos.^) 
Daneben  erscheinen  aber  die  Wörter  TQccyo^diu,  rgayo^Sw  und  roaytodoq  schon 
bei  Diodor,  Dionysios  Thrax,  in  Theokritscholien  und  bei  Kirchenvätern 
geradezu  in  der  Bedeutung:  Gesang,  ich  singe,  Sänger.  Ebenso  be- 
deutet im  Neugriechischen  roayovdw  einfach:  ich  singe,  und  t6  tQuyovdi 
ist  der  technische  Ausdruck  für  das  Volkslied.  Bemerkenswert  ist,  dass 
TQuyovdoi  [rQctyovöi)  nur  vom  weltlichen  Gesänge  gebraucht  wird;  vom 
Kirchengesange  kann  auch  in  der  Volkssprache  nur  iL'äXXoj,  ipakf.io)6ia, 
ipäkrifi  gesagt  werden.  3)  Aehnliche  Schicksale  erlitt  das  Wort  ÖQccjxa. 
Als  seine  ursprüngliche  Bedeutung  sich  verdunkelte,  wurde  mit  dem  Worte 
ein  pathetisches  Ereignis,  später,  wahrscheinlich  schon  seit  dem  S.Jahr- 
hundert n.  Chr.,  geradezu  der  Roman  bezeichnet.  So  nennt  Photios  den 
Roman  des  Antonios  Diogenes  SQccuaxixöv  (cod.  166)  und  bei  den  byzantini- 
schen Romanschreibern  heisst  J(>«aa  regelmässig  „Roman '',^)  Endlich  wurde, 
wie  es  scheint,  auch  xo)/.ioidicc  in  der  nachchristlichen  Zeit  von  prosaischen 
Erzählungen  frei  erfundener  Stoffe  gebraucht.^) 

Hauptschrift  über  das  byzantinische  Theater:  K.  Sathas,  latoQixSy  doxtjuiof  Tifot 
tov  &eaxQov  xtd  rrj?  fxovaixtjg  twv  Bv^ceyriycSy,  Venedig  1878.  In  dem  Buche  ist  eine 
erhebliche  Menge  von  Materialien  zur  Geschichte  des  Ueberganges  vom  heidnischen  zum 
christlichen  Kulturleben,   zur  griechischen  Dogmatik,    zur  kirchlichen  Poesie,   Liturgie  und 


*)  S.  §  18  (S.  62).  I  historische  Untersuchung  über  die  Bedeutungs- 

*)  E.  Rohde,   Der   griechische   Roman  :  Verschiebung    von    rpw/wtfai,    sondern    fast 

S.  3.52.  I  nur  allgemeine  Betrachtungen  über  die  Ver 

')  K.  Sathas  a.  a.  0.  fff .  —  Sp.  Zam-  '  drängung  der  heidnischen  Kultur  durch   die 

belios,     n69ey    tj    xoiyrj    Xih?    rgayovddt;  \  christliche   und   über  neugriechische   Poesie 

"Ey  'A9rjyfag  18.59,    ein    oft  zitiertes  Schrift-  ;  enthält. 

chen,  das  jedoch  keineswegs,  wie  nach  dem  j  *)  E.  Rohde  a.  a.  0.  S.  350  S.;  450;  545. 

Titel    zu    erwarten   wäre,    eine    brauchbare  *)  E.  Rohde  a.  a.  0.  S.  352. 


300  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    ü.  Poetische  Litteratnr. 

Musik,  selbst  zur  Etymologie,  Numismatik  u.  a.  ausgeschüttet.  Die  Verwertung  dieser 
Schätze  wird  aber  durch  den  Mangel  an  chronologischer  oder  sonstiger  Disposition,  an 
Klarheit  und  Kritik,  sowie  durch  die  Abwesenheit  einer  Inhaltsangabe  und  eines  Index  zu 
einer  so  unerquicklichen  Aufgabe,  dass  das  Buch  thatsächlich ,  soweit  ich  sehe,  fast 
gänzlich  unbenutzt  geblieben  ist.  Ks  wäre  im  Interesse  der  Wissenschaft  sehr  zu 
wünschen,  dass  der  Verfasser  sich  dazu  entschliessen  könnte,  durch  strengere  Methode 
und  durch  grössere  Genauigkeit  sein  eminentes  Wissen  wahrhaft  fruchtbar  zu  machen. 
Dass  übrigens  der  Hauptzweck  des  Buches,  die  Existenz  eines  wirklichen  Theaters  in 
Byzanz  zu  erweisen,  meines  Erachtens  nicht  erreicht  ist,  habe  ich  schon  oben  bemerkt. 

158.    Die   metrischen  Formen    der   byzantinischen  Poesie.    Im 

byzantinischen  Zeitalter  gibt  es  drei  metrische  Hauptgattungen: 

1.  Die  aus  dem  Altertum  überkommene  quantitierende  Metrik. 
Von  den  mannigfaltigen  antiken  Versarten  gebrauchten  die  Mittelgriechen 
vornehmlich  den  jambischen  Trimeter,  selten  den  daktylischen  Hexa- 
meter, das  elegische  Distichon  und  anakreontische  Dimeter  und 
Trimeter.  Die  Schicksale  der  letzteren  Versarten  während  der  byzan- 
tinischen Zeit  sind  noch  nicht  näher  untersucht;  nur  dem  jambischen  Tri- 
meter, der  in  der  Mehrzahl  aller  nach  dem  Prinzipe  der  Quantität  gedich- 
teten Werke  herrscht,  hat  sich  in  der  letzten  Zeit  die  Aufmerksamkeit 
einiger  Gelehrten  zugewendet.  Der  byzantinische  Trimeter  besteht  in  der 
Regel  aus  12  Silben,  eine  Neuerung,  die  man  keineswegs  aus  poetischer 
Impotenz  erklären  darf;  es  hat  vielmehr,  wie  W.Meyer*)  richtig  erklärt, 
eine  griechische  Dichterschule  im  6.  Jahrhundert  mit  vollem  Bewusstsein 
den  dramatischen  Trimeter  mit  seinen  Auflösungen  und  Anapästen  ver- 
worfen und  den  sogenannten  lyrischen  Trimeter,  von  welchem  der  viel- 
gelesene Lykophron  ein  gutes  Beispiel  bot,  mit  vollem  Bewusstsein  gewählt. 
Georgios  Pisides  wendet  seinen  neugeregelten  Trimeter  mit  nicht  geringe- 
rem Stolze  und  Eifer  an  als  Nonnos  seinen  Hexameter.  Eine  zweite  Eigentüm- 
lichkeit des  byzantinischen  Trimeters  besteht  darin,  dass  die  vorletzte 
(11.)  Silbe  regelmässig  den  Accent  hat.  „Bei  Agathias  und  Johannes 
von  Gaza  sind  Trimeter  mit  accentuierter  Endsilbe  ziemlich  gemieden,  bei 
Georgios  Pisides  fast  gänzlich ;  auf  der  drittletzten  Silbe  betont  Agathias 
viele  Trimeter,  Johannes  von  Gaza  keine,  Georgios  Pisides  in  2  Schriften 
viele,  in  den  übrigen  nur  wenige.  Die  gänzliche  Vermeidung  des  Pro- 
paroxytonon  im  Trimeterschluss  ist  erst  im  10.  Jahrhundert  fertig."  *)  Eine 
geschichtliche  Ent  Wickelung  lässt  die  Pro  so  die  des  byzantinischen  Tri- 
meters wie  der  übrigen  Versmasse  namentlich  in  der  allmählich  zunehmenden 
Freiheit  im  Gebrauche  kurzer,  langer  und  mittelzeitiger  Silben  wahrnehmen. 
Mit  Rücksicht  hierauf  wie  auf  die  erwähnte  Beschränkung  der  Silbenzahl 
und  den  paroxytonen  Schluss  sondert  Hilberg^)  die  Gesamtmasse  der 
byzantinischen  Jambographen  in  drei  Gruppen:  A.  Die  Klassiker. 
Diese  zeichnen  sich  durch  absolute  Korrektheit  der  Versifikation  aus,  so- 
weit Quantität  und  Zäsuren  in  Frage  kommen.  Die  Längungsfähigkeit 
vokalisch  auslautender  kurzer  Endsilben  durch  folgende  Doppelkonsonanz 
welche  im  Altertum  in  enge  Schranken  gebannt  war,  beginnt  jedoch  bereits 


')  Zur  Geschieht«   des   griech.  und   lat.  =*)  Wiener  Studien  S  (188«)  291  fF..  wo 

Hexameters  S.  1020  (s.  die  Litteraturangabe  j  man  die  nähere  Ausführung  und  Begründung 
am  Schluss  des  §).  dieser  Gruppierung  nachlesen  kann. 

^)  Wilh.  Meyer  a,  a.  0.  S.  1020.  1 


Die  metrischen  Formen  der  byzantinischen  Poesie.  (§  158.)  301 

allgemach  diese  Fesseln  abzustreifen.  B.  Die  Epigonen.  Sie  teilen  die 
Korrektheit  bezüglich  der  Zäsuren  mit  den  Klassikern.  Die  Quantität 
jedoch  wird  nur  in  jenen  Fällen  rein  bewahrt,  wo  sie  für  das  Auge  kennt- 
lich ist.  Somit  sind  die  Diphthonge,  rj  und  «  stets  lang  und  die  längende 
Wirkung  der  Doppelkonsonanz  wird  nie  vernachlässigt.  Auch  das  durch 
Kontraktion  oder  Krasis  entstandene,  sowie  das  mit  iota  subscriptum  ver- 
sehene a  bleiben  in  der  Regel  lang,  und  Verkürzung  ist  nur  in  streng 
fixierten  Fällen  gestattet  (vgl.  das  Nähere  darüber  bei  Hercher,  Erot.  Script. 
Gr.  2,  p.  LI  sq.).  Die  Vokale  £  und  o  können  nur  in  Eigennamen  und 
Kunstausdrücken  lang  gemessen  werden,  bei  den  letzteren  nur,  bei  den 
ersteren  fast  nur,  wenn  sonst  die  Verwendung  im  12 silbigen  Trimeter 
unmöglich  wäre.  Langes  a  (abgesehen  von  den  oben  hervorgehobenen 
Arten  desselben),  i  und  v  können  nach  Belieben  auch  als  Kürzen  ver- 
wendet werden,  wobei  verräterische  Circumflexe  über  den  betreffenden 
Vokalen  dem  Acutus  weichen  müssen.  Kurzes  a,  t  und  v  werden  im  An- 
und  Inlaut  ohne  jede  Beschränkung  auch  als  Längen  gebraucht, 
im  Auslaut  jedoch  nur  in  freien  Wörtern  (über  den  Begriff  der 
freien  Wörter  vgl.  Prinzip  der  Silbenwägung  S.  2).  Die  Längungsfähigkeit 
vokalisch  auslautender  kurzer  Endsilben  durch  folgende  Doppelkonsonanz 
ist  gänzlich  unbeschränkt  (vgl.  a.  a.  0.  S.  218  und  234  f.).  Ein  Vertreter 
dieser  Gruppe  ist  Theodoros  Prodromos.  C.  Die  Stümper.  Die  Verse- 
macher, welche  dieser  Gruppe  angehören,  sind  nicht  alle  von  einem^Schlage. 
Ihr  gemeinsames  Unterscheidungszeichen  aber  gegenüber  der  Epigonen- 
gruppe ist  der  unbeschränkte  Gebrauch  von  auslautendem  kurzem 
et,  i  und  V  als  Längen,  Im  übrigen  zeigt  sich  zwar  das  Bestreben,  die 
Gesetze  der  Epigonengruppe  zu  befolgen,  aber  die  Unbeholfenheit,  bisweilen 
auch  Eilfertigkeit  dieser  Dichterlinge  verursacht  zahlreiche  Verstösse.  Bei 
alledem  aber  haben  nur  die  Unfähigsten  in  dieser  Gruppe  der  Unfähigen 
sich  gestattet,  die  Diphthonge,  das  /y  und  o)  zu  verkürzen  und  die  längende 
Wirkung  der  starken  Doppelkonsonanz  zu  vernachlässigen.  Einer  der 
Stümper  leichteren  Grades  ist  der  Verfasser  des  Christus  patiens. 
Bezüglich  der  Chronologie  ist  zu  bemerken,  dass,  soweit  die  erhaltenen 
jambographischen  Erzeugnisse  einen  Schluss  gestatten,  auf  die  Periode  der 
Klassiker  die  Periode  der  Epigonen  folgte,  während  die  Stümper  zum 
Teile  Zeitgenossen  der  Epigonen  waren,  zum  Teile  über  die  Epigonen 
hinausreichten. 

In  wie  weit  diese  Gesetze  auf  die  von  Hilberg  nicht  herangezogenen 
Jambographen  zutreffen  und  in  wie  weit  sie  auch  für  die  daktylische  und 
anakreontische  Poesie  gelten,  kann  ich  nicht  beurteilen,  da  es  mir  nicht 
möglich  war,  über  die  Metrik  der  Profanpoesie  selbständige  Untersuchungen 
anzustellen.  Auf  keinem  Gebiete  bedarf  es  so  sehr  der  genauen  und  um- 
fassenden Vorarbeiten  als  hier,  wo  zufällige  und  isolierte  Beobachtungen 
stets  mehr  verwirren  als  aufliellen.  Zuletzt  muss  noch  ausdrücklich  betont 
werden,  dass  die  gesamte  quantitierende  Poesie  in  der  byzantinischen 
Zeit  des  festen  Fundamentes  der  lebendigen  Sprache  entbehrt  und  als 
eine  mechanische,  mühsam  auf  dem  Papier  aufgebaute  Spielerei  erscheint, 
der  eine  wahrhaft  künstlerische  Berechtigung  in   weit  geringerem  Masse 


302 


fiyzantinisclie  Litteratnrgeschichte.    ll.  Poetische  Litteratar. 


zukommt  als  den  oft  als  barbarisch  gebrandmarkten  auf  dem  Accent  be- 
ruhenden Versarten. 

2.  Das  rythmische  System.  Dasselbe  wurde  durch  die  Kirchen- 
poesie geschaffen  und  wird  fast  ausschliesslich  durch  sie  vertreten.  An 
Stelle  der  Quantität  tritt  hier  als  Hauptprinzip  die  Silbenzählung  und  der 
Schlussaccent.  Unter  sich  ungleiche  Verse  werden  zu  Perioden  und  diese 
zu  Strophen  vereinigt.  Ueber  die  Entstehung,  die  Formen  und  die  Haupt- 
eigentümlichkeiten der  rythmischen  Poesie  ist  §§  173—182  ausführlicher 
gehandelt. 

3.  Das  politische  System.  Mit  der  rythmischen  Poesie  ist  der 
politischen  die  grundsätzliche  Vernachlässigung  der  in  der  lebendigen 
Sprache  längst  geschwundenen  antiken  Quantitätsgesetze  gemeinsam; 
was  sie  von  der  rythmischen  Poesie  unterscheidet,  ist  die  ununterbro- 
chene Wiederholung  des  gleichen  Verses  {notrjfia  xata  aii'xov),  wäh- 
rend dort  innerhalb  der  Periode  ein  Wechsel  der  Versmasse  eintritt  {noirj^ia 
xatct  neQioöov).  Unter  politischen  Versen  im  weiteren  Sinne  verstehen  wir 
demnach  alle  zwar  nach  dem  Accent  gebauten,  aber  Zeile  für  Zeile  {xaxd 
aTi'xor)  wiederkehrenden  Verse.  Solche  gleichzeilige  rythmische  Gedichte 
sind  bei  den  Griechen  vor  dem  10.  Jahrhundert  ziemlich  selten.  Der  be- 
kannteste Vers  dieser  Gattung  ist  der  15silbige,  nach  der  achten  Silbe 
mit  einer  Zäsur  versehene  jambische  Vers: 


v-»    z.    w 


'U    J.    <^    J-    <J 


Kai  niög  ^Qaavg  6  rrjy  aidui  \\  nQoßeßXt]fi£yt]y  s^toy. 

Dieses  Schema  erleidet  verschiedene  Schwankungen,  besonders  kann 
im  Anfange  der  beiden  Halbzeilen  ebensogut  ^  -  als  -  ^  stehen.  Manch- 
mal geht  die  Freiheit  so  weit,  dass  abgesehen  vom  Schlüsse  alle  Rück- 
sichten auf  bestimmte  Füsse  bei  Seite  gelassen  und  nur  Silben  gezählt 
werden.  ^)  Ausser  dem  Fünfzehnsilber  wurden  auch  andere  gleichzeilige 
Verse  nach  dem  Accent  gebaut,  12silbige  jambische  Trimeter,  jambische 
und  trochäische  Dimeter  u.  a.  Doch  haben  sich  diese  Variationen  nicht 
zu  grösserer  Bedeutung  zu  erheben  vermocht,  und  wenn  vom  politischen 
Verse^)  schlechthin  die  Rede  ist,  wird  bei  den  Byzantinern  stets 
und  meist  auch  bei  den  Neueren  der  jambische  Fünfzehnsilber 
verstanden.  Er  beherrscht  die  für  das  gemeine  Bedürfnis  berechneten 
Litteraturgattungen  wie  die  gesamte  Volkspoesie  bis  herab  auf  die  Gesänge 
der  heutigen  Griechen;  seine  tausendjährige  und  noch  kaum  erschütterte 
Lebenskraft  gehört  zu  den  merkwürdigsten  Thatsachen  in  der  allgemeinen 
Geschichte  der  volksmässigen  poetischen  Formen. 

Aus  welcher  alten  Form  der  politische  Vers  stamme,  ist  eine  oft 
besprochene  Frage.  Eustathios^)  will  ihn  aus  trochäischen  V^ersen  er- 
klären, wobei  er  wohl  an  alte  Verse  denkt,  die  sich  wie  politische  lesen 
lassen  z.  B.  des  Aeschylos  ß  ßaO^v^mvaiv  avadüa  JIsQatdcov  vnsQxcni^.    Aehn- 


')  W.  Meyer,  Anfang  und  Ursprung 
S.  325  f,  (s,  Litteraturangabe). 

*)  Irixos  7toXiTix6(  d.  li.  b  ü  r g  e  rl  i  c  li  e  r , 
gemeiner,  von  allen  verstandener  und  ge- 
brauchter Vers,  im  (icgensatze  zu  der  nur 
den    (lelehrten    zugänglichen    Quantitilts- 


poesie.     Die   ich   weiss   nicht  von    wem  er- 
fundene  und    in   unserer  Litteratur  ziemlich 
eingebtlrgerte    Uebersetzung :    Allerwel ts- 
vers ist  mehr  geistreich  als  zutreffend. 
*)  Kommentar  zu  llias  «'  S.  11, 


Die  metrischen  Formen  der  byzantinischen  Poesie.   (§  158.)  S03 

lieh  sagt  Maximos  PlanudesS)  der  den  Gedanken  des  Eustathios  weiter 
verfolgt,  schon  bei  den  Tragikern  und  Aristophanes  seien  unter  den  tro- 
chäisehen  und  jambischen  katalektischen  Tetrametern  zuweilen  politische 
Verse  zu  finden:  ToTg  eic  rö  noXixtxov  agri  ^uTaraffräaiv  ovofia  arixotg 
xai  Toayixol  ndixeg  xctl  ö  Kü)i.uxdq  tariv  ov  xC^>0'«/'**'0'  (fairorrai,  ovx 
af^iäxQOüQ  uivToi,  «//'  ol  i.dv  rooxcn'oig  noir^auvreq,  o  Ko)i.iix6g  6t  xal 
läußoig  •  exccraooi  f^ievroi  xsTQäi^ierQOV  xaiuXr^xtixav  avvoig  oQor  iarijCarzo. 
Dazu  nennt  er  dann  mehrere  Beispiele  wie  den  oben  angeführten  Vers 
des  Aeschylos.  Von  einem  absichtlichen  Bau  politischer  Verse,  woran 
auch  Planudes  nicht  zu  denken  scheint,  kann  bei  den  Alten  natürlich  keine 
Rede  sein.  Dagegen  mag  man  die  von  Planudes  erwähnten  Versarten  als 
Ausgangspunkte  im  Auge  behalten.  Nun  wird  aber  die  sichere  Lösung 
der  ganzen  Frage  deshalb  schwierig,  weil  die  Stufen  und  Mittelglieder, 
die  zwischen  der  quantitierenden  Verskunst  und  dem  politischen  Masse 
liegen,  nicht  überliefert  scheinen.  Zwar  sind  beide  Dichtungsfonnen  durch 
neuere  Beobachtungen  chronologisch  etwas  näher  gerückt  worden.  Wäh- 
rend Henrichsen  und  Bernhardy^)  glauben,  dass  politische  Verse  sich  vor 
dem  12.  Jahrhundert  in  der  Litteratur  nicht  nachweisen  lassen,  hatW. 
Meyer  3)  den  P  sei  los  als  politischen  Dichter  namhaft  gemacht  und  dabei 
die  Vermutung  ausgesprochen,  dass  jedenfalls  zuerst  ein  Gelehrter  auf 
diesen  Vers,  den  er  für  eine  Nachbildung  des  jambischen  Tetrameters  der 
Alten  hält,  verfallen  sei.  Allein  weit  älter  als  Psellos  sind  die  politischen 
Verse,  welche  Konstantin  Porphyrogennetos^)  in  einer  volksmässigen 
Akklamation  überliefert.  Hiedurch,  wie  durch  die  Thatsache,  dass  der 
politische  Fünfzehnsilber  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  in  allen  griechi- 
schen Gegenden  als  das  fast  einzige  Versmass  des  Volksliedes  behauptet 
hat,  scheint  doch  der  populäre  Ursprung  des  Masses  wahrscheinlicher 
zu  werden.  Man  wird  mit  Bernhardy^)  an  Tetrameter  wie  den  in  Plu- 
tarchs  Sulla  überlieferten  Vers  2vxccuir6v  iaiy'  6  2v).lag  uXtfiTo^  jienaa- 
iii'ror  anknüpfen,  vielleicht  aber  zur  Vergleichung  auch  die  aus  14  Silben 
bestehende  Zeilenart  beiziehen  dürfen,  die  sich  bei  Methodios  und  Gregor 
von  Nazianz  findet.  **)  Der  Streit  dreht  sich  zuletzt  eigentlich  nur  um  die 
Frage,  ob  der  jambische  oder  der  trochäische  Tetrameter  für  die 
Entstehung  des  Verses  verantwortlich  sei.  Wahrscheinlich  aber  haben  sich 
beide  in  die  Ehre  der  Vaterschaft  zu  teilen  d.  h.  der  politische  Vers  ist 
wohl  aus  einer  Kontamination  dieser  zwei  alten  populären  Masse  her- 
vorgegangen. 

1.  Quantitierende  Poesie:  Die  Gesetze  des  byzantinischen  Trimeters  entwickelt 
Is.  Hilberg,  Wiener  Studien  8  (1886)  282-314.  Weitere  Beiträge  gab  er  ebenda  10 
(1888)  50-92.  Vgl.  auch  desselben:  Princip  der  Silbenwägung,  Wien  1879  S.  3  ff.;  217  flf.  — 
Wilh.  Meyer,  Zur  Geschichte  des  griech.  und  des  latein.  Hexameters,  Sitzungsber.  der 
bayer.  Akad.  d.  Wiss.,  philos.-philol.  bist.  Cl.  1884,  1013—1023  (über   die   vermeintlichen 


')  Im  JuiXoyos  nsgi  ygafifiarix^g,  Bach- 
mann, Anecd.  Graeca  II  99. 

•  ^)    Grundriss    der    griech.    Litterat.    I* 

(1876)  696 


klamationen  anführt,   werden  sie  ■wohl  noch 
bedeutend  älter  sein  als  die  erste  Hälfte  des 
10.  Jahrb.,  in  welcher  der  Kaiser  schrieb.  Den 
Text  der  Verse  s.  S.  61. 
)  Anfang  und  Ursprung  u.  s.  w.  S.  325.   ,  '")  Grundriss  der  griech.  Litterat  I*  (1876) 

*)  De  caerim.  S.  367  ed.  Bonn.   Da  Kon-       696;  276. 
intin  die  Verse  als  eine  der  üblichen  Ak-  «)  W.  Meyer  a.  a.  O.  S.  310. 


I 


304  Byzantinische  Litteratargeschichte.    11.  Poetische  Litteratnr. 

Vorläufer  der  griechischen  Accentpoesie).  Derselbe:  üeber  die  Beobachtung  des  Wort- 
accentes  in  der  altlat.  Poesie,  Abhandl.  der  bayer.  Akad.  d.  Wiss.  I.  Cl.  17.  Bd.  1.  Abteil. 
(1884)  S.  66  ff.;  110  If.  (über  den  lyrischen  Trimeter). 

2.  Die  Litteratur  zur  rythmischen  Poesie  s.  §§  160  ff.  Politische  Verse: 
K.  L.  Struve,  Der  politische  Vers  der  Mittelgriechen,  Hildesheim  1828.  --  F.  Henrichsen, 
Ueber  die  sogenannten  politischen  Verse  bei  den  Griechen.  Aus  dem  Dänischen  übersetzt 
von  P.  Friedrichsen,  Leipzig  1839;  gilt  noch  immer  als  Hauptschrift,  ist  aber  durch  die 
Veröffentlichung  zahlreicher  neuer  Texte  so  entwertet,  dass  eine  völlig  neue  Bearbeitung 
des  Gegenstandes  dringendes  Bedürfnis  ist.  —  Fr.  Ritschi,  Accentuierte  Verse,  Opuscula 
I  (1866)  289—299.  —  Ueber  den  Ursprung  des  politischen  Verses  und  sein  Verhältnis  zur 
rythmischen  Poesie  handeln:  W.  Meyer,  Anfang  und  Urspnmg  der  lat.  und  griech.  ryth- 
mischen Dichtung,  Abhandl.  der  bayer.  Akad.  d.  Wiss.  I.  CL,  17.  Bd.,  2.  Abteil.  (1885) 
S.  308;  325;  386  und  E.  Bouvy,  Etüde  sur  les  origines  du  rythme  tonique,  Nimes  1886 
S.  159;  322  flF.  —  Ueber  sonstige  accentuierte  Verse  (trochäische  Fünfzehnsilber  u.  a.)  s. 
K.  Krumbacher,  Sitzungsber.  der  bayer.  Akad.  d.  Wiss.,  philos.-philol.  bist.  Cl.  1887 
Bd.  II  53  ff. 


1.  Kirchenpoesie. 

159.  Werke  in  der  antiken  Form.  Wie  die  übrigen  Gattungen  der 
spätgriechisch-byzantinischen  Litteratur,  so  steht  auch  die  Kirchendichtung 
anfänglich  unter  dem  mächtigen,  für  die  Entwickelung  einer  freien  Ori- 
ginalität verhängnisvollen  Einfluss  der  altgriechischen  Formen.  Die 
meisten  poetischen  Versuche  der  chi-istlichen  Griechen,  welche  bisher  in 
weiteren  Kreisen  bekannt  geworden  sind,  schliessen  sich  in  Sprache,  Metrum 
und  Darstellung  an  die  alten  Vorbilder  an.  Es  sind  gelehrte  Imitationen 
von  ähnlicher  Art  wie  die  meisten  Werke  der  Profanpoesie  dieser 
Epoche.  Hieher  gehört  der  in  anapästischen  Monometern  und  Dimetern 
abgefasste,  wahrscheinlich  mit  Unrecht  dem  Clemens  von  Alexandria 
(t  zwischen  211—218)  zugeschriebene  Hymnus,  der  in  den  Handschriften 
von  dessen  JlcaSayoiyöc  steht.')  Das  zweite  Stück  dieser  Art  ist  das  be- 
rühmte Jungfrauenlied  im  „Gastmahl"  des  hl.  Methodios  (f  321).  Das 
Werk,  offenbar  eine  Xachahmung  des  platonischen  Symposion,  ist  in  Prosa 
abgefasst  und  schildert  durch  den  Mund  von  zehn  Jungfrauen  das  Lob 
der  Keuschheit;  zum  Schluss  folgt  ein  Gesang:  eine  Jungfrau  singt,  die 
übrigen,  zur  Rechten  und  Linken  stehend,  antworten  nach  jeder  Strophe 
mit  einem  fröhlichen  Refrain  [vnaxovovai).  Das  Gedicht  steht  in  seinem 
Motiv  vielleicht  unter  dem  Einflüsse  der  Ilaod^kvia  des  Alkman  und  Pin- 
dar;  doch  bietet  die  Form  schon  recht  viel  Auffallendes.  Das  Versmass 
ist  zwar  jambisch,  aber  im  ganzen  Gedichte  finden  sich  so  unbegreifliche 
Verstösse  gegen  die  Gesetze  der  Quantität,  dass  von  zufälligen  Versehen 
keine  Rede  sein  kann.  Der  Gegensatz  zur  altheidnischen  Dichtung,  viel- 
leicht auch,  wie  Meyer  bemerkt,  das  Bewusstsein,  dass  neben  dem  ein- 
heimischen Prinzip  der  quantitierenden  Dichtung  die  fremdsprachlichen 
Christen  ein  ganz  anderes,  kräftiges  Dichtungsprinzip  besassen,  führte  zu- 
nächst zur  Geringschätzung  und  zum  teilweisen  Aufgeben  der  Gesetze  der 
quantitierenden  Poesie.  2)  Viel  treuer  blieb  der  antiken  Schultradition 
Gregor  von  Xazianz  (1389).  Er  verwendet  in  seinen  zahlreichen  Dich- 
tungen mit  zwei  Ausnahmen  (s.  §  161)  nur  alte  Versmasse  wie  Hexa- 
meter, trochäische  Septenare,  jambische  Trimeter  u.  s.  w.    Da  er  von  einem 


')  Vgl.   Bouvy   a.   a.  0.   S.  25  f.,   wo   |  «)  W.Meyer  a.a.O.  309  ff.   Vgl.  Bouvy 

ich  einige  Litteratur  zu  Clemens  verzeichnet   1   a.  a.  0.  30  ff.,  der  auch  einige  Litteratur  zu 
—  Christ,  Griech.  Litterat.'^  §  607.  Methodios  angibt. 

Haiidhnch  der  kUss.  AltertumawiaaenschafL   IX.     1.  Abtlg.  20 


306 


Byzantinische  Litteraturgeschichte.    11.  Poetische  Litteratur. 


warmen  religiösen  Gefühle  beseelt  ist,  wurde  er  in  der  spätem  Zeit  viel 
bewundert  und  wie  die  Profandichter  mit  regelrechten,  gelehrten  Kommen- 
taren versehen.  Unter  den  christlichen  Griechen,  die  in  den  antiken  Formen 
dichteten,  verdient  er  die  erste  Stelle;  aber  trotzdem  blieben  seine  Werke 
dem  Volke,  der  Gemeinde,  der  kirchlichen  Praxis  fern.  Man 
verstand  das  mächtig  eindringende  Wort  des  Gregor,  wenn  er  von  der 
Kanzel  sprach,  aber  niemals  hat  die  Kirche  in  ihrem  öffentlichen  Kultus 
eines  seiner  kunstvollen  Gedichte  wiederholt.  Die  starren  Formen  der  ver- 
alteten Metrik  Hessen  das  Feuer  seiner  Empfindung  nicht  frei  genug  auf- 
flackern. Ein  wahrer,  aus  dem  Innern  gewaltig  hervorbrechender  Enthu- 
siasmus, wie  er  manche  Hymnographen  auszeichnet,  wird  bei  ihm  vergeb- 
lich gesucht;  seine  Poesie  ist  edel  und  gross,  voll  Kunst  und  Ueberlegung, 
aber  sie  reisst  den  Menschen  nicht  mit  sich  fort,  sie  hat  nie  so  von  Herz 
zu  Herz  gesprochen  wie  etwa  das  unvergleichliche  Weihnachtslied  des 
Romanos.^)  Noch  mehr  als  Gregor  stand  sein  Zeitgenosse  Apollinarios 
der  Jüngere  (f  390)  auf  dem  Boden  der  antiken  Ueberlieferung.  Bei 
ihm  war  strenge  Schulung  in  den  alten  Formen  Erbteil  der  Familie.  Der 
Vater  des  Apollinarios,  von  dessen  Werken  nichts  erhalten  ist,  schrieb 
Tragödien  nach  dem  Muster  des  Euripides,  Komödien  nach  Menander, 
Oden  nach  Pindar,  jüdische  Altertümer  nach  Homer.  Von  dem  Jüngeren 
besitzen  wir  eine  Paraphrase  der  Psalmen  in  Hexametern,  deren  Technik 
für  Nonnos  vorbildlich  wurde.  Das  Geschick,  mit  welchem  er  zahllose 
Reminiszenzen  aus  alten  Dichtern,  ihre  berühmten  Bilder,  ihre  glänzenden 
Beiwörter,  ihre  dialektischen  Formen  verwendet,  kann  den  Antiquar  zu- 
frieden stellen.  Die  Psalmen  verloren  aber  durch  solche  Umbildung  ihr 
eigentümliches  Gepräge  und  ihre  erhabene  Einfachheit;  sie  wurden  zu 
homerisch,  um  noch  Psalmen  sein  zu  können.  Solche  humanistische  Spie- 
lereien konnten  unmöglich  populär  werden,  und  wir  verstehen  die  Nach- 
richt des  Kirchenhistorikers  Sokrates,  dass  die  Werke  der  beiden  Apol- 
linarios schon  zu  seiner  Zeit  so  unbekannt  waren,  als  hätten  sie  nie  exi- 
stiert. 2)  Ebenso  gelehrt  sind  die  berühmten  Gedichte  des  Synesios  (370 
bis  ca.  413).  Für  das  Ueberwiegen  des  hellenischen  Elementes  ist  es  hior 
besonders  charakteristisch,  dass  die  Hymnen,  welche  Synesios  als  Christ 
dichtete,  mit  denen  aus  seiner  heidnischen  Zeit  brüderlich  zusammengehen. 
Der  Neuplatoniker  verrät  sich  in  den  ersteren  fast  ebenso  deutlich  als 
in  den  letzteren.  Selbst  der  dorische  Dialekt,  dessen  sich  Synesios 
bedient,  beruht  sicher  nicht  auf  der  damaligen  Mundart  seiner  Heimat 
Kyrene,  sondern  auf  rein  gelehrter  Imitation.  Ueberhaupt  ist  er  viel  mehr 
Philosoph  als  Dichter ;  seine  metaphysischen  Darlegungen  sind  eine  passende 
Lektüre  für  die  Gelehrtenstube,  sie  sind  aber  nicht  geeignet,  von  der  tausend- 
stimmigen Menge  gesungen   und  begriffen   zu  werden.'')     Selbst   Nonnos 


')  Vgl.  Bouvy  a.  a.  0.  51  ff. 

*)  A.  Ludwich,  Apullinarii  inotaphrasis 
psalmoruin  1  III  (als  Probe  einer  kritischen 
Ausgabe),  Progr.  Königsberg  1880;  dazu  des- 
selben Verf.  Abhandlungen  im  Hermes  1.3 
(1878)  335-.350  und  Königsberger  Studien  I 
(1887)  80  ff.  -  K.  Bouvy  a.  a.  0.  S.  43  ff.  - 


Job.  Dräseke,  Zeitschrift  fQr  wissenschaft- 
liche Theol.  31  (1888)  477-487.  —  Kriti- 
sches bei  Leo  Sternbach,  Antholugiae  Pla- 
nudeae  appendix  Harberino-Vaticana,  Leipzig 
1890  S.  (57  und  sonst. 

»)  Vgl.  Bouvy  a.  n.  0.  63  ff. 


1.  Kirchenpoesie.    A.  Rythmische  Kirchendichtnng.   (§  159—160.)  307 

(im  Anfange  des  5.  Jahrb.),  dessen  Metrik  für  die  Profanpoesie  in  einem 
gewissen  Sinne  bahnbrechend  wurde  und  zahlreiche  Nachahmer  fand  wie 
Tryphiodoros,  Kolluthos  und  Musaeos,  hatte  mit  der  metrischen  Paraphrase 
des  Evangelium  Johannis,  die  er  als  Christ  und  wohl  im  hohen  Alter  ver- 
fasste,  keinen  Erfolg;  ein  Unternehmen,  das  von  Anbeginn  so  gänzlich 
verfehlt  war,  wäre  auch  einem  grösseren  Dichtergenie  nicht  gelungen,  i) 
Nonnos  ist  nicht  der  letzte  Grieche,  der  das  Gerüste  altgriechischer 
Formen  zur  Ausstellung  christlicher  Ideen  verwertete:  die  Sitte  gelehrter 
Imitation  der  antiken  Metrik  ist  auch  nach  dem  Auftreten  der  rythmischen 
Dichtung  und  des  politischen  Verses  nicht  ausgestorben.  Das  beweisen 
die  trockenen  Dichtungen  des  hl.  Sophronios  (s.  §  164),  die  drei  jambi- 
schen Kanones  des  Johannes  von  Damaskos  und  die  zahlreichen  in 
anakreontischen  und  anderen  Massen  verfassten  Poesien  geistlichen  In- 
halts eines  Elias,  Ignatios,  Leo  des  Weisen,  Prodromos,  Manuel 
Phil  es  u.  a.  Die  für  wahre  Kunst  immer  verhängnisvolle  Wirkung  des 
Nachleierns  toter  und  nicht  mehr  verständlicher  Formen  hat  sich  auch 
hier  im  vollen  Masse  bewährt.  Nur  ganz  wenige  dieser  Kunstgedichte 
verdienen  den  Namen  Poesie.  Mit  Klängen,  die  in  der  lebendigen  Sprache 
keinen  Widerhall  mehr  fanden,  konnte  niemand  zum  Herzen  des  Volkes 
sprechen.  Die  Gefahr,  welche  hierin  lag,  wird  von  dem  Historiker  nicht 
unterschätzt  werden;  hätte  sich  nicht  zur  rechten  Stunde  eine  andere 
Kunstform  gefunden  und  eingebürgert,  so  wäre  dem  griechischen  Volke 
der  Segen  einer  wahren  religiösen  Poesie  für  immer  versagt  geblieben. 
Nur  dieser  neuen  Form  ist  es  zu  verdanken,  dass  nun  eine  Litteratur- 
gattung  erstand,  die  an  poetischem  Gehalt,  an  Mannigfaltigkeit  und  Tiefe 
den  vorzüglichsten  Teilen  der  alten  Dichtung  zur  Seite  gestellt  werden 
darf.  Diese  wirkungsreiche  Kunstform,  welche  wie  mit  einem  Zauber- 
schlage das  poetische  Vermögen  der  Hellenen  von  neuem  wachrief  und  der 
verstummenden  Zunge  wiederum  Laute  von  alter  Kraft  verlieh,  ist  die 
rythmische  Dichtung. 

A.  Rythmische  Kirchendichtung. 

160.  Begriff  und  allgemeine  Geschichte.  Der  lebendigen  Sprache 
war  die  feine  Differenz  der  kurzen  und  langen  Silben  in  der  römischen 
Zeit,  wie  die  Buchstabenverwechselungen  auf  Inschriften  und  andere  That- 
sachen  beweisen,  abhanden  gekommen.  Der  neue  Vokalismus  besass 
weder  lange  noch  kurze,  sondern  nur  isochrone  Vokale  d.  h.  Vokale,  die 
alle  mit  derselben  Zeitdauer  gesprochen  wurden.  2)  Aus  der  alten  musi- 
kalischen Quantitätsprache  war  ein  modernes  Konversationsidiom  ge- 
worden, in  welchem  ein  Wort  wie  avO^gomog  als  einfacher  Daktylus  klang. 
Wer  jetzt  also  nach  der  Quantität  dichtete,  gebrauchte  eine  tote  Form, 
die  auf  dem  Papiere  künstlich  zugerichtet  werden  konnte,  von  dem  Ohre 
aber  nicht  mehr  verstanden  wurde.  Erst  als  die  christliche  Poesie  sich 
von   diesem   unerträglichen   Zwange   losmachte    und    zum    rythmischen 

•)  Vgl.  Bouvy  a.  a.  0.  60  ff.  !   für  vergleich.  Sprachforsch.  N.  F.  X  (1889) 

'')  Vgl.  G.H atz idakis,  Kuhns  Zeitschr.    ,    3.57  ff.;  auch  Bouvy  a.  a.  0.  127  ff. 

20* 


1 


308  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

Versbau  ihre  Zuflucht  nahm,  begann  sie  wahrhaft  zu  leben.  Das  Prinzip 
der  neuen  Form  ist  nicht  Länge  oder  Kürze,  sondern  die  Zahl  der  Sil- 
ben und  der  Accent  d.  h.  die  Dinge,  welche  damals  allein  hörbar  waren 
und  welche  auch  die  Poesie  der  modernen  Völker  beherrschen.  Keines- 
wegs aber  trat  der  Wortaccent  einfach  an  die  Stelle  des  früheren  Vers- 
accentes;  die  alten  Versformen  wurden  vielmehr  gänzlich  beiseite  ge- 
schoben und  dafür  neue,  ganz  verschiedenartige  Zeilen  und  Strophen 
erfunden  (Näheres  s.  §§  174  ff.). 

Nur  in  den  Werken  der  rythmischen  Form  besitzt  die  christliche 
Poesie  bei  den  Griechen  eine  wahrhafte,  von  schwachen  Versuchen  rasch 
zur  Vollendung  aufsteigende  und  endlich  wieder  sinkende  innere  Ent- 
wickelung.  Leider  ist  die  Geschichte  derselben  noch  wenig  erforscht. 
Wir  erkennen  zwar  mit  genügender  Deutlichkeit,  dass  der  ungeheuere  uns 
erhaltene  Vorrat  an  Kirchenliedern  eine  nach  und  nach  entstandene  Schö- 
pfung ist;  wir  bemerken  bedeutende  Unterschiede  in  den  Formen,  im  poe- 
tischen Gehalte,  in  der  Darstellung  und  Auffassung;  wir  sehen,  dass  aus 
unscheinbaren  Quellen  allmählich  ein  mächtiger,  reichverzweigter  Strom 
anwächst,  aber  es  ist  gegenwärtig  nicht  möglich,  den  Lauf  desselben  in 
seinen  Verästelungen  und  Zuflüssen  klar  nachzuweisen.  An  einer  genaueren 
Feststellung  der  Geschichte  dieser  Litteraturgattung  hindert  vornehmlich 
ihre  Anonymität.  Wenige  Dichter  sind  nach  ihrer  Person,  ihrer  Zeit 
und  ihren  Lebensverhältnissen  näher  bekannt;  von  vielen  hören  wir  nichts 
als  die  blossen  Namen ;  eine  grosse  Zahl  und  darunter  manche  der  ältesten 
Stücke  sind  völlig  herrenlos  überliefert.  Wir  können  daher  die  Ent- 
wickelungsgeschichte  der  griechischen  Kirchendichtung  vorerst  nur  in 
allgemeinen  Umrissen  beschreiben.  Mit  genügender  Sicherheit  lassen  sich 
in  derselben  drei  Hauptepochen  unterscheiden,  nämlich  L  die  Zeit  der 
Vorbereitung,  welche  hauptsächlich  durch  kleine,  zwischen  die  Psalmen 
und  andere  Teile  der  hl.  Schrift  eingeschobene  Stücke,  durch  Akklamationen 
des  Volkes  und  einige  isolierte  Gedichte  von  bekannten  Verfassern  be- 
zeichnet wird,  2,  die  Blüteperiode,  in  welcher  die  umfangreichen,  aus 
20 — 30  und  mehr  Strophen  bestehenden  Hymnen  zur  Ausbildung  und  höch- 
sten Vollendung  gelangen,  3.  eine  Periode,  welche  mit  der  Entstehung 
einer  neuen  architektonischen  Form  von  Gedichten,  den  sogenannten  Ka- 
nones,  anhebt.  Diese  Abteilung  ist  jedoch  nicht  so  zu  verstehen,  als 
ob  die  für  jede  Periode  charakteristische  Gattung  in  derselben  ausschliess- 
lich geherrscht  hätte.  Die  Akklamationen  und  die  kleinen  Stücke, 
welche  die  Signatur  der  ersten  Periode  bilden,  dauern  auch  in  der  zweiten 
und  dritten  fort;  die  Hymnen,  das  Kennzeichen  der  zweiten  Periode, 
werden  auch  in  der  dritten  weitergepflegt. 

1.  Sammelausgabeii:  Die  ältesten  Dnicke  griechischer  Kirchenlieder  befinden 
sich  in  den  für  den  praktischen  Gebrauch  bestimmten  liturgisclien  Werken.  Ks  sind 
namentlich  folgende  Venezianer  Drucke:  MijyttUt  1586 — 1596,  oft  wiederholt,  zuletzt  be- 
arbeitet von  Barthol.  Kutlumusianos  1880.  —  Dazu  in  zahlreichen  Ausgaben  dei-  '()xrw'»;/os', 
das  TQiiiidioy,  UefxtjxoatÜQiof,  'iiQoköyioy,  F.v}[oX6ytoy,  ElQuoXöytov.  Darnach  gab  eine 
kleine  Auswahl  Vormbaum  in  Daniels  Thesaurus  hymnologicus,  vol.  III  (Lipsiae  1846) 
1  —  138  (die  übrigen  Bünde  enthalten  nur  lattünische  und  syrische  Lieder).  —  Für  selb- 
HtAndi^e  Studien  kann  man  die  alten  Drucke  nicht  ganz  entbehren;  sie  enthalten  aber 
Uieibt  unzuverlässige  und  stark  verstümmelte  'I'exte,  die  für  eine  litterarische,  philologische 


1.  Kirchenpoesie.    A.  Rythmische  Kirchendichtung.   (§  161.)  309 

und  geschichtliche  Betrachtung  des  Kirchenliedes  nicht  ausreichen.  Diesem  Behufe  dienen 
nur  folgende  vier  Werke:  J.  P.  Pitra,  Hymnographie  de  l'eglise  grecque,  Rome  1867; 
Hymnen  auf  den  hl.  Petrus.  —  W.  Christ  und  M.  Paranikas,  Anthologia  Graeca  car- 
mmum  Christianorum,  Lipsiae  1871:  reiche  Auswahl  christlicher  Poesien  in  chronologischer 
Ordnung  mit  einer  ausführlichen  Einleitung  über  Geschichte  und  Form  der  Kirchendichtung.  — 
J.  B.  Pitra,  Analecta  sacra  spicilegio  Solesmensi  parata,  tom.  I,  Parisiis  1876;  enthält 
eine  überraschend  grosse  Zahl  früher  gänzlich  oder  teilweise  unbekannter  Hymnen  des 
Romanos,  Anastasios,  Sergios,  Kyriakos,  Theodoros  Studites  u.  a.  —  Archimandrit  Am- 
philochius  (jetzt  Bischof  von  Rostov),  Kov^uxüqiov  nach  der  griechischen  Originalhand- 
schrift der  Moskauer  Synodalbibliothek  N.  437,  zusammengestellt  mit  der  ältesten  slavischen 
Uebersetzung,  2  voll.,  Moskau  1879  (Titel,  Einleitung  u.  s.  w.  russ.).  Der  erste  Band 
bringt  im  grossen  und  ganzen  dieselben  Texte  wie  Pitra,  dessen  Ausgabe  nur  noch  im 
Nachtrage  verwertet  ist;  der  zweite  Band  (in  kleinerem  Formate)  enthält  Facsimileproben 
in  mangelhafter  Ausführung.  Der  Textband  dürfte  durch  den  völligen  Mangel  an 
Genauigkeit,  Kritik  und  Methode  in  der  ganzen  philologischen  Litteratur  als 
ein  Unikum  dastehen.  Damit  der  skeptische  Leser  nicht  glaube,  mein  Urteil  sei  vom 
blassen  Neide  der  Rivalität  angekränkelt,  bemerke  ich  nur,  dass  auf  den  208  Seiten,  welche 
der  Text  (ohne  den  Anhang)  umfasst,  bei  oberflächlichster  Durchsicht  15000—20000 
Fehler  jeder  Art  aufstossen  —  was  denn  doch  selbst  bei  der  weitesten  Ausdehnung  der 
Nachsicht,  die  man  gegen  eine  editio  princeps  walten  zu  lassen  geneigt  ist,  des 
Schlechten  etwas  zu  viel  sein  dürfte.  Merkwürdigerweise  ist  die  famose  Leistung  im 
Buchhandel  schon  vergriffen  und  so  schwer  aufzutreiben  wie  ein  Inkunabeldruck.  —  Dazu 
kommt  noch  die  kleine  Publikation  von  J.  Pomjalovskij,  Zwei  liturgische  Koviüxia  auf 
Pergament,  Petersburg  1884. 

2.  Hilfsmittel:  Den  Grund  zur  Erforschung  der  Form  und  Geschichte  des  griechi- 
schen Kirchenliedes  legten  Pitra  und  Christ  in  den  Prolegomena  der  oben  genannten 
Werke.  —  Ausserdem  W.  Christ.  Ueber  die  Bedeutung  von  Hirmos,  Troparion  und  Kanon 
in  der  griechischen  Poesie  des  Mittelalters,  Sitzungsber.  d.  bayer.  Akad.  d.  Wiss.,  phil.-hist. 
Cl.  1870,  Band  II  7-5—108.  —  Zwei  ausführliche  Referate  über  den  ganzen  von  Pitra  und 
Christ  gebotenen  Stoff  gaben  H.  Stevenson,  L'h^\-mnographie  de  l'eglise  grecque,  Revue 
des  que.stions  historiques  11  (1876)  482 — 543  und  L.  Jacobi,  Zur  Geschichte  des  griechi- 
-( hen  Kirchenliedes,  Zeitschrift  für  Kirchengeschichte  herausgeg.  von  Th.  Brieger  5  (1882) 
177—250.  —  Ein  Referat  über  das  Referat  von  Stevenson  ist  der  Aufsatz  von  D.  Kupi- 
toris,  Bulletin  de  correspond.  hellen.  2  (1878)  372—391,  wo  ohne  Beweis  die  alte  Idee 
verteidigt  wird,  dass  die  rythmische  Form  aus  der  altgriechischen  Poesie  abzuleiten  sei.  — 
Mehrere  Fragen  behandelt  auch  K.  Sathas,  'larooixoy  doxifiiov  nsoi  xov  &sc'ctqov  xtci  rr^s 
iioiaixr/g  roiv  BvC.,  Venedig  1878.  —  Hauptschrift:  Wilh.  Meyer  (aus  Speyer),  Anfang 
und  L'rsprung  der  lateinischen  und  griechischen  rvthmischen  Dichtung,  Abhandl.  d.  bayer. 
Akad.  d.  Wiss.  1.  CL.  17.  Bd.,  2.  Abteüung,  München  1885  S.  270—450.  YgL  die  ziemlich 
ungerechte  Rezension  von  Dreves.  Götting.  Gel.  Anzeigen  1886,  1,  284 — 293.  —  Nützlich, 
besonders  für  die  allgemeine  Geschichte  und  Würdigvmg  der  griechischen  Kirchenpoesie, 
weniger  für  die  Erkenntnis  der  metrischen  Formen  ist:  Edm.  Bouvy,  Etüde  sur  les  ori- 
gines  du  rythme  tonique  dans  Fhymnographie  de  l'eglise  grecque,  Nimes  1886.  —  Gegen 
einen  Teil  der  Ansichten  von  W.  Meyer  richten  sich  Karl  Deutschmann,  De  poesis 
Graecorvmi  rhythmicae  usu  et  origine,  Progr.  Coblenz  1889,  und  Maximilien  Kawczynski, 
Essai  comparatif  sur  l'origine  et  l'histoire  des  rythmes,  Paris  1889  S.  138  ff.  —  Für  die 
musikalische  Seite  s.  die  zu  §  149  angeführte  Litteratur. 

Erste  Periode, 

161.  Aelteste  Kirctiengesänge.  Die  Gewohnheit,  bei  religiösen  Zu- 
sammenkünften Gott  durch  Gesang  zu  verherrlichen,  übernahmen  die  Ckristen 
von  der  Synagoge.  Daher  sind  in  den  ersten  Jahrhunderten  ihre  Kirchen- 
gesänge mit  denen  der  Juden  fast  identisch.  Den  wichtigsten  Teil  bildeten 
die  Psalmen ;  dazu  kommen  noch  einige  andere  Stücke  des  alten  und  neuen 
Testaments,  die  Dankesworte  Marias  nach  der  Botschaft  des  Engels  Gabriel, 
die  Weissagung  des  Zacharias  und  der  Jubelhymnus  des  greisen  Symeon. 
Den  sichersten  Beweis  für  diese  Thatsache  gibt  uns  der  dem  5,  Jahrhundert 
angehörige  codex  Alexandrinus;  derselbe  enthält  nämlich  nach  der 
griechischen  Uebersetzunsc  des  alten  Testaments  ein  kirchliches  Gesang- 


310  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    II.  Poetische  Litteratnr. 

buch,  in  welchem  wir  den  erwähnten  uralten  Bestand  der  griechischen 
Liturgie  vorfinden.  *)  Das  Volk  beteiligte  sich  damals  am  Kirchengesange 
wohl  nur  durch  die  Schlussakklamationen,  das  Alleluija,  Amen,  Hosanna, 
Adonai,  das  oft  wiederholte  Kyrie  eleison.  In  diesen  Akklamationen 
liegt  der  Keim  eines  wichtigen  Bestandteiles  des  späteren  Kirchenliedes: 
aus  ihnen  entstand  der  Nachgesang  oder  das  Ephymnion  (s.  §  177). 
Bald  hören  wir  auch  schon  von  neuen  Liedern  der  Christen;  frei- 
lich sind  diese  Nachrichten  zum  Teil  so  unbestimmt,  dass  wir  nur  schwer 
ein  deutliches  Bild  gewinnen  können.  Schon  Plinius  der  Jüngere  be- 
richtet in  einem  Briefe  (10,  96),  dass  die  Christen  vor  Tagesanbruch  sich 
zu  versammeln  und  Christo  ein  Lied  zu  singen  (ante  lucem  convenire 
carmenque  Christo  dicere)  pflegten.  Doch  lässt  sich  bei  der  Unbestimmt- 
heit des  Ausdrucks  und  der  mangelhaften  Bekanntschaft  des  Plinius  mit 
christlichen  Dingen  nicht  sicher  genug  ersehen,  ob  er  damit  wirkliche 
Kirchengesänge  meinte.  Dafür  haben  wir  aber  von  Origenes  und  Eu- 
sebios  völlig  sichere  Zeugnisse,  dass  die  Christen  Gott  und  seinen  einge- 
borenen Sohn  in  Hymnen  besangen. 2)  Besonders  übten  die  Häretiker  kirch- 
lichen Gesang  und  kirchliche  Dichtung,  so  Nepos  in  Aegypten,  der  syrische 
Gnostiker  Bardesanes  und  vor  allen  Arios.  Ein  Beweis  hiefür  ist  auch 
der  merkwürdige  alte  Psalm  der  Naassener.^)  Von  der  Vorliebe,  mit 
welcher  das  Volk  solche  Gesänge  aufnahm,  wird  mehrfach  berichtet,  und 
es  ist  nur  natürlich,  dass  auch  die  Orthodoxen  sich  bemühten,  dem  reli- 
giösen Bedürfnisse  in  dieser  Weise  entgegenzukommen.  Die  ältesten  Ge- 
sänge, von  welchen  wir  genauere  Kunde  haben,  sind  Lieder  am  Morgen 
und  Abend,  bei  der  Lichtanzündung  und  beim  Frühstücke:  vfivog  fioO^irög, 
fffTregirög,  intXvxviog,  fvxr/  eVr'  ocQiairoA)  Der  berühmte  Morgenhymnus: 
Jö^a  SV  vipffTToig  i>f/>)  xal  snl  yfjg  €iQr]vrj  u.  s.  w.  wurde  auch  in  der  abend- 
ländischen Kirche  bis  ins  Mittelalter  hinein  im  griechischen  Urtexte  ge- 
sungen. 5)  Diese  Stücke  unterscheiden  sich  aber  von  den  späteren  Kirchen- 
gesängen dadurch,  dass  sie  fast  noch  ganz  aus  Worten  der  hl.  Schrift 
zusammengesetzt  sind.  Die  ältesten  selbständigen  rythmischen  Ge- 
dichte stammen  von  Gregor  von  Nazianz;  es  ist  sein  Jungfrauenlicd 
und  sein  Abendhymnus. '^)  Wie  Gregor,  der  Hauptvertreter  der  christlichen 
Quantitätspoesie,  dazu  kam,  sich  auch  in  der  neuen  Form  zu  versuchen, 
ist  schwer  zu  erklären;  doch  scheint  seine  Autorschaft  für  diese  zwei 
Gedichte  völlig  gesichert.  Sie  bestehen  aus  Langzeilen  von  14 — 16  Silben, 
welche  in  zwei  Halbzeilen  von  verschiedener  Silbenzahl  zerfallen;  Quan- 
tität und  Tonfall  ist  durchaus  freigegeben,  nur  muss  die  vorletzte  Silbe 
der  zweiten  Halbzeile   betont  sein.     Zweifellos  gehören  also  beide  Stücke 


')  S.  Christ,  Anthol.  I'rolegom.  S.  20  f.;  i  the  use  of  the  (.treck  languagp,  writton  pho- 

63  f.  j  iictically,   in  the  early  service-books  of  the 

')  S.  Christ,  Anthol.  Proleg.  S.  21.  j  chiirch  in  Kngland  etc.,    Archaeologia  v.  46 

»)  S&thm  a.a.O.  asX.Qft'xin;  W.Meyer  '  (London  1880-81)  ;W)— 402  und  K.  Krum- 

375  und  Bouvy  364  flF.  bacher,  Rhein.  Museum  39  (1884)  357  f.| 

*)  Ed.  von  Christ,  Anthol.  :^8  flF.    Vgl.  «)  Ed.  von  Christ,  Anthol.  29  ff.   Kri- 

.loh.  Kayser,  Beiträge  zur  (JeHchichto  und  !  tische  Ausgabe  von  \V.  Meyer  a.  a.  0.  400  flF. 

Erklärung  der  ältesten  Kirchcnhyninen  S.30f.  j  Vgl.  Haussen.  Philolog.  44  (1885)  228—285; 

*)  Nachweise   von    VV.   Chappoll,    On  1  Meyer  a.  a.  ü.  313  If.;  Bouvy  133  flF. 


1.  Kirchenpoesie.     A.  Rythmische  Kirchendichtung.   (§  162.)  311 

zur   rythmischen   Dichtung.     Eine   höchst  altertümliche   Form   zeigt  auch 

der  anonyme  Gesang  auf  das  hl.  Kreuz.') 

Ueber  die  erste  Periode  des  Kirchengesangs  s.  ausser  den  oben  genannten  Werken 
von  Pitra,  Christ,  Bouvy  u.  s.  w.  auch  die  ausführlichen  Darlegungen  von  Job.  Kayser, 
Beiträge  zur  Geschichte  und  Erklärung  der  ältesten  Kirchenhjmnen,  Paderborn  1881  S.  15 — 51 
^wo  S.  48  statt  Theophanes  Damascenus  Johannes  D.  zu  schreiben  ist).  —  Ad.  Ebert, 
Allgemeine  Geschichte  der  Literatur  des  Mittelalters  im  Abendlande  I-  (1889)  172 — 184; 
553 — 556.  bespricht  die  Entwickelungsgeschichte  der  lateinischen  Kirchendichtung  und 
die  Hymnen  des  Ambrosius  und  Gregoriua  des  Grossen. 

Zweite  Periode. 

162.  Anfänge  der  Hymnendichtung.  Die  eigentliche  Hymnendich- 
tung beginnt  wahrscheinlich  im  5.  .Jahrhundert;  sie  blühte  besonders  im 
6.  und  7.  Jahrhundert.  Ihre  Anfänge  sind  ebenso  in  Dunkel  gehüllt  wie 
die  Anfänge  des  Kirchenliedes  überhaupt.  Wenn  wir  die  kunstvoll  aus- 
geführten, grossartigen  Gesänge  eines  Romanos  und  Sergios  betrachten, 
so  drängt  uns  das  historische  Gefühl,  die  Vorstufen  solcher  Vollendung 
aufzusuchen.  Wir  vermuten,  dass  eine  Epoche  tastender  Versuche  und 
kleinerer  Proben  des  dichterischen  Vermögens  vorausging.  Hievon  ist  aber 
wenig  Sicheres  bekannt.  Vielleicht  sind  die  Anfänge  der  reicheren  Hymnen- 
dichtung in  den  fast  völlig  verlorenen  häretischen  Dichtungen  des 
;'). — 5.  Jahrhunderts,  in  den  Werken  eines  Valentinus,  Basilides,  Bar- 
desanes  u.  a.  zu  suchen;*)  auch  die  rasch  populär  gewordene  Thalia 
des  Arios  und  die  gegen  dieselbe  von  den  Orthodoxen  verfassten  Ge- 
dichte^) mögen  namentlich  wegen  ihres  dramatischen  Charakters  mit  der 
Hymnographie,  die  ja  auch  in  ihren  frühesten  und  besten  Vertretern 
durch  dramatische  Bewegung  ausgezeichnet  ist,  in  Zusammenhang  gebracht 
werden. 

Sehr  bemerkenswert  sind  einige  Xachrichten,  welche  uns  zeigen,  dass 
im  5.  und  6.  Jahrhundert  bezüglich  des  Kirchengesanges  eine  konser- 
vative und  eine  fortschrittliche  Partei  gegen  einander  standen.  Die 
Klöster  der  strengsten  Observanz  in  Aegypten  verpönten  das  Singen  der 
neuen  Lieder  als  einen  dem  Seelenheil  gefährlichen  Luxus;  dagegen  wui'de 
in  Kappadokien  der  Kirchengesang  auch  in  Klöstern  geübt,  von  den  Welt- 
priestern wohl  allenthalben;  insbesondere  wird  die  Sitte  von  Alexandria 
bezeugt.^)  Von  hier  und  anderen  grossen  Zentren  des  Hellenismus  ver- 
breitete sich  die  Sitte  des  Kirchengesanges  und  wurde  überall  freudig  auf- 
genommen. Er  bot  dem  Volke  einen  erbaulichen  Ersatz  für  das  Theater 
und  den  Mimus,  und  als  sich  die  Menge  in  den  nunmehr  staatlich  unter- 
stützten Kirchen  mehrte,  nahm  die  Ausbildung  des  liturgischen  Dramas 
einen  schnellen  Verlauf.  Als  die  ältesten  Hymnendichter  gelten  Anthimos 
und  Timokles,  die  nach  dem  glaubwürdigen,  auch  bei  Theophanes  wieder- 
holten Zeugnisse  des  Theodoros  Lector  um  457  blühten. 5) 


')  Ed.  von  Pitra,  Anal.  Sacra  I  481  und  1  bei  Christ,  Antholog.  Proleg.  29  f. 

von  W.  Meyer  a.  a.  0.  410  f.  I  *)  'ExXoyid  and  Trjg  ixx'ATjaiaatixrji;  laro- 

*)  S.  Pitra,  Hymnographie  S.  41.  giag   ed.  J.  A.  Gramer,    Anecd.  Gr.  Paris. 

»)  Vgl.  S.  297.  I  U  (1839)  104.   —   Theophanes   ed.  Bonn. 

*)  Die  hierauf  bezüglichen  Erzählungen  ;  I  177  =  ed.  De  Boor  I  114. 


312  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    II.  Poetische  Litteratar. 

Andere  Meloden,  die  im  5.  Jahrhundert  genannt  werden,  sind  Mar- 
kianos,  Johannes  monachos,  Seta  und  besonders  Auxentios.  Einen 
Hymnus  des  letzteren  besitzen  wir  in  seiner  von  seinem  jüngeren  Zeit- 
genossen Georg  verfassten  Biographie.  *)  Dass  wir  sonst  keine  Hymnen 
aus  dem  fünften  Jahrhundert  kennen,  hat  seinen  Grund  wohl  in  der  Ano- 
nymität der  Ueberheferung.  Das  Meiste  mag  verloren  gegangen  sein; 
aber  manche  dieser  Inkunabeln  der  Kirchendichtung  gehen  wohl  unerkannt 
unter  den  zahlreichen  grösseren  und  kleineren  Stücken,  die  herrenlos  über- 
liefert sind.  Zur  vollen  Blüte  gelangte  der  Hymnus  im  6.  Jahrhundert. 
Durch  gute  und  alte  Zeugnisse  wird  Kaiser  Justinian  (527 — 565)  als 
Verfasser  des  Hymnus:  'O  pLoroyevric  vioq  xal  Xoyoq  tov  ^eov  erwiesen. *) 
Um  dieselbe  Zeit  blühten  wohl  auch  die  Meloden  Anastasios,  Kyria- 
kos')  und  vor  allem  der  grösste  Vertreter  dieser  Gattung,  Romanos. 

163.  Romanos,  mit  dem  Beinamen  6  f.ieX(o66g,  ist  der  grösste  Dich- 
ter des  byzantinischen  Zeitalters;  er  hat  dem  religiösen  Hymnus  den 
feierlichsten  und  erhabensten  Charakter  aufgedrückt.  Von  den  Lebens- 
umständen des  „Pindar  der  rythmischen  Poesie",  wie  ihn  Bouvy  nennt, 
erfahren  wir  fast  nur  durch  eine  alte  Legende,  welche  in  den  Menäen  an 
seinem  Festtage,  dem  1.  Oktober,  eingereiht  ist:  'O  oaiog  '^Putfxavoq  vnfjQxe 
/ttr  ano  ^vgi'ac,  Siäxoroq  xvyxävMV  trjg  ev  Br^Qvtfo  dyiccg  fxxXr^aing  .  Kata- 
kaßwv  St  Tijv  KonaiccvTivoimoXiv  fm  twv  xqövwv  Avaaiaaiov  lov  ßctai- 
Xf'iog,  anfjX^e  xal  xarefievsv  ev  xff  vao)  tfjg  vTisgayiag  Gsoröxov  eig  rd  Kvqov, 
OTiov  xal  To  %äQ(ai.itt  xwv  xovxccxi'wv  iöel^axo  .  'Ev  ei'Xaßfict  ydg  Siäyiov  xal 
diavvxxeQevMv  xal  Xixavevwv  fv  xfi  navvvxiSi  x(ov  BXaxfQi'iöv,  vJxtaxQffje 
näXiv  eig  xd  Kvqov  .  'Ev  [ni^  Si  xmv  vvxiwv,  xoi^no(ihv(ii  avto)  itfdvrj  xad-' 
VTTVovg  i]  VJTfQayia  Seoxöxog,  xal  drckdwxe  xöi-iov  x^(>fo"  ^«'  ^i^^  '  -^dßs  tov 
Xdqxr^v  xal  xaidtfays  avxöv  .  'Evöfuafv  ovv  6  ayiog  drol^ai  zo  axäfia  xal 
xaxanutv  rov  x^Q'^W  •  '^^  <^*  V  ^^Q^^J  ^*"*'  dymv  Xgtffxovytvvwv  •  xal 
fvO^tiog  eyfQO^flg  ex  xov  vttvov  sO^av^ia^e  xal  eSö^a^f  xor  ^föv  .  Ena  dvaßdg 
t-ig  xov  ixußuna,  t^Q^axo  xov  ipdXXfiv  ■  'H  naqO-tvog  af'jfifQov  xov  vnirQovaiov 
xi'xxfi  .  üoir^aag  Ja  xal  Htqmv  eoqxwv  xorxdxia,  oJg  negl  xd  X''^'^»  ngog 
KvQiov  e'^edrjij,r^(jevJ)  Darnach  wurde  Romanos  in  Syrien  geboren,  war  in 
Berytus  Diakon  und  kam  unter  Kaiser  Anastasios  nach  Konstantinopel, 
wo  er  durch  einen  wunderbaren  Traum  die  Gabe  der  Hymnendichtung  er- 
hielt. Den  einzigen  positiven  Anhaltspunkt  für  die  Zeitbestimmung  ge- 
währt somit  der  Name  Anastasios.  Leider  wird  nicht  angegeben,  ob 
darunter  Anastasios  I  (491  —  518)  oder  Anastasios  H  (713 — 716)  zu  verstehen 
ist.  Pitra  und  Stevenson  entscheiden  sich  für  den  ersten,  Christ  und 
mit  einer  Modifikation  auch  Jacob i'')  für  den  jüngeren  Anastasios;  Bouvy 


')  Migne,  Patrol.  Graeca  114,  1416.  S. 
Pitra,  Anal.  Sacra  I  Proleg.  S.  23;  Bouvy 
a.  a.  0.  230—234. 

'•')  Christ,  Anthol.  Proleg.  S.  32. 


gennetos  (cod.  V^atic.  161H)  ed.  von  Pitra 
in  der  zum  Papstjubiläuin  veranstalteten  Aus- 
gabe von  drei  Hymnen  des  Konuuios.  S.  die 
Litteraturangabo  S.  318. 


*)  S.    Pitra,    Anal.    Sacra    I    Prologom.  \           *)  A.  a.  O.  206  f.     Jacobi   meint,    dass 

S.  32  f.  und  .lacobi  a.  a.  O.  202.  Romanos  vielleiebt  noeb  unter  Anastasios  II 

*)    Facsimilo    der    Legende    mit    einem  (ieistlicber  an  der  IMacbernenkirclu' gewesen, 

schönen    Miniatur})ilde    aus    dem    herrlichen  jedocli  selion  viel  früher  nach  Konstantinopol 

Menologion  des  Kaisers  Konstantin  Porphyro-  gekommen  sei. 


1.  Eirchenpoesie.    A.  Rythmische  Kirchendichtung.   (§  163.)  313 

spricht  sich  nicht  entschieden  aus  und  meint,  nach  der  allgemeinen  Ge- 
schichte der  Hymnendichtung  möchte  man  den  Romanos  am  liebsten  etwa 
in  der  Mitte  des  Zeitraumes  zwischen  beiden  Kaisern  ansetzen.  Neuer- 
dings hat  Deutschmann  zur  Lösung  der  Schwierigkeit  auf  einen  wahr- 
scheinlich dem  6.  Jahrhundert  angehörigen  lateinischen  Hymnus  hinge- 
wiesen, welcher  einem  Gedichte  des  Romanos  nachgeahmt  sei;^  darnach 
käme  man  mit  Sicherheit  auf  den  älteren  Anastasios.  Doch  scheint  weder 
die  Chronologie  des  lateinischen  Hymnus  noch  die  direkte  Nachahmung  des 
Romanos  so  fest  zu  stehen,  dass  sich  auf  dieser  Grundlage  allein  die 
Frage  entscheiden  Hesse. 

Es  finden  sich  aber  noch  weitere  Argumente.  Dass  der  jüngere 
Anastasios  nicht  genug  bekannt  ist  und  zu  kurz  (eigentlich  nur  1  '/a  Jahre) 
regierte,  um  zur  Bezeichnung  der  Lebenszeit  eines  Autors  verwendet  zu 
werden,  will  wenig  besagen;  aber  vielleicht  spricht  gerade  der  Umstand, 
dass  Anastasios  schlechthin  genannt  ist,  dafür,  dass  in  der  Zeit,  als 
das  Original  unserer  Legende  abgefasst  wurde,  ein  zweiter  Anastasios  noch 
gar  nicht  existierte.  Wichtiger  noch  ist  die  Thatsache,  dass  Anastasios  H 
von  Theophanes  und  Georgios,  die  hierin  gewiss  der  populären  Ge- 
wohnheit folgten,  regelmässig  mit  seinem  früheren  Namen  Artemios  ge- 
nannt wird. 2)  A^on  dem  Verfasser  der  Legende,  der  sicher  ein  Mönch  war 
und  die  in  den  Klöstern  beliebten  Chroniken  des  Theophanes  und  Georgios 
wohl  kennen  musste,  Hesse  sich  dann  Gleiches  oder  wenigstens  eine  Be- 
zeichnung durch  beide  Namen  erwarten.  Ferner  darf  nicht  übersehen 
werden,  dass  die  Legende,  an  deren  Glaubwürdigkeit  wir  festhalten  müssen, 
wenn  wir  nicht  allen  Boden  verlieren  wollen,  die  Regierung  des  Anastasios 
nicht  etwa  als  die  Blüte-  oder  Sterbezeit  des  Romanos  erwähnt,  sondern 
ausdrücklich  sagt,  dass  er  damals  nach  Konstantinopel  kam  und  die  Gabe 
der  Hymnendichtung  empfing.  Romanos  war  also  unter  Anastasios  noch 
jung  und  begann  erst  seine  dichterische  Thätigkeit.  Wenn  wir  nun  seine 
Ankunft  in  Konstantinopel  ans  Ende  der  Regierung  Anastasios  I  setzen 
und  für  den  Dichter  eine  so  lange  Lebensdauer  annehmen,  wie  sie  bei  der 
Menge  seiner  Werke  wahrscheinlich  ist,  3)  so  füllt  seine  Blütezeit  leicht  die 
erste  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts,  ja  er  kann  den  Justinian  noch  überlebt 
haben.  In  dieser  Zeit  aber  war  die  Form  des  Hymnus,  wie  das  oben  er- 
wähnte Werk  des  Kaisers  Justinian  selbst  beweist,  schon  völlig  ausge- 
bildet. Halten  wir  dagegen  am  zweiten  Anastasios  fest,  so  müsste  sich 
die  Blüte  des  Romanos  tief  ins  8.  Jahrhundert  hinein,  in  die  Zeit  eines 
Kosmas  und  Johannes  von  Damaskos,  erstrecken,  was  aus  verschie- 
denen inneren  Gründen  unwahrscheinlich  ist. 

Es  wurde   bemerkt,   dass  der  Mangel  an  Nachrichten   über  einen  so 

')  De  poesis  Graecorum  rhythmicae  usu  u.  s.  w.;    im   weiteren  Text  ebenfalls  stets 
et  origine  S.  22.                                                    ',   Artemios. 

*)  Theophanes   ed.  Bonn.  I  588,  4   (ed.  ')  Die  1000  xoktkxj«,  welche  der  Legen- 

DeBoorl^S^):  iaTf'qiffTj 'jQTf'utog  6  TtQWTo-  dar  angibt,    mögen    eine  sehr  runde  Summe' 

fcoTjXQTJng,    nfToi'o^aadiig    'Jiicatäaiog.     Im  sein;   wenn  wir  aber  trotz  der  grossen  Ver- 

Folgenden  heis.st  er  aber  stets  Artemios.  —  luste   noch   gegen  80  Hymnen   besitzen,   so 

'ieorgios  Monachos  ed.  Muralt  S.  626:  linoi-  ergibt  sich   schon    daraus   eine   litt^rarische 

/et«  'JqtsuIov.     Merd  di  4'i).in7itx6y  ißtt-  Thätigkeit,    für  welche   eine    lange  Lebens- 

ai'Aevasy  'jQXifAiog   6   xiü   'Jyaaiäaiog  htj  ß'  dauer  notwendig  vorauszusetzen  ist. 


314  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    II.  Poetische  Litteratnr. 

grossen  Dichter  aus  einer  Zeit,  über  die  wir  sonst  genau  unterrichtet  sind, 
befremden  müsse;  aber  dieser  Mangel  ist  auffallend  an  sich  und  wäre  es 
noch  mehr,  wenn  man  den  Romanos  zum  Zeitgenossen  des  Johannes  von 
Damaskos  machen  wollte.   Denn  über  die  kirchlichen  Persönlichkeiten  des 

8.  und  9,  Jahrhunderts  haben  wir  infolge  der  grossen  Umständlichkeit, 
mit  welcher  die  ganze  Zeit  des  Bildersturmes  von  späteren  Chronisten, 
Biographen  und  Historikern  geschildert  wird,  genauere  Nachrichten  als 
über  manche  bedeutende  Kleriker  der  zwei  vorhergehenden  Jahrhunderte, 
in  welchen  das  Leben  der  Kirche  ein  friedlicheres  war.  Sicher  hätte  Ro- 
manos, wie  sich  aus  seiner  gesamten  Geistesart  und  seinem  Fortleben  als 
Heiliger  der  orthodoxen  Kirche  schliessen  lässt,  sich  der  Partei  der 
Bilderverehrer  angeschlossen,')  und  dann  wäre  das  Schweigen  der  Chro- 
nisten über  ihn  undenkbar.  Uebrigens  hängt  der  Mangel  an  biographischen 
Nachrichten  wohl  auch  damit  zusammen,  dass  Romanos  wie  fast  die 
ganze  Hymnenlitteratur  des  6.  und  7.  Jahrhunderts  später  teils  durch 
Johannes  von  Damaskos  und  Kosmas,   teils   durch  die  Hymnographen  des 

9.  Jahrhunderts  stark  in  den  Hintergrund  gedrängt  wurde. 

Des  weiteren  ist  folgende  Thatsache  zu  erwägen.  Der  schöne  Hym- 
nus des  Romanos  auf  Joseph  von  Aegypten  trägt  den  Hirmusvermerk 
llQog  To  'AyyeXog  TiQoyroavtttrjg.  So  beginnt  (nach  dem  Proömion)  der  Aka- 
thistos  des  Sergios.  Liesse  sich  beweisen,  dass  Romanos  dieses  Werk 
wirklich  vor  sich  hatte,  so  könnte  er  nicht  in  das  6.  Jahrhundert  gesetzt 
werden.  Allein  das  Verhältnis  beider  Hymnen  ist  sehr  dunkel;  die  Ueber- 
einstimmung  ist  eine  so  schwankende,  dass  wohl  vielmehr  an  eine  gemein- 
same ältere  Vorlage  zu  denken  ist.  Besonders  muss  es  auffallen,  dass 
das  charakteristische  Xaiqe  im  Akathistos,  mit  welchem  in  den  übrigen 
Gedichten  dieses  Tones  die  letzten  Zeilen  der  Strophe  anfangen,  bei  Ro- 
manos durch  beliebige  Wörter  ersetzt  ist,  so  dass  die  erste  Silbe  dieser 
Zeilen  oft  tonlos  ist.  „Es  scheint  undenkbar,  dass  Romanos  das  Gedicht 
des  Sergios  mit  dem  alle  architektonischen  Glieder  so  scharf  kennzeichnen- 
den und  deshalb  von  den  übrigen  Dichtern  festgehaltenen  Worte  xcxTqs 
gekannt  und  dennoch  in  seiner  Nachbildung  diese  signifikante  Versstelle 
so  gänzlich  beiseite  geschoben  habe."  2)  Ebenso  undenkbar  aber  ist  es, 
dass  dem  Romanos,  wenn  er  im  8.  Jahrhundert  gelebt  hätte,  gerade  das 
berühmteste  aller  Kirchenlieder  unbekannt  geblieben  wäre. 

Ein  dogmatisches  Moment  möge  nicht  unerwähnt  bleiben.  Die 
Marienverehruhg  spielt  in  den  Hymnen  der  späteren  Jahrhunderte  eine 
stets  zunehmende  Rolle.  Orestes  z.  B.  erbittet  von  ihr  Vergebung  der 
Sünden,  Kraft  der  Heiligung  u.  s.  w.  Wenn  wir  nun  in  dieser  Hinsicht 
den  Romanos  mit  Sergios  vergleichen,  so  bemerken  wir  bei  dem  letzteren 
eine  Steigerung,  die  sich  mit  der  späteren  Datierung  des  Romanos  schwer 
vereinbaren  liesse.  „Romanos  besingt  Maria  nicht  mit  der  Ueberschwäng- 
.  lichkeit  und  der  verschwenderischen  Fülle  von  Prädikaten,  wie  Sergios, 
welcher  durch  Bezeichnungen  wie :  Herstellerin  der  Versöhnung,  Vergebung 
der  Sünden,  sie  bereits  nahe  an  die  Würde  Christi  heranrückt."  3) 

')  S.  Jacobi  a.  a.  O.  205.  1   Anal.  Sacra  I  S.  68  Ann». 

•)  W.  Meyer  a.  a.  0.  344.    Vgl.  Pitra,   |  »)  Jacobi  a.  a.  0.  247. 


1.  Kirchenpoesie.    Ä.  Rythmische  Eirchendichtang.   (§  163.)  315 

Für  die  frühere  Datierung  spricht  auch  die  Legendenhaftigkeit 
des  oben  erwähnten  Berichtes  über  Romanos,  die  sich  schwer  erklären 
Hesse,  wenn  er  dem  8.  Jahrhundert,  d.  h.  einer  der  Abfassung  der  bio- 
graphischen Notiz  naheliegenden  Zeit  angehörte.  Die  Tradition,  dass 
Romanos  die  Gabe  des  Hyranengesanges  durch  ein  Wunder  erhielt,  zeigt, 
dass  man  seine  dichterische  Thätigkeit  als  etwas  besonders  Merkwürdiges 
betrachtete;  das  ist  wohl  verständlich  für  die  erste  Periode  der  Hymnen- 
poesie, nicht  aber  für  das  8.  Jahrhundert,  in  welchem  zahlreiche  Kirchen- 
dichter blühten. 

Als  letztes  Argument  für  die  ältere  Datierung  diene  eine  Stelle,  in 
welcher  Romanos  augenscheinlich  imitiert  ist.  Andreas  von  Kreta,  der 
ungefähr  von  650—720  lebte,*)  hat  in  zwei  Strophen  seines  „grossen 
Kanon"  das  Proömion  eines  Hymnus  des  Romanos  vor  Augen  gehabt. 
Die  Worte  des  Andreas  lauten: 

^Eyyi^ei,  '/'*'/'??  ^^  reXog,  [  iyyiCsi  xal  ov  tfqovri^eig, 

ovj(  itoifitt^ri  ' 
6  xatQog  avvtiuvei,  ^lavt'caxrj&i  ' 
iyyvg  inl  &vgctig  6  XQitiqg  iativ  ' 
tos  ofccQ,  (ög  uyd^og  6   -/qövog  \   xov  ßiov  rge^^si  ' 

xi  fidxrjf  xctQaxTÖue^a : 
' AvävTj\f)ov,  CO  xpv^T]  fiov,   j  xag  noä^sig  aov,  ag  ei^ytcato, 

apctXoyiCov. 
xcci  ravxaig  in'  oxpeai  riQcxJccyaye  etc.^) 

Zum  Vorbild  diente  offenbar  das  schöne  Proömion  des  Romanos:') 

Wv/rj  fiov,  ^iv/rj  fiov.   |   äväaxn,  xi  xcc&ei'ifeig ; 
x6  xekog  iyyjC^i  |  xcu  fj.sXkeig  ^oQvßsTadai  ' 
(ifdyr^ipof  oiV,   |   i'va  fpe'iarjxa'i  aov  Xgiaxog  6  &e6g, 
6  Tiavtfc^ov  Ttagioy  \  xal  xcc  nütna  nXrjgdöv. 

Der  Nachahmer  hat  den  Gedanken  seiner  Vorlage  in  zwei  wortreiche 
Strophen  auseinander  gezogen,  aber  das  Gold  seines  Musters  schimmert 
noch  so  deutlich  durch,  dass  diese  zwei  Strophen  zum  Besten  des  ganzen 
„grossen  Kanon"  gehören,  weshalb  sie  auch  von  Jacobi  a.  a.  0.  besonders 
hervorgehoben  worden  sind. 

Wenn,  wie  Jacobi^)  mit  Recht  bemerkt,  zwischen  den  unsicheren 
Leistungen  des  4.  und  5.  Jahrhunderts,  von  welchen  wir  Kenntnis  haben, 
und  der  sicheren  Technik  zur  Zeit  des  Sergios  ein  ausserordentlich  grosser 
Abstand  bemerkt  wird  und  es  unzw^eifelhaft  scheint,  dass  in  dieser  Zwischen- 
zeit die  Ausbildung  der  kirchlichen  Poesie  bis  zur  Blüte  gelangte,  und  das 
Jahrhundert  des  Justinian  einen  Hauptanteil  daranhat,  so  ist  es  eben 
Romanos,  der  diese  Lücke  in  der  historischen  Entwickelung  des  Hymnus 
in  völlig  genügender  Weise  auszufüllen  vermag.  Dass  ein  so  grossartiger 
Dichter  fast  im  Anfange  der  Hymnenlitteratur  auftritt,  wird  nicht  auf- 
fallen, wenn  man  sich  erinnert,  dass  an  der  Spitze  der  griechischen  Litte- 
ratur  ein  Homer,  im  Eingange  der  italienischen  ein  Dante  steht.  Auch 
ist  schon  erwähnt,  das  Romanos  viel  weniger  isoliert  erschiene,  wenn  uns 
die  Werke  aller  seiner  Vorgänger  bekannt  wären.  Wir  hoffen,  mit  Hilfe 
des  unerwartet  reichen  Materials,  das  die  zwei  Handschriften  von  Patmos 

>)  S.  Jacobi  a.  a.  0.  208  f.  und  223.  Anthol.  S.  90. 

*)  Christ,  Anthol.  S.  150.  *)  A.  a.  0.  202. 

')  Cod.  Patm.  213  fol.  42^    und  Christ, 


316  Byzantinische  Litteraturgeschichte.     II.  Poetische  Litteratur. 

für  Romanos  gewähren,  die  chronologische  Frage  noch  genauer  prüfen  und 
endgiltig  lösen  zu  können. 

Ausser  in  der  genannten  Legende  wird  Romanos  noch  in  einem  dem 
hl.  Germanos  (8.  Jahrhundert)  zugeschriebenen  Idiomeion  ')  erwähnt  und 
als  Begründer  der  Hymnographie  gefeiert: 

nQüirt]  y.nku)f  (tnaQX^ 

'Vwfxave,  näreQ  ^foHv  • 
uyysXixijy  yuQ  vfH'i^6U(v  avarr^aüineyos, 

In  einem  anderen  Hymnus  hat  er  das  ehrende  Beiwort  IteoQQi'iTWQ.  Unter 
den  Profanschriftstellern  nennt  den  Romanos  nur  Suidas  s.  v.  araxAw/ifiov: 
tÖ  anr^xovueiov.  'Qg  e/tl  lov  xvQiov  'Po)iiavov  xov  iieXMdov.  2v  ydq  vnägxfig 
t6  (f(ög  t6  ariQoatzovJ)  Für  die  Kommentatoren  der  religiösen  Poesie 
Zonaras,  Prodromos  und  Gregorios  von  Korinth  scheint  Romanos 
nicht  existiert  zu  haben.  Die  Männer  nach  ihrem  Herzen  waren  Gregor 
von  Nazianz,  Johannes  von  Damaskos  und  Kosmas;  bei  ihnen  bot  sich 
mehr  Stoff  für  die  Ausbreitung  schulmässiger  Gelehrsamkeit  als  in  der 
grossartigen  und  doch  volkstümlich  einfachen  Poesie  des  Romanos. 

So  spärlich  nun  auch  die  Nachrichten  über  das  Leben  des  Romanos 
bleiben,  so  sicher  ist  es,  dass  er  an  poetischer  Begabung,  an  Feuer  der 
Begeisterung,  an  Tiefe  der  Empfindung  und  Erhabenheit  der  Sprache  alle 
anderen  Meloden  weit  übertrifft.  Die  Litteraturgeschichte  der  Zukunft  wird 
vielleicht  den  Romanos  als  den  grössten  Kirchendichter  aller  Zeiten 
feiern.  Ohne  Zweifel  bezeichnet  er  die  interessanteste  Phase  in  der  Geschichte 
der  griechischen  Hymnenpoesie,  und  in  ihm  erscheint  diese  Gattung 
in  ihrer  höchsten  Vollendung.  Nicht  überall  freilich  erhält  sich  Romanos 
auf  gleicher  Höhe;  eine  objektive  Betrachtung  wird  zugeben,  dass  er  zu- 
weilen trocken  und  breit  wird.  Doch  hängt  das  wesentlich  mit  der 
Sprödigkeit  der  Stoffe,  an  die  er  gebunden  war,  zusammen ;  es  ist  schwer, 
auf  jeden  Heiligen  und  jedes  Fest  des  langen  Kirchenjahres  einen  schönen, 
in  den  Gedanken  originalen,  in  der  Komposition  und  Ausführung  vollendeten 
Gesang  zu  dichten.  Immerhin  weiss  sich  Romanos  auch  in  seinen 
schwächeren  Werken  von  dem  pomphaften  Schwulste,  den  bauschigen,  oft 
unreinen  Metaphern,  der  gespreizten  und  frostigen  Reflexion  der  Hymno- 
graphen  des  8. — 11.  Jahrhunderts  fernzuhalten.  Auch  die  rhetorische 
Breite,  die  unvermeidliche  Krankheit  aller  byzantinischen  Geistesäusse- 
rungen,  wird  uns  bei  Romanos  nicht  erspart;  zum  Teil  entspringt  sie  aus 
der  Form  seiner  Hymnen  selbst,  welche  die  Ausfüllung  von  24  oder 
mehr  Strophen  erheischte.  Wenn  wir  diese  aus  der  Zeit  und  der  littera- 
rischen Umgebung  des  Dichters  verständlichen  Schattenseiten  anerkennen, 
dürfen  wir  seinen  grossen  Vorzügen  um  so  rückhaltloser  gerecht  werden. 
Was   uns    immer   aufs   neue  zu  Romanos   zurückkehren    lässt,    was  selbst 


')    Nur    im    cod.    MoHquonsis    4H7.     Im 
Corsiii.  und  Taurin.  fehlen  diese  Stücke  und 


leider   sind    auch    in    den  patmischen  Hand-  •')  Kd.  Ucrnhnrdy   I,  1,  334.     Ueber  die 


Bchriften  die  auf  den  1.  Oktober,  den  Fest 
tag    des  liomanos,    bezüglichen  Blätter   aus 


f;efallen.     S.    I'itra.    Anal.  iSacra  1    Troleg. 
S.  2(5  und  2!»  »f. 


Hedeutung  von  ayaxXwfieyov  s.  §  177. 


1.  Eirchenpoesie.    A.  Rythmische  Eirchendichtnng.   (§  163.)  317 

seinen  langwierigsten  Hymnen  einen  unzerstörbaren  Reiz  verleiht  und  auch 
mit  den  undankbarsten  seiner  Stoffe  aussöhnt,  ist  die  glänzende  drama- 
tische Steigerung,  die  kein  Melode  so  meisterhaft  wie  er  begriffen 
und  durchgeführt  hat.  Dazu  kommen  andere  Vorzüge,  die  bei  keinem 
zweiten  Dichter  der  byzantinischen  Zeit  in  gleichem  Grade  wiederkehren, 
ein  nie  versiegender  Reichtum  an  Ideen,  eine  oft  unübertreffliche  Plastik 
des  Ausdrucks,  eine  volle  und  kernige  Sprache,  die  sich  meist  ebenso 
glücklich  vom  geschraubten  Pompe  als  von  populärer  Trivialität  fernhält, 
alles  veredelt  und  in  die  feinste  Beleuchtung  gehoben  durch  das  mannig- 
faltige und  kunstvolle  rythmische  Gefüge.  Der  Reichtum  der  Vorwürfe, 
welche  Romanos  umfasst,  ist  unerschöpflich;  wir  finden  bei  ihm  auch 
seltene  und  sonst  nicht  vorkommende  Themen  wie  ein  Gedicht  voll  lebendiger 
Leidenschaft  gegen  den  Verräter  Judas.  Nicht  minder  behandelt  Romanos 
die  üblichsten  Objekte,  wie  das  Weihnachtsfest,  die  hl.  Jungfrau  am 
Kreuze,  das  letzte  Gericht  u.  s.  w.  mit  unverkennbarer  Originalität.  Leider 
ist  es  unmöglich,  hier  auch  nur  einen  Teil  der  Gedichte  im  einzelnen  zu 
betrachten  und  ihren  Charakter  durch  Proben  zu  veranschaulichen.  Da  es 
sich  jedoch  um  die  gerechte  Würdigung  eines  der  grössten,  aber  ver- 
borgensten Dichter,  ja  geradezu  um  die  erste  Einführung  desselben 
in  die  griechische  Litteraturgeschichte  handelt,  mag  wenigstens  noch 
ein  zusammenfassendes  LMeil  folgen,  das  ein  feinsinniger  Kritiker  *)  dem 
Romanos  widmet:  „S.  Romanus  est  le  premier  des  Melodes  par  le  genie 
poetique.  Ses  oeuvres  representent  l'hymne  liturgique,  ou  plutöt  le  drame 
religieux,  dans  sa  perfection.  Qu'on  imagine  le  chretien  en  priere,  le 
meine  en  oraison,  le  Saint  en  extase :  sous  ses  regards  passent  tour  ä  tour 
les  grandes  figures  des  deux  Testaments;  il  voit  les  patriarches  et  les 
prophetes,  il  les  entend  et  medite  leurs  paroles;  il  contemple  le  Sauveur 
des  hommes  et  sa  Mere,  les  apötres  et  les  martyrs:  il  assiste  en  temoin 
attentif  et  enthousiaste  ä  tous  ces  evenements  du  passe,  dont  Dieu  lui- 
meme  est  le  heros.  Cette  contemplation  du  monde  surnaturel  surexcite 
ses  puissances,  et  son  esprit  aussi  bien  que  son  coeur.  II  s'epanche  en 
adorations,  en  louanges.  en  actions  de  gräces.  Si  vous  donnez  ä  ce  con- 
templatif,  pour  Interpreter  ce  qu'il  a  vu  et  entendu,  des  rythmes  souples, 
harmonieux,  populaires,  et,  pour  nourrir  le  feu  sacre  de  son  genie,  l'incom- 
parable  auditoire  des  basiliques  orientales;  si  votre  imagination  peut  se 
representer  un  tel  home,  non  point  dans  Athenes,  ni  meme  ä  Constan- 
tinople  au  temps  de  S.  Gregoire  et  de  S.  Chrysostome,  mais  ä  Byzance, 
dans  la  vraie  Byzance  des  Byzantins,  si  vous  le  voyez  monter  ä  l'ambon 
de  Sainte-Sophie  dans  la  nuit  de  Xoel,  apres  un  sommeil  miraculeux,  et 
si  vous  entendez  le  prelude  de  son  grand  cantique: 

'H  naQ&ifog  atjusQoy 
toy  vnsQovaioy  rixxsi 

xrei  7J  yrj  ro  antjXaioy 
raJ  ÜTJQoaixtü  TiQoaäytc 

n'ädmirez  pas  encore,  attendez  la  fin,  laissez  se  derouler  la  majestueuse 
Serie  des  vingt-cinq  tropaires.     Ne  jugez  pas  meme  d'apres  un   seul   can- 


>)  E.  Bouvy  a.  a.  0.  S.  367. 


318  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    H.  Poetische  Litteratur. 

tique,  suivez  le  Melode  dans  toutes  les  phases  du  cycle  sacre,  depuis  la 
fete  d'Etienne  le  premier  martyr  jusqu'aux  solennites  de  Päques,  de 
l'Ascension  et  de  la  Pentecöte,  et  vous  concluerez  peut-etre  que  le  christia- 
nisme  ne  doit  envier  a  Tantiquite  aucun  de  ses  poetes  lyriques."  Ebenso 
nennt  Pitra  den  Romanos  „veterum  melodorum  princeps",  womit  auch 
die  Urteile  von  Christ,  Stevenson  und  W.  Meyer  übereinstimmen.  Nur 
dem  Geschmacke  der  späteren  Byzantiner  wollte  die  ernste  Grossartigkeit 
des  Romanos  nicht  zusagen ;  wenigstens  wurden  seine  Werke  in  den  litur- 
gischen Büchern  durch  die  Hymnographen  des  8.  und  9.  Jahrhunderts  ver- 
drängt; von  den  meisten  blieben  nur  wenige  Strophen  übrig.  Dauerndes 
Ansehen  behauptete  der  berühmte  Weihnachtshymnus;  bis  ins  12.  Jahr- 
hundert wurde  er  alljährlich  zu  Weihnachten  von  einem  doppelten  Chore 
der  Hagia  Sophia  und  der  Kirche  der  hl.  Apostel  (den  ayioaoifirai  und 
dnoatoXhai)  bei  der  feierlichen  Hoftafel  aufgeführt.  ^) 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  29  Gedichte  ed.  Pitra,  Analecta  Sacra  I  1 — 241.  — 
3  weitere  Stücke  in:  Sanctus  Romanus  veterum  melodorum  princeps.  Cantica  sacra  ex 
eodd.  mss.  monasterii  S.  Joannis  in  insula  Patmo  primam  in  lucem  ed.  J.  B.  Pitra,  Anno 
Jubilaei  Pontificii  (1888).  —  Vollständige  Ausgabe  des  Romanos  auf  Grund  des  ganzen 
Handschriftenmaterials,  besonders  der  patmischen  Codices,  in  Vorbereitung  von  K.  Krum- 
b  ach  er.  —  Vgl.  Pitra,  Hvmnographie  S.  47  ff.  und  Analecta  Sacra  I  Proleg.  S.  25  ff.  — 
Jacobi  a.  a.  0.  S.  220  ff.  —  Bouvy  a.  a.  0.  S.  367-375. 

164.  Sergios  und  Sophronios.  Aus  dem  Ende  des  6.  und  aus  dem 
7.  Jahrhundert  haben  wir  nur  wenige  chronologisch  sicher  bestimmbare 
Hymnen.  Zu  diesen  gehört  vor  allem  das  gefeiertste  Lied  der  griechischen 
Kirche,  der  Akathistos  des  Patriarchen  Sergios;  er  wurde  nach  einer 
glaubwürdigen  Nachricht  im  Jahre  626  verfasst,  als  die  Hauptstadt  von 
den  Avaren  bedroht  war.  Der  Name  'Axü^^kttoc,  der  durch  den  Gegensatz 
der  sogenannten  xa^ia/iara  verständlicher  wird,  deutet  an,  dass  die  Sänger 
beim  Vortrage  dieses  Gedichtes  stehen  blieben.  Sergios  ist  in  der  Kirchen- 
geschichte als  Monothelet  übel  vermerkt;''^)  trotzdem  hat  sein  Werk  bei 
der  orthodoxen  Kirche  Gnade  gefunden,  ja  es  ist  sogar  der  einzige  alte 
Hymnus,  der  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  unverkürzt  in  den  Menäen 
erhalten  hat.^)  Sergios  scheint  auch  sonst  für  die  Ausbildung  des  griechi- 
schen Ritus  viel  gesorgt  zu  haben;  eine  grosse  Rolle  als  Urheber  litur- 
gischer Neuerungen  spielt  er  in  der  Osterchronik  (s.  §  51).  Die  von  einigen 
vorgenommene  Zuteilung  des  Akathistos  an  Georgios  Pisides  ist  ganz 
willkürlich.  Der  emsige  Versmacher  Manuel  Philes  verballhornte  das 
schöne  Werk  in  jambische  Trimeter.'*) 

Um  Sergios  gruppieren  sich  einige  andere,  zum  Teil  nur  dem  Namen 
nach  bekannte  Meloden  wie  Andreas  Pyrrhos,  Byzantios,  Kyprianos. 
Ein  Zeitgenosse  des  Sergios,  der  im  monotheletischen  Streite  einflussreiche 
Sophronios,  seit  629  Patriarch  von  Jerusalem,  hat  sich  vorzugsweise  der 


')  Pitra,  Anal.  S.  Proleg.  S.  21. 

')  S.  J.  vonHefele,  Conciliengeschichte 
Bd.  III  (Freiburg  i.  Br.  1877)  141  ff. 

»)  Vgl.  Stevenson  a.  a.  0.  485  f.; 
Bouvy  a.  a.  O.  206  ff.  —  Die  grosse  Popu- 
larität des  Hymnus  bezeugt  auch  die  merk- 
würdige That«ache,  dass  aus  seinen  Anfangs- 


wurt«n    Tf,  vniQ(jn'txt^  aTQartjyi^   sich    durch   )    Vgl.  §  204. 


Volksetymologie  ein  vulgärgrieohischer  Nomi- 
nativ tj  IIeguä](My  riji  llfQftft/ioi  gebildet 
hat;  s.  Hatzidakis  in  der  JubililuniHschrift 
der  UniversitÄt  Athen  (7«  xaxd  rijy  ioQft]y 
liji  7isytr]xoyTaerf]Qtdoi  rov  if^ytxov  naveni- 
aiijfiiov  ^xdidöfAcya,  'A&riyrjat,  1888)  S.  188. 
<)  M.  Phil,  carmina  ed.  E.  Miller  II 317  ff. 


1.  Eirclieiipoesie.    A.  Hythmisclie  Eirchendichtnng.  (§  164  —  165.)  319 

gelehrten  Kunstdichtung  gewidmet  und  ist  hier  ebenso  gelehrt,  empfindungs- 
leer und  trocken  als  in  seinen  aus  rhetorischen  Breiten  und  dogmatischen 
Längen  zusammengebauten  Predigten.  Von  den  rji;hmischen  Gedichten, 
die  dem  Sophronios  zugeteilt  werden,  scheint  sehr  wenig  gesichert. 

1.  Für  den  öflFentlichen  Kultus  sind  von  den  Gedichten  des  Sophronios  nur  einige 
Idiomela  bestimmt;  seine  anakieontischen  Oden  sind  kunstmässige  Stücke  wie  die  Gedichte 
des  S}Tiesios  und  offenbar  nur  für  einen  ausemählten  Leserkreis  berechnet.  Ediert  sind 
die  Anakreontika  nebst  einigen  Prosastücken  von  A.  Mai,  Spicilegium  Romanum  IV  (1840) 
1 — 2'25.  —  Wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Graeca  87  (1860)  3,  373.3  ff.  —  Drei  Nummern 
auch  bei  Christ,  Anthologia  S.  43  ff.;  dazu  S.  96  f.  einige  Idiomela;  s.  »eine  Proleg.  S.  27  f.; 
53.  —  M.  Paranikas,  lieber  das  angebliche  Triodium  des  hl.  Sophronios,  Sitzungsber.  d. 
bayer.  Ak.  d.  Wiss.,  phil.-hist.  Gl.  1870.  Bd.  II  53—74.  -  Jacobi  a.  a.  0.  202  f.  -  Aus- 
führliche Charakteristik  des  Sophronios  nebst  Emendationen  bei  Bouvy  a.  a.  0.  169 — 182.  — 
Prosawerke  des  Sophronios  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  87,  3,  3115-3726.  —  Die  inter- 
essante Homilie,  welche  S.  am  Weihnachtstage  des  J.  634  hielt,  ed.  H.  Usener,  Rhein. 
Mus.  41  (1886)  500  ff.;  die  Rede  auf  die  Darstellung  Jesu  ed.  H.  Usener  mit  Emenda- 
tionen zu  den  Gedichten  und  sprachlichen  Bemerkungen,  Progr.  Bonn  1889. 

2.  Einen  Kanon  und  einen  HjTnnus  eines  wahrscheinlich  dem  7.  Jahrhundert  ange- 
hörenden Anastasios  ed.  J.  B.  Pitra,  Juris  ecclesiastici  Graecorum  historia  et  nionu- 
menta,  tom.  II  (Romae  1868)  280—287. 

Dritte  Periode. 

165.  Andreas  von  Kreta.  In  ein  neues  Stadium,  das  durch  eine 
Steigerung  der  Technik,  keineswegs  aber  durch  Zunahme  der  poetischen 
Kraft  ausgezeichnet  ist,  tritt  die  Kirchenpoesie  mit  der  Ausbildung  der 
Kanon  es.  Als  Erfinder  derselben  gilt  Andreas,  Erzbischof  von  Kreta 
(ungef.  650—720).  Andreas,  der,  weil  er  Sekretär  des  Patriarchen  von 
Jerusalem  war,  auch  den  Beinamen  Hierosolymitanus  führt,  gehörte  zu 
den  Bischöfen,  welche  zur  Zeit  des  Philippikos  Bardanes  die  Beschlüsse 
dieses  Kaisers  und  seiner  Synode  zur  Herstellung  des  Monotheletismus  und 
gegen  die  sechste  ökumenische  Synode  (680)  guthiessen.  Nach  dem  Sturze 
des  Philippikos  (713)  bekannte  er  sich  zum  Dyotheletismus.  Dass  er  trotz 
dieses  Wankelmutes  unter  den  Heiligen  der  Kirche  verehrt  wird,  verdankt 
er  wohl  dem  Umstände,  dass  er  unter  Leo  dem  Isaurier  für  die  Bilder 
kämpfte.^)  Sein  Hauptwerk,  der  sogenannte  Grosse  Kanon  (o  .«*>«? 
xaron),  dessen  Umfang  sprichwörtlich  wurde,  zählt  nicht  weniger  als 
250  Strophen;  es  entspricht  nämlich  fast  jedem  Verse  der  alttestament- 
lichen  Oden  eine  Strophe.'^)  Unter  seinen  Vorbildern  ist  Romanos  (siehe 
S.  315).  Wo  Andreas  auf  eigenen  Füssen  steht,  erscheint  er  trocken,  wort- 
reich und  mehr  durch  verstandesmässige  Reflexion  als  durch  innere  Em- 
pfindung und  Begeisterung  ausgezeichnet.  Die  endlose  Breite,  mit  welcher 
derselbe  Gedanke  in  schlangenartigen  Arabesken  fortgesponnen  wird,  er- 
müdet den  gutwilligsten  Hörer.  Die  häufige  und  fast  zudringliche  Definition 
dogmatischer  Lehrsätze  wirkt  kalt  und  schulmässig.  In  der  mühsamen 
Sorgfalt,  mit  welcher  Andreas  Antithesen,  Wortspiele  und  Gleichnisse  aus- 
zuführen liebt,  steht  er  der  gekünstelten  Poesie  des  Johannes  Damas- 
kenos  und  des  Kosmas  schon  weit  näher  als  der  ungezwungenen  Erhaben- 
heit der  früheren  Meloden;  dagegen  besitzt  er  vor  Johannes  und  Kosmas 
den  Vorzug  einer  einfachen  und  verständlichen  Darstellung. 

')  Jacobi  a.  a.  0.  20S  f.  I   S.  147  ff.   der   erste  Abschnitt    des   grossen 

*)  Christ,  Anthol.  Proleg.  S.  42;  ebenda   '    Kanon. 


■ 


320  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    11.  Poetische  Litteratar. 

166.  Johannes  von  Damaskus  und  Kosmas  von  Jerusalem  sind 
die  bedeutendsten  Vertreter  der  dritten  Periode  der  Kirchendichtung.  Ueber 
das  Leben  des  Johannes  s.  §  81.  Kosmas  erscheint  mit  ihm  brüderlich 
verbunden.  Beide  wurden  gemeinschaftlich  von  einem  älteren  Kosmas  aus 
Sizilien,  den  der  Vater  des  Johannes  aus  der  arabischen  Gefangenschaft 
losgekauft  hatte,  unterrichtet.  Mit  Johannes  begab  sich  auch  Kosmas  von 
Damaskos  nach  Jerusalem  und  Hess  sich  mit  ihm  in  das  altberühmte 
Kloster  des  hl.  Sabas  aufnehmen.  Nachdem  er  viele  Jahre  hindurch 
der  Wissenschaft  und  der  Kirchenpoesie  gelebt  hatte,  wurde  er  743  Bischof 
von  Maiuma  in  Phönizien.')    Die  Zeit  seines  Todes  scheint  nicht  ermittelt. 

Johannes  gilt  allgemein  als  Urheber  des  Oktoechos;  doch  ist  neuer- 
dings diese  Ansicht  bestritten  und  wahrscheinlich  gemacht  worden,  dass 
dieses  berühmte  liturgische  Buch  bedeutend  älter  ist  und  Johannes  nicht 
als  sein  Erfinder,  sondern  nur  als  sein  Reformator  gelten  darf.*)  Da- 
gegen ist  die  litterargeschichtliche  Stellung  des  Johannes  und  Kosmas 
als  der  bedeutendsten  Vertreter  der  Kanones  gesichert.  Als  Dichter 
steht  Johannes  wohl  höher  als  Kosmas ;  beide  sind  sich  aber  im  Grundtone 
sehr  ähnlich.  Vorbildlich  ist  ihnen  die  gewählte  Poesie  eines  Gregor  von 
Nazianz,  dessen  Gedichte  Kosmas  auch  durch  Kommentare  erläuterte. 
Zur  Einfachheit  des  Romanos  und  seiner  Schule  stehen  sie  in  einem  noch 
deutlicheren  Gegensatze  als  ihr  Vorgänger  Andreas  von  Kreta.  Möglichst 
grosse  Feinheit,  Mannigfaltigkeit  und  Künstlichkeit  des  Aufbaues  gilt  ihnen 
wichtiger  als  Wärme  der  Empfindung  und  Klarheit  des  Ausdrucks.  Johannes 
gefällt  sich  geradezu  in  den  allerschwierigsten  und  mühevollsten  Spielereien. 
Statt  sich  mit  der  einfachen  Strophenakrostichis  der  alten  Meloden  zu 
begnügen,  ordnet  er  die  Anfangsbuchstaben  der  einzelnen  Verse  nach 
einem  Akrostichon,  das  selbst  aus  heroischen  Distichen  besteht.  Durch 
diese  und  ähnliche  Kunststücke  leidet  natürlich  auch  die  Verständlichkeit 
der  Darstellung;  manche  Stücke  sind  so  dunkel  wie  altgriechische  Clior- 
lieder.  Johannes  ist  der  einzige  Melode,  der  das  Prinzip  der  Quantität 
für  die  Kirchenpoesie  wieder  aufnahm.  Er  verfasste  seine  drei  Kanones 
auf  Weihnachten,  Epiphanie  und  Pfingsten  in  jambischen  Trimetern; 
doch  sind  dieselben  mit  einem  für  Johannes  ganz  bezeichnenden  Aufwand 
von  silbenstechender  Mühe  so  gebaut,  dass  auch  die  neue  Technik  ihr  Recht 
erhält,  indem  an  bestimmten  Versstellen  regelmässig  betonte  Silben  wieder- 
kehren,^) Aehnlich  überwiegt  bei  Kosmas  gelehrte  Sorgfalt  und  mystische 
Theologie  die  dichterische  Empfindung. 

Dass  trotzdem  Kosmas  und  Johannes  von  den  späteren  Byzantinern 
mehr  als  alle  anderen  Kirchendichter  bewundert  wurden,  erklärt  sich  aus 
der  wachsenden  Vorliebe  dieses  rätselhaften  Geschlechtes  für  unnatürliche 
Künstelei  und  grammatische  Raritäten.  Den  besten  Beweis  für  diese  That- 
sache  gibt  Suidas;  die  einzigen  Meloden,  die  in  seinem  Lexikon  vor- 
kommen,  sind   Romanos,   Johannes    und   Kosmas.     Während   er   aber 

')  Deshalb  wird  er  zuweilen  auch  Koafiüg   |  *)  Sathas,  'latoQixoy  doxifuov  ne^i  rot 

6  Midovfuei  genannt.   Sein  gewöhnlicher  Bei-    {   >9f«rpow    xai    x^s   ftoviixijf    tcuV    BvC.    aeX. 


niima'IfQoaoXv/jiTt]!  oder  'JyionoXiitjs  bezieht 
sich  auf  seinen  langjährigen  Aufenthalt  im 
Kloster  des  hl.  Sabas. 


Qy»',  eis. 

»)  Christ,  Anthol.  Proleg.  46. 


1.  Kirchenpoesie.    A.  Rythmische  Zirchendichtung.   (§  166—167.)  321 


den  Romanos   nur   bei   der  Erklärung   eines  technischen  Ausdruckes  ganz 

beiläufig   erwähnt   (s.  S.  316),    spricht   er    (bzw.    sein   Gewährsmann)    von 

Johannes   und  Kosmas   mit   einer   auffallenden  Begeisterung.     Nach   einer 

Aufzählung   der  Werke  des  Johannes  lesen  wir:*)   avrr^xfxa^s  J'  avro)   xai 

Koci^iäg  o  fj  'leooaoXviiMV,    uvi^o   svifviararog  xai  nveon'  novaixr^v  oXwc  n]v 

evaQuöviov   ot   yovv    aafiurixol    xavöveg  ^lojc'cvvov    t€    xai  KoCf-iä    avyxgiaiv 

ovx    ide^avTo    ovdt    de^aivro    av,   fi^XQ'?   ^   xa,^'    ^'««?    ßiog    TifQuiwÜ^r^afrai. 

„Die  Liederkanones  des  Johannes  und  Kosmas  waren  über  jeden  Vergleich 

erhaben   und   werden   es   bleiben   bis   ans  Ende  aller  Tage"   —  ein  volles 

und    rückhaltloses    Urteil,    das    an    die    bekannte    briefliche    Aeusserung 

Goethes   über  Wielands   Oberon   erinnert.     Bei   der  Yergleichung  beider 

Meloden  gehen  übrigens  die  Urteile  der  Byzantiner  auseinander;  während 

Suidas   und  ähnlich  Kedrenos    beide   ziemlich    gleichstellen,    betrachtet 

der  Patriarch  Johannes  in  seiner  Biographie  des  Johannes  Damaskenos  den 

Kosmas  als  weniger  originell.     Andere  wiederum  wie  Prodromos   haben 

nicht  genug  Worte,  um  die  Vorzüge  des  Kosmas,  ro  noXvtia^s'g,  to  ^isya- 

Xoifvtg,  TO  ^fOTigentg,   to   naraouöriov   zu   preisen.     In   der   Praxis   fand 

Johannes  mehr  Anklang;  denn  die  späteren  Dichter  haben  seine  Strophen 

sehr  häufig,  die  des  Kosmas  nur  selten  als  Vorbild  benützt. 

Hymnen  und  Kanones  des  Johannes  ed.  Migne,  Patrol.  Gr.  96  (1860)  818 — 856 
und  1363—1408;  des  Kosmas  ed.  Migne,  Patrol.  Gr.  98  (1860)  4.56-524.  —  Proben  von 
beiden  bei  Christ,  Anthol.  117  ff.;  161  ff.  —  Einige  Kanones  ed.  recht  ungenügend  aus 
einer  Handschrift  der  herzoglichen  Bibliothek  zu  Gotha  L.  Pertsch,  Blätter  für  Hj-mno- 
logie  1889  N.  2—4. 

167.  Nachblüte  und  Verfall.  Noch  zu  Lebzeiten  des  Johannes  und 
Kosmas  brach  über  die  griechische  Kirche  das  verheerende  Ungewitter  des 
Bildersturmes  herein^)  und  wirkte  durch  die  Zerstörung  von  Kirchen, 
Schulen  und  Bibliotheken,  durch  die  Verfolgung  der  Altgläubigen  und  die 
Unterbrechung  der  Tradition  nachteilig  auf  die  Erhaltung  der  alten  Kirchen- 
lieder. Andrerseits  hatte  diese  heftige  Bewegung  auch  eine  heilsame 
Reaktion  und  vor  allem  eine  nachhaltige  Steigerung  des  religiösen 
Lebens  zur  Folge,  welche  auf  die  kirchliche  Dichtung  nicht  minder  be- 
fruchtend wirkte  als  auf  das  zunächst  bedrohte  Gebiet  der  bildenden  Kunst. 
Wie  die  Miniaturmalerei  gerade  in  dieser  Zeit  der  wütenden  Verfolgung 
emporblühte,  so  erstand  auf  der  blutigen  Walstatt  aus  den  grausam  unter- 
drückten, heldenmütigen  Freunden  der  Bilder  eine  begeisterte  Schar  neuer 
Meloden.  Ihre  Werke  sind  es  hauptsächlich,  welche  in  der  griechischen 
Liturgie  bleibende  Aufnahme  fanden  und  die  alten  Lieder  verdrängten. 
Wahrscheinlich  sind  die  grossen  Hymnen  des  Romanos  und  seiner  Schule 
vornehmlich  schon  in  dieser  Zeit  der  Vergessenheit  anheimgefallen. 

Die  neue  Bewegung  ging  von  Syrien  und  Italien  aus  und  vereinigte 
sich  in  Konstantinopel   mit   den   dort  heimischen  Elementen.     Dass  in 


')  S.  V.  'lüiüyyrji;  ed.  Bemhardy  I  2 
8.  1028. 

*)  F.  C.  Schlosser,  Geschichte  der 
bilderstürmenden  Kaiser,  Frankfurt  1812.  — 
J.  Marx,  Der  Bilderstreit,  Trier  1839  (un- 
bedeutend). —  Fr.  Gfrörer,  Byzantinische 
Geschichten    II    (Graz    1873)    460—478.    — 


Hauptschrift:  J.  von  Hefele,  Concüien- 
geschichte  lU  (Freiburg  1877)  366  ff.  — 
Unzugänglich  war  mir  G.  Vasilievskij, 
Die  Gesetzgebung  der  Ikonoklasten,  Journal 
Min.  Volksaufkl.  1878,  Okt.  258  ff.,  Nov. 
95  ff.;  1879  Jan.  161  ff. 


Handbuch  der  Ums.  AltcrtnmswiMenscbaft.  IX.     1.  Abtlg. 


21 


322 


Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    11.  Poetische  Litteratur. 


Syrien  der  Geist  des  Johannes  und  Kosmas  kräftig  weiter  wirkte,  ist  leicht 
verständlich;  merkwürdiger  Weise  sind  aber  um  dieselbe  Zeit  auch  im 
äussersten  Westwinkel  der  byzantinischen  Kulturwelt,  in  Sizilien  und  Unter- 
italien, mehrere  bedeutende  Meloden  erstanden.  Gregor  und  Theodosios 
von  Syrakus  eröffnen  hier  die  Reihe.  Aus  Syrakus  war  auch  Methodios 
gebürtig,  der  später  nach  Konstantinopel  kam;  er  ist  der  letzte  Melode, 
der  nach  dem  Muster  des  Johannes  Damaskenos  einen  zwölfsilbigen  jam- 
bischen Vers  in  den  Kanones  verwendete.  Aus  Sizilien  stammt  endlich 
Joseph  der  Hymnograph;  durch  die  Araber  vertrieben,  flüchtete  er  nach 
dem  Peloponnes,  dann  nach  Thessalonike ;  hier  geriet  er  in  die  Skylla  des 
Bildersturmes  und  musste  abermals  fliehen ;  auf  der  Fahrt  nach  Rom  fiel 
der  vom  Unheil  seltsam  verfolgte  Mann  in  die  Hände  von  Piraten,  die  ihn 
nach  Kreta  brachten;  endlich  kam  er  nach  Konstantinopel,  wo  er  unter 
Kaiserin  Theodora  (842 — 856)  starb. 

Der  eigentliche  Mittelpunkt  der  Kirchenpoesie  wurde  seit  dem  Anfang 
des  9.  Jahrhunderts  das  Kloster  Studion')  in  Konstantinopel,  Hier  dichtete 
Theodoros  Studites  (759 — 826),  von  dem  zahlreiche  Hymnen  vorhanden 
sind.  Hier  weilte  der  heldenmütige  Theophanes  o  rgautög,^)  der  nach 
der  Beendigung  des  Bilderstreites  durch  die  Synode  von  Konstantinopel 
842  den  erzbischöflichen  Thron  von  Nikaea  bestieg.  Aus  diesem  Kreise 
ging  Joseph,  der  Bruder  des  Theodoros  Studites,  hervor,  der  später  Bischof 
von  Thessalonike  wurde  und  unter  Theophilos  den  Marter tod  starb.  Hier 
trafen  sich  auch  Georg  von  Nikomedien,  Metrophanes  und  Theo- 
doros von  Smyrna,  die  Studiten  Antonios,  Arsenios,  Basilios, 
Gabriel,  Nikolaos  u.  a.  Eine  gemeinsame  Eigenschaft  dieser  Dichter  ist 
schwülstige  Breite,  die,  namentlich  durch  massenhafte  neugebildete  Bei- 
wörter bezeichnet,^)  häufig  in  leeres  Wortgepränge  ausartet.  In  dieser  Zeit 
werden  auch  gänzlich  wertlose,  poesieverlassene  Machwerke  häufiger;  wir 
finden  Hymnen,  die  nichts  anderes  sind  als  trockene  Paraphrasen  ge- 
schwätziger Prosalegenden.  Die  tiefste  Stufe  erreicht  der  geradezu  läppische 
Hymnus  auf  den  hl.  Euthymios,  dessen  Verfasser  sich  vorsichtiger  Weise 
in  den  Mantel  ,der  Anonymität  hüllt  (cod.  Patm.  212  f.  166  ff.).  Eine  merk- 
würdige Erscheinung  in  diesem  allgemeinen  poetischen  Wettkampfe  ist  die 
Dichterin  Kasia  [Kaaia,  auch  Kccaaia),  die  in  einem  sehr  originellen  Ge- 
dichte eine  Parallele  zwischen  dem  Reiche  Christi  und  dem  römischen 
Reiche  zieht;  Augustus  habe  der  Vielherrschaft  auf  Erden  ein  Ende  ge- 
macht, Christi  Menschwerdung  habe  die  Vielgötterei  gebrochen.*)  Auch 
in  ihren  übrigen  Idiomela  zeigt  sie  grosse  Selbständigkeit  und  Tiefe  der 
Empfindung.  Die  vereinzelten  poetischen  Versuche  des  Patriarchen  Photios, 
der  Kaiser  Leo  des  Weisen  und  Konstantin  Porphyrogennetos  sind 


')  Dasselbe  wurde  463  von  einem  Manne 
namens  Studios  gegründet  und  spielt  in 
der  fieschiclite  der  byzantinischen  Kirche 
eine  wichtige  Rollo. 

'^)  D.  h.  der  „Gezeichnete";  er  wurde 
so  benannt,  weil  ihm  Kaiser  Theophilos  zur 
8traf«'  für  seine  freimütige  Haltung  im  Bilder- 
streit gottlose  Jamben  auf  die  Stirnu  brennen 


liess. 

*)  In  einem  Kanon  des  Theodoros 
Studites  findet  man  nicht  woniger  als  104 
mit  7"wc,  (ft'tog  und  verwandten  Wörtern 
zusammengesetzte  Kpitheta. 

*)  Christ,  Authol.  S.  103  f.  Vgl.  J  a- 
cobi  a.  a.  0.  S.  238. 


1.  Kirchenpoesie.    A.  Rythmische  Kirchendichtung.  (§  167.)  323 

schwach  und  wohl  nur  infolge  der  Stellung  ihrer  Verfasser  der  Nachwelt 
erhalten  worden. 

Im  11.  Jahrhundert  ging  die  Blüte  der  Hymnendichtung  zu  Ende. 
Die  Frische  des  religiösen  Sinnes  war  geschwunden,  und  die  Pflege  dog- 
matischer Kontroversen,  die  jetzt  durch  den  Gegensatz  zur  römischen 
Kirche  überreiche  Nahrung  erhielten  und  auch  am  kaiserlichen  Hofe  mit 
wachsendem  Eifer  betrieben  wurden,  konnte  die  Unmittelbarkeit  der 
Begeisterung  nicht  ersetzen.  Das  bedeutendste  Hindernis  für  eine  weitere 
Entwickelung  der  Kirchenpoesie  lag  aber  in  dem  nun  vollzogenen  Ab- 
schluss  der  Liturgie.  Hiemit  war  dem  Dichter  die  fi-uchtbarste  An- 
regung, die  Hoffnung  auf  praktische  Verwertung,  d.  h.  auf  Einführung 
seiner  Lieder  in  das  kirchliche  Repertoir  fast  vollständig  geraubt.  Etwas 
länger  als  im  byzantinischen  Reiche  selbst  erhielt  sich  die  Kirchendichtung 
in  Italien,  Hier  war  das  von  Nilos  dem  Jüngeren  im  Jahre  1004  ge- 
gründete Basilianerkloster  Grotta-Ferrata  bei  Rom')  eine  Pflanzstätte 
zahlreicher  Hymnendichter,  die  noch  im  12.  Jahrhundert  thätig  waren.  An 
der  Spitze  steht  der  hl.  Bartholomaeos,  um  den  sich  ein  Arsenios, 
Germanos,  Joseph,  Paulos,  Prokopios  u.  a.  scharen.  Doch  blieben 
diese  Nachzügler  ohne  Einfluss  auf  die  byzantinische  Liturgie. 

Gleichsam  zum  Ersatz  für  den  Niedergang  der  dichterischen  Thätig- 
keit  wurde  im  13.  und  14.  Jahrhundert  wenigstens  die  musikalische 
Seite  weiter  ausgebildet  und  das  einfache  Rezitativ  zu  einem  reicheren 
Koloraturgesang  gesteigert.  Die  musikalischen  Techniker  erfanden  dafür 
auch  eigene  Namen,  indem  sie  den  einfachen  Vortrag  x^,u<x  oder  avirofiov 
lu'Xog  nannten  und  davon  den  gedehnten,  koloraturreichen  Gesang,  bei  dem 
auf  eine  Silbe  nur  selten  bloss  eine,  meistens  zwei  bis  zehn  Noten  kamen, 
als  ccQYov  nt'Xog  unterschieden.  2)  Aber  nur  selten  fanden  noch  später- 
hin neue  Lieder  Aufnahme  in  den  stereotypen  Bestand  der  liturgischen 
Werke,  in  den  Oktoechos,  das  Triodion  und  die  Menäen.  Im  14.  Jahr- 
hundert verfasste  Nikephoros  Xanthopulos,  Sohn  des  Kallistos  (s.  §  39), 
eine  \4xoXovi^(u  dg  xr]v  Osotöxov,  die  nachträglich  in  das  Pentekostarion 
eingefügt  wurde.  Etwas  später  widerfuhr  dieselbe  Ehre  einem  Kanon, 
durch  welchen  der  Patriarch  Philotheos  (s.  §  101,  Anm.  2)  den  Ver- 
teidiger der  Orthodoxie  Palamas  (s.  §  100)  verherrlichte.  Im  16.  Jahr- 
hundert schrieb  Nikolaos  Malaxos  Kirchenlieder,  von  welchen  einige 
Stücke  in  das  Pentekostarion  und  die  Menäen  eingereiht  wurden.  Selbst  in 
unserem  Jahrhundert  hat  die  liturgische  Poesie  noch  einen  Zuwachs  erhalten. 
Als  nämlich  die  orthodoxe  Kirche  im  Jahre  1869  den  Patriarchen  Photios 
und  den  heftigen  Verteidiger  des  Schismas  Markos  Eugenikos  (s.  §  107) 
kanonisierte,  wurden  zu  ihrer  Ehre  zwei  neue  Troparien  verfasst  und  in 
das  Horologion  aufgenommen. 

Die  Liste  der  griechischen  Hymnendichter  ist  in  unserem  kurzen  Abriss  nicht  an- 
nähernd erschöpft.  Reichere  Verzeichnisse  der  Meloden  und  Melurgen  finden  sich  bei 
Pitra,  Hymnographie  S.  CLIE  ff.  und  Christ,  Anthol.  S.  264  f. 


')  Eine  anziehende  Schilderung  des  heu- 
tigen Zustandes  der  Abtei  mit  einer  geschicht- 
lichen Uebersicht  und  einer  Planskizze  gibt 


A.  Rocchi,  La  badia  di  S.  Maria  di  Grotta- 
Ferrata.  Roma  1884. 

*)  VgL  Christ,  Anthol.  Proleg.  S.  115. 
21« 


324  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    II.  Poetische  Litteratnr. 

168.  Kommentatoren.  Im  11.  und  12.  Jahrhundert  erscheinen  denn 
auch  die  unvermeidlichen  Begleiter  des  Verfalles  der  poetischen  Produktion, 
die  Erklärer.  Wie  schon  Kosmas  von  Jerusalem  und  Niketas  David, 
Bischof  von  Dadybra  in  Paphlagonien  (f  um  880),  die  schwierigen  Gedichte 
des  Gregor  von  Nazianz  mit  breiten  Kommentaren  versehen  hatten,  so 
schrieben  jetzt  der  Historiker  Zonaras,  der  Homerkommentator  Eusta- 
thios  von  Thessalonike,  der  Dichter  Theodoros  Prodromos,  der 
Grammatiker  Gregorios  von  Korinth  u.  a.  Schollen  zu  Johannes  von 
Damaskos  und  Kosmas  von  Jerusalem.  Insbesondere  hinterliess  Eusta- 
thios  einen  grossen  Kommentar  zum  Pfingsthymnus  des  Johannes  und 
Zonaras  Erklärungen  zu  dessen  ^Avaaväaifioi  xarövsg.  Die  Vertreter  der 
eigentlichen  Hymnendichtung  wie  Romanos,  Joseph  u.  s.  w.,  deren  einfache 
Darstellung  dem  Verständnis  keine  Schwierigkeiten  bot,  blieben  von  dem 
Eifer  der  Scholiasten  verschont. 

1.  Ausgaben:  Kommentare  des  Kosmas  ed.  A.Mai,  Spicileg.  Romanura  II  (1839) 
2,  1—373.  —  Wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  38  (1858)  340—680.  Ebenda  S.  681—842 
des  Niketas  David  Paraphrase  der  tmÖQQtjTa  ent]  des  Gregor  von  Nazianz;  S.  842-846 
noch  zwei  anonyme  Paraphrasen.  —  Eustathios  und  Zonaras:  Ed.  A.  Mai,  Spicileg. 
Romammi  V  (1841)  2,  161 — 383.  —  Das  Material  für  eine  neue  Ausgabe  des  Kommentars 
des  Eustathios  findet  sich  im  Nachlasse  Tafeis.  Vgl.  §§  62;  116.  —  Prodromos:  Ed. 
Migne,  Patrol.  Gr.  133,  1229  ff.  Vollständiger:  Theod.  Prodromi  commentarios  in  carmina 
Sacra  melodorum  Cosmae  Hierosol.  et  Joannis  Dam.  etc.  ed.  H.  M.  Stevenson,  praefatus 
est  J.  B.  Pitra,  Romae  1888  (noch  nicht  abgeschlossen).  Vgl.  §  197.  —  Ueber  andere 
Kommentatoren  s.  Pitra  in  der  Ausgabe  Stevensons  S.  VI  ff. 

2.  Eine  der  wichtigsten  Quellen  der  Kommentare  des  Kosmas  sind  die  ausführ- 
lichen mythologischen  Erklärungen  zu  vier  Reden  des  Gregor  von  Nazianz,  welche 
einem  gewissen  Abte  Nonnos  zugeschrieben  werden  und  wahrscheinlich  im  6.  Jahrhundert 
abgefasst  sind.  Später  wurde  derselbe  Mythograph  von  Suidas  und  Tzetzes  benützt. 
Nonnos  ist  zum  Teil  ed.  von  Rieh.  Montacutius,  Eton  1610;  anderes  von  Fr.  Creuzer, 
Meletemata  e  disciplina  antiquitatis  1  (1817)  59  ff.  und  A.  Mai,  Spicilegium  Roman.  II 
(1839)  2,  374  ff.  Das  Meiste  wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  36  (1858)  985-1072.  — 
Erste  kritische  Ausgabe  von  Edwin  Patzig,  Leipzig,  bibl.  Teubn.  1890.  —  Vgl.  E.  Patzig. 
Die  Nonnusquelle  der  Eudokia,  Rhein.  Mus.  37  (1882)  67 — 82  und  desselben  Abhandlung: 
De  Nonnianis  in  IV  orationes  Gregorii  Nazianzeni  commentariis,  Progr.  der  Thomasschule, 
Leipzig  1890,  wo  über  die  Handschriften,  Redaktionen  und  die  späteren  Ausschreiber  des 
Nonnos  erschöpfend  gehandelt  ist.     Vgl.  §  136. 

169.  Rückblick.  Für  die  Erkenntnis  des  wahren  Geistes,  welcher 
in  der  griechischen  Kirche  nach  dem  Ablauf  ihres  Heroenzeitalters  herrschte, 
sind  uns  die  Gesänge  und  Gebete  des  Volkes  ein  treueres  Zeugnis,  als 
die  mit  allen  Mitteln  der  alten  Philosophie  ausgerüsteten  Streitschriften 
und  die  rhetorisch  abgerundeten,  innerlich  aber  oft  so  trockenen  Predigten 
der  gelehrten  Wortführer  der  Orthodoxie.  Die  innere  Geschichte  der 
orientalischen  Kirche,  die  uns  jetzt  viel  zu  sehr  im  Lichte  dogmatischer 
Kämpfe  und  hohler  Schönrednerei  erscheint,  erhält  daher  durch  die  religiöse 
Poesie  eine  wichtige  und  notwendige  Ergänzung.  Zur  Würdigung  derselben 
ist  es  freilich  unerlässlich,  dass  der  Leser  sich  voll  und  ganz  in  die  geistigen 
Zustände  jener  Zeit  hineinversetze.  Wer  an  die  griechischen  Hymnen  von 
einem  modernen,  sei  es  nun  vom  romantischen  oder  vom  realistischen 
Standpunkt  herantritt,  wird  ihnen  niemals  gerecht  werden.  Wie  die  tiefsten 
Wurzeln  jeder  Kunst  in  ihrer  eigenen  Zeit  ruhen,  so  geschieht  es  auch 
hier.  Wer  eine  solche  Konzession  ablehnt,  mag  ])edoiiken,  dass  auch  die 
älteste  Profandiclitinig,    die  homerische,   zu   einem  st-hr  grossen  Teile 


1.  Kirchenpoesie.    A.  Rythmische  Kirchendichtung.   (§§  168—170.)  325 

nur  bei  einem  gründlichen  Eingehen  in  ihre  kulturellen  und  religiösen 
Grundlagen  verständlich  wird.  Wer  den  Dichter  will  verstehen, 
muss  in  Dichters  Lande  gehen,  nicht  bloss  geographisch,  sondern  auch 
chronologisch  und  mit  seinem  ganzen  Denken  und  Fühlen.  Als  den  allge- 
meinen Charakter  der  griechischen  Kirchenpoesie  bezeichnet  JacobiO  ganz 
richtig  die  dem  Objectiven  zugewandte  Richtung,  welche  das  Erbe  des 
antiken  Standpunktes  ist  und  welche  auch  der  abendländischen  Dichtung 
des  Mittelalters  eignet.  Es  ist  dieselbe  Objektivität,  die  auch  in  der 
bildenden  Kunst  des  Altertums  und  des  Mittelalters  bis  kurz  vor  dem 
Beginne  der  Reformationszeit  herrscht.  Auf  eine  hervorragende  Eigentüm- 
lichkeit der  älteren  Hymnenpoesie,  das  dramatische  Element,  ist  schon 
oben  (§  163)  hingewiesen  worden.  Doch  ist  mit  dieser  allgemeinen  Ein- 
sicht noch  wenig  gewonnen.  Für  eine  feinere  Charakteristik,  für  die  Dar- 
legung der  inneren  Entwickelung,  für  die  Unterscheidung  der  Individuen 
und  Zeiten  ist  hier  noch  alles  zu  thun.  Diese  Aufgabe  wird  nicht  mit 
Erfolg  gelöst  werden  können,  ehe  die  wichtigsten  Vertreter,  besonders 
Romanos,  vollständiger  ediert  sind. 

1.  Zur  Charakteristik  s.  bes.  Jacobi  a.  a.  0.  219  ff.  und  Bouvy,  Etudes  sur  les 
origines  etc.  —  Ueber  die  Stellung  des  Kirchenhyninus  in  der  Poesie  überhaupt  handelt 
Job.  Kayser,  Beiträge  zur  Geschichte  und  Erklärung  der  ältesten  Kirchenhymnen,  Pader- 
born 1881  S.  1—14. 

2.  Früher  war  allgemein  die  Ansicht  verbreitet,  dass  die  griechischen  Kirchen- 
dichter  an  Reichtum  der  Erzeugnisse  wie  an  poetischem  Talente  den  Lateinern  weit 
nachstehen;  s.  z.  B.  F.  Bahr,  Geschichte  der  römischen  Liter.  IV-  (Carlsruhe  1872)  S.  10  ff. 
und  noch  Alzog,  Grundriss  der  Patrologie ^  (1888)  S.  542.  Das  mochte  man  gelten  lassen, 
solange  die  griechischen  Lieder  nur  aus  den  verstümmelten  und  schlechten  Drucken  der 
rituellen  Bücher  und  aus  Daniels  Thesaurus  bekannt  waren.  Sind  aber  einmal  die 
grossartigen  Vorräte  alter  Werke  vollständig  und  in  lesbarer  Gestalt  ans  Licht  gezogen, 
so  wird  man  die  griechische  Produktion  der  lateinischen  an  Umfang  Avie  an  innerer  Kraft 
und  Mannigfaltigkeit  zum  wenigsten  an  die  Seite  stellen  dürfen.  Dann  wird  man  vielleicht 
auch  untersuchen  können,  welcher  von  beiden  Litteraturen  eine  grössere  Gesamtsumme  von 
Originalität  und  poetischem  Werte  zukommt. 

170.  Spielereien  in  der  Form  des  Kirchenliedes.  Eine  begleitende 
Erscheinung  des  Verfalles  der  Kirchendichtung  ist  die  Parodie  derselben. 
Der  erste  Autor,  den  wir  mit  völliger  Sicherheit  als  Verfasser  solcher 
Stücke  kennen,  ist  kein  geringerer  als  der  berühmte  Premierminister  und 
Hofphilosoph  Michael  Psellos.  Im  Jahre  1054  hatte  er,  wohl  weniger 
aus  innerer  Neigung,  als  weil  damals  seine  Stellung  am  Hofe  erschüttert 
war,  den  Entschluss  gefasst,  der  Welt  zu  entsagen;  zu  diesem  Behufe 
wählte  er  das  auf  dem  Berge  Olympos  in  Bithynien  gelegene  Kloster. 
Bald  aber  war  der  turbulente  Mann  des  eintönigen  Lebens  unter  den 
frommen  Weltüberwindern  überdrüssig  und  verliess  seine  Zelle,  um  sich 
von  neuem  in  die  dumpfe  Atmosphäre  der  politischen  Kämpfe  und  Intriguen 
zu  stürzen.  Die  Klostergenossen  waren  über  den  Flüchtling  nicht  wenig 
ungehalten  und  ein  Mönch  namens  Jakob,  der  sich  zum  Sprecher  der 
übrigen  machte,  dichtete  ein  witziges  Epigramm  in  vier  Trimetern,  worin 
er  den  Psellos  als  Zeus  anspricht  und  sagt,  er  sei  dem  Olymp  nur  ent- 
flohen, weil  er  auf  demselben  seine  Göttinnen  nicht  wiedergefunden  habe. 
Psellos  antwortete  in  einer  für  den  Exmönch  wenig  passenden  Weise  durch 

»)  A.  a.  0.  S.  219. 


326  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

ein  derbes  Schmähgedicht,  worin  der  gute  Jakob  mit  wenig  Witz  und  viel 
Behagen  in  den  grellsten  Farben  als  wüster  Trunkenbold  geschildert  wird. 
„Gott  der  Herr,  der  die  Abgründe  verstopfte  und  die  weite  Höhlung  des 
Ozeans  mit  Wasser  füllte,  vermochte  es  nicht,  Deinen  Bauch  zu  sättigen, 
der  wie  ein  Kanal  alles  aufnimmt  und  alles  leert."  In  der  dritten  Strophe 
vergleicht  Psellos  den  Klosterbruder  mit  einem  Weinstocke.  „Man  sah 
Dich  auf  der  Erde  liegen,  o  Vater,  als  fruchtbeladenen  Weinstock ;  dicker 
Wein  sickerte  Dir  aus  allen  Poren,  aus  Deinem  Halse,  aus  Deinen  Augen, 
aus  der  Unterthüre  und  aus  Deinem  ganzen  Körper.  Schwere  Trunkenheit 
schwitztest  Du  aus  wie  ein  rissiger  Schlauch."  Das  ganze  Gedicht,  dessen 
Grobheit  man  nach  diesen  Proben  beurteilen  mag,  hat  die  regelrechte  Form 
eines  Kirchenliedes;  die  Akrostichis  lautet:  MeO^vaov^Iäxwßov evQvO^iiwg 
«(fw,  Konarag;  dazu  der  übliche  Vermerk  des  Tones  und  der  Melodie: 
^Hxog  nXccyioq  6'.    jlQiiaTrjkäTr^v.^) 

Sehr  weite  Verbreitung  fanden  in  der  byzantinischen  Zeit  Lehr- 
gedichte, welche  die  äussere  Form  von  Kirchenhymnen  für  Zwecke 
der  wissenschaftlichen  Mitteilung  und  des  Unterrichtes  verwenden.  Der 
Gedanke,  den  Lehrstoff  durch  metrische  Formulierung  leichter  dem  Ge- 
dächtnisse einzuprägen,  ist  bekanntlich  fast  ebenso  alt  als  der  schulmässige 
Betrieb  selbst;  eigentümlich  scheint  aber  den  Byzantinern,  dass  sie  zu 
diesem  Behufe  ganz  allgemein  die  ehrwürdige  Form  des  Kirchenliedes  ver- 
wendeten. ^TixrjQcc  über  Lufterscheinungen,  wie  Wolken,  Regen  und  über 
die  zwischen  der  Erde  und  dem  Himmel  befindlichen  Elemente,  und  ein 
Kanon  über  die  Benennung  der  verschiedenen  Lebensalter  sind  unter  dem 
Namen  des  Photios  überliefert.  2)  Der  bekannteste  Autor  solcher  Hymnen 
über  grammatische  und  andere  Schulgegenstände  istNiketas  vonSerrae 
um  1100  (s.  §  143).  Auch  Johannes  Zonaras,  Theodoros  Prodromos,^) 
Hierotheos  Monachos  u.  a.  haben  solche  Schulgedichte  verfasst.  Wie 
wenig  die  Byzantiner  das  Unpassende  solcher  Profanation  heiliger  Rythmen 
fühlten,  beweist  die  Thatsache,  dass  diese  Schulmuse  selbst  vor  ekelhaften 
Gegenständen  nicht  zurückscheute.  So  finden  wir  die  Form  des  Kirchen- 
liedes in  einem  Traktate  über  den  Urin  {HeQi  ovqwi'),  um  dessen  Autor- 
schaft sich  sogar  mehrere  Namen  wie  Matthaeos  Blastarnes,  Planudes, 
Nikephoros  Blemmides,  ja  selbst  Photios  zu  streiten  scheinen.*)  Eines 
der  schlimmsten  Beispiele  ist  die  wohl  dem  15.  Jahrhundert  angehörende 
„Messe  des  Bartlosen",  wo  eine  liturgische  Handlung  mit  ihrem  ganzen 
Apparate  von  Hymnen,  Kanones,  Legenden  u.  s.  w.  derb  parodiert  wird 
(s.  den  Anhang).  Manche  derartige  Werke  gehen  noch  anonym  in  den 
Handschriften. 

171.  Uebersetzungen  und  Imitationen.  Die  griechische  Kirchen- 
poesie hat  nach  verschiedenen  Seiten  hin  eine  mächtige  Anregung  aUvSge- 
übt.  Wie  einst  das  heidnische  Rom  von  Griechenland  aus  seine  Kultur 
und  Litteratur  empfing,   so   nahmen  die  Lateiner   in  der  christlichen  Zeit 

')  Ediert  ist  das  Stück  von  K.  Sathas  '  ')  Seinen  Kanon    llfQi  dvtiaxoixMv   mit 

Meaauayunj  ßißXio»ijxij  vol.  V  (1876)  177  fF.  alphnbotiachor   Akrostichis   ed.   K.  Miller, 

»)  Pitra,    Anal.   S.    I   S.  441  flF.      Vgl.  1  Annuairo  do  Tassoc.   10  (1876)  131—134. 

Pitra,  Hymnographie  S.  61.  |  *)  Pitra.  Anal.  S.  1  S.  441. 


1.  Kirchenpoesie.    A.  Rythmisclie  Kirchendichtung.   (§171.)  327 

abermals  ihre  Zuflucht  zu  dem  glücklicher  begabten  Volke  des  Ostens. 
Zu  den  ältesten  Beweisen  dieses  litterarischen  Verhältnisses  gehört  die 
kurze  Akklamation,  die  seit  den  Zeiten  des  hl.  Benedikt  allmorgendlich 
im  Klosterchore  ertönt;  der  griechische  Text  darf  nach  Pitra  •)  nicht  unter 
das  3.  Jahrhundert  herabgerückt  werden: 

lol  TjQSTiei  cayo;  Te  decet  laus 

aoi  Tjpe'nsi  vuvog  te  decet  hymnus 

ao'i  do'^cc  TTos'nsi  rio  Ilccrol  tibi  gloria  Deo  Patri 

xai  1(0    Yiio  xal  reo  iiylM  JlysvficeTt  et  filio  cum  Sancto  Spiritu 

eig  tovg  amvag  rojf  (doh'Mv.     \4ujjy.  in  saecula  saeculorum.     Amen. 

Dem  berühmten  Dies  irae,  dies  illa,  das  gewöhnlich  dem  Thomas  von 
Celano  (13.  Jahrh.)  zugeschrieben  wird,  in  seinen  Hauptbestandteilen  aber 
sicher  viel  älter  ist,  2)  scheint  als  Vorbild  der  Hymnus  des  Romanos  über 
das  letzte  Gericht  gedient  zu  haben. ^)  Auch  der  sogenannte  Hymnus 
Ambrosianus,  dessen  Abfassung  Kayser  mit  Wahrscheinlichkeit  in  das 
6.  .Jahrhundert  versetzt,  erinnert  in  mehreren  Einzelheiten  wie  im  Ge- 
dankengange an  ein  Gedicht  des  Romanos.^)  Bei  der  Betrachtung  dieser 
poetischen  Anleihen  darf  auch  die  Thatsache  nicht  vergessen  werden,  dass 
sich  in  der  abendländischen  Liturgie  mehrere  griechische  Texte  bis  ins 
Mittelalter  hinein  erhielten.  Dazu  gehört  ausser  dem  S.  310  erwähnten  Bei- 
spiele eine  kurze  Akklamation,  die  am  Osterfeste  bis  ins  9.  Jahrhundert  und 
vielleicht  noch  länger  im  Lateran  üblich  war.^)  Umgekehrt  blieben  auch  Refor- 
men im  lateinischen  Ritus  nicht  ohne  Einfluss  auf  den  griechischen  Osten.") 
Eine  genauere  Erforschung  dieser  Beziehungen  würde  auf  die  christliche 
Kultur-  und  Litteraturgeschichte  manches  neue  Licht  werfen.  Vieles  wird 
uns  freilich  immer  verborgen  bleiben,  weil  die  griechischen  Gesänge  der 
älteren  Zeit  nur  trümmerhaft  überliefert  sind.  Unter  Papst  Hadrian  II 
(867 — 872),  also  in  einer  Zeit,  in  w^elcher  der  litterarische  und  kulturelle 
Zusammenhang  zwischen  dem  Osten  und  Westen  sich  schon  sehr  gelockert 
hatte,  wurden  die  Formen  der  griechischen  Hymnenpoesie  nach  einer 
glaubwürdigen  Nachricht  in  der  römischen  Kirche  eingeführt.  So  erklärt 
sich  der  griechische  Ursprung  der  lateinischen  Bezeichnungen  Tropus  und 
Sequentia  {rgonägiov,  äxokov^ta).'')  Bald  begann  der  griechische  Kirchen- 
gesang einen  siegreichen  Eroberungszug  über  neue,  bis  dahin  der  Kultur 
des  oströmischen  Reiches  verschlossene  Gebiete.  Bulgaren  und  Walachen, 
Serben,  Russen  und  andere  Slaven  erhielten  von  Byzanz  mit  der 
christlichen  Religion  auch  den  griechischen  Ritus  und  die  griechische  Hym- 
nologie.  Die  unbändigen  Völkerschaften  des  kaukasischen  Berglandes, 
Iberer  und  Georgier,  beugten  sich  unter  die  Macht  des  Christentums, 
und  der  hl.  Euthymios  übersetzte  nicht  bloss  die  Bibel  und  die  Kirchen- 
väter,  sondern  auch   die  griechischen  Hymnen.^)     So   erfüllte   die   byzan- 


')  Hymnographie  S.  .36  f.  1  *)  Deutschmann  a.  a.  0.  S.  21  f. 

2)  Vgl.    Mone,    Lat.  Hymnen   I  (1853)  |  ')  Pitra,    Hymnographie    S.    37.     Vgl. 

S.  3.54  und  408.    —    Henry   Tode,   Franz  Christ,  Anthol.  Proleg.  S.  25  f. 

von  Assisi  und    die  Anfänge  der  Kunst  der  j  *)   Pitra,    Hymnographie   S.    50   f.    — 


Renaissance  in  Italien,  Berlin  1885  S.  400.  — 
L.  Traube,  Karolingische  Dichtungen,  Ber- 
lin 1888  S.  152. 

»)  Deutschmann  a.  a.  0.  (s.  S.  309)  S.  17. 


Bouvy  a.  a.  O.  S.  376  S. 

')  Vgl.  Christ,  Anthol. Proleg. S. 25 f. 
M.  Kawczynski  a.  a.  0.  S.  149  S. 

«)  Pitra,  HjTunographie  S.  67  S. 


328  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

tinische  Kirchenpoesie  eine  wichtige  kulturhistorische  Aufgabe.  Sie 
erhielt  in  ihrer  eigentlichen  Heimat  das  religiöse  Gefühl  wach  und  stärkte 
zuletzt  das  von  furchtbaren  Stürmen  niedergeworfene  Volk  im  langen  und 
schweren  Widerstände  gegen  die  andersgläubigen  Bedrücker ;  sie  befruchtete 
das  lateinische  Abendland  und  erzeugte  im  äussersten  Osten  und  Norden 
bei  barbarischen  Völkerschaften  eine  religiöse  Kultur,  die  bis  auf  den  heu- 
tigen Tag  die  Spuren  ihres  Ursprungs  treu  bewahrt  hat. 

1.  Eine  gute  Untersuchung  über  Begriff  und  Geschichte  der  abendländischen  Tropen 
gab  L^on  Gautier,  Histoire  de  la  poßsie  liturgiqne  au  moyen-äge,  vol.  I,  Les  Tropes, 
Paris  1886.  —  Dazu  das  zu  §  160  angeführte  Buch  von  M.  Kawczynski.  —  Zur  Beur- 
teilung des  Verhältnisses  der  griechischen  und  lateinischen  Rythmenpoesie  dient  Ad.  Ebert, 
Allgemeine  Geschichte  der  Literatur  des  Mittelalters  im  Abendlande  1-  (1889)  554  ff.; 
II  (1880)  86  ff.;  311  ff.;  326  ff.  und  allenth.  -  Ein  sehr  nützliches  Material  über  griechische 
Einflüsse  in  der  lateinischen  Gesellschaft  und  Kirche  vom  6.  bis  8.  Jahrhundert  gibt,  ohne 
auf  die  Kirchenpoesie  selbst  einzugehen,  Ch.  Diehl,  Etudes  sur  l'administration  Byzantine 
dans  I'exarchat  de  Ravenne,  Paris  1888  S.  240—288. 

2.  Zahlreiche  Mitteilungen  über  die  rituellen  Beziehungen  der  byzantinischen  Kirche 
zu  ihren  slavischen,  georgischen,  iberischen  und  äthiopischen  Dependenzen  gibt  John 
Mason  Neale,  A  history  of  the  holy  eastern  church,  2  P.,  London  1847 — 1850.  —  Haupt- 
werk für  die  slavische  Hagiographie :  Archimandrit  Sergius,  Vollständiges  Menologion 
des  Ostens,  2  voll.,  Moskau  1875 — 76  (Russ.);  Bd.  I  S.  III  ff.  ein  reiches  Veraeichnis  hagio- 
graphischer  und  martyrologischer  Druckwerke  und  Handschriften.  —  Mehrere  Proben  alt- 
slavischer  Texte  ed.  der  Archimandrit  Amphilochius,  Paläographische  Beschreibung 
griechischer  Handschriften  etc.  von  bestimmten  Jahren,  4  voll.,  Moskau  1879  —  1880  (Russ.). 
Desselben  Verfassers:  Altslavischer  Psalter  des  Symeon  vom  Jahre  1280,  4  voll.,  Moskau 
1880—1881  (Russ.).  Der  Wert,  dieser  wie  aller  übrigen  Publikationen  des  emsigen  Ge- 
lehrten wird  durch  den  Mangel  an  philologischer  Methode  und  Genauigkeit  stark 
beeinträchtigt.  —  Einige  kleinere  Schriften  von  Amphilochius,  die  Arch.  slav.  Philol.  2 
(1877)  402  f.  angeführt  werden,  sind  mir  unzugänglich.  Vgl.  die  Litteratur  zu  §  160.  — 
V.  Jagic,  Die  Menäen  für  den  September,  Oktober  und  November  in  der  kirchensla vischen 
Uebersetzung  nach  russischen  Handschi-iften  der  J.  1095—1097,  Petersburg  1886  (Russ.). 
Die  Einleitung  des  musterhaften  Werkes  enthält  eine  gründliche  Untersuchung  über  die 
Geschichte  der  slavischen  Hymnologie.  Darnach  entstand  die  älteste  slavische  Ueber- 
setzung der  griechischen  Hymnen  in  Bulgarien  oder  auf  dem  Athos  spätestens  in  der 
ersten  Hälfte  des  11.  Jahrb.  und  sie  fand  gerade  in  Russland  grosse  Verbreitung: 
gegen  Ende  des  14.  Jahrb.  begann  eine  neue  serbische  Version  die  alte  bulgarische 
zuerst  bei  den  Südslaven,  dann  auch  bei  den  Russen  zu  verdrängen  und  wurde  auch  in  dir 
gedruckten  Menäen  aufgenommen. 

3.  Wie  die  Kirchenpoesie,  ging  auch  die  byzantinische  Musik  und  Notenschrift 
zu  den  Slaven  über.  Hierüber  vgl.  V.  Jagic,  Arch.  slav.  Philol.  8  (1885)  659  f.  und 
die  dortselbst  angeführten  (mir  unzugänglichen)  russischen  Werke;  mit  Recht  weist  Jagiö 
darauf  hin,  dass  hier  noch  ein  weites  Feld  der  Forschung  brach  liegt.  Vielleicht  lassen 
.sich  sogar  dunkle  Punkte  in  der  byzantinischen  Musik  und  Rythmik  durch  Vergleichung 
der  slavischen  Formen  aufklären. 

172.   Die  Ueberlieferung  der  griechischen  Kirchenpoesie.    Die 

rythmische  Kirchenpoesie  entsprang  nicht  einem  blossen  ästhetischen  oder 
gelehrten  Vergnügen  wie  etwa  die  Werke  eines  Synesios  und  Gregor  von 
Nazianz;  sie  ging  aus  dem  praktischen  Bedürfnis  der  Liturgie  selbst  her- 
vor. Die  vornehmste  Absicht  aller  Dichter  dieser  Gattung  war  und  blieb 
die  Einführung  ihrer  Werke  in  den  Gebrauch  der  Kirche.  Was 
wir  demnach  von  denselben  heute  wirklich  besitzen,  haben  wir  ausschliess- 
lich in  den  verschiedenen  Gesangbüchern  der  griechischen  Kirche  zu  suchen. 
Handschriften,  in  welchen  Hymnen  und  Kanones  zu  rein  litterarischem 
Behufe  gesammelt  wären,  existieren  nicht.  Wenn  man  die  eingestreuton 
Stücke  aus  dem  alten  und  neuen  Testament,  die  Legenden,  die  Gebete  des 
Priesters  und  einiges  andere  ausnimmt,  gehört  fast  alles,  was  die  2-i  llitus- 


1.  Eirchenpoesie.    A.  Rythmische  Eirchendichttmg.  (§  172.)  329 

bücher  der  orientalischen  Kirche  enthalten,  in  das  Gebiet  der  Hymno- 
graphie.  Die  Menaeen,  das  Triodion,  Pentekostarion,  Parakletikon,  Horo- 
logion,  Anthologien,  Hirmologion  u.  s,  w.,  wie  sie  seit  dem  10.  und  11. 
Jahrhundert  von  den  kirchlichen  Obrigkeiten  festgestellt,')  in  zahlreichen 
Handschriften  und  später  in  verschiedenen  Drucken  verbreitet  wurden, 
sind  die  schwer  übersehbaren  Fundstätten  griechischer  Kirchen- 
poesien. Wenn  man  hört,  dass  in  Europa  über  400  liturgische  Hand- 
schriften der  griechischen  Kirche  sind,  2)  wozu  noch  die  ungezählten 
Exemplare  der  orientalischen  Bibliotheken  kommen,  so  ahnt  man  die  grosse 
Ausdehnung  dieses  Gebietes  und  erkennt,  dass  an  eine  erschöpfende  philo- 
logische Sichtung  und  Würdigung  des  StoJÖFes  gegenwärtig  noch  nicht  zu 
denken  ist.  Für  die  ältesten  Hymnen  liegt  die  Sache  jedoch  etwas 
einfacher,  als  man  bei  einem  oberflächlichen  Blicke  auf  das  Chaos  von 
Handschriften  und  Drucken  glauben  sollte.  Das  hat  folgenden  Grund.  Als 
die  genannten  liturgischen  Werke  allmählich  fest  konstituiert  wurden, 
musste  aus  den  bedrohlichen  Massen  der  vorhandenen  Poesien,  welche 
weder  von  den  Abschreibern  noch  von  den  Sängern  bewältigt  werden 
konnten,  eine  Auswahl  getroffen  werden.  Hiebei  wurden  gerade  die  Werke 
der  älteren  Zeit  recht  stiefmütterlich  behandelt ;  nur  ganz  vereinzelte  Stücke 
wie  der  Akathistos  retteten  sich  unversehrt  in  die  neuen  Redaktionen 
hinüber.  Die  übrigen  Werke  wurden  teils  völlig  beseitigt,  teils  nur 
fragmentarisch  aufgenommen.  Aus  den  verstümmelten  Akrosticha 
erkennen  wir  Blatt  für  Blatt  die  ungeheuren  Verluste,  welche  der  alte 
Bestand  in  den  liturgischen  Büchern  erlitten  hat.  Die  schönsten  Hymnen 
des  Romanos  wurden  bis  auf  zwei  Strophen  beiseite  geworfen.  Wenn 
wir  ausschliesslich  auf  die  Handschriften  der  späteren  Redaktionen  ange- 
wiesen wären,  stünde  es  mit  unserer  Kenntnis  der  Blütezeit  des  Hymnen- 
gesanges sehr  schlimm.  Zum  Glücke  haben  wir  einige  Handschriften,  die 
einer  früheren  Stufe  der  Liturgie  angehören.  Ausser  dem  Triodion, 
welches  die  beweglichen  Feste  enthält,  findet  sich  in  ihnen  ein  frühzeitig 
ausser  allgemeinem  Gebrauch  gekommenes  liturgisches  Buch,  das  Tropo- 
logion,  dessen  Inhalt  später,  stark  verstümmelt,  in  den  Typika,  Horologia, 
Menäen,  dem  Triodion  und  Euchologion  aufging.  3)  Von  einem  Einzelblatte 
im  cod.  Vatic.  2008  abgesehen  besitzen  wir  aus  diesem  älteren  Stadium 
der  Liturgie  fünf  Handschriften:  1.  Cod.  Corsinianus  366,  aus  163  Blättern 
bestehend,  um  1050  geschrieben.^)  2.  Cod.  Taurinensis  B.  IV.  34.,  noch 
196  Blätter  enthaltend,  im  11.  Jahi-hundert  geschrieben.  3.  Codex  der 
Synodalbibliothek  zu  Moskau  Nr.  437,  328  Blätter  umfassend,  gegen 
das  Ende  des    12.  Jahrhunderts  auf  dem  Athos  geschrieben  und  aus  dem 


')  Zur  Geschichte  der  liturgischen  Bücher  j   pologion    weggenommen   habe.     S.  Pitra, 

des   Orients,    die   noch   geschrieben   werden  i   Anal.    S.    I   Proleg.    S.  8.     Die   AbschaflFung 

muss,   vgl.  das  Verzeichnis   in   der  Jichaiis  \   des  Tropologions  hatte  auch  die  verderbliche 

des    Michael    Attaliates.     K.    Sathas,  Folge,    dass    bei    der    Reduktion    der    alten 

Meaauov.  ßtßX.  I  S.  49.     Vgl.  §  30  Anm.  3.  Hymnen   die   Akrostichis    zerstört   wurde 

*)^  Pitra,  Hymnographie  S.  24.  i   und  damit  der   Name  vieler  Verfasser  ver- 

^j  Theodoros  Studites  beklagt  sich  1   loren  ging, 

in  einem  Briefe,    dass   man   ihm   in   seinem  ■♦)  Beschreibung  von  Pitra,    Anal.  S.  I 

Gefangnisse  alle  Bücher  und  auch  dasTro-  S.  663  ff. 


I 


330 


Byzantinische  Litteraturgeschichte.    II.  Poetische  Litteratur, 


Kloster  BaTOTiaiöiov  nach  Moskau  gebracht.')-  4.  und  5.  Codd.  Patmiaci 
212  und  213,  zusammen,  obschon  ebenfalls  stark  verstümmelt,  noch 
441  Blätter  umfassend,  beide  von  der  gleichen  Hand  im  11.  Jahrhundert 
geschrieben;  der  erste  enthält  das  Tropologion,  der  zweite  das  Triodion.^) 

Wenn  nun  auch  diese  Handschriften  im  wesentlichen  dasselbe  Werk 
d.  h.  das  Tropologion  mit  dem  Triodion  enthalten,  so  weichen  sie  doch 
in  der  Auswahl  und  Vollständigkeit  der  Hymnen  wie  auch  im  Texte  der 
allen  oder  mehreren  gemeinsamen  Stücke  erheblich  von  einander  ab.  Ihre 
Vorlagen  stammen  offenbar  aus  einer  Zeit,  in  welcher  für  die  liturgischen 
Bücher  noch  keine  stereotype  Liste  geschaffen  war  und  daher  die  Auswahl 
der  Hymnen  durch  persönlichen  Geschmack  oder  Zufall  sich  verschieden 
gestaltete.  So  enthält  der  Corsinianus  vorzüglich  Hymnen  des  Romanos 
und  Theodoros  Studites,  ausserdem  des  Kyriakos,  Domitios,  Elias,  Gregor, 
Orestes.  Im  Taurinensis  ist  am  besten  vertreten  Joseph,  der  Bruder 
des  Theodoros  Studites,  dazu  Georg,  Gabriel,  Stephanos,  Arsenios,  Tarasios 
(der  Patriarch).  Der  Doppelcodex  des  Klosters  zu  Patmos  enthält  vor- 
nehmlich Romanos;  ausserdem  sind  durch  einzelne  Lieder  vertreten 
Theodoros  Studites,  Gabriel,  Joseph,  Stephan,  Abbas,  Johannes,  Leon, 
Paulos,  Joannikios,  Symeon,  Georg.  Dazu  kommen  in  allen  fünf  Hand- 
schriften sehr  zahlreiche  Adespota,  unter  denen  sich  manche  Fragmente 
aus  der  frühesten  Zeit  der  Hymnographie  bergen  mögen.  Wie  verschieden 
die  Handschriften  sind,  mag  aus  der  einen  Thatsache  erhellen,  dass  Pitra 
aus  cod.  Corsin.  und  Taurin.  nur  29  Werke  des  Romanos  konstituieren 
konnte,  während  der  patmische  Doppelcodex  gegen  80  Hymnen  desselben 
mit  voller  Akrostichis  enthält. 

Hieraus  ergibt  sich  auch,  dass  eine  neue  Ausgabe  der  Hymno- 
graphen,  besonders  des  Romanos,  ein  dringendes  Bedürfnis  ist.  Pitra  hat 
von  den  genannten  Handschriften  nur  die  zwei  ärmsten,  den  Corsin.  und 
Taurin.,  vollständig  verwertet;  aber  selbst  seine  Angaben  über  die  Lesung 
des  Taurin.  sind  von  einer  unglaublichen  Unzuverlässigkeit.  Von  der  Mos- 
kauer Handschrift  hatte  er  nur  Proben;  die  zwei  patmischen  blieben 
ihm  für  seine  Analecta  ganz  unzugänglich;  erst  seine  Gabe  zum  Papst- 
jubiläum (s.  §  163)  brachte  drei  Hymnen  aus  Patmos  nach  der  Abschrift 
eines  dortigen  Mönches.  Die  Veröffentlichung  der  Moskauer  Handschrift 
von  Amphilochius  ist  im  vollsten  Sinne  des  Wortes  unbrauchbar  (vgl. 
S.  309).  Für  eine  Ausgabe  des  Romanos,  die  zum  grösseren  Teil  editio 
princeps  sein  wird,  müssen  demnach  die  5  Handschriften,  die  uns  aus  dem 
ungeheuren  Schiffbruch  der  alten  Hymnenlitteratur  so  wertvolle  Reste 
gerettet  haben,  teils  abgeschrieben,  teils  vollständig  neu  verglichen  werden. 


B.  Die  Form  der  Kirchenpoesie. 

173.   Geschichtliche  Vorbemerkung.     Eine  kurze  Darlegung  der  in 
der  Kirchenpocsio  angewandten  Formen  ist  um  so  notwendiger,  als  dieselben 


')  Kurze  Notiz  von  Pitra,  Anal.  S.  I 
Proleg.  S.  13  f.  Vollständig  ediert  von  Am- 
philochius; s.  S.  309. 


-)  Kurze  Beschreibung  von    Sakcllion 
bei  Pitra,  Anal.  S.  I  676  f. 


1.  Zirchenpoesie.    B.  Die  Form  der  Kirchenpoesie.  (§  173.)  331 

weder  in  dem  metrischen  Abriss  des  Handbuchs  der  klassischen  Altertums- 
wissenschaft, noch  auch  in  den  grösseren  Lehrbüchern  der  Metrik  erörtert 
sind.  Zum  Verständnis  ist  es  nicht  unwichtig,  zuerst  die  verschiedenen 
Auffassungen  der  rythmischen  Form  geschichtlich  zu  überblicken.  Die 
Erkenntnis  der  den  griechischen  Kirchenpoesien  zu  Grunde  liegenden 
metrischen  Gesetze  blieb  merkwürdiger  Weise  den  abendländischen  Ge- 
lehrten mehrere  Jahrhunderte  lang  verschlossen,  obschon  sie  bei  den 
Griechen  in  der  Praxis  nie  verloren  gegangen  war.  Wie  der  bayerische 
Jesuit  Simon  Wangnereck')  ausdrücklich  versicherte,  dass  die  unzähligen 
Oden  der  Menäen  aus  purer  Prosa  beständen,  wie  sein  Ordensgenosse 
Gretser  zum  Schlüsse  kam,  das  einzige  hier  herrschende  Gesetz  sei  die 
Willkür,  so  entdeckten  auch  noch  spätere  wie  Hippol.  Maracci,  der  sich 
mit  Joseph  dem  Hymnographen  eingehend  beschäftigte,  und  der  Kardinal 
Querini,  der  zahlreiche  Hymnen  übersetzte,  nicht  die  Spur  eines  Verses 
in  dieser  rätselhaften  Litteraturgattung.  Die  Deutungsversuche  des  fran- 
zösischen Benediktiners  Dom  Toustain  wie  auch  anderer  Gelehiiien  schei- 
terten vornehmlich  an  der  vorgefassten  Ueberzeugung,  dass  in  der  Kirchen- 
poesie klassische  Metren  verborgen  seien.-)  So  edierte  auch  der  gelehrte 
L.  Fr.  Tafel  zwei  Kanones  des  Eustathios  wie  einen  Prosatext. 3)  Selbst 
nach  dem  Erscheinen  der  Hymnographie  von  Pitra  meinte  P.  Gagarin 
noch,  Verse  wie  die  der  Hymnographen  könne  man  im  offiziellen  Teile  des 
Moniteur  finden,  und  versicherte  sehr  entscliieden :  „Nous  croyons  que  les 
hymnographes  grecs  ont  ecrit  en  prose."^)  Das  mag  als  Schrulle  eines 
Ignoranten  gelten;  aber  noch  im  Jahre  1879,  nachdem  auch  das  Werk  von 
Christ-Paranikas  und  die  Analecta  von  Pitra  vorlagen,  hält  kein  Geringerer 
als  Sathas,  der  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  als  Vertreter  der  in 
Griechenland  herrschenden  Meinung  gelten  kann,  die  Form  der  Hymnen 
für  ein  unlösbares  Rätsel.^)  Selbst  noch  im  Jahre  1889  konnte  es  ge- 
schehen, dass  L.  Pertsch  mehrere  Kanones  ohne  Kenntnis  des  Versbaues 
wie  einen  Prosatext  veröffentlichte.^)  Inzwischen  war  man  der  Antwort 
auf  das  Rätsel  doch  schon  etwas  näher  gekommen.  Pitra  hat  das  unleugbare 
Verdienst,  zuerst  wieder  energisch  auf  den  metrischen  Charakter  der 
Hymnen  hingewiesen  zu  haben,  obschon  die  Erkenntnis  desselben  nie 
verloren  gegangen  und  z.  B.  schon  im  Jahre  1830  von  dem  gelehrten 
Konstantin  Oekonomos  ganz  deutlich  ausgesprochen  war.')  Besonders 
merkwürdig  erschien  Pitra  und  anderen  der  Umstand,  dass  die  Byzan- 
tiner selbst  die  Hymnen  für  Prosa  zu  halten  schienen.  Suidas  und 
die  Kommentatoren  der  Kirchenpoesie  sagen  mit  trockenen  Worten,  diese 
Werke  seien  xaraloyäSr^i;  ne^c^  Xöyo^  geschrieben.»)     Es  wäre  aber  völlig 


')  Pietas  Mariana,  Monachii  1647,  Praef. 
S.  32. 

*)  Pitra,  Hymnographie  S.  3  ff. 

•')  Eustathii     opuscula,     Francof.     1832 
S.  36  f.;  166  f. 

"  ••)  S.  Stevenson  a,  a.  0.  S.  489. 

')  'laroQixov  doxijuioy  nsgl    toi"'  d^eaxQOv 


XQÖvo)  oucog  cmaQ-(ai(o&eyrog  rov  uergov  (!), 
iyQci(potno  eV  ns^ij  avve)(eict,  xcd  wg  xoiavxa 
nsoi^Xd^ov  i^fxiv,  ovdsyog  fis^Qi  Tovde 
dvytj&eyrog  yd  fxayxevari  x6  fxex^oy  r] 
xoy  nccXttioy  Qv&jLi6y  ccvxwy.'^ 

8)  Blätter  für  HjTnnologie  1889  N.  2—4. 

•)  Tlsgi  XTJg  yyr^aiag  7igo(poQäg  x^g  'Ekkfj- 


xca  xtjg  fiovatx^g  xtüy  ßrCw^r.  asX.  gy-    ,  T«    '    yixfjg  yXwoat;g  (Petersburg  1830)  S.  667—669. 
ixxXr^aiHaxixti  xuvxn  aauura    tjaay   iy    «p^fl    1   Vgl.  W.  Meyer  a.  a.  0.  S.  364. 
ififxexQct    rj   xovXäxiaioy    eQQv9fia,    atSy   tw    |  «)  Vgl.  Stevenson  a.  a.  0.  491  ff. 


332  Byzantinische  Litter aturgeschichte.    ü.  Poetische  Litteratur. 

verfehlt,  daraus  zu  schliessen,  dass  den  Byzantinern  die  Kenntnis  des 
metrischen  Baues  der  Hymnen  verloren  gegangen  sei.  Dagegen  spricht 
schon  die  einfache  Thatsache,  dass  zu  allen  Zeiten  und  noch  in  unserem 
Jahrhundert  (s.  §  167)  neue  Hymnen  ohne  einen  Verstoss  gegen  die  Technik 
gedichtet  wurden.  Was  den  Byzantinern  hier  mangelte,  ist  nicht  die 
Kenntnis  der  Sache,  sondern  nur  der  treffende  Ausdruck  für  dieselbe. 
Der  Grund  davon  liegt  in  den  allgemeinen  Zuständen  von  Schule  und 
Litteratur.  Wie  in  Grammatik,  Geschichte,  Philosophie,  Rhetorik  und 
anderen  Zweigen,  so  waren  die  Byzantiner  auch  in  der  Metrik  und  Pro- 
sodie  vollständig  in  der  alten  Schultradition  befangen;  infolge  dessen  be- 
trachteten sie  als  wirklich  metrische  Rede  nur  das,  was  auch  bei  den 
Alten  als  solche  galt,  d.  h.  quantitierende  Dichtung.  Der  Begriff  Poesie 
war  bei  ihnen  infolge  der  gänzlich  auf  dem  Altertum  beruhenden  Schul- 
erziehung so  enge  mit  dem  Prinzipe  der  alten  Quantität  verwachsen, 
dass  sie  gar  nicht  auf  den  Gedanken  kamen,  ihn  auch  auf  rythmisch  ge- 
baute Werke  zu  übertragen.  Wenn  sie  daher  die  Hymnen  als  Prosa 
bezeichnen,  so  thun  sie  es  nur  im  Gegensatze  zur  alten  Metrik;  denn 
gleichzeitig  verraten  sie  durch  zahlreiche  Andeutungen,  dass  diese  „Prosa" 
durch  Silbenzahl,  Accent  und  Reim  bestimmt  ist  und  dass  sie  dieselbe  wohl 
von  der  gewöhnlichen  Prosa  zu  scheiden  wissen. ')  Hätten  sie  die  Hymnen 
wirklich  für  Prosa  angesehen,  so  konnten  sie  ihre  Verfasser  nicht  als 
Meloden,  Sänger  und  Dichter  bezeichnen,  wie  sie  es  wirklich  thaten. 
Für  die  ästhetische  Theorie  des  Byzantiners  war  die  rythmische  Dichtung 
weder  Prosa  noch  Poesie;  sie  war  ihm  eine  zwischen  beiden  in  der  Mitte 
stehende  neue  Erscheinung,  die  in  dem  altüberlieferten  Codex  der  Kunstformen 
und  litterarischen  Gattungen  nicht  vorgesehen  war;  daher  sind  ihm  die 
Werke  xaraAoyäJr^v  geschrieben,  ihre  Verfasser  aber  nichtsdestoweniger 
TioirjTai.  Warum  haben  aber  die  byzantinischen  Metriker  und  Kommen- 
tatoren es  versäumt,  die  rythmische  Form  genauer  und  ausdrücklicher 
zu  erklären?  Auch  das  ist  nicht  schwer  zu  beantworten.  Wie  ihre  Gram- 
matiker nur  in  der  Sprache  des  Altertums  wühlten,  das  zeitgenössische 
Idiom  aber  einer  wissenschaftlichen  Behandlung  für  unwürdig  hielten,  so 
geschah  es  auch  auf  dem  Gebiete  der  Metrik.  Kommentiert  und  erklärt 
wurde  nur  die  quantitierende  Poesie;  was  über  den  Rahmen  des  He- 
phaestion  hinausging,  also  namentlich  die  gesamte  rythmische  Formen- 
lehre galt  als  selbstverständlich  und  trivial.  Es  vollzog  sich  also  hier  im 
Grunde  genommen  dieselbe  Entwickelung,  die  in  der  Litteratur  und  Kunst 
allenthalben  bemerkt  wird.  Die  anatomische  Zergliederung  der  Werke, 
die  Formulierung  ihrer  Gesetze,  die  historische  Einschachtelung  und  das 
Aufkleben  der  richtigen  Etiketten,  kurz  die  sogenannte  wissenschaft- 
liche Erkenntnis  folgt  —  glücklicherweise  —  meist  erst  geraume  Zeit 
nach  den  Perioden  der  genialen  Erfindung  und  lebensvollen  Blüte.  Wäre 
in  Byzanz  nicht  durch  den  politischen  Untergang  alles  litterarische  und 
wissenschaftliche  Leben  plötzlich  abgebrochen  worden,  so  hätte  die  gelelirto 


')  Man  denke   an   ihre  Definitionen  des   !    Proleg.  47  flP.;    Stevenson  a.  8.  0.  495  ff. 
Uirmos    (s.  §  175).     Vgl.   Pitra,     Anal.   S.   , 


1.  Elrchenpoesie.    B.  Die  Form  der  EirchenpoeBie.  (§  174.)  333 

Behandlung    der    Rythmenpoesie    wahrscheinlich    dortselbst    ihre     ersten 
Triumphe  gefeiert. 

In  der  That  banden  sich  die  Meloden  in  der  Dichtung  von  Kirchen- 
gesängen nicht  bloss  ganz  streng  an  bestimmte  Normen,  schrieben  also  in 
gebundener,  nicht  in  freier  Rede  (vincta,  non  soluta  oratione),  sie  kehrten 
auch  zur  Kunst  der  altgriechischen  Lyriker  in  der  Art  zurück,  dass  sie 
noir^xai  in  doppeltem  Sinne  wurden,  das  heisst  nicht  bloss  Texte 
{'BTir^  nach  bestimmten  metrischen  Schemen  dichteten,  sondern  dazu  auch 
die  Melodien  (ut^)  erfanden.  Ja  das  letztere  war  bei  manchen  von 
ihnen  sogar  die  Hauptsache,  wovon  sie  auch  den  Namen  Meloden  (fUfXoidoi), 
d.  i.  Sänger  und  Erfinder  von  Melodien,  erhielten.  Wir  selbst  aber  sind 
beim  Studium  der  byzantinischen  Lieder  und  Kirchengesänge  weit  besser 
daran,  als  bei  dem  der  altgriechischen  Meliker  und  Chordichter.  Wir  wissen 
zwar,  dass  Alkman  und  Pindar  ihre  Gedichte  auch  mit  Noten,  nach  denen 
dieselben  gesungen  werden  sollten,  versahen;  auf  uns  sind  aber  nur  die 
Worte,  nicht  die  Melodien  gekommen.  In  den  Handschriften  der  byzan- 
tinischen Kirchenlieder  hingegen  sind  zum  Teil  auch  noch  die  Noten 
(reiifiara)  der  Melodien  erhalten.  Dieselben  weichen  zwar  von  dem  alt- 
griechischen wie  dem  modernen  Notensystem  ab,  indem  sie  immer  nur 
andeuten,  um  wie  viel  der  folgende  Ton  gegenüber  dem  vorausgehenden 
hinauf-  oder  herabging;  sie  sind  aber  in  ihrer  Anlage  vermittelst  der 
theoretischen  Sätze  der  musikalischen  Techniker  der  mittelalterlichen  und 
der  neuen  Zeit  derart  erkannt,  dass  sie  ohne  grosse  Schwierigkeit  in  unsere 
Noten  umgesetzt  werden  können. 

174.  Allgemeine  Erklärung.  Das  Prinzip  der  rythmischen  Poesie 
ist  die  Silben  zahl  und  der  Accent.  Die  Silben  werden  einfach  gezählt 
ohne  Rücksicht  auf  die  Kürze  oder  Länge.  Der  Hiatus  wird  ohne 
Scheu  zugelassen,  und  die  Elision  bleibt  fast  völlig  vernachlässigt,  eine 
Eigenheit,  die  mit  der  gedehnten,  die  einzelnen  Wörter  trennenden  Vor- 
tragsweise zusammenhängt.  Der  Unterschied  zwischen  Acut  und  Circum- 
flex,  den  die  lebendige  Sprache  nicht  mehr  kannte,  bleibt  folgerichtig 
unbeachtet.  Die  Gleichheit  des  Accentes  ist  vor  allem  unverletzlich  am 
Schlüsse  der  Verse.  Das  Verhältnis  zur  antiken  Poesie  ist  jedoch  keines- 
wegs so  zu  denken,  dass  man  nun  einfach  die  alten  Verse  oder  Strophen 
nach  dem  accentuierenden  Prinzipe  wiederholt  hätte.  Die  rythmische 
Dichtung  geht  vielmehr  auch  in  dieser  Beziehung  ihre  eigenen,  von  der 
klassischen  Tradition  unabhängigen  Wege.  In  ihr  sind  keine  bestimmten 
Füsse  festgehalten.  Durch  den  Mangel  der  Gleichzeiligkeit  unterscheidet 
sie  sich  auch  sehr  wesentlich  von  den  ebenfalls  nach  dem  Accent  gebauten 
politischen  Versen,  die  erst  später  auftreten.  Auch  mit  den  gleich- 
zeiligen  lateinischen  und  mit  den  neueren  protestantischen  Kirchenliedern 
hat  sie  wenig  Aehnlichkeit.  „Während  diese  in  sehr  einfachen  Formen 
sich  bewegen  und  an  bestimmte  überlieferte  Versfüsse  und  Zeilenarten  sich 
binden,  sind  bei  den  Griechen  alle  Schranken  gefallen.  Selten  sind  ein- 
fache Strophen,  häufiger  umfangreiche,  die  bis  zu  20  und  mehr  Kurzzeilen 
steigen,  von  denen  wieder  jede  wechselnden  Tonfall  haben  kann,   so  dass 


334  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

man  diese  Formen  mit  den  freien  Strophen  der  lyrischen  Dichter  des  12. 
und  13.  Jahrhunderts,  manchen  Opernarien  oder  auch  Goethes  dithyramben- 
artigen Dichtungen,  wie  ,Gränzen  der  Menschheit'  oder  ,Der  Strom*  ver- 
gleichen möchte.  Der  Schöpfer  der  Melodie  wollte  nicht  bestimmte  Füsse 
und  Zeilen  wiedergeben,  sondern  er  folgte  frei  dem  musikalischen  Gefühle; 
dies  allein  bestimmte  den  Tonfall  und  die  Länge  der  Kurzzeilen  und  die 
Gruppierung  dieser  Kurzzeilen  zu  Langzeilen  oder  Absätzen  und  zum  ganzen 
Gebäude  (otxog)  der  Strophe."')  Zur  Veranschaulichung  diene  das  Prooemion 
des  berühmten  Weihnachtshymnus  des  Romanos,  wobei  die  Kurzzeilen  durch 
einen  *  abgeteilt  sind: 

'H  uaQx^e'yog  ^  aijjusQoy  :f:   rov  vTXSQovaioy  rixTSi 

Kai  7]  yrj  :f:   xo  OTiTJXatoy  ^   t(o  (ingoaltw  TiQoadyei 

"JyysXoi  :{:  /Ltera  noinivotv  ^   So^oXoyovaiv 

Mäyoi  öe  :fj  fierd  (tatSQog  ^   o&oinoQovaiy 

Ji    ijfictg  yttQ  :i:  iyeyytj^t]  :{:  naidlov  viov  jf:   6  nqo  atiüvtav  *edf, 

ww    ±  <j  ;ljli  \j  Kj   ±   w:j;w    ±   ^   J.  yy  i^  ^  -L  \y   J.   ^  ^   J. 

Dem  neuen  Metrum  fehlt  weder  Weichheit  noch  Abwechselung  und 
Präzision.  Die  Strophen  schreiten  bald  gemessen  vorwärts,  bald  stürzt 
eine  Flut  kleiner  Versglieder  eilends  dahin,  meist  ist  beides  geschickt  ver- 
bunden. Die  Abteilung  der  Verse  ist  übrigens  nicht  ganz  willkürlich.  Die 
Dichter  verstehen  es  sehr  wohl,  wie  man  schon  aus  der  mitgeteilten  Probe 
sehen  kann,  mit  jedem  Verse  eine  kleine  Ruhepause  des  Sinnes  eintreten 
zu  lassen.  Eine  müssige  Frage  ist  es,  ob  die  quantitierende  oder  die 
rythmische  Form  den  Vorzug  verdiene.  Es  geht  hier  wie  mit  den 
sprachlichen  Epochen;  das  Bestehende  hat  recht,  das  Wirkliche  ist  ver- 
nünftig, schön  und  gut.  Nachdem  die  sprachlichen  Voraussetzungen  für 
die  alte  Quantitätspoesie  geschwunden  waren,  war  sie  zu  einem  stumpfen, 
untauglichen  Instrumente  geworden;  in  der  neuen  Lautatmosphäre  konnte 
nur  noch  accentuierende  Dichtung  gedeihen. 

175.  Hirmos.  In  der  ersten  Zeit  der  rythmischen  Dichtung  schuf 
die  frische  Erfindsamkeit  der  Meloden  eine  unglaubliche  Zahl  neuer  Strophen- 
gebäude und  entsprechender  Melodien.  Das  war  gut  vom  litterarischen 
und  ästhetischen  Standpunkte ;  die  Praxis  vermochte  aber  zu  grosse  Mengen 
verschiedenartiger  Melodien  nicht  zu  bewältigen;  das  beste  Gedächtnis 
musste  endlich  irre  werden.  Man  fing  daher  bald  an,  neue  Gesänge 
nach  einem  schon  vorhandenen  populären  Muster  zu  bauen.  Diese  Muster- 
strophe heisst  Hirmos  {tiQ/xög).  Daher  erteilt  der  seiner  Zeit  nach  unbe- 
kannte Grammatiker  Theodosios  folgende  Anleitung:*)  Oiov  iäv  ttg  O^tXy 

>)  W.  Meyer  a.  a.  0.  328  f.,  dem  auch  '  1870,  11  100  flF.  und  Anthol.  Proleg.  S.  60.  — 

das  Schema  des  Tones  'H  naqfHvof  entnom-  I  Stevenson  a.  a.  0.  S.  504.  —  W.  Meyer 

men  ist.  i  a.  a.  0.  S.  328.  —  Bouvy  a.  a.  0.  S.  219  ff.; 

»)  Zur  Erklärung  vgl.  Pitra,  Anal.  S.  I  1  258  ff.;    270  ff.    —    Kawczynski   a.  a.  0. 

Proleg.  S.  47.  —    Christ,    Sifaungsber.  der  I  S.  147  f. 

bayer.  Akud.    d.    Wissensch.    phil.-hiut.   (Jl.  | 


1.  Circhenpoesie.    B.  Die  Form  der  Eirchenpoesie.    (§  175—177.)  335 

Tcoirjaui  xavova,  nqwxov  SsT  fieXiaai  rov  ftg/xör,  slra  STiayaysTv  rd  xqo- 
TiÜQia,  iaoavXXaßovvra  xal  ofiorovovvta  xöi  €iQf.io)  xal  rov  axonov 
dnoau)^ovTa.  Die  einzelnen  Troparien  müssen  in  Silbenzahl  und  Accent 
das  Schema  der  Musterstrophe  einhalten.  In  den  liturgischen  Büchern 
wird  daher  wie  in  unseren  Kirchen-  und  Studentengesangbüchern,  wo  eine 
neue  Strophenart  beginnt,  mit  dem  Vermerk  IlQog  t6  die  Melodie  ange- 
geben z.  B.  Ilqog  t6  'Ena<fävrfi.  Die  wichtigsten  Hirmi  wurden  in  einem 
eigenen  Buche,  dem  Hirmologion,  gesammelt,  das  öfter  gedruckt  ist;  ein 
handschriftliches  Hirmologion  enthält  u.  a.  cod.  Patm.  206. 

176.  Hauptformen.  Von  den  verschiedenen  Liederformen  der 
rythmischen  Poesie  sind  besonders  zwei  wichtig.  Die  eine  besteht  aus 
20,  30  und  mehr  gleichgebauten  Strophen,  denen  als  Einleitung  eine,  seltener 
zwei,  sehr  selten  drei  kleinere  Strophen  von  verschiedenartigem  Bau  als 
Prooemion  vorangeschickt  werden.  Alle  Strophen  haben  den  gleichen, 
regelmässig  1 — 2  Kurzzeilen  umfassenden  Refrain.  Die  gewöhnliche  Be- 
zeichnung dieser  Art  von  Liedern  ist  xorräxiv  oder  xoiTcrxior ; ')  wir  nennen 
sie  nach  dem  Vorgang  von  W.  Meyer  Hymnen.  Die  einzelnen  Strophen 
heissen  rqonÜQia^)  oder  auch  oixoi.^)  Zu  dieser  Art  gehören  alle  erhaltenen 
Werke  des  Romanos.  Die  Gesänge  der  anderen  Hauptart,  die  xavövsg, 
sind  aus  8  oder  9  verschiedenen  Liedern  zusammengesetzt,  von  denen  jedes 
seinen  besonderen  Bau  hatte  und  ursprünglich  aus  mehr,  später  meistens 
aus  3  oder  4  Strophen  bestand.^)  Die  Neunzahl  der  Lieder  entspricht 
offenbar  den  9  Liedern  des  alten  Testaments,  welche  von  den  Christen 
seit  den  ältesten  Zeiten  gesungen  zu  werden  pflegten.  Die  Hauptvertreter 
dieser  Art  sind  Andreas  von  Kreta,  Johannes  von  Damaskos  und 
Kosmas  (s,  §§  165;  166). 

177,  Refrain.  Am  Schlüsse  der  Strophen  wiederholt  sich  gewöhnlich 
ein  Refrain  oder  Nachgesang.  Dieser  Teil,  der  vom  ganzen  Volke 
gesungen  wurde,  ist  von  besonderer  Bedeutung,  weil  in  ihm  wahrscheinlich 
der  erste  Keim  des  Kirchenliedes  zu  erkennen  ist.  Eine  bemerkenswerte 
Nachricht  findet  sich  hierüber  in  dem  Buche  des  Philo  bzw.  Pseudo-Philo 
De  vita  contemplativa.  In  demselben  wird  das  Leben  einer  asketischen 
Sekte,  der  Therapeuten,  geschildert.  Nach  Eusebios  sind  darunter  Christen 
zu  verstehen;  neuerdings  ist  die  Schrift  dem  Philo  abgesprochen  und  ins 
3.  Jahrhundert  gesetzt  worden;  jedenfalls  aber  stellt  sie  Zustände  dar,  die 
vor  Eusebios  wirklich  vorhanden  waren.  ^)  Dort  wird  auch  eine  religiöse 
Versammlung  der  Therapeuten  geschildert ;  zuerst  singt  ein  einzelner  einen 

')  Eigentlich   Stäbchen;    der  Name   be-   !    den  erhaltenen  Hymnenhandschrift«n   findet 


zeichnete  ursprünglich  die  das  Lied  enthal 
tende,  auf  ein  Stäbchen  d.  h.  einen  rotulus 
gewickelte  Pergamentrolle.  Die  Behauptung 
von  V.  Gardthausen,  Griech.  Palaeo- 
graphie  (1879)  S.  59,  es  sei  erst  seit  dem 
12.  Jahrh.  üblich  geworden,  die  Liturgie  zur 
p]rhöhung  der  Feierlichkeit  von  einer  solchen 
Rolle  abzulesen,  scheint  mir  unrichtig.  Der 
alte  volkstümliche  Name  xorräxiov  macht 
vielmehr  wahrscheinlich,  dass  die  Sitte  wenig- 


sich  keine  einzige  Rolle. 

2)  Vgl.  Bouvy  a.  a.  0.  S.  221  flF. 

')  Wahrscheinlich  nach  dem  Hebräischen, 
wo  „Haus"  für  Lied  gebraucht  wird.  Damit 
ist  das  italienische  Stanza  (Aufenthalt, 
Zimmer,  Strophe)  zu  vergleichen,  wo  derselbe 
Bedeutungsübergang  vorliegt.  S.  F.  Diez, 
Wörterbuch  der  rom.  Sprachen  *  S.  307. 

*)  Vgl.  Christ,  Sitzungsber.  d.  bayer. 
Akad.  d.  Wiss.  phil.-hist.  Cl.  1870,  II  94  flf. 


stens  für  die  Gesänge  früher  bestand.  Unter  |  ^)  W.  Meyer  a.  a.  0.  374  f. 


■ 


336  Byzantinische  Litteratnrgescliichte.    U.  Poetische  Litteratnr. 

Hymnus  auf  Gott,  /xeO^  '6v  xai  ol  ixXXoi  xaxd  ra^eig  er  xuCfio)  TtQoarjxovvt, 
nccvTiov  xaid  rcoXkr^v  r^avxiav  dxQOiüf.ii\u)%',  TiXrjV  onörs  rd  uxQoxeXevria 
xai  itfVfivia  aSsiv  deoi'  röte  y^Q  c^'/X^yo"'  ncvteq  re  xai  Ttaaai. 
Aus  solchen  Akklamationen  entwickelte  sich  der  Kirchengesang  (s.  §  161). 
Durch  dieses  geschichtliche  Verhältnis  erklärt  es  sich  auch,  dass  die  Nach- 
gesänge in  der  älteren  Gattung  der  Kirchenlieder,  in  den  Hymnen,  regel- 
mässig erscheinen,  während  sie  in  den  späteren  Kanon  es  seltener  werden. 
Der  technische  Ausdruck  für  den  Refrain  ist  itfv^ivior  oder  dxqo- 
TsXevtiov;  auch  äxQÖaxixov,  d.  h.  Spitzvers,  Schlussvers  kommt  in  diesem 
Sinne  vor.  Eine  sehr  treffende,  von  Suidas  und  sonst  bezeugte  Benennung 
ist  dvaxXwnevov,  d.  h.  Reflex-  oder  Gegengesang.  Nichts  anderes  als  der 
Refrain  ist  auch  die  viiaxorj,  d.  h.  die  Responsion  des  Volkes  (schon  im  Jung- 
frauenliede  des  Methodios:  vrtaxovovai).  Zu  vergleichen  sind  die  in  der 
byzantinischen  Geschichte  oft  erwähnten  Prosphoneme,  womit  das  Volk  den 
Kaiser  bei  öffentlichen  Gelegenheiten  im  Zirkus,  Hippodrom  und  sonst  zu 
empfangen  pflegte.  In  der  alten  Profanpoesie  entspricht  dem  Refrain  der 
Kirchendichtung  ganz  deutlich  das  €(fVfiviov,  das  auch  sjiifis^iSrjixa  oder  ini- 
(fmrji^a  heisst,  z.  B.  in  den  Eumeniden  des  Aeschylos  V.  1036  und  1040: 
evffaixelte  dh  TiavSafu,  V.  1044  und  1048:  oXoXv^are  vvv  im  fioXnaTg. 

178.  Akrostichis.  Eine  wichtige  Eigentümlichkeit  der  Kirchenpoesie 
ist  die  Akrostichis,  d.  h.  die  Einrichtung,  dass  die  Anfangsbuchstaben 
der  Strophen  oder  auch  der  Verse  nach  einer  bestimmten  Absicht  ver- 
bunden sind.  Das  verknüpfende  Band  besteht  teils  im  Alphabete  {A — ii 
oder  auch  Si — A),  teils  in  Angaben  über  den  Verfasser  oder  über  den  In- 
halt des  Gedichtes,  zuweilen  auch  in  selbständigen  Versen.  Am  frühesten 
scheint  in  der  Kirchenpoesie  die  dxQoartxig  xar  dXffäßrjXov  nachweisbar; 
sie  findet  sich  schon  im  Jungfrauenliede  des  Methodios,  das  aus  24  Stro- 
phen mit  den  Initialen  A — ß  besteht,  in  einem  jambischen  Gedichte  des 
Gregor  von  Nazianz  und  sonst.  Das  berühmteste  Beispiel  der  alpha- 
betischen Akrostichis  ist  der  Akathistos  des  Patriarchen  Sergios.  Auch 
in  den  Kanones  findet  sie  sich.  Sie  hatte  ohne  Zweifel  einen  bemerkens- 
werten Einfluss  auf  den  Umfang  der  Hymnen;  da  nämlich  durch  sie  die 
Strophenzahl  (24)  fest  bestimmt  war,  gewöhnte  man  sich,  auch  ohne  den 
Zwang  der  alphabetischen  Akrostichis  eine  ähnliche  Strophenzahl  (20 — 30) 
einzuhalten.  Im  übrigen  ist  zwischen  den  Hymnen  und  Kanones  ein  be- 
deutender Unterschied  bemerkbar.  Auch  hier  zeigen  nämlich  die  Hymnen 
grössere  Einfachheit ;  in  ihnen  wird  nur  der  Anfangsbuchstabe  der  Strophen 
ausgezeichnet  und  die  Akrostichis  enthält  meist  nur  einen  kurzen  Prosa- 
vermerk über  den  Verfasser  oder  den  Gegenstand  des  Gedichtes  z.  B.  Toi» 
TuneiYov  'Pwfiarov  vfirog,  Aivog  'Pu)fiarov  fig  %d  ytrt'^Xia,  "Vfiiog  eig  lov 
^toXöyov  'Pcofiavov,  Tov  raßgnjX,  Tov  raneivov  2T€(fdvov  u.  s.  w.  In  den 
Kanones  dagegen  besteht  die  Akrostichis  häufig  aus  einem  oder  mehreren 
Versen;  den  Gipfelpunkt  erreicht  die  Künstelei  bei  Johannes  Damaskenos, 
der  die  einzelnen  Verse  durch  ein  ausgedehntes  metrisches  Akrostichon 
verbindet.  Die  durch  130  Verse  hergestellte  Akrostichis  seines  Weihnachts- 
hymnus lautet: 


1.  Kirchenpoesie.    B.  Die  Form  der  Kirchenpoesie.  (§  178.)  337 

Evenlrjs  fieXesaaty  iffvuvut  ruvta  Xiyaiyei 

VI«  &€ov,  jusQÖnwy  ei'yexcc  rixröfisyoy 
iv  x&oyi  xai  Xvoyra  noXvaroya  Tiiifxata  xoofiov  ' 

äXi.',  «V«,  QrjTiJQas  ^vso  ruiyde  növwv. 

Die  Veranlassung  der  Sitte,  den  Namen  durch  die  Akrostichis  zu  ver- 
raten, ist  nicht  bekannt.  Vielleicht  gehorchten  die  Meloden  hiemit  an- 
fänglich einer  kirchlichen  Vorschrift.  Durch  zwei  Bestimmungen  des  Kon- 
zils von  Laodikea  war  es  verboten,  unbekannte  Lieder  zu  singen;  die 
Namensangabe  verlieh  den  Hymnen  also  gewissermassen  die  Signatur  ihrer 
Legitimität,  sie  beugte  dem  Verdacht  häretischen  Ursprungs  vor.  Für  die 
Litteraturgeschichte  ist  die  Sache  von  grosser  Bedeutung;  denn  von 
300  Meloden  ist  etwa  der  dritte  Teil  nur  durch  die  Anfangsbuchstaben 
der  Strophen  bekannt.  Freilich  hilft  der  blosse  Name  nicht  immer  zur 
genaueren  Bestimmung,  weil  viele  Homonyma  vorkommen.  Besonders 
herrscht  unter  den  zahlreichen  Trägern  der  Namen  Theodoros,  Georgios, 
Johannes  eine  schwer  zu  lichtende  Verwirrung.  Leider  ging  die  Be- 
scheidenheit der  Dichter  später  oft  so  weit,  dass  sie  ihre  Person  unter 
irgend  einem  Beiworte  verbargen.  Theodoros  Studites  z.  B.  verrät  sich 
häufig  nur  durch  das  demütige  Akrostichon  Tov  nxoixov,  Tov  daoiTov,  Toi 
Tv<fX6vov.  In  einem  Briefe  berichtet  er  uns,  dass  24  Meloden  des  Klosters 
Studien  wähi-end  des  Bildersturmes  ihre  Namen  unter  bestimmten  Buch- 
staben des  Alphabets  verhüllten.  Da  sind  wir  freilich  ratloser  als  die 
Kunsthistoriker  bei  manchem  Monogramm  alter  Maler.  Ganz  vereinzelt 
stehen  Akrosticha  mit  polemischem  Charakter  z.  B.  ToTg  elxovoxXdaxaig 
ovm  (cod.  Patm.  213,  fol.  15).  i)  Zuweilen  beginnt  die  Akrostichis  schon 
beim  Prooemion  bzw.  beim  Hirmos,  so  öft^r  bei  Romanos  und  Anastasios; 
in  diesem  Falle  ist  der  Hirmos  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  dem  Ver- 
fasser des  Gedichtes  selbst  zuzuschreiben,  was  für  die  Zeitbestimmung 
der  Meloden  und  Gedichte  von  Wichtigkeit  ist.  Im  cod.  Patm.  212,  fol.  161 
findet  sich  vor  einem  kurzen  Liede  mit  der  Akrostichis  'Jc/m,  in  welche 
das  Prooemion  miteingeschlossen  ist,  der  interessante  Vermerk:  (Psqsi 
ttxQoorixiSa  avv  rov  xovtaxiov  (!)  •  ^Aapia,  d.  h.  das  Gedicht  hat  mit  dem 
Prooemion  die  Akrostichis  'A(f/.ia.^) 

Die  ästhetische  Beurteilung  kann  der  Akrostichis  nur  eine  sehr 
untergeordnete  Bedeutung  zuerkennen.  Während  der  Tonfall,  der  Reim 
und  sonstige  poetische  Mittel  zum  Ohre  dringen,  bemerkt  man  die  Akro- 
stichis nur  auf  dem  Papier  3)  und  muss  sie  mühsam  zusammenstellen.  Man 
könnte  zur  Verteidigung  höchstens  anführen,  dass  durch  sie  die  Strophen 
oder  Verse  deutlich  auseinandergehalten  werden;  aber  hiefür  boten  sich 
andere  graphische  Mittel.  Auch  der  angebliche  Vorteil,  dass  durch  die 
Akrostichis  der  unbemerkte  Ausfall  einer  Strophe  oder  eines  Verses  ver- 
hindert werde,   vermag  den  künstlerischen  Wert  derselben  nicht  zu  erhöhen. 


')  üeber  andere  Spielarten  der  Akrosti- 
chis s.  Pitra,  HjTnnographie  Gr.  S.  18  S.; 
Anal.  S.  I  Proleg.  S.  77  f.;  Bouvy  a.  a.  0. 
332  S. 

^)  Zur  Bezeichnung  einer  einzelnen  Strophe 

oder  des  Proömions  scheint  xovxctxiov   sonst       _^ _ 

nicht  üblich  zu  sein.  !    zu  vergleichen  sind 

HADdbQch  der  Uabs.  Altertumswiwenscbaft.   IX.    1.  Abtlg.  22 


*)  Dagegen  spricht  nicht,  dass  in  der 
Akrostichis  zuweilen  ähnliche  Laute  wie  oi, 
V,  et,  i,  t],  tu,  E  verwechselt  werden,  dass 
also  z.  B.  tdofisy  statt  stdofxey  steht.  Das 
sind  orthographische  Willkürlichkeiten,  die 
mit  dem  lexikalischen  Prinzip  der  Antistoechie 


338  Byzantinische  LitteratnrgeBchichte.    11.  Poetisclie  Litteratur. 

Ueber  den  Ursprung  der  Akrostichis  ist  es  schwer,  etwas  ganz 
Sicheres  zu  ermitteln.  Wie  es  scheint,  war  sie  bei  den  Orientalen  früh 
und  allgemein  verbreitet.  Aber  auch  in  der  quantitierenden  Poesie  der 
Griechen  und  Lateiner  finden  sich  schon  in  alter  Zeit  Akrosticha. 
Vielleicht  ist  diese  Künstelei,  in  der  man  ein  Mittel  besass,  poetische  Texte 
einigermassen  vor  Interpolationen  und  Verkürzungen  zu  schützen,  zuerst 
in  der  Orakellitteratur  zur  Anwendung  gekommen.  Wenigstens  scheint 
das  älteste  Beispiel  einer  erhaltenen  Akrostichis  in  den  um  das  Jahr  200 
V.  Chr.  abgefassten  sibylJinischen  Orakeln  vorzuliegen,  welche  uns  in  dem 
Wunderbuche  des  Phlegon  von  Tralles  erhalten  sind.')  Nun  verstehen 
wir,  was  Cicero,  De  Divin.  II  54,  111  von  einem  Orakel  der  Sibylla  sagt: 
„Non  esse  autem  illud  carmen  furentis  cum  ipsum  poema  declarat  (est 
enim  magis  artis  et  diligentiae  quam  incitationis  et  motus),  tum  vero  ea 
quae  acrostichis  dicitur,  cum  deinceps  ex  primis  <cuiusque>  versus 
litteris  aliquid  conectitur,  ut  in  quibusdam  Ennianis:  Q.  ENNIVS  FECIT, 
id  certe  magis  est  attenti  animi  quam  furentis.  Atque  in  Sibyllinis  ex 
primo  versu  cuiusque  sententiae  primis  litteris  illius  sententiae  Carmen 
omne  praetexitur. "  2)  Ein  anderes  altes  Beispiel  ist  die  wohl  in  Aegypten 
193/190  V.  Chr.  verfasste  EvSö^ov  rt'xvrj.  Zwei  interessante  Akrosticha 
aus  nachchristlicher  Zeit  haben  zur  Bestimmung  der  Autorschaft  ano- 
nymer Werke  verholfen;  ein  in  Jamben  abgefasstes  geographisches  Ge- 
dicht beginnt  mit  dem  Akrostichon  Jiovvaiov  rov  KalXnpwvToq,  ein  in  Hexa- 
metern geschriebenes  hat  von  Vers  109  an  das  Akrostichon  '£/n;  Jiovvaiov 
jdov  ivTog  <Pc(Qov  (sc.  iativ  rj  ßiß^og)  und  von  Vers  513  an  ötög  "^Egfiijg  im 
'ASqiuvovJ)  Mit  Vorliebe  wurde  die  Akrostichis  seit  alter  Zeit  in  der 
Epigrammenlitteratur  gepflegt.*)  Bei  den  Römern  hat  Ennius  die 
akrostichische  Kunst  aus  der  alexandrinischen  Poesie  entlehnt  (Q.  ENNIVS 
FECIT;  s,  0.).  Aehnlich  nannte  sich  Aurelius  Opilius  etwa  um  100  v.  Chr. 
nach  Sueton  (Grammat.  6)  „in  parastichide  libelli  qui  inscribitur  Pinax." 
Eine  Reihe  von  Argumenten  plautinischer  Komödien,  die  vielleicht 
noch  aus  vorchristlicher  Zeit  stammen,  enthalten  im  Akrostichon  den  Namen 
des  Stückes.  Die  Ilias  Latina  (im  1.  Jahrhundert  n.  Chr.)  beginnt  mit  dem 
Akrostichon  Italiens  und  schliesst  mit  Scripsit.  Zur  vollen  Herrschaft 
gelangte  die  Akrostichis  bei  den  christlichen  Dichtern  der  Lateiner 
und  Griechen,  zuerst  bei  Commodianus  und  Methodios.  Dass  die  An- 
wendung akrostichischer  Künste  auch  in  der  Prosa  nicht  verschmäht 
wurde,  beweist  Philostorgios,  der  die  Anfänge  seiner  12  Bücher  Kirchen- 
geschichte mit  den  12  Buchstaben  seines  Namens  verziert  hat,'')  und  die 
Paränese  des  Kaisers  Basilios  (s.  §  88).  Endlich  hat  die  Akrostichis  in 
die  vulgärgriechische  Litteratur  Eingang  gefunden;  wir  treffen  sie  in 
der  Ilias  des  Hermoniakos  und  in  den  'AXifäßi^toi  xatavvxrixoi  und  iqwvtxoi 


•)  H.  Diels,  Sibyllinische  Blätter,  Berlin      Vgl.  W.  Meyer  a.  a.  0.  S.  870  und  H.  DieU 
1890,  wo  S.  111  ff.  auch  der  Text  der  Orakel      a.  a.  0.  S.  25  ff. 
kritisch  ediert  ist.  1  »)  Vgl.  Christ,  Griech.  Litt.»  §380;  448 


■■')  Eh  ist  hier  nicht  der  Ort  auf  die  Er- 
klärung und  P^mcndation  dieser  augenschein- 
lich   verdorbenen    Stelle    näher    einzugehen. 


und  H.  Diels  a.  a.  0.  S.  34. 

*)  Belege    bei  H.  Diels  a,  a.  O.  S.  35. 
')  S.  den  Bericht  desPhotios,  cod.  40. 


1.  Kirchenpoesie.    B.  Die  Form  der  Kirchenpoesie.   (§  179.)  339 

(s.  den  Anhang),  Selbst  heute  noch  scheint  sie  dem  Volksmunde  nicht 
fremd  zu  sein.  Ein  in  Andros  während  der  Oster woche  gesungenes  an- 
gebliches Volkslied  mit  alphabetischer  Akrostichis  veröffentlichte  Karysti- 
nakis;^)  es  beginnt:  '^QX^]  ^ov  xöafiov,  BaaiXsvg  eQx^Tcti,  Fsvvcnai  6  Xqiatoq. 

Hauptschrift en  zur  Geschichte  der  Akrostichis:  W.  Meyer,  Anfang  und  Ur- 
sprung der  latein.  und  griech.  rythraischen  Dichtung  (s.  S.  309)  S.  370  f.  —  H.  Diels, 
Sibyllinische  Blätter,  Berlin  1890  S.  25 — 37,  wo  S.  36  Anm.  1  noch  weitere  Litteratur  und 
einige  von  Tobler  mitgeteilte  romanische  Beispiele  verzeichnet  sind. 

179.  Beim.  Zu  den  Kunstmitteln  der.  rythmischen  Poesie  gehört 
auch  der  Reim.  In  den  Hymnen  des  Romanos,  im  Akathistos  des  Sergios 
und  in  dem  des  Anonymus,  sowie  in  vielen  der  späteren  Hymnen  spielt 
er  eine  unbestrittene  Rolle.  Als  Beispiel  folge  eine  Strophe  des  Ro- 
manos: 2) 

T'ig  dxovaas  :{:   ovx  ivÜQxrjae 
rj  rlg  ^sioQijaag  ^   ovx  ixQÖ^aas 
roy  'Ir^aovy  if:   döXw  (fiXovfievop, 
xov  XQiaxov  ^   (f&öpw  nwkovfueyoy, 
roy  &e6y  ijfi  yyw/ir}  xQarov/ueyoy  u.  s.  w. 

Zuweilen  bindet  der  Reim  nicht  bloss  die  entsprechenden  Langzeilen,  son- 
dern auch  die  Kurzzeilen.  Er  ist  demnach  nur  ein  rhetorisches  Kunst- 
mittel und  mit  dem  modernen  Reim  in  gleichzeiligen  Versen 
nicht  auf  gleiche  Stufe  zu  stellen.  In  den  gleichzeiligen  Versen 
der  griechischen  Accentpoesie,  also  vor  allem  in  den  politischen  Fünfzehn- 
silbern fehlt  er;  hier  wird  er  erst  im  15.  Jahrhundert  aus  der  roma- 
nischen Poesie  eingeführt.^)  Das  Vorbild  dieses  rhetorischen  Reimes  ist 
in  der  altgriechischen  Poesie  und  Prosa  zu  suchen.  Schon  bei  Homer 
und  den  Tragikern,  bei  Plato,  Isokrates  u.  a.  finden  sich  unverkenn- 
bare Beispiele  beabsichtigter  Assonanzen.  Zur  vollen  Ausbildung  gelangt 
diese  Eigentümlichkeit  in  der  Kirchenprosa.  Im  Epilog  des  Briefes  an 
Diognetos,  der  in  das  8.  Jahrhundert  gesetzt  wird,*)  liest  man  z.  B.: 

ily  o(fig  ovx  ftTtrsrai 

ov&€  nXüytj  avyxQwtiCeTai 

ovde  Eva  rp&Eiqexai, 

fiXXfl  TiccQ^e'yog  niaxevsxai 

xal  atüxtJQioy  öeixyvxai 

xcü  ((TiöaxoXoi  avyexlCoyxcci 

xtd  x6  xfQiov  7iäaj(a  ngoeQ/exai  u.  s.  w. 

In  einer  Homilie  des  Sophronios  erreicht  die  Assonanz  und  Isokolie  einen 
Grad,  dass  man  einen  regelrechten  Hymnus  zu  lesen  glaubt  z.  B.: 

XaiQoig,  iü  X"Q"^  ^^?  inovQctylov  yeyv^XQia, 

XttiQoig.  (J  /«p«?  xrjg  vneQxäxrjg  fjaisvxQia, 

^ctigoig,  w  /agäg  xrjg  atoxrjQiov  fiTjXQÖnoXtg, 

XaiQoig,  0*  /uQäg  x^g  u&itycixov  naqaixiog  u.  s.  w.^) 

Von  solchen  Assonanzen  in  der  Prosa  war  kein  grosser  Schritt  zur  An- 
wendung   des    rhetorischen   Reimes    in    der  Poesie.     Für   die  rythmische 


^)  'EffWa  1889,  N.  693,  S.  335.  Doch 
kann  das  Lied  wenigstens  in  der  mitgeteilten 
Fassung  unmöglich  wirklich  volksmässig  sein. 

'')  Pitra.  Anal.  S.  I  S.  92 


I 


*)  W.  Meyer  a.  a.  0.  378. 
5)  Bouvy  S.  199;  ebenda  S.  184  ff.  son- 
stige   Beispiele   rj'thmischer    Prosa.     Beson- 
ders deutlich   sind  die  Assonanzen  u.  a.  bei 
W.  Meyer  a.  a.  0.  355  ff.     Vgl.  Ja-   |   Eulogios,    Migne,    Patrol.    Gr.    86    (1860) 
i  a.  a.  0.  190  ff.  und  Bouvy  a.  a.  0.  325  ff.   \   2913  ff. 

22* 


340 


Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    11.  Poetische  Litteratnr. 


Dichtung  war  derselbe  sehr  wichtig ;  denn  bei  ungleichen  Versen,  die  nach 
dem  Prinzip  der  Silbenzählung  gebaut  sind,  werden  gewisse  Marksteine  der 
Zeilen  erforderlich,  damit  die  Gliederung  des  Gedichtes  dem  Gefühle  des 
Hörers  fassbar  wird  und  nicht  alles  ineinander  verfliesst  wie  in  der 
Prosa. ') 

lieber  Assonanzen,  Reimverschlingung  u.  s.  w.  in  der  altgriechischen  Poesie 
und  Prosa:  J.  Gustaffson,  De  vocum  in  poematis  Graecis  consonantia,  Acta  societ.  scien- 
tiarum  Fennicae  t.  11  (1880)  295 — 327.  —  Otto  Dingeldein,  Gleichklang  und  Reim  in 
antiker  Poesie,  Progr.  Büdingen  1888  S.  10  ff.  —  Zur  Geschichte  des  Reims  in  der  latei- 
nischen Poesie  s.  Ad.  Ebert,  Allgemeine  Geschichte  der  Literatur  des  Mittelalters  im 
Abendlande  1*  (1889)  250  f.  und  sonst  (s.  den  Index  s.  v.). 

180.  Gleichzeilige  rythmische  Gedichte  kommen  nur  selten  und 
erst  in  später  Zeit  vor.  Hieher  gehört  das  'iiiddcQiov  xuzarvxTixov  des 
Kaisers  Leo,*)  der  Yfivog  ix  TtQoa(oTcov  Baaileiov  ätcnötov  des  Patriarchen 
Photios^)  u.  a.  In  dem  Gedichte  des  Leo,  das  aus  189  (bei  Christ  150) 
Zeilen  zu  je  8  Silben  besteht,  ist  eine  bestimmte  Zeilenart  der  quanti- 
tierenden  Poesie  nachgeahmt.  Auch  in  dem  Gedichte  des  Photios  scheint 
eine  anakreontische  Zeile  die  Grundlage  zu  bilden.  Wenn  diese  kleinen 
gleichzeiligen  Gedichte  als  private  Versuche  ohne  litterarhistorische  Be- 
deutung erscheinen,  so  hat  eine  andere  gleichzeilige  Versart  der  accen- 
tuierenden  Poesie  im  späteren  Mittelalter  fast  die  ganze  Litteratur  erobert, 
der  sogenannte  politische  Vers.     Ueber  diesen  s.  S.  302  f. 

181.  Sprache.  Die  Stabilität,  welche  die  byzantinische  Schriftsprache 
im  allgemeinen  charakterisiert,  ist  auch  in  der  Sprache  der  Kirchen- 
dichter bemerkbar.  Doch  konnten  bei  einer  Gattung,  die  sich  auf  einen 
so  langen  Zeitraum  und  so  zahlreiche  Autoren  verteilt,  sprachliche  und 
namentlich  stilistische  Differenzen  nicht  ausbleiben.  Wie  in  der  byzan- 
tinischen Prosa  so  vollzog  sich  auch  hier  bei  aller  Gleichförmigkeit  durch 
die  Zeit  und  durch  individuelles  Bemühen  eine  wenn  auch  nicht  sehr  auf- 
fallende innere  Entwickelung.  Bis  jetzt  sind  freilich  nur  die  allgemeinsten 
Thatsachen  erkennbar.  Die  allen  Dichtern  gemeinsame  sprachliche  Grund- 
lage, die  durch  die  Stoffe  selbst  bedingt  war,  bilden  die  Schriften  des  alten 
und  neuen  Bundes  sowie  die  Kirchenväter.  Im  übrigen  macht  sich  der 
Dualismus,  der  die  Prosa  beherrscht,  auch  hier  fühlbar;  wir  unter- 
scheiden nämlich  eine  strengere,  schulmässige,  sogar  mit  alten  Dialekt- 
formen aufgeputzte  und  eine  einfachere,  dem  volksmässigen  Verständnis 
näher  stehende  Stilgattung.  Vertreter  der  ersteren  sind  vor  allem  die 
ältesten  christlichen  Dichter,  welche  auch  in  ihrer  Metrik  mit  wenigen 
Ausnahmen  der  klassischen  Tradition  folgen,  wie  Clemens  von  Ale- 
xandria, Gregor  von  Nazianz,  Synesios  u.  s.  w.  Von  den  Späteren 
gehören  hieher  Sophronios,  Johannes  von  Damaskos,  Kosmas  u,  a. 
Haupttypus  für  die  zweite  Gattung  ist  Romanos,  der  sich  nicht  nur 
durch  die  grösste  Einfachheit  des  Satzbaues  auszeichnet,  sondern  auch  in 
der  Formenlehre   und   im  Wörterbuche   eine   Annäherung  an    das  Volks- 


•)  W.  Meyer  a.  a.  0.  S.  385. 
*)  Kd.  Matranga,   Anecd.  II  683  und 
Christ,  Anthol.  8.  48. 


«)  Ed.  Christ,  Anthol.  S.  50.  Vgl. 
seine  Prolog.  S.  28;  H9.  Zu  beiden  Gedieh- 
ton  W.  Meyer  «.  316  ff. 


1.  Kirchenpoesie.    B.  Die  Form  der  Kirchenpoesie.  (§  180—182.)  341 

massige  nicht  scheut.  Bei  ihm  treffen  wir  schon  Analogiebildungen  wie 
^avrjvm  für  ^areh;  Spuren  des  vulgärgriechischen  absoluten  Partizips  in 
der  häufigen  Konstruktion  des  Neutrum  Singularis  mit  einem  Partizip  auf 
-ovra,  z.  B.  ro  Gwi-ict  —  ovTa.  Manche  Lizenzen  gestatteten  sich  die  Me- 
loden  wegen  des  Metrums;  daher  findet  man  orav  und  iccv  bald  mit  dem 
Konjunktiv,  bald  mit  dem  Indikativ  verbunden,  den  Vokativ  cwtsq  neben 
ao}T7]Q,  ^vyareQ  neben  Ü^vyccTr^Q,  tcötsq  neben  natr^g  u.  s.  w.  Weniger  auf- 
fällig ist  die  häufige  Verbindung  eines  Superlativs  in  der  Maskulinform 
mit  einem  Substantiv  weiblichen  Geschlechtes  z.  B.  dvawdeaxaTov  (f^ogdv 
u.  s.  w.;  denn  Aehnliches  hat  schon  Homer,  Thukydides  und  andere  alte 
Autoren.')  Im  grossen  und  ganzen  bewahren  auch  die  Meloden  des  freieren 
Stils  eine  richtige  Mitte;  sie  bleiben  dem  Volke  verständlich,  ohne  etwas 
von  der  dem  erhabenen  Gegenstande  angemessenen  Würde  preiszugeben. 
Die  nicht  unbedeutenden  Differenzen  innerhalb  dieser  Gruppe,  insbesondere 
das  sprachliche  Verhältnis  der  Studiten  zu  Romanos  und  den  übrigen 
älteren  Meloden  bedarf  noch  der  Untersuchung. 

182.  Ursprung  der  rythmischen  Poesie.  Ueber  die  Herkunft  der 
rythmischen  Form  gab  es  früher  zwei  Hypothesen.  Nach  der  einen  be- 
stand rythmische  oder  vielmehr  durch  den  Accent  bestimmte  Dichtung  schon 
in  alter  Zeit  bei  dem  ungebildeten  griechischen  Volke  neben  der  gelehrteren, 
auf  der  Quantität  beruhenden  Poesie.  Da  es  jedoch  an  sicheren  Beweisen 
für  diese  Hj-pothese  mangelt,-)  hat  sie  wenig  Anhänger  gefunden')  und 
darf,  wie  die  ihr  verwandte  Behauptung,  das  Neugriechische  habe  schon 
in  altgriechischer  Zeit  im  Volksmunde  bestanden,  ohne  weitere  Erörterung 
bei  Seite  geschoben  werden.  Verlockender  schien  die  zweite  Erklärungs- 
weise: Als  die  Unterscheidung  der  kurzen  und  langen  Silben,  d.  h.  der 
Quantität,  allmählich  verloren  ging  und  in  der  lebendigen  Sprache  nur  noch 
der  Accent  herrschte,  sei  an  Stelle  der  alten  Quantitätspoesie  die  Accent- 
poesie  getreten.  Dass  die  genannte  Veränderung  der  Aussprache  viel 
älter  ist  als  die  ersten  Spuren  der  rythmischen  Poesie,  würde  diese  Er- 
klärung nicht  hindern;  denn  von  der  langsamen  Veränderung  der  Aus- 
sprache bis  zu  einer  auf  sie  gestützten  Neuschaffung  einer  poetischen  Form 
ist  ein  sehr  weiter  Schritt,  der  keineswegs  sofort  gemacht  werden  musste. 
Viel  grössere  Schwierigkeiten  bereitet  eine  andere  Erwägung.  Wäre  die 
rythmische  Poesie  geraden  Weges  aus  der  quantitierenden  hervorgegangen, 
so  wäre  zu  erwarten,  dass  man  einfach  an  Stelle  der  langen  und  kurzen 
Silben  die  stark  betonten  und   die   schwach   betonten   gesetzt,    d.  h.   dass 


')  Belege   bei   Bouvy  a.   a.  0.   S.  301.  |  a.  a.  0.  S.  520:    ,L'accent  qui  seul  agissait 

6.  z.  B.  Thukyd.  ed.  Classen  III  89.     Ueber  |  sur   les   masses   et  provoquait   les  acclama- 

eine     ähnliche     Erscheinung     (das     Schema  \  tions  ou  les  sifflets  des  amphitheätres,  a  et4 

Twv  TioXewy  tinsyviiixoxtay)  s.  Lob  eck,   Ag-  |  de  tout  temps  Tarne  de  la  poesie   popnlaire. 

laophamus,  Königsberg  1829  S.  216  ff.  i  A  l'epoque  de  la  decadence   litteraire   de  la 

^)  Vgl.  Fr.  Ritschi,  Opuscula  I  (1866)  ,  Grece  et  de  Rome,  ce  n'est  pas  un  element 

289. — 299  und  W.  Wagner,  Medieval  Greek  nouveau  qui  surgit;  loin  de  lä,  c'est  un  prin- 

texts,    London  1870   S.  I  fF.     Metrische   Er-  cipe  essentiellement  populaire,  toujours  \'ital, 

klärung  des  lesbischen  Mühlenliedes,  auf  das  mais  refoule  longtemps  par   l'aristocratie  de 

sich  Ritschi  stützte,  von  U.  v.  Wilamowitz-  <  la  prosodie  classique,  qui  revient  ä  la  surface 

Möllendorff,  Hermes  25  (1890)  227.  !  et  reprend  sa  revanche." 

')  Zu   ihnen   gehört  z.   B.   Stevenson  j 


842  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

man  die  alten  jambischen,  trochäischen  und  anderen  Zeilen  nach  dem  neuen 
Prinzip  des  Accents  nachgebildet  hätte.  Statt  des  alten,  nach  der  Quan- 
tität gebauten  Trimeters  erwarteten  wir  also  einen  nach  dem  Accent  ge- 
bauten; so  lesen  wir  z.  B.  auf  lateinischen  Grabinschriften  nach  dem 
Wortaccent  betonte  Nachbildungen  des  quantitierenden  Hexameters  wie: 
Si  meritis  iacentum  piis  laus  datur  sepulchri.  Allein  merkwürdiger  Weise 
ist  dieses  scheinbar  so  nahe  liegende  Verfahren,  welches  Opitz  für  die 
deutsche  Nachbildung  antiker  Strophen  eingeführt  hat,  nicht  eingeschlagen 
worden.  Von  einer  Nachbildung  bestimmter  Verszeilen,  ja  auch 
nur  bestimmter  Versfüsse  der  quantitierenden  Metrik  ist  in  der 
rythmischen  Dichtung  keine  Spur.  Eine  wirkliche  Nachbildung  einer 
alten  Zeilenart  ist,  von  unbedeutenden  einzelnen  Versuchen  wie  den  Ge- 
dichten des  Leo  und  Photios  abgesehen,  nur  der  politische  Vers,  der 
aber  erst  auftritt,  als  die  rythmische  Poesie  schon  ihre  Blüte  erreicht  hat. 
Mithin  wird  auch  die  zweite  Hypothese  vom  Ursprünge  der  rythmischen 
Poesie  durch  die  Thatsachen  widerlegt.') 

Nachdem  sich  so  die  zwei  Erklärungen,  welche  die  rythmische  Poesie 
als  ein  einheimisches  Erzeugnis  auffassten,  als  verfehlt  erwiesen  hatten, 
wurde  der  Versuch  gemacht,  sie  aus  semitischen  Vorbildern  abzuleiten. 
Pitra,  Stevenson  und  Bouvy  äusserten  diese  Idee  nur  ganz  allgemein 
und  mit  vorsichtiger  Zurückhaltung;  Wilhelm  Meyer  hat  sie  mit  grosser 
Gelehrsamkeit  methodisch  durchgeführt  und  zu  begründen  versucht:  Von 
den  semitischen  Christen,  welche  der  Quelle  des  Christentums  näher  standen 
als  die  Griechen  und  Lateiner,  sei  mit  dem  Christentum  die  rythmische 
Dichtungsform  zu  den  lateinischen  und  griechischen  Christen  gewandert. 
Sicher  erwiesen  sind  bei  den  Semiten  die  alphabetische  Akrostichis 
und  der  Reim;  allein  die  Keime  dieser  zwei  Eigentümlichkeiten  der  ryth- 
mischen Poesie  finden  sich,  wie  in  §§  178  f.  dargelegt  wurde,  auch  bei 
den  Griechen  und  Lateinern  so  deutlich  vorgebildet,  dass  für  sie  die 
Annahme  einer  Entlehnung  aus  der  Fremde  nicht  notwendig  erscheint. 
Auch  wenn  die  eine  oder  andere  dieser  Eigentümlichkeiten  mit  völliger 
Sicherheit  auf  ein  semitisches  Vorbild  zurückgeführt  werden  könnte,  so 
wäre  damit  noch  keineswegs  die  Entlehnung  des  ganzen  Gebäudes  der 
rythmischen  Dichtung  erwiesen.  Wenn  wir  aber  von  Reim  und  Akro- 
stichis absehen,  so  herrscht  über  die  Grundgesetze  der  hebräischen  und 
syrischen  Poesie  unter  den  Orientalisten  der  heftigste  Streit;  selbst  in 
prinzipiellen  Punkten  gehen  die  Meinungen  noch  weit  auseinander.*)  Hier 
stehen  wir  mithin  auf  einer  sehr  schwankenden  Grundlage,  und  auch  der 
umfassenden  Gelehrsamkeit  W.  Meyers  ist  es  nicht  gelungen,  dieselbe 
ausreichend  zu  befestigen.  Solange  die  Orientalisten  sich  über  die  Grund- 
fragen der  hebräisch-syrischen  Metrik  nicht  geeinigt  haben,  kann  eine 
Beweisführung,  die  doch  wesentlich  von  der  richtigen  Entscheidung  dieser 
Grundfragen  abhängt,  nicht  überzeugen.  Die  Frage  ist  daher  wohl  noch 
als  eine  offene  zu  betrachten. 


')  W.  Meyer  S.  315;  318;  371;  8.  auch  1  •)  Bouvy  a.  a.  0.  S.  10  fF. 

Bouvy  S.  322  ff.  | 


1.  Kirchenpoesie.    B.  Die  Form  der  Kirchenpoesie.  (§  182.)  343 

Wenig  günstig  für  die  Hypothese  einer  einfachen  Entlehnung  aus 
der  Fremde  ist  die  kaum  zu  leugnende  Thatsache,  dass  in  der  griechi- 
schen Eythmenpoesie  eine  langsame  Entwickelung  von  kleinen  und 
schwachen  Anfängen  zu  grösster  Kunstfertigkeit  vorliegt.  Wäre  das  Ganze 
ein  importiertes  Werk,  so  hätten  wir  wohl  das  plötzliche  Auftreten  fertiger 
Schöpfungen  zu  erwarten,  ähnlich  wie  in  der  römischen  Litteratur  die  vom 
griechischen  Boden  verpflanzten  Gattungen  sofort  im  wesentlichen  abge- 
schlossen erscheinen.  Gegen  die  Entlehnung  spricht  ferner  der  sehr  be- 
deutende Unterschied  zwischen  der  griechischen  und  lateini- 
schen Kirchendichtung.  Wäre  sie  aus  dem  Orient  eingeführt,  so  Hesse 
sich  wohl  gerade  in  den  frühesten  Proben  derselben  auf  lateinischem  und 
griechischem  Boden  eine  grosse  Gleichmässigkeit  erwarten,^)  Man  wird 
zwar  die  Wirkung  orientalischer  Einflüsse  auf  die  griechische  Kirehen- 
dichtung  nicht  ableugnen  dürfen,  unsicher  bleibt  aber,  in  welcher  Weise, 
in  welcher  Ausdehnung,  ob  auf  direktem  oder  indirektem  Wege 
wir  uns  dieselben  wirksam  denken  müssen.  Manche  Eigentümlichkeit  der 
hebräischen  Poesie  wie  der  Parallelismus,  die  kurzen  Satzglieder  klingen 
auch  in  der  Septuaginta  nach  und  wirkten  von  hier  auf  die  Kirchen- 
dichtung der  Griechen :  die  ältesten  Akklamationen  wie  das  J6%a  €v  vipiavoic 
u.  s.  w.  stammen  aus  der  Psalmenübersetzung.  Wenn  ferner  die  Existenz 
einer  stark  rythmischen  Prosa  voll  Assonanzen  und  kurzer,  gleich- 
massiger  Satzteile  schon  bei  heidnischen  Profanautoren  und  noch  mehr  in 
der  Septuaginta  und  bei  christlichen  Schriftstellern  zweifellos  ist,  so  muss 
doch  sehr  erwogen  werden,  ob  nicht  hier  der  erste  und  wahre  Aus- 
gangspunkt zu  suchen  ist;  die  einzige,  durch  die  Bekanntschaft  mit  der 
antiken  Lyrik  sehr  nahe  gerückte  Idee  der  öfteren,  strophenmässigen 
Wiederholung  des  rythmischen  Prosasatzes  genügte,  um  den  Uebergang 
zur  rythmischen  Poesie  zu  vollziehen,  die  ja  von  den  Griechen  selbst  noch 
im  Mittelalter  nur  als  eine  Abart  von  Prosa  betrachtet  wurde.  Daneben 
kann  immerhin  die  Bekanntschaft  mit  dem  syrisch-hebräischen  Kirchen- 
gesang mitgewirkt,  kann  die  Bewegung  beschleunigt  oder  in  ihrer  Kichtung 
beeinflusst  haben.  Als  in  der  lebendigen  Sprache  die  Unterscheidung  der 
Quantität  verloren  gegangen  w^ar,  musste  die  Dichtung  ganz  von  selbst 
eine  neue  Form  aufsuchen,  wie  die  Pflanze,  der  auf  einer  Seite  Boden 
und  Licht  entzogen  wh-d,  sich  instinktiv  nach  der  andern  Seite  hinwendet 
und  dort  ihren  Lebensbedingungen  nachstrebt.  Für  lebendigen,  herz- 
erhebenden Gesang  war  die  quantitierende  Poesie  völlig  unbrauchbar  ge- 
worden; als  natürlicher  Ersatz  bot  sich  zunächst  eine  rythmisch  ausge- 
bildete Prosa,  die  durch  Verfeinerung  der  Assonanzen  und  durch  die 
Wiederholung  gleicher  Komplexe  sich  zur  rythmischen  Poesie  erhob, 2)  Ganz 
ausgeschlossen  scheint  uns  die  noch  zuletzt  von  Deutschmann  verteidigte 
Anschauung,  die  Rythmendichtung  sei  aus  einer  Nachahmung  altgriechischer 
Formen  entstanden. 3)  Dass  die  rythmische  Poesie  mit  dem  Christentum 
auftrat   und  auch  später  auf  die  Kirche   beschränkt  blieb,  kann  für  den 

')  Dreves,    Götting.    Gel.    Anz.    1886,   |  =>)  ^    ^    q.  (s.  S.  309)  29:    ,Rhythmica 

1)  291.  '   cannina  et  politica  et  hjTnnica  eodem  modo 

^)  Bouvy  a.  a    0.  S.  19  f.;  273.  ,   ex  imitatione  vet^rum  Graecorum  nata  sunt." 


344  Byzantinische  Litteratargeschichte.    II.  Poetische  Litteratar. 

Ursprung  schwerlich  etwas  beweisen;  denn  es  ist  natürlich,  dass  der 
konsequente  und  rücksichtslose  Bruch  mit  der  heidnischen  Tradition  zuerst 
von  den  Christen  vollzogen  wurde,  die  auch  in  anderen  Beziehungen  ohne 
Scheu  das  hellenische  Herkommen  überschritten.  In  den  Dichtungen  der 
heidnischen  Griechen  und  auch  in  den  cluistlichen  Profanpoesien,  die  nur 
auf  gelehrte  Uebung  und  ästhetisches  Vergnügen  abzielten,  behauptete  sich 
die  alte  Schultradition  der  quantitierenden  Metrik. 

Hauptschrift:  W.Meyer,  Anfang  und  Ursprung  der  lateinischen  und  griechischen 
rythmischen  Dichtung;   dagegen  Dreves,   Deutschmann  und  Kawczynski  a.  a.  0.  (s.  S.  309). 


2.  Profanpoesie. 

183.  Vorbemerkung.  Die  Ueberschrift  dieser  Abteilung  ist  im 
weitesten  Sinne  zu  verstehen.  Wir  fassen  hier,  wie  schon  oben  (§  155) 
angedeutet  ist,  alle  nichtliturgische  Poesie  zusammen,  die  zum  Teil  wirk- 
liche Profanpoesie  ist,  zum  Teil  aber  auch  religiöse  Gegenstände  besingt. 
Das  unterscheidende  Merkmal  ist  also  weniger  der  Stoff  als  die  Absicht 
und  Form.  Während  die  KJrchenpoesie  dem  praktischen  Bedürfnisse  der 
Erbauung  und  Erhebung  dient  und  in  ihrer  Form  ganz  neue  Bahnen  ein- 
schlägt, verfolgen  die  Werke  der  zweiten  Abteilung  rein  litterarische  Zwecke 
und  erscheinen  als  mehr  oder  weniger  getreue  Fortbildungen  antiker 
Gattungen.  Die  wichtigste  Konzession,  welche  die  byzantinische  Profan- 
poesie dem  Geiste  ihres  Zeitalters  machte,  ist  der  politische  Vers,  der 
nun  mit  den  antiken  Metren  um  die  Herrschaft  streitet.  Bei  der  Anord- 
nung des  ganzen  Abschnittes  erhob  sich  die  Frage,  ob  die  poetischen 
Gattungen,  deren  Charakter  und  Geschichte  oben  (§  156  f.)  in  allgemeinen 
Zügen  geschildert  worden  ist,  nun  auch  in  der  speziellen  Darstellung  ab- 
gesondert werden  sollen.  So  sehr  die  systematische  Betrachtung  nach 
Epos,  Lyrik,  Drama,  lehrhafter  Poesie,  Satire  u.  s.  w.  sich  namentlich  für 
ein  Handbuch  zu  empfehlen  scheint,  so  sprechen  doch  bei  der  byzantinischen 
Poesie  innere  und  äussere  Gründe,  namentlich  der  eklektische  Charakter 
der  Dichter  und  der  Mangel  einer  grossen,  deutlichen  Entwickelung  inner- 
halb der  einzelnen  Arten,  gegen  die  strenge  Durchführung  der  Eidologie. 
Während  in  der  altgriechischen  Litteratur  die  schöne  Gliederung  nach 
Gattungen  auf  der  Thatsache  eines  organischen  Wachstums  beruht, 
müsste  sie  hier  künstlich  erzwungen  werden.  Dadurch  entstünde  im  Leser 
eine  geschichtlich  unrichtige  Vorstellung  von  dem  Wesen  und  Entwicke- 
lungsgange  der  byzantinischen  Poesie.  Die  Einsicht  in  ihren  verschwom- 
menen Grundcharakter  würde  durch  das  willkürlich  erzeugte  Trugbild 
eines  selbständigen  Eigenlebens  der  Arten  gestört.  Nicht  weniger  schwer 
sind  die  praktischen  Bedenken  gegen  die  Anwendung  des  eidologischen 
Systems.  Einerseits  müssten  die  meisten  Poeten  in  mehrere  Stücke  zer- 
rissen werden,  was  dem  tektonischen  Prinzipe  des  ganzen  Buches  wider- 
spricht, andererseits  könnten  die  einzelnen  Fächer  doch  nur  sehr  ungleich- 
massig  ausgefüllt  und  abgerundet  werden.  Was  für  einen  Sinn  hätte 
z.  B.   eine  Abteilung  für  dramatische   Dichtung,   die  nahezu   mit   der 


346  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

anonymen  Passion  beginnen  und  mit  derselben  wieder  aufhören  müsste? 
Ebenso  fehlt  es  auf  dem  Gebiete  des  Romans  an  einer  dauernden  und 
greifbaren  Entwickelung ;  nachdem  die  Gattung  über  ein  halbes  Jahr- 
tausend brach  gelegen  war,  erscheinen  auf  einmal  vier  Werke,  fast  isoliert 
und  durch  keine  Mittelglieder  mit  ihren  Vorbildern  verbunden.  Am  dank- 
barsten wäre  noch  eine  selbständige  Betrachtung  des  spätgriechischen  und 
byzantinischen  Epigrammes;  doch  konnte  um  dieser  einen  Art  willen  das 
allgemeine  Prinzip  nicht  durchbrochen  werden. 

An  einer  zusammenhängenden  Untersuchung  der  gesamten  byzan- 
tinischen Profanpoesie  fehlt  es  noch.  Daher  konnten  die  Entwickelungs- 
stufen,  die  inneren  Zusammenhänge,  die  wechselseitigen  Beziehungen  und 
die  Einflüsse  der  poetischen  Arten  unter  sich  und  der  Prosalitteratur  nur 
stückweise  angedeutet  werden.  Wir  vermochten  auch  hier  beim  besten 
Willen  und  den  höchsten  Ansprüchen  an  Zeit  und  Kraft  nur  eine  vorläufige 
Uebersicht  zu  geben,  die  zu  weiteren  Forschungen  anregen  mag. 

Georgios  Pisides,  der  in  unserer  Darstellung  die  Reihe  der  Profan- 
dichter eröffnet,  gehört,  wie  oben  (S.  7)  dargelegt  wurde,  als  letzter  Aus- 
läufer der  Schule  des  Nonnos,  geschichtlich  noch  zur  altgriechischen 
Epoche.  Auf  ihn  folgt  in  der  hellenisierenden  Dichtung  eine  grosse  Lücke.  J| 
Erst  mit  dem  9.  Jahrhundert  beginnt  hier  wie  in  den  meisten  übrigen 
Fächern  wieder  eine  regere  Thätigkeit,  die  unter  den  Komnenen  und 
Paläologen  an  Umfang  und  Mannigfaltigkeit  gewinnt,  ohne  jedoch  Werke 
von  wahrhafter  Kraft  und  Innerlichkeit  hervorzubringen.  Von  Christo- 
phoros  aus  Mytilene  und  Johannes  Mauropus  abgesehen,  vermag 
selbst  die  nachsichtigste  Beurteilung  in  den  Profanpoesien  des  byzantini- 
schen Mittelalters  wenig  nach  Inhalt  und  Form  Genügendes  zu  entdecken. 
Mehr  als  auf  anderen  Gebieten  der  mittelgriechischen  Litteratur  muss  man 
hier  von  einer  absoluten  ästhetischen  Wertschätzung  absehen  und  sich 
bemühen,  von  einem  relativen,  rein  wissenschaftlichen  Standpunkt  aus  dit- 
Flucht  der  Erscheinungen  mit  dem  resignierten,  aber  liebevoll  begierigen 
Blicke  des  Philologen,  des  Kulturhistorikers,  des  Völkerpsychologen  zu 
begleiten. 

184.  Georgios  Pisides,  nach  seiner  Heimat  Pisidien  benannt,  unter 
Kaiser  Heraklios  (610—041)  Diakon  der  Sophienkirche  und  Chartophylax  in 
Konstantinopel,  ist  der  letzte  Dichter  der  griechischen  Zeit.  Seine  Dar- 
stellung ist  einfach  und  verständlich,  seine  Verse  fliessend  und  von  grosser 
Korrektheit.  Auffallend  ist,  dass  er  auch  für  die  rein  historischen  Gegen- 
stände ausschliesslich  den  jambischen  Trimeter  verwendet.  Die  formalen 
Vorzüge  des  Pisidiers  blieben  auch  den  späteren  Byzantinern  nicht  ver- 
borgen, und  Psellos  beantwortete  in  einem  ausführlichen  Briefe  die  an  ihn 
gerichtete  Frage:  Ti'g  anx'C^i  xqhttov,  6  EvQin(6rfi  r]  6  Utafdr^g;  Dem  Chro- 
nisten Theophanes  diente  er  als  historische  Quelle;  ausserdem  verwerteten 
ihn  vor  allem  Suidas  und  Tzetzes.  Die  zahlreichen  Gedichte  des  Pisides 
behandeln  teils  politische  Ereignisse  seiner  Zeit,  teils  philosophisch-theo- 
logische und  rein  dogmatische  Gegenstände;  dazu  kommen  Epigramme  und 
sonstige  kleinere  Stücke.    Wir  nennen  zuerst  die  drei  historischen  Go- 


2.  Profanpoesie.  (§  184—185.)  347 

dichte:  1.  Eig  Ttjv  xaru  Fleoaüiv  ixargaTsiav  "^HQaxXeiov  tov  ßaaiXtwq,  in 
drei  Abschnitten  {ccxQoäaeiq),  worin  Pisides  die  glücklichen  Kämpfe  des 
Heraklios  gegen  die  Perser  schildert  (1093  Trimeter).  2.  Ein  Gedicht  über 
den  Angriff  der  Avaren  auf  Konstantinopel  im  Jahre  626  und  die  Ab- 
wehrung desselben  durch  die  Hilfe  der  hl.  Jungfrau:  Eig  xr^v  yevoiitvr^v 
ftfodov  TÖir  ßccQßccQon'  xai  fig  ri^v  avton'  daroxictv  r^i^oi  exO^eaig  xov  yevo- 
HkYov  noXäfiov  eig  t6  xei^og  xr^g  KutvöxavxiYOvn öXfwg  fiexa^v  'Aßäqtov  xai 
xbüv  nu?uxö)i'  (541  Verse).  3.  '^HgaxXiäg  rjxoi  sig  xi]v  xfXeiav  nxwaiv  Xoa- 
Qtov  ßaaiXküjg  tlfgaoh-,  ein  Panegyrikus  auf  des  Kaisers  Heraklios  end- 
gültigen Sieg  über  Chosroes  (471  Verse  in  zwei  Akroasen).  4.  Das  um- 
fangreichste Werk  des  Pisides  ist  sein  'E^ar](ieQov  [r]  xoaiiovQyia),  ein  philo- 
sophisch-theologisches Lehrgedicht  über  die  Erschaffung  der  Welt  mit 
zahlreichen  Beziehungen  auf  die  Zeitgeschichte.  Der  schon  von  den  Alten 
behandelte  Vorwurf  (Ovids  Metamorphosen,  Philon  Ilfoi  xoafiojioti'ag  u.s.w.) 
bildet  ein  Lieblingsthema  der  christlichen  Autoren;  schon  Justinus  Martyr 
schrieb  '^YTroi.iirjfiaxa  eig  x6  e^ar^ßeQov,  weitere  Darstellungen  gaben  Basilios 
der  Grosse,  Epiphanios,  Bischof  von  Constantia  auf  Cypern  (4.  Jahrb.), 
Kosmas  Indikopleustes  in  seinem  geographischen  Werke  (s.  §  70)  und  viele 
andere.  Pisides  schliesst  sich  in  seinen  naturwissenschaftlichen  Erklärungen 
vorzüglich  an  Aristoteles  an.  Zu  beachten  ist  auch  sein  Verhältnis  zu 
Aelians  Varia  Historia.  (1910,  bei  Hercher  1894  Trimeter).  5.  Elg  xov 
fiäxaiov  ßiov  (262  Verse),  eine  elegische  Betrachtung  nach  dem  Muster 
des  Ecclesiasten ;  das  Gedicht  ist  dem  Patriarchen  Sergios  gewidmet,  auf 
dessen  Veranlassung  es  auch  entstanden  zu  sein  scheint.  6.  Kaxd  öva- 
afßovg  2svi]oov  ^Avxioxfi'ccg  (726  Trimeter),  ein  dogmatisches  Lehrgedicht 
gegen  den  Häretiker  Severus,  der,  anfänglich  Advokat  in  Berytos,  513 
zum  Bischof  erhoben,  536  wegen  seiner  Irrlehre  verdammt  wurde.  7.  Ein 
Hymnus  Ek  xr]v  dyiuv  xov  Xqkjtov  rjiiwv  ceiäffxcidir,  um  628  abgefasst; 
eine  Prosabiographie  des  hl.  Anastasios:  'Eyxo)i.iior  eig  x6r  dyiov  Ava- 
axdoiov:  endlich  Epigramme  auf  den  hl.  Paulos,  auf  den  Kaiser  Heraklios, 
auf  die  Podagra  u.  s.  w.  Dagegen  gehört  der  von  Querci  auf  Grund  einer 
unzulänglichen  Kombination  dem  Pisides  zugeschriebene  'Fi^irug  üxäi>iaiog 
nach  dem  Zeugnis  der  Handschriften  dem  Patriarchen  Sergios  (s.  §  164). 
Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Opera  Georgii  Pisidae,  Theodosii  Diaconi  et  Corippi 
Africani  Grammatici  ed.  J.  Querci,  Romae  1777  (als  Corporis  historiae  Byzantinae  nova 
appendix).  —  Die  drei  historischen  Gedichte  auch  im  Bonner  Corpus  ed.  von  I.  Bekker, 
Bonn  1836.  —  Sämtliche  Werke  nach  Querci  und  Bekker  wiederholt  bei  Migne,  Patrol. 
Gr.  92  (1860)  116'2  — 1756.  —  Das  Hexaemeron  edierte  neuerdings  mit  zahlreichen  Ver- 
besserungen R.  Hercher  in:  Claudii  Aeliani  varia  historia,  Lipsiae  1866,  vol.  11  603—662.  — 
Zur  Beurteilung:  E.  Bouvy,  Etüde  sur  les  origines  du  rythme  tonique,  Nimes  1886 
S.  164—169.  —  Zur  Metrik  und  Kritik:  W.  Meyer,  Zur  Geschichte  des  griechischen 
und  lateinischen  Hexameters,  Sitzungsber.  d.  baver.  Akad.  d.  Wiss.,  phil.-hist.  Cl.  1884 
S.  1019  ff.  —  Is.  Hilberg,  Wiener  Studien  8  (1886)  292-304  und  9  (1887)  207-222.  — 
P.  Nikitin,  Bemerkungen  zum  Texte  des  Hexaemeron  des  G.  Pis.,  Joum.  Minist.  Volks 
aufkl.  1888,  Januar,  verwertet  fftr  die  Texteskritik  die  altsioTenische  Uebersetzung  des 
Hexaemeron. 

185.  Ignatios,  Diakon  in  Konstantin opel  und  später  Metropolit  von 
Nikaea  im  Anfang  des  9.  Jahrhunderts,  verfasste  die  uns  erhaltenen  histo- 
risch nicht  unwichtigen  Biographien  seiner  älteren,  ihm  persönlich  be- 
freundeten Zeitgenossen,    der  Patriarchen   Tarasios  (f  806)   und   Nike- 


348  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

phoros  (t  829).  Ausser  diesen  Prosawerken  besitzen  wir  von  ihm  mehrere 
Poesien.  Durch  die  dramatische  Form  ist  bemerkenswert  das  Gedicht 
über  den  Sünden  fall:  ^it'xoi  dg  rov  'Adäfi  (143  Trimeter),  „le  premier 
essai  d'un  Paradis  perdu",  worin  Gott,  Adam,  Eva  und  die  Schlange  redend 
auftreten.  Vom  Anfang  und  Schluss  abgesehen  herrscht  in  der  Verteilung 
der  Rollen  (je  8  Verse  auf  eine  Person)  eine  ähnliche  Symmetrie  wie  in 
den  dialogischen  Gedichten  des  Phil  es.  Schwerlich  darf  man  das  Werk- 
chen mit  den  mysterienartigen  Aufführungen  in  der  Hagia  Sophia  (s.  §  157) 
in  Verbindung  bringen;  es  ist  vielmehr  ein  Lesedrama  wie  der  XQiardg 
7Tciax<iJv,  das  Stück  des  Plochiros  u.  a.  Bekannter  ist  des  Ignatios  Para- 
phrase der  äsopischen  Fabeln:  ^lyraxiov  Siaxövov  texqäaxixa  elq  fivihovg 
AiaüJTiixovq  (in  einem  Wiener  Codex:  Baßqiov  sv  sTtirofif^  fistaygaifhv  vno 
'lyvariov  ^layiarqov). 

1.  Gedicht  über  den  Sündenfall  ed.  Fr.  Dübner  nach  den  Fragmenta  Euri- 
pidis  ed.  G.  Wagner,  Paris,  Didot  1846.  Vgl.  Magnin,  Journal  des  savants  1849,  461  ff.  — 
Dasselbe  und  die  Paraphrase  Aesops  in:  Ignatii  Diaconi  tetrasticha  iambica  53,  versus  in 
Adamum  143  rec.  et  brevi  adnotatione  instruxit  Car.  Frid.  Müller,  Progr.  Kiel  1886. 
S.  19  und  28  Verzeichnis  der  früheren  Drucke  beider  Stücke;  vorausgeht  eine  Abhandlung 
über  die  Metrik  und  Zeit  des  Ignatios.  —  Vgl.  Carl  de  Boor,  Der  Epigrammendichter 
Ignatius,  Hermes  23  (1888)  149—152;  auch  P.  Wolters,  Rhein.  Mus.  38  (1883)  117  und 
Haussen,  Philol.  Anzeiger  17  (1887)  141. 

2.  Die  Lebensbeschreibung  des  Nikephoros  ed.  zuletzt  C.  de  Boor  in  seiner 
Ausgabe  der  Werke  des  Nikephoros  P.,  Leipzig  1880.  —  Das  Leben  des  Tarasios  ed. 
griechisch  zum  ersten  Male  J.  A.  Heikel  im  17.  Bande  der  Acta  societatis  scientiarum 
Fennicae,  Helsingfors  1889  (mit  Kommentar  und  Indices). 

186.  Ignatios  mit  dem  Beinamen  fxayiatMq  twv  ygafjifiaTixwv  ist  von 
dem  Diakon  und  Metropoliten  Ignatios  (§  185)  verschieden,  der  Zeit  nach 
etwa  ein  Menschenalter  später.  Wir  haben  von  ihm  melirere  Epigramme 
und  eine  Elegie  an  seinen  Schüler  Paulos,  denselben,  an  welchen  auch 
das  Epigramm  Anthol.  Palat.  XV  30  gerichtet  ist.  Sein  Epigramm  auf  die 
Wiedererbauung  der  Marienkirche  in  der  Vorstadt  Pege  (Anthol.  Palat.  I 
109)  ist  zwischen  870  und  880  verfasst,  woraus  sich  mit  fast  absoluter  Sicher- 
heit ergibt,  dass  er  mit  dem  Diakon  Ignatios  nicht  identisch  sein  kann. 
In  einem  anderen  Epigramme  (Anthol.  Palat.  XV  39)  nennt  er  sich  Wieder- 
hersteller der  Grammatik: 

'lyyärios  räde  revier,  bg  is  rpäog  fjynye  xix^V*' 
rQafifiaxixTjv  ^?i9T]s  xev&ofitvrjv  nekäyei. 

Wir  wissen  von  seinen  grammatischen  Arbeiten  nichts  Näheres;  doch  stimmt 
zu  seiner  Prahlerei  wenigstens  sein  Titel,  den  er  vielleicht  als  Professor 
der  vom  Caesar  Bardas  wiederhergestellten  Hochschule  in  Konstantinopel 
geführt  hat. 

1.  Die  Elegie  an  Paulos  ed.  P.  Matranga,  Anecdota  Graeca  (Romae  1850)  II 
664  ff.;  wiederholt  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  117  (1864)  1174.  —  Epigramme  in  der  An- 
tholog.  Palat.  I  109;  XV  29—31;  39.  —  Dazu  vgl.  die  zu  §  185  angeführte  Litt«ratur, 
bes.  Müller  und  De  Boor. 

2.  Einem  dritten,  wohl  bedeutend  späteren  Ignatios  gehört  ein  alphabetisches 
Akrostichon  ('/«^u/Soi  xatee  atoi^eiov),  welches  die  Lehren  der  christlichen  Moral  in  24 
barbarischen  Trimetern  nach  Art  der  Sprüche  der  sieben  Weisen  zusammenfasst.  Ed.  F. 
Boissonade,  Anecdota  Graeca  IV  436  f.;  auch  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  117,  1175.  — 
lieber  ähnliche  Akrostichen  s.  Boissonade,  Anecd.  Gr.  I  161;  dortaelbst  drei  solche  Ge- 
dichte xuxii  aiot^etoy  von  einem  ungenannten  Protosekretarios. 

187.  Eometas  {KofUjTäg),  im  Besitze  der  Würde  eines  Xagiüvkägiog 


2.  Profanpoesie.  (§  186—188.)  349 

und  des  Titels  ^xo^aaiixög,  wohl  identisch  mit  jenem  Kometas,  der  seit 
863  Lehrer  der  Grammatik  in  Konstantinopel  war,  beschäftigte  sich  mit 
einer  Diorthose  des  Homer,  von  welcher  er  uns  selbst  ziemlich  ruhmredig 
in  zwei  Epigrammen  Kenntnis  gibt:  Anthol.  Palat.  XV  37  und  38,  Andere 
Epigramme  von  ihm  in  der  Anthol.  Palat.  V  265;  IX  586,  597;  XV  36,  40; 
das  letzte,  umfangreichste,  behandelt  die  Erweckung  des  Lazarus.  Die 
Person  des  Mannes  ist  nicht  näher  bekannt ;  nur  belehrt  uns  eine  boshafte 
Randbemerkung  der  Anthologie,  dass  er  durch  einen  hässlichen  Buckel  ver- 
unstaltet war:  Anthol.  Palat.  ed.  Dübner  II  S.  526  (=  ed.  Jacobs  III  S.  834). 
Vgl.  Fabricius,  Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  6,  361  und  E.  de  Muralt,  Essai  de 
Chronographie  Byzantine  I  (1855)  438. 

188.  Leo  der  Weise  {Atwv  6  coyö?,  auch  (fiX6ao<foq),  als  Nachfolger 
des  Makedoniers  Basilios  886 — 911  Kaiser  des  römischen  Reiches,  ein 
charakterschwacher,  aber  emsig  mit  der  Feder  beschäftigter  Mann,  er- 
scheint in  der  Litteratur  ebenso  unbedeutend  wie  in  der  politischen  Ge- 
schichte des  Reiches.  Wo  er  überhaupt  Selbständiges  leistet,  zeigt  er  sich 
als  einen  schwachen  Dilettanten,  unbehilflich  in  der  Form  und  voll  mysti- 
scher Sucht.  Die  stoffliche  Mannigfaltigkeit  der  mit  seinem  Namen  ver- 
knüpften Werke  macht  es  schwer,  ihn  einer  bestimmten  Litteraturgattung 
zuzuweisen.  Den  grössten  L^mfang  nehmen  seine  theologischen  Schriften 
ein;  da  jedoch  die  Patristik  nach  unserem  Plane  nur  nebenbei  berücksichtigt 
werden  kann,  so  mag  er  bei  der  Dichtung  untergebracht  werden,  wo  er 
bei  aller  Schwäche  wenigstens  einige  Originalität  zu  besitzen  scheint. 
1,  Die  unter  Leos  Namen  überlieferten  Versifikationen  sind  nicht  ohne 
kulturhistorisches  und  sprachliches  Interesse.  Es  sind  jambische  Verse 
über  die  traurige  Lage  des  Reiches;  ein  Erbauungslied  {o^dttgiov  xara- 
rvxTixöv)  in  sechszeiligen,  akrostichisch  geordneten  Strophen  (s.  §  180); 
Morgenlieder  {(pdagta  icod-iva)  und  Aehnliches.  Dazu  kommen  Epigramme 
z.  B.  auf  ein  Lehrbuch  der  Mechanik,  auf  die  Monate  der  Römer,  auf  die 
Tierkämpfe  im  Zirkus  u.  s.  w.  Eine  wertlose  Spielerei  sind  seine  xaoxTroi 
(Krebse)  d.  h.  Verse,  welche  vorwärts  und  rückwärts  gelesen  gleich  lauten, 
z.  B.  'ß  ytrog  eiior,  €v  o)  usaov  iyw.  Grosses  Ansehen  genossen  in  der 
byzantinischen  Welt  seine  Orakelsprüche  {xQi]a^ioi)  über  künftige  Kaiser, 
Patriarchen  und  die  Geschicke  des  Reiches,  die  in  den  Handschriften  mit 
mystischen  Figuren  ausgestattet,  später  in  vulgärgriechischen  Versionen 
verbreitet  (s.  den  Anhang)  und  in  fremde  Sprachen  übersetzt,  noch  im 
16.  Jahrhundert  der  abergläubischen  Kuriositätensucht  eine  erwünschte 
Nahrung  boten.  Uebrigens  sind  solche  mit  Figuren  illustrierte  Orakel- 
sprüche schon  früher  ausdrücklich  bezeugt  und  scheinen  ein  unentbehr- 
liches Inventarstück  des  byzantinischen  Hausarchivs  gebildet  zu  haben.*) 
Durch  die  Existenz  gleichzeitiger  homonymer  Dichter  wird  für  manche 
dieser  poetischen  Kleinigkeiten  die  Autorschaft  des  Kaisers  zweifelhaft; 
eine  genügende  Grenzscheidung  zwischen  den  verschiedenen  Trägern  des 
Namens  Leo  wäre  nur  auf  Grund  einer  kritischen  Untersuchung  des  weit 

')  Theophanes  contin.  ed.  Bonn.  S.  36,  j  fievog,  ov  j^Qtjafxovg  fiövov  unhig,  äXk«  xtd 
\:  6  ih  XQ'^iOf^os  rjy  IißvXXtaxog  ey  Tiyi  ßiß-  \  fJ.0Q(pug  xal  aj(7JficeTcc  ^](ovace  rwy  y6yt]aof/i'~ 
Xiu   ei;  rrjy  ßftathxrjy  ßißXiodtjxtjy  ivanoxei-       foty  ßaaike'wy  did  ^QüijÄUtuiy. 


35Ö  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    H.  Poetische  Litteratur. 

zerstreuten  Handschriftenmaterials  und  einer  genauen  metriscli-sprachlichen 
Prüfung  der  einzelnen  Stücke  möglich.  Endlich  wird  der  Kaiser  in  dem 
Lehrgedichte  des  Tzetzes  IltQi  Jlivdagixun'  litTQUiv  als  Verfasser  einer  (uns 
nicht  erhaltenen)  anapästischen  Inschrift  an  der  Sophienkirche  erwähnt. ') 

2.  Unter  dem  Namen  des  Kaisers  geht  die  taktische  Schrift:  Ton- 
tv  noXäfKrt  Tccxiixm'  avvToi^ioq  naQÜdoaig.  Sie  ist  nicht  von  Leo  selbst  ver- 
fasst,  entstand  aber  auf  seine  Anregung;  später  wurde  sie  auf  Anordnung 
Konstantins  VIII  erweitert  (s.  §  20).  Das  Werk  ist  aus  älteren  Quellen, 
wie  Onosander,  Aelian,  Polyaen  u.  s.  w.  zusammengestellt  und  gibt  ohne 
viel  Konsequenz  mannigfaltige,  nach  Kapiteln  geordnete  Notizen  über  die 
Einteilung,  Ausrüstung  und  Uebung  des  Heeres,  über  das  Lager-  und  Be- 
lagerungswesen, über  Märsche,  über  fremde  taktische  Systeme,  auch  über 
den  Seekampf  u.  s.  w.  Für  die  Sprachgeschichte  dieser  Zeit  gewährt  es 
ähnliche  Aufschlüsse  wie  die  halbvulgären  Schriften  Konstantins  VII.  Die 
Taktik  Leos  wirkte  wie  seine  Orakelsprüche  bis  in  die  neuere  Zeit;  seit 
dem  16.  Jahrhundert  wurde  sie  wiederholt  in  moderne  Sprachen  übersetzt 
(zuerst  italienisch  1541)  und  durch  Vergleichung  mit  Schlachtplänen  und 
taktischen  Systemen  der  letzten  Jahrhunderte  erläutert. 

3.  Der  Anregung  Leos  entsprang  ferner  eine  Redaktion  des  Corpus 
iuris  und  der  später  dazugekommenen  Gesetze  und  Kommentare.  Das 
Werk  wurde  unter  dem  Titel  Basiliken  (ßaadixal  Siara^sig,  kaiserliche 
Verordnungen)  veröffentlicht  und  unter  Leos  Sohn  Konstantin  VII  über- 
arbeitet und  vervollständigt.  Daran  schliessen  sich  die  meist  auf  das 
kanonische  Recht  bezüglichen  Novellen,  die  Leo  veranlasste,  und  die 
unter  seinem  Namen  überlieferten  Verzeichnisse  der  Patriarchensitze 
und  der  dem  Patriarchen  von  Konstantinopel  untergebenen  Kirchen,  die 
später  fortgesetzt  und  modifiziert  wurden.     S.  §  73. 

4.  Am  umfangreichsten  ist  die  schriftstellerische  Thätigkeit  Leos  auf 
dem  Gebiete  der  Theologie.  Wir  haben  von  ihm  29  langwierige  Ho- 
milien  und  panegyrische  Reden,  liturgische  Gebete  u.a.  Hiehergehört 
auch  sein  (nur  in  lat.  Uebersetzung  edierter)  Brief  an  Omar,  worin  er, 
wie  später  Johannes  Kantakuzenos  und  Manuel  Palaeologos  die  Wahrheit 
des  Christentums  gegen  die  Lehre  Mohameds  verteidigt.  Manches  ist  noch 
unediert,  so  ein  Kanon  auf  den  Palmsonntag,  Lieder  auf  den  hl.  Clemens 
von  Alexandria  u.  s.  w.  Seiner  theologischen  Schriftstellerei  wie  den 
Orakelsprüchen,  die  schnell  zur  Popularität  gelangten,  verdankt  Leo  wohl 
auch  den  Beinamen  des  Weisen. 

1.  Bequeme  Gesamtausgabe  der  Schriften  Leos  nach  den  sehr  zerstreuten  älteren 
Drucken  von  Migne,  Patrol.  Gr.  107  (1863).  —  Die  Taktik  ed.  zuerst  Meursiua,  Lugd. 
Bat.  1612;  wiederholt  von  Lamius  in  den  Opera  Meursii,  vol.  6  (Florenz  1745)  529 — 920. 
Zusätze  von  Köchly,  Zürich  1854.  Hauptschrift  zur  Taktik:  Max  Jahns,  Geschichte 
der  Kriegswissenschaften  I  (München  1889)  160-171,  wo  auch  die  übrige  Litteratur  ge- 
nauer verzeichnet  ist.  Vgl.  §  20.  —  Die  Verzeichnisse  der  Patriarchensitze  u.  s.  w.  ed. 
Parthey  mit  Hierocles  S.  55 — 101.  Georgii  Cyprii  descriptio  orbis  Romani  —  accedit 
Leonis  imp.  diatyposis  genuina  adhuc  inedita  —  ed.  H.  Geizer,  Leipzig,  bibl.  Teubn. 
1890.  -  Zur  Bibliographie  und  Handschriftenkunde:  Fabricius,  Biblioth.  Graeca  ed.  Harl. 
7,  693 — 713.  —  Orakel  des  Leo  und  anderer  ed.  aus  einer  Koponhagonor  Hand.schrift 
Ch.  Graux,  Archives  dos  missions  scientifiques  et  litt.  III.  serie,  t.  6  (1880)  218  f. 


')  Gramer,  Anecd.  Gr.  Paris.  1  (1889)  78. 


2.  Profanpoesie.  (§  189.)  351 

2.  Dem  Mathematiker  und  Philosophen  Stephanos,  der  imter  Kaiser  Heraklios  in 
Alexandria  lebte,  wird  eine  i'inoxeXsauurixrj  TiQuyfxujeiu  zugeschrieben,  welche  Prophe- 
zeiungen über  Mohamed  xmd  die  Zukunft  des  Islams  enthält.  In  Wahrheit  kann  diese 
Schrift  nicht  von  Stephanos  herrühren,  sondern  ist  erst  später,  wahrscheinlich  um  775  ab- 
gefasst.     H.  Usener,  De  Stephano  Alexandrino,  Index  lect.,  Bonn  1879/80. 

189.  Leo  der  Philosoph,  jnäyiaroog,  uv^vTraroc  und  nazQixiog,  ein  in 
Philosophie,  Astrologie  und  Medizin  erfahrener  Gelehrter  zur  Zeit  Leos 
des  Weisen,  Schüler  des  älteren  Psellos,  später  öffentlicher  Lehrer  der 
mathematischen  Wissenschaften  in  Konstantinopel  und  öfter  als  Gesandter 
verwendet,  ist  wie  sein  kaiserlicher  Namens-  und  Zeitgenosse  durch  poe- 
tische Versuche  und  prosaische  Schriften  bekannt;  der  Grenzstreitigkeiten 
zwischen  ihm  und  dem  Kaiser  ist  schon  oben  gedacht  worden.  Sicher 
gehören  ihm  mehrere  epigrammatische  Gedichte  auf  Lukian,  auf  die 
Batrachomyomachie,  auf  die  drei  Philosophen  Archytas,  Piaton  und  Aristo- 
teles, auf  Porphyrios,  auf  aristotelische  Definitionen  u.  s.  w.  Ed.  von  Fr. 
Boissonade,  Anecd.  Graeca  II  (1830)  469 — 478.  Zwei  Verse  von  ihm 
auf  ein  Werk  des  Mathematikers  Theon  stehen  bei  Gramer,  Anecd,  Paris. 
I  (1839)  399.  Ein  längeres  Gedicht,  in  welchem  er  sich  gegen  den 
Vorwurf  der  Gottlosigkeit  verteidigt  und  die  Verehrer  der  hellenischen 
Götter  verflucht  {'ATioXoyia  Akovxoq  xov  <fiXoa(t(fov,  xad-^  r^v  Xqiütoi'  {.liv 
Gt'ßei,  rd  "^EXXipoiv  öt  (favki^si),  ist  wahrscheinlich  gegen  die  unten  zu  er- 
wähnenden Schmähverse  seines  Schülers  Konstantin  gerichtet.  In  einem 
vierzeiligen  Epigramme  gedenkt  er  seines  Lehrers  Photios,  der  ihn 
mit  der  Milch  göttlicher  Weisheit  genährt  habe.  Auf  die  erwähnten  gegen 
ihn  erhobenen  Vorwürfe  bezieht  sich  wohl  auch  das  kleine  jambische 
Stück,  in  dem  er  klagt,  dass  Bildung,  Ehre  und  Gottesfurcht  verschwun- 
den sei  und  nur  noch  Schurkerei,  Lüge  und  rohe  Gewalt  herrsche.  Die 
näheren  Umstände  der  gegen  Leo  geschmiedeten  Intriguen  kennen  wir 
nicht;  doch  ist  zu  vermuten,  dass  dieselben  mit  dem  Konflikte  zwischen 
Photios  und  dem  Kaiser  Leo  in  Zusammenhang  stehen.  Diese  3  Stücke 
sind  ed.  von  Matranga,  Anecd.  Gr.  II  (1850)  557 — 560,  wo  sie  jedoch 
dem  Kaiser  Leo  zugeschrieben  werden.  Wahrscheinlich  gehören  demselben 
Leo  auch  die  anakreontischen  Gedichte  auf  die  Hochzeit  des  Kaisers 
Leo,  auf  ein  von  diesem  Kaiser  erbautes  Bad  und  auf  Helene,  die  Gemalilin 
des  jungen  Konstantin,  die  Matranga  a.  a.  0.  561—570  ediert  und  Th. 
Bergk,  Poetae  lyr.  Gr.  III  1091—97  wiederholt  hat;  endlich  w^ohl  auch 
einige  xQonccqia,  die  in  den  Menäen  unter  dem  Titel  AiovTog  nayiarqov 
oder  fiai'aTOQog  gehen. 

Von  prosaischen  Schriften  Leos,  die  noch  unediert  sind,  nennt 
Du  Gange  ein  Werk  über  Königtum  und  Fürsten;  dazu  kommt  ein  Kom- 
pendium der  Medizin  und  eine  astrologische  Schrift.  Ein  Bruchstück  der 
letzteren  scheint  der  Traktat  über  die  Bedeutung  von  Sonnen-  und  Monds- 
finsternissen {IleQi  i^XiaxT^q  fxXsiiffecog  rr^g  h'  roi  ßafftXixoi  tQiycövo)  xov  ao(f(o- 
xäxov  yit'ovxog),  welchen  C.  Hertlein,  Hermes  8  (1874)  173—176  veröffent- 
licht hat.  Da  sich  hieraus  ergibt,  dass  sich  auch  der  „Philosoph"  Leo  der 
geheimen  Kunst  hingab,  mag  man  ihm  auch  die  unter  dem  Namen  Leos 
überlieferte  Anleitung  zur  Wahrsagekunst  zuteilen,  die  den  Titel  führt: 
HfQi  TiQoyvoiaewv    UQayixäxcov  ■  fit'O^oSog    TTQoyrcoaxixrj    xov    dyi'ov    svayyeXiov 


352  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    11.  Poetische  Litteratur. 

xai  rov  ipaXrr^'ov;  doch  bleibt  auch  hier  der  Zweifel,  ob  nicht  vielmehr 
der  Kaiser  selbst  als  Verfassei-  gelten  muss.  Endlich  wird  unserm  Leo 
ein  Werk  über  Falkenzucht  (ein  sogenanntes  leQaxoaö(fior)  zuge- 
schrieben. 

1.  Zu  den  Epigrammen  vgl.  P.  Wolters,  Rhein.  Mus.  38  (1883)  115  ff.  und 
Leo  Sternbach,  Anthologiae  Planudeae  appendix  Barberino-Vaticana,  Leipzig  1890  S. 84  ff.  — 
Briefe  Leos  an  den  gefürchteten  Bulgarenfürsten  Symeon,  dem  der  pedantische  Byzan- 
tiner Vorschriften  über  den  richtigen  Gebrauch  der  Vemeinungswörter  erteilt,  an  Kaiser 
Leo  imd  an  den  äy&vnaxos  und  TiuTQixiog  Genesios  nebst  einigen  an  Leo  gerichteten 
Schreiben  eines  Symeon,  eines  Anastasios  xoiaiaxiaQ,  eines  Thomas  naxQixiog,  Prokopios 
ayjaS-itQiog  u.  a.  edierte  aus  cod.  Patm.  178  J.  Sakkelion,  JeXxiov  Tijg  'usioq.  xal  i9yoX. 
iraigiag  xijg  'EXXddog  1  (1883 — 84)  377 — 410  mit  Einleitung  und  Kommentar. 

2.  Verschieden  von  dem  Philosophen  Leo  ist  Leon  Magistros,  mit  dem  Bei- 
namen KaxttxvXag,  der  ebenfalls  Zeitgenosse  und  Vertrauter  Leos  des  Weisen  war  und 
als  Mönch  im  Kloster  Sigriane  {fioytj  Iiyginv^g)  starb.  Wir  kennen  ihn  durch  eine  aus- 
führliche Erwähnung  bei  Konstantin  Porphyrogennetos,  De  caerim.  S.  456  f.  (ed. 
Bonn.);  er  wird  dort  als  ein  sehr  frommer,  aber  wenig  gebildeter  Mann  —  fiovaix^g  'EXXt]- 
vixrjg  lijuexoj^og  —  geschildert,  der  im  Auftrag  des  Kaisers  Leo  ein  Werk  über  das  Zere- 
moniell und  Gefolge  bei  kaiserlichen  Reisen  geschrieben  habe.  Konstantin,  der  diese  Schrift 
benützte,  rügt,  dass  sie  noXXu  ßcegßagä  xe  xai  aoXoixa  xal  davyxailag  enthalte. 

190.  Konstantin  der  Sizilier  {KotvaravTivog  6  2ix€X6g  oder  2ix€- 
hcÖTT^g),  Schüler  des  „Philosophen"  Leo,  gehört  in  den  Kreis  der  um  Leo 
den  Weisen  versammelten  Gelehrten,  welche  nach  dem  Vorbilde  ilires  Herr- 
schers und  ihm  zu  Gefallen  sich  gelegentlich  in  poetischen  Leistungen  er- 
gingen. Er  bedient  sich  mit  Vorliebe  anakreontischer  Masse  und  einer 
alphabetischen  Akrostichis.  Die  wenigen  uns  erhaltenen  Proben 
zeichnen  sich  durch  lebendige  Natürlichkeit  aus  und  sind  frei  von  dem 
panegyrischen  Schwulste  der  in  Byzanz  üblichen  Hofpoesie.  Ein  weh- 
mütiges Klagelied  schildert  seinen  Schmerz  über  den  Untergang  seiner 
Eltern  und  Geschwister  auf  einer  stürmischen  Seereise:  2tixoi  'Araxgeävteioi 
xuxd  'AX(p(xßrjtov  KwvGTavTivov  (piXoaötpov  tov  2ixeXov  xivdvrsvi^t'vTwv  rwv 
yoveoov  avTov  xal  adeXqxJöv  iv  tf,  ^aXaTTj].  Ein  hübscher  Versuch  ist  sein 
anakreontisches  Liebeslied:  'Qiöüqiov  egonixor  öi  dvaxQt'ovTog  xal  xov- 
xovXXiov  XaßovTog  (?)  rr^v  vnöd^eaiv  ix  {.isko^dov  rivog.  Dazu  kommt  sein 
'AraxQeövTSiov  x^^Q'^  ävaxXMf^ieviav  '  ngög  Tita  egöUvta  naqd^hvov.  Drei  Ge- 
dichte richten  sich  in  scharfer,  uns  nicht  verständlicher  Polemik  gegen 
seinen  Lehrer  Leo:  2tixoi  tjQouxol  xal  iXeyeiaxol  eig  Aiovva  (fiXoaotfoy. 

Ed.  Matranga,  Anecd.  Gr.  II  (1850)^555  f.  und  689—698.  —  Zum  Teil  wiederholt 
von  Th.  Bergk,  Poetae  lyr.  Gr.  III  (1867)  1085—1090.  —  Die  Gedichte  gegen  Leo  auch 
bei  Migne,  Patrol.  Gr.  107,  Praef.  S.  61  ff. 

191.  Konstantin  der  Rhodier,  seines  Zeichens  Notar,  später  Hof- 
geistlicher, lebte  im  Anfange  des  10.  Jahrhunderts.  Dass  er,  wie  Reiske 
vermutete,  mit  Konstantin  Kephalas  identisch  sei,  lässt  sich  nicht  be- 
weisen und  ist  aus  verschiedenen  Gründen  sogar  sehr  unwahrscheinlich. 
Wir  haben  von  dem  Rhodier  ausser  einigen  Epigrammen  im  15.  Buche 
der  Anthologie  mehrere  recht  geschmacklose  Spottgedichte  in  byzantini- 
schen Trimetern.  Ein  Stück  Ugog  tov  XoiQoa^äxrrjv  Aeovta  besteht  fast 
ganz  aus  aristophanischen  Wortungeheuern,  von  denen  jedes  einen  Vers 
füllt;  so  wird  Leo  angesprochen: 

'AXXavxoxoQdoxothfvjfQouXtxa 
'üQyi9oxr]yoytjXioTieQdtxo7iQi'tra. 


2.  Profanpoesie.  (§  190—192.)  353 

Der  schale  Witz  dreht  sich  meist  um  den  verhängnisvollen  Namen  Leos 
„  Schweinemetzger ".  Im  gleichen  Tone  ist  ein  Gedicht  gegen  den  Eunuchen 
Theodor  aus  Paphlagonien  gehalten,  in  welchem  abermals  Vergleiche  aus 
dem  Schweineleben  und  lange  Komposita  humoristisch  wirken  sollen.  Der 
Paphlagonier  war,  wie  es  scheint,  ein  Kind  gleichen  Geistes;  denn  den 
Beschluss  der  Sammlung  bilden  wechselseitige  Spottepigramme,  in 
welchen  Theodor  und  Konstantin  sich  in  rohen  Beschimpfungen  zu  über- 
trumpfen suchen.  Es  sind  wüste  Verse,  neben  welchen  unsere  bäuerischen 
Trutzschnaderhüpfeln  als  Muster  von  Feinheit  und  Witz  bestehen  können. 
Wir  vermögen  dieser  ungeschlachten  Derbheit  kein  Verständnis  abzuge- 
winnen; sie  gehört  aber  zu  den  echtesten  Seiten  des  byzantinischen  Wesens 
und  kehrt  auch  später  in  manchen  Anekdoten  und  bei  Poeten  wie  Ptocho- 
prodromos  unverfälscht  wieder. 

Ed.  P.  Matranga,  Anecd.  Gr.  H  (1850)  624—632.  Vgl.  seine  Praefatio  S.  33.  — 
P.  Wolters,  Rhein.  Mus.  38  (1883)  117  ff. 

192.  Theodosios,  um  die  Mitte  des  10.  Jahrhunderts  Diakon  in  Kon- 
stantinopel, verfasste  ein  panegyrisches  Gedicht:  "Alwoig  zr^q  KqijTi^c 
(1039  Trimeter  in  5  Akroasen),  in  welchem  er  die  Vertreibung  der  Araber 
aus  Kreta  (961)  und  den  darauffolgenden  Sieg  über  die  Sarazenen  in  Syrien 
(besonders  die  Eroberung  von  Chalep)  besingt.  Das  Werk  ist  kurz  nach 
diesen  Ereignissen  abgefasst,  wurde  jedoch,  wie  sich  aus  dem  Proömion 
ergibt,  von  Theodosios  erst  nach  dem  Tode  des  jugendlichen  Romanos  II 
(959 — 963)  veröffentlicht  und  seinem  Nachfolger  Nikephoros  Phokas 
(963 — 969)  gewidmet,  dessen  Kriegsthaten  den  Hauptgegenstand  desselben 
bilden.  Der  Verfasser  sucht  sich  und  seinen  Vorwurf  durch  eine  krause 
Polemik  gegen  Homer  zu  empfehlen;  derselbe  habe  einen  winzigen  Feld- 
zug in  bombastischer  Weise  besungen  und  kleine  Dinge  zu  grossen  Thaten 
aufgebauscht;  sein  Lügengewebe  sei  lächerlich;  unbedeutend  erscheine  das 
griechische  Heer,  schwach  seine  Führer  wie  Achilles  und  Aias;  wenn 
Homer  den  Pfad  der  Wahrheit  wandeln  wolle,  so  möge  er  die  Kämpfe 
vor  Ilion  aufgeben  und  statt  dessen  die  Ströme  von  Blut  besingen,  die  auf 
Kreta  geflossen  seien.  Aehnliche  Hiebe  auf  Homer  erheitern  auch  im 
weitern  Verlaufe  des  Gedichtes  nicht  minder  als  die  hyperbolischen  Ver- 
gleiche seines  Helden  mit  allen  Berühmtheiten  des  Altertums.  Trotzdem 
besitzt  die  Darstellung  des  Theodosios  manchen  poetischen  Reiz  und  erhebt 
sich  zuweilen  sogar  zu  wahrer  Begeisterung,  öfter  freilich  ermüdet  sie  durch 
breiten  Schwulst  (eine  wunderbare  Probe  z.  B.  III  157  f.)  und  chroniken- 
artige Aufzählung.  Wenn  so  der  dichterische  Wert  der  "AXcoatg  starken 
Bedenken  unterliegt,  so  gewinnt  sie  doch  einige  Bedeutung  durch  die  Nach- 
richten über  eines  der  wichtigsten  Ereignisse  der  byzantinischen  Geschichte, 
die  schon  von  Konstantin  Porphyrogennetos  gründlich  vorbereitete  und  von 
dem  gewaltigen  Feldherrn  und  nachmaligen  Kaiser  Nikephoros  Phokas  aus- 
geführte Wiedereroberung  der  seit  826  von  den  Arabern  besetzten,  stra- 
tegisch und  kommerziell  hochwichtigen  Insel,  durch  deren  Verlust  alle 
übrigen  Inseln,  ja  die  ganze  Seefront  des  Reiches  in  beständigen  Blokade- 
zustand  versetzt  worden  waren. 

1.   Ausgaben:    Ed.   pr.   Fl.   Cornelius    in  seinem   Werke   Greta   Sacra,   Venetüs 
Handbuch  der  klass.  AUertamswiaseiischaft.  IX.    1.  Abtlg.  23 


354  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    11.  Poetische  Litteratnr. 

1755  vol.  I  269 — 327.  —  Darnach  ed.  F.  Foggini,  Nova  appendix  corp.  hist.  Byzantin.H', 
Romae  1777  S.  351—390.  —  Ed.  Fr.  Jacobs  im  Bonner  Corpus  mit  Leo  Diaconus,  Bonn 
1828.  Vgl.  Praef.  S;  32—36.  —  Wiederholt  von  Migne,  Patrol.  Gr.  113  (1864)  987—1060. 
2.  lieber  die  Kriegsthaten  des  Nikephoros  Phokas  s.  6.  Hertzberg,  Geschichte 
der  Byzantiner,  Berlin  1883  (Onckens  allgemeine  Geschichte  in  Einzeldarstellungen  II  7) 
S.  168  f.;  K.  Leonhardt,  Kaiser  Nikephoros  II  Phokas  und  die  Hamdaniden  9607—969, 
Diss.  Halle  1887,  und  bes.  das  glänzende  Werk  von  G.  Schlumberger,  Nicephore  Phocas, 
Paris  1890. 

193.  Christophoros  aus  Mytilene  gehört  zu  den  besten  byzantini- 
schen Dichtern.  Seine  Lebenszeit  erstreckt  sich  von  ungefähr  1000  bis 
ungefähr  1050.^)  Von  seiner  Biographie  ist  wenig  mehr  bekannt,  als  dass 
er  den  Titel  eines  Prokonsuls  und  später  eines  Patrikios,  sowie  die  Würde 
eines  kaiserlichen  Sekretärs  {vTtoyqatfevg)  und  (wohl  später)  eines  Statt- 
halters {xQirrig)  von  Paphlagonien  besass.  Weitere  Nachrichten,  die  sich 
aus  seinen  Gedichten  ergeben,  betreffen  meist  unwesentliche  Dinge;  wir 
erfahren  die  Namen  seiner  zahlreichen  Freunde  und  hören,  dass  er  ein 
Haus  in  der  Nähe  des  Stadtteiles  Protasion  bewohnte;  auch  wird  deutlich, 
dass  er  den  grössten  Teil  seines  Lebens  in  Konstantinopel  verbrachte;  von 
einer  anderen  Gegend  oder  Stadt  ist  bei  ihm  nie  die  Rede.  Die  Profan- 
gedichte des  Christophoros,  teils  Gelegenheitspoesien,  teils  Epigramme, 
sind  erst  jüngst  bekannt  geworden.  Die  Themen,  welche  er  behandelt, 
sind  zum  grossen  Teil  identisch  mit  denen  des  Johannes  Euchaites,  Pro- 
dromos  und  Philes,  als  deren  Vorläufer  und  Vorbild  er  betrachtet  werden 
muss.  Das  Versmass  des  Christophoros  ist  meist  der  jambische  Trimeter, 
seltener  der  Hexameter  (nur  in  14  Stücken  unter  145). 

Unter  den  Adressaten  der  Gelegenheitsgedichte  finden  wir  die 
vier  Kaiser  Romanos  HI,  Michael  IV  Paphlagon,  Michael  V  Kalaphates  und 
Konstantin  IX  Monomachos,  den  aus  der  Geschichte  des  Schismas  bekannten 
Patriarchen  Michael  Kerularios,  dem  er  zu  seiner  Erwählung  (1043)  gra- 
tuliert, und  verschiedene  andere  geistliche  und  weltliche  Würdenträger, 
endlich  ihm  befreundete  Privatpersonen.  Stets  beweist  Christophoros  Ge- 
schmack, nicht  selten  auch  die  in  Byzanz  nicht  eben  häufige  Eigenschaft 
des  Humors.  An  den  trunksüchtigen  Rhetor  Menas  richtet  er  vertrauliche 
Ermahnungen,  dem  Metropoliten  Demetrios  von  Kyzikos  schickt  er  ein 
Trostgedicht  wegen  der  ihn  quälenden  Podagra,  auch  für  den  geblendeten 
und  entthronten  Kaiser  Michael  Kalaphates  findet  er  Worte  der  Teilnahme 
und  Ermutigung.  In  d,en  Epigrammen  treffen  wir  die  aus  der  alten 
Sophistenzeit  bekannten  Themen  wieder,  wie  das  Lob  der  Ameise,  der 
Spinne,  ein  Gedicht  auf  die  Sperlinge  u.  a.  Dazu  kommen  Stücke  ver- 
mischten und  religiösen  Inhalts,  z.  B.  ein  Gedicht  auf  die  Ungleichheit  des 
menschlichen  Lebens,  auf  die  vier  Jahreszeiten,  auf  die  Taufe  des  Herrn, 
auf  verschiedene  Heilige,  auf  Kunstgegenstände  wie  auf  ein  ehernes 
Pferd  im  Hippodrom  und  ein  Gemälde  der  40  hl.  Märtyrer,  endlich  Grab- 
ßchriften  und  Rätsel.  Manche  dieser  niedlichen  Sachen  erinnern  an  die 
besten  Erzeugnisse  des  Altertums,  z.  B.  das  hübsche  Rätsel  auf  den  Schnee: 
„Du  packtest  mich  und  doch  floh  ich;  Du  siehst  mich  fliehen  und  kannst 
mich  nicht  festhalten;   Du  drückst  mich   in   die  Hand,    aber  ich   entrinne 


')  Die  sicheren  Daten  in  seinen  Gedichten  reichen  von  1028  bis  1048. 


2.  Profanpoesie.   (§  193—194.)  355 

und  Deine  Faust  bleibt  leer!"  Nicht  übel  ist  eine  jambische  Anklage- 
schrift gegen  die  Mäuse,  welche  sein  Haus  beunruliigen ;  ihre  Grösse  —  sie 
kommen  ihm  wie  Schweine  vor  — ,  ihre  Menge  und  ihre  unglaubliche  Keck- 
heit werden  in  launiger  Weise  geschildert;  selbst  der  Wissenschaft  bringen 
sie  Verderben: 

Ol  näy  (payoyres  ßgioaifioy  rije  oixias 
TU  /agria  XQtüyovai  xcd  xä  ßtßXla. 

Die  Nachkommen  des  bösen  Geschlechtes  haben  an  dem  Armen  furchtbar 
Rache  genommen;  denn  die  einzige  Handschrift,  welche  uns  seine 
Profanpoesien  überliefert,  ist  von  ihnen  halb  aufgefressen. 

Von  Christophoros  stammt  auch  eine,  wie  es  scheint,  noch  unedierte 
Sammlung  jambischer  Distichen  auf  die  Heiligen  des  ganzen 
Jahres  {^vra^doiov  Siarixov  laußixöv  und  ähnlich  betitelt),  also  ein  poe- 
tischer Kalender,  wie  wir  ähnliche  von  Theodoros  Prodromos,  Johannes 
Euchaites  und  Nikephoros  Kallistos  Xanthopulos  besitzen.  *) 

1.  Versi  di  Cristoforo  Patrizio  ed.  Antonio  Rocchi,  Roma,  tipografia  poliglotta 
1887  (mit  einer  sorgfaltigen  Einleitung  imd  Kommentar).  —  Die  von  Rocchi  benützte  Hand- 
schrift der  Abtei  Grotta-Ferrata  ist  die  einzige  bis  jetzt  bekannte,  welche  die  vollständige 
Sammlung  dieser  Poesien  enthält.  Einzelne  Stücke  finden  sich  auch  in  anderen  Hand- 
schriften, zum  Teil  unter  dem  Namen  des  Philosophen  Leo,  des  Psellos  und  des  Basüios 
Megalomites.  —  Aus  derselben  Handschrift  edierte  Rocchi  nach  Christophoros  unbedeutende 
Reimereien  eines  Nikolaos  von  Otranto,  des  Bischofs  Georgios  von  Kerkyra  und 
eines  Mönches  Nektarios. 

2.  Von  einem  Christophoros  a  Secretis  edierte  P.  Matranga,  Anecdota  Gr. 
II  667  ff.  eine  anakreontische  Spielerei,  deren  Inhalt  eine  Mahnung  an  die  Israeliten  bildet. 
Ob  der  Verfasser  mit  Christophoros  aus  Mytilene  identisch  ist,  vermag  ich  nicht  zu  sagen. 

194.  Johannes  Mauropus,  als  Metropolit  der  kleinasiatischen  Stadt 
Euchania  oder  Euchaita  (t«  £rxä(Va)-')  Euchaites  zubenannt,  blühte  unter 
Kaiser  Konstantin  Monomachos  (1042 — 1055).  Michael  Psellos  widmete 
ihm  ein  Enkomion.  Ausser  77  Briefen,  mehreren  Homilien  auf  ver- 
schiedene Heilige  des  Kirchenjahres  und  einer  historisch  nicht  unwichtigen 
Rede,  die  er  während  der  Belagerung  Konstantinopels  durch  Leon  Tor- 
nikios  hielt,  haben  wir  von  ihni  eine  ansehnliche  Zahl  jambischer  Kunst- 
poesien. Es  sind  teils  kürzere  Stücke  im  Tone  der  alten  Epigrammatik, 
teils  umfangreichere  Gelegenheitsgedichte.  In  seiner  Auffassung  wie  in 
der  Wahl  seiner  Themen  hat  Johannes  grosse  Aehnlichkeit  mit  Cliristo- 
phoros  aus  Mytilene  und  Prodi'omos.  Auch  bei  ihm  treffen  wir  Epigramme 
auf  Kunstwerke  und  Kultgegenstände  z.  B.  auf  bildliche  Darstellungen  der 
Kreuzigung,  des  Lazarus,  verschiedener  Heiligen  und  Kirchenväter,  auf  ein 
illustriertes  Evangelium,  auf  ein  Bild  des  Kaisers  in  Euchaita;  damit  ver- 
binden sich  Grabinschriften,  worunter  mehrere  eig  tov  iavzov  xä<foi\, 
Spottverse  auf  die  Zunft  der  Poetaster  {ÜQog  rovg  dxaigtog  arixi^ovrag), 
ein  Gedicht  über  ein  gegen  den  Kaiser  und  den  Patriarchen  gerichtetes 
Pamphlet,  ein  Epigramm  auf  Plato  und  Plutarch,  Rätsel  und  zahlreiche 
sonstige  Stücke  kirchlichen  und  profanen  Inhalts.  Den  Beschluss  bilden 
einige  Poesien,  in  welchen  der  Euchaite  Ereignisse  aus  seinem  Privat- 
leben feiert.     Hier  finden  wir  ein  Abschiedsgedicht  an  sein  Haus,  das  er 


fr 


1)  S.  Migne,  Patrol.  Gr.  120,  1119  ff.  und   1  '^)  Die  Stadt  lag  eine  Tagreise  von  Amasia 

133,  1078.  I   entfernt,  zwischen  den  Flüssen  Iris  und  Halys. 

23* 


356  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    11.  Poetische  Litteratur. 

verkauft  hatte;  eine  Begrüssung  desselben,  als  er  es  zurückbekam;  eine 
poetische  Epistel  über  seine  erste  Bekanntschaft  mit  der  kaiserlichen 
Familie  u.  a.  Auch  ein  etymologisches  Lexikon  in  jambischen  Versen 
geht  unter  dem  Namen  des  Johannes.  Rythmische  Kirchengedichte, 
die  ihm  gehören,  harren  noch  der  Veröffentlichung. 

Ed.  pr.  M.  Bustus,  Eton  1610.  —Wiederholt  bei  Migne,  Patrolog.  Gr.  120(1880) 
1039 — 1200.  —  Weit  vollständiger  aus  cod.  Vatic.  Gr.  676  nach  einer  von  W.  Studemund 
revidierten  Abschrift  J.  Bolligs  zum  Abdruck  vermittelt  von  Paul  de  Lagard e,  Abhand- 
lungen d.  Göttinger  Gesellschaft  d.  Wissensch.,  hist.-phil.  Cl.  28  (1881)  1—228.  —  Das 
Enkomion  des  Psellos  auf  Johannes  bei  Sathas,  Mea.  ßtßX.  5  (1876)  142-167.  —  Bio- 
graphie und  Charakteristik  von  G.  Dreves,  Stimmen  aus  Maria-Laach  26  (1884)  159  bis 
179.  —  Eine  Auswahl  von  Gedichten  des  Johannes  ist  metrisch  übersetzt  von  Arthur 
Bern  dt,  Progr.  Plauen  1887. 

195.  Philippos  mit  dem  Beinamen  o  fiovötQonog  (Solitarius)  ist 
seiner  Person  nach  nicht  näher  bekannt.  Wir  wissen  nur,  dass  er  Mönch 
war  und  unter  Alexios  Komnenos  (1081 — 1118)  lebte.  Er  verfasste 
zwei  langweilige,  aber  im  Mittelalter  viel  gelesene  und  oft  abgeschriebene 
dialogische  Erbauungsgedichte  in  politischen  Fünfzehnsilbern:  die  im 
Jahre  1105  vollendete,  an  einen  Mönch  Kallinikos  gerichtete  JiomQa,^) 
welche  christliche  Lebensregeln  enthält,  und  ein  inhaltlich  verwandtes  Stück, 
das  wahrscheinlich  KXav^f^ioi  betitelt  war.  Nach  Ton  und  Anlage  mögen 
diese  Machwerke,  die  weder  sprachlich  noch  sachlich  etwas  Bemerkens- 
wertes bieten,  mit  den  Moralgedichten  eines  Manasses  und  Georgios  La- 
pithes  verglichen  werden.  Auch  eine  dogmatische  Abhandlung  gegen 
die  armenischen  Häresien  wird  dem  Philipp  zugeschrieben.  Dionysios 
Euzoitos,  Erzbischof  von  Mytilene,  veranlasste  (spätestens  in  der  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts)  eine  verbesserte  Redaktion  der  zwei  Gedichte,  die  von 
einem  gewissen  Phialites  besorgt  wurde. 

Ausgaben:  Die  JionrQa  mit  der  Abhandlung  gegen  die  Armenier  nur  in  lateinischer 
Uebersetzung  ed.  von  J.  Pontanus,  Ingolstadt  1604.  —  Darnach  wiederholt  bei  Migne, 
Patrol.  Gr.  127  (1864)  701—902.  —  Die  KXav»/noi  (mit  der  Ueberarbeitung  des  Phialit«s) 
ed.  Emm.  Auvray,  Bibliotheque  de  l'ecole  des  hautes  ätudes  fasc.  22,  Paris  1875,  mit 
einem  Bericht  über  die  Handschriften  und  einem  umständlichen  Kommentar. 

196.  Passionspiel.  Das  einzige  uns  erhaltene  Drama  der  byzanti- 
nischen Zeit  ist  der  gewöhnlich  X^iatog  naaxwv  (Christus  patiens) 
betitelte  Cento.  Nachdem  die  Meinung,  das  Werk  gehöre  dem  Gregor 
von  Nazianz,  allgemein  aufgegeben  ist,  bleibt  der  Verfasser  vorerst  un- 
ermittelt;  sicher  ist  nur,  dass  er  in  einer  ganz  späten  Zeit,  wahrscheinlich 
im  11.  oder  12.  Jahrhundert  lebte.  Er  dichtete  im  verwegensten  Sinne 
des  Wortes  nach  berühmten  Mustern,  indem  er  eine  ganze  Reihe  alter 
Werke  mit  der  Schere  bearbeitete.  Ein  volles  Drittel  der  2640  Verse 
(ausser  den  vereinzelten  Anapästen  V.  1461  if.  nur  Trimeter),  aus  welchen 
das  Drama  besteht,  ist  fremdes  Eigentum.  Den  grössten  Teil  dieses  Lehn- 
gutes lieferten  sieben  Dramen  des  Euripides,  nämlich  Hekabe,  Medea, 
Orestes,  Hippolytos,  Troades,  Rhesos  und  Bacchen;  dazu  kommen  einige 
Dutzend  Verse  aus  dem  Prometheus  und  Agamemnon  des  Aeschylos  und 
aus  der  Kassandra   des   Lykophron.     Vielleicht  hat   der  Verfasser  auch 

')  Etwa    .Tugendspiegel";    «fi'onrp«    ist   |   zeug,   der  Vorljlufcr   unseres  Nivollierinstru- 
ein  zu  Höbenineiutungen   gebrauchtes  Werk-   j   ment«s. 


2.  Profanpoesie.  (§  195—196.)  357 

verlorene  Stücke  der  Tragiker  verwertet. 9  Ausserdem  benützte  er  für 
die  Erzählung  wie  für  die  Phi'aseologie  die  heiligen  Schriften,  besonders 
die  vier  Evangelien,  die  Apokalypse,  die  Paulusbriefe,  die  Psalmen,  die 
Genesis  und  Exodus.  Selbst  apokryphe  Stücke  wie  das  Evangelium 
Nicodemi,  das  Protoevangelium  Jacobi,  das  Evangelium  über  die  Geburt 
Marias  und  die  Apostelakten  wurden  nicht  verschmäht.  Selbstverständlich 
konnten  die  Verse  aus  den  alten  Dramen  nicht  immer  wörtlich  verwendet 
werden;  sie  wurden  zugeschnitten  und  umgeändert,  wie  es  der  Zusammen- 
hang erforderte.  Zur  Veranschaulichung  des  hiebei  beobachteten  Verfahrens 
diene  der  Anfang  des  von  der  Jungfrau  Maria  gesprochenen  Prologs: 

Ei&'  MCfsk'  SV  ksifxüiyi  jut^if'  EQieiv  otfig. 

fXT]<r  eV  yäncciat  tovö"  vcfsSoEveiv  dgccxwv  etc.; 

ZU  Grunde  liegen  Vers  1  und  3  der  Medea: 

Ei&'  liicfeX'  'Jgyovg  fxrj  dtanräa&ai  axätpog 
fiT]6'  iv  väntaat  ÜT^Xiov  neasJv  note. 

Zur  richtigen  Würdigung  dieser  künstlichen  Mosaikarbeit  müssen  wir  uns 
auf  den  Standpunkt  der  Byzantiner  begeben,  die  den  Begriff  des  litterari- 
schen Eigentums  nicht  kannten  und  auch  auf  anderen  Gebieten  die  Schätze 
ihrer  Vorfahren  erbarmungslos  zu  Rate  zogen.  Das  Stück  ist  nicht  ein 
Plagiat  im  modernen  Sinne,  sondern  nur  ein  eigenartiges  Beispiel  jener 
Imitation,  welche  die  ganze  Kunstlitteratur  der  Byzantiner  beherrscht. 
Daher  berichtet  uns  der  Dichter  auch  ganz  offen  im  Proömion,  dass  er 
das  Leiden  Christi  xat"  Evoi7T(di]v  besingen  werde.  Weit  unbegreiflicher 
und  störender  als  die  Entlehnung  an  sich  ist  für  unser  Gefühl  die  Ver- 
quickung von  zwei  so  verschiedenen  Ideenkreisen.  Wir  empfinden 
die  Ausstattung  der  heiligen  Personen  mit  den  übel  zugerichteten  Lappen 
der  attischen  Bühne  als  eine  wüste  Profanierung.  Das  mumienhaft  er- 
starrte Gewand  der  alten  Tragödie  passt  den  auf  einem  ganz  anderen 
Boden  erwachsenen  Gestalten  nicht;  ihre  Bewegungen  erscheinen  darin 
ungereimt,  und  wir  haben  beim  Anblick  der  so  bunt  aufgeputzten  Figuren 
mehr  mit  der  Heiterkeit  als  mit  den  Thränen  zu  kämpfen.  Ungebildeten 
blieb  das  Stück  wegen  seiner  altertümlichen  Sprache  überhaupt  unzugäng- 
lich: auf  den  Gebildeten  aber  musste  es  ähnlich  wirken  wie  jene  musika- 
lischen Potpourris,  in  welchen  Fragmente  verschiedener  Texte  und  Melodien 
ohne  Vermittelung  aneinander  gereiht  sind.  Mit  dem  bekannten  ETO^ 
axfs'Ji^  tritt  die  Gottesmutter  als  Maria  Medea  auf  die  Bühne;  in  schnell- 
ster Folge  wechselt  sie  ihr  Kostüm,  sie  wird  zur  Hekabe,  Kassandra,  Kly- 
täraestra,  Andromache,  sogar  zum  Hermes;  dieselbe  Chamäleonnatur  haben 
aUe  andern  Personen.  Selbst  die  in  der  lebendigen  Sprache  längst  ver- 
schollenen Exklamationen  ottototoi,  toi  /^loi,  ioj  erzeugen  hier  eine  komische 
Wirkung.  Wie  sehr  gerade  die  Mischung  heterogener  Elemente  den 
ungünstigen  Gesamteindruck  verschuldet,  wird  recht  klar,  wenn  man  neben 
den  klassischen  Versen  die  aus  den  heiligen  Schriften  entnommenen 
Sentenzen  und  Vergleiche  studiert ;  sie  passen  zur  Stimmung  des  gesamten 


*)  Es  finden  sich  ausser  den  nachweis- 
bar entlehnten  Partien  verschiedene  form- 
vollendete Verse   und   Gedanken,    die   nicht 


auf  byzantinischem  Boden  gewachsen  zu  sein 
scheinen.  N.  Wecklein,  Berliner  philol. 
Wochenschrift  1886,  426. 


358  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    n.  Poetische  Litteratnr. 

Vorwurfes  und  wirken  daher  nicht  nur  nicht  störend,  sondern  erhöhen 
sogar  den  Eindruck  des  Wahren,  wie  man  Aehnliches  ja  auch  im  Ober- 
ammergauer  Passionspiel  beobachten  kann. 

Das  Drama  beginnt  mit  dem  Gang  auf  Golgatha  und  endet  mit  der 
Auferstehung  Christi  und  seiner  Ankunft  im  Hause  der  Mutter  des  Marcus. 
Die  Personen  sind  Christus,  Maria,  Johannes,  Joseph  von  Arimathea, 
Nicodemus,  Maria  Magdalena,  Boten,  ein  Engel,  die  Wache ;  dazu  kommen 
zwei  Halbchöre  galiläischer  Weiber,  die  aber  nicht  singen,  sondern  im 
bequemen  Trimeter  konversieren  wie  die  übrigen  Personen.  Die  Haupt- 
rolle trägt  nicht  Christus,  sondern  Maria.  Damit  hängt  der  Mangel  einer 
Handlung  und  einer  dramatischen  Steigerung  zusammen;  der  grösste  Teil 
des  Stückes  besteht  aus  langen  Botenerzählungen  und  ebenso  ausge- 
dehnten Klagereden;  Christus  selbst  steht  im  Hintergrunde,  und  wir 
hören  von  ihm  meist  nur  durch  Berichte  anderer  Personen.  Dass  die  ari- 
stotelische Einheit  von  Ort  und  Zeit  überschritten  wird,  darf  nicht 
auffallen;  das  Drama  leidet  aber  auch  an  starken  Verstössen  gegen  die 
elementarsten  Regeln  der  Technik.  Trotzdem  hat  man  versucht,  durch 
verschiedene  Kunstgriffe  das  Werk  mit  den  Anforderungen  der  Dramatik 
in  Einklang  zu  bringen  —  gewiss  mit  Unrecht,  In  der  Zeit,  als  dieses 
Scheindrama  entstand,  fehlte  die  wichtigste  Voraussetzung  dieser  Litteratur- 
gattung,  die  Aufführung;  und  auch  das  Studium  der  alten  Stücke  wurde 
nicht  derart  betrieben,  dass  aus  demselben  eine  Einsicht  in  die  Technik 
hätte  erwachsen  können.  Es  wäre  ein  wahres  Wunder,  wenn  unter  solchen 
Verhältnissen  ein  Dichter  die  inneren  und  äusseren  Gesetze  der  Dra- 
matik erfasst  und  in  einem  wirklichen  Kunstwerke  zum  Ausdrucke  ge- 
bracht hätte.  Der  Ägiatog  näaxwv,  um  es  kurz  zu  sagen,  ist  ein  Lese- 
stück  wie  die  dialogischen  Gedichte  des  Ignatios,  des  Plochiros,  des  Pro- 
dromos  und  Philes.  Bei  alledem  kann  die  isolierte  Stellung  dieses  späten 
Nachzüglers  der  dramatischen  Litteratur  Bedenken  erregen.  Die  eben 
erwähnten  dialogischen  Stücke  sind  doch  wiederum  zu  sehr  verschieden, 
um  als  Vorläufer  bzw.  Fortsetzer  gelten  zu  können ;  vielleicht  läge  es  näher, 
die  §  157  erwähnten  Dinge,  wie  die  Dramen  des  Synesios,  des  Arios  und 
seiner  Gegner  mit  unserem  Werke  in  Verbindung  zu  bringen;  doch  ist 
ein  thatsächlicher  Zusammenhang  auch  hier  nicht  nachgewiesen  und  wohl 
überhaupt  schwer  nachweisbar. 

Die  Sprache  des  Werkes  hat  wenig  Individuelles;  Metaplasmen  wie 
i]  xÜQa  (das  Haupt),  Präsensformen  wie  jUoAoJ,  igw,  ^iyw,  die  Konstruktion 
von  iäv,  oiccv  mit  dem  Indikativ,  von  d  mit  dem  Konjunktiv  und  Aehn- 
liches sind  Vulgarismen,  die  in  der  kirchlichen  Litteratur  schon  früh  vor- 
kommen und  sich  durch  die  ganze  byzantinische  Zeit  verfolgen  lassen. 
Bezüglich  der  Metrik  gehört  der  Verfasser  nach  der  von  Hilberg  ge- 
troffenen Einteilung  (s,  §  158)  zu  den  „Stümpern",  welche  der  unbeschränkte 
Gebrauch  von  auslautendem  a,  t,  v  als  Länge  kennzeichnet,  und  steht 
also  unter  Prodromos,  der  a,  *,  v  nur  im  An-  und  Inlaute  ohne  Beschrän- 
kung auch  als  Länge  gebraucht.  Wenig  byzantinische  Schriftwerke  sind 
so  viel  gelesen,  bearbeitet  und  erörtert  worden  wie  der  Ägiaioq  näaxMw 
Den  Theologen  war  er  wichtig  als  das  einzige  christliche  Drama  auf 


2.  Profanpoesie.  (§  197.)  359 

griechischem  Boden;  seine  dogmatischen  Vorstellungen  und  seine  kirch- 
liehen Quellen  boten  der  Forschung  reichen  Stoif  und  sein  Inhalt  diente 
der  Erbauung.  Nicht  minder  eifrig  wurde  er  in  philologischen  Kreisen 
studiert;  hier  war  es  namentlich  seine  Wichtigkeit  für  die  Textkritik 
der  benützten  Vorbilder,  welche  ihm  Freunde  erwarb  und  die  unaussprech- 
liche Zeit  seiner  Entstehung  vergessen  Hess;  als  wertvollste  Ausbeute  er- 
gaben sich  einige  Verse  aus  den  verlorenen  Partien  der  Bacchen. 
Von  der  Bedeutung  des  Dramas  für  die  Kultur-  und  Litteraturgeschichte 
der  dunkeln  Jahrhunderte  und  von  seiner  Stellung  als  Vorläufer  der  mittel- 
alterlichen Mysterien  war  bis  jetzt  weniger  die  Rede. 

1.  Ausgaben:  Ed.  Migne,  Patrol.  Gr.  38  (1858)  131—338  mit  doppelter  lateini- 
scher Uebersetzimg ;  der  Text  beruht  noch  auf  der  mangelhaften  Ausgabe  von  Caillau.  — 
Erste  kritische  Ausgabe  von  Fr.  Dübner  nach  den  Fragmenta  Euripidis  ed.  G.  Wagner, 
Paris,  Didot  1846.  Ausführlich  besprochen  von  M agnin,  Journal  des  savants  1849, 
12  ff.;  275  ff.  —  Nach  dem  Dübner'schen  Texte  mit  deutscher  Uebersetzung  ed.  von  A. 
Ellissen  in  seinen  Analekten  der  mittel-  imd  neugriechischen  Literatur,  1.  Teil,  Leipzig 
1855;  die  wortreiche  Einleitung  belehrt  weniger  über  die  Kritik  und  Utterargeschichtliche 
SteUung  des  Dramas  selbst  als  über  die  Geschichte  der  demselben  geAvidmeten  Kontro- 
versen. —  Ed.  J.  G.  Brambs,  Leipzig,  bibl.  Teubneriana,  1885:  er  erweitert  den  kritischen 
Apparat  durch  3  von  Dübner  nicht  benützte  Handschriften  und  gibt  das  erste  vollstän- 
dige Verzeichnis  der  Lehnverse  nebst  einer  Untersuchung  über  Zeit  und  Autor  des 
Werkes. 

2.  Hilfsmittel:  Aug.  Döring,  De  tragoedia  Christiana  quae  inscr.  XQiaroe  ndaxwv, 
Progr.  Bannen  1864.  —  Joh.  Dräseke,  Jahrbücher  für  protest.  Theologie  10  (1884) 
689 — 704  hält  wie  einst  Baronius  den  Apollinarios  von  Laodikea  für  den  Verfasser  des 
Werkes,  das  vor  363  entstanden  sei.  —  J.  G.  Brambs,  De  auctoritate  tragoediae  Chr.  quae 
inscribi  solet  Xq.  n.,  Progr.  Eichstädt  1884  (zum  Teil  wiederholt  in  der  Vorrede  seiner 
Ausgabe).  —  Is.  Hilberg,  Kann  Theodorus  Prodromus  der  Verf.  des  Xgiaxog  Tiäa/üjy  sein? 
Wiener  Studien  8  (1886)  282—314;  Nachtrag  9  (1887)  150.  —  Verwertung  des  Stückes  für 
die  Kritik  des  Euripides:  Kirchhoff,  Philologus  8  (1853)  78  ff.  A.  Döring,  Philologus 
21  (1864)  539  ff.;  23  (1866)  577  ff.;  25  (1867)  221  ff.  —  In  der  Kontroverse  über  Zeit 
und  Autor  des  Werkes  herrscht  jetzt  wenigstens  Einstimmigkeit  in  der  Ueberzeugung, 
dass  das  Werk  unmöglich  dem  Gregor  von  Nazianz  gehören  kann.  Des  weiteren  haben 
die  Untersuchungen  einige  sichere  Anhaltspunkte  über  die  Zeit  des  Werkes  ergeben; 
■während  früher  die  Meinungen  zwischen  dem  4.  und  13.  Jahrhundert  schwankten,  ist  es 
jetzt  zweifellos,  dass  das  Drama  nicht  über  das  11.  Jahrb.  hinaufgerückt  werden  darf. 
Verfehlt  aber  waren  die  Bemühungen,  den  Namen  des  Verfassers  selbst  aus  dem  wirren 
Gedränge  mfttelgriechischer  Litteraten  herauszufinden.  Dörings  Wahl  fiel  auf  Tzetzes 
(s.  sein  Programm  und  noch  neuerdings  in  der  Philol.  Rundschau  1885,  424),  Brambs  ent- 
schied sich  für  Ptochoprodromos,  eine  Hypothese,  deren  Unrichtigkeit  Hilberg  a.  a.  O. 
überzeugend  nachgewiesen  hat.  Die  Wahrheit  bleibt  also,  dass  wir  uns  vorerst  mit  der 
allgemeinen  Bestimmung  der  Zeit  (11. — 12.  Jahrh.)  begnügen  müssen. 

3.  Hauptcodex  ist  der  Parisinus  2875  (13.  Jahrh.).  Die  Handschriften  haben  ver- 
schiedene wortreiche  Titel,  die  aber  in  der  Benenmmg  des  Gregor  von  Nazianz  als  Autor 
fibereinstimmen  z.  B.  rgrjyogiov  tov  &eoX6yov  XQuytpdia  sig  ro  acjttJQtof  nti&og  rov  xvoiov 
ijfiuiy  'Itjaov  XQiarov.  Der  jetzt  übliche  Titel  Xqmtos  niiaxoiy  stammt  von  dem  ersten 
Herausgeber  Ant.  Bladus  (Rom  1542). 

197.  Theodoros  Prodromos,  der  sich  selbst  wegen  seiner  Dürftig- 
keit Ptochoprodromos  (d.  h.  der  arme  Prodromos)  nannte,  lebte  unter 
Kaiser  Johannes  und  Manuel  Komnenos  (1118—1180)  in  Konstantinopel. 
In  einem  an  Johannes  Komnenos  (f  1143)  gerichteten  Gedichte  (s.  den 
Anhang)  nennt  er  sich  im  zwölften  Jahre  verheiratet  und  einen  Greis 
(/tlpwr),  woraus  zu  schüessen  ist,  dass  er  schon  vor  1143  die  Blüte  dt -5 
Alters  überschritten  hatte;  dazu  kommt,  dass  keines  seiner  datierbaren 
Gedichte  über  das  Jahr  1159  hinausweist.    Der  grössere  Teil  seines  Lebens 

td  seiner  Thätigkeit  fäUt  demnach  zweifellos  noch  in  die  erste  Hälfte 


360  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

des  12.  Jahrhunderts.  Von  seinem  Lebensgange  wissen  wir  sehr  wenig. 
Als  der  wichtigste  und  stets  wiederkehrende  Zug  erscheint  seine  unheil- 
bare Armut,  der  er  durch  zahllose  Preisgedichte,  Lobreden  und  Episteln 
abzuhelfen  suchte.  Zu  seinen  Gönnern  gehörten  die  zwei  Kaiser  Johannes 
und  Manuel,  verschiedene  Prinzen  und  Prinzessinnen  des  kaiserlichen 
Hauses,  endlich  hohe  Würdenträger,  besonders  Alexios  Aristenos,  ein 
einflussreicher  Gelehrter  und  Beamter  {vo/joqvXa^,  nQuntxdixoc  und  oqtfa- 
roTQÖcpog)  der  von  Johannes  Komnenos  mit  der  Abfassung  von  Kommen- 
taren zum  kanonischen  Rechte  betraut  wurde.  Die  Unterstützungen,  die 
sich  der  vielgeplagte  Litterat  auf  solche  Weise  erbettelte,  scheinen  jedoch 
weder  bedeutend  noch  regelmässig  gewesen  zu  sein;  denn  seine  Klagen 
begannen  stets  aufs  neue,  und  in  einem  längeren  Gedichte  von  50  Hexa- 
metern drohte  er  gar  den  Byzantinern,  die  seine  Verdienste  nicht  zu  wür- 
digen verstünden,  den  Rücken  zu  kehren  und  sich  zum  Erzbischof  von 
Trapezunt  zu  flüchten;  doch  Hess  er  es  bei  der  Drohung  bewenden.  End- 
lich erhielt  er  von  Manuel  Komnenos  eine  Pfründe  im  manganischen 
Stift,  die  ihm  jedoch  später  wieder  entzogen  wurde.  Er  beschloss  sein 
Leben  in  einem  Kloster  zu  Konstantinopel  unter  dem  Mönchsnamen  Hi- 
larion. 

Die  litterarische  Thätigkeit  des  Prodromos  ist  ebenso  reich  als 
mannigfaltig.  Wir  finden  ihn  als  Romanschreiber,  Gelegenheitsdichter  und 
Epigrammatiker,  als  Verfasser  von  astrologischen,  grammatischen,  philo- 
sophischen und  theologischen  Werken,  von  rhetorischen  Schulübungen, 
Satiren,  Reden  und  Briefen.  Ein  Schriftsteller  von  solcher  Fruchtbarkeit 
verlangt  eine  vorsichtige  Beurteilung.  Die  Litteratnrgeschichte  hat 
dem  Prodromos  Unrecht  gethan,  indem  sie  zu  ausschliesslich  den  hohlen 
Schwulst  und  die  Charakterlosigkeit  des  Betteldichters  hervorkehrte.  Es 
ist  allerdings  richtig,  dass  er  vielfach  als  ein  typischer  Vertreter  der  übel- 
sten Seiten  des  byzantinischen  Wesens,  der  kriechenden  Schmeichelei,  der 
prahlerischen  Halbbildung  und  der  barbarischen  Geschmacklosigkeit  er- 
scheint; aber  sein  Wesen  wird  mit  diesen  Schlagwörtern,  die  nachgerade 
für  Byzantiner  stereotyp  und  daher  zur  Individualisierung  wertlos  geworden 
sind,  keineswegs  erschöpft.  Am  besten  gefällt  uns  Prodromos  in  prosai- 
schen Versuchen,  wo  er  mit  Geschick  und  Grazie  den  besten  Vorbildern 
des  Altertums,  besonders  Lukian  folgt;  auch  seine  Briefe  verraten  eine 
unverächtliche  Gewandtheit  in  der  Form  und  lassen  sich  den  besten  Lei- 
stungen der  byzantinischen  Epistolographie  beigesellen.  Nicht  viel  schwächer 
sind  seine  kleinen  Spottgedichte;  sein  Witz  ist  zwar  etwas  derb  und 
ostentativ  und  der  Gedanke  meist  zu  breit  ausgesponnen;  aber  das  Gleiche 
lässt  sich  auch  von  alten  Spottgedichten  z.  B.  von  dem  Weiberspiegel  des 
Simonides  Amorginus  behaupten,  mit  dem  des  Prodromos  Satire  auf  das 
lüsterne  Weib  verglichen  werden  mag.  Auch  die  Epigramme  enthalten  man- 
chen guten  Einfall  und  berechtigen  nicht  zu  der  radikalen  Verdammung,  die 
für  Prodromos  üblich  geworden  ist.  Zu  dieser  haben  vielmehr  seine  grtissten 
und  leider  auch  bekanntesten  Werke  Anlass  gegeben,  der  geschmacklose 
Versroman  und  die  langatmigen,  in  schwülstigen  Metaphern  sich  über- 
stürzenden Lob-  und  Bittgedichte.    Beachten  wir  neben  diesen  auch  die 


2.  Profanpoesie.  (§  197.)  361 

oben  genannten  Werke,  so  wird  das  Gesamtuiieil  wohl  günstiger  ausfallen. 
Sicher  gehört  Prodromos  bei  allen  seinen  Mängeln  zu  den  merkwürdigsten 
Erscheinungen  der  byzantinischen  Litteratur.  Den  schulmässigen  Werken 
eines  Suidas,  Tzetzes,  Eustathios  gegenüber  erscheint  in  Prodromos  die 
emsige  Geschäftigkeit  des  von  den  zünftigen  Kreisen  zurückgestossenen 
Dilettanten.  An  Stelle  der  zeremoniellen  Gemessenheit,  die  sonst  bei  den 
Byzantinern  so  sehr  ermüdet,  finden  wir  bei  ihm  eine  derbe,  aber  immer- 
hin witzige  Polemik  und  eine  freilich  etwas  holperige  Urwüchsigkeit.  Der 
steifleinenen  Würde  der  byzantinischen  Kunstsprache,  wie  sie  gerade  in 
der  Komnenenzeit  wieder  mehr  als  je  betont  und  gepflegt  wurde,  wagt 
Prodromos  mit  Scherzgedichten  in  der  Vulgärsprache  entgegenzutreten. 
So  machen  uns  gerade  die  Teile  seines  Wesens,  in  welchen  er  von  den 
gleichgearteten  Durchschnittslitterat^n  seiner  Zeit  abweicht,  den  Mann 
interessant.  Er  ist  wie  wenige  Byzantiner  eine  deutlich  ausgesprochene 
kulturhistorische  Figur. 

Der  litterarische  Xachlass  des  Prodromos  ist  so  reichhaltig,  dass 
schon  eine  blosse  Aufzählung  der  genauen  Titel  mit  dem  dazu  gehörigen 
bibliographischen  Material  viele  Seiten  füllen  würde.  Trotzdem  wäre  selbst 
damit  strengeren  Anforderungen  nicht  genügt,  da  wir  uns  beim  Mangel 
exakter  und  erschöpfender  Vorarbeiten  zum  Teil  auf  die  Wiedergabe 
älterer  Zusammenstellungen  von  schwankender  Zuverlässigkeit  beschränken 
müssten.  Wir  begnügen  uns  daher  mit  einer  Aufzählung  der  ^sichtigsten 
und  bekanntesten  Werke  und  notieren  für  das  übrige  die  bibliographische 
Litteratur. 

1.  Das  umfangreichste  Werk  des  Prodromos  ist  sein  Versroman 
Rodanthe  und  Dosikles  {Td  xard  '^PoSäv^rjv  xai  JoffixXt'a).  Er  erzählt 
in  4614  Trimetern,  die  in  9  Bücher  eingeteilt  sind,  folgendes:  Dosikles 
aus  Abydos  entführt  mit  Hilfe  einiger  Freunde  die  schöne  Rodanthe,  aber 
auf  Rhodos  wird  das  Paar  von  Räubern  überfallen  und  nach  mancherlei 
Abenteuern  getrennt;  Rodanthe  wird  nach  Cypem  als  Sklavin  verkauft, 
Dosikles  soll  den  Göttern  geopfert  werden.  Glücklich  befreit  gelangt  er 
nach  Cypern,  wo  er  mit  seiner  Geliebten  wieder  zusammentrifft;  bald  reisen 
die  beiden  Väter  auf  Anraten  des  delphischen  Orakels  von  Abydos  nach 
Cypern  und  fahren  mit  den  Kindern  nach  Hause  zurück,  wo  frohe  Hoch- 
zeit gefeiert  wird.  Zum  Vorbilde  dienten  dem  Prodromos  vornehmlich  die 
Aethiopica  des  Heliodor,  welchen  die  künstliche  Disposition  der  ersten 
drei  Bücher,  d.  h.  das  Motiv,  dass  wir  erst  nachträglich  durch  eine  Er- 
zählung des  Dosikles  die  früheren  Schicksale  des  Liebespaares  erfahren, 
sowie  eine  Reihe  einzelner  Züge  entnommen  sind.  Die  Anklänge  an  des 
Eustathios  Erzählung  von  Hysmine  und  Hysminias  sind  wohl  aus  der 
Benützung  gemeinsamer  Vorbilder  zu  erklären.  Einzelne  früher  nicht  vor- 
kommende Motive  gehen  vielleicht  auf  die  populäre  Ueberlieferung  orien- 
talischer Märchen  zurück.  Die  unmässige  Breite,  die  schwülstige,  bar- 
barisch ungeschlachte  und  doch  anspruchsvolle  Darstellung  beweisen  den 
völligen  Mangel  an  Befähigung  zu  einer  solchen  Aufgabe  und  machen  die 
Lektüre  des  nur  durch  seine  Länge  imponierenden  Gedichtes  zu  einer 
wahren  Qual.     Trotzdem  diente  dasselbe  einem  Späteren  als  Vorbild,  dem 


362  Byzantinische  Litteratargeschichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

Niketas  Eugenianos,  von  dem  auch  eine  Monodie  auf  Prodromos  hand- 
schriftlich erhalten  ist.') 

Ed.  pr.  G.  Gaulminus,  Paris  1625  (griechisch  und  lateinisch).  —  Ed.  R.  Hercher 
in  den  Scriptores  erotici  Graeci,  vol.  II  (Lipsiae  1859)  287 — 434.  —  Vgl.  Ph.  Lebas. 
Bibliotlieque  de  l'ecole  des  chartes,  mai-juin  1841.  —  Härtung,  Die  byzant.  Novelle. 
Archiv  für  das  Studium  d.  neueren  Sprachen  und  Literaturen  50  (1872)  4  ff.  (nutzlos).  — 
J.  Hilberg,  Epistola  critica  ad  J.  Vahlen,  Wien  1877.  —  Hauptschrift:  E.  Rohde,  Der 
griechische  Roman  (1876)  S.  527—5-30. 

2.  Der  Katzenmäusekrieg  (in  der  Handschrift  ohne  Titel;  vom 
ersten  Herausgeber  FaXeoptvo^axia,  von  Hercher  richtiger  Karoftvoinaxice 
überschrieben),  eine  dramatische  Parodie  in  384  Trimetern,  in  welcher 
die  auch  der  ^x^'^rj  nvog  (s.  u.)  zu  Grunde  liegende  Idee  eines  Kampfes 
zwischen  Katze  und  Maus  weiter  ausgeführt  wird.  Personen  dieses  dra- 
matischen Gegenstückes  zur  homerischen  Batrachomyomachie  sind  der 
Mäusekönig  Kreillos  und  seine  Gattin,  die  Maus  Tyrokleptes  (Käsedieb), 
ein  Herold  und  ein  Bote,  dazu  der  aus  Dienerinnen  bestehende  Chor.  Un- 
gehalten über  die  ewigen  Nachstellungen  der  Katze  beschliesst  Kreillos, 
alle  Mäuse  zum  Kampfe  gegen  die  unholde  Widersacherin  aufzubieten ;  die 
Katze  richtet  ein  fürchterliches  Blutbad  unter  den  Mäusen  an,  schliesslicli 
aber  erscheint  als  deus  ex  machina  ein  von  der  Decke  fallender  Balken, 
der  die  Katze  erschlägt  und  so  den  Mäusen  den  Sieg  verschaift. 

Zahlreiche  ältere  Ausgaben.  Zuletzt:  Theod.  Prodromi  Catomyomachia  ed.  R.  Her- 
cher, Lipsiae,  bibl.  Teubn.,  1873. 

3.  Die  Freundschaft  in  der  Verbannung,  'ATi6dr]iiog  (fiXi'a,  ein 
Dialog  in  jambischen  Trimetern  zwischen  einem  ^t'vog  und  der  <t>iXia.  Das 
Argument  des  Gedichtes  lautet:  Die  Freundschaft  wird  von  ihrem  Manne 
Kosmos,  d.  h.  dem  menschlichen  Leben,  Verstössen;  er  verbindet  sich  auf 
Anraten  seiner  Magd  Dummheit  mit  der  Buhlerin  Feindschaft.  Der  Nutzen 
der  Freundschaft  und  die  Nachteile  der  Feindschaft  werden  nun  in  schul- 
mässiger  Weise  an  Beispielen  aus  der  alten  Mythologie  wie  an  Eteokles 
und  Polyneikes,  an  Orest  und  Pylades  dargethan. 

Oft  ediert,  zuletzt  von  Fr.  Dübner  in  Euripidis  fragmenta  ed.  G.  Wagner,  Paris 
1846  S.  83—90.  —  Wiederholt  bei  Migne,  PatroL  Gr.  133,  1321  ff.  —  Vgl  Magnin, 
Journal  des  savants  1849,  469  ff. 

4.  Satire  gegen  eine  lüsterne  Alte,  Kard  (fiXonögrov  ygaog 
(102  Trimeter).  In  der  Form  einer  entrüsteten  Anrede  werden  die  Schänd- 
lichkeiten einer  bejahrten  Buhlerin  aufgezählt.  Charakteristisch  für  Pro- 
dromos ist  der  Gedanke:  „Zwei  mächtige  Hauzähne  hat  ihr  die  Zeit  in 
weiser  Erwägung  gelassen,  damit  man  sie  nicht  für  ein  neugeborenes  Kind 
halte."  Zum  Schluss  fordert  der  Dichter  die  Richter  der  Unterwelt  auf, 
sie  dem  Rachen  des  Kerberos  zu  übergeben;  freilich,  meint  er,  an  so  ur- 
altem Scherbenfleisch  könnten  selbst  die  Zähne  des  Höllenhundes  ermatten. 

Ed.  unter  dem  Namen  des  Manuel  Philes  in  den  Prolusiones  et  opuscula  academioa 
8cr.  M.  Birgerus  Thorlacius,  vol.  III,  Havniae  1815  S.  51  ff.  —  Wiederholt  von  E.  Miller, 
Manuelis  Philae  carmina  II  (1857)  306  ff. 

5.  Satire  gegen  einen  alten  Langbart,  Kard  fiaxQoyevefov  y*'- 
Qovtog^    mit    der   vorigen    in   Ton   und   Haltung  eng   verwandt    (ebenfalls 


')  £.  Miller,  Catalogue  des  mss.  grecs  de  l'Escurial  S.  211. 


2.  Profanpoesie.  (§  197.)  363 

102  Trimeter).  Das  Gedicht  ist  nicht  ohne  Witz,  wenn  auch  die  Gedanken 
zu  aufdringlich  und  breit  ausgesponnen  sind.  Nach  seiner  langen  Philippika 
erteilt  Prodromos  dem  Alten  den  Rat,  sich  seinen  Riesenbart  abzuschneiden, 
damit  die  Symmetrie  seiner  äusseren  Erscheinung  wiederhergestellt  werde. 
Ed.  Fr.  Boissonade,  Anecdota  Graeca  IV  (1832)  430—435. 

6.  Klageverse  über  die  Beschimpfung  der  Vernunft,  2xsr).ia- 
0X1X01  sm  Ti]  ccTif^iicc  Tov  Xöyov.  Der  Dichter  macht  seinem  Unmute  über 
die  mangelhafte  Anerkennung  seiner  gelehrten  Verdienste  Luft  und  nimmt 
zuletzt  scherzhaft  von  aller  Wissenschaft  Abschied:  'Eqqst  £f.iov  ßiöroio 
uTiÖTTQOÜ^i-r,  eQQsre  ß(ßXoi\ 

Ed.  in  den  Not.  et  extr.  8  (1810)  2,  195  und  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  133,  1419  f. 

7.  Ein  astrologisches  Gedicht  in  593  politischen  Fünfzehnsilbern, 

gerichtet  an  Irene,  die  Gemahlin  des  Sebastokrator  Andronikos  Komnenos, 

des  zweiten  Sohnes  des  Kaisers  Johannes  Komnenos,  an  deren  mildthätiges 

Herz  die  Muse  des  Prodromos  sich  auch  in  anderen,    zum  Teil  unedierten 

Gedichten    wendet.     Das   Werk   handelt    über    die   Kraft    und    Bedeutung 

der  Planeten  und  ist  ein  Muster  von  geziertem  Schwulst,   voll  seltsamer 

Epitheta. 

Aus  einem  Athoscodex  und  einer  Wiener  Handschrift  ed.  von  E.  Miller,  Not.  et 
extr.  23  (1872)  2,  1—39. 

8.  Elg  eixori<Tf.i£'vov  tov  ßior,  ein  kleines  Gedicht  auf  eine  alle- 
gorische Darstellung  des  menschlichen  Lebens.  Dasselbe  erscheint  als  eine 
Flügelfigur  mit  Rädern  und  Flügeln  an  den  Füssen  und  einer  Wage  in  der 
Hand ;  nach  diesen  seltsamen  Attributen  bleibt  es  zweifelhaft,  ob  Prodromos 
liier  ein  wirkliches  Bildwerk  vor  Augen  hatte. 

Ed.  Not.  et  extr.  8,  2,  191  und  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  133,  1419. 

9.  Wichtiger  für  die  byzantinische  Kunstgeschichte  sind  die  ^ti'xoi 
ftg  Tovg  6o')6exa  ni]rag,  worin  nach  einer  im  Mittelalter  weit  ver- 
breiteten und  noch  in  unsern  Bauernkalendern  fortlebenden  Sitte  diätetische 
Vorschriften,  Jagd-  und  Wetterregeln  für  die  12  Monate  des  Jahres 
gegeben  werden;  häufig  sind  die  Verse  durch  bildliche  Darstellungen 
illustriert  worden. 

Ed.  Fr.  Boissonade,  Not.  et  extr.  11  (1827)  2,  181  ff.;  darnach  von  Ideler,  Phy- 
sici  et  medici  Graeci  minores  I  (1841)  418  ff.  —  Kritische  Ausgabe  von  Bruno  Keil  in 
der  Abhandlung:  Die  Monatscyclen  der  byzantinischen  Kunst  in  spätgriechischer  Literatur, 
Wiener  Studien  11  (1889)  94 — 142,  wo  auch  Nachweise  über  die  Handschriften  imd  An- 
gaben über  die  einschlägige  Litteratur  zu  finden  sind.  —  Zu  den  bildlichen  Darstel- 
lungen der  12  Monate:  James  Fowler,  On  mediaeval  representations  of  the  months 
and  seasons,  Archaeologia  44  (London  1873)  137 — 224.  —  Ch.  Boutell,  Symbols  of  the 
seasons  and  months  represented  in  early  art,  Art  Journal  1877,  113  ff.;  177  ff.;  237  ff.  — 
Mit  spezieller  Beziehung  auf  die  byzantinischen  Darstellungen:  J.  Strzygowski,  Reper- 
torium  für  Kunstwissenschaft  1888,  23—46  und  1890,  241 — 263.  —  Eine  zusammenfassende 
historische  Untersuchung  über  die  Tierkreiszeichen  und  Monatsbilder  in  der  alten  und  mittel- 
alterlichen Kunst  imd  Litteratur  mit  weiteren  Litteratumachweisen,  Nachträgen  zu  Stray- 
gowskis  erster  Abhandlung  (aus  einer  vatikanischen  Handschrift  des  Jahres  814)  und  einigen 
Abbildungen  gab  Alois  Riegl,  Mitteilungen  des  Instituts  für  Österreich.  Geschichtsforschung 
10  (1889)  1-74. 

10.  Unter  den  kleineren  Poesien  beanspruchen  den  breitesten  Raum 
die  zahllosen  Gelegenheitsgedichte  an  Kaiser  und  Kaiserinnen,  Prinzen 
und  Prinzessinnen,   weltliche   und   geistliche  Wüi'denträger ,   überhaupt  an 


364  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    11.  Poetische  Litteratnr. 

alle,  die  im  stände  waren,  dem  Dichter  des  Lebens  Not  zu  erleichtern. 
Für  diese  unerquickliche  Litteraturgattung  ist  Prodromos  typisch  geworden, 
und  Sammlungen  dieser  abgeschmackten  Nichtigkeiten  wurden  wohl  bei 
ähnlichen  Anlässen  als  willkommene  Bettelbriefsteller  verwertet;  daraus 
erklärt  sich  die  grosse  Zahl  der  Handschriften.  Sie  möchte  uns  fast  leid 
thun,  wenn  nicht  manche  dieser  schalen  Erzeugnisse  wenigstens  einigen 
historischen  Wert  besässen.  Den  Reigen  eröffnen  Preisgedichte  an  Kaiser 
Johannes  bei  verschiedenen  Gelegenheiten,  so  anlässlich  seiner  Triumph- 
züge über  die  Perser,  der  Eroberung  von  Kastamon,  des  zehnten  Feld- 
zuges gegen  die  Perser  u.  s.  w. ;  demselben  Kaiser  ist  auch  ein  jambischer 
'Emrätfiog  gewidmet.  Es  folgen  Gedichte  auf  die  Vermählung  wie  auf  den 
Tod  der  Kaiserin  Irene,  der  Gemahlin  des  Johannes  Komnenos,  auf  die 
Hochzeit  des  Prinzen  Alexis,  an  die  Kaiserin  Irene  Dukaena,  an  den 
Grammatiker  Theodoros  Stypiotes,  an  den  Waisenvater  Alexios  Aristenos, 
Bittschreiben  an  Kaiser  Manuel,  Gedichte  auf  eine  von  Manuel  in  Abydos 
gebaute  Brücke  u.  a.  Besonderes  Interesse  erregen  die  Gedichte  auf  die 
Hochzeit  des  Kaisers  Manuel  mit  der  Schwägerin  des  deutschen  Königs 
Konrad  III,  Bertha  von  Sulzbach  (1146),  und  auf  die  Vermählung  einer 
Nichte  Kaiser  Manuels  mit  dem  Halbbruder  König  Konrads.  Mitten  unter 
so  viel  Lob  und  Huldigung  findet  sich  wenigstens  ein  Stück  polemischer 
Natur;  es  richtet  sich  gegen  einen  Mann,  der  den  Dichter  der  Häresie 
beschuldigt  hatte:  Eig  xov  BaQta  rov  xaTa(fXvaQrj(Tavici  avtov  ro  tov 
mqsTtxov  ovofxa.  Endlich  erwähnen  wir  hier  ein  Gedicht  in  50  Hexametern, 
worin  Prodromos  droht,  Konstantinopel  zu  verlassen  und  bei  seinem  Gönner, 
dem  Erzbischofe  von  Trapezunt,  Zuflucht  zu  suchen. 

Ueber  Handschriften  und  Ausgaben  dieser  noch  wenig  gesichteten  Stücke  s.  die 
am  Schlüsse  angeführte  Litteratur,  bes.  La  Porte  du  Theil,  A.  Mai,  E.  Miller,  Migno 
und  C.  Neumann  S.  44  ff.  —  PJin  Epithalamion  ed.  neulich  Carlo  Castellani,  Venedig 
1888  (mit  Uebersetzung  in  italienischen  Versen).  —  Ueber  die  hieher  gehörigen  vulgär- 
griechischen Gedichte  s.  den  Anhang. 

11.  Religiöse  Gedichte  und  Epigramme.  Hier  sind  zu  nennen 
Hymnen  an  Kaiser  Johannes  an  den  Festen  der  Geburt  und  Taufe  Christi, 
Gedichte  auf  die  Heiligen  des  ganzen  Jahres,  auf  die  Kirchenväter,  auf  die 
hl.  Dreieinigkeit,  auf  die  Kreuzigung  des  hl.  Petrus,  auf  die  12  Feste  Jesu 
Christi,  endlich  ein  jambisches  Gedicht  mit  alphabetischer  Akrostichis  auf  die 
Eigenschaften  Gottes,  eine  Art  orthodoxes  Glaubensbekenntnis  (Boissonade, 
Anecd.  Gr.  4,  440  f.  =  Migne,  Patr.  Gr.  133,  1221)  und  die  ^x^rhaatixül 
elg  TTjv  TTQÖvoiar,  eine  Aufzählung  von  Beispielen  unverdienten  Missgeschickes, 
die  aber  mit  der  Ergebung  in  Gottes  unerforschlichen  Ratschluss  endet. 
Auch  die  Epigramme  sind  grösstenteils  kirchlichen  Inhalts;  es  sind 
nämlich  meist  vierzeilige  Inhaltsangaben  zur  Genesis,  zu  den  Büchern  der 
Könige,  den  vier  Evangelisten  u.  s.  w.  Nur  wenige  behandeln  profane 
Gegenstände;  hieher  gehören  16  Gedichte  verschiedenen  Umfangs  auf 
einen  gewissen  Machaon,  der  in  vorgerücktem  Alter  ein  junges  Mädchen 
geheiratet  hatte;  die  selbst  bei  Prodromos  auffallende  Derbheit  und  Ob- 
szönität, mit  welcher  das  widerliche  Thema  behandelt  ist,  erinnert  an  das 
im  Anhang  genannte  vulgärgriechische  Gedicht  über  denselben  Vorwurf. 
Besser  gefallen  kleinere  Sachen,   wie  das  Epigramm  auf  einen  Siegelring, 


2.  Profanpoesie.   (§  197.)  365 

auf  dem  ein  Liebespaar  dargestellt  ist,  auf  einen  vom  Meere  ausgeworfenen, 
der  Hände  beraubten  Leichnam,  auf  einen  Mönch  Joannikios.  Dazu  kommen 
noch  metrische  Rätsel  und  Grabschriften  auf  einen  geizigen  Mönch 
und  auf  Konstantin  Kamytzes,  den  Gemahl  der  Maria  Komnena,  letztere 
in  der  uralten  Form  eines  Dialogs  zwischen  dem  Grabmal  und  einem  Fremden 
(Ti  Tovg  Tvnovg  earr^xag  lazoQon'  ^ärs  u.  s.  w.). 

Die  Epigramme  erschienen  zuerst  Basel  1536.  Vgl.  Not.  et  extr.  8,  2,  183  ff.  — 
Wiederholt  mit  den  religiösen  Gedichten  von  Migne,  Patrol.  Gr.  133,  1101  ff.  —  Die  16 
Epigramme  gegen  Machaon  ed.  E.  Miller,  Annuaire  de  Tassoc.  17  (1883)  58  ff. 

Glücklicher  als  in  der  Poesie  erweist  sich  die  Befähigung  des  Pro- 
dromos  in  seinen  Prosawerken.  An  der  Spitze  stehen  hier  Dialoge  nach 
dem  Vorbilde  Lukians;  dazu  kommen  rhetorische  Aufsätze,  philosophische, 
grammatische  und  theologische  Kleinigkeiten,  Gelegenheitsreden  und  Briefe : 

12.  'AucioceiTog  i]  ytgorrog  egoizeg,  ein  Dialog  zwischen  Anhängern 
verschiedener  Philosophenschulen,  einem  alten  Mediziner,  einem  Grammatiker, 
einem  Komödiendichter  und  einem  gewissen  Aristobulos.  Das  Thema  bildet 
die  alte  und  ewig  neue  Geschichte  von  der  armen  Jungfrau,  die  einen 
reichen  Greis  heiraten  soll. 

Ed.  in  den  Not.  et  extr.  8,  2,  105—127. 

Blüjv  TTOuaig  ttoit^tixwv  xai  ttoXitixwv,  d.  h.  Versteigerung  von 
poetischen  und  staatlichen  Lebensstellungen.  Verschiedene  Zelebritäten 
wie  Homer.  Aristophanes,  Hippokrates  u.  s.  w.  werden  von  Zeus  unter 
Assistenz  des  Hermes  öffentlich  verkauft;  so  entspinnt  sich  zwischen  Zeus 
und  Hermes  einerseits  und  den  Käufern  andrerseits  ein  Gespräch,  an  dem 
sich  auch  die  dem  Verkaufe  unterstellten  Personen  beteiligen.  Das  Stück, 
eine  Imitation  von  Lukians  Dialog  Bf  cor  Trociaig,  neben  dem  auch  des- 
selben Zevg  TQay(n66g  reichlich  verwertet  ist,  beweist,  wie  der  eben  ge- 
nannte Amarantes  und  die  teils  einer  früheren,  teils  einer  späteren  Zeit 
angehörenden  Dialoge  Philopatris,  Timarion,  Mazaris,  das  sorgfältige 
Studium,  welches  dem  Lukian  in  der  ganzen  byzantinischen  Zeit  zu  teil 
geworden  ist. 

Ed.  Not.  et  extr.  8,  2,  129 — 150.  —  Verwandt  mit  diesen  Dialogen  im  StDe  Lukians 
sind  die  drei  imedierten  Stücke:  'Aua&rjg  rj  tiuq  eavua  ygafi/aaTixog,  der  Ignorant 
oder  Privatgrammatiker ;  4>t'j.onX€(Twy  rj  axvTodi%pr,g,  Plato Verehrer  oder  Gerber,  eben- 
falls gegen  einen  Scheinweisen  gerichtet,  der  sich  für  einen  Kenner  des  Plato  ausgab; 
Jrjfxiog  Tj  iaiQÖg,  Henker  oder  Arzt,  eine  launige  Satire  auf  einen  Sohn  des  Aeskiüap, 
der  dem  Dichter  gegen  Kopfweh  das  Ausreissen  eines  Zahnes  verordnet  hatte;  um  das 
Unglück  voll  zu  machen,  extrahierte  der  Zahnkünstler  statt  eines  Zahnes  mehrere,  das 
Kopfweh  aber  blieb. 

13.  ^x^'^r^  ^v6g  (Maushumoreske),  eine  mit  Antithesen  und  Schnörkeln 
beladene  Schulrede  über  ein  fingiertes  Thema,  wie  sie  von  der  alten 
Sophistenzeit  bis  ins  tiefe  Mittelalter  hinein  üblich  waren.  Eine  Maus 
schleicht  sich  in  ein  Speisezimmer  und  lässt  sich  durch  die  hier  zerstreuten 
Ueberreste  eines  Gastmahles  zu  üppigen  Monologen  begeistern,  bis  sie  der 
lauernden  Katze  zum  Opfer  fällt.  Die  Katze  fragt  sie  um  Name,  Abkunft 
und  Heimat;  nach  einem  vergeblichen  Versuche,  durch  List  zu  entrinnen, 
antwortet  die  Maus,  sie  hiesse  ^EXaionÖTr^g,  ihr  Vater  AaoSocfüyog  und  ihre 
Mutter  IlctaröXHxog.  Weiter  forscht  die  Katze:  Habt  auch  Ihr  Mönche 
voU  Gebet  und  Thränen  und  bist  auch  Du  einer  von  ihnen  ^    Wo  ist  Deine 


366 


Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    IL  Poetische  Litteratnr. 


Kutte?  Wo  Deine  Sandalen?  Die  Maus  erklärt  sich  nun  für  den  Abt 
unter  den  Klausnern  ihres  Geschlechts  und  bittet  schlagfertig  mit  den 
Worten  des  Psalmisten:  Mrj  r([)  O^vfio)  aov  eley^ijg  /^s  ^itj^J*  tj^  oQyrj  aov 
nai6ev(rr^g  /i€  u.  s.  w.  Die  Katze  widerlegt  sie,  nicht  minder  bibelfest, 
mit  Worten  der  hl.  Schrift.  So  endet  die  traurige  Geschichte  damit,  dass 
der  kleine  Mäuseabt  im  Rachen  der  grausamen  Feindin  ein  vorzeitiges 
Grab  findet.  Das  Stück,  ein  merkwürdiges  Beispiel  der  bei  den  Byzantinern 
nicht  seltenen  Parodie  heiliger  Schriften,  ist  mit  der  Katomyomachie 
desselben  Verfassers  und  mit  den  späteren  vulgärgriechischen  Tierepen 
zu  vergleichen,  für  deren  Urgeschichte  hiemit  vielleicht  ein  brauchbarer 
Anhaltspunkt  gewonnen  ist.     Vgl.  den  Anhang. 

Ed.  Fr.  Boissonade,  Anecd,  Graeca  I  (1829)  429 -435. 

14.  Zwei  Essays  behandeln  das  bei  Prodromos  stets  wiederkehrende 
Thema  der  Armut:  'AvaTQonrj  ruv  '  2o(firiV  Ttsvirj  i'Xax^v,  d.  h.  Widerlegung 
des  (dem  Euripides  zugeschriebenen)  Ausspruches :  Der  Armut  ist  Weisheit 
verliehen;  JlQog  zovg  öid  nsviav  ßXaa(pr^fiovvtag  ttjv  ngovoiav,  d.  h.  gegen 
diejenigen,  so  wegen  ihrer  Armut  die  Vorsehung  schelten. 

Ed.  Migne,  Patrol.  Gr.  133,  1313  und  1291  ff. 

15.  Philosophie,  Theologie,  Grammatik.  Ein  gegen  Porphyrios 
polemisierender  Dialog  Xenedemos,  der  als  Anleitung  zur  Lektüre  der 
Kategorien  des  Aristoteles  dienen  soll;  eine  Schrift  über  das  Grosse  und 
Kleine,  über  das  Viel  und  Wenig  ;^)  eine  Paraphrase  zur  zweiten  Analytik 
des  Aristoteles.  S.  Not.  et  extr.  8,  2,  215  ff.  Die  Theologie  ist  unter 
den  Prosawerken  schwach  vertreten;  wir  finden  nur  einen  Kommentar  zu 
den  Kirchengedichten  des  Kosmas  und  des  Johannes  von  Damaskos  (s.  §  168) 
und  eine  Schrift  zu  der  im  späteren  Byzanz  tausendfach  behandelten,  gegen 
die  römische  Kirche  gerichteten  Kontroverse  über  den  Ausgang  des  hl.  Geistes. 
Auch  hat  Prodromos  wie  sein  Zeitgenosse  Nikolaos,  Bischof  von  Me- 
thone, eine  Lebensbeschreibung  des  jüngeren  Meletios  verfasst,*)  die 
über  das  religiöse,  soziale  und  politische  Leben  der  Komnenenzeit  einige 
Aufschlüsse  gewährt.  Die  grammatischen  Arbeiten,  die  dem  Prodromos 
zugeschrieben  werden,  sind  wenig  gesichert. 

Proben  eines  zum  Teil  in  politischen  Versen  abgefassten  pneumatologisclien  und  ortho- 
graphischen Lexikons,  um  dessen  Autorschaft  sich  Prodromos  mit  Georgios  Zigabenos  streitet, 
ed.  E.  Miller,  Annuaire  de  l'assoc.  8  (1874)  222—248  und  10  (1876)  121-  136;  dabei  auch 
Regeln  TIept  ayrcaroi^^wy  in  der  Form  eines  Kirchenkanon.  —  Vgl.  Uhligs  Ausg.  des 
Dionysios  Thrax  (Lips.  1884)  Proleg.  S.  37  und  Egenolff,  Die  orthoepischen  Stücke  der 
byzantinischen  Literatur,  Mannheim  1887  S.  22.  —  Auf  einer  leeren  Hypothese  beruht«  es, 
dass  dem  Prodromos  die  zwei  rhetorischen  Traktate  IleQi  öiacpogüs  ardaetos  und  UQoßXrjfiaxa 
^tjxoQixu  eig  axtioBig  zugeteilt  wurden;  s.  Rhetores  Graeci  ed.  Chr.  Walz  8  (1835)  386 — 413. 

16.  Gelegenheitsreden,  Monodien,  Briefe.  Die  Persönlichkeiten, 
welchen  der  Dichter  diese  Prosastücke  widmet,  sind  zum  Teil  dieselben,  an 
welche  er  auch  in  Versen  Worte  des  Dankes  und  Lobes,  der  Bitte  und 
Ergebenheit   gerichtet   hat.     Am    reichlichsten   wird    der    oben    genannte 


')  Proben  ed.  P.  Tannery,  Annuaire 
de  l'assoc.  21  (1887)  104-119. 

')  Beide  Vitae  sind  mit  Einleitung  und 
rassischer  Uebersetziing  zum  ersten  Male 
ediert  von  V.  Vasilievskij   in  den  Publi- 


kationen der  russischen  Palästinagesellschaft, 
Petersburg  1886.  Ueber  das  Leben  des 
WunderthUters  Meletios  ( 1 03')  1 1 05)  s.  F  o  r  d. 
Gregorovius,  Geschichte  der  Stadt  Athen 
im  Mittelalter  I  183-188. 


2.  Profanpoesie.  (§  1Ö7.)  367 

Waisenvater  Alexios  Aristenos  bedacht.  Als  er  zum  zweiten  Male  die 
Würde  eines  Waisenvorstandes  erlangte,  beglückwünschte  ihn  Prodromos 
nicht  nur  mit  einem  jambischen  Gedichte,  sondern  auch  mit  einem  Vor- 
trage in  Prosa ;  dazu  widmete  er  ihm  eine  begeisterte  Dankrede  und  feierte 
in  einer  überschwänglichen  Deklamation  seine  Beredsamkeit.  Daran  reihen 
sich  Reden  Eic  rov  TioQtfvqoyivvr^Tov  'laaäxiov  tov  Kofivr^vöv,  Eic  tov  KuiauQu 
Tj  vntQ  TCQaaivov  (für  die  Partei  der  Grünen),  an  den  Patriarchen  von 
Konstantinopel  Johannes;  ein  ^ETTid^aXäf.iiog  zur  Hochzeit  zweier  Söhne  des 
Nikephoros  Bryennios  und  der  Anna  Komnena;  Trauerreden  auf  den  Tod 
des  Kaisers  Johannes  und  der  Kaiserin  Irene,  des  Andronikos  Komnenos 
(eines  Sohnes  des  Kaisers  Johannes),  des  Logotheten  Gregor  Kamateros, 
des  Metropoliten  von  Trapezunt  Stephanos  Skylitzes  u.  a.  Den  Beschluss 
bilden  die  zahlreichen  Briefe  an  Alexios  Aristenos,  an  den  Metropoliten 
von  Trapezunt,  den  Patriarchen  Älichael  Oxites  (114:6)  und  verschiedene 
nicht  näher  bekannte  Privatpersonen. 

Die  meisten  dieser  Stücke  nach  früheren  Drucken  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  133; 
ausserdem  s.  die  unten  genannte  bibliographische  Litteratur. 

17,  Die  Zahl  der  dem  Prodromos  zugeteilten  Schriften  scheint  noch 
immer  anzuwachsen.  Fr.  Blass  führt  im  Hermes  23  (1888)  224  aus  einer 
Serailhandschrift  an:  Theodoros  Prodromos  Beschreibung  der  vier- 
füssigen  Tiere  mit  einer  Vorrede  an  Manuel  Komnenos,  gibt  aber  leider 
keine  Probe  des  Werkes ;  vielleicht  ist  in  demselben  die  Vorlage  des  vulgär- 
griechischen Gedichtes:  Jn^Yi^aig  TraidiücfoaaTog  rwj-  T€TQairöd(or  ^omr  zu 
erkennen,  wenn  es  nicht  gar  mit  demselben  identisch  und  dem  Prodromos 
nur  fälschlich  zugeschrieben  ist.  Für  seine  Autorschaft  Hesse  sich  die 
erwähnte  Verwandtschaft  der  2xtSr^  }.iv6g  mit  den  vulgärgriechischen  Tier- 
epen anführen.  —  Dass  in  einer  Handschrift  dem  Prodromos  auch  Er- 
klärungen zu  volksmässigen  Sprüchen  zugeschrieben  sind,  wurde  schon 
S.  180  bemerkt.  —  Zu  allem  Ueberfluss  ist  Prodromos  von  J.  G.  Brambs 
noch  für  das  Drama  XQiaxog  näaxcav  verantwortlich  gemacht  worden 
(s.  S.  359). 

1.  Sammelausgaben  und  Hilfsmittel:  Den  Anfang  einer  bibliographischen 
Uebersicht  machte  LeoAllatius:  De  Theodoris,  jetzt  wiederholt  von  Migne.  —  Die  erste 
grössere,  noch  heute  nicht  ersetzte  litterarhistorische  Arbeit  verdanken  wir  La  Porte  du 
Theil,  Notices  et  extraits  6  (1801)  496—566;  7  (1804)  2,  235—260;  8  (1810)  2,  78—220; 
doch  gibt  er  meist  nur  Proben  und  kurze  Inhaltsangaben.  —  Einiges  Neue  edierte  Fr. 
Boissonade,  Anecd.  nova  (1844)  871—388;  A.  Mai,  Nova  patrum  bibliotheca  Yl  (1853) 
2.  398—416  und  E.  Miller,  Annuaire  de  l'assoc.  17  (1883)  18-64  und  Re\-ue  archeo- 
logique,  nouv.  serie  25  (187.3)  251  ff.;  344  ff;  415  ff.  und  26  (1873)  23  f.;  153  ff.  —  Diese 
Arbeiten  sind  grösstenteils  wiederholt  von  Migne,  Patrol.  Gr.  133  (1864)  1003—1424,  wo 
auch  manche  profane  Stücke  wie  Gelegenheitsgedichte,  Briefe  xmd  Reden  aufgenommen 
Bind.  —  Zur  Metrik  vgl.  die  S.  359  erwähnte  Abhandlung  von  Hilberg;  ausserdem 
H.  Schrader,  Ueber  die  daktyl.  Verse  des  Th.  Prodromus  und  des  Johannes  Tzetzes,  Jahns 
Jahrb.  137  (1886)  601 — 609.  —  Die  Litteratur  zu  den  vulgärgr.  Gedichten  s.  im  Anhang. 

Hauptschriften:  C.  Neumann,  Griechische  Geschichtschreiber  und  Geschichts- 
quellen im  zwölften  Jahrhundert,  Leipzig  1888  S.  37—77  (treffende  Charakteristik;  histo- 
rische Untersuchimgen  über  Gelegenheitsgedichte  und  einen  Brief;  Verzeichnis  der  neueren 
Litteratur).  —  J.  B.  Pitra,  Vorrede  zur  Ausgabe  der  Kommentare  des  Prodromos  zu 
Joh.  Dam.  und  Kosraas  von  Stevenson,  Romae  1888  (s.  §  168),  wo  aber  manches  recht 
willkürlich  ist  und  z.  B.  der  Roman  mit  ganz  ungenügenden  Gründen  (eigentlich  nur  per 
decenza)  dem  Prodromos  abgesprochen  wird. 

2.  Annahme  von  zwei  Prodromos.  Nachdem  schon  Iken  und  Petersen  den 
Ptochoprodromos  für  einen  von  Theodor  Prodromos  verschiedenen  Autor  erklärt  hatten,  hat 


368  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    II.  Poetische  Litteratnr. 

C.  Neumann  a.  a.  0.  S.  46  ff.  dieser  Hypothese  durch  ein  neues  Argument  erhöhte  Be- 
deutung verschafft,  ohne  jedocli  selbst  die  Frage  abschliessen  zu  können.  Zur  Entscheidung 
wäre  eine  vollständigere  Publikation  des  handschriftlichen  Materials  und  eine  eingehende 
litterarhistorische,  sprachliche  und  metrische  Untersuchung  notwendig.  Wir  müssen  uns 
daher  vorerst  bescheiden,  den  bestehenden  Zweifel  einfach  zu  registrieren,  möchten  aber 
dabei  nachdrücklich  auf  die  Notwendigkeit  einer  Gesamtausgabe  und  einer  mono- 
graphischen Bearbeitung  des  oder  der  Prodromos  hingewiesen  haben.  Gegen  Neu- 
manns Aufstellung  s.  die  Bemerkungen  von  Bruno  Keil,  Wiener  Studien  11  (1889)  106  f. 
3.  Einige  anonyme  jambische  Gedichte  auf  die  hl.  Jungfrau,  den  Erzengel 
Michael,  den  Patriarchen  Methodios  (842 — 846)  u.  a.,  die  etwa  der  Zeit  des  Prodromos 
angehören  mögen,  sind  aus  einem  cod.  Athen,  ed.  von  J.  Sakkelion,  JeXrloy  xrjg  latoQ. 
xnl  i9yokoy.  er«/?!«?  t»;?  TAXädog  2  (1885—89)  584-586. 

198.  Johannes  Kamateros,  ein  jüngerer  Zeitgenosse  des  Prodromos, 
mit  der  Würde  eines  'Eni  tov  xarixXeiov  bekleidet,  später  Erzbischof  von 
Bulgarien,  verfasste  ein  astrologisches  Lehrgedicht  in  1351  jambischen 
Trimetern,  JIfQi  ^coSiaxov  xvxXov  xal  tmv  aXXcov  dnärrow  rwj'  ev  tw  ovgavo}. 
Wie  Prodromos  sein  astrologisches  Gedicht  einer  Prinzessin  widmete,  so 
richtete  Kamateros  sein  Werk  an  Kaiser  Manuel  (1143 — 1180).  Auch  hier 
fehlt  in  der  Vorrede  nicht  die  übliche  Devotion,  die  in  Byzanz  so  selbst- 
verständlich war,  dass  sich  ihr  niemand  entziehen  konnte.  Der  Dichter 
spendet  dem  Kaiser  seine  Verse,  nicht  um  seine  Kenntnisse  zu  mehren  — 
denn  was  vermöge  ein  Fluss,  der  sich  ins  Meer  ergiesst  — ,  sondern  um 
der  Nachwelt  kund  zu  thun,  dass  Manuel  die  Weisheit  höher  achtete  als 
Gold  und  Edelsteine,  als  Königswürde  und  Herrschergewalt.  In  Wirklich- 
keit ist  das  Poem  auf  die  dilettantische  Liebhaberei  berechnet,  welche 
Orakel  und  astrologische  Weistümer  zu  unentbehrlichen  Inventarstückeii 
des  byzantinischen  Hofhaltes  machte.  Von  Kaiser  Manuel  sind  astrologische 
Neigungen  ausdrücklich  bezeugt  und  es  wird  erzählt,  dass  er  auf  dem 
Todbette  Gott  für  sein  übermässiges  Vertrauen  auf  die  Sterne  um  Ver- 
zeihung bat. 

Das  Gedicht  des  Kamateros  unterscheidet  sich  von  dem  des  Prodromos 
durch  engeren  Anschluss  an  die  Thatsachen  der  wissenschaftlichen  Astro- 
nomie, durch  grössere  Systematik  und  Vollständigkeit.  Nach  einer  Be- 
schreibung der  Planeten  und  des  Tierkreises  folgt  das  übliche  Detail  astro- 
logischer Belehrung  über  Kraft  und  Temperament  der  Sterne,  ihren  Ein- 
fluss  auf  die  menschliche  Lebensdauer,  über  Konjunktion  und  Opposition, 
über  die  Bedeutung  der  zwölf  Stellen  des  Tierkreises,  über  die  zwei  Hemi- 
sphären und  endlich  in  grosser  Ausführlichkeit  über  die  speziellen  Kräfte 
eines  jeden  Planeten,  Uns  interessiert  an  diesem  poesieverlassenen  Mach- 
werke vorzüglich  die  Frage,  aus  welchen  Quellen  Kamateros  seine  Weis- 
heit geschöpft  hat.  Er  nennt  selbst  als  Gewährsmänner  die  babyloni- 
schen Astronomen  Selech  und  Meslas.  Doch  hat  er  diese  Namen, 
wenn  sie  nicht  gar  auf  Trug  beruhen,  jedenfalls  aus  zweiter  Hand,  und 
seine  wahre  Vorlage  wird  ohne  Zweifel  in  griechischen  Werken  zu  suchen 
sein.  Eine  Untersuchung  hierüber  mangelt;  der  Herausgeber  begnügt  sicli 
mit  der  bequemlichen  Bemerkung,  die  astrologische  Weisheit  der  Chaldäor 
und  Aegypter  habe  in  den  Gedichten  des  Prodromos  und  Kamateros  ihren 
letzten  Nachklang  gefunden. 

Ein  zweites  astrologisches  Gedicht  des  Kamateros,  das  mehr  auf 
das  populäre  Bedürfnis  berechnet  und  daher  in  politischen  Fünfzohnsilbern 


2.  Profanpoesie.  (§  198 -199.)  369 

abgefasst  ist,  steckt  noch  unediert  im  cod.  2419  der  Pariser  National- 
bibliothek. Vielleicht  gehört  ihm  auch  die  in  einer  Eskm-ialhandschrift 
erhaltene  geistliche  Rede:  Aöyoq  drayvüyaO^eig  üvirj^wg  sv  ir^  togrij  xwv 
(f(üro)r  rov  aocfonÜTov  QtjroQog  xal  vnsQTifiov  xvq.  'icodvvov  tov  Kafiaxr^Qov. 

Das  astronomische  Gedicht  edierte  aus  mehreren  Pariser  Handschriften  E.  Miller, 
Not.  et  extr.  23  (1872j  2,  40—112.  —  üeber  die  zwei  genannten  Inedita  des  Kamateros 
und  die  zahlreichen  anderen  Träger  dieses  Namens  s.  Millers  Einleitung.  —  Von 
Andronikos  Kamateros,  einem  Verwandten  des  Manuel  Komnenos,  finden  sich  mehrere 
theologische  Werke  handschriftlich  in  der  Münchener  Staatsbibliothek. 

199.  Konstantin  Manasses  (o  Mavaaarjc),  zur  Zeit  des  Kaisers 
Manuel  Komnenos  (1143 — 1180),  verfasste  in  politischen  Fünfzehnsilbern 
eine  Chronik,  einen  Roman  und  vielleicht  ein  moralisches  Lehrgedicht. 
1.  Die  Chronik,  2vroipic  taroQixrj  betitelt,  6733  Verse  umfassend,  beginnt 
nach  der  üblichen  Weise  mit  der  Erschaffung  der  Welt  und  schliesst  mit 
dem  Tode  des  Nikephoros  Botaniates  i.  J.  1081.  Dem  ausführlichen 
Titel  folgt  in  einigen  Handschriften  die  Notiz:  £^€(foyvi]^ri  di  ngog  rrjv 
CißccaxoxQaTÖQiaoav  Elgr^vr^v  rrjv  vvfitprjv  tov  ßaaiXswg  xvqov  Mccrov}]X  avv 
toi  avTa6eX(fo}  avrov  xvqi'o)  \4vdQovi'x(n.  Das  Werk  entstand  demnach  auf 
Veranlassung  der  Schwägerin  des  Kaisers  Manuel,  der  Gemahlin  seines 
Bruders,  des  Sebastokrator  Andronikos.  In  dem  kurzen  Prooemion  gedenkt 
der  Verfasser  der  wiederholten  Gaben,  durch  welche  die  Prinzessin  die 
Dürre  seiner  mühevollen  Arbeit  erfrischte,  geht  aber  dann  sofort  zu  seinem 
Thema  über,  „damit  nicht  gewissen  Leuten  seine  Rede  allzu  schmeichlerisch 
vorkomme"  {f.ir^noyg  xokaxixwzaqog  do^fj  rialv  6  Xoyog).  Die  etwas  auffallende 
Bemerkung  ist  wohl  ein  Seitenblick  auf  Leute  wie  Ptochoprodromos, 
dessen  abgrundtiefe  Devotion  damals  selbst  am  Hofe  zum  Gespötte  der 
Verständigen  geworden  sein  mochte;  Manasses  will  als  ein  Mann  von  Ge- 
schmack des  Guten  lieber  zu  wenig  als  zu  viel  thun.  Nur  am  Schlüsse 
des  Werkes  macht  er  den  Komnenen  noch  ein  grobes  und  ziemlich  unge- 
schicktes Kompliment;  ihre  Geschichte  habe  er  nicht  mehr  behandelt,  da 
sie  einen  Ozean  von  Grossthaten  durchsegelt  haben,  wie  ihn  selbst  der 
starke  Herakles  nicht  durchmessen  könnte.  Während  Ephraim  einfach 
eine  trockene  Prosaerzählung  versifiziert,  sucht  der  Romandichter  Ma- 
nasses seiner  Darstellung  durch  Redeblumen  und  Beiwörter,  durch  mytho- 
logische Anspielungen,  reichliche  Umschreibungen, ')  breit  ausgeführte  Gleich- 
nisse 2)  und  moralische  Exkurse  3)  einen  poetischen  Schwung  zu  verleihen. 
Als  Quellen  benützte  er  den  Dionys  von  Halikarnassos  und  den  Johannes 
Lydos,  für  die  spätere  Zeit  vor  allem  die  Chroniken  des  Michael  Glykas  und 
Zonaras,  ausserdem  Symeon  Magister  und  ein  unbekanntes,  mit  Glykas 
verwandtes  Geschichtswerk.  Wie  andere  Chronisten  ging  auch  Manasses 
zu  den  Slaven  über.  Die  um  1350  entstandene  slavische  Uebersetzung 
seiner  Chronik  gehört  zu  den  hervorragendsten  Leistungen  der  sogenannten 
mittleren    bulgarisch-slovenischen   Litteratur.     Ein  prächtiger,   mit 


0  Statt  , sterben*  sagt   er  z.  B.  tfovyai  1  2)  Z.  B.  V.  2648  flF.;  4039  fF.;  4184  «.; 

Toy  }[oi>y  xov  awfAcrros  Tfl    yf}    Tfl    daysiaäan  \   4498. 

(3797),   xü(fw  xQvnrsa&ai  xai  yfi  Tjj  navio-  |  ')  Z.    B.    Ober    die    verderblichen    Wir- 

rfo/w  (4308),  ToV  TiTiXoy  rov  aiofzutos  ij  qivoii  \  kungen  des  Neides  V.  3234;  3248  ff. 

>  ine^ijtei  (6320)  u.  s.  w.  | 

Handbuch  der  Uasa.  AltertnmairiaBeDflchAft.    IX.  1.  AbtIg.  24 


370  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    tl.  Poetische  Litteratnr. 

Illustrationen  versehener  Codex   dieser  noch  unedierten  Uebertragung  be- 
findet sich  in  der  vatikanischen  Bibliothek. 

2.  Von  dem  Romane  des  Manasses:  Töiv  xatd  'AqiaxavdQov  xal 
KttlXt&£'av  ivvia  Xöyoi^  d.  h.  Neun  Bücher  von  der  Liebe  des  Aristander 
und  der  Kallithea,  ist  noch  keine  Handschrift  aufgefunden;  wir  kennen 
das  Werk  nur  durch  die  umfangreichen  Fragmente,  welche  Makarios 
Chrysokephalos  (s.  §  152)  seiner  '^PoSoniä  einverleibt  hat.  Es  sind  zwar 
nur  Sentenzen  und  moralische  Betrachtungen,  aber  sie  enthalten  genug 
Andeutungen,  um  uns  zu  zeigen,  dass  die  aus  den  früheren  Romanen  be- 
kannten Grundmotive  auch  hier  beibehalten  waren.  Nach  dem  Trimeter 
des  Prodromos  und  Niketas  Eugenianos  erscheint  in  diesem  letzten 
Versromane  der  kunstsprachlichen  Litteratur  schon  der  politische  Fünf- 
zehnsilber, womit  der  Uebergang  zum  vulgären  und  halb  vulgären  Roman- 
gedicht deutlich  vorbereitet  ist.  Mit  der  Chronik  hat  der  Roman  die  zahl- 
reichen Bilder  und  die  moralischen  Betrachtungen  über  Verrat  (V.  15  If.), 
Verleumdung  (V.  33  ff.),  Neid  (V.  61  ff.)  u.  s.  w.  gemeinsam. 

3.  Endlich  wurde  dem  Manasses  von  E.  Miller  ein  im  cod.  Paris. 
2750  anonym  überliefertes  moralisches  Lehrgedicht  (916  politische 
Fünfzehnsilber  in  100  Kapiteln)  zugeschrieben.  Die  Annahme  stützt  sich 
auf  sprachliche  Anklänge  und  auf  die  Beobachtung,  dass  mehrere  Stellen 
des  Werkes  mit  Fragmenten  des  Romanes  identisch  sind,  so  dass  also 
Manasses  sich  hier  selbst  kopiert  hätte.  Mehr  gegen  als  für  die  Hypothese 
spricht  der  Umstand,  dass  dieselbe  Handschrift  noch  ein  zweites,  eben- 
falls in  100  Kapitel  geteiltes  Moralgedicht  enthält.  Immerhin  bleibt  die 
enge  Verwandtschaft  des  Werkes  mit  Manasses  zweifellos;  wenn  es 
nicht  von  ihm  selbst  stammt,  gehört  es  sicher  einem  seiner  Bewunderer 
und  Nachahmer.  Das  Gedicht  handelt  in  buntester  Reihenfolge  übei 
Tugenden,  Laster,  Gewohnheiten,  Begriffe  und  Zustände  z.  B.  über  Treue, 
Hoffnung,  Liebe,  Neid,  Zorn,  Jungfernschaft,  Tapferkeit,  die  Seele,  Schaden- 
freude, Versuchungen,  Selbsterkenntnis  u.  s.  w.  Es  erscheint  somit  als 
eine  ins  Breite  getretene  und  durch  allerlei  Zuthaten  (auch  Sprichwörter 
wie  V.  620  f.)  aufgebauschte  Sentenzen  Sammlung  und  ist  mit  den  didak- 
tischen Werken   des  Spaneas,   Lapithes,   Sachlikis  u.  s.  w.  zu  vergleichen. 

1.  Chronik:  Zuerst  lateinisch  ed.  von  Jo.  Leunclaius,  Basileae  1573.  —  Den 
griechischen  Text  ed.  pr.  J.  Meursius,  Lugd.  Batav.  1616.  —  Ed.  A.  Fabroti.  Pariser 
Corpus  der  byz.  Historiker  1655.  —  Ed.  I.  Bekker  im  Bonner  Corpus,  Bonn  1837  (mit 
Joe!  und  Georgios  Akropolites).  —  lieber  die  Quellen:  F.  Hirsch,  Byzantinische  Studien 
S.  404  flF.  und  H.  Haupt,  Hermes  14  (1879)  291.  —  Ueber  die  slavische  Uebersetzung: 
V.  Jagi6,  Arch.  slav.  Philol.  2  (1877)  12  ff. 

2.  Roman  (Fragmente):  Ed.  Fr.  Boissonade,  Paris  1819  (mit  Niketas  Eugenia- 
nos). —  Ed.  R.  Hercher,  Scriptores  erotici  Graeci,  vol.  11,  Lipsiae,  bibl.  Teubn.  1859.  — 
Vgl.  R.  Hercher,  Hermes  7  (1873)  488  f.,  wo  eine  neue  Kollation  des  cod.  Marcianus 
mitgeteilt  wird. 

3.  Moralgedicht:  Ed.  Emm.  Miller,  Annuaire  de  l'assoc.  9  (1875)  23—75. 

2(K).  Niketas  Eugenianos  verfasste  bald  nach  dem  Tode  des  Pro- 
dromos, also  wohl  noch  am  Ende  des  12.  Jahrhunderts  einen  Versroman 
in  3641  Trimetern:  Töiv  xard  jQÖaiXXav  xal  XagixXt'a  ßißXta  0- ,  d.  h.  Neun 
Bücher  von  der  Liebe  der  Drosilla  und  des  Charikles.  In  der  Pariser 
Handschrift  ist  das  Werk  betitelt:  noh^atg  xvqhv  NuiJtov  tov  Evyerfia%'ov 


2.  Profanpoesie.  (§  200-201.)  371 

xard  fiiiir^aiv  tov  (laxaQi'vov  (fiXoaö(fov  rov  IIqoS qÖ{.lov.  Diese  Ueber- 
schrift  ist  lautere  Wahrheit;  Niketas  wusste  in  der  ganzen  älteren  Litte- 
ratur  kein  besseres  Vorbild  zu  finden  als  des  Prodromos  Geschichte 
von  Rhodanthe  und  Dosikles;  daraus  erklärt  sich  auch,  dass  in  der 
Handschrift  der  Markusbibliothek  das  Werk  geradezu  dem  Prodromos  zu- 
geteilt ist.  Doch  entlehnte  Niketas  seiner  Vorlage  nur  das  Gerippe  und 
die  allgemeine  Disposition  der  Erzählung;  in  der  Ausschmückung  der  ein- 
zelnen Teile  behielt  er  sich  vor,  älteren  Dichtern  und  seinem  eigenen  Ge- 
schmacke  zu  folgen.  An  Stelle  der  martialischen  Roheit  des  Prodromos 
tritt  bei  ihm  weichliche  Erotik  in  Liebesbriefen,  Gefühlsergüssen  und  aus- 
führlichen Schilderungen  im  Sophistenstil.  Freilich  wenn  ihn  der  Humor 
anwandelt,  verfällt  auch  er  in  eine  mehr  als  aristophanische  Ungezogen- 
heit; übrigens  scheint  gerade  das  stärkste  Stück  dieser  Art,  ein  ausge- 
lassenes Gastmahl,  das  durch  den  Cancan  einer  betrunkenen  alten  Vettel 
verherrlicht  wird,  dem  Leben  abgelauscht  (7,  271  ff.).  Charakteristisch  ist 
auch  hier  die  vollständige  Flucht  aus  den  Verhältnissen  der  eigenen  Zeit 
in  eine  ziemlich  verschwommene  heidnisch-hellenische  Vergangenheit.  „Ein 
origineller  Zug  begegnet  auch  hier  nirgends ;  vielmehr  stiehlt  Niketas  seine 
Redeblumen  und  galanten  Wendungen  sich  sehr  unbefangen  überallher 
zusammen,  aus  den  Anakreonteen,  den  bukolischen  Poeten,  dem  Musäos, 
den  Epigrammen  der  Anthologie,  auch  aus  Heliodor  und  Longos.  zumal 
aber  aus  Achilles  Tatios"  (Rohde).  Im  Versbau  folgt  Niketas  seinem 
Vorgänger  Prodromos,  obschon  er  in  einigen  Details  hinter  der  strengeren 
Technik  desselben  zurückbleibt. 

1.  Ausgaben:  Ed.  Fr.  Boissonade,  2  voll.  Paris  1819  (mit  den  Fragmenten  des 
Manasses).  —  Boissonade  wiederholte  seine  Ausgabe  in  den  Scriptores  erotici,  Paris, 
Didot  1856.  —  Ed.  R.  Hercher,  Scriptores  erotici  Gr.,  vol.  II,  Lipsiae,  bibl.  Teubn.  18.59. 

2.  Hilfsmittel:  Eine  kritische  Analyse  des  Romans  (Vergleichung  mit  Prodromos) 
nebst  Auszügen  von  J.  Levesque,  Not.  et  extr.  6  (1801)  223  ff.;  489  ff.  —  Neue  Frag- 
mente gab  Ph.  Le  Bas,  Bibl.  de  l'ecole  des  chartes,  mai-juin  1841.  —  A.  Nauck,  Zeit- 
schrift für  Altertumswiss.,  herausgeg.  von  J.  Caesar,  13  (1855)  276  f.  (Emendationen).  — 
Zur  Charakteristik:  E.  Rohde,  Der  griechische  Roman  S.  530  ff.  —  Zur  Metrik:  J.  Hilberg, 
Wiener  Studien  8  (1886)  313.  —  Ueber  die  Entlehnungen  aus  Paulos  Silentiarios  und 
Prodromos:  Leo  Sternbach,  Anthologiae  Planudeae  appendix  Barberino-Vaticana,  Leipzig 
1890  S.  3;  42;  44  f.;  62  f.;  72. 

201.  Eustathios  (Eumathios  ?)  Makrembolites,  durch  den  Titel  und 
Rang  eines  IlQWTovwßth'aiiioi  und  angeblich  eines  yityaq  /aoro^rAcf^  aus- 
gezeichnet, im  übrigen  seiner  Person  nach  unbekannt,  schrieb  in  der  zweiten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  einen  Prosaroman:  Tow  xad^  '^Fff/nivr^v  xal 
'^Yaixiviav  löyoi  icc,  d.  h.  Elf  Bücher  von  Hysmine  und  Hysminias.*)  Der 
Inhalt  der  Erzählung  lässt,  selbst  in  der  knappsten  Form  angedeutet,  das 
bekannte  Schema  der  griechischen  Sophistenromane  wiedererkennen.  Hys- 
minias  schliesst  als  Festherold  einen  Liebesbund  mit  Hysmine,  der  Tochter 
eines  Gastfreundes,  und  entflieht  mit  ihr.  Bei  einem  Sturme  wird  die 
Jungfrau  als  Sühnopfer  in  die  See  gestürzt,  ihr  Geliebter  von  Räubern 
gefangen  und  verkauft.     Später  findet  er  die  durch  ein  Wunder  gerettete 


')  So  die  besten  Handschriften;  aber  am 
Schlüsse  des  Werkes  sagt  Hysminias :  xXrjaig 
d'  ioTM  Tij  ßißXü)  To  xa9'  'Yaftiytjy  dgäfia 


xai  roy  'Ya/Atyiay  iue.     Ueber  diese  Bedeu- 
tiing  von  ÖQttfia  s.  S.  299. 


24* 


372  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    H.  Poetische  Litteratur. 

Hysmine  als  Sklavin  wieder.  Nach  verschiedenen  glücklich  bestandenen 
Keuschheitsproben  der  beiden  Liebenden  erfolgt  Freilassung  und  Hochzeit. 
Das  Ganze  ist  eine  vergröberte  und  geschmacklose  Imitation  der  nicht  sehr 
geschmackvollen  Erzählung  des  Achilles  Tatios  von  Leukippe  und  Klito- 
phon.  Die  Darstellung  des  Eustathios  gehört  zu  dem  Wunderlichsten, 
was  Byzanz  aufzuweisen  hat;  das  ist  kein  style  precieux  und  kein  eng- 
lischer euphuism  mehr,  sondern  ein  in  nervösen  Windungen  aufgeführter 
stilistischer  Eiertanz,  bei  dem  uns  vor  Augen  und  Ohren  schwindelt ;  dabei 
verrät  sich  die  Armseligkeit  dieses  Wortjongleurs  in  der  steten  Wiederkehr 
der  gleichen  Ausdrücke  und  der  gleichen  Kunststückchen,  von  denen  das 
wichtigste  in  der  Häufung  kurzer,  um  jeden  Preis  antithetisch  gedrehter 
Satzglieder  besteht  •)  z.  B.  „Kummer  ergriff  mich,  ich  verlor  den  Mut,  ein 
unbekannter  Schrecken  durchzitterte  mich,  mir  schwindelte  vor  den  Augen, 
meine  Seele  zerschmolz,  meine  Stärke  erlahmte,  mein  Körper  erschlaffte, 
mein  Atem  stockte,  mein  Herz  klopfte  heftig  und  süsses  Weh  lief  mir  wie 
ein  Kitzel  durch  die  Glieder  und  unsagbare,  unnennbare,  unausprechliche 
Liebe  erfasste  mich"  (S.  41  ed.  Hilberg)  oder  „Die  Jungfrau  schenkt  nun 
wie  üblich  ein;  ich  aber  trinke  wie  nicht  üblich  und  trinkend  trinke  ich 
nicht  und  nicht  trinkend  trinke  ich  Liebe,  es  trinkt  Sosthenes  und  endlich 
ich,  da  mir  auch  Panthia  zutrank,  und  trinkend  drücke  ich  mit  dem  Fusse 
den  Fuss  der  Jungfrau;  sie  aber  mit  der  Zunge  schweigend  spricht  mit 
Geberden,  und  sprechend  schweigt  sie  u.  s.  w.  (S.  46).  Zu  dem  krampf- 
haften Bemühen,  witzig,  elegant  und  hochattisch  zu  schreiben,  passt  auch, 
dass  er  den  Hiatus  vermeidet.  Als  Glanzlichter  sind  Verse  und  Ausdrücke 
aus  Homer,  Hesiod  und  Euripides  eingesprengt;  noch  ausgedehnter 
benützte  er  für  die  Phraseologie  den  Sophisten  Chorikios  aus  Gaza.  Der- 
selbe Eustathios  veranstaltete  eine  Sammlung  von  Rätseln  in  jambischen 
Trimetern,  welche  zum  Teil  einer  bedeutend  älteren  Zeit,  wahrscheinlich 
dem  9.  oder  10.  Jahrhundert  angehören,  zum  Teil  von  Michael  Psellos, 
Aulikalamos  und  anderen  Autoren  des  11.,  bzw.  12.  Jahrhunderts  stammen. 

1.  Zeit,  Name  und  Titel:  In  der  Zeitbestimmung  des  Eustatliios  schwankten  die 
Meinungen  früher  vom  7.  bis  zum  12.  Jahrhundert.  Zuletzt  hat  Hilberg  (in  der  Vorrede 
seiner  Ausgabe)  aus  der  Erwähnung  der  Russen  als  eines  heidnischen  Volkes  in  einem 
dem  Eustathios  zugeschriebenen  Rätsel  und  aus  dem  Fehlen  seines  Namens  bei  Photios 
cod.  94,  wo  mehrere  Romanschreiber  aufgezählt  sind,  den  Schluss  gezogen,  dass  das 
Werk  zwischen  850  und  988  verfasst  sei.  Auf  die  Begründung  der  Frühgrenze,  die 
übrigens  kaum  Beifall  finden  wird,  da  Photios  auch  andere  Erotiker  mit  Stillschweigen 
übergeht,  kommt  es  nicht  an;  denn  älter  als  Photios  ist  das  Werk  in  keinem  Falle.  Aber 
auch  die  Datierung  vor  der  offiziellen  Bekehrung  der  Russen  (988)  ist  zu  verwerfen,  weil 
das  hiezu  verwertete  Rätsel  wie  ja  auch  die  meisten  übrigen  Stücke  der  Sammlung  von 
Eustathios  nicht  selbst  verfasst,  sondern  aus  einer  älteren  Quelle  entnommen  ist.  Gegen 
die  Datierung  vor  988  musste  schon  der  Umstand  schwere  Bedenken  prregen,  dass  hie- 
durch  der  Autor  von  den  drei  Romanschreibern  der  Komnenenzeit  getrennt  und  litterar- 
historisch  völlig  vereinsamen  würde.  Die  Frage  wird  durch  ein  vor  kurzem  veröffentlicht*?» 
Dokument  unseres  Erachtens  endgültig  entschieden.  Unter  den  Briefen  des  bekannten 
Rechtflgelehrten  Theodoros  Balsamon,  der  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhnnderta 
lebt«,  findet  sich  ein  wahrscheinlich  noch  vor  1186  abgefa-sstes  Schreiben :  Toi  fVirrp/w  xvqm 
EvfxuHiu»  TW  MaxQtjußoXiTiJ.  Da  die  Form  FjV/jn9iog  für  EvaTf(9tog  auch  in  Handschriften 
des  Romans  vorkommt,  kann  kaum  ein  Zweifel  übrig  bleiben,  dass  der  Adressat  mit  unserem 
Romanschreiber  identisch  ist.    Dass  seine  Stellung  als  Eparch  im  Titel  des  Romans  nicht 

')  Aehnlich  schreibt  auch  Philipp  von   j    Werkes  wohl  kennen  mochte. 
Zesen,  der  deutsche  Uebersetzungen  unseres  | 


2.  Profanpoesie.   (§  202.)  373 

aufgeführt   wird,   hat   nichts  zu  bedeut«n.     Den  erwähnten  Brief  des  Balsamon    edierte 
E.  Miller,  Annuaire  de  l'assoc.  18  (1884)  18. 

Die  von  Le  Bas  vorgezogene  Namensform  Enmathios  wird  durch  eine  der 
besseren  Handschriften  und  durch  die  Adresse  des  genannten  Briefes  bezeugt.  Eine  über- 
zeugende Entscheidung  der  Frage,  weiche  von  beiden  Formen  die  richtige  sei,  ist  bei  diesem 
Stande  der  Ueberlieferimg  kaimi  möglich.  Statt  des  Beinamens  Makrembolites  bieten 
vier  Handschriften  der  schlechteren  Klasse  Parembolites,  was  zweifellos  unrichtig  ist. 
Makrembolites  mit  dem  Femininum  Makrembolitissa  (z.  B.  Eudokia  M.),  als  Bei- 
name öfter  bezeugt  (z.  B.  auf  mehreren  Bleibullen  bei  Schlumberger,  Sigillographie  de 
l'empire  Byzantin  S.  674),  bedeutet  wohl  ursprünglich  einen  ,am  langen  Bazar  woh- 
nenden;" eußo'f.01.  sind  in  Byzanz  Säulengänge,  Verkaufshallen,  aus  denen  sich  jedenfalls 
die  türkische  Einrichtung  der  Bazare  entwickelte.  Der  Titel  UQWTOfwße'Aiaijuog  (rrpwro- 
nobilissimus)  ist  gut  bezeugt;  dagegen  führt  E.  den  Titel  eines  Miyug  /aQiocfvXa^,  womit 
eine  hohe  Würde  der  byzantinischen  Geistlichkeit  bezeichnet  wird,  nur  in  den  schlechteren 
Handschriften;  zu  diesem  Verdachtgrunde  kommt  noch,  dass  der  Zusatz  jusyag  dem  /ccqto- 
(fvXaS  nach  Joh.  Kantakuzenos  erst  von  Andronikos  II  verliehen  wurde  (Rohde  S.  523). 

2.  Ausgaben:  Ed.  pr.  G.  Gaulminus,  Paris  1617  (griech.  und  lat.).  —  Ed.  Ph. 
Le  Bas  in  den  Scriptores  erotici,  Paris,  Didot  1856.  —  Ed.  R.  Her  eher,  Scriptores  erotici 
Graeci,  vol.  II,  Lipsiae,  bibl.  Teubn.  1859.  —  Roman  imd  Rätsel  mit  den  Lösungen  ed. 
Is.  Hilberg,  Vindobonae,  Hoelder  1876;  mit  einem  Variantenverzeichnis  der  früheren  Aus- 
gaben, einem  vollständigen  kritischen  Apparate  aus  22  Handschriften  und  reichlichen 
Indices;  in  der  Vorrede  Untersuchung  über  Name,  Zeit  und  Sprache  des  Eustathios  und 
die  handschriftliche  Ueberlieferung.  — •  25  anonyme  Rätsel  in  jambischen  Versen,  deren 
Bau  auf  spätbyzantinische  Zeit  weist,  ed.  aus  einem  codex  Athous  Sp.  Lambros,  JsXxiov 
rfjQ  laioQ.  x(d  e9i'o'Aoy.  sTcttQiag  rrjg  'Eji.Xädog  2  (1885 — 89)  152 — 166,  der  auch  eine  L'nter- 
suchung  über  die  byzantinischen  Rätsel  und  ihr  Verhältnis  zu  den  altgriechischen  in  Aus- 
sicht stellt. 

3.  Hilfsmittel:  Aeltere  Litteratur  verzeichnet  Fabricius,  BibL  Gr.  ed.  Harl.  8, 
136  f.  —  Th.  Grässe,  Lieber  den  griechischen  Erotiker  Eustathius  und  dessen  auf  uns 
gekommenen  Roman,  Jahns  Jahrb.  Supplementb.  (=  Jahns  Archiv)  4  (1836)  267 — 283,  nur 
durch  die  bibliographischen  Notizen  von  einigem  Nutzen.  —  Fr.  Osann,  Prolegomena  ad 
Eustath.  Macrembolitae  De  amoribus  H.  et  H.  drama  ab  se  edendum,  Giessen  1855 
(dilettantenhafte  und  fa.st  nutzlose  Arbeit).  —  E.  Rohde,  Der  griechische  Roman  S.  522  ff.  — 
A.  Kirpicnikov,  Griech.  Romane  in  der  neueren  Litteratur,  Charkov  1876  (Russ.)  I  80  ff; 
il  59  ff.  —  Das  Verhältnis  des  Eust.  zur  alten  Litteratur  imtersucht  J.  G.  Brambs,  Ueber 
Citate  und  Reminiszenzen  aus  Dichtem  bei  Lucian  und  einigen  späteren  Schriftstellern, 
Progr.  Eichstätt  1888  S.  69  ff.  —  J.  Hilberg,  Wiener  Studien  10  (1888)  77.  —  Zu  der 
Schilderung  einer  allegorischen  Darstellung  der  12  Monate  im  4.  Buche  (S.  49  ff.  ed.  Hilberg) 
s.  die  Litteratur  §  197,  9.  —  Zu  der  Rätselsammlung:  Leo  Sternbach,  Meletemata 
Graeca,  Vindobonae  1886  S.  25  ff.;  86  f. 

4.  Vom  Romane  gibt  es  zahlreiche  Uebersetzungen  in  moderne  Sprachen:  Eine 
deutsche  erschien  anonjon  Strassburg  1573.  —  Von  J.  Chr.  Artopeus,  genandt  Wolken- 
stern in  Teutsch  gefertigt,  1594.  —  Von  G.  Schirm  er,  Leipzig  1663.  —  Von  Emestine 
Christiane  Reiske  in  , Hellas"  I  101—206,  Mitau  1778.  Hieraus  erklärt  sich  der  Einfluss 
auf  die  deutsche  Litteratur,  der  sich  bes.  in  der  zweiten  schlesischen  Schule  erkennen 
lässt.  —  Französisch  von  dem  Herausgeber  (s.  0.)  Ph.  Le  Bas,  in  der  Collection  des 
romans  grecs,  vol.  15,  Paris  1828  (mit  Kommentar). 

5.  Mit  den  von  Eustathios  gesammelten  Rätseln  edierte  Hilberg  S.  203  ff.  jambische 
Lösungen  eines  gewissen  Protosynkellos  Max  im  os  Ho  lob  olos  (OXößo'Aog).  Zeit  und  Person 
dieses  Mannes  sind  unbekannt;  da  sich  jedoch  seine  Lösungen  nicht  auf  die  Rätsel  des 
Psellos,  Aulikalamos  u.  s.  w.,  sondern  nur  auf  die  11  ersten,  wahrscheinlich  ältesten  Stücke 
und  namentlich  auf  das  Rätsel,  welches  die  Russen  als  ein  heidnisches  Volk  erwähnt, 
beziehen,  so  lässt  sich  vermuten,  dass  er  nicht  bloss  vor  Eustathios,  sondern  auch  vor 
Psellos  gelebt  habe.  Vgl.  Sternbach  a.  a.  0.  S.  26  f.  —  Unter  dem  Namen  des  Proto- 
sjTikellos  MaximosHolobolos  existiert  auch  ein  Gedicht  in  53  Trimetem  auf  die  hl.  Maria 
von  Aegypten.     Es  ist  ediert  von  E.  Miller,  Manuelis  Philae  carmina  II  (1857)  373  ff. 

202.  Michael  Plochiros,  seiner  Person  nach  gänzlich  unbekannt, 
schrieb,  schwerlich  vor  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts,  ein  als  JQajiiäTiov 
bezeichnetes  Werkchen  in  122  Trimetern.  In  die  Rollen  dieses  Schau- 
spielchens teilen  sich  ein  Bauer  [aygotxog),  ein  Weiser,  die  Tyche,  die 
Musen  und  ein  Chor.  Der  Bauer  begrüsst  freudig  die  Tyche;  darüber 
macht  ihm   der  Weise  Vorwürfe,   und  es   entspinnt  sich  zwischen  beiden 


374  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    II.  Poetische  Litteratnr. 

ein  Streit,  in  welchem  die  Tyche  von  dem  Bauern  gepriesen,  von  dem 
Weisen  geschmäht  und  eine  TTt/nnelog  YQ<^vi  genannt  wird;  sie,  die  alte 
Hinkerin,  sei  einmal  nachts  gestolpert,  habe  sich  am  Fusse  verletzt  und 
nun  ihre  Zuflucht  im  Hause  gesucht.  Die  Tyche,  die  man  sich  wohl  aus 
dem  Nebenzimmer  tretend  vorstellen  muss,  gibt  ihrer  Entrüstung  Ausdruck 
und  verteidigt  sich  mit  lebhaften  Worten ;  die  Musen  solle  er  anklagen, 
nicht  das  Glück.  Wie  der  Wolf  in  der  Fabel  sind  die  Musen  sofort  zur 
Stelle.  Der  Weise  gebietet  Ruhe,  er  höre  ein  Geräusch,  es  sei  ihm,  als  ob 
jemand  anklopfe;  der  Chor  —  der  demnach  aus  Hausmägden  zu  bestehen 
scheint  —  möge  nachsehen,  wer  draussen  sei.  Es  sind  die  Musen!  Wider 
Erwarten  befiehlt  der  Weise,  sie  hinauszusperren.  Auf  die  Vorstellungen 
des  Chores,  wie  sehr  er  den  Musen  zum  Danke  verpflichtet  sei,  entgegnet 
er,  was  nütze  ihm  alles  Wissen,  das  kaufe  niemand  auf  dem  Markte  und 
der  Ruhm  fülle  seinen  leeren  Magen  nicht ;  er  wünsche  sich  den  Reichtum 
des  Bauern  und  wolle  lieber  Gerber,  Steinklopfer  oder  etwas  Aehnliches 
werden ;  der  Schuster  oder  Krämer  wandle  bei  aller  Dummheit  mit  ehren- 
vollem Geleite  wie  ein  Fürst  durch  die  Strassen,  während  der  Weise  elend, 
arm  und  verlassen  bleibe.  Die  Musen  sind  inzwischen  trotz  des  Verbotes 
eingetreten  und  klagen  ihr  Leid,  dass  sie,  die  Hüterinnen  aller  Weisheit, 
von  dem  Weisen  missachtet  werden.  Als  er  auch  ihnen  sein  Hungerlied 
vorträgt,  bedeuten  sie  ihm  boshaft,  die  Erde  erzeuge  Gras  und  Kräuter  in 
Fülle.  lieber  solche  Zumutung  empört,  macht  der  Weise  vom  Hausrecht 
Gebrauch  und  will  die  Musen  hinauspeitschen  lassen;  er  sei  ein  Mensch, 
kein  grasfressendes  Grautier.  Nachdem  sich  noch  die  Tyche  durch  eine 
schnippische  Bemerkung  einen  erneuten  Injurienhagel  zugezogen  hat,  er- 
barmen sich  endlich  die  Musen  ihres  geplagten  Schützlings  und  versprechen 
ihm  Gold  und  ein  üppiges  Leben.  Mit  dem  Zweifel  des  Weisen,  ob  dieses 
Glück  auch  beständig  sein  werde,  schliesst  die  seltsame  Comedietta. 

Das  Werkchen  ist  eng  verwandt  mit  dem  kleinen  dramatischen  Ge- 
dichte des  Tzetzes  (s.  §  114,  12)  und  mit  dem  Ideenkreise  des  Prodromos: 
Dieselben  Klagen  über  die  Unbeständigkeit  des  Glückes,  derselbe  Hinweis 
auf  die  glänzende  materielle  Lage  der  rohen  Handwerker,  dasselbe  Stöhnen 
über  die  Geld-  und  Brotlosigkeit  der  Wissenschaft ;  dazu  dieselbe  Drallheit 
des  Ausdrucks  mit  der  Beigabe  eines  gewissen  derben  Humors;  auch  die 
dialogische  Form  des  Stückes  finden  wir  bei  Prodromos  ganz  ähnlich  ange- 
wendet; dazu  kommt  endlich,  dass  V.  33  unseres  Stückes  mit  V.  1  des  dem 
Prodromos  zugeschriebenen  Gedichtes  „Gegen  eine  lüsterne  Alte"  iden- 
tisch ist.  Plochiros  gehört  demnach  wie  Niketas  Eugenianos  und 
Phil  es  zu  jenen  Spätlingen  der  byzantinischen  Dichtkunst,  welche  selbst 
der  welke  Ruhm  eines  Ptochoprodromos  nicht  schlafen  Hess.  Hiemit  ist 
auch  für  die  Zeitbestimmung  eine  Frühgrenze  gegeben;  wir  werden  das 
Werk  zwischen  Prodromos  und  Philes,  d.  h.  ins  Ende  des  12.  oder  ins 
13.  Jahrhundert  zu  setzen  haben. 

¥A.  pr.  F.  Morellus,    Paris  1593.  —  Kd.  Fr.  Dübncr  nach  den  Fragmonta  Kuri- 
pidis  ed.  ({.  Wagner,  Paris,  Didot  1846;  da  Dübncr  keine  Handschrift  des  Werkes  zu  finden 
vermocht«,  so  niusstfl  ««r  den  schlimmen  Text  der  Kditio  princeps   zu  (»runde  legen.   - 
Vgl.  Magn in,  .Journal  des  savants  1849,  463  ff.       Deutsche  Uehorsetzung  von  Ad.  Ellissen, 
Versuch  einer  Polyglotte  der  europäischen  Poesie,  Leipzig  1846  S.  23Ü— 237. 


2.  Profanpoesie.   (§  203—204.)  375 

203.  Manuel  Holobolos,  MavovrjX  ^0/.6ßo/.oc  (auch  'OXößwloc  ge- 
schrieben), war  unter  Kaiser  Michael  VIII  Paläologos  (1261 — 1283) 
„QT^xwQ  jwv  QrjoQon"  an  der  Sophienkirche,  später  Vorstand  eines  Kleriker- 
seminars  in  Konstantinopel.  Seine  durch  den  Historiker  Georgios  Pachy- 
meres  ziemlich  genau  bekannte  Biographie  ist  ein  recht  lehrreiches  Beispiel 
der  Unsicherheit  des  Glückes,  das  einem  byzantinischen  Höflinge  verliehen 
war;  um  1261  Hess  ihm  der  Kaiser  Xase  und  Lippen  abschneiden,  später 
kam  er  wieder  in  Gunst,  fiel  jedoch  abermals  in  Ungnade  und  wurde  um 
1273  in  schimpflichem  Aufzuge  (einer  sogenannten  nofinr^)  durch  die 
Strassen  Konstantinopels  geschleppt;  aber  noch  unter  Kaiser  Andronikos 
erscheint  er  als  öffentlicher  Verfechter  der  Orthodoxie  gegen  Bekkos.^) 
Die  üble  Behandlung,  welche  dem  Holobolos  zeitweise  von  dem  launischen 
Machthaber  zu  teil  ward,  verhinderte  ihn  nicht,  demselben  zur  Besänftigung 
oder  zur  Erhaltung  der  unbeständigen  Gunst  eine  Reihe  von  Gedichten 
meist  kirchlichen  Inhalts  zu  widmen,  so  z.  B.  ein  Stück:  Eig  xr^v  nQÖxvif'iv^) 
TTQoc  Tov  ßaaO.ta  xvoiov  Mixccr^X  tov  JJaXaioköyov  iv  rfj  Xqiüxov  yarvr^aet, 
mehrere  Hymnen:  Eic  ti]v  eooxi]v  xwi-  (foWoar  u.  s.  w.  Einige  dieser  Ge- 
dichte sind  an  Michaels  Sohn  Andronikos  gerichtet  und  demnach  wohl 
nach  1283  geschrieben.  Sämtliche  Stücke,  19  an  Zahl,  in  den  codd. 
Paris.  400  und  39  erhalten,  sind  in  politischen  Fünfzehnsilbern  abge- 
fasst.  Die  besungenen  Kirchenfeste  ergeben  die  Folie  zu  niedrigen  Schmeiche- 
leien gegen  die  zwei  Kaiser,  die  „avxoxgccxoQeg  twv  Avüövatv",  deren  Macht 
und  Herrscherglanz  in  bedenklichem  Widerspruche  zur  Wirklichkeit  in 
schwülstigen  Tönen  gefeiert  wird.  So  war  die  christliche  Poesie  nach 
langsamem  Verfalle  endlich  zum  erbännlichen  Werkzeuge  höfischer  Speichel- 
leckerei herabgesunken. 

Von  demselben  Holobolos  existiert  eine  metrische  Grabschrift  auf 
einen  Andronikos  Komnenos:  2ti'xoi  irnxvfißioi  dq  xov  Koiivrp^dv  xvqiov 
^Ai'dgörixov  tov  Toorixr^v.  Td  ngöauina  Tviußoc  xai  Sevoc,  also  ein  Dialog 
wie  des  Prodromos  Grabepigramm  auf  Konstantin  Kamytzes  (siehe 
§  197,  11);  handschriftliche  Notiz  bei  E.  Miller,  Catalogue  des  mss.  grecs 
de  la  bibl.  de  l'Escurial,  Paris  1848  S.  146. 

1.  Die  19  Gedichte  ed.  Fr.  Boissonade,  Anecdota  Graeca,  vol.  5,  159 — 182.  — 
Ueber  das  Leben  des  Manuel  Holobolos  vgl.  Fabricius,  Bibl.  Graeca  ed.  Harl.  11,  669 
und  B.  Hase.  Not.  et  extr.  9  (1813)  2,  139.  —  Vgl.  auch  Max  Treu,  Maximi  monachi 
Plann dis  epistulae  S.  192  f. 

2.  Einem  Holobolos  wird  auch  ein  Scholion  zur  Syrinx  des  Theokrit  zugeschrieben: 
Tov  ao(fwjc(Tov  gijrogog  'OXoßökov  iTtiyQafufite  sig  Tijy  ^votyya,  Scholia  in  Theocritum  ed. 
Fr.  Dübner,  Paris  1849  S.  111  ff.  Da  jedoch  kein  Beiname  genannt  ist,  erhebt  sich  eine 
Grenzstreitigkeit  zwischen  Manuel  und  Maximos  Holobolos  (s.  §  201.  5). 

3.  Ein  Manuel  Holobolos  (vielleicht  nur  eine  fingierte  Person)  kommt  in  der 
Satire  Mazaris  vor  (s.  §  106);  ein  dritter  Mann  desselben  Namens,  aus  dem  Peloponnes 
gebürtig,  hat  sich  um  den  Schluss  des  1-5.  Jahrhunderts  durch  eine  Menge  in  zahlreichen 
Handschriften  vorkommender  Schriften  gegen  die  lateinische  Kirche  verewigt. 

204.  Manuel  Philes  aus  Ephesos  lebte  unter  Kaiser  Michael  Paläo- 
logos und  den  beiden  Andronikos,  vielleicht  auch  noch  unter  Johannes 
Kantakuzenos   (ungefähr  1280—1350)   in  Konstantinopel.     Genaueres  über 


')  Pachym.  ed.  Bonn.  11  2-5  ff.  Menge    abgeschlos-sene    kostbare   Thron    des 

')  Eigentlich   der  von  den  Blicken  der      Kaisers  in  der  Kirche  und  im  Palast. 


376  Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

den  äusseren  Verlauf  seines  Lebens  ist  uns  nicht  bekannt,  was  offenbar 
damit  zusammenhängt,  dass  er  keine  erheblichen  Aemter  bekleidete  und 
keine  politische  Rolle  spielte.  In  seiner  Jugend  erfreute  er  sich  der  Unter- 
weisung des  Historikers  Georgios  Pachymeres,  auf  dessen  Tod  er  eine 
jambische  Monodie  verfasste.  Zu  seinen  Freunden  zählte  Maximos  Pla- 
nudes,  von  dem  wir  einen  Brief  an  Philes  besitzen,  und  viele  andere 
Byzantiner,  die  zum  Teil  nur  durch  seine  Gelegenheitsgedichte  bekannt 
sind.  Einmal  wurde  Philes  vom  Kaiser  nach  Russland  geschickt,  um 
über  die  Heirat  einer  byzantinischen  Prinzessin  zu  unterhandeln.  Auch 
erwähnt  er  Reisen  nach  Persien,  Arabien  und  Indien;  wir  wissen 
aber  nicht,  in  welcher  Eigenschaft  er  dieselben  unternahm.  Dunkel  bleiben 
auch  die  näheren  Umstände  eines  Konfliktes  mit  dem  Kaiser;  er  wurde 
wegen  Majestätsbeleidigung,  die  er  sich  angeblich  in  einer  (uns  nicht  be- 
kannten) Chronographie  zu  schulden  kommen  Hess,  ins  Gefängnis  geworfen 
und  erst  freigelassen,  als  er  beschwor,  nie  etwas  Böses  gegen  den  Herrscher 
geschrieben  zu  haben ;  ^)  es  steht  aber  nicht  einmal  fest ,  unter  welchem 
Kaiser  dem  Philes  dieses  Unglück  begegnete.  Um  so  genauer  werden  wir 
über  die  drückenden  Vermögensverhältnisse  unterrichtet,  unter  welchen 
er  zeitlebens  zu  leiden  hatte.  Weinerliche  Klagen  über  Hunger,  Durst  und 
Kälte  ziehen  sich  durch  seine  zahllosen  Werke.  Wenn  Nicolardot  sich 
die  Mühe  nahm,  den  Einnahmen  und  Ausgaben  Voltaires  ein  dickes  Buch 
zu  widmen,  so  ergäbe  sich  wenigstens  Stoff  für  eine  massige  Abhandlung 
über  die  Quellen,  aus  welchen  Philes  seinen  jeweiligen  Bedarf  an  Geld. 
Lebensmitteln,  Winterkleidern  und  Pferdefutter  bestritt.  Er  verkehrt  mit 
den  hervorragendsten  Persönlichkeiten  seiner  Zeit,  aber  seine  Beziehungen 
sind  stets  die  eines  Unterwürfigen,  Bittenden,  Lobpreisenden,  eines  Mannes, 
der  sich  dankbar  erweisen,  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  lenken  und  Unter- 
stützung gewinnen  will. 

Philes  gehört  zu  den  fruchtbarsten  Autoren  der  byzantinischen  Zeit 
und  zwar  zu  den  wenigen,  die  sich  ausschliesslich  der  poetischen 
Form  bedienten.  Sein  Lieblingsmass  ist  der  zwölfsilbige  jambische 
Trimeter,  in  welchem  der  Hiatus  sorgfältig  vermieden  und  die  vorletzte, 
zuweilen  die  drittletzte,  niemals  die  letzte  Silbe  betont  ist.  Das  Haupt- 
versmass  der  spätbyzantinischen  Zeit,  den  politischen  Fünfzehnsilber, 
verwendet  er  nur  in  wenigen  Stücken.  Wir  teilen  die  schwer  überseh- 
baren, vom  Herausgeber  zur  grösseren  Unbequemlichkeit  des  Lesers  in 
wüstem  Durcheinander  aus  den  Handschriften  abgedruckten  Massen  (im 
ganzen  über  20  000  Verse)  in  einige  Hauptgruppen. 

1.  Naturwissenschaftliche  Gedichte.  An  der  Spitze  steht  das 
dem  Kaiser  Michael  Paläologos  gewidmete  Lehrgedicht  flegl  ^(öojr  i^iö- 
Ti]tog,  d.  h.  über  die  Eigenschaften  der  Tiere.  In  2015  Trimetern 
und  119  Abschnitten  werden  die  wichtigsten  Vögel,  Vierfüssler  und  Fische, 
natürlich  auch  die  Phantasiotiere  wie  das  Einhorn  und  der  Onokentaur  mit 
dem  üblichen  Zusatz  von  Wundergeschichten  kurz  beschrieben.  Als  Quelle 
diente  vornehmlich  das  Tiergeschichtenbuch  des  Aelian;  doch  mangelt  hierüber 

')  Dan  liicruiif  bezügliche  Gedicht  in  der    j    von  Ad.  Kllissen,  Versuch  einer  Polyglotte 
Ausg.  von  Miller  11397.    Deutsch  Uberttotzi  j   der  europäischen  Poesie,  l^ipzig  1846,  IS.  210  f. 


2.  Profanpoesie.  (§  204.)  377 

eine  Untersuchung.  —  2vvTOjnog  extfQaaig  eXeifarrog,  d.h.  kurze  Be- 
schreibung des  Elephanten,  in  381  Trimetern,  mit  einer  Widmung  an 
den  Kaiser,  deren  Gedankengang  für  unseren  Dichter  sehr  bezeichnend  ist: 
Grosser  Kaiser,  Du  tapferer  Löwe,  einen  Elephanten  habe  ich,  der  treue 
Jagdhund,  im  Fangnetz  der  Sprache  erbeutet  und  bringe  ihn  Dir  als 
schuldigen  Tribut!  —  Das  gewöhnlich  De  plantis  zitierte  Werk  besteht 
aus  mehreren  selbständigen,  ohne  einen  zusammenfassenden  Titel  über- 
lieferten Gedichten:  Die  Aehre,  die  Traube,  die  Rose,  der  Granatapfel. 

2.  Dialogische  Stücke.  Philes  lässt  in  einigen  seiner  Gelegenheits- 
gedichte zwei  oder  mehrere  Personen  auftreten,  eine  Eigentümlichkeit, 
welche  ihm  die  unverdiente  Ehre  verschafft  hat,  den  griechischen  Drama- 
tikern beigesellt  zu  werden.  In  Wirklichkeit  fehlen  diesen  Gedichten 
alle  wesentlichen  Erfordernisse  eines  Dramas.  Hieher  gehört  das  nekro- 
logische Gedicht  in  602  Trimetern,  welches  B.  Stark  unter  dem  trüge- 
rischen und  von  ihm  selbst  in  der  Vorbemerkung  eigentlich  widerrufenen 
Titel  Tragödie  veröffentlicht  hat.  Dieser  „Tragödie"  fehlt  jede  Handlung 
und  sogar  der  Dialog ;  sie  besteht  nämlich  aus  monologischen  Ergüssen  der 
nach  einander  auftretenden  Personen,  die  wir  uns  am  Grabe  eines  Toten 
versammelt  zu  denken  haben.  Zuerst  erscheint  ein  Diener  und  fragt  nach 
dem  Orte,  an  dem  der  Tote  sich  jetzt  befinde.  Dann  preist  der  Vater 
den  Sohn  glücklich  und  erinnert  an  den  Gärtner  und  den  jungen  Baum 
u.  s.  w.,  die  Mutter  ruft  dreimal  den  Sohn  und  vergleicht  sich  mit  Niobe, 
der  Bruder  erklärt  sich  bereit,  sein  Leben  für  das  des  Toten  hinzugeben 
und  schildert  dessen  ritterliche  Eigenschaften,  die  Witwe  gibt  ihi'em 
Schmerze  bewegten  Ausdruck,  Der  Vater  endigt  die  Totenfeier  mit  Worten 
des  Trostes  und  spricht  zum  Schlüsse  die  Grabschrift.  ^)  Wahrscheinlich 
bezieht  sich  das  Werk  auf  den  um  1321  erfolgten  Tod  eines  Sohnes  des 
Andronikos  Paläologos  (1283 — 1328);  die  auftretenden  Personen  sind 
also  der  Kaiser  und  die  Kaiserin,  die  Witwe  und  der  Bruder  des  Prinzen 
und  Philes  selbst  (als  Diener!).  —  Zu  dieser  Gattung  gehört  ferner  die 
^Hd^onoita  SgafiarixT],  ein  in  dialogischer  Form  gehaltener  Panegyrikus 
auf  den  Grossdomestikos  Johannes  Kantakuzenos;  Personen  des 
Dialogs  sind  Philes  und  der  personifizierte  Geist  (Novg).  Der  erstere 
forscht  in  ausführlicher  Weise  nach  den  Tugenden  des  Gefeierten,  der  Novg 
Aveiss  jede  Frage  mit  steigender  Begeisterung  zu  beantworten :  er  ist  eben 
bei  einem  Vergleiche  mit  Achilles  angelangt,  als  er  das  Geräusch  eines 
Gefährtes  vernimmt;  es  ist  der  Wagen  der  Tugenden.  Sie  treten,  als  eine 
Art  Chor,  einzeln  auf  und  eine  jede  erklärt  den  Helden  Kantakuzenos  für 
ihren  Freund,  ihren  Bräutigam,  ihren  Schützling  u.  s.  w.'^)  Nach  dieser 
Ruhepause  hebt  Philes  aufs  neue  an  zu  fragen  und  der  Novg  erhält  Ge- 
legenheit, seine  rühmenden  Schilderungen  zu  vollenden.  Zum  Schlüsse 
erscheint  der  in  allen  Tönen  gepriesene  Domestikos  selbst  und  gibt  seiner 

')  Zu  vergleichen  ist  u.  a.  der  von  Zin-  griech.  rythmischen  Dichtung  S.  367, 
gerle,  Ausgewählte  Schriften  des  Ephrem  *)  Aehnlich  werden  in  der  Monodie  des 
4,  61  übersetzte  syrische  Hj-mnus  auf  den  i  Theodoros  Hyrtakenos  auf  Kaiser  Mi- 
Tod  einer  Hausmutter,  wo  auch  verschiedene  chael  IX  die  einzelnen  Tugenden  klagend  ein- 
Personen redend  eingeführt  werden.  S.  W.  geführt.  Boissonade,  Anecdota  Graeca  I 
Meyer,  Anfang  und  Ursprung  der  lat.  und  ;  (1829)  262.     Vgl.  §  99. 


378  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

Befriedigung  Ausdruck.  In  der  symmetrischen  Anordnung  der  Reden 
dürften  selbst  die  feurigsten  Verehrer  des  dialogischen  Parallelismus  des 
Guten  zu  viel  finden;  jede  Person  spricht  nämlich  stets  sieben  Verse,  so 
dass  sich  also  die  966  Trimeter  des  ganzen  Werkes  in  138siebenzeilige 
Strophen  zerlegen.  —  Das  dritte  Stück  dieser  Gattung  ist  ein  Dialog 
des  Menschen  mit  einer  Seele:  'AvÜ^QWTiog  diaXfyöfievnq  fierd  ipvxtjc. 
Gegen  den  Schluss  nimmt  die  verstorbene  Gemahlin  des  Menschen  an  dem 
philosophierenden  Gespräche  teil  und  tadelt  ihn,  dass  er  sie  aus  dem  ewigen 
Lichte  in  die  Finsternis  der  Leidenschaften,  aus  der  Freiheit  in  das  Ge- 
fängnis zurückgerufen  habe ;  darauf  fasst  sich  der  Gatte  und  schliesst,  das 
Andenken  an  sein  Weib  werde  ihm  für  sein  noch  übriges  Leben  als  Richt- 
schnur und  Leitstern  dienen.  Das  Ganze  ist  demnach  wie  die  „Tragödie" 
ein  nekrologisches  Trostgedicht.  Es  umfasst  240  politische  Fünfzehn- 
silber, die  sich  auf  24  zehnzeilige  Strophen  verteilen. 

3.  Gedichte  auf  kirchliche  Stoffe,  d.  h.  Distichen,  Tetrastichen 
und  grössere  Stücke  auf  die  Kirchenfeste,  auf  einzelne  Teile  der  hl.  Schrift 
wie  die  Briefe  des  hl.  Paulus,  auf  Reden  des  hl.  Basilios,  des  hl.  Gregor 
u.  a.,  auf  christliche  Glaubenssätze,  auf  Heilige  und  Kirchenväter  u.  s.  w. 
Es  sind  schulmässige  Imitationen,  in  welchen  die  epigrammatische  Ge- 
pflogenheit der  altgriechischen  Zeit  mit  ihrem  ganzen  rhetorischen  Rüst- 
zeug an  Pointen,  Antithesen  und  Eleganzen  auf  christliche  Gegenstände 
übertragen  wird;  daher  fehlt  jene  innerliche  Begeisterung,  welche  z.  B. 
die  Hymnen  des  Romanos  und  seiner  Nachfolger  auszeichnet.  So  ist  es 
denn  auch  für  das  poetische  Verständnis  des  Philes  ganz  bezeichnend,  dass 
er  eines  der  grossartigsten  alten  Kirchenlieder,  den  berühmten  'AxccO^iatoq 
des  Patriarchen  Sergios  (s.  S.  318),  in  jambische  Trimeter  verwässerte, 
gleich  als  wollte  er  den  weiten  Abstand  seiner  steifleinenen  Versifikation 
von  wahrer  Poesie  dem  Leser  ad  oculos  demonstrieren  (Ausg.  von  Miller 
n  317  ff.). 

4.  Gedichte  auf  Kunstwerke,  teils  kurze,  teils  ausführlichere  Epi- 
gramme auf  religiöse  Bilder,  Skulpturen,  Votivgegenstände,  liturgische 
Bücher  und  Gefässe,  Gotteshäuser,  Medaillen,  Gemmen,  auch  auf  profane 
Objekte  wie  auf  eine  Reiterstatue  des  Justinian,  auf  einen  Becher,  einen 
Siegelring  u.  a.;  selbst  so  unscheinbaren  Dingen  wie  einer  zersprungenen 
und  durch  Eisenklammern  zusammengehaltenen  Marmorschwelle  weiss  Philes 
eine  epigrammatische  Spitze  abzugewinnen.  Manche  Stücke  beziehen  sich 
auf  bestimmte,  näher  bezeichnete  Werke  wie  auf  die  Marmorstatuo 
des  hl.  Georg  im  Kloster  Manganon,  auf  eine  Reliefdarstellung  des  Opfers 
Abrahams  im  Blachernenpalaste.  Hiezu  kommt  die  Beschreibung  eines  im 
Kaiserpalaste  befindlichen  Bildes  (oder  Mosaiks?)  der  Erde,  die  jedoch 
im  cod.  Vaticanus  einem  Manuel  Melissenos  zugeschrieben  wird.»)  Das 
Gedicht  auf  eine  Darstellung  der  Hochzeit  Alexanders  des  Grossen 
ist,  wie  im  Titel  selbst  verraten  wird,  eine  Paraphrase  des  kleinen  lukia- 
nischen  Stückes  Herodot  oder  Aetion.  Eine  besondere  Erwähnung  ver- 
dienen noch  sechs  Gedichte  auf  bildliche  Darstellungen  der  aus  dem  Bar- 

')  B.  Stark,  De  Tellure  dea  dequo  eius  1    Auch  bei  E.  Miller  II  267  f. 
imagine  a  Man.  Phile  descripta,  Jenae  1848.   | 


I 


2.  Profanpoesie.   (§  204.)  379 

laamroman  bekannten  indischen  Parabel  vom  Lebensbaum,  den  Mäusen 
und  dem  Drachen.  Endlich  gehören  hieher  die  Verse  auf  eine  allegorische 
Darstellung  der  zwölf  Monate  (s.  §  197,  9).  So  gewährt  uns  Philes  eine 
förmliche  Bilder-  und  Skulpturengallerie  seiner  Zeit.  Da  er  —  ganz 
im  Gegensatze  zu  den  Phantasiegebilden  des  Meliteniotes  —  allem  An- 
scheine nach  meist  wirkliche  Werke  vor  sich  hatte,  so  sind  aus  einer 
Untersuchung  dieser  Gedichte  brauchbare  Aufschlüsse  für  die  byzantinische 
Ikonographie  zu  erwarten. \)  Auch  rein  litterarisch  betrachtet  sind  sie 
nicht  ohne  Wert,  und  jedenfalls  gehören  sie  zu  den  besten  Leistungen  des 
Philes. 

5.  Gelegenheitsgedichte  und  Vermischtes.  Den  breitesten  Raum 
beanspruchen  in  dieser  Gattung  die  von  knechtischer  Devotion  überfliessen- 
den  Lob-,  Bitt-  und  Dankgedichte  an  die  Mitglieder  des  Kaiserhauses 
und  hohe  Würdenträger  in  Staat  und  Kirche.  Manche  besitzen  histori- 
schen Wert,  so  die  Schilderung  seiner  Gesandtschaftsreise  zu  den  Russen, 
verschiedene  Gedichte  an  den  Protostrator  Glabas  (bes.  das  umfangreiche 
Stück  II  240  ff.),  an  seinen  Gönner  Patrikiotis,  ein  Trostgedicht  an  den 
Kaiser,  als  die  „Sikelioten"  Thrazien  verwüsteten,  u.  a.  Weitere  Anlässe, 
welche  Philes  zu  poetischen  Versuchen  begeistern,  sind  die  Rückkehr  des 
Michael  Palaeologos  aus  dem  Abendlande,  ein  angeblicher  Sieg  des 
Kaisers  über  die  -Barbaren",  eine  Feuersbrunst  im  Kynegesion,  Todes- 
fälle in  der  kaiserlichen  Familie  und  verschiedene  Kirchenfeste.  An 
einen  Bardales 2)  sendet  er  ein  Gedicht  als  Begleitschreiben  eines  Theo- 
phrastexemplares,  das  ihm  jener  geliehen  hatte,  und  bittet  ihn  um  den 
Alexander  von  Aphrodisias.  Die  meisten  dieser  Stücke  sind  voll  der  wider- 
lichsten Schmeicheleien.  Den  Gipfelpunkt  erreicht  die  lakaienhafte  Unter- 
würfigkeit aber  in  den  eigentlichen  Bettelgedichten.  Zu  allen  Thüren 
streckt  er  seine  leere  Hand  herein.  Einen  Neffen  des  Kaisers  mahnt 
er  an  sein  Versprechen,  ihm  Wein  und  ein  Pferd  zu  schenken:  „Ich  bin 
Dein,  Dein,  der  beste  Kalligraph  Deiner  Verdienste:  aber  lass  Deine  Miss- 
gunst fallen  und  zögere  nicht  länger,  mir  das  Versprochene  zu  spenden!" 
Den  Domestikos  der  orientalischen  Themen  bittet  er  um  Hasen  und 
Rebhühner,  denn  er  habe  das  ewige  Schweinefleisch  endlich  satt;  oder  aber 
er  möge  ihm  goldene  Schlingen  senden,  damit  er  die  in  der  Stadt  allent- 
halben aufgehängten  Gänse  und  Enten  erhaschen  könne.  Der  kaiserliche 
Jagdmeister  soll  ihm  Gerste  für  seine  Pferde,  der  Patriarch  ein  ver- 
sprochenes Rind  liefern.  Die  Muse  wird  hier  zur  wahren  Hochstaplerin, 
die  ihrem  Herrn  sogar  die  nötige  Garderobe  besorgen  muss.  Den  Patri- 
archen Theodor  Xanthopulos  bittet  Philes  in  einem  langen  Gedichte 
um  einen  warmen,  wohlgefütterten  russischen  Pelzmantel,  ausserdem  um 
Wein,  Pferdefutter  und  das  unentbehrliche  Kleingeld.  Wenn  er  sich  gar 
dem  Kaiser   selbst   naht,   verliert   er  alle  Besinnung   und   seufzt  wie  ein 


')  Eine  Probe  einer  solchen  Untersuchung  I  gleicht.  Comptes  rendus  de  l'acadeniie  des 
gibt  G.  Schlumberger,  indem  er  den  Deckel  inscriptions  et  heiles  lettres  IV.  serie  13 
eines    byzantinischen    Reliquiariums   des    hl.  ,  (1886)  351  f. 

Stephanos  mit  Gedichten  des  Philes,  in  denen  I  *)  Vgl.  Max  Treu,  Max.  monachi  Pla- 

solche  Reliquiarien  beschrieben  werden,  ver-  |  nudis  epistulae  S.  200. 


380  Byzantinische  Litteraturgeschichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

liebestoller  Seladon:  „0  Kaiser,  Dein  bin  ich,  Dich  allein  atme  ich;  o  Kaiser. 
Dein  bin  ich,  Dich  allein  schaue  ich;  und  lebe  durch  Dich,  den  Hauch  der 
Ausonen;  und  lebe  durch  Dich,  den  mächtigen  Lichthort,  der  das  Dunkel 
der  Seele  verscheucht,  wenn  der  Sturm  des  Kummers  über  mich  herein- 
bricht!" (II  131).  Dazu  kommen  Stücke  vermischten  Inhalts,  so  eine 
Apologie  gegen  einen,  der  ihn  verspottete,  weil  er  angeblich  behauptet 
hatte,  er  habe  in  Persien  eiergebärende  Weiber  gesehen,  Epigramme  auf 
die  Rose,  ^)  auf  Sonne,  Mond,  Erde  und  Meer,  ein  grosses  paränetisches 
Gedicht  (I  359)  u.  s.  w.  Manche  Stücke  sind  wohl  als  vorrätige  Ware 
für  plötzliche  Bestellungen  zu  denken  z.  B.  Klageverse  eines  Mannes, 
dessen  Kinder  gestorben  sind,  eine  Grabschrift  auf  eine  tugendhafte 
Frau  u.  a. 

Philes  besitzt  ohne  Zweifel  eine  bedeutende  Gewandtheit  in  der 
Form  und  erfreut  uns  namentlich  in  den  kleineren  Stücken  nicht  selten 
durch  glückliche  Gedanken;  die  meisten  seiner  Machwerke  ermüden 
aber  durch  den  übermässigen  Schwulst,  durch  die  Ueberhäufung  mit  Me- 
taphern, Wortspielen  und  Allegorien,  auch  durch  sonstige  Geschmacklosig- 
keiten. Als  Mensch  stösst  uns  Philes  ab  durch  den  selbst  bei  Byzan- 
tinern seltenen  Grad  gemeiner  Speichelleckerei.  Darnach  ergibt  sich  seine 
Charakteristik  von  selbst.  Ganz  verfehlt  ist  es,  wenn  man  ihm  einen 
Platz  unter  den  Dramatikern  anweist;  dazu  berechtigt  nichts,  auch  nicht 
die  erwähnten  dialogischen  Stücke,  die  zudem  für  seine  litterarische  Ge- 
samterscheinung ganz  unwesentlich  sind.  Philes  ist  nach  der  Mannigfaltig- 
keit seiner  Produktion  vorzüglich  mit  zwei  byzantinischen  Dichtern  zu 
vergleichen,  mit  Georgios  Pisides  und  mit  Theodoros  Prodromos,  mit 
denen  er  auch  in  den  Handschriften  zusammengeht.  Sein  eigentlicher 
Vorläufer  und  Doppelgänger  aber  ist  Prodromos;  Philes  ist  ein 
Ptochoprodromos  in  stark  vermehrter  und  verschlechterter  Auflage.  Beide 
sind  die  byzantinischen  Hofdichter  xar  s^oxrjr  und  beide  sind  hierin  für 
die  spätere  Zeit  typisch  geworden;  wie  Prodromos  von  Philes  und  manchen 
anderen,  so  wurde  auch  noch  Philes  von  späteren  Dichterlingen  nachge- 
ahmt, ein  Verhältnis,  das  sich  schon  äusserlich  dadurch  ausspricht,  dass 
in  den  Handschriften  die  Gedichte  des  Prodromos,  Philes  und  verwandter 
Geisteskinder  so  durcheinander  gemischt  sind,  dass  ihr  Eigentum  sich  oft 
schwer  absondern  lässt.  Wie  bei  Prodromos  treffen  wir  auch  bei  Philes 
zahlreiche  epigrammatische  Gedichte  auf  Kirchenfeste,  Stücke  der  hl.  Schrift 
und  ähnliche  Stoffe;  wie  Prodromos,  so  besang  auch  Philes  eine  allegorische 
Darstellung  der  12  Monate;  bei  beiden  finden  wir  Spuren  Lukians;  bei 
beiden  auch  das  dialogische  Element.  Dieselbe  Verwandtschaft  zeigen  sie 
in  ihrem  Charakter  und  in  ihrer  äusseren  Lebensstellung;  Philes  ist  wie 
sein  Vorgänger  ein  Stiefkind  des  Schicksals,  ein  Hunger-  und  Betteldichter, 
ein  Ptochophiles  wie  jener  ein  Ptochoprodromos.  Wie  Prodromos  für  die 
Komnenenepoche  so  ist  Philes  für  die  Paläologenzeit  der  Typus  des 
vielgeschäftigen,  dürftigen,  aber  anspruchsvollen  litterarischen  Dilettanten, 

')  In  solchen  Stücken  erkennt  man  wie-  der  Nachtigall,  der  Kose  u.  dergl.  üblich 
denim  dio  NuchM'irkung  der  antiken  Soplii-  waren.  S.  E.  Rohde,  Der  griech.  Roman. 
Stik,  in  welcher  Schilderungen  des  Frühlings,      S.  335. 


2.  Profanpoesie.   (§  205—207.)  381 

der  die  Leiter  der  staatlichen  Aemter  nicht  zu  erklimmen  vermag  und  froh 
ist,   in   den  Vorhöfen  wohlhabender  Gönner   sein   Fortkommen  zu  sichern. 

1.  Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Ein  Teil  der  Gedichte  \\Tirde  ediert  von  Werns- 
dorf,  Ideler,  Pauw  und  anderen.  Jetzt  sind  sämtliche  Gedichte  in  zwei  Ausgaben  ver- 
einigt: Die  naturwissenschaftlichen  Stücke  in  den  Pogtae  bucolici  et  didactici  edd.  Fr. 
Dübner  et  F.  S.  Lehrs,  Paris,  Didot  1862;  alles  Uebrige  in:  Manuelis  Philae  carmina 
ed.  E.  Miller,  2  voll.,  Paris  1855 — 57  (unmethodische,  nachlässige  und  oberflächliche 
Arbeit).  —  Kritische  Beiträge  zum  Gedicht  über  die  Eigenschaften  der  Tiere:  G.  Patakis, 
Philologus  8  (1853j  524  ff.  (einige  gute  Verbessenmgen  neben  manchen  Willkürlichkeiten) 
und  C.  Ludw.  Struve,  Opuscula  selecta,  vol.  I  (Lipsiae  1854)  158  ff.  (fast  wertlos).  — 
Zur  Ikonographie  vgl.  ausser  den  oben  zitierten  Arbeiten  von  Stark  und  Schlumberger 
noch  Bruno  Keil,  Wiener  Studien  11  (1889)  115  ff.,  wo  das  Gedicht  über  die  12  Monate 
ediert  und  besprochen  ist.  —  Zu  den  dialogischen  Stücken  s.  C.  N.  Sathas,  'larogixoy 
doxiutoy  Tiegi  rov  ^sktqov  xal  rijs  fxovaiy.fjg  Tujy  Bv^ayr.  S.  390  ff. 

2.  Handschriften:  Miller  benützte  für  seine  Ausgabe  vier  grosse  Sammel- 
codices, einen  Escurialensis,  Parisinus,  Florentinus,  Vaticanus;  dazu  verwertete  er  noch 
einen  Monacensis.  Gänzlich  unbenutzt  ist  noch  eine  reichhaltige  Turiner  Handschrift, 
in  der  sich  vielleicht  noch  unedierte  Stücke  befinden ;  s.  Millers  Praefatio  S.  XIH.  —  Ausser 
den  Gedichten  des  Philes  edierte  Miller  auch  die  in  seinen  Handschriften  imter  dieselben 
gemischten  Stücke  des  Prodromos,  Christophoros  von  Mytilene,  Maximos  Holo- 
bolos,  eines  Athanasios  Monachos,  Alexios  Makrembolites  u.  a. 

205.  Georgios  der  Grammatiker,  aus  unbekannter  Zeit,  verfasste 
in  achtsilbigen  byzantinischen  Anakreonteen  schwächliche  Epithalamien 
und  eine  Reihe  von  Gedichten,  die  zu  der  ziemlich  seltenen  Art  der  poe- 
tischen /ifAtT/;  gehören.  Sein  Lieblingsthema  bilden  die  verschiedenen 
Rollen,  welche  die  Rose  in  der  alten  Mythologie  spielt,  z.  B.  Was  sagte 
wohl  Ares,  als  Aphrodite  durch  einen  Rosendorn  verletzt  wurde?  Was 
sagte  wohl  Apollo,  als  er  bei  der  Verfolgung  der  Daphne  durch  Rosen- 
dornen  aufgehalten  wurde?  Was  sagte  Phädra,  als  sie  den  Hippolytos  mit 
Rosen  bekränzt  sah? 

1.  Ed.  P.  Matranga,  Anecdota  Graeca  II  (1850)  573  ff.;  648  ff.  —  Zum  Teil  wieder- 
holt von  Th.  Bergk,  Poetae  lyrici  Graeci  IH  (1867)  1098—1108.  —  Ueber  andere  poetische 
Schilderungen  der  Rose  s.  S.  380. 

2.  Verwandt  mit  den  schulmässigen  Gedichten  des  Georgios  ist  das  mythologisierende 
Anakreontikon  Eig  t«  BQovfiüXicc  von  einem  gewissen  Grammatiker  Akoluthos.  Ed. 
Matranga  a.  a.  0.  II  571  f.  —  Wiederholt  bei  Th.  Bergk,  Poetae  lyr.  Gr.  Ill  1097. 

3.  Gänzlich  unbekannt  ist  auch  der  Sj-nkeUos  und  Priester  Elias,  von  dem  Ma- 
tranga a.  a.  0.  II  641 — 648  ein  , erbauliches"  'Jyaxosöyreioy,  das  aus  vierzeiligen,  akro- 
stichisch geordneten  Strophen  besteht,   und   ein  0Q7]yt]Tix6y  eig  euvröy  veröffentlicht  hat. 

206.  Johannes  Katrares,  ein  sonst  nur  als  Kopist  bekannter  Mann, 
der  im  14.  Jahrhundert  lebte,  verfasste  ein  für  die  byzantinische  Ethno- 
graphie beachtenswertes  Spottgedicht.  Das  aus  219  prosodielosen,  acht- 
silbigen Anakreonteen  bestehende  Pamphlet  richtet  sich  gegen  den  „Phi- 
losophen" und  „Rhetor"  Neophytos,  dem  neben  anderen  Lastern  auch 
unreine  Abstammung  und  barbarische  Sprache  vorgeworfen  wird: 

Boi'Xtt  xcd  uoQ(ft]y  (ixovaai; 
Trjv  ^uey  yt'yytjy  iarl   Bkä^og, 
'AXßayitrjg  de  rrjy  oxpiy, 
Tov  de  aw/uarog  rrjy  d^t'aiy 
BovXy(tQa}.ßccyitoßXd)[og. 
Ed.  Matranga,  Anecdota  Graeca  H  (1850)  675—682. 

207.  Georgios  Lapithes  lebte  in  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts 
in  Cypern.  In  behaglicher  und  angesehener  Lebensstellung  und  mit  der 
griechischen  wie  abendländischen  Wissenschaft  vertraut,  genoss  er  die 
Freundschaft   der   Herrscher   aus   dem   Hause   Lusignan    und   verkehrte 


SÖ2  Byzantinisciie  Litteraturgesckichie.    11.  ^oetisclie  Litterahir. 

brieflich  mit  den  gelehrtesten  Griechen  seiner  Zeit.  Wir  finden  unter 
seinen  Korrespondenten  den  Historiker  Nikephoros  Gregoras  und  den 
berühmten  Kalabreser  Mönch  Bari aam  (f  1348);  der  letztere  schrieb  auch 
Lösungen  zu  wissenschaftlichen  Fragen,  die  ihm  Lapithes  aufgegeben 
hatte:  BaqXadfx  liioraxov  Xvaetg  eig  rag  €7T€vex^£i(Tctg  avio)  uKOQiag  nagte 
Tov  aotfoirätov  rfoigyfov  rov  ^ajitO^ov.  Weitere  biographische  Nachrichten 
verdanken  wir  seinem  Zeitgenossen  Agat hangelos,  einem  litterarischen 
Gegner  des  Nikephoros  Gregoras. 

Lapithes  hinterliess  uns  ein  moralisches  Lehrgedicht  in  1491 
ziemlich  nachlässig  gebauten  politischen  Fünfzehnsilbern:  ^ti'xoi  avxo- 
GxtSioi  eig  xoivi]v  äxor^v  d.  h.  Stegreifverse  zu  allgemeiner  Kunde.  Die 
gute  Meinung,  die  wir  uns  aus  dem  erwähnten  Briefwechsel  über  Lapithes 
zu  bilden  geneigt  sind,  wird  durch  dieses  Werk  sehr  herabgedrückt.  Neben 
philosophischen  und  moralischen  Grundsätzen  werden  hier  praktische  Regeln 
für  das  Verhalten  im  Staate,  in  der  Gesellschaft,  in  den  verschiedenen 
Lebensstellungen  und  besonders  in  der  Familie  mit  langweiliger  Breite  vor- 
getragen. Statt  des  derben,  aber  doch  urwüchsigen  Tones,  welcher  den 
verwandten  Erzeugnissen  der  vulgärgriechischen  Litteratur  wie  dem  Spa- 
neas  und  den  späten  Gedichten  eines  Sachlikis  und  Depharanas  eine 
gewisse  Teilnahme  sichert,  herrscht  hier  nur  seichte  Trivialität.  Die  Kom- 
position des  Werkes  scheint  original,  im  einzelnen  sind  Sentenzen  der  hl. 
Schrift,  des  Isokrates  u.  a.  verwertet.  Der  Herausgeber  hatte  den  merk- 
würdigen Einfall,  diese  lendenlahme  Versprosa  als  Lektüre  für  Griechisch 
lernende  Studenten  zu  empfehlen. 

Ed.  aus  cod.  Paris.  2877  von  Fr.  Boissonade,  Not.  et  extr.  12  (1831)  2,  1—74: 
in  der  Einleitung  die  biographische  Notiz  des  Agathangelos  und  drei  Briefe  des  Lapithes 
an  Nikephoros  Gregoras.  —  Wiederholt  von  Migne,    Patrol.  Gr.  149  (1865)  1002—1046. 

208.  Meliteniotes.  Unter  diesem  Namen  geht  ein  grosses  allegori- 
sches Gedicht  in  3060  politischen  Fünfzehnsilbern:  Elg  xi]v  aojtfQooavvr^v, 
mit  dem  metrischen  Nebentitel:  'EQonixrj  dirjyr^aig,  aXld  aoitfQorfffTavr]  || 
MtTQov  Ti  xai}r^dvvovaa  rovg  iqaaxdg  tov  Xöyov.  Aus  der  Familie  der 
Melitenioten,  die  am  Ende  des  13.  und  im  Anfange  des  14.  Jahrhunderts 
in  Konstantinopel  blühte,  kennen  wir  fünf  zum  Teil  in  theologischer  und 
medizinischer  Litteratur  thätige  Glieder,  einen  Theodor,  zwei  Kon- 
stantin, einen  Manuel  und  einen  Johannes;  ob  einer,  bzw.  welcher 
von  ihnen  der  Verfasser  unseres  Gedichtes  ist,  bleibt  dahingestellt.  AVenn 
V.  1348  mit  den  Worten  BuXadf.i  (sehr.  Bagkad/n)  6  xdxiaiog  fidriig  ifievdo- 
nQO(fr]Ti^g  der  durch  seine  dogmatischen  Streitigkeiten  bekannte  Kalabreser 
Mönch  Barlaam  (f  1348)  gemeint  ist,  müssen  wir  das  Gedicht,  welches 
der  Herausgeber  in  die  Scheide  des  13.  und  14.  Jahrhunderts  zu  setzen 
geneigt  ist,  wohl  in  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  herabrücken. 
Jedenfalls  gehört  es  zu  den  spätesten  Produkten  der  byzantinischen  Poesie. 

Der  Dichter  beginnt  mit  scharfen  Hieben  auf  die  lügenhaften  Er- 
zählungen des  Aesop,  die  Truggeschichten  des  Stephanites  und  Ichne- 
lates  und  ähnliche  Fabeleien  des  Altertums,  denen  er  sein  Werk  als 
XufiTXQd  öu'ji^aig  xal  naraXijO^faiditj  gegenüberstellt.  Diese  herrliche  und 
durchaus  wahre  Erzählung  hat  folgenden  Inhalt:    Der  Dichter  ergeht  sich 


ö.  Profanpoesie.  (§  208.)  gÖä 

in  freier  Grottesnatur,  um  die  Schönheit  des  ersten  Maitages  zu  gemessen; 
da  erscheint  ihm  eine  wunderbare  Jungfrau,  Sophrosyne;  vor  Schrecken 
fällt  er  beinahe  in  Ohnmacht  und  kann  sich  erst  fassen,  als  ihm  die  Jung- 
frau den  Zweck  ihrer  Sendung,  ihre  Heimat  und  Abkunft  verrät  und  ihm 
ausdrücklich  versichert,  dass  er  es  nicht  mit  einem  bösen  Geiste  zu  thun 
hat.  Nachdem  der  Dichter  weitere  Anfälle  von  Zähneklappern  siegreich 
überwunden  hat,  ermannt  er  sich  endlich  und  bittet  die  Sophrosyne  um 
Belehrung.  Sie  erzählt  ihm,  als  er  so  ganz  verlassen  und  ohne  Kenntnis 
des  drohenden  Todes  umherirrte,  habe  sie  sich  seiner  erbarmt  und  wolle 
ihn  nun  in  der  Wahrheit  unterrichten.  Zu  diesem  Zwecke  führt  sie  ihn 
in  den  wundervollen  Wohnsitz,  welchen  Gott  ihr  verliehen  hat.  Es  ist 
ein  herrlicher  Lustgarten  mit  einem  zauberhaft  ausgeschmückten  Schlosse. 
Den  Eingang  zum  Parke  versperren  sieben  Hindernisse  {(fgovQta),  so 
da  sind  ein  Strom,  eine  Brücke,  das  Thor  der  Brücke,  wilde  Tiere,  ein 
Graben,  ein  dorniger  Hain,  endlich  eine  Mauer.  Bei  jedem  (foovQiov  gerät 
der  Dichter  in  neue  Furcht,  aber  die  stets  wiederholte  Ermunterung  der 
Jungfrau  lässt  ihn  alle  Schwierigkeiten  überwinden.  Die  Schilderung  der 
Hindernisse  gibt  Gelegenheit  zur  Ausbreitung  mythologischer  und  natur- 
wissenschaftlicher Kenntnisse;  bei  den  wilden  Tieren  z.  B.  wird  der  ganze 
Vorrat  alter  und  mittelalterlicher  Fabelwesen,  wie  Drache,  Pegasos,  Ker- 
beros, Vogel  Greif,  Onokentauros,  Chimära,  sogar  der  „Satyr",  mit  ihren 
Eigenschaften  ausführlichst  beschrieben.  Endlich  betritt  der  Dichter  das 
Schloss.  Auch  hier  wird  dem  Leser  nichts  erlassen;  Wände,  Decke, 
Säulenhallen,  Kuppeln  werden  mit  unverwüstlicher  Redeseligkeit  geschildert. 
Den  Gipfel  und  Mittelpunkt  des  Ganzen  bildet  das  Ruhelager  der  Sophro- 
syne. Zwar  sind  Zeichen  des  Todes  angebracht,  damit  sie  nicht  in  irdische 
Gedanken  verfalle;  im  übrigen  finden  wir  eine  Verschwendung  von  Gold, 
Silber  und  Edelsteinen,  wie  sie  kaum  in  einem  anderen  Werke  der  phan- 
tastischen Märchenlitteratur  wiederkehrt;  die  Aufzählung  der  zum  Schmucke 
des  Bettgestelles  dienenden  Edelsteine  füllt  allein  mehi'ere  Seiten;  es  ist 
ein  förmliches  Wörterbuch  der  Mineralogie  in  politischen  Versen. 
Neuen  Anlass  zur  Ausschüttung  mythologischer,  historischer  und  litterari- 
scher Erudition  bietet  die  Schilderung  der  Umfassungsmauern  des 
Parkes;  ihren  Schmuck  bilden  nämlich  Standbilder  aller  berühmten 
Männer  des  alten  und  neuen  Bundes,  des  heidnischen  Altertums  und  der 
christlichen  Aera.  Die  phantastische  Afterweisheit,  die  bei  der  Beschrei- 
bung dieser  Werke  entfaltet  wird,  überbietet  alles,  was  sich  ein  Malalas 
in  dieser  Hinsicht  geleistet  hat.  In  wunderlicher,  nur  durch  den  Zufall 
bedingter  Zusammenstellung  wird  eine  endlose  Gallerie  anerkannter  und 
dunkler  Zelebritäten  vorgeführt,  Prometheus,  der  „Erfinder  der  Grammatik", 
neben  dem  falschen  Propheten  Barlaam,  Euripides  neben  Nachor,  Julius 
Africanus  neben  Lykurgos,  Heraklitos  neben  Sophokles,  Enoch,  der  „Er- 
finder der  Buchstaben",  neben  dem  Periegeten  Dionysios;  der  ganze  Suidas 
scheint  ausgeschöpft,  um  die  überschwellende  Fülle  von  Namen  zu  liefern. 
Auf  einer  zweiten  Mauer  finden  wir  alle  Götter  der  Griechen,  überladen 
mit  echten  und  unechten  Attributen;  selbst  Venus  stellt  sich  ein,  freilich 
als   xäxiarog   ^sd  xai  ^tQvn:aQ0Dfurr^.     Die    dritte   Mauer   bringt   eine   Art 


384  Byzantinische  Litteraturgescliichte.    II.  Poetische  Litteratur. 

Nachlese  zu  den  Standbildern  der  ersten,  besonders  Helden  des  alten  Bundes 
und  des  heroischen  Zeitalters  der  Griechen,  Moses,  David,  Herakles,  Kad- 
mos  u.  a.  Endlich  wird  der  Park  selbst  mit  allem  Zubehör,  wie  einer 
Weinpflanzung,  einem  Teiche  und  einem  Bade  geschildert;  den  Beschluss 
bildet  ein  ebenso  wortreicher  als  nichtssagender  Panegyrikus  auf  die  Schön- 
heit der  Schlossherrin  selbst.  Wii-  fragen  uns  noch  immer,  was  bezweckt 
diese  nebelhafte  Sammlung  von  Raritäten  mit  dem  hochaufgetürmten 
Flitterstaat  ellenlanger  Beiwörter!  Die  Antwort  erteilt  uns  der  Dichter 
in  den  letzten  hundert  Versen,  in  der  egfur^ieia  tüv  tnxu  (fQovQtcov.  Die 
sieben  Hindernisse  bedeuten  die  Fallstricke,  die  den  Weg  zur  Tugend 
versperren,  die  gefährliche  Wanderung  durch  die  sieben  Weltalter  und 
Aehnliches;  der  Park  ist  das  Paradies.  Wie  der  Dichter  den  sinnlichen 
Baumgarten  in  seiner  Herrlichkeit  erblickte,  so  möge  ihm  dereinst  ver- 
liehen werden,  das  geistige  Paradies  zu  schauen! 

So  erscheint  das  Werk  des  Meliteniotes  poetisch  als  ein  Monstrum; 
aber  auch  der  vermeintliche  antiquarische  Nutzen  schwindet  bei  ge- 
nauerer Betrachtung  auf  ein  sehr  bescheidenes  Mass  zusammen.  Von  einer 
Benützung  guter,  uns  verlorener  Quellen  kann  kaum  die  Rede  sein;  was 
in  dem  Wüste  von  Raritäten  und  Attributen  neu  zu  sein  scheint,  ist  meist 
nur  Verunstaltung  bekannter  Namen  und  willkürliche  Erfindung.  Immerhin 
mag  das  Gedicht  in  einer  Geschichte  der  allegorisch-moralisierenden 
Poesien  als  eines  der  wundersamsten  Beispiele  der  ganzen  Gattung  seine 
Stelle  finden.  Von  byzantinischen  Werken  ist  in  der  Gesamtanlage  besonders 
der  yiöyog  TTagrjoQr^Tixog  neq!  evTt'xiccg  (s.  den  Anhang)  zu  vergleichen;  die 
phantastischen  Schilderungen  des  Parkes  und  Schlosses  erinnern  an  die 
byzantinischen  Versromane,  besonders  an  die  vulgären  und  halbvulgären 
Rittergeschichten.  Mit  diesen  Erzeugnissen,  auf  die  schon  der  erwähnte 
Nebentitel  hinweist,  hat  unser  Werk  auch  die  zahllosen  zum  Teil  will- 
kürlichen, zum  Teil  aber  auf  wohl  bezeugten  Thatsachen  der  Vulgärsprache 
beruhenden  Komposita  gemeinsam  wie  7roQ(fVQok€vxoxöxxivog,  xq^^^otiqu- 
aivi^oo,  hyvQotfO^oyytM,  ßsvsTotf^oQäw,  navsvTXQenrfi  u.  s.  w. 

Das  Werk  ist  aus  cod.  Paris.  1720  keineswegs  mustergültig  ediert  von  E.  Miller, 
Notices  et  extraits  19  (1858)  2,  1 — 138.  —  Theologische  Schriften  eines  Theodoros  Meli- 
teniotes, der  nach  AUatius  um  1361  schrieb  und  in  der  Ueberschrift  seiner  Werke  als 
fisyag  aaxsXXäQioi  rrj?  ayiwriaj]?  [xsyüXrjg  xov  &£ov  ixxXrjaing  xni  didnaxakog  rwy  didaa- 
xäXuy  xcd  dQ^idiäxavog  bezeichnet  wird,  ed.  A.  Mai,  Nova  patrum  bibliotheca,  vol.  6 
(Romae  1853)  2,  449 — 509.  —  Wiederholt  nebst  einem  Stücke  eines  Werkes  über  Astro- 
nomie bei  Migne,  Patrol.  Gr.  149  (1865)  877  —  1002.  -  Theologische  Schriften  eines 
Konstantinos  Meliteniotes  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  141  (1865)  1031—1274. 


Dritte  Abteilung. 


Anhang. 

Vulgärgriechische  Litteratur. 


Einleitung'. 

209.  Begriffliche  Erklärung.  Wie  sich  in  den  lateinischen  und 
latinisierten  Ländern  neben  der  relativ  einheitlichen  Schriftsprache  volks- 
mässige  Idiome  ausbildeten,  so  entfernte  sich  auch  im  griechischen  Osten 
die  lebendige  Sprache  von  der  im  grossen  und  ganzen  stabilen  Schrift- 
gräzität  im  Laufe  der  Zeit  in  einem  solchen  Grade,  dass  man  sie  als  etwas 
Besonderes  fühlte  und  bezeichnete.  Die  Griechen  nannten  ihre  einfache, 
volksmässige  Umgangssprache  yXwaaa  6rj!ioJ6r^g,  arrA/J,  anXosXXrjVixi],  xad^^- 
f.ia^fi\u6rr^,  xad^o)i.iiXr^fjsrrj,  '^Pcoixaiixr^  im  Gegensatz  zum  Attischen,  Helle- 
nischen und  zur  xoiri]  diäXexroc.  Während  jedoch  im  Abendlande  das  eine 
Latein  sich  in  verschiedene  Landessprachen  auflöste,  blieb  im  Osten 
die  Einheit  gewahrt.  Zwar  entstanden  auch  hier  einige  neue,  von  den 
alten  Mundarten  nach  ihrer  inneren  Beschaffenheit  und  ihrer  geographischen 
Verbreitung  völlig  verschiedene  Lokaldialekte;  ihre  Differenzen  waren 
aber  nicht  bedeutend  genug,  um  eine  Sprachspaltung  hervorzubringen; 
auch  hätte  die  stets  zentralistische  Tendenz  des  byzantinischen  Reiches, 
welches  in  den  kritischen  Jahrhunderten  der  Sprachenneubildung  noch  die 
meisten  griechischen  Provinzen  in  sich  vereinigte,  jedem  Sondergelüste 
mächtige  Schranken  entgegengesetzt.  Weit  folgenreicher  wurde  ein  anderer 
Unterschied  in  der  sprachlichen  Entwickelung  der  Griechen  und  Lateiner. 
Die  grosse  Sprachenhäutung  vollzog  sich  im  Osten  wie  im  Westen  ziemlich 
gleichmässig  und  gleichzeitig;  während  jedoch  die  lateinischen  Nationen 
die  frischen,  kräftigen  Neubildungen  dankbar  annahmen  und  sorgsam  pfleg- 
ten, zogen  die  Griechen  es  vor,  die  im  Spiritus  der  Schulbildung  künst- 
lich aufbewahrte,  erstarrte,  verblasste  und  leblose  alte  Haut  als  litterarischen 
Sonntagsstaat  auch  fernerhin  zu  tragen  oder  wenigstens  die  neue  Haut  mit 
Fetzen  der  alten  zu  verkleistern  und  zu  verdecken.  Das  Latein  wurde 
von  den  Landessprachen  in   einem   langsam  fortschreitenden,   aber  unauf- 

Handbuch  der  klass.  AltcrtumswIasenRcbaft.  IX.     1.  Abtlg.  25 


386     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgärgriecliische  Litteratur. 

haltsamen  Prozesse  zuerst  aus  den  populären,  dann  aus  den  gelehrten 
Litteraturgattungen  verdrängt  und  konnte  zuletzt  naturgemäss  nur  noch 
die  Stellung  einer  schriftlich  aufbewahrten  toten  Sprache  behaupten;  im 
griechischen  Osten  ist  es  zu  einer  so  konsequenten  Trennung  zwischen 
dem  Alten  und  Neuen,  dem  Toten  und  Lebendigen  niemals  gekommen. 
Die  schulmässige  Tradition  besass  hier  eine  solche  Widerstandsfähig- 
keit, dass  die  Volkssprache  ihr  gegenüber  eine  schwache  Rivalin  blieb 
und  auf  keinem  Gebiete  des  schriftlichen  Ausdrucks  einen  nachhaltigen 
Sieg  errang.  Die  im  wesentlichen  auf  der  Formenlehre  und  dem  Wörter- 
buche des  Altgriechischen  beruhende  byzantinische  Schriftsprache 
behauptete  in  den  wichtigsten  Litteraturgattungen,  in  der  Geschichtschrei- 
bung, in  der  Philosophie,  Theologie,  Rhetorik,  Altertumswissenschaft  und 
selbst  in  der  Poesie  die  Oberhand;  ihre  Herrschaft  überdauerte  die  ge- 
waltigen politischen  Umwälzungen,  welche  die  erste  und  zweite  Eroberung 
von  Konstantinopel  mit  sich  brachten,  und  sie  besteht  mit  einigen  Modifi- 
kationen noch  heute.  Bei  den  Griechen  fand  sich  kein  Dante,  der  die 
verachtete  Volkssprache  in  Denkmälern  von  unbestrittener  Schönheit  und 
Wahrheit  schriftlich  fixiert,  ihre  Ausdrucksfähigkeit  bewiesen  und  ihr  vor 
aller  Welt  zum  gesetzlichen  Rechte  verhelfen  hätte.  Vielmehr  bemächtigte 
sich  gerade  in  der  Zeit,  welche  zur  Ausbildung  einer  neuen  Litteratur- 
sprache  die  günstigsten  Bedingungen  geboten  hätte,  nämlich  im  12.  bis 
15.  Jahrhundert,  durch  das  Wiederaufleben  der  klassischen  Studien  der 
Litteratur  ein  sprachlicher  Purismus,  der  dieselbe  von  der  lebendigen 
Sprache  mehr  als  je  entfernte.  Obschon  sich  die  Volkssprache  seit  dem 
11.  Jahrhundert  einige  Plätze  in  der  Litteratur  eroberte,  wurde  sie  von 
den  Wortführern  der  Nation  und  den  meisten  Gebildeten  wie  ehedem  als 
ein  niedriges,  gemeines,  zum  Ausdruck  feinerer  Gedanken  und  zu  künst- 
lerischer Gestaltung  unbrauchbares  Werkzeug  bei  Seite  geschoben.  Ihre 
verachtete  Stellung  spricht  sich  deutlich  genug  in  der  litterarhistorischen 
Thatsache  aus,  dass  die  Schriftsteller  mit  verschwindenden  Ausnahmen 
(Prodromos '),  Glykas)  entweder  ausschliesslich  die  Schriftsprache  oder  aus- 
schliesslich die  Volkssprache  anwenden,  eine  Scheidung,  die  um  so  mehr 
in  die  Wagschale  fällt,  als  bei  den  Byzantinern  im  übrigen  die  schranken- 
loseste Vermischung  der  Litteraturgattungen  und  Stilarten  herrscht.  Auf 
solche  Weise  hat  die  litterarische  Ent Wickelung  bei  den  Griechen  seit 
dem  Mittelalter  einen  anderen  Verlauf  genommen  als  bei  den  Romanen. 
Während  die  italienische,  französische  und  spanische  Litteratur  seit  dem 
10.,  bzw.  11.  oder  12.  Jahrhundert  als  eine  einheitliche  Schöpfung  er- 
scheint, trat  bei  den  Griechen  ein  Dualismus  ein,  der  bis  jetzt  nicht 
überwunden  ist  und  schwerlich  jemals  überwunden  werden  wird.  Eine 
äussere  Folge  dieser  in  der  Geschichte  der  europäischen  Sprachen  und 
Litteraturen  einzig  dastehenden  Thatsache  ist  der  Mangel  eines  allgemein 
anerkannten  und  eingeführten  Namens  für  die  mittel-  und  neugriechische 
Volkssprache.  Neugriechisch  deckt  den  Begriif  nicht,  weil  hiemit  einer- 
seits  das   mittelalterliche  Volksgriechisch   ausgeschlossen,   andrerseits   die 

M  Oh  Prodromos  zu  ihnen  gehört,  hängt   1   ob  es  einen  oder  zw  ei  Autoren  dieses  Namens 
von  der  noch  nicht  entschiedenen  Frage  üb,   |   gegeben  hut.     Vgl.  S.  3(37  f. 


Einleitung.  (§  209—210.)  387 

heutige  Kunstsprache  miteingeschlossen  bleibt.  Passender  wäre  der  aus 
der  einstigen  politischen  Zugehörigkeit  der  Griechen  zum  römischen  Reiche 
entsprungene,  beim  Volke  noch  heute  übliche  Ausdruck  Rhomäisch;  doch 
hat  er  wenig  Anklang  gefunden,  weil  er  eine  fremde  Nationalität  bezeichnet 
und  leicht  zu  irrigen  Vorstellungen  Anlass  geben  könnte.  Wir  sind  daher 
gezwungen  in  Ermangelung  eines  genügenden  Ersatzes  den  keineswegs 
sehr  treffenden  Terminus  Vulgärgriechisch  oder  Volksgriechisch  bei- 
zubehalten, und  wir  verwenden  ihn,  ohne  chronologische  Eingrenzung  für 
die  Volkssprache  des  Altertums,  des  Mittelalters  und  der  neueren  Zeit. 
Dem  vulgärgriechischen  Begriffe  gegenüber  steht  die  altgriechische,  mittel- 
griechische und  neugriechische  Kunst-  oder  Schriftsprache.  In  unserer 
Darstellung  bezieht  sich  der  Ausdruck  Vulgärgriechisch,  wenn  er  ohne 
näheren  Zusatz  gebraucht  wird,  natürlich  auf  die  mittelalterliche  Volks- 
sprache. 

Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich  auch,  dass  der  Begriff  Vulgär- 
griechisch sich  mit  Vulgärlateinisch  nicht  völlig  deckt.  Vom  Vul- 
gärlatein kann  nur  die  Rede  sein  bis  zu  dem  Zeitpunkte,  in  welchem 
die  Landessprachen  als  erkennbare  und  nachweisbare  Existenzen  hervor- 
treten: das  Vulgär  griechische  dagegen  erhält  gerade  von  der  Zeit  an, 
in  welcher  der  vulgärlateinische  Begriff  sich  in  den  Landessprachen 
auflöst,  eine  erhöhte  Bedeutung.  Was  man  Vulgär-  und  Provinzial- 
latein  nennt,  geht  (in  runder  Summe  gesprochen)  im  9.  bis  10.  Jahrhun- 
dert zu  Ende;  was  wir  unter  Vulgärgriechisch  verstehen,  reicht  über 
diese  Zeit  hinaus  bis  auf  den  heutigen  Tag.  Zuletzt  möge  noch  ausdrück- 
lich vor  der  in  manchen  Büchern  und  Köpfen  spukenden  Anschauung 
gewarnt  werden,  welche  das  Vulgärgriechische  mit  der  xoirt]  SiäksxTog 
identifiziert  oder  vermischt.  Die  xonrj  ist  eine  vom  Attischen  durch  man- 
cherlei Konzessionen  an  die  Sprache  des  Volkes,  des  Militärs,  der  Kanzlei, 
vielleicht  auch  des  makedonisch-alexandrinischen  Dialekts  abweichende,  in 
der  alexandrinischen  Zeit  ausgebildete  und  dann  ziemlich  stereotyp  ver- 
bliebene Schriftsprache:  ihre  Abweichungen  vom  Attischen  erstrecken 
sich  viel  weniger  auf  die  Formenlehre  als  auf  das  Wörterbuch  und  die 
Syntax.  Der  lebendigen  Sprache  der  alexandrinischen  und  römischen  Zeit 
steht  sie  zwar  näher  als  der  von  den  Klassikern  gebrauchte  attische  Dialekt, 
sie  ist  aber  etwas  anderes  als  die  einem  ewigen  Wechsel  in  den  Lauten, 
Formen,  Wörtern  und  in  der  Konstruktion  unterworfene  Redeweise  der 
gemeinen  Leute.  Sie  steht  auf  einer  Mittelstufe  zwischen  der  attischen 
Reinsprache  und  dem  schwankenden  Idiom  des  Volkes.  ^) 

210.  Geschichtliche  Uebersicht.  Die  Existenz  einer  volksmässigen 
Ausdrucksweise,  die  sich  namentlich  in  der  Vernachlässigung  der  Aussprache 
und  der  Satzbildung,  in  der  Auflösung  grammatischer  Formen,  in  der 
Anwendung  von  Analogiebildungen  und  in  der  Verwirrung  und  Verein- 
fachung des  Wörterbuches  kundgab,  trat  bei  den  Griechen  wie  bei  den 
Lateinern  hervor,  sobald  durch  eine  reichhaltige  und  wertvolle  Litteratur 
eine  sprachliche  Norm  festgestellt  worden  war.     Bei  den  Griechen  wurde 

')  Vgl.  K.  Erumbacher,  Ein  irrationaler  Spirant  im  Griechischen  S.  434  ff. 

25* 


388     Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    III.  Vnlgärgriechische  Litteratnr. 


diese  Folie,  ohne  welche  die  Eigenheiten  der  niederen  Redeweise  nicht  er- 
kennbar wären,  von  den  Autoren  der  attischen  Glanzzeit  geschaffen.  Bald 
nach  dem  Ablauf  dieser  Epoche  erscheinen  die  ersten  nachweisbaren  Spuren 
eines  von  den  Sclu'iftdialekten  abweichenden  volksmässigen  Idioms. 
Wir  finden  sie  seit  dem  zweiten  Jahrhundert  v.  Chr.  auf  ägyptischen  Pa- 
pyrusurkunden, auf  Inschriften  und  in  Litteraturwerken,  bald  in  erheb- 
lichen Massen,  bald  vereinzelt,  bald  dicht  hintereinander,  bald  in  grösseren 
Zwischenräumen,  wie  es  die  zufälligen  Umstände  der  Ueberlieferung  mit 
sich  bringen.  Dieses  gemeine  Idiom  blieb  nicht  unverändert  stehen,  sondern 
bildete  sich  im  Laufe  der  Zeit  naturgemäss  weiter,  i)  Einen  gewaltigen 
Stoss  erhielt  die  attische  und  hellenische  Alleinherrschaft  durch  das  Chri- 
stentum, dessen  Schriftsteller  zuerst  ausschliesslich,  später  wenigstens 
noch  teilweise  die  Sprache  als  ein  rein  praktisches  Verständigungsmittel 
auffassten  und  sich  über  die  Vorschriften  der  Schule  kühn  hinwegsetzten. 
Wie  schon  das  neue  Testament  in  Wahrheit  mehr  ein  Denkmal  der 
Vulgärsprache  als  der  xoivrj  ist,  so  dringen  manche  Eigentümlichkeiten 
der  Volkssprache  in  die  für  weitere  Kreise  bestimmten  Legenden, 
Kirchengesänge  und  erbaulichen  Schriften.  In  der  Profanlittera- 
tur  der  Kaiserzeit  sind  zur  Beurteilung  des  Einflusses  der  vulgären  Rede- 
weise auf  die  schriftliche  Darstellung  vornehmlich  die  Warnungen  der 
Attizisten  zu  verwerten.  Ein  bemerkenswertes  Denkmal,  das  uns  in 
seiner  ältesten  Form  ein  Bild  von  der  Umgangssprache  des  dritten  Jahr- 
hunderts n.  Chr.  gewährt,  ist  der  doppelsprachige  Konversationsführer  und 
das  Wörterbüchlein  des  Pseudo-Dositheos.  Einzelne  morphologische  und 
lexikalische  Spuren  der  Vulgärsprache  finden  sich  in  der  fachwissen- Ji 
schaftlichen  Litteratur,  besonders  bei  den  Medizinern.  Schon  aus 
dieser  Skizze  wird  hoff'entlich  klar,  dass  das  Vulgärgriechische  nicht,  wie 
man  früher  häufig  meinte,  als  ein  Ergebnis  der  „Entartung  in  Barbarei", 
der  „Zersetzung  des  Hellenismus  mit  fremden  Nationen",  der  „Völker- 
wirren und  Länderverluste  in  byzantinischer  Zeit",  sondern  als  eine  in 
der  vorchristlichen  Epoche  beginnende,  von  äusseren  Einflüssen  wenig  be- 
rührte, natürliche  Weiterbildung  der  griechischen  Sprache  selbst  zu  be- 
trachten ist.^) 


')  Die  im  Grunde  doch  so  ungeheuer 
natürliche  und  einfache  Thatsache,  dass  auch 
die  griechische  Sprache  wie  jede  andere  ilire 
Geschichte  durchgemacht  d.  h.  sich  un- 
aufhaltsam verändert  hat,  ist  oft  und  von 
bewährten  Forschern  verkannt  worden.  Wie 
einerseits  K.  Sathas  {Mea.  ß(ßkio&.  (J  //pöA. 
rj—ftrf)  u.  a.  mehr  oder  weniger  unverblümt 
behaupteten,  die  heutige  Volkssprache 
habe  schon  zur  Zeit  der  Ptolemäer  exi- 
stiert, glaubten  andere  wie  Skarl.  Byzan- 
tios  (in  der  Vorrede  seines  Wörterbuches) 
undKangab^  (in  der  Vorrede  seiner  neugr. 
Grammatik)  der  patriotischen  Sache  einen 
Dienst  zu  erweisen,  indem  sie  uns  weiszu- 
machen suchten,  das  Hochgriechische  (die 
xttBaQtvovan)  habe  als  feinere  Umgangs- 
sprache   im    Munde    der    Gebildeten    immer 


fortgelebt.  Selbst  B.  G.  Niebuhr,  lieber 
das  Aegyptisch-Griechische,  Kleine  historische 
imd  philologische  Schriften,  2.  Sammlung, 
Bonn  1843  S.  197—208,  ist  in  ähnlichen 
Vorstellungen  befangen  und  meint  z.  B.,  das 
Neugriechische  verhalte  sich  zum  Altgriechi- 
schen wie  die  Kreolensprache  zum  Englischen 
und  Französischen.  Unzugänglich  blieben  mir 
E.  Beul «5,  An  vulgaris  lingua  apud  veterea 
Graecos  exstiteritV  l'aris  1853,  und  M.  F. 
Talbert,  De  lingua  Graeca  vulgari,  Paris 
1874. 

")  Eine  genaue  Aufzählung  und  kritische 
Würdigung  der  in  der  vormitt<>lalterliclien 
Zeit  nachweisbaren  vulgärgriechischen  That- 
sachen  mag  dem  Verfasser  einer  histori- 
schen (iranniiatik  des  Vulgärgriechischen 
vorbehalten  bleiben. 


Einleitung.  (§  210.)  389 

Das  erste  umfangreichere  Werk,  in  welchem  das  Volksidiom  über 
die  traditionelle  Schriftsprache  gesiegt  hat,  ist  die  Chronik  des  Malalas. 
Doch  kann  sie  noch  nicht  zur  mittelgriechischen  Vulgärlitteratur 
gerechnet  werden  —  aus  demselben  Grunde,  der  es  verbietet  den  Gregor 
von  Tours,  den  Fredegar  und  andere  gallische  Autoren  des  6.  bis  9. 
Jahrhunderts  der  französischen  Litteratur  beizugesellen.  Die  Sprache  des 
Malalas  ist  vulgärgriechisch  noch  im  alten  Sinne  d.  h.  so,  wie  es  etwa 
die  Sprache  gewisser  Papyrusurkunden  und  der  Silkoinschrift  ist;  sie  ist 
aber  nicht  mittelalterliches  Vulgärgriechisch  oder  Rhomäisch,  weil  damals 
die  lebendige  Sprache  selbst  noch  nicht  auf  der  Stufe  angelangt  war, 
die  wir  als  Mittelvulgärgriechisch  oder  Rhomäisch  bezeichnen.  Bald  nach 
Malalas  erscheinen  als  bedeutsame  Vorboten  der  vulgärgriechischen  Lit- 
teratur im  engeren  Sinne  die  volksbuchartigen  Lebensbeschreibungen 
des  Erzbischofs  Johannes  des  Mitleidigen  von  Alexandria  und  des  Mönches 
Symeon,  des  „Narren  um  Christi  willen",  welche  der  Bischof  Leontios 
von  Neapolis  auf  Cypern  unter  Kaiser  Constans  II  (642  bis  668)  ver- 
fasste.')  Ein  ähnliches  Werk,  das  angeblich  ebenfalls  dem  7.  Jahrhundert 
angehört,  ist  die  Legende  des  hl.  Theodosios. -)  Eine  reiche  Sammlung 
solcher  volksbuchartiger  Heiligenleben  enthält  u.  a.  der  aus  dem  9.  Jahr- 
hundert stammende  cod.  Patmiacus  48. 3)  In  die  volksmässige  Litteratur 
der  frühbyzantinischen  Zeit  gehört  endlich  der  symbolisch-christliche  Roman 
Barlaam  und  loasaph.  Ein  grossartiges  Denkmal  der  temperierten  Vul- 
gärsprache aus  dem  Anfang  des  9.  Jahrhunderts  ist  die  Chronik  des  Theo- 
phanes,  deren  Wert  auch  in  dieser  Hinsicht  erst  durch  die  ausgezeichnete 
Bearbeitung  von  C.  de  Boor  ins  volle  Licht  gestellt  worden  ist.  Im  fol- 
genden Jahrhundert  sind  vor  allem  die  Schriften  des  Konstantin  Por- 
phyrogennetos  für  das  Studium  der  Geschichte  des  Vulgärgriechischen 
von  Bedeutung. 

Ausser  diesen  und  anderen  Werken,  in  denen  das  Vulgärgriechische 
durch  die  Kunstsprache  noch  vielfach  gemässigt  und  getrübt  zu  Tage  tritt, 
kommen  für  die  Entstehungsgeschichte  der  vulgärgriechischen  Litteratur 
eine  Reihe  kleinerer  Zeugnisse  in  Betracht,  die  seit  dem  7.  Jahrhundert 
in  mehreren  Geschichtswerken  überliefert  sind,  namentlich  die  von  den 
Zirkusparteien  gesungenen  politischen  Gassenhauer,  Spottverse,  Bei- 
fallsbezeugungen, sprichwörtliche  Redensarten,  geflügelte  Worte 
und  die  berühmten  Akklamationen  des  Volkes  und  Heeres.  Einige 
Beispiele  mögen  den  Charakter  dieser  Stücke  veranschaulichen:  Im  Jahre 
600  wurde  gegen  Kaiser  Maurikios  ein  Spottgedicht  in  Umlauf  gesetzt, 
das  offenbar  in  der  damaligen  V^ulgärsprache  abgefasst  ist: 

')    Vgl.    H.   Geizer,    Ein    griechischer  •    kritische  Veröffentlichung  der  älteren 

Volksschriftsteller  des  7.  Jahrh.,  Sybelshistor.  volksmässigen  Legenden   wäre   höchst  wün- 

Zeitschrift  25  (1889)  1 — 39.   Von  Geizer  wird  sehenswert;  denn  was  an  Drucken  vorliegt, 

auch  eine  Ausgabe  des  Leontios  vorbereitet.  ,    sind  meist  die  nach  einer  willkürlichen  Ein- 

*)  Theophilos  Joannu,  3/*/;;^«««  «;'(o-  I   heitsschablone   angefertigten  Ueberarbeitun- 

Xoyixä,  'Ev  Beyer i<f  1884,  ÜQoXoyog  ae'A.  xd".  gen   des   Symeon  Metaphrastes.     üeber 

')  Zwei  Stacke  aus  demselben,  die  Mar-  ,    die  sprachlichen  Grundsätze  des  SjTneon  vgl. 

tyrien    des   hl.   Petrus   und   Paulus,    ed.  A.  |    die   langatmige,    aber   ganz   lehrreiche  Aus- 

Lipsius,     Jahrbücher     für    protestantische  einandersetzung  des  P s e  1 1  o s ,  Migne,  Patrol. 

Theologie  1886  S.  86-106.  Eine  vollständige  ,   Gr.  114  (1864)  192  ff. 


390     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgärgriechische  Litteratur. 

Evgrjxe  x^y  &af4(eXi<fK  (inaXtjv  xal  tQt'q)tQuy 
Km  (ug  To  xairoy  äXexTÖQH'  ravin  nsTitjdr/xey 
Kai  inohjas  Tiaidla  cJ?  r«  ^vXoxovxovdn. 
Kai  ovdeis  ToXfx^  XaXijaai  '  dXX'  oXovg  icplfitaaBv. 
"JyiB  (jov,  ayts,  q^oßsge  xai  dvyare, 
Jos  avTM  xaxti  xgayiov,  l'ya  fiij  vnBqa'iQTjitti,  ' 
Kayai  aot,  xov  ßovv  xov  fieyay  ngoaayayo}  eig  «v/i/i/.*) 

Bald  darauf  (602)   begrüsste   die  Partei   der  Blauen   den  Usurpator  ^ 
Phokas    im  Hippodrom  mit  den  Worten:    Mavgi'xiog   ovx   aniO^ave^  MceO^e  1 
rrjv  alri^eiav  (w_v^_|w_w_||_.^_w_.^_)^  wodurch  Phokas  be- 
wogen wurde,  den  Exkaiser  Maurikios  mit  seinen  Kindern  töten  zu  lassen. 2) 
Gegen  denselben  Phokas   sang  im  Jahre  608  die  Partei   der  Grünen  die 
zwei  jambischen  Dimeter: 

ndXiy  'g  Toy  xavxoy  tmsg, 
TIc'cXty  toy  yovy  (inoiXeang.^) 

Michael  II  (820-  829)  Hess  bei  der  Belagerung  von  Saniana  dem 
Kommandanten  der  Stadt   durch   einen  Unterhändler  folgendes  berichten: 

^Axoi'oe,  xvQ  Oixoyöfjis, 
Toy  FvßsQiy,  t'l  aov  Xsyei  ' 
"Jy  /Ltov  diog  rtjy  ^ayiüyay, 

M7]TQ07J0XlT7]y    06    Tlolow, 

Neoxaiafigeiäy  aov  doicfü),*) 

Seinen  Nachfolger  Theophilos  (829 — 842)  begrüsste  das  Volk  als 
Sieger  im  Kampfspiel  mit  den  Worten:  Kakwg  r'jXlheg^  aavyxQite  qaxioraQi^.'') 
Die  Zahl  dieser  Beispiele  Hesse  sich  leicht  um  das  Dreifache  vermehren.") 
Das  Privilegium  des  byzantinischen  Volkes,  dem  Kaiser  und  anderen  hohen 
Würdenträgern  in  Akklamationen  Beifall  oder  Missfallen  zu  bezeugen, 
dauerte  auch  später  fort;  doch  sind  die  seit  dem  11.  Jahrhundert  von  den 
Historikern  angeführten  Beispiele  ohne  erhebliche  Bedeutung,  weil  um  diese 
Zeit  die  Vulgärsprache  schon  in  grösseren  Htterarischen  Denkmälern  selb- 
ständig auftritt. 

Die  ältesten  Poesien,  in  welchen  die  rhomäische  Volkssprache  an- 
gewendet wurde,  waren  höchst  wahrscheinlich  jene  nationalen  Held  en- 
gesänge, die  später  von  halbgelehrten  Litteraten  zu  dem  Epos  Digenis 


1 


')   Johannes  Antioch.    fragm.   218'',  ■   Aus  ihm  schöpfte  wohl  The  oph  an  es  (1448, 1 

C.  Müller,  Fr.  hist.  Gr.  V  36;  vollständiger  1   ed.  Bonn.  =  I  289,  29  ed.  De  Boor). 

hei  Theophanes  ed.  De  Boor  I  283  (=  ed.  |            *)    Johannes   Antioch.    fragm.    218", 

Bonn.  1  437);    ganz  verdorben   ist  der  Text  |    C.  Müller,  Fr.  hist.  Gr.  V  37.   Theophanes, 

bei  Kedrenos  1  703  (ed.  Bonn.).    Der  Ori-  j    ed.  De  Boor  1  296,  26  (=  ed.  Bonn.  1  4.')7, 

ginalgeschichtschreibcr  des  Maurikios,  Theo-  20).     Vgl.    den    Anonymus    bei    Gramer, 

phylaktos,    erwähnt  den  Vorfall  nur  kurz  Anecd.  Paris.  II  (1839)  333. 

und  ohne  die  Verse  selbst  anzuführen  (S.  331,  j            *)    Theophanes     contin.     cd.    Bonn. 

19  ed.  Bonn.  =  S.  301,  4  ed.  De  Boor).  —  |    S.  72,  18  flf.,  wo  der  Text  verdorben  ist. 

Kino  Rekonstruktion  der  ursprünglichen  Form  j            *)    Georgios    Mon.    S.    799,    3.     Leo 

des  Spottgesanges  versuchte  Sp.  Lambros,  ;    Gramm,  ed.  Bonn.  S.  221,  9. 

Ilagyaaaög  1879  S.  405  ff.  '            ")  Vgl.    die  Zusammenstellung   bei    Sp. 

*)  Johannes   Antioch.    fragm.   218"^,  |    Lambros,    Coli,    de    rom.    gr.    Introdurtion 

C.  Müller,    Fr.  hist.  Gr.  V  37.     Theophy-  S.  8  ff.,  und  J.  Psichari,  Es-sais  de  ^ramni. 

laktos  (S.  335,  17  ed.  Bonn.  =  S.  304,  17  hist.  nöo-grecque  1  (1886)  23  f.  —  Die  Bei- 

ed.  De  Boor)    überliefert  den  Doppelvers  in  spiele,    welche    Sp.    Zambelios.    "Aiaftaia 

der  Form:    "Yuaye,   fidf^e   rrjy   xniäoinaiy  •  dvi^iniixü.    KfQxvQti   18.V2  S.  3.53  ff.    anführt, 

o  MavQixiog  ovx  dnit^aysy,   und  macht  dazu  sind  unzuverlässig,  weil  er  nach  seiner  llhlen 

die  interesminte  Bemerkung:  KaXny  yilg  xui  (lewohnhoit  durchweg  die  Quellen' zu  nennen 

iijg    iinäiidog    tf^ujyijs    /tn'tjfiTjy    noitjaaa&ai,.  \    vorgituit. 


Einleitung.  (§  210.)  391 

Akritas  vereinigt  wurden;  von  den  ursprünglichen  Formen  dieser  Lieder 
scheint  nichts  erhalten  zu  sein.  Als  die  frühesten  Prosadenkmäler  des 
Rhomäischen  darf  man  wohl  einige  aus  dem  10.  Jahrhundert  stammende, 
in  Unteritalien  abgefasste  Urkunden  bezeichnen,  welche  in  der  Samm- 
lung von  Trinchera  (s.  S.  36)  veröffentlicht  sind.  In  den  litterarischen 
Kreisen  der  Hauptstadt  wurde  die  Volkssprache  seit  dem  Ausgang  des 
11.  Jahrhunderts  in  Mahn-,  Lob-  und  Bittgedichten  verwendet.  Einen 
breiteren  ßaum  erobert  das  Yulgärgriechische  in  der  byzantinischen  Lit- 
teratur  erst  im  13.  und  14.  Jahrhundert.  An  der  Spitze  stehen  nach  Um- 
fang und  Bedeutung  einige  romanhafte  Dichtungen,  in  welchen  teils 
antike,  teils  mittelalterliche  Stoffe  behandelt,  zum  Teil  auch  frän- 
kische Vorbilder  nachgeahmt  sind.  Eine  Gruppe  für  sich  bilden  poetische 
Tier-  und  Pflanzengeschichten,  als  deren  Mittel-  und  vielleicht  Aus- 
gangspunkt der  Physiologus  zu  betrachten  ist.  Mit  dem  nationalen 
Heldenepos  Digenis  Akritas  verbinden  sich  einige  spätere  Werke,  welche 
historische  Ereignisse  in  mehr  oder  weniger  sagenhafter  Umbildung 
besingen.  Ziemlich  vereinzelt  steht  nach  Auffassung  und  Inhalt  die  grosse 
Yerschronik  von  Morea.  Dazu  kommen  endlich  Poesien  vermischten 
Inhalts,  Liebeslieder,  lehrhafte,  erbauliche  und  allegorische  Ge- 
dichte. Besonders  reichlich  fliesst  der  Strom  der  poetischen  KleinUtteratur 
seit  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  auf  Kreta.  Die  vulgärgriechische 
Prosa  ist  durch  die  erwähnten  italischen  Urkunden,  einige  Volksbücher, 
Gesetzessammlungen  und  Chroniken  ziemlich  notdürftig  vertreten. 

Für  eine  wissenschaftliche  Darstellung  der  vulgärgriechischen 
Litteraturgeschichte  mangelt  es  noch  allenthalben  an  den  nötigsten  Vor- 
arbeiten. Nicht  einmal  das  äussere  Gerüste,  die  Abteilung  nach  den 
Zeiten  und  Orten  der  Entstehung,  kann  gegenwärtig  auf  einer  ver- 
lässigen Grundlage  aufgerichtet  werden;  die  wenigsten  Werke  sind  fest 
datiert  und  lokalisiert.  Doch  scheint  sich  wenigstens  die  allgemeine  Er- 
kenntnis Bahn  zu  brechen,  dass  die  Hauptproduktion  auf  wenige  Orte, 
vornehmlich  auf  Konstantinopel,  Cypern  und  Kreta  beschränkt  blieb. 
Noch  weniger  als  der  Entstehungsort  ist  die  Chronologie  der  meisten 
Werke  gesichert;  für  sie  ist  namentlich  von  exakten  und  umfassenden 
Untersuchungen  der  Sprache  manche  Aufklärung  zu  erwarten.  Fast 
alles  ist  noch  zu  thun  für  die  Erforschung  des  inneren  Verhältnisses 
der  einzelnen  Werke  und  Gattungen,  sowie  für  die  Klarlegung  der  Be- 
ziehungen, welche  die  vulgärgriechischen  Schriften  einerseits  mit  der 
altgriechischen  und  byzantinischen  Kunstlitteratur,  mit  christlichen  Legenden 
und  mit  der  neugriechischen  Volkspoesie ')  und  Mythologie,  andererseits 
mit  den  Litteraturen  und  Volksüberlieferungen  der  orientalischen,  slavischen 
und  abendländischen  Völker  verknüpfen,-)  Was  ich  zunächst  geben  konnte, 
ist  nicht  viel  mehr  als   eine   zur  Erweckung   der  Teilnahme   und   zm*  Er- 

■ ')    Die    volkspoetischen    Reflexe,  [    224 — 229;  242;  250  unseres  Abrisses, 
welche  die  mittelvulgärgriechische  Litteratur  |            ^)   Vgl.    die  bibliographischen  Angaben 
in   grosser   Anzahl   enthält,    verdienten   vor  von  E.Kuhn,  Zur  vergleichenden  Literatur- 
allem   andern    eine    genaue    Untersuchung.  geschichte,  Wissenschaftl.  Jahresbericht  über 
Vgl.    vorerst  Sp.  Lambros.    Coli,    de   rom.  die  morgenländ.  Studien  1877,  1,  32  ff. 
gr.  Introduction  S.  20  ff.,  und  §§  219;  221;  | 


392     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgärgriechische  Litteratnr. 

leichterung  künftiger  Detailstudien  bestimmte  Aufzeichnung  der  Hauptthat- 
sachen  und  des  bibliographischen  Materials. 

211.  Sprache  und  Metrik.  Die  sprachliche  Form  der  vulgärgriechi- 
schen Werke  zeigt  erhebliche  Verschiedenheiten,  die  sowohl  die  Laut-  und 
Formenlehre  als  das  Wörterbuch  und  die  Syntax  betreffen.  Diese  Ab- 
weichungen erklären  sich  teils  aus  der  Verschiedenheit  der  Entstehungs- 
zeit und  des  Entstehungsortes,  teils  aus  der  verschiedenen  Stel- 
lung, welche  die  einzelnen  Autoren  der  Volkssprache  und  der  Schriftsprache 
gegenüber  einnahmen.  Die  Differenzen  der  ersten  Art  bedürfen  keiner 
Erklärung;  denn  es  ist  natürlich,  dass  volkssprachliche  Aufzeichnungen  im 
12.  Jahrhundert  anders  aussahen  als  im  1(5.  Jahrhundert  und  dass  ein 
Cyprier  zu  seinen  Landsleuten  anders  sprach  als  ein  Kreter.  Eine  wirk- 
liche, bis  jetzt  noch  nicht  völlig  gehobene  Schwierigkeit  enthält  nur  die 
Frage,  wie  sich  die  Schriftsteller  zur  Volks-  und  Kunstsprache  verhielten, 
d.  h.  inwieweit  die  vulgärgriechischen  Litteraturwerke  über- 
haupt den  wirklichen  Sprachzustand  ihrer  Zeit  und  ihrer  Hei- 
mat darstellen.  Von  einer  genaueren  Darlegung  der  Geschichte  und 
des  Inhaltes  der  hierauf  bezüglichen  Kontroversen  sehe  ich  ab;  doch  ist 
zur  formalen  Würdigung  der  vulgärgriechischen  Litteratur  eine  An- 
deutung des  Sachverhaltes  notwendig.  Wie  es  in  der  Wissenschaft  zu 
geschehen  pflegt,  so  standen  sich  auch  hier  bald  nach  Eröffnung  der  Dis- 
kussion zwei  extreme  Ansichten  scharf  und  scheinbar  unversöhnlich 
gegenüber.  Die  einen  behaupteten,  die  Sprache  der  mittelgriechischen 
Vulgärwerke  sei  ein  willkürliches  und  daher  für  sprachgeschichtliche  Unter- 
suchungen fast  nutzloses  Mischmasch  schriftsprachlicher,  selbstverfertigter 
und  lebendiger  Bestandteile;  die  anderen  erklärten  dieses  angeblich  un- 
entwirrbare und  unbrauchbare  Durcheinander  für  den  reinsten  Ausdruck 
der  nach  Zeiten  und  Orten  wechselnden  lebendigen  Gräzität.  Die  Wahr- 
heit liegt  in  der  Mitte.  Zuerst  darf  man  nicht  übersehen,  dass  die  Frage 
nicht  allgemein,  sondern  für  jeden  Autor,  ja  für  jedes  Werk  besonders 
geprüft  und  beantwortet  werden  muss.  Es  ist  z.  B.  ganz  zweifellos,  dass 
manche  kretische  Werke  des  16.  Jahrhunderts  ungemein  treue  Ab- 
bilder der  in  den  kretischen  Städten  üblichen,  durch  fremde  Einflüsse  ab- 
getönten Volkssprache  sind;  man  darf  aber  diese  Thatsache  nicht  ohne 
weiteres  auf  die  gesamte  übrige  Litteratur  übertragen.  Die  Existenz 
eines  starken  Makaronismus  in  der  vulgärgricchischen  Litteratur  lässt 
sich  nicht  ableugnen.  Es  gibt  Werke,  deren  Verfasser  thatsächlicli  wie 
Buridans  Esel  zwischen  den  Heubündeln  der  Schriftsprache  und  des  Volks- 
idioms hin-  und  herschwankten.  Im  allgemeinen  lässt  sich  sagen,  dass  die 
naive  Treue  in  der  Wiedergabe  des  gesprochenen  Lautes  und  Wortes 
mit  der  fortschreitenden  Entwicklung  der  vulgärgricchischen  Litteratur 
zunimmt.  Völlig  befreit  von  den  kunstsprachlichen  Flocken  und  selbständig 
durchgebildet  erscheint  die  Vulgärsprache  in  der  kretischen  Poesie  des 
16.  und  17.  Jahrhunderts.  Dass  dieser  geläuterte  Zustand  nicht  sofort 
erreicht  werden  konnte,  ist  ganz  natürlich.  Sobald  ein  Autor  Lesen  und 
Sclu'eiben  gelernt  und  die  Kirche  öfter  besucht  hatte,  befand  er  sich,  ohne 


Einleitung.   (§  211-212.)  393 

sich  dessen  hinlänglich  bewusst  zu  sein,  unter  dem  mächtigen  Banne  der 
Kunstgräzität.  Denn  der  byzantinische  Unterricht,  auch  der  allerelemen- 
tarste,  wurde  ausschliesslich  auf  Grund  der  alten  Grammatik  und  Litteratur 
erteilt,  und  in  keiner  byzantinischen  Kirche  hat  man  je  ein  in  der  Volks- 
sprache abgefasstes  Lied  oder  Gebet  vernommen.  Unter  diesen  Umständen 
wäre  es  ein  Wunder,  wenn  die  kühnen  Neuerer,  welche  zuerst  vulgär- 
griechische  Texte  abfassten,  zwischen  der  zeitgenössischen  Volkssprache 
und  der  schulmässigen  Kunstgräzität  sofort  in  lautlicher,  morphologischer, 
lexikalischer  und  syntaktischer  Hinsicht  mit  konsequenter  Sicherheit  hätten 
unterscheiden  können.  Zu  diesem  Ziele  gelangte  man  erst  durch  lange 
Gewohnheit  und  Uebung.  Schwer  ist  es  nun,  im  einzelnen  Falle  zwischen 
schriftsprachlichen  Einflüssen  und  allgemein  volkstümlichen  oder  dialek- 
tischen Eigenheiten  die  Grenzen  zu  ziehen.  Hiezu  ist  die  feinste  Methode, 
ein  wohl  ausgebildetes  Sprachgefühl,  eine  reiche  litterarische  Erfahrung 
und  vor  allem  die  einmütige  Arbeit  vereinter  Kräfte  notwendig; 
dann  werden  manche  Fragen,  über  denen  jetzt  ein  undurchdringliches  Dunkel 
zu  lasten  scheint,  aufgehellt  und  der  Lösung  näher  gebracht  werden. 

Die  metrische  Form  der  vulgärgriechischen  Poesie  ist  fast  durch- 
aus der  politische  Vers,  über  dessen  Bau  und  Geschichte  S.  802  ff.  ge- 
handelt worden  ist.  Neben  ihm  erscheint  in  mehreren  Werken  wie  in  der 
nias  des  Hermoniakos,  in  den  Orakeln  Leos  des  Weisen,  in  der  Geschichte 
vom  weisen  Greise,  in  Gedichten  des  Phortios,  Trivolis  u.  a.  der  trochäische 
Achtsilber,  der  auch  in  der  schriftsprachlichen  Litteratur  der  Byzantiner 
(s.  §  205  f.)  zuweilen  vorkommt.  Sonstige  accentuierte  Verse  sind  höchst 
selten  und  in  grösseren  Gedichten  bis  zum  16,  Jahrhundert  wohl  niemals 
zu  finden  (vgl.  S.  302  ff.). 

212.  Die  Ueberlieferung  der  vulgärgriechischen  Werke  zeigt  ähn- 
liche Eigentümlichkeiten  wie  die  der  lateinischen  und  landessprachlichen 
Volkslitteratur  des  abendländischen  Mittelalters.  Die  vulgärgriechischen 
Texte  galten  nicht  wie  die  klassischen  und  heiligen  Bücher  als  unantast- 
bare, formal  und  inhaltlich  vollkommene  Schöpfungen,  sondern  sie  wurden 
als  echte  Volksbücher  nach  dem  wechselnden  Geschmack  und  Bedürfnis 
der  Zeit  bald  mehr,  bald  weniger  durchgreifenden  Umarbeitungen  unter- 
zogen, die  teils  in  der  Modernisierung  der  Sprache  und  in  der  Glättung 
der  Verse,  teils  in  der  Erweiterung,  Abrundung  oder  auch  in  der  Ver- 
kürzung des  Inhaltes  bestanden.  Durch  diese  neuen  Auflagen  wurden  die 
ursprünglichen  Formen  fast  regelmässig  verdeckt  oder  verdrängt.  Von 
manchen  Werken  sind  zwei  oder  mehrere  Redaktionen  erhalten,  so 
dass  man  die  allmählichen  Veränderungen  beobachten  und  die  ältesten 
Bestandteile  bis  zu  einem  gewissen  Grade  aus  dem  Wüste  der  Zusätze 
herausschälen  kann;  aber  auch  bei  Schriften,  die  nur  in  einer  Form  auf 
uns  gekommen  sind,  lassen  sich  aus  der  Beobachtung  der  in  mehreren 
Redaktionen  überlieferten  Werke  auf  ebensolche  Ueberarbeitungen  Schlüsse 
ziehen.  Das  vergleichende  Studium  dieser  Abstufungen  und  Ab- 
zweigungen eines  Grund  Werkes,  für  das  die  schärfste  diplomatische 
Methode  der  klassischen  Philologie  sich  schnell  als  ein  stumpfes  Werkzeug 


394     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vnlgärgriechische  Litteratnr. 

erwiesen  hat,  ist  die  wichtigste,  bisher  noch  unerfüllte  Vorbedingung  eines 
chronologischen  und  genetischen  Aufbaues  der  vulgärgriechischen  Litteratur- 
geschichte. Als  ein  äusseres  Kennzeichen  der  Reihenfolge  der  Bearbeitungen 
gilt  die  mit  der  Zeit  anwachsende  Zahl  der  Verse;  doch  besitzt  diese  Regel, 
wie  die  Ueberlieferung  der  Geschichte  vom  weisen  Greise  zeigt,  nicht  aus- 
schliessliche Geltung. 

Allgemeine  Hilfsmittel  zur  vnlgärgriechischen  Litteratur.  1.  Sammelausgaben: 
Ad.  Ellissen,  Analekten  der  mittel-  und  neugriechischen  Litteratur,  5  Bde.,  Leipzig 
1855  —  1862.  —  D.  J.  Maurophrydes,  ^koyt]  fxyrjuslwv  Ttjg  yewriQag'FA'AriVixfjg  yXwaarjg, 
'Jfftjyrjaiy  1866  (mit  einem  Glossar).  —  K.  N.  Sathas,  'EXXtjnxu  dfsx&ota,  2  Bde.,  'J&^vrjai 
1867.  —  K.  N.  Sathas,  Meamiovixrj  ßißho&tixrj,  6  Bde.,  Venedig  1872-1877.  -  K.  N. 
Sathas,  Kgr^xixov  »eaxQov,  2  Bde.,  Venedig  1878.  —  E.  Legrand,  CoUection  de  monu- 
ments  pour  servir  ä  l'ötude  de  la  langue  nöo-hell^nique,  I.  s4rie,  19  Bde.;  Nouvelle  s^rie 
7  Bde.,  Paris  1869  — 1875.  —  E.  Legrand,  Recueil  de  poSmes  historiques  en  Grec  vul- 
gaire  relatifs  ä  la  Turquie  et  aux  principautes  Danubiennes,  Paris  1877  =  Publications 
de  l'ecole  des  langues  orientales  Vivantes,  vol.  5  (Texte  des  17.  und  18.  Jahrhunderts.)  — 
E.  Legrand,  Bibliotheque  grecque  vulgaire,  5  Bde.,  Paris  1880 — 1890.  —  W.  Wagner, 
Medieval  greek  texts:  being  a  coUection  of  the  earliest  compositions  in  vulgär  Greek,  prior 
to  the  year  1500,  London  1870.  —  W.  Wagner,  Carmina  Graeca  medii  aevi,  Leipzig  1874 
(enthält  meist  Texte  aus  dem  reichhaltigen  cod.  Vindobon.  297).  —  W.  Wagner,  Trois 
poemes  grecs  du  moyen-äge,  Berlin  1881  (aus  Wagners  Nachlass  ediert  von  D.  Bikelas).  — 
Spyr.  Lambros,  CoUection  de  romans  grecs  en  langue  vulgaire  et  en  vers  publies  pour 
la  premiere  fois  d'apres  les  mss.  de  Leyde  et  d'Oxford,  Paris  1880. 

2.  Bibliographie:  Eine  Bibliographie  der  gesamten  vulgärgriechischen  Litteratur 
gibt  es  nicht;  doch  kommen  für  die  ältesten  Drucke,  besonders  für  die  schwer  zugänglichen 
venezianischen  Volksbücher,  einige  bibliographische  Werke  in  Betracht,  in  welchen 
die  von  Griechen  seit  dem  15.  Jahrhundert  im  Drucke  herausgegebenen  Bücher  ver- 
zeichnet sind.  Den  ersten  Versuch  einer  solchen  Zusammenstellung  machte  A.  Papädo- 
pulos  Vretos,  NeoeXXrjvixrj  (piXoXoyia  rjioi  xmukoyog  ruiv  und  mwasMg  xrjg  BvCnyriyijg 
avTOXQctTOQues  fi^XQ''  ^yxn^i^'^QvOEOig  r^g  iv  'FAhiSv  ßccaikeiag  TVTKof^e'fTMy  ßißkiwy,  2  Bde., 
Athen  1854 — 1857.  —  Aehnlich  angelegt  ist  das  biographisch-bibliographische  Werk  von 
K.  N.  Sathas,  NsosX'Ärjyixrj  (filo'koyia.  BioyQafpUa  xwv  eV  xoTg  yQÜfiuuai  Sia'Aauxpüvxtay 
'EXhjywy  ilno  x^g  xaxaXvasiog  xrjg  Bv^avxiy^g  ai'ZoxQnxoging  fie^Qi  xrjg  Ekkt]y(xrjg  OfyeycQ- 
alceg  (1453 — 1821),  Athen  1868.  —  Diese  Arbeiten  werden  im  bibliographischen  Teile  weit 
überholt  durch  das  grossartig  angelegte  und  nach  den  Forderungen  der  heutigen  biblio- 
graphischen Wissenschaft  gearbeitete  Werk  von  E.  Legrand,  Bibliographie  hell^nique  ou 
description  raisonnee  des  ouvrages  publies  en  Grec  par  des  Grecs  aux  XV»-'  et  XVI''  siecles, 
bis  jetzt  2  Bde.,  Paris  1885. 

3.  Litterarhistorische  Beiträge:  Eine  zusammenfassende  Darstellung  fehlt.  In 
den  der  neugriechischen  Litteraturgeschichte  gewidmeten  Büchern  von  J.  Risos  Nerulos 
(Genf  1828),  Rangabe  (Berlin  1877)  und  Rangabe-Sanders  (Leipzigs,  a.)  ist  das  Mittel- 
alter gar  nicht,  in  der  Geschichte  der  neugriechischen  Litteratur  von  R.  Nicolai  (Leipzig 
1876)  nur  oberflächlich  und  ohne  die  mindeste  Sachkenntnis  berührt..  —  Die  aus  fränkischen 
Vorlagen  abgeleiteten  oder  wenigstens  von  fränkischen  Kultureinflüssen  berührten  vulgär- 
griechischen Poesien  untersucht  mit  ungenügenden  Hilfsmitteln  Ch.  Gidel,  Etudes  sur  la 
litterature  grecque  moderne,  Paris  1866.  —  Vermischte  Themen  der  mittel-  und  neu- 
griechischen Litteratur  betrifft  Ch.  Gidel,  Nouvelles  ötudes  sur  la  litterature  grecque 
moderne,  Paris  1878.  Vgl.  die  ausführliche  Besprechung  dieses  Bandes  von  ¥j.  Miller, 
Journal  des  savants  1878  S.  208-219;  351—361.  -  Wertlos  ist:  Härtung,  Die  byzan- 
tinische Novelle,  Herrigs  Archiv  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen  und  Literaturen 
50  (1872)  1 — 38.  —  Manche  litterarhistorische  Beiträge  enthalten  die  Einleitungen  in  den 
Ausgaben  von  Legrand,  Sathas  und  Lambros. 

Zur  byzantinischen  Sagen-  und  Legcndenlitteratur:  A.  N.  Veselovskij, 
Die  Sage  vom  babylonischen  Reiche,  Arch.  slav.  Phil.  2  (1877)  129—143;  308-333.  — 
A.N.  Veselovskij,  Versuche  zur  Entwickelungsgeschichte  der  christlichen  Legende  (u.a. 
über  die  Apokalypse  des  Methodios  und  die  byzantinisch-germanische  Kaisersage),  Journ. 
Min.  Volksaufkl.  1875 — 1876.  —  lieber  die  Kaisensage  vgl.  auch  V.  Jagic,  Arch.  slav. 
Phil.  2  (1877)  20  und  11  (1888)  630  f.;  A.  N.  Veselovskij,  Arch.  slav.  Phil.  3  (1878) 
84—86.  —  A.  N.  Veselovskij,  Beiträge  zur  Erklärung  des  nussischon  Heldenepos,  Arch. 
slav.  Phil.  3  (1878)  549—593.  —  G.  v.  Zezschwitz,  Vom  rilmi.sclu'n  Kaisertum  deutscher 
Nation,  ein  mittelalterliches  Drama.  Neljst  rntersuchungen  über  die  byzantinischen  Quellen 
dor  <lout«chen  Kaisersage,  Leipzig  1877.     Vgl.  die  eingehende  Besprechung  von  A.  v.  Gut- 


Einleitung.  (§  212.)  395 

schmid,  Sybels  historische  Zeitschrift  41  (1879)  145 — 154.  —  Ueber  die  mittelalterlichen 
Sagen  von  Phidias,  Praxiteles  und  der  Tochter  des  Hippokrates  handelt  K.  N.  Sathas, 
Annuaire  de  Tassoc.  16  (1882)  122—149.  —  Dasselbe  Thema  untersucht  N.  Politis, 
JeXriov  Tjjg  iaroQ.  xtd  iQyoXoy.  STcugiag  r^?  'EXXädog  1  (1883 — 1884)  77 — 101.  —  Arthur 
Amiaud,  La  legende  syriaque  de  Saint  Alexis,  Thomme  de  dieu,  Paris  1889  (^=  Bibl.  de 
l'ecole  des  hautes  etudes,  79  fasc);  als  Original  dieser  Legende  wird  eine  byzantinische 
Erzählung  nachgewiesen.  —  Vgl.  die  von  Christ,  Griechische  Litteraturgeschichte  "■'  §623 
angeführten  Schriften  von  Usener  und  Harnack.  —  Auf  eine  vollständigere  Aufzälilung 
der  mächtig  angewachsenen  Lifteratur.  die  sich  unmiftelbar  oder  mittelbar  auf  die  byzan- 
tinischen Sagen  und  Legenden  bezieht,  muss  ich  verzichten.  —  Zur  Erklärung  der  in 
der  vulgärgriechischen  Litteratur  erwähnten  Yolksanschauungen  und  Gebräuche 
nützen  vor  allem  die  zwei  vortreflFlichen  Bücher  von  Beruh.  Schmidt,  Das  Volksleben 
der  Neugriechen  und  das  hellenische  Alterthum,  Leipzig  1871,  und:  Griechische  Märchen, 
Sagen  und  Volkslieder,  Leipzig  1877,  wo  man  auch  die  sonstige  auf  neugriechische  Mytho- 
logie imd  Folkloristik  bezügliche  Litteratur  verzeichnet  findet. 

4.  Sprachliche  Hilfsmittel:  A.  Wörterbücher:  Meursius,  Glossarium  Graeco- 
barbarum,  Lugd.  Batav.  1610;  2.  Ausgabe  1614.  —  Meursius  wurde  weit  überholt  von  Du 
Gange,  Glossariimi  mediae  et  infimae  Graecitatis,  Lugduni  1688.  Das  Werk  T^ämmelt 
zwar  von  Fehlem  und  Missverständnissen,  ist  aber  noch  heute  das  vollständigste  Reper- 
torium  des  mittelvulgärgriechischen  Wortschatzes  und  soU  sogar  demnächst  in  einem  un- 
veränderten Abdrucke  neu  aufgelegt  werden.  —  Eine  Ergänzung  zu  Du  Gange  bildet  AI. 
daSomavera,  Tesoro  della  lingua  Greca-volgare  ed  Italiana,  Parigi  1709,  wo  ausschliess- 
lich die  lebende  Sprache  der  Zeit  des  Verf.  berücksichtigt  ist.  —  Das  brauchbarste  Wörter- 
buch der  heutigen  Volkssprache  schrieb  Skarlatos  Byzantios,  As;tx6y  jrjg  xcc&'  r^udg 
^EkXtjfixtjg  dudsxrov,  3.  Aufl.,  Athen  1874.  —  Nur  anhangsweise  beriicksichtigt  das  Vulgär- 
griechische E.  A.  Sophocles,  Greek  lexicon  of  the  Roman  and  Byzantine  periods,  3.  Aufl., 
New-York  1888. 

B.  Grammatiken:  Die  bis  jetzt  vorhandenen  Lehrbücher  betrefl"en  fast  ausschliess- 
lich die  neuere  Sprache.  Die  älteste  \iilgärgriechische  Grammatik  verfasste  Nikolaos 
Sophianos  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts.  Sie  wurde  aus  einer  Pariser  Hand- 
schrift ediert  von  E.  Legrand,  Coli,  de  mon.  N.  S.  vol.  2.  Vgl.  E.  Legrand,  Bibliogr. 
hell.  I  Introduct.  S.  187 — 194.  —  Die  erste  vom  Verfasser  selbst  im  Drucke  veröffentlichte 
vulgärgr.  Grammatik  ist  das  Werk  des  italienischen  Jesuiten  Girolamo  Germano,  Romae 
1622.  —  Dann  folgte  das  vortreffliche  Buch  von  Simon  Portius,  Paris  1632.  Eine  neue 
Ausgabe  desselben  mit  reichhaltigem  Kommentar  und  einer  wertvollen  Einleitung  von 
J.  Psichari  veranstaltete  W.  Meyer-Lübke,  Paris  1889  (=  BibL  de  l'ecole  des  hautes 
etudes,  78  fasc).  —  Im  Rufe  eines  wissenschaftlichen  Werkes  stand  lange  das  jetzt  ganz 
veraltete  und  auch  im  historischen  Teile  imgenügende  Buch  von  Mull  ach,  Granunatik 
der  griechischen  Vulgärsprache,  Berlin  1856.  —  E.  Legrand,  Grammaire  grecque  moderne, 
Paris  1878.  —  Die  praktischen  Lehrbücher  des  Neugriechischen  von  A.  Vlachos  (Leipzig 
1876),  Jannarakis  (Hannover  1877),  Vincent  undDickson  (London  1879;  in  deutscher 
Verballhomung  von  D.  Sanders,  Leipzig  1881)  u.  s.  w.  kommen  für  das  Studium  des 
Mittehiilgärgriechischen  nicht  in  Betracht.  —  Eine  wissenschaftliche  historische 
Grammatik  des  Vulgärgriechischen  ist  noch  ein  Bedürfnis,  dessen  Erfüllung  vor  zehn 
Jahren  Karl  Foy  in  Aussicht  gestellt  hat. 

C.  Beiträge  zur  Geschichte,  Lautlehre,  Morphologie,  Etymologie  und 
Syntax  des  Vulgärgriechischen:  Eine  vollständige  Aufzählung  der  Monographien  ge- 
hört nicht  hieher;  ich  nenne  nur  das  Wichtigste  imd  verweise  für  die  übrige  Litteratur 
auf  die  Angaben  in  den  unten  genannten  Schriften  und  auf  die  Zusammenstellung  bei 
G.  Meyer,  Griechi-sche  Grammatik-  (1886)  S.  XXXV  f.  —  D.  J.  Maurophrydes,  Joxiuiop 
iaroQÜeg  jrjg  'EX'ir^y.  yXoiaar,g.  Smyma  1871  (erst  nach  dem  Tode  des  Verfassers  gedruckt 
und  daher  nicht  genügend  geordnet  und  abgerundet).  —  G.  Morosi,  Studi  sui  dialetti 
Greci  della  terra  d'Otranto,  Lecce  1870.  Dialetti  Romaici  del  mandamento  di  Bova  in 
Calabria,  Archivio  glottologico  4  (1878)  1—116.  Dieselbe  Zeitschrift  bringt  demnächst  eine 
nachgelassene  Arbeit  des  der  Wissenschaft  und  seinen  Freunden  so  plötzlich  entrissenen 
trefflichen  Gelehrten.  —  M.  Deffner,  Neograeca,  in  Ciu^ius  Studien  4  (1871)  231  —  322. 
Von  demselben  eine  Abhandlung  über  das  Zakonische,  Sitzungsber.  d.  Berliner  Akademie 
d.  Wiss.  1875,  15  —  30;  176—195,  und  über  die  Infinitive  in  den  pontischen  Dialekten, 
ebenda  1877,  191-230.  Zakonische  Grammatik,  Beriin  1881  (unvollendet).  Archiv  für 
mittel-  und  neugriechische  Philologie,  Athen  1880  (nur  1  Doppelheft).  —  Karl  Foy,  Laut- 
system der  griechischen  Vulgärsprache,  Leipzig  1879.  Von  demselben:  Beiträge  zur  Kennt- 
nis des  Vulgärgriechischen.  Bezzenbergers  Beiträge  6  (1881)  220—230.  Griechische  Vokal- 
studien, Bezzenbergers  Beiträge  12  (1887)  38  —  75.  T6  Cfiti],u(t  nHy  (eTiaQsuq:aTtxoiy  xvmrw 
cV  rfi  yeoeXXtjyixiJ   yXwaar,,  'HfneQoXöyioy  r^f  'jy<aok^g  1886  S.  207—216  und  1887  S.  148 


396     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    HI.  Vulgärgriechische  Litteratur. 

bis  169.  —  G.  N.  Hatzidakis,  MeXiirj  inl  rrjg  viaq  'EkXtjviXTJ?,  'Ev  'Adi^vaig  1884.  IIsqI 
roSy  (t7iaQe/Li(paTixwy  Xeitpäfoty  iy  tfi  vewreQff  'EXXt^yix^,  'HftegoXöyioy  T7J<;  'JyctroX^g  1887 
S.  132 — 148.  Zui"  rräsensbildung  des  Neugriechischen,  Kuhns  Zeitschrift  für  vergleich. 
Sprachf.  27  (1882 — 85)  69 — 84.     Zum   Vocalismus   des  Neugriechischen,   Kuhns  Zeitschrift 

30  (1890)  357—398.     Zur   Geschichte    des   Mittel-   und  Neugriechischen,    Kuhns  Zeitschrift 

31  (1890)  103 — 156.  Dazu  zahlreiche  durch  eindringenden  Scharfsinn  und  Gründlichkeit 
ausgezeichnete  Untersuchungen  im  10.  Bande  des  ^Adt^vaioy,  im  IlXnTCjy,  im  1.  und  2.  Bande 
des  JsXtiov  rijg  iatoQixrjq  xcd  iSvoXoyix^g  kiaigiag,  im  1.  und  2.  Bande  der  'J&rjyä,  in  der 
Jubiläumsschrift  der  Universität  Athen  (Athen  1888)  und  anderswo.  Eine  Gesamtausgabe 
dieser  leider  sehr  zerstreuten  und  schwer  zugänglichen  Schriften  würde  dem  Studium  des 
Yulgärgriechischen  die  reichste  Förderung  bringen.  —  K.  Krumbacher,  Beiträge  zu  einer 
Geschichte  der  griechischen  Sprache,  Kuhns  Zeitschrift  für  vergleich.  Sprachf.  27  (1882 — 85) 
481 — 545  (in  der  Einleitung  eine  Skizze  der  Geschichte  der  vulgärgriechischen  Studien). 
Nachtrag  dazu,  Kuhns  Zeitschr.  29  (1888)  188 — 192.  Ein  irrationaler  Spirant  im  Griechi- 
schen, Sitzungsberichte  der  bayer.  Akad.  d.  Wiss.  1886  S.  365 — 444.  —  Jean  Psichari, 
Essai  de  phonötique  neo-grecque,  M^m.  de  la  sociät^  de  linguistique  5  (1884)  349—393. 
Essais  de  grammaire  historique  neo-grecque,  2  voll.,  Paris  1886 — 1889.  Questions  d'histoire 
et  de  linguistique,  im  Supplement  des  18.  Bandes  der  Zeitschrift  des  IvXXoyog  tpiXoXoyixög 
in  Konstantinopel.  To  laiiSv  fiov,  Athen  1888,  gibt  in  Form  einer  Reiseschilderung  eine 
praktische  Darstellung  der  neuvulgärgriechischen  Phonetik,  Morphologie,  Syntax  und  des 
Wörterbuches.  Ein  Verzeichnis  der  sonstigen  Beiträge  des  geistreichen  Gelehrten  zur 
vulgärgriechischen  Sprache,  Litteratur  und  Folklore  findet  man  vor  dem  2.  Bande  seiner 
Essais  de  gramm.  bist,  nöo-grecque. 


Erster  Abschnitt. 

Poetische  Litteratur. 

1.  Lehr-  und  Gelegenheitsgedichte.    Darstellung 
vermischter  Stoffe. 

213.  Spaneas.  Unter  diesem  Namen  geht  ein  vulgärgriechisches 
Lehrgedicht,  welchem  die  Rede  des  Pseudo-Isokrates /7(>öc  ^j;.aoi7xor 
als  Grundlage  diente.  Dasselbe  existiert  in  mehreren  stark  von  einander 
abweichenden  Versionen,  die  verschiedenen  Bearbeitern  und  verschiedenen 
Zeiten  angehören.  Die  älteste,  vielleicht  am  p]nde  des  11.  Jalu'hunderts 
entstandene  Form  enthält  wohl  das  von  Legrand  herausgegebene  Gedicht; 
es  zeichnet  sich  vor  allen  anderen  durch  Objektivität,  vornehmen  Ton  und 
gute  Komposition  aus.  Ihm  gegenüber  stehen  mehrere  inhaltlich  ver- 
gröberte und  sprachlich  weniger  ursprüngliche  Versionen,  in 
welchen  der  enge  Anschluss  an  Pseudo-Isokrates  aufgegeben  ist.  Zu  dieser 
Gruppe  gehört  die  Version  der  alten  Venezianer  Ausgabe,  die  des 
Maurophrydes,  die  zwei  von  Wagner  zu  einem  Gedichte  kontaminierten 
Stücke,  die  des  cod.  Neapel.  III  A  a  9  und  die  der  Handschrift  von 
Grotta  Ferrata.  Auch  das  von  Legrand')  unter  dem  Titel  JiSa-pi 
^oZ-ofiMirog  nfQi  tov  ctvxov  vioii  '^Poßoäa  herausgegebene  Gedicht  ist  ein 
Spaneasfragment  der  zweiten  Gruppe.  Gemeinsam  ist  diesen  Bearbeitungen 
ausser  einer  kleinen  Einleitung  die  Anspielung  auf  bestimmte  Privatver- 
hältnisse, die  geschwätzige  Fassung  und  die  bedenkliche  Moralität  der 
väterlichen  Ratschläge.  Ganz  für  sich  steht  die  Version  des  Oxforder 
Codex,  die  zwar  im  Titel  den  Namen  Spaneas  enthält  und  die  Form  einer 
väterlichen  Mahnrede  bewahrt,  im  übrigen  aber  wenig  Aehnlichkeit  mit 
den  Spaneasgedichten  besitzt.  Ueber  den  Verfasser  scheint  undurch- 
dringliches Dunkel  zu  herrschen;  bald  wird  das  Werk  einem  gewissen 
Spaneas  zugeschrieben,  bald  dem  Kaiser  Alexios  Komnenos,  der  es  an 
seinen  Neffen  Spaneas,  den  Sohn  des  Nikephoros  Bryennios,  oder 
auch  an  seinen  eigenen  Sohn  gerichtet  habe.  Vorerst  bleibt  selbst  die 
Frage  unentschieden,  ob  Spaneas  als  Autor  oder  als  Adressat  der  Ori- 
ginalform des  Gedichtes  zu  betrachten  ist.  Später  scheint  der  Name 
Spaneas,   wie   die  Oxforder  Version  beweist,   geradezu  für  paränetische 


')  Bibl.  gr.  vulg.  I  11—16. 


398     Byzantinische  Litteraturgeschiciite.    Itl.  Vulgärgriech.  Litteratur,    1.  Poesie. 

Gedichte  typisch  geworden  zu  sein.  So  schwach  die  ästhetische  Beurteilung 
dieses  väterliche  Mahngedicht  finden  mag,  so  bedeutend  ist  sein  Wert  für 
die  Geschichte  der  mittelgriechischen  Sprache  und  Kultur.  Wie  die  ritter- 
lichen Lehren  des  Theognis  und  die  kategorischen  Vorschriften  des  alten 
Cato  den  Geist  ihres  Zeitalters  ausdrücken,  so  spiegelt  sich  im  Spaneas 
das  byzantinische  Wesen  mit  seiner  Ränkesucht,  seiner  Scheu  vor  offenem 
Handeln,  seinem  Misstrauen  und  seiner  mit  Frömmigkeit  übertünchten 
Frivolität.  Wio  sehr  das  Werk  dem  rhomäischen  Geschmacke  behagte, 
beweisen  die  zahlreichen  Bearbeitungen  und  Handschriften.  Noch  spät 
vernimmt  man  einen  Nachklang  desselben  Tones  in  den  derben  Lebens- 
regeln des  Sachlikis  (s.  §  231)  und  in  den  väterlichen  Mahnworten  des 
Markos  Depharanas  (s.  §  232).  In  der  kunstsprachlichen  Litteratur  er- 
scheint als  Gegenstück  zum  Spaneas  das  salbungsvolle  Moralgedicht  des 
Georgios  Lapithes  (s.  §  207). 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Zuerst  erschien  ein  Spaneas  in  der  Reihe  jener 
volksgriechischen  Büchlein,  welche  seit  dem  Anfang  des  16.  Jahrh.  in  Venedig  gedrackt 
wurden :  Ji&naxaXia  naQcafeitxtj  xvqov  'Ji.£^iov  Kofivijvov  rov  Xeyo/nEfov,  ^naysa.  'Eye- 
TiTjai  nagd  XQiatocpÖQio  no  Zaysrio  s.  a.  (ungefähr  1550).  Vgl.  E.  Legrand,  Bibliogr. 
hell.  I  285  f.  —  Ed.  Maurophrydes,  r.xXoytj  S.  1—16  (480  Verse).  —  Ed.  W.  Wagner, 
Carmina  S.  1-27  (538  +  674  V.).  —  Ed.  E.  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  I  1—10  (285  V.)  — 
Hauptschrift:  J.  Psichari,  Le  poeme  ä  Spaneas,  Melanges  Renier  =  Bibl.  de  l'öcole  des 
hautes  etudes,  73.  fasc,  Paris  1887  S.  261 — 283.  Vgl.  desselben  Essais  de  gramm.  bist, 
neo-grecque  I  (1886)  22;  217  f. 

214.  Theodoros  Prodromos,  der  sich  wegen  seiner  Armut  in  seinen 
Bettelgedichten  Ptochoprodromos  nennt,  ist  einer  der  wenigen  Autoren, 
welche  sowohl  in  der  schriftsprachlichen  als  in  der  volksmässigen  Litte- 
ratur der  byzantinischen  Zeit  eine  Stelle  beanspruchen.  Ueber  sein  Leben 
und  seine  zahlreichen  Werke  in  der  Kunstsprache  ist  §  197  gehandelt. 
Der  Vulgärsprache  und  des  politischen  Verses  bediente  sich  Pro- 
dromos in  einigen  Bettelgedichten,  die  nach  Form  und  Inhalt  zu  den 
merkwürdigsten  Denkmälern  des  griechischen  Mittelalters  gehören.  Ge- 
meinsam ist  diesen  Erzeugnissen,  die  an  unvergesslicher  Originalität  die 
Verse  des  Spaneas  und  Glykas  weit  übertreffen,  demütige  Vertraulichkeit, 
galgenhumoristische  Selbstbetrachtung  und  realistische  Derbheit.  Im  ersten 
Gedicht  (274  politische  Verse)  schildert  Prodromos  dem  Kaiser  Johannes 
Komnenos  (1118—1143)  die  unerträglichen  Qualen  seines  ehelichen 
Lebens.  Alltäglich  habe  er  von  seinem  Weibe  die  bittersten  Vorwürfe 
zu  hören;  niemals,  so  zanke  sie,  habe  er  ihr  ein  seiden  Tuch  um  den 
Nacken  gelegt,  nie  ein  hübsches  Ringlein  oder  ein  Armband  geschenkt; 
man  verlache  sie  ob  ihrer  altfränkischen  Tracht,  da  Herr  Prodromos  kein 
modisches  Gewand  zur  Stelle  schaffe ;  nie  komme  sie  in  ein  Bad ;  habe  sie 
einen  Tag  gegessen,  so  müsse  sie  zwei  Tage  hungern.  Alle  Mittel,  die 
der  Arme  versucht,  um  die  Widerspenstige  zu  zähmen,  bleiben  vergeblieh; 
zum  Beweise  schildert  Prodromos  dem  Kaiser  eines  der  Gewitter,  die  so 
oft  den  Himmel  seines  ehelichen  Glückes  verfinstern:  Er  ergreift  den 
Besen,  um  die  Gattin  zur  Vernunft  zu  bringen,  sie  entweicht  und  ver- 
riegelt sich  in  eine  Kammer;  als  er  nun  den  Besen  durch  die  Thürspalto 
zwängt,  entreisst  sie  ihm  den  Stiel,  schmettert  ihn  zu  I^oden  und  verhöhnt 
ihn  triumphierend.     Endlich  wird  das  Mahl  zugerichtet;   als   nach   langem 


1.  Lehr-  und  Gelegenheitsgedichte.    Darstellnng  vermischter  Stoffe.   (§  214.)     399 

Warten  auch  er,  der  Xährvater  des  Hauses,  etwas  von  den  Speisen  zu 
erhaschen  sucht,  ergreifen  seine  hoffnungsvollen  Sprösslinge  Stöcke  und 
Steine  und  werfen  ihn  die  Treppe  hinunter.  Das  Endziel,  welchem  diese 
Satire  auf  das  Elend  eines  Pantoffelhelden  zusteuert,  ist  eine  unverblümte 
Bitte  um  Unterstützung:  „Wenn  Du  also,  Gebieter,  Dich  meiner  nicht 
erbarmst  und  die  Unersättliche  mit  Gaben  und  Geschenken  sättigst,  so 
zittere,  bebe,  fürchte  ich,  ich  möchte  vor  der  Zeit  ins  Grab  sinken  und 
Du  möchtest  Deinen  Prodromos,  Deinen  besten  Höfling,  verlieren."  Im 
gleichen  Tone  sind  nun  auch  die  übrigen  Stücke  gehalten. 

Im  zweiten  Gedichte  (117  V.)  wendet  sich  Prodromos  hilfesuchend 
an  einen  Sebastokrator,  wahrscheinlich  an  Andronikos  Komnenos, 
den  zweiten  Sohn  des  Kaisers  Johannes.  Zur  Einleitung  seiner  Bitte  be- 
nützt er  diesmal  eine  Aufzählung  der  mannigfaltigen  Bedürfnisse  seiner 
Famüie  und  schliesst  dann,  ähnlich  wie  im  ersten  Gedichte,  schleunig 
möge  ihm  der  Fürst  beispringen,  ehe  er  noch  die  Immobilien  verzehre,  zu 
Boden  stürze  und  sterbe.  Das  kurze  Stück  ist  durch  das  wörterbuchartige 
Verzeichnis  der  für  ein  byzantinisches  Hauswesen  nötigen  Gebrauchs-  und 
Verbrauchsartikel  für  die  Geschichte  der  Sprache  und  Kultur  von  erheb- 
licher Bedeutung. 

Das  dritte  Gedicht  (655  V.)  ist  an  Kaiser  Manuel  gerichtet  und 
enthält  eine  gramerfüllte  Anklageschrift  gegen  zwei  Aebte  {xara 
rjyovi.i£y(oi).  Prodromos  hat  sich,  um  sein  geplagtes  Dasein  in  Ruhe  zu 
beschliessen,  unter  dem  Namen  Hilarion  in  ein  Kloster  zurückgezogen; 
doch  ist  er  hiebei  vom  Regen  in  die  Traufe  geraten.  Mehr  als  fi'üher 
durch  sein  Eheweib  wird  er  jetzt  von  zwei  Aebten  geplagt;  in  dem  Asyl, 
das  sich  Prodromos  erwählt,  herrschen  nämlich  gegen  alles  Recht  und  Her- 
kommen zwei  Vorstände,  „Vater  und  Sohn,  ein  scheusslich  Paar,  o  gött- 
liche Gerechtigkeit!"  Dieses  entmenschte  Paar  quält  den  armen  Hilarion 
durch  Nörgeleien  aller  Art;  sie  drücken  ihn  durch  lästige  Aufträge,  schmä- 
lern ihm  die  Kost,  verbieten  ihm  den  Wein  und  sogar  das  erfrischende 
Bad;  sobald  er  sich  muckst,  fallen  sie  über  ihn  her.  Daher  bittet  der 
Dichter  den  Kaiser,  ihn  gegen  die  Anmassung  der  Aebte  zu  schützen  und 
sein  Pönitentenleben  zu  erleichtern.  Wenn  Prodromos  auch  nach  seiner 
Gewohnheit  die  Farben  etwas  kräftig  aufträgt,  so  schildert  er  doch  treu 
und  lebenswahr,  und  einzelne  Züge  des  von  ihm  entworfenen  Bildes  sind 
noch  im  heutigen  Basilianerkloster  deutlich  wiederzuerkennen. 

Das  vierte  Gedicht  (167  V.),  das  dem  dritten  wohl  chronologisch 
vorangeht,  ist  wiederum  eine  an  Kaiser  Manuel  gerichtete  Bittschrift.  Als 
Folie  dient  dem  Dichter,  der  seinem  Thema  stets  neue  Seiten  abzugewinnen 
weiss,  eine  melancholische  Schilderung  der  materiellen  Unfruchtbar- 
keit des  wissenschaftlichen  Studiums.  Oft  habe  ihm  sein  Vater  ans 
Herz  gelegt:  „Studiere,  mein  Sohn;  dann  kommst  Du  zu  Reichtum  und 
Ehren."  Er  habe  den  Rat  befolgt  und  sei  ein  regelrechter  Grammaticus 
geworden;  die  Weissagung  des  Vaters  aber  bleibe  unerfüllt,  die  Wissen- 
schaft bringe  ihm  keinen  Gewinn,  und  er  verfluche  den  Tag,  da  er  zum 
ersten  Male  der  Schule  überliefert  worden  sei.  Schuster  und  Schneider, 
Bäcker  und  Metzgergesellen   seien   besser  daran  als  er.     Indem  nun  Pro- 


400     Byzantinische  Litteratnrgescliichte.    III.  Ynlgärgriech.  Litteratnr.    1.  Poesie. 

dromos  in  launiger  Breite  eine  Reihe  von  Gewerben  mit  dem  Gelehrten- 
berufe vergleicht,  zeichnet  er  köstliche  Bilder  aus  dem  Geschäfts-  und 
Strassenleben  im  mittelalterlichen  Byzanz.  Inhaltlich  verwandt  mit  diesem 
traurigsten  Klageliede,  das  die  stets  zur  Armut  verdammte  Zunft  der 
Grammatiker  je  angestimmt  hat,  ist  das  Dramation  des  Plochiros  (s. 
§  202). 

Das  dritte  und  vierte  Gedicht  sind  in  zwei  Redaktionen  er- 
halten, die  so  stark  von  einander  abweichen,  dass  Legrand  mit  Recht 
beide  in  extenso  mitgeteilt  hat.  Beim  dritten  Gedichte  beschränkt  sich 
die  Verschiedenheit  auf  redaktionelle  Aenderungen  der  einzelnen  Verse, 
während  Inhalt  und  Umfang  gleich  bleiben;  beim  vierten  dagegen  steht 
neben  einer  kurzen,  wohl  ursprünglichen  Version  eine  stark  erweiterte 
(397  Verse  gegen  167).  Beide  Bearbeitungen  der  zwei  Gedichte  scheinen 
von  Prodromos  selbst  herzustammen;  doch  bedarf  ihr  gegenseitiges  Ver- 
hältnis noch  der  Aufklärung.  Merkwürdig  ist,  dass  Prodromos  auch  in 
seinen  Vulgärgedichten  die  Schriftsprache  nicht  ganz  vermissen  konnte; 
doch  verfuhr  er  hiebei  anders  als  sein  Zeitgenosse  Glykas.  Während 
dieser  zwischen  die  vulgärgriechischen  Verse  da  und  dort  altgriechische 
einschiebt,  so  dass  ein  sprachliches  Mosaik  entsteht,  dient  dem  Prodromos 
die  herkömmliche  Form  der  Kunstsprache  zur  Einrahmung  seiner  volks- 
mässigen  Erzählung,  indem  er  sie  in  der  Einleitung  und  im  Epilog  oder 
wenigstens  in  einem  dieser  Teile  anwendet. 

1.  Ausgaben:  Zuerst  edierte  zwei  Gedichte  (je  eine  Redaktion  des  3.  und  4.  Stückes) 
Ad.  Korais,  'Aiaxta,  röfx.  I,  *Ei/  üagiaioig  1828,  mit  einem  wichtigen  Kommentar.  — 
Schlechter  Abdruck  dieser  Ausgabe  (ohne  den  Kommentar)  von  Maurophrydes,  'ExXoytj 
S.  17—72.  --  E.  Miller,  Melanges  de  philologie  et  d'epigraphie,  Paris  1876  S.  129—171, 
edierte  das  erste,  zweite  und  vierte  Gedicht  (in  der  von  Korais  nicht  mitgeteilten  Redaktion) 
mit  einer  französischen  Uebersetzung  von  Legrand.  Ein  Abdruck  dieser  Ausgabe  auch  bei 
E.  Legrand,  Coli,  de  monum.  N.  S.  vol.  7,  Paris  1875.  —  Gesamtausgabe  der  4,  bzw.  6 
Gedichte  von  E.  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  I  38—124  (ohne  Uebersetzung). 

2.  Hilfsmittel:  Hauptschrift  zur  sprachlichen  Erklärung  ist  noch  immer  der  Kom- 
mentar von  Korais  (s.  0.).  —  E.  Miller,  Un  poöte  de  la  cour  des  Comnenes,  lu  dans 
la  seance  publ.  annuelle  des  cinq  academies  le  28  octobre  1874  (nur  eine  Analyse  der  von 
Miller  herausgegebenen  Gedichte).  —  J.  Psichari,  Essais  de  gramm.  bist,  n^o-grecque 
I  19;  66;  120  ff.  (zur  Sprache  und  handschriftlichen  Ueberlieferung  des  Prodromos). 

215.  Michael  Glykas  hat  ausser  seiner  Weltchronik  (s.  §  63)  ein 
aus  581  politischen  Versen  bestehendes  Gedicht  hinterlassen,  das  zu  den 
ältesten  Denkmälern  des  Vulgärgriechischen  gehört.  Der  handschriftliche 
Titel  lautet:  ^ti'xoi  yqctfifiaTixov  Mixar]X  tov  FXvxa,  ovg  ^ygaipe  xaO^  ov 
xatscxti^r^  xaiQor  €x  nQoaayysXiag  xaigexäxov  tiröq  d.  h.  „Verse  des  Gram- 
matikers Michael  Glykas,  welche  er  abfasste,  als  er  auf  die  Anzeige  eines 
schadenfrohen  Menschen  hin  gefangen  gehalten  wurde."  Nach  weiteren 
Angaben  im  Gedichte  selbst  ist  Glykas  durch  die  Verleumdung  eines  Nach- 
barn in  den  Kerker  geraten.  Der  Gefangene  bittet  den  Kaiser  um  Be- 
freiung; es  habe  ein  leidiges  Missverständnis  stattgefunden,  das  der 
schleunigsten  Aufklärung  bedürfe.  In  khigendon  Tönen  schildert  Glykas 
das  Elend,  das  er  im  Kerker  zu  erdulden  habe.  Doch  lindot  er  trotz 
seiner  schlimmen  Lage  noch  die  Stimmung  zu  scherzhaften  Vergleichen. 
„Das  Weib  des  Pfafifen  hat  einen  Fehltritt  begangen  und  das  Ehelager 
geschändet;   den  Pfaffen   aber  zieht  man  zur  Verantwortung!     Welch  ein 


1.  Lehr-  u.  Gelegenheitsgedichte.  Darstellung  vermischter  Stoffe.   (§  215—216.)      401 


Missgeschick!  Jene  hat  das  Gesetz  übertreten,  diesen  aber  straft  man. 
Ist  das  nicht  traurig,  nicht  zum  Verzweifeln?  Der  Esel  schlägt  aus  und 
den  Sack  prügelt  man,  damit  er  artig  werde"  u.  s.  w.  (V.  270  ff.).  Warum 
sich  Glykas  in  einer  so  wichtigen  Sache  des  volksmässigen  Idioms 
bediente,  wissen  wir  nicht;  doch  lässt  sich  vermuten,  dass  Kaiser  Manuel 
für  die  Volkssprache,  in  welcher  er  ja  auch  von  Ptochoprodromos  Bitten 
und  Dankesworte  entgegennahm,  eine  scherzhafte  oder  herablassende  Vor- 
liebe verraten  hatte.  Auch  das  Bedürfnis,  möglichst  eindringlich  von  Herz 
zu  Herz  zu  reden,  mag  bei  der  Wahl  dieser  seltenen  Form  mitgewii-kt 
haben. ')  Wie  dem  sei,  Glykas  vermochte  den  Ernst  seiner  Angelegenheit 
nicht  in  Heiterkeit  aufzulösen.  Wenn  man  der  Subscriptio  des  Gedichtes 
glauben  darf,  schickte  der  Kaiser,  der  damals  gerade  in  Kilikien  weilte, 
nach  Konstantinopel  den  Befehl,  den  Gefangenen  unverzüglich  zu  blenden. 
Worin  nun  das  so  grausam  bestrafte  Verbrechen  des  Glykas  bestand, 
bleibt  in  ein  ebenso  undurchdringliches  Dunkel  gehüllt  als  die  Schuld  des 
Dichters  der  Tristia.  Die  Abfassung  des  Gedichtes  fällt  wohl  in  das 
Jahr  1156;  denn  die  Bemerkung  der  Subscriptio  über  den  Aufenthalt  des 
Kaisers  in  Kilikien  bezieht  sich  höchst  wahi'scheinlich  auf  die  Expedition, 
welche  Manuel  im  Jahre  1156  persönlich  geleitet  hat. 

Ed.  pr.  E.  Legrand,  Bibl.  gr.  Aiilg.  I  18—37.     Vgl.  Introduktion  S.  14  ff. 

216.  Die  Geschichte  von  Ptocholeon  oder  von  dem  weisen,  beohr- 
feigten und  geschorenen  (d.  h.  unglücklichen)  Greise,  IIsQi  xov  ysqovrog 
Tov  (fQovii.iov  f.iovT^oxovQ£{j.irovJ)  Dcr  reiche  Leon  verliert  durch  Einfälle 
der  Araber  seine  Habe  und  bittet  daher  seine  Verwandten,  ihn  als  Sklaven 
zu  verkaufen;  seine  Söhne  bringen  ihn  zum  Schatzmeister  des  Fürsten 
in  Konstantinopel  und  verkünden  ihm,  dass  der  Sklave  kostbare  Weisheit 
besitze,  die  Menschen,  das  Geld,  die  Edelsteine  und  die  Pferde  kenne. 
Der  Kauf  wird  abgeschlossen.  Der  Greis,  anfänglich  nicht  beachtet,  legt 
bald  Proben  seiner  Weisheit  ab.  Von  einem  Edelsteine,  den  der  Fürst 
erworben  hat,  erklärt  er,  dass  er  nichts  wert  sei  und  einen  Wurm  in  sich 
berge;  die  Aussage  bestätigt  sich.  Nun  wird  er  besser  gehalten  und  be- 
kommt täglich  statt  eines  Brotes  zwei.  Als  der  Fürst  sich  vermählen  will, 
offenbart  ihm  der  Sklave,  dass  seine  Braut  schlechter  Abkunft,  die  Tochter 
eines  Muselmannes  sei;  wiederum  wird  seine  Rede  als  wahr  erfunden. 
Endlich  bittet  der  König  den  weisen  Ptocholeon,  ihm  nun  auch  das  Ge- 
heimnis seiner  eigenen  Abstammung  zu  enthüllen.  Nach  vergeblicher 
Weigerung  eröffnet  der  Sklave  dem  König,  dass  er  nicht  von  seinem 
legitimen  Vater  Peter,  sondern  von  einem  elenden  Knechte  erzeugt  sei. 
Der  König  verhört  seine  Mutter  und  erfährt,  dass  Ptocholeon  die  Wahrheit 
gesprochen;  er  bittet  ihn,  das  Geheimnis  zu  bewahren  und  überhäuft  ihn 
mit  Glücksgütern.     So  ehrt  Gott  die  weisen  Menschen. 

Der  Charakter  der  ganzen  Erzählung  weist  auf  orientalischen,  wahr- 


•)  Die  vulgärgriechische  Litteratur  be- 
sitzt noch  ein  zweites  Werk,  das  einem 
ähnlichen  Anlasse  seine  Entstehung  verdankt. 
Der  Kreter  Sachlikis  (16.  Jahrh.)  beschreibt 
in   der  Einleitung   seines   zweiten  Gedichtes 


die  Qualen   seiner  Kerkerschaft.     S.  §  231. 
*)  Zur  Erklärung   dieses  seltsamen  At- 
tributs vgl.  Ptocholeon  (1.  Version)  V.  96  f.: 


Handbuch  der  klasa.  Altertumswissenschaft    IX.     1.  Abtlg. 


xai  nofiTisvsi  xai  xovQsvst 
xal  fiovTCotyfi'  XI  i^ooi^ei. 
26 


402     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie- 

scheinlich  indischen  Ursprung.  Aus  einer  älteren,  wohl  verlorenen  byzan- 
tinischen Bearbeitung  desselben  Stoffes  schöpfte  im  12.  Jahrhundert  Gautier 
von  Arras  die  Anregung  zu  seinem  epischen  Gedicht  Eracles,  von  dem 
auch  eine  deutsche  Version  existiert;  dieser  Eracles  ist,  obschon  Gautier 
die  Erzählung  nach  abendländischer  Sitte  in  Rom  lokalisiert  hat  (s.  §  269), 
kein  anderer  als  der  byzantinische  Kaiser  Heraklios,  für  dessen  Geschichte 
auch  einige  Züge  verwertet  sind,  die  in  der  Osterchronik  wiederkehren. 
Aus  einer  ähnlichen  Quelle  stammt  das  russische  Lied  von  Iwan,  dem 
Kaufmannssohne,  und  die  türkische  Erzählung  „der  weise  Reisende  und 
der  Bastardsultan " .  Ebenso  scheint  die  vulgärgriechische  Geschichte  des 
Ptocholeon  eine  spätere  Abzweigung  jener  von  Gautier  benützten  byzan- 
tinischen Quelle  zu  sein.  Das  Werkchen  ist  in  drei  sehr  stark  von 
einander  abweichenden  Bearbeitungen  erhalten,  von  welchen  die 
älteste  384,  die  zweite  939,  die  dritte,  wohl  erst  dem  17.  Jahrhundert 
angehörige,  409  Verse  umfasst;  das  Versmass  ist  in  allen  drei  derselbe 
trochäische  Achtsilber,  der  aus  der  Ilias  des  Hermoniakos  (s.  §  248) 
und  anderen  byzantinischen  Werken  bekannt  ist.  Die  Vergleich ung  der 
drei  Redaktionen  ergäbe  eine  Fülle  nützlicher  Beobachtungen,  weil  sich 
in  ihnen  die  fortschreitende  Veränderung  der  sprachlichen  und  kulturellen 
Basis  und  die  Methode,  nach  der  solche  Ueberarbeitungen  älterer  Werke 
vorgenommen  wurden,  deutlicher  als  sonst  widerspiegelt.  Leider  gebricht  es 
hier  an  Raum,  um  auf  diese  Erörterung  wie  auch  auf  andere  Untersuchungen, 
zu  denen  das  merkwürdige  Denkmal  dringend  auffordert,  näher  einzugehen. 

1.  Ausgaben:  Die  erste  Version  ed.  aus  cod.  Pai'is.  Gr.  390  E.  Legrand,  Coli, 
de  mon.  vol.  19,  Paris  1872,  mit  einer  litterarhistorischen  Skizze  von  Ch.  Gidel  (auch  in 
seinen  Nouvelles  ötudes  S.  385—400).  —  Die  zweite  ed.  aus  cod.  Vindobon.  297  W. 
Wagner,  Carmina  S.  277 — 303.  —  Die  dritte  ed.  aus  einer  Handschrift  der  griechischen 
Schule  in  BvTiyTJ  E.  Legrand,  Coli,  de  mon.  N.  S.  vol.  1,  Paris  1874  S.  257-285.  — 
Die  zweite  Version  steht  auch  (mit  bedeutenden  Abweichungen  von  der  Wiener  Handschrift) 
im  cod.  Neapol.  lüAa  9  fol.  24*»— 84«. 

2.  Ursprung  und  abendländische  Bearbeitungen  des  Stoffes:  Dunlop, 
Geschichte  der  Prosadichtung,  übers,  v.  Liebrecht,  Berlin  1851  S.  212.  —  Alessandro 
d'Ancona,  Romania  3  (1874)  164  f.  —  J.  Perles,  Frankels  Monatsschrift  für  die  Ge- 
schichte und  Wissenschaft  des  Judentums  22  (1873)  68  f.  —  A.  N.  Veselovskij,  Arch. 
slav.  Phil.  3  (1878)  576  ff.  —  A.  Schiefner,  Mömoires  de  l'academie  de  St.-P«5tersbourg, 
VII«  s^rie,  t.  22,  no.  7  (1875)  S.  IV  f.  und  7.  —  Felix  Liebrecht,  Zur  Volkskunde, 
Heilbronn  1879  S.  203.  —  Georg  Huth,  Zeitsclir.  f.  vergl.  Litteraturgesch.  N.  F.  2  (1889) 
406 — 414.  —  Zu  der  deutschen  Bearbeitung:  Karl  Goedeke,  Grundriss  zur  Geschichte 
der  deutschen  Dichtung  I''  (1884)  S.  84.  —  Zur  französischen:  Gaston  Paris,  La  litt, 
fran^aise  au  moyen  äge,  Paris  1888  S.  251  f.  H.  P.  Junker,  Grundriss  der  Geschichte 
der  französischen  Litteratur,  Münster  1889  S.  89  f. 

217.  Orakel  Leos  des  "Weisen.  Von  den  in  der  byzantinischen 
Kunstsprache  und  im  jambischen  Trimeter  abgefassten  Orakeln,  die  unter 
dem  Namen  des  Kaisers  Leo  gehen  (s.  §  188),  haben  sich  im  spätem 
Mittelalter  vulgärgriechische  Redaktionen  in  reimlosen  trochäischen 
Achtsilbern  abgezweigt,  die  in  der  wachsenden  Bedrängnis  der  Zeiten  ein 
begieriges  Publikum  fanden  und  einen  lehrreichen  Einblick  in  die  von 
trüben  Ahnungen  erfüllte  Stimmung  der  letzten  Jahrhunderte  von  Byzanz 
gewähren.  Natürlich  wurden  die  schriftsprachlichen  Originale  nicht  ein- 
fach übersetzt,  sondern  durch  Zusätze  bereichert  und  nach  dem  wechselnden 
Kindruck  der  politischen  Lage  umgearbeitet.   Einige  Gedichte,  die  zu  dieser 


1.  Lehr-  n.  Gelegenheitsgedichte.  Darstellung  vermischter  Stoffe.  (§  217  —219.)     403 

Litteratur  gehören,  stehen  im  cod.  Paris.  929  unter  dem  Titel:  Ainyiia 
Xs^emv  AkOYTog  xov  ao(f(üTccrov.  Die  wichtigsten  Ereignisse,  die  mehr  oder 
weniger  dunkel  angedeutet  werden,  sind  die  Eroberung  von  Konstantinopel 
durch  die  Lateiner,  die  Restauration  der  Paläologen  und  die  Einnahme 
des  „neuen  Babylon"  durch  die  Türken.  Die  Chronologie  und  das 
genealogische  Verhältnis  dieser  Poesien,  die  auch  im  Zusammenhange 
mit  der  Orakelweisheit  des  Altertums  studiert  zu  werden  verdienten,  sind 
noch  nicht  genügend  aufgeklärt.  Das  Verständnis  der  Texte  wird  durch 
die  geheimnisvolle  Sprache  und  die  allegorische  Einkleidung  ungemein 
erschwert. 

Ed.  E.  Legrand,  Annuaire  de  l'assoc.  8  (1874)  150 — 192,  mit  einer  Einleitung  von 
Ch.  Gidel  (auch  in  seinen  Nouvelles  etudes  S.  .303—312).  —  Wiederholt  Coli,  de  mon. 
N.  S.  vol.  5,  Paris  1875.  —  Vgl.  die  Litteratur  zu  §  188. 

218.  Die  Messe  des  Bartlosen.  Der  Titel  dieses  seltsamen  Erzeug- 
nisses lautet  in  der  Wiener  Handschrift:  'JxoXov&ta  xov  dvoaiov  TQayoyevij 
GTcavov  Tov  ovQiov  xal  e^ovQiov,  j^ir^rl  toi  cciVm,  ntovai  sv  erei  iffero  d.  h. 
Sequenz  des  unheiligen,  vom  Bock  erzeugten  Glattgesichtes,  des  Verrückten 
und  ganz  Verrückten  (?),  in  demselben  Monate,  voriges  Jahr  im  Jahre 
heuer.  Der  Zweck  der  unflätigen  Satire  ist  die  Verspottung  der  Bart- 
losen, denen  der  griechische  Volksglaube  gerne  verbrecherische  Gesinnungen 
und  Thaten  zuschreibt.  Das  ganze  Stück,  in  dem  die  roheste  Indezenz 
herrscht,  ist  in  die  Formen  einer  gottesdienstlichen  Handlung  gekleidet 
und  gehört  demnach  in  die  Gattung  der  §  170  besprochenen  Parodien. 
Die  Messe  beginnt  mit  ^rixt^oä  nach  dem  „vierten  Querton' ;  es  folgen 
ein  'AtioXvtixiv,  verschiedene  'Qidai,  ein  Käd^iaua,  ein  Kovxäxi,^)  endlich 
ein  ^wa^ägiov  d.  h.  eine  Legende  in  Prosa.  Den  Schluss  bildet  ein 
IIooixoGviKfwrov  d.  h.  ein  AussteuerprotokoU,  durch  welches  der  Pfarrer 
seine  Tochter  dem  Bartlosen  zur  Frau  gibt.  Die  Entstehungszeit  des 
rohen  Pamphlets  darf  aus  sprachlichen  und  andern  Gründen  ins  14.,  viel- 
leicht noch  ins  13.  Jahrhundert  gesetzt  werden;  doch  sind  die  Spuren 
einer  späteren  Ueberarbeitung  erkennbar.  Bei  aller  Grobheit  gehört  die 
Messe  des  Bartlosen  zu  den  interessantesten  Werken  der  mittelgriechischen 
Litteratur;  sie  enthält  ein  beachtenswertes,  freilich  noch  nicht  genügend 
erklärtes  Sprachmaterial  und  zahlreiche  Anspielungen  auf  volksmässige 
Vorstellungen  und  Gebräuche. 

Ausgaben:  Zuerst  öfter  als  venezianisches  Volksbuch  (z.  B.  Venedig  1817),  jedoch 
in  einer  von  dem  Wiener  Texte  stark  abweichenden  Form.  —  Nach  cod.  Vindobon.  297 
ed.  pr.  E.  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  H  (1881)  28—47.  Vgl.  die  Einleitung  S.  24  ff. 
Uebrigens  hätte  der  Herausgeber  das  Stück  (bis  zur  Legende)  nicht  als  Prosa  drucken 
sollen;  der  metrische  Charakter  ist  trotz  mancher  Verunstaltung  des  Textes  noch  völlig 
deutlich  erkennbar.     Vgl.  §§  173  ff. 

219.  Religiöse  Gedichte.  Zur  Erbauung  des  ungebildeten  Volkes, 
dem  selbst  die  temperierte  Schriftsprache  der  kirchlichen  Gebete  und  Lieder 
allmählich  unverständlich  geworden  war,  wurden  religiöse  Gedichte  im 
Vulgäridiom  abgefasst,  obschon  die  Kirche  selbst  an  der  Schriftsprache 
festhielt.  Zu  den  ältesten  dieser  Texte  gehört  das  Gebet  des  Sünders, 
^AiiuoToilov  7iaoäxXi]üiq  (16  reimlose  politische  Verse),   das  vielleicht  noch 

')  Ueber  die  Bedeutung  dieser  Ausdrücke  s.  §  176  und  Christ,  Antholog.,  Prolegomena. 

26* 


404     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

ins  12.  Jahrhundert  gesetzt  werden  darf.  Die  ersten  drei  Verse  klingen 
merkwürdigerweise  wie  ein  modernes  Volkslied  (vgl.  z.  B.  Passow, 
Popularia  carm.  N.  157).  Inhaltlich  verwandt,  in  der  Form  aber  der 
Kunstsprache  näher  stehend,  ist  das  Klagegedicht  über  Adam  und 
das  Paradies,  JSri'xoi  ^Qi]vr^iixol  ^Add^i  xai  Ttaqadfiaov  (118  reimlose 
politische  Verse),  in  welchem  ein  Sünder  ob  seiner  Missethaten  mit  sich 
selbst  zu  Gerichte  geht.  Beide  Stücke  erscheinen  wie  das  erbauliche 
ABC  als  vulgärgriechische  Reflexe  der  griechischen  Hymnendichtung,  von 
der  sie  im  Ausdruck  und  im  Gedanken  deutlich  beeinflusst  sind. 
Ed.  E.  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  I  17  und  XI  ff.  —  Vgl.  §  222. 

220.  Trostgedicht.  Aöyoc,  TiaQrjYOQrjrixog  negi  evtvxi'occ  xal  6vaTvxt«c 
(776  reimlose  politische  Verse).  Das  mit  dem  allegorisch-moralisieren- 
den  Epos  des  Meliteniotes  verwandte,  anonym  überlieferte  Werkchen 
richtet  sich  an  alle  Glücklichen  und  Unglücklichen.  Der  Dichter  erzählt 
das  Schicksal  eines  unglücklichen  Jünglings.  Vom  Unheil  verfolgt,  ver- 
lässt  er  die  Heimat,  um  im  Kastron  der  Dystychia  zu  erfahren,  von 
welcher  Art  sie  sei,  und  wie  sie  die  Menschen  quäle.  Nach  sechsmonat- 
licher Wanderung  trifft  er  einen  jungen,  rotgewandeten  Mann,  den 
Chronos,  der  in  seiner  Hand  das  Buch  der  Glücklichen  und  Unglücklichen 
hält.  Von  ihm  wird  er  ermuntert,  die  Eutychia  aufzusuchen.  Er  gelangt 
in  das  Schloss  des  Chronos,  das  ähnlich  geschildert  wird  wie  die  verschie- 
denen Kastra  in  den  Märchen-  und  Ritterromanen  (s.  §§  255 — 257),  erhält 
ein  Empfehlungsschreiben  an  die  Dystychia,  die  seinen  Namen  aus  ihrem 
Verzeichnis  auslöscht,  und  wird  endlich  von  ihrer  Schwester  Eutychia  in 
Gnaden  aufgenommen.  Die  Herkunft  des  Stoffes  ist  nicht  bekannt;  Lam- 
bros  erinnert  an  den  Pinax  des  Kebes  und  hält  das  ganze  W^erk  für 
eine  Ueberarbeitung  einer  alten  griechischen  Volkssage. 

Ed.  pr.  Sp.  Lambros,  Coli,  de  rom.  gr.  S.  289 — 321  (aus  cod.  Bodleianus  282). 

221.  Die  „rhodischen*'  Liebeslieder.  Unter  dem  Titel  ^ti'xoi  negi 
€Q(üTog  xal  ayänrfi  ist  in  einer  Handschrift  des  15.  Jahrhunderts  (Addit. 
mss.  des  British  museum  Nr.  8241)  eine  Sammlung  von  erotischen  Gedichten 
erhalten,  welche  von  dem  Herausgeber  willkürlich  ABC  der  Liebe  (Al- 
(f.(ißrjTog  TT^g  dyaTirjg)  betitelt  und  jetzt  auch  unter  dem  konventionellen 
Namen  „rhodische  Liebeslieder"  bekannt  ist.  Leider  ist  das  kleine  Corpus 
(707  reimlose  politische  Verse)  in  der  einzigen  Handschrift  sehr  übel  zu- 
gerichtet; der  Abschreiber  hatte  ein  lückenhaftes  Original  vor  sich  oder 
er  hat  sein  Original  nicht  treu  wiedergegeben.  Trotzdem  lassen  sich  in 
der  ganzen  Sammlung  noch  deutlich  vier  Lieder zyklen  erkennen:  1.  Den 
Anfang  bilden  11  nach  den  Buchstaben  A  bis  M  akrostichiseh  geordnete, 
abwechselnd  von  einem  Jüngling  und  einem  Mädchen  gesungene  Lieder 
verschiedenen  Umfangs,  offenbar  Trümmer  eines  Zyklus  mit  vollständiger 
alphabetischer  Akrostichis.  2.  Darauf  folgt  eine  Gruppe  von  15  Disticlien 
(nur  zuletzt  1  Tristichon),  in  denen  trotz  mehrerer  Lücken  die  alphabetisclie 
Akrostichis  A  bisß  erkennbar  ist;  sie  enthalten  keine  Wechselrede,  sondern 
durchaus  Liebesklagen  eines  Mannes.  3.  Mit  dem  27.  Gedichte  beginnt 
das   dritte   llauptstück   der  Sunnnlung.     Es    besteht    aus   einer  Erzählung 


1.  Lehr- u.  Gelegenheitsgedichte.  Darstellung  vermischter  Stoffe.  (§220 — 221.)     405 

und  zwanzig  eingestreuten  Liebesliedern:  Ein  Jüngling  liebt  seit  2  Jahren 
ein  Mädchen  und  schickt  ihr  eine  Erklärung;  sie  erwidert  ihm,  er  sei  noch 
zu  jung ;  der  Jüngling  meint  jedoch,  auch  die  Kleinen  verstünden  zu  lieben. 
Xun  sagt  das  Mädchen,  100  Liebesworte  wolle  sie  von  ihm  erforschen  und, 
wenn  er  sie  beantworte,  ihn  mit  Küssen  sättigen.  Der  Jüngling  .,löst  sich 
die  Yerse  aus  dem  Herzen"  und  reiht  sie  ,wie  eine  Kette"  aneinander. 
Die  Glieder  dieser  Kette  sind  die  Zahlen  von  1  bis  100;  nach  dem  zehnten 
Gedichte  fühlt  sich  das  Mädchen  bezwungen  und  gibt  dem  Jüngling  einen 
Kuss;  dann  schenkt  sie  ihm  einen  Teil  seiner  Aufgabe,  d.  h.  sie  gestattet 
ihm,  nun  mit  den  Zehnern  (20,  30  u.  s.  w.)  fortzufahren.  Als  schliesslich 
das  Mädchen  dem  Jungen  nichts  mehr  versagt,  fängt  er  an  zu  spotten. 
Das  ganze  Werkchen  ist  also  eine  poetische  Liebesnovelle,  in  welche 
eine  nachzahlen  akrostichisch  geordnete ')  Liedersammlung  ein- 
gefügt ist.  Leider  ist  auch  dieser  Komplex  unvollständig  überliefert. 
4.  Zum  Schlüsse  folgt  eine  Gruppe  selbständiger,  weder  durch  ein  formales 
noch  durch  ein  inhaltliches  Band  verknüpfter  Liebesgedichte. 

Die  bestimmten  Erklärungen,  welche  W.  Wagner  über  die  Zeit 
und  den  Ort  der  Entstehung  des  Corpus  abgegeben  hat,  erweisen  sich 
bei  einer  näheren  Prüfung  als  unzulänglich.  Mit  einiger  Sicherheit  lässt 
sich  nur  sagen,  dass  die  Sammlung  nicht  später  als  ins  14.  oder  in  die 
erste  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  gesetzt  werden  darf;  triftige  innere 
Gründe,  namentlich  die  Erwähnung  der  TovoxotiovXoi,  des  Kaisers  und 
eines  Logotheten  in  Byzanz,  auch  die  hohe  Vorstellung  von  der  Macht 
und  Unverletzbarkeit  einer  kaiserlichen  Chrysobiille  verbieten  an  die  Zeit 
nach  dem  FaUe  des  Reiches  zu  denken.  Auch  der  Entstehungsort 
bleibt  unsicher,  da  sich  aus  der  Anspielung  auf  Rhodos  (32,  11)  kein 
Schluss  ziehen  lässt;  doch  weisen  viele  unverkennbare  Anzeichen  auf  eine 
Gegend,  die  eine  fränkische  Besatzung  hatte  und  mit  abendländischer 
Sitte  —  und  Unsitte  durch  lange  Gewöhnung  vertraut  war.  Der  poe- 
tische Wert  der  „rhodischen"  Lieder  ist  über  alle  Zweifel  erhaben;  sie 
gehören  zu  den  besten  und  merkwürdigsten  Erzeugnissen  der  gesamten 
vulgärgriechischen  Poesie. 

1.  Ausgaben  und  Hilfsmittel:  'A).(pdßr,toi;  ttjs  ayanrjs.  Das  ABC  der  Liebe. 
Eine  Sammlung  rhodischer  Liebeslieder  zum  erstenmaJe  herausgegeben,  metrisch  übersetzt 
imd  mit  einem  Wörterbuche  versehen  von  W.Wagner,  Leipzig  1879.  —.Besprechungen 
von  C.  Bursian,  Literar.  Centralbl.  1880  S.  237  f.,  Gust.  Meyer,  Beilage  zur  allgemeinen 
Zeitung  1880  S.  2123  und  H.  F.  Tozer,  The  Journal  of  HeUenic  studies  1  (1880)  308—313.  — 
Die  glückliche  Aufdeckung  der  Komposition  des  ganzen  Corpus  ist  das  Verdienst  von  E. 
C.  Holzer,  Berliner  philol.  Wochenschrift  1885  S.  514  ff.;  545  ff.  —  Sprachliche  und 
textkritische  Bemerkungen  von  C.  Foy,  Bezzenbergers  Beiträge  6  (1881)  220—230.  — 
Italienische  Uebersetzung  von  Vito  Palumbo,  Leipzig  (mir  nur  durch  die  Erwäh- 
nung in  der  Zeitschrift  Le  Museon  1  (1882)  620  bekannt).  —  Da  der  Herausgeber,  der 
den  Zusammenhang  der  einzelnen  Gruppen  nicht  erkannte,  die  ganze  Sammlung  alpha- 
betisch ordnete  und  dabei  die  Reihenfolge  der  Komplexe  und  der  Lieder  völlig  verwirrte, 
kann  der  Text  nur  durch  eine  neue  Ausgabe  verständlich  und  lesbar  gemacht  werden.  Der 
tüchtige  Neogräzist  E.  Emerson  hat  mir  zu  diesem  Zwecke  eine  genaue  Kollation  der 
Handschrift  zur  Verfügung  gestellt. 

2.  Eine  andere  Sammlung  i-ulgärgriechischer  Liebeslieder  {^(ouxd  tgceyovdia),  in 
welcher  ebenfalls  ein   Liebesalphabet   vorkommt,   ed.  aus   cod.  Vindobon.   297   E.  Le- 

')  Der  Gedanke   scheint  völlig    origi-   i   Litteratur   ein   zweites  Beispiel  einer   arith- 
nell  zu  sein;  wenigstens  ist  mir  aus  keiner   ,   metischen  Akrostichis  bekannt. 


406     Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    HI.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

grand,  Coli,  de  mon.  N.  S.  I  (1874)  1—71.    Auch  hier  finden  sich  manche  wahr  und  tief 
empfundene,  echt  volksmässige  Stücke. 

3.  In  einem  cod.  Marcianus  des  16.  Jahrhunderts  steht  eine  Sammlung  von  Liebe s- 
liedern  im  neucyprischen  Dialekt.  Die  meisten  derselben  sind  nichts  anderes  als 
TJebersetzungen  aus  Petrarca,  wobei  sogar  die  Versmasse  der  Originale  beibehalten  sind. 
Das  kleine  Corpus  ist  sprachgeschichtlich  von  Wert,  indem  es  die  von  den  Assisen, 
Machäras  und  Bustrone  eröfinete  Reihe  mittel-  und  neucyprischer  Denkmäler  fort- 
setzt. Ed.  E.  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  II  58—93  (nur  eine  Auswahl).  Vgl.  seine  Ein- 
leitung S.  64  ff. 

222.  Erbauliches  ABC,  'jX(fäßrjtog  xavawxuxog  xal  ipvxM(feXrjg 
Tiegi  Tov  ixaiawv  xoüf^iov  tovtov,  betitelt  sich  ein  im  cod.  Vindob.  297  und 
mit  bedeutenden  Abweichungen  in  cod.  Montepessul.  405  anonym  über- 
liefertes Gedicht,  das  aus  24  fünfzeiligen  Strophen  mit  alphabetischer 
Akrostichis  besteht  (120  politische  Verse  mit  sporadischer  Anwendung 
des  Reimes).  Den  Inhalt  bilden  religiöse  Unterweisungen  über  die  Unbe- 
ständigkeit des  Irdischen,  die  Notwendigkeit  der  Busse  und  das  jüngste 
Gericht.  Um  die  alphabetische  Strophenreihe  glücklich  zum  Ende  zu 
führen,  wiederholt  der  Verfasser  unablässig  dieselben  Gedanken  in  neuer 
Form.  Manche  Wendung  (z.  B.  V.  41)  verdankt  er  der  Kirchendichtung, 
von  welcher  er  im  übrigen  herzlich  wenig  gelernt  hat.  Doch  hat  auch 
er  seinen  Nachtreter  gefunden;  V.  6  bis  8  des  Alphabets  sind  von  dem 
Verfasser  des  Lebens  in  der  Fremde  (V.  431  ff.)  mit  einigen  Modifi- 
kationen adoptiert  worden. 

Ed.  pr.  W.  Wagner,  Carmina  S.  242 — 247.  —  Von  Werken  der  Kunstlitteratur  ist 
namentlich  das  'AXcpaßijtäquov  nävv  wqishfioy  zu  vergleichen,  das  Chr.  Walz,  Arsenii  Vio- 
letvmi  S.  515  ediert  hat.  —  Zur  Akrostichis  vgl.  §  178. 

223.  Mahngedicht  an  einen  alten  Bräutigam,  Uegl  yeqovxoq  vd  (.u] 
naQn  xoQiiai,  ein  anonymes,  im  cod.  Vindob.  297  überliefertes,  aus  198 
gereimten  politischen  Versen  bestehendes  Machwerk,  schildert  im  Tone 
ernster  Belehrung,  die  vor  drastischer  und  ekelhafter  Ausmalung  des  De- 
tails nicht  zurückschreckt,  die  schlimmen  Folgen  der  Vermählung  eines 
Greises  mit  einem  jungen  Mädchen.  Auch  hier  (V.  74  bis  79)  spielt  der 
volkstümliche  Charos  eine  Rolle  (vgl.  §§  224  bis  227).  Das  Gedicht  ent- 
stand am  Ende  des  15.  oder  im  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  und 
zwar  wahrscheinlich  in  Kreta. 

Ed.  pr.  W.  Wagner,  Carmina  S.  106-111.  —  Vgl.  §  197,  11  (S.  364). 

224.  Die  Verführung,  ^Pr^fxätct  xöqrp;  xal  viov  d.  h.  Reimerei  vom 
Mädchen  und  Jüngling.  Dieses  im  cod.  Ambros.  Y  89  sup.  und  weniger 
vollständig  im  cod.  Vindobon.  297  erhaltene,  aus  198  politischen  Reim- 
versen bestehende  Gedicht  ist  ohne  Zweifel  als  eine  echte  Probe  der 
Volkspoesie  des  16.  Jahrhunderts  zu  bezeichnen.  Dafür  sprechen  die 
zahlreichen  Anklänge  an  heutige  Volkslieder,  auch  einzelne  Züge  wie  die 
Erwähnung  des  Charos  (V.  74;  184).  Das  Gedicht  schildert  einen  Vor- 
wurf, für  welchen  man  anderswo  nicht  die  Muse,  sondern  das  Strafgesetz- 
buch zur  Hilfe  ruft,  nämlich  die  Geschichte  einer  nächtlichen  Vergewaltigung. 
Nachdem  der  Jüngling  das  Mädchen  mit  dem  Rechte  des  Stärkeren  er- 
obert hat,  verspottet  er  sie,  eine  Hörzlosigkeit,  die  ganz  ähnlich  in  den 
„rhodischen  Liebesliedern"  wiederkehrt  und  wohl  aus  der  realistischen 
Auflfasßung    der    Liebe    bei    den    Südländern    erklärt    werden    muss.     Die 


1.  Lehr- u.  Gelegenheitsgedichte.   Darstellung  vermischter  Stoffe.  (§222—226.)     4,07 

Sprache  des  Werkchens  (z.  B.  eig  iiiöv  V.  154)   scheint   auf  Kreta  hin- 
zuweisen. 

Ed.  pr.  E.  Legrand,  Coli,  de  mon.  N.  S.  I  (1874)  21 — 35  mit  französischer  üeber- 
setzimg.  —  Vollständiger  nach  der  Mailänder  Handschrift  ed.  E.  Legrand,  Bibl.  gr.  vnlg. 
n  (1881)  51—57. 

225.  Das  Leben  in  der  Fremde,  Ileqi  rijg  ^evnsiag.  In  548  reim- 
losen politischen  Versen,  die  der  cod.  Vindobon.  297  aufbewahrt,  schilderte 
ein  poesieverlassener  Anonymus,  der  Sprache  nach  (s.  z.  B.  V.  19,  21,  346) 
wohl  ein  Kreter,  im  15. 16.  Jahrhundert  die  Mühsale  und  Trübsale,  so 
ein  Mensch  in  der  Fremde  erdulden  muss.  Der  Verfasser  wusste  den 
Vorwurf,  der  in  neugriechischen  Volksliedern  häufig  so  glücklich  behandelt 
ist,  nicht  poetisch  zu  gestalten;  sein  Klagegesang  gleicht  einem  poetischen 
Karrussel,  in  welchem  dieselben  Gestalten  immer  aufs  Neue  an  uns  vor- 
überschweben. Nachdem  er  sich  in  endlosen  Wiederholungen,  pathetischen 
Ausrufen  und  überschwänglichen  Gemeinplätzen  erschöpft  hat,  verrät  er 
uns,  dass  er  nicht  theoretisch  gesprochen,  sondern  sein  eigenes,  in  der 
Fremde  schmerzlich  verwundetes  Herz  ausgeleert  hat.  Im  weiteren  Ver- 
lauf der  Schilderung  wird  die  Stimmung  des  Dichters  immer  trüber,  bis 
er  sich  zuletzt  in  ganz  unverständlichen  Klagen  über  die  Nichtigkeit  der 
Welt  und  in  bitteren  Verwünschungen  seines  eigenen  Daseins  verliert. 
Trotz  aller  Gedankenarmut  und  Formlosigkeit  felüt  es  auch  in  diesem  Ge- 
dicht nicht  an  Spuren  volkspoetischer  Impulse;  V.  359  und  372  ff. 
spielen  die  Vögel  als  Boten  eine  ähnliche  Rolle  wie  in  der  neugriechischen 
Volksdichtung;  V.  481  wird  Charos  als  Totengott  erwähnt;  auch  der  Ge- 
samtton wird  von  V.  300  an  frischer  und  volksmässiger.  So  bewahrt 
dieser  Klagegesang  als  privater  Reflex  der  alten  Anschauung  von  der 
Bitterkeit  des  Lebens  in  der  Fremde  ')  seine  Bedeutung  für  die 
griechische  Folkloristik;  er  verhält  sich  zu  den  Tragudia,  die  das  Leben 
in  der  Fremde  und  die  Rückkehr  in  die  Heimat  besingen,  ähnlich  wie  das 
Gedicht  auf  den  unersättlichen  Hades  (s.  §  227)  zu  den  heutigen 
Charosliedern. 

Ed.  pr.  K.  N.  Sathas,  naydaiga  vol.  22.  472—478.  —  Ed.  W.  Wagner,  Carmina 
S.  203-220. 

226.  Der  Apokopos,^)  das  Werk  eines  seiner  Person  und  Herkunft 
nach  nicht  bekannten  Dichters  Bergadis^)  (JfTrf pyaJ »-c) ,  schildert  in 
558  gereimten  politischen  Versen  eine  im  Traume  unternommene  Hades- 
fahrt.  Den  eigentlichen  Vorwurf  bildet  eine  Satire  auf  die  üble  Gewohn- 
heit der  Lebenden,  die  Verstorbenen  zu  vergessen.  In  der  allegorischen 
Einleitung  ist  die  aus  dem  Barlaamromane  entlehnte  indische  Parabel 
von  dem  Manne,  dem  Drachen,  dem  Baume  mit  dem  Bienenstocke  und 
den  zwei  Mäusen  mit  einer  Modifikation  verwerfet;  der  Baum  bricht  und 
der  Honignascher,  d.  h,  der  Dichter,  stürzt  in  den  Schlund  des  Drachen, 
der,   wie   bei  Pikatoros,   mit  dem  Hades   identisch   ist.     Der   neue  An- 


')  Ein   mittelalteriiches   Zeugnis   dieser 
Anschauimg  enthält  z.  B.  Belthandros  V.  151  f. 
2)   'AnöxoTiog    heisst   hier   nicht    ,abge- 


Abendruhe*. 

^)  Vielleicht  ist  sein  wahrer  Name  Ber- 
nard; vgl.  die  neugriechischen  Namen  Mn$- 


schnitten",   sondern    ,Zeit   nach  der  Arbeit,    j   yuQd^s,  Mnegyad^g  u.  s.  w. 


408     Byzantinische  Litteraturgeschiclite.    III.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

kömmling  wird  von  den  Schatten  befragt,  wie  die  Welt  aussehe,  ob  noch 
die  Quellen  rauschen  und  die  Vögelein  singen,  ob  noch  Angehörige  um 
die  Verstorbenen  trauern.  Diese  Frage,  das  Hauptthema  des  Gedich- 
tes, wird  nun  in  ausführlichem  Zwiegespräch  erörtert.  Einen  merkwür- 
digen Zug  bildet  die  scharfe  Polemik  gegen  die  unersättliche  Habsucht 
der  Mönche,  Das  Gedicht  zeigt  neben  manchen  Anklängen  an  neugrie- 
chische Charoslieder  eine  unverkennbare  Verwandtschaft  mit  italienischen 
Poesien,  namentlich  mit  Dantes  Inferno.  Doch  ist  eine  abendländische 
Quelle  nicht  nachgewiesen.  Die  Darstellung  ist  fliessend,  malerisch  und 
häufig  echt  poetisch ;  doch  dürfte  die  Lektüre  gerade  wegen  der  urwüchsigen 
Kraft  der  Diktion  dem  Anfänger  im  Vulgärgriechischen  ungewöhnliche 
Schwierigkeiten  bereiten. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Zuerst  als  venezianisches  Volksbuch,  Venedig  1534, 
1543  und  öfter.  —  Ed.  K.  Legrand,  Coli,  de  mon.  9  (1870)  (nach  dem  Venez.  Drucke 
von  1667)  und:  Bibl.  gr.  vulg.  II  (1881)  94—122  (nach  der  Ausgabe  von  1534  mit  den 
Varianten  des  cod.  Vindobon.  297).  Vgl.  die  Einleitung  S.  66  ff.  —  Zu  der  indischen 
Parabel:  E.  Kuhn,  Der  Mann  im  Brunnen,  Festgruss  an  Otto  von  Böhtlingk,  Stuttgart 
1888  S.  68-76.  —  Vgl.  die  Litteratur  zu  §  268. 

227.  Johannes  Pikatoros  aus  Rhethymne  auf  Kreta  beschrieb 
wahrscheinlich  im  Anfange  des  16.  Jahrhunderts  in  seiner  heimatlichen 
Mundart  das  Traumgesicht  einer  Hadesfahrt:  fV'/ta  ^Qrjvr^rixij  eig  tdv 
nixQov  xal  axo^earov  ''Aidrjv  (563  gereimte  politische  Verse).  Der  Dichter 
wird  von  einem  schwarzen  Manne  in  den  Schlund  eines  furchtbaren  Drachen 
geschleudert;  im  Innern  des  Untieres  angekommen  sieht  er,  dass  er  sich 
im  Hades  befindet;  vor  dem  Thore  kauert  eine  dreiköpfige  Schlange; 
Charos  reitet  auf  ihn  zu  und  fragt,  warum  er  in  den  Hades  gefahren 
sei,  ob  er  etwa  den  Weg  verfehlt  habe  und  noch  hoffe,  in  die  Welt  zu- 
rückzukehren. Der  Unglückliche  antwortet,  er  sei  gekommen,  um  den 
Thron,  die  Schlösser,  die  Länder  und  die  Gefangenen  des  Charos  kennen 
zu  lernen.  Charos  nimmt  ihn  auf  sein  Ross,  und  sie  reiten  gemeinsam 
durch  die  schauerlichen  Räume  der  Unterwelt.  Mit  einer  Disputation  über 
die  Ursachen  des  Todes  und  die  Geheimnisse  der  Schöpfung  bricht  das 
am  Schlüsse  verstümmelte  Gedicht  ab.  Die  merkwürdige  Verquickung  des 
antiken  Hadesbegriffes  mit  dem  volksmässigen  Charos  und  mit  gelehrter 
Theologie  macht  dieses  poetische  Seitenstück  zu  den  Dialogen  Timarion 
(s.  S.  193)  und  Mazaris  (s.  S.  210)  für  das  Studium  des  neugriechischen 
Volksglaubens  höchst  beachtenswert. 

Ed.  pr.  W.  Wagner,  Carmina  S.  224—241  (aus  cod.  Vindobon.  297). 

228.  Marino  Falieri  leiht  seinen  Namen  zwei  Versifikationen,  die 
im  cod.  Ambros.  Y  89  sup.  (16.  Jahrh.)  fol.  77»»— 99'»  erhalten  sind. 
1.  Das  erste,  in  der  Handschrift  ohne  Titel  überlieferte  Stück  ist  ein  an 
einen  Freund  gerichtetes  religiöses  Mahngedicht  (283  politische  Reim- 
verse), in  welchem  Betrachtungen  über  die  Vergänglichkeit  des  Irdischen, 
über  die  Verwerflichkeit  des  weltlichen  Lebens,  über  Tod.  Sünde  und  Ikisse 
in  breiter  Weise  vorgetragen  werden.  Von  den  Derbheiten,  welche  sich 
die  lehi-hafte  Muse  eines  Sachlikis  und  Depharanas  gestattet,  ist  das 
Gedicht  völlig  frei,  es  ermüdet  aber  durch  die  flache  Allgemeinheit  der 
Gedanken  und  den  Mangel  eines  lokalen  oder  zeitlichen  Kolorits.     In  den 


1.  Lehr-  u.  Gelegenheitsgedichte.  Darstellung  vermischter  Stofife.    (§  227—230.)     409 

letzten  zwei  Versen  nennt  der  Verfasser  seinen  Namen:  'ßg  idenä  Tfleiai- 
^r^xsv  Tj  Qiiia  Tov  WaXiiqov  |  TcKfivri]  zov  fiiaho  MaQTj,  rot  nccXaiov  xov 
yägov.  2.  Eine  in  dialogische  Form  gefasste  allegorische  Traiimge- 
schichte,  ^larogia  xal  hraigo  tov  avysrsGTdrov  uQxovrog  xvQi'ov  MaQivov 
OaXitQov.  Der  Verfasser  erzählt  wie  Pikatoros  und  Bergadis  ein  von 
ihm  selbst  erlebtes  Traumgespräch.  Die  Personen  des  Dialogs  sind  Falieri, 
die  Moera,  Pothula  (Sehnsucht)  \md  Athusa  (Unschuld).  Nachdem 
Falieri  mit  der  Moera  ein  längeres,  ziemlich  inhaltsarmes  Zwiegespräch 
gepflogen  hat,  erscheinen  Pothula  und  Athusa.  Der  Dichter  entbrennt  in 
begehrlicher  Liebe  zu  Athusa  und  bestürmt  sie  mit  heissen  Werbungen, 
wobei  ihm  Pothula  getreulich  beisteht.  Athusa  weist  seine  verführerischen 
Worte  standhaft  zurück.  Endlich  schwört  er  ihr  bei  Christus  und  Maria 
ewige  Treue,  verlangt  aber  eine  Gegenleistung.  Hier  bricht  die  am  Schlüsse 
verstümmelte  Handschi'ift  ab.  Auch  dieses  sonst  ziemlich  trockene  Moral- 
gedicht, ein  später  Nachzügler  der  allegorischen  Dialoge  des  Tzetzes, 
Plochiros,  Philes,  erhebt  sich  an  einer  Stelle,  in  der  Schilderung  der 
Liebeswerbung  des  Falieri,  unter  dem  Einfluss  volkspoetischer  An- 
regungen zu  warmer  Empfindung  und  lebensvoller  Darstellung. 

Ueber  die  Person  des  Verfassers  ist  nichts  bekannt;  vielleicht  ist 
der  berühmte  venezianische  Name  nur  Aushängeschild  eines  Anonjinus. 
Jedenfalls  aber  gehören  beide  Gedichte  demselben  Autor;  das  beweist 
nicht  nur  die  Unterschrift  des  einen  und  die  Ueberschrift  des  anderen 
Stückes,  sondern  auch  die  unverkennbare  Aehnlichkeit  der  Auffassung  und 
Darstellung,  die  sich  bis  auf  die  Wiederholung  einzelner  Wendungen  (z.  B. 
yXvxonaxi  fiov  vaToi)  erstreckt.  Die  Sprache  beider  Werkchen  ist  das 
reinste  Volksgriechisch,  das  man  sich  denken  kann ;  zu  einer  dialektischen 
Bestimmung  fehlt  ein  sicherer  Anhalt;  doch  scheinen  da^iäxi  und  6ovf.iäxi 
(fol.  96^;  99*)  auf  Kreta  hinzuweisen.  Die  Ueberlieferung  zeigt  dieselbe 
Verwakrlosung  der  Orthographie,  welche  die  meisten  Handschriften  und 
auch  die  Venezianer  Drucke  der  griechischen  Volksbücher  des  16.  Jahr- 
hunderts für  den  Anfänger  fast  unzugänglich  macht. 

Proben  beider  Stücke  ed.  E.  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  H  (1881)  Einleitung  S.62  ff.  — 
fär  die  von  mir  mitgeteilte  Analyse  des  Inhalts  habe  ich  die  Handschrift  selbst  durch- 
gearbeitet. 

229.  Manuel  Sklavos,  ein  biographisch  nicht  bekannter  Kreter,  be- 
schrieb in  284  gereimten  politischen  Versen,  die  er  ^vf.i(foQC(  t/;c  KQr^Ttfi 
betitelte,  das  furchtbare  Erdbeben,  welches  im  Jahre  1508  seine  Hei- 
matinsel verwüstete.  Das  Gedicht  ist  litterarhistorisch  mit  den  Klage- 
gesängen auf  den  Fall  von  Konstantinopel,  auf  die  Pest  von  Rhodos 
u.  s.  w,  zu  vergleichen.  Der  Verfasser  erzählt  in  unbeholfener  Weise 
einzelne  Episoden  des  Ereignisses;  erst  von  V.  175  an  gewinnt  die  Dar- 
stellung durch  das  offenbar  der  Volkspoesie  abgelauschte  Motiv  eines 
Gespräches  zwischen  einem  Fremden  und  der  personifizierten 
Kreta  einige  Lebendigkeit. 

Ed.  pr.  W.  Wagner  aus  cod.  Vindobon.  297,  Carmina  S.  53—61. 

230.  Auf  Venedig,  Ek  Bfreriav  (84  reimlose  politische  Verse).  Der 
Verfasser  dieses  Lobgesanges  auf  die  Lagunenstadt  ist  ein  völlig  unge- 


410     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgärgriech..  Litteratur.    1.  Poesie. 

bildeter  Mensch,  der  in  naiver  Weise  sein  Erstaunen  über  die  Wasser- 
strassen, die  Märcuskirche  und  den  Dogenpalast  in  verständliche  Worte 
zu  kleiden  sucht;  dabei  verrät  er  aber  eine  Unbeholfenheit,  die  in  der 
Geschichte  des  vulgärgriechischen  Stils  fast  einzig  dasteht. 

Ed.  pr.  aus  cod.  Vindobon.  297  W.  Wagner,  Carmina  S.  221—223. 

231.  Stephanos  Sachlikis  aus  Kreta  verfasste  im  Anfang  des 
16.  Jahrhunderts  in  seiner  heimatlichen  Mundart  einige  durch  die  grobe 
Realistik  der  Sprache  und  der  Anschauung  merkwürdige  Gedichte.  1.  Das 
erste  (365  gereimte  politische  Verse)  enthält  Ermahnungen  an  einen  ge- 
wissen Franciscus,  den  Sohn  eines  hochgestellten  Freundes  des  Ver- 
fassers. Namentlich  warnt  er  ihn  vor  den  gefährlichen  Lastern  der  Nacht- 
schwärmerei und  des  Würfelspiels.  Den  grössten  Teil  des  Mahngedichtes 
füllt  die  rohe  Schilderung  des  listigen  und  habsüchtigen  Treibens  der 
Buhldirnen.  Das  sittliche  Moment  mangelt  vollständig;  die  Gründe,  mit 
denen  der  kretische  Sokrates  seinen  Alkibiades  auf  die  Bahn  der  Tugend 
zu  leiten  sucht,  sind  rein  praktischer  Natur.  Auf  die  wenig  erbaulichen 
Zustände,  die  unter  den  Venezianern  in  den  Städten  Kretas  herrschten, 
wirft  das  Machwerk  ein  grelles  Licht.  2.  Die  schlimmen  Erfahrungen,  die 
Sachlikis,  der  „Totengott  der  Buhldirnen "  (Xägog  xwv  noXirixcöv),  wie  er 
sich  selbst  nennt,  seinem  Franz  über  das  Nachtschwärmen  vermittelt, 
scheint  er  in  eigenster  Person  gesammelt  zu  haben.  Denn  in  seinem 
zweiten  Gedichte  (712  politische  Verse,  in  welchen  von  V.  378  an  der 
Reim  verwendet  ist)  schildert  er  die  Drangsale,  welche  böse  Weiber 
über  ihn  gebracht  haben.  Ihretwegen  schmachtet  er  im  Gefängnisse,  von 
welchem  aus  auch  sein  Gedicht  geschrieben  ist.  Sachlikis  klagt  über  die 
Unbeständigkeit  seiner  Freunde,  die  Leiden  seiner  Haft  und  die  Rück- 
sichtslosigkeit der  Wächter,  die  ihm  zum  Hohne  mit  ihren  Kumpanen 
lateinische  (d.  i.  italienische)  Lieder  singen;  dann  nennt  er  die  Ursache 
seiner  Einkerkerung  —  Weiberbosheit  —  und  beschert  uns  zum  Schluss 
eine  langwierige  Schilderung  des  Lebens  der  öffentlichen  Dirnen  in  Kreta, 
die  an  plumper  Derbheit  das  im  ersten  Gedichte  Gebotene  noch  weit 
übertrifft. 

Ausgaben:  Das  erste  Gedicht  ed.  E.  Legrand,  Coli,  de  mon.  vol.  15,  Paris  1871 
=  Annuaire  de  l'assoc.  5  (1871)  201—242.  —  Beide  Gedichte  ed.  W.  Wagner,  Carmina 
S.  62—105  (nach  cod.  Paris.  2909  und  cod.  Montepessul.  409).  —  Vgl.  Legrand,  Bibliogr. 
hell,  n  262.  —  Noch  unbenutzt  ist  cod.  Neapol.  III  A  a  9,  der  ausser  dem  ersten  Gedichte 
ein  noch  unbekanntes  Werk  des  Sachlikis  enthält  {'Aqtrjytjatg  na^ä^evt]  xov  laneivov 
lax^^xtj  xov  iv  Kqi]T[j;   etwa  900  politische  Reimverse). 

232.  Markos  Depharanas  aus  Zante  schrieb  im  Anfang  des  16. 
Jahrhunderts  zwei  Gedichte,  die  sich  an  Derbheit  der  Auffassung  und 
des  Ausdruckes  am  besten  mit  den  Werken  des  Sachlikis  vergleichen 
lassen.  1.  Lehrgedicht  eines  Vaters  an  seinen  Sohn,  .^öyoi  6i6ax- 
rixoi  Tov  naxQoq  nqdq  xov  vlöv  (788  gereimte  politische  Verse).  Das  Werk- 
chen hat  mit  der  Paränese  des  Sachlikis  nicht  nur  die  Gemeinheit  der 
Darstellung,  sondern  sogar  mehrere  Verse  gemeinsam,  wobei  sich  jedoch 
vorerst  nicht  sicher  sagen  lässt,  wer  der  Entlehner  ist.  Manche  Züge 
scheinen  auf  eine  italienische  Quelle  hinzudeuten.  2.  Die  Geschichte 
der  Susanna,  'larogia  ex  im<  zov  Jayn]l  Tiegi  rrfi  Sioaävvijg  (376  gereimte 


1.  Lehr- u.  Gelegenheitsgedichte.    Darstellung  vermischter  Stoffe.  (§231—235.)     411 

politische  Verse).    Es  ist  wahrscheinlich  eine  dem  Bedürfnis  des  Zeitalters 

angepasste   Bearbeitung   eines   älteren  Originals.     Dass  dieser  Stoff  schon 

früher  poetisch  behandelt  wurde,  beweist  ein  aus  80  reimlosen  politischen 

Versen  bestehendes  schriftsprachliches  Gedicht,  das  im  cod.  Marcianus  408 

erhalten  ist. 

Ausgaben:  1.  Das  Lehrgedicht  ist  nur  in  einem  wegen  seiner  absoluten  Inkor- 
rektheit fast  unlesbaren  Venezianer  Druck  des  Jahres  1543  erhalten,  von  welchem  bis 
jetzt  2  Exemplare  bekannt  geworden  sind.  Ich  habe  vor  mehreren  Jahren  eine  neue  Aus- 
gabe des  sprachgeschichtlich  und  kulturhistorisch  interessanten  Werkes  vorbereitet,  für  die 
sich  leider  noch  kein  Verleger  gefunden  hat. 

2.  Geschichte  der  Susanna:  Zuerst  Venedig  1638,  1671  und  öfter.  —  Ed.  E. 
Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  I  269 — 282.  —  Das  erwähnte  Susannagedicht  des  Marcianus  ed. 
E.  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  U  48  ff.     Vgl.  seine  Einleitung  S.  28  ff. 

3.  Vielleicht  gehört  dem  Depharanas  auch  die  gereimte  Bearbeitung  der  Geschichte 
Alexanders  des  Grossen,  Venedig  1553.     Vgl.  E.  Legrand,  Bibliogr.  hell.  I  289. 

233.  Leonardos  Phortios  verfasste  im  Anfange  des  16.  Jahrhunderts 
ein  Gedicht  über  das  Militärwesen,  Hegi  argaTicauxr^g  TroayfxaTsiag 
(912  gereimte  trochäische  Achtsilber).  Der  Verfasser,  der  sich  auf  dem 
Titel  ^Poii^iaTog  und  xö/^ir^g  TTaXaxTvog  nennt,  ist  seiner  Person  nach  unbe- 
kannt. Die  Sprache  seines  Werkes  erhält  durch  die  starke  Mischung  einer- 
seits mit  Wörtern  der  Kunstgräzität,  andrerseits  mit  italienischen  Aus- 
drücken ein  merkwürdig  buntes  Kolorit. 

Ed.  pr.  Venedig  1531.  —  Neudruck  von  E.  Legrand.  Coli,  de  mon.  vol.  17, 
Paris  1871. 

234.  Das  Opfer  Abrahams,  ^H  ^vaia  rov  'AßQaäiti,  ist  eine  Art 
Mysterienspiel  (1154  politische  Reimverse).  Religiöse  Dialoge  und  geist- 
liche Aufführungen  sind  aus  der  älteren  byzantinischen  Zeit  sicher  nach- 
gewiesen (s.  §  157);  doch  scheint  das  Opfer  Abrahams  mehr  auf  eine 
italienische  Quelle  als  auf  ein  byzantinisches  Original  hinzuweisen.  Der 
uns  erhaltene  Text,  der  von  einem  gewandten  Stilisten  herrührt,  darf 
jedenfalls  nicht  über  das  16.  Jahrhundert  hinaufgerückt  werden. 

Ed.  pr.  ist  wahrscheinlich  der  Venezianer  Druck  von  1535.  Er  wurde  wiederholt 
Venedig  1668,  1694,  1709  und  öfter.  —  Neudruck  nach  der  Ausgabe  von  1535  von  E. 
Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  I  226—268. 

235.  Theologitos  Moscholeos  aus  Kreta  schrieb  im  Anfange  des 
17.  Jahrhunderts  ein  Leben  des  hl.  Xikolaos  {Biog  rov  dyiov  xal  (xeyüXov 
NixoXdov)  in  268  politischen  Reimversen.  Das  Werk  ist  wahrscheinlich 
wie  die  Susanna  des  Depharanas  nur  Bearbeitung  einer  älteren  Dich- 
tung über  dasselbe  Thema,  das  auch  in  der  lateinischen  Poesie  des 
Mittelalters  eine  erhebliche  Rolle  spielt. 

Ed.  pr.  Venedig  1626.  —   Neudruck  von  E.  Legrand,   Bibl.  gr.  vulg.  I  321  —  329. 


2.  Sagenhafte  und  historische  Dichtungen  auf  nationaler 

Grundlage. 

236.  Allgemeine  Erklärung.  Wie  im  Abendlande  so  entstanden 
auch  bei  den  Byzantinern  während  des  Mittelalters  epische  Volksdich- 
tungen, in  welchen  die  Thaten  berühmter  Helden,  wichtige  Episoden  der 
heimatlichen  Geschichte  und  häufig  wiederkehrende,  durch  die  Kulturver- 
bältnisse  des  Landes  bedingte  Familienereignisse  in  heroischen  oder  elegi- 
schen Tönen  besungen  werden.  Die  epische  Grundform  dieser  Werke 
ist  meistens  mit  dramatischen  Elementen  versetzt;  der  Gang  der  Er- 
zählung wird  durch  kürzere  und  längere  Dialoge  unterbrochen,  in  welchen 
die  handelnden  Personen  ihre  Gefühle,  ihre  Entschlüsse,  ihre  Erlebnisse 
vortragen.  Es  ist  dieselbe  dramatische  Beweglichkeit,  deren  ältester  und 
bester  Vertreter  Homer  selbst  ist  und  deren  Spuren  sich  im  griechischen 
Volke  trotz  des  völligen  Unterganges  der  kunstmässigen  Dramatik 
niemals  verloren  haben.  Diese  byzantinischen  chansons  de  geste,  nach 
alter  Weise  von  wandernden  Rhapsoden  gesungen,  verlieren  ihren  lokalen 
Charakter  und  werden  zum  Gemeingut  der  Nation;  nach  und  nach  beginnt 
man  sie  aufzuzeichnen;  verschiedene  Stücke  werden  zu  einem  Ganzen  ver- 
bunden. Leider  wird  hiebei  die  Frische  des  ursprünglichen  Kolorits  ge- 
trübt, der  echte  Bestand  durch  Interpolationen  erweitert  und  selbst  die 
sprachliche  Form  von  den  Regeln  der  Schule  und  von  der  kunstmässigen 
Litteratur  über  Gebühr  beeinflusst.  Fast  alle  Handschriften  mittelgriechi- 
scher Volkspoesie  zeigen  die  Spuren  solcher  Umarbeitungen. 

Die  Entstehungszeit  der  nationalen  Gedichte  ist  wahrscheinlich 
gleich  der  Lebensdauer  des  byzantinischen  Volkes,  die  Orte,  wo  sie  spielen 
und  wo  sie  verbreitet  werden,  sind  so  weit  zerstreut  als  die  Grenzen  des 
oströmischen  Reiches,  die  Anlässe  so  mannigfaltig  als  die  Geschichte  dieses 
grossen  Organismus.  Mit  ihrer  Ueberlieferung  ist  es  leider  schlimm 
bestellt;  einerseits  sind  die  wenigen  handschriftlich  erhaltenen  Stücke,  wie 
bemerkt,  stark  überarbeitet,  andrerseits  haben  die  endlosen  Drangsale, 
welche  der  'gricchischsprechende  Orient  namentlich  seit  dem  \'^.  Jahr- 
hundert zu  erdulden  hatte,  und  zuletzt  die  blutige  Unterjochung  durch 
eine  in  Sprache,  Sitte  und  Religion  grundverschiedene  Nation  mit  den 
poetischen  Volksstimmen  des  griechischen  Mittelalters  furchtbar  aufgeräumt. 
Nur  der  einsichtigsten  Prüfung  der  litterarischen  Uebcrreste  und  der  Fort- 


2.  Sagenhafte  u.  historische  Dichtungen  auf  nationaler  Grundlage.  (§236—237.)     413 

Wirkungen  des  mittelalterlichen  Dichtens  bei  den  heutigen  Griechen  wie 
bei  den  Völkern,  die  byzantinische  Einflüsse  erfahren  haben,  wird  es  ge- 
lingen können,  von  dem  Bestände  und  dem  Wesen  der  byzantinischen 
Volkspoesie  eine  genügende  Vorstellung  zu  gewinnen. 

Wie  man  die  mittelalterlichen  Poesien  des  Abendlandes  nach  Sagen- 
kreisen geordnet  hat,  so  lassen  sich  auch  in  der  populären  Dichtung  der 
Byzantiner  und  ihrer  Nachkommen  wenigstens  einige  Hauptgruppen  er- 
kennen. Am  deutlichsten  tritt  diese  Thatsache  in  der  neueren  Volksdich- 
tung hervor,  die  mit  der  byzantinischen  in  Form  und  Gehalt  enge  ver- 
wandt ist.  Hier  findet  man  einen  Zyklus  von  Liedern,  die  sich  auf  den 
Fall  von  Konstantinopel  und  den  Tod  des  letzten  oströmischen  Kaisers 
beziehen;  eine  andere  Gruppe  betrifft  die  Erober\jng  von  Trapezunt; 
eine  dritte  den  geheimnisvollen  Bau  der  Brücke  von  Arta.  Weit  ver- 
breitet ist  ein  Lieder  kreis,  der  die  Einnahme  des  „Schlosses  der  schönen 
Frau"  erzählt,  eine  Sage,  unter  der  sich  zweifellos  ein  historischer  Kern  ver- 
birgt. Eine  tragische  Episode  aus  dem  Leben  Peters  I  von  Lusignan 
hat  in  Cypern  die  noch  heute  im  Volksmunde  lebenden  Lieder  vom  Tode 
der  Arodaphnusa  ^)  hervorgerufen.  In  zahllosen  Liedern  wird  die  Wieder- 
erkennung lange  getrennter  Ehegatten  geschildert,  auch  die  Heimkehr 
des  Mannes  zu  der  Stunde,  da  sich  die  Frau  eben  wieder  verheiraten 
will.  An  der  Spitze  all  dieser  Liederkreise  steht  durch  sein  hohes  Alter, 
seine  ungewöhnliche  Verbreitung  und  seine  hervorragende  kulturhistorische 
Wichtigkeit  der  Akritenzyklus.^) 

Zur  Charakteristik  der  mittelgriechischen  Volksepen:  Sp.  Lambros,  Coli,  de  rom. 
gr.  Introduction  S.  7  S. 

237.  Basilios  Digenis  Akritas  [BaaiXsiog  JiY€vi]q  'Axq(rac)  ist  der 
Held  einer  nach  ihm  benannten  volksmässigen  Dichtung,  welche  als  das 
wahre  Nationalepos  der  Byzantiner  bezeichnet  werden  kann.  Den 
Namen  Digenis,  der  „Z wiegeborene "  erhielt  er,  weil  sein  Vater  ein  Heide, 
seine  Mutter  eine  Griechin  war; 2)  Akritas  (axotrceg  oder  axgCrr^g  yon  axQct 
die  Grenze)  ist  der  byzantinische  Ausdruck  für  die  Verteidiger  der  äusser- 
sten  Grenzen  des  Reiches.  Die  Akriten  genossen  eine  vom  Hofe  halb  un- 
abhängige Stellung,  welche  von  Sathas  treffend  mit  der  eines  Markgrafen 
verglichen  worden  ist.  Vornehmlich  entfalteten  sie  ihre  Thätigkeit  an  den 
weit  vorgeschobenen  Süd-  und  Ostgrenzen  des  Reiches,  vom  zerklüfteten 
Bergland  des  Kaukasus  bis  an  die  lachenden  Ufer  des  Euphrat  und  die 
sandigen  Gestade  des  roten  Meeres.  Hier  wurden  Friede  und  Sicherheit 
unablässig  gestört  teils  durch  die  Einfälle  der  Mohamedaner,  teils 
durch  die  sogenannten  Apelaten.  Dieses  Wort  bedeutet  ursprünglich  den 
Viehwegtreiber,  dann  überhaupt  den  Wegelagerer,  den  Räuber  im  grossen 
Stil,  den  mit  einem  romantischen  Schimmer  umkleideten  Verächter  der 
staatlichen  Ordnung  und  Ruhe.    Die  Apelaten  sind  für  Byzanz  in  ähnlicher 

•')  Ch.  Gidel,    La   chanson   d'Arodaph-  i   tungen  aufführen, 

nusa,  Nouvelles  etudes  sur  la  litt.  gr.  mod.,  j           »)  So  nennt  auch  Paehymeres  I  309,  14 

Paris  1878  S.  445—475.  ed.  Bonn,  die    Gasmulen   d.  h.  die  Kinder 

*)  Wir  werden  in  diesem  Kapitel  ausser  einer  griechischen  Mutter  und  eines  lateini- 

den  eigentlichen  Volksepen  auch  die  histo-  sehen  Vaters  diyeyeTs. 
rischen    und    chronikenartigen   Dich- 


414     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    Ilt.  Vnlgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

Weise  kulturhistorische  Signatur,  wie  etwa  die  Raubritter  für  unser 
Mittelalter,  wie  die  Klephten  für  die  Zeit  der  Türkenherrschaft  in  Grie- 
chenland. Die  langwierigen,  selten  unterbrochenen  Kämpfe,  welche  die 
byzantinischen  Grenzsoldaten  im  fernen  Osten  des  Reiches  mit  Ungläubigen 
und  Apelaten  führten,  bilden  die  kulturhistorische  Grundlage  der 
Akritensagen.  Die  Geschichte  des  Digenis  selbst  spielt,  wie  sich  aus 
verschiedenen  Andeutungen  des  Gedichtes  mit  Sicherheit  ergibt,  um  die 
Mitte  des  10.  Jahrhunderts  in  Kappadokien  und  in  der  Gegend 
des  Euphrat;  doch  wäre  es  verfehlt,  alle  im  Epos  vorkommenden  Per- 
sonen und  Ereignisse  näher  zu  bestimmen  und  mit  historischen  Ueber- 
lieferungen  zu  verknüpfen.  So  zweifellos  das  Akritenepos  einen  geschicht- 
lichen Untergrund  besitzt,  so  schwankend  wird  der  Boden,  wenn  wir  das 
Gedicht  im  einzelnen  als  ein  historisches  Denkmal  verwerten  wollen.  Die 
historische  Ausdeutung  des  Details  wird  hier  ebensowenig  gelingen  als 
etwa  im  Rolandsliede  oder  in  den  Romanzen  des  Cid,  jenen  zwei 
abendländischen  Werken,  welche  mit  dem  Akritenepos  in  Stoff,  Anlage  und 
Geschichte  am  nächsten  verwandt  sind. 

Basilios  Digenis  ist  der  Sohn  des  syrischen  Emirs  Musur  und 
einer  Tochter  des  Andronikos  Dukas,  welche  jener  bei  einem  Ueber- 
falle  geraubt  hat.  Ihre  fünf  Brüder  forderten  sie  vom  Emir  zurück;  der- 
selbe trat  jedoch  zum  Christentum  über  und  vermählte  sich  mit  der  ge- 
raubten Tochter  aus  fürstlichem  Geblüte.  Der  Sohn,  den  sie  ihm  schenkt, 
entwickelt  sich  körperlich  und  geistig  mit  wunderbarer  Schnelligkeit.  Im 
Alter  von  zwölf  Jahren  besteht  Digenis  schon  gefährliche  Jagdabenteuer; 
alsbald  sucht  er  die  Apelaten  auf  und  erschlägt  eine  Menge  von  ihnen  mit 
seiner  Keule.  Auf  einem  seiner  Züge  gewinnt  er  die  Liebe  der  schönen 
Eudokia  aus  dem  Geschlechte  der  Dukas;  als  ihm  der  stolze  Vater  ihre 
Hand  verweigert,  gebraucht  er  dasselbe  Mittel,  wie  einst  sein  Erzeuger, 
er  entführt  die  Geliebte  und  spielt  den  Verfolgern  übel  mit.  Schliesslich 
erfolgt  Versöhnung  und  fröhliche  Hochzeit.  Auf  allen  seinen  Unterneh- 
mungen begleitet  nun  den  Digenis  die  jugendliche  Gattin.  In  Kappadokien 
trifft  er  mit  Kaiser  Romanos  (womit  wohl  Romanos  Lakapenos  [912 
bis  944]  gemeint  ist)  zusammen,  der  ihn  mit  Ehren  überhäuft.  Merkwürdig 
und  echt  volkstümlich  byzantinisch  sind  zwei  Episoden,  in  welchen  ge- , 
schildert  wird,  wie  Held  Digenis  trotz  seiner  treuen  Gattenliebe  der  Ver- 
suchung anderer  weiblichen  Reize  unterliegt,  jedoch  der  schönen  Eudokia 
mit  grosser  Schlauheit  seine  Fehltritte  zu  verheimlichen  weiss.  Nach  viel- 
fachen Abenteuern  zieht  sich  der  Akrite  mit  Eudokia  an  den  Euphrat 
zurück,  wo  er  sich  einen  fürstlichen  Wohnsitz  gründet.  Im  Alter  von 
33  Jahren  verfällt  er  in  eine  schwere  Krankheit  und  stirbt;  nach  einer 
Version  presst  er  seine  Gattin  beim  letzten  Lebewohl  so  heftig  an  sich, 
dass  sie  erstickt.  Das  ist  der  durch  mancherlei  Episoden  ausgeschmückte 
Kern  des  Epos  vom  Digenis  Akritas. 

Wie  die  älteren  Lieder  aus  dem  Kreise  des  Roland  und  Cid,  so  sind 
auch  die  ursprünglichen  Formen  des  Digenisgedichtes  verloren.  Da- 
gegen besitzen  wir  nicht  weniger  als  vier  Epopöen,  in  welchen  Digenis- 
licder  von  verschiedenen  Bearbeitern  zu  einem  Ganzen  verschmolzen  sind. 


2.  Sagenhafte  und  historische  Dichtungen  auf  nationaler  Grundlage.   (§237.)     415 

Zuerst  wurde  dieses  vor  kurzem  noch  gänzlich  unbekannte  Denkmal  der 
byzantinischen  Volksdichtung  in  einer  am  Anfang  und  Schluss  verstüm- 
melten Handschrift  des  16.  Jahrhunderts  im  fernen  Trapezunt  aufge- 
funden (3182  politische  Verse).  Nachdem  durch  die  Veröffentlichung  dieses 
Gedichtes  die  Aufmerksamkeit  der  Gelehrten  auf  den  Gegenstand  gelenkt 
war,  wurden  bald  noch  mehrere  Handschriften  bekannt,  eine  des  14.  Jahr- 
hunderts in  Grotta-Ferrata,  von  der  erst  einige  Bruchstücke  ediert  sind, 
eine  des  16.  Jahrhunderts  auf  der  Insel  Andros  (4778  Verse),  endlich 
eine  des  17.  Jahrhunderts  in  Oxford  (3094  Verse).  Als  Bearbeiter  der 
in  der  Handschrift  von  Andros  erhaltenen  Version  nennt  sich  ein  ge- 
wisser Eustathios;  die  der  Oxforder  Handschrift,  die  sich  von  den 
übrigen  durch  die  Anwendung  des  Reimes  unterscheidet,  ist  von  dem 
Mönche  Ignatios  Petritzis  in  Chios  im  Jahre  1670  vollendet  worden. 
Die  zwei  übrigen  Bearbeitungen  sind  anonym  überliefert;  aber  auch  in 
der  von  Trapezunt  erkennt  man  deutlich  die  Hand  eines  Dichters,  der 
den  in  einzelnen  Liedern  umlaufenden  Stoff  zu  einer  fortlaufenden  Erzäh- 
lung verband  und  dabei  leider  den  frischen  Ton  der  Originale,  der  noch 
in  manchen  der  heutigen  Akritenlieder  vernehmlich  nachklingt,  durch  das 
Bestreben,  den  Anforderungen  der  Schule,  der  Kii'che  und  —  seines  eigenen 
üblen  Geschmackes  gerecht  zu  werden,  sehr  wesentlich  getrübt  hat.  Sein 
griechisch-orthodoxer  Standpunkt  tritt  in  theologischen  Exkursen  und  Bibel- 
zitaten mehr  als  erwünscht  hervor;  daneben  bekundet  er  einige  populäre 
Kenntnis  der  alten  Litteratur,  verwendet  mythologische  Vergleiche  und 
nimmt  sich  sogar  den  Homer  zum  Vorbild,  i)  Ebenso  hat  die  Version  von 
Grotta-Ferrata,  soweit  sich  aus  den  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  Proben 
schliessen  lässt,  durch  die  Verwässerung  eines  poesieverlassenen  Pedanten, 
der  dem  Werke  sogar  ein  Proömion  in  schlechten  byzantinischen  Trimetern 
vorausschickte,  schweren  Schaden  genommen. 

Noch  muss  ausdrücklich  betont  werden,  dass  die  Echtheit  dieser 
mittelalterlichen  Epen  über  allen  Zweifel  erhaben  ist.  Solange  nur  eine 
Handschrift  bekannt  war,  mochte  man  sich  im  Hinblicke  auf  die  berüch- 
tigten Fälschungen  eines  Simonides  und  anderer  etwas  skeptisch  ver- 
halten —  obschon  ein  Fälscher  schwerlich  auf  die  Herstellung  eines  so 
späten  und  so  wenig  gewinnversprechenden  Werkes  verfallen  wäre;  nach- 
dem sich  aber  Versionen  des  Digenis  auch  in  anderen  Handschriften  ge- 
funden haben,  und  zwar  zum  Teil  in  solchen,  die  längst  zum  anerkannten 
Besitze  alter  Bibliotheken  gehören,  darf  auch  der  letzt«  Zweifel  als  be- 
seitigt gelten.  Um  so  merkwürdiger  ist  nun  folgende  Thatsache:  Schon 
lange  vor  der  Entdeckung  der  mittelalterlichen  Epen  kannte  man 
moderne  Volkslieder  aus  der  Gegend  von  Trapezunt,  aus  Kappadokien 
und  selbst  aus  Cypern,  in  welchen  einzelne  Episoden  desselben  Sagen- 
Btoffes  erzählt  werden.  Mehrere  derselben  waren  längst  in  den  Samm- 
lungen neugriechischer  Volkspoesien  von  Passow  u.  a.  herausgegeben, 
andere  sind  nach  der  Veröffentlichung  der  Handschrift  von  Trapezunt  ge- 
druckt worden,   und  ihre  von  Tag  zu  Tag  wachsende  Zahl  lässt  die  un- 


')  A.  Eberhard  a.  unten  a.  0.  S.  5, 


416     Byzantinische  Litter aturgeschichte.    III.  Vnlgärgriech.  Litteratnr.   1.  Poesie. 

geheuere  Verbreitung  dieses  volkstümlichen  Stoffes  immer  deutlicher  er- 
kennen. Ein  Sagenkreis,  dessen  erste  Wurzeln  in  eine  längst  entschwundene 
Kulturepoche  zurückgehen,  hat  sich  also  mit  jener  wunderbaren  Zähigkeit, 
mit  der  die  Griechen  auch  ihre  Sprache,  ihre  Sitten  und  Gebräuche  er- 
halten haben,  bis  auf  den  heutigen  Tag  fortgepflanzt,  nicht  auf  litterari- 
schem Wege,  sondern  im  lebendigen  Munde  des  Volkes  selbst.  End- 
lich erfuhr  man  durch  russische  Gelehrte,  dass  der  Akritenstoff  auch  in 
die  Volkspoesie  der  sarmatischen  Steppen  gedrungen  und  dort  in 
mehreren  Uebertragungen  oder  Nachahmungen  verbreitet  ist  —  eine  That- 
sache,  die  bei  dem  unbezweifelten  Einflüsse  der  byzantinischen  Religion, 
Kultur  und  Litteratur  auf  das  barbarische  Reich  der  „Skythen"  nicht  mehr 
auffallen  darf  als  das  Vorkommen  byzantinischer  Miniaturen  in  altslavi- 
schen  Handschriften  oder  die  Existenz  byzantinischer  Sprichwörter  bei  den 
heutigen  Russen  (vgl.  S.  25  ff.).  Der  Uebergang  der  Erzählung  in  die 
russische  Litteratur  erfolgte  wahrscheinlich  durch  Vermittelung  südslavi- 
scher  Uebersetzungen,  deren  Spuren  noch  in  einzelnen  Wörtern  und  Aus- 
drücken des  russischen  Textes  „Die  Thaten  und  das  Leben  des  Deuge- 
niusAkritas"  zu  bemerken  sind.  So  ist  ein  Sagenkreis  aufgedeckt  worden, 
der  für  den  Orient  nicht  weniger  Bedeutung  hat  als  die  längst  bekannten 
grossen  Sagenkreise  des  Mittelalters  für  das  Abendland.  Cid,  der  grosse 
Held  des  europäischen  Westens,  „el  mas  famoso  Castellano",  hat  im 
äussersten  Ostwiukel  der  mittelalterlichen  Kulturwelt  ein  merkwürdiges 
Gegenstück  erhalten.  Durch  das  Studium  des  Akritenepos,  aus  dem  uns 
nach  all  der  staubigen  Schulweisheit  endlich  einmal  der  frische  Duft  des 
Waldes  entgegen  weht,  eröffnen  sich  auch  neue  Gesichtspunkte  für  das 
Verständnis  der  byzantinischen  Kultur,  die  bisher  viel  zu  ausschliesslich 
nach  den  unerfreulichen  Erzeugnissen  trockener  Gelehrsamkeit  und  dogma- 
tischer Polemik  beurteilt  worden  ist. 

An  die  wissenschaftliche  Forschung  richtet  der  Digenis  Akritas 
noch  eine  Reihe  wichtiger  Fragen.  Nicht  einmal  die  Entstehungszeit 
der  uns  erhaltenen  Versionen  (mit  Ausnahme  der  des  Petritzis)  ist  fest- 
gestellt. Die  Handschriften  bieten  wenig  Anhalt,  da  sie  einer  späten  Zeit 
(dem  14.,  bzw.  16.  Jahrh.)  angehören.  Mit  Sicherheit  lässt  sich  aber  schon 
jetzt  sagen,  dass  keine  Version  in  die  Zeit  hinaufreicht,  in  welcher  die 
Ausbildung  der  Akritensage  selbst  stattfand.  Um  eine  genauere  Unter- 
suchung dieser  Frage  wie  auch  des  genealogischen  Verhältnisses  der 
verschiedenen  Formen  des  Gedichtes  zu  ermöglichen,  müsste  zunächst  noch 
die  Handschrift  von  Grotta-Ferrata  vollständig  veröffentlicht  werden.  A\^ 
weitere  Aufgabe,  deren  Grundlinien  von  Sathas,  Legrand,  Lambros. 
Veselovskij,  Rambaud  u.  a.  schon  gezogen  worden  sind,  ergibt  sicli 
dann  eine  erschöpfende  Darstellung  der  Geschichte  und  Verbreitung 
des  gesamten  Akritenzyklus,  wobei  ausser  den  litterarisch  überlieferton 
Gedichten  die  noch  heute  im  Munde  des  Volkes  erhaltenen  Lieder  nebst 
den  slavischen  Reflexen  zu  verwerten  und  selbst  so  weit  abgelegene  Dinge 
wie  die  Lenorensage,  deren  Zusammenhang  mit  dem  Akritenkreise  übri- 
gens noch  nicht  sicher  erwiesen  ist,  zu  vergleichen  sein  werden. 

1.  Ausgaben:  Version  von  Trapezunt:  Edd.  K.  Sathas  et  E.  Legrand,  Gull. 


2.  Sagenhafte  und  historische  Dichtungen  auf  nationaler  Grundlage.    (§  237.)     417 

de  mon.  N.  S.  vol.  6,  Paris  1875,  verbesserungsbedürftiger  Text  mit  französischer  Ueber- 
setzung,  einem  Glossar  mid  einer  ausführhchen  Einleitung,  in  welcher  die  Bedeutung  des 
Epos  zum  erstenmale  nachgewiesen  ist.  —  Zweite  Ausgabe  derselben  Version  von  Sabbas 
Joannides,  Konstantinopel  1887,  mit  einer  Einleitung  über  die  Geschichte  des  Epos  und 
mehreren  modernen  AkritenHedem.  —  Version  des  Petritzis:  Ed.  Sp.  Lambros,  Coli, 
de  rom.  gr.  111 — 237  mit  Glossar;  vgl.  Introduct.  S.  88  ff.  —  Version  von  Andres:  Ed. 
Ant.  Miliarakis,  Athen  1881,  mit  kurzer  Einleitung,  Glossar  und  Facsimile  der  Hand- 
schrift. —  Version  von  Grotta-Ferrata:  Einige  Proben  ed.  Sp.  Lambros  a.  a.  O.  In- 
troduct. S.  90  ff.;  eine  vollständige  Ausgabe  versprach  Jos.  Müller.  —  Moderne  Akriten- 
lieder:  E.  Legrand,  Coli,  de  mon.  N.  S.  vol.  1,  182  ff.;  s.  auch  seine  Chansons  populaires 
grecques,  Paris  1876  S.  18.  —  Manche  moderne  Lieder  auch  in  den  zahlreichen  Samm- 
lungen neugriechischer  Volkslieder,  in  den  Einleitungen  der  Ausgaben  des  Digenis  Akritas 
und  in  den  unten  angeführten  Hilfsmitteln. 

2.  Hilfsmittel:  Die  Ausgabe  von  Sathas-Legrand  rief  zahlreiche  ausführhche  Be- 
sprechungen und  kritische  Referate  hervor;  die  wichtigsten  schrieben:  K.  Paparrigopulos, 
Jittiy  vom  21.  Aug.  1875.  —  Sp.  Lambros,  'A&ijyaioy  4  (1875)  173 — 189  (mit  vielen 
Emendationen).  —  E.  Miller,  Journal  des  savants  1876  S.  18 — 32.  —  A.  Rambaud, 
Revue  des  deux  mondes  v.  15.  Aug.  1875.  —  W.  Wagner,  Literar.  Centralbl.  1876 
S.  16  ff.  —  K.  Bursian,  Jenaer  Literatm^eitung  1876  S.  695.  —  Ausserdem  beziehen  sich 
auf  das  Akritenepos  und  den  Akritenzyklus :  A.  Sakellarios,  KvnQiaxä  111  (Athen  1868) 
273.  —  K.  Sathas,  Msatamv.  ßißkiod:  II  (1873)  S.  fis -y  (cj-prische  Akritenheder).  — 
Beruh.  Schmidt.  Griechische  Märchen,  Sagen  und  Volkslieder,  Leipzig  1877S.  37— 40. — 
Ch.  Gidel,  Nouvelles  etudes  sur  la  litt.  gr.  moderne,  Paris  1878  S.  291—302.  —  Alfr. 
Eberhard.  Leber  ein  mittelgriechisches  Epos,  Verhandlungen  der  34.  Philologenversamm- 
lung zu  Trier,  Leipzig  1879 ;  eingehende  Analyse  der  Version  von  Trapezrmt  und  Unter- 
suchimg  der  historischen  Grundlage  des  Gedichtes.  —  A.  Luber,  Digenis  Akritas,  Progr. 
Salzburg  1885;  kurze  Nacherzählung  mit  einzelnen  Proben  einer  Uebersetzung  ins 
Deutsche. 

Beziehungen  des  Digenis  zur  slavischen  Volkspoesie  und  zur  Lenorensage: 
Hauptschrift:  A.  N.  Veselovskij,  Röttgers  Russ.  Revue,  Band  6  (Petersburg  1875) 
539 — 570.  Desselben  Verfassers  Abhandlung  im  Viestnik  E\Topy,  Petersburg,  April  1875 
(Russ.)  ist  mir  unzugänglich.  —  A.  Rambaud,  La  Russie  epique,  Paris  1876  S.  421-  428.  — 
W.  Wollner.  Der  Lenorenstoff  in  der  slavischen  Volkspoesie,  Arch.  slav.  Phü.  6  (1882) 
239 — 269.  —  J.  Psichari,  La  ballade  de  Lenore  en  Grece,  Revue  de  l'histoire  des  reli- 
gions  9  (1884)  27 — 64.  —  Gegen  Wollner  und  Psichari  wendet  sich  N.  Politis,  Td 
drjuotixoy  äaua  nsol  zov  ysxgov  uSsX(fov.  JeXrioy  XTJg  iaroQ.  xcci  e&yoXoy.  er.  Ttjg  'EXXädog 
n '(1885 -1889)  193—261;  Nachtrag  S.  552-557.  —  Gegen  PoUtis  endlich  sprachen  J. 
Girard,  Joum.  des  Savants  1886  S.  143 — 152  und  W.  Mever-Lübke,  Deutsche  Litte- 
raturzeittmg  1886  S.  1197  ff.  —  V.  Jagic,  Arch.  slav.  Phil.  7'  (1884)  89  f.  —  M.  Gaster, 
Greeko-Slavonic,  London  1887  S.  105  ff.  —  K.  Krumbacher,  Ein  Problem  der  verglei- 
chenden Sagenkunde  und  Litteraturgeschichte,  Zeitschrift  f.  vergl.  Litteratiu-gesch.  1  (1887) 
214 — 220,  wo  auch  die  sonstige  neuere  Litteratur  zusammengestellt  ist. 

Selbst  zur  Tellsage  scheint  imser  Digenis  Beziehungen  zu  haben,  wenn  anders 
nicht  der  Name  Digenis  überhaupt  im  Orient  für  einen  tapferen  Helden  typisch  geworden 
ist.  Ueber  eine  siebenbürgisch-bulgarische  Sage,  in  welcher  ein  Held  Digenis 
unter  ähnlichen  fmständen  wie  Teil  als  Apfelschütze  auftritt,  berichtet  G.  v.  Wlislocki, 
Zeitschrift  für  deutsche  Philologie  22  (1889)  103—106. 

3.  Akriten  undApelaten:  Die  Akriten  sind  die  Nachkommen  der  römischen 
milites  limitanei;  verwandt  mit  ihnen  sind  die  milites  claustrini,  die  Passver- 
teidiger, die  im  byzantinischen  Zeitalter  als  xXeiaovQÜQ^ca  {xXsiaovQa  Klamm,  Kluft,  Pass) 
eine  wichtige  Rolle  spielten.  Konstantin  Porphyrogennetos  beschreibt  in  seinem 
Werke  De  caerimoniis  (1  489,  6  ff.  ed.  Bonn.)  eine  der  wichtigsten  Funktionen  der  Akriten. 
Wenn  der  Kaiser  sich  in  die  unwirtlichen  Gegenden  der  äussersten  Grenzgebiete  begab, 
so  wurde  das  gewöhnliche  Hofgefolge  durch  mehrere  Abteilungen  von  je  500  Akriten  er- 
setzt: Ore  6e  tcnoßüXn  6  ßaaiXsvg  sig  rüg  iorjuovg,  ovte  t]  xöqxt]  TigoXaußäyei,  ovre  rä 
ßaaiXixd  ngtr/ficera,  ovTS  tiXXov  Tiyog  oioydijnoTS  ngiiyua,  nXrjy  ovg  s^bi  ogiaeiy  6  dgovy- 
yägiog  TTJg  ßiyXrjg  und  -ngocKigBOig  xov  ßaoiXe'wg  ex  xwy  &ejuehcoy,  ngotfvXÜTTovai  xai  Titgi- 
naxovai  s/nngoa^ey  xov  ßaaiXewg  wg  €cn6  /uiXiwy  dvo  uxgixai  qc',  tcy&gsg  i^wnXtautyoi,  xni 
exsgoy  Se'fia,  oioy  oglaei,  t'ya  wai  nXccyiotpvXaxeg  (og  ceno  ifiaaxtj/nctxog  xov  ßccaiXswg  iniXiioy 
dvo.  xni  i'xjga  6vo  &efiux(t,  out  ögiati  6  dgovyyägiog  xijg  ßiyXijg  ix  TTgoaxägSiog  xov  ßaai- 
Xiwg.  l'ya  oiaiv  oniaSocfvXaxsg.  Schon  im  12.  Jahrhundert  war  ein  durch  Stärke  und  Tapfer- 
keit besonders  ausgezeichneter  Akrite,  der  mit  dem  Helden  unseres  Gedichtes  jeden- 
falls identisch  ist,  eine  populäre  Figur  geworden  und  das  Wort  'Axgixtjg  wurde  wie  ein 
Eigenname   zur  Bezeichnung   eines  bekannten  Helden   angewendet.     Das  beweisen  zwei 

Handbuch  der  klas8.  Altcrtumswi.ssenschaft.  IX.     1.  Abtl(>.  27 


418  Byzantinisohe  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

Stellen  in  den  Gedichten  des  Ptochoprodromos  (s.  §  214);  in  dem  Gedichte  gegen  die 
Aebte  V.  180  (S.  58  ed.  Legrand)  äussert  Prodromos  den  frommen  Wunsch,  ein  anderer 
Akrites  möchte  die  bösen  Aebte  seines  Klosters  züchtigen:  xal  rig  'Ax^br^g  eregog  ixer  yd 
ßQs'&T]  röre,  und  in  der  zweiten  Redaktion  desselben  Gedichtes  V.  546  a  (S.  96  ed.  Legrand) 
nennt  der  Dichter  den  Manuel  Komnenos  einen  neuen  Akrites:  Toy  noXefiuQxt^y  roy 
aiBQQov,  Toy  yeoy  röy  'Axgixijy.  Sonst  habe  ich  den  Akritas  in  der  mittelgriechischen  Lit- 
teratur nirgends  erwähnt  gefunden. 

Das  Wort  üneXäTijg  ist  bisher  in  der  ganzen  Akritaslitteratur  unrichtig  erklärt. 
Sathas,  Mia.  ßißX.  II  S.  /ne,  Sathas-Legrand  in  ihrer  Ausgabe  S.  286,  Lambros  in  seiner 
Ausgabe  S.  328,  Eberhard  a.  a.  0.  S.  2  und  Luber  a.  a.  0.  S.  9  fassen  übereinstimmend 
ftTie'ActTjjg  passivisch  =  änößXtjxog,  banni,  verbannte,  vertriebene  Leute.  Das  Wort  hat 
aber,  wie  schon  seine  Bildung  zeigt,  aktiven  Sinn;  es  bedeutet  ursprünglich  den  Vieh- 
wegtreiber, den  Viehdieb,  dann  überhaupt  den  Räuber,  Freibeuter  und  entspricht  also  genau 
dem  abigeus,  abigeator,  abactor  der  römischen  Rechtsbücher;  vgl.  Wölfflin's  Archiv  für 
latein.  Lexikographie  I  428.  Auch  in  anderen  vulgärgriechischen  Gedichten  werden  die 
Apelaten  erwähnt  z.  B.  mit  einem  etymologischen  Wortspiel  im  Belthandros  V.  104  Nu 
diuixr}  x'ftTieXdafi  ae  wg  fxiyng  clnsXfitTjg.  Von  tcneXärrig  ist  das  häufig  vorkommende 
Wort  (in eXaTixi\y)  gebildet,  womit  die  Räuberkeule  bezeichnet  wird,  z.  B.  Belthan- 
dros V.  207  Kai  avyto^a  6  BeL^aydQog  avQsi  ro  cineXaTixt.  Uebrigens  hatte  auch  dieses 
Wort  das  Schicksal  missverstanden  zu  werden.  Jakob  Grimm,  Sendschreiben  an  Karl 
Lachmann  über  Reinhart  Fuchs,  Leipzig  1840,  erklärt  im  Glossar  dneXcttixi  aus  einem 
wegen  des  französischen  pele  (geschält)  vorausgesetzten  italienischen  pelato,  so  dass  das 
Wort  anfänglich  den  geschälten  Stock  bedeutet  hätte! 

238.  Der  Sohn  des  Andronikos.  So  hat  man  em  zum  Akriten- 
zyklus  gehörendes  Gedicht  (64  Verse)  betitelt,  das  längst  vor  den  grossen 
Digenisepen  bekannt  war.  Schon  M.  Büdinger  hatte  die  Vermutung 
ausgesprochen,  dass  diesem  Andronikos  eine  historische  Persönlichkeit 
zu  Grunde  liege,  und  zwar  glaubte  er,  der  Andronikos  des  Gedichtes  sei 
ein  Sohn  des  Kaisers  Andronikos  Komnenos  (1183  bis  1185),  in  dessen 
Biographie  allerdings  zahlreiche  zur  Sagenbildung  geeignete  Züge  begegnen, 
wie  seine  riesige  Körperkraft,  seine  Liebeshändel  und  seine  abenteuerlichen 
Irrfahrten  unter  den  Türken.  Neues  Licht  brachte  die  Auffindung  der 
Digenishandschrift  von  Trapezunt.  Nach  dem  dort  erhaltenen  Epos  ist 
die  Mutter  des  Digenis  eine  Tochter  des  Stratarchen  Andronikos 
Dukas;  von  demselben  Andronikos  scheint  nun  auch  in  unserem  kleinen 
Gedichte  die  Rede  zu  sein.  Seinen  Inhalt  bildet  ohne  Zweifel  eine  Episode 
des  Akritenzyklus.  Sarazenen  und  Räuber  überfallen  den  Andronikos 
und  nehmen  seine  Gattin  gefangen,  die  sich  in  gesegneten  Umständen  be- 
findet. Sie  gebiert  einen  Sohn,  der,  ganz  ähnlich  wie  Digenis,  ungewöhn- 
lich schnell  heranwächst,  nach  einem  Jahre  schon  das  Schwert  führt, 
nach  zwei  Jahren  die  Lanze  schwingt; 

Xnoyiog  inidae  t6  antc&i  xul  &i£TT]g  ro  xoytaQi, 
Kl  orav  innTTjas  rovg  XQSig,  XQareisTai  naXhjxdqi. 

Die  Sarazenen  fesseln  ihn  mit  dreifachen  Ketten;  er  aber  zerbricht  seine 
Bande  und  entweicht  zu  seinem  Vater,  wo  die  freudige  Wiedererken- 
nung statt  hat.  Das  kulturhistorische  Kolorit  des  Andronikosliedes  ist 
altertümlich  und  dem  des  Digenisepos  sehr  ähnlich;  doch  gehört  die  uns 
erhaltene  Redaktion  in  späte  Zeit,  wahi-scheinlich  in  das  1  7.  Jahrhundert. 
Ein  zweites  mit  dem  Akritenkreise  zusammenhängendes  Werk  ist 
das  mittelgriechische  Lied  vom  Armuris.  Der  tapfere  Sohn  des  alten 
Armuris  vermählt  sich  nach  mancherlei  Abenteuern  mit  der  Tochter  des 
früher  von  ihm  bekämpften  sarazenischen  Emirs.  Auch  das  trapezuntische 
Lied  vom  Xanthinos  gehört  hioher. 


2.  Sagenhafte  u.  historische  Dichtungen  auf  nationaler  Grundlage.  (§  238—  239.)     419 

1.  Sohn  des  Andronikos:  Zuerst  veröffentlichte  Sp.  Zambelios  in  seinem  Werke 
77di9f y  {]  xoivfi  Af'cf?  Tguyordw  ;  Athen  1859  einen  von  ihm  gefälschten  und  interpolierten 
Text.  —  Denselben  Text  wiederholten  nach  ihm  (unter  dem  Titel  "H  ch'ceyywQiatg)  Th. 
Kind,  Anthologie  neugriechischer  Volkslieder,  Leipzig  1861  S.  2  ff.,  M.  Büdinger,  Mittel- 
griechisches Volksepos,  Leipzig  1866  und  W.  Wagner,  Medieval  gr.  texts,  Proleg.  S.  22 
ff.  —  Erst  E.  Legrand  gelang  es,  die  Fälschung  zu  entdecken;  er  edierte  den  authenti- 
schen Text  Coli,  de  mon.  N.  S.  vol.  I  186  ff.  —  Ein  mit  dem  Sohne  des  Andronikos 
verwandtes  Volkslied  aus  Kephallenia  ed.  Bernh.  Schmidt,  Griechische  Märchen,  Sagen 
und  Volkslieder,  Leipzig  1877  S.  198  ff. ;  vgl.  seine  Bemerkimgen  S.  274  f.  —  Eine  Variante 
des  von  Schmidt  mitgeteilten  Liedes,  von  welcher  bei  Arn.  Passow,  Popularia  carmina 
Graeciae  recentioris,  Leipzig  1860  S.  402  f.  ein  Fragment  gedruckt  ist,  wurde  vollständig 
mitgeteilt  von  N.  Politis  in  den  NsosXkTjyixd  'Apc'i'/.sxru  I  (1870)  342—349. 

2.  Das  Armurislied  ed.  Gabr.  Destunis,  Petersburg  1877,  mit  gründlicher  Ein- 
leitung, russischer  üebersetzimg,  Kommentar  und  einem  Facsimile  der  Handschrift.  —  Dar- 
nach wiederholt  im  'Adi^vcaov  8  (1879)  385 — 394.  —  Analyse  des  Gedichts  mit  einer  litte- 
rarhistorischen  Untersuchung  von  A.  Veselovskij,  Arch.  slav.  Phil.  3  (1878)  549  ff.  — 
Das  Xanthinoslied  ed.  G.  Destunis  mit  russischer  Uebersetzung  und  Kommentar, 
Petersburg  1881  (=  Beilage  des  39.  Bandes  der  Denkschriften  der  kaiserlichen  Akad.  d. 
Wiss.  Nr.  6). 

239.  Die  Chronik  von  Morea.  Mit  diesem  konventionellen  Titel 
bezeichnet  man  eine  umfangreiche  Yerschronik,  in  welcher  die  Ent- 
stehung und  Fortbildung  der  nach  dem  vierten  Kreuzzuge  von  französi- 
schen Adelsgeschlechtern  imPeloponnes  gegründeten  Feudalherrschaften 
erzählt  wird.  Der  handschriftliche  Titel  der  einen  griechischen  Version 
(in  der  zweiten  fehlt  der  Anfang)  lautet:  Xqoyixov  twv  Iv  "^Pmiiaria  xal 
fiäXiara  €v  T<>)  MoQta  noXii.i(av  rö)v  Wgäyxmv.  Die  zweite  griechische 
Version  betitelte  Buchon  ohne  hinreichenden  Grund:  Bißliov  rfjg  Kovy- 
xiarag  zrg  'Poji^iaii'ag  xal  rov  MwQuiwg,  was  bemerkt  werden  muss,  weil 
das  Werk  zuweilen  auch  unter  dieser  Bezeichnung  zitiert  wird.  Zuerst 
ist  eine  kurze  Darlegung  der  ziemlich  verwickelten  Ueberlieferungs- 
geschichte  nötig.  Die  Chronik  von  Morea  ist  in  zwei  versifizierten 
griechischen  Versionen,  einer  französischen,  einer  aragonischen 
und  einer  italienischen  Bearbeitung  erhalten: 

1.  Die  griechischen  Versionen.  Die  ältere  und  treuere  Ueber- 
lieferung  des  Originaltextes  enthält  die  Kopenhagener  Handschrift 
(Abteil.  Fabricius  Nr.  57),  in  welcher  das  Gedicht  9219  politische  Verse 
umfasst;  eng  verwandt  mit  ihr  ist  der  cod.  Taurin,  C.  III.  9  (nach  der 
neuen  Bezeichnung  B.  II.  1).  Der  Kopenhagener  Text  wurde  von  einem 
Griechen  einer  freien  Ueberarbeitung  unterzogen,  wobei  das  Original 
sprachlich  und  metrisch  geglättet  und  allzu  heftige  Ausfälle  gegen  das 
griechische  Volk  teils  gemildert,  teils  ausgemerzt  wurden.  Diese  Bear- 
beitung überliefern  drei  Handschriften,  der  cod.  Paris.  Gr.  2898  und 
zwei  jüngere  Abschriften  desselben,  der  von  Fehlern  wimmelnde  cod. 
Paris.  Gr.  2753  und  der  cod.  Bern.  509;  das  Gedicht  zählt  hier  8191 
Verse.  Zu  diesen  Handschriften  kommt  noch  ein  im  Anfange  des  17.  Jahr- 
hunderts verfasster  Auszug,  welchen  Dorotheos,  Bischof  von  Monem- 
basia,  seiner  von  der  Schöpfung  bis  auf  das  Jahr  1591  reichenden  Welt- 
chronik, die  in  Venedig  1631  zum  ersten  Male  gedruckt  wurde,  einver- 
leibt hat. 

2.  Die  französische  Version.  In  einer  Brüsseler  Handschrift 
des  15.  Jahrhunderts  (Nr.  15702)  steht  ein  französisches  Prosawerk  mit 
der  üeberschrift:  C'est  le   livre   de   la   conqueste  de  Costantinople   et 

27* 


420     Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    III.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

de  l'empire  de  Romanie,  et  dou  pays  de  la  princee  de  la  Moree,  qui  fii 
trovee  en  un  livre  qui  fu  jadis  del  noble  baron  messire  Bartholomee  Guys,  le 
grant  conestable,  lequel  livre  il  avoit  en  son  chastel  d'Estives  (d.  h.  in  seiner 
Burg  zu  Theben).  Dieser  Livre  delaconquesteistim  grossen  und  ganzen 
inhaltlich  mit  der  griechischen  Chronik  von  Morea  identisch.  Da  nun 
der  Verfasser  der  griechischen  Chronik  als  Quelle  für  den  ersten  Kreuzzug 
ein  BißXiov  rrjg  xovyxtatag  erwähnt,  schloss  Buchen,  dem  es  darum  zu 
thun  war,  die  Priorität  und  Originalität  des  französischen  Textes  zu  er- 
weisen, der  griechische  Autor  verstehe  unter  dem  „Buche  der  Erobe- 
rung" eben  das  in  der  Brüsseler  Handschrift  erhaltene  Werk.  Diese 
Annahme  ist  aber  aus  verschiedenen  Gründen,  die  ich  hier  nicht  darlegen 
kann  •),  unzulässig.  Wahrscheinlich  meint  der  Verfasser  der  griechischen 
Chronik  mit  seinem  „Buche  der  Eroberung",  das  er  ja  nur  als  Quelle  für 
den  ersten  Kreuzzug,  nicht  für  die  Geschichte  der  Franken  in  Morea  an- 
führt, das  Werk  des  Wilhelm  von  Tyrus.  Somit  hat  auch  der  Titel 
BißXiov  trjq  KovyxtGTag,  welchen  Buchen  dem  Kopenhagener  Texte  vor- 
gesetzt hat,  keine  Berechtigung.  In  Wahrheit  ist  der  französische  Livre 
de  la  conqueste  eine  freie  Uebertragung  einer  mit  dem  Kopenhagener 
Texte  eng  verwandten,  wenn  nicht  identischen  griechischen  Chronik,  wobei 
die  Erzählung  über  den  Endpunkt  des  Originals  (1292)  bis  zum  Jahre  1304 
weitergeführt  und  am  Schlüsse  durch  eine  bis  1333  reichende  chronolo- 
gische Tabelle  ergänzt  wurde.  Die  Abfassung  des  französischen  Werkes 
geschah,  wie  sich  aus  einer  chronologischen  Andeutung  mit  Sicherheit  er- 
gibt, zwischen  1333  und  1341.  Ein  Exemplar  gelangte  aus  dem  Besitze 
des  Venezianers  Ghisi  von  der  Burg  Saint  Omer  bei  Theben  nach  Flan- 
dern und  diente  dem  Kopisten  des  Brüsseler  Codex  als  Vorlage. 

3.  Die  aragonische  Version  gehört  zu  den  Werken,  welche  aus 
der  Anregung  des  für  Litteratur  und  Wissenschaft  begeisterten  Johanniter- 
grossmeisters  Juan  Fernandez  de  Heredia  (ca.  1310  bis  ca.  1396)  her- 
vorgegangen sind.  Sie  wurde  i.  J.  1393  vollendet  und  bildet  einen  Teil 
des  zweibändigen  Werkes  „Grand  cronica  de  los  conquiridores"; 
vorausgeschickt  ist  der  Chronik  eine  aus  Zonaras  geschöpfte  Geschichte 
der  byzantinischen  Kaiser  von  Konstantin  VI  bis  Alexios  Komnenos  (780 
bis  1118).  Die  Erzählung  ist  noch  weiter  fortgeführt  als  in  der  französi- 
schen Version,  nämlich  bis  zum  Jahre  1377;  neben  der  Chronik  von  Moroa 
hat  der  aragonische  Bearbeiter  noch  andere,  uns  unbekannte  Quellen 
benützt. 

4.  Eine  italienische  Uebertragung  der  Chronik  von  Morea  steht 
in  einer  venezianischen  Handschrift  (cod.  Marcian.  append.  Ital.  cl.  VII  712) 
unter  dem  Titel:  Istoria  della  Morea.  Der  italienische  Bearbeiter  be- 
nutzte den  griechischen  Text  und  zwar  in  der  Kopenhagener  Version;  wie 
wenig  er  aber  seine  Vorlage  verstand,  beweisen  manche  lächerliche  Miss- 
verständnisse. 

Die  Chronik  von  Morea  zerfällt  in  zwei  Hauptteile;  der  erste, 
der  als  Prolog  bezeichnet  werden  kann,  behandelt  summarisch  die  Geschichte 


')  Vgl.  die  unten  angeführte  Schrift  von  John  Schmitt. 


2.  Sagenhafte  und  historische  Dichtungen  auf  nationaler  Grundlage.    (§  239.)     421 

des  ersten  Kreuzzuges  und,  nach  üeberspringung  eines  Zeitraums  von 
100  Jahren,  die  Eroberung  Konstantinopels  durch  die  Franken  (1204)  mit 
den  unmittelbar  darauf  folgenden  Ereignissen;  der  weit  umfangreichere 
zweite  Teil,  die  eigentliche  Chronik,  erzählt  die  Geschichte  des  Pelo- 
ponnes  von  der  Eroberung  desselben  durch  Guillaume  de  Champ-Litte  und 
Geoffroy  de  Ville-Hardouin  i)  i.  J.  1205  bis  zum  Jahre  1292.  Episodisch 
werden  noch  einige  spätere  Ereignisse  erwähnt,  von  denen  die  letzten  in 
das  dritte  Jahrzehnt  des  14.  Jahrhunderts  fallen;  eine  Partie,  in 
welcher  der  Tod  eines  im  Jahre  1388  verstorbenen  Ritters  erwähnt  wird, 
ist  als  spätere  Zuthat  erwiesen.  Wir  haben  in  der  griechischen  Chronik 
von  Morea  das  Werk  eines  den  erzählten  Begebenheiten  zeitlich  nahe- 
stehenden und  mit  den  peloponnesischen  Zuständen  wohl  vertrauten 
Gasmulen^)  oder  gräzisierten  Franken  zu  erblicken.  Der  Verfasser 
berichtet  ausser  den  auch  sonst  bekannten  Hauptereignissen  eine  Menge 
von  Einzelheiten  über  die  Einrichtung  der  fränkischen  Herrschaften  in 
Morea,  über  die  unaufhörlichen  gegenseitigen  Fehden  der  fränkischen 
Barone,  über  die  festen  Plätze,  über  die  Thätigkeit  der  Kirche,  über  die 
Einführung  des  Feudalcodex  u.  s.  w.  Litter  arisch  betrachtet  ist  die 
Chronik  ein  völliges  Unding:  öde,  unbeholfene  und  zuweilen  schwülstige 
Prosa  in  holperigen  Versen.  Dichterische  Begeisterung  ist  dem  Chronisten, 
den  wir  uns  wohl  als  einen  Mann  des  rauhen  Kriegshandwerkes  zu  denken 
haben,  völlig  unbekannt,  und  es  bleibt  wenigstens  die  Besorgnis  erspart, 
dass  er  sich  vom  Schwünge  der  Phantasie  zur  Entstellung  der  Thatsachen 
habe  hinreissen  lassen;  er  erzählt  schlicht  und  grob,  so  gut  er  es  vermag 
und  so  gut  er  die  Dinge  kennt.  Seine  Objektivität  wird  nur  durch  seinen 
unverhohlenen  Griechenhass  etwas  beeinträchtigt;  tief  durchdrungen  vom 
fränkischen  Nationalgefühl  weiss  er  von  den  Rhomäern  nur  Schlimmes  zu 
berichten.  Sein  Werk  war  offenbar  nicht  auf  orthodoxe  Griechen,  sondern 
auf  die  griechisch  sprechenden  Franzosen  und  Gasmulen  berechnet.  Dass 
eine  Chronik,  die  sich  ausschliesslich  an  fränkische  und  fränkisch  ge- 
sinnte Kreise  wandte,  in  der  griechischen  Volkssprache  abgefasst  werden 
konnte,  ist  ein  neuer  Beweis  für  die  vielfach  bezeugte  Thatsache,  dass 
auch  im  Mittelalter  die  im  Orient  angesiedelten  Abendländer  in  kurzer 
Zeit  der  sprachlichen  Gräzisierung  unterlagen.  Die  Abfassungszeit  der 
griechischen  Chronik  lässt  sich  nicht  genau  bestimmen,  weil  einige 
chronologische  Indizien  in  den  erhaltenen  Texten  aus  einer  späteren  üeber- 
arbeitung  herzurühren  scheinen;  eine  Spätgrenze  bezeichnet  jedenfalls 
das  Jahr  1326,  weil  in  beiden  griechischen  Versionen 3)  bemerkt  wird, 
die  katalanische  Kompanie  herrsche  noch  in  Athen,  was  nach  1326  nicht 
mehr  zutraf.  Zur  sachlichen  Kritik  und  Ergänzung  des  Werkes  dienen 
die  katalanische  Chronik  des  Ramon  Muntaner,  die  des  Bernard  d'Es- 
clot  und  vor  allem  das  (zwischen  1328  und  1333)   abgefasste  Werk  des 


')  Einen   Neffen    des    berühmten   Chro- 
nisten.   Vgl.  S.  86. 

'')  Gasmulen  heissen   die   Sprösslinge 
fränkisch-griechischer  Mischehen.     Die  Ety-   1   der  Pariser  S.  169,  16 
mologie   des  Wortes  (ycta^ov'Aog,  ßaafxoiXog) 


ist  noch  nicht   genügend   aufgeklärt.     Vgl. 
Buchen,  Recherches  1  S.  XVII  Anm. 

^)  In  der  Kopenhagener  V.  5955,  in 


422     ByzantiniBche  Litteratnrgeschichte.    III.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

Venezianers  Marino  Sanudo  Torsello:  Istoria  del  regno  di  Romania 
sive  di  Morea,  Wenn  nun  die  Chronik  von  Morea  durch  die  Existenz 
dieser  und  sonstiger  abendländischen  Quellen  an  rein  historischem  Werte 
verliert,  so  bleibt  sie  doch  eines  der  bedeutendsten  Denkmäler  der  aus 
der  Verquickung  des  abendländischen  Rittertums  mit  der  byzantinischen 
Bevölkerung  erwachsenen  Mischkultur  und  der  durch  lokale  Verhältnisse 
besonders  stark  von  fränkischen  Elementen  beeinflussten  mittelgriechi- 
schen Volkssprache. 

1.  Ausgaben:  Nachdem  schon  im  17.  Jahrhundert  Du  Gange  und  Boivin  eine 
Ausgabe  der  Chronik  geplant  hatten,  setzte  es  sich  ihr  Landsmann  J.  A.  Buchon  zur 
Lebensaufgabe,  die  Chronik  und  das  auf  sie  bezügliche  Quellenmaterial  zu  erforschen  und 
zu  veröffentlichen.  Seine  Arbeiten  sind  leider  etwas  unpraktisch  und  breit  angelegt,  und 
die  Konstitution  der  griechischen  Texte  lässt  infolge  der  mangelhaften  Sprachkenntnis  des 
Herausgebers  fast  alles  zu  wünschen  übrig:  J.  A.  Buchon,  Chroniques  ötrangeres  relatives 
aux  expöditions  fran9aises  pendant  le  XIII.  siecle,  Paris  1840  (manche  Exemplare  sind 
1841  datiert);  der  Band  enthält  die  Pariser  Version  der  griechischen  Chronik  mit 
französischer  Uebersetzung,  den  Auszug  des  Dorotheos  und  die  katalanischen  Chroniken 
des  Muntaner  und  des  B.  d'Esclot.  —  J.  A.  Buchon,  Recherches  historiques  sur  la 
principaut«  fran^aise  de  Mor^e  et  ses  hautes  baronnies,  2  voll.  Paris  1845;  der  erste  Band 
enthält  die  französische  Chronik  (den  Livre  de  la  conqueste),  der  zweite  die  Kopen- 
hagener Version  der  griechischen  Chronik  u.a.  —  Aragonische  Chronik:  Chronique 
de  Moröe  aux  13.  et  14.  siecles,  publiee  et  traduite  pour  la  premiere  fois  par  Alfred 
Morel-Fatio,  Geneve  1885  (=  Publications  de  la  societ^  de  l'orient  latin,  s^rie  historique 
vol.  IV) ;  mit  französischer  Uebersetzung  imd  einem  historischen  Index.  —  Italienische 
Chronik:  Chroniques  gr^co-romanes  etc.  par  Charles  Hopf,  Berlin  1873  S.  414 — 468.  — 
Einen  Teil  der  griechischen  Chronik  ed.  mit  einer  historisch -kritischen  Einleitung  und 
deutscher  Uebersetzung  Ad.  Ellissen,  Analekten  der  mittel- und  neugriechischen  Literatur, 
2.  Teil,  Leipzig  1856.  —  Der  grösste  Teil  des  Prologs  der  griechischen  Chronik  i.st  mit 
lateinischer  Uebersetzung  und  kritischem  Apparat  ediert  von  E.  Miller  im  Recueil  des 
historiens  grecs  des  croisades  t.  I  (Paris  1875)  2,  581  —  623.  —  Ein  Teil  des  Livre  de  la 
conqueste  ist  wiederholt  von  Tafel  und  Thomas,  Oesterreichische  Geschichtsquellen. 
2.  Abteil.,  12.  Bd.  (Wien  1856)  S.  315  flf.  —  Eine  kritische  Ausgabe  der  Chronik  wird 
vorbereitet  von  John  Schmitt. 

2.  Hilfsmittel:  Zur  sachlichen  Erläuterung  und  Ergänzung  der  Chronik  dienen 
lateinische,  französische  und  italienische  Chroniken,  Urkunden,  Siegel,  Münzen,  Medaillen, 
genealogische  und  topographische  Monographien  u.  s.  w. ,  die  namentlich  in  folgenden 
Werken  veröffentlicht  sind:  J.  A.  Buchon,  Recherches  et  mat^riaux  pour  servir  a  uno 
histoire  de  la  domination  fran^aise  aux  13.,  14.  et  15.  siecles  dans  les  provinces  demem- 
brees  de  l'empire  grec,  2  voll.  Paris  1841.  —  J.  A.  Buchon,  Nouvelles  recherches  histo- 
riques sur  la  principaute  fran9aise  de  Moree  et  ses  hautes  baronnies,  2  voll.  Paris  1843.  - 
J.  A.  Buchon,  La  Grece  continentale  et  la  Moree,  Paris  1843  (Reisewerk).  —  J.  A.  Bu- 
chon, Voyage  dans  les  lies  de  l'Archipel  et  de  la  mer  Jonienne,  Paris  1845  (mir  nicht 
zugänglich,  aber  von  dem  Verf.  in  den  Recherches  hist.  I  S.  X  als  unter  der  Presse  befind- 
lich erwähnt).  —  J.  A.  Buchon,  Histoire  des  conqußtes  et  de  l'etablissement  des  Franvai.s 
dans  les  etats  de  l'ancienne  Grece  etc.,  I.  vol.  Paris  1846  (reicht  bis  1290;  an  der  Voll- 
endung dieses  zusammenfassenden  Werkes  wurde  der  Verf.  durch  den  Tod  verhindert).  — 
Nach  Buchon  kommen  vor  allen  die  bahnbrechenden  Arbeiten  von  Karl  Hopf  in  Betracht: 
De  historiae  ducatus  Atheniensis  fontibus,  Bonn  1852.  Veneto-byzantinische  Analekton, 
Sitzungsber.  d.  phil.-hist.  Cl.  der  Wiener  Akad.  d.  Wiss.  32  (1859)  365  if.  Geschichte 
(iriechenlands,  Ersch-  und  Gruber'sche  Enzyklopädie,  I.  Sekt.  Bd.  85  imd  86  (1867—68). 
Chroniques  gröco-romanes,  Berlin  1873  (bes.  wichtig  durch  die  beigefügten  genealogischen 
Tafeln).  —  Ein  unentbehrliches  Hilfsmittel  ist  das  auf  einer  staunenswerten  Beherrschung 
des  riesigen  Materials  beruhende  Werk  von  G.  Schlumberger,  Numismatique  de  Torient 
latin,  Paris  1878.  Unzugänglich  blieb  mir  desselben  Verfassers  Werk :  Les  principautt^s 
franques  du  Levant  au  moyen-äge.  —  Ch.  A.  Leving,  La  jirincipaute  dWchaüe  et  de 
Mon''e,  Brüssel  1879  (mir  unzugänglich).  —  Eine  wesentlich  auf  Ihuhon  und  Hopf  gestützte 
Uebersicht  gibt  De  Mas  Latrie,  Les  princes  de  Morde  ou  d'Achaüe  1203—1461,  Venedig 
1882  (=  Monumenti  storici  pubblicati  della  R.  deputazione  Veneta  di  storia  patria,  vol.  8). 
H.  F.  Tozor,  The  Franks  in  the  Peloponnese,  Journal  of  Hellenic  studies  4  (1883)  165—236 
(besonders  von  Wert  durch  topograpiiische  Heiträge).  -  J.  B.  Bury,  The  Ijonibards  and 
Venetians  in  Euboea,  Journal  of  Hellenic  studies  7  (1886)  309—352  u.  8  (1887)  194—213. 


2.  Sagenhafte  n.  historische  Dichtungen  auf  nationaler  Grundlage.  '(§240—241.  )   423 

Nur  einzelne  Punkte,  die  mit  der  Chronik  zusammenhängen,  berührt  Dela vi  11  e  le  Roulx, 
La  France  en  Orient  au  XIY"  siecle,  2  voll.  Paris  1886  (=  Bibl.  des  ecoles  fran^.  d'Athenes 
et  de  Rome,  fasc.  44 — 45).  —  Baronne  Diane  de  Guldencrone,  L'Achaie  feodale 
(1205 — 1456),  Paris  1886  (populäre  Zusammenfassung).  —  Wenig  Neues  verspricht  nach 
der  bis  jetzt  vorliegenden  Probe:  A.  Christomanos,  Abendländische  Geschlechter  im 
Orient,  im  Anschluss  an  Du  Cange's  FamiUes  d'outre  mer,  1.  Lieferung,  Wien  1889.  — 
F.  Gregorovius,  Geschichte  der  Stadt  Athen  im  Mittelalter,  2  Bde.,  Stuttgart  1889,  be- 
sonders 1  380  ff. ;  472  ff. ;  11  324  ff.  —  Den  Anteü  der  Katalanen  an  der  Latinisierung  des 
Orients  behandeln:  'E.  IrttuariäStjg,  Ol  KceraXceroi  ev  rfi  'AyaxoXf,,  Athen  1869.  —  D. 
Antonio  Rubiö  y  Lluch,  La  expedicion  j  dominacion  de  los  Catalanes  en  Oriente 
juzgadas  por  los  Griegos,  Memorias  de  la  real  academia  de  buenas  letras  de  Barcelona, 
t.  IV  1,  1883.  Desselben:  Los  Navarros  en  Grecia  j  el  ducado  Catalan  de  Atenas  en 
la  epoca  de  su  Invasion,  Barcelona  1886  (berücksichtigt  bes.  die  aragonische  Chronik).  End- 
lich gab  Rubiö  y  Lluch  einen  Beitrag  zur  Geschichte  der  Katalanen  in  Griechenland  im 
JsXriov  xt]i;  laxoo.  xcu  i9yoi.oy.  er.  rrj?  'EX)..  2  (1885 — 89)  458 — 466.  —  Ueber  den  Gross- 
meister Heredia,  der  die  Abfassimg  der  aragonischen  Chronik  veranlasste,  vgl.  Karl 
Herquet,  Juan  Femandez  de  Heredia,  Mühlhausen  i.  Th.  1878,  und  desselben  Verf.  Ab- 
handlimg  in  Cottas  Zeitschrift  für  allgemeine  Geschichte  4  (1887)  769 — 792.  —  Marquis 
Terrier  de  Loray,  PubUcations  de  l'academie  de  Besannen  1880  S.  205  ff.  (über  das 
Verhältnis  der  griechischen  Chronik  zur  französischen).  —  Hauptschrift  über  das  Ver- 
hältnis der  Versionen  und  Handschriften  der  Chronik:  John  Schmitt,  Die  Chronik  von 
Morea,  Diss.  München  1889.  —  Ueber  die  Kopenhagener  Handschrift  handelt  John 
Schmitt,  Romanische  Forschungen  herausgeg.  von  K.  Vollmöller  5  (1890)  525  ff. 

Endlich  sind  die  einschlägigen  allgemeinen  geschichtlichen  und  geographischen 
Werke  beiziiziehen,  namentlich:  J.  Ph.  Fallmerayer,  Geschichte  der  Halbinsel  Morea 
während  des  ]Mittelalters,  2  Bde.,  München  1830 — 36.  —  Expedition  scientifique  de  Moree 
ordonnee  par  le  gouvemement  fran^ais  etc.,  3  voU.  Paris  1831 — 38.  —  Leake,  Pelopon- 
nesiaca,  London  1846  (S.  136—160  über  die  Chronik  von  Morea).  —  E.  Curtius,  Pelo- 
ponnesos,  2  Bde.,  Gotha  1851 — 52.  —  G.  Finlay,  A  history  of  Greece,  4.  vol.,  Oxford 
1877.  —  Eine  venezianische  Karte  von  Morea  ed.  K.  Sathas,  Documents  inedits  relatifs 
ä  l'histoire  de  la  Grece,  I.  serie,  vol.  1,  Paris  1880.  —  Vgl.  die  Litteratur  bei  H.  G.  Lolling, 
Hellenische  Landeskunde,  Handbuch  d.  klass.  Altertumswissenschaft  IH  159  ff. 

3.  Die  Ableitungsversuche  des  Namens  Morea  haben  noch  zu  keinem  befriedigenden 
Resultate  geführt.  Vgl.  K.  N.  Sathas,  Documents  inedits  I.  serie,  vol.  1  (1880)  Intro- 
duction  S.  31  ff.,  K.  Paparrigopulos,  Bulletin  de  correspond.  hellenique  5  (1881)  145  ff. 
und  F.  Gregorovius.  GescHchte  der  Stadt  Athen  im  Mittelalter  1  (1889)  309  f.  nebst 
der  an  diesen  Stellen  angeführten  Litteratur. 

4.  Der  historische  Stoff  der  Chronik  von  Morea  ist  novellistisch  behandelt  worden 
von  A.  R.  R angabt  in  seiner  Erzählung  ,der  Fürst  von  Morea'  ("Ö  av&e'yrrjg  tov  MwQewg). 
Deutsch  übersetzt  von  Ad.  Ellissen,  Analekten  der  mittel-  und  neugriech.  Lit.  2  (1856) 
111—285. 

240.  Klagegesang  über  Timur  Lenk,  ©ojyroc  nsgi  TanvQlccyyov, 
ein  anonymes  Gedieht  in  96  reimlosen  politischen  Versen,  welches  in  dem 
1403  geschriebenen  cod.  Paris.  2914  überliefert  und  somit  noch  während 
des  grossen  Verheerungszuges  Timurs  abgefasst  ist.  Der  Verfasser 
beginnt  seine  Erzählung  mit  der  Belagerung  Konstantinopels  durch  Bajesid, 
welche  durch  das  plötzliche  Auftreten  des  mongolischen  Welteroberers 
abgebrochen  wurde,  erwähnt  kurz  die  Niederlage  des  türkischen  Heeres 
(bei  Angora  1402)  und  schildert  dann  mit  drastischen  Worten  die  uner- 
hörten Greuel,  welche  die  Horden  Timurs  über  die  Bevölkerung  Kleinasiens 
verhängten. 

Ed.  pr.  W.  Wagner,  Medieval  gr.  texts  S.  105—109.  —  Wiederholt  Carmina 
S.  28—31.  —  üeber  den  cod.  Paris,  vgl.  Psichari,  Essais  de  grammaire  bist,  neo-grecque 

I  (1886)  26. 

241.  Paraspondylos  Zotikos,  naoaanovdvXog  ZojTixog,  ein  gänzlich 
unbekannter  Mann,  verfasste  in  465  reimlosen  politischen  Versen  eine 
Beschreibung  der  folgenreichen  Schlacht  bei  Varna  i.  J.  1444,  in 
welcher   Sultan  Murad  II   die  vereinigten  Heere   der  Ungarn  und  Polen 


424     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgftrgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

überwältigte.  Der  Verfasser  behauptet,  er  berichte  als  Augenzeuge;  in 
einem  Walde  habe  er  sich  versteckt  gehalten,  und  sein  Herz  habe  sich 
beim  Anblicke  des  ungeheueren  Menschenmeeres  versteinert.  Wie  es  sich 
immer  mit  der  Wahrheit  dieser  Notiz  verhalten  mag,  die  Erzählung  dieses 
poetischen  Kriegskorrespondenten  erhebt  sich  nicht  über  eine  ziemlich 
phantastische,  in  den  Zahlenangaben  stark  übertreibende  Schilderung. 
Immerhin  gibt  er  die  Situation  im  allgemeinen  richtig  wieder  und  berichtet 
sogar  einige  sonst  nicht  bekannte  oder  nicht  genügend  gesicherte  Einzel- 
heiten. Seine  Darstellung  verrät  ein  massiges  Studium  schriftsprach- 
licher Werke,  denen  er  wohl  auch  die  Einstreuung  langer  Reden  und 
Briefe  abgelernt  hat, 

Kd.  E.  Legrand,  Coli,  de  mon.  N.  S.  vol.  5  (1875)  51—84.  —  Ueber  die  Schlacht 
bei  Vama  vgl.  G.  Hertzberg,  Geschichte  der  Byzantiner  und  des  osmanischen  Reiches, 
Berlin  1883  S.  564  ff. 

242.  Ein  Klagegesang  auf  den  Fall  von  Konstantinopel,  'Ava- 
xXr^fxa  rrjg  KcovaTavrivÖTTolr^g,  in  118  reimlosen  politischen  Versen  von  einem 
unbekannten  Verfasser  steht  im  cod.  Paris.  2873.  Durch  das  Zwiege- 
spräch zweier  sich  bei  Tenedos  begegnenden  Schiffe,  von  denen  das  eine 
aus  der  „vom  Blitze  verbrannten"  Stadt  kommt,  erfahren  wir  das 
traurige  Ereignis;  in  einfachen,  ergreifenden  Tönen  werden  die  bei  der 
Eroberung  verübten  Greuel,  die  Profanation  alles  Heiligen  und  die  schmäh- 
liche Knechtung  des  christlichen  Volkes  geschildert.  Die  dramatische  Ein- 
kleidung, für  welche  sich  in  der  neugriechischen  Volkspoesie  zahlreiche 
Seitenstücke  finden,  die  Abwesenheit  des  Reimes  wie  auch  der  gesamte 
Ton  der  Erzählung  lassen  vermuten,  dass  dem  Gedichte  ein  Volkslied 
zu  Grunde  liege;  wir  hätten  somit  im  Kerne  unseres  Textes  eine  der 
ältesten  Formen  der  noch  heute  fortlebenden  Gesänge  auf  den  Fall  von 
Konstantinopel  und  den  Tod  des  letzten  Paläologen.  Merkwürdig  ist,  dass 
einige  Stellen  des  Gedichtes  an  das  demselben  Vorwurfe  gewidmete  Werk 
des  Georgillas  (s.  §  244)  anklingen.  Will  man  nicht  annehmen,  dass  die 
gleiche  Situation  die  gleichen  Wendungen  hervorbrachte,  so  lässt  sich  die 
Uebereinstimmung  wohl  nur  daraus  erklären,  dass  der  rhodische  Dichter 
die  Verse  des  Anonymus  oder  ein  denselben  zu  Grunde  liegendes  Volks- 
lied kannte;  die  umgekehrte  Möglichkeit,  dass  der  Anonymus  den  Spuren 
des  (an  dichterischer  Begabung  tief  unter  ihm  stehenden)  Georgillas  gefolgt 
sei,  hat  sehr  wenig  für  sich.  Ob  die  starke  Hervorhebung  Kretas  und 
der  Kreter  (V.  38  ff.)  berechtigt,  auf  den  Entstehungsort  des  Gedichtes 
oder  seiner  Vorlage  einen  Schluss  zu  ziehen,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden." 

Ed.  pr.  E.  Legrand,  Coli,  de  mon.  N.  S.  vol.  5  (1875)  85-100  (mit  einem  Glos- 
sar). Die  einzige  Handschrift,  die  den  Text  überliefert,  ist  ein  solches  Musterstück  von 
absoluter  Fehlerhaftigkeit,  dass  man  sie  für  toxtkritische  Seminarübungen  empfehlen 
könnte.  Ausser  all  den  Fehlern,  die  sich  aus  dem  Jotazismus  und  der  Aohnliohkeit  ge- 
wisser Laute  erklären,  findet  man  hier  namentlich  jene  Verwirrung  in  der  Trennung 
und  Verbindung  der  Wörter,  durch  die  auch  manche  Venezianer  Drucke  der  Lektüre 
80  viele  Hindernisse  bereiten,  in  einem  ganz  ungewöhnlichen  Masse  vertreten;  man  liest 
z.  B.  ras  xaißv  statt  r«  axevt],  vatpüviaao  rixüfxov  statt  vd  rpny  r«  awiixn  fiov,  naQdnh'iat 
yovfittivei  statt  naQ&iyaif,  rjyovfiivan  u.  s.  w. 

243.  Ein  Klagelied  auf  die  Eroberung  von  Athen  durch  die 
Türken  (1458)  von  oinuni    ungenannten   \'erfasser   steht    in    einer    Peters- 


2.  Sagenhafte  u.  historische  Dichtungen  auf  nationaler  Grundlage.  (§  242—244.)     425 

burger  Handschrift  unter  dem  Titel:  neQi  rr^g  araXcoaecog  xal  zrjg  aixi^a- 
Xwaiag  i]  ysyarev  vno  xwv  Ileoffcör  slg  ^ÄTvixrjt'  'Ad^rjva  (69  reimlose  politische 
Verse).  Nach  einem  geschichtlichen  Rückblick  auf  den  Ruhm  der  Stadt, 
welche  den  Gregor  von  Nazianz,  den  Basilios  und  Chrysostomos 
unterrichtet  habe,  verleiht  der  Verfasser  der  personifizierten  'A^r]ra  selbst 
das  Wort;  sie  beklagt  in  unsäglich  plumpen  und  ihres  erlauchten  Namens 
wenig  würdigen  Versen  die  Erniedrigung,  Schande  und  Sklaverei  ihrer 
Kinder  und  ruft  zuletzt  die  Schutzpatronin  Maria  um  Rache  und  Ret- 
tung an. 

Ed.  Gabriel  Destunis,  Petersburg  1881  mit  Einleitung,  Kommentar  imd  üeber- 
setzung  (Russ.).  —  Vgl.  F.  Gregorovius,  Geschichte  der  Stadt  Athen  II  382  f. 

244.  Emmanuel  Georgillas  aus  Rhodos,  ein  eifriger  Freund  der 
kirchlichen  Union,  lebte  in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts. 
Die  Zeit  seiner  litterarischen  Thätigkeit  begrenzen  zwei  datierbare  Gedichte, 
von  welchen  das  eine  kurz  nach  1453,  das  andere  im  Jahre  1498  oder 
kurz  nachher  abgefasst  ist.  Georgillas  hat  ein  geringes  Formtalent  und 
ist  in  seiner  Darstellung  breit,  plump,  weinerlich,  zuweilen  auch  unerlaubt 
derb ;  ^)  was  aber  mit  diesen  Mängeln  aussöhnt,  ist  die  erschütternde  Wahr- 
heit seiner  Schilderung,  der  aufrichtige  Patriotismus  und  die  Innigkeit  der 
Naturanschauung,-)  Bei  den  Griechen  hat  er  wegen  seiner  Hinneigung 
zur  päpstlichen  Politik  jegliche  Sympathie  verscherzt  und  ist  von  den  besten 
AVortführern  des  nationalen  Bewusstseins  wie  Korais,  Paparrigopulos 
u.  a.  mit  leidenschaftlichen  Schmähungen  überschüttet  worden.  Allein  es 
ist  zu  bedenken,  dass  es  in  jenen  Tagen  der  schwersten  Bedrängnis  viele 
wohlgesinnte  Anhänger  der  Orthodoxie  gab,  welche  die  Rettung  der  christ- 
lichen Ostwelt  von  den  katholischen  Mächten  erwarteten,  und  schwerlich 
ist  es  zum  Glücke  der  hellenischen  Kultur  ausgeschlagen,  dass  die  radikalen 
Feinde  der  Union  in  der  kritischen  Zeit  die  Oberhand  gewannen  und  durch 
ihre  Unbeugsamkeit  endlich  den  Vernichtern  jeder  Bildung  und  Gesittung 
die  Thore  öffneten.  Eine  nüchterne  und  von  den  Strömungen  der  Gegen- 
wart ungetrübte  Auffassung  wird  daher  eines  Tages  auch  dem  rhodischen 
Dichter  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen  und  anerkennen,  dass  er  in 
seinen  Mahnungen  zur  Einigkeit,  von  Gunst  und  Vorteil  unbestochen,  nm^ 
seiner  innersten  Ueberzeugung  Ausdruck  verliehen  hat.  Darüber  dürfte 
wohl  jetzt  schon  die  griechische  Auffassung  mit  der  abendländischen  sich 
einig  fühlen,  dass  Georgillas  eine  für  die  Kultur-  und  Litteraturgeschichte 
des  15,  Jahrhunderts  höchst  beachtenswerte  Erscheinung  ist.  Wir  haben 
von  ihm  drei  Gedichte,  die  in  formaler  Hinsicht  dadurch  merkwürdig  sind, 
dass  sich  in  ihnen  der  allmähliche  Uebergang  vom  reimlosen  zum 
gereimten  Verse  darstellt: 

1.  Die  Geschichte  Belisars,  "^laTOQixrj  s^rjyr^aig  ttsqI  Behaaqiov 
(840  politische  Verse,  in  welchen  zuletzt  V.  810  ff.  plötzlich  der  Reim 
auftritt).  Georgillas  hat  hier  nur  ein  älteres  Gedicht  umgearbeitet  und 
erweitert  (s.  §  253).    In  der  Einleitung  (V.  17  ff.)  und  am  Schlüsse  (V.  803  ff.) 

')   In   der  "AXwai?  "V.  562   wünscht    er   j   ähnliche  Grobheit  im  Quycctixöv  V.  590. 
Mohamed    dem   Eroberer:    vd  ;fea»?  x6  av-  2)  g.  B.   Belisar   V.  474    f.;  "AXiomg  V. 

Xüixiv  rov    x«t    oXt]y  xtjv   ovaiüv   tov.     Eine    '   406  S.;  ßayatixoy  V.  90  ff. 


426     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

spielt  der  Verfasser  auf  das  Unglück  an,  das  seine  Nation  betroffen  hat, 
und  fordert  zuletzt  die  ganze  Christenheit  auf,  das  Kreuz  zu  erheben  und 
Konstantinopel  den  Türken  zu  entreissen. 

2.  Klagegesang  auf  den  Fall  Konstantinopels,  "AXwaiq  KnöXewq 
(1044  politische  Verse  mit  sporadischer  Anwendung  des  Reimes).  Unter 
dem  frischen  Eindrucke  des  niederschmetternden  Ereignisses  erhebt  Georgillas 
die  bittere  Anklage,  dass  die  Rhomäer  an  dem  Unheil,  das  über  sie  herein- 
gebrochen, selbst  Schuld  seien  durch  ihre  unverbesserliche  Zwietracht,  ihre 
kleinliche  Habsucht  und  ihre  eitlen  Hoffnungen: 

TQLa  nQttyfiuta  i;(cikaac(y  Ttjy  'Piofuayiay  oXtjy, 

'0  cp&ovog,  T]  (fiXuQyvQici  xai  ij  xeyt]  iXni&a  (V.  834  f.). 

Daran  schliesst  er  voll  glühender  Begeisterung  für  die  gute  Sache  seines 
Volkes  die  inständigsten  Bitten  und  Aufforderungen  an  die  Mächte  von 
Europa,  Konstantinopel  zurückzuerobern  und  die  morgenländische  Christen- 
heit vom  osmanischen  Joche  zu  befreien.  Wie  sehr  es  dem  Dichter  ernst 
war,  ergibt  sich  aus  der  wiederholten  Aufforderung,  sein  Werk  genau  ab- 
zuschreiben und  für  die  Verbreitung  im  Abendlande  zu  sorgen  (V.  837  ff. ; 
1008  ff.).  Das  Gedicht  muss  kurz  nach  1453  abgefasst  sein,  da  Adria- 
nopel (V.  749;  782)  noch  als  Residenz  des  Sultans  erwähnt  wird;  die 
definitive  Uebersiedelung  nach  Konstantinopel  erfolgte  im  dritten  Jahre 
nach  der  Eroberung. 

3.  Die  Pest  von  Rhodos,  Tö  ^arartxdv  rrjg  "^PöSov  (644  gereimte 
politische  Verse).  Das  Gedicht  bezieht  sich  auf  die  furchtbare  Pest,  welche 
im  Jahre  1498  auf  Rhodos  wütete.  Georgillas  erblickt  in  der  Krankheit 
eine  göttliche  Strafe  und  begleitet  daher  seine  wehmütigen  Klagen  mit 
eindringlichen  Mahnungen,  zu  einer  einfacheren  und  reineren  Lebensart 
zurückzukehren.  Für  seine  moralischen  Lehren  führt  er  keine  geringeren 
Autoren  als  Plato,  Aristoteles,  Cato  und  Oribasios  ins  Feld  (V.  513; 
536 ff.).  Das  Gedicht  ist  litterarhistorisch  mit  den  paränetischen  Werken 
des  Spaneas,  Lapithes,  Sachlikis  und  Depharanas  zu  vergleichen. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  1.  Belisar:  S.  §253.  2.  Klagegesang  auf 
den  Fall  Kpels:  Ed.  pr.  A.  Ellissen,  Analekten  der  mittel-  und  neugriechischen  Litte- 
ratur, 3.  Teil,  Leipzig  1857  (mangelhafter  Text  mit  breiter  Einleitung  und  deutscher  Ueber- 
setzung).  -  Ed.  W.  Wagner,  Medieval  gr.  texts  S.  141-170  (mit  einigen  Verbesserungen, 
doch  ohne  neue  Kollation  der  Handschrift).  ^  Ed.  E.  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  I  (1880) 
169 — 202  (wesentlich  verbesserter  Text  auf  Grund  einer  Neuvergleichung  der  Handschrift). 
3.  Pest  in  Rhodos:  Ed.  pr.  W.  Wagner,  Medieval  gr.  texts  S.  171—190;  wiederholt 
Carmina  S.  ,32—52.  —  Ed.  E.  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  I  (1880)  203—225  (wesentlich 
verbesserter  Text). 

Ueber  Georgillas  vgl.  Korais,  'Axaxta  II  IIqöX.  S.  3  if.  —  Ueber  den  Klagegesanp 
auf  Konstantinopel  vgl.  die  Betrachtungen  von  E.  Egger,  L'Hellönisme  en  France  vol.  1 
(Paris  1869)  439—446.  —  Alle  drei  Stücke  überliefert  der  einzige  cod.  Paris.  2909. 

245.  Johannes  Koronaeos  {KoQwvaTog)  schrieb  i.  J.  1519  ein  ebenso 
weitschweifiges  als  poesieloses  Heldenepos  über  die  Thaten  des  Merkurios 
Bua,  'ArSgayadTj^ara  Msqxovqiov  Mnovct  (gegen  5000  gereimte  Fünfzehn- 
silber). Der  Held  des  Gedichtes,  ein  tapferer  Albanese  aus  Nauplia,  trat 
1495  in  venezianische  Dienste  und  erwarb  sich  später  unter  Kaiser  Maxi- 
milian als  Anführer  griechischer  Soldtruppen,  der  sogenannten  Stratioti, 
reiche  Lorbeeren.  Er  starb  nach  1527  in  Treviso,  wo  in  der.  Kirche 
S.  Maria  Maggioro  sein  Grabmal   errichtet  ist.    Koronäos  erfasste  seine 


2.  Sagenhafte  u.  historische  Dichtungen  auf  nationaler  Grundlage.  (§  245—246.)     427 

Aufgabe  mit  der  Gewissenhaftigkeit  eines  Historikers ;  er  erholte  sich,  wie 
er  selbst  erzählt,  nicht  nur  mündlichen  Aufschluss  bei  Bua,  sondern  stu- 
dierte auch  dessen  Farailiendokumente  und  ging  sogar  nach  Griechenland, 
um  über  das  Geschlecht  der  Bua  Näheres  zu  erfahren.  Das  prachtvolle, 
von  Koronäos  selbst  geschriebene  Widmungsexemplar  ist  in  der  Turin  er 
Bibliothek  aufbewahrt. 

Ed.  pr.  K.  Sathas,  'EXkrjyixn  avexdoxa  I  (1867)  4—153  (mit  einer  ausführlichen 
historischen  Einleitung).  —  Vgl.  Ch.  Gidel,  Nouvelles  etudes  sur  la  htt.  gr.  mod. 
S.  533—557.  —  üeber  die  sogenannten  Stratioti  {argariwrai,  französ.  Estradiots).  grie- 
chische Söldnerscharen,  die  im  15.  und  16.  Jahrhundert  an  den  in  Italien  ausgefochtenen 
Kriegen  einen  bedeutenden  Anteil  nahmen  imd  nach  ihrer  kulturhistorischen  Stellung  mit 
unseren  Landsknechten  zu  vergleichen  sind,  hat  ein  reiches  Material  von  lateinischen  und 
italienischen  Dokumenten  nebst  einer  historischen  Untersuchung  veröffentlicht  K.  Sathas, 
Documents  inedits  relatifs  &  Thistoire  de  la  Grece  vol.  7  und  8,  Paris  1888. 

246.  Jakob  Trivolis  (TgißtöXr^c),  ein  vornehmer  Grieche  aus  Korfu 
in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts,  verfasste  ein  panegyrisches 
Gedicht  (in  312  achtsilbigen  trochäischen  Reimversen)  über  die  Thaten 
des  Grafen  Tajapiera,  "^latogi'a  xov  TccyiajiitQa.  Derselbe  hatte  sich  als 
venezianischer  Kapitän  durch  Bestrafung  der  Piraten  Verdienste  um  die 
Insel  Korfu  erworben  und  wird  nun  von  dem  dankbaren  Dichter  über  die 
Helden  der  Ilias  erhoben.  Eine  zweite  Reimerei  des  Trivolis,  die 
laxoQia  Tov  Qt  rr^g  2x(OTiag  ,u*  rr^v  Qrjiffcfa  zfjg  'EyyXrjT6Qag  (376  gereimte 
Fünfzehnsilber)  ist  eine  freie  Imitation  der  7.  Novelle  des  7.  Tages  in 
Boccaccios  Decamerone.  In  seiner  Darstellungsweise  ist  Trivolis 
völlig  ungeschlacht  und  wie  die  meisten  Heptanesioten  seiner  Zeit  in  einem 
unheimlichen  Grade  italienischen  Einflüssen  ergeben. 

1.  Die  Geschichte  des  Tajapiera  ist  gedruckt  Venedig  1528  und  öft«r.  —  Neu 
ediert  von  E.  Legrand,  Coli,  de  mon.  vol.  3  (1869)  und  zum  zweitenmale  Coli,  de  mon. 
N.  S.  vol.  4  (1875)  mit  Utterarhistorischer  Einleitung,  Kommentar  und  französischer  Ueber- 
setzung. 

2.  Geschichte  des  Königs  von  Schottland:  Oft  in  Venedig  gedruckt,  zuerst 
wahrscheinlich  1540,  dann  1577.  1779,  1795.  —  Neudruck  von  E.  Legrand,  CoU.  de 
mon.  vol.  13  (1871).  —  Vgl.  E.  Legrand,  Bibliogr.  hell.  I  (1885)  202  ff. 


3.  Romantische  Dichtungen  über  antike  Stoffe. 

247.  Vorbemerkung.  Die  romantische  Auffassung  antiker  Helden- 
geschichten hat  in  Byzanz  keinen  so  günstigen  Boden  gefunden  wie  im 
Abendlande.  Zwar  sind  die  wichtigsten  Elemente  einer  sagenhaften  Ver- 
gröberung der  alten  Stoffe  schon  in  griechischen  Schriften  wie  im  Schwindel- 
buche des  Sisyphos  von  Kos,  das  den  Spätem  vornehmlich  durch 
Malalas  vermittelt  wurde,  im  Pseudo-Kallisthenes  und  in  ähnlichen 
Machwerken  enthalten;  aber  die  Byzantiner  blieben  durch  ihre  gelehrten 
Studien  und  durch  den  Schulunterricht  mit  den  Originalwerken  so  enge 
verbunden,  dass  die  Uebertragung  der  alten  Erzählungen  in  die  volks- 
mässige  und  zeitgenössische  Anschauungsweise  lange  zurückgedrängt  wurde. 
Es  ist  hiefür  bezeichnend,  dass  die  Bücher  des  Dictys  und  Dares,  von 
welchen  die  sagenhafte  und  romantische  Verarbeitung  der  homerischen 
Geschichten  vornehmlich  ausgegangen  ist,  bei  den  Griechen  fast  völlig 
unbekannt  geblieben  sind.  Zur  Einkleidung  antiker  Helden  in  höfische 
Kostüme  kam  es  bei  den  Byzantinern,  wenn  nicht  alles  täuscht,  erst  unter 
dem  Einflüsse  abendländischer  Vorbilder.  Selbst  die  auf  griechischem 
Boden  erwachsene  Alexandersage  ist  in  Byzanz  weniger  eifrig  weiter- 
gebildet und  poetisch  ausgeschmückt  worden  als  im  Abendlande.  Ich  be- 
spreche zuerst  zwei  vulgärgriechische  Bearbeitungen  der  homerischen 
Geschichten,  dann  eine  romantische  Achilleis,  zuletzt  den  Alexander- 
roman und  schliesse  daran  die  Geschichte  des  Apollonios  von  Tyros 
und  die  Belisarsage,  die  sich,  wenn  man  ihnen  nicht  eine  eigene  Ab- 
teilung eröffnen  will,  am  besten  hier  einfügen  lassen. 

1.  Allgemeine  Hilfsmittel:  Die  bekanntesten  trojanischen  Schwindelbücher,  die 
des  Dictys  und  Dares,  gehören  in  die  lateinische  Litteratur;  Ausgaben  und  Hilfsmittel 
verzeichnet  W.  S.  Teuffei,  Geschichte  der  römischen  Litteratur'  (1882)  §§  423;  471.  — 
Zu  den  französischen,  englischen  imd  deutschen  Trojaromanen  vgl.  Gaston  Paris,  La 
litt.  fran«;aise  au  moyen  äge,  Paris  1888  S.  76  f.;  139.  —  H.  P.  Junker,  Grundriss  der 
(ieschichte  der  französischen  Litteratur,  Münster  1889  S.  86  f.;  150.  —  Gust.  Körting. 
(Jnmdriss  der  Geschichte  der  englischen  Litteratur,  Münster  1887  S.  113  f.  —  Karl  (Joe- 
deke,  Grundriss  zur  Geschichte  der  deutschen  Dichtung  1*  (1884)  S.  87  f.;  126;  218.  — 
Von  Spezialschriften  vgl.  besonders:  H.  Dunger,  Die  Sage  vom  trojanischen  Kriege  in 
den  Bearbeitungen  des  Mittelalters  und  ihre  antiken  Quellen,  Progr.  Dresden  1869.  Dca- 
Kelben:  Dictys-Septimius,  Progr.  Dresdi^n  1878.  Desselben:  De  Dictye-Soptimio  Vergilii 
imitatore,  Progr.  Dresden  1886,  —  Willi,  (ireif,  Die  mittelalterlichen  Bearbeitungen  der 
Trojanorsage.  Marburg  1886.  -  M'"  de  Queux  de  Saint-Hilairo,  Homere  dans  le 
mcyen-Age  occidcntal,  Annuiiire  de  rassoc.  14  (1880)  80     98. 


3.  Romantische  Dichtungen  über  antike  Stoffe.    (§  247—248.)  429 

2 .  Aus  byzantinischen  Quellen  stammen  verschiedene  slavischeTrojageschichten: 
Vgl.  Y.  Jagic,  Arch.  slav.  Philol.  7  (1884)  79  f.  —  A.  Veselovskij,  Die  altslavische 
Erzählung  vom  trojanischen  Kriege,  Arch.  slav.  Philol.  10  (1887)  27 — 42,  wo  noch  weitere 
Litteratur  zu  den  slavischen  Reflexen  der  Sage  verzeichnet  ist.  —  M.  Gaster,  Greeko- 
Slavonic,  London  1887  S.  101  ff. 

248.  Die  Ilias  des  Hermoniakos.  Im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts 
erhielt  ein  sonst  nicht  bekannter  Mann  namens  Konstantin  Hermoniakos 
CEQiiioviaxdg)  von  dem  epirotischen  Despoten  Johannes  II  Komnenos 
Angelodukas  (1323 — 1335)^)  den  Auftrag,  die  homerischen  Gedichte  von 
schwierigen  Wörtern  frei  zu  machen  und  in  eine  klare,  verständliche 
Sprache  zu  übertragen:  sTtQoaräx^r^v  tov  Ttf^svaai  \  ix  vag  SvaxoXovaag 
Xe^sig  I  TOV  '^Of.u^Qov  QuilxoSiag  \  dg  rcavxoiav  aaffrjVeiav,  \  im  t6  acctftg  ini- 
Tiav.  Die  volksgriechische  Bearbeitung  der  homerischen  Geschichten,  welche 
der  epirotische  Hofpoetaster  seinem  Gebieter  überreichte,  besteht  aus  8799 
achtsilbigen,  reimlosen,  trochäischen  Versen,  die  sich  auf  24  Rhap- 
sodien verteilen.  Die  Anfänge  der  Gesänge  sind  durch  eine  alphabetische 
Akrostichis  {A — i2)  verziert.  Die  erste  Rhapsodie  erzählt  von  der  Ab- 
stammung und  den  Lebensschicksalen  des  Homer  und  vom  Urteile  des 
Paris,  die  zweite  von  der  Sühnefahrt  des  Paris  zum  Heiligtum  des  Apollo 
und  seiner  Begegnung  mit  Helena,  die  dritte  von  dem  Raube  der  Helena 
und  den  Rüstungen  der  Griechen,  die  vierte  vornehmlich  von  der  äusseren 
Erscheinung  der  griechischen  Helden,  die  fünfte  von  dem  ersten  Kampfe 
zwischen  Griechen  und  Trojanern,  von  der  Herstellung  einer  Wurfmaschine 
u.  s.  w.  Das  letzte  Ereignis,  von  welchem  Hermoniakos  berichtet,  ist 
die  Rache  der  Hekabe,  die  Blendung  des  Königs  Polymestor  und  die  Er- 
mordung seiner  acht  Söhne.  Den  Epilog  bildet  eine  seltsame  Erörterung 
über  das  Werden  und  Wiesen  des  Menschen,  über  die  vier  Temperamente 
und  über  die  Gefahren,  Mühsale  und  Jammernisse  des  Lebens.  Schon 
nach  dieser  fragmentarischen  Inhaltsangabe  lässt  sich  erwarten,  wo  die 
Quellen  dieser  mittelgriechischen  Ilias  zu  suchen  sind.  Vor  der  klippen- 
reichen Sprache  des  echten,  alten  Homeros  hatte  der  gute  Hermoniakos 
wohl  ebenso  viel  Angst  als  sein  bildungsbedürftiger  Häuptling:  er  benützte 
daher  für  sein  Epos  nicht  die  Ihas  selbst,  sondern  die  Allegorien  und 
die  Carmina  Iliaca  des  Tzetzes,  den  er  auch  zitiert,-)  daneben  wohl 
noch  irgend  eine  Paraphrase  der  homerischen  Gesänge.  Dass  aber  Her- 
moniakos sogar  die  politischen  Verse  eines  Tzetzes  nicht  immer  begriff, 
beweisen  allerlei  Missverständnisse.  Litterarisch  und  ästhetisch  betrachtet 
steht  sein  Werk,  in  welchem  heroische,  biblische  und  mittelalter- 
liche Elemente  mit  einander  vermischt  sind,  3)  tief  unter  allem,  was  je 
ein  Byzantiner  an  wüster  Geschmacklosigkeit  geleistet  hat.  Die  Geburt 
eines  solchen  Monstrums  ist  kultur-  und  litterargeschichtlich  ein  Rätsel,  das 
sich  nur  durch  die  Annahme  eines  seltenen  Vereines  von  geistiger  Armut 
und  Roheit  sowohl  beim  Bearbeiter  als  beim  Besteller  erklären  lässt.    Das 


')  Ueber  diesen  Herrscher  vgl.  K.  Hopf, 
Ersch-  und  Gruber'sche  Enzyklopädie,  I.  Sekt. 
Bd.  85  S.  421;  429  und  G.  Schlumberger, 
Xumismatique  de  1  orient  latin,  Paris  1878 
S.  369. 

*)  S.  61,  59  ed.  Legrand. 


^)  ÄchUles  zieht  mit  einem  Heere  von 
Bulgaren,  Ungarn  und  Myrmidonen 
vor  Troja.  Die  Trojaner  bewerben  sich  durch 
eine  Gesandtschaft  um  die  Hilfe  des  Pro- 
pheten David;  erweist  sie  zurück,  weil  sie 
ihm  wegen  ihres  Heidentums  verdächtig  sind. 


430     Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    III.  Vulgärgriecli.  Litteratur.    1.  Poesie. 


ganze  Unternehmen  musste  schon  an  dem  Metrum  scheitern,  welches  sich 
der  Dichter  ausgewählt  hat;  während  die  Byzantiner  sonst  didaktische  und 
epische  Stoffe  ganz  passend  im  zwölfsilbigen  Trimeter  oder  in  dem 
volkstümlichen  politischen  Verse  behandeln,  verfiel  Hermoniakos  auf 
die  Idee,  die  trojanischen  Heldenthaten  in  einem  Masse  zu  besingen,  das 
sich  für  anakreontische  Lieder  und  für  Spottgedichte ')  eignen  mag,  nicht 
aber  für  ein  langes  Epos.  Da  nun  die  Monotonie  weder  durch  Reim  und 
Strophenabteilung,  noch  durch  den  Wechsel  zwischen  katalektischen  und 
akatalektischen  Versen  gemildert  wird,  entsteht  ein  Tonfall,  der  den  Leser 
quält  wie  das  nächtliche  Picken  einer  Schwarzwälderuhr.  Wären  die  Verse 
wenigstens  noch  gut  gebaut!  Hermoniakos  aber  erlaubt  sich,  um  seine 
Trochäen  zu  regulieren,  die  unerhörtesten  Accente  und  schüttet  in  die 
zahllosen  Lücken  ganze  Säcke  voll  sinnloser  Flickwörter  wie  yä^,  ovv,  re, 
äs'.^)  Wie  der  Epirote  auf  sein  Metrum  verfiel,  wissen  die  Götter;  doch 
ist  zu  vermuten,  dass  ihm  der  französische  Trojaroman  des  Benoit  de 
Sainte-More,  der  in  achtsilbigen  jambischen  Fableauxversen  abgefasst  ist, 
als  Vorbild  diente.  Bekanntschaft  mit  fränkischer  Poesie  wäre  im  14.  Jahr- 
hundert selbst  bei  einem  sonst  sehr  unwissenden  Griechen  nicht  im  min- 
desten auffallend.  Von  der  krausen  Sprache  des  Werkes  kann  man  sich 
aus  den  mitgeteilten  Proben  eine  Vorstellung  bilden;  für  die  geschichtliche 
Erforschung  des  Vulgärgriechischen  mag  das  Werk  immerhin  seinen  Nutzen 
behaupten,  nur  darf  man  nicht  vergessen,  dass  bei  der  Ausbeutung  dieses 
Sprachmaterials  die  grösste  Vorsicht  nötig  ist,  weil  viele  Seltsamkeiten 
zweifellos  nur  der  schrullenhaften  Gewaltthätigkeit  des  Verfassers  ihr  Da- 
sein verdanken.  Das  Schlimmste  an  dem  Werke  ist  der  völlige  Mangel 
alles  dessen,  was  man  poetische  Empfindung  und  Gestaltungskraft 
nennt;  das  ungeheuere  Gedicht  ist  vom  Anfang  bis  zum  Ende  eine  Poesie 
im  Stile  des  Pyramus  im  Sommernachtstraum:  „0  Nacht,  so  schwarz  von 
Färb',  o  rabenschwarze  Nacht!  0  Nacht,  die  du  immer  bist,  sobald  der 
Tag  vorbei."  Dass  es  dieser  Jammerilias  trotz  alledem  nicht  an  Lesern 
gefehlt  hat,  beweisen  die  drei  uns  erhaltenen  Handschriften  (zwei 
Pariser  und  eine  Leidener);  noch  im  Zeitalter  des  Humanismus  fand 
das  Werk  einen  Bewunderer  in  Nikolaos  Lukanis,  der  für  seine  1526 
zu  Venedig  gedruckte  Ilias  kein  besseres  Vorbild  zu  finden  wusste  als  den 
Konstantin  Hermoniakos. 

1.  Ausgaben:  Zuerst  edierte  umfangreiche  I*roben  (3044  Verse)  nach  einer  von 
Sp.  Zambelios  angefertigten,  fehlerhaften  Abschrift  des  cod.  Paris.  444  suppl.  gr.  Mauro- 
phrydes,  ^^Xoytj  S.  73 — 182.  —  Der  undankbaren  Mühe  einer  vollständigen  kritischen 
Ausgabe  unterzog  sich  E.  Legrand,  La  guerre  de  Troie  par  Const.  Hemioniacos,  Hibl.  gr. 
vulg.  V,  Paris  1890  (mit  einem  genauen  Variantenverzoichnis  der  drei  Handschriften  und 
einem  grammatischen  Index). 

2..  Die  erste  Ausgabe  der  Ilias  des  Nikolaos  Lukanis  (Venedig  1526)  ist  mit 
einer  Einleitung  von  K.  Sathas  wiederholt  von  E.  Legrand  Coli,  de  mon.  vol.  5  (1870). 
Doch  ist  das  Bändchen  leider  nur  unvollständig  im  Buchhandel  (XII,  112  Seiten),  weil  die 


')  Vgl.  §  206.  Die  beste  humoristische 
Verwendung  fanden  die  achtsilbigen  IVo- 
chäen  (doch  mit  dem  Wechsel  zwischen  aka- 
talektischen und  katalektischen  Versen)  in 
den  reizenden  Werken  von  Moritz  Busch. 

*)  Sein  Lieblingswort  ist  yäg.    Man  ver- 


nehme ein  Beispiel  (S.  7  ed.  Legrand): 
Orrwf  ßovXo^uai  xiyuj  yaQ 
//pdf  Ti^y  at'jy  ynQ  [inaiXeinr 
Kni  Tovi  VTiü  aov  ydq  SovXovi 
Tili  Tf  axoxeivtig  ydg  XiS$i( 
Tiji  'OfiijQOV  (5«i/'o»<f(«f  u.  8.  w. 


3.  Romantische  Dichtungen  tiher  antike  Stoffe.    (§  249—250.)  431 

Exemplare  des  zweiten  Heftes  im  Mai  1871  durch  eine  Feuersbrunst  zu  Grunde  gingen. 
Ueber  Lukanis  und  sein  Verhältnis  zu  Hermoniakos  s.  Legrand,  Bibliogr.  hell.  I 
(1885)  188—192. 

249.  Der  trojanische  Krieg,  nökfiiog  t/]c  Tgroädog.  Während  Her- 
moniakos seine  Ihas  wenigstens  noch  aus  griechischen  Quellen,  wenn  auch 
sehr  trüb  fliessenden,  geschöpft  hat,  fand  es  der  anonyme  Dichter  des 
trojanischen  Krieges  nicht  unter  seiner  Würde,  sich  die  Kenntnis  von  den 
homerischen  Geschichten  bei  einem  fränkischen  „Barbaren"  zu  holen.  Sein 
Werk  ist  nichts  anderes  als  eine  fast  wörtliche  Uebersetzung  des  berühmten 
altfranzösischen  Trojaromans  von  Benoit  de  Saint e-More.  Die  fränkische 
Quelle  verrät  sich  schon  in  den  seltsam  verunstalteten  Eigennamen  z.  B. 
"EqxovXsc,  Mc'coog  (Mars),  Kovßä  (Hecuba),  IlävxQovxXog,^)  auch  in  zahlreichen 
fränkischen  Appellativen  wie  r^äiinocc  (chambre)  u.  s.  w.  Das  Gedicht 
ist  in  reimlosen  politischen  Fünfzehnsilbern  abgefasst  und  gehört  wahr- 
scheinlich dem  14.  Jahrhundert  an. 

Bis  jetzt  sind  nur  einige  Proben  aus  cod.  Paris.  2878  (14.  Jahrhundert)  ediert  von 
Maurophrydes,  'Exkayr}  S.  183—211.  —  Ob  die  im  cod.  Vindob.  theol.  297  authe- 
wahrte  Tgonidce.  welche  W.  Wagner,  Carmina  S.  XllI  erwähnt,  mit  dem  Werke  des  Pa- 
risinus identisch  ist,  vermag  ich  nicht  zu  sagen.  Auch  in  einem  Codex  der  L'niversitäts- 
bibhothek  Bologna  soll  ein  ^^llgär-griechischer  Trojaroman  stehen.  —  Vergleichung 
des  Parisinus  mit  Benoit  de  Sainte-More  von  Ch.  Gidel,  Etudes  sur  la  litt.  gr.  mod. 
S.  197—229. 

250.  Achilleis.  Diese  romantisch  umkleidete  Lebensgeschichte 
des  homerischen  Helden  ist  in  zwei  stark  von  einander  abweichenden 
Bearbeitungen  überliefert;  die  kürzere  umfasst  761,  die  ausführliche 
1820  reimlose  politische  Verse.  Trotz  des  verschiedenen  Umfanges  ist  der 
Gang  der  Handlung  derselbe;  es  finden  sich  in  beiden  dieselben  Episoden 
und  sogar  viele  identische  Verse.  Das  längere  Gedicht  ist  offenbar  eine 
ausschmückende  Ueberarbeitung  des  kürzeren.  Ich  skizziere  den  Inhalt 
nach  der  ausführlicheren  Redaktion:  Dem  mächtigen  König  des  Myrmi- 
donenlandes  wird,  nachdem  er  mit  seiner  Gattin  12  Jahre  in  kinderloser 
Ehe-')  verlebt  hatte,  ein  Sohn  geboren,  der  den  Namen  Achilles  erhält; 
er  wird  wohl  erzogen  und  in  allen  Wissenschaften  unterrichtet.  Im  Alter 
von  8  Jahren  vollendet  er  seine  Studien  und  widmet  sich  von  nun  an 
ritterlichen  Künsten;  in  einem  Turnier  besiegt  er  mit  vorgeschlagenem 
Visier  seine  Gegner.  Eines  Tages  wird  gemeldet,  dass  ein  fremder  Fürst 
das  Land  bedroht.  Achilles  zieht  mit  12  auserlesenen  Rittern  in  den 
Kampf,  erblickt  Polyxene,  die  schöne  Tochter  des  feindlichen  Königs,  und 
gewinnt  ihr  Herz  durch  Liebesbillete  {nirTäxia)-,  es  folgt  Versöhnung  und 
fröhhche  Hochzeit.  Beim  Vermählungsfeste  überwindet  ein  fränkischer 
Edelmann  alle  Ritter  des  Achilles,  auch  den  Patroklos,  wird  aber  zuletzt 
von  Achilles  aus  dem  Sattel  geworfen.  Nach  6  Jahren  glücklicher  Ehe 
stirbt  Polyxene.  Ein  Jahr  nach  diesem  Unglück  zieht  Achilles  mit  den 
Myrmidonen  in  den  Krieg  gegen  Troja.  Paris  verspricht  ihm  seine 
Schwester  zur  Frau  zu  geben,  damit  zwischen  den  Trojanern  und  Griechen 
Friede  werde ;  Achilles  glaubt  seinen  Worten,  wu-d  aber  in  der  Kirche  zu 


')  Diese  Form  findet  sich  jedoch  auch 
in  der  Achill  eis,  weshalb  vielleicht  an 
volksetj-mologischen  Einfluss  zu  denken  ist. 


^)  Ein  beliebtes  Romanmotiv,  das  z.  B. 
auch  in  der  Erzählung  von  Flore  und 
Blancheflore  vorkommt. 


432     Byzantinische  Litteratnrgescliichte.    m.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

Troja,  wo  er  mit  der  versprochenen  Maid  getraut  zu  werden  hoffte,  von 
Paris  und  Deiphobos  überfallen  und  meuchlings  ermordet.  Der  Dichter 
nennt  noch  Homer,  Aristoteles  und  Plato  als  seine  Quellen  und  schliesst 
mit  einer  moralischen  Betrachtung  des  irdischen  Glückes. 

Das  antike  Kolorit  ist  in  der  Achilleis  noch  mehr  verwischt  als  in 
den  oben  genannten  Trojageschichten.  Wenn  man  die  griechischen  Namen 
wegnimmt,  so  bleibt  ein  höfisches  Romangedicht  übrig  mit  der  üb- 
lichen Schilderung  von  Turnieren,  sittsamen  Jungfrauen,  Palästen  und 
Gärten,  dazu  das  acht  byzantinische  Beiwerk  einer  goldenen  Platane  mit 
automatischen  Vögeln;  ein  mittelalterliches  Motiv  ist  auch  die  Zwölfzahl 
der  auserlesenen  Ritter  des  Achilles,  die  seine  Geheimnisse  teilen  und  in 
der  Not  sich  um  ihn  scharen  (König  Artus).  Uebrigens  ist  die  Beschrei- 
bung der  Orte  und  Personen  ziemlich  nebelhaft;  nur  durch  die  häufige 
Erwähnung  der  Franken,  fränkischer  Ritter  und  fränkischer  Sitten  ent- 
steht ein  verschwommenes  Lokalkolorit.  Eine  unmittelbare  Vorlage 
des  Werkes  scheint  nicht  bekannt  zu  sein;  einige  Züge  weisen  auf  Malalas 
als  Quelle  zurück,  so  der  Name  Polyxene  und  die  Erzählung  von  der  be- 
absichtigten Vermählung  des  Achilles  mit  der  Schwester  des  Paris  *).  Doch 
ist  nicht  sicher,  ob  der  Verfasser  den  Malalas  selbst  benützt  hat.  An 
Geschmack  und  poetischer  Kraft  steht  die  Achilleis  hoch  über  den  zwei 
oben  genannten  Trojageschichten ;  namentlich  sind  manche  der  eingestreuten 
Liebesbillete  wahr  empfunden  und  gut  ausgeführt.  Der  volksmässige  Ton 
kommt  in  der  Einführung  des  Totengottes  Charon  (V.  1624)  und  in  der 
Scliilderung  vom  Mitleide  der  Nachtigall  (V.  1063  ff) 2)  glücklich  zum 
Ausdrucke.  Für  die  Erkenntnis  des  Grundcharakters  des  Gedichtes  ist 
namentlich  die  unverkennbare  Aehnlichkeit  des  Achilles  mit  dem  rho- 
mäischen  Nationalhelden  Digenis  Akritas  zu  beachten;  die  wichtigsten 
Züge  sind  beiden  gemeinsam,  das  wunderbar  schnelle  Wachstum,  die 
jugendlichen  Heldenthaten,  der  frühe  Tod  der  Gemahlin  und  des  Helden 
selbst.  Nach  seinem  inneren  Gehalte  ist  das  Werk  trotz  der  homerischen 
Namen  mit  dem  Akritenzyklus  und  den  Märchenromanen  enger  verwandt 
als  mit  den  Trojageschichten.  Die  Abfassungszeit  der  Achilleis  ist  un- 
bekannt; doch  stammen  wahrscheinlich  beide  Bearbeitungen  aus  dem  14. 
Jahrhundert. 

Ausgaben:  Die  kürzere  Version  (des  cod.  Bodleianus)  ed.  K.  Satlias,  Annuaii. 
de  l'assoc.  LS  (1879)  126—175.  —  Die  umfangreichere  edierte  nach  einem  cod.  Neapol.. 
doch  ohne  Benützung  einer  dasselbe  Werk  enthaltenden  Handschrift  im  British  Museum 
W.  Wagner,  Trois  poämes  gr.  S.  1 — 55. 

251.  Der  Alexanderroman.  Die  Entstehungs-  und  Entwickelungs- 
geschichte  der  Alexandersage  ist  etwas  genauer  bekannt  als  die  der  troja- 
nischen Humbuglitteratur.  Unter  dem  Namen  des  gelehrten  Kallisthenes. 
der  eine  berühmte,  uns  leider  fast  vollständig  verlorene  Geschichte  der 
Kriegszüge  Alexanders  des  Grossen  verfasst  hat,  wurde  eine  apokryphe 
Alexandergeschichte  in  Umlauf  gebracht,   deren   Kern  wahrscheinlich 

')  Malalas  ed.  Bonn.  S.  130  f.  I   Rolle.     Vgl.  A.  Luber.    Die  Vögel   in   den 

*)  Die  Teilnalime   der  Vögel    an    den  historischen  Liedern  der  Neugriochen,  Progr. 

Cieschicken  der  Menschen  spielt  noch  in  der  Salzburg  1882. 

neugriechischen  Volkspoesie  eine  erhebliche  | 


3.  Romantische  Dichtungen  über  antike  Stoffe.    (§  251.)  433 

in  der  Ptolemäerzeit  zu  Alexandria  entstanden  ist;  später,  besonders  im 
Anfang  des  3.  Jahrhunderts  n.  Chr.,  erfuhr  die  Geschichte  des  Pseudo- 
Kallisthenes  weitere  Umarbeitungen  und  alsbald  auch  verschiedene  Ueber- 
setzungen.  Die  griechische  Fassung  des  Werkes  ist  in  drei  Versionen 
überliefert,  einer  alten,  welche  der  Urform  am  nächsten  kommt,  und  zwei 
jüngeren,  durch  Zusätze  und  Interpolationen  entstellten.  Daran  reihen  sich 
die  lateinische  Uebertragung  des  Julius  Valerius,  die  vor  340,  wahr- 
scheinlich im  Anfang  des  4.  Jahrhunderts  abgefasst  ist,  eine  armenische 
Uebersetzung  aus  dem  5.,  spätestens  6.  Jahrhundert,  die  dem  ursprüng- 
lichen Pseudo-Kallisthenes  wohl  am  nächsten  steht  und  schon  von  Moses 
von  Khoren  benützt  ist,  endlich  eine  syrische  Bearbeitung,  die  viel- 
leicht ebenfalls  dem  5.  Jahrhundert  angehört.  Die  lateinische  Uebertra- 
gung des  Julius  Valerius  wurde  später  fast  völlig  verdrängt  durch  eine 
zweite  lateinische  Bearbeitung,  die  sogenannte  Historia  de  preliis, 
welche  in  der  ersten  Hälfte  des  10.  Jahrhunderts  der  Archipresbyter 
Leo,  unabhängig  von  Julius  Valerius,  aus  einem  griechischen  Texte  ge- 
schöpft hat.  Sein  Werk,  in  welchem  sich  der  occidentalische  Geist  des 
10.  Jahrhunderts  treu  widerspiegelt,  wurde  mit  Beifall  aufgenommen  und 
in  zahlreichen  Uebersetzungen  über   das  ganze  Abendland  verbreitet. 

Wie  bei  den  Romanen  und  Germanen,  so  wurde  auch  bei  den 
Griechen  der  ursprüngliche  Text  des  Pseudo-Kallisthenes  modernisiert, 
d.  h.  dem  veränderten  Geschmack  und  Bedürfnis  des  Mittelalters  angepasst. 
Eine  mittelgriechische  Bearbeitung  der  Alexandersage  in  6117  reim- 
losen politischen  Versen  ist  in  dem  schönen,  aus  der  Bibliothek  des  Kar- 
dinals Bessarion  stammenden  cod.  Marcianus  408  aufbewahrt.  Die 
Handschrift  ist,  wie  in  drei  Versen  am  Schlüsse  vermerkt  wird,  im  Jahi-e 
1388  geschrieben;  die  Abfassung  des  Gedichtes  selbst  dürfte  nicht  viel 
früher,  jedenfalls  nicht  vor  dem  14.  Jahrhundert  erfolgt  sein.  Der 
unbekannte  Verfasser  beweist  Geschmack  und  ein  erhebliches  Talent  für 
anschauliche  Darstellung.  Seine  Sprache  ist  fliessend,  wird  aber  durch 
die  verunglückte  Nachahmung  altgriechischer  Konstruktionen  und  Formen 
zuweilen  fehlerhaft.  Leider  ist  die  einzige  Ausgabe  unzuverlässig  und 
namentlich  für  sprachliche  Detailforschung  nur  mit  grösster  Vorsicht  zu 
verwerten.  Eine  zweite  vulgärgriechische  Bearbeitung,  die  viel- 
leicht von  Markos  Depharanas  stammt,  ist  als  venezianisches  Volks- 
buch öfter  gedruckt  worden. 

1.  Ausgaben:  Das  Alexanderlied  des  cod.  Marc.  ed.  W.  Wagner,  Trois  po6mes 
gr.  S.  56—241.  —  Die  ersten  800  Verse  ed.  gleichzeitig  E.  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  II 
(1881)  S.  XXXV— LIX.  —  Die  zweite  Bearbeitung  erschien  zuerst  Venedig  1529;  dann 
ebenda  1553.  Vgl.  Legrand,  Bibliogr.  hell.  1  (1885)  205;  286  ff.  —  St.  Kapp,  Mittei- 
lungen aus  griechischen  Handschriften  als  Beitrag  zur  Geschichte  der  Alexandersage  im 
Mittelalter,  Progr.  Wien  1872. 

2.  Allgemeine  Hilfsmittel:  Zum  altgriechischen  Ps.-Kallisthenes :  W.  Christ, 
Griech.  Litteraturgesch.  ^  §  555.  —  Zu  Julius  Valerius:  W.  S.  Teuffei,  Geschichte 
der  römischen  Litteratur  "  (1882)  §  399.  —  Zu  den  orientalischen  Bearbeitungen:  Th. 
Nöldeke,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Alexanderromans,  Denkschriften  der  Wiener  Akad., 
phil.-hist.  Cl.  38  (1890).  —  Zur  armenischen  Bearbeitung:  J.  Gildemeister,  Pseudo- 
kallisthenes  bei  Moses  von  Khoren,  Zeitschrift  der  deutschen  morgenländ.  Gesellschaft  40 
(1886)  88  f.  —  Zu  den  französischen,  englischen  und  deutschen  Bearbeitungen: 
Th.  Grässe,  Lehrbuch  einer  allgemeinen  Literärgeschichte  II  3  (1842)  435—456.  — 
Gaston  Paris,  La  litt.  fran9aise  au  moyen  äge,  Paris  1888  S.  74  ff.;  251.  —  H.  P.  Junker, 

Handbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.  IX.     1.  Abtlg.  28 


434     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    M.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1,  Poesie. 

Grundriss  der  Greschichte  der  französischen  Litteratur,  Münster  1889  S.  85  f.  —  Gust. 
Körting,  Grundriss  der  Geschichte  der  englischen  Litteratur,  Münster  1887  S.  112  f.  — 
Karl  Goedeke,  Grundriss  zur  Geschichte  der  deutschen  Dichtung  I-  (1884)  S.  59  f.  — 
Auch  Boccaccio  scheint  eine  Version  des  Alexanderromans  benützt  zu  haben;  S.Marcus 
Landau,  Die  Quellen  des  Dekameron,  Stuttgart  1884  S.  293  ff.  —  Ch.  Gidel,  La  legende 
d'Aristote  au  moyen  äge,  Nouvelles  etudes  sur  la  litt.  gr.  mod.,  Paris  1878  S.  321—384.  — 
W.  Hertz,  Aristoteles  in  den  Alexanderdichtungen  des  Mittelalters,  Abhandl.  d.  bayer. 
Akad.  d.  Wiss.  L  Gl.  19.  Bd.  1.  Abt.  (1890).  —  Hauptschrift:  Jul.  Zacher,  Pseudo- 
kallisthenes,  Halle  1867. 

3.  Eine  besondere  Beachtung  verdienen  hier  die  zum  grössten  Teil  von  Byzanz  aus- 
gegangenen slavischen  und  rumänischen  Bearbeitungen:  A.  Veselovskij,  Zur  bul- 
garischen Alexandersage,  Arch.  slav.  Phil.  1  (1876)  608—611.  Desselben  Bemerkungen, 
Arch.  slav.  Phil.  8  (1879)  572.  Desselben:  Die  Wunderepisode  der  mittelgriechischen 
Alexandreis,  Arch.  slav.  Phil.  11  (1888)  327—343  (über  eine  altserbische  Bearbeitung 
mit  Proben  einer  mittelgriechischen  Prosaversion).  —  Einen  altserbischen  Text 
des  Alexanderromans  ed.  St.  Novakoviö,  Belgrad  1878.  Vgl.  den  Bericht  von  V.  Jagiö, 
Arch.  slav.  Phil.  3  (1879)  734.  —  Ueber  eine  Ausgabe  altböhmischer  Alexanderfrag- 
mente vgl.  V.  Jagiß,  Arch.  slav.  Phil.  5  (1881)  669  ff.  —  Zum  bulgarisch-sloveni- 
schen  Texte:  P.  Syrku  und  V.  Jagiö,  Arch.  slav.  Phil.  7  (1884)  78—88.  —  Einen 
russischen  Alexanderroman  ed.  die  russische  Gesellschaft  der  Bibliophilen,  Peters- 
burg 1880—1886,  Nr.  67;  87.  —  Hauptwerk  über  die  slavischen  Bearbeitungen:  A.  Ve- 
selovskij, Zur  Geschichte  des  Romans  und  der  Erzählung  1  (Petersburg  1886)  131—511 
(Russ.).  Hier  wird  u.  a.  eine  ausführliche  Analyse  und  Quellenuntersuchung  der  serbi- 
schen Version  gegeben  und  auch  der  Wiener  Text  der  mittelgriechischen  Alexandreis 
zum  ersten  Male  vollständig  mitgeteilt.  Als  unmittelbare  Vorlage  des  serbischen  Romans 
diente  wahrscheinlich  nicht  eine  byzantinische  Version;  vielmehr  weisen  manche  Spuren 
auf  Vertrautheit  des  Verfassers  mit  der  Litteratur  der  westlichen  Romantik,  so  dass  wohl 
an  Vermittelung  oder  Beeinflussung  irgend  einer  abendländischen  Version  in  der  Art  der 
Historia  de  preliis  zu  denken  ist.  Vgl.  V.  Jagic,  Arch.  slav.  Phil.  10  (1887)  233—243. 
—  Ueber  eine  rumänische  Bearbeitung  handelt  M.  Gaster,  Literatura  populara  romana, 
Bukarest  1883  S.  7-31.    Vgl.  desselben:  Greeko-Slavonic,  London  1887  S.  97  ff. 

252.  Apollonios  von  Tyros  ist  der  Held  eines  griechischen 
Romans,  der  höchst  wahrscheinlich  im  3.  Jahrhundert  n.  Chr.  entstanden 
ist.  Das  Werk  zeigt  in  Anlage  und  Inhalt  grosse  Verwandtschaft  mit  den 
Sophistenromanen,  besonders  mit  dem  des  Xenophon  Ephesios,  dem 
es  vielleicht  sogar  als  Vorbild  gedient  hat.  Statt  des  zweifellos  verlorenen 
griechisch-heidnischen  Originals  haben  wir  eine  mit  christlichen  und  spät- 
römischen Elementen  versetzte  lateinische  Bearbeitung,  die  spätestens 
im  Anfang  des  6,  Jahrhunderts  entstanden  ist.  Im  Mittelalter  wurde  der 
lateinische  Apolloniusroman  zu  einem  beliebten  Volksbuch,  das  sich 
fast  alle  Nationen  aneigneten.  Damals  kehrte  die  Erzählung  vom 
Abendlande  nach  dem  griechischen  Osten  zurück,  wo  längst 
jede  Spur  des  alten  Originalwerkes  verloren  gegangen  war.  Der 
vulgärgriechische  Apolloniosroman  ist  in  zwei  metrischen  Bearbeitungen 
erhalten:  1.  Die  ältere,  wohl  dem  Ende  des  14.  oder  dem  Anfang  dos 
15.  Jahrhunderts  angehörige  Version  (857  reimlose  politische  Verse)  steht 
im  cod.  Paris.  390  und  ist  betitelt:  MezayXwvTia/ia  arco  Aativixov  eig 
'^Po}}imxöv.  Jirjrioig  nokvTiaO^ovg  'AttoXXcoviuv  tov  Ti'qov.  In  der  That  ist 
das  Gedicht  nach  dem  lateinischen  Texte  gearbeitet  und  zwar  nach  der 
Rezension  {B")  der  Historia  Apollonii  regis  Tyrii  (ed.  A.  Riese,  Leipzig 
1871),  welche  am  besten  durch  die  Tegernseer  Fragmente  vertreten  wird.') 
2.   Die  zweite  Bearbeitung,    die  gegen   das  Ende  des   15.  Jahrhundorts 


')  Vgl.   L.  Traube,   Neues  Archiv  d.   1  künde  10  (1884)  382. 
QesellHchaft   f.  ältere   deutsche   Geschieht«-   ] 


3.  Romantische  Dichtungen  über  antike  Stoffe.    (§  252—253.)  435 

entstanden  ist,  unterscheidet  sich  von  der  ersten  durch  eine  breitere  Dar- 
-tellung  und  durch  die  Anwendung  des  Reimes  (1894  politische  Verse). 
^le  wird  in  der  neueren  Litteratur  bald  einem  gewissen  Gabriel  Kon- 
tianos,  bald  einem  Konstantin  Temenos  zugeschrieben;  in  der  That 
sind  aber  beide  höchst  wahrscheinlich  nur  Kopisten  des  Werkes.  ^)  Wenn 
nun  die  Apolloniosgeschichte  noch  heutigestags  an  der  kleinasiatischen 
Küste  im  Munde  des  Volkes  lebt,^)  so  ist  darin  nicht  etwa  ein  direkter 
Keflex  des  altgriechischen  Romans,  sondern  einfach  eine  Reminiszenz  an 
das  beliebte,  seit  dem  16.  Jahrhundert  in  venezianischen  Drucken  ver- 
breitete vulgärgriechische  Volksbuch  zu  erblicken.') 

1.  Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Die  ältere  Version  edierte  zuerst  W.  "Wagner, 
Medieval  gr.  texts  S.  57—104  (nach  einer  fehlerhaften  Abschrift  des  codex  Paris.).  — 
Besser  nach  einer  genauen  Kollation  von  E.  Legrand  ed.  W.  Wagner,  Carmina 
S.  248 — 276.  -  Die  gereimte  Version  erschien  in  der  gewöhnlichen  Ausstattung  der  vene- 
zianischen Volksbücher,  Venedig  1534,  1553  und  öfter.  —  Vgl.  E.  Legrand,  Bibliogr. 
hell.  I  289  S.  —  Die  reiche  Litteratur  zum  lateinischen  Apollonius  imd  den  sonstigen 
abendländischen  Bearbeitungen  verzeichnen:  Th.  Grässe,  Lehrbuch  einer  allgemeinen 
Literärgeschichte  U  3  (1842)  457—460,  W.  S.  Teuffei,  Geschichte  der  römischen  Litte- 
ratur *  (1882)  §  489  und  Karl  Goedeke,  Grundriss  zur  Geschichte  der  deutschen  Dich- 
tung r-  (1884)  S.  367  f.  —  Analyse  des  Romans  bei  E.  Rohde,  Der  griechische  Roman 
S.  408  ff. 

_2.  W.  Wagner  bemerkt  im  Liter.  Centralbl.  1876  S.  18,  er  habe  in  der  Academy 
4,  147  nachgewiesen,  dass  der  vgr.  Apollonios  in  Cypern  entstanden  sei.  Da  sich 
Wagner  selbst  falsch  zitiert,  weiss  ich  nicht,  worauf  er  seine  Annahme  stützt.  Mit  sprach- 
lichen Momenten  dürfte  sich  beim  g.egenwärHgen  Stand  der  Dialektforschung  ein  solcher 
Nachweis  schwerlich  überzeugend  durchführen  lassen. 

253.  Der  Belisarroman.  Kein  griechischer  Feldherr  nach  Alexander 
dem  Grossen  war  mehr  geeignet  eine  volkstümliche  Person  zu  werden 
als  Belisar.  Wie  er  durch  einen  kühnen  Handstreich  den  blutigen  Auf- 
stand der  Parteien  erstickte,  wie  er  im  raschen  Sturmlauf  das  Vandalen- 
reich  zertrümmerte,  wie  er  Sizilien  und  Italien  eroberte,  wde  er  den  ge- 
fürchteten Perserkönig  überwältigt«  und  wie  er  zuletzt  den  Verleumdungen 
der  Höflinge  unterlag  und  bei  Justinian  in  Ungnade  fiel,  all  das  musste 
sich  den  Zeitgenossen  gewaltig  ins  Gedächtnis  prägen  und  bei  den  Nach- 
kommen in  ausschmückender  und  übertreibender  Erzählung  fortleben.  Doch 
konnte  seine  Geschichte  nicht  mehr  wie  die  der  homerischen  Helden  und 
Alexanders  zum  Gemeingut  des  ganzen  Mittelalters  werden.  Als  man 
anfing,  den  Belisar  als  nationalen  Helden  zu  feiern,  hatte  sich  die  grie- 
chische Ostwelt  vom  romanischen  und  germanischen  Westen  in  Sprache, 
Sitte  und  Lebensart  schon  weit  abgesondert;  so  blieb  diesem  Stoffe  die 
Latinisierung  und  damit  die  Verpflanzung  auf  den  abendländischen 
Kulturboden  versagt.  Um  welche  Zeit  sich  die  volksmässige  Sage  der 
Heldengestalt  des  oströmischen  Heerführei-s  bemächtigte,  ist  nicht  bekannt. 
Die  Erzählung,  dass  Belisar  von  Justinian  geblendet  worden  sei  und  dann 
sein  Brot  gebettelt  habe,   findet   sich   zuerst   in   den  JlävQia  rrjg  rrö/.swg,*) 

')  Vgl.  E.  Legrand,    Bibliogr.   hell.  I  !  »)  Dieser  Sachverhalt  ist  richtig  erkannt 

(1885)  290,   wo  zu   berichtigen  ist,   dass  im   ;   von  B.  Schmidt,  Griechische  Märchen,  Sa- 


cod.  Ambros.  Y  89  sup.  der  Name^  nicht 
Axovxiüvog,  sondern  'Axoiiävog  {yavQirjX  axo- 
riäyo))  lautet. 

^)  J.  G.  V.  Hahn,  Griechische  und  alba- 
nesische  Märchen  I  273  ff.  und  U  250  ff. 


gen  und  Volkslieder,  Leipzig  1877  S.  7. 

*)  Georgios  Kodinos,  De  Signis,  ed. 
L  Bekker  (Bonn  1843)  S.  29.  VgL  S.  167 
unseres  Abrisses. 


28^ 


436     Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    HI.  Vnlgärgriech.  Litteratnr.    1.  Poesie. 


welche  unter  Kaiser  Alexios  Komnenos  (1081 — 1118)  aus  älteren  Quellen 
zusammengestellt  wurden,*)  dann  mit  einer  Modifikation  bei  Tzetzes,^)  der 
jedoch  ausdrücklich  bemerkt,  dass  „andere  Chronisten"  von  der  Blendung 
des  Belisar  nichts  wissen.  Die  uns  erhaltenen  Belisargeschichten  gehören 
jedenfalls  erst  dem  15.  und  16.  Jahrhundert  an,  und  auch  ihre  Vorlage 
kann  nicht  vor  der Paläologenzeit  entstanden  sein;  das  beweisen  die  V.  296  ff. 
der  ältesten  Version  angeführten  Namen  byzantinischer  Edelleute, 
die  ganz  ähnlich  in  der  zweiten  und  dritten  Version  wiederkehren,  und 
die  ebenfalls  allen  drei  gemeinsame  moralische  Schlussbetrachtung 
über  die  verderblichen  Wirkungen  der  unter  den  Rhomäern  herrschenden 
Zwietracht,  welche  dem  ungestümen  Volke  der  Türken  zu  gute  komme. 
Immerhin  bleibt  die  Annahme  offen,  dass  es  ältere  Formen  der  Belisar- 
geschichte  gegeben  habe,  die  dann  durch  die  uns  erhaltenen  Neubearbei- 
tungen völlig  überdeckt  und  verdrängt  worden  wären. 

Das  abwechselnde  Obsiegen  und  Unterliegen  des  verleumderischen 
Neides  der  Höflinge,  die  Undankbarkeit  und  spätere  Reue  des  Kaisers, 
der  jähe  Sturz  menschlichen  Glückes  waren  offenbar  höchst  ergiebige 
Motive,  die  von  einem  geschickten  Darsteller,  wie  der  einst  so  beliebte 
Roman  Marmontels^)  beweist,  zu  einem  wirksamen  Ganzen  verarbeitet 
werden  konnten.  In  der  vulgärgriechischen  Erzählung  sind  die  Vorteile 
des  Stoffes  nicht  genugsam  ausgebeutet.  Es  folge  eine  Skizze  des  Inhalts 
der  ältesten  Version:  Die  Höflinge  verleumden  den  tapferen  Belisar.  Er 
wird  drei  Jahre  in  einen  dunkeln  Turm  gesperrt.  Um  diese  Zeit  rüstet 
der  Kaiser  eine  Flotte  gegen  einen  fernen  Feind.  Die  Grossen  des  Reiches 
streiten  sich  um  den  Oberbefehl,  das  Volk  aber  rottet  sich  zusammen  und 
verlangt,  dass  Belisar  zum  Heerführer  gewählt  werde.  Der  Kaiser  ge- 
horcht. Belisar  segelt  gegen  England  (EyyhiTkQo),  lässt  die  Schiffe  hinter 
sich  verbrennen,  erobert  das  Kastron  von  England,  nimmt  den  König  ge- 
fangen und  kehrt  mit  Beute  beladen  nach  Konstantinopel  zurück.  Von 
neuem  beschuldigen  ihn  seine  Feinde  des  Hochverrats.  Der  Kaiser 
glaubt  ihnen  und  lässt  Belisar  blenden.  Bald  kommt  das  Reich  durch 
die  Perser  und  Sarazenen  in  grosse  Gefahr.  Da  gibt  der  Kaiser  dem 
Sohne  des  Belisar,  Alexis,  den  Oberbefehl,  und  dieser  überwindet  die 
Feinde. 

Bis  jetzt  sind  drei  Versionen  dieser  Geschichte  bekannt  geworden: 
Die  älteste  (556  reimlose  politische  Fünfzehnsilber)  steht  im  cod.  Vindob. 
theol.  297;  die  zweite  (840  mit  Ausnahme  der  Schlusspartie  reimlose 
Fünfzehnsilber)  stammt  von  dem  rhodischen  Dichter  Emmanuel  Geor- 
gillas  (s.  §  244);  die  dritte  (997  gereimte  Fünfzehnsilber)  überliefern 
mehrere  Venezianer  Drucke  und  eine  im  Besitze  von  E.  Legrand  befind- 
liche Handschrift.     Alle   drei  Bearbeitungen   stimmen   im  Gange  der  Er- 


')  Darnach  ist  die  Angabe  von  L.Ranke, 
Weltgeschichte  IV  2  (1883)  91,  zu  berichtigen. 

^)  Chiliaden  III  339  ff.  Weniger  kri- 
tisch als  Tzetzes  hält  Lord  Mahon  in 
seinem  weitschweifigen  Buche:  The  life  of 
lielisanuH,  London  1829,  die  Blendung  und 
dos   Bettlertum   des   Belisar   fUr   historische 


Wahrheit. 

*)  Auf  Marmontels  Bölisaire,  der  boi 
seinem  Erscheinen  (1767)  das  grösste  Auf- 
sehen erregte,  beruht  die  spätere  Verwer- 
tung dos  Stoffes  durch  Dramatiker  (E.  v. 
Schenk),  Komponisten  (Donizetti),  Maler  (Da- 
vid) und  Bildhauer. 


3.  Romantische  Dichtungen  über  antike  Stoffe.   (§  253.)  437 

Zählung   und   in   der   gesamten    Auffassung   überein    und  hängen   offenbar 

genealogisch   aufs   engste   zusammen,   obschon   eine  genauere  Bestimmung 

ihres  gegenseitigen  Verhältnisses  noch  fehlt. 

Ausgaben:  Die  älteste  Version  ed.  W.  Wagner,  Progr.  Hamburg  1873.  —  Die 
des  Georgillas  ed.  Allen  Giles,  Oxford  1843  (fast  unzugänglich,  weil  nur  in  60  Exem- 
plaren abgezogen).  Dann  W.  Wagner,  Medieval  gr.  texts  S.  110 — 140.  —  Die  gereimte 
Version  erschien  als  venezianisches  Volksbuch,  Venedig  1548,  1554,  1562  (und  wohl  öfter). 
S.  E.  Legrand,  Bibliogr.  hell.  I  (1885)  281;  296;  II  (188-5)  190.  —  Sammelausgabe 
der  drei  Versionen  von  W.  Wagner.  Carmina  S.  304—378. 


4.  Romantische  Dichtungen  über  mittelalterliche, 
zum  Teil  abendländische  Stoffe. 

254.  Vorbemerkung.  Ich  fasse  in  diesem  Abschnitte  einige  roman- 
hafte Dichtungen  zusammen,  die  teils  auf  einheimische  Märchenstoffe  zurück- 
gehen, teils  aus  fränkischen  Vorbildern  stammen,  teils  von  zweifelhafter 
Herkunft  sind.  Ihr  gemeinsames  Merkmal  ist  der  rein  mittelalterliche, 
romantische  Charakter  des  Stoffes  und  der  Behandlungsweise.  Der  kul- 
turelle Untergrund,  der  diese  ritterlichen  und  märchenhaften  Erzäh- 
lungen bei  den  Griechen  erzeugte  oder  wenigstens  ihre  Verbreitung  be- 
förderte, ist  in  den  lateinischen  Herrschaften  zu  suchen,  die  seitdem 
vierten  Kreuzzuge  in  den  Waldgebirgen  von  Livadien  und  Morea,  auf  den 
liebreizenden  Inseln  des  Archipelagus  und  in  den  üppigen  Niederungen  der 
kleinasiatischen  Küste  allenthalben  emporwuchsen;  hier  war  ein  reiches 
Lebensgebiet,  voll  von  kühnen  Abenteuern,  wundersamen  Glücksfällen  und 
tragischen  Geschicken,  ein  Märchenland,  wo  fahrende  Ritter  wie  Lybistros 
auszogen  und  sich  schöne  Fürstentöchter,  stolze  Burgen  und  Kronen  er- 
oberten. Dass  die  Byzantiner  im  späteren  Mittelalter  sich  einige  abend- 
ländische Erzählungstoffe  angeeignet  haben,  ist  zweifellos  (s.  g§  258 
bis  260).  Viel  schwieriger  ist  die  umgekehrte  Frage,  inwieweit  mittel- 
alterliche Erzählungen  des  Abendlandes  auf  spätgriechische  oder  byzan- 
tinische Quellen  zurückgehen.  E.  Rohde ')  hat  die  Vermutung  ausge- 
sprochen, dass  der  Geschichte  des  Boccaccio  von  Galeso  und  Efigenia 
(Novelle  5,  1)  ein  griechisches  Original  Kvnqiaxä  zu  Grunde  liege.  Gautier 
von  Arras  hat  für  sein  Gedicht  Eraclius  ein  uns  verlorenes  byzantini- 
sches Original  benützt  (s.  §  216).  Für  manche  Stoffe  sind  spätgriechisch- 
byzantinische  Vorbilder  wenigstens  wahrscheinlich. 2)  Selbst  die  scheinbar 
echt  germanische  Tierfabel  stammt  vielleicht   aus  dem  Osten  (s.  §  261). 

Die  Hauptschriftcn  für  diesen  Abschnitt  sind  die  S.  394  angeführten  Bücher  von 
Ch.  Gidel,  der  jedoch  in  einer  Art  von  wissenschaftlichem  Patriotismus  bei  seiner  Unter- 
suchung für  die  Landsleute  möglichst  viel  herauszuschlagen  sucht  und  selbst  offenbar  grie- 
chische oder  ganz  allgemein  verbreitete  Dingo  als  französisches  Urbesitztum  reklamiert. 
Eine  objektive  Erforschung  der  gesamten  abendländisch-byzantinischen  Tausch-  und 


')  Der  griechische  Roman  S.  538  ff.  |  Hier  kann    auf  diese    verwickelten    Fragen, 

')  Einiges     berührt     Cholevius,     Ge-  |  an    denen    die   byzantinische    Litteratur   nur 

schichte   der   deutschen   Poesie    nach    ihren  |  indirekt  beteiligt  ist,  nicht  näher  eingegangen 

antiken  Elementen,   2  Teile,   Leipzig   1854.  |  werden. 


4.  Romantische  Dichtungen  üb.  mittelalterl.,  z.  T.  abendländ.  Stoffe.  (§  254—255.)     4,39 

Lehnlitteratur,  bei  der  man  sich  jetzt  auf  weit  zahlreichere  und  bessere  Texte  stützen 
könnte,  als  sie  Gidel  zugänglich  waren,  ist  eines  der  dringendsten  Bedürfnisse  der  vulgär- 
griechischen  Litt«raturgeschichte. 

255.  Kallimachos  und  Chrysorrhoe,   T«  xard  KaXXifxaxov  xal  Xqv- 

aoQoöi]r.  'Eq(otix6v  dnjr^^ua  (2607  reimlose  politische  Verse).  Ein  König 
hat  drei  Söhne,  Nikokles,  Xanthippos  und  Kallimachos,  die  sich  in  gleicher 
Weise  durch  Schönheit  und  Tüchtigkeit  auszeichnen.  Der  Vater,  in  Zweifel 
darüber,  welcher  des  Thrones  am  würdigsten  sei,  bestimmt  den  zu  seinem 
Xachfolger,  der  sich  durch  eine  Heldenthat  am  meisten  hervorthue.  Alle 
drei  ziehen  daher  auf  Abenteuer  aus;  nach  mühseliger  Wanderung  durch 
einen  wilden  Bergwald  gelangen  sie  zu  einer  Drachenburg  [Jquxovtö- 
xaavQov).  Kallimachos  beschliesst  trotz  der  Warnungen  seiner  Brüder  ins 
Innere  der  Burg  einzudringen;  er  ersteigt  die  Mauer  und  gelangt  durch 
einen  herrlichen  Park  und  menschenleere  Säle,  die  mit  reichbesetzten  Tafeln 
ausgestattet  sind,  in  ein  prächtiges  Gemach,  wo  er  eine  an  den  Haaren 
aufgehängte  Jungfrau  erblickt.  Bald  verkünden  rauhe  Laute  und  Donner- 
schläge das  Nahen  des  Drachen;  Kallimachos  versteckt  sich  auf  den  Rat 
der  Jungfrau  in  einem  silbernen  Fasse.  Nachdem  der  Drache  die  Jung- 
frau nach  seiner  Gewohnheit  gequält  und  ihr  zur  Nahrung  Brot  und  Wasser 
gereicht  hat,  nimmt  er  selbst  ein  reichliches  Mahl  zu  sich  und  versinkt 
darauf  in  tiefen  Schlaf.  Kallimachos  schlägt  dem  schnarchenden  Untier 
das  Haupt  ab  und  befreit  die  Jungfrau,  die  ihm  nun  ihre  Leidensgeschichte 
erzählt:  Sie  heisse  Chrysorrhoe  und  stamme  aus  einer  königlichen  Familie ; 
der  Drache,  in  heftiger  Liebe  zu  ihr  entbrannt,  habe  ihre  Eltern  getötet 
und  sie  selbst  entführt ;  sie  aber  habe  standhaft  alle  Qualen  erduldet,  ohne 
ihre  jungfräuliche  Reinheit  zu  opfern.  Nach  diesen  Mitteilungen  verbindet 
sich  Chrysorrhoe  in  zärtlicher  Neigung  mit  Kallimachos,  und  das  glück- 
liche Paar  verlebt  im  Drachenschloss  Tage  der  Liebe  und  Wonne.  Doch 
nehmen  die  Honig wochen  ein  grauses  Ende;  ein  junger  Prinz,  der  mit 
seinem  Heere  am  Drachenschloss  vorüberzieht,  erblickt  Chrysorrhoe  und 
beschliesst,  die  Burg  und  ihre  schöne  Insassin  für  sich  zu  erobern.  Da 
seine  Feldherrn  ihre  Macht  für  zu  gering  halten,  um  eine  so  furchtbare 
Festung  zu  nehmen,  kehrt  der  Prinz  in  seine  Heimat  zurück,  um  ein 
grösseres  Heer  auszurüsten.  Hier  wird  er  vor  Liebeskummer  krank;  eine 
alte  Zauberin  verspricht  ihn  zu  heilen  und  gibt  ihm  einen  goldenen 
Apfel  mit  einer  magischen  Inschrift,  der,  an  die  Brust  eines  Menschen 
gelegt,  tötet,  an  die  Nase  gebracht,  ins  Leben  zurückruft;  dann  führt  sie 
den  Prinzen  mit  hundert  Begleitern  zur  Drachenburg,  lockt  den  Kalli- 
machos durch  List  an  sich  und  gibt  ihm  den  Apfel,  der  sofort  seine  töd- 
liche Wirkung  ausübt.  Nun  wird  Chrysorrhoe  mit  leichter  Mühe  gefangen 
genommen  und  in  die  königliche  Residenz  verbracht.  Unterdessen  erfahren 
die  zwei  älteren  Brüder  durch  einen  Traum,  dass  sich  Kallimachos  in  Ge- 
fahr befinde;  sie  ziehen  nach  der  Drachenburg  zurück  und  beleben  den 
toten  Bruder  dadurch,  dass  sie  ihn  an  dem  Apfel,  den  sie  an  seinem  Busen 
finden,  riechen  lassen.  Kallimachos  erfährt  das  Schicksal  der  Chrysorrhoe 
und  verdingt  sich  im  Palaste  ihres  Entführers  als  Gärtnergehilfe,  um 
eine   Gelegenheit  zu  finden,   seine   Geliebte   wiederzusehen.     Durch   einen 


440     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

Ring  verrät  sie  ihm  ihre  Anwesenheit,  die  Liebenden  treffen  sich  und 
halten  in  einem  Gartenpavillon  nächtliche  Zusammenkünfte,  die  im  Ge- 
dichte mit  romantischer  Freiheit  geschildert  sind.  Endlich  wird  der  ge- 
heime Liebesbund  entdeckt,  und  der  König  lässt  Chrysorrhoe  und  den  ver- 
meintlichen Gärtner  vor  ein  Volksgericht  führen ;  hier  rechtfertigt  sich  die 
junge  Frau  durch  eine  allegorische  Erzählung,  Kallimächos  offenbart  seine 
fürstliche  Abstammung,  der  König  erkennt  sein  Unrecht,  befiehlt  die  Zau- 
berin in  einem  glühenden  Ofen  zu  verbrennen  und  entlässt  Kallimächos 
und  Chrysorrhoe  mit  reichen  Geschenken  in  ihre  Heimat. 

Die  Herkunft  dieser  phantastischen  Erzählung  scheint  bis  jetzt 
nicht  ermittelt  zu  sein;  doch  wird  sofort  klar,  dass  wir  es  hier  mit  einem 
Zaubermärchen  zu  thun  haben.  Wenn  man  die  von  J.  G.  v.  Hahn*) 
herausgegebenen  neugriechischen  Märchen  vergleicht,  so  findet  man  die 
meisten  Ereignisse  des  mittelalterlichen  Gedichtes  wieder;  zwar  enthält 
nicht  ein  Märchen  den  gesamten  Gang  der  Handlung,  aber  die  einzelnen 
Motive  und  charakteristischen  Züge  lassen  sich  aus  verschiedenen  Märchen 
zusammenstellen.  Und  so  ist  auch  der  Verfasser  des  mittelalterlichen 
Gedichtes  verfahren;  denn  dass  seine  Erzählung  aus  verschiedenen 
Märchentypen  zusammengesetzt  ist,  beweist  schon  die  Wiederholung 
derselben  Motive,  z.  B.  die  ausführliche  Doppelschilderung  der  Liebes- 
freuden des  Paares  zuerst  im  Drachenschlosse  und  später  im  Gartenpavillon. 
Die  Sprache  des  Werkes  ist  von  der  volksmässigen  Naivität  weiter  ent- 
fernt als  die  des  Prodromos  und  Glykas;  sie  erscheint  durch  Lektüre 
stark  temperiert  und  nähert  sich  zuweilen  der  byzantinischen  Kunstgräzität. 
Auch  sonst  prunkt  der  Verfasser  mit  schulmässigen  Kenntnissen;  im 
Drachenschlosse  überraschen  den  Kallimächos  bildliche  Darstellungen 
der  Liebeständelei  des  Ares  und  der  Aphrodite,  Bilder  der  Athene,  der 
Chariten  und  des  Eros.  In  den  sehr  äusserlich  in  die  Erzählung  einge- 
sprengten „ex(fQäaeig-^  der  Herrlichkeiten  des  Parkes  und  Schlosses,  2)  in 
der  übermässigen  Verwendung  des  Begriffes  der  Tvxrj,  in  den  Schwüren 
bei  Eros  und  Aphrodite  und  in  vielen  anderen  Zügen  verrät  sich  deutlich 
genug  der  Einfluss  der  Technik  des  griechisch -byzantinischen 
Sophistenromane s.  Wahrscheinlich  hat  der  Verfasser  auch  schon  die 
grossen  Romane  der  Komnenenzeit  (s.  §§  197;  199;  200;  201)  vor  Augen 
gehabt;  zwischen  diesen  und  den  rein  romantischen  Gedichten  wie  Bel- 
thandros,  Florios  u.  s.  w.  steht  sein  Werk  in  der  Mitte  —  vielleicht  auch 
chronologisch.  Die  Abfassungszeit  lässt  sich  zwar  noch  nicht  mit  Sicher- 
heit bestimmen ;  doch  scheinen  litterarhistorische  Gründe  wie  auch  einzelne 
Spuren  eines  älteren  Stadiums  der  Vulgärsprache  ^)  dieses  mit  klassischen 
Lappen   aufgeputzte  orientalisch-byzantinische  Märchengedicht   in   das   1 2. 


')  Griechische  und  albanesische  Märchen,  einer  Verschwendung  von  (lohl.  Perlen  und 

2  Hände,  Leipzig  1864.     Vgl.  besonders  Bd.  1  Kdelsteinen,  wie  sie  selbst  in  Märchen  selten 

II  N.  64  und  die  Variante  S.  259  ff.  vorkommt. 

*)  Von    V.  274    an    folgen    in   ununter-  |  *)  Vielleicht   darf   man  u.  a.  die    durch 

brochener  Reihe  die  üppigsten  Schilderungen  I  den  Vers  empfohlene  altertümliche  Betonung 

des  Gartens,  des  Bades,  seiner  Pforten,  seiner  |  (ixofnj  V.  200Ü  beiziehon,  die  sich  ebenso  bei 

Portiere  und  seines  Ofens,  der  reichbesetzten  j  Glykas  V.  178  und  in  Lybistros  V.  1424 

Tafel,   eines  Ruhelagers  u.  s.  w.,   alles  mit  |  und  3779  findet. 


4.  Romantische  Dichtungen  über  mittelalterliche,  z.  T.  abendländ.  Stoffe.  (§  256.)     441 

Jahrhundert   zu   verweisen.     Zu   einer   endgiltigen  Entscheidung  bedarf 

es   hier    wie    bei    den   meisten   vulgärgriechisehen   Romanen    der   feinsten 

sprachliehen,  metrischen  und  litterarhistorischen  Untersuchungen. 

Das  Gedicht  ist  in  einer  einzigen,  schon  von  Meursius  für  die  zweite  Auflage 
seines  Glossarium  Graecobarbarum  (Lugd.  Bat.  1614)  benutzten,  seitdem  aber  fast  völlig 
verschollenen  Leydener  Handschrift  des  16.  Jahrhunderiis  (cod.  Scalig.  55)  überliefert:.  Da- 
raus ed.  von  Sp.'  Lambros,  Coli,  de  rom.  gr.  1 — 109;  vgl.  introduct.  S.  63—87.  —  Auf 
die  Handschrift  hatte  schon  E.  Rohde.  Der  griechische  Roman  S.  535  f.  aufmerksam  ge- 
macht. —  Zur  Chronologie  vgl.  J.  Psichari.  Essais  de  grammaire  historique  neo-gr. 
I  6;  70. 

256.  Belthandros  und  Chrysantza,  Jirji]aig  s^aiQevog  BsX&äröqov 
rov  'Po)incciov  (1348  politische  Yerse).  Rhodophilos,  König  des  Rhomäer- 
landes,  hat  zwei  Söhne,  Philarmos  und  Belthandros.  Der  jüngere,  der 
von  seinem  Vater  in  unverdienter  Weise  zurückgesetzt  wird,  entschliesst 
sich,  sein  Glück  in  der  Fremde  zu  suchen  und  zieht  mit  drei  Knappen 
von  dannen.  Nach  seiner  Abreise  gelingt  es  dem  Philarmos,  der  seinen 
Bruder  aufrichtig  liebt,  den  Vater  milder  zu  stimmen;  dieser  sendet  24 
Ritter  aus,  um  den  verstossenen  Sohn  zurückzurufen;  doch  lässt  sich  der- 
selbe nicht  zur  Umkehr  bewegen.  Auf  seiner  Wanderfahi't  kommt  Bel- 
thandros durch  Anatolien  und  die  Türkei,  die  noch  im  Orient  und  zwar 
in  der  Nähe  von  Armenien  gedacht  ist;  er  besteht  ähnliche  Abenteuer  wie 
Digenis  i^kritas.  Bei  Tarsos  bemerkt  er  in  einem  Flusse  einen  wunder- 
baren Feuerstern ;  er  zieht  flussaufwärts,  um  seine  Quelle  und  den  Ursprung 
des  Feuers  zu  entdecken.  Nach  zehn  Tagen  gelangt  er  zu  einem  herr- 
lichen, aus  Sardonyx  gebauten  Schlosse,  aus  welchem  der  Feuerstrom  ent- 
quillt ;  von  den  Zinnen  blicken  goldene  Löwen-  und  Drachenköpfe ;  an  einem 
Thore  aus  Demant  entdeckt  er  eine  Inschrift,  die  ihm  verkündet,  dass  er 
das  Erotokastron  vor  sich  habe.  Er  befiehlt  seinen  Knappen  auf  ihn 
zu  warten  und  betritt  das  Liebesschloss,  dessen  kunstvolle  Einrichtung  nun 
sorgfältig  beschrieben  wird.  Unter  anderem  erblickt  Belthandros  einen 
wunderbaren  Vogel  Greif,  einen  kostbaren  Pfau,  aus  dessen  Augen  und 
Schnabel  jener  Feuerquell  entströmt,  bildliche  Darstellungen  der  Gewalt 
des  Eros,  Inschriften  von  Liebenden,  die  hier  ihr  Geschick  verewigt  haben, 
endlich  eine  Inschrift,  die  sein  eigenes  Schicksal  verkündet:  Belthandros, 
der  Sohn  des  Rhomäerkönigs  Rhodophilos,  ist  in  Liebe  entbrannt  zu  Chry- 
santza, der  Tochter  des  Königs  von  Antiochia,  und  durch  das  Schicksal  für 
sie  bestimmt.  Nach  dieser  tröstlichen  Lesung  erscheint  dem  Belthandros 
in  einem  von  Gold  und  Edelsteinen  blitzenden  Gemache  ein  geflügelter 
Eros  und  bescheidet  ihn  zum  König  der  Liebe;  dieser  gibt  ihm  einen 
wundervollen  Stab  aus  Gold  und  Topas  und  befiehlt  ihm,  denselben  der 
schönsten  unter  40  edlen  Jungfrauen  zu  übeiTeichen,  die  er  ihm  vor 
Augen  führt.  Belthandros  mustert  die  Mädchen  und  nennt  ziemlich  un- 
höflich die  körperlichen  Mängel,  die  den  meisten  anhaften ;  zuletzt  bleiben 
3  Jungfrauen  übrig,  von  welchen  er  mit  Bedacht  die  allerschönste  aus- 
wählt. Jetzt  gedenkt  Belthandros  der  glückverheissenden  Inschrift  und 
verlässt  das  Liebesschloss,  um  nach  Antiochia  zu  ziehen.  Vom  Herrscher 
des  Landes  als  Lehensmann  angenommen,  erkennt  er  in  Chrysantza,  der 
Tochter  des. Königs,  jenes  Mädchen  wieder,   dem  er  im  Liebesschloss  den 


4-42     Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    III.  Vnlgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 


Preis  der  Schönheit  zuerkannt  hatte.  Nach  einer  nächtlichen  Zusammen- 
kunft, die  ihm  Chrysantza  im  Parke  gewährt,  wird  er  von  Wächtern  ent- 
deckt und  gefesselt.  Phädrokaza,  die  treue  Kammerzofe  der  Königs- 
tochter, nimmt  die  Schuld  auf  sich  und  Belthandros  erklärt  vor  dem  Richter- 
stuhle des  Königs,  dass  er  sich  um  Phädrokazas  willen  in  den  Garten 
geschlichen  habe.  Man  verzeiht  ihm  unter  der  Bedingung,  dass  er  die 
Kammerzofe  heirate.  Nachdem  Belthandros  unter  dem  Schutzmantel  der 
ehelichen  Verbindung,  die  er  scheinbar  mit  Phädrokaza  eingeht,  den  Ver- 
kehr mit  der  Königstochter  einige  Zeit  fortgesetzt  hat,  fürchtet  er  Ent- 
deckung und  entführt  die  Geliebte.  Auf  der  Flucht  ertrinken  die  Knappen 
des  Belthandros  und  die  treue  Phädrokaza  in  einem  reissenden  Strome, 
Belthandros  selbst  und  Chrysantza  gelangen  ans  Meer  und  werden  von 
einem  Schiffe,  das  der  Rhomäerkönig  nach  dem  verlorenen  Sohne  ausge- 
sandt hat,  glücklich  aufgenommen;  Philarmos  ist  nämlich  gestorben  und 
Belthandros  Erbe  des  Thrones  geworden.  Nach  fünftägiger  Fahrt  gelangt 
das  gerettete  Paar  an  den  Hof  (nach  Byzanz!)  und  der  Patriarch  voll- 
zieht die  kirchliche  Trauung. 

Ein  Vorbild  dieser  romantischen  Erzählung  ist  bis  jetzt  nicht  auf- 
gefunden; doch  hat  Gidel  a.  unten  a.  0.  nachzuweisen  versucht,  dass  ein 
verlorener  oder  verschollener  französischer  Ritterroman  zum  Muster 
gedient  habe.  Er  stützt  sich  namentlich  auf  folgende  Punkte:  1.  Der 
Sohn  des  Rhomäerkönigs  wird  von  dem  König  von  Antiochia,  der  doch 
wohl  als  Franke  gedacht  ist,  als  Lehensmann  {h'^iog  V.  789)  angenommen.') 
2.  Vorbild  des  Erotokastron  scheint  das  aus  der  provenzalischen  Poesie 
bekannte  Chäteau  d'amour  zu  sein.  3.  Die  Einkleidung  der  Erzählung  ist 
ähnlich  wie  in  manchen  altfranzösischen  Gedichten;  der  Verfasser  richtet 
nämlich  im  Anfang  (V.  1 — 5)  die  Aufforderung  an  seine  H<)rer,  wohl  auf- 
zumerken und  teilt  ihnen  dann  zur  Aufklärung  den  Plan  des  Gedichtes 
mit.  Ebenso  bitten  die  französischen  Troubadours  ihre  Hörer  andächtig 
zu  lauschen,  2)  und  ebenso  wird  in  den  chansons  de  geste  der  Plan  der 
Erzählung  im  voraus  angegeben.  3)  4.  Am  Hofe  des  Königs  von  Antiochia 
wird  eine  Falkenjagd  erwähnt  und  dabei  das  romanische  Wort  qaXxüh'iv 
(V.  791  ff.)  gebraucht.  5.  Drei  Personennamen  sind  fränkischen  Ur- 
sprungs, nämlich  Rhodophilos,  eine  volksetymologische  Gräzisierung  von 
Rodolphe,  Philarmos  (=  Willerm)  und  Belthandros  (=  Bertrand),  Im 
Gedichte  wird  ausdrücklich  betont,  dass  der  König  in  griechischer 
Sprache  Rhodophilos,  der  Sohn  Belthandros  heisse:  'Po66(fiXoc  oxmtg,  id 
ovo/na  '^Pwfiaixor  (V.  25  f.),  BtXO^avdgog  öi  6  SevifQog  zrjv  twv  'Poofiaicor  A«Jtv 


')  Der  abendländ.  Begriff  der  Lehens- 
herrschaft wurde  den  Byzantinern  durch 
die  Kreuzzüge  bekannt;  schon  Anna  Kom- 
nena  gebraucht  das  Wort  Ai'Ciof  (lat.  ligius, 
franz.  lige);  Kinnanios  erklärt  es  S.  223,  5 
ed.  Bonn,  nicht  übel  durch  dnvXoi  ißeXödovXog. 
Während  die  Historiker  das  fremde  Wort 
öfter  mit  entschuldigenden  und  erklärenden 
Bemerkungen  begleiten,  scheint  unser  Dichter 
die  Kenntnis  dieser  fränkischen  Einrichtung 
ohne  weiteres  vorauszusetzen. 


^)  So  beginnt  z.  B.  das  Gedicht  Floire 
et  Blancheflor  (Ausgabe  von  Edölestand  du 
M^ril,  Paris  1856  S.  125): 

Seignor  baron,  or  entendeiz 
Faites  pais  et  si  oscoutez 
Bone  estoire,  par  tel  sonblant, 
Que  Diex  vos  soit  a  toz  garant. 
')  Vgl.  die  von  Benediktinern  begonnene, 
von    Mitgliedern    des    Instituts   fort^;e8etzte 
Histoire  litt^raire  de  la  France  t.  22  (Paris 
1852)  259  f[. 


4.  Romantische  Dichtungen  über  mittelalterliche,  z.  T.  abendländ.  Stoffe.  (§  256.)     443 


(V.  81) ;  diese  Bemerkungen  bleiben  dunkel,  wenn  man  nicht  annimmt,  dass 
durch  sie  auf  eine  Uebertragung  fremder  Namen  ins  Griechische  hinge- 
deutet werden  soll.  6.  Ganz  bedeutungslos  sind  die  übrigen  Punkte,  welche 
Gidel  für  sich  anführt,  wie  der  Umstand,  dass  das  Eintreten  der  Hof- 
dame für  ihre  Gebieterin  auch  in  französischen  Romanen  vorkommt,  dass 
Belthandros  blond  ist  und  nach  Art  fränkischer  Ritter  langes  Haar  trägt, 
dass  er  ein  guter  Jäger  ist  u.  s.  w. 

Gidel  hat  die  Beweiskraft  seiner  Gründe  ohne  Zweifel  überschätzt. 
Die  Erwähnung  des  Feudalismus  an  sich  beweist  nicht  die  Existenz  eines 
fränkischen  Originals,  sondern  nur  die  Vertrautheit  mit  fränkischen  Ver- 
hältnissen; die  Aufforderung  an  die  Hörer  aufzumerken  lässt  sich 
ebensogut  aus  der  Nachahmung  des  lebendigen  Vortrages  orientalischer 
und  griechischer  Märchen  erklären,  und  für  die  Idee  einer  orientierenden 
Inhaltsangabe  brauchte  ein  Grieche,  auch  wenn  er  die  alten  vTioO^e'asig 
nur  vom  Hörensagen  kannte,  erst  recht  kein  fremdes  Vorbild;  ebensowenig 
ist  die  Sitte  der  Falkenjagd  eine  fränkische  Erfindung.  Den  romani- 
schen Personennamen  des  Gedichtes  stehen  die  echt  griechischen 
(paiSgoxä^a  und  XQvaävT^a  gegenüber,  und  zwar  ist  es  merkwürdig,  dass 
die  Tochter  und  die  Zofe  des  fränkischen  Fürsten  griechisch,  der  rho- 
mäische  König  und  seine  Söhne  fränkisch  benannt  sind;^)  übrigens  ist 
selbst  der  fränkische  Ursprung  von  "^PoSöifi/.og  nicht  ganz  sicher;  denn  bei 
Johannes  Kameniates  S.  569,  7  ed.  Bonn,  wird  unter  den  bei  der  Eroberung 
von  Thessalonike  i.  J.  904  Gefangenen  auch  ein  Eunuch  des  Kaisers  namens 
'^Po6o(fvh]c  erwähnt.  Am  schwersten  scheint  das  Liebesschloss  in  die 
Wagschale  zu  fallen;  doch  ist  auch  hier  die  Annahme  eines  fränkischen 
Originals  nicht  zwingend,  da  zwar  nicht  ein  Erotokastron,  aber  doch 
sonstige  allegorische  Schlösser  auch  in  originalen  mittelgriechischen 
Gedichten  häufig  vorkommen.  2)  Wenn  ferner  einzelne  Züge  der  Erzählung 
sich  auch  in  französischen  Romanen  wiederfinden,  so  muss  dagegen  betont 
werden,  dass  umgekehrt  eine  Reihe  von  Motiven  an  die  griechischen 
Sophistenromane  anklingen;  die  Beschreibung  des  Vogels  Greif  und  das 
Erscheinen  des  Eros  ist  mit  ähnlichen  Dingen  bei  Eustathios^)  zu  ver- 
gleichen; das  märchenhafte  Beiwerk,  die  Schilderung  der  kostbaren 
Gemächer  u.  s.  w.  findet  sich  ebenso  in  Sophistenromanen,  in  Kallimachos 
und  Chrysorrhoe  und  sonst;  automatische  Vögel  und  ähnliche  Kunstwerke 
sind  als  echt  byzantinische  Liebhabereien  bekannt.  Zu  erwähnen  ist  end- 
lich, dass  der  Kaiser  des  rhomäischen  Landes  nach  altbyzantinischer 
Sitte  ganz  korrekt  als  ßaaiXevg  (V.  25)  oder  als  avxoxqcacoQ  (V.  1333),  der 
fränkische  Fürst  von  Antiochia  dagegen  als  ^i/V«?  (V.  387  und  öfter) 
bezeichnet  wird;  byzantinisch  ist  auch  die  Trauung  durch  den  Patriarchen. 
Mit  Gewissheit  ergibt  sich  mithin  nur  die  eine  Thatsache,  dass  dieses 
Gedicht  zwar  von  einem  Griechen  abgefasst  ist,  aber  in  einer  Gegend,  die 


.')  Oder  ist  etwa  als  , König  des  Rho- 
mäerlandes"  einer  der  lateinischen  Kai- 
ser (1204—1261)  gedacht?  Dem  widerspricht 
aber  jedenfalls  die  Trauung  durch  den  Pa- 
triarchen. 

")  Z.  B.  To   xäatQoy   xrjg  Jvaxvxiai   im 


Aöyos  nuQTjyoQTjtixög  ed.  Sp.  Lambros,  Coli, 
de  rem.  gr.  S.  288  ff.;  rö  xäazQoy  t^s  2'a»- 
(pQoavfTjg  bei  Meliteniotes  (s.  §  208);  to 
dgaxoyröxaazQoy  im  Kallimachos  (s.  §  255). 
»)  Buch  2,  10  f.;  3,  1  ff.;  6,  18  (S.  25  f.; 
30  flF.;  106  f.  ed.  Hüberg). 


444     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    HI.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 


mit  der  fränkischen  Kultur  schon  längere  Zeit  bekannt  geworden  war. 
Wie  von  den  zwei  Hauptpersonen  die  eine  einen  griechischen,  die  andere 
einen  fränkischen  Namen  trägt,  so  ist  auch  das  Gedicht  selbst  eines 
jener  Mischprodukte,  wie  sie  nach  der  Verpflanzung  abendländischer 
Romantik  auf  den  alten  Kulturboden  von  Byzanz  öfter  entstanden  sind. 
Eine  schärfere  Abgrenzung  der  fremden  und  der  einheimischen  Bestand- 
teile lässt  sich  vorerst  nicht  durchführen  und  namentlich  muss  die  Haupt- 
frage, ob  der  Kern  der  Erzählung  fränkischer  oder  griechisch-orientalischer 
Abkunft  sei,  so  lange  unentschieden  bleiben,  bis  ein  deutlich  erkennbares 
Vorbild  wirklich  aufgefunden  ist. 

Woher  nun  auch  der  Stoff  des  Werkes  stamme,  jedenfalls  ist  er  mit 
Geschick  behandelt.  Der  Dichter  besitzt  frische  Empfindung  und  eine  er- 
hebliche Gestaltungsgabe;  die  schöne  Apostrophe  an  die  Natur  V.  129  ff. 
mahnt  an  die  berühmte  Prometheusklage  des  Aeschylos  und  an  die  herr- 
lichsten Klänge  der  neugriechischen  Volkspoesie.  ^)  Der  sittliche  Grundton 
ist  ernst  und  nichts  findet  sich  hier,  was  mit  der  lasziven  Prüderie  und 
der  unverblümten  Ueppigkeit  mittelalterlicher  Romane  des  Frankenlandes 
zu  vergleichen  wäre.  Nur  vereinzelt  stören  Ungeschicklichkeiten  wie 
V.  587,  wo  Belthandros  infolge  der  Mühe,  welche  ihm  die  Auswahl  der 
schönsten  Jungfrau  verursacht,  ganz  von  Schweiss  trieft:  xi  ix  tov 
idgcÖTog  tov  noXXov  xaräßqoxoq  eyivrj.  Mit  Prodromos  und  Niketas 
Eugenianos  verglichen  ist  der  Dichter  des  Belthandros  ein  Muster  von 
Geschmack  und  Feinheit.  Die  Entstehungszeit  des  Gedichtes  lässt  sich 
nur  nach  inneren  Gründen  annähernd  bestimmen.  Von  Wichtigkeit  ist 
besonders  die  Thatsache,  dass  die  Türkei  noch  als  ein  auf  das  innere 
Kleinasien  beschränktes  Reich  gedacht  ist  (V.  218;  220;  234)  und  dass 
Antiochia,  das  1269  durch  den  Sultan  von  Ikonion  erobert  wurde,  noch 
als  ein  christliches  Reich  erscheint.  Wahrscheinlich  ist  die  erste  Form 
des  Gedichtes  im  13.  Jahrhundert  entstanden;  doch  zeigt  der  uns  er- 
haltene Text  Spuren  einer  späteren  Ueberarbeitung,  die  vielleicht  dem 
15,  Jahrhundert  angehört. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Das  Werk  ist  aus  der  einzigen  bis  jetzt  bekannten 
Handschrift,  dem  cod.  Paris.  2909,  zum  erstenmale  ediert  von  Ad.  E Hissen,  Analekt«n 
der  mittel-  und  neugriechischen  Litteratur,  5.  Bd.,  Leipzig  1862;  mangelhafter  Text  mit 
deutscher  Uebersetzung  und  einem  Kommentar,  der  nur  mit  grosser  Vorsicht  zu  benützen 
ist.  —  Ed.  Maurophrydes,  'ExXoytj  S.  212 — 256  (sehr  ungenau  in  der  Wiedergabe  der 
handschriftlichen  Thatsachen).  —  Am  besten  ed.  E.  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg.  I  125 — 168. 
■  Ueber  die  Beziehungen  zur  fränkischen  Poesie:  Ch.  Gidel,  Etudes  sur  la  litt.  gr.  med., 
Paris  1866  S.  105-150.  —  A.  Korais,  "JTaxTu  II  Prolegom.  S.  7. 

257.  Lybistros  und  Rhodamne  (3841  reimlose  politische  Verse). 
Der  handschriftliche  Titel  des  Gedichtes  wird  durch  ein  Distichon  gebildet: 

£ti](oi  noXv  iQ(i)Tixoi,  Kfpj^yrjatg  AvßiatQov, 

Iluig  6  (flXog  6  KXeiroßög  dit^yehat,  rrjg  Mvqtävrig. 

Der  eigentliche  Kern  des  Werkes  ist  in  seiner  jetzigen,  vielleicht  niclit 
ursprünglichen  Fassung,  in  eine  doppelte  Hülle  eingekleidet.  Der  ge- 
samte Roman  wird,  wie  der  Titel  und  die  Schlussverse  verraten,  von  Kli- 


M  Eines  der  besten  Beispiele  tiefer  Na- 
turempfindung ist  das  Distichon  aus  Karda- 
myla  auf  Chics: 


XttQti  's  Tf?  rt'XV  ott(,    ßovyä,    nov    X«po   di 

(foßäare, 
Möye  nävi'  f/fr'  uyoi^i  xni  uQtiait'a  Xoyäaxe 


4.  Romantische  Dichtungen  über  mittelalterliche,  z.  T.  abendländ.  Stofife.  (§  257.)     445 

tob  OS  {KXsiToßog,  Kltnoßvör)^)  nach  seiner  Rückkehr  in  die  Heimat  seiner 
dort  als  Witwe  wiedergefundenen  Jugendgeliebten  Myrtane  erzählt.  Den 
ersten  Hauptteil  der  Ereignisse  aber  berichtet  Lybistros  dem  Klitobos, 
den  er  auf  dem  Wege  nach  Aegypten  antrifft.  Klitobos,  der  Erzähler  des 
Romans,  zieht  auf  einem  engen  Pfade  hinter  einem  jungen  Krieger  ein- 
her; da  er  bemerkt,  dass  derselbe  häufig  aufseufzt  und  reichliche  Thränen 
vergiesst,  fasst  er  sich  das  Herz,  ihn  anzm*eden  und  den  Grund  seines 
Schmerzes  zu  erforschen.  Nach  einiger  Weigerung  macht  ihn  der  Fremde, 
der  sich  später  als  Fürst  Lybistros  aus  dem  Lateinerlande,  Beherr- 
scher von  Libandros,  zu  erkennen  gibt,  zum  Vertrauten  seiner  Schick- 
sale: Er  wusste  nicht,  was  Liebe  bedeutet;  da  tötete  er  einst  auf  der 
Jagd  eine  Turteltaube  und  sah  auch  die  Gefährtin,  die  der  Liebesschmerz 
über  den  Verlust  ihrer  Genossin  getötet  hatte,  zu  seinen  Füssen  nieder- 
fallen. 2)  So  erfuhr  Lybistros  die  Gewalt  der  Liebe.  Weitere  Belehrung 
empfängt  er  durch  ein  Traumbild;  Agape  und  Pothos  führen  ihn  in  das 
Heiligtum  des  Eros,  wo  ihn  zwei  Frauengestalten,  die  Gerechtigkeit  und 
Wahrheit,  über  die  Liebe  unterrichten;  zuletzt  erhält  er,  wie  Belthandros 
in  der  Minneburg,  eine  Weissagung,  dass  er  die  indische  Prinzessin  Rho- 
damne,  die  Tochter  des  Königs  Chrysos,  zur  Gattin  gewinnen  werde; 
er  werde  sie  dann  durch  eine  böse  Zauberin  verlieren  und  noch  ein  Jahr 
umherirren,  um  sie  wiederzufinden;  endlich  werde  er  König  von  Argyro- 
kastron.3)  Lybistros,  dessen  Herz  durch  einen  zweiten  Traum  völlig  ent- 
flammt wird,  fährt  mit  hundert  tapferen  Rittern  in  die  weite  Welt,  um 
Rhodamne  aufzusuchen.  Nach  mühseliger  Wanderung  gelangt  er  vor  die 
Stadt  Argyrokastron,  die  Residenz  des  Königs  Chrysos.  Ihre  Herr- 
lichkeiten, namentlich  ihre  zwölf  Türme,  allegorische  Statuen  der  zwölf 
Tugenden,  der  zwölf  Monate  und  der  zwölf  Liebesgenien  werden  ausfühi- 
lich  beschrieben.  Lybistros  sendet  durch  Pfeile  acht  Liebesbriefe  in  das 
Schloss,  lernt  dann  Rhodamne  auf  einer  Jagd  kennen  und  gewinnt  ihre 
Liebe.  Da  Berderichos  {Bfo6eotxog),  König  von  Aegypten,  der  sich  um 
die  Hand  Rhodamnes  bewii-bt,  von  Lybistros  im  Zweikampfe  überwunden 
wird,  erwählt  König  Chi-ysos  den  Sieger  zum  Schwiegersohn  und  ernennt 
ihn,  da  er  keine  Söhne  hat,  zu  seinem  Nachfolger.  Nach  zwei  Jahren 
glücklicher  Ehe  erfüllt  sich  der  zweite  Teil  der  Weissagung,  die  Lybistros 
im  Traume  erhalten  hat.  Auf  der  Jagd  treffen  Lybistros  und  Rhodamne 
einen  reisenden  Handelsmann  aus  Babylon  mit  einem  alten  Weibe,  das  auf 
einem  Kamele  reitet;  der  Babylonier  bietet  dem  Fürstenpaar  ein  Pferd 
und  einen  Ring  an.  Durch  die  geheime  Zauberkraft  des  Ringes  stürzt 
Lybistros  tot  zu  Boden;  als  ihm  die  Freunde  den  Ring  vom  Finger  ziehen, 
kommt  er  wieder  zu  sich,  erfährt  aber,  dass  Rhodamne  und  der  fi-emde 
Kaufmann  verschwunden  sind.  Um  die  geraubte  Gattin  wieder  aufzufinden, 
begibt  er  sich  von  neuem  auf  die  Wanderung.     Hier  schliesst  die  Erzäh- 


?)  Beide  Formen,  die  sich  verhalten  wie   ]  ')  Der  poetische  Name  Argyrokastron 

ÖQKxoi;  zu  dQÜxojv,  gehen  im  Gedichte  neben   \  (Silberveste)    ist    im   Orient    noch    heute  zu 

einander.      Vorbild    des    Namens    ist    wohl  finden;  das  bekannteste  ArgjTokastron  liegt 

KXeiToq:ü}y  im  Romane  des  Achill  es  Tat  ios.   j  in  Epirus,  ein  zweites  (tärk.  Gümisch-Chane) 

*)  Dieselbe  Idee  auch  imPhysiologus.   j  bei  Trapezunt. 
E.  Legrand,  Coli,  de  mon.  vol.  16  V.  726  S.   I 


446     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

lung  des  Lybistros  und  damit  der  erste  Hauptteil  des  Romans.  Zum 
Entgelt  muss  nun  auch  Klitobos,  der  dem  Leser  bisher  unbekannt  ge- 
blieben ist,  seine  Geschichte  berichten.  Er  stammt,  wie  er  dem  schnell 
gewonnenen  Freunde  mitteilt,  aus  Litauen  {Anaßin),  einem  Teile  von 
Armenien,  und  ist  der  Neffe  des  dortigen  Königs;  dessen  Tochter,  die 
schöne  Myrtane,  schwur  ihm  Liebe,  obschon  sie  mit  dem  König  von  Persien 
verlobt  war.  Darüber  ergrimmte  der  König;  der  Neffe  wurde  ins  Gefäng- 
nis geworfen  und  von  dem  inzwischen  aus  einem  Kriege  zurückgekehrten 
Perserkönig  mit  dem  Tode  bedroht,  Hiemit  bricht  die  Erzählung  des  Kli- 
tobos, die  ebenso  kurz  und  dürftig  ist  als  die  des  Lybistros  lang  und  aus- 
führlich, unvermittelt  ab,  und  es  muss  wohl,  wenn  keine  Lücke  in  der 
Ueberlieferung  ist,  vorausgesetzt  werden,  dass  er  sich  den  von  seinem 
Onkel  und  seinem  Nebenbuhler  drohenden  Gefahren  durch  Flucht  entzogen 
habe.  Nach  der  Erzählung  des  Klitobos,  die  wie  ein  Verbindungsglied 
eingeschoben  ist,  beginnt  der  zweite  Hauptteil  des  Romanos.  Nach- 
dem sich  nämlich  Lybistros  und  Klitobos  ihre  Lebensgeschicke  anvertraut 
haben,  beschliessen  sie  gemeinsam  den  Weg  fortzusetzen,  um  die  geraubte 
Gattin  wiederzufinden.  Durch  einen  Traum  erfahren  sie,  dass  sich  Rho- 
damne  in  der  Gewalt  des  Königs  von  Aegypten  befindet.  Auf  dem  Wege 
dahin  treffen  sie  die  babylonische  Zauberin,  die  dem  König  Berderichos 
zur  Ausführung  seines  Frauenraubes  geholfen  hatte,  später  aber  von  ihm 
undankbar  Verstössen  worden  war.  Nach  gegenseitiger  Wiedererkennung 
erfahren  sie  von  der  Hexe  das  Schicksal  der  Rhodamne;  sie  ist  von  Ber- 
derichos noch  unberührt,  denn  sie  hat  sich  vier  Jahre  Wartezeit  ausbe- 
dungen und  lebt  während  dieser  Zeit  als  Gastwirtin  am  Meere,  um  etwa 
von  Lybistros  Kunde  zu  erspähen.  Die  Alte  führt  beide  Wanderer  durch 
Zaubermittel  trockenen  Pferdes  über  das  Meer  nach  Aegypten.  Klitobos, 
der  überhaupt  im  zweiten  Teile  des  Romanos  die  geistige  Führerrolle  über- 
nimmt, sucht  Rhodamne  auf,  um  sie  auf  das  plötzliche  Glück  vorzubereiten; 
es  folgt  eine  ausführliche  Schilderung  der  bewegten  Szenen  des  Wieder- 
sehens der  liebenden  Gatten.  Sie  fliehen  mit  dem  Freunde  nach  Argyro- 
kastron.  Klitobos  vermählt  sich  mit  Rhodamnes  schöner  Schwester  Me- 
lanthia,  kehrt  aber  nach  dem  frühen  Tode  derselben  in  seine  Heimat 
zurück;  hier  findet  er  seine  Jugendgeliebte  Myrtane  als  Witwe  wieder, 
erzählt  ihr  seine  und  des  Lybistros  Abenteuer  und  schliesst  mit  einer  er- 
neuten Liebeserklärung  und  der  Aufforderung,  sich  gemeinsam  ihres  väter- 
lichen Gutes  zu  freuen. 

Einzelne  Motive  dieses  romantischen  Gedichtes,  wie  die  Entführung 
der  Gattin  durch  die  Beihilfe  einer  alten  Zauberin,  finden  sich  in  dem 
Märchenroman  Kallimachos  und  Chrysorrhoe  wieder.  Weit  inniger 
ist  aber  das  ganze  Werk  mit  Belthandros  und  Chrysantza  verwandt. 
In  beiden  Romanen  wird  der  Held  durch  geheimnisvolle  Weissagungen  zur 
Aufsuchung  der  Geliebten  angespornt;  zwar  ist  die  Art  der  Mitteilung  des 
Orakels  nicht  dieselbe,  aber  der  Traum  des  Lybistros  mit  seinen  allego- 
rischen Figuren  und  langen  Reden  ist  dem  Liebesschloss  des  Belthandros 
ungemein  ähnlich.  In  beiden  Romanen  herrscht  als  Hauptideo  die  Forde- 
rung,  dass   der   Besitz   der  Geliebten    durch  Ausdauer   und  Tapferkeit  er- 


4.  Romantische  Dichtungen  über  mittelalterliche,  z.  T.  abendländ.  Stoffe.  (§  257.)     447 

rungen  werde;  in  beiden  treffen  wir  dieselben  ausführlichen  Schilderungen 
wunderbarer  Paläste  und  Kunstwerke;  gemeinsam  ist  beiden  Werken  auch 
der  feine  sittliche  Grundton  und  die  dezente  Darstellung  der  erotischen 
Verhältnisse.  Die  wichtigste  Eigentümlichkeit  aber,  in  der  Belthandros 
undLybistros  übereinstimmen,  ist  die  Vermischung  fränkischer  Kultur 
mit  griechisch-orientalischer  Lebensart.  Der  kulturelle  Dualismus 
ist  schon  in  der  Abstammung  der  zwei  Hauptpersonen  angedeutet;  wie 
im  Belthandros  ein  rhomäischer  Königssohn  eine  fränkische  Prinzessin 
heiratet,  so  erobert  im  Lybistros  ein  lateinischer  Prinz  eine  orientalische 
Fürstentochter.  Das  wichtige  Erkennungszeichen  abendländischer  Sitte, 
der  Lehensbegriff,  findet  sich  in  beiden  Romanen,  doch  mit  einem 
bemerkenswerten  Unterschiede;  während  im  Belthandros  (V.  789)  A/'^/o^  im 
ursprünglichen  Sinne  gebraucht  wird,  ist  das  Wort  im  Lybistros  in  über- 
tragener Bedeutung  angewendet:  Ai^iog  rov  ^eXriaarog  xal  rov  Trouaräy- 
f-iavög  aov  (V.  327  ed.  Wagner);  JovXohoiiai  eig  roj'  'Egana,  Xi^ioirouai 
dg  rov  Död^ov  (V.  295  ed.  Maurophrydes) ;  wahrscheinlich  muss  auch  in 
V.  449  ed.  Wagner  JovXüivo{.icti  «c  tov  eqwva,  ^i^Xtog  rov  rd  ys'rco  ge- 
schrieben werden:  Xi'^tog  tov  vd  ytvM.  Auch  in  anderen  Zügen  tritt  die 
genaue  Vertrautheit  mit  der  fränkischen  Kultur  allenthalben  deut- 
lich zu  Tage;  V.  3768  wendet  sich  Lybistros  an  seine  Freunde,  Verwandten, 
Toparchen  und  Herzöge  {TonÜQxai  uov,  6ovxä6eg);  V.  1890  wird  hervor- 
gehoben, dass  Rhodamne  nach  fränkischer  Mode  gekleidet  war  {Aarnixa 
TU  Qovxcc  Tr^g  i^actffi  Ti^g  (oQctiag);  V.  1966  gesteht  Rhodamne  ihrem  Vater 
ihre  Neigung  zum  tapferen  Geschlechte  der  Franken:  Jlod^oj  ydg  tö  Auti- 
rixo,  TÖ  ytrog  tmv  dvÖQeiwv.^)  Auf  abendländische  Sitten  deutet  endlich 
der  ritterliche  Zweikampf  zwischen  den  beiden  Nebenbuhlern.  Von  den 
Personennamen  des  Gedichtes  ist  nur  einer  fränkischen  L^rsprungs  und 
zwar  seltsamer  Weise  der  des  Königs  von  Aegypten;  denn  Begdeoixog  ist 
offenbar  ein  gräzisierter  Friedrich.  In  einer  Version  soll  sich  sogar  ein 
deutsches  Wort  gefunden  haben;  in  dem  Auszuge,  welchen  M.  Crusius 
aus  seiner  Handschrift  mitteilt,  ruft  Lybistros  dem  aus  dem  Sattel  ge- 
stürzten Berderichos  zu:  Tooga  djTo^n^axfig,  axtlnel  Dieses  rätselhafte 
axtXne  hat  man  für  identisch  erklärt  mit  Schelme  und  daraus  sogar  auf 
deutschen  Ursprung  des  ganzen  Gedichtes  geschlossen.  Das  geht  natürlich 
nicht  an;  denn  da  Schimpfwörter  bekanntlich  der  internationalen  Verbrei- 
tung im  hohen  Grade  ausgesetzt  sind,  könnte  das  Wort,  auch  wenn  es 
wirklich  deutsch  ist,  im  besten  Falle  nicht  mehr  beweisen  als  die  übrigen 
abendländischen  Ausdrücke  und  Begriffe,  nämlich  eine  innige  Vertrautheit 
mit  fränkischen  Sitten.  Uebrigens  ist  in  den  erhaltenen  Versionen  das 
Wort  axekTTs  nicht  aufzufinden.  Neben  diesen  deutlichen  Spuren  einer 
fremden  Kultur  steht  im  Kallimachos  wie  im  Belthandros  der  unzweifel- 
hafte Einfluss  des  griechischen  Romans.  Für  die  allegorischen  Dar- 
stellungen der  12  Tugenden  und  der  12  Monate  findet  sich  das  Vorbild 
im  Romane   des  Eustathios;^)   besondere   Beachtung  verdient  die  That- 

*)  Dass  die  Lesart  der  Ausgabe  von  Wagner  {   Richtige   hat  schon  Maurophrydes  (V.  896). 
(Sathas):  no»6TyaQ  rd  AcnivLxov  ro  yivog  ttjv  ^)  Buch  2,  2  ff.;  4,  5  S.  (S.  15  S.;  49  flf. 

«»'(fi^ci'«»' falsch  ist,  zeigt  derfolgende  Vers.  Das  [   ed.  HUberg). 


448     Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    HI.  Vulgargriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 


Sache,  dass  die  ganz  verschiedene  Darstellungsweise  der  Monatszyklen, 
die  im  Occident  üblich  war,  dem  Verfasser  völlig  unbekannt  ist;')  Eusta- 
thios  ist  auch  das  Muster  für  die  Schilderung  des  Liebesgottes  und  seiner 
Attribute.^)  Ausser  Eustathios  scheint  dem  Dichter  auch  Achilles  Tatios 
bekannt  gewesen  zu  sein.^)  Selbst  für  die  eigentümliche  Einkleidung 
des  Kernes  der  Handlung  (s.  o.)  sind  vielleicht  griechische  Werke  verant- 
wortlich zu  machen;  denn  ähnlich  sind  auch  die  Romane  des  Heliodor 
und  seines  Nachahmers  Prodromos  disponiert,  wo  man  erst  durch  eine 
nachträgliche  Erzählung  die  früheren  Schicksale  des  Liebespaares  erfährt. 
Beide  Romane  sind  mithin  Mischprodukte  fränkischer  und  orien- 
talischer Kultur;  beide  sind  in  Teilen  des  byzantinischen  Reiches  entstanden, 
welche  durch  die  fränkische  Eroberung  mit  abendländischer  Sitte  genau 
bekannt  geworden  waren;  doch  ruhen  sie  nicht  ganz  auf  denselben  Vor- 
aussetzungen. Während  im  Belthandros  fränkische  und  griechische 
Kultur  noch  nicht  völlig  verquickt  erscheinen,  gehört  Lybistros  einer 
Zeit  an,  in  welcher  die  fränkische  Lebensart  feiner  ausgebildet  und  tiefer 
in  den  byzantinischen  Boden  eingedrungen  war,  aber  auch  schon  durch 
die  griechische  Umgebung  assimiliert  und  aufgesogen  zu  werden  begann.  ^) 
Um  das  Gesagte  vollständig  zu  erklären  und  nachzuweisen,  müssten  beide 
Gedichte  weit  ausführlicher  analysiert  und  nach  ihren  Anschauungen, 
Bildern  und  sprachlichen  Eigentümlichkeiten  mit  einander  verglichen 
werden,  als  der  Raum  es  hier  gestattet;  es  sollen  daher  nur  einige 
charakteristische  Punkte  herausgegriffen  werden,  welche  das  Ergebnis  der 
Untersuchung  zu  illustrieren  geeignet  sind.  Im  Lybistros  herrscht  eine 
grössere  Mannigfaltigkeit  in  den  Abenteuern,  Empfindungen  und  Ent- 
schlüssen der  handelnden  Personen.  Namentlich  ist  alles,  was  die  Liebes- 
kunst betrifft,  sorgfältig  ausgearbeitet.  Der  Erosdienst  ist  wie  in  der 
Troubadour-  und  Minnesängerpoesie  zu  einem  förmlichen  Sport  geworden, 
dem  der  sqmronmdevutvoq  zu  obliegen  hat;'')  die  Macht  und  die  Satzungen 
des  Eros  sind  mit  dogmatischer  Genauigkeit  festgestellt.  Die  schmach- 
tenden Pfeilbillete,  mit  denen  Lybistros  das  Herz  der  Prinzessin  zu  treffen 
sucht,  lassen  die  Mühe  erkennen,  welche  der  Dichter  aufwandte,  um  dem 
Thema  der  Liebe  neue  Seiten  abzuzwingen.  Uebrigens  bricht  durch  den 
W^ust  von  Schnörkeln  und  stereotypen  Allegorien  nicht  selten  das  Feucn- 
wahrer  Empfindung  durch,  und  manche  Verse  atmen  dieselbe  Ursprüng- 
lichkeit, welche  die  „rhodischen"  Liebeslieder  (s.  §  221)  vor  den  meisten 
mittelgriechischen  Gedichten  auszeichnet.  Wie  die  Anlage  und  Auffassun^^ 
so  ist  auch  die  Sprache  im  Lybistros  weniger  einfach  als  im  Belthandros; 
es  wimmelt  von  verkünstelten  Redensarten,  subtilen  Vergleichen  und 
anderen  Mitteln  eines  raffinierten  Barockstils.  Von  Einzelnheiten  sei  be- 
merkt, dass  das  romanische  (palxutviv  (Belth.  V.  791  ff)  im  Lybistros 
durch  das  griechische  yeqäxiv   (V.  38;  95;  123;  126  u.  ö.)  ersetzt  ist; 


')  Vgl.  Bruno  Keil  a.  unten  a.  0.  S.  140. 
")  Buch  2,  10  f.;  3,  1  «.  (S.  25  f.;  30  ff. 
ed.  Hilberg). 

»)  Vgl.  Gidel  a.  unten  a.  0.  S.  171  f. 
*)  Kin  Prozess,  der  sich  bekanntlich  auf 


Cyporn  wie  in  alh'ii  ilbrigon  fränkischon 
Herrschafton  auf  griocliiscliem  Hoden  mit 
erstaunlicher  Schnelligkeit  und  (irUndlichkoit 
vollzogen  hat. 

*J  Vers  1;  5;  19. 


4.  Romantische  Dichtungen  über  mittelalterliche,  z.  T.  abendländ.  Stoffe.  (§  257.)     449 

man  hatte  sich  besonnen,  dass  die  Sitte  der  Falkenjagd,  die  zuerst  wohl 
als  eine  besondere  Eigentümlichkeit  der  fränkischen  Ritter  erschien,  auch 
im  Orient  nicht  unbekannt  war  und  dass  für  den  Jagdvogel  auch  ein 
griechisches  Wort  existierte.  Unter  den  Personennamen  ist  nur  noch 
ein  einziger  fränkisch;  das  Wort  Xi^iog  wird  als  völlig  bekannt  voraus- 
gesetzt und  schon  im  übertragenen  Sinne  gebraucht.  Alles  deutet 
darauf  hin,  dass  das  Gedicht  aus  einem  Kultm-boden  erwuchs,  dem  das 
fränkische  Wesen  so  lange  eingefurcht  war,  dass  es  von  der  griechi- 
schen Umgebung  schon  wieder  überwuchert  wurde.  Genauer  lässt  sich 
natürlich  weder  der  Ort  noch  die  Zeit  der  Entstehung  des  Werkes  fest- 
stellen. Am  besten  geeignet  zur  Hervorbringung  solcher  Mischpoesien 
waren  wohl  die  grossen,  von  den  Franken  mit  nachhaltiger  Kraft  besetzten 
Inseln  an  der  kleinasiatischen  Küste,  und  von  diesen  wiederum  weniger 
die  vom  nüchternen  Geiste  italienischer  Kaufherrn  verwalteten  nördlichen 
(Lesbos,  Chios)  als  vielmehr  die  Sonneninsel  Rhodos  und  das  üppige 
Cypern,  wo  das  fränkische  Rittertum  und  die  Romantik  zur  vollkom- 
mensten Blüte  gelangten.  Die  Wahl  zwischen  diesen  beiden  Inseln  fällt 
schwer;  für  Cypern  sprechen  dialektische  Eigentümlichkeiten  —  soweit 
bei  der  mangelhaften  lokalen  Differenzierung  der  mittelgriechischen  Vul- 
gärsprache auf  sie  gebaut  werden  kann  —  und  der  Umstand,  dass  die 
eine  unserer  Handschriften  (der  cod.  Scalig.  55)  auf  Cypern  geschrieben 
zu  sein  scheint^).  Die  erste  Fassung  des  Gedichtes  ist  wohl  noch  ins 
14.  Jahrhundert  zu  setzen;  dass  aber  das  Werk  eine  durchgreifende 
Umarbeitung  erfahren  hat,  wird  schon  aus  der  Vergleichung  der  zwei 
Versionen  klar;  namentlich  dürfte  sich  die  ganze  Geschichte  des  Klitobos, 
der  zur  Belohnung  für  seine  kluge  Führung  die  Schwester  Rhodamnes  zur 
Frau  erhält,  dann  aber  gerade  noch  zeitig  genug  von  ihr  erlöst  wird,  um 
seine  inzwischen  verwitwete  Jugendliebe  heimzuführen,  sich  als  eine  dem 
originalen  Kern  äusserlich  aufgepfropfte  Zuthat  erweisen. 

1.  Ueberlieferung:  Bis  jetzt  sind  drei  Handschriften  bekannt:  der  cod.  Paris. 
2910;  der  cod.  Neapol.  IE  A  a  9  (fol.  44— 116)  und  der  cod.  Scalig.  .55  (der  auch  Kal- 
limachos  und  Chrysorrhoe  enthält).  Ausserdem  besass  Martin  Crusius  eine  Handschrift, 
aus  welcher  er  Auszüge  mitteüt ;  sie  muss  von  den  uns  bekannten  drei  Handschriften  ver- 
schieden gewesen  sein,  da  sich  der  oben  erwähnte  Vers  mit  dem  Worte  axsXns  in  keiner 
derselben  findet.  Das  Verhältnis  der  drei  Handschriften  wird  auch  aus  der  Ausgabe  von 
Wagner  nicht  klar;  nur  so  viel  ergibt  sich  aus  einer  Vergleichung  derselben  mit  der  von 
Maurophrj'des,  dass  zwei  bedeutend  verschiedene  Versionen  vorliegen.  Die  Partie 
über  die  12  Monate  steht  auch  im  cod.  Barber.  Gr.  I  172. 

2.  Ausgaben:  Ed.  pr.  Maurophrydes,  'ExXoyij  S.  324—428  (2853  Verse  in  ziem- 
lich unlesbarer  Gestalt  nach  dem  cod.  Paris.  2910).  —  Ed.  W.  Wagner,  Trois  poemes  gr. 

5.  242—349  (3841  Verse  nach  den  codd.  Neapol.  und  Scalig.);  die  Ausgabe  ist  aus  dem 
Nachlasse  Wagners  von  Sathas  besorgt  und  leidet  im  höchsten  Grade  an  allen  Mängeln, 
die  gewöhnlich  postumen  Werken  anhaften.  —  Eine  kritische  Ausgabe  bleibt  somit 
noch  ein  Bedürfnis. 

3.  Hilfsmittel:  Martin  Crusius,  Turco-Graecia,  Basel  1584  S.  489  f.,  gibt  eine 
kurze  Analyse  nach  einer  nicht  wiedergefundenen  Handschrift.  Wiederholt  bei  Fabricius, 
Bibl.  Gr.  ed.  Harl.  8,  154  flf.  —  Analyse  imd  litterarhistorische  Untersuchung  von  Ch. 
Gidel,  Etudes  sur  la  litt.  gr.  mod.  S.  151 — 196.  —  Beschreibung  des  cod.  Scalig.  bei 
Lambros,  Coli,  de  rom.  gr.  Introd.  S.  83  flF.  —  Beurteilung  der  in  dem  Romane  geschil- 
derten Darstellung  der  12  Monate  und  Vergleichung  derselben  mit  den  Monatszyklen  der 
byzantinischen   und   abendländischen   Kunst  von   Bruno   Keil,  Wiener  Studien  11  (1889) 


*)  Sp.  Lambros,  Coli,  de  rom.  gr.  Introd.  S.  87. 

H«ndbach  der  Ums.  Altertmnririaseiiscbaft.    IX.    1.  Abtlg.  29 


450     Byzantinische  Litteratnrgeschiclite.    IH.  Vulgärgriech.  Litteratnr.    1.  Poesie. 

120— 142,  wo  die  Partie  Ober  die  12  Monate  mit  Apparat  und  Kommentar  mitgeteilt  und 
auch  eine  Analyse  imd  Kritik  des  Gedichtes  gegeben  sind.    Vgl.  §  197,  9. 

258.  Der  alte  Ritter,  'O  nQtaßvq  Innörrfi  (306  reimlose  politische 
Verse),  ein  griechisches  Gedicht  aus  dem  Kreise  der  Ritter  von  der 
Tafelrunde,  das  zwar  in  der  konventionellen  Schriftsprache  abgefasst  ist, 
aber  wegen  seines  Stoffes  hieher  gehört '),  ist  eine  freie,  abkürzende  und 
ziemlich  trockene  Bearbeitung  des  gegen  das  Ende  des  12.  Jahrhunderts 
abgefassten  französischen  Prosaromans  Gyron  le  Courtois.  Der 
Held  des  Gedichtes  ist  ein  alter  Ritter,  der  alle  jungen  Ritter  vom  Hofe 
des  Königs  Artus  überwindet.  Die  Begriffe  und  Namen  der  Artussage 
sind  zum  Teil  wörtlich  ins  Griechische  übersetzt;  aus  der  Tafelrunde 
wird  eine  etwas  prosaische  atqoyyvXij  rqdjie^a,  aus  dem  berüchtigten 
Franzosen  Lancelot  du  Lac  ein  AavaeXwxoq  ix  yiifivrß.  Solche  Treue  in 
der  Uebertragung  hindert  den  Verfasser  aber  nicht,  auch  dem  Vorbilde  des 
Homer  zu  folgen;  ihm  entlehnt  er  Vergleiche  und  nach  ihm  richtet  er 
sich  sogar  in  seiner  Erzählung,  ohne  sich  um  die  Verschiedenheit  der 
Sitten  des  trojanischen  und  des  bretonischen  Hofes  zu  kümmern. 
Wie  Hektor  der  Andromache,  so  gebietet  König  Artus  seiner  Gattin 
Genievre  {Nt^sreßga),  die  ihn  vom  Kampfe  mit  dem  alten  Ritter  abhalten 
will:  „Geh  und  sprich  nicht  weiter;  du  gehörst  sittsam  ins  Frauengemacli 
und  zu  den  Mägden;  ich  aber  waffne  mich  um  der  Tafelrunde  willen" 
(V.  139 ff) 2).  Die  Handschrift  des  „alten  Ritters"  soll  dem  Ende  des 
13.  oder  dem  Anfange  des  14.  Jahrhunderts  angehören,  und  um 
dieselbe  Zeit  ist  wohl  auch  das  Gedicht  selbst  abgefasst.  An  Bedeutung 
für  die  Geschichte  der  byzantinischen  Litteratur  und  Kultur  steht  das 
Werk  tief  unter  den  von  abendländischem  Geiste  durchwehten  vulgär- 
griechischen Romangedichten;  die  Sage  von  der  Tafelrunde  ist  im  Osten 
nie  in  weitere  Kreise  gedrungen,  und  das  Gedicht  vom  alten  Ritter  erhebt 
sich  deshalb  nicht  über  die  Bedeutung  eines  vereinzelten  und  privaten 
Versuches,  einen  höfischen  Stoff  dem  griechischen  Verständnis  zu  vermitteln. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Zuerst  aus  der  einzigen  vatikanischen  Handschrift 
ediert  von  F.  H.  von  der  Hagen,  Berlin  1821.  —  Abdruck  dieser  Ausgabe  bei  Fr.  Mi- 
chel, Tristan,  recueil  de  ce  qui  reste  des  poßmes  relatifs  ä  ses  aventures  etc.  (3  voll., 
Londrea  et  Paris  1835—39)  vol.  II  267—297.  —  Ed.  Ad.  Ellissen  im:  Nachtrag  zum 
ersten  Teil  des  Versuchs  einer  Polyglotte  der  europäischen  Poesie,  Leipzig  1846  (mit  Ein- 
leitung und  deutscher  Uebersetzung).  —  Litterarhistorische  Untersuchung  von  Ch.  Gidel, 
ritudes  sur  la  litt.  gr.  med.  S.  75 — 103.  —  Ueber  die  französischen  und  deutschen  Werke 
aus  dem  Artuskreise  vgl.  Gaston  Paris,  La  litt.  fran9aiso  au  moyen  äge,  Paris  1888 
S.  86  fF.  —  H.  P.  Junker,  Grundriss  der  Geschichte  der  französischen  Litteratur,  Münster 
1889  S.  76  flF.  —  Karl  Goedeke,  Grundriss  zur  Geschichte  der  deutschen  Dichtung  I* 
(1884;  S.  77  f. 

259.  Phlorios  und  Platziaphlora  (1874  reimlose  politische  Verse); 
der  handschriftliche  Titel  lautet: 

Jn]y7]<ng  i^nlQetos,  iQionxrj  x«t  |fV»/ 

'i'kwQiov  rov  7iayet<TV)(oi>g  xal  xÖQTjg  JlXarCif((pXi6Qt](. 


')  Der  Titel  stammt  von  dem  ersten 
Herausgeber;  doch  hat  Brunet  de  Presle  mit 
Hecht  bemerkt,  dass  die  Aufschrift  eigentlich 
]aut4)n  mÜHste  '0  TtgeaßvTTjs  Innöttji,  da  im 
Gedicht«  selbst    nur   diese    Form    gebraucht 


wird.     S.  Gidel  a.  unten  a.  0.  S.  100. 

'')  Im  französischen  Roman  wird  nur  ge- 
sagt: ,Le  roy  la  fi.st  ostor  de  devant  luy,  et 
dist  qu'il  ne  s'en  tiendroit  pour  rien  au  monde*. 
Gidel  a.  unten  a.  0.  S.  9(3. 


4.  Romantische  Dichtungen  üb.  mittelalterl.,  z.  T.  abendländ.  Stoffe.  (§  258—259.)     451 

Diese  Liebesgeschichte  des  sarazenischen  Prinzen  Phlorios  und  der  in  der 
Gefangenschaft  geborenen  Christin  Platziaphlora  ist  eine  freie  Bearbeitung 
der  schon  im  12.  Jahrhundert  in  der  Provence  bekannten  und  alsbald  bei 
den  meisten  Völkern  des  Mittelalters  verbreiteten  Sage  von  Flore  und 
Blanche fleur.  Die  erste  dichterische  Bearbeitung  derselben  ist  wohl 
der  im  13.  Jahrhundert  entstandene  französische  Roman  Floire  et  Blance- 
flor.  Doch  hat  der  griechische  Dichter,  wie  es  scheint^),  nicht  aus  einer 
französischen  Redaktion  geschöpft,  sondern  aus  dem  um  das  Jahr  1340 
abgefassten  Filocopo  des  Boccaccio,  in  welchem  die  volksmässig  ein- 
fache Erzählung  des  Originals  in  einen  breiten,  mit  klassischem  Beiwerk 
aufgeputzten  Prosaroman  auseinandergezerrt  ist.  Das  griechische  Werk 
besitzt  einzelne  Züge,  welche  in  den  französischen  Bearbeitungen  fehlen, 
dagegen  bei  Boccaccio  vorkommen.  Manches  Eigenartige  stammt  auch 
von  dem  griechischen  Dichter  selbst;  er  hat  Namen  von  Personen  und 
Lokalitäten  verändert  und  die  langen  Liebesreden,  welche  der  Italiener 
seinem  Helden  in  den  Mund  legt,  weggelassen.  Der  Verfasser  des  Ge- 
dichtes, der  wohl  der  zweiten  Hälfte  des  14.  oder  dem  Beginn  des 
15,  Jahrhunderts  angehört,  war  übrigens  nicht  ein  Nationalgrieche 
sondern  ein  Gasmule  oder  ein  hellenisierter  Franke;  darauf  deutet  der 
Umstand,  dass  bei  aller  sonstigen  Freiheit  der  Umarbeitung  gerade  mehrere 
Züge,  die  sich  auf  das  religiöse  Bekenntnis  der  Hauptpersonen  be- 
ziehen, beibehalten  sind;  der  Vater  Platziaphloras  ist  ein  edler  Ritter  in 
Rom;  er  wallfahrtet  nach  St.  Jago  di  Compostela  in  Spanien;  die 
Eltern  des  Phlorios  bekehren  sich  zuletzt  mit  ihrem  ganzen  Volke  zum 
orthodoxen  katholischen  Glauben.  Ein  Anhänger  der  orientalischen 
Kirche,  die  sich  im  14.  Jahrhundert  im  schärfsten  Gegensatze  zur  römi- 
schen befand,  hätte  solche  Motive  schwerlich  unangetastet  gelassen. 

1.  Ausgaben:  Ed.  pr.  aus  cod.  Yindobon.  theol.  297  I.  Bekker.  Abhandl.  der 
Berliner  Akad.  der  Wiss.  1845  S.  127—180.  —  Ed.  Maurophrydes,  "ExXoy^  S.  257—323 
(sehr  fehlerhaft).  —  Ed.  W.  Wagner,  Medieval  gr.  texts  S.  1 — 56;  der  Text  bleibt  auch 
hier  noch  verbesserungsbedürftig. 

2.  Hilfsmittel:  Emendationen  zur  Ausgabe  von  Bekker  gab  A.  Mullach,  Con- 
iectaneorum  Byzantinorum  ,libri  duo,  Berlin  1852  S.  37 — 60.  —  Litterarhistorische  Unter- 
suchung von  Ch.  Gidel,  Etudes  sur  la  litt.  gr.  mod.  S.  231 — 255.  —  ^ßdelestand  du 
Meril,  Floire  et  Blanceflor,  poemes  du  XIII'^  siecle,  Paris  1856,  gibt  zwei  französische  Ge- 
dichte und  eine  Episode  aus  einer  dritten  französischen  Version;  über  das  griechische  Ge- 
dicht vgl.  Introd.  S.  21  ff.,  84  ff.;  über  den  Filocopo  S.  67  ff.,  179  ff.  —  Filocopo:  Oft 
gedruckt,  z.  B.  in  den  Opere  volgari  di  Giovanni  Boccaccio,  vol.  7.,  Florenz  1829.  —  Eine 
italienische  Bearbeitung  in  Versen:  II  cantare  di  Fiorio  e  Biancifiore  edierte  E. 
Hausknecht,  Herrigs  Archiv  f.  d.  Studium  der  neueren  Sprachen  und  Litt.  71  (1884) 
1 — 48.  —  Ueber  die  englischen,  französischen  und  deutschen  Bearbeitungen  des  Stoffes: 
Gust.  Körting,  Grundriss  der  Geschichte  der  englischen  Litteratur,  Münster  1887  S.  115  f.  — 
Gaston  Paris,  La  litt,  francjaise  au  moyen  äge,  Paris  1888  S.  82;  252.  —  H.  P.  Junker, 
Grundriss  der  Geschichte  der  französischen  Litteratur,  Münster  1889  S.  90  f.  —  G.  Ger- 
vinus,  Geschichte  der  deutschen  Dichtimg  P  S.  635  ff.  —  Karl  Gödeke,  Grundriss  zur 
Geschichte  der  deutschen  Dichtung  I'  (1884)  103  f.;  353  f.;  463.  —  Die  erste  deutsche 
Bearbeitung  wurde  im  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  von  dem  schwäbischen  oder  schwei- 
zerischen Dichter  Konrad  Fleck  abgefasst. 

3.  Die  Frage,  wo  der  Urkern  der  Erzählimg  von  Flore  und  Blanchefleur  zu  suchen 
sei,   liegt   unserem   Plane   ferne.     Ed.    du   Meril   a.  a.  0.  S.  182  ff.,    Gervinus  a.  a.  0. 

5.  638  und  Gas  ton  Paris  a.  a.  0.  S.  82  glauben,  dass  der  Stoff  von  Byzanz  ausgegangen 


')  Die  Frage  scheint  mir  auch  nach  den   I    schlössen  zu  sein. 
Untersuchungen  von  Gidel  noch  nicht  abge-   | 


29^ 


452     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    m.  Valgärgriech.  Litteratar.    1.  Poesie. 

ist,  so  dass  in  dem  vulgärgriechischen  Gedichte  der  Endpunkt  eines  litterargeschichtlichen 
Kreislaufes  vorläge.  Möchte  sich  doch  A.  N.  Veselovskij  oder  ein  anderer  Pfadfinder 
im  Urwalde  der  westöstlichen  Sagenwelt  der  Sache  annehmen! 

260.  Imberios  und  Margarona.  In  mehreren  Versionen  ist  ein 
vulgärgriechisches  Gedicht  überliefert,  das  die  Ueberschrift  trägt: 

Jcijytjais  f|«iperof,  igtotixt]  xai  S.evt} 

Tov    HfinEQiov  &t(v/iaaTov  xai  xÖQtjg  MaQyaQoiyag. 

Von  einer  Inhaltsangabe  kann  auch  hier  abgesehen  werden;  denn  wie 
schon  der  Titel  erraten  lässt,  ist  das  Werk  nichts  anderes  als  eine  Be- 
arbeitung der  allbekannten,  im  deutschen  Volksbuch  bis  auf  den  heutigen 
Tag  verbreiteten  und  viel  gelesenen  französischen  Geschichte:  Pierre 
de  Provence  et  la  belle  Maguelonne.  Aus  Pierre  hat  der  griechische 
Bearbeiter  nicht  einen  Jlt'tQog,  sondern  im  engsten  Anschluss  an  die  fran- 
zösische Form  einen  'Hfim'Qiog  gemacht;  aus  Maguelonne  wurde  durch 
volksetymologische  Anlehnung  an  i^iaQyuQira  (Goldblume)  und  ^uQyaQixÜQiv 
(Perle)  eine  MaqyaQutva.  Die  erste  Bearbeitung  der  in  Südfrankreich 
lokalisierten  Sage  von  der  schönen  Maguelonne  wird  einem  Kanonikus  der 
Kirche  von  Maguelonne,  Bernard  Triviez,  zugeschrieben,  der  um  1178 
lebte;  die  älteste  uns  erhaltene  Bearbeitung  ist  der  französische  Prosa- 
roman, der  1453  zum  ersten  Male  im  Drucke  erschien.  Doch  scheint  die 
Vorlage  des  griechischen  Gedichtes  nicht  dieses  Prosawerk  gewesen  zu 
sein,  sondern  ein  älterer  provenzalischer  Versroman,  auf  welchen 
wohl  auch  die  französische  Prosabearbeitung  zurückgeht.  Wie  sehr  die 
in  ganz  Europa  verbreitete  Erzählung  auch  bei  den  Griechen  Gefallen 
fand,  beweist  die  Thatsache,  dass  das  Gedicht  in  verschiedenen  Bearbei- 
tungen dem  veränderten  Bedürfnis  der  Zeit  angepasst  und  zuletzt  in  zahl- 
reichen Drucken  verbreitet  wurde.  Die  zwei  älteren  Versionen  (die 
eine  in  814,  die  andere  in  862  Versen)  sind  noch  in  reimlosen  Fünf- 
zehnsilbern abgefasst;  eine  verflachte  gereimte  Bearbeitung  (1046  Verse) 
wurde  in  die  venezianische  Sammlung  griechischer  Volksbücher  aufge- 
nommen. Die  zwei  reimlosen  Versionen  entstanden  wahrscheinlich  in  der 
ersten  Hälfte  des  15.,  die  gereimte  nicht  vor  dem  Anfang  des 
16.  Jahrhunderts. 

1.  Ausgaben:  Von  der  gereimten  Version  existieren  zahlreiche  Venezianer.  J 
Drucke;  der  älteste  derselben,  von  dem  jedoch  kein  Exemplar  wieder  aufgefunden  ist,  J 
soll  dem  Jahre  1562  angehören;  sicher  bezeugt  sind  die  Nachdrucke  von  1688,  1666,  1770, 
1779,  1806.  Da  diese  Volksbücher  jetzt  sehr  selten  sind  und  nur  die  späteste  Version  ent- 
halten, sind  wir  auf  die  neuen  kritischen  Ausgaben  angewiesen.  —  Ed.  W.  Wagner  in 
Legrands  Coli,  de  mon.  N.  S.  vol.  3  (reimlose  Version  nach  cod.  Vindob.  theol.  297  mit 
einem  grammatischen  und  kritischen  Kommentar).  -  -  Ed.  Sp.  Lambros,  Coli,  de  rem.  gr.  \ 
S.  239—288  (reimlose  Version  nach  cod.  Bodl.  misc.  287  mit  Verwertung  des  erwähnten 
cod.  Vindob.  und  des  cod.  Neapel.  251).  —  Ed.  Gust.  Meyer,  Gymnasialprogr.  Prag  1876 
(gereimte  Version  nach  dem  Venez.  Druck  von  1666).  —  Ed.  P].  Legrand,  Bibl.  gr.  vulg. 
I  283 — 320  (gereimte  Version  nach  dem  Venez.  Druck  von  1638). 

2.  Hilfsmittel:  Litterarhistorische  Untersuchung  von  Ch.  Gidel,  Etudes  sur  la 
litt.  gr.  mod.  S.  269—288.  —  Ueber  die  deutschen  Bearbeitungen  (zuerst  von  Magister 
Veit  Warbeck,  Augsburg  1536)  vgl.  Karl  Goedeke,  (irundriss  zur  Goschichte  der 
deutschen  Dichtung  11''  (1886)  20.  —  Zum  Venez.  Druck  von  1562  vgl.  E.  Legrand,  Bibliogr. 
hell.  I  (1885)  313  f. 

3.  Hier  sei  noch  erwähnt,  dass  die  in  dem  französischen  Romane  La  Manekine 
(12.  Jahrh.)  behandelte  legende  von  der  Jungfrau,  der  eine  Hand  abgehauen  und  durch 
Marias  Hilfü  wieder  angeheilt  wird,  auch  auf  griechischem  Boden  bekannt  ist.     Sic  steckt 


4.  Romantische  Dichtungen  über  mittelalterliche,  z.  T.  abendländ.  Stoffe.  (§  260.)     453 

in  dem  Buche  'H  rtSy  ceuceQTO}'/.oiy  awTTjQia  des  Mönches  Agapios,  welches  zu  Venedig 
1641  als  3.  Teü  seines  Legendenwerkes  AVo?  Jlceoccdsiaog  erschien.  Doch  hat  niemand  auf- 
geklärt, wie  sich  die  beiden  Texte  genealogisch  zu  einander  verhalten.  Vgl.  Ch.  Gidel, 
Etudes  sur  la  litt.  gr.  mod.  S.  289 — 301.  —  Th.  de  Puymaigre.  La  fille  aux  mains 
coupees,  Revue  de  Thistoire  des  religions  10(1884)  193  ff.  —  Leon  Sichler,  La  fille  aux 
bras  coupes.  Revue  de  l'histoire  des  religions  13  (1886)  83  ff.;  215  ff.  —  Rene  Basset, 
H.  Gaidoz  und  F.  Liebrecht,  Melusine  2  (Paris  1884—85)  Sp.  309  f.;  392  ff.:  446  ff.  — 
H.  P.  Junker,  Gnindriss  der  Geschichte  der  französischen  Litteratur,  Münster  1889  S.  129  ff. 
4.  Eine  vulgärgriechische  Lebersetzung  der  Theseide  des  Boccaccio  in  acht- 
zeiligen  Stanzen  erschien  zu  Venedig  1529  unter  dem  Titel:  Qr^aeog  xul  yäuoi  jrjg  'Ef4T]Xlag 
(sie!).  Die  Abfassung  der  t'ebersetzimg  erfolgt  wohl  bald  nach  der  ersten  Veröffentlichung 
des  italienischen  Textes  (Ferrara  1475).  Das  Werk  ist  bis  jetzt  der  Forschung  fast  unzu- 
gänglich, da  von  dem  Venezianer  Druck  nur  wenige  Exemplare  (in  Kopenhagen,  im  British 
Museum,  in  der  Bibliothek  des  Fürsten  G.  Mavrogordatos  und  in  der  GjTnnasialbibliothek 
zu  Korfu)  bekannt  sind.  Ausserdem  ist  die  üebersetzung  im  cod.  Paris.  Gr.  2898  imd  im 
cod.  Vatican.  Gr.  426  (H.  Stevenson,  Codd.  Mss.  Palatini  Graeci  bibl.  Vaticanae,  Romae 
1885  S.  266)  aufbewahrt,  woraus  sie  John  Schmitt  zu  veröffentlicben  beabsichtigt.  Ein- 
zelne Proben  sind  mitgeteilt  von  K.  Sathas,  'EXX.  'JyExdora  I  IIqoX.  asX.  nß'  xin.  —  Vgl. 
E.  Legrand,  Bibliogr.  hell.  I  (1885)  206  f. 


5.  Tiergeschichten. 

261.  Vorbemerkung.  Die  volksmässige  Kehrseite  der  naturwissen- 
schaftlichen Studien  zeigt  sich  bei  den  Griechen  schon  früh  in  der  Samm- 
lung von  seltsamen  und  wunderbaren  Thatsachen  aus  dem  Naturleben. 
In  den  breiteren  Schichten  des  Volkes  fanden  nur  diejenigen  Teile  der 
Wissenschaft  Aufnahme,  welche  der  Kuriositätensucht  Nahrung  boten. 
Dieser  Popularisierung  konnte  sich  kein  Gebiet  der  Naturkunde  entziehen. 
Neben  die  gelehrte  Mathematik  und  Astronomie  tritt  die  mystische  Astro- 
logie; mit  der  ernsthaften  Erforschung  des  Wesens  der  Stoffe  verbindet 
sich  der  alchimistische  Aberwitz;  die  wissenschaftliche  Zoologie  unter- 
liegt ihrem  volkstümlichen  Nebenbuhlex,  dem  Physiologus.  Durch  seine 
christlich-dogmatische  Tendenz  hat  er  auf  die  Kultur  und  Litteratur  einen 
grösseren  Einfluss  erlangt  als  irgend  eine  andere  populäre  Abzweigung 
der  Naturwissenschaft.  Mit  dem  Physiologus  sind  die  mittelalterlichen 
Tierepen  verwandt:  auch  bei  ihnen  bildet  den  Grundton  das  poetische 
Erblicken  menschlicher  Eigenschaften  in  der  Tierwelt.  Wir  fassen  daher 
diese  ganze  Tierlitteratur  in  einen  Abschnitt  zusammen  und  fügen  dazu 
auch  ein  Stück  aus  der  Pflanzenwelt,  den  Porikologos,  obgleich  derselbe 
in  Prosa  abgefasst  ist  und  daher  eigentlich  in  der  zweiten  Abteilung  Platz 
finden  müsste. 

Obschon  die  wichtigsten  Züge  des  Physiologus  und  der  Tiersage  auf 
griechisch-orientalischem  Boden  entstanden  sind,  spielt  die  populäre  und 
christliche  Naturgeschichte  bei  den  Byzantinern  eine  ziemlich  bescheidene 
Rolle;  von  jener  unermesslichen  Wirkung  auf  Poesie,  Kunst  und  Volks- 
anschauung, welche  dem  Physiologus  und  den  übrigen  Tiergeschichten  ira 
Abendlande  beschieden  war,  ist  in  Ostrom  wenig  aufzufinden.  Die 
Gründe  dieser  unzweifelhaften  Thatsache  liegen  in  dem  verschiedenen 
Gange  der  allgemeinen  Kulturentwickelung.  Im  Westen  wuchsen  neue, 
frische  Geschlechter  heran,  die  unbeirrt  von  der  alten  Schulüberlieferung 
ihre  eigenen  Wege  gingen  und  ohne  Scheu  die  Volkssprachen  zum  Aus- 
drucke des  geistigen  und  gemütlichen  Inhaltes  ihrer  Zeit  verwandten ;  hier 
fand  die  naive  Betrachtung  der  Natur  und  die  symbolische  oder  künst- 
lerische Verwertung  derselben  durch  Dichter,  Spielleute,  Steinmetze,  Pre- 
diger und  Magister  einen  weit  günstigeren  Boden  als  bei  den  Mittelgriechcn, 
die  allzusehr  im  Banne  der  gelehrten  Tradition  befangen  blieben  und  nur 


I 


i 


5.  Tiergeschichten.  (§  261—262.)  455 

langsam  dazu  kamen,  der  lebendigen  Sprache  und  der  volksmässigen  An- 
schauung ihr  litterarisches  Recht  zu  verschaffen.  Bis  jetzt  kennen  wir 
in  der  vulgärgriechischen  Litteratur  folgende  Werke  aus  der  fabelhaften 
Naturgeschichte:  1.  Den  Physiologos,  2.  Die  Geschichte  von  den  Vier- 
füsslern,  3.  Den  Pulologos,  4.  Zwei  Gedichte  aus  dem  Kreise  des 
Reinhart  Fuchs,  5,  Den  Porikologos. 

1.  Als  allgemeine  Hilfsmittel  dienen  die  zu  §  262  zitierten  Werke,  besonders 
das  Buch  von  Lauche rt.  —  C.  Prantl,  Einige  Reste  des  Thierepos  bei  den  Sammel- 
schriftstellem  und  Naturhistorikem  des  späteren  Altertums,  Phüologus  7  (1852)  61—76. 

2.  Neben  den  mit  christlicher  Symbolik  versetzten  Physiologosversionen  und  den 
poetisch  verarbeiteten  Tiergeschichten  üefen  im  byzantinischen  wie  im  abendländischen 
Mittelalter  zoologische  und  sonstige  naturwissenschaftliche  Sammlungen,  die 
von  der  Beimischung  christlicher  oder  poetischer  Elemente  frei  sind.  Hieher  gehören  z.  B. 
die  natursvissenschaftlichen  Fragen  des  Theophylaktos  Simokattes  (s.  §  15)  und  die 
von  Chr.  Fr.  Matthaei,  JloixiXa  'E^Jitjyixä.  Mosquae  1811  S.  1 — 90  edierte  anonyme 
Tiergeschichte:  üegi  Cww»'  rty(öy  idiorrirog.  In  der  letzteren  Schrift  werden  in  53  (ur- 
sprünglich 56)  Kapiteln  die  wichtigsten  Tiere  nach  ihrer  Beschaffenheit  und  ihren  Eigen- 
schaften, aber  ohne  eine  Spur  allegorischer  Deutung,  kurz  beschrieben.  Vgl.  §  24.  —  Ver- 
einzelte Spuren  der  im  Physiologos  oder  sonst  verbreiteten  fabelhaften  Naturgeschichten 
finden  sich  auch  in  mittelgriechischen  Romanen  z.  B.  im  Lybistros  V.  128  flF.; 
166  flF.  Sonst  scheint  sich  die  byzantinische  Litteratur  gegen  die  Anregungen,  die  im  Phy- 
siologus  enthalten  sind,  ziemlich  ablehnend  verhalten  zu  haben. 

262.  Der  Physiologos,  das  naturwissenschaftliche  Haus-  und  Hand- 
buch des  Mittelalters,  die  Quelle  all  der  wundersamen  Geschichten  von 
dem  sich  selbst  aufopfernden  Vogel  Pelikan,  von  dem  aus  der  Asche 
wiedererstehenden  Phönix,  von  dem  merkwürdigen  Tiere  Einhorn  und 
anderen  seltsamen  Wesen,  ist  eine  populäre  Fabelzoologie  mit  christ- 
lich-dogmatischem Beiwerke.  Der  Gedanke,  auf  Vorgänge  in  der 
Natur,  besonders  in  der  Tierwelt,  zu  exemplifizieren,  findet  sich  schon 
häufig  im  alten  und  neuen  Testament  verwendet;  die  Kirchenväter  folgten 
den  heiligen  Schriften,  und  für  die  Religiosität  des  Mittelalters  ist  nichts 
so  bezeichnend,  als  das  Bestreben,  für-  alle  Heilswahrheiten  und  Einrich- 
tungen der  christlichen  Kirche  in  der  Natur  geheimnisvolle  Vordeutungen 
und  Seitenstücke  aufzusuchen.  Die  christliche  Kunst  fand  in  dieser  reich 
ausgebildeten  Symbolik  die  dankbarsten  Vorwürfe,  und  die  Spuren  des 
Physiologos  blicken  uns  an  Portalen  und  Kanzeln  romanischer  und  früh- 
gothischer  Dome,  in  Randzeichnungen  und  Initialen  alter  Handschriften 
allenthalben  wohl  erkennbar  entgegen.  Nicht  geringeren  Einfluss  übte 
der  Physiologos  auf  die  Schule  und  die  Wissenschaft;  ja  man  kann 
behaupten,  dass  fast  alle  mittelalterliche  Naturforschung  im  Sinne  des 
Physiologos  gehalten  ist.  Wie  manche  Physiologosideen  endlich  noch  im 
modernen  Sprachgebrauch  in  ebenso  beliebten  als  abgenützten  Bildern 
fortleben,  ist  zur  genüge  bekannt.  Wer  zuerst  auf  den  Gedanken  kam, 
aus  den  heiligen  Schriften  und  aus  der  zoologischen  Profanlitteratur  eine 
christliche  Natursymbolik  zusammenzustellen,  ist  nicht  überliefert. 
Man  hat  die  ansprechende  Vermutung  aufgestellt,  dass  das  erste  Buch 
dieser  Art  im  zweiten  Jahrhundert  n.  Chr.  in  Aegypten,  dem  fi'ucht- 
baren  Sammelpunkte  hellenischer,  jüdischer  und  orientalischer  Ideen,  ent- 
standen sei.  Jedenfalls  lassen  sich  Spuren  des  Physiologus  schon  bei 
griechischen  Kirchenvätern  des  3.  und  4.  Jahrhunderts  wie  Clemens 
von   Alexandrien,    Origenes,    Johannes   Chrysostomos    u.   a.    nachweisen; 


456     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    HI.  Vulgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

selbst  Justinus  Martyr  (f  um  165)  hat  schon  Physiologosideen  ver- 
wertet. In  den  besten  Handschriften  des  griechischen  Physiologos  wird 
das  Werk  dem  Bischof  Epiphanios  (f  403)  zugeteilt;  doch  ist  seine 
Autorschaft  nicht  genügend  gesichert.*)  Die  Spuren  des  lateinischen 
Physiologus  reichen  bis  an  die  Grenzscheide  des  4.  und  5.  Jahrhunderts. 
Im  Mittelalter  wurde  der  Physiologos  in  äthiopischen,  armenischen,  syri- 
schen, arabischen,  althochdeutschen,  angelsächsischen,  isländischen,  fran- 
zösischen, vulgärgriechischen,  rumänischen,  serbischen,  russischen  und 
anderen  Bearbeitungen  massenhaft  verbreitet. 

Der  uns  erhaltene  vulgärgriechische  Physiologos  besteht  aus 
1131  politischen  Versen;  mitten  unter  den  versifizierten  Partien  stehen, 
vielleicht  infolge  mangelhafter  Ueberlieferung,  zwei  kleine  Prosastücke. 
Das  ganze  Werk  ist  in  48  (bzw.  49)  Abschnitte  eingeteilt;  zuerst  werden 
vorzugsweise  Landtiere  behandelt  wie  der  Elefant,  der  Hirsch,  der  Basi- 
lisk u.  s.  w.,  dann  zwei  Doppelwesen,  der  Satyr  und  der  Kentaur,  end- 
lich die  Vögel,  wie  der  Pfau,  der  Geier,  die  Turteltaube,  der  Phönix,  der 
Pelikan  u.  s.  w.  Wie  dieser  metrische  Physiologus  inhaltlich  als  eine 
späte  und  ziemlich  roh  interpolierte  Rezension  erscheint,  so  gehört  der- 
selbe auch  in  formaler  Hinsicht  zu  den  schlechtesten  Erzeugnissen  der 
vulgärgriechischen  Litteratur;  der  Versbau  ist  holperig  und  fehlerhaft; 
die  Sprache  unbeholfen,  trocken  und  leblos;  der  Verfasser  schwelgt  wie 
Hermoniakos  in  Makaronismen,  halbgelehrten  Missbildungen  und  sinn- 
losen Füllwörtern  {toi'vvv,  yäq  u.  s.  w.).  Bezeichnend  für  die  unausrottbare 
grammatische  Sucht  der  Byzantiner  ist  es,  dass  sie  selbst  dieses  populäre 
Tierbuch  nicht  mit  den  Pröbchen  ihrer  etymologischen  Weisheit  ver- 
schont haben;  im  32.  Kapitel  wird  erklärt,  der  yvip  habe  seinen  Namen 
ort  und  yrjg  vipovvai ;  ebenso  verständnisvoll  ist  V.  826  das  Wort  x^^'^w^' 
gedeutet:  xal  id  rd  x^^^V  ^f]^^^^^  ^^^  xeilidwv  dxovti.  Aus  welcher  Vor- 
lage nun  der  vulgärgriechische  Physiologos  stammt  und  wie  er  sich  zum 
üovXoXöyog  und  den  anderen  Tierepen  verhält,  bedarf  noch  der  Unter- 
suchung. Auch  die  Chronologie  des  Werkes  schwebt  vorerst  ziemlich 
in  der  Luft;  die  zwei  einzigen,  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  (Pariser) 
Handschriften  stammen  aus  dem  16.  Jahrhundert,  die  in  ihnen  überlieferte 
Redaktion  des  Physiologos  dürfte  dem  14.  oder  15.  Jahrhundert  an- 
gehören. 

1.  Ausgaben:  Ed.  E.  Legrand,  Annuaire  de  l'assoc.  7  (1873)  225-286  =  Coli, 
de  raon.  vol.  16  (1873),  mit  einer  oberflächlichen  litterarhistorischen  Einleitung  von  Ch. 
Gidel  und  einem  kleinen  Glossar.  Die  Abhandlung  von  Gidel  ist  wiederholt  in  seinen 
Nouvelles  4tudes  sur  la  litt.  gr.  mod.,  Paris  1878  S.  401—443.  -  Kritische  Ausgabe  des 
dem  Epiphanios  zugeschriebenen  Prosaphysiologos  bei  Fr.  Lauch ert,  Geschichte 
des  Physiologus,  S.  229 — 279.  —  Auszüge  aus  einer  griechischen  Prosaversion  in  einer 
Venezianer  Handschrift  sind  mitgeteilt  von  Mustoxydes,  ^vXXoyt)  {Inoanna/näTtoy  ayex- 
dörtüy,  2.  Heft,  'Ey  Bevexia  1817.  —  Der  letzte  Ausläufer  der  Physiologosweisheit  auf 
griechischem  Gebiete  ist  die  Bearbeitung  des  Metropoliten  von  Naupaktos  Damaskenos 
Studites  (um  1568),  die  zu  Venedig  1695  gedruckt  worden  ist. 

2.  Allgemeine  Hilfsmittel  und  Ausgaben  anderer  Physiologi:  .1.  B. 
Pitra,  Spicilegium  Solesmense  tom.  III  (Paris  1855),  Hauptwerk  über  christliche  Natur- 
symbolik mit  einer  Sammlung  verschiedener  Physiologusvorsionen ;  S.  388  ff.  eine  griochi- 
Bche  Prosabearboitung,    S.  374  ff.  ein    armenischer   Physiologus.    —    A.  Mai,    Classicorum 

')  Vgl.  Christ,  Griech.  Litteraturgesch.'  §  614. 


5.  Tiergeschichten.  (§  263.)  457 

auctorum  tom.  7  fRomae  1835)  588—596,  gibt  Exzerpte  aus  einem  durch  seine  skeptische 
Haltung  merkwürdigen  lateinischen  Physiologus,  der  auf  eine  griechische  Vorlage  zurück- 
weist. —  Den  berühmten  Bestiaire  divin  des  Guillaume  aus  der  Normandie  (13.  Jahrb.) 
edierte  zum  ersten  Male  vollständig  mit  einer  kritischen  Einleitung  xmd  einem  Glossare 
Robert  Reinsch.  Leipzig  1890.  —  Die  Ausgabe  von  Charles  Cahier,  Melanges  d'archeo- 
logie  2  (Paris  1851)  85—232:  3  (1853)  203—288;  4(1856)  55—87  bleibt  von  Wert  durch 
die  Veröffentlichung  zahlreicher  Physiologusbilder  aus  alten  Handschriften.  —  Ch. 
Cahier,  Nouveaux  melanges  d'archeologie,  Paris  1874  S.  106—164  (französische  Ueber- 
setzung  eines  armenischen  Physiologus  u.  a.).  —  N.  Land,  Anecdota  Syriaca  vol.  4  (Lugd. 
ßatav.  1875)  115  ff.  (Abhandlung  über  den  Physiologus  mit  reichen  Litteratumachweisen). 
—  Fr.  Hommel,  die  äthiopische  Uebersetzung  des  Physiologus,  Leipzig  1877;  im  Anhange 
eine  Uebersetzung  des  isländischen  Physiologus.  —  Angelsächsische  Version  bei  Mätz- 
ner, Altenghsche  Sprachproben  1  1  (Berlin  1867)  55  ff.  —  Vgl.  Gust.  Körting,  Grund- 
riss  der  Geschichte  der  engUschen  Litteratur,  Münster  1887  S.  51  f.  —  Althochdeutsche 
bei  K.  Müllenhoff  und  W.  Scher  er,  Denkmäler  deutscher  Poesie  und  Prosa  aus  dem 
8.— 12.  Jahrb..  N.  81;  vgl.  S.  498.  —  Ed.  Kolloff,  Die  sagenhafte  und  symbolische  Tier- 
geschichte des  Mittelalters.  Raumers  histor.  Taschenbuch  1867  S.  177—269  (zur  Orien- 
tierung über  den  allegorischen  Inhalt  des  Physiologus  sehr  empfehlenswert).  —  V.  Carus, 
Geschichte  der  Zoologie,  München  1872  S.  109—145  (wichtig!).  —  0.  Zöckler,  Geschichte 
der  Beziehungen  zwischen  Theologie  und  Naturwissenschaft  1  (1877)  93  ff.  —  Eine  cechisch 
geschriebene  Abhandlung  über  den  Physiologus  von  J.  Gebauer  erwähnt  V.  Jagic,  Arch. 
slav.  Phil.  2  (1877)  752.  —  Karl  Ahrens.  Zur  Geschichte  des  sogen.  Physiologus,  Progr. 
Ploen  1885.  handelt  über  einen  syrischen  Physiologus  und  versucht  eine  Klassifizierung 
sämtlicher  Physiologi.  —  Neueste  Hauptschrift:  Fr.  Lauche rt.  Geschichte  des  Physio- 
logus, Strassburg  1889.  Hier  und  bei  Reinsch  a.  a.  0.  findet  man  auch  sonstige  Litte- 
ratur zum  Physiologus  verzeichnet.  Eine  kurze  Darlegung  des  gegenwärtigen  Standes  der 
Kritik  des  lateinischen  Physiologus  gibt  L.  Traube,  Wochenschnft  für  klass.  Philologie 
1890,  322  ff.  —  Ein  umfassendes  "Werk  über  Tiersymbolik  steht  in  Aussicht  von  dem 
geistvollen  Amerikaner  P.  Evans.  —  Zur  Erforschung  der  Urgeschichte  der  Physiologus- 
ideen  mag  man  beiziehen  Ang.  de  Gubernatis,  Zoological  mythology,  2  voll.,  London 
1872,  wo  freilich  der  Physiologus  selbst  nicht  berücksichtigt  ist. 

3.  Titel  und  Verfasser:  Unter  dem  Namen  Physiologos  wird  ursprünglich 
nicht  ein  Buch  verstanden,  sondern  ein  Mann,  der  sich  mit  der  Natur  beschäftigt,  ein 
Naturforscher.  Wer  zuerst  xax"  iio-jcijv  als  der  Physiologos  bezeichnet  wurde,  wissen 
wir  nicht;  man  hat  mit  gutem  Grunde  an  Aristoteles  gedacht.  Vgl.  Ahrens  a.  a.  0. 
S.  13  imd  Lauchert  a.  a.  0.  S.  44.  Dem  entsprechend  wird  im  Titel  der  griechischen 
Versionen  meist  ein  Werk  angekündigt  über  oder  aus  dem  Physiologos  {Eig  x6v  <f'vaio- 
köyoy,  "Ex  tov  ^raioXöyov).  In  den  französischen,  englischen  und  sonstigen  mittelalterlichen 
Bearbeitungen  ist  die  alte  Ueberschrift  gewöhnlich  durch  ein  in  der  Volkssprache  verständ- 
Ucheres  Wort  ersetzt  (Bestiaire,  Bestiary  u.  s.  w.).  Als  Verfasser  eines  Physiologus 
galten  im  Mittelalter  alle  möglichen  Beriüimtheiten  der  heidnischen,  jüdischen  und  christ- 
hchen  Litteratur,  wie  Salomon,  Aristoteles,  Demokritos,  Epiphanios,  Job.  Cluysostomos, 
Hieronymus,  Ambrosius  u.  a.  Vgl.  Pitra  a.  a.  0.  S.  101  und  Lauchert  a.  a.  b.  S.  65  f. 
In  Wahrheit  muss  er  als  eine  anonyme  Schrift  bezeichnet  werden. 

4.  Wie  so  viele  andere  volksmässige  Stoffe  kam  auch  der  Physiologus  von  den 
Byzantiner  zu  den  übrigen  Osteuropäern.  Ueber  die  rumänischen  und  die  slavischen 
Physiologusversionen  s.  R.  Reinsch  a.  a.  0.  S.  156—183. 

263.  Die  Kindergeschichte  von  den  Vierfüsslem,  Jiijr^aig  nmdio- 
(fQuaroQ  TÖJv  zeTQanodwr  ^(awv.  In  diesem  Gedichte,  das  aus  1082  poHti- 
schen  Versen  besteht,  wird  eine  Versammlung  der  vierfüssigen  Tiere 
geschildert.  König  Löwe  sitzt  mit  dem  Elefanten  auf  dem  Throne;  Panther 
und  Leopard  stehen  als  Minister  zur  Seite;  den  übrigen  Hofstaat  bilden 
der  Wolf,  der  Hund  und  der  Fuchs.  König  Löwe  beschliesst,  in  seinem 
Reiche  ewigen  Frieden  herzustellen.  Zu  diesem  Behufe  werden  durch 
die  Abgesandten  Katze  und  Maus,  die  der  Affe  begleitet,  alle  Unterthanen 
zu  einer  grossen  Versammlung  einberufen.  Nun  folgen  langwierige  Wort- 
gefechte zwischen  den  feindseligen  Tieren,  von  welchen  jedes  dem  Gegner 
seine  Sünden  vorwirft  und  seine  eigenen  Tugenden  preist;  zuerst  spricht 
die  Katze,   dann  die  Maus,   der  Hund,   der  Fuchs,   der  Hase,   der  Hirsch, 


458     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Yolgärgriech.  Litteratnr.    1.  Poesie. 

das  Schwein,  das  Schaf,  die  Ziege  u.  s.  w.  Zum  Schlüsse  erhebt  sich  König 
Löwe  und  erklärt,  der  Worte  seien  nun  genug  gesprochen,  der  Waffen- 
stillstand sei  aufgehoben,  die  Fleischfresser  sollen  die  übrigen  Tiere  wieder 
verschlingen,  wie  es  von  jeher  Brauch  gewesen  sei.  Es  entsteht  eine 
blutige  Schlacht,  bis  endlich  beide  Parteien  ermatten  und  die  einbrechende 
Nacht  dem  Gemetzel  ein  Ende  setzt.  Der  Verfasser  schliesst  mit  der  Be- 
merkung, damals  habe  sich  das  Wort  des  Hymnographen  erfüllt:  „Den 
König  rettet  nicht  seine  Macht  und  der  Riese  wird  sich  nicht  retten  in- 
mitten seiner  Stärke."  Seit  jener  Zeit  leben  die  vierfüssigen  Tiere  in 
ewiger  Feindschaft. 

Ueber  den  Zweck  des  Gedichtes  sagt  die  Einleitung,  Kinder,  Stu- 
denten und  junge  Leute  sollen  diese  Verse  lesen  wegen  ihrer  hübschen 
Art;  sie  seien  nämlich  geschrieben,  um  das  Lernen  mit  dem  Vergnügen 
zu  verbinden.  Darauf  wird  in  recht  dunkeln  Worten  die  moralische 
Absicht  des  Werkes  angedeutet:  „Diese  Dinge  haben  jedoch  auch  eine 
tiefere  Bedeutung;  erkenne  nur  genau  ihren  Sinn;  wenn  die  Völker  mit 
uns  falsche  Freundschaft  schliessen,  indem  sie  auf  ihre  Stärke  bauen,  um 
uns  gänzlich  zu  verderben,  so  rettet  uns  das  untrügliche  Recht  des  Eides; 
denn  Gott  als  Richter  der  Welt  verteilt  den  Segen."  Man  begreift  nicht, 
wie  man  diese  Vorbemerkung  mit  dem  Gedichte  selbst  zusammenreimen 
soll.  Wenn  Gidel  meint,  das  Werk  verfolge  den  Zweck,  die  Kinder 
über  die  verschiedenen  Arten  der  Tiere  und  ihre  Eigenschaften  zu  unter- 
richten, so  spricht  dagegen  die  Form  und  der  Inhalt  des  Gedichtes.  Wo 
im  byzantinischen  Reiche  Kinder  unterrichtet  wurden,  gab  man  ihnen  die 
heiligen  Schriften  und  die  landläufigen  Schulbücher  wie  Homer,  Isokrates, 
Johannes  Chrysostomos  u.  a.  in  die  Hand,  nicht  aber  Schriften,  deren 
Sprache  der  ganzen  festeingewurzelten  Lehrtradition  schnurstracks  zuwider- 
lief. Noch  mehr  musste  der  Inhalt  des  Gedichtes,  das  von  unanständigen 
und  obszönen  Stellen  wimmelt,  seine  Einführung  in  die  Schule  verbieten. 
Ebensowenig  als  die  Versicherung,  das  Gedicht  sei  für  Schüler  bestimmt, 
versteht  man  den  „tiefen  Sinn",  welchen  der  Verfasser  seiner  Tier- 
geschichte unterlegt,  da  der  Vergleichungspunkt  doch  nur  in  der  ewigen 
Feindschaft  liegt,  die  unter  den  Menschen  wie  unter  den  Tieren  wütet. 
Die  Verwandtschaft  des  Werkes  mit  dem  Physiologos  verrät  sich  sowohl 
in  der  symbolischen  Ausdeutung  als  in  der  Beschreibung  einzelner  Tiere 
z.  B.  des  gelenk-  und  knöchellosen  Elefanten  (V.  20;  943  ff.).  Zur  Ver- 
gleichung  dienen  die  abendländischen  Epen,  in  welchen  Tierversamm- 
lungen geschildert  werden;  doch  ist  für  die  „Kindergeschichte"  ein  direktes 
fränkisches  Vorbild  nicht  bekannt;  sie  ist  vielmehr  im  grossen  und  ganzen 
eine  selbständige  griechische  Arbeit.  Ihre  Hauptvorzüge  sind  derl)r 
Naturwüchsigkeit  und  ein  burlesker,  häufig  ungeschlachter  Humor.  Da- 
gegen leiden  die  Wechselreden  der  Tiere  an  unmässiger  Breite,  in  der 
Einführung  der  sprechenden  Personen  herrscht  eine  wohl  dem  Volkslied 
(wenn  nicht  dem  alten  Epos)  abgelauschte,  hier  aber  ermüdende  Monotonie; 
der  landschaftliche  Hintergrund  ist  vernachlässigt,  die  Komposition  mangel- 
haft. Die  satirische  Tendenz  kommt  nur  in  einem  Hiebe  auf  die 
römische  Kirche   und   auf  die  Juden  zum  Ausdruck;   V.  385  ff.  prahlt  das 


5.  Tiergeschichten.  (§  264.)  459 

^  eh  wein,  dass  die  fränkischen  Geistlichen  (r«  (fQayyonaTiaSovQia)  seine 
Jaorsten  zum  Spenden  des  Weihwassers  gebrauchen,  und  Y.  424  wird  in 
<  iner  sprichwörtlichen  Redensart  auf  den  üblen  Geruch  des  Hebräers  an- 
gespielt. Die  Sprache  ist  namentlich  durch  gelungene  Komposita  im  Stile 
des  Prodromos  ausdrucksvoll  und  häufig  originell;  übrigens  begegnet  auch 
hier  die  leidige  Mischung  gelehrter  und  volkstümlicher  Elemente.  Wie  im 
Physiologos  verrät  sich  auch  in  der  „  Kindergeschichte "  der  byzantinische 
Schulmeister  durch  eine  gelehrte  Etymologie,  die  V.  335  dem  Hirsche 
in  den  Mund  gelegt  wii'd  [nxw^  yQu(fix(äq  6  layiooq,  (oq  mr^aato  x6  (foßov- 
fim).  Zur  chronologischen  Bestimmung  des  Gedichtes  ist  die  Bemerkung 
V.  11  f.  zu  beachten,  dass  die  Tierversammlung  im  Jahre  1365  statt- 
gefunden habe;  denn  es  ist  wahrscheinlich,  dass  in  dieser  Angabe  das 
Datum  der  Abfassung  zu  suchen  ist.  Jedenfalls  darf  das  Werk  nicht  ins 
15.  Jahrhundert  herabgerückt  werden. 

Ed.  aus  cod.  Paris.  2911  und  cod.  Vindob.  theol.  297  von  W.  Wagner,  Carmina 
S.  141 — 178.  —  Litterarhistorische  Bemerkungen  von  Ch.  Gidel,  Etudes  sur  la  litt.  gr. 
mod.  S.  303—331.  —  Vgl.  unseren  Abriss  S.  867. 

264.  Der  Pulologos^)  (650  politische  Verse)  ist  nach  Komposition 
und  Inhalt  mit  der  „Geschichte  der  Vierfüssler"  eng  verwandt:  König 
Adler  veranstaltet  zur  Hochzeit  seines  Sohnes  ein  grosses  Freudenfest, 
zu  welchem  sämtliche  Vögel  eingeladen  werden.  Sie  essen  und  trinken, 
bringen  aber  alsbald  einen  Streit  aufs  Tapet  {i](f6Qar  xai  dixdoifiov  dndro) 
eig  t6  rgaTiä^ir).  Der  Zwist,  dessen  Anlass  verschwiegen  bleibt,  wird  von 
jedesmal  zwei  Vögeln  ausgefochten.  Der  Storch  schmäht  den  Schwan,  der 
Schwan  den  Storch;  die  Möve  streitet  mit  der  Gans,  der  Strandläufer  mit 
dem  Fasan,  die  Krähe  mit  der  Turteltaube,  die  Eule  mit  der  Wachtel, 
der  Uhu  mit  der  Drossel  u.  s.  w.  Endlich  ruft  der  König  dem  zankenden 
Geflügel  sein  Quos  ego  zu  und  droht,  den  Habicht  und  den  Falken  auf 
sie  loszulassen;  alle  Vögel  hören  auf  seine  Worte,  lassen  ab  von  ihrem 
Hader  und  bringen  die  Hochzeit  fröhlich  und  friedlich  zu  Ende. 

Die  Annahme  eines  lehrhaften  Zweckes  liegt  bei  diesem  Gedichte 
näher  als  bei  der  Kindergeschichte  von  den  Vierf üsslern ;  obschon  auch 
hier  Derbheiten  vorkommen  (z.  B.  V.  216  S.),  fehlen  wenigstens  gröbere 
Obszönitäten,  und  durch  die  massenhafte  Aufzählung  von  Vogelnamen 
gleicht  das  Werk  einem  Kompendium  der  Ornithologie.  Ganz  zweifellos 
ist  die  satirische  Tendenz.  Indem  die  Vögel  in  ihren  Schmähreden 
tierische  und  menschliche  Verhältnisse  fortwährend  mit  einander  ver- 
mischen, ergeben  sich  zahlreiche  Anspielungen  auf  allgemein  mensch- 
liche Schwächen  und  auf  die  kirchlichen,  politischen  und  ethno- 
graphischen Verhältnisse  des  byzantinischen  Reiches.  Der 
Strandläufer  z.  B.  wirft  dem  Fasan  vor,  er  trage  sich  nur  so  auffallend, 
um  für  einen  Junker  aus  adeligem  Geschlechte  {doxorTÖTtovXov  dno  xovq 
aeßaaräöfg)   zu   gelten;    der  Fasan  beschuldigt  den  Strandläufer,    er  habe 


')  IlovXoXöyog   d.   h.  Vogelgelehrter   ist   j  den  Vogelsteller  bedeutet,  zeigt  die  elfte 

(wie  ütüQixoXoyog)  nach  Analogie  von  •Pvaio-   \  äsopische    Fabel    in    der   vulgärgriechischen 

id/ofgebüdet,  ähnlich  wie  Volu er aire  nach   |  Bearbeitung  (Venedig  1543):  Ilovkoköyos  xai 

Bestiaire.    Dass  übrigens  novkoXöyos  auch   ,  o/crrpa. 


460     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    m.  Ynlgärgriecli.  Litteratnr.    1.  Poesie. 

Geld  entlehnt,  könne  seine  Schulden  nicht  bezahlen  und  halte  die  Gläubiger 
zum  besten.  Die  Henne  rühmt  sich,  sie  bringe  Junge  zur  Welt,  die 
Bischöfe,  Exarchen  und  Priester  werden.  Den  reichsten  Stoff  zu  Schmäh- 
ungen liefert  das  bunte  Gewimmel  der  den  Byzantinern  benachbarten 
Völker;  die  heftigen  Hiebe  auf  die  Franken,  Vlachen,  Bulgaren,  Tartaren 
und  Chazaren  versetzen  den  Leser  schon  ganz  in  die  Atmosphäre  der 
modernen  Nationalitätenkonflikte.  Die  Henne  wirft  dem  xaQxavTaäg  vor, 
er  stamme  aus  Rom,  sei  6  Jahre  als  Bruder  {(fQt'gr^c)  im  Spital  gewesen 
und  habe  sich  dort  mit  dem  Weibe  eines  fränkischen  Ritters  vergangen. 
Die  Drossel  schilt  den  Uhu  Tartarenschädel,  Bulgarensprössling;  der  Häher 
nennt  seine  Gegnerin  naaidöra  eine  Sklavin  der  Franken  und  rühmt  sich 
selbst  seiner  rhomäischen  Abkunft;  der  Pfau  wird  als  Franke  mit  der 
Kapuze  bezeichnet  u.  s.  w.  Besondere  Beachtung  verdient  der  Pulologos 
wegen  der  Reinheit  und  Rundung  der  volksmässigen  Sprache.  Freilich 
wird  das  Verständnis  durch  seltene  Wörter  wie  auch  durch  manche  Text- 
verderbnisse bedeutend  erschwert;  ein  gründlicher  Kommentar  wäre  liier 
wie  bei  so  vielen  vulgärgriechischen  Texten  das  dringendste  Bedürfnis. 
Zeit  und  Ort  der  Entstehung  des  Gedichtes  lassen  sich  trotz  der 
häufigen  ethnographischen  und  geographischen  Anspielungen  zunächst  nur 
annähernd  bestimmen.  Eine  Frühgrenze  ergibt  sich  aus  der  Erwähnung 
der  Bussole  (V.  531),  deren  Gebrauch  sich  schwerlich  vor  den  ersten  Jahr- 
zehnten des  14.  Jahrhunderts  nachweisen  lässt;  andererseits  verbieten 
sprachliche  Gründe  und  die  Art,  wie  das  Verhältnis  der  Rhomäer  zu  den 
Nachbarvölkern  gedacht  ist,  in  die  letzten  Jahrzehnte  des  byzantinischen 
Reiches  herabzugehen.  Darnach  ist  die  Abfassung  in  das  14.  Jahrhundert 
und  zwar  eher  in  die  erste  als  in  die  zweite  Hälfte  desselben  zu  setzen. 
Bezüglich  des  Ortes  der  Entstehung  lässt  sich  nur  sagen,  dass  zahl- 
reiche Anspielungen  auf  eine  Gegend  hindeuten,  in  welcher  die  Griechen 
mit  den  fränkischen  Gebräuchen  genau  vertraut  geworden  waren.  Aus 
der  Erwähnung  von  Glarentza  V.  629  auf  den  Peloponnes  zu  schliessen, 
geht  nicht  an,  da  auch  andere,  weit  von  einander  abliegende  Oertlichkeitcii 
wie  Zagora  und  Nikaea  genannt  sind. 

Ed.  W.  Wagner,  Carmina  S.  179—198  (nach  cod.  Vindob.  theol.  297).  —  Eine 
von  Du  Gange  im  Glossai-ium  II  38  erwähnte  Pariser  Handschrift  ist  noch  nicht 
verwertet. 

265.  Die  Legende  vom  ehrsamen  Esel,  ^wa^ägiov  rov  Tifir]iJi€vov 
yadäoov  (.393  reimlose  politische  Verse).  Die  schöne  Geschichte  vom 
Esel,  Wolf  und  Fuchs,  radäqov,  Xvxov  xi  ccXoimoig  dtrjijaig  wQm'a  (540 
gereimte  politische  Verse).  Diese  zwei  Gedichte  sind  Versionen  eines  und 
desselben  Werkes  und  verlangen  daher  eine  gemeinsame  Betrachtung.  Der 
Inhalt  der  Erzählung  möge  nach  der  gereimten  Bearbeitung  angegeben 
werden,  weil  diese  vollständiger  ist  und  manche  Züge  enthält,  die  in  der 
reimlosen  Redaktion  fehlen;  Der  unglückliche  Esel  entrinnt  einmal  seinem 
harten  Gebieter  und  geht  zur  Weide  auf  eine  benachbarte  Wiese;  hier 
gesellen  sich  der  Wolf  und  der  Fuchs  zu  ihm  mit  der  Absicht,  ihn  durcli 
eine  Hinterlist  zu  bewältigen  und  gemeinsam  zu  verspeisen.  Vergeblich 
sucht  der  Esel  durch  die  lügnerische  Drohung,  sein  Herr  weile  mit  furcht- 


5.  Tiergeschichten.   (§  265.)  461 

baren  Jagdhunden  in  der  Nähe,  die  gefährlichen  Freunde  los  zu  werden. 
Der  Fuchs  fordert  ihn  vielmehr  auf,  sich  ihrer  Gesellschaft  anzuschliessen ; 
ihr  Plan  sei,  über  das  Meer  in  das  Morgenland  zu  fahren,  Gelder  einzu- 
sammeln und  unter  sich  zu  verteilen.  So  wandern  denn  alle  drei  dem 
Gestade  zu  und  besteigen  ein  Segelschiff;  der  Wolf  wird  Kapitän,  der 
Fuchs  Steuermann,  der  Esel  Ruderknecht.  Da  erzählt  der  Fuchs,  ihm 
habe  von  einem  entsetzlichen  Sturme  geträumt;  es  sei  daher  geraten,  zu 
beichten  und  Busse  zu  thun.  Der  Wolf  beichtet,  er  habe  Schafe,  Ziegen, 
Hirsche,  Kälber,  Ochsen  und  Schweine  gefressen ;  jetzt  aber  wolle  er  Busse 
thun,  auf  den  Berg  wandern  und  Mönch  werden.  Der  Fuchs  spricht  das 
Beichtkind  von  allen  Missethaten  los.  Darauf  beichtet  der  Fuchs,  er 
schleiche  sich  in  die  Dörfer,  erwürge  Enten,  Hühner  und  Gänse;  „das 
Leben  der  Hühner  ist  mein  Tod."  Besonders  drücke  sein  Gewissen,  dass 
er  einst  eine  arme  Witwe  um  ihren  einzigen  Trost  gebracht  habe,  um  eine 
Henne,  die  zweidottrige  Eier  legte;  ausser  dieser  Henne  hatte  die  Alte 
noch  einen  grossen,  rothaarigen  Kater;  beide  hielt  sie  wie  Sohn  und 
Tochter.  Nun  schlich  er  sich  einmal  in  ihre  Hütte,  setzte  sich  neben  die 
halbblinde  Alte  und  Hess  sich  von  ihr  als  vermeintlicher  Kater  streicheln; 
dann  erspähte  er  die  Gelegenheit  und  packte  die  harmlose  Henne.  lieber 
diese  Missethat  fühle  er  jetzt  Reue,  er  wolle  sich  die  Haare  scheren  lassen, 
auf  den  Berg  gehen  und  Nonne  9  werden.  Auch  der  Fuchs  erhält  die 
Absolution.  Endlich  kommt  der  Esel  an  die  Reihe;  der  Wolf  bringt  den 
Nomokanon^)  herbei  und  ergreift  Feder  und  Papier,  um  die  Sünden  des 
Pönitenten  aufzuschreiben.  Der  Arme  weiss  keine  andere  Frevelthat  zu 
berichten,  als  dass  er  einmal  ein  Lattichblatt  sich  widerrechtlich  angeeignet 
und  dafür  von  seinem  Herrn  furchtbare  Prügel  empfangen  habe.  Fuchs 
und  Wolf  erklären,  dieses  Verbrechen  verdiene  nach  den  Regeln  des  Ge- 
setzes die  schwerste  Strafe ;  die  Hand  solle  ihm  abgehauen,  das  Auge  aus- 
gerissen werden,  ja  nach  dem  zwölften  Kapitel  des  Gesetzbuches  sei  ihm 
der  Galgen  bestimmt.  In  dieser  Not  erfindet  der  Esel  eine  List:  Ehe  er 
sterbe,  wolle  er  ein  Geheimnis  offenbaren;  sein  Hinterfuss  sei  mit  einer 
wunderbaren  Kraft  begabt;  wer  sie  zu  Gesichte  bekomme,  vermöge  40 
Tagereisen  weit  zu  sehen  und  zu  hören  und  alle  Widersacher  in  die  Flucht 
zu  schlagen.  Fuchs  und  Wolf  versprechen  dem  Esel  Verzeihung  und 
Freundschaft,  wenn  er  ihnen  seine  kostbare  Gabe  mitteile;  insgeheim  aber 
hegen  sie  den  Plan,  sobald  sie  die  Zauberkraft  erlangt  hätten,  den  Esel 
zu  zerreissen  und  aufzuzehren.  „So  dachten  sie;  der  Esel  aber  dachte 
anders  und  verrichtete  grosse  Thaten."  „'Exehoi  iXiyaaiv  avrd  xi  avTcg 
fxajwfj'  aXXa  Ki  exctue  ngäyiiiava  noXXd,  xauw^aara  {.uyccka.^  Er  gebietet 
dem  Wolfe  auf  dem  Hinterteile  des  Schiffes  drei  Stunden  lang  unbeweg- 
lich zu  knien  und  das  Paternoster  zu  beten.  Nachdem  der  Wolf  so  auf 
den  Empfang  der  Zauberkraft  vorbereitet  ist,  versetzt  ihm  der  Esel  mit 
seinem  Hufe  plötzlich  einige  so  gewaltige  Schläge,  dass  er  über  Bord 
stürmt.  Da  der  Fuchs  sieht,  wie  bedenklich  sich  der  Esel  gebärdet,  befällt 
ihn  Zittern  und  er  springt  aus  freien  Stücken  ins  Meer.    Wolf  und  Fuchs 

1)  Der  Fuchs  {äXomiov)  ist   im  Griechi-  |  *)  Vgl.  §  19  Aum.  3. 

sehen  Femininum. 


462     Byzantinische  Litteraturgöachichte.    HI.  Vulgärgriech.  Litteratnr.    1.  Poesie. 

werden  von  den  Wellen  ans  Ufer  getragen  und  erholen  sich  von  ihrer 
Niederlage.  Die  Erzählung  schliesst  mit  dem  Lobe  des  Esels  aus  dem 
Munde  des  Fuchses;  man  müsse  ihn  künftig  nicht  mehr  Esel,  sondern 
Nikos')  nennen. 

Diese  Pilgerfahrt  der  drei  Tiere  ist  offenbar  ein  Ableger  der  be- 
rühmten Geschichte  vom  Reinhart  Fuchs.  Die  wichtigsten  Züge  der 
Erzählung  finden  sich  in  abendländischen  Reinhartgeschichten  wieder;  doch 
sind  sie  im  griechischen  Gedichte  zu  einem  Ganzen  vereinigt,  für  welches 
ein  unmittelbares  Vorbild  nicht  bekannt  ist.  Jedenfalls  aber  stammt  die 
Idee  des  Werkes  aus  abendländischen  Tiergeschichten,  so  dass  hier  also 
eine  Sage,  deren  Kern  vielleicht  ursprünglich  von  Griechenland  ausgegangen 
war,  am  Schlüsse  des  Mittelalters  in  reich  ausgebildeter  Form  wieder  zu 
den  Griechen  zurückgekehrt  ist.  Der  Charakter  der  Tiere  ist  in  den 
griechischen  Gedichten  derselbe  wie  in  den  abendländischen  Versionen;  auf 
Mönchtum  und  Kirche  wird  so  lebhaft  angespielt  wie  in  den  besten  Aben- 
teuern der  westlichen  Reinhartsage.  Die  satirische  Absicht  verrät  schon 
der  Titel  des  älteren  Gedichtes:  ^vra^agiov  d.  h.  Legende,  der  in  der 
gereimten  Bearbeitung  vielleicht  aus  Rücksicht  auf  fromme  Leser  geändert 
worden  ist. 2)  Mit  den  sonstigen  Tierfabeln  stimmt  auch,  dass  sich  Wolf 
und  Fuchs  als  Gevatter  {avvrexvog,  GvvTexnaaa)  anreden.  Daneben  finden 
sich  manche  Abweichungen  von  der  gewöhnlichen  Ueberlieferung.  Das 
Abhören  der  Beichte  ist  durch  das  Traumgesicht  des  Fuchses  besonders 
motiviert;  die  Pilgerfahrt  der  Tiere,  die  sonst  als  Landreise  gedacht  ist, 
erfolgt  hier  —  für  eine  griechische  Bearbeitung  sehr  bezeichnend  —  zur 
See,  und  zwar  wollen  sie  auf  den  Berg  d.  h.  nach  Hagion  Oros  wall- 
fahren. Eine  besondere  Differenz  entsteht  dadurch,  dass  im  Griechischen 
der  Fuchs  als  weibliches  Wesen  gedacht  ist  und  so  dem  Mönche  Wolf 
eine  Nonne  Fuchs  zur  Seite  tritt.  Auch  die  Geschichte  von  der  alten 
Witwe,  die  der  Fuchs  durch  seine  Katerähnlichkeit  betrügt,  scheint  sonst 
nicht  vorzukommen.  Echt  griechisch  ist  auch,  dass  der  Fuchs  bzw.  die 
aXovnov  sich  Schülerin  des  weisen  Leo  nennt, ^)  worunter  natürlich  nicht, 
wie  Grimm  •')  meinte,  der  Tierkönig  Löwe,  sondern  der  durch  seine  Orakel 
und  Rätsel  zu  einer  populären  Figur  gewordene  Kaiser  Leo  der  Weise 
(s.  §  188)  zu  verstehen  ist.  Die  bekannten  Eigennamen  des  Reinhart- 
kreises, die  bei  den  Germanen  und  Romanen  typisch  geworden  sind,  blieben 
für  den  Griechen  unverständlich  und  wurden  deshalb  weggelassen. 

Das  Verhältnis  der  zwei  griechischen  Reinhartgedichte  ist  nicht 
genügend  klar ;  wahrscheinlich  aber  stammt  nicht  die  jüngere  Version  aus 
der  älteren,  sondern  beide  aus  einer  gemeinsamen  griechischen  Vorlage. 
Als   Entstehungsort   der  Gedichte,   die  von  italienischen  Wörtern  wim- 


')  Volkstümliche  Form  von  Nikolaos, 
in  der  hier  natürlich  die  Ableitung  von  vixaw 
betont  ist. 

*)  Dem  neckischen  Titel  der  älteren  Re- 
daktion hat  es  der  ehrsame  yridaQoi  zu 
danken,  dass  er  richtig  unter  die  Heiligen 
aufgenommen  wurde.  In  der  Beschreibung 
des  cod.  Vindobon.  297  liest  man  wörtlich: 
, Anonymi  cuiusdam  auctoris  synaxarium  sive 


narratio  succincta  de  quodam  Gadaro, 
sanctitate  vitae  claro,  lingua  Graeco- 
barbara*.  P.  Lambecii  commentariorum 
de  Augustissima  bibliothcca  Caesarea  Vindo- 
boneusi  liber  V  (1778)  551. 

*)  V.  104:  xai  rov  xvq  Aiov  rot»  aoqtii 
iyui  'fiovye  fia9evTQa.     Aehnlich  V.  508. 

♦)  A.  a.  0.  S.  70;  105. 


5.  Tiergeschichten.  (§  266.)  463 

mein,  kann  wohl  nur  eine  jonische  Insel  oder  Kreta  in  Betracht  kommen. 
Dass  beide  Bearbeitungen  einer  sehr  späten  Zeit  angehören,  beweisen 
nicht  nur  die  Sprache  und  bei  der  zweiten  die  Anwendung  des  Reimes, 
sondern  auch  sachliche  Gründe,  wie  die  Erwähnung  von  Feuerwaffen  (Bom- 
liarden  u.  s.  w.);  in  der  zweiten  Version  findet  sich  (V.  483)  schon  das 
türkische  Wort  für  Flinte  {coviftxi).  Eine  Spätgrenze  ergibt  sich  für  die 
erste  Version  aus  dem  Alter  der  Handschrift,  die  zwischen  1508  und  1560 
geschrieben  ist,  für  die  zweite  aus  dem  Datum  der  ältesten  Ausgabe  1539. 
Darnach  dürfte  die  kürzere  Bearbeitung  um  die  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts, die  ausführlichere  am  Ende  desselben  oder  erst  im  16. 
Jahrhundert  entstanden  sein. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Die  erste  (reimlose)  Version  ed.  aus  cod.  Vindob. 
theol.  297  W.  Wagner,  Carmina  S.  112 — 123.  —  Die  zweite  (gereimte)  Version  erschien 
zuerst  als  venezianisches  Volksbuch,  Venedig  1539.  Den  Venezianer  Druck  von  1832  wie- 
derholte mit  einer  trefflichen  litterarhistorischen  Einleitung  und  einem  an  Missverständnissen 
reichen  Glossar  Jac.  Grimm,  Sendschreiben  an  Karl  Lachmann  über  Reinhart  Fuchs, 
Leipzig  1840.  —  Darnach  ebenfalls  wiederholt  von  W.  Wagner,  Carmina  S.  124—140.  — 
Analyse  imd  litterarhistorische  Untersuchung  von  Ch.  Gidel,  Etudes  sur  la  litt.  gr.  mod. 
S.  331—351.  —  Litteratumachweise  zur  deutschen,  französischen  und  anderen  Reinhart- 
geschichten: K.  Goedeke,  Grundriss  zur  Geschichte  der  deutschen  Dichtung  1-  (1884)  15; 
32  f.;  70  f.;  481  IF.  —  Gaston  Paris,  La  litt.  fran9aise  au  moyen  äge,  Paris  1888 
S.  117  ff.;  256.  —  H.  P.  Junker,  Grundriss  der  Geschichte  der  französischen  Litteratur, 
Münster  1889  S.  101  ff. 

266.  Der  Porikologos,  Jn]yi]aiq  zov  JIcoQixoXoyov  ^)  d.  h.  das  Obst- 
buch, 1)  ist  eine  kleine  Prosaerzählung,  in  der  eine  Versammlung  von  Baum- 
früchten geschildert  wird.  Unter  dem  König  Quitte  versammeln  sich  der 
Truchsess  Granatapfel,  der  Protonotar  Birne,  der  Logothet  Apfel,  der  Proto- 
vestiar  Pomeranze,  der  Protostator  Pfirsich,  der  Grrossdrungar  Zitrone  und 
andere  Würdenträger.  Vor  sie  tritt  die  Traube  und  erhebt  gegen  mehrere 
Beamte  des  Obstreiches  die  Anklage  auf  Verschwörung  und  Hochverrat. 
Zeugenschaft  leisten  die  Aebtissin  Olive,  die  Hausverwalterin  Linse,  die 
Nonne  Korinthe,  die  Eulennase  Erbse,  der  schwarzäugige  Bauchschwelling 
Bohne  u.  a.  Gegen  sie  erhebt  sich  Herr  Zwiebling  mit  doppeltem  und 
dreifachem  rotem  Ueberwurf,  seinen  Bart  auf  dem  Boden  schleppend,  und 
schwört  bei  allen  seinen  Verwandten,  seinem  Bruder  Knoblauch,  seinem 
Vetter  Senf,  seinem  Neffen  Rettig  u.  a.,  die  Anklage  der  Traube  sei  er- 
logen. Zur  Entscheidung  des  Prozesses  werden  die  Archonten  und  Hege- 
monen berufen  und  mit  ihnen  die  kaiserliche  Leibgarde,  die  Warangen; 
es  erscheint  der  fröhliche,  alte  Kriegsrichter  Melone,  der  Sakellarios  Gurke 
u.  a.  Die  Traube  wird  der  Lüge  überführt  und  der  König  verkündet  das 
Urteil:  sie  solle  an  ein  krummes  Holz  gehängt,  mit  Messern  geschnitten 
und  von  Männern  getreten  werden;  ihr  Blut  sollen  die  Menschen  trinken, 
um  sich  zu  berauschen  und  den  Sinn  zu  verlieren.  Die  Archonten  klatschen 
Beifall  und  begrüssen  den  König  mit  der  byzantinischen  Akklamation :  Ei^ 
noXXa  £Ttj ! 

.  Den  Kern  dieser  Obstgeschichte  bildet  die   Schilderung  der   gefähr- 
lichen Eigenschaften  des  Weines ;  gleichzeitig  aber  enthält  sie  eine  scherz- 


')  üwQixo'Aöyoi  (nach  Analogie  von  4>v-  I   Obstgelehrten  (nojQixä  =  ötiojqixu). 
aioköyos,  Ilov'/.o'/.öyos)  bedeutet  eigentlich  den 


464     Byzantinisclie  Litteraturgeschichte     III.  Valgärgriech.  Litteratur.    1.  Poesie. 

hafte  und  gutmütige  Parodie  des  verwickelten  Apparates  der  byzantini- 
schen Aeniter  und  Titel.  Welcher  Zeit  der  uns  vorliegende  Text  ange- 
hört, ist  unbekannt;  doch  dürfte  der  Kern  des  Werkes,  wie  namentlich  die 
Erwähnung  der  Warangen  zeigt,  vielleicht  noch  ins  zwölfte  Jahrhun- 
dert zurückgehen.')  Aus  einer  nicht  erhaltenen  griechischen  Version  des 
Porikologos,  die  einige  eigenartige  Züge  enthielt,  floss  eine  serbisch- 
slovenische  Uebertragung,  von  der  bis  jetzt  drei  Handschriften  bekannt 
sind.  Auch  eine  türkische  Bearbeitung  des  weinfeindlichen  Stückes  ist 
überliefert. 

Handschriften  und  Ausgaben:  Den  griechischen  Text  enthalten  der  cod.  Vin- 
dob.  theol.  297  und  in  einer  etwas  abgekürzten  Form  der  cod.  Paris.  2316.  —  Zuerst  wurde 
eine  jüngere  und  verkürzte  Bearbeitung  gedruckt  in :  Bio;  Jiauinov  tov  ^gvyiov,  Venedig 
1783  S.  93 — 96.  —  Aus  dem  Wiener  Codex  ed.  den  Por.  zuerst  K.  Sathas  in  der  Zeitung 
KXeiiii  1871  Nr.  516.  —  Aus  demselben  Codex  ed.  W.  Wagner,  Carmina  S.  199-202; 
S.  380  fF.  die  Varianten  des  Venezianer  Druckes.  —  Die  serbisch-slovenische  Bear- 
beitung ed.  Jagiö,  Arch.  slav.  Phil.  1  (1876)  611 — 617,  wo  auch  Varianten  aus  cod. 
Paris.  2316  mitgeteilt  sind.  —  Den  türkischen  Text  ed.  0.  Blau,  Zeitschr.  d.  deutschen 
morgenländ.  Gesellschaft  28  (1874)  569  f.  —  Deutsche  Uebersetzung  des  türkischen 
Textes  von  R.  Köhler,  Arch.  slav.  Phil.  2  (1877)  192  S. 


')  Einigen  Anhalt  zur  Bestimmung  der  1   dass  sie  um  1240  in  Europa  noch  nicht  bo- 
Früh grenze  gewähren  vielleicht  die  ange-       kannt  gewesen  sei;    doch   hat  das  von   ihm 


führten  Früchte.  Von  der  Limone,  die  als 
Grossdrungar  auftritt,  glaubt  V.  Hehn,  Kul- 
tui-pflanzen   und  Hausthiere   3.  Aufl.  S.  390, 


angeführte  Zeugnis   offenbar   nur  für  West- 
europa Beweiskraft. 


Zweiter  Abschnitt. 

Prosaische  Litteratur. 

267,  Vorbemerkung.  Wie  die  Volkssprache  im  Abendlande  zuerst 
vorzugsweise  in  die  Poesie  und  Prosadichtung  eindrang,  so  geschah  es 
auch  bei  den  Byzantinern.  In  den  ernsteren  und  gelehrteren  Prosagattungen 
erhielt  sich  fast  ausschliesslich  die  traditionelle  Kunstsprache.  Wo  man 
das  Vulgärgriechische  für  Prosawerke  verwendete,  geschah  es  in  der  vor- 
türkischen Zeit  wohl  nm'  bei  völligem  Unvermögen  die  Schriftsprache  zu 
gebrauchen  oder  bei  der  Unmöglichkeit  ihr  Verständnis  vorauszusetzen. 
So  erklärt  sich  die  Zulassung  der  niederen  Redeweise  in  den  italischen 
Urkunden  und  in  den  cyprischen  Assisen  und  Chroniken.  In  den 
Prosadichtungen  wie  im  Syntipas  kann  die  Anwendung  der  Volkssprache 
nicht  mehr  auffallen  als  in  den  versifizierten  Romanen.  Die  Erzählung 
von  Barlaam  undJoasaph  und  der  Fürstenspiegel,  die  ich  in  diesen 
Abschnitt  aufgenommen  habe,  gehören  ihrer  Form  nach  in  die  kunstsprach- 
liche Abteilung;  doch  hängen  sie  nach  ihrem  Inhalt  und  ihrer  litterarhisto- 
rischen  Stellung  so  eng  mit  den  Volksbüchern  zusammen,  dass  sie  nicht 
wohl  von  ihnen  getrennt  werden  konnten.  Mehr  Anklang  hatte  eine  dem 
Volkstümlichen  genäherte  ProsadarsteUung  in  der  vorkomnenischen  Zeit 
gefunden.  Malalas,  Theophanes  und  Konstantin  Porphyrogennetos 
bezeichnen  hier  drei  höchst  bemerkenswerte  und  charakteristische  Versuche 
zur  Ausbildung  eines  vulgärgriechischen  Prosastils.  Doch  wurde  die  von 
ihnen  betretene  Bahn  infolge  der  litterarischen  Reaktion  unter  den  Kom- 
nenen  verlassen.  Es  fehlt  zwar  auch  in  der  nun  folgenden  Periode  des 
sprachlichen  Purismus  nicht  an  einzelnen  Vertretern  einer  halbvulgären 
Ausdrucksweise;  die  allgemeine  Thatsache  bleibt  aber  bestehen,  dass  die 
Volkssprache  in  der  Prosalitteratur  nur  eine  dürftige  und  gleichsam 
zufällige  Rolle  spielt.  Um  so  mehr  muss  man  sich  bemühen,  in  den 
schriftsprachlichen  Texten  die  Spuren  des  vulgären  Einflusses  aufzu- 
decken, und  an  ihnen  ist  kein  Mangel.  Die  Volkssprache  hat  sich  für  ihre 
offizielle  Zurückweisung  aus  der  Prosa  gerächt,  indem  sie  heimlich  in  die 
Texte  eindrang;  unfreiwillige  Vulgarismen  lassen  sich  vom  6.  bis  zum 
15.  Jahrhundert  durch  die  ganze  Prosalitteratur  verfolgen. 

Handbuch  der  Ums.  AltertomswlBsenschaft.  IX.    1.  Abtlg.  30 


466     Byzantinische  Litteratargeschichte.    III.  Vnlgärgriech.  Litteratar.    d.  I^rosä. 

268.  Barlaam  und  Joasaph,  der  berühmteste  und  beste  geistliche 
Roman  des  Mittelalters,  gehört  zu  den  internationalen  Volksbüchern,  die 
vom  fernen  Osten  her  über  Asien,  Nordafrika  und  Europa  verbreitet  wurden. 
Sein  Inhalt  sei  kurz  angedeutet:  Ein  heidnischer  König  in  Indien,  namens 
Abenner,  erfährt  durch  Sterndeuter,  dass  sein  durch  Schönheit  und  Klug- 
heit ausgezeichneter  Sohn  Joasaph  sich  der  christlichen  Religion  zuwenden 
werde.  Um  die  Erfüllung  dieser  Prophezeiung  zu  verhindern,  lässt  der 
König  für  seinen  Sohn  einen  herrlichen  Palast  bauen,  damit  er  fern  von 
allen  Uebeln  des  Lebens  in  immerwährender  Lust  und  Freude  erzogen 
werde;  in  seine  Umgebung  kommen  nur  Diener,  die  in  Jugend  und  Schön- 
heit prangen;  kein  Fremder  wird  zugelassen,  damit  Joasaph  von  der  Ver- 
gänglichkeit des  Irdischen  nichts  erfahre.  Trotz  der  strengen  Bewachung 
erblickt  der  Königssohn  durch  Zufall  einen  Kranken  und  einen  Blinden, 
ein  anderes  Mal  einen  Greis,  endlich  auch  einen  Toten.  Er  forscht  bei 
seinen  Begleitern  über  die  Gründe  dieser  ihm  früher  unbekannten  Er- 
scheinungen und  beginnt,  was  er  gesehen  und  gehört,  unaufhörlich  zu  er- 
wägen. Entscheidend  für  seine  innere  Wandelung  wird  die  Begegnung 
mit  dem  strengen  Asketen  und  Einsiedler  Barlaam,  von  welchem  er  in 
den  christlichen  Glauben  eingeführt  wird.  Vergeblich  versucht  König 
Abenner  seinen  Sohn  von  der  neuen  Lehre  abwendig  zu  machen,  zuletzt 
entschliesst  er  sich,  sein  Reich  in  zwei  Hälften  zu  teilen  und  dem  Sohne 
eine  derselben  zu  überlassen.  Joasaph  übernimmt  die  Regierung,  leistet 
aber  bald  auf  die  Krone  öffentlich  Verzicht,  um  sich  in  die  Einsamkeit 
zurückzuziehen.  Er  bekehrt  die  von  seinem  Vater  abgeordneten  Boten, 
endlich  den  Abenner  selbst  mit  seinen  Unterthanen.  Nachdem  er  so  seine 
heilige  Sendung  vollendet  hat,  begibt  er  sich  in  die  Wüste  und  beschliesst 
sein  Leben  als  frommer  Einsiedler.  Sein  Leichnam  wird  in  einer  herr- 
lichen Kirche  beigesetzt  und  verrichtet  viele  Wunder  und  Heilungen. 

Der  ästhetische  Wert  dieser  feurigen  Apologie  des  christlichen  Lebens, 
in  welcher  der  Kampf  gegen  die  Weltlust  mit  überzeugender  Kraft  ge- 
schildert wird,  ist  über  allen  Zweifel  erhaben.  Die  Komposition  ist  vor- 
trefflich; die  Gegensätze  der  Gesinnungen,  Personen  und  Zustände  sind 
ausgezeichnet  verwertet.  So  musste  das  Buch  auf  die  gläubigen  Völker 
Europas  den  tiefsten  Eindruck  machen.  Und  doch  ist  die  Herkunft  des 
Werkes  nichts  weniger  als  christlich.  Wie  die  Sindibadgeschichten 
und  Kaliiah  va  Dimnah  ist  auch  der  Barlaamroman  von  Indien  ausge- 
gangen ;  er  ist  eine  im  chiistlichen  Sinne  vorgenommene  Verarbeitung  der 
Lebensgeschichte  des  Siddhärtha,  der  später  unter  dem  Namen  Buddha 
Stifter  des  Buddhismus  wurde  (f  543  v.  Chr.).  Die  historische  Grundlage 
der  Erzählung  ist  also  nicht  ein  Joasaph  und  ein  König  Abenner,  die 
thatsächlich  nie  existiert  haben,  sondern  Buddha  und  sein  Vater,  der 
König  von  Kapilavastu.  Diese  merkwürdige  Thatsache  ist  durch  die 
genaue  Uebereinstimmung  der  Barlaamgeschichte  mit  den  in  indischen 
Quellen  erhaltenen  Nachrichten  über  das  Leben  Buddhas  völlig  erwiesen. 
Der  Verfasser  hat  den  erzählenden  Teil  mit  geringen  Abweichungen 
aus  der  Biographie  Buddhas  entnommen  und  nur  den  christlich-dog- 
paatischen  Inhalt  selbst  hinzugefügt.     Ausser  der  Lobensgeschichte   des 


Barlaam  und  Joasaph.   (§  268.)  467 

Buddha,  welche  den  Kern  des  Werkes  bildet,  haben  auch  andere  bud- 
dhistische Ueberlieferungen  Aufnahme  gefunden.  Dahin  gehört  vor 
allem  die  berühmte  Parabel  von  dem  Manne,  der  sich  vor  dem  wütenden 
Einhorn  flüchtet:  Er  stürzt  in  einen  Abgrund,  hält  sich  glücklich  an  einem 
Bäumchen  fest,  bemerkt  aber,  dass  eine  weisse  und  eine  schwarze  Maus 
unaufhörlich  die  Wurzeln  des  rettenden  Baumes  benagen,  während  in  der 
Tiefe  ein  furchtbarer  Drache  den  Schlund  gegen  ihn  aufsperrt;  mitten  in 
solcher  Not  sieht  er  von  den  Zweigen  des  Baumes  Honig  träufeln  und 
richtet,  aller  Gefahr  vergessend,  seinen  Sinn  auf  den  süssen  Honig.  Diese 
Geschichte  soll  lehren,  wie  der  vom  Tode  (dem  Einhorne)  verfolgte  Mensch, 
an  dessen  Leben  Tag  und  Nacht  (die  weisse  und  schwarze  Maus)  unauf- 
hörlich nagen,  in  kurzsichtiger  Verblendung  sich  um  die  eitle  Weltlust 
(den  Honig)  bemüht,  obschon  ihn  die  Hölle  (der  Drache)  bedroht.  Die- 
selbe Erzählung,  die  in  Deutschland  durch  das  Gedicht  von  flückert  popu- 
lär geworden  ist,  findet  sich  auch  in  Kalilah  va  Dimnah  und  in  anderen 
orientalischen  Büchern;  sie  ging  in  die  mittelalterlichen  Gesta  Roma- 
norum  über  und  ist  auch  in  einem  vulgärgriechischen  Werke,  dem 
Apokopos  (s.  §  226),  selbständig  verwertet;  von  ihrem  Ansehen  zeugen 
mittelalterliche  Bildwerke  wie  das  berühmte  Relief  am  Baptisterium  zu 
Parma;  byzantinische  Darstellungen  der  Parabel  schildern  mehrere  Ge- 
dichte des  Manuel  Philes  (s.  S.  379).  Ueber  den  Verfasser  und  die 
Entstehungszeit  des  griechischen  Barlaam  schweben  noch  manche  Kontro- 
versen. Die  Ansicht,  dass  Johannes  von  Da  maskos  der  Autor  des 
Werkes  sei,  ist  jetzt  allgemein  aufgegeben;  er  ist  nur  in  einer  Gruppe 
jüngerer  Handschriften  als  Verfasser  genannt;  dagegen  wird  in  allen 
älteren  Handschriften  des  Barlaam  einstimmig  berichtet,  dass  diese  er- 
bauliche Geschichte  von  Johannes,  einem  Mönche  des  Sabasklosters,  aus 
Indien  nach  Jerusalem  gebracht  worden  sei:  '^lazoqia  xpvxwifeXrfi  ix  rijg 
ivdoxsQag  zcöv  Ald^iÖTvan'  xoäqag,  rijg  'ivSäv  Xayoixävr^g^  Tigog  r?jv  dyiav  nöXiv 
jWfTfif/i^frtra  Sid  'iwävrov  {.loray^ov,  drSoog  xiixiov  xal  evagsTov  t.ioyrg  xov 
dyiov  Iccßa.  Nur  zwei  Handschriften  vermerken  im  Titel,  das  Werk  sei 
von  Euthymios,  dem  Iberer  (f  1026),  ins  Griechische  übersetzt  worden. 
Dass  diese  Angabe  nicht  richtig  sein  kann,  hat  Zotenberg  nachgewiesen; 
sie  stammt  offenbar  von  einem  iberischen  Mönche,  der  im  Schwünge  patrio- 
tischer Begeisterung  dem  Ruhmeskranze  seines  Landsmannes  noch  ein 
weiteres  Blatt  hinzufügen  wollte.  Mit  einiger  Sicherheit  lässt  sich  jetzt 
folgendes  sagen:  Der  griechische  Barlaamroman  ist  in  Palästina, 
wohl  in  dem  uralten  Kloster  des  hl.  Sabas,  von  einem  griechischen  Mönche 
Johannes  verfasst  worden.  Die  Abfassung  geschah,  wie  sich  namentlich 
aus  dogmatischen  Gründen  ergibt,  in  der  ersten  Hälfte  des  7,  Jahr- 
hunderts. Es  ist  die  Zeit,  in  welcher  der  Geschmack  an  der  christlich- 
populären Belletristik  auch  sonst  hervortritt;  damals  las  man  volks- 
mässige  Legenden  wie  die  von  Kyrillos  aus  Skythopolis  in  Palästina 
verfasste   Lebensbeschreibung   des   hl.  Theodosios;  i)   damals   entstanden 

')  KjTrillos  schrieb  um  die  Mitte  des  schrift:  Der  heilige  Theodosios,  Schriften 
6.  Jahrhunderts;  darnach  ist  die  Bemer-  |  des  Theodoros  und  Kyrillos,  herausgegeben 
kung  S.  389  Z.  17  zu  berichtigen.     Haupt-   ;   von  Hermann  Usener,  Leipzig  1890.  Leider 

30* 


468     Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    HI.  Vulgargriech.  Litteratnr.    2.  Prosa. 

die  auf  die  weitesten  Kreise  berechneten  Erzählungen  des  Leontios  von 
Neapolis  (s.  S.389);  damals  begann  auch  der  mönchisch-ägyptische  Sagen- 
kreis wie  das  Adambuch  sich  zu  verbreiten.') 

Wenn  nun  auch  der  Barlaamroman  nach  seinem  Gehalte,  seiner 
Tendenz  und  Verbreitung  zu  den  wahren  Volksbüchern  der  byzantini- 
schen Zeit  gerechnet  werden  muss,  so  steht  seine  Sprache  doch  dem 
Vulgärgriechischen  fern.  Sein  Verfasser  ist  ein  gebildeter  Mann,  der  sich 
die  Darstellung  der  Kirchenväter  zum  Muster  nimmt;  seine  Diktion  ist 
korrekt  und  fliessend,  sein  Stil  lebhaft  und  bilderreich  mit  der  in  Byzanz 
unvermeidlichen  Zugabe  rhetorischer  Färbung.  Wirkliche  Vulgärformen 
stehen  so  isoliert,  dass  man  sie  wohl  einem  Kopisten  zuschreiben  muss.  -) 
Die  Ueberlieferung  des  griechischen  Textes  beruht  auf  zahllosen  Hand- 
schriften, von  denen  die  ältesten  dem  11.  Jahrhundert  angehören.  Jene 
leidigen  Umarbeitungen,  Zusätze  und  Weglassungen,  welche  bei  der  Textes- 
konstitution der  meisten  mittelalterlichen  Volksbücher  so  grosse  Schwierig- 
keiten bereiten,  sind  beim  Barlaamroman  nicht  zu  bemerken.  Er  wurde 
als  ein  ehrwürdiges  und  formal  abgerundetes  Denkmal  betrachtet,  gegen 
welches  die  Abschreiber  eine  ähnliche  Zurückhaltung  beobachteten  wie 
gegen  die  klassischen  Texte  und  die  Kirchenväter.  Sehr  auffallend  ist, 
dass  sich  das  Buch  anfänglich  wenig  verbreitet  zu  haben  scheint;  erst 
seit  dem  1 1 .  Jahrhundert  wissen  wir  von  Vervielfältigungen,  die  von  dieser 
Zeit  an  zahlreich  erhalten  sind;  auch  geschieht  des  Barlaam  vorher  keine 
Erwähnung,  weder  in  Legenden,  noch  in  geistlichen  Liedern,  vielleicht  weil 
die  Sanction  der  Kirche  erst  später  erfolgte.  Eine  vulgärgriechische 
Uebersetzung  des  Barlaam  von  Petros  Kasimatis  steht  im  cod.  Nania- 
nus  163  (Venedig)  und  im  cod.  Canonicianus  2  (Oxford,  Bodl.).  Die  Ver- 
breitung des  Barlaam  datiert  mithin  aus  derselben  Zeit,  in  welcher  auch 
die  Sindibadgeschichten  und  Kalilah  va  Dimnah  bekannt  wurden. 
Dass  die  Wanderung  dieser  orientalischen  Bücher  gerade  im  11.  Jahrhundert 
beginnt,  hängt  wohl  mit  der  grossen,  von  Westen  nach  Osten  und  von 
Osten  nach  Westen  flutenden  Kulturbewegung  zusammen,  welche  die  Kreuz- 
züge einleitete  und  begleitete.  Die  meisten  abendländischen  Bearbei- 
tungen des  Barlaam  flössen  aus  einer  lateinischen,  in  Italien,  Frank- 
reich und  Deutschland  stark  verbreiteten  Uebersetzung  des  griechischen 
Textes,  deren  älteste  Handschriften  ins  12.  Jahrhundert  zurückreichen. 
In  Deutschland  wurde  er  vornehmlich  durch  das  schöne  Werk  des 
Rudolf  von  Ems  (ca.  1220  bis  ca.  1254)  bekannt;  zwei  andere  deutsche 
Versionen  gehören  ebenfalls  noch  dem  13.  Jahrhundert  an.  Aus  derselben 
Zeit  stammt  eine  christlich-arabische  Uebersetzung  des  griechischen 
Textes  und  eine  französische  Bearbeitung  des  lateinischen.  Der  christ- 
lich-arabische Barlaam  wurde  im  16.  Jahrhundert  ins  Aethiopische  über- 
setzt. Endlich  ist  das  Werk  auch  zu  den  Slaven  und  anderen  Ostvölkern 
wie    den    Georgiern    und    Armeniern    übergegangen.     Auch    ist    eine 


wt  mir  dieses  für  die  Erkenntnis  und  Wür-  [  ')  Vgl.  H.  Geizer,  Sextus  Julius  Afri- 

digung   der  griechischen   Legendenlitteratur  canus  II  1,  264—278. 

höchHt  förderliche  Werk    erst   bei    der  Kor-  1  «)  Z.  B.  »Jtf^wff  S.  110;  i»ifai<fa(  S.  220. 

rt'ktur  zugegangen.  , 


Barlaam  und  Joasaph.   (§  268.)  469 

ältere  arabische  Version  vorhanden,  die  nicht  aus  dem  griechischen 
Texte,  sondern  aus  einem  Pehlevioriginal  abgeleitet  ist.  Aus  einem 
solchen  arabischen  Texte  floss  die  hebräische  Bearbeitung  des  Ibn-Chisdai 
(im  13.  Jahrb.). 

1.  Ausgaben:  Erste  iind  einzige  Ausgabe  des  griechischen  Textes  von  Fr. 
Boissonade,  Anecdota  Gr.  4  (1832).  —  Wiederholt  (unter  den  Werken  des  Johannes 
Dam.)  bei  Migne,  Patrol.  Gr.  96  (1860)  857—1250.  —  Eine  Neubearbeitung  des  Textes 
auf  Gnmd  einer  kritischen  Sichtung  der  Handschriften  ist  ein  Bedürfnis,  da  Boissonade, 
um  einer  von  Schmidt  und  Kopitar  geplanten  Ausgabe  zuvorzukommen,  mit  grosser  Eil- 
fertigkeit gearbeitet  und  selbst  von  den  20  Pariser  Handschriften  nur  2  benutzt  hat.  — 
Eine  lateinische  Uebersetzung  des  griechischen  Textes  wiu-de  oft  gedruckt,  z.  B.  in 
den  Opera  Job.  Damasc,  Basileae  1575  S.  815 — 904. 

2.  Hilfsmittel:  Kritische  Bemerkungen  und  Varianten  zum  griechischen  Text  aus 
6  Wiener  Handschriften  gab  A.  Schubert.  Wiener  Jahrbücher  der  Literatur  63  (1833) 
44—83;  72  (1835)  274—288;  73  (1836)  176—203.  —  Litterarhistorische  Abhandlung  von 
Val.  Schmidt,  Wiener  Jahrbücher  der  Literatur  26  (1824)  25—45.  —  Th.  Grässe, 
Lehrbuch  einer  allgemeinen  Literärgeschichte  H  1,  351;  11  3,  460.  —  John  Dunlop,  Ge- 
schichte der  Prosadichtungen,  aus  dem  Englischen  übertragen  von  FeUx  Liebrecht,  Berlin. 
1851  S.  27  ff.:  462  f.  —  Karl  Goedeke,  Everv-Man,  Hannover  1865  S.  7  ff.  —  Nachweis 
der  indischen  Herkimft  dee  Barlaam:  Felix  Liebrecht,  Die  Quellen  des  Barlaam  und 
Josaphat,  Eberts  Jahrbuch  für  romanische  und  englische  Litteratur  2  (1862)  314 — 334.  Mit 
einigen  Veränderungen  wiederholt  in:  F.  Liebrecht,  Zur  Volkskunde,  Heilbronn  1879 
S.  441 — 460.  Italienisch  mit  Zusätzen  des  L'ebersetzers  Emilio  Teza,  Fonti  del  Barlaam 
e  Giosafatte  in  den:  Sacre  rappresentazioni  dei  secoli  14,  15  e  16,  raccolte  e  illustrate  per 
ciu-a  di  Alessandro  d'Ancona  vol.  II  (Florenz  1872)  146—162.  Vgl.  noch  Liebrecht, 
Literaturblatt  für  gemian.  u.  rom.  Philologie  1884  S.  118.  —  E.  Cosquin,  La  legende 
des  saints  Barlaam  et  Josaphat,  Revue  des  questions  historiques  t.  28  (1880)  579 — 600. 
Wiederholt  in  desselben  Verfassers:  Contes  populaires  de  Lorraine  1  (Paris  1887)  Introd. 
S.  47—56.  —  Max  Müller,  Selected  essays  I  (1881)  533  ff.  —  M.  Landau,  Die  QueUen 
des  Dekameron,  2.  Aufl.,  Stuttgart  1884  S.  221 — 224.  —  Hauptschrift  ist  das  scharfsin- 
nige imd  ergebnisreiche  Werk  von  H.  Zotenberg,  Notice  sur  le  livre  de  Barlaam  et 
Josaphat,  Paris  1886  (=  Not.  et  extr.  26,  1).  Er  handelt  namentlich  über  die  Abfassungs- 
zeit und  den  Autor  des  Barlaam  imd  gibt  handschriftliches  Material  zum  griechischen  Texte, 
sowie  Auszüge  aus  der  christlich-arabischen  und  äthiopischen  Version.  Vgl.  die  Besprechungen 
von  Gaston  Paris,  Revue  critique  1886,  Jxmi  S.  444 — 447,  und  J.  Halevy,  Revue  de 
rhistoire  des  religions  15  (1887)  94—107. 

Litteratur  zu  den  deutschen  Bearbeitungen  bei  Karl  Goedeke,  Grundriss  zur 
Geschichte  der  deutschen  Dichtung  F-  (1884)  S.  120  ff.;  373.  —  üeber  die  ältesten  deutschen 
Drucke  s.  R.  Muther,  Die  deutsche  Bücherillustration,  München  1884  S.U.  —  Deutsche 
L'ebersetzung  des  griechischen  Textes  von  Felix  Liebrecht,  Münster  1847. 

Arabische  Bearbeitimgen :  Zotenberg  a.  a.  0.  Dazu:  Fr.  Hommel,  Die  älteste 
arabische  Barlaamversion ,  Verhandlimgen  des  7.  internationalen  Orientalistencongresses, 
semit.  Section  (Wien  1887)  S.  115  ff.  Von  Hommel  wird  auch  eine  Ausgabe  der  vollstän- 
digen arabischen  Version  und  des  aus  dieser  übersetzten  persischen  Textes  vorbereitet. 

Hebräische  Redaktion:  Nathan  Weisslovits,  Prinz  und  Derwisch,  ein  indi- 
scher Roman,  enthaltend  die  Jugendgeschichte  Buddhas,  in  hebräischer  Darstellung  aus 
dem  Mittelalter,  nebst  einer  Vergleichung  der  arabischen  und  griechischen  Paralleltexte. 
Mit  einem  Anhang  (S.  129—178)  von  Fr.  Hommel,  München  1890.  —  Auf  diesen  Anhang 
bezieht  sich  der  Artikel  von  R.  0.  Alexius,  Josaphat,  Buddha,  Beilage  ziu- allgemeinen 
Zeitung  1890  Nr.  207;  215;  217.  Die  von  Hommel  aufgestellte  und  von  R.  0.  angenom- 
mene Behauptung,  dass  die  Legende  von  Alexius,  dem  Manne  Gottes,  ein  Reflex  der 
Buddha-Barlaamgeschichte  sei,  schwebt  in  der  Luft. 

Slavische  imd  sonstige  östliche  Bearbeitungen:  A.  Kirpicnikov,  Griechische 
Romane  in  der  neueren  Litteratur,  2.  Teil,  Charkov  1876  (Russ.).  —  An  das  Buch  von 
Kirpicnikov  schliesst  sich  die  Abhandlung  von  A.  N.  Veselovskij,  Byzant.  Erzählungen 
und  Barlaam  und  Joasaph,  Joum.  Min.  Volksaufkl.  Bd.  192  (1877)  122—159.  —  St.  No- 
vakovic,  Barlaam  und  Joasaph,  Belgrad  1881  (=  Glasnik  Srpskog  ücenog  Drustva,  Bd. 
50)  (Serbisch).  —  M.  Gaster,  Literatura  populara  romana,  Bukarest  1883  S.  32  —  53.  Vgl. 
desselben  Greeko-Slavonic,  London  1887  S.  111  ff.  —  Eine  russische  üebersetzimg  des 
Barlaam  veröffentlichte  die  Gesellschaft  der  Freunde  des  alten  Schrifttums,  Peters- 
burg 1887. 

üeber  zwei  armenische  Redaktionen  berichtet  M.  Brosset,  Bull,  de  l'academie 
des  Sciences  de  St.-P6tersbourg  24  (1878)  561—567. 


470     Byzantinische  Litteratnrgeschichte.    III.  Vulgargriech.  Litteratur.    2.  l*rosa. 

Bibliographische  Uebersicht  sämtlicher  orientalischen  und  occidentalischen  Versionen 
des  Barlaara  von  E.  Kuhn,  Abhandl.  d.  bayer.  Akad.  d.  Wiss.,  phil.-philol.  und  histor.  Cl. 
1890  (wird  demnächst  erscheinen). 

269.  Syntipas.  Das  berühmte  Volksbuch,  welches  in  den  orientali- 
schen Versionen  als  Geschichte  des  Philosophen  Sindbad,  Sindibad, 
Sindabad,  Sendebad,  Sandabar  oder  Sendabar,  im  Abendlandc  als 
Geschichte  der  sieben  weisen  Meister,  Dolopathos  oder  Erasto 
überliefert  ist,  führt  in  der  griechischen  Bearbeitung  den  Titel:  Aller- 
schönste  Geschichte  des  Philosophen  Syntipas  (laiogixov  ^wrina 
xov  (fiXoaöffov  (OQuiöratov  rtdvv).  Das  Grundschema  des  Buches,  welches 
in  den  meisten  Versionen  wiederkehrt,  ist  folgende  -Erzählung:  Ein  König 
hat  einen  klugen  Sohn,  der  von  einem  weisen  Lehrer  erzogen  wird.  Nach 
Ablauf  der  Studienjahre  erkennt  der  Lehrer  aus  den  Sternen,  dass  seinem 
Zögling  Gefahr  droht,  und  befiehlt  ihm,  der  Konjunktur  zufolge,  7  (in 
anderen  Versionen  10,  auch  40)  Tage  lang  zu  schweigen.  Um  dieselbe 
Zeit  macht  die  Stiefmutter  dem  Sohne  unkeusche  Anträge,  für  deren 
Zurückweisung  sie  sich  durch  Verleumdung  desselben  rächt.  Er  wird  vom 
Könige  zum  Tode  verurteilt.  Um  ihn  zu  retten,  erzählen  die  am  Hofe 
versammelten  7  Weisen  (10,  bzw.  40  Veziere)  jeder  an  einem  Tage  eine. 
Geschichte  über  die  Arglist  der  Frauen  und  die  Bedenklichkeit  einer  ohne ; 
Beweise  angeordneten  Verurteilung;  das  rachsüchtige  Weib  erzählt  jedes- 
mal eine  Gegengeschichte,  um  die  Hinrichtung  zu  bewirken.  Nachdem  so 
die  Schweigezeit  verbracht  ist,  entdeckt  der  Sohn  den  Sachverhalt  und 
wird  als  unschuldig  erfunden.  Das  ganze  Werk  besteht  demnach  aus  einer 
einrahmenden  Erzählung  und  einer  je  nach  der  Zahl  der  weisen  Meister 
(Veziere)  kleineren  oder  grösseren  Anzahl  eingeschobener  Geschichten. 
Die  Abweichungen  der  verschiedenen  Bearbeitungen  erstrecken  sich  sowohl 
auf  die  Rahmenerzählung  als  auf  den  Inhalt  und  die  Anordnung  der  Ein- 
schiebgeschichten . 

Die  grösste  Teilnahme  erregt  bei  der  Betrachtung  dieses  internatio- 
nalen Volksbuches,  das,  wie  Görres^)  bemerkte,  in  Rücksicht  auf  die 
Zelebrität  und  die  Grösse  seines  Wirkungskreises  die  heiligen  Bücher  erreicht 
und  alle  klassischen  übertrifft,  die  Frage  nach  seiner  Herkunft  und  nach 
dem  verwandtschaftlichen  Verhältnisse  der  zahllosen  Abzweigungen. 
Als  ausgemachte  Thatsache  darf  gelten,  dass  die  Heimat  des  Werkes  in 
Indien  zu  suchen  ist.  Den  wahrscheinlichen  Verlust  des  indischen  Ori- 
ginals erklärt  Benfey^)  sehr  überzeugend  daraus,  dass  die  meisten  ein- 
zelnen Sindbadgeschichten  schon  früh  in  andere  indische  Werke,  besonders 
in  das  Pancatantra,  übergegangen  sind.  Die  Namensform  Sindbad 
ist,  wie  es  scheint,  eine  in  muhamedanischen  Bearbeitungen  erfolgte  Um- 
bildung eines  indischen  Siddhapati  d.  h.  Herr  der  Siddhas,  der  Weisen, 
der  Vollkommenen.  Von  Indien  kam  das  Buch  nach  Persien  und  wurde 
dort  ins  Pehlevi  übersetzt;  vom  Pehlevi  übertrug  es  Musa  im  S.Jahr- 
hundert ins  Arabische;   vom  Arabischen   wurde   es   ins  Syrische,  Alt- 


')  Die   teutschen   Volksbtlcher,    Heidel-    1  *)  M^langes  asiatiques  (s.  die  Litteratur- 

berg  1807  S.  155.  |  angab«)  Ul  2  S.  190. 


Syntipas.  (§  269.)  471 

spanische  (i.  J.  1253)  und  Hebräische  übersetzt; ')  vom  Syrischen  ins 
Griechische,  Da  jedoch  die  persische,  arabische  und  sonstige  Versionen 
meist  noch  spätere  Ueberarbeitungen  erfahren  haben,  gestaltet  sich  das 
Verhältnis  der  Texte  keineswegs  so  einfach,  als  man  nach  dem  Gesagten 
wähnen  könnte.  Jedenfalls  aber  bildet  die  arabische  Uebersetzung 
den  Hauptausgangspunkt  für  die  Verbreitung   des   Stoffes   nach   den   ver- 

ehiedenen  Himmelsgegenden.  Auch  die  griechische  Version  hat  eine 
grosse  litterarhistorische  Bedeutung;  denn  sie  scheint  trotz  ihrer  tiefen 
Stellung  im  Stammbaume  die  älteste  und  dem  Original  am  nächsten  stehende 
zu  sein.  Vom  Orient  verbreitete  sich  der  Syntipas,  ungefähr  gleichzeitig 
mit  dem  Barlaamroman  und  dem  Fürstenspiegel,  in  zahllosen  stark 
abweichenden  Bearbeitungen  einem  stetig  anwachsenden  Strome  vergleich- 
bar über  das  ganze  Abendland,  Wir  besitzen  lateinische,  altfranzösische, 
italienische,  englische,  holländische,  skandinavische,  deutsche  und  slavische 
Syntipasabkömmlinge.  Den  meisten  europäischen  Bearbeitungen  liegt 
der  altfranzösische  Roman  des  sept  sages  de  Rome  unmittelbar  oder 
mittelbar  zu  Grunde,  Eine  zweite  französische  Version,  die  von  einem 
Dichter  Herbert  nach  einem  lateinischen  Texte  in  Verse  umgedichtet 
wurde,  ist  nach  dem  Namen  des  Helden  Dolopathos  (Dolopatos)  betitelt. 
Neben  den  Bearbeitungen  des  gesamten  Syntipas  sind  auch  die  nicht 
minder  zahlreichen  Reflexe  einzelner  Erzählungen  zu  beachten,  die 
in  orientalischen  Büchern  und  besonders  in  der  ganzen  mittelalterlichen 
Novellenlitteratur  aufleuchten.  Zwei  Hauptwerke,  in  welchen  Geschichten 
von  den  sieben  weisen  Meistern  verarbeitet  wurden,  sind  die  mittelalter- 
lichen Gesta  Romanorum  und  der  Dekamerone  des  Boccaccio. 

Alle  Volksbücher,  welche  auf  den  Sindbadgeschichten  beruhen,  gliedern 
sich  in  zwei  Hauptgruppen,  eine  orientalische  und  eine  occidentalische. 
Zur  ersten  gehören  die  meisten  Texte  in  orientalischen  Sprachen  und 
einige  europäische,  welche  unmittelbar  aus  jenen  übersetzt  sind,  wie  der 
griechische  und  altspanische;  die  zweite  umfasst  vorzugsweise  die  Be- 
arbeitungen des  europäischen  Mittelalters,  die  Historia  septem  sapientium, 
den  Dolopathos,  Erasto  (Erastus)  u,  s.  w.,  auffallenderweise  aber  auch  einen 
armenischen  Text,  Alle  orientalischen  Versionen  haben  gemeinsame  Ele- 
mente, unter  welchen  ein  Buch  als  Grundlage  erkennbar  ist,  ebenso  die 
occidentalischen,  wobei  aber  die  Berührungspunkte  der  orientalischen  ver- 
schwinden. Diese  zwei  Gruppen  bilden  die  zwei  wichtigsten  Phasen 
in  der  Gesamtgeschichte  des  indischen  Buches.  Unter  den  mannigfachen 
Veränderungen,  die  der  Syntipas  auf  seinen  Kreuz-  und  Querfahrten 
erlitt,  ist  die  Thatsache  beachtenswert,  dass  der  Schauplatz  der  Rahmen- 
erzählung und  die  Personennamen  mit  den  Bearbeitungen  selbst  von 
Osten  nach  Westen  vorrücken:  in  den  orientalischen  Versionen  spielt  die 
Geschichte  in  China,  Indien,  Persien;  in  der  einen  altfranzösischen  zuerst 
in  Konstantinopel,  später  in  Rom,  in  den  übrigen  abendländischen  durch- 
aus in  Rom,  und  der  Fürst  erscheint  als  ein  römischer  Kaiser  (Diocletian) ; 
so  hat  auch  der  griechische  Bearbeiter  mit  Rücksicht  darauf,   dass  für 

')  Der  Ausdruck  ,  übersetzen*  ist  hier   ]   Sinne  einer  freien   Uebertragung   oder  Um- 
natürlich   immer    im    mittelalterlichen   .   arbeitung  zu  nehmen. 


472     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgärgriech.  Litteratur.    2.  Prosa. 

seinen  Leserkreis  der  indische  Kuru  ein  unbekannter  Name  war,  den 
König  seiner  Erzählung  zu  einem  Perser  Kyros  gemacht.  Auf  das  genea- 
logische Detail  der  einzelnen  Bearbeitungen  kann  hier  nicht  eingegangen 
werden. 

Der  griechische  Syntipas  gehört,  wie  bemerkt,  zur  orientali- 
schen Gruppe.  In  einem  jambischen  Gedichte,  welches  dem  Prosatexte 
vorausgeht,  berichtet  ein  gewisser  Michael  Andreopulos,  dass  er  das 
in  syrischer  Sprache  verfasste  Buch  im  Auftrage  des  erhabenen  Herzogs 
Gabriel  „nöXsajg  iieX(ovvi.iov"  ins  Griechische  übertragen  habe;  unter  diesem 
Fürsten  ist  nach  der  scharfsinnigen  und  zweifellos  richtigen  Vermutung 
Comparettis  der  historisch  wohl  bezeugte,  nominell  vom  byzantinischen 
Hofe  abhängige  Fürst  Gabriel  von  Melitene  (in  Armenien)  zu  verstehen, 
der  am  Ende  des  11.  Jahrhunderts  herrschte.  Der  griechische  Bearbeiter 
war  natürlich,  wie  er  auch  selbst  verrät,  Kgiarov  Xärgig,  und  in  der  That 
zeigen  sich  in  dieser  Version  zum  ersten  Male  Spuren  christlicher  Welt- 
anschauung, obschon  die  orientalische  Färbung  noch  vorherrscht;  sie  bildet 
also  ein  Mittelglied  zwischen  den  rein  orientalischen  Versionen  und  den 
abendländischen,  welche  vom  Geiste  des  christlichen  Rittertums  erfüllt 
sind.  Der  griechische  Syntipas  ist  in  drei  stark  von  einander  abweichenden 
Redaktionen  erhalten.  Die  erste,  welche  allein  das  erwähnte  Gedicht  des 
Andreopulos  enthält,  steht  in  einem  Moskauer  Doppelkodex,  der  von 
Matthaei  benützt,  seitdem  aber  nicht  mehr  eingesehen  und  vielleicht  ver- 
schollen ist,  in  einer  Strassburger  Handschrift  und  im  cod.  Monac.  Gr. 
525.  Diese  Bearbeitung  ist  in  der  byzantinischen  Kunstgräzität  abgefasst. 
Eine  zweite  Redaktion,  die  der  ursprünglichen  Uebertragung  vielleicht 
näher  steht  als  die  vorher  genannte,  ist  in  einer  Wiener  und  zwei  Pariser 
Handschriften  überliefert;  sie  ist  in  einer  einfachen,  fliessenden,  lexikalisch 
und  syntaktisch  auf  dem  volksmässigen  Idiome  beruhenden,  jedoch  durch 
gelehrten  Einfluss  namentlich  in  der  Formenlehre  wesentlich  temperierten 
Sprache  geschrieben.  Eine  dritte  Redaktion  ist  die  aus  dem  Jahre  1626 
stammende  neugriechische  Uebersetzung  im  cod.  Dresdensis  D33.  Die 
Entstehungszeit  der  Moskauer  Redaktion  muss  dem  erwähnten  Gedichte 
zufolge  ins  11.  Jahrhundert  gesetzt  werden;  dagegen  lässt  sich  der 
Pariser-Wiener  Text,  auf  dessen  Chronologie  es  vor  allem  ankommt, 
vorerst  nicht  genauer  datieren. 

1.  Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Ed.  pr.  Fr.  Boissonade,  Paris  1828  (nach  den 
codd.  Paris,  mit  Kommentar).  —  Ed.  Alfr.  Eberhard,  Fabulae  Romanenses,  vol.  I.  Leip- 
zig, bibl.  Teubner.  1872  (die  zwei  älteren  Redaktionen  vollständig,  die  neugriechische  in 
einzelnen  Proben ;  im  Anhange  einige  Vitae  Aesopi).  —  f]ine  von  dem  Dresdener  Codex 
abweichende  neugriechische  Uebersetzung  erschien  Venedig  1805  unt<>r  dorn  Titel: 
Mv&oXoytxov  2vvxina  rov  cfiXoaöcpov  rd  nXetara  ■nsQieQyov.  —  Emendationen  zur  Ausgabe 
Eberhards  von  C.  Bursian,  Liter.  Centralbl.  1873  S.  1103  f.  —  Zur  Sprache:  Gust. 
Meyer,  Die  sprachlichen  Eigentümlichkeiten  im  Syntipas,  Zeitschrift  f.  d.  Österreich.  Gym- 
nasien 1875  S.  331—345.  —  Zur  Chronologie:  J.  Psichari,  Essais  de  grammaire  hwto- 
rique  näo-grecque,  I  (Paris  1886)  25  f. 

2.  Ausgaben  sonstiger  Bearbeitungen  des  Syntipas  und  allgemeine  Hilfs- 
mittel: Eine  syrische  Version  ed.  Fr.  Baethgen,  Sindban  oder  die  7  weisen  Meistor, 
Disa.  Leipzig  1879.  Nöldeke,  Zeitschr.  d.  deutschon  morgenländ.  (Jesellsoh.  33  (1879) 
513 — 536,  hält  diese  syrische  Version  für  das  Original,  welches  dem  Andreopulos  vorlag, 
und  will  die  vorhandenen  Abweichungen  im  wesentlichen  auf  die  weitschweifige  und  schwül- 
stige  Ausmalung   dos   griechischen   Ueborsetzers  zurückführen  (V).  —   A.  Clouston,   The 


I 


Stephanites  und  Ichnelates.   (§  270.)  473 

'look  of  Sindibäd  from  the  Persian  and  Arabic  with  introduction,  notes  and  appendix.  Pri- 
\ately  printed  1884  (s.  1.:  Vorrede  gezeichnet  in  Glasgow).  Das  Werk  enthält  ausser  den 
l'exten  eine  treffliche  Einleitung  über  die  Komposition  des  Sindibäd  und  über  die  Quellen 
lud  das  Verhältnis  der  orientalischen  Versionen;  über  die  griechische  Bearbeitung  s.  bes. 
^.  37  ff.  —  Ueber  eine  der  westlichen  Gruppe  angehörige  armenische  Bearbeitimg  s. 
P.  Lerch  in  der  Zeitschrift :  Orient  und  Occident  2  (1864)  369—374.  —  Fr.  Müller,  Ueber 
die  armenische  Bearbeitung  der  ,. Sieben  weisen  Meister*,  Wiener  Zeitschrift  für  die  Kunde 
des  Morgenlandes  4  (1890)  213 — 216.  —  Eine  russische  Version  ed.  Th.  Bulgakov, 
Petersburg  1878.  Vgl.  W.  Nehring,  Arch.  slav.  Phil.  4  (1880)  335  ff.  —  Die  slavischen 
Versionen  überhaupt  betrifft  eine  Abhandlung  von  M.  Murko,  Sitzungsber.  der  Wiener 
Akad.  d.  Wiss.  (wird  demnächst  erscheinen).  —  Das  Buch  von  den  Sieben  weisen  Meistern 
aus  dem  Hebräischen  und  Griechischen  zum  erstenmale  übersetzt  von  Heinr.  Sengel- 
mann, Halle  1842.  —  Mischle  Sindbad,  Secundus-Syntipas.  Edirt,  emendirt  und  erklärt 
von  Paulus  Cassel,  Berlin  1888  (hebräischer  Text  mit  Uebersete.). 

Ueber  die  orientalischen  Versionen,  besonders  über  das  vorauszusetzende  indische 
Original:  Th.  Benfey.  Melanges  asiatiques  tires  du  bullettn  historico-philologique  de 
l'academie  imperiale  de  St.-Petersbourg,  tome  IE  2  (Petersbourg  18-58)  188 — 203.  —  Th. 
Benfey,  Pantschatantra.  I.  Teil,  Leipzig  1859.  —  Karl  Goedeke,  Liber  de  Septem 
sapientibus,  in  der  Zeitschrift:  Orient  und  Occident  3  (1864-66)  385—423. 

Die  zwei  neuesten  Hauptschriften  sind:  Dom.  Comparetti,  Ricerche  intomo 
al  libro  di  Sindibäd,  Memorie  del  R.  istituto  Lombardo  di  scienze  e  lettere,  ciasse  di 
lettere.  vol.  11,  Milano  1870,  imd  Marcus  Landau,  Die  Quellen  des  Dekameron-  Stutt- 
gart 1884  S.  28—89.  —  Vgl.  noch  M.  Gaster,  Literatura  populara  romana.  Bukarest 
1883  S.  54—72  und  desselben:  Greeko-Slavonic,  London  1^87  S.  115  ff.  —  Mit  den  7  Weisen 
am  Hofe  des  Königs  Kroisos  bringt  den  Syntipas  in  Zusammenhang  L^.  v.  Wilamowitz- 
Möllendorff,  Hermes  25  (1890)  198  f.  —  Ein  Verzeichnis  von  Ausgaben  imd  Hilfsmit- 
teln (bes.  für  die  abendländischen  Versionen)  gibt  Karl  Goedeke,  Gnmdriss  zur  Geschichte 
der  deutschen  Dichtung  1-  (1884)  S.  348  ff.;  466  f.  —  Zu  den  französischen  Bearbeitungen: 
Gaston  Paris,  La  litt.  fran(;aise  au  moyen  äge,  Paris  1888  S.  82;  255  f.,  imd  H.  P. 
Junker,  Gnmdriss  der  Geschichte  der  französischen  Litteratur,  Münster  1889  S.  99  f.  — 
Zu   den   englischen:    Gust.  Körting.    Grundriss   der  Geschichte    der  engl.  Litt.  S.  117  f. 

3.  Dem  Philosophen  Syntipas  schreibt  Mätthaei  auch  eine  Sammlimg  äsopi- 
scher Fabeln  zu,  die  in  demselben  Moskauer  Codex,  der  auch  die  Geschichte  von  den 
Sieben  weisen  Meistern  enthält,  unter  dem  Titel :  Ivyrincc  rov  cpiXoaötfov  ix  rwv  naQudsiy- 
fiarixwy  tevrov  Xöywv  überliefert  ist.  Diese  Ueberschrift  stammt  jedenfalls  von  einem 
Kopisten,  der  sich  durch  die  äussere  Aehnlichkeit  beider  Werke  und  ihre  Vereinigung  in 
einer  Handschrift  zu  der  Annahme  verleiten  Hess,  dass  sie  von  demselben  Autor  stammen. 
In  der  neueren  bibliographischen  Litteratur  ist  diese  mit  dem  Namen  des  Syntipas  ge- 
schmückte Fabelsammlung  öfter  mit  dem  wahren  Syntipasbu che  verwechselt  worden. 
Eine  aramäische  Bearbeitung  derselben  Sammlung  geht  unter  dem  (jedenfalls  aus  Aeso- 
p OS  verunstalteten)  Namen  Sophos,  eine  Thatsache,  die  übrigens  für  die  Frage  nach  dem 
Ursprünge  der  äsopischen  Fabeln  ohne  Bedeutung  bleibt.  Ed.  pr.  dieses  Pseudo-Syn- 
tipas  von  Chr.  Fr.  Matthaei,  Syntipae  philosophi  Persae  fabulae  LXIl  Graece  et  Latine, 
Lipsiae  1781.  —  Varianten  zum  Texte  gab  Matthaei.  IloixiXa  'EXXtjyixd  seu  Varia  Graeca, 
Mosquae  1811  S.  276  ff.  —  Die  aramäische  Bearbeitung  ed.  Jul.  Landsberger,  Mathle 
desuphus.  die  Fabeln  des  Sophos.  Sj-risches  Original  (! '?)  der  griechischen  Fabeln  des  Syn- 
tipas, Posen  1859.  —  Vgl.  Landsberger,  Zeitschr.  d.  deutschen  morgenländ.  Gesellsch. 
12  (1858)  149—159.  —  Besprechungen  des  Buches  von  Landsberger  gaben  Th.  Ben- 
fey. Orient  und  Occident  1  (1862)  354-365.  Geiger,  Zeitschr.  d.  deutschen  morgenländ. 
Gesellschaft  14  (1860)  586—593,  und  L.  Roth,  Heidelberger  Jahrbücher  53  (1860)  I.Hälfte 
S.  49 — 58.  Sämtliche  drei  Gelehrte  verhalten  sich  gegen  die  kritiklose  Behauptung  Lands- 
bergers,  die  syrische  Fabelsammlung  sei  das  Original,  gänzlich  ablehnend  imd  be- 
weisen zur  Evidenz,  dass  es  sich  um  eine  L^ebersetzung  aus  dem  Griechischen  handelt.  — 
Vgl.  auch  H.  Grauert,  De  Aesopo  et  fabulis  Aesopiis,  Bonnae  1825  S.  95  ff. 

4.  Das  dem  Maximos  Planudes  (s.  S.  249)  zugeschriebene  Leben  des  Aesop, 
welches  Eberhard  mit  dem  Syntipas  S.  226  ff.  ediert  hat,  ist  eine  Bearbeitung  der  mit  dem 
Salomonischen  Sagenkreise  verknüpften  Geschichte  vom  weisen  Akir,  dem  Sultan  Sina- 
grip  und  Anadam,  dem  Neffen  des  Akir.  M.  Gaster,  Literatura  populara  romana,  Buka- 
rest. 1883  S.  104—113.  —  Desselben:  Greeko-Slavonic,  London  1887  S.  112—115.  —  Einen 
verwandten  syrischen  Text  erwähnt  G.  Hoff  mann,  Auszüge  aus  sjTischen  Akten 
persischer  Märtyrer,  Leipzig  1880  S.  182  f.  (=  Abhandl.  für  die  Kunde  des  Morgen- 
landes VII  3). 

270.   Stephanites  und  Ichnelates.    Die  berühmte  Geschichte  von 


474     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgärgriech.  Litteratur.    2.  Prosa. 

Kaliiah  und  Dimnah  (Kaliiah  va  Dimnah),  die  in  der  griechischen  Be- 
arbeitung ^tetfaviTr^g  xal  ^IxvrjXcarfi  betitelt  ist  und  wegen  ihres  Inhaltes 
auch  Fürstenspiegel  genannt  wird,  hat  nach  ihrem  Stoffe,  ihrer  Ge- 
schichte und  Verbreitung  grosse  Aehnlichkeit  mit  dem  Syntipasbuche.  Um 
das  Jahr  500  n.  Chr.  befand  sich  in  Indien  —  wir  wissen  nicht,  seit  welcher 
Zeit,  vielleicht  schon  seit  dem  2.  Jahrhundert  v.  Chr.  —  ein  von  Buddhisten 
abgefasstes  Sanskritwerk,  in  welchem  unter  der  Hülle  von  Tierfabeln 
oder  genauer  von  Erzählungen,  in  welchen  Tiere  die  Rolle  von  Menschen 
spielen,  gelehrt  wurde,  wie  Fürsten  über  ihre  Völker  herrschen 
sollen.  Dieses  didaktische  Buch,  das  später  in  Indien  selbst  noch  mannig- 
fache Wandelungen  erlitten  hat  und  zum  Teil,  mit  Verwischung  des  ur- 
sprünglichen Zweckes  und  der  buddhistischen  Färbung,  in  das  Pancatantra 
verarbeitet  worden  ist,  wurde  im  6.  Jahrhundert  n.  Chr.  von  einem  persischen 
Arzte  Barzöe  in  die  Pehlevisprache  übersetzt.  Der  uns  verlorene  Fehle vi- 
text  wurde,  etwa  100  Jahre  nach  der  Eroberung  Persiens  durch  die  Muha- 
medaner,  im  8.  Jahrhundert  ins  Arabische  übertragen,  wobei,  ähnlich 
wie  beim  Syntipasbuche,  eine  im  Werke  selbst  vorkommende  Person,  der 
Philosoph  Bidpai,  zum  Verfasser  gestempelt  wurde.  Alsbald  verbreitete 
sich  das  Werk  über  alle  Völker,  die  mit  den  Arabern  in  Berührung 
kamen.  Durch  eine  hebräische  Uebersetzung  wurde  der  Fürstenspiegel 
in  die  europäischen  Litteraturen  eingebürgert;  aus  ihr  stammt  die  schlechte 
lateinische  Uebertragung  des  Johannes  von  Capua,  die  zwischen  1263 
und  1278  abgefasst  wurde.  Dagegen  floss  eine  altspanische,  um  1251 
geschriebene  Bearbeitung  wahrscheinlich  aus  einem  unmittelbar  aus  dem 
Arabischen  übersetzten  lateinischen  Texte.  Neben  diesen  aus  dem  Arabi- 
schen abgeleiteten  Uebertragungen  existiert  eine  syrische  Uebersetzung, 
die  unmittelbar  nach  dem  Pehlevitexte  angefertigt  ist  und  jetzt,  von  den 
fehlenden  Teilen  abgesehen,  als  der  treueste  Repräsentant  des  verlorenen 
indischen  Originals  erscheint.  Endlich  wurde  der  Fürstenspiegel  im  14. 
und  15.  Jahrhundert  in  italienischen,  deutschen,  englischen,  hol- 
ländischen, dänischen  und  anderen  Bearbeitungen  verbreitet.  Die  Ur- 
form des  Werkes  zersplitterte  sich  durch  die  willkürlichen  Aenderungen, 
Zusätze  und  Weglassungen  der  Uebersetzer  in  zahllose  Redaktionen. 

Die  griechische  Uebertragung  des  Fürstenspiegels  wurde  um  das 
Jahr  1080  von  dem  Magister  und  Protosekretarios  SymeonSeth  im  Auf- 
trage des  Alexios  Komnenos  abgefasst.  Er  teilte  das  Werk  in  zwei 
Hauptabschnitte:  1.  Die  Sendung  des  persischen  Arztes  Barzöe  {I7fg^o)ii) 
und  die  schwierige  Erwerbung  des  belehrenden  Buches,  2.  Das  indische 
Buch,  und  zwar  a.  die  Geschichte  der  beiden  Schakale  Stephanites  und 
Ichnelates  (Kaliiah  und  Dimnah),  b.  die  Geschichte  von  der  Ringeltaube. 
Die  Uebersetzung  des  Seth  beruht,  wie  auch  die  hebräische,  bzw.  die 
lateinische  des  Johannes  von  Capua,  auf  einer  ausführlicheren  und 
besseren  arabischen  Redaktion,  als  sie  in  dem  uns  erhaltenen,  von 
Silv.  de  Sacy  edierten  Texte  vorliegt.  Der  Zersplitterung  ist  bei  der  Ueber- 
lieferung  dieses  volksmässigen  Fürstenbuches  kein  Ende  gewesen;  von  der 
griechischen  Uebertragung  selbst  sind  wiederum  vier,  zum  Teil  sehr 
von  einander  abweichende  Rodaktionen  bekannt;  genauere  Aufschlüsse 


Die  Assisen  der  Königreiche  Jerusalem  und  Cypem.   (§  271.)  475 

über  das  Verhältnis  und  die  Ueberlieferung  derselben  enthält  die  Ausgabe 
von  Puntoni  (s.  u.). 

Von  den  Griechen  ging  der  Fürstenspiegel  zu  den  Slaven  über. 
Das  geschah  spätestens  im  13.  Jahi'hundert,  vielleicht  schon  früher.  Von 
den  drei  ältesten  sla vischen  Handschriften  enthalten  zwei  eine  serbisch- 
slo  venische,  die  dritte  eine  bulgarisch-russische  Redaktion  des  Werkes. 
Wie  es  scheint,  stammt  die  slavische  Uebersetzung  aus  einer  besonderen, 
sonst  nicht  bekannten  Redaktion  des  griechischen  Textes. 

1.  Ausgaben  und  Hilfsmittel:  Vor  dem  griechischen  Texte  erschien  eine  latei- 
nische Uebersetzimg  desselben  von  P.  Possinus  in  der  Ausgabe  des  Pachymeres  (s.  §  37) 
vol.  I  (Romae  1666)  545—620;  vgl.  vol.  I  389  flF.  und  vol.  II  482.  —  Den  griechischen 
Text  ed.  zuerst  G.  Stark,  Berlin  1697  (mit  lat.  Uebersetzung).  —  MitteUimgen  aus  einem 
Codex  in  Upsala  gab  P.  F.  Aurivillius,  Prolegomena  ad  librum  Ire(fc(viTi]g  xal  'ix^V 
).(tTr,g,  Upsala  1780.  —  Die  Ausgabe  von  Stark  wurde  wiederholt  als  Anhang  der  inter- 
essanten Pancatantraübersetzimg  des  Demetrios  Galanos:  XiroTjatfciaaa  ij  TIavraaTtivTQn 

{Tleyrätsv^og) /iieTcccpoaa&syTa  ix  rov  BQa/fiaytxov  nagcc  JtjurjTQiov  rceXayov  'A&r]- 

yaiov,  vt-v  de  nQMXov  ix6o9Evxa  fiskerrj  FewQylov  K.  TvTiciXdov,  'Ey  \4&Tjvcag  1851.  —  Erste 
kritische  Ausgabe  der  vier  Rezensionen  des  griechischen  Textes  von  Vittorio  Puntoni, 
Firenze  1889  (=  Pubbhcazioni  deUa  societä  asiatica  italiana,  vol.  IL).  —  Handschriftliche 
Mitteilungen  gab  Emilio  Teza,  Appunti  per  la  bibliografia  del  Pancatantra,  Orient  und 
Occident  2  (1864)  707 — 717.  —  Mit  einer  noch  ungedruckten  Redaktion,  als  deren  Autor 
sich  ein  Priester  Johannes  ..o  iaxauuaTiauivog'-'-  nennt,  macht  bekannt  Y.  Puntoni, 
Studi  di  filologia  Greca  pubbl.  da  E.  Piccolomini  vol.  I  (Torino  1882—84)  29 — 58.  — 
Zuletzt  gab  eine  Ergänzung  zum  handschriftlichen  Material  P.  Battifol,  Comptes  rendus  de 
lacademie  des  inscriptions  et  beUes-lettres  IV.  serie,  16  (1888)  254  ff. 

2.  Sonstige  Bearbeitungen  und  allgemeine  Hilfsmittel:  Eine  arabische 
Redaktion  ed.  mit  Notizen  über  sonstige  orientalische  Bearbeitimgen  und  Bruchstücken  einer 
lateinischen  Uebersetzung  Silvestre  de  Sacv,  Not.  et  extr.  10  (1818)  1,  94 — 432 
imd  2,  1-65.  Vgl.  S.  de  Sacy,  Not.  et  extr.  9  (1813)  1.397-466.  —  Den  alten  syri- 
schen Text  ed.  (mit  deutscher  Uebersetzxmg  imd  einer  Einleitung  von  Th.  Benfey)  Gustav 
B  ick  eil,  Kalilag  und  Danmag,  Leipzig  1876.  Vgl.  die  Besprechung  von  Th.  Nöldeke. 
Zeitschr.  d.  deutschen  morgenländ.  Ges.  30  (1876)  752 — 772  und  die  Nachträge  ebenda  31 
(1877)  535 — 541;  femer  L.  Blumenthal,  Krit.  Emendationen  zu  G.  Bickell's  K.  u.  D.,  ebd. 
44  (1890)  267-320..  —  W.  Wright,  The  book  of  Kalilah  and  Dimnah  translated  from  Arabic 
into  Syriac,  Oxford  und  London  1884.  Eine  englische  Uebersetzimg  desselben  Textes 
gab  Keith-Fal coner,  Cambridge  1885.  Vgl.  die  gehaltreichen  Besprechungen  beider 
Publikationen  von  Th.  Nöldeke,  Götting.  Gel.  Anzeigen  1884,  673—687  und  1885, 
753 — 757.  —  Zwei  hebräische  Versionen  ed.  J.  Derenbourg,  Bibliotheque  de  l'ecole 
des  hautes  etudes,  49.  fasc.  (1881).  —  Das  Directorium  vitae  humanae  des  Johannes  von 
Capua  ed.  J.  Derenbourg,  Bibl.  de  l'ecole  des  hautes  et.,  72.  fasc.  (1887).  —  Die  sla- 
vische Uebersetzung  ed.  A.  Viktorov,  Moskau  1881.  Vgl.  V.  Jagic,  Arch.  slav.  Phil. 
ö  (1881)  682  ff.  —  LTeber  die  auf  Befehl  des  Grafen  Eberhard  von  Württemberg  abge- 
fasste  deutsche  Uebersetzung  handelt  Th.  Benfey,  Orient  und  Occident  1  (1862)  138 — 187; 
ebenda  S.  497 — 507  bespricht  Benfey  eine  alte  spanische  L'ebersetzung.  —  Lieber  die 
von  Nuti  abgefasste  italienische  Bearbeitung  des  griechischen  Textes  (gedruckt  Fen-ara 
1583)  spricht  W.  Pertsch,  Orient  und  Occident  2  (1864)  261—268.  Einen  Neudruck  der 
italienischen  Bearbeitung  von  1583  veranstaltete  Emilio  Teza,  Scelta  di  curiositä  lette- 
rarie  inedite  o  rare  dal  secolo  13  al  17,  vol.  125,  Bologna  1872  (mit  Bemerkungen  über 
das  Verhältnis  zu  den  griechischen  Texten  des  Aurivillius  und  des  cod.  Laur.  57,  30).  — 
Hauptwerk  über  die  Quellen,  die  Verbreitung  und  die  Umwandelung  der  einzelnen  Ge- 
schichten des  Kalüahkreises :  Th.  Benfey,  Pantschatantra,  1.  TeU,  Leipzig  1859.  -  -  Zur 
Orientierung  dient  auch  M.  Müller,  Selected  essays  1  (1881)  514 ff. ;  548  ff.,  und  M.  Landau, 
Quellen  des  Dekameron-  S.  5 — 19. 

271.  Die  Assisen  der  Königreiche  Jerusalem  und  Cypern.    Die 

Gesetzgebung,  welche  die  Kreuzfahrer  in  den  von  ihnen  begründeten  orien- 
talischen Herrschaften  einfülu-ten,  gliederte  sich  von  Anfang  an  in  zwei 
Hauptstücke,  in  einen  Codex,  der  das  Verhältnis  zwischen  den  fränki- 
schen Fürsten   und  Lehensleuten   regelte,   und   in   einen  zweiten,   der   das 


476     Byzantinische  Litteraturgeschichte.    III.  Vulgärgriech.  Litteratur.    2.  Prosa. 

Civil-  und  Strafrecht  enthielt:  die  Assisen^)  der  Haute  court  und  die 
Assisen  der  Basse  court  oder  Court  des  bourgeois.  Der  uns  erhaltene 
französische  Text  der  Assisen  des  Oberhofes  wurde  in  der  Mitte  des 
13.  Jahrhunderts  (um  1255)  von  den  zwei  französisch-cyprischen  Rechts- 
lehrern Philipp  de  Navarre  und  Jean  d'Ibelin  abgefasst;  der  franzö- 
sische Text  der  Assisen  des  Unterhofes  ist  anonym;  er  entstand  wahr- 
scheinlich zwischen  1173  und  1188,  Ueber  die  Zeit  und  die  Umstände 
der  Einführung  dieser  Gesetzbücher  in  Cypern,  in  Morea  und  in  anderen 
lateinischen  Herrschaften  sind  wir  mangelhaft  unterrichtet.  In  beiden 
Chroniken  von  Morea,  sowohl  der  griechischen  wie  der  französischen,  wird 
erzählt,  dass  der  lateinische  Kaiser  Robert  von  Courtenay  (1217  —  1228) 
dem  GeofFroy  II  Villehardouin  das  Recht  erteilt  habe,  in  Achaja  nach  den 
Assisen  zu  richten.  Anderen  Nachrichten  zufolge  soll  schon  Kaiser  Hein- 
rich um  1210  dem  Fürsten  von  Achaja  die  Assisen  übergeben  haben. 
Sicher  steht,  dass  um  1275  die  Assisen  des  Oberhofes  in  Morea  geltendes 
Recht  waren.  Nach  Euböa  kamen  die  Assisen  wahrscheinlich  von  Morea; 
ein  Auszug  der  Assisen  des  Oberhofes  wurde  i.  J.  1443  für  Euböa  von  der 
venezianischen  Republik  geordnet  und  bestätigt.  Dass  übrigens  die  Assisen 
nicht  in  allen  Teilen  des  lateinischen  Orients  dieselben  waren,  vielmehr 
mannigfache  Modifikationen  erlitten  und  auch  mit  älteren  Lokalrechten 
vermischt  wurden,  beweist  u.  a.  eine  armenische  Uebersetzung  der  Assisen 
von  Antiochia  aus  dem  Jahre  1265,  in  welcher  die  Assisen  beider  Höfe  in 
einer  von  der  sonstigen  Ueberlieferung  vielfach  abweichenden  Form  zu 
einem  Codex  von  39  Kapiteln  vereinigt  sind.  Der  hohe  Wert  dieser 
fränkisch-orientalischen  Rechtsbücher  für  die  Geschichte  des  lateinischen 
Orients  und  des  griechisch-byzantinischen,  ja  selbst  für  manche  Teile  des 
ottomanischen  Rechtes  ist  längst  anerkannt. 

Die  griechische  Uebersetzung  der  Assisen,  die  zunächst  für  das 
Königreich  Cypern  bestimmt  war,  umfasst  nur  die  Gesetze  des  Unter- 
hofes; eine  Uebertragung  der  wesentlich  die  internen  Verhältnisse  der 
Fürsten  und  Lehensleute  betreffenden  Assisen  des  Oberhofes  in  die  Landes- 
sprache wurde  als  überflüssig  und  vielleicht  sogar  als  wenig  wünschens- 
wert betrachtet.  Die  Entstehungszeit  der  griechischen  Uebersetzung 
lässt  sich  nicht  genauer  bestimmen.  Die  Annahme,  dass  sie  schon  unter 
König  Hugo  I  (1205—1218),  dessen  Regierung  für  die  Ordnung  der  Assisen 
allerdings  von  Bedeutung  zu  sein  scheint,  abgefasst  worden  sei,  ist  nicht 
erweislich;  jedenfalls  gehören  die  uns  erhaltenen  Texte  einer  späteren  Zeit, 
wohl  erst  dem  14.  Jahrhundert  an.  Ihr  Wert  beruht  hauptsächlich  auf 
ihrer  sprachlichen  Form;  den  Assisen  und  den  Chroniken  des  Machaeras 
und  Bustrone  ist  es  zu  danken,  dass  der  neucyprische  Dialekt  in 
seinem  geschichtlichen  Werden  mit  grösserer  Vollständigkeit  studiert  werden 
kann  als  irgend  eine  andere  vulgärgriechische  Mundart.  Bezeichnend  für 
die  längst  erkannte  Thatsache,  dass  die  westliche  Kultur  dem  griechischen 
Boden  nirgends  tiefere,  bleibende  Spuren  einzuprägen  vermochte,  ist  die 
Beobachtung,    dass    die    meisten   fränkischen   Ausdrücke,    von    denen   die 

')  Assise,  Partizip  vom  altfranz.  assire    I    sitzunp,   ({oricht    als  Ciosetzbuch.     S.  Diez, 
setzen,  sieb  setzen,  bedeutet  sowohl  Gericht«-    \    Wörterbuch  der  roiiian.  Spr.  *  S.  510. 


Die  Chroniken  des  Leoniios  Hachaeras  nnd  des  Georg  Bastrone.   (§  272.)     477 

griechischen  Assisen  wimmehi,  heutigestags  in  Cypern  wie  im  übrigen 
griechischen  Orient  völlig  unbekannt  und  unverständlich  sind.  Den  griechi- 
schen Text  überliefern  drei  verwandte  Handschriften,  der  cod.  Paris. 
Gr.  1390,  der  1512  geschriebene  cod.  Paris,  suppl.  gr.  465,  der  von 
Mynas  Mynoides  vom  Athos  nach  Paris  gebracht  wurde,  und  ein  von 
Zachariä  von  Lingenthal  benutzter  zweiter  Athoscodex  des  Laura- 
klosters, der  ebenfalls  i.  J.  1512  geschrieben  ist,  jedoch  nach  Lingenthals 
Beschreibung  mit  dem  jetzt  in  Paris  befindlichen  Athoscodex  nicht  identisch 
sein  kann.  Eine  vierte  Handschrift  der  griechischen  Assisen  lag  dem 
Florio  Bustrone  (tl570)  vor,  der  dieselben  für  die  venezianische  Repu- 
blik ins  Italienische  übersetzte.  Die  uns  erhaltenen  drei  Handschriften 
weichen  von  dem  Original  des  Bustrone,  das  verloren  zu  sein  scheint, 
erheblich  ab  und  stimmen  mehr  mit  dem  ältesten  der  französischen  Codices 
überein. 

1.  Ausgaben:  Die  griechischen  Assisen  ed.  K.  N.  Sathas,  Msa.  ßißXto&TJxrj  VI, 
Venedig  1877.  Ausser  den  Assisen  enthält  der  Band  byzantinische  Notariatsschemen, 
Formebi  kaiserlicher  Entscheidungen  und  eine  Sammlung  von  kretischen  Notariats - 
Urkunden.  In  der  Einleitung  handelt  Sathas  über  die  Geschichte  der  griechischen  Sprache 
imd  über  die  Entstehung  der  Assisen.  —  Französische  Assisen:  Les  livres  des  assises 
et  des  usages  dou  reaume  de  Jerusalem  pr.  ed.  E.  H.  Kausler,  Stuttgart  18-39.  —  Assises 
de  la  court  des  bourgeois  ed.  V.  Foucher,  Rennes  1841.  —  Beide  Arbeiten  sind  verwertet 
in  dem  zusammenfassenden  Werke  des  Grafen  Beugnot,  Assises  de  Jerusalem  ou  recueil 
des  ouvrages  de  jurisprudence  composes  pendant  le  13**  siecle  dans  les  royaumes  de  Jeru- 
salem et  de  Chypre,  2  voU.  Paris  1841 — 43  (=  Recueü  des  historiens  des  croisades,  Lois, 
t.  1 — 2).  —  Die  italienische  Uebersetzxmg  des  Florio  Bustrone  wurde  nach  der  Ausgabe 
von  Venedig  1535  wiederholt  von  Canciani,  Leges  barbarorum,  tom.  V  (Venedig  1792) 
109 — 309.  —  Armenische  Uebersetzimg :  Assises  d'Antiochie  reproduites  en  fran9ais  et 
publiees  par  la  societe  Mekhitariste  (le  pere  Leon  Alishan),  Venise  1876. 

2.  Hilfsmittel:  Zachariae  von  Lingenthal,  Historiae  iuris  Graeco-Romani  de- 
lineatio,  Heidelberg  1839  S.  137 — 190  (Mitteilungen  über  die  Athoshandschrift  der  grossen 
Laura).  —  Paulin  Paris,  Journal  des  savants  1841  S.  291—309.  —  Francis  Monnier, 
Godefroi  de  Bouillon  et  les  assises  de  Jerusalem,  Paris  1874.  —  Sonstige  Litteratiir  ver- 
zeichnen Beugnot  und  Sathas. 

272.  Die  Chroniken  des  Leontios  Machaeras  und  des  Georg 
Bustrone  sind  neben  den  Assisen  die  wichtigsten  griechischen  Quellen 
für  die  Erkenntnis  der  mittelalterlichen  Geschichte,  Geographie,  Kultur 
und  Sprache  der  Insel  Cypern.  I^eontios  Machaeras  war  ein  Sohn  des 
Stavrinos  Machaeras,  der  1382  an  den  Beratungen  über  die  Wahl  des 
Nachfolgers  Peters  H  Anteil  nahm  und  für  Jakob  I  Lusignan  stimmte. 
Auch  Leontios  stand  zum  fränkischen  Hofe  in  nahen  Beziehungen;  er 
folgte  dem  König  Janus  1426  auf  seinem  unglücklichen  Zuge  gegen  die 
in  Cypern  eingefallenen  Araber  und  unternahm  1434  eine  Gesandtschafts- 
reise zum  Sultan  von  Ikonion;  auf  dieser  Reise  traf  er  in  Laranda  mit 
dem  französischen  Reisenden  Bertrandon  de  la  Brocquiere  zusammen, 
der  sein  gutes  Französisch  rühmt.»)  Ueber  die  Nationalität  des  Machaeras 
kann  mithin  kein  Zweifel  bestehen;  er  gehörte  zu  jenen  Griechen,  die 
sich  mit  den  fränkischen  Herrschern  befreundeten,  ihre  Sprache  erlernten 
und  ihnen  als  Dolmetscher,  Sekretäre,  Diplomaten  u.  s.  w.  dienlich  waren. 

*)  ,Item  trouvay   en    ceste   dicte  ville  j  loient  asses  bon   fran^ois."     M.  L.  De  Mas 

de  Larande  ung  gentil  homme  de  Cypre  que  |  Latrie,    Histoire    de    l'ile    de    Chypre    IH 

Ten  nomme  Lyachin  Caatrico   et  ung  aultre  j  (1855)  3. 

que  Ten  nomme  Lyon  Maschere,  qui  par-  , 


478     Byzantinische  Litteratnrgeschichte.     lll.  Vulgärgriech.  Litteratnr.    2.  Prosa. 


Die  Chronik  des  Machaeras  beginnt  nach  einem  Ueberblicke  über  die 
ältere  Geschichte  der  Insel  Cypern  und  einem  Verzeichnis  ihrer  bedeutend- 
sten Heiligen,  Bischöfe  und  Klöster  in  ausführlicher  Darstellung  mit  dem 
Jahre  1359  d.  h.  mit  König  Peter  I  Lusignan  (1359—1369)  und  reicht 
bis  zum  Jahre  1432  d.  h,  bis  zum  Tode  des  Königs  Janus  (1398 — 1432). 
Am  Schlüsse  folgen  noch  einige  kurze  chronologische  Notizen  bis  zum  Jahre 
1458,  die  offenbar  von  einem  späteren  Kopisten  oder  Besitzer  der  Chronik 
stammen.')  Als  Quellen  benützte  Machaeras  ältere  Chroniken  und  sicher 
auch  offizielle  Archive;  einmal  zitiert  er  das  uns  verlorene  Buch  des 
TXovdv  ri  MinccQq  (Juan  de  Mimars);  ebenso  verweist  er  für  die  Geschichte 
Hugos  IV  (1324 — 1359)  auf  ein  älteres,  uns  unbekanntes  Werk.  Für  den 
grössten  Teil  seiner  Erzählung  konnte  er  sich  von  seinem  Vater  und 
anderen  Verwandten,  die  am  cyprischen  Königshofe  eine  Rolle  spielten, 
genügende  Informationen  erholen;  die  spätere  Zeit  kannte  er  durch  eigene 
Beobachtung  in  einer  dem  regierenden  Hause  eng  verbundenen  Stellung. 
Machaeras  verstand  es  jedoch  nicht,  das  Wichtige  vom  Bedeutungslosen 
zu  unterscheiden  und  den  Stoff  übersichtlich  zu  verarbeiten;  er  gibt  mehr 
eine  wüste  Materialiensammlung  als  eine  historische  Erzählung.  Durch- 
aus lobenswert  ist  seine  Haltung;  er  steht  zwar  im  Dienste  der  fremden 
Herrscher  und  spricht  mit  Achtung  von  ihnen  und  ihrer  Kirche;  er  ver- 
leugnet aber  keineswegs  seine  griechische  Nationalität  und  seine  Ortho- 
doxie; in  freimütigem  Tone  beklagt  er  den  Verfall  der  griechischen  Sprache 
unter  der  lateinischen  Herrschaft  und  verurteilt  gelegentlich  einen  griechi- 
schen Apostaten  mit  scharfen  Worten.  Die  Sprache  des  Machaeras  ist 
jenes  seltsame  franko-griechische  Mischidiom,  das  sich  an  den  lateini- 
schen Höfen  des  Orients  ausbildete.  Die  Grundlage  bleibt  für  die  Laut- 
und  Formenlehre  wie  für  das  Wörterbuch  der  cyprische  Volksdialekt; 
dazu  kommt  aber  eine  massenhafte  Beigabe  französischer  und  italienischer 
Wörter,  die  nach  Gutdünken  und  mit  willkürlicher  Verwechselung  von 
Kasus,  Genus  und  Numerus  gräzisiert  sind.  Mehr  noch  als  durch  die  bunte 
Mischung  des  Sprachmaterials  wird  die  Darstellung  des  Machaeras  nieder- 
gedrückt durch  den  völligen  Mangel  an  Stilgefühl;  er  hat  keine  Vorstellung 
vom  Satzbau  und  von  einer  logischen  Anfügung  der  Gedanken,  Der  gute 
Chronist  muss  selbst  gefühlt  haben,  wie  übel  es  mit  seiner  Diktion  bestellt 
war ;  er  macht  einmal  die  sprachgeschichtlich  höchst  interessante  Bemerkung, 
seit  die  Lateiner  auf  Cypern  herrschen,  habe  man  angefangen,  französisch 
zu  lernen  und  man  verderbe  das  Rhomäische  und  „wir  schreiben  fränkisch 
und  rhomäisch,  so  dass  niemand  mehr  weiss,  was  wir  für  eine  Sprache 
reden.*'-')  Das  Werk  des  Machaeras  wurde  von  Späteren  reichlichst  aus- 
genützt. Diomedes  Strambaldi  veranstaltete  eine  unvollständige  und 
höchst  fehlerhafte  Uebersetzung  desselben  in  venezianisches  Italienisch: 
Francisco  Amadi  verwertete  es  für  seine  Chronik,  ohne  jedoch  auch  nur 


')  Aehnliche  BUinmarischo  Fortsetzungen 
finden  sich  in  zahlreichen  Chronikenhnnd- 
8chrift«n;  vgl.  z.  B,  §§51;  55  f.  (S.  117; 
127;  131). 

*)  Kai  ano  töxes  aqxi\f>av  vä  fiu&dvovv 


(fQtipyxixa  xai  ßaQjiaQlant'  t«  ^(Oftcaxa  cJf 
yoToy  xal  (irjf^fQov,  xa\  yQti(fOjuey  (fgdvyxixa 
xai  ^(üfiatxa,  ort  eis  roy  xoofxoy  d^y  rj(svQovy, 
tyra  avyxvxdvo^ity.  S.  124  der  ersten  Aus- 
gabe (=  S.  85  der  zweiten). 


Die  Chroniken  des  Leontios  Machaeras  und  des  Georg  Bustrone.  (§  272.)     479 

anzudeuten,  dass  er  wörtlich  aus  einem  fremden  Werke  schöpfe;  endlich 
hat  Florio  Bustrone  (f  1570)  für  seine  italienische  Geschichte  der  Insel 
C>T)ern  den  Machaeras  wie  auch  dessen  Fortsetzer  Georg  Bustrone 
ausgiebig  zu  Rate  gezogen. 

Georg  Bustrone  oder,  wie  er  sich  selbst  schreibt,  T^ogT^r^g  üov- 
axQovg  {MnovaxQovz),  ein  gräzisierter  cj^rischer  Franke  aus  dem  alten 
französischen  Geschlechte  Bustrone,  war  ein  treuer  Gefährte  und  Freund 
des  letzten  Königs  von  Cypern,  Jakobs  II.  Sein  Leben  ist  nicht  genauer 
bekannt;  doch  wissen  wir,  dass  er  im  Jahre  1458  als  Gesandter  verwendet 
und  einige  Zeit  von  der  Königin  Charlotta  im  Kastell  von  Nikosia  gefangen 
gehalten  wurde;  er  scheint  das  Jahr  1501,  mit  welchem  sein  Werk  schliesst, 
nicht  lange  überlebt  zu  haben.  Georg  Bustrone  schrieb  in  seinem  heimat- 
lichen Dialekte  eine  Chronik  der  cyprischen  Ereignisse  von  1456  bis 
15  01,  die  er  zum  grössten  Teil  als  Augenzeuge  beobachtet  hatte.  Seine 
Darstellung  ist  ebenso  unbeholfen  wie  die  des  Machaeras;  immerhin  erzählt 
er  fliessender  und  ist  leichter  verständlich  als  sein  Vorgänger.  Sein  Werk 
wurde  später  ausgeschrieben  von  Antonio  Colbertaldo  in  seiner  Historia 
di  D.  D.  Catterina  Corner  Regina  di  Cipro,  von  seinem  Verwandten  Florio 
Bustrone,  der  im  Auftrage  der  venezianischen  Republik  auch  die  cypri- 
schen Assisen  ins  Italienische  übersetzte  (s.  S.  477),  endlich  von  Stephan 
Lusignan  in  seiner  Histoire  generale  des  royaumes  de  Hierusalem,  Cypre 
(Paris  1579). 

1.  Ausgaben  der  griechischen  Chroniken:  Beide  Chroniken  ed.  zuerst  K. 
Sathas,  Msa.ßtßXto9ijxT]  v.  II,  Venedig  1873.  Der  Band  enthält  noch  eine  Reihe  sonstiger 
auf  die  Geschichte  Cypems  bezüglicher  Texte,  über  welche  die  ausführliche  Einleitung  zu 
vergleichen  ist,  und  unedierte  cyprische  Münzen  mit  einer  Abhandlung  von  P.  Lambros.  — 
Eine  neue  Ausgabe  des  Machaeras  (ohne  Bustrone)  veranstalteten  E.  Miller  und  K. 
Sathas,  2  voll.,  Paris  1881 — 82  (=  Publications  de  l'ecole  des  langues  orientales  Vivantes 
IP  Serie,  vol.  2 — 3).  Der  erste  Band  enthält  den  durch  Benützung  der  Oxforder  Hand- 
schrift verbesserten  griechischen  Text,  dazu  einen  Brief  des  Nikephoros  Gregoras  an 
König  Hugo  IV,  zwei  auf  eine  romantische  Episode  aus  dem  Leben  Peters  I  Lusignan 
bezügliche  Volkslieder  (s.  S.  413),  ein  Glossar  der  cyprischen  Idiotismen  und  das  Facsi- 
mile  einer  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  von  dem  Venezianer  Baptist  Agnese  (auch 
PalneSe  genannt)  gezeichneten  Karte  von  Cypem.  Im  zweiten  Bande  folgt  eine  franzö- 
sische Uebersetzung  der  Chronik  und  ein  Sachindex. 

2.  Quellen  und  Ausschreiber  der  cyprischen  Chroniken:  Les  gestes  des 
Chiprois,  recueil  de  chroniques  fran9aises  ecrites  en  Orient  aux  13*  et  14*^  siecles  (Philippe 
de  Navarre  et  Gerard  de  Monreal)  publie  etc.  par  Gaston  Raynaud,  Geneve  1887  (=: 
Publications  de  la  societe  de  l'Orient  latin,  serie  historique,  vol.  5).  —  Die  italienische  Ge- 
schichte Cypems  des  Florio  Bustrone  ed.  mit  guten  chronologischen  und  saclilichen  In- 
dices  Rene  deMasLatrie,  CoUection  de  documents  inedits  sur  l'histoire  de  France. 
Melanges  historiques,  tome  5,  Paris  1886  S.  1 — 533. 

3.  Geschichtliche  und  geographische  Hilfsmittel:  Sehr  verdienstlich  war 
für  seine  Zeit  das  Werk  des  Erlanger  Professors  J.  P.  Reinhard,  Vollständige  Geschichte 
des  Königreichs  Cypem,  2  Teile,  Erlangen  und  Leipzig  1766—68.  —  Hauptwerk:  Louis 
de  Mas  Latrie,  Histoire  de  l'ile  de  Chypre  sous  le  regne  des  princes  de  la  maison  de 
Lusignan,  3  voll.,  Paris  1852 — 55 — 61.  —  Von  demselben  (ausser  vielen  kleineren  Beiträ- 
gen): Nouvelles  preuves  de  l'histoire  de  Chypre  sous  le  regne  des  princes  de  la  maison  de 
Lusignan,  2  voll.,  Paris  1873  —  74  (Extrait  de  la  bibliotheque  de  l'ecole  des  chartes,  t.  33 --35) 
und:  L'ile  de  Chypre,  sa  Situation  präsente  et  ses  Souvenirs  etc.,  Paris  1879  (topographische 
Notizen,  inschriftliches  Material  u.  s.  w.).  —  Einzelne  Regierungen  behandelt  Karl  Her- 
quet,  Cyprische  Königsgestalten  des  Hauses  Lusignan,  Halle  1881  (über  Peter  I,  Janus, 
Charlotta,  Caterina).  —  Sonstige  ält«re  Litteratur  ist  zusammengestellt  in  dem  naturwissen- 
schaftlichen Werke  von  F.  Unger  und  Th.  Kotschy,  Die  Insel  Cj'pera,  Wien  1865 
S.  595  flf.  und  bei  Mas  Latrie,  Histoire  de  l'ile  de  Chypre  II  Preface  S.  2  ff.  —  Hans 
Müller,    Der  Longebardenkrieg   auf  Cypem    1229  —  1233,    Dissert.   Halle    1890.   —   Eine 


480    Byzantinische  Litteraturgeschichte.    tll.  Vnlgärgriech.  Litteratar.    2.  Prosa. 

umfassende  Monographie  über  die  Geschichte  und  Geographie  von  Cypern  erwartet  man 
von  E.  Oberhummer;  vgl.  vorerst  desselben:  Aus  Cypern,  Zeitschrift  d.  Gesellschaft  für 
Erdkunde  zu  Berlin  25.  Bd.,  1890.  —  Die  mittelalterlichen  Münzen  von  Cypern  behandelt 
am  besten  G.  Schlumberger,  Numismatique  de  l'Orient  latin,  Paris  1878. 

4.  Zur  Sprache:  Die  älteste  Monographie  über  den  neucyprischen  Dialekt  ist  das 
seltene  Buch  des  Peter  Mercado,  Nova  encyclopaedia  missionis  apostolicae  in  regno  Cypri 
seu  institutiones  linguae  Graecae  vulgaris,  Romae  1732  (cyprische  Grammatik  und  Glossar, 
für  Missionszwecke  bestimmt).  —  Sakellarios,  Kvnginxd,  bes.  Bd.  3,  Athen  1868.  — 
Zwei  Hauptschriften:  Gust.  Meyer,  II  dialetto  delle  cronache  di  Cipro,  Rivista  di  filol. 
4  (1875)  255 — 286,  und  desselben  Monographie  über  die  romanischen  Wörter  in  den  cypri- 
schen  Chroniken,  Jahrbuch  für  romanische  und  englische  Sprache  und  Literatur  15  (=  Neue 
Folge  3)  (1876)  33—56.  —  Mondry  Beaudouin,  Etüde  du  dialecte  chypriote  moderne 
et  medi^val,  Paris  1884  (Bibl.  des  ecoles  fran9.  d'Athenes  et  de  Rome,  36.  fasc). 

5.  Ueberlieferung:  Das  Werk  des  Machaeras  enthält  cod.  Marcian.  class.  VII 
16,  der  kurz  nach  1571  geschrieben  ist,  imd  ein  1555  in  Paphos  geschriebener  cod.  Bod- 
leianus,  der  einige  Lücken  des  Marcianus  ergänzt.  Den  Bustrone  überliefert  der  erwähnte 
cod.  Marcian.  class.  VII  16,  ausserdem  cod.  Marcian.  VII  17  und  cod.  Arundel.  518  (Bri- 
tish Museum),  der  die  Venezianer  Handschriften  am  Schlüsse  ergänzt. 

273.  Hausarzneibücher,  'laTQoaöcpia,  waren  im  Mittelalter  bei  den 
Griechen  ebenso  stark  verbreitet  als  verwandte  lateinische  Werke  im  Abend- 
lande. Wie  die  medizinischen  Schriftsteller  schon  im  Altertum  auf  die 
Deutlichkeit  mehr  Wert  legten  als  auf  grammatische  und  lexikalische  Rein- 
heit, so  sind  auch  die  populären  Arzneibücher  des  Mittelalters  stets  dem 
sprachlichen  Bedürfnis  ihrer  Zeit  und  ihres  Leserkreises  angepasst  worden. 
Die  älteren  Vorlagen  wurden  teils  durch  vulgärgriechische  Randglossen 
erläutert,  teils  einer  durchgreifenden  sprachlichen  Umarbeitung  unterzogen. 
Hiedurch  werden  die  verschiedenen  Redaktionen  nützliche  Fundgruben  der 
vulgären  naturwissenschaftlichen  Terminologie;  durch  die  Rand- 
glossen erhalten  auch  manche  altgriechische  Namen  von  Pflanzen,  Tieren 
und  Steinen  erwünschte  Aufklärung.  Häufig  sind  mit  den  Arzneibüchern, 
in  welchen  die  tierische  Sympathie  eine  Hauptrolle  spielt,  auch  Beschwö- 
rungsformeln (gegen  Hexen,  Vampyre  u.  s.  w.),  Zaubersprüche  und 
ähnliche,  für  das  geschichtliche  Studium  der  Volksanschauungen  wertvolle 
Texte  verbunden.  Eine  Sammlung  von  'larqixd  diäifOQu  ah^O^earara  dg 
näaav  äai>ivsiav  enthält  neben  vielen  anderen  Dingen  das  Geoponikon 
des  kretischen  Mönches  Agapios  Landes,  das  sich  bis  auf  die  neuere 
Zeit  grosser  Beliebtheit  erfreut  hat  (erster  Druck  Venedig  1647).  An  eine 
erschöpfende  Darstellung  dieser  zerstreuten  Kuriositätenlitteratur  kann  nicht 
gedacht  werden,  solange  die  meisten  Texte  noch  unediert  sind. 

Ein  vulgärgriechisches  'laTQoaocpiov,  das  in  dem  aus  einer  Handschrift  des  Jahres 
1384  abgeschriebenen  cod.  Paris.  Gr.  2315  aufbewahrt  ist,  ed.  E.  Legrand,  Bibl.  gr. 
vulg.  II  (1881)  1—27.  Vgl.  die  Einleitung  S.  9  ff.  —  Die  handschriftliche  Bemerkung  Jia 
XfiQog  'Iwdyyov  rov  Iraipi&a,  die  Legrand  auf  den  Verfasser  bezieht,  ist  doch  wohl  nur 
die  Unterschrift  des  Kopisten, 


1 


Register  der  Personen  und  Sachen. 

Die  Zififern  beziehen  sich  mit  die  Seiten;  die  mit  *  bezeichneten  Seiten  enthalten  die  Hauptstellen. 


ABC  s.  Alphabet. 
Abendmahl,  in  der  byzantin. 

Kunst  30. 
Abenner,  König  466. 
Abraham,      apokrj'phe      Ge- 
schichte 27;  vgr.   Gedicht 

411. 
Abram,  Vater  des  Nonnosos  49. 
Accentpoesie    s.   Metrik  und 

n-thmische  Poesie. 
Achilleis  431  f. 
Achilles  Tatios   218,    371  f., 

445,  448. 
Achrida  191. 
Adam    und    Eva.    apokryphe 

Geschichte  26  f.,  468.' 
Adam,  Gedicht  über  348. 
Adam  und  das  Paradies  404. 
Adrianopel  76,  103,  426. 
Adulis  158  f. 
Aegvpten  158,  188. 
Aelianos    55,    68,    265,    290, 

347,  350,  376. 
Aelios  Dionvsios  227  f.,  244, 

263,  270,' 272. 
Aera,  alexandr.,  byz.  u.  s.  w. 

s.  Zeitrechnung. 
Aeschines  236. 
Aeschylos  42,  218,  236,  253, 

257  f.,  265,  302,  356,  444. 
Aesopos  249,  348,  382,  473. 
Aethiopien  153, 158,456f.,468. 
Agapios  s.  Landos. 
Agathangelos  von  Byzanz  154. 
Agathangelos,  Gegner  des  Gre- 

goras  382. 
Agathias   7,   21,   37,   49  ff.*, 

52,  55  ff.,  65,  73,  121,  265, 

298,  300. 
Agnese,  Baptist  479. 
Akathistos,     Kirchenhymnus 

314, 318*,  329, 339,347,378. 
Akinoj-nos  94  f.,  203  f. 
Akir,  der  weise  473. 


Akklamationen  61,  298,  308, 
310,  327,  336,  343,  389  f.*. 

Akoluthos  381. 

Akominatos.  Michael  9,  84, 
87,  186,  194  ff.*,  243,  245. 

Akominatos  Niketas,  Erzbi- 
schof 87. 

Akominatos  Niketas,  Histori- 
ker 9,  38,  83  f.,  84  ff.*, 
151,  153,  167,  181,  193. 

Akonitis,  Insel  47. 

Akritas  s.  Digenis  Akritas. 

Akriten  417  f. 

Akropolites  201. 

Akropolites  Georgios  88  f.*, 
90,97,151,153,  186,  196  f., 
200. 

Akropolites  Konstantin  251. 

Akrostichis  61,  187,  320,  326, 
329,  336  ff.*,  342,  348  f., 
352,  364,  381,  404  ff.,  429. 

Aksakov  25. 

Aktuarios  Johannes  67. 

Albertus  Magnus  176. 

Alcuin  215. 

Alcyonius  Peter  218. 

Alexander  von  Aphrodisias 
182  f.,  265,  379. 

Alexander  Polyhistor  50. 

Alexanderroman  27,  411,428, 
432  ff.* 

Alexandria  49,  116,  157,  222, 
277,  311. 

Alexias  s.  Komnena  Anna. 

Alexios  s.  Aristenos. 

Alexios  I  s.  Komnenos. 

Alexios  Makrembolites  381. 

Alexios,  der  Mann  Gottes  395, 
469. 

Alexios  ^Murzuphlus*  85. 

Alexis,  Sohn  Belisars  436. 

Alkman  305,  333. 

AUegorien  238  ff..  362  ff.,382  ff., 
407  ff.,  441  ff.,  467. 


Handbuch  der  klass.  Altertomswlasenschaft.  DC.    1.  Abtlg. 


Alopos,  Theodoros  175. 
Alphabet,  erbauliches  220, 338, 

406.* 
Alphabet  der  Liebe  404ff.*,448. 
Amadi  Francisco  478. 
Amalasuntha  47. 
Amarantes  365. 
Ambrosius  311,  457.;  hj-nmus 

Ambrosianus  327. 
Ammonios,  Aristoteliker  172, 

224,  277. 
Ammonios,  Lexikograph  253. 
Amorion  125. 
Amphilochios  229. 
Anadam  473. 
Anagnostes  Johannes    58   f., 

100*. 
Anakreon  352  f.,  371,  381. 
Anastasios,  der  hl.  347. 
Anastasios  von  Heraklea  188. 
Anastasios  I.  Kaiser  3,  49, 109, 

110,  312  f. 
Anastasios  II  312  f. 
Anastasios,  Melode  312,  819, 

337. 
Anastasios,  Quästor  352. 
Anastasius,  Bibliothekar  28  f., 

118,  122  f.*,  124,  127. 
Anatolios  s.  Yindanios. 
Andreas,  Apostel  150. 
Andreas  von   Kreta   8,    315, 

319*,  835. 
Andreopulos  Michael  472. 
Andronikos,  Sohn  des  418  f. 
Andronikos  s.  Komnenos,  Pa- 

laeologos. 
Andros  339. 
Angelos,  General  253. 
Angelos,   Haus   der  85,  195, 

245. 
Aninas,  der  hl.  201. 
AnkjTa  208. 

Annianos  116,  119*,  154. 
Anna  s.  Komnena. 
81 


482 


Register  der  Personen  nnd  Sachen. 


Anonyme  Grammatiker  283  f. ; 
Musikschriftsteller  288 ; 
Anonymus  über  Jerusalem 
164;  über  Kaisergräber  167 ; 
über  die  Belagerung  von 
Konstantinopel  unter  Hera- 
klios  58;  über  die  Erobe- 
nmg  von  Konstantinopel 
durch  die  Lateiner  153 ;  über 
Leo  den  Armenier  130,  137; 
geographischer  160. 

Anselm  von  Canterbury  215. 

Anthimos  311. 

Antiphon  265. 

Antisthenes  55. 

Antistoechie   262*,  279,  337. 

Anthologien  s.  Spruchsamm- 
lungen. 

Anthologia  Palatina  8,  68*, 
265,  371. 

Antiochia53,  109,  112  f.,  116, 
444,  476. 

Antithalia  297. 

Antoninus  Marcus  265. 

Antonios  , Melissa"  27,  173, 
289*. 

Antonios  Monachos  145. 

Antonios  Studites  322. 

Apelaten  413,  418*. 

Aphthonios  184,  190. 

Apion  228. 

Apokalj-pse  211,  233,  357. 

Apokaukos  Alexios  200,  201. 

Apokopos  407  f.*,  467. 

Apokryphe  Litteratur  26  f., 
119,  357 ;  s.  auch  Legenden. 

Apollinarios  306. 

ApoUonios  Dyskolos  272, 276, 
278. 

ApoUonios,  Lexikograph  228, 
269. 

ApoUonios  Rhodios  236. 

ApoUonios  von  Tyana  195. 

ApoUonios  von  Tyros  434  f.* 

Apostolios  Aristobulos  (Arse- 
nios)  217,  291*. 

Apostolios  Michael  217,  261, 
290  f.* 

Appianos  64,  143,  265. 

Apsyrtos  67  f. 

Apuleius  64. 

Araber  24,  30  ff.,  72,  153, 
156  f.,  175,  188,  353,  456, 
468  ff. 

Archilochos  218. 

Architektur  s.  Kunst. 

Archytas  351. 

Arethas  8,  71,  215,  233  f.* 

Argyrokastron  152,  445. 

Ario8  297,  310  f.,  358. 

Aristander  und  Kallithea  370. 

AristarcboB,  Kritiker  215. 

Aristarchos  «der  jüngere"  273. 

Aristenos  Alexios  63, 360, 364, 
3G7. 


Aristides  199,  233,  253. 

Aristobulos  s.  Apostolios. 

Aristobulos,  Dialogperson  365. 

Aristogiton  236. 

Aristonikos,  6rammatiker272. 

Aristophanes  von  ßyzanz  68, 
215,  244. 

Aristophanes,  Komiker  78, 218, 
236,  239  f.*,  253,  257  f., 
263,  265,  281,  303,  365. 

Aristoteles  11,  42,  68,  78,  91, 
94,  98  f.,  171,  172  f.,  177  f., 
181  f.*,  196,  198,  217  f., 
222,  224,  226,  231,  236,  249, 
255,  258,  347,  351,  358,  366, 
426,  432,  434,  457. 

Armenier  24  f.,  30,  32,  40, 
154,  177,  182, 188,  356,  433, 
456,  468  f.,  476  f. 

Armuris,  Lied  vom  418  f. 

Arodaphnusa,  Volkslieder  von 
413,  479. 

Arrianos  42,  143,  226,  236, 
244,  265. 

Arrianos  (Pseudo-)  163. 

Arsenios  von  Grotta-Ferrata 
323. 

Arsenios  Studites  322,  330. 

Arta,  Brücke  von  413. 

Arternidoros  265. 

Artemios  s.  Anastasios  IL 

Artus.  König  432,  450. 

Asan  Johannes,  Bulgarenkönig 
89. 

Asanes  Andreas  209. 

Asanes  Demetrios  213. 

Asanes  Konstantin  209. 

Asianismus  185. 

Asinius  Quadratus  50. 

Assisen  von  Jerusalem  und 
Cypern  47J3  ff. 

Athanasios,  Lexikograph  268. 

Athanasios  Monachos  381. 

Athanasios,  Patriarch  von  Ale- 
xandria 91. 

Athen  178;  Aufhebung  der 
Universität  4,  170;  seine 
mittelalterliche  Geschichte 
28  f.,  194  ff.*;  sein  Anteil 
an  der  byz.  Litt.  100 ;  Klage- 
lied auf  Athen  424  f. 

Athenaeos  244,  264. 

Athenokles  50. 

Athos  31,  188,  220  f.,  222*, 
328  f.,  462. 

Attaliates  Michael  38,  74  f.*, 
77,  80,  139,  221,  329. 

Attizismus  10, 199, 283 ;  s.  auch 
Humanismus  und  Schrift- 
sprache. 

Attizisten  269  f.,  388. 

Augaros  69. 

Augustinus,  der  hl.  172,  250. 

Aulikulaiuos  180,  372. 

Avaren  318,  847. 


Auxentios  312. 
Axumiten  49,  158  f.* 

Babrios  265. 

Babylonisches  Reich,  Sage  27, 

394. 
Bacon  Roger  171,  176. 
Bajesid  104,  208  f. 
Balduin  I  85. 

Balsamen,  Protekdikos  209. 
Balsamen   Theodoros,    Jurisr 

229  f. 
Barbarismen,  byz.  22. 
Barbarus  Scaligeri  154. 
Bardales  Leon  200,  248  f.,  290, 

379. 
Bardas  Caesar  8,  59,  348. 
Bardesanes  310  f. 
Bar-Hebraeus  154. 
Barlaam  und  Joasaph  27,  173, 

379,  389,  407,  466  ff.* 
Barlaam,    Theologe    94    ff.*. 

203  ff.,  206,  220,  382  f. 
Barockstil  s.  Marinismus. 
Barsymes  Petros  46. 
Bartholomaeos,    Kirchendich- 
ter 323. 
Barzoe  474. 

Basilakes  Nikephoros  185. 
Basilides,  Häretiker  311. 
Basiliken  62  f.*,  74,  177;  350. 
Basilios  der  Grosse    26,  119, 

147,  172  f.,  265,  290,  347, 

425. 
BasiHos  I,  Kaiser  60,  69,  167. 

187*,  208,  224  f.,  230,  338. 
Basilios  II,  Kaiser  16,  72,  75, 

140. 
Basilios  Studites  322. 
Bassos  Cassianos  67. 
Batatzes  Basilios  165. 
Bauemgrundbesitz  in  Byzanz 

29. 
Bekkos  s.  Vekkos. 
Belisar  41,  425  f.*,  435  f.* 
Belthandros    und   Chrysantza 

441  ff.*,  446,  448. 
Benoit   de   Sainte-More    430, 

431.* 
Bergadis  407  f. 
Berosos  50. 
Bertha.  Braut  Romanos  II  188. 
Bertha  von  Sulzbach  364. 
Bessarion  11,  207,  212,217*. 

290,  433. 
Best«s  Theodoros  63. 
Bibliotheken  s.  Handschriften- 
sammlungen. 
Bidpai  474. 
Bienen     (Sammelwerke)     27. 

289*. 
Bilderapokalypsen  30. 
Bilderstürmer  28  f.,   31,   69, 

126,  129,  173  f.,  223,  231, 

297,  314,  319,  321*,  337. 


I 


Register  der  Personen  und  Sachen. 


483 


Bischofslisten  124, 143,149ff.* 

Blastarnes  Matthaeos  169,326. 

Bleibullen  s.  Bullen. 

Blemmides  Nikephoros  89, 
159  f.*,  171,  196,  326. 

Boccaccio  427,  434,  438,  451, 
453,  471. 

Boethius  250. 

Boethos  228. 

Bogomilen  193. 

Bogomüus,  Presbyter  46. 

Bonner  Corpus  35. 

Botaneiates  Johannes,  Metri- 
ker 287. 

Botaneiates  Nikephoros,  Kai- 
ser 74,  76. 

Brahmanen ,  Antworten  der 
290. 

Briefsanimlungen  -55,  91,  96, 
147,  186,  187  f.,  192,  195, 
197,  200,  201,  206,  209  f., 
230,  232,  236  f.,  245,  248  f., 
251  f.,  253,  256,  355,  366  f. 

Brocquiere,  Bertrandon  de  la 
477. 

Bryennios  Manuel  288. 

Bryennios  Nikephoros  9,  75, 
76  ff.*,   79,   179,  367,  397. 

Bua  Merkurios  426  f. 

Buddha  466  ff. 

Bulgaren  26,  28.  72, 107. 127*, 
191.  327  f.,  369, 429  Anm.  3, 
434. 

Bullen  29,  156  f.,  175,  199, 
206*,  210,  255. 

Burtzes  Georgios  196. 

Bustrone  Florio  477,  479. 

Bustrone  Georg  477  ff. 

Byzantinische  Frage  in  der 
Kunstgeschichte  31. 

Byzantios,  Kirchendichter  318. 

Byzanz  s.  Konstantinopel. 

C  vgl.  K. 

Candidus  109,  144. 

Cassianus  Bassus  s.  Bassos. 

Cassiodorius  47. 

Cato,  der  ältere  249,  398,  426. 

Chaeremon  180. 

Chalep  242.  353. 

Chalke  222. 

Chalkokondyles  Demetrios 
102  f.*,  217  f.,  252. 

Chalkokondyles  Laonikos  33, 
40,  100  ff.*,  104,  106,  107. 

Chalkondyles  s.  Chalkokon- 
dyles. 

Chandrenos  253. 

Charax  Johannes  7,  277*. 

Charax  Johannes,  der  jüngere 
278. 

Charax  Hellas  286. 

Charikles  s.  Drosilla. 

Chariton  295. 

Charos  406  ff. 


China,  Beziehungen  zu  Byzanz 
32,  158  f. 

Chinesen  33. 

Choiroboskos  Georgios  7,  272, 
277,  278*,  285. 

Chomjakov  25. 

Chonae  in  Phrygien  84  Anm.  3. 

Choniates  s.  Akominatos. 

Chorikios  290,  298,  372. 

Chosroes  I  47  f. ;  Chosroes  11 
52  f.,  347. 

Christentum  4  f.,  26  f.,  29, 
32.  188,  193  f.,  208,  296  f., 
305  ff.,  342  ff.,  350,  388, 
472. 

Christodulos,  Mönchsname  des 
Joh.  Kantakuzenos  97. 

Christophoros  von  Mytilene 
296,  346,  354  f.*,  381. 

Christophoros  a  Secretis  355. 

Christus  patiens  {Xotarog  nd- 
axtjy)  297  f..  301,  356  ff.*, 
367. 

Chronicum  Alexandrinum, 
Constantinopolitanum,  Pa- 
schale s.  Osterchronik. 

Chromk  von  Argyrokastron 
152. 

Chronik  von  Morea  419  ff.* 

Chronisten  (Charakteristik) 
107  ff. 

XQoyoyQaq:Eiov  avvrouov  136. 

Chronologie ,  byzantinische 
28*,  133;  s.  auch  Zeitrech- 
nung. 

Chrj'santhos  s."  Notaras. 

Chrysaphes  Manuel  288. 

Chiysobullen  s.  Bullen. 

Chrj'sokephalos   s.  Makarios. 

Chrj'soloras  Demetrios  209. 

Chrysoloras  Manuel  209,  216, 
217,  252,  261. 

Chrysorrhoe  s.  KaUimachos. 

Chrj'sostomos  s.  Dion,  Jo- 
hannes. 

Chumnos  Johannes  200,  201*. 

Chumnos  Nikephoros  89, 185  f., 
197  ff.*,  249,  290. 

Cicero  114.  249.  338. 

Cid  414,  416. 

Clemens  von  Alexandria  305, 
340,  350,  455. 

Colbertaldo  Antonio  479. 

Commodianus  338. 

Comoedia,  spätere  Bedeutung 
von  299. 

Comutus,  Stoiker  275. 

Cypem  88*,  196.  219, 253, 381, 
391,  406,  415,  435,  449, 
475  f.*,  477  ff.* 

Damaskios  183,  265. 
Daniel  von  Ephesos  164. 
Dante  193,  386,  408. 
Daphniaka  des  Agathias  50. 


Daphnopates  Theodoros  1 52  f., 

188  * 
Dares  113,  234,  428. 
Darmarios  Andreas  183. 
David  s.  Niketas. 
Dekadyos  Justinos  217. 
Demetrios  s.  Chalkokondyles. 
Demetrios  aus  Konstantinopel 

s.  Pepagomenos. 
Demetrios  s.  Kydones. 
Demetrios  von  Kyzikos  153, 

354. 
Demetrios    ^.Myrohlyt^s"    70, 

193,  212,  245. 
Demetrios  s.  Triklinios. 
Demokrit    aus    Abdera    114, 

457. 
Dem  osthenes,  Redner  195, 213, 

218,  236,  253,  265,  283. 
Depharanas  Markos  382,  398, 

408,  410*,  433. 
Deutsche,  ihre  byz.  Benennung 

101. 
Deutschland  165,  447. 
Devaris  Matthaeos  217. 
Dexippos,  Historiker  48,  118, 

119,  217. 
Dialoge  9.  55  f.,  96,  188  ff., 

193  f.,  210  f.,  297  f.,  362, 

365  f.,  377  f.,  409. 
Diassorinos  Jakob  275  f.*.  286. 
Dictys  234,  428. 
Jidfc/Tj   rwv  ävädexa  unoatö- 

X(av  220. 
Digenis   Akritas   27,    390  f. 

413  ff.*,  432. 
Didymos  Chalkenteros  7. 
Didymos,  Geoponiker  67. 
Didymotoichon  103. 
Digesten  62. 
Diktys  s.  Dictys. 
Diocletian  118,  471. 
Diodoros  Sikeliot«s  50, 64, 119, 

220,  226,  236,  265,  299. 
Diogenes  Antonios  299. 
Diogenes  aus  Kyzikos  111. 
Diogenes  Laertios  265. 
Diogenes  von  Sinope  194,  238. 
Diogenianos  7,  228,  272. 
Diognetos.  Brief  an  339. 
Dion  Cassius  22.  48,  64.  109, 

141  ff.*,  156,  217,  236,  241, 

249,  265. 
Dion  Chrysostomos  233,  249, 

255,  290. 
DionysiosAreopagites91, 172. 
Dionysios,  Geograph  338. 
Dionysios  von  Halikamass  64, 

259,  265,  369. 
Dionysios,  Sohn  des  Ealliphon 

338. 
Dionysios  Periegetes  159, 218, 

236,  244*,  281,  383. 
Dionysios  aus  Phuma  31. 
Dionysios  von  Telmahar  154. 
31* 


484 


Hegister  der  Personen  und  Sachen. 


Dionysios  Thrax  270, 276,  285, 

299. 
Diophantos  249. 
Dioptra  356. 

Diplomatische  Korresponden- 
zen der  Sultane  11. 
Dokianos  Johannes  212  f.* 
Dolopathos  470  f. 
Domitios,  Kirchendichter  330. 
Donatus  250. 
Dorotheos    von    Monembasia 

419*,  422. 
Dosikles  s.  Rodanthe. 
Dositheos  (Pseudo-)  260,  388. 
Dostojevskij  25. 
Doxopatres  Georgios  240. 
Doxopatres  Gregorios  190. 
Doxopatres  Johannes  189  ff.*, 

240. 
Doxopatres  Nikolaos  63*,  190. 
Doxopatres  Kilos  161*,  190. 
Dragasis  Konstantin,   Despot 

100. 
Drakon  (Pseudo-)  274,  286*. 
Drama  9,  240  f.,  296  ff.*,  317, 

325, 348, 356  ff.*,  373, 377  f., 

409,  411. 
Jqh^u,  spätere  Bedeutung  von 

299. 
Drosilla  und  Charikles  370  f. 
Dualismus ,      im      römischen 

Reiche  2. 
Dukas  Andronikos   414,  418. 
Dukas,  Chronist  102,  103  ff.*, 

106,  107,  151  f.,  219. 
Dukas  Johannes,  Perieget  164. 
Dukas,  Haus  der  74. 
Dukas  Michael  103. 
Duns  Scotus  170. 
Duschan  Stephan  207. 
Dyotheletismus  319. 

Eidologie  18,  345. 

Kinhorn  158,  455. 

Elephant  377. 

Elias,  Kirchendichter  307, 330. 

Elias,  Synkellos  381. 

Elision  333. 

Ennius  338. 

Enoch ,  Erfinder  der  Buch- 
staben 383. 

Entwicklung  derbyz.Litt.  19ff. 

Epaminondaa  255. 

Epanagoge  62. 

Eparchos  Antonios  217. 

Ephesos  196, 201, 375;  Synode 
von  (i.  J.  431)  53. 

Ephoros  221. 

Ephrära,  Chronist  86,  89,  144, 
149  f.*,  369. 

Ephräm,  der  hl.  212. 

Epiiyniiiion  ».  Refrain. 

EpichiirmoH  290. 

Epigrammü  9,  50,  180,  244, 
;J49, 296, 838, 346, 847—881. 


Epiphania  in  Syrien  53  f. 
Epiphanios   aus  Cypem   117, 

161,  172,  347,  456. 
Epiphanios,  Diakon  236. 
Epiphanios,  Perieget  164. 
Epirus  152*. 

Epistolographie  s.  Briefsamm- 
lungen. 
Erasto  470. 
Eratosthenes  156. 
Erosdienst  448. 
Esclot  Bernard  d'  421  f. 
Esel,  Legende  vom  460  ff. 
Ethnographie,  byz.  29  ff.,  101  f., 

150,  156,  381,  459  f. 
Etymologicum  Magnum,  Flo- 

rentinum ,    Gudianum    etc. 

228,  244,  270  ff.*,  274. 
Etymologien  in  Gedichten  456, 

459. 
Euagrios ,     Kirchenhistoriker 

52,  53  f.*,  56,  92,  158. 
Euboea  422,  476. 
Euchaita  355. 

Euchaites  Johannes   s.  Mau- 
ropus. 
Euderaos,    Lexikograph   244, 

263,  268  f.* 
Eudemos,  Rhetor  268  f. 
Eudokia,    Gattin  des  Digenis 

414. 
Eudokia,  Makrembolitissa  74, 

261,  275  f.* 
Eudoxos  338. 
Eugenianos  Niketas  202,  295, 

362,  370,  371  f.*,  374,  444. 
Eugenikos      Johannes      160, 

211  f.* 
Eugenikos  Markos  212*,  323. 
Euhemerismus  238. 
Euklides  196,  233. 
Eulogios  339  Anm.  5. 
Eumathios  s.  Eustathios. 
Eunapios  7,  48,  109,217,221, 

265. 
Euodios  125. 
Euphemios  279. 
Euripides  114,  218,  234,  236, 

251,  253,  257  f.,  265,  297, 

806,  346,  356  ff.*,  366,  372, 

383. 
Eusebios,  Kirchenvater  53,  92, 

109.  116  f.,  118,  119,  143, 

154,167,233,290,310,335. 
Eustathios,  Chronist  54,  109. 
Eustathios,  Dichter  415. 
Eustathios,   Erzbischof  9,  86, 

159,  186,  194  ff.,  216,  218, 

221, 242  ff.*,  259,  261, 274  f., 

297,  302,  324,  331. 
Eustathios  Makrombolitos,  Ro- 

HianHchriftstcIlor  295,  361, 

371  ff.*,  443,  447  f. 
pjustratios,  Arititutclikur  9, 181, 

182*. 


Euthymios,  der  Georgier  327, 

467. 
Euthymios,  der  hl.  322. 
Euthymios  vonNeupatras  24:5. 
Euthymios ,    Patriarch    (Vita 

Euthymii)  71  f.*,  233. 
Euthymios  s.  Zigabenos. 
Eutropius  109,  263. 
Euzoitos  Dionysios  356. 
Exarchat  29. 
Ezechiel,  Tragiker  297. 

Fälschungen  111,  183,  185, 
273,  274  f.,  282,  286  f.,  419. 

Falieri  Marino  408  f. 

Fasti  Siculi  s.  Osterchronik. 

Faustos  von  Byzanz  154. 

Favorinus  s.  Phavorinos. 

Filioque.  das  172  f. 

Fleck  Konrad  451. 

Flore  und  Blanchefleur  s.  Phlo- 
rios. 

Florilegien  s.  Spruchsamm- 
lungen. 

Franken  23,  50,  419  ff.,  442  f.. 
447  f.,  460. 

Frankenreich  31. 

Franzosen,  ihre  byz.  Benenn- 
ung 101. 

Fredegar  389. 

Fremde,  Leben  in  der  407. 

Fürstenspiegel  s.  Stephanites 
und  Ichnelates. 

Gabras  Johannes  201. 
Gabras  Michael  200,  201*. 
Gabriel  von  Melitene  472. 
Gabriel  Studites  322,  330. 
Galenos,  Arzt  183,  289. 
Galenos,  Diakon  259. 
Galesiotes  Georgios'  159. 
Gasmulen  413  Anm.  3,  421*, 

451. 
Gaspar,  Bischof  von  Osmus  291. 
Gateluzzi  103. 

Gautier  von  Arras  402*,  438. 
Gaza  185,  277. 
Gebet   des  Stlnders,   Gedicht 

403  f. 
Genesios,  Historiker  60,  69  f.*, 

80,  125.  131,  137,  139. 
Genesios  Patrikios  352. 
Gennadios,  Patriarch  107. 171. 
Genuesen  103,  155. 
Geoffroy  de  Ville-Hardouiii  s. 

Villehardouin. 
Geoponiker  66  f.*.  180. 
Georgides  Johannes  289. 
Georgier  30,  327,  408. 
Georgillas     Emmanuel     424, 

425  f.*,  436. 
Georgios  ».  Akropolites. 
Georgios  s.  Chocroboskos. 
Georgios  von  Cyporn  s.  Gio- 

gorios  von  Cypem. 


Register  der  Personen  nnd  Sachen. 


485 


Georgios  Grammatikos  381. 
Georgios    Haraartolos    s.    G. 

Monachos. 
Georgios  s.  Kedrenos. 
Georgios  von  Kerkyra  355. 
Georgios  s.  Kodinos. 
Georgios  s.  Lapithes. 
Georgios  s.  Lekapenos. 
Georgios    Monachos    21.    26. 

65,  70.  114.  119.  121,  123, 

127,   128  ff.*,   134  f.,    137, 

140,    144.    149,    190,   229, 

263  ff.*,  313. 
Georgios     von     Nikomedien, 

Kirchendichter  322. 
Georgios  s.  Pachymeres. 
Georgios  der  .Philosoph"  206. 
Georgios  s.  Phrantzes. 
Georgios  s.  Pisides. 
Georgios       Svnkellos       116, 

118  ff.*,  12Ü  f.,  122,  139  f., 

263. 
Gerasimos  von  Kerasunt  165. 
Gerlach  Stephan  219. 
Germanos,  Erzbischof  (f  740) 

8,  316. 
Germanos,  Kirchendichter  323. 
Gesangbuch ,      altchristliches 

309  f. 
Gesandtschaftswesen  65. 
Geschichtswerke  über  Bj-zanz 

27  ff. 
Gesetzbücher,  byzant.  27, 62  f., 

74,  179,  187,  229  ff. 
Gesta  Romanorum  467,  471. 
Ghisi.  Venezianer  420. 
Glabas  Isidor  206. 
Glabas,  Protostrator  379. 
Glarentza  460. 
Glossare  s.  Lexika. 
Glvkas  Michael  132,  138,  142, 

144,  146  ff.*,  180,  220,  369, 

400  f.* 
Glvkos  Johannes  und  Justus 

283. 
Glykys    Johannes    93,     191, 

200  f.,  20:^,  282  f.*,  288. 
Gnostiker  297,  310. 
Goldbullen  s.  Bullen. 
Gothen  41,  50. 
Gottfried  von  Bouillon  76. 
Grammaticus       Ambrosianus 

287. 
Grammaticus  Augustanus,  Lei- 

densis,  Meermannianus  282. 
Gregoras  Nikephoros   11,  17, 

90,   93  ff.*.    97,   104,    171, 

196,    203  f.,    205  f.,    252, 

254  f.,  280  Anm.  2,  282  f., 
•  382,  479. 
Gregorios  von  Antiochia,  Pa- 
triarch 53. 
Gregorios  von  Cypem  17,  89, 

90, 185  f. ,196  f.*,  198  f.,  201, 

210,  273. 


Gregorios  von  Kappadokien  70.  i 
Gregorios  von  Korinth  9,  185,  i 

281,  316,  324.  j 

Gregorios.    o    sv   uovoxQÖnoig  \ 

(Solitarius)  178.  ■ 

Gregorios  von  Nazianz  4,  26, 

69.  119,  144,  172,  177,  218, 

265,  281,  290,303,  305  f.*, 

310  f.*,  320,  324,  336,  340, 

356,  425. 
Gregorios  von  Nyssa  147, 172, 

177,  290. 
Gregorios  s.  Pakurianos. 
Gregorios,  Priester  154. 
Gregorios  von  Syrakus  322. 
Gregoriiis  der  Grosse  226, 311. 
Gregorius  von  Tours  389. 
Greis,  der  weise  s.  Ptocholeon. 
Grotta-Ferrata  30,  323*. 
Guarini  209. 
Guillaiune  aus  der  Nonnandie 

457. 
GuiUermus  Apuliensis  79. 
Guiscard  Robert  79. 
Gyllius,  Reisender  167. 
Gyron  le  Courtois  450. 

Hagia  Sophia  s.  Sophienkirche. 
Hagion  Oros  s.  Athos. 
Hagiopolites  288. 
Halep  s.  Chalep. 
Hamartolos,  als  Beiname  128 

Anm.  1. 
Handelsgeographie  156  f. 
Handschriftensammlungen   u. 

-kataloge  219  ff.*,  243. 
Harmenopulos  Konst.  62. 
Harpokration  228,  263,  273. 
Hausarzneibücher     s.     Jatro- 

sophia. 
Hebräer  s.  Juden. 
Hebräische  Sprache  119,  224. 
Heidentum  4  f.,  172. 
Hekataeos  von  Milet  226. 
Heliodoros,  Grammatiker  228. 
Heliodoros  von  Prusa  182. 
Heliodoros ,     Romanschreiber 

212,  218,  361,  371. 
Helladios  263. 
Hellenen  (>=  Heiden)  70;  Pa- 

negyrikus  auf  die  102. 
Hephaestion  278,  284  ff.*,  332. 
Heraklea,    das   pontische   93, 

96,  280. 
Heraklea,  das  thrazische  204. 
Heraklides  aus  Milet  244. 
Heraklios,   Kaiser   3,   12,  28, 

41,   54,  58,  116,  160,  188, 

.347.  402. 
Heraklitos  383. 
Heredia,   Juan  Femandez  de 

420,  423. 
Herbert  471. 
Herennios  (Pseudo-)  183. 
Herennius,  Rhetorik  ad  H.  250. 


Hermas  220. 

Hermogenes  184  f.,  190.  240, 
249,  282. 

Hermoniakos  202,  338,  393, 
429  ff.*,  456. 

Herodianos.  Grammatiker  253, 
272,  276  ff.,  279,  (Pseudo-) 
286. 

Herodianos,  Historiker22, 109. 

Herodotos,  Historiker  33,  42, 
44,  50,  78,  84,  102,  114, 
143,  156,  236,  253,  263, 
265,  269,  281. 

Heron,  Mathematiker  258. 

Hesiodos  218,  236,  239,  242, 
251,  257  f.,  265,  272,  .372. 

Hesychios  Illustrios  (von  Mi- 
let) 109,  110  ff.*.  167  f.. 
236,  263  f.,  275. 

Hesychios  (Pseudo-)  112. 

Hesychios.Lexikograph  7, 268. 

Hexabibios  s.  Harmenopulos. 

Hexagmeron  347. 

Hexameter,  accentuierende 
342. 

Hexapterygos  Theodoros  89. 

Hiatus  333. 

Hierakosophion  68,  352. 

Hierax,  Grosslogothet  107. 

Hierokles,  Geograph  60,  162*. 

Hierokles,  Hippiatriker  67. 

Hierokles,  Dialogperson  245. 

Hieronymos,Kirchenvater457. 

Hierotheos  Monachos  326. 

Hilarion  s.  Prodromos  (360, 
399). 

Himerios,  Sophist  273. 

Hippiatrika  67  f.* 

Hippokrates.  Arzt  183,  226, 
365;  Tochter  des  Hippo- 
krates,  Sage  von  der  395. 

Hippokrates,  der  jüngere  67. 

Hirmologion  329,  335*. 

Hirmos  145,  334  f.*,  337. 

Historia  de  preliis  433. 

Hofgeschichtschreiber  40,  73, 
178. 

Hohes  Lied  158,  177,  207. 

Holobolos  Manuel.  Dichter 
375*. 

Holobolos  Manuel,  Rhetor210, 
375. 

Holobolos  Manuel,  Theologe 
375. 

Holobolos  Maximos  373*,  375, 
381 

Homer  57,  70,  73,  78,  96, 
100,  102,  178,  193,  195, 
202.  213,  218,  234,  236, 
238  f.,  243  f.,  247,  251,  253, 
258,  263,  265,  272,  283, 
306,  339,  341,  351,  353, 
365,  372,  412,  415,  428  ff.*, 
432,  450. 

Homologos,  Diakon  158. 


486 


Register  der  Personen  und  Sachen. 


Humanismus  10  f.,  12  ff.,  24, 
80,  92,  102,  186,  198,  201, 
215,  217*,  247  f.,  251  f. 

Hymnen,  kirchliche  308, 335f.* 

Hypatia  218. 

Hypereschios,  Grammatiker 
274. 

Hyperides  265. 

Hyrtakenos  Theodoros  185, 
198,201  fr.*,  213, 377  Anm.  2. 

Hysmine  u.  Hysminias  371  ff. 

Jahjä  von  Antiochia,  Chro- 
nist 140. 

Jakobiten  173. 

Jamblichos,Neuplatonikerl77, 
265,  290. 

Jatrosophia  480. 

Iberer  s.  Georgier. 

Ibn-Chisdai  469. 

Jchnelates  s.  Stephanites. 

Jean  d'Ibelin  476. 

Jenisalem  222,  298,  320. 

Idrisi,  Geograph  157. 

Ignatios,  Diakon  69,  128,  131, 
297  f.,  307,  347  f.* 

Ignatios,  Grammatiker  348. 

Ignatios.  Patriarch  70,  224. 

Igorlied  27. 

Ikasia  s.  Kasia. 

Ikonographie  29  ff. ;  s.  auch 
Kunst. 

Ikonoklasten  s.  Bilderstürmer. 

Ilias  Latina  338. 

Illustrios  (Rang)  41,  110. 

Illyrier  46. 

Imberios  und  Margarona  452  f.* 

Imbros  212. 

Indien  158, 376, 466f.,  470, 474. 

Indisches  Reich,  Sage  27. 

Joannikios ,  Kirchendichter 
330. 

Joannikios,  Mönch  365. 

Joasaph  s.  Barlaam. 

Jo6l  148  f. 

Johannes  s.  Aktuarios. 

Johannes  von  Alexandria  154. 

Johannes  von  Alexandria,  der 
Mitleidige  389. 

Johannes  s.  Anagnostes. 

Johannes  von  Antiochia  64, 
109f.*,  113, 153,  217,  263  ff. 

Johannes  von  Asien  154. 

Johannes  von  Bari  79. 

Johannes  von  Capua  474. 

Johannes  s.  Charax. 

Jobannes  Chrysostomos  119, 
147,  177,  192,  212,  218, 
265,    290,    425,   455,   457. 

Johannes  von  Damaskos  8, 
26  f.,  112,  170  ff.*,  224,  244, 
288f.,  290,297.  307,  313  f., 
320  f.*,  324,  335  f.,  340, 
366,  467. 

Johannes,  Diakon  122. 


Johannes  s.  Dokianos. 
Johannes  s.  Doxopatres. 
Johannes  von  Epliesos  154. 
Johannes  von  I]piphania  52  f.*, 

54,  56,  81,  121. 
Johannes,  6  iaxu^fxaxia^ivog 

475. 
Johannes   Euchaites   s.  Mau- 
ropus. 
Johannes  s.  Eugenikos. 
Johannes  s.  Gabras. 
Johannes  Gaza  160,  300. 
Johannes  s.  Georgides. 
Johannes  s.  Glykys. 
Johannes  von  Jerusalem  126, 

172. 
JohannesItaIosl71, 181f.*,  194. 
Johannes  s.  Kamateros. 
Johannes  s.  Kameniates. 
Johannes  s.  Kanabutzes. 
Johannes  s.  Kananos. 
Johannes  VI  s.  Kantakuzenos. 
Johannes  s.  Kinnamos. 
Johannes  Lydos   47,  167  f.*, 

219,  249,  369. 
Johannes  Lydos,  Mönch  153. 
Johannes  s.  Malalas. 
Johannes   Monachos,   Melode 

312. 
Johannes  von  Nikiu  108,  115, 

153  f.* 
Johannes  VHI,  Papst  225. 
Johannes,  Patriarch  321. 
Johannes    Patrikios,    Schüler 

des  Psellos  181. 
Johannes  s.  Pediasimos. 
Johannes  s.  Philoponos. 
Johannes  „  Presbyterkönig "  27 . 
Johannes  Scotus  215. 
Johannes  Sikeliotes  s.  Doxo- 
patres Johannes. 
Johannes  s.  Skylitzes. 
Johannes  s.  Tziraiskes. 
Johannes  s.  Xiphilinos. 
Johannes  s.  Zonaras. 
Josephos  von  Aegypten  314. 
Josephos  Flavios  26,  64,  143, 

173,  236,  255,  263,  265,  290. 
Josephos  von   Grotta-Ferrata 

323. 
Josephos ,    der    Hymnograph 

322*,  331. 
Josephos  der  Philosoph  200  f., 

253. 
Josephos,   Studites  322,  330. 
Joshua  s.  Stylites. 
Irene,  Gemahlin  des  Alexios 

Komnenos  75,  78. 
Irene,    Tochter  des  Chumnos 

198  f. 
Isaak  Komnenos  s.  Komnenos. 
Isaak.  Metriker  286*. 
Isaak  Porphyrogennetos  234*. 
Isaeos  265. 
Isaurior  12  f. 


Island  165. 

Isokrates  186,  187,  199,  253, 

265,  289,  339,  382,  397. 
Italicus  338. 
Italien,  Beziehungen  zu  Byzanz 

23,    31,    36*,    63,    322    f., 

327  f.,  391,  406,  408,  409  ff, 

420. 
Itinerarien  162  ff.* 
Juden  24,  31,  99,  309,  342  f., 

458  f.,  469. 
Julianos  231,  265. 
Julius    Sextus    Africanus    s. 

Sextus  Jul.  Afr. 
Jurisprudenz  s.  Gesetzbücher. 
Justin  I  49,  111. 
Justin  II  28,  56. 
Justinianl,4f.,  12f.,28,41ff., 

111,  112,  160,  312*,  435  f. 
Justinus  Martyr  347,  456. 
Iwan,  der  Kaufmannssohn  402. 

Eabasilas  Demetrios,  Kalli- 
graph 200. 

Kabasilas,  fiByng^ioixrjXTJgiQl. 

Kaba.silas  Nikolaos  171,  204*, 
206,  209. 

Kachrie-Djamisi  30;  s.  auch 
Kloster  7';;?  /^w'p«?. 

Kaesarea  in  Kappadokien  233. 

Kaesarea  in  Palaestina  41. 

Kaiserkrönung,  des  Androni- 
kos  III  99;  in  Kimstdenk- 
mälern  30. 

Kaisersage,  byzant.-german. 
394  f. 

Kalenderverbesscrung  93. 

Kalilah  va  Dimnah  s.  Stepha- 
nites. 

Kalliergis  Zacharias  217. 

Kallimachos  265. 

Kallimachos  und  Chrysorrhoe 
439  ff*,  443,  446. 

Kallipolis  205. 

Kallisthenes  (Pseudo-)  116, 
236,  428,  432  f.* 

Kallistos  Andronikos  217. 

Kallithea  s.  Aristander. 

Kaloe  am  Tmolos  72. 

Kalosynas  Antonios  103. 

Kamariotes  Matthaeos  185. 

Kamateros  Andronikos  369. 

Kamateros,  Eparch  238. 

Kamateros,  Familie  der  235, 
369. 

Kamateros  Gregor  367. 

Kamateros  Johannes,  Astro- 
nom 368. 

Kamateros  Johannes,  Patri- 
arch 191. 

Kameniates  .Johannes  58  f.. 
70f.*.  99, 160.  188. 199.211. 

Kamytzes  Konstantin  365*, 
375. 

Kanabutzes  Johannes  259*. 


Register  der  Personen  nnd  Sachen. 


487 


Kananos  Johannes  58,  99  f.* 

165, 
Kananos  Laskaris  165. 
Kanones(in  der  Kirchenpoesie) 

145,  308,  319  ff.*,  335  f.* 
Kantakuzenos  Johannes  VI  90, 

94  ff.,    97    ff.*,    104,    200, 

205  ff.,  377. 
Kantakuzenos  Matthaeos  207. 
Kantakuzenos  Michael  219. 
Kanzleistil  22. 
Kapiton  109,  263. 
Kappadokien  311,  414  f. 
Karien  114. 
KrcQxtyoi  (Verse)  349. 
Karten,  geographische  162  ff. 
Karthago  255. 
Kasandrenos  Alexios  206. 
Kasia,    Kirchendichterin  322. 
Kasilon  Klaudios  274. 
Kasimatis  Petros  468. 
Kastor  (Pseudo-)  von  Rhodos 

185. 
Kastra,  allegorische  441  ff. 
Kastrenos  Demetrios  217. 
Katalanen  253,  423. 
Katasterbücher,  byzant.  29. 
Katiphoros  Antonios  231. 
Katrares  Johannes  381. 
Kebes  404. 
Kedrenos   Georgios   56,    126, 

130,    132,    138  f.,    140  f.*, 

144,  147,  321. 
Kekaumenos  74. 
Keos  195. 
Kephalas  Konstantinos  50,  68, 

352. 
Kerkyra  s.  Korfu. 
Kemlarios  Michael  175*.  179, 

225,  354. 
Kinnamos    Johannes    9,    80, 

82  ff.*,  85  f. 
Kirchengeschichte    29,   36  f., 

40,  43,  53  f.,  92  f.,  95. 
Kirchenpoesie     23,     57,     98, 

144   f..    161,    176   f..   230, 

245  f.,   281,   285,  305  ff.*, 

856,  404,  406. 
Kirchenrecht  63*,  281. 
Kirchentrennung   s.  Schisma. 
Kirchenverzeichnisse  s.  Noti- 

tiae  episcopatuuni. 
Klassizismus  14,  81 ;  s.  auch 

Attizisten,  Humanismus  und 

Schriftsprache. 
Kleolaos  188. 
Kleomedes  258. 
Klitobos,  Klitophon  445. 
Kloster   rov    Meyäkov  'JyQOv 

.120;  Baron aidiop  330;  r^? 

'EyxXeiaTQugSS;  Grotta-Fer- 

rata  s.  dieses;  rtHy  'Ißrjgwy 

207 ;    des  hl.  Johannes  auf 

Patmos    164,    220   ff.;    r^? 

Ksxf<QiTWfxtyrjS     78;      rujy 


K).7]uced(oy  146;  KvQKÖiiaffie 

282 ;  Laurakloster  204 ;  rcjy 

Mccyyäyojy   97,    360,    378; 

jijg    nsTQtTCoyiTttjaijg     75; 

des  hl.  Sabas  bei  Jerusalem 

172,  320,  467 ;  Sigriane  352; 

Studien    322*;    rrj?    '/^igug 

94,   254;    s.  auch  Kachrie- 

Djamisi. 
Klosterregeln  36,  74  ff.*,  78, 

88,  92,  188. 
Kodinos  Georgios  111,  165  ff.* 
Koiy^]  {(fuiUxros)  67, 385, 387*. 
Kokondrios  185. 
KoUuthos  307. 
Kometas  348  f. 
Komnena  Anna  9,  53,  75  ff., 

78ff.*,  85, 179, 181, 193,367. 
Komnenen  3,  20,  29,  41,  74, 

77  ff.,  176,  295. 
Komnenos  Alexios  I  76,  78  ff., 

166  f.,  192  f.,  397;  Alexios 

n  87. 
Komnenos  Andronikos  82  f., 

85,  195,  235,  418. 
Komnenos  Andronikos  Tomi- 

kes  375. 
Komnenos  Johannes    16.    76, 

78,  83,  85,  235.  242,  359  f., 

364,  398. 
KomnenosJohannes,der„letzte 

Komnene"  99. 
Komnenos  Isaak  75,  140. 
Komnenos  Manuel  16,  82  ff., 

85,  148,  168,  235,  241,  245, 

859  f.,  364,  367  f.,  399,  401. 
Komnenos,  Chronist  151  f.* 
Konstantinische  Exzerpte  48, 

50,  52,  56,  64  ff.*,   109  f.. 

114,  132,  217,  219,  264  f. 
Konstantinopel  2,    8,   29,  30, 

32,  110  f.*,  166  ff.*,  219. 
Konstantinopel,   Klagegesang 

auf  413,  424*,  426*. 
Konstantinos  i.  Hannenopulos. 
Konstantinos  s.  Kephalas. 
Konstantinos  s.  Manasses. 
Konstantinos  Monomachos  68, 

178  f. 
Konstantinos  s.  Palaeokappa. 
Konstantinos   Vll    Porphyro- 

gennetos    10,    26,    28,    48, 

59  ff.*,  73,  81,  120,  123  ff., 

141,  161, 163, 166, 173, 177, 

187,  264  f.,   272,  303,  312 

Anm.  4,  322,  352,  389,  465. 
Konstantinos  Vlll  63. 
Konstantinos,     der     Rhodier 

852  f. 
Konstantinos,  der  Sizilier  285, 

296,  351,  352*. 
Konsularfasten  116  f. 
Kontakion  318,  335*,  837. 
Kontianos  Gabriel  485. 
Kopten  30. 


Korais  Adamantios  197. 

Koran  11,  206. 

Korfu  105, 146.  192,  355,  427. 

Korinth  195,  212. 

Koronaeos  Johannes  426  f.* 

Korydalleus  Theophilos   182. 

Kosmas  von  Jerusalem  8,  172, 
313,  820  f.*,  324,  335,  340. 
866. 

Kosmas  Indikopleustes  26 , 
157  ff.*,  173,  347. 

Kotertzes  Konstantin  235 , 
237  f. 

Krates.  Kyniker  299. 

Kreta  125,  163.  188,  319.  322, 
353.391,406-411,424,463. 

Kreuzzüge  23,  31,  80,  84, 
85  f.,  219,  419  ff.,  468. 

Kriegswissenschaft  63  f.*,  65f ., 
73  f.,  222,  350,  411. 

Kritias  188. 

Kritobulos  aus  Imbros  107*. 
219. 

Kroaten  28,  62. 

Ktesias  50,  226. 

Kukuzelis  Johannes  288. 

Kultur,  byzant.  23  ff.,  29  f., 
442  ff.,  447  f. ;  orientalische 
24  f..  31  f.;  romanische 
23f.,29ff.;slavische25ff.. 
32 ;  s.  auch  slavische  Völker. 

Kunst,  byzant.  5 f.,  24, 30f.,  86, 
159, 193,  354,  363  f.,  378  f., 
381;  germanisch  -  romani- 
sche 23  f..  30  f.,  455,  457, 
467;  slavische  27,  30  f.,  159. 

Kurkuas  Johannes  152. 

Kuropalat,  Amt  desselb.  165. 

Kuru  472. 

Kydion  193. 

Kydones  Demetrios  95,  185, 
204  ff.*,  207,  209  f. 

Kykliker  217. 

K}Tiosophion  68. 

Kyprianos,Kirchendichter318. 

Kyprianos,  Philosoph  200. 

Kyrene  255. 

Kyriakos,  Kirchen  dichter  812, 
330. 

KvriUos  von  Alexandria  7, 
'260,  268*,  269. 

KjTillos  (Pseudo-)  260  f.*,  268. 

Kyrillos  aus  Skythopolis  467. 

Kyrillos,  Slavenapostel  26, 32*, 
175,  233. 

Kyros  472. 

K<i}fi(aÖLK,  spätere  Bedeutung 
von  299. 

Lachares  185. 

Lakapenos  Laomedon  148. 

Lakapenos  Romanos   I  188*. 

414. 
Landes  Agapios  69,  458,  480. 
Landwirtschaft  s.  Geoponiker. 


488 


Register  der  Personen  und  Sachen. 


Laodikea,  Konzil  von  387. 
Laonikos   s.   Chalkokondyles. 
LapithesGeorgio8  94, 356, 370, 

381  f.*,  398. 
Larissa  200. 

Laskaris  Janos  217,  222,  274. 
Laskaris  Kananos  s.  Kananos. 
Laskaris  Konstantin  216,  217, 

251,  261. 
Laskaris    Theodoros ,    Kaiser 

85,  87,  159,  247. 
Lateinische  Sprache   bei  den 

Byzantinern   2   f.,    205   f., 

224,  248,  249  f. 
Lateinische     Litteratur      des 

Mittelalters  17  f. 
Laurentius,  der  hl.  206. 
Lazaros,  Diakon  280. 
Legenden  12,  26,  68  f.*,  328, 

388  f.,  394  f.,  460, 462, 467  f. 
Lehensbegriff  in  Byz.  441  fF., 

447. 
Lekapenos  Georgios  280, 283*. 
Lekapenos  Romanos  s.  Laka- 

penos. 
Lenorensage  416  f. 
Leo,  Archipresbyter  433. 
Leon  der  Asiate  134. 
Leon  der  Byzantier  8. 
Leon  von  Chalkedon  181. 
Leon   Diakonos   50   Anm.   5, 

72  f.*,  80,  139,  178. 
Leon,  der  Diakon,  Freund  des 

Theodosios  59. 
Leon  Grammatikos  110,  121, 

130,  132,  133  ff.*,  140,  144, 

147. 
Leon  der  Isaurier  8,  173. 
Leon  der  Karier  134. 
Leon  Magister  352. 
Leon  der  Philosoph  189, 351  f.*, 

355. 
Leon  von  Tripolis  70. 
Leon  III,  Kaiser  28. 
Leon  V  69,  120,  278. 
Leon   VI   der  Weise,   Kaiser 

62,  63,  71,    160,  187,  220, 

225,  307,  322,  340,  349  f.*, 
352,  393,  402  f.*,  462. 

Leo  X,  Papst  274,  291. 
Leonardas  Chius  103. 
Leontios  von  Antiochien  231. 
Leontios  von  Byzanz  172. 
Leontios   von    Neapolis    112, 

389*,  468. 
Lerubna  von  Edessa  154. 
Lesbos  103,  220. 
Lexika  260  ff.* 
Lexika,    etymologische    350; 

s.  auch  Etymologicum  Mag- 
■    num. 

Lexika,  kirrhliche  270. 
I.«xika,  urthographisdie  366. 
I.«xika,  rhetorische  244, 268  ff., 

272. 


Lexika,  syntaktische  48,  263, 

265,  269  f.,  280. 
Lexika  Segueriana  228,  253, 

269  f.* 
Lexikon- Ai/LtM^s^y  271  f. 
Lexikon    Bachmannianum    s. 

Lexika  Segueriana. 
Lexikon    Cantabrigiense  274. 
Lexikon  des  Photios  227  f.*, 

263. 
Lexikon ,     schedographisches 

273. 
Lexikon  Vindobonense  273. 
Lexikon ,     vulgärgriechisches 

220. 
Lexikon  des  Zonaras  145. 
Libadenos  Andreas  165. 
Libandros  445. 
Libanios   186,  218,  253,  273. 
Lichudes  Konstantin  175,  179. 
Liebeslieder,  rhodische  s.  Al- 
phabet der  Liebe. 
Lingua  Franca  163,  478. 
Litauen  446. 
Liturgie,    liturg.    Bücher    26, 

308  ff.*,  323,  328  f.* 
Livre  de  la  conqueste  419  ff. 
„Logothet",  Chronist  71,  125, 

131*. 
Longinos,  Metriker  285. 
Longos  371. 

Lopadiotes  Andreas  273. 
Lorenzi  Johannes  103. 
Luitprand  von    Cremona   72, 

74,  297. 
Lukanis  Nikolaos  430  f. 
Lukas,  St.,  Kloster  des  30. 
Lukianos  188  f.,  193,  210  f.*, 

218,    233,    236,   253,    265, 

289,    296,    298,   351,    365, 

378,  380. 
Lusignan  381,  477  ff. 
Lusignan  Peter  I  413,  479. 
Lusignan  Stephan  479. 
Lybistros      und      Rhodamne 

444  ff.*,  455. 
Lykophron    218,    236,    240*, 

242,  269,  300,  356. 
Lykurgos,  Gesetzgeber  383. 
Lykurgos,  Redner  265. 
Lyrik  296. 
Lysias  236,  265. 

Machaeras  Leontios  477  ff. 
Machaon  364. 
Macrobius  249. 
Maerchen  27,  361,  395. 
Märtyrerakten  117,  226. 
Magentinos  Leon  182. 
Magister  officiorum  47  Anm.  1 . 
Magnetes  Stephanos  67. 
Maguelonne  h.  Iniberios. 
Malingediclit   an    einen  alten 

Mräiitignm  4U6. 
Maiuina,  Bischofsitz  320. 


Makarios     „Chrysokephalos" 

290*,  370. 
Makarios  Hieromonachos  261. 
Makaronismus  392. 
Makedonisches  Haus  41,   74. 
Makrembolites ,    Makremboli- 

tissa  373;  s.  auch  Alexios 

und  Eustathios  M. 
Malalas  Johannes  10,  26,  49, 

65,  108,  112  ff.*,  117,  121, 

130,    153,    234,   236,   263, 

383,  389,  428,  465. 
Malaxos  Nikolaos  323. 
Malbuch  des  Athos  31. 
Malchos  7,  64,  144,  217,  265. 
Manasses  Konstantin  26,  137, 

144,    146,    249,   295,   356, 

369  f.* 
Manekinelegende  220,  452  f.* 
Manetho  119. 
Maniakis  Georgios  153. 
Manichäer  76,  178,  229. 
Mansur  172. 
Manuel,  Chronist  152. 
Manuel  s.  Bryennios,  Holobo- 

los,  Komnenos,  Palaeologos, 

Philes. 
Margarona  s.  Imberios. 
Maria,  die  hl.  285,  357  f.,  425. 
Marienverehrung  314. 
Marinismus  44,  57,  185.  ' 
Marinos,  Philosoph  265. 
Markellinos  265. 
Markianos,  Melode  312. 
Markos  s.  Eugenikos. 
Matarankos  201. 
Mathias,  Köuig  v.  Ungarn  101 . 
Matthaeos  s.  Blastarnes. 
Matthaeos  von  Edessa  154. 
Maurikios,  Kaiser  51, 56, 389  f. 
Mauropus  Johannes  296,  346, 

354,  355  f.* 
Maximos    s.  Holobolos,    Pla- 

nudes. 
Maxinios,Homologet  192,289*. 
Maximos  Tyrios  273. 
Mazaris'  Fahrt  in  die  Unter- 
welt 210  f.*.  365,  408. 
Mediziner  67  f.*,  177, 180.  480. 
Megalomites  Basilios  180, 355. 
Melanchthon  215,  251  f.* 
Meletios,  der  jünger«  366. 
Melissa   s.  Antonios  Melissa. 
Melissa  Augustana  173. 
Melissenos  Manuel  378. 
Meliteniotes.     Dichter     379, 

382  ff.* 
Meliteniotes  Johannes  382. 
Meliteniotes  Konstantinos  256. 

382,  384. 
Meliteniotes  Manuel  382. 
Meliteniotes   Theodoros   382, 

3S4. 
Mciiinonios  49. 
.M.'iiaoen  308  f.*,   318,  328*. 


Register  der  Personen  nnd  Sachen. 


489 


Menandros.  Komiker  178,  218, 

221*,  265,  289  f.,  306. 
Menandros.   Protektor  7,   37, 

47  f..    50.   51  f.*,   54,   56, 

217,  265,  298. 
Menas,  Rhetor  354. 
Mendoza,  Diego  de  219. 
Meslas,  Astronom  368. 
Messe     des     Bartlosen     326, 

403*. 
Methodios,  Bischof  297,  303. 

305*,  336,  338. 
Methodios.  Grammatiker  272. 
Methodios,  Patriarch  230, 368  ; 

Apokalypse    des  M.  394  f. 
Methodios.  Slavenapostel  26, 

32*,  175,  233. 
Methodios  aus  Syrakus,  Kir- 
chendichter 322. 
Metochites  Georgios  251 ,  256*. 
Metochites  Nikephoros  201. 
Metochites  Theodoros  93,  148, 

171,    197,   201,    203,    215, 

249,  251  f.,   253,  254  ff.*, 

258,  283. 
Metrik  241  f..  257,  284  ff.*, 

300  ff.*.  330  ff.*,  358,  367, 

393,  430. 
Metrophanes,    Kirchendicht«r 

322. 
Michael  von  Ephesos  182. 
Michael  II.  Kaiser  69. 
Michael  ITl  69. 
Michael  VII  Parapinakes  74, 

76.  141,  176.  178,  181. 
Michael  Synkellos  280. 
Michael  der  Syrer  3,  154.* 
Michael  s.  Akominatos,  Apo- 

stolios,    Attaliates,    Dukas, 

Glykas,  Plocheiros,  PseUos, 

Senacherim. 
Mimars.  Juan  de  478. 
Mineralogie  383. 
Miniaturen  s.  Kunst. 
Mirabilien  44. 
Misithra  97. 

Mittelalter,  Grenzen  des  6. 
Mönche  =  Philosophen  57. 
Moeris  253.  260. 
Mohamed,    der  Prophet  121, 

220. 
Mohamed  I  208. 
Mohamed  II  104,   107*,  213. 
Mohamedaner  350  f.;  s.  auch 

Türken. 
Monatsnamen,  attische  91  f. 
Monatszyklen  363*,  373,  379, 

447  ff. 
Monembasia  291. 
Monotheleten  173,  318  f. 
Monte  Cassino,   ApoUotempel 

o. 
Morea  419  ff.,  423*,  476. 
Mosaiken,  byz.  30. 
Moscholeos  Theologitos  411. 


Moschopulos  Manuel  215  f., 
247  f.,  251  f.*,  253,  274, 
283,  287. 

Moschopulos  Nikephoros  251. 

Moschos  213. 

Moschos  Demetrios  217. 

Moses  von  Khoren  433. 
I  Münzwesen,  byzantinisches  3, 
I       6,  31,  479  f. 

Muntaner  Ramon  421  f. 
I  Murad  II   99.  100,  206,  208, 
I       423.  _ 

Musa  470. 
;  Musaeos  Epiker  218,  307,  371 . 
i  Musik,  byz.  23.  258,  288  f.*. 
j       323*,  328. 
I  Musur  414. 
!  Musuros  Markos  217. 
j  Muzalon  Georgios  200. 
i  Muzalon  Theodoros  197. 
I  MjTa,  Stadt  242. 

Myrepsos  Nikolaos  67. 

MjTina,  Stadt  49. 

Mysterienspiel  s.  Drama. 

Mystik ,  byzantinische  171, 
204*. 

Ifaassener  310. 
Nachgesang  s.  Refrain. 
Nachor  383. 
Narses  41,  50. 
Nathanael  (Chumnos)  198. 
Nationalität  der  Kaiser  3. 
Naxos  235. 

Nektarios,  Mönch  355. 
Neophron,  Dialogperson  248. 
Neophvtos   ,.Enkleistos'*  88. 
Neophytos.  Rhetor  381. 
Nepos,  Haeretiker  310. 
Nestor,  Chronist  26,  132  f.* 
Nestorianos,  Chronist  113. 
Neuplatonismus  170, 181,  189, 

306. 
Nikaea   85,   89  f.,    196,    247, 

460. 
Nikandros  236,  240*,  265. 
Nikephoros  von  Ephesos  179. 
Nikephoros  Phokas,  Kaiser  16. 

29,  61,  72  ff.*,  211,  353. 
Nikephoros  Patriarches  26,  69, 

121  f.,   126  ff.*,    130.  144, 

263,  347. 
Nikephoros  der  Phrygier  153. 
Nikephoros  s.  Basilakes,  Blem- 

mides,  Botaneiates,  Bryen- 

nios,    Chumnos,    Gregoras, 

Xanthopulos. 
Niketas  David  324. 
Niketas  Paphlagon  70,  137  f., 

147,  233. 
Niketas,  Schulvorstand  179. 
Niketas  von  Serrae  280  f.*,  326. 
Niketas  s.  Akominatos,  Euge- 

nianos. 
Nicolas  di  Gasöle  36,  76. 


Nikolaos  von  Damaskos  265. 
Nikolaos,  der  hl.,  vgr.  Gedicht 

411. 
Nikolaos  von  Kerkyra  192. 
Nikolaos  von  Methone  366. 
Nikolaos  von  Otranto  355 
Nikolaos,    Patriarch   187   f.*. 

233. 
Nikolaos  Studites  322. 
Nikolaos  s.  Kabasilas,  Myrep- 
sos, Rhabdas. 
Nikos  462. 
Nikomedia  248. 
Nilos,  der  jüngere  323. 
Niphon,   Patriarch   199,   200, 

253. 
Noah,    apokryphe  Geschichte 

27. 
Nomokanon  63*,  229  f.,  461. 
Nonnos  Epiker  7,    160,   202, 

306  f.*,  346. 
Nonnos  (Abbas)   Mythograph 

275,  324*. 
Nonnos  Theophanes  67. 
Nonnosos  49*,  226. 
Normannenkrieg  86, 242, 244  f. 
Norwegen  165. 
Notaras  Anna  217. 
Notaras     Chrysanthos      207, 

221  f.* 
Notitiae  episcopatuum  160  ff.*, 

350. 
Novellen   (jur.)   62,    74,  162, 

175,  350. 
Numeniu  Alexander  190. 

Oinaiotes  Georgios  159. 
Oinomaos,  Kyniker  299. 
Oktoechos  145,  320*,  323. 
Olga,  Grossfürstin  26. 
Olympiodor  7. 
Olympos   in   Bithynien  175*, 

325. 
Omar  350. 
Onosander  350. 
Ophrydas  179. 
Opilius  Aurelius  338. 
Oppianos  236,  240*. 
Orakel,  chaldäische  177. 
Orakellitteratur  338,  349,  351, 

368,  403. 
Orestes,   Kirchendichter  314, 

330. 
Oribasios  67,  426. 
Origenes  310,  455. 
Orion  272. 

Ornamentik  s.  Kunst. 
Omeosophion  68. 
Gros  269,  272,  278,  285. 
Orpheus  70,  218. 
Orphica  236. 
Osterchronik  114  f.,  115  ff.*, 

140,  168,  263,  318,  402. 
Ostertafeln  116. 
Osterzyklus   116  f. 


490 


Register  der  Personen  und  Sachen. 


Ovid  249,  347. 
Oxites  Michael  367. 

Pachymeres     Georgios      11, 

90  ff.*,   95,   167,  171,  183, 

185,  196.  256,  288,  375  f. 
Paeanios  109. 
Pakurianos  Gregorios  75. 
Palaeokappa   Konstantin    92, 

182,  185,  275  f.* 
Palaeologenzeit  10,  21,  91  ff., 

247  f. 
Palaeologos  Andi-onikos  II  93, 

161,    197,    199,    201,    248, 

251,  254,  375. 
Palaeologos  Andronikos  III 97, 

99. 
Palaeologos  Helene  213. 
Palaeologos  Johannes  V   97, 

205,  207,  210. 
Palaeologos    Johannes    VIII 

104  ff. 
Palaeologos  Johannes,  Despot 

198. 
Palaeologos    Konstantin    IX 

104  flf.,  148,  213. 
Palaelogos  Manuel  II  104  f., 

171,    205,    206,    207    ff.*, 

211. 
Palaeologos  Michael  VIII  89, 

92*,    105,    150,    197,    248, 

256,  375. 
Palaeologos  Theodoros,  Despot 

208  f.,  213. 
Palaelogos   Thomas ,    Despot 

105,  107. 
Palaephatos  275. 
Palästina  164  f. 
Palaetimos,  Dialogperson  248. 
Palamas  Gregorios  94.  203  f.*, 

205,  323. 
Pamphilos  7.  269. 
Panaretos  Michael  151*,  165. 
Panaretos  Theodoros  151. 
Pancatantra  470,  474. 
Panodoros     116,     118,    119*, 

140. 
Panormos  59. 

Pantechnes  Konstantin  196. 
Paränesen    187,     192,    199, 

208,    370,    381  ff.,    397  f., 

403  f.,  406  ff.,  426,  474. 
Paraphrasen      kunstsprachli- 
cher Werke  81,  88  f.,  107, 

133,  159,  348,  393  f. 
Pardos  s.  Gregorios  von  Ko- 

rinth. 
Pariser  Corpus  der   byz.  Hi- 
storiker 35. 
Parodien   189,    2S1,    325  f.*, 

3(36,  403,  4.08  ff.,  464. 
Parömiographie     b.     Sprich- 

wört(!r. 
PaH8ionHj)iol    s.   Christus   pa- 

tiens. 


Patmos    164.    220   ff.*,    298, 

330,  389. 
Patrae  233. 
Patria    d.    h.    Urgeschichten 

110  f.,  166  ff.* 
Patrikios,   Titel  47,  Anm.  2. 
Patrikiotis  379. 
Paulicianer  229. 
Paulos,  Apostel  70,  193,  230, 
.    347,  389. 

Paulos,  Kirchendichter  323. 
Paulos  Silentiarios  7,  12,  167, 

371. 
Pausanias,  Lexikograph  227  f., 

244,  263,  270,  272. 
Pausanias,  Perieget  226,  249, 

266. 
Pediadites  Basilios  192. 
Pediasimos     Johannes      197, 

258  f.* 
Pehlevi  470,  474. 
Pelopidas  255. 
Peloponnes  s.  Morea. 
Pepagomenos  Demetrios  68. 
Pepagomenos,  Korrespondent 

des  Hyrtakenos  201. 
Perdikkas  von  Ephesos  164. 
Perser  24  f.,  32,  41,  50,  347, 

380. 
Peter    von    der   Provence    s. 

Imberios. 
Petrarca  94,  406. 
Petritzis  Ignatios  415  f. 
Petritzos   bei  Philippopel  75. 
Petros,  Apostel  309,  364,  389. 
Petros    Patrikios    7,    46  ff.*, 

217,  269. 
Petros,  Protospathar  211. 
Petrus  Hispanus  178. 
Petrus  Lombardus  174. 
Petschenegen  29. 
Phaeinos,  Scholiast  263. 
Phakrases,    Grosslogothet  (?) 

200,  249. 
Phakrases,  Primikerios  206. 
Phavorinos,  Lexikograph  274*, 

275. 
Pherekrates  273. 
Phialites  356. 
Phidias,  Sage  von  395. 
Philadelphia  175,  200,  290. 
Philarmos  442. 
Philemon,  der  falsche  274  f. 
Philemon,  Komiker  221. 
Philes  Manuel  17,  90,  202  f., 

220,    298,    307,    318,   348, 

354  f.,   362,   374,  375  ff.*, 

409,  467. 
Philippopel     85.     200,    201, 

245. 
Philipp  de  Navarre  476,  479. 
Phili|»pos  ^Solitarius"  356. 
Philistion,    Gnomen  des  290. 
Philochoros  221. 
Philon  von  BybIos  111.  264. 


Philon  Judaeos   173  f.,    183, 

255,  347. 
Philon  (Pseudo-)  335. 
Philopatris  188  f.*,  365. 
Philoponos  Johannes  7,   265, 

277*,  278,  281. 
Philostorgios  264,  338. 
Philostratos  21 1 ,  251 ,  253, 265. 
Philotheos,  der  hl.  245. 
Philotheos,  Patriarch  95,  204*, 

206,  323. 
Philoxenos    (Pseudo-jLexiko- 

graph  260  f. 
Phlegon    von    Tralles     226, 

338. 
Phlorentios,  Dialog  96. 
Phlorios  u.  Platziaphlora  442, 

450  ff.* 
Phokaea  103. 
Phokas,  Kaiser  92,  390. 
Phokas,  Wunderthäter  165. 
Phortios  Leonardos  217,  393, 

411*. 
Photios  8,  17,  48  f.,    51,  54, 

56,63,64,  110, 127  f.,  157  f.. 

167,  172,  177,  179,  185  f.. 

187,  215,  220,  223  ff.*,  237. 

263,   269,    275,    289,    295, 

322  f.,  326,  340,  351,  372. 
Phrankopulos  209. 
Phrantzes  Georgios  102,  104, 

105  ff.*,  210. 
Phrynichos  Attizist  253,  263, 

268,  269  f. 
Physiologos  445,  454,  455  ff.*, 

458. 
Pikatoros  Johannes  407,  408*. 
Pinaros  Joseph,   Rakendytes 

185. 
Pindaros,   Dichter   195,   202, 

213,  217  f.,  236,  242*,  244*, 

251,  253,  257  f.,  265,  281, 

305  f.,  333. 
Pisides  Georgios  7,   12,   121, 

265,  294,  300,  318,  346  f.*, 

380. 
Planudes  Maximos  110,  1^5,    ■; 

197,215,220,  247,  248  ff.*,   f 

286,  303,  326,  HIQ. 
Platen,  Philosoph  78,  95,  98, 

129,    171,    175   f.,    177   f., 

181,  193,  198,  204  f.,  213, 

217  f.,  220,  224,  226,  228. 

231,   233,    236,    249,    253. 

255,   283,   290,    305,    339. 

351,  355,  426.  432;  Plato- 

scholien  270. 
Plautus  338. 
Plethon     (ieorgios    Gemistos 

11.  171*,  185,  290. 
Plinius,  der  iiltere  64. 
Pliiiius,  der  jüngere  310. 
l'locheiros  Micliael  241,  298, 

373  f.*,  400,  409. 
Plütinos  177.  198. 


Register  der  Personen  und  Sachen. 


491 


Plutarchos  66,  109,  143*,  193. 
218,  226,  234,  235  f.,  249, 
255,  (Pseudo-)  286  f.,  290  f., 
303,  354. 

Podagra  347.  354. 

Pollux  s.  Polydeukes. 

Polyaenos  350. 

Polybios,  Historiker  22,  33, 
45,  64.  78,  81.  143,  156. 
217,  222,  226,  263,  265. 

Polvdeukes  Julies,  Chronist 
121.  132,  133  ff.*,  147. 

Polyhistoren  11,  91,  93  ff. 

Polykrates  55. 

Polyxene,  Gattin  des  Achilles 
431  f. 

Porikologos  463  f. 

Porphyrio3l59, 172,  177,  224, 
351,  366. 

Potakios  s.  Potaraios. 

Potamios  Theodoros  207. 

Praxiteles,  Sage  von  395. 

Priskos.  Historiker  7,  54,  64, 
109,  217.  265. 

Prochiron  (Eechtsbuch)  62, 74. 

Prodromos  Theodoros  17,  180, 
202f.,  220,  235,  281,  295  f.. 
298,  301,  307.  316,  321, 
324,  326.  353  ff.,  359  ff.*, 
369  f.,  371,  374  f.,  380  f.. 
398  ff.*.  418.  444. 

Proklos,  Chronist  151  f. 

Proklos,  Neuplatoniker  183, 
239. 

Prokopios,  Historiker  7,  12, 
21.  37,  41  ff.*,  47,  50,  51, 
54,  56  f..  65,  73,  121,  144. 
167,  236,  263,  265,  269. 

Prokopios,  Kirchendichter  323. 

Prokopios,  Rhetor  290. 

Prokopios,  Spatharios  352. 

Prometheus,  Ei"finder  d.  Gram- 
matik 383. 

Pronoia.  byz.  und  südslavische 
29. 

Protasion  354. 

Protektor,  Titel  51. 

Provinzenverzeichnisse    162. 

Psalmen  158,  193,  306,  309, 
343. 

Psellos  Michael,  der  ältere 
174,  351. 

Psellos  Michael,  der  jüngere 
9.  16  f.,  38,  72,  75,  77.  80, 
139,  144,  147,  159,  170  f., 
174  ff.*,  l^b  f.,  192,  194, 
201,  215,  217  f.*,  220  f, 
236,  266,  275,  287,  303, 
325  f.*,  346,  355,  372,  389. 

Psychagogie  220. 

Ptocholeon  393,  401  f.* 

Ptochoprodromos  s.  Prodro- 
mos. 

Ptolemaeos,  Astronom  156  f., 
173,  249,  255. 


Ptolemaeos  Euergetes  158. 
Pulologos  456,  459  f.* 
Pyrrhos  Andreas  318. 
Pythagoras,  Sprüche  des  290. 

Quadrivium  90. 
Quellenforschung  zu   byzant. 

Histor.  37  und  allenth. 
Quirinus  Laurentius  219,  291. 
Quintus,  Epiker  236. 

Rätsel  180,  354  f.,  365,  372  f. 
Ravenna  30. 

Rechtsbücher  s.  Gesetzbücher. 
Rechtsgeschichte,  byz.  62  f. 
Refrain,  in  der  Kirchenpoesie 

305,  310.  335  f.* 
Reim  337,  339  f.*,  342. 
Reinhart  Fuchs  460  ff. 
Religionsgeschichte  4,  29  f. 
Renaissance  unter  den  Kom- 

nenen  9,  75,  80,  176,  195. 
Rhakendyt€s  s.  Pinaros. 
Rhetorik  87  f.,  90,  96,  159  f, 

178  ff.,   184  ff.*,  240,  245, 

255,  365  ff.,  381,  440. 
Rhodophilos  442  f. 
Rhodos    242,    405,    425   f.*, 

449. 
Rhomaer  2,  101,  387. 
Rhusanos  Pachomios  284. 
Ricardus  Florentinus  206. 
Ritter,  der  alte  450. 
Robert  von  Lincoln  267. 
Rodanthe  imd  Dosikles  361  f. 
Rodosto  221. 

Roger  II  von  Sizilien  157,  161. 
Rolandslied  414. 
Rom,   Bezieh,  zu  Byzanz  31. 
Romania  =  byz.    Reich    157, 

426. 
Romanlitteratur   9,    294  ff.*, 

346, 361  f.,  384, 404, 428  ff.*, 

438  ff.* 
Romanos  Diogenes  74,  193. 
Romanos,    Grammatiker  277. 
Romanos,  Kirchendichter  15, 

57,177,  311.  312  ff.*,  320  f., 

324  f.,  327,  329  f.,  334  f., 

337,  339  ff. 
Romanos  Lekapenos  s.  Laka- 

penos. 
Romanos  II  188*. 
Rudolf  von  Ems  468. 
Rumänen  s.  Walachen. 
Russen   26.    29  ff.,    72,    101, 

107,  144,  230,  327  f.,  372  f., 

376,  379,  402,  416  f.,  456; 

s.  auch  Slavische  Völker. 
Rythmische  Poesie  302, 307  ff., 

330  ff.* 

Sachlikis  Stephanos  370,  382, 

398,  401  An.  1,  408,  410*. 

Sagen  26  f.,  46,  394  f.,  413. 


Sallust  114. 

Salmasische  Exzerpte    109  f. 
Salomon  457. 
Salamonsage  27,  473. 
Samothrake  120. 
Sanudo  Marino  422.- 
Sappho  114,  218,  282. 
Sarazenen  72,  130,  173,  190, 

193. 
Satire  9;    s.   auch   Parodien, 

Prodromos,  Tiergeschichten 

u.  s.  w. 
Sbomiki   (Sammelwerke)   27. 
Schedographie  273. 
Schisma  71,   89,   90  f.,   150, 

225,  229,  231  ff.*,  366. 
Scholastikos,  Beiname  49,  53. 
Schriftsprache,  byz.  10,  21  f.*, 

32,  33  f.,  38  f.,  44,  57  f.. 

60,  70  f.,  73,  75,  77,  80  f.. 

84,  87,  91,  102,  131  f.,  144, 

150,    161   f.,    185  f.,    195, 

340  f.*,  358,  386,  400,  465, 

468,  477. 
Schweden  165. 
Scott  Walter  82. 
Seewesen,  bvz.  163  f. 
Segelhandbücher  162  ff*. 
Seidenzucht  51. 
Selech,  Astronom  368. 
Semiten    s.    Araber,    Juden, 

SjTer. 
Senacherim  Michael  247. 
Sentenzen     s.     Spruchsamm- 
lungen. 
Septuagirita  71,  73,  119,  143, 

283,  289,  343,  357. 
Sequentia,    in    der    Kirchen- 
poesie 327. 
Serai  220,  222*. 
Serben  26,   28,   32,   62,  101. 

107,  144,  200,  327  f.,  434, 

456,  464. 
Sergios,  Grammatiker  277  f. 
Sergios,  Patriarch  57,  99,  116, 

311,  314.  318  f.*,  336,  347. 

378. 
Sergios,  Patrizier  224. 
Sergios,  Perser  50  f. 
Serrae  280. 
Servius  Tullius  235. 
Seta,  Melode  312. 
Seth  Syraeon  67,  474. 
Severus.     Patriarch     277    f., 

347. 
Sextus  Julius  Africanus  108, 

109,   113,   116*,   119,    134, 

383. 
Sguros  Leon  195. 
SibyUen  218. 
Sibyllinische  Orakel  s.  Orakel- 

litteratur. 
Siddhärtha  466. 
Sieben   Weise,    Sprüche   der 

290*,  348. 


492 


Begister  der  Personen  nnd  Sachen. 


Sieben  weisen  Meister,  die,  s. 
Syntipas. 

Sigillographie  s.  Bullen. 

Sigriane  120. 

Silberbullen  s.  Bullen. 

Silentiarios  s.  Paulus. 

Silkoinschrift  158,  389. 

Simeon  s.  Symeon. 

Simokattes  s.  Theopbylaktos. 

Simonides  von  Amorgos  235, 
258,  360. 

Sinagrip  473. 

Sinai  220,  222*. 

Sindbad,  Sindibad  s.  Syntipas. 

Sisvpbos  aus  Kos  11.3,  428. 

Sizilien  146,  322. 

Sklavos  Manuel  409. 

Skylitzes  Johannes  70,  72,  75, 
77,  114,  126,  138  flf.*,  144, 
147,  149,  152  f.,  179,  191. 

Skylitzes  Stephanos  367. 

Slavische  Völker,  ihre  Be- 
ziehungen zu  Byzanz  25  fF., 
29  ff.,  32,  63,  114  f.,  128, 
132  f.,  144,  164  f.,  .327  f., 
347,  369.  416  f.,  429,  434, 
456  f.,  468  ff.,  475;  s.  auch 
Bulgaren,  Kroaten,  Russen. 
Serben,  Südslaven. 

Smyma  220.  222. 

Sokrates ,  Kirchenhistoriker 
53,  92,  121,  167,  264  f.. 
306. 

Sokrates,  Philosoph  255. 

Soliman  II  219. 

Solomon  von  Basra*289. 

Solomon,  Jida^ri  loXofxwviog 
397. 

Sophianos  Nikolaos  217,  395. 

Sophienkirche  5  f.,  167  ff.*, 
179,  318. 

Sophokles  218,  234,  236,  253, 
257  f.,  263,  265,  273,  383. 

Sophonias  182. 

Sophos  473. 

Sophronios,  Patriarch  vou  Ale- 
xandria 277. 

Sophronios,  Patriarch  v.  Jeru- 
salem 172, 182,  307,  318  f.*, 
339  f. 

Sothisbuch  119. 

Sozomenos  53,  92,  \1\. 

Spaneas  370,  382,  397  f.* 

Spanien,  Beziehungen  zu  Byz. 
31,  420,  422  f. 

Spielereien,  poetiche  91,  241 ; 
s.  auch  Parodien. 

Spottverse  211,  389  f.* 

Sprache  s.  Schriftsprache  und 
Vulgürsprache. 

Sprichwörter  27,  180.  192, 
202,  213,  246,  249,  290  f.*, 
367,  401. 

Spruchsammlungen  229  f.,  249, 
2»y  ff.',  370. 


Stambul  s.  Konstantinopel. 
Staphidas  Johannes  480. 
Stephanites  und  Ichnelates  27, 

220, 382,  465, 466  ff.,  473  ff.* 
Stephanos  von  Byzanz  60,  162, 

236,  244. 
Stephanos,  der  hl.  379  Anm.  1. 
Stephanos,Kirchendichter330. 
Stephanos  s.  Magnetes. 
Stephanos,  Mathematiker  351. 
Stephanos,  der  Sabbaite  297. 
Stilarten  s.  Schriftsprache. 
Stilbes,  Konstantinos  192. 
Stobaeos  173,  289. 
Strabon   42,    156,    236,    244, 

249,  265. 
Strambaldi  Diomedea  478. 
Stratioti  (Estradiots)  426  f. 
Studien,  Kloster  322. 
Studiten  322,  341. 
Studites  Damaskenos  456. 
Stylites  Joshua,  Chronist  46. 
Stypiotes  Theodoros  364. 
Südslaven  26,  29,  32,  62,  96, 

416;  s.  auch  Slav.  Völker, 

Bulgaren  und  Serben. 
Suetonius  236,  244. 
Suidas,  Historiker  267. 
Suidas,  Lexikograph  7  f..  41  f., 

68,  109  ff.,   16><,  209,  215, 

221,  228,  244,  v'61  ff.*,  269, 

272.  274  f.,  279,  316,  320, 

.324,  331,  346,  383. 
Suleiman  208. 
Susanna,    Drama    297;    vgr. 

Gedicht  410  f. 
Symeon,  Fürst  von  Bulgarien 

188,  352. 
Symeon,  der  „grosse  Gramma- 
tiker" 272. 
Symeon,  Kirchendichter  330. 
Symeon,  Magister  und  Logo- 

thet63,70, 126, 13:^,136  ff.*, 

223,  369. 
Symeon  Metaphrastes  8, 68  f.*, 

137,  389. 
Symeon,  der  Narr  389. 
Symeon  Seth  s.  Seth. 
Symmachos,  Historiker  50. 
Symmachos,  Scholiaat  263. 
Synchronistische  Methode  18. 
Synesios  von  Kyrene  96,  179, 

249,    253,    255,   265,   290, 

306*,  340,  358. 
Synkellos    s.    Georgios    und 

Michael  Synkellos. 
Synkellos,  Amt  des  118. 
Synodaldekrete  230. 
Synode ,    zweite    tnillanische 

298. 
Syntipas  27,  465,  468,  470  ff*. 
Syrakus  59. 
Syrer  24  f.,  30  ff,  157.  342, 

377,  433,  456. 
Syrien  322. 


Tafelrunde  s.  Artus. 

Tajapiera  427. 

Taktiker  s.  Kriegswissen- 
schaft. 

Tarasios,  Patriarch  8,  126, 
223,  330,  347  f. 

Tarasios,  Bruder  des  Photios 
225  f. 

Teilsage  417. 

Temenos  Konstantinos  435. 

Testament,  neues  70,  388. 

Thalia  297. 

Theano  195,  218. 

Themen  des  byzant.  Reiches 
60,  62. 

Themistios  182,  218. 

Theodat  47. 

Theodora,  Kaiserin  45*,  47. 

Theodoretos,  Kirchenhistori- 
ker 53,  54,  92,  121,  143. 
172,  229,  264  f.,  290. 

Theodorich  der  Grosse  47. 

Theodoros  Abukara  8. 

Theodoros  Anagnostes  121, 
130,  154,  167,  311. 

Theodoros  s.  Balsamon. 

Theodoros  von  Gaza  138,  216, 
217,  250  f.,  280,  290. 

Theodoros  s.  Hyrtakenos. 

Theodoros  Lector  s.  Th.  Ana- 
gnostes. 

Theodoros  s.  Metochites. 

Theodoros  aus  Paphlagonien 
353. 

Theodoros,  Sohn  des  Petros 
Patrikios  47. 

Theodoros  «.  Prodromos. 

Theodoros  von  Sebasteia  153. 

Theodoros  von  Side  153. 

Theodoros  von  Smyma,  Kir- 
chendichter 322. 

Theodoros  von  Smyma.Sophist 
193. 

Theodoros  Studites  126,  280, 
322*.  329  f.,  337. 

Theodosios  Diakonos  294, 
353  f.* 

Theodosios,  Grammatiker  216, 
277  f.,  334. 

Theodosios,  der  hl.  389, 
467*. 

Theodosios  Melitenos  132, 
133  ff.*,  147. 

Theodosios,  Perieget  165. 

Theodosios ,  Redaktor  des 
Konst.  Porphyrogennetos 
64. 

Theodosios  von  Syrakus,  Hi- 
storiker 59*,  99. 

Theodosios  von  Syrakus,  Me- 
lode  322. 

Theodulos  monachos  s.  Tho- 
mas Magister. 

Thoognis  398. 

Theognostos  1'2'>.  '27 J,  _'7^  I.' 


Register  der  Personen  und  Sachen. 


49S 


Theokritos  218,  236,  249,  251, 

257  f.,  281. 
Tlieoleptos,  Metropolit  199. 
Theon,  Mathematiker  351. 
Theophanes    von   Byzanz    7, 

51*,  52. 
Theophanes  Confessor  10,  21, 

24,  49,  50,  53,  56,  65,  114, 

118,  120  flF.*,   130,    139  f., 

144, 168,  280,  313,  346,  389, 

465. 
Theophanes  continuatus  (Fort- 

selzung  des  Theophanes)  60, 

70,  123,  124  ff.*,  127,  131, 

137,  138  f.,  144,  152,  279. 
Theophanes  Nonnos  s.Nonnos. 
Theophanes  Studites  280, 322*. 
Theophilos,  Chronograph  113. 
Theophüos,  Kaiser  (829—841) 

8,  69,  193,  280,  390. 
Theophilos,  Person  in  einem 

Dialoge  245. 
Theophilos,  Presbyter  s.  Bogo- 

milus. 
Theophrast  379. 
Theophylaktos   von   Achrida, 

Erzbischof  75,  186,  191  f.*, 

208,  281. 
Theophylaktos  Simokattes,  Hi- 
storiker  7,  12,  37,  51,  53, 

54ff.*,  65,  73,  121,185,236, 

263,  265,  297,  455. 
Theopompos,  Historiker  221, 

226. 
Therapeuten  335. 
Theseide  Boccaccios  453. 
Thessalonike  46,   70  f.,    100, 

160,    188,    193,    199,    200, 

203,  204  f.,  206  f.,  242  ff., 

253,  322. 
Thomas  von  Aquino  170,  174, 

206. 
Thomas  von  Celano  327. 
Thomas  Magister  247.  252  ff.*, 

257,  274,  287. 
Thomas  Patrikios  352. 
Thomas  Protospatharios  227. 
Thukydides  33,   44,    46,    53, 

78,  81,  102,  156,  195,  218, 

226,   253,    263,    265.    283, 

341. 
Tiberios,    oström.   Kaiser    3, 

52  f.,  56. 
Tiergeschichten   362,    366  f., 

376  f.,  383,  454  ff.*,  474. 
Timaeos ,    Lexikograph    228, 

269. 
Timarion    176,    193  f.*,   365, 

408. 
Timokles  311. 

Tiraotheos,  Chronograph  113. 
Tiraotheos  von  Gaza  277.        | 
Timotheos  von  Konstantinopel  i 

172. 
Timotheos,  Zoolog  68.  1 


Timur  Lenk  209,  423*. 
Tolstoi  Leon  25. 
Tornikios  Leon  355. 
Toter  Bruder,    Lied    von    d. 

32,  417. 
Tractatus  Harleianus  286. 
Toayovdui  299. 
ToaytpdUc,  Bedeutung  299. 
Traianus.  Chronist  153. 
Trapezunt  82,  151*.  165,  209, 

211,  364,  367,  413,  415. 
Traube,  Verurteilung  der  463  f. 
Traumgeschichten  407  ff. 
Trjasavicy,  die  zwölf  27. 
Trichas,  Metriker  285. 
Triephon  188. 
Triklinios  Demetrios  215,  247, 

253,  256  ff.*,  286  f. 
Trimeter,  byzant.  300  ff. 
Triodion  329  f. 
Triviez  Bemard  452. 
Trivolis  Jakob  393,  427*. 
Trojaromane    und    Trojasage 

27,  234,  428  ff.* 
Troparion  145,  327,  335. 
Trophonios  190. 
Tropologion  329  f. 
Tropus,  in  der  Kirchenpoesie 

327  f, 
Trostgedicht  404. 
Tryphiodoros  307. 
Tryphon  281  f. 
Türken  24  f.,  51,  77,  84,  99, 

100  ff.,    104  ff..    138,   208, 

219,253,402,436,441,444, 

464. 
Turgenjev  25. 
Tyche  44. 

T}-pika  s.  Klosterregeln. 
Tzetzes  Johannes  9,  17,  185, 

221,  234,  235  ff.*,  254,  285, 

287,    324,    346,    350,   359, 

374.  409,  429,  436. 
Tzetzes  Isaak  240,  241  f.* 
Tzimiskes   Johannes   16,    72, 

188,  211. 

Uebersetzungen  byz.  Werke 
36  f.,  114.  122,  132  f., 
144  f.,  153  f.,  164,  326  ff., 
347,  349,  369,  433,  456, 
468  ff. 

Ungarn  429  Anm.  3. 

Union  der  röm.  und  griech. 
Kirche  11,  89,  94  ff.,  101, 
104,  171  f.,  196  f.,  203  ff., 
207  f.,  212  f.,  256,  425. 

Upravda  (Justinian)  46. 

Uranos  Nikephoros  232. 

Valentinianer  297. 
Valentinus  311. 
Valerius  Julius  433. 
Vandalen  41,  50. 
Varangen  8.  Warangen. 


Vama,  Sclüacht  bei  423  f.* 
Varo  Marcus  Terentius  64. 
Vekkos  196,  256,  375. 
Venedig,  Beziehimgen  zu  By- 
zanz 31,  155,  422. 
Venedig,    Gedicht  auf  409  f. 
Venezianer     Nachdruck     der 

byzant.  Historiker  35. 
Verfuhrung,  vgr.  Gedicht  406  f. 
Vergetius  (Vergikios)  Angelos 

und  Nikolaos  217. 
Vers,     politischer     61,     248, 

802  ff.*,   339  f.,   342,  345, 

370,  375. 
Verschroniken  93,  149  f.,  153, 

369,  419  ff. 
Verwaltungswesen ,      byzant. 

29  f.,  60  ff. 
Vierfüssler,  Kindergeschichte 

457  ff.* 
Vigilius,  Papst  47. 
Ville-Hardouin    Geoffroy     de 

86  ff.,  421. 
Vindanios  Anatolios  66. 
Vitiges  47. 
Vladimir  I  26,  32. 
Vlastos  Nikolaos  217. 
Vögel  in  der  Volkspoesie  407, 

432*. 
Volksbücher  1 1 3, 389, 435, 46S. 
VolksUeder  27,  339,  391,  404, 

407  ff.,  413,  415  f.,  424. 
Vulgärsprache,  griechische  10, 

21,  49,  60  f.,  67,  81  f.,  89, 

99,    104   f.,    107,    114   f., 

121  f.,  150,  180,  341,  350. 

358,  361,  385—396*,   478, 

480. 

Walachen  327,  434,  456  f. 
Wallfahrerbücher  164*. 
Warangen  29,  463  f. 
Warbeck  Veit  452. 
Weihnachtspiel,     altgermani- 

sches  62,  299. 
Weltchroniken   26,    34,    100, 

103,  105,  107  ff.*,  168,  190, 

369,  419. 
Wilhelm  von  Tyrus  420. 

Xanthinoslied  418  f. 
Xanthopulos,  Nikephoros  Kal- 

listos  53,   56,   92  f.*,   197, 

200,  220,  323,  355. 
Xanthopulos  Theodoros  200  f., 

379. 
Xenedemos,  Dialog  366. 
Xenophon,  Historiker  50,  77, 

84,  143,  226,  255,  265. 
Xenophon ,      Romanschreiber 

434. 
Xiphilinos  Johannes,  Chronist 

141*,  217. 
Xiphilinos  Johannes,  Patriarch 

175  f.,  179,  181*. 


404 


Register  der  Personen  und  Sachen. 


Zacharias  von  Mytilene  154. 
Zagora  460. 
Zakonen  211. 
Zante  410. 

Zaubersprüche  27,  480. 
Zeitbestimmung   byz.  Werke 

20,  161  f.,  337. 
Zeitrechnung,  christl.  116  f.*, 

118  flf.,  127. 


Zellenemails  30. 

Zenobios,   Grammatiker  272, 

291. 
Zenodotos  215. 
Zeremonienwesen,   byz.  61  f. 
Zesen  Philipp  von  372  Anm.  1. 
Zigabenos  Euthymios  192  f.* 
Zigabenos  Georgios  366. 
Zonaras  Johannes  26,  48,  56, 


63,  72,  81,  85,   108,   110. 

126,  130.    141  flF.*,    146  f.. 

150  f.,  179,  217,  316,  324. 

326,  369,  420. 
Zosimos,    Historiker    7,     64, 

109. 
Zotikos  Paraspondylos  423  f. 
Zygomalas     Theodosios    107, 

222. 


Pur  die  Benützung  des  Registers  sei  bemerkt,  dass  die  SlcUoii  vollstäudig  verzeichnet  sind.  Wer 
sich  also  für  eine  Frage  interessiert,  die  nach  dem  Plane  des  Buches  nicht  im  Zusammenhange  dargestellt 
worden  konnte,  kann  sich  in  den  meisten  Fällen  mit  Hilfe  des  Index  wenigstens  einen  Überblick  über  die 
Hauptthatsachen  verschafifen.  So  repräsentieren  die  Zahlenverzeichnisse  unter  den  Artikeln  Aristoteles, 
Homer,  Isokrates ,  Lukianos,  Plato  u.  a.  kleine  Abhandlungen  über  das  Fortleben  dieser  alten 
Alltoren  in  der  byzantinischen  Litteratur;  aus  den  Angaben  unter  dem  Schlagworte  Slavische  Völker 
lässt  sich  ein  Bild  des  Einflusses  der  byzantinischen  Kultur  auf  die  Slaven  zusammenstellen,  aus  dem  Artikel 
Akrostichis  eine  Geschichte  dieser  Spielerei  in  der  byzantinischen  Litteratur  u.  s.  w. 


Verzeichnis  der  oströmischen  Kaiser. 


Arcadius  395—408 

Theodosius  II  408—450 

Marcianus  450—457 

Leo  I  457—474  (Mitkaiser  Leo  II  473—474) 

Zeno  474—491 

Anastasios  I  491 — 518 

Justinos  I  518—527 

Justtnianos  I  527—565 

Justinos  II  565—578 

Tiberios  II  578—582 

Maurikios  582-602 

Phokas  602-610 

Heraklios  610—641 

Heraklios  Konstantin  III  641 

Herakleonas  641 

Konstans  II  642—668 

Konstantinos  IV  Pogonatos  668 — 685 

Justinianos  II  685 — 695 

Leontios  695—698 

Tiberios  III  Apsimaros  698—705 

Justinianos  II  nochmals  705 — 711 

Philippikos  (Bardanes)  711—713 

Anastasios  II  (Artemios)  713—716 

Theodosios  HI  716— 717 

Haus  des  Leo. 
Leo  m  der  Isaurier  717—741 
Konstantinos  V  Kopronvmos  741—775 
Leo  IV  775—780 
Konstantinos  VI  780 — 797 
Irene  von  Athen  797—802 
Nikephoros  802—811 
Staurakios  811. 

Michael  I  Rhangabe  811—813 
Leo  V  der  Armenier  813—820 
Michael  II  der  Stammler  820—829 
Theophüos  829—842 
Michael  HI  842-867 

Makedonische  Dynastie. 
Basilios  I  867—886 
Leo  VI  der  Weise  886—911 
Alexander  911—912 

Konstantinos  VII  Porphyrogennetos  912 — 959 
Romanos  II  959—963 
Nikephoros  II  Phokas  963—969 
Joannes  I  Tzimiskes  969—976 
Basilios  II  Bulgaroktonos  976—1025 
Konstantinos  VIII  1025—1028 


Romanos  IE  Argyros  1028-1034 
Michael  IV  der  Paphlagonier  1034—1041 
Michael  V  Kalaphates  1041—1042. 
Konstantinos  IX  Monomachos  1042 — 1054 
Theodora  1054-1056 
Michael  VI  Stratiotikos  1056—1057 

Dukas  und  Komnenen. 
Isaak  I  Komnenos  1057  —  1059 
Konstantinos  X  Dukas  1059—1067 
Romanos  IV  Diogenes  1067 — 1071 
Michael  VU  Dukas  (Parapinakes)  1071—1078 
Nikephoros  lU  Botaniates  1078—1081 
Alexios  I  Komnenos  1081 — 1118 
Joannes  II  Komnenos  1118—1143 
Manuel  I  Komnenos  1143 — 1180 
Alexios  II  Komnenos  1180—1183 
Andronikos  I  Komnenos  1183 — 1185 

Haus  Angelos. 
Isaak  II  Angelos  1185—  1195 
Alexios  ni  Angelos  1195—1203 
Isaak  II  nochmals   1203 — 1204  (Alexios  IV, 

sein  Sohn,  Mitkaiser) 
Alexios  V  Dukas  (Murtzuphlus)  1204 

Kaiser  in  Nikaea. 
Theodoros  I  Laskaris  1204—1222 
Joannes  III  Dukas  Vatatzes  1222—1254 
Theodoros  11  Laskaris  1254—1258 
Joannes  IV  Laskaris  1258—1259 
Michael  VIII  Palaeologos  1259—1260. 
Wiedereroberung  von  Konstantinopel  1261 

Haus  der  Palaeologen. 
Michael  VIII  Palaeologos  1261  —  1283 
Andronikos  II  1282—1328 
Ajidronikos  HI  1328—1341 
Joannes  V  1341—1376 
Joannes  VI  Kantakuzenos  Gegenkaiser  und 

Mitkaiser  1341—1355 
Andronikos  IV  1376—1379 
Joannes  V  nochmals  1379—1391 
(Joannes  VII  Gegenkaiser  1390) 
Manuel  11  1391—1425 
Joannes  VHI  1425—1448 
Konstantinos  XI  (IX)  Dragases  1448-1453. 
Eroberung    von    Konstantinopel    durch    die 

Türken  29.  Mai  1453 


Lateinische  Kaiser  von  Konstantinopel. 


Balduin  I  von  Flandern  1204—1206 
Heinrich  von  Flandern  1206—1216 
Peter  von  Courtenay  1217 
Robert  U  1217—1228 


Johann  von  Brienne,  Regent  und  Titularkaiser, 

t  1237 
Balduin  H  1228—1261. 


/Ai.ö    4 


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PA  Krumbacher,  Karl 

5110  Geschichte  der  byzantinis- 

K7  chen  Litteratur 


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