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Full text of "Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz"

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ber 


kutl'rtieu  tlljilofojiljic 


feit  fcifuiij. 


3[>on 


D"-  Jihmxb  gcffcr. 


3roeite  5luffage. 


AUF  VERANLASSUNG 

UND  MIT 

UNTERSTÜTZUNG 

SETNER  MAJESTÄT 

DES  KÖNIGS  VON  BAYERN 

MAXIMTIJAN  II. 


HERAUSGEGEBEN 

DURCH  DIE 

HISTORISCHE  COMMISSION 

BEI   DER 

KÖNIGE.  ACADEMIE  DER 

WISSENSCHAFTEN. 


3^trmcl)rn,  1875. 

S)rucf  inib  9>crfntj  Uon  dl.  DlbciiDourg. 


Durmurt  jur  tt^tn  Auflage* 


i 


2)ie[c§  2Ber!  evfc^ctut  üicl  fpäter,  a{§  aufaugS  In  ^luSft^t 
genommen  war,  nnb  bo^  mir  jclbft  fa[t  no(^  ^n  frn^.  2lber  nac^* 
bem  mic^  bte  ^ienbearbeitnng  oon  brei  ^änbcn  meiner  „^^ilo* 
[o^^ie  ber  Öiricc^en"  eine  Ü^ei^e  t)on  ^a^ren  tjer^inbert  ^atte, 
e§  in  Eingriff  gn  net}men,  tt?ar  eS  na^gcrabe  bic  '^öc^ftc  Qüi, 
ha^  iBerf^rcc^en  gn  erfüllen,  treli^eS  i^  ber  $)iftorifc^cn  Sommif- 
fion  [d)on  fo  lange  gegeben  t}atte;  fei  e§  auc^  anf  bie  ÖJcfa^r 
^in,  ha^  ic^  ben  überreichen  Stoff  nic^t  fo  üoöftänbig  crfc^ö^fen 
!önnc,  tt3te  ic^  getrünfc^t  ^ätte,  ober  ba§  bie  9iDtf)tt}enbigfeit,  ben 
2)rnc!  oor  S?olIenbnng  be§  ÖJanjen  beginnen  gu  laffen,  für  ha^ 
qnantitatiue  S5cr^ältni§  einzelner  ?Ibfd)nittc  eine  gcn^iffc  Ungleic^^^ 
mä§igfeit  I}erbeifül)re.  3ln^  bie  längfte  ^trbcitSgcit  iuürbe  mi^ 
aber  freiließ  nid}t  in  ben  (Stanb  gefcljt  ^aben,  alle  ©riüartungcn 
§n  befriebigen,  bie  fic^  an  eine  ©d^rift,  njie  bic  oorliegcnbe,  fnüpfen 
!önnen.  2)enn  trenn  c§  an  nnb  für  \id)  fc^on  nic^t  Iei(^t  ift,  bie 
Ö5efc^ic^te  nnfcrer  bentfc^en  ^^itofop^ic  fo  gu  fc^reiben,  ba§  man 
allen  triffenfc^aftli^cn  nnb  fünftlcrif^en  3lnforbernngen  gerecht  njirbf 
fo  !amen  bagn  in  biefem  gaüe  nod^  bie  eigenttjümücften  (Sc^tüierig^ 
feiten,  n^clc^e  an§  ber  mir  gefteüten  befonberen  5lufgabe  ^evoor^ 
giengcn.  ©iefe  ÖJef^i^tc  foßtc  in  einem  einzigen  Sanbe,  unb  fie 
foüte  in  möglic^ft  popnlärer  g^orm  bargefteüt  ttierben.  ©c^on  aug 
ber  erften  üon  bicfen  ©eftimmnngen  ergab  \iä)  tro^jbcm,  ha^  ber 
nrf^rüngtic^  oorgefc^riebene  Umfang  nm  ein  2)rittl)eil  überfc^ritten 
trnrbe,  eine  fühlbare  33cfd§rän!nng ;  nnb  bie§  nm  fo  me'^r,  ba  eine 
größere  3"i^^^"^^^"^"9^"9  "^^^  -^nljaltS  fic^  in  ber  9?egel  nur 
auf  Soften  ber  ÖJemeiuüerftäubli^teit  l;ätte   errei^cu  laffcn.     ^od) 


VI  35orttJOVt. 

ciugretfenbcr  mxltt  aber  bie  jtücite,  (S§  gicbt  freiließ  eine  ^rt 
üon  Popularität,  auf  btc  i^  gum  t)orau§  üergid^tcu  mu§te,  2Öcr 
Dou  ber  ^^t(ofopl}te  uub  htn  ?^ragcn,  mit  beuen  fic  [id^  bcfc^äftigt, 
über!§aupt  !eiueu  33egriff  !§at,  beut  iüirb  man  ftd^  üergeben§  be^ 
müf)eu  üDu  ber  gefc^id)tHd^en  (£nttüi(fluug  berfetbcn  iu  einem  be- 
ftimmtcn  ^olfe  uub  n)ä!^renb  einc§  beftiutmteu  ^c^^l'ww'ftS  eine 
richtige  S^orfteüimg  §u  öerfd^affen ;  man  mü§te  benn  in  ber  ?agc 
fein,  in  ber  ic^  nic§t  iüar,  über  alle  bie  S)iuge,  bereu  ^cnutui§ 
ber  !^efer  mitbringen  foöte,  im  $?auf  ber  Ö5ef(^ic§t§barftcßuug  fetbft 
fic^  mit  auSreic^enber  5lu§fn'^rUc§!eit  verbreiten  §u  "fönnen.  5lber 
aud}  trenn  bie  ^^orbernug  ber  Popularität  fo  üerftanben  trirb;  trie 
fie  im  gegeutuärtigen  ?^all  ber  9^atur  ber  ®a^e  nad§  aüeiu  üer* 
[tauben  tnerben  !ounte,  legt  fie  immer  nod^  mand^c  Sf^üdfid^t  auf, 
bie  bei  einem  au^fd^lie^lic!^  auf  bie  gac^geleljrten  bercdjneten  ^e- 
fd)ic§t§njer!e  tücgfalleu.  ^^  bnrfte  meine  2)arftellnug  mit  feinem 
umfängli^en  ^Ipparat  üon  Dueüeubelegen  belaften,  uub  gab  be^* 
Iptb  etnja§  genauere  S'Zac^iueifnngeu  in  ber  Sf^egel  nur  ha,  wo  ic^ 
mic^  in  ber  Sluffaffung  ober  ber  iBeljanblnng  meinet  (^egcnftaubcS 
uon  meinen  Vorgängern  gn  njeit  entfernte,  um  ben  ^efer  an  fie 
üermeifen  §n  !önnen.  ^dj  !ounte  au§  ber  älteren  uub  neueren 
$?iteratur  be§  gad)c§  nur  fe^r  tüenige§  anfüljreu;  uub  njie  ic^ 
meine  ^biüeic^ungen  Don  frül)eru  33earbeitern  nur  in  ben  feltenftcn 
fällen  nä'^er  begrüiiben  !onute,  fo  mu^te  ic§  an^  für  getuöl^nlic^ 
barauf  üer5id)teu,  ber  Uuterftü|uug ,  bie  mir  Don  i'^nen  getüorbcu 
ift,  auSbrüdlid^  §u  ertt?äl)nen ;  tt)e§'^alb  e§  mir  üergönnt  fein  möge, 
tucnigften§  ben  beiben  SD^ännern,  bereu  Ser!e  beut  meinigen  bie 
mcifte  ^örberung  gebracht  Ipbcn,  ©bnarb  ©rbmann  m\i) 
it'uno  ?^ifc^cr,  ben  2)au!,  gn  beut  id)  mic^  il}nen  gegenüber 
ücrpflii^tct  fül)Ie,  au  biefcm  Ort  anggnfprcd^cn.  31ud^  in  ber 
2)arftellung  ber  pt)tlofDpl}if^cu  ^-?(ufid}tcn  fclbft  mu^te  iä)  über  mau^ 
d)c§,  \va§>  eine  cingcl}cnbe  ^efpvcc^ung  an  fid§  tuol^l  üerbient  Ijättc, 
leichter  l)inn?cggc^en ;    ic^   founte   ben   inneren  3"f'^i"»ic"'§^"9  ^^^'^ 


SJoriüDvt.  VII 

bic  tüiffcnfc^aftüd^e  S3egrünbung  beifetBen  oft  nur  mit  uieuigeu 
(Strii^cn  aubeutcn  imb  mu^te  uicie  tüertJjüDÜe  (Sin^eluntcrfud^imgcn 
uub  iBcmer!imgeu  unberührt  tafjen  ober  mit  ein  )i)aax  flüchtigen 
SBorten  auf  fie  ^iutueifcn.  ®o  leb'^aft  lä)  bie  (Sd^ran!eu  cm^faub, 
bic  meiner  Arbeit  baburc^  G^^'^S^^^  traren,  fo  bnvfte  id)  bod^  nii^t 
bcn  55erfnc^  mad^en,  fic  gn  iibcrf|3riugeu ;  unb  t^  !anu  nur  wini' 
ft^cn,  ba§  meine  ©arftefiung  iDcnigften§  I}iutcr  beut,  \va^  fic^ 
inncv()alb  berfelben  leiftcn  üe§,  nicC)t  aü^uttjeit  gurücfbicibe. 
^eibelberg  int  (September  1872. 


|50rmrtit  jur  jurntrn  ^luflnge. 

©eit  ha§  obige  nicbcrgcfd^rieben  tüurbc,  tüaren  nod^  nic^t  ^\vd 
Qaljxi.  üerflofjeu,  at§  mir  bie  35crlag§^anbluug  auÜiubigte,  bajj  fid) 
bie  ^Jiotl^tücubigfeit  einer  gtüeiten  Auflage  {)erau§geftcllt  t}abe.  ^c^ 
beburfte  eben  aßer  meiner  freien  ^^it,  um  einen  ®aub  meiner  ÖJe* 
fc^ic^te  ber  grie^ifd)en  ^>f}i(DfD^t}ie  für  bie  britte  5luflage  üorgube- 
reiten,  uub  fc^on  biefer  Umftaub  Ijätte  mir  eine  ciugreifenbere  Um- 
arbeitung be§  üorliegenbcn  2Ber!e§  verboten,  ^nbeffen  fc^ien  mir 
eine  folc^e  auc§  an  [id^  fetbft  nic§t  erforberlic^  gu  fein-  ^d^  begnügte 
mtd§  bal}er  mit  einer  fDld)eu  ütcoifion  ber  erften  '2ln§gabe,  n?et^e 
über  einjetuc  (Srgän^uugen  unb  iBerbefferungen  nid^t  I}inan§gieng, 
3J[ud}  bcn  testen  5tbfd^uitt  biefer  (Schrift  tonnte  id^  mi^  uid§t  ent* 
fd§Uc§cn  njefentlid}  umsugcftalteu ,  toieujol^t  id^  Ijier  immerl^in  gu 
ergänjenben  3"fä^cn  oer^ä(tuij^mä§ig  am  meiftcn  ißeranlaffung  faub, 
ba  bie  ÖJrünbe,  tüelc^c  meine  ^e(}aublimg  be§fclben  früt)cr  beftimm- 
teu,  t>on  i(}rem  ÖJetüidjt  für  mi(^  nid§t§  oertoren  l^atten;  unb  iüenn 
e§  mir  (gingetne  uad^brüdlid)  genug  t)orI}ieIten ,  ha^  id§  fie  unb 
i'^re  ?^rennbe  nid^t  genannt  ober  i:^re  33erbienfte  uid^t  gu  lüürbigen 
getrübt  l}abe,  fo  !onntc  bie^  für  mid§  felbftüerftänbüd^  fein  (^ruub 
fein,  mein  eigenes  Urtt^eit  frembcn5lnfprü(^en  unterporbnen.  2)er3ttJed 
bicfeS  5lbfd^mtt§  fd)eiut  übrigens  ni^t  feiten  mi^oerftanben  ttjorben 


VIII  33oiiDort. 

311  [ein.  Sas;  id^  ^icr  geben  tüoütc,  n?ar  toeber  eine  ©tatifti! 
ber  ^f}i(ofop^en  noc^  eine  Ueberfic^t  über  bte  ^t}iIofo^t|tf(^e  Literatur 
nnferer  S^agc;  fonbern  e§  foüte  üon  ben  üerfc^tebenen  ip^ilofo^^tfc^en 
(Stuten  unb  9?ic^tiingcn,  welche  in  b.n  legten  -Q'^^il^^^i^^^it  einen 
bcmcrfbaven  (Sinflu§  geübt  f)aben,  ein  gebrängtcS  33i(b  gegeben,  ber 
gegenwärtige  3"fi^J^^  ^^^  bentfc^cn  ^^ilDfo|3^ie  an  ifjnen  gnr  2(n= 
fc^auung  gebracht  n^erben.  2Ber  nnn  in  einer  folc^en  2)arfteünng 
anSbrüdlid)  ^n  ertüä^nen,  nnb  tpie  eingct^enb  jeber  gn  bef^rec^en 
[ei,  barüber  toirb  man  nic^t  feiten  gnjeifel^aft  fein  fönnen,  nnb 
bie  @ntf(^eibnng  n^irb  nii^t  blo§  üon  bem  objefliüen  Sert^  beffen 
ab'^ängig  gemacht  tüerben  bürfen,  \va^  ber  ©ingetne  für  bie  SBiffen- 
f(^aft  gcleiftet  l)at,  ober  gn  (eiftcn  im  «Stanbe  ift.  Um  bie  %n^- 
breitnng  einer  ^Sc^nle  nad}§nn)eifen,  !ann  c§>  angemeffen  fein,  auc^ 
fo(d)e  SJiitglieber  berfelben  gn  nennen,  öon  benen  feine  eigent()üm= 
tiefen  ^eiftnngen  gn  öer^eic^nen  [inb;  tüä()renb  anbere,  üicÜeic^t  felb-- 
ftänbigcre  ^f)i(ofo|3t}cn  gerabe  be^^lb  übergangen  tüerben  muffen, 
meil  [ie  \\d)  feiner  üon  ben  befannten  ©c^nlen  gngät)(cn  laffen,  nnb 
i^r  <3tanbpun!t  [ic^  mir  biirc§  eine  nac^  i^rer  33ebentnng  für  ha^ 
ÖJan^e  unüer^altnijjmä^ig  ausführliche  ^cfprec^nng  barlegen  Iie§e. 
Ö5elel}rte,  meiere  fi(^  um  bie  Ö5efcf)id^te  ber  ^§iIofo^">l)ie  ba§  i)öc^fte 
^erbicnft  ern)orben  f)aben,  muffen  üieüeic^t  ungenannt  bleiben,  ujeil 
fic^  il)re  an  bie  Ceffeutlic^fcit  gefommenen  SIrbciten  im  njcfcnt- 
lid)en  auf  bicfeS  (Gebiet  befc^ränft  ^ben,  tucnn  and^  i^re  afabe* 
mifc^e  Sel;rtt}ätig!eit  bie  fi}ftcniatifc^e  ^l)ilofDpI)ie  in  allen  2;i|eilen 
mit  umfaßt,  ^n  einem  überfid)tlic^en  ^eric^t  über  unfertige  Qu' 
[täube  laffen  fid^  mand)e  Uug(cid)l)eiteu  ber  9Jatur  ber  <Bad]c  nac^ 
ni(^t  üermeiben;  fo  meit  mir  bie^  aber  möglid)  mar,  l^abe  icE| 
mic^  bemüf)t,  auc^  in  biefcm  ':}tbfd}uitt  jeber  gcfc^ic^tUd^cn  (Sr- 
fd}cinuug  gerecht  gn  merben 

53erUn,  9.  ^uiii  1875. 


9nl)al'i6Pcr5ctd)ntf^. 


©eite 

Einleitung:    2)ie  beutfdje  ^t)ilofop^ie  öot  Ücibnij 1 

SSetl^eiltgung  ber  Seutfc^en  au  ber  mittclaltevlic^eu  ^^J^itofopl^ie  —  1.  2)te 
@d)o(aftif  —  2.  'JIutifc^Dlafti)c^e  Seftrcbungen  —  3.  ®ie  beutfdöe 
SR^ftit:  (Jrftjart  —6;  feine  Schute  —  U.  'i}>aracelfu§  —  10;  »ermanbte 
Sit'^tuugen  —  12.  ^.  Sö^me:  feine  'i^evfönlit^teit  —  12;  Sljaratter 
feines  sgijftemS  —  14;  bie  ®ott^eit  unb  i^ve  Offenbarung  —  15;  Xn= 
nttot,  9?atur  in  @ott  —  16;  bie  2)latevie  unb  ba§  33öfc,  bie  SBelt  unb 
it)ve  @efcf)i(^te  —  17.  2)  er  ^umanifmuS  unb  bie  Siaturraiffen- 
fc^aft  —  19.  m\Man§  t.  ßueä,  9teud)Iiu  u.  21.  —  20.  2)ie  9tefDr-' 
mQtion  —  21.     ?ut(}er'§  SBer^ältniß   jur   ^^üofoptiie  —  23.    Sroingli 

—  25.  2ßeIauc^tf)on :  pt^irof.  ötanbpunft  —  26;  2)ialettif  —  28;  2)Zeta- 
p^pfit  unb  ^:})t}pfiE  —  29;  ^43f9c^ologie  —  30;  St^it  —  31.  2)Jelanc^tt)on'§ 
<Sc^uIe  34;  Dlbenborp  unb  Sintlev  —  36.  2)  er  Siomi  f  mu§  —  38; 
feine  beutfc^en  2üi{)änger  —  39.  SanreHuS  —  40.  2>ie  engtifd^e, 
franjöfifc^e  unb  ^ollänbifc^e  ''4>^itof op^ie  bog  17.  ^o^r-- 
buubcrtS:   5Baco  —  42;    §obbe§  —  43;    ©affcnbi  —  45.    2)e§carteg 

—  46;  ©eulincf  —  49;  2)?a(ebranc^e  —  50;  Spinoza  —  51.     ©rotinS 

—  54.  Herbert  ü.  (Sl^erbur^  —  .55.  2)ie  8feptiter  —  56.  iDc^ftiter, 
9JeupIatouifer  unb  2^eofopt)eu  —  57.  S}eutfcl;c  2In^änger  unb  ®efinnir.ig§= 
genoffen  biefev ''|.U}iIofDp:^en:  «gennert  —  60;  beutfc^e  Sarteftaner  —  61; 
eturm  —  63;  .^irn^a^m  —  63;  ^uugiuS  —  63;  ^ufenborf  —  65. 

Grftcr  Slbfc^nitt    Son  ScHuij  Mö  auf  Sant. 
I.  feibutj. 

1.  ©ein  ?eben,  feine  'iperfönlic^feit  unb  feine  ©d^riften .      69 

;3ngenbjat)re,  5tufentt)aU  in  aJJain^  unb  ^axiS  —  69.  ?cibnij  in  .fjanuoüer 

—  70.     Sßiffenfdjaftacbe  Ibätigteit  —  71.     2:ob;  G^arafter  —  73. 

2.  Üeibnia  al§  'i^bifofopb ;    fein  roiffenfdjaftlic^er  ©tanbpunft;    fein  i^ert)ältni§ 

ju  feinen  S5orgängern ^ 74 

SBiffenfc^aftlic^e  ©teüung  unb  (Sigent^ümlid^feit  —  74.  Aufgabe  ber  '^3^i- 
lofop^ie  —  75.  2)2etf)obe  —  77;  ber  p{)i(ofopt)iic^c  ÄalfuI  unb  bie  attge» 
meine  e^arafteriftif  —  78.  2)ie  beutfc^e  ©prad^e  —  79.  i^cr^äftiüB  ju 
ben  grüneren :  Irifioteleä  unb  bie  ©d^olaftit  —  81 ;  Socp  unb  bie  SItomiftif 
81;  2)e§carte§  unb  ©pinoga  —  82;  bie  S^cofop^ie  —  84.  S3ebeutung 
ber  Sicligion  für  5;?.  —  84. 


3.  !Dte  metapti^ftfd^e  ©runbrafle  bc§  tcibnijjifc^cu  @^ftem§,  bte  ajionabcn    .    .      86 

Sie  ©ubftons  als  Äroft  —  86.  ®ie  Tlom§  —  87.  (Sutfte^ung  unb 
Sllter  ber  SRonabenlel^re  —  88.  @tgenf(f)aften|  bcr  SKonabe;  principium 
indiscemibilium  —  90.  S5ovfteCung§t^ätigtett  ber  aKüiiaben  —  91.  Un» 
terfd^iebe  be§  9>orftenen5  —  92.  ^räftabilirte  Harmonie  —  93.  SttWoität 
unb  ^afftüttät  ber  SOZonaben  —  96. 

4.  ®te  ^örpcrmclt  unb  i^re  ©efe^e 98 

Sie  ÜWatetie  —  98.  9Wed^anifc^e  unb  b^namifdje  gjaturanfic^t  —  100. 
Sie  ©tetigfeit  unb  bie  @rf)aUung  ber  Äraft  —  102. 

5.  Sie  tebenben  SBefeu,  ber  aO^enfd^ 105 

(Seele  unb  Scib,  (Süolution  unb  ^nbolution  —  105.  'Jladtt  2)ZonQben, 
2^ier=  unb  2rienf(^enfeclen  —  107.    ^räefiftenj  unb  Unfterblid}!eit  —  109. 

6.  Ser  9Kenfd^  al§  üorfteaenbe§  SBefen,  bie  teibnisifd^e  @rfenntni§t^eorie  .     .     110 

(Sntfte^ung  ber  S3orpetfungcn,  SBa^rnel^mung  unb  Scnfeu  —  110.  SJer^ 
nunft  unb  (Srfa^rung  —  118;  notbttjenbige  unb  sufäüigc  Ü[ßa^rf)citen  — 
114.  @a^  be§  iffiiberfpruc^g  unb  be§  ®runbe§  —  115.  mtxtmalt  ber 
SBa^r^eit  —  116.    S3ebeutung  ber  ©rfabrung  —  118. 

7.  Ser  mtn]ä)  al§  l^anbelnbeS  SBefen,  bie  (St^if 118 

Ser  5Biße  —  118.  2«Dralprincip  —  120.  Sag  ^iä)t  —  122.  SaS 
pofttiöc  'Stiäjt,  ber  ©taat  —  123. 

8.  Sa§  SBcItganje  unb  bie  ©ott^eit    .    • 124 

Sie  präftabilirte  Harmonie  —  124.  S^eroeiS  be§  SafeiuS  ©otteS  —  125. 
©otteSbegriff  —  128.  Sie  befte  SBcIt  unb  if)re  9fot]^»enbig!eit  —  128. 
ScterminifmuS  —  182;  Söoüfommeu'^eit  ber  fßelt  —  183;  S^eobicee  — 
134;  U§  Söfc  —  140.    Sranfcenbens  @ottc§  —  143. 

9.  Sie  ^Religion 145 

SBefen  ber  9?eIigion  —  145.  Sog  ^^^ofitibe  in  ber  ateligion,  UnionSbcftreben 
—  147.  2tu§erd}rift{ic^e  gteligionen  —  150.  Seibnij'  ©teüuug  jur  fird^= 
lidjen  Sogmatif  —  150.  55ernunft  unb  Offenbarung  —  152.  SBunber  —  153. 

10.  ^eitgenoffen  bon  ?cibni3:  Sfcl)irnt)aufeu  unb  SbomafiuS 158 

Sfd^irubaufen  —  158.  ©eine  9)iet^obolDgie -- 159;  fonftigc  Sfuftd^ten  — 
161.  S^omafiuS  —  162.  ©ein  ©tanbpnnft  unb  ©barafter  —  163.  Sbco-' 
retifc^e  2BeItanfi(^t  —  166.  Stecht  unb  moxal  —  167.  ©taatSle^re  —  169. 

II.  Itlolff. 

1.  Solffg   ?eben;   S^arafter,   2«et^Dbe    unb  Steile  feiner    ^bilofop^ie    .    .    172 

SSoIff'g  ?cben  —  172.  33er^UniB  ju  i'eibnis  —  173.  ©c^riften  —  174. 
©tanb^juuft:  ?(uf!lärung  be§  5Berftanbe§  —  174.  9}{cti)obe  —  175.  9ia« 
tionateg  unb  empirifd^eS  SBiffen  —  176.  Steile  ber  ^bilofopbic  178. 

2.  Sic  Sogif  unb  ber   ontologifcbe    Sbeil  ber  2)fetapb^ft^ 180 

l'ogif  —  180.  Cntclogie  —  183.  Sa§  (Sinfad^e  unb  Swf^iwmcngefc^te  — 
185;  ba§  (Snblic^e    unb  Unenblit^e  —  187.    . 

3.  Sie  Äofmologie ' 188 

Sie  ÜBelt,  bie  Äörper,  unb  ifjre  (Slemente  —  188.  Sie  SJerbinbungcn  ber 
(Slcmenie  —  191.  Äcaft  unb  Ü3eTOcgung  —  193.  Sie  9Zatur  —  194. 


3n^aU§»cräet(^nt^.  XI 

4.  ®ic  'ipi^d^otogie 195 

S)te  (Seele  —  195.  ©vfenntnt^üermögen,  a)  ba§  ntcbcte  —  196.  b)  ba§ 
pl^ere  —  198.  iBegel^rungSöci-mögcn  —  199.  @eele  mtb  Üetb  —  201. 
SJienfc^en'  unb  2:ljievfeelen,  ^räeftftenj5  unb  Unftcvblic^feit  —  202. 

5.  3)ie  natürliche  2;^eotcgie 203 

SScweife  für  ba§  2)afem  OJottcS  —  203.  ©otteäibee  —  205.  (Sott  uiib 
Söelt  —  206;  Seleologie  -  207. 

6.  S)ie  praftifc^e   ^>{)ilDJop^ie 209 

(Sl^aratter  unb  ''^rtncip  ber  »olffifcfjcn  SlJoral  —  210.  @^)ecielle  Ttoxal  — 
212.  9Jaturrec^t  213;  ber  etaat  —  216. 

7.  2BoIff'g  gefd/ic^tüc^e  Stellung  unb  «ebcutuug 220 

III.  jDic  bfutrd)c  |3l)iloropl)tc  nad)  lüolff. 

1.  ®egner  ber  »olfftic^en  '^ptiilofop^ie,  bie  (Sflefttter 223 

«ubbeuS  —  224.  ©unbling  —  225.  9tübiger  —  225.  (SrufiuS  —  226. 
2)ar|e§  —  228.  Sroufas  —  229. 

2.  2)ie  molffifcfic  Schule 231 

a^ümmig  unb  «ilfinger  —  231.  58aumgavtcn  233 ;  feine  Stcfttjctit  —   23.5. 

2«eicr  —  237.  ©ottfc^eb  —  237.  ^^3(oucquet  unb  Lambert  —  238.  55er-' 
^ttuij3  pr  2;f)eolDgie:  ort^oboje  SBolffianer  — ;  240;  3tationaIiften  — 
241;   §.  B.  gfieimaruS  —  242.  Sreuj  —  246. 

3.  ®ie  »olffifdie  ^^ilofopfjie  in  SBerbinbung  mit  anberen   ©taubpuntten;   bie 
2luftIärung§p{)itofop^ie        248 

entftef)ung§grünbe  —  248;  englifc^e  unb  frangöfifc^e  (£inf(üffe  —  249. 
et)arafter  ber  2tuff(ärung§pf)irofop^ie  —  250.  ©uljer  —  254.  ^(atncr  — 
258.  Srrcing  —  260.  Jiebemann  —  261.  2cten§  —  261.  ^ttitx  — 
265.  SWeinerS  —  266.  ®ie  ^]3opuIarp^iIofop^en  —  267.  SSafebom  —  271. 

4.  2«enbel§fo^n 272 

Seben  unb  ^^3erföntic^!cit  —  272.  ©tanbpunft  —  273.  'pfijc^otogie  —  277. 
moxai  unb  '^Vifit  —  279.  ^^eologie  —  279. 

5.  l'effing 284 

Seffing'g.  35ert)äaniB  jur  ^^3f)irDfopt}ic  —  284.  (grfte  pi)itofop^ifc^e  ©c^rif-- 
ten  —  287.  Späterer  Stanbpuntt  —  290.  ^nbiüibuaUimuS  —  291;  leib- 
nisifc^c  2«ctapl)tjrif  ~  294.  ^:pant^eiftifc^e  ^been  —  297 ;  a>ert)äUniB  ju 
Spinoza  —  298.  Äunjlanfidjten  —  301.  ©eine  2Iuffaffung  ber  atetigion  — 
304;  SPefen  ber  gieligton  —  305;  pofitiöe  g^eligion  —  306;  Urt^eitc 
über  bie  3eitt^eoIogie  —  308;  wefentücfieS  unb  sufäßigeS  in  ber  ^Religion 
—  311;  bie  eräicf)nng  be§  9)tenf(^engeic^Ie(^t§  —  312. 

Saeitcr  5H)id)nitt.    SJon  .^ant  bi§  auf  bie  ©cncnirort» 

(äinleitnng ^1^ 

®ie  au^erbeutfc^e  ^^^^itofopfiie :  ?o(fe  —315.  SBerWci)  —  316.  .§ume  — 
317.  ffteib  unb  bie  f^Dttifd)e  ©d^ule  —  318.  2)ie  natürtid^e  Stieologie  unb 
bie  moxaX:  Slarfe,  ?Bo«aflon,  ©^afte^burl^,  ^uttfjeion,  51.  ®mtt^  —  319. 
ecnbitlac  unb  §etuetiuS   —  321.  Samettrie,   2)iberot,  §Dlbac^   —  322. 


XII  .QnljaUSüerjeic^mg. 

iHouffcau  —  324.  ®te  beutfc^e  5lufflävung  —  325.  Äant  unb  leine  dlad)= 
folger  —  326. 

I.  Immanuel  Jk&nL 

1.  Äant'3  Seben  unb  <Sd)viften :  iciuc  ^j^ilofop^ifc^e  SntmicKung  nnb  fein  iStanbpunlt    328 

Lebenslauf  —  328.  2eibntä=tt)Dlfftfc^e  ©c^ute  —  329.  "(£rpe  (Schriften :  über 
bie  lebenbigen  Äräfte  —  330;  X^eorte  be§  §tmmel8  —  331;  fonfiige 
(Schriften  öou  1754-59  —  333 ;  Bon  1762—04  —  334.  §nme'S  (Sinflug, 
Sräume  etneä  ©eifterfe^erä  —  337.  ^^nauguralblffcrtation  uub  fpätere 
öd^riften  —  339.  ©tanbpnntt  unb  Steile  ber  fanttf^en  ^^Uofop^ie— 340. 

2.  ®aS  fantifc^e  @>)ftem.    ®te  Äritif  ber  reinen  SJernunft :  a)  bie  äJiöglid^feit 

unb  bie  Sebinguugen  be§  erfabrnngSmä^igen  @r!ennen§ 341 

Stnfgabe  unb  ^auptrejnltate  ber  a>ernunftfritif  —  341.  jEranfcenbentde 
aieft^etif:  3iaum  unb  3eit  —  344.  Sranfcenbentale  Slnatijti! :  bie  Äate-- 
gorieen  —  346.  2)ie  probuttioe  (äinbilbungSfraft  unb  ba§  ©c^ema  — 
348.  Sie  (Srunbfäl^e  —  350.  Sfpriorifc^e  nnb  cmpirifc^c  etemcnte  ber 
35or[teIInngen  —  351.  ®aä  ®ing  al§  gegebenes  —  351.  'ippnomenen 
unb  9foumencn,  tranfcenbentalcr  QbealifmuS  —  354. 

3.  ^ortfe^iung:  b)  bie  Unmöglid^feit  eines  SBiffenS,  »elcbeS  über  bie  erfa^- 
rung   binauSgebt 357 

äJernnnft  unb  33erftanb,  baS  Unbebingte  —  357.  ®ie  metap^vfifdjeu 
2Üiffenfcba[ten:  bie  ''.)3j^£boIogie  —  358;  bie  Ä'ofmologie  unb  ibre  Sintino- 
mieen  —  359;  bie  S^eologie,  bie  SSenjeife  für'S  S)afein  ©otteS  —  363; 
(£rgebni§  —366. 

4.  ®ie  praftifdbe  Sßernunft  unb   baS  ©ittengefe^ 367 

3ufammenbang  ber  praftifcben  ^bilofopbie  mit  ber  tritif  ber  reinen  58er= 
uunft  —  367.  2)er  fategorifc^e  ^mperatiü  —  367.  3)ie  greibeit  —  368. 
3)ic  ftttlicben  ^Rotiüe  —  369.  ^reibeit  nnb  9JatnvnotbiDeubigteit,  '.prabeter^ 
miuifnniS  —  369.  2)ic  Unfterbad)teit  unb  baS  2)afein  ©otteS  —  370. 

5.  2)ie  UrtbcilSfiaft;  bie  äftbetijcbe  unb  bie  telcologifdje  ißetra^tung  ber  2)ingc.     372 

S)ie  Urtbeilsfraft  ai§  beftinimenbe  unb  refleftirenbe  —  372.  2)qS  ©cböne 
uub  ^inedmäisige  —  372.  S)ie  ä[tt)etifdje  UrtljeilSfraft  —  373,  ®ie  teteo= 
logifcbe  Siaturbetracbtung,  ber  OrganijmnS  375. 

6.  2)ei  boctrinale  Xijt'il  ber  fantijcbcn  ''^3biIoiopt)ie :  bie  9?aturp]^iIofDpbic    •     •    379 

3J?ctapf}^fif  bei-  9Jatur  —  379.  ^^^boronomic  —  379.  S^namit,  Sonftvuc-- 
tion  ber  iöiaterie  —  379.     2)fod}anif  —  381.   ^bänonienologie  382. 

7.  2)ie  aJictapbVfif  i?«  Sitten:  $Rcd)tSlel)re   unb  ©efdbic^tSanfiiibt 383 

9ied)tSlebre :  baS  9{ecbt  —  383.  Sie  uatürlicbeu  9{ecbte  —  384.  2)cr  ©laat 

—  388;  fein  Urfprnug  388;  feine  SInfgabe  —  390;  ©taatSüerfaffmig  — 
390;  ©tiafred;t  —  393.    23Dlter-'  unb  Seltbnrgerred;t,   ber  eiuige  griebe 

—  394.  S)ie  (S)efd)icbte  —  396. 

8.  govtfe^jung  :  bie  Sngenbtebre  unb  bie  9le(igionSp]^iIofopbie 396 

2)ag  ©itteugefefs  unb  bie  Xngcnb  —  396.  ®ie  ÜLugcnbpflidbten  —  399. 
®ie  9ieIigion  —  401.  2)aS  ©briftentbum  —  401.  Sie  pofitiöe  9veligiDn  — 
403.    i)er  Äird;cnglaube  unb  ber  iüernunfiglanbe  —  406. 


3n^attSteräeici)m^.  XIII 

9.  2)cr  S^arafter  unb  bte  gefc^td^tüc^e  Sebcutung  ber  fanttfd^en  ^l^ilofopl^ie    .    409 
Sant'S  SSer^ältni^  511   feinen  5Borgängern  —  409.     ®q§  etgentl^ümltd^e 
feines  ©tanbpunftS,  fein  ^beafifmuS  —  411.  3ufanimenl^ang  be§  Softem« 

—  412.  ©ein  ^^ealifmnS  nid^t  boQpnbig  burd^gefü^rt  —  413. 

II.  ^ant'a  ^nljängtr  unb  (Segner;  bte  6laubcnsp|)ilofopl)ie. 

1.  ®ie  fantifd^e  @d^u(e,   i^re   Sluäbreitung  unb  Seftreitung     ......    415 

2)ie  Äanlianer  —  415.  @inf{u§  ber  fantifd^en  ^l^ilofopl^ie  auf  bie  übrigen 
SBiffenf^aften  --  417,  befonberS  bie  Sfieologte  —  418.  tant'S  ®egnev  420. 

2.  ®ic  @Iauben§pt)Uofop:^ie:  §amann  unb  §erber    .■" 422 

2)ie  @Iauben§p^iIofop^ie  —   422.   ^amann:   ^erfönlic^fcit   unb  S)enfart 

—  423 ;  bie  (Erfahrung  unb  ber  ©laube  —  424 ;  SSeflreitung  tant'S  unb 
2)'ienbe(§fo^n'§  —  427.  §erber:  p^ilofop^ifc^er  Sl/aratter  —  427.  ©r- 
fenntni^t^eorie,  bie  ©prod^e  —  430.  S^eotogie  unb  SKetapti^fif  —  432. 
<|>f)i(ofDp^ie  ber  (gefc^ic^te  —  434.  gtetigionSanfic^t  —  435.  ^teft^etif  —  436. 

3.  ^ortfe^ung:    i^acobi 436 

^acobi'ö  2eben,  ';^erfönlic^feit  unb  ©eutroeife  —  437.  üTcittelbareS  unb 
unmittelbares  Siffen  —  439.  Stellung  3U  jiaut  —  442.  9Jaturanfic^t  — 
444.  (SotteSgfaube  —  444;  33ev^ältni6  jur  pofitiocn  3f{eIigion  —  446. 
grei^eit  unb  Uuflerblic^feit  —  448.  ®ie  2:ugenb  —  449;  l'cbcnlanfid^t  — 
451.    3acobi'5  p^ilofoptjifd^e  33ebeutuug  —  453. 

4.  ?[n!^änger  ;3acobi'8;    SBerbinbung   jacobi'fd^er  unb  fantifd^er   ^^ifofoptjie; 

3-  ^-  5rie§ 454 

5tu^ängcr   ^acobi'S   —  454;   SBouterwef  —  454;   i«ceb  —  455.    gricS 

—  456.  25er^ättniö  ju  Äant  unb  ^acobi  —  456.  Sie  erfa^rungSer- 
fenntniB  —  458.  2)er  manbt  —  459.  3)ie  5I^nung  unb  bie  praftifd}en 
3been  —  460.  5rie§'  ©c^ufe  —  462.  S^r.  2Beifj,  §erine§  —  463. 

III.  Jlie  ^'Ortbilbung  ber  kantifd}fn  pi)ilofopl)tf   jum  fubjrkliucn  .Sbealifmus. 
%  <5.  Jitf)te. 

1.  Siein^olb,  ©d^ulje,  2Jiaimon,  Secf 464 

SRein^olb  —  464;  fein  Äantianifmu?  —  465;  S^eorie  be§  SorfiettungS-- 
bermögenS  —  466;  fpätere  ®tanbpuu!te,  53arbili  —  468.  —  ©d^ufge: 
3tenefibemnä  —469;  Slnuä^erung  an  S^acobt  —  472.  SKaimon  —  472; 
Äritif  Äant'ä  —  473;  (Scfenntnißt^eorie  —  474.  aJioratprincip  —  477. 
Sed  —  477. 

2.  2)ie  SBiffenfd^aftSte^re.     ^\i^\.t'%  üeben  unb  ^erfönlid^teit  unb  bie  «ßrinct- 

pien  feines  @i)ilem8 480 

gic^te'S  Seben  —  480 ;  ©^aralter  —  482  ;  p^ilofopl^ifd^er  ©tanbpunft, 
3beaUfmu3  unb  üDogmatifmuS  —  484.  2)a8  3c^  unb  baS  92ic^ti(^  — 
486.  2I)efe,  3Intit^efe,  ©pm^efe  —  488. 

3.  2)er  tt)eorctifd^e  Vc^vX  ber  2Biffenfd^aftSle^rc 489 

SBed^fcrbeflimmnng,  Saufatität,  ©nbflantialität  —  489.  'probu'ttiüe  @in= 
bilbungSTraft  —  490.  ©mpfinbung,  Slnfd^auung,  5Berj!anb,  Vernunft  — 
491.  33ebeutung  bicfer  ©vörterungen  —  492. 


XIV  ^n^altSbcrscid^niß. 

4.  S)te  prafttfd^c  "ip^ilofo^l^te 493 

®a§  pra!tif(f)e  ^rinctp  —  493.  9?aturrecf)t  —  495.  S)er  ©taat  —  497; 
bic  ^^l^afen  bev  fid^te'fd^en  ©taatSfe'^ve  —  498.  ©ittetttcl^rc :  9KoraIprtndp 
—  500;  bie  fittlidje  enttüidlung  unb  ba§  «öfc  —  502;  S^arafter  bcr 
fid)te'fd&en  aWorat  —  502.  2)ic  SieUgion:  bie  ntoralifdje  SSettorbnung  unb 
ber  ®otte§6egrtff  —  503;  bte  :)3ortttüc  9fieügton  —  505. 

5.  ®tc  fpäterc  ©cftalt  ber  fid)te'fd^en  ^^>^iIofop{)te 506 

SSiberfprüc^e  be§  fic^te'fc^en  @^[tem§  —  506.    Slümäl^üdie  Slenberung  bc§= 
jelben  —   508.    ©t^ätere  5?e!^te  509;    il^r  ^ßerpltniß  ju  ber  urfprüng? 
liefen  —  510. 

6.  ©editier  unb  SB.  o.  §umbotbt 512 

©d^tüer:  5lnf(^tu^  an  Äant  —  512;  §inau§gel^en  über  Äant  in  ber  2leftl^e= 
tif  unb  et^if  —  514.  §umboIbt  —  516. 

IV.  ^djcUing. 

1.  ©d^eüing'S  J?cben  unb  p'^ilofop^ifd^e  ©ntwicflung 518 

Slnpnger  ber  SBiffenfci^aftSlel^rc  —  518.  ©d^eßing  —  519.  ©tabien  feiner 
p:^itofop^i|ci^en  (Sntwidlung  —  521.  Stnfd^Iug  an  griü^erc  —  522. 

2.  2)cr  tranfcenbentale  ^beaüfmu§  unb  bie  ?Jaturp]^iIofDpt)ie    • 523 

(Srfte  p:^iIofD|)t)ifci^e  Strbeiten  —  523.  Slbl^anblungcn  jur  (Srläuterung  ber 
SBiffenfiaftSleire  —  525.  9?aturp^irofDpit[(^c  ©c^riften:  ^been  —  526; 
öon  ber  SBeltfeele  —  529;  ©J)[tem  ber  Df^aturpl^itofopl^ie  —  531.  ©Aftern 
be8  tranfcenbentalen  igi'catHntuS  —  534;  bie  tfieoretifdie  ^l^itofoptjie  — 
535;  ^)raftij^e  ^pofop^ie  536;  Seleologie  unb  2tefti)etif  —  538» 

3.  Sic   ^bentität§pi)iIofop^ie 539 

„jDarfteßung  meines  ©Jjftemä"  —  539.  SBrnno  unb  „fernere  ©orftel-- 
Jungen" :  ba§  Slbfolute  ~  542;  ba§  ^beeöe  unb  JReelle  —  543;  Die 
D^iatur  —  545;  bie  gciftige  2BeIt  —  545.  95orIefungcn  über  ba§  afabe= 
mifc^e  ©tubium  —  546. 

4.  ©d^eüing'S   Uebergang  jur  2;f)eofopt)ie 549 

Süden  be§  ©t)[tem§  —  549.  „^l^ilofopl^ie  unb  9icIigion"  —  550.  ©c^mant'en 
ättjifdjen  :3beutität§pt)iIojop^ie  unb  Sl^eofopl^ie  —  552.  ®ie  ©c^rift  über 
bie  grei^eit  unb  bie  öerwanbtcn  Sarfteüungen :  bie  ®ottt)cit  —  554 ;  bie 
SBett  unb  i^re  (Sefc^ic^te  —  555. 


fi 


o. 


3:)ie   pofitite  ^^^UDfop^ie 5.58 

Sicgatitoe  unb  pofititoe   ^tjilofopljic  —  558;  bic   ^^^otcnjentel^rc   —  5.59; 
bie  pofitiöe  '^jl^itofop'^ic  —  560. 

V.  jDic  fd)ctliu(\tfcl)e  5d}ulc  unb  bic  il)r  «cnuanöten  pijilol'oplifn.  5tl)lctermad)cr. 

1.  2)ie  ^tomantitcr ;    ©otger ;  i\  SSerger .562 

®ie  romantifd^e  ©d^ulc  —  562.  D^obaliS  563;  2tn!nüpfung  an  ^id^tc 
—  564;  romantifc^e ';©ubjeftitoität  unb  SWijftif  —  564;  pautt)ciftif djc 
J^römmigfcit  —  566.'—  ^r.  ©d^Iegel  —  567;  frühere  ^>eriobe  568; 
fpätere  — 570.  —  .§aller  unb  21.  SRütter  —  574.  ©olger  — 574;  ©elbft- 
benntßtfein  nnb  Offenbarung,  bö^fve  unb  gemeine  ®r!enntni9  —  575.  ®ott  unb 
äBelt  — .577.  2)ie  Sconie  —  .578.  ®efammtuvtf)eil  —  578.  5Berger  —  579. 


2.  2tnfiänger  unb  S?erbefTerer  ber  fd^cüingtfd^cit  ^^ilofoip^ie 580 

Ätetn  —  580.  @)d)enma^er  —  581.  ©d^ubert  —  582.  ©tcffen«  —  582. 
Ofen—  584.  Sßagner  —  585.  Xtci^kv  —  587. 

3.  grans  SSaaber 589 

©tanbpuntt  unb  geifttge  ©igent^ümltd^teit  —  589;  S^eologie  —  590; 
Äofmologte  unb  Slnt^ropologic  —  591 ;  (St^tf  unb  ©odalp^Uofopl^ie  —  593. 

4.  Traufe 594 

Äraufe'^  'ißerfönUd)feit,  ©tanbpnnft,  2)arfteüung§tDctff  —  594.  Söer^äftni^ 
3U  5tci)te  unb  ©c^etling  —  596.    ©clbftbetnußtfein   unb   ®ottc§6ett>u^tfetu 

—  597.  ®a§  SBefen  unb  feine  tategorteen  —  598.  ®ie  SBett  —  599. 
2)te  yiatüx  —  599.  S)ie  SWenfc^^eit  —  600.  ^raftifdic  ^^ilofop^te  — 
601;  9fie(^t§p^irofop^ie  —  602.  ^^ilofop^ie  ber  QJefc^id^te  —  604. 

5.  ®d)Iciermad^er G06 

^^ttojop^ifc^e  (äntroicflung  unb  Sl^arafter  —  606.  ®a5  fanttfc^e  Clement 
feiner  ^^ilofoptiic  —  609;  Äritif  be§  (SrlenntnigüermögenS  —  610.  ®pi- 
nosifmuS  :  ©otteSiöee  —  613 ;  ®ott  unb  Belt  —  615.  Sebeutung  ber 
^erfönUc!)feit  —  617.  ®ie  9leligion  —  619.  ®ie  (ät^if  -  621. 

VI.  f^cgel. 

1.  ^egel'ä  Scben,  ©ntroidfung  unb  ttiiffenfd^aftlic^er  ©tanbpunft 623 

geben  unb  wiffenfd^aftlid^e  (gntraidlung  —  624.  ©tanbpunft,  3>ert)äUni& 
3U  ©c^eüing  —  627;  bialcftifcfie  3«et^Dbe  —  628. 

2.  S)ie  'ip^änomcnDlogie 631 

3wccf  unb  e^araftev  be§  SSer!§  —  631.  Sewußtfein.  —  632.  ©elbft- 
bemu^tfein  —  633.    SJernunft  —  633.  ®etfi  —  635.   gteligion  —  637. 

3.  ®ie  Sogif 637 

^auptt^eile  beS  ©^[temä  —  637.  ©pefulatitoe  unb  formale  i.'ogit  —  638. 
®o§  ©ein  —  639.  2)aä  Süefen  —  641.  2)er  S3cgriff  —  644. 

4.  9'?aturp'^itofDp^ic 645 

Sie  9?atur  —  645.    2}?ec^anif  —  648.     ^^pfif  unb  Orgonif  —  649. 

5.  Sie  ':)3{)iIofop]^te  be§  ©ci^cS;  a)  ber  fnbjeftitoe  (Seift 650 

2)cr  ®cifi  unb  feine  ©tnfen  —  650.  Slnt^ropologie  —  651.  '^ijänommo'- 
logie  —  652.  ^fjjd^ologie  —  652. 

6.  gortfe^ung  :  b)  ber  objeftibe  (Seift;  bie  9fied^t5p^ilofDpf)ie  unb  bie  ^£)ilofopt)ie 

ber  ©efd^id^te 654 

®a§  obftrafte  9iec^t  —  655.  ®ie  SRoralität  —  656.  3)te  ©itttic^feit  — 
657.  ®er  ©taat  —  659.  ®ie  Sßertgefc^id^te  —  662.    §cget  alS  ^Noütifer 

—  663. 

7.  gortfet^ung:  c)  ber  abfolute  (Seifi;  Slcft^etif  unb  $Retigion§pt)itofop^ie    .    .    665 

Die  Äunft  —  665.    Sic  «Religion  —  666;  ba§  (S^riftent^unt  —  669. 

VII.  'j^crbart;  ^tntlic;  ^djopcnljaucr. 

1.  C)erbart;  ber  (S^arafter  unb  bie  aßgemeincn  (Srunblagen  feines  ©^ftemS   .    672 
Seben  unb  ©tanbpunft  —  672.    2)ie  ^>t)i(Dfop^ie  unb  itire  Steile;  bie 
Sogif  —  673.    Sie  2)Jetop^pfif :   bie  äWet^obe  ber  iöeaie^ungen  —  674. 


XVI  3n^art8öcräcid^nt§. 

Ontotogie:  ba§  ©eienbc  —  676.  S)ie  Slealen  —  677.  (Störungen  unb 
©etbflerl^altungen  ber  5ReaIen  —  678. 

2.  ^erbart'3  9^aturp^tlofop^ie  unb  ^f^c^ologte 681 

®t)nec^Dlogte:  ber  inteüigible  SRaum  —681.  '5)tc  ÜJfaterie  —  682.  9iatur= 
pl^ilofop^ie  —  683.  ^f^d^ologie :  bte  «Seele  unb  bte  33orfte(tungen  —  684 ; 
(Srüärung  beS  (Seelenlebens  —  685;  ba§  ^c^  —  686.  Süden  unb  Un- 
flar^^eiten  ber  l^erbart'f^en  ^f^diologie  —  688. 

3.  goitfe^ung:  $eibart'§  3Ieft^ettf,   prafttfd^e  ^{)tlo[op]^te  nnb  9?engton§Ie^re    691 

2le[t^etif  —  691.  «Prafttfrfje  ^^tIofopt)te:  bte  fttttic^en  ^been  —  692. 
®er  Staat  —  694.    S)te  SReligion  —  695. 

4.  Senefe 696 

Stanbpunft  —  696.  «pf^c^otogie  —  697.  ^raftifc^e  ^^tlofoprjie  —  700. 
gteügtonSanfm  —  701. 

5.  (Schopenhauer 702 

^erfönltcf^feit  —  702.  (Stanbpunh  703.  2)ie  Söelt  al§  SBorftellung  — 
703.  SBeftreitung  gic^te'g  —  706.  2)er  Stile  —  707;  ßroeifetttgtett 
biefeS  SöegriffS  —  710.  ®ie  Dbieftiöirung  be§  SBiaenS  —  712.  2)a§ 
3Infid^  ber  2BeIt  unb  bte  ©rfd^einung,  ^effimtSmuS  —  713.  ©rl^ebung 
über  bte  SGßelt:  bte  Äunft  unb  bie  (Sentalttät  —  715.  Verneinung  beS 
SBißenS  —  716.    (Snbergebniß  —  718. 

VIII.  jDic  jfutgflc  Ucrgangcnljeit  unb  bie  föcgcnroart 720 

2)ie  ^egel'fd^e  ®ct)ure  720;  —  bie  Sinfe:  ©traug  —  722;  ^euerbad)  — 
723;  bie  §aQifd)en  ^a'^rbüd^er ,  bie  STübinger  —  724.  —  ®ie  pofitiße 
^f)ilofop^ie :  SSeiffe,  5icf)te  u.  H.  —  725.  -  Srani^  —  727.  —  ®itntt)er 
-  727.  —  greunbe  (Sd^eüing'S  unb  S3aaber'§  —  728.  —  Äraufe'f(^e 
®(^ule  —  728.  —  (Siitfful  (S(^leiemtaci)er'§  —  729.  —  ^erbart'fc^e  (Schule 
730.  —  Sln^änger  Senefe'ä  —  730.  —  Srenbelenbnrg  —  731.  gei^ner 
—  732.  —  So(jc  —  732.  —  ®d^openI|auerianer;  §artinann  —  733.  — 
2)ie  ^P^ilofopl^ie  unb  bie  übrigen  Siffenfci^aften  —  734.  —  (Strang'  (e^te 
©cftrift  -  737.  -  ®ä)iu^  ~  738. 


(Einlrituitii. 


Ol 

Q^vntev  beu  Säubern,   raeldje  ber  pf)i(ofopf)i|d^en  53eiüe9uug   ber 

iReu^eit  3um  ©i^aupla^  gcbient  fiaben,  ift  ^eutfc^lanb  am  fpäteftcn  uon 
tf)r  ergriffen  lüorben.  ^toHeu  befa^  feinen  ^e(efiu§,  ^runo  unb 
ßompaneUa,  Gngtonb  feinen  33aco  unb  ^obbe^,  J-ranfreid^  feinen  2)eg= 
Carter  unb  3)la(ebrand;e,  bie  9iieberlanbe  i^ren  ©rotiuS  unb  ©pino^a, 
aB  ®eutfd)lanb  biefen  ©röfeen  auf  beni  pf)i(ofopf)ifd;en  ©ebiete  nod^ 
uic^t  @inen  ebenbürtigen  9kmcn  gegenüber^ufteHen  tjatte.  SBenn  anbere 
3f?ationen  um  bie  3)iitte  beg  17.  ^af)rbunbertK>  auf  bie  niiffenfrf;aft(i(^e 
33efäf)igung  ber  S)eutfd;en  mit  @eringfd;äiuing  f)erabfaf)en ,  luenn  fie 
bem  5^olfe,  luelc^e^  man  fpöter  übertreibenb  ein  33olf  uon  S)enfern  ge^ 
nannt  {)at ,  gerabe  bie  Slniage  gur  ^f)i(ofop^ie  am  menigften  jugefte^en 
mollten,  fo  fanb  biefeg  llrtl;ei(  in  "oen  bamatigen  miffenfdjaftüd^en  ^^ü- 
ftänben  eine  f^einbare  Sled^tfertigung. 

^n  früf)ereu  ^af)r^unberten  fiatten  atterbingS  aud^  bie  ^eutfd^en 
an  beu  pf)i(ofop^ifd;en  Söeftvebungen  in  rüf)mlic^er  SBeife  tiieitgenommen. 
2tl^  im  tarolingifd;en  ^eitolter  ju  ber  SBiffenfd^aft  be§  d^riftlic^en 
Slbenblanbeg  ber  ©runb  gefegt  mürbe,  mar  ni(^t  allein  ber  gürft,  üon 
bem  biefe  Schöpfungen  an^giengen,  ein  2)eutfd;er,  fonbern  and^  unter 
ben  ©enoffen  unb  ^ortfe|ern  feine»  SBerfeg  befanben  fid;  mefirere  @e= 
leiirte  beutfd;en  8tamme§ ;  ebenfo  treffen  mir  in  ber  fleinen  Qai)i  berer, 
meldte  fid^  in  ber  näc^ftfotgeuben  3eit  burc^  pf)i(ofop{)ifd^e  ©tubien  befannt 
madjten,   nid^t  ganj  menige  beutfd^e  9kmen.     SBenn   ferner  §u  bem 

3etler,  @ei'(f|id)te  ber  beutfc^en  <l>^ilofop^ie.  1 


2  (Stniettuug. 

neuen  Sfnffdjiuuncj  ber  u)iffeiifdjafttic|en  3:^ättgfeit  feit  ber  9)iitte  be§ 
11.   3nbrt)niibert§  3nnä($ft   in  granfveid^    ber  2(nftoB    gegeben   imirbe, 
unb  wenn  and;    in  ber   golge    ^ari§   ber    |)onptfi^    jener   firdjlic^en 
^U}i(o[op^ie   nnb    Sll;eoIogie   luar,   welche   nion   mit   bem    ^Jamen   ber 
(£d)oIaftif  3U  be^eidjncn  pflegt,  nädjft  ben  gran^ofen  ober  i^taliencr  unb 
®ng(änber  am  nieiften  für   fie  getrau   ^aben,  fo   blieb   if)r  hoi^  an^ 
S^entfditanb  feine§uieg^3  frernb,  unb   einige  uon  if)ren  augge^eidjuetften 
3Bovifüfjrern  finb  ^ier  ^u  ^aufe.    <Bo  lebte  311  ^ari§  in  ber  erften  ^älfte 
bc§  12.  ^ttf)rf)nnbcrt^3  ^"pugo,  ein  cbter  ©ad^fe  an§>  bem  @efd)fec|te  ber 
©rafen  uon  Slanfcnburg,  n)cld;er  a\§>  2ibt  bc§  i?(ofterö  üon  ©t.  3>ictor 
eine  einftuBreid;e  ©c^ule  djriftlid;er  9Jit)ftif  begrnnbete;   melc^er  aber  gu' 
gleid)  and;  ein  angefe^ener  Se^rer  ber  ^f)iIofop^ie  nnb  ber  fd) olaftif djeu 
Stiieotogie  mar,  unb  bie  !ird;lidje  S^ogmatif  al§  einer  ber  erften  fijfte^^ 
matifd)   barfteHte.     Unter  ben  berühmten  <Sc^o(aftifern  be§  13.   ^a^v- 
lf)nnbert§   ift  einer  uon  ben  bebeuteubften  ber  ©ominicanermönd)  2l(6ert 
t).  33ollftäbt,  ober  mie  ifm  feine  ^eit  bcuiunbevnb  nannte,  3Ubert  ber 
©ro^e,  ein  <Bd)mabe  au§  Sauingen,  meld;er  fein  langes,  von  1193 
bis   1280  l^erabreid;enbeS   2ehen   ber  Sßiffenfdjaft    unb    ber  J?irc^e  in 
unermübeter  Slrbeit  gemibmet  ^at;  ein  Mann  uon  feltener  Begabung, 
burd^  Umfang   be§  SBiffenS  unb  STiefe  ber  ©ebanfen   g(eid)fe()r  {)ert)or= 
rageiib,  an  Sf^aturfenntnife  unb  Sf^aturfinn  feinen  ^c^tgenoffen  fo  iiber= 
legen,  ba^  er  baburd;  fogar  in  ben  ^Ruf  ber  2}lagie  fam ;  ber  begoiftertfte 
SSere^rer  beS  2lriftotele§ ,  beffen  «Schriften  fein  anberer  eifriger  ftubirt 
unb  erfolgreidjer    verbreitet   t)at,   unb   ber  Urfieber    eines  fpefniatinen 
©t)fteniS,  mdd)z§  burc^   feinen  ©c^üfer  ^{)oma§  v.  2(quino  nad;  ber 
tl^eofogifdjen  ©eite  i)\n  üollenbct,  als   bie  groBortigfte  S)arftel(nng   ber 
mittelaiterlidjen    ©laubenSraiffenfdjaft    3U  betrad;ten   ift.     ^m    gmciten 
S)rittl)eii  beS  14.  ^a^rljunbertS   ftanb  %^oma§:   non   Strasburg, 
im  britten  fein  ©c^üter   aicarfiliuS  Don  ^UQ^^'i^/   ^^^^^^  "O"  ^^^^ 
©rünbern  ber  §eibelberger  Xlniüerfität,  als  ^^Ijilofop^  unb  5:l}eolog  in 
Sinfcljen;    ilirem   pt)ilofopl)ifc^en   ©(nnbenSbefenntnif,   nadj    l)ie[tcn   fidj 
beibe  gu  ber  ©djule  ber  fog.  Df^ominaliften,  burd;  meld;e  einerfcitS  ber 
Olaube  an  bie  äÖa^rl)eit  bev  pl)iIofopl)ifc^en  53egriffe  nnb  an  il)re  lieber^ 
cinftimmung  mit  ber  göttlidjcn  Offenbarung  auf's  tieffte  erfdjüttert,  ber 
fird;[idje  ©upranatnraüfmuS  bis  3ur  ©elbftraiberlegnng  iibcrfpannt,  anbe= 
rerfeitS  aber  eine  nüd;ternere,  von  bem  feften  ^oben  ber  ßrfalirung  ouS^ 
gel^enbe  33etradjtnng  ber  S)inge  mittelbar  vorbereitet  mürbe.  ©aS  15.  ^a^v- 


i8etf}etltgung  '2)eut)(^(aub-5  an  ber  ^djolaftif.  3 

!f)unbert  ücrbanfte  S)eutj'd^(Qnb  feinen  üictfeitigfteu  @e(e(;)rten  unb  feinen 
geiftreiiiiftcn  ^f)ifofop()en,  ben  ßarbinal  9MfoIan§  oon  ßnfa  ("JlitoL 
6f)ri)pp  aus  ßueS  bei  Xrier,  1401 — 1464),  biefen  merfmürbiöen  Wlann, 
TOe((^er  ba§  fir(^üd§e  unb  bog  lüiffenfd^aftüd^e  ^^tereffe,  bie  2Jiatf)ematif 
unb  bie  ^^eologie,  ben  ^fatonifmnS  unb  bie  @c^o(aftif  in  eigentpmüd^er 
2öeife  jn  vereinigen  raupte.  ®ie  3Bifienf(^aft  jener  3eit  fanb  überljaupt  um 
fo  ine§r  Soben  in  Seutf^tanb,  |e  mef)r  in  bemfelben  burd^  bie  ©rünbung 
üon  Uniuerfitäten  felbftänbige  93iittelpunfte  be§  n)iffenf($aft(id;en  SebenS 
entftanben,  unb  je  me^r  ii)e\i§>  baburc^,  tf)ei(§  burd;  bie  ^Verbreitung 
ber  noniinatiftifd^en  3lnfid^ten,  bie  2lttein{)errf(^aft  ber  ^arifer  llnioerfität 
befdjränft  lunrbe;  unb  fo  waren  e§  gerabe  bie  (efeten  ^(t^rfiunberte  ber 
©(^otaftif,  bie  ^^it^^  ^^^^^  SSerfallS  unb  i^reg  llebergangS  in  eine  neue 
8i(bunggform ,  in  n)eld;er  bie  Setf)ei(igung  S)eutf(^(anb§  an  berfelben 
uerf)ä(tni^inäBig  am  ftärfften  ^eroortritt.  ^er  „le|te  ber  ©d^olaftifer", 
roeld^er  burd^  feine  Sarftellung  ber  nominatiftifd^en  Sefire  and^  auf 
Sutf)er  unb  9)Ze(anc^t!)on  ©inftuB  gen3onnen  i)at,  mar  ber  2;;übinger 
^rofeffor  ©abriet  «iel  (geft.  1495). 

^lu  ganzen  mu^te  aber  bo(^  bie  ©d^olaftif,  biefe§  ©r^eugni^  ber 
römifd^en  Äirc^e  unb  ber  romanifd;en  SVölfer,  bem  beutfd^en  ©eifte 
meniger  ^ufagcn.  ©inen  frud^tbareren  Soben  fanben  f)ier  fold;e  ^eftre= 
bungen,  meiere  in  einem  me^r  ober  weniger  an§gefprod;enen  ©egenfa^ 
3U  ber  ^errfd;enben  ^sf)i(ofopf)ie  unb  ^f)eo(ogie  barauf  anSgiengen,  tf;eil§ 
beut  religiöfcn,  t{)eif§  bem  miffenfd)aftlid;en  Sebürfni^  eine  reinere 
53efriebiguug  ,5U  rerfd;affen,  a[§>  bie§  bie  ©d^olaftif  üermodjt  ^atte 
3n  ber  ©d^olaftif  i)atte  ein  üon  ber  Äird^engeroalt  beüormunbeter  @(aube 
mit  einer  i)on  ber  ©(^uttrabition  be{)errfd^ten  2ßiffenfd^aft  eine  unglei(^e 
@^e  gefd;loffen;  aber  in  biefer  3}erbinbung  raaren  beibe  3:f)ei(e  ju  fur§ 
gefommcn.  S}a§  fromme  @efnf)I  tonnte  fid^  oon  einer  2:^eo(ogie  ntdjt 
angefproc^en  finben,  meiere  fid;  5roar  feine  3)Mf)e  üerbrie^en  Ue§,  um 
bie  fird;lic^en  ©taubenSfä^e  nad^  allen  (Seiten  t)in  3U  gergliebern,  if)re 
eigentlidje  SJteinung  §u  beftimmen,  bie  äa^ofen  fragen,  gu  benen  fie 
2lnfa§  gaben,  meitfd^raeifig  gu  befprei^en,  jebe§  %m  unb  2ötber  mit 
fdjeinbarer  ®rünb(id;feit  ju  erörtern,  smifd^en  ben  ftreitenben  2(nfi($ten 
unb  9tüdfid^ten  fpi|finbige  ®ntfd^eibnngen  ju  fud^en;  raetc^er  aber  ber 
©inn  unb  ba§  SVerftänbni^  für  bie  urfprüng(i(^e  Sebentung  jener 
©ogmcn  mit  ber  Q^^t  faft  gän^lid^  verloren  gegangen  mar,  bie  @lauben§= 
nnifenid;aft   au§    einer   <Stü|e   für   ba§   religiöfe    Seben   ftd^   in  einen 

1  * 


4  (Shilcitmig. 

@rf;nup(alj;  fogifc^er  ^unftftiicfe  unb  einen  Slummelpfa^  füv  bie  unfru(^t= 
bavften  ©tveitigfciten  uerroanbeü  f)otte.  2Bo  anberev[eit§  no(^  ii'ijeub 
ein  (e&enbige§  ©tveben  notf;  wiffen)d;aft(idjei:  ©rfenntniB  i)or{)anben  mav, 
mu^te  niou  fic^  gegen  ^iift^nbe  auf(ef)nen,  in  welchen  ha§  5Denfen 
bnrd)  9Jiadjtiprü(f;e  ber  Äird;e  unb  ber  ©c^ule  in  immer  engere  geffehi 
einge[d)nnrt,  aik  irgenb  er^ebItd;on  fragen  ber  freien  Unterfndjung  unb 
ber  lüiffenfdjaftlidieu  ©ntfi^eibung  immer  ooKftänbiger  cntsogen  würben- 
in  meldjen  bafier  ber  ©djarffinn  ber  ®e(ei)rten,  an  bem  e§  and;  in  ben 
fpäteren  ^«^v^unberten  be§  3)iittclalter§  feine§raeg§  gefehlt  ^at,  förm(i(^ 
baju  l^ingcbröugt  mürbe,  fid;  auf  ba§  geringfügige  unb  mertfilofe,  auf 
ein  (Spiel  mit  5?egriffen,  bereu  SBaf)r{)eit  unb  i^t^^ölt  ununterfuc^t  hikh, 
auf  logifc^e  ©pi^finbigfeitcn  unb  metap^ijfifdje  giftioueu  ju  werfen ; 
mo  über  bie  nid;tigften  S)iuge  mit  ber  ernftfiaftefteu  9Kieue  uer^anbelt 
raurbe,  SSerfi^iebeniieiten  im  2lu§brud,  unerl^eblic^e  2lbroei(^ungen  in  ber 
^orfteEung^meife,  bereu  @inu  unb  ^ebeutung  fid;  einem  gefuubeu  unb 
natürlid;en  3)enfen  nur  mit  3Jiüi)e  begreiftid)  madjen  lä§t,  ju  meltbei 
roegenben  Streitfragen  nufgeb(ä{)t  würben;  wo  über  bag  gleid;gü(tigfte 
;3al^rf)uuberte  taug  mit  Ieibenfd;aft(id;er  Erbitterung  geftritten,  ba^jenige, 
woüon  niemanb  etwas  wu^te  unb  uiemanb  einen  @ewinu  fiatte,  jur 
Hauptaufgabe  ber  gorfdjung  gemacht,  ba§,  wa§  man  ptte  wiffen 
!önnen  unb  wiffen  folleu,  in  ber  ungiaubli elften  SBeife  uernad)lö§igt 
würbe;  wo  au^  bie  @efd;mad(ofig!eit  ber  gorm  unb  bie  Barbarei  ber 
2(u§brudiSweife  einen  fold^eu  ©rab  erreichte,  baB  bie  3[i5irf(id^feit  in 
biefer  ^ejiefiung  felbft  uon  ©atyren,  wie  bie  S)unfe[männerbriefe  unb 
bie  ^omöbien  ^rifd;liu'§,  faum  überboten  werben  fonnte.  ^e  fühlbarer 
biefe  3)längel  ber  fd)oIaftifd)en  ^f)ilofopf)ie  unb  Stfieoiogie  jum  ^orfdjein 
!amen,  um  fo  lauter  muffte  aud;  ber  SBiberfprud;  gegen  biefelbe  fic^ 
uerue^men  (äffen,  um  fo  nad^brüdlidjer  unb  erfolgreicher  ber  ^?erfud; 
gemacht  werben,  auf  anbercn  Segen  äu  erreidjen,  wa§  bie  t)errfc^enbe 
SBiffenfd;aft  ^war  oerfprod^en,  aber  nid;t  geleiftet  Ijatte.  (SinerfeitiS  trat 
ber  @d;o(aftif  jene  fpefulatiue  DJhjfti!  entgegen,  we(d;e  feit  bem  2tnfaug 
beg  14.  3a£)rl)uubert§  unab()ängig  oou  ber  fird;tid;en  Hierarchie  unb 
ber  S(^u(gele()rfamt'eit ,  unb  ni(^t  feiten  im  äBiberfprud^  gegen  beibe, 
eine  tiefere  Grfenntui^  unb  eine  innigere  @emeinfd;aft  mit  ber  ©ott^eit 
ju  gewinnen  fu(^te.  2{nbererfeit§  erwut^f^  i()r  ein  nod^  vld  gefä^rlii^erer 
©egner  an  bem  |)i"iiöni)mu§,  bem  neucrwai^ten  Stubium  be§  naffif(j^en 
9t(tertf)um§,  beffen  iHnfängc  burd;  3)ante,   g^etrarca  unb  Boccaccio  bi§ 


2)er  Uebergang  öon  bcr  ©djolaftif  jur  D^eujcit.  5 

in  ben  beginn  be§  14.  ;3af)rt)unbert§  {)inQufrci(^en ,  welches   aber  bod) 

erft  mit  bcm  ßnbe  be§fel&en  attgemeiner  in  Stufna^me  tarn,  unb  roä^renb 

be§  15.  unb   ber   erften  §ä(fte  be§  16.  ;3ot)rl)unbert§   feine  35(üt()e3eit 

feierte.    5>on  bem  befru(^tenben  ©eifte  be§  Slttert^umÄ  würbe  and)  bcr 

@inn  für  bie  9?atur  nnb  bie  Dtatnrforfdjuiuj  luieber  k(ebt,  an  beut  e.§ 

bem  9)iittela(ter   in  fo  (jo^em  @rabe  gefef)lt  I)atte,   unb  e-^  begann  jene 

glän^enbe    ')ieibe  ron  natunoiffenfcf)aftlid)en   Unterfudjungen   nnb  ©nt^ 

becfungen,  n)c(d;e  feit  t)ierf)nnbcrt  ^at)ren  nid;t  blo§>  nnfero  Sl^eltfcuntni^ 

nnerme^Iid;  bereid^ert,  fonbern  aud^   unfere  gan^c  2Se(tanid;annng  von 

©rnnb   au§  üeränbert   f)aben.     2ln   ben   ^nmanifmu»  nnb   bie  9tatur= 

n)iffenfd)aft  fdj(o§  fid;  enblid^  at§  britteS  bie  ^sf)ilofopJ)ie  an.    §atte  bie 

©d^olaftif  bie  üuette  aüeS  pf)i(ofop(}ifc^en  äBiffen^  in  ben  ariftotelifd^cn 

©(^riften   gefudjt,   fo  glaubten  bie  ^^tatonifer  beg   15.  unb  16.  ^aijX'- 

f)unbert§   bei  ^(ato   nnb  ben  9tenp(atonifern,  unb  ni(^t   gan^  mcnige 

fetbft  in   ber  üabbala,    biefer  jnbifd;  =  ncuplotonifd)cn  '2;ljcofop()ie,   eine 

f)öf)ere   unb   reinere    3Bei§f)eit   ju   fiuben;    J)atte    jene   hcn  griec^ifd^en 

^^itofoptien,  meieren  fie  nur  in  nn^nreid^cnben  (atcinifdjcn  lleberfctuingcn 

tannte,  unenblid;  oft  miBoerftanbeu   unb  bem  fird;ü($en  ©ijftem  snlieb 

umgebeutet,  fo  trat  je|t  eine  Sdjuie  von   reineren  ^eripatetifern  auf, 

metdje  ben  Slriftoteles  im  Urteyt  erftären  unb  bie  ^f)i(ofopfiie  in  feinem 

urfprünglic^en  ©inne  betreiben  molite.    S)ie  großen  DJieifter  be§  3{(ter= 

tf)uuu5  folften  aud;   auf  bem  wiffenfctjaftlic^en  ©ebiete  bie  güf)rer  fein, 

an  bereu  §anb  fid;  ber  ©eift  aua  ber  5>ormunbfd)aft  ber  fd^olaftifd;en 

Slnftoritäten  jn  befreien,  jur  unbefangenen  ^etradjtung  ber  ^inge,  jur 

Äenntnif?    ber   mirfiidien   SBelt    3U    gelangen   l^offtc.     2ßie    meit   ba§ 

S)enfen   auc^   mirfiidj  mit  il)rer   33eil)ü(fe   unb   unter  bem  ßinflufi  ber 

neuen  naturmiffenfdjaftlidjen  gorfdjung  erftarfte,  fe^en  mir  an  ben  brei 

neapotitanifdjcu  ^^Nt)ilüfopl)eu,  TOeld)e   aU  bie    luidjften  2>orgänger   ber 

neueren  ^l)itofopl)ie  ju  betrachten  finb,   an  ^ernl^ arbin  2:eUfiu§ 

(1508—1588),   %\)oma§  ßampaneUa  (1568—1639)  unb  ®ior  = 

bano   S3runo   (1548—1600).     Sjie  beiben    erfteren  finb   trofe    ifireg 

2Biberfprnd^§  gegen  bie  ©d^oiaftif  burd)  itire  natnrunffenfdjaftndjc  ^i^- 

tung  ben  gleid^jeitigcn  ^seripatetifern  ücrmanbt;   mogegen  53runo,  bei 

einem  nid)t   meniger   Ieb{)aften   9iaturfinn,   bei    einer   teibenfdjaftUi^en 

^olemif  gegen  bie  ntittela(terlid)e  Rnd)e  unb  il)re  3öiffenfd)aft,  unb  bei 

einer  mcfentlidj  mobernen,   auf    ba§  copernicanifd^e  ©ijftem  geftü^ten 

Sßeltanfd;auung ,  mit  feinem  ^]>antl)eifmu§    junäd^ft   an   ^^ifolau^  üon 


6  Einleitung. 

ßufa  nnb  bie  9teupIatonifcr  onhmpft,  imb  anbererfcit§  huxä)  bie  21«* 
na{)ine  uon  9}(0uaben,  roefrfje  ^aih  geiftig,  f)aih  materiell  gebockt  bie 
llrbeftanbtt)ei[e  ber  ganzen  ilörpemielt  fein  follen,  auf  Seibnij  (jinuieift. 
SBie  gewaltig  aber  bie  ^inberniffe  waren,  mit  benen  eine  unabf)ängige 
^iffcnfdjaft  bamall  nod)  ju  kämpfen  fiatte,  bemeift  utt§  bie  breifeig^ 
jährige  Jlerferf)aft  ßampaneffa'g,  ba§  3ni]uifition§Derfat)ren  gegen  ©alilei, 
bie  @d;eiter^aufen  S3runo'§  unb  33anini'§  (ein  italienifc^er  ^^reigeift  au§ 
ber  peripatetif(^en  ©c^ule,  ber  1619  gu  5£oulonfe  verbrannt  wnrbe), 
nnb  ha§>  blutige  @nbe  be§  ^etru§  9lamuß  (f.  unten),  raeld^er  me^v  noä) 
feine  Singriffe  gegen  bie  Eierrfc^enbe  5pf)iIofop()ie  unb  i^re  SSertreter,  al§> 
fein  veformirteS  ^efenntni^,  in  ber  ^art^otomäu^nad^t  be§  ^o^reg  1572 
mit  bem  Seben  gebüBt  i)at. 

2lu(^  ^eutfc^knb  naJim  an  ber  geiftigen  Bewegung,  meiere  ouf 
SSerbrängung  ber  ®d^o(aftif  unb  auf  ^egrünbung  einer  neuen  felbftän= 
bigeren  3öiffenf(^aft  auSgieng,  einen  lebhaften  unb  rüfimlidjen  Sluttieil. 
£)ie  fpefulatiüe  3Jii)ftif  be^  fpäteren  3Jlittelalterg  l^atte  f)ier  ifiren 
^auptfit^ ;  roie  ja  bie  i^nnigfeit  beg  frommen  @emüt^g(eben§  unb  bie 
3Sorliebe  für  tf)eologif^e  ©pefulation  jeber^eit  einen  f)ert)orfted)enben 
3ug  in  bem  beutfd^en  3]olf'§(^ara!ter  gebilbet  fiat.  @d;on  um  ben  Sin- 
fang  be§  14.  3af)r{)unbert§  treffen  mir  f)ier  in  ©ad; fen,  St)f)mcn  unb 
Ä'öln  ben  ©ominüanermijud)  3)ieifter  (Sdl)art,  biefen  geiftüollen,  tief= 
finnigen  9Jlann,  wetd^er  mit  bemunberung^mürbiger  Jlüfinlieit .  t)on  ber 
Mangel  ^erab  in  beutfd;er  @pra(|e  2lnfid)ten  üerfünbigte,  wie  fie  fetbft 
hen  ©ele{)rten  in  miffenfd;aftlid;en  @d)riften  nic^t  üer^ie^en  ju  merben 
pflegten,  -roelc^er  aber  baburd)  allerbingg  aud;  mit  feinen  fird)lidjen 
S^orgefe^ten  in  Äonftift  geriet!),  unb  nur  burd^  feinen  ^ob  (1329)  ber 
päpftlid;en  ^erbammung  äuuorfam,  bie  feine  Setirfäge  luirfOd^  getroffen 
f)at.  ^n  ber  ^lji(ofopi)ie  feiner  ^^Jt  n)ot)(  bezaubert,  ein  angefetieuer 
£e§rer  an  ber  ^arifer  Hniüerfität ,  au§>  ber  ©d^ute  be§  S;f)oma§  üou 
Stquino,  war  @df)art  bod;  no(i^  tiefer  t)on  jener  pantf)eiftif(^eu  3Jli)ftif 
ergriffen  worben,  weld;e  im  9ieup(atoutfmu^  wurzelte,  in  if)rer  (^riftU(^en 
©eftalt  am  üollenbetften  in  ben  @d)riften  be§  angeblid^en  Slreopagiten 
S)ioni;fiu§  (um  500)  unb  beg  ^o^ß^i^^^  @cotu§  ßrigeua  (um  860) 
niebergetegt  war,  unb  'iiä)  t)on  ältereti  ©cften  ju  ben  trübem  be§  freien 
©eifteä  unb  ben  uerwanbtcu  ^^krtfieien  »ererbt  f)otte.  9Sät)renb  aber 
ber  ueup(atonifd;e  ©otte^begriff  in  feiner  urfprünglid;en  ?^affung  bie 
(^otttjcit  in  eine  bem  enbtidjen  SBcfeit  uuerreid)bare  ^^erne  entrüdt  ^atte. 


©eutfc^e  ä")t^flif.    ddijavt  7 

in  wdd()ex  fie  ber  ©efd^öpfe  für  [ic^  felbft  ntd)t  bebarf  itnb  bie  SBett 
nur  nebenfier,  burd^  ein  UeberflieBen  ber  göttUdfieu  J?raft,  üu§>  it)r  l;er= 
üorgef)!:  fo  ift  bei  gcf^art  bie  d^riftüd^e  ^bee  einer  inneren  nnb  lucfent- 
ad;en  ©emeinfd^aft  be§  3)Zenfd^en  mit  ber  @ottf)eit  )o  (ebeubig,  bafe  er 
fid;  [einen  @ott  gar  nid;t  of)ne  bie  Se(t  nnb  ben  SJienidjen  ^n  bcnfen 
wei^.  2tn  [id^  felbft,  fagt  er,  ift  @ott  ofine  alte  (gigen'd;aft\inb  33e= 
ftimmt^eit,  unerfennbar  nnb  unau§fpred;(ic^,  man  fann  ni^t§  uon  tf)m 
an§fagen,  ma§>  \^m  nid;t  mit  mef)r  ©runb  abjufpredjen  märe;  er  ift 
alle§  unb  er  ift  m^tS  von  allem,  benn  er  ift  nidjt  biefe  unb  ba§;  er 
ift  überhaupt  nidjt,  benn  er  ftef)t  über  bem  ©ein,  er  mof)nt  in  bem 
^l{id;t§  beg  9{td;t§,  in  ber  ftillen  2Bnfte,  in  ber  uerborgenen  ginfternife. 
9(ber  in  biefem  feinem  beftimmnngÄlofen  SBefen  ift  @ott  ntd;t  ©ott, 
fonbern  erft  bie  @ottf)eit,  unperfönlid; ,  „i(jm  felber  unbefannt". 
Xamit  er  fid;  felbft  offenbar  merbe,  mu|3  in  it)m  mit  hm  äl^efen  3U= 
gleid;  audj  bie  'Jiatuf  ober  bie  gorm  fein,  er  muB  fid;  beftimmen,  fid; 
benfen;  nnb  an§  biefem  feinem  ©id;felbftbenfen  ergiebt  fid;  nid;t  bto§  ber 
llnterfd^ieb  ber  ^U'rfo'nen  in  @ott,  wie  il;n  bie  tird^e  in  ber  ®reieinig= 
feit  lel;rt,  fonbern  aud;  bie  Dffenborung  @otte5  in  einer  2öelt.  S)a 
©Ott  ba«  nncnblid;c  SBefen  ift,  i)at  er  bie  Urbilber  aller  SDinge  in  fid;; 
ba  er  bie  ©üte  ift,  mn§  er  fi^  mittfieilen;  o^ne  (Sreatnren  märe  er 
nid;t  ©ott.  ©ott,  fagt  @dl;art  faft  oermeffen,  mag  nnfer  fo  menig 
entbel;ren,  al§  mir  feiner.  33iitt^cilen  fann  er  aber  nur  fid;  felbft; 
er  felbft  ift  bal;er  ba§  Befen  uon  allem:  er  ift  „lebig  atter  STinge", 
unb  gerabe  bef5l;alb,  bemerft  (Sd^art,  „ift  er  alle  ®inge".  „G§  finb 
attc  ®inge  glcid^  in  ©ott  unb  finb  ©ott  felber."  ©Ott  liebt  aud)  in 
ben  S)ingen  nur  fid;  felbft;  benn  roa§  er  in  it)nen  liebt,  ift  ha§>  ©utc 
unb  ba§  Sein;  er  felbft  aber  ift  alle  ©üte  unb  afle§  ©ein.  dlnv  ha§> 
md)t^  ift  e§,  wa§>  bie  S)inge  i)on  ©ott  untcrfd;eibet;  fo  weit  fie  nid^t 
©Ott  finb,  finb  fie  ein  lautere^  Tdä)t§.  S)ie  mal;re  nnb  üoUe  ©egenmart 
©otteg  erfennt  aber  unfer  ^^ilofop^  boc^  nur  in  ber  (Seele,  unb  näfier 
in  bem  innerften  ©runbe  ber  Seele  ober  ber  SSernunft:  fie  ift  ba§ 
„(^ünflcin",  uon  bem  er  bef)auptet,  ba§  e§  raum^-  unb  ^eitloS,  emig, 
einficitlic^,  ungefd;affen,  jo  ha^  eg  ©ott  felbft  fei ;  an  fie  benft  er,  menn 
er  fagt :  „ba§  3(uge,  mit  bem  id;  ©ott  fe^e,  ift  ba§fetbe  3Iuge,  mit  bem 
mid;  ©ott  fief)t",  „märe  id;  nid;t,  fo  märe  ©ott  nic^t" ;  auf  fie  gel)t  e§, 
menn  er  erflärt,  mir  feien  üon  ©raigfeit  in  ©ott,  unb  l;aben  m§>  felbft 
nnb  alle  S)inge  gefd^affen.    Sie  SSeftintmung  be§  9}tenfd;en  befielt  barin, 


8  Einleitung. 

baj3  er  biefev  feiner  @inf)cit  mit  ©ott  fid;  bewußt  tocrbe  unb  fie  in 
feinen  Söitten  anfnefime,  unb  nid^tS  anbere§  ift  auc^  ber  loefentlid^e 
3nf)a(t  be§  (5f)riftentf)uni§.  ©dfiart  gweifelt  natürlich  nic^t  an  ber 
fir(^Iid;en  Se^re  üon  ber  3)ienfdjn3erbung  @otte§  in  @f)riftu§;  ja  er 
nimmt  e§  mit  biefer  ^Oicnfd^roerbnng  fogar  noä)  ernft(i(^er,  al§  bie§  ba§ 
ürc^Udie  S)ogma  5U  t^un  pflegt;  aber  jugleid^  erftärt  er  anc^,  m'w 
fönnen  mit  bem  Spater  ebenfo  ein§  werben,  wie  er;  ber  SSater  ^ahc 
feinen  ©ofin  nid)t  blo§  in  ber  ©niigfeit  geboren,  fonbern  er  gebäre  i^n 
of)ne  Unterlaß  in  ber  ©eele ;  groifd^en  bem  eingeborenen  ©of)n  unb  ber  ©eele 
fei  fein  tlnterfd;ieb,  unb  raa§  un§  ber  ©of)n  geoffenbart  fiat,  fei  eben  biefeS, 
ba^  mir  berfelbe  <Bo^n  feien.  2öo  ba§  Semu^tfein  oon  biefer  unferer  @in; 
fiett  mit  ©Ott  tebenbig  ift,  ba  giebt  ber  SJlenfc^,  raie  er  fagt,  allen  eigenen 
2BiIlen  unb  alle  ©elbftliebe  auf,  um  in  2lbgefd)ieben{)eit  unb  6tiffe  be§ 
@emütf)§  ©Ott  äu  „teiben" ;  er  läBt  in  reiner  Eingebung  @ott  in  fic^  n)ir= 
fen,  er  meiB  nid)t§  unb  begefirt  nichts,  all  bie  @üte  ober  bie  @ottl)eit,  er 
liebt  nid;t  ein  beftimmte§  @ut,  fonbern  ba§  ©ute,  unb  er  liebt  e§  nic^t  um 
irgenb  eines  anberen,  and)  nic^t  um  be§  eroigen  £eben§,  fonbern  (ebiglid; 
um  feiner  felbft  roiflen ;  er  trägt  in  biefer  reinen  Siebe  gur  ©ottljeit  eine 
©eligfeit  in  fid^,  roeli^e  von  feiner  ©ünbe  me^r  bebrof)t  ift,  burd^  feine 
äußere  Sage  geftört  ober  gefteigert  roerben  fann ;  ja  er  fommt  am  ©übe 
baf)in  —  unb  roenigftenS  im  ^enfeits  foll  man  baf)tn  fommen  fönnen  — 
baB  jeber  tlnterfd;icb  äroift^en  it)m  unb  ©Ott  üerf(^roinbet,  ba^  er 
„©Ott  wirb".  ^Jlur  bie  ©inbcit  ber  Seele  mit  ©Ott  ift  e§  aud^,  auf 
bie  e§  für  bie  fittlid^e  ^eurtt)eilung  be§  9)ienf(^eu  anfommt :  bie  äußeren 
Sßerfe  finb  für  fid;  roeber  gut  nod^  fc^led^t,  fonbern  fie  roerben  biefj  erft 
burc^  ben  SOBillen,  au§  bem  fie  ^eruorgeljen;  legt  man  il)nen  bagegen 
für  fid^  einen  SIBertl)  bei,  fo  finb  fie  ber  ©eligfeit  gerabeju  fiinberlid). 
Slber  bod^  ift  ®df)art  t)iel  §u:  gefunb  unb  befonnen,  um  be^^alb  bie 
äöerfe  für  überflüffig  unb  gleid;gütttg  3U  galten:  roo  bie  roal)re  Siebe 
3U  ©Ott  fei,  erflärt  er,  ba  roerbe  ba§  redete  §anbeln  fid^  nou  felbft 
einftellen,  roeil  ber  ajtenfc^  gar  nid;t§  mel)r  nermöge,  roa§  roiber  ©ott 
fei.  ^la  gegen  b  i  e  SDieinung  fämpft  er,  all  ob  bie  fromme  ©cfinnung 
fi^  bei  allen  in  berfelben  ^orm  bet^ätigen  muffe,  unb  ahi  ob  fie  an 
geroiffc  3Berfc  ober  (^ntfagungcn  gebunben  fei,  unb  uid^t  bei  jeber 
2;l)ätigfeit  unb  SebenSroeife  gteid;  gut  vorl)anben  fein  fönnte. 

^iefc  Sefire  be§  SDieifter  Mi)axt  ift  nun  allerbingS  nod;  fein  ftreng 
p^ilüfopl)ifd;e?    8i;ftem;    fie   ift    mel)r  nod;   au§   religiöfen,    al§   aul 


2)eutfc^e  SJJ^flif.    (Scf^art  unb  feine  ©d^ule.  9 

Tüiffenfcj^aftnd^en  ^Beuieggrünben  eiitfprunöen ,  unb  ftatt  einer  rtoxanB- 
fe|ung§Io[eii  Uuter[ncl;nng  ber  aöirflid^feit  nimmt  fie  if)ren  ^luSgang  ttiei^S 
üon  ber  c^riftHc^en  @fauben§lei)re,  t^eils  üon  ber  früfieren,  namentlid) 
ber  neup(atoni[d)en  ©pefulation.  Stßer  bo(^  f)ot  fie,  mit  beiben  üer= 
glii^en,  immer  nod)  fo  oiel  eigentf)üm(id;e§,  nnb  [ie  tritt  bem  f)err[d)en= 
ben  Sefirfijftem  in  einer  fb  f)of)en  Äiifin^eit  nnb  ©elbftänbigfeit  gegen= 
über,  hü^  mir  allen  @runb  Ijoben,  in  il^r  ben  erften  S^erfuc^  einer 
beutfd^en  ^i)ilofopl)ie,  ben  erften  fräftigen  ^-lügelfi^Iag  be§  beutfd;en 
@eifte§  3U  fetien,  meld^er  fic^  ftarf  genug  füf)Ite,  um  an  eine  @manci:= 
pation  t)on  ber  bi§I)erigen,  if)rem  Urfprung  unb  SSefen  uac^  überraiegenb 
romanifc^en  SBiffenfc^aft,  an  eine  neue,  feiner  2lrt  unb  feinem  33ebürfui| 
entfpre^enbere  gorm  ber  g^orfc^nng  gu  benfen.  S(n  ®df)art  fd;(o§  fid^ 
eine  ©d^ule  oon  3)ii;ftifern  an,  mcli^e  namentlid;  in  ber  9i^eingegenb, 
unb  überf)aupt  im  raeftUd;en  Seutfd^tanb,  3U  einer  bebentenben  SSerbrei^ 
tung  gelangte,  nnb  fic^  ununterbrod^en  bi§  in'§  IG.  ^a^r^unbert  ^exab- 
äief)t.  3{)re  namfiafteften  3>ertreter  finb  bie  beiben  al§>  ^rebiger  gefeiert 
ten  Drben^genoffen  @cf§art'§,  ^o^ann  Staut  er  (1290—1361)  uon 
©tra|3burg  unb  §einric^  (Sufo  (@üB,  1300—1365)  in  Ulm.  S)em 
erfteren  mürbe  früher  auc5  bie  „bentfd;e  SL^eofogie"  jugefd^rieben, 
TOeId;e  gegen  ba§  ßnbe  be§  14.  ^«^^"^ii^^^i^t^  »erfafit  5U  fein  fd;eint; 
eine  uon  ben  ebelften  ©arfteltnngcn  biefer  SOtijftif,  roetdje  Sutfier  fo  ^oc^ 
t)ielt,  ba^  er  fie  im  ^at)r  1516  I)erau§gab,  unb  babei  erffärte:  „e§  fei 
it)m  näc^ft  ber  Sibel  unb  ®t.  ätugnftin  fein  53uc^  uorgefommeu,  anS 
bem  er  mefir  erierne'  l^abe  nnb  erlernet  f)aben  motte,  wa^^  ©Ott,  ßt)riftu§, 
3}ienfd;  unb  alle  ®inge  feien" ;  mie  er  benn  aud^  fpäter  i^ren  vermeint- 
lid;en  SSerfaffer  einen  Selirer  genannt  I)at ,  „bergleic^en  üon  ber  2lpoftel 
3eit  bi§  anl)ero  faum  geboren  fei".  9Iudj  9ftitoIau§  uon  ßufa 
t)at  uon  ©dtiart  uieteS  in  fid;  aufgenommen.  3Jiit  ber  ®d;u(e  Mi)aiV§> 
ift  ferner  ber  ^rior  hc§>  Sluguftinerf (öftere  ©rüntljal  bei  Trüffel, 
^ot)ann  9tut)§broef  (1293—1381)  uerroanbt,  beffen  ©eifteSric^tung 
fic^  burc^  feinen  ©d^üler  ©erwarb  be@root  unter  ben  üon  bem 
(eiteren  geftifteten  S3rübern  be§  gemeinfamen  2eUn^  fortgepftanjt  unb 
iöre  berütimtefte  Urfunbe  in  be§2;t)oma§  uon  Kempen  üier  33üd^ern 
uon  ber  9iad)af)mung  ß^rifti  gefunben  f)at;  hoä)  tritt  in  biefer  nieber= 
beutfd^en  Waj^iit  ba§  fpefniatiue  ßtcment  gegen  baS  praftifd^  n-eligiöfe 
entfdjieben  äurüd. 


IQ  (Siiileitiutg. 

©eit  bcm  16.  3af)r!)nnbert  würbe  btefe  3:E)eofop{)ie,  im  3ufotninen-' 
f)ang  mit  bem  ©nnac^en  ber  natitrioiffenfd}aft(t(^en  ©tubicn,  buvclj  ein 
neues  ©lement,  bal  naturpI;i(o[opI)if(^e,  bereidjert.  ©er  .^aupturfieber 
biefer  neuen  SSeubung  in  ber  (SJefdjid^te  ber  3)hjftif  ift  ber  bekannte 
Slrjt  3:t)eop^raftu§  ^aracelfuS,  raeld^er  1493  äu  ©infiebeln  in 
ber  @d;roei5  geboren,  nac^  einem  nnrn!)igert,  yoif  teiben[d)aftli(^en  JTömpfen 
beioegten  Seben  1541  in  Salzburg  geftorben  ift;  ein  3Jiann,  beffen  ^a- 
leut  unb  beffen  gefd^id)tnd;e  Sebentung  bur(^  bie  Unfkr^eit  unb  ©e^ 
maltfamfeit  nid;t  aufge!^oben  rairb,  mit  ber  feine  ^eftrebungen,  na^  ber 
SBeife  jener  gä^renben,  ju  reüolutionärer  Hmgeftaltung  brängenben 
3eit,  nod;  üielfac^  behaftet  finb.  3"  f'-'^^ß^'  eigentlii^en  Seben^aufgabe 
t)otte  er  \iä)  bie  Sieform  ber  3Jiebicin  gemacht:  wie  anbere  in  ber 
^(jilofop^ie  gegen  bie  Slttein^errfd^aft  he§>  2lriftotele§  ©türm  liefen,  fo 
wollte  er  in  ber  ^eilfunbe  bie  2I(Iein^errfd;aft  ©alen'S  unb  2lt)icenna'§ 
ftürgen,  unb  biefe  Söiffenfd^aft  ftatt  ber  Stuftorität  auf  eine  mirflii^e 
9iaturfenntui|3 ,  eine  fru^tbare  SSerbinbung  üon  @rfal)rung  unb  ©pefu= 
(ation,  grünben.  §icmit  mar  für  i^n.gunäd^ft  bie  @rforf(^ung  ber 
menfd;lid)en  9iatur  geforbert,  beren  Jlrantf)eiten  ber  3lrst  f)ei(en  foH. 
3lber  ber  9}Zenf(^,  a(§  MifrofofmuS,  fann  nad)  ^aracelfuS  nur  au§  bem 
3Jtafro!ofmu§  werftanben  werben,  beffen  2lbbilb  unb  grui^t  er  ift,  mie 
biefer  f)inn)ieberum  nur  an§>  jenem;  unb  biefer  3JJar!rofofmuö  umfaßt 
neben  ber  fid^tbaren  auä)  bie  fiberifd^e  unb  göttlid)e  3Belt,  benn  im 
3Renfd)cn  finb  (wie  f($on  ber  italicnif(^e  S'Jeuplatonifer  ^ico  üon  a}liran= 
bu(a  mit  ben  Äabbaliften  gelefirt  f)atte)  biefe  brei  SBelten  vereinigt, 
unb  wer  ni(^t  atte  brei  fennt,  ber  wirb  ni(^t  im  ©taube  fein,  ben 
9JZenfd;en  rii^tig  ,^u  be^anbeln.  ^aracelfuS  erfiärt  bafier  bie  ^;]]t)i(ofop^ie 
(b.  i).  bie  Sf^aturle^re),  bie  Slftronomie  unb  bie  ^fieologie  für  bie  brei 
©runbpfeiler  ber  3Jicbicin,  p  bcnen  bann  nodj  ai§>  vierter  bie  Sildjijmic, 
ober  bie  angcwanbte  9iaturwiffenfdjaft,  i)in3utommt.  Sie  neue  .^eiWunbe 
fott  fid)  atfo  auf  ber  ©runbtage  einer  umfaffenben  2ßeltanfid;t  aufbauen, 
^ür  biefe  3BeÜanfid)t  aber,  wie  für  il)re  praftifd;e  ^erwertfjung  in  ber 
SJtebicin,  fianbelt  e§  fid)  nad;  5parocelfu§  in  erfter  Sinie  barum,  bafi 
man  baiS  innere  Sßei'en  unb  bie  überfinnlidjen  ©rünbe  ber  S)inge  erfcnne. 
"äuä)  er  fragt  gwar  nac^  if)ren  förpevlidjen  ©runbbeftanbtbeilen,  unb  er 
finbet  biefe  junädjft  in  ben  vier  ariftotelifd;en  Elementen,  weiterf)in  in 
ben  brei  ©toffen,  ans  we(d)en  er  mit  älteren  2tld;ijmiften  biefe  felbft 
unb  alle  .^lörper  überhaupt   berfeitet:   ©a(,^,  ©d;wcfe(  unb  Duedfilber; 


:S)cutfd^e  SR^fttf.    <ßavacelfu§.  H 

in  le^ter  33e,j{ef)ung  enblic^  in  her  ^\)U,  ber  (ariftotelifc^en)  materia 
prima,  wdd)c  awä)  U)ot)(  ba§  mysterium  magnum  nnb  ba§  f($öp[eri[cljc 
SßJerbe  ber  ®ottf)eit  genannt,  ober  an(|  auf  beibe,  als  i^x  erfteS  ©rjeng^ 
ni§,  äurürfgefü^rt  wirb,  ©c^ou  ^ier  löft  fid;  if)ni  jebocf;  ba§  Äörperlid)e  in 
ein  unförperlic^eS ,  ober  bod;  nur  nod;  f)al6!örperlid;e§  auf:  bie  „erfte 
SJiaterie"  ift  nic^t  forool)!  ein  Äörper,  atio  ber  allgemeine  ^eini  be» 
üörperltd^en,  unb  unter  ©alj  u.  f.  w.  oerftel^t  er  ntd;t  biefe  beftiinmten 
6toffe  als  fold}e,  fonbern  mit  bem  9tamen  beS  ©aljeS  bejet^net  er 
gan^  allgemein  ba§  gefte  in  ben  Körpern,  ober  ben  ©runb  itjror  (^ou= 
fiftenj,  mit  bem  be§  £:uedfilber§  baS  glüffige,  mit  bem  beS  6d;mefelS 
baS  SBarme.  S)a§  eigentlidje  jßefen  ber  S)inge  liegt  il)m  iubeffen  über; 
l)aupt  ni(^t  in  ilirem  ©toffe,  fonbern  in  ben  Gräften,  bie  in  il)nen 
rairfen,  in  ilirem  ©eift,  il)rem  „2lftrum",  il)reui  ,,Slrd;euS",  il)rer 
„quinta  essentia" ;  mobei  mir  aber  boc^  ni($t  an  ein  rein  geiftigeS 
äöefen,  fonbern  nur  an  eine  frafttl)ätige,  feine,  ätl)erif(^e  ©ubftanj  gu 
beulen  liaben.  (2lriftote(e§  fiatte  beu  2(etl)er  ben  „fünften  J?i3rper"  ge; 
nannt.)  lieber  beiben  ftef)t  enblid;  bie  «Seele,  baS  überuatürlidje  äöefen, 
meldjeS  aber  freilid;  uon  nnferem  2l)eofopl)en  and;  mieber  ein  cmige§ 
unb  unfterbtidjeS  gleifd;  genannt  wirb,  ^n  ber  übrigen  Seit  finb  nun 
biefe  brei  ^Nrincipien  relatio  getrennt:  e§  giebt  eine  förperlid;e  3iatur, 
e§  giebt  feetenlofe  ©lementargeifter ,  e§  giebt  förperfreie  ©ceten,  ober 
reine  ^ntettigen^eit ,  bie  ©nget.  ^m  äJtenfd^en  bagegen  finb  fte  jur 
(Sin^eit  uerbunben ;  er  fott  ba§  S3anb  ber  fic^tbaren  unb  ber  uufidjtbaren 
Sßßelt  fein,  unb  er  mar  befelialb  urfprünglid)  in  allen  33eftanbt^eileu 
feines  SBefenS  mit  ber  pd^ften  3Sollfommeul)eit  auSgerüftet.  Surd^ 
ben  ©ünbenfatt  fiel  nid;t  allein  ber  äJtenfd;,  fonbern  mit  il)m  bie  ganje 
S'tatur,  ber  9>ergänglic^feit  unb  SSerbuntlnug  aulieim.  :^uv  Teilung 
biefeS  3]erberbenS  erfd;ien  ß^riftuS.  2Bie  aber  bie  folgen  ber  ©üube 
ben  Seib  nnb  bie  Statur  mitbetroffen  l)aben,  fo  foll  auc^  bie  Grlöfung 
fic^  auf  beibe  miterftreden.  S)er  ©eift,  meld^er  unS  burd^  bie  2;aufe 
mitgetl)eilt  wirb,  erjeugt  in  unS  einen  neuen,  l)immlifdjen  Seib;  im 
3lbcnbmal)l  wirb  er  geuöl)rt,  in  ber  2luferftel)ung  üotteubet,  unb  gleid;5citig 
fott  awä)  bie  Statur,  nad;  bem  Untergang  il)rer  grobmaterielleu  Uuiljüt= 
luug,  oeillärt  unb  in  itjrcn  IXrjnftaub  ^urüdgefü^rt  werben. 

^aracetfuS  ^at  biefe  Slnfic^ten  in  feinen  §al)lreid^en  ©c^riften  fo 
unmettiobifd;  unb  weitfdjweifig ,  unb  in  einer  fo  fc^werfälligen,  mit  la^ 
teinifd)cn  ^luSbrüden  überlabenen  ©prad;e  niebergelegt,  ba^  baS  fremb= 


12  ©inleitung. 

artige,  unferer  (jeutitjeu  33i(bung  lüiberftrebenbe ,  iuq§  fie  für  un§  fd)oii 
an  ftc^  i)abcn,  baburd;  nod;  gefteigert  wirb.  3§rer  eigenen  3eit  aber 
boten  fie  boc^  fo  otel  nene§,  unb  fie  eröffneten  fo  üielucrfpred^enbe 
3lii§fic^ten ,  ba^  ii)r  llrt)eber  nid^t  aüein  in  ber  ©efd^id^te  ber  9}iebicin, 
fonbern  and)  ber  2:J)cofopf)ic  nnb  SJiyftif,  eine  f)erüorragenbe  ©tellnng 
einnimmt,  nnb  bafe  neben  ben  Wtc^ijmiften  nnb  ©etieimfünftlern,  beren 
Drafel  er  mar,  and^  gelet)rte  nnb  miffenfd^aftUc^  gebilbete  Scanner 
feine  i^been  in  p^erem  ober  geringerem  Ma^e  in  fid^  aufnafimen. 
©elbft  auf  bie  au§erbeutfd)en  Sänber  erftredte  fid^  biefer  ©infhiB.  ©o 
treffen  roir  in  ©nglanb  nm  ben  2lnfang  be§  17.  ^af)r|unbert§  in 
Sflobert  ^Inbb  (1574 — 1637)  einen  eifrigen  ^aracelfiften.  Um  bie- 
felbc  Qe\t  lebte  in  nnb  bei  Trüffel  ^of)ann  ^aptift  üan  ^elmont 
(1577 — 1644),  metdjem  fein ©of)n granj  3[)tercuriu§nan§elmont 
(1618— 1699)  in  ber  gleidjen  ©eifte^rid^tung  folgte;  ein  9laturpt)iIofopI), 
ber  feine  ßet)re  üon  ben  SebenSgeiftern ,  ben  fd;affenben  Jlräften,  ober, 
mie  er  fie  nennt,  ben  Fermenten  unb  Slrd^een,  fid)tbar  von  ^aracelfuo 
entlehnt  ^at.  3lud^  ©iorbano  ^runo  fiat  biefen  gefannt  unb  fd;eint 
2tnregungen  üon  itim  empfangen  §u  f)aben.  ^n  S)eutfdy(anb  mar  gleid;= 
jeitig  mit  ^aracelfuS  ber  Äöiner  ©o melius  .Slgrippa  t)on  9tet  = 
te§!)eim  (1487 — 1535)  al§>  SSerfünbiger  tf)eofopf)ifc^er  Se^ren  unb 
magifdjer  fünfte  aufgetreten,  unb  felbft  al§  er  fpäter  in  feiner  ©d^rift 
„Don  ber  ©itelfeit  alleS  2öiffen§"  mit  ber  2öiffenfd;aft  ber  ©d;nle  auc^ 
gegen  bie  get)eimen  SBiffenfd^aften  bie  fierbften  Stnfiagen  erl^ob,  (;at  er 
biefen  bo(^  nid)t  mirftic^  entfagt ;  ma§  er  im  3Infd;hif3  an  bie  ^(atonifcr 
unb  ^abbatiften  über  bie  gijttlid^e,  f)immlifd;e  unb  elementare  Sßelt, 
über  bie  i^been  unb  bie  SSettfeele,  über  bie  ^efeelung  aller  Singe,  ben 
iieben^geift ,  ben  ©influB  ber  ©eftirne,  bie  ©ijmpattjie  unb  2Intipatt)ie, 
bie  magifdjen  Söirfnngen  u.  f..  f.  fagt,  erinnert  üielfad;  an  ^saracelfu'?. 
SSon  biefem  fe(bft  gieng  eine  <Sd)nlc  tf)eofop()ifdjer  9)iijftif  an^t^  beren 
©puren  fid;  bi§  in  bie  ^raeitc  §ätfte  be§  17.  ^af)rt)nnbcrt'3  nnb  meitcr 
^erab  rerfotgen  laffen.  2(u§  ibm  unb  ben  älteren  beutfdjen  3)ii;ft!tern 
fd;öpfte  ber  fädjfifdje  ^rebiger  SSalcntin  äöeigel  (geb.  1533,  geft. 
naä}  1594)  bie  üef)xen,  rocldje  fic^  in  einer  eigenen  ©eftc  von  2öcige; 
(ianern  fortpflanzten.  Surd;  biefelden  ^l^orgänger  ift  enblid^  and; 
^afob  53öl)me  (1575 — 1624),  neben  ©dtjart  ber  tieffinnigftc  unb  geift- 
uoUfte  unter  ben  bentfd;en  'ilJli)ftifern,  beffen  @rö§e  felbft  ein  Seibnij  auor-' 
fannt  bat,   gu    ber    ©pefutation   angeregt    roorben,   metcbe  i^m    nid)t 


©eutfc^e  SOZ^ftt!.    ^^Jai-acelfiften.    S.53ö^me.  13 

b(o§  in  feiner  ^^it  ben  ©firennanien  he§>  philosophus  teutonicus  er= 
raarb,  fonberu  auä)  noc^  in  unfereni  ^afir^unbert  bie  kiüunbernbe  %f)e\U 
wü^me  von  ^^i(o[pf)en  erften  a^ang^o  auf  fic^  50g,  unb  einigen  bevfeiben 
fogar  für  i^rc  eigenen  3)arftel[ungen  jum  SSorbilb  gebient  J)ot. 

^ö^nie  üerbient  bicfe  S3en)unberung  ^nnäc^ft  fd^on  wegen  ber 
©tärfe,  mit  TOe(d;er  fid^  bie  urfprüugtid^e  Jlroft  feineg  ®cifte§  unter 
inneren  unb  äußeren  .^inberniffen  aller  2lrt  burd^arbeitet.  ©in  ^auern= 
fo^n  au^  ber  dlä^e  von  ©örli^,  §otte  er  fid;  in  biefer  ©tabt  alö  ©d^ufter 
niebcrgelaifen,  unb  trieb  in  ©tiffe  unb  ß^rbarfeit  fein  .«panbroerf ;  fobalb 
üon  feinen  eigentf)üm(idjcn  9)ieinnngen  ettua^  befannt  rourbe,  fieng  bie 
©eiftii^feit  an,  if)n  ^u  uerfe^ern,  unb  nod;  e!)e  ein  53ud;ftabe  dou  if)m 
gebrudt  war,  verbot  i§m  ber  SRagiftrat  ba§  «Schreiben.  S)er  llnterrid;t, 
ben  er  erf)a(ten  f)atte,  erf)ob  fid^  nid^t  über  ba§  Wla^  einer  bamatigen 
^ott'iofdjule;  feine  2Banberfd;aft  al^  |)anbuierf^gefette  mag  if)m  einzelne 
meitcre  2lnregungen  3ugefüf)rt  ^aben;  in  feinen  fpäteien  ^al^ren  ift  er 
bann  auc^  mit  lüiffenfdjaftlid;  gebilbeten  9Jiännern  in  S3erfe{)r  gekommen, 
aber  ber  a}Zange(  an  eigener  ge(ef)rter  Silbung  fonnte  baburd;  natürlid; 
nic^t  erfe^t  raerben.  Sa§  er  n)uf3te,  haS^  oerbanfte  er  ber  53ibe(  unb 
bem  9ieligibn§unterrid;t,  ben  nuDollftänbigen  lleberiiefcrungcn,  uie(d;e  if)m 
burd^  bie  ©d^riften  beö  ^aracelfu^3  unb  anberer  IFnjftifer,  tf)eitiüeife 
mol)t  and;  burd;  münbüd;e  9Jiittf)eiIung  jutamen;  vox  allem  aber  ber 
finnigen  33eübadjtung  be^  menfdjlic^en  Seben§  unb  be§  eigenen  @emüt^§ 
unb  ber  33etradjtung  ber  dtatnx.  Sie  mar  bie  :^ef)rerin,  auf  bereu 
Sßorte  er  mit  mal^rcr  2(nbad;t  laufd;te;  bereu  Sprache  er  aber  freilid; 
nur  fef)r  unuoüfümmen  5U  beuten  uerftanb.  ©eine  ©pet'ulatiou  ift  bie 
eine^  3tutobibaften,  ber  feinen  Sl^eg  ol)ne  orbentlid;e  Einleitung  unb 
au^reid^eube  .«pülfsmittel  im  S)ämmerlid)t  tafteub  gcfud^t  Ijat:  fein 
©enfen  ift  unmetljobifdj  unb  pl)antaftifdj,  feine  ©prad^e  ^eigt  eine  iüun= 
berlic^ie  SSermengung  beso  S)eutf($en  mit  uuucrbauten  ald;ijmiftifc^en 
StuSbrüden  unb  ^albuerftanbenen  g-rembmörtern ;  er  erfiärt  lateinifc^e 
unb  griedjifdje  SBörter  nad;  beutfd)er  ©tijinologie  unb  fud^t  eine  tiefe 
3Bei!ol)eit  in  ben  einjelnen  i'auten  uou  ©d^riftmorten,  bie  iljm  nur  in 
Sutl)er'^5  Heberfe^ung  befannt  finb;  um  ba§  unfagbare  auS^ubrüden, 
greift  er  nad;  ©leid^nijfen  unb  Silbern,  aber  er  felbft  flagt,  baB  fie 
feiner  eigentlichen  93tciuung  '  fo  menig  cntfpred;en;  fein  ganjeS  2Befen 
madjt  ben  ©inbrud  eine§  gäl)renben,  in  ber  S^iefe  arbeitenben,  fid) 
mül)fam  gur  ^larl)eit  über  fic^  felbft  tierau^ringenben  ©elftem.    Slber  fo 


1 4  (StnJeitimg. 

üielfad^  un§  nud^  feine  ©cf;viften  hnvd)  bie  3^eni)orreuf)eit  \[)xc§>  ^nf)alt§, 
bie  Ungcnte§barfeit  i(;rer  gorm  abflogen:  wenn  man  tiefer  in  fie  ein^ 
bringt ,  finbet  man  fid^  bod^  immer  mieber  überrafd;t  unb  gefeffelt  t)on 
ber  @ro§ai1iijfeit  ber  9(nfdjannngen ,  ber  ^ülle  ber  ©ebanfen,  ber  Se= 
Iienbigfeit  be§  9?atnrgefnf)l§ ;  t)on  bem  nnuertilgbaren  SBiffeuöbrang, 
lüefdjer  biefem  finblic^  frommen  ©emüt^  feine  9tnf)e  lieB,  U§  e§  ben 
Sn^alt  feinet  ©laubenS  auf  feine  tiefften  ©rünbe  5nrücfgefüf)rt,  ba§= 
jenige,  wooon  eg  felbft  im  Qnnerften  beroegt  mürbe,  mit  bem  ganzen 
3nfammenf)ang  ber  Singe  üerfnüpft  ()atte;  unb  auc^  in  feiner  S)arfte(= 
hing  treten  un§  neben  oder  3Beitf($raeifigfeit, .  ©d^merfättigfett  unb  Un-- 
rerftänbtidjfeit  nidjt  feiten  ffare  2(u§einonberfe^ungen,  fdjarfe  unb  trcf= 
fenbe  Se5eid;nungen,  aug  bem  ^erjen  ber  beutfd^en  ©prai^e  gefdjöpfte 
2lu§brüde  entgegen. 

S)ie  3tufgobe,  meld;e  ^öf)me  fic^  ftellt,  bie  ©runbfrage,  auf  bie  er 
immer  mieber  gurücffommt,  ift  biefelbe,  meldte  fc^on  einen  ©d^art  he- 
fc^äftigt  ^atte,  bie  j^^rage,  mie  man  ftd^  ben  ^ercorgang  ber  9Selt  au§ 
ber  ®ottf)eit  ju  erflären  unb  haS^  3}erf)ä(tniB  beiber  3U  beftimmen  {)abe ; 
ebenfo  ift  feine  2(ntmort  im  attgemeinen  bie  gteid^e,  mie  bort:  baB 
nämüd^  bie  ©otttjeit  felbft  nid^t  of)ne  it)re  Offenbarung  in  einer  3Be(t 
fein  fönne.  2Bäf)renb  el  aber  ©dfiart  bei  jener  ^rage  mefentüd)  nur 
um  ben  3}fcnfd;en,  unb  nä^er  um  ben  G^riften  3U  tl^un  geraefen  mar, 
unb  roäfirenb  er  fid;  be^fiaib  für  ii)ve  Söfung  bei  ber  ©egenraart  @otte§ 
im  mcnfd)(id;en  @emütf)  unb  ber  Unentbefn-lid^feit  be§  3Jienfc^en  für 
bie  Offenbarung  ber  ©ott^eit  beruhigt  l^atte,  erholt  fie  bei  ^.  Sö^me 
eine  umfaffenbere  Sebeutung.  ©inerfeit^  ift  er  aufiS  lebl^aftcfte  dou 
bem  naturmiffenfd;aft(idjen  :3»tereffe  ergriffen,  üon  meldjem  bicfe  ganje 
3eit  befec(t  ift,  unb  racId^eS  fic^  feit  ^arace(fu§  oud)  ber  mi)ftifd;en 
6vefu(ation  bemädjtigt  Ijatte; -anbcrerfeitS  tritt  if)m  in  ber  aj?enfdjenmelt 
jene  fdjmer^lic^e  (^Tfafirung,  mdc^er  ber  reformatorifd)e  ^roteftantifmuö 
in  feiner  Set)re  uon  ber  ©rbfünbe  einen  fo  energifd;en  2lu$brud  gegeben 
fiatte,  bie  3Illgcmeinf)eit  be§  ööfen,  a(§  ein  ©egenftanb  be§  crnftUd;ften 
Sf^adjbonfen^  entgegen,  ßr  fragt  ba^er  nid)t  b(o§,  warum  ©Ott  un# 
3)?enfd)en  gefc^affen  f)at,  unb  mie  fid;  unfer  95>efen  3U  bem  feinigen 
yerl)ä[t,  fonbern  er  roi[(  ba§  Gnblidje  in  feiner  üoUen  33eftimmtf)cit,  er 
mill  aud)  bie  .ftörperlid;feit  unb  ba§  53öfe  au§  ©Ott  ableiten,  fie  t)om 
©tanbpunft  ber  ©otte^ibee  au^  erflären.  .^ieju  bienen  ii)m  nun  sraei 
©ät5e,    TOcfd^e  fic^  al§>  bie  adgemcinften  ©runbtagen  feiner  SBcttanfid^t 


biivcfj  alle  [eine  STu^fii^ninßeu  liinbur(^,^ief)en.  Gine§tE)eil^  ift  ei'  über= 
5eugt,  ba§  alle  5^ Inge  au§  beut  göttUdjeu  SBefcn  fclbft  {jeviiorijeganp.en 
fein  muffen,  nnb  nnr  nn  iljm  i{)ren  :öeftaub  ^aben;  niib  infofern  fann 
fein  ©tanbpnnft  ai§>  pantfieiftif  (^  k5eid;net  werben.  5(nberntf)ei(§ 
aber  gtanbt  er,  ba^  fte  nur  bann  au§  @ott  !)cvuorgegangen  fein  fönnen, 
raenn  bie  ©ottfieit  für  fic^  felbft  einer  2Be(t  beburfte  unb  ben  ©rnnb 
be§  enbüc^en  S)afein§  al^  fofi^en  in  ]id)  trug,  toenn  ber  ©egenfa^  uon 
©Ott  unb  2BeIt  feinem  tiefften  Urfprnnge  nodj  in  bay  göttlidje  25>efen 
felbft  f)ineinrei(^t ;  nnb  ber  9?adjbrud,  mit  bem  er  biefen  ©ebanfen  oer- 
folgt  ^at,  giebt  feiner  £ef)re  einen  buaUftifdjen  ®l)arafter. 

33öf)me  f)at  foroofit  bie  eine  al§  bie  anbere  t)on  biefen  Ueberjeu^ 
gungen  mit  großer  ßntfd;ieben^eit  auc^gefproc^en.  Ta^  hk  2Se(t  an§ 
nic^tg  gefdjaffen  fei,  ^ält  er  für  ganj  nnbenfbor;  benn  „mo  ni(^t§  ift, 
ha  loiib  auä)  nichts" ;  nur  bie  göttlidjen  J?räfte ,  bie  fieben  ©eifter 
©otte^  fönnen  eil  fein,  an»  benen  bie  (Snget,  ber  .^immel  nnb  bie  Grbe 
geworben  finb.  2Bo  mir  bafier  unfern  Slid  I)inroenben,  nberad  feljcn 
mir  —  nidjt  etwa  nnr  ein  SSerf  ©otteS  —  fonbern  ©Ott  felbft.  „2Scnn 
"DU  bie  3:iefe  unb  bie  Sterne  unb  bie  Grbe  anfief)eft,"  fagt  58öt)me,  „fo 
fie^eft  bu  beinen  ©ott,  unb  in  bemfelben  (ebeft  nnb  bift  bu  and;,  unb 
berfelbe  ©Ott  regiert  bic^  auä)/'  SÖenn  biefeC^  gan^e  2Sefen  nid)t  ©ott 
märe,  erftärt  er,  fo  märe  ber  2Renfd;  nidjt  ©otteS  Silb,  er  ptte  feinen 
%'i)nl  an  ©ott,  ober  er  l)ätte  jraei  ©ötter,  ben  fid;tbaren,  uon  bem  fein 
Seib,  ben  fremben  unb  unbefanntcn,  uon  bem  fein  .»gerj  fierftammte; 
benn  „bu  bift  au§>  biefem  ©ott  gefd^affeu  unb  lebft  in  bemfelben, 
and;  ftct)et  alle  beine  2ßiffeufd;aft  in  biefem  ©ott,  unb  menu  bu  ftirbeft, 
fo  rairft  bu  in  biefem  ©ott  begraben".  Unb  biefer  auffatlenben  ©rflä- 
rung  fügt  ber  fonft  fo  bemütl)ige  9Jbnn  fdjon  in  feiner  erften  ©d;rift 
mit  mert'mürbigem  ©elbftgefüf)!  bei:  „9^un  mirft  bu  fagen,  id;  fi^rcibe 
f)eibnif(^.  ^öre  unb  fiel)e,  unb  merfe  ben  Unterfdjieb,  roie  biefcS  alle§ 
fei,  benn  ic^  fc^reibe  nid)t  lieibnifd),  fonbern  pf)i(ofopl)ifc^."  \)  9iur  um 
fo  bringenber  erliebt  fid;  bann  aber  bie  ^rage,  mie  mir  e§  unl  erflären 
fotten,  baf5  bie  ©ottfieit  in  biefer  SBeife  au§  ftd)  f)erau§trat,  unb  in  bie 
©nblidjfeit,  felbft  bie  iiörperlid)feit  eingieng.  S^arauf  antwortet  nun 
Si3t)me  5unädjft  mit  ßdf;art:  ol)ne  biefe  feine  Offenbarung  fönnte  ©ott 
nic^t  ber  walire,  -ooUfonimene,  perfönlic^e  ©ott  fein;  f)ierau§  fi^lie^t  er 


1)  Sdiroro  f.  9.  19.  23.  (Sö^me'g  SBerfe  ij.  ©d^iebfer  II,  90.  218.  268  f.) 

/ 


1 6  (Siuteituug. 

aber  fofort  weiter,  ba§  göttliche  Söefen  felbft  muffe  eine  3)Ze!§r()eit  uon 
^U-incipien  in  fid;  eiitljalten,  bereit  ©egenfa^  fein  f(^öpferifc^e§  Sßirfen 
{)eruorrnfe.  @o  lange  ©ott  nur  in  feiner  reinen  @inf)eit,  oline  ©egen? 
fa^  in  fic^  felbft  nnb  ol^ne  Offenbarung  in  einem  anbern  betrautet 
mirb,  ift  er  na^  ^öl)me  nur  ber  „Ungrunb','',  nur  „ba§  eroige  ©ine", 
„bie  eroige  ©tille",  „bo§  eroige  9^id^t§".  ©ott  er  fi(|  felbft  offenbar 
roerben,  fott  er  einen  Sßillen,  eine  2Sei§i)eit,  ein  ©emütf)  l^aben,  fo  mu^ 
ein  ©egenfa^  in  i§m  fein;  benn  „fein  ®ing  mag  ofine  3öiberroärtigfeit 
i^ni  felber  offenbar  werben";  roenn  c§>  nid^t^JJot,  ha§>  ifim  roiberftef)t, 
„fo  gef)et'§  immerbar  für  fid^  au§,  nnb  get)et  nid^t  roteber  in  fid^  ein" ; 
e§  ift  in  it)m  feine  ©rfenntni^  feiner  felbft.  „^n  ^a  unb  9Zein  beftef)en 
aUe  S)tnge";  ba§  ^a  ift  ^raft  unb  ßeben,  aber  e§>  roäre  in  it)m  feine 
@mpfinblid;feit  ol^ne  ba§  9^ein,  on  bem  e§  feinen  „©egenrourf",  fein 
Dbjeft  unb  feinen  ©egenfal^  l^at.  @o  lange  ber  SBiHe  nur  ©iner  Dua^ 
lität  ift,  ift  er,  roie  33öf)me  fagt,  „bünne  roie  ein  S^iid^t^" ;  gerabe  biefeS 
dM)t§>  aber  „urfac^et  ben  SBiden,  ba§  er  bege^renb  ift",  ergeugt  in  if)m 
bie  @ef)nfud;t,  fic^  felbft  in  einem  anberen  gu  geboren,  bewirft,  ba§  er 
fid)  oerbidjtet  unb  oerfinftert,  ba^  ber  Ungrunb  jum  ©runbe  wirb,  bo§ 
'Sl\ä)t§  '\i6)  in  fid;  felber  gu  etwas  fiubet,  ha§>  eroige  ©ine  fid^  bifferenjirt, 
fid^  „in  @d^iebli(^feit  einfülirt". 

Stuf  biefe  bei  i^m  immer  roieberfelirenben  ©rroägungen  grünbet 
Sölime  gunädjft  bie  llnterfd)eibung  uon  Spater  ©ol)n  unb  ©eift  in  ber 
@ottl)eit.  Sßeiter  bebenft  er  bann  aber,  baB  e§  bamit  bod^  nid;t  ju 
einem  ernftlid;en  llnterfc^ieb  unb  einer  Offenbarung  @otte§  au^er  fid^ 
felbft  fomme;  ba§  9Jfittel,  um  eine  fol(^e  gu  erfialten,  unb  fid^  aud; 
gur  ßrflärung  ber  äußeren  Statur  ben  SBeg  gu  bolinen,  ift  für  if)n  bie 
i§m  in  biefer  ©eftalt  eigcntliüwlic^e,  ber  @ad)e  nad^  atterbingS  in  älteren 
©ijftemen  oorgebitbete  Seiire  oon  ber  9f?atur  in  @ott  ober  ben  göttlichen 
Üuolitäten.  ^n  @ott  finb  nad;  S3öl)me  ^)  fieben  ©elfter,  bie  er  gcroöl)n= 
lid)  als  GucHgcifter  ober  Dualitäten  begeidjuet  unb  fcl)r  auSfül)rIid;  be^ 
fd^reibt:  bie  göttlichen  J^räfte,  weld^e,  äl)nli(^  roie  bie  9(eonen  ber  @no= 
ftifer  ober  bie  „.Gräfte"  ^^ilo'S,  eincStl;eilS  oon  ber  @ottl)eit  unterfd;ie= 
ben  roerben,  anbevntl^eils  aber  bod)  nur  baS  göttlid;e  35^efen  felbft  nad) 
feineu  oerfc^icbenen  S3irfungSweifen  barftellen;  fie  alle  faffen  fid^  aber 
in  ber  „göttlid;cn  D^Jatur"  gnfammeu,  weld;e  bie  fec^S  anbern  Dualitäten 


1)  Wh  iBejic^nnf!  auf  Offb.  ^o^.  1,  4.  8,  1.  4,  5.  5,  6. 


2)eutfc^e  SK^fttf.    ^.  93öf)me.  17 

ou§  fic^  gebären  unb  uou  raelc^er  biefelben  um[d^(oneu  roeibeu.  ^ier 
tritt  nun  bereits  ein  ernftnc^erer  llnterfc^ieb  ein;  crft  burrf)  if)re  Offen- 
barung in  ber  eroigen  D^tatur  wirb  anä)  bie  göttliche  ©reifaltigfeit ,  rote 
^ölimefagt,  gu  brei  5ßerfonen;  ho6)  üerfid^ert  er  jugleid^,  bie  [ieben 
©eifter  feien  alle  in  einanber;  ba§  mystermin  magnum  ober  bie  eroige 
3^atur  ift  i^m  jufotge  eine  2Be(t  be§  Sic^tS  ofine  ©djattcn,  ber  .^arntonie 
o^ne  ajiiBffang,  „ha^  l^immüfd^e  f^-reubcnrei(^",  roie  fie  oft  genannt  wirb. 
@benbeBf)aIb  aber  fonnte  auc^  biefe  „geiftlid^e  2Bo(t"  nic^t  genügen. 
2öa§  hnx6)  bie  Seroegung  ber  ©eifter  @otte§  in  ber  5Ratur  entftanb, 
waren  „Figuren,  bie  aufgiengen  unb  roieber  rergiengen".  „härter  unb 
berber  jufammencorporirt"  finb  bie  ßngel,  roeld^e  ©Ott  fd^uf,  ba§  ba§ 
£i(^t  ber  fiintmlifc^en  D^atur  „in  if)rer  §ärtig!eit  {)eller  fi^einen  follte, 
unb  ba§  ber  S;on  be§  Körpers  fielt  tönete  unb  fdjaffete,  bamit  ba§ 
^reubenreid^  in  ©Ott  größer  roürbe"  (Slurora  o.  14,  ®.  153).  2ludj 
bamit  t)aben  roir  jebod^  immer  no^  nid^t  biefe  unfere  SBelt  mit  ifiren 
ajtängeln  unb  in  i^rem  eigent{)ümli(^en  Söefen,  bie  SBelt  ber  groben, 
materielten  Äörperli^feit  unb  be§  Söfen.  2öie  foHen  roir  un§  i^r  3)a= 
fein  erflören? 

2ln  ber  ernftüd^en  S9emü^ung,  aud^  biefe  j^rage  3U  beantroorten, 
f)ot  e§>  unfer  ^fieofopt)  nid^t  f etilen  (äffen.  3Ba§  junöd^ft  bie  9Jloterie 
betrifft,  fo  ^aben  roir  bereite  feine  ©rHärung  getiört,  baB  ^immel 
unb  ßrbe  itirem  2Befen  nad^  nid^tg  anbereS  atg  ©ott  feien.  @r  nennt 
bie  fi(^tbare  SBelt  einen  „©egenrourf"  unb  eine  Offenbarung  ber  geift= 
liefen,  in  roelc^e  bie  göttUd;en  J^räftc  fid^  burd^  biefelbe  Seroegung  auS= 
geführt  fiaben,  burdi  bie  aud^  jene  cntftanben  fei;  er  finbet  e0  (nad^ 
neup(atonifd^em  SSorgang)  natürlid^,  ba§  bie  9)kterie  um  fo  äu^erlid^er 
unb  gröber  rourbe,  je  weiter  ber  StuSfluB  jener  j^räfte  fid^  erftrecfte; 
er  red)net  nid^t  bIo§  bie  ©nget,  fonbern  aud;  bie  3)lenfd^en,  gu  ben 
Kreaturen,  roetd^e  ©ott  fd;affen  mu^te,  um  offenbar  ju  werben;  er  er^ 
flärt,  hüSi  mysterium  magnum  muffe  in  eine  jeitüd^e  ©d^öpfung  einge^ 
füfirt  unb  in  ben  ©(ementen  fid^tbar  gemad^t  roerben,  auf  ba^  ber  ©eift 
©otteS  mit  etroa§  ju  wirten  unb  gu  fpieten  ^ahe.  ^)  Unb  ebenfo  ringt 
er,  ba«  Söfe  in  feiner  Sftotfiwenbigfeit  gu  begreifen,    ^n  fid^  felber,  fagt 


1)  ©(^rüffel  u.  f.  tu,  9fr.  81.    ^.  göttr.  «cfc^auat^feit   3,  41  f.     2.  'üpol  n. 

lUfen  146.    S)rei  ^riiic.  5,  6.     (äuabenma^I  2,  22  (SBcvfe  VI,  677.  475.  VII,  111. 
III.  41.  IV,  478). 

Seiler,  ®t|(^i(^te  ber  beutfdieu  ^^itofop^ie.  2 


18  (Stnieitung. 

er,  fei  ba§  gro^e  3Jit)fteriunt  aUer  2öe[en  ©in  SDing,  aber  in  feiner  Sln^- 
n)i(ffung  unb  Dffenbaruncj  trete  el  in  groei  2öefen,  in  Söfe§  nnb  @ute§, 
ein;  jebe  Greatur  muffe  einen  eigenen  SBillen,  muffe  @ift  unb  ^o§^eit 
in  fid^  ^a&en;  ba§  Söfe  fomme  oon  unb  an§>  ©ott  felber  f)er  unb  fei 
feinet  eigenen  SSefen^,  e§  gehöre  ^ur  S3ilbung  unb  ^eroeglid^feit ,  mie 
ba§  ©Ute  jur  Siebe.  ^)  Slber  fic^  biefem  ©ebanfenjuge  folgerichtig  f)in= 
zugeben,  ift  i^m  feinem  gan.^en  ©tanbpunft  naä)  unmöglid).  ^a§>  @efüf)l 
be§  pf)i)fifc^en  unb  moraUfc^en  Uebelg  ift  in  i^m  ju  ftorf,  feine  9flQtur= 
fenntniB  gu  unooKfonimen,  fein  S)enfen  gu  raenig  an  bie  rein  roiffenf(^aft= 
lic^e  Betrachtung  ber  3)inge  geiüöfint,  all  baB  er  fi(^  jene  Uebef  au§ 
it)ren  natürlid^en  Bebingungen  erftären,  fie  rcirüid^  in  feine  ^bee  ber 
göttlid;en  ^eltorbnung  aufnehmen  fönnte ;  unb  fo  nimmt  er  benn  fd)lieB= 
li(^  für  if)re  ©rftärung  3U  ben  mi)t§if($en  ^orftettungen  t)on  einem 
boppelten  ©ünbenfoH,  bem  ^^all  Sucifer'ö  unb  bem  gall  Slbam'S,  feine 
3uf(u($t.  ®ur(^  jenen  foH  ftd;  ein  Stfieil  ber  tiimmlifc^en  SBelt  gur 
^ärte  unb  |ierbigfeit  jufammengejogen,  bie  Sfiatur  in  @ott  fid^  jum 
3ornfeuer  entjünbet,  ber  grobmaterielle  ©toff  biefer  SBelt  fid^  gebilbet 
i)aben;  burc^  biefen  gieng  ber  aJlenfc^,  roeld^er  bie  gefallenen  ©ngel  er= 
fe|en  foHte,  feiner  urfprünglid^en  {)oi)en  Söürbe  unb  58oÜfommenf)eit 
nertuftig.  S)en  eigentlichen  ©ünbenfaff  finbet  aber  Sölime  nid^t  in  bem 
@enuB  ber  verbotenen  %vnä)t,  fonbern  in  einem  früheren  33organg:  im 
@($(afe  ber  ©elbftfud^t  mid^  bie  l)immlifd^e  Jungfrau,  bie  ewige  2ßei§l^eit, 
ron  aibam,  unb  er  erl^ielt  bafür  ba§  irbif(^e  SBeib,  inbem  feine  urfprüngs 
lid^  gefd[;led^t§lofe  9Iatur  fid^  in  bte  §n)ei  ©efd^led^ter  fpaltete.  Slber 
bod^  erlofc^  ba§  göttliche  Sid^t  in  il)m  nid^t  gänslid^,  unb  in  ß^riftuS 
erfd^ien  e§  perfönlii^,  um  bem  33Zenfd^en  junäi^ft  bie  innere  S3efreiung 
üom  Söfen  mögücf)  gu  mad^en,  ber  am  SBeltenbe  audf)  feine  äuBere 
Slulfd^eibung  unb  bie  33erllärung  ber  3Jlaterie  ju  ber  i^rem  inneren 
2ßefen  eutfprec^enben  ©eftatt  folgen  mirb. 

^afob  33öl)me  bejeidt^net  ben  |)öl)epunft  biefer  fpefulatiüen  3}ii)ftif, 
unb  er  ^at  aud^  raäfirenb  be§  17.  unb  18.  i^alir^unbertä  äal)lreid^e 
2(nf)änger  in  S)eutfc^(anb ,  ßnglanb,  ben  9^ieberlanben  unb  granfreid^ 
gefunben.    2tber  mie  fel)r  mir   bie  ©eifte^fraft  be0  9Jianne§  bemunbern 


1)  Sign.  rer.  16,  26.  ©nabenwa^f  2,  38.  2)rei  «ßrinc.  93orr.  13  f.  (Serte  IV, 
457.  482,  Iir,  5).  Sie  fonfligcn  Oueüenbelege  für  bte  obige  2)ar[tcaung  finbet  mau 
bei  i.  (Jeuerbad^,  ®efc^.  b.  n.  ^^Ijirof.  öon  93aco  bi«  ©pinoja,  @.  150—213; 
^amb erger,  bie  Se^re  beg  ^af.  Sö^me ;  93aur,  ®nofi3,  557  ff.  u.  %. 


Scutfd^e  JW^fitf.    ^.  S3ö^me.     ^umamfmuS.  19 

mögen,  hex  mit  fo  bürftigen  ^ülfSmitteln,  fo  mangelfiaften  ^enutniffen 
unb  fo  unjureid^enber  2tu§bi(bung  biefe  %üUe  tieffinniger  ©ebanfen/ 
füfiner  unb  großartiger  Slnfd^auungen  gu  erjeitgen  unb  fie  ju  einem 
in  feiner  2lrt  rootilgefügten  ©onjen  gu  oerfnüpfen  wußte :  eine  m^^aU 
tigere  ©inwirfung  ouf  bie  raiffenfc^aftüc^en  ^uftä»^^  ließ  fid^  oon  einer 
©pefulation  nic^t  erwarten,  meiere  ofme  metf)obifd;e  Hebung  be§  ®enfen§ 
an  bie  fc^roierigften  2lnfgaben  herantrat,  bie  üerroicfeltften  unb  umfaf= 
fenbften  fragen  mit  unf(aren  2(nfd)ouungen  unb  ungeprüften  bogmati= 
fd^en  SSorauSfe^ungen  gu  löfen  unternafim,  welche  ftatt  fd;arfer  ^Begriffe 
eine  oerroirrenbe  3Haffe  üon  fc^roanfenben  Silbern,  ftatt  miffenfd^aftlid^er 
Unterfuc^ung  pfiantafieooüe  S)i(^tungen,  ftatt  rerftöuMid^er  @ebanfen= 
entraidfung  apofa(i)ptifd^e  ^Äätfifel  barbot.  ^^ur  menn  man  oon  ber 
Slufgabe  unb  ben  53ebingungen  be§  miffenfc^aftlic^en  ©rfennenl  feinen 
beuttic^en  53egriff  f)at,  fann  man  53öt)me  a(§  ^f)i(ofop^en  einem  ßeibnij 
ober  ^e§carte§  sur  ©eite  fteüen,  unb  nur  menn  man  ^fiantaftit  für 
^§ilofopt)ie  fläit,  fann  man  oerlangen,  baß  unfer  3a§i't)uubert  gu  ben 
Offenbarungen  be§  ©d^ufterS  au§  @örii|  ^urüdfefire. 

@S  raar  jebod;  nidjt  btoS  biefe  bei  oUem  @ebanfengel)alte  bod^ 
il^rer  ^orm  nac^  f)öd^ft  unwiffenfc^aftlid^e  ^f)eofopf)ie,  mit  n)eld;er  fid^ 
5Deutfd^Ianb  feit  ben  (e|ten  ;3af)rt)unberten  be^  3}littelalter§  an  bem 
Kampfe  gegen  bie  ©d^olaftif  unb  an  ber  iSegrünbung  einer  neuen, 
felbftänbigeren  Sßiffenfd^aft  bettieiligte.  2)ie  große  Äulturberoegung  be§ 
§umanifmu§  na{)m  nod^  üor  ber  SJiitte  be§  15.  ^a§r§unbert0  oon 
Italien  aug  i^ren  2Beg  über  bie  2t(pen,  unb  fie  fanb  Ui  feinem  anberen 
Solfe  eine  nadjfiattigere  ®mpfäng(id^feit ,  ai^  bei  bem  beutfc^en.  2lud^ 
f)ier  fteHten  fid^  ba(b  bie  beften  Äöpfe  in  ifiren  S)ienft;  geleierte  unb 
geiftootle  SJlänner  raibmeten  if)r  Seben  mit  f)ingebenbem  ©ifer  ber  33er; 
breitung  ber  neu  aufgegangenen  Siibung ;  auf  einen  ^o^ann  äßeffel 
(1419—1489)  unb  $Rubo(pf)  Slgricota  (1443  —  1485)  folgte  ein 
i^o^ann  9leud^tin  (1455 — 1521),  ein@rafmu§  »on  3iotterbam 
(1465/7—1536),  ein  ^^ilipp  3}^etanc^tf)on  (1497—1560),  unb 
eine  große  3af)(  fälliger,  gum  Slfieit  au^gejeic^neter  3)Mnner  reifite  ftc^ 
mit  S3egeifterung  unter  bie  %a^m,  meldte  fo[(^e  güf)rer  üorantrugen. 
3}lit  ber  Äenntniß  ber  Sllten  gieng  ferner  aud^  in  S)eutfd^fanb  bie  neu^ 
ouflebenbe  S^aturroiffenfd^aft  §anb  in  ^anb.  ©d^on  im  15.  ^af)rf)unbert 
{)atte  biefeS  Sanb  an  einem  9^ifo (aus  üon  ßufa,   einem  @eorg 

^eurbad^,  unb  üor  allem  an  Sflegiomontanul  9)Zatf)ematifer  unb 

2^. 


20  ©ittlcitung. 

Slftronotnen  oon  fierüovrogenbei'  Sebeutung.  2(u§  ber  evften  ^ätfte  be§ 
16.  i^al^rl^unberts  ftammt  bie  epo($ema(^enbe  ©ntbedung,  burd^  md^e 
6operntcu§  (1472 — 1543)  eine  burc^greifenbe  Umfe^rung  ber  US- 
fierigen  9]!orfteIIungen  vom  SBeltgebäube  berairft  f)at,  raäiirenb  gleid^jettig 
SJiartin  ©töffler  eine  gafilreic^e  @(^ule  von  tü($tigen  3Jlat^entatifeni 
bifbete.  2lu§  biefer  ©c^nle  gieng  in  ber  ^olge  ber  jiüeite  oon  ben 
großen 9ieformotoren  ber  Slftronomie,  i^otiann  Kepler  (1571—1630), 
^eroor;  neben  iF)m  nimntt  ber  Slector  be§  Hamburger  @i;ntnafium§, 
Soad^im  ^nngiu§  aii§  2ixheä  (1587—1657),  nic^t  allein  burc^  ben 
Umfang  feines  2Biffen§,  fonbern  aud^  burd^  bie  tlarl)eit  nnb  Unab= 
pngigfeit  feinel  S^enfenS,  unter  ben  ^Jlaturforfd^ern  feiner  3^^^  eine 
e{)renüolIe  Stellung  ein. 

2tud^  bie  ^l^ilofopfiie  fonnte  fid^  bem  @influ§  biefer  n)iffenfd^aft= 
lid^en  §8eftrebungen  nid^t  entjiefien.  @c[;on  9^ifoIau§  üon  @ue§ 
(f.  0.  ©.  3)  ift  üon  ^lato  nnb  ^ro!lu§,  tf)eil§  unmittelbar,  tfieitö 
burd^  3SermittIung  ber  älteren  3Jii)fti!,  ju  jenen  Sä|en  angeregt  roorben, 
welche  in  ber  golge  fein  Q3en)unberer  ©iorbano  33runo  fo  nad;brücfli(^ 
tt)ieberl)ott  l)at:  ba^  in  ®ott  aUe  ©egenfä^e,  aud^  ber  be§  @ein§  unb 
be§  Sf^id^tfeinS,  be§  ©üblichen  unb  be§  Unenblid^en,  äufammenfatlen,  baS 
SBiberfprec^enbe  in  i^m  fein  Söiberfprnd^ ,  ba§  unenblic^  ®ro§e  com 
unenblid^  kleinen,  bie  abfolute  Bewegung  t)on  ber  abfoluten  9lul)e  nid^t 
üerfd^ieben  fei;  ba^  rair  alle§  t)on  ®ott  au^äufagen  unb  aUeS  if)m  ah- 
jufpred^en  ^aben;  ba§  er  nid^t  blo§  alle  Sßirf lid^feit ,  fonbern  au^  atte 
3Jii)glid[;feit  in  fic^  fd)liefee,  nidfjt  blo§  bie  ^^orm,  ber  ©nbämedf  unb  bie 
fd^öpferifd^e  Urfad^e,  fonbern  anä)  ber  (Stoff  aller  ©inge,  ba§  ©ine  ab- 
folute ^rincip  ber  2ßelt  fei;  baB  balier  @ott  ber  SBelt  unb  bem  'tSlen- 
fd^en  mefenttic^  gegenwärtig,  baS  ©anje  in  jebem  Slieil  fei,  unb  ber 
3Jlenfd^  nur  fid^  felbft  §u  erfennen  braud^e,  um  ben  ©runb  alles  (SeinS 
gu  erfennen.  2ln  bie  D^euplatonifer  fd^liefet  er  fid^  an,  roenn  er 
eine  breifac^e  Seit  uuterfc^eibet,  bie  göttlid^e,  bie  inteUigible  unb  bie 
finnlid^c,  unb  bem  entfpred^enb  eine  breifad^e  2lrt  beS  ©rfennenS,  unb 
roenn  er  unä  ftufenroeife  t)on  bem  niebrigeren  ©rfennen  jum  pfieren 
ju  füliren  fud^t;  mit  ^lato  unb  ben  5pi;tl)agoreern  erfennt  er  in  ben 
3al)len  unb  ben  mat^ematifd^en  S3erl)ältniffen  bie  unüeränberlidl;en 
j^ormen  ber  SBeltorbnuug ;  mit  ben  3kuplatonifern  unb  il)ren  SSor= 
gangem,  ben  ©toifern,  üertl)eibigt  er  bie  ^ottfommen^eit  biefer  Drbnung 
burd^  ben  @ebanfen,  ba^  alles  in  i^v  fo  gut  fei,  als  eS  an  feinem  Ort 


$utnamfmu§  nnb  9?aturforf(^ung.    3;euti(^e  ^^ptatonifer.  21 

fein  fann.  Wtit  ben  ^(atonifem  feiner  3ßit  raiberfe^t  er  fic^  ber  2ll(ein= 
f)erri(f)oft  bei  äCriftotele» ;  mit  if)nen  t^ei(t  er,  bei  ader  (?ntfcf;iebenf)eit 
feine»  c^riftüd^en  ©laubenl,  eine  Söeitfierjigfeit  in  retigiöfen  S^ingen, 
n)el(^e  bie  Äeime  ber  3Sa§rf)eit  auc^  bei  aJlu^amebanem  nnb  Reiben 
anerfennt,  unb  auf  Slbroeic^ungen  in  ben  äußeren  @ebräuc§en  geringe^ 
©eroic^t  legt.  3?erfnüpfen  fid^  and)  mit  biefen  oon  ber  iierrf^euben 
9tid^tung  ber  @(^o(aftif  abmcic^enben  (Elementen  bei  bem  ßufaner  anöere, 
i§r  oerroanbte,  fo  liegt  bod^  feine  raefentHc^e  gefd^ic^tüc^e  ^öebeutung 
auf  ber  «Seite  jener  reform tttorifd^en  Seftrebungen ,  ineld^e  burc^  ben 
^umanifmul  §eroorgerufen,  in  ber  ^f)i(ofop^ie  beg  15.  3a^rf)unbert§ 
üor^ugsroeife  burc^  bie  ptatonifd^e  2(^u(e  oertreten  werben.  3ln  bie 
gleidje  Sd^ule  [efmt  fid^  gegen  ba§  Gnbe  biefel  5at)rf)unbert§  ^o§ann 
3leud^(in  an,  roefd^er  in  ^taÜen  mit  ben  bortigen  ^latonifem  unu 
burd)  j5ran5  ^^ico  auc^  mit  ber  Äabbala  befannt  gemorben  mar,  n)e((^er 
aber  freilid)  ben  9iu^m,  ber  if)m  aU  ^umaniften  in  uoüem  93kße  ge^ 
bü§rt,  burc^  feine  pf)iIofopE)ifd^en  3>erfuc§e  nic^t  oerme^rt  §at.  ^n  feiner 
lebhaften  ^^olemif  gegen  Slriftotele»  unb  gegen  bal  gan5e  fgliogiftifd^e 
3}erfa£)ren  ber  Sc^ulp^ilofopfien,  in  feiner  33emunberung  ber  ^abbala 
unb  be»  ^i;tf)agoreifmu§ ,  in  feinen  ^TeuBerungen  über  ba»  ,31^1^"^"^^"= 
fatten  ber  ©egenfä^e  unb  bie  Rotiere  2Sa^r§eit  beffen,  mal  bie  Q^ernunft 
für  roiberfpred^enb  unb  unmögiid^  erfiärt,  in  feinen  iöorftellungen  über 
bie  Derborgencn  ßigenfdjaften  ber  S)inge  unb  bie  magifd^en  Äröfte  läßt 
fid^  fein  3iM'Qmmen§ang  mit  gleid^jeitigen  33eftrebungen  unb  2fnfic§ten 
nid^t  üerfennen.  2(uf  bemfeiben  22ege  ift  une  GorneHu»  Sigrippa 
oon  9^ettel§eim  fd^on  früher  (@.  12)  begegnet,  wogegen  9teud^Iin'» 
älterer  3eitgenoffe  Siubolp^  2(gricoIa  5roar  über  bie  DZot^menbigfeit 
einer  pf)i(ofop^ifd^en  9teform  mit  if)m  einoerftanben  mar,  aber  ^infic^ttid^ 
ber  2lrt,  mie  fie  ju  bewirf en  fei,  i\6)  weit  üon  i§m  entfernte.  5^enn 
ftatt  gu  t^eofop^ifd^er  ©etieimweil^eit  feine  3uftuc^t  3U  nef)men,  fud^te 
er  Dielmef)r  ba§i  ioeilmittet  für  bie  wiffenf^aftlid^en  Sd^äben  ber  ^eit 
mit  Saurentiu»  SSaHa  unb  anbern  itatienifd^en  ^f)i[o[ogen  in  ber  dlM-- 
fel^r  gu  einem  einfad^eren  unb  funftloferen  5?erfa^ren,  einer  ^^N^ilofopl^ie 
beg  gefunben  33ienfc^enDerftanbel,  weld^e  allerbingl  nic^t  fe^r  tief  gei)t, 
welche  aber  ben  bialeftifi^en  Uebertrcibungen  ber  3d;oIaftifer  gegenüber 
immerhin  ifireu  23ert^  f)atte. 

Sine  eingreifenbere  I^eihm^me   an   ber   p§i[ofopt)ifd;en  Bewegung 
ber  3eit  modele  man  üon  Un  S^eutfd^en  im  16.  ^a^r^unbert  erwarten. 


22  (Sintcttung. 

3?ott  ©eutfd^tanb  gieng  ja  bie  raeltgefd^id^tlid^e  %i)at  ber  Sleformation 
au§,  burc^  toeld^e  ber  ©eift  erft  in  feinem  innerften  (Srunbe  befreit,  bie 
ftärffte  ron  feinen  bi^fierigen  ^effetn,  ber  S3ann  ber  fird^Iid^en  2lufto= 
rität,  gebrochen,  bie  3JlögItd^!eit  eines  unabhängigen  $Den!en§  gewonnen 
TOurbe.  SBenn  fid^  bie  2öirfung  biefer  großen  geiftigen  IXmroäl^ung  auf 
bie  5pf)i(ofopf)ie  be0  16.  unb  17.  ;3af)rl)unbert§  felbft  in  ben  rontanifd^en 
Sönbern  nid^t  oerfennen  Iä§t,  bereu  Seoötferung  bod^  ber  alten  Äirc^e 
gröBtent^ei(§  getreu  blieb,  fo  l)ötte  fie  in  bem  (Stammlanb  be§  ^ro= 
teftantifmu§,  follte  man  meinen,  fid^  nod^  oiel  frülier  unb  burd^greifenber 
äußern  muffen,  ^em  loar  aber  bod^  nid^t  fo.  ^ene§  Uebergeroid^t  ber 
religiöfen  :^utereffen  über  atte  anbern ,  burd^  roeli^eS  5Ceutfd^lanb  jur 
Sßiege  ber  ^Deformation  mürbe,  mar  einer  felbftänbigen  miffeufc^aftlid^en 
©ntmidlung  nid^t  günftig.  Sie  ürd^lid^en  unb  tl)eologifd^en  2lufgaben, 
ber  Äampf  ber  jungen  ^irc^e  um  il)r  5Dafein,  bie  inneren  ©treitigfeiten 
ber  ^roteftanten  ual)men  auf  biefer  (Seite  bie  tüd^tigften  Gräfte  für  fid^ 
in  2lnfprud^;  bie  ©egner  i^rerfeitS  maren  tl)ei(§  gteid^fattS  mit  ber  216- 
rcel)r  ober  ber  SBiebergeroinnung  ber  SlbgefaHenen  oollauf  befd^äftigt, 
tlieitS  glaubten  fie  aud^  in  ber  2Biffenfd^aft  nur  um  fo  jälier  am  Sllten 
feftlialten  §u  muffen,  nad^bem  fid^  ber  @eift  ber  Sfieuerung  für  ilire 
Äird^e  fo  üerberblid^  erroiefen  f)atte.  2ll§  nun  üoHenbS  balb  nad^  bem 
3lnfang  bei  17.  ^al)rl)unbertl  bie  lange  genälirte  ^einbfd^aft  ber  fird^= 
lidlien  ^artfieien  in  einen  brei§igjöl)rigen  t)erl)eerenben  Ärieg  auSbrad^, 
erlitt  nic^t  allein  bie  9JJod^t  unb  ber  3Bol)lftanb ,  fonbern  auc^  baS 
TOiffenf(^aftlid^e,  fittlid^e  unb  Kulturleben  ®eutf(^lonb§  einen  ©to§,  üon 
bem  e0  fid^  nur  langfam  erl)olen  lonnte.  ©o  mar  gerabe  bie  Qdt, 
roäl)renb  raeld^er  in  ©nglanb  unb  in  granfreid^  ju  einer  nationalen 
^^ilofopl)ie  ber  ©runb  gelegt  raurbe,  bie  erfte  ^älfte  bei  17.  ^ai)V' 
^imbertS,  für  S)eutfd^(anb  eine  ^eriobe  ber  erbittertften  Kämpfe,  be§ 
tiefften  Unglüdfl,  ber  äufeerften-S^erarmung,  ©ntoölferung  unb  SSerroil^ 
berung.  Unter  foldf;en  Hmftänben  begreift  eg  fid^,  menn  anbere  SSölfer 
in  ii)xev  pl)i(ofopl)ifd^en  ©ntraidftung  oor  bem  beutfd)en  einen  bebeuten= 
ben  SSorfprung  gemannen. 

Sin  ben  Sel)ranftalten  be§  f atliolif d^en  2)eutfd^lanb§  mürbe  bil 
in  ba§  18.  3al)rl)uubert  t)inein  au§fd;[ieBlid^  fd^oloftifd^e  ^l)ilofopl)ie 
üorgetvagen;  für  bie  2lu§roal)t  unter  ben  üerfd^iebenen  fd^olaftifd^en 
Sluftovitäten  unb  für  bie  2luffaffung  unb  S)arfteIIung  i^rer  £et;ren 
mürbe  ber  S^organg  ber  :3efuiten  ma^gebenb,    meldte  fic^  bei  l)öl)eren 


Unterrichts  in  her  !at{)otif(^en  ^ivä)e  halb  rorsugSraeife  bemächtigten. 
$rie  beutfc^en  ^roteftanten  t)ätten  groar  burd^  Sut^er  von  aller 
Söefd^äftigung  mit  ber  ^^i(o[op^te  aBgefd^redt  werben  fönnen.  Sie  reü- 
giöfe  Spurre,  bie  praftifd^e  Unfrudjtbarfeit  ber  ©d^olaftif,  bie  33ereit. 
miffigfeit,  mit  welcher  fte  fid^  jur  9ie(^tfertignng  ader  f)ierard;ifc^en  2ln= 
maBungen,  gnr  3?ertf)eibignng  aller  firc^üc^en  9)ii§bräud;e  fiergab,  Jiatten 
in  Sutfier  eine  tiefe  SIbneigung  gegen  biefe  3JJenfc^enraei§t)eit  nnb  gegen 
ben  grie(^ifc^en  ^f)iIo[op{)en  erzeugt,  beffen  SluSfprüc^e  i^x  mefir  galten 
unb  beffer  befannt  maren,  al»  bie  be§  @t)angelium§.  Ser  myftifc^e 
3ng  feines  SBefenS,  ron  ben  2lnf($auungen  ber  @df)art'fd;en  ©d;ule  ge^ 
nöl)rt,  miberftrebte  einer  Sßiffenfd^aft,  roeld;e  alles  befiniren,  bemonftriren, 
biScutiren,  bie  göttlichen  ©efieimniffe  in  menfc^lidje  begriffe  faffen  wollte; 
biefe  33egriffe  waren  ii>m  gu  troden  unb  ju  bnrftig,  als  ba^  bie  ^e- 
bürfniffe  feines  tiefen  @emütl)S  il)re  ^efriebigung ,  bie  Eingebungen 
feines  genialen  ©eifteS  iliren  genügenben  StuSbrud  in  i^nen  fiätten  fin= 
ben  fönnen.  S)ie  Strenge  ber  logifc^en  j^^ormen  beengte  ein  S)enlen, 
meld^eS  lieU  genug  mar,  um  bie  2Biberfprüd;e  mand^er  Se^rbeftimmnngen 
ju  bemerfen,  gugleid^  aber  burd^  religiöfe  ^ntereffen  unb  bogmatifc^e 
Ueberlieferungen  innerlid^  ju  fel)r  gebunben,  um  ben  legten  ©runb  biefer 
2öiberfprüd;e  gu  entfernen,  unb  fid^  anberS,  als  burd^  a)?ad^tfprüd^e  beS 
frommen  Semu^tfeinS  unb  burd^  unllare,  roenn  aud^  geift=  unb  p^an^ 
tafieüolle,  Slnfd^auungen  barauS  gu  retten.  ®er  götttid^en  Offenbarung 
wollte  er  in  ©laubenSfad^en  alles,  ber  menfd^lid^en  33ernunft  nid^t  baS 
geringfte  gu  üerbanlen  liaben;  biefe  SSernunft  erfd^ien  iijm  nid^t  bloS 
gefd;wäd^t,  fonbern  üollftäubig  x)erfel)rt  unb  oerbunfelt  burd^  bie  ©ünbe, 
nid^t  bloS  unfäl^ig,  hk  göttlid;e  SBa^rl^eit  §u  finben  ober  ju  begreifen, 
fonbern  gerabegu  gezwungen,  if)r  gu  wiberfpred;en.  S)ie  eigenen  ^e= 
fenntniffe  ber  ^l)ilofopl)en  beftärften  il)n  in  feiner  Slnfid^t;  benn  bie 
jüngeren  ©d^olaftiler ,  unb  befonberS  bie  DIominaliftcn ,  an  weld^e  fid; 
Sutlier  gunäd^ft  ^ielt,  liatten  eS  ja  oft  genug  unb  mit  aller  ©ntfd^ieben- 
lieit  auSgefprod^en,  ha^  bie  ^ßernunft  nid^t  im  ©taube  fei,  bie  @laubeuS= 
wal)rl)eiten  gu  beweifen,  ober  aud^  nur  gegen  Einwürfe  genügenb  §u 
t)ertl)eibigen,  baB  liier  alles  lebiglid^  ron  bem  ^Belieben  ©otteS  ab- 
l)änge  unb  bem  9Jtenfd^en  nur  burd^  Offenbarung  befannt  werbe; 
unb  biefer  Ueberjeugung  lonnte  eS  in  feinen  Singen  nur  gur  58e= 
ftätigung  bienen,  baB  i^m  in  ber  ^-olge,  unb  namentlid^  in  ben  SSer= 
lianblungen  mit  ^^^i^öli  vim  baS  Slbenbma^l,  Selirbeftimmungen,  wel^e 


24  ©iuleitung. 

für  if)n  ben  f)ö(^ften  Sßertf)  fiotten,  mit  ©rünben  beftritten  würben, 
bereu  (ogifc^e  tlnwiberleglid;feit  er  felbft  fi(^  ni(^t  gang  oerbergeit  fonnte. 
©0  wenig  bat)er  Siitfier  felbft  ^öebenfen  trug,  aud^  bei  tl^eologifd^en 
grogen  ouf  ^eruuuftgrünbe  5urü(f5ugef)en,  unb  fo  gro§  uub  ent[(^eibenb 
ber  2lutf)eil  ift,  toeld^er  ber  l^umaniftijd^en  3Iuf!Iäruug  feiner  3ctt  uub 
feinem  eigenen,  oon  9?atur  ungemein  ffaren  unb  gefunben  5ßerftaub  an 
feinem  reformatorifd^eu  SBerfe  ganj  ougenf(^einIi(|  jufommt,  fo  gering= 
fc^ö^ig  unb  abraeifeub  äußerte  er  fi(^  boc^  über  bie  „^^rau  SSernunft", 
fobalb  fie  if)m  ftörenb  in  ben  3Beg  trat,  ^n  geitlic^en  fingen  fottte  i^r 
Sid^t  lüof)!  ausreichen,  au($  gur  ©rfenntnife  be^  göttlichen  ©eboteS,  beS 
dieö)t§>  unb  Unrechts,  follte  e§  un5  §infü§ren;  unb  infofern  rairb  fie 
ron  Sutfier  auSbrücflid^  aU  ba§  befte  von  allen  5Dingen  biefeS  SebenS, 
ja  als  etmaS  göttliches  anerfannt.  Slber  in  attem,  maS  unfer  ©eelem 
f)eil  angellt,  ift  fie,  raie  er  glaubt,  ftodblinb,  unb  je  finnreici^er  fie  im 
übrigen  ift,  um  fo  fieserer  unb  um  fo  gefälirlic^er  wirb  fie  un§  auf 
biefem  ©ebiet  irreführen.  ^§m  ift  eS  bal^er  üotter  ©ruft  mit  ber  §8e= 
liauptung,  liinter  meldte  fic^  ehen  bamals  bie  freigeifterifc^en  italienifc^en 
2lriftotelifer  jur  @ntfd;ulbigung  ilirer  Äe^ereien  ju  oerftecfen  pflegten, 
ha^  etraaS  in  ber  2;i)eologie  raalir  unb  in  ber  ^l^ilofopliie  falfd^  fein 
fönne;  ja  er  graeifelte  nici^t,  ba^  bem  fo  fein  muffe,  unb  er  fonb  e§ 
t)on  ber  Sorbonne  abf($eulic^,  ba^  fie  burc^  bie  SSerbammung  biefeS 
@a^e§  bie  menfc3^li(^e  33ernunft  gur  Sfiic^terin  über  bie  ©laubenSraatir; 
lieiten  gemad;t  l)abe.  Sllle  biefe  Hngunft  gilt  nun  natürlich  junäd^ft  ber 
^l)ilofopl)te.  SDie  einfad;e  uuüerlunftelte  SSernunft  ruft  er  felbft  ^un- 
bertmal  an;  aber  gegen  bie  9?ernunftn)iffenfc^aft ,  bei  ber  er  freilid^ 
immer  ^unäi^ft  nur  an  bie  ©ci^olafti!  unb  ben  fd;olaftif(^  erklärten  2lris 
ftoteleS  beult,  l)at  er  nic^t  aEein  ba§  3)ZiBtraueu  beS  offenbarungSglau; 
bigen  Xl)eologen,  fonbern  aud^  ben  Söibermitlen  einer  genialen  unb  ur= 
fräftigen,  aber  ber  jergtiebernben  Slefleyion  abgeneigten,  auf  lebenbige 
Slnfd^auung,  ungetl)cilte  ©mpfinbung,  ungebrochenes  SBollen  geftellten 
Statur.  3n  bem  2Biberfprud^  gegen  bie  ©c^olaftif  ftimmt  er  mit  ben 
SSätern  ber  neueren  ^^f)ilofopl)ie  überein;  aber  bie  ©rünbe,  auf  meldte 
fic^  biefer  SBiberfprud;  ftü^t,  liegen  bei  i^m  burd^auS  auf  berSeite  ber 
antipf)ilofopl)ifd^cn  9}ii)ftil.  ^Ijm  l)at  baS  3J?ittelalter  nid;t  ju  wenig, 
fonbern  ju  uiel  ^^l)ilofopl)ie ;  nidjt  bie  33efd;ränl'tl)eit  unb  ©ebunbcn^eit, 
fonbern  bie  2tnmaf3ung  unb  .^errfd;fud;t  ilireS  ^enlenS  ift  ber  §aupt= 
fel)ler  ber  ©d;olaftif.    äßcire  eS  nad)  feinem  ©inn  gegangen,  fo  mürbe 


fic^  bte  ^^itofopl^ie  bei  ben  ^roteftantcn   mit  einer  fefir  befd^eibenen 
6tellung  unb  fe^r  tnäBigen  Seiftungen  begnügt  |oben. 

;3nbe[fen  war  ba§  S3orurt{)eiI  gegen  bie  5pf)i(ofop^ie  nic^t  überod 
fo  ftarf,  n)ie  bei  Sut^er.  ^^^^^^Ö^i/  "^^^  ^^^  ^oufe  au0  mefir  §u: 
manift  unb  weniger  bloßer  2;f)eoIog  xoav,  al§  jener,  ftonb  if)r  weit  nid)t 
fo  feinbfelig  gegenüber.  2(u(^  er  will  jraar  feinen  ©lauben  einzig  unb 
allein  auf  ben  ©eift  @otte§  unb  bie  f)ei(ige  ©d^rift  grünben;  aud)  er 
ift  überzeugt,  ba§  bie  Äraft  be§  menfc^Iid^en  ©eifteS  burc^  bie  ©ünbe 
gefd^roäc^t,  feine  @rfenntni§  burd^  feine  35erbinbung  mit  bem  Seibe  yer= 
bunfelt  fei;  unb  roenn  er  ben  meiten  5lbftanb  ^mifd^en  ©Ott  unb  bem 
3}ienf($en  erroägt,  fagt  er  gerabef)in:  n)a§  @ott  fei,  fönne  ber  SJtenfd) 
au§  fi(^  felbft  fo  menig  löiffen,  al§  ein  3)iiftfäfer  miffen  fönne,  ma§>  ber 
3Jtenf(^  fei.  Slber  bie  roeitergeiienbe  S3el^auptung,  boB  bie  3?ernunft  ber 
Offenbarung,  bie  ^f)ilo[op{)ie  bem  ©lauben  i^rer  9?atur  nac^  miberfprcc^e, 
liegt  i{)m  ferne.  @r  felbft  f)at  nid;t  affein  üon  neueren  ^^ilofop^en, 
mie  %xani  ^ico,  fonbern  auc^  non  ben  alten,  einem  ^^lato,  ©eneca, 
(Cicero,  t)iel  gu  üiel  gelernt,  um  nid^t  biefen  äJiännern  unb  it)ren  @d^rif=: 
ten  if)ren  2lnt^ei(  an  ber  religiöfen  2öal)r§eit  sujugeftefien ,  in  bereu 
^efi|  er  fid;  felbft  meiB.  @§  ift  molil  ma^v,  fagt  er,  ba§  nur  ber  ©taube 
feiig  mad^t,  unb  bie  2Bat)rl)eit  nur  uon  ©Ott  fommt.  Slber  mer  lann 
beraeifen,  ba^  Reiben  unmöglid^  ben  mafiren  ©lauben  ^aben  unb  5ur 
©rfenntnijs  ber  2Bal)r^eit  gelangen  fönnen?  ©Ott  mad)t  feiig,  raen  er 
mill,  er  fd^enft  ben  ©tauben  allen,  bie  er  erraälilt  ^at,  unb  bereu  giebt 
eg  aud;  unter  ben  Reiben.  2Bie  bal)er  ^^o^^ö'fi  ^^^  ^^^  (Seligfeit  eine3 
©ofrate^  unb  2{riftibe§,  eineS  Dluma,  «Scipio,  Sato  u.  f.  lu.  nid^t  äraei= 
fett,  fo  trägt  er  aud^  fein  ^ebenfen,  ^Uato  unb  ©eneca  neben  9}^ofe§ 
unb  ^autu§  al§  3^119^"  füi^  feine  ©otteStelire  anzurufen,  ben  alten 
S)id^tern  unb  ^l;ilo[op^en  reine  fitttid^e  ©runbfä|e,  eine  fromme  ©e^ 
finnung,  ben  ©touben  an  ben  iimtiren  ©ott  gu^ufd^reiben ;  ja  er  erflärt 
gerabeju,  ba^  aud^  burd^  ifiren  3Jiunb  ©Ott  rebe,  benn  bie  2Bal)r^eit 
flamme  immer  nom  l)eiligen  ©eift,  roer  fie  aud^  auSfpred^e.  S?on  biefem 
«Stanbpunft  au§  modele  bie  ^^itofopl)ie  ber  Offenbarung  immerf)in  un= 
tergeorbnet,  unb  menn  fid;  jmifd^en  i§nen  ein  Sßiberftrcit  geigte,  modele 
jener  gegen  bie[e  Unrecht  gegeben  werben;  aber  bod;  mar  anerfannt, 
baB  in  beiben  ©ine  Sßafirlieit  niebergetegt  fei,  unb  fie  fonnten  nic^t  in 
biefe0  feinbfetige  SSer^ältniB  gefteUt  werben,  metd^eö  Sut^er  jwifc^en 
il)uen  fo  natürlid^  gefunben  l^atte. 


26  Stnleitung. 

^n  ber  tutfierlfd^en  Äird^e  felbft  war  e§  ror  allem  Sutfier'g  treuer 

3Jiitarbeiter,  ^f)iIipp3Jietan(^tJ)on  (1497—1560),  welcher  \iä)  bur(| 

eine  freunbüdjere  ©teHung  jur  ^{)Uofopf)ie  t)on  feinem  großen  ^reuub 

entfernte,    ©ein  Urtf^eil  mar  aber  in  biefer  @ac^e   um  fo  geroid^tiger, 

ha  er  in  ber  ^f)iIofopf)ie  ebenfogut,  al§  in  ber  2;{)eo(ogie,  ber  Server 

ber  ganjen  beutfc^  =  proteftautifc^en  SBelt  geraefen  ift,   unb  fein  2lnfel^en 

in  jener  fogar  nod^  t)iel  länger   unb  unangefo(^tener  feftftanb,   al§  in 

biefer.    ßr  f)Qt  nun  freilid)  tro^bem  in   bie  ©efc^ic^te   ber  ?ߣ)iIofop{)ie 

lange  nici^t  fo  bebeutenb  eingegriffen,   mie  in  bie  ber  S)ogmatif.    §ier 

finb  eg  bie  meltbemegenben  ^been  ber  9teformation,  welche  9}Zeland;tf)ou 

mit  ber  i^m  eigenen  Ä(arf)eit,  @elef)rfamfeit  unb  Umfielt  auf  ifiren  bog= 

matifc^en  SluSbrud  brachte;  f)ier  be^eic^nen  bafjex  feine  Loci  theologici 

eine  neue  ©poc^e  in  ber  ©efd^ic^te   ber  3)ogmatif.    9)ie(an(^tf)on'^  ^f)i= 

(ofopf)ie  bagegen  ift  boc^  nur  eine  üon  jenen  i)atbfertigen  n)iffenfd^aft= 

ti(ä^en  S3ilbungen,  raie  fie  beim  Uebergang  üom  3JtitteIaIter  jur  SfJeujeit, 

im  3ufammenf)ang  mit  bem  ^umanifmu§,   ju  beffen  erften  SSertretern 

9)ie(and^tf)on  gef)ört,    an  oerfd^iebenen  Drten  gum  ^ßorfc^ein  fommen.  ^) 

3Benn   bie  3)iänget   ber  ©d^olaftif  in  ber  Unfreiheit   be§  Sen!en§,   in 

feiner  2lbf)ängig!eit  üon  !ird;Iic^en  unb  miffenfd^aftlic^en  Sluftoritäten, 

i^ren  tiefften  unb  altgemeinften  ©runb  Jiatten,  fo  ^at  aud;  3)leIan($tf)on 

biefe  Unfreiiieit  noä)  nid^t  grunbfä|li(^  überrounben.    Sßenn  er  ron  ber 

^{)i(ofop{)ie  rebet,  ben!t  er  gunäd^ft  an  bie  alte  ^f)iIofop^ie;   roenn  e^ 

fi(^  barum  f)anbelt,  ben  rid^tigen  p^ilofopf)ifc^en  ©tanbpunft  ju  finben, 

fällt  i^m  bie§  mit  ber  ?^rage  jufammen,  §u  meld^er  üon  ben  p{)i(ofo- 

pf)if(^en  ©c^ulen  be§  2l(terti)um§  man  fid^  {)alten,  ob  man  Slriftotetifer 

ober  ©toifer,   ©pifureer  ober  2Ifabemifer  fein  molle;   benn  mie  e§  fid) 

gehöre,   baB   jebermann  ^Bürger  eine§   beftimmten,   mot)!  eingerichteten 

©taat§  fei,  fo  muffe,  fagt  cr^  aud^  jeber  einer  beftimmten  unb  anftäm 

bigeu  ©c^ule  angefiören.    ©r   felbft  befennt   fid^  mit  aller  entf(^ieben= 

f)eit  5U  2triftotete§,  mit  melc^em  aber  auc^  ^tato,  wie  er  glaubt,  in  ben 

rcid)tigften  ^untten  eiuüerftanbcn  ift.  53ei  if)m  finbet  er  bie  gefunbeften 

®runbfä|e  unb  bie  ric^tigftc  3)lett)obe;   if)m  rülimt  er  auc^  naä),   bafe 

feine  Setiren  mit  ber  gött(id;en  Offenbarung  faft  burd^au^  übercinftim= 


1)  2JIefau(^tf)on'§  p^tlofop^ifd^e  ©c^viften  finben  fic^  im  13.  unb  16.  33anb  ber 
^ilu^gabe  öon  Sretfc^netbcr  unb  Sinbfeil  (Corpus  Reformatorum  ed.  Bretschn.)  5(uf 
biefe  ^luSgabe  bcjie^en  fid)  bie  nad^folgenbcn  Sermcifungcn. 


SD^eknc^t^on.  27 

men.  ^)  ©o  toeit  bie|  ni(^t  ber  ^all  ift,  natürlich,  lä^t  er  if)n  fallen ; 
wie  er  benn  überfiaupt  ben  Sßertl^  ber  ^f)iIo[opf){e  jraar  nid^t  gering  an- 
fc^lögt,  aber  bod^  äugletc^  oon  ber  2Baf)rf)eit  ber  Dffenbarnng  nnb  ber 
©(^roäd^e  ber  menfd^üd^en  3Sernnnft  viel  §n  feft  überseugt  ift,  um  biefer 
gegen  jene  irgenb  eine  ©timme  einzuräumen.  ®er  @laube  an  ba§  ®a= 
fein  @otte§,  an  feine  @inf)eit,  feine  SBeiSfieit,  feine  @üte,  feine  §eilig= 
feit  unb  ©ered^tigfeit,  an  bie  göttlicf;e  2öetterf)altung  unb  SBeltregierung, 
ift  un§  üon  ber  5?atur  eingepflanzt,  unb  mir  fönnen  biefe  Ueber^eugung 
burd^  alle  jene  ^eraeiSgrünbe  unterftü|en,  meldte  aJle(and^tl)on  nad^  bem 
SSorgang  ber  alten  ^fiilofop^en  in  großer  Qai)i  aupf)rt.  SSiel  uoll= 
fommener  ift  aber  freitid^  bie  ©rfenntni^  ®otte§  unb  feiner  Offenbarung, 
meldte  un§  bie  lieiüge  ©c^rift  mitt^eilt,  unb  nodf)  unmiberfprec^lid^er 
ba§  3^"gtti§/  raeld^eg  bie  SBunber  ber  t)ciligen  ©efd^ic^te  für  fein  S)afein 
ablegen  (XIII,  198  ff.).  Unb  basfelbe  gilt  audl;  oon  bem  göttlichen 
2öillen.  2ßir  fennen  biefen  SBillen  big  zu  einem  geroiffen  ©rabe  fd^on 
burd§  ba§  @efe^  ber  9Zatur,  bie  un0  angeborenen  fittlid^en  ^Begriffe; 
aber  mir  fennen  ilin  mittelft  berfelben  eben  nur  al§  @efe|;  über  ben 
Sfiatlifd^luB  ber  ©rlöfung,  bie  Sebingungen  ber  ©ünbeuüergebung ,  ben 
Sßeg  zur  ©eligfeit  für  ben  gefallenen  3Kenfd^en  fann  un§  nur  ba§ 
©üangelium  unterrid^ten  (XVI,  21.  168  f.  417  f.  534  f.).  (Sine  ge= 
funbe  ^l)ilofop^ie  wirb  ba^er,  raie  3)Zeland^t§on  glaubt,  mit  ber  Dffen^ 
barung  ^max  im  allgemeinen  in  feinen  SBiberftreit  fommen;  fofern  un§ 
aber  burd^  bie  le^tere  etraaS  mitget^eilt  mirb,  mag  mir  mit  unfern  33e= 
griffen  nid^t  zu  oereinigen  miffen,  oerftel^t  e§  fid^  für  il)n  üon  fclbft, 
ha^  mir  auf  biefen  nid^t  ^^u  feft  beftel)en  bürfen;  roie  er  z-  ^.  in  feiner 
S)ialeftif  (XIII,  703)  bem  ©a^e:  ein  unb  bagfelbe  ^nbioibuum  fönne 
nicl)t  au§  bigparaten  Slrten  zufammengefel^t  fein,  bie  (Sinfc^ränfung  bei= 
fügt:  nur  auf  bie  ^erfon  ßlirifti  finbe  biefe  fonft  augnal)mglofe  9tegel 
feine  Slnraenbung.  SJlelanclit^on  unterfd^eibet  fid^  balier  t)on  ber  ©(^o= 
laftif  nid^t  fomol)l  bur(^  fein  adgemeineg  TOiffenfcl;aftlic^eg  ^rincip,  alg 
burc^  bie  nähere  ^eftimmung  unb  2lnroenbung  biefeg  ^rincipg.  ©r 
fteltt  ber  fd^olaftifc^en  2luffaffung  beg  Slriftoteleg  unb  ^^piato  im  ©inn 
beg  ^umonifmug  eine  rid^tigere,  ber  fd^olaftifd^en  ©ialeftif  ein  einfadljereg 
unb  gefd^macfooflereg  ^ßerfa^ren,  ber  fird^tid;en  Heberlieferung  bie  ^ibet, 
ber  mittelalterlid^en  S)ogmatif  bie  neue  reformatorifcf;e  entgegen.    Slber 


1)  XIII,  656  f.  382.  520.  294  ügl.  XI,  282  f. 


28  (Einleitung. 

barirt  trifft  er  mit  ben  ©d^olaftifern  äufammen,  bo^  e§  an^  U)m  ni($t 
iitn  eine  burd)au§  unabhängige  unb  reine,  fonbern  nur  um  eine  folc^e 
^f)i(o|op^ie  3U  t^un  ift,  welche  i^rem  roefentlid^en  ^n^lt  m^  mn  ben 
Sllten  entlehnt,  üon  ber  pofitiüen  9teligion  6eüormunbct,  in  erfter  9^ei()e 
at§  §ütf§n)iffenfd;aft  für  bie  Slfieologie  gefuc^t  roirb. 

3?on  biefem  @tanbpun!i  au§  t)at  9}letand;tf)on  alte  ^^ei(e  ber  ^fii^: 
(ofopf)ie  nid^t  b(o§  in  diommentaren  gu  ciceronifd^en  unb  ariftotelifc^en 
äßerfen,  fonbern  au^  in  fe(bftänbigen  S)arfteIIungen  betianbelt,  raeld^e 
big  in'§  17.  ^af)r^unbert  l^inein  bie  fte^enben  Sefirbüc^er  ber  bentfd)= 
proteftantifd^en  ©elcljrtenfc^ulen  unb  Uniüerfitöten  geraefen  finb,  unb 
roetd^e  fic^  einer  folc^en  ^Verbreitung  erfreuten,  ba^  j.  S.  feine  S)ialeftif 
§roif($en  1520  unb  1583  nid^t  weniger  aU  28  Sluftagen  erlebte.  ®§ 
finb  auc^  toirflid^  in  it)rer  2lrt  oortrefflid^e  £et)rfd;riften :  roof)Igeorbnet, 
uottftänbig,  geteert,  oon  mufterf)after  ^(arfieit  unb  eleganter  ©arfteHung, 
burd^roeg  auf  ba§  ^ebürfniB  be§  Unterrichte  unb  bie  praftifd^e  Slnwen- 
bung  ber  raiffenfc^afttid^en  Seigren  berechnet.  Slber  balinbred^enbe  ©e^ 
banfen,  neue  3Jietl)oben,  rücffid^t^Iofe  wiffenfd^aftlid^e  Sonfequenj  barf 
man  barin  nid;t  fud^en.  SDMand^t^on  giebt  in  feiner  S)iatcfti!  eine 
au§fül)rlid^e  unb  forgfältige  ©arftellung  ber  überlieferten,  in  ber  $aupt= 
fad;e  ariftotelif d^en,  Sogi!  mit  ©infd^lu^  ber  ^ategorieenlel)re ,  unb  er 
fe|t  in  biefem  3ufammen^ang  anä)  feine  erfenntuiBt^eoretifd^en  Slnfid^ten 
au^einanber.  ^(fe§  unfer  3öiffen  entfpringt,  wie  er  fagt  (XIII,  G48. 
143),  aus  brei  Üuelleu,  unb  CiS  giebt  bemgemö§  brei  i^riterien  ber 
2Ba^rf)eit:  bie  allgemeine  @rfal)rung,  bie  angeborenen  Segriffe  ober 
^rincipien,  unb  baS  logifc^e  @d;lu§t)erfa^ren.  Slber  bei  ber  ©rfa^rung 
benft  er  nic^t  an  eine  roiffenfdiaftlid;  genaue,  üollftänbige  unb  fritifd^ 
gefid^tete  Seobad^tung,  loie  fie  fpäter  Saco,  im  ©egenfa^  ju  bem  f)er= 
fömmüd^en  S8erfal;ren,  üerlqngt  l^at,  fonbern  er  uerftefit  baruntcr  nur 
im  allgemeinen  „biejenigen  Xl)atfad^en,  über  meldte  alle  uerftänbigen 
ßeute  einig  finb" ;  unb  ju  ben  angeborenen  ^^rincipien  unb  ^runbfä^en 
red^net  er  eine  9JJenge  üou  logifc^eu,  matl)ematifd;en ,  naturmiffeufd^aft- 
liefen,  tl)cologifd;en  unb  moralifd;en  Ueber^eugungen  von  fe^r  oerfd^ie= 
benem  Urfprung  unb  fel)r  ungleid;er  ^altbarfeit.  S)ie  gleid;e  ©id;er^cit 
nimmt  er  aber,  luie  fid;  bie^  t)on  il)m  nidjt  anberS  erraarten  lä§t,  aud^ 
für  alle  geoffenbarten  SBal)rl)eiten  in  Stnfprud),  mögen  nun  biefe  ber 
ä5ernunftiüat)rl;cit  nur  jur  53eftätigung  bienen,  ober  etmaS  neueö  3U 
ii)x  liin^ufügen:  roenn  atleS  märe,  loie  c§>  fein  foHte,  fagt  er,  fo  mürbe 


Ttüan(i)tt)Ott.  29 

bie  3ruferftef)ung  be§  Seibe§  unb  bie  etoigfeit  ber  ^öUenftrafen 
allen  uentünftit]en  ©pfc^öpfen  ebcnfo  ungtüeifeltiaft  fefiftetien,  ai§>  bcr 
©a|,  bo^  Sinei  mal  rier  aä)t  ift.  grot^en  wir  roeiter  mä)  ben  le|ten 
©rünben  ber  3)in9e,  fo  nennt  9)leIand^tf)on  (XIII,  293  f.)  at§  fol^e 
t{)e{(l  mit  2lriftote(e§  bie  9Jtaterie,  bie  gorm  nnb  bie  Seranbung,  tf)eit§ 
mit  ^fato,  welcher  if)m  in  biefem  galle  noc^  beffer  gefäüt,  ©Ott,  bie 
9J?aterie  unb  bie  ^hee;  er  fe^t  nämlid;  üorau§,  ba^  biefe  beiben  ßel^r= 
raeifen  einanber  ni^t  au§fc^Iie§en,  fonbern  nur  ergänjen,  unb  er  wei§ 
felbft  ben  tiefge^enben  ©egenfa^  ber  beiben  ^^itofopben  in  ^Betreff  ber 
^been  unfd^äbtic^  gu  niad^en  unb  ^(ato  mit  feinem  eigenen,  wefentlid^ 
nomina(iftif(^en  ©tanbpunft  gu  üerföfmen,  inbem  er  befiauptet  (XIII,  520) : 
jebeS  SBirflii^e  fei  ein  ©inselroefen,  bie  @attung§^  unb  2trtbegriffe  ^aben 
fein  S)ofein  au^er  bem  SSerftanbe;  ^lato  fei  aber  auä)  weit  entfernt, 
i^nen  ein  foI(^e§  ^u^uf rfjreiben ,  er  yerfte^e  unter  ben  i^been  ba§felbe, 
mie  2triftote(e§  unter  ben  formen,  unb  feiner  von  beiben  benfe  babei 
an  etroaS  anbereS,  ai§  an  bie  ^Silber  in  ber  Seele,  wenn  auc^  ^iato 
burc^  feine  figürlidje  3fleberoeife  ju  bem  3}iiBuerftänbniB ,  a.l§>  ob  bie 
^been  etma^  für  fi(^  befte^enbeä  feien,  2(nlaB  gegeben  t)abe.  2ln  biefe 
Erörterung  fd^iie^t  fic^  bann  (XIII,  306  ff.)  eine  2lu§einanberfetutng 
über  bie  oerfc^iebenen  2(rten  ber  Hrfad^en  an,  meldte  nad)  üierje^nerlei 
@efi(^t§punften  getf)ei(t  werben.  Unfer  ^f)eoIog  fa^t  unter  benfelben 
uatürlid)  oor  allen  anbern  bie  götttii^e  llrfäd^üc^feit  in'§  2luge  unb 
beginnt  beJ3f)alb  feine  ^f)i)ftf  (XIII,  198),  unter  ben  ^mei  S^iteln: 
üon  @ott  unb  ber  33orfef)ung,  mit  einem  2lbri^  ber  natürlichen  5Cf)eo= 
iogte,  ber  jebo(^  faum  etraa§  eigent^ümlid)e§  bietet.  S)en  |)auptin^att 
biefer  ©($rift  btibet  aber  eine  9ZatnrIef)re  unb  Slaturbefdjreibung, 
roeli^e  im  2lnfc^luB  on  2triftoteIe§  bie  ^f)9fif,  bie  §immel§funbe  unb 
bie  £ef)re  oon  ben  Gfementen  be^anbelt,  of)ne  fi(^  inbeffen  in  p^i(ofopf)ifc^er 
ober  in  naturmiffenfc^afttid^er  S^ejie^ung  über  ben  gemöfinUd^en  ©taub- 
punft  jener  3eit  gu  erf)eben.  ©o  ift  9Jie(an(^tf)on  5. 53.  ni(^t  aUein  yon 
bem  ©inftujs  ber  ©eftirne  auf  bie  notürlic^en  Slntagen  unb  mittelbar 
auc§  auf  bie  ©(^idfale  ber  3Jlenf(i^en  überzeugt,  fonbern  er  glaubt  auc^ 
an  anbermeitige  ^Sorbebeutungen,  an  meiffagenbe  träume  aHer  2(rt  unb 
an  mand^erlei  <B:i)nä,  meieren  ber  3:eufel  tl)eit§  in  ben  ©emütl)ern,  t^eils 
in  ber  SluBenroelt  treiben  foH  (XIII,  322  f.  335  ff.  350  ff.  99  f.); 
bagegen  erfi^eint  ifim  bie  Seiire  von  ber  S3en)egung  ber  @rbe,  bur(^ 
bereu  miffenfd^afttici^e  ^Begrünbung  ßopernicuä  eben  bamals  ber  Sleformator 


30  (Stnicttung. 

her  Slftronomie  getoorben  tüor  ^),  fo  loiberfinnig ,  bo^  er  barüber  üoII 
©ntrüftung  bemerft  (XIII,  216):  fold^e  IXngereimtfieiten,  im  2öiber[prud^ 
mit  bem  älugenfd^ein  unb  bem  tiaven  Sen^ni^  ber  ^.  ©d^rift, 
öffentüd^  §u  behaupten,  fei  nid^t  raolilanftänbig  unb  gebe  ein  fd^lei^teä 
33eifpiel.  .§ier  bleibt  er  basier  mit  2lriftotele0  bei  bem  geocentrifd^en 
©pftem  fielen,  in  beffen  näf)erer  2ln§füf)rung  er  fi($  an  bie  bolb  nod^ 
SlriftoteleS  auf  gekommene  Slfieorie  ber  ©picyfeln  unb  (Sffentren  f)ätt. 
Um  fo  entfd^iebener  befämpft  er  allerbingg,  wie  bieB  bie  (^riftli(^e 
Xt^eologie  t)on  jeiier  getrau  f)at,  bie  2ei)xe  bie[e§  ^f)ilo[op{)en  üon  ber 
©migfeit  ber  2öelt,  inbem  er  if)r  nic^t  blog  bie  3lu!torität  ber  Offenbar 
rung  entgegenplt,  fonbern  auä)  i^u  ^eraeiSgrünbe  in  eingef)enber  (Bx- 
örterung  ju  entkräften  fud^t  (XIII,  221  f.  376  f.).  ©onft  aber  treffen 
mir  bei  i§m  faft  burc^auS  bie  ariftotelifc^e  Sflaturlefire.  2)em  gleid^en 
güfirer  folgt  er  auc^  in  ber  5p  f i;  c^  o  l  o  g  i  e.  3}ieland^tt)on'a  6d^rift  Don 
ber  ©eele  ift  eine  9tad^bilbung  ber  gtei(^namigen  ariftoteIif(^en ;  nur 
giebt  er  barin  tf)eil§  aud^  bie  t)on  2lriftotele§  an  anberen  Orten  bef)an= 
belte  ^efd^reibung  bei  menfd^tid^en  Seibel,  nad^  SJta^gabe  bei  bamaligen 
2ßiffen§,  in  atter  2lulfüf)rli(^feit ,  tlieill  oerbinbet  er  mit  ben  ariftoteli= 
fd^en  S3eftimmungen  einzelne  abroeic^enbe  2lnnal^men  ©alen'l,  tl^eilS 
mibmet  er  ben  tf)eologif(^  wichtigen  fragen  ber  2lntf)ropotogie  feine  be= 
fonbere  2lufmerffam!eit  unb  oerldBt  bie  ariftotelifd^e  Sefire  an  ben 
5punften,  rao  fie  fid^  mit  ber  d^riftlid^en  ©ogmatif  in  einen  [^n  auffatten= 
ben  äöiberfprud^  fe|t.  ©r  befinirt  bie  ©eele  mit  SIriftoteleS  all  bie 
©nteled^ie  ober  bie  £ebenlt{)ätigfeit  if)rel  fieibel;  er  unterfd^eibet  mit 
bemfetben  im  SJtenfd^en  brei  ©eelen  ober  ©eclenfräfte  (benn  er  miß  fid^ 
beibe  2luffaffungen  gefallen  taffen) :  bie  ^flanjenfeele,  bie  S^iiierfeele  unb 
bie  vernünftige  ober  9Jienfd^enfee(e ,  inbem  er  sugleid^  biefe  Unterfc^ei- 
bung  ber  platontfd^en  üon  93egierbe,  3)lutt)  unb  .5?ernunft  gteicfjfe^t ; 
bie  beiben  erftcren  füf)rt  er  auc^  auf  ba§  belebenbe  ^euer  ober  ben 
Sebenigeift  jurücf,  raelc^er  in  ber  bamaligen  2lntl)ropologie  eine  fo  gro^e 
9flolle  fpielte,  unb  üon  ilinen  nimmt  er  an,  baB  fie  burd^  bie  ^^UQUi^Ö 
entfielen,  loogcgen  er  in  Setreff  bei  oernünftigen  ©eiftel  fid^  ^mifd^en 
biefer  2tnnal)me  unb  ber  einer  unmittelbaren  göttlid^en  ©dl;öpfung  nid^t 


1)  ai'leranc^t^on'S  $^^fif  erfd^ien  juerft  1549,  eopernicuS'  Ser!  ü6er  bie  Söewe» 
gungen  ber  ^immdSförper,  auf  rcelrfjeS  er  [xäi  bavin  öfters  unb  in  anberen  ^itücfen 
mit  entfd)iebener  2(nertennung  bcjief)t,  1543. 


SD^eland^t^on.  31 

entf (Reibet.  3Iu(^  im  raeiteren  plt  er  fi(^  metft  an  StriftoteteS ;  rcenn  er 
aber  freiließ  (XIII,  147  f.)  hin  „tf)ättgen  SSerftanb"  biefeg  ^^ilofopfien 
auf  bie  erfinberift^e  ©el6fttf)ätigfeit  be§  @eifte§,  ben  „leibenben  3]erftanb" 
auf  bie  Sluffaffung  be§  (Begebenen  bestellt,  fann  er  felbft  ben  ^'i'^ifß^/ 
ob  bte§  bie  eigentli(^e  3}ieinung  feinet  3Jieifterg  fei,  nid^t  gan^  unter- 
bvürfen.  33on  befonberer  Söid^tigfeit  finb  ii;m  äioei  fünfte:  bie  lln= 
fterbli($feit  unb  bie  9ßillen§frei^eit.  S)ie  erftere,  bei  2(riftoteIeg  befannt; 
ti(^  unfid^er  genug,  beiueift  er  (XIII,  172  ff.)  au^füfirlic^  t^eils  mit 
3^ernunftgrünben,  tf)ei(§  mit  SluSfprüc^en  unb  ßr^ä^Iungen  ber  {).  ©d^rift ; 
unter  ben  erfteren  treten  ober  freilid^  neben  ben  pf)iIofopf)if(^en  ^Beraeifen 
aus  ^(ato  unb  Xenop{)on  aud^  bie  (Seiftererfc^einungen  auf,  oon  benen 
er  foraofil  aus  eigener  aU  auS  frcmber  @rfaf)rung  jn  fprei^en  oerfic^ert ; 
unb  roenn  er  unter  ben  le^teren  bie  3luferftef)ung  ßtirifti  unb  bie  mit  i^r 
oerbunbene  Sßieberbelebung  anberer  lobten  üoranftellt ,  fo  taucht  i^m 
nid^t  allein  an  ber  @efcf;td^t(id)feit  biefer  5tf)atfo(^en  felbftüerftänblid^ 
nid^t  ber  leifefte  B^eifel  auf,  fonbern  bie  ©inmifc^ung  fotd^er  tf)eolo= 
gif(^en  ©(erneute  in  eine  p()i(ofopf)ifd^e  Unterfud^ung  ftört  i^n  aucC)  fo 
wenig,  baB  er  fid)  a.  a.  D.  fogar  in  f)öd^ft  gemüt{)Iic§en  3Sermutf)ungett 
barüber  erge()t,  meiere  ^erfonen  rnofil  mit  (St)riftuS  auferftanben  feien, 
unb  mie  ©oa  unb  anbere  alte  SRatronen  bei  biefer  (Gelegenheit  bie 
aJiaria  befud^t  unb  il)r  oon  ber  ^orjeit  ex^ä^U  l)aben  mögen,  ©benfo 
it)ic()tici,  lüie  bie  Unfterblid^leit,  ift  i^m  bie  2BiIIenSfreil)eit.  (£r  rert^ei; 
bigt  biefetbe  gegen  ben  p^ilofopl)if(^en  raie  gegen  ben  l^eologifd^en  ®eter= 
minifmuS  mit  (Semanbtlieit  (XIII,  157  f.  XVI,  42  f.  189  f.);  aber 
neue  (SJefid^tSpunlte  l)at  er  ber  fdl;on  im  fpäteren  2lltertl)um  fo  üiel  oer- 
lanbelten  ^rage  ni(^t  abäugeroinnen  oermoc^t,  unb  bie  6cl;n)ierigfeiten,  in 
meldte  il)n  bie  proteftantif(^e  Seiire  üon  ber  (^rbfünbe  bei  biefen  Unter- 
fucf)ungen  rerroidelt,  wei^  er  mit  bem  ©a^e,  ba^  bem  3Jtenfd§en  aud^ 
nac^  bem  ?^a(le  nid^t  bloS  in  33eäiel)ung  auf  bie  äuBerlid;e  (Erfüllung 
beS  göttlid^en  SöillenS,  fonbern  aui^  in  Se^ug  auf  bie  innere  2lnnal)me 
ober  58erfd^mäl)ung  ber  göttlid^en  ©nabe  eine  geroiffe  greilieit  übrig 
geblieben  fei,  nur  fel)r  ungenügenb  ju  löfeii. 

(Sine  ä^nlid;e  SSerbinbung  oon  tl)eologifd^en  unb  pl)ilofopl)ifc^en  ®e= 
fid^tSpunJten  läBt  fi(^  and;  in  9}ielanc^tl)on'S  @t  l)  i!  bemerfen.  2)aS  ©itten^ 
gefe^  fällt  il)m  mit  bem  göttlid;en  SBillen,  bie  2;ugenb  mit  ber  @otteSer= 
fenntniB  unb  bem  @el)orfam  gegen  ©Ott  jufammen;  unb  ba  nun  (Sott  feinen 
SBillen  als  @efe|  geoffenbart  l)at,  fo  ift  if)m  biefeS  geoffenbarte  ®efe|  bie 


32  (Stnlettung. 

oottfoinmeiifte  ^arftellung  bei*  fittli(^en  SSerpflici^tungen,  unb  rao  er  eine 
lleberfid^t  über  bie  öauäc  ^ugenblef)re  geben  loitt  (XVI,  60  f.  214  f.), 
legt  er  f)iefür  bie  ^el^en  ©ebote  ju  ©runbe.  'Jlod^  mel^c  l)at  er  aber  hoä) 
für  feine  ®tl^i!  SlriftoteleS  unb  onberen  alten  ©c^riftfielfern  gu  oerbonfen, 
unb  biefetben  finb  e§  anä),  an  roeld^e  fidE)  feine  9ied^t§=  unb  Staatslehre 
gunäd^ft  anfd^lie^t.  S)ie  beiner!en§n)ert§eften  ^üge  ber  le|teren  liegen  in 
feinen  ^Beftimmungen  über  ba§  natürliche  unb  ba§  pofitioe  S^ted^t,  unb 
über  ©taat  unb  Äird^e.  S)a§  natürlid^e  Siedet  umfaßt  bie  ongeborenen 
filtlid^en  @runbfä|e  unb  alles,  raaS  fid^  auS  il)nen  burd^  bünbige  ©d^lüffe 
ableiten  lä^t;  baS  pofitiüe  Stecht  bie  8eftitnmungen ,  loeld^e  bie  6taatS; 
geroalt  ju  benfelben  l)inäufügt.  ^eneS  grünbet  fi(^  l)infi(^tlid^  ber 
^flid^ten  gegen  ®ott  auf  bie  2lbl)ängigfeit  beä  ©efc^öpfS  üom  ©i^öpfer, 
f)infic^tlid^  ber  ^flidjten  gegen  bie  $Rebenmenf($en  auf  baS  SebürfniB 
ber  mmf(^lic^en  ©efettfi^aft ;  biefeS  auf  bie  befonberen  llmftänbe,  roelc^e 
biefe  ober  jene  Einrichtung  als  jroedmäBig  erfd^einen  laffen.  ^eneS  ift 
bal)er  unoeränberlic^ ,  biefeS  fann  mit  ben  IXmftänben  roed^feln.  5Do(| 
giebt  5IReland^t^on  ^u,  ba§  aud;  fcld^e  33eftimmungen,  roeld^e  an  fid^  aus 
hen  ©runbfö^en  beS  natüvlid;en  Sied^tS  folgen  roürben,  auS  befonberen, 
in  ben  tliatfäd^lidjen  3ierpltniffen  begrünbeten  3ftüdfid^ten  mit  anbern 
üertaufd^t  roerben  fönnen.  6o  roäre  3.  33.  an  fidj  bie  ©ütergemeinfd^aft 
naturgemäßer,  aber  burd^  bie  ©ünbe  fei  baS  ^rioateigentlium  jur 
9totl)TOenbigfeit  geworben;  baS  ^infennelimen  (roorüber  näl)ereS  XVI, 
128  ff.  248  f.)  fei  an  fid^  §u  mipilligen,  aber  roeil  man  eS  ni<^t 
gang  fiabe  oerl^inbern  fönnen,  liabe  man  fid^  mit  ber  58efd^ränfung  beS 
3inSfuBeS  begnügt,  ©ie  ^poltigamie,  an  fid^  naturroibrig,  l^abe  ©ott 
aus  befonberen  ©rünben  bei  ben  Sfi^«eliten  gebulbet  (XVI,  70  f.  227  f.). 
®ie  Staatsgewalt  felbft,  üon  ber  alles  pofitioe  9led^t  auSgel^t,  ift  nac^ 
3}lelanc^tl)on  von  ®ott  unmittelbar  unb  ousbrüdlid;  eingefc^t,  unb  er 
grünbet  auf  biefen  il)ren  Urfpmng  bie  33erpflid^tung  jum  @el)orfam  gegen 
bie  Dbrigfeit;  aber  bod;  roill  er  ben  Sßiberftanb  gegen  biefelbe  nid^t 
unter  allen  IXmftänben  nerbieten,  unb  im  ?Jotl)faIl  felbft  hen  2:i;rannen= 
morb  äufaffen.  ^t)re  Stufgabe  beftel)t  in  ber  @rl)altnng  ber  ßud^t  unb 
beS  griebenS;  unb  ba  nun  jur  guten  3w(3^t  aud^  baS  geliört,  baß  feine 
^onbtuugen  gebulbet  roerben,  roeld^e  ben  ^flid;ten  gegen  @ott  roiberftreiten, 
ba  ferner  bie  Dbrigfeit  in  jeber  ^öegie^ung  für  baS  2Sol)l  i^rer  Untertfianen 
Su  forgen  l)at,  fo  ift  fie  üerpflid^tet ,  ben  roa^ren  ©tauben  ju  förbern 
unb  ju  fd)ü§en,  firdjtid^e  3)liBbräud^e  abpftellen,  Äe^ereien  gu  »erbieten 


Wliianäftf^ott  unb  feine  <Bä}nk.  33 

unb  ^u  beftrafen,  beu  ©ö^enbienft  unb  onbere  bem  göttlid^en  ©e|e| 
raiberftreitenbe  3)inge  -^u  unterfagen.  2Bemt  bagocjen  umgefe^rt  von 
tivä){\ä)ev  Seite  ber  2lnfprud^  auf  53ef)errfd^un9  ber  ©toaten  gemacht 
toirb,  fo  finbet  bie§  ber  9ieformator  burc^auS  oenöerjTid^ ;  unb  wenn 
bie  Dbrigfeit  S)inge  gebietet,  iüe((^e  roiber  (S5otte§  ©ebot  unb  ba§  @e^ 
töiffen  gefien,  fo  erinnert  aud^  er  fid^  be§  ©prud^eS,  baB  man  @ott 
mefir  ge^ord^en  rniiffe,  a\§>  ben  2}Zenjd^en.  2Birb  DoHenbg  üon  einer 
^Regierung  oerfangt,  ba^  fie  jur  Unterbrü(!ung  ber  reinen  Sef)re  i^ren 
Seiftanb  (eitie  ober  it)re  ^uftimmung  gebe,  fo  ift  e§  3}?efQnc[;tf)on  mu 
3n)eifelf)aft,  ba§  fie  fic^  burd^  erfüdung  biefe§  S3erlangen§,  unb  menn 
e§  ttudf;  i))x  gefe^lid^er  Dbert)err  (ber  i^aifer)  ftettte,  einer  fd;toereu 
^f(id;tüerle|ung  fd^ulbig  ntad^en  raürbe  0- 

©§  luirb  feiner  weiteren  8e(cge  bebürfen,  um  5U  erfennen,  luie 
weit  3}Jeland^t§on  tro^  ber  großen  33erbienfte,  metd^e  er  fid^  aud^  um 
beu  p§ilofopf)ifc^en  Unterricht  uniäugbar  erworben  ^at,  bod^  üon  einer 
reinen  unb  feibftänbigen  ^^ilofopf)ie  nod^  entfernt  war,  unb  wie  wenig 
eine  folc^e  aud^  nur  in  feiner  2lbfici;t  (ag.  S)a§  gleiche  gilt  aber,  im 
großen  unb  ganzen  genommen,  uon  ber  beutf^en  ^{)t(ofop^ie  überfiaupt 
bi§  über  bie  aJiitte  be§  17.  ;3at)rf)unbert§  fierab.  S)ie  I)errfd^enbe  $Rid^= 
tung  berfelben  war  bie  oon  9)le(and^tt)on,  bem  „Set)rer  ®eutfd^Ianb§", 
angegebene.  ^a§>  ariftotelifc^e  (Softem  fott  bie  ©runbloge  aKe§  pt)ilofo^ 
pt)ifdf;en  Unterrichts  fein,  unb  bie  Unterfc^iebe  unter  ben  einzelnen  ^f)iIo= 
foppen  Hegen,  wa§  bie  gro^e  Weiix^a^  berfelben  betrifft,  äffe  innerfialb 
biefer  ii)rer  gemeinfamen  58orau§fe|ung.  ©ie  alte  wollen  Slriftotelifer 
fein,  wenn  fie  aud;  i^ren  SlriftoteleS  nid;t  alle  gleid^  rid^tig  auffoffen, 
unb  fid^  gu  bemfelben  batb  eine  freiere  balb  eine  unfelbftänbigere  ®tel= 
hing  geben,  anberweitigen  ©lementen  balb  einen  größeren  balb  einen 
geringeren  3utritt  oerftatten,  in  ber  3)arftellung  feiner  Sef)re  balb  einem 
einfad^eren  balb  einem  oerwidelteren  3ierfal)ren  ben  5>orjug  geben. 
(Sbenfo  finb  aber  aud;  alle  barüber  einig,  baB  jebe  pl)ilofopl)if^e  Heber; 
§eugung  ber  göttlichen  Offenbarung  untergeorbnet  fei,  unb  il)r  unter 
feinen  Hmftänben  wiberfprec^en  bürfe.  ©§  ift  alfo  fc^lieBIid;  bod^  nur 
eine  gemilberte  @d;olaftif,  um  weld^e  e§  biefen  proteftantifd^en  ^liilo^ 
fopf)en,  wie  f(^on  iljrem  3Sorbilb  3}letanc^tl)on ,  ju  t§un  ift;  unb  auä) 
ber  mittelalterlichen  @d)olaftif  famen  fie  immer  nä§er,  unb  neben  2lri= 


1)  SWan  togl.  ju  bem  obigen  XVI,  86—124.  241—248.    469  f. 


34  ©inteitung. 

ftoteleg  unb  ^lato  begannen  fie  and;  jene  roteber  eifriger  gu  ftubiren, 
feit  '\iä)  i{)nen  burd^  bie  enblofen  ©treitigfciten  ber  proteftantifd;en 
3:f)eo{ogcn  nnter  einanber  unb  mit  ben  ^atf)olihn  ha§>  Sebürfni§  jener 
genaueren  Definitionen  unb  S)iftinftionen,  jener  auSgebilbeten  5£erntino- 
logie  unb  jene§  bialeftifd^en  S3erfat)ren§  aufbrängte,  raet(^e§  bie  prote= 
ftantifdje  Drt^oboyie  auf  bie  Sauer  fo  raenig,  wie  bie  fat^olifc^e,  5ur 
SSertfieibigung  unb  SarfteHung  von  Dogmen  entbefiren  fonnte,  bereu 
(SJrnnbtagen  fie  uii^t  gu  prüfen,  bereu  Urfprung  fie  uic^t  unbefangen 
gu  unterfud)en,  bereu  9Biberfprü($e  fie  fid^  nicJ^t  ju  gefielen  magte.  i^u 
biefem  (Seifte  rourbe  ber  pf)i(ofopf)if(^e  Unterricht  auf  ben  beutf(^  =  prote= 
ftautifdien  t'pod^fc^ulen  faft  otine  2tu§naf)me  be^aubelt.  <So  in  SBitten^ 
berg,  roo  9)ietan(^t§on  fetbft,  in  Seipgig,  roo  fein  j^reunb  ^oad^im 
ßamerariuS  jum  Stubium  be§  2lriftotele§  ben  ©ruub  legte,  xüäi)' 
renb  unter  ifireu  SfJa^foIgeru  bort  igafob  SKartiui  (1570 — 1649), 
I)ier  ©imou  ©imoniuS  (1570  f.)  unb  ^afob  2:!^omafiu§ 
(1622 — 1684)  am  meifteu  tierüorrageu;  in  Slltorf,  beffeu  Hniuerfität 
unter  ber  unmittelbaren  S3ett)eiligung  oon  ßomerariuS  unb  9}leIan(^ti)on 
gegrünbet  mürbe;  in  9lofto(f,  rool^in  9)leIanc^ti)on  feinen  ©c^üterDauib 
(E§t)tröu§  empfat)l;  in  ^elmftäbt,  beffen  Statuten,  oou  ©t)i)träu§ 
mituerfaBt  (1576),  bie  ariftotelifd^en  ©c^riften  unb  £el)rbü(^er  ^elan^- 
ti)ou'§  al§  ©rnnblage  für  ben  pf)iIofopl^ifc^en  tlnterrid^t  au^brüdtii^ 
tjorfdiriebeu ;  in  Stübiugen,  roo  un§  in  ^afob  @(^egf  einer  t)on  ben 
auggejeid^netften  2lriftotelifern  be§  16.  ^af)r{)unbert§  begegnet;  in 
Strasburg,  roeld^em  na^  ^etruS  9)iartt)r  S5ermigli'§,  |)ieronijmu§ 
3au(^i'§  unb  ^o'^'«"^  ©turm'S  SSorgang  i^otiann  Subroig 
|)ayenreuter  (1548 — 1618)  mit  großem  9tuf)me  bie  ariftotelifc^eu 
Schriften  erüärte;  in  ^ena,  welches  längere  3^^^  an  SSütorin 
6trigel  einen  in  ber  ^t)i(ofop^ie  unb  SCijeologie  gleid^  t()ätigeu  treuen 
©c^üter  9JJeIandjtf)on'§,  fpäter  an  Daniel  6tal)l  (geft.  1656)  unb 
^aul  ©leuogt  (1595—1655)  groei  gead;tete  £e{)rer  ber  oriftoteHf(^= 
fdjolaftifdjen  ^^i(ofopi)ie  fiatte;  in  Äönig^berg,  beffen  Hnioerfität  1544 
unter  ber  Seitung  t)on  3JieIan(^t^on'§  ©c^roiegerfofiu  ©eorg  ©abiuu§ 
geftiftet  roorben  war;  in  ©ieffen,  roo  balb  nad^  ber  ©rünbnug  ber 
Uuiuerfität  (1607j  6i)riftopt)  ©(^eibel  al§  Striftotelifer  in  2ln:= 
fef)cn  ftaub.  Stuf  oielen  non  biefen  2lnftaltcu  beftonben  eigene 
£et)rftüf)(e  für  bie  ®rf(ärung  ber  ariftoteUfdien  Schriften,  bereu  e§ 
ä-  3?.   in  .öelmfiäbt  groei,   auf    ben  beiben   d)urfäc^fifd;en  tluioerfi täten 


nJicIand^t^omancr.  35 

feit  1577  fogar  üier  TOoren;  inbeffen  Beburftc  e§>  beffen  faitm,  um  ba§ 
Uebergeroic^t  be§  3Iriftotc(e§  über  alle  onbern  ^f)i(o)opf)en  511  kgrünbeu, 
ba  man  fid^  au^  in  ben  ftjftematifd^en  Vorträgen  bur(^au§  an  2lriftotefe§ 
unb  bie  neueren  Slriftotelifer,  be[onber§  3)te(an(^t£)on,  ju  I)alten  pflegte, 
unb  abroeicä^enbe  fiefirweifen,  wie  bie  ber  Siamiften,  unb  fpäter  bie  car; 
tefianifc^e,  nic^t  feiten  burd^  bie  Uniüerfität^ftatuten  ober  hnxä)  Ianbe§= 
l)err(ic^e  unb  afabemifd^e  S^erorbnungen  gerabe^u  üerboten  mürben.  Unter 
ben  2)tännern,  meldte  fid;  al§>  Sef)rer  ber  ariftoteüfc^en  '^sf)i(ofopf)ie  f)erüor= 
tf)aten,  gelten  für  bie  bebeutenbften  neben  äJielanci^t^on :  ber  obengenannte 
2lr3t  unb  5p(nlofopf);3a!ob  @(^egf  (1511— 1587);  ber  ©c^meijer  ^f)i= 
li pp  ©  d;  erb^  einer  ber  ftrengeren  Striftotelifer,  raelc^er  1605  a[§>  ^'rofeffor 
in  Stftorf  geftorben  ift ;  ©djerb'^  ©(^üter  unb  D^ad^folger,  ber  9^ürnberger 
(grnft  ©oner  (1572 — 1612),  ben  feine  S^ialeftif  bem  ©ocinianifmuS 
in  bie  Strme  gefüfirt  E)at,  unb  beffen  3)litfd)ü(er  Mii^aei  ^iccart 
(1574 — 1620),  roetd^er  gleichfalls  au§  D^ürnberg  ftammte  unb  ^rofeffor 
in  Slltorf  mar.  gerner  (5orneIiu§  3Jiartini  (1568  — 1621)  avL§ 
Slntmerpen,  raeld^er  mäfirenb  einer  faft  breifeigjäfirigen  ^öd^ft  erfotgreid^en 
£ebrt{)ötigfeit  in  ^elmftöbt  ber  eigenttid^e  33egrünber  be^  bortigen  Slri^ 
ftoteiifmuS  gemorben  ift;  fein  £iebling§fc^üler  unb  SRac^foIger  ^onrab 
|)orneju§(l59u-1649);ber5lE)eo(og@eorg6aIiytu§  (1586-1656), 
ber  2)le{and)tf)on  be§  17.  ^al^rf)unbert§ ,  unb  ber  gro§e  ^otpfiiftor 
^ermann  (Eon ring  (1606  — 1682),  bie  berü^mtcften  aller  f)e(m= 
ftäbtifd^en  Sef)rer;  aud)  fie  maren  von  ßorneUu§  3)iartini  in  bie  arifto; 
telifd;e  ^f)ilofopt)ie  eingefüf)rt  morben,  unb  menn  anä)  Sonring  biefelbe 
in  freierem  ©eift  auffaßte,  unb  fie  namentüd^  nad^  ber  ©eite  be§  '^fta- 
turre(^t§  burd;  eigene  Unterfuc^ungen  ju  ergänzen  beftrebt  mar,  fo 
maren  bod^  beibe  entf(^iebenc  2lriftotelifer  unb  Gegner  ber  SfJeuerungen, 
burd)  meiere  9tamu§  unb  fpäter  2)e§carteg  bie  ^errfc^aft  ii)rer  ©d^ule 
bebro{)ten.  ^citQßttoffen  ßonring'S  finb  bie  beiben  fi3nig§bergcr  ^ro= 
fefforcn  (s;i)riftianS)reier  (1610— 1688)  unb  fein  ©c^üler  3}i e l d^ i 0 r 
3eibler  (1630  —  1686),  unb  ber  Seip5iger  i^afob  2;f)omafiu§ 
(f.  0.  ©.  34),  ber  $ßater  üon  6l)riftian  SJfiomafiu^,  roelc^er  an^  fieibnij 
gum  ©c^üler  {)atte,  unb  uon  biefem  fomo^l  megen  ber  ©d^ärfe  feinet 
^Denfeng  aU  megen  bem  Umfang  feine?  gefd^ic^tlic^en  2Biffen§  in  f)o§em 
©rabe  gef^ä^st  mürbe,  ©elbft  unter  biefen  in  if)rer  3^^^  beroorragen^ 
ben  ©ete^rten  ift  aber  bod^  fein  einziger,  melc^er  bie  pt)iIofopf)ifc^e  %ox' 
fd^ung  auf  einen  neuen  2Beg  ju  führen  unb  fic^  üon  ber  Ueberlieferung 


36  (Sinteitung. 

her  <B^uU  ju  einer  njirftic^  freien,  oorQU§fe|nng§Iofen  35etra(^tung  ber 
^ingc  ju  ergeben  üermod^t  l^ätte.  2ln  2lriftotete0  unb  5U?elQnd^tt)on  i^aften 
fic^  au(^  jene  S^ei^t^Iel^rer,  roeld^e  man  in  neuerer  ^eit  neben  bem 
S)änen  9?ifo(au§  ^emming  unb  bem  :3tal{ener  aUbericuS  ©entitiS  aU 
3[^or(äufer  be§  ^ugo  @rotiu§  bejetd^net  f)at:  ber  SJiarburger  ^^rift 
:3of)ann  Dlbenborp  au§  Hamburg  (um  1480 — 1561)  unb  ber  [etp= 
^iger  5)Jrofeffor  §8enebift  SBinffer  (geft.  1648).  58eibe  moHen  bie 
9ted^t§roiffenf(^aft  auf  ba§  9ted^t  ber  S^latur  unb  ber  SSernunft  grünben. 
2(ber  boc^  fann  man  nii^t  fagen,  boB  fie  f)iebei  fef)r  tief  gebrungen 
feien.  Dlbenborp  fief)t  in  bem  bürgerlichen  9te(^t  mit  9}ie(on(^tJ)on  eine 
näf)ere  S3eftimmung  be^  natürlid^en  @efe^e§,  raetc^e  fid^  nad^  2Bot)r= 
fd)eiu(i(^fett§grünben  richtet  unb  je  nad;  ber  ©taatSüerfaffung  unb  ben 
Umftänben  oerfd^ieben  auSfctdt ;  bereu  Söertf)  unb  S3ered^tigung  batier  t)on 
if)rertlebereinftimmung  mit  bem  D^aturgefe^  abklängt.  S)aS  natürliche  dieä)t 
leitet  er  jroar  t)on  ber  SSernunft  ab,  fofern  bie  ÄenntniB  be§felben  allen 
3J?enfd^en  üon  5Ratur  eingepffangt  fei ;  meil  aber  bie  menfc^ttc^e  S3ernunft 
hnxä)  ben  ©ünbenfaH  verborbeu  unb  gefc^mäc^t  ift,  fo  mitt  er  al§>  bie 
unbebingt  ^uoertä^ige  Urfunbe  beSfelben  f(^(ie§ü(^  bod;  nur  bie  gött^ 
lic^e  Offenbarung  unb  inSbefonbere  bie  ge^en  ©ebote  betrad^ten  miffen, 
an  meldte  er  benn  aud^  bie  nähere  Darlegung  feinet  ;3nf)alt5  anfnüpft. 
5?on  bem  gleid^en  aflgemeinen  ©tanbpunft  ge{)t  aber  an^  nod^  2Bin!fer 
an§,  beffen  „^rincipien  be3  9ted^t§"  (1615)  uiot)!  al§  ba§  bebeutenbfte 
naturrec^tüd^e  2[ßerf  üor  @rotiu6  ^u  betrai^ten  finb.  ©o  »erftänbig, 
rein  unb  mürbig  bie  @runbfä|e  finb,  meldte  un§  au0  biefer  @d)rift 
entgegentreten,  fo  oiefe  2lnerfennung  bie  (Sutfc^iebenfieit  üerbient,  mit 
ber  3ßin!(er  barauf  bringt,  baB  alle§  pofitiüe  9ted^t  auf  ba§  9lec^t  ber 
SRatur  unb  atte  pofitioe  9ted;t§iüiffenfc^aft  auf  bie  ^enntniB  be§  9?atur= 
rechts  gegrünbet  merbe,  fo  teibet  bo(^  feine  ©arfteUung  an  bem  boppelten 
3}lange(,  ba^  er  ba§  9ted^t  al§  fold^cg  ron  ber  Dleligion  unb  ber  @itt= 
lic^feit,  unb  bie  p^i(ofopf)ifd^e  $Red^t^(ef)re  oon  ber  SCfieologie  nid^t  fd^arf 
genug  unterfc^eibet.  ^ie  Üuette  o(Ie§  9lec^t§  ift,  roie  er  ausführt,  ba;? 
göttti(^e  @efe^.  ®iefe§  Ts^efe^  mar  bem  9Jtenf(^en  urfprünglid^  in  feiner 
SSernunft  geoffenbart;  unb  menn  e^  ber  fünbige  3)lcnfd^  freiiidj  mit 
feiner  5Jeruunft  allein  nur  unooUfommen  er!ennt,  fo  ift  e§  bafür  rein 
unb  üollftönbig  in  ber  1^.  6c^rift,  unb  namentlid;  in  bem  S)efa(og  üer= 
fünbigt,  ben  au(^  SBinÜer  a(§  einen  2lbriB  be§  9^aturre(^t§  feiner  S)ar= 
ftellung  bcäfclben  ju  @ruube  legt;    unb    e^  mirb  beB^alb  aud^  mol)l 


SDielanc^t^omanct:  Olbenborp,  Sinfler.  37 

gerabeju  6ef)auptet:  bie  gan^e  9led)tlTOiiTenfc^aft  ftelie  im  2)ienfte  ber 
%i)coloQk,  roei(  biefe  eä  fei,,  toeld^e  un0  über  ben  SBiUen  ©otteS  be(ef)ve. 
Seinem  :3nt)a(t  nac^  umfaßt  bal  Stec^tggefefe  alle  ^ftic^ten  gegen  @ott 
unb  bie  3)ienf(^en.  S^iefe  ^fTid^ten,  in  i^rer  Dotten  ^Jieinfieit  QeMä)t, 
fo  roie  fie  üon  ben  erften  3)^enf(i)en  vor  bem  (Sünbenfail  unb  fpäter 
t)on  (£f)riftug  erfüüt  rourben,  bilben  ba§  urfprüngüd^e  Dkturrec^t ;  jene« 
eroige  9iec^t,  roeic^e^  für  otle  3Jlenfd^en  gleid^fefir  gilt,  unb  fo  unroan= 
beibar  ift,  ba^  eä  auc^  ron  ®ott  nid^t  abgeänbert  roerben  fann,  ba  e^ 
mit  feinem  unüeränberlid^en  Sßillen  felbft  ^ufammenfätlt.  Sltle  Seftim= 
mungen  biefe^  9lec^t§  faffen  fi^  in  ber  Jorberung  einer  uubefc^ränften, 
uneigennü|igen  ©otteä^  unb  Diäc^ftenüebe  jufammen.  SBürbe  biefe  gor= 
berung  üon  allen  erfüüt,  fo  roäre  fein  weiterem  @efe|  nöt^ig;  ba  bie^ 
aber  in  ?^oIge  ber  ©ünbe  nid^t  ber  gati  ift,  fo  fommt  ^u  bem  urfprüng^ 
lid^en  S'iaturredjt  eine  jroeite  $Reil)e  uon  9te(^t§beftimmungen  l)in3U^ 
TOe(d)e  ben  ^xocd  i)aben,  jenes  in  einer  ju  ۟nbe  unb  ^i^rt^um  ge^ 
neigten  Sßelt  ju  ert)alten  unb  5U  fc^ü^en.  2luc§  biefe  33eftimmungen 
grünben  fid^  auf  bie  ^ebürfniffe  unb  Stnforberungen  ber  menfcfiüdien 
Dktur,  nur  bafe  bieB  nid;t  mef)r  bie  urfprünglid^e  ift,  fo  rcie  fie  cor 
bem  %a\i  roar,  fonbern  bie  je^ige,  unb  fie  finb  au§  biefem  ©runbe 
ebenfalls  überall  anerfannt,  wenn  i^nen  aud^  nid^t  alle  glei(^  üoUfom= 
meu  nadifommen.  SBinfler  nennt  befelialb  biefeS  „fpätere  9kturred^t" 
ouc^  baS  3?ölferred^t  (jus  gentium),  unb  er  red^net  ju  bemfelben  alle 
allgemeinen  Seftimmungen  über  ^riüateigentl)um,  33erträge,  geroalt^ 
famen  9tec^tefcl)u^,  Kriege,  Seftrafung  oon  ^ßerbred^en  u.  f.  ro.  2Iud^ 
biefeS  9ted^t  ift,  als  ©efe^  für  bie  3)tenfc^en,  fo  roie  fie  je^t  finb,  un= 
Deränbertid^  unb  für  bie  StaatSgeroalt  unbebingt  binbenb.  6in  blo^eS 
SDhttel  3um  <2c^u6e  biefe»  boppetten  Dlaturrec^tS  ift  baS  bürgerliche  9?ed^t, 
meines  auS  hen  Sebürfniffen  einer  beftimmten  ©efellf^aft  entfprungen 
mit  ben  Umftänben  unb  ^erliältniffen  roec^feln  fann;  eS  oerpfli^tet 
bal)er  nur  bann,  roenn  eS  bem  natürlid^en  9tec^te  nid^t  roiberftreitet. 
S)ie  ©efelifc^aft  felbft  leitet  äBinfler  in  leöter  Se3iel)ung  auS  ber  ge= 
felligen  9ktur  beS  9}lenfi^en  t)er,  inbem  er  nac^  ariftotelifc^em  isorgange 
jeigt,  roie  fid^  auS  biefer  guerft  bie  g-amilie  unb  bann  roeiter  bie  @e= 
meinbe  unb  ber  ©taat  entroidfeln.  (Sr  ftellt  jebod^  nid^t  allein  tyev  feine 
neuen  @eficE)tSpunfte  auf,  fonbern  aud^  bie  für  i^n  nä^er  liegenbe  2luf= 
gaBe,  ben  ^n^ait  bei  natürlichen  9ted^tS  auS  ber  9ktur  beS  3)ienfd^en 
abzuleiten,  nimmt  er  nid^t  ernftlid^  in  Singriff.    6r  ift  einer  oon  ben 


38  @in(eitung. 

felOftänbigftcn  <Bä)ukxn  unb  ac^tung'Sroert^eften  3]ertretern  ber  bamoligen 
metand^tf)onif(^  =  anftoteIif(|en  ^f)i(ofop{)ie ,  aber  ber  (Sebanfe^  auä)  nur 
für  ba0  engere  ©ebiet  bei  9^aturred^t§  eine  neue  n)if[enfd;aft(ic^e  ®runb= 
läge  gu  fuc^en,  liegt  if)m  ferne. 

:3nbeffen  fiatte  ober  au§erf)alb  SDeutfc^faubS  eine  pf)iIofop!)ij(j^e 
@ntn)ic!lung  begonnen,  wetd^e  auä)  an  ber  beutfc^en  SBiffenfd^aft  nic^t 
fpurloS  oorübcrgieng.  <Bä)on  im  16.  ^aJiriiunbert  (ä^t  fid^  biefer  @in= 
fluB  ma^xne^men.  ®ie  italienifd^en  ^f)ifofopf)en  biefer  3ßit  (f.  o.  ©.  5) 
fanben  jraar  in  SDeutfc^Ianb ,  tro|  Sruno'S  ntef)rjäf)riger  Slnroefenl^eit 
in  biefem  Sanbe,  wenig  ^eac^tung  unb  noc^  lüeniger  ^uftimmung.  ®a= 
gegen  rcurbe  ber  lebfiafte  SBiberfprud^ ,  n)eM;en  ber  j^ranjofe  ^etruS 
9tamu§  (bela  S^amee  1515 — 1572  f.  o.  ©.  6)  gegen  Striftotelel  n)ie 
gegen  bie  ©d^olaftif  erf)ob,  auc^  f)ier  oon  üielen  mit  Seifall  begrübt. 
S)iefer  mut()ige  unb  tatentoolle  SOZann  f)atte  e§  auf  eine  aKgemeine  'äe- 
form  ber  SBiffenfd^aften  abgefeljen,  meiere  burd^  eine  SSerbefferung  beS 
gan3en  SSerfa^renl  erreid^t  werben  follte.  S)a§  größte  |)tnberniB  bei 
TOiffenfd^aftüd^en  gortfd^rittS  liegt,  mie  er  glaubt,  in  ber  ^errfd^aft  ber 
ariftoteUfd^^fc^oraftifc^en  S)ialefti!.  ©c^on  Slriftotetel  felbft  l)at  bie  SJie-- 
tl)obologie  nid^t  einfad^,  l"(ar  unb  georbnet  genug  be^anbelt,  er  l)at  fie 
mit  unnü|en  ©pi^finbigfeiten,  ungereimten  unb  unfrurfitbaren  dle^chi 
übertaben;  unter  ben  §änben  feiner  S^ad^folger  ift  fie  bann  roüenbl 
entartet.  S)iefen  @ö|en  gu  ftür^en,  eine  naturgemäßere,  einfad^ere, 
praftifd^ere  58ef)anblung  ber  SBiffenfd^aft  ju  begrünben,  ift  bie  Slnfgabe, 
melc^er  9tamu§  fein  Seben  raibmete,  meldte  er  mit  begeifterter  ^m 
gebung,  babei  aber  allerbingl  aud^,  menigfteng  in  feinen  jüngeren  ^al)ren, 
mit  teibenfd^aft(id^er  §eftigfeit  verfolgte,  ^n  ber  Söirflic^feit  mar  er 
nun  freitid^  biefer  Slufgabe  ni(^t  in  bem  Wla^e  geroad^fen,  mie  er  felbft 
fic^  bieB  jutraute.  ©eine  lXrÜ)ei(e  über  SlriftoteleS  finb  uott  Xlngered^= 
tigfeit  unb  Uebertreibung,  unb  anfangt  befonberl  unterfdf;eibet  er  oiel  ju 
roenig  ^mifd^en  ber  urfprünglidEien  ariftotelifd^en  Seiire  unb  bem,  raa§  bie 
©d^o(aftif  aus  it)r  gemacl;t  liatte.  ©eine  ^'erbefferung§üorfdf|(öge  enthalten 
jraar  manchen  gefuuben  unb  treffenben  ©ebanfen,  unb  machen  auf  man= 
c^en  üon  ber  bamaügcn  Sogif  üernad;täBigten  ^unft  aufmcrffam ;  abi'i  fein 
ganaer  ©tanbpunft  ift  melir  ber  bc§  ^umaniften,  all  bei  ^:ßl)ilofopt)en, 
el  ift  i^m  mel)r  um  eine  Kare,  mof)(georbnete  unb  gefd^madoolle  S)ar= 
fteUung,  all  um  eine  grünbtid^e  @rforfd;ung  ber  ©egenftänbe  ju  tl)un: 
mcnn  er  bal  miffenfc^afttic^e  ?5erfal)ven  auf  bie  33cobarf;tung  bei  natür^ 


mamnü.  39 

ticken  SSernunftgebraud^S  grünben  Tüitt,  fo  f)ält  er  \iä)  hoä)  t)iebci  üicl 
5U  fe^r  ouf  ber  Dkrflä^e;  ftatt  'einer  grünblid^en  3ergtieberung  ber 
S)enft^ötigfeit  uttb  einer  genauen  S3eftimmung  if)rer  ©efe^e  eilt  er  3U 
ben  togi[c^=rf)etorifd^en  Siegeln  unb  Seifpieten,  unb  ftatt  vox  allem  nac^ 
bem  Urfprung  unb  ber  2Öal)rf)eit  unferer  S3egriffe  ju  fragen,  begnügt 
er  fid^,  mit  ^lato  ein  bemonftratioeS  35erfal)ren  5U  empfehlen,  meld;e§ 
mit  allgemeinen  Segripbeftimmungen  beginnen  unb  üon  ba  au§  mittelft 
fortgelegter  ©intl)eitung  3um  Sefonbern  l)erabfül)ren  fott.  @r  felbft  l^at 
el  unternommen,  alle  SBiffenfc^aften  m^  feiner  9}tetl)obe  3U  bearbeiten  1 
inbeffen  beraeift  fc^on  biefeg  Unternel)men,  ba^  er  nid^t  allein  feine  eigene 
Äraft  ftar!  überfc^ö|te,  fonbern  ha^  er  el  aü6)  mit  ber  2lufgabe  unb 
ben  ©d^mierigfeiten  ber  miffenfd^aftlid^en  Unterfuc^ung  üiel  ju  leidet 
m\)m;  unb  ma§>  er  baoon  au§gefül)rt  f)at,  ha§^  jeigt  jraar  immerl)in 
einen  offenen  5lopf,  einen  gefunben  SSerftanb,  einen  geroanbten,  uorur- 
tlieil^freien  ®eift,  aber  um  bie  ^^ilofopl)ie  wirflid^  auf  neue  äöege  gu 
füliren,  l)ätten  if)re  Probleme  üiel  fd^ärfer  erfaßt  unb  üiet  ^inbringenber 
unterfud^t  werben  müfi'en.  SSenn  er  nid^t^beftoraeniger  auf  feine  ^dt 
unb  bie  golgegeit  einen  erl)eblidjen  ©inftu§  ausgeübt  l)at,  fo  l)at  er 
biegen  ©rfolg  ni^t  fomofil  ber  ^iefe  unb  ®igentl)ümlid^!eit  feiner  @e- 
ban!en,  als  ber  lXnabl)ängigfeit  feinet  roiffenfd^aftlid^en  (SliorafterS,  bem 
^euer  unb  ber  S3el)arrlidl;feit  ju  üerbanfen,  mit  ber  er  bie  grei^eit  ber 
3Biffen)d^aft  üerfodlit,  ber  Stuftorität  ba§  9ted^t  ber  eigenen  Ueberjeugung, 
bem  ^erfommen  ber  Sd^ule  bie  S]ernunft  entgegenftelite,  bie  unuer- 
ftanbenen  gormein  unb  unfrudl)tbaren  ©pi^finbigfeiten  befämpfte,  auf 
flare  53egriffe,  georbnete  unb  gemeinoerftänblid^e  Sarftellung  brang. 

i^n  S)eutfd^lanb  uerbreitete  fid^  bie  Sef)re  beS  9iamu§,  oon  einflu§:= 
reichen  ©elelirten  mie  ^oi^ann  ©türm  in  Strasburg  unb  felbft 
®at)tb  S^gträul  (f.  0.  ©.  34)  empfol^ten,  nid^t  blo§  burd;  bie 
©d;riften  il)re§  tlrl)eber§,  fonbern  aud;  burd^  bie  Sd^üler,  meldte  il)n  in 
^ari§  aufgefud^t  Ratten,  unb  bie  greunbe,  meldte  er  fid)  roä^renb  eine! 
längeren  2lufentl)alt0  in  ©übbeutf($lanb  unb  ber  ©d^roeij  (1568 — 1570) 
erroorben  l)atte;  ju  ben  pl)ilofopl)ifd^en  £el)rftül)len  freilid^  §atte  man 
i^m  forool)l  in  |ieibelberg  al§  in  Strasburg  ben  Zutritt  üerfagt.  lln= 
ter  ben  9Jiännern,  meldte  fid^  ^ier  als  „9iamiften"  befannt  gemad^t 
fiaben^),   mirlten  befonber»  ^roei  perföntid^e  Sd^üler  beS  fraujöfifd^en 

1)  ein  SJerjei^niB  berfelben  gießt  53rucfer  Hist.  crit.  philos.  IV,  b,  576  f.; 
ton  i^m  jc^eint  SBabbington  (Ramus.  Par.  1855.  ®.  392  f.)  feine  ?(nga6en  ent= 


40  Einleitung. 

5pf)i(ofop^en ,  )li)oma^  greigiuä  au§>  greiburg  i.  ^r. ,  toeldöer 
1576—1582  ^rofeffor  in  Slltorf  raar  (er  ftarb  1583),  unb  granj 
^abrtciu^  (geft.  1573),  ber  meijä^rige  SSorftanb  beS  ©üffelborfer 
@i;mno[ium§,  mit  ©rfolg  für  bie  Seigre  if)reg  SJleifterg;  unb  noc^  vov 
bem  ©nbe  bei  16.  ^al^rf)unbertg  ^atte  biefe  tro|  ber  tebfiaften  Singriffe, 
benen  fie  oon  Seiten  ber  Slriftotelifer  au§gefe|t  roar,  unb  tro|  ber 
5ßerbote,  raelc^e  ha  unb  bort  gegen  fie  ergiengen^),  auf  ber  3Ref)räal)l 
ber  beutfd^  =  :proteftantifcöen  ^o^fdiuten  ©ingang  gefunben.  2lu(^  fotci^e, 
bie  aller  ^F)i(ofop!)ie  unb  adem  Sßernunftgebraud^  in  ®(auben§fa(^en 
grunbfä|li(^  feinb  waren,  raie  ber  befannte^elmftäbter  X^eolog  S)aniet 
§  off  mann  (um  1600),  glaubten  n)ot)l  an  i()r  einen  33unbe§genoffen 
gu  {)aben.  Slber  boc^  üermod^te  fie  bie  fierrfd^enbe  ariftotelif(^=fc^otttftif(^e 
Strömung  nic^t  gu  überroättigen ,  unb  ebenforoenig  f)aben  if)re  5ßer= 
treter  burd§  ben  inneren  SBertf)  i^rer  2öerfe  eine  tiefere  ©pur  in  ber 
@ef(i^t(^te  ber  beutfc^en  ^plofopf)ie  gurüdfgelaffen.  Dfleben  ben  entfcf)ie= 
benen  9lamiften  gab  el  aud^  ^p^itofoptjen,  meldte  bie  S)ialeftif  be0 
9lamul  mit  ber  ariftotelifc^en  Sogi!  ^u  oerbinben  unb  biefe  burd^  jene 
äu  üerbeffern  fuc^ten;  ber  angefefienfte  t)on  biefen  „@emi=9tamiften",  bie 
e§  aber  natürlid;  mit  ben  beiben  ftreitenben  3:|eilen  oerbarben,  ift  ber 
9)tarburger  ^rofeffor  ^fJubotp^  OocleniuS  (1547—1628). 

3Jiit  9tamul  begegnete  fid^  in  einem  (eibenfd^aftlid^en  SBiberfprncö 
gegen  bie  ^peripatetifer  feiner  !^dt  ber  3Jiömpetgarber  D^ifoIauS 
^aurellul  (1547 — 1606),  rceld^er  feit  1580,  gugieid^  mit  bem  Stri- 
ftotelifer  ©d^erb,  in  2t(torf  ße^rer  ber  SHebicin  unb  ber  5p§ilofopt)ie 
mar;  unb  eS  fd^eint  aud^  roirfUd^,  ba^  ber  SSorgang  bei  9lamu§  auf 
bie  freiere  ©tettung  @inf(u§  gefiabt  t)at,  meldte  er,  ber  ©c^üler  ^afob 
©(^egfl,  in  ber  ^olge  gegen  Striftotelel  einnafim.  ©od^  galten  feine 
Eingriffe  weniger  bem  Stifter"  all  ben  bomaligen  SSertretern  ber  peri= 
patettfd^en  Sef)re,  unb  namentüd^  ben  italienifd^en  ^eripatetifern  Slnbreal 
6äfa(pinul  (1519—1603)  unb  granj  ^iccolomini  (1520—1604);  unb 
mal  er  an  ilmen,  unb  gum  2:i)eil  aud^  an  Slriftotelel  felbft,  ju  tabeln 
faub,   bal  betraf  nid^t  bie  ©runblagen  he^  6i;fteml  unb   bal  gauje 


e 


le^nt  ju  l^aben,  bcv  afeer  [tarf  übertreibt,  wenn  er  fagt,  bie  ^stiilofopj^ifd^cn  Jel^rftiil^I 
auf  ben   proteftanttfc^eu  Uniöerfitäten  Jcien  momentan  fa[t  alle   mit  Stamiften  befetjt 
gercejen. 

1)  @o  g.  ^.  in  i'eipjig,  njo  1591  ^oij.  Svamer  toegen  feine?  9{amifmu«  ab 
9eie^Jt,  unb  iu  .t)elmftäbt,  wo  bie  \.'e^re  be§  atamu«  1597  »erboten  ronrbe. 


2;aureliu!5.  41 

roiffenfd^aftlii^e  S^erfal^rcn,  fonbern  me^r  nur  em5elne  Se^rbeftimmungen, 
rcetd^e  it)m  irrig  unb  gefäfirUd^  ju  fein  fd^ienen.  @r  fiatte  e§  alfo 
nid^t  auf  eine  üoUftänbige  3Serbrängung  ber  ^errfd^enben  ariftotelifd^cn 
£ef)re,  fonbern  t^ei(^  nur  auf  eine  Steinigung  berfelben  yon  fpäteren 
3utf)aten,  tf)ei(g  auf  eine  SSerbefferung  im  eiuäehxen  abgef«f)en.  %ür: 
bie  (entere  ge^t  er  nun  f)auptfäd;Uc^  Don  tf)eo(ogif(j^en  ©efid^t^punften 
OU0.  ^ür  einen  Sut§eraner  au§  ber  3ßit  ber  Soncorbienformel  ftellt 
er  fid;  aflerbingg  ben  Sluftoritäten  in  ber  ^^i(ofop()ie  frei  genug  ent= 
gegen;  er  ift  fernei  überzeugt,  bo^  ber  menfdjüt^en  Ssernunft  and; 
nac^  bem  «Sünbenfatl  nod^  bie  gäf)igfeit  geblieben  fei,  nid;t  aüein  bie 
äußere  9tatur  unb  fid;  felbft,  fonbern  aud)  bie  2öa^rf)eiten  ber  natüp 
lid^en  2:l)eo(ogie  o()ue  t)öf)ere  S^ei^ülfe  ju  erfennen;  unb  er  gab  t^eii^ 
burc^  biefe  S3ef)auptung ,  tf)eiU  burd^  feine  beiftif^e  2(uffoffung  beg 
Sßerf)ä(tniffeö  üon  ©Ott  unb  ber  2ße(t  unb  bur(^  anbere  üon  ber  gelten- 
ben  Dogmatil  abroeid;enbc  Sö^e  ben  Drtt)oboyen  feiner  Äird)e  feinen 
{■(einen  StnftoB.  3tber  bod^  gel)t  feine  raiffenfd^aftlid^e  llnab^ängigfeit 
nid^t  fo  roeit,  ba§  er  eine  in  jeber  ^e^iefiung  auf  eigenen  %ii^cn  ftel;enbe, 
üon  allen  boginatifd;en  ^>orau§fe§ungen  freie  ^^^i(ofopt)ie  ju  forbern 
roagte.  ^m  ®egentl)ei(:  gerabe  baä  ift  feine  |)auptbefd^n)crbc  gegen 
bie  ©d^olaftifer  unb  it)re  ^l^Jad^foIger,  baB  fie  ben  i)eibnifd;en  ^t)i(ofo= 
pfiemen  gu  üieten  Zutritt  »erftattet,  ha^  ik  aud;  fol^eS  au;5  ber  ari= 
ftotetifd^en  fiet)re  aufgenommen  ober  abgeleitet  ^ben,  wa^  ber  d)rift= 
lid^en  2Be(tanfid;t  roiberftreite.  ^af)in  re($net  SaurefluS  befonber§  bie 
fietire  t)on  ber  ©raigfeit  ber  2öelt  unb  ber  3}Iaterie,  bie  ariftote(ifd)en 
^eftimmungen  in  ^Betreff  ber  llnfterbiid^feit,  bie  S3ef)auptung ,  ba^  ba0 
(Srfcnncn,  unb  nid;t  üielme^r  bie  Siebe  gu  ©Ott,  bie  t)öd^fte  S3eftimmung 
be§  SJienfd^en  fei,  bie  33eina^(ä^igung  ber  te(eo(ogifd;en  3fJaturerfläning, 
luetdie  er  3triftotcIe^  üorroirft,  loälirenb  er  jugleic^  in  ber  ^t)i)fif  ber 
2ltomentel)re  uor  ber  feinigen  ben  S^orjug  giebt.  ®r  feinerfeitS  mitt 
ein  (^rtftlid^er  g^f)itofop^  fein;  er  roeiB  fi^  nid;t  in  bie  3""iutt)ung  3U 
finben,  baB  mir  ßl)riftu§  mit  bem  ^er^en,  Slriftoteleg  mit  bem  Äopfe 
anbeten  foEen;  unb  je  fefter  er  überzeugt  ift,  ba^  bie  ^fiilofopijie  bie 
unerläBtit^e  ^Vorbereitung  ber  Xfieotogie  fei,  um  fo  roeniger  fann  er  ^u- 
geben,  ba^  biefelbe  eine  9iid;tung  einfc^lage,  meldte  mit  biefer  if)rer  Se- 
ftimmung  unüerträgUdj  märe.  ®ie  5pt)i{ofop^ie  fott  un§,  mie  er  glaubt, 
über  ba^  ®afein  unb  bie  @igenfd^aften  ©otte§  unb  feine  allgemeinen 
5lnforbcvungcn  an  ben  33?enfc^en  belehren ;  erft  menn  mir  un§  überzeugt 


42  (Stilleitung. 

i)aben,  ha^  tnir  biefen  Slnforberungen  ni(^t  genügen  fönnen,  werben  wir 
un§  an  bie  S^fieologte  roenben,  um  t)on  ifir  über  bie  au^erorbentlic^en 
SSeranftaltungen  2luff(^(u^  ju  ertialten,  bnrc^  bie  un§  ©Ott  jur  ©elig= 
feit  füfiren  roill.  ^em  erfennt  bie  ewigen  unb  not^roenbigen  2Ba^rl)eiten, 
biefe  ben  nic^t  nottiroenbigen  2Bitten  @otte§,  t)on  welchem  toir  nur  burd^ 
Offenbarung  etroa^  erfat)ren  fönnen.  ®ie§  ift  boc^  im  roefentlid^en  ber= 
felbe  ©tanbpunft,  ben  mir  fd^on  bei  3)le(an(^tt)ou  getroffen  f)aben;  unb 
raenn  aud^  ^aurelluS  2lriftotele§  immert)in  felbftänbiger,  al§  jener,  ge= 
genübertritt,  fo  ift  boc^  biefer  Unterfd^ieb  nid^t  fe^r  erfieblid^,  unb  üon 
einer  reinen  unb  t)orau0fe^ungglofen  ^t)iIofopf)ie  ift  ber  eine  faft  ebenfo 
meit  entfernt,  wie  ber  anbere. 

©in  weit  grünblid^erer  unb  burd^greifenberer  S3rud^  mit  ber  ©d;olaftif 
erfolgte  feit  bem  ©übe  be§  16.  ;3af)rf)unbert§  in  ber  engfifd^en  unb  fran= 
jöfifc[;en  ^§iIofopt)ie.  S)er  erfte,  roeld^er  benfelben  mit  t)oIIer  gmubfä^lid^er 
Ätar()eit  üottjogen  t)at,  ift  ber  berüfimte  englifd^e  g^f)i(ofopf)  unb  @taat§= 
mann  ^^ranj  Saco  üon  5ßerulam  (1561 — 1626).  @r  juerft  fpra(^ 
eg  au§,  ba^  gur  ^erbefferung  ber  miffenfd^aftlid^en  ^wftönbe  eine  voU- 
ftänbige  SSeränberung  be§  bisherigen  ©tanbpunftS  unb  33erfai)ren§  notf)s 
raenbig  fei,  ba^  ein  neuer  kontinent  für  bie  ^{)ilofopt)ie  entbetft  werben 
muffe,  ©r  erfannte  ben  ©runbfef)ler  ber  biSfierigen  2Biffenfdf;aft  borin, 
ha^  fie  fic^  ju  ben  ^öd^ften  5principien,  ben  allgemeinften  Urfad^en  unb 
©efe^en  erf)eben  roolle,  ef)e  ber  Söoben  gefiltert  fei,  auf  bem  fie  ftet)e; 
ba^  fie  ftatt  einer  rairflid^en,  forgfältig  geprüften  unb  beglaubigten 
©rfa^rung  fic^  auf  bto§e  ©erücfjte  über  frembe  Erfahrungen,  auf  unge= 
prüfte  Ueberlieferungen  üerlaffe,  unb  ftatt  eines  metf)obifcf;en  unb  ftufen^ 
meifen  gortgangS  vom  ©injelnen  gum  2tllgemeinen  auS  wenigen  un= 
uoUftänbig  unterfud^ten  gölfen  fofort  bie  weitgreifenbften  Folgerungen 
ableite.  @r  ftellte  bafier  bem  fcf;o(aftif($en  9ktionaIifmuS  bie  ©rfaiirung, 
als  bie  eingige  ©runblage  ber  2Biffenfc[;aft,  ber  ©ialeftif  unb  S)emon= 
ftration  baS  inbuctiue  3Serfaf)ren  entgegen,  weIdf;eS  bie  (eitenben  begriffe 
unb  @runbfäl3e  felbft  erft  feftfteHen  fott,  bie  jene  ot)ne  genauere  Untere 
fui^ung  für  il)re  2tb(eitungen  vorauSfe^t;  unb  wenn  feine  Sefcf;reibung 
biefeS  SSerfalirenS  allerbingS  nod^  mange(f)aft  ift,  fo  l^at  fie  bod)  baS 
gro^e  i^erbienft,  baB  fie  mit  allem  9?ad;brudf  auf  bie  9?otf)wenbigfeit 
ilinwieS,  bie  @rfaf)rungen  ,5U  prüfen,  bie  5tf)atfad^en  ni(^t  allein  voU- 
ftänbiger  ju  fammetn,  fonbern  and)  il)rem  3Bertt)e  nad;  genauer  ^u 
würbigen,  bie  ^eobadjtnugcu   burdj   nmfaffenbe   ^isorfuc^c  ju  ergänzen. 


33aco  unb  $ob6e§.  43 

in  ben  (Sd;lüffen  au§>  ben  %^at'\aä)en  ©d^ritt  für  @d;ritt  üorroärt^  jU 
gef)en.  SBieroo^  ferner  ^aco  raeber  felbft  naturraiffenfc^aftlid^e  @nt= 
bedungen  gemacht,  noi^  bie  eineä  SopernicuS,  @Ubert  nnb  @a(ilei  ju 
TOÜrbigen  geraupt  f)at,  fo  ift  er  boc^  oon  bem  naturroiffenfc^aftHd^en 
igntereffe  feines  ^af)rf)unbertg  lebhaft  genug  ergriffen,  um  bie  2öieber= 
geburt  ber  5|3|ilofop^ie,  bie  er  »erlangt,  in  erfter  9teif)e  von  ber  dlatuv- 
forfc^ung  ju  erwarten;  unb  wenn  er  e§  au§  ^Borfid^t  ober  au§  @(eid^= 
gültigfeit  untertaffen  'i)at,  bie  tf)eoIogif($en  golgefä^e  feinet  @mpirifnnt§ 
ju  sielten,  unb  auc^  auf  biefem  ©ebiete  gu  üerraerfen,  na§>  mit  ber 
@rfa^vung  nid;t  übereinftimmt  unb  fic^  au§  natürlid^en  XXrfad^en  nid^t 
erftären  (ä^t,  fo  toe^rt  er  bagegen  atte  ©inmifd^ung  tf)eoIogifd;er  @e= 
fic^t!§punfte  in  bie  9Raturn)iffenfc^aft  ah,  er  befeitigt  alle  teleo(ogifd)e  unb 
alle  blo§  metapl)pfifc^e  ©rftärung  ber  9'?aturerfd)cinungen ,  er  roill  bie 
S'iaturpliilofopliie  ftreng  auf  bie  ©rforfc^ung  ber  3:l)atfad;en  unb  bie 
Sluffud^ung  ber  materiellen  unb  roirlenben  Urfad^en,  fur^  auf  biejenigen 
IXnterfuc^ungen  befc^ränfen,  weld^e  un§  mit  ber  rairtlid^en  SBelt  befnnnt 
mad^en  unb  unfere  3Jiod;t  über  bie  9{atur  erraeitern.  $Dic  grunbfä^lid^e 
ßoSfagung  oon  ber  <2^o(aftif,  bie  3^ii^üdfül)rung  aller  3Biffenfd^aft  auf 
bie  ©rfa^rung,  bie  ^orberung  einer  mct^obifdjcn  ^nbuction  unb  einer  rein 
p^Vfifalifd^en  9kturbetrac^tung,  bieB  fiub  bie  fünfte,  auf  benen  S3aco'S  58e= 
beutung  für  bie  @efc^id;te  ber  neueren  ^^st)ilofopl)ie  im  roefentlidlien  beruht. 
83aco'§  ©mpirifmuS  rourbe  burd^  ^l)oma§  §obbe§  (1588—1679) 
äum  ©enfualifmuS  unb  3}iaterialifmu§  fortgebilbet,  unb  pgleid^  würbe 
oon  il)m  au0  biefem  ©tanbpunft  ein  politifd^eS  unb  tl)eologifc^e§  ©yftem 
abgeleitet,  meld^eS  burd)  feine  @d;rofff)eit  unb  feine  llebertreibungeu,  wie 
burd^  feine  golgerid;tigfeit  unb  Driginalität,  jur  fi^ärfften  Prüfung 
ber  SSorau§fe|ungen  aufforberte,  bie  gu  fo  auffallenbeu  unb  anftö^igen 
Folgerungen  gefülirt  Ratten,  ^n  feinem  llrt^eil  über  bie  3eitp^ilofopl)ie, 
in  ber  ^^orbening,  bafe  alles  SBiffen  auf  bie  ©rfa^ruug  gegrünbet  roerbe, 
ift  ^obbeS  mit  Söaco  einoerftanben.  2lber  wenn  fd)on  biefer  l)iebei  üor= 
pgSroeife  an  bie  äußere  SBa^rne^mung  geba(^t  ^atte,  fo  er!lärt  jener 
noc^  beftimmter  bie  fiunli(^e  ©mpfiubnng  für  bie  einzige  üuette  aller 
unferer  SSorftellungen ,  unb  er  fuc^t  bereits  in  (i^ulid;er  äßcife,  mie 
fpäter  ein  ßonbillac  unb  .*polbac^,  3U  geigen,  toie  an§^  "öen  ©mpfinbuugen 
bie  SSorftettungen,  bie  ©rinnerungeu ,  bie  ©ebanfen  auf  med^anifd^em 
SSeg  entftel)en.  SluS  biefer  fenfuttliftifd;en  ©rfenntni^tbeorie  gielit  bann 
raeiter   fc^on   ^obbeS    gleid;3eitig   bie   beiben   Folgerungen,   iüeld;e   im 


44  Einleitung. 

18.  ;3f(tt)rf)unbert  in  ben  stoei  au§  ßocEe'S  ©mpirifmuS  ^erüorgegangenen 
©d;ulen,  ber  engtifd;en  xmb  ber  franäöfi[(j^en,  getrennt  fieroortreten,  bie 
be^  ©fepticifmu^  nnb  be§  ^aterialifmug.  ©inerfeitS  bemerft  er,  bie  2[ßa§r= 
ne^mung  liefere  nn§  immer  nur  fubjeftiüe  SSorftellungen,  von  benen  rair 
burd^aug  nid^t  anneiimen  fonnen,  bo§  fie  un§  üon  ben  objeftiüen  @igen= 
fd^aften  ber  ®inge  ein  treuem  ^itb  geben;  bie  ©djiüffe  von  ben  U^- 
f)erigen  Erfahrungen  auf  bie  sufünftigen  feien  unfid^er;  bo§  mat^ema^ 
tifd;e  S^erfafiren,  welches  eigenttid^  attein  ein  ftreng  raiffenfd^afitic^e^ 
wäre,  fei  an^er  ber  3Jiat^ematif  feibft  nur  in  ber  (Bt^it  unb  ^^olitif 
anmenbbar,  für  bie  ©rfenntni^  ber  n)ir!üd;en  SSelt  bagegeu  feien  mir 
auf  3ßaf)rfc^einli(^feit§fd;lüffe  au§  ber  @rfaf)rnng  befd^ränft.  2lnberer= 
fcit^  aber  lä^t  fid^  boc^  .§obbe§  burdj  biefe  ^ebenfen  nid^t  abl^alten, 
fid)  eine  ganj  beftimmte  bogmatifd;e  äßeltanfid^t  gu  bilben,  unb  biefe 
fann  bei  einem  fo  folgeri(^tigen  ©enfer  ni(|t  anberS,  a(S  materialiftifd^, 
auffallen,  „^eat"  unb  „förper(id)"  finb  für  if)n  gleii^bebeutenbe  33e= 
griffe.  Slud^  ber  ©eift  ift  (raie  bei  ben  ©toifern)  nur  ein  9^ame  für 
eine  geroiffe  3lrt  von  Äörpern.  ©clbft  bie  ©ottfieit  fott  ein  folc^er 
förperlid^er  @eift  fein.  Körper  roirfen  aber  ouf  einanber  nur  med^anifd^. 
^obbeS  fennt  baf)er  feine  anbern,  aU  mec^anif^e  Urfad;en:  bie  ©in- 
mifd^ung  üon  3^ß<^^^3^ß^w"9Cit  o^^i'  ^on  unförpertid^en  formen  imb 
Gräften  wirb  von  i{)m  no6)  entfd^iebener,  alg  üon  ^aco,  an§>  ber  S^^atur; 
erflärung  QU§gefd;toffen.  S)er  gleid;e  (Sefid^t^punft  mu§  aber  auc^  feine 
2lnfi(^t  t)om  3)ienfd;en  beftimmeu,  beffen  fittlid)em  unb  gefellfd)aftlid;em 
Seben  unfer  ^f)i(ofopl)  ben  größeren  5L§eil  feiner  n)iffenfd;aftlid)en 
llnterfuc^ungen  gewibmet  f)at.  S)er  3)ienfd;  ift  eine  3)iafd)ine,  bereu  ^e= 
TOegungen,  raie  aUe0  in  ber  Sßett,  an§>  med)anifd;en  lXrfad;en  mit  9^ot^= 
wcnbigfeit  f)eroorge^en.  3)ie  ©mpfinbungen ,  unb  mittelbar  aud^  alle 
anbern  S^orftellnngen,  entfielen  aui  ber  9kaftion  be§  ^erjen;?  gegen  bie 
äußeren  ©inbrüde;  roirb  in  j^^tge  berfilben  ber  ^lutumlauf  geförbert 
ober  gehemmt,  fo  füllen  mir  Suft  ober  Untuft;  biefe  ®efül)le,  auf  5n= 
f'ünftige  ©inbrüde  belogen,  werben  gnm  Sserlangen  ober  Slbfd^eu,  3um 
SGßiÜen.  2(u  eine  ^^reilieit  be§  SßiÜeU'?  fann  aber  felbftDerftänblid;  nidjt 
gebadet  werben :  jeber  bege()rt  bie  ©rl)altnng  feinet  2ehen§>  unb  weiterhin 
aüe§,  wag  i^m  ©enuB  unb  0hi^en  ocrfprid^t,  jeber  fliel^t  ba§  unauge= 
nefime  unb  fd)äblid;e,  unb  oor  allem  ben  2;ob ;  aber  er  folgt  f)iebei  nur 
einem  iinwiberftel)lid;en  ^faturtrieb,  er  will  unb  t^ut  immer  nur,  wa^ 
er  unter  ben  gegebenen  llmftänben  p  tljun  unb   ^u   wollen  ge^wnugen 


tft;  ein  anbere§  ju  tüoffen,  liegt  nii^t  in  feiner  9Jia^t  unb  fonn  nic^t 
t)on  if)in  uerlangt  werben.  S^aS  uriprünglid^e  @e[e|  ber  menfd^Udjeu 
9^atnr  ift  baf)er  ba§  @eie|  ber  (Selbftfnd^t ,  unb  eben  bie[e§  ift  axiä) 
tf)r  nrfprünglid^eg  Dtec^t :  im  S^Iatur^uftanb  folgt  jeber  rürffi(^t§to§  feiner 
58egierbe  unb  jeber  ift  ba^u  bered^tigt.  ©benbomit  fommt  aber  i!otf)= 
loenbig  jeber  mit  jebem  in  Streit:  ber  S^iatur^uftanb  ift  ein  Ärieg  atter 
gegen  alle,  liefern  unerträglichen  ß^ft^"''  ^(^^^  "u^*  ^ui"<^  ßi«en  ^er= 
trag  aller  mit  allen  ein  ßnbe  gemad;t,  nur  auf  biefem  2öege  fann  ein 
^ed^t^juftanb ,  ein  allgemeiner  griebc  fiergeftellt  roerben.  SBeit  jebod^ 
alle  3Jtenf(^en  il)rer  natürlid^en  Steigung  nad^  felbftfüd;tig  ftnb  unb 
bleiben  unb  jebe  i§nen  getaffene  j^rei^eit  ^ur  5ßerle|ung  onberer  mife^ 
broud^en,  fo  rairb  biefer  5?ertrag  nur  unter  ber  Sebiiigung  gefid;ert  fein, 
ba§  fie  oHe  if)re  Siechte  oline  2lu§nal)me  an  geroiffe  ^erfonen  übertragen, 
bie  mit  ber  SBa^rung  be§  öffentlichen"  j^rieben^  beauftragt  finb ;  mag 
nun  biefer  2luftrag  einem  ßinjelnen  ober  mag  er  einer  30Ze^r^eit  ertl)eilt 
werben.  ö§  lö^t  fi(^  m.  a.  2ß.  bem  natürlid^en  ^rieg^^uftanb  nur 
burd;  bie  ©rrid^tung  eines  ©emeinroefen^  ein  @nbe  machen,  unb  biefem 
nur  burc^  bie  unbefd;ränfte  ©emalt  be§  (Staat§oberl)aupt§  58eftanb  geben. 
©0  tommt  ^obbeg  jn  jener  abfolutiftifd^en  ©taotsle^re,  meldte  il)n  neben 
einem  gilmer  jn  bem  eigentlid)en  ^^eoretifer  ber  englifd^en  (Sontrereoo- 
lution  unter  ben  ©tuartS  gemacht  f)at  ^obbeS  l)at  biefe  Se^re  auc^ 
ouf  ba§  religiöfe  @ebiet  mit  einer  golgeri(^tigfeit  angetuenbet,  bie  alle 
Slnerfennung  oerbient.  2)en  ^Regierungen  fte^t,  mie  er  fagt,  bie  nnhe- 
bingte  58erfügung  über  bie  9teIigion  il)re§  ^oiU  ,3u;  ilire  Sluftorität 
allein  ift  e§,  ber  juliebe  mir  bie  l).  (Schrift  annet)men;  unb  bie  Unter= 
trauen  finb  i^rem  dürften  auc^  bann  ^um  @el)orfam  oerpflic^tet,  menn 
er  bie  SSerläugnung  be§  (I^l)riftentt)um§  gebietet,  ^afe  aber  |)obbe§ 
nic^tsbeftomeniger  ben  ©lauben  an  Offenbarung  unb  SBunber  feft^ält, 
ift  cbenfo  ber  ©runbroiberfpvuc^  feiner  SieligionSpliitofoptiie,  mie  e§>  ber 
©runbmiberfprud^  feiner  ^^oliti!  i^t,  baB  er  un§  jumutfiet,  jum  ©(^u|  nn^ 
ferer  Siedete  fie  alle  ber  2Billfüf)r  beS  @taat§oberl)aupt§,  welches  bod^  ebenfo 
felbftfüc^tig  fein  wirb  unb  fein  muB,  mie  alle  anbern,  fd^uöloS  preiszugeben. 
3}lit  8aco  unb  ^obbeS  ift  unter  ben  franjöfif^en  ^^ilofop^en 
^eter  ©affenbi  (1592—1655)  üertöonbt,  aber  bo^  ift  er  raeber  mit 
bem  erften  an  epod^emac^enber  58ebeutung,  nod)  mit  bem  sroeiten  an 
©c^ärfe  unb  golgerid^tigfeit  beS  SDenfenS  ju  oergleid^en.  ©iefer  gelehrte 
a}^at^ematifer  unb  ^l)ilofopl)  ftettte  ber  ariftotelifc^=fd^olaftifc^en  ^l)ilo= 


46  (StnTcttung. 

fopf)ie  (Sp{fuv'§  unb  ®emo!rit'§  Sef)re  entgegen:  er  gieng  nicfit  aik'm 
in  bei-  ^fiijfif  auf  bie  Sltome,  fonbern  aud)  in  ber  @tf)iE  auf  ben  ßubä- 
monifmug  be§  epifureifc^cn  ©ijftemS  ^mM.  Söenn  er  aber  aud^  bamtt  ber 
9fiaturroiffenfd;oft  einen  rairüic^en  SDienft  geteiftet  unb  bie  9tid^tung  ber 
3eit  auf  eine  ftreng  niedianifd^e  9kturerflärung  geförbert  l^at,  fo  fommt 
er  hoä)  im  wefentlic^en  nidjt  über  bie  2BieberJ)oIung  jener  älteren  2tn= 
fidjten  |inau§,  unb  mit  benfe(6en  üerbinbet  er  inconfequent  genug 
©(emente,  welche  er  t{)ei(§  üon  ber  tierrfi^enben  ariftotelifi^en  ^t)iIofopf)ie 
t^e'd§  oon  ber  fird^Iid^en  ©ogmatif  entlehnt  f)at. 

ßin  felbftänbigerer  ©eift  mar  ©affenbi'S  ^ß'^Ö^^offe  9lene 
S)e§carte§  (ober  wie  er  fid^  lateinifd^  fd^reibt:  9ienatu§  ßartefiuS, 
1596 — 1650).  ©iefer  bebeutenbe,  auc^  a\§>  9}iatf)ematifer  unb  ^f)t)fifer 
l^erüorragenbe  3Jiann,  ift  burd;  bie  Älarf)eit  unb  Unabfiängigfeit  feines 
5Denfen§,  burc^  ben  ©ruft  feiner  miffenfc^aftüd^en  Irbeit,  bur(|  bie 
@rünblic^!eit  feiner  auf  bie  legten  3Sorau§fe|ungen  jurüdgelenben  %or:= 
fd^ung  einer  t)on  ben  einf(uJ8rei(^ften  ^§itofop£)en  ber  9?eu§eit  unb  ber 
eigentli(^e  ©d^öpfer  ber  natiouafen  fran^öfifc^en  ^|iIofopf)ie  geworben, 
welche  benn  aud^  ein  üoIIeS  ^af)r{)unbert  bie  9lid;tung  »erfolgte,  bie  il^r 
®e§carte§  uorge^eit^net  fiatte.  93enn  ein  ^oco  mit  bem  ^^^^if^^  ^^ 
ber  bi§^erigen  ^f)iIofopI)ie  anfieng,  fo  beginnt  S)e§carte§  mit  bem  all= 
gemeinen  Zweifel :  alle  unfere  SiorfteUungen,  atte  vorgefaßten  SOleinungen, 
alle  Slnnalimen,  uon  bereu  ©rünben  mir  un§  leine  9ted;enfd^aft  geben 
fönnen,  follen  in  ^rage  geftellt,  auf  il)re  ^erlunft,  il)re  Segrünbung, 
il^re  2Bal)rl)eit  geprüft  werben;  unb  aud^  bie  3Xu»fagen  unferer  ©inne, 
meldte  S3aco  als  bie  fi(^erfte  ©runbloge  miffenfd^aftli^er  ©rfenntniB  be= 
lianbelt  liatte,  werben  in  biefen  3^^^^!^'^  auSbrüdlid;  miteingefd^loffen, 
ba  aud^  il)re  aBal)rl)cit,  mie  ^DeScarteS  bemerlt,  feineSraegS  ^um  norauS 
feftfte^t.  9iur  (SineS  giebt  e§.,  mie  er  glaubt,  roaS  bem  ^^i'^^f^t  ^1^^^^^= 
bingt  6tanb  l^ölt:  bie  %^at\aä)e  unfereS  SenfenS.  2ln  il)r  tonnen  mir 
nid)t  jmeifeln,  benn  ba§  3"^^ifß'"  f^^^fl  Ut  ©enlen.  ^n  unb  mit  il)r 
ift  un§  unmittelbar  bie  ®eroif5l)eit  unfereS  eigenen  ®afein§  gegeben: 
„ic^  beute,  atfo  bin  i($."  5Bon  il)r  muß  aud;  jebe  anberroeitige  ©emiß; 
l)eit  ausgeben:  mir  lönnen  nur  baS  mit  ©i(^erl)eit  für  roa^x  ^aiUn, 
wa§>  aus  unferem  STenlen  folgt  unb  in  il)m  enthalten  ift,  maS  mir  ebenfo 
llar  unb  beutüd^  erfenncn,  mie  unfer  eigenes  S)cnfen;  bie  Älart)eit  unb 
©eutlic^feit  unferer  Segriffe  ift  baS  3}terlmal  it)rer  2Bat)rl)eit.  SiefeS 
2)ierfmal   trifft  nun  junäc^ft  auf  unfere  ©elbfterlenntniß  ju:   baß   mir 


(Saffcnbt.    ®e§carte§.  47 

finb  unb  boB  wir  benfenbe  SBefeu  finb,  erfafiren  toir  «nmittettiar  burd^ 
unfer  Xenfeti.  'JJäc^ftbem  liefert  un§  unfer  SDenfen  eine  3Jtenge  oflge^ 
meiner  ^Begriffe,  loel^e  aU  folc^e  nid)t  au§  ber  ßrfo^rnng  ftommen 
fönnen,  weld^e  wir  baf)er  nur  für  angeboren  f)alten,  nur  burd^  unmitte(= 
bare  geiftige  3Infc^auung  ergreifen  fönnen.  Studj  biefe  begriffe  muffen 
mafir  fein,  ba  toir  fie  !far  unb  beuttic^  erfennen.  Unter  i^nen  tritt 
aber  t)or  aßem  einer  iieroor:  ber  Segriff  be§  unenbli(^en,  aderoollfoms 
menften  SBefenä.  S^ie  2Ba^rE)eit  biefe§  93egrip,  ba§  S^afein  @otte§,  er^ 
fiellt  tf)eit§  unmitteibar  au§>  it)m  felbft;  benn  unter  bie  eigenf<$aften, 
roei^e  ber  Segriff  be^3  ooUfommenften  23efen§  in  ficf)  fdjliefet  (fagt 
Se€carte§  mit  2Infelm),  geijört  an6)  ba§  S^afein;  tf)ei(§  ergiebt  fie  fid^ 
au§  ber  ©rroögung,  bafe  ber  Wlen^d)  ai§  ein  enbüc^e^  SBefen  bie  ^het 
be§  unenbtid^en  2ßefen§  aiiS^  eigenen  3)iitte(n  nid^t  ^ätte  erzeugen  fönnen. 
9^ur  mittelbar  folgt  bagegen  au§>  unferem  ©enfen  ha§>  S^afein  einer 
i^örpermelt  au^er  un§> :  uni'erc  Ucber,5eugung  von  bemfclbcn  beruht  nad^ 
S)e§carte§  onf  bem  ©lauben  an  bie  SS>al)rl)aftigfeit  @otte§ ;  benn  ba  mir 
bie  SJiaterie  aU  etraa§  räumtid;  auSgebelmtey  beutlidt;  erfennen  unb  be§ 
@lauben§  an  ifire  9iealität  \m§>  nicljt  erwehren  fönnen,  fo  mürbe  ©ott 
eine  Släufd^ung  begel}en  ober  bod;  jutaffen,  menn  bie  Dlatnr  un§  ba§ 
S)afein  einer  2lu§enraelt  fälfd^lic^  uorfpiegelte.  i5o  erl)ält  S^e^cartes  bie 
brei  ©runbbegriffe  feine»  ©yftemS:  ben  Segriff  ber  benfenben  (Subftanj 
ober  be§  @eifte§,  ben  Segriff  ber  au^gebcfinten  ©ubftan^  ober  be§ 
Äörperg,  ben  Segriff  ber  uneublidien  «Subftan^  ober  ber  @ottl)eit.  ^n 
ber  näljercn  Seftimmung  biefer  brei  Segriffe  liegt  bie  2(ufgabe,  um 
roeldje  fid^  feine  ganje  ^l)itofopl)ie  brebt.  ߧ  ift  ilim  aber  nic^t  ge= 
tungen,  f)iebei  gu  einer  burdjauö  einbeitlidjen  SBeltanfdjauung  ju  gelangen. 
3n  Setreff  ber  Äörpermelt  folgt  er  einer  ftreng  mcclianifc^en  9kturan= 
fic^t :  ber  Röxpev  ift  bie  au§gebel)ute  ©nbftanj,  bie  raumerfüüenbe  9}iaffe 
unb  fonft  nid^t§;  alk  Äörper  beftef)en  au§  einem  unb  bemfelben  burd^= 
avL§>  gleid;artigen,  burd^  feine  leeren  ^wifc^enräume  unterbrodlienen,  in'§ 
unenblid^e  tl)eilbaren  Stoffe;  alle  Unterfd)iebe  unter  ben  J^örpern  laffen 
fid^  bal)er  nur  auf  bie  üerf(^iebenartige  Sertljeilung,  ©eftattung  unb 
Serbinbung  biefe§  UrftoffS,  alle  Sorgänge  in  ber  Äörperroelt  nur  auf 
räumlid^e  Seroegungeu  jurüdf üfiren ;  unb  bamit  in  bem  ,3ufommenl)ang 
biefer  Seroegungeu  feine  Sücfe  entftel)t  unb  feine  fi\mbe  9)Zad;t  in  ben? 
felben  einzugreifen  braucht,  roirb  befiauptet,  bie  Summe  ber  9tuf)e  unb 
Seroegung  im  Unioerfum  bleibe  fid^   gleid^.     ©e^carte^   f)at   nun  biefe 


48  ©tnlehuttg. 

ttied^anifd^e  9^aturerf[clning   fo  töeit  al5  m'd^Uä)  »erfolgt,     ©elbft  bie 

Stf)tere  follen  nur  SOtofc^tnen  fein:  Slutoinaten,  weldje  burc^  bie  Söärnie 

be§  ^ergen^  unb  bie  an§  bem  Stut    auäbünftenben  SebenSgeifter  in 

iBeroegung    gefegt  werben;  felbft    im    9}lenf(^en  follen  bie  förperti(J^ett 

Seroegungen  unb   ©mpfinbungen  üon  biefen  SebenSgeiftern  f)errü{)ren. 

9lber  bei  ben  ©rfd^einungen  be§  geiftigen  Sebeng  finbet  biefe  ©rflärung 

i^re   ©ren^e;   bie   S)enftf)cltigfeit  ifi  naä)   5Delcarte§   unabl^ängig  uom 

®ef)irn,  bie  ^^reifieit  be§  SillenS,  bie  Unfterblid^feit  ber  ©eele  wirb  üon 

{))m  mit  aller  @ntf(^iebenf)eit  be!)anptet;   bie  @eele  ift,  rote  er  glaubt, 

i^rer  ganjen  9^atur  naä)  bem  Körper  fo  biametrol  entgegengefe^t ,  ba§ 

fid;  f(^roer  begreifen  läBt,  unb  bo^  and^  er  felbft  fi(^  nur  fe^r  unbefrie= 

bigenb  unb  fc^roonfenb  barüber  erflärt  \)a\,  roie  beibe  ben  ©influ^  auf 

einanber  ausüben  fönnen,  üon  roelci^em  bie  finnli(|e  2Ba^rnef)mung  unb 

bie  rci((füf)rlid^e  Äörperberoegung  3^"9"iB  ablegt.    @benforoenig  roenbct 

er  bie  ®efid^t§punfte,  üon  benen  feine  9iaturanfi(^t  belierrfi^t  roirb,  auf 

ba§  3?erpltni^  ©otteg  unb  ber  Sßelt  an;  biefeS  SBerl^öltni^  bleibt  t)iet= 

me^r   bei  iiim  ganj  mit   berfelben  ^wfäKigfeit    bef)aftet,   roie  in  ber 

geroijl^ntid^en  3?orfteIIung§roeife :  ®e§carte§  nimmt  nii^t  bloS  an  über- 

natürli^en  Dffenborungen  @otte§  in  ber  SBelt  feinen  2lnftoB,  fonbern 

er  befiauptet  ouc^,  ©Ott  fei  burc^  bie  fittli(|en  @efe|e  nic^t  gebunben, 

unb  1er  {)ätte  bie  SBelt  gan^  anberS  einrid;ten  fönnen,   als  er  fie  eingc= 

richtet  f)at,  wenn  er  gerooUt  l^ätte.    @§  fielen  fi(^  bemnadj  tl)eiIS  ®ott 

unb  bie  2ßelt,  ttieüs  in  ber  Söelt  felbft  ©eift  unb  Körper  bualiftif(^ 

gegenüber;   bie  (^inl)eit  ber  SBeltanfc^auung ,  bie  ftrenge  ©efe^mä^igfeit 

bcS  2Beltlauf§,  auf  roeld^e  bie  cortefianifd^e  ^t)r)fif'  au§gef)t,  roirb  im 

weiteren  SSerfotge  roieber  aufgegeben.    Söar  bie^  ober  fc^on  an  fi(^  eine 

•palbfieit,  fo  lagen  aud^  in  ber  cartefianifc^en  Sel)re  felbft  bie  ^rämiffen, 

meiere   über    biefe   §albf)eit .  f)inau§füf)rten.     ®enn  wenn  roirflidi   bie 

Seele  unb  ber  Seib  fo  ganj  oerfc^iebener  9ktur  finb,  al§  fie  annimmt, 

wenn  biefer  nid;tS  anbereS  ift,   al§  roumerfüHenbe  3)laffe,  jene  ein  ein= 

fai^eS,  unräumlic^eS,  benfenbeS  2ßefen,  fo  lä^t  fid^  nic^t  begreifen,  roie 

ber  £eib  auf  bie  (Seele,  ober  bie  6eele  auf  ben  Seib  einroirfen  !önnte. 

59enn  bal)er  bod)  3TOifd)en  bem  geiftigen  unb  bem  leiblid^en  Seben  biefe 

bur(^gängige  Uebercinftimmung  ftattfinbet,  welche  erfalirungSmäBig  üor= 

liegt,  fo  läBt  fid)  biefe  nid^t  barauS  crllären,  bafe  biefe  beiben  üon  ein= 

anber,    fonbern    nur   barauS,    ha^  beibe  glcic^felir  üon  einer  britten 

Un'ac^e  abhängen,  bafe  fie  auf  allen  fünften  uon  ber  göttlid^en  2öirf-- 


(Sarteftaner :   (Seulincy.  49 

famfeit  f^(e(^tf)in  beftimmt  finb.  Senn  aber  biel'eS,  fo  ift  raeber  ber 
@eift  no(^  ber  Körper  ein  fetbftänbigeS  äöefen,  eine  ©ubftanj,  fonbern 
beibe  finb  nnr  ©rfi^einungen  unb  ^robnfte  beS  einzigen  rairflid^  imbe- 
bingten  unb  aüe§>  beftimmenben  SBefenS:  bie  ©ottl^eit  ift  bie  einzige 
©ubftanj,  Körper  unb  @eift  bagegen  finb  nur  bie  formen,  unter  benen 
bie  @ottt)eit  fic^  un§  borfteHt.  3)lit  biefer  Folgerung  gefit  ber  ßarte= 
fionifmuS  in  ©pinojifmuS  über;  in  ber  ßntraicfhing  berfelben  liegt  ber 
^un!t,  um  welchen  bie  ©efd^id^te  ber  cartefianifd^en  6(|ule  fid^  beraegt. 
Unter  ben  gafilreic^en  2lnt)ängern,  roeld^e  bicfe  (Schüfe  fiauptföd^Iid^ 
in  granfreic^  unb  ben  91ieberlanben  gewann,  finb  bie  bebeutenbften 
©eulincy,  3JlaIebran(^e  unb  (Spinoja.  ^eber  oon  biefen  aJlännern  f)at 
in  eigentpmli(|er  SBeife  an  ber  ^^ortbilbung  be§  cartefianifd^en  <Sgftem5 
gearbeitet;  unb  ba§  te^te  ©rgebni^  ift  eben  biefeS,  ba^  fid^  bie  oben 
angebeuteten  ßonfequenjen  be§  cartefianifd^en  2)uaUfmu3  immer  voU- 
ftönbiger  t)erau§ftetten,  unb  baB  berfelbe  fid^  baburc^  fd^lie^Iid^  in  eine 
ftreng  ein{)eitli(^e  panttieiftifd^e  Sßeltanfdfiauung  auffiebt. 

Slrnolb  ©eulincj    au^  Slntroerpen   (1625—1669)    l^atte  mit 
ben  übrigen  cartefianifd^en  Sefiren  au^  S)e§carte§'  ^öeftimmungen  über 
ba§  SBefen  be0  @eifte§  unb  Äijrper^  fid^  angeeignet.    Gbenbe§^alb  aber 
fanb  er  e§,  wie  bie&    gleid^seitig  an^  anbere  Gartefianer  au^fprad^en, 
unbenfbar,  ba§  jener  auf  biefen,  ober  biefer  auf  jenen  einroirfen  foUte; 
benn  förperlic^e  Semegungen  fönnen  fid^,   roie  er  glaubt,  nid^t  in  ba§ 
uttförper(ic^e  2Befen  fortpflanzen,  geiftige  3?orgänge  feine  räumlid^e  58e= 
megung  crjeugen.    9Benn  bafier  bod^  ganj  regelmäßig  in  ber  ©inne§= 
empfinbung    auf  geroiffe  förperüd^e  33eroegungen  geraiffe  SSorftellungen, 
unb  ebenfo  regelmäßig  bei    ber   roillfüfirlid^en  ^öemegung    auf  geraiffe 
SSorfteEungen  gemiffe  Äörperberaegungen  folgen,   fo    glaubte  fid^  bieß 
©eulincy,  unb  anbere  mit  i^m,  nur  burd^  bie  2lnnaf)me  erklären  ju 
fönnen:  ©ott  fiabe  bie  menfd^Iid^e  ^y^atur  fo  eingerid^tet,  ha^  ©ee{e  unb 
Seib  ^raar  in  gar  feinem  unmittelbaren  3ufammenf)ang  fielen,  ba§  aber 
in  jebem  oon  beiben  ^leiten  in  jebem  Stugenblicf  gan^  biefelben  3?erän= 
berungen  Dor  fid^  ge§en,  meldte  barin  üorgefien  mürben,  raenn  fie  loirf^ 
lic^  auf  einonber  einrairften.    ©eele  unb  Seib  oerfialten  fid^,  mie  er 
fagt,  ,3u  einanbet  roie  jroei  Ufiren,  oon  benen  groar  feine  oon  ber  onberen 
getrieben  roirb,  bie  aber   in  i^rem    ©ange   burd^auä  übereinftimmen. 
Wlan  nennt  biefe  X^eoxk  ben  DccafionalifmuS  ober  bag  (Si;ftem  ber 
gefegen^eittid^en   Urfac^en,   raeil   na^   berfetben   bie  58orgängc   in   ber 

3enet,  ®t\d)iä)U  btt  beutfe^en  <l?6iIofopf)ie.  4 


50  (Sinfeitung. 

©eele  nid^t  bic  toirfUc^e,  fottbern  nur  bie  ©elegen^ieit^urfacle  bcr  !örpcr= 

li(^en  SSorgönge  finb,  unb  umgefefirt.    5Diefe^  33erpItmB  fe|t  aber  oor= 

aus,   baB   alles  in   ber  SBelt,   auci^  ber  menfc^Ui^e  SBitte,  burd^  bie 

göttlid^e  Urfäc^üd^feit  f^Iec^t^in  beftimmt,  unb  mitfiin  (Sott  bie  einzige 

TOirfenbe  Urfad^e  fei,  unb  au(^  ©eultncy  §at  bie^  nic^t  oerfannt.    «Sogar 

ber  weiteren  Folgerung,  boB  bamit  ha^  felbftanbige  S)afein  ber  enblic^en 

S)inge  überfiaupt  aufgehoben  raerbe,  !ann  er  fid^  ni(J^t  ganj  entgiefien: 

er  nennt  ben  menfc^lic^en  @eift  mit  ©pinoja  eine  bto^e  35afein§form 

beS  göttU«^en,  unb  mit  bemfetben  ^{)iIofopt)en  berüfirt  er  fid^  burc^ 

feine  @tf)if,  meldte  t)on  Einfang  bis  ju  ©nbe  barauf  ausgebt,  uns  ben 

(5a|  ein^ufi^ärfen ,  ba§  mir  felbft  nichts  tt)un  unb  »ermögen,  fonbern 

blo^e  3uf(^auer  beffen  feien,  maS  ®ott  in  unS  rairft,  ha^  bal^er  bemütl^ige 

©rgebung  in  ben  SBeltlauf  baS  einzige  3Serf)alten  fei,  rael(j^eS  uns  juftefie. 

3Jlit  biefen  Slnfid^ten  finb  biejenigen  naf)e   oermanbt,  melcä^e  ber 

franjöfifc^e  Dratorianer  9lifoIauS   3}lalebran(|e  (1638—1715)  in 

feinem  SBerfe  „t)on  ber  ©rforfd^ung  ber  Sßal^r^eit"  (1675)  unb  anberen 

Schriften  niebergelegt  ()ot.    <Bo  ernftlic^  eS  auä)  biefem  reblid^en  unb 

frommen  3Jianne  barum  gu  tl^un  mar,  bie  ^l^ilofopf)ie  mit  ber  ^^eo= 

togie,   ©artefius  mit  Sluguftin  ju  rerfö^nen,   fo  mürbe  bod^  aud^  er 

burc^  bie  ©onfequenj  beS  ©artefianifmus,  beffen  entf(^iebener  Stnpnger 

er  mar,  ju  Seflimmungen  Eingetrieben,  meiere  ber  in  ber  golge  um 

il^rer  angeblichen  @ottlofig!eit  mitten  fo  oerfd^rieenen  Seigre  ©pinoja'S 

na^e  genug  famen.    ®aB  unfere  SSorftellungen  über  bie  2tu§enraelt  burc^ 

bie  äußeren  @inbrü(!e   l^eroorgebrac^t ,   ober  unfer  Seib   burd^  unfern 

Sßillen  betoegt  raerbe,   finbet  3)ta(ebrand^e  gleid^ertoeife   unb  aus  ben 

gleiten  ©rünben  unben!bar,  roie  (SJeulincy.    9^ur  ©ott  !ann,  raie  er 

gtaubt,  ber  Spiegel  fein,  in  bem  mir  bie  ^örpermelt  feigen,  nur  üon 

il)m  fann  unfer  Körper  in  33eroegung  gefe|t  roerben.    ©r  ift  ja  über= 

liaupt  bie  einzige  roal)re  Urfad^e  alles  ©efd^e^enS  unb  baS  Söefen  alles 

Seins,  beS  förperlid^en,  raie  beS  geiftigen,  ebenbe§l)alb  aber  an  fid^ 

felbft  raebcr  @eift  nodt)  Körper;  jebe  i^^ee  eines  befonberen  SefenS  ift 

nur  eine  beftimmte  2)iobififation  ber  ^bee  feines  unenblid^en  SBefenS,  jebe 

©reatur  nur  eine  „uuüollfommene  ^articipation"  teSfelben;  er  allein 

beroegt  bie  törper,  er  allein  ift  ber  ©egenftanb  unfereS  SBoHenS,  benn 

ber  ©ebanfe  beS  ©uten  ift  eS,  ber  unfern  Söillen  beraegt,  ®ott  aber  ift 

baS  l)ö(^fte  unb  einzige  @ut,  unb  audl;  in  ben  finnlid^en  ©ütern  lieben 

unb  fuc|en  mir  eigentlid;  nur  il)n.    a}Ut  biefen  (Sä^en  mar  ber  carte- 


iWalebrand^e.     *Spino§a.  5 1 

fiottifc^e  ^uoltftnus  bcr  (Sod^e  tioc^  aufgegeben;  ein  ©(Stritt  raetter  unb 
er  roax  in  ben  auggefprod^enften  ^antf)ei[mu§  oenoanbelt. 

liefen  weiteren  ©d^ritt  tf)at  ^öenebift  ©pinoja  (1632—1677), 
jener  ^ube  au0  Slmfterbam,  raeld^em  bie  IXnob^ängigfeit  feinet  ®eifte§, 
bie  ©ebiegen^eit  feines  roiffenfd^aftlid^en   ^avahev§,   bie  unbeftec^Uc^c 
Strenge  feines  S)enfenS,  bie  felbftlofefte  Eingebung  an  bie  9^ot^raenbig= 
feit  ber  (Sac^e  unb  i^re  (grfenntniB  unter  ben  neueren  ^^ilofop^en  eine 
fo  F)ol^e  Stellung  anroeift.    S)ie  ®int)eit  atteS  @ein§,  p  roeld^er  bie  ganse 
©utroidtung  beS  ©artefianifmuS  f)ingebrängt  fjatte,  ift  für  ©pinoja  ber 
3lufang  unb   ber  unoerrüdbare  3rnge[punft   feines  (SpftemS.    @S  fann 
nur  ©in  SBefen  geben,  toetd^eS  burc^  fid^  felbft  ift,  baS  altumfaffenbe, 
unenblic^e  2öefen,  benn  jebeS  befonbere  SBefen  ift  ein  befd^rönfteS,   unb 
fontit  auc^  ein  bebingteS,  ift  nid^t  burd^  fid^  felbft:  @ott  ift  bie  einzige 
©ubfton^,  bie  fid^  benfen  lä^t.    ^n  biefer  unenblic^en  ©ubftanj  muffen 
ade  enblic^en  Singe  if)rem  Sein  unb  Söefen  nad^  entf)alten  fein,  unb 
aus  ifir  muffen  fie  oermöge  ber  unabänberlic^en  9f?otf)n)enbigfeit  i^rer 
9^atur  t)erüorgef)en,  benn  mir  !önnen  roeber  jenen  ein  eigenes  Sein  ju^ 
fd^reiben,  nod^  bürfen  mir  unS  biefe  in  i^rem  Sd^affen  nad^  ber  Slnatogie 
unoottfornmener,  nid^t  mit  unbebingter  @efe^mä§igfeit  rairfenber  Urfad^en 
oorftelten.    Me  S)inge  finb  baEier  nur  2«obififationen ,  atte  5^orgänge 
nur  SBirfungen  ber  ©inen  Subftanj :  @ott  unb  bie  SSelt,  bie  fd^öpferifc^e 
unb  bie  gef(^affene  9^otur  finb  ©in  unb  baSfelbe,  nur  unter  oerfd^iebenen 
©efid^tSpunften  betrachtet;  roaS  rcir  als  ©inlieit  ©ott  nennen,  nennen 
töir  als  5ßielf)eit,  atS  Totalität  aller  feiner  befonberen  erfc^einungSformen, 
bie  2Belt;  roaS  fid^  unferer  ©inbilbungSfraft  unter  ber  gorm  ber  3eit 
barfteHt,  baS  erfennt  unfer  SDenfen  unter  ber  gorm  ber  ©migfeit,  als  ©in 
unget^eiltes ,   unoerönberlid^eS ,   unenblid^eS  Sßefen,   raelc^eS   mir   aber 
ebenbeBlalb   nid^t   raieber   in   ein   (Sinjelraefen  üerroonbeln,   nid^t  mit 
(gigenfd^aften,  bie  nur  enblid^en  SBefen  aufommen  fönnen,  raie  58erftanb 
unb  aöiaen,  begaben  bürfen.    ^exmöQe  ber  Unenblic^feit  biefeS  SSefens 
finb   in  il)m  unenblid^  üiele  9fiealitäten,    eS  eyiftirt  unter  unjäliligen 
Stttributen,  von  benen  wir  aber  freilid^  nur  ^roei,  bie  SluSbe^nung  unb 
baS  ©enfen,  gu  ertennen  oermögen,  weil  uns  eben  nur  biefe  in  unferer 
eigenen  SRatur  gegeben  finb.    S)aS  9fleale  in  beiben  ift  aber  attein  bie 
göttlid)e  Subftanj.    Sie  Äörperroett  ift  bie  Subflanj,  raiefern  fie  unter 
ber  gorm  (ober  htm  2lttribut)  ber  STuSbebnung,  bie  ©efammtlieit  ber 
Seelen  ober  ©eifter  ift  bie  Subftanj,  raiefern  fie  unter  bem  Slttribut 


52  @tnlcitnng. 

be§  2)enfen§  ftd^  borftellt;  toeil  e§  oBer  bo^  nur  ®ine  unb  biefelbe 
©ubftattä  ift,  tüel^e  unter  biefen  beiben  formen  attgefc^aut  toirb,  f)abett 
beibe  im  ganjen  unb  im  einzelnen  ben  gleichen  i^nl^alt.  Sßiemot)!  bal^er 
Spinoza  nod^  in  ber  2Beife  be§  cartefianif(|en  S)ualifmu§  befiauptet,  ba§ 
Äörperlid^e  bürfe  nur  au§  f örperlid^en ,  ba§  ©eiftige  nur  auS  geiftigen 
Hrfad^en  erklärt  werben,  e§  fönne  bal^er  raeber  ber  Körper  ben  ©eift 
gum  teufen,  nod^  ber  (Seift  ben  Körper  pr  Bewegung  ober  jur  9lut)e 
beftimmen,  fo  glaubt  er  bo(^  ^ugleid^,  megen  ber  ©tnl^eit  ber  ©ubftanj 
muffe  jeber  ^bee  etroaS  Äörperli($e§  entfprec^en  unb  umgefel^rt,  unb  bie 
Drbnung  unb  SSerbinbung  ber  ^been  muffe  biefelbe  fein,  mie  bie  ber 
^inge;  e§  gebe  ba^er  feine  ©eele  o!)ne  Körper  unb  feinen  Äörper  o^ne 
©eele,  unb  feinen  geiftigen  SSorgang  ol^ne  einen  analogen  leiblichen: 
bie  ©eele  fei  ni(^t§  anbereS,  al§>  bie  3^ee  if)re§  Körpers,  unb  je  oott= 
fommener  ein  Seib  ift,  um  fo  üoüfommener  fei  au^  feine  «Seele.  <So 
ift  benn  ©pinoja  in  ber  ^figfif  mit  2)e§carte§'  med^anifc^er  5Raturer= 
ffärung  burc^auS  eiuüerftanben ,  in  ber  2luffaffung  be§  Seelenlebens 
unb  feinet  ^erpltniffeS  ^um  leiblid^en  ftimmt  er  im  raefentli^en  mit 
©eulincf  überein;  unb  mit  bemfelben  berülirt  er  fid^  aud^  in  jenem 
ftrengen  $Determinifmu§ ,  roeld^er  f(3^on  burd^  bie  erften  S3orau§fc|ungen 
feines  (5t)flem§  geforbert  mar.  5Der  3Jlenf(^  ift  fo  gut,  mie  jebeS  anbere 
SBefen,  ein  ^lieil  ber  $J?atur,  unb  e§  fann  in  feinem  Seben  nichts  oor- 
fommen,  maS  ni(^t  aus  natürlid^en  Hrfad^en  mit  ftrenger  5Rotf)n)enbigfeit 
lieroorgienge.  ®er  menf($tic^e  SBiHe  ift  balier,  roie  unfer  ^l)ilofopl) 
ouSbrüdüd^  erflärt,  nid^t  eine  freie,  fonbern  eine  gelungene  Urfad^e: 
bie  §anb(ungen  ber  3}ienfc^en  ftnb  ebenfo  angufe^en,  mie  jcbe  anbere 
5Katurerfc§einung,  unb  aud^  i^re  Seibenfd^aften  finb  ebenfo  naturgemäß, 
roie  il^re  3:ugenben,  fie  finb  für  ben  5pi)itofop|en  nic^t  ein  ©egenftanb 
beS  Labels  unb  Slbfd^euS ,  ■  fonbern  ber  roiffenfc^aftlid^en  ©rflärung. 
2tber  je  ootifommener  ber  3Renfd^  ift,  um  fo  abäquater  merben  feine 
igbeen  fein,  um  fo  mentger  wirb  er  ftatt  flarer  ^Begriffe  oon  bloßen 
©inbilbungen  geleitet  merben,  um  fo  weniger  mirb  er  bc^er  £eiben= 
fcfiaften  unterroorfen,  um  fo  freier  unb  glücffeliger  mirb  er  fein,  ^n 
biefer  greil)eit  üon  2lffeften,  biefer  5ßernünftigfeit  beS  S:)enfenS  unb 
SiBoKenS  befielt  bie  ©ittlid^feit ;  unb  mit  if)r  fäHt  i^rem  maleren  SBefen 
nai^  bie  ^römmigfeit  jufammen;  benn  bie  eigentlid^e  Slufgabe  ber 
9le(igion  liegt  in  i^rer  ©inrotrfung  auf  baS  fittlid^e  ßeben  ber  9)Zenfd^en, 
bie  S)ogmen  bagegen  finb  nur  ein  3Jlittel  für  biefen  S^^'^f  ^^^  Offen» 


©pmoja.  53 

barung§g(au6e  ift  nur  eine  unoottfommene ,  üorftettungSmäBige  %oxm, 
fid^  ber  allgemeinften  SSernunftn)af)rf)eiten  berouBt  gu  werben.  S)ie 
reinere  @rfenntm§  berfelben  oerfd^afft  erft  bte  5)3f)i(o[op§te ,  unb  mit 
biefer  fiö^eren  ©rfenntni^  ift  unmittelBar  au6)  jene  ,,itttetteftuelle  Siebe 
3ur  ©ott^eit"  gegeben,  in  roeld^er  bie  ^öd^fte  SSottfommen^eit  unb  Selig-- 
feit  be§  3)?enfd^en  befielet.  5ßon  biefem  ©tanbpunft  qu§  tritt  «Spinoza 
ber  ^l^eotogie  feiner  3eit  mit  einer  bamalä  unerf)örten  ©elbftänbigfeit 
gegenüber,  ©r  unterwirft  ben  Urfprung  unb  ben  :3nl^a(t  biblifd^er 
©(^riften  ber  unummunbenften  Äritif;  er  verbirgt  el  nid^t,  ba^  er  in 
Sef)ren,  wie  bie  SJlenfd^roerbung  ©otteä,  nur  ben  baaren  Söiberfprud^ 
äu  fe^en  roiffe;  er  entjie^t  mit  hem  Sßunber,  mit  ber  gJerfönlid^feit 
©otteg  unb  mit  ber  perföntid^en  gortbauer  nad^  bem  5lobe  ber  f)err= 
fd^enben  ©enfroeife  il^ren  gangen  SSoben;  unb  er  raefirt  jebe  ©infprad^e 
berfelben  mit  bem  @a|  ah,  baB  e0  für  bie  9?eligion  auf  miffeufd^aftlic^e 
2Baf)rf)eit  gar  nid^t  anfomme  unb  ba^  fie  nid^t  pr  9lid^terin  über  bie= 
felbe  befteHt  fei.  ^a0  gleid^e  9?ed^t  raill  er  ober  aud^  allen  anbern  für  ifire 
Slnfid^t  gemalert  roiffen;  bie  unbef darauf te  j^rei^eit  ber  religiöfen  unb 
ber  raiffenfd^aftlid^en  Heberjeugung  ift  oon  feinem  anberen  cor  t^m  fo 
ftar,  fd^arf  unb  confequent  üert^eibigt  raorben.  ^n  bemfetben  @eifte 
finb  aud^  feine  politifd^en  @runbfä|e  gefiatten.  S)enn  junäd^ft  gmar 
ftimmt  er  mit  §obbe0  barin  überein,  bafe  ta^  natürli^e  die^t  be^ 
3Jlenfd^en  fo  weit  reid§e,  al§  feine  9Jlac§t,  unb  bafe  ber  S^aturpftanb 
ebenbefefialb  ein  aEgemeiner  Ärieggjuflanb  fei;  aber  ha^  rid^tige  3Jlitte(, 
um  aug  biefem  BuftQwt'  fieraugsufommen,  erfennt  er  nid^t  im  ®efpo= 
tifmug,  fonbern  in  einem  gefe|lid^  georbneten  unb  auf  ber  freien  3u= 
ftimmung  ber  «Staatsbürger  rufienben  ©emeinmefen.  Senn  mie  er 
treffenb,  unb  gerabe  üon  feinem  ©tanbpunft  au§  fiöc^ft  fofgerid^tig  he- 
merft :  aud^  ba0  Siecht  ber  Dbrigf eit  ift  ebenf o  begrenzt  mie  i§re  3}?ad^t ; 
biefe  finbet  aber  il^re  ©renge  an  ber  menfd^Iid^en  S^^atur  ber  Staatsbürger, 
meldte  nid^t  ungeftraft  üerte^t  werben  fann,  menn  nid^t  bie  9^eoo(ution 
naturgemäß  unb  bann  aud^  bered^tigt  werben  foll.  So  unbebingt  bafier 
Spinoza  ber  ©ottfieit  gegenüber  auf  bie  eigene  greifieit  oerjid^tet,  fo 
entfd^ieben  bel^auptet  er  nid^t  bloS  bie  fittlid^e  Unabfiängigfeit  oon 
äußeren  ©inpffen  unb  3wftti«^en,  jonbern  auä)  bie  politifd^e  ^reifieit. 
®er  ©ebanfe  be§  Si^aturgufammenl^angS  unb  ber  9^aturnot^wenbigfeit 
ift  in  feinem  Softem  ftrenger  unb  umfaffenber  burd^gefülirt,  als  in  bem 
feinigen;  aber  inbem  er  hm  SZatur^ufammen^ang  fetbft  wieber  auf  bie 


54  Stntettung. 

unabänberlicä^e  9Zotf)raenbigfeit  be§  göttüd^en  SBefenS  jurüdffüfirt ,  rairb 
bie  ^atVLX  burd^geiftigt ,  unb  e0  rairb  bem  9Jienfd^en  möglich  gemacht, 
in  bem  9^aturgefe^  pgleid^  ba§  @efe|  ber  S^ernunft  ju  erfennen  unb 
fiel  bemfelben  mit  innerer  Sefriebigung  unb  grei^eit  ju  unterwerfen. 
SJiit  ben  bi^fier  Befprod^enen  ^fiilofopl^en  finb  in  bem  allgemeinen 
ßfiarofter  ifirer  Seftrebungen  auc^  _^roei  SJianner  üerraanbt ,  meiere  i^re 
gefd)id^tlid^e  ^öebeutung  nid^t  ber  S9egrünbung  neuer  pl^itofopI)if(|er 
©i)fteme,  fonbern  nur  ber  2lnraenbung  p^ilofopl^ifd^er  ;3been  ouf  gewiffe 
©ebiete  be§  menfd^üd^en  SebenS  ju  üerbanfen  l^aben,  wdä)e  aber  bo(|, 
jeber  in  feiner  ©p!)äre,  einen  meitgreifenben  ©inftu^  ouäübten,  §ugo 
@rotiu§  unb  Sorb  Herbert.  2Bie  ein  5öaco  unb  $De§carte§  für  bal  ge- 
fammte  n)iffenf(|aftli(|e  Seben  eine  neue  ©pod^e  begrünbeten,  inbem  fie 
üon  ber  Ueberlieferung  ber  ©d^ule  auf  bie  Statur  unb  bie  natürlid^en 
Urfoc^en  ber  Singe  5urü(Jgiengen ,  fo  '^at  ber  berüEimte  fioHänbifd^e 
Staatsmann  unb  @elef)rte  ^ugo  ©rotiuS  (1583 — 1645)  eine  neue 
®pod^e  in  ber  ©efd^id^te  ber  9te(|t§pf)ilofopf)ie  eröffnet,  inbem  er  t)on 
bem  überlieferten  Sfled^t  auf  baS  ^Raturrec^t  al§>  le^te  9led^tlquette  3U= 
rücfgieng;  unb  rote  jene  in  ifirer  gangen  aBettanfic^t  üor  aEem  t)on  ber 
3bee  be§  Df^aturgangen  unb  feiner  ©efe^e  geleitet  roerben,  fo  ift  für 
feine  Sluffaffung  be§  9fled^t§  bie  ^bee  be§  gefettf(|aftli(|en  ©angen  ber 
maBgebenbe  ©efic^tSpunf t :  bie  9?otl^roenbigfeit  beSfelben  beruf)t  auf  ben 
SBebürfniffen  be§  menf(|li(|en  ©emeinlebenS.  ^n  bem  üölferre(|tli(j^en 
Söerfe  ^),  burc^  welches  @rotiu§  in  ber  ®efd^i(|te  ber  neueren  dieä)t§>' 
TOiffenf(|aft  eine  fo  bebeutenbe  (Stelle  einnimmt,  erflärt  er  für  bie  ®runb= 
läge  alle!  pofitiüen  9fted^t§  ba§  natülic^e  Siedet;  unb  bie  IXrfunbe  biefeS 
9tecf)t0  fud^t  er  ni(|t,  rote  bie  f^rüfieren,  in  ben  gelten  ©eboten,  fonbern 
in  ber  menfd^tic^en  SSernunft.  ^a  eS  erfd^eint  i^m  fo  unabt)öngig  üon 
aller  pofitit)en  ©a^ung ,  ba^  er  auSbrütftid;  behauptet ,  e§  roürbe  un§ 
ücrbinben,  aud^  roenn  fein  @ott  roäre,  unb  eS  fönne  felbft  von  @ott 
nid^t  geänbert  roerben.  9M£)er  entfpringt  e§  au3  ber  gefeHigen  9?atur 
beg  3)ienfc^en,  oon  roeld^er  fd^on  2lriftoteleg  aUeS  ©emeinfd^aftlbebürfni^ 
t)ergeleitet  ^atte.  2lug  biefem  angeborenen  ®efelligfeit§trieb  folgt  als 
baS  allgemeinfte  Died^tSgebot  bie  HJtenfd^enliebc  ober  ba§  SBo^trooHen, 
unb  f)ierauS  bie  übrigen  ^füd^ten.  3)urd^  bie  ©ünbe  ift  ein  geroaltfamer 
^Jted^tSfc^u^  unb    ein  ^rioateigentl)um  notfirocnbig    geroorben.     ^tieilS 


1)  De  jure  belli  et  pacia,  1625. 


©rottuS.    §erbert,  55 

auf  betn  58ebürfniB  be§  9lec^t§fc^u^e§  unb  ber  gegenfeitigen  Unterftü^ung, 
tf)ei(g  ttuf  bem  ©efettigfeit^tneb  beruht  ba§  ©taat^Ieben,  bie  Dbrigfeit 
unb  bie  llntertoerfung  unter  bie  Dbrigfeit,  roeld^e  aber  bod^  burc^  bie 
gorberungen  be§  natürli(^en  Sted^t^  unb  nid^t  feiten  oud^  burc^  Der= 
tragimäfeige  SSerpfüd^tungen  ber  dürften  begrenzt  ift.  §at  fid^  aud^ 
©rotiuä  in  ber  2lu0füf)rung  biefer  Slnfid^ten  von  einer  geraiffen  Unfid^er^ 
^ett  unb  Unbeftimmtl)eit  nid^t  freigef)alten,  ftü|t  er  fic^  aud^  üielfad^ 
ftatt  ftrengerer  ^eroeife  auf  2lu!toritäten  ober  auf  bie  un§,  wie  er  glaubt, 
angeborenen  Ueber§eugungen,  fo  f)at  bod^  fein  SBerf  ba§  gro^e  ^erbienft, 
ba^  eg  ni^t  allein  raid^tige  t)ölferred^t(ic^e  ©runbfä^e  §ur  Slnerfennung 
gebrad^t,  unb  namentlid^  für  bie  3Jlitberung  eines  barbarifd^en  ÄriegS- 
red^tS  erfolgreid^  geroirft  ^at,  fonbem  ba§  aud^  mit  i^m  bie  felbftönbige 
58e§anblung  be§  9^aturred^t§ ,  als  einer  oon  pofitioen  (Sa|ungen  unb 
t^eotogifd^en  Heberlieferungen  unabpngigen,  rein  auf  bie  SSernunft  unb 
bie  attgemeinen  Slnforberungen  ber  menfd^lid^en  9^atur  gegrünbeten 
3Biffenfd^aft  beginnt. 

SBag  ©rotiuS  für  baS  ^led^t  leiftete,  ta^  raottte  fein  ^eitgenoffe 
©broarb  |)erbert,  Saron  t)on  @|erburt)  (1581 — 1648),  ber 
58ater  be§  englifc^en  3jeifmu§,  für  bie  Sieligion  leiften.  2öie  jener  ba0 
pofitiüe  3fted^t  auf  baS  9?aturred^t  jurüdffü^rte,  fo  wollte  biefer  bie 
pofitiue  9leligion  auf  bie  9laturreligion  aU  i^re  5Jlorm  unb  Duelle  gurücf^ 
fül)ren.  ©er  raefentli(^e  i^^fialt  aEer  9teligion  ift  jebem  Menfd^en,  raie 
er  glaubt,  tlieils  in  feinem  igttuern,  in  angeborenen  ^b^en,  tlieiB  in  ber 
äußeren  S^iatur  geoffenbart.  2)iefer  ^in^alt  ift  aber  einfad^ :  roa§  Herbert 
in  feinen  berühmten  fünf  2lrtifeln  »erlangt,  ift  nid^t  mefjr,  als  ber 
©laube  an  eine  ©ott^eit,  eine  SSorfeliung,  eine  fünftige  SSergeltung, 
unb  an  bie  SSerpflid^tung  ju  einem  tugenbl^often  ^ebzn.  (Bhen  biefer 
©taube  bilbete  aud^  n)irflid^,  wie  er  annimmt,  bie  urfprünglic^e  9f?atur- 
religion,  unb  menn  aud^  bie  ©ottfieit  in  ben  ©eftirnen  rere^rt  mürbe, 
tl)at  bieB  feiner  ^Reinlieit  faum  ©intrag.  2lber  ^rrtl)um  unb  ^riefter-- 
betrug  f)aben  bie  natürlid^e  9leligion  nur  ju  balb  oerfälfc^t,  unb  nad^= 
bem  fie  burd^  bie  ^l)ilofopl)ie  mieber^ergefteHt  unb  burc^  ha§  S^riften^ 
tf)um  äur  ^errfd^aft  gebrai^t  mar,  gieng  e§  in  biefem  nid^t  anberS.  2lud^ 
baS  (51[)riftentl)um  mu^  ba^er  gereinigt  unb  auf  bie  9Zatur=  unb  SSer= 
nunftreligion  prücfgefü^rt  werben.  ®abei  mitt  nun  gmar  Herbert  bie 
9}lögli(^feit  einer  übernatürlid^en  Offenbarung  nic^t  unbebingt  läugnen; 
aber  er  behauptet,  il^re  SQBirflid^feit  laffe  fid^  nie  allgemein  gültig  be= 


56  (Stnteituttg. 

roeifcn,  unb  jur  ©eligfeit  fei  jebenfallg  nur  her  ©taube  on  feine  fünf 
Slrtifel  nottiroenbig.  Qu  ifirer  motten  ©ntroidlung  fam  biefe  S)enfraeife, 
\üelö)e  bei  Herbert  no^  tfieilS  burd^  einjetne  ^wö^ftönbuiffe  an  ben 
firc^üd;en  ©tauben  tfieilg  burd^  t^eofopt)ifd^e  ^been  befd^ränft  iwirb, 
allerbingS  erft  fpäter,  feit  beut  @nbe  be§  17.  ^at)rt)unbert§,  auf  bem 
58oben  ber  Socfe'fd^en  ^fiilofop^ie ;  aber  itire  leitenben  ©ebanfen  ^at 
fd^on  iperbert  auSgefprod^en,  unb  er  £)at  fid^  mit  benfelben  ganj  an  bie 
Siid^tung  angefd^Ioffen ,  roeld^e  bie  ^l)i(ofopl^ie  gteid^jeitig  bei  einem 
Saco,  §obbe§  unb  ®e^carte§  nat)m. 

@t)e  freili^  biefe  9lid^tung  allgemein  burc^brang,  bauerte  eg  nod^ 
längere  3eit.  ^ehen  ber  ©d^olaftif,  meldte  in  ben  fat^otifd^en  Säubern 
befonberg  burd^  bie  ^efuiten  aufred^tge^alten  ranrbe,  machte  aud^  bie 
(5fepfi§  unb  bie  2:t)eofopt)ie  ben  neuen  ©^iftemen  fortraätirenb  baS  gelb 
ftreitig.  ©od^  ift  roeber  bie  eine  nod^  bie  anbere  an  innerem  ©etialt 
ober  an  gefd^id^tli(^er  Söirfung  mit  jenen  ju  t)ergteid^en. 

3)ie  ©fepfi§  |atte  in  granfreid^  fc^on  im  16.  ^atirl^unbert  an 
aJlid^ael  t)on  3Jlontaigne  (1532—1593),  biefem  liebenSmürbigen 
unb  gebilbeten  2Be(tmann,  meld^er  allen  menfd^Ud^en  3Jteinungen  mi^= 
traut  unb  un0  ftatt  berfelben  t^eitS  an  bie  unt)er!ünftelte  !Ratur  tl)eit§ 
an  ben  religiöfen  ©tauben  oermeift,  einen  geiftreid^en  SSertreter  gefunben. 
^tim  l^atte  fid^  ^eter  ß^arron  (1541—1603)  angef d^loffen ,  roetd^er 
bie  gleid^en  ©ebanfen  fd^ulmäfeiger  au^fü^rte;  aud^  er  brang  ftatt  ber 
unfid^eren  unb  unfruchtbaren  äßiffenfd^aft  ber  SJlenfd^en  auf  praftifd^e 
fiebenimeistieit,  auf  «SelbfterfenntniB,  9led^tfd^affent)eit,  grömmigfeit  unb 
@emütt)§ru^e.  9Jlit  itinen  traf  femer  im  ©d^lufeergebni^  ber  p^ilofo= 
pl)ifc^e  Slrjt  granj  ©andres  in  2:outoufe  (1562—1632)  sufammen, 
t)on  ©eburt  ein  ^ortugiefe,  nod^  ©rjietiung  unb  fiebenSftellung  ein 
granjofe;  benn  wenn  er  e§  aud^  bei  feinen  Unterfud^ungen  barauf  ab- 
gefefien  tjatte,  ein  ceränberteS  SSerfatiren  für  bie  ^t)itofop|ie  gu  begrünben, 
unb  namentlid^  bie  D^aturroiffenfd^aft  üon  ben  2Borten  auf  bie  ®inge, 
auf  bie  SBirflid^feit  unb  bie  @rfaf)rung  ju  weifen,  fo  fam  er  bod^  in 
ber  ^auptfad^e  nid^t  über  bie  Eingriffe  gegen  bie  biölierige  ^tiitofop^ie 
unb  bie  allgemeinen  3^^^^^^  o"  ^^^  3}Zöglid^feit  beg  SSiffen^  ^inau§. 
5Durd^  i^n  mirb  bie  9leit)e  ber  franjöfifd^en  ©teptifer  in'^  17.  ^a\)v= 
tiunbert,  ju  einem  granj  beta  Wlot^i  te  SSai;cr  (1588—1672) 
unb  Daniel  §uet  (1630—1721)  fortgeleitet;  wenn  aber  biefe  beiben 
bie  3Jiögti(i)feit  ber  '^ernunfterfenntniB  besmeifetn,  um  fid^  ftatt  berfelben 


<BliptxUx  beS  16.  unt>  17.  3fa'^rl|unbert8.  57 

bem  DffenBorungSgrouBen  in  bie  2lrtne  ju  werfen,  fo  beroeift  bte§  am 
beften,  raie  raenig  fid^  ein  grünblic^er  miffenfi^aftlic^er  ^^^ifel  »on  i^nen 
erroarten  üeB;  unb  nic^t  oiet  anber§  t)er{)ält  e§  fid^  mit  if)rem  englifd^en 
3eitgenoffen  ;3ofßP^  ©lanoilt  (1636—1680),  mieroof)!  biefec  immer 
^in  foraofit  in  feiner  SSorliebe  für  bie  ^kturroiffenfd^aft  feinet  ^a^x- 
f)unbert§,  als  in  feinen  SBebenfen  gegen  ben  @c^tu§  oon  ber  Sßirfung 
auf  bie  Urfad^e  unb  gegen  bie  llebereinftimmung  ber  S3orftettungen  mit 
ben  fingen  mei)x  pl)iIofo;3f)ifc§en  ©eift  üerrätf).  S)agegen  treffen  wir 
in  ^eter  ^ayie  (1647—1706)  einen  fritif(^en  Äopf  erften  9flange§, 
beffen  ©törfe  gerabe  ba  liegt,  rao  bie  ©d^roäd^e  ber  gleichzeitigen  ©feptifer 
gu  liegen  pfCegte.  2tuc^  er  befd^äftigt  fic^  üorpgiroeife  mit  bem  ^er- 
f)ä{tni^  ber  SSernunft  unb  ber  Offenbarung,  ber  ^fiilofop^ie  unb  ber  %^eO' 
logie;  auc^  er  bel^auptet,  ba^  jroifd^en  beiben  ein  raefentlid^er  unb 
grunbfä^lid^er  ©egenfa^  ftattfinbe;  ja  er  fteigert  biefen  ©egenfa^  3um 
äßiberfprud^ :  bie  abfolute  Unoereinbarfeit  be§  ©laubenS  mit  ber  SSer= 
nunft,  ber  not^raenbige  unoerfö^nlid^e  Sßiberftreit  beiber  ift  baS  %^ema, 
welches  er  in  immer  neuen  ^Beübungen  auSjufüfiren  nic^t  mübe  mirb. 
Stber  roäfirenb  bie  übrigen  ©feptifer  jener  S^tt  auö  biefem  (Sad^t)ert)a(t, 
fo  meit  fie  if)n  onerfennen,  nur  ben  «Sc^Iu^  jiel^en,  ba§  man  ehm 
mirflic^  in  ©a(j^en  beS  ©taubenS  feiner  SSernunft  (5tillf(|n)eigen  gebieten 
foHe,  fällt  bei  ^agle  bie  6ntfd;eibung  unoerfennbar  auf  bie  anbere 
©eite,  menn  er  aud^  in  ber  Sftegel  bie  SJtiene  annimmt,  als  rooHe  er 
feinen  fiefern  gmifd^en  3?ernunft  unb  Offenbarung  bie  Sßal^l  taffen,  ober 
TOof)!  gar  ba§  i^ntereffe  ber  Ie|teren  mafiren.  SBer  bie  tt)eoIogifd^en 
£e{)ren  einer  fo  üernid^tenben  ^ritif  unterroirft,  wer  il^ren  Sßiberfprud^ 
mit  allen  unfern  moralifc^en  unb  metapf)i;fifd^en  ^Begriffen  fo  fd^arf  be= 
^uptet,  mie  bie^  ^at)le  j.  SB.  t)infid^tUd^  be§  Sogma'S  vom  ©ünben- 
fall  unb  ber  ßrbfünbe  getfian  f)at,  ber  fann  bie  9Jiöglid^feit,  ba|  fie 
bod^  ^eä)t  ^aben,  unmöglid^  einräumen.  2lber  für  bie  rein  p{)i(ofopl^i=^ 
fd^en  ?5ragen  f)at  biefe  ffeptifd^e  Äritif  freilid^  meit  nic^t  bie  gteid^e 
Söebeutung,  raie  für  bie  tF)coIogif(^en.  2luf  biefem  ©ebiete  t)at  ^ayle 
TOo^l  einjetne  fünfte  fd^arffinnig  befprod^en,  aber  auf  bie  grunblegenbcn 
Unterfud^ungen  ift  er  nid^t  tiefer  eingetreten,  unb  bie  p^iIofopt)ifd^e 
©rö^e  eines  ©pinoga  mu§te  er  meber  ju  mürbigen,  nod^  aud^  nur  feine 
Slnfid^ten  rid^tig  auf^ufaffen. 

3Jlit   ber  ©fepfis   ift   bie  3Hijftif  Derioanbt,   fofern   fie   von   bem 
gleid^en  SOHfetrauen  gegen  bie  menfd^lid^e  SBiffenfd^aft  auSgcl^t,  wie  jene. 


58  (Jinteitung. 

2lud^  in  her  ^ßj^ifofopfiie  beS  17.  ;3;o^rf)unbert§  gefien  kibe  neben  ein= 
anber  fier,  unb  beibe  iiaben  an  ben  ©pftemen,  roeld^e  eine  ftreng  natur- 
luiffenfd^oftlid^e  Söeltanfid^t  äu  gewinnen  fnd^en,  unb  vor  allem  om  6ar= 
teftanifmuS,  ifiren  gemeinfamen  ©egner.  S)er  geiftreid^fte  58ertreter  biefer 
mri^üt  ift  in  ^ranfreic^  Slaife  ^afcal  (1623—1662),  biefer  talent= 
üoUe  unb  tieffinnige  a)lann,  raeld^er  bie  SZaturroiffenfd^aft  unb  bie  %i)eO' 
(ogie,  bie  Slfcefe  be§  ^anfeniften,  unb  ben  <Btyi  beg  gebilbeten  2Belt= 
monnS  in  fo  nterfwürbiger  SBeife  gu  vereinigen  raupte.  ®erabe  bei 
i{)m  geigt  firf)  aud^  jener  ^ufantnxentiang  befonber^  beutlid^:  feine 
^enfroeife  ift  religiöfe  SJlpftif  auf  bem  @runbe  beg  wiffenfd^aftlid^en 
3roeifel^.  ^er  3)lenfd^  ift,  wie  gJafcal  finbet,  üoE  von  äöiberfprüd^en, 
in  feinem  ©rfennen  mie  in  feinem  ^f)un.  IXnfere  SSernunft  ift  befc^ränft 
unb  unfid^er;  bag  fiöd^fte,  u)a§  fie  vermag,  befte{)t  in  ber  Slbleitung  uon 
^Folgerungen.  Slber  bie  ^rincipien,  von  benen  fie  babei  au^gei^t,  fönnen 
nid^t  beioiefen,  fonbern  nur  geglaubt  werben ;  mag  unS  von  ifinen  überzeugt, 
ift  nid^t  unfere  SSernunft ,  fonbern  unfer  ©efül^l,  unfer  ^ers,  unfer  ^n= 
fünft.  :3lnfofern  ift  ^afcal  geneigt,  ber  5Ratur  met)r  ju  vertrauen,  al^  ber 
3?ernunft,  bie  Duelle  unferer  religiöfen  unb  fittlid^en  lleberjeugung  in  ii^r 
3U  fu(^en.  2lber  aud^  tiiebei  rnei^  er  fi^  nic^t  ju  berul)igen.  2)ie 
^atux  ift  burd^  bie  <Sünbe  verborben;  mir  bebiirfen  bat)er  ber  Dffen= 
barung  unb  ber  2luftorität,  unb  mir  finben  biefe  nur  im  ßf)riftent{)um 
unb  näfier  in  ber  fat^olifc^en  Äird^e.  ^^xe  Sef)ren  muffen  mir  gläubig 
annehmen,  unb  un§  in  vottfommener  ©elbftverläugnung  ber  @nabe 
(eibenb  f)ingeben,  wenn  mir  gu  ber  wal^ren  Siebe  @otte^  unb  gu  ber 
mit  i^r  verbunbenen  ©eligfeit  gelangen  wollen.  ®ag  le^te  ift  bemnad^ 
i)m  bie  Vertiefung  in  bie  pofitive  Sfleligion ;  bie  SOBiffenfd^aft  t)at  feinen 
f)öl)eren  felbftänbigen  Berti),  i^r  größtes  Verbienft  befielet  barin,  ta^ 
fie  über  fid^  felbft  fiinauöroeift. 

3Jlit  bem  ;3anfeniften  ift  in  biefer  S8ejiel)ung  ber  reformirte  St^eo-- 
log  ^eter  ^poiret  au§  Wle^  (1646—1719)  einverftanben.  Sluc^  er 
roiH  fid^  vom  vermittelten  ©rfennen  jum  unmittelbaren,  vom  S)enfen 
pr  2lnfd^auung,  von  ber  2lftivität  jur  ^affivität,  von  ber  58ernunft 
ober  bem  „mcnfd^lid^en  SSerftonbe"  jum  „göttlid^en  Sb'erftanb"  l^inraenben, 
meld^er  fid^  ber  (äinroirfung  be§  plieren  ßid^tS  in  reiner  6mpfönglid;feit 
l)ingiebt ;  unb  er  fiel)t  eben  l)ierin  ben  9Beg,  um  fid^  von  ber  med^anifd^en 
^l)i;fif  ^eScarte«'  gu  befreien  unb  gu  ber  djriftlid^en  SBeltanfid^t  gu  ge-- 
tangen,  bie  in  allem  ©ine  grofee  ©ottc^offenbarung  erfennt.    ©ine  l)ö§ere 


^ofcal,  ^oirct,  9Worc,  ©«bttjotf^,  §eImont.  59 

©teffung  räumen  bie  englifc^en  ^lotonifer  jener  Qeit,  unter  benen  bie 
^voei  ßambribger  Sltieologen  |)einrid^  3Jlore  (1614 — 1687)  unb 
^alv^  SubTOort^  (1617—1688)  bie  angefef)enften  unb  n)iffenfd)aft= 
lic^  bebeutenbften  finb,  ber  58ernunft  ein;  aber  inbem  fie  ben  ri(ä^tigen 
SSemunftgebrau^  felbft  roieber,  nad^  beut  SSorgang  eineö  (Siemens  unb 
DrigeneS,  uon  einer  inneren  ©rleud^tung  burd^  bie  göttlii^e  SSernunft 
abhängig  machen,  berüfiren  fie  fic^  bod^  ber  Sad^e  nad^  mit  ber  9Jlx)fti!, 
unb  wenn  fie  ben  gleid^en  ^[^orgängern  aud^  in  ber  weiteren  Slnno^me 
folgen,  ba^  bie  gried^ifd^en  ^{)ilofop^en  ben  beften  5tf)eit  it)rer  Se^re 
au§  jübifd^en  lleberlieferungen  gef(^öpft  fiaben,  fo  treten  fie  bamit  t)om 
©tanbpunft  ber  ^^ilofopf)ie  auf  ben  be§  fupranaturaliftifc^en  Dffen= 
barungSgkubenä  über.  S)a§  ma^gebenbe  2)totit)  i^rer  ©pefulation  ift 
ba§  tfieologifc^e ,  ben  retigion^gefä^rlid^en  Folgerungen  ju  begegnen, 
metd^e  aug  ber  neu  auffommenben  med^antfd^en  3'iaturanfidöt  l^erooräu= 
gefien  brotiten.  ©inem  §obbe§  unb  S)e§carteg  gegenüber  fott  bie  Sßett 
a(g  eine  lebenbige  Offenbarung  ber  ©otttieit,  aU  erfüllt  unb  getragen 
Don  götttid^en  i^räften  aufgefaßt  werben;  unb  ba§  3Jiittel  bagu  finb 
£e|ren,  mlä)e  oon  ben  itatienifd^en  ^(atonifern,  ben  Äabbaliften  unb 
Xt)eofopf)en  entlefint  finb,  wie  Subroortf)'^  2tnnal^me  einer  plaftifdf;en 
Dktur,  meldte  bie  Söirfungen  @otte§  auf  bie  2Bett  »ermittle  unb  bie 
3)iaterie  belebe,  unb  3Jiore'§  ^SorfteHungeu  über  ben  9laum  ai§>  ein  realem, 
|alb  geiftigeS  SOSefen,  über  bie  Sid^tnatur  unb  bie  räumliche  2lu§be{)nung 
ber  geiftigen  (Subftanjen,  über  ben  allgemeinen  9^aturgeift,  bie  teim= 
formen,  bie  ©ngel,  bie  ©eiftererfd^einungen  u.  f.  xo.  2lu^  bemfelben 
©egenfal  gegen  bie  med^anifd^e  ^l)t)fif  ift  bie  ^lieorie  be5  englifd^en 
Slrgtel  ©liffon  (1672)  l^eroorgegangen,  roeld^er  aud^  ber  SOlaterie 
S^orftellungen  unb  triebe  beilegen,  nnb  il^re  Söeraegung  nid^t  au^ 
med^anifd^en  ®efe|en,  fonbern  an§>  ilirem  inneren  ßeben  l^erleiten  rooUte. 
3n  nodf;  engerem  2lnfd)lu^  an  bie  tl)eofopl)ifd^en  Schulen  l)at  ber 
jüngere  van  §etmont  (f.  o.  @.  12)  ben  ©ebanfen  einer  burd;gängi; 
gen  Sßefeelung  ber  SÖelt  burd^gefülirt.  3lu§  ©ott,  al§  bem  llrlid^t, 
foUen  alle  2)inge  in  einer  abfteigenben  ©tufenreilie  t)ert)orgegangen  fein. 
®eift  unb  törper  finb  ba^er  nid^t,  wie  SeScarteS  gewollt  §atte,  graei 
rerfc^iebene  ©ubftansen,  fonbern  alleg  ift  feinem  innerften  Söefen  nadf; 
©eift,  jebeö  gefd^affene  Sffiefen  ^at  aber  auc§  feinen  Seib,  unb  ber  ©eift 
felbft  ift  etwas  lic^tartigeS ,  raumerfüHenbeS.  S){e  ©runbbeftanbt^eite 
aller  S^inge  finb  untlieilbare  ©in^eiten,  3)ionoben;  aud^  bie  (Seele  um= 


60  ©tnleHuitg. 

fd^lieBt  t)iele  ©eifter  ober  3}lonaben,  wcld^e  fie  als  ßentratgeift  bef)errf(3^t ; 
biefe  9Jlonaben  fiub  aber  nid^t  immer  gteid^  uoUfommen  enttoicEelt,  unb  wenn 
^elmont  aud^  läugnet,  ba§  eine  oerünftige  «Seele,  mie  bie  menfd^tic^e, 
jum  bto§en  ^fieil  eineä  SeibeS  roerben  fönne,  fo  glaubt  er  bo(^,  e0  !önnen 
umgefel^rt  foI(^e  3Jlonaben,  bie  aU  ^^eile  eines  SeibeS  ein  unfelbftänbigeg 
5)afein  gefül^rt  fiaben,  §u  bem  felbftänbigen  fieben  con  Seelen  ober  ßentral^ 
monaben  gelangen,  unb  er  erflärt  l)ieraug  bie  ©ntfte^ung  menfd^lid^er  ©ee* 
len  huxö)  Beugung.  Wanä)e  t)on  biefen  ©ebanfen  raerben  uns  bei  fieibni^ 
roieber  begegnen;  bei  Dan  ^elmont  jebod^  finb  biefelben  fo  menig  auf 
fd^arfe  ^Begriffe  gurücfgefülirt,  in  burd^gcingige  Uebereinftimmung  unb  fpfte* 
motifc^e  SSerbinbung  gebracht,  bie  roiffenfc^aftlid^  oermertliboren  Seftanb^ 
tlieile  feiner  Seiire  finb  mit  fo  rielen  unklaren  unb  p^antaftifd^en  §8orftelluns 
gen  vermengt  unb  unter  benfelben  vergraben,  ^a^  aud^  er  fid^  im  gangen  ni(^t 
über  ben  ©tanbpunft  jener  fialbroiffenfd^aftlid^en  ©pefulationen  erliebt,  meldte 
fid)  felbft  bann,  roenn  e0  i^nen  an  treffenben  SBal^me^mungen  unb  bebeuten= 
ben  Kombinationen  nid^t  felilt,  bod^  immer  burd§  ben  SJlangel  an  beutlid^en 
Segriffen  unb  ftrengem  SSerfaliren  üon  ber  reinen  ^§ilofopl)ie  unterfd^eiben. 
S)eutfd|lanb  fonnte  nun  t)on  ber  reid^en  unb  eingreifenben  miffen* 
fd[;aftlid^en  ^ptigleit,  bie  fid^  in  feiner  nctd^ften  M^e  entroidfelt  liatte, 
unmöglid^  gang  unberülirt  bleiben.  Slber  bod^  jeigt  \\ä)  ilir  ©influ^  auf 
bie  beutfd^e  ^^ilofopliie  vov  Seibnij  t)erl)ältniBmä6ig  nod^  fetir  befd^ränft. 
33aco'S  9leformüorfd§l(ige  blieben  ^ier  groar  nid^t  unbead^tet,  inbeffen 
fd^eint  ilire  SBirfung  nidt;t  über  üereinjelte  Slnregungen  l)inauSgegangen 
äu  fein,  ^n  ^obbeS  mu^te  man,  roie  fpäter  in  ©pinoga,  nur  ben 
„Sltlieiften" ,  ben  religionSgefälirlid^en  ÜJlenfd^en,  nur  einen  t)on  ben 
„brei  großen  Betrügern"  gu  felien,  gu  rcelc^en  ber  Äieler  ^^eolog 
Äort^olt  (1680)  aufeer  ben  beiben  ebengenannten  ^^ilofopl)en  no(^  ßorb 
Herbert  red^nete.  9Jiel)r  53eifall  fanb  bie  2ltomiftif,  meldte  no^  vox 
©affenbi  von  bem  SSittenberger  Slrgt  unb  ^rofeffor  Daniel  ©ennert 
(1572 — 1637)  für  bie  ©rffärung  ber  Sfiaturerfd^einungen  gu  §ülfe  ge= 
nommen  n3urbe;  fie  erl)ielt  fid)  in  einer  üon  ber  bemofritifd^en  nidit 
roefentüc^  abmeid^enben  Raffung  bei  ben  beutfd^en  ^l)t)fifern  löngere 
3eit  in  fold^em  Slnfelien,  ba^  Seibniä  fagt,  fie  liabe  nid^t  bloS  ben  9ta= 
mifmuS  in  58ergeffent)eit  gebrad;t,  fonbern  aud^  ber  peripatetifdlien  fietire 
Slbbrud^  getl)an.  *)    6ie  empfalil  fid^  ©ennert,  raie  ©affenbi,  namentlid^ 


1)  Th^odicee,    Discours  de  la  conformit6  u.  {.  w.   9?r.  12.     Opp.   ed.    (£rbm. 
e.  483. 


©ennett.    Sarteftanifmu!!  in  ©eutfd^Ionb.  61 

baburd^,  ba§  fie  ifjnt  ben  SwfaTrtmenriang  ber  natürlichen  Urfad^en  unb 
Söirfungen  am  beften  ju  iuaf)ren,  unb  ein  fd^öpferifc^eS  Eingreifen  ber 
@ott|eit  entbet)r(id)  gu  ntad^en  fd^ien;  benn  tooUte  er  fic^  aud^  fol(^e 
Eingriffe  in  einzelnen  auBerorbentlid^en  Rollen  gefallen  laffeu,  fo  glaubte 
er  fie  bod^  oon  bem  regelmäßigen  S^aturlauf  fernhalten  gu  foHen.  ^n- 
beffen  cerbanb  ber  SJlann,  meld^er  burd^  feine  c^emifd^en  ©tubien  aud^ 
mit  ben  ^aracelfiften  gufammen^ieng,  mit  jener  auf  med^anif(^e  3Ratur= 
erftörung  abgietenben  Seiire  auc^  roieber  Slnna^men  oon  ganj  anberem 
ßl^arafter,  über  bie  ©i;mpatl)ie  unb  2tntipatl)ie  aEer  ®inge  unb  ät)n= 
tid^e^,  unb  raälirenb  er  mand^e  artftotelifd^e  58eftimmungen  angriff,  ließ 
er  anbere,  nid^t  beffer  begrünbete,  fte|en.  SSon  einer  ftreng  burd^ge- 
führten  pl)t;fifatifd^ett  SQBeltanfic^t  ift  er  bolier  nod^  meiter  entfernt,  al§ 
©affenbi. 

2lud^  bem  (SartefianifmuS  fehlte  c3  in  5Deutfd^lanb  nid^t  an  greun= 
ben;  fo  bebenflid^  aud^  bie  SJiänner  ber  ölten  ©d^ule  ju  einem  ©i;ftem 
faf)en,  meld^eS  ben  proteftantifd^en  Eiferern  fd^on  burd^  feine  fat^olifd^e 
2lbfunft  oerbäc^tig,  2(riftotele§  unb  bie  Sllten  ouä  il)rem  oerjä^rten  S3efi^ 
gu  oerbröngen  fid^  unterfieng,  unb  uon  meld^em  man  überbieß  nid^t 
oline  ©runb  befürd^tete,  eS  möd^te  ben  @eift  bei  ^^^if^^^  nähren  unb 
aud^  in  tlieologifd^en  fingen  ber  @lauben0bereitfd^aft  unb  bem  unbe= 
bingten  2lnfe^en  ber  Offenbarung  Eintrag  tl)un.  ©d^on  in  ben  näd^ften 
:^a^ren  nad^  S)e§carte§'  2:obe  fc^ien  eiuijelnen  .^oc^fd^ulen  bie  ©efatir, 
bie  oon  i^m  bro^te,  bringcnb  genug,  um  fid^  mit  ber  ^erfömmlid^en  SBaffe 
ber  ßeliroerbote  unb  ßeliroerpflid^tungen  bagegen  ju  fd^ü|en.  5Doc^  ticitte 
eg  berfelben  an  ben  meiften  Drten  ioo§l  faum  beburft.  ganb  aud^  ber 
Eartefianifmul  ba  unb  bort  einen  Stnpnger,  mie  ^o^,  Slnbr.  ^e= 
termann,  3}lid^ael  9ll^egen  (aul  Siebenbürgen)  unb  (Sabriel 
aBagner  in  ßeip^ig,  Daniel  Sipftorp  unb  ^ol).  Eber^.  (Sd^rae= 
ling  in  S3remen,  ^o^.  ©perlette  in^affe,  fo  maren  bod^  alle  biefe 
aJiänner  tf)eilö  an  fid^  felbft  ni(^t  eben  bebeutenb,  tl^eill  l)atten  fie  aud^ 
nur  geringen  Erfolg,  unb  fie  gehören  überbieB  fcimmtlid^  erft  bem  Enbe 
be§  17.  ^al)r§unbert§,  mithin  einer  3eit  an,  in  welcher  Seibnij  ber 
beutfd^en  ^^ilofopl^ie  bereits  anbere  Sßege  eröffnet  liatte.  Einer  gröBeren 
3Serbreitung  erfreute  fic^  bie  cartefianifd^e  ^§ilofopl)ie  nur  in  einigen 
^l)eilen  be§  roeftlid^en  SDcutf^lanbS,  in  bie  fie  au§  bem  benad^barten 
^ottanb  oerpflanjt  raorben  mar.  ^^x  ^auptoertreter  mar  l)ier  ;3l  o  §  a  n  n 
Elauberg  (1622 — 1665)  auS  ©olingen,  roeld^er  in  ©röningen  burd^ 


63  ©inlettung. 

2:o6ia§  SKnbreö  au§  S3raun5felb  (1604—1674)  in  fte  eiitgefü^rt 
roorben  max,  unb  ii)t  feinerfeits  raä^renb  einer  erfolgreichen  Se{)rt^ätig= 
!eit  5U  ^erBorn  unb  ^Duisburg  jafilreic^e  ©d^üter  gewann;  neben  tf)m 
ift  ber  fieroorragenbfte  unter  ben  beutf(3^en  ßartefianern  SHeyanber 
Sloetl  (1653  — 1718),  loet^er  al§  Sel)rer  ber  ^tieologie  in  ^ranefer 
unb  in  Utred^t  wegen  feiner  freieren  t^eologifc^en  2lnft(j^ten  üon  Seiten 
ber  reformirten  Drtl^oboyie  lebfiafte  Singriffe  ^u  erbulben  fiatte.  (Etauberg'S 
pf)i(ofopf)ijc^e  ©d^riften  geben  eine  ftare  unb  toofilgeorbnete  S)arfteflung 
ber  cartefianifd;en  Sel)re,  unb  fuc^en  bie  Süden,  raetd^e  i^r  Urtieber  im 
©i)ftem  getaffen  ^atte,  in  feinem  ©eift  au§5ufüllen;  für  feine  miffen^ 
fc^oftlid^e  gortbitbung  ^aben  fie  aber  lange  nid^t  bie  S3ebeutung,  raie 
bie  eines  ©eulincj  unb  3Jta(ebran(^e,  unb  an  ©elbftänbig!eit  ber  (Be- 
banfen  laffen  fie  fid^  mit  ben  Ie|teren  nid^t  »ergleid^en.  ^on  ben  ^roei 
fragen,  an  meldte  bie  ©ntraidlung  he§>  SartefianifmuS  fid^  üorjugSraeife 
gefnüpft  i)at,  nad^  bem  SSerl^ältniB  ber  ©eele  pm  Seib  unb  bem  ^n- 
^ältniB  ®otte§  ju  ber  SBelt ,  wirb  bie  erfte  oon  ßlauberg  ^)  bal^in  be= 
antroortet:  bie  ^erbinbung  ber  Seele  mit  bem  ßeibe  befte^e  in  i^rer 
gegenfeitigen  ©inrairfung  auf  einanber;  biefe  ©inroirfung  berul^e  nic^t 
auf  i^rem  natürtid^en  3wfotnmenf)ang,  fonbern  lebiglid^  auf  bemaSiUen 
©otteS,  unb  fie  betreffe  nid^t  ba§  ganje  förperlid^e  unb  geiftige  ßeben, 
fonbern  oon  jenem  nur  bie  raiüfülirnd^en  Seroegungen,  üon  biefem  nur 
bie  oerroorrenen,  b.  f).  bie  finnlic^en  33orfteIIungen.  Oh  unb  in  roetd^em 
Sinn  aber  überl^aupt  eine  SBed^feltoirfung  ^roifd^en  Seib  unb  Seele 
möglich  ift,  menn  beibe  ilirer  9latur  nac^  fo  gan5  uerfd^ieben  finb,  wie 
bieB  mit  5De§carte0  aud^  Stauberg  annimmt,  rairb  nid^t  unterfud^t.  3)lit 
mel)r  S^led^t  läfet  fid^  ©lauberg  wegen  feiner  t^eologifd^en  SCnfid^ten  aU 
ein  3Sorgänger  oon  ©eulincy  unb  Spinoga  betrad^ten.  ©3  liegt  ganj 
auf  bem  SBege  biefer  ^^ilofopl^en,  wenn  er  auSeinanberfe|t :  nid^tä 
fönne  fid^  burd^  feine  eigene  Äraft  in  feinem  S)afein  erlialten,  alles 
beftel)e  ba^er  nur,  weil  unb  raie  lang  e§  oon@ott  l)ert)orgebrad^t  wirb; 
bie  götttid^e  2öe(terl)altung  fei  mithin  eine  fortbauernbe  Sd^öpfung; 
ebenbeBlalb  aber  fei  @ott  als  bie  einzige  Subftanj  im  ftrengen  Sinn 
5U  betrac[;ten,  adeS  anbere  bagegen  l)abe  nur  ein  bejieliungSraeifeS  unb 
bebingteS  Sein,  unb  fei  @ott  gegenüber  ebenfo  unfelbftänbig,  raie  unfere 
©ebanlen  im  33er^ältnife  ju  unferem  ©eifte  ^).    Stber  bod^  ift  ift  ©lau= 


1)  Corporis  et  auimae  in  homiue  coujuuctio. 

2)  De  cognit.  Dei  et  uostri,  exercit.  26.  28. 


Slauberg.    @turm.    ^xtni)a\)m.  63 

berg  toeit  entfernt,  in  biefer  Stic^tung  gteti^  entfd^ieben  oorjugefien,  unb 
aus  feinen  6ä^en  bie  gteid^en  Folgerungen  ju  gießen,  raie  jene. 

3Jlit  ber  cartefianifc^en  6^u{e  f)ängt  anä)  ber  2l(torfer  ?ßrofeffor 
:3of).  (S^rtftopf)  ©türm  (1635 — 1703)  äufammen,  roeld^er  unter 
ben  beutf(i^en  3Jlott)ematifern  unb  ^figfüern  jener  3eit  eine  f)ert)orra= 
genbe  6tette  einnimmt,  ©eine  pf)i(ofop^if(^en  2lnft(|ten  erinnern  am 
meiften  an  SDZalebrand^e.  @r  beftritt  nämtid^  bie  ißorftellung ,  ba^  bie 
Körper  gemiffe  iiinen  inraol^nenbe  Gräfte  befi|en,  raeit  ber  Tlatetk,  al§> 
einer  rein  paffiüen  ©ubftanj,  feine  rairfenbe  ^raft  l^abe  mitget^eilt  wer- 
ben fönnen;  unb  er  gab  be§f)alb  ber  2lnna^me  ben  3Sorjug,  @ott  toirfe 
altes  in  ilinen  fortn)äl)renb  buri^  feinen  urfprünglic^en  fd^öpferifc^en 
SBillen.  2luc^  bei  ber  ^rage  über  haä  SSer^ältni^  t)on  ©eele  unb  Seib 
erflärte  er  fic^  für  ba§  ©t)ftem  ber  getegenl)eitlic^en  Urfad^en.  i^^beffen 
l^at  er  biefen  ©tanbpunft  nic^t  genauer  au§gefüf)rt  unb  fid^  in  feiner 
3)arftellung  üon  ©c^manfen  ni(^t  frei  gelialten.  ^u  einer  bebeutenberen 
entroi(f[ung  l^at  eä  ber  ©artefianifmuS  in  S^eutfd^lanb  nicl)t  gebracht. 

^Den  frauäöfifc^en  ©feptifern  t)at  man  ben  ^rctmonftratenferabt 
|)ieronijmu§  ^ixn\)ai)m  in  ^rag  (geft.  1679)  jur  ©eite  geftellt; 
bo(^  ift  er  feinem  (El)ara!ter  unb  feiner  Senfart  na(^  me^r  nod^  mit 
Slgrippa  oon  3^ette§l)eim  (f.  o.  ©.  12)  §u  üergleid^en.  SBie  biefer  über 
bie  eitelfeit  alleS  SßiffenS  fc^rieb,  fo  befämpft  ^irn^atjm  bie  2ßiffen= 
fc^aften,  al5  eine  „^eft  beS  3Jlenfd^engefc^led^t0" ;  er  jeigt  aber  fd^on 
babnrd^,  mic  roenig  er  ber  SJiann  ift,  um  auf  il)ren  Fortgang  eine  naä)- 
l)altige  2ßirfung  auszuüben.  2ßer  bie  attgemeinften  ^ernunftraal)rl)eiten 
mit  ber  Semerfung  roiberlegt  ^u  l^aben  meint,  ba^  fie  geraiffen  S3eftim= 
mungen  ber  firc^lic^en  5Dogmatif  roiberftreiten ;  wer  bie  Sluftorität  ber 
römifc^en  ^ird^e  für  einen  oiel  unumftö^lic^eren  @runb  unferer  tleber= 
jeugung  f)ält,  aU  ben  ©a|  be§  2öiberfpruc^§  ober  ben  ©a|,  baB  baS 
©anje  größer  ift,  aU  fein  2:i^eil;  roer  bie  metf)obifd^e  S^aturforfd^ung 
geringfc^ä^t,  um  fid^  bafür  ^aracelful  unb  can  ^elmont  in  bie  2lrme 
gu  werfen;  wer  vox  ber  weltlid^en  Sßiffenfc^aft  im  3^amen  ber  S^teligion 
warnt,  unb  ben  Söertl)  ber  geleljrten  ©tubien  nac^  il)rem  3^u^en  für 
bie  ©eelforge  bemifet,  ber  f)at  felbftoerftönbtid^  auf  einen  ^la^  unter 
ben  $f)i(ofopf)en  feinen  Stnfprud^. 

SSeit  beffere  grüc^te  fonnte  fic^  bie  beutfd^e  ^liilofop^ie  üon  ber 
wiffenfd^aftlidöen  ©elbftänbigfeit  unb  bem  reformatorifd^en  ©treben  be§ 
^oad^im  i^ungiuS  oerfpred^en,  biefeö  gelehrten 3^aturforfc§erä,  beffen 


64  ©tnicttung. 

in  anberem  ^ufammcnfiang  au6)  f(ä^on  6.  20  gebai^t  rourbe  *).  2l6cr 
m^  [ein  @influ§  roax  nur  ein  befdiränüer.  ©ein  perfönlid^eä  3öir!en 
fällt  faft  ganj  in  bie  troftlofe,  für  bie  roiffenfc^aftlic^e  ^tiätigfeit  fo 
äufeerft  ungünftige  3^^*  ^^^  brei^igjä^rigen  Krieges;  al§  ©d^riftfteHer 
l^at  er  raäfirenb  feines  Mens  uetpltniBmä^ig  raenig  get^an,  unb  biefe 
SücEe  lieB  fic^  ou§  feinen  t)interlaffenen  papieren  um  fo  weniger  auS= 
füKen,  ba  ber  größere  %^exi  berfelBen  in  einer  ^euerlbrunft  gu  ©runbe 
gieng;  au^  an  fi(^  felbfl  aber  fann  man  if)n  als  ^fiilofop^en  feinen 
großen  3eitgenoffen,  bie  er  an  @elel)rfamfeit  aHerbingS  übertraf,  einem 
58aco  unb  ^eScarteS,  lange  ni(^t  gleid^ftetten.  ^m  ©eift  eines  Saco, 
t)on  beffen  ©influB  er  mofil  anö)  hexü^xt  roax,  ge^t  er  barauf  aus,  burc^ 
$8erbefferung  beS  raiffenfd^aftli(i^en  5ßerfat)renS  eine  neue,  von  ber  lXeber= 
lieferung  ber  2lriftotelifer  unb  oon  SlriftoteleS  felbft  unabpngige  ^t)i= 
lofopl^ie  ju  geroinnen.  ,3}iit  jenem  »erlangt  er,  ba§  roir  fiiefür  auf  bie 
©rfafirung  jurücfge^en,  ba^  wir  bie  Xi)atfa(^en  genau  beobad^ten  unb 
fie  mittetft  ber  einfa(5^ften  SSorauSfe^ungen  ju  erflären  üerfud^en.  3la^ 
S3aco'S  Vorgang  befcä^äftigt  auc§  er  \iä)  faft  auSfd^Uefetic^  mit  ber  D^atur, 
beun  er  ift  überzeugt,  baB  bie  SSerbefferung  ber  ^fiilofopi^ie  mit  ber 
^^t)fif  beginnen  muffe,  bie  llnterfu(ä^ungen  über  baS  ^efen  ©otteS  bagegen 
unb  felbft  fotd^e  über  baS  Söefen  ber  ©eele  fc^einen  it)m  bie  ©d^ranfen 
beS  menfd^lid^en  ©eifteS  ju  überfteigen;  unb  in  ber  9f?aturroiffenf(3^aft 
l^at  er  eS  junäc^ft  gteii^fattS  auf  bie  ©rforfd^ung  ber  materiellen  unb 
roirfenben,  nid^t  ber  ©nburfac^en,  abgefelien.  9lber  in  allem  biefem  ^at 
er  im  roefentlid^en  bo(^  nur  bie  S3a]^n  »erfolgt,  roelc^e  8aco  f(|on  t)or 
il)m  eröffnet  ^atte;  unb  roenn  er  |iebei  mand^e  ©infeittgileiten  feines 
^ßorgdngerS  »ermieb,  unb  neben  ber  äußeren  ©rfalirung  an^  bie  3luS^ 
fagen  beS  ©elbflberou^tfeinS  über  bie  5ll)ätigfeit  ber  ©inne  unb  beS 
58erftanbeS  auSbrü(Jli(|er,  als  "jener,  ^eroor^ob,  fo  wirb  bieB  burd^  ben 
Umftanb  mefir  als  aufgeroogen,  ba^  er  aud^  bie  roefentlic^en  Sorjüge 
beS  baconifd^en  ©mpirifmuS  nic^t  in  bemfelben  SJlafee  befi|t,  baB  er 
bie  gjlängel  ber  bislierigen  ^:^i(ofopl)ie  weit  nid^t  fo  fd^arf  unb  flar, 
wie  S3aco,  erfannt  l^atte,  unb  nid^t  mit  biefem  principieHen  33es 
rouBtfein  auf  bie  §8egrünbung  einer  reinen  ©rfa^rungSroiffenfd^aft 
unb  beS  if)r  eigentl)ümlid^m  inbuftioen  5ßerfal)rcnS  auSgieng.  Wit 
3)eScarteS  berül)rt  fid)  i^ungiuS  tt)eilS  in  ber  Iteberseugung  üon  ber 
üBebeutung  ber  3Jiatl)ematif   unb  ber  mat^ematifd^en  3JZet|obe  für  bie 

1)  9Kan  »gt.  über  it)n  ©u^rauer,  ^oad^.  3fungtu8.  1850. 


^ufeitboif.    ^ungiuS.  65 

9^oturforf(^un9 ,  t^exU  in  ber  llnterf($eibung  ber  förperltd^en  unb  mu 
!örper(id^en  ^©ubftan^en  unb  in  ber  ^öeftinimung ,  ha^  ba$  SBefen  ber 
erfteren  in  ber  2lu§be^nung  beftetje ;  inbeffen  tüor  ber  ©tanbpunft  beiber 
3??änner  im  ganjen  hoä)  ein  fef)r  üerfc^iebener ,  unb  and)  auf  bem  na= 
turraiffenf(^afta($en  ©ebiete,  auf  bem  ^ungiu§'  «ebeutung  Dor^ug^roeife 
liegt,  fc^eint  i§m  ber  cartefianifd^e  ©ebanfe  einer  burd^auS  einfieitlid^eu/ 
ftreng  med^anifc^en  9?aturerf(ärung  fremb  geblieben  ju  fein. 

<Bd){k^i\<^  ift  ^ier  nod^  eineS  3)Zanne§  ju  erroäimen,  raeld^er  ^war 
nur  einen  einselnen  3n)eig  ber  ^^ilofopfiie  bearbeitet,  aber  in  biefem 
ma&gebenbe§  Slnfe^en  erlangt  l^at,  ©amuet  ^ufenborf'g,  bei  be^ 
rühmten  9le(^t§gelef)rten  unb  ^ubliciften,  rcelc^er  1632  bei  ßfiemni^ 
geboren,  1661  ju^eibelberg  ben  erften  Sei)rftu^(  be-S  D^aturred^ts  beftieg, 
1672  ai§>  ^rofeffor  in  Sunb  fein  2Berf  über  bag  3f?atur=  unb  S^ölferred^t 
t)erau§gab,  unb  1694  at§  ©e^eimerat^  in  ^Serlin  geftorben  ift.  mit 
einem  ^^itofop^en  erften  9tang§  ^aben  mir  eg  aber  freiließ  aud^  f)ier 
nic^t  3U  tf)un.  ^ßufenborf'S  ^Bearbeitung  be§  9^aturred^t§  jeid^net  fid^ 
nid^t  affein  burc^  il^re  Ä(arf)eit  unb  3?ottflänbigfeit,  fonbern  aud^  burd^ 
eine  gefunbe  unb  freifinnige  S3eurtf)ei(ung  ber  einf^tagenben  fragen 
an^,  unb  §at  bie  2(nerfennung,  meldte  ifir  jutf)ei(  lüurbe,  wof)l  oerbient. 
'J?euen  @efic^t§punften  bagegen  unb  eigenti)üm(id[;en  ©ebanfen  begegnet 
man  auc^  innerhalb  be§  ©ebietel,  auf  bal  fie  fid)  befc^ränft,  mef)r  nur 
hei  einzelnen,  t)erf)ä(tni§mä|ig  untergeorbneten  ?^ragen,  unb  ben  p^i(o= 
fopl^ifc^en  @runb  für  bie  Sffei^tSraiffenfd^aft  tiefer  gu  (egen,  mar  ^ufen= 
borf  bod^  nid^t  geeignet,  ©eine  Stellung  ift  in  ber  .^ouptfad^e  burd; 
fein  SSerfiältniB  ju  @rotiu§  unb  §obbe§  beftimmt.  S)em  erfteren  ftefit 
er  feinem  ganzen  ©tanbpunft  nac^  am  näd^ften;  aber  bod^  fann  er  ftd^ 
auc^  mandjen  Semerfungen  bei  anbern  nid^t  üerfd^üe^en ;  unb  fo  fud^t 
er  jmifd^en  il^nen  t{)ei(S  ju  entfd;eiben-,  tfieifl  ju  üermittetn.  SBenn 
@rotiu§  ba§  9ted^t  für  unabficingig,  fetbft  00m  göttlid^en  SBiHen,  erflärt 
^atte,  fo  fd^eint  i|m  bieB  «id^t  rid^tig,  benn  eine  fittlidje  5?erpflid^tung 
!önne  fid^  immer  nur  auf  ein  @efe^,  unb  bie  fittlic^e  3]erpflid;tung 
überhaupt  nur  auf  ein  göttlid^el  @efe^  grünben;  biefeS  ®efe|  finbet  er 
aber  atterbingl  ber  SBürbe  unb  ^eftimmung  bei  3)lenfd^en  fo  entfpre= 
d^enb,  wegen  ber  menfc^(i(|en  ^egierben  unb  Seibenfd;aften  fo  unent= 
befirlid^,  unb  in  unferer  Sf^atur  fo  feft  begrünbet,  ha^  er  tro^bem  fein 
Sebenfen  trägt,  ju  bel)aupten,  bie  moralifd^en  Söiffenfd^aften  feien  ber= 
felben  ©emiB^eit  fä^ig,   mte  bie  a)tatf)ematif,   unb  menn  @ott  einmal 

gelter,  öejc^ii^te  ber  beutfc^en  ^IjUo^opijk.  5 


66  ©tnleitung. 

fo((ä^e  SBefen,  wie  bie  9)lenf(^en,  gefc^affen  {)abe,  (äffe  e§  \iä)  nii^t  benfen, 
ba^  er  il^nen  ni(^t  au(^  bie  für  fie  unentbefirlic^en  ©efe^e  geben  foUte. 
^ufettborf  verlangt  ba'^er  fd^Iie^Iii^  nicl^t  mitiber  entfd;ieben,  al§  ®rotiu§, 
baJ3  ba§  allgemeine  9te(^t§gefe|  au§  ber  SSernunft  al0  fold^er,  m(^t  au§> 
einer  pofitiuen,  bfo§  einem  ^f)eile  ber  9J?enf(^en  gegebenen  DffenBarnng 
gefdjöpft,  nnb  an§  ber  menfd;li(^en  Statur,  aU  feiner  näc^ften  Üuetle, 
abgeleitet  merbe.  ©benfo  ftimmt  er  mit  feinem  SSorgänger  in  ber  lieber:^ 
gengnng  überein,  baB  eS  bie  gefeHige  D^atur  be§  3Jienfc^en  fei,  auf  bie 
e§  fi(^  grünbet;  aber  in  ber  näfieren  2ln0fü()rung  biefeS  ©ebanfenS  0 
beruft  er  fi(^  nic^t  auf  ben  aßen  SJienfd^en  angeborenen  ©efclligfeits^ 
trieb  unb  bie  barau§  f)erüorgef)enbe  allgemeine Uebereinftimmung,  fon= 
bern  auf  bag  @efelligfeit§bebürfni^,  inbem  er  t^eitl  an  bie  ^ülf= 
Iofig!eit  be§  üereingelten,  ouf  fi(^  felbft  befc^ränften  SUlenf^en,  t^eils  an 
bie  menfd;lid^e  Seibenfd^aftlic^feit  unb  ©d^Ied^tigfeit  erinnert,  meldte  ben 
bloßen  Sflaturguftanb  jmar  ni(^t,  mie  |)obbe§  gemoHt  l^atte,  gu  einem 
allgemeinen  ÄriegSsuflanb,  aber  boc^  ju  einem  ßwftanb  größter  9te($t§= 
unfid^erfieit  mac^e;  fo  ba^  bemnac^  bie  le^te  Duelle  beg  Stec^tS  in  bem 
©elbfter!)altung§trieb  liegt,  metd^er  unter  ben  eigent^ümtid^en  Sebingungen 
ber  menfd^lic^en  9Zatur  ba0  gefeHige  Seben  unb  baä  il^m  entfpred^enbe 
SSer()atten  forbert.  2Ief)nli(^  foH  (a.  a.  D.  VII,  1)  auc^  ba§  6taat§= 
leben  auf  feiner  llnentbel)rli(i^feit  für  ben  9Jienf(^en  berulien:  ber|)aupt= 
grunb  für  bie  Söilbung  üon  Staaten  ift  ba§  SebürfniB  be§  9fled^t§f($u^e§, 
bie  ©id;erung  be§  ^rtebenS;  ber  ©taat  entftelit,  menn  fid;  eine  größere 
Slngat)!  t)on  Men^ä)en  für  biefen  Qmeä  burd;  35erträge  unter  einer  ge-- 
meinfamen  9tegieriing  vereinigt.  ®er  ©taat  läJBt  fid^  bal^er  nur  mittel- 
bar auf  götttid)e  Stiftung  gurüdfüliren ;  unb  nod;  weniger  barf  ber 
einzelne  Oiegent,  ber  immer  crft  nac^  ber  ©rünbung  be§  @taat§  tmä) 
einen  smeiten,  von  bem  urfprüngli(^en  ©taatSoertrag  »erfc^iebenen  ^er^ 
trag  eingefe^t  morben  fein  fonn,  feine  StegierungSgewalt  unmittelbar 
t)Ott  ©Ott  l)erteiten.  ^ufenborf  nimmt  be^lialb  au^  feinen  2lnftanb, 
eine  t)ertrag§mä^ige  S3ef(^ränfung  ber  fürftlic^en  ©emalt  pjulaffen,  unb 
felbft  ben  geroaltfamen  Söiberftanb  gegen  ha§:  @taat§oberl)aupt  will  er, 
wenn  anä)  gögernb,  für  geraiffe  öuBerfte  gälle  geftatten.  S^od^  ftärfer 
unterfd;eibet  er  fic^  t)on  ^obbeS  burc^  bie  gorberung  ber  9leligion§^ 
freil)cit,  ^u  beren  tapferften  SSertlieibigern  in  jener  3^it  er  geprt  f)at; 


1)  De  jure  nat.  et  gent.  II,  3,  15.  7  ff.  u.  ö. 


3tücf6licf;  öovtäufigc  Ucbeific^t.  67 

au|er  bem  ©louBen  an  einen  @ott  unb  eine  SSorfel^ung  fott  ber  @toat, 
feiner  9}teinnng  naä),  oon  feinen  bürgern  nid^tS  »erlangen,  fonbern 
jebem  fein  S3efenntni^  unb  feine  ®otte§oeref)rung  freifteHen.  2lnf  biefer 
(Seite  liegt  and^  ganj  befonberS  ^ufenborf'g  gro^e  ^öebeutnng.  Unter 
ben  ^{)ilofopf)en  nimmt  er  feine  fieroorragenbe  ©teile  ein;  aber  baB 
er  ba§  ^eä)i  ftatt  ber  pofitioen  Offenbarung  rein  auf  bie  5ßcrnunft 
grünben  unb  bie  9led;te  ber  ©injelnen  bnrd^  feine  bogmatifd^en  'StM- 
fid^ten  befc^ränft  rotffen  raottte,  unb  ba^  er  biefe  ©runbfä^e  atten  3ln= 
griffen  gegenüber  mntt)ig  unb  fiegreid^  rerfod^ten  l)at,  ift  ein  3Serbienft, 
irel(^e§  nidl^t  allein  bem  9?ec§t§leben ,  fonbern  and^  ber  ^l)ilofop!^ie  ju^ 
gutcfommen  mu§te. 

iölicfen  rair  nun  auf  bie  gan^e  9leil)e  ber  SJiänner  §urüdf,  mit 
meldten  bie  t)orftel)enbe  Ueberfid^t  un§  befannt  gemad^t  ^at,  fo  merben 
mir  uns  aHerbing§  überzeugen,  ba^  e§  ©entfd^lanb  and^  fd^on  üor  Seibnij 
an  pl)ilofopl)ifd^en  Seftrebungen  nid^t  gefehlt  l^at;  jugleid^  aber  baB 
e§  gerabe  in  ber  3^it,  in  meldte  bie  eigentlid^e  3öiebergeburt  ber 
enropäifd^en  ^l)ilofop^ie  fällt,  an  pl)ilofopl)ifdl;en  Sefirern  unb  an 
©i)ftemen  oon  burd^greifenber  S3ebeutung  auffallenb  arm  mar.  ®a§ 
eigentf)ümlid^fte  unb  geiftooHfte,  roa§  e§  in  biefer  ^dt  auf  fpefulatioem 
©ebiete  l)erüorgebrad^t  ^t,  ift  bie  ^|eofopl)ie  eines  i^.  5Böl)me  unb 
^arocelfuS;  aber  biefe  unmet^obifd^e  unb  oerroorrene  ©pefulation  fonnte 
ein  regelre(^te§  ^^itofopl)iren  uid^t  erfe^en,  unb  auf  bie  miffenfd^aftlid^en 
3uftänbe  nur  üereingelt  unb  mittelbar  einroirfen;  mo  man  fiel;  anberep 
feitS  fc^ulmä^ig  unb  metl)obifd^  mit  ben  pf)ilofopl)ifd^en  fragen  befd;(if= 
tigtc,  ba  blieb  mon  t^eilS  bei  jenem  efleftifd^en  SlriftotelifmuS  3Keland^= 
tl)on'0  unb  feiner  5Rac^folger  fielen,  tlieilS  fam  man  nid^t  über  bie 
Slneignung  eines  fremben  ©ijftemS,  unb  aud^  im  günftigften  ^aHe  nid^t 
über  uuüoHfommene  9teformüerfud^e  ober  fotd^e  Bearbeitungen  einjelner 
pl)itofopl)if^er  Söiffenfd^aften  l)inauS,  burd^  meldte  für  haS'  ©anje  ber- 
felben  fein  neuer  ©tanbpunft  geraonnen  werben  foniite.  ©ine  felbftän= 
bige  beutf(^e  ^l)ilofopl^ie  f)at  erft  Seibnij  begrünbet. 

^ie  gefc^id^tliclje  ©ntmidflnng  berfetben  üerlänft  in  pei  9lbfdl)nitten, 
von  meldten  ber  gmeite  mit  ^ant'S  epod^emad^enben  Unterfud^ungen 
über  baS  menfdilid^e  ©rfenntniBuermögen  beginnt  unb  fiel;  bis  in  bie 
©egenmart  fortfe^t.  ^n  jebem  biefer  Slbfd^nitte  merben  unS  tro^  ber 
g^annigfaltigfeit  unb  bem  2ßedf)fel  ber  ©ijfteme,  burdl;  meldte  fid;  ber 
jroeite  berfelben  üon  bem  erften  nnterfd;eibet,  bod^  gemiffe  burd^greifenbe 


68  (Stniettung. 

©tgentflümli (^feiten  'Begegnen,  weli^e  in  ben  Betberfetttgen  3lnfängen 
begrünbet  finb,  jugteic^  aber  au^  mit  bem  gangen  ©f)arafter  be0  beut- 
\^m  @eiftelleben§  wäfirenb  ber  jraei  i^ß^i^^unberte,  bie  fie  nmfaffen,  in 
engem  ^wfßnxmenfiang  ftetien.  :3nnert)atb  be§  erften  jiel^t  jnerft  Seibnij, 
bann  Solff,  unb  at§  britteS  bie  2luff(ärnng§pf)ilofopt)ie  nad^  SBotff 
nnfere  Slufmerffamfeit  anf  fi($;  an  biefe  brei  fieroortretenbften  ©rfd^ei^ 
nungen,  wel^z  in  ifirer  Slufeinanberfotge  ein  voUe§>  ;3af)rf)unbert  au§= 
füllen,  f(|Iie§t  fi(|  anc^  alle§  meitere  an,  voa§>  au§  ber  @e|'(^i(^te  ber 
bentf(^en  5ßf)ilofop|ie  in  biefem  ^ci^^'^inm  gu  berid^ten  ift. 


^ott  <^eißntj  Bio  auf  ^ant. 

I.  ^fibtti^ 

1,  Sein  2zUn,  feine  ^etfönltji^feit  unb  feine  ©(^riften. 

©ottfrieb  2öi(f)elm  Seibntä  war  ber  ©o^n  eine^  teip^iger  ^rofefforS, 
raeld^em  er  ben  21.  i^unt  (a.  ©t.)  1646  geboren  rourbe.  ®er  üäter= 
lid^en  Leitung  fd^on  im  fed^sJten  ^ai)xe  beraubt,  fuc^te  ber  früfireife 
^naU  fid^  felbft  feinen  2öeg,  inbem  er  bem  ©c^ulunterrid;t  vorauf-- 
etlenb  in  ber  Si6liotI)e!  feinet  SSaterS  mit  unerfättUc^er  SBiPegier 
fc^raelgte.  2tt§  er  im  ^erbft  1661  bie  Uniüerfität  feiner  ^aterftabt 
bejog,  fiatte  fi(^  ber  fünfjefmjäfirige  i^üngling  ni(^t  allein  mit  ben 
römifd^en  unb  gried^ifd^en  ©d^riftftettern ,  aud^  ben  ^fiilofopfien,  fd^on 
in  weitem  Umfang  befannt  gemad^t,  fonbern  er  l^atte  aud^  üiele  ©d^oIa= 
ftüer  unb  proteftantifd^e  Xfieologen  gelefen,  unb  bereite  trug  er  fid^  mit 
togifd^eii  unb  metf)oboIogifd;en  ©rfinbungen,  bie  er  t^eilroeife  aud^  fpäter 
nodCi  weiter  verfolgt  f)at.  äöä^renb  feiner  Uniüerfität^jal^re  ftubirte  er- 
gunäd^ft  ^{)iIofopf)ie,  unb  er  fanb  ^ier  an  feinem  £ef)rer  ^fafob 
Xt)omafiu§  (f.  o.  ©.  34.  35)  einen  3)Zann,  roeld^er  ifin  nid^t  blo§ 
mit  bem  bamaligen  2lriftotelifmug ,  fonbern  aud^  mit  ben  Sef)ren  ber 
alten  ^^ito[opt)en  grünblid^  befanntäumad^en  geeignet  mar.  Swgteid^ 
lernte  er  aber  aud^,  balb  nad^  bem  beginn  feiner  afabemifd^en  ©tubien, 
bie  ©d)riften  ber  Sfleueren,  eines  S3aco  unb  ©affenbi,  eines  ßarbanuS 
unb  ßampanella,  eines  Kepler  unb  ©alilei,  etmaS  fpäter  bie  beS 
SartefiuS  fennen ;  unb  er  mürbe  burd^  fie,  mie  er  felbft  fagt  ^),  üon  ber 
©d^olafti!  für  immer  befreit  unb  in  eine  ganj  neue  SBelt  t)erfe^t. 
S)ie  mat^ematifd^en  SBiffenfd^aften,  in  meldte  fie  i§n  einführten,  mürben 


1)  Opp.  Philos.  ed.  Erdmann  ©.  92.    «bb.  @.  124,  2. 


70  ?et6nt3'  Sefccn. 

t)on  if)iii  ol^Iiatb  mit  her  entfd^iebenften  Steigung  ergriffen;  um  barin 
meiter  gu  fommen,  aU  ii)m  bie§  in  ßeipjig  möglid^  raar,  gieng  er  für 
ein  ^alb\a^v  na^  ^ena  ju  @rf)arb  Söeigel,  einem  ©ele^rten,  ber 
au^er  ben  matfiematifc^en  gackern  anä)  bie  ^^iIofop{)ie  unb  bo§  9fiatur= 
red;t  im  ©inne  ber  neueren,  ontifd^olaftifd^en  3Biffenfd^oft  bef)onbeIte. 
2l(g  S3eruf§fad^  ergriff  Seibnig  bie  9lec^t§roiffenf d^aft ;  a(§  ifin  bie  leips 
giger  ^uriftenfacultät  naä)  SSoHenbung  feiner  ©tubien  jum  5Doctor  ber 
dleä)te  nod^  ju  jung  fanb,  raaubte  er  fic^  nac^  Stttorf,  roo  man  \i)m 
na^  einer  glänsenben  SDifputation  nid^t  allein  ben  ©octor^ut  vexlk^, 
fonbern  ifm  aud^  burd;  bie  SluSfic^t  auf  eine  ^rofeffur  gu  fialten  fuc^te. 
^nvä)  ben  früfieren  furmaingifd^en 3Jlinifter  ^o^.  ß^riftian  t).  Söoineburg, 
welcher  aud;  nac^  bem  2lu§tritt  au§  feinem  Slmte  einer  ber  einflußreich; 
ften  beutfd^en  Staatsmänner  geblieben  mar,  rourbe  Seibni^  in  bie  S)ienfte 
beS  Äurfürften  mn  ^ain^,  ^of)ann  ^£)ilipp  o.  ©c^önborn,  gebogen. 
®ie  fünf  ^a^ve  üon  1667  bi§  1672  cerbrad^te  er  in  ber  9^äf)e  biefeS 
gebilbeten,  mofilraollenben  unb  oerftänbigen  dürften,  tl^eils  mit  publict= 
ftifd;en  tfieilS  mit  juriftifd^en  2lrbeiten  befd;äftigt.  ^m  ^rüEijafir  1672 
füt)rte  if)n  ein  eigentf)ümlid^e§  biptomatifc^eS  ©efd^öft  nad^  ^ariS: 
jener  merfmürbige,  feit  9^apoIeon'§  ctgi;ptifd^em  ^^elbpg  fo  üiel  befpro- 
d;ene  ^lan,  meldten  Seibnij  unb  S3oineburg  entworfen  fiatten,  Submig 
XIV  gu  einem  Unternefimen  gegen  Slegypten  §u  bemegen,  burd)  meld^eS 
feine  @roberung§tuft  üon  S)eutfd^lanb  unb  ^oHanb  abgeteuft,  unb  auf 
Soften  ber  2;ür!ei  eine  2lnnäl)erung  ^ranfreid)§  an  Deftreid^  f)erbeige= 
füf)rt  werben  fottte.  5Der  S3erfuc^  mißlang,  mie  "ii^  bieß  ni(^t  anberS 
erwarten  ließ;  aud^  eine  weitere  biplomatifd^e  9)liffion,  ju  ber  Seibnij 
in  ^ariS  unb  Sonbon  mit  üerwenbet  würbe,  §otte  feinen  (Srfolg ;  ebenfo 
(öfte  fid^  nac^  33oineburg'§  ^ob  (S^egember  1672)  ba§  ^er^äUniß  gu 
feinem  ©of)ne,  beffen  Seitung  er  übernommen  ^atte,  fd^on  1673  wieber 
auf;  aber  für  bie  wiffenfd^äftlic^e  unb  weltmännifc^e  3Iu0bi(bung,  bie 
perfönlic^en  SSerbinbungen  unb  ben  SebenSgang  be0  ^^iIofopf)en  war 
ber  2lufentf)alt  in  ber  SBeltftabt  an  ber  (Seine,  ber  fid^  auf  üoHe  cier 
^af)re  auSbc^nte,  üon  ber  ^öd^ften  2Bid)tigfeit.  ^f)m  f)atte  er  namenti 
(id)  aud)  feine  j^enntniffö  in  ber  f)ö^eren  3Jktr;ematif  gu  oerbanfen,  in 
we(d;er  ^uygenä  fein  Sefirer  würbe. 

3m  ^a\)x  1676  trat  Seibnij  in  bie  ©ienfte  be§  ^ergogS  ^o^ann 
griebrid^  oon  53raunfd^weig  =  Süneburg ,  inbem  er  bie  ©teile  eine^ 
9latf)§  unb  ^ib(ioti)efarS  ju  i^auuoucr  annal;m;  unb  er  betrot  f)iemit 


StnjieKung  in  §annobev.    2Btffenfd^aftÜci§e  S^ättgleit.  71 

ben  S3oben,  auf  bem  fid^  fein  SeBen  t)on  nun  an  feinem  äußeren  3Ser; 
laufe  nac^  bewegen  follte.  SSierstg  ^afire  lang  btente  er  bem  gürften= 
fiaufe,  n)el($e§  unter  i^ofiann  griebrid^'S  trüber,  ©ruft  Sluguft 
(1679—1698),  5ur  Äurmürbe  (1692),  unter  feinem  (Sofine  @eorg 
Subroig  (aU  tönig:  ©eorg  I),  auf  ben  englifd;en  ^^ron  emporftieg; 
unb  wenn  er  aui^  in  feinen  fpätcren  3«^ren  baran  backte,  §annoüer 
mit  ^Berlin,  2Bien  ober  ^ari§  gu  vertaufc^en,  traten  boc^  bie  llmftänbe 
biefen  ^planen  jebe^mat  wieber  in  ben  2öeg.  ©eine  2:f)ätig!eit  unb 
fein  @influ^  giengen  Balb  meit  über  ben  @efd;äft§Erei§  i)hiau§>,  ber  i{)m 
anfängli(^  übertragen  war;  über  alle  möglichen  2tnge(egenf)eiten  be§ 
§ofe§  unb  be§  SanbeS,  über  tfieologifc^e  ^^ragen  wie  über  fold^e  ber 
i)of)en  ^olitif  unb  ber  reic^SfürftUd^en  ©tifette,  über  bie  ^Bereinigung 
ber  Äirc^en,  über  baS  ©d^ulraefen,  über  Sergbau  unb  aJiünjroefen  mürbe 
fein  9lat{)  eingeholt,  mürben  @utad;ten,  @taat§fd)riften  unb  ©ntroürfe 
t)on  il^m  »erlangt;  er  mar  3Jtitglieb  ber  Äangtei  für  Quftiäfad^en ;  er 
mürbe  gu  biplomatifc^en  unb  ürd^enpotitifd^en  3[>er]^anbtungen  üerroenbct; 
er  mürbe  mit  einer  ©efd^ic^te  be§  ^aufe§  S3raunfd;meig  beauftragt,  unb 
t)atte  3U  biefem  Qxüeä  gorfdjungen  in  2lr(^ioen  unb  Sibliotl)efen  anju^ 
ftetten,  metdje  if)n  (1687—1690)  nad^  3Bien,  gtoreng  unb  fftom  führten 
unb  gu  mi(^tigen  perfönlid^en  unb  miffenfd;aftUc^en  ^.^erbinbungen  2ln= 
ta§  gaben.  |)er3og  ^of)ann  griebric^  unb  turfürft  ©ruft  2luguft 
fd;enften  i^m  i^x  üotleg  SSertrauen;  nod^  nä^er  ftanb  er  ber  grau  be§ 
letzteren,  ber  Äurfürftin  @opt)ie,  unb  i{)rer  S^od^ter,  ber  Königin  (Sopf)ie 
ß^arlotte  üon  ^reuBen;  fein  S^erfiältniB  gu  ber  (enteren  mar  ein  fo 
fd^öneS,  mie  e§  fid^  nur  ämif(^en  einem  Sefirer  t)on  biefer  feltenen  @röBe 
unb  einer  fo  geiftüollen  unb  empfängli(^en  ©d^ülerin  bilben  fonnte. 
©0  fe{)(te  e§  i^m  benn  auc^  nid^t  an  äuBeren  SluSgeid^nungen :  er 
mürbe  iiannooer'fd^er  ^ofratli,  f)annouer'fd^er,  branbenburgifd^er,  ruffi- 
fd;cr  getieimer  i^uftigratJ) ,  faiferüi^er  9leid^§t)ofratJ) ;  Seopolb  I  erf)ob 
if)n  in  ben  SlbelSftanb,  ^eter  b.  @r.  fud^te  feinen  9tat^  unb  uerliel) 
if)m  eine  ^enfion,  unb  aU  unter  feiner  3}iitmirfung  bie  SlEabemie  ber 
2Biffenfd)aften  in  ^Berlin  geftiftet  morben  mar,  mürbe  er  gu  ifirem  teben§= 
länglidien  ^räfibenten  ernannt. 

©eine  miffenfd;aftltc^e  ^f)ätigfeit  ^atte  aUerbingä  unter  ben  2lnfprü= 
(^en  unb  ©efd^äften,  bie  eine  fo((^e  ©tellung  mit  fid;  brachte,  oieIfa(^  gu 
leiben ;  nur  um  f o  berounberung^mürbiger  ift  aber  'oa§>,  \va§i  er  tro|bem 


72  Seibntä. 

gefeiftet  ^at;  unb  toill  mon  au6)  berücffic^tigen,  bajs  i|n  fein  ^amitien^ 
(eben  unb  feine  Qfabeinifd;e  Se!)vt^ätigfeit  oon  ber  gelehrten  Slrbeit  ab= 
30g,  fo  fonnte  bo(^  nur  einem  %k\^  unb  einer   geiftigen  Staftlofigfeit, 
wie  er  fte  befaB,  fo  auBerorbentlid^eS  gelingen.    Seibnij   ift  ni(^t  bloS 
einer  t)on  ben  erften  ^fiilofopl^en  ^   fonbern  aud^  einer  üon  ben  größten 
©elefirten   aller  S^iUn.    ^m  ffaffifc^en  2lltertf)um  unb  im  3Jiitteialter, 
in  ben  «Schriften  ber  ^^eologen,  ber  ^^ilofopfien  unb   ber  i^uriften  ift 
er  gleicifefir  ju  ^aufe;   bie  naturroiffenfd^aftUc^en ,   geograpl^ifc^en  unb 
etf)noIogif(^en  ©nbecfungen   feiner  3^^t  verfolgt  er  mit  bem  teb^ofteften 
i^ntereffe;   dl§>  9}iatf)ematifer  ftef)t  er  ben  erften   ©rö^en  jeneä  Saf)rs 
f)unbert§,  ba0  an  üorsüglid^en  9}Jatf)emotifern  fo  reic^  mar,  ebenbürtig 
§ur   ©eite,    unb   t^eilt  mit  Sheraton    ben   9iu^m    eines  (ärfinberS  ber 
3)ifferentiatre(^nung ;   feine  gefd;i(^tl{c^en  gorfdjungen  nef)men  burd^  ge= 
(efirte  @rünblidf)feit ,  fritifc^e  tlmfi(^t   unb  fc^arffinnige  Kombinationen 
eine  tierüorragenbe  ©teile  ein;   er  l^at  ausgezeichnete  juriftifc^e,  ftaatS^ 
red^tli(i;e  unb  politifd^e  2lbf)anb(ungen  »erfaßt,  l^at  ber  ^l^eologie  neue 
Sßege  geraiefen,  f)at  bie  3We(^anif,  bie  Dptif,  bie  3)lineralogie,  bie  ©prad^; 
miffenfc^aft  mit  mertfioollen   Slrbeiten  bereid;ert.    3w9^^i<^  ^^^^^  ^^^  ^^ 
biefeS  ausgebreitete  SBiffen  mit  yoUfommcner  ©elbftänbigfeit  ju  bef)err= 
fc^en,  eS  üon  ©inem  aJiittelpunft   auS  mit  p!^ilofopf)ifd§en  ©ebanfen  5U 
bur(^bringen ,  feine  reiche  unb  oielfeitige  SBeltfenntni^  3U  einem  n)of)(= 
burdibac^ten    unb    folgeri^tig    auSgefüf)rten   ©ijftem    gufammenjufaffen 
geiüu^t ;  unb  gerabe  in  biefer  3Serbinbung  ber  umfaffenbften  ©ele^rfamfeit 
mit  einer  feitenen  i?raft  unb  £(arf)eit  beS  pf)iIofopf)ifd^en  S)enfenS  ftef)t 
er  fo  groB  ba,  bafe  i^m  bie  ®efc^id;te  in  biefer  ^Bejiefiung  feit  Slrifto- 
teleS  faum  einen  graeiten  jur  ©eite  3U  fe|en    |at.    3}iele§  atterbingS 
f)at  er,  unerfc^öpflic^  in  roiffenfd^oftlid^en  ©ntroürfen  unb  (grfinbungen, 
unauSgefüf)rt    ober   f)a(b   uoltenbet  gelaffen;   mand;e   feiner  mid^tigften 
©ebanfen  f)at  er  nur  in  furgem  Umrife  ober  nur  beiiäufig,  im  3"fQ"^= 
ment)ang  anberroeitiger  Unterführungen,  entroidelt,  fein  ganjeS  ©i;ftem 
nid;t   jum  äußeren   3(bfd;(uB    unb    in  f^ulmä^ige  Se^rform  gebrad;t. 
S)er  SBirfung  feiner  Strbeiten   trat  ferner,   gerobe  für  feine  eigene  unb 
bie  näd^ftfolgcnbe  !^c\t,  ber  Umftanb  in  ben  9."öeg,  ba§  bicfelben  groBen- 
t£)ei(S  in  3eitfd;riften  jerftreut  ober  nur  §anbf(^riftlid)  üorf)anben  roaren ; 
erft  längere  3eit  nad;  feinem  Stöbe  finb  fic  gefammclt  morbcn,  unb  an 
einer  üollftänbigen  unb  genauen  2luSgabe  berfelben  fet)(t  eS  bis  auf  ben 


ffitffenfd^aftüc^e  S^ätigfeit.    Sob.    (S^ara!ter.  73 

Iieutigen  ^ag  tto(^.  ^)  S?oc^  f)a6en  nid^t  offein  tüir  bte  gemigenben 
SJlittet,  um  bte  2lnfi<^ten  be§  ^^ilofop^en,  fo  lüeit  er  felbft  fie  entraicfelt 
f)Qt,  üoffftänbig  fennen  ju  lernen,  fonbem  er  i^at  biefelBen  and^  fc^on 
feinen  3^itgenoffen  in  ben  legten  l^ofirsefienben  feinet  Seben:§  mit  f)in= 
reid^enber  ^(arfieit  rorgelegt. 

ßeibniä  ftarb  ben  14.  ^^ooemBer  1716,  noi^bem  er  fc^on  länger  an 
ber  @id;t  gelitten  fiatte.  @r  war  ein  ebler  nnb  lieknlroürbiger  Qi)a- 
rafter,  üon  bieberem,  offenem  2Befen,  roolilmoffenb  nnb  menfd^enfreunblid;, 
feingebiibet  unb  geiftreid^  im  Umgang,  ein  3Jtufter  pf)ilofop!)ifcljer  §eiter:= 
feit  unb  3RiIbe,  ooll  ®efüf)l  für  ba§>  SBofil  unb  bk  SSorjüge  feinet 
3?olfe§  unb  voU  ©ntrüftung  über  bie  unroürbige  ^oüe,  ju  ber  e§  in 
jener  3eit  fierabgebrüdt  mar.  3?on  raarmer  unb  oufrid^tiger  ?5^römmig= 
feit  mar  er  hoä)  ein  fc^Ied^ter  Äird^enbefud^er ;  unb  roäf)renb  er  bie 
fird;li(^e  Se^re  mit  ber  Vernunft  gu  oerföfmen  unb  üor  i^r  gu  rec^t= 
fertigen  fid^  bemühte,  ftanb  er  ben  confeffioneffen  unb  tfieotogifc^en 
©egenfä^en  mit  einer  ®eifte§freif)eit  unb  SSeitl^eräigfeit  gegenüber,  racfc^c 
bie  unbulbfame  D^ec^tgläubigfeit  feiner  ^^it  if)m  nid^t  üerjei^en  fonnte. 
SltS  er  beerbigt  mürbe,  folgte  fein  ©eiftlid^er  feinem  ©arge,  mie  er 
benn  feinerfeitg  auä)  vov  feinem  ^obe  feinen  geiftlid^en  Seiftanb  vex- 
langt  ^atte.  ^nä)  ber  §of  ^atte  fid^  feit  bem  2:obe  ber  ^urfürftin 
©opf)ie  unb  ©eorg'S  I  2lbreife  nad^  ßnglanb  (1714)  t)on  ifim  §urücf= 
gebogen,  unb  roeber  bie  ©tabt,  bereu  3^^^^^^/  "o^)  ^^^  Slfabemie,  bereu 
©tifter  unb  SSorftanb  er  gemefen  mar,  gab  bem  ©efü^l  einen  Slu^brucf, 
ba^  5Deutf(^Ianb  in  ifim  feine  erfte  raiffenfc^aftlic^e  @rö§e  üerforen  fiabe. 
©g  beburfte  erft  längerer  !^e\t,  bi§  man  biefen  (Seift  ganj  gu  rerftelien 
unb  feine  58ebeutung  au§>  ben  gortfd^ritten  ju  erfennen  vexmod)U,  meldte 
burd^  il)n  nid;t  offein  in  bem  roiffenfc^oftlid^en  Seben,  fonbem  in  ber  ge= 
fommten  58ilbuug  unb  2)enfmeife  unfere^  SSolfel  l)erbeigefül)rt  mürben. 


1)  2)ic  erfte  Sammlung  ber  pl^ilofop'^ifc^eit  «Schriften,  ijon  9iafpe,  erfc^ien 
1765,  bte  erfte  ©efammtau^gabe  ber  leibnisifd^en  Serfe,  öon  bem  ©eiifer  ®uten§, 
1768,  eine  öottflänbigere  HuSgabe  ber  latemifcf)  unb  fransöftfc^  gefd^rtebenen  pfiifofo^ 
p^ifd^en  Serie,  »on  Srbmann,  1840,  bie  beutfd^en  ©d^rtften  bon  ©ul^rauer, 
1838—1840.  Difeuere,  noc^  uncoßenbete  ©efammtauggaben  finb  bie  öon  ^er^ 
(1843  ff.),  gouc^er  be  Sareil  (1859  ff.)  unb  Dnno  ÄIopp  (1864  ff.).  Sie 
leitete  würbe  im  Sluftrag  be§  ÄönigS  »on  ^annoüer  unternommen;  ob  fie  iimal$ 
toottenbet  »irb,  ift  unfid^er;  bie  beiben  anbern  ftnb  fd^on  länger  in'§  (gtocfen  gerat^en. 
^d^  citire  im  folgenben  in  ber  Siegel  bie  ©rbmann'fd^en  Opera  Philosophica  mit  ber 
^öejeidjnung  0.  P. 


74  ?et6nt§. 

2.  fieiöniä   aU  ^^ilofop^r  fein  iniffenfd^aftliti^cr  ©taub^unft;  fein 
SBcrpItnij^  511  feinen  JBoröängern. 

2Bie  Seibnij  überhaupt  für  feine  @eifte§bi(bung  feinem  eigenen 
^^leiB  nnb  9^ad^benfen  migleid;  meJ)r  gu  »erbanfen  ^atte,  alg  frember 
Unterroeifnng ,  fo  jeigt  er  aud^  in  feiner  p^ilofop^ifd)en  (Sntroicfdmg 
von  Slnfang  an  eine  gro^e  ©elbftänbigfeit,  er  ift,  raie  er  felbft  einmal 
bemerft  (0.  P.  162),  faft  Stntobibaft.  S)ieB  fd^lie^t  nun  atterbing§  bie 
rielfeitigfte  $8enn|ung  feiner  SSorgänger  bei  if)m  fo  wenig  an§,  ba^ 
oielmefir  fein  anberer  üon  ben  neueren  ^f)ilofop{)en  ba§  S3ebürfniB,  von 
anberen  ^u  lernen,  lebhafter  empfunben  unb  fi(^  unoerbroffener  bemül)t 
l)at,  roa^  irgenbroo  üon  wiffenfc^afttic^er  SSalir^eit  üorlianben  war,  fid; 
anzueignen  unb  il)m  feinen  Ort  in  feinem  eigenen  @i;ftem  anjuroeifen. 
@r  mar  eine  oon  ^aufe  au§  uniüerfaliftifd^  unb  conciliatorifc^  angelegte 
3^atur;  an  fremben  Slnfic^ten  fiel  it)m  bie  Heber einftimmung  mit  feinen 
eigenen  frülier  unb  ftärfer  in'§  Singe,  al§  il)re  Slbroeid^ung  oon  ben-- 
fclben;  er  bittigte,  raie  er  felbft  fagt,  faft  atteS,  ma§>  er  la§,  er  fanbr 
baB  bie  meiften  ©vfteme  in  bem  Siedet  liaben,  raaS  fie  beliaupten,  Un= 
red^t  nur  in  bem,  raaS  fie  läugnen  (0,  P.  702),  unb  er  lie§  fid^  burd^ 
biefe  Stnfid^t  nic^t  feiten  ^u  bem  SSerfud^e  oerleiten,  aud^  jmifd^en  un=^ 
vereinbaren  <Stanbpun!ten  grieben  ju  ftiften.  Slber  bie  Unabliängigfeit 
feinet  eigenen  Urt§eil§  l^at  er  barum  bod^  nie  oerläugnet.  2öaä  er  bei 
anberen  fanb,  fud^te  er  immer  fofort  gu  üert)ottfommnen ;  er  verfolgte 
e§  in  feine  le|ten  ©rünbe,  unb  geraann  baburd^  bie  Wxttd,  neue  gol= 
gerungen  ju  jielien,  neue  ßntbedungen  unb  ©rfinbungen  ju  mad;en. 
@o  aud^  in  ber  ^l)ilofop^ie.  @r  begreift  bie  3lufgabe  ber  ^l)ilofopl)ie 
fo,  roie  fie  i^m  burc^  bie  bi^^erige  ©ntmidlung  berfelben  geftettt  ift,  er 
Witt  für  il)re  Söfung  fein  ^ütf^mittel  oerfd^mälien,  baS  il)m  biefe  ©nt^ 
midlung  an  bie  §anb  giebt;  aber  er  finbet  fid^  bod^  burd^  leinet  oon 
ben  t)orl)anbenen  ©yftemen  iüirfli(^  befriebigt,  er  fu^t  einen  neuen  2Seg 
auf,  unb  mag  er  üon  anberen  aufnimmt,  baS  mu§  er  erft  in  feine 
eigentt)ümli($e  ©ebanfenform  umfdjmeljen,  el)e  er  bawon  ©ebraud^  madjen 
fann.  ©ein  (Softem  ift  au§  feinem  ber  frülieren  in  ber  2lrt  l)erauage= 
mad^fen,  roie  j.  53.  ba§  fid)tc'fd;e  au-i  bem  fantifd^en,  ober  ber©pino3if; 
mul  aus  hem  GartefianifmuS ;  er  f)at  aud^  nie  einer  @d;ule  angetiört, 
au§  ber  er  fid^,  um  feinen  eigenen  ©tanbpuuft  gu  finben,  iu  älinlid^er 
äöeife  {)ätte  herausarbeiten  muffen,  roie  Äant  auS  ber  feinigen;  er  roitt 
aber  aud;  anbercrfeitö  nid;t  mit  ber  gangen  pl)ilofopt)ifd)cn  Xleberlieferung 


©eine  p]^tto[opl^tfd^c  (Sigcnf^ümlid^feit.  75 

6re(f)en  itnb  ganj  oon  rorne  anfangen,  fonbern  er  tritt  [c^on  in  feinen 
Sefirjafiren  an  feine  3Sorgänger  mit  bent  ©ntfc^tuffe  ^eran,  fie  alle  für 
fid)  §u  benü^en,  aber  fid;  t)on  feinem  abhängig  3U  machen.  @§  ift  bieB 
genau  bai  3Serf)oIten,  roelc^e^  feiner  gefc^id^ttid^en  Stellung  entfprad^. 
@r  t)at  ben  Soben  für  bie  moberne  ^f)i[ofopf)ie,  ben  ©tanbpunft  ber 
t)orau§fe|ung§Iofen  gorfd^ung,  nid^t  erft  im  Kampfe  mit  ber  ©d^olaftif 
3U  erobern,  raie  58aco  unb  5De§carte§,  unb  be^^alb  fann  er  bie  j^rüfieren, 
unb  fetbft  bie  mittelalterlid^en  ^{)iIofopf)en,  unbefangener  roürbigen,  a(§ 
jene.  @r  f)at  aber  audj  nid^t  btoS  auf  gegebener  ©runblage  weiter  §u 
führen,  roa§  anbere  begonnen  ^aben,  fonbern  el  ift  i(;m  bie  Slufgabe 
zugefallen,  eine  beutfd^e  g^^itofop^ie,  a(5  felbftönbigen  3weig  ber  neueren 
Sßiffenfd^aft,  erft  gu  begrünben,  unb  e§  ift  in  if)m  bie  @igentf)ümlid;feit 
be§  beutfd^en  ©eifteS  unb  bal  ©efü^t  beffen,  roa§>  ber  bamaligen  beutfd)en 
2öiffenf(^aft  not^tfiat,  ju  lebenbig,  aU  ha^  er  fid^  einfad^  an  eine  dou 
ben  gleid^geittgen  ©deuten,  fei  e§  bie  englifd^e  ober  bie  franjöfifd^e,  an= 
3ufd)aeBen  oermodfit  f)ätte.  ©r  uerfiält  fid^  ju  if)nen  nid^t  al§>  ©egner, 
benn  er  milt  ba§  gteid^e,  ma§>  fie  rooden:  eine  natürlid;e  @r!(ärung  ber 
©rfc^einungeu ,  eine  rationale  S3etrad;tung  ber  Singe;  aber  er  wirb 
aud^  nic^t  if)r  ©d^üler,  benn  er  finbet  jene  ©rfiärung,  fo  v)k  fie  biefetbe 
gegeben  f)aben,  unjureid^enb  unb  ber  ©rgäuäung  burd§  anbere,  üou  ifinen 
üernad;lä^igte  (Elemente  bebürftig. 

^n  bem  aUgemeiuen  feinet  6tanbpunft§,  in  feiner  2lnfid^t  über 
bie  3iete  unb  2lufgaben  be§  raiffenfd^aft(id;en  ©rfenneng,  iftSeibuij  mit 
ben  SBegrünbern  ber  neueren  ^f)i(ofopf)ie  üottfommen  einyerftanben. 
2Benn  ein  Saco  üon  ber  2Biffenfd;aft  breierlei  verfangt,  unb  an  ber 
fd;o(aftifd^en  2Biffenfd;aft  breierlei  üermiBt  ^tte:  ÄenntuiB  ber  X^aU 
fad;en,  ^larfieit  ber  begriffe,  praftifd;e  grud;tbar!eit,  fo  finb  e0  bie 
gleid^en  ©efic^tSpunfte,  nad^  benen  anö)  Seibni^  ben  SBertf)  jeber  n)iffen= 
fc^aftlid^en  Seiftung  beurt^eilt.  S)ie  SBiffenfd^aft  foH  un§  mit  ben  ^t^at^ 
fad)en  befannt  mad^en,  fie  fott  alle§,  roaS  oon  ben  3Jlenfd^en  beobad;tet 
raerben  fann,  in  fid^  uerfammeln,  unb  bamit  fie  bie§  tonne,  raünfd^t 
Seibniä,  ganj  in  Saco'g  ©inn,  boB  junäd^ft  eine  uoUftänbige  ^ufammen- 
ftedung  aUer  bi§  je^t  gemachten  Seobad)tungen  unb  ©ntbedungen,  ein 
„allgemeines  ^uüentar  aller  Äenntniffe",  ber  natunoiffenfd^aftUdjen  mie 
ber  {)iftorifd;en,  ju  ©taube  gebrad^t  merbe  (0.  P.  172  ff.);  bemfelben 
3TOecf  foHten  bie  Sibliotf)efen  unb  miffeufd^aftlid^en  (Sammtungen  bienen, 
um  bereu  Slnlegung,  bie  2lfabemieen  unb   geletirten  ©efc[(fd;aften,   um 


76  ^eibmj. 

bereit  (Stiftung  fic^  SeiBntj  fein  SeBen  fang  fo  eifrig  unb  erfotgreid^ 
bemü!)t  f)at.  S)te  Söiffenfd^aft  foU  aber  nidit  bloS  Äenntniffe  fammetn, 
fonbern  au^  unferen  SSerftanb  aufüären,  fie  foll  un§  über  alles 
lüiffenSraürbige  beutlid^e  S3egriffe  unb  unurnftö^ii^e ,  burd^  Seraeife  ge= 
fid^erte  Ueberjeugungen  rerfd^affen.  @ie  foII  enblid^  ebenbabur^  tfieilS 
bie  ^ugenb  unb  grömmig!eit  förbern,  tf)eil§  au(^  unfere  Wla^t  über 
bie  9Zatur  unb  über  unfern  eigenen  Körper  üermel^ren;  benn  raie  aUe 
u)iffenf(^aftli(^en  ^Beftrebungen  bie  @lü(!felig!eit  be§  3Jienf(^en  jum  B^uedf 
l^aben,  fo  bient  anbererfeitä ,  roie  Seibni^  fagt,  nichts  mel^r  jur  ^IM- 
fetigfeit,  aB  bie  ©rleuci^tung  beS  S}erftanbe§  unb  bie  Hebung  be§ 
SSiüenS ,  affeseit  nad^  bem  S^erftanbe  ju  roirfen.  ^)  ^n  fieibrnj  felbft 
TOar  biefeS  ^ntereffe  für  bie  praftifd^e  Slnraenbung  ber  roiffenfd^aftlic^en 
®ntbecfungen  au^erorbenttid^  tebenbig;  er  fuc^te  fein  ntatEiematifc^eS 
SBiffen  ju  allen  möglid^en  med^anifc^en  ©rfinbungen,  feine  t)olfln)irt{)= 
fd^aftlid^en  ©ebanfen  jur  SSerbefferung  be0  MünjraefenS,  feine  potitifd^e 
(ginfid^t  3ur  Slbroe^r  ber  franjöfifd^en  ©roberungSluft ,  feine  9ted^t§pf)i= 
lofopfiie  jur  9teform  be§  9ied^tgftubium§  unb  ber  ®efe|e,  feine  ^fieologie 
gur  ^Bereinigung  ber  d^riftlic^en  Sonfeffionen  gu  üerroertl^en ;  unb  aud^ 
in  bie  Statuten  ber  berliner  2lfabemie  würbe  burd)  i'^n  bie  Seftimmung 
aufgenommen,  ba^  biefe  6ocietät  auf  ben  3flu|en  ber  Sßiffenfd^aft  für 
"oa^  gemeine  Söefen  unb  bie  bürgertid^e  9Bof)lfa{)rt  ifir  befonbereS  Singen^: 
merf  rieten  fotte.  „Ätarl^eit  in  ben  SBorten,  Sraud^barfeit  in  ben 
©adfien"  ift  fein  SBafilfprud^  (0.  P.  91).  ©elbft  feine  meti^obotogifd^en 
Unterfud^ungen  über  ben  pl^ilofop^ifi^en  ^al!ul  fünbigt  er  al§  ein  3JiitteI 
äur  58eförberung  ber  allgemeinen  @lüdf feligfeit  an.  S)a0  freilid^  entfprad^ 
nid^t  feiner  SKeinung,  menn  fpätere  2JCu§läufer  feiner  ©d^ule  ben  SBertf) 
hc§>  ©rfennenS,  roeld^eS  if)m  an  unb  für  fid^  felbft  bie  l)öd^fte  58efrie= 
bigung  geraäl)rte,  nur  nad^  feiner  anberroeitigen  9^u^bar!eit  bemeffen 
roottten;  unb  ebenfomenig  fönneu  fid^  biejenigen  auf  ilin  berufen,  meldte 
bie  Söiffenfd^aft  praftifd^  §u  bel)anbeln  meinen,  roenn  fie  nur  nad^  ifiren 
(Srgebniffen  fragen,  um  bie  2(rt  bagegen,  mie  biefe  ©rgebniffe  geroonneit 
merben,  fid^  nichts  befümmern.  ^üv  praftif(^  l)ält  er  nur  fold^e  Heber-- 
Beugungen,  bereu  2[ßal)rf)eit  mir  einfelien,  unb  biefe  ©infid^t  fann,  mie 
er  glaubt,  nur  burd^  bie  ootte  Strenge  beS  miffenfd^aftlid^en  Sßerfalireng 
erlangt  werben. 


1)  «on  b.  ÖJliicffeligfeit  0.  P.  672;  ebb.  87.  90.  110.   Opp.  ed.  Dut.  II,  b,  34. 


2tufga6e  unb  2Ket^obe  ber  ^J^ttofop'^te.  77 

Set6ni,5  war  fd^on  a(§  Änabe  t)on  bent  ©tubium  ber  ßogtf,  tt)eld^e§ 
fonft  für  junge  Seute  fo  roenig  9?et5  .^u  i)aben   pflegt,   auf'§   febf)aftefte 
angezogen  roorben,  raei(  er  in  if)m  ba§  ^Kittel  jur  Orbmmg  nnb  ^Ser-- 
fnüpfnng  ber  ©ebonfen  erfannte  (0.  P.  420);    unb   auä)  in  ber  gofge 
t)at  er  ben  Sßert^  ber  Togifc^en  ^orm  gegen  if)re  ^exä^Uv  forlroö^renb 
mit  aHer  (gntf(|ieben{)eit  in  <B^u^  genommen,   unb   fi(^  feinerfeits  um 
bie  SSerbefferung  ber  formalen  Sogif  bemüf)t.    2l[§  er  fobann   mit  ben 
matfiematifd^en  ^-äd^ern  nöfier  befannt  rourbe,  brong  fic^  if)m  fofort  ber 
©ebonfe  auf,  bal  SSerfa^ren,  burd^  raelc^eS  in  ifmen  fo  großes  erretd^t 
roorben  mar,  müBte  fic^  mit  bem  gfeid^en  (Srfolge  audf;  auf  bie  etf)ifd^en 
gäd^er,  bie  9^ed^tiroiffenfc^aft  unb  bie  S^ieologie  anmenben  laffen.    Xa^ 
mefenttid^e  biefe^  33erfaf)reng  fanb  er  aber  in  ber  ftreng  logifd^en  ^e= 
monftration,  barin,  ba§  mit  genauen  ^egripbeftimmungen  begonnen, 
unb  oon  f)ier  au§  burd^  regelred^te  ©d^lüffe  fortgefd^ritten  raerbe,    ba^ 
man  für  alles,   felbft  für  bie  üermeinttid^en  Slyiome,    bünbige  Seroeife 
unb  einen  möglid^ft  genauen  SluSbrud  fud^e.    ©erabe  bie  metapf)r)fifc^en 
unb  moratifd^en  SBiffenfd^aften  bebürfen,  wie  er  glaubt,  biefer  (Strenge 
fogar  nod^  mefir,    aU  bie  mat^ematifc^en,  meit  ^rrtpmer  in  ben  (e^^ 
teren  fd^neffer  on  ben  2ag  fommen;  ha^  fie  an^  in  i^nen  möglich  ift, 
fc^eint  unferem  5]3f)iiofopf)en  ha§^  Seifpiet  ber  altrömifd^en  iguriften  ju 
beraeifen  ').    (gr   felbft  fiat  in  jüngeren  i^aEiren  bie  gorm  ber  mat^e= 
matifc^en  S^emonftration    fogar  in  publiciftif^en  Strbeiten  nid^t  feiten 
fo  angemenbet,  ta^  man  me§r  an  bie  ^pebanterie  ßtiriftian  2Bolp,  als 
an    bie   gefd^madfoolle   ßeic^tigfeit    fpäterer    leibni^ifd^er   Sarftellungen 
erinnert  rairb.    ©0  nennt  er  5.  ^.  feine  S)enffd^rift  über  ben  gelb^ug 
nad^  2(eg:;pten  auf  bem  Xitel  ein  „Specimen  demonstrationis  politicae", 
unb  in  einer  glugfd^rift  oom  ^afir  1669,  gleid^fallS  einem  „Specimen 
demonstrationum  politicarum" ,    bemeift   er   nad^   euflibifdl;er  3}letf)obe 
in  fed^äig  ^propofitionen  unb  S)emonftrationen,  ha^  man  ben  ^faljgrafen 
ron  9^euburg  ^um  ^önig  üon  ^olen  rcö^len  fottte.    Me  SBiffenfd^aften 
in  biefer  SBeife  gu  belianbeln,   eine  allgemeine  „bemonftratioe  @nci;flo^ 
päbie"  fierjuftellen,   „bie  ^pfiitofopliie  bemonftratit)  ju  mad^en,''  ift  bie 
^bee,   meldte  if)m  oorfd^roebt.    ©S  finb  biefe  biefelben  Stnforberungen, 
meldte  fd^on  S)eScarte§  an  baS  miffenfd^ofttic^e  35erfaf)ren  gefteHt,   unb 

1)  0.  P.   82  f.    109  f.    122.   163.  168  f.   338.  342  f.    359  ff.  381.  487.  674. 
743.  745. 


76  Seibntä. 

an  beren  5ßenüivflid;ung  Spinoza  mit  aUev  Slnftrengung  georbeitet  ^attc, 
lüeun  au^  ßeibnij  urtf)e{(t ,  ni(^t  Uo§>  jener,  fonbern  auc§  biefer,  fei 
flinter  ber  Slufgabe  viel^aä)  jnrüdgeblieben. 

©oE  fie  befriebigenber  gelöft  werben,  fo  mn^,  raie  er  glaubt,  ba§ 
bemonftratiue  3]erfal^ren  felbft  eine  bebeutenbe  SSerooIIfommnung  er= 
faliren:  e§  muB  mä)  Slnalogie  ber  tiöfieren  matt)ematif(|en  9Jletf)oben, 
wel^e  eben  bamals  tfieiB  oon  Seibni^  felbft  tt)eil§  üon  feinen  ^ox- 
göngern  unb  3eitgenoffen  erfunben  raorben  raaren,  ju  einem  allgenteinen 
„pf)i(ofopl^ifd;en  Äalful"  erweitert  werben;  man  mu§  bie  elementaren 
^Begriffe,  auSi  benen  alle  anbern  gebilbet  finb,  auSmitteln,  bie  mögli(i)en 
Kombinationen  biefer  begriffe  beftimmen,  unb  fic^  baburc^  in  ben  ©taub 
fe|en,  lebiglici^  burd^  Sled^nung  nid^t  allein  bie  2Ba^rl)eit  jebeS  ©a^e§ 
ju  prüfen,  fonbern  oud^  neue  «Sö^e  gu  finben.  Unb  wäre  fo  ein  all= 
gemeingültiges,  mit  matliematifc^er  6i(^erl)eit  abgeleitete^  Segripfijftem 
aufgeftellt,  fo  mü^te  fid^,  mie  unfer  ^lilofop^  glaubt,  auc^  eine  ioiffen= 
fdjaftlic^e  Unioerfalfprad^e  finben  laffen:  wie  e§  für  bie  matliematifd^en 
@rö§en  unb  i^re  SSerl)ältniffe  geraiffe  allgemein  anerkannte  unb  von  ber 
SSerf(^iebenl;eit  ber  SBortfprad^en  unabl)ängige  3ß^<^ßi^  giebt,  fo  mü^te 
man  aud^  für  bie  ©runbbegriffe  unb  bie  oerfd^iebenen  2lrten  ber  ^e- 
griffSoerfnüpfung  3ei(^en  erfinben  fönnen,  burd^  bie  e§  möglid^  märe, 
fid;  oline  Sßermittlung  ber  Sautfprad^e  ju  rerftänbigen.  S)iefer  ^lan 
einer  „ßombinationShmft"  unb  einer  barauf  gebauten  „allgemeinen 
^eid^enfprad^e"  l)at  Seibnij  com  beginnenben  Jünglingsalter  an  bis  an 
baS  @nbe  feines  SebenS  ernftlid^  befdjäftigt.  ^)  Slber  fo  oft  er  aud^ 
barauf  jurüdfam,  fo  l)at  er  eS  bod^  nie  weiter  gebrad^t,  als  gu  attge:= 
meinen  Entwürfen,  burd^  weld^e  feine  @eban!en  i^rer  3luSfül)rung  nid^t 
näl)er  gerüdt  würben;  unb  wenn  man  genauer  jufielit,  fo  geigt  fid^, 
ba^  er  feine  Slufgabc  §war  riel  grünblid^er  unb  wiffenfd^aftlid^er  ange-- 
griffen  ^at,  als  alle  bie,  weld^e  fid^  t)or  i^m  mit  ber  ©rfinbung  einer 
Uniüerfolfprac^e  ober  mit  ber  üon  Slaijmunb  SutluS  im  14.  Jal)r^un= 
bert  oorgcfc^lagenen  ßombinationSmetl)obe ,  ber  fog.  „luttifd^en  ■^unft", 
befd^dftigten,  ba^  aber  aud^  er  bie  ©d^wierigfeiten  Überfall,  bie  i^re  Sö= 
fung  unmögtid^  machen.  gür'S  erfte  nömlid^  ift  bie  matliematifd;e  Se= 
red;nung  unb  33eäci(^nung  nur  ba  anwenbbar,   wo    eS   fid^  um  genau 


1)  man  bgl.  barüber  0.  P.  6  ff.  82—94.   162  ff.  355  f.  701.    2;reubelen  = 
buvg,  .^tftor.  93eitr.  III,  1  ff. 


^^ttofop^tfljcr  talfur.     Seutfc^c  ©prodbe.  79 

beftimmtiore  ©rö^en  imb  @röBent)er^ä(tniffe ,  um  ntePare  SJlengen, 
9töume,  3«^^^^^/  93eiüegungen  uiib  Gräfte  f)anbe(t;  fie  ift  au§  biefem 
@runbe  im  raefentUij^eu  auf  ba§  ©ebiet  ber  mec^auifc^eu  Sf^aturerfläruug 
befc^räuft;  bie  logifd^eu  3Ser§ä(tutf[e  bogegeu,  bie  nietapl)ijfifc^eu  uub 
et^ifd;eu  ^Begriffe,  bie  geiftigeu  ^{)ätig!eiteu ,  bie  qualitatiüen  6igeu= 
f($aften  uub  Uuterfc^iebe  ber  S)iuge  laffen  fic^  tt)eil§  gar  uid^t,  tl^eil^ 
uur  iu  gen3iffeu  uutergeorbueteu  Segiefiuugeu  auf  matfiematifd^e  Ma^- 
beftimmuugeu  jurüdfüfireu.  ^weiten^  aber  würbe,  lüeuu  bem  aud;  uid^t 
fo  märe,  bie  Siec^uuug  attein,  uub  ha§>  bebuftiue  SSerfaiireu  ü6ert)aupt, 
3um  ©rweiS  ber  9Sal^rt)eit  uid^t  auSreic^eu,  fo  lauge  bie  ©temente,  mit 
beueu  gered^uet,  bie  33egriffe  uub  ©ä^e,  au§>  beueu  gefolgert  mirb,  uid^t 
fic^ergefteHt  fiub;  ber  p{)i(ofop{)ifc^e  Äalfut  mürbe  baf)er  ju  feiuer  @r- 
gäujuug  jebeufallS  nod^  eiueS  raeitereu  SSei-fat)ren§  bebürfeu,  burd;  rael= 
(^e§  bie  SSorau§fe|uugett  beSfelbeu  erft  gefuubeu  uub  beroiefeu  meröeu 
mü^teu.  ©rroägeu  mir  eubtic^,  mie  uuoottfommeu  bie  k^kn  ©rüube 
uub  33eftaubtf)ei(e  ber  S)iuge  uu§  befauut  fiub,  uub  mie  uueublid)  meit 
uub  oerrcidelt  ber  9üeg  üou  jeueu  crfteu  ©(emeuteu  uub  Urfad;eu  ^u 
ber  foufreteu  Sßirflid^feit  ift,  fo  liegt  mo^  am  S^age,  baB  eiue  fo  um= 
faffeube  ftreug  matljematifd^e  2lbleituug  aller  miffeufd^aftli(^eu  ©ä^e, 
mie  fie  Seibuij  oorfd^mebte ,  uub  ebeubamit  au($  bie  i^r  eutfprec^eube 
53egripfprad;e,  mot)I  für  immer  eiu  uuerreid;bare§  i^beal  bleibeu  mirb. 
3lber  e§  ift  ba§  3^eo(,  ober  wenn  man  lieber  mili,  ber  5f;raum  eiueS 
®eifte§,  me(($er  oou  ber  2tufgabe  ber  2öiffenfc^aft  uub  ber  Äraft  be§ 
S)euteu§  beu  f)öd;ften  begriff  (;at,  uub  meuu  e^  iu  biefem  Umfaug 
atterbtugg  uuaiigfüf)rbar  erfc^eiut,  fo  ^at  hoö)  haS^  3Serfa(;reu,  meld^eS 
Seibuij  oerlaugt,  auf  otteu  beu  ©ebieteu,  mo  bie  33ebiuguugeu  für  feiue 
3lumeubuug  gegebeu  maren,  beu  befteu  ®rfoIg  getrabt. 

3uuä(^ft  allerbiug^  mar  bie  miffeufc^ofttid^e  2lu§bilbuug  uub  3Ser= 
mertl)uug  uuferer  3Jiutterfpra^e  eiu  briugeubereS  53ebürfuiB  uub  eiue 
fru(^tborere  Slufgabe,  al§  bie  ©rfiubuug  eiuer  Uuioerfatfprad^e,  unh  e§> 
gereicht  Seibuij  5ur  @f)re,  baf^  er  auc^  biefe  3lufgabe  altel  ©ruftet  in'§ 
Stuge  gefaxt  l)at.  ©r  felbft  §at  ^mar  meifteuS  lateiuifc^  ober  fraujöfifd^ 
gefd^riebeu,  mie  er  bie§  leiber  muBte,  meuu  er  üou  beu  @elef)rteu, 
uameutlid^  beueu  be§  2tu§laub§,  uub  t)ou  beu  f)öf)creu  Äreifeu  gelefeu 
feiu  mollte,  für  meiere  eiu  großer  %^eii  feiuer  (Sd^riften  juudd^ft  be= 
ftimmt  mar.  Slber  mie  er  übertiaupt  oon  beutfd^  =  patriotifd)er  @ef{u= 
uuug  erfüllt  mar,  uub  bie  eben  bamals  überl)aubuel)meube  9^a(^äffuug 


80  ?eibnts. 

be§  fran^öfifd^en  2öefen§  auf's  bitterfte  geißelte,  fo  ^atte  er  auc^  ben 
lebhaften  2Buufd;,  baB  bie  beutfd^e  Sprache  in  ber  Siteratur  ben  9iong 
einneJimen  möd^te,  3U  betn  fie  feiner  2lnfid)t  nad^  ooHfornmen  befähigt 
war.  2öa§  inSbefonbere  ifire  raiffenfd^oftlid^e  SSerroenbung  betrifft,  fo 
fprid^t  er  fd^on  in  einer  feiner  früfieften  ©d^riften  ^)  bie  Ueberjengung 
au§>,  voa§>  ftd^  nid^t  gemeinüerftänblid^  anSbrüden  laffe,  ba§  tauge  in 
ber  SBiffenfd^aft  nichts;  eben  biejs  fei  aber  bie  ^robe  für  bie  SSerftänb= 
lid;feit  imb  ^(arl^eit  ber  ©ebanfen,  baB  man  fie  in  einer  lebenbni 
(Sprad^e  barlege,  unb  bie  ßnglänber  unb  ^-ranjofen  !)aben  bie  raf(^cre 
3!scrbrängung  ber  ©d^otaftif  nid^t  am  roenigften  bem  Untftanb  3U  xtev- 
banfen,  ba^  fie  fid^  in  ber  ^f)iIofopt)ie  if)rer  3)lutterfprad^e  gu  bebienen 
begonnen  t)aben.  '^0^  ml  geeigneter  wäre  jebo(^  für  biefen  ^^wnd 
bie  beutfd^e  ©prai^e,  weil  fie  gerabe  jum  2lu§brud  realer  begriffe  am 
meiften,  jur  ©arftettung  bloßer  ^irngefpinfte  am  menigften  gefd^i(ft  fei, 
meit  fie,  raie  fid^  Seibnij  fpäter  einmal  auSbrüdft^),  „nid^tS  aU  xeä)U 
fd^affene  S)inge  fage  unb  ungegrünbete  ©ritten  nic^t  einmal  nenne"; 
mie  er  benn  aud^  ber  SJleinung  ift  (0.  P.  300),  ba^  fie  am  meiften 
t)on  ber  Ur-  ober  S^atnrfprad^e  bemalirt  fjabe.  @r  felbft  fd^reibt  ba, 
wo  er  feiner  ^eber  freien  Sauf  lä§t,  unb  fid^  üon  bem  gopfigen  ^of= 
unb  Äanjleiftiil  ber  3^^^  loSmad^t,  ein  reines,  flareS  unb  förnigeS 
5Deutf(^ ;  unb  muffen  mir  aud^  bebauern,  ba^  er  gerabe  für  feine  raiffen- 
fd^aftlid^en  ^arftettungen  fid;  feiner  SHutterfprad^e  nid^t  in  größerem 
Umfang  bebient  l^at,  fo  !ann  er  bod^  immerl)in  baS  3Serbienft  anfpred^cn, 
ba^  er  gu  biefer  für  bie  roiffenfd^aftlid^e  unb  bie  attgemeine  S3ilbung  un^ 
fereS  S^olfeS  fo  überaus  mid^tigen  3Reuerung  einen  mirlfamen  2lnftoB  ge= 
geben  'i)ahe. 

SBotten  mir  nun  ben  SBeg  genauer  verfolgen,  auf  bem  Seibnis  baS 
3tel  einer  attgemeinen  miffenf(^aftlid^en  Slufflcirung  gu  erreid^en  fud^t, 
fo  muffen  mir  gunctd^ft  feine '©tellung  §u  ben  ^l)ilofop!^en  in'S  Singe 
faffen,  meldte  auf  feine  eigene  ©ntmidlung  t)on  Slnfang  an  ©influ^  ge= 
TOonnen  f)aben. 


1)  Ucbev  ben  p^ilofop^ijc^en  @t^I  be§  9JiaoltUi§  (0.  P.  55  ff.)  ü.  Q.  1670 
c.  12  ff.;  bgl.  baS  ©cf^veiben  an  ^oljann  Snebvicf)  (1671)  ?cibn.  2Ö2B.  ü.  mopp 
I,  3,  252. 

2)  Unöorgrctfüd^e  (Sebanfen  betv.  bie  5(u§übung  unb  ^erbeffevung  ber  bcutfd}en 
©pradie  (1697);  Seibniä'  beutfc^e  ©cl)rtften  ö.  ÖJu^vaner  I,  MO  ff. 


®te  ©d^oTapi!.     S(rtfloteIc8.    58aco.  gl 

Setbntj  war  au§  bcr  @(^ule  ber  fcf;oIoftt[(f)''QnftoteIif(^en  ^f)iIofopt)ie 
fieroorgegangen ;  itnb  loetc^e  genaue  J?enntni^  bicfer  ^^ilofop'fiie  er  fd^on 
früfie  f)efa§,  fiet)t  man  au§>  ber  2I(i{)onb(nng  (De  principio  individni), 
burd^  wei^e  ft(^  ber  fieb^etmlä^rige  Jüngling  ba§  ^accalaureat  erwarb. 
@r  für  feine  ^erfon  jebod^  f)atte  fd^on  bamal§  ber  ©c^olaftif  ben  2{b= 
fd^ieb  gegeben,  ^m  33ergletd^  mit  ber  2Biffenfd^aft  be§  17.*^aF)rf)unbert§ 
erfc^ien  i^m  if)r  S^erfa^ren  oberflächlich  unb  unfrud^tbar;  unb  wenn  er 
and^  bei  ifiren  3?ertretern,  nomentlid^  bei  benen  von  ber  nominaliftifc^en 
©c^ute,  immerf)in  viel  wa^xc§  unb  bebeutenbeS  fanb,  tabelte  er  bod^ 
fortmäf)renb  an  i^nen  bie  5IRaffe  unnü^er  6pi^finbigfeiten  unb  jiellofer 
(^ontroüerfen,  ben  Slkngel  an  fd^arfen  33egripbeftimmungen ,  bie  S)un= 
felfieit  unb  @efd^matf(ofigfeit  if)rer  S)arfteIIung.  ^ 

SSeit  günftiger  urtf)ei(t  er  über  2lriftotele§  felbft.  ^n  einer  feiner 
^ugenbfd^riften')  nennt  er  i^n  einen  großen  ^ann,  mefd^er  in  hen 
mciften  ©tüdfen  Siedet  ^aU,  unb  er  glaubt,  rid^tig  üerftanben  laffe  fid^ 
felbft  feine  ^§i)fi!  in  allen  ^auptpunften  mit  ber  neueren  2öiffenfcf;nft 
unfc^roer  vereinigen ;  wa§>  it)m  felbft  aber  freilidf;  üielfad^  nur  burcf)  Um= 
beutung  ariftotelifd^er  Sefiren  gelungen  ift.  Slud^  bie  fpätere  ©ntmitflung 
feines  ©ijftemS  fann  unb  roitt  ben  3wf(^^tt"^en^ang  mit  SlriftoteleS  fo 
wenig  üerläugnen,  baB  er  üielmc^r  gerabe  bei  it)m  bie  ©rgänjung  für 
bie  @infeitig!eit  ber  med^anifd^en  ^f)i)fif  fud^t  unb  in  wid^tigen  Söeftim= 
mungen  fid^  an  it)n  anfd^lie^t.  ©benfo  anerfennenb  äußert  er  fid^  über 
^lato  unb  Biotin,  bie  er  gleid^fall§  fd^on  frü^e  fennen  gelernt  F)atte;  ^) 
bod)  f)at  feiner  dou  beiben  auf  fein  eigene!  ©yftem  ben  gleid^en  @inftu§ 
get)obt,  wie  2lriftote(e§. 

Unter  ben  ^p^ilofoplien  be§  17.  ^a^rl^unberts  war  93aco  üon  58e= 
rulom  einer  t)on  benen,  welchen  Seibnij  bie  früt)eften  Slnregungen  ver- 
hantle,  unb  we(d)e  er  am  {)öc^ften  fc^ötjte-/)  unb  wir  \)aUn  bereits 
gefef)en,  wie  eng  er  fid)  in  feinen  3lnfid^ten  über  ben  ^weä  unb  bie 
2lufgabe  ber  SBiffenfd^aft  on  il)n  anfc^lie^t.  Slber  $8aco'S  inbuftineS 
5ßerfaf)ren  ift  üon  bem  matt)ematifd;  bemonftratiüen ,  ba§  er  werlangt, 
burd^auS  üerfd^ieben,  unb  für  ben  materiellen  3tuSbau  feines  ©yftemS 


1)  Man  ögl.  0.  P.  58.  124,  2.  61.  68.  91.  110.  121.  371. 

2)  ®em  S3rief  an  SfjomafiuS  ö.  ^.  1669,  0.  P.  48  ff.,  c.  4.  11.  bgr.  De  stilo 
Nizolii  c.  26,  0.  P.  67. 

3)  0.  P.  702.  445  f.  725. 

4)  0.  P.  91  f.  45.  61,  c.  11. 

Bettet,  ©efd^iiJ^te  ber  beutfc^en  'ijjpofojj^ie.  6 


82  Seibntä. 

fonnte  er  ietiem  faum  etroaS  entnel^men.  ®ie  erfte  bebeutenbere  @tn= 
ioir!ung  erfüllt  er  üielmel^r  in  biefer  SSejie^xing  oon  ber  Sltontiftif,  weiä)e 
in  ^-ranfreid^  burc^  ©affenbi,  in  S)eutf(^(anb  burd^  ©ennert  erneuert 
TOorben  raar  {vqL  ©.  45.  60),  no(^bem  atterbingS  aud^  fd^on  ^aco  ben 
2ltomifti!er  Semofrit  auf  2lriftoteIe§'  Soften  gerüiimt  unb  empfof)len 
l^atte.  @r  fetbft  fagt,  al§>  er  ba§  ^od^  be§  2triftote(e§  aBgefd^üttelt  ^atte, 
fei  er  anfangt  ber  nted^anif(^ ;  atomifttf(^en  Sf^aturanfid^t  gugetl^an  ge- 
wefen.  ^f)re  relatioe  Berechtigung  Itiat  er  aud^  fpäter  nid^t  ge(ciugnet, 
unb  ükr  ©emofrit'S  ©rö^e  aB  9^aturforfd^er  änBert  er  fic^  in  ber  an== 
erfennenbften  Söeife.  2lber  auf  bie  S)auer  fonnte  i^m  bie  2ltomiftif 
unmöglii^  genügen;  unb  e§  finb  ni($t  Uo§>  ©affenbi'g  2lnnaf)nten  über 
bie  ©eele  unb  bie  ©ottiieit,  benen  er  i§re  fd^roonfenbe  unb  unbefrie* 
bigenbe  .^altung  mit  9ted^t  üoriüdft;  fonbern  er  fanb  aud^  ben  leeren 
9?aum  unb  bie  unt{)eilbaren  Körper  unbenfbor  unb  bie  med^anifd^e  ?la= 
turerflärung  übcrfiaupt  un^ureid^enb.  6r  !ef)rte  bo^er  t)on  ben  SItomen 
je^t  wieber  ju  ben  fubftantieHen  (formen  be§  SIriftoteleg  gurüdf,  um  aus 
beiben  feine  9Jionaben  !^ert)orgei)en  ju  (äffen,  unb  menn  er  ben  me^ 
d^anifd^en  9^aturgefe|en  if)re  ©eltung  nid^t  beftritt,  fud^te  er  bod^  fie 
felbft  auf  ©efe^e  einer  {)ö§eren  Drbnung,  auf  metapl^i;fifd^e  unb  mora= 
tifd^e  @efe|e  gurüdEjufüiiren  ^). 

33ei  biefer  Slbmenbung  üon  ber  atomiftif($en  Seigre  ^at  aber  o()ne 
Zweifel  fd^on  früfie  aud^  ber  ©inf(u§  ber  cartefianifd^en  mitgerairft. 
Seibnij  felbft  nennt  (0.  P.  92)  unter  ben  6(^riften,  meli^e  i()m  eine 
neue  ©ebanfenraett  auffd^loffen,  auSbrücEIid^  bie  S)e§carte§',  unb  fein 
ganger  ©tanbpunft  jeigt  fid^  bem  be§  frangöfifd^en  ^f)itofopf)en,  beffen 
S3ebeutung  er  fortraä()renb  anerfattnt  f)at^),  in  fo  rieten  Regierungen 
reriuanbt,  baB  man  nid^t  feiten  geglaubt  fiat,  er  fjabe  in  feiner  früheren 
3eit  gerabeju  ber  cartefianifd^en  ©d^ule  angeprt.  Tlit  ber  gorberung 
eines  matf)ematifd^  bemonftrotioen  93erfaf)renS  fd^Iiefet  er  fid^  junäd^ft 
an  ßartefiuS  an;  feine  ®r!enntniBt()eorie  ift  eine  weitere  ©ntraid^Iung 
unb  SSeratIgemeinerung  beffen,  roaS  jener  über  ben  Urfprung  unferer 
SSorftettungen  unb  über  bie  Rebingungen  be§  ©rfennenS  gelehrt  ^atte; 
in  feiner  ^f)i)fif  werben  mir,  tro^  mand^er  Stbmeid^ung  im  einjelnen, 
ebenfo  mie  in  feiner  @tt)if,  ^)ie(fad^e  mef)r  atS  nur  sufäUige  ^Berül^rungen 
mit  ßartefiuS  bemerf en ;  ber  2öeg  auf  bem  er  bie  2ße(^feliüirfung  unter 


1)  0.  P.  124.  f.  699.  702.  ügt.  115.  159.  277.  305.  Opp.  ed  Dut.  III,  320. 

2)  3.  53.  0.  P.  121.  122.  699. 


S)ie  Sttomiftif.    3)ct  eatteftanifmuS.  83 

ben  fingen,  unb  natnenttic^  bte  2ße(^[elrair!ung  üon  (Seele  unb  Seib, 
gu  erflären  oerfud^t,  weift  auf  ben  SSorgang  be§  cartefiottif^en  S)uaUf= 
mu§  unb  ber  aug  i^m  entfprungenen  Sfieorieen  jurücE;  unb  wenn 
fieibnij  in  feinem  ©(^reiben  an  ^tl^omafiuS  üom  ^aifve  1669  (0.  P.  53) 
er!(ärt,  e§  gebe  nic^t§  roixU\^e§>  in  ber  Söelt,  a(§  ben  @eift,  ben  9laum, 
bie  3}laterie  unb  bie  Bewegung,  fo  fiätte  jeber  (Eartefianer  ba§  gleid^e 
fagen  fönnen.  ^iid^t^beftoraeniger  weift  er  ben  9^amen  eines  foI(^en 
fd^on  banxols  (a.  a.  D.  48)  entf (Rieben  gurüc!,  inbem  er  üerfi($ert,  er 
finbe  in  2lriftoteIe»'  ^t)ipfiE  üiet  me^r,  roaS  er  gutf)ei^en  !önne,  al§  in 
S)e§carte§'  3Jtebitationen.  5Die  raid^tigeren  üon  ben  ^Beftimmungen,  burc^ 
bie  er  ßartefiuS  n)iberfpri($t ,  werben  fid^  un§  fpäter  f)erau§fteEen ;  ab- 
gefe^en  üon  biefen  einzelnen  Streitfragen  tabett  er  an  if)m  l)auptfä(^(ic^ 
breierlei:  ba^  2)e§carte§  ben  ^w'ßifel/  t'on  beut  feine  ^fiilofopl^ie  au§= 
Qei)t,  tf)ei(§  ^u  weit,  tf)eil§  nic^t  raeit  genug  treibe,  ha^  er  bie  älteren 
^f)i(ofop^en  übermäßig  geringfc^ä^e,  unb  ba§  er  im  SBiberfprud^  mit 
feinen  eigenen  metf)oboIogif(^en  @runbfä|en  ber  Strenge  beS  bemonftra* 
tioen  2,^erfa^renS  nic^t  feiten  untreu  werbe,  unb  fic^  in  unfic^eren  §t)po= 
tfiefen  ergebe,  ^o^  fd^ärfer  wirb  e§>  ben  ßartefianern  vorgehalten,  ba^ 
fie  immer  nur  bei  ben  ©ä^en  if)re§  SJleifterS  fielen  bleiben,  unb  weber 
auf  bie  2llten,  üou  benen  bo(^  ®e§carte§  felbft  viele  feiner  beften  @e= 
banfen  enttelint  fjobe,  nodf;  auf  bie  neueren  gortfcf;ritte  ber  pl)ilofop^ifc^en 
iinb  ber  ®rfal)rung§wiffen[d^aften  Slürffid^t  nehmen  ^).  Slber  auc^  gegen 
bie  fetbftänbigen  gortbitbner  be§  ßartefianifmuS,  einen  3}ialebran(^e  unb 
©pinoja,  ^at  Seibnij  oieleS  ein^uwenben.  5Die  Slnfic^ten  be§  erfteren 
|at  er  in  feinen  reiferen  ^afiren  t)om  ©tanbpunlt  feinel  eigenen  ©riftemä 
an§  in  jwei  befonberen  2lbl)anblungen  (0.  P.  450  ff.  690  ff.)  befprod^en. 
3Jlit  ©pinoja  ^atte  er  nod^  von  Wain^j  au§  über  optifd^e  ?^ragen  einige 
^Briefe  gewec^felt,  unb  i^n  wenige  33lonate  vor  feinem  Sobe  auf  ber 
SDur(^reife  befud^t;  unb  aud^  fac^lic^  ftelit  er  i^m,  wie  wir  finben 
werben,  viel  nälier,  unb  fann  bie  ßonfequenj  be§  ©pinojifmuS  weit 
fdf;iüerer  abweliren,  als  man  bem  erften  2lnf(^eitt  nad^  glauben  foHte  ^). 
2lber  ber  ©efammtric^tung  feines  ©enfenS  unb  güf)lenS  wiberftrebte 
biefelbe  bod^  viel  ^u  felir,  aU  ba^  er  i^r  irgenb  ein  3ugeft(inbniB  ^ätte 


1)  2t.  a.  O.  48.  52.  81.  110.  121.  f.  123.  167. 

2)  SIuS  einer  Steugerung  im  ©ingang  §u  ben  Nouveaux  Essays  (0.  P.  206) 
tonnte  man  fogar  f{^Ite|en,  baß  ^eibmj  felbft  eine  ^üt  lang  fic^  ber  Hinneigung  jum 
©ptnoäifmuS  nic^t  ganj  crwci^ren  tonnte. 

6* 


84  Setbrnj. 

macä^en  fönnen.  ®ic  2luf(öfung  alleö  6onberbafein§  in  ha§>  götttid^e 
Sßefen  erfd;emt  if)m  ebenso  ungereimt,  aU  gefä!)rli(^;  er  ret^net  e§ 
feinem  eigenen  ©yftem  gum  entf^iebenen  SSerbienft  an,  bafe  e§  ben 
(SpinojifmuS  ^erftöre;  unb  raenn  er  auc^  ©pino^a'!  perfönlic^e  Hnbe^ 
frf;oItenf)eit  einräumt,  fann  er  \iä)  hoä)  nic^t  entfialten,  feine  £e{)re  eine 
grunbfcJ^led^te  unb  tctcS^erlic^e,  feine  S3en)eife  erbärmlid^,  it)n  felbft  einen 
fd^arffinnigen  aber  irretigiöfen  ©(^riftfteEer  ju  -nennen.  ^)  @erabe 
bem  größten  unter  feinen  p{)ilofop^if^en  3eitgenoffen  ift  er  am.  raenigften 
gerecht  geworben. 

3ug{eic^  mit  ©pino^a  befämpft  Seibnig  (0.  P.  178  ff.)  biejenigen 
^{)eof opl^en ,  meldte  einen  einzigen  in  ber  ganzen  SBelt  verbreiteten 
ßebenSgeift  ober  eine  Sßeltfeele  annat)men;  unb  nad^  einer  anberen 
6eite  t)in  beftreitet  er  biefe  ©enfroeife  megen  i^reS  ent^ufiaftifd^en 
etements,  i{)re§  ®Iauben§  an  ein  innere^  Sid;t,  an  unmittelbare  Dffen= 
barungen  be§  götttidjen  ©eifte§,  inbem  er  it)r  bie  Unfic^erfieit  unb  bic 
2Biberfprü^e  biefer  üermeinttic^en  Offenbarungen  nad^roeift.  ^j  2Iber 
im  ganjen  fiat  er  boc^  bie  3Jli)fti!er  md  milber  unb  billiger  beurtl^eilt, 
aU  ©pino^a.  9^ennt  er  and;  in  einer  i^wgenbfdjrift  (0.  P.  52)  bie 
^^Uofopi)ie  be§  ^aracelfuS  unb  nan  ^elmont  „tpric^t",  befd^roert  er 
fid^  auc^  fpäter  nod^  (ebb.  205)  über  bie  unoerftänblid^en  ^araboyieen 
feinem  ^reunbeä,  be§  jungem  üan  ^elmont,  fo  gebeult  er  boc^  im 
übrigen  feiner  mit  2lner!ennung ;  felbft  ^öl^me  erticilt  non  if)m  ba§ 
3eugni^  (0.  P.  408  f.),  feine  ©d^riften  I)aben  für  einen  Wlann  üou 
biefem  ©taub  etroaS  großes  unb  fd^öne^ ;  unb  in  feiner  fteinen  2(b^onb= 
(ung  „VOM  ber  wafiren  Theologia  mystica"  ^)  f)at  er  bie  retigiöfen 
©runbgebanfen  ber  3)li;ftif,  yom  inneren  Sid^t,  oon  ber  ©egenmart 
©otteS  in  ber  ©eele,  ■oon  bem  ©öttlid^en  in  un§,  ha§>  unfer  eigenttid^eä 
,,©elbftn)efen"  auSmad^e,  unb  öou  ber  @int)eit  ber  magren  ©elbftliebe 
mit  ber  Siebe  ju  @ott,  fi^  angeeignet  unb  mit  ben  ©ebanfen  feines 
eigenen  ©i)ftem§  nerfnüpft. 

@§  weift  bieB  auf  einen  3ug  in  Seibni^,  ber  aud^  für  feine  ^^ilofoptiie 
t)on  er()ebüd;er  ^ebeutung  ift:  fein  tebf)afte§  retigiöfeS  Sebürfni^  unb 


1)  0.  P.  156.  160.  179.  182.  189.  383.  386.  720. 

2)  Nouv.  Essays  IV,  19  (0.  P.  406  f.). 

3)  ©eittfd^e  (Sd^rtften  t)erau5g.  ö.  ©u'^rauer  I,  410  ff. ;  ügt.  aud^  baS  ©(^reiben 
bei  9tomnict,  l'eibn.  u.  ^aiibgraf  (Srnft  ^^.  §effeu=9fi^eiufel§,  II,  131  f. 


feine  aufrid^tige  Frömmigkeit.  6§  l^ie^e  freilid^  biefen  uniDecfetten  @eift 
fd^tec^t  vertieften,  wenn  man  if)n  nur  ou§  bem  ©tanbpunft  be§  ^^co= 
logen  knrt^eilen,  ober  bie  |)auptn)nr3el  feinet  @i;ftem§  üOerroiegenb  in 
tl)eo(ogif($en  ^eraeggrwnben  fud;en  raollte.  5It)er  e0  ^ie^e  anbererfeit^ 
anä)  ein  raefentUd^eS  Clement  feiner  S5ilbung  nnb  feiner  S)enfmeife  an^er 
S(cf;t  (äffen,  wenn  man  bie  SSic^tigfeit  löugnen  rcodte,  meiere  tf)eologifd;e 
unb  religiöfe  fragen  oon  Stnfang  an  für  if)n  gef)abt  ^kn.  @r  felbft 
{)ebt  ba,  wo  er  t)on  bem  S^ved  nnb  5Ru^en  ber  2Biffenfd;aft  fpric^t, 
bie  ^eförberung  ber  ^^rijmmigfeit  immeu  mit  befonberem  9^ad;bru(f  ^er= 
üor;  unb  raenn  mir  fein  (Si;ftem  at§  ©an^eS  in'g  Singe  faffen,  (ä^t 
fic^  nidit  üerfennen,  ba^  ber  Hrl^eber  beSfelben  üon  hem  ©tauben  an 
bie  SBo^rfieit  be§  ßf)riftentt)um§  burd^brungen  mar,  nnb  bo§  er  ebenfo 
burd^  fein  perfönli($e§  SebürfniB,  mie  burd^  feine  n)iffenfd^aftlidf;e  lieber^ 
äeugung  getrieben  rourbe,  fi(^  eine  SBeltanfid^t  ^u  bilben,  bie  ben  ftreng- 
ften  roiffenfd^aftlid^en  5lnforbernngen  genügen,  jugleidf;  aber  auc^  jenem 
©(auben  äur  6tü^e  bienen  fottte.  Söenn  er  in  biefem  Seftreben  fogar 
nid^t  feiten  ju  roeit  gteng,  unb  il)m  in  mand^en  e^^älfen  bie  üoHe  pl)i(o= 
fop^ifd^e  Schärfe  unb  ^^olgeric^tigfeit  öum  Opfer  brad^te,  fo  beroeift  bie^ 
nur  um  fo  me^r,  mie  fef)r  il)m  felbft  bie  SSerfö^nung  ber  ^^l)i(ofopbie 
mit  ber  ^Religion  am  ^cr^en  lag. 

Seibnij  üerl)ielt  fi(^  nun,  mie  fdf;on  oben  bemerft  mürbe,  gu  feinen 
SSorgängern  meit  weniger  fritifc^,  al^  conciliatorifd^.  @r  oerlangt  oon 
ber  maliren  ^l)i(ofop^ie,  ba^  fie  atte§,  roa§  irgeubroo  n)al;re§  gum  3sor= 
fcf;ein  gelommen  fei,  in  \iä)  vereinige  unb  atten  2lnfic[;ten  il;r  'Sieä)t 
miberfaliren  laffe,  unb  er  betrad;tet  e§  aU  einen  SSorgug  feinet  eigenen 
6i)ftem§,  baB  e§  eben  bieB  leifte.  ®r  miil  „^tato  mit  ©emolrit,  9Xri= 
ftoteleS  mit  !J^e0carte§,  bie  ©d^otaftiler  mit  ben  Steueren,  bie  S:i)eo(ogie 
unb  bie  Moxal  mit  ber  3?ernunft  uerfö(;nen"  ^).  2Benn  man  ieboc^ 
fieibniä  be^liatb  aud^  mof)I  einen  ©Keltüer  genannt  unb  ibm  biefen  an= 
gebüd^en  ©flefticifmu^  fogar  jum  Stumme  angered;net  ^at,  fo  mor  bieB 
jebenfaffg  ungenau:  er  geioinnt  fein  ©ijftem  nid^t  baburd;,  ba^  er  auS^ 
ben  frülieren  ha§,  ma§  i§m  barin  tya'^r  §u  fein  fc^eint,  einfacl)  an^- 
mä^lt,  fonbcrn  er  fuc^t  ein  wefentlii^  neueg  ^rincip,  wel^eg  aber 
tief  unb  umfaffenb  genug  fein  fott,  um  alle  anbern,  fo  roeit  fie  bered)ttgt 
finb,  in  fid|  aufgunelimen ,  um  bie  ©efammt^eit  ber  5tf)atfad^en  ^n  ex- 


1)  0.  P.  205.  52.  65,  c.  22.  146.  446. 


86  Setbntj. 

flären,  üon  betten  feitte  SSorgättger,  tote  er  glaubt,  itititter  ttur  eittett 
%^di,  ber  eitte  biefett,  ber  attbere  jettett,  ber  eitte  eittett  grö^ereit,  ber 
attbere  eittett  Heitterett  gu  erflörett  t)ertttO(j^t  tiattett. 

3.  2)tc  ntctap^ijftfd^c  ©runblagc  bcö  leiöni^ifii^cn  <S^ftem§, 

bic  aJlonabcn. 

®er  ^uttft,  auf  ben  e§  l^iebei  t^or  allem  anfomtnt,  liegt  uad) 
ßeibnig  in  ber  ?^rage,  wie  miv  un§  bie  5Dinge  ifirem  reinen  3Befen  nac^ 
ju  benfen  l^aben,  tt)a§  ^a§>  dieale  ift,  ba§  fic^  un§  unter  ben  ntannig= 
faltigen  unb  roec^felnben  gürmen  ber  @rf(i^einung  barftellt,  ober  mit 
(ginem  SBort,  in  ber  tlnterfu(^ung  über  ben  begriff  ber  ©ubfianj; 
benn  biefer  begriff  ift,  mie  er  auSbrücEUd^  erflärt  (0.  P.  122.  722), 
ber  ©runbbegriff  ber  3Retap{)t;fif ,  unb  er  toar  al§  fotc^er  f(^on  im 
2lltertl)um  bei  3lriftotele§ ,  in  ber  neueren  ^l^ilofopJ)ie  bei  ®e§carte§ 
unb  ©pinoga  f)ert)orgetreten.  Stuf  jene  ?^rage  ^atte  nun  ber  3}iateria; 
lifmug  eines  §obbe§  unb  ©pifur  mit  ber  ^efiauptung  geantioortet, 
e§  gebe  nur  förperlid^e  ©ubfianjen ;  S)e§carte§  fiatte  üon  ber  auggebe^n^ 
ten  ©ubftanj  ober  ben  Körpern  bie  benfenbe  ©ubftanj  ober  ben  @eift, 
unb  t)on  beiben  ba§  unenblic^e  Söefen  ober  bie  ©otttieit  unterfc^ieben- 
Seibnij  ift  meber  mit  biefem  nod^  mit  jenen  eint)erftanben.  ®en  SOtate- 
riatifmuS  rciberlegt  fd^on  bie  ^f)atfa(^e  be§  ©elbfibetou^tfeinS  unb 
be§  S)en!en§^);  aber  auä)  bie  ©igenft^aften  ber  Körper,  ifire  ©eftalt, 
if)re  Setoegung,  il^re  ßonfiften^,  laffen  fi(^,  loie  Seibni^  bereits  in  einer 
t)on  feinen  frütieften  «Schriften  ^)  gu  geigen  fud^t,  auS  ber  SJtaterie  al0 
folc^er  nt(j^t  tJoUftänbig  erüären.  SBettn  bafier  ©eScarteS  ber  3Jiaterie 
ben  ©eift  unb  bie  ©ott^eit  beifügt,  fo  f)at  bie^  felbftoerftätiblid;  ben 
ooHen  33eifaII  unfereS  ^f)iIofopt)en.  dagegen  finbet  er  feinen  begriff 
beS  Körpers  in  boppelter  ^öegiefiung  unäureid;enb.  gür'S  erfte  nämlid^ 
fann  baS  SBefen  beS  Körpers,  toie  er  glaubt,  nid;t  in  ber  SluSbefmung 
als  fold^er  beftel)en.  S)enn  jebe  SluSbelinung  fe^t  ein  2luSgebe^nteS 
t)orauS,  unb  auS  ber  bloßen  2luSbel)nung  lä^t  fi(^  bie  SBiberftanbSfraft 
ber  Körper,  bie  3:l)atfad^e,  baf3  jeber  2lftion  eine  il)r  gleiche  9fleaftion 
entfprid;t,  bie  tlnbur(^bringlid;feit,  oermöge  ber  jeber  5?örper  anbcren 


1)  0.  P.  185.  200  ff.  34ß.  37ß.  706,  17. 

2)  0.  P.  45  f.  »qt.  ben   «rief   an  ,3ot)-  ^rtebvid; ,    SßS.  b.  ÄIopp  I,  3,  259. 


S)ie  ©ubpanj:  bie  ^om$.  87 

ben  Eintritt  in  feinen  ^aum  üerwel^rt,  unb  bie  Xvägi^dt,  vermöge  ber 
er  nur  burd^  einen  beftimmten  i^raftanfroanb  in  Bewegung  gefegt  ober 
§ur  dtul)e  gebracj^t  werben  fann,  fo  wenig  erflären,  boB  üielme^r  bie 
Slu^be^mmg  ober  9laumerfüIInng  if)rerfeit§  fid^  nur  ai§>  eine  SBirfung 
ber  ^raft  begreifen  lä^t,  raetd^e  ben  SBiberftanb  ber  Körper  gegen  ein= 
anber,  ifir  Söirfen  unb  Seiben,  bewirft;  ja  e§  tä^t  fic^  überhaupt  nic^t 
fagen,  worin  anber§  ha§>  $Befen  einer  ©ubftanj  beftef)en  fönnte,  ai§> 
in  i^rer  Äraft,  unb  wie  ifire  ^ortbauer  möglid;  wäre,  wenn  nid^t  eine 
unb  biefelbe  ^raft  at§  @runb  i{)re§  (5ein§  fid^  erl^iclte.  ®er  ^Begriff 
ber  ©ubftanj  ift  bemnad^  auf  ben  ber  ^raft  ^urüdjufüfiren :  eine  ©üb- 
ftonj  ift  eine  „urfprünglid^e  Äraft",  ober  wie  fie  2lriftotele§  nennt ,  eine 
„(gntelec^ie",  fie  fann  ofine  ^{)ätigfeit  nid;t  gebad;t  werben ;  ba^  9teate  in 
jebem  S)ing  ift  einzig  unb  oüein  feine  Äraft  §u  wirfen  unb  ^u  leiben,  wa§ 
wir  bagegen  fonft  an  ilfim  wa'^rnefinten,  ift  ni(^t§  aU  eine  ©rfd^einung, 
wetd;e  au§  biefer  Äraft  l^eroorgel^t  ^).  2öie  aber  jebe  ©ubfianj  tf)ätige  Äraft 
ift,  fo  mu^  au(^  jebe  —  unb  bie^  ift  ba§  jweite,  wa§>  ©eiScortejc  über^ 
fefien  ^at  —  ein  ftreng  ein!)eitli($e0  SBefen,  eine9)^ona§  fein.  3"f«iit= 
mengefe^te  (Subftan^en  tonnen  nur  au§  einfachen,  ba§,  wa§  ^ll^etlc  ()at, 
fann  nur  au§  unt^eilbarem  gufammengefe^t  fein.  @infad;e  SBefen  finb 
aud)  bie  einzigen,  weld^e  ol§  ttiätige  Gräfte  gebadet  werben  fönnen: 
wa§  3ufammengefe|t  ift,  ift  ein  ftofftid;e§,  pafficeS,  bie  J?raft  unb 
5lt)ättgfeit  fann  nur  in  ber  ein^eitlid^en  ©ubftanj  if)ren  ©i^  f)aben. 
„2l(Ie§,  wa§  tfiätig  ift,  fagt  Seibnij,  ift  ©injelfubftanj,  unb  jebe  ©in^^el; 
fubftanj  ift  ununterbrod;en  tfiätig":  tfiätige  Jlraft  unb  ^nbioibnalität 
finb  für  i^n  SBedjfetbegriffe^).  Sßeibeg  aber,  ftreng  einf)eitli($e  Söefen  unb 
wirfenbe  Äräfte,  finb  nur  bie  geiftigen  ober  üorftellenben  SBefen. 
3eber  Körper,  aud§  ber  organifd;e,  ift  ein  blo^eS  Slggregat,  ift  avi§> 
rieten,  •oon  einanber  cerfd^iebenen  unb  au^er  einanber  (iegenben  Stfieilen 
3ufammengefe|t ;  jeber  (Stoff  ift  al§  foId;er  ein  teibenbeg,  er  wirb  t)on 
anberem  geftaltet  unb  bewegt;  bie  einzige  einf)eitlid;e  ©ubftanj  unb  bie 
einjige  tfiätige  Äraft,  melä)e  wir  an§>  eigener  ©rfafirung  fennen,  ift 
unfere  ©eele.  ^^ur  nad)  ifirer  Slnalogie  fönnen  wir  un§  bie  SRonaben 
benfen:   bie  urfprüngtid;en  ©lemente   aller  S)inge,   bie   einfadjen  unb 


1)  0.  P.  110  f.  112  f.  122.  124.  156,  8.  157,  9.   11.  191.  202.  445.  604,  346. 
714,  1.     Opp.  ed.  Dut.  III,  315. 

2)  0.  P.  124,  3.    126,  11.   705.   714.    157,  9.    160,  15.    «riefwec^fet  ätütfd^en 
?eibniä ,  Strnaulb  «.  f.  ».  l^evouSg.  ü.  ©rotefenb  ®.  91  f. 


88  Seibnij. 

frafttf)ötigen  ©ubftanjen,  muffen  geiftige  ober  üoiftellenbe  äBefen,  muffen 
©ecten  fein.  2ln  bte  ©teile  ber  materiellen  Sttome  treten  fo  geiftige 
Snbiüibuen,  an  bie  ©teile  ber  pf)i)fifd;en  „metapf)i)fif(^e  fünfte":  bie 
Sßelt,  welche  ©e^carteS  nnb  |)obl6e0  in  eine  gro^e  SJlafd^ine  «ermanbelt 
f)atten,  mirb  üon  Seibni^  otS  ein  burd^aul  Ie6enbige§  ©anseS,  aU 
ein  Drganifmug  angefc^ant,  ber  ou§  nngäfiligen  üorfteKenben  nnb 
empfinbenben  2Befen  jnfammengefe^t  ift,  in  bem  nirgenbs  etwa^  tobtet 
nnb  Uo§>  ftofflic^eg,  in  bem  atteS  feiner  eigentlid^en  3^atnr  naä)  Seben, 
©ee(e,  ^fiätigteit  ift.  ^) 

3n  biefen  ©ä^en  ift  ber  @eban!e  au§gefpro(^en ,  welcher  ot^  ber 
eigentlid^e  SJlittetpunft  beS  leibnijifd^en  ©x;ftem§  gu  betrai^ten  ift.  ®enn 
wenn  aud;  mand;e  von  feinen  Setiren  unferem  ^t)ilofopI)en  i^rem  all= 
gemeinen  3iif)atte  nad;  vov  ber  SDJonabente^re  nnb  unabpngig  von  i^r 
feftftanben,  fo  ert)ielten  bod^  anc^  biefe  bie  nät)eren  Seftimmnngen,  bnrd^ 
weiä)e  fie  fid^  feinem  ©i)ftem  organifc^  einfügen,  erft  babnrd;,  bo^  fie  mit 
ber  3)Jonabente^re  in  3^fömment)ong  gebrad;t  ranrben.  ©o  laffen  fid; 
3.  58.  bie  leitenben  ©ebanfen  ber  5£f)eobicee,  bie  £et)re  üon  ber  beften 
3öe(t  nnb  ber  Harmonie  aller  SDinge,  bei  Seibniä  frül)er  nad^weifen,  al§ 
feine  9}ionabenlel)re ;  aber  bie  eigentl)ümlid;e  @eftalt,  meldte  biefe  @e= 
banfen  in  ber  Seiire  üon  ber  präftabilirten  Harmonie  erhielten,  mar 
bod)  erft  burd;  bie  le^tere  möglid^.  ®ie  äJlonaben  finb  fo  freilid^  nid)t 
in  bem  ©inn  ha^  ^rincip  be§  leibniäifc^en  ©i;ftem§,  at^  ob  ber  gon^e 
Snl)alt  beäfelben  nrfprüngtid;  lebiglid^  au§  bem  begriff  ber  3)?onabe 
tierauSgefponnen  märe;  mie  benn  iiberl)anpt  fein  einziges  p^ilofopl)ifc^e0 
©i)ftem  in  ber  äßtrllid;leit  jemalg  auf  biefem  rein  apriorifd()en  SiJege, 
einzig  unb  allein  burd^  2lbleitung  an§>  ßinem  ©runbbegriff  ober  @rnnb= 
fa|,  3n  ©tanbe  gefommen  ift.  3Serftel)en  mir  bagegen  unter  bem  ^rin= 
cip  eines  ©x)ftem§  ben  ©ebanfen,  burd^  meldten  bem  Urheber  beSfelben 
alle  feine  raiffenfd;aftlid^en  Stnfidjten  fid;  gur  ©inlieit  uerlnüpfeu ,  ben 
53egriff,  in  bem  er  ba§  3)iittel  §ur  ßrflärung  aller  ßrfdjeinungen  unb 
gur  ^egrünbuug  aller  üon  il)m  anerfannten  äßal^rfieiten  fiel)t,  fo  fönnen 
mir  biefeä  ^rincip  'bei  fieibnij  in  nid;tg  anberem  finben,  als  in  ber 
äJlonabenlel)re.  2tlleS,  waSi  biefer  oorangcl)t,  seigt  ilin  uns  erft  im 
©ud)en  feines  eigentl)ümlid)en  ©tanbpunftS;  erft  als  er  ben  begriff 
ber  3Jionabc  entbedt  l)atte,  tonnte  fein  ©xjftem  als  fol(^eS  vov  feinen 


J)  man  ügt.  außer  ben  eben  ongefü^rten  eteüen  0,  P.  107.  186.  694  f. 


(Sntfte'^ung  unb  Filter  ber  3WonabenIe]§re.  89 

©eift  treten.  ai>ie  früfie  mm  biefer  innere  2l6f(^luB  feiner  p^i(ofopf)ifd^en 
Ueber^engung  erfofgt  ift,  (ä^t  fidf)  nid)t  gennn  angeben,  ^n  ben 
Schriften,  n)el(^e  feinem  ^arifer  Slufent^alt  üorange^en,  geigen  fid^  nod; 
feine  beftimmten  ©pnren  ber  3}ionabenle^re.  @r  fiiiirt  luol^t  an§,  ba§ 
ber  6toff  n'i^t  o^ne  bie  bewegenbe  ilraft,  nic^t  ofine  ben  @eift  gebod^t 
werben  f'önne  (ügl.  6.  86);  er  bentet  and^  an,  ba^  bie  ßonfiftenj  ber 
ilörper  an§  ber  bloßen  3Jiaffe  firf;  nid^t  erklären  laffe^,  unb  bei  @elegen= 
f)eit  wirft  er  ben  ©ebanfen  f)in,  weW^er  an  bie  Seigre  be§  §eImont  unb 
^aracelfng  üon  ben  Slrd^een  erinnert,  e§  muffe  in  jebem  ilörper  ein 
unförperlic^eS ,  üon  ber  materiellen  3)taffe  üerfd;iebene§  ^rincip  fein, 
ha§>  feine  eigentü(^e  ©ubftanj  auSmad^e;^)  aber  barin  liegt  nod^  nic^t, 
boJ3  bie  Äörper  felbft  in  if)ren  legten  Seftanbt^eilen  immaterieller  DZatur, 
bie  anfd;einenben  9Jiaffen  au§  einfad^en  SBefen  5ufammengefe|t  feien. 
6r  fprid^t  ferner,  mie  bemerft,  bie  ^bee  ber  Söelt^rmoiiie  unb  ber 
beften  9Belt  au^ ;  aber  bafe  er  biefelbe  fd^on  bamat^  auf  bie  3Jionaben= 
lelire  geftü^t  l)at,  lä^t  fic^  nid^t  bartl)un.  @r  bemerft  ben  Unterfd^ieb 
äwifd^en  ©eift  unb  Körper,  ba|3  in  jenem  fowolil  ba§  eigene  ©treben 
al§>  ber  äußere  ©inbrud  fid;  bauernb,  im  ^öemn^tfein  unb  in  ber  @r= 
innerung,  erl)alte,  wogegen  fie  in  biefem  nur  momentan,  jur  ©r^eugung 
einer  Bewegung,  äufammentreffen ,  unb  er  nennt  be^l^alb  ben  Körper 
einen  auf  ben  Slngenblid  befd;rcinlten  ©eift.  ^)  Sind;  biefe  merfraürbige 
©teile  beroeift  aber  bod;  nur,  ba^  il;m  fd;on  bamal^  ber  ©ebauFe  einer 
geroiffen  ©leic^artigleit  5n)if(^en''©eift  unb  Körper  fid;  aufgebrängt  liatte, 
in  bem  roir  allerbing§  ben  ©piritnalifmu§  ber  3}ionabenlef)re  im  erften 
Äeim  erfennen  mögen;  üon  feinem  fpäteren  ©tanbpnnlt  bagegen  ift  er 
nod;  meit  entfernt,  benn  auf  biefem  crfd^eiut  iljm  ba§  ©treben  in  ben 
Äörpern  fo  menig  als  etmaS  blo§  momentane^,  ba^  er  t)ielmel)r  gerabe 
ba§  fortroälirenbe  ©treben  jn  loirlen  für  il;re  ©rnnbeigenfi^aft  liält.^) 
es  beftätigt  fid;  un§  fo,  maS  Seibui^  felbft  (0.  P.  124)  fagt,  baB  er 
erft  nad)  längerem  3f?ad;benfen  ju  ber  3lnna§me  un!örperlid^er  einleiten 
gefommen  fei.    SlnbererfeitS  lä^t  fid;  nad^raeifen,  ba^  er  fpäteftenS  um 

1)  0.  P.  4G  (to.  Q.  1666). 

2)  3n  einem  ©d^tetbeii  o.  ^.  1671  bei  tlopp  I,  3,  261. 

3)  Tlieoiia  motus  abstracti  bei  SuteilS  II,  b,  40:  omne  enim  corpus  est 
mens  momentanea. 

4)  Jeibniä  fetbft  bejeugt  Opp.  ed.  Dut.  III,  320  togt.  0.  P.  148,  b,  er  l^abe  ba» 
mat§,  als  er  bie  genonnte  ®c§rift  öerfagte,  bie  SDfaterie  nod^  mit  ©affenbi  unb  3)e§= 
carte«  für  eine  träge  aJiaffe  get)alten,  unb  au3  biejem  ©runbe  ben  SSibetjionb,  welchen 


90  Jetbntj. 

1684  mit  feinem  ©yftem  bei  fi($  felbft  üottfommen  im  reinen  mar  ^). 
S)ie  ^ilbung  ber  3}ionabenIe|re  fällt  bemnac^  fpäter,  al§  fein  26.,  unb 
früfier,  al§  fein  38,  £eben§jaf)r.  216er  für  bie  entfc^eibenbe  ^eriobe 
Smifd^en  biefen  groei  3^itpnnften  fe^lt  e§>  nn§  an  belegen,  meiere  nn§ 
if)re  ©ntroicf lung  im  @eift  tf)re§  UrfieberS  genaner  gn  »erfolgen  erlaubten : 
als  er  ber  SBelt  t)on  if)r  ^nnbe  gab,  trat  fie  gleid^  in  üoHer  9lüftnug 
au§  feinem  Raupte. 

®ie  weitere  ©ntroicEIung  biefer  Seigre  gef)t  folgerichtig  an§  it)ren 
oben  befprod;enen  ©runbbeftimmungen  ^eroor.  2)a  bie  3)ionaben  bie 
urfprünglid^en  ©ubfianjen,  bie  legten  ©eftanbt!)eile  aller  S)inge  finb,  fo 
fann  e§  ntd^tS  geben,  an§>  bem  fie  felbft  entftanbcn  wären,  ober  in  ba§ 
fie  fid;  anflöfen  fönnten;  ba  fie  einfache  ©ubftanjen  finb,  fönnen  fie 
ni(^t,  wie  bie  gufammengefe^ten,  hux^  eine  SSerbinbnng  gemiffer  (gte= 
mente  entftefien,  ober  bur(^  ifire  SCrennung  ju  ©runbe  getien.  ©ie 
können  mitt)in  überfiaupt  auf  natürlid;em  Sßege  meber  entftef)en  nod^ 
üergefien,  fonbern  menn  bie^  gef(^ie{)t,  fann  e§  nur  bnr(j^  eine  unmittel= 
bare  aSirfung  ber  götttid^en  Slltmad^t  gefc^efien:  if)re  ©ntftefiung  lä^t 
fic^  nur  als  ©(^öpfung,  il)r  Untergang  Iie§e  fid^  nur  a(§  S3ernid;tung 
benfen  ^).  S)a  ferner  bie  WaUxk  in'S  unenblid^e  t^eilbar  ift,  unb  jeber 
i)on  il)ren  ungäfiligen  5tf)eilen  mieber  au§>  unbeftimmt  fielen  3Jtonaben 
beftef)t,  ba  allen  ben  gopofen  (Srfd;einungen  als  ilire  realen  ©ubftrate 
9Jionaben  entfprec^en  muffen,  fo  mu^  bie  ^^l^t  ^^^  3)ionaben  fd^lec^tliin 
unenblic^  fein  ^) ;  unb  ba  ein  SBefen  nur  bann  biefeS  beftimmte  SBefen, 
biefeS  ©inselwefen  ift,  menn  eS  fi(^  oon  allen  anbern  unterfd^eibet,  groei 
^nbiüibuen  bagegen,  meldte  fid^  gar  nid^t  t)on  einanber  unterfd^iebcn, 
(nad^  bem  fogenannten  principium  indiscernibilium)  ni(^t  jmei  mären, 
fonbern  ein  unb  baSfelbe,  ba  eS  felbft  unter  ben  pfammengefelten 
Sßefen  feine  jmei  giebt,  meldte  fid;  burc^auS  gleid^  mären,  unb  feine 
groei  %i)äk  ber  äJlaterie,  meldte  bie  gleii^e  Bewegung  l^ätten,  fo  muB 


ein  ruljcnbfr  Äörpec  einem  auf  ifjn  jlo^enben  bettjegten  entgcgenfteßt ,  nid^t  an§'  ber 
QÜgemcinen  9?Qtnr  ber  Äörpev,  fonbern  au§  bev  befonberen,  ijon  ber  göttlidien  9Bci§= 
l^eit  angcorbncten,  (5inrid)tung  unfereS  ©^ftemS  abgeleitet,  tnic  er  bie^  aud)  wirfüti) 
a.  a.  D.  II,  b,  9  f.  26  t^ut. 

1)  5ßgt.  if.  ^ifc^cr,  @efc^.  b.  n.  ^^ir.  II,  285,   unb   m$   §artenftein, 
^Ift.'p^il.  'äh1:j.  492  f.,  au§  bem  33riefwed^fc{  mit  Strnaulb  @.  91  f.  anführt. 

2)  0.  F.  125,  4.  145.  438,  29.  526  f.  676.  705,  4  f.  714,  2. 

3)  3t.  a.  D.  435  f.  687. 


Statur  bcr  SKonabcn,  91 

auä)  jebe  3Jionabe  oon  jeber  onbern  t)er[d;ieben  fein,  jebe  iiire  eigene 
tf)ÜTnlid^en  (gigenfd^aften  ^aBen.  S)tefe  ©igenfc^aften  werben  aber  nlc^t 
äußere,  ber  ©eftalt,  ber  Orö^e,  ber  Sage,  u.  f.  f.  fein  fönnen,  benn 
für  folcä^e  ift  in  einfachen,  unförperlic^en  SBefen  ii6erf)oupt  fein  9ianm; 
f onbern  e§  wirb  mir  ifire  innere,  qnalitatiue  58eftimmtl)eit  fein,  raorin 
bie  (gtgentt)nntli(^feit  ber  SDlonaben  beftefit,  unb  ntoburd^  fie  fid^  von 
einanber  unterfc^eiben  ^).  Unb  wie  jebe  3)Zonabe  oon  allen  anbern  mv- 
fc^ieben  ift,  fo  ift  anc^  jeber  ^iifi^i^^  ^^^^^  3)Zonabe  t)on  i!)ren  frü{)eren 
3nftänben  »erfi^ieben ;  benn  ba  if)r  SBefen  in  ber  tptigen  ^raft  !6efte()t, 
fo  ift  jebe  notliTOenbig  in  einer  beftänbigen  SSeränberung  begriffen. 
S)iefe  SSeränberung  fann  ebenfattS  nur  eine  innere  SSeränberung  fein, 
benn  bie  SOtonabe  J)ot  ja  feine  S;f)ei(e,  bnrd;  beren  58erf(^iebung  eine 
med^anifd^e  SSeränberung  in  if)r  erjengt  werben  fönnte;  unb  au§  bem 
gleichen  @runbe  fann  fie  au(^  nur  oon  einem  inneren  ^rincip  f)er= 
rnt)ren,  benn  jebe  äußere  (ginwirfung  ift,  wie  Seibnij  glaubt,  eine  me= 
d^anifd^e,  fie  beftet)t  barin,  baB  in  einem  Sßefen  burd)  einen  yon  au^en 
fommenben  Slnftofe  eine  Bewegung  feiner  %'^eiU  bewirft  wirb;  raa0  ba= 
f)er  feine  S;i^eile  f)at,  in  bem  fann  burd;  feine  äußere  Urf ad;e  eine 
SSeränberung  f) er oor gerufen  merben;  ,,bie  3Jionaben  ^ben  feine  genfter 
burd^  bie  etroa^  in  fie  einbringen  ober  au§>  if)nen  austreten  fönnte/' 
©Ott  nun  bie  SJlonabe  ben  ©runb  ifirer  SSeränberungen ,  bie  D-ueUe 
tf)rer  2^f)ätigfeit ,  in  fid^  felbft  tragen,  fo  mu^  in  jebem  ifirer  ^i^ftö^^be 
bie  gan§e  9teif)e  ber  folgenben  enthalten  fein,  bie  ©egenroart  mu^  „mit 
ber  3ufunft  fdjroanger  ge^en;"  fie  fann  aber  in  if)nen,  bei  ber  ©infad;^ 
f)eit  ber  3)ionaben,  nur  in  unräumU(^er,  ibeetter  SBeife,  nur  aU  ^ox- 
ftettung  entfialten  fein;  ber  ^wftanb  ber  3}lonaben  ift  mithin  ber  be§ 
3Sorftetten§,  il^re  2:f)ätigfeit  beftef)t  in  3>orftettungen,  il^r  SBefen  im  3>or= 
ftettungSüermögen  —  fie  finb  mit  ©inem  SOBort,  wie  mir  fd^on  oben 
geprt  fiaben,  geiftige  Gräfte  ober  ©eeten^). 

S)iefe  SSorftettnng§tf)ätigfeit  ber  9)ionaben  f)at  nun  an  fic^  atteS 
SBirftid;e  jum  i^^^ßft.  S)enn  ba  atteS  in  ber  SBelt  mit  attem  anbern 
in  3itftimmenf)ang  fte^t,  fo  ift  jebe  3)tonabe  burd^  atte  anbern  bebingt, 
jebe  ift  bafier  in  i^rer  @igentf)ümlid^feit  nur  burc^  atte  anbern  t)ottftän= 
big  gu  üerfte^en,  fie  trägt  bie  ©puren  berfelben  in  fid^,  ftettt  fie  in  fid^ 


1)  0.  P.  705,  9.  714,  2.  159.  198.  222.  277  f.  303  f.  755.  765. 

2)  0.  P.  705,  10  ff.  714,  2.  127.  187.  197.  464,  8.  706,  22.   Th6od.  §  360.  400. 


92  2i\Mi. 

bar;  ober  wie  bte§  Seibniä  au^gubrüden  liebt:  jebe  9)lonabe  ift  ein 
lebenbiger  ©pieget  be§  XlniüerfumS,  unb  ein  Sluge,  bem  alle§  üollfommen 
burd;fid;ti9  wäre,  fönnte  bie  gange  SBelteinrid;tiing  nnb  ben  gangen 
SBelttauf  in  jeber  einzelnen  lefen.  6ie  ift  aber  biefer  6piege(  nic^t  bloä 
für  anbere,  fonbern  ännäd^ft  für  fid^  felbft;  benn  ba  fie  .DorfteUenbe 
5?raft  unb  fonft  nid^ts  ift,  tann  nichts  in  it)r  fein,  n)a§  nid^t  aU  ^ox- 
fteilung  in  i'i)x  wäre;  jebe  SJtonabe  befi^t  batier  eine  3^orfteIIung  von 
allem  in  ber  Seit.  ^)  Slber  biefe  3?orftellnng  nimmt  in  jeber  eine  eigen= 
tl)ümlid;e  ©eftalt  an:  in  jeber  3Jlonabe  fpiegelt  ba0  ©ange  fid;  ab; 
ober  in  jeber  fpiegelt  e§  fid^  t)on  ber  Seite  nnb  mit  ber  $ßoU!ommen- 
§eit  ab,  meiere  il)rer  Statur  entfprid^t.^)  3^ä^er  lianbelt  e§  fid^  Riebet 
um  bie  größere  ober  geringere  2)eutlic^feit  i^reä  ^orfteEenS.  $Die  33or= 
fteUungen  ober  ^heen  finb  balb  llar,  balb  bunfel,  unb  bie  flaren  SSor- 
ftellungen  tl)eil§  beutlid^,  tl)eil§  »erraorren.  ©ine  SSorftellnng  ift  !lar, 
wenn  fie  au^xää)t,  um  if)ren  ©egenftanb  ju  erfennen  unb  t)on  anberen 
ju  unterfd;eiben ,  bun!et,  menn  unb  fo  meit  bieB  nid^t  ber  g^all  ift; 
fie  ift  b  entließ,  Wenn  wir  auc^  bie  einzelnen  SJiert'male  be^  ®egenftanbe§ 
nnterfd^eiben  unb  fomit  eine  Definition  beSfelben  geben  fönnen,  anbern- 
falls  üerworren,  fo  bafe  bcmnad^  eine  S^ee  gugleid^  flar  unb  oer^^ 
worren  fein  fann  (wie  bieJB  nad^  Seibnig  bei  ben  finulic^en  S^orfteffnngen 
wirflid^  ber  ^^all  ift.^)  Sluf  ber  IXnterfd^eibung  unferer  ^orftellungcn 
berul)t  nun  baS  SSewu^tfein.  SSenn  S^orfteHnngen  gu  fc^wad^  ober  mit 
anberen  ju  eng  üerbunben  (alfo  ju  oerworren)  finb,  um  für  fid^  l)er= 
xwrgutreten,  fo  finb  fie  gwar  in  un§,  aber  fie  kommen  un§  nid^t  gum 
53ewuBtfein.  Unfere  fämmtlid^en  SSorftellimgen  gerfallen  ba^er  in  be= 
wu^te  unb  unbewußte.  Seibnij  nennt  jene  2lpperceptionen,  biefe 
^-perceptionen.  @r  geigt,  baB  fold^e  unbewußte  3SorftelIungen  ange= 
nommen  werben  muffen,  ba  bie  Seele,  unb  bie  Subftang  überl;aupt 
(beibeS  fällt  il^m  ja  aber  gufammen),  nie  untl)ätig  fein  fönne;  er  weift 
nad^,  ba|  fie  t)on  galilreid^en  ©rfc^einungeu  üorau§gefe|t  werben,  ba|5 
g.  SB.  bie  3Bal)rnel)mung  eines  @eräufd;eS  nur  burd^  bie  unbewußte 
2Bal)rnel)mung  aller  ber  eingelnen  'Xönc,  aus  benen  eS  fi(^  gufammen-- 
fe^t,  gu  ©taube  fommen  fann,  boB  man  burd^  feinen  nod^  fo  ftarfen 


1)  0.  P.   709,  .56.  60  f.     714,  3.    717,  13.    127.    197.    222.    725,  3.    745  f. 
Th6od.  360. 

2)  0.  P.  709,  57.  714,  3.  725,  3.  745  f. 

.3)  %,  a.  O,  79  f.  288  f. 


Untcrfd^iebc  be§  5?orfiletten8  in  ben  aWonaben.  93 

Särm  t)om  ©(^(nf  exmät  werben  könnte,  wenn  ntan  nic^t  ben  Slnfong 
beSfelben  nodj  üor  bein  ©rniadjcn,  alfo  unbewußt,  oernö^me ;  er  ev!enut 
in  ben  unnterflid^en  ober  „deinen"  Ssorftetlungen  ben  ©runb  ber  [d;ein= 
bar  roittfü^rlic^en  2:i)ätigfeiten,  haS^  Tlittd,  rooburd^  e§  möglich  ift, 
ba^  bie  ©eele  einen  unenblic^en  ^n^alt  in  \iä)  trage,  ein  Spiegel  ber 
ganzen  SBelt  [ei,  bie  ^ebingnng  für  bie  Kontinuität  be§  ©eelenlebenö 
unb  be§  2SeltIauf§,  für  ben  ^eroorgang  be§  fpäteren  au§  bem  früf)eren, 
für  bie  Uebereinftiinmnng  ber  Seele  unb  be^  SeibeS  unb  bie  Ueberein^ 
ftimmung  alle§  ©ein§  überfiaupt;  benn  raenn  in  jeber  9}lonabe  aUe 
anbern  unb  i^r  33er|ä(tniB  ju  benfelben  fid^  barftetten,  wenn  ber  gan^e 
^nfialt  i^reS  Seben§  üon  2lnfong  an  in  i^r  liegen  foH,  loenn  er  aber 
anbererfeitS  offenbar  nid^t  al0  beutlid;  oorgefteHter  unb  berou^ter  in 
il)r  ift,  fo  bleibt  nur  übrig,  ba^  er  unbeutlid^,  al^  unberouBte  ober 
unmerflid^e  3?orfte(lung  in  i|r  fei.^)  9?ac^  bem  Uuifang  unb  bem  ©rabe, 
in  meld^em  bie  33orfteIfung  be§  Uniuerfumg  in  einer  Sltonabe  fi($  3ur 
S)eutti(^feit  entmidelt,  rid^tet  fid;  bie  »oUfommenl)eit  il)reg  Seben§  unb 
bie  Stufe,  meldte  fie  in  ber  SBelt  einimmt.^)  S)iefe  Stufe  ift  aber 
ntc^t  uuüeränberlid^ ;  jebe  9J?onabe  mu^  ja  al§  t^ätige  traft  in  einer 
unablä^igen  53eränberung  begriffen  fein,  meiere  i^rer  Statur  nac^  nur 
barin  befielen  fann,  ba^  ilire  3]orfteIIung§tl;ätigfeit  fid)  üerdnbert. 
Dber  raie  bie^  unfer  ^^ilofop^  nä^er  ausführt:  wie  in  un§  bem  58er^ 
ftanbc  ber  SBille  entfprid^t,  fo  mu§  überliaupt  in  jebem  trafttl)ätigen 
SBefen  mit  feinem  ^Borfteüen  ein  ^egel)ren  ober  Streben  üerbunben  fein ; 
biefeS  Streben  fann  aber  nid^ts  anbere§  fein,  als  ber  2;rieb  gur  ^er- 
änberung  be§  inneren  ^uftanbeg,  jur  ©rjeugung  neuer  58orfteltungen ; 
au§  jeber  SSorftellung  folgen  bal)er  weitere  SSorftellungen ,  au§  jebem 
3uftanb  anbere  ^uftänbe,  unb  ba0  Seben  jeber  3Ronobe  üerläuft  fo  in 
einem  unauf^örlid^en  aSedjfel,  in  bem  alle^  fpätere  aug  bem  früi)eren 
nad^  feften  @efe|en  l^eroorgelit.^) 

2lUe  biefe  3.seränberungen  ooHäiel^en  fic^  aber  bod^  nur  inner: 
l)olb  ber  einzelnen  3Jlonaben,  fie  finb  rein  innerliche  SSorgönge,  bie 
in   jeber    einzelnen   Seele    lebiglid^    nad^    itiren    eigenen   ©efe^en    er* 

1)  0.  P.  197  f.  224,  11.  233,  4.  246,  4.  706,  14.  19  ff.  707,  23.  715.  717,  13. 
81.  137.  152.  181.  187  f. 

2)  SSgt,  hierüber  namentlid^  0.  P.  187.  709,  60. 

3)  0.  P.  464,  12  ügr  251.  706,  15.  714,  2.  720.  746.  187. 


94  Seibnij. 

folgen ;  jebe  ift,  raie  Seibnij  felbft  fagt  ^),  eine  SBelt  für  ficä^  unb  gegen 
atte  äußeren  ©inrairfnngen  fo  abgefd^loffen,  wie  roenn  gar  ni(^t§  au^er 
it)r  felbft  unb  ber  ©ott^eit  eyiftirte.  2öir  f)aben  mit{)in,  fo  weit  wir 
bis  je^t  finb,  ^roar  eine  jaPofe  3JJenge  von  ©ingelfnbftanäen,  t)on  benen 
jebe  ein  eigenttiümlic^eS  Seben  fü^rt  unb  bie  ©efammt^ieit  ber  5Dinge 
in  if)rem  3SorftelIen  auf  eigentl^fimli(j^e  2Beife  abfpiegelt ;  aber  wir  fiaben 
noc^  feinen  3wfamntenf)ang  biefer  ©inselwefen,  nod^  Mn  i^neinanber^ 
greifen  i^rer  SSeraegnngen ,  no(^  feine  Söelt.  2ßie  foffen  rair  biefe  ge= 
TOinnen,  wie  foEen  wir  e§  erflären,  ha^  alle  3)lonaben  üon  allen  anbern 
raiffen,  ha'^  bie  SSorgänge  in  ben  einen  mit  benen  in  ben  anbern  fo 
genau  übereinftintmen,  wie  un§  bie^  bie  ®rfaf)rung  nic^t  b(o§  in  betreff 
unfere§  förperli(^en  unb  geiftigen  2ehen§',  fonbern  in  ^Betreff  bei  gonjen 
3flatur(auf§  bezeugt?  @§  ift  bie^  biefelbe  ?^rage,  weld^e  fid^,  wie  wir 
gefef)en  l^aben,  au§  Slnla^  be§  SSerfiöltniffel  »on  ©eele  unb  Seib  fd^on 
ben  Sartefianern  aufgebrungen  l^atte;  nur  ba^  biefe  grage  bei  Seibni^ 
t)erallgemeinert  unb  auf  ba§  SSerpItni^  aller  9Jlonaben  überJ)aupt  au^- 
gebel^nt  ift.  ®ie  natürlid^fte  Slntwort  auf  biefelbe  fc^eint  nun  bie 
gu  fein,  baB  eben  bie  t)erf(^iebenen  SBefen  unter  einanber  im  Sßerpltni^ 
einer  realen  äöec^felwirfung  ftelien  ,  i)ie  SSeränberungen  in  ben  einen 
burd^  bie  ©inwirfung  ber  anbern  l)ert)orgerufen  werben,  ^n  biefer 
Sßeife  liatte  man  fid)  ben  Sf^atur^ufammenliang  bi§  ba^in  allgemein  er= 
flärt,  unb  no(^  ®e§carte§  war,  aud;  liinfid^tlid;  be§  3Serl)ältniffe§  »on 
©eele  unb  ßeib,  unbebenflid;  oon  biefer  SSorauSfe^ung  ausgegangen, 
©eine  (Schüler  jeboc^  fanben  biefelbe  (wie  ®.  49  f.  52  gegeigt  ift)  ^ier 
unanwenbbar,  wogegen  fie  bie  Körper  auf  einanber  atterbingS  unmittels 
bar,  burc^  Srud  unb  ©to^,  wirfen  liefen.  Seibnij  wiberfprid^t  nic^t 
allein  ber  Slnnalime,  ba^  ein  pl)yfif(^er  ©influB  beS  Körpers  auf  bie 
Seele  unb  umgele^rt  ftattfinbe  ^) ,  fonbern  er  wei^  überhaupt  bie  (Sin= 
wirfung  einer  ©ubftanj  auf  eine  anbere  mit  feinem  Segriff  ber  ©ub= 
ftauä  nid^t  ju  vereinigen  (t)gl.  ®.  91).  treffen  bal)er  bie  SSorgänge 
in  äwei  ober  mefireren  ©ubftangen  fo  regelmäßig  gufammcn,  baß  man 
biefeS  ^ufammentreffen  nic^t  auf  ben  bloßen  3ufaa  jnrüdfü^ren  fann, 
fo  bleibt  feiner  Stnfid^t  nac^  nur  übrig,  eS  aus  il)rer  gemeinsamen  2lb= 
^ängigfeit  oon  einer  brüten  Urfad^e  ju  erflären;  unb  ftelien  alle  Sißefen 
mit  atten  in  biefem  9Serl)ä(tniß  einer  »ollfommenen  Ucbereinftimmung, 


1)  0.  P.  127,  14.  128,  16.  681. 

2)  3.  33.  0.  P.  127,  12.  773,  84. 


^räpabUirte  Harmonie  ber  5Dtonaben.  95 

fo  muB  ongenommen  loerben,  t^a^  ifire  genteinfame  Urfac^e,  ber  gött^ 
ti(^e  SBiae,    [ie  alle  ^armonifd;  kftimme,   in   jebem   t)on  ifinen  genau 
biejenigen  3Sorgänge  hemixte,  weld^e  benen  in  allen  anbent  entfprerf;en. 
Seibniä  greift  fomit,  um  ben  ^ufammenliang  ber  3Jtonaben  §u  erüären, 
im  allgemeinen  ju  bem  gleidien  3Jiitte(,    beffen  ft(^  bie  ©artefianer  3ur 
@rf(ärung  be§  3ufammenl)ang§  smifc^en  ©eele  unb  Seib  bebient  fiatten: 
er  perraanbelt  biefen  3ufammeni)ang  au§  einem  unmittelbaren  in  einen 
mittelbaren,  er  leitet  il)n  ni(^t  au§  einer  2ße(^[eln)irfung  ^mifc^en  ben 
einzelnen  enbli(i^en  Sßefen,  fonbern  anS'  ii)xex  gemeinfamen  2lbl)ängigfeit 
von  ber  göttli^en  llrfä(^lid;feit  l)er;    nur  ba^  er  ha§,   xoa§>  feine  ^ox- 
ganger  blo§  üon  bem  SSerliältni^  ber  benfenben  unb  au^gebe^nten  ©ub^ 
[tanj  gefagt  Ratten,   auf  ba§  3Serl)ältniB  aller  ©ubftangen  übertiaupt 
auSbe^nt,    e§   aVL§>    einem   antl)ropologifd;en   ju   einem   fofmologifd;en 
^rincip  mac^t.    2lber  in  ber  ©eftalt,  meldte  biefe  ©r^lärunggroeife  bei 
ben  (Sartefianern,  unb  namentlich  bei  ^akhxan^e,  in  bem  fog.  ©\)ftem 
ber  gelegentlichen  Urfac^en  angenommen  ^atte,  fann  er  \iä)  biefelbe  nid;t 
aneignen.    SBenn   biefe§   ©tiftem   annimmt,   baB  @ott    bei   jebem  2lft 
unfereg  3BilIen0  bie  entfpre^enbe  Bewegung  in  unferem  Körper,  unb 
bei  jeber  Seraegung  in  unferen  ©inneSorganen  bie  entfpred;enbe  3?op 
fteHung  in  unferer  ©eele  l)ert)orbringe,  fo  l)ält  il)m  Seibnis  mit  ©runb 
entgegen,  bag  liei^e  ju  Söunbern  oline  ©nbc  feine  3uflud)t  nehmen,  bie 
©ottleit  gum  SOkfc^inengott  ma^en,  ben  9ktur3ufammenl)ang  jcrreiBen 
unb  bie  enbli(^en  SBefen  il)rer  eigenen  3:i)ätigfeit  unb  ebenbamit  i^rer 
©elbftänbigfeit  berauben ').    (Sr  felbft  ^offt  biefen  ^ebenfen  baburd)  ju 
entgel)en,  \)a^  er  an  bie  ©teile  ber  eingetnen  in  bie  Sl)ätig!eit  ber  @e= 
fd)öpfe  eingreifenben  götttid^en  3lfte  bie  urfprünglic^e  SBeltorbnung  unb 
i|re  unabänbertic^e  ©efe^mäBigfeit  fe^t.  ^ehe§>  (Sinsetmefen  (jebe  9Jionag) 
folgt,  wie  er  glaubt,  in  feiner  S;|(itig!eit  unb  ©ntmidlung  tebiglic^  ben 
©efe^en  feiner  eigenen  Statur;  aber  biefe  feine  5Ratur  ift  t)on  §aufe 
au§  fo  bef(^affen,  raie  eS  fein  SSerl)ättnife  ju  allen  anberen  SGöefen,  feine 
Stellung  im  SBeltgansen  mit  fid;  bringt:    bie  SOlonaben  »erhalten  fi(^ 
ju  einanber  raie  graei  Uliren,   üon  benen  jebe  nur  burc^  il)r  eigene^ 


1)  0.  P.  127.  134.  157.  160.  178.  430.  438,  23.  452  f.  773,  84.  Sei  biefet 
Äritif  ber  cartefianifc^en  Xijtoxk  ijat  aber  $?etbntä  auffatlenber  SBetfe  bieicnige  ^ovm 
berfelben,  tüelc^e  feiner  eigenen  5injäc^t  nä^er  fommt,  bie  be3  ©euUncj;  unb  ©pinoga 
(o.  (S.  49.  52),  unberücffic^tigt  gelaffen;  benn  aud)  bie  5teuBerungen  0.  P.  ®.  189, 
a.  348,  a  fönnen  fid^  nid^t  ouf  biefe  besiegen. 


96  Setbrnj. 

Xriebroerf  in  53en)egutig  gefegt  wirb,  bie  aber  von  Sfnfang  an  fo  Qe- 
haut  nnb  gerid;tet  [tnb,  baB  fie  immer  bie  gleid^e  6tunbe  geigen.  3ebe§ 
Söefen  bcfinbet  fid;  ba^er  in  jebem  Slugenblid  genan  auf  berfelben 
6tufe  ber  ©ntroidlung,  auf  ber  e§  fi(^  befinben  mürbe,  raenn  e0  von 
allen  anbern  einen  ®inftuB  erfüfire;  e§>  erzeugt  in  fid^  biefelben  i8or= 
fteflungen,  bie  e§  erzeugen  mürbe,  menn  ändere  (Sinbrüde  ju  if)m  ge= 
langen  fönnten;  e§  ftef)t  mit  anbeven  Söefen  in  berfelben  3?erbinbung, 
in  ber  e§  ftefien  mürbe,  raenn  eine  unmittelbare  Sßed^felmirlung  gmifd^en 
i^nen  ftattfctnbe.  ^a  eä  ift  am^  jebeS  in  feinem  ©ein  nnb  feiner  'It)ä= 
tigfeit  mirflid)  burd^  bie  anbern  bebingt;  nur  ift  ii)x  Qn'iammenljana, 
ein  ibealer,  burd^  ben  33erftanb  itnb  ben  SBillen  ber  ©ott^eit  üermit^ 
telter:  @ott  !^at  jeber  9J?onobe  gleid^  hei  il)rer  @d;öpfung  bicjenige  Tta- 
tur  üerliel)en ,  nnb  ebenbamit  biejenigen  5ll)ätigfeiten  unb  biejenige 
9teil)enfolge  biefer  Sl^ätigleiten  in  il)r  angelegt,  meldte  bie  9tüdfi(^t  auf 
alle  anbern  unb  auf  ba§  au§  ilinen  beftel^enbe  Söettgange  forberte;  )i'be 
ift  ba^er  burd)  bie  ^bee  aller  anbern  beftimmt,  unb  l)ilft  il)rerfeit§  alle 
anbern  beftimmen,  unb  mieroot)l  feine  üon  ben  anbern  eine  ©inmirfung 
erleibet,  foiibern  jebe  fid^  mit  reiner  (Spontaneität  au§  fic^  felbft  ent= 
rcicfelt,  greifen  bod^  alle  il)re  ^liätigleiten  unb  ^iift^^^^  ^^  i^^^^^ 
Slngenblid  ootlfommen  in  eiuanber,  unb  e§  ftellt  ft^  au§  aßen  biefen 
unzählbaren  Gingelmefen  unb  ifiren  üon  eiuanber  fc^einbar  ganj  uuab= 
llängigcn  ©ntmidlungen  jenes  üottenbete,  in  allen  feinen  Xl;eilen  burd^- 
au§  l)armonifdje  ©anje  ^er,  ba§  mir  bie  2öelt  nennen.  5Die^  ift  ba§ 
©Aftern  ber  t)orl)erbeftimmten  Harmonie,  in  met(^em  bie  Wlo- 
nabenlelire  gum  Slbfd^tuf?  fommt,  unb  melc^eS  nad^  Seibnig'  eigeneui 
llrtl)eil  fofe^r  ben  3)littclpunlt  feiner  ^^ilofop^ie  bilbet,  ba^  er  felbft 
baä  ©anje  berfelben  ni^t  feiten  furjmeg  al0  ba§  ©i)ftem  ber  präftabi= 
lirten  ober  ber  uniüerfellen  .^armonie  bezeichnet.  ^) 

9f?äl)er  entl)ätt  ba§  gegenfcitige  33er^ältni§  ber  3}ionaben  ein  bop^ 
petteS.  3ebe  5IRonabe  ift  i^rem  SBefen  nad^  tl)ätige  J^raft,  xi)X  ©afein 
beflel)t  in  einem  3Birfen,  einem  33orftellen;  e§  giebt  bal)er  feine  3Ronabe 
unb  fann  feine  geben,  meldte  bto§  poffiüe§  ©ubftrat  märe,  mie  biefe 
bie  förperlid^e  3Jiaffe  nad^  ber  gemöl)nlid;en  a}teinung  unb  ber  med;a= 
nifd^en  ^l)i;ftf  fein  fott.  2lber  jebe  gefd)affene  a)tonabe  l)nt  ein  beftimm= 
teö  3RaB  i^rer  Äraft,  unb  fo  auBerorbeutlid)  grofj  auc^  bie  Hnterfc^icbc 

1)  0.  P.  127,  14.  133  f.  157,  10.  183  ff.  205.  430.  458.  477.  519,  59.    521, 
66.  688.  709,  51.  600,  331. 


Stftiöität  unb  ^affitoität  ber  9Kouaben.  97 

finb,  roeld^e  ^raifd^en  ben  üerfc^iebenen  3Jlonaben  in  biefer  ^e^ie^uug 
ftattfinben,  fo  muffen  wir  bod^  an  ifinen  allen,  au^er  ber  ©ottfieit, 
^roei  (Seiten  unterfc^eiben :  i^re  traft  nnb  bie  ©ren^e  ifirer  traft,  if)re 
^ßoHfommen^eit  unb  i^re  ^efc^ränft^eit.  ^aä)  bem  3Jla§  i^rer  traft 
richtet  fi(^  bie  SDeuttid^feit  ifirer  3]orfteltungen ;  bnrd^  bie  ^^fc^ränft^eit 
berfelkn  ift  e§  fiebingt,  ha^  au^er  hen  beutlid;en  5>orfteIIungen  autf; 
bunfle  unb  oerroorrene  in  i^nen  finb.  2)iefe  ^efc()ränftf)eit  ift  aber  eine 
?^o(ge  ifireS  SSerpttniffe^  3U  ben  anbern  3}tonaben;  jeber  3}ionabe  ift 
t)on  Slnfang  an  nur  biejenige  3SoIIfomment)eit  ^uget^eilt  worben,  e§>  !ann 
fic^  mithin  au^  nur  biejenige  ©ntroicflung  in  i^r  üoHöie^en,  welche  fic^ 
mit  ber  Sflüdfid^t  auf  ade  anbern,  mit  ber  3SoEfommenf)eit  be§  ©anjen 
»erträgt.  Sßir  fönnen  infofern  alle  Unuottfommen^eit  in  ben  3Jionaben, 
alte  üerroorrenen  3Sorfte(Iungen,  mieroofil  fie  junäd^ft  nur  au§  ifinen 
fe(6ft  fommen,  bo($  3uglei(j^  als  ein  S3eftimmtraerben  buri^  anbereS,  als 
ein  Seiben,  alk  ©ntmicflung  jur  33oIIfommenl)eit  als  ein  ©id^felbftbe:^ 
ftimmen,  eine  Xl)ätig!eit  betrachten;  unb  eS  taffen  fid^  be^lialb  an  jeber 
Monabe  pei  «Seiten  ilireS  2Befen§  ober  ^roei  träfte  unterfc^eiben :  bie 
aftiüe  unb  bie  paffiüe,  bie  traft  ber  Bewegung  unb  bie  traft  beS 
SBiberftanbS  ober  ber  S;räg^eit.  ^)  ©erabe  auf  ber  58ef(^ränft^eit  ber  Wo-- 
uaben  berufit  aber  il)r  3wfommen^ang :  inbem  jebe  als  eine  enblid;e 
unb  befc^ränfte  burc^  anbere  bebingt  ift,  jebe  bie  inbioibueHe  Seftimmt= 
l)eit  i^reS  ©eins  unb  SebenS  oermöge  i^reS  3]erl)ältniffeS  ju  ben  anbern 
erhält,  ebenfo  aber  aud^  jebe  bie  anbern  mitbebiugt,  inbem  fidl;  alle 
3)ionaben  gu  aHen  foraol)l  tliätig  als  leibenb  oerlialten,   ftelien  äffe  mit 

1)  0.  P.  269.  521,  65  f.  128,  17.  132.  436.  440.  678.  709,  49  f.  725.  Opp. 
ed.  Dut.  I,  733.  III,  316  f.  da  lägt  ficf)  itSrtgenS  ^ter  eine  getüiffe  Unflart)ett 
nic^t  üevtennen.  %n§  ben  ^Joranäfe^ungen  ber  DKonabenle^re  folgt  alterbingS,  baß 
an  it'ün  enblid}en  5Wonabe  Stftimtät  unb  '•^3affit)ität,  beutlic^eS  nnb  i^ecrt>orrene§  ^ox- 
fteEen  §u  unterfc^ctben  ifl;  bagegen  ^at  1'.  [tvenggenommen  fein  Siedet,  bon  einer  paf* 
fiöen  Ar  oft  in  ben  ajionaben  jn  reben  nnb  biefe  bev  2Biberftanb§fraft  ber  Äörper 
gleic^jufetjen,  benn  ber  Sibevflanb,  »eichen  ein  Äorper  bem  einbringen  cine§  anbern 
entgegenftetit,  bern^t  auf  berfelben  (£i-panfiOfraft ,  welche  fic!>  ba,  tvo  fie  ben  2Biber= 
ftanb  anberer  Äörper  übcrwinbet,  al§  beujegenbe  Äraft  barfteEt.  äJon  ben  smei  traf» 
ten,  aus  benen  tant  nnb  feine  DJad^foIger  bie  SÄaterie  conftruircn,  efponfiü=  nnb 
2(ttractitofraft,  ^t  Seibniä  nur  bie  erftere,  eine  allgemeine  5(näie^ung  ber  iOZaterie  f)at 
er ,  wie  rair  finben  »erben ,  gar  nid^t  angenommen ;  ftatt  aber  jene  (Sine  Äraft  in 
jtüci  Gräfte,  eine  aftiüe  nnb  :paffii'>e  jn  jcrtegen,  burfte  er  nur  fagen,  fie  unsere  fic^ 
tbeit§  at§  53ewegnng§=  t^eils  a\§  2öiberftanb§fraft,  t^eils  in  ber  Stftion,  t^eirs  in  ber 
Sieoftion;  üon  einer  paffitoen  Äroft  gu  fprec^en,  ip  ungenau. 

gelter,  ©e^i^te  ber  beutje^en  ^fiilofop^ie.  7 


98  ?ei6ntg. 

aMi  in  33e3ie^ung,  fie  getiören  jufammen,  fie  Btlben  ©in  ©an^eg,  unb 
e§  entftel^en  fo  an§  ben  einzelnen,  o{)ne  alle  nnmittelbare  2ße(^[eln)ir!ung 
in  fi^  abgefegt  offenen  3Jionaben,  vermöge  i{)re§  ibealen,  metQpf)^jfif(^en 
3nfammenf)ttng§,  9Jionabencomp(eye ,  au§  ben  einfad^en  (Snbftan^en  gn- 
fammengefe^te.  ©in  3Jlonabencompley  aber  ift  eintörper,  bie  3ufammen= 
gefeilte  ©ubftanj  ift  bie  9Jlaterie.  Seibnij  betra(^tet  bal^er  bie  ^affioität 
ber  gjJonaben  aU  ben  legten  ©rnnb  be§  materiellen  S)afein§,  unb  er 
nennt  fie  be§l)alb  mit  einem  ariftotetif($en  SluSbrucf  bie  ,,erfte  3Jlaterie".  ^ 
SBie  ans  biefem  metaptiijfifdien  a>er^ältniB  ber  einfarf;en  ©nbftanjen 
bie  (grfc^einung  ber  förperli^en  3Jiaffe  unb  i!)rer  ^Bewegung  f)eröorgef)t, 
biefe  ift  bie  ©runbfrage  ber  leibniäifc^en  9^aturpt)iIofopt)ie. 

4.   ^ie  ^örpcrttielt  unb  i^rc  ©efc^c. 

2ln  fidf)  felbft,  §aben  mir  gefefien,  giebt  e§  nac^  Seibnij  feine  realen 
2Befen,  als  bie  3Jtünaben,  unb  feine  realen  S3orgänge,  als  bie  inneren 
$8eränbevungen  in  ben  SDZonaben,  il)re  SSorftellungen  unb  33eftrebungen. 
^ebeS  biefer  SBefen  folgt  in  feiner  3:l)ätig!eit  unb  ©ntmicflung  nur 
feiner  eigenen  ^J^atur  unb  il)ren  @efe^en ;  aber  fie  alle  ftelien  ju  einan= 
ber  im  5ßerl)ältniB  einer  urfprüngli($en  (präftabilirten)  Harmonie,  unb 
rermöge  biefeS  3Ser^ältniffeS  bilben  fie  ©in  §ufammengel)örigeS,  feft  »er^ 
bunbeneS  ©anjeS.  S)enn  menn  auc^  jmifd^en  i^nen  nic^t  ber  unmittel= 
bare  3ufammenl^ang  einer  pl)i)fif(^en  SBei^felmirfnng  ftattfinbet,  fo  ift 
toä)  jebeS  oon  il)nen  mittelbar  bnr(^  alle  anbern  beftimmt,  meil  eS 
burd^  bie  9)Zöglicl;feit  i^reS  ^ufammcnfeinS ,  bnr(^  bie  ^bee  ber  SBelt, 
fo  mie  biefe  in  bcm  fd^öpferifdjcn  göttlid;en  25erftanb  lebte,  geforbert 
mar,  bafe  jebem  nur  baSjenige  SJkf,  ber  i^raft  jugetfieilt,  nur  bie  (BnU 
midlungSftufe  unb  9lid;tung  feiner  SSorftettungStliätigfeit  in  if)m  ange^ 


1)  arfau  tjgt.  0.  P.  157  f.  376.  436.  440.  456.  457.  466.  678.  680.  694.  709, 
52.  741.  2Iud^  tton  einem  „fubftantieüeu  2?anb"  bev  SRoitaben  fprtdjt  Jcibntä.  ®amit 
fönntc  aber  nad)  aßen  SBovauSfe^ungen  fetue§  ©^ßem§  iiid^tS  anbere«  gemeint  fein, 
als  it|r  auf  bem  präftabilirten  5Bcrl)äItnif5  i^rer  Slttii^ität  unb  ^^Jaffioität  berul)euber 
^ufammen^ang  felbft;  loenn  fid}  i.  in  beu  Ü3riefeu  au  '^3ater  be3  53offeS  (0.  P.  6ö0. 
682.  685—688.  740  f.)  fo  auSbvüdt,  at§  ob  er  babci  ou  etfto§  üon  ben  aWonabcn 
[elbft  t'erfdjiebene^  bäd;te,  fo  ift  bicfj  nur  eine  5{nbequemung  an  einen  fremben  ®tanb= 
punft:  Veibni^  jeigt  bem  '^atcr,  wie  er  e§  angreifen  müßte,  um  unter  iBorauSfetMing 
ber  iOtonaben  bie  ÜranSfubftantiation  ju  rechtfertigen,  aber  er  öerbirgt  nidjt,  bafj  er 
für  feine  *4ierfon  bie  ^k\üx  ju  .s)ülfe  genommene  §^pott)cfe  eines  eigenen  viuculum 
substantiale  fo  roenig,  alS  bie  iBroböeniiaublungöIe^ie  felbft,  gutl^cijse. 


2)te  Tlattm.  99 

gefegt  toerben  fonnte,  loetc^e  fic^  mit  ber  33olIfommenl^eit  be0  ©ansen, 
mit  ber  ^aiux  unb  ©ntmicfdtng  aller  anberen  2Befen,  »ertrug.  Qebe 
3)?ona§  kftimmt  hattet  anbere  SDbnabeu,  wiefern  eine  3]oIIfommen^eit 
in  ifir  ift,  burd^  meiere  eine  entfprec|enbe  Unüottfommenfieit  ber  anbern 
bebingt  rairb,  wiefern  i^r  in  ber  Drbnung  be§  SBettganjen  bie  Stolle 
angefallen  ift,  fic^  ba^jenige  bentlii^  oorjnfteKen,  raooon  ben  anbern  nur 
eine  bunfle  ober  oerroorrene  3Sorftellung  mögtid)  ift;  jebe  mirb  üon 
anbern  beftimmt,  miefern  in  biefen  bie  SSoüfommen^eit,  ober  ba§  beutlic^e 
S^orftellen,  ift,  bem  in  il)r  felbft  eine  llnüoll!ommen!)eit,  ein  nnbeutlid;e§ 
SSorftellen,  entfpri(^t.  Stellt  nun  eine  9Jiona§  mit  mel)reren  anbern  'Sflo- 
naben  in  bem  ^"erl)ältniB ,  ha^  in  i§r  eine  beutlid^e  S^'orftellnng  beffen 
ift,  maS  in  jenen  oorgel)t,  ba^  mitl)in  bie  ^ufiönbe  ber  anbern  au§ 
it)r  erüärt  werben  fönnen,  fo  werben  alle  jene  oon  i^r  beftimmt  werben; 
fie  bilbet  ben  gemeinfamen  SJlittetpunft ,  üon  welchem  ilire  S^erän^ 
berungen  auSgelien;  in  i^r  ift  al§  ßin^eit,  wa§  in  jenen  gerftreut  ift, 
unb  bur(^  fie  ift  auä)  jenen  if)r  3ufammenl)ang  mit  einanber  oermittelt. 
©^  bilbet  fic^  fo  mit  ©inem  SBort  ein  Slggregat  oon  3}tonaben,  wel(^e§ 
burd^  eine  (Eentralmona!§  äufammengelialten ,  ein  Seib,  ber  oon  einer 
6eele  bel)err|(^t  wirb.  ^)  2lu§  ber  oerworrenen  S^orfteltnng  biefeS  3?er= 
l)ältniffei§  entfielt  un§  bie  Stnfd^auung  be§  räumlid^  2Iu§gebef)nten,  ber 
förperli(^en  3)laffe,  beffen,  wa§  man  gewölintid;  Wakxie  nennt  (ber  fog, 
materia  secunda);  unb  Seibnij  erflärt  au^brüdlid^,  ba^  nur  biefeS 
ba§  9?eale  fei,  ma§>  ber  @rf(^einung  ber  93iaterie  ju  ©runbe  liege. 
„3?on  einer  förperlicl;en  ©ubftanj,  fagt  er  (0.  P.  689),  borf  nur  ba 
gefpro(^en  werben,  wo  ein  organifd^er  Selb  mit  einer  belierrfd^enben 
3Jlona§,  ober  mit  anberen  SBorten,  wo  ein  tebenbigeS  2Befen  ift."  S)ie 
Körper  finb  bafier  feiner  Slnfic^t  naä)  an  \\ä)  felbft  gar  nid;t§  anbereS, 
aUo  SJlonabencompteye ,  weld^e  burc^  bie  33e,^iel)ung  auf  i^re  Sentrat^ 
monaö  oerbunben  finb ;  bie  förperlid^e  3Jtaffe  bagegen  aU  foI(^e  ift  eine 
blo^e  @rf(^einnng,  fie  ift  nur  in  unferer  finnlidjen  SSorftellung  oor= 
l}anben,  ebenfo  wie  ber  9laum,  ten  fie  einnimmt,  blofee  @rfd)einnng, 
nur  bie  gorm  ift,  in  weldjer  bie  Drbnung  ber  coej-iftirenben  3!)inge  fid; 
ber  verworrenen  Slnfdjauung  barftellt.  Slber  weil  biefer  ©rfc^einung 
jene§  9teale  5U  @runbe  liegt,  ift  fie  fein  bloßer  ©d^ein,  fonbern  eine 
„wol)lbegrünbete  ©rfi^einung" ,    ein   phaenomenon   bene    fimdatuin.  ^) 


1)  0.  P.  714,  3.  717,  12.  710,  62  f.  70.  689.  317. 

2)  0.  P.  436.  457.  678.  689.  693.  725,  IV.  736,  III.  745.  682.  703.  739.  752. 

y  * 


100  Seibniä. 

®iefer  Stuftest  gemä^  fanii  nun  an  bie  tobte  aJlaterie  ber  gen)öt)n= 
liefen  ^SorfteHung  nnb  ber  me(^anifd;en  ^f)i)ftf  ntd^t  gebucht  roerben. 
®ie  SJlaterie  ift  ja  nad)  Seibnij,  tf)rem  luirfHc^en  SBefen  noc^  betrad^tet, 
nid^t  biefe  ranmerfüllenbe  9}kffe,  aU  weldje  fie  fic^  ber  ftnnlii^en  3ln= 
fd;auung  barfteHt,  fonbern  eine  SBelt  üon  geifttgen  SBefen,  üon  einfa(^en, 
raumlofen  ©nbftan^en;  nnb  biefe  ©nbftanjen  ftet)en  unter  einanber  in 
einem  burd^gängigen  3]erf)ä(tni§  ber  Heber  =  nnb  Hnterorbnung,  eg  ift 
feine  unter  i^nen,  welche  nic^t  mit  anbern  aU  be^errfd^enbe  ober  al§ 
bienenbe  uerbunben  möre,  e§>  gicbt  feinen  enblid^en  ©eift  of)ne  einen 
;^eib,  nnb  c§  gibt  feinen  Seib  o^ne  eine  ©eele;  ^)  benn  wie  jebe  ge- 
fc^affene  9)tonabe  mit  Itnüofffommen^eit  be§  3Sorftetten§,  unb  ebenba^ 
bur(^  mit  ber  paffiöen  ^Be^iefiung  auf  anbere,  ber  Seibti($feit,  behaftet 
ift,  fo  fann  anbererfeitS  eine  S3erbinbung  t)on  9Jionaben,  ober  ein  ^ör= 
per,  nur  baburd^  ju  ©taube  fommen,  baJB  eine  Slnjaf)!  üon  minber  voU- 
fommenen  einfad;en  ©ubftanjen  fidj  einer  roHfommeneren  unterorbnet 
unb  burc^  fie  jur  ©inl^eit  oerfnüpft  mirb.  ^)  Sluf  ifirem  Seibe  beruf)t 
ber  3wfö"^"^^"^ö^9  ^^^  äRonaben:  bie  3Jlaterie  ift  ba§  Sanb  berfelben, 
unb  ein  ©eift,  n)efd;er  feine  Seätef)ung  gu  einem  Seibe  f)ätte,  märe 
ebenbamit  üon  ber  SSerbinbung  mit  bem  SSeltganjen  loSgeriffen.  ^)  2luf 
ber  58efeelung  ber  3Jiaterie  berul^t  e§,  baJB  fie  bur(^au§  organifirt,  ba§ 
fie  nic^t  b(o§  unenblid;  tf)ei(bar,  fonbern  wirftic^  unenbüd^  getfieilt  ift: 
jeber  Körper  ift  ein  DrganifmuS,  eine  funftüoll  gebaute,  an§>  t)erfd;ieben= 
artigen  ^fieilen  beftel^enbe,  einer  ßentralmonaS  bienenbe  3)iaf(j^ine, 
unb  jeber  biefer  Sl^eife  ift  gleid)faf(^3  eine  fo(d;e  unb  fo  fort  in'§  un= 
enbüd;e;  fo  baf5  bemnad^  jeber,  auä)  ber  f(einfte  5lf)eil  ber  9Jiaterie  eine 
SBelt  ift,  raeld;e  i^rerfeitS  glei(^fall§  SBelten  of)ne  Qa^  in  fid;  fc^tieBt.**) 
S)ie  Slnnafime  uon  Sttomen  wirb  oon  Seibnij  cbenfo  beftritten,  loie  bie 
be§  Seeren.  ^) 


1)  (Sin  'Bai},  ber  uns  @.  52  anä)  bei  ©piuoja  toorgctommen  ifi. 

2)  0.  P.  111.  158.  180.  199.  273,  19.   432.  440.  464,   IX.  466.  678.  710,  72. 

3)  0.  P.  432.  440.  537. 

4)  0.  P.  118.  135.  431.  436.  564.  694.  710,  65  f.  SriefTO.  m.  3(rnaulb  ®.  115. 
118.  124  unb  tl^eilroeife  fd^ou  iii  bev  Theoria  motus  concreti  (1671)  Opp.  ed.  Dut. 
II,  h,  20  mv.  43. 

5)  mm  l>gr.  baiüber  0.  P.  158.  1.59.  758.  137.  197.  199.  229.  241.  274.  695. 
@c^tt»anfcnber  äu&ert  fic^  i'eibnij  nod)  1669 ,  0.  P.  49  tgl.  124 ,  3,  unb  in  einem 
©djvciben  t.  ^.  1671  (2B2B.  ü.  mopp  I,  3,  2.55)  rü^mt  er  fogav,  ev  fei  bec  crfte, 
inelc^er  'iia§  ®afein  be§  ?eevcn  toütommen  bemouftvivt  l^abe. 


SKed^anifcEie  unb  b^namifc^e  S^aturerÜätung.  101 

Sfüd^t^beftoweniger  fte^t  er  ber  med;anifc^en  ^f)i)fif  feiner  ^eit 
n{($t  fo  ferne,  a(0  man  üielleid^t  üerrnnt^en  möchte.  @o  feft  er  t)iel= 
mef)r  überzeugt  ift,  boB  fi($  bie  (e^ten  ©efe^e  ber  S3eraegung  nnr  bnrc^ 
metapf)i;fif(^e,  ober  wie  er  roof)!  and;  fagt,  burd;  t^eologifd^e  ©rroägungen 
aufzeigen  taffen,  fo  entfd;ieben  verlangt  er  anbererfeit^  für  alle  a>or= 
gänge  in  ber  Äörperwelt  eine  rein  mec^anift^e  ©rflärung;  unb  er  oer^ 
tüirft  uon  biefem  6tanbpunft  a\bi  ta§>  3Serfaf)ren  ber  ^latonifer  unb 
3:^eofop^en,  rae(d)e  bie  eingelneu  D^aturerjd;einungen  unmittelbar  au§ 
ber  göttlichen  2Sirffamfeit  ober  onberen  unförperüd;en  Gräften,  mie  bie 
fog.  Slrd^een,  i)er  leiten  moHten  (ügt.  ©.  11.  12.  59  f.)  i)  ^a  er  tritt 
im  ;3«tereffe  einer  ftreng  medjanifd^en  S^aturerflärung  felbft  ber  Se^re 
entgegen,  burd;  roeld;e  fein  großer  englifd;er  ^eitgenoffe  bie  Unter= 
fud;ungen  eine§  Kepler  unb  ©atilei  über  bie  ©efe^e  ber  l)immlif(^en 
unb  ber  irbifd;en  5Beu)  egungen  in  einem  pfieren  ©efe^e  »erfnüpfte,  unb 
für  weitere  eingreifenbe  gortfc^ritte  ber  9iaturmiffenfd^aft  ben  ©runb 
legte,  Df^emton'g  3:f)eoric  über  bie  allgemeine  Sln^iefiunggfraft  ber  SJiaterie. 
©ine  foldje  äßirfung  ber  Äörper  auf  einanber  ließe  fic^,  raie  er  glaubt, 
alg  eine  unoermittelte  Sßirfung  in  bie  gerne,  auf  natürlid^em  SBege 
nid;t  erllären,  fie  märe  ein  fortraä§renbe§  SBunber;  bie  üraft,  wM)e 
fie  ^eroorbringeu  foUte,  loäre  eine  unbegreifliche,  irrationale,  loie  bie 
oerborgenen  Qualitäten  ber  @d;olaftifer ;  biefe  gauje  ^ypotlicfe  miber^ 
fprid)t  bem  ©runbfa^,  oon  bem  eine  gefunbe  S^^aturiüiffeufd^aft  nie  ah 
gellen  rairb,  ba§  alle  3}orgänge  in  ber  9tatur  auf  me^anifd;em  2Bege 
äu  ©taube  fommeu ,  fie  ift  eine  6l)imäre ,  eine  Stbfurbität.  ^)  Seibniä 
felbft  l)atte  fd;on  in  einer  feiner  erften  (Sd;riften  ^)  ben  S^erfud;  gemadit, 
uid;t  allein  bie  ©d;mere,  fonbern  auä)  bie  ©lafticität  unb  ben  9)tagne= 
tifmug  unb  eine  9teil)e  meiterer  ©rjd^einungen  rein  med^auifd;  mittetft 
ber  Slnnalime  gu  erflären,  baß  ein  oon  ber  ©onne  au^gelienber  alle§ 
burd^bringenber  Sid;t=  ober  Slet^erftrom  um  bie  ßrbe  l'reife,  unb  je 
nad;  ber  S3efd;affenl)eit  ber  Körper,  auf  meldte  er  ftößt,  bie  mannig= 
faltigftcn  SSeroegungen  l^eroorbringe ;   unb  er  l)at  an  biefer  ©rflärnng 


1)  0.  P.  106.  113.  438,  25.  694.  702.  Opp.  ed.  Dut.  III,  321  u.  ö. 

2)  0.  P.  485,  19.  568,  207.  732.  767,  35.  777,  113  f.  ebb.  ^t.  118  ff. 

3)  2)er  Hypothesis  physica  nova  (Theoria  motus  concreti)  to.  ^.  1671  bei 
3)uten§  11,  b,  3  ff.  »gl.  ba§  ©einreiben  an  ^ol^.  3rtebrtd}  a\i§  bemfelben  ^afjv  bei 
mopp  III,  3,  242  f.  . 


102  ^etbntj. 

üuä)  in  ber  ^olge  feftge^atten.  0  S)ie  met^anifi^e  3kturonfid;t  ift ,  wie 
er  glaubt,  innertialb  t()re§  ®ebiete§  üoHfommen  bered^tigt,  aber  bie  @e= 
fe|c  ber  me(^ant[c^en  ^^emegung  felbft,  bie  affgenteinften  9'?aturgefe|e, 
laffen  fid^  nur  begreifen,  wenn  ba§  SBefen  ber  ®inge  unb  ber  le^te 
©runb  aller  53etüegung  in  ber  Äraft,  nic^t  im  «Stoffe,  gefud^t  wirb. 
®a§  9lei(^  ber  wirfenben  unb  ba§  ber  ©nburfad^en  becfen  fid^  voiU 
ftänbig:  jebe§  reid^t  für  fid;  allein  an§,  um  alle§  ©ingelne  ju  cr= 
ftären;  aber  luenn  ba§  ©anje  erftört  werben  foH,  muffen  wir  uon  ben 
9Zaturgefe^en  auf  ben  äöeltpecf,  t)on  bem  2)led;anifmu§  auf  bie  Xe- 
(eologie  §urüdgeJ)en.  ^) 

91äf)er  finb  e§>  ^mei  burd)greifenbe  @efe|e,  •rae((^e  Seibnij  burc^  feine 
bijuamifc^e  Sluffaffung  ber  9iatur  gewonnen  unb  in  bicfer  grunbfä^lid;en 
gaffung  guerft  in  bie  9kturn)iffenf(^aft  eingeführt  fiat:  ba§  @efe^  ber 
©tetigfeit  unb  baS^  @efe|  ber  ©rfialtung  ber  ^raft.  Senft 
man  fic^  unter  ben  Körpern  mit  ©eScarteS,  ©affenbi  unb  §obbe§  bIo§e 
Maffen,  meldte  i|rer  9iatur  naä)  gegen  9ftuf)e  unb  33en)egung  gleid^gül= 
tig  finb,  fo  bebürfen  biefelben  eines  äußeren  2lnfto^e§,  um  in  ^eme- 
gung  gefegt,  ober  anbererfeitS  in  ifirer  Bewegung  aufgehalten  ober  von 
ber  Siid^tung,  bie  fie  einmal  l^aben,  abgeteuft  ju  werben.  3Jlan  mu| 
ba{)er  jebe  ^>eränberung  in  ber  S3ewegung  ber  Körper  auf  einen  neuen 
t)on  au^en  t)erfommenben  StnftoB  jurüdfüfiren ;  unb  wenn  biefe  ^erän= 
berung  nid^t  bIo§  barin  befte^t,  baB  eine  Bewegung  ober  ^ewegungS- 
ri(^tuug  t)on  einem  Körper  auf  einen  anberen  übertragen  wirb,  wenn 
t)ielmet)r  buri^  biefelbe  bie  ©efammtfumme  ber  in  ber  Söelt  oor^an= 
benen  Bewegung  oerminbert  ober  üerme^rt  wirb,  fo  tonnte  fie  nur  au§ 
ber  ©inwirf ung  einer  Ma^t,  welche  au^er  ber  gefammten  J?örperwelt 
ftef)t,  nur  au§  einem  ©iugreifen  ©otteS  in  ben  SBelttauf,  hergeleitet 
werben.  Wlan  müfete  mitfiin  auf  jenem  ©tanbpunft  entweber  eine 
fortwäf)renbe  Unterbred;ung  be§  9(atur3ufammcnt)ang§  burd^  bie  göttlid;e 
llrfädilidifeit  anneljmen,  ober  man  mu|3,  um  bie^  gu  üermeiben,  mit 
S)e§carte§  bef)aupten,  ba^  bie  Summe  ber  9iuf)e  unb  ber  ^Bewegung 
in  ber  SBelt  fid^  uuüerctnberlid;  gleidjbteibe.  Seibnij  fann  fid;  weber 
ju  ber  einen  nod^  ju  ber  anbern  üon  biefen  2(uua{)men  entfd^IieBen,  unb 
fein  ©ijftem  gewäf)vt  it^m  bie  SOtittet,  fid;  beiben  gu  entjietien.  @iner; 
feit§  ift  er  überzeugt,  ba§  bie  9ktur  nie  einen  Sprung  mad;e,  ba^ 


1)  SJgl.  0.  P.  108.  767.  Opp.  ed.  Dut.  III,  213  ff.  228  f.  400  f. 

2)  0.  P.  430.  702.  711,  79.  712,  87  unb  nai  @.  101,  1  angcfüf|vt  ift. 


«Stetigfeit  unb  @r!^oItung  ber  Äraft.  103 

atie§',  roa§  gefd^iefit,  in  bem  In^fiengen  @ef(^e!E)en  üorBereitet  fei,  jebe 
3Seränbening  fid^  alfmäfilic^,  burd^  unenblii^  viele  ^raifd^engltebei* 
unb  in  unenblid^  fleinen  Slbftufnngen  oottsie^e;-  unb  er  ktrad^tet 
biefeS  „@efe^  ber  eontinuitöt^  beffen  ©ntbecfung  er  auSbrüdflid^ 
fid^  fefbft  §ui'c|reibt,  aU  eine§  ber  lüid^tigften  nnb  allgemeinften 
9kturgefe^e.  ^)  2lnberer[eitg  aber  lueiB  er  ]iä)  biefe  ©tetigfeit  be§ 
S^ioturlaufS ,  burd^  loetc^e  ba§  nad^beffernbe  Eingreifen  einer  au^er^ 
roettUdjen  XXrfac^e  in  benfelben  entbefirlic^  geinad^t  wirb,  nid^t  mit 
S)e§carte^  barang  §u  erflären,  baB  bie  ©efammtfnmme  ber  in  ber 
2BeIt  üorfianbenen  aftuellen  53en)egung  fi(^  meber  oermefire  nod; 
rerminbere.  ®iefe  Slnna^me  ift,  roie  er  natf;n)eift,  mit  ben  nntängbarften 
3:^otfadjen  nnb  ben  bnrd)  fie  beftätigten  medjanifdjen  ©efe^en  unoereinbar. 
S((§  unuerönberlid^  barf  üielmefir  nnr  bie  ©efammtfnmme  ber  bewegen^ 
ben  Gräfte  betrad^tet  merben.  SBenn  nämüd^  bie  in  ber  SBelt  riorI)an= 
benen  Gräfte,  —  bie  an  fid;  freiließ  nie  unrairffam  finb,  unb  and;  in 
ben  Körpern,  felbft  bei  anfd^einenber  9iu^e,  bod)  immer  nod;  menigftenil 
ein  Äleinfte^  t)on  ^öemegung  ^eröorbringen^),  —  fid^  in  einem  smeifad^cn 
^nftanb  befinben  fönnen,  bemjenigen,  in  bem  il^re  ^f)ätigfeit  menigftenS 
annä^ernb  get)emmt  unb  auf  ein  blo^eS  ©treben  befd^ränft  ift,  oljue 
eine  wirflic^e  unb  bemerkbare  Seroegung  5n  erzeugen,  unb  bemjenigen, 
in  bem  fie  fid^  in  mirflid^en  Seroegungen  äußert,  nnb  roenn  bemnad^ 
£eibni5  graifd^en  tobter  unb  (ebenbiger  traft  unterfd;eibet,  fo  mu^,  roie 
er  glaubt,  bie  @rö§e  ber  in  ber  SBelt  ror^anbenen  (ebenbigen  Gräfte 
fid^  immer  gteid^  bleiben.  Ober  roie  er  bie§  näf)er  au^fü^rt:  e§  erf)ä(t 
fid;  in  ber  SBett  bie  gleid^e  Cuantität  ber  abfohlten  i^raft,  ober  ber 
3(ftion,  ber  refpeftioen  itraft,  ober  ber  afleaftion  3roifd;en  ben  einjelnen 
2:^eilen  ber  Körper,  unb  ber  bireftioen,  nad^  au^en  roirfenben,  traft  ber 
törper,  e§  erf)ält  fid)  bafier  oud;,  roenn  wir  bie  entgegengefe|ten  58eroe= 
gungen  gegen  einanber  au^gleidjen,  bie  gleiche  Üuantität  be§  gortfdjritt^ 
nac^  einer  befttmmten  9tid;tung.  5^ie§  ift  ba§  ^^rincip  ber  ßr Haltung 
ber  traft,  burd^  welches  Seibnij  ber  9tatnrroiffeufd;aft  unferer  ^age 
uorangieng.  gragt  man  aber,  rote  bie  ©röfje  ber  tl)ätigen  traft  fid; 
gteid;  bleiben  fönne,  roenn  bie  @rö§e  ber  S3eroegung  fid;  ueränbert,  fo 
antroortet  unfer  ^f)iIofop^:  biefe  beiben  fte^en  nid;t,  roie  S;egcarte§  ge- 
glaubt ^atte,  immer  in  bem  gleid;en  3]erl)ä(tni§ ;   bie  @rö§e  ber  ^Beroe^ 

1)  0.  P.  115.  189.  198.  392.  605,  348.  724  ögl.  104  f. 

2)  man  f.  hierüber  0.  P.  122.  157,  9.  196  f.  223. 


104  ^cibni?. 

gimg  t)er!^atte  fic^  tüie  ha^'  ^robuft  ber  3Haffe  tu  bie  ©efcä^winbigfeit, 
bie  ©röfee  ber  lebenbigen  Äraft  wie  ba§  ^robuft  ber  SJlaffe  in  ba§ 
Üuabrat  ber  ©efc^tüinbigfeit.  ^)  B^Ö^^i^^  unterläßt  er  aber  au^  ni(^t 
barauf  aufmerffam  gu  ma^en,  bo^  bie  ^raft,  TOeld^e  beim  ^wf^^wwen^ 
fto§  nid^t  elaftifc^er  Körper  fc^einbar  verloren  ge{)t,  firf)  t)ielme!)r  mir 
an  bie  f (einen  2:^eile  berfelben  ^erftrene,  n)e(d;e  in  ?^oIge  be§  3wfaiH= 
nienfto^eS  in  Bewegung  geratl)en.  (0.  P.  775,  99.)  5ßon  ber  je^igen 
5tf)eorie  über  bie  @rf)altung  ber  ^raft  unterfc^eibet  fic^  aber  allerbing§ 
bie  feinige  nid^t  allein  baburd^,  ba§  er  nod;  nic^t  bie  3Jlittet  befa^,  um 
feinen  ©ebanf'en  an  ben  fonfreten  S'taturerf (Meinungen  genauer  nai^ju^ 
meifen^),  fonbern  aud^  hnxä)  bie  ^eftimmung,  ba^  e§  nid)t  bie  @efammt= 
grö^e  ber  lebenbigen  unb  ber  ©pannfräfte ,  fonbern  bie  ber  erfteren 
für  fi(^  fein  fott,  roetd^e  fic^  unoeräubert  erhält;  unb  in  rolge  bation 
brof)t  er  immer  mieber  in  bie  cartefianifdje  ^ef)auptung  übe  bie  (Bx^aU 
tung  ber  @rö§e  ber  ^Bewegung  surüdjufaHen.  2Iber  bod^  läjjt  fic^  bie 
S3ebeutung  feiner  Unterfud^ungen  über  biefen  ©egenftanb  nic^t  üerfenuen. 
@r  felbft  tuill  nun  raeber  ba§  eben  befprod^ene  ®efe|,  nod;  ba§  ber 
Kontinuität,  al§  unbebingt  not()iyenbig  betrai^tet  miffen;  er  bcl^auptet 
oieImef)r  (Theod.  §  345  ff.),  fie  laffen  fid^  nic^t  mit  üoKer  mai  ciitatifc^er 
6trenge  bemonftriren ,  unb  gebrandet  fie  als  ^eroeife  für  ben  ©a|  ^}, 
ha^  bie  @efe|e  ber  Seroegung,  alfo  bie  9^aturgefe|e  überfiaupt,  auf 
einer  pofitioen  göttlichen  Slnorbuung  berufien  unb  burd^  3wedmä^igfeit§= 
grünbe  bebingt  feien,  ^nbeffen  laffen  fid^  beibe  nid;t  allein  gauj  a(I= 
gemein  au§  bem  togifd^en  @efe|  be§  gureid^enben  ®runbe§  unb  bem 
metapf)i)fifd;en  ber  ßaufalität  ableiten,  unb  aud^  Seibnij  erflärt  ben 
(Sa^  t)on  ber  (£r()altung  ber  Äraft  a.  a.  D.  für  g(ei(^bebeutenb  mit 
bem  (Sa|e,  ba§  bie  SBirfung  ber  Urfad^e  an  Jlraft  glei(^  fei,  fonbern 
beibe  finb  auc^  nod;  ganj  befonber§  burd;  bie  SSorau^fe^ungen  ber  9Jio= 


2)  ®ie  ^Belege  ju  ber  obigen  3)avfteüung  fiitbeii  fid)  Opp,  ed.  Dut.  III,  315  ff. 
180  f.  194  f.  232  f.  253  f.  0.  P.  108.  132."  136.  155.  191.  f.  430.  437.  604.  702. 
716,  11.  723.  775,  99.  Ueber  bie  gvage  nac^  bem  riditigen  9)faMtob  für  bie  Gitöße 
ber  Äraft,  welche  bie  '•|U}ilofopbie  unb  bie  '!^^))[xt  feit  l^eibnij  fo  lebhaft  befd)äftigt  ^at, 
ügf.  m.  JJeuerbad),  Veibnis  79  f.,  gifdjer,  ©efc^.  b.  n.  ^^3^il.  II,  407  f.  III,  a, 
132  f.,  unb  toon  ^(eueren:  SÖoIff,  Cosmologia  gen.  §  481  f.,  Äant,  ©ebanfen  öon 
ber  @d}ät}uug  ber  lebenbigen  Gräfte. 

2)  3Jon  ber  mec^auifc^en  SBärmetbeorie  ftnbet  fid^  bei  i!^m,  and)  abgefel}cn  toon 
ber  3"9fn^f<^^"'ft  •  Theoria  motus  coiicreti  (bei  ®nten§  II,  b,  16),  uod}  feine  ©pur. 

3)  Ueber  ben  anc^  0.  P.  477. 


©eele  unb  ?etb.  105 

nabenlefire  geforbert.  ©enn  wenn  bie  ©ubftanj  bcr  Körper  anerfaitnter, 
ma^en  loeber  oerminbert  no(^  üermefirt  tüerben  fann,  ba  man  ja  fonft , 
ein  abfoluteS  ©ntftefien  ober  SSergeiien  annef)men  müBte,  biefe  if)re  ©nb= 
ftans  aber  ntd^t  in  ber  9)iaffe,  fonbern  in  ben  wirfenben  Gräften  hc\kt)t, 
fü  folgt  nnmittelbar,  ba^  bie  ©nmme  ber  Gräfte  in  ber  SBett  fid^  un= 
üeränberli(^  gleid)bteibt ;  nnb  wenn  jebe^  reale  2Befen  in  einer  beftänbigen 
S^eränberung  feiner  ^uftänbe  begriffen  ift,  fo  folgt,  ba§  jebe  3>erän= 
berung  aUmäl)U(^  eintritt,  jebe^  fpätere  mit  bem  früfieren  burc^  ftetige 
Uebergänge  üerfnüpft,  unb  aud;  ba^  entgegettgefe^tefte  burc^  jene  nn= 
cnblid^  oielen  unb  unmerfUd^  fleincn  3TOifcf)engIieber  oermittelt  ift,  meiere 
e§  erlauben,  bie  fc^einbar  feften  quaütatiüen  IXnterfd^iebe  auf  ftie^enbe 
unb  blo§  grabneHe  gurücf^ufüiircn,  bie  9tui)e  5.  S.  als  eine  unenbti(^ 
f leine  SSetoegung,  bie  @leid^l)eit  aU  eine  unenblid^  fleine  llngleid;l)eit 
äu  bel)anbeln  (Theocl.  348).  2ßie  bcr  Segriff  ber  ftetigen  3>eränberung 
unb  ber  unenbtid;  fleinen  Unterfdjiebe  aud^  mit  Seibnij'  ©rfinbung  ber 
S)ifferentia(re(^nung  ^ufammenfiängt ,  fann  t)ier  nur  angebeutet  loerben. 

5.    ^ic  (cfienbeu  93ßcfctt,  bcr  9Kenft^. 

^öetrac^tet  nun  ber  ^^ilofop^  bie  un§  umgebenbe  Sßelt  oon  bem 
©tanbpuuf't  au§,  roeld^er  im  rorftelienben  bargelegt  ift,  fo  muB  fid)  it)m 
notlroenbig  eine  Slnfid^t  üon  il)r  ergeben,  meiere  fon)ol)l  von  ber  gen)öl)n= 
liefen  SSorftellungSroeife  aU  üon  ben  2lunal)men  ber  3eitpl)ilofopl)ie  meit 
abroeid;t.  ^em  t^eilt  bie  3fiatur  in  bie  unorganifd;e  unb  bie  organifdje, 
ba§  Wiä)  ber  leblofen  unb  ba§  ber  tebenben  Söefen ;  biefe  gieng  barauf 
ouS,  überatt  nur  medjauifd;e  53eroegung  gu  fe^en,  unb  ein  3)e§carte§  t)atte 
felbft  bie  5l^iere  für  feelenlofe  9)iaf(^inen  erflärt.  %üv  Seibnis  bagegen 
giebt  e§  gar  nid;t§  lebIofe^3  unb  unorganifd;eg  in  ber  2Bett,  felbft  bie 
fi^einbar  tobten  Stoffe  finb,  mie  mir  gefel)en  l)aben,  il)m  gufotge  bi§  in  il)re 
Heinften  ^f)eile  l)inaug  organifirt,  eine  Seit  t)on  lebcnben  SBefen:  ber 
©egenfa^  be§  Drganifdjen  unb  Unorganifd^en  l)ebt  fid;  i^m  in  ben  Unter; 
fc^ieb  üolllommenerer  unb  minber  üollfommener  Drganifmen,  ber  ©egenfa^ 
beS  Sebenbigen  unb  Seblofen  in  ben  IXnterfc^ieb  einer  {)öl)eren  unb 
niebrigeren  feelifc^en  ©ntraidlung  auf.  2ßo  überl)aupt  ein  9)ionaben; 
aggregat  ober  ein  5lörper  ift,  ba  ift  aud;  eine  ßentralmonaS  ober  eine 
©eele,  burd)  bie  jenes  2Iggregat  nac^  ben  @efe|en  ber  präftabilirten 
Harmonie  5ufammengel)alten  mirb.  ©er  ßeib  ift  eine  3Jiafd;ine,  ein  3luto= 
mat,  raeld^er  burd;  fid;  felbft,  unb  oline  jeben  unmittelbaren  ©influ^  ber 


106  idMi. 

©eete,  alle  bte  ^eraegungen  aiiSfül^rt,  bie  hnxä)  feine  ibeale  33ejief)ung 
3U  ber  ©eele,  bereit  Seib  er  ift,  geforbert  werben;  unb  e§  gilt  bie^  üon 
ben  |)öd;ften  Drganifmen  raic  üon  ben  iiiebrigften,  üon  bem  ntenfd;lid;en 
Seibe,  wie  üon  jebem  anbern ;  ber  lXnterf(^ieb  ift  nur  ber  be§  etnfai^eren 
unb  äufammengefe^teren ,  be§  mel^r  ober  weniger  funftüollen.  ^)  S)ie 
©cele  if)rerfeit§  ift  ein  einfad^eS  SBefen;  biefe  @infac§f)eit  fc^lie^t  aber 
eine  3)lannigfaltigfeit  t)on  ä^orftettungen  fo  wenig  au§,  bo^  rielmc'^r 
jcbe  «Seele,  al§>  ein  ©piegel  be§  UniyerfumS,  unenblic^  oiele  S^orfteUungen 
in  fid^  trägt;  von  biefen  bleiben  inbeffen  bie  nteiften  bnnfet  ober  Der; 
worren,  unb  gu  größerer  3)eutli($feit  fommen  nur  biejenigen,  weld^e  ba§ 
au§brü(ien,  wa§  in  i^rem  Körper  t)orgef)t.  '^)  S)ie  SSerbinbung  ber  ©eele 
mit  i^rem  Seibe  befielt  auSfc^lieBlic^  in  if)rer  präftabitirten  Harmonie; 
oI)ne  jebe  unmittelbare  ©tnwirfung  berfelben  auf  einanber  ftimmen  bie 
S?orgänge  in  beiben  U§>  auf'g  einseifte  l)inau§  DoHlommen  überetn,  unb 
bie§  gilt  gleicfjfalll  üon  ber  ©eele  unb  bem  Seibe  be§  9}Zenf(^en,  wie 
üon  atten  anbern.  ^)  2luc^  biefeS  SSerliältniB  ift  aber,  wie  alle§  in  ber 
Söelt,  in  einer  unablä^igen  SSerönberung  begriffen:  wie  bie  inneren  ^u- 
ftänbe  einer  3}lonabe  fit^  anbern,  änbert  fi(j^  auc^  ü^re  ^ejiefiung  3U 
anbern  DJlonaben;  fie  tritt  au§  bem  ßompley,  weld;em  fie  bi§l)er  ange=. 
l^ört  l)atte,  auS  unb  in  einen  neuen  ein,  fie  wirb  hux^  eine  l)öl)ere 
(Sntwidlung  i§re§  SiorfteffenS  befähigt,  ben  3)tittelpun!t  für  anbere  gu 
bilben,  fid;  au§  einer  bienenben  gu  einer  belierrfc^enben  gu  erlieben,  ober 
fie  finlt  umgefelirt  burd)  bie  SSerbunflung  il)rer  S^orftettungen  t)on  ber 
6tufe,  wel(^e  fie  bisher  einnalim,  auf  eine  tiefere  l^erab,  unb  wirb  au§ 
einer  bel)errfd;eiiben  gu  einer  bienenben,  au§  einer  6eele  5um  ^^eil  eine§ 
SeibeS.  ^eber  DrganifmuS  unterliegt  bal^er  einem  beftänbigen  Qu-  unb 
2(bfluf3  feiner  2l)eile;  er  f(|eint  wo^l  aU  einer  unb  berfelbc  fic^  jn  er= 
galten,  in  ber  3:^at  aber  gletd;t  er  bem  Sdjiffe  be§  ^l)efeu0,  wel(^e§ 
bie  Slt^ener  mittelft  fortwäl)ren"ber  2lu§bcfferungen  ;3al)rt)unberte  lang 
bewal)rtcn,  unb  wcld]e§  immer  nod)  für  ba^  ©d;iff  be§  2:t)efcu§  galt, 
wälirenb  feine  urfprüngü(|en  33eftanbtl)eile  löngft  ade  burc^  neue  eifert 
waren:  nid;t  fein  ©toff,  nur  feine  gorm  bleibt  biefelbe.    @ine  älinlid^e 


1)  0.  P.  183  f.  459.  710,  64.  714,  3.  774,  92.  777,  115  f.  124. 

2)  33gl.  @.  87.  92  ff.  unb  0.  P.  153.  710,  62.  225  f. 

8)  2Ran  togi,  t)ieriiber  @.  94  ff. ,  unb  ira§  int  befonbent  bie  SBevbiubung  ber 
menfd}ltdjen  Butt  mit.  ifjrcm  ?cibe  betrifft,  anä}  nod^  0.  P.  183  f.  233  unt.  253. 
4:33  f.  458.  494.  520,  63.  606  f.  711,  78.  773,  92. 


©eele  mib  2tib.  107 

SSeränberuug  üoUjiefit  '\iä)  in  ber  (Seele:  fie  befinbet  [id;  im  ^iift^"^ 
einer  beftänbigen  @uo(ution  ober  ^^üolution,  eine§  goit[d;reiten§  gu 
bentüd^eren  ober  eine§  3it^'üdfinfen§  in  uerTOorrenere  3>orfteIIungen ;  unb 
biefem  entfpred;enb  muB  aud^  if)r  SSer^äItni§  gu  anbern  SOtonaben  niib 
bof)er  i()re  ßeiblid^feit  fid;  üeränbern ;  fraft  ber  allgemeinen  SBeÜ^armonic 
:nu^  fie  jeberjeit  ben  itirer  eigenen  33efd;affenJ)eit  entfpredjenben  Seid 
erf)aUen,  fie  mn^  batb  einen  unuoHfommeneren  DrganifmnS  mit  einem 
üoüfommeneren,  balb  einen  üoHtommeneren  mit  einem  nnuoI(fom= 
meneren  oertanfd^en.  SBenn  eine  ©eete  i^ren  bi^^erigen  Seib  üer= 
(ä^t,  nennt  man  bie^  2;ob,  roenn  fie  in  einen  nenen  Seib  eintritt,  @r= 
jeugnng.  ^n  2ßat)rt)eit  finb  beibe  Vorgänge  ©in  nnb  baSfelbe :  ein 
SBec^fel  i^xc§>  2öo§nfi^e§,  if)rer  äußeren  ©eftalt.  92ur  barf  man  fidj  bie 
<2od;e  nic^t  fo  üorftellen,  ai^  ob  bie  ©eete  an§  ii)rem  früheren  Körper 
anf  einmal  ganj  aul^ijge  unb  in  einen  fertigen  neuen  eiiiroanberte.  S(n(^ 
t)ier  gilt  üielmelir  ba§  ©efe^  ber  ©tetigfeit,  ber  ©ntioidlung.  SBenn  bie 
©eele  einen  neuen  Seib  ert)ä(t,  fo  ift  bie^  nid;t  eine  9)ietempfi)(^ofe,  fon=^ 
bern  eine  2)Zetamorpt)ofe,  eine  ©ooiution,  eine  fid)  aümäljlid;  uoil^iefienbe 
Hmroanblung ,  raie  bie  ber  S^iaupe  in  ben  ©d;metterling.  S)er  Slu^tritt 
aufo  it)rem  bi§{)erigen  Körper  ift  nid;t  ber  llebergang  in  ein  förperloje» 
Seben,  fonbern  ein  3iifw<^9^^ßit  ^"^  ^»-'"^  großen  in  ba§  !(eine,  eine 
^nrüdjietiung  an§>  ifirem  weiteren  Seibe  in  ben  engeren,  eine  ^nüoiution. 
®a  fein  enblic^er  @eift  ol)ne  einen  Seib  fein  fann,  fo  mu^  jebe  ©ce(e 
ot)ne  2ln§naf)me  immer  mit  irgenb  einer  Seiblid;feit  umfleibet  fein,  wenn 
aud;  nid;t  immer  mit  berfetben,  unb  mie  üiete  ©eroänber  fie  aud;  ah- 
legen  mag,  immer  wirb  it)r  nod^  eine^  übrig  bleiben,  weld;e»  ben  Äern 
für  bie  53ilbung  eine:!  neuen  DrganifmuS  abgeben  fann.  ©inen  cmpiri^ 
fd;en  S3en)ei§  für  biefe  ^ilnna^me  glaubte  Seibni5  in  ben  ©ament^ierc^eti 
gn  finbeu,  lueli^e  eben  bamals  burd;  Seinüenl)oef  entbedt  rcaren;  er  yer= 
mutfiete  nömlid;  in  benietben  bie  nod;  unootlfommenen  Slnfönge  ber 
fpäter  fic^  entroidetnbcn  ^ö^eren  Drgauifmen,  bie  förperlid^e  Uml)üllung, 
bie  jebe  ©eele  bei  ber  ^ilbung  eine§  neuen  2eihc§>  au§>  bem  alten  mit 
lierüberuimmt.  ^) 

S)a§  üorfte§enbe  gilt  üon  atten  Seelen  überl)aupt  unb  bem  ^er- 
Ijältniß  berfelben  3U  iliren  Seibern.    S)ieB  f(|lieBt  jeboi^,   wie  Seibnij 


1)  0.  P.  125,  6  f.  161.  179  f.  181.  199.  205.  278  f.  323.  431.  436.  456.  464. 
466.  527,  90  f.  678.  710,  70  ff.  719.  721.  724.  731.  S)ic  Slnna^me,  bag  aße  törper, 
aud)  bie  ber  ^flaitgen  unb  2JJinerQltcn,  einen  Äern  il^rev  eubftanj  ^oben,  iceld^ev  fii^ 


108  Seibmj. 

glaubt,  eine  wefenttii^e  S3erfd;ieben{)eit  in  il^rer  ^atux  nnb  ifirem  (S(^i(f= 
fa(  nic^t  au§.  SlKen  9Jlonaben  fommt  SSorftelInng  unb  ^rieb  §u,  unb 
fie  krairfen  bepalb  Seben  in  ben  organifc^en  Äörpern,  beren  3}tittet= 
punft  fie  bilben ;  aber  fo  lange  fi(^  i^x  SSorftetten  nic^t  jnr  ©mpfinbnng 
tnUmäeit,  finb  fie  „naiJte  3Jlonaben'^  blo^e  SebenSprincipien,  fie  be= 
finben  fic^  im  ^uftanb  einer  immerraäfirenben  Betäubung,  in  einer  2lrt 
©dyhimmer;  fie  felbft  fönnen  ba^er,  ftrenggenommen,  noc^  nid^t  Seelen, 
fünbern  nur  Stnaloga  von  «Seelen,  bie  snfammengefe^ten  äßefen,  beneu 
fie  intüoi)nen,  !önnen  nod^  nid;t  %^kxe,  fonbern  überf)aupt  lebenbe 
äßefen  (simple  vivans)  genannt  werben,  ©otc^e  SBefen  finb  5.  ^.  bie 
^fian^en.  §at  bagcgen  eine  Monabe  Organe,  burc^  beren  SSermtttlnng 
bie  ©inbrüde,  bie  fie  erhält,  unb  ba!)er  aud;  bie  itinen  entfpred^enben 
ä^orftettnngen,  bie  S)entli(^feit  t)on  ©mpfinbungen  erlangen  unb  fic^  eine 
3eit  lang  in  ber  Erinnerung  erhalten,  fo  nennen  rair  fie  eine  «Seele  im 
engeren  6inn  unb  ba§  entfpred;enbe  (ebenbe  2Befen  ein  %i)iex.  @rf)ebt 
fi(^  enbtic^  eine  ©eele  jur  SSernunft,  fo  ift  fie  ni(^t  blog  ©eete,  fonbern 
aud^  ©eift.  ^n  biefe  ©attung  gehören  bie  ©eeten  ber  SJienfd^en  unb 
ber  über  bem  SJlenfd^en  ftefienben  Sßefen;  benn  auc^  foI(^e  mu^  man, 
wie  unfer  ^Jiilofopf)  glaubt,  ebenfogut,  wie  bie  untermenfd;li(^en ,  an- 
nefimen,  wenn  nid^t  in  ber  ©tufenreitie  ber  Söefen  eine  Sude,  (ein 
„vacuum  formarum")   entftef)en  fott.  ^) 

S)iefe  Unterfd^iebe  finb  nun  aUerbingS  nic^t  uuüeränberlid;.  ®ie 
2:f)iere  fommen  bi^roeilen  in  ben  ^itf^^^^^  ^on  bloßen  lebenben  äöefen 
unb  ifire  (Seelen  in  ben  einfacher  3}tonaben,  inbem  ilire  S3orfteIIungen 
fo  unbeutlic^  werben,  ba^  bie  2Jiöglid^!eit,  fid;  wieber  an  fie  gu  erinnern, 
verloren  gel^t.  2lu(^  ber  3}lenf(^  fann  in  einen  folc^en  3itft«^i^  '^^^ 
ßet^argie  geratlien,  wie  im  traumlofen  ©d^laf  unb  in  ber  Dl)nmad;t; 
ja  e§  fotten  fid^  alle  3)ienfc^enfeclen  oor  bem  ©intritt  in  ha§>  menfc^lic^e 
S)afein  auf  ber  niebrigeren  ©ntwidlung^ftufe  blof3er  ^liierfeelen  befun= 


in  einen  fteinften  Umfang  3ufammenäief)en  !önne  unb  bei  ber  3fipvung  bc§  ÄörperS 
niitoetfe'^rt  bleibe,  —  bicfe  gunäc^ft  bon  ber  tbcofop'^ifd^cn  Sbemic  entlcl^nte  ^Borfteüung 
gebrandet  l'eibnij  fd^on  1671  (bei  Ätopp  III,  1,  247)  jur  ©rflärung  unb  ä>ert:^eibignng 
beä  ^i(ufer[te:^ung§glauben§. 

1)  0.  P.  706,  19  ff.  714,  4.  431.  676.  678.  235 ;  bgl.  312.  467,  6.  Segen 
bicfer  ®tetig!eit  in  ber  2(bfoIge  ber  SSefen  fteüt  S.  (in  einem  S3rief,  ben  '■|Ud)(cr, 
2;f)eol.  b.  i'etbn.  1,250  an§  Äöntg,  Appol  au  public,  mittbeilt)  bie  SJcrmnttjnng 
auf,  rcclc^e  bie  Jöeobadjning  in  ber  golge  beftätigt  l^ot,  baß  c§  eine  ßroifd^enflnfc 
jroifdjen  2;:^ieren  unb  'il^flonjen  gebe. 


Unterf(f)tcbe  bc§  (Seelenrebe  n§.  109 

ben  ^aBeit,  unb  anbererfeitg  ift  ber  %oh  ber  %f)\exe,  na&)  Seibm^,  nic^tä 
anberee^  al§  bo§  .<perabfiu!en  in  einen  3itftftttb  ber  53etäulmng,  an§>  bem 
fie  aber  roieber  jn  einem  I)ö^eren  Sekn  ennod^en  fönnen.  ^)  Slber  hoä) 
glaubt  Seibnij  jroifdjen  ben  t)ernünftigcn  nnb  ben  rernunftlofen  ©e^ 
fd^öpfen  nid^t  btol  einen  ©tufenunterfc^ieb ,  fonbern  andj  einen  eingrei= 
fenben  3lrtnnterf(^ieb  annefimen  ju  muffen.  Sie  2f)iere  I)aben  ®inne§; 
©mpfinbung  unb  ©ebäd^tni^,  aber  nur  ber  3)?enfc^  ^at  33ernunft;  er 
allein  vermag  bie  eraigen  unb  not^raenbigen  Sßa^r^eiten  ju  erfennen, 
auf  benen  alle§  teufen  beruht;  er  allein  fann  ba^er  auc^  adgemeine 
begriffe  bilben,  ©d^luMotgernngen  ^ie^cn  unb  bie  ©rünbe  ber  ^inge 
erforfc^en;  if)m  allein  ift  c§>  gegeben,  über  feine  eigene  ^ptigfeit  m 
refteftiren,  ficö  feiner  felbft  bewußt  ju  merben.  2)ie  Xf)iere  finb  reine 
©mpirifer,  it)re  SSorfteHungen  reifien  \iä)  nur  gebäd^tnif^mä^ig  aneinan= 
ber;  auc^  rao  fie  Sc^tüffe  gu  mad^en  fd;einen,  ift  ba§,  wa§>  wirflid;  in 
i{)nen  üorgefit,  nur  ein  Slft  be§  @ebä($tniffe§ :  fie  erwarten/  ba^  bie 
frütieren  SSorgänge  fic^  TOiebcrf)oten ;  nur  ber  9}Ienfc^  ift  im  ©taube, 
ben  3wfatttmeuf)ang  üou  Hrfai^en  unb  SBirhingen,  ©rünben  unb  ?^oIgen, 
ein3ufet)eu.  ®r  ift  ba^er  nid;t  b(o§,  roie  alte  9)ionaben,  ein  Spiegel  ber 
2Selt,  fonbern  aud^  ein  ©benbilb  ber  @ottl)eit,  unb  be^iuegen  ju  einer 
eigent^ümlic^en  innigen  ©emeinfd^aft  mit  ©Ott  beftimmt.  ^)  Seibni,^  untere 
fc^eibet  be^fialb  bie  3)Ienfd;en  aud;  l)infic^tli(^  il^rer  @ntftel)ung  unb  il)re§ 
enblidien  ®d^idfal§  üou  ben  %^exen  fc^ärfer,  al§  bief3  bie  allgemeinen 
$8orau§fe|ungen  feinet  <B\)\tem§>  eigentlich  erlaubten.  ®ie  menfd)lid;en 
«Seelen  präeyiftiren,  wie  er  glaubt,  oon  2lnfang  an  in  ben  (Samen;  aber 
in  ben  elementaren  Drganifmen  ber  @ameut^ier(^en  finb  fie  «od^  üer= 
nunfttoS,  nur  empfinbenbe  ober  Stliierfeelen ;  erft  bei  ber  ©rjengung  be§ 
3Jienfc^en,  bem  fie  anjugeliöreu  beftimmt  finb,  gelangen  fie  §ur  ^öernünf; 
tigfeit;  fei  e§>  burd^  eine  übernatürliche  SBirfung  ber  ©ott^eit,  ober 
—  n)a§  Seibnij  t)or5iet)t,  nnb  ma§  fein  @i;ftem  allein  julä^t  —  be^= 
l)alb,  weil  pou  Slufang  an  in  i^neu  allein  bie  33ernurtft  unb  in  il^ren 
Seibern  allein  ber  menfd;lic^e  Drganifmu§  präformirt  ift.  ^)  9^oc^  größer 
ift  ber  Itnterfd^ieb  in  bem  fünftigen  ©d^idfal  ber  9Jlenfd;en=  unb  SCl^iev^ 
feelen.  2i^öl)renb  bie  le|teren  in  ben  ©d^lummersuftanb  ber  tiefer  ftef)en= 
ben  3Konoben  äurücffinf en ,  unb  an§>  biefem  ©runbe  gmor  unjerftörbar, 


1)  0.  P.  715.  235,  14.  464,  X. 

2)  0.  P.  125,  5.  195.  235,  14.  237.  296.  431.  464  f.  707,  28  f.  712,  83  f.  715,  5. 

3)  0.  P.  462.  467,5.  527,  91.  618,397.  659,  81.  711,  82.  720.  725,  2.  731. 


110  Jctbittj. 

aber  ftrenggenommen  n{(^t  unfterbtid^  genannt  werben  !önnen,  ift  ber 
^ob  für  ben  SJienfd^en  l^ö(^ften§  eine  htrge  llnterBre(^ung  feines  6elbft= 
beron^tfeing ;  er  beraafirt  na^  bemfelben  nt(^t  nur  feine  p^t)fif(^e,  fon:= 
bern  au^  feine  moralifd^e  ^bentität,  feine  ^erfön(i(^feit  unb  Erinnerung ; 
unb  aud^  bie  IXmbilbung  feinet  förperlii^en  DrganifmuS  n)irb  nur  baju 
bleuen,  bie  SSergeltung  l^erbeijufüfiren,  roeld^e  burd^  feine  fittlid^e  ^e- 
ftimmung  geforbert  ift.  3Doc^  läBt  \iä)  nid^t  uerfennen,  baB  e§  für 
Seibnig  eigentt)ümli(^e  ©(^roierigfeiten  f)at,  biefen  SSor^ug  be§  3)Zenf(^en 
vov  anberen  Sffiefen  gu  erraeifen.  @r  fagt  wof)l,  ba  bie  «Seele  ein  ein- 
fod^eS,  un!örpertid;e§  Söefen  fei,  fo  fei  fie  feiner  Sluflöfung  föl^ig;  aber 
bog  gleid^e  gilt  üon  jeber  3J?onabe;  auf  biefem  SBege  lie^e  fid^  baber 
nur  jene  Un^erftörbarfeit ,  weld^e  unfer  ^^ilofopli  aud^  ten  5ll)ierfeelen 
guerfennt,  aber  nid^t  bie  gortbauer  ber  felbftberou^ten  ^erfönlid^feit  bar= 
tl)un.  9^id^t  onber§  t)erl)ält  e§>  ftd§  mit  ber  33emerlung,  ba§  ber  @eift, 
welcher  üou  allen  anberen  ^Dingen  unabl)ängig  fei,  unb  ba§  Uniüerfunt 
in  fid^  barftette,  fo  bauerub  fein  muffe,  mie  biefe§.  Äeine  SRonabe  er; 
leibet  ja  eine  ©inmirhmg  ron  anbern,  unb  jebe  ift  ein  ©piegel  be§ 
3i^eltgan3en.  8el)auptet  Seibnig  weiter:  raie  bie  übrigen  «Seelen  immer 
Subftan^  bleiben,  fo  bleibe  ber  ß5eift  immer  g^erfon,  fo  erl)ebt  fid^  ^ie^ 
gegen  ba§  S3ebenfen,  ha^  bie  3)ienfd^enfeelen  nad^  feiner  eigenen  2ln= 
natime  unbeftimmbar  lange  unperfönlid^  präeyiftirt  liaben  follen ;  fonnteu 
fie  aber  au§  unperfönlid^en  SBefen  ju  perfönlid^en  werben,  fo  fragt  e§ 
fic^ ,  ob  unb  warum  ba§  umgefelirte  unmöglich  fein  foE.  Söirb  enblid^ 
bie  fittlid^e  Söebeutung  be§  @lauben§  an  eine  jenfeitige  3?ergeltung  l)er= 
t)orgel)oben,  fo  ift  bamit  bie  3Jtöglid^feit  unb  9^otl)wenbigfeit  berfelbcn 
nod;  nid^t  erwiefen.  dagegen  ftimmt  e§,  bie  perfönlid^e  Unfterblid^feit 
einmal  ongenommen,  mit  feinen  fonftigen  Ueberjeugungen  auf's  befte 
überein,  wenn  er  bem  9Jtenfd^en  aud^  im  ^enfeits  nid^t  auf  eine  6elig= 
feit,  bie  gar  nid^ts  mel)r  ju  wünfd^en  übrig  lie^e,  fonbern  nur  auf 
einen  ^ortfd^ritt  gu  immer  neuer  S3ollfommen!§eit  SluSfid^t  mad^t.  ^) 

6.  ^cr  ÜWcufd)  als  üorfteaenbcS  SBßcfen,  bie  leibutsifi^e  ©rfcnntni^t^coric. 

2luS  ber  oernünftigen  9f?atur  beS  9)tenfd^en  entfpringen  bie  ©efe^e 
feines  geiftigen  ficbenS,  bie  Slufgaben,  weld^e  feiner  wiffenfd^oftlid;en 
unb  feiner  fittüd;en  S;l)ätigfeit  geftellt  finb,  bie  3Jtittel,  weld;e  il)m  für 


1)  >.\i(an  ügl.  ju  bem   obigen  0.  P.   47.  126,  8.  128,  16.  161.  199.  203.  278. 
281.  372.  165,  15.  466,  5.  712,  88  f.  718,  18. 


erlenntnt^tl^eorte.  m 

ifire  Söfung  3U  Gebote  [teilen,   bie  2öege,   auf  benen  er  fie  ^u  yer= 
folgen  f)at. 

go[[en  wir  nun  junäd^ft  bie  erfcnntniBtflötigfeit  in'§  3tnge,  fo 
rairb  bie  erfte  ^roge  bie  [ein  muffen,  mk  Seibni^  bie  ©ntftefmng  nn= 
ferer  ^Borftettungen  er!(ärt.  ^n  biefer  ^Bejiefiung  ftanben  fid^  nun  in 
ber  3eit,  ber  er  feine  pt)iIofopf)ifc^e  33irbung  yerbanfte,  gwei  3rnf{(^tcn 
gegenüber:  bie  empiriftif(|e  unb  bie  rationa(iftifd;e.  ^ene  (eitete  oUe 
unfere  SSorftellungen  au§  ber  ©rfafirung  l^er,  biefe  (ie^  einen  3:f)eil  ber= 
fel6en  bem  @eifte  al§  angeborene  ^been  oor  alfer  ©rfal^rnng  eingcpffan^t 
fein.  2luf  folc^e  angeborene  ^been  würben  bie  aHgemeinften  33egriffe 
unb  ©runbfä^e,  bie  (ogifd^en,  mat^ematifd;en,  metapl)i)fifd;en,  moralifc^en 
unb  reügiöfen  ^principien  3urüdgefüf)rt.  3Die  empiriftif(^e  Slnfid^t  roar 
üon  Saco  unb  .^obbeS  oertreten,  in  ber  Slnnal^me  angeborener  ^been 
ftimmte  bie  cartefianifd^e  ©d;ule  mit  ben  ^(atonifern  unb  ben  meiften 
^eripatetifern  jener  3eit  überein.  ©ine  neue  nad) faltige  Sfnregung  er= 
t)iert  biefe  Unter[ud;ung  im  ^a^r  1689  burd^  Sode'g  ,,5ßerfud;  über 
ben  menfd;ad^en  3?erftanb",  biefe§  fd;arffinnige  Berf,  in  meld^em  bie 
j^rage  nad^  bem  Urfprung  ber  SSorfteflnngen  3um  erftenma(  grünblid^ 
erörtert,  bie  Se^re  üon  ben  angeborenen  ^been  mit  überlegenen  @rün= 
ben  beftritten,  bie  empiriftifd;e  Xlieorie  genauer  au^eiuanbergefe^t,  unb 
burd^  alle^  biefeS  ju  ber  erFenntni^tljeoretifd;eu  Gntmidlung,  bereu  reiffte 
gruc^t  Äant'5  Äritif  ber  reinen  Vernunft  ift,  ber  3lnftof5  gegeben  rourbe. 
(Eben  biefeg  2ßerf  mar  e§>  andj,  meldjeg  Seibnij  oerantaBte,  in  feinen 
„Svenen  33erfud§en  über  ben  menfd^lid;cn  ^erftanb"  vom  ^alir  1704, 
bie  aber  erft  1765  gcbrudt  mürben,  mit  ber  ^^rüfung  oon  Sode'0  Sln^ 
fid^t  eine  au^fü^rlii^e  3)arftelluug  feiner  eigenen  @rfenntni§tl)eorie  pi 
üerbinben.  S)iefe  xjieorie  felbft  jebod;  l)at  fid^  i^m  nid^t  erft  im  @e= 
genfa^  gu  fiocfe  gebilbet,  fie  ift  uielme^r  in  allen  roeientlid^en  3ügeu  in 
unb  mit  ber  3Jionabenlef)re  gegeben.  3)a  jebe  3)iouabe  ein  ©piegel  be§ 
UuioerfumS  ift,  muB  e§  auc^  bie  menfdjlid;e  Seele  fein,  unb  ba  feine 
3}ionabe  äußere  ©inmirlungen  erfährt,  fann  aud^  i^r  feine  ^orftellung 
oon  au^en  lier  mitgetl)eilt  werben.  @g  ift  bafier  uidjt  blo§  t)on  jenen 
allgemeinen,  über  bie  ©rfa^rung  l^inau^gelieuben  unb  fie  bebingenben 
^riucipien,  wetd;e  an^  Seibnij  bem  Socfe'fd;en  ©mpirifmuS  entgegen^ 
f)ält,  fonbern  oon  allen  unferen  3?orftellungen  ju  fagen,  ba^  ilire  Üuelle 
in  unferem  eigenen  @eift  liege:  wenn  ber  ©mpirifer  behauptet,  e§  gebe 
feine  angeborenen  ;3been,  bie  ©inwirfung  be§  wahrgenommenen  Dbjeft^ 


112  ■  Seifcnig. 

auf  ba§  TOal^rnef)menbe  ©ubjeü  fei  bie  einsige  ÜueHe  ber  33orfteUungen, 
fo  erflärt  Seibnis  umgefef)rt,  el  gebe  feine  ©inwirfung  be§  DbjeftS  auf 
ba^  ©ubjeft,  alle  9}orfteIIungen  feien  un§  angeboren.  5Die  2;f)atfad;en, 
TOel(^e  ber  6mpirifmu§  für  fi^  anführt,  tüill  er  barum  ni(^t  beftreiten. 
(Sr  giebt  ^u,  ba^  bie  finnlid^e  2Baf)rne^mung  bem  ©enfen  oorangefie, 
baB  wir  von  ntd;t§  einen  S3egriff  ^aben,  roenu  un§  bie  entfpre(|enben 
Slnfdjauungcn  fel;len,  ha^  wir  feine  ©ebanfen  ^aben,  bie  nid^t  oon  ir= 
genb  einem  finnlid^en  ^ilbe  begleitet  wären.  2Iber  er  erflärt  biefe  ^^at= 
fad^en  anber§,  al§  fein  Gegner.  @r  fief)t  in  ber  2Sal)rnel)mung  nid)t 
bie  Duelle,  fonbern  nur  bie  SSorftufe  be§  ^enfen§,  nit^t  bie  Urfac^e, 
burd^  bie  e§  erzeugt  lüirb,  fonbern  eine  ^orm,  bie  e§  in  feiner  @nt= 
TOidfnng  annimmt.  Ser  Unterfd;ieb  ^raifd^en  ber  finnlid^en  5?orftellung 
unb  bem  S)enfen  füf)rt  fid^  i^m  gufolge  auf  ben  Unterfd^ieb  be§  unooü^ 
fommeneren  unb  üoHfommeneren,  be§  üerroorrenen  unb  beutlid^cn  3>or= 
ftellenä  äurüd:  mag  id^  mir  beutlic^  üorftelle,  menn  id;  e§  benfe,  bauon 
giebt  mir  bie  finnli(^e  2lnf(^auung  nur  ein  unbeutlid^cS ,  iiermorreneä 
58ilb;  menn  fie  un§  3  S.  bie  Körper,  in  benen  unfer  SSerftanb  orga:= 
nifd;e  SSerbinbuugen  einfad^er  ©ubftanjen  erfennt,  als  unorgauifd^e 
raumerfüllenbe  aJiaffe  erfd;einen  lä^t.  Df^un  liegt  e§  aber  in  ber  9Zatur 
ber  ^aä)e,  e§  ift  burd^  \>a^  ®efe|  ber  ©tetigfeit  unb  ber  @ntmid(ung 
gcforbert,  ba^  ha^  unbeutlid;e  unb  unoollfommene  S^orfteEen  bem  beut= 
lidjen  unb  üollfommenen  t)orangef)t.  S)ie  ©eele  mu^  baf)er  notlimenbig 
baS,  ma§  fie  fid^  beutlid^  uorftellen,  b.  ^.  beuten  foll,  fi(^  oorl)er  un- 
beutlid^  üorgeftellt,  b.  f).  roalirgenommen  l)aben,  bie  ©rfa^rung  mu§  ber 
3eit  no(^  bem  ©enfen  norangelieu,  unb  el  fann  mit  ber  empirifc^en 
(Sdjule  gefagt  merben,  e§  fei  nid^ts  im  SSerftanbe,  r\)a§>  nid^t  uorlier  im 
«Sinn  TOor.  9f?ur  folgt  barauS,  raie  unfer  ^liilofop^  glaubt,  nid^t  im 
geringften,  baB  unfer  teufen  .aud;  feinem  SSefen  nad;  au§  ber  3Bal)r= 
neljmung  ^erftammt,  baf5  unfer  ®eift  feinen  i^nfialt  urfprünglic^  oon 
ber  ©rfalirung  empfängt,  unb  abgefefien  von  berfelben  eine  tabula  rasa, 
ein  unbefd^riebeneS  33latt,  ift.  @ine  fold^e  tabula  rasa  fann  er  gar 
nid;t  fein,  menn  er  eine  (Sinjelfubflanj,  ein  inbiyibuell  beftimmteS,  oon 
allen  anbern  üerfd;iebene§  2Befen,  fein  foH;  benn  moburd;  fönnte  er 
fid)  non  il)nen  unterfdjeiben,  aU  burd^  feine  Si^ätigfeiten,  feine  ^ov- 
ftellungen?  ®ie  angeborenen  2öaf)rl)eiten  finb  un§  aUerbingS  nic^t  al§ 
attuelle,  aber  fie  finb  un§  at§  virtuelle  ©rfenntniB  angeboren;  mir  he- 
fi^eu,  mit  anbereu  3Borten,  oon  ^aufe  an§>  ba§  SSermögen,  biefe  SBal^r- 


2?entunft  unb  (Srfa^rung.  113 

fieitcrt  ou§  un§  felbft  §u  entiüi(fe(n,  wir  finben  fie  (ebiglirf)  babur^, 
ba^  wir  un0  beffen  beraubt  toerben,  wa§  unfer  ©etft  nod^  vox  aller 
©rfafirung,  wenn  oiic^  juerft  nur  unberouBt,  in  fid^  trögt.  Sßenn  ba^ 
^er  jener  ©runbfa^  be§  ©mpirifmuS  and;  roal^r  ift,  fo  ift  er  bod;  nur 
bie  f)at6e  2öaf)rf)eit;  um  unbebingt  richtig  gu  werben,  bebarf  er  eine§ 
3ufa|eg:  „nid^tg  ift  im  S^erftanb,  wa§  nid;t  im  ©inn  mar,  auBer 
ber  SSerftanb  felbft."  S)ie  (e|te  Quelle  unferer  SSorftellungen  liegt 
au§f($IieBlidj  in  un0  fe(bft;  bie  ©rfaf)rung  ift  nur  ein  S)urd^gang§pun!t 
unferer  eigenen  inneren  ©ntmidlung,  bie  Söo^rnel^mung  nur  bie  .giülle, 
unter  welcher  ber  ©ebanfe  fi(^  felbft  erfd^eint,  efie  er  3ur  ^eutlic^feit 
herangereift  ift,  bie  SSerpuppung,  in  bie  er  fid^  für  einige  3eit  einfpinnt, 
um  fi(^  al^balb,  roenn  i^m  bie  ^lügel  geraoc^fen  finb,  mieber  au§  i^r 
5U  befreien  ^). 

SBieroof)!  aber  alle  unfere  SSorfteHungen  an§>  unS  felbft  ftammen 
unb  infofern  ifirem  Urfprung  naä)  a(0  apriorifc^  3U  bejeid^nen  mären, 
unterf($eibet  bo($  Seibni3  eine  gmeifac^e  2(rt  ber  Heberjeugung :  burd^ 
SSernunft  unb  burc^  ©rfafirung,  unb  bem  entfprei^enb  jmei  klaffen  von 
2Ba£)rt)eiten:  notfiroenbige  unb  jufätttge.  Siefe  Unterfd^eibung  ift  uon 
i^m  a((erbing§  nid^t  juerft  aufgebracht  morben:  fie  ge^t  bi§  auf  2tri= 
ftotele§  jurücf,  unb  mar  ber  bamaligen  Sogt!  gelctufig;  aud^  im  Seibniä 
finbet  fie  fic^  (0.  P.  43)  lange  üor  ber  3Iu§bilbung  feinet  eigentpm; 
lid^en  ©i;ftem§.  Slber  tfieilS  l^at  fie  für  i^n,  unb  namentlich,  mie  mir 
finben  merben,  für  feine  ^lieologie,  eine  befonbere  ^ebcutung,  tl)eil§  ift 
e§  auc^  t)on  ^ntereffe,  ju  felien,  mie  er  fie  mit  feinen  anberroeitigen 
Stnna^men  üerbinbet.  S)ieB  gefd^ielit  nun  auf  boppelte  Slrt.  @inerfeit§ 
fe|t  er  bie  ßrfalirung  ber  ©rfenntniB  be§  ©injelnen  ober  ber  finnlidjen 
SGßal)rne§mung  gleid^,  bie  SSernunfterfenntniB  ber  be§  Slllgemeinen,  roenn 
er  au§fül)rt:  bie  @rfaf)rung  ober  bie  i^nbuftion  unterrid^te  un§  immer 
nur  über  eine  größere  ober  geringere  S^¥  ein3 einer  göHe ;  biefe  reid^en 
aber  nie  au§,  um  bie  au§nal)m§lofe  9^otf)roenbigfeit  einer  allgemeinen 
3Öal)rl^eit  feftjuftellen :  bie  notliroenbigen  2öal)rl)eiten,  meldje  fid^  nid^t 
allein  in  ber  reinen  9Jlatl)ematif,  fonbern  aud)  in  ber  Sogif,  ber  3)leta= 
pl)i)ftf,  ber  Floxal  in  3)Zenge  finben,  laffen  fi(^  nid;t  an§>  ^eifpielen, 
unb  mithin  nid)t  burd^  ha§>  ^^iiP^B  ber  (Sinne,  fonbern  nur  au5  an= 
geborenen  ^rincipien  ermeifen;   aber   aud^  üon  ber  SBa§r§eit  unferer 


1)  0.  P.  204  ff.  222  ff.  127,  14.  137.  153.  180.  195  f.  353. 
Billigt  ©ef^ic^te  ber  beuticfeeu  'iP^i(o|op^ie.  8 


114  idbm^. 

©inneäempfinbungeu  uub  ber  Dfiealität  ber  finnlid;en  S)inge  fönnen  wir 
iiu§  nur  baburcl;  üOerjcugen,  ba^  wir  bie  ©rfi^emuncjen  nad)  SJtaBgabe 
ber  eiöigeu  ^Keruunftwafir^eiten  beurt§et(en  ^).  SlnbererfeitS  aber  fud)t 
er  bell  @runb  für  jene  Unterfdjeibung  in  ber  DIatur  ber  ©egenftänbe, 
auf  n)etd;e  bie  beiberlei  2Ba^r{)eiteu  fid;  be^ie^en.  S)ie  matfiematifc^en, 
Iügifd;en,  ntetap^ijfijd^en,  moralifc^en  @runbtä|e  tragen,  raie  unfer  ^f)i= 
lofopf)  glaubt,  ben  53eu)ei§  ifirer  SSa^rl^eit  in  fidj  fe(6ft ,  bie  @efe^e, 
n)eld;e  fie  au^brücfen,  finb  unbebingt  not^iuenbig,  bie  Säugnung  ber^ 
felben  würbe  einen  3Siber[prud;  in  [id;  [(^üefsen.  5Die[e  ©runbl'ä^e  finb 
ba(;er  notfiwcubige  uub  ewige  9Baf)rf)citen,  if)r  ©cgentl^eil  ift  unmöglid^, 
uub  benfclbcn  ßt)arafter  ^at  alle^,  wa§>  \iä)  au§  if)nen  burc^  wiffen- 
f(^aftüdje  33ewei§füt)rung  abfeiten  (ä^t.  2BeiI  aber  ba§  ^räbifat  in 
i^nen  nur  auSfogt,  wa§  im  Segriff  be§  ©ubjeftS  fd^on  entfialten  ift 
(weil  fie  ni,  a.  9S.  anadjtifdje  ©ä^e  finb),  fo  finb  fie  ade,  wie  Seibnij 
bewerft,  im  ©runbe  f)i)potf)etifc^er  Dtatur:  fie  gelten  uneingefd^ränft  üon 
aUnn  ben  S^ingen,  auf  welche  fie  fid;  be^ietjen,  wenn  eS  folc^e  2)inge 
giebt  (ber  Sa|  5.  33.,  ba§  ein  ©reicd  brei  SBinfet  fiabe,  gilt  üon  jebem 
©reied,  wenn  überhaupt  S)reiede  eyiftiren);  ob  e^  aber  we[(^e  giebt, 
(äBt  iiä)  au§  ben  reinen  S3ernunftwal)r^eiten  aiS^  fold^en  nid^t  ent^ 
fdjeibcu.  Sllle  biefe  2öaf)r^eiten  gef)en  nur  auf  ba§  33iöglid;e;  fie  he- 
ftimmen,  weld;e  ^räbifate  mit  gewiffen  ©ubjeften  \iä)  oertragen  ober 
burd^  bie  9^atur  berfelben  geforbert  finb;  aber  fie  entfiolten  feine  ^c- 
ftimmung  über  bag  SBirffid^e  al§>  foic^eg,  unb  fie  fönnen  feine  entfjalten, 
weit  ba§  SDafein  eine»  2)inge§  nic^t  bloS  üon  feinem  eigenen  Segriff, 
fonbern  gugleid;  üon  feinem  Serf)ä(tnif)  3U  allen  anberen  Singen  ah 
f)ängt.  ß»  ift  möglid^,  wenn  fein  Segriff  feinen  3Siberfprud^  enthält; 
aber  wirffid)  wirb  eg  nur  bann,  wenn  ein  5ureid^enber  @runb  bafür 
üori)anben  ift;  unb  biefer  ©runb  fann  nur  barin  liegen,  ba^  e§  in  ber 
©efammtfieit  alfer  SSefen  eine  beftimmte  ©teHe  auffüllt,  ba^  fein  S)afein 
bur^  ben  3wfammen^ang  be§  SBeltganjen,  ben  göttlichen  SSettpfan,  ge= 
forbert  ift.  2Bie  e§  fid^  aber  l)iemit  oer^ft,  bie^  oermag  nur  ein  fol= 
(^er  ©eift  5U  6eurtt)eiten,  bem  äffe  S;inge  unb  alle  il)re  Se5ie^ungen 
mit  üoHfommener  3^eutlid;leit  uor  3lugen  liegen,  bem  ber  SSeltpfan  unb 
feine  ©rünbe,  bie  wirffid^e  2öelt  uub  alle  mögfidjen  SBeften,  t)ollftäubig 
befannt  finb.    ©Ott    allein   bcfitjt  bal)er   eine  apriorifdje  J^enntnifj  ber 


1)  0.  P.  195.  ^09.  70  unb  unttii  ©.  116  f. 


9(0t^iüenbige  unb  sufäQige  SBal^vfietten.  115 

pfälligen,  ober  vok  Seibnis  fie  auä)  nennt,  ber  tFiatfäc^Ud^cn  ^a^x- 
l;eiten ;  tuir  3)Ienf(^en  finb  nid^t  blo§  für  bie  ©rfenntni^  ber  ^fiatfac^en, 
fonbern  auä)  für  bie  ©rfenntni^  il^rer  ©efe^e,  an  bie  ßrfafirung  qc- 
raiefen,  au§  ber  mix  aber  freilid)  feine  (Si^tüffe  jiefien  nnb  feine  aEge= 
meinen  ^eftimmungen  ableiten  fijnnten,  wenn  wir  nid^t  babei  t)on  ge= 
lüiffen  uns  angeborenen  ^rincipien  geleitet  würben.  ^)  j^ragt  ntan  aber 
tooburd^  ft(^  in  einem  ©ijftem,  ba§  ade  nnfere  3]orfte(Iungen  fi(^  au§> 
nnferem  eigenen  i^nnern  entmicfetn  lä^t,  ba§  erfa^rung§mäBige  Srfennen 
oon  ber  3Sernunfterfenntni^  unterfc^eiben  fönne,  fo  märe  baranf  in 
Seibtttj'  ©inn  gn  antworten:  bie  Onelk  unferer  S^orftellungen  liege 
jroar  in  ^em  einen  wie  in  bem  anbern  %aU  in  un§  felbft,  aber  beim 
vernünftigen  ©rfennen  liege  fie  in  nnferem  eigenen  ©eifte  rein  al§  fol- 
ä)^m,  beim  erfal)rung§mäBigen  in  bemfelben,  wiefern  er  burd;  feine 
^Begieliung  ju  anberen  Singen  bebingt  unb  beftimmt,  ein  (Spiegel  ber 
SluBenwelt  ift;  bort  üerlialten  wir  un§  ba^er  t^ätig,  l)ier  leibenb,  bort 
l^aben  wir  beutlic^e  begriffe,  l)ier  verworrene,  finnlid^e  Q^orftcllungen.  ^) 
S)er  ebenbefpro($enen  Unterfd^cibnng  entfpridjt  e§  nun,  wenn  Setbniä 
gwei  allgemeine  ^rincipien  nnfercä  3)enfenS  aufftetlt,  ben  @a^  be§ 
Sßiberfprud;»  (ober  wie  er  il)n  an^  nennt :  ber  ^bentität)  unb  ben  ©a^ 
be§  §urei(^enben  (ober  beftimmenben)  ©runbeS.  S)er  erfte  fagt  anS, 
ta^  jebeä  Sing  fic^  felbft  gleid^  ift,  ba^  bal)er  fein  S)ing  wiberfpre^ 
(5§enbe  SJlerfmate  in  fi(^  vereinigen,  unb  fein©a|,  ber  einen  Söiberfprud^ 
enthält,  wa^r  fein  fann.  S)er  zweite  beftimmt,  'i)a^  bie  Sßirflic^feit  jeber 
Xi)at]aä)e  unb  bie  2ßal)rl)eit  jebe§  ©a^e§  einen  jureic^enben  ©runb 
üorauSfe^t.  ®er  @a^  ber  :3bentität  fprit^t  bie  Bebereinftimmung  jebeS 
StngS  mit  fic^  felbft  au§>,  ber  ©a^  be§  ©runbeS  feine  Uebereinftim^ 
mung  mit  allen  anberen  Singen,  mit  bem  SBeltganjen;  benn  nur  in 
feinem  SSerl)ältm^  gu  biefem  liegt  nad^  Seibnij  (wie  wir  aud^  fpäter 
no^  feilen  werben)  ber  ©runb,  wef3l)alb  von  ben  unjä^ligen  möglidjen 
Singen  unb  ©reigniffen  gerabe  biefe  unb  feine  anbern  wirftid;  gewor= 
ben  finb.  Ser  erftere  ift  ha§>  ^rincip  he§>  rationalen,  ber  gweitc  haS^ 
be§  empirif(^en  ©rfennenS;  benn  bie  ^ernunftwalirl^eiten  finben  wir 
baburd;,   ha^  wir  ben  i^n^alt  unferer  funbamentalften  Segriffe  anali); 


1)  0.  P.  83.  195.  338  f.  362.  378  f.  480.  641,  14.  707,  33  f.  u.  ö.  ®og 
bie  5Raturciffelje  imct)  Seibni}  ntcöt  abfotut  not^menbtg  fein  folfeit,  ift  fc^ou  @.  104  gc= 
äcigt  irovbeu. 

2)  sBg(.  @.  92  f.  99.  0.  P.  353. 

8  * 


116  i'etbutj. 

[treu,  mit  iebem  t)on  irrten  biejemgen  ^räbüate  uerbinben,  bie  itinen 
mit  9^ot^iücnbigfeit  beigelegt  werben  muffen,  weil  ha§>  ©egenttieil  ein 
SBiberfprnd;  märe,  unb  an§  ben  fo  gewonnenen  Urt^eitcn  auf  fi)ntf)etifdjem 
SBege,  Dom  53egrünbenben  jum  §8egrünbeten  fortfd^reitenb,  alle§  weitere 
ableiten;  bie  anfälligen  ober  tfiatfädjlic^en  SBa^rf)eiten  bagegen  werben 
wir  mir  bann  oerftefien,  wenn  wir  un§  ber  ©rünbe  beffen  bewußt 
werben,  \m§>  nn§  al§  ein  Sßirftid^eä  in  ber  ©rfafirung  gegeben  tft;  unb 
ba  nnn  biefe  ©rnnbe  be§  2ßir!(i($en  in  bem  2öeltäwed  liegen,  fo  ^an- 
belt  e§  fid;  f)ier  barum,  bie  3wede  gn  beftimmen,  benen  iebe§  Sing 
bicnt,  nnb  nnn  ©(^ritt  für  (Sd^ritt  nadi^nweifen ,  welche  SJiittel  für  bie 
@rreid)nng  biefer  3wede  nöt£)ig  finb,  bi§  bie  3U  erflärenbe  Xtiatfac^e 
gefnnben  ift.  Seibni^  nennt  biefe§  letztere  SSerfafiren  ba^  anali)tif(^e, 
weit  ba§  ©enfen  bei  bemfelben  t)on  bem  5U  erreid;enben  ©rfotg  jn  ben 
if)n  bewirfenben  3}littetn,  oom  Sebingten  jum  ^ebingenben  fortgebt*). 
®en  <Ba^  be§  2Biberfprnd;§  ^atte  f^on  SlriftoteleS  alg  bie  aögemeinfte 
nnb  nnbeäweifetbarfte  ^^oranSfel^nng  aUe§>  ®en!en§  begeic^net;  ben  be§ 
5nreid;enben  @runbe§  f)at  erft  Seibnij  in  biefer  53ebeutnng  in  bie  Sogi! 
eingeführt,  unb  er  fam  auf  benfelben  erft  nad^bem  er  \\6)  oon  jener 
unioerf eilen  .^armonie  überjengt  fiatte,  bersufotge  nur  ba^jenige  xoixtiiä) 
werben  fann,  ma§>  mit  ber  Drbnung  be§  SBeltgan^en  übereinftimmt, 
burc^  feine  3wede  unb  feinen  3wfammenf)ang  geforbert  ift  2).  ©tefer 
©a^  ift  fo  wenig,  wie  bie  leibniaifd^e  (SrlfenntniBttieorie  3),  eine  b(o§  lo= 
gifd)e  Seftimmung,  welche  mit  bem  übrigen  ©ijftem  unfere§  ^t)ilofopt)en 
in  feinem  3ufantment)ang  fte^t,  fonbern  er  f)at  fic^  ifim  erft  au§  bem 
©an^en  beSfelben  ergeben,  er  ift  ein  golgcfa^  feiner  9Jtetapt)ijfif. 

Sind)  bie  ^rage  über  bie  Söatiriieit  unferer  33orfteIInngen  unb  bie 
3Kerfmate,  nac^  benen  fie  gu  beurtl)eilen  ift,  tä^t  fid;  nur  unter  53e= 
rüdfid^tigung  be§  gangen  6i}ftem0  oollftdubig  beantworten.  Seibnig  un^ 
terf^eibet  junädift,  fowot)(  unter  ben  SSernunftwaf)rt)eiten,  al§  unter  ben 
(grfa{)rung§fä^en,  bie  primitiven  ober  grunblegenben  unb  bie  berioatioen 
ober  abgeleiteten.    S)ie  grunbtcgenben  ^^ernunftwat)rt)eiten  befielen  in 

1)  0.  Pr707,  31  ff.  83.  515,  U.  641,  14.  716,  7.  416. 

2)  3n  einer  ©djrift  to.  Q.  1666,  m  2.  auc^  fcijon  bie  iiot^wcnbigeit  unb  3ufä(= 
ügen  SÜJa^rfietten  unterfctjetbet  (0.  P.  43),  giebt  er  al§  %^xmdp  ber  tc|5teren  mx  brn 
nicl)t§fagcnbcn  "Sa^:  aliqiüd  existit 

3)  iBou  »Deldier  and)  l'etbnt^  0.  P.  137  auSbrürtltd)  bemerft,  fie  gehöre  ntd}t  $n 
ben  ^^räüniinavunterfud)niigen,  jonbern  laffe  fid;  nnr  toon  einem  tjö^eren  ©tanbpunft 
ans  befriebigenb  befjanbefn. 


@ä§c  be§  Bibcrfprud^S  unb  be§  ©riinbeS.  2Ba^rf)ctt  ber  SJorfteKungen.        117 

ben  {benti[(^en  (ober  tote  wir  fogcn  tüürben:  onolijttfcf^en)  llrtfieiren, 
b.  i}.  in  benjenigen,  bereit  ^räbifat  in  bem  ©nbleft^begriff  enthalten 
ifi  S)ie  3Bof)rl^eit  biefer  Urtfieile  Bebarf  feinet  5Ben)eife§,  fie  (endetet 
nn§  unmittelbor,  burd;  Intuition,  ein.  2)ie  grunblegenben  @rfa^rnng§^ 
lüa^rfieiten  finb  bie  %f)at\aä)en  ber  ittneren  (Srfafirnng.  2lnd}  fie  führen 
eine  unmittelbare  ©erai^^eit  mit  fi(^,  fie  werben  un§  o^ne  S^eiüeiS  burd; 
nnfer  @efül)t  oerbürgt.  S)a^in  geprt  bie  %^at\ad)e  nnfere^  S)enfen§, 
loie  fie  ®e§carte§  in  feinem  cogito  ergo  sum  au§fprid;l,  ebenfo  aber 
auc^  jebe  anbere  2ln§fage  unfereg  33erouBtfein0.  2Iu§  ten  grunblegenben 
$8ernunftTOal;r^eiten  gen)innt  man  bie  abgeleiteten  burd;  ©emonftratiott, 
nad^  bem  (Sa|  ber  ^bentität,  inbem  man  nadjroeift,  ba§  fie  in  jenen 
enthalten  finb.  SSerraidelter  ift  bie  ^rage  ^infidjtlid)  ber  abgeleiteten 
(grfal)rung§iüa§r Gleiten.  Unmittelbar  gemi^  finb  itn§  nur  uttfere  inneren 
6rfal)rungen ;  b.  l).  eg  ift  un§  gemiB,  ba§  mir  biefe  ©ebanfen,  (Em- 
pfinbungen,  2ßal;rne^mnngen  .u.  f.  f.  ^aben;  auf  n)cld;em  Sßege  können 
mir  nun  aber  au§  biefen  %^atiaä)en  unfere§  ^emu§tfein§  2ln§fagen 
über  bie  ©egenftänbe  ber  äußeren  ©rfalirung  ableiten,  wk  un0  über= 
gengen,  ba^  e§  S)inge  aufeer  un§  giebt,  uitb  ba{3  bicfclben  fo  ober  fo 
befi^affen  finb?  SDiefe  grage  ift  befonber^  bringeub  in  einem  ©yftem, 
meld^eil  jebe  ©inrairfung  jener  ®inge  auf  unferen  ©cift  läugnet.  .^ier 
fann  man  fii^,  loie  bief3  Scibitij  an^brüdlid)  anerfennt,  nid^t  barauf  hc- 
rufen,  bajg  fo  lebhafte  unb  unnnberfte^lid;e  ©inbrüde,  luie  bie  ©inne§= 
empfinbungen,  oon  ©egenftänben  aufser  un§  lierrüliren  muffen.  S:a§ 
eiitjige  fid;ere  ^ennseic^eu  ber  2öal)rl)eit  unb  ba§  einzige  93ierltnat,  an 
bem  mir  unfere  mirllid^en  2öa§rnel)mungen  ron  S^räumen  unb  ©inbil^ 
bungen  unterfdieiben  tonnen,  toirb  t)iclmel)r  in  bem  ^nfammenliang  unb 
ber  IXebereinftimmitng  unferer  ^orftellungen  gefud^t  tuerben  muffen.  2Bie 
nad;  bem  ©tjftem  ber  präftabilirten  Harmonie  oon  ben  gal^ltofen  an  fid; 
möglidien  fingen  nur  biejenigen  mirflid^  raerben  fönnen,  roeld;e  burd; 
ben  3ufß«twen{)ang  be§  SBeltgauäen  geforbert  finb,  fo  uitterf (Reiben  an^ 
mir  ba§  2Bir!lic^e  üon  bem  Unioirfli^en  eben  baran,  ba§  fid;  jene§  in 
bag  ©anje  unferer  2öettt)orftellung  ^armoitifd;  einfügt,  biefe^  ni($t. 
©elbft  biefeg  9}ierfmal  gemährt  aber  immer  nur  eine,  mcnn  and;  nod; 
fo  l)ol)e,  3Ba{)rf(|einli(^Eeit,  eine  moralifd;e  ©eioi^l^eit ;  abfolut  fid;cr  finb 
mir  nur  ber  Ueberjeugungen,  meiere  fid;  entroeber  auf  ^tttuitiott,  ober 
auf  ftrenge  logifc^e  S)emouftration  ftütjen  ^). 


1)  0.  P.  338  ff.  373.  307.  344.  353.  378.  443  f.  637, 


118  ^i'iMi 

S)aB  Seibni5   bie  ©rfo^rung  tro|bem  nicl)t  gerittg   ad^tet,   Brandet 

nad)  allem  friifieren  (6.  75  ii.  ö.)  nic^t  erft  bemerft  p  lüerben.   ©eine 

(Srfenntnifetljeorie  ift  rattottaliftifd),  foferu  fie  bie  Duette  unferer  58or= 

ftellungen  in  imferem  eigenen  ©eift  \uä)t,  unb  bie  SBal^rtieit  berfelben 

in   letzter  ^e^ietiung  üon  it)rer  Uebereinftimmung  mit  ben  affgemeinen 

33ernunfttiegrtffen  abhängig  mai^t;  fofern  i^r  bie  ©rfa^rung,  mit  ©inem 

2öort,   nur   ein   5önr(|gang§puntt   in    ber  ©ntmidtung   be§   benfenben 

©eifteS  ift.    Slber  fie  ift  e§  nid^t  im  ©inn  einer   bie  empirif(^e  ®rfor= 

fd)ung  be§  ein^etnen  verad;tenben,  über  bie  2;t)atfa($en  t)oc^müt^ig  t)in= 

raegfet)enben  ©pehitation.    ^ie  ©rfa^rung  gitt  it)m  für  eine  blofee  SSor- 

ftufe    be§    begrifftid^en    unb    bemonftratioen  2öiffen§,    aber    für    feine 

unerläBlic^e  ^orftufe;  e§  ift  it)m  üofffommen  ernft  mit  bem  @a|e,  ba^ 

nid;t§  im  S^erftanbe  fei,  uia§  niij^t  guuor  in  ben  ©innen  gemefen  raäre, 

weit  eben  jeber  enbtidje  @eift,   feiner  tleber^eugung  nac^,   in  fortmät)^ 

rettber  ©ntraidtung,   unb   jebe  ©ntmidtung   ein  gortgang  üon  üermors 

reuen  S3orftenungen  ^u  bcuttidjeu,  ■uon  ber  Stnfc^auung  jum  begriff  ift. 

2lu§  bem  gleid^eu  ©efid^tSpunft  erttärt  ber  ^^ilofopt)  au^  ben  ©iubrud 

be§  @d;önen,  unb  fetbft  beffen,  ma§  bto§  finutid^  angenehm  ift.    ®ie= 

fer  (äinbrud,  bemerft  er  (0.  P.  671.  717,  17),   berutje  auf  ber  Drb. 

nung  unb  9iegetmäBigteit  im  SBedifel  ber  finnlid^en  ©mpfinbuugen ;   e§ 

finbe  t)ier  ein  unberauBtcä  ^Otiten,   bie  bunfte  ©mpfinbung  einer  ^off-- 

fomment)eit  ftatt,  über  bereu  e{geuttid;e  ymmt  mau  fid;  afferbing§  feine 

9iedjenfd)a[t   gebe.    @r  fagt  bie^  gunädjft  au§  2tnlaB  ber  DJZufü;    aber 

er  bnl/ui  e§  auäbrüdlid;  audj   auf  haS^  au^,   maS  bem  Stnge  imb  ben 

übrigen  ©innen  gefäüt,   fo  baB  bemnad;  ba§  finntit^e  Vergnügen  über= 

t)aupt   „auf  bie  uerroorrene  ©rfenntniB  eine§  inteffettueffeu  a^erguügenS 

jurüdaufü^ren  ift."     ©ben  biefeu  ©ebanfen  t)at  in  ber  gotge  53aum  = 

garten  ber  Xt)eorie  ju  ©ruube  gelegt,  an   metd^e   fobann  bie  neuere 

(Sutiüidiung  ber  beutfd;en  Sleft^etit  burd;  J^aut  augetnüpft  t)at. 

7.  ^cr  mm\ti}  aU  ^anbcfnöcö  Sefcn,  bie  m)it 

2lu§  uni'ercm  3?orfteffen  gef)t  uufcr  3Boffen  unb  ^anbeln  a(§  natura 
uott)ir)eubige  golgc  be^felben  t)erüor;  mie  ja  in  jeber  3Jionabe  mit  ifiren 
3?orfte(lungen  fid;  ein  ©trebeu  uerbinbct,  beffen  6t)arafter  bem  it;rigcn 
entfprid)t.  llufer  SöiUc  unterliegt  bal)cr  berfelben  affgemeinen  3?orl^er- 
bcftimmung,  uon  ber  äffe  i^orgäuge,  in  jeber  eiujetnen  9JJonabe  wie  in 


:J)etevmimimu§.  119 

bem  ^Bettganjen,  ktierrid^t  raerben.  ®ie  SSorftellung,  a(§  ob  fid)  unfev 
SBiile  gegen  bie  Derfdjiebcnen  im§  inöglic^en  i^anblungen  gleidjgüttig 
t)ert)telte,  aU  oB  wir  ftatt  beffen,  waS  totr  wirflid;  looffen  itnb  t{)un, 
e&enfogut  ein  anbercS  wollen  xmb  tlmn  fönnten  —  biefe  35orfteanng 
finbet  Seibni^  burd;an§  nn^aUbar.  SBir  [tnb,  wie  er  an§fü§rt,  in 
nnferem  SBoIIen  niemaB  wixtM)  inbifferent,  nnb  roeiben  awä)  nie  t)on 
gleid;  ftarfen  SIntrieben  nad;  entgcgengefeljten  ©eiten  gesogen ;  wenn  mix 
un§  nnferer  ^eraeggrünbe  oft  nic^t  beiDU§t  finb,  fann  man  baranS 
nid^t  fc^(ief3en,  bo^  roir  gar  feine  33en)eggrnnbe  baben,  fonbcrn  nur,  baB 
fie  in  jn  fd^iuadjcn  nnb  uenuorrenen  58orfte(lnngen  beftcr)en,  nm  oon  un§ 
bewerft  ju  werben.  Df)ne  ^eftimmnng§grnnbe  ju  fianbcin,  ift  gan^  nnmög= 
lid),  wenn  haS^  @e[e|  be§  jnreidjenben  @rnnbe§  nod)  ©ettnng  f)aben  fott ; 
aber  bie  ©rfal)rnng  3eigt  ja  auc^,  baf3  ein  foId)e§  ^anbeut  nid)t  uorfonnnt, 
baB  ber  men\ä)  immer  ba§  raäf)[t,  ma§  er  in  bem  2lugcnblid  feiner  SöabI 
für  gut  f)ä(t,  \\ä)  immer  für  bie  ©ette  entfd)eibet,  nad;  wcldjer  feine 
übermiegcube  9leigung  if)n  f)in3icf)t.  Unfere  2öillen^§afte  finb  baf)er 
nid)t§  anbereS,  al§  ba§  natürlid^e  ©rjengniB  nnferer  ^nbioibnatität  nnb 
ifirer  ©ntmidinng,  fo  wie  biefe  mit  9tüdfic^t  auf  beii  ganzen  a^^clt3U= 
fammen{)ang  oon  .«paufe  an§  angelegt  ift,  eine  ^olge,  wcldjt  unter  ben 
gegebenen  Sebingnngen  unfehlbar  eintreten  mufjte;  bie  menfd)(id)e  Seele 
ift  (raie  fie  fd)on  ©pinoga^)  genannt  ^atte)  ,,eine  9lrt  t)on  gciftigcm 
3lutomat",  if)re  3:ptigfeiten  fpielcn  fid;  mit  unmanbclbarcr  ®idjerl)eit  ab^ 
uiie  fie  feit  bem  erften  93ioment  if)re§  !Dafein§  pröformirt  fiub.  Söcun 
ßeibnis  bennod;  feine  2lnfidjt  über  ben  mcnfd)(id)en  SBillen  üon  bem 
©eterminifmuS  eines  ,§obbe§  nnb  ©ptnosa  unterfd;icbcn  miffen  witt,  fo 
f)at  er  ba^n  aKerbingS  einen  fadjlidjen  ©runb;  bcnn  c§  mad^t  immer^^ 
^in  einen  erfieblidjen  Unterfdjieb,  ob  wir  in  nnferem  S^öoUen  ber  5«ot^= 
wenbigfcit  unferer  eigenen,  inbiüibneHen  9f?atur  ober  einem  un§  iwn 
auBenber,  burd;  ben  9iaturmed)autfmn§ ,  anfgebrungenen  B^ang  folgen. 
SSerwa^rt  er  fid;  aber  and;  gegen  bie  Sße^auptung,  bafj  nufer  ffÖoUen 
unb  §anbe(n  t)on  if)m  für  notfiwenbig  erfiärt  werbe,  fo  ift  biej3  ein 
bloBer  aöortftreit.  @§  foK  nid)t  nct(;wenbig  fein,  weil  not^uicnbig  im 
ftrengcn  ©inn  nur  ba§  fei,  beffen  @egcntt;ei(  einen  äöiberfprnd;  in  fid; 
fc^lief5cn  würbe,  bei  nnferem  .«ganbeln  bagegcn  in  jebem  gegebenen  gafie 


1)  De  intellectus  emendatione  @.  384  '^. 


120  ^cibntj. 

an  fid^  ücrfd^iebene  ©ntfd^eibungen  möglich  voävm,  unb  bie  rair!(ic|e 
(gnt[(^eibung  nur  burc§  eine  2Baf)l  graifc^en  biefen  »erfdjiebenen  3Jtögli(^= 
feiten  §n  ©tanbe  fomnte.  ®a  aber  bie  2Ba{)l  jiuifc^en  jenen  an  fid^ 
möglichen  2BilIen§rid^tungen  nnter  ben  Sebingungen  eines  gegebenen 
%aU§>  naä)  ßeibniä  bod)  immer  nur  fo  anSfatten  fann,  mie  fte  mirflid^ 
auSfättt,  fo  ift  in  ber  2Birfli(^!eit  in  biefem  beftimmten  %aU  au(^  nur 
biefeS  SBoIIen  möglid^,  unb  menn  gefagt  mirb,  unfer  Söille  fei  gmar 
immer  beterminirt,  aber  er  fei  feiner  D'^otl^raenbigfeit  unterworfen,  bie 
©rünbe,  burc^  bie  er  beftimmt  rairb,  nötf)igen  ifm  nid^t,  fonbern  fie 
erzeugen  in  i^m  nur  bie  3^eigung,  fo  ober  fo  gu  fianbeln,  fo  löft 
fi(^  biefe  Unterfd;eibung ,  fobalb  man  näf)er  3ufief)t,  in  ni(S§t§  auf^). 

5Diefe  pfijd)oIogif($e  9?otf)n)enbigfeit  unfereS  SBolIenS  fiebt  aber  bie 
moralifd;e  ^eurtl^eilung  unferer  ^anblungen  ebenfomenig  auf,  aU  bie 
pft)(^ologif(^e  S^ot^roenbigfeit  unferer  SSorfteHungen  if)re  raiffenfc^aftlic^e 
5öeurtf)ei(ung  auffiebt.  2öie  bie  (enteren  fi($  jmar  immer  au§  unferer 
;3nbioibualität  unb  unferem  inneren  ^i^ftöub  erftären,  aber  barum  bod^ 
nid^t  alle  gleid^  beutlic^  unb  roaf)r  finb,  fo  f)ot  auc^  unfer  2öiIIe  gmar 
immer  feine  auSreic^enben  natürli(^en  6rf(ärung§grünbe,  aber  er  ift 
ni(^t  immer  gteid^fefir  auf  ba§  9ied;te  unb  @ute  gerid^tet,  oon  ber  gleid^en 
fittlic^en  Sef(^affenf)eit.  2lu§  rerrcorrenen  ^orfteHungen  gelten  leiben^ 
fdjaftlid^e  ©emütfiSberaegungen ,  au§  falfd^en  35orftettungen  ge^en  falfd^e 
3raedbeftimmungen  ^eroor.  2Bie  mir  bafier  gur  Seitung  unfereS  5Denfen§ 
ber  Sogif  bebürfen,  fo  bebürfen  mir  gur  Seitung  unferer  2ßi(Ien§ 
ber  (Stf)if. 

®ie  ^rincipien  biefer  Söiffenfd^aft  finb  un§  nad^  Seibnij'  Iteber- 
geugung  angeboren,  mögen  fie  unS  au^  guerft  nid^t  in  ber  gorm  beut= 
Iid;er  S3egriffc  gum  S3eiuuBtfein  fommen,  fonbern  nur  al§>  moralif(^er 
^nftinft  in  un§  rairfen;  ber  äJieinung,  al§  ob  ber  fittlid^e  6f)arafter 
unferer  ^anblungen  nur  von  if)rem  Sßcr^ättni^  gu  einem  pofitioen  @e= 
fel^  abf)änge,  meift  er  ben  SBiberfprud^  na(|,  ba^  if)r  gufolge  eine  unb 
bicfetbe  §anblung  gut  unb  fd^(e(^t  jugleid;  fein  tonnte. 2)  ®er  atlge^^ 
mcinfte  praftifd^e  ^nftinft  ift  nun  ba§  SSerlangen  nad^  Suft  ober  greube 
unb  bie  Slbneigung  gegen  ben  ©d^merj.    5Die  Suft  beftet)t  in  einer  merf= 


1)  ®ie  SBelege  für  bte  obige  ©arpeüung    ftnben  ft(|  0.  P.   191.   248.  252  ff. 
262.  448.  455.  635.  640.  ff.  6G9.  Thcod.  c.  35  ff.  52  f.  288  ff.  371  u.  ß. 

2)  0.  P.  213  f.  186. 


SJZorarptmcip.  121 

liefen  ^örberung,  ber  ©(^merj  in  einer  nterflid^en  ^lemmung.  2öa§  Suft 
bewirft,  nennen  wir  ein  ®nt,  n)o§  ©d^merj  bewirft,  ein  Hebel.  ®ie 
Snft  jn  fu(^en,  ben  Sc^merj  gu  f(ief)en,  nac^  ©ütern  gu  ftreben,  Hebet 
gu  meiben ,  ifi  ein  3^aturge[e^  aßer  Sßefen ;  bei  oernünftigen  SBefen 
wirb  biefer  9Jaturtrieb  gu  bem  (Streben  nad^  bauernber  ^^reubc,  nad^ 
©lüc!fe(igfeit,  benn  bie  SSernunft  belefirt  un§,  ha^  eine  b(o§  üornber^ 
gefienbe  Suft  feinen  SBertf)  f)at,  ba  if)r  eine  überroiegenbe  Summe  uon 
Unluft  gegenüberfte^t.  2)ie  SBiffenid^oft  ber  ©(ücfietigfeit,  bie  i?enntni§ 
ber  3JiitteI,  roeldie  ^u  i§r  |infüf)ren,  ift  bie  2öei§f)eit. 

2Bo  fönnen  aber  biefe  3Jiittef  von  Seibnij  gefnd^t  werben?  3öaS 
un§  förbert,  wa§  „unfer  Söeien  erpf)t",  ift  eine  3}olIfommenf)eit ;  bie 
ßuft  beftef)t  mitf)in  in  ber  ©mpfinbung  einer  5ßoIIfommenf)eit,  bie  ©lü(f^ 
feligfeit  in  ber  Gmpfinbung  einer  beftänbigen  3>oIIfommen^eit.  Sie 
SSoltfommenfieit  eineö  geiftigen  SBefeng  f)äft  aber  mit  ber  ®eutlid;feit 
feiner  SJorftedungen  gfeid;en  Sd^ritt,  unb  bie^  um  fo  mef)r,  ba  aud; 
ber  Sßille,  wie  wir  eben  erft  gcfiört  fiaben,  immer  auf  ba§  ge^t,  wal 
un§  gut  fd^eint,  unb  ha  fomit  feine  9lidjtung  g(eid;faU§  üon  bem  ^a- 
rafter  unfereg  ^orftetlenS  abfängt.  SBenn  baf)er  ba§  Streben  nad^ 
©lücffeligfeit  ber  ©runbtrieb  unjerer  9ktur  ift,  fo  ift  z§>  nid^t  minber 
in  ben  @e|e|en  unfereS  2öefen§  begrunbet,  baß  wir  unfere  ©(üdfeligfeit 
in  ber  Slnfflärung  uniere^  ^serftanbe^  unb  bem  yernunftmäfsigen  ^an- 
be(n  fud^en:  unfer  le^ter  ^med  ift  bie  ©lüdfeligfeit ,  aber  ba§  einzige 
geeignete  3)Zitte(  für  bieien  ^wed  ift  bie  3;ugenb  unb  ©eiftesbiibung, 
weif  eben  bie  @[üd)"eligfeit  fefbft  gar  nid;t§  anbereS  ift,  al0  bie  ©mpfin- 
bung  unferer  geiftigen  ^oUfommenfieit.  ^ 

S)ie  Sjeroollfommnung  unfere^  ©eifte^  fd^fie^t  aber  bie  Erweiterung 
unfereS  @efid^t§freife§  unb  ^ntereffeS  unmittelbar  in  fid^.  Unfer  @eift 
ift  ja,  wie  jebe  älionabe,  ein  (Spiegel  be§  Unioerfum^,  er  ift  ba§,  wa§ 
er  ift,  nur  burd^  feine  33eäicf)ung  gu  allen  anbern  SBefen.  ^e  mefir  feine 
Segriffe  fi($  entwicfeln,  je  beutlic^er  er  fi(^  feiner  waf)ren  9iatur  bewußt 
wirb,  um  fo  beutlid;er  wirb  er  fid;  aud^  biefe§  3iifßwmenf)ang§  bemüht 
werben,  um  fo  weniger  bafier  feine  eigene  5Koüfommenf)eit  unb  @(ü(J= 
feligfeit  uon  frember  ju  trennen  wiffen,  um  fo  roUftänbiger  aüe  2lnbern 
in  fein  (SelbftbewuBtfein  aufnefimen  unb  über  if)r  ©füd  greube  empfin= 


1)  0.  P.  670.   671  f.   119.  214.  246.  261.    269.  792,  anä)  511,  26  unb   oben 
@.  76. 


122  5?ei6m3. 

ben.  ®iefe  ©efinnung  ift  bie  Siebe;  beim  „SteBen"  ^ei§t,  nac^  ber 
ftef)enben  ©efinition  unfcreS  ^f)ilo|opIien:  in  einer  foIrf;en  @emütf)§t)er; 
[afi'ung  fein,  bo^  man  an  hem  &lüä  ober  ber  SSodfonirnen^eit  eines 
Sfnbern  fein  Sjergnügen  finbet;  nnb  eben  (;ierin  liegt  bic  SIntroort  anf 
bie  ^rage,  toie  eine  nncigenmi^tge  Siebe  mögtid^  fei:  fie  ift  mögli(^, 
fofern  man  ba§  ©lud  be§  ©eHebten  a(§  fein  eigenes  empfinbet,  nnb 
fid^  beSfe(ben  an§  biefcm  @rnnbe  nnmittelbar  an  fid;  felbft,  nid^t  nm 
eines  anbenocitigen  auS  i^m  entfpringcnben  3>ortf)eilS  raiffen,  erfrent.^) 
SluS  ber  Siebe  entfpringt  and;  baS  dteä)t  $Die  ©ered^tigfeit  ift 
nichts  anbereS  als  „bie  Siebe  beS  SSeifen",  bie  Don  ber  SSeiSfieit  gelei= 
tete  Siebe,  ober  roie  fie  andj  befinirt  mirb:  „bie  ber  QBciS^eit  entfpre^ 
d^enbe  3>oOTommcnf)eit  in  bcm  5?erJ)a(tcn  einer  ^erfon  3n  ben  ©ütern 
unb  Hebeln  anbcrer  ^erfonen/'  ®ie  Slljcorie,  weldje  baS  Stecht  auf  baS 
äußere  2>erf)alten  ber  ^erfonen  gegeneinanber  befd)rän!en  will,  loirb  uon 
Seibni5  fd)orf  getabelt,  nnb  über  ^nfenborf  fprid;t  er  bei  ©elegenfieit, 
i)anptfäd;(id;  wegen  biefer  ^efdjränfung  beS  9ied;tSbegrip,  baS  unbillige 
llrtt)ei(  auS:  er  fei  fein  großer  ^urift  unb  gar  fein  ^i)i[ofopf).  2lber 
bod;  fief)t  auc^  er  fid;  gen()tf)tgt,  ben  Unterfdjieb  beS  ftrengen,  formalen 
9ted)tS  uon  ber  «Sittüdjfeit  anjuerfennen.  S)aS  natürUd^e  9ted;t  umfaßt, 
raie  er  ausführt,  brei  ©tufen  ber  fittiidjen  i^oüfommenfieit:  baS  reine 
ober  ftrenge  Stecht,  bie  Sidigfeit  unb  bie  9te(^tfd;affenf)eit  ober  grömmig; 
feit  (jus  strictum,  aequitas,  probitas  s.  pietas).  SaS  ftrenge  9ted^t 
be^iefit  fid;  auf  baS  ©ebiet  ber  fogenannten  auSgleic^cnben  ©cred;tigfeit 
(justitia  commutativa) ;  fein  oberftcr  ©runbfalp  ift  bie  llnterlaffung 
t)on  9fled)tSüer(e|3ungen ,  bie  ©rfialtnng  beS  griebcnS,  baS  neminem 
laedere,  S)ie  SiÜigfeit,  ober  wie  fie  Seibnig  aud;  nennt,  bie  Siebe 
(im  engeren  ©inn)  fügt  bajn  bic  ^^erpfUdjtung,  allen  3U  nü|3en,  fie 
fud^t  baS  eigene  ©lud  in  beut  frcmben,  fie  ftrebt  nad;  allgemeiner 
©(üdfeügfeit.  STa  man  jebod;  unmöglich  jebem  (Sinselnen  alleS  ©ute 
guroenbcn  fann,  gcftaitet  fid;  biefeS  ©treben  nä^er  gn  ber  gorberung, 
jebem  gu  geben,  maS  er  uerbient  unb  maS  ifim  jufommt,  smim  cuiqne 
tribuere.  ^n  ber  Erfüllung  biefer  gorbcrung  bcftelit  bie  auStfieilenbe 
©ered^tigfeit  (justitia  distributiva).  Grf)ebt  fid;  baS  fitt(id;e  S3emuBt=^ 
fein  nod;  weiter,  gef)t  eS  ju  bem  ©runbfal^  fort,  in  allen  SebenSbe=^ 
5ic()ungen  ben  natürlid;en,  in  ber  göttUd;en  SBeltorbnung   begrünbeten 


1)  0.  P.  118.  24ß.  446.  789.  792. 


®a3  Siedet.  123 

@efe|en  itnttebingt  ju  folgen,  bem  @runbfa|  be§  honeste  vivere,  fo 
erfjalten  wir  bie  iiniuerfcde  @erecf)tigfeit  ober  bie  Died^tfc^affenrieit ,  al§> 
bie  f)ö(^fte  6tufe  be§  [itt(i(^en  SebeuS.  Siefe  fe|t  jeboii^,  toie  Seibrnj 
bemerft,  ben  ©(auben  an  eine  @ottf)eit,  eine  göttlidje  2Be(tregierung 
unb  eine  jenfeitige  ^.'ergeüung  Dorau§.  S^enn  fo  rociiig  fid;  audj  be= 
liaupten  tä§t,  ha'B  of)ne  ben  UnfterbIid;feit§g(Quben  überfiaupt  feine 
©itt(id)feit  mögUd^  märe,  fo  entfd;ieben  oielmetir  and;  in  biefem  ^oH 
ba§  @(üd  be§  ^ngenbfiaften  cor  ben  niebrigen  ©enüffen  be§  unnlid;en 
3)icnfd;en  ben  SSor^ug  üerbienen  loürbe,  fo  giebt  e§  bod;,  roie  er  glaubt, 
gäüe,  in  benen  fid;  ber  @rnnbfa|,  ba§  alfeS  ftttü(^  ©ute  nü^lid;  unb 
alieS  uufitt(id;e  fdjäblid^  fei,  o^ne  bie  2tnnaJ)me  eine^S  moraüfd;en  2BeIt= 
regcnten  unb  einer  3lu§gleid;nng  nac^  biefem  Seben  löeber  tf)eoretifd} 
üoKftänbig  begrünben,  no(^  praftif^  jur  ©eitung  bringen  (ä§t.  i^'^^^^t 
fi^  bie  91e(^tfd;affenf)eit  auf  bicfe  re(igiöfcn  Hebcr^eugungcn  ftül^t,  loirb 
[ie  jnr  grömmigfeit,  ba^  „ef)renf)afte"  2ehcn  fällt  mit  bem  frommen 
gufammen^). 

2ll(e§  biefe§  gilt  nun  gans  allgemein  unb  o!f)ne  S^üdfid^t  auf  irgenb 
meiere  pofitioe  (Sa^ungen:  bo§  9tec^tÄgefeg  ift  ba§  emige,  t)on  @ott 
georbnete  ©efe^  ber  Dernünftigen  9?atur,  ein  ©efe^,  wciä)e§>  mir,  roie 
Seibnis  au§brüd(id§  erflärt,  nid;t  b(o§  an§>  bem  SßiHen  unb  93cüeben 
ber  ©ott^eit,  fonbern  au§  bem  3.^erftanb  ©otteS  unb  ber  üon  i^m  er= 
fannten  9fiot^roenbigfeit  f)er5uleitcn  fiaben.  Sieben  biefem  natürüi^en 
Siedet  giebt  e»  aber  aud^  ein  pofitioe^v  ober  mie  e§>  Seibnij  nennt,  roitts 
fü^rli($e:§  9^ec^t,  rae(d)e§  bei  oerfd^iebenen  i^ölfern  üerfd;ieben  fein  fann^ 
unb  ebcnfo  ein  pontioeÄ  göttliche»  ©efe^-).  5^af3  biefc^  pofitiüe  9led^t 
bem  9taturred;t  nic^t  miberftreiten  barf,  feine  cigentiidje  S3eftimmung 
uie(mef)r  gerabe  barin  beftefit,  bie  gegebenen  33ert)ä(tmffe  ben  gorberungen 
be§  natürlichen  dleä)t§  entfprec^enb  5U  orbnen,  üerftef)t  fid;  für  unfern 
^^itofop^en  üon  felbft;  inbcffen  f)at  er  fic^  über  hen  Urfprung  unb  bie 
@igentt)ümtid^feit  be^felben  nid)t  nät)cr  auggefprod;en  unb  bie  @taat§- 
let)re  überf)oupt  ni(^t  einge£)enber  bei)anbelt.  Sie  bürgerlid;e  ©emcin= 
fd)aft  mit  if)ren  b(o§  auf  bie  seillid^e  2Bo{)lfa^rt  ab^ielenben  @inridjtnn= 
gen  f)at  für  if)n  meit  nidit  ba§  gieid^e  ^ntereffe,  mie  bie  „.tirdje  ©ottc§", 
bo§  aligemeine,  alle  SD^enfd^en  umfaffenbe  unb  rerbinbenbe  fittnd;=  reli= 


1)  0.  P,  118  f.   670.   789.   214.   264.    268.   Opp.  ed.  Dut.  IV,  c,  213  f.   261. 
273.  275  ff. 

2)  Opp.  ed.  Dut.  IV,  c,  297  f. 


124  ^cibniä. 

giöfe  ©emeitttoefen,  beffen  3l{)fef)ett  bie  erotge  ©lücffeligfeit  ift.  ^)  S)a= 
gegen  l^at  er  atterbingS  nid^t  ganj  wenige  politif(^e  @e(egen{)eit§fc^nften, 
I;auptfä($Uc^  äur  S3eftreitung  ber  frait-öfifc^en  Singriffe  unb  Slnma^ungen, 
»erfaßt;  nnb  neben  feiner  bentfd^  =  patriotifd;en  ©efinnnng  fommt  in 
benfelOen  and;  feine  2luffaffung  beg  ©taat§(eben§  gnm  2ln§bru(f.  @r 
t)erlangt,  bo^  fi(J^  SDentf(^(anb  gum  ©(|n|  feiner  Ilnabijängigfeit  nnb 
feines  @c6iete§  fefter  üerbinbe,  ba^  e§  fid^  burd^  eine  fieffere  2ßeJ)rt)er; 
faffnng  fidlere,  ba|  bie  ©onberred^te  ber  dürften  nnb  Territorien  mit 
ben  nneriä^lid^en  dliä)Un  ber  Dieid^Sgcraalt  ins  ©leid^geinic^t  gebradjt 
werben  n.  f.  in.  Slkr  biefe  SSorfd;(äge  nnb  2öünfd;e  begiefien  fid;  gn- 
näd;ft  bod)  nnr  auf  biefeS  beftiinmte  Sanb  nnb  bie  gegebene  Sage,  unb 
fönnen  eine  pf)iIofopf)ifd;e  Unterfud^ung  über  bie  allgemeinen  Slnfgaben 
unb  ^ebingungen  beS  (Staatslebens  nid§t  erfe|en.^) 

8.    25ftS  SaSeltganäe  «üb  bie  ©ott^cit 

• 

<2d^on  im  bisfierigen  l)at  eS  fid;  ge5eigt,  ba^  baS  leibnigifc^e  6i)ftem 
feinen  2lbfd;luB  nur  in  einer  ^etrad^tung  finben  fann,  meli^e  alleS 
SQBirflid^e  umfaßt  unb  oerfnüpft,  alleS  auf  feinen  letzten  ©rnnb  unb 
3raed  begießt,  nnb  von  biefem  ©tanbpunft  ans  bie  gragen  beantraortet, 
bie  jebe  befdiränftere  Unterfud^ung  offen  lä^t.  ®ie  3)lonaben(et)re  geigt 
in  ben  einfad;en  2Befen  bie  @runbbeftanbtl)eile  atteS  ©eins  auf;  aber 
fie  fann  meber  bie  inbiüibueHe  33eftimmtf)eit  jeber  einzelnen  3Jlonabe, 
nod^  ben  3iifoiiii^i^i^^öi^9  (ißer  3)lonaben  anberS  als  burd;  bie  SSorauS^ 
fe^nng  erllären,  baB  fie  atte  ©in  ©angeS  bilben,  nnb  jeber  non  it)nen 
if)re  ^Ratur  unb  ©ntraidhmg  üon  Slnfang  an  nad;  SJIa^gabe  beffen  be- 
ftimmt  fei,  raaS  bie  9lüdfid;t  auf  aüe  anbern  unb  auf  baS  ©ange  forbert. 
2)ie  30^onabenlef)re  fn^rt  balier  mit  innerer  9^ot(;n)enbtgfeit  gn  bem  ©yftem 
ber  präftabitirten  Harmonie.  ^Inx  auS  biefem  Oijftem  mei^  Seibnij, 
tt)ie  mir  feiner  3eit  gel)ört  liaben,  auc^  bie  ©efe^e  ber  33eroegung  in  ber 
Äörperraeit  nnb  bie  SSerbinbung  bcS  Körpers  mit  ber  (Seele  ju  begreifen ; 
aus  if)m  ergiebt  fid;  für  unfer  ©rfennen  jener  @runbfa|,  welchen  er  in 

1)  Sgl.  !i!eibui3  bcutfc^e  ®cf)ritten  öon  ©u'^vauer  I,  416. 

2)  lieber  i'etbniy  potitifc^c  ®(f)riften  unb  poUtifdjen  ©tanbpiinft  ügt.  iit.  §in  = 
ric^S,  &t\d).  b.  gtec^tä  =  u.  ©taatSprinctpien  111,  44ff. ,  t.  gif ^ er,  @cfd^. 
b.  n.  $^.  II,  107  ff.  l'JOff.  204  ff;  bcfonberö  aber  ^^5f teiberer ,  ®.  S.  Wbms  a)§ 
^^atrtot  u.  f.  lü.  (?ps.  1870);  über  feine  3taat§(e]^ve  überhaupt  iötuntfd^H,  ©efit;. 
b.  aüg,  ©taatSrec^tS  145  ff. 


S5a3  ®emcinwe|en.    2)a3  SBeltganje.  125 

bie  Sogif  eingeführt  f)ot,  her  <Bai^  be0  jitrei^enben  @runbe§;  in  ifjm 
finbet  bie  (£itt(i(^feit,  luefd^e  bcf)f)alb  ouf  i^rer  p(^ften  ©tnfe  jur 
g-römmigfeit  wirb,  if)re  tieffte  Segrünbung,  in  if)m  liegt  and;  für  unfern 
^^ilofopfien  ta§>  einjige  SJiittef,  um  un§  mit  ben  gärten  feines  ®eter= 
mimfmul  gu  üerföfinen.  2Bir  finb  nun  biefein  (Softem  in  feiner  ab- 
ftraften,  ntetapf)i)fif(^en  Raffung  fd)on  früher  (6.  93  ff.)  begegnet,  in^ 
bem  tt)ir  in  ber  präftabilirten  Harmonie  bie  unerläBüd^e  ^ebingung  für 
ben  ^wf'^Tiii^c^^ö^tg  ^^i"  3}ionaben  erfannten.  (S§  entfielt  je^t  aber  auc^ 
bie  weitere  2lufgabe,  biefe  Harmonie  ai§>  t]^atfQcf;üd^  yor^anben  in  ber 
roirflic^en  Sßelt  nQd;5un)eifen ,  unb  ben  ©runb  berfelben,  weld^er  mit 
bem  @runb  atter  Singe  notfiroenbig  jufammcnfäKt,  Qufjujeigen.  S^a§ 
le|tere  feiftet  Seibnig  burd;  feine  S3efttmmungen  über  bie  ©ottfieit,  bQ§ 
erftere  burd^  feine  Sefire  oon  ber  beften  Sßelt. 

5)er  ^emeis  für  ba§  ®afein  @otte§  ift  befanntfid^  üon  ben  ^l^i(o= 
foptjen  unb  ^fieologen  auf  nielertei  Slrt  gefüf)rt  morbcn.  2lud;  Seibnij 
bebient  fidj  für  benfetben  üerfd;iebener  Jöenbungen.  @r  fudjt  ben  onto=  ^ 
Iogifd)en  beweis»  S)e§carte§'  burd;  bie  33emerfung  gu  ergangen,  ha^  er 
gmar  ni(^t  unbebingt  beroeifenb  fei,  luof)!  aber  unter  einer  beftimmten 
33ebingung:  au^i  bem  53egriff  ©otteS,  ai§>  be§  üoUfommenften  2Befen§, 
folge  allerbing»  bie  0iot^roenbigfeit  feiner  ©yifteng,  aber  bod;  nur  bann, 
roenn  biefer  Segriff  fetbft  mög(ic^  fei,  menn  er  ein  n)iberfpru(^lofer  Se^ 
griff,  unb  mit()in  jene  Definition  rid^tig  fei.  ^)  @r  fügt  il^m  ba§  fofmo; 
logifc^e  Strgument  bei,  menn  er  ausführt:  o'^ne  bie  SSorauSfeljung  eines 
not^roenbigen  2öe'en§  (äffe  fic^  fein  möglid^eS  SBcfen  beuten,  benn  aUeS, 
was  nid;t  burd;  fid^  felbft  ift,  raa§  alfo  für  fid;  genommen  b(o§  möglid) 
ift,  fe^e  ein  burd^  fid^  felbft  feienbeS,  unb  fomit  notljroenbigeS  SBefen 
üorauS  ;  unb  in  einer  fpeciellercn  äOenbung :  bie  eroigen  unb  notl)n)enbt= 
gen  2Ba^rl)eiten  tonnen  nur  in  bem  3>erftanb  eine»  not^roenbigen  2öefen§ 
gegrünbet  fein,  nur  an  i^m  ba§  «Subjeft  l^aben,  in  bem  fie  eyiftiren.  '^ 
2)er  il)m  eigentl)ümlic^fte  SeroeiS  aber,  auf  ben  er  felbft  axiä)  ben  gröB== 
ten  Sertl)  legt,  ift  bod;  nur  ber,  roeld;cr  ron  bem  ©ebanfeu  ber  üor^ 
Ijerbeftimmten  .^armouie   au§gef)enb,   bie  fofmologifc^e   Seroei§fü§rung 


1)  0.  P.  78.  80.  138.  177.  374  f.  708,  45  ügl.  110. 

2)  0.  P.  177.  708,  43  f.  719.  148.  380.  ®te  ältere,  anftoteIifd)e  ^orm  beS  fof-- 
motogifc^eu  iBeroeifeS,  \vtlä)t  au§  ber  DJatur  ber  S3etüegung  bie  9?üt^njenbigfeit  eines 
erfteu  33eircgenben  ableitet,  »reiche  ober  ?.  m  biefer  gorm  fpäter  ntcE)t  me'^r  gebraud^en 
fonnte,  finbet  fic^  0.  P.  7.  45  f. 


126  Seibniä- 

au§  ber  ßwfäHigfeit  ber  2?elt  unb  bie  teleologifc^e  aus  i^rer  jioccf^ 
möBigen  ©inrid^tung  ucrbmbet  ®0  finb  un§  in  ber  2Belt  japofe 
S)inge  unb  $ßorgänge  gegeben,  bie  für  fi(^  genommen  alte  auci^  anber§ 
fein  fönnten;  unb  fönnen  mir  auc^  jebeS  von  tfinen  au§  früJieren  ©in^ 
gen  unb  S^orgängen  ableiten  unb  tnfofern  als  notl^roenbig  betrad^tcn, 
fo  ift  boc^  biefe  SZot^raenbigfcit  feine  nnbebingte,  metl^apl^ijfifc^e,  fonbern 
nur  eine  bebingte,  p^ijfifaüfc^e :  menn  bie  35crgangenfteit  fo  war,  wie  fie 
war,  fo  mu^  auc^  bie  ©egenroart  fo  fein,  raie  fie  ift,  menn  alle  anbern 
SBefen  biefe  beftimmte  Sefc^affenfieit  fiaben,  fo  mufe  aud;  jebe§  gegebene 
SSefen  fo  bef(^affen  fein,  wie  e§  tt)atfäd^Ii($  befi^affen  ift:  aber  ba^  ber 
bisherige  SBeltlauf  fo  fein  mu^te,  ha'^  bie  @efammtf)eit  ber  Sßefen  fo 
ift  unb  nic^t  anberS,  bafür  lä^t  firfj  in  ifinen  felbft  fein  groingenber 
©runb  aufzeigen,  unb  wie  weit  mir  au(^  in  ber  Steifie  ber  llrfad;en 
gurücfge^en  mijgen,  nie  merben  mir  in  berfelben  auf  etma§  fto^en,  ma§ 
unbebingt,  burd^  fid^  felbft,  unb  nic^t  blo§  bebingtermeife,  iinter  ber 
S3orau§f2|ung  eines  anberen,  notlimenbig  märe.  SBenn  mir  bafier  fra= 
gen,  marum  überhaupt  etma§  ej-iftirt,  unb  nic^t  nid^tS,  marum  gerabe 
biefe  Sßelt,  unb  nid^t  eine  anbere,  mo  ber  le^te  ©runb  aller  Singe  gu 
fud^en  ift,  fo  fönnen  mir  biefe  ?^rage  nidl;t  mit  ber  3^ad^meifung  foldl;er 
Urfai^en  beantmorten,  meldte  felbft  einen  3:f)eil  ber  Sßelt  bitben;  benn 
üon  biefen  ift  feine  eine  Ie|te,  unbebingte ;  fonbern  mir  muffen  über  bie 
9leil)e  beS  58ebingten  gänjlid^  fiinauSge^en :  ber  le^te  ©runb  alleS  be= 
bingten  unb  relatit)  notl^menbigen  fann  nur  in  einem  unbebingt  notf); 
roenbigen,  ber  le^te  @runb  ber  SBelt  nur  in  einem  auBerroeltlidf;en  Söefen 
liegen.  S)iefe§  SBefen  fann  nur  @ine§  fein,  benn  ber  3wfammenf)ang 
aller  SDinge  beraeift  bie  @inf)eit  il^rer  Hrfac^e;  e»  muB  i^m  ein  unenb= 
lieber  SSerftanb  gufommen,  benn  nur  ein  fol(^er  fonnte  alle  möglid^en 
Sßelten  fennen  unb  ©ine  aus  i^nen  auSroälilen;  ein  unenblicljer  SBille 
ober  eine  unenblid^e  ©üte,  benn  nur  nad;  bem  ©efid^tSpunft  beS  ©uten 
fann  jene  SluSraa^I  getroffen  fein;  eine  unenb(i(^e  3Jtad;t,  benn  fonft 
fonnte  eS  jenen  2öillen  nid^t  auSfüliren.  S)iefe  ganje  S3eraeiSfü^rung  er; 
f)ält  aber,  mie  Seibnij  felbft  bemerft  (0.  P.  376),  il^re  woHe  ©id^erfieit 
erft  in  bem  ©ijftem  ber  üorl^erbeftimmten  |)armonie;  erft  auf  feinem 
58oben  üermanbelt  fic^  il)re  bis  baf)in  bloS  moralifd^e  ©emif3f)eit  in  eine 
metapl)ijfifd^e.  6o  lange  man  eine  gegenfeitige  Ginmirfung  ber  Singe 
auf  einanber  jugiebt,  fann  bie  gefammte  (Svfd^einungSmelt  gunäd^ft  nur 
als  baS   C^rge6nif3  auS  ber  3Bed)felunifnng  aller  ber  2öefen  betradjtet 


2)ic  ©Dtt^eit.  127 

werben,  rüe{ä)e  bie  urfpriiiujltc^en  ©(emente  hex  'Bett  tnlbeii;  imb  ob 
neben  biefen  nnb  bcm  au^3  ifjncn  beftcfienben  @an3en  nocfi  ein  weiteres, 
anBerroeftlic^eS  2Se[en  at»  SSelturljeber  an^une^men  ift,  müBte  erft  nn= 
terfnci^t  werben,  ©inb  bagegen  bie  @in3efn)eien ,  an§  benen  bie  Söelt 
uriprünglic^  beftef)t,  nur  bnrd^  eine  präftabilirte  Harmonie  mit  einanbcr 
verbunben,  ofine  bireft  auf  einanber  3U  wirfen,  fo  Hegt  am  2^oge,  baf, 
e§  ein  oon  i^nen  aüen  uerfd^iebeneS  SBejen  geben  muB,  mcldie»  bie[e 
un5äf)ligen  SBefen  t)on  Stnfang  an  auf  einonber  berechnet,  jebcm  uon 
if)nni  gtei^  bei  feiner  (Sntfteliung  biejeuige  Statur  üerliefien,  unb  chen-- 
bamit  bie  ßntroirflung  in  i(jm  angelegt  t)at,  wetd^e  mit  ber  9f?atur  unb 
©ntmicftung  ader  anberen  SBefen  am  beften  übereinftimmte ;  baf3  bie  5I9e(t 
nur  ba§  SJBer!  einer  unenb(i(^en  i^nteUigenj,  eines  bie  t)öd;ften  ^wcä- 
begriffe  mit  nnbcfdjränfter  '^Mä)t  unb  Ginfid^t  auSfütjrenben  fdjöpferi= 
fd^en  Sibiriens  fein  fann.  „S)iefe  uoHfommene  Uebereinftimmnng  fo  üie(er 
©ubftansen,  bie  mit  einanber  in  feinem  3?crfef)r  ftei)en,  fann  (wie  Seibniä 
mit  9ted;t  fagt)  nur  non  einer  gemeinfd^aftlidjen  lXrfad)c  f)errüf)ren/'  ') 
SBenn  bof)er  and;  ber  aßgemeine  ©ebanfe  beS  fofmologifc^en  unb  tefeo- 
logifc^en  33en}eiieS,  baf?  bie  ^wfölligfeit  ber  SOBelt  auf  ein  notf)iüenbige§ 
2öefcn,  bie  ^^^k^cf^^öfiigfeit  berfclben  auf  eine  smcdfe^enbe  ^utefligenj 
atS  if)rc  Urfad;e  f)iniüeife,  lange  vor  lieibnis  auSgefpro(^en  mürbe,  wenn 
un§  and)  bei  i^m  fetbft  ber  ©a^,  ba^  ©ott  bie  Harmonie  ber  2öe(t  fei, 
früber  begegnet,  afS  ber  53egriff  ber  2)tonabe  ^),  fo  erf)a(ten  bod)  biefe 
©ebanfen  erft  in  feinem  fpäteren  anSgebifbeten  ©yftem  bie  beftimmtere 
@efta(t,  nadj  roeldjer  bie  @ottf)eit  afS  überroe(t(id;e  intelligent  bemfelben 
gerabe  bcfstialb  uncntbel)rtid;  ift,  weit  nur  burd;  fie  bie  3al)nofen,  burd^ 
feine  unmittelbare  S>ed}feliüirfuug  mit  einanber  uerfnüpften  2)Jonaben  in 
3Serbinbuug  gebradjt  werben  lönnen,  nur  burd^  fie  jener  einl)eitlidje, 
f)armonifdjc  ^U'ammenfjang  alles  @einS  liergeftcllt  werben  fann,  ber  unS 
als  2l)atfacl)e  gegeben  ift,  weil  nur  ein  ©ott  bie  ©efammt^eit  ber 
3Honaben  uon  Slnfang  an  fo  fdjaffen  fonnte,  wie  fie  fein  mußten,  bamit 
fie  eine  SBelt,  unb  bamit  fie  biefe  Sßelt  bilben. 


1)  0.  P.  128,  376  430.  2)a§  weitere  ebenba  unb  ®.  147  f.  506,  7.  515,  44- 
7U7,  35  f.  716,  7  f.  773,  87. 

2)  iSd)on  tu  etnetn  Schreiben  öcu  J671  (6.  ÄIopp  I,  3,  259)  [agt  cv:  „in  theo- 
logia  naturali  tijnne  er  bewcifen,  ba&  eine  ratio  ultima  rerum  seu  harmonia  univer- 
salis, id  est  Deus,  fein  muffe." 


128  ^txM^. 

©benbatier  rüfirt  e§,  bo^  unter  ben  ©tgenfd^aften  @ottc§  feine  Qn= 
bere  Bei  Seibnij  fo  ftarf  l^erüortritt,  loie  bie  ber  2ßei§!)eit.  ©ott  mu^te 
atte  bie  unjäfitigen  ©injetiüefen  unb  alle  bie  un^äfiligen  Kombinationen 
unb  ©ntwicfelungen  berfelben,  nic^t  blo3  bie  wirfüd^  geworbenen,  fott= 
bern  ond^  bie  bro§  mög(id;en,  üollfommen  burd;f($auen,  er  mu^te  an^er 
ber  2öe(t,  bie  er  in'g  ©afein  gerufen  f)at,  aud^  alle  anbern  benf baren 
SBetten  unb  alle  ilire  Sllieile  6i§  auf's  eiuäelfte  l)inau§  fennen  unb  au§ 
il)nen  bie  üollfommenfte  auSraä^len,  er  mu^te  ben  ganjen,  fo  unenbli^ 
t)erioi(fetten  unb  bewunberungSwürbigen  SBeltplan  entwerfen.  S)ieB  raar 
bie  <Baä)e  ber  l)öd;ften  9Bei§l)eit,  be§  üoHfommenften  2Biffen§ ;  mit  biefem 
SSiffen  mar  anbererfeits  ba§  voHfornmene  Söollen  unb  können  für  un= 
fern  ^^ilofoplien  unmittelbar  gegeben.  5Die  SöeiSfieit  ift  bal^er  bie  eigettt= 
lic^e  ©runbbeftimmung  be§  leibnijifd^en  ©otteäbegrip.  „®ott  fteHt  fid^ 
alle§  üoHftänbig  mit  üoKfommener  ©eutlid^feit  ^ugleid^  üor,  ba§  2Jiög= 
lid^e  unb  ba§  9Sirflicl;e,  ha^  33ergangene,  ©egenmörtige  unb  ^ufünftige. 
@r  ift  bie  allgemeine  üuelte  üon  allem;  bie  gefd^affenen  3}lonaben  al)= 
men  ilin  nad^,  fo  gut  fie  e§  vermögen/'  aber  feine  üon  ilmen  fann  bie 
gleiche  3)eutlid^feit  il)re§  5ßorftellen§  erreichen,  fonft  märe  jebe  ©eele  eine 
©ottt)eit.  ^)  9^ur  bie  S)eutlid;!eit  il)re§  SSorfteHenS  ift  e§  ja  überhaupt, 
moburi^  bie  SJlonaben  fic^  t)on  einanber  unterf(^eiben :  alle  finb  ein 
©piegel  be§  UniücrfumS,  alle  l^aben  bie  33orftellung  aUea  äöirflid^en  unb 
3}löglic^en  trgenbraie  in  fic^;  aber  je  üottftänbiger  biefe  SSorftellung  gur 
S)eutlid^feit  entroidelt  ift,  um  fo  üollfommener  finb  fie;  mo  bal)er  alle§ 
abfolut  beutlid^  üorgeftettt  mirb,  ba  ift  bie  abfolute  3}ollf ommenlieit :  ba6 
üollfommene  SBiffen  ift  baS  unterfd^eibcnbe  3Jierfmal  be§  f)öd^ften  9Sefen§. 

2ßie  l)aben  mir  uns  nun  unter  biefer  3]orau§fe|ung  bie  ©ntfteljung 
ber  2Belt  gu  beulen,  unb  mie  mu§  bie  2Belt  befd;affen  fein,  wenn  fie 
baS  2öerf  ber  l)ö(^ften  SBeiS^eit  ift?  S)o  nad^  Seibnij  nur  bie  ewigen 
2iBal)rl)eiten,  nur  bie  allgemeinen  logifd^en,  metapliyfifd^en  unb  matl)emati= 
fc^en  ©efe^e  unbebingt  notliwenbig  finb,  aEe§  t^atfäd^lid;  nor^anbene 
bagegen  unb  alle  feine  @efe|e  aud;  anberS  fein  fönnten  (f.  o.  ©.  114  f.), 
fo  giebt  eS  aufeer  ben  ©ingen,  wcld^e  tl)atfäd;lid)  uorlianben  finb,  noc^ 
uuää^lige  anbere,  an  fid;  fetbft  gteid^faHS  mögliche  ®inge  unb  ßombinationen 
üon  fingen,  au^er  ber  wirflid;en  2öelt  ungä^lige  möglid^e  Selten.  2llle 
biefe  5IRögtic^feiten  ftreben  wirtlid^  3U  werben,  unb  alle  '^abm  baju  gleid;^ 


1)  0.  P.  187  bgl.  709,  60.  540,  124. 


2)te  bcflc  SBelt.  129 

fel^r  bQ§  ^^ö)t,  jebe  nod^  äJioBgabe  ber  9tealität,  bie  fte  entljält;  ba 
aber  bie  ^ßerrairflid^ung  einer  jeben  oon  ben  benf(iaren  SBelten  bie  aller 
anberen  ou^fd^HeBt,  fo  entfielet  l^ieroug  ein  ^ampf  jiuifd^en  ifinen,  ber 
fic^  atterbingS  nur  ibeell,  im  götttid^en  3}erftonbe  üoff^tel^t;  unb  ba§ 
(gnbergebniB  fann  nur  bal  fein,  ba§  biejenige  (SomBination  ben  (Sieg 
baüon  trägt,  raeld^e  bie  größte  ©uninte  be§  ©ein^,  ober  raoS  ba«[el(ie, 
bie  grij^te  SSoIIfommen^eit  in  \iä)  [d^lieBt.  @g  folgt  fo  anB  ber  Statur 
ber  <Ba^e,  ba^  unter  ben  ja^Uofen  möglichen  SBelten  nur  bie  üollfom-- 
menfte,  unb  unter  ben  jaliUofen  mögti($en  3)ingen  nur  biejenigen  roir!= 
l{(j^  werben  fönnen,  raefd^e  in  bie  tjollfomntenfte  2öeft  paffen ;  e3  gefd^ie^t 
bieB,  wie  Sei6ni3  fid^  ouSbrüdt,  oermöge  einer  göttlid^en  9)?at^ematif, 
eines  metapt)i)fif^en  3}ted[;anifmu§ ,  baS  ©egent^eil  würbe  eine  llnt)oII= 
fommen{)eit,  eine  „ntorolifd^e  Sltifurbität"  mit  fidf;  hingen.  SBenn  aik^, 
WQ§  ift  unb  gefc^ie^t,  feinen  5ureid^enben  ©runb  ^ahen  muB,  fo  fann 
ber  @runb  für  baS  ©afein  ber  2öe(t  unb  aller  ©ingc  in  ber  SBett  nur 
in  ber  burd^  fie  ju  erreid^cnben  33oIIfommen^eit,  a(§  bem  ^'6^\kn  5öelt= 
gwecf,  liegen  ^).  SeiBnij  ftettt  bie^  nun  gewö^nlid^  fo  bar,  aU  ob  fid^ 
©Ott  bei  @rfd;affung  ber  Sßeft  ade  bie  un^ö^Iigen  möglid^en  Söelten  in 
feinem  SSerftanbe  vergegenwärtigt  unb  au§  benfclben  bie  üoHfommcnfte 
au^gewäfitt  f)ötte  ^);  unb  er  will  bie  SBelt  unb  ben  2öe(tlauf  an^  biefem 
©runbe  nietet  oon  einer  abfotuten  ober  metop^i)fifc^en,  fonbern  nur  üon 
einer  t)i}pot^etifd^en  ober  moralifd^en  Df^ot^wenbigfeit  fierleiten  ^).  (g§ 
Iä§t  fid^  inbeffen  unfcfjwer  nac^weifen,  ba^  bie  33orau§fe|ungen  feines 
eigenen  ©yftcmS  i^m  ba^u  fein  9tcd^t  geben.  3Die  metapf)9fifd;e  9^otf)= 
wenbigfeit  fott  fid^  üon  ber  moralifd^en  baburd^  unterf^eiben ,  ba^  jene 
einen  unwiberftepd^en  3wß"9  i«it  fic^  bringe  (neceffitire) ,  biefe  nur 
eine  S^teigung  begrünbe  (indinire),  jene  ben  entfprec^enben  Erfolg  burc§ 
fic^  felbft  f)erbetfüf)re,  biefe  nur  t)ermittelft  ber  göttli^cn  @üte  unb  2Bei§-' 
fieit,  jene  üou  ben  wirfenben  Urfad^en  abl^änge,  biefe  üon  ben  ©nbur^ 
fachen,  ben  ^xüeäen;  wa§  metap{)i)fifd^  notl^wenbig  ift,  bat)on  ift  nad^ 
Seibnij  ba§  ©egentlieil  unmöglich,  \va^  bloS  moralifd^  notl^wenbig  ift, 

1)  0.  P.  99.  147  f.  565,  201.  716,  10.  bgl.  447.  506,  7.  548,  149.  601,  335 
u.  0.  ®t. 

2)  3.  33.  0.  P.  517,  52.  573,  225.  447.  656,  41  f.  716,  10. 

3)  0.  P.  148.  254.  447  f.  480,  2.  557,  173  f.  565,  201.  575,  234  f.  605,  349 
630,  3.  641,  14.  656,  43.  708,  46  u.  ö. ;  ögl.  m$  @.  114  f.  über  ben  Unterfd^teb 
ber  nott)tüenbigen  unb  jufäütgcn  SBa^r^eitcn  bemetft  i|!. 

3 euer,  ©ej^iite  ber  beiitjcften  '•:)J^tfo{Dp^ie.  9 


130  ?etbni3. 

baüon  ift  ba§  ©egent^eit  möglich,  aber  e§  unterbleibt,  well  e§>  fi(^  mit 
ber  ^oüfommenfieit  ber  2Belt  nid^t  vertragen  raürbe,  -roeit  e§,  raie  er 
fic^  au^brücft  ^),  ätoar  poffibel,  aber  nid^t  conipoffibel  (mit  anberem  uer= 
einbar)  ift.  Sajs  a(fo  5.  S.  bei  einer  üom  9tuf)epun!t  an§>  gleid^möBig 
befd;lemugten  Bewegung  bie  burdjmeffenen  Stäume  fi(^  rerfialtcn,  raie 
bie  Cuabrate  ber  Seraegung^^eiteu,  bie^  mü^te  Seibni^  für  metap^yfifc^ 
ober  motf)cmatifd;  notf)raenbig  erklären,  benn  ba§  @egentf)eil  ift  unbenf^ 
bar;  bafs  bagcgen  ber  gaE  fd;raerer  Äörper  eine  gleid^mä^ig  befi^leunigte 
S3eraegung  ift,  nur  für  mora(if(^  notf)raenbig,  benn  bie^  beruf)t  auf  ber 
9latur  ber  <Bä)meve,  bereu  @efe|e  if)m  jufolge  (f.  0.  ©.  104),  rate  aife 
9iatur-'  ober  S3eraegung§gefe|e,  an  fid;  feibft  aud;  anbere  fein  fönnten, 
unb  oou  ©Ott  nur  au§  3^y^<Ji"ö^igfeit£^grünben  fo  unb  ni($t  anber§ 
beftimmt  raurben.  Slllein  biefe  llnter)'d;eibung  ift,  wenn  man  nä^er  ^n- 
fief)t,  nid;t  allein  uuerf)eblid^ ,  fonbern  gerabe^u  irrefü^renb.  SSa§  bto§ 
moralif(|  notf)roenbig  ift,  ftatt  beffen  raäre,  wie  befiauptet  wirb,  au^ 
etwas  anbereS  möglich;  wenn  nur  jene§  wirflid;  geworben  ift  unb  nid^t 
biefeS,  fo  foll  ber  ©runb  bauon  einzig  unb  allein  barin  liegen,  ba|3 
©Ott  bie  SBelt  mögli(^ft  roKfommen  liaben  wollte,  unb  mit  biefer  tlirer 
SSoflfommen^eit  nur  jenes,  nic^t  biefeS,  fid;  oertrug.  Slber  ift  e§  benn 
mögüd),  baB  @ott  etwaS  anbereS,  als  baS  bcftmöglii^e,  tl)ue?  ift  eS 
benfbar,  baB  er  ftatt  einer  befferen  2Belt  eine  fd^lec^tere  fc^affe?  Seibnij 
fetbft  fagt,  biefe  Sel)auptung  würbe  eine  „moralifc^e  3lbfurbität"  in 
fic^  fdjlieBen;  ©ott  fei  in  feinem  ^l)un  immer  beftimmt,  benn  er  fönne 
nid^t  anberS  als  baS  33efte  wählen;  jebe  anbere  Slnnalime  würbe  feiner 
2öeiSl)eit,  feiner  @üte,  feiner  3SoI(tommen^eit ,  feiner  ©lüdfeligfeit  ®in; 
trag  tl)un;  ©ott  fei  nid;t  im  ©taub,  oline  ©rünbe  ju  l)anbeln;  feine 
©Ute  unb  2SeiSl)eit  folge  aus  feiner  ^^atur;  "oa  er  ber  oolllommenfte 
©eift  fei,  fo  fei  eS  unmöglidj,  baB  er  nid;t  burc^  bie  ibeefle  ^Ratur  ber 
Singe  ju  bem  S3eften  gonötl)igt  werben  foKte  ^)  u.  f.  w.  S^amit  ift  jene 
Unterfd^eibung  ber  moralifdjen  unb  metapl)ijfif(^en  9Zot^wenbigfeit  in 
2ßal)rl)eit  wieber  äurüdfgenommen.  S)aB  baS  üoUfommene  Sßefen  immer 
baS  33efte  tl)ue,  ift  oermöge  feiner  ^f^atur,  alfo  metapljijfifc^,  notl)weubig, 
unb  baS  ©cgcnt^eit  ift  gerabe  fo  unmijglid;,  ein  ebenfo   unmittelbarer 


1)  0.  P.  293.  312.  719  f. 

2)  0.  P.  118.  191.  263.  448.  516,  45.  538,  122.  563,  191.  564,  196.  565,201- 
573,  224.654,  21.   Xvenbc leiiburg ,  .^iftov.  «eitt.II,  190.  Sgl.  aiic^  0.  P.  438,23. 


2)te  befte  Sßelt.  131 

loglfd^er  SBiberfpruc^ ,  raie  etwa  ber  @a|,  \)a^  ba§  Üuobrat  runb  fei; 
nidjt  niinber  unmöglich  imb  loiberfpred^enb  tft  ea  oBer  oud^,  311  be{)aup= 
teil,  baB  ©Ott  tro^bem  anber§  fianbeln  fönnte,  otg  er  iüir!(id;  l^anbelt; 
benn  in  jebem  gegeknen  gade  fann  ja  bod^,  wie  bie§  auä)  Seibnis  au= 
erfennt,  nur  ßine§  ba§  befte  fein,  nnb  wenn  e§  fid;  nid^t  fo  üerl)ielte, 
fo  fönnte  @ott,  raie  er  au§brnd(ic^  bemerft,  gar  m(^t  f)onbcln,  ba  er  ja 
anbernfall^,  feiner  Söei^^eit  juroiber,  o^ne  jureid^enben  ©runb  l^anbeln 
TOÜrbe.  9Ba§  bemnad;  unfer  ^^ilofopf)  eine  Uo§>  moratifc^e  DZotfiroenbig- 
feit  nennt,  ift  in  2Ba{)rf)eit  gleidjfaUS  eine  ntetapfnjfifd^e,  eine  fo(d;e, 
bereu  ©egentfieil  einen  Sßiberfprut^  in  fid^  fd^lie^t ;  roaS  er  mögüd^, 
aber  incompoffibet ,  nennt,  ift  in  23af)rf)eit  unmögtid;;  benn  ntögtid^ 
wäre  e§  nur,  luenn  e§>  aU  biefe^  beftimmte  Sing  benfbar  roäre;  biefeS 
beftimmte  S)ing  ift  e§  aber  nur,  wenn  e§  biefe  ©teile  im  2öeltgan5en 
einnimmt;  menn  e»  im  3ufQ"i»icnf)ang  be»  2öe(tgan3en  feinen  Dtaum 
finbet,  fo  ift  eg  al§  biefe§  S)ing  unmöglid;.  ^ene  ganje  llnterfd^cibung 
ift  baf)er  unhaltbar:  aus  ben  (cibnisifd^en  5?orau§fe^ungen  folgt,  bafe 
affe§  SBirftid^e  g'eid^fefir  not()n)enbig,  unb  a(fe§,  roaS  nic^t  jur  SBirfüd^:: 
feit  gelangt,  gleid^fe^r  unmögtid^  ift.  ®er  llnterfdjieb  ber  moralifd;en 
unb  metap^i;fifd^en  9?ot^rocnbigfeit  liegt  nid^t  in  ber  <Ba^e,  fonbern  nur 
in  unferer  S3etradjtung§TOcife :  roenn  mir  bie  9totf)roenbigfeit  einer  Söe; 
ftimmung  üoUftönbig  einfet)en,  erfd^eint  fie  ung  als  eine  unbebingte  ober 
metapfiyfifd^e,  roenn  mir  fie  nur  tfieilroeife  einfel^en,  a(§  eine  bebingte 
ober  b(o0  moralifd^e.  ©bcnbamit  fiebt  fid;  aber  aud;  bie  ^Sorftettung 
t)on  einer  2öal)l  auf,  roe(d;e  ©ott  3roif(^en  mehreren,  ober  iüof)t  gar  un- 
ääf)l{gen  möglid^en  Söeltcn  getroffen  ^abc:  ha  unter  allen  biefen  2BeIten 
nur  6ine  bie  befte  roar,  mar  and;  fie  adein  möglich,  fie  affein  trug  bie 
5Bebingungen  i^rer  Gyiftenj  in  fid^,  atte  anberen  bagegen  waren  unmög= 
lid^,  unb  fonnten  für  ben  uoUfommenen  ^Berftanb,  roelc^em  biefe  if)re 
Unmögüd^fcit  üon  Slnfang  an  tlax  fein  mußte,  gar  nid;t  a(§  TOöt)tbar 
in  Sctrad^t  fommen.  Sine  2Baf)(  ift  nur  benfbar,  roo  ba§  llrtf)ei(  3rot= 
fd^en  oerfc^iebenen  möglichen  ©ntfd^lüffen  f)in;  unb  f)erf(^roanft ;  roo  bie 
ooUenbete  2öei§f)eit  be§  llrt^eitenben  jebe  Unfic^er^eit  über  ba§,  roa§  ju 
tf)un  ift,  au^fc^lieBt,  ba  ift  bie  ßntfd^eibung  in  jebem  Slugenblid  fd^on 
getroffen,  e§  fann  bafier  nie  3U  einer  25>af)(  fommen. 

3}iag  man  nun  aber  ba§  Safein  ber  Söelt  auf  eine  bebingte  ober 
eine  unbebingte  3Zotf)roenbigfeit  jurüdfü^ren,  für  bie  58efc^affenf)eit  ber= 
felbcn  crgiebt  fid)  in  beiben  gäden  baS   gteid^e.    Sa  ber  SBeltlauf  auf 

9* 


132  Scifemj. 

einer  götKid^cn  3?orf)erbeftimmuiig  6eruf)t,  unb  ba  Bei  bicfer  ^BorfierBe^ 
ftimniuno  aITc§  einjetno  in  ber  2Bett  berüdfic^tigt,  alle  93lögnc^feiten 
gegen  etnanber  abgewogen  würben,  fo  fann  nic^t  ba§  geringfte  in  ber 
9Bett  anberS  fein,  ai§>  e§  biefe  göttti(f;e  2öettorbnnng  mit  fid^  bringt, 
nnb  Wß  ift  ber  ^DeterminifmnS  nnfereS  ^^ilofopfien,  ®a  e§  aber 
anbererfeits  baS  oollfommene  2Befen  ift,  raefc^eg  ben  SBeltpIan  feftgeftettt 
f)at,  ba  bie  2ln?n)ai)(  unter  ben  jafillofen  möglichen  SBelten  nad)  bem 
^rincip  be§  53eften  getroffen  würbe,  an§  bem  Streit  berfelbcn  um  haS' 
S)a[etn  biejenige  al§>  ©iegerin  f)erüorgieng,  wetd^e  ben  f)ö^ften  ®rab  ber 
3SofIfommenlf)eit  in  fid^  f(i;lo§,  fo  ift  biefe  SBeft  notfiraenbig  bie  abfolut 
befte  üon  alfen  möglid)en  Söelten,  unb  bie^  ift  fein  Dptimifmug. 

S)er  S)eterminifmu§  ift  eine  unmittelbare  ^olge  au§  bem  6i)ftem 
ber  prctftabilirten  Harmonie.  ®enn  jene  allgemeine  llebercinfttiumung 
aller  9)tonaben,  fraft  bereu  jebe,  ofine  eine  ©inmirfung  oon  ben  anborn 
5U  erfalircn,  bod)  atte  xf)xe  Qu'iitxnhc  unb  alle  33eränberungen  berfelben 
getreu  in  fid;  abbilbet  —  biefe  IXebereinftimmung  ift  augenfdjeinlii^ 
nur  bann  möglid^,  wenn  in  ber  urfprünglid^cn  9öettcinrid;tung  bie 
gange  weitere  ßntwidlung  unabftnberlid;  üorgebilbet  ift;  wäre  bogegen 
awä)  nur  bie  fteinfte  3lbweic^ung  t)on  bem  einmal  uorge^eid^netcn,  bei 
ber  2Settj'(^öpfung  in  WuSfid^t  genommenen  SBettlauf  möglich,  fo  wäre 
ber  gange  funftuolle  ^lan  unwieberbringlic^  geftört,  unb  e§  wäre  ni(^t§ 
geringere^,  al^  eine  Umfd^affung  aller  9)lonaben,  notliwenbig,  um  bie 
uniüerfeUe  Harmonie  wieberlierguftetten.  Söie  wir  balier  (<S.  119  f.) 
gefefien  f)aben,  ba^  Seibnig  jeben  Eingriff  ber  menf(^lid)eu  j^^rei^cit  in 
ben  9^atur5ufammenl)ang  auf'g  entf(^iebcnfte  abwel^rt,  fo  erflärt  er  iiber:^ 
fiaupt  ben  götttid^en  SBeltplan  für  burdjauS  unueränberlid;.  „@ott, 
fagt  er,  f)at  unter  galjllofen  9Jlögli(^feiten  ba§  auSgeiuäljlt,  wa§  er  aB 
ba§  gwedmä^igfte  erfannte.  ©obalb  er  aber  einmal  geuiäl)lt  Ijat,  fo  ift 
alles  in  feiner  2öal)l  ein'^egriffen ,  unb  nid^tS  fanu  geäubert  werben, 
benn  er  l)at  atle§  üorl^crgefelicn  unb  ein  für  allemal  georbnet."  „2ltte§ 
in  ber  3öelt  ftel)t  in  Harmonie;  ber  3lllweife  entfdjeibet  baljer  nur  auf 
@runb  feines  @inblicf§  in  alle'?  einjelne,  unb  c6enbef3l)alb  nur  über 
baS  (^an^e.  @§  giebt  nur  ©inen  göttlid^en  9ktl)id;(uf5,  ben  Sefc^luf?, 
biefe  'Steige  ber  S)inge  gur  SBirflid^feit  gu  bringen;  biefcr  ^e'c^luf?  ift 
gefaxt  werben,  nad;bem  alles  in  bie[e  ^leifie  eintreteube  betrad^tet,  unb 
mit  bem,  was  in  anberc  eintritt,  üerglic^en  worben  war;  unb  er  ift 
aus  biet'em  ©runbe  unwanbellmr,    benn  aüeS,   woS  fid;  i^m  entgegen:^ 


S)etermtmfinuS.  133 

f)a(ten  Iie§e,  ift  bei  it)m  f(^on  jum  uorau§  Bcnicffid^tigt/'  „^a^  SScr= 
gleic^uttg  aller  mögltd^en  SBelten  ^at  ©Ott  befc^loffen,  bie  befte  ju 
TOäf)len  unb  in'S  SDafein  §u  füfiren ;"  nad^bem  er  biefcn  Sejc^tuB  einmal 
gefaxt  {)at,  fann  er  nic§t§  me^r  in  biefer  Sßett  ctnbcrn;  „er  täufd^t  fi(^ 
ja  ni(j^t  unb  bereut  nid^t,  unb  i^m  fommt  e§  nid^t  gu,  einen  unuott- 
fommenen  Sefc^luB  5U  f äffen,  welcher  nnv  einen  S;f)eit  im  Singe  fiätte, 
unb  nic^t  ba§  ©anje"  ').  ^n  feinem  ^eterminifmnS  ift  ba^er  unfer 
^^i(ofopf)  fo  confequent  nnb  entfd^iebcn,  als  bie^  nur  jemals  ein  ®pi= 
no^ift  ober  ein  2lnf)änger  ber  ^räbeftination§lef)re  gemefen  ift. 

i^e  au§fd^(ie^lid;er  aber  aßeä  auf  bie  göttlic[;e  Urfäd^iid^feit  5nrücf= 
gefü{)rt  rairb,  um  fo  briugenber  ftellt  fic^  andf;  bie  S^ot^ioenbigfeit 
l^erang,  ben  9fcacf;n)ei§  gu  füljren,  ba^  al[e§  mirflic^  fo  befd;affcn  ift,  wie 
c§>  aU  baä  SSerf  @otte§  bcfcf;affen  fein  muB-  ©in  üodfommcneS  Söefen 
fann  nur  ba§  üoHfommenfte  fdf;affen,  unb  rcenn  e§  and^  oieüeic^t  bie 
3fiatnr  be§  @efd;affenen  mit  fid^  bringt,  ba^  feine  SSottfommcnfieit  feine 
abfolute,  ba^  fie  ber  feinet  ©c^öpferg  nic^t  gleid^  fein  fann,  fo  wirb  e§ 
ii)m  bod^  alle  mit  feiner  Sftatur  unb  ben  Sebiugungen  feinel  SDafeinS 
irgenb  uereinbare  33o(Ifommen{)eit  mittlieiten,  e§  roirb  von  ben  unjä^t 
baren  an  fic^  möglid^en  SBeltcn  nur  bie  befte  in'S  5Dafein  rufen.  3öie 
unbebingt  Seibni^  biefe  Folgerung  anerfannt  Ijat,  erl^edt  an§>  unfern 
bi§t)erigen  ©rörternngen  jur  ©enüge  ^).  9iur  barüber  ändert  er  fi($  nic^t 
gan3  übereinftimmenb,  mie  mir  un§  biefe  33o(Ifommen^eit  beS  2Be(t=: 
gonjen  nä^er  gu  benfen  ^aben:  ob  e§  alle  3Sottfomment)eit ,  bereu  eS 
über^upt  fä§ig  ift,  in  jebem  Slugenbücf  befi^t,  unb  ba^cr  feine  3SoÜ= 
fommcnljeit  bem  ©rabe,  menn  anc^  ni(^t  nott)roenbig  ber  2lrt  nad^,  fid^ 
immer  gleich  bleibt,  ober  ob  eS  fid;  im  gortfi^ritt  ju  immer  l)öl)erer 
5ßonfommen{)eit  befinbet.  i^n  einer  2lbt)anblung  au§  bem  i^alir  1697 
(0.  P.  150)  erflcirt  er  ftd^  für  bie  legiere  2lnnaf)me,  inbem  er  gugleid^ 
ben  ©inmurf,  ba^  bie  SBelt  in  biefem  gaUe  fdjon  längft  jum  ^arabieS 
geworben  fein  mü^te,  mit  ber  ^emerfung  beantmortet :  fo  üiete  <Bnh' 
ftanjen  ancfi  ju  einer  l)o|en  S}otIfommeni)eit  gelangt  fein  mögen,  fo 
bleiben  bod;  roegen  ber  unenbtic^en  2;l)eilbarfeit  ber  9Jlaterie  immer  nod§ 
weitere  übrig,  bie  erft  auf  (Srliebung  au0  il)rem  6d^(ummei'äuftanb 
märten,  unb  beBl;alb  fönne  bie  $8ert)oüfommnung  ber  äöett  nie  an  ein 


1)  0.  P.  447.  656,  41  f.  517,  52  f.  u.  a.  @t. 

2)  iBgl.  ®.  129,   1.   130,  2.    SBetterc  «elege   0.  P.  506,  8.  566,   202.  573, 
225  u.  0. 


134  ?et6nt3. 

Ie|te§  3ie(  fommen.  ^n  ber  ^^eobtcee  bagegen  (c.  202)  fteHt  er  e§ 
nur  üU  einen  möglid;en  %dfi  onf,  baB  ber  2BeIt  nid;t  alle  3Sottfommen= 
t)eit  auf  einmal  mitgett)eilt  werben  fonnte,  nnb  fie  beB^alb  in  einem 
gortfd^ritt  jn  immer  t)ö]^erer  3?oflfomment)eit  begriffen  fei,  ha^  fie  groar 
ttid^t  in  jebem  einzelnen  3"ft(ii^'5/  aber  in  ber  gangen  9iei|e  iJirer  auf-- 
einanberfolgenben  ^uftönbe  bie  befte  fei;  wie  e§>  fid^  {)iemit  v^x^altc, 
fei  fd^roer  ju  fogen.  @benfo  gftfilt  er  in  einem  Srief  t)om3at)r  1715^) 
melirere  mögliche  ^^älle  auf.  Wan  fönne  entweber  annefimen,  baB  bie 
Statur  immer  gtei($  üoUfommen,  ober  ba^  ifire  SSolIfommen^eit  in  be= 
ftänbiger  ^nnalime  begriffen  fei.  Sei  ber  erften  ^orau§fe|ung  fei  e§ 
wal^rfd^einlic^er,  baB  fie  feinen  Slnfang  'i)abe.  5Bei  ber  jmeiten  fönne 
man  fie  entroeber  gleid^fall§  anfangSloS  unb  in  einer  unenblic^en,  il^r 
3iel  nie  errcic^enben  2lnnä^erung  gnr  SSoIffommen^eit  begriffen  fe^en, 
ober  man  fönne  il^r  einen  3eitli(^en  2lnfang§pun!t  geben,  üon  bem  au§ 
fie  immer  weiter  fortfd^reite.  @r  felbft,  fügt  Seibnig  bei,  fefie  nod^  feine 
entfc^eibenben  ©rünbe  für  bie  eine  ober  bie  anbere  oon  biefen  2ln- 
nafimen ;  unb  mirflid^  lä§t  fi^  für  jebe  berfelben  irgenb  eine  oon  feinen 
fonftigen  35orau§fe^ungen  anführen.  ®aB  aber  bie  äSclt  jebenfallg,  für 
weld^e  (Seite  man  fiij^  au(^  entf(^eiben  mag,  ai§>  bie  benfbar  befte  aner^ 
fannt  merben  muffe,  ftef)t  ifim  au^er  ^i^eifel. 

Sßie  »erträgt  fi($  nun  aber  biefe  SSottfommen^eit  ber  SBett  mit  ben 
^fiatfatfien,  n)el(^e  bie  @rfat)rung  un§  unabmeigbar  aufbrängt?  2Sie  ift 
e§  möglich,  ba^  fie  bie  befte  2Be(t  ift,  wenn  bod;  fo  unenblid)  oiel  Un- 
üolltommen^eit ,  ©lenb  unb  ©ünbe  in  i^r  ift?  S)iefe  fd;wierige  unb 
t)ielbefprod;ene  graqe  f)at  auä)  Seibnij  oom  Slnfang  bis  gum  @nbe  feiner 
pl^itofopf)ifc^en  Saufbafin  auf's  ernftlid;fte  befc^äftigt.  ©c^on  1671  ^atte 
er  eine  älb^anblung  über  ben  freien  3öiIIen,  bie  33orfe^ung,  bie  ungleid^e 
$Bertt)eitung  ber  menfc^Iid;en  ©c^idfale,  bie  ©nabcnwal^l  u.  f.  w.  oer= 
fafst,  oon  ber  er  ^offte,  ba^  fie  pr  2lu§gteid;ung  beS  enblofcn  ©treiteS 
über  bie  ^räbcftination  bienen  werbe;  unb  e§>  ift  ju  vermuttien,  bajs 
fd;on    für   biefe  Unterfud;ung  ber  ©ebaufe  ber  allgemeinen  Harmonie 


1)  0.  P.  733  ög(.  743  f.  745.    ©onft  fcljt  l'eibuiä  burc^roeg   einen  äöetlanfang 
iiovang,  unb  nimmt  biefe  IBe!^re  gegen  ben  ©imuuif,   bajj  ®ott  bie  2öelt  frül^er  pttc 
fdjaffen  foßen,  in  ®d)ufe  (0.  P,  740.  752,  6.  770,  55).   ©od)  öerttjeibigt  er  and}  bte, 
tütldjt  bie  Seft  für  anfang^StoS  t)altcn,    gegen  bie  S3cf(^ulbignng ,  tia^  fie  il^veu  Un 
tevfd)icb  nnb  itjre  '^tb^ängigfcit  üon  (Sott  laugneu  (a.  a.  O.  772,  75.  744). 


Sl^eobtcee.  135 

t)on  malgelienber  33ebeutung  war  ^).  33eftimmter  tüiffen  wir,  ba§  er  in 
einem  ©efpräd^,  n)e(d^e§  er  um  1673  bem  berüf^mten  jonfcniftifd^en 
^l^eologen  Strnautb  mittfieitte,  mafirfd^einlii^  einer  rceitcren  Bearbeitung 
ber  ebengenannten  2tbf)anblung ,  au^gefül^rt  f>atte:  ba  @ott  bie  voU- 
fommenfte  üon  ctten  mögüd^en  Söelten  wählte,  fei  er  burd;  feine  Sßei§= 
^eit  beftimmt  morben,  bay  Hebel  sujutaffen,  n)e((^e§  uon  bevfelbon  un= 
äertrennlid;  mar ;  tro^  biefer  Hebel  fei  ober  unfere  2öelt,  afleS  5ufammen= 
genommen,  bie  befte,  roel^e  möglic^erroeife  geroä^lt  werben  fonnte^). 
©ben  bieB  ift  nun  and;  ber  ©runbgebanfe  ber  2:f)eobicee,  meld;e 
faft  40  ^ai)xe  fpäter  (1710)  erfd^ien.  SDie  näd;fte  3>eranloffung  biefer 
©($rift  mar  eine  pfällige:  bie  Sebcnfen  gegen  bie  33olll'ommenf)eit  ber 
Söelteinric^tnng,  meldte  Sai;le  geänfjert,  unb  bie  Unterlialtungen,  meldte 
Seibni§  über  biefelben  mit  ber  Jlönigin  oon  ^reufeen  gefülirt  Ijatte. 
2lber  fein  anbereg  uon  feinen  SSerfen  t)at  eine  fo  ungemeine  Berbrei= 
tung  gefunben  unb  feiner  Se^re  fo  oiele  2lnf)änger  gewonnen.  ®ie  l^atte 
nun  biefen  ©rfolg  atterbing^  nidjt  blo§  il^rer  wiffenfdiafttic^cn  Bebeu= 
tung,  fonbern  gutentl)eil§  and)  ber  geiftoollen  Popularität  unb  gefälligen 
Seic^tigfeit  ilirer  SarfteEung  unb  ber  gtüdli^en  2Bal)l  eines  2;^ema'§ 
3U  ücrbanlen,  weld^eS  fid^  bem  tl)eologif(^en  ^i^tt^i^^ff^  '^^^  S^it  unb  bem 
58ebürfnif5  ber  Stufflärung  gleic^felir  empfal)l.  Sie  l)at  aud;  feinen  2(n= 
fpruc^  barauf,  unb  mad^t  nii^t  bcn  2tnfprud;,  burd^auS  neue  ©efid^tl; 
punfte  aufäuftellen;  wie  e§  benn  gar  nic^t  möglich  war,  in  ber  Bel)anb= 
lung  einer  §rage,  bie  fc^on  fo  t)ielfa(^  unb  fo  eingel)cnb  erörtert  war, 
uic^t  in  üielem  mit  ben  5iorgängern  sufammenjutreffen,  unter  benen 
namentlid)  bie  ©runblage  ber  gefammten  fpäteren  Z^cohkee,  bie  ftoifd;e 
^lieologie,  burc^  i^ren  S)eterminifmu§  ber  üorliegenben  Slnfgabe  gegen= 
über  in  eine  ganj  äl)nli(^c  Stellung  gebracht  war,  wie  Seibnij.  Slber 
in  ifirer  näheren  33eftimmtl)eit  tä§t  fie  fic^  bod;  nur  auä  bem  leibni^i- 
f^en  ©ijftem  coUftänbig  begreifen,  unb  il)re  leitenben  ©ebanfen  finb 
burd^auö  oon  biefem  «Spftem  an  bie  |)anb  gegeben.  S)a§  Uebel  in  ber 
Söelt  (bieB  ift  in  gwei  SBorten  il)r  @rgebnif3)  fann  ber  5>olIfommen^eit 
berfelben  fo  wenig  ©intrag  tl)un,  ba^  nielme^r  ju  fagen  ift,  biefe  unfere 
2Belt  fei  mit  allen  ben  Hebeln,  bie  fie  entl)ält,  üollfommener,    ai§>  jebe 


1)  aKan  »gl.  über  biefetbe  ben  «rief,  mit  bem  er  fte  an  ^oijann  Jrlcbric^  über= 
faubte,  beiÄIopp  I,  3,  251,  unb  baju,  \m§  oben  ®.  127,  1,  aug  einem  gteid^seitigcn 
Schreiben  angeführt  ift. 

2)  Üeibnis  felbft  erjä^U  bie^  0.  P.  476.  569,  211. 


136  ?ei6nia. 

anbere  benfbare  SBelt,  bie  weniger  Hebet  entf)iette;  roeit  nämlid^  jebe 
fold^e  unyermeiblid^  f)infi(^t(td^  be§  ©uten  t)inter  ber  je^igen  2öelt  in 
nod^  ^öfierem  @rabe  jurücfftel^en,  unb  bofiev  —  @nte§  unb  Heblet, 
pofitiüe  imb  negatioe  @röBen  gegen  einanbev  abgewogen  —  eine  ge= 
ringere  ©efammtfnmme  be§  @ein§  ober  ber  58o({fommenl;eit  entfiatten 
raürbc.  S)qB  bem  [o  fein  muB,  fte§t  nnfcrem  g^E)ilofopf)en  f(|on  an§ 
apriori[(^en  ©rnnben  unbebingt  feft:  wenn  eg  eine  beffere  2Be(t  geben 
fönnte,  a[§  bie  oor^onbene,  fo  würbe  ber  2lttgütige  unb  2mn)eife  jene 
ftatt  biefer  gefc^offen  fiaben.  ©eben  wir  un§  aber  bamit  nid^t  jufrieben, 
unb  fönnen  wir  e§  nidjt  begreifen,  bafe  biefe  angeblich  befte  Sßelt  bod; 
fo  üiele  unb  fo  gro^e  llebel  in  fid^  fc^(ie§t,  fo  antwortet  er  un§  junädift 
im  allgemeinen:  biefe  llebel  feien  t^eilg  üon  bem  SBefen  unb  S3egriff 
einer  SBelt  unjertrennlid;,  t^eill  feien  fie  felbft  bie  Mittd  um  ein  l)öl)ereg 
@ut  lierbeijufüfiren ;  bie  35ottfommenl)eit  ber  SBelt  fei  mitl)in  burc§  bie 
llebel  in  il)r  fowo^t  negatit)  a(§  pofitio  bebingt.  ^zne^,  wiefern  aUe^ 
©efd^affene  al§  foI(^e§,  im  Unterfd^ieb  üou  feinem  Sd^öpfer,  notl^wenbig 
mit  Unooüfommen^eiten  behaftet  ift,  unb  haS^  @ute  felbft  unter  ben 
SBebingungen  be§  enblic^en  S)afein§  nid^t  t)erwir!lid;t  werben  fann,  oline 
mand^erlei  llebel  in  feinem  ©efolge  3U  l)aben ;  biefe^,  wiefern  ba§:  llebel 
nic^t  blog  im  einjelnen  oft  ha»'  MM  gur  @rreid)ung  eineg  @ut0  ift, 
fonbern  auä)  bie  «Sd^önlieit  ber  Söelt  unb  bie  ©lüdfeligfeit  ber  ©efd^öpfe 
burc^  ben  ©ontraft  gehoben  wirb,  wie  ha^i  Sic^t  burc^  ben  <Bä)atUn  unb 
bie  Harmonie  burd^  bie  S)iffonan3en  ')•  9M^er  untcrfd^eibet  Seibnis 
(^§eob.  c.  21.  241)  ha§>  metapf)i)fifd^e,  p§i)fifd^e  unb  moralifd^e  llebel. 
®ag  erfte  befielt  in  ber  einfachen  UuüoÜfommenlieit,  baS  gweite  in  bem 
Seiben,  bem  ©c^mer^,  bal  britte  in  bem  5ßöfen,  in  ber  ©ünbe.  ®aB 
nun  ba§  metapl)t)fifd;e  llebel  unoermeiblid^  ift,  liegt  am  ^oge.  3)ie 
Unüofffommen^eit,  bie  58efd^ränfung,  bie  ^prioation  ift  in  unb  mit  bem 
begriff  be§  Gnblid^cn  unmittelbar  gegeben:  wer  oon  @ott  »erlangt,  ba^ 
er  feine  uuüoafommenen  SSefen  Ijätte  fd;affen  f ollen,  ber  verlangt  oon 
il)m,  er  l)(itte  überliaupt  feine  Söelt  fd^affen  fotlen.  2öir  fönnen  info= 
fern  fagen:  ber  ©runb  für  bie  Unooafommen^eit  ber  ©efd^öpfe  liege 
nic^t  in  bem  SBiüen  ©otte^,  fonbern  in  ilmen  felbft,  b.  f).  in  i^rer 
ibealen  9]atur,  fo  wie  biefe  in  ben  ewigen  2Baf)rl)eiten  einbegriffen  war, 


1)  0.  P.  506,  10.   507,  12.   509,  20  f.   512,  30.   539,   123.   568,  209.   149  f. 
720.  725,  3  u.  o.  ^t. 


Il^eobicee.  137 

tüe((^e  unobfiängig  oon  bem  SBiKen  ber  ©ottl^eit  in  i§rem  33erftanb  ents 
galten  finb;   @ott  roirfe  in  ben  ©efd^öpfen  nur  ha§>  ®ute,   nur  ba§, 
voaSi  fie  üon  9lealität  ober  SSotI!ommen§eit  befi|en,    bie  Sefd^ränfttieit 
biefer  SSotttommenfieit  bagegen,  aul  ber  alleg  Hebel  ftammt,  rüf)re  üon 
il^nen  fetbft  ^er,   bal  33öfe  unb  haS^  Uebet  ^abe,   nad^   ber  olten  id;o= 
laftifc^en  Formel,   feine   causa  efficiens,    fonbern   nur  eine  causa  de- 
ficiens  ^).    ßbenfo  not^roenbig  ift  e§  aber  auä),  boB  bie  SolIfommeuf)eit 
unb  UnüoKfommenfieit   in  ber  2öe(t  fefir  ungteid;  oerti)ei(t  finb.    £enn 
nur  burc^  biefe  Ungleic^Eieit   fönnen  alle  (Stufen  be§  @einS  aulgefütlt, 
alle  Strien  be§  @uten  öerroirÜic^t,   fann  jene  3)iannigfaltigfeit  be§  ^a- 
feinS  erreicht  werben,  roelc^e  eine  raefentlid^e  33ebingung  feiner  ©d^önfieit 
unb  SSoUfommeniieit  ift;    nur  fie  entfpric^t   bem  @efe^  ber  ©tetigfeit, 
rceld^e^  jebe  Surfe  in  ber  2Belt  au^fd^liefet.    S)ie  3Bei^t)eit,  fagt  Seibnia, 
»erlangt  2lbroed§§lung   in  i^ren  ßrjeugniffen.    3^nmer   nur  ba^felbe  ju 
TOieberl)olen,  wie  üortreffüc^  e0  auc^  an  \id)  fein  möd^te,  roäre  ein  lieber^ 
ftufe,  ein  2trniut^§3eugni^.    S)ie  DIatur  brandete  nic^t  blo§  uernünftige 
Söefen,  fonbern  aud^  %l)'me,  ^flanjen,  leblofe  Körper;  in  biefen  unoer= 
nünftigen  ®ef(^öpfen  finben  fidi  2ßunber,  bereu  ^öetrad^tung  ber  SSernunft 
3ur  Hebung  bient.    2ßa§  foUte  ein  üernünftigeg  SBefen  tt)un,    wenn  eS 
feine  unoernünftigen ,   an  n)a§  foUte  e§  benfen,   wenn  e§  feine  Statur 
unb  feine  6innenraelt  gäbe?  ®ie  S^ugenb  ift  ja  n)ol)l  bie  ebelfte  @igen= 
fc^aft  gefc^affener  SBefen,   aber  nic^t  'ok  einzige;  bie  anbern  S^orjüge 
ber  ©efc^öpfe   finb    gleichfalls    ein  ©egenftanb   beg   göttlichen  2Bol)lge= 
fallend  ^).    Ober  wenn  wir  biefen  ©ebanfen  in  ber  ftrengeren  ^orm  ber 
Ieibni3if(^en  ^Begriffe  auSbrüden  roollen :  iebeS  ©in^elwefen  muB  fi^  oon 
allen  anbern  unterfc^eibcn ;    e§  fann  fic^  aber  üon  il)nen  nur  burd^  ben 
@rab  ber  3}eutli(^feit  unterfc^eiben,  mit  ber  c§>  ben  gemeinfamen  ^nfialt 
beg  53orftelIen§  aüer  3)tonaben,  ba§  IXnioerfum,  fid^  üorftetlt ;  eS  mu^  ba= 
f)er  ebenfoüiele  üerfc^iebene  ©rabe  ber  SSollfommen^eit  geben,  al0  e§  Tto- 
naben  giebt:  ba§  ßin^elbafein  tä^t  fid^  ofine  ^apofe  ©tufenunterf^iebe  ber 
S3otlfommenl)ett,  unb  ebenbamit  ol)ne  3al)llo|e  UnooUfommenl)eiten,  ni(^t 
benfen^).    SSoUte  fid)  enblic^  irgenb  ein  ©injelner  barüber  befdiweren,  bafe 
il)m  in  biefer  Stufenreilie  gerabe  biefe  ©teile  angemiefen  fei  unb  nic^t  eine 

1)  2;^eDb.  c,  20.  30.  124  ögl.  bcutfd^e  Sd^rlften  üon  (Su^rauer  I,  411. 

2)  S^eob.  124;  bgl.  naS  ®.  107  f.  ü6er  bie  ©tufenrei^e  be0  @etn§  unb  ifire 
füientofigfeit  angetü^rt  tfi. 

3)  S3gl.  ®.  90  ff.  102  f.  107. 


138  Jcifenis. 

beffere,  fo  ontraortet  il^tn  SeiBntj  ba§  gleiche,  it)o§  in  ber  golge 
©c[;Ie{ermad;er  in  ber  3?ertl^eibigung  feiner  ^räbeftination§Ie!)re  wieber^ 
^olt  f)at:  n}enn  bie  anbern  an  unferer  ©tette  wären,  wären  fie  bann 
nic^t  eben  ba§,  raaS  wiv  je^t  mir  nennen?  @§  erfd^eint  if)m  batier 
üoHfommen  nnnü|,  jn  fragen,  roarnm  @ott  bem  einen  mel^r  3?oll!oin; 
men^eit  vexUe^en  fiabe  at§  bem  anbern :  wenn  e§  nmgefeJirt  wäre,  f)ätte 
fid^  im  ©rgebni^  nid^t  ba§  geringste  geänbert  ^). 

S)ur(^  biefe  ©rmägungen  ift  nnn  im  @rnnbe  bereits  auc^  über  bie 
anbcren  Strten  be§  Hebels  entfd^teben.  Söenn  bie  SSoIlfommenfieit  nn^ 
gkid^  nert^eilt  ift,  wirb  auc^  bo§  @efüf)t  ber  ^oIIfommenf)eit ,  ober 
bie  ©liidfctigfeit,  nngleid^  »ert^eitt  fein  muffen;  wenn  bie  ©injelnen 
in  Sejng  auf  bie  ©entiic^feit  if)re§  SSorftellenS  bie  »erfd^iebenften  (Stufen 
einnelimen,  wirb  au^  in  ^ejug  auf  bie  SiernunftmäBigIfeit  ii)reS  §an= 
belnS  fein  geringerer  llnterfd^ieb  gmifc^en  i^nen  ^la^  greifen,  ^i^beffen 
l^at  eS  ber  ^fiilofop^  nid^t  unterlaffen,  bie  grage  über  ba§  pf)r)fifd[;e 
unb  moraÜf(^e  Uebel  aud^  im  befonbern  einge^ienb  §u  erörtern,  ^n 
betreff  beS  erfteren  fonnte  i^m  nun  bie  lufgobe  ber  ^lieobicee  nid^t 
attgu  fd^mer  werben.  „®er  3wec!  ber  2ßelt,  fagt  ber  ©egner,  ift  bie 
©lüdEfeligfeit  ber  vernünftigen  Söefen;  raie  »erträgt  fid^  bamit  baS  tln= 
glü^  unb  ba§  ©lenb,  in  ha§>  fie  balb  oJine  ifire  ©(^ulb  balb  burdf;  bie= 
felbe  geratiien?"  Slber  lüol^er  wiffen  wir,  antwortet  Seibnij,  ba^  jeneS 
ber  S^^'^  "^^^  SBelt  ift?  S)ie  oernünftigen  SBefen  finb  jmar  ber  ebelfte 
Streit,  aber  bod^  immer  nur  ein  X^eii  ber  2Beft ;  ii)xe  ©lüd^feligfeit 
wirb  unter  ben  Slbfi^ten,  meldte  (Sott  'bei  ber  2öcltfd;öpfung  gehabt 
l)at,  gmar  eine  iierüorragenbe  ©teile  einnehmen,  aber  biefe  3tbfi(^ten 
werben  fid^  nidf)t  auf  fie  befd^ränfen;  ber  (e^te  SBeltgwed  fann  nur  in 
ber  S3o((fommenf)eit  beS  ©ansen  gefud^t,  ber  Sßert^  ber  ßiiigelnen  mu§ 
ba!^er  nad;  if)rer  Sebeutung  für  baS  ©onje  bemeffen  werben,  bie  Drb= 
nung  unb  ®d^önf)eit  beS  ©anjen  barf  ben  2tnfprüd;en,  wcldf;e  ein  ^^eit, 
unb  wäre  e§  auc^  ber  wert^uoüfte ,  erf)ebt,  nid^t  geopfert  werben.  Unb 
war  eS  benn  überl^aupt  möglid;,  ben  oernünftigen  2Befen  nur  lauteres 
@(üd,  o^ne  jebe  S3eimifd^ung  t)on  ©(^mer^,  gu  gewäfiren?  ©Ott  f)ätte 
bie^  oielteid^t  tf)uu  tonnen,  wenn  er  nur  ©eifter,  unb  feine  materielle 
Sißelt,  l^ätte  fc^affen  wollen.  Slber  gerabe  biefe  ^ebingung  war  uner= 
fütibar.    ©ottte  eine  93erbinbung  jwif d;en  ben  ©eiftern,  eine  Drbnung 


1)  0.  P.  539,  123.  670. 


St^eobtcee.  I39 

unb  ein  ^ufammenl^ang  ber  ©inselrocfen ,  mit  ©incm  SSort  eine  Sßelt 
fein,  fo  mu^te  e§  auä)  eine  Äörperroett  nnb  ifire  Bewegung,  eine  Diatur 
geben  (bie  Matern  ift  ja  „ha^  SSonb  ber  SJlonaben").  konnte  nid^t 
jebe§  33emunftn5efett  ©ott  fein,  fo  mußten  nerroorrene  33orfteIIungen  in 
i^nen  fein.  Wt  bem  oerraorrenen  3>orftefIen  ift  aber  bie  ©inntidjfeit, 
bie  3}kterie,  gegeben,  unb  fo  rerfd^ieben  bie  ©eifter  in  Setreff  ber 
S)eutlid;feit  unb  SSodfommen^ieit  if)re§  S^orftedenS  finb,  fo  oerfd^ieben 
muffen  auc^  il^re  Selber  fein^j.  |)aben  mir  aber  einen  Seib,  fo  muffen 
mir  aud^  bie  i§m  entfpred^enben  3>orfte(Iungen  unb  ©mpfinbungen  ^ben, 
unb  ift  unfer  Seib  ein  unooilfommener ,  fo  werben  biefe  Gmpfinbungen 
nic^t  bIo§  ßmpfinbungen  ber  S^oÜfommen^eit  fein  fönnen,  e^  muffen 
auc^  @efüf)(e  ber  Unluft  unb  be^  Sd^mer^e^  barunter  fein.  2!a§  pf)i)fi- 
fd^e  Hebel  ift  alfo  mit  ©inem  SBort  eine  unuermeiblid;e  gotge  »on  ber 
Sefd^ränftfieit  ber  ©injelroefen  unb  üon  ben  53ebingungcn,  an  meldte  ber 
3nfammenf)ang  beä  SBcltganscn  gefnüpft  ift;  unb  ebenfo  ift  jebem  Gin= 
getnen  ba§  Ma^  ber  Hebel,  n)eld;e  if)n  treffen,  burd^  feine  Stellung  in 
jenem  ^wfommenliang  beftimmt:  „roenn  e§  Uebcl  giebt,  mu§  e§  aud^ 
^crfonen  geben,  meldte  ron  biefen  Uebeln  betroffen  racrbcn;"  fönnen 
mir  un§  befd;roeren,  ba^  gerabc  mir  biefe  ^erfonen  finb  ?  roenn  c§>  anbere 
mären,  fo  müf3te  bieB  ja  ben  gleid;en  2lnfto§  geben  ^).  SöeiB  fid;  aber 
ber  Sefer  l)iebei  nid^t  ju  berul)igen,  fo  giebt  i^m  Seibni5  ju  bebenfen, 
ba§  bie  SJiaffe  ber  Uebcl  überl)aupt  n\ä)t  fo  gro^  fei,  roie  bie  <Bä)max^' 
ficEitigfeit  ber  3)Zenfd^en  fie  fic^  üorftelle,  bafe  fie  üiclmc^r  nid;t  allein 
im  SBeltganjen  im  3]ergleid;  mit  ber  be§  ©uten  üerfd;iüinbcnb  flein  fei, 
fonbern  auc^  ha§>  menfd;lid;e  Sebcn  riel  melir  erfreulid;eg  aU  fd^merjli: 
d^e^  mit  fic^  bringe^);  ha^  bie  förpevlid^en  Seiben  fid^  burd;  ^%nunft 
unb  ©tanbliaftigfeit  übcrminbcn  laffen  (^l)eob.  c  255  ff.);  ba^  alle§, 
xüa§>  uns  al»  ein  liebet  erf^cint,  entraeber  bei  ber  33erfolgung  eines 
übermiegenben  ©ut0  fid^  ergebe,  unb  nur  ^ugleid;  mit  biefem  befeitigt 
merbcn  fönnte,  ober  an  fid;  felbft  ha§:  Mittel  §ur  Herbeiführung  eine§ 
größeren  @utS  ober  gur  3?erl)inberung  eine»  gröfeeren  UebelS  fei*). 
Unter  ben  legieren  ©efic^tSpunft  fteHt  Seibnij  unter  anbcrem  biejenigen 
Uebel,  meldte  al»  eine  Strafe  ber  Sünbe  ju  betrad;ten  finb ;  ebenfo  aber 


1)  S^cob.  c.  113—120.  124  u.  oben  ®.  96  ff. 

2)  X^cob.  c.  123. 

3)  2^eob.  c.  15.  123.  251.  260.  262  f.     0.  P.  625  u.  ö. 

4)  X^eob.  c.  23.  123.  239  u.  ö.  f.  0.  136,  1. 


1 40  Jcifentä. 

au(^  ben  utrtgefe'^rtcn  ^aU,  ba§  e§  bem  @uten  f(^Ie(^t  unb  bem  <B6)k^'' 
ten  gut  gef)t,  benn  er  ift  überzeugt,  ba^  bte  Seiben  ber  ^romtnen  unb 
S^ugenb^aften  fdjlie^lid^  ju  ifirem  §eU  bienen,  bie  ©ottlofen  aber  bie 
©träfe,  wentgfteng  im  ^en'\ext§>,  jebenfatt§  erei(e,  toenn  fie  nic^t  bie 
^rift,  bie  ifinen  geraä^rt  ift,  jur  §8efferung  benü^en^).  2lIIe§  bie|  ftimmt 
mit  ben  S5orau§fe^ungen  feinet  (Si;ftem§  üollfommen  üBerein. 

SBeit  größere  (Sd^roierigfeiten  erraod^fen  für  i^n  au§  bemfelben  bei 
ber  S3etra(^tung  be§  moralifc^en  Hebeln,  be§  ^öfen.  ßinem  ®eterminif= 
ntu§,  n)ie  ber  feinige,  ftcfit  I)ier,  wenn  er  bur(S^an§  folgericfitig  üerfafiren 
wiH,  nur  ©in  2Beg  offen:  ha§>  58öfe  mu^  ebenfo,  wie  jebe  anbere  lln= 
roHfommenfieit,  für  naturnotfiroenbig  erfldrt,  e§  mu§  gejetgt  werben, 
bafe  enblicfie  S^ernunftraefen  of)ne  ein  tl)eitraeife§  ^^rücfbleiben  i§re§ 
äBittenS  !f)inter  ber  fittU^en  Slnforberung .  unb  ebenbamit  oud^  o^ne 
einen  tl^eilraeifen  SBiberftreit  gegen  biefelbe,  nid^t  gebadet  werben  fönnen; 
e0  muffen  auä)  bie  ^anbtungen  unb  bie  ß^araftere  aller  ©injelnen^ 
unb  mögen  fie  no(j^  fo  rud^log  unb  verhau  fein,  al§  bie  not^wenbige  ?5^olge 
notürIid;er  llrfac^en,  ot§  etmaS  unter  ben  ^Bebingungen  be§  menfdf;Iid;en 
®afein§  unt)ermeib(id^e§,  an  biefer  beftimmten  ©teile  be§  gef^idjtüc^en 
3ufamment)ang§  naturgemäße^,  begriffen  werben;  eg  muß  enbtid^  na(^= 
gewiefen  werben,  baß  e§  biefelben  Urfoc^en  unb  ©efe^e  finb,  auf  welken 
bie  3}lögti(^feit  be§  fittlid^  ©uten  unb  bie  S^otl^wenbigfeit  be§  Söfen 
Berui^t,  baß  eine  9Be(t,  in  ber  biefeS  nid^t  wäre,  aud^  jene§  entbef)ren 
müßte.  @0  muffen  mit  ©inem  2öort  bie  fitt(i(^en  ^e^ier  ber  3Jlenf(^en 
au§  bem  gleid^en  @efid^t§punft  betrad^tet  werben,  unter  ben  ber  ^fiatur^ 
forfd^er  eine  ^ranf^eit  ober  3Jiißgeburt  ftettt :  nid^t  al§  etwas  abnorme^, 
fonbern  al§  etwa0  normales,  als  ©rfd^einungen ,  we(d;c  ben  fittiid^en 
SebenSgefe^en  jwar  f(^einbar  wiberftreiten ,  in  ®a§rf)eit  jeboi^  gerabe 
aus  biefen  ©efe^en,  bei  rid^iger  Sluffaffung  berfelben,  unter  gewiffen 
in  ber  Statur  ber  3)inge  begrünbeten  ^ebingungen,  fid^  ergeben.  Unb 
Seibnig  f)at  fid^  aud)  biefer  ßonfequenj  feineSwegS  entzogen.  ®aS  Söfe, 
fagt  er,  beftet)t  feinem  eigentlichen  SBefen  nad^  in  einem  3JiangeI,  einer 
^riration:  eine  ^anblung  ift  böfe,  wiefern  fie  unooüfommen  ift,  wiefern 
fie  f)inter  ber  fitttid^en  Slufgabe  jurüdbleibt,  wiefern  eS  unfercm  '^ov- 
ftetten  an  S)eutli(^feit,  unferem  SffioÜen  an  Mftiger  ©elbftbeftimmung 
fet)lt.    3ßo  bieß  ber  galt  ift,  entftetien  noti)wenbig  ^rrt{)ümer  unb  f^e^Ier ; 


1)  9t.  a.  O.  c.  23.  16  f.  122.    0.  P.  149  unt. 


jl^eobicee;  baä  33ö]e.  141 

an  bie  ©teile  ber  beutfid^en  ^Sorftedungen  treten  oerroorrene,  an  bie 
©teile  ber  rid^titjeu  53eiüe9cjrüubc  üeife{)rte.  3)iefe  ltnüo(lfommenI)eit 
unfere^  53erf)alten§  ift  aber  eine  ^-olge  üon  ber  natürlichen  ^Sefd^ränft- 
iieit  ber  ©efd^öpfe.  Qin  gefd^affeneg  Söefen  fann  nid^t  üoilfoinmcn  fein; 
Txia§>  feiner  Sefcfiränfung  unterruorfen  lüäre,  ba§  raäre  ein  ©Ott.  3.l'äl)renb 
bal)er  a((e§,  roaS  öon  pofitioer  9lealität,  ober  non  35olIfommenI)eit,  in 
ben  ©efc^öpfen  nnb  il)reni  2i)VLn  ift,  an^  ©ott  ftammt,  fo  ift  e§  sugleid) 
bnrc^  bie  9ktnr  beö  ©e|d;öpf^  geforbert,  e§  ift  eine  üon  bem  ^Begriff 
be!§felben,  fo  roie  biefer  in  bem  Öebiete  ber  eroigen  3BaI)rI)eiten  ober  bcm 
göttt  cfjen  i^erftanbe  enthalten  ift,  nnsertrenntic^e  ^-olge,  baB  biefe  feine 
S?o[ffommen^eit  nur  eine  befc^ränfte  fein  fann;  nub  roenn  ber  ^l)i(ofopt) 
l)ieran§  ^unäd^ft  nur  bie  allgemeine  metap^i;fifd;e  3^otf)rocnbigfeit,  ober 
roie  er  fagt,  bie  3Kögli^feit  be^  ^Böfen  ableitet,  fo  fügt  er  bod;  fofort 
bei:  ha§>  an  ftd^  bloe  möglid^e,  unb  infofern  zufällige  Söfe  gef)e  üer= 
möge  ber  Harmonie  ber  5}inge  au^  ber  2)iög(id)teit  in  bie  3Birtti(^Feit 
über,  roeiC  e§  ju  ber  beften  Söeltoibnung  gel)öre  unb  einen  3:f)ei(  ber^ 
felbcn  ausmache  ^).  2ßeit  entfernt  baljer,  bo§  Söfe  für  etroa^  ju  f)alten, 
roaz>  fc^tec^t^in  nic^t  fein  foUte,  unb  gegen  hen  2ÖiI(en  @otte§  in  bie 
2BeIt  eingebrungen  fei,  erflärt  er  oielmef)r  aus^brüdüd),  e§  fei  nidjt  bIo§ 
aU  eine  unoermeiblic^e  Sebingung  ber  beften  ®elt  in  ben  göttlid^en 
Zeitplan  mit  aufgenommen,  fonbern  eä  biene  bemfelben  aud;  pofitio 
als  ein  äJtittel,  um  bie  ©efammtfumme  be§  ©uten  ju  üerme()ren,  inöem 
am  bem  93öfcn  überroiegeubeS  ©uteS  f)erüorgef)e ,  roie  an§'  ber  ©ünbe 
SlbamS  bie  (Srlöfung  burd;  6t)riftug,  unb  au§  bem  ^-reoel  be§  ©eytuS 
^arquiniuS  bie  5?egrünbung  be§  römifd;en  ^reiftaatSvi.  2tber  bod) 
trägt  Seibni,3  33ebenteu,  fid)  biefer  ^Jtic^tung  gan^  3U  übcrioffen.  2BaS 
i^n  baran  ^inberi,  finb,  roie  mir  fc^eint,  weniger  bie  allgemein  p^ilo- 
fopt)ifd)en  (^)rünbc,  roeld;e  fid)  jebem  3^eterminifmuS  cntgegenftellen  laffen 
(mit  biefen  glaubt  er  fid^  ja,  roie  ©.  119  gezeigt  rourbe,  f)inreic^enb 
abgefunben  ju  fiaben),  a\§<  gcroiffe  tf)eo(ogiic|e  53orau§fe^ungen.  ©oll 
ha§>  ©öfe  roirfli^  in  einer  beften  2Selt  9taum  finben  unb  aU  Sfieit 
be§  göttlidjen  9Seltp(anS  begriffen  roerben,  fo  barf  eS  immer  nur  aU 
53cbingung  unb  9tüc!feite  eine§  überroiegenben  ©Uten  in  ber  SBett  fein, 
aber  nic^t  p  einem  felbftänbigen  5)afein,   unb  noc^  weniger  p  einem 


1)  0.  P.  658,  69  f.    £^eob.  c.  20.  30.  124.  155.  377  f.  388. 

2)  JI)eob.  10.  21.  25.  158  f.  413  ff.  0.  P.  633,  11.  658,  66  f. 


142  Seibnij. 

Safein  oon  enblofer  S)auer  gelangen;  e§  mn§  ntd^t  nur  bie  ©efammt. 
fumme  be§  ©uten  um  fo  yiel  größer  fein,  als  bie  be§  ©(^led^ten,  baB 
fid^  jTOifc^en  beiben  ba§>  benfbar  günftigfte  SSerl^ättni^  ergiebt,  fonbern 
e§  mu§  aud^  in  jebem  einseinen  S;i^ei(e  ber  SBelt  unb  jebem  einzelnen 
Sßefen  ha^i  ^öfe  nur  aU  ein  oerfc^rainbenbeS  3)loment,  aB  eine  im 
Sauf  feiner  ©ntroicüung  ^u  überrainbenbe,  ober  roenigftenS  ftufemueife 
ju  üerminbernbe  UnooHfommen^eit  gefegt  fein,  ^a  e§  ift  bie|  fd^on 
aus  logifd^en  @rünben  nid^l  anberS  benfbar.  S)enn  menn  ba§  ^öfe, 
wie  Seibnij  raiU,  nur  in  einem  3Jiangel,  in  ber  Sefd^ränft^eit  ber  fittli^ 
d^en  ^roft  unb  ©infic^t  beftefit,  fo  liegt  am  S^age,  ba^  ein  SBefen, 
melrfjeS  bloS  böfe  unb  bal^er  für  immer  böfe  märe,  entroeber  ein  SBefen 
ol)ne  alte  9lealität,  alfo  ein  9iid^t§,  ober  raentgftenS  ein  SBefen  o^ne 
alle  fittlid^en  Einlagen  unb  ©igenf^aften,  ein  feiner  moralifc^en  S3eur; 
t^eilung  unterliegenbeS ,  ber  ©c^lecj^tigfeit  unb  ber  STugenb  gleid^  un=: 
fälliges  SSefen  fein  mü^te.  ©S  ift  balier  gan§  in  ber  Drbnung,  raenn  ein 
©dl;teiermod^er,  beffen  S)eterminifmuS  im  übrigen  mit  bem  leibni^ifd^en 
bie  größte  2le^nlid^!eit  l^at,  nic^t  allein  t)on  Dämonen,  meiere  buid^ouS 
unb  für  immer  böfe  geworben  feien,  nii^tS  l;ören  raiff,  fonbern  aui^  ber 
Ürd^üc^en  Seiire  vom  «Sünbenfatt  unb  ber  ©rbfünbe  entgegentritt,  unb 
bie  ^rage  nad^  ber  33orlierbeftimmung  ju  ©eltgfeit  unb  3Serbammni§ 
ballin  entf($eibet:  eS  gebe  in  ber  göttlit^en  SBeltorbnung  überhaupt 
feine  Verworfenen,  fonbern  nur  ©rraälilte,  ber  @egenfa|  ber  ©rroälilten 
unb  58ertt)orfenen  fei  barauf  gurüdf^ufüliren ,  ba^  bie  einen  frül^er,  bie 
anberen  fpäter  gum  ^eil  gelangen,  ben  einen  ein  plierer  ben  anbern 
ein  geringerer  @rab  dou  ©eligfeit  beftimmt  fei;  eS  gebe,  m.  a.  2Ö., 
tüolil  üerfd^iebene  @rabe,  Slrten  unb  (SntroicllungSformen  ber  fittlid^en 
3Sollfommen^eit,  aber  eS  föune  fein  feiner  9^atur  nad^  ber  ©ittli(^feit 
fälliges  SBefen  geben,  meld^eS"  aEe  fittlicf;e  33o(lfommen|eit  unb  bie  mit 
i^r  oerbunbene  ©eligfeit  gan^  unb  für  immer  verloren  liätte.  Seibni^ 
fann  fid^  ju  biefen  golgefä^en  feineS  ©tiftemS  nid^t  entfd^lieBen.  ßr 
fpric^t  mit  ber  fird;lic^en  Dogmatil  oon  einer  emigen  Verbammni§, 
rael(^er  nic^t  allein  bie  5:eufel,  fonbern  aud^  ein  2;i}eit  ber  3Jlenfd)^eit 
anlieimfaffe,  beffen  Umfong  er  atterbingS  möglicl;ft  §u  befc^ raufen  be- 
müht ift;  er  fud^t  bie  enblofe  S)auer  berfclben  burd^  bie  Stnnafime  ju 
red^ifertigen,  ba^  bie  33erbammten  in  alle  ©roigleit  in  ilirer  33oS^eit  unb 
©ottlofigfeit  beliorren;  unb  er  ift  weit  entfernt,  bamit  nur  baS  fagen 
ju  wollen,  was  Seffing  feine  efoterifdl;e  Seiire  über  biefen  ^punft  nennt, 


S^eobicee;  ba§  33öfe.  143 

boB  nämtid^  bie  mora(if(5^e  D^acj^rairfung ,  unb  infofern  a\i^  bie  «Strafe 
jeber  Sünbe  }i^  auf  ba«  gan5e  fünftige  Seben  be§  SünberS  erftretfe  0- 
©r  eignet  fid;  ferner  bie  fird^(ic^e  Scfire  oom  ©ünbenfall  unb  bcr  ©rb- 
fünbe  gleichfalls  an,  unb  üertfieibigt  fie  —  mit  feinen  fe^r  über^eugenben 
©rünben  —  gegen  33ai)(e'§  fd^neibenbe  Äritif  -);  fo  ba§  bemnad)  in 
allen  benen,  n)e(d;e  nid^t  in  ber  golge  bem  3Serberben  lieber  entriffen 
raerben,  burc^  bie  %^at  ber  <Stamnte(tern  ein  |)ang  5ur  «Sünbe  begrün= 
bet  wirb,  ber  i^re  eroige  3?erbammni§  f)erbeifüf)rt.  S)aB  bie  SSoflforn--- 
ntenfieit  ber  beften  SBelt  eine  fof($e  unüberroinbüc^e  Sc^ted^tigfeit  unb 
eroigo  Unfeligfeit  jafiflofer  Ginselroefen  forbern,  baB  fie  burd^  ben  gött= 
lid^en  ^"Rat^fc^iu^  nic^t  etwa  nur  ,^u  einem  geringeren  ©rabe  ber  SSoII= 
fommcn^eit  unb  @(üdfeligfeit,  fonbern  gerabe^in  jur  «Sünbe  unb  S3er= 
bammni^  unabäuberüc^  üerurt^eiit  fein  fofiten,  ift  nid;t  glaubiid^,  unb 
0U(^  Seibnij  roei§  i)iefür  feinen  irgenb  f)altbaren  @runb  anzugeben; 
unb  fo  fie^t  er  fic^  benn  fc^üeBtic^  boc^  rcieber  genötf)igt,  an  bie  ©teile 
einer  roirffamen  5i?or{)erbeftimmung  eine  blo^e  ^ulaffung  be§  58öfen 
§u  fe|en,  roie  fie  eigentlich  in  feinem  Softem  feinen  dlaum  finbet,  unb 
im  3«^awmenf]ang  bamit  bie  Unterfd^eibung  sroifd^en  bem  fog.  „üorf)er= 
ge^enben",  auf  ba§  .»peit  aller  3J?enfc^en  gerid^teten,  unb  bem  „m^- 
folgenben",  bie  3?erbammniB  ber  '3Ref)V'^ai)l  mit  einfd)(ieBenbcn  Sßiffen 
®otte§  unb  einige  üerroanbte  bogmatifc^e  53eftimmimgen  fid^  ansueignen, 
bereu  nrfprünglid^en  Sinn  er  immer  erft  umbeuten  muB,  um  üon  ifinen 
©ebraud^  madjen  ju  fönnen-^). 

Se^en  roir  aber  ben  ^^iiofopfien  f)ier  felbft  uor  ben  junäd^ft  Iie= 
genben  Aotgerungen  au§  feinem  Softem  roieber  ,^nrüü*^nieidjen,  fo  fönncn 
roir  nod;  roeniger  erroarten,  baf^  er  fid^  ju  fold^en  entfc^tie^en  roerbe, 
bie  roefentlid^en  ^NoranSfctjungcn  bcSfelben  roiberftreitcn  roürben.  @§ 
roäre  an  fid;  nid;t  aHju  fd^roer,  bem  leibnijif^en ,  roie  jebem  tf)eo(ogi' 
fd^en  ^eterminifmuS  nac^5uroeifen,  baB  er  bei  fofgerid^tiger  ©ntroidffung 
über  ben  tfieiftifdjen  ©tanbpunft  feineS  Urf)eber§  f)inau§füf)re  unb  unä 
nötf)ige,   in  @ott  nid^t  blo§  ben  ©d^öpfer,  fonbern  aud^  bie  (Subfianj. 


1)  2^eob.  268  ff.   283.   19.    133.    156.     0.  P.   657,  f.  490,39    »gl.   fcffinq' 
Scibn.  toon  beii  eroigcn  Strafen  (SBerfe  ^erauSg.  D.  ?ac^m.  IX,  146  ff.) 

2)  S^eob.  86  ff.  112.  159  ff.     0.  P.  658,'  75  ff.  488,  32  ff. 

8)  J^eob.  c.  22  ff.   120.   158.    165  f.   239.    277  ff.   0.   P.    655,  36  f.   657,  66. 
662,  123.  134  u.  o. 


144  Settniii. 

aller  enblicS^en  SBefen  gu  ernennen,  ^cnn  raenn  biefen  allen  alle  ifire 
^I}ätigfe{ten  ofine  SluSnal^me  buri^  ben  f(^öpferifd^en  2l!t  ©otte§,  ber 
fie  in  i^rer  @igent|ümlic^fett  ^exvoxhva^U,  ron  Slnfong  an  unaB(tnber= 
\\<ii  üorgejeidjnet  finb,  fo  finb  jene  ^^ätiöfeiten  in  9öaf)rlE)eit  nur  ein 
©r^eugniB  ber  göttlid^en  Schöpf ertfiätigfeit ;  biefe  ift  e§,  welche  ^i^  in 
if)nen  fort[e|t  unb  gur  @r[($einung  bringt,  an  ber  fie  i^ren  33eftanb 
fiaben,  ofine  beren  fortroirfenbe  Äraft  fie  nic^t  mögtid^  roären ;  nnb  wenn 
nun  gerabe  bei  ßeibnij  ba§  ©ein  eines  S)inge§  t)on  feiner  ^f)ätigfeit 
gar  ni($t  getrennt  werben  fann,  wenn  jebeS  urfprünglid^e  SBefen  gerabe 
in  feinem  ©ijftem  wirfenbe  ^raft  ift,  unb  fonft  nid^ts,  fo  folgt  {)ierau§  fo= 
fort,  ba^  bie  enbli($en  SBefen  alles,  waS  oon  ©ein  in  ifinen  ift,  ber  in 
if)nen  wirfenben  traft  ©otteS  oerbanfen,  ha^  baS  ©ein  berfelben  oon 
iFir  getragen  ift,  ba§  fie  an  i^r  i^re  ©ubftana  ^aben.  Seibnij  fetbft 
fommt  aud^  biefer  Folgerung  nafie  genug,  ^ener  a(te  @a^,  ba^  bie 
göttliche  SBefterl^altung  nid^tS  aubereS  fei,  als  eine  fortwäfirenbe 
Schöpfung,  ift  il^m  fe^r  geläufig.  S)ie  ®inge  fagt  er,  fliegen  unabläBig 
aus  ifirem  Urquell  auS,  fie  werben  beftänbig  oon  ©Ott  fieroorgebrad^t, 
benn  eS  lä^t  fic^  nidjt  abfefien,  we^l^alb  ber  geftrige  ^uftanb  ber  SBelt 
mefir  auf  i^n  gurütfaufü^ren  fein  foHte,  ats  ber  heutige.  ®ie  göttliche 
2Belter^a(tung ,  er!(ärt  er,  beftefit  in  bem  fortwä^renben  unmittelbaren 
göttüd^en  @inf(u§,  welchen  bie  Stbpngigfeit  ber  ©efd^öpfe  forbert,  fie 
ift  eine  fortge[e|te  ©d^öpfung.  S)aS  ©ef^öpf  f)äugt  immer  oon  ber  gött- 
lid^en  SBirffamfeit  ah,  ebenfofel^r  nadi^bem  eS  angefangen  f)at  ^u  fein, 
wie  im  2lnfang  feines  ©eins ;  wenn  @ott  auf prte,  ju  wirfen ,  müjste 
eS  auff)ören  ju  fein.  @ott  ift  bie  einzige  urfprünglid^e  einfache  ©ub= 
ftang,  beren  ©r^eugniffe  alle  3}lonaben  finb;  fie  entfielen,  fc  ju  fagcn, 
t)on  einem  Moment  jum  anbern  burd^  fortwäl^renbe  2luSftra^lungcn 
(fulgurations)  ber  ©ott^eit').-  §iemit  finb  in  ber  %^at  für  bie  S3e- 
fiauptung,  ba§  aUe  5i)inge  nur  an  ber  ©ottfieit  if)re  ©ubftauj  f)aben, 
bie  nöd^ften  ^rdmiffen  gegeben;  unb  ba§  ßeibnij  (0.  P.  615)  jenes 
unauSgefe^te  §ert)orgef)en  ber  S)inge  auS  ber  ©ottfieit  nic^t  als  eine 
nottiwenbige  ©manation,  foubern  als  eine  freie,  burd^  ben  göttlichen 
SBillen  üermittelte  ^robuftion  betvad^tet  wiffen  witt,  mad^t  in  biefer 
S3e5ie^ung  feinen  Unterfd^ieb.    9Zid^tSbeftoweniger  würben  wir  ju  weit 


1)  0.  P.  148.  ölt,  27.  615,  385.  708,  47.  Dgl.  54,  189.  377.   716,  9.  722. 
749,  5.  8.  753,  16. 


SBefen  bcr  ^Religion.  145 

gefien,  roenn  lotr  bem  ^fitlofopfien  jene  S3elE)auptung  fe(6ft  jufd^reiben, 
unb  bemnad^  feinen  ^etermintfmu§  nur  für  eine  anbere  ^orm  be§ 
@pino5ifmu§  er!(ären  wollten.  6r  felbft  pit  ebenfo  an  ber  tleber^^ 
TOeltlid^feit ,  toie  on  ber  i^nnerTOeltlic^feit  ©otteS  feft  ^) ;  er  erftärt  ]iä) 
auf's  entf(^iebenfte  gegen  bie  Stnnal^me  einer  SSettfeele,  eines  allgemeinen 
@eifte§,  unb  gauj  befonberS  gegen  bie  Snbftanj  ©pinoja'S  (ügl.  ©.  83  f.), 
unb  ba§  auä)  fein  Softem  if)m  biefe  Slnnafimen  üerbietet,  unb  if)m  ben 
©(auben  an  einen  perföulic^en,  üon  ber  ©efaninttf)eit  ber  enbOci^en 
2Befen  fubftantiell  üerfd^iebenen  2Bcltur§eber  gum  unabroeislid^en  33ebürf= 
niB  vxa^t,  ift  fd^on  früf)er  (<S.  126  f.)  ge5eigt  lüorben.  f^inben  fid^ 
bafier  in  feiner  Sef)re  a\iä)  lüieber  anbere  ^eftimmungen,  md<i}C  fic^  F)iemit 
nid^t  rec^t  oertragen,  fo  fann  mau  nur  fagen,  ßeibnij  'ijahe  bie  üer= 
fd)iebenen  SBeftanbtfieile  berfelben  in  biefem  ^alle  nic^t  üollfommen  mit 
einanber  üermittett  unb  in  llebereinftimmung  gebrad^t,  aber  man  barf 
ni(i)t  ben  einen  ron  biefen  ^eftanbtfieilen  be^fiatb  fäugnen,  roeil  fic^ 
Folgerungen  aus  ifim  ableiten  (äffen,  bie  benen  roiberftreiten,  meldte  fi(^ 
aus  bem  anbem  ergeben  würben. 

9.    25ie  Oicltgion. 

5Dte  IXeberjeugungen,  meldte  fo  eben  bargelegt  mürben,  bilben  nun 
aud^  ben  roefentlid^en  ^ni)ait  ber  9ieIigion.  2)ie  9tetigion  fetbft  jebod^ 
ift  ni^t  b(oS  eine  tf)eoretif(^e  Ueber^eugung,  ein  5Dogma ;  ifir  eigentlid^eS 
SBefen  befte()t  oielme^r  nad^  ßeibnij  in  einem  praftifd^en  3?ert)alten,  baS 
aber  atterbingS  nur  unter  beftimmten  tlieoretifc^en  3]orouSfe|ungen  mög= 
lid^  ift.  S)ie  Sieligion  ift  mit  ©inem  SBort  il)rem  urfprünglic^en  Söefen 
nac^  nid^tS  anbereS  atS  bie  Siebe  ju  @ott.  2öenn  bie  Siebe  überl)aupt 
^reube  an  frember  3So(I!ommenl)eit  ift,  fo  fann  eS  nid^ts  geben,  maS 
unferer  Siebe  fo  raert^  märe,  mie  bie  ©ottfieit.  3ltteS,  maS  tjon  ^oll; 
fommentieit  in  unS  ift,  finben  mir  in  if)r  oline  (Sd^ranfen:  bie  3Jiac^t, 
baS  äßiffen,  bie  ©üte;  atteS,  maS  oon  ^SoUfommenlieit  in  ber  9Belt  ift, 
()at  in  il)r  fein  Urbilb:  fie  ift  ganj  Drbnung,  ganj  (SbenmaB,  fie  ift 
bie  tlrl)eberin  ber  allgemeinen  Harmonie,  ber  Hrquett  aller  @(^önl)eit; 
fie  ift  baS  üodfommenfte  unb  barum  baS  liebenSroürbigfte  SBefen.  :^n 
biefer  Siebe  §u  (Sott  beftel)t  bie  raal)re  grömmigfeit  unb  ©lüdfeligfeit. 
Um  aber  bie  götttid^e  3Sollfommenf)eit  ju  lieben,  muffen  mir  fie  fennen, 
unb  je  beutlid^er  mir  fie  ernennen,  um  fo  reiner  unb  fräftiger  wirb 


1)  S5gl.  0.  P.  571,  217.  749,  10.  753,  15  u.  oben  @.  126  f. 
Setier,  ®efd)ic^te  ber  beutid^en  5ßf)Uo?op^ie.  10 


146  «etbrnj. 

unfere  Siebe  ju  ®ott  fein;  wie  ja  überhaupt  nad;  Seibnis  ber  SBide 
unferem  Serftanb  folgt,  bie  greiJieit  unb  Stit^ticjfeit  unfere^  SBoHenS 
mit  ber  S^eutlid^feit  unferer  begriffe  gleichen  ©djritt  Ijätt.  SSo  anberer^ 
feits  jene  SSoUfommenfieit  roirüic^  geliebt  rotrb,  ba  entftef)t  not^raenbig 
bie  grenbe  am  ©Uten,  meiere  bie  feftefte  ©tü^e  ber  ^ugenb  ift;  benn 
man  fann  @ott  ni(^t  lieben,  of)ne  feinen  9Bi(Ien  gn  tl)un,  man  fann 
bie  @§re  @otte§  nid^t  fijrbern,  of)ne  ba§  allgemeine  ^efte  gu  förbern, 
ba§  mit  il)r  gnfammenfäUt.  äöer  oon  bem  @efü^l  ber  göttlidjen  Sol(= 
fommenl)eit  burd^bruitgen  ift,  ber  ift  uoll  Ergebung  in  ben  göttlichen 
SBillen;  aber  er  fül)[t  fid;  au^  verpflidjtet ,  feinerfeit^  biefen  Söillen  gn 
erfüilen,  bag  @ute  nii^t  blo§  gu  tijmi,  fonbern  e^  anc^  anfprnc^§lo§ 
unb  bemüt^ig  gu  tl)un;-  er  ift  ftrenge  gegen  fic^  felbft  nnb  nac^fidjtig 
gegen  anbere ;  er  betrübt  fid^  nur  über  feine  gel)ler,  unb  lö^t  fidj  bur^ 
feinen  SJü^erfolg  nnb  feinen  IXnbanf  ber  SJienfd^en  t)om  3Bof)ltf)Uii  ah:: 
f)alten  unb  in  feiner  inueren  3itfi^iß^cn§eit  irre  madien.  S)ie  grömmig= 
feit  ift  illar^eit  he§>  @cifte§  unb  9teinl)eit  be§  SßillenS,  fie  ift  jene  „auf; 
geflärte  Siebe",  bie  nid^t  blo§  enoärmt,  fonbern  auc^  erleud;tet,  ober 
wie  Seibniä  mit  smei  3Borten  fagt,  fie  ift  2lufflärung  unb  2:ugenb. 
2ll(e§  anbere  bagegen  l^at  einen  Sßertf)  nur  wenn  unb  miefern  e§  biefem 
allein  wefentHdjen  bient.  Skalier  ^anbelt  e0  fid;  f)iebei  um  gmeierlei,  um 
bie  J^ultuSformen  unb  bie  ©laubenSbefenutuiffe.  „S)ie  maf)re  g-römmigfeit 
beftef)t  in  ben  Iteberäeugungen  unb  ber  §anblung§u)eife;  bie  formen 
ber  Slnbad^t  al)men  fie  in  beiben  ^e^iefiungen  nad^.  SDie  Särimonieu 
entfpred;en  ben  tugeub^aften  ^anblungen,  bie  ©laubenlformeln  finb 
gleid;fam  ©d^attenbilber  ber  SBaljr^eit,  raeld^e  bem  reinen  Sic^t  me^r 
ober  weniger  nalie  fommen.  Sllle  biefe  formen  wären  gn  loben,  wenn 
fie  geeignet  wären,  haS^  au^^ubrüden  unb  jn  üerwirtli(^en,  waS  fie 
nadjalimen;  wenn  bie  religiöfen  ßärimonien  unb  bie  £irc^engefe^e  im= 
mer  bagu  bienten,  un§  oor  Saftern  3U  bewahren  unb  an  ba§  ©ute  gu 
gewönnen;  ebenfo  wären  bie  ©lauben^formeln  erträgtid;  (passables), 
wenn  fie  nur  fold^e§  entljielten,  wa§>  mit  ber  l)eilbringenben  2Bal)rf)eit 
übereinftimmt,  gefegt  auc^,  biefclbe  fei  nic^t  üoEftänbig  bariu  entlialten. 
2lber  e§  gefc^iel)t  nur  ju  oft,  baB  bie  g-rommigfeit  burd;  äufsere  formen 
erftidt  unb  ba§  göttlid^e  Sic^t  oon  ben  3)leinungen  ber  3}Jenf(^en  üer= 
bunfelt  wirb"  ^).    5Da§  Sßefen   ber  9teligion  liegt  bemnat^   für  unfern 

1)  0.  P.  468  f.   ^^l^oviüort  3111-  S^ecbicee).  718,  18.  790.    2)eutfc^e  ec^rtfteti  oou 
(Suljrauev  I,  413.  II,  435  ff.     a.  md)  oben,  <B.  76.  84  f.  121  f. 


25?efen  ber  $Reüäion.  I47 

5|]f)ito[opf)en  urfprünglid^  in  ber  SieBe  3U  @ott ;  aber  bie  unentdefirlic^e 
Sebingung  berfelben  finb  richtige  ^Begriffe  oon  ber  ©ott^eit,  ifire  imer- 
lö^n^e  unb  oHein  abäquate  erfd^eimmg  ift  bie  Siebe  3U  ben  W\U 
menfd^en.  3Jiit  ber  erften  von  biegen  Seftimmungen  fttüpft  er  an  bie 
mi)fti](^e  ^^eofogie  an;  unb  er  ^ot  fid;  aud^  au^brücftid^  ba§,  raa^  fie 
t)om  inneren  Sic^t,  üon  ber  ©egenroart  ©otte§  im  ©eniütf)  unb  ber 
Eingebung  an  ©ott  fagt,  in  einer  merfroürbigen  aibfianblung  ^)  an- 
geeignet. 9Bir  werben  aber  frei(i($  biefe  SleuBerungen  nur  bann  richtig 
auffaffen,  roenn  mir  unter  bem  ,,inneren  Sid^t"  in  feinem  ©inn 
ba0  gleid^e  rerfte§en,  maS  fonft  ba§  natürliche  Sid^t  ober  bie  5ßernunft 
genonnt  roirb;  al(e§  weitere  ol^ncbem  liegt  burd^auS  in  ber  9iidjtung 
ber  2(uff(ärung§periobe,  welche  Seibnij  für  S^eutfd^tanb  eröffnet.  Sie 
Siebe  gu  ©ott  entfpringt  au§  rid^tigen  33egriffen,  unb  fie  beroäf)rt  ft(^ 
in  gemeinnü^igem  §anbetn.  Slufflärung  unb  'Jugenb  finb  bie  3}?crt' 
male  ber  roafiren  ^tetigion.  S)a§  §auptgcroid;t  fäfft  aber  aud;  fd^on 
bei  Seibnij  auf  ba§  praftifd^e  ^ßerfiatten.  Db  ber  3«enfd^  bei  ©ott  in 
©nobe  fei,  fagt  er,  ba§  f)ängc  mefir  t)on  ber  Siebe  ab,  aU  üom  ©tauben, 
roofern  mon  nid^t  hen  Segriff  be§  ©faubens  fo  faffe,  ha^  er  bie  Siebe 
fc^on  in  fid;  fd^Iie^e ;  abgefe^en  baoon  fei  er  nur  a[§>  Wttei  not^roenbig ; 
ein  ©(auben^irrt^um  mad^e  üieUeid;t  nur  be^fialb  ncrbammtid^,  loeil  er 
bie  Siebe  oer(c^e  2).  eo  ^aben  roir  ja  au^  bereits  (6.  123)  gefe^en, 
ba^  i^m  bie  pd^fte  ©tufe  ber  ©ittüc^feit  mit  ber  ^römmigfeit  jufam^ 
menfäHt.  2lud^  f)ierin  f^lie^t  fid^  bie  fpätere  beutfd^e  aiufftärung  an 
if)n  an,  mie  er  feibft  fid;  an  einen  .^erbert  oon  Gfierbury,  @pino3a  unb 
^ufenborf  aufd^lie^t. 

5ßon  biefem  Stanbpunft  an^  fonnte  nun  Seibnij  meber  ber  äußeren 
9le(igion!§übung  nod;  ben  tlnterfd^eibung§(ef)ren  ber  reügiöfen  ^artfieien 
ben  gleid^en  SBertl^  beitegen,  luclc^en  feine  ^eit  if)nen  beijulegen  ge- 
TOofmt  raar.^  35?a§  er  oon  ben  gotteSbienfttid^en  formen  unb  ©ebräuc^en 
f)ielt,  Ijaben  mir  fo  eben  get)ört.  5ßon  ifim  felbft  mar  e§  befannt,  ba^ 
er  an  bem  öffentlichen  ©otteSbicnft  faft  gar  feinen  2lntf)eit  nafim,  unb 
in  oicten  ^a^ren  meber  eine  Äirdje  befud^t  no^  ba§  Slbenbma^I  genoffen 
l^atte  ^);  nid^t  roeit  er  gleid^gültig  gegen  bie  9leligion  ober  mit  feiner 
Äird^e  ^erfatten  mar,  fonbern  raeil  er  für  feine  ^erfon  biefer  äußeren 

1)  5Son  ber  Theologia  mystica.    2).  ©dir.  I,  410  ff. 

2)  «rief  ü.  ^.  1680  bei  jRommel,  2t\bnii  unb  Sanbgraf  @rnfl  I,  277. 

3)  33gl.  ©u^rauer,  ?eibn.  2.  U,  191  f.  gfiommel  a.  a.  C  n,  107. 

10* 


148  fcibntä. 

.•pülfSmittcl  ntd^t  Beburfte,  unb  in  feiner  eigenen  raiffenfd^afttii^en  Slrbeit 
of)ne  3"^6ifß^  ß'tt^  größere  görberung  unb  ^öefricbigung  fanb,  at§  in 
ben  bogmatifd^en  Slbfianblungen  imb  potemif(i^en  Grgüffen,  in  bencn 
banial§  eine  (ntfierifd^c  ^rebigt  ju  befte{)en  pflegte.  Sluf  bie  gteid;e 
Sinie  ftellt  er  oBer  aud;,  wie  ebenfalls  f^on  gezeigt  ift,  bie  ^onneln 
ber  Sefenntniffe.  ©ie  aEe  finb  if)m  nur  melir  ober  weniger  nnooll= 
fommene  S5erfuc^e,  bie  religiöfe  2ßat)ri)eit  barjuftellen ;  bie  Hnterfditebc^ 
n)eld;e  fi(^  jroifi^en  il)nen  finben,  finb  be^Iiaib  etroaS  t)erf)ä(tniBniäBig 
nntergeorbneteS  gegen  bie  @runbn)af)rF)eiten,  in  bereu  SInerfeunuug  fie 
ntte  übereinftimmeu.  5Die^  gilt  uaiürlid;  um  fo  uubebingter,  je  weiter 
biefe  ©enteinfamfett  jraifcS^en  jroei  ßonfeffionen  fi(^  erftredt.  Sßenu  fidi 
3tt)ei  ^iri^en  in  ifirem  ©(auben  fo  nafie  fielen,  roie  bie  Iutf)erifd;e  unb 
bie  reformirtc,  fo  ift,  wie  ßeibnij  glaubt,  fein  ©runb  abäufefien,  tüe§= 
()a(b  fie  fid^  uid;t  oereiuigen  fönuten.  9Bie  er  bat)er  fd^on  in  feiner 
i^ugenb  mit  ©pener  ual^e  befreunbet  gemefeu  mar  ^),  beffen  ^ietifmuS 
gum  2lergerni§  ber  Drtl^oboyie  barauf  au§gieug,  Sutfieraner  unb  ßaloiui:= 
ften  in  praftifc^er  $8et{)ätiguug  ber  (^riftlidjen  grömmigfeit  ju  ocrbinben, 
fo  fe^en  mir  aud^  uod^  ben  fünf3igiä!)rigen  lebfiaft  an  ben  S]er!^aubluugen 
t{)ei(uef)men ,  meldte  gmifd^eu  ^reu^eu  unb  ^ounoöer  gefüfjrt  mürben, 
um  im  ^ntereffe  bei  beutfd^eu  ^roteftautifmu§  unb  bei  preu^ifd;en 
©toatel  eine  Union  ber  beiben  eoangelifd^en  ^auptürc^eu  ju  ©taube  ju 
bringen  ^).  ^t)m  felbft  (ag  biefer  ©ebaufe  um  fo  nä|)er,  ba  er  jmar 
nad^  ©rgiefiung  unb  S3efenutni§  ßutf)erauer,  aber  burd^  feineu  Seter^ 
minifmul  ber  reformirten  ^räbeftinatiouKe^re  befreunbet  mar.  2(ud^ 
ber  @egenfa|5  bei  .f!at|olicifmul  unb  ^roteftantifmul  erfd;ien  i^m  jebod) 
feinelroegl  unüberroiubti(^.  ©taub  er  and;  feiner  ©eiftelart  unb  feiner 
Ueberscugung  nad^  entid;ieben  auf  proteftantifd;er  ©eite,  fo  mar  er  bod^ 
feit  feinem  ^maujigften  ^a^re  in  fo  oie{fad)e  unb  für  it)u  felbft  fo  foI= 
geureid^e  SSerbinbungen  mit  fatf)olifd;en  dürften,  ©taatlmöunern  unb 
®e(ei)rten  gefommeu,  er  ^a\k  aud)  in  ber  !att)oIifd;en  .^ird^e  einen  fot= 
ä)e\\  9ieicf)tf)um  uon  9Biffenfd;aft  unb  58ilbuug,  uon  ä^tcv  ^römmigfeit, 
9led}tfc^affenf)eit  unb  Humanität  eutbedt,  ba§  bie  bogmatifc^cu  lXuter= 
fd^iebc  ber  beiben  GoufeHiüueu  in  feinen  3lugcu  im  ^'erglcii^  mit  bem 
allgemein  d)rift(ic^en  unb  mcufd)(id)en,  in  bem  fie  übereiuftimmten,  oon 
untergeorbnetem  ©eroic^t  maren.    ganb  er  im  ^rotcftantifmul  bie  ?^rei= 

1)  i'eibiiis  b.  aiommet  a.  a.  O.  I,  277. 

2)  S)a§  nähere  barüber  bei  t.  ^Jifc^er,  ®c(.^.  b.  u.  ^^^il.  U,  259  ff. 


S)te  pDfittöe  3fIeItgion;  bie  Sonfefjtoiien.  149 

f)eit  ber  eigenen  tlekr5en(3nng,  ber  fittlid^en  unb  religiöfen  (2elbfttieftim= 
mung,  fo  raar  bod^  t^eilS  au($  biefe  rocnigften§  im  ioiffenf(|aftnd;en 
©ebiete  fo  wenig  auf  bie  proteftantifd^en  ßänber  6efd;ränft,  ba^  ba^ 
!atf)oafd)e  granfreid^  bem  proteftantifcC;en  3)eutfd^Ionb  beg  17.  i^a^r^ 
I)unbert§  an  wirf'ü^  freiem  SDenfen  roeit  überfegen  mor;  tf)ei(g  ftanb 
bem,  ma§  bie  proteftantifd;e  tird^e  in  biefer  SSe^iefinng  porauS  ^atte, 
auf  fotf)o(ifd^er  ©eite  bie  ^bee  ber  Äird^e  aU  ber  einen  bie  ganje 
3Jlenfd;f)eit  umfaffenben  ©emeinfd^aft  gegenüber,  TOcId;e  für  ben  uniücr= 
feilen  ©eift  be§  ^^i(ofopf)en  einen  unn)iberftef)lic^en  9leij  ^atte;  unb 
rcenn  bie  römi)d;e  Äird^e  freilid^  biefe  ©inl^eit  nur  in  ber  beengcnbcn 
gorm  iljrer  eigenen  2ßelt§errfc^aft  rerrairfltc^t  feFien  moUte,  fo  mar  boc^ 
ein  Seibnij  ^bealift  genug,  um  ^u  giauben,  fie  fönnte  fid)  aud;  freieren 
Slnfdjauungen  bequemen  unb  auf  bem  33oben  gcgenfeitiger  ^ugeftänb^ 
niffe  3U  einem  ^rieben  mit  bem  ^roteftantifmuS  bie  §anb  bieten,  wcU 
dE)er  e§  beiben  %^eikn  erlaubte,  innerhalb  gemiffer  meitfierjig  gezogener 
©renken  unter  58ciuaf)rung  ifirer  ©igcnttiümlid^feit  in  fird;lid^e  ©cmein^ 
fd^aft  gu  treten.  ©§  mar  baf)er  bo(^  nic^t  b(o^  ©efättigfeit  gegen  bie 
Söünfdje  feiner  fianbe^fürften,  fonbern  vov  allem  ber  uniöerfaliftifd;e 
unb  tiarmonifd^e  ^ug  feiner  eigenen  9ktur,  metd^er  i§n  fd;on  in  3}tainj 
gu  einer  @d;rift  oerontaBte,  bie  einer  S?erftänbigung  3U)ifd;en  ben  üer= 
fd^iebenen  d^riftlic^cn  Äird;en  5um  2lu§gang§punft  bienen  follte,  unb 
meldjer  i^n  fpäter,  in  feinem  fräftigftcn  33knne§alter ,  faft  sroan^ig 
Saf)re  taug  Qeit  unb  3Kü§e  an  S3er^anb(ungen  über  bie  Söieberyereini-- 
gung  ber  ^roteftanten  unb  tat^olifen  üerf^menben  lief5,  beren  3lu§= 
fid^t^Iofigfeit  if)m  bei  einer  uü^ternen  $8eurt^ei(ung  ber  öad^fage  uon 
t)orne  herein  t)ätte  ftar  fein  muffen  ^). 

3Jfüffen  mir  if)m  aber  aud;  hierin  eine  fa(fd;e  S3curt{)ei(ung  ber 
t^atfäd^lidjen  SSer^ältniffe  fd^ulbgeben,  fo  werben  mir  bod;  bie  ©runb^ 
fä|e,  üon  benen  er  bei  feinen  Seftrebungen  geleitet  raurbe,  bie  ©efid)t§= 
punfte,  nad)  benen  er  hen  Sßert^  ber  @(aubeu§^  unb  ber  J?u(tu§formen 
bema§,  nid;t  b(o§  an  fid;  felbft  gutljei^en,  fonbern  au^  a(§  ba§  folge- 
ridjtige  ©rgebni^  eine^  ©i;ftem§  erfennen  muffen,  rae(d;e§  burd;au§ 
barauf  aufgellt,  un§  in  unferen  Ueber^euguugen  unb  unferem  .^onbeln 
auf  ben  feften  @runb  ber  SSernunftn)ai)r^eit  ju  [teilen,  unb  al§>  ein  alt- 
gemeingültiges  nid^t§  anjuerfennen,  ma§>  fiel)   ni^t  allen  bur(^  auSrei- 

1)  Sie  ©efc^tc^tc  berfelOen  bei  Ä.  gtfdier  ®.  228  ff. 


150  ^etfemj. 

d;enbe  ©riinbe  betoeifen  unb  jur  ®eutü(^!eit  be§  ^egriffg  ergeben  (äfet. 
Unb  wir  werben  e^  nur  loben  fönnen,  wenn  er  fttf;  ni(^t  barauf  be^ 
]ä)xäntt,  innerfialb  ber  c^riftlid^en  Rixä)e  unter  ben  confeffioneHen  ©egen- 
fä^en  hen  gemeinfamen  religiöfcn  @el;alt  auf^ufudjen ,  fonbern  baSfelbe 
33erfa^ren  auc^  auf  bie  ou^erdjriftlic^en  9?eIigionen  anioenbet.  S)enn 
fo  wenig  er  ben  f)erfömmli(^en  33orfteIIungen  t)om  §eibcntf)um,  wornad^ 
e§>  fi($  3um  ^ubent(;um  unb  S^riftentfium  einfach  üerl^ielte,  wie  bie 
falfc^e  S^eligion  jur  wafiren,  bireü  entgegentritt,  fo  ift  er  bo(^  geneigt, 
au(j^  ben  .Reiben,  wenn  fie  bie^  ofine  ifire  ©(i^ulb  finb,  in  ber  einen 
ober  ber  anbern  SBeife  ben  2Beg  jur  ©eligfeit  ju  eröffnen,  weil  §ur 
©rkngung  ber  göttlichen  @nabe  n{(^t§  weitereg  nöt^ig  fein  fönne,  aU 
ein  reiner  unb  ernftlid^er  9Bitte;  unb  wenn  er  bie  .^ebrder  bewunbert, 
weit  fie  fid;  burdö  iliren  9JJouotl)eifmu§  oufgellärter  gejcigt  l)aben,  al§ 
alle  Qubcren  33ölfer,  fo  üergi^t  er  boc^  ni(^t,  beizufügen:  „S)ie  SBeifen 
anberer  ^iationen  liaben  barüber  üietteid;t  oft  ha§>  gleid^e  gefagt,  aber 
fie  liaben  nid;t  ha§  ©lud  gefiabt,  augreid;eube  Slnerfennung  3U  finben 
unb  ilire  Sefire  guin  ©efe|  erlioben  gu  fel)en/'  3lnbererfeit§  ift  er  un- 
befangen genug,  um  einzuräumen,  ba^  bie  alttcftamentlid;en  ©(^riften 
t)on  ber  Unfterblic^feit  ber  ©eele  ni(j^t§  telireu;  unb  wo  er  üon  ben 
SSor^ügcn  ber  djriftli($en  91eligion  fpric^t,  l^cbt  er  at§  bie  ^auptfad;e 
ba§  l^eroor,  ba^  burc^  fie  ni(^t  allein  ber  Unfterblic^feitSglaube,  fonbern 
auc^  reinere  ^orftetCungen  über  bie  ©rö^e  unb  bie  ©üte  @otte§  attge^ 
mein  ocrbreitet  würben,  ba^  bie  natürlidie  Stlieologie  gur  öffentlid^en 
©eltung  gebraut,  „bie  Sf^eligion  ber  Söeifen  zur  SSolBreligion  würbe". 
SDiefe  2Bal)rl)eiteu  ber  natürlid;en  9ieligion  l^at  aber  aud;  ber  Mu^a- 
mebanifmu?^  nid;t  geläugnet;  er  t)at  uielmelir  ba§  SSerbienft,  ba^  er 
benfetben  bei  S?öllern  ©ingang  ucrfd^afft  l)at,  zu  bcncn  ha§>  ß^riften= 
tl)um  nid)t  gebrungen  war;  fo-  ba^  bemnac^  Seibniz  in  bemfelben  weit 
weniger  einen  ©egner,  al§  nur  eine  anbere,  immerl)in  unooElommencre/ 
^orm  be§  wal)ren  ©laubenS  z"  feilen  wei^  ^).  3öir  werben  fpäter  fin= 
ben,  wie  Seffiug  biefe  ©cbanfeu  weiter  verfolgt  unb  au§gefül)rt  ^at. 

2Bie  vergalten  fid;  nun  aber  zu  biefer  natürlid;en  9ieligion ,  weld;e 
ben  wefentlidjen  3"^)alt  aller  Xljeologie  au§mad;t,  bie  pofitioen  Seiiren, 
bie  bal  (Sl)riftent^um  ju  il)r  liinzugefügt  l)at?  Spätere  3ln^änger  ber 
leibnizifd;en  ^l)ilofopl)ie  wußten  beibe  nid;t  feiten,  nad;  bem  Vorgang 


1)  O.  P.  405  f.  410.  4ü8  f. 


Slatürlid^e  unb  pofittöe  Sl^eologie.  151 

her  engl{f($en  5Deiften,  nur  in  ein  an§f(^neBenbe§  33erl^ä[tni^  ^u  fefeen: 
neben  ber  natürlichen  9te(igion  fottte  bie  pofiiioe  entbef)rlirf;,  nnb  in 
meten  i^irer  ^eftanbtfieite  fogor  gcrabcju  mit  if)r  unrerträgli($  fein. 
Seibniä  felbft  ift  nid^t  biefer  9}teinung;  wie  er  ja  überhaupt  eine  ner= 
ntitteinbe  3^atur,  unb  jum  rorauS  geneigt  roor,  in  freniben  Slnfic^tcn, 
pmat  in  folc^en,  bie  i^ire  33ebeutung  buri^  alten  ^eftanb  unb  n)eitgrei= 
fenbe  SBirfung  beurfunbet  l^atten,  ba^  üernunftgentä^e  unb  mit  feiner 
eigenen  Ueber^eugung  ftimmenbe  al§  hk  |)auptfad;e,  bie  2tbrüei(f)ungen 
üon  berfelben  al§  etroa^  untcrgeorbneteg  3U  betradjten.  ^m  djriftüdjen 
©laubeu  groBgcnäijrt,  burc^  ein  tiefet  gemüti)(ic^e§  33cbürfni§  mit  it)m 
üermac^l'en,  f)ot  er  an  feiner  2öaf)rf)eit  nie  ge^roeifeft;  raei§  er  anberer- 
feit§  ebenforacnig  an  ber  3"ücr(äf5tgfeit  unfereS  $Denfen§  ju  smeifeln, 
fo  !ann  er  nur  fc^defsen,  bo^  eben  beibe  üottftänbig  übcreinftimmen, 
ber  (j^riftlic^e  03(aube  burd;au§  üernunftgemäfe  fei.  ^n  biefer  lieber; 
geugung  fet)en  roir  i^n  fdjon  in  3)^ain3  bie  fird^üdje  Sef)re  üon  ber  S)rei= 
einigfeit  unb  bem  ©ottmenfd;en  burd;  „neue  logifc^e  Grfinbungen''  gegen 
bie  ©inraürfe  ber  ©ocinianer  oertfieibigen  ^).  ßbenfo  ^at  er  in  ber  gotge 
ben  SünbenfoU,  bie  ©rbfünbe  unb  bie  ©migfeit  ber  ^ölienftrafen  in 
@d^u^  genommen  (f.  0.  ©.  142  f.);  er  rebet  üon  übernatürlid;en  ®naben= 
rairhmgen  ^),  fo  raenig  au^  ha?»  (Sxjftcm  ber  präftabiürten  Harmonie 
S^orgängen  in  ber  ©eele  d\aum  ia^t,  bie  nid^t  üon  2lnfai;g  an  in  ii)r 
angelegt  unb  ba§  natürlid;e  SrgebniB  if)rer  inneren  ©nttoidlung  finb; 
er  tritt  al§>  3>erfe(^ter  ber  (nt^erifd;cn  3Ibenbma^(§(e^re  auf  (0.  P.  411. 
484, 18 f.),  f)at  babei  aber  aud;  bie  ©efälligfeit,  bem  Qefuiten  S)e§  Sof  f  e§ 
3U  feigen,  wie  ein  J?att)olif  bie  'Jran^iubftantiotion  au§  ben  3]orau§; 
fe^ungen  ber  3Jionaben(eJ)re  red;tfertigen  fönnte  ^);  mie  er  bcnn  fd;on  1671 
fid^  bem  fatf)olifc^en  ^ergog  ^o^ann  griebrid^  burd)  bie  5ßerfid)erung 
empfol^ten  i)atte,  "oa^  er  Wiüei  gefunben  i)ahc,  menigftenS  bie  Wlö^iiä)- 
!ett  ber  realen  ©egeuroart  be§  £eibe§  ß^rifti  im  2lbenbmat)f,  unb  felbft 
ber  2;ran§mbftantiation,  pf)i(ofopt)ifd;  gu  erraeifen  '*).  (Sr  äußert  übcr= 
f)aupt  nidjt  allein  nirgenb§   einen  3"^f^fßl  o«   ^er  2Bof)rl)cit  ber  fird;= 


1)  ^n  ber  5Ib^anbrung  gegen  SBiffowattuS  (Opp.  ed.  Dut.  I,  10  ff.),  wcld^e  ?ef, 
fing  (IX,  205  ff.  Sac^m.)  nebft  bev  ©c^rifr  beS  leljteven  etnge^enb  befprocfjen  bat; 
tg(.  bie  Remarques  sur  le  livre  criiu  Autitrinitarien  (b.  S)utcn§  1,  24  f.)  u.  0.  I'.  486,  22. 

2)  3.  «.  0.  P.  404.  406.  410. 

3)  0.  P.  680.  686.  689.  729.  463. 

4)  Sei  mo^p  I,  3,  259  f. 


152  Seibmj. 

lid^en  £ef)ve^  fonbern  er  geigt  fid^  bei  jeber  @elegenf)eit  bentüf)t,  (gin-- 
TOÜrfe  gegen  fie  gu  raiberlegen  unb  i^re  Hebereinftimmung  mit  ber  roaliren 
^l^ilofop^ie  in'ä  Sid;t  ju  fteUen. 

3u  einer  grunbfä^ liefen  Erörterung  be§  3Ser]^ä(tniffe§  von  9leIigion 

unb   ^^i(ofop!)ie  raurbc  Seibnig   burd^   ^ai)U'§>  Behauptungen    über 

biefen  ©egenftanb   (f.  o.  @.  57)   oeranlafet.    S)ie  Slnfid^ten   ber   beiben 

3Jtänner  [tauben  fi($  l^ier  biametral  entgegen.  3)er  ©taube  unb  bie  SSer= 

nunft,  latte  Bat)Ie  behauptet,  bie  Offenbarung  unb  bie  5pf)i(ofop^ie  finb 

nnoereinbar;  roir  ^aben  nur  bie  2Ba^(  jtoifd^en  bem  einen  ober  bem 

anbern,  aber  rair  fönnen  nic^t  beibe  jugteic^  §aben :  roer  an  einem  run= 

ben  %i]ä)  fi^en  mill,  ber  barf  fid^  feinen  oieredigen  machen  laffen,   mer 

ein  gläubiger  ß^rift  fein  mill,   ber  muB  auf  ben  @ebrau($  feiner  SSer= 

nunft  üer^ic^ten.  S5er  ©taube  unb  bie  3]ernunft,  entgegnet  ifim  Seibnig, 

muffen  übereinftimmen;  e§>  fann  nic^t  in  ber  3:t)eoIogie  raatir  fein,  voa§> 

in  ber  5pt)itofopt)ie  fatfd^  ift,    e5  ift  unmöglid^  gu  glauben,   roaS  man 

all  raiberoernünftig   erlannt  l)at.     ,,©taube   ober   33ernunft"  ift  bal 

SofuuglTOort  be§    einen;    „©taube  unb  S^ernunft"    has^   be§    anbern. 

®er  SSertlieibigung  feineS  ©tanbpunftS  l)at  Seibnij,  neben  maucf;en  an- 

berroeitigen  Sleufierungen,  bie  2lbl)oubtung  „oon  ber  Uebereinftimmung 

be§  ©laubeul  mit  ber  3Sernunft"  (0.  P.  479  ff.)  geroibmet,  roelcl;e  er 

ber  Stlieobicee  oorangcftetlt  l)at.    3'?ä§er   lianbelt  el  fid^   l)iebei  um  bal 

SSerl)ältni^   be§  IXeberoernünftigen  unb  SBiberoernünftigen.    S)er  (^rift= 

lic^e,  roie  jeber  Offenbarungigtaube,  entl)ätt  33eftimmungen,  auf  n)etct;e  bie 

menfc^tid^e  3Sernunft,  wie  man  üoraulfe^t,    bnrdti  fic^  fetbft  nid;t  l)ätte 

fommen  fönnen,  unb  bie  fie  nicf;t  ooUftönbig  ju  begreifen  oermag;  unb 

er  muB   fotd^e  53eftimmungen   enthalten,   roenn  bie  Dffeuborung    einen 

aulreid)enben  ^imd  l)abeu,  unb  bie  geoffenbarte  Se^re  nid^t  in  ben  3Ser= 

bad)t  fommen   fotl,    ein  bloBcl  (SrjeuguiB   bei  menfc^tid^en  ©eiftel  5U 

fein.    SßoHte  man  ober  anbcrerfeiti  anuel)men,  ha^  biefe  Seftimmungen 

nic^t  blol  über  bie  35eruunft  f)inaulgel)eu,  fonbern  il)r  and;  luiberftreiteu, 

10  mürbe  man  einen  üernunftmäfjigen  ©tauben  an  biefelben  uniuöglid^ 

madien;  cl  bliebe ,  batjer  nur  bal  S)ilemma:  entiueber  um.  bei  ©laubcnl 

mitten  auf  bie  SSeruuuft,  ober  um  ber  5i>ernunft  mitten  auf  ben  ©tauben 

gu  oeräictiten.     5}af3  roirflid;   nid;tl   anberel  übrig  bleibe,    l)attc  33ai;le 

bel)auptet,  unb  eben  bie^  ift  el,  mal  Seibnij  bcftreitet.  3Bie  bal^er  jener 

alle  2lnftrcngungen  mad;t,   um  bie  ^bentität  bei  Hcberoernünftigen  mit 

bem  2öiberoernüiiftigen  ju  bemeifen,  fo  ermäd^ft  biefem  bie  2tufgabe,  ju 


©loube  unb  Vernunft.  .     153 

geigen,  ha^  eine  Seigre  ober  eine  ©rjäfilung  unfere  SSernunft  üterfteigen 
!önne,  o^ne  if)r  barum  gu  roiberfpred^en.    ßeibnij  unter3iet)t   fid;   biefer 
Slufgobe.    @in  Ueberoernünftige^  roitt  er  nid^t  täugnen,    aber  ein  SBi- 
beroernünftige^  fann  er  nic^t  angeben,    ©in  TOiberüernünftiger  (Sa|   ift 
ein  folc^er,  beffen  galfc^fieit  fid^   erroeifen   läBt.    Slber  ben  33eiüei]'en, 
fagt  Seibnij,   mu§  man  immer  nad^geben;    raenn   einem  ©a|  ^emeife 
entgegenfte^en ,   bie  in  allgemeinen  SScrnnnftroafirfieiten  ober  unbeftreit= 
baren  %^atiüd)en  begrünbet  [inb,  fo  ift  feine  galfdjfieit  erioiefen,    nnb 
bann  ift  e§  unmögtid;,  iJin  ju  glauben.    <Bo   wenig   eine  ^f)i(ofop^ie 
SUtäBig  ift,  bie  fid;  mit  ber  9leligion  nid)t  üerföi)nen  Iä§t,  ebenfo  menig 
!ann  eine  Sleligion  maf)r  fein,  bie  anbern  erraiefenen  SBof)ri)eiten  n)iber= 
ftreitet.  „^n  Sachen  ber  9leügion  auf  bie  SSernunft  oer^id^ten  ju  raollen, 
erf(ärt  er,   ift  in  meinen  Singen  ein  faft  fi(^ere§  3JterfmaI,    entmeber 
eine§  ©igenfinn^,   ber  an  ©d;n)ärmerei  grenzt,    ober   maS  nod^   fd;(im= 
mer  ift,   ber  ^end^elei"  ^).    @oII  fidE)  ber  DffenbarungSglaube  redjtfer= 
tigen  (offen,   fo  mu^  gegeigt  merben,    ba^   er  gwar  über   bie  SSeruunft 
t)inau§ge!)e,  aber  bo(^  5ug(ei(^  burc^auS  t)ernunftgemä§  fei.  ^eneä  rairb 
ber  %aU  fein,  menn  fid^  fein  ^nf)alt  burd^  SSernunftgrünbe  nid^t  be= 
meifen  Iä§t,  biefeS,   raenn  er  fic^  burd;  fo(c^e  ©rüube  nid}t  raibericgen 
lä^t.    ^e'oex  Seraeis  burd^   SSernunftgrünbe  beftefit  aber  na^   Seibnig 
barin,  ba^  etraa§  ai§>  nottiraenbig,  jebe  Sßiberlcgung  burc^  fo[c^e@rünbe 
barin,  ha'^  e§  al§>  unmögUd;   nad^geraiefen  wirb;    unb  aU  nottiraenbig 
erfennen  rair  ba§,   raa§  in   allgemeinen  unb  notfiraenbigen  2BaI;rl^eiten 
entraeber  unmittelbar  enthalten   ift,   ober  fid^  aU  Folgerung  au§  i^nen 
ergiebt,  ai§>  unmöglid;  ba§,   raa§  fold;en  SBaf)rt)eitcn  entraeber  unmittel: 
bar  ober  in  feinen  goIgefä|en  raiberfprid^t.    S)ie  überoernünftigen  ©lau= 
benStel^ren  muffen  bemnad^  3rai[d;cn   bem  5Rotf)raenbigen  unb  bem  Xln= 
mögli(^en  in  ber  Wüte  liegen,  fie  muffen  fii$  au»  notl;roenbigen  2ßat)r'- 
J)eiten  raeber  ableiten,  nod;  burc^  fie  raibertegen  laffen:  baS  ©ebiet,  auf 
bo§  fie  fi(^  allein  begietien  fönnen,  ift  ba§  ber  t^atfäd^Ud^en  2öirf(id;!eit. 
©ine  ^liatfad^e  get)t  nun  über  unfere  SSernunft  ^inau§,  raenn  fie  feine 
natürlid;e  ©rflärung  gutäBt ;  fold^e  ^liatfadjen  aber  nennen  rair  SBunber. 
^ie  ?^rage  nad^  bem  Ueberuernünftigen  in  unferem  ©tauben  fäHt  bat)er 
für  Seibnig  mit  ber  ^^rage  nad;  bem  Söunber  gufammen:  überoernünf^ 
tige  ©taubenSte^ren  finb  mögtid),   raenn  Söunber  möglich   finb.    S)aB 

1)  0.  P.   487,   25.   480,  3.   486,  23.   496,   61.   404.     ?ei&niä   b.    9tomOTcl 
a.  a.  O.  II,  54. 


154  $?ct6m5. 

nun  ha§>  le^tere  ber  ^atl  fei,  bieB  ju  beroeifm  Bietet  unferem  ^tiito- 
fopfien,  TOie  er  glaudt,  bte  früt)er  (6.  114.  129  f.)  Besprochene  Untere 
fc^eibung  ber  notf)tt)enbigen  nnb  jnfättigen  SBofirfietten,  ber  metapfitififd^en 
unb  moralifd^eu  9?ot§raenbigfett,  ba§  SO^iittet.  9iebcn  ben  ewigen  2öaf)r: 
f)eiten,  fagt  er,  beren  @egentf)ci(  einen  Söiberfprud;  in  fic^  fd)tieBt,  gicbt 
es  auä)  anbere,  bie  man  pofttiüe  nennen  fann:  bie  ©efe^e,  raeld;e  @ott 
ber  ^atnv  gegeben  f)at,  nnb  ha§>,  wa§  oon  ifinen  ob^ängt.  2)ie[e9Ba^ri 
Reiten  berufen  nid^t  anf  einer  geometrifdjen  9tott)n)enbigfeit ,  fonbern 
auf  ber  freien  2ßaf)t  @otte§ ;  unb  wenn  bie  Ie|tere  atterbiugS  gleirf)fall§ 
it)re  ©rünbe  fiaben  mu^,  fo  finb  bie^  bod^  nur  moralifdje  ober  ^^mä- 
niöBigfeitSgrünbe :  @ott  f)at  für  ben  9taturlauf  biejenigen  @e[e|e  ge= 
geben,  roeld^e  mit  bem  SBeltgtoecf  am  beften  übereinftimmten,  bie  größte 
SSoUfommcn^eit  ber  Sßelt  I)erbeifü^rten.  S)ie  pltn;fif(^e  9iotI)n)enbigfeit 
berut)t  baf)er  auf  ber  moralifd;en,  bie  ©eftung  ber  ^Raturgefe^e  ift  nur 
eine  bebingte:  fie  finb  nic^t  on  unb  für  fic^  not£)raenbig,  fonbern  nur 
ai§>  93üttel  für  ben  gi)ttUc^en  SBeltgiüec!  oon  ©ott  geraollt.  ©benbefetialb 
ift  aber  ©ott  audjj  nid;t  fd)led;tt)in  an  fie  gebunben;  er  fann  üielmet)r 
ron  ifjuen  bifpenfiren,  wenn  fein  Söeltplan  biejg  erforbert,  er  fann  burd^ 
ein  2öunber  ©rfolgc  f)erbeifül)ren,  metc^e  fi(^  au§  ber  9Jatur  ber  S)inge 
aU  fold^er  nic^t  ergeben  würben ;  unb  e§  ift  bie^,  beim  ßid;te  betrai^tet, 
nic^t  eine  SSerle^ung  ber  9^aturorbnung ,  fonbern  nur  ba§  Eingreifen 
ber  f)öt)eren  Drbnung  in  bie  niebrigere,  ber  moralifc^en  in  bie  pt)i)fifd;e, 
beS  9lei(^0  ber  ©nabe  in  ba§  9icid;  ber  3iZatur  ^).  ®o(d)e  ©rfolge  fönnen 
mir  vooi)l  al§  Xfiatfad^en  erfal^ren  unb  bis  ^u  einem  gemiffen  @rabe 
oerftefien  (apprendre),  aber  mir  fönnen  fie  nid;t  begreifen  (comprendre), 
fie  ni^t  ooUftänbig  au§  it)ren  ©rünben  erflären,  mir  fönnen  einfef)en,  baJ3 
fie  finb,  unb  luaS  fie  finb,  aber  nid;t  raie  unb  warum  fie  finb  2); 
mie  ja  übert)aupt  bie  apriorifd;e  Äenntni^  ber  anfälligen  2Sat)rf)eiten 
nac^  ßeibnij  ein  ^^orrcd;t  ber  ©ottfieit  ift  (f.  o.  @.  114).  Sind;  fie 
finb  aber  in  bie  allgemeine  SBeltorbnung  mit  aufgenommen,  fie  bilben 
oon  ätnfang  an  einen  ^^eit  beS  göttlidjen  SöettplanS,  unb  finb  in  ber 
ganjen  3]erfettung  ber  X)inge  präformirt;  wie  in  ber^^atur  3)M;anifmu§ 
unb  STeteologie,  roirfenbe  unb  ©nburfad^en  übereinftimmen  (f.  o.  ®.  102  f.), 
fo  ftimmt  auc^  baS  9leid;  ber  9iatur  mit  bem  ber  ©nabe,  bie  pl^i;fifd;e 


1)  0.  P.  480,  2  f.  485,  19.  403.  405. 

2)  0.  P.  402.  480,  5.  494,  54  ff.  496,  63  ff.  568,  207. 


®Iau6e  unb  SBcrnunft.  155 

mit  ber  inoraltf($en  SBelt  überein,  ober  rote  man  auc^  fagen  tann, 
©Ott  aU  ber  Saumeifter  ber  2ße(tmafd)ine  fttmmt  mit  fic^  felbft  a(§ 
hem  33e{)errfc^er  be§  ©eifterreidjs  überein,  unb  fo  fommt  e§,  bofs  bie 
Stbfid^ten  ber  ©nabe  burd^  ben  ^f^oturtauf  felbft  erfüllt  werben,  ha^ 
ä.  58.  bie  ©rbe  burc^  natür(icf;e  Urfad;en  in  bem  Slugenblic!  ^erftört 
wirb,  welchen  @ott  für  ha§>  2BeItgeri($t  beftimmt  ^at^). 

®iefe  5:^eorie  '^at  unter  ben  proteftantifdjen  3:^eo(ogen  fielen  Set-- 
fad  gefunben,  unb  namfiafte  ©etefirte  traben  ifir  nod;  in  unferer  ,3eit 
bie  bcften  oon  ifiren  ©rünben  entnommen.  Slber  gegen  if)re  n)i[fen= 
fd^aftlic^e  i^altborfeit  iö§t  fid)  üiele§  einmenben.  ^u^ä^ft  l)at  fie,  fo 
wie  ßeibnij  fie  au§gefüf)rt  f)at,  eine  ouffallenbe  Sude.  SBottte  man  bem 
^^()iIofop^en  oud;  alle  feine  @ä|e  jugeben,  fo  märe  bamit  boc^  erft  bie 
2J?ög(td;feit  munberbarer,  unb  be^f)a(b  für  bie  menf(^(id;e  35ernunft  un^ 
erflär(id;er ,  2:f)atfad;en  barget^on.  ^Jlim  geJ)t  aber  nid;t  ber  ganje 
^nfialt  ber  pofitiy  (^rift(id;cn  Se^ren  unter  biefem  begriff  auf.  @c^on 
bei  folc^en  Se^ren,  mie  bie  über  bie  a)Zenf($iüerbung  ©otte»,  bie  ©ünbe, 
bie  SSerfö^nung,  ba§  2öeltgerid;t  u.  f.  ra.  f)anbelt  e§>  fid^  nid^t  blo^  um 
3:i;atfad^en;  feinenfaÜS  aber  ift  ber  ©laube  an  bie  Sreieinigfeit ,  in 
welcher  bie  ftrd;lid^e  S^ogmatif  jeber^eit  baS  ©et)eimniB  affer  ©e^eimniffe 
gefeiten  fiat,  eine  blo^e  Stu^fage  über  eine  Z^atiaä)e.  .»pier  geriet^en 
wir  ba^er  in  ba§  2)itemma,  ba^  biefe§  S^ogma  fic^  entmeber,  wenn 
e§  etwas  im  2Befen  ©otteS  begrünbeteS,  a(fo  eine  ewige  unb  not^iwen- 
bige  2Ba^rI)eit  auSfagt,  au§  bem  93egriff  ©otteS  mü^te  ableiten  (äffen, 
unb  bann  wäre  e§  nid;tg  überuernünftigeS,  fein  ©[auben!cgcf)eimni^ ; 
ober  ba§  e§,  wenn  e§  feine  ewige  unb  notl)wenbige  9Saf)r^eit,  fonbern 
nur  ein  tf)atfädjnd;e§  SBerljältniB  barftefft,  fid^  aud^  nic^t  auf  ba§  gött= 
lid^e  2Befen,  fonbern  nur  auf  bie  ?5-orm  ber  göttUdjen  Offenbarung  be= 
giefien  fönnte.  ©off  ferner  bie  leibni^ifd^e  Stfieorie  auf  eine  gegebene 
Dieligion,  wie  bie  d^riftlidje,  angewanbt  werben,  fo  mü^te  man  geigen, 
ba§  i|re  übetüernünftigen  Set;ren  unb  if)re  wunberbaren  @r,5äl)(uugen 
ifirem  ^n^alt  nad;  ber  33ernunft  nid^t  wiberfpredjen,  unb  i^rem  Urfpruug 
nadj  t)on  ©ott  f)errüJ)ren.  2Benn  bo§  erfte  nid^t  bewiefen  wirb,  fönnen 
wir  \k  ni(^t  glauben,  wenn  ba§  gweite  ni(^t  bewiefen  wirb,  ^ahn  wir 
feinen  ^inreidjenben  ©runb  fie  gu  glauben,  ©ie^  giebt  nun  Seibnij 
aud^  3u:  wa§  ber  S^ernunft  wiberftreitet,  erflärt  er  (f.  o.  @.  153),  ha^ 


1)  0.  P.  518,  54.  520,  62.  568.  206  f.  712,  87  f. 


156  Mbnxi. 

3U  glauben  fei  itnmö9li(3^ ;  unb  bett  jweiten  ^itnft  betreffenb,  üerlatigt 
er,  ba^  bie  ©laubiuürbigfett  ber  DffenBarungiurfunben  juerft  fceroiefen, 
ba^,  fo  511  fagen,  i^r  SeftallungSpatent  unterfud^t  werbe,   efie  man  fic^ 
t{)rer  2luftoritöt  nnterroerfe^).    Slber   ba^  Seibniä  bie  SSernunftmä^igfeit 
ber  S)ogmen  TOxrflic^  bargetl^an   f)obe,   beren  9tec^tfcrtigiing  er  üerfnd^t 
(f.  0.  ©.  151),  roirb  niemanb  kl)aupten  fönnen,  ber  e§  mit  ben  Se= 
meifen  genau  nimmt,  unb  bem  Slpologeten  ni(^t  erlaubt,  ben  bogmatifd^en 
SBeftimmungen ,   bie  er  gu  oertreten  üerfproi^en  t)at,   etraa§  anbereS  5U 
untcrfc^teben.  2öa§  anbererfeitS  ben  Seioeis  für  ben  göttlid^en  Urfprung 
ber  biblifc^en  ©d^riften  betrifft,   fo  f)at  nid;t  Uo§>  bie  fpätere  ©efd;i(^te 
ber  5£{)eoIogie  gezeigt,  roie  loenig  er  fid;  in  bem  ©innc,  um  ben  e§  fid^ 
f)ier  {)anbelt,  in  roiffenfc^aftlic^  genügenber  SBeife  füt)ren  (ä^t;   fonbcrn 
au(^  unfer  ^ptjüofop^  felbft  fieJ)t  fic^  genötf)igt,   fid^  üon  ben  gefd;id}t- 
liefen  unb  ben  ^ernunftberoeifen  auf  jene  „göttUd;e  Beglaubigung''  äurüd= 
äujielien,  meldte  in  einer  unmittelbaren  inneren  ©nabenmirfung  beftelien 
foä,  unb  be^^alb  ijon  ben  2:l)eologen  ba§  S^WG^iB  be^  l)eitigen  @eifte§ 
genannt  roirb 2).    2Ber  fid^  aber  auf  biefe§  B^ugui^  beruft,   ber  erflärt 
ebenbamit  alle  anberen  ©rünbe  für  un5urei(^enb.    ©ine  roif  fenfd)aft= 
lid)e  33eroei§fül)rung   für  bie  ^l)atfäd;lid^feit  eine§  2öunber§  ift  einfach 
be^lialb  unmöglid;,   weil  bie  2lnnal)me  be^fetben  fid^   immer  nur   auf 
bie  ©laubroürbigleit  be§  2ßunberberid;t§  grünben  fann,   bie  ©laubroür= 
bigfeit  eines  ^^i^PUf^^   ^^^^  ^^^)  "^^  ^^^)  '^^^  Slnalogie  ber  fonftigen 
(Srfal)rung  beurtl)eilen  la^t,  unb  bal)er  3]orgänge,  roetdje  aller  Sinologie 
ber  ©rfalirung  roiberftreiten ,   fie  mögen  b^^eugt   fein,   wie   fie  rooHen, 
niemals  bie  überroiegenbe  2ßal)rfc^einlid^feit  für  fic^  l)aben  fönnen.  2lber 
aud)  an  fid^  felbft,  unb  gana  abgefelien  oon  ber  ^rage  nad;  i§rer  2ln= 
roenbbarleit,    leibet   bie  leibnigifd^e  %^coxk  an  einem   unverfennbaren 
SBiberfprud^.    S)aS  Ueberoernünftige  in  unferem  ©lauben  foll  fid^  auf 
bie  übernatürlid;en  ^^orgänge   ober  bie  Sßunber  be^ielien;    bamit   aber 
biefe  SGBunber  ber  SSernunft  unb  ben  9f?aturgefe^en  nid;t   roiberftreiten, 
follen  fie   in  einer  moralifdien  9^otl)roenbigfeit  begrünbet  unb  üon  2ln= 
fang   an   in   ben   Söeltplan  unb  ben  9Iatur3ufaniment)ang  mit  aufge- 
nommen fein.    2Öie  reimt  fid^   biefcS  jufammen?    2Benn   bie  Söunber 
notl)menbig  finb,  fo  finb  fie  nid;t  äuföttig,  unb  ba^  biefe  3'iotl)roenbigleit 


1)  0.  P.  488,  29.  402  bgt.  ^tc^tcr,  S^col.  b.  Mbn.  I,  224. 

2)  0.  P.  404,  388,  29.    S3ci  9UinineI  a.  a.  O-  II,  54. 


®Iau6e  unb  Sßetnunft.  157 

nur  eine  tnoraftfd^c  fein  foff,  mac^t  in  biefem  %aU,  nk  fd^on  frilfier 
ge5eigt  wuxhe  (@.  129  f.),  feinen  UntcrfcJ^ieb.  ^cm  fie  t)on  2lnfang 
an  im  Söcitplan  üorgefefien  finb,  [o  finb  fie  Erfolge,  bie  in  bev  Söelt, 
fo  raie  fie  nun  einmal  ift,  on  biefem  Drte  eintreten  mußten;  fie  finb 
burd^  ben  ganjen  3öeltlauf  üorkreitet,  finb  ©lieber  einer  Äette,  bie 
gerabe  m^  ßeibnig  einen  gan^  feftgefd^Ioffenen  3ufammenf)ang  non 
Urfac^en  unb  SBirfungen  barftcllt,  fie  f)aben  if)ren  {)inreic^enben  @ruub 
in  attem  oorangegongenen  unb  tragen  in  ilirem  %^eiU  baju  bei,  aüe§ 
folgenbe  ^u  begrünben.  3Ba§  aber  mit  Sbtfiroenbigfeit  eintritt,  nia§ 
im  ^laturjufammen^ang  begrünbet,  im  2öelt(auf  präformirt  ift,  ba§  ift 
fein  SBunber,  fonbcrn  ein  9kturereigni^ ,  e§  fann  ni(^t  au§  bem  @in= 
greifen  einer  au^ermelttic^en  llrfa^e  in  ben  9f?aturtauf,  fonbern  nur 
au0  ben  natürlichen  Urfadjen  unb  ifireu  ©efe^en  erüärt  werben.  Seibnij 
felbft  giebt  bie^  l^infic^ttid;  berjenigen  SSunber  ju,  meiere  @ott  hnvä) 
33ermitttung  oon  ©ngetn  ober  ä^nlid;en  2ßefen  beioirfe:  biefe  2Befen, 
fagt  er,  l^anbeln  babei  nad;  ben  ©efc^en  ifirer  Statur,  mögen  bal^cr 
aud;  bie  ©rfotge,  bie  fie  f)eroorbringen,  un§  rounberbar  erfc^einen,  fo 
feien  fie  boc^  in  3Bal^rf)eit  natür(id;e  58orgänge.  Söunber  im  ftrcngen 
©inn  feien  nur  bie,  n)eld;e  ha§>  ^cxmöQen  ber  gefd^affenen  SBefen 
fc^ied)tf)in  überfteigen ,  mie  bie  Schöpfung  ober  bie  3Jienfc^n)erbung^). 
tonnen  aber  fold^e  2>orgänge  in  einem  Softem  9^aum  finben,  beffen 
erfter  ©runbfa^  e^  ift,  baB  atte§  feinen  3urei($cnben  ©runb^  fiabe  muffe? 
einem  ©i;fteme,  wdd)c§>  bie  3Beft  nur  aU  ein  üoUfommen  jufammen^ 
f)ängenbe§  ©an^eg  5U  begreifen  roeifs,  in  bem  (roie  Seibni^  0.  P.  579 
felbft  fagt)  jeber  Eingriff  an  einem  fünfte  ben  ®ang  affer  feiner 
^fieite  oeränbern  mü{5te?  5öcnn  ba^er  fpätcre  2lnf)änger  ber  leibnijifd^en 
^f)i(ofopt)ie  bie  2)föglic^feit  übernatürlicher  Offenbarungen,  munbcrbarer 
(Sreigniffe,  überocrnünftiger  ®laubenglel)ren  beftritten,  fo  l)aben  fie  ba= 
mit  nur  bie  Folgerungen  gebogen,  benen  fid^  Seitmi^  felbft  freilid^  auf'^3 
lebl)aftefte,  unb  gemiB  mit  perfönlid^er  Ueberjeugung ,  miberfe^t  l)at, 
bie  fid^  aber  au§  feinen  eigenen  33orau§fe|ungen  unraeigerlid^  ergeben, 
^ür  bie  9lu§brcituug  unb  bie  gefd^id;tlid;e  SBirhing  ber  leibnisifd^en 
^^^ilofopf)ie  war  aber  gerabe  biefe  3urüdl)altung ,  bie  58ereitn)i(lig!eit, 
mit  ber  fid^  it)r  Urlieber  ben  tl)eologifd^en  Xleber^eugungen  anbequemte, 
bie  58el)utfamfeit,  mit  ber  er  jeben  offenen  ^iifimmenftoB  mit  benfelben 


1)  0.  P.  579,  249.  568,  207.  480,  3.  758,  44.  776,  112. 


158  Scibnig. 

üermteb,  üon  uttDerfennbarem  SSortfieiL  SSenn  mau  fie^t,  mit  roet(^em 
SRiBtrauen  fie  bennod^  t)on  ber  großen  3)ie^r3at)I  ber  2:J)eoIo9en  be= 
trad^tet  würbe,  fo  mirb  man  [ic^  jagen  muffen,  ba^  fte  bei  einer  ent= 
fdjiebeneren  S)nrd^füf)rung  i^rer  @r«nbfä|e  in  ©efa^r  ftanb,  ba§  6d^i(f= 
fa(  be§  ©pino^ifmuS  ^u  ttjdUn,  beffen  miffenfd^afttic^e  33ebeutung  {)aupt= 
fäc^lid^  be§§alb  ein  ^ofirfinnbert  lang  »on  ben  meiften  üerfannt  mürbe, 
meil  fein  tl^eologifc^er  ©^arafter  ein  nnüberminblic^eS  SSorurtfieil  gegen 
ifin  erregt  fiatte.  2luc^  Seibni^  faub  aber  feine  ^eitgenoffen,  wie  fi($ 
bie§  nid;t  anber^  erwarten  lieB,  nid^t  für  alle  $öeftanbt|ei(e  feinet  Qiy 
ftem0  gleicf;  empfänglid;.  SBä^renb  t)erf)ä(tniBmöBig  nur  wenige  in  bie 
fpehilatioen  ©runblagen  beSfelben  tiefer  eingieugen,  wirfte  e§  bagegen 
im  weiteften  Greife  burc^  bie  allgemeinen  ©ebaufeu,  von  benen  e§  ge= 
leitet  wirb.  S)ie  SOIonabenlefire  ß^lU  nid^t  t)ie(e  2lnf)änger;  aber  bie 
gorberung  einer  rationalen  Söiffenfd^aft,  ha§>  ©treben  nad^  beutlid^en 
Gegriffen,  nad^  einer  3Ufammenl;ängenben  unb  wiberfprud^gtofen  ©r^ 
fenntni^,  nadf;  burd^gäugiger  ©infic^t  in  bie  ©rünbe  ber  S)inge,  bie 
i^bee  ber  allgemeinen  SSerooIIfommnung  unb  ©(üdfeligfeit,  ber  (Staube 
an  eine  jwedmäBige  SBetteinrid^tung,  an  bie  Harmonie  alle§  @ein§,  an 
eine  befte  SBelt,  an  eine  a((e§  beftimmenbe  unb  in  allem  burd^  ücrnünf- 
tigei  ©enfen  nachweisbare  göttlid^e  2ßei§f)eit  —  biefe  unb  bie  vex= 
wanbten  ©ebanfen  finb  e§,  burc^  weld^e  Seibni^  bie  umfaffenbfte  2öir- 
fung  geübt  ^at  unb  ber  ^ater  ber  beutfd^en  Slufftärung  geworben  ift. 

10.    i^eitgcnoffcu  üon  fietfintj:  ^ftä^itn^aufcn  unb  ^^omaftu§. 

^n  biefer  aufflörenben  9tid^tung  begegnen  fid^  mit  Seibnij  gwei 
9)Mnner,  weld;e  i()m  aud^  äu^erlid^  na^e  fielen:  Xfc^trn^aufen  unb  ber 
jüngere  Xl)omaftuS.  2ln  pl)irofüpf)ifd;er  @röBe  fann  il)m  freiließ  feiner 
Don  beiben  entfernt  gleid^geftellt  werben ;  aber  bod;  fjaben  fie  auf  i^re  3cit 
einen  bebeutenben  ßinftu^  gel)abt,  unb  biejenige  ©ntwidlung  bey  beutfdjen 
@eifteSleben§,  bereu  größter  3]ertreter  Seibnij  ift,  erlieblid;  geförbert. 

@f)renfrieb  Sßaltl)er  ©raf  uon  2:fd;irnl)aufeu  (1651  in 
ber  Saufi^  geboren  unb  1708  geftorbeu)  war  ^uerft  in  £ei;beu,  wo  er 
ftubirte,  in  bie  cartefianifd;e  ^^ilofop^ie  eingefül)rt  werben,  bonn  mit 
©pino^a  in  einen  fel)r  frudjtbaren  perföulid;cn  unb  wiffenfd^aftlii^cu 
5ßerfel)r  gefommen;  in  ^ari;S  lernte  er  ßeibniä  fennen,  mit  bcm  er  biö 
äu  feinem  SCobe  in  frcuubfdjaftlid;cr  3?erbiubung  blieb.  S)od;  fd;lie^t 
er  fid^  an  bie  beiben  erfteren  nod;  unmittelbarer  an,  aU  an  il)n.    ©eine 


2)aS  roiffenfc^aftUc^e  33erfa^ren.  159 

„@eifte§t)eUfunbe"  (Medicina  mentis)  v.  %  1687  tüiH  eine  aKgemeine 
2ln(eitung  3UIU  iüiffeufrf;aft(idjen  Grfennen,  eine  allgemeine  3Jiett)obo(o(jie 
fein;  fie  wiU  bie  ^unft  ber  wificnfdjaftlic^en  ©ntbecfung,  bie  ars  in- 
veniendi,  barftellen,  bnrd^  n)eld;e  bie  ©rfenntni^  ber  S^inge  t)on  ber 
bloßen  Äenntni^  ber  SBorte,  bie  philosophia  realis  von  ber  verbalis 
fid;  nnterfd)eibet,  unb  fie  raift  un§  babnri^  6efäf)igen,  bie  SBal^r^ieit  anf 
allen  ©ebieten  an'§  Sid^t  5«  bringen  ^).  93ei  ber  Sefjanblnng  biefer 
Stufgabe  ift  nun  für  S:id;irn^aufen  tl)eil»  ber  SSorgang  ber  obengenannt 
ten  ^l)üofop§en  t^eilä  ba§  5^erfal)ren  ber  2Siffenf^aften  maBgebenb, 
benen  er  felbft  fid;  mit  bem  bebeutenbften  ©rfolge  geroibmet  fiatte,  unb 
bie  auc^  auf  jene  ben  größten  @inf(u§  ausgeübt  fiatten,  ber  93ktf)ematif 
unb  ber  ^fnjfif.  Mt§  unfer  Söiffen  beginnt,  mie  er  glaubt,  mit  ber 
@rfaf)rung;  unb  jmar  ift  el  nä^er  (roie  im  3lnf(|tuB  an  S^e§carte§  au§= 
gefüf)rt  wirb)  uufere  innere  ®rfaf)rung,  al§>  bie  allgemeinfte  unb  feinem 
^rrt^um  unterworfene,  üon  ber  mir  t)ier  auf^gel)en  muffen.  S)iefe  liefert 
un§  nun  oier  ©runbtliatfac^en :  1.  ba§  mir  un§  oerfd^iebener  S)inge 
bemüht  finb;  2.  ba^  un§  ba§  eine  angenel)m  ba§  anbere  unangencljm 
ift;  3.  baB  mir  ba§  eine  begreifen  ober  beuten,  haS»  anbere  nidjt  benfen 
fönneu;  4.  bafe  mir  burd^  uufere  ©inne,  uufere  @inbilbung§fraft  unb 
uufere  (Smpfinbung  Silber  üon  äuf^eren  ©egenftänben  erlialten.  S)er 
erfteu  üou  biefen  5ll)atfad)en  üerbanfen  mir  ben  53egriff  be§  ©cifteS, 
ber  ^weiten  ben  be§  Söillen^,  ber  britten  ben  be§  SSerftanbeS,  ber  iner= 
ten  ben  ber  ©inbilbung^fraft  unb  be§  Äörper§.  ®ie  erfte  ift  bie  @runb= 
löge  aller' ®rfeuntnif3  überhaupt,  bie  groeite  ber  3)^orat,  bie  britte  ber 
syernunftmiffeufc^aft,  bie  üierte  ber  @rfaf)rnng§wiffenfc^aft.  3?on  biefen 
@rfat)rungen  mu^  man  aber  3U  ^Begriffen  fortget)eu,  unb  alleg  au§  Se- 
gdffen  auf  aprioiifd^em  2öeg  ableiten,  äugleid^  aber  au($  burd;  gefiederte 
(grfal)runöeu  bemäliren  ^) ;  fo  ba^  bie  ^Hauptaufgabe  ber  2Siffenfd;aft 
boc^  in  ber  Slbleituug  be§  S3cfonberen  au§  bem  2lllgemeinen,  in  ber 
S^ebuftion,  gefud;t  mirb.  S)ie  erfte  33ebingnng  berfelben  finb  balier 
riditige  ^Begriffe.  S)ie  aöiff(nfd;aft  beftebt  nid;t  au§  ^erceptionen,  ober 
2Bal)rne^mungen,  fonbern  au§  Gonceptionen,  au§  33egriffen,  fie  ift  ni^t 
©ac§e  ber  (Sinbilbung^fraft,  fonbern  be§  ®enfen§,   be§  3?erftanbe§  ^^). 


1)  S3gl.  Praef.  @.  22  f.  29.  289  f.  (ber  2(u§gabe  »ou  1695)  u.  ö. 

2)  Praef.  unb  @.  290  ff. 

3)  Ttan  ügl.  über  biefen  Unterfc^teb ,   in  bcffen  2(uffaffunci  ftd^  Z\ä).  ivm'dä}^  an 
@pinc§a  atifc^Iiept,  ©.  43.  46.  79  f.  165.    3ur  (SiiibitbungSfraft  (imaginatio)  rechnet 


160  2:fd^irn]§au[en. 

^Die  2lngeme[fenlf)eit  an  unfern  SSerftanb  ift  ba§  3Jier!maI  ber  Sßa^rtieit: 
wal^r  ift,  n)a§  fid^  begreifen  (öBt,  falf(^,  raa§  fid^  ni($t  begreifen  lä^t; 
unb  ba  firf;  nun  ber  SSerftanb  eben  nur  tiierüber  augfprid^t,  fo  finb 
feine  Slu^fagen  immer  ma^ir;  nur  bie  ©inbilbungSfraft  ift  eg,  roeli^e 
un§  3U  ^rrtpmern  verleitet,  inbem  fie  un§  fol(|e§,  raaS  on  fic^  felbft 
t)erfcf;ieben  ift,  aU  baSfelbe  erfd^einen  lä^t  (6.  35.  52.  165).  ^anbett 
e§  fi(^  ober  in  ber  ^^ilofop^ie  um  eine  SBiffenf^aft  au§  Segriffen,  fo 
ergiebt  fic^  al§  bie  ein5ige  für  fie  paffenbe  9Jletf)obe,  mie  ^f^irnfioufen 
gloubt,  bie  mati)ematif(^=bemonftratit)e ;  unb  er  »erroeift  f)iefür  au§brücf= 
H(^  auf  bie  ©rfofge,  welche  S)egcarteg  unb  feine  ^^ad^folger  biefem  ^et- 
faf)ren  ju  üerbanfen  gefiabt  §aben,  namentlid^  aber  (aHerbingS  o|ne  hm 
verrufenen  2ltt)eiften  ju  nennen)  auf  ben  3^organg  ©pinoga'g;  nur  ba§ 
biefe  9Jlänner,  wie  er  glaubt,  it)re  ©ntbecfungen  burd^  genauere  S)ar= 
legung  ifircr  3)tett)obe  allgemein  gugönglid^  gu  mad^en  oerföumt  ^ahen  ^). 
6r  feinerfeits  betrachtet  al0  ba§  raefentti^e  bevfelben  ben  georbneten 
Fortgang  oon  Definitionen'  3U  Slyiomen  unb  weiter  §u  %i|^ox^m^n. 
2)ie  Definitionen  follen  bie  ©ntftefiung  ber  Dinge  au§  ifiren  Urfad^en 
angeben;  um  fie  ju  erhalten,  muffen  mir  un§i  ben  ^nlialt  unferer  9?or= 
fteHungen  üon  ben  Dingen,  forooi)!  ^infid^tlid^  if)re0  gemeinfamen  2öefen§ 
ala  ^infic^ttii^  ifirer  unterfc^eibenben  ©igentiiümlid^feiten,  ooUftänbig  üer= 
gegenraärtigen  unb  bamit  fo  lange  fortfafiren,  bi§  bie  ßigenfd^aften  jeber 
©attung  attfeitig  beftimmt  finb;  mir  muffen  fobann  bie  fo  gefunbenen 
®attung§begriffe  in  if)re  atfgemeinften  ©lemente,  fowof)l  bie  unüeränber^ 
i\ä)cn  aU  bie  t)erönberti(^en ,  jerlegen,  alle  mögtid^cn  Kombinationen 
biefcr  Elemente  üott^ie^en,  unb  mittelft  berfelben  bie  erften  ^Begriffe 
bitben;  mir  muffen  enblic^  biefe  ^Begriffe,  üom  einfad^eren  jum  jufam:: 
mengefe^ten  f ortfd^reitenb ,  entmiiJeln,  bil  bie  ^rogv-effion  ber  gan3en 
Steige  feftgeftelit  ift,  unb  un§  burc^  Deductio  ad  absurdum  ber  SSoflftönbig- 
feit  unb  9tid;tigfeit  unferer  Segriff^beftimmungen  üerfid^ern  (ß.  66  ff.). 
2lu§  ber  Betrachtung  ber  SSerfiältniffe ,  reelle  jmifd^en  ben  fämmtlic[;cn 
©fementen  jeber  Definition  ftattfinben,  ergeben  fid;  bie  Slyiome;  au§  ber 
SSerbinbung  i)erfc^iebener  Definitionen  bie  Sl^eoreme;  in  ben  Definitionen, 
%iomen  unb  2;f)eoremen  tiegt  aud^  ba§  2Rittet  3ur  Söfung  ber  ^^robleme 
(©.  117  ff.),    ßl  ift  atfo  überfiaupt  ba§  mat^iematifc^e  Berfat)ren,  mel= 


er  ^ter  bie  ftnnlic^e  S[Ba{)rne:^mung  (sentire),  bie  ^'^antafiebtlber  (imaginari  im  engern 
©tnn)  unb  bie  flnnüd^en  @efü^(e  (bie  passioues,  boS  percipere  s.  affici). 
1)  Praef.  ®.  158.  183  »gl.  129. 


'^i)'üo^opt)\\6)ix  2tanbpun!t.  161 

d;e§  Sfd^irnl^aufen  für  atte  2Biffen[d;Qftcn  üerlangt;  mib  gieBt  er  and) 
3U,  baB  bie  @ijntf)e[e,  bie  2lbfeitung  be§  33ebingtcn  aii§  feinen  ^e-- 
bingungen,  für  fi(^  aüein  ntc^t  genüge,  bo§  5U  berfelben  bie  2(naliife 
fiin^nfomnien  ntüffe,  tüeld;e  nid;t  Uo§>  jeige,  wie  fi(^  jebe  25>a()rf)eit  be= 
TOeifen,  fonbern  and;,  raie  fie  fi($  ron  2lnfang  an  ftnbcn  laffe  (6. 127  f.), 
fo  f)at  er  bodj  anä)  {)iebei  eben  nnr  bie  mat{)emati)"d)e  3lna(t)fe  im  Shuje. 
@r  räumt  iüof)(  ein,  ba^  unfere  Ucberjengungen  mit  bcr  ©rfabrung 
übereinftimmen  muffen,  er  beruft  \iä)  ni(^t  fetten  3um  33eit)eiÄ  einer 
2(nna^me  auf  bie  ßrfabrung,  auf  ba§  3'^"gni^  ber  Sinne;  ober  er 
giebt  nirgenb^  eine  Sluleitnng  jnr  metf)obif(^en  2tbleitung  TOiffcnfd)aft= 
li(^er  ©ä^e  qu§  ber  Grfa^rung,  eine  %l)COxk  ber  ^ubuftion;  er  vcv- 
(angt  „eine  äßiffenfdjaft  be§  llniucrfum^,  rcet^e  nadj  genauer  matljemati: 
fdjer  9Jictt)obe  a  priori  beraiefcn,  unb  burd^  nnbeftreitbare  (Srfafirnngen 
a  posteriori  beftätigt  wirb"  (©.  280) ;  fo  ba^  bie  @rfa{)rungv>miffcn= 
f(^aft  graar  nii^t  au^gefd^foffen,  aber  bie  unterfdieibenbe  (5^orm  be§  wiffen^ 
fdjaftlidjen  SSerfaf)ren§  bod;  immer  in  ber  matl^ematifd;en  S^ebuftion  ge= 
fud;t  wirb. 

93tittelft  biefer  5IRetf)obe  ein  aufgeführtes  p!f)i(ofop^if(^e§  ©ijftem  gu 
entraerfcn,  ift  2fd;irnt)anfen  nid^t  gelungen:  er  ftarb,  et)e  er  bie  ^f)i)fif 
ootlenbet  fiatte,  metdie  ben  gmeiten  %^e\i  feiner  Medicina  mentis  bitben 
füllte,  ©eine  2(nfid;t  ber  S)inge  Iäf3t  ft($  basier  nnr  an§  gerftrenten 
gelegen^eitlic^en  2(euf3erungen  abnet)men.  @r  füt)rt  ben  ganjcn  ^nbalt 
unferer  55orfteIIungen  auf  brei  iltafien  jurüd:  ba§  finn(ii$  SBafirneljm- 
bare  (sensibilia,  imaginabilia),  bie  ^scrftonbe«binge  (rationalia)  ober 
bie  ©egenftänbe,  mit  benen  el  bie  3Jiatt)emati!  ^n  tt)un  ^at,  unb  ba§ 
9iea(e  ober  bie  9taturbinge.  S)te  erften  ©(emente  be§  ©innlidjen  fiiib 
ba§  ?^(üffige  unb  ba§  gefte,  bie  beS  9}iatf)cmati|djen  ^sunfte,  gerabe  unb 
frumme  fiinien,  bie  be§  Skalen  (mie  bei  ^e§carte§)  bie  9J?ateric  unb 
bie  ^Semegnng.  S)ie  (entere  bcftcf)t  tl)ei(§  in  einer  3^M'(iwmen3ict)ung 
tl)eil§  in  einer  ^Trennung  ber  Äörper,  unb  fie  bewirft  in  jenem  gallc 
baSjenige,  raaS  man  51htf)e,  in  biefem  ba§,  wa§  man  aKein  5?eroegung 
gu  nennen  pflegt  (©.  74  f.  88  f.);  bie  3(u§bef)nung  ift  näm(id),  mie 
5: fdjirn Raufen  im  SBiberfpruc^  gegen  hen  fonft  fofe^r  t)on  i^m  bcroun- 
bcrten  S^e§carte§  bemerft  (©.  180),  eine  gotge  ber  ^emegung,  unb  eine 
3Jtaterie,  raetdje  burd;au§  in  5Rnf)e  märe,  giebt  e§  überhaupt  nic^t.  ^n-- 
beffen  \)at  jene  ^^reitlieitung  boc^  nur  eine  retatiüe  Rettung :  an  fid;  fetbft 
finb  bie  9iaturbinge  ha§>  eineiige  9tea(e,  unb  raenn  mir  üon  ifinen  ba§ 

Seiler,  ©ef^id^te  ber  bcutfc^en  ^^irofcpfiie.  1 1 


162  S^omafia«. 

9iQtiona(e  iinb  ^^mginable  unterf (Reiben ,  fo  be^eid^neu  von  bamit  nur 
bte  oeri"d;iebeuen  @efid^t§punfte,  au§>  benen  fie  \iä)  betrad^ten  (äffen,  in= 
bem  man  uon  einem  2f)eil  if)rer  Gigenfc^aften  abftrafiirt.  ®ie  ^catur- 
n)iffcnfd;aft ,  ober  bie  ^§i;fi!,  ift  haijex  bie  @runbn)iffenf(^aft ,  auf  ber 
alle  anberen  beruf)en,  unb  au§  ber  fie  fid^  ai§>  ^tfieite  ober  Slnroenbuntjen 
berfelben  ableiten  laffen;  fie  ift  bie  maljrfiaft  göttüd;e  SBiffenfdjaft,  loeld^e 
e§>  mit  hen  unyeränber(id)en,  uon  @ott  ftammenben  ®efe|en  ber  SBelt 
unb  mit  ber  SBirffamfeit  ^otU§>  in  ber  2Belt  ju  t^un  t)at.  3lud)  bie 
©t^if  f)at  if)ren  fidjerften  ©runb  an  ber  ^l)i)fif;  benn  ni(^t§  anbereS 
mirb  un^  t)on  ber  @eroa(t  ber  Seibenfdjaften  fo  grünbtic^  befreien,  a(§ 
bie  @infi(^t,  iue(d;e  n)tr  ber  ^^ijfif  uerbanfen,  ba^  ber  ganje  Sleij  ber 
äußeren  ^inge  nid^t  auf  tf)rem  tuirtüc^en  SBefeu,  fonbern  nur  auf  un= 
feren  ©innen  unb  unferer  SinbUbuntjSfmft  berut)t;  öa§  aud^  bie^ecjierbe 
nad^  ?ftui}\n  eine  2:f)or^eit  ift,  ba  bie  @rbe  unb  a(fe§  ^^^if^^  einmal 
Derget)en  mirb;  ba§  mir  in  jebem  Slugenblid  ganj  unb  gar  üon  @ott 
abf)öngen,  ot)ne  beffen  fortioä^renbe  3)titiuirfnng  uuio  au(^  ni(^t  bie  ge= 
ringfte  geiftige  ober  förpcrlid^e  3:t)ätig!eit  möglid^  märe.  ®enn  ber  Sßille 
rid^tet  fid;  immer  auf  ha^i,  \va§>  ber  ä>erftanb  nn^meifeltjaft  aU  ma^r 
erfennt  (@.  280  ff.).  3n  biefer  |)od^fd;äliung  ber  ^(ji)fif  unb  in  ber 
3urüdfü(;rung  bei*  3^aturerfd§einungen  auf  SOfaterie  unb  33eroegung  lä^t 
fi(^  ber  ©eift  be§  ßartefianifmu^  unb  ©pinojifmu^  nidjt  uerfennen;  äu= 
gleid^  fpric^t  fid^  aber  aud;  eine  mittlere  ©tettung  jmifd^en  bciben  barin 
aus,  ba^  5S:fd;irnll)aufen  jroar  mit  S)e§carte§  an  ber  g-reitieit  be§  menfd^ 
(idjen  2öi(Ien§  (©.  286)  unb  ber  2lnnaf)me  einer  überuernünftigen  Dffen^ 
barung  (@.  57)  feft^ält,  ba^  er  aber  bod;  jugleid;  mit  ©pinoja  nid;t 
blo§  ben  9Jaturfauf  unb  feine  Ö^efc^e,  fonbern  and;  bie  mcnfd;Iid^en 
Seben§tt)ätigfeiten,  unmittelbar  üon  ber  aUeS  burd^bringenbcn  göttlid;en 
Söivffamfeit  herleitet. 

3Jiit  S:f(^irn()aufett  trifft  nun  ßfiriftian  ^f)omafiu§  barin  5U= 
fammen,  ba^  e§  i^m  g(eid)faf(§  üor  allem  um  bie  3>erbefferung  be§ 
miffenf^aftlii^cu  S^nnfafircuS ,  um  ben  ©tanbpunft  ber  2(ufttärung  im 
allgemeinen  jU  tf)un  ift;  aber  bie  ^erfönlid;feit  unb  bie  ©eiftcSart  ber 
bciben  3}länner  ift  fet)r  oerfdjieben.  ^m  ©cgenfa^  ju  5:fd;irn^aufcn§ 
yornet)mer  ."paltung  mad;t  Xl)omafiu§  ben  ßinbrud  eine!*  unrul)igen 
9]cncrer§;  roenn  mir  jenen  einen  pt)ilofopl)irenben  SDJatljematifer  nennen 
fönnou,  fo  ift  biefer  ein  pl)ilofopl)irenber  ^urift;  wenn  jener  in  ber 
TOiffenfd;aftlidjcn  ©rtenutniB  al§  fold;cr  feine  pdlifte  S3efriebigung   fud;t, 


Jeben  unb  St)arafter.  163 

ift  e§  biefem  burci^aug  um  xf)xe  SInroenbung  ouf'S  Seben  ju  tt)un;  wenn 
^[(^irti^aufen  at§  ©c^üIer  ©pinoja'ö  unb  2BoIff'§  uäd;fter  SSorgänger 
ba§  matlematifd^  bemonftrotioe  S]erfaf)ren  forbert,  fo  gel^t  S^omafiuS 
me^r  auf  eine  ^i)i(ofopf)ie  be0  gefunben  2}tenfc^ent)erftanb§,  ouf  jene  ge= 
meinoerftänbIi($e,  nu|bare,  leicht  faBüd^e,  allen  tieferen  tlnterfu($ungen 
au§roei($enbe  ^opuiarpl^ilofopl^ie  au§,  roie  fie  in  ber  ^eit  nad^  SBotff 
gur  ^errfc^aft  tarn.  S)en  1.  i^anuar  1655  gu  Seipjig  geboren,  f)atte  er 
bur($  feinen  SSater  (vqL  ©.  35)  einen  grünblic^en  pE)iiofopf)ifd^en  Unter= 
ridit  erfialten  unb  fid^  bann  ber  9le(^t§n)iffenf($aft  geraibmet.  Sen  gröB= 
ten  ßinftu^  auf  if)n  gewannen  @rotiu§  unb  ^ufenborf,  unb  namentlich 
an  ben  (e|teren  fc^to^  er  fi(^  anfangt  ganj  an;  erft  in  ber  g^olgc  fanb 
er  aud^  feine  2:f)eorie  ber  SSerbefferung  bebürftig.  SKS  er  fi(^  1681  in 
Seipjig  fiabititirt  fiatte,  30g  er  halb  nicf;t  Uo§>  burd;  fein  Statent,  fonbern 
aud^  burd^  bie  Äü^nfieit  feines  SluftretenS  bie  Slufmerffamfeit  auf  fid^ ; 
gab  aber  auc^  aUen,  bie  in  ©ad^en  ber  Sßiffenfd^aft,  ber  Unioerfität  unb 
ber  ^irc^e  am  alten  Giengen,  folgen  StnftoB,  ba^  er  am  ©nbe  feinen 
5a^(reid;en  unb  mäd^tigen  ©egnern  nac^  mannfiaftem  Kampfe  ba§  ^elb 
röumen  mu^te.  Sd^on  feine  juriftifd^en  Slnfid^ten  fanb  man  bebenflid^; 
neben  feiner  SSertfieibigung  ^ufenborf'S  mürben  ib.m  befouberS  feine  Stn^ 
nafimen  über  bie  ^^oh;gamie  (f.  u.  6.  165)  übelgenommen.  2ll§  er 
uoUenbS  (feit  1687)  ba§  unerl)örte  begieng ,  beutfc^e  SSorlefungen  gu 
Ratten,  ol§  er  in  einer  beutfd^en  93lonat§fd)rift  bie  Siteratur  unb  hk 
miffenfd;aftlid;en  3wfiö"^^  f<^i«ßr  S^^i  ^^^  freimüt^igften  Sefpred^ung 
unterwarf,  gegen  ben  (Sd^lenbrian  auf  ben  Unioerfitäten,  bie  ^ebanterie 
unb  bie  ©efc^madlofigfeit  ber  ©etefirten  bie  bei^enbften  SluSfätle  fid^ 
erlaubte,  als  er  in  9te^t§gutac^ten  unb  S?orträgen  für  bie  ^ietiften  au§ 
(Spener'S  ©djule  ^artliei  na§m,  unb  an§>  3lnlaB  einer  fürftlid^en  3}iifc^el)e 
bie  9teformirten  gegen  lut§erifd;e  llnbulbfamfeit  üertl)eibigte,  raurbe  il)m 
fd;tie§lid^  nid^t  allein  ha§'  Sefen  unb  Süc^erfc^reiben  uerboten,  fonbern 
auc^  ein  .§aftbefe{)l  gegen  ifin  erlaffen.  S)ie  branbenburgifd^e  9iegierung 
entf(^äbigte  ifin  burd^  eine  Slnftellung  an  ber  9titterafabemie  ju  §alle, 
unb  nad;bem  f)ier  unter  feiner  2}titTOir!ung  eine  Uniüerfität  geftiftet 
mar  (1694),  burd^  eine  juriftifd^e  g^rofeffur.  ^m  ^al)v  1710  rourbe  er 
S)ire!tor  ber  Uniüerfität;  er  ftarb  1728. 

Xliomafiug  mar  einer  üon  ben  angefe^enften  UuioerfitätSle^rern  unb 
ben  einfluf^reii^ften  ©d^riftftellern  feiner  3«t;  unb  e§  begreift  ftd^  bie^ 
au»  ber  Unerfd^roden^eit ,  mit  ber  er  für  bie  religiöfe  unb  raiffenfd^aft= 

11* 


164  S^omafiuS. 

lidje  grcil^eit  gegen  t^eolocjifdje  ^et)oriminbung,  für  bie  SSenmnft  gegen 
ba§  ^erfommen,  für  ba§  natürlidje  dlcd)t  gegen  uerjä^rte§  Unrecht  in 
bie  ©djranfen  trat;  au§>  ber  Stüfirigfcit  nnb  33ef)arrlic^feit,  mit  ber  er 
fic!^  ©cpr  gU  DerfdjQffen,  ber  ©eraanbtfjeit,  mit  ber  er  ficf;  and^  ben  Uu= 
ge(cf)rten  tierftänblic^  ^u  modjen  mu^te,  beut  beckn,  mitunter  anä)  mol)i 
platten  2Bi^,  mit  bem  er  feine  ©egner  angriff.  2tber  er  ift  meit  met)r 
Slnfffärer,  al§  ^^ilofop!);  fein  ^ntereffe  gilt  mef)r  ben  praftifc^en  ©r- 
gcbniffen,  oi§  ber  n)iffen[d;aft(id^en  Segrünbung ;  feine  ©tärfe  liegt  ment; 
ger  in  ber  9?euf)eit  nnb  3:tefe  feiner  @ebonfen,  al§  in  ber  2trt,  roie  er 
fie  an  ben  Mann  bringt.  ®r  milt  fid}  üon  3]orurt^ei(en  nnb  2tnftoritä= 
ten  frei  mad;en,  niiH  überall  felbft  fe^en  nnb  fid;  feine  lleberjeugnng 
fetbft  bilben;  roill  aik  nnnütje  ©e(el)r|amfeit,  alle  nnüerftanbenen  Formeln, 
alle  nnnötl)igcn  llmfdjmeife  über  33orb  werfen,  allen  ©pi|finbigfeiten  nnb 
Streitfragen  mögli(^ft  au§  bem  2ßege  ge^en  unb  fi($  nnr  an  ba§  I)oltcn, 
beffen  2Baf)r^eit  nnb  beffen  S'tn^en  vox  Singen  liegt.  S)aB  aber  biefe 
bem  „gefnnben  3)lenfd;eni:)erftanb"  cinleud;tenben  Slnnal^men  gleichfalls 
erft  ber  miffenfd}aftli(^en  Prüfung  bebürfen,  nnb  ba^  l)iefür  bie  t)on  il)m 
fo  geringfc^ä^ig  belianbelten  logifdjen  formen  nnb  ©nbtilitäten  oon  eini^ 
gem  Stntjen  fein  fijnnten,  fommt  i§m  nid;t  in  ben  ©inn.  ©benfomenig 
bemül)t  er  fid;  um  eine  bnrd;gängige  Hebereinftimmung  unb  fijftematifdje 
58er!nüpfung  aller  feiner  IXeber^engungen.  ®r  «erfolgt  jebe  lXnterfud;ung  fo 
raeit,  al§  i^m  bie§  für  ben  näd;ften  praltif(^en  Qwcd  nötljig  5U  fein  fd)eint, 
um  eine  umfaffenbe  pl)ilofopl)ifdje  Söeltanfii^t  ift  e§  il)m  uic^t  3n  tl)un; 
unb  menn  er  and;  fd;lie^lid;  für  bie  58el)anblung  ber  üerfdjiebenen  ?5^ragen, 
bie  il)n  bef(^äftigten,  gemiffe  gleid^artige  @efid)t§punfte  geraonnen  l)at, 
fo  fel)lt  il)m  bod;  tl)eil§  gu  einem  eigentlid;en  ©ijftem  immer  noc^ 
riet,  tl)eit§  l)at  er  an^  lange  gebrandjt,  hi§>  er  feinen  ©taubpunft  ^nr 
5llarl)eit  gcbrad)t  ^atte.  ^n  feinen  „Qnftttutionen  ber  göttlid^en  ;3uri§= 
pruben^"  rom  ^alir  1688  ^)  l)atte  er  fid;  nocb  faft  bnrd;an§  an  ^^ufen' 
borf  gclialtcu,  beffen  fd;n)a(i^e  Seiten  bei  il;m  fogar  nod;  ftärfer  hervor- 
treten. @r  will  l)ier  noc^  alles  9ted;t  au§  bem  3Billen  be§  ©efeljgeberä 
berleitcn,  fei  nun  biefer  ein  göttlid;er  ober  ein  menfd;(id;er :  ba§  ^'öä)\te 
praftifdie  ^riucip  foll  in  ber  ^orberung  liegen,  bem  Sefct)lenben  ^n  ge= 


1)  ©inen  au§fiU)vIirf)cn,  lücnn  aiid^  ntdjt  fel;r  burd}[ic^ltgen ,  ?tn§gng  anS  biefer 
®c!)rift  giett  $iuvtd;ä,  («efc^.  b.  9^erf}t§-'  unb  ©taatJ^princ.  III,  132  ff.  S)cv)elbe 
berid^tet  übeu  X^omarmS'  fouftige  ©djriften. 


grül^ere  ^periobe.  165 

^ord;en;  ha§  ^J^aturred^t  foH  ni^t§  anbereS  fein,  al§  bet  Söitte  @otte§, 
wiefern  berfelbe  burc^  unfere  3]ernunft  erfannt  roirb ;  neben  biefein  natür^ 
(irfien  S^ec^t  fott  e§  aber  anrf;  ein  anf  Offenbarung  beru^enbe§,  alfo 
pofitioeS,  nnb  bo($  juglcic^  atigemein  üerbinbHdjeS  göttüdjeä  ©efe^  geben 
(nur  auf  ein  folc^eä  grüube  fi(^  3.  33.  ha^  ä5erbot  ber  ^ohjganite)  ^), 
unb  neben  beiben  nodj  befonbere,  einer  beftimmten  9teUgion  eigentf)ümlid)e 
götttidje  @efe|e,  bereu  53ebeutung  um  fo  größer  erfd;eint,  bo  Slljouiafiu'o 
glaubt,  nur  bie  geoffenbarte  Sieligion  niadje  feiig,  bie  natilrlid;e  bagegen 
beförbere,  felbft  wenn  fie  raalir  fei,  nur  haS'  3eitlid;e  2Bol)l.  S}a§  natür= 
li(^e  9iec^t  n)irb  mit  ©rotinS  unb  ^ufenborf  auf  ben  ©efelligfeitstrieb 
unb  ba§  @efeUigfeit§bcbürfnife  bcgrüubet;  unb  2;l)0Uiafiu!§  bcmüljt  fid;, 
au§  biefem  ^rincip,  erlunftelt  genug,  and;  bie  ^sflidjten  hc§>  3}tenfd;en 
gegen  fic^  felbft  abzuleiten.  ®er  ßinflu§  ber  Stlieologie  auf  feine  Xenh 
raeife  würbe  feit  ben  letzten  ^a^ren  feineio  leipziger  3lufeutl)alt§  burd; 
feine  ^erbinbung  mit  ben  ^ietiften  nod;  nerftärft;  unb  fo  menig  and; 
bie  S^tatur  ilju  felbft  jum  ^ietiften  beftimmt  fjatte,  fo  l)ielt  er  fic^  bod) 
längere  ^e\t  §u  biefer  ^artt)ei,  ol)ne  freilidj  in  jeber  33e3iel)ung  mit  il)r 
3U  gellen,  ober  fid;  ganj  in  il)re  S^enfraeife  einleben  3U  fönnen.  ©eine 
Stnfic^ten  zeigen  raäljrenb  biefe§  ^^itraumS  eine  unllare  33tifd;ung  oon 
empiriftifdjem  9iealifmu§  unb  tlieotogifdjer  3)h)ftif,  feine  perfönlidje  A^al= 
tuiig  einen  SBedjfel  zmifdjen  ben  frommen  ©mpfinbungeu  unb  bußfertigen 
Stimmungen,  raeldje  il)m  au§  ber  fpeuer'fd^en  Sdjule  entgegenfamen, 
unb  ätüifdjen  ber  munteren  Saune,  ber  naturraüc^figen  S^erb^eit,  ber 
polemifdjcn  Seibeufdjaftlidjleit  feinet  9Zaturell§.  2öie  leidjt  in  feinem 
unfyftematifc^en  Äopfe  bie  tuiberfpredjenbften  S)inge  neben  einanber  9iaum 
fanbeu,  unb  wie  lange  e§  bauerte,  bi§  er  iiä)  ber  g^olgefätje  Dollftänbig 
bemüht  rourbe,  bereu  SorauSfe^ungen  er  längft  in  ber  .^anb  Ijatte, 
fiel)t  man  aud^  an  ber  2:l)atfa^e,  baß  er  nod;  in  §alle,  1694,  gegen 
eine  ber  ^eyerei  angesagte  ^erfon  auf  Roller  erfennen  motite,  unb  erft 
burd;  feinen  ßotlegen  <Btxyt  bayon  abgebra^t  rourbe ;  in  ber  ^olge  rourbe 
er  bann  aber  allerbing§  ber  eifrigfte  unb  einflußreid;fte  ©egner  ber 
.^eyenproceffe,  roierool)l  er  roeber  bie  (S};iftenz  be§  3;eufel§  \\o<S)  bie  SJtög- 
lidjfeit  feiner  ßinwirlung  auf  bie  ©innenroelt  beftimmt  ju  beftreiten  ge= 
roagt  ^at.    ©rft  um  ben  Slufang  be§  18.  3al)rt)unbert§  finben  roir  ilju. 


1)  ©pätev,  in  feinem  Dfaturrcc^t  HI,  2,  34,  finbet  S^omafiuio,  bajj  biefelbe  jwar 
nid)t  bcm  ftvengen  Siedet,  aber  bocf)  ber  ©(jvbavfeit  tüibevftveite. 


166  ^'^omaftuS. 

unter  bem  ©injTuB  ber  So(Je'f(^en  ^f)i(ofopf)ie,  entfd^ieben  auf  hem  ©tanb= 
punft  angelangt,  voeidjev  burd)  feine  ganje  2?ergongeuf)eit  vorbereitet 
unb  geforbert,  fi(^  om  flarften  unb  überfic^ttic^ften  in  feinem  „9ktur= 
unb  S?ölferre(^t"  ^)  au§fprid;t. 

S)iefer  ©tanbpunft  ift  nun  im  allgemeinen,  wie  bemerft,  ber  einer 
2luff(ärung,  welä)e  im  praftif($en  Qntereffe  üon  ber  Uebertieferung  unb 
bem  .^erfommen  auf  bte  3Sernunft  gurüdge^en  mill;  raobei  aber  unter 
ber  SSernunft  ber  ^Baäje  naä)  nid^tS  anbere^  üerftanben  rairb,  a[§>  hk- 
jenigen  Uebergeugungeu  ^  meldte  \iä)  einem  jeben  au(^  oline  genauere 
TOiffenfdjaftlid^e  Unterfud;ung  ergeben,  ober  fid;  ii)m  menigftenS  of)ne 
niete  9}lü§e  beibringen  laffen.  ®er  le|te  3wed  ber  ^tiitofopl^ie  ift  nid)t 
bie  ©rfenntni^,  fonbern  ba§  SBo^I  ber  3Jtenfd)en,  unb  graar  (im  Untere 
fc^ieb  t)on  ber  2:t)eoIogie)  if)r  geitlid^eS  3Bot)(.  S)iefem  !^weä  entfprid;t 
fie  aber  am  beften,  raenn  fie  bei  ber  S)arlegung  itirer  ßetiren  nidjt  allein 
t)on  ben  logifd^en  unb  metaptipftfd^en  ^unftauSbrüden  möglid^ft  abfielt 
unb  fic^  einer  gemeinüerftänblic^en  S)arfteIIung  bebient;  fonbern  menn 
fie  au(^  übertiaupt  nid^tS  bet)auptet,  beffen  SBatir^eit  nic^t  jeber,  welcher 
nic^t  5U  tief  in  SL^orurtt)eiIen  befangen  ift,  burd^  feine  gefunbe  3]ernunft 
(sensus  communis)  begreifen  fann  ^).  „2Sa§  mit  ber  S^ernunft  überein:= 
ftimmt,  ift  V3a^x ,  ma§  ni(^t  mit  it)r  übereinftimmt,  ift  falf(^."  llnfere 
SSernunft  oer^ält  fi^  aber  t^eil§  (eibenb,  tf)ei(§  tf)ätig;  jenes  in  ber 
finnüd^en  3Bat)rnet)mung ,  biefeS  in  ben  ^Begriffen.  2öir  ert)a(ten  bem= 
nad^  ein  boppelte§  SJlerfmat  ber  2ßat)r^eit:  bie  Uebereinftimmung  mit 
ben  ©innen  unb  bie  Uebereinftimmung  mit  htn  Gegriffen,  bie  fid)  ber 
menfd^lid^e  i^erftanb  uon  ben  S)ingen  madjt,  meldte  bie  (Sinne  it)m  bar^ 
fteüen.  ®iefe  nid;t§fagenbe  Slntroort  giebt  2:^omafiu§  fd;on  in  einigen 
feiner  früt)ereu  ©d^riften  ^)  auf  bie  tiefgreifenbe  ^rage  naä)  ben  33e= 
bingungcu  unb  3}ierfma[en  .einer  n)at)rcu  ©rfenntni^,  unb  über  biefe 
Dberftäc^tidifeit  ift  er  niemals  mirftid^  ^inauggetommen.  @r  raill  S^^orur? 
tt)ei(e  vertreiben,  ben  3^erftanb  fäubern,  fid;  ju  feiner  ©efte  befeunen, 
fonbern  bie  2ßat)rt)eit  annet)men,  mo  er  fie  finbet:  unb  er  nennt  fid; 
beBt)alb  mit  SSorliebe  einen  efleftifd;en  ^^itofopijen.  @egen  ba§  fi;Uo= 
giftifd^e  ^krfat)ren  ber  (SdEiute,  unb   gegen  alte  logifdjen  ^^ormeln   unb 


1)  Fundamenta  juris  naturae  et  gentium  ex  sensu  communi  deducta  u.  f.  tt).  1705* 

2)  Introductio  in  philosophiam  aulicam  c.  2,  65,     Jus  nat.  prooeni.  19.  22. 

3)  Introductio  in  philosophiam  aulicam.     ©infeitung  guv  i^cviiunftle^rc  1691. 


©tanbpunft.  167 

gfiegeln  überhaupt,  fiegt  er  eine  tiefe  unb  fefir  einfeitige  ©eringfd^ö^ung. 
S(6er  raaS  er  felbft  an  ifire  ©tette  fe^t,  länft  mir  auf  einen  ©mpirifmuS 
ber  fc^tintmften  2trt  l^inanS:  jenen  nnntetf)obif(^en  (gnipirifinn§,  njeli^er 
nnfritifc^  gegen  ]iä)  felbft  unb  fc^neil  fertig  mit  anbern  ein  ©enienge 
oon  ungeprüften  @rfat)rungen  unb  oon  üerein^elten  @d;lüffen  au§  biefen 
@rfaf}rungen  unter  beut  9^amen  ber  allgemein  anerf'annten ,  burd^  bie 
gefunbe  3?ernunft  verbürgten  2Sat)r()eit  jum  2ln§gang§punft  nimmt. 
SBenn  2:(;omafiu§  ni($t§befton)eniger  in  üiefen  Sejiefiungen  t)öd^ft  wof)U 
tt)ätig  geroirft  ^at,  fo  ^ot  er  bicB  nid^t  jener  bürftigen  unb  fd;iefen 
n)iffenfd;aft(id;en  ©runbtegung,  fonbem  feinem  praftifdjen  SSerftanbe, 
feinem  frifd)en  3)?uttern)i| ,  üor  aUcm  aber  bem  llnabl)ängigfeit§finn  gu 
nerbanfen,  ber  ifm  überall  eine  eigene  Ueberseugung  fudjen  (ie^,  unb 
il^tt  pr  ßrfd;ütterung  unb  3erftörung  üon  3sorurtf)ei(en  in  t)oi)em  ©rabe 
befäi)igte,  raenn  er  aud^  feinerfeits  oft  für  ba§  üeraltete,  beffen  lln^att^ 
barfeit  er  erfannt  ^atte,  fein  f)altbare§  neue?  gu  bieten  raupte. 

^n  feinem  „9caturred;t",  n)e(d;c§  a(§  feine  bebeuteubfte  n)iffenf(^aft= 
lid;e  Seiftung  §ier  etroa?  eingef)enber  befprod)en  merben  mag,  beginnt 
xT^omafiuS  mit  einer  furaen  S)arfegung  feiner  Slnfic^ten  über  bie  Söett 
unb  ben  aiienfd^en.  S)ie  2öelt,  fagt  er,  beftet)t  tf)ei[§  au§  fic^tbaren  tf)ei(§ 
au§  unfic^tbaren  fingen ;  bie  fidjtbaren  nennen  mir  Äörper,  bie  unfic^t= 
baren  Gräfte.  9^id;t  jebe  ^raft  I)at  einen  fid^tbaren  Körper  (%i).  meint, 
fc^on  bei  Suft,  Si(^t  unb  Sletfjer  fei  bie^  nid^t  ber  gaU),  aber  jeber 
Körper  f)at  geroiffe  Gräfte.  S)a§jenige  an  ben  Körpern,  mal  fid^  burd) 
©cfid^t  ober  Staftfinn  matirne^men  [ä§t,  nennt  man  i^re  2Raterie,  ba§ 
unfic^tbare  an  itjnen,  bie  @efammtt)eit  ber  Gräfte,  i^re  ^f^atur;  bie 
SRaterie  fann  jeboi^  nie  ot)ne  bie  Gräfte  eyiftiren,  unb  e§  fann  be^fjafb 
nie  bie  93kterie  a(§  foId;e,  fonbem  e§  fönnen  immer  nur  bie  Gräfte 
©egenftaub  ber  Setradjtung  für  un§  fein ;  wa§>  man  geuiö()n(id^  SRaterie 
nennt,  ift  nur  bie  allen  Jlörpern  pifornmenbe  .^raft,  non  ber  i^re  ©{c^t= 
barfeit  unb  2(u§be^nung  ^errül)rt,  bie  9?atur  ber  i?örper.  Qu  ben 
Körpern  geprt  aud^  ber  3)lenfd^;  gugleid)  befi^t  er  aber  nielc  J?räfte 
ober  SSermögen,  meldte  tbci(§  aud^  bei  anberen  (ebfofen  ober  (ebenbigen 
SBefen  uorfommen,  t^eif§  bem  93ienfd;en  eigentf)üm(i($  finb.  S^ie  (enteren 
bilben  bie  iiienfd;lid)e  Seele  ober  ben  ©eift,  unb  fie  fül)ren  fic^  auf  3roei 
©runbuermögen  jurüd,  ben  3]erftanb  unb  ben  SBillen.  SDer  ©i|  be§ 
SSerftaube§  ift  im  ®ef)irn,  ber  be§  9BilIen§  im  ^er^en;  bie  3:f)ätigfeit 
be§  erfteren  beftef)t  im  S)enfen,  bie  be§  ätoeiten  im  33eget)ren  ober  bev 


168  Sfiomaruis. 

SieBe.  S)te  ©ebanfen  be§  S}erftanbe§  {)e3ie^en  f{(^  entraeber  ouf  bie 
Körper  ober  auf  bie  Gräfte ;  jene  nennt  man  Sinne^empfinbungen,  biefe 
ben  S^erftanb  im  engeren  ©inn  ober  ben  reinen  SSerftanb.  2)ie  @inne§= 
empfinbuncjen  bejiefjen  firf;  entraeber  auf  gegenwärtige  ober  auf  abraefenbe 
©egeuftänbe.  ^n  jenem  %ail  fiaben  fie  itjren  ©i§,  ebenfo  raie  bie  2öaf)r= 
neljmung  unferer  eigenen  Xt)ätigfeiten ,  in  bem  ©emeinfinn;  in  biefem 
legen  mv  fie  tf)eil§  bem  ©cbäc^tniB  tf)eil§  ber  @inbi(bung§fraft  bei. 
2luf  bie  SSa^rneljmungen  grünbet  fid;  bie  S5erftanbe§tf)ätigfeit  im  engeren 
©inn:  n)ir  tonnen  nidjt»  beuten,  unb  ebenforoenig  etma§  begehren,  wo-- 
x)on  \m§  nic^t  unfer  Sinn  unterrid;tet  t)at,  meld;er  feinerfeit^  (fagt  3:t)om.) 
feinen  3»§o(t  ben  äußeren  ©innen  üerbanft.  2Ba§  aber  ben  33erftanb 
üon  ber  2Ba^vnet)mung  unterfdjeibet,  ift  bie^,  ba^  er  bie  ilräfte  abge= 
fef)cn  ron  it)rer  SSerbinbung  mit  ben  Körpern  betradjtet,  boB  er  e^  (mit 
anbern  SBorten)  mit  bem  Stdgemeinen,  au§  ber  2Bat)rnef)mung  abftra^ir= 
ten,  3U  t^un  t)at.  2(0e§  ©enfen  ift  entioeber  ein  ?5^ragen,  ober  ein  Se= 
jaljen  i'.nb  S^crneinen ;  e§  ift  ferner  ein  einfad;e§  ober  äufammengefe^teg ; 
in  einem  sufammengefe^ten  S^enfen,  einer  ©ebanfenreilje,  beftet)t  ba§ 
©djtiejien,  in  ber  Drbnung  mehrerer  ©(^(üffe  bie  3)iett)obe.  —  ©er  SSille 
ift  ein  ©treben  im  ^erjen;  al§  meufd^Udjer  SBide  unterfc^eibet  er  fid; 
ron  bem  tljterifdjen  triebe  baburd),  baß  er  mit  33orftel(ungen  be§  3Ser= 
ftanbe§  cerbunben  ift.  ^nx  barf  man  if)u  barum  nic^t  mit  bem  SSer= 
ftanb  üermedjfetn,  uub  aud;  nic^t  in  ber  2lrt  yom  S^'erftanb  abf)ängig 
madjen,  üi§>  ob  er  ben  2lu§fprüd;en  beSfelben  immer  folgte;  StIjomafiuS 
I)ä(t  üielme^r  biefe  le^tere,  üou  il;m  feibft  frü!;er  getf;ei(te  2(nnat)me  je^t 
für  fo  falf($,  ha^  er  umgefctjrt  bet)auptet,  fobalb  e§  fid;  um  unfer  eigene^ 
Sßof)(  unb  SSe^e  (;anbelt,  folge  unfer  3>erftanb  unferem  SBillen,  unfer 
Xlrtl)ei(  über  @ut  unb  ^öfe  rid;te  fic^  barnac^,  ob  etma§  unferem 
Söillen  angenetim  ober  unangenet)m  ift.  2öie  eß  fid;  aber  t)icmit 
r)erf)ält,  bie^  {)ängt  nic^t  uon  unferer  SBiüfütjr,  fonbern  t(;ei(§  oon 
ber  9latur  unfereg  3BiUen§,  ttieilg  üon  ber  Sef($affeut)eit  ber  S)inge  ab, 
n)e[d;e  it)n  erregen:  unfer  a'öitte  ift  nid;t  eine  freie,  fonbern  eine  mit 
9^ot(;n)enbig!eit  mirfenbe  ilraft,  unb  aud^  bie  moralifc^e  3ii^'c<^i^u"9  ^^' 
fagt  nur,  'oa'^  unfere  ^anbhingen  au§  unferem  S>i(Ien  Ijeroorgegangen 
finb,  nid;t,  ba^  mir  anbcr§  tjätten  moüen  fönnen.  S)ie  natür(id;en 
?ceigungen  ber  3}^enfd;en  finb  nun  a(Ierbing§  fo  üerfd;ieben,  ba^  man 
än}eifel(;aft  fein  fann,  ob  fie  aL(e  einer  unb  berfetben  ©pecie^  angehören. 
3lber  bod;    fommen  fie  and;  loicber  in   gemiffen  Öruubjügen  überein. 


SRed^t  unb  2)2orar.  169 

Sitte  'haben  ben  25?unfd^,  fo  (ang  unb  fo  glücfüc^,  rate  möglich,  511  leben, 
alle  frfieuen  fic^  vor  bem  Zob  unb  bem  <Bä)rmxy,  atte  liaben  ha§^  3^er= 
langen  nad)  förperlic^en  ©enüffen,  naä)  (g{gentf)um,  naä)  llnal)liängtg= 
feit,  Gt)re  unb  ^trr)"(^aft  über  anbere.  Sie  unterfc^eiben  fic^  jcbod;  ha- 
huvä),  bo^  biefe  brei  Örunbtriebe  in  if)nen  auf  fct)r  :)erfd;iebene  Sßeife 
gemifdjt  finb,  ba§  ba(b  ber  eine  balö  ber  anbere  ron  benfelben  bie 
^errfdjaft  liat,  ba^  fie  fid)  in  ben  (Sinselnen  auf  bie  mannigfaltigfte 
SBeife  befänipfm  unb  unterftü^en.  S(u»  bem  3serl)ä(tniB  ber  ©runb= 
triebe  3U  hen  äußeren  (Sinflüffen  entfielen  bie  Slffefte,  ober  bie  leibend 
li^cn  3uftänbe  ber  Seele.  5:l)omafiu»  füf)rt  biefeiben  auf  sraei  ©runb-- 
formen  5urücf :  Slffcfte  ber  Hoffnung  unb  ber  j^nrdjt ,  fold^e,  burd; 
raeldje  bie  3:§ätig!eit  ber  ©runbtriebe  erböi)t,  unb  foldje,  burc^  bie  fie 
unterbriidt  rairb.  Gr  befpric^t  bie  ncrjc^iebcnen  SJiobifilationen  biefer 
Slffelte  unb  bie  fjicraUiS  fid)  ergebcnben  ©rfd;einungcn  be^  fittlid^en 
Seben^,  unb  er  giebt  bei  biefer  @c(egcnf)eit  mand;e  groben  uon  fdjarfer 
Seobad;tung  unb  3)lenfd;enfenntntf3.  S:en  Ginflu^  gcraiffcr  Singe  unb 
3)kiifd)en  auf  unfern  Saiden  leitet  er  mit  einer  ^Beübung,  bereu  chen 
nur  ein  fo  ganj  anf'g  banbgrciflidje  gerichtetes  S^enfen  fällig  raar, 
üon  iljren  „moralifdjen  Slux^bünftungen"  l)er,  unb  er  beult  ^iebei  an 
rcirflii^e  3lueflüffe  ber  S^inge,  bie  unfere  «Sinne  berüljren  (I,  2,  89). 

Me  2)ienfc§en  finb  nun  oon  9tatur  unraeife  unb  tböridit,  ron 
33orurtl)eilen  aller  2trt  erfüüt,  üon  £eibenfd;aften  bel)errfd^t,  üoll  ron 
Sßibcrfprüd^en  in  iijvcm  Sljun,  in  beftänbigem  Streit  mit  einanber. 
„S^er  ^latur^uftonb  ift  bal)er,  ftrenggenommen ,  raeber  ein  £rieg§=  noc^ 
ein  griebenSftaub,  fonbern  eine  üerroorrene  3)tifd)ung  an§i  beibcu,  rae[d;e 
aber  boc^  Don  jenem  me^r  an  fic^  l)at,  als  von  biefem"  (I,  3,  55), 
unb  raenn  bie  SDknfdjen  o{)ne  eine  9Jorm  für  i^re  ^anbiungen  fid;  felbft 
überlaffen  rcürben,  tonnte  e§  nid;t  fel)len,  ba^  auS  bem  SBiberftreit 
i^rer  Siieignngen  ba(b  ein  Ärieg  aller  gegen  alle  entftänbe,  ber  für  alle 
bie  größten  9(ad;tl)eile  mit  fic§  fül)rte.  S^ie  menfd;lidje  ©efeüfdjaft  be= 
barf  bol)er  einer  fold;en  9iorm,  unb  fie  erl)ält  biefelbe  baburd;,  ba^  bie= 
jenigcn,  raeldje  burd^  eine  glüdlidje  3}tifd)ung  ber  brei  ©runbtriebe  baju 
geeignet  finb,  a(S  Se[)rer  ober  §errfd;er  auftreten.  S)iefe  9^orm  fann 
im  aUgemeincn  nur  in  bem  @runbfa|  liegen,  ba^  man  alles  tljun  fotte, 
raaS  ben  3JJenid)en  ein  möglidjft  langes  unb  glüdlid;cS  ßebcn  Derfc^afft, 
alles  uermeiben,  raaS  il)r  2chen  unglüdlid;  madjt  unb  iljren  %oh  be= 
f(^(euuigt.    (Ein  Seben  rairb  aber  um  fo  glüdfeliger  fein,  je  elirenootter. 


170  S&^omafmg. 

Qugenefinter  unb  reid;er  on  §ü(f§mittern  e§  tft;  unb  ha  nun  ein  ge= 
rechtes,  anftänbioieS  unb  elf)rbare§  Qehen  in  atten  biefen  Sejiefiunrien  bem 
ungereci^ten,  unanftänbigen  unb  unfitttidjen  roeit  überlegen  ift,  fo  ge^en 
ans  jenem  aflgemeinen  ®runbfa|  bie  brei  fpecielleren  @runb)ä|e  fierüor, 
in  benen  \i^  %i)oma\iu§>  bi§  ju  einem  gemiffen  @rab  an  Seibnij  (f.  ©.  122) 
anfdjlie^t:  gererfjt,  anftänbig  unb  el^rbar  ju  leden.  3)a§  ^rincip  ber 
©ered^tigfeit  (justum)  liegt  in  ber  ^orberung,  feinem  onberen  ba§  ju 
tf)un,  mooon  mir  nid)t  münfc^en,  bo§  anbere  e§>  un§  tl)un;  ba§  ber 
21>o^tonftänbig!eit  (decorum)  in  ber  gorberung,  ben  anbern  baSjenige 
3U  tf)un,  roooon  mir  münfd^en,  bafe  fie  e§  iin§  t^un;  ba§  ber  ®f)rbars 
feit  ober  ©ittlid^feit  (honestum)  in  ber  ^orberung,  un§  felbft  ba§  5U 
tf)un,  TOOOon  mir  münfd^en,  ha'^  anbere  e§  fid^  felbft  t^un,  ma§  mir  an 
if)nen  löbltd;  fmben  (I,  6).  Stuf  bie  erfte  ron  biefen  gorberungen  grünbet 
fid^  ba§  9kturre(^t  im  engeren  @inn,  auf  bie  jmeite  hk  ^olitü,  auf  bie 
britte  bie  @tf)if;  bie  erfte  bejiefit  fid)  auf  bie  S3cmaf)rung  be§  äußeren 
griebenS  t)Ov  Störungen,  bie  jroeite  auf  bie  görberung  be^felben  burd^ 
mof)lmo(Ienbe  ^anbhtngen,  bie  britte  auf  bie  ©rtangung  be§  inneren 
grieben§  (I,  4,  87  f.).  Hnfere  ^flid)ten  gegen  ®ott  foHen  ba§  9?atur= 
redjt  nur  mittelbar  angef)en,  fofern  e§>  bie  2öoI)Ianftänbigfeit  unb  ©fir- 
barfeit  forbere,  an  ber  äußeren  ©otte^uerefirung ,  bereu  bie  tlnmeifen 
nid;t  entbef)ren  fönnen,  fid;  fo  5U  betfieitigen,  ha'^  meber  bem  2lt^eifmu§ 
uod;  bem  Slbergtauben  ^Sorfdjub  getljan  merbe;  im  übrigen  fei  bie  Xln^ 
terfud;ung  biefer  ^f(i(^ten  t^eilS  <Baä)e  ber  STl^eologen,  tf)ei(§  f)aub(e  e§ 
fic^  f)ier  nur  um  ba§  3?er()a(ten  ber  ©taatSgematt  jn  ber  9ie(igion  (II,  1). 
@6enfo  foü  aber  and^  ba§  92aturred;t  gegen  ade  ßinmifdjung  ber  St^eotogie 
gefd;ü^t  merben.  S)a§  natür[id;e  9ted^t,  fagt  2t)omafiu§  (I,  5,  29  ff.), 
mirb  unabf)ängig  uon  jeber  Sluftorität  lebigüc^  burd)  vernünftige  lieber^ 
tegung  gefunben;  ba  biefen  9ted^t  allen  in'§  ^yerj  gefd;rieben  ift,  muffen 
mir  c§  oou  bem  Urheber  ber  3^atur  ableiten.  3l(Ie0  pofitioe  9lo(^t  ba= 
gegen  ift  menfd;(id;e§,  b.  I).  von  aJicnfd;en  oerfünbeteS  9ied;t;  ob  biefe 
9Jienfd)en  bo5U  oon  Öott  unmittelbar  beauftragt  morben  finb,  mag  bie 
2:l)eologie  unterfudjen,  ber  ^t)ilofopl)te  ift  barüber  nid;t§  betannt.  ^e^t 
ift  ba^er  von  ber  früheren  tl)eologifd;en  S3egrünbung  be?^  dUä)t§>  nid;t 
mel)r  bie  9lebe,  e§  mirb  gan^  unb  gar  von  ben  53ebürfniffen  ber  menfd;= 
lid^en  Statur  l)ergeleitet ,  fo  wie  un§  biefe  burd;  bie  ©vfaljrung  befannt 
ift:  ba§  früf)ere  ©d)manfeu  smifdjen  9{ationalifmuy  unb  9)hjftif  l)at 
einem  au§gefprod;cnen  9iaturalifmu§  '>^[a^  gemadjt. 


SRe(^t8=  unb  ©taotffc^re.  171 

Stu(5^  in  2:f)omaf{u§'  ©taatlte^re  tft  ein  ©runbäug  ba§  33eftreben, 
in  betn  er  ^i^  an  '^Mifenborf  anfc^lie^t,  ba§>  ©ebiet  be§  9tec^t§=  unb 
€taat§(el)en§  ron  tl^eo(ogif(^er  ^Beüonnunbung  freijn^alten.  ©r  Iie= 
ftreitet  bie  Sfnna^me,  baf3  bie  ©ouüerönetät  (majestas)  ben  dürften 
Don  ©Ott  nninitte(6ar  übertragen  fei,  nnb  fü^rt  fie  ftott  beffen  mir 
mittelbar  auf  i^n  jurücf,  fofern  er  aU  Hrbeber  be§  natürficfjen  @efe|e§ 
aud;  bie  ©rünbung  üon  (Staaten  geraoUt,  ober  roenigften§  gutge{)ei§en 
Iiabe  ^).  ®r  üertfieibigt  bie  greil^eit  ber  perfönlid^en  Ueberjeugung  unb 
be§  ^efenntniffeg.  @r  erflärt,  ba§  bie  Slufgabe  be§  ©taate§  einzig  unb 
aEein  in  ber  ©rfialtung  be§  gemeinen  ^rieben^,  ber  äußeren  9tc(^tC>orb: 
nung  beftefie,  ba§  bagegen  ber  ©otte^bienft  unb  bie  j^römmigfett  meber 
fein  ^weä  fei,  nod^  ein  3}litte(  gur  9legierung  ber  Untertfianen  fein 
bürfe,  bafe  biefe  ifiren  Söillen  in  StefigionSfac^en  ber  Dbrigfeit  meber 
uuterroorfen  f)aben  nod;  oernünftigermeife  unterwerfen  fönnen;  unb  wenn 
er  au(^  bie  natürlid^e  9k(igion  jur  Seligfeit  unjufänglid) ,  bie  geoffen^ 
barte  unentbef)rtid^  finbet,  mifl  er  bo^  bie  d^rifttic^e  J!ird;e  üon  jebem 
meltlidjen  ©emcinroefen  fc^arf  unterfc^ieben  unb  ifire  2lufgabc  ftreng  auf 
bie  Seigre  befc^ränft  raiffen.  Slt^eiften  foKen  als  gemeingefäbrüdj  an^- 
gemiefen,  aber  nid^t  beftraft  werben  bürfen  -).  ©erabe  auf  biefem  @e= 
biete  f)at  ^f)omafiu§  befonberS  erfolgreich  geioirft  unb  in  feinem  2;^eile 
baju  mitgeholfen,  ba^  ba§  ^''italter  ber  2lufftärung  unb  ber  religiöfen 
S)ulbfamfeit  für  S^eutfd;lanb  anbrad;. 

^oä)  üiel  umfaffenber  unb  nad)l)altiger  mar  aber  ber  ©influB,  unb 
weit  größer  bie  miffenfd^aftlidje  ^ebeutung  eines  3J?anneS,  meldjer  län- 
gere 3^^t  neben  ^IfiomafiuS  in  ^alle  als  afabcmifd^er  Seigrer  tl)ätig  ge= 
mefen  ift,  unb  meld^er  üon  i^m  unb  feiner  ©djule  felir  unfreunbtid)  unb 
geringfc^ä^ig  beljanbelt  mürbe,  mieiuol)!  er  in  feinen  le|ten  fielen  vieU 
fad^  mit  il)nen  jufammentraf,  g^riftian  2Botff'§. 


1)  Jurispr.  div.  III,  6,  6G  ff.  J.  N.  III,  6. 

2)  2;^omafiic^e  ©ebaiifeir  (1724)  II,  1  ff.  StuSfii^rlic^cve  aKitt^eUuugen  über 
S^omafiug'  9tec^t§=  unb  Staatslehre,  atg  l^ier  gegeben  »erben  tonnten,  finbet  man 
bei  »luntfc^ri,  ®ef(^.  b.  ottg.  @taot§rec^t§  188  ff. 


172  aßolff, 

IL   moiff, 

1.  SlBoIff^^  £cl)cu;   dljaxatta,  SOZctfjobe  unb  %i)tiU  feiner  ^-|S()tIofop^ie. 

etiriftian  SBoIff  ^)  tuurbe  ben  24.  Januar  1679  in  Sre§(au  gebo^ 
ren.  äßenn  ba§  ©tubium  ber  ^l)ilofopf)ie  bei  :lJeibni3  unb  3:!)omo[iu§ 
mit  beni  gac^ftubinm  ber  Sflcc^tSiuiffenfdjaft  in  ^>erbinbung  geftanben 
f)atte,  fo  üerbonb  e»  fic^  bei  SBolff,  roie  feitbem  bei  ber  3}tet)r3af)i  ber 
beutfd;en  ^()ilofopf)en,  mit  bem  ber  2f)co(ogie.  (Sein  3Sater,  ein  9totf)- 
gerber,  ^atte  if)n  f($on  üor  feiner  ©eburt  bem  S)ienft  ber  5!irdje  gen)ib= 
met;  a(§  Änabe  war  er  gnm  Sefen  ber  Sibel  nnb  gnm  regelmäßigen 
^cfuc^  be§  @otte§bienfte§  angeljoiten  morben,  nnb  er  ^atte  aud^  wirf; 
lidj  ein  foldje»  ^ntereffe  für  tf)eologifd)e  fragen  gewonnen,  unb  fid; 
über  biefelben  nod^  auf  ber  ©djule  fo  forgfälttg  nntcrridjtet,  bafs  er 
felbft  be3eugt,  al§  er  1699  bie  llniüerfität  i^ena  be^og,  t)abe  er  in  ben 
tf)eo(ogifdjen  ^orlefungen  nichts  neues  gehört.  Hm  fo  widjtiger  würbe 
für  i!)n  ber  XXnterrii^t  in  ber  2}iat{)emati!  unb  "oen  uerwanbten  gädjern, 
ben  er  !)ier  erhielt.  3Ui(^  feiner  £eJ)rer  in  ber  ^^i(Dfopf)ie  gebenft  er 
mit  Slnerfcnnung ;  nod;  mef)r  f)atte  er  aber  in  biefer  53e3ief)ung  ^nfen= 
borf'S  (Sd)riften  unb  üor  allem  Sfd^irnljanfen'S  ,,@eifte§f)ctlfnnbe"  gu 
uerbanten.  3.  ^.  1703  l^abilitirte  fi^  2Solff  in  fieipsig,  unb  t)ielt  f)ier 
einige  i^a^re  matf)ematifd)e  unb  pt)i(ofopf)ifdje  3>orIefungen.  ®urd;  feine 
^abilitationäfc^rift  fam  er  mit  Seibnij  in  93erbinbung,  an  beffen  Softem 
er  fid;  balb  gan^  anfc^toß.  ^^m  ^atte  er  e§  and;  3U  uerbanfen,  baß 
er  1706,  als  chtn  wegen  einer  £el)rfte(le  in  ©ieffen  Unterfianblungen 
mit  iijm  angeknüpft  waren,  3um  ^rofeffor  in  §a(Ie  ernannt  würbe, 
©ein  :^ef)rfad)  war  bie  SDIatfiematif ;  er  beljnte  jebod;  nad)  einigen  ^a^. 
ren  feine  ^orlefungen  auf  alle  klieite  ber  ^Ijitol'op^ie  au§,  unb  er  fanb 
mit  benfelben  fo(d)en  S3eifall,  bafs  er  balb  gu  ben  gefeiertften  Xlniuerfi^ 
tätslel)rern  gel)örte.  Deeben  bem  neuen  unb  für  jene  ^eit  bebeutenben 
i^reS  3nl)altS  empfahlen  fie  fi^  and;  burd;  bie  einfadje  9fJatürlid;teit 
feines  freiflicfjenben  bentfd^en  Vortrags,  bie  Älarl^eit  unb  Drbnnng  feiner 
©cbanfen,  bie  anfprcdjenben  33ciipiele  unb  treffenbcn  ^5emertungen,  mit 
bcnen  er  fie  jn  erläutern,  bie  moralifdje  Dtuljanwenbung,   bie  er  il)nen 


1)  ©0  fc^vciOt  er  fetbft  fid)  iit  ben  beutjc^en  >5c^rtftcii,    in  bcu  latciuijdjcu  iiemit 
et  fic^  VVolfius. 


?eben  unb  Se^rtl^ätigfeit.  173 

p  geben  raupte.  ?tur  um  fo  größeren  JTummer  nerurfatf^ten  fie  aber 
SBoIff'g  pictiftifc^en  (Eoffegen,  unter  wd<i)en  ber  fromme  ^rancfe  unb 
ber  ftreitfertige  Sänge  obenan  [tauben;  unb  uad)  mef)rjä^rigen,  burd^ 
perfönlidje  ©mpfinbticfifeiten  unb  3ei^würfniffe  uerbitterten  Streitigkeiten 
gelang  c§  Sßolff'^  ©egnern  bnrd;  fe^r  untuürbige  3Jtittel,  ben  Äönig 
griebrid^  2Si(J)elm  1=  gegen  ben  ^s()i(ofopf)en  fo  ftarf  ein5unef)men,  ba^ 
er  om  8.  9tooember  1723  jenen  berücf;tigten  Äabinet§befe§(  erlief,  burd^ 
ben  2Bo(ff  nic^t  blo^  abgefegt,  fonbern  auc^  bei  ©träfe  be^  ©trangeS 
au§  ben  föuigli(^en  Sanbeu  ueriüiefen  mürbe  ^).  3>on  mehreren  Qvl^ 
f(u(^t§orten,  bie  fid;  iljm  barboten,  wählte  er  SJtarburg,  wo  i{)m  fdjon 
Dor  feiner  SSertreibung  an§  .*palle  eine  ^rofeffur  angetragen  morbett 
TOor;  unb  er  fefete  J)ier  feine  a!abemifd)e  unb  fd;riftfteUerifd)e  2:t)ätigfeit 
mit  bem  gerool^nten  33cifaII  unb  mit  immer  fteigenbem  9iu{)m  fort,  bi§ 
if)n  1740  griebri(^  b.  @r. ,  ein  raarmer  33erounberer  feiner  Sef)re  unb 
feiner  ©Triften,  unmittelbar  na^  feiner  3:l)roubefteignng,  in  ber  e^ren= 
üoKften  SBeife  auf  ben  alten  ©d)aup(a|  feinet  SBirfeng  gurüdberief. 
9^o(^  tjierjefin  ^af)xe  mar  er  in  §alle  al§  Sefirer  tljätig;  boc^  fanb  er 
für  feine  3Sor(efungen  nic^t  ntefir  ba§  gleidje  ^^tereffc,  wie  in  feinen 
jüngeren  3<Jf)i"ßi^-  '^^  fo  größer  mar  bagegen  fortmä^renb  ber  ßrfofg 
feiner  ©c^riften,  unb  mie  menig  e§  i{)m  an  äußerer  2(nerfennung  gefef)lt 
't^at,  geigt  neben  üielen  anberen  2ru§3cid;nnngen  bie  ©rf)ebung  ^um  9^ei(^§= 
freif)errn,  me(d)e  if)m,  roie  früf)er  Seibnij,  gu  %^di  raurbe.  %i§>  er  ben 
9.  Slpril  1754  ftarb,  mar  bie  .«perrfdjaft  feine§  ©yftemS  in  S^eutfd;tanb 
längft  entfc^ieben. 

S)iefc§  ©i)ftem  mar  nun  im  roefentü($cn  fein  anbere§,  a(§  ha§> 
(eibniäifc^e.  Sßolff  mar  jmar  fef)r  eiferfüc^tig  ouf  ben  9tu^m  ber  miffeus 
fd)aftli($en  ©etbftänbigfeit,  unb  änderte  feine  IXngnfriebenfieit,  al§>  fein 
©d)ü(er  33itfinger  üon  leibnij^motffifc^er  ^f)i(ofopf)ie  fprac^.  .^nbeffen 
jeigt  ber  Slugenfdjein,  ba§  er  feinen  einsigen  neuen  ©efidjtSpunt't  non 
bnrdjgreifenber  Sebentung  aufgefteilt  f)at:  ade  ©runbgebanfen  feinet 
©t)ftem§  finb  ifim  t)on  Seibnij  an  bie  |)anb  gegeben,  unb  fein  eigenes 
S^erbienft  beftef)t  nur  in  ber  met^obif^en  ©ntmirftung  biefer  ©ebanfcU/ 
in  if)rer  2tu»füf)rung  gu  einem  förmlichen  Se^rgebäube,  in  ber  ^Sottftän^ 
bigfeit,    ber  ©orgfalt,   ber  Sluibauer,    ber  folgerichtigen  SSerftänbigfeit, 


1)  ®a§  nähere  über  bicfe  S3orgängc  ftnbet  ftc^  in  meinen  SPorträgen  unb  3tbbanb= 
lungen  (Jpg.  1865)  ©.  108  ff.:  „SSoIff'ä  SSertreibung  anä  ^atte;  beu  Äampf  be§ 
^tetifmitS  mit  ber  ^^ifofop^ie " 


174  SBorff. 

mit  roe((^er  er  bie  t)erfcf;iebenen  Sßiffen^gebiete  Mg  in'g  einseifte  heav- 
Iieitet,  ben  ge[ammten  Qnfjalt  imfere^  Seimt^tfeinS  mit  mofirgeorbneteu 
beutlid^en  Segriffen  ju  umfaffen  unternommen  fiat.  3?on  ben  Gigen^ 
fd;aften,  mcldje  in  ifirer  l^armontfc^en  ^Bereinigung  bie  miffenfc^afttid^e 
@röBe  feinet  ^orgöngerg  ausgemacht  l^attcn,  mar  il^m  nur  ein  ^Ifieil 
fiugef ollen:  bie  logifd^e  ^farfieit  be§  S^enfenS,  ber  nüdjterne  matf)ema= 
ti)rf;e  3]erftanb;  bie  geniafe  ©rfinbungSfraft  eineS  Sei6ni3,  feine  groB= 
artige  ßombinationSgabe,  bie  fü!)ne  ^bcalitöt  fete  ©eifteS  mar  Söolff'S 
pfllegmatifc^erer  Df^atur  nerfagt  geblieben.  @r  mar  nic^t  ber  Mann,  um 
ber  ^l)ilofopl)ie  eine  neue  Salm  5U  eröffnen,  aber  er  mar  in  fieruor- 
ragenber  SBeife  befäliigt,  feine  ^citgenoffm  auf  bem  üon  einem  anbern 
entbccften  SBege  gu  führen,  unb  benfelben  in  georbnetem  gortgang  nac^ 
allen  feinen  Ser^meigungen  au^äumeffen. 

2lt§  ©d^riftfteffer  i)at  Sßolff  ein  gro§e§  Serbienft  hm^  bie  beutfd^ 
gcfc^riebenen  Selirbüd^er,  in  benen  er  U§>  jum  ^a1)\-  1726  atte  2:l)eile 
feines  ©ijftemS  bargeftellt  liat;  mälirenb  er  non  ba  an,  —  feit  er  fi(ä^ 
mit  ber  fteigenben  SluSbreitung  feineS  91ul)meS  immer  melir  als  einen 
„^rofeffor  ber  3)?enfc^ll)eit"  fülilen  gelernt  l^atte,  —  fid)  nur  nod;  ber 
lateinifd;en  ©prad^e  bebiente,  unb  biefelben  ©egenftänbe,  meldte  er  fürjer 
unb  bünbiger  bcutfdj  bargeftellt  liatte,  nun  mit  einer  oft  ganj  übertrieb 
benen  3(uSfül)rlid;feit  lateinifd^  bearbeitete.  Sergleid^t  man  SBolff'S 
beutf(^e  ©(^riften  mit  benen  beS  ^liomafiuS,  fo  geigt  fid^  ein  au^eror= 
bent(i(^er  gortfd;ritt  in  ber  Sel)anblung  ber  ©prad^e.  SBolff'S  S)arftel' 
lung  ift  mol)lgeorbnet,  fein  ®tx;l  ift  groar  mit  einer  geraiffen  altfr(in= 
fifd;en  llmftänblid;feit  beljaftet,  aber  er  ift  flar,  natürlid^  unb  für  jene 
3eit  au^erorbentltd)  rein.  S)urd^  i^n  erft  l)at  bie  bontfc^e  ^l)ilofopl)ie, 
ja  bie  beutfd^e  SBiffenfc^aft  überl)aupt,  fic^  il)rer  3}tntterfprad;e  mit  ^^rei^ 
F)eit  bebieuen  gelernt,  ^^m  l)at  fie  namentlich  ifire  Terminologie,  biefeS 
fo  unentbel)rlid^e  SD^ittel  ber  miffenfd^aftlid^en  9}tittl)eilung ,  gu  einem 
guten  X^eil  gu  oerbanfen.  (Sr  ^at  and;  l)ier,  mie  in  mancher  anberen 
Segietiung,  baS  ausgeführt,  mogu  Seibnig  ben  Slnfto^  gegeben  f)atte. 

®er  teitenbe  ©ebanfe  üon  Söolff'S  pl)ilofüpl)ifd;er  Sl^ätigfeit  ift  jene 
Slufflärung  beS  SerftaiibeS,  raeld;e  fc^on  Seibnij  für  bie  ©ruubbebingung 
aüeS  miffenfd^aftli(^cn  unb  praftifd;en  ^ortfd;rittS  erllärt  ^tte.  2llS  bie 
Xriebfeber  feiner  Slrbeitcn  be^eid^net  er  felbft  in  ber  Sorrebe  gu  feiner 
beutfd)en  2J?etap^i)fif  bie  Siebe  gum  menfd;lid;en  @efd)led;te,  meldte  i^n 
üon  3»9i'i^^  (iiif  l)abe  mnnfd)en  laffcn,   wenn  eS  bei  i^m  ftänbe,   atte 


SBoIff  al§  ^^Uofop^  unb  oI§  ©c^rtftpeaer.  175 

gtücffeüg  gu  ma^en.  ^aju  tft  aber,  lüie  er  glaubt,  ni(^t§  fo  itötf)ig, 
al§  bie  GrfemitniB  ber  3ßaf)r(jett,  unb  ^u  btefer  ift  mii)t§>  fo  uötljig,  al§ 
beutüd^e  S3egriffe  unb  grüublidje  53en)eife.  SBolff  roar  no(^  auf  ber 
Schute  burc^  feineu  Se{)rer,  hen  ^aftor  9^eumauu,  tu  S)escarte§' 
matf)ematif^=bemonftratiüe  3)ietF)obe  eingeführt  worbcu,  unb  er  ^tte  fi^on 
banio(§  beu  ^lau  gefaxt,  bie  t{)eoIogifcfjen  Sefirfä^e  burcf;  unraiber; 
fpred^tic^e  Söeraeife  gu  mat^iematifd^er  @ett)i^f)eit  3U  bringen.  5Denfe(beji 
^(au  ^at  er  in  ber  golge  auf  afle§  ©rfenuen  übcrfiaupt  au^gcbefint: 
ba§  ^kl  alfer  n)iffeuf(^aft(id;en  Untcrfud^ungen  liegt  für  if)U  bariu,  ba^ 
aUe  unfere  5ßorfte(Iungen  jur  S)cutlid^feit  erhoben,  alle  tleberjeuguugcu 
auf  unanfechtbare  Seweife  gegrünbet,  alle  fragen  bnr(^  regelmäßige 
Sc^luf^folgerungen  au§  beutli(^en  Gegriffen  entfc^ieben  lücrben.  3In  giuei 
Singen,  fagt  er  im  3?oru)ort  ju  feiner  lateinifc^en  Sogif,  f)ahe  e§  ber 
^!)iIofopf)ie  bi§()er  gefcf)(t:  au  ber  @t)ibeu3,  of)ne  bie  feine  filtere  unb 
fefte  Ueber5euguug  möglid;  fei,  unb  an  ber  praftifd^en  Sraud;barfeit. 
®er  @runb  biefe§  boppelten  j^et)ter§  fei  aber  ein  unb  berfelbe:  ber 
SOlangcI  an  beftimmten  53egriffeu  unb  ©runbfä^en  ^).  Xk  ^f)iIofopI)ie 
tft  na^  einer  S^efiuition,  an  ber  er  t)on  2(nfang  an  feftge^alten  l^at, 
„bie  SBiffeufc^aft  uon  bem  3)iögttd;en,  lüiefern  e§  fein  !ann."  3}Zöglid^ 
ift  aber  affe^,  ma§>  feinen  äßiberfprud)  in  fid^  fd^ließt.  S)ie  ^sl)ilofopf)ie 
befd;öftigt  fid^  ba^er  mit  allem  (Srfennbaren  of)ne  SluSnafime;  unb  ftc 
unterfc^eibet  fic^  infoferu  üon  beu  übrigen  2Biffenf(^aften  nid)t  burd^ 
if)ren  ©egenftanb,  fonbern  nur  burd^  feine  ^el)anblung.  3Bäf)rcttb  eö 
nämlid)  bie  gefc^ic^tlidje  (^rfenntnif?  nur  mit  bem  jn  tl)un  f)at,  ma§>  ift 
unb  gefd;ief)t,  nur  mii  beu  Si^atfacben,  oon  benen  un§  tl)eil§  unfere 
©inue,  t^eifg  bie  3tu§fagen  unfereS  SelbftberoußtfeinS  unterridjteu,  foll 
bie  ^f)itü[üpt;ie  bie  ©rünbe  auffudjcu,  rocß^alb  ba§  SJtöglid^c  mirflii^ 
werben  fann,  haf)cv  and)  in  beu  fällen,  in  benen  an  fic^  tncf)rere§ 
gtei(^  möglid^  möre,  bie  ©rünbe,  lüeß^alb  ba§  eine  ef)cr  gefd^ief)t  ober 
gefc^ef)en  foll,  ai§  ba§  anberc;  b.  f).  fie  foll  alle  if)re  (gä|e  beweifen, 
folf  biefelbcn  anS"  fid)creu  unb  nunmftöfslid^en  ^rincipien,  au§  beutlid^en 
unb  abäqitatcu  Segriffen,  burd^  rid;tige  Sc^lußfolgerungeu  ableiten. 
9l6Ieiten  föniien  tuir  ober  au§  jebem  53egriff  nur  ha§,  lua^  mirflid; 
bnrin  liegt;  uitb  eUn  biefe^  ift  na(^  SBolff,   welchem  meber  ®e§carte§' 


1)  ®ie  Oitetlenbelege  für  bie  nadifolgenbe  2)arfteüung  finbet  man,  fo  weit  ftc 
I,ncr  nici^t  öergetc^net  ftiib,  in  guter  2(u§trat)I  bei  ©rbmaun,  ©efd).  b.  neuern  '^i)ii. 
iL,  b.  «eil.  ©;  C— CXVVLIII. 


176  Sßolff. 

no(^  X)c^iru!f)aufen'§  ^eftimmungen  fiierüder  ganj  genügen,  and;  bo§ 
SOZerfmal  ber  5K>nf)r^eit:  ein  (£o|  ift  mafjx,  inenn  [id^  ba§  ^präbifot  in 
bentfeI6en  an§  bem  ©nbjeft  6eftimmen  (hnxä)  Inadjfe  bc§  Subjeftg^ 
Begriff^3  finben)  laBt  (Sog.  523  ff.).  2)ie  ^f)i(ofop^ie  foff  bo^er  baSfelbe 
9serfaf)ren,  beffen  fid;  bie  9Jlatf)emati!  in  ber  ©rö^enlefire  bebient,  anf 
alle  n)if[enj($aft(id)e  Unteri'ndiungen  anraenben ;  benn  ha§>  eigentlid)e 
Söefen  ber  nmtl^eniatifc^en  a^et^obe  Befte^t  eben  (roie  2öoIff  auSbrüdUd) 
I^emerft)  in  ber  ©üibenj,  mit  n3e((^er  au§  ben  ^rincipien  baSjenige 
abgeleitet  roirb,  \va§>  lüirflic^  in  itjnen  entf)a(ten  ift ;  bie  ^orm  ber  S)efi= 
nitionen,  2(fiome  unb  Sä^e  ift  9icbenfad)e.  ^nv  barf  man  bef3f)a(b 
nid;t  glauben,  ha^  bie  ^t)i(ofop!)ie  if)re  ä)Zet!)obe  üon  ber  3Jiat{)ematif 
enttefme,  fonbern  bie  eine  mie  bie  anbere  fdjöpft  fie  an§  ber  Sogif. 
Sßolff  metft  bemnad;  ber  ^^^itofopljie  im  odgemeincn  ba§  ©ebiet  jn, 
wcl(^e§  Seibnij  ha§>  ber  nott)n)enbigen  ober  3SernnnftraaI)r^eiten  genonut 
]^atte  (f.  0.  ©.  113  f.);  ebenfo  ftimmt  er  mit  il^m  in  ber  ^orbcrnng 
iiberein,  ba§  auf  biefem  ©ebiet  aUeS  einzelne  auf  ftreng  bemonftratiuem 
2Seg  au§>  ben  grnnbtegenben  Segriffen  abgeleitet  merbe  (f.  @.  77.);  unb 
ntdjtS  anbereg  roill  aud^  feine  S^efinition  ber  ^sljilofopliie  be[agen:  fie 
ift  bie  Söiffenfc^aft  be§  3)^öglic^en,  weil  fie  e§  mit  bem  ^nlialt  unferer 
53egriffe  aB  fo(djem,  gan^  abgefet)en  oon  ifirer  erfa!)rung§mäBigen  SBirf- 
lidjfeit,  gu  tf)un  ^at,  fie  fott  burd^  jene  S)efinition  al§>  reine  Segrift§= 
mifi'eni'c^aft  bejeic^net  werben. 

§atte  aber  fdjon  Seibnij  graifd^en  ben  notfimenbigen  unb  ben  t'f)aU 
]ää)l{ä)en  2Baf)rI)eiten,  bem  apriorifdjen  unb  empirifd^en  ©rfennen  untere 
fc^ieben,  fo  geminnt  biefe  llntevfdjeibung  für  Söolff  eine  no($  umfaffen^ 
bere  33ebeutung.  ^son  ben  ^rincipicn,  bereu  fid;  bie  ^f)ilofopl;ie  bcbieut, 
taffen  fid;  manche  au§  ber  ©rfaljrung  begrünben,  bie  (Sät3e,  welche  fie 
auf  bemonftratioem  Söege  genionnen  ^at,  burd^  Seobadjtung  unb  33er= 
fud^  beftätigen.  ®iefe  Seif)ü(fe  ber  @rfaf)rung  barf  bie  ^sf)i(ofopf)ie,  ber 
e§  um  bie  i)'öd))te  roiffenfc^aftlidjc  ©eroipeit  3U  tf)un  ift,  ui(^t  vcx- 
fd^mäf)cn.  (E§  tritt  baf)er  in  alten  itiren  .§aupttl)ei(en  ber  rationalen 
eine  empirifd)e  2Sif)cnfd)aft  jur  Seite.  ®ie  9]atuvbetrad;tung  bcftätigt, 
mag  bie  natürlid^e  2l)eologie  uou  ber  SBeiSfieit,  ©üte  unb  5lIImad^t 
05otte§  lefirt,  unb  2?olff  rebet  iniofern  mot)l  aud^  oon  einer  „eyperimeu; 
teilen    uatürlid;en   3:l)eologie,"   beren  ©ruublage   bie  2;eleologie  fei  ^). 


1)  Log.  Disc.  prael.  §  107.  Cosmol.  gen.  §  53. 


Sfufgabe  bet  $^Uofopf)ic.     (grfol^rungSroiffenfd^Qft.  177 

S)te  experimentelle  $f)i)fif  leitet  bie  €ä^e,  toelc^e  bie  oUgetneme  Äoftno= 
logie  ntetap^ijfifc^,  au§  ben  ^rincipien  ber  Dntologie,  enueift,  qu§  ber 
^Beobachtung  ab.  ^n  benifelben  3?eri)ä(tni§  fte^t  bie  empirifc^e  ^fi)(^o-- 
togie  3ur  rationellen.  2lu(^  bie  Sefiren  ber  Moral  unb  $o(itif  finben 
in  ber  ©rfafirung  ifire  S3cftät!gung.  2öo(ff  fetbft  I)at  jroar  nur  bie 
entpirif($e  ^f)r)fif  unb  ^[r)($o(ogie  abgefonbert  befianbelt;  aber  auc^  feinen 
rationalen  ©ebuftionen  ift  eine  SKenge  3Diaterial  beigemifcfit,  n)eld;e§  fi(^ 
fetbft  auf  feinem  eigenen  Stanbpunft  nur  au§  ber  @rfat)rung  t)ei(eiten 
läBt.  9?ur  um  fo  füt)(barer  mac^t  fic^  aber  bei  if)m  ber  SOtangel  an 
einer  genaueren  Unterfuc^ung  über  ben  2(nt{)eil,  welcher  einer  jiben  oon 
ben  beibcn  ßrfenntni^iiuetlen,  einerfeit§  ber  33ernunft,  anbererfeit»  ber 
©rfa^rung,  an  ber  Silbung  unferer  53orftefInngen  jufommt,  unb  über 
bie  Strt,  lüie  beibe  pr  ©erainnung  einer  loiffenfi^aftü^en  Grlenntni^ 
gu  rerbinben  finb.  ©ein  eigene^  2(bfe{)en  ift  burd;iüeg  auf  eine  ratio; 
nate  2Siffenicf;aft  gerichtet,  in  ber  a\ie§>  an§  geiuiffen  3]orau§feöungen 
ebenfo  bünbig  unb  umoiberfprec^lic^  gefolgert  werben  fott,  wie  bie^  bei 
ber  Slbleitung  mat^ematifdjer  Se^rfä^e  ber  gatt  ift.  Sßie  wir  ober  jener 
SSorau^fe^ungcn  felbft  gerai§  werben,  wie  in  unfere  grunbtegenben  53e= 
griffe  ber  ^nf)a(t  ^ineinfommt,  ben  ber  ^sfjilofopt)  au§  it)nen  entwidetn 
foH,  unb  ob  e§>  überhaupt  mögtic^  ifl,  ba§  bebuftioe  33erfaf)ren  auf  bie 
Setroc^tung  ber  9ktur,  be§  menfi^üd^en  ©eifteS  unb  ber  ©ott^eit  in 
berfelben  SBeife  unb  mit  berfelben  2Iu!ci(^[ie§tid)feit  anjuwenben,  wie 
auf  bie  obftraften  58cftimmungen  ber  3)tatt)ematif  über  ©rößen  unb 
3af)(en,  wirb  nic^t  gefragt,  ^n  S5at)r^eit  nun  ift  bie§  unmögtid^;  unb 
au^  bei  SBolff  ftelit  fid^  biefer  ©ac^oer^att  tt)atfäc^iid)  ^erau§.  ©eine 
^rincipien  finb  gro^ent^eits,  wenn  man  notier  3ufiet)t,  ni^t  ber  SSer= 
nunft  rein  aU  fol(^er,  fonbcrn  in  le^ter  Sejietiung  boc^  nur  ber  ßrfat); 
rung  entnommen,  unb  bei  jebem  neuen  gorlfd^ritt  feiner  SDebuftionen 
fieJ)t  er  fid^  immer  wieber  genött)igt,  Grfatirunggfä^e  ju  §ü(fe  ju  net)men. 
2Beit  er  e§  ober  üerfönmt  f)at,  burc^  eine  oorgöngige  grünblid;e  Unter* 
fud^ung  ber  ©rfenntni^tptigfeit  über  ben  Urfprung  unb  bie  Seftanb* 
ttieile  unferer  58orftelIungen  unb  über  bie  33ebingungen  be§  wiffenfc^aft= 
lid^cn  Grfennen§  fid^  eine  ftore  unb  erfc^öpfenbe  Sf^ed^cnfc^oft  p  geben, 
weif;  er  weber  bie  S3ebeutung  ber  ©rfofirung  für  feine  eigne  ^i)itofo= 
pflie  3U  würbigen,  nod^  ift  er  fid^  bewußt,  in  weld^em  Umfang  bie 
©id^er^eit  ber  wiffenfd^oftHi^en  3Innat)men  überf)oupt  t)on  ber  ^SoÜftän- 
bigfeit  if)rer  erfat)rung§mä§igen   33egrünbung  obböngt.     2Sa§  er  in  ber 

Bellet,  @eid)i(^te  ber  beutf^en  ^^itofo^)6ie.  13 


178  SBoIff. 

SBirflid^feit  nur  qu§  ber  (Srfo^rung,  iinb  ricHeid^t  au§  einer  fef)r  nnt)oII= 
fommenen  unb  unfid^eren  ©rfafirung,  gefd^öpft  J)at,  erfd^eint  il)m,  weil 
er  e§  in  feine  $Debuftionen  anf genommen  fiat,  als  ebenfo  gerai^,  wie 
wenn  e§  burc^  ftrenge  Sen)eiSfüf)rung  au§  unbeftreitbaren  ^rincipien 
abgeleitet  raäre.  ©rft  Äant'S  eingreifenbe  llnterfu(^ungen  })ühen  bie 
beutfd;e  ^{)iIofopf)ie  im  ganzen  unb  großen  üon  biefem  unfritifd^en  3Ser= 
Italien  gu  fic^  fetbft,  biefem  5Dogmatifmu§  befreit. 

^ür  bie  metf)obifd[;e  58ef)anbtung  p{)iloiopf)iic^er  ©egenftänbe  fteEt 
Söolff  ben  ©runbfa^  auf,  welcher  fic^  au0  feinem  bemonftraticen  3Ser= 
fafiren  unmittelbar  ergab,  ba^  t)om  58egrünbenben  jum  SSegrünbeten 
fortgegangen,  ba§  in  jeber  llnterfu(^ung  baljenige  üorangeftellt  merbe, 
roaS  gum  SSerftänbni^  unb  jum  ©rroeiS  be0  na^folgenben  erforberlid^ 
fei  (Log.  Disc.  prael.  132  f.).  3la^  bem  gleid^en  ©efic^tSpunlt  raiU 
er  aud^  bie  ^auptt^eile  feinet  ©i;ftem§  orbnen.  @r  unterfd^eibet  in 
biefer  Se^ietiung  ^)  §unäcf;ft  biejenigen  SiSiffenfd^aften ,  in  benen  e§  fid^ 
um  bie  ©rfenntni^  be§  2ßirfli(^en  ai§>  fold^e  lianbelt,  unb  biejenigen, 
roeld^e  Siegeln  für  unfer  SSerlialten  aufftellen;  mir  würben  fagen:  bie 
reine  unb  bie  angemanbte  ^l)ilofopl)ie.  ©ie  erftere  f)at  e§  nun  mit  brei 
^auptgegenftänben  äu  tl^un:  ber  ©ottlieit,  ber  menfd^Hc^en  ©eele  unb 
ber  J^örperroelt ;  unb  l)ierau§  ergeben  fid^  brei  SBiffenfd^aften:  bie  natür= 
lid^e  Xlieologie,  bie  ^pfijd^ologie  unb  bie  ^l)ijfi!.  S)ie  ^l)i;fit'  gerfättt 
raieber  in  rier  3tt5ß'9ß-  ^^ß  allgemeine  ^li^fif,  ober  bie  Sef)re  t)on  ben= 
jenigen  ©igenfi^aften  ber  Äörper,  melcl;e  tl)eit§  i^nen  allen,  tl^eil§  ben 
^auptarten  berfelben  julommen;  bie  Äofmologie,  ober  bie  £el)re  üom 
SBettganjen;  bie  befonberen  ^iaturmiffenfc^aften :  3)teteorologie,  Dr^fto^ 
togie,  ^pbrologie,  ^^t;tologie,  ^^pfiologie;  enblid^  bie  2:eleologie,  ober 
bie  Sel)re  dou  ben  ^xoeäen  ber  Slaturbinge;  nodl;  raeitere  Sßiffenfc^aften 
mögen,  wie  SBolff  bemerft,  in  ber  ^^olge  l)inäu!ommen.  S)ie  Äofmo- 
log.e,  ^fpc^ologie  unb  ^^eologie  fo§t  SBolff  unter  bem  ^Jlamen  ber 
3Jletap^t)fil  pfammen,  unb  er  be^anbelt  fie  l)ier  in  ber  ehen  angege= 
benen  9fteil)enfolge,  meil  bie  ^ofmologie  t)on  ber  5pft;d^ologie,  bie  Äofmo- 
logie  unb  ^ftjc^ologie  üon  ber  natürlichen  2;l)eologie  oorauSgefe^t 
werben;  il)nen  aden  aber  fteüt  er  aU  erften  ^lieit  ber  3}letap^t)fif  bie^ 
jenige  2ßiffenfdf)aft  üoran,  meldte  er  bie  Dntologie,  ober  mit  einer  arifto; 


1)  Logica  disc.  praelim.  c.  3;  togl.  ©tbmanii,  a.  a.  O.  267  ff.  C7  ff.  unb 
bie  praltifd)e  ^^^ilofopt)ie  fietrcffenb  ebeub.  341  ff.  CXLV  f.  ®runbv.  b.  ®efc^.  ber 
^I)i(.  U,  §  290,  8. 


XijtxU  bet  <pf)Uofop^ie.  179 

telifc^en  Seaeid^mittg  bie  „ex\te  ^fiilofop^ie"  nennt,  bie  S)arftcf(ung 
beffen,  roaS  allem  ©eienben  überfianpt,  förperlidjen  unb  geiftigen  Söefen, 
S^laturbingen  unb  Äunfteräeugnijfen,  gufomme.  —  S)ie  angcruanbte  ^£)t= 
(o[op{)ie  be^ie^t  fid^  tf)eil§  auf  ba§  ©rfenntni^^  tf)eU§  auf  ha§>  33cgef)= 
rung§t)crmögcn,  fie  giebt  tf)ei(§  Siegeln  für  unfer  S)enfeu,  t^ei(§  Siegeln 
für  unfer  §anbe(n.  ^ene§  ift  bie  3lufgabe  ber  Sogif,  bicfcS  bie  ber 
praftifc^en  ^^ifofopf)ie.  S3on  ber  fiogif  unterfc^cibet  33]o(ff  nod)  bie 
©rfinbung^fnnft,  welche  gur  ©ntbccfung  cerborgener  2Baf)rf)eiten  3(n(ei= 
tung  geben  fo(I  (2:fd;irnf)aufen  ^atte  beibe  ibentificirt) ;  für  bie  3}iöglidj' 
!eit  biefer,  bi§  je^t  aüerbing§  ni(f;t  auggefüf)rten ,  unb  aud;  oon  iljm 
felbft  nid^t  in'§>  Seben  gerufenen  2Biffenfd;aft,  üenueift  er  auf  ba§  5ßeis 
fpiel  ber  2((gebra  unb  ber  anah;tifd;en  aJlat^entatif  überfjanpt.  ^ie 
praftifc^e  5p{)i(ofop^ie  betiad;tct  hen  3Kenf(^en  t(jeil§  im  Ütatur^uftaub, 
als  felbftänbigen  ^f)eil  ber  9Jienfd;^eit  —  bie  ©t^if;  tl)eilg  im  bürger- 
lichen Biift'i^^^  —  ^ic  ^olitif;  t{)eil§  in  ben  f leinereu  unb  einfad;eren 
SSerbinbungen,  roeldje  äufammcn  haS^  §au§iüefen  bilbeu  —  bie  Defo= 
nomif.  ©er  tf)eoretif(^e  ^f)ei(  biefer  brei  2öiffenfd;aften,  bie  äöiffen- 
fdjaft  ber  guten  unb  fdj(ed;ten  §anblungen  ift  ha§  9^aturred;t.  S)ie 
gemeinfamen  ©runbtagen  ber  praftifdjcn  ^()i(ofop()ie,  bie  aügemcinften 
Siegeln  beS  menfd;(idjen  ^f^^'^etuS,  unterfudit  bie  „otigemeine  praftif($e 
^s^ilofopljie"  ^).  Sieben  biefcu  auf's  fittlid;e  2ebcn  begüglidjcn  2öiffen= 
fdjaften  fönnte  ^§>  aber,  roie  unfer  ^Nf)i(ofopl)  fagt,  auc^  eine  „^l)ito= 
fop^ie  ber  i?ünfte",  eine  „STedjuoiogie"  geben,  lueld^e  felbft  bie  geringften 
^ertigfeitcn,  bi§  auf's  ^ol5fpalten  l)tnauS,  in  ^Setrac^t  3U  jie^cn  unb 
bie  ©rünbe  ilireS  SSerfal)renS  an5ugeben  |ätte;  als  ^robe  einer  fotc^eu 
TOill  er  feine  „5?ernünftigen  ©cbaufen  üou  ber  ^autunft"  betrad^tet 
TOiffen,  in  benen  er  bie  Siegeln  biefer  J?unft  nad;  feiner  SBeife  betian- 
belt  unb  alle  ©in^ellieiten  berfelben  fijUogiftifd;  bemonftrirt  ^atte.  Sbenfo 
finb  bie  freien  J^üufte,  ©rammatif,  Sllietorif,  ^oetif  u.  f.  w.,  bie 
@ei^id;tfd;reibung,  bie  Slc^tSroiffenfdjaft,  bie  SJlebicin,  einer  pliilofop^i; 
fd^en  «eljanblung  fäl)ig  (a.  a.  D.  §  39.  71  f.).  3:aS  ©ebiet  ber  ^iu 
Iofopl)ie  erftredt  fid^  alfo  roirflid;  auf  alles  möglid;e  oline  2luSnal)me : 
alles  in  ber  SSelt  l)at  feine  ©rünbe,  biefer  ©rünbe  foUeu  luir  unS 
beraubt  werben,  unb  bie  wiffenfc^aftlii^e  ©rfenntniB  ber  ©rüube  ift 
^l)ilo[opl)ie. 


1)  SBoIff  [elbft  l^at  fici)  übrigenl,  n?ie  wir  finbeu  reetben,  nicf)t  burd^auS  an  bte[e 
Gtntt)eilun9  flf^alten. 

12* 


180  9Bolff. 

Heber  bie  9tei^enfo(ge  ber  pf)iIo[opf)t[($en  2Bi[fenfd;aften  erftärt  fid; 
unfer  ^t){(o[opf)  itid^t  oI)ne  ©d^waiifen.  S)enn  ba§  jtüar  ftef)t  iJim  feft, 
boB  bie  3)letapf)i)fif  ber  praftifdjcn  ^^iIofopf)ie  rorange^en  muffe,  unb 
baB  bie  viex  5tl)ei(e  ber  erfteren  in  ber  angegebenen  Drbnung  (Dnto; 
logie,  Äofmologie,  ^[xjd^ologie,  3:l)eoIogie)  gu  [teilen  feien.  Slud^  üon 
ber  Sogi!  ift  e0  il)m  ungTOeifetfioft,  ba^  fie  fac^lid^  genommen  ber  Dn= 
tologie  unb  ^ftjc^ologie  nac^gefe^t  werben  müBtc;  wenn  er  fie  tro^bem 
beiben  üoranftellt ,  fo  ift  bie§  eine  bemühte  Stbraeidjung  t)on  ber  <Baä}' 
orbming  an§  ©riinben  päbagogifd^cr  ^^^^^^ö^igfeit.  (Sine  n)ir!r(^e 
llnfic^er^eit  finbet  fi(^  bogegen  in  feinen  SleuBerungen  über  bie  ^^t)fif. 
©inerfeitg  fe^t  bie  praftifc^e  5pf)i(ofop^ie  manche  pt)t)fifQtif(^e  ©ä|e 
üoranS,  anbererfeitS  werben,  wie  SBolff  bemerkt,  nid;t  b(o§  von  ber 
gefommten  ^^tjfif  bie  ©rgebniffe  ber  9)ietapl)ijfif ,  fonbern  üon  bem  te^ 
leologifc^en  %i)ei{e  berfelben  auä)  bie  praftifcJ^en  ©runbfä^e  üorauSge^ 
fe^t,  nnb  fo  fdjwanft  er,  ob  er  auf  bie  SJletap^tjfif  bie  ^{)i;fi!  ober  bie 
praftifdje  5p^i(ofopf)ie  gunäc^ft  folgen  laffen  foHe.  ^n  jeuer  muB,  wie 
er  g(aubt,  ber  eyperimentette  5i^eit  bem  bogmatifd^en  unb  bie  ^f)i)fif 
im  engeren  «Sinn  ber  ^eleologie  rorange^en;  in  biefer  bie  ottgemeine 
pra!tifd)e  ^f)iIofop^ie  unb  ha§>  Dkturred^t  (fatt§  biefeS  befonberS  be- 
i^anbelt  wirb)  ber  @tf)if,  bie  @tl)if  ber  Defonomif,  bie  Defonomif  ber 
^otitü.  58on  ber  Technologie  erfal^ren  wir  nur,  ba^  fie  fpäter  fei,  a\§> 
bie  ^f)i)fif;  über  ben  Drt  ber  empirifd;en  ^fpc^ologie  {)at  fi($  SBoIff 
ni(^t  näf)er  erftärt;  bie  ©rfinbungSfunft  foll  ni^t  attein  bie  Ontotogie, 
fonbern  in  ifirer  fpecietteren  2Iu§füt)rung  (Sä|e  au§  allen  p{)iIofop{)ifd^en 
SBiffenfd^aften  oorau^fe^en.  Unfere  Sarftettung  wirb  fi($  in  Setreff 
ber  ron  2ßo(ff  bearbeiteten  SBiffenfd^aften  im  wefentlid;en  an  feine  2In= 
orbnung  tialten,  ofme  bod^  bie  ^§ijfif  üon  ber  ^ofmologie  unb  bie  em= 
pirifi^e  ^fi;c^o(ogie  x)on  ber  rationaien  ju  trennen. 

2.  ^te  Sogif  uub  ber  outologift^c  $:^eU  ber  9)?eta;)^i)fif. 

^n  feiner  Sogif  ^)  giebt  SBoIff  bie  genauere  2tu§fül^rung  unb  33e= 
grünbung  feinet  wiffenfc^afttidjcn  33erfat)ren§ ,  inbem  er  in  bem  erften, 
t§eoretifd;en,   S:^ei(e  berfelben  bie  Stliötigfeiten  be5  33erftanbe§  barftellt, 


1)  Söolff  fjat  bie  Sogif  jweimat  bearbeitet:  compenbiarifd^  in  ben  „33ernünfttgcn 
©ebanfen  con  ben  Gräften  be^  menfd}{.  S3crftanbc§"  (1712),  auSfül^tlic^cr  in  ber  la^ 
tciiüi'djen  rhiloaophia  rationalis  s.  Logica  ü.  !^.  1728.  ^6)  folge  im  obigen  ber 
le^ttren. 


eogif.  181 

burd^  bic  wir  gu  einem  SBiffen  gelangen,  in  bem  sTOeiten,  praftif($en, 
5:J)ei(  aus  biefer  ©arftellung  ^Regeln  für  bie  58ef)anb(nng  ber  raiffen= 
fd^aftÜd^en  2Iufgaben  ableitet,  ©ein  2l6[e^en  ift  babei  einerfeitS  auf 
eine  SSereinfa^ung  ber  Sogif  gerid^tct:  er  verlangt,  ba§  bie  „fünfttid^e 
ßogi!"  fid^  auf  bie  natürlid^e  grünbe,  ba^  fie  biefe  erläutere,  t)on  bei- 
natürlid^en  @ebanfenfo(ge  9ted)enfd)aft  gebe,  i^re  ©efe|e  unterfu(^e  unb 
bie  9?egeln,  raeld^e  fie  aufftedt,  if)r  entnel)nte;  unb  er  will  beBf)alb 
überall,  mit  Sefeitigung  unnü^er  ©ubtiütäten,  auf  bie  un§  befaunteu 
5:t)atfad^en  unfereg  S)enfen§  jurüdge^en.  SlnbererfeitS  rerläugnet  er 
aber  aud^  f)ier,  befonberS  in  feinem  größeren  SBerfe,  jene  Ief)r^afte 
@rünb(id;feit  unb  S^erftanbe^pebanterie  ntdt;t,  bie  unS  fein  logifd^eS 
3)littc(glieb  if)rer  SluSeinanberfe^ungen  fd^enft,  bie  aud)  ba§  ffarfte  nod^ 
erflärt  unb  \)a§>  felbftüerftäublic^e  regetred^t  unb  umftänbiirf;  beiueift. 
@r  fianbelt  in  feinem  erften  2f)eile  nad^  einer  (ginteitung,  raeid^e  tf)ei(§ 
bie  pfi)d)oiogifd^en  tf)ei(§  bie  ontologifd^en  33orau§)e^ungen  unb  §ülf§: 
begriffe  ber  Sogit  befprid)t,  üon  ben  brei  3Serftanbe§tf)ätigfeiten :  53egriff, 
llrti)eil  unb  ©d)iuB.  ^u  bem  2lbfd;nitt  über  bie  begriffe  verbreitet  er 
fid^  einge^enb,  meift  im  2(nfd;lu^  an  (eibnigifd^e  Seftimmungen  (f.  o. 
<B.  92  f.),  über  ben  Unterfd^ieb  ber  bunfetn  unb  flaren,  ücrmorrenen 
unb  beutüd^en,  ber  tjollftänbigen  unb  unooüftäubigen,  abäquaten  unb 
inabäquaten,  einfad;en  unb  3ufammcngefe|ten,  abftraften  unb  fonfreten, 
ber  allgemeinen  unb  ber  ©inselbcgriffe.  @r  mibmet  ferner  ber  fpradj- 
Iid;en  $8e3eid;nung  ber  ^Begriffe  eine  augfül)rlid^e  S3etrad^tung.  @r  fianbelt 
enblid^  oon  ben  (grforberniffen  unb  Siegeln  ber  n)iffenfd)aftlid;en  ^e- 
griff§beftimmung,  unb  er  erflärt  bei  biefer  Gelegenheit  mit  Seibnij  unb 
^fd)irnl)aufen  für  eine  Slealbefinition,  im  Unterfd^ieb  üon  ber  bloßen 
3Rominalbefinition,  bie  genetifd^e,  ober  biejenige,  meldte  bie  ©ntflcljungS- 
art  beg  befinirten  ©egeuftanbeS  angiebt  unb  ebenbamit  feine  9}iöglid^feit 
nadjiücift.  23olff  menbet  fid;  weiter  ju  ben  llrtl)eilen,  wobei  er  an 
früljer  berülirte  metap^yfifd^e  58eftimmungen  über  bie  conftanten  unb 
oeränberli(^en  ©igenfd;aften ,  bie  2lttribute  unb  3)tobi  ber  5Dinge  an- 
fnüpft.  §terau§  leitet  er  5.  33.  ben  Unterfc^ieb  ber  fategorifd^en  unb 
§t)potf)etif^en  llrtt)eile  l)er.  ®ie  conftanten  ©igenfd^aften  ber  S)inge, 
fagt  er,  fönnen  von  ilmen  bebingungSloS,  bie  üeränbtrlid^en  nur  unter 
geroiffen  ^Bebingungen  auSgefagt  werben;  jene  ergeben  bafier  ein  abfo= 
lutcS  ober  fategorifcfieS,  biefe  ein  bebingteS  ober  l)ijpotl)etifd§e§  Hrtl)eil; 
weil  aber  alle  fategorifdien  2lu;Sfagen  über  ein  S)ing   au§  feinem  S3e- 


182  Sßotff. 

griff  fliegen,  unb  mitljin  nur  unter  ber  3Sorou§[e|ung  rtrf;t{g  finb,  baB 
ha^  S)ing  tüirfüd^  fo  befdjoffen  fei,  wie  feine  S)efinition  auSfagt,  loffen 
f{(^  alle  fatcgorifc^en  Urt^eife  and;  lüieber  in  f)i)potf)etifd^e  rernjanbeln. 
21(0  eine  eigentf)ümtid)e  2lrt  von  llrtt)eifen  tie^eid^net  er  bie  un6en)ei§= 
Baren  ©äljc,  raeldje  ai§>  tf)eoretifd;e  „2tyiome",  al§  proftifd;e  „^oftulate" 
genannt  lucrbon;  unberoeisWr  feien  aber  biejenigen  (£ä^c,  in  bencn  fi(| 
ttug  ber  ^Definition  he§>  ©nbjeftS  ergebe,  baB  bo§  ^räbifat  bemfelben 
beizulegen  ober  ab^nfpred^en  fei  (Üant'§>  „analt)tifd^e  Urtfieile").  2llg 
©runbform  be§  @d)(nffcg  betrachtet  er  mit  2lriftote(e§  ben  fategorif^en 
<Bä){u^  ber  erften  gigur,  unb  er  fuc^t  nac^^utoeifen,  ba^  nid^t  bIo§  bie 
fategorifdjcn  ©d^lüffe  ber  graeiteu  unb  britten  ^igur,  fonbern  aud^  bie 
l)i;potf)etif(^cn  unb  bisjunftioen  fic^  auf  (£d;(üffe  ber  erften  ?^igur  ^u- 
riidfüf)ren  laffen.  -ilod)  au§fü!)rli(^er  bef)anbelt  Söolff  in  feinem  größeren 
SBerfe  ben  praftifd^en  %\)e[l  ber  Sogif.  ®r  wirft  bie  grage  nad^  bem 
9Jterfma(  ber  2Bat)rf)eit  auf,  unb  giebt  barouf  bie  bereits  (©.  176)  an= 
gegebene  Stntwort.  @r  befpridjt  ben  Unterfd^ieb  unb  bie  ©rf orbern iffe 
ber  biretten  unb  inbireften  S3eroei§füf)rung,  bie  Sebingungen  unb  ©rabe 
ber  ©eroi^fieit,  llngen)iBf)eit  unb  2Ba^rfd;einIid;feit,  bie  Segriffe  be§ 
9Biffen§,  ber  SJieinung,  be§  ©(anbeut,  hc§>  ^vüi)nm§>.  @r  unterfud^t 
lüeiter  in  einem  üon  ben  iüid;tigften  2lbfdjnitten  feinet  2Berf§  ben  @e= 
braud^,  meli^er  ron  ber  Sogif  gur  ©rforfdjung  ber  2Bat)rI)eit  fornol;! 
beim  erfa^rungSmäBigen  al§  beim  apriorifd;en  ©rfennen  gu  mad^en  ift; 
unb  er  mad^t  babei  namentlich  oud;  über  bie  SIrt,  wie  aug  ber  Se= 
obad;tung  beS  {Sinjefnen  allgemeine  Segriffe,  au§>  ber  93eobad;tung  ber 
Söirfungen  Scftimmungen  über  bie  llrfadjen  abgeleitet  werben  fönnen, 
mand;e  treffenbe  Semertung,  menn  er  and;  bie  i^nbuftion  im  allgemeinen 
(fdjon  §  477  f.)  noc^  in  ber  l)erlömmli(^en  Söeife  einfad^  al§  einen 
©d)tuB  üon  fämmtlidjen  einjelnen  j^ällen  auf  ba§  fie  umfaffenbe  2ltt^ 
gemeine  auffaßt.  Stuf  biefe  metl)obologif(^en  Untcrfudjungen  folgen 
bann  aber  nod^  üielc  meitfdiracifige  StuSeinanbcrfe^ungen  über  bie  2lb= 
faffnng,  bie  53curtl)cilung  unb  baS  Sefen  üon  Sudlern  aul  ben  rerfc^ie= 
benen  SöiffeU'ogcbieten,  über  bie  2lu§(cgung  ber  l).  ©d^rift,  über  ben 
Seljroortrag,  über  S)ifputationen  unb  miffcnfd;aftlid;e  Scrbanblungen, 
über  bie  ^-äljigfeiten  unb  bie  Äenntniffe,  bereu  S3efi(5  un§  gur  Söfung 
ber  ocrfd)iebencn  iüiffenfdjaft(id)en  3lu[gabcn  in  ben  ©taub  fe^t;  unb 
ber  ^l)i(ofopl)  nimmt  e§  babei  luicbcr  fo  grünblid),  baf3  er  3,  §8.  bem 
©a^e,    raaS  man  nid^t  weifs,   ba§   foüe   man  in  23üd;crn  nad^fd;(agen. 


2ogtf.    Dntorogte.  183 

§1139  eine  au»fü^rlid;e  S)emonftrotion  geratbtnet  fciat.  3Jlit  einge^en^ 
ben  Setnerfungett  über  ben  praftifd;en  2Bert§  unb  ©ebrau^  ber  Sogif 
itnb  über  bie  aJlet^obe  be§  logifd^en  ©tubiumS  fd)(ieBt  ba§  Sßerf,  toel- 
(3^e§  tro^  feiner  fteifen  Sd^ulform  unb  feiner  für  un§  oft  nngenieBbaren 
SBeitläu^gfeit,  bo($  bem  SebürfniB  feiner  3eit  in  erf^öpfenber  Sßeife 
entgegen! am ,  unb  rceldjcS  auä)  wirftic^  ba§  ßob  einer  flaren,  ■Derftän= 
bigen  unb  umfidjttgen  Sef)anblung  feiner  Slufgabe  in  l^o^em  ©rabe  vet- 
bient.  S)cn  wiffenfdjofttidjen  ©tanbpunft  feines  ^erfafferS  rerläugnet 
e§  allerbing§  nid}t,  unb  Sode'g  erfenntni^tfieoretifc^en  gorfd^ungen  f)at 
Söolff  ^öd)ften§  üietteidjt  in  feinen  Erörterungen  über  ©rfa^rungSer- 
fenntnife  unb  ^nbuftion  einigen  ©inffuB  werftattet. 

2ln  bie  Sogi!  fd^Iie^t  fic^  unter  ben  llnterfnd)ungen,  raetc^e  in 
if)va  ©efommtf)eit  bie  9JJetap{)i)fif  bi(ben^),  -^unädift  bie  Dntologie 
an,  burd^  bereu  ^Bearbeitung  SBoIff  einem  fc^on  von  Seibnij  au§gefpro= 
^enen  miffenfc^aft(i(^en  33ebürfni^  entgegeufam.  ®r  ftcHt  biefer  2öiffen= 
f(^aft  bie  Slufgabe,  tf)eil§  bie  adgemeinen  ©igenfc^aften  be§  ©eienben, 
t£)eil§  bie  ^auptarten  beSfelben  unb  i!)r  gegenfeitigeS  3]erf)ä(tniB  bar= 
aufteilen,  ^^re  adgemeinften  ^rincipien  finbet  er  in  bem  ©a^  be§ 
äöiberfprud)^  unb  bem  ©a^  be§  gureic^enben  @runbe§  (morüber 
©.  115  f.);  er  fud;t  aber  ben  gmeiten  üon  biefen  ©runbfä^en  au§  bem 
erften  burc^  bie  ©rraägung  abzuleiten,  gegen  bereu  S3ünbigfeit  fid;  aller= 
bingS  mand^eä  einwenben  läßt:  mcun  etwas  o{)ne  gureic^enben  @runb 
wäre,  fo  märe  nichts  ber  @runb  feines  ©eins,  eS  mü§te  be^fialb  als 
feienb  gefegt  werben,  weil  nidjts  ift;  nichts  lonne  aber  unmöglid;  ber 
@runb  üon  etraaS  fein,  eS  fönne  nid;t  auS  ber  Slnnalime,  ba§  nichts 
fei,  baS  ©ein  t)on  etraaS  gefolgert  merben.  2luf  ben  ©a^  beS  2Biber= 
fpruc^S  grünbet  fi($  ber  llnterfc^icb  beS  3JiögU(^en  unb  Unmöglid;en: 
unmi^glic^  ift,  raaS  einen  Söiberfprud)  in  fid;  entl)ält,  möglid^,  maS  feinen 
in  fic^  entf)ält,  b.  l).  roaS  roeber  fid)  felbft,  no^  einem  anberen  magren 
©a|e  raiberfpric^t.  S)aS  Unmöglidje  ift  ni^tS,  baS  SJiöglic^e  „etmaS", 
„ein  S)ing":  jenem  eutfprid;t  fein  33egriff,  biefem  cntfprid^t  einer.  ©o= 
fern  ein  S)ing  eine  (gigenfdjaft  ^aben  fann,  aber  noc^  ni(^t  l^at  (fofern 
eS  m.  a.  2B.  bloS  möglich  ift,   ba§  i^m  etroaS  pfomme),   ift  eS  unbe- 


1)  i)üvgeftellt  in  ben  „35crnünftigen  ©ebanfcn  »du  ®ott,  ber  Seit  unb  ber 
@cclc  be§  2Jienfc^en,  an6)  atlen  Singen  übevfiaupt"  (1719);  au§fü^rli(f)er  in  ber 
Ontologia  (1729) ,  Cosmologia  generalis  (1731) ,  Psychologia  empirica  (1732), 
Psychol.  rationalis  (1734),  Theologia  naturalis  (1736  f.). 


184  SBoIff. 

ftimmt,  aber  ebcnbcftfialb  beftimmbar;  fofern  e§>  fte  i)at,  ift  e§  beftimmt ; 
baSjenige,  looburd;  e§  fie  ert)ä(t,  ber  ^ureid^enbe  @runb  feiner  58eftimmt= 
i)eit,  ift  baS  ^eftimmenbe;  raenn  bat)er  ba§  S3eftiTnnienbe  ift,  mufe  aud; 
ba§  S3eftiinmte  unb  bte  ^eftimmt^ieit  fein.  SDiejcnigen  ^Beftimmungen 
in  einem  5Ding,  roeld^e  raeber  von  einem  onbern  S)ing  noc^  oon  einanber 
f)errül)ren,  mod^en  fein  SBefen  au§;  bie  Seftimmungen,  roetd^e  qu§  bem 
SBefen  eine^  S)ing§  folgen,  nennt  SBolff,  im  Slnfd^fuB  an  S)egcarteg 
unb  ©pinoja,  feine  2lttribute  ober  ßigenfc^aften,  fold)e  Seftimmungen, 
bie  feinem  SBefen  gmar  nid;t  n)iberftreiten,  aber  aud;  ni(^t  au§  i!)m 
§erüorgef)en,  feine  SJiobi.  ^ene  fommen  bem  2)ing  immer,  biefe  fommen 
ü}m  nur  geitraeife  gu.  2öa§  üoüftänbig  bcftimmt  ift,  ba§  ift  wirEüd), 
unb  alles,  n)a§  roirfUd^  ift,  ift  DoUftänbig  beftimmt:  n)ie  bie  llnbe= 
ftimmtf)eit  mit  ber  bloßen  3JiögIi($feit  pfammeufällt ,  fo  fällt  bie  voU- 
ftänbige  ^eftimml^eit  mit  ber  ©yiftens  ober  3ßir!lid;feit  gufanimen.  ^e- 
be§  ßinjelmefen  ift  bal^er  ooUftänbig  beftimmt,  unb  eben  I)ierin,  in  ber 
ooUftöubigen  58eftimmtt)eit  beffen,  n)a§  mirflii^  in  einem  $Ding  ift,  be= 
ftef)t  ba§  ^princip  ber  i^ubiüibuation.  $Da§  2lllgemeine  nmgefct)rt  ift 
baSjenige,  raa§  nid)t  t)oEftänbig  beftimmt  ift,  f onbern  nur  bie  ^eftim^ 
mungen  ent^äit,  meld;e  mefireren  (Sinjelmefen  gemeinfam  finb;  je  nad;; 
bem  biefe  33eftimmungen  einen  weiteren  ober  einen  engeren  Umfang 
fiaben,  bilben  fi(^  au§>  if)nen  Gattungen  ober  Slrten.  @§  giebt  baf)er 
in  ber  SBirfiid^feit  feine  allgemeinen,  fonbcrn  nur  ©injetbinge.  S)a§ 
@eiu  unb  bie  ®igenfd;aften  eines  SDingS  finb  not{)roenbig,  wenn  ba§ 
@cgentf)eil  berfelben  unmöglidj  ift,  b.  f).  wenn  eS  einen  äöiberfpruc^  in 
fic^  fc^lie^t;  fie  finb  anfällig,  menn  bie^  nic^t  ber  gall  ift.  ©ofern 
aber  auc^  ha§>  3iifällige  feinen  beftimmenben  ©runb  l)at,  auS  bem  eS 
mit  3^otl)iüenbigfcit  ^eroorgeljt,  n)cnn  berfelbe  einmal  üorlianbcn  ift, 
fann  e§  im  llnterfd^ieb  ron.bem  nnbcbingt  not^raenbigen  ein  bcbingt 
notl)roenbige§  genannt  werben:  abfolut  nott)n)cnbig  ift  baSjenige,  rcaS 
ben  preid)enben  ©runb  feines  ©einS  in  fid;  felbft  t)at,  bebingt  notb= 
roenbig  ober  anfällig,  maS  il;u  au^er  fid^  i)at.  Sluf  biefe  ^Beftimmungen 
läBt  bann  SBolff  weiter  auSfül)rlid^e  Erörterungen  über  Ouantität, 
3at)l,  ©röf3e  unb  3}^aB  folgen,  in  bcnen  er  bie  Orunbbegriffe  unb 
©rnubfä^e  ber  3Jtatl)ematif  feft^uftcllcn  bemül)t  ift;  er  befprid;t  bie  Üna^ 
lität,  unter  ber  er  jebe  oon  ber  Quantität  t)erfd;iebene  innere  S3eftim= 
mung  uerftel)t,  ben  Hnterfdjieb  ber  urfprünglid;en  unb  abgeleiteten,  ber 
notl)iucnbigen  unb  zufälligen  Qualitäten,   bie  Slcbnlidjfeit  unb  bie  Eon- 


Ontologte.  185 

gruenj;  er  {)anbeft  enblid^  oon  ben  S3cgriffen  ber  Drbnuntj,  SBa'^rl^eit 
unb  3SoflfomTnenf)eit,  t)on  benen  er  bie  bciben  (enteren  auf  ben  erfteren 
gurüdffüfirt.  ®r  befinirt  nämlic^  bie  2Baf)r^cit  (im  „tranfcenbentalen" 
ober  metapf)pfi[(^en  Sinn)  al§>  „bie  Drbnung  in  ber  SKannigfaltiöfcit 
beffen,  iraS  gnfammen  ift,  ober  aufeinanberfolgt",  „bie  Drbnuug  bcffen, 
n)a§  einem  ©ing  ^ufommt",  unb  äfinüd^  bie  SSoIIfomnienfieit  al§>  „bie 
ßufammenftimmung  be§  9Jiannigfaltigen",  fo  ba^  er  bemnac^  bei  beiben, 
bem  logifrfj ;  nmt^ematifc^en  ßtiaraftcr  feinet  S)enfen§  entfprei^enb,  3U= 
nö(^ft  nur  bie  gorm  ber  S^inge,  ba^  formale  3]er{)ältniB  il)rer  @igen= 
fc^aften  unb  ^eftanbt^eile  in'§  2(uge  fafet. 

SSon  biefen  allgemeinen  Unterfucljungcn  über  ba§  ©eienbe  menbet 
fid^  SSölff  in  bem  jroeiten  ^aupttl)eil  feiner  Dntologie  p  ber  grage 
nad^  ben  t)erfd;iebenen  Strien  be^felben,  unb  gunäc^ft  ju  bem  Unterfd;ieb 
be§  ©infadjen  unb  3iM'(^"iwengefe|ten.  ©in  äufammen gefegtes 
®ing  ift  ein  folc^eS,  bo§  au§  melireren  oon  einanber  oerfc^iebenen 
%^^iUn  beftef)t;  um  ba§  2öefen  eine§  fol(|en  jn  erfennen,  muB  man 
etnerfeitg  biefc  X^eile,  anbererfeits  bie  2trt  il)rer  S5erbinbung  lennen. 
Sßenn  aber  melirere  S)inge  oon  einanber  t)erfd;ieben  ftnb,  finb  fie  an^er 
einanber;  unb  wenn  au^er  einanber  bcfinblic^e  S)inge  oereinigt  werben, 
entftel)t  bie  2lu§bel)nung,  meiere  gar  nid;t§  anbere§  ift,  al§  ba§  Qw- 
fammfein  rerfdjiebener  unb  au^er  einanber  befinblid;er  S)inge.  ^ebe§  3U= 
fammengefe|te  2)ing  ift  ba^er  au§gebel)nt.  3[öa§  gufammen  ift,  ba§  ift 
gleichseitig;  raa§  bagegen  in  ber  2lrt  ift,  baB  ba§  ©ein  be§  einen  an^ 
fängt,  nad^bem  ba§>  hcS'  anbern  oufgcljört  ^at,  ba§  ftcbt  im  Sser|ättnij3 
ber  2lufcinanberfolge.  S)ie  Drbnung  ber  2lufeinanberfolge  in  einer  fte=^ 
tigen  9teil)e  ift  bie3eit;  bie^eit  ift  bal)er  mit  bem  S}afein  oon  2)ingen, 
bie  im  $!erl)ältni|  ber  3lufeinanberfolge  fteljen,  unmittelbar  gegeben  unb 
burd)  basfelbe  bebingt.  S)ie  Drbnung  he§>  3ufammenfein3  gleid^^eitiger 
SDinge  ift  ber  Sf^aum.  Heber  bie  meiteren  auf  9taum  unb  ^^il  ^^W- 
ticken  Seftimmungen,  fo  aud)  über  gngur,  ©rö^e,  2:l)ei[barfeit,  Seioeguug, 
©efc^roinbigleit  u.  f.  w.  oerbreitet  fid;  SBolff  fe^r  au§fül)rli($.  SBenn 
e0  aber  pfammengefe^te  Singe  giebt,  mu^  e§  aud;  einfache  geben, 
b.  f).  fold^e,  bie  au§  feinen  t)on  einanber  oei-fd^iebcnen  ^f)eilen  beftelien; 
benn  roenn  jeber  Stfieil  eine§  ^i^f'in^'tt^^^Ocfetiten  mieber  pfammengcfe|t 
wäre  unb  fo  fort  in'S  unenblid^e,  fo  fäme  man  nie  ouf  ein  fold)eg,  au§ 
bem  ftd;  ba§  3ufammengefc|te  erflären  lie^e:  ber  ©runb  be§  3ufam'- 
mengefe^ten  fann   nur  in  bem  3fiid^täufammengefe|tcn ,   bem  @infad;en. 


186  Sßolff. 

liegen.  (£in  einfad^eS  Sing  ifl  o^ne  2lu§bet)nung,  o!)ne  ®rö§e,  of)ne  ©eftalt, 
oJine  innere  S3eroegung;  e§  ift  untl^eilbor  nnb  nimmt  feinen  9loum  ein;  e§ 
fann  weber  an§  einem  gnfammengefe^ten  SBefen  entfielen  (raeit  biefe§ 
bie  einfachen  5Dinge,  in  bie  e§  fic^  auflöfen  lä^t,  fd^on  t)orau§fe|t),  nod^ 
Qug  einem  einfadjen  (meil  fid^  üon  bem  unt^eilbaren  nichts  lostrennen 
lä^t);  menn  c§>  bat)er  iiberfiaupt  entftanben  ift,  muB  e§>  au§  bem  nid)t§ 
gefd^affen  fein;  nnb  ha  e§>  feine  X^eiU  f)at,  t)on  benen  bie  einen  friifier 
entftanben  fein  fönnten,  al§>  bie  anberen,  fann  feine  ©ntfteljung  nur 
eine  momentane  fein,  ©benfo  fönnte  ber  Untergang  eine§  einfachen 
5Befen§  nnr  momentan,  nid^t  allmöt)(id^,  nur  burd;  3]ernid^tung ,  nid^t 
burd;  2luf(ö[ung  erfolgen.  9iur  bie  einfad^en  2Befen  finb  nun,  mie  2ßotff 
mit  Seibni^  Icf)rt,  aU  ©ubftanjen  im  eigentUd^en ©inn  gu  I)etrad;ten. 
23enn  nämlid^  eine  ©ubftanj  ein  Söefen  ift,  meld^eS  einerfeitS  ber  S)auer, 
onbererfeits  ber  33erönberung  fä^ig  ift,  menn  fie,  mit  onbern  SBorten, 
„bü§>  ©nbjeft  beI;arrHd;er  nnb  üeräiiberlic^er  innerer  Seftimmungen" 
(§  769)  ift,  fo  mu§  jeber  ©ubftanj  eine  gemiffe  J?raft  ^ufontmen.  S)enn 
mie  bie  33iöglid^feit  jeber  SSeränberung  ein  afttt)e§  unb  ein  paffiüe§ 
3>ermögen  t)orau§fe^t  (ein  aftit)e§,  fofern  i|r  ©runb  in  bem  ©ubjeft 
felbft  liegt,  an  bem  fie  fic^  üoIl5iet)t,  ein  paffioeS,  fofern  er  in  einem 
anbern  liegt) :  fo  fe|t  if)r  n)irf(i(|e!§  ©intreten  noc^  etma§  rceitereS  üorau§, 
au§  bem  e§  fii^  erflären  Iä§t.  ©ben  biefeS  ift  aber  bie  Äraft;  benn 
„5?raft  nennen  mir  baSjenige,  ma§  ben  gureii^enben  ©runb  für  bie 
SBirflidjfeit  einer  Sitjätigfeit  entt)ätt;"  mit  ber  Äraft  ift  ba^er  immer 
auc^  bie  3:{)ätigfeit  gefegt,  fie  bcftc!)t  in  bem  fortroätirenben  ©treben  gu 
mirfen,  eine  Ü^erönberung  (jen)or5ubringcn,  nnb  fie  bringt  fortroä^renb 
eine  fotc^e  l^erüor,  raenn  fie  feinen  SBiberftanb  erfährt,  i^ebe  ^^erän= 
berung  f)at  be^^alb  if)ren  ©runb  in  einer  mirfenbcn  J?roft;  nnb  ba  c§> 
nun  3um  begriff  ber  ©ubftanj  gehört,  S^eränberungen  i^re§  3iiftai^^^ 
gu  erfeiben,  muffen  mir  aui^  jeber  ©ubfianj  eine  jlraft  beilegen.  S)ie 
©ubfianjen  l^aben  mitt)in  ein  fortmäf)renbe§  ©treben,  if)rcn  3"ftö^^^  i^ 
änbern,  unb  änbern  il)n  and)  mirflid;  fortraäfjrenb,  mcnn  fie  feinen 
SBibcrftanb  crfafircn.  3^aÄjenige,  an  bem  biefe  S^eränberung  fid)  ooll= 
jiefit  unb  bem  bie  mirfenbe  ilraft  angel)ört,  fönnen  nur  bie  ©ubftangen 
aU  fol^c  fein,  nid^t  bie  if)nen  anfiaftenben  33eftimmungen ,  feien  fie 
nun  Stttributc  ober  btof^e  9Jtobi  (ügl.  über  biefe  Unterfd)eibung  ©.  184) ; 
benn  biefe  ^cftimmungcn  fönnen  if)nen  mof)l  gufommen  ober  nid;t  gu^ 
kommen,   fie  fönnen  itmen  au(^  in  ^ö£)crem  ober  geringerem  ©rabe  ^u- 


Ontotogie:  ble  einfachen  SBefen.  187 

fotnmen,  aber  fie  fönnen  fid^  an  ft(^  felbft,  if)rer  Qualität  naä),  nic^t 
önbern  (bie  tüei^e  %axhe  alB  fol(^e  fann  nie  etroaS  aubereS,  al§  iuei§ 
fein) ;  nur  bie  ©ubftanj  ift  ba§  ©ubjeft,  roelc^eg  t)er[d;iebene  qualitatioe 
S3eftimmtf)eiten  naä)  einanber  in  ft($  aufne!)men,  üi§>  ein  unb  baSfelbc 
mit  fid^  ibenti[($e,  in  feinem  SBefen  be^arrenbe  S)ing  i^eräuberungen 
erleiben  fann.  ©ie  ift  (§  869  ff.)  ba§jenige,  raaS  bie  Äraft,  ober  ba§ 
^princip  ber  ^ßeränberung,  in  fid^  enthält.  9Zun  befielt  ober  ba§  gan^e 
SBefen  eines  gufammengefe^ten  S)inge»  al§  foldjen  in  b(of3eu  2lccibcn5ien, 
in  ber  ©eftalt,  ©rö^e  unb  Sage  feiner  2:f)ei(e;  werben  bicfe  aufget)oben, 
fo  ge{)t  ba§  ^ufammengefel^te  S)ing  aU  fo((^e§  unter,  raä^renb  bod^  t)on 
allem  (Subftantieffen  in  bemfelben  nid)t§  aufgcijört  t)at  5U  eyiftiren. 
S)ie  einfad;cn  S)inge  finb  botier  ba§,  iüa§  and;  in  ben  änfa:nmengcfe|ten 
allein  fubftantiell  ift,  fie  aüein  finb  ©ubftanjen  im  eigcnt(id;en  ©tun, 
bie  sufommengefefeten  bagegen  blo^e  Slggregate  ron  ©nbftan^en;  nur 
in  ben  einfad;en  SBefen  fann  aud^  alle  Äraft  urfprünglid^  ii)xcn  ©i| 
l)aben:  bie  Gräfte  ber  jufammengefe^ten  9Sefen  finb  ba§  ^robuft  au§ 
ben  Gräften  ber  einfad;en,  au§  benen  biefelben  jufammengefe^t  finb. 
aSeiter  fommt  nun  2QoIff  (Ontol.  II,  2,  3)  auf  ben  llnterfd;ieb  ber 
enblii^en  SBcfcn  unb  be§  unenbtid^en  SßefenS  ^u  fprcdjen,  unb  nad^bem 
er  bie  33egriffe  be§  Unenblidjen  unb  be§  Gnblidjen  eingeliehb  erörtert, 
unb  namentlid^  and;  ben  matliematifd^en  93egriff  be§  Unenblidjcn  he- 
rid;tigt  l)at,  jeigt  er,  baf3  jebc  ueränbertidje  33eftimmtl)eit  (jeber  9}bbn§) 
einey  S^ingeS  in  irgcnb  einer  Sefdjränfung  feinet  ©eini,  jebe  5>erän= 
berung  beäfelben  in  einem  3Bed;|el  feiner  ©diranfen  beftel)e;  ba^  ba^er 
in  einem  enblidjen  9Sefen  bie  rcrjdjiebcncn  ^wfiänbe,  bereu  e§>  fä^ig  ift, 
nur  wad)  einanber,  nid)t  gleid^^eitig,  eintreten  fönncn.  S)agegen  föune 
in  einem  mirflid^  unenblid)cn  SSefen  ba§,  ma§  überljaupt  in  i{)m  fein 
fann,  nidjt  fucceffit),  fonbern  nur  ,3uglcid^  fein;  e§  fönnen  bal)er  feine 
blofsen  93iübi,  feine  sufäüigen  unb  üeränberlid^en ,  fonbern  nur  notl); 
menbige  unb  unüeränberlid;e  ®eftimmungen  in  if)m  fein.  2Iber  boc^  mitt 
äöolff,  um  ber  greil)eit  be§  göttlidjen  2Billen§  nid^t  ju  no^e  3U  treten, 
bie  leibni^ifdje  Unterfdjeibung  ber  abfoluten  unb  l)ijpotl)etifd)en  9'?otl)= 
menbigfcit  auf  ba§  Uncnblidje  aniuenben:  neben  bem  unbebingt  not^= 
menbigen,  fagt  er,  fei  in  bemfelben  aud^  folc^eS,  beffen  3^otl)n)enbigfeit 
eine  bebtngte,  raeld^eS  baljer  bem  Zufälligen  (ben  SJlobi)  analog  fei.  S)a 
fid^  il)m  aber  bod;  feine  sufölligen  unb  üerönberlidjen  ©eftimmungen  im 
eigentlid^en  ©tun  gufdireiben  laffen,    null   er  e§  nur  uneigentlic^  eine 


188  SBoIff. 

(iubftanj  genannt,  unb  bie  Stf)ättgfeit,  roeld^e  ftrenggenommen  immer 
eine  3.^eränberung  in  fic^  f^^üe^t,  if)m  nur  nneigentlirf)  beigelegt  lüiffen. 
S)ie  weiteren  Erörterungen  ber  rao(ffifd^en  Dntologie,  über  2lb{)ängigfeit 
unb  Unobijängigfeit  ber  Singe  oon  einanber,  über  ben  53egriff  be§ 
iver{)ältni[fe§,  be§  ^rincip^,  ber  Urfad^e,  ber  SBirfung,  unb  über  bie 
üerfd^iebcnen  2lrten  ber  Urfac^en  unb  ber  SBirfungcn,  mu^  \6)  l)ier 
ebenfo,  wie  bo§  ©c^iufsfapitel  über  natürlid;e  3cid)en  unb  fünftü($e  S8e= 
Sei^nung,  übergcljen.  Slud^  im  bisherigen  fonnten  nur  bie  mic^tigften 
unb  be^eid^nenbften  üon  if)ren  2lu0einanberfe|ungen  berüfirt  raerben.  @o 
t)iet  wirb  aber  hoä)  fd;on  au^  bem  angcfüljrten  f)eroorgef)en ,  ba^  mix 
e§  t)ier,  tro^  aller  SBeitfdjroeifigfeit  unb  affcm  gormalifmuS  ber  ©d^ute, 
mit  einer  fet)r  burdjbadjten  unb  metf)obifd)  fortfd^reitenben  S)arftellung 
3U  tf)un  l^abcn.  SBolff  f)at  aUerbingS  in  berfelben  eine  SJienge  S)inge 
bemonftrirt,  bie  einer  fo  umfiänblid^en  Seraei§füf)rung  gar  nid;t  be= 
burften,  er  fiat  riefe  anbere,  beim  ßi(^t  betrad^tet,  nur  fd^einbar  unb 
mit  ^Welfc^lüffen  bemicfen ;  er  f)at  üottenbS  t)on  bem  @runbfef)ler  atteS 
S^ogmatifmuiS,  ben  llrfprung  ber  3>orfteIIungen,  mit  bcnen  operirl  mirb, 
nic^t  nä§er  gu  unterfudjen,  fid)  !)ier  fo  raenig,  mie  fonft,  fretgemad)t.  Slber 
bod^  mar  e§  feine  geringe  unb  feine  unfrud^tbare  Seiftung,  ba^  er  e§ 
unternafjm,  bie  begriffe,  über  bie  man  fid^  gen3ö£)nlid^  feine  genauere 
Sfied^enfdjaft  giebt,  gu  gergliebern,  ii}xcn  ^nljalt  unb  if)r  gegenfeitigeg 
SSer^ättni^  gu  beftimmen,  ben  ©inn  unb  ben  Umfang,  in  bem  fie  fid) 
anmcnben  laffen,  feftjuftetten.  SBotff  f)at  baburd)  uid^t  allein  auf  bie 
^öilbung  be§  miffenfdjaft(id;en  ©pradjgebraud;§  einen  (Sinf(u§  ausgeübt, 
roe(d;er  beute  nod^  nad^roirft  unb  nidjt  auf  bie  p^i[ofop^'fd;cn  ^^äd^er 
bef^ränft  ift;  fonbern  er  f)at  fid^  aud;,  im  3wf'i^"^^"f'^itg  bamit,  um 
bie  (Sdjufung  be§  S}enfen§  in  unferem  Ssoife,  um  feine  ßrgie^ung  jur 
c*^Iarf)eit,  $8eftimmtf)eit  unb.Drbnung  ein  bleibenbeS,  nid)t  I)od^  genug 
an5ufd)(agenbe§  ^erbienft  erroorben. 

3.  2)ic  ^ofmologic. 

SSon  hen  ©ö^en  ber  Ontotogie  über  ba§  ©eicnbe,  unb  inSbefonbere 
üon  ifiren  ©cftimmungen  über  einfädle  unb  äufammcngefe^te  SBefen, 
mad;t  bie  Jlofmotogie  bie  Slniuenbung  auf  bie  2Bett.  Unter  ber 
ffielt  oerfte()t  SBolff  bie  ®efammtf)eit  ber  mit  einanber  im  3wfQ^i^ß«= 
bang  ftcf)enbcn  cnb(id;en  Söefen.  2)ie  i^ofmologie  foU  erflären,  roie  bie 
Seit  au^  ben  einfadjen  ©ubftanjcn   entftefit.    S)ie  altgemeine  a>orau§- 


Äofmologie:  bie  Körper  unb  i^re  Slcmeme.  189 

fe^ung  biefer  ©rfförung  liegt  in  jenem  3)etermtnifmn§,  in  bem  2öolff 
Scibnij  fofgt.  2llle0  einzelne  in  ber  SBelt,  fagt  er  mit  jenem,  nnb  fetbft 
bal  SSeltganje  ift  gufällig ;  e§  fönnte  an  nnb  für  fi(^  genommen  quc^ 
nic^t  fein  ober  anber§  fein.  2Iber  biefe  ^ufäUigfeit  befiehlt  nur  in  ber 
Slb^ängigfeit  t)on  anberem,  in  jener  l^ijpot^etifc^en  ^Rotl^raenbigfeit,  n)el(^e 
fc^on  Seibnij  üon  ber  abfoluten  nnterfdjieben  ^otte.  (Sä  ift  bofier  tro^ 
berfetben  jebe§  S)ing  nnb  jeber  SSorgang  burc^  ben  3ufömmcnf)ang  be§ 
2Se(tgan3en  beftimmt  nnb  ge^t  au§>  if)m  na^  bem  ©efe^  be§  3ureid)en= 
ben  @i-nnbe§  mit  DZot^roenbigfeit  tieroor;  nnb  bie  2ße(t  al§  ©an^eS  ift 
nic^tg  anbere§,  al§>  eine  burc^  bo§  gefe^mä^ige  ^neinanbergreifen  affer 
i^rer  S:^ei(e  fic^  beraegenbe  SDZafc^ine,  ein  med^anifc^eS  Stutomat. 

S)iefe  3:i^ei(e  ber  SBelt  finb  Körper,  b.  1^.  5ufammengefe|te  Söefen; 
eä  gilt  bafier  ron  i^nen  affeS  ha§,  ma§  bie  Dnto(ogie  über  bie  SZatur 
nnb  bie  @igenf(^aften  ber  3ufammengefe^ten  2öefen  gelcfirt  i)at.  ©ie 
()aben  eine  2Iu§bet)nung,  eine  ©eftalt,  eine  ©rö^e,  fie  unterliegen  ge= 
miffen  3]eränberungen ;  aber  biefe  33eränberungen  betreffen  eben  nur 
i^re  ©eftalt,  il)re  @rö§e,  il)re  Sage  ober  bie  Sage  i^rer  Sljeile,  fie 
laffeti  fic^  äffe  auf  bie  33en)egutig,  meiere  einem  J^örper  üon  einem 
anberen  il)tt  berülirenben  mitgetlieilt  wirb,  auf  mec^anifc^e  33eracgung 
gurüdEfüliren.  S)ie  Äörper  leiften  biefer  SSeroegung  Sßiberftanb  0,  el  ift 
alfo  in  it)nen  eine  2öiberftanb§!raft,  eine  paffiüe  ^raft  ober  eine  .^raft 
ber  5lräg^eit,  üermöge  ber  fie  jeber  SSeränberung  miberftrcben.  S)ie 
Körper  mirfen  aber  auc^  auf  einanbcr,  fie  tl)ei(en  anbern  Körpern  S3eroe= 
gung  mit,  ober  beroirfen  in  ber  33ett}cgung,  bie  biefe  fd;on  l)aben,  eine  Slen- 
berung  il)rer  ©efc^roinbigfeit  ober  il)rer  9tid;tung;  fie  tl)un  biefe  aber 
(raie  SBolff  glaubt)  nur  wenn  fie  fe(bft  bewegt  finb;  menn  ba^er  aüe 
Körper  mit  ber  i?raft  ber  2;räg^eit  begabt  finb,  fo  finb  äffe  bewegten 
Äörper  mit  einer  aftiüen  Äraft  ober  einer  33eroegung§lraft  begabt. 
S)iefe  beroegenbe  Äraft  löfet  fid^  rceber  au§  ber  3)laterie  noc^  au§  bem 
SBefen  be§  Körpers  erflären.  5Denn  jene  ift  nur  ba§  n)iberftanb§fäl)ige 
Sluggebelmte,  biefeS  befte^t  in  ber  2trt,  mie  biefe  beftimmten,  ben  törper 
bilöenben  3:^eile  miteinanber  »erbunben  finb;  bie  altiüe  .^raft  bagegen 
beftel)t  in  einem  fortraä^renbcn  ©treben  nac^  Drt^üeränberung,  unb  au» 
biefem  ©treben  gel)t  au(^  immer  eine  Semegung  ^eroor,  roofern  e§>  nid;t 
auf  SBiberftanb  ftöfet.    SBir  Ijaben  fo  in  ben  Körpern  ein  boppelteö: 

1)  2Ba§  Sßolff  Cosmol.  §  129  gwar  gletd)fall§  ju  bemonftrtreu  toerfu(f)t,  eigentlich 
aber  boc^  nur  al§  (Srfa^rungSt^atfac^e  annimmt. 


190  SBoIff. 

bie  3J?oterie  iinb  bie  betucgenbe  Äraft.  S3eibe  [teilen  fi(^  äunädjfl  ot§ 
befiarrlid^e,  geraiffer  a>cränberuttgcn  fäf)ige  S)mge,  at§  ©ubftanjen  bar. 
^n  SBa^rl^eit  finb  [ie  jebo(^  mir  fiibftan5äf)nlid;e  (Srfc^einungen  (phae- 
nomena  substantiata);  ba§  emsige  Subftaittielle  in  i^nen  finb,  wie 
fd^on  bie  Dntologie  gezeigt  f)at,  bie  einfadjen  2öe[en.  ©ie  aßcin  finb 
bie  ©iemcnte  ber  Äörper,  an§>  benen  forooi)(  bie  3)iaterie  at§  bie  beroe- 
genbe  Äraft  berfelben  I)ert)orgef)t.  liefen  einfallen  SBefcn  bnrfen  rair 
feine  von  ben  ®{genf($oftcn  ber  gufammengefelten  beitegen;  benn  bie 
te^teren  füf)ren  fid^  alle  auf  bie  Stu^be^nung,  bie  räumlid^e  33en)egung, 
nnb  bie  Sage  i^xev  St^eile  gurüd;  bie  einfod;en  SBefen  bagccjen  finb  un; 
tf)ei(bar,  unräuiniid;  nnb  ba^er  aud^  ofineSeraegung,  nnb  fie  bürfen  be^^alb 
ni(^t  mit  materiellen  ättomen  uerroed;[elt  werben,  ©ine  beftimmte  @igen= 
tf)ümlid)feit  muf3  allerbingS  jeber  einfad;cn  ©nbftanj,  bie  ©(erneut  einer 
äufammengefe^ten  ift,  §ufommeu;  ja  e§  !ann  feine  von  biefen  ©(emeutar^ 
fubftauäen  ber  aubern  oollfommen  gleid;  fein;  benn  nur  in  ber  2?er; 
fd^iebenlieit  ber  ©(erneute  faun  beu  ©runb  baüou  liegen,  ha'^  ha^  eine 
biefem,  ba§  aubcre  jenem  jufammeugefe^ten  Söefeu  a(§  S;^ei(  angeprt 
(Cosmol.  §  195).  (Sie  muffen  ferner  mit  einer  t^ätigeu  Jf?raft  begabt 
fein  nnb  fortu)ä()renbe  ^eräuberuugeu  erteiben;  benn  nur  an§>  i^ren 
Gräften  tömmx  bie  ber  .Körper  ^erftammen;  nnb  ba  nun  jebe  J?raft 
bcftäubig  ^eräuberuugen  bewirft,  roeun  if)r  fein  Sßiberftaub  geleiftet 
mirb,  in  einem  eiufad^eu  SBefen  aber  nichts  ift,  raaS  feiner  Äraft  2Biber= 
ftaub  leifteu  fönute,  fo  mu^  ein  fold^es  in  einer  nuab(äBigeu  3]eränbe= 
rung  begriffen  fein.  Slber  jene  Seftimmt^eit  faun  bei  uuräumlidjeu 
SBefen  fe(bftt)erftäub(i(^  nur  eine  innere,  bie  SSeräubcrung  bie  fie  erfahren, 
faun  nur  eine  S^eräuberuug  if)re§  inneren  ^wftct^i^e^  fein.  2ßenu  jeboc^ 
ßeibni^  ba§  SBefen  ber  einfachen  ©ubftan^en  in  ber  SJorfteduuggfraft, 
if)re  3^eräuberungen  in  ber  SSorfteUungSt^ätigfeit,  i^re  inbioibueüe  5Ber= 
fc^iebenfieit  in  ber  größeren  ober  geringeren  S)eut(i(^feit  i()re§  S^orfteHenS 
gefud;t  f)atte,  fo  fann  fi($  2ßo(ff  biefe  58eftimmung  nid;t  aneignen,  unb 
er  t)ermeibet  befsfialb  aud^  gur  ^Be^eic^uung  ber  einfad)en  äBcfen  ben 
^iamen  ber  3Jionaben.  @r  finbet,  baB  wir  fein  Üied^t  Ijabcu,  allen 
einfachen  2)ingen  einerlei  Slrt  ber  Äraft  beizulegen,  nnb  ba{3  e§  fogar 
mef)r  für  fic^  ^abe,  in  ben  ©(ementen  ber  förperlid^en  ®inge  eine  eigene 
jur  ©rflärung  ber  förperlid;en  Sisorgäuge  geeignete  Äraft  aujune^men, 
bereu  ^Jiatur  aber  nä()er  ju  beftimmcn  er  fid;  nid^t  getraut.  Statt  ba^er 
oon  ber  S3orftelIuuggfraft  aller  3J{onaben  3U  rcben,  begnügt  er  fid^,  bie 


Äofmologte:  bic  Äör^jet  unb  t^re  (SIemcntf.  191 

©lemente  ber  i?örper  betreffenb,  mit  bem  Sa^e,  e§>  fei  in  i^nen  allen 
2Btrfen  unb  Seiben,  alfo  aud^  ein  aUive§>  unb  paffioe§  ^rincip^).  @ben[o 
t)erf)ä(t  eS  ftc^  auc^  mit  ber  Harmonie  aller  (Sin3eln)efen,  bem  burc^^ 
gängijjen  3iifö^^e"^Q«9  otter  S)inge,  ben  SBoIff  mit  ßeibnij  annimmt. 
Sitte  3^iftönbe  ber  einzelnen  Elemente  uub  alle  ^eränberuntjen  biefer 
3nftänbe  finb  mit  benen  atter  anbern  fo  üollfommen  üerfnüpft,  ba§ 
jebe  SSeränberung  tu  einem  @(ement  fid;  au§  benen  aller  anbern  erhören 
Iä§t,  unb  ba^  umgefel^rt  au§  bem  gegenwärtigen  ^^Ü^^^^  Jc^^eS  ®(e- 
mentS  ber  3wftQ^^  oUer  anbern,  unb  fomit  ber  gan^e  2öe(t3uftanb, 
ni(^t  allein  für  bie  ©egenioart,  fonbern  au($  für  alle  5Bergangenl)eit 
unb  3"fimft,  erfd^Ioffen  merben  fönnte.  216er  jur  Srflärung  biefe§ 
3ufammenl)ang§  beruft  firf;  Söolff  nid^t  mit  Seibnij  auf  bie  9]orftetIung§= 
fraft  ber  3)Zonaben,  burd^  bie  jebe  ein  33i(b  be§  UiÜDerfumS  in  fic^ 
trage;  fonbern  er  leitet  ,if)n  eiufad^  barau»  ab,  ba^  bie  3iiftönbe  jebe^ 
©tementS  tjon  feinen  frülieren  ^^Mtänben,  unb  bie  3iM"länbe  ber  gufam^ 
mengefe|ten  SBefen  t)on  benen  i^rer  Elemente  abl)Qngcn;  unb  baji  bie 
SJeränberungen  in  bem  3"ftanb  cine§  ©lement»  auc^  burd^  bie  in  ben 
anbern  uorgelienben  S^eränbernngen  bebingt  feien,  ba^  (m.  a.  2Ö.)  bie 
(Elemente  auf  einanber  einroirfen  unb  von  einanber  ©inroirfungcn  er= 
fal^ren,  wirb  au§  ber  gegenfeitigen  (Sinroirfnng  ber  J!örper  auf  einanber 
beroiefen,  rcel(^e  fic^  nur  au§  ber  ber  Elemente  ertlären  laffe  (Cosmol. 
§  207).  Söenn  e§  aber  SBotff  nid^tSbeftoroeniger  bi§  auf  weitere^  ba= 
flingeftellt  fein  laffen  raill,  ob  bie  (Elemente  mirflid^  ober  nur  fd;einbar 
©inrairfungen  erleiben,  —  meil  man  bieB  nic^t  entfc^eiben  fönne,  fo 
lange  haS^  2öefen  il)rer  tl)ätigen  i?raft  nid^t  näl)er  au^gemittelt  fei,  unb 
meil  fic^  bie  aftiüe  mib  paffioe  .^raft  ber  Äijrper  unter  jeber  oon  ben 
beiben  a^orau§fe|ungen  ertlären  laffe  (Cosmol.  §  294),  —  fo  gc^t  er 
einer  n)iffenfcl)aftlic^en  ^rage  üon  burdjgreifenber  SBidjtigfeit,  bie  burd) 
Seibnij  fo  unabroeiäbar  geftettt  mar,  in  fe§r  ungrünblic^er  Söeife  au^ 
bem  2öeg. 

2lu§  ben  Elementen  bilben  fid^  bie  i?örper,  inbem  ftd^  mefirere 
berfelben  unter  ben  in  ilirem  inneren  B^^fta^^  begrünbeten  S3eftimmungen 
gu  einer  @int)eit,  einem  2(ggregat,  uerbinben.  ©inb  nun  aud^  bie  @le= 
mente  felbft  nic^t^  au§gebel)nte§,  fo  finb  fie  boi^  au§er  einanber,  ba  fie 
fonft  nid^t  oon  einanber  werfc^ieben  fein  fönnten;  wenn  fic^  biefe  au^er 

1)  Wan  togf.   hierüber:  SSern.   @eb.  ö.   ©ott  u.  f.  lü.  1,  §  598  f.  II,  §  215  f. 
Cosmol.  gen.  §  196.  293  f.  Ontol.  §  760  2Inm. 


192  SBoIff. 

einanber  befinbüc^en  SBefen  vereinigen,  entftefit  etinaS  au^gebe^nteS, 
unb  ha  in  ifirer  33ereinigung  jebem  Clement  bie  Slrt  feinet  3wfawmen= 
fein§  mit  ben  anbern  bnrd^  fein  inneres  3?er^äItniB  ^u  it)nen  beftimmt 
ift,  fo  [inb  fie  fo  üerbunben,  ba^  ifeine  anbern  §n)ifd;en  fie  eingefd;oben 
n3erben  fönnen,  bo§  au§  i^nen  gcbilbete  Slggregot  ift  initl)in  eine  conti= 
nnirlid;e  ©röfee.  Unfere  3ln[(^auung  biefer  ®rö§e  ift  aber  eine  rer; 
roorrene,  benn  rair  tonnen  it)re  elementaren  S3eftanbt^ei[e  nid^t  unter; 
fd;eiben;  mcnn  mir  bat)er  ba§  ein  ^tiänomenon  nennen,  von  htm  mir 
eine  rermorrene  (ober  b(o§  finnlid;e)  SSorfteEung  tiaben,  fo  ift  bie  Stürbet); 
nung  unb  bie  Kontinuität  ai§>  ein  b(o§e§  ^f)änomenon  3U  bejeid^nen.  — 
®ie  erften  bur(^  bie  SSerbinbung  ber  elementaren  ©ubftan^en  gebilbcten 
Slggregate  nennt  SBolff  bie  primitiven,  bie  au§  il)nen  entftanbenen, 
raeld;e  fid)  aber  unferer  bireften  Beobachtung  gleidjfalls  nod;  ent^ielien, 
bie  beriüatiuen  ßorpuffeln.  @rft  au§  ben  legieren  beftel)cn  bie  matir^ 
nel)mbaren  Äörper,  beren  @igenfd;aften  infofern  von  ber  ßorpufcufar^ 
pt)itofopl)ie  rid;tig,  aber  ehen  nur  au§>  i^ren  näd;ften  llrfad)en,  erllärt 
raerben;  ba  aber  aud;  bie  fleinften  gleid^artigen  S3eftaubtt)eile  ber  Körper, 
mie  il)re  d)emif(^e  ^ei^fe^ung  bcmeift,  au§  ungleidjartigen,  immer  noc^ 
förperlidjen  2:l)eiien  jufammengefe^t  finb,  muffen  mir  bie  primitioen  ßor= 
puffein  al§>  ^m^d)mQ,lkh  jraifd^en  il^nen  unb  ben  unförpcrlidjen 
©(erneuten  üorau§fe|en.  Äönuten  mir  nun  in  ber  ©cKärung  ber  @rfd;ei= 
nungcn  immer  bi§  auf  ilire  leisten  Elemente  3urüdgel)en,  fo  mürbe  fi(^ 
eine  rein  mct^anil'c^e  Diaturerllärung  ergeben;  ba  unS  bie^  aber  in 
vielen  gäflen  nidjt  möglich,  ober  für  unfern  näij^ften  !^wiä  nid;t  nötl)ig 
ift,  fo  mu^  fid)  mit  biefer  medjanifd;en  9iaturerl'lärung  bie  p^ijfitalifc^e 
verbinben,  weldjc  bie  ©rfd^einungen  au§  anbern  ©rfdjeinungen,  au§ 
äufammengefe^ten  Singen  unb  35orgängen  erltärt.  2ln  fid;  felbft  freiü^ 
finb  aud;  biefe  eine  S^olge  mcd;anifd;er  Urfadjen,  ber  ©eftalt,  ©rö^e, 
Scraegung  unb  Sage  ber  primitiven  ßorpuffeln;  aber  mir  fteHen  fie 
un§  nur  verroorren,  al§  biefe  gufammengefe^ten  ®rfd;einungen ,  vor, 
ot)ne  it)re  legten  33eftanbtl)ei(e  3U  unterfi^eiben  unb  un§  von  il)rer  me:= 
(^anifd;en  @ntftel)ung  au§  benfelben  ein  S3ilb  gu  mad^en.  —  ©ine  ^olge 
von  ber  Ung(eid^l)eit  ber  Elemente  ift  e§,  ba§  feine  groei  primitiven, 
unb  fomit  and;  feine  jmei  abgeleiteten  törper,  baB  atfo  überljaupt  feine 
groei  Äörper  in  ber  2Belt  fic^  voUfommcn  ä^nlid^  fein  fönner,  iDa^ 
eg  feine  srcei  ^^bivibucn  geben  fann,  bie  nur  ber  3'^^'^/  ^'^^^  '^^^^) 
ber  2lrt  nadj  vcrfd)ieben,  bie  m.  a.  9ö.  unuuterfdjeibbau  mären ;  baf3  e§ 


^ofmologte:  Äörper;   8ctt3egung?gcfe^c.  193 

ba{)er  feine  bur(^au§  gleic^ortige  SOiaffe  unb  feine  üollfommene  3)cif($un(5 
giebt.  ^fi  bie  3ufammenfe|ung  eine§  Körpers  eine  fotd^e,  ba^  er  bur^ 
bie[elbe  einer  eigent{)ümlid;en  2^f)ätigfeit  fä^ig  wirb,  fo  nennt  man  biefen 
Äörper  einen  organifd^en.  ©§  liegt  ba^er  einer)'eit§  in  bem  ^au  eine§ 
organif(^en  JlörperS  ber  au§reic^enbe  ©rnnb  bafür,  ba§  er  biefer  ^{)ätig= 
feit  fä^ig  ift,  lüie  anbererfeit^  in  ber  2§ätigfeit,  ju  ber  ein  Körper 
befäfiigt  ift,  ber  ©runb  feinet  S3au§  liegt  0. 

SBolff  imter[ud;t  nun  weiter  (§  302—502)  bie  ©efe^e  ber  Seroe-- 
gung  fo  au§fü()rüd; ,  bo^  er  bei  biefer  ©e(egenf)eit  eine  üoüftänbtge 
S)arfteUung  ber  allgemeinen  9Jted;anif  gicbt.  9.son  ben  pf)i(ofopf)if(^en 
©rgebniffen  biefer  llnterfud;ung  finb  bie  loidjtigften  bie  groei  (Sä^e,  in 
benen  er  fi(^  an  Seibnij  anfd;(icf3t:  bie  Säugnung  einer  SBirfung  in 
bie  gerne  nnb  bie  Se^re  von  ber  (gr^altung  ber  ilraft.  ^n  ber  erfteren 
Se^iefiung  befiauptet  er  (§  320  f.),  fein  Äörper  fönne  auf  einen  anbern 
anberg,  a[§>  hmä)  Sto§  uiib  fomit  burd;  unmittelbare  53erül)rung, 
rairfen ;  uitb  er  will  beBf)alb  auc^  bie  magnetifd^e  unb  eleftrifdje  Slnjieljung 
mit  S)e§carte§  burd;  bie  2lnnal)me  erfiären,  ba^  bie  Körper,  meldte  ein= 
anber  anjujielen  fd;einen,  burc^  gemiffe  unferer  21>al)rncl)mung  fid^  ent= 
5iel)enbe  med;anifd)e  Urfad^en  gegen  einanber  getrieben  roerben.  S)en 
Seroei^j  feinet  @a^e§  fül)rt  er  aber  nur  mit  ber  S3cmerfung,  meldje  i^n 
felbft  fd^on  üorau^fc^t,  ba^  ein  Körper  nur  mirfen  fönne,  fofcrn  er 
felbft  in  53eroegung  ift,  unb  ba^  er  auf  biefem  2Bege  auf  einen  anbern 
3U  roirfen  nur  bann  einen  ©runb  ^ahe,  wenn  biefer  fid;  feiner 
33eroegung  entgegenfteUe.  Sie  ©rljaltung  ber  Äraft  Derfte^t  SBotff 
(§480—487)  in  bemfelben  ©inn,  raie  Seibnij  (f.  o.  ©.  102  f.),  hai 
nämlic^  bie  Huantität  ber  lebenbigen  Gräfte  in  ber  2Belt  fic^  gleid^ 
bleibe.  @r  beroeift  biefen  6a^  äunädjft  für  ben  gall  bc0  ^uiammen^ 
ftofee§  jiüif^en  elaftifd^en  Äörpern;  glaubt  bann  aber  l)ierau§  anä)  auf 
bie  nid^t  elaftifd^en  fd^lie^en  ju  bürfen,  ba  in  bem  einen  %aU  wie  in 
bem  anbern  bie  näc^fte  SBirfung  bei  ^wf^mmcnfto^eS  eine  SSeränberung 
in  ber  ©eftalt  ber  aufeinanberfto^cnben  ilörper  fei;  unb  ba  nun  feiner 
Slnfid^t  nad^  feine  lebenbige  J^raft  anber§,  al§  buri^  ben  3ufammenfto§ 
ber  Körper,  entftel)en,  üerloren  gel)en  ober  fic^  üeränbern  fann,  fo  iff 
bie  @a(^e  bamit  für  if)n  erratefen.  S)ie  fieutige  3^aturn)iffen[d^aft  freilid^ 
wirb  biefen  SSemeiä  nid;t  auireid^enb  finben  fönnen. 


1)  2)a§  obige  mä)  Cosmol.  §  215—281. 
3 eller,  ©ei^ic^te  bev  bcutfdien  iß^itofop^ie.  13 


194  SBoIff. 

5Die  fömmtlid^en  beioegcnben  Äräite  bilben  nun  in  ii)xcx  roedjfels 
fettigen  S3erfnüpfung  ba§,  roaS  man  bie  Statur  nennt ;  bie  S^aturorbuung 
b^ftef)t  in  berjenigen  SBeife  be§  ^uf^^^^^^f^^^^  w^^^  ^^^  Slufeinanberfolge 
ber  5Dinge,  rceld^e  fid^  qu§  ben  SSeränberungen  in  ben  beracgenben 
Prüften  ergicbt,  unb  bie  ©efc^e  ber  Df^aturorbnung  fallen  mit  ben  ®e= 
fe|en  ber  33eroegung  gufammen  (§  503  ff.  554  ff.).  S)iefe  finb  aber, 
tote  auci^  SBoIff  annimmt,  nid^t  nnbcbingt  notlioenbig ;  fie  laffen  fid^ 
nid^t  anS'  bem  SBefen  ber  Körper,  nadf;  bem  ©a^e  bc§  SBtberfprud^^, 
fonbern  nur  au§  9lücffid^ten  ber  Slngemeffen^eit ,  ber  3iöcdfmäf3ig!eit, 
nad^  bem  ^rin^ip  be§  gureidfjenben  ®runbe§,  ableiten.  S)ie  9f?atur: 
orbnung  ift  ba!)er  äufäHig,  if)re  Sf^otfimenbigfeit  ift  nur  eine  t;i;potf)ctifd[)e, 
unb  e§  ift  an  fic^  nic^t  unmögticf;,  ba§  ©rfd^einungen  eintreten,  meldte 
ber  3flaturorbnung  roiberfpred^en :  SBunber  finb  nid^t  unmöglich.  Söcnn 
aber  ein  Sunber  in  ben  3ftaturIouf  eingreift,  fo  mirb  ebenbamit  ber 
gan^e  folgenbe  S^ft^^^^  ^^r  2öe(t  ju  einem  anberen  gemad;t,  als  er 
ofine  ha§>  SBunber  fein  mürbe,  mofern  nid^t  biefe  feine  natürlichen  folgen 
burd)  weitere  Söunber  raieber  aufgel;oben  werben  ^).  $Denn  an  ber  SSer= 
fettnng  aller  ©inge,  an  bem  i^neinanbergreifen  aller  natürlidjen  äöir* 
fungen  l)ält  SBolff,  tro^  feines  SöunberglaubenS,  ebenfo  feft,  rate  Seibnij, 
unb  eben  liierauf  berul)t,  raie  aud^  er  glaubt,  bie  SSottfommenl)eit  ber 
Söelt:  fie  bcftelit  barin,  ba^  fid^  atteS  in  ber  3Bett  au»  einem  gemein^ 
famen  @runb  erüären  lä§t,  bie  befonberen  ©rünbe  für  alles,  raaS  in 
if)r  jugleic^  ift  unb  auf  einanber  folgt,  fid^  in  einen  allgemeinen  ©runb 
aupfen  laffen.  ©iefe  SSoUfommenlieit  ift  bal)er  um  fo  größer,  je  größer 
einerfeits  bie  3Jlannigfaltigleit  ber  l)armonifd^  ücrbunbenen  S)inge  ift, 
unb  je  !leincr  anbererfeits  bie  UnooElommenlieiten  im  einzelnen  finb, 
mit  benen  bie  9]oUfommenl)eit  bcS  ©ansen  erfauft  wirb.  2Bie  e§  fid; 
aber  in  biefer  Se^ieljung  mit  unferer  2Belt  t)erl)ätt,  fann  erft  bie  na-- 
türlic^e  Sllieologie  auSmad^en  (§  535  ff.) ;  unb  ebenbafelbft  finbet  aud^ 
bie  teleologifdje  3Jaturbetrad^tung,  raeldier  Söolff  einen  fo  großen  SBertl) 
beilegt,  il)re  angemeffenfte  ©teile. 


1)  «gt.  §  509-534.  561-576.  102  ff. 


?(5f»?d^otogte.  195 

S?on  bcn  Körpern  unterfc^cibet  fi^  bie  menfc^Itd^e  ®eefe  tüie  ba§ 
©infad^e  von  bem  3»iammenQefe^ten.  S)qB  bie  6ee(e  eine  einfache  (2ub= 
ftanj  tft,  beroeift  Jöolff  ebenfo,  löie  if)r  S)o[ein,  au§  ber  5:]got[ad}e  beä 
Seiüu§tfein§,  be§  S)eufen§.  Qnm  S)enfen  •  gehört  S8erau§tfcin,  3um  58e= 
TOufetfein  ^ßergleic^ung  unb  Unterfd^eibung  bef[en,  tt)Q§  wir  im§  üor- 
[teilen  ^).  2)iefe  2:l)ätigfeit  ift  aber  t)on  ben  SSemegnngen,  anf  roeld^e 
fid^  alle  förpertid^en  SSorgänge  be[d;ränfen,  bnrd^au»  t)erfd;icben.  3tl§ 
einfadje  ©nbftanj  mn^  bie  Seele  eine  5lraft  in  fid^  l)aben,  anS  ber  ein 
fortiuäf}renbe§  Streben  nac^  SSeränbernng  i^reS  3uftanbe§  I)ertiorgel)t, 
(ogi.  ö.  186).  S)iefe  ^raft  fann  ebenfo,  raie  ba§  ©nbjelt,  bem  fie  \n= 
wo^ni,  nnr  eine  einzige  fein;  unb  [ie  beftcl)t  nä^er  in  bcin  3Sermögen 
ber  Seele,  fic^  bie  2Belt  nad;  bem  Staub  i^re§  ÄörperS  in  ber  Söelt 
itnb  nad)  3}la&gabe  ber  S>cranberungeu  uorjnfteüen,  roeldje  in  bcn 
Sinnesorganen  vov  fid;  gelten.  S)a§  SBefen  ber  Seele  wirb  bemnoc^ 
üon  3Bolff  eben[o  beftimnit,  raie  Seibni^  ba§  SBcfen  aller  3)tonaben  be= 
ftimmt  liatte:  c§  foll  in  einer  vis  repraesentativa  universi  befiebeu, 
ractd;e  burd;  bie  53ef($affen^eit  be§  SeibeS,  burd;  fein  5Serl)ältni^  ju  an= 
bereu  SBefen  unb  bie  in  il)m  t)orgcl)enbcu  35eränbernngen  näl)er  mobi= 
ficirt  rairb ;  unb  er  erflärt  auSbrüdlid),  ba^  in  jeber  einjelnen  3]orftellung, 
auc^  fd^on  ber  SinneSempfiubung,  alle  gegenmärtigen,  üergangeuen  unb 
gul'ünftigen  ^iM'tänbe  ber  Ö3e(t  entfialten  feien,  aber  in  jeber  auf  anbere 
SBeife,  unb  balb  mittelbarer  balb  unmittelbarer.  2ll§  ^^ätigfeiten 
biefer  ©inen  i?raft  finb  alle  Seelentt)ätigfeiten  5U  betradjten ;  bie  ifincn 
entfpret^enben  Seelenüermögen  begeidjueu  balier  nid)t  rerfd^iebene  Gräfte 
in  ber  Seele,  fonberu  nur  bie  oerfi^iebenen  SWobififationen,  bereu  il)re 
5BorfteUung§fi-aft  fäl)ig  ift  ^). 


1)  2BoIff'§  empirifdjc  unb  rationale  ^vi^cficlogie  njurben  fc^on  ®.  183  genannt. 
Wlit  jener  trifft  baS  britte,  mit  biefer  ba§  fünfte  Äapitel  ber  3>ern.  ®eb.  0.  ©Ott  ber 
SBelt  u.  f.  w.  in  feinem  ^n^aU  äufammen.  SBelegfteKen  an§  bcibeu  6oi  erlmami, 
a.  a.  D.  ©.  CXXX  ff. 

2)  Sie  beipußte  93orfteQung  ober  ba§  SScttJußtfein  nennt  SS.  mit  Seibnij  5rpper=- 
ception,  bie  35orfteHung  otine  nähere  S3eftiminnng  ^erception. 

3)  5?ern.  ®cb.  §  727  —  759.  Psych,  rat.  §  10  —  82.  184—188.  Ps.  empir. 
§  11-22. 

13* 


196  SSorff. 

SBoIff  unter[(^eibet  nun  ^wei  ©rnnbformen  ber  (Seelentfiätigfeit, 
ha^  ©rfennen  unb  ba0  Segefiren,  nnb  bemgetiiä^  gmei  .^auptoermögen, 
baä  @r!enntnifes  unb  ha§>  ^öege^rungSüermögen;  a(§  bte  33eftanbtl)ei(e 
beS  erfteren  bejeid^net  er  bie  ©mpfinbung,  bie  ©inbilbung§!raft  nebft 
beut  ©ebä(^tniB,  unb  ben  SSerftanb. 

2llle  ©ee(entt)ätigfe{ten  entfpringen  au§  ber  finn(icf;en  ©ntpfinbung. 
5Die  ©mpfinbungen  finb  S)arftellungen  ober  33ilber  ber  förperlid;en  S)inge 
in  ber  ©eete;  unb  bo  nun  jebeö  Silb  bem  Original  äfinUd;  ift,  (fc^üe^t 
SOSoIff)  fo  muffen  auc^  unfere  ©inneSempfinbungen  ben  Körpern,  auf 
rcelc^e  fie  fid^  kjtefien,  irgenbroie  ä^nlid)  fein.  2öa§  fie  üon  benfelben 
barftellen,  !ann  nur  ba§  fein,  worauf  fid^  überliaupt  bie  ©igenfc^aften 
ber  Körper  al§  foldier  befc^ränfen:  ©eftalt,  @rö§e,  Sage  unb  33en)egung. 
2luf  ber  llnterf($eibung  biefer  ©tücfe  beruht  bie  S)eutUd;!eit  ber  2Baf)r= 
nel^mungen.  6ie  felbft  aber  finb  nur  eine  ^^olge  üon  ben  inneren  SSer- 
(inberungen  in  ben  einfad;en  Sßefen,  au§  weldjen  bie  Körper  jufantmen; 
gefe|t  finb.  ®iefe  bilben  nütf)in  ben  eigentlidjen  3"^ölt  unferer  äßa^r; 
iiel)mung;  aber  fie  werben  in  berfelben  t)ern)orren  oorgeftellt,  oline  ba§ 
Toir  auc^  nur  bie  abgeleiteten  ßorpuffeln,  nod^  vld  weniger  natürlid^ 
bie  primitiven,  ober  gar  bie  ©(erneute  ber  J^örper,  mit  unferen  6innen 
gu  unterfd;eiben  im  ©taube  mären,  ^nxä)  eine  üerraorrene  S^orfteHung 
beS  3"^'i^^^^"^^^^9^  '^^^  Elemente  erhalten  mir  (wie  bieB  SBoiff  be^ 
näf)eren  uad^juroeifen  fuc^t)  bie  finnlid;e  Slnfdjauung  be§  ^iaume^;  burc^ 
eine  rerroorrene  SSorftettung  if)re§  poffiüen  ^rinctpg  bie  ber  Äraft  ber 
2^rägt)eit;  bur(^  eine  üermorrene  33orftelIung  ifjrer  aftioen  Gräfte  bie 
ber  beroegenben  ilraft.  Unfern  finnUdjen  ©mpfinbungen  entfprec^en  ge= 
miffe  S3en)eguugen  im  @ef)irn,  roeid)e  Sßolff  mit  S)e§carte§  „materielle 
^been"  nennt,  unb  biefen  geroiffe  oon  ben  Dbjeften  berairfte  ^öemegungen 
in  ben  ©inneSorganen ;  von  -ber  @efd;roinbigfeit  ber  Bewegung  in  ben 
©inneSneroen  foU  hie  Älar^eit  ber  2öa^rne§mungen  ttbt)ängeu,  ifire 
5Deutlid;feit  bagegen  baburc^  bebingt  fein,  ba^  bie  53eiüegungen,  meld;e 
t)on  oerfd^iebenen  Xi)eilen  be^  Dbje!t§  f)errüf)ren,  an  üerfd;iebene  j^aferu 
ber  ©mpfinbung^neroen  t)ert§eilt  finb^). 

2Benn  unS  bie  ©mpfinbung  ^hccn  üon  gegcnraärtigen  ftnnlid^en 
fingen  liefert,  fo  beftel)t  bie  ©iubilbungSlraft  in  bem  SSermögen,  33or= 


1)  Psychol.  rat.  §  64.  83—177.  Psych,  emp.  §  56—90.  ^ä)  gebe  natürüd^  ^ter 
unb  im  folgenben  auiS  SBolff'iS  roeitjc^weifigen  iMuSeiiianberje^ungen  nur  ba§  et» 
^ebltc^ere. 


Suibitbung^fraft ;  SScrftanb.  197 

ftellungen  abroefenber  finntic^er  S)inge,  5p^antaf{et)ilber  51t  erzeugen. 
2lu(^  i§nen  entfpridjt  immer  eine  Seraegung  im  ©cfnrn ;  aber 
biefe  ift  bei  ben  bloßen  ^fiantQfiebilbcrn  langfamer;  aU  bei  ben 
©inne§empfinbungen;  erljält  fie  bie  gleid^e  (Stärfe,  wie  bei  ben  le^tern 
(wie  bie§  im  Söafmfimt  unb  im  SDelirium  bcr  %aU  ift),  fo  tjerroccä^fclt 
man  jene  mit  biefen.  5Die  ^f)antQfiebilber  entftc{)en  buri^  eine  Slb- 
f(^n)ärf;ung  bei*  ©mpfinbungen  unb  ber  ifmen  entfpre^enben  materiellen 
^bcen;  fie  fe^en  bat)er  immer  bie  ©innesempfinbungen  üorauS,  beren 
Stbbilb  fie  finb,  unb  ebenfo  mirb  aud^  iF)r  Sluftreten  in  jcbem  ein5elnen 
%a\ie  hvLxd)  irgenb  eine  «Senfation  ceranla^t.  Sa§  oHgcmeine  ©cfe§ 
biefeS  §ergang§  liegt  in  bem  ga^e,  ba§  bie  Giubiibung§fra:t  biejenigen 
SSorfteÜungen  mieberer^eugt,  meldje  mit  einer  SSorftellung,  bie  mir  früf)er 
gebabt  'i)ahen  unb  nun  mieber  fiabcn,  bei  if)rem  frü()eren  3>orf"ommcn 
üerbunben  geroefen  finb,  mei(  biefelben  bamals  einen  5lf)eU  unferer 
@e[ammtoorftei(ung  au^gemadjt  f)aben;  au§  biefem  allgemeinen  ©efe|e 
ergeben  fidj  bie  befonberen  ©efe^e  ber  fog.  i^beenaffociation.  5Die  Wie- 
berer^eugung  ber  ^Borftellungen  wirb  burdj  bie  Slufmerffamfeit,  unb  biefe 
burd;  Hebung  erteidjtert ;  mir  rcprobnciren  ba^er  eine  S^orftettung  um 
fo  leidster,  je  öfter  mir  fie  probucirt  (jaben.  2Bei(  aber  unfer  „Ssorftel^ 
lungSfeib"  ein  fe§r  beidjränfte§  ift,  fönnen  mir  immer  nur  eine  fleine 
Slnga^t  üon  ^sorfteflungcn  gteic^jeitig  feftf)a(ten,  unfer  a^orftelleu  ift 
batjer  ein  biSfurfioeg,  an  ha^  ©efe^  ber  Zeitfolge  gebunbeneg.  2luf  hen 
Unter[d;ieb  be§  bunfehi  unb  beut(id;en  33orfte(Ien§  fiUjrt  2So(ff  ben  be§ 
(£d;{afen§  unb  2öad;cn5  jurüd;  beim  2;räumen  foll  fidj  bie  See(e  im 
3uftanb  eines  graar  beutlidjcn  aber  ungeorbneten  5>orfteIIeni  befinben. 
58ei  biefer  @e(egentjeit  unterläßt  aber  ber  ^^f)t(o[opf)  nic^t,  von  ben 
natürtidjen  5lräumen  bie  übernatürlichen  ju  unterfdjeiben  unb  bie  einen 
mie  bie  anbcrn  in  förperlidjer  unb  geiftiger  Seäiet)ung  ausführlich  §n 
untcrfndjen.  ^n  ber  gäl)igfeit,  burdj  3: Reifung  unb  neue  SSerfnüpfung 
oon  ^sf)antafieüorftefIungen  Silber  von  Singen  ju  erzeugen,  meldje  mau 
niemals  rairflidj  maljrgenommen  f)at,  bcftel)t  baS  „2)id}tung§üermögeu" ; 
in  ber  g-ä^igfeit,  reprobucirte  33orftelIungen  als  fold^e  roieberjutrfennen, 
baS  ©ebä(^tniB.  Heber  beibe  Rubelt  Söolff  auSfül)rtic^.  SluS  bem 
©id^tungSüermögen  entfpringt  bie  fünftlerifc^e  Sitjätigfeit,  bei  roeldjer 
mehrere  burd^  bie  2Sal)rnel)mung  gelieferte  Q^orftellungen  na<^  bem 
^rincip  beS  gureic^enben  ©runbeS  rerfnüpft  merbcn;  fein  2Ber!  ift  and) 
ber  ©ebraud}  bcr  ^orftellnngen  gur  ft)mboli|d)en  (ober  „^ierogli)pl)iid;en"j 


198  Bolfi. 

Se3ci(fjnung  ber  Snige,  bem  2BoIff  eine  tie[onbere  2lufmeif[am!eit  wibmet. 
S)o§  @ebäd^tnt§  miU  er  ni(^t  jur  ®inbttbung§fraft  qI§  folc^er  geredjnet 
TOiffen;  tnneri)alb  be§feI6en  unter[d;eibet  er  gTüifc^en  bem  finnlid;cn  ©e^ 
bäd^tiüf3,  weld;e§  bie  ©egenftönbe  nur  »erraorren,  unb  bem  intelleftuellen, 
n)eld;e§  fie  beut({(^  roiebererfenne.  lieber  bie  @igen[djaften  eineS  guten 
®ebäd)tniffe§,  bie  üer[d;iebcne  ©enauigfeit  ber  Erinnerung  unb  äf)nlid)e5 
verbreitet  er  fic^  fe^r  einge^enb.  0 

2)ie  bi§f)er  be[prod;euen  3SorftcI[ung§tf)ätigfeiteu  fa^t  Sßolff  unter 
ber  8eäeid;nung  be§  nieberen  ©rfenntni^üermögenS  3ufamnien,  unb  [teilt 
if)nen  ben  SSerftanb  al§  ba§  l)öl)ere  ßrfenntni^oermögen  gegenüber. 
SBenn  un§  jene  nur  finnlic^e,  niitpn  verworrene  S^orftellungen  liefern, 
fo  ift  ber  SSerftonb  bo§  S^ermögen,  [i(^  bie  Singe  beutlic^  üor3ufteIlen. 
3um  beutUd;en  33orfteIlen  gel)ört  aber  bie  Unterf(^eibung  unb  S^er^ 
g{eid;ung  ber  einzelnen  S3eftanbtl)eile  ber  S)inge,  bie  Stefleyion,  unb  gur 
S^efleyion  gel)ört  Slufmerffamfeit.  SBoIff  Ijanbelt  bal)er  in  biefem  M-- 
fd;nitt  guerft  von  ber  Slufnierffaml'eit ;  er  befinirt  fie  al§  ba§  Vermögen, 
gu  beiüirfen,  ba§  ein  STlieil  einer  pfammengefe^ten  ^orftellung  größere 
^tar^eit  Ijobe,  aU  bie  übrigen;  er  geigt,  raeld;e  Umftänbe  bagu  bienen, 
unfere  Slufmerffamfeit  auf  geroiffe  ©egenftänbe  gu  ridjten,  wcldjen  (Sin= 
fluB  bie§  auf  unfere  S^orftellungen  l)abe,  wag  für  Spiegeln  fid;  barauS 
ergeben,  unb  wie  bie  Siefleyion  in  ni(^t§  anberem  beftclje,  als  in  ber 
fucccffiüen  ^iurocnbung  ber  Slnfmerffamfeit  auf  ben  3"^ötl  unferer 
SSorfteilungctt.  6r  befprid;t  weiter  hcn  ^erftanb  al§  fold^en;  er  fül)rt 
au§,  baB  fid;  alle  9]erftaube§tl)ötigfeitcn  au§  ber  vis  repraesentativa 
universi  ableiten  laffen,  ba§  bie  Skfleyion  gur  ^ergleic^ung  ber  SBalr-- 
nelimungax  niit  cinanber  unb  mit  unfern  Erinnerungen,  gur  Sluffaffung 
ilirer  2lc^nlid)feiten  unb  Unäl)n[id}feiten,  unb  babur(^  gur  S3ilbung  all=^ 
gemeiner  53egriffe  l)infü^re;  er  unlcrfud^t  bie  pl)r)fifcf)en  Sebingungen 
ber  ^'erftanbe§tl)ätigfeit  unb  finbet,  ba§  unfere  53egriffe  feine  eigenen 
„matericüen  ^been"  im  (^5ebirn  t)orau§feljen,  fonberu  an  ben  materiellen 
^been  ber  31'a()rnel)mungcu,  von  bonen  fie  abftraf)irt,  ober  ber  Söörter 
unb  Qe\ä)m,  burd;  bie  fie  auägcbrüdt  werben,  i^r  förperlid;e§  6ubftrat 
l)abcn,  ba^  aber  ebenbcfiljalb  bicjenigcn  5ßer(e|ungen  unb  ^uTänberungen 
be§  (3d)'m\§>,   burd;  weldje   baS   ©ebäc^tni^  gefd)roäc^t  wirb,    aud;    ber 


1)  Psych,  rat.  §  178 — 3.56.  Psych,  emp.  (wo  bie  5Rcif}enfol(je  ber  ciiijeTncit 
(Stöctentitijeu  eine  etroaS  anbete  itiib  im  gaiijcn  lu  buvc^fictitigcre  ifl)  §  iJl— 23o. 
Sern.  ®eb.  §  235—267. 


S)er  SJerRanb.    ®a5  SSegc^ren.  199 

3Serftanbc§ti)ätigfeit  (Eintrag  tf)un;  er  verbreitet  fid^  (in  ber  empirifc^en 
^lt)d)o(ogie)  au§fü[)ra^  über  bie  brei  SSerftanbc§t^Qtig!eiten  (^Begriff, 
Urtfieil,  Sd^hiB),  über  bie  fprac^lic^e  Se^eii^nung  ber  ^Begriffe,  über  bie 
3)?ög(idjfeit  unb  bie  ^ebingungen  einer  allgemeinen  ßf)arafteriftif  unb 
ßombination^funft ,  über  bie  ©rfinbungSfunft  u.  f.  w.,  nnb  er  roieber^ 
f)olt  bei  biefer  @e(egcn{)eit  fef)r  üic(e§,  waS  er  fdjon  in  ber  £ogi!  beS 
breiteren  auSeinanbergefe^t  f)at.  SBiefern  [i^  ber  Sßerftonb  onf  ben 
3n[ammenf)ang  ber  S)inge  ridjtet,  crt)ält  er  ben  Flamen  ber  SSernnnft: 
bie  SSernnnft  (ratio)  ift  ba§  3?ermögcn,  ben  ^wf^wnienfiang  ber  attge^ 
meinen  3Ba^rf)eiten  ju  bnrdjfdjaucn ;  eine  SSernunflerfenntniB  ift  bie= 
jenige,  roe(d;e  mvi  biefen  3ui'öinmcnf)ang  t)erftet)en  Ie{)rt.  S)ieB  leiftet 
aber'nai^  2öoIff  nur  ba0  bemonftratioe  ©rfennen,  unb  mit  biefem  fällt, 
wie  er  l^ier  erftört  (Ps.  emp.  §  491  f.),  ba§  apriorifdje  5ufammen;  fo 
boB  bcmnad^  alle§  rationale  ©rfennen  unb  balier  alle^  pl)ilofopl)if(^e 
©rfennen,  mie  mir  fc^on  oben  gei^ört  liaben,  ein  apriorif dje§ ,  bemon= 
ftratiüeS,  fein  foU.  9Jur  um  fo  bcben!li($ei*  ift  e§  bann  aber,  wenn 
mir  gleichzeitig  bem  auSbrüdlidjen  ^iiÖ^ftäubniB  begegnen:  alle§,  rcaS 
burd^  bie  5ßernunft  erfannt  wirb,  werbe  ax[§>  anberem,  ba§  \m§>  üor^er 
fdjon  befannt  fein  muffe,  burd;  ©d;lüffe  abgeleitet,  mir  befi^en  feine 
allgemeinen  Segriffe,  meldje  wir  nid;t  üon  ber  äußeren  ober  ber  inneren 
2öal)rnc^mung  abftral)irt  I)ätten.  ^)  Sßenn  bem  fo  ift,  begreift  e§  fid^ 
äraar  üoUfommen,  baf3  (roie  SÖolff  ^eigt)  meber  ber  SSerftanb  noc^  bie 
SSernunft  im  9)ienfd;en  jemals  ganj  rein  finb,  ba^  fid^  mit  ber  ^er= 
nunft  bie  6rfal)rung,  mit  ben  beutlid;en  33egriffen  vermorrene  ju  »er- 
binbcn  pflegen;  nur  um  fo  näl)er  lag  aber  bem  ^l)ilofopl)en  bie  ^rage, 
ob  unb  in  welchem  ©inn  überl^aupt  ein  apriorifd)e§  ©rfennen  möglid^ 
fei,  wenn  bod)  alle  unfere  Segriffe,  wie  er  felbft  einräumt,  iliren  i^n^att 
au§  ber  (Srfal)vung  entncl)men.  ^) 

2lu§  bem  SorfteHen  ge^t  ba§  S3ege!)ren  fieroor.  ®ie  ©eele,  mie 
jebe  Äraft,  l)at  ba§  ©treben,  il)ren  3iiftonb  fortroä^renb  gu  änbern. 
Wü  jeber  Sorftettung  ift  bal)er  ba§  Streben  nad^  Seränberung  berfelben 
üerbunben.  ®iefe§  Streben  mirb  jum  Segeliren,  jum  Serlangen  ober 
2lbl"d;eu,  roenn  e§  burd)  bie  SorfteUung  beffen  l^eroorgerufen  wirb,  maS 


1)  Psych,  emp.  §  494.     Psych,  rat.  §  429. 

2)  ®a§   toDrftet)enbe  vai)   Psych,   rat.   §  357—479.     Psych,   emp.  §  234—508 
ügt.  SSern.  @eb.  ö.  ®ott  u.  f.  ».  §  268—403. 


200  Söolff. 

baburd^  erreicht  merben  foE,  toemx  e§  barauf  au§gef)t,  eine  üon  un§ 
oorf)ergc[cf)cne  S^orftedung  gu  erlangen  ober  gn  ;)enneiben;  nnb  raenn 
bie[e  le^tere  eine  finnli(^e  ift,  b.  f).  eine  fold^e,  bercn  ©intreten  an 
geiüiffe  förpcrlid;e  53ebingungcn  gefnüpft  ift,  fo  werben  bie  förperlid^en 
Seraegnngen,  rvel^c  gur  ©rkngung  ber  t)on  nn§  gewünfd^ten  SSorfte(= 
hing  nötf)ig  finb ,  in  nn[er  ©trebcn  mit  anfgenommen.  9iä§er  ift  ba^= 
jenige,  raa^  un§  beftinimt,  nad;  einer  33orfte(Iung  gu  ftreben  ober  \\)v 
gu  10  c  ber  ftreben,  bie  £uft  ober  llnluft,  bie  wir  ron  if)r  erwarten :  bie 
^nft  ift  ber  Setoeggrunb  nnfercg  33ege{)ren§,  bie  llnlnft  ber  unfereg 
SBiberftrebeng.  ©ic  Suft  befiehlt  in  ber  ©rfenntni^  einer  reirflidjen  ober 
zjermeintUdjen  ^onfommenfieit,  bie  llnluft  in  ber  ©rfenntniB  einer  lln- 
üoKfontmcn^eit;  aud)  ber  förperlidje  ©djmerg  ift  nichts  anbereg,  ai§ 
ba§  ^eiüu^t[ein  ber  llnoollfomment)eit,  weiäje  bie  SSerle^nng  eines  S;f)eil§ 
nnfere§  Körpers  in  fid;  fd;UeBt.  2Sa§  Suft  erregt,  gefällt  nn§  nnb 
lüir  nennen  e§  fd)ön,  raaS  Unhift  erregt,  mißfällt  nn§  nnb  wir  nennen 
e§  i)äf3nd^.  2öa§  un§  nnb  nnfern  ^iifiQ«^  üonfommener  ntod^t,  ift  ein 
@ut,  wa§  un§  nnt)ottfonimener  niad)t,  ift  ein  Hebet.  igeneS  ift  ber 
natürlidje  ©egcnftanb  unfereS  S^ertangenS,  bie[e§  nnfereS  Slbfc^euS. 
9Sie  aber  bie  ©üter  nnb  Hebel  t)erfd)iebener  2lrt  finb  nnb  üerfi^iebene 
©eiten  nnfereS  2ßefen§  betreffen,  fo  gilt  ba§  gteidjc  and)  t)on  unferem 
Seget)ren,  nnb  e§  finb  in  biefer  $8egiet)ung  cor  altem  gioei  ^auptartcn 
beSfetben  gn  nnterfd;eiben :  baS  finnUd;e  S3cgef)rcn  ober  bie  83cgierbe, 
nnb  ba§  vernünftige  33eget)ren  ober  ber  SBille.  Heber  ha§>  erftcre  I)at 
\\ä)  SBolff  in  feiner  empirifc^en  ^fijd)o(ogie  fet)r  auS^füljrlid;  ücrbreitet. 
®r  fianbett  t)ier  nid^t  allein  uon  bem  finnlid;en  5>er(angen  nnb  Slbfd^eu 
im  allgemeinen,  nad;  2tnl:itung  ber  ebenbefprodjenen  53eftimmnngen, 
fonbern  au<ii  nod;  im  befonbcrn  (§  603-879)  üou  ben  Slffctten  ober 
ben  „Stften  eines  t)eftigen  finnlid^en  3sertangen§  nnb  3tbfd;cu§",  unb 
er  bcfdjreibt  eine  lange  9teil)e  berfelben  nad;  ollen  Seiten;  eS  finben 
fi(^  baruntcr  aber  and;  fold^e,  bie  fid;  nnr  gegiunngen  unter  biefe  S)efi= 
nition  anfneljmcn  (a[fen,  wie  bie  Siebe  unb  bie  ©anfbarfeit,  Sson  ber 
53egierbe  unterfdjcibct  fid^  ber  Wilic  babnrd^,  baf3  eS  in  jener  eine  t)er= 
morrene  (finnlidje),  in  biei'cm  eine  beutlidie  (oernünftige)  3sorfteIIung 
beS  ©Uten  ift,  bie  unfer  33egcl)ren  beftimmt.  ;3i"Öcnbioie  beftimmt  ift 
aber  ber  SBiüe  immer  unb  notl)wenbig.  6r  fann  allcrbingS  nid^t 
gegroungen  werben;  benn  ein  JÖolIen  entftet)t  nur  auS  ber  Siorfteünng, 
ba^  etwas  für  unS  gut  fei,   ein  äBiberftrebcn  auS  ber  SSorfteHnug,  bafe 


Segierbc  unb  SBiffc.     «Seele  unb  Seib.  201 

etwas  für  un§  [(^(ec^t  fei,  unb  biefe  33orfteIIimg  Iä§t  fic^  unS  nidjt 
auf^TOingen.  216er  ebenfotüenig  ift  ein  2Bollen  o()ne  53eftimmung§9rünbe 
möglid^.  Sie  greifieit  be§  SBittenS  befielt  ba{)er  (roie  ja  aud^  Seibnij 
gelehrt  ^atte)  nnr  in  ber  (Spontaneitöt ,  nur  barin,  ba^  bie  ©ee(e  fid^ 
felbft  au§>  geroiffen  S3craeggrünben,  nac^  bem  ^rincip  be§  jureic^enben 
©runbeS,  gum  SBoUen  beftimmt.  SBenn  SBoIff  bie  SöiHenSafte  nid^tl= 
beftoireniger  für  gufällig  erflärt,  fo  ift  bie^  nad^  3)k§gabe  feiner  attge^ 
meinen  Scftimmungen  über  ha§>  3lotf)rocnbige  unb  Zufällige  gu  t)erftet)eu. 
®ie  finb  gufädig,  roiefern  fie  nid^t  an§  bem  SBefen  ber  ©eele  aU  fotd^em 
i^eruorgciien,  miefern  jebem  an  ficf;  bie  oerfc^iebenften  unb  entgegen^ 
gefe^teften  2BiIIenlri(^tungcn  mi^glidf;  finb ;  aber  fie  finb  e§  nid^t  in  bem 
©inn,  al§  ob  irgenb  jemaub  aud^  in  einem  gegebenen  %aile,  —  biefc 
feine  beftimmte  ß  gentt)ümli($feit  unb  biefe  beftimmten  inneren  ^iiftänbe 
unb  äußeren  Hmftänbe  einmal  üorauSgefe^t,  —  etroa§  anbereS  rooflen 
fönnte,  als  maS^  er  roirflid^  mitt;  it)re  „^ufäftigfeit"  foU  nur  auS- 
brüden,  ba^  it)re  S'^ot^raenbigfeit  feine  abfolute,  fonbern  eine  be= 
bingte  fei.  ^) 

©rft  nad^  biefen  Hnterfud^ungcn  über  bie  See(entf)ätigfciten  unb 
©eeleuüermögen  fommt  SBolff  auf  eine  ^^-rage  ju  fpred^cn,  meid;e  er  im 
bisherigen  oorfidjtig  umgangen  t)at,  bie  ^rage  nad;  bem  Sserf)ältniB  ber 
©eele  gum  Seibe.  ^)  i^nbeffen  f^at  er  biefetbe  bnrd;  feine  miebcrf)oltcn 
auSfüt)rlid;en  Erörterungen  in  feiner  mefentlidjen  ^Be^icljung  über  bcn 
^unft  f)inauSgefüf)rt,  auf  bem  fie  H)m  Seibnig  ^interlaffen  ^atte.  SSon 
ben  brei  2tnna(;men,  bie  man  aufgcftellt  f)at,  um  bie  tf)atfädj(i^e  lieber-- 
einftimmnng  be§  leibHdjcn  unb  beS  (Seelenlebens,  namentlid^  in  Setreff 
ber  finnUd;en  2öa§rnel)mnng  unb  ber  millfü^rlidjen  Jlörperberoegung, 
gn  erfläien,  mirb  bie  uerbreitetfte  unb  natürlidjfte,  bie  einer  realen 
Sßec^felroirfung  jmifdjen  Seib  unb  ©eele,  mit  ber  53cmcrfung  uerroorfen : 
i^r  äufotge  mü§te  eine  bemegenbe  Jlraft  t)om  Körper  in  bie  Seele  über= 
gel)en,  um  fid^  l)ier  in  eine  SiorftellungSfraft  ju  üermanbeln,  unb  ebenfo 
anbererfeitS  eine  geiftige  Ärafr  üon  ber  ©eele  in  ben  Seib,  um  fic^  l)ier 
in  SeroegungSfraft  gu  rerraanbeln,  biefer  Hergang  laffe  fidj  aber  nid;t  allein 


1)  Psych,  rat.  §  48U— 529,  Psych,  emp.  §  509—946.  Sein.  ©eb.  ü.  (Sott 
u.  f.  tu.  1,  s  404—526,  876—885.  man  togl.  oiid)  tva§  <B  118  f.  über  Seibnij 
bemerft  t(l. 

2)  Psych,  rat.  §  530-642.     23ern.  ®eb.  ii.  j.  ro.  §  527  ff.  760  ff.  883    . 


202  SBoIff. 

nid^t  begreife»,  fonbern  er  raiberfprcc^e  and)  "oem  @efe^  oon  ber  ©vljaltung 
ber  Icbenbigen  üröfte,  ba  bei  ber  ©inroirfung  be§  Seibeg  ouf  bie  ©cele 
eine  Setuegung^fraft  ju  ©unften  ber  ©eele  üerloren  gienge,  imb  bei  ber 
(Sinrairfung  ber  Seele  auf  ben  Seib  eine  folc^e  neu  entftänbe.  2ln  einer 
^weiten  3lnnal)me ,  benx  fog.  ©ijftem  ber  ge(egenl)eitlid)en  llrfac^en  ^), 
fabelt  SBotff  mit  Seibni^,  ba^  fie  bie  SSerbinbung  groifd^en  Seib  unb 
©ee[e  burd^  fortroäfirenbe  SBunber  erfläre,  unb  bcm  @efe^  be§  §ureic^en= 
ben  ©runbeg  n)iberfpre($e;  benn  n)äf)renb  biefem  ©efe^  jufolge  in  ber 
33en)egung  ber  forperIid;en  Drgane  ber  @runb  für  bie  ©inneSempfin^ 
bung,  in  unjern  SBiden^aften  ber  (Srunb  für  bie  ilörperberaegung  auf; 
gezeigt  werben  mü^te,  werben  beibe  f)ier  lcbigli(^  au§  bem  göttlichen 
SBiUcn  abgeleitet.  Seiberlei  Einwürfen  eutgel)t,  wie  er  glaubt,  nur 
ba§  ©pftem  ber  präftobilirten  Harmonie,  welc^eg  er  fi(^  bemnad;  aneig^ 
net  unb  e§  nad^  allen  ©eiten  an§fül)rli(^  üertl)eibigt. 

3l)rem  allgemeinen  SBefen  nac^  geprt  bie  menf(^li($e  ©eele  in  bie 

klaffe  ber  ©elfter,  beu  mit  SSerftanb    unb  freiem  SBiüen  begabten  ©ub= 

[tanken;    unb   fie  unterfdjeibet  fid^    baburd)  ni(^t  oUein  t)on  benjenigen 

einfadlien  SBefen,  meiä)e  un§  frül)er  a\§>  Elemente  ber  !örperli($en  Singe 

üorgefommen  finb,  fonbern  auc^  üon  ben  ©eelen  ber  5tl)iere.    Sie  le|= 

teren    l)ä!t   nämlic^   2öolff   nid;t  mit  S)e§carte§   für  blo^e  3Jlafc^inen, 

fonbern  er  evfennt  iljuen  eine  ©eele  gu,   weldje  ber  2öa^rne|mung,  ber 

©inbilbung,  ber  Erinnerung  unb  ber  finnlid;en  ^egierbe  fäl)ig  fei;  bie 

aber  feine  allgemeinen  begriffe,    feine  SSernunft,  "feinen  freien  SBitten, 

fein   ©elbftberou^tfeiu  unb  balier   anc^    feine  5perfönlid;feit  l)abe.    Sie 

©ntfteliung  ber  menfd)lid^en  ©eele  lä^t  fid;,  wie  bieB  t)on  jeber  einfod^en 

©ubftans  gilt  (f.  o.  ©.  186),   nur  al§  eine  ©d^öpfung  beulen;  unb  ba 

nun  biefe,  wie  Sßolff  glaubt,  unb  wie  e§  ba§  ©yftem  ber  präft ab ilirten 

Harmonie  allerbing§  forbert,-nur  eine  einmalige  fein  fann,  ba  fid;  auc^ 

bie  menfdjlidjcn  ilörper  nac^  bem  ^^i'P^B  ^^^  9laturwiffen]d;aft  an§ 

organifirter  unb  mitl)iu  aud^  befcelter  9}^aterie  bilben,  fo  nimmt  er  mit 

Seibnij  an,   bie  ©eelen  epiftiren  feit  ber  SBeltfc^öpfung ,   aber  ror  bem 

Eintritt  in  ba§  gegenwärtige  Seben  befinben  fie'fid^  im  3ufla^^^  bunfeln 

SSorftellen§  unb  in  rubintentären  Drgauifmen;  au§  biefen  bilbe  fid^  ber 

götUiS,   mit  beffen  Gnhuidluug  ber  allmäljlidje  Uebergang  ber  ©eele  in 

ben  ^wftanb  be§  beutlidjcn  SorftcllenS  ,^anb  in  ^anb  gef)e.    S3eim  ^obe 


1)  SBorütor  @.  48  ff.  94  f.  ju  bevgfeitbcu  ifi. 


@ntfte:^uiig  ber  ©eele;   Unflcrbiic^feit.  203 

be§  .^örperg  bogegen  foH  bie  (Seele  nid^t  in  ben  3"fta^^^  ^f§  buufeln 
SSorftcHenS  gurüdfefiren ;  fie  behält  ii)x  Sßiffen,  tl)re  9^eigungen  imb 
Slbneigungen,  i^v  ©elbftberou^tfein,  ja  fie  erl)ebt  fid^  in  i^rem  5I^ovftellen 
äu  immer  f)öf)erer  SSoHfommcnfieit,  fie  ift  mit  @inem  3©ort  nidjt  bIo§, 
wie  alle  anbern  cubftan^eu,  auf  natürlidjem  2öege  lutjerftörbar,  fonbern 
fie  ift  aucf;  unfterblid^.  S)en  S3eroei^  für  biefe  53e^auptung  füi)rt  aber 
Solff  fel)r  ungenügenb  mit  bem  2Ina(ogiefd^(u§  (Psych,  rat.  §  745): 
ba  bie  Seele  beim  Eintritt  in  biefc§  fieben  ben  frül)eren  3iiftöi^'5  ^^^^^ 
SSorftettenä  nid;t  oerloren,  fonbern  nur  einen  neuen  bngu  befommen 
I;obe,  fo  muffe  e§  beim  2tu§trilt  au§  bemfelben  cbcnfo  gef)en.  S^aB  e^ 
neben  ben  menfct)üc^en  Seelen  and;  noc^  anbere  ©eifter  geben  t'ÖJine, 
n)eld;e  jene  in  üerfd^iebenen  Slbftufungen  an  S5oUfommenf)eit  übertreffen, 
bemeift  2Bo(ff  auSbrücflid; ;  ob  e§  aber  roirflid)  foldje  gebe,  fagt  er,  tonne 
nid;t  bie  ^t)ilofopt)ie,  fonbern  nur  bie  pofitiüe  2:t)eologie  au^mad^en.  ^) 

5.  2)ie  natürlirfic  ^^cologtc. 

Sind;  üon  biefem  Streite  feinet  ©t)ftem§  t)at  2So(ff  eine  boppette 
©arftedung  gegeben,  ^n  bem  erften  ^^eite  feiner  (ateinifc^  gefd;riel-enen 
„natürlidjen  ^ttjeologie"  mill  er  ha§>  S)afein  unb  bie  ßigenfdjaftcn  ©otteS 
a  posteriori,  x)on  ber  53etrad^tung  ber  2Öe(t  auy,  in  bem  gmeiten  mitt 
er  fie  a  priori  beweifcn;  bod^  bemerft  er  felbft,  ba^  and)  bie  le^terc 
S)arfteIIung  feine  rein  apriorifdje  fei,  fofern  fie  ^mar  uon  bem  felbft= 
gebilbetcn  33egriff  beg  üoUfommeuften  2Scfen§  auSgetie,  bie  naljere  53e= 
ftimmung  biefeS  begriff»  aber  burd;  bie  Setrad;tung  ber  meufd;(id;en 
Seele  gemiune. 

®iefem  boppelten  Slu^gang^opunlt  gemä§  fülirt  nun  SBolff  junäc^ft 
ben  ^eraeig  für  ba§  S^afein  ©ot.e§  in  gmei  formen,  mit  benen  er  fi(^ 
übrigens  an  früliere  5pl)ilofop^en,  am  unmittelbarftcn  an  Sdbnig  (f.  o. 
©.  125)  anfd)lie^t:  ber  lo)mo(ogifd)cn  unb  ber  ontologifd;en ;  wogegen 
er  bem  teleologifdjcn  58eiüei§  für  fid;  genommen  eine  ftrenge  Semei^s 
froft  abfpridjt.  2)  %üv  ben  fofmologifd;en  S3eroei§  ift  ber  ^aupt= 
begriff  bei  il)m  bie  ^iifäHigleit  ber  enblic^en  2Öefen;  weBljalb  ber[elbe 
in  feiner  ?5^affung  gemötinlid^  ber  33en)ei§  au§  ber  3«f«Uigt'eit  ber  2öelt 
genannt  wirb.  SSenn  übcrt)aupt  etroaS  eyiftirt,  —  fo  lautet  er  —  muB 


1)   Psych,  rat.  §  643—770. 

2'   Theo),  nat.  I,    §  8.  806.     Hoiae  siibsec,  III,  660  ff. 


204  SBoIff. 

ait($  ein  notl^tüenbige§  2Be[en  eyiftireu,  b.  ^.  ein  fold^e§  SBefen,  weld^cS 
hm  (^runb  feine§  S}a[ein§  nic^t  in  einem  anbern,  fonbern  in  fid^  felbft 
f)at;  benn  raenn  alleg  ben  ©runb  feinet  5Da[ein3  in  einem  anbcrn  i)ätte, 
fo  fäme  man  niemals  gu  einem  foldien,  in  weld^em  ber  n)irfUd;e  ©rnnb 
be§  SDafein^  löge.  SDaB  nun  etma§  epiftirt,  ftef)t  an^er  B^^cifel,  ba 
minbeftenS  mir  felbft  eyiftiren.  ®§  giebt  alfo  ein  notf)menbtgc§  SBefen. 
©in  fold^eS  ift  aber  meber  bie  2öe(t,  nod^  bte  llrbeftanbtf)eile  ber  2BeIt, 
nod^  bie  menfd^n(|e  Seele.  5Denn  ba§  not^rocnbige  Sßefen  fann  al§ 
fotd^eS  meber  entfteiien  noc^  »ergeben;  bie  SBcIt  bagegen  fann  if)rem 
Segriff  nac^,  roie  alteS  ^^^^^^"^^"Ößf^^te,  au0  if)ren  Seftanbtt)ei(en 
gebitbet  nnb  in  biefelben  aufgclöft  roerben,  fie  fann  entfielen  unb  vex- 
gef)en.  Sene§  ift  notl)raenbig,  bie  Scftanbtf)ei{e  ber  SBelt  bagegen  fönnten, 
mie  biefe  felbft,  möglidjcrrceife  and;  anbere  fein,  fie  finb  gufällig.  ©benfo 
gnfätlig  ift  aber  aud;  nn[ere  €ce(e,  ba  fie  ja  gtcid^faüs  ju  ber  2öelt 
gel^ört.  S)a§  notfiroenbige  Sefcn  ift  bemnad^  von  ber  SBett,  if)ren  (S(e= 
menten  nnb  bcn  6ee(en  x)er[d;ieben;  nnb  ba  alle§  ^iif'i'^^^Ö^  ^^  ^^^ 
?iotf)raenbigen  feinen  ©runb  Ijat,  mu^  e§  if)re  Urfad;c,  e§  mu^  ber 
au^ermeitlid^e  ©runb  ber  5BeIt,  ober  ©Ott  fein.  ®er  gmeite  $8eroei§, 
ber  ontologif  d;e,  nimmt  feinen  2tu§gang§punft  in  bcm  53egriff  be§ 
allervealftcn  SBefenS,  b.  f).  beSjenigen  2Befen§,  bem  alte  mit  einanber 
vereinbaren  Sleatitäten  im  obfolut  f)öd)ften  @rab  gnfommen ;  nnb  er 
fd^lie^t  nun:  ba  gu  biefen  Sleatitäten  auc^  ba§  S)afein,  unb  gu  ber 
abfolut  t)C)d;ften  ^Realität  ba§  nottjmcnbige  S)afein  gef)öre,  fo  eyiftire 
©Ott  notfjwenbig.  2tn  biefe  Seiueifc  fnüpft  fid;  bann  weiter  eine  2lb= 
teitung  ber  aUgemeinften  (Sigeu)d)aften  @otte§,  nad;  bem  boppeltcn 
Äanon:  ba^  @ott  einerfeit^,  i^ermöge  be§  fofmo(ogifd;en  33eii)eife§,  alle 
bie  ©igenfd;aften  beigelegt  werben  mü|'[en,  meldje  erforberlid;  finb,  um 
ba§  SDafein  ber  SBelt  gu  erflären;  anbercrfeit^,  vermöge  be§  ontologi== 
id)cn,  alle  bie  9tealitäten,  meldje  fic^  in  un[erer  ©cele  vorfinben  unb 
fi^  bemuad;  mit  ber  9ktur  einc§  ciufadien,  uuförpcrlid)cn  SBcfcnS  vev- 
tragen,  im  f)öd)ftcn  ©rabe.  3tu§  beiben  ©efic^tlpunften  leitet  SBolff  bie 
Definition  ah  ^),  @ott  fei  baSjenige  2Be[en,  meld;e^3  fid;  alle  SBelten,  bie 
möglid;  finb,  auf  einmal  in  ber  allergrößten  S)entlid)feit  üorftellt.  2öie 
maudieS  bebeuflid^e  aber  namenttid;   fein  graeiter  ^auon  mit  fid;  füf)rt, 


1)  Theol.   uat.   1,    §  1093.     3)ern.   ®cb.   to.   ©Ott  u.   f.   id.   I,    §  10G9.    SSgl. 
l'eibuij,    üben  ©.  128. 


Sie  ©ott^eit.  205 

bieB  fommt  auä)  on  feiner  eigenen  Sarfieffnng  jum  S5orfd}ein,  toenn  er 
©Ott  3.  S.  nur  in  einem  l^öfieren  aU  bem  geraöfjntic^en  ©inne,  alfo 
nur  uneigentli(^,  eine  ©uBftonj  nennen,  nnr  in  biefent  uneigentlid;en  ©inn 
tfint  eine  Äraft  ober  eine  S;i)ätigfeit  beilegen  roiH,  raeil  ba§  eroige  unb 
üoKfomntene  SBefen  feine  SSeränbcrnng  erleiben  fönne;  wenn  alfo  gerabe 
t)on  bemjenigen,  worin  naä)  feiner  eigenen  £ef)re  boS  Söefen  ber  ©üb; 
ftanj,  ber  Jlraft,  ber  2:{)ätigfeit  befielt,  bei  ber  Stnioenbnng  biefer  ^e- 
griffe  anf  bie  ©ott^eit  abgefef)cn  werben  foU  ^). 

^n  ber  min  folgcnben  weitläufigen  2lu§einanberfe|nng  über  bie 
inteHeftueöen  unb  moralifdjcn  ©igcnfdjaften  ©otteS  ^)  ift  ha§>  benicrfcn§= 
wertf)efte  ber  3^ac^brud,  mit  bem  SBolff,  nad)  Scibnij'  5>organg,  ber 
3Keinung  entgegentritt,  al^  ob  ba§  gött(id;e  'S^cnkn  unb  Sßollen  ein 
wiüfüf)rlidje§  fei,  aB  ob  ®ott  etwaS  anbere§  wollen  t'önne,  al§>  ba§ 
abfolut  beftc,  etwa§  anbereS  f(^affcn,  al§  loaS  an  fid;  möglid)  ift,  unb 
etwas  anbereä  beulen,  ol§  wa§  fid;  au§  ber  3'tatur  ber  S)inge  unb  ber 
9^otl)wenbigleit  feinet  eigenen  SBefeiiS  ergiebt.  Sluf  biefem  ©a^e  berulit 
für  il)n  bie  a)iöglid;leit,  ©ott  wegen  bc§  Hebeln  in  ber  SBelt  gu  xcä)U 
fertigen;  benn  biefe  9^ed)tfertigung  fül)rt  fic^  and;  bei  ilim,  wie  wir 
finben  werben,  barouf  jurüd,  ba^  ©ott  bie  SBclt  nur  unter  hen  ^ebin= 
gungen  fd;affen  lonnte,  weld;e  fic^  für  fein  S)enfen  unb  SBirfen  an§>  ber 
3tatur  beio  ©nblidjen  ergaben,  ba^  ba§  Unmöglid^e  aud;  ber  göttlichen 
2lttmad;t  nid;t  möglich  fei.  ^n  ber  2(u§fü^rung  be^felben  !ommt  ber 
gan^e  9ktionalifmu§  feinet  ©ijftemS  5um  ^orfd;cin:  unfere  3>orftel; 
lungen  dou  ber  ©ottlieit  werben  an  ben  allgemeinen  S)enfgefe^en  ge= 
meffen,  unb  c§  wirb  mit  biefer  9tid;tfd;nur  in  ber  ^anb  auf's  genauefte 
beftimmt,  wie  wir  uns  baS  göttlidje  (Srfennen  unb  SBoßen  5U  Wnhn 
l)aben,  waS  ©egenftanb  bcffelben  fein  fann  unb  rüa§>  nid;t.  SÖßenn  aber 
SBolff  3U  ben  fingen,  welche  ©ott  möglid^  finb,  and^  bie  2Bunber  unb 
übernatürlidjen  Offenbarungen  recl^net,  fo  geben  il)m  baju  allerbingS 
feine  pl)ilofopt)ifd;en  SSorauSfe^ungen  fo  wenig,  wie  feinem  Si^orgänger 
ßeibni^  2),  ein  3fled;t.  ©r  felbft  jwar  bemül)t  fi^,  and;  biefen  ©lauben 
rational  5U  begrüiiben;   er  unterfui^t  bie  3Jiöglid;feit,   bie  Sebingungen 


1)  Theol.   nat.   I,    §  24—140.   1004  ff.   II,    §   1—78.     5?eni.   ®eb.   ü.   (Sott 
u.  f.  ft.  I,    §  928  ff.     55gl.  @.  188. 

2)  Theol.    nat.   I,    §   141— 6U2.    1059   ff.     II,    §   79-308.      «Bern.    ®eb.   I, 
§  948—1025. 

3)  lieber  »eld^en  ©.  156  f.  gu  »ergkid^en  tfl. 


206  SBoIff. 

unb  bie  SRerfmale  einer  nbernatürlidjen  Offenbarung,  unb  er  »erlangt 
von  einer  fold;en  tnSbefonbere  zweierlei :  ba^  il^r  ^^n^alt  über  bie  3Ser= 
nunft  f)inan§gef)e,  aber  if)r  nid^t  loiberfpre^e ,  nnb  baB  bie  ^enntni^ 
be§felben  ber  3JJenfc^f)eit  nncntbeiirlic^  wav,  aber  auf  natürlichem  SBege 
nid^t  erfangt  werben  fonnte.  ^)  Ob  aber  biefe  Slnforberungen  \iä)  mit 
einanber  üertragen,  barnad^  wirb  nic^t  ernftli(^  gefragt;  unb  ba§  nad^ 
jenen  9J?erfma[cn  beurtt;eilt  bie  jübifc^e  unb  bie  ct)rift(ic^e  Offenbarung 
bie  ^robe  beftef)en  mürben,  bieB  ftel)t  bem  ^f)ilofop^en  groor  äroeifedcS 
feft,  unb  in  biefer  5ßorau§fe^ung  unterläßt  er  e§  nid^t,  iu  feiner  natür^ 
Ii(^en  STl^eologie  bie  ©d^riftgcmöBfieit  feiner  eigenen  tfieotogifd^en  <Sä§e 
^unft  für  5punft  umftänblid^  bar^utbun ;  aber  ben  @rmei§  berfelben 
raitt  er  boc§  lieber,  unb  mit  gutem  ©runbe,  ber  ^tieologie  anfieimgebcn. 
^od)  ferner  liegt  il)m  natürlicf;  bie  ^rage,  raie  e§  fid;  mit  allen  jenen 
Seftimmungen  t)erl)ält,  t)on  bcnen  bi§  baf)in  au^er  ©pino^a  faum  irgenb 
jemanb  be^meifelt  l)attc,  baB  fie  fic^  auf  @ott  aumenben  laffen:  ob  mir 
ba§  5Deul'en,  ba§  SBolIen,  ba§  Suftgefü^l  unb  aubere,  3unäd;ft  au§ 
unferer  ©elbftbeobac^tung  entlehnte  Segriffe  ol)ne  meitere«  auf  bie  @ott: 
leit  übertragen  bürfen,  unb  wa§  üon  biefen  ^Begriffen  übrig  bleibt, 
menn  mir  aUeS  ba§  abjie^eu,  waS'  an  i^nen  mit  ber  ^bce  be§  geitlofen, 
unoeröiiberlidjen,  unenblid;en  2Befen§  nid^t  ftimmen  mill.  ©ine  fo  ein= 
fc^neibenbe  Äritif  liegt  gän^lic^  au^er  bem  @efid^t§frci§  be»  raolffifd^en 
S)ogmatifmu§.  ©r  gel)t  ^mar  barauf  an§>,  über  bie  @ottl)eit  möglid;ft 
TOürbige  unb  t)ernunftgemäBe  SSorftellungen  gu  geroinnen;  aber  bie  all= 
gemeinen  ^orauSfe^ungen  be§  geroöl)nlid)en  @otte§glauben§  finb  il)m 
au§  benfelben  ©rünben,  mie  Seibnij,  fo  unentbet;rlid;,  bafs  e§  i^m  gar 
nid;t  in  ben  6inn  !ommt,  fie  grünblid;  gu  prüfen. 

3u  ber  gleichen  SBaf)rnel)mung  geben  aud;  SBolff'^  21[u§eiuanber= 
fe^ungen  über  ba§  SSer^ältui^-  ®otte0  unb  ber  SBelt  ^)  Slnla^.  @r  be= 
trad^tet  bie  2Belt  mit  Seibniä  al§  ein  ©i;ftem,  iu  bem  aUeS  einjelne 
fo  feft  3ufammenl)ängt,  ba^  jebe  !teinfte  SSeränberung  in  einem  feiner 
%i)tik  ha§  ©anje  gu  etroaS  anberem  mad^en  mürbe.  @r  ift  überzeugt, 
baB  ba§  ©injelne  nur  al§  ein  %\)c\l  biefeS  3uf'^""»cnl)aug§  t)on  ®ott 
gebad;t  unb  l)eroorgcbrad;t  werben  fann,   ba|   ©ott,   rocnn  er  einmal 


1)  Sern.  (iJeb.  I,  §  1010—1019.     Theol.  nat.  I.  §  448—496.  363  f. 

2)  Theol.   nat.  I,    §  603  —  1003.     400  f.    430.  II,   §  309—410   ügl.    Philoa. 
moral.  Ul,  §  429  f. 


©Ott  unb  Söelt;  tI)eoregifc?;e  9?aturajiftd^t.  207 

biefe  2öett  fd^affen  wollte,  nic^tg  in  il)r  anberS  ntad^en  fonnte,  a(§  e§ 
ift,  ba§  aud^  bie  UnuoIIfommcntielt  il^rer  einjelnen  S:f)et(e,  aud;  ba§ 
metapi)ijfi|^e,  pfipfifc^e  unb  moralifd^e  Hebel,  v)a§>  in  i^r  ift,  mit  ber 
^bee  bkie^  beftimmten  SBeftgan^en  untrennbar  oerbunben  max  unb  an§ 
feiner  urfprüng(i(|en  ^wfö^t^enfeMmg  mit  9iotf)rocnbitjfeit  fierüorgieng. 
@r  fd^UcBt  au§  ber  SioUfommenEieit  be§  gött[id;cn  2öeien§,  baB  @ott 
nur  ba§  S3efte  moHen  fönne;  bo§  basier  üon  allen  ben  gapofen  2öelten, 
bie  er  t3on  ©roigfeit  al§>  mögUd;  erfannte,  biejenige,  n)eld;e  er  roirfUd^ 
gefd^affen  f)at,  bie  hefte,  bem  göttlichen  2Bett3roe(!  entfpredjcnbfte  fein 
mün'e.  ©iefen  ^med  er!ennt  er  nun  in  ber  6l)re  ©otte^  ober  ber 
Offenbarung  ber  göttlichen  35olIfommenf)eit ,  unb  ba§  mefentlidje  3J?ittet 
für  benfelben  barin,  ba^  bie  Söett  felbft  möglidjft  uoüfommeu  ift;  fo 
baB  er  bemnad;  auc^  bie  gröfstmöglidje  S3ollfommen^eit  ber  SBelt  aU 
ben  näd;ften  Qvoed  ber  SBclteinric^tung  f)ätte  bc^eid^uen  fönnen.  3Jiit 
biefer  S3ctva(^tung§TOeij'e  freuet  fid^  aber  bei  SBolff  in  nod;  I)öl)erem 
©rabe,  al§  bei  Seibni^,  eine  gmeite,  meld)e  üon  ber  überlieferten  SDog^ 
matif  auicge^t.  @r  behauptet  au§brüdlid^,  bie  SSelt  fei  of)ne  alle  innere 
9^otl)roenbigfeit  ron  @ott  ge[d)affcn,  für  i^n  fei  e§  gleichgültig,  ob  eine 
Sßelt  eyiftire,  ober  feine;  er  nimmt  nid^t  ben  geringften  2(nfto§  an  ber 
S3orftcUung,  ha^  @ott  ron  aller  ©roigfeit  ber  oljue  bie  2Selt  gcroefen 
fei,  unb  fie  erft  in  einem  beftimmten  ^citpuult  l)eruorgebrac^t  l;abe;  er 
erflärt  nid)t  allein  bie  SBeltfdjöpfung  für  ein  SBunber,  fonbern  er  Iä§t 
ber  göttlidjen  SSunberfraft  and)  im  SBeltlauf,  wie  mx  bereits  gcl)ört 
^ben,  freien  ©pielroum;  er  rebet  tro^  feinem  S^etcrminifmu§  in  ber 
fiergebradjten  SBeife  üon  ber  göttlid;en  ^ulafinng  unb  3}titTOirfung ;  er 
mad^t  enblid^  t)on  ber  teleologifdjen  Dlaturerflarung  nid;t  fetten  einen 
fo  äu^erlid^en  unb  fleinlidjcn  ©ebraud^,  als  ob  er  gan^  üergeffen  l)ätte, 
ba^  nad;  feinen  eigenen  ©lunbfätsen  (Th.  n.  I,  626)  alle  befonbcren 
3n)ede  ber  Singe  in  ber  Söelt  burc^  il)r  ^ßer^ältniB  ^um  3iüed  be§ 
SBeltgan^en  bebingt  finb.  ®a  @ott,  fagt  er,  alle  folgen  ber  SBeltein^ 
ric^tung  üor^er  mei^,  fo  muB  er  fie  and)  alle  gemollt  })ahcn ;  ha  biefe  ©inrid;; 
tung  nidjt  unbebingt  notljroenbig  war,  fo  fann  nur  bie  5ßolifommenl)eit, 
roel^e  burd^  fie  erreid;t  werben  foUte,  il^n  beftimmt  l)aben,  fie  gu  treffen ; 
wir  muffen  bemnad^  in  attem,  wa§  fid^  au§  bem  SBefen  ber  S)inge 
frgiebt,  götttid^e  2lbfid;ten  erfennen  ^).    ®urd;    biefe  ©rroägung   glaubt 

1)  SJern.  ®eb   ».  ©Ott  u.  f.  tt).  §  1026  f.    Sern.  ®eb.    b;n   ben  ^bfid^tcn   ber 
natürlichen  ©ingc  (1723.  1752.)  §  66.  104.  111  ii.  ö. 


208  SBütfj. 

fi(^  Söolff  6ered)t{gt,  bei  ollem  in  ber  SBelt,  bem  ffeinften  toie  bent 
größten,  ixaä)  bcn  Qweäcn  be§  ©c^öpferS  ju  fragen ;  itnb  wenn  er  audf) 
anerfennt,  ba^  biefe  ^mcäe  nid^t  auf  ben  3}^enf(f;en  befd^ränft  feien, 
,,baB  ©Ott  nid;t  alleS  in  ber  2öe(t  b(o§  un§  gu  gefatten  gemadfit  F)abe", 
fo  ftettt  er  boä)  jugleid^  ben  @rnnbfo|  auf,  @ott  fönne  burd^  ba^felbe 
^Diittel  üerf($tebene  ^meäe  ^uglcic^  erreid^en,  imb  er  toiII  bemnad^  alle 
folgen,  raeld^e  au§  ber  3^atureinri(^tung  für  3)^enf(^en  uub  ^t^iere  f)er; 
üorge^en,  roenigftenä  aU  ^Reben^roedfe  in  ben  göttUd^en  2Be(tp(an  mit- 
aufgenonnnen  lüiffen  ^).  53ei  biefem  SSerfa^ren  war  e§  bann  freilid^ 
ganj  unoermeiblidf;,  ba§  er  bie  größten  S^atnrerfdjeinungen  unb  bie  bnrd^= 
greifenbften  S^oturgefele  nid^t  fe(ten  al^  ein  9Jiitte(  für  ganj  unterge; 
orbnete  ntenfd;[id^e  ^wcäe  bel^anbelte,  ober  boB  üon  3raei  ©ingen,  bie 
mit  einanber  im  3u[awTnen^ang  fte!)en,  jebe^  je  wa^  Umftänben  balb 
jum  Qrücd  bolb  3um  3}tittel  gemacht  TOurbe.  „S)ie  6onne  ift  ba,  ba- 
mit  bie  2>eräiiberungen  auf  ber  (Srbe  ftattfinben  fönnen;  bie  ßrbe  ift 
ba,  bamit  ba§  ©afein  ber  ©onne  nid^t  sroedlog  ift/'  S)ie  ©terne  ge= 
iüät)ren  un§  ben  'iRü^en,  ba§  man  $Rad^tg  auf  ber  ©tra^e  noc^  etraag 
fe^en  fann.  „©a§  S:ageB(icf;t  fd^affet  un§  großen  ^^iu^en:  benn  bei 
bem [etben  fönnen  mir  unfere  3!?errid^tungen  bequem  oornefimen,  bie  fid^ 
be§  2tbenb§  t£)eil§  gar  nid^t,  ober  bod^  wenigfienS  nid^t  fo  bequem,  unb 
mit  einigen  Soften  üornefimen  laffen."  2lu^  fann  man  mit  §ütfe  ber 
©onne  bie  SJ^ittagSlinie  finben,  ©onnenuf)ren  verfertigen,  bie  breite 
einel  Drt§  beftimmen,  bie  Slbroeidjung  ber  3J?agnctnabeI  berid;tigen 
u.  f.  u).  S)ie  ganje  ®inri(^tung  ber  @rbe  ift  nid^t^  anbereS,  „al§  ein 
ron  ©Ott  üerorbnete^  9)iittel,  aUel  baSjenige  3U  erreid^en,  n)a§  mir  jur 
Sf^ot^burft,  gur  Sequemlic^feit  unb  gur  ©rgö^Iid^feit  nötf)ig  f)aben."  ®ie 
3(bii)ed;§(ung  be§  StageS  unb  ber  $Rac^t,  n)eld;e  burd;  bie  ^Idifenbrefiung 
ber  ©rbc  bewirft  roirb,  f)at  ben  -Jiu^en,  baB  fid^  3JJeufd^en  unb  %^iexe 
be§  9?ad;t§  burd;  ben  ©d)(af  roieber  erquiden  fönnen;  oud;  bient  bie 
S^ad^t  3U  einigen  5>errid;tungen,  bie  fid;  bei  2:age  nid^t  n)of)l  t)orncf)men 
laffen,  mie  beim  5]ogetfang  unb  gif d; fang;  wenn  anbererfeitS  ber3Jionb 
feine  S(d)fcnbrcf)ung  f)at,  fo  erffärt  fid;  bieB  barauS,  baf3  fie  nid;t 
nötf)ig  war,  meil  bie  3)ioub§betDo^ner  fd;on  burc^  feinen  Umlauf  um 
bie  ©rbe  einen  Söed^fef  tjon  %aQ  unb  9?ad;t  l^aben,  mit  bem  fie  immer= 
f)in  auc^   auSfommen  fönnen.    S)en  SBinb  gebraud^t  ©ott  bafb  um  bie 


1)  2tbf.  b.  nat.  2)ingc  §  28.  60.  85.  91  u.  a.  @t. 


gjlenfd^en  ju  [trafen,  Mh  um  if)nen  moWit^m.  ®a0  ^euer  bient  gur 
©rtüärmung,  gut  S3ereitung  ber  ©peifen,  gum  ©(i^metgen  ber  ^^etaae, 
feit  ber  ®rfinbung  beg  ^uloerS  aud;  gur  triegfüfirung  unb  gu  ^euer= 
werfen,  unb  roieraofit  eg  oft  großen  ©(^aben  ftiftet,  ift  bo(^  fein  5Jtu|en 
raeit  überroiegenb  unb  man  f)at  fo  au(^  an  i^m  eine  ^xohe  ber  gött^ 
a($en  ©Ute.  Sie  «pffanjen  finb  gur  5Ra^rung  für  %f)kxe  unb  9Kenf(f;en, 
für  bie  le^teren  au(^  gum  SSergnügen  unb  gu  mand^erlei  fonftigem  @e= 
braud^e  gefd^affen.  Sie  %\)iexe  finb  ungmeifel^aft  bagu  Beftimmt,  einanber 
unb  bem  3JJenfc^en  gur  5naf)rung  gu  bienen;  i{)re§  anberraeitigen  ^Ru^eng 
für  ben  (enteren  ni($t  gu  erwätjuen  %  ^n  biefer  Söeife  füf)rt  2öotff 
feinen  ©ebanfen  t)on  ber  burd^gängigen  3iuedmä§igfeit  ber  9^atur  au§. 
Ser  le^te  i^roedE  ber  SBelt  liegt  für  i{)n,  mie  er  felbft  fogt^),  nur  in 
ben  gjlenfd^en  (bie  8eroof)ner  anberer  SBettförper  miteingefc^loffen),  weit 
©Ott  nur  burc^  fie  bie  ^auptabfid^t  erreichen  fann,  bie  er  Bei  ber  2Bett 
gefiabt  {)at,  boB  er  al§  @ott  erfannt  unb  verehrt  werbe;  alle§  übrige 
ift  um  ber  9Jienf(^en  mitteu  üortianben,  fie  allein  finb  um  itirer  felbft 
mitten  gemacht.  ©0  ift  bie§  ber  gleite  ©tanbpunft,  mie  mir  if)n  in  ber 
alten  5pt)iIofopf)ie  ki  SofrateS  unb  ben  ©toifern  finben;  er  ift  aber 
anä)  fion  üon  2öoIff  faum  weniger  einfeitig  au§gefü{)rt  morben,  a(§ 
t)on  jenen,  unb  wenn  bie  2Iuf!(ärung§p{)iIofopf)ie  nac^  Söolff  hierin 
atterbingS  nod^  einen  ©d;ritt  weiter  gieng,  üerfotgte  fie  bod)  nur  beu 
SBeg,  welchen  er  fdjon  mit  atter  ©ntfc^iebenlieit  eingefc^lagen  fiatte. 

6.  2)ic  ^rftftift^c  ^f)tIofop^ie. 

3«it  biefer  STeteoIogie  ftefit  bie  praftifd^e  ^sf)ilofopf)ie  3),  weld^e 
SBoIff  ungemein  breit  befianbett  f)at  *),  burd)  ben  @a^  (Phil.  pr.  §  46  ff.) 
in  SSerbinbung:  ber  natürlid^e  ©ebraud;  ber  geiftigen  Gräfte  unb  ber 
förperlid^en  Organe  fei  ein  ron  ©Ott  beabfid^tigter  3wed,  unfere  freieu 
^anbiungen  werben  nur  bann  gu  unferer  58oIIfommenf)eit  beitragen  unb 
mitt)in  gut  fein,  wenn  if)r  $8eftimmung§grunb  in  ben  gleid^en  3wec!en 

1)  Cosmol.  §  39.  Slbf.  b.  natürt.  3)tnge  §  33.  47.  55  f.  66.  79  f.  103.  109. 
206  ff.  230  ff. 

2)  %m  @c^ru§  ber  53etn.  ®eb.  0.  b.  Slbf.  b.  natürl.  ©inge. 

3)  Uefeer  bie  ^^cile  ber  l^raftifc^en  ^^iIofopt)tc  togt.  man  ©.  179. 

4)  ©eine  Philosophia  practica  universalis  (1738)  umfaßt  swei,  boS  Jus  uatnrae 
(1740  ff.)  ad^t,  unb  »nenn  man  ba§  Jus  gentium  baju  vccfinet  neun,  bie  Philosophia 
moralis  (1750  ff.)  fünf  Ouartbänbc.  Seit  fürser  ift  bie  beutjc^e  SD^orat  (Sernünft. 
(Scb.  üon  ber  SWenfc^en  Zijun  unb  Saffen  1720)  unb  bie  ^oliti!  (SJern.  (Seb.  üou  bem 

3 eller,  ©ef^iditc  ber  beutfd^en  <P^»ofop^ie.  14 


210  SSoIff. 

lieotc,  lute  berjenige  ber  natürItd}on  ^fiätigfeiten ,  tüenu  er  m.  o.  9CB.  ber 
9^atur  unb  ber  natürli^en  ^öeftinintung  ttnferer  förperlic^en  unb  geiftis 
gen  Gräfte  entfprec^e ;  wäf)renb  fte  anbernfallg  ju  «iiferer  tlnt)ott!ommen= 
|ett  kitragen,  nnb  mitl^in  f^Ied^t  feien,  ^n  bemfelkn  ®o|  ift  Bereite 
ttud;  bie  aHgenieine  Stiftung  ber  lüolffifc^en  Tloxal  auSgefproc^en.  5Da 
ber  fittlic^e  ßfiarafter  nnferer  ^anblnngen  von  ifirem  SSerfiältni^  gu 
«nferer  Statur  abf)ängt,  fo  fonn  au^  ber  @runb  ber  fittU^en  3Serpfliä^= 
tung  3unä($ft  nnr  in  ben  ®efe|en  nnfever  9^atnr  gefnd^t,  unb  ber  3n= 
\)ait  berfelben  nur  au§  ifinen  beftimntt  werben,  ©o  wenig  bafiec  SBolff 
au(^  bejTOeifelt,  boB  biefe  ®efe|e  t)on  @ott  [tammen  unb  al§>  göttliche 
©efet^e  gu  betradjten  feien,  fo  entfdjieben  bringt  er  barauf,  ba^  ba§ 
©ittengefe^  als  ein  eroigeS,  not^rcenbigeS  unb  unüerönberli($e§,  Don 
jeber  göttlichen  unb  ntenf(^Ii(^en  ©a|ung  unab^iängigeS  @efe|  anerkannt 
werbe ;  benn  au^  @ott  fönne  un§  fein  anbereS  ©efe^  aU  bo§  @efe^  ber 
9f?atur  geben,  raeil  eben  nur  biefeS  ju  unferer  f)öd;ften  S^ernonfomrnnung 
biene  unb  @ott  nur  ba§  S3efte  raoHen  fönne.  S)a§  ©ittengefe^,  erüärt 
er,  f)ätte  aU  @efe|  tmferer  Sf^atur  feine  ©eltung,  rccnn  and;  fein  @ott 
TOäre,  unb  e§  fönne  al§  foI(^eg  au^  üon  benen,  ToeId;e  on  feinen  @ott 
glonben,  burc^  il^re  33ernunft  erf annt  werben ;  einen  fc^Iagenben  $Beraei§ 
bofür  glaubte  er  in  ben  ßl)inefen  gu  finben,  bie,  n)ie  er  meinte,  graar 
üonfommene  2ltf)eiften  feien,  aber  tro^bem  eine  üortreffüc^e ,  mit  feiner 
eigenen  faft  bnr(^ou§  übereinftimmenbe  SJlorat  fiaben.  3Jlog  bafier  unfere 
fittlic^e  SScrbinblic^feit  immerf)in  nod^  üoüftänbiger  begriffen  werben, 
wenn  @ott  aU  ber  IXrl^eber  ber  3fiotnr  erfannt  ift,  fo  ift  boc^  au^  fc^ou 
bie  Äenntnif3  ber  mcnfc^lic^en  9?atur  für  fid^  allein  üottfommen  genügenb 
ju  if)rer  58egrünbung.  Hub  wie  fo  bie  D^atur  bie  einjige  unmittelbare 
nuelle  be§  6ittengefe^e§  ift,  fo  ift  aud^  bie  Hebereinftimmimg  mit  ber 
9Ratur  fein  einziger  i^i^l^alt.  -Slffe  fittlid^en  ©ebote  foffen  fid^  in  ber 
©inen  Siegel  jufammen:  „^i^ue,  maä  bid^  unb  beinen  ^^ift^"^  ^ott^ 
fommener  mad^t,  unb  unterlaß ,  ma§  bid^  nnb  beinen  3wftanb  unüolI= 
fommener  mad;t" ;  gu  unferer  S8eri)olIfommnung  bient  aber,  ma0  unferer 
Statur  gemäl  ift,  e§  beeinträd;tigt  fie,  iüo3  i^r  miberftreitet.  ®a0  alte 
^rincip  beg  naturgemäf^en  SebenS  ift  ba^er  auä)  ba§  ber  molffifd^en 

geyeüfd^aftüd^eu  iibtn  ber  ajienjd^eu  1721).  X'(u§  bem  9fatuvrcd^t  ijat  SB.  in  ben 
Institutiones  juris  naturae  (1749)  einen  2(u§jug  gegeben,  bon  bem  er  felbft  fagt, 
baß  ber  ganjc  loefentlic^e  ^n^aU  beSfelben  bavin  ju  finben  fei.  Unfere  ©arfteüung 
faiin  natürlich  nur  bie  leitenben  (Sebanfen  unb  bie  bt3cic^nenbften  3^9«  bief«r  »eit= 
fd^id^tigen  2(u§fü^rungen  berlicffii^tigen. 


Sf)arafter  itnb  ^rtnctp  f.  maxal  211 

moxal  3Iuf  bei-  S3coBad;tung  be§  9taturijefcl3c§  Berutit  uufere  mM'- 
feligfelt.  Senn  wenn  bie  Suft  iibert)anpt  nichts  anbere^  ift,  al^  2ln= 
f(|anung  ber  ^oflfontmenl^eit,  fo  wirb  auf  eine  Beftänbißc  £nft,  ober 
auf  ©liicffeligfeit,  fic^  nur  berjenige  Slec^nung  machen  fönnen,  ber  un= 
get^inbert  üon  einer  SSoUfonimeniieit  5ur  anbercn  fortfc^reitet,  unb  in  biefem 
%aU  ift  ber  SJlenfd;  ekn  nur  bann,  wenn  er  fein  3]er!)alten  nad;  bem 
@efe|  feiner  ^Ratur  einrid^tet.  ^n  ber  2tner!ennunö  biefe§  ©efe^e§  liegt 
and)  allein  ba§  richtige  fittli^e  9)lotit).  S)er  ^ugenbljafte,  fagt  Söolff, 
tf)ut,  luaS  hem  5Raturgefe^e  gemäB  ift,  wegen  feiner  inneren  ©üte,  unb 
unterläßt,  waS  if)m  suwiber  ift,  wegen  feiner  inneren  ©djled;tig!eit ; 
wer  bagegen  eine  bem  Slaturgefe^  entfpred;enbe  ^anblung  au§  gurd;t 
vov  Strafe  ober  ou§  Hoffnung  auf  eine  pofitioe  SeloI)nung  ooEbringt, 
ber  ift  nidjt  tngenbl^aft.  ©ofern  jcbod;  mit  ber  ^Befolgung  be§  Statur; 
gefe|e§  unb  ber  au§  i()r  cntfpringenben  5?oU!omment)eit  uufere  (^IM- 
fetigfeit  uot^wenbig  oertnüpft  ift,  wirb  awä)  wieber  ba§  6trebcn  nad; 
©lüdfeligfeit  al§  allgemeiner  ^cweggrunb  be0  tugenbl;aften  ßebenS  be^ 
geid^net.  2Ba§  aber  bem  Sfiaturgefel^  entf^rid)t,  lann  nur  uufer  SSer^ 
ftaub  beurt^eilen,  unb  befil^alb  Ijängt  (wie  wir  aud;  fd;on  frül)er  get)ört 
liaben)  bie  58efd;affenl;eit  unfereS  2Billen§  von  ber  unfercS  SSerftanbeg 
ab,  unb  bie  2luff(ärung  be§  legieren  l)at  für  unfer  praltifdjeS  ^^erl)alten 
unb  uufere  ©lüdfeligteit  jene  aufserorbcntlic^e  2öid;tigfeit,  welche  il)r 
SBoIff  mit  Seibniä  beilegt,  ©rinnern  wir  un§  ferner,  ba^  bie  S3oII= 
fommcntieit  oon  unferem  ^f)i(ofopI)en  ai§>  ^ufammenftimmung  be§ 
SDknnigfaltigen  befinirt  wirb  (ugl.  ©.  185),  fo  werben  wir  e0  nur 
natürlich  finben  fönnen,  wenn  er  »erlangt,  uufere  ^anblungen  foEeu 
auf  ©inen  legten  Qweä  (ben  unfercr  ^BerooMommnung)  belogen,  atte 
fonftigen  Qmzd^  biefem  ©inen  in  bem  rid;tigen  35ert)ä(tni§  untergeorbnet 
werben,  unb  e§  foUe  fo  eine  burd;gängige  Uebereinftimmung  unb 
Drbnung  unfereS  ganzen  Seben^  lf)erbeigefül)rt  werben;  unb  ba  nun 
bie§  nur  burd)  eine  mett)obifd;e  ©rforfc^ung  ber  fittüd^en  Slufgaben  unb 
ber  SJiittel  gu  if)rer  ©rfüKung  möglich  ift,  fo  liegt  am  %aQC,  wie  vkl 
i^m  uid^t  blo0  an  ber  D^ic^tigleit ,  fonbern  auc^  an  ber  S^oKftänbigfeit 
unb  ber  wiffenf($aftlid;en  Verknüpfung  unferer  fittlid;en  ^Begriffe  gelegen 
fein  mu§,  wie  unentbel)rlid;  bie  SJioral  feiner  Slnfid^t  nad^  für  bie 
gjtoralität  ift  '). 

1)  Philos.  pract.  I,  §  47—416.  II,  34  fj.  217.  214  ff.  324  ff.     ©rtfc^e  2Äorat 
§  1-72.  139  ff.  373  f. 

14  * 


212  SBoIff. 

^n  her  weiteren  2(u§fiif;r«ng  feiner  ©tttenlel^re  imterfc^eibet  SBolff 
bie  ^f(id;ten  gegen  m\§>  felbft,  gegen  Slnbere  uub  gegen  @ott.  S)ie  er^ 
fteren  ergeben  fi($  au»  feinem  3JtoraIprincip  unmittelbar.  S)ie  5pfli(^ten 
gegen  2lnbere  grünbet  er  auf  bie  ©rwägung  (Phil.  pr.  I,  §  221  f.): 
ba  bie  3Jienfd;en  i^re  SSerüoHfommnung  nur  burd^  gemeinf(^aftn(^e 
^l)ätigfeit  erreichen  fönnen,  unb  ba  jeber  gu  biefem  ^^ede  ber  33ei£)ü(fe 
ber  anbern  bebürfe,  fo  fei  e§  aud^  ^flid^t  eineS  jeben,  allen  anbern 
biefe  Unterftü^ung  gu  geraä^ren.  Unter  ben  ^pftid^ten  gegen  ©Ott  »er- 
ftcf)t  er  (^eutfd^e  Wloxal  §  651)  ,,biejenigen  ^anbtungen,  bereu 
53erocgung§grünbe  bie  göttlii^ett  3SoII!ommenf)e{ten  finb."  ®a^  bie 
(enteren  in  biefer  SBeife  gu  Semeggrünben  unferer  .^anblungen  werben 
foUen,  folgt  für  tf)n  au§  bem  SSerf)ältni§  ber  götttt(^en  2ßir!famfeit  ju 
ben  9^aturgefe|en:  ba  bie  9^oturgefe|e  nidjtS  anbereS  finb,  al§  bie 
Offenbarung  ber  göttlichen  SKei^I;eit  unb  @üte,  fo  (äffen  fie  alle  fid^ 
au§  ber  Setrad;tung  biefer  göttüd^en  ©igenfdjaften  ableiten.  SBeil 
aber  anbererfeitg  bie  göttlid;en  ©efe^e  unferer  SSerfialtenS  it)rem  ^n- 
l^a(t  nad;  mit  ben  ©efe^en  unferer  eigenen  Statur  jufammenfaHen, 
fo  (äffen  fid;  aUe  unfere  ^f(idjten  gegen  ©Ott  barauf  äurüdfü()ren, 
baB  mir  im  ©ebanf'en  an  i()n  t()un,  ma0  unferer  Statur  gemäB  ift. 
©otteS  35oIlfommen()eit  fönnen  mir  nid^t  beförbern,  wir  fijnuen  if)n  nur 
baburd^  e()ren,  ba^  mir  unfere  2lnerfennung  berfetben  burd^  unfer  %^un 
unb  Saffen  an  ben  XaQ  legen:  bie  ©ottfetigfeit  beftel)t  barin,  ba^  man 
afle  feine  §anb(ungen  jur  @^re  ©otte§  einrid;tet;  berjenige  erfüllt  feine 
g^flid;ten  gegen  ©ott,  meld^er  in  feiner  ©otte^erfenntni^  ben  eintrieb 
jur  ©rfüdung  feiner  ^fli^ten  gegen  anbere  unb  fid^  felbft  finbet.  2lu^ 
biefem  ©cfid^t§punft  mirb  l)ier  namentlid^  ber  äußere  ©otte^bienft  beur- 
tl)eilt:  SBolff  ift  weit  entfernt,  il)n  für  iiberflüffig  ju  erflären,  aber  er 
fuc^t  feinen  Söert^  au§fc^lief3lid;- in  feiner  moralifc^en  SBirhtng  auf  ben 
3JJenf(^en.  S)icfe  SBirfung  wirb  nun  natürlid^  um  fo  größer  unb  reiner 
fein,  je  oorgefc^rittcner  unfere  ©rfcuntni^  ber  5l?or(lommenl)eiteu  ift/ 
benen  mir  bie  33eTOeggrünbe  unfere§  §anbctn§  entnel^men  follen;  unb 
fo  ift  e§  gan^  in  ber  Drbnung,  menn  9[ßo(ff  anÖ)  l)ter  üor  adem  auf 
bie  2(u§bilbung  be^  S?erftanbe§  bringt  unb  in  ber  ©otte^erfenntniB  bie 
©runblage  aller  ^flid;tcrfü(Iung  gegen  ©Ott  fiel)t.  SBenn  ber  3Jienfd^ 
eine  lebcnbige  Grl"enntnif3  uon  ©ott  l)abe,  fagt  er,  fo  merbe  biefe  aud^ 
ben  53eioeggrunb  unferer  .^anblnngen  abgeben,  c§  merbe  ba()er  bie  ©r= 
füdung  unferer  ^pflid^ten  gegen  bie  ©ottl)eit,  bie  ^eförbcrung  iljrcr  ^xe, 


^'Pic^tenlcl^re.  213 

ntd^t  ausbleiben,  ^n  einige  SSerfegenfieit  bringt  i^n  bobei  bie  3Sa()r= 
ne^mung,  boB  bie  fiiebe  ju  @ott  mit  ber  ©rfenntni^  nid^t  immer  g[et= 
c^en  ec^ritt  \)alte,  unb  oft  bei  einfältigen  ß^riften  grii^er  fei,  üI§>  bei 
frfjarffinnigen  SBeltmeifen.  ßr  ^i(ft  fid;  aber  nid;t  ühd  mit  ber  S3e= 
merfung,  bie  er  nur  weiter  »erfolgen  burfte,  um  über  feine  einfeitig 
bogmatifd^e  unb  moralifd^e  STuffaffung  ber  Steügion  f)inaui§gefüt)rt  3« 
rcerben:  ni(^t  jebe  ®r!enntniB  @otte»,  fonbern  nur  eine  leben b ige 
©ottelerfenntniB  bemirfe  Siebe  gu  @ott;  bie  Sebenbigfeit  ber  (vrfcnntnife 
^änge  aber  Don  bem  @rab  i^rer  (fubjeftioen)  ©emiBfjeit  ab,  nnb  bicfe 
fei  bei  bem  Einfältigen  oft  uicl  ftärfcr,  al§>  bei  einem  loldjcn,  bem  bie 
Unterfnd^ung  oller  ©rünt-e  no($  ben  einen  unb  anbcrn  3roeife(  übrig 
gcloffen  l^abe.  DMjtSbeftoracniger  aber  uerbiene  bie  Ucberjeugung  bur(^ 
©rünbe  oor  ber  bloßen  Ueberrebung  be^^aib  ben  33or3ug,  weil  bie  (entere 
feine  ^ürgfd;aft  für  bie  Stauer  eines  ©(aubenS  geniät)re  unb  bem  3rrtf)um 
ebenfogut  ju  @ebot  fte^e,  roie  ber  2Baf)rI)eit;  unb  wenn  bem  6l)riften 
freiließ  ber  göttlid^e  ©eift  eine  i)öi)evc  ©eroiB^lcit  fdjcute,  fo  I)abe  er 
gerabe  eg  am  menigften  nötfjtg,  „burd;  llnooatommenljeit  be§  3>erftanbe§ 
ben  Eifer  im  ©uten  ju  erlangen"  '). 

E§  mürbe  un§  ju  weit  füliren,  menn  mir  SBoIff  nod;  mdjx  in  ba§ 
einzelne  feiner  2Rora(  fofgen  moUten.  (Seine  ©runbfäljc  finb  buid)au5 
fe^r  a(^tung§roert^,  feine  erörterungcn  in  ber  Siegel  red;t  oerftänbig. 
2lber  ba§  ^Beftrebcn,  allel  ^u  bemonftriren  unb  aud;  ba§  felbftücrftänb= 
lid^e  nod;  beutlid;er  gu  mad;en,  oerleitet  il)n  fd;on  in  'feiner  für^eren 
beutfc^en  Wlomi  ju  umftänblid^cn  2lu§einanber)c^ungen  über  S)inge, 
meldte  biefer  ©rünblid;feit  t^eil§  nic^t  bebürfen,  tl)ei(§  and)  mit  ben 
allgemeinen  @efid;t§pun!ten  in  einem  oiet  gu  lofen  ^ufommenljang  fteljen, 
um  in  eine  pl^ilofopI)if(^e  Gt^if  gu  gel^ören.  S)a§  lateinifd)e  3Berl' 
oollenbS  fennt  in  ber  ^Breite  ber  5)arfteHung  unb  bem  Eifer  ber  fc^ul= 
mö§igen  S3eroei§fül)rung  roeber  3)taB  nod;  3iel,  unb  in  feinen  ^mei  erften 
58änben:  „oom  SSerftanb"  unb  ,,t)om  Söiflen",  ift  eS  grof^entljeüS  nur 
eine  Sßieber^olung  beffen,  wa§  ber  3?erfaf)er  in  feiner  Sogif,  feiner 
^fi;c^ologie  unb  feiner  ^^allgemeinen  praftifd;en  ^^ilofopljie"  fc^on  oft 
au§gefül)rt  l)at. 

3)lit  ber  3Jlorat  mirb  nun  haS^  Staturrec^t  t)on  Söolff  nid;t  bto§ 
üer!nüpft,   fonbern  aud^  oiclfad;  in  §öl)erem  ©robe  oermifd;t,  al§  bic^ 

1)  ©eutfc^e  Moral  §  680  ff.   Philos.  mor.  III,  §  226  f. 


214-  SÖDlfj. 

naä)  ber  llnter|i^eibimg  Beiber  Gebiete  bur($  5tf)otnafiu§  nod)  gefdje^en 
biirfte  M.  31tlc§  Sf^ed^t  beruht  i^m  sufoltjc  auf  ber  ^ftidjt :  wir  fiaben  ein 
natürfidje§  9led)t  auf  altes  ba§,  raoburd;  bie  Erfüllung  unferer  natür= 
tirf;cn  Sicrlnnb lief) feiten  bebingt  ift  (Inst.  §  45  f.);  unb  ha  biefe  für 
atte  9}ien)'djen  bie  i3(ei(^en  finb,  fo  ftefien  au($  alle  !^infid;tli(^  if)rer  natür= 
UcTjcn  9?cc[)te  fid;  g(ei(^:  n)a§  ©inem  üerniijge  feine§  natürlichen  9lcd)tg 
ertaubt  ift,  ba§  ift  alten  ertaubt,  unb  ma§>  ®iner  vermöge  feine»  natür- 
[idjen  9ied)iS  oon  anbern  gett)an  ober  nidjt  gettjan  toiffen  Witt,  ba§  ift 
er  feinerfeitS  i^nen  ju  tl^un  ober  ni(^t  gu  tt)un  t)erpfti(^tet  (68  f.).  Unter 
hen  9?cd;ten,  loetd^e  fid;  t;ierau§  ergeben,  finbet  nun  alterbing§  ein 
llnterfdjicb  ftatt.  3^a  nnfere  natürttd;e  SSerpfti^tnng  eine  unbebingte 
ift,  fo  ift  and;  unfer  'Meä)t  auf  alteS  ba§,  raaS  gn  it)rer  ©rfütinng  nott;; 
raenbig  ift,  ein  unbebingte^:  niemanb  barf  un§  an  feinem  ©ebraud^ 
f)inbern,  unb  raenn  e§  fentanb  üerfudjt,  finb  wir  bered;tigt,  itm  5ur 
2td;tung  beSfetben  ju  gTOingcn.  ^ie|3  ift  ba§  „t)ottfommene  9]edjt"  ober 
ba§  9tcdjt  im  engeren  Sinn,  dagegen  tjaben  wir  fein  'iReä)t,  einen 
anbern  3u  fotd;en  .^anbtnngen  3U  gmingen,  n)etd;e  \i^  gmar  au§  feiner 
natürtidjen  3Serpftid}tung  ergeben,  burd;  beren  Untertaffung  aber  wir 
an  ber  ©rfüftung  ber  unfrigen  nid;t  yertjinbert  werben,  5.  33.  gu  §anb= 
tungen  ber  2Bot)ttt)ätigfeit ;  bie  SSerpftidjtung  ber  anbern  ju  fotd;en 
.^anbtungen  ift  baf)er  nur  eine  uuüottfommene,  unb  wir  Ijabtn  auf  fie 
nur  ein  unüoüfommeneS  9?ed)t:  fie  fatfen  nid;t  unter  ben  @efid)t?^puuft 
be§  dicd)t§'  (im  engeren  ©inn),  fonbern  ber  33iftigfeit  (76  f.).  ^nbcffen 
mad)t  SBotff  üon  biefer  Unterfdjcibung  nid;t  ben  bnrdjgreifenben  ©cbraud^, 
wetd;en  fpäter  .^ant  baoon  gcmadjt  tjat. 

SSon  ben  vier  ^aupttl^eiten ,  in  bie  2öotff'§  9^aturred)t  nad;  ben 
eben  befproc^eneu  einteitenben  IXnterfudjuugcn  jerfättt,  betjanbctt  ber 
erfte  bie  g?f(i(^ten  be§  3}tenfdjen  gegen  fid;  fetbft,  gegen  2tnbere  unb 
gegen  (5^ott  unb  bie  mit  i^uen  yerfnüpften  9k'd;te.  S)iefe  gauäe  3tu§; 
eiuanbcrfe(5uug  ift  aber  weit  uietjr  moratifdjen  at§  ftreng  naturrcdjttidjen 
^ntiattiS,  unb  fo  rid;tig  aud;  ba§  meifte  barin  ift,  fo  bietet  fie  bod; 
faum  irgenb  eine  eigcntf^ümtidje  Scftimmuug  uon  einiger  (Sr^ebtid;feit 
bar.  ®er  gweite  2t)eit:  „über  ba§  ßigent^inn  unb  bie  barauS  fid;  er: 
gcbenbcn  9tcd;te  unb  2>erbiubfid;feitcn",  befd;räuft  fid^  me^r  auf  eigeut= 

1)  SBotff'S  iiaturrc{^t(id}e  '5{{)riftcu  finb  frfjon  ig.  209  genannt.  2)ic  3>evmeifungcn 
im  2;c;Lt  bcjief^m  fid)  auf  bie  Institutio;  bie  cmfprcdjeubcn  '^ttifd]uitte  be3  gvöjici-cn 
SCBevtS  (äffen  fid}  leidjt  finben,  ba  bie  Sfnovbnnng  in  Oeiben  bie  gleiche  ift. 


3Jatucred^t:   @^c  uiib  $au$»efen.  215 

lidfie  9fted;tlfrat3en,  inbem  er  bie  Sefire  üötit  @tgentf)uin  unb  ben  etöcn- 
t{)um§oerträgen   an  ber  ^anb   be§  römi[($en  unb  be§  gemeinen  9le^tä 
mit  großer  2ru§füf)rlic^!eit  barftellt.    S^^^fen  ift   and)   Ijiev  üon  neuen 
pf)i(ofopf)ifd^en  ®e[tdjt§punflen    menig  gu  Bemevfen.     9)iit  ben  meiften 
oon  feinen  SSorgängeru  nimmt  SSolff  an,  bie  SOtenfc^en  f)aben  urfprüng^ 
(i(^  in  einer  allgemeinen  @ütergemein[c^aft  gelebt ;  bie[e  f)ätte  fid)  jeboc^ 
bei  ber  SSermei)rung  beg  3}ienfi^engefc^led^t§  unb  feiner  ^ebürfniffe  nur 
unter  ber  Scbingung  einer  fo  attgemeinen  unb  uollenbeten  9^äd;ftenliebe 
aufredet  f)a(ten  laffen,  mie  fie  in  ber  SBirftid^feit  fid;  nid^t  finbe,  unb 
fo  fei  benn  frei(id)  ha§>  ^rit)ateigentt)um  gnr  Slotfiraenbigfeit   geworben; 
at§  einen  2tu^f(uB  ber  urfprüngtid;en  @ütergemeinfd;aft  betrad^tet  er  haä 
3led;t  auf  bie  33enü§ung  fremben  eigentf)um§  in  9]oti)f äffen  (186  ff.  304). 
3m  britten  2(;eil  feines  3^aturred;t§  befprid;t  SBoIff  ba§   gefett^ 
fc^aft(id;e  ßeben  ^);  at§  bie  äwei  formen  beSfelben  be3eid)net  er  bie  einfa(^e 
unb  bie  äufammengefetjte  ©efellfc^aft,  ober  wie  er  aud;  fagt,  ba§  imperium 
privatum  unb  ba§  Imperium  publicum,   bie  ^amilie  uub  ben  ©taat. 
^ie  5Rott)roenbigfeit  ber  ©efeflfd^aft  grünbet  fic^  im  allgemeinen  auf  bie 
58erpf[i(^tung ,   für   bie  eigene  unb  frembe  §ßoII!ommcnf)ett  fo  t)iel  al§ 
möglid)  ju  tljun;   benn  biefer  gorberung  Iä§t  fid;  nur  im  gefellfd;aft= 
lidjen  2d)cn  ©enüge  (eiften.   3Sei(  aubererfeitS  bie  ©efettfc^aft  nur  burd^ 
bie  Unterorbuung    ber   ßin3elnen   unter    einen   gebietenben  SBillen   §u 
©tanbe  fommt,   unb  von  9latur  feiner  bem  anbern  untcrmorfen   ift, 
fo  beruf)t  jebc  @efeflfd;aft  auf  einem  au§brücf(id)cn  ober  ftillfd^roeigenben 
SSertrag;  unb  SBoIff  f)ä(t  {)ieran  fo  eutfdjieben   feft,    ba^   er  felbft  bag 
5Ser|ä(tniB  3n)ifd;cn  Gltern  uub  Jlinbern  auf  eine  2lrt  oon  ^ßertrog  (ein 
quasi  pactum)   über  bie  Gr^ieljung  ber  £inber  äurüdfüt)ren  miß.    S)ie 
©efetlf(^aft  ift  bafier,  beibeS  jufammengenommen,  ein  3Sertrag  mehrerer 
^perfonen,  mit  uereinigten  J!räften  i^r  geuicinfameS  S3efte§  nac^   irgenb 
einer  ©eite  {)in  ju  beförbent;  unb  au§  biefem  ©runbe  ift  bie  gemeine 
3Bot)(fa^rt   ha§>  ^öc^fte  unb  le^te  ©efe^  jeber  ©efefffc^aft  (833  ff.  909. 
^.  «p.   1  ff.).     9^a^   biefen  ©efic^tSpunften  beurtfieitt   2öo(ff   bie   uer= 
f(^iebenen  53e3ie|ungen  beg   menfd;[idjen  @emeinleben§.    S)ie  ©i^e  er= 
giebt  \iä)  anä  bem  natürlidjen  Qmcd  beS  ©efc^led^tStebenS ,  weld;er  in 
ber  @rf)attung  ber  menfdjlid;en  (Sattung  befte{)t.    S)iefer  Qwed  forbert 

1)  ®en  ^n^alt  beSfeIfcen  f)atte  SBoIff  f^on  früher  in  feiner  beutjd^en  ^olitt! 
(bgl.  ®.  209)  niebeigelegt.  5luf  bie  Paragraphen  ber  le^tercn  bestellen  fic^  im  fol= 
genben  bie  ^ai)kn,  benen  bie  Sgui^ftaben  3).  ^.  »orgefe^t  fmb. 


216  ifi^olff. 

Txi(^t  Uo§>  bie  (gräeuguitß  ber  Äinber,  fonbern  aud^  ifire  ©rfialtung  unb 
i^re  ßräiefiung  ju  einem  Tnenfd;emüürbigen  Seben,  unb  bie  leitete  ift 
nur  burd;  eine  baucrnbe  ^^erbinbung  t)on  9Jlann  unb  SBeib  mögli(^ : 
bie  @^e  ift  mithin  eine  SSerbinbung  jur  @r3eugung  unb  ©r^ie^iung  üon 
Äinbern.  2lu§  biefer  ^wecfbeftimmung  leitet  SBoIff  foroof)!  bie  3Jionogamie 
af§  ha^  Verbot  ber  ©f)e[c^etbung  für  ben  %aU  ab,  ba§  unerzogene  Äin^ 
ber  t)ort)auben  finb ;  boc^  giebt  er  ^u,  baB  Qud^  in  biefem  gatt  @f)ebrnd^, 
bi3^^Iid;c  3Ser(a[fung  unb  Sierroeigerung  ber  ef)elid;en  ^flid^ten  ein  genü^ 
geuber  ©d;eibung§grunb  fei.  ®ie  2;rennung  finberlofer  @{)en  raill  er 
freigeben.  'llnet)elid;e  Jlinber  foffen  unter  ber  ©d;ulb  if)rer  ©Item  nid)t 
äu  leiben  f)aben,  unb  auc^  (;infid;tli(^  be§  ©rbred^tS  ben  eiielic^en  gleid^- 
fteljen.  Unter  ben  SSerraanbtfd^aft^graben  wirb  nur  bie  SSerbinbung  ^mi- 
fd;en  Altern  unb  ^inbern  aB  n)irfli($eg  @f)ef)inberniB  anerfannt,  weil 
bie  ©l;rerbietung  ber  le^tereu  gegen  bie  erfteren  mit  ber  el)elid;en  SSer= 
troulidjfeit  unvereinbar  fei,  bagegen  foll  bie  @t)e  jTOifi^en  (Sefc^roiftern 
naturrec|tlid;  erloubt  fein  (854  ff.  895.  945  f.).  S)ie  weiteren  2lul= 
füljrungen  über  gamilie  unb  ^auSroefeu  liaben  weniger  eigentl)ümli(^e§ ; 
bod;  barf  uid;t  unerwälint  bleiben,  bajs  felbft  Sßolff  uoc^  bie  ©flaoerei 
für  gulä^ig  plt,  wenn  jemanb  freiwillig  in  fie  eintrete,  ober  wenn 
Gltern  für  bie  Slufer^ie^ung  ifirer  Jlinber  nid;t  anber§  forgen  fönnen, 
al§  wenn  fie  biefelben  gu  6flat)en  üerfaufen,  ober  wenn  fid;  ber  ©laubiger 
nur  burd;  bie  2lrbeit  feines  ©c^ulbner§  bejafilt  mad)en  Bnue ;  im  übrigen 
will  er  oudj  biefeS  3Serl^ältniB  nad;  Stecht  unb  Humanität  georbnet  wiffen. 
2luf  einem  5ßertrag  berulit  mit  allen  anbern  formen  ber  ®efell:= 
fdjaft  aM)  ba§  „gemeine  SBefen,"  ber  ©taat.  ®er  @runb  feiner  (Sr^ 
ridjtung  liegt  barin,  ba^  nur  eine  größere  ©efeHfi^aft  fid^  bie  S3ebürf- 
nifi'e  unb  ©üter  be§  £eben§  in  auSreid^euber  Sßeife  §u  rerfc^affen  unb 
\iä)  gegen  SSerle|ungen  5U  fd;ü|en  im  ©taube  ift;  ber  Qmcä  beg  ®e- 
meinwcfenS  beftel)t  bal)er  in  ber  55eförberung  ber  gemeinen  2öol)lfo^rt 
unb  in  ber  (Sr^attung  ber  ©ic^er^eit  (973  ff.  S).  ^.  210  ff.),  ^aä) 
bieiem  ^wede  rid;tet  fid^  ber  Umfang  ber  ©taatSgewalt.  ^^xe  S3efugniB 
erftredt  fi(^  nur  auf  biejenigen  §anblungen  ber  ©taotibürger,  weld;e 
auf  bie  ßrreid^ung  be§  gemeinen  Seften  SSejug  liaben;  fie  barf  bal^er 
audj  nur  in  biefer  ^infid^t  il)re  uatürlid^e  ^reil^eit  befd;ränfen,  in  jeber 
anbern  bagegen  foll  fie  biefelbe  unangetaftet  laffen  (980).  ©benfo  liegt 
in  jener  ^^^edbcftimmung  ber  3J?aBftab  für  ben  SBertf)  ber  t)er[d^tcbenen 
©taatsformen,  fowo^l  ber  einfad)en  als  ber  gemifc^ten.    ^n  ber  Unter- 


^olitif.  217 

fdjeibung  unb  S3eurtf)e{Iung  berfelben  (990  ff.  S).  ^.  229  ff.)  f)ält  ftd; 
2öolff,  Tüie  bteB  ^erförnmlic^  war,  in  ber  ^auptfadje  an  bie  ariftotelifd^e 
^oHtif.  S)te  le^te  Üuette  ber  ©toatSgenialt  finbet  er  aber  in  bem  ©in= 
ocrftänbniB  fämmttic^er  ©taat^Bürger,  ober  fofern  biefe§  ni(^t  jn  errei(f;en 
ift,  in  bem  (SinüerftänbniB  ber  3}?e^r5af)(  über  bie  ©taat^einricfjtuugen^ 
wie  bie§  nic^t  anber§  fein  fann,  rcenn  ber  Staat  burd^  53ertrag  entftcf)t! 
er  befennt  fic^  mitf)in  im  allgemeinen  ju  bem  @rnnbfa|  ber  3Solf§= 
fouüeränetät;  ba  fic^  aber  ba§  SSoIf  feiner  ©eiüalt  an  ba§  <Staat§= 
oberl^aupt  ni^t  blog  unter  gemiffen  33ebingnngen  unb  SBefd^ränfungen, 
fonbern  aud;  unbebingt  foH  entäußern  fönnen,  finbet  er  aud;  abfo(utiftif($e 
<Staat§formen  unb  aud;  folc^e  Ginridjtungen  äutä^ig,  in  benen  bie  .^crr- 
f(3^errec^te  ganj  ober  t^eilmeife  unter  ben  prioatred;t(id^en  @efid;t§punft 
geftettt  werben ;  unb  wenn  er  ben  pafftoen  SBiberftanb  gegen  bie  Dbrig= 
feit  ben  Untert^anen  in  allen  ben  gällen  jnr  ^fad;t  mad;t,  in  benen 
biefelbe  etmal  bem  ^taturgefe^  miberftreitenbe^  üon  ifmen  uertangen  foffte, 
fo  mid  er  i|nen  bod;  ben  aftioen  nur  bann  gcftatten,  raenn  fie  fid;  Gin= 
griffe  in  dteä)te  erlaube,  meiere  bem  S3oIf  ober  gemiffen  Stänben  biirdj 
bie  ©taat^uerfaffung  au^brüdlid^  uorbe^alten  feien  (978  ff.  1079). 

©ein  ^auptaugenmerf  gilt  aber  ben  9Jiitteln,  tt)e(d;e  fid;  auf  bie 
Sffiof)lfaf)rt  be§  SSoIfeg,  ben  ^roed  jebe§  ©taatlraefen^ ,  bireft  bejiet^en, 
ben  Slufgaben  ber  ©taat^üerroaltung;  unb  {)ier  finben  mir  iiin 
burd^auS  auf  hem  ©tanbpunft  jeneä  moljlrootlenben  unb  aufgeffärtcn, 
aUeg  beoormnnbenben  unb  in  alle  5?erf)äftniffe  fid^  einmifd;enbcn  ftaat= 
lid^en  2lbfofutifmug ,  mie  er  oon  ben  beften  unter  ben  feftlänbif^en 
9legierungen  im  18.  ^at)rf)uubert  gef)anbf)abt  würbe.  „9iegierenbe  ^er= 
fönen  oerlialten  fid)  gu  Untertfionen ,  mie  bie  SSäter  gu  ben  Äinbern" 
(S).  %  264);  in  biefem  ©inen  ©a^  finb  forooljt  bie  33oraüge  wie  bie 
©c^mäd^en  biefeg  ©ijftemg  au§gefprod;en.  2öo(ff  bringt  mit  allem  Tia^-^ 
brud  barauf,  ba§  fid^  ber  ©taat  ba§  3Bof)l  feiner  2rngef)örigen  in  jeber 
©esiefinng  angelegen  fein  (äffe ;  er  foU  nnterrid^tSanftalten,  llnioerfitäten, 
Slfabemieen,  Äunft^  unb.^anbmerferfd^ulen  unterf) alten ;  er  foll  für  gute 
53üd^er  forgen,  fott  bie  Sleligion  unb  bie  ^irc^e  in  feine  Dbfint  nefimen, 
foH  ba§  ^leater  benü^en,  um  bem  SSoIfe  gu  geigen,  wie  bie  Xugenb 
berot)nt  unb  ba§  fiafter  beftraft  wirb;  er  foII  barauf  bebad;t  fein,  burd^ 
gute  g^ed^tSpflege  ben  ©efd^äftSoerfetir  gu  fidlem  unb  3]erbredjen  gu  Der= 
lauten;  er  fott  gegen  bie  2)ueHe  einfd^reiten,  bie  ^vc  unb  ben  guten 
?Ramen  ber  Bürger  in  (5d)ufe  nehmen;    er  fott  burd;  gefunb^eit^5poaäei= 


218  SBolff. 

lid^e  9}?af3rege(n  imb  burd^  .^eranlnlbung  guter  Steväte  ben  ^ran^^eiten 
entgcgeniinrfen ;  er  foll  baraitf  l^inarbeiten ,  ba§  jeher  ©efegenl^eit  finbe, 
ft(^  feine  SScbürfniffe  auSreii^enb  unb  ju  MHigem  5pret§  gu  t)erf(^affen ; 
er  foH  ba§  33ormimbfcf)aft§rae[en  beaiifficljtigen,  ber  3lrmutf)  fteuern,  ben 
Zettel  abfteHen,  eine  gcorbnete  Strmenpflege  einfül^ren,  2lrmen=  nnb  21Cr= 
'be\t§f)äu'\cv,  Slrmenfd^ulen,  SBaifen=  unb  J?ranfen{)äufer  erridjten;  er  foH 
bie  SanbroirtMcfjcift  förbern,  ^au-  unb  ^euerorbnungcn  erloffen,  für 
fReinlid^feit  in  ben  ©trafen  unb  frifd^e  ßuft  in  ben  3öoI)norten  ©orge 
tragen;  er  foII  auc^  jur  ©rl^olnng  nnb  ju  ertaubten  SSergnügnngen,  jn 
pbfc^en  ©pa.^iergängen,  ^unftgennffcn  u.  f.  f.  ©elegen^eit  oerfc^affen. 
Gr  folt  mit  ©inem  3Bort  nid)tg,  ma§  irgenbioie  auf  ha^'  leiblidje  ober 
geiftige  2Bof)lbefinben  be§  SSolfeS  ^e^ug  f)at,  von  feiner  S;^ätig!eit  au^= 
fc^Iie^en.  SSolff  felbft  ge^t  fd;on  in  feiner  beutf(f;en  ^olitif  nac^  feiner 
SBeife  in  alle  biefe  ®inge  mit  foId;er  2Iu§füf)rli^!eit  ein,  ba§  er  fic^  in 
biefer  pl^ilofop^ifd^en  ©taatiStel^re  über  ^affeef)änfer  nnb  S^^eater,  ©nng^ 
ftätten  unb  3l6orte,  auf's  grünblidjfte  au§fprid)t;  unb  in  ber  gleid;en 
Slrt  foH  and;  ber  Staat,  fo  mie  er  fi(^  bie  Stufgabe  beSfelbcn  benft, 
fi(^  um  altes  unb  jebeS  bcfümmern,  für  großes  unb  Heines  unmittelbar 
felbft  forgen,  bie  3:i^ätig!eit  beS  3Solfe§  nic^t  bloS  regeln  unb  fd)ü^en, 
fonbern  auc^  in  ber  umfaffenbften  SBeife  beauffid)tigen  ober  burdj  feine 
eigene  ^l)ätigfeit  erfeljen.  S)er  ^l)ilofopt)  finbet  eS  ganj  in  ber  Drbnung, 
bafi  t)ermögti(^en  unb  brandjlmren  Seuten  bie  ©rtaubni^  jur  SluSmanbe:^ 
rung  cerfagt  mcrbe;  ha'^  bie  Stegierung  beftimme,  rcie  t)iele  ^erfonen 
fi(^  jebem  Seruf  unb  ©noerbs^ractg  mibmen  bürfen;  ba§  bie  ^öt)e  ber 
3infen  gefe^lid)  normirt  merbe;  ba^  bie  ^üd^ercenfur  ben  S)rud  fd^äb; 
tiefer  ©d^riften  t)ert)inbere ;  baf3  man  ben  2lufraanb  für  ©peifen,  @c= 
tränte  unb  J?leibung,  mit  9lüdfi($t  auf  ©taub  unb  SSermögen  ber  @in= 
jetnen,  burd;  SSerbote  einfd^ränfe;  ha^  att^ugro^e  ^od;5eit=  unb  ^attien- 
gefd^enfe  nnterfagt  werben  u.  f.  w.  @r  uerlangt,  ba^  ber  ©taat  feine 
Bürger  forool)l  gur  2lrbeit  als  sum  Äird;enbefnd^  ant)alte,  ba^  er  2lrbeitS= 
^eit,  StrbeitStö^ne  unb  g^reife  beftimme,  ha^  er  bie  Huterttjanen  nötl^ige, 
mit  bem  ^otj  fparfam  um3uget;en,  baf3  er  für  billige  greife  ber  a3renn= 
materialicn  forge,  baf3  er  burd;  feine  3tfabemie  ber  9Biffenfd;aftcn  ©piete 
erfinben  laffe,  bie  ben  ^erftanb  üben  u.  f.  m.  ^).  ©elbft  bei  ber  gragc 
ber  Se^rfrei^eit,  bei  ber  iljm  feine  eigenen  Erfahrungen  mot)l  Ijättcn 
jur  SSarnung  bienen  bürfen,  t)at   er  fid^  fortmätjrenb  für   eine  ^taaU 

1)  2).  ^43DUt.  270—400.  Inst.  1017—1041.  Jus  nat.  VIII,  393—808. 


^oHtn.  219 

lic^e  S3cauffi($ti9ung  aiilöefproc^cu,  wk  man  fie  ^cutjutacje  nic^t  luefir 
gut^ei^en  würbe,  (gr  erfennt  juiar  an,  ba^  ber  ©taat  Sn-t^ümer 
a(§  fofc^e,  rote  otte  Uo^  tnnerlidjcii  Slfte,  nid;t  beftrafen  büvfe; 
aBer  er  glaubt,  bie  ^Reügion  fei  für  bie  3)taiye  ber  gjlenfdjen  eine 
fo  unentbefirlid^e  @tü|e  ber  eittlidjfeit,  nnb  für  ben  (Staat  aud^ 
f(|on  wegen  beg  ßibeg  fo  roidjtig,  ba^  Slngriffe  auf  biefetbe  ein 
ftaat§gefä^rlic^e§  Jßerge^en  13i(ben;  unb  er  will  au§  btefem  ©runbe  hm 
Staate  baS  dic^t  geben,  bieienigcn,  roefd^e  atf)ciftifd;e  ober  beiftif($e 
Sefiren  Derbreiten,  be§  Sanbeg  ju  ucrroeifen,  fte  eoentnell  aucf;  mit  nod^ 
fd^roereren  ©trafen  gu  belegen,  unb  i^ncn  ein  e^rlic^eS  33egräbuiB  ^u 
üerfagen.  SBenn  er  aber  freiücT;  3ugreid;  ber  3)Jeinung  ift,  baB  einscine 
5BöIfer,  roie  bie  ."pottentotten  unb  bie  G^inefen,  ^roar  an  feinen  @ott 
glauben,  aber  bod;  eine  reine  SRoral  unb  georbnete  ^nftänbe  ^ahen 
(ogl.  <B.  210),  fo  wirb  bie  §8egrünbung  jcne§  ^e^te^  roieber  fel^r  un= 
fidler;  unb  wenn  er  auc^  biejenigen  bcftraft  roiffen  roiH,  welche  bcrü^nttc 
3Jlänner  in  ben  SSerbac^t  ber  3(tf)eiftcrei  bringen,  fo  befennt  er  bamit  fetbft 
unroiafüljrlid^,  roie  unfid;er  ba3  llrtfieil  ber  3Jienfd;cn  über  ben  2rt()cifinu§ 
ift.  ©^er  roirb  man  fid;  bamit  einyerftanben  ertfärcn  fönnen,  ba^  fein 
Staat  üöIferrec^tUd^  üerpffid^tet  fei,  frembe  3)iiffionöre  bei  fid;  ^u^ulaffen; 
unb  wenn  er  anbererfeitg  barauf  bringt,  ba^  bie  SSerfdjieben^eit  ber 
3^e[igion  feinem  3SoIfe  ein  dhä)t  gebe,  anbere  ju  befriegen  ober  fid^ 
feinen  SSerbinblid; feiten  gegen  fie  jn  entjiefjen,  fo  roirb  man  barin  nur 
einen  ^^ofgefat}  feines  ganzen  ©tanbpunftS  5U  erfenncn  haUn  ^). 

pr  ba§  ©trafred;t  ift  bei  9ßo(ff  ber  ©efic^tSpunft  ber  2lb= 
fd;rcdung  ma§gcbenb;  er  felbft  uertfjeibigt  au§  biefem  ©efid^tSpunft 
nid^t  adein  bie  qua(ificivten  2;obc§ftrafen,  ba§  bamafige  barbarifd^e 
©ercmoniett  ber  öftentlid;en  |iinridjtungcn,  bie  Sfu^ftcIIung  ^ingeridjteter 
5ßerbred;er  an  ben  Saubfira^cn,  bie  fdjimpflidje  S?erfdjarrung  üon  (2elbft= 
mörbern,  fonbern  für  gewiffe  ^-älle  fclbft  bie  ^olter.  ^m  übrigen  giebt 
aud^  SBoIff  SU,  ba^  gelinbere  ©trafen,  bie  nnnadjfid^tig  ooH^ogen  wer= 
hen,  mef)r  fruchten,  al§>  f)arte,  bie  man  nidjt  ftreng  burd^füfjre  ^).  — 
Sn  feinem  3?öfferred;t,  bcm  legten  ^f)eil  feinet  9f?aturred)tg,  ^ält 
fid)  2Bo(ff  in  ber  .^"»aiiptfadje,  ofme  bemcrfenSroertf)e  (Sigentfiümndjfeit, 
an  ^ugo  @rotiu§  unb  giufenborf. 


1)  ®.  V'   359.  3G6.  368  f.  I.  nat.  VIII,  472  f.  644  ff.  Inst.  1024.  1050.  1122  f. 

2)  Inst.  1030  f.  I.  nat.  VIII,  573—712.  ®.  ^.  343—355.  365.  370. 


220  Si^olff. 

@o  tro(Jen  fic§  ba§  ©ijftem  aufnimmt,  beffen  ©runbgüge  im  t)or= 
ftefienbeu  loiebergegeben  würben,  fo  burfte  fic^  boc^  unfere  ©arftellung 
feiner  eingefienberen  ^etrod^tnng  ni(^t  entjiefien,  wenn  fie  feine  ^^orgüge 
roie  feine  3)Zängel  uollftänbig  an'§>  ßid^t  ftetten,  oon  bem  ^bcenfrei» 
unb  ber  ©enfraeife,  weld^e  bie  beutfc^e  SBiffenfdjaft  nnb  ©eifte^bilbung 
wä^renb  ber  größeren  ^älfte  be§  vorigen  ;Sa£)rf)nnbert§  bel^errf(^t  Jiaben, 
ein  genügenbeS  $8i(b  geben  wollte.  @§  ift  afferbingS  eine  nü(^terne, 
p^ontofielofe ,  oft  rec^t  ^angbadene  SSerftänbigfeit,  ber  wir  bei  Sßolff 
begegnen,  ©ein  matf)ematif(f;e§  ©enfen  eignet  fic^  weit  mefir  äiimStec^nen 
mit  gegebenen  ^Begriffen,  aU  gur  ©ntbeäung  nener  ©efic^t^punfte ;  er 
^üt  feine  ©tärfe  ntef)r  in  ber  Max^ext  nnb  @id;er^eit  ber  logif(^en 
Operationen,  al§  in  ber  wiffenfd;aftlii^en  ©rfinbung  nnb  ber  tief  brin= 
gcnben  Äritif;  er  wei^  feinen  @tanbpnn!t  foIgerid;tig  unb  erfc^öpfenb 
nad;  allen  «Seiten  l^in  anS^ufüfiren ,  aber  bie  35orau§fe^ungen  beSfelben 
ftetjen  it)m  un^weifelfiaft  feft;  bie  ^^ragen,  gu  benen  fie  2lnIaB  geben, 
bie  ^Probleme,  bie  fie  in  fid;  fc^Ite^en,  werben  ron  if)m  weber  fc^arf 
genug  aufgefaßt  noc^  grünblic^  genug  beantwortet,  um  if)m  eine  er= 
Heuerte  Unterfudjung  ber  p!)ilofopf)if(|en  ^rincipien  jum  ^ebürfni^  gu 
madjen.  ©eine  g^i)ilofopf)ie  ift  ein  S)ogmatifmu§ ,  wetd^er  feinerfeitä 
^war  üon  ber  S^ernunftmäBigfeit  feiner  ©ä^e  unb  ber  Sünbigfeit  feiner 
53eweigfüt)rungen  t)olIfommen  überzeugt  ift,  bem  wir  aber  in  gatilreid^eu 
gälten  of)ne  Wiü^e  nad;weifen  fonnen,  wie  bie  angeblichen  SSernunft^ 
begriffe  in  2ßaf)r]^eit  au5  ber  ©rfafirung,  unb  mitunter  au§  einer  rec^t 
unfic^eren  (^rfa^rung,  gef(^öpft  finb,  wie  ba§,  wa§  bewiefcn  werben 
foll,  guerft  unbewiefen,  in  ?^orm  einer  Definition,  »orangefteHt  wirb, 
wie  fet)r  e§>  i^m  an  einer  grünblid;en  Unterfud^ung  über  ben  Urfprung 
unb  bie  ^altbarfeit  feiner  35orau§fe|ungen  fef)tt.  ©eine  leitenben  ©e^ 
bauten  t)at  er  faft  burc^auS  üon  Seibniä  entlel;nt;  unb  wenn  er  ben 
(entern  bei  einigen  von  feinen  !ül)nften  Slnnal^men  »erlöfit  unh  ber  ge= 
wöt)nlid)en  S^orftellungSweife  näf)er  tritt,  fo  f)at  bie  (Sint)eit  be3  ©i)ftcm§ 
baburd;  nii^t  gewonnen.  ^'ö6)ft  läftig  wirb  un5  ferner  in  Sßolff'^ 
©d;riften  jene  au^erorbentlid^e  2öeitfd;weifigfeit,  bie  bei  if)m  mit  beu 
^a^ren  immer  mef)r  3iinaf)m;  jene  llnerfättlid;teit  im  ©rflären  unb 
58eweifen,  burd;  bie  er  fic^  fo  tiäufig  nid^t  aHein  gu  entbet)rtid;cn,  fon= 
bern  au($  ju  nid;tlfagenben   unb  rein  forma(iftifd;en  Definitionen  m\^ 


®efd^tc^tlic^€  StcUung  unb  Sebeiituug.  221 

Semonftrottonen  oerreiten  lä^t;   jene   Iogtf($e  ^ebanterie,   roeld^e  unS 
nid^t  ertauben  raill,  jemals  in  anbern  aU  ben  regelrechten  Sd^ulformen 
gu  beu!en;   jene  fd^roerfädtge  ©rünbltd^feit,   bie  3tt)if(^en  bem  wichtigen 
unb  bem  unroic^ttgen  nic^t  gu  unterfd^etben  raetB,  bie  un§  in  bemfelben 
genteffenen  (Sd^ritt  burd^  großes  unb  fleinef^  ^tnburcfjfü^rt,  bie  bomSefer 
atteS  in  bem  gleichen  Sefirton  rorfprid^t,  unb  feinem  eigenen  9^adf;benfen 
gar  nid^tS  überlädt.    Stllein  oieieS,   maS   un§   je^t   unbebeutenb   unb 
roertfiroS   erfd^eint,  fann  für  eine  frühere  ^eit  ffiert!)  unb  ^ebeutung 
gehabt  fiaben,  unb  manche  Setefirung,   bereu  n)ir  nic^t  mefir  bebürfen, 
fann  i^ren  Sebürfniffen  entiprod^en  {)aben.    S^a^   c§  fid^   ober  mirflid^ 
mit  einem  bebeutenben  ^f)ei(  beffen  fo  uerf)ärt,  maS  un§  je|t  bei  2Bo(ff 
abftö^t,   bafür  fprid^t  fc^on  ber  au§erorbentlid^e  Erfolg,   ben  er  nid^t 
etwa  nur  hei  ber  a)iaffe  ber  3Jlitte(mäBigen,  fonbern  bei  üielen  uon  hen 
erften  3)?ännern  feines  ^afir^unbertS   gehabt  \)at    Gin  ^tjilofopi),   ben 
griebric^  II.  üon  ^reu^en  feinen  großen  Sef)rer  genannt,  beffen  ©d^riften 
er  fortraäfireub    ^od^gefd^ä^t  l^at,  —    menn  er  aucf;  ber  2Jieinung  max, 
er  l^ätte  fid^  in  feinem  ??aturred^t  immerf)in  etroaS  fürjer  faffen  fönnen  — 
ein  fold^er  ^^^ibfop^  mu^  boc^  mol^l  feiner  ^eit  etroaS  neueS  unb  n)ert^= 
roIIeS  geboten  fiaben.    Unb  bie§  I;ätte  er  getfian,   roenn  er  audf;  nur 
ba§  ©ine  S^erbienft  ^tU,   ba§   er   bie  ©cbanfen   eines  Seibnij  feinen 
3eitgenoffen  oerbolmetfd^t,  bie  58rud;ftüdfe,  meldte  jener  in  feinen  SBerfen 
niebergelegt  fiatte,   jum  ©ijftem  üerbunben  unb  ausgeführt  f)at.    Sd^on 
baju  gefiörte  fein  gemö^nlid^er  Äopf,  um  fo  mef)r,  ba  SBoIff  einige  ber 
bebeutenbften  ©d^riften  oon  Seibnij  t^eils  gar  ni^t,  tl^eils  erft  in  feiner 
fpäteren  3eit  üorragen.    SBotff  ift  aber  nic^t  btoS  Bearbeiter  einer  oon 
il^m  üorgefunbenen  Sefire.    Gr  madf;t  fic^  oon  feinem  S^orgänger  nid[)t 
fo  abhängig,   ba^  er  fidf;  nid^t  felbft  in  ber  gj^onabenlefire  eine  2rb= 
raeid^ung  oon  it)m  erlaubte,  roetdje  gioar  ber  ßinf)eit  beS  @t;ftemS,   roie 
bemerft,  nid;t  förberlid^  war,  n)eld;e  aber  auf  einem  an  fic^  felbft  n)oI)l- 
begrünbeten  58ebenfen  beruf)te.    gür  feine  praftifd;e  $t)i(ofopf)ie   l^atte 
if)m  Seibniä  nid^t  oiel  mefir,  a(S  baS  allgemeine  ^rincip  an  bie  ^anb 
gegeben;  aber  aud^  in  ber  Ontotogie,  ber  ^ofmologie  unb  ber  ^ii)^o- 
logie  fiat  er  bie  ©ebanfen  feines  3.^orgängerS   felbftönbig  unb  mit  me= 
t^obifd^em  ©eift   auSgefüfirt.    «Seine  5i^eo(ogie  aUerbingS  enthält  faum 
eine  Seftimmung  oon  einiger  Gr^eblid^feit,   meldte  ftd^   nid^t  fd^on  M 
Seibnis  fänbe,  unb  mit  feiner  te(eo(ogifd;en  ^taturbetradjtung  oerliert  er 
fid^  fo  in'S  fieine  unb  äu^ertic^e,   mie  bieB  jenem  fd^on  fein  befferer 


222  2!?oIff. 

@efd;macf  ni(^t  oerftattet  fiakn  raürbe.  2öo(ff'§  l^aupt|ä(^I{($fte  Seiftung 
befielet  aber  barin,  baB  er  ber  erfte  max,  ber  e§  in  S}eiitfd;Ianb  unter= 
naljm,  ade  SBiffenSgcbiete  üom  ©tanbpunft  ber  mobernen,  unb  nä^er 
ber  leibnigifd^eu  ^f)i(ofopf)ie  au§>,  ^ufammenpngenb  unb  met^obif^  in 
erfcfjöpfenber  ^^oüftänbigfeit  gu  bearbeiten.  9)tag  ung  babei  fein  58er= 
fafiren,  beionber^  in  ben  fpäteren  (Sd;riften,  noc^  fo  oft  pebantifc^  nnb 
gefdjmacftog  erfd;einen:  feine  3eit  beburfte  ot)ne  ^^^eifel  biefer  trocfenen 
logif($en  Schulung,  nm  bie  ©ic^erfieit  unb  Seftimmt^eit  be§  S)enfen3 
3U  erlangen,  o^ne  bie  man  in  iüiffenfd;aftticf;en  S)ingen  auf  feinen  Qv- 
folg  J)offen  fann.  3Jtögen  wir  feine  @rf(ännigen  nod;  fo  oft  ungenü= 
genb,  feine  33eiüei§füf)rungcn  bei  allem  Slnfc^ein  ber  ©rünblic^feit  un= 
grünblid;  finben:  für  ein  SSoIf,  beffen  SBiffenfd^aft  fi(|  hi§>  baf)in  ron 
bem  fc^oiaftifd^en  2(u!toritätsgIauben  noc^  gar  nid;t  mirfü^  befreit 
l^atte,  mar  e»  oom  f)öd;ftcn  Sßertfje,  bafe  einmal  mit  bem  ©ebanfen 
einer  rein  rationalen  3Bett6etrad;tung  ßrnft  gemad^t,  bo^  bie  gorberung, 
atteS  au§  feinen  natürlichen  Urfad;en  gu  erflären,  nic^t  blo^  aufgeftellt, 
fonbern  auc§  in  einge^enber  Xlnterfudjung  an  bem  gangen  ©rfenntni^^ 
ftoff  burc^gefülirt  mürbe.  SSergleid;en  mir  bie  beutfc^e  Sßiffenfc^aft  üor 
SBolff  mit  ber  nad;  il)m,  fo  fädt  un§  fein  anbercr  Unterfd;ieb  ftärfer 
in'^  Stuge,  al§  ber  gmifd^en  ber  llnfid;erljeit  unb  Unfelbftänbigfeit  ber 
einen,  bem  (Selbftoertrauen,  bem  greif)eit§bebürfni§,  bem  3Sorraärt§ftreben 
ber  anbern.  ©ort  eine  ängftlid^e  Slüdfic^t  auf  bie  gelelirte  unb  reli; 
giöfe  Ueberlieferung ;  l)ier  felbft  eine  einfeitige  @eringf(j^ö|ung  be§  ge^ 
fc^id^tlid^  gegebenen,  ein  |)erabfel)en  auf  bie  3}orurtf)eile  unaufgeflärter 
Qa^r^unberte,  ba§  53erou§tfein  unb  ber  Glirgeig,  auf  eigenen  güj^en  gu 
ftel)en,  nid;t  frember  Sluftorität,  fonbern  eingig  unb  aüein  ber  eigenen 
SSernunft  gu  folgen.  Unter  ben  3Jtännern,  meiere  biefen  llmfd;mung 
bewirft  l)aben,  nimmt  SBolff -unbeftritten  bie  erfte  ©teüe  ein.  Seibnig 
|at  i^m  allerbing»  oon  ben  ©ebanfen,  auf  benen  fein  Sijftem  ruf)t, 
bie  meiften  unb  bebeutenbften  an  bie  ^anb  gegeben;  aber  erft  burd^ 
if)n  finb  biefe  ©ebanfen  in  ba§  allgemeine  S3erouf3tfein  eingeführt,  erft 
burc^  feine  unoerbroffenc  unb  oerftänbige  Slrbeit  ift  bie  beutfd^e  SBiffen^ 
fdiaft  im  roeitcftcn  Umfang  t)on  ber  leibnigifdjen  ^l)ilofopf)ie  burd§= 
brungen  unb  befrudjtct  morben.  ßr  gab,  mie  i^m  ^ant  nad;rü^mt^), 
juerft  ba§  58eif|)iel,   mie   burd^  gefe^mä^ige  geftftellung  ber  ^principien, 


1)  iitit.  b.  r.  SJern.  ^ori.  3.  2.  2tuf(. 


(Segner  ber  iDotffi^eit  ^>^UofD).i^ie.  223 

beut(i($e  ^Beftimmung  ber  33egriffe,  iicrfnd;te  (Strenge  ber  Seweife,  9}er= 
ptung  füt)ner  Sprünge  in  ^Folgerungen  ber  ftdjere  @ang  einer  SBiffen- 
f(|oft  5U  nef)men  fei,  nnb  er  würbe  babnrd;  nad;  bem  llrt^eil  biefeg 
unbeftodjenen  9iid;ter§,  al§>  ber  größte  unter  allen  bogmotifd;en  ^f)i[o= 
jop{)en,  ber  Urheber  beg  ©eifteS  ber  @rünb(id;!eit  in  S^eutfdjtanb. 


in.  5ic  bnitrdjc  .pi)ilofopl)ic  nad)  l^olff. 

1.  ©eguer  ber  luolffift^cn  ^;)?^iIofopi)ic,  bic  ©flcftifer. 

21I§  Söolff  auftrat,  war  bie  ariftoteIifd^=fctjotaftifc^e  ^pr^ilofop^ie  uon 
ben  beutfd;en  Uniyerfitäten  jroar  nod;  lange  nid)t  üerbrängt,  aber  bod; 
Töor  i^v  Stnfe^en  fd;on  fo  tief  erfd^üttert  unb  aUe  tüchtigen  jüngeren 
Gräfte  TOaren  if)rer  fo  überbrüffig  geworben,  ba^  Sßolff  oon  biefer  ©eite 
§er  feinen  entftlid^en  raiffenfc^aftlidjen  Sßiberftanb  ju  befürd;tcn  l^atte. 
©inen  gefäJ)rnd;eren  ©egner  fanb  er  an  jenem  (?f(efticifmuS ,  beffen 
2öortfüf)rer  2;f)omafiu§  geroefen  war:  jener  ^^(;iIofopIjie  be»  gefunben 
Menf(^enüerftanbe§,  welche  fid^  jraar  g(eid;jatt§  ron  ber  Ucberliefcrung 
wnb  ber  Sluftorität  ganj  unabhängig  machen  wollte,  raeld;e  aber  anö) 
mit  bem  rcolffifdjen  ©x;ftem  fi(^  nidjt  ju  befreunben  raupte,  unb  nid;t 
Bios  ein3etne  oon  feinen  ßrgebniffen  ablegte,  fonbern  aud^  bem  gan3eu 
©tanbpunft  feinet  9iationa(ifmu§,  bem  bemonftratinen  SSerfaf)rcn  unb 
ber  ^orberung  eineg  ftreng  f:;ftematif(^en  ^s^ilofop^irenl  raiberftrebte. 
3u  biefer  ^^al^ne  ffüdjteten  fid;  bann  natürlid;  alle  biejenigen,  meiere 
unter  bem  lodenben  Atomen  eine»  freien,  bie  2SaF)rf)eit  überall  aner^ 
fennenben,  in  fein  (Sd;u(fyftem  eingefd;nürten  ^Tenfen^  fic^  t)a§i  9ied;t 
offen  I)alten  mollten,  mit  ber  2öiffenfd;aft  iF)re§  ^a^rl)unbert§  unmiffen^ 
fc^afttid^e  3]orfteüungen,  bogmatif($e  ^^orauSfe^ungen  unb  ältere  @d§ul: 
Überlieferungen  nad;  Sebürfni§  unb  Seiieben  5U  üerbinben.  Dieben  SBolff 
unb  feinen  ©c^üiern  geljt  fo  noc^  eine  5meite  9lei!)e  t)on  ^t)ilofopf)en 
l^er,  meiere  jenen  jiüar  iljrer  ©eiftesric^tung  unb  if)rer  ^erfunft  nac^ 
cerroanbt  finb,  meiere  fi(|  g{eid;fall§  ju  \)^n  @runbfä|en  ber  Slufftärung 
be!ennen,  unb  gro^entfieil^  and;  t)on  ^alle  ou§gegangen  finb;  ^Xl^lä)^ 
aber  boc^  ju  bem  roolffifc^en  ©ijftem  al»  fold;em  in  einem  me§r  ober 
weniger  auSgefprod^enen  ©egenfa^  ftefien.  2)iefer  @f(efticifmu§  fonnte 
aber  au^  in  Söolff'g  Sd^ule  in  ber  ^olge  um  fo  leichter  einbringen, 
je   größer   ber  ©inftuB   mar,   TOeId;en   biefer  ^f)ilofOf§   felbft   ber  @r= 


224  efreftiter. 

fafirung  t^at[ä($(id;  eingeräumt  Ijatte,  unb  je  f)äufiger  e§  bei  ifim  öor= 
fommt,  ba^  bie  ©rgebniffe,  bie  er  qu0  jener  gefd^öpft  ^at,  mit  feinen 
pl^ilofopf)ifc^en  ©runbfä^en  nur  in  einen  lofen  unb  Uo§>  formellen  3"= 
fammenl)ang  gefegt  werben. 

©iner  ber  ätteften  t)on  jenen  ßÜeftifern  ift  ^^rang  58ubbeu§ 
(53ubbe  1667—1729)  in  ^ena.  S)iefer  ©etefirte  ^d^mt  fic^  unter  ben 
^fieologen  feiner  ^eit  nid;t  alletn  burc^  feine  ^enntniffe,  fonbern  aud^ 
hnvä)  feine  milbe  unb  gemäßigte,  ©pener'S  ßtnfCuB  oerrat^enbe  ^Ten!- 
roeife  au§;  er  rairfte  aber  au^  ai§>  pf)itofopf)if(^er  fietirer  unb  ©(^rift^ 
fteller,  mar  einige  ^al)xe  in  ^aUe  ^rofeffor  ber  Moral,  betfieiligte  fic^ 
t)on  i^ena  au§  an  ben  3lngriffen  auf  SBoIff/  unb  ftettte  in  einem  la- 
teinif($  gefd;riebcnen  „Se^rbud;  ber  eüeftifd^en  ^f)iIofop{)ie"  (1703)  bie 
Sogü,  bie  tf)eoretifcf;e  unb  bie  praftifd^e  ^^itofopf)ie  bar.  ignbeffen  finb 
feine  Seiftungen  auf  biefem  ©ebiete  t)on  geringem  SBertfie.  21I§  ©e- 
Ief)rter  ift  er  aUerbingS  am^  ^ier  nii^t  ofine  SSerbienft,  unb  fein  ©(^üler 
§8ru(fer  ift  burd^  i^n  gu  ber  grünbli($en  S3ef(^äftigung  mit  ber  @e= 
fd^id^te  ber  ^()i(ofopf)ie  angeregt  toorben,  bereu  grud^t  fein  umfaffenbe^, 
für  jene  Qät  ©pod^e  madf;enbe§  ©ef($id^t§n)er!  mar.  Slber  feinem  eigenen 
S)cnfcn  fel;lt  q§>  p  fel^r  an  (Sdf;ärfe  unb  ©id^er^eit.  ®er  ©flefticifmuS, 
§u  bem  er  fid^  mit  5Cf)omafiu§  befennt,  roill  jroar  etraaS  anbereS  fein, 
aU  ein  bloßer  @i;n!retifmu0 :  er  mill  bie  ^riucipien  für  bie  $8eurtf)ei? 
hmg  frembev  Slnfid^ten  unb  für  bie  2lu§n)at)t  be§  beften  au0  benfelben 
ber  SSernunft  unb  ber  33etrad^tung  ber  SDinge  entnefimen.  Slttein  !lare 
unb  fefte  ^rincipien  finb  über^^aupt  nid;t  bei  i^m  ju  fiuben.  ®a§  3)terf= 
mal  ber  2öol;r^eit  foll  für  bie  3)inge,  raeld^e  rair  burd^  fid^  felbft  er= 
fennen,  in  ber  Sebliaftigleit  beS  (Sinbrudf^  liegen,  ben  fie  auf  un5 
mad^en,  für  biejenigen,  meldje  wir  burc^  SSermitttung  t)on  i^been  er= 
lennen,  in  ber  ©oibenj  ber  h^teren;  moburd^  aber  biefe  bebingt  ift, 
unb  wie  oiel  jene  beioeifen  fann,  wirb  nid;t  uäl)er  unterfud;t,  unb  n)a§ 
ben  Urfprung  ber  ^been  betrifft,  fo  ift  Subbeua  ber  3)leinung,  barüber 
fönue  man  nid^tg  fidjereg  wiffcn.  ©ben  biej3  ift  aber  überl)aupt  feine 
geiüö^nli(^e  Slntwort  bei  aHcn  fd;roierigen  fragen.  @r  ift  überzeugt, 
öafs  wir  oom  Söefen  unb  ben  J^räften  ber  ^inge  nid^tS  wiffen  fönnen, 
fonbern  nur  i^re  SBirfungen,  il)re  Slccibensien,  wal)rnel)men ;  nur  lä^t 
er  felbft  fid)  baburd^  nic^t  im  gcringftcn  abljaltcn,  alle  möglid;en  SSor= 
augfe^ungcn,  weld;e  iljm  weber  bie  ©rfa^rung  nod^  bie  Vernunft,  fon- 
bern nur  bie  SToginatif  feiner  £ird;e,    ober  aud^  nur  ber  Slberglaube 


§3ubbeu§.    (Sinibting.    Siübigcr.  225 

[etne§  :3af)r!)unbert§  an  hk  §anb  gab,  in  feine  ^!)i(o[opf)ie  einänmifdjen. 
2Bo  er  oon  ben  Hrfadjen  be§  ^^rtljuing  vebet,  nennt  er  al§  bie  erfte 
mib  f)aupifäd;(i(^fte  bie  Grbfünbe;  für  bie  Stnna^me  einc§  2Be(tanfang3 
finbet  er  in  ber  33ernunft  f)öcfjften§  2öal)rfd;ein(id;feit§t3rnnbc,  aber  ba§ 
3eugni^  ber  l^eifigen  ©d;rift  foll  bie  ©aJje  ent[d;eiben;  bafj  e§  nod;  anbere 
©eifter  an^er  bem  9J?enfdjen  gebe,  kroeift  er  an0  ben  ©r3ä^lungcn  non 
^.^orgängen,  bie,  wie  er  gtanbt,  nur  burd;  foldje  ©cifter  bewirft  fein 
fönnen,  unb  ein  eigener  Slbfc^nitt  feiner  „tf)eoretifd;cn  ^^I;ifofopf)ie"  be- 
f^äftigt  fid^  bamit,  ben  @(auben  an  SScrträge  mit  bem  ^Ceufcl,  S:enfel3= 
befi^nngcn,  ^'^^i^^'^^^  i^"^  ©eiftererfdjeinnngen  gegen  33a(t{)afar  53effer 
in  (Sdjut^  5U  nc!)mcn.  ^n  ber  Scl;re  von  @ott  gicbt  fid;  53ubbe  t)ie( 
9Kü[je,  ben  SpinosifmuS  ju  n)iber(egen,  für  beffen  pf)i(ofopl;ifd)cg  SSer- 
ftänbniB  er  aber,  wie  fid;  jnm  roran«  ermarten  lic^,  gar  fein  Drgan 
l^at.  i^n  ber  praftifd;en  ^I)i(ofopt)ie,  bie  er  mit  befonberer  S3or(icbc 
unb  2lu§füf)r(id)feit  bcl)anbc(t  fjat,  fd;(icJ3t  er  fid)  mcift  an  5l(jomafiu§ 
an,  mit  bem  er  and)  tu  ber  Sefireitung  ber  2öiIIen§freif)eit  übercin-- 
ftimmt.  S?arin  aber  ftef)t  er  f)inter  jenem  unuerfennbar  3urücf,  baf3  er 
ba§  dte^t  unb  bie  Woxal,  me(d)e  3:()ümafiu§  menigftcnS  il)rcm  aUge^ 
meinen  Segriff  nad)  unterfd)ieben  l^atte,  in  ber  23eife  ber  älteren  tI)eo^ 
logifd)cn  @tf)if  fortiuäljrenb  ycrmengt. 

Gntfd)icbener  t)ält  fid),  gcrabe  in  bicfer  53e5iel)ung,  S^ifol.  ^ter. 
©unbling  (1671—1729)  auf  bem  etanbpnnft  feine§  Scf)rer§  unb 
fpäteren  ßoUcgcn  Si^omafiu§.  ©ein  9caturrcd)t  vom  ^af)V  1714  f)at 
ha§>  SSerbienft,  baf3  e§  ben  llnterfd)ieb  bc§  9^ed)t§  von  ber  3}Joral  juerft 
mit  t)olIer  Schärfe  feftgcftellt  t)at.  5)a§  9ted)t  be^iefit  fid)  nämlid)  if)m 
jufolge  au>5fd)(ic§(id)  auf  bie  ©r^altung  bc3  äußeren  gricbenS,  c§  fül)rt 
eine  äußere  33crbinb(id)feit  mit  fid),  feine  Ginf)a(tung  barf  ba()er  er- 
jrauiigcn,  feine  S3ertc|3ung  geroaltfam  abgcn)el)rt  werben,  ^m  übrigen 
t)erfäl)rt  aber  ©unbling  in  feinem  ^^i[o[op^iren  o^ne  ein  feftcS  miffen- 
f(j^aftlid)e§  ^rincip,  unb  menn  er  fid)  gum  £ode'id)cn  GmpirifmuS  be- 
fennt,  fiat  er  fid)  bod)  and)  üon  Seibnij  manche  niid)tige  ^Bcftimmung 
angeeignet. 

©in  britter  ^^^^ocnoffe  unb  ©egner  2Bolff'§,  mcld)er  g(ci($fall£^ 
von  2:t)omafiu§  au^gieng,  ift  ber  leipziger  ^f)i(ofopf)  unb  SDiebicinei 
9lttbrea§  Sftubiger  (1673—1731).  aSäfirenb  Sßolff  mit  STeäcartie 
unb  5:fc^irnf)aufcn  ba§  mat^emati)d)e  3SerfaI)rcn  für  bie  ^^l)i(ofop{)ie  for: 
berte,   unterfd^ieb  9lübiger  fel)r  beftimmt  äraifd)cn  beibcn.    S)ie  3Jtatf)e- 

3eIIer,  @cici)i(f)te  ber  bci'l[(^cn  «JS^ilDfoptie.  15 


226  (gfleftifer. 

mattf  i)at  c?,  mie  ov  (^audt,  nur  mit  bcm  3)löi}IicT}C]!  311  tf)uu,  bie 
5pf)i(o[op^ic  mit  bem  31>irfüd;en;  iljre  ^auptaitfgak  befielt  barin,  baf, 
fic  auf  ber  ©runbfagc  ber  ©rfafinrng  burd^  Sßatirfcfjeintic^feitgigrünbe 
bartl^ut,  mie  ein  mööltd^er  ©egenftanb  mirfÜd^  werben  fann.  Siübiger 
l^anbeft  basier  in  [einen  met^oboloßifc^en  llnter[ud)unc3en  auf  §  eingefienbfle 
über  ba§  22a^r[d)ciu(ic^e  nnb  bie  53i(bnng  von  ^ypot^efen  gur  6r!lä= 
rung  ber  @rfa()ruug,  nnb  e§  Iä§t  fid^  nid;t  üerfeunen,  ba§  biefe  (Srör= 
terungen  t)iel  uerbienftfid^eS  fiaben  nnb  fragen  gur  ©pra(^e  bringen, 
raeldje  bie  ^reunbe  ber  matbematifc^^bemonftrotiücn  9)iet^obe  in  ber 
bieget  §u  wenig  bcadf;teten.  Söie  meit  jebod)  ^Hübiger  felbft  von  einer 
ftrengen  ©rfaf)rung§ii)i[[enfdjaft  entfernt  ift,  fiet)t  man  an  feiner  ^f)i)ftf. 
i^v  mitt  l^ier  bie  rid^tige  3Jlitte  gmifd^en  ber  med}anifd)en  ^ffxjnt  eine? 
S)e§carte§  unb  ©affenbi  unb  ber  mt)ftif(^en  eines  9Jtove  unb  giubb  ein= 
l^atten;  aber  in  ber  Söirflic^fcit  ftef)t  er  ber  Ie|teren  bod)  nod;  fel^r 
naf)e;  er  behauptet  5.  33.  gan^  in  t^rem  ©inne,  ba^  aud;  bie  ©eifter 
anSgebefmt  feien,  bajs  ber  Slet^er,  bie  £uft  nnb  ber  ©eift  bie  affge- 
meinften  ©(erneute  ber  S^inge  feien,  ha^  bie  ©ee(e  grüar  einfad;  nnb 
of)nc  S;^ei(e,  aber  bod^  gugleid)  au§gebef)nt  unb  iniofern  aud^  materiell 
fei.  ^n  feiner  praftifdjcn  ^^l)ifofopt)ie  tritt  ber  ©inf[u§  be§  5l;f)omafiu§ 
am  ftärfften  fieruor.  STen  6ruub  aller  moraüfdjen  nnb  redjtlidjeu  3>er= 
btnb[{d)feiten  fudjt  er  in  beui  götttidjen  SBiUen,  ba§  Ijödjfte  ©iit  in  ber 
3ufriebcnl)eit  bc§  ©cmütp. 

Sin  embiger  fdjfie^t  fid;  ß f)  r  i ft i a n  SIu  g u  ft  S r  n f  t  u e  (1 7 12  -  1 776 ) 
an,  meld^cr  ^srofcffor  ber  ^^f)i(ofopf)ie  unb  ber  5tf)eoIogie  in  Seip^ig  mar, 
unb  bei  ben  ©egnern  be§  molfftf^en  @ijftem§  in  grof3em  Slnfiljcn  ftanb. 
2Bal  aber  in  biefem  ©ijftem  feinen  9Siberfprud;  fieroorrief,  war  in  ber 
.^auptfadje  gcrabe  bie  Gigeut(;üm(id)feit  be§felben,  auf  ber  fein  Söert^ 
unb  feine  93cbeutnng  uor^ugSweife  berufit.  ©§  ift  itjm  ju  rational,  e§ 
Mit  if)m  äu  ftreng  an  bem  ©cbanfen  feft,  einen  burdjgängigen  3iiftti'i' 
nienl)ang  non  XIrfad)cn  unb  2ßirfungen  in  ber  Söelt  5U  erfenneu.  @r 
fcinerfeitS  gebt  auf  eine  5pf)i(ofopf)ie  au§,  weld)e  fid;  mit  ber  S:()eoIogie 
bcffer  verträgt,  a\8  bie^  bei  ber  Ieibniä=wo(ffifd;en  feiner  9tnfidjt  nadj 
ber  ^att  ift;  er  wirb  aber  baburd;,  wie  fidj  nidjt  anberS  erwarten  lä^t, 
jn  mandjcn  unl^attbareu  unb  unterein anbcr  wenig  übercinftimmenben 
2(nnal)mcn  üerfeitet;  unb  anbererfeitS  f)at  er  fowotjt  für  ben  i^utjaft  c.s 
für  bie  wiffcnfdjaftHc^c  ^yorm  unb  9JJctt)obe  feiner  S^arftcÜungen  ben 
3>orgängern,  bie  er  beftreitet,  fef)r  t)iel  gu  üerbanfen.    SSon  ben  attge-- 


SrufutS.    ,  227 

nteinen  ©tunbfä|en  be§  leiBnijifc^en  €i)ftein§  ift  {t)m  ber  (£a|  be§  ju- 
rei(^onben  ©runbe?  anftö^ig,  weil  er  ^^um  ^otolifmu^  f)infüf)re;  er  tüill 
mir  äugeben,  ba§  Qf(e§,  raaS  ift  unb  t)orf)er  nii^t  roar,  eine  Urfac^e 
^dbe,  aber  nid^t,  baB  aUe  Söirfungen  au§  tf)ren  Urfac^en  mit  ?iotf)= 
roenbigfeit  ^erüorge^en.  2lt§  f)ö(^fte§  STenfprincip  fteHt  er  ben  uid)tl; 
fagenben  Sa|  auf:  „wafir  fei,  roa§  fi($  nic^t  anber§,  aU  mat)v,  bcnfen 
läßt,  unb  faffc^  fei,  maS  fi(^  gar  ni($t,  ober  nid^t  anber§  ot§  falfd^, 
benfen  läfet" ;  aud^  biefer  €ai}  wirb  bann  aber  überbie^  noc^  ju  ©unften 
einer  göttli($en  Offenbarung  befc^rönft.  S)ie  3Jietapf)t)fif  befinirt  ßrufiuS 
a(§  ,,bie  2ßiffenfd)aft  berjcnigen  notf)iücnbigen  S3crnunftn)af)rf)eiten,  roetc^e 
etn)a§  anbereS  finb,  al§  bie  S3eftinimungen  ber  au§gebef)nten  @rö{3en." 
^n  bem  ontoIogif(^en  2:f)ctl  berfelben  be()auptet  er,  a(Ie§  ©ytftirenbe, 
bie  ©ott!)eit  ni(^t  aufgenommen,  fei  in  $Raum  unb  3'''it,  beim  „eyifttren'' 
\)e\^e  eben:  irgenbioo  unb  gu  irgenb  einer  3^'^  fein;  menn  er  aber 
tro^bem  nid)t  blo^  bie  ©ottfjeit  unb  bie  6ee(e,  fonbern  aud^  bie  legten 
$8eftanbtf)ei[e  ber  Körper  mit  9ßo(ff  für  einfädle  (gubfton^en  erffärte, 
fo  mar  bie^  ein  SBiberfprud;,  welchem  er  fid;  burd;  bie  Unterfd^cibung 
ber  ocrfd^icbenen  S3ebeutungen,  bie  mit  bem  Segriff  eine?  einfad^en 
2ßefen§  üerbunben  werben  tonnen,  uergebüd;  ju  ent^ie^en  fud;te.  ^n 
ber  Stfieotogie  giebt  er  fid^  mele  3JJüf)e,  bie  getüöfmtid^e  SSorfteHung  t)on 
ber  göttlid;en  2lHmad}t,  wornod^  biefe  raeber  burdj  bie  5Raturgefe^e  nod^ 
burd^  bie  innere  Sf^otbracnbig^eit  be§  götttidjen  SßefenS  gebunbeu  ift,  bie 
2öat){fre!t)cit  bc§  göttlichen  2öillen§  unb  ba§  SBunber  ju  retten ;  mit  mef)r 
©runb  TOtrb  bie  ^^ünbigfeit  be§  ontologifd^en  33cmeife§  für  ha§>  S^aiein 
©otteS  in  9(nfprud)  genommen.  6rufiu§  beftreitet  ferner,  in  feiner  ^of=^ 
mofogie  unb  ^neumatologie,  SSolff^  mec^anifd^e  ^laturerf (ärung ,  ben 
©a^  von  ber  ßrt)altung  ber  beraegcnben  Gräfte,  bie  £ef)re  üon  ber 
beften  SBett,  bie  pröftabiürte  .^armonie,  ben  S^eterminifmu?  unb  anbere 
Seftimmungen  be§  rootffifd^en  6i)ftem§;  wenn  er  aber  auc^  ein^etnen 
oon  biefen  2Inna^mcn,  mie  nomcntlid;  ber  präftabifirten  Harmonie  pon 
ßeib  unb  geefe,  bead^ten§roert^e  (?5rünbe  entgegengefe^t  l^ut,  fo  feljit  e§> 
bod^  feinen  eigenen  2(u§fü^rungcn  aü^ufefir  an  einer  ftrengeren  miffen= 
fd;aft(id)en  Gattung.  3}?eint  er  bod;  3.  33.,  in  ber  einrid;tung  unferer 
©eele  fei  fe^r  v\ek§  oufäffig;  gegen  bie  Slnnaljme,  ba§  biefe  SBclt  bie 
befte  möglidje  fei,  raenbet  er  ein:  ba  jebe  Sßett  enblid^  unb  mithin  nur 
einer  enbrid;cn  ^soHfommentieit  fäfiig  fei,  muffe  @ott  „bie  ©(^ranfen 
i{)rer  SSoIIfomment)eit  irgcnbmo  willFüFirlid;  beftimmeu";   gegen    ben 

15* 


228  (Sfkftifer. 

(gat^  DOli  ber  Grf)n(!iinö  ber  Äröfte  in  ber  SBett  6ciiierft  er  unter  on- 
bcrem:  c§>  f'önne  ja  bod)  luo^l  gefcf;cf)en,  baB  Qciöiffe  ©eifter,  bie  gutjor 
einen  ^^ctt  ber  2ße(t  au§mad;teu,  wcQm  widjtigcr  göttltdjer  ^^^i-'c^c  w 
eine  anberc  SBelt  üer^cl^t  luerbcn,  nnb  raaS  bergleic^en  ntcfir  ift.  2let)n= 
licJ)  ucrfiält  e§  fid;  mit  feiner  praftifdjen  ^(;iIo[opf)ie.  S;en  ©runb  ber 
morn(ifc|cn  3Scrbinb(id;feit  fndjt  ©rufiug  lebiglid;  in  beni  Söiüen  ©otte§, 
raeldjer  bei  ii)ni  nidjt  raic  bei  Sßolff  mit  ber  Df^atur  ber  S)inge  ^nfam^ 
menfädt.  ©agcgen  IdjÜc^t  er  fidj  in  feiner  2lnfid;t  über  bie  2lufgabe 
ber  fittlidjcn  Slljätigfeit  im  mcfcnt(id;en  an  Seibnij  nnb  SBoIff  an,  tuenn 
er  alk  fittlidjcn  3liiforbernngen  in  bem  ®runbfo|3  3ufammenfaf3t,  au§ 
©cfjovfam  gegen  @ott  ba§  ju  tfjun,  ma§  ber  SSofifommen^eit  gcmä^  ift. 
@r  unterfdjeibet  fid;  bcmnad;  oon  jenen,  nidjt  3U  feinem  33ortf)ei(,  in 
principieller  SSe^ieljnng  nur  babur($,  ba^  er  aib:"  bogmatild;en  'SIM^ 
fiepten  fic^  nidjt  entfdjlicfjen  fann,  ha§>  ©ittengefelj  oiso  etma§  au§  ber 
mcnidjUdjcn  9lQtur  mit  innerer  3lüt(;n)enbigFeit  ^erüorgeljenbc^,  oon  tf)eo-- 
logifdjcn  Ueberscngnngcn  unabfjängigcS  nnb  burd;  fid)  felbft  ucrp[ü(^= 
tenbeS  gu  betrachten.  2tu§  ber  fittlidjeit  3Iufgabe  werben  bie  brei  (^nnih-- 
triebe  abgeleitet,  n)cld;e  ©ott  al§>  Siebingung  ii)rer  ©rfüUung  in  ben 
SBifIcn  ucrnünftiger  ©cifter  f)a6e  legen  muffen,  nämlic^  ber  Xrieb  nad; 
eigener  SSerüoüfommnung,  ber  SiebeStrieb  nnb  ber  Srieb  gur  2tnerfen= 
nnng  ber  S>er|)|(idjtung  gegen  @ott  (ber  ©cmiffen^trieb).  S)iefen  brei 
©runbtrieben  entfprcd)cn  a(§  §aupttl)ei(e  ber  praftifdjen  ^^üofopfiie  bie 
©tijif,  ha^  ^^tatnrredjt  uiib  bie  3}iüra[ttjco[ogie ;  abi  üierter  ^fieil  tommt 
gu  biefcn  bie  „J?(ugljcit§lef)re"  Ijiuju,  bie  and;  fd;on  53nbbeu§,  nament= 
tid;  aber  ©unbling,  a(§  bcfonbcren  ß^i'ßtÖ  "^er  33iora(pt)ilofopI)ie  ein= 
gel;enb  bc(;anbctt  ^atte. 

^Rebcn  6rufiu§  Ijotte  unter  ben  e!feftifc^en  ©egncrn  be§  moIffif(^en 
6ijftemö  ^oad;im  @eorg  S)arie§  (1714—1792),  meldier  in  ^zna 
unb  tann  in  granffurt  a.  b.  D.  ^t)ifofopf)ie  nnb  9U'd;t§raiffenfd;aft 
Ief)rte,  in  jener  3eit  einen  bcbeutenben  9tamen;  a{§>  UuiuerfitätSlefirer 
erfreute  er  fid;  eine§  53eifall§,  wie  if)n  oft  bie  grollen  ^fjibfoptien  nid;t 
erlangt  F)aben.  Sod;  ftanb  er  ber  roolffifcl^cn  Sdjuie,  ber  er  felbft  früf)er 
angcijört  (;atte,  roeit  näijer,  alä  GrufiniS;  er  folgt  i()r  nid;t  bloS  in 
if)rcm  matt)ematifdj-bemonftratiuen  3Serfal;ren,  fonbern  aitd;  materiell  in 
t)ie(cn  unb  eingreifenben  23eftimmungen.  ©eine  f)anpt)ädjlidjftcn  ©in= 
menbungcn  gegen  Söolff  unb  Scibnij  betrafen  hm  SetenninifinuS  unb 
ba§  Syftem  ber  üortjerbeftimniten  .^tarmonie.     Um   bem  crftereu  feine 


2)arie§.    (Jroufaj.  229 

.^auptftü^e  gu  enti,k^en,  wollte  S^orjc§  auä)  bem  (£a|  be§  ^ureic^enben 
©tunbeS  nur  eine  befc^ränfte  @e(tung  einräumen.  Sie  üorl^erbeftinimte 
Harmonie  mu^te  er  fd;on  bc^()atb  üerroerfon,  rceil  fie  nur  unter  ber 
Sebingung  einer  unabäuberüdjen  9fiotf)roenbißfeit  affeS  @e[cf)cf)cn§  mög= 
lid^  ift;  unb  bie  gteicf;e  9?ücffid)t  beftimntte  i{)n  auc^,  bie  £ef)re  von  ber 
beften  2ßeit  baf)in  §u  mobificiren,  ba^  bie  Sffielt  gtoar  an  fid^  felbft  bie 
ooCfommenfte  fei,  luef^e  @ott  frfjaffcn  fonnte,  ba^  aber  in  beni  t§at= 
fäd)üc^en  3"ftanb  berfelben  burc^  ben  9JtiBbraud;  ber  grei^eit  llnöott- 
fommcn{)eiten  eingetreten  feien,  bie  fid;  f)ättcn  üerineiben  (äffen.  S)ie 
^rei()eit  felbft  wollte  er  nid;t  al§  eine  ßigenfd;aft  be§  2BiIIen§  ober  be^ 
S?erftanbc§,  fonbern  a\§  ein  oon  beiben  oerfd;:ebene§,  aber  auf  beibe 
eimoirfenbeg  eigentf)ümli(^e§  3Sermögen  be§  @eifte§  betrad)tet  wiffcn. 
2Iu($  in  ©Ott  fottte  neben  bem  not^raenbigen  ©rfennen  unb  Söirfen  ein 
freies  fein;  jenem  n)ie§  er  ba§  3U,  wa§  Seibni^  not^menbige,  biefcm 
ba§,  maS  er  jufädige  2öa|r{)eiten  genannt  f)atte.  ^ei  ber  ^^rage  nad; 
ben  legten  5Beftanbttjei(en  ber  ©inge  gab  er  Seibnij  unb  SBolff  ju,  bafe 
ttlle§  ^ufaiTtmeii gefegte  aul  einfachen  ©(erneuten  5ufammengefe|t  fein 
muffe,  bereu  SBefen  nur  in  ber  ^raft  beftcf)en  fönne;  aber  3ug(cid; 
meinte  er,  man  braud^e  einfadjen  ©ubftan^cn  bie  2lu!cbef)nung  nid;t  ah- 
äufpred;en,  benn  bie  ©infad)()eit  fd^lie^e  nic^t  atte  au^cr  eiuanber  be- 
finblid^en  2f)ei(e,  fonbern  nur  eine  3JJe()r{)eit  foId;er  2:()ei(e  au§,  bie 
roirftid^  üon  eiuanber  getrennt  mcrben  fi3nnen.  ^n  feiner  ©ittenIeJire 
unb  feinem  S^aturredjt  tjätt  er  fid;  im  mefenttiij^en  an  bie  ©runbfä^e 
üon  SBolff  unb  ßeibniä.  5Die  ©[üdfelig!eit  befteljt,  roie  er  fagt,  in  ber 
9lu()e  be§  ©cnultf)§,  unb  bicfe  in  ber  ©mpfinbung  bor  Uebcreinftimmung 
unferer  raiUfütirtic^en  SBirfungen  mit  unfern  natürlid^en  unb  n)efent(id;en 
SCrieben  gur  5>olIfommenf)eit.  3^a§  nnerlä^Iidie  Wttei  jnr  ©(ücffe[ig= 
feit  ift  bie  Xugenb.  S)er  nähere  ^nfialt  unferer  ^f(id;ten  mirb  mit 
©oiff  au§  ber  Setradjtung  ber  ^ktur^ioede  abgeleitet,  inbem  biefe  auf 
ben  gi3ttüd;en  2öiüen  ,5urüd"gefüf)rt  mcrben,  unb  bemgemä^  ba§,  mag 
mit  i()nen  übereinftimmt ,  für  etmaS  bem  SSillen  @otte§  entfprcd;enbeg 
erüärt  mirb. 

S)en  bi§f)er  befproi^encn  ^()ifofop^cu  fönnen  mir  aud;  ben  Sau^ 
fanner  ^ean  ^ierre  be  ßroufa^  (16G3 — 1748)  beifügen,  TOeId;er 
als  @r3ief)er  be§  ^rin^en  (^-riebric^  t)on  ^effenfaffct  einen  5:I)eit  feineS 
SebenS  in  2)eutfd)laub  jugebrad^t,  unb  für  feine  fcauööfifd;  gefc^riebenen 
Serfe   in  biefem  Sanbe  üie(e  Sefer   gefunben   E)at.    Unter  ben   ^f)i(o; 


230  eneftifer. 

fopFien  feiner  3eit  beftritt  er  t^eilS  bie  «Sfeptifer,  nonientlid^  33ot;Ie, 
tt)eil§  auc^  Seibni^  unb  2Bo(ff.  ©eine  Stngviffe  gecjen  bie  (enteren  U- 
trofen  neben  2Bolff'ö  3Jietf)obe,  ber  er  i^re  ^ebanterie  üorriicfte,  t)e[on= 
berS  bie  le^bnijifd^en  2(nnaf)men  über  bie  2}tonoben,  bie  pröftabilirte 
Harmonie  nnb  bie  beterminiftifcf;e  SSerfnüpfung  aUeS  ©e[c^el^en§.  Slllein 
roenn  er  oncT;  feinen  ©egnern  monif;e  treffenbe  ^cmerfung  entgegen{)ielt, 
wenn  ferner  feine  äftf)etifdjen  nnb  päbagogifd;en  ©(^riften  nid;t  of)ne 
SSerbienft  waren,  fo  fcf)(te  e§  i^m  boc^  für  tiefer  geljenbe  pf)i(ofopf)i)c^e 
Unterfuc^nngen  gu  felir  an  ©d;ärfe  be^  ^enfenS,  aB  ha^  fid^  nad^ 
biefer  ©eite  l^in  eine  bebentenbe  2Birfnng  Don  i^m  t)ätte  erwarten 
(äffen. 

S)a§  gleiche  gilt  aber  ntel^r  ober  weniger  von  allen  ben  9Jiönnern, 
n)eld;e  im  erften  nnb  sroeiten  S^ritt^eil  be»  vorigen  ;3a(jrf)unbert§  all 
©egner  nnb  9tebenbul)fer  ber  wolffifd^cn  ^i)i(ofopf)ie  in  S)eutfd)[anb 
auftraten.  3Jtond;e  üon  i^nen  'i^ahen  bie  ©d;n)äd;en  ber  (enteren  an 
einzelnen,  3um  3;^eil  eingreifenben  fünften  mit  ©djarffinn  unb  ©efdjid 
nad^gcraiefen.  Slber  feiner  l^at  i^r  eine  beffer  begrünbete  einfieitlic^e 
2Be(tanfi$auung,  ein  befriebigenberel  n)iffenfd;aft(id;eg  ©yftem  entgegen^ 
aufteilen  oermod^t;  unb  alle  o^ne  2lu§naf)me  rid;ten  if)re  Singriffe  neben 
ben  fc^roac^en  ©eiten  ber  neuen  ^§iIofop§ie  aud;  auf  ba§,  worin 
i§re  ^auptftärfe  beftefit.  2Ba§  ilinen  an  berfelben  gum  Slnfto^  ge^ 
reid;t,  ift  oor  attem  bie  ©trenge,  mit  ber  {)ier  bie  j^orberung  einer  üer= 
nunftmä^igen  ©rflärung  ber  S)inge  au§  if)ren  natürlid;en  Urfadjen 
burc^gefü()rt  ift.  ©ie  fönnen  fid^  nid^t  entfd;He§cn,  mand^e  2lnnaf)men, 
\veid)c:  biefer  ©rflörung  im  SBege  ftanbcn,  of)ne  weitere»  aufzugeben; 
fie  fd)(agcn  namentlich  bie  ©efa^r,  weld;e  ber  überlieferten  S)ogmatif 
üon  fieibnij  unb  2BoIff  brof)te,  nii^t  ol)ne  ©runb  weit  t)öl)er  an,  all 
biefe  felbft  einräumten.  6l  finb  mit  ©inem  2Bort  mel)r  bogmatifc^e 
unb  praftifi^e,  all  rein  wiffeufdjaftlid^e  3Jiotiüe,  üon  bencn  biefe  Dppo^ 
fition  gegen  Seibnij  unb  SBolff  aulgel)t;  unb  el  tritt  in  berfelben  nid;t 
ein  feftgefdf)(offenel  ©tjftem  einem  anbern,  fonbern  einer  folgerid;tig  unb 
met^obifd;  eutwiiJelten  ?pi)ilofopl)ie  ein  Sflclticifmul  entgegen,  weld^er 
bie  i'oraulfe^ungen  bei  ©egnerl  groBentl;eill  jugiebt,  aber  feinen  ^oU 
gerungen  fid)  ju  entzieljen  fud;t.  Gl  wor  natürlid;,  ba^  eine  folc^e 
Seftreitung  ben  ©ieg  ber  wolffifd;en  ^l;i(üfüp()ie  nid;t  ju  ocr^inbern 
üermoclite,   unb   fo  fe^en  wir  benn  il)re  §errfd;aft  nod;  uor  ber  Wlitte 


SCBoIffift^e  Schale:     Jpmmig.    «ilfingcr.  231 

be§  18.  ^a^rfjunbert^  eut[d^ieben  unb   burc^  eine  5a^lreid;e  unb  eifriöe 
@d;u(e  geftü^t. 

2.  2)ie  ttjolffift^e  Schule. 

©iner  öon  ben  erfien  Slnljängern  biefer  Si^ule  ift  Subroig  ^^i= 
tipp  Xpmmig  (1697—1728),  2Solp  Sieblingefdjüier,  ber  au(^ 
5ug{ei(^  mit  i|m  au«  §alle  oertrieben  rourbe,  unb  banu  in  Jlaffel  eine 
SlnfteQung  fanb.  ©o  jung  er  oud^  ftarb,  fo  ^at  er  \i^  bod;  burd)  bie  (2d;rif= 
ten,  in  n)etd;cn  er  einäehie  fünfte  ber  raolffifc^en  ßeljre  erläuterte,  unb 
namentiic^  burd;  feine  uiefgebraud;ten  Institntiones  philosophiae  Wolf- 
fianae  um  bie  ^serbreituug  biefer  ^t)i(ofop^ie  ein  bebeutente»  ^'erbienft 
erworben.  SBolff  felbft  ijat  in  ber  ebengeuanutcn  ®d;rift  eine  getreue 
S)arftc[lung  feinet  ®i)ftem§  anerfannt;  eine  gortbiibung  ober  J^ritiif 
be^fclbcn  lag  au^er  bem  ©efidjt^freifl  i(;reg  3>erfaffer!l. 

ßtraa»  felbftänbiger  raurbe  e»  üon  ©eorg  33ernt)arb  Sitfinger 
(1693—1750)  bct)Qnbelt,  gleid;fallg  einem  uon  SSolff'ä  älteften  (2d;ü= 
lern,  mctdjcr  in  Tübingen  unb  in  -^etersSburg  ^rofeffor  ber  ^^^Ijilofopfjie, 
bann  in  Tübingen  ^rofeffor  ber  ^t)eologie  mar,  unb  aliS  ßonfiftoriat^ 
präfibent  in  Stuttgart  geftorben  ift.  @r  oertfjeibigte  in  eigenen  ®d;riftin 
bie  präftabilirte  .^armonie  von  (Seele  unb  Seib  unb  bie  leibni^ifc^e 
5tf)eobicce,  unb  in  feinen  „pt)ilofop(jifc^en  Erläuterungen"  ^)  gab  er  im 
2lnfdj(uB  an  Söolff'^  beutfc^e  3Jietapf)i;fif  eine  (Erörterung  über  bie 
@rnnb(e^ren  feinet  Sijftem^,  meldte  tro^  iljrer  etraag  fc^olaftifc^en  gorm 
bod;  foroot)i  burd;  i{)re  logifd^e  i?Iar(;eit  al§  burd;  if)re  gemäßigte  unb 
oermittetube  Haltung  ganj  geeignet  mar,  ber  neuen  ^f)i(ofopl;ie  greunbe 
ju  geroiunen.  3üg  ein  frommer  proteftantifd;er  3:t)eo(og  uerliert  er  bie 
Slufgabe  nie  au§  ben  Slugen,  beu  Stuftoß  äu  befeitigen,  iüe(d;en  Seibnij 
unb  SBoIff,  t)auptfäd;(id;  burd^  itiren  S)eterminifmu§ ,  ber  2;§eo[ogie 
gaben;  unb  er  bebient  fi(^  {)iefür  ber  leibni3ifd;en  Unterfc^eibung  ^mifc^en 
abfotuter  unb  ^ypott)etifd;er,  metapi)i)fifc^er  unb  mora[ifd;er  3totl)meubig= 
feit  in  einem  Umfang,  baß  el  nid;t  feiten  ben  Sinfc^ein  gewinnt,  ai§>  ob 
er  felbft  jenem  3^eterminifmu§  untreu  geroorben  fei.  ©eine  mirfli^e 
9Jleinuiig  ift  bie^  jebo^   nid^t:    fo  üiel  er   aui^   uon   ber  greil;eit  beä 


l)  Dilucidatioues  philosophicae    de  Deo,    anima  humaua,    mundo    et  geuera- 
libus  rerum  afifectionibus.     1725  u.  ö. 


232  Sorfficilc  (BijnU. 

%öttM)en  itnb  beS  menfc^ücljen  2BiIIen§  rebet,  fo  jelgt  [ic^  boc^  f(^lie§= 
[id^,  ha^  er  fid)  Beibe  mit  feinen  Seigrem  immer  burc^  preid;enbc 
©rünbe  bcftimmt  benft. 

2lu(^  fonft  ift  er  in  allen  ^anptpunfteii  mit  ifmen  einüerftonben. 
©r  l^äit  einfadje  2ßcfen  für  bie  ©runbbcftanbf^eile  alles  3ii^'^^""^^"9^" 
festen ;  nur  fann  er  fid^  fo  menig,  wie  2Bo(ff,  überjeuocn,  baB  bie  ^ox- 
fteUungSfraft  allen  biefen  5Be[en  gufomme;  er  fiubet  c§  üieimcfir  bei 
benjeiiigen,  meldje  bie  ®(emente  ber  Körper  bilben,  n)a{)rfd;eintid;er, 
ba§  i^re  urfprünglidje  92atur  in  ber  ^eiuegungSfraft  bcftef)e,  unb  er 
wi\i  baf)cr  aud)  bie  Ucbereinftimmung  ämifdjen  ber  förperlidjcn  unb  ber 
geiftigen  2öclt  nid^t  auf  bie  ©(eid^artigfeit  ber  SSorftedungen  in  allen 
Sefen,  fonbern  borauf  5urüdfü^ren,  ba^  bie  inneren  ^cränberungen 
in  ben  üorfteflenben  unb  bcn  nidjtuorftellenben  3ßefen  fid;  entfprei^en. 
©benforoenig  gicbt  er  gu,  ba§  bie^ßorftellungSfraft  jeber  äJionobe  (fofern 
fie  überf)aupt  eine  foldje  befi^t)  fid;  auf  alle  anbcrn  erftreden,  jebe  ein 
©piegel  ber  ganzen  SBelt  fein  muffe;  fonbern  e»  fd;eint  ifiva  ber  5Jcatur 
eine§  cublidjen  S[Öefen§  angemeffcner  gu  fein,  menn  mir  anneljmen,  jebe 
3)lonabe  I;abe  nur  eine  beftimmte  ©pfjäre  ifirer  9}orfteIIung§t(;ätigfeit, 
unb  ftcf)e  haf)cx  nur  mit  einem  5l{)eil  ber  auberu  3Jionaben  in  einer 
unmittelbaren,  mit  ben  übrigen  nur  in  einer  mittelbaren  ^e^ieljung 
unb  llebereinftimmuug.  3JJit  Seibni^  unb  3Botff  beftreitet  er  bie  pl)i)fifd;e 
©inroirfung  ber  SJionabeu  auf  einanber,  juuädjft  bei  ber  f^rage  über 
ba§  5ßerf)ä(tnif3  oon  Seib  unb  «Seele,  a{§>  uubc greiflid;,  unb  fet^t  an  bie 
Stelle  berfelbcn  i|re  präftabilirte  .^armonie.  ^n  feiner  ^fi;d;üfogie  bc- 
geidinet  er  nad)  SBolff'S  2>organg  ba§  S^^orfteltcn  unb  ba§  S3cgel)ren  alc> 
bie  ©uunbtljätigfciten  ber  6eele;  biefe  bciben  55:l)ätigfeiten  follen  immer 
miteinanbcr  abn)cd;fchi,  unb  bal):r  jebe  pfijd;ifd;e  9?cränbcruug  ertweber 
in  bem  ^eroorgang  einer  33cgel)rung  au§  einer  ^Sorfteünng  ober  in  bem 
.^eruorgang  einer  'i^orftellung  au§  einer  33ege^ruug  bcfte|en;  raenu  e§ 
un§  fdjeint,  al§  ob  eine  SSorftellung  unmittelbar  a\\§  einer  anbern  ent^ 
fpruugen  fei,  fo  foU  bieB  nur  bal^er  fommen,  ba^  wir  nn§  ber  bo? 
,5roifd;cnliegenben  äöiüenStljätigfeit  uid;t  bemüht  finb,  unb  ebenfo  in  ^e= 
treff  ber  S3egcl)ruugeu  (Dilnc.  §  150).  (Sin  eigenes  JTapitel  feiner 
^ofmologie  befdjäftigt  fid)  mit  ber  'iunHjcibignng  unb  näl)cren  ^Beftim^ 
mung  bcS  2Bunbergloubcn§;  bie  pl)ilofopl)ifdje  ^etrad;tuug  ber  Singe 
tritr   aber   l)icr   gegen   bie  pofitioe  3!)ogmatif  iu    noc^   Ijüljerem  ©rabe 


21.  Soumgarten.  233 

^nxüd,  a(§  in  ben  entfpred^enbcn  3(u§cinanbevie|ungeu  non  Seibni^  unb 
SBotff,  an  lüclc^e  fic^  53{(fiTtöer  aud^  f)ter  anfdjlie^t. 

2lt§  ein  weiterer  f)öc^ft  einflnBreidjer  SScrtreter  ber  luolffifdjen  ^t)ü 
(ofopf)ie    ift    SUeyanber    ©ottlieb    S3aumgarten    an§    Ser(iK 
(1714 — 1762)  ju  nennen,  ein  jüngerer  ^citgenoffe  53ilfingerio,   uield^er 
al§  ^rofe[[or  in  .^olle  unb  in  granffurt  a.  b.  D.  fon)of)(  burc^  feine  SSor- 
(efnngen  afg  bnrd)  feine  üiefgebraudjten  Sel^rbüdjer  mit  bcm  bebeuteubften 
©rfofge  geroirft  Ijat.   ©eine  roiffenfdjaftlidjen  Sciftungcn  beftcl;en  tljcilö  in 
einer  S)arfte(Iung  be^3  gan3en  plf)i(ofopf)ifdjen  (gijftem^,  bei  ber  e§  \iä)  abe'i 
bo($  in  ber  ^auptfac^e  mir  nm  bie  gorm  banbclt,  bie  ber  iüoIffif(j^en  £e{)re 
gegeben  wirb,  t^eits  in  ber  abgefonberten  unb  aucfübrlic^en  Bearbeitung 
ber  2(eft()etif,  bnrd;  bie  er  eine  Sude  aUfofüKt,  TXKiä)c  SBoIff  noc^  gelaffen 
fiatte.    ^n  erfterer   33e3ief)ung   ift  3?aningartcn  bemüt)t,   bie  n)oIffifd)c 
Sef)re  auf  if)ren  fc^ärfftcn  2tu§brud  ^u  bringen;   unb  er  f)at  namentlid^ 
burd^    bie  ^eftfteUung   ber   pt)iiofopt)ifd;en   Terminologie   einen  um   fo 
bauernberen  (Sinftuf3  ausgeübt,   ba  i?'ant  58anmgarten§  Sef)rbüc^er  üietc 
^d)xe  lang  feinen  Q^orkfungen  ju  ©runbe  legte,  unb  bie  t)ier  üorgcfun^ 
benen  ^Se^eii^nungen  aud;    in   feinen  <£(^riften   grof5cntt)ci(§  beibcljielt. 
S)ie  fd;ulniä^ige  ^^-orm  wirb   ober  in  feinen  Compcnbicn  oft  rcd)t  fteif 
unb  unburdjfidjtig,  unb  e§  gilt  bicB  namentlid^  you  ben  inelen  S}cfini= 
tionen,   bei  beneu  il;n  ba§  «Streben   nad;   Jlür^e   unb   ^räcifion  nid^t 
feiten  ju  einer  abftrufen  unb  fd;n)eryerftänb(idjcn  Raffung  üerleitet.    ^n 
materieller  SSejieljung  tritt  er  mit  Bolff  an  feinem  irgenb  erl)cblic^en 
fünfte  in  SBiberfprud; ;    aber  er  fud)t  feine  Seigre,   and)  abgcfel}en  uon 
ber  Sleftlietif,    im  ein5elncn  näl^er  j|U  bcftimmen  unb  ju  ergänzen.    Gr 
befinirt  bie  ^f)ilofopl)ie,  im  Unterfd^ieb  oon  ber  3Jiatl)ematiE,  bie  e§  mit 
ten  ©röBen   ^u  tl)un  l)at,    als  bie  SBiffeufd^aft  üon   hm  (gigen= 
fd^aften  ber  S)inge,  fo  raeit  fid)  biefe  burd;  bie  blo^e  Siernunft  erfenneii 
laffen.    ®r  finbet   il)r  attgemeinfteS  ^rincip    in  bem  <Sat^   beg  2Biber^ 
fprudjS,  au§  bem  er  mit  SBolff  aud^  ben  be»  jureidjcnben  ®runbe§  abh- 
ieltet;    ben  legieren  ergän3t  er  aber  burd;  bie  weitere  Seftimmung,  ha^ 
nid^t  blo§    alles   einen  ©runb   Ijabe,    fonbern  aud)  alle§   ©runb  fei, 
ba§  es  uid^tS  gebe,  waS  nid}t  feine  folgen  l)ötte,  waS  unfrudjtbar  unb 
wirfungSloS  wäre,   ba§  mitl)in  alles  fowol)l   als  ©runb  wie  als  golge 
mit  anberem  gufammenljänge;    unb  er  beweift  biefen  6a^  in  äl)ulic^er 
2Beife,   wie   fd;on  SBoIff  hcn  bcS  jureicljcnben  ©runbcS  bewiefen  l)atte 
(f.  0.  ©.  188\  mit  ber  fdjiclcnben  58cmerfnng:  wenn  etwaS  feine  ^^olge 


5234  aBolffifd^e  ©(^ule. 

i)ättc,  ]o  wäre  ein  9^{df;t§  feine  gofge,  biefe§  Td^t^  roäve  mitf)in  etroa^. 
2tl^  ba§  SubftQutiefle  in  ben  ©ingen  Iieäeidjuct  Saumgavten  bie  Jlräfte^ 
lueil  bie  Gräfte  allein  e^  feien,  weli^e  ben  ©runb  aller  it)rer  @igen= 
fc^aften  enthalten;  biefe  Gräfte  aber  muffen  einfädle  SBefen  ober  3)?ona= 
ben  fein,  ba  alle§  ^i^f'i^'^^^J^Ö^fßÖ^^  ^^^^  ^^^^  ®infad;em  gufammen^ 
gefeilt  fein  tonne,  ^n  ber  ^^affung  ber  3)^onabenIet)re  i)ä[t  er  fic^ 
genauer  an  SeiOntj,  al§>  bicfj  Sßolff  unb  ^itfinger  getf)an  f)atten,  fofern 
er  au§  bem  ^wfammen^ang  atter  Singe  fd)Iie^t,  ba^  jebe  3)lonabe  bie 
ganje  2öelt  in  fic^  abfpicgle,  unb  fomit  oorftelle;  ift  biefe  a^orfteüung 
eine  burcfjauS  bunfte  unb  unbcTOU^te,  fo  ift  ber  ^wf^'^"''  "^^^  Monaben 
ber  eineg  tiefen  ©djtununerio,  fie  finb  blo^e  ^i)ionaben;  ift  fie  ttieilraeife 
flar,  fo  finb  fie  oernunftiofe  ©eeten ;  ift  fie  beutlid;,  fo  finb  fie  ©eifter. 
Üeine  3roei  3Jlonaben,  unb  feine  ^wei  SBefen  ükrfiaupt,  fönnen  ooll= 
fommcn  oerfc^icben,  ebenforoenig  fiinncn  ober  aud^  5n)ei  fic^  üottEommen 
gteid;  fein:  jeue^,  weil  allen  bod;  rcenigften^  bie  allgemeinen  ©igen- 
fd^aften  alle§  (Seienben  gemeinf($aft(id^  äufommen  muffen,  biefe^,  raeit 
irgenb  etraaä  in  it)nen  fein  mu^,  worin  e»  begrünbet  ift,  ba^  fie  ^roei 
unb  uid;t  ein§  finb.  %üe  SBefen  ftet;en  mit  allen  in  ^^f^^^^^^^^'^^^Ör 
b.  f).  in  2Öedjfehüirfuug ;  jcber  ßinioirfung  oon  einer  Seite  entfpridE)t 
bafier  eine  ÖegeumirFung  oon  einer  auberu,  unb  jroar  eine  folc^e  oon 
gleid^er  ©rö§e.  S)iefe  Söec^felioirfung  ift  aber  feine  reale,  fonberu  eine 
rein  ibeale,  burc^  bie  allgemeine  oorfierbeftimmte  c'garmonie  oermittelte; 
bie  entgegcngefe^te  3(ni:a§me  einc§  pl)i)fifd;en  ©influffeS  ber  S)inge  auf 
einanber,  unb  fo  and;  im  befonbern  bie  Sfnnafjme  eine;?  pf)t)fif(^en  @in= 
fluffeS  ber  ©eete  auf  ben  £eib  unb  be§  SeibeS  auf  bie  6eele,  foll  be§= 
f)alb  unjutäffig  fein,  loeit  fie,  wie  8auiiigarten  meint,  für  alle  bie 
j^äfle,  in  benen  ein  SBefen  ben  ßiuflu^  einc§  anbern  erfährt,  feine 
eigene  2:l)ätigfeit  auffjeben  unb  e§  5ur  blofsen  ^affioität  uerurtf)eilcn 
würbe,  ^n  ber  :ncdjanif(^en  5Jaturanfidjt  unb  bem  S)eterminifmu», 
roeldje  mit  bem  ©ijftem  ber  präftabilirten  ^'^armonie  unmittelbar  gegeben 
roaren,  befennt  fic^  uatürlid;  auc^  ^aumgartcn;  sugleid;  unterlö^t  er 
e§  aber  nid;t,  oon  feiner  5:f)eorie  5U  rül)men,  roie  gerabe  burd;  fie  bie 
^rciljeit  be§  @eifte§  imb  feine  Uiiabljängigfeit  oon  allen  öu^eren  ßin- 
flüffen  in  ba§  ^eUfte  Sidjt  geftellt  merbe.  2tud^  in  bem  roeiteren  ^nfialt 
feiner  Äofmologie  unb  ^fijd;ologie  fd)licf3t  er  fic^  ganj  on  Seibni^  unb 
SBolff  an;  unb  ben  gleidjen  SSovgäugeru  folgt  er  in  ber  natürtid;en 
2:l)cologie.    3^a^  bemerfen^ioertljefte  in  ber  festeren  ift  feine  S^arfteUung 


21.  Saumgartcr.  235 

bei  ontologifc^en  SeroeifeS  für  ha§:  Xaimi  ©ottel,  fofcni  Äant  in  [einer 
6erüf)mten  Äriti!  biefeS  S3eroeiic§  fid;  3unäd;ft  an  SSaunigortenl  ?^af)ung 
beffelben  gefjalten  f)Qt;  ber  6a(^e  nad;  raieberf)oIt  er  aber  auc^  §ier 
nur,  max>  i^on  Seibniä  unb  SBolff  gesagt  {)atten.  @r  fc^t  ^uerft  an§- 
einauber,  ha^  ein  2ße[en,  in  bem  aöe  SSoüfommenf)eiten  ober  „9teali=: 
täten''  rereinigt  finb,  ein  atlerüoüfommenfte»  ober  oHerrealftel  äöefen, 
möglid;  fei,  nnb  erraeift  bann  bie  2Birflid;feit  bcSfelben  mittelft  bei 
(2i^(uffel:  ba  bie  ßyiftenj  g[eid;fall»  eine  9ka(ität  fei,  muffe  i^m  mit 
allen  anbern  ^lealiläten  aud)  bie  Gyiftenj  äufommen.  ^Keben  ber  natür= 
(tc^en  ©ottclerfenntniB  wirb  aber  aud;  üon  S3aumgarten  eine  übernatür- 
liche Offenbarung,  neben  bem  ?iatur(auf  wirb  bie  9}iögtidjfeit  ber  Söunber 
entfc^ieben  üert^eibigt.  S)ie  praftifdje  ^^itofopt)ie  tf)cilt  er  in  bie  all= 
gemeine  unb  bie  fpeciette,  bie  letztere  in  bal  9iaturred;t  unb  ha§^  @efell= 
f(i^aftlred;t,  bal  9iaturred;t  feinerfeiti  in  bal  'Jcaturred^t  im  engeren 
©tun  nnb  bie  @tf)if :  jene»  befdjäftigt  fid;  mit  ben  äufseren  unb  er5U)ing= 
baren,  biefe  mit  ben  inneren,  nid;t  er5tüingbaren  5i^erbiubnd;feiten.  Xa^% 
attgemeinfte  ^rincip  unferel  ^anbelnl  finbet  er  mit  Seibni5  unb  Solff 
in  bem  ©treben  nad^  mög(id;fter  SSolIfommcnf)eit;  mit  biefem  (Streben 
faßt  baS  naturgemäJ3e  Seben  5ufammen  ^). 

(Sine  felbftänbigere  ßeiftung  ift  33aumgarten'§  2leftf)ctif  ^).  @r 
untcrfc^eibet  mit  anbern  brei  c^aupttf;ei(e  ber  ^f)i(ofopt)ie:  bie  Sogif 
(im  weiteren  ©inn)  ober  bie  GrfenntniBfe^re,  bie  t^eoretifi^e  unb  bie 
praftif(|e  ^f)i(ofop!)ic.  SBö^renb  nun  aber  bie  ßogii  U§>  ba!)in  ba§ 
„^öf)ere  Srfennen"  ober  bie  JTenftfjätigfeit  aulfcfilie^lid;  ober  faft  aul; 
f(^lieBlid|  in'l  Stuge  gefaxt  ^atte,  finbet  Saumgarten  eine  2ln(eitung  für 
bie  niebere  ßrfenntni^t{)ätigfeit  ober  bal  finn(id;e  Grfennen  uic^t  minber 
notf)racnbig ;  unb  chcn  bic§  ift,  wie  er  fagt,  bie  3tufgabe  ber  „2left§etit" : 
ber  Qwcd  biefer  SSiffenfdiaft  foll  in  ber  3>eroofIfommnung  ber  finnüd;en 
@rfenutui§  all  fold^er  befte^en.  S)ie  finnli^e  ßrfenntniB  umfaßt  aber 
alle  S3orfteIIungen ,  bie  nidit  jur  Seutli^feit  erhoben  merben,  feien  fie 
nun  (Smpfinbuugen  ober  ^{)antaficbilber;  unb  bie  SSoüfommen^eit  biefer 
©rfenntni^  beftei)t  in  ber  ©d;öuf)cit.    'SS^enn  bie  SSernunft  auf  objeftiüe 


1)  2)ie  ^Belege  ju  ber  obigen  Saifteöung  finbet  man  in  Jöaumgartcnä  Meta- 
phjsica  (1739  u.  ö.)  unb  bei  Gvbmann,  ©efc^.  b.  ueueven  |<^ito{.  II,  b,  375  ff. 
CXLVJII  f. 

2)  Aesthetica  (1750.  1758)  ügl.  Metaph    §  533.  662. 


236  aSoIffifc^e  (Schute. 

©ai^r^cit  Qit?gcf)t,  fo  ift  e§  bor  @t!mtidj!ett,  qT§  einem  Slnalogon  bcr 
^l?crniinft,  nur  um  bie  äft^etifcfje,  fiunlid;  erfenuBare  25^af)rF)eit,  um  bie 
<Bä)'ön\)e\t ,  ju  t^un.  ®ie  2leftt)etif  ift  mitl;in  „bie  2Biffenfci)Qft  beö 
®d)öiien''.  S)urcf;  biefe  Säge  ift  $8aumgarten  für  S)eut[d)Iaub  bcr 
^Bi-gvünbcr  ber  Slcft^etif  a(§  einer  eigenen  2Bi[fenfd;aft  geworben,  ©eine 
^arftcffung  biefer  SBiffenfc^aft  bleibt  aber  freilid^  l)inter  bem,  n)a§  mir 
ficutjutage  von  einer  2(eftf)eti!  üertangen,  no(^  meit  gurüd.  ©djon  bie 
©runbfrage  nad;  bcm  allgemeinen  Söefen  ber  (Sd)önf)eit  mirb  nur  unge- 
nügenb  bcljanbelt.  S)a  bie  ^oHfommentieit  überf)aupt  nad)  2Bolff'§ 
1)efinttion  (f.  <B.  185)  in  ber  ^uf^JJ^i^f^nftimmung  be§  3Jiaunigf altigen 
beftef)cn  foU,  fegt  53aumgarten  fotgeric^tig  bie  finn(id;e  SSoÜfommenl^eit 
ober  bie  Sc^önfieit  in  bie  3itfommenftimmung  be§  3}ianntgfaltigen  in 
öer  ßrfdjeinung,  unb  er  üerlangt  (jiefür  im  befonbern  breierlei:  bie 
Sd^ön^eit  bcr  ©ad;en  unb  ©ebanfen,  bcr  Slnorbnung,  unb  ber  ^e^dä)- 
nung  ^).  2)iefe  Seftimmungen  lauten  boc^  nod;  yiel  ju  formaliftifc^, 
unb  ber  eigeut^ümttd;e  ßfiarafter,  burc^  welchen  fic^  bie  äft{jeti[d;c  ^e- 
trad;tung  bcr  ®inge  von  ber  miffenfdiaftlidjen  unterfd;eibet,  ift  barin 
nur  fi^raac^  angebeutet.  SBeiter  f)ätte  e§  fid;  nun  aber  barum  gef)an= 
beit,  bcu  Ginbrud  be§  ©djönen  nad;  feinen  yerfd;iebeuen  (Seiten  f)in  auf 
biefer  ©runblage  3U  er!(ären,  unb  burc^  metf)obifd^e  Unterfudjung  bie 
2tufgaBe  bcr  ilunft  unb  ben  Gfjarafter  bcr  üerfd/iebenen  fünfte  unb 
J^unftftijle  au§3umitte(n.  S)a3U  mad^t  jebod;  ^aumgartcn  gar  feineu 
9.^erfud).  ©eine  Slefttietif  ift  eine  ©ammlung  von  S3emerhtugen  unb 
Siegeln,  meift  au§  bem  ©ebiete  ber  di^etont  unb  ber  ^oetif,  meldte 
gmar  immcrfjin  üon  einer  rid;tigen  unb  felbft  feinen  ^eobadjtung,  von 
einem  guten  ®e)'d;mad  unb  ge[unben  Urtlieil  jeugen,  meiere  aber  bod^ 
ein  tieferes  Ginbringen  in  bie  ©ad;e  unb  ein  ftrcngereS  mif[eufdjaftlid;e^ 
Sßerfa()ren  in  Ijofjem  ©rabe  ocrmiffcn  taffen.  2lnerfennung  uerbicut  e§, 
baB  fid;  S3aumgarten  von  bcr  ^öufd;ung  freii;ä(t,  bcr  fid;  anbere 
2öo{ffiancr  nur  gU  oft  {)ingabcn,  al§>  ob  bie  9lcget  für  fid;  allein  ben 
.^üuftter  mad;en  fönne.  Gr  fprid;t  c§  au§brüd:id;  an§,  ha^  für  jebe 
tünftlcrifdjc  Stiftung  bie  9?aturantage  ba§  erfte,  bie  Ucbung  baf^  gweitc 
Grforbcrn§  fei;  aber  er  {)offt,  menn  jU  biefer  natür(id;en  Sleftljetif  bie 
funftmäfjige    t^in^ufomme,    merbc   fie   il;r  bie  g(eid;cn    S)icnfte  (eiften. 


1)  Aesth.  §  14  ff.  423  f.  u.  a.  ©t. 


SKctcr.    (SJottfd^eb.  237 

iDetdje  bie   huiftmä^ige  Sogif  buvd;   ^eröollfommnung    ber  natürlid;ett 
bem  ©rfenuen  geleiftet  t)Qbe  ^). 

©in  (Schüler  S3auingarten§,  nur  um  raeuige  ^a{)re  jünger  a(§  hk]ex, 
ift  ber  ^aüe'fdje  ^rofeffor  @eorg  griebrid^  Tuicc  (1718—1777). 
2lu(^  er  Ijat,  toie  58aumgarten,  unb  in  no(^  n)eitcrem  Umfang  a(i3  biefer, 
alle  %i)eik  ber  ^i)ilo[opf)ie  in  3a§lreid;en  Sef)rBüd;ern  bcfiaubclt;  unb 
er  I)at  tf)cil§  burd;  biefe  Sdjriften  t^ei(§  bur(^  feine  üielbei'ud;tcn  3Sor= 
tefungen  gnr  SSerbreitung  ber  molffifdjen  Sct)re  ungemein  uicl  beigc= 
tragen.  2ln  mifieu[djaftnd;er  ©djärfe  ftel)t  er  ahr  f)inter  33aumgartcu 
entfd)eben  jurüd.  ©emeinuerftänbUdjfeit  unb  pra!tii"d;e  DRu^barfcit  ftnb 
bie  fünfte,  um  bie  e§  if)m  in  erfter  Slei^e  ju  tljun  ift;  hcn  princi= 
pieticn  llnterfnd;ungen,  bereu  @inf[u^  auf  bie  menfd;lid)e  ©lüdfeligfeit 
nid;t  ^n  Sage  liegt,  gefit  er  auö  bem  SBege;  neben  bcm  molffifdjcn 
<Sr)ftem,  3U  bem  er  fi(^  bei  allen  midjtigeren  j^-ragen  befennt,  madjt  fii^ 
bei  i()m,  befonberS  in  ber  ^fi)d)o(og;e,  and;  Sode'g  Ginftu^  bcmerflid;. 
9Jleier  ift  infofern  einer  ron  ben  3Jlänuern,  meldte  ben  Uebcvgang  von 
ber  ftrengeren  raolffifdjen  (Sd;ule  ju  bem  ©ftefticifmu^  ber  Slufflüninge^ 
pt)iIo)op(;ie  hc'Qeiäjncn.  3l[§  einen  @d;ü(cr  53anmgarten§  beraäf)rt  er  fic^ 
befonberg  in  ben  äft^etifd;en  @d;riften,  bie  it)m  feiner  3cit  mct)r  al^o 
ade  anbern  einen  Dramen  gemad;t  I;aben.  ^m  6inn  feines  £ef)rer§ 
miberfprad)  er  ber  2)^einung,  al§  ob  man  burc|  bie  blo^e  Sijeorie  ^nm 
Äünftler  roerbeu  fönne,  unb  er  beftritt  non  biefem  ©tanbpnuft  an§  im 
58unb  mit  ber  ^üridjer  S)id;terfa)nle  jene  3lIIeinI)errfd)aft  ber  dicQei, 
n)etd;e  ©ottf(^eb  (1700 — 1766)  in  Seip^ig  mit  ber  i^m  eigenen  33e= 
triebfamfeit  gn  bcgrünben  bemüht  mar  ^).  2tud;  ber  le^tere  ftanb  aber 
auf  bem  Soben  ber  mo(ffifd;en  ^^itofop^ie;  er  wollte  p^i[ofopf)ifd;er 
^ritifer  fein  unb  äfinlic^,  mie  nadj^er  53anmgartcn,  ba'S  ©yftem  feinet 
9Jteifter§  bur^  eine  5]ßoetif  ücröonftäiibigen.  Söenn  er  barauf  auSgieng, 
bie  S)id;tfunft  3U  einer  funftmö^igen  unb  regetrcdjten,  von  beutli(^en 
S3egriffen  geleiteten  2t)ätigfeit  jn  ergeben,  fo  lag  bieB  gan^  in  ber  dUdy- 
tung  ber  n)oIffifd;en  SSerftonbe§auff(ärung  unb  i\)xc§>  bemonftratiüen 
SSerfa{)reu§ ;  aber  ber  fd^ulmeifterlid;  befd;ränite,  burc^au'c  profoifd;e 
SJlann    {)atte  üon    ber  eigentlidjen  SRatur   be§  f"ünftlerifd;en  <2d;affenf^ 


1)  Aesth.  §  1  ff.  28  ff.  77. 

2)  ®  iiauercv  überSDieier   bei   ©rbmaiin,    ©i-nubviji  H,  198  f.  33u^Ie,  @t\d). 
>^3^il.  VII,  298  f. 


238  SJofffifc^e  Bd^üU. 

fcir.cii  begriff,  itnb  meinte  aud)  ba§,  wa§>  6ad;e  eittev  urfprüucjlidjcn 
Begabung  ift  itnb  fein  mu^,  burd^  93elcf)rung  Beroirfen  gu  fönnen. 
(Statt  bie  bi(f;teube  ^f)antQfte  buvd;  bte  ^Regeln  ju  leiten,  wollte  er 
fie  burdj  biefelbcn  erfe|en;  ftatt  feine  <B^üUx  bie  ®id;tung  üerftefien 
unb  benrtlieilen  gu  lefiren,  raoHte  er  fie  in  ben  ©tanb  fe^en,  ©ebid;te 
jeber  (Sattung  auf  untabelige  2lrt  gu  verfertigen.  «So  lüurbe  er  benn 
freilid)  gum  gebauten  unb  fd;lie^(id;  §ur  Iäd^er(i(^en  ^erfon.  2I6er  fo 
raenig  man  üBer  b'efen  uu§  aUerbing^S  gunäi^ft  in  bie  STugen  faUcnben 
6d)wäc^en  feine  unrflii^en  S5erbienfte  um  bie  beutfc^e  @prad;e  unb  ßitc; 
ratur  überfcfien  barf,  fo  wenig  lä^t  fid;  anbererfeitS  ber  nafie  ^i^'^^^- 
meuf)ang  üerfennen,  in  n)eld;em  bie  einen  loie  bie  anbern  mit  ber 
roolffifd;cn  ^>f)i(ofop{)ie  ftefien.  @ottfd;eb'g  „S)id)thinft"  war  nur  eine 
2lnn)cnbuug  be§  ©runbfa^eS,  ha'^  alie§  erflärt,  jebe  Sfiätigfcit  auf 
miffenfc^ftlidjc  ^rincipicn  äurüdgefüfjrt,  ax\§  einer  unbewußten  in  eine 
bcwufstc  uerwanbelt  werben  muffe.  JDaß  biefeS  in  fo  befdjräiiftcr  unb 
pcbantifdjer  Söeife  gefd)e^e,  bief^  allerbing§  war,  wie  ^Baumgavten  unb 
3Jteier  bcweifen,  auc^  für  bcn  2ßoIffianer  nid^t  not{)roenbig;  aber  bie 
SScrfudjung  baju  lag  um  fo  mf>ev,  je  ftärfer  aud^  fdjon  bei  S^olff  fclbft 
bie  Steigung  ^eruorgetreten  war,  dou  ber  (ogifd^en  ^^^gliebcrung  ber 
begriffe  unb  ber  fdjulmäßigen  Sewci§füf)rung  atte§  §eil  3U  erwarten. 

SBenn  bie  ebengenannten  2Jiänner  ba§  wotffifd^e  (Softem  nac^  einer 
beftimmten  ©eite  I)in  materiell  gu  ergangen  iud;ten,  madjten  fid;  ^fouc^ 
quet  unb  Sambert  fiauptfädjlic^  burd;  if)re  ^emü^ungen  um  hk  SSer^ 
üoUfommuung  be§  wiffenfd)aft(ic^en  $Berfaf)ren§  einen  Dramen.  S)er 
S;übinger  ^^rofeffor  ©ottfrieb  ^loucquet  (1716—1790)  wollte  in 
feinem  „(ogifdjcn  ^alfut",  au  einen  leibnijifdjen  65ebanfen  (f.  <B.  78) 
anfnüpfenb,  alk3>  S)eu!en  auf  ein  Diedjuen  gurüdfü^ren;  feine  Formeln 
waren  jebod)  viel  gu  fünftüd^  ntnb  bobei  bodj  auc^  gu  bürftig,  um  eine 
allgemeine  unb  frudjtbave  Slnmenbunu  gu  geftatten.  (Sin  rerwanbter 
3Sorfd)fag  t)on  Seibnig,  ber  einer  allgemeinen  Sfiarafteriftif,  {)at  üieflcid^t 
ben  GIfäfeer  3 0^0«"  §eiuric^  Sambert  (1728 — 1777)  ucraufaßt/ 
in  feinem  „3^eucu  Drgauon"  ^)  bie  (5djlu§formen  geomctrifd;,  an  ben 
SSert)ä[tnifjen  ber  fiinien,  bargufteüen.  SBid^tiger  ift  aber  an  biefem 
^t)i(ofopf)cn  bie  eigentljümlidjc  (Stelluug,  weld^e  er  einerfeit^  gu  SBofff 
anbererfeit^  gu  £ode  einnimmt.    9Sä[;rettb  er  nämlid;  im   gangen  auf 


1)  Üam6ei-t'§  ^auptfc^vift  umn  Qaijte  n(\,. 


^sfoucquct.    ?amtert.  239 

bem  Soben  ber  wolffifcfjen  ^fiifofopb'e  ite^t,  itnb  in  feiner  „5)tauoio= 
togie",  bem  erften  Zueile  be§  Drganon,  fid)  mit  einer  felbftöubigen 
^Bearbeitung  unb  ßrroeierung  il)rer  2oq,\i  Iicguügt,  mitl  er  fid;  ho6) 
jugfeid^  auc^  bic  ©rgetntiffe  oon  Sode';?  llnterfudjungen  über  bie  @nt= 
ftetmng  nnb  bie  2trten  ber  53egrtffe  aneignen.  @r  fuc^t  in  bem  gtuciten 
§aupttf)ei(  feinet  Drganon,  ber  „3(fetf)io(ogie",  an  ber  ^anb  ber  Gr- 
fat)rnng  bie  einfadjften  Segriffe  auf,  entmirft  ein  S^erjeidjni^  berjenigen 
unter  bcnfelben,  meldte  allgemeine  SSeftimmungen  nnb  3?erf)äftniffe  an§= 
brüden,  nnb  fragt  nun,  in  weldje  i'erbinbnngen  fie  treten  nnb  raie  fid^ 
fomit  au§  if)nen  gufammengefc^te  3?egriffe  bilben  fönnen.  S)ie  allge^ 
meinften  ©efct^e  be§  S)enfen§  unb  bie  aUgemeinften  Äenn^eic^en  ber 
2Baf)rl^eit  finbet  er  in  bem  €a^  be§  2Siberfprud)§  nnb  bem  (ia|  be§ 
©runbe§;  ber  le^tere  fo((  aber  nur  an^fpredion,  ba^  baSjenige  einen 
©runb  babe,  n)o§  nid)t  „für  fid;  gebenfbar"  ift,  b.  t).  ba^jenigc,  beffen 
3)Iög(id)fcit  (ober  menn  e§>  fid;  um  bie  Gj:iften5  fianbelt :  beffen  Söirf (i($; 
feit)  nic^t  au§  il;m  felbft  einlend;tet,  unb  er  bcl;anptet  befs^alb  nid^t 
affein  üon  ber  (?5ottt)eit,  fonbern  aud;  non  ben  einfad;en  Segriffen,  baf; 
fie  feinen  ©runb  f)abcn.  SBeitev  legt  Sambert,  and;  f)ierin  mef)r  nod^ 
Sode  a(§  Sßolff  fofgenb,  ber  Sejeic^nung  ber  ©cbanfen  eine  gro§e 
SBid^tigfeit  bei:  ber  britte  %f)c\l  be§  Drgaiton  l^anbclt  unter  bem  ^ttel 
,,@emiotif"  dou  ber  Sprad;e,  unb  mad;t  ben  'iH'rfitd;  einer  allgemeinen 
pf)i(ofopf)ifd;en  Sprad;(e^re.  S^er  nicrtc  unb  le^te  Jfieil,  bie  „^I;äno= 
menofogie"  ober  bie  Se{;re  nom  (Sd;ein,  befprid;t  nid^t  b(o§  bie  uerfd;ie= 
benen  Duellen  ber  S^äufd;ung,  ben  finnrid;en,  pfi;(^ ologif d;en,  moranfd;en 
©d^ein,  fonbern  er  giebt  üwä)  eine  an§füf)r(id;e  Sfieorie  be?  25>al;rfd;ein' 
lid;en  nnb  be§  2Bol^rfd;eintid;feit§bemeife§,  nnb  er  fügt  ba3U  fd;[ieBlic^ 
in  bem  2tbfc^nitt  „non  ber  ^ei^Jjnung  be§  cd;eine§"  Semerfungcn  über 
bie  fünfllcrifd;e  S^arftellung,  namentlid;  bie  9iebe=  unb  S^id;t!unft.  ßine 
flrenger  burd^gefüfirtc  nnb  einfieitiid^e  Grfenntnifstl^eorie  bürfen  mir 
atterbingg  non  Sambert  nid;t  enuarten.  2(ber  bod;  ift  er  uuüerfennbar 
ein  fetbftänbiger  Genfer,  ein  oufmerffamer  pfi;d;o(ogifd^er  Seobad;ter 
unb  ein  onregenber  ©d;rtftftetter;  unb  wenn  and;  fein  3Serfud^  einer 
^Vermittlung  sroifd^en  SBolff  unh  Sode  nid;t  grüublid;  genug  aufgefallen 
ifl,  um  feiner  9lid;tuug  nad^  mit  £ant'§  S^^ernunftfrltiE  t)erglid;en  merben 
ju  fönnen,  fo  ift  er  bod;  ein  fpred;cnbcr  Semei§  bafür,  ba§  fd;on  in 
SBolff'g  6d^ute  felbft  ba§  Sebürfni^  empfunben  mürbe,  mit  §ülfe  beg 
engtifc^en  @mpirifmn§  über  bie  bogmatifd^e  ßinfeitigfeit  biefe»  ©i;ftemS 


24ü  Solfftfc^e  ©c^ule. 

InnouÄ^ufornmeu.  Sind;  in  einer  um  loen'nje^  älteren  «Schrift,  in  ben 
,,^ofmo(o(3ifd)cn  ^Briefen"  (1761),  geigt  fid;  Sambert  a(§  einen  uon  ben 
felbftänbigften  gorfdjern  au§>  2BoIff'§  (Sd^ule,  nnb  anc^  t)ier  üerbinbet 
er  mit  ber  leibni5=n)o(ffijdjen  ^f)ilofop{)ie  bie  Grgcbniffe  ber  encjUfd^en 
2Bi[[en[d;oft ;  nur  bafi  i£)m  für  bie  Äofmologie  lllemton  ben  S^ienft  leiftet, 
ben  i^m  Sode  für  bie  Grfenntni§tl^eone  geleiffet  f)atte.  Sambcrt  mili 
^ier  (lüie  er  feCbft  ©.  296  fagt)  ben  SBettbau  aU  ein  3ufamnien()ängen= 
be§  nnb  naä)  einem  aUgemeineii  ©efel^  fiormonifd;  eingerichtete^  ©anje^ 
begreifen;  nnb  bagu  bient  i!)m  bie  3Inua()me,  ba^  aUe  feine  Xljeife,  U^ 
3U  ben  entferntcftcn  ©ronjen  ber  9Jli(dj[tra{3e,  hnvä)  bie  gleid;.n  fofmifc^en 
Gräfte,  bie  <B6)wcxc  unb  bie  Bewegung,  bie  (EentripetQ[=  nnb  Sentrt= 
fugaifraft,  äufainmcngcfialten  werben  unb  mitcinanber  ju  ©incm  großen 
©t)ftcm  ucrfuüpft  feien,  inbem  and;  bie  giyfternc  mit  ben  gu  ii)nen  gc 
I)örigcn  ^^fa^eten  um  einen  gemeinfamen  9}titte(punft  freifen.  Sev 
le^te  Qmcä  biefe§  SBeltfijftcmS  liegt  aber  in  ben  üernünftigcn  3Befen, 
fofern  aUe  2öe(tförper,  mit  Sinfc^tu^  ber  ivometen,  bcn)ot)nt  finb.  ^n 
feinen  aftronomifdjcn  2lu^^füi)ruugen  fe|t  Sambert  burdjmcg  Skraton » 
©rauitationvt^eorie  rorau^i;  aber  fein  (citenber  ©ebanfe,  bie  Einheit 
unb  Harmonie  be»  SSeltgan^en,  ftammt  r^on  Seibnig;  unb  menn  er  ey 
(in  ber  SSorrcbe)  ai§>  feinen  ^auptjmed  begeic^net:  gu  geigen,  baB  bie 
.Kometen  nid;t  ju  fürdjten  feien,  ha§i  (gonnenfyftcm  nic^t  fo  öbe  fei,  al» 
man  geglaubt  ^abe,  unb  bie  Äometeu  (a(0  beiuolmte  Sßeltförper)  hen 
^Planeten  an  2öürbe  nidjt»  nadjgeben,  fo  mirb  man  hierin  jene  teIeo= 
Iogifd;e  Slaturbetradjtung  nid;t  ücrfennen,  bie  in  ber  beutfdjcn  ^f)iIo= 
fopf)ie  he§>  18.  ^'i^rtiunbertS  einen  fo  breiten  diawm  eininnnt.  9Jiit 
Äant  berüfirt  er  fid^  and;  in  biefen  fofmologifd;cn  ©rörteiungcn;  unb 
!önnen  fie  fic^  mit  ber  „2;^coric  be§  §immc(io",  meld;e  jener  fd;on  fed;^ 
^a^xe  früfier  ncröffentlic^t  {;atte,  an  ©enialitöt  bei  ®ebantcn§  nid^t 
meffen,  fo  ftc(;cn  fie  il;r  bod;  immernin  nä(;'Cr,  ai§>  feine  ©rfeuntnifstl^eorie 
ber  Äritif  ber  reinen  Sernunfi  ftehi. 

SSon  befonberer  53cbcutung  für  bie  innere  (Sntroidi^ung  unh  ben 
äußeren  (Srfoig  ber  iüo(ffiid;en  ^^^iIofopl;'■e  mar  i(;r  5i.scr(jältni§  jur 
^X(;eo(ogie.  5)iefe!o  SScrf)ä(tniJ3  mar  c§>  gemefcn,  ba§  bie  crftcn  unb  t)ef-- 
tigften  Eingriffe  gegen  SBolff  fieruorricf.  Söolff  fciner[cit§  {)atte  [i(j^, 
wie  früi)cr  gegeigt  mürbe,  biefen  Eingriffen  gegenüber  auf's  angelegent- 
li6)\tc  bemü(;t,  fein  6i)ftem  gerabe  bnrd;  feine  üollfommcne  Ueberein= 
ftimmung  mit  bem  c^riftlid;en  Dffenbarungj^giauben  gu  empfel;ien.    2tud; 


Ort^obo^-ic  urb  ^RationalifmuS.  241 

bie  3J?e{)r5af)I  feiner  ©c^üfer^  unb  bie  ältere  ©eneratton  berfelben  faft 
oF)ne  3(u§naf)me,  fofgte  ifim  f)ierin.  60  2:f)ümmtg,  ^ilfinger,  21.  ^anm-- 
garten,  3Jieier;  ebenfo  bie  meiften  von  ben  9Jiännern,  bie  a(§  tf)eo= 
logifd;e  fie^rer  unb  Sd^riftfteffer  feine  2Jcetf)obe  unb  feine  ©runbfä^^e 
in  it)re  2ö:ffenfc^aft  einfüf)rten.  '^afjin  gef)ört,  au^er  ^Bilfinger,  ber  ge= 
feierte  unb  cinf[u{3reid^e  Sigmunb  i^afob  Saum  garten  in  ^aUe 
(1706 — 1757),  ber  ältere  Sruber  be§  ^l)i(o|opi)en,  raetd^er  in  feiner 
S^ogniatif  auf  ber  ©runb(age  oon  2öoIff'§  natürüd^er  ^^eologie  ba» 
Sef)rfi;ftem  ber  tutf)erif^en  ^ird^e  in  rotter  ^Breite,  in  fü^fer,  rerftanbe^^^ 
mäßiger  Raffung  vorträgt ;  ber  ^ropft  9?  e  i  n  b  e  (!  inS3erIin  (1682 — 1741), 
beffen  unerntüblic^er  2:f)ätigfeit  e§  SBolff  Dor5ug3roeife  gu  banfen  (jatte, 
ba§  g-riebrid)  SBilfielni  I.  eine  beffere  9JJeinung  über  iF)n  beigebradjt 
rourbe;  ferner  9^eufc§  in  ^^na  (f  1758),  einer  ber  fd^arffinnigftcn 
unb  felbftänbigften  von  biefen  ort^oboy en  SSoIff ianern ;  ©an 3  in  2:übin' 
gen  (f  1753),  9Hboü  in  ©öttingen  (f  1774),  ©(^ubert  in  §e(m- 
ftöbt  unb  ©reifSroalb  (f  1774),  unb  ßarpoo  in  Siöeimar  (f  1768), 
ein  ©d^otaftifer  00m  reinften  Söaffer,  ber  atte  fünfte  feinet  logifd^en 
gorma(ifniu§  aufbot,  um  bie  ovtiioboj-e  5)ogmati!  ol^ne  33eeinträc^tigung 
tl^re^  3»^o(t§  mit  ber  n)o(ffifd;  gefd)u(ten  SSernunft  in  Ginftang  5U 
bringen.  S(ud^  ber  berüf)mte  i^oliann  2tuguft  ßrnefti  in  Seipjig 
(1707 — 1781),  ber  üerbiente  ^f)ilo(og  unb  ©feget,  einer  üon  ben  SSätern 
'oe§  moberncn,  mef)r  bibel^  at§  fi;mbo(g(aubigen  8upranaturatifmu§,  fann 
bie  ©d^ule  ber  mo(ffifdjen  ^f)i(ofopf)ie  nid^t  rerläugnen;  iljr  werbanft  er 
jene  n)iffenfd;aftlid^e  ^Ttüc^ternljeit  unb  jene  ©eroöf)nung  an  metf)obifdjeg 
5)enfen,  meldte  ifju  bie  grammatifc^e  ©d^rifterttärung  an  bie  ©tette  ber 
attortf)oboyen  ®(aubcn§aua(ogie  fe^en  (ie^.  2lber  ben  übernatürlid^en 
6f)arafter  ber  jübifc^cn  unb  (^riftlic^en  Offenbarung  miß  Grnefti  nic^t 
antaften,  fonbern  nur  bie  (Sc^ultfieofogic  auf  bie  biblif(^e,  a(§  bie  ur= 
fprünglidiere  unb  einfad^ere,  5urüdfü^rcn. 

S)a^  aber  bie  roolffifd^c  ^^f)itofopf)ie  aud^  ju  anbern  tf)eologifdjen 
gotgerungen  f)infül)ren  fonnte,  ^eigte  fid^  fd^on  i.  ^.  1735  an  ber  2Bcrt= 
iieimer  Sibe(überf e^ung,  meiere  ber  2ßo(ff ianer  Q  0  f)  a  n n  S  0 r  e n  3  @  d^  m  i  b  t 
oerfafet  I)atte,  üon  ber  übrigens  nur  bie  fünf  S3üd;er  9)Zofe'§  erfi^ienen  finb, 
ba  fie  a(§ba(b  oon  faiferlid^en  unb  (anbe§f)errlid^en  SSerboten  betroffen 
raurbe.  2öa§  fi^  i)ier  a(§  Uebertragung  unö  ©rftärung  be§  biblifc^en 
5:eyte§  gab,  war  nidit  feiten  eine  gemaltfame  Umbeutung  unb  eine  ge- 
fcf)mad(oie  S?ern)äfferung ;  biefe  lleberfe^ung  mar  baS  2Serf  eines  SDianneS, 


242  SBoIffifc^c  ©{^utc. 

ber  bur(^au5  unfähig  war,  fic^  in  b'e  SDenfraeifc  ber  titlifi^en  (£c^rift= 
fteHer  ju  üerfe^en,  ber  ba§  üknmtürnd;e ,  um  e§  fid;  üerftänblic^  3U 
mad;en,  in  ein  natürliches,  bie  attteftamentticfjen  2ln[($auungen  in  TOoIff if(^e 
S5egriffe  üernjanbeln  mu^te.  2lber  if)r  3iiföntmenf)ang  mit  ber  TOolffifi^en 
^f)i(o[op^te  mar  bo(^  unuerfenuBar;  nnb  wenn  bie  isorau§[e^ungen  biefer 
^I)i(o[opF)ic  aUerbingl  jnr  Umbeutung  be§  6d;rifttejte§  fein  9icd;t  gaben, 
fo  gaben  fie  um  fo  geroiffer  %nia'^  jum  3iücifet  an  bem  göttlid^cii  Urs 
fprnng  non  Schriften,  mefd^e  fid;  mit  i^nen  nur  burc^  biej'e  Umbeutung 
in  Uebereinftimmuug  bringen  liefen.  @§  bauerte  nun  freiließ  nod;  lange, 
bis  man  fic^  bie§  in  ber  rcolffifc^en  ©d;ule  offen  gu  geftefien  luagte, 
unb  e§  f)aben  ba^n  bie  f)iftorifd;^friti[djcn  Unterfudjungen  mefentUd;  mit* 
gerairft,  3U  benen  ©atomo  ©emier  in  ^alle  (1725 — 1791)  ben 
epod;ema(^enben  Slnfto§  gegeben  unb  ben  bebeutenbften  S3eitrag  geliefert 
!§at.  2lud;  biefer  gelehrte  Äritifer  mar  aber  üon  ber  molff.f d;en  ^l)ilo= 
fop^ie  rcenigftenS  bur(^  ^ßermittlung  feines  Scl)rerS,  beS  älteren  53aum: 
garten,  berül)rt  morben;  unb  ba^  ber  tl)eologif($e  SlationalifmuS  burd;auS 
in  ber  Gonfequenj  biefer  5pi)ilofopl)ie  lag,  l)aben  mir  fdjon  früher  gefel)en. 
©elbft  ein  fo  frommer  unb  ber  ortl)oboj-eu  S^ogmatit'  urfprünglic^  fo 
nal)e  ftel)enber  2;l)eotog,  mie  2::öllner  (1724 — 1774)  in  granffurt  a.  b.  D., 
ber  ©d;üler  unb  j^^reunb  ber  beiben  S3aumgarten,  fal)  fid;  immer  meljr 
jn  bem  Sf^ationalifmuS  l)inübergebrängt ,  bem  er  fid)  bod;  ganj  in  bie 
2lrme  §u  werfen  fic^  nic^t  entfii^licBen  lonnte.  (Sntf^iebener  fleUte  fid; 
3ol)ann2luguft©bert)arb  (1739—1809)  auf  biefe  ©eite,  ein  Mann 
üon  flarem  unb  freiem  ©eifte,  ber  in  §alle  mit  gro§em  S3eifall  ^l)ilo- 
fopl)ie  lehrte,  nnb  fid^  namentlich  ani^  in  ber  2leftl)etif  einen  S^famen 
gemod;t  l)at;  als  ^t)ilofopI)  ift  er  im  mefentlic^en  nod^  ber  molffifc^en 
©(^ule  beiäU3Öl)len,  bereu  le^ter  afabemif(^er  3>ertreter  unb  miffcnf(^aft= 
lid^er  2ßortfüt)rer  er  mar,  wenn  er  babei  aud;  immerhin  ben  ©influ^ 
9JlcnbelSfol)nS  unb  ber  ©nglänber  ntd;t  üerläitgnet.  ^u  feiner  „9?euen 
2lpologie  beS  ©ofrateS"  (1772  u.  ö.)  fnüpfte  er  an  bie  ^rage  über  bie 
©eligfeit  ber  .Reiben  eine  fd^arfe  unb  eingreifenbe  Äriti!  beS  lird;lid)en 
Sel)rbegriffS  an ;  er  ftellte  bem  ^artilularifmuS  ber  pofitioen  9?eligion 
bie  ©riunerung  an  bie  glcid;mä^ige  ©üte  unb  ©ered;tigfeit  ©otteS,  ben 
Sel)ren  von  ber  ßrbfünbe  unb  bem  ftelloertretenben  S^erbienft  ßl)rifti, 
Don  ber  ©nabenroal^l  unb  ben  ©uabenmirfuugen,  ben  ©runbfa^  ent^^ 
gegen,  ba^  unfere  ©lüdfeligfeit  nur  auS  unferem  eigenen  2Bol)lüerl)alten 
ent'ipringeu  fönne,  nur  ber  @enu{3  unferer   eigenen  5tngenb  fei.    S)ie 


©bcrfiarb.    !q.  <S.  9ieimaru§.  243 

^erminftreligion,  itiel(f;e  nad;  Scibniä'  unb  Sßolff»  3rb[id;t  ber  pofttiüen 
jur  ©runbtage  biencu  fotite,  fef)rt  fic^  jc^t  gegen  btefe,  um  fie  in  fic^ 
auf^ulöfen,  ober  fo  raeit  fie  biefer  Stuflöi'nng  raibcrftrebt,  fie  ron  fid^ 
au»3u[(^lie§en. 

^n  feinem  anbern  t)on  SGBotff'l  ©cfjüiern  i)at  fii^  akr  ber  58ru(^ 
mit  ber  pofitiüen  9!eltßion  reiner  nnb  fdjärfer  üolljogen,  al§>  in  bem  ^anr^ 
burger  ^rofeffor  ^ermann  Samuel  9teimaru§  (1G94 — 1768)  ^). 
3)ieier  merfiöürbige  SJiann  mar  nid^t  blo-S  ein  fcl^r  grünbnd;er  unb  t)iel= 
feitiger  ©ele^rter,  ein  au»ge3eid;neter  ^f)i(oIog  unb  ein  angc[el)ener 
6d^u(mann,  fonbern  er  fiatte  fi(^  aud^,  ouerft  buri^  53ubbeu§,  bann  bnrd^ 
Sßolff'»  3d;riftcn,  in  bie  ^f)i(o[opI)ie  einführen  lafi'en,  ber  er  fid;  mit 
ber  ganzen  Gnt[d^iebenf)eit  feinet  SDBe[en0  in  bie  Strme  warf,  ign  feinen 
pt)i(oi'op(jifd;cn  Sßerfen  bemöbrte  er  ]iä)  at§  einen  fiaren  unb  fofgerid;ti= 
gen  Xenfer,  ben  feine  3lnfjäng(i(^feit  an  ba§  molffifdjc  Sijftcm  von 
felbftänbiger  Prüfung  feiner  2Innal)men  nid;t  abfjielt;  aber  unter  ben 
SCaufenben,  bie  fid;  an  feinen  beliebten  „Slbfianbiungen  üon  ben  üor; 
nef)mften  SBafiriieiten  ber  uatüriid^en  Sieligion"  (1754  u.  ö.)  erbauten, 
l)atten  faum  jmei  ober  brei  eine  2tf)nung  baoon,  mie  fdjroff  biefer  SSor- 
fämpfer  ber  natür(id;en  9?eügion  in  feinem  ^nnern  ber  d;riftnd)en  ge= 
genüberftanb.  Sie  leitenben  ©ebanfen  jener  Sd;rift  finb  burd^auS  ber 
leibni5ifd;en  unb  ber  molffifc^cn  3:l}eoIogie  entnommen.  Se^t  au(^  ii)x 
5ßerfaf[er  an  bie  Stelie  ber  präftabilirtcn  Harmonie  eine  reale  Sßec^fel= 
rairfung  ber  Slaturmefen,  unb  ba{)cr  aud^  eine  2Bed;i"eIroirfung  be§  £eibeg 
unb  ber  Seele,  fo  ift  er  bod;  im  übrigen  mit  SSoIff  unb  Seibnij  ganj 
einig.  Gr  befämpft  ben  mateiialiftifd^en  2Itf)eifmuy  eine§  Samettrie,  ben 
pantf)eifti[d;en  eine»  Spinoja  (benn  aud;  biefer  gilt  i§m,  mie  jener  ganzen 
3eit,  für  einen  Sltfjeiften) ,  mit  ben  53eroeifeu  von  ber  3iifäÜigfeit  ber 
SBett  nnb  ber  beroun^ciungSroürbigen  3^o^^^^^ö&i9^6it  i^ver  Ginrid;tung. 
@r  gerainnt  an§  eingeljcnbjr  unb  fad^hinbiger  3^aturbetrad;tung  bie  lieber^ 
geugung,  ba^  aüe§>  in  ber  Söelt  ben  bcften  unb  roeifeften  2lbfi(^ten  biene, 
roeld^e  näfier  in  bem  2Sof)(  ber  (ebenben  2Sefen  ju  fuc^en  feien;  unb  er 
fü^rt  bie[en  ©ebanfen  im  gaujen  genommen  immcrfiin  mit  me^r  6in= 
ft^t  unb  ©cfd^mad  au§,  atg  mir  bie§  in  ber  ^f)ijfifotf)eologie  jener  3eit 
ju  finben  gcuioI;nt  finb.    @r  befprid;t  ba§  (£ee(en(eben   hc§>  3}ienfc^en, 


1)  ®a§   näf)ere   über   t^n  unb  fein  .^auptioerf  gic&t  in   ber  lic^töollften  Seife 
©trang  §.  @.  9ieimatu5.     Scipj.  186?. 

16* 


244  ÜBoIfftfdie  ©rfjule. 

feine  S^orjüge  t)or  ben  %^\eun  unb  feine  fitt(i(^e  33eft{mmung ;  in  ben 
fpäteren  Slu^Jcjoticn  feine§  2Berf§  nntei*  (ebfiafter  ^oleiiii!  gegen  9iouffeau'§ 
Sefianptmig,  ba§  ber  9JJenfi^  in  einem  t{)ieräf)nlid;en  ^Jiaturäuftanb  am 
g(ü(!üd;ftcn  fein  raiirbe.  ©r  fü(;rt  wad)  Seibnij'  5>organg  bie  6ad;e  ber 
SSorfcf)ung  gegen  biejenigen,  roel^e  raegen  be§  Uekl^  in  ber  2Belt  an 
if)r  äroeifetn.  @r  nimmt  fic^  mit  großer  SBärme  beg  HnfterMic^feitl; 
g(an6en§  an,  für  hen  er  fi($  tf)eil§  auf  bie  einfädle  3iatur  ber  ©eele 
unb  bie  i^r  mefentiid^  an^aftenbc  Äraft  be§  berouf3ten  SebenS,  t{)ei(§ 
auf  bie  Sf^otfiwcnbigfeit  einer  fünftigen  SSergeltung  unb  einer  fortge§en= 
ben  ©ntiöidhmg  ber  ®eifte§fräfte  fceruft.  @r  ift  mit  ©inem  SBort  einer 
üon  ben  eutfdjiebenften  3ln|ängern  unb  ben  tüd;tigften  Vertretern  ber 
leibniä=roolffifd;en  I  l)eoIogie. 

-  Slber  je  oodftänbiger  \id)  9lcimarug  \)VLvd)  feine  33ernunftretigion 
6efriebigt  unb  überzeugt  finbet,  um  fo  entbef)r(id;er  wirb  i^m  bie  pofitit)e. 
3Senn  fid;  ©ott  allen  3)tenfd;cn  in  ber  SJ^atur  unb  ber  ^ßernunft  auf  eine 
nid^t  gu  üerfennenbe,  für  if)re  (^lüdfeligfeit  auSreic^enbe  2Beife  geoffen= 
bart  f)at,  moju  bann  nod;  eine  befonbere  Offenbarung  für  einen  3:^eil 
Der  3}ienf d;en?  .§ie§e  e§>  nid;t  feiner  @üte  unb  feiner  @ered;tigfeit  gu 
ual^e  treten,  menn  man  annefimen  mollte,  er  I)abe  ber  größeren  .gälfte 
unfereS  ®ef($(ec^te§  ha§>  verrocigert,  wa§>  eine  unerfäfjlidje  ^ßebingung 
ber  ©eligfeit  ift?  er  fei  graufam  genug,  biejenigen  mit  eiuiger  Ver^ 
bammni^  3U  beftrafen,  metdje  an  bie  pofitiüe  Offenbarung  nid;t  geglaubt 
l)aben,  weit  fie  biefelbe  nid;t  fannteu,  ober  fi(5  nid^t  in  genügenber 
iffieife  t)on  ifirer  2öa^rf)eit  unb  il)rem  götttid;en  Urfprung  gu  überzeugen 
öermod;ten  ?  ^ie^e  e§  nid;t  anbererfeitS  feine  2öei§f)eit  in  ^rage  [teilen, 
wenn  man  bie  übernatürlid)e  Offenbarung  zmar  ftefien  lie^e,  aber  il)re 
Unentbel)rlid)feit  gur  ©eligfeit  aufgäbe,  fo  ba^  bemuad;  ©Ott  alle  biefe 
auBerorbcntlic^en  SSeranftaltungen  o\)ne  3ureid;enben  ©runb  getroffen 
f)ätte?  2Benn  ferner  bie  2Belt  mit  Seibnij  unb  SBolff  al§  ha§>  unübev= 
treffliche  2öcrf  ber  göttlid^en  2öei3^eit  anerfannt  mirb,  wie  fann  fie 
einer  seitroeifen  9Jac^plfe  burd;  SBunber  unb  übernatürliche  Dffeubarun= 
gen  bebürfen?  Unb  eutfpridjt  bcnn  ha§>,  maä  un§  aU  göttlidje  Dffen= 
barung  geboten  wirb,  ben  Segriffen,  bie  mir  unö  oon  einer  fold^en 
mad^eu  müf5teu?  ©inb  benn,  fragt  l'KeimaruS,  bie  biblifd;eu  ©d;rifteu 
fo  beutlid;  unb  georbnet,  fo  übereiuftimmenb  unter  fid;  felbft,  fo  glaube 
luürbig  in  il}ren  ©r^älilungen,  fo  unübertrefflich  in  i^ren  Scl)ren,  fo 
reid;  an  religi()fem  ©cfjalte,  raie  fie   bie^   alg  iufpirirte  ©c^riften  fein 


§.  ©.  9kimavu?.  245 

ntü§ten?  S)te  aftteftantentlid;cn  Südjer,  grofsentfiet!^  unäcl;!  ober  inter- 
polirt,  finb  ooll  ber  intglaiiblid^ften  unb  abenteuerlidjften  3öunbcrer5Q§(un= 
gen,  bie  gelben  ber  aliteftameiitUdjcn  @e[c^'d)te  gro§entf)eU§  SJtänner, 
bereu  SSerFiatten  itnb  ©f)arofter  un§  mir  mit  9lb)djcu  iinb  5Bcrad;t:ing 
erfüffen  fomt;  ber  attteftamenttii^en  2)ogmatif  fe^It  c§  an  reineren  58e= 
griffen  t)on  @ott  nnb  bem  5IRenfd;en,  nnb  mit  bem  Unftcrblidjfeitgglauben 
mangelt  i^x,  nad)  SfleimarnS'  lXrtt)ei(,  ein  nnerlä^(id;cr  53eftQnbtf)ei(  jeber 
mafiren  Sleügion;  bie  ©ittli(^feit  erftidt  f)ier  unter  aberglnubifdjen  unb 
nu^Iofen  ßärimonien,  ba§  "^olt  unb  ha§>  «Staat^roefen  ift  bie  S3eutc 
betrügeri[d)er  ^riefter,  unb  auc^  bie  ^ropTjeten  I)abeu  ifjm  mit  ifiren 
mef[ianifd)cn  S;räumereien  einen  fd)[cd;ten  S)ienft  gelciftct.  2(nd;  üu  ber 
neuteftamcntlidjcn  Steligion  f)ot  aber  unfer  Jlritifer  viel  au§3u[ctjen. 
S)en  fttttidjen  unb  religiöfen  ©ruubfäl^cn,  n)etd;e  ber  Stifter  be§  ß(;ri: 
ftent^nmS  üerfünbigt  I)at,  goUt  3raar  oud;  er  warme  5(norfennuug ;  aber 
ba§  er  bem  ^öbe(  SSunber  üorgegaufelt,  baf3  er  jenen  ücninglndten  S5er= 
fud;  einer  po(itifd)cn  Hleootution  gcmadjt  l)abe ,  bei  bem  er  fefdft  umge^ 
fommen  fei,  fann  er  i^m  nid;t  tjerjeifjen.  9tO($  üiel  (;cvber  nrtf)ci(t  er 
über  feine  9cad;fo(ger.  2)ie  älteren  Slpoftcl  l)aben  nad;  ber  .*pinrid;tung 
i!^re§  93ieifter§  feinen  Seidjuam  geftoljten  unb  bie  Grjä^Iung  Don  feiner 
5Iuferftet)ung  in  Umlauf  gefegt;  eine  ©rbidjtung,  meldje  fid;  al§  fold;c 
jci^on  burd)  jene  5al)Ircid;en  2öiberfprüd)e  in  bcn  eoaugclifd;cu  S3crid)ten 
uerrätl),  bie  9ieimaru§  fo  fd;neibcnb  unb  grünb(id)  aufgezeigt  f}at.  ^sauIuS 
ift  ber  §aupturl)eber  eiuc§  S)ogmenfi)ftcm5v  ba§  fdjon  burd;  feine  allge= 
meinften  ©runblagen,  burc^  bie  Seijvcn  uon  ber  Grbfünbe  unb  bem 
3}erföl)nuug§tob  Sljvifti,  mit  alten  ridjtigen  fittlidjen  ^Begriffen  in  einem 
unüerföl)n(ic^en  Söiberfprud)  ftet)t.  ^n  ber  ^^olge  f)at  e§  bann  freitid; 
bie  ^irc^e  nod)  erioeitert,  unb  fie  f)at  namentlid;  in  ber  5trinität5tel;re 
ein  ®ogma  I^injugefügt,  welches  nid;t  attein  ber  33ernunft  mibcrftrcitet, 
fonbern  and)  ben  neuteftamentli(^en  ®d;riften  nod;  fremb  ift.  ©o  er= 
fd^eint  unferem  ^i)iIofopt)en,  gerabe  weil  e§  il^m  mit  feiner  35eruunft= 
religion  ©ruft  ift,  bie  pofitiüe  in  il)ren  eigentijümtidjften  S3eftimmungen 
als  ein  ©erocbc  oon  ^rrtljum  unb  53etrug;  unb  luenn  er  fidj  alks>  ba§ 
\h\f)cii  nergegenmärtigt,  ba§  biefer  3i^rtl)um  in  ber  9}ienfd;t)eit  onge= 
rid;tet,  alten  bcn  Trud,  meldten  er  ouf  bie  SSernünftigen  geübt  l;at, 
fo  ergreift  ilin  ein  i^ngrimm,  nie  niv  iljn  bei  bem  ernften  unb  ruijigcu 
3!)enfer  laum  fud^en  roürben.  ©r  felbft  l)ot  fid;  bicfom  S^rude  fo  raeit 
gefügt,  ba§  er  üon  feiner  Slnfic^t  über  ha§  6l;riftentl;um  nur  feine  vcx- 


246  SBoIffid}e  ©dbulc. 

trautcften  (^rcunbe  ctiuaS  iiiorfm  (ic§;  ahcx  er  fjat  fic  in  uoHer  (Schärfe 
ntib  2ru§fü()rlidjfeit  in  jener  nnifQngrei($en  „(Sdjutjfd;rift  für  bie  vtt- 
nünftigen  3[>eref)rer  @otte§''  nicbergelegt,  bie  if)n  tüäf)renb  eincS  S^iertel- 
jaf)rl^unbert§  k[djäftf(jie,  inbcm  er  ifir  in  immer  neuen  Umarbeitungen 
bie  möglidjfte  SSodenbung  gu  geBen  bemül^t  mar.  Seffing  reröffent- 
lid^te  aus  berfelben  (1774  ff.)  in  feinen  „SBoIfeiilnittter  Fragmenten" 
eine  9leif)e  ber  etuf($ucibenbften  Unterfud^ungen  of)ne  9Zennung  beS  3Ser; 
fafferS;  t)on  ber  burdifd^Iagenben  SBirhmg  biefer  Ipublifation  roirb  nod^ 
fpäter  3U  fpred;en  fein,  i^n  neuerer  ^eit  f)at  ©trau^  in  ber  oben= 
genannten  ©djrift  üon  bem  Qnl^att  be§  ganzen  2Berf§  eine  genaue 
Stnatyfe  gegeben  unb  un§  erft  baburd^  oottftänbig  in  bcn  ©tanb  gefegt, 
un§  t)on  einem  .ber  füfinften  unb  fd)arffinnigfteu  tfjeo(ogifd;en  i^ritifer 
unb  üon  feiner  bebeutenbften  n)iffenfd;aft[id;en  3lrbeit  ein  rid;tige§ 
S3ilb  gu  magert. 

Bä)\k^lid)  mag  f)kv  no(^  eine§  9}lanne§  gcbac^t  werben,  ben  mir 
im  raefenttid;en  gfeid;falls  pr  teibniä^molffifdjen  Sdjule  rcdjuen  muffen, 
menn  er  fid^  auc^  bei  einigen  nic^t  uniöidjtigcu  Furagen  burc^  eigene 
t^lümlic^e  Stnualimcn  üon  \f)X  entfernt,  be^^  f)cffcn4jomburgifd;cn  @e[;eime= 
ratp  griebrid;  Gafimir  ßarl  v.  (Sreuä  (1724—1770).  ^n 
feinem  „3>erfu(^  über  bie  (£cc(e"  (1754)  bcfdjäftigt  fic^  Greu^  Ijaupt= 
fäd^tid;  mit  groei  llnterfudjungcn:  über  ba§  Söefen  ber  @ee(c  unb  üler 
ifjr  fortleben  nad;  bem  5iobe.  @r  fnüpft  mit  benfe(beu  3unäd)ft  an 
Seibniä  an,  bicfcn  „ücrnünftigfteu  ©terblidjen",  bem  er  nad;rüljmt  (T,  181), 
ba§  er  ber  SSernunft  benfelbcu  Sienft  geleiftet  fiabe,  roie  ©iana  ber 
^od^ter  STgamcmnon'g,  inbem  er  fie  üor  bem  6d)idfal  beroalf)rte,  uon 
ben  ^rieftern  geopfert  3U  werben.  Slber  er  fiubet  in  bem  teibnijifdjeu 
Syftem  einige  <£d)mierig!eiten,  bie  il^n  verf)inbern,  fid;  bemfelben  un= 
bebingt  an^ufditic^cn.  S)enn  barüber  jmar  ift  er  mit  Seibnig  uollfommen 
eiuücrftanbcn,  ba^  bie  Seele  ni($t§  förperlid;e§,  nid;t§  gufammcngefe^teS 
fein  fönne:  ber  9}kterialifmu§  mirb  üon  i^m  Icbfjaft  bcftritten.  2lud^ 
W§>  giebt  er  3U,  ba§  bie  Körper  au§>  geroiffen  crften  untljeiibaren  2;i^ei= 
len  beftcl)cn  muffen,  unb  ba|3  bicfe  uid;t  raiebcr  Körper  fein  fönnen,  ba 
eben  jeber  üörper  aly  fo(d;er  tfieiibar  fei.  Slffein  er  bcftreliet,  ba^  man 
nun  bcf5f)alb  bie  (Seele  unb  bie  ©runbbcftanbtijcife  ber  Körper  für  ein= 
fad^e  2ßcfen  crffärcn  bürfe.  Ginfad^  ift,  mie  er  glaubt  unb  auSfü^rlid;, 
aber   nic^t    fcfjr  bünbig,  gu  ermcifen  fudjt  ^),  nur  ba§  unenblidje,  un- 

1)  ii.  a.  O.  I,  64  ff.  »gl.  188  f. 


i.\  Smtä.  047 

eiiiöefcfiränfte  SBefen;  iebeS  eingefcljrciufte  2Befen  bagcgcn  muB  ctwa§ 
lüirflid)  unterfc^tebeneS,  etroa§  aufier  bem  anbcrn  befinbüd;e§  in  firf) 
f)alien,  e§  mu§  au§  ^^et(en  beftc^en.  ©inb  bie[e  2:;f)ei(e  nid;t  Uo§> 
aufser  einanber,  fonbern  fa[feu  fie  fid;  aud^  o^ne  einauber  üorfteHen, 
finb  fie  m.  a.  2ß.  für  fid;  kftcfjcnbe  (£uIifton3en,  fo  ift  ba§  S)iug  ein 
jnfammcnöefe^teS ,  mitfiin  ein  Körper;  finb  fie  bagegcn  grcar  an^er 
einanbcr,  aber  fie  fönncn  nic^t  ofinc  einanber  fein  unb  gebadjt  werben, 
fo  ift  haSi  S)int3,  weld^cS  an§>  il^uen  befielt,  wie  ßrcuj  fagt,  rocber  ein 
einfad;ey  nod;  ein  3ufammen(]efel3te§,  fonbern  ein  „?Oiittelbing''  jraifdjen 
beiben,  ein  „einfoc^äf)ntidje§/'  aber  fein  einfaches,  ein  an^Jgcbe^nteg, 
aber  fein  förperlidje§  SBefen.  @r  fe^t  bafier  an  bie  ©teile  ber  9}ionaben 
ober  ber  einfachen  SBefen,  fofern  c§>  fid^  um  bie  enblic^en  ©elfter  unb 
um  bie  legten  Stemente  ber  Äörpenoelt  fianbett,  biefe  an  fid;  fetbft 
freilid^  flöc^ft  unffaren  SJ^ittelbincje ;  unb  er  befinirt  bemgemä^  bie 
©eele  (T,  146),  im  übrigen  an  Seibniä  anfnüpfenb,  al§  ein  einfad;äf)n; 
Ii(^e§  S)ing,  mcldje^  bie  ilraft  Ijabe,  fid;  bie  3Sett  nad^  bem  ©taub 
if)re§  i?örper»  uor^uftellen  ^).  9Jiit  Scibnij  behauptet  er,  ha^  bie  ©oefe 
aUe  i(;re  3Sorfte(Iungcn  au§  fid;  fclbft  fjeroorbringe ;  wenn  er  jcbod;  bei= 
fügt,  biefe  ©rjeugung  t)on  S^orfteliungen  fei  nur  bei  einem  %'^di  ber= 
felbcn  aus  if)rer  ^'creinigung  mit  einem  organifd;cn  Körper  p  erfiären, 
bie  ©eefe  fönne  and;  ofiue  biefen  Seib  beufen  unb  benfe  wirftid;  yietfac^ 
unabt)ängig  oon  il^m,  if)re  SSereinigung  mit  bem  Scibe  ^abe  nur  ben 
^Tuecf,  if;r  „unreine  ©ebanfen",  finnüd^e  SSorftellungen  möglid;  ju 
machen,  fo  ift  bieB  tf)ei(§  mefir  tf)ei(§  menigcr,  aU  Seibni^  ^ugiebt. 
Heber  bie  ?^rage,  ob  ©cele  unb  Seib  auf  einanber  mirfen,  äußert  er  fid^ 
fd^manfenb  (I,  101.  146  f.).     ' 

2ln  Seibni^  fd;lief3t  er  fid^  in  bem  ©tauben  an  eine  ^räcyiftcuj  ber 
©eele  an,  mä^rcnb  n)eld;er  biefelbe  in  immer  ooHfommenere  i^örper  über^ 
gegangen  fein  foff;  bie  llnfterb(id;fcit  mirb  au§füf)rrid^  beioiefen;  über 
ben  3uftanb  nad^  bem  %ohe  ergct)t  er  fid^,  ber  3f?etgung  jener  3eit 
gemäB,  in  33ermutf)ungen ,  wie  unter  nnbercm  bie,  ba^  bie  ©eifter  fid^ 
if)re  ©ebanfen  ot)ne  SBorte  ober  3cidjcn  gegcnfcitig  mittfieifcn.  2lu§  ber 
pfligfeit  ber  ©ecIe,  au^er  ber  ©cmcinfd;aft  mit  bem  ilörper  35orftelIungen 
SU  erzeugen,  wirb  ha§>  2l^nung§uermögcn  fjcrgeteitet,  mel^cS  it)r  Sreua 
beilegt;   au§  biefem  S3ermögen  erflärt  er  fid;  bie  Stftrologie  unb  anbere 


1)  Wt.  »gl.  ^teju,  iüQ§  ©.  229  bou  ®arje§  angefütjrt  ift. 


248  2BoIffifrf}e  ©d^ulc. 

©a^rfagerfünfte,  foroeit  etWQ§  wa'^re§  baron  fei.  S)ie  leibni^^tüolffifd^e 
^{)iIo[op.f)ie  geigt  bemnod;  bei  biefcm  SJlanne  eine  Sfteigung  §ur  3JIpftif, 
meldte  [onft  in  ber  ©d^ule  feiten  t)orfommt,  ber  e§  ober  oüerbing?  in 
bem  Dielfeitigen  @eift  if)re§  erften  Ur^ekrö  nic^t  ganj  an  2tn^It§; 
üunften  fet)lte. 

3.  2)ic  tt»oIffif(!^c  ^^Uofo:p^tc   in  SJerfiinbung  mit  onbcrcn  ©tonbs 
^juuftcn;  bic  3tufnärung#|):^i(ofop^ic. 

(B§>  ifi  eine  üon  ben  f)äufigften  ©rfd^einungen  in  ber  (^efd^i^te  ber 
9öiffenf(J)aft,  hafi  pt)ilofop{)ifd;e  ©c^nlen  ki  längerer  S)auer  it)rc  ftreng 
lüiffcnfdjaftlic^e  .^altung  unb  if;re  fefte  ©e[d;Ioffen^eit  mel^r  unb  me|)r 
anfgekn,  fic§  mit  onbern  t)ermifdjen  nnb  fid;  aHmä^Hd;  in  bie  atigemeine 
58i(bung  il)re§  ^citalkvS^  verlieren.  Qe  DoIIftänbiger  bie  Sln^änger  eine§ 
©9ftem§  bie  großen  luiffenfd^aftlic^en  Probleme  in  bemfelbcn  gelijft 
finben,  nm  fo  natürlicher  ift  e§,  ba^  fie  felbft  ba§  gelb  für  il)re  511)0= 
ticjleit  üorängCMueife  in  ber  Hnterfudjung  fpecietlerer  ?^ragen  nnb  in  ber 
prafti[d;en  Stniuenbnng  il^rer  ©runbfn^e  [ndjcn.  .^te|ür  ift  aber  bie 
.§auptfa(^e  bie  S3eobad;tung  nnb  ^Seurtljeilnng  bcS'  (begebenen;  imb  fie 
tritt  al§  foId;e  nur  nm  fo  auSidjIie^tidjer  l^cruor,  wenn  man  bie  allge^ 
meinen  ^rincipien  oI§  etwa§>  ein  für  allcmale  feftgeftetIteS,  feiner  meitcren 
tlnterfuc^ung  bebürftige§  bel)anbett.  SBenn  bal)er  eine  (Schule  bei  biefem 
Stabium  angelangt  ift,  wirb  immer  bie  ©rraeiterung  nnb  93ermcrtl)ung 
be§  erfal)rnng§mä§igen  2Biffen0  eine  erp|te  ^ebeutung  für  fie  gewinnen; 
unb  in  f^olge  bauon  wirb  fie  aud;  geneigter  fein,  von  ilirem  überliefere 
ten  £el)rfijftem  ab3nrocid;en,  wenn  baSfclbe  für  bie  ©rflärnng  be§  it)r 
üorlicgenbcn  XI)atbeftanbe§  nidjt  ausreicht  ober  i^m  ©eroalt  antl)ut. 
6te^t  biefe  ©c^ule  nun  üoHenbS  g(eid)jeitig  unter  bem  @influ§  anberer 
6tanbpun!te,  meiere  in  mani^cn  53e5ie^nngen  mit  ber  ©i-fa^rnng  beffer 
übereinftimmen,  fo  löfst  fid^  gum  üorauS  erroarten,  ba§  fie  ron  biefen 
]rtand;c§  in  fic^  aufnel^men  nnb  ba^  ii}X  nrfprünglii^eg  ©i)ftem  fi^  mit 
mancherlei  frembartigcn  Elementen  recmifd;en  wirb.  Qhcn  bicfeS  mar 
aber  bie  Sage,  in  TOeId;er  fic^  bie  beutfdje  ^^itofopI)ie  nac^  SBoIff  be= 
fanb.  2)ie  Folgerungen,  TOeId;e  fid;  au^  ben  S>orau§fe^nngen  eineg 
Seibuia  unb  SBolff  ableiten  liefen,  lagen  in  ben  SBerfen  biefer  ^^iIo= 
fop§en,  unb  befonberS  in  2Solff'5  2el)rbüd;ern,  in  aller  Slu§fül)rlic^feit 
üor;  roenn  i^re  Sf^ad^folger  fid;   nid;t  entfc^liejjcn  Honntcn,  jene  5ßorau§= 


ef(eft}ct[mnf'  in  ber  tuolfftfc^cn  Schule.  249 

le^ungen  feUift  einer  erneuerten  Prüfung  ^u  nnter3ie]^en ,  eine  neue 
roifien[d;aftiid^e  ®runb(age  ju  iud;eu,  fo  bltc6  ifinen  nur  übrig,  fi(^  auf 
einjelne  ßröäujungen  be§  Iei6nt5^roo[ffifd;en  ©pftemS  gu  be[d^ränfeu,  bie 
©ruubfä^e  beSfelben  tfieifl  für  bie  (Sr!(ärung  t{;eilä  für  bie  praftifc^e 
S3e^anblung  einzelner  ©ebiete  gu  beuü^en;  unb  je  üollftänbiger  nun 
bie  leitenben  ©ebanfen  burc^  bie  §äupter  ber  Sdjule  fcftgefteüt 
waren,  um  fo  au§fd;Iie§[i(^er  fot;  man  fid^  fiiebei  auf  bie  ©rfal)rung, 
bie  S3eobad^tung,  üerroiefen.  ®ie  (grfa^rung  mar  aber  fd;on  uor 
mel^r  a(§  einem  f)alben  :3a{)rf)unbert  von :  Sode  für  bie  einzige 
üueffe  alle§  SBiffeng  erflärt  morben;  auf  bie  pfi)d;o[ogifd;e  8coba^tung 
l^atten  bie  englifc^en  3Jiora(pf)i(ofopf)en  be§  18.  3a{)rf)unbert5i  if)re  %^eo^ 
rieen  gcgrünbet;  unb  wem  gfeidjjeitig  au§  Sode'g  ©mpirifmuS  in  ßng^ 
lanb  erft  ber  ^beaüfmuS  eine-3  ^erfelei;,  meic^er  ba§  S)afein  einer 
Äörperroelt  gang  läugnetc,  bann  S:aDib  §ume'§  ©fepfiS  fieroorgieng, 
fo  rourbe  berfelbe  anbererfeitS  in  graufreid^  burc^  ßonbiüac  unb  feine 
9Jad)f olger  gum  @enfualifmu§  umgebilbet,  e§  mürbe  ber  i>erfuc^  ge= 
mad;t,  aUe  unfere  SSorfteUungen,  ja  ode  ©eetentf)ätigfeiten  überfiaupt^ 
ttuf  bie  äußere  2Ba^rnei)mung  aU  ifire  einzige  ur)prüng[id;e  ClucUe  gu' 
rüd^ufüfjren,  unb  fclbft  bie  äuBerfte  (Sonfequenj  biefe?  ©tanbpunftä,  bie 
be§  2}iaterialifmu§,  raurbe  ron  Samettrie  nod;  üor  ber  2Ritte  bc§  ^a^v- 
^unbertS  in  ber  rüdfid;t§[ofeften  SBeife  ge5ogen^).  STuc^  S^eutfdjlanb 
mar  t)on  biefer  Scroegung  berüf)rt  morben.  Sode'§  erfcnntnifjt^eorie 
^atte  fd;on  Seibnij  gu  einer  au§füf)rlid;en  @egenfd;rift  ücraulaüt  (og(. 
©.  111).  5:f)omafiu§  unb  feine  ©d;ule  r;atten  fic^  für  fie  erfiärt,  unb 
unter  ben  «pfiilofopfieu  nad^  SBoIff  treten  i^r  mand^e  unbebingt  bei, 
uod^  mef)rere  miffen  fie,  menn  and;  ol^ne  ftrengere  ^•ofgerid;tigfeit,  mit 
leibnigifd^en  3rnna{)men  ju  oerbinbcn.  S)ie  (2d;riften  ber  englifd^en 
9«ora(p^itofop^en  empfahlen  fid^  nid;t  allein  burc^  i^re  gefd;madDorie 
^arfteöung,  fonbern  aud;  burd;  bie  leidjte  35erftänblid;feit  unb  praftifd^e 
58raud^barfeit  einer  S3etrad^tung§mcife ,  meldte  o^ne  tiefget;enbe  p{)ilo= 
fopfiif^e  Hnterfuc^ungen  fid;  einfach  auf  bie  moralifd^e  ©rfabrung  unb 
bie  natürlid^en  9^eigungen  be§  3)ienfd;en  grünben  modte;  fie  mürben  ge= 
lefen,  übcrfe^t  unb  nad^gea^mt,  unb  bie  beliebteften  unter  ben  beutfd^en 
SWoraliften  ber  STuffiärunggperiobe  nahmen  fie  jum  S>orbi(b.  ©egen 
^erfeteiyg  igbealifmug  unb  ^ume'§  ©fepfi§  oer^iett  man  fid^  in  ©eutfd;. 


1)  Mi)tvi$  Vterübcr  in  ber  (Sinteituuii  ju  uu[erem  jroeiten  9t&fc^nitt. 


250  2tuf!(äriing§pt)iIofo^f)te. 

(anb  a(Ierbinö§  nor  .^ant  nur  aBIctjucnb,  unb  ber  9J?aterialifmu§  eine§ 
fiomcttrie  imb  feiner  Diadjfoltjer  iinirbe  fjier  t)on  ben  ^fiilofopljen  ein= 
ftimmig  ^uriidPgoruiefen,  fo  mond^eu  2ln{)änger  er  ou($  in  ber  franjöfifd^ 
gcbi(beten  uornefinten  2BeIt  göl^fte.  ©röteren  Seifall  fanb  ber  ©enfua^ 
lifnni»,  beffen  einffu^reici^fter  S?ertreter  für  S^eutfc^lonb  ber  ©enfer 
S3onnet  (1720 — 1790)  war;  nnb  bieB  um  fo  efier,  ba  S3onnet  jiöar 
alle  unfere  SSorftcIIungen,  äf)n(i(^  loie  donbittac,  au»  ben  ©inncSenipftu: 
bungen  atifcitetC;  unb  burd;  gcraiffe  SSeränberungen  im  ©e{)irn  bebingt 
fe|te,  3ug[ei(^  ober  in  tfieihoeifem  2lnfd^hi^  an  Seibniä  nidjt  allein 
bie  llnförperlii^feit  nnb  lXnfterb(id)feit  ber  »Seele,  fonbern  and^  bie  über^ 
natürfidje  Dffenbarnng  unb  bie  S5>unber  in  ©c^ulj  nafim.  ©ef)r  Be= 
beutenb  mar  ferner  ber  ßinfluB,  ben  ein  äroeiter  ©enfer,  i^.  3-  S^louff  eau 
(1712—1778),  mit  feiner  9^atnrfd;roärmerei,  feiner  beiftifd;en  ©efü^ig; 
religion,  feiner  natural! ftif d^en  ^äbagogif,  feiner  bemofratif(^en  (Staats- 
Ief)re  hai\::  nad)  ber  93iitte  be§  ^af)rf)unbertl  and;  in  S^entfd;fanb  er- 
langte; nnb  in  einer  üerroanbtcn  9lidjtnng  mirfte  in  ber  golge  btc 
5pf)i(ofop^ie  %^oma^  9^eib'§  (1710—1796)  unb  ber  fc^ottifd;en 
©djule;  benn  wie  9?ouffeau  ba§  Zeitalter  üon  ber  lleberbtlbung  5ur 
Statur,  oon  ber  3>erftanbe§refreyton  3ur  Unmittel(iarfeit  bcy  @efü^I§  gu* 
rüdrief,  fo  fndjtcu  bie  fdjottifdjen  ^I)ifofop{)en  in  ben  2:^atfadjen  be§ 
unmittefdaren  53emuf3tiein§,  ben  3Iu§fagcn  bc»  „gemeinen  5D^cnfdjenüer= 
ftanbe§"  ben  feften  3uffu(^t§ort ,  in  racfi^cn  fie  fid;  oor  SBerfcrey  unb 
^ume  5urüd3ogen.  30^uBte  nun  fd;on  bie  innere  Sntiuidfnng  ber  molffi; 
fdjen  «Sd^nfe  ba5U  füfjren,  ba^  bie  ftrengcre  ©ijftematif  gegen  bie  S3e= 
oBadjtung,  bie  tfieorctifc^c  ©pefnfation  gegen  bie  praftifdje  3lnnienbnng 
ber  p{)i(ofopf)ifdjen  ^been  äurüdgeftellt  mürbe,  ba§  üerfdjicbenartige  ^e-- 
trad)tnng§roeifcn  of)ne  tiefeije  miffenfc^aftlid^e  3ScrmittInng  üerfnnpft 
mürben,  fo  tonnte  bicfe  SBirfung  bnrd;  ben  Ginf(n§  ber  englifdjen  unb 
franjöfifdjcn  ^f)iIofopf)ie  nur  bef(!)(ennigt  unb  üerftärft  merben;  unb  eS 
entftanb  fo  in  ber  giueiten  ^älfte  be0  18.  3a^vf)unbert§  au§  ber 
3Jtifdjnng  ber  uerfdjicbcncn  in  ber  3citpf)iIofopf)ie  gegebenen  Gfemente 
jene  STenfroeife,  bie  man,  fo  meit  fie  fi(^  in  ber  ^orm  iriffenfd;aft(id;er 
SfiefTeyion  barftcfft,  im  engeren  Sinne  bie  ^{)iIofüpI;ie  ber  bcut[djen  Stuf^ 
flärung  gu  nennen  pflegt. 

3}er  llnterfdjicb  biefer  3tufffärnng?pl)irofop'f)ie  t)on  ber  teibnij^ 
roolffiidjcn  liegt  üor  allem  in  ber  cinfeitig  pra!tifdjen  S^idjtung,  meldte 
fid;  ber  3Biffcnfdjaft  je^t  bemödjtigt.     Um  bie  ^L^eroottfoii.muung  be§ 


Stuflä'fungSp^ttoiop^te.  251 

9)?enf(^en,  btc  Scförberung  feiner  ©lüiJfetigfeit,  war  e§  auä)  Seitimj 
unb  SBoIff  gu  t§un  geroefen.  6ie  roaren  üOer^eugt,  bo^  bie  SSermefjning 
unferer  «^enntniffe,  bie  2lufffäntng  iinfcrer  S3et3riffe,  biefen  ßrfofg  {;abeit 
muffe.  Stber  fie  fiatten  benfetben  üon  allem  Söiffen  ofine  Sliiinafinie  er- 
TOartet;  fie  fiatten  bie  Sßiffenfd;aft  al»  folc^e  gefudjt,  unb  feine  %\'aQe, 
bie  auf  i§rcm  Sßeg  liegt,  bef3f)arb  uon  ber  §anb  geioiefen,  mal  fie  auf 
unfer  33erl)a(ten  unb  unfere  ^iiftfii^i^e  feinen  ßinfhi^  ^abe.  ^e1^t  bagegen 
wirb  eben  biefer  @cfid^t§pun!t  a[^  niaBgcbenb  uorangefteilt  S}er  eigeutfii^c 
©egenftanb  bec  ^()i(ofop^ie  unb  bc§  nienfd^tid^en  3tttereffe»  überfiaupt  fo(I^ 
tüie  un§  un5äf)iigenia(e  gefagt  wirb,  nur  ber  9)Zenfc^,  bie  ©füdfeligfeit  be§ 
9Jtenf($en  fod  ber  einzige  ^wcä  alle»  Grfenneuy  unb  2:^un§  fein;  ber 
SBertf)  be§fe(ben  rairb  baf)er  ganj  unb  gav  nac^  bcm  9^u^cn  bemeffen,  ben  el 
un§  geroäfjrt,  bem  53eitrag,  ben  e§  ju  unferer  ©lüiJfeHgfeit  liefert. 
21(0  ber  raid^tigfte  %^c\i  ber  g>f)iIofopf)ie  erfd;eint  beBf)aIb  je^t  bie  ^o-- 
rat;  unb  in  ber  S[Rora(  fe(bft  finb  c§  weniger  bie  grunbiegenben  Untere 
fu(f;ungen  über  bie  allgemeine  9^atur  ber  fittfidjen  5:f)ätigfeit,  if)re  Se= 
TOeggrünbe  unb  @efe|e,  al§  bie  Siegeln  für  bie  befonberen  Seben§oer= 
l^ältniffe,  e§  ift  weniger  bie  reine  a{§>  bie  angewanbte  (St^if,  roomit  man 
fidj  bcfdjäftigt.  S^iefe  eingefienbe  33efpred;ung  ber  fonfreten  gäde  unb 
Stufgaben  fjat  allerbing§  fef)r  vid  baju  Beigetragen,  ba^  bie  ©itte  unb 
bie  allgemeine  Silbung  pon  einem  freieren  unb  Ijumaneren  @cifte  burd^^ 
brungen  rourbe;  ungieid^  geringer  ift  bagegen  ber  mifienfd)aft(i($e  2Bert^ 
biefer  ßrörterungen,  weit  fie  gerabe  ben  priiicipiellen  ^^ragen  au§3U; 
uiei($eu  ober  biefelben  nur  obenI;in  5U  bcljanbeln  pflegen.  SDamit  aber 
ber  9Jienfc^  wiffe,  wie  er  fid)  ^u  ner^altcn  unb  ma§  er  für  fein  ©lud 
gu  tf)un  f)at,  muJ3  er  fid^  fetbft  fennen;  unb  welcher  ©egenftanb  fönntc 
überhaupt  einer  SDenfroeife  nä^er  liegen,  beren  ganzes  ^ntereffe  fid;  in 
bem  3)ienfd^en  unb  feinem  3Sof)Ie  guiammenfafit?  Xa^ex  ber  Gifer, 
mit  bem  man  fid^  je^t  ber  pfijdjotogifdjen  Seobad;tung,  unb  namcutlii^ 
ber  IXnterfud^ung  be§  @efüf)l5,  biefer  fubjeftioften  ©eifte^ttjätigfeit,  äu= 
menbct;  roie  benn  jenes  gan^e  Zeitalter  bie  ftaffifd^e  ^^eriobe  ber  Setbft= 
betrad;tung,  ber  2^agebüd;cr,  ber  Scfeuntniffe,  ber  pfjijfiognomifdjcn  Qtu- 
bien,  ber  ^Berid^te  über  ha^i  eigene  :?eben,  ber  t>ertrautidjen  53riefrocd;fe[ 
mit  aller  2BeIt  unb  für  äffe  SBelt  ift.  deinen  geringen  2Bertl)  r;at 
ferner  für  ben  2Ttcnfd^cn  bie  Äenntni§  be§  SSerljältniffeS,  in  bem  er  gu 
ber  i^n  umgcbenben  SBett  fte()t,  be§  9ftu|en§,  \V)zld)en  fie  if)m  gemährt, 
ber  ^ülfSmittet,  raeld^e  fie  i£)m  barbietet;  unb  fo  fefien  mir  benn  feit 


252  ?[uff(äruttg§pl;tIofop;§ic. 

2B0'ff'§  B^^^  jß^ß  telcologifdje  ^JtaturBetrac^tung ,  bie  fc^on  bei  it)Tn  eine 
fo  Bebeutenbe  9lotte  gefpielt  fiotte,  fid;  immer  Breiter  entroicfeln.  S)er 
Sa^,  bo§  bie  Seit  um  ber  oernünftigett  2Be[en,  unb  unfere  Sßett  iim 
be§  3}ienfd^en  raiHen  gefd^affen  fei,  ba^  otteS  in  berfelkn  bil  auf§ 
fleinfte  l^inaug  auf  fein  Sefteg,  feinen  3^u^en,  fein  33ergnügen 
Bered^net  fei,  wirb  in  ja^Hofen  Betrachtungen  an  allen  einsetnen 
^^ei(en  ber  9?atur  burd^gefüfirt ;  wogegen  ba§  rein  miffenfc^afttic^e 
^ntercffe  einer  ftreng  p^pfifalifd^en  9fiaturcrflörung  unuerfennbar  gurüd^ 
tritt.  2luf  ber  glei(^en  ©eite  liegt  für  biefen  ©tanbpunft  auä)  bie 
i)aupt[äc^(i(^fte  Bebeutung  ber  Sf^eligion:  ©ott  ifi  ba§  Sßefen,  mefc^e^ 
für  ben  3Jlenfd^en  auf's  üollfommenfte  forgt,  mdä)e^  a\ic§>  auf  feine 
©lüdfeügfeit  berechnet  l^at  unb  auf  fein  2öoi)(  i)inlenft;  unb  e§  tritt 
aus  biefem  ©runbe  in  ber  ^^eologie  biefer  3^^*  unter  ben  ©igeuf(^aften 
©otteS  bie  ber  @üte  no(^  ftärfer  fiemor,  a{§>  bie  ber  2öeiSt)eit,  hnvä) 
bereu  ^eroorl^ebung  Seibniä  feiner  Xleberseugung  ron  ber  ücrnünftigen 
@efe^mä§ig!eit  be§  2öe(tgan3en  ifiren  tJ)co(oglfd;en  2tu§bru(!  gegeben 
Iiatte.  S)er  ©taube  an  eine  ©ottfieit  ift  bem  3)ienf^en  unentbef)rli(^, 
Denn  nur  in  ilim  mei§  er  fi(^  feines  eigenen  SSofifS  üoUfommen  fi^er; 
ber  BcuieiS  für  ba§  S^afein  ©otteS  ift  bafier  eine  üon  ben  Stufgaben, 
raetdje  bie  StufftärungSpl^itüfopl^ie  mit  bem  grij^ten  ©ifer  in'S  Slugo 
faf]t;  aber  bie  nötjere  Beftimmung  ber  ©ottcSibce  ^It  fie  in  ber  Siegel 
loebcr  für  möglid;  uod;  für  uötf)ig,  menn  nur  baS  gema^rt  mivb,  maS 
if)r  allein  am  ^erjen  liegt,  baS  S^afein  eines  SßcfenS,  burd^  beffen  ®üte, 
SBeiSl^eit  unb  2UImad)t  bem  3)tenfdjen  alle  58ebingungen  feiner  ©lüd- 
feligfeit  verbürgt  werben,  i^nbem  bie  S^tatur  atS  baS  SBerf  ©otteS  unter 
biefen  ®efi(^tSpunft  gefteKt  mirb,  erhält  mon  jene  pbvfifot^cotogifc^en 
5Setrad;tungen,  an  benen  ha^  18.  i^atirtiunbert  feit  Sßolff  fo  reid^  ift, 
jene  6djriften,  n)cld;e  balb  in  erbauüdjerem,  balb  in  miffcufd^aftlid^erem 
^one  barauf  auSgerjcn,  bie  göttliche  ©üte  unb  SöeiSbeit  in  ber 
5?atureinridjtung  nad;3iiroeifen ,  mie  S^eimaruS'  2tbl;anb(ungen  über 
bie  natürliche  Slcügion  (f.  o.  ©.  24.3)  unb  feines  greunbeS  33.  |).  Bro  = 
des,  beS  f)amburgifd;eu  'Jiatutbid^terS,  „irbifd;eS  SSergnügen  in 
©Ott".  Surbe  biefe  SSetradjtungSiueife  auf  irgenb  eine  beid^vänfterc 
Äfaffe  t)on  D^aturgcgcnftäuben  angcrocnbet,  mürben  bie  Grfc^einungen 
beS  ©eroitterS  ober  ber  ßrbbeben,  bie  (Sigenfd;aften  ber  ©teine  unb  ber 
^ffatiäcn,  ber  Körperbau,  bie  SebenSmeife  unb  bie  5?unfttriebe  einjelner 
%^kre  3um  STuSgangSpunft  für  W  tf)eologifc()en  Ueberjeugungen  gc^ 


5tufnärung§^3f|iIc'fopl)ic.  253 

nonimen,  fo  ergaben  fic^  ©arftellungen ,  loie  ftc  m^  cngltfdjem  3?or^ 
i^ong  unter  bem  ^itef  einer  Srontotfieologie,  ©ifntot^eofogie,  Sit^ot^eo^ 
(ogie,  ^E)9tot^corogte,  ^nfectot^eorogie,  Steftaceot^eologie,  9JceIittotljeo(ogie, 
:}rfribot{)Corogie ,  :3d^tf)pot^eoIogie  u.  f.  m.   in  3J?enge  ju  Sage  fanien; 
^arfteüungen,  bie  ftd^  natürtic^  um  fo  me^r  in'§  ffeinli^e  unb  ge[($nta(f= 
(o[e  verlieren  mußten,  je  me^r  fie  i^ren  ©egcnftonb  rom  ^ufantmenfianö 
be§  Df?aturgan3en  ju  trennen   unb  unmittelbar   au§  göttnd;en  2l6fid;ten 
3U  erflären    pflegten.     S^iefer   natürlichen   2:{)eo(ogie    gegenüber  üertor 
bie  geoffenOarte   notf)rocnbig  uon  i^rer  Sebeutung.    ^nbeffen  waren  bie 
3Jiänner   ber  Slufflärung  über   if)re  6tcIIuug   ^u   berfelben  feincyiuege 
einig;  roeit  auSeinanberÜegenbe  tf)eoIogifd;e 3rnficf;ten,  t)on  hem  rotionalen 
Supranaturalifmu§  einer  gemäßigten  Drlf)obofie  bi§  3ur  au^gefprod)eneu 
Seftreitung    be§    Dffenbarung^graubeng,    finben    f)ier    i^re   S^ertreter, 
unb   n)ir  fe{)en  nid^t   feiten   ben  gleichen  2Jtann  üon  bem  einen  biefer 
©tanbpunfte    in   rafc^en    Sprüngen    ju   bem    anbern    gelangen,   mie 
bie§  g.  S.    bei   bem  befannten  Dr.  S5af)rbt    (1741—1792)   ber  ^alT 
raar,  einem  fö^igen  Äopf,  roelc^en  aber  bie  eitle  Dberftädjlit^feit  feinet 
2öefen§    unb    ber   uöttige    gjiangel    an    fittü^er   Spaltung    nid;t    über 
bie  Stoffe   be§  rabifalen  Sdjreier-^   I)inaiiC-fommen  ließ.     (5o  menig  aber 
bie  3(uft"lärung   ben  ©tauben   an  bie  göttlid^e  ©üte  unb  SBeig^eit  ent^ 
beeren  fonnte:   faft   nod;  uneutbc^rlid^er   mar   ifir  boc^  ber  ©faubc   on 
bie  eigene  cnbtofe  gortbaucr,   unb   nod^  mef)r  lag  i^r  baran,  über  haS^ 
2chen  nad;  bem  2;obe  bie  5I?orfteffungen  jn  gcminnen,  mdä)^  bem  ^w- 
tereffe  be§  3Jienfd^en   bie  uofffommenfte  33efriebigung  uerfprad^en.     (Sott 
unb    bie  Hnfterblid^feit   finb   bie  sroei   u)id;tigften    (Sfaubcui^artifel   ber 
2(ufftärung;  roie  bie  ©ottfjeit  haä  Sefen  ift,  roetc^eS  ben  iUJenfc^eu  jur 
©lüdfeligfeit  fü^rt,  fo  ift  ba§  jenfeitige  2eUn  ber  S^^f^^^^^'^,  in  bem  er 
fie  erreicht;   unb   bamit  e5  bie§  fein  faun,  muß  unfer  füuftigeS  S)afein 
bem  gegeuroärtigen  möglid)ft  na^e  gerüdt  werben:   e§  mirb  ni^t  aOein 
bie  «pöile  unb  bie  (graigfeit  ber  ^öffeuftrafen  eiuftimmig  befeitigt,  fonbern 
aud^  ber  ^offenbungS^uftaub  ber  f)immaf(^en  Seligfeit  ueriuanbelt  fic^ 
in  eine  fortf^reitenbe  a^ercofffommnung,  unb   in   ber  ed;ilberuug   heS 
,3enfeitg   nimmt  bie  gortfe^ung   ber  perfc)nlid;eu  5>erf)ältniffc,  in  benen 
ber  (ginselne  fid^  u)ol)l  füljlte,  ba§  aöieberfel)en  uon  ^reunbeu  unb  3(n= 
geljörigen,  bie  roidjtigfte  ©teffe  ein.     ©0  ift  fo  burd;au§  ber  2)ieufd;  unb 
fein  200^1,  in  bem  affeS  p^ilofopl)ifc^e  Onterefie   iid)   concentrirt;   ber 
äßerti),  meld;er  jeber  Unterfudjimg  beigelegt  u)irb,  rid)tet  iii)  nac§  iljrer 


254  ?tuft(ävuug§pl^iIofüpI)ie. 

pra!ti[(f;en  9^u|tiorfeit ;  nton  fui^t  bie  roefentlid^e  SlufgaBe  her  $t)i(ofopr)te 
nidjt  in  ber  ©rffdrung  ber  (5r[d;einungen  au§  ifiren  (Brüuben,  ni^t  in 
ber  33i(bung  einer  5ufammenf)öngenbcn  luiffenfi^afttic^en  SBettanfii^t, 
fonbern  in  ber  8efe{)rnng  be§  SJtenfdjen  über  bicjenigen  ©egenftänbe, 
»on  benen  feine  ©(ücffelicjfeit  abf)ängt;  nnb  im  3ufQ^^^cn{)ang  bamit 
wirb  au6)  bie  ftrengere  gorm  ber  fijftematifc^en  Sl'arfteHung  immer  met)r 
»erlaffen,  unb  e§  mirb  burd)  eine  leidjtere  unb  elegantere  33cf)anblung 
pl^itoi'op^ifc^er  ©egenftänbe  ber  SSeränberung,  meldie  fi(^  eben  bamaB 
in  ber  beut)d;en  Literatur  nnb  im  ©efd^mad  ber  Sefemett  001130g, 
9ledjnung  getragen.  ©d)on  im  erften  ^al^r  nad^  2öo(ff'§  ^obe  ffagt 
9JlenbeI§fof)n  —  metc^er  baju  atlerbingS  in  bem  bamaligen  Berlin  ot)ne 
3weife(  mef)r  SSeranlaffnng  fanb,  al§>  er  in  einer  beutfd^en  Uniüerfitätls 
ftabt  gefiabt  f)ätte  —  roieberfiolt  über  bie  galonte  unb  ftüi^tige  2(rt  ber 
je|igen  2!0eltrceifen,  über  bie  3?erad;tung,  in  meiere  bie  3J?etap!)i;fi!  ge= 
ratzen  [ei,  ü6er  bie  lleberf)anbna{)me  ber  pf)i(o[opf)if(^en  ©tu^er  unb 
bo§  3«'^üdtreten  ber  red;tfd;affenen  ^f)iIo)"opf)en ,  bie  9]adjäffung  ber 
fran3öfi[d^en  Oberflöd^Iidifeit;  in  nod)  rocit  größerem  Umfang  verbreitete 
fid^  aber  biefer  ©eift  in  ber  ^^olge:  bie  Qeit  ber  5popuIarp!)ilofopl()ie 
Tüar  gefommen. 

5son  biefer  ^inraenbnng  ber  ^^ilofopt)ie  gum  nü|lid;en  unb  ge= 
meinoerftänblic^en  ift  un§  fdjoii  auS'  ber  roolffifc^en  <Bä)nk  ein  S3eifpiel 
an  @.  ^.  SD^eier  (f.  0.  @.  237)  oorgefommen.  Wlit  i{)m  fann  ^o-- 
^ann  @eorg  ©uljer  (1720 — 1779)  3ufammengeftellt  werben,  ein 
3ürid)er  üon  ©eburt,  beffen  SBirtfamfeit  aber  ron  2Infang  an  ^Berlin 
angcljört.  Slud^  er  Ijat,  raie  9)?eter,  feinen  9tul^m  üorjuggmeife  ben 
äftf)etifd;en  Sßerfen  3U  oerbanfen,  meldte  ilm  auf  biefem  ©ebiete  gu  einer 
oon  ben  erften  2Iuftoritätcn  feiner  ^ät  mad)ten.  ®od^  ift  er  jenem  an 
©elbftönbigfeit  be§  Teufen»  "überlegen  unb  in  biefer  Segie^ung  e^er  mit 
SBaumgartcn  3U  t)erg(eidjcn.  2l(§  2BoIff'^  Schüler  geigt  i^n  iml  fd;on 
feine  erfte  6d;rift  üom  ^aijv  1745,  meldte  ber  53erliner  ^rebiger  21.  g. 
32.  ©ad,  g(ei^fa[I§  ein  58etounberer  ber  [eibnig^raolffifd^cn  5p[)i[ofopIjie, 
mit  einem  cmpfcl^reubcn  SSorroort  begleitete,  bie  „moralifd^en  S3etrad^= 
txmgen  über  bie  Söerfe  ber  Ülatur."  ©ä  ift  ganj  ber  ©eift  ber  molffi^ 
fd^eu  ^{)eo(ogie,  in  bem  Ijier  @otte§  raeife  2Ibfid^ten  bei  ber  Dfiotur^ 
einrid;tung  au§einanbergefe|3t  werben,  e§  fommen  aber  freiließ  auc^  aUe 
6d;niädjen  berfefben  gum  2.^orfd;ein;  fo  wirb  unter  anberem  (um  üoä 
vielen  Seifpieten  nur  eineS  anjufü^ren)  ©.19   ein  befonberer  ^Beweis 


I 


©uf^er.  255 

ber  Göttlichen  ©üte  bariu  gefunben,    ba^   bte  Äir[d}en  n\ä)\  gur  3eit 

ber  3Sinteifä(te  reif  werben,  in  ber  fie  un§  lange  nid)t  fo  gnt  fdjmcdten, 

unb  bie  SCroukn  nid;t  mäfirenb  ber  6oinmerf}i^e,  bie  bcn  jungen  2\^ein 

in  Gffig  oerroanbetn  raürbe.    21el)n(iclje  33etradjtungen  f)at  ©uljer  au^ 

nod)  fpäter  üeröffentlic^t.    i^n  pf)i(o[op{)iidjer  ^e3iel)ung   [inb  aber  auSi 

bem  mannigfaltigen  ^n^alt  feiner  Sdjriften  ba§  raii^tigfte  bie  Untere 

fudjungen  über  bie  Gmpfinbungen,  raeld^e  bie  aUgenteine  ©runblage  für 

fein   ©pecialfad^,   bie  2lcftl;etif,   bilben  0.    ©ine   Gmpfinbung   ift  m^ 

©utjcr  eine  3sorftefInng,  infofern  fie   angene{)m  ober  nnangenel;m  ift, 

^ßerlangen   ober  2lbfd;en   f)erüorBringt.     ®iefe  Gigenfdjaft   Ijabm  nun, 

loie  er  glaubt,  nur  bie  ijeriöorrenen  33orfteIIungen,   bcnn  in  ifinen  ftellt 

fi(|  eine  gro§e  3J^enge  üon  :3^een  ber  ©cele  gleidjjeitig  bar,  e§  werben 

üiele  Tieruen  ^ugleic^  erfd)üttert,   unb  c§  wirb  baburc^  bie  Slufmerffam: 

feit  üon  ben  ©egenftänben,  bereu  ^becn  ju  mannigfaltig  unb  ju  unftar 

fiub,  um  fie   auf  fi^  ^u  gieljen,    auf  ben  eigenen  Biift'i"^  geleuft;   je 

beut(id;er   bagegen   unfere  3]orftel[ungen   fiub,   um    fo    au§fdjl!e^(id;er 

nimmt  ein  beftimmter  ©egcnftanb  unfere  Slufmerffamfeit   in  Stnjprud;, 

um  fo  fd;raädjer  ift  ba^er  bie  mit  il)nen  oerbunbene  ßrfdjütterung ,  um 

fo  meniger  benfen  mir  babei  an  un§  felbft.    S)icjcnigen  SSorfteilungen 

ober,  bie  \iä)  auf  unferen  eigenen  B^if^^^^i^  be5iel)cn,  fiub  Gmpfinbungen ; 

unb  ebenbe^lialb,  meil  fie  bie§  fiub,  unb  weil  fie  mel^r  burc^  uerworrene 

S^orfteHungen,  aU  burc^  beutnd;e  53egiiffe  l)croorgerufcn  werben,  wiber= 

fprcd;en  unfere  Gnipfiubungen  nid;t  feiten  unfern  flareu,   auf  ©rünben 

beru^enben  Ueber^euguugen  unb  Gutfdjlüffen,  unb  überwältigen  biefelben 

oft   unwiberftel^Hc^.     ^^rer   33efdjaffonl)eit   nad;    jerfallcn   bie    Gmpfiu; 

bungeu  in  angenehme  unb   unangeueljme:  jene   eutftelien,   wenn  unfer 

3uftanb  ooHfommencr,  biefe,  wenn  er  unuollfommener  wirb.    S)er  Gim 

brud  ber  ©egeuftäube  auf  unfere  ©mpfinbung  Ijängt  in  le^ter  S3e3iel)uug 

t)on   il)rem  ^erl)ältni§   3U   unfever  2>orftellung§tl)ätigfcit  ab.     2ßieiuol)l 

nämlic^  «Suljer  ba§  SSorfteHen  ober  ßrfennen  unb  ba§  ©mpfinbeu  a(» 

bie  gwei  urfprüngnd;fteu  Seelenuermögcu  be3eid;net,  l)ält  er  bod;  jugleic^ 

fefir  entfd^ieben  an  ber  Slnfid^t  üou  Seibnij  unb  SBoIff  feft,    bafe   bie 

©runblraft  ber  Seele,  wie  jeber  (Subftauj  überl)aupt,  in  ber  3?orftellung§- 

!raft  beftel)e,  bo§  bie^eroorbringuiig  uoii  i^been  iljrc  einzige  wefent(id;e 


1)  (£■»   gehört   fiie^er  toon   bcn   ^Ibdaubliingen ,    rcelc^c   iu   ^ut^n'S  93crmtfd^tcn 
©c^viften  ».  ^.  1773  abgebiudt  fttib,  befonber^  bie  1.,  2.,  7.,  9.,  unb  11. 


256  2(uffrärun3§pt)Uofop^tc. 

^flötigfeit  fei.  ©c  finbct  ba^er  ben  ©runb  aller  unangenel^tnen  am- 
pfinbungen  in  ben  i)inbernif[en,  roefc^e  biefe  natürUd^e  Xijätigfeit  ber 
(Seele  aufhatten  nnb  ftören,  ben  ©runb  aUel  SSergnügenS  unb  aller 
Söegicrbe  in  ber  Seförberung  i^rer  35orfte[Inng§t^ätigfeit,  roel^e  fie  em= 
pfinbet,  ober  \iä)  ücr[pri(^t.  2lu§  biefem  @efid)t§punft  betrad^tet  er  nun 
bie  rerfc^icbenen  klaffen  von  Smpfinbungen,  bie  intetteftuellen,  [tnnli(i)en 
unb  ntora(ifd;en.  3)ie  intelleftuettcn  ßmpfinbungen  Be^iefien  \\^  auf 
bie  €(^önt)eit  finntid;cr  ober  intelleftueller  ©egenftänbe  (benn  aud^Sefir^ 
fä|e,  ^anbfungen  u.  f.  rc.  fönnen  [c^ön  fein).  S)ie  ©d^öntieit  ift  aber 
(wie  nad^  Söolff  bie  SSottEommenf)eit ;  ogf.  <S.  185)  @inf)eit  in  ber 
gjlannigfaltigfeit;  ein  fd^öner  ©egenftanb  ftellt  un§  eine  2}cenge  von 
^been  auf  einmal  bar,  bie  fo  aur  ©inf)eit  üerbunben  finb,  baB  rait  ba= 
burc^  in  ben  Staub  gefegt  finb,  fie  ju  entroideln  unb  auf  einen  gemeim 
fd^aftlicf;cn  SJ^ittelpunft  äurücfäufüfiren.  ^n  ber  2lu§fid^t  auf  geiftigc 
2:f)ätisfeit,  roe(d;e  fid^  un§  baburdfj  eröffnet,  liegt  ber  S^eij  be§  Sd^önen. 
®ie  SBirfung  be^fetben  grünbet  fid^  mitf)in  auf  bie  Statur  ber  (Seele 
unb  ber  ©egenftänbe,  fie  richtet  fid^  nad^  feften  ©efe^en,  unb  e^  fommt 
nur  barauf  an,  ba§  Sd^öne  gU  fennen,  um  ben  richtigen  ©inbrudf  üon 
il)m  5U  erl)a(ten:  „ber  ©efdjmadE  ift  eine  notl)raenbige  f^olge  ber  ©r= 
fenntniB  unb  ©infid^t";  unb  ba  nun  unfer  2leftl)etifer  felbftuerftänblid^ 
üBeraeugt  ift,  ba§  biefe  @infid;t  in  feiner  3eit  eine  fo  ^ol)e  ©tufe  er^ 
reid^t  liabe,  raie  in  ber  feinigen,  fo  t^dit  er  mit  ber  ganaen  SlufllärungS- 
periobe  nid^t  atlein  ba§  für  fie  fo  be^eid^nenbe  übermäßige  33ertrauen 
auf  bie  3:l)eoric  unb  bie  9?egel,  fonbern  aud^  bie  nid^t  minber  bc3eid^= 
nenbe  ^emunberung  ilirer  eigenen,  bamalS  nod^  fo  befd^eibenen,  bid^; 
terifd^en  Seiftungen.  3Rur  bie  SSeltioeiSljeit ,  bemerlt  er  einmal^),  fei 
e§,  meldte  ben  neueren  i?ünftlern  ba§  SDüttel  gebe,  bie  alten  gu  übcr^ 
treffen,  unb  nur  oermittelft  bicfer  §ülfe  fei  ^omer  oon  $8obmer  unb 
3Jiilton,  unb  Sucrej  von  ^ope  übertroffen  morben^).  Unter  ben  glcid^en 
©efe^en,  meldte  für  bie  intelleftuettcn  ©mpfinbungen  gelten,  ftel^en  aud^ 
bie  finnUd;cn:  i{)re  2lnnef)m(id^feit  l)ängt,  raie  man  an  ber  a^ufif  fie^t, 
üon  ber  3f?ege(mäßigfeit  ah,  mit  roeld^er  bie  einaelnen  ©inbrüdfe  in  il;neu 


1)  (Sebanfen  über  ben  Uvfprung  ber  SSiffenfc^aften  unb  fdjöncn  fünfte.  53err. 
1762.  ®.  28. 

2)  Uober  'Siifjer'S  .HunfttI)corie  unb  Ärittf  finbct  man  näheres  bd  Ociviinufe 
öefd).  ber  5)JaiiünaUueroiur  b.  S.  IV,  268  f.  5.  %.,  ber  itjre  edjroädjcn  fd}avf 
beleudjtet. 


©uljer.    ^rattncv.  257 

üerfnüpft  finb,  fie  benifit  fomit  fc^lie^Ud^  gleti^folls  auf  ber  görberung, 
raelc^e  unferer  a3orfteaiing§tf)ätigfeit  au§  ber  einf)eitUc^en  3ufammen= 
faffung  eineg  SJtannigfaltigen  erraäd^ft.  3^id^t  anber§  uertiält  e§  fi(^ 
enbtic^  ouc^  mit  ben  moralifd^en  (gmpfinbungen.  ^k  ©egenftänbe,  me\^t 
moraUfd^eS  SSergnügen  fieroorbringen ,  bcoiefien  \iä)  alle  auf  bie  &iM^^ 
feltgfeit  üerftänbiger  Sßefen.  S)te  ©tücffeligfeit  rairb  aber  baburc^  Be^ 
förbert,  boB  bie  uatürli($e  Slptigfeit  ber  Seele  oerooHfommnet  unb 
erteidjtert  wirb;  uub  jenes  gef^ief)t  baburc^,  baB  if)r  ^beeu  t)erf(^afft 
werben,  an  benen  fie  i^re  2ßir!famfeit  üben  !ann,  biefeS  baburi^,  ba^ 
bie  ^inberniffe  weggeräumt  werben,  meiere  if)re  X{)ätig!eit  ^emmen,  wie 
^ran!f)eit,  S)ürftig!eit,  heftige  Seibenfc^aften.  Unter  ben  einen  ober  ben 
anbern  üon  biefen  jmei  @efid^t§punften  fällt  alle§,  wa§>  \i^  auf  unfere 
eigene  ©iücffeligfeit  be^iefit;  ber  2ßertf)  ber  greunbf^aft  3.  33.  berufit 
barauf,  ba^  ber  Umgang  mit  einem  ^reunbe  ber  Seele  einen  freiereu 
unb  unge{)inberteren  Sauf  il)rer  ©ebaufen  »erfd^afft,  ber  2öertl)  ber 
äußeren  ©üter  barauf,  baB  un§  il)r  33efi^  tlieilS  vov  ben  ^inberniffeu 
fd^ü^t,  raeldje  2lrmutf)  imb  2tb^ängig!eit  ber  2Bir!famEeit  ber  Seele  ent= 
gegenftellen ,  tl)eil0  un§  bie  Wind  jur  2(u§fü^rung  unferer  :3^een  oer= 
f($afft  u.  f.  u).  S)ie  gleirfjcu  ©rünbe  finb  e§  aber  aud^,  au§  benen  bie 
^reube  an  frember  ©lücffeligfeit  unb  "üaS  Seftrebeu,  fie  §u  ft)rbern, 
f)eroorgel)t ;  beun  maS  uu§  eine  angenelime  ©mpfinbung  erroecft,  wenn 
el  un0  gegenwärtig  ift,  beffen  ^bee  crwecft  eine  gleid;artige,  wenn  au(| 
fd;wä($ere,  ©mpfinbung;  wir  empfinben  ba^er  frembeS  ©lud  uub  Uuglüd 
in  äl)ulic^er  Söeife,  wie  uufcr  eigene^.  2lu§  ben  ©mpfiubuugen  ent= 
fpringen  alle  unfere  5lf)ätigfeiten :  3Baf)rl)eiten,  bie  man  blo§  begreift, 
wirfen  nie  als  ^Beraeggrunb,  nur  biejeuigen,  bie  man  empfiubet,  l^aben 
ßinfluB  auf  unfere  ^anbluugen ;  unb  ba  nun  ba§  ©runbgefe^  be§  @m= 
pfinbeuS  in  bem  S^erlangen  nad^  ©lüdfeligfeit  beftel)t,  fo  ift  biefeS  für 
unfer  Slfmu  ber  einzige  naturgemäße  !^wed  unb  S3eweggrunb.  2luc^  bie 
^f)ilofopl)ie  unb  bie  ^uuft  follen  burd^auS  ber  ©lüdfeligfeit  be§  Wen- 
fc^en  bienen:  jene  inbem  fie  il)u  über  feine  moralifdien  ^Sebürfniffe  unb 
über  bie  SJiittel  gu  feiner  ©lüdfeligfeit  unterrid^tet,  biefe,  inbem  fie  bie 
£e{)ren  ber  ^f)ilofopl)ie  bem  menfd^lic^en  ©emütl)  einprägt  uub  i^neu 
^raft  giebt.  9^un  l)at  ber  3}leufc^  atterbingS  in  biefer  SBelt  mit  Uebeln 
aller  SIrt  §u  fämpfen,  unb  er  gelangt  beß^alb  nur  ju  einer  felir  uu= 
üoUfommenen  ©lüdfeligfeit.  Slber  tl)eil§  waren  biefe  Uebel  unb  biefe 
Unoollfommenl)eit  uuüermeiblid^,  weil  e§  bie  9?atur  ber  enblic^en  2Befen 

fetter,  0e|rf|i(i)te  ber  bcutjd^en  ^fiilofopfiie.  17 


258  3(uftIäi-ung§p]^i(o)üp^ic. 

mit  fid^  bringt,  ba§  fte  ifire  SSoHfommenfieit,  unb  bal;er  and)  ifire  (^IM- 
feligfeit,  nur  in  athnä^Iid^em  ftufenroeifem  gortfdjiitt  erreichen  fönncu; 
t^ei[§  Iö§t  f{(^,  wie  ©ul^er  glaubt,  anncljmen,  ba§  alle  enblii^en  ^ers 
nunftraefen  irgenb  einmal  in  einen  ^uftanb  fommen  raerben,  in  bem  fie 
„üor  allem  ©d^merj  gefid;ert,  von  einer  angenel;men  ßmpfinbung  jur 
anbern  übergcfien/'  2luc^  für  (Sul3er  f)at  baf)er,  neben  bem  ©lauben 
an  eine  ©ott^eit,  ber  tlnfterblid;feit§glaube  bie  J)ö^fte  33ebeutung;  nur 
nimmt  er  mit  Seibnij  an,  ba§  bie  6eele  naä)  bem  Slobe  in  einen  neuen 
£eib  übergebe,  unb  üor  bem  (gintritt  in  bie[eg  2ehen  in  einem  fef)r 
fletnen  Körper  präeyiftirt  f)dbe,  ber  aud^  nad;  bem  %oh  mit  i^v  rer« 
bunben  bleiben  foll.  ^n  ber  ^efd;affenf)eit  unfereS  je^igen  SeibeS  ift 
er  geneigt  ben  ^auptüorjug  beS  3)tenfc^cn  vox  ben  2:f)ieren  5U  fefien: 
er  be!)auptet  nid^t  attein,  bie  SSernunft  f)änge,  fo  raeit  fie  fic^  auf  bie 
^örperraelt  begießt,  gänjlic^  üon  ber  Drganifation  ber  Sinne  ab,  er  roill 
nic^t  allein  bafür,  ba§  bie  %l}iexc  nid^t  jur  55ernunft  gelangen,  meniger 
ben  „Mangel  be§  ©eniel,"  aU  ben  $IRangel  ber  Sprache,  unb  für  ben 
le^teren  if)re  förperlid^e  Drganifation  rerautraortlid;  madien;  fonbern  er 
fagt  an^  gerobep,  ber  gan^e  Unterfc^ieb  jmifd^en  ben  3Jlenfc^en=  unb 
5:^ierfeelen  fc^eine  b(o§  von  ber  Drganifation  be§  ÄörperS  ^eräufommen, 
unb  bie  te|teren  werben  n)ot)l  auc^  einmot  in  beffer  organifirten  Körpern 
gur  SSernunft  fommen  —  Folgerungen  au§  leibni^ifdEien  ©ä^en,  bie 
Seibnij  fetbft  nid;t  anerfannt  l^ätte,  unb  in  benen  aud;  ber  ®inf(u§  ber 
fenfualiftifc^en  Sef)re  fid^  nic^t  oerfennen  lä§t. 

9^oc^  enger,  all  ©ut^er,  fd^lie^t  fid^  ber  leipziger  ?profeffor  ©ruft 
^piatner  (1744 — 1818)  an  Seibnij  an,  beffen  ©d^riften  ben  funft= 
finnigen,  in  ber  flaffifd^en  Siteratur  unb  ^i)iIofopf)ie  mofilberoanberten 
9)lann  f<^on  um  ifirer  gcfd^madoolleren  (^orm  mitten  roeit  mef)r  anjogeit, 
als  SBolff'0  Selirbüd^er  ^).  2Bir  finben  bei  il)m  atte  bie  3tnnal)men, 
meldte  ba§  leibniäif(^e  ©x;ftem  be3eid;nen:  bie  Unterfd^eibung  be§  aprio- 
rifd^en  unb  empirifd^en  ©rfenncnS,  ber  angeborenen  S3egriffe  (roeld^e  aber 
nur  aul  2tnla§  ber  finnlid^en  33orftettungen  fid^  entroideln)  unb  ber 
mittelft  ber  ©inne  unb  ber  ^^antafie  gebilbeten;  ben  ©a^,  ba&  atteS 
auSgcbc^nte  auä  einfad;em,   ba§  bal)er  bie  3Jiaterie  au0  unförperlid^en 


1)  ^ä)  berid^te  ü6cr  il^n  naä)  bem  Slbri^  ber  tt)eorettfd)cn  unb  prafttfd^en  ^f)ifo« 
fop^ic,  ben  er  in  feinem  ^auptroerf,  ben  „^^itofop:^if(^en  2tp^orifmen"  (1.  %.  1776 
unb  1782)  gege&en  l^at. 


'^(atner.    Q^rirtno.  259 

©u'Bftonjen,  au§  2Jionaben  äufamiuengeiet^t,  imb  bic  Sluöbe^nung  cbcnfo, 
TOie   alle  anbern  finnlic^en  ©igenfdjafteu  ber  S)inge,   blo^e  ©ridjeiuuug 
fei;  bie  feelenartige  dlatnv  unb  bie  3>orfte(Iitng§fraft  ber  SJiouaben;  bie 
ftetige  ©tufenrei^e  bevfelkn,  von  hcn  fcf^Iofenben  ,,5>orftettfräftcn"  an 
bil  5U  ber  ©ott^eit  a[§>  bem  ^öä)\kn,   ade  möglichen  2Be(ten  \iä)  vo\i'- 
fomnten   beutlid;    üorftellenben  ©cifte;    ben  feineren  DrganifnmS,    mit 
bem  unfere  ©eele  üon  2Infang  an  un3crtrennli(^  ücreinigt  gcioefen  fein 
fott  unb  e§  auc§  nacf;  bem  ^ob  bleibe;  ben  Seterminifmu^,  welcher  bie 
SBitten^frei^eit  auf  eine  innerlid;  notfjwcnbige  ©elbftbeftimmung  5urüc!= 
füf)rt;  bie  tefeo(ogif(|e  9taturbetrad;tung,  bie  tefeologifc^e  Seroeisfü^rung 
für  ha§  S^afein  (Sottet,  bie  Se|re  von  ber  beften  SBelt  unb  bie  leib; 
mäif($e  3:f)eobicee.     ^nv  mit  ber  oor^erbeftimmten  Harmonie  ber  ©eele 
unb  bei  SeibeS  ift  er  nic^t  unbebingt  einoerftanben  unb  3ief)t  if)r  feiner^ 
fettl^)  i^re  p]^i;fifd;e  2Bec^ferroir!ung  üor,  üon  ber  er  mit  S^ted^t  bemerft, 
baB  fie  gerabe  burd;  Seibnij,  inbcm  er  allen  urfprüngtid;en  ©nbftan3en 
einerlei  9tatur  beilegt,  bcnfbar   gcmad;t  raerbe.     ®od^  ift  e§  mef)r  noc^ 
ein  anberer  3ug,  ber  un§  in  gjfatner,  tro§  feinet  fonftigen  Seibniäianifmul, 
einen  3)?ann  au§  ber  ©cncration  ber  2(uffIärung§pf)i(ofopI;en  erfennen 
tä^t:  bie  2lu§[djlie§(i(^!eit,  mit  ber  auc^  üon  i^m  bie  ©(üdfeligfeit  a(0 
ber  le^te  ^roed  ber  SBelt  unb  bei  DJtenf^en  betont  roirb.     ©ott  'i)at 
aUeSi  in  ber  SBett  auf  bie  größte  mögli^e  ©lüdfeligfeit  ber  leOenben 
SBefen  berechnet;  feine  anbere  ift  baljer  auc^  bie  Seftimmung  be§  WUn^ 
fd^en;   alle  angenehmen  ©mpfinbuugcn,  feien  e§  nun  !örperlid}e  ober 
geiftige,  entfpred^en  feiner  33eftimmung,  fo  lange  fie  roeber  feine  eigene 
©tüdfeligfeit  nod^  bie  ^ollfommenfieit  ber  2Bett  ftören;  nur  ein  Tlind 
jur   ©lüdfeligteit  ift  bie   sTugeub.    5Diefe   felbft  ftetit  um  fo  t)ö^er,  je 
beftimmter  bie  ^Begriffe  finb,   anS^  benen  fie  l^eroorgefit,  je  Harer  ber 
3Jlenf(^  e§  erfennt,  moüon  feine  ma^re  ©lüdfeligfeit ,  unb  namentlich 
feine  jenfeitige  ©(üdfeligfeit  abl)äugt.     ßine  niebrigere  2:ngenb  ift  el, 
welche  fid^   auf  bie  geroölmlid^en  unfiaren  ^SorfteHungen  über  ba§  gött= 
li^e  ©efe|,  über  bie  fünftigen  S3elof)nungen  unb  ©trafen  grünbet.    ^n 
bief^n  ©ä|en  fprid;t  fid^   bod^    ganj   bie  STenfmeife   ber  2luff(ärung0= 
pl^ilofopf)ie  au§,  mie  benn  au^er  allem  anbern  and^  bie  ebenberül)rte 
Unterfc^cibnng  ginifd^en  ber  |öl)eren  S;ugenb   ber  3lufgeflörten  unb  ber 


1)  9Jitt  9ieimani0,  Setcnä  unb  aubevn  f.  @    2\n.  264. 

17* 


260  2liiffrärun9§p^iIofop^ie. 

niebrtgeren,  auf  bie  l^errfcfienben  reltgiöfen  ^ßorftettuttgen  geBauten, 
burdjauS  in  ifirem  Sinn  ift. 

9Ze6en  ben  Mönnern  au§  ber  leibms^rootffifdjen  (Sd;u(e  treten  aber 
je|t  oud^  greunbe  ber  (ode'fdjen  ^^i(ofopf)te  auf,  raelc^e  na«^  ifirem 
5ßorgang  burd^  genaue  S3eobad;tung  ber  menfc^(id;en  Statur  ba§  für  ben 
3)^enf(^en  erreichbare  unb  ju  feiner  ©lüdfeligfeit  not^wenbige  SBiffen  gu 
geroinnen  bemüht  finb.  S)a^in  geprt  5.  58.  ber  berliner  Dberconfiftorial= 
ratf)  ^arl  granj  v.  ^rroing  (1728—1801). 

^n  feinen  Unterfud^ungen  über  ben  9}lenfc^en  ^)  gef)t  biefer  ©c^rift:^ 
fteUer  t)on  ber  boppelten  SSorau»fe|ung  au§,  ba^  ber  33lenf(^,  roenn  auc^ 
nic^t  ber  einzige,  ho^  jebenfaHS  ber  fiauplfädjlidjfte  ©egenftanb  ber 
^f)i(ofopt)ie  fei,  unb  ba§  bie  einfachen  ^Begriffe,  roeldje  ben  ©rnnbftoff 
aller  menfd;Iidjen  ©rfenntni^  an§maä)en,  nur  au§  ber  äußeren  unb  ber 
inneren  ©nipfinbung  entftefien  fönnen.  Unter  ben  äußeren  @mpfinbun= 
gen  unterfd;eibet  er,  nad)  ©ulger'S  SSorgang,  bie  ©mpfinbnngen  im 
engeren  Sinn,  roetdje  un^  über  bie  ©egenftänbe  unterrichten,  unb  bie 
@efüf)te,  roeld)e  un§  felbft  unmittelbar  afficiren,  uufere  Slufmerffamfeit 
auf  un§  felbft  richten  unb  burd;  if)re  2S{eber!E)oIung  ba§  @e(bftgefüf)( 
er5eugen.  S)iefe  an  fid^  felbft  blo§  teibentlid;en  ^uftänbe  ber  Seele 
liefern  un§  aber,  roie  er  bemerft,  nur  einfad;e  ^erceptionen;  alle§  mag 
aus  biefen  burd;  2lbfonberung ,  SSerfnüpfung  unb  Folgerung  roeiter  ab= 
geleitet  roirb,  ift  auf  bie  (Selbftt^ötigfeit  ber  Seele  gurüdsufüfiren.  S^er 
Slntrieb  jur  @elbfttl)ätigfeit  liegt  immer  in  gcroiffen  @efül)len;  biefe  er- 
roeden  bie  3lufmerffamleit,  fie  üeranlaffen  bie  ©eele,  il)re  Stliätigfeit  auf 
alles  einzelne  in  iliren  SSorftellungen  3U  lenfen  unb  an  benfclben  immer 
neue  3Serl)ältniffe  unb  3^efultate  ju  bemerfen.  S)urd;  fortgefe^te  2Bicber= 
l)olung  biefer  2:f)ätigfeit  entfielet  baS  gan^e  ©ebäube  unfereS  SBiffenS, 
unb  wenn  bie  meufd^lic|e  Seele  ber  tl)ierifd^eu  in  fo  l)ol)eui  ©vab  über= 
legen  ift,  fo  liegt  ber  le^te  ©runb  bauon,  roie  ^rroing  glaubt,  barin, 
ba§  für  fie  nid^t,  roie  für  jene,  bloS  bie  äußeren  @efüf)le  unb  hie  ^hce 
bauou,  fonbern  anä)  alle  anberen  ^hcm  Slntrieb  unb  35eraulaffuug 
roerben  fönnen,  ilire  5£l)ätigfeit  gur  SBirffamfeit  3U  bringeu.  S)a§  uuent= 
bel)rlic^ftc  ^ülfSmittel  für  biefe  ^Bearbeitung  ber  ^been  ift  aber  bie  33e- 
äeidjnung  berfclbeu,  bie  Spradje;  il;r  legt  baljcr  i^jrroiug,  and)  hierin 
Sode  folgcnb,  für  bie  Gutroidlung  be§  3>erftanbe§  eine  foldje  S3ebeutuug 


1)  tSifa^nutgen  unb  Untersuchungen  üDcr  ben  fP^enfrfjeu.  4  5?be.  33a-l.  1772—1785. 


^rtring.    Stebemann.    SetenS.  261 

bei,  boB  beibe  für  i^n  faft  5ufamnienfaffen.  Sllfe  aUgemeinen  ^Begriffe 
finb,  raie  er  auSbrüdüc^  erf(ärt  (IV,  251),  „im  ©runbe  betrachtet  bIo§ 
SBorte  nnb  weiter  ni^tS",  ein  wirfüd^er  ©egenftanb  entfpridjt  nur  nnfern 
©inselanfdjauungen,  nnb  ba  nun  bie  (enteren  aUe  in  finnlid^en  2ßal^r= 
nefjniungen  befte{)en,  nnb  otte  unfere  realen  ^Begriffe  ron  ifinen  abftraf)irt 
finb,  fönnen  wir  üon  unfinul{($en  Singen  feinen  f(aren  begriff  laben. 

Sin  So(fe  fc^üeBt  fi(^  auc^  S)ietrid^  ^iebemann  (1748— 1803), 
her  befannte  @e[(^td)tfc^reiber  ber  ^|ilo)opf)ie,  luerdjcr  ^rofeffor  in 
Gaffel  nnb  bann  in  3)Jarbnrg  war  ^),  in  bor  53eftreitung  ber  ange= 
borenen  ^i^een  unb  in  bem  ©runbfat^  an,  ba^  aUe  unfere  33egriffe  auS 
ber  @rfaf)rung  f)erftamnten ;  ebenfo  anbererfeit§  barin,  ba^  er  bie  ©r^ 
fof)rnng  nic^t  fenfualiftifc^  auf  bie  äußeren  ©inne  befdjränft  loiffen  will, 
fonbern  in  bem  inneren  (Sinn  ober  bem  SetbftbemuBtfein  eine  felbftänbige 
ßrfenntni^qneEe  anerfennt,  unb  ben  3Serfurfj  be§  .^e(uetiu§,  alle  @eifte§; 
tf)ätigfeiten  auf  bie  ©mpfinbung  jurüd^nfüfiren,  an^Sbrüdfid;  beftreitet. 
^Dagegen  miberfprid^t  er  ßode'^  ^et)auptnng,  ba^  bie  3^enffraft  mög(id;er= 
meife  on(^  ber  DJ^aterie  jufommen  fönne;  er  erf(ärt  bie  (Seele  für  ein 
Don  unferem  DrganifmuS  xierfd;iebene§  Sßcfcn,  beffen  ^rincip  er  ntit 
Seibnij  in  ber  SSorfteflnng^fraft  finbet;  baf5  fie  jebod;  bann  and)  einfadj 
fein  muffe,  will  er  neben  anbercm  f)aupt)"nd;[id;  be^f)atb  nid;t  sngeben, 
meil  er  fid^  unter  biefer  S3orau§fe|ung  ii)re  SSedjfelmirfnng  mit  bem 
Körper  nid^t  gu  erflären  mei^,  an  bie  ©teile  ber  (enteren  aber  eine  blo^e 
präftabiürte  Harmonie  beiber  ju  fe^en  fidj  nid;t  entfd;tie^en  fann.  @r 
fc^reibt  t^al^er  ber  (Seele  nidjt  bfoS^,  wie  ßreuj  (f.  o.  (2.  247),  2Iu§= 
bef)nung,  fonbern  aud;  (So(ibität  5U,  glaubt  aber  trot^bem  ifire  Unförper^ 
tidjfeit  unb  Hnoergänglii^feit  feftt)a(ten  3U  {onnen,  weil  fie  nid;t  au§ 
mirflic^en,  oon  einanber  trennbaren  ^fieilen  beftef)e.  2öiemo(j(  aber 
SCiebemann  bie  3SorfteIIung§fraft  für  bie  ©runbfraft  ber  (Seele  r;ä(t, 
lä^t  er  bod)  Seibnij'  Set)auptung,  ba^  bie  (Seele  immer  DorfteHe  ober 
benfe,  nid;t  gelten:  er  giebt  §u,  ba§  fie  immer  geioiffe  äRobififationen 
erteibe,  aber  5U  SSorfteHungen  im  eigentUdjen  ©inn  foHen  biefe  bod;  erft 
baburd;  werben,  ba^  man  fidj  il)rer  bewußt  ift. 

©ine  äl)nlid;e  3)tittetfteIIung  jroifdjen  Sode  unb  Seibni5  nimmt  ein 
3Jiann  ein,  roeld^er  fid;  burd^  miffenfc^aftüdje  ©djärfc  unb  Selbftänbigfeit 


1)  ©ein  pf)ifoio|i^i}ii)e§  |)QUptwerf,  an  ba§  ic^  mid;  l)ici-  gunädjft  Ijalte,  ftnb  bie 
„Unteri'ucfyungen  üOcv  ben  2)ienfct)en."    3  iöbe.  1777  f. 


262  2l(uftIävu:i-iap^Uofo^:^ie. 

vor  ben  tneiften  t)on  ben  gleti^getttöen  ?pif)ilofopf)en  aw^däjmt,  ber  Üeter 
(fpäter  fopen^agener)  ^rofeffor  5Ri!otau§  S:eten§  (1736—1805). 
5Dod^  tritt  ßeibniä'  ©inftiife  bei  if)m  ftärfer  ^exvov,  at§  Bei  S;tebemann, 
unb  fein  .^auptraer!  ^)  beroeift,  baji  bie  :3nauguraIbiffertation,  in  raeld^er 
Äant  bie  ©nmbgebanfen  feines  ©pftemä  guerft  niebergelegt  l^at,  einen 
me{)r  al§  oberfIäd)Ii(^en  ©inbrucf  anf  if)n  gemocht  f)atte.  (Sr  erf(ärt 
barin  einerfeitS,  er  wolle  fid^  burcf;an§  ber  beoboc^tenben  3Jiet]^obe  be= 
bienen,  welker  fiocfe  unb  bie  $Raturforf(^er  folgen;  unb  tüirflic^  giebt 
au(^  bie  ©enauigfeit  ber  pfij($oIogif(^en  ^eobadjtung,  bie  forgfälttge 
3ergliebcrung  ber  pfpdjifdjcn  SSorgänge,  bie  umfi(^tige  Slbraägnng  ber 
Folgerungen,  bie  fic^  au§  ifinen  giefien  (offen,  feinem  SBerf  einen  b(eiben= 
ben  SBertf).  2lud^  in  bem  aUgenieinen  ©runbfat^,  ba§  alle  ^bcen  unb 
Segriffe  au§  ©ntpfinbungen  entfteljen,  ftimmt  er  mit  Sode  unb  ber  empiri= 
f(^en  (£d;ufe  überein.  3Inbererfeit§  aber  ift  er  übergeugt,  ba§  bie  ®m= 
pfinbungcn  bo(^  nid^t  mefir  feien,  al§>  ber  ©toff  ber  ©ebanfen,  if)re 
f^^orm  bagcgen  ba§  2Berf  ber  benfenbeu  ^raft  fei,  ba^  e§  gemiffe  „fub* 
jeftiüifc^  notf)roenbige  S)enfarten",  gewiffe  in  ber  9^atur  ber  ©eete  be- 
grünbete S^enfgefe^e  gebe,  bie  fid;  nidjt  be^meifeln  laffcn;  unb  er  be^ 
ftreitet  in  biefer  Sejiefinng  namentlid;  ^ume,  welcher  bie  SSorftellung 
be§  Saufatäufammcnl^angg  ouf  bie  rcgcfmäf5ige  Slufeinanberfofge  gcmiffer 
©rfd)einungen  unb  bie  baburc^  beiuirfte  ^'^^crt^ff^ciation  3urüdfnf)ren 
mottte,  inbcm  er  geigt :  in  bem  S5erf)ä(tni6  ber  llrfadje  unb  ber  SBirfung, 
be§  @runbe§  unb  ber  ^olgc,  liege  nid;t  eine  blo^e  2lufeinanberfoIge, 
fonbern  eine  notl^menbige  Sserfnüpfung  ber  i^been,  weiä)c  ron  ber  ^Iffocia^ 
tton  berfetben  in  ber  ^^antafie  t)erfd)ieben  fei  unb  fid^  nur  anS  ber 
SDenffraft  fierleiten  laffe.  S^abei  cntgcf)t  e§  ifim  ni(^t,  ba^  mir  ben  ^e- 
griff  ber  llrfa($e  gunäd^ft  vow  unfcrer  eigenen  SBiUenSffiätigfeit,  ben  be§ 
©runbeS  unb  ber  ^^^olge  Don  unfcrer  SScrftanbe§tf)ätig!eit  abftral^iren.  — 
^n  feinen  pfpc^ologifd^en  llnterfuc^ungcn  gef)t  er  üor  allem  barauf  au0, 
bie  üerfdjiebcnen  3trtcn  pfijdjifc^er  3:f)ätigfciten  genau  gu  unterfd;eiben, 
ben  eigcntijümlidjen  Gf)araftcr  einer  jcbcn  unb  ifir  gegenfeitige§  S3er= 
t)ältniB  gu  bcftimmen.  SBenn  Seibnig  bie  SSorftcUungSfraft  für  bie  ©runb^ 
fraft  ber  (Seele  erllärt  l)atte,  fo  Ijat  er,  roie  5Ceten§  bemcrft,  ben  Xtnter= 
f(^ieb  be§  SSorfteUcnS  yon  anbcren  gciftigen  SSorgängen  ju  menig  bcad;tet. 
©einer  Slnfid^t  nad;  bcftel)t  bie  urfprünglid^e  ^Ijätigfeit  ber  ©eele  fo 


1)  '4il)ilojopl)ifd^e  ajcrfuc^c  über  bie  menfd^lidje  9?atut.    2  33bc.  1777. 


Scteii«.  263 

toenig  im  BtoBen  33orfteIIen,  ba§  üielmefir  aHe  SSorfteHutigen  geroiffe 
i^nen  tjorangegangene  2Jiob{fifationen  ber  (Seele  oorau^fc^en,  itnb  if)rers 
feitg  nid^tg  anbere^  finb,  al§  bie  üon  jenen  gurücfgelaffenen  ©puren, 
SDarftellungen  ber  ifinen  üorangegangenen  «Seelen^uftänbe  ober  ber  Ur- 
fad^en,  bie  fie  f)ert)orufen.  9^äf)er  unterfd^eibet  ^eten§  (I,  620  f.  u.  a.  ©t.) 
in  ber  6eele  ein  breifadje§  S^ermögen.  Suex\t  Beft^t  fte  ein  33ermögen, 
fid^  mobificiren  5U  laffen  nnb  biefe  SSeränberungcn  §u  füf)(en.  S3eibeg 
gufantmen  maä)t  ba§  @efüf)t  au§.  S^iefer  Sleceptioität  fte^t  bie  Slftiöität, 
bie  innere  tf)ätige  ^raft  ber  (Seele  gegenüber.  6oferne  fidf;  biefe  auf 
bie  empfunbenen  9}^obififationen  bejiefit  unb  unl  ein  58itb  uon  i|nen 
liefert,  nennen  rcir  fie  bie  3Sorftettung§fraft,  foferne  fie  bie  3>orfte[Iungen 
raieber  deorbeitet,  S)enffraft ;  Beibeso  faffen  roir  unter  bem  9kmen  hc^ 
3Serftanbe§  3ufanimen.  Sieben  biefer  58efd^öftigung  mit  if)reu  früheren 
9Jiobififationen  beroirft  aber  bie  6cele  burc^  i{)re  tf)ätige  Äraft  audf;  neue 
SSeränberungen  in  i()rent  innern  ^^fi^^ii'^  OL)er  in  iljrem  Körper  ober  in 
bciben  jugleidf;.  S^aS  SSermögen  ba^u  fann  bie  3:f)ätigfeit§fraft  im  engeren 
(Sinn  ober  ber  2ßi((e  genannt  werben.  Surd;  biefe  Erörterungen  oon 
%ekn§,  wc{d)c:  (Bu^ex'§>  Unterfc^cibung  be§  Grfennen^  unb  ßmpfinbenS 
mit  ber  f;ergebrad;ten  ariftotelifi^en  be§  ©rfennenä  unb  5Bege!)ren§  üer? 
fnüpfen,  ift  bie  Sef)re  üon  ben  brei  (Seeteuüermögen  in  bie  ^|i;c^o(ogie 
eingeführt  morben.  S)er  nä^fte  ©egcnftanb  be§  ©efül;l0  finb  immer 
bie  jebeSmal  gegenwärtigen  paffiucn  3}?obififationen  ber  (Seele,  bie  tl;at= 
fädjüc^  mit  if)r  oorgctjenben  SSerönberuugen;  unb  3:eten§  bcf)ouptet  beB= 
l^alb,  ba§  ©efüf)(  bcjief;e  fid;  unmittelbar  immer  auf  ba§  2lbfo(utc,  nid;t 
auf  ba§  9le(atioe,  b.  f).  auf  einen  beftimmten  realen  3]organg  al§>  foldjen, 
nid^t  bloS  auf  bo§  93erf)ältni§  mcfircrer  S:inge  ober  S^orgänge.  Sie 
(Selbftt^ätigfeit,  burd^  meldte  mir  ^Borfteffungen  cx^alUn,  äußert  fic^  ^vl= 
nädjft  in  bem  5>ermögen,  gu  percipiren,  empfinbung^uorftcffungen  3U 
bilben;  p  einem  f)ö§ereu  ©rabe  gefteigert,  in  ber  ßinbitbung^fraft  ober 
^()ontafie,  bem  35ermögen,  biefe  3Sorfteaungen  gu  reprobuciren;  auf  ber 
I)öd;ften  (Stufe  in  ber  S^id^tfraft,  ber  Sd;öpfung  neuer  SSorfteßungen  au0 
bem  Stoffe,  ben  mir  in  ben  ©mpfinbungen  aufgenommen  J)aben.  ^n 
bem  (grfennen  ber  5Berf)ältniffe  unb  SSe^ie^ungen  sroifc^en  ben  Singen, 
bereu  ^ilb  bie  ^ßorftettung  un§  liefert,  beftef)t  ba§  Senfen.  ^f)m  I;aben 
wir  e§  gu  rerbanfen,  baB  bie  äußeren  ©inbrüde  gefonbert,  bie  Singe 
roalirgenommen  werben,  ha^  unfcr  ©eibftgefü^r  jur  ^(or^eit  be§  @elbft= 
bewu^tfeinä  gelangt,  ba§  bie  finnlic^cn  Silber  fii^  in  ^been,  bie  finnlid^ 


264  2Iufnännig§|)t)Uofopi}tc. 

allgeiueinen  S^orfteHungen  tit  Segriffe  umfe^ett ;  bur($  ha§>  S)ettfen  werben 
auS:  ben  2ßal^rnel;nuingen  bie  aflgemeinen  ^erfiältnt^bcgriffe,  töte  unter 
onberem  auä}  bie  be§  9launte§  unb  ber  Qdt,  abftraf)irt;  auf  ber  2ln= 
wenbung  ber  nn§  angeborenen  S)enfgefe|3e  unb  Slyiome  Berul^en  alle 
Folgerungen,  ^el  ber  ^efpred;ung  be§  SöiUen^  toibmet  ^eten§  ber 
grage  über  bie  9Bitten§freil^eit  eine  augfü{)rlic^  einge^enbe  tlnterfud;ung, 
unb  er  bemüht  fid;  (;ier,  gwifd^en  bem  S)eterniintfmu§  unb  hcm  ^nbeter^ 
minifmuS  ju  oermitteln;  f($(ieBlic^  fotnmt  er  aber,  nai^  ber  forgfättig; 
ften  Unterfnc^ung  aller  ber  ©leniente,  au§  benen  fid;  bie  2BiIIen§t§ätig:: 
feit  äufamnienfe|t,  im  raefentlic^en  bod^  lieber  auf  ben  leibnigifdjen 
S)eterminifmu§  ^nxüä.  $Da§  3öefen  ber  ©eele  betrcffenb,  fc^Iic^t  fic§ 
%eUn§'  an  Seibni^  unb  SBoIff  an,  inbem  er  baSjenige,  loaS  in  un§  füf)lt, 
benft  unb  witt,  für  ein  einfad;e^  unförperlid^eS  SGßefen  erflärt ;  unb  ber= 
felben  ^§i(ofop{)ie  folgt  er  in  ber  Slnnafime,  ba^  oud;  bie  Körper  ou§ 
einfad;en  2Befen,  ober  SRonaben,  aU  if)ren  legten  5Beftanbt{)eilen  ^n- 
fammcngefe^t  feien.  S^agegen  fanu  er  fii^  mit  bem  ©i;ftem  ber  pröftabi= 
lirten  Harmonie,  metd^e^  ben  ©inftu^  he§>  Seibe^  auf  bie  6eele  ganj 
aufgebt,  nid;t  befreunben.  2Benn  jebodj  33onnet  unb  anberc  (Senfualis 
ften  biefen  ©influB  fo  weit  getrieben  f)atten,  baB  bie  Erinnerung  unb 
bie  ^beenaffociation  lebiglic^  eine  ^olgc  üon  ben  im  @eJ)irn  gurüdges 
bliebenen  materiellen  ©puren  ber  ^orftellungen  fein  foHten,  fo  nimmt 
5leten§  in  feiner  eingelienben  Prüfung  biefer  ^lieorie  bie  <Selbfttl)ätigfeit 
h^§>  ©eifteg  gegen  fie  in  ©d)u|.  ©eljr  au§fül)rlid;  befpric^t  er  bie  ^-rage 
über  bie  ^erfe!tibilität  ber  menfd;lid;en  Df^atur.  ®a§  ber  3}^enfd;  gu 
einer  fortraäl)renbcn  SSerüollfommnung  beftimmt  ift,  ftel)t  tl)m  au§er 
ßioeifel;  bagegen  finbet  er  e§  nic^t  ganj  rid;tig,  menn  Seibniä  unb 
SBolff  bie  ©lüdfetigfeit  jebeS  ©in^elnen  feiner  SSoEfommenfieit  einfach 
gleid;geftefft,  unb  be^fialb  balb  biefe  balb  jene  als  baä  le^te  >^k{  unferer 
5tl)ätigl'eit  be^eidinet  t)atten.  @r  giebt  molit  ju,  ba^  bie  innere  ^oU- 
fommenl)eit  bie  mic^tigfte  ^ebingung  ber  ©lüdfeligfeit  fei,  unb  ba§  biefe 
im  großen  unb  ganzen  mit  jener  faft  burd;au§  gleid^en  ©d;ritt  lialte; 
aber  er  üerfennt  nid;t,  baB  bie  menfd;lid;e  ©lüdfeligfeit  t^eitweife  au(| 
ron  äußeren  llrfadjen  abl)ängt,  ba^  mandje§,  waS  bie  ©efammtfumme 
unferer  augenel)mcn  Gmpfinbungeu  erl)öl)t,  unferer  geiftigcn  unb  fittlid;en 
S]erooHfommnung  l)inber(id;  ift,  roäl)renb  umgefe^rt  Unglüd  unb  ©c^merj 
Sroar  gur  ßntraidlung  unferer  iträfte  ungemein  üiet  beitragen,  aber 
unfere  ©lüdfeligfeit  auf'0  cmpfinblid;ftc  ftören.    2luS  biefer  Slntinomie 


i^ebev.  265 

toelB  er  \i^,  tüte  ^ant  (ber  i^n  au^  be)'onber0  gef(^ä|t  f)at),  nur  burcf; 
bie  2lii§fic^t  auf  ein  fünftige§  Seben  ^u  retten. 

^l§  5pj)i(ofop^  f)inter  ieten§  raeit  äurüdftelfienb,  fiatte  ftd;  i^o^fici"" 
©eorg  ^etiJridp  geber  (1740—1820)  bo(^  lange  3eit  einer  üiel 
au^gebreiteteren  ofabemifd^en  Söirffomfeit  gu  erfreuen  ^).  ©eine  ^f)iIo= 
fopf)ie  ift  ein  ßflefticifmuS,  beffen  le^te  Sftidjtpunfte  ungteid^  me^r  in 
proftifc^en  Ueber^eugungen  unb  58ebürfniffen ,  al§>  in  n)iffenfd;aftlid;en 
@runbfä|cn  liegen.  @r  fuc^te,  mie  er  felbft  fagt,  ,,onwenbbare  ^{)iIo= 
fopfite  aus  ben  natür(id;ften  ober  nid;t  füglic^  5U  beftieitenben  3Sor= 
ftellungSorten  gu  entroicfetn,  ba§  2Baf)re  unb  ©ute,  waS  fie  enthielten, 
bur(^  vernünftige  ©rünbe  jebroeber  2lrt  gu  befeftigen."  ®er  eigentliche 
©egenftanb  ber  ^f)t(ofop^ie  ift  ber  3Jlenf(^;  i^re  Slufgabe  befte^t  barin, 
baB  fie  bur($  unbefangenes,  grünblic^eS  ^Zad^benfen  feine  SSorfteHungcn 
unb  ©efinnungen  auffläre  unb  orbne,  eine  richtige  ^enfart  unb  ^anb- 
tungSTOeife  erzeuge.  5Die  ©runblage,  t)on  ber  fie  I)iebei  auskugelten  f^at, 
ift,  TOie  geber  erftärt,  bie  ©rfafirung ;  hoä)  ijl  er  felbft  von  einem  ftreng 
empirif(^en  S3erfaf)ren  weit  entfernt;  er  fd^Iie^t  fi(^  oielmefir  in  feiner 
3)tetapf)i)fif  faft  burc^auS  an  Seibnij  unb  Söolff  an ;  nur  baf3  er,  wie  bie 
jüngeren  3BoIffianer  faft  alle,  ftatt  einer  bloßen  präftabilirten  Harmonie  eine 
reale  SBec^felroirfung  ber  ©inge  annimmt,  i^nbeffen  legt  er  ben  fpefulatiuen 
Unterfuc^ungen  überl)aupt  leinen  großen  Söertl^  bei;  bie  ^auptfad^e 
finb  il)m  bie  Ueberjieugungen,  meldte  auf  unfer  pra!tif(i^eS  3]er§alten 
©influB  l)aben:  t)on  ber  S^lealität  ber  ^örperroelt,  ber  tlnlörperlid;feit 
unb  llnfterblid;!eit  ber  6eele,  bem  ©afein,  ber  @üte  unb  SBeiS^eit 
(SJotteS.  Sieben  ber  natürlici^en  Steligion  ift  i^m  ferner  and;  bie  pofitiue 
SebürfniB,  bereu  SSertl)  aHerbingS,  mie  er  ouSfülirt,  vox  allem  üon 
ilirem  S^erliättniB  gur  (Sittli(^leit  unb  SSernunft  abl)ängt,  bereu  über= 
natürlid;e  S3eftanbtl)eile  er  aber  bei  ©elegenlieit,  noc^  um  ben  2lnfang 
beS  gegeniüärtigen  Qal)rl)unbertS ,  mit  fo  fc^raac^en  unb  üerbraui^ten 
^eraeiSgrünben  in  ©c^u|  nimmt,  als  ob  niemals  ein  ©pinoga  ober  ein 
9teimaruS,  ein  fieffing  ober  ein  taut  eyiftirt  ptte.  ^n  ber  grage  ber 
2ßittenSfreil)eit  ftellt  er  fid^  in  ä^nlid^er  2Beife,  mie  XetenS,  auf  bie 
©eite  beS  SDeterminifmuS.    ©eine  praltift^e  ^l)ilofopl^ie  gel)t  ganj  t)om 


1)  '^nii  er  öerfa|te,  neben  jafjlreici^en  Se'^rbüd^crn  über  aße  Z^dU  ber  ^;§Uo= 
fopl^ie,  ein  größeres  pfijd^oIogiJd^eS  SSerf:  „Unterfucfiungen  über  ben  menfd^Iid^en 
SBiaen",  1779-93.  4  iBbe.  ©inen  Slbriß  feiner  Stnfidjten  giebt  er  @.  247  ff.  ber 
:i)Dn  feinem  @o^n  1825  l^erauggegebenen  ©elbftbiograp^ie. 


266  9tuffIävungipI)tIofop^ii'. 

^Bcßrlff  ber  ©(üiffeliöfeit  an§>,  fie  tüill  nic^t§  onbere§  fein,  al§>  bic 
„^unft  §u  genießen."  @r  unterfuc^t  bie  t)erf($iebeiien  /triebe  ber  menfd^s 
li^en  Slatur  itnb  ben  ©influ§,  ben  if)re  S3efriebigung  auf  unfere  ©lü(f= 
feligfeit  ausübt ,  unb  er  erfennt  unter  benfelben  nanientli($  bie  ©i;mpatf)ie 
als  einen  ber  raic^tigften  an,  n)ä{)renb  er  einen  eigenen  moralif^en 
©inn,  n)ie  i^n  bie  We^v^atjl  ber  englifc^en  9J?orarp{)iIofop|en  annahm, 
nidjt  jngiebt.  ®r  geigt,  ha^  bie  Xngenb  bie  unerläBlic^e  53ebingun9 
nnb  ber  tuidjtigfte  Seftanbtl^eit  ber  ©(ütffetigfeit  fei,  unb  au^  bemfelben 
©cfidjtSpunft  begrünbet  er  anä)  ba§  9fied;t  unb  bie  Sfled^tSpfCic^ten.  ©ä 
ift  eine  burdjau§  raof)ln)oEenbe,  nienfd^enfreunblici^e,  tnajsfialtcnbe  Seben§= 
unb  ©enfroeife,  ber  er  ba§  2Bort  rebet;  aber  an  (Schärfe  unb  ftrenger 
ßonfeqnenj  fefilte  e§>  bem  n)of)Imcinenben,  bod^  ror  adem  fü^nen  unb 
auffallenben  3urüdf(f;euenben  9)ianne  au6)  bei  ben  fragen  ber  praftifi^en 
^f)i(o[opl;ie  üiel  gu  fel^r.  SBer  fo,  vok  g^eber,  im  «Staube  ift,  ^reBfi'ei^ 
lieit  mit  ßcnfur  3U  üerlangcn  0/  ^c^  tö^t  fic^  atterbingS  gutrouen,  ha^ 
e§  fein  S)i(emina  geben  werbe,  gwifd^en  bem  er  nid^t  im  flad;en  %at)t' 
maffer  ber  rid;tigen  Witte  f)inburd;3ufteuern  cerfuc^te.  2II§  Baut'S  ^ritif 
ber  reinen  3Seruunft  erfd^ien,  fd^raanb  biefer  felbftgenügfamen  ücrmitt= 
lunggfefigen  pf)tlofop(jifdjen  ^albt)eit  ber  58oben  mit  jebem  ^a^v  me^r 
unter  ben  ^-üficn.  geber  iiatte,  wie  er  un§  fetbft  fagt,  „nid;t  Dermnt^et, 
baf3  ein  fo  gro^e§  ^ubtifum  für  biefcS,  mie  er  irrig  yorauSfc^te,  hcm 
©eniuß  ber  3eit  gar  nid;t  angemeffene  SBerf  fic^  erffären  werbe";  unb 
in  biefer  SSorau^fe^ung  [ie§  er  fid;  mit  bem  Äi^nigSberger  5pf)iIofopi)en, 
no($  e!^e  er  beffen  ©(^rift  and)  nur  orbentüc^  gelefen  fiatte,  in  einen 
©Ireit  ein,  ber  für  if)n  nur  eine  unabläBtge  9lieberlage  fein  fonnte. 
2lf§  il^n  ^ant  im  ^Sorwort  ber  „^rotegowenen"  feine  Ueberlegentieit 
füf)(cn  Iie§,  atS  bie  „^f)i(ofop!f)if($e  33ib(iotf)ef' ,  bie  er  mit  3)?einer§  gur 
SBcfämpfung  be§  ^riticifmul  gcgrünbet  I)atte,  beim  rierten  ^anb  cin= 
gieng,  unb  aud^  feine  fonft  fo  volim  ^örfäte  fid^  immer  me|r  entuölfer; 
ten,  üertaufdjte  er  1797  bie  ^rofeffur,  weld;e  er  feit  1768  in  ©öttingen 
bef(cibet  t;atte,  mit  ber  S)ircction  einer  £ef)ranftalt  3U  ^annoüer. 

^cber'§  üertrautefter  greunb  war  fein  ebengenannter  (JoHege  6]^rt= 
ftopf)3JJetnerS  (1747—1810).  Slud^  in  il)rcn  p{)iIofop{)ifd)en  3(n)id)tett 
treffen  fie  faft  burd;au§  jufammen.  ©0  gteid)  in  bem  ©a|e,  ba^  ber 
SOlenfc^  ber  ^auptgegcnftanb,  unb  bie  ^^fijdjologie  bie  ©runblage  aller 


1)  @r  t^ut  bie^  budjftäbüd^  in  ber  oben  angeführten  (£el6p6tD9ra))r}ie  <B.  288  f. 


flKc'nev^.    ®o.i-o%  ©iigel  u.  f.  w.    .  267 

^^i(o[opl^te  fei;  in  ber  2lnnof)me  ongeBorener  5lrieöe,  neben  ber  SSer^ 
raerfung  angeborener  33egriffe  nnb  ©rnnb^ä^e;  tn  ber  enbömoniftifd^en 
53egrünbung  ber  3J^orat.  i^i^beffen  ftef)t  aJieinerS  aB  ^f)i(o[op^  felbft 
fitnter  geber  nod;  nterftid;  jurüc!;  nnb  wenn  un§  fd^on  biefer  in  58e= 
giel^nng  auf  (Schärfe  ber  Segriffe  vkk§>  üermiffen  lä^t,  fo  fel^It  e§  jenem 
au($  an  ber  j^ein{)eit  nnb  9?einlid;!eit  be§  f{tt(id;en  ©efüf)(§,  bnrd;  welche 
fein  (^reunb  biefen  9}langet  bi§  gu  einem  gemiffen  ©rabe  bebedt.  Sirägt 
bo(^  biefer  „^rofeffor  ber  2BeItn)ei§f)eit"  fein  Sebenfen,  gerabef)in  gu 
erÜären,  nnb  e§>  fogar  al§  einen  @runbfa|  ber  ödsten  £eben§funft  an- 
§upreifen:  ,,menn  e§  mögüd;  rcäre^  möd^te  er  bie  SSergnügungen  aller 
©täube,  3l(ter  nnb  ^o^'-'^wnberte  vereinigen,  bie  nic^t  gän^tid^  incompa^ 
tibet,  nnb  raeber  mit  ber  ^lugf)eit  nod;  ben  ^ffidjten  einel  tugenbfiaften 
9Jtenfc^en  ftreiten ;  er  mürbe  bem  üernünftigen  SJianne,  bem  rof)eften 
SBilben,  bem  fd^mn^igen  ^öbel  feine  S3crgnngnngen  ab5uftef)(en  \uä)en, 
menn  feine  Drgane  beraegli^  genug  mären,  fid;  von  fo  entgegengefe^ten 
©egenftänben  gu  »erfc^iebenen  Reiten  rüljren  gu  laffen"  ^).  ©§  ift  mirE= 
Itd;  fdjraer  gu  fagcn,  roa§  größer  ift,  bie  Itnmürbigfeit  ober  bie  gladj{)eit 
biefer  9(eu^erung ;  unb  fefien  mir  ben  gtcid^en  9)Zann,  ber  fo  rebet,  auc^ 
mieber  mit  feinem  ©ottegen  ^eber  in  greunbf($aft?^gefü{)len  unb  empfinbs 
famen  Umarmungen  f($roärmen  ^),  fo  lä^t  un§  bie§  in  bie  meidjiic^c 
@innc^?art  jener  3eit  nur  einen  roeitcren  S(id  werfen.  5IRciner§  mar 
allerbing§  meit  me§r  @etef)rter,  aU  ^()ifofop^,  unb  feine  ]^auptfäd)(id;fte 
Seiftimg  beftefit  in  3af)Ireid;en  f)iftorifd)en  Strbeiten,  bie  überbie§  g(ei($; 
fattS  mc^r  S3e(efenf)eit  alg  ©rünblid^feit  äcigen.  Slber  feine  3eit  f)tett 
if)n  bod;  für  einen  ^f)itofopf)en ,  unb  fo  mirb  er  unS  tmmerf)in  a(§  ein 
Seifpiel  bafür  bienen  fönnen,  roie  nötfiig  biefer  ^^^t  ^i^  SWann  mar, 
ber  fie  jum  ©ruft  be§  g>f(i($tgcfüf)B  unb  jur  (Strenge  bei  miffenfd;aft- 
Ud^en  S)enfen§  gurüdfütirte. 

9}^it  9)leiner§  finb  mir  nun  bereits  in  ben  ^rei§  ber  SJtänner  ein= 
getreten,  meld;e  ben  näd^ften  Slnta^  ba^u  gegeben  Iiaben,  baB  bie  2Iuf: 
fIärung§pf)i(ofop{)ie  vov  Äant  and;  mo^I  fdfiled^troeg  ot§  g^oputarpfiifo- 
fopf)ie  bejeid^uet  morben  ift;  jener  „^()iIofop^en  für  bie  Söelt"  (roie  fie 
©rbmann  genannt  f)at),  meldte  bie  ^orm  ber  fd^ufmä^igen  S^arfteHung 
unb  ber  gufammenfiängenben  roiffenfd;aftlid^en  Unterfud^ung    abfidjtlid^ 


1)  5D?einev§  SSerm.  @(^r.  I,  156. 

2)  gebcr'^  Seben,  @.  113. 


268  ^opufarp^Uofopt)ie. 

rerfdjmä^ten^  um  ifiren  ^hcm  eine  weitere  SSerBreitung  unb  eine  größere 
SBirfung  3U  fid;ern;  n)eld;e  biefelbe  aber  natürlich  nic^t  fo  grunbfäpd^ 
oer[cf;mät)t  fiaben  würben^  wenn  fie  felbft  fijftematifc^ere  ^öpfe  geroefen 
wären.  Q§>  waren  gum  Slfieil  bebeutenbe  fd)riftftelleri[d;e  Slalente,  wetd^e 
fid^  auf  bie[e  2lrt  in  ben  S)ienft  ber  2Iufflärung  fteHten.  @o,  au^er 
9}tcnbeI§[oI)n,  ©firiftian  @art)e  in  Sre^Iau  (1742—1798),  ber  fein^ 
finnige  3Ren[d;enbeobad;ter  unb  SRoralift;  fein  greunb  i^ofiann  i^ofob 
ßngel  (1741 — 1802)  in  53er(in,  ber  Herausgeber  unb  gröBtent!)eiI§ 
auc^  ber  SSerfaffer  jener  Sluffätje,  bie  ber  „^pfjiiofopl;  für  bie  Söelt" 
(1775  ff.)  brad)te;  ber  früf)  geftorbene  %l)oma§  2lbBt  au§  Ulm 
(1738—1766);  ber  pl^iIofopf)irenbe  2lr§t  ^ofiann  ©eorg  3^wimer= 
mann  (1728 — 1795)  in  ^annoüer,  üou  ©eburt  ein  ©(^wei^er,  t)on 
beffen  ©d)riften  ba§  mefirbänbige  2öer!  über  bie  ©infamfeit  bie  be^ 
fanntefte  ift.  STuc^  ©ber^arb  unb  anbere  betf)eiligten  fid^  an  biefer 
^opularifirung  ber  ^§iIofopt)ie.  ^n  bie  gleidje  i!ategorie  gef)ören  bie 
pf)iIofopf)ifd;en  ^artfiieen  in  S3ielanb'§  ©d^riften.  Söenn  wir  enblid^ 
ben  befamiten  5Bnd)t)änbler  unb  ©djriftfteller  griebrid^  S^icolai 
(1733 — 1811)  in  Berlin  allerbingS  ben  beutfd^en  ^p^ilofop^en  nid^t 
wo|)l  3U3ä{)(en  fönnen,  fo  mag  bie  ©efd;id;te  ber  beutfd;en  ^t)i(ofop{)ie 
bod;  immerf)in  ber  unglaublid^en  9?üf)rigfeit  erwäf)nen,  mit  weldjer  biefer 
greuub  Seffing'S  unb  93Zenbel§fo{)n'§  für  bie  ©runbfä^e  ber  2tuff(ärung 
^Propaganba  mad;te,  bereu  SSertrieb  er  al§  feine  eigentliche  £eben§auf= 
gäbe  bctrad;tete;  xmb  au§  bemfelben  ©runbe  fann  neben  i{)m  ^iefter 
(1749 — 1816),  ber  Herausgeber  ber  53erliner  3)ZonatSfd^rift  genannt 
werben,  weld;c  neben  anbern  bebeutenben  @ele{)rten  aud^  Äant  ju  ifiren 
SJ^itarbeitern  jätilte. 

Um  ein  fi;ftematifd;eS  ^^ilofopf)iren  ift  e§  nun  biefen  9JJännern, 
wie  bewerft,  übert)aupt  nid;t"äu  t|un.  3^)^  ^oi^'^^t^  ^ft  iii^^t  S5?o(ff  ober 
iöaumgarten,  fonbern  ©t)afteSburt)  unb  bie  englifd;en  ©ffatjiften.  Unb 
ben  gleid^en  S^orgängern  folgen  fie  im  ganzen  aud^  in  bem  ;3^if)alt  i(;rer 
S3etrad;tungen ;  nur  ba§  fid^  mit  ber  englif(^en  3Jioratpf)ilofopf)ie  aud^ 
au§  ber  (eibniä=wo(ffifd;en  ®d;u(e,  ber  bie  weiften  yon  if)nen  it)re  wiffen* 
fd;aft(id;c  33i(bung  äunäd;ft  üerbanften,  alle  it)r  rerwanbten  ©lemcnte 
üerbinben.  ©ie  alte  finb  barüber  einuerftanben,  ba^  e§  bie  ^f)i(ofopt)ic 
in  letzter  33e3ic^ung  nur  mit  bem  30ienfdjen  gu  tf)im  f)dbe,  baB  fie  ßebenS; 
pl)i(ofopl)ic,  ober  wie  ©teinbart  e§  auSbrüdtc,  „@(üdfeligfeit§(ef)re" 
fein  füllte.    S)a3U  ift    aber  nid^t  mdc  SOBiffcnfd^aft  nötl)ig:    waS   bem 


^^opulavpf)i(ofop^ie.  269 

SJZenfdjen  jum  ©lücE  biene,  ba§  fagt  iF)m,   au(|  ol^ne  9J?etapI)i)fif ,  fein 

@efüf)t,  feine  ©rfafirung,  feine  S?ernunft ;  e§  f ommt  nur  borouf  an,  auf 

bie  Stimme  ber  unoerfnnflelten  Statur  ju  pren,  fid;  uon  ben  ^^^effeln 

be§  3Sorurtf)eil§  unb  be§  §erfommen§  5U  befreien.    ®o  fliegen  f)ier,  anf 

ber  allgemeinen  ©runblage  be§  ©mpirifmuS,  bie  üerfd;i ebenen,  nicf;t  ge= 

nauer  unterfnd^ten  Duellen  ber  Ueberjcugung  ju  einer  ^^ilofop{)ie  be§ 

„gefunben  9}ienf($ent)erftanbe0"  jufammen,  rate  mir  fie  ä{)n(id;,  nur  in 

fpftematifc^erer   ?^orm,    um    biefelbe   Qät   au^er   S)entfd;(anb    Bei   ben 

^i)i(ofopf)en  ber   fd^ottifc^en  (£c^ule  unb  annäfiernb   aud;  bei  Stouffean 

treffen.    Sluf  biefem  ©tanbpunft  be§   gefunben  2Renfd^enuerftanbc§   f)at 

namcntli(^  Df^icolai  mit  unerfc^ütterlid^em  «Selbftüertranen  feine  ©tellung 

genommen;   unb   er  t)at  üon  f)ier  au0  in  ©ruft  unb  <Batyve  gegen  ade 

Slrten  üon  3?orurt^ei(en,  gegen  3tberg(aiiben,  llnbulbfamfeit,  Drtpboyie, 

5piettfmn§,  aJtpfticifmuä,  Qefnitifmu^  einen  erfolgreichen  unb  üerbienft- 

Ud)en  ^ampf  gefüf)rt.    ©r  raupte  aber  freiüd;  nidit  b(o0  an  biefen  ^x- 

f (Meinungen,  mit  ber  if)m  eigentfiümlid^en  ^lump^eit  be§  S)enfeni3,  unb 

mit  bem  ber  ganzen  Stufftärung§periobe  eigentf)üm(i(^en  9}tangel  an  ge; 

fd;id)tlid^em  Sinn  unb  S^erftänbni^,  nur  ba§  fdjäblidje  unb  ber  3luff(ärung 

unerträgliche,   ni(^t  if)re  urfprünglid;en  5[Rotiye  unb  if)re   gefi^idjtlidje 

Sebeutung  gu  ernennen;   fonbern  er  meinte  au(^  bei  beui  größten,  mag 

feine  3eit  fieroorbrac^te,  mit  bemfelben  3Jta^ftab  auSjureid^en,  unb  309 

fi(^  baburd;  jene  ^w^'^c^tmeifungen  ju,  bie  feinen  tauge  gead;teten  9Zainen 

fd;(iej3li(^  in  ber   öffentlichen  9)ieinung  5um  (Sijmbol  ber  ^lattf^eit  unb 

(2eid;tigfeit  gemacht  fiaben:  ^ant  fd^rieb  feine  „^Briefe  über  53udjmadjerei", 

gi  c^te  gab  bie  befannte  graufame  2luali;fe  oon  3^icolai'§  literarifi^er  ^er= 

fönlic^feit,  @ötl)e  führte  if)n  al§  ^roftopliautafmiften  auf,  unb  ©exilier 

uerroieg  il)n  t)ornel)m  in  bie  ©efinbeftube  ber  beutfdjcn  Siteratur.    S^a§ 

pf)ilofopf)ifc^e  ^ntereffe  ber  moralifc^en  unb  pfyc^otogifdjen  Setrad;tungen, 

bie  uns  bei  ben  9]ertretern  biefer  populären  2lufflärung  begegnen,  ift 

gering.   @§  ift  im  atigemeinen  jene  Sebenypl)iIofopl)ie  eine§  SBielanb  ^): 

S)er  te^te  Sunfc^  aller  Sßefen,  auc^  be§  3Jlenfdjen,  ift  bie  greubc.    Sie 

SebenSraei^ljeit    beftefit  in  ber  Äunft,   fic^   möglid^ft  üiele  greubeu  mit 

mögtic^ft  roenig  Untuft  unb   ©d;mer3en   3U  Derfdjaffen.     S)a§   fid;erfte 

9)littel  baju  ift  SJM^igfeit  ber  Segierben,  SlufHäruug  be§  ©eifteS,  2öol)t= 


1)  Sie  er  fie  3.  33.  im   „®o(bcnen  ©piegel"   (Söerfe,  ÄarlSv.  1814,  VI,  97  ff.) 
au§fpvtd)t. 


270  ^^opular)}rjtlofopl)te. 

luottcn,  9ted;tf(^Qffen{)eit,  ^Pflege  ber  greunbfc^aft,  @mpfängU(j^feit  für 
aUeg  6d;öne  unb  ©ble;  ben  beften  S^ücf^alt  für  biefe  2;ugenb  geraä^rt 
«n§  ber  (Biaube  an  eine  ®otti)eit,  bie  f(|on  in  ber  gegenwärtigen  SBelt 
alles  mit  nnbegren^ter  @üte  auf  nnfer  2Bof)t  Bered^net  l^at ,  unb  in  ber 
fünftigen  roHenbS  un§  aUel  geiüäl;ren  wirb,  raaS  gu  unferer  ©lüdfetig^ 
feit  unb  unferer  enblofen  SSeroonfornrnnung  nöt^ig  ift.  S)iefe  Slufflärung 
legt  bal^er  einen  IE)o|en  SBertf;  auf  bie  S^leligion,  unb  fie  tritt  in  biefent 
i^utereffc  bem  gleid^jeitigen  fran3Öfifd;en  3)lateriali[niu§  unb  2ttf)eifmu§ 
in  ä^ntid^er  Sßeife,  roie  bie^  aud^  Sflouffeau  tfiat,  entgegen.  9^ur  ift  e0 
notürtic^  eben  nur  biefe  ifjre  SSernunftreligion,  für  bie  fie  ein  ^yerj  f)at; 
bie  pofitiüe  bagegen  mu^  e§  fid^  gefollen  laffen,  ba§  fie  auf  jene  5urücE= 
gefüfirt  wirb,  unb  i^rer  eigent(id;en  3Jteinung  nad^  mit  i^r  äufammeus 
fallen  foU;  fofern  aber  mand;e  üon  i§ren  ^eftanbt^eitcn  biefer  3luffaffung 
TOiberftreben,  merbcn  fte  al§  unäd;te  fpätere  ^ut^aten  befeitigt.  ^n  biefem 
©tun  wußten  bie  aufgegärten  unter  ben  bamatigen  2:f)eoIogen,  ein 
©palbing  (1714—1804)  unb  ©acf  (1703—1783)  in  Berlin,  ein 
^erufalem  (1709 — 1789)  in  33raunfd^n)eig  unb  riele  anbere,  ba§ 
6f)riftentf)um  mit  bem  ^eitgcift  gu  üerföfinen,  inbem  fie  bie  3)ioral=  unb 
SSernunftreligion  ai§>  bie  ^auptfad^e  in  bemfetben  l^erauS^oben,  of)ne 
bo^  babei  feinen  pofitiüen  Sctiren  auSbrüdlid^  entgegen3Utreten.  33iet 
weiter  gieng  I)ierin  ein  XelUv  (1734 — 1804)  unb  ein  ©teinbart 
(1738—1807).  ^emx  brang  im  2lnfc^Iu§  an  ©emter  unb  Seffing  auf 
bie  SSerüoUfommnung  beS  (S^riftent^umS ,  feine  2lu§bilbung  gu  einer 
burd^auS  praftifd;en  ©otteSerfenntniB ;  er  verlangte,  bo§  e§  nichts  anbereS 
fein  foUe,  als  bie  befte  2ßei0f)eit§tef)re  ju  einer  immer  pfier  fteigenben 
©lüdfetigfeit,  unb  ba'^  ade  bie  S)ogmen  cerlaffen  werben,  bie  ^iefür 
nidit  taugen;  unb  ä^ntid;  roottte  tiefer  baS  6t)rifteutf)um  aU  bie 
U^U  ©lüäfeligfeitslcfire  betrad^tet  miffen  ^),  rooHte  e§  aber  ebenbeB^alb 
t)on  aücn  ben  „n)ittEüf)rlid;en  ^i;potf)efen"  befreien,  metd^e  ber  (grreid;ung 
biefeS  Qimde§> ,  roie  er  glaubt,  im  2Beg  ftefien.  Qn  biefen  §i)pott)cfen 
wirb  nun  aber  aUeS  gered^net,  roaS  bie  d^riftlid^e  Sogmatif  au§er  hem 
moralifc^en  SSernunftglauben  ber  2luff(ärung  noc^  weiter  enthält:  baS 
6t)riftentf)um  fotl  aB  bie  t)ortreff(id;fte  SSotfSretigion  anerfannt  bleiben, 
nur  foH  e§  nichts  anbercS  als  ^eruunftreligion  fein  wollen.    S)ie  gleid^en 


1)  ©eine  ^anptjd^rift  \\t  ba«  „S^fiem  ber  retneu  ^^tlofop^te  ober  aifildtfcItgfeitS^ 
le^re  beg  efjriftcntljumS."     1778  u.  ö. 


©afebo».  271 

2lnftd;ten  Begegnen  ung  in  jener  3eit  t;änfig;  füc  ben  ^mä  ber  gegen:: 
tüärtigen  S)arfteIIung  wirb  e§  an  ben  üorfte!)enben  groben  genügen. 

gür  einen  ^t)ilo[opf)en ,  unb  feinen  üon  ben  geringften,  {)ielt  fi(^ 
auä)  ^o^ann  S3ern^arb  ^afebora  au§  |)amt)nrg  (1723—1790), 
ber  kfannte  päbagogifd;e  Slgitator,  ber  aucf;  TOirflid;,  tro^  aller  feiner 
^a(tlofig!eit  nnb  ©elbftüberfc|ä|ung ,  tro|  hem  nnreifen  in  feinen  ^ov- 
f(i^lägen  nnb  bem  t)erfel)lten  in  ifirer  Sln^fü^rnng,  gnr  SSerbeffernng  beS 
Unterridjtlroefeng  in  ^entfd;(anb  einen  fräfrigen  3lnftoJ3  gegeben  f)at. 
Sft  aber  felbft  in  biefem  feinem  eigentüdjen  Seben^bernfe  fein  SSerDienft 
ein  bebingteS  nnb  getf)ei(te§,  fo  fann  DoIIenbS  bie  @efd;{djte  ber  ^lydo- 
fopl^ie  feiner  faum  anber^  erraäf)nen,  ai§>  um  an  feinem  ^eifpiel  gu 
jetgen,  roa§>  aUeS  in  jener  ^^^t  fic^  aU  ^f)ilofopt)ie  gab,  unb  wirftid^ 
auc^  t)on  üieten  bafür  genommen  mürbe.  58afebom'^  „^l;iIofopl;ie"  ift 
eine  3ufammenftellung  oon  ©ä^en,  meld;e  fic^  al§  ber  gröbere  Sfiieber- 
f(^lag  ber  bamaügen  2luf£(ärung  in  feiner  Ueber^eugung  feftgefe^t  t)aben. 
S)er  entfd^eibenbe  ©efic^t^punft  für  bie  2lnna^me  unb  2Iu§mai)l  bicfer 
©ä|e  liegt  tl)eil§  in  i§rer  Uebereinftimmung  mit  bem  „gefunbcn  SRenfd;en= 
rerftanb",  b.  l).  mit  ber  ©efammtfumme  berjeuigen  SSorftellungen,  welche 
ber  ^l)ilofop^  vov  aller  miffenfd^aftlic^en  Unterfud;ung  gewonnen  l)at, 
tt)eil0  unb  befonberä  in  i^rer  58raud)barfeit,  il)rem  9hi|en;  benn  bei 
feinem  anbern  ift  ber  ©runbfa^,  üon  bem  jene  gan^e  3^^^  bel;errfc^t 
toirb,  alles  nur  nac§  feinem  Sinken  gn  beurtfieilen,  gu  größerer  ©infeitig= 
feit  entmidelt,  al0  bei  33afebon);  mie  ja  aud;  in  feinen  päbagogifc^en 
Seftrebungen  bie  an  fic^  raol)lbered;ttgte  gorberung  cineS  praftifd;cn, 
auf's  Seben  unb  feine  58ebürfniffe  bered;neten  Hnterrid^tS  gu  ber  l;anb= 
toerfSmäBigften  SSerad^tung  aller  ibealeren  S3ilbung  fortgel)t.  S3on  einem 
rein  n)iffenf(^aftli(^en  ^ntereffe  unb  einer  ftrengeren  3Jletl)obe  ber  gorfd;ung 
l[)at  er  faum  eine  Sl^nung.  i^n  feiner  „^ractifdien  ^^ilofopl)ie"  ^),  bie 
uns  t)ier  als  ^robe  für  alle  feine  Slrbeiten  bienen  mag,  miberlegt  er 
bie  i^beatiften,  raie  bie  3Jtateriatiften,  mit  ber  einfad^en  33emerhing,  baB 
fie  entroeber  rafen  ober  fic^  uerftetlen;  bie  3lnnal)me  eines  SSeltanfangS 
begrünbet  er  in  einem  plumpen  3ii^^elfc^luB  mit  bem  @a|e,  iia^  bie 
SBelt  aus  einer  ^otge  üon  S3egeben^eiten  befiele,  ron  benen  eine  bie 
erfte  geroefen  fei;  bie  ©infieit  ©otteS  mirb  barauS  beroiefen,  baB  ber 
©taube  baran  unferem  ^er^en  bie  größte  58erul)igung  gemä^re,  bie  §off= 


1)  2  S8be.  2.  ?lufl.  1777. 


272  aJIenbclSfol^n. 

nimg  ber  Unfter6lid;feit  erleichtere,  bte  SJienfd^entiebe  empfel)te;  unb  ba 
fi(^  nun  nid^ts  triftiges  bagegen  einroenben  laffe,  fo  fd^lie^t  ber  SSev= 
faffer,  biefcr  ©laube  fei  eine  @eroiffen§lef)re ,  bie  wir  p  unferer  ©id^er- 
f)eit  nnb  ©lücffeligfeit  annef)men  muffen.  Sle^ntid)  wirb  bie  Unfterbtid^= 
feit  aU  eine  ©ic^erleitS-  ober  ©eroiffenStefire  bejeid^net,  ber  ©lauBc 
baran  auf  eine  „©loubenSpflid^t"  begrünbet;  aber  aud^  ber  ©faube  an 
eine  übcrnatürlid;e  Offenbarung  nnb  if)re  SBunber  fod  eine  ©eroiffenS; 
Pflicht  fein,  wenn  biefe  Offenbarung  für  unfere  2:ugenb  nnb  ©lücffelig= 
!eit  fold^e  SSort^eile  bietet  nnb  unter  foM;en  Umftänben  üerfünbigt  löor^ 
ben  tft,  n)ie  bie  c^riftü(|e.  ®aB  anä)  bie  ^ugenb  nur  wegen  i^rel 
S^iu^enS,  als  3)littel  gur  ©lüdfeli gleit,  geforbert  rairb,  braud;t  bei  58afe= 
bow,  lüie  bei  ber  9Jtel)räal)l  feiner  3ßit9^ttoffß'^/  ^^^^  auSbrndlii^  be^ 
nterlt  jn  werben. 

4.    9HcnbcI§fof)n. 

'^ev  ebelfte  3sertreter  ber  beutfd^en  2lufflärungSpl)ilofopl)ie  ift  3Jl  o  f  e  3 
9JlenbelSfol)n.  @r  ift  bie^  pnä^ft  fd^on  in  feiner  ^erfönlid^feit. 
S)er  @ol)n  eines  armen  iübif(^en  ©d^ulmeifterS,  ben  6.  ©eptbr.  1729 
gu  ®effau^)  geboren,  l)atte  er  fid^  in  Berlin  mit  unfäglic^er  3Jtül)e  nnb 
unter  ben  l)ärteften  ©ntbelirungen  bie  roiffenfc^aftlic^e  Silbung  erworben, 
meldte  bamalS  unter  ben  ^uben  nod;  faft  ganj  unbefannt,  ja  oerpönt  mar. 
^n  bem  ®efd;äft  eines  jübifd^en  It'anfmannS,  bei  bem  er  als  §auSle§rer 
eingetreten  mar,  fanb  er  eine  2lnftenung  als  58ud;^alter,  nnb  in  biefer 
bef^eibenen  SebenSfteHung  blieb  ber  5[Rann,  in  bem  Seutfd^lanb  einen 
feiner  erften  @d;riftfteEer  nnb  5pi)itofopl)en  üerel)rte,  bis  gu  feinem  Xobe. 
ßr  ftarb  ben  4.  ^an.  1786.  @d;ou  biefe  äußeren  SSerl^ältniffe  finb 
für  3RenbelSfot)n  nnb  feine  ^eit  t)on  tppifd^er  33ebeutung.  SBenn  £ite= 
raten  o^ne  Stmt,  mie  Seffing  nnb  ©aroe,  wenn  ein  33ud;l)änbter  wie 
Sfiicolai,  wenn  gar  ein  jübifd^er  „©omtoirfd;reiber"  uon  bem  @eift  biefer 
3eit  gum  SBortfüljrer  geuiäl)lt  würbe,  fo  war  bie^  ein  S3rud)  mit  bem 
|)erfommen,  in  bem  fi^  ber  ®runbfa|  ber  3luff(ärung,  bem  conoentios 
nellen  im  93ergleic^  mit  bem  alfgemein  mcnfd)lid;en  feinen  Söertl)  bei= 
julegen,    auf   bejeid^nenbe   SBeifc   auSfprid^t.     3)knbelSfo^n    war    aber 


1)  9?ad^  biefem  feinem  ®et)urt§ort  nannte  er  fid^  anfan^?,  nnb  in  Briefen  an 
@tammc§{]enDffen  bi§  an'§  ©nbe  feine§  SebenS,  aJiofeS  Seffau;  erft  fpäter  naf)m  er 
nacl)  feinem  33ater,  ber  2Jfcnbel  (2Renad)em)  "^ie^,  ben  Sramen  3JienbcI§fo(jn  an. 


S^avatter  unb  Stanbpun!t.  27JJ, 

freiließ  ou(^  eine  5|]erfönlid;Feit,  welche  bie  fdiönften  wttb  kften  !^üQe  ber 
^eitbitbung  in  feltener  9tcinl^eit  an  fic^  trug,  unb  üon  ben  @d)raädf;en 
berfelkn  ^voax  ni(^t  in  i^rem  STenfen,  aber  boc^  in  i^rer  ©efüfitSracife 
unb  if)vem  SBoHen,  faft  gänjlid^  frei  war.  i^n  feiner  uneigcnnü^igen 
Siebe  gum  ©uten,  feiner  großartigen  S3ebürfnißIoftgfeit,  feiner  p^i(ofo= 
pf)if(^en  ©elaffen^eit  unb  feiner  frommen  Ergebung  in  ben  SSeltfanf  ift 
er  einem  (SofratcS  ober  Spinoja  ju  üergfeic^en;  mit  bem  erfteren  t()ci[tc 
er  au($  bie  geminnenbe  9J?enfdjenfreunbIi($feit  im  5ßerfe{)r,  melcf^c  burd; 
eine  milbe  ^ro'^^ß  unb  einen  fd^Iagfcrtigen  3Bi^,  ba§  @rbt{)eit  fcineS 
©tamme§,  gemürät  mar.  S)ie  @itelfeit  unb  <SeIbftüberf)cbung,  ju  meld^er 
bie  2tnff(ärung  fonft  fo  geneigt  ift,  blieb  i^m  fremb;  unb  fo  frei  er 
im  ©cifte  berfelben  allen  S5orurtf)eiIen  entgegentritt,  fo  entfd;ieben  er 
aKe  S3efonberf)eiten  ber  9?ationalität  unb  be§  ©tanbe§  gegen  bie  ge= 
meinfamen  ®igenf($aften  unb  3lnfgaben  be§  3}lenfd;en  surüdftedt,  fo  fjat 
er  hoö)  feinem  SSotfe  unb  ber  9icligion  feiner  SSäter  eine  Sfnljänglidjfeit 
beroafirt,  meldte  biejenigen  uii^t  begriffen,  bereu  3ii^^*i"Ö^'cf)feit  if)n, 
nad)  Sat)ater'^  3.>ovgQng,  mit  täppifc^eu  93efe()rnng§Derfudjcn  x^erfoigte. 
Gr  ift  auc^  fiierin,  raie  in  feinem  gan3en  SSefen,  baS  S3orbttb  uon 
Seffing'S  9^atF)an,  biefem  .«petbcn  einer  S}id;tung,  in  meldet  ber  ©eift 
ber  beutf($en  Srufflörung  fein  fittlidje§  unb  religiöfe§  ^beal  für  alle 
Reiten  in  ber  !)ödjften  SSolIeubuug  bargeftellt  ^at. 

S)eu  gleichen  ßf)arafter  trägt  9JtcubcI§fo{)n§  fd;riftftellerif($c  5tf)ätig:: 
feit.  @§  finb  burdjauS  bie  ^vocdc  ber  3(ufflärung  unb  ber  |)umanität, 
benen  feine  ^^eber  gercibmet  ift.  Qnv  befonberen  Slufgabe  mai^te  er  e§> 
fic^,  on  ber  ^ebung  feiner  bomalS  noc^  unter  fo  fc^roerem  5Drud  feuf^^ 
jenben  unb  in  j^olge  havow  in  ber  Sieget  geiftig  unb  fitttic^  fet)r  tief 
ftetienben  ®(auben§genoffen  ju  arbeiten;  unb  er  f)at  namcntUd^  an^ 
burd)  feine  Ueberfe^nug  unb  ©rÜörung  altteftamentUd^er  ©i^riften  auBer^^ 
orbentii($  üiet  baju  beigetragen,  ba§  bie  bcutfdjen  i^uben  in  bie  @emein= 
fdjaft  ber  nationaten  ©pradie  unb  ^ilbung  fiercinge^ogen  mürben,  unb 
ber  triftigfte  yon  ben  ©rünben,  ber  f(^eiubarfte  oon  ben  SSorraänben  be- 
feitigt  mürbe,  auf  bie  man  fic^  bi§  bat)in  berufen  l^atte,  um  if)nen  bie 
9lec^te  be§  SJtenfd^en  unb  be§  Bürgers  ju  ent^iefien. 

Tlit  bem  9Jlenfd;en  unb  bem  @d;riftfteller  ftimmt  in  2JteubeI§füf)n 
ber  ^t)iIofopt)  überein.  S)ie  beutfc^e  2lufflärung§pt)ilofop^ie  meift  ah 
geietien  t)on  ßeffiug,  ber  über  biefe  gan^e  Kategorie  fiinauSrogt,  feinen 
3Jiann  auf,  in  bem    fid^  if)re  ©igeutfiümlid^feit    fo   rein  imb  roürbig 

Seiler,  ©efd^ic^te  ber  beutf^cn  «p^ilofoprjie.  18 


274  SDienbctÄfo^n. 

bavfteHte,  wie  in  ifim  ^).  i^n  ben  legten  3'^^^"  feinet  ^f)iIofopt)iren§  mit 
it)r  einig,  üerlangnet  er  and^  in  ber  j^orm  feiner  ©d^riften  bie  S3ers 
n)onbtf<^aft  mit  feinen  ^reunben  nnb  ©enoffen,  einem  @nget  unb  ©aroe, 
einem  9?ico(ai  unb  W)ht,  nic^t.  @r  fd;reibt  nic^t  bto§  gur  görberung 
t)er  roiffenfd^aftli(|en  ©rfenntni^;  fonbern  in  erftcr  3ieibe  tft  eg  x^m, 
and;  bei  feinen  pl^i(ofopf)if(|en  2lrbeiten,  um  bie  $8eförberung  ber  menfd^- 
lid^en  ©(ücffeligfeit,  um  bie  S^eröoHfommnung  ber  SJienfd^en  burd^  2tuf= 
flärung  it)xex  ©ebanfen  gu  tf)un;  unb  be^^alb  milt  er  fo  fdjreiben,  ba^ 
tf)n  alle  oerftefien,  aHe  von  x^m  angezogen  unb  jum  ©uten  angeregt 
merben.  @§  ift  i^m  aud^  TOirflid;  fdjon  in  feinen  erften  Werfen  ge^ 
lungen,  feiner  ©prad^e  eine  Sleinl^eit,  feiner  ©arfteUung  eine  2Inmut^ 
unb  S)urd^fid^tigfeit  gu  geben,  bie  x^n  näd^ft  Seffing  al§  einen  ber  vot- 
§üglic^ften  bentfc^en  ^rofaifer  vor  @ötf)e  erfd;einen  laffen.  Stber  wie 
wir  i^n  (©.  254)  feine  ^ßi^genoffen  raegen  ifirer  ^erac^läffigung  ber 
?[Retap(;:;fi!  tabeln  prten,  fo  begegnen  mir  onbererfeitS  in  feinen  eigenen 
Söerfen  einem  piet  tieferen  S3ebürfni^  genauer  unb  fxjftematifd^  entroidetter 
^Begriffe,  al§  bei  jenen  2Jiännern,  bie  man  il^m  roofil  al§>  5ßopu(orpi)ilo= 
foppen  §ur  ©eite  gefteUt  t)ot.  S)agegen  fommt  in  bem  raeitgeljenben, 
an  5Ricolai  erinnernben  9Jlanget  an  gefd^ic^tlid^em  ©inn,  welcher  bei 
i!)m  aud§  mit  bem  9Jiangel  an  gefd)id)t(id)em  SBiffen  3ufammcnf)öngt, 
eine  t)on  ben  auffallenbften  ©d^roäd^cn  ber  2tuff(örung  in  be^eid^nenber 
SBeife  gum  Sorfd^ein;  bie  2(nnaf)me  eine§  gefdE)id;tIic^en  gortfd^ritt§  ber 
3Jtenfd;f)eit  ^at  er  auSbrüdiid;  beftritten.  3Jlenbel§;ol;n  nimmt  fo  eine 
mittlere  ©tetlung  jmifd^en  ber  ©d;u(pf)i(ofopf)ie  unb  ber  ^oputarp{)ilo; 
fopI)ie  feiner  Qc'xt  ein.  @r  f)atte  feine  pf)itofopf)ifd;e  S3übnng  uor3ug§'- 
meife  Scibnij  unb  SBoIff  3U  perbanfen;  unb  mir  loerben  finben,  ha^  er  mit 
biefen  ^f)i(ofop{)en  in  ben  meiften  pou  ben  fünften,  auf  bie  er  felbft  SBertl) 
legt,  übereinfttmmt.  Stber  noc^  por  ifmen  f)atte  er  Sode  unb  ©f)afte§burt; 
fennen  gelernt,  unb  pon  ifincn  einen  nad;^altigen  ©influ^  erfal^ren. 
Gr  felbft  nennt  (I,  128)  Sode,  Sßolff  unb  Seibnij  üI§>  biejenigcn,  bereu 
©d^riften  x^n  auf  ben  fidleren  SBeg  jur  magren  Söettmei^^eit  geleitet 
t)aben.  ©pridjt  fid;  aber  fd^on  in  biefer  unbefangenen  ^ufammenftetlung 
ron  Sode  unb  Seibnij  ber  ©tanbpunft  ber  fpäteren  Slufflärung  au^, 
fo  tritt  berfelbe  nod^  ftärfer  in  jenem  3w'^üdgel)en  auf  ben  gefunben 


1)  jjilr  bie  Äenntniß  üon  SDJeubelSfofin'S  pI)iIofopf}ifc^en  ^ufic^teu  fümmcn  t)au)p[^ 
jäc^üc^  bie  öc^riften  in  33etcac^t,  rcelc^e  in  ben  jroei  cvftcn  Öänben  feiner  gefamiiiel« 
ten  SBerfe  (Scipjig  1843  f.)  enthalten  fiub. 


2)cr  qefiinbe  TOenjcijenüerftanb.  275 

2Renf(^enoerftanb  ^erüor,  in  meinem  fid;  33tenbeI§io[jn  clicnfo  bei*  beut- 
fd^en  ^opu(arpf)iIo[op!)ie,  raie  ber  fd;otti[d;en  Schule  unb  Siouncau  0:1-' 
fd^üe^t.  ©r  unterfc^eibet  nämlic^  3raar  ^unadjft  (II,  259  f.  270  f.) 
mit  Socfe  eine  breifad^e  2Irt  be3  ßrfennen^:  1)  bie  anfc^auenbe  ober 
finnlid^e  ©rfenntni^,  ba§  nnmittelbare  ^erouBtfein  ber  SSeränberungen, 
bie  in  unferer  6eele  üorge{)en,  bie  innere  Gmpfinbnng;  2)  bie  bemon= 
ftrotioe  ober  SSernnnfterfenntniB,  bie  ©ebanfen,  in  weld^e  rair  jene  ©e^ 
fnf)(e  Quflöfen;  3)  bie  GrfenntniB  be§  2öirfad;en  an^er  un§.  ©r  he- 
fiauptet  ferner  mit  bemfelkn,  bie  anfd^ouenbe  ©rfenntni^  fei  immer 
TOQl)r,  benn  wenn  mir  etwa'-  empfinben,  (äffe  fid;  ni^t  be^meifcln,  ha^ 
biefe  ©mpfinbung  mirfüd;  in  un§  fei.  @r  fagt  anc^,  wa§  nad;  bei 
Siegeln  bc§  ©enfbaren,  nad;  bem  6a^e  be§  2öiberfpru($»,  au§  ber  nn= 
mittelbdren,  anfd;onenben  ©rfenntni^  folge,  fei  ebenfo,  rcie  biefe,  über 
alle  3i^ß'fß^  erliaben;  erft  bei  ber  Stnioenbung  unferer  S^enlgefel^e  unb 
bei  ben  <Sd;[üffen  üon  unferen  ©mpfinbungen  auf  bie  ©egcnftänbe  au^cr 
iin§  entftel)cn  ^rrtl)ümer.  Slber  biefclbe  ©eioi^^eit,  TOe(d;e  ber  nnmittcl^ 
baren  finnlidjen  ßmpfinbung  jufommt,  foK  fic^  aud^  auf  bag  ©ebiet 
ber  (Sc()ön^ett  unb  ber  fittlidjen  ßmpfinbungen  erftreden,  fo  ba^  bemiicd^ 
ber  ©efd^mad  Ijier  „eine  Slrt  uon  Unfel)l6arfeit  ^abe",  unb  auf  biefelBe 
©oibenj,  wie  bie  regelrechten  33eraeife,  foU  auc^  ber  gefunbc  33ccnfd;en= 
»erftanb  STnfprud;  machen  fönnen.  S)er  gefunbe  3)ienfd;cnüerftanb  unb 
bie  3Sernunft  finb,  mie  unfer  ^^itofopl;  au^einanberfe^t  (II,  265.  283. 
315),  eine  unb  biefelbe  ßrfenntniBlraft,  welche  je  nad;  ber  Slvt,  roie  fie 
fid^  äußert,  bie  eine  ober  bie  anbere  ©eftalt  annimmt.  Senfeiben  2öeg, 
TOeI(^en  bie  SSernunft  (Sd;ritt  für  Sd^ritt  gurüdCegt,  burd;eilt  ber  gefunbe 
2)ienfd;enüerftanb  im  ginge;  baSfelbe,  voa§>  beim  S)enfen  mit  SSerou^t^ 
fein  burd^  bie  SSernunft  gef(^iel)t,  gef)t  beim  ©mpfinben  in  ber  finnli(^en 
©rfenntni^  üor,  meldte  felbft  jebod^  gewiffe  unbemuBte  Operationen  ber 
5iernunft  rorauSfe^t.  2Bäl)renb  nun  aber  jeber  rid^tige  3Bo(ffianer  f)ierau§ 
gefd^Ioffen  l)ätte,  baB  un§  bie  33ernunft  um  fo  üiel  fid;erer  leiten  muffe, 
at§  ber  gefunbe  3JJenfdE)ent)erftanb ,  um  loieüiet  ba§  beutli(^e  ©rfenncn 
üoHfommener  ift,  al§  ba§  t^erroorrene,  befiauptet  3)lenbe(§fof)n  umgefelirt, 
beibe  !önncn  groar  auf  Slbmege  geratlien,  ftraud^eln  unb  fallen,  aber 
60  werbe  bie§  im  allgemeinen  ber  SSernunft  leidster  begegnen,  unb  fie 
TOerbe  fid^  fc^roerer  loieber  aufrid;ten.  @r  »erlangt  ba^er,  ba^  fie  fid^ 
fortroäfircnb  an  bem  gemeinen  3Jlenfd^ent)erftonb  orientire:  raeun  fie  gu 
TOeit  {;iuter  il)m  jurüdbleibe  ober  von  if)m  abfd^roeife,  merbe  ber  SBeIt= 

18* 


276  SRcnbclsfo^n. 

roeife  feiner  9?ernunft  nic^t  trauen,  unb  wenn  e§  if)m  nic^t  gelinge,  fte 
in  bie  Betretene  Safin  änrücf^ufüfiren  unb  ben  gefnnben  9J?en[(^enüer= 
ftanb  5U  errei($en,  werbe  er  itir  @till[djwctgen  auferlegen,  ^a  er  fann 
t§>  fid^  fo  wenig  benfen,  baf3  fid^  jemanb  wirflid;  au§  Ueberjeugung 
mit  bem  gefnnben  9Jtenf(^enuerftanb  in  SBiberfprni^  fe^en  foHte,  baB  er 
ki  %f)COxmn,  wcldje  bieB  gu  t^un  fd^cinen,  wie  ber  ;3^ealifmu§,  ber 
©pinojifniug,  ber  ©fcpticifmuS,  liekr  glauben  will,  e§>  fei  if)ren  Vix= 
l;.{iern  mit  biefen  Ungereimtl;eiten  gar  nid;t  ernft  gewefen,  fonbern  fie 
haben  btoS  bie  S3ernunft  auf  bic  ^robe  fc^en  unb  üerfucf)en  wollen,  ob 
fie  mit  bem  gefunben  9J!enfcfjenüeiftanbe  gleichen  ©djritt  fialte.  @r  be= 
l;auptet  jwar  in  jener  2lbl)anblung  vom  3af)re  1768,  welche  bie  SBer^ 
liner  3lfabemie  gefrönt  Ifiot,  wäfirenb  üant  ba§  2rcceffit  erfiielt  (II,  3  ff.) : 
bie  metap^ijfifdjeii  21>af)vf)citen  feien  berfelben  ©ewi§(jeit  (wenn  aud) 
nidjt  berfelben  j^a^lid^feit)  fäljig,  wie  bie  geometrifdjen,  unb  er  fuc^t 
bicB  namentlich  an  ben  ©runbfäljcn  ber  natürlichen  5£l)eoIogie  unb  ber 
3}torat  nadjjuweifen.  2lbfr  fdjUcJBlid;  'i)at  er  boc^  ein  ju  geringe^  3Ser= 
trauen  gu  unferer  Xenffiaft,  um  fid^  bei  llnterfudjungen,  wel($e  über 
hk  aUgemeinften  ©ruubfäl^e  unb  bie  unerlä§lid;ften  Ueber^eugungen 
ljinau;§gcl)en,  auf  mefir,  al§  auf  eine  größere  ober  geringere  9ßaf)r= 
f($einlid;fcit . Hoffnung  gu  mad;en^);  unb  anbererfeit§  ift  feine  wiffcnfd^aft^ 
lidje  UeberöCugung  fo  abljängig  oon  feinem  pra!tifd;en  SebürfniB,  er 
ift  fo  geneigt,  ba§  für  wa^r  ju  Ijaltcn,  beffen  Sßalirl^eit  feinem  ^er^en 
wofittljut,  ba§  er  (II,  149)  felbft  fagt:  alle§,  wa§  bem  gefammtcn 
mcni'djlic^en  @cfdjled;te  wirflid;en  Stroft  unb  S^ortlieil  bringen  würbe, 
wenn  e-?  walir  wäre,  l^abe  fc^on  be§wegen  fe{)r  üiel  SBafirfdjeinlidjfeit 
für  fidj,  ba§  c§>  waf)r  fei.  3ßer  üon  bicfer  lleber^eugung  au§gcl)t,  von 
bem  läfu  fid;  nid^t  erwarten,,  ba§  er  ©rünbe  unb  ©egcngrünbe  mit 
gleid;em  ©croid^t  abwägen,  ba^  er  f^^ragen,  weld)e  auf  bie  ©lüdfeligfeit 
bei  5Dienfdjcn  SinfluB  Ijaben,  nur  nad^  wiffenfd;aftlidjen  ©efid^t^punften 
cntfd;ciben  werbe. 

(Si^on  ijkxnaä)  lä^t  fid;  nun  uermut^en,  aud;  SJienbelSfol^n'S  p^ilo-- 
fopf)ifdje§  3^^t6^effe  werbe  nur  einem  ^fieile  ber  (?kgcuftänbe  jugewanbt 
fein,  mit  bcnen  bie  fyftematifd;e  ^liilofopljie  fic^  befc^äftigt  f)atte;  unb 
gerabe  in  biefer  33efd;ränhing  geigt  er  ftd;  al§  ber  äd)te  ©oljn  ber  5Iuf- 


1)  Sic   X^corie    ber   SBa(}rfdieintirf)fcit   tiat   er    tu   einer    eigenen   5(bf)anbhing 
(I,  349  ff.,  üjf.  II,  253  f.)  erörtert. 


$ra!tiid^c§  ^ntercffe.     ^i^c^ologie.  277 

fiärungSperiobe.  S)ie  ^f)i(o[opr;ie  foll  fic^,  wie  er  gtautt  (3.  S.  II,  72), 
iiberljaupt  mit  n\ä)t§>  obgcben,  raa§  nic^t  auf  bie  ©(üdfeligfeit  bc§ 
3)tenfrfjen  Se^ieljung  f)at;  bev  5pf)i(o[opf)  nad;  feinem  .§er5en  ift  OofratcS, 
fo  wie  jene  Qdt  i^n  fid;  rorftettte,  bcr  ^ugeubfielb,  ber  3JtoraIprebii]cr, 
ber  Seigrer  einer  reinen  58crnunftreIigion,  ba§  Dpfer  ber  cereinigtcn 
Sfrglift  von  f)errfdjin($tigen  ^rieftern  unb  ktrügerifdjen  ©op{)iften;  ein 
©ofrateg,  n)eld;er  bem  ßf)riftn§  ber  STuffiärung  fo  äfiniid;  fielet,  ba^ 
mon  raeber  in  jenem  ben  2ltf)ener,  nod;  in  biefem  ben  ©alüäcr,  fonbern 
in  Reiben  nnr  ba§  fittUd;  =  rengiöfe  ^beol  be§  beutfd;en  5Rationa(ifmnv 
ernennen  fann. 

Sie  erfte  groge  ift  bemnad;  für  3}^enbeI§fo^tt  bie,  ron  welchen  ^e-- 
bingungen  bie  menfc^üc^e  ©(üdfcügfeit  abf)ängt.  ^nv  S3contiüortung 
biefer  grage  bebarf  e§  nun  cor  allem  einer  genauen  J^enntniB  ber 
menfdjlid;en  Dftatur.  2(ud;  nnfer  ^I;iIofüpI;  finbet  ba^er  eine  feiner 
()auptfäd;lid;ften  3Iufgaben  in  ber  pfr)c^o[ogifd;en  Seobad;tung  nnb  in 
bcr  auf  fie  gegrünbeten  33eftimmnng  ber  moralifdjen  ©efe^e;  unb  er 
fa^t  !)icbei,  nad;  bem  SSorgang  eine§  ©ul5er,  gerabe  hü§>  (Sebiet  mit 
Vorliebe  m'§>  Singe,  meldte»  SBoIff'io  logifd;ent  S.^erftanbe  weniger  gu^ 
gänglid;  geraefen  mar,  me(d;c:§  aber  für  bie  fpätere  Slufflärung  (roie 
fc^on  @.  251  bemerft  mürbe)  t()eil§  bnrd;  feinen  @infln§  auf  unfer 
pra!tifd)e§  S^crljalten,  tf;eit§  burd^  ben  großen  Spielraum,  ben  e§  bcr 
inbioibuellen  ®igcntl)ümlidjfeit  läfst,  einen  befonberen  SBert^  Ijabcn  mn§te, 
ba0  @ebiet  ber  ©mpfinbungen.  ®r  bemeift  (II,  207  ff.)  gegen  b'2llem= 
bert  bie  tlnförperli($l"eit  unb  ©infadjfieit  ber  ©ecle  nid;t  oljue  @efd;icf 
au§  ber  ©inljeit  ber  3Sorfte(Iung ;  über  bie  grage  aber,  mie  ein  förper= 
lic^e§  unb  ein  unförpertid;e5  SBcfeu  auf  einanber  einen  ©influB  ausüben 
lonnen,  bernl)igt  er  fic^  mit  ber  Slntroort:  „bie§  mei^  id;  nid;t;  aber 
fann  ber  3Jlaterialift  beffer  begreifen,  mie  Wiatexk  auf  3J?aterie  mirfen 
fann?"  ^cmn  ©influ^  felbft  mill  er  nid;t  beftreiten,  unb  er  entfernt 
fid)  infofern  uon  bem  leibni^ifdjcu  ©ijftem  ber  präftabilirten  Harmonie; 
bod;  geigt  fid;  eine  9(ad;rairfung  beSfelben  in  bem  ©alje  (I,  146),  ba§ 
bie  «Seele  bie  S^oUfommenlieit  il)vc§  Körpers  aU  „^ufc^auerin"  gemai^r 
roerbe;  erft  fpöter  (I,  246)  fügt  er  bei,  ond^  fie  felbft  toerbe  baburd^ 
bewegt  unb  in  einen  befferen  ^i^N^^''  üerfe|t.  S)a§  2Befen  ber  Seele 
finbet  er  mit  Seibnig  in  ber  SSorfteHung^fraft,  nnb  bal;er  il)re  $ßoII= 
fommenlieit  in  bem  ©rabe  biefer  ^raft.  ^ebe  ^orftellung  einer  58ü11= 
fommcn^eit  erzeugt  aber  eine  angenelime  ©mpfinbung,  nnb   jebe  ange= 


278  2)?cni)cIgfo^n. 

nel^me  ©mpfinbung  grünbet  ftcC;  auf  bie  ^ßorfteüung  einer  33ollfonimeuljeit: 
ha^  fimilid^e  SL^ergnügen  auf  bie  bun!(e  SSorfteHung  einer  förperlid^en, 
ba§  geiftige  auf  bie  beutti($e  SSorfteHung  irgenb  einer  33oE!ommen{)eit. 
2lu(^  ber  ^d^  be§  (Ed^önen  6eruf)t  (wie  fdjon  58aumgarten  uub  <Sut3er 
gelehrt  l^atten)  lebiglicf;  barauf,  baB  e§  un0  in  eingefd;rän!tcr,  finnüdjer 
^orm  eine  SSoHfommen^eit ,  eine  UeBereinftimmung  be§  9)Zannigfaltigen 
gur  3rn[d;auung  bringt.  Hmgefefirt  grünbet  fii|  jebe  uuangcnefime  ©m= 
pfinbung  auf  bie  3SorfteIIung  einer  IXnooItfommen^eit ;  boc^  raill  3Jienbelg= 
fo6n,  lücnigftcnl  in  hen  „3Jiorgenftunben''  (II,  194  f.),  bie  ©mpfinbung 
nic^t  unmittelbar  an  fid^  felbft  für  eine  SSorfteHung  erfiären,  fonbern 
er  unterfdjeibet  f)ier  mit  %eknä^)  von  hcm  GrfenntniB=  unb  Segef)rung§- 
Dcrmögen  ba^jenige  S5ermögen,  beffen  SBirfung  bag  2öo{)(gefaIIen  unb 
3JiiBfaf(en  ift,  ba§  ,,58i[(igung§üermögen".  S)ag  ©treben  nac^  SSoII= 
!ommcnf;eit  ift  ba^er  ber  ©runbtrieb  ber  menfi^lic^en  9^atur,  berjenige 
S;rieb,  in  bem  alle  unfere  Steigungen  unb  33egierben  sufammenlaufen. 
9^un  fann  e§  allerbing§  gefdje^en,  ba§  rair  eine  blo^  fdjeinbare  ^soU^ 
fommenf)eit  mit  einer  luirftid^en  reriuec^fern ,  bie  geringere  auf  .Soften 
ber  pfiercn  wählen,  gegen  bie  angenefime  ©mpfinbuug  bc§  Slugenblicf» 
bleibenbe  Hebet  eintaufd^en.  ©elbft  wenn  unfere  S^ernunft  beutlic^  ein- 
fielt, raaS  äu  unfercr  SsoUfommcntieit  bient,  laffcn  wir  uu§  ni($t  fetten 
buvd^  ücrnunftiüibrige  5iriebfcbern  beftimmen,  meit  bie  3Sirffam!eit 
unferer  SsorftcIIungcn  nid;t  b(o5  dou  ifirer  Seutlid^fcit  unb  25?at)rf)eit, 
fonbern  aud;  von  ber  ©rö^e  ber  SSoHfommentjeit,  bereu  SInfdjauuug  fie 
un^3  üerfdjaffen,  unb  von  ber  ©efdjroiubigfeit  abl)ängt,  mit  ber  fie  nnS> 
biefelbe  ucrfdjaffcn;  fo  baB  bemnad^  eine  SSorfteHung  minber  beutlici^, 
gcn)i§  unb  wa^v  fein,  unb  bennod;  auf  ba§  93cget)rung§üermögen  ftärfcr 
muten  fann,  falls  fie  nämlid;  cntweber  eine  grij^crc  Quantität  ber  '^oU- 
fommen^eit  gum  ©cgenftaub  f)tit,  ober  biefe  ^Bollfouimculjeit  gefdjioinber 
überbackt  werben  fann-).  Ebenbal)er  rüfjrt  bie  aufjcrorbcntlid;  grof^e 
moralifdie  2öiifung  ber  J^unft'"^);  unb  auf  bem  gleidjen  llmftanb  bcrul;t 
bie  Wlad)t  ber  ©craöljnimg:  burd;  bie  öftere  2ßicberf)orung  einer  Stptig-- 
feit  lernen  mir  olle  bie  S>orftelIungen,  bie  gu  if)r  nötliig  finb,  in  unge-- 


1)  2)ie  iD^orgenfiunben  et[{f)iencn  1785,  S^ctenS'  9?eriuc^e  1777. 

2)  2(cf}nli(f)  guljer;  )sc\l  @.  255. 

.3)  t^cine  äftl/Ctifc^cn  2(ufid;ten,  in  benen  er  \iä)  ^nmd)]i  an  ®ut3er  unb  53aiim= 
ijarten  an[.l}lic{jt,  cntwidclt  M.  I^auptfäd^lid)  in  ber  Slbljaiiblmig  „über  bie  .fjoupt« 
grunbia'fje  ber  fc^önen  Äünfte  unb  SBiffenfc^aften"  2B.  SB.  I,  ','79  ff. 


2ÄoraI.    S)a[etn  ®ottc3.  279 

mein  rafc^er  Slufeinonberfolge  üori5ief)en.  Slber  ber  (Sq§,  baB  bie  Sott= 
!ommenf)eit  ba§  l^öd^fte  ©ut,  bos  61reBen  tiad^  3SoIIfommeni)eit  unfer 
©runbtrieb  fei,  wirb  burd^  biefe  2£>Ql)rnef)tnuTtgen  nic^t  erfd^üttert. 

SBa§  aber  ber  ©runbtrieb  unferev  DIatur  ift,  ba§  ift  qu(^  baS 
flöc^fte  @efe|  für  imferen  Söitlen;  unb  ba  fi(^  !ein  benfenbeS  Söefen 
ron  feiner  S^erbinbung  mit  ben  übrigen  losreißen  fann,  ba  Siugenb, 
©ered^tigfeit,  SRenfdjenliebe  feine  feligfte  ^oflfommenf)eit  finb,  fo  um- 
faßt biefe§  @efe§  frembe  ^wftänbe  ebcnfogut,  raie  unfere  eigenen,  ^ebeö 
freie  SBefen  ift  werbunben,  fo  üiel  5ßoIIfommen§eit,  <Bd)örü)e\t  unb  Drb= 
nung  in  ber  SBeft  iierüor^nbringen ,  ai§>  it)m  möglid^  ift.  ^a§  allge= 
meinfte  S^oturgefe^,  ba§  ()öd)fte  3JJora(princip  ift  in  bem  ®a§  au§ge= 
fprorfien:  „9Jlad^e  beinen  unb  beine§  9'iäc^ften  innern  unb  äußern  Qn=^ 
ftanb,  in  get)öriger  Proportion,  fo  üoUfommen,  aU  bu  fannft"^). 

^m  S^ergieid^  mit  biefen  moralif(^  =  pfr)d;oIogifd^en  (Erörterungen 
l)at  bie  3^aturbctrad;tung  für  a)lenbeUfof)n  ein  fet)r  untergeorbnete^  ^n- 
tereffe.  G§  liegt  it)m  allerbing§  üicl  baran,  gegen  ben  ^bealifmu§  bie 
9iea(ität  ber  Stuf^enweit  ju  erraeifen.  (£r  beruft  fid)  bafür  f)auptfäd;U(^ 
auf  bie  Uebereinftimmung  ber  oerfdjiebenen  ©inne  unb  ber  oerfdjiebenen 
33tenf(^en,  auc^  ber  ^IReufi^en  unb  2:f)iere  (II,  245  f.  287  f.),  oi)ne  bafj 
er  bod)  ben  ©egeuftanb  fd;ärfer  anfaf3te  ober  \iä)  huxd)  benfelben  ju 
tiefergel;enben  gorfc^ungen  ueranlaf3t  fänbe.  SBeiter  get)t  aber  feine 
93ef(^äftigung  mit  ber  Diatur  nid;t;  audj  auf  jene  teleologifdjen  S3etrad;= 
tungen,  in  bencn  fid;  bie  2lufflärung  fonft  gu  ergetjen  liebt,  ift  er  nid)t 
eingetreten. 

^id  größer  ift  ber  SBertf),  roeldjen  er  ben  Unter fu (jungen  au§  bem 
©ebiete  ber  natürlidien  2:f)eologie  beilegt.  Seine  roarmc  unb  aufrid)tige 
grömmigfeit  mad^t  e§  it)m  gum  53ebürfniB,  fic^  ron  ben  ©rünben  be§ 
©tauben^  an  eine  ©ott^eit  unb  an  eine  gött(id)e  SöeÜregicrung  'Sicä)zn' 
fd)aft  5U  geben;  unb  ehcn  biefeS  erfc^cint  it)m  auc^  für  bie  @lüc!fe[ig= 
feit  be§  9Jtenfd)en  unerläfeiid;,  meldte  un§  nur  in  biefem  ©tauben  ge= 
fid)ert  ift.  i^on  53afebon)'§  „®(auben6pflid)t"  jebod;  roitt  er  nid^t^  t)ören ; 
fo  gro§  t)iehnel)r  and;  für  it)n  bie  praftifdie  ^ebeutung  ber  9ic(igion  ift, 
fo  ift  bcd;   fein  Sevfiaiib   5U  nüdjteru   unb   [ein  2Ba[)rl)cit§bebürfuiB  ju 


1)  5K.  togl.  p  bem  obigen  befonberS  bie  Sd)xx\t  über  bie  (Smpfinbungeu  (1755), 
bie  9flt)apfobte  über  bie  empfinbungen,  SS?.  533.  I,  107  ff.  235  ff.  unb  ben  bierteu  'üb' 
fc^nitt  ber  Stb^anblung  über  bie  ©üibenj  ber  metapl^ijfijc^en  SBiffeufd^aften  II,  50  ff. 


OSO  2JJcnbeI§fo]^n. 

ernft,  al§  ba^  er  bie  ©ntfdjeibuug  über  wai)X  unb  falfd;  t)on  etiDQ§ 
anberem,  aU  von  graingenben  33eraeifen,  abiiöitcjig  machen  möchte,  ©traaä 
raei'entlici;  ncueS  ^at  er  aber  auf  bie[em  ©ebiete  nidjt  gegeben;  feine 
Sljeologie  bewegt  \iä)  t)ie(mef)r  burd;aii5  auf  bem  3ß}ege,  ben  it)r  Seibnij 
uub  2SoIff  gezeigt  f)aben. 

®ie  erfte  unb  widjtigfte  ?3^rage  ift  für  tf)n  bie  nad;  bem  S)afein 
@ottei3.  @r  ift  über5eugt,  ha^  bie  natürlid^e  5li)eoIogie  ber  gleichen 
6id)erl;eit  fä{)ig  fei,  raie  bie  3Jiatf)cmatif ,  ja  ba^  fie  fogar  no(^  niefir 
leiften  tonne,  at§  biefe,  inbem  fie  nid;t  allein  bie  ©igcnfi^aften,  fonbern 
auc^  bie  2Bir!üd)feit  i{)re§  @egeuftaube§  erroeife.  liefen  58eraei§  tann 
fie  nun,  lüie  SDienbelSfofin  geigt,  auf  groei  SSegen  führen,  benfelben, 
lueldiein  ber  wolffifd^en  ©c^ule  fc^on  längft  unter  bciii  ?'?amcn  beö  ontoIogi= 
fd^en  unb  beg  fofmologifdjen  ^eiüeifcS  befannt  waic:i.  S)en  legieren  f)at 
er  of)ue  bemerten§it)erlt)e  ßigentt)üiund^feit  bargefteHt;  bem  erfteren  fud;t 
er  baburdj  eine  größere  'g^eftigfeit  gu  geben,  ba^  er  (roie  fd)on  Seibnig 
»erlangt  l)atte)  guerft  bie  33iöglid;feit  eine§  alleruoHfommenften  Sßefeni, 
b.  1^.  bie  Sß}iberfprud;£^loftg!eit  feincS  8egriffel  bartf)ut,  um  fobann  au§ 
biefem  S3egriffe  feine  SSirftic^f'eit  mittelft  be§  ©a^e§  gu  erfdjlic^cn: 
wenn  ba§  üoKfontmenfte  2öefcn  nid;t  wäre,  mü^te  e§>  entweber  uninöglidj, 
ober  blo§  möglii^,  b.  f).  gufäflig,  unb  fomit  in  feinem  S)a)ein  r)ün  an= 
bercm  abhängig  fein;  eine  fold;e  2Ibl)ängigfeit  mürbe  aber  bem  Segriff 
be5  pollfommcnften  SBefenl  miberfpred^en,  fie  fei  mithin  unbenfbar; 
raenn  e§  baJ)er  nid;t  unmöglid;  fei,  eyiftire  e§>  notf)menbig.  S)er  ©runb^ 
fef)ler  hc§>  ontologifc^en  53emeife§,  ba^  er  bo§  S)afein  ©otteä  au§  einem 
t)orau§gefe^tcn  53egriff  über  bie  ©ott^eit  erfd^tie^t,  roa^irenb  bie  2tufgabe 
ü'elmel)r  gcrabe  bie  luäre,  bie  2Sal;rf)eit  biefer  ^orauäfe^ung,  bie  Stealitöt 
beg  ®otte§begriff»  gu  ermeifen,  wirb  natürlich  aud^  burd;  biefe  äBenbung 
nidjt  gehoben;  unb  wenn  ber  ^f)i(üfopl)  bie  3}töglid;feit  be§  aUerooH^ 
fommenften  BefcnS  mit  ber  S3emeifung  gefidjert  gu  'i)abm  glaubt,  nur 
^fjaljungen  imb  ^krncinungen  iüiberfpred;en  fid^,  werben  batier  von 
einem  Jßefen  alle  9lealitäten  bejaht,  alle  SSerneinnngen  entfernt,  fo  fönnc 
in  feinem  S3egriff  fein  aöiberfpruc^  liegen,  fo  l)at  er  fid^  bie  <Büä)e  oiel 
5u  leidjt  gemad;t:  el  fragt  fid;  ehcn,  ob  ade  benfbaren  Dtealitäten  in 
einem  unb  bemfclbcn  ©ubjctt  äufammenbefteljcn  fönnen,  unb  biefe  ^^rage 
t)at  3Jienbcl§iof)n  gar  nid;t  unter )ud;t.  !^n  bem  ontologif d;en  unb  fofmo- 
togifd)en  5öewei§  fügt  er  in  ber  ^olge  and;  nod^  einen  britten  liingu, 
weld)er  üon  bem   bcftreitbaren  Sa|3C   au5gef)t,   bafs  allc3  2ßirllid;e  oon 


%f)to\DQ\t,  Sfieobicce.  281 

trgenb  einem  benfenben  SBefen  at§  luirflid^  gebac^t  werben  niüffe,  unb 
barau§  benn  freilid^  of)ne  gro^e  SOiü^e  ba§  S}ai'ein  eine»  unenbad;en 
2>erftanbe§  ableitet.  2Iu(j^  bem  teleologifc^en  2lrgunient  tuill  er  aber 
feinen  SBertt)  nid;t  abfprec^en;  er  giebt  fetbft  5U,  ba§  e§  einen  größeren 
Ginbrud  auf  ba^  ©emütJ)  mac^e  unb  praftifd^  frud;tbarer  fei,  al§  bie 
anbern;  aber  für  eine  ftreng  n)iffenfd;aft(ic^e  Seraei^fü^rung  finbet  er 
c§>  unjurcid^enb  ^). 

Stn  fieibnij  fd;lie§t  fi(^  3}lenbel§fof)n  aud;  in  ber  S;^eobicee 
(II,  411  ff.)  an.  5Rur  graei  Slbroeic^ungen  t)on  it)m  finbet  er  nött)ig. 
Söenn  fid;  2dhnl^  über  bie  Ungleichheit  ber  men)(^(i(^eu  ©c^idfale  burc^ 
ben  .^inblid  auf'l  ^enfeitl  beruf)igte  unb  in  ben  Hebeln  feibft  eine 
not^roenbige  58cbingung  ber  biesfeitigen  unb  jenfeittgen  ©(üdfeligfeit  er= 
!annte,  fo  fielet  3)tenbe(»fo§n  t)ierin  nur  ba§  „populäre  ©i;ftcni",  unb  er 
»erlangt,  baB  bamit  bie  f)öi)ere  6itten(e§re  be§  2Beifcn,  bie  ftoifdje  Seigre 
^jerbunben  werbe,  nad;  roeidjer  ba»  @ute  nidjt  bloä  ©lüdfeligfeit  befi)rbcre, 
füubern  an  unb  für  fic^  ©(üdfetigfeit  fei;  unb  fobann  üerroirft  er  ba» 
Togma  Don  einer  eroigen  5]erbanimni§  ber  ©ott(ofen,  burd;  beffcn  2lner= 
fennung  fieibni^  feiner  3:t)eobice  bie  ®ef)nen  felbft  unterbunben  l;atte 
(ügl.  <B.  142),  mit  aller  ber  ßntfd;iebenl)eit,  mit  roelt^er  bie  2lufflärung 
überliaupt  biefer  roiberfinntgen  unb  ha^  menfd;lid;e  ©efü^l  empörenbcn 
9)teinung  entgegengetreten  ift.  :3nbeffen  fe^t  fic^  3)tenbel0|o§n  nur  in 
biefer  le^teren  Se^ie^ung  mit  Seibnij  roirtlic^  in  ©egenfa|.  SDa^  bie 
©lüdfeligfeit  nid;t  blo3  bie  $8elol)nung  ber  S^ugenb,  fonbern  unmittelbar 
an  fid;  felbft  ba§  ©efü^l  ber  gciftigen  unb  fittli(^en  3So(Ifommenl)eit  fei^ 
tjat  auc^  Seibniä  mit  aller  58eftimmtl)eit  au§gefpro($en  (ugl.  ©.  121.  123) ; 
unb  anbererfeiti  bel^auptet  5IRenbel§fol^n  roieberljolt :  ol^ne  bie  ©rraartung 
einer  unenbli(|en  B^fw^f^  fi^^'^ß  ^i-''^  ©xjftem  ber  ©ittenlelire  ftatt,  oljnc 
biefe  ©rroartung  laffe  bie  SSorfel)ung  fid;  nid^t  retten ;  wenn  bem  33teuf($en 
hk  Hoffnung  auf  IXnfterblic^feit  geraubt  mürbe,  wäre  er  ha§>  elenbefte 
Xliier  auf  ©rben,  e§  bliebe  il)m  uid;t»  übrig,  al§  in  53etäubung  bal)in= 
juleben  ober  gu  üergroeifeln;  roenn  unfer  @eift  üergäuglid;  fei,  l)aben 
bie  raeifeften  ©efe^geber  un§  ober  fic^  felbft  betrogen,  ha^  gefammte 
menfd^lid^e  @ef(^led;t  l^abe  fic^  gleid;fam  üerabrebet,  eine  Uuma^rl;cit  gu 
t;egen,  unb  ein  (Staat  freier,  benfenber  SBefen  fei  nid;t§  mef)r,  aU  eine 


1)  SB.  20.  II,  32  ff.  301  ff.  373  ff.,  ögl.  »aS  ®.  12.5  f.  über  ?ei6nia,  @.  204  f. 
übet  SBoIff  mitget^eilt  ift. 


282  9KenbeI5fo^n. 

^eerbe  permmfttofcn  SSiefieS  ^).  3Jiit  fotc^en  Sleu^erungen  im  3Jiuube 
f)atte  er  in  ber  2:f)at  fein  ^i^ä)t,  \iä)  über  Seilmij'  S;^eobicee  nnb  if)r 
populäres  Softem  3u  erf)eben. 

3Kit  bicfer  leibnijift^en  Xf)eoIogie  fonnte  nun  9)ZenbeI§foI)n  felbft: 
uerftänblid^  fein  ^reunb  be§  ©pinojifmuS  fein,  wie  entfd^ieben  er  auä) 
©pinoja'S  roiffcnfc^aftlidje  ©rö^e  unb  Sf)arafter  anerfannte.  ©in  ©xjftem, 
raetf^e»  bie  ©ubftantialität  ber  ©in5eln)e[en  aufhob,  raeld^eS  ber  @ottf)eit 
5ßerftanb  unb  SBiUcn  abfprad;,  raelc^eS  jebe  ^'^^cf^^ä^^^w^Ö  ^^^  "^^^ 
?latur  unb  bem  göttlidjen  Sßirfen  au^fd^Io^  —  ein  foId^eS  ©pftem 
fonnte  if)m  nur  ebenfo  rerfefirt  als  oerberblid^  erfc^einen.  ®S  ^ätte  if)m 
baf)er  ni(^tS  [djmer^lidjereS  begegnen  fönncn,  als  jene  ©ntbedung,  bie 
l^acobi  gemad;t  fiaben  woHte  unb  mit  gubringlidjer  ©efc^äftigfeit  vcx- 
breitete,  ba^  Se[fing  in  feinen  legten  SebenSja^ren  ©pino^ift  gewefen  fei. 
S)er  «Streit,  in  ben  er  barüber  mit  i^acobi  geriet^,  f)at  mittelbar  unb 
unmittelbar  §ur  SSerfür3ung  feines  SebenS  beigetragen.  @r  f)atte  aber 
freilid^  and;  in  biefem  Streit  einen  fd;n3eren  ©taub;  nid;t  bloS  raeil  er 
eS  als  alternber  fränfUdjer  3J?aun  mit  einem  jüngeren  unb  rüftigeren 
©egner  3U  tljun  fiatte,  fonbcrn  üor  allem,  rceil  ilim  biefer  ©egner  an 
SSertraut^eit  mit  ben  ©(^riften  unb  ßinfic^t  in  bie  Senfraeife  ©pino^a'S 
nnoerfennbar  überlegen  mar.  SJJenbelSfolm  fann  fid;  nie  üon  ber  S5or= 
ftellung  loSmad)en,  als  ob  ©pino^a  ben  Inbegriff  aller  ©injelbinge  gur 
©ottljeit,  baS  tlnenbli(^e  3U  einer  eytenfiuen  ©röfee  mad^e;  unb  anberer=: 
feitS  f)at  er  felbft  in  bem  SeterminifmuS,  gu  bem  er  fi(^  mit  Seibnij  be= 
fennt,  ein  ßlement  in  fidj,  baS  einen  fdjärfercn  Genfer  aHerbingS  (wie 
fc^on  ©.  143  f.  gejeigt  mürbe)  gum  ©pinojifmuS,  ober  bod^  in  feine 
9^ad)barfdjaft,  führen  fonnte.  Gr  raei^  fid^  aud^  roirflid^  biefer  Goufequenä 
nic^t  ganj  §n  entjielien;  gegen  einen  „geläuterten  ^antfieifmuS"  f)at  er 
im  ©runbe  nidjt  üiet  einjumenben.  ©iel)t  man  aber  freilid^  näf)er  3U, 
fo  fül^rt  fid;  biefer  geläuterte  ^antlieifmuS  auf  bie  Sel)auptung  gurücf, 
baB  alles,  als  SSorftcUnng  ©otteS,  in  @ott  fei;  bamit  foll  aber  meber 
ber  9^ealität  ber  J^örpermelt ,  no(^  bem  abgcfonberten  ©elbftbemuBtfein 
beS  2Jlenfc^en,  nod;  feiner  cnblofen  gortbancr,  nod^  bem  leibni3ifd)cn 
©a^e  gu  na^e  getreten  werben,  bafe  bie  enbtid;en  ©inge,  an  fid;  felbft 
SufäHig,  aus  3lüdfid;ten  ber  ©üte  unb  3^cdmäBigfeit  von  ©ott  l)erüor= 


1)  3f.  a.  D.    ®.  429  f.  unb  fc^on  frü[)cr   im   %^\^äto ,   2?.  2ß.  11,  140  f.  HG. 
^erufalem,  70.  S.  SB.  Of.  ÜtuSg.  V,  61. 


Ufber  ^^ant^eifmu«.    UnPerbUd^leit.  283 

gebracht  feien,  ß^  ift  ba0  Iei6niäif(^e  St)ftem  mit  jener  Qnti)at  üon 
^antf)eifmu§,  bie  unS  ki  Seffing  begegnen  wirb ;  roie  benn  auä)  roirflid; 
fein  „ß^riftentfium  ber  SSernunft"  für  3JJenbe(§fo^n'§  (Sd^ilberung  be§ 
üerfeinerten  ^antl^eifmuS  al§  SSorbilb  gebient  f)at.  SSon  ber  f)eirf(f;cnben 
2lnfi(^t  ber  leibnijifd^en  ©c^nle  unterfd^eibet  fid§  biefer  „^antf)eifmn§" 
babnrd;,  ba^  jene  annimmt,  ma»  biefer  beftreitet :  ba^  llnenbltc^e  bebürfe 
be0  Gnbüd^en  ju  feinem  eigenen  S^afein  nid^t,  ha§>  ®nblirf;e  feinerfeit^ 
fei  feiner  ©jiftenj  nad^  ou^er  ber  ©ott^eit.  5Die^  finb  aber,  raie  5IRenbe(g: 
fol^n  meint,  unfruchtbare  Subtiütäten,  ^^ragen  einer  überfeinen  (Spefula- 
tion,  bie  man  fügfid^  bafjiugefteUt  fein  laffen  fann,  ba  fie  auf  bie  ^anb- 
tungen  unb  bie  ©lücffetigfeit  be§  3Jlenfdjen  nid^t  bcn  minbcften  ßinfluB 
f)abcn  ^). 

©d^on  in  ben  biSfierigen  Erörterungen  mu^te  3)Zenbe(§fo^n'!3  Uw 
fterblid^feit^glauben  erroäfint  werben,  unb  eben  biefeS  ift  aud^  ber  $unft, 
in  bem  feine  fittlic^e  unb  religiöfe  SBcItanfirfjt,  roie  bie  ber  ganzen  2tuf^ 
f(ärung§5eit,  5um  Slbfc^Iu^  fommt.  93ir  fiaben  fd^on  6.  281  üernom  = 
men,  roie  unentbelrUd^  i^m  biefer  ©taube  ift,  unb  roie  roenig  er  fid; 
ofine  benfetben  eine  @ittentef)re  ober  eine  S;f)eobicce  gu  benfen  roei^. 
?iur  um  fo  lebhafter  empfiubet  er  aber  ba§  S3cbürfniB,  ii)n  audf;  roiffen= 
fd^aftlidf;  ju  redjtfcrtigen.  S)er  Söfung  biefer  2lufgabe  Ijat  er  feinen 
„^^^äbon"  (1767),  bie  beliebtefte  unb  berütimtefte  uon  feinen  Sd^riften, 
geroibmet.  ®r  beroeift  f)ier  bie  lTnucrgäng(i($feit  ber  (Seele  mit  bem 
©d^hiffe:  a(§  ein  einfad^e§  SSefen  !önnte  fie  ni(^t  burdj  3(uf(öfung  in 
il^re  Seftanbtfieile,  fonbern  nur  burd^  5?crnidjtung  untergeben;  bie  Statur 
fenne  aber  überhaupt  feine  9>ernid)tung ,  fonbern  nur  eine  ftetige  SSer= 
änbcrung ;  foHte  ba^er  bie  ©eele  rernidjtet  roerben,  fo  mü^te  bie§  bnrd; 
ein  übernatürlid^e^  Eingreifen  ber  ©ottljeit,  burd^  ein  SSunbcr,  gcfd^ef;en/ 
unb  ein  SBunber  für  biefen  ^wcd  (äffe  fid^  nid;t  annet)men.  Söenn  aber 
bie  ®ee(e  fortbaurc,  muffen  aud^  il^re  ©runbeigenfd^aften ,  ba^  S)enfen 
unb  SBoIIen,  fortbauern.  Sf^cben  biefem  feinem  metapf)t)fifdjcn  ^aupt- 
beroeig  legt  er  bem  teleologif(^cn  ben  größten  SBertf)  bei,  roeld^er  üou 
bem  @a|  au§gef)t,  ba^  bie  ä)ienf($en  aU  ücrnünftige  Söefen  nac^  einem 
unauff)örUd)en  Fortgang  in  ber  SSoH!ommenf)eit  ftreben,  unb  ha^  bie 
vernünftigen  SBefen,  alS  ber  le^te  ©nb^roed  ber  6d;öpfung,   an  biefer 


1)  SWorgeiiftunben  II,  :]40— 372;  Wetter  t^I.  m.  über  ©pinosa  bie  ©efprad^e  I, 
193  ff.  unb  bie  SSiicfe  V,  C91  ff. 


284  i-Mfing. 

ifirer  S3eftimmung  unmögOd^  t)er{)inbert  fein  fönnen.  2ludj  ber  erfte  üon 
biefen  ^eroeifen  ift  nl^t  burd;au§  originell;  aber  er  ift  immerfiin  eine 
felbftänbtge  nnb  in  ifirer  2lrt  fc^orffinnige  Slu^füijrung  nnb  ^enü^nng 
ber  @ebanfen,  rcel^e  bie  (eibniä^rcolffifc^e  5]ßl)ilo[opf)ie  feinem  lXrl;elicr 
nn  bie  ^onb  gegeben  ifat 

S)ie^  ift  überf)Qupt  3Jienbet§fo^n'0  Stellung  in  ber  ®efd;id;te  ber 
^^i(ofopf)ie.  2ßir  fönnen  ifin  al§>  ^f)i[ofopt)en  nicf;t  b(o§  einem  Seibniä 
unb  ^ant,  fonbern  anä)  einem  SBoIff,  nidjt  gnr  ©eite  fteKen.  @r  ift 
ber  Sicrtrcter  eines  @efc^(ec^t§  von  wiffenf(^afllid;en  Gpigonen,  welches 
hk  geiftige  ©rrungenfc^aft  feiner  2>orgänger  ju  benü|en  nnb  burc^  g-lei^ 
im  fieinen  gu  nermeliren,  fie  gum  ©enieingnt  gu  mad;en,  fie  in  bie  gange 
2rcannigfo(tig!eit  be§  menfc^lidjen  SebenS  cingnfüljren,  ntc^t  aber  neue 
55af)nen  gu  eröffnen,  ©efd;id  nnb  S3ernf  I;atte.  @r  ift  einer  üon  feinen 
raürbigften,  beften,  talentuüllften  SSertretern,  aber  nid;t  mefir.  21I§  Äant 
mit  feinen  epo(^emai^enben  lXntcrfud;nngcn  auftrat,  ba  filmte  er  felbft, 
ha^  feine  9ioffe  in  ber  ^I)i(ofopt)ie  auSgefpielt  fei,  unb  er  I)at  bie^  mit 
ber  Sefdjeibent)eit,  bie  i^n  nor  uielen  au^äeti^nete,  öffenttid;  anSgefprodjen. 
SSenn  er  baneben  gegen  g^reunbe  bie  Hoffnung  nic^t  ganj  nnterbrüden 
rann,  e§  werbe  an  ^ant'§  Äritif  nit^t  fo  fe^r  nie!  fein  (V,  705  f.),  fo 
wirb  man  biefe  menfc^tid^e  @d)mäd;e  bem  treffiidjen  3}tann  um  fo  lieber 
guguteljalten,  ba  er  fetbft  offenfier^ig  befeunt,  ha^  er  jeneiS  Sßerf  nid;t 
nerftetje. 

©in  ungleid;  größerer  unb  felbftänbigerer  ©eift  mar  3)leubeI§fol;u'» 
Jreunb  ©ottliolb  ßp{)raim  Seffing. 

5.   ßcffing. 

SBenn  man  Seffing'S  ^TJamen  f)ört,  mirb  man  immer  gunäc^ft  an 
bie  5ßerbienfte  erinnert  merben,  meldte  fic^  bicfer  feltene  3Jlann  um  ha§> 
©anje  unferer  Siteratur  unb  unfere§  geiftigen  £eben§  eriuorben  f)at. 
@§  ift  nid^t  bie  erfolgreiche  Bearbeitung  cine§  einzelnen  ?^ad;e§,  auf  ber 
feine  ©rö^e  bcruf)t,  fonbern  bie  SBirfung,  bie  er  nad;  allen  ©eiten  l^in 
geübt  J)at,  bie  äünbenben  unb  erleud;tcnben  ?^uufen,  bie  biefcr  geuergeift, 
mit  wa§>  er  fid;  aud^  be[d;öftigen  mochte,  nnabläffig  au§fprüt)te.  ©r  ift 
un§  in  erfter  Steige  ber  unabt)ängigc,  auf  fid;  felbft  ftel)enbe  ß^arafter, 
roetd^er  bie  ©ac^e  ber  ®eifte§freil)eit  raftlo^  unb  furd;tlo§  t)erfod;ten  l^at; 
ber  geniale,  unübertroffene  Äritiler,  meld^er  ben  fatf(^en  ©efd;mnc!  unb 


^^ifofop^ifc^cr  S^araftcr.  285 

bte  fic^  aufblö^enbe  3Ji{ttertnä§{g!eit  f(J;onung§fo§  üerfotflte,  roetdjer  ber 
^poefie  unb  ber  «Sd^aufpielfunft  ifire  Slufgatie  mit  mufter{)after  ©($ärfe 
Befthnmte,  welcher  ba§  SSer{;ältni§  ber  Äinift  iinb  2Biffenfd)aft,  ba§  SSer= 
^ältniB  ber  üerfd^iebeuen  fünfte  itnb  J^unftgattungen  311  cinanber,  ha§ 
58er{)äftn{§  ber  ^()i(o[opf)ie  jur  5:f)eoIogte  unb  ber  ^^eologie  5ur  9?eligton 
bur(^  9?einf)altmtg  unb  Stbgrenjung  jebeS  ©cöietS  Quff)eIIte;  ber  f(affi[cf;e 
(Sd;rtftf(eller,  TOe(($er  unter  hen  S3egrünbern  beS  beutfdjen  ©d^aufptelS 
unb  ber  beutfc^en  ^rofa  eine  ber  erften  ©teilen  einninnnt.  9^ur  ein 
58Iatt  in  bem  ^ran3e  feinc§  9luf)me§,  unb  nid;t  baSjenige,  raelc^e^  ant 
meiften  in  bie  Singen  fällt,  geprt  ber  ©efc^idjte  ber  ^^ilo[opf)ie  an. 
Seffing  war  fein  fpftematifd^er  g?f)i(ofopf),  unb  er  TOollte  feiner  fein, 
©eine  SZaturantage  unb  fein  Sekn^gang  (latten  gteidjfefir  baju  mitge= 
lüirft,  einen  Äritifer  erften  9?ang§,  aber  feinen  ©pftenmtifer  au§  \\)m 
ju  btibeii.  SBic  rocnig  er  gu  bcni  le^teren  5Reigung  unb  53eruf  fiotte, 
geigt  f(^on  jene§  ©ine  berüfimte  SSort,  meldjeS  ben  ganjen  Mann  fenn= 
geid^net:  inenn  @ott  in  feiner  Siedeten  alle  2Baf)r()eit  uerfd^loffen  f)ielte 
unb  in  ber  Sinfen  einzig  ben  immer  regen  ^rieb  na^  3ßaf)rl)eit,  vh-- 
f($on  mit  bem  3"[Q^^/  ficf)  immer  unb  emtg  5U  irren,  fo  mürbe  er  bod^, 
fall§  er  gu  wä1)\cn  f)ätte,  bie  Sinfe  mäfiten;  bie  reine  2ßa^rf)eit  fei  ja 
bod;  nur  für  ©Ott  allein  ^).  Seffing  mar  eine  gu  fritifdje  Statur,  um 
nid;t  feine  eigenen  ©rgebniffe  immer  mieber  in  ^rage  gu  fteUcn,  ein  ju 
raftlofcr  gorfdjcr,  um  bei  irgenb  einem  ©a^e,  a(§  einer  nuDcrrüddaren 
Unterlage  für  ben  SBeiterbau,  fidj  gu  bcruf)igen;  er  bad;te  gu  gering 
ron  ber  menfd;(i(^en  @rfenntni§fäf)ig!eit,  um  unfern  3?orftel(ungen ,  fo= 
mett  fie  über  bie  allgemeinften  fittlid;en  unb  retigiöfen  llebergeugungen 
{)tnaulgef)en,  mel;r  at^3  bto^e  2öa^rfd;einlid;feit  fjugufdjrciben ;  iüa§  if)m 
at€  ungmeifcll^aft  mafjr  geboten  würbe,  mar  x\)vx  fd)on  befefialb  t)er= 
bäc^tig  ^);  e§  fef)Ite  if)m  aber  and),  wie  fic^  nid)t  uerfennen  (ä^t,  unb 
wie  e§  fid;  bei  einer  fo  auBcrorbentlid)en  geiftigen  ©rregbarfeit  üoH- 
fommen  begreift,  bei  aller  togifdien  ©d;ärfe  baSjenige  Wa^  ron  ©ebutb 
unb  t)on  ©ewö^nung  an  ein  mett)obifd;e§,  ©(j^ritt  für  ©d;ritt  t)orge^en= 
be§,  fein  9JiittcIgIieb  überfpringenbeS  ©enfen,  beffen  ber   fyftematifc^e 


1)  Jeffing'ä  SBerfe  to.  ?acf)manit  unb  aKatt^afjn  X,  53.  ^c^  dtire  im  forgenbcn 
burdiauS  naij  btcfer  2(u§gabe. 

2)  m.  bgl.  in  bicfer  SBcjiefiung  ba§  c^aralteviftifc^e  33nt(5ftü(f  (XI,  b,  250) : 
„iffiomit  ftc^  bie  geoffenbarte  SReligioii  am  meiften  roeifj"  —  baß  fi^  iiie  u  n  g  » e  i  f  e  l  b  a  f  t  e 
5Scifid)enmg  toon  ber  UnfterbUc^teit  gebe  —  „mac^t  mir  fie  gcrabe  am  ßerbäc^ttgfteii." 


286  5?efrtng. 

^ijilofop^  aU  folc^er  bebarf.  Sßenn  batier  bie  ©efc^tc^te  ber  5pf)llüfopt)ic 
nur  t)on  betten  er3ä^ten  bürfte,  xod^e  ©ttfter  ober  3Int)änger  eines  he- 
ftimmten  @t)ftent§  waren,  fo  müBte  fie  an  £e[fing  mit  ®tillfc^tt)eigen 
üorkigeljen.  ^at  fie  bagegen  t)on  aden  3U  fprec^en,  n)el(^e  in  ber  einen 
ober  ber  anberen  SBeife  jur  SlnSbilbung  unb  Klärung  ber  p!)itofopI)ifc^en 
^Segriffe  beigetragen  ^aben,  fo  wirb  fie  if)n  mä)t  allein  berü(!fi(5^tigen, 
fonbern  iJ)n  anä)  (abgefefien  von  Äant)  a(§  ben  größten  t)on  ben  5p{)iIo= 
fop!)cn  ber  StufffärungSperiobe  bejeidjuen  muffen. 

2ll§  Seffing  ben  22.  ^attuar  1729  in  Äamenj  gnr  SBelt  fam,  fjatte 
bie  ^lütfiejeit  ber  raolffifdjen  ^f)i(ofop^ie  eben  begonnen,  unb  aU  er  bie 
Uninerfität  Seipjig  be^og,  ftanb  Söolff  auf  ber  ^öf)e  feinet  9luf)me§; 
felbft  in  Seip^ig  Ijatte  fein  ©egner  ßrufiuS  ben  ©influB  feiner  ©d^riften 
unb  feiner  ©d;üler  nid;t  ^n  t3er£)inbern  t)ermo(|t.  Sluc^  Seffing  manbte 
)iä)  ber  leibnij-'roolffifc^en  ^()iIofop!£)ie  ju,  nur  ba§  er  fie  lieber  au§  ifirer 
urfpiünglic^en  Guelle,  aU  ou§  2öolff'§  fteifen  unb  fd;n)erfä(Iigen  Se^r= 
bü($ern  fd^öpfte  ^).  S)a§  er  fid;  aber  auc^  f(^on  batnatS  mit  aitberen 
aiten  unb  neuen  ^^^ilofopfien  bcfannt  mad;te,  ftef)t  too^l  au^er  S^^^^^f^^- 
^n  S3erlin,  wo  er  bie  näc^ften  graölf  i^afire  (1748—1760)  gröBtentfieilö 
anbrachte,  fam  er  mit  3Jienbet§fof)n  in  bie  engfte  SSerbinbung,  unb  wie 
ernftlid;  graifdien  beiben  auc^  pt)i(ofop!)ii'c^e  ©egenftänbe  t)er{)anbe(t  mur^ 
ben,  fet;en  mir  unter  anberem  au§  ber  t)on  i!)nen  gemeinjc^aftlic^  mx- 
faxten  (Schrift:  „^ope  ein  3Jtetap^]i;fifer",  uitb  au§  3Jlenbel§iof)n'§  „©enb= 
fd^reiben  an  ^errn  3}^agifter  Sefiing."  Söä^reub  er  fobann  ©onoerne- 
mentl^Secretär  in  58re§(au  mar  (1760— 1765),  be[d;äftigte  er  fi^  grünb- 
li(^  unb  eifrig  mit  bem  ©tubium  6pino3a'§;  unb  al§  er  nad;  feinem 
legten  längeren  21ufent^alt  in  S3erlin  unb  nad^  ber  furjen,  aber  für  ia§^ 
beutf($e  (Sd^aufpiel  unb  für  bie  Äunftt^eorie  fo  ungemein  frudjtbaren 
bramaturgifi^en  2öirffam!eit  in  Hamburg,  für  ben  9teft  feines  SebenS 
(1770—  15.  gebr.  1781)  alS  S3ibIiot^efar  nod^  Söotfeitbüttel  gieng,  fe^rte 
er  aufs  neue  gu  Seibnig  jurüd,  beffen  „neue  SSerfud^e"  (f.  0.  ©.  111) 
je|t  erft  befannt  geworben  toarcn.  äßenn  baljer  auc^  bie  ^^ilofopfiie  in 
Sefi'ing'S  tDielfeitiger  5l{)ätig!eit  nic^t  ben  erften  ^(a^  einnimmt,  fo  mar 


1)  Tlan  ügf.  in  bt^fcr  Sejicljung,  tute  er  fiel)  XI,  h,  73  ü6ei-  SBoIff'S  eingc^ 
tc^ränftf)eit  unb  ©efc^macftcfigteit  unb  über  boS  ©Viicm  äußert,  in  baS  er  einige  üon 
i'eibnigcn«  ^bccn,  nianrljmat  ein  trcnig  ter!e:^rt,  ücvrocbt  ijaii,  ba3  aber  ganj  geraig 
uid^t  l'cibnijenä  Spflcm  gcnjejen  irärc. 


fie  für  {f)n  boc^  ein  ©egettftanb  hc§>  crnfteften  i^i^tercffe'S,  uiib  wenn  er 
and)  hin  au§gefü^rte§  bogniatif(^c§  (3i;ftem  £)atte,  fo  fef)en  lüir  it)n  bo(^ 
fein  SeBen  lang  von  geroiffen  tleber3eugnngnt  geleitet,  meldje  er  t§eil§ 
nnmittelbar  au§  p!)ilofopf)ifd)en  'Bxjlkmcn  gefc^öpft,  tl^eilä  raenigftenS  int 
2(nfd;(n§  an  fie  gewonnen  ^at 

^iebei  f(^eint  er  e§  nun  jnnät^ft  nur  auf  jene  Seben»pl)iIofop(;ie 
abgefef)en  gu  (jaben,  mit  ber  fi(^  fo  manche  üon  ben  2Inff(ärern  ber 
©rf)ulpf)i(ofopI){e  gegenüberftellten,  unb  auf  bie  fie  ficf;  in  ber  Siegel  um 
fo  mef)r  3ugutetl)aten,  je  Ieid;ter  fie  c§>  fid;  mit  if)r  gemad;t  l^atten.  ^n 
einer  feiner  ^ugenbfc^riften,  ben  „©ebanfen  über  bie  ^errn^uter",  fagt 
Seffing,  ber  3Jlenfc^  fei  jum  %^nn  unb  nic^t  gum  SSernünfteln  erfd)affen ; 
er  preift  bie  Reiten  glüdüc^,  a(§  ber  tugenb!)aftefte  ber  gelef)rtefte  war 
unb  atte  2ßei§f)eit  in  furzen  ßeben^regeln  beftanb;  er  feiert  6ofrate§, 
ba^  er  bie  (Sterb(id;en  gcleiirt  ^abc,  if)ren  33lid  in  fic^  felbft  ju  feijren, 
unb  nid;t  nad;  bem  ju  fragen,  roa§  über  if)nen  unb  barum  nid;t  für  fie 
fei;  er  i)ä(t  fid;  anbererfeitS  über  bie  fpefulatiüen  ^^f)ilofop^en  auf, 
met^e  unerfd;öpf(id;  in  ber  ©ntbedung  neuer  2öaf)rf)eiten  ben  ^opf  füllen 
unb  hü§>  |)erä  leer  laffen,  ben  @eift  bi§  in  bie  entfeniteften  ^immet 
fül^rcn,  wäfirenb  ba§  ©emütf)  burdj  feine  Seibenfd;aften  unter  ba§  '^k'^ 
fierabfinfe,  unb  er  3äf)lt  ju  biefen,  neben  ^(ato,  Striftotelc^  unb  S)e§; 
cartcS,  namentlich  and)  Dietotou  unb  Scibniä  unb  il)re  (Schüler ;  er  träumt 
uon  einem  ^^l)ilofopl)en,  ber  jraar  raeber  in  ber  @ef^id;te  no(^  in  ben 
©prad;en  erfal)ren  märe,  meber  üon  2l(gebra  nod;  üon  2Iftronomie  etroa^ 
üerftänbe,  bem  e0  gleichgültig  märe/  ob  e§  3Jtonaben  giebt  ober  feine, 
unb  ber  au($  um  bie  3ktur  fid;  nid;t  weiter  befümmerte,  al§  um  ou§ 
il)r  bie  2Sei§l)eit  il)re^  ©d;öpfer§  äu  bemeifen;  ber  aber  um  fo  au§= 
fc^lieBlid^er  auf  ba§  I)inarbeitete,  ma§>  un§  ein  g(üd(idje0  Seben  vcx- 
fc^affen  fann,  auf  bie  ^ugenb,  ber  iin§  bie  Stimme  ber  3'tatur  in  unferem 
^erjen  empfinben,  ©Ott  ni($t  blo§  glauben,  fonbern  lieben,  bem  2;ob 
unerfd^roden  in'S  Sluge  fel)en  lelirte.  S)ie§  ift  bem  erften  2lnfe§en  nad^ 
ganj  im  ©tpl  ber  oberftäd;(id;ften  ^opularpl)ilofopl)ie.  i^nbeffen  mürbe 
man  ni(^t  allein  bem  fpäteren  Seffing,  fonbern  an^  fc^on  bem  äroeiunb= 
gmanjigjälirigen  S^erfaffer  jener  ©ebanfen  llnred;t  tl)un,  wenn  man  in 
feinem  ©rguffe  ben  molilbebad^ten  Slu^brud  einer  bleibenben  lieber; 
geugung  felien  wollte.  5Da§  Gepräge  ber  rebnerifc^en  llebertreibung  ift 
bieier  junenblic^en  ®eflomation  fo  fid;tbar  aufgebrüdt,  unb  ber  greße 
©egenfa^  ^wifc^en   bem    fpelulatioen  unb  bem  praftifd;en   ^f)ilofop]^en 


288  Scfftug- 

ifl  fo  fe^r  borauf  Berechnet,  bem  ^auptf^emo  ber  fleinen  (S($rift,  bem 
©egeitfa^  be§  bogtnatifdjcn  unb  be§  praftifd^en  S^riftenttnim§,  gum  §inter= 
grunb  gu  bienen,  ba^  man  eS  mit  ben  angefüfirten  2IeiiBeritngen  fc^oit 
beBf)Qlb  ttit^t  aKju  genau  nehmen  barf.  ^n  feinem  gall  mirb  man 
oter  barin  mc^x,  aU  ba§  ©rjeugni^  einer  oorübergefienben  Stimmung^ 
§n  fud^en  fiaben.  S)enn  um  bic  gleiii^e  ^e\t  ober  mentgeS  fpäter  (1752/53) 
fefien  mir  Seffing  felbft  im  „S^viftcntfium  ber  SSernunft"  fic^  mit  ber 
Spefutation  abgeben,  bie  er  fo  eben  für  TOertf)lo§  er.flärt  f)at,  xtnb  bte 
©ebanfen,  roefc^e  i^n  l^iebei  leiten,  fönnen  ifire  ÜueCe,  bie  leibniäifd^e 
^f)ilofop^ie,  nidjt  üerlängiien. 

®a§  üoflfommeiifte  SBefen,  —  mit  biefem  ariftoteIif($en  ©a|e  be= 
ginnt  er  fiier  —  fiat  von  @raig!eit  fier  nur  \iä)  felbft  benfen  fönnen. 
SSorftellen  unb  ©d^affen  finb  aber  bei  @ott  @in§:  raaS  er  fid^  üorftettt, 
f^afft  er  and).  /Dad^te  er  nun  alle  feine  SSoHfommenl^eiten  auf  einmal 
unb  fid^  at§  ^^begriff  berfelben,  fo  fd^uf  er  ein  Söefen,  welchem  feine 
feiner  eigenen  SSoUfommcn^eiten  mangelte,  meld;e§  üou  i^m  felbft  ni($t 
5U  unterfd^eiben  mar,  ein  ibentifd^eS  S3ilb  feiner,  ben  ©ofin  ©otteS ;  unb 
3TOif(^en  i^m  unb  biefem  Silbe  ift  bie  größte  |)armonie,  eine  Harmonie, 
in  ber  alle§  ift,  roaS  im  33ater  unb  raa§  im  @of)n  ift,  meldte  be§f)alb 
aud^  ©Ott  ift,  ber  fieifige  ©eift.  5)ad^te  ©ott  feine  3]oIIfonimenf)eiten 
jertf)ei(t,  fo  f($uf  er  3ßefen,  üon  benen  jebeS  etioaS  üon  feinen  ^oII= 
fommen^eiten  i)at,  eine  2\^elt.  3^a  ©ott  immer  ba§  ooUfontmenfte  benft, 
fann  er  uon  ben  unenblid^  oielen  möglid^en  2öelten  nur  bie  üollforn^ 
meufte  gebac^t  unb  gefdjaffcn  f)aben ;  unb  er  mirb  fie  auf  bie  üoHfommenfte 
3lrt,  b.  f).  fo  gebälgt  fiaben,  baf3  fie  eine  burd)au§  ftetige,  burd^  feine 
Sude  uuterbrodjcne  ©tufenrei^e  ber  SSoHfornmenfieit  barftettt.  SDer  un- 
mittelbare ©egenftanb  biefer  fd;öpferifd;cu  ^f)ätigfeit  finb  nur  einfadje 
2ßefen;  alle§  3nfammengefe|te  ift  nur  eine  golge  biefer  ©c^öpfung, 
aUeS,  TOa§  in  ber  2BeIt  t)orgef)t,  ift  au§  ber  Harmonie  ber  einfad;en 
5Befen  jn  erfiären.  ^a  biefe  einfadjcn  SBefen  gleidjfam  eingcfdjränfte 
©Otter  finb,  muffen  and;  if)re  ^'ollfoinmenfieiten  ben  3>olIfommenl^eiten 
©oiteS  öf)n(id^  fein,  mie  ^fieite  bem  ©angeu,  roie  bafier  ©ott  neben 
bem  33erauf5tfein  feiner  SSoüfommcnljeiten  and;  bie  j5^äf)igfeit  fiat,  i^ncn 
gemäf3  jn  [janbeln,  fo  muffen  fie  gleid^faUS  beibc§  befi^^en,  aber  in  ben 
Derfd)icbenftcn  ©rabcn:  fie  muffen  fid^  il^rer  ^?oIIfommen^eiten  balb 
beutlid;,  balb  and^  nidjt  bcutlid)  genug  bemufjt  fein,  diejenigen  3Befen 
nnn,  mcldje  fi(^  il^rer  i^sollt'ommcnf)citcn  bemnfit   finb  unb  if)ncn  gemäfe 


S)a§  S^riftcnt^um  ber  Vernunft.  289 

lianbeln  fönnen,  nennt  nton  moralifc^e  SBefen,  b.  i.  [old^e  bie  einem 
@efe|  folgen  fönnen.  S)tefe§  @efe|  fann  aber  fein  onbereg  fein,  al§ 
ba0:  „.^anble  beinen  inbioibnatifd^en  SSoHfontmen^eiten  gemä§." 

SDiefe  unoollenbete  fleine  2I6f)Qnblung  ift  nun  fe^r  merfroürbig. 
SBeniger  jraar  wegen  ber  t)ieIbefprod;enen  unb  oft  nad^geafimten  Slblei^ 
tung  ber  ©reieinigfeit;  benn  biefe  ift  ein  unreifer  unb  t)erfef)lter  SSer= 
fud^,  ben  anc^  fein  Url^eber  in  ber  ?^o[ge,  roie  wir  fefien  werben,  gerabe 
in  ber  ^auptfac^e  raieber  aufgegeben  f)at.  216er  fie  geigt  un§,  wie  eng 
fid^  Seffing  f($on  bantat^  an  ßeilntig  anfc^Io§,  unb  raie  er  ba§  leih 
ni^ifd^e  ©ijftem  aufgefaßt  fiatte.  2öir  finben  auf  biefen  wenigen  ^Blättern 
faft  alle  ©rnnbbeftimmungen  biefe^  ©ijftemS:  bie  einfodfien  rorfteflenben 
Söefen  aU  Urbeftanbtfieile  aUer  5Dinge;  bie  unenbli«^  uielen  ©rabunter^ 
fd^iebe  unter  biefen  SBefen,  unb  bie  ftetige  ©tufenreif)e  il^rer  5ßottfom= 
meniieit ;  bie  unioerfeüe  Harmonie  al§>  @runb  aUel  @efd^ef)en§ ;  bie 
©ottfieit  all  ©(^öpferin  ber  2Ronaben  unb  al§>  bie  l)öd^fte,  mit  ber  üolI= 
fommenften  SSorftellungSfraft  aulgerüftete  3Jtonabe ;  ba§  Streben  nadf; 
SSolIfommenl)eit  al§  praftifd^el  ^rincip.  Sdfjon  l)ier  lä§t  fid^  aber  nic^t 
yerfennen,  ba^  Seffing  nad^  groei  Seiten  über  feinen  5^orgänger  liinauS- 
ge^t.  Seibnij  l)atte  ocrlangt,  ba§  alle  nadt;  SSolIfommenlieit  ftrebeu; 
er  ^ebt  auSbrücflid;  lieroor,  ba^  ein  jeber  feiner  in bioibu eilen  S3olI= 
fommenl^eit  gemä^  lianbeln  folle.  i^^^er  l)atte  alle  aJionaben  unter  ber 
abfoluten  Harmonie  jufommengefa^t ,  meldte  il^r  @d;öpfer  in  ilinen  üon 
Slnfang  angelegt  l^aben  foltte ;  e  r  fa^t  fie  ju  einer  fubftantielleren  @in= 
l)eit  sufammen,  wenn  er  fie  all  bie  gertfieilt  eyiftirenben  göttlid^en  SSoll= 
fommen^eiten  betrod^tet  unb  be§l)alb  il^r  9]erl)ältmB  §ur  ©ottfieit  bem 
3?erl^ältniB  ber  2;i)eile  jum  ©anjen  üergleii^t.  @r  mad^t  alfo  einerfeiti 
oon  bem  ^rincip  ber  i^nbiüibuation,  meld^el  in  ber  3Jietap^i}fif  freilid^ 
fd^on  bei  Seibnij  an  ber  SRonabe  feinen  benfbar  ftärfften  Slulbrud  ge= 
funben  l)atte,  roenigftenS  auf  bem  ©ebiet  ber  SJloral  eine  nod^  beftimmtere 
SInroenbung,  all  biefer;  unb  anbererfeiti  fommt  er  bem  ^antlieifmul, 
beffen  fidl)  gmar  auc^  ßeibnij  nur  mit  9)?ü^e  erroel)ren  fann,  ben  er  aber 
bod^  immer  auf'l  entfd^iebenfte  abgelel)nt  l)at,  um  einen  6d^ritt  nä^er: 
er  legt  ®ott  tooI)1  ein  felbftberou§tel ,  t)on  bem  ber  SBelt  üerfd^iebenel 
©ein  bei,  aber  ber  SOSelt  feinel,  mefd^el  üon  bem  ber  (Sottliett  fubftan= 
tiell  getrennt  märe.  SJJenbellfolm  fonnte  infoferne  unfere  2lb§anblung 
nid^t  o^ne  ©runb  all  S3eleg  für  jenen  geläuterten  ^antljeifmul  anfül)ren, 
ben  er  feinem  greunbe  jufdlireibt  (ügl.  @.  282  f.). 

3cllcr,  @ef(^i(f)te  ber  beutf(f)cn  ^tfilofop^ie.  19 


290  Mm- 

®ie  gteid^e  2(nfi(i^t  ber  S)iitge  fpric^t  f{(^  auc^  in  Seffing'^  fpäteren 
©d^rtften  au§,  nur  flarer  unb  gereifter,  ©einer  aUgemeinen  9li(^tung 
naä)  ftefit  fieffing,  raie  bie^  gar  feines  33en)eife§  bebarf,  burd^auS  auf 
ber  ©eite  ber  Slufflärung.  @S  f)at  ni(^t  üiele  3)ienfd^en  gegeben,  bie 
fid^  fo  wenig,  wie  er,  bei  ben  fiergebrad^ten  ^orfteHungen  ^u  berul)igen 
geraupt  ptten,  benen  e§  in  fo  l^ofiem  ©rabe  ifirer  innerften  9Zatur  na^ 
S3ebürfniB  geraefen  wäre,  jebe  SSorauSfe^ung  immer  lieber  aufS  neue 
§u  unterfuc^en,  jeben  ©egenftanb  nad;  alten  Seiten  gu  brefien  unb  gu 
TOcnben,  alle  ^^ragen  mög(id;ft  fc^arf  gu  fteHen  unb  au§  beutlt($en  SSe- 
griffen  §u  beantworten,  unb  bie  ebenbe^fialb  fo  fäf)ig  gemefen  mären, 
über  aUeS,  roa§'  fie  in  Eingriff  nat)men,  ein  neues  Sid^t  ju  verbreiten, 
fieffing  ift  ein  Sluff(ärer  -im  größten  ©t^t,  ein  9Jiann,  ber  feine  gange 
fo  au^erorbentlid^  reiche  ©eifteSfraft  in  ben  SDienft  ber  Slufflärung  ge= 
[teilt  l^at.  33e5ei(|nenb  ift  in  biefer  ^e^iefiung,  maS  er  einmal  (X,  181) 
t)om  S!^riftentl)um  fagt:  feine  le^te  SUbfic^t  fei  nic^t  unfere  ©etigfeit, 
fie  möge  ^erfommen,  roo^er  fie  motte,  fonbern  unfere  ©etigfeit  üermittelft 
unferer  ©rleud^tung,  ja  unfere  gan^e  ©etigfeit  he\te^e  am  ®nbe  in  biefer 
©rteud^tung.  Unb  ron  biefer  Slufflörung  beS  33erftanbe§  ift  für  il)n 
bie  Steinigfeit  be§  ^ergenS  ungertrennlid^ ;  beibe  ^ufammen  bitben 
tf)m  gufolge  ba§  Qid,  bem  bie  (Sr^ieliung  beS  3)lenfdjengef(^le(|t§  3u= 
ftrebt  ^).  2lber  roie  er  bie  anbern  5>ertreter  ber  beutfc^en  Slufflärung 
überlianpt  an  §öl)e  unb  ^iefe  ber  geiftigen  Begabung  meit  l)inter  ft(^ 
lä§t,  fo  tJerl^ält  fid;  aud^  feine  2luff(ärung  ju  ber  il)rigen  nid;t  oiet  an= 
berS,  aU  ha§>  p§ilofopl)if(^e  SDenfen  eines  Seibnijj  gu  bem  eines  Söolff. 
SBaS  beibe  unterfd^eibet,  ift  t)or  attem  jene  „gro^e  2lrt  ju  beulen",  bie 
mir  an  i^m  faum  weniger  rül)men  muffen,  als  er  felbft  fie  an  ßeibnij 
gerühmt  l)at  ^);  jener  auf's  ©an^e  gerichtete  Slid,  ber  fi($  oud^  in  ber 
gelef)rteften  ©injelunterfuc^ung  unb  ber  fd^einbar  fleinlicl)ften  (Erörterung 
nie  auf  bie  S)auer  on  baS  fleine  unb  einzelne  oerliert.  @S  ift  ferner 
ber  l^iflorifc^e  ©inn,  an  bem  eS  fonft  ber  Slufflärung  fo  fet)r  fel)lt: 
bie  j^äl)igfeit,  fic^  auf  frembe  ©tanbpunfte  ju  oerfc^en;  baS  §8ebürfni§, 
ttud^  in  bem  roiberfinnigften  unb  für  unS  abfto^enbften,  wenn  eS  einmal 
eine  Sebeutung  für  bie  3}tenfd^l)eit  geliabt  tiat,  einen  Äern  oon  '^ex- 
nunftroalir^eit  gu  erfennen;  bie  ^he^  einer  ftufenmeifen  unb  gefe^mö^i= 
gen  gefd^id^tlid^en  Sntmidlung.    ©S  ift  enblid^,  im  3iifani"^6»^'iii9  ^ß- 


1)  erj.  b.  m.  §  80  f.  u.  a.  ©t. 

2)  3u  bem  befannten  (öcfprädj  mit  ^acobt,  (^acobi'S  SB.  2B.  IV,  a  63. 


53erf)ältmß  suc  3tuf!tävmig.  291 

mit,  bie  Unbefangenheit  beg  Urt{)eil§  übeu  bie  eigenen  Seiftungen,  bie 
immer  ma^e  5?ritit,  mit  ber  fic^  Seffing  nic^t  b(o§  bem  S)ogmati|mu§ 
ber  alten  S:rabition  unb  i^reg  2lu!toritätgg(auben» ,  fonbern  and;  bem 
S)ogmatifmu§  einer  2(uff(ärung  entgegenftettt,  roetd^e  ebenfo  nad)[id;tig 
gegen  xi)xe  eigenen  SSorurt^eile,  al§>  abfpred)enb  gegen  bie  ber  33or3eit 
SU  fein  pffegte.  ^^m  tonnte  e§  bat)er  aud;  nic^t  in  ben  ©iun  fommcn, 
ben  „gefunben  SRenfd^euüerftanb",  b.  J).  biejenigen  lleberseugungen,  meld;e 
ber  S^it  o^ne  oiele  Seroei§füf)rung  einleud;teten ,  in  ber  2trt,  mie  bie^ 
bie  gJopuIarp^itofopfiie,  unb  bi§  5U  einem  gemiffen  @rabe  au^  2)^enbelg= 
fof)n  t^at,  gum  oberften  dliä)Uv  in  miffenfi^aftiidjen  S)ingen  3U  machen, 
©r  fagt  mofit  bei  (Setegen^eit  (XI,  b,  67) :  bie  erfte  unb  ältefte  Steinung 
fei  in  fpefulatioen  Singen  immer  bie  roa^rfc^einlic^fte,  weil  ber  gefunbe 
3)^enf(5^enuerftanb  fofort  barauf  üerfiet;  er  bemerft  in  bemfelben  Sinne 
(IX,  170):  roaS  alle  9le(igionen  gemein  ^aben,  fönne  in  ber  2>ernunft 
tiic|t  ofine  ©runb  fein;  aber  er  üergi^t  nic^t  an  ber  le^teren  ©teffe 
beizufügen,  ba§  au($  eine  mef)r  nur  bunfet  empfunbene  a(§  flar  erfannte 
2Bat)rl)eit  barauf  gebraut  i)aben  tonne;  unb  au§  ber  erften  gef)t  gleich- 
falls nur  ba§  ^eruor,  ba^  bie  inftinftiuen  2(ulfprü(^e  ber  S^ernunft 
feiner  2lnfid;t  nad;  bie  3Sermutl)ung  einer  2Bal)rl)eit  begrünben,  beren 
näl)ere  Seftimmung  unb  ^eftftellung  aber  gerabe  nad;  feinen  ©runbfä^en 
nur  burc^  n)iifenfd;aft(id;e  tlnterfud;ung  möglich  ift.  S)iefe  llnter|ud;ung 
hnxä)  bie  ^Berufung  an  ben  gefunben  SOienfdjenoerftanb  abzufc^neiben, 
ift  ein  58erfal)reu,  roeld^eS  Seffing  fid;  niemals  erlaubt  l)at. 

SBolIen  mir  etraaS  näfier  auf  feine  Hnfid^ten  eingel)en,  fo  fällt  unS 
als  ein  ©runbjug  feineS  SBefenS  üor  aüem  jener  ^nbiuibnalifmuS  in'S 
Singe,  welcher  fic^  f^on  im  „Gl)riftent§um  ber  5>ernunft"  au§fprid;t. 
SBie  er  bort  einem  jeben  bie  2lufgabe  fteHt,  ba§  er  feiner  inbiüibueHen 
SSolifommcnljeit  gemä^  l^anble,  fo  ift  eS  überliaupt  bie  freifte  (Sntroi(!= 
lung  ber  geiftigen  ;5«biüibualität,  meiere  er  fid^  fetbft  jum  Qkl  fe^t  unb 
anberen  geftattet.  S)al)er  eineSt^eilS  jener  Unab^ängigfeitSfinn,  ber  fic^ 
in  bie  engen  5>erl)ättniffe  beS  bürgerlichen  SebenS  oft  nur  gu  rcenig 
jn  finben  meiB,  anbernt^eilS  jene  großartige  SDulbfamfeit,  üon  ber  feine 
greunbe  nic^t  begriffen,  raie  er  fie  aud^  ben  Unaufgeffärten  unb  felbft 
ben  auSgefpro(^enen  ©egnern  ber  Stufflärung  ^ugute  fommen  laffen  fonnte ; 
jene  bem  2lufl(ärung§jal)rl)unbert  fonft  fo  unbefannte  l)iftorifc^e  ©erec^- 
tigfeit,  meldte  Seffing  nic^t  bloS  in  feinen  „9tettungen"  einzelner,  feiner 
2lnfic^t  nac^  üerfannter  ^erföulid^leiten,  fonbern  anä),  mie  wir  finben 

19* 


292  Mmc[. 

raerben,  in  feinem  Hrt^eif  über  bie  pofttioe  S^eUgion  unb  il^re  @e[(^i(^te 
benjä^rt  f)at.    Sie  ^erüoHfommnnng  ber  3Jlenf(^§eit  ift,  wie  er  auSfüfirt 
(©rj.  b.  Tl.  §  92  f.)/  nur  burd^  bie  aller  ©in^elnen  möglid;.    Stuc^  bie 
größeren  9}lo[fen,  in  welche  bie[cg  ©anje  verfällt,   bie  Staaten  finb  nur 
ein  SJiittel  für  bie  ^meäe  ber  ©inäelnen:  „fie  vereinigen  bie  9Jienfd)en^ 
baniit  burc^  biefe  unb  in  biefer  ^Bereinigung  jeber  einzelne  aJlenfd^  feinen 
2:f)eil  üon  ©(üdfeligfeit  befto  beffer  unb    fi($erer  genießen  !önne";  bie 
©fü(ffelig!eit   be§  ©taateS   ift    „ha^  %oiak   ber    ©in^elngtüdffeligfeiten 
aKer  ©lieber"  unb  fonft  nid^tS.    ^a  biefer  @efic^t§punft  tritt  bei  Seffing 
fo  einfeitig  l^eroor,  ba^  er  guni  Staat^Ieben  überl^aupt  fein  red;te§  ^er^ 
3U  faffen  raei§.    S)er  ©taat  erfd^eiut  i^m  ebenfo,  vok  bie  pofitiüe  ^t- 
ligion,  unb  3um  StJ^eit  wegen  feinet  3wfttiitmen{)ang§  mit  ber  pofitiöen 
S^tetigion,  mef)r  nur  a(§  ein  notfuuenbige»  Uebel.    S)ie  ©taatSüerfoffun- 
gen  finb  bod^  nur  ein  SJtenfc^enitier!,  fie  alte  ftnb  mangelhaft,  bie  befte 
mu§  erft  erfunben  roerben.    'ätber  wenn  fie  e§  aud^  märe,  immer  tren- 
nen bod^  bie  Staaten  bie  SJlenfd^en  burd^  bie  SSerfdjiebenfieit  ber  Pollex, 
ber    Sleligionen  unb   ber    ©täube;    fie  beroirfen,  baB  nid;t   mefir  ber 
blo|e  2Renfd)  bem  bloßen  SJlcnf df;eu  begegnet,  fonbern  ein  fotd^er 
3Jlenfd^  einem  fold^en,  ha'B  bie  3Jlenf d^en  entgegengefe^te  i^ntereffen 
{)aben,  baf3  fie  um  geiftige  SSorjüge  unb  um  SSorredfjte  ftreiteu,  bo^  fie 
t)ornef)mer  ober  geringer,  reid^  ober  arm  'finb.    S)ie  uatürlidie  ©teic^= 
l)eit  unb  bie  natürlid^e  ^wf^^n^^J^ß^Ö^^örigfeit  aller  SJienfd^en  mirb  burd^ 
fie  befd;ränft  unb  geftört;  fie  füf)ren  Singe  ^erbei,   „meldte  ber  menfd^= 
Ud^en  ©(üdfeUgfeit  fiöd^ft  nac^tf)eilig  finb,  unb  moüon  ber  aJienfd^  in 
bem  ©taube  ber  3fiatur  fd^Ied^terbingg  ni(^t§  gemußt  l^ätte."    ®a§  ha^^ 
©taotäleben  tro^bem  me^r  @ute§  al§  Hebtet  mit  fid^  bringe,  mill  Sef= 
fing  nid^t  läugnen;   er  giebt  gu,  ba^   bie  menf(|lid;e  SJernunft  in  ber 
bürgerlidjen   ©efellfd^aft    attein    angebaut   werben   fönne.     Slber   feine 
©e[)ufud^t  gilt  bennoc^  bem  unmögüdjcn  ^uftaub,  in  bem  eine  Drbnung 
au(^  otine  91egierung  märe,  weil  jeber  ßin^elne  fid^  fetbft  ju  regieren 
TOü^te;  unb  menn  fid^  bie  ©taaten  ni(^t  befeitigen  laffen,  fo  verlangt 
er  roenigftenS,  ba&  e§  in  jebcm  ©taat  9Jiänner  geben  möd^te,  bie  über 
bie  SSorurt{)ei(e  ber  S?ö(ferfd)aft  ebenfo,  mie  über  bie  if)rer  angeborenen 
Sietigion  unb  i{)re§  ©tanbeS  i)inroeg  mären,  unb  genau  müßten,  mo  ber 
^atriotifmug  ^Tugenb  ju  fein  aufljört.    ßine  ©efeHfdjaft  fol(^er  3)täuner 
gu  vereinigtem  2BirEen  ju  biiben,  ift  bie  Slufgabe,  meldje  er  ben  ^^rei^ 
maurern  ftedt;  von  meld^er  er  übrigen^  nid^t  vni)c^it,  mie  raenig  bei 


ynbitjibualifmus,  ÄoSmopoIttiimiiä.  293 

feinen  DrbenSbrübent  ein  Serau^tfein  beri'etben  ju  finben  fei^).  ©0  ift 
bieB  ber  gleiche  ^ofmopolitifmu^,  ber  and)  bei  einem  ©öt^e,  einem 
©dritter,  bei  ben  ^eroen  unferer  großen  Siteraturperiobe  foft  ofine  2lu§= 
na^me,  längere  3^'^  felbft  bei  einem  ^ic^te,  ha§>  @efüf)I  für  bie  Se= 
beutung  be§  @taate§  unb  be§  gum  Staate  §ufammengefat3ten  3So(f§= 
lebend  abgeftumpft  l^at.  Seffing  rcar  geioif3,  roenn  irgenb  mcx ,  ein 
guter  S)eutfc^er:  in  feinem  Kampfe  gegen  bic  9tad;äffung  be»  franjöfi^ 
f(j^en  Ungefc^maiJl  tritt  ba§  nationale  ^ntereffe  cbenfo  ftarf  i)exvox,  als 
ta§>  äft{)etifd;e ;  er  raid  un§,  roie  nor  unb  neben  if)m  ^lopftod,  von  ber 
geiftigen  grembl)errfd;aft  befreien,  ^tatt  ber  ^albfran^öfifc^en  eine  beutfd;e 
Siteratur  grünben  fieifen,  unb  nic^t  ber  geringfte  üon  hm  ^Brennftoffen, 
bie  ba0  ^euer  feineä  @eifte§  in  biefem  Kampfe  genäfirt  fiaben,  ift  bic 
•Sc^aam  über  bie  freiwillige  2(bf)ängigfeit  ber  S^eutf(^cn  ron  einem  SSolfe, 
bem  fie  feiner  Uebergcngung  nad;  nid^t  Uo§>  an  fittüc^er  SSürbe,  fonbcrn 
au(^  an  geiftiger  33cfäE)igung  überlegen  finb.  Unb  bo(^  f(^reibt  er 
(XII,  150.  152)  an  ©leim  nic^t  etwa  nur:  ba§  £ob  eincä  eifrigen 
Patrioten  fei  ba§  atter[e|te,  monad;  er  gei5en  würbe;  be§  ^^atrioten 
nämüd^,  ber  if)n  ücrgeffen  leficte,  ba^  er  ein  Sßettbürger  fein  fottte; 
fonbern  er  fügt  aud;  bei :  „er  i^ahe  überf)aupt  üon  ber  Siebe  be§  3Soter= 
lanbegi  feinen  53egriff;  unb  fie  fdjeine  xi)m  auf'^  f)öd^fte  eine  f)eroif(j^e 
Q6)wa6)^e\t,  bie  er  red;t  gerne  entbe!)re."  2ßir  merben  I)ierin  alter- 
bingS  3unäc^ft  bie  Sßirfung  eine»  3wfta^^'5e»  erfennen,  ber  felbft  bei  ben 
SSeften  in  unfercm  5ßolfe  feine  Staatlgefinnung  auffommen  tie^,  weil 
e§  eben  biefem  3Solfe  nid^t  bto3  an  einem  beutfd;cn  Staate,  fonbern 
au(|  an  ber  ^hcc  eine§  fold;en  unb  an  ber  Slulfidjt  auf  if)re  33erwirf= 
lic^ung  gang  unb  gar  fel)lte.  SBir  werben  aber  aud;  nidjt  übcrfelien, 
wie  eng  biefer  SRangel  bei  Seffing  mit  feiner  gangen  S^enfweife  ^n- 
fammen|ängt.  i^e  fd^ärfer  unb  eigenartiger  feine  ^nbiüibualitöt  augge-- 
prägt,  je  felbftänbiger  fie  in  fid^  gufammengefa^t  ift,  um  fo  weniger 
wiE  er  üon  einer  urfprünglid^en  S3ebingtf)eit  bur^  ba§  ©emeinwefeii 
etwas  l^ören,  unb  um  fo  cntfc^iebener  fommt  bei  iljm  aud;  in  biefem 
3Serpltnif3  gnm  3Sorfd^ein,  wa^^  überhaupt  im  G^arafter  ber  Sluft'lärung 
liegt,  ba§  ber  3Jienfc^  fiier  üon  allem  gegebenen  unb  o^ne  fein  ^n- 
tl)un  üorl)anbenen  auf  fid^  felbft  jurüdgefit,  unb  allem  2Ieu§eren  nur 


1)  (Srnft  unb  Jalf  X,  257  ff. 


294  Mm- 

fo  üiet  SBertf)  Beilegt,  atg   er  fclbft  i^m  für  fein  eigene^  SeBen  S3ebeu= 
tung  giebt. 

2Bir  l^aBen  nun  f(^on  früher  gefefien,  wie  eng  biefe  ©enfweife  bei 
Seffing  mit  ben  metapfirififdjen  $8eftimmungen  gufaiitmenf)Qngt ,  bie  er 
von  ber  teibni5i[($cn  3}ionaben(e{)re  ent(ef)nt  t)at.  Sind;  in  feinen  fpäteren 
(Sd;riften  ptt  er  biefe  ^eftimmungen  aufredet.  2ßenn  er  bie  ©eele  at§ 
ein  einfo(^c§  SBefen  befinirt,  raeld^eS  nnenblic^er  SSorftelInngen  föf)ig  ift, 
unb  bie  9Jiaterie  alg  ba§ ,  waS  ©renken  fe^t  (XI,  b,  64  f.),  fo  er!(ärt 
fid;  bie  eine  wie  bie  anbere  üon  biefen^efinitionen  nur  au§  ben  ^oxanS»- 
fe^ungen  ber  ?!T^onabenIef)re  (f.  o.  <B.  91.  97  ff.).  S)iefe  STnbeutungen 
ftel^en  aber  allerbing§  bei  ifim  fef)r  üereinjelt;  er  rechnete  alle§  rein 
metapf)t)ftfd^e  of)ne  ^^^eifel  bod^  nur  ju  ben  ^i)pot!f)efen ,  welche  fid^  nie 
über  eine  l^öfiere  ober  geringere  2ßaf)rf(^einlid;feit  er!)eben  laffen.  Defter 
fommt  er  auf  eine  anbere  ^rage  §u  fpred^en,  md^e  mit  ben  praftif($en 
i^ntereffen  in  einer  notieren  ^Be^ielfiung  ftefit,  auf  bie  ^rage  über  bie 
Unfterblic^feit.  2lud^  f)ier  f)ä(t  er  fi(^  an  Seibnij,  nur  ba^  er  feine  2ln- 
nafimen  auf  eigentpmlid;e  Slrt  etmaS  weiter  üerfotgt.  @r  rerlongt 
nämti(^  nic^t  allein,  ba^  jeber  6eele  für  il)re  S^erooIIfommnung  ein 
unenblic^er  ©pietraum  eröffnet  fei,  unb  er  glaubt,  ha^  ft(^  biefe  SBafir^ 
l^eit,  fctbft  abgefe^en  üon  bem  SBertl)  einer  künftigen  2tu§gleid;ung  unb 
33ergeltung,  bem  93erftanbe  ftreng  ermeifen  laffe ;  fonbern  er  nimmt  auc^ 
an,  jebe  ©eele  erfd;eine  mel)r  al§  nur  einmal  als  SJ^enfd^,  fie  erret($e  in 
iebem  neuen  Seben  eine  neue  unb  liö^eve  ©tufe  ber  ^oWommenlieit, 
unb  bie§  n)ieberl)ole  fi(^,  fo  lange  fie  auf  biefem  SBege  neue  .^enntniffe 
unb  ^ertigfeiten  ju  erlangen  im  ©taube  fei.  ^a  er  ift  geneigt,  bie 
gleid;e  3?orftelIung  aud^  über  ha§>  menfd;lid;e  $Dafetn  l)inau§  auSgube^nen, 
unb  unfere  ©eelen  üerfd;iebene  Seiber  burd^roanbern  ju  laffen,  meldte 
il^nen  tl)ei(g  geringere,  tl)cil§.aber  aud^  beffere  .^ülfSmittel  barbieten,  aU 
ber  gegenwärtige;  er  meint  nämlid^,  um  il)re  SSorftellungen  in  einer  be= 
ftimmten  Drbnung  gu  erlangen,  werben  fie  erft  nur  je  einen  ron  unfern 
fünf  ©innen  gcl)abt  l)abcn,  bann  jwei  u.  f.  w.,  bil  fie  am  ©übe  neben 
unfein  jetzigen  au(^  no(^  alle  un§  unbefannten,  aber  an  fid^  möglid;cn 
©inne  erl)alten  ^).  2lffe§  bicB  fd^tic^t  fid;  unmittelbar  an  bie  leibnijifd^e 
(güolutionStlieorie  (oben  ©.  106  f.)  an,  unb  ha^  fid;  Seffing  für  feine 


1)  (Srj.  b.  m.  §  28.  Gl  f.  85.  93  ff.     S.  SB.  XI,  b,  26.  64  f. 


©eiermtnifmuS :  93ot(fomment)cit  bcr  S3?crt.  295 

^ppotl^efe  ben  tarnen  ber  SJJetempfgd^ofe  gefaHen  Iä§t,  ben  Setbnij  ab* 
gelef)itt  t)atte,  mac^t  in  ber  <Baä)e  felbft  feinen  Unterjd^ieb. 

äöie  aber  Seffing  in  feinen  Slnfid^ten  über  bie  Sebeutung  nnb  S3e= 
ftittimung  be§  ;3^^ioibunm§  fic^  an  Seibnij  ptt,  fo  folgt  er  if)m  au^ 
(n)ie  gleid^fattS  fc^on  ba§  (Ef)riftenf^um  b.  SS.  anbentet)  in  ber  Heber* 
geugung,  baB  alle  (ginäefroefen  burc^  einen  unjerrei^baren  3"ff^Kt^ßtt' 
Fiang  von  Urfac^en  nnb  2Birfungen  ju  einem  üoUfommen  f)armonif($en 
©angen  rerfnüpft  feien.  „9^i($t§  in  ber  SBelt",  fagt  er  (XI,  h,  162), 
„ift  infuUret,  nid^t§  of)ne  ?5o(gen,  nid^t§  ofine  eroige  gofgen" ;  nnb  er 
bejeit^net  biefen  ©a|  al§  eine  gro^e  nnb  frud^tbare  aßa^rf)eit  be§  Teib* 
nigifd^en  ©r)ftem§;  roie  benn  aud^  roirfüd^  Seibnij'  begriff  be§  Uniuer; 
fum§  eben  f)ierauf,  auf  biefer  SInroenbung  be§  Sa^eg  oom  gnreid^enben 
©runbe  bern{)t.  ©benfo  ift  er  mit  Seibuij  nnb  SBoIff  barüber  einig, 
ba§  aud^  ber  menfd^Iid^e  2Bi(Ie  feine  2tu!ona^mc  von  biefem  @efe^  mai^e. 
„2ßa§  verlieren  roir,"  fragt  er  X,  8,  „wenn  man  un§  bie  grei§eit  ab* 
fprid;t?  @troa§  —  wenn  e§  etroa§  ift  —  roa^  roir  nic^t  braucfjen; 
roa§  roir  roeber  ju  nnferer  2:f)ätigfeit  f)ier  nod^  ju  unferer  ©lüdfeligfeit 
bort  brau(^cn.  ßtroa§,  beffen  Sefi^  roeit  nnruf)iger  nnb  beforgter  mad;en 
mü^te,  a[§  ^iaS'  ©efüf)t  feines  ©cgentf)ei[§  nimmerme()r  machen  fonn. 
3roang  nnb  Stotljroenbigfeit,  nocf;  roeld^en  bie  SSorftettnng  be§  heften 
roirfet,  wie  t)iel  rcirifommcner  finb  fte  mir,  al§>  fafile  5?ermögenf)eit,  unter 
ben  nämlid^en  Umftänben  batb  fo  balb  anberS  ^onbeln  gu  fönnen.  3^ 
banfe  bem  ©djöpfer,  ba^  id^  mu§;  ha§>  Sefte  mu^.''  ©benfo  üerfid)ert 
er  auc^  ^acobi,  er  bcgefire  feinen  freien  SöiUen;  er  bleibe  ein  ef)rüd;er 
Sut^eraner  unb  bebalte  „ben  mel)r  oiefiifd^en  al§  menfd^lid^en  i^rrt^um 
nnb  ©otteSläfterung ,  ha^  fein  freier  SBill  fei"  ^);  roaS  Seibnij  freiließ 
fo  unumrounben  auS^ufprec^en  53ebenfen  trägt,  roaS  er  aber  ber  ©ac^e 
nad^  nic^t  minber  beftimmt  gefagt  l^at.  9iur  um  fo  fidlerer  mu§  aber 
alleg  fo  gut  fein,  als  eS  überhaupt  fein  fann.  5)aS  ooUfornmenfte  2Befen 
fann  nur  bie  tjottfommenfte  SBelt  gebadet  unb  gefd^affen  l)aben  —  bie^ 
l^aben  roir  if)n  ja  fd^on  früfier  (@.  288)  mit  Seibnij  erflären  l)ören,  unb 
Don  biefer  Ueber^eugung  ift  feine  gan5e  2Bettanfid;t,  roie  fie  fic^  befonberS 
in  feiner  Sluffaffung  ber  3Jlenf(^cngefd^ic^te  auSfpri(^t,  getragen.  @r 
roeift  roof)(  bei  ©elegenfieit  barauf  l)in,  baB  man  „unfere  elenbe  2lrt 
naä)  3lbfi(^ten  gu  l)anbeln",  ber  @ottf)eit  ni(^t  ofine  roeitereS  beilegen 


1)  Sacobi'S  SBerfe  IV,  a,  61.  70  f. 


296  Seffiug. 

bürfe  ^) ;  aber  ba^  bie  ©ottfieit  bie  f)öcf)ften  ^meäe  in  ber  SSelt  fo  üoII= 
fomtnen,  alä  möglich,  vexmxUi^e,  i)at  er  nie  bejroeifelt.  ®er  2BeIt= 
fd;öpfer  ift  il^m  ba§  f)ödjfte  fünftterifd^e  ©enie ;  wa0  gefc^ief)t,  f)ot  feinen 
guten  ©runb  in  bem  eiüigen  unenbfi(^en  ^i^f'^^^c^^'^^Ö  ^^^  S)inge; 
in  biefem  ift  SS>ei§f)eit  nnb  @üte,  raaS  un§  für  \iä)  allein  blinbeS  @e= 
fd;ic!  unb  ©raufamfeit  fd^eint;  in  bem  allgemeinen  ^(ane  ber  2)inge 
löft  fid^  alle^  gum  heften  auf  ^).  2lnf  welche  Slrt  bieB  gefc^efie,  rcie 
ber  3ufammenf)ang  al(er  Singe  fiergefteHt  raerbe,  unterfuc^t  er  nic^t; 
ba^  leibnijifd^e  ©yftem  ber  präftabilirten  Harmonie  wirb  von  ifim  raot)! 
I)iftori)c()  erläutert  (XI,  a,  135),  aber  er  felbft  ^at  fic^  nirgenbS  gu  it)m 
befannt.  dagegen  erffärt  er  fid;  bei  ber  ^^^rage,  meiere  Seibnij  nid^t 
gu  entfd^eiben  gewagt  J)atte  (vqI.  <B.  134),  ob  bie  SSoE!ommenf)eit  ber 
2ßett  eine  fortfd^reiteube  ober  eine  fid;  g(eid)bleibenbe  fei,  für  bie  le^tere 
2Inna{)me  (IX,  159  ff.).  S)ie  ©efammtfumme  ber  5ßoUfommenI)eit  ift 
bodj  größer,  raenn  bie  2Belt  ron  2(nfang  an  fo  üoKtommen  roar,  n)ie 
eine  SBelt  überhaupt  fein  fann,  al§  wenn  fie  biefem  3^^^^  i^"^  guftrebt, 
ot)ne  e§  je  gu  erreid^en;  jene^  ift  ba^er  „bog  mätilbarere  für  bie  eroige 
2Bei§t)eit/'  S)iefe  9>oIlf'ümmenI)eit  aud;  im  befonbern  in  einer  voll- 
ftänbigen  Stf)eobicee  nac^guroeifen,  f)at  Seffing  nid;t  üerfud^t;  aber  üon 
roeld;em  Stanbpunft  er  für  jenen  SRadjiceig  ausgegangen  fein  roürbe, 
läßt  fid^  aus  berfelben  2lbt)onbtung  abnef)men,  auf  bie  roir  un§  fo  eben 
belogen  fiaben,  ber  2tbt)anbluug  über  „Seibnij  üon  ben  ewigen  ©trafen." 
S)ie  (Srotgfeit  ber  .^öüenftrafen  roirb  {)ier  barauf  gurüdgefüijrt,  ba^  bie 
moraU]d;en  ?5^oIgen  ber  ©ünbe,  wie  bie  ?^o(gen  alleS  ©efc^elienS,  nac^ 
hem  natürlichen  3wfammcnt)aug  ber  tlrfad;en  unb  Sßirfnngen  fid^  in 
alle  ßiöigfeit  f orter ftrecf en ;  e§  roirb  aber  jugteid^  gugegeben,  ba^  ^im= 
met  unb  ^öUe  nic^t  groei  gäuälic^  getrennte  3uftänbe  feien;  ba  t)ielme{)r 
ber  befte  aJienfd^  nod^  riet  SöfeS  ^ahe  unb  ber  fd^Iimmfte  nid;t  o^ne 
altes  ©Ute  fei,  fo  muffen  bie  folgen  beS  Söfen  jenem  auc^  in  ben 
^immel  nac^^ieljen,  unb  bie  folgen  beS  ©uten  biefen  auc^  bis  in  bie 
^ötte  begleiten;  ein  jeber  muffe  feine  §ölfe  nod^  im  ^immel  unb  feinen 
^immel  nod^  in  ber  .^ölle  finbeu.  S)er  ©egenfa|  üon  §immel  unb 
^ötte  roirb  alfo  auS  einem  realen  in  einen  ibealen  üerroanbelt:  ^immel 
unb  §ölle  beäcid;nen  nid;t  groei  rodftänbige,  rciumlid;   unb  seitlid^  ge= 


1)  IBei  ^acobt  a.  a.  O.    @.  62. 

2)  ^amb.  Dramaturgie,    ©t.  34.  79. 


XijioWte.    ©ein  ber  ®tugc  in  (Sott.  297 

trennte  ^^ftö^^^^/  fottbem  nur  gTOei  ©eiten,  raeld^e  f{(^  in  bem  moroti^ 
fd^en  3uftanb  jebe^  SJienfd^en  unterfd^eiben  laffen;  ba§  ©ute,  roaS 
jeber  an  fid^  ^ot,  ift  fein  §imntel,  ba§  Söfe,  wag  er  an  fid;  f)at,  ift 
feine  ^ölle.  9Jiit  biefer  ©inftd^t  würbe  Seffing  aud^  bie  Sluf^abe  ber 
S£f)eobicee  gerabe  bei  ber  ?^rage,  rcetd^e  Seibmj  bie  größte  «Sdjraierigfeit 
tnad^en  mu^te,  bei  ber  §rage  nadf;  bem  moralifd^en  Hebel,  befriebigenber 
getöft  ^oben,  a(§  e§  jenem  felbft  möglid;  mar.  9Benn  ber  Unterfd^ieb 
ber  Seligen  unb  ber  3Serbammten  au§  einem  abfohlten  3U  einem  relatiüen 
gemacht  wirb,  wenn  ^immel  unb  ^öUe,  raie  biefj  Seffing  auSbrüdEüd^ 
verlangt,  burd^  unenbtid^  üiele  3iüifdfjenftufen  üerbunben  finb,  fo  fü{)rt 
bie  j5^rage,  roie  fidE)  ba§  58öfe  mit  ber  ©üte  unb  ©eredjtigteit  ®otte§ 
tjertrage,  auf  bie  gurücf:  raic  fid;  bie  'llng(cid^l;eit  ber  moralifd^en  SSott= 
fommen{)eit  bamit  »ertrage;  unb  auf  biefe  ?^rage  fann  einem  foId;en, 
ber  fid^  in  Seibnij'  SBeltanfd^aunng  eingelebt  Ijat,  bie  3lntmort  nid)t 
fdiraer  fallen.  (SSgl  ©.  140  ff.)  @g  ift  bie§  atterbingS  ein  ^inau§= 
ge{)en  über  Seibnij,  unb  ßeffing  ift  nid^t  in  feinem  Siedete,  meber  roenn 
er  ben  neuteftament(id;en  ©d^riften,  nod;  menn  er  Seibnij  feine  Si^eutung 
ber  'eroigen  ©trafen  at§  i  ^  r  e  eigcntlid;e  3Jieinung  beilegt ;  aber  c§  ift 
ein  §inau§ge^en^  rael(^e§  fid^  gegen  ben  Sud;ftabcn  ber  Ieibni5ifd;en 
©c^riften  auf  ben  @eift  be§  ©ijftemg  berufen  fann,  meld^eS  bur(^  feine 
eigenen  @runbfä|e  geforbert  ift. 

SBeiter  entfernt  fid)  Seffing  von  Seibnij  burd)  jene  pantl)eiftifd^en 
i^been,  bereu  ©puren  un§  fd^on  in  feiner  früher  (©.  288  f.)  kfprodjenen 
Sugenbfd^rift  begegnet  finb.  SBir  befi^en  von  tf)m  eine  ffeine  2lb^anblung 
„über  bie  2BirfüdE)feit  ber  Singe  aufeer  @ott",  worin  er  au§einanber= 
fe|t,  ba§  er  fid^  baoon  feinen  Segriff  mad^en  fönne.  SDenn  ber  Segriff, 
weldien  ®ott  oon  einem  Sing  i)ahe,  muffe  aUe  Seftimmungen  biefe§ 
$Dinge§,  unb  fomit  auc^  atte  bie  Seftimmungen  entfialten,  in  benen  bie 
SBirfüd^feit  beSfelben  'be\ief)e\  roenn  aber  biefe§,  fo  fei  nid;tl  in  bem 
S)ing,  TOa§  nid^t  in  bem  göttlichen  Segriff  beSfelben  enthalten  märe,  e§> 
^abe  mitf)in  feine  SBirf Iid;feit ,  meiere  ron  biefem  Segriff  oerfc^ieben 
wäre.  S)er  IXnterfd^ieb  ber  Singe  üon  @ott  merbe  aber  bamit  nid^t 
aufgef)oben,  i^r  zufälliges  ©ein  fei  immer  ron  einer  anberen  2lrt,  al§ 
bie  notf)roenbige  2Birflid^feit  ©otte».  ^n  bem  gteid^en  ©inn  äußert  fid^ 
auc^  bie  „(Srjieliung  beg  aJienfc^engefc^led^tS"  (§  73.  75.  X,  321  f.). 
Senn  gunäi^ft  groar  fagt  ^ier  Seffing,  inbem  er  feine  früfiere  Seutung 
ber  Sreieinigfeit  roieber  aufnimmt:  @ott  muffe  bie  üottftänbigfte  Sor= 


298  Seffing. 

fteKiiitg  Don  fid^  felbft  I)a&en,  b.  l  eine  3Soi*fteKung ,  in  ber  fid^  alle§ 
befinbe,  xüa§>  in  if)m  felbft  fei,  bie  mitf)in  aud^  an  feiner  notf)it)enbigen 
SBirflid^fett  tf)eirnef)me,  unb  biefe§  58ilb  @otte§  fei  ba§,  raaS  popnlär  at§ 
ber  Soljn  @otte§  Be^eic^net  werbe,  ^m  weiteren  wirb  aber  biefer  ©o^n 
©otteS  a(§  ber  „felbftänbige  Umfang  aller  feiner  3SoIIfommenl^eitett'' 
befinirt,  gegen  ben  unb  in  bem  jebe  llnüoUfommenfieit  be§  ©injelnen 
üerfd^roinbe;  nnb  biefe  S)efinition  pa^t  weit  e^er  auf  bie  Söelt,  al§  auf 
bie  graette  ^erfon  ber  Strinität;  benn  nur  bie  SBelt  ift  ba§  üottfommene 
©anje,  in  bem  bie  UnooHfommeniieit  be§  ©ingeinen  üerfd^roinbet.  ^ier 
fiakn  wir  bafier  nic^t  mel;r,  wie  im  „ß^riftentf)um  ber  SSernunft/'  eine 
boppette  SDarflellung  ber  göttlid;en  S^oHfommenljeit,  eine  einfieitlidf;e  im 
<Bo\)n  unb  eine  gertfieifte  in  ber  2BeIt,  fonbern  bie  SBelt  felbft  ift  jenes 
Sitb  ®otte§,  weld^eS  entfielt,  inbem  fi(^  @ott  feine  SSoHfommenl^eiten 
rorfteHt,  unb  weil  fie  nur  burd^  biefeS  58orfteIIen  epiftirt,  f)aben  bie 
Singe  feine  Sirf(id;!eit  auBer  ©ott.  @B  ift  bieB,  wie  bemerft  (©.  289), 
immer  nod^  etwas  anbereS,  als  bie  Se^re  ©pinoga'S,  baB  @ott  nur  bie 
©ubftanj  ber  2SeIt  fei,  aber  eS  ift  aucC;  etwas  anbereS,  als  bie  leibniäifdje 
Se^auptung,  baB  @ott  bie  ajtonaben  atS  für  fic^  feienbe,  von  if)m  fclbft 
fubftantiell  ycrfc^iebene  SBefen  gefd^affen  Ifiabe. 

Slieb  aber  Seffing  {)iebei  ftcfien,  ober  gieng  feine  Hebereinftimmung 
mit  ©pinoja  nod;  weiter,  als  feine  eigenen  ©d^riften  unS  üerrat^en? 
i^acobi  f)at  befanntlid;  unmittelbar  nad^  Seffing'S  %ohe  bie  Sef)auptung 
aufgcftcKt,  ber  SSerftorbene  fei  in  feinen  legten  S^agen  ein  entfd^iebener 
©pinojift  gewefen  0-  ®cn  beweis  bafür  foHten  einige  ©efpräd^e  liefern, 
weld^e  er  im  :3uli  1780  mit  Seffing  geführt  liatte.  Slber  wenn  wir 
aud^  bie  ^reue  feines  Sertd;tS  (a.  a.  0.  51  ff.)  nid^t  in  Slnfprud^ 
nelimen,  unb  bie  unabfid;tti(^cn  SSeränbeningen ,  weld^e  fid^  bei  ber 
SBicbergabe  frember  SleuBerungen  fo  leid;t  einfd;leid;en,  auBer  Sflec^nung 
laffen  wollen,  beweift  er  bod^  lange  nid^t,  waS  er  beweifen  foH.  3)enn 
für'S  erfte  barf  man  bei  Seffing  —  wie  fd;on  aJienbelSfolin  ridjtig  erin= 
nert  ()at  —  fetbft  wenn  eS  fid;  um  gebrudte,  nod^  riel  mel)r  aber, 
wenn  eS  fid;  um  leidet  l)ingeworfene  münblid;e  2leuBerungen  {)anbelt, 
nie  bloS  fragen,  waS  er  gefagt  i)at,  fonbern  and),  in  welchem  «Sinn  er 
es  gefagt  !^at;    unb  gerabe  bie  auffallcnbften  t)on  ben  2luSfprüd;en ,  auf 


1)    3SgI.  ®.  282.    3)a5  nä^eve  geben  bie  S3riefe  über   bie  ?el}rc  beS   ©^jinoga 
in  Qacübi'S  Serien  IV,  a. 


SJerpttmB  jum  ©pinojifmuS.  299 

bie  ^acoU  ftd^  Beruft,  vertieren  babur(^  tfire  Sen)ei§!raft.  Seffing  fagt : 
wenn  er  fi(^  nac^  jemanb  nennen  foHte,  voü^te  er  feinen  anbern,  al§ 
©pino^a.  Slber  f)at  er  fid^  benn  nad^  irgenb  einem  S^orgänger  nennen 
rcotten?  @r  fd^ranbt  ben  übereifrigen  ©egner  ©pinoja'S  mit  ber  2luf: 
forberung,  fein  greunb  gu  werben,  e§  gebe  ja  bo($  fein«  anbere  ^^ilo; 
fopf)ie,  al§  bie  feinige.  Slber  er  miU  biefelbe  ^f)ilofopf)ie  aud^  bei  Seibnig, 
felbft  bei  §emfter^ni§  finben,  unb  er  giebt  fd^on  boburc^  flinreid^enb  ^u 
t)erftef)en,  ba§  hü§>,  roa§>  er  f)ier  ©pinogifmu^  nennt,  üma§>  allgemeinere^ 
ift,  ol§  bo§  ©tiftem  ber  fpino^ifd^en  ®tf)if,  ba§  er  jebe  Slnfid^t  barnnter 
begreift,  meldte  ben  einf)eitlid^en  ^i^f^^^^enfiong  ber  2öclt  unb  bie  (Se= 
genroart  ®otte§  in  ber  SBelt  feftf)ä(t.  @r  erroiebert  auf  ^ocobi'?  Se= 
fenntniB,  „i^d^  glaube  eine  uerftänbige  perföntid^e  llrfadf;e  ber  Sßett": 
„D  befto  beffer!  S)a  mu§  id^  etraaS  ganj  neueS  gu  f)ören  befommen." 
Slber  e§  get)örte  ofine  S^^^f^t  ^'^  Eigenliebe  eine0  i^acobi  baju,  um 
au§  biefer  Stntmort  bie  Ironie  über  ba§  ^atf)o§  nid^t  f)eran§3uf)ören, 
mit  bem  er  feinen  Äated^ifmuSfprud^  norgetragen  l^atte.  2lu?>  biefen 
unb  öl^nlid^en  Sfeu^ernngen  fann  man  nidjt  mef)r  fc^lie^en,  al§  ba§ 
ßeffing  in  bem  3JJanne,  „yon  bem  bie  fieute  immer  rebeten,  mie  üon 
einem  tobten  §unbe",  einen  5pf)i(ofop^en  uon  fettener  @rö§e  beiuunberte, 
in  feinem  Softem  eine  bleibeube  3Baf)rf)eit  auSgefprod^en  fanb;  in  roet= 
d^em  ©rab  aber  er  felbft  mit  biefem  ©ijftem  übereinftimmte,  lö^t  fid^ 
au§  ilinen  nid^t  abnelimen. 

Seffing  gel)t  aber  allerbingS  weiter.  6r  befennt  fic^  gu  bem 
fV  x(u  TTiiv  (ber  ©inf)eit  alle§  @ein§).  (£r  erflärt,  bie  ortfioboyen  S3egriffe 
tK)tt  ber  ©ott^eit  feien  nid^t  mel)r  für  il)n,  er  fönne  fie  nic^t  geniepen. 
(£r  bezweifelt  bie  „perfönlid^e  eytramunbane  ©ottfieit."  ®r  fonnte  fid^, 
tüie  ^acobi  fagt,  mit  ber  ^bee  eines  perfönlid^en  fd^led^terbingS  unenb= 
lid^en  2öefen§,  ba§  im  unneränberlic^cn  ©enuffe  feiner  oHerl^öd^ften  SSolI= 
fommenfieit  fei,  nidjt  rertrogen:  „er  üerfnüpfte  mit  berfelben  eine  fold^e 
SSorfteltung  t)on  unenblic^er  Sanger roeile,  'üa'^  il)m  angft  unb  mel)  babei 
TOurbe."  ßr  bejeid^net  eS  al§  ein  menfc^lid^eS  ^ßorurtl^eil,  bo^  mir  ben 
©ebanfen  oX§>  ba§  erfte  unb  twrnelimfte  betrachten  unb  au§  i^m  alle§ 
fierleiten  motten:  2lu§bef)nung ,  ^Bewegung,  ©ebanfe  feien  offenbar  in 
einer  pl^eren  ^raft  gegrünbet,  bie  nod^  lange  nid^t  bamit  erfdjöpft  fei. 
Slber  boc^  entlialten  atte  biefe  2lu§[agen  in  ber  ^auptfac^e  nid}t§,  raa§ 
nid^t  aud^  burd)  Seffing'ö  ©d^riften  beftätigt  mürbe,  ©ie  alle  füfiren 
fic^  fd;üe^lid;  borauf  jurücf,  ba^  mir  un§  @ott  nid^t  al§  au|ern)eltlic^e§ 


300  ^effing. 

SBefen,  iinb  ba^  roir  if)n  un§  nid^t  alg  eine  ber  menfd^lid^en  äf)nlic^e 
5|Jcriönnd;feit  üorftellen  follen.  33on  biefen  gtüei  Seftiminungen  ftei)t 
aber  bie  erfte  für  Seffing  au(^  nod;  bem  obenbemerften  au^er  ^weifet: 
toir  fiaben  ja  gefef)en,  ba§  er  ber  Söelt  ein  eigenes,  t)on  bem  göttliciien 
getrenntes  ©ein  abfprid^t.  2lud;  für  bie  groeite  fann  man  fid^  aber 
nic^t  bloS  auf  i^acobi  berufen.  Seffing  felbft  fagt  in  ber  (Sr5ief)ung 
b.  M.  (§  73):  ©Ott  ÜJnne  unmöglid^  in  bem  S3erftanbe  6inS  fein,  in 
lüeldjem  cnbüd;e  5Dinge  @inS  finb,  feine  (Sintieit  muffe  eine  tran)cenben= 
taie  (bie  unS  befannten  Slnatogieen  überfteigenbe)  fein,  meldte  eine  2trt 
t)on  3)ie{)r£)eit  ni(^t  auSfd^üe^e;  raie  fie  bie|  allerbingS  fein  mu^,  roenn 
bie  gange  SBelt  in  bem  göttlidjen  SSorftellen  entl)alten  ift  unb  an  i^m 
jeine  2öir!(id;feit  ^at  Stber  als  ein  üorfteüenbeS  äßefen,  nid^t  als  eine 
unperfönlidje  i!raft,  roirb  bie  @ottf)eit  l)ier  bod;  bargeftelit;  unb  ebenfo 
fagt  ßeffing  über  fie  gu  i^acobi  (a.  a.  D.  ©.  61),  roaS  üon  einem  unper= 
fönlidjcn  2Befen  nun  unb  nimmermel)r  gefagt  werben  fonnte:  fie  muffe 
nnenblic^  üortreffli(^er  fein,  als  jebe  il)rer  Söirfungen,  unb  fo  !önne  eS 
aud^  eine  2lrt  beS  ©enuffeS  für  fie  geben,  ber  ni(^t  allein  alle  ^Begriffe 
überfteige,  fonbern  vöiiiQ  au^cr  bem  Segriff  liege.  S)a§  er  biefeS  au^er 
bem  ^Begriff  liegenbe  ju  begreifen,  baS  ^itföi^^^^^f^ii^  "^^^  üerfc^iebenen 
SBeftimmungen,  meldte  fic^  il)m  über  bie  ©ottl)eit  ergeben  l^atten,  gu  er? 
!lären  vermöge,  fonnte  ßeffing  natürtid;  nid^t  glauben;  unb  fo  gefc^al) 
es  aud;  gemi^  mit  allem  3Sorbel)alt,  roenn  er  nad;  ^^cobi  bie  ©ottl)eit, 
um  fid;  ron  il)rer  ^erfönlid^feit  eine  33orftellung  ju  mad;en,  als  bie 
©eele  beS  2111  badjte,  bie,  wie  er  annaf)m,  fid;  t)on  3^^^  3^  ^ät  in  fid^ 
gurüdgiel^e  unb  raieber  auSbel)ne.  %üx  feine  eigeutlid^e  ajteinung  mirb 
nur  bieB  gelten  fönnen,  baB  ©ott  nid^t  au§er  ber  333elt  fei,  fonbern  bie 
2Belt  an  feinem  SDenfen  il;re  SBirflid^feit  f)abe;  ba§  er  felbftberau^te 
^ntelligcnj,  geiftige  ^erfönlid;feit  fei;  baB  aber  biefe  ^erfönlid^feit  über 
jebe  3lnalogie  beS  menf(^tid;en  ©elbftberou§tfeinS  unb  über  alle  üon  il)m 
abftraljirten  S3egriffe  fd;led^t^in  l)inouSliege.  ©o  unoerfennbar  fid^  aber 
fieffing  burd;  biefe  33orftellungSroeife  ©pinoga  annäl)ert,  fo  ift  bod^ 
immer  no(^  giüifdlien  feiner  ©otteSibee  unb  ber  ©pinoga'S  ein  großer  unb 
tiefgreifcnber  llnterfd;ieb.  ßrioägt  man  üollenbs,  rcie  fel)r  jener  ^nhi-- 
üibualifmuS,  ben  mir  alS  einen  ©runbgug  in  ßeffing'S  5)enhucife  fennen 
gelernt  l^aben,  bem  innerften  ©ci'iti  beS  ©pinogifmuS  miberftrebt,  mie 
toenig  ein  ©pinoga  bie  unenblid^e  ^ortbouer  unb  2>erüollfommnungS= 
fäl)igfeit  bcS  Siujetncn  l)ättc  gugcbeii  fönnen,  mie  entfd^icben  er  bei  jeber 


Äuufttritit  unb  ?Iep^etif.  301 

®elegen!)eit  jener  %ekoloq,\e  roiberfpri($t ,  ron  ber  Seffing'S  2öe(t=  unb 
@efd^t(^t§Qnf($auung  befierrfdjt  wirb,  unb  loie  er  burd^  fein  ganjeS 
Sijftem  genötf)igt  ift,  {§r  ju  roibevfprec^en,  fo  rairb  man  fic^  feid^t  über= 
sengen,  um  roieoiet  Seffing  benn  boc^  Seibni^  nä§er  ftef)t,  qI§  Spinoza. 
®aB  bieB  ober  in  ber  legten  S^lt  feinet  ScbenS  anberg  geroorben  fei, 
ift  3roar  an  unb  für  fid^  fd^on  bei  einem  9Jtanne,  raie  Seffing,  ganj  un= 
glaublid^ ;  e§  raiberftreitet  aber  auc^  bem  Slugenfdjein :  e§  finbet  ja  groi^ 
fc^en  ben  3Ieu§erungen  gegen  i^acobi  unb  ßeffing'S  ©c^riften,  fobalb  man 
bie  erfteren  rid^tig  auffaßt,  gar  fein  fad^(id;er  ©egenfa^  ftatt,  unb  eS 
lieBe  fid^  ein  fold^er  auä)  nid;t  begreifen,  ba  bie  ©efpräc^e  mit  i^acobi 
genau  in  bie  gleiche  Qdt  fallen,  wie  bie  Verausgabe  ber  ©rjietiung  beS 
3Jlenfd^engefd^(ec^t§. 

3Jian  möd^te  nun  üielleid^t  erwarten,  ba^  Seffing  feine  pfiitofop^i^ 

fd^en   2Infid^ten   vor   atlem    auf   bem  ©ebiete  üerroert^et  fiaben  werbe, 

raetc^eg  in  feiner  t)ietieitigen  2i)ätigfeit  vielleicht  bie  fieröorragenbfte  SteOe 

einnimmt,  bem  ber  Äunfttt)eorie  unb  ber  öft{)etif^en  ^ritü.    Slber  für 

eine  unmittelbare  3lnroenbung  feiner  ^f)itofopt)te  auf  feine  STefttietif  ift 

fomo!)!  bie  eine  a(§  bie  anbere  ju  unftjftematif^.    ^ener  fe^tt  e§  nament^ 

lic^  an  ben  pfijd;ologifd^en  Unterfuc^ungen,  meldte  ber  2left^etif  jur  ©runb^ 

(age  bienen  fönnten;  biefe  nimmt  bei  Seffing  nic^t  bie  ©eftatt  einer  aü- 

gemeinen  %^eovk  an,  fonbern  eingelne,  bie  Slufgabe  unb  bie  S3ef)anb(ung 

einer   beftimmten  Äunftgattung  betreffenbe   ^^ragen    geben   it)m  33eran- 

(affung,  jene  @ä|e  auS^ufprec^en ,  meldte  U)n  ju  einem  ©efe^geber  auf 

bem  ©ebiete  ber  Äunft  gemad^t  l^aben.    ©eine  metapt)i)fifdjen  unb  feine 

äft^etifd;en  Slnfi^ten  liegen  afferbingS,  raie  fic^  bie^  üon  felbft  verfielet, 

ni^t  sufammenl^anglloS  neben  einanber;  aber  if)r  3«loi^^"ent)ang  liegt 

weniger  in  ben  einjelnen  S3eftimmungen ,  meldte  er  t)on  ber  ^^i(ofopt)ie 

entlet)nt  unb  auf  bie  ^unft  übertragen  t)at,  al§  in  ber  gan3en  2(rt,  raie 

er  feinen  ©egenftanb  bet)anbe(t.    S^aS  roi^tigfte,  raaS  er  aU  2leftt)etifer 

üon  ber  ^f)i(ofopl)ie  gelernt  ^at,  beftef)t  in  benfelben  ©tücfeu,  raetd^e 

©uripibeS,  mie  Seffing  glaubt  (©ramat.  49  St.),   oon  ©ofrateS  (ernte, 

unb  meldte  mir  überliaupt  üon  ben  ^l)ilofopf)en   lernen   foüen:    „auf 

unfere  ©mpfinbung  aufmerffam  fein ;  in  aKem  bie  ebenften  unb  für^cften 

3Bege  ber  Statur  auSforfc^en  unb  lieben;  jebe§  S)ing  nac^  feiner  2lbfic^t 

beurtl)ei(en/'    ©§  ift  mit  ©inem  2öort  jeneä  2tuff(ärung§ftreben,  in  bem 

er  fid)  gunädift  an  Seibnis  anfd^Iie^t,  metd^eS  i{)u  auc^  in  feiner  Äunft= 

friti!  geleitet  tjat.    @r  mü  bie  Äunft  über  fid;  felbft  aufflären,  il)r  ju 


302  ^effing. 

beut[id;en  Gegriffen  über  i^re  Qiek  unb  i^v  Sßerfa'^rett  t)erf)elfen.  ^ie 
S)eut(idjfeit  unferer  Segriffe  berut)t  aber  auf  ber  Uuterfc^eibung  ber 
Singe  unb  i£)rer  Seftanbtfieile  unb  {)ätt  mit  ber  ©d;ärfe  biefer  Unter: 
f(^eibung  gfeii^en  Schritt.  Seffing  ge^t  bafier  vox  aüem  barauf  au§, 
ber  33ermifd;ung  be0  oerfd^iebenartigen  in  ber  ^unft  ein  (Snbe  gu  mad^en, 
jeber  j?unftgattung  il;re  Slufgabe  genau  ju  beftimmen,  ii)r  ©ebiet  gegen 
alle  benad;barten  (Gebiete  fd^arf  abzugrenzen.  ®r  jeigt  in  ber  «Schrift: 
„^ope  ein  3}ietap^i;fifer" ,  baB  ein  S)id;ter  al§  S)i(^tcr  fein  ©i;ftem 
ttia(^en  fönne  unb  feines  maäien  lüoHe:  er  [teilt  bie  ©renjje  ^raifd^en 
^oefie  unb  ^§i(ofop^ie  feft.  @r  fü^rt  im  Saofoon  au§,  ba§  ber  @egen= 
ftanb  ber  SOf^alerei  i^örper  feien,  ber  ©egenftanb  ber  ^ßoefie  §anblungen, 
ba^  es  jene  mit  fold^em  gu  tl^un  ^aU,  roaS  im  3flaume  neben  einanber 
ift,  bicfe  mit  fotc^em,  mal  in  ber  ^^it  aufeinanberfolgt ,  baB  jene  bie 
^anblungen  nur  anbeutungSroeife  burd;  Körper  nad^a^men  fönne,  biefe 
bie  J?örper  nur  anbeutungSroeife  burd^  ^anbtungen,  unb  er  leitet  f)ierauS 
bie  ^Hegeln  über  bie  Se^anbtung  ber  beiben  fünfte  ab,  meli^e  faft 
burd^ouS  I)eute  no(^  gelten :  er  beftimmt  bie  ©ren^e  gmifd^en  ber  bilben^ 
ben  ^unft  unb  ber  S)id^tfunft.  ©r  meift  in  ber  Dramaturgie  (88-95  (St.) 
an  ber  §anb  beS  2lriftoteteS  gegen  S)iberot  nac^,  ba^  eS  bie  S:ragöbie 
fo  gut,  mie  bie  Äomöbie,  aud^  roenn  fie  ifire  gelben  au§  ber  ©efc^id^te 
entlehnt,  boc^  nid^t  mit  biefen  einzelnen  ^erfonen,  fonbem  mit  allge^ 
meinen  S^orafteren,  unb  nid;t  mit  hen  roirftid;en  ^Begriffen  jener  ^er: 
fönen,  fonbern  mit  hem  gu  t^un  i)abe,  maS  3Jlänner  t)on  itirem  ß^arafter 
überfiaupt  begegnen  fönne  unb  muffe:  er  beftimmt  bie  ©ren^e  zmifd^en 
^oefie  unb  ©efc^id^te.  ©r  bringt  in  feinen  epod;emad;enben  Erörterungen 
über  bie  2;ragöbie  barauf,  ba§  baS  Srama  nid^t,  wie  bie  gabel  ober 
bie  moralifc^e  ©r^äfilung  überi)aupt,  einen  attgemeinen  moralifd;en  @a^ 
äur  3(nf(^auung  bringen,  fonbern  unfere  Seibenfd^aften  erregen  unb 
reinigen  moile;  unb  baB  eS  bie  2:ragöbie  f)iebei  nid^t,  mie  bie  Äomöbie 
ober  ba§  ßpoS,  auf  Seibenfd^aften  jeber  2lrt,  fonbern  nur  auf  3)^it(eib 
unb  gurd^t  abgelesen  ^aU  {ehh.  12.  35.  47  ©t.):  er  beftimmt  bie 
©ren^e  zroifc^en  ber  2;ragöbie  unb  ben  übrigen  S)id;tung§arten.  Unb 
als  einen  roa§rl)aft  pl)i(ofopl)ifd^en  ilopf  bemä^rt  er  fid;  ^icbei  burd^  bie 
©rünblid;feit,  mit  ber  er  überall  üon  ber  äußeren  gorm  auf  baS  äßefen 
ber  ©ac^e,  auf  bie  eigentf)üm(id;e  Stbziuecfung  jeber  ^unftgattung ,  auf 
bie  if)r  gu  ©ebote  ftel)enben  SarftettungSmittel  unb  bie  burd;  beibeS  be^ 
bingte   S3el)anbluug   i^rer   ©egenftänbe   3urüdgel)t.     ^n   berfclbcn  tiefs 


Äunftfritif  unb  STefi^etif.  303 

bringenben  3Bei[e  bef)anbe(t  er  bie  %vaQe  über  bie  bret  artftoteIif(^en 
©in^eiten  (3)ramat.  44 — 46  ©t.).  211»  ba§>  wefenttic^e,  au§  ber  3^atur 
he§>  S)rama'§  folgenbe,  ^ä(t  er  nur  bie  ©infieit  ber  ^anblimg  feft,  bie 
be§  Drt§  unb  ber  !^dt  bogegen  erftärt  er  für  etn}a§  burd)  bie  eigen= 
tf)ümlid^en  SSerfiältniffe  be§  griec^ifc^en  ©rama'l  bebingteS,  unb  3ur 
(Sinl^eit  ber  ^^'t  verlangt  er  (gegen  S^oltaire),  ha^  bie  bargefteHten  Se-- 
gebeuf)eiten  nid^t  6(o§  nad^  pf)i)fifd;er,  fonbern  and;  nad;  moratifd;er 
9Kög(i(^feit  an  Ginem  2;age  gej'dje^en  fonntcn.  Seffing  ge^t  bei  biefen 
llnter[ud;ungen  atterbing»  nic^t  oon  einem  beftimiuten  <Bi)\km  au§> ;  aber 
bo^  feine  pf)i(ofopf)ifc^en  ©tubien  roefentlid;  baju  beitrugen,  feinen  Slid 
für  biefetben  ju  fc^ärfen,  (ä§t  fi($  ni^t  be3roeife(n.  dloä)  beutüi^er  tritt 
ber  ©influB  feiner  pl^iIofopi)if^en  2)enfart  an  einigen  anberen  fünften 
l^eroor.  SSenn  er  gerabe,3U  fagt:  alle  ©attungen  ber  ^oefie  follen  uuiS 
beffern,  unb  raaS  jebe  am  tjodfornmenften  beffern  fönne,  ba^  fei  i§re 
eigentiid^e  Seftimmung,  unb  roenn  er  in  biefer  SSorau§fe§ung  aud^  bie 
^Reinigung  be§  3)^itleib§  unb  ber  j^nr^t,  in  raeld^er  nac^  StriftoteleS  bie 
eigentf)ümtid^e  SBirfung  ber  5j;ragöbie  beftef)t,  irriger  SSeife  von  „hev 
5ßerTOanblung  ber  Seibenfd^aften  in  tugenbijafte  gertigfeiten"  erfläit 
(®ramat.  <St.  77.  78),  fo  entfprid^t  bie^  ganj  bem  einfeitig  moratif d^en 
©tanbpunft  ber  2luff(ärung§periobe.  2Benn  er  ba»  bürgerUd;e  2;rauer= 
fpiel  mit  ber  33emer!ung  (ebb.  14  @t.)  in  <Bd)ni^  nimmt:  bie  S^amen 
üon  gürften  unb  gelben  tragen  jur  9^ü§rung  nid^t§  bei,  wir  ^aben 
9JiitIeiben  mit  i^nen  aU  3}ienfd;en,  nii^t  al§>  mit  Königen,  fo  werben 
rcir  barin  bie  $Den!n)eife  einer  3^it  erfennen,  mefd;e  ben  9)Zenfc^en 
nid^t  naä)  feiner  äußeren  ©tellung,  fonbent  nur  nad;  feinem  inneren 
SBert^e  beurtlieilt  n)iffen  mill ;  ebenfo  aber  and;  in  bem  meiteren  Seifal : 
ein  Staat  fei  ein  üiet  ju  abftrafter  ©egenftonb  für  unfere  Gmpfinbun^ 
gen,  jenen  inbiüibualiftifd^en  ^ofmopoIiti§mu§,  ben  mir  bei  Seffing,  mie 
bei  ber  SJlefirjafil  feiner  beutfd^en  ^c^tgenoffen ,  getroffen  fiaben.  58e- 
fonberS  fru(^tbar  jeigt  fid^  aber  bie  (eibni^ifdje  ^f)iIofopf)ie  für  Seffing'S 
Slnfic^t  t)on  ber  Äunft  in  einer  Setrad;tung,  auf  bie  er  öftere  3urü(f= 
!ommt.  S)er  ©id^ter,  fagt  er  (5Dramat.  34.  70.  79),  bürfe  un0  @e= 
ftaiten  oorfü^ren,  bie  einer  anberen  al§  unferer  SBelt  angefiören,  er 
bürfe  aber  aud^  anbererfeitS  nid^t  aße§,  roa§>  mirflid;  gefd^e(;en  ift,  nod^= 
afimen.  S)enn  in  ber  SBirflid^feit  f)abe  freilid;  allel  feinen  guten  @runb 
in  bem  eroigen,  unenblid^en  ^wfammenfiang  aller  5)inge.  SlHein  biefen 
3ufammenf)ang  fönnen  roir  nic^t  überfefien;  roa§  in  iJ)m  2Bei§J)eit  unb 


304  ^effing. 

©Ute  fei,  ha§  fönne  un§  itt  ben  wenigen  ©Hebern,  bie  ber  S)t(^ter 
f)eraii§nel^me,  at§  Blinbel  ©efd^icf  unb  ©raufamfeit  erfd^einen.  @§  fei 
ba{)er  bie  Slufgak  ber  ^unft,  aii§  biefen  roenigen  ©liebem  ein  ©anjeS 
3U  mod^en,  ha§>  fid^  üöHig  runbe,  unb  für  feine  ©c^roierigfeit  bie  Söfung 
au^er^alb  feines  ^laneS  ju  fud^en  nöt^ige;  ba§  ©onje  biefeS  fterblid^en 
(£d^öpfer§  foHe  ein  @d;attenri^  üon  bem  ©angen  be§  eroigen  ©(^öpfer§ 
fein,  follc  un§  an  ben  ©ebanfen  geroöfinen:  roie  fid^  in  il^m  aUe§>  jum 
heften  ouftöfe,  werbe  e§  aud^  in  jenem  gefd^et)en.  @§  ift  bie§  ber  <Ba^e 
na<S)  ba§  gleid^e,  roie  roenn  nnfere  fieutige  Sleft^etif  »erlangt,  ba§  bie 
^unft  nn§  im  (Snbndf;en  ba§  Unenblid^e,  in  ber  ©rfd^einnng  bie  ^bee 
gur  Slnfrfjannng  bringe.  SIber  biefe  ibeate  Slnfid^t  üon  ber  Slufgabe  ber 
^unft  fnüpft  fid^  {)ier  bnrd^aug  an  bie  leibnijifd^e  Se^re  von  ber  allge^ 
meinen  |)armonie  nnb  ber  SSoHfommenfieit  beg  göttlichen  2BeltpIan§: 
ber  ©id^ter  foll  un§,  wie  Seffing  roill,  im  5Cf)eite  bie  fiarmonifd^e  SSoIl= 
fommenfieit  bei  ©anjcn  evfennbar  mad^en. 

9?oc^  unmittelbarer  nnb  burc^greifenber  fe|en  mir  Seffing'S  2Infidf;t 
über  bie  9teIigion  von  feinen  p]^iIofopf)ifd^en  tleber^eugungen  be- 
f)errfc^t  ^).  @r  f)atte  fidj  felbft  urfprünglid^  bem  ©tubium  ber  ^^eo- 
logie  geroibmet,  nnb  roenn  er  e§  anc^  al§  ^^ad^ftubinm  f(^on  früJie  auf= 
gab,  ^tten  if)n  bod;  bie  t|eotogifd;en  fragen  fortroci^renb  befdiäftigt. 
©r  Ia§  bie  ©d^riften  ber  ^reibenfer  unb  ber  2lpoIogeten,  er  ftnbirte  in 
33re§fan  neben  ©pinoja  and^  bie  ^irc^enoäter,  unb  er  naf)m  biefe  (Stn= 
bien  fpäter  in  SBoIfenbüttel  roieber  auf.  S)ie  2lngviffe,  benen  er  fid^ 
roegen  ber  Verausgabe  ber  SBolfenbüttler  Fragmente  (f.  o.  ©.  246) 
ausgefegt  faf),  riefen  bann  nid^t  btoS  jene  glänjcnben  SSertt)eibigung§- 
unb  (3treitfd;riften  ^erüor,  in  benen  er  feine  ©egner  gurüdfd^htg,  ein- 
zelne berfelben,  wie  ben  berufenen  ^auptpaftor  ©ö|e,  förmlid^  germalmte, 
fonbern  fie  würben  für  i^n  dud^  ber  Slnta^,  feine  Slnfic^t  t)on  ber  9le= 
tigion  unb  bem  ß^riftent^um  genauer  auSeinanber^ufe^en  unb  gu  he- 
grünben.  Seffing'S  fd^riftftellerifd;c  Stl^ätigfeit  war  in  ben  legten  fed^S 
;3a{)ren  feines  ScbenS  biefen  3Serf)anbIungen  faft  auSfd^tieBtid^  gewibmet: 
aus  if)nen  ift  baS  üoffenbetfte  unb  eigenartigfte  @rgeugni§  feiner  3}iufe, 


1)  9Dt.  togl.  äum  folcjcnben  meine  21bf)anblung:  ?e[fiiig  al§  2;:^colDg,  in  ©^bet'S 
giftet.  B^itfc^r.  XXIII,  343  ff.  3(^  neljme  ben  roefcutlidjen  ^nijalt  unb  jum  S^cil 
and}  bie  2Borte  biefev  ^Ibljanbliing  in  bie  gegenwärtige  ©arfteüung  auf,  tnbcut  ic^  ntid^ 
im  übrigen  auf  bie  bort  gegebenen  uäLjcreu  9tad}aieifungen  be^ic^e. 


2)tc  SReligion.  305 

ber  ^ati)an,  fo  rate  er  je^t  oorliegt,  fieroorgegangen ;  in  beu  Ueberjeu^ 
gungen,  raetd^e  fic^  if)m  graor  in  ber  ^auptfacf;e  fd^on  längft  gebtlbet 
Ratten,  raelc^e  er  aber  boc^  je^t  erft  in  üoffer  Steife  barlegte,  finbet  feine 
gon^e  Söettanfd^auung  nad;  meiir  a(§  ©iner  6eite  f)in  if)ren  2lbf(^tnB. 
S)en  3}iitte(piinft  aUer  biefer  ©rörternngen  bitbet  bei  Seffing  [bic 
Unterfd^eibung  graifd^en  ber  ^Religion  al§  fold^er  nnb  ber  gorm,  in 
roetc^er  ber  retigiöfe  @ef)alt  in  einer  beftimmten  3^^t  niebergelegt  nnb 
fortgepflonjt  würbe.  3|tem  raafiren  SBefen  nad^  fällt  bie  9teIigion  ihm 
jufotge  mit  ber  ©itttid^feit  gufammen.  ^n  biefem  (Sinn  ^tte  er  f(^on 
in  ben  „©ebanfen  über  bie  ^errnf)uter"  bem  befd^auenben  ©^riftentfinm 
bag  anSübenbe  aU  baSjenige  entgegengeftettt,  raoranf  e§>  allein  anfomme, 
nnb  aus  biefem  ©efid^t§pun!t  tiatte  er  3i^3^"i'orf  nnb  feine  ©emeinbe 
in  ©d;u^  genommen.  2rnf  bemfelben  ©tanbpunft  finben  wir  ifin  aber 
and^  nod^  in  ben  ©d^riften  an§  feinen  legten  :3af)ren.  ^m  „2:eftament 
:3of)anni§"  füf)rt  er  an§,  ba^  e§  mit  bem  Sf)riftentf)um  riel  beffer  an0; 
gefefien  \)abe,  fo  lange  man  für  bie  §auptfad;e  barin  noc^  ba§  (Bebot 
ber  Siebe  ^ie(t,  a[§>  je^t,  rao  man  bie  S)ogmatif  bafür  i}alte.  SlnberS-- 
rao  (XI,  b,  242)  nnterfdjeibet  er  jroifd^en  ber  9ieIigion  ß^rifti  nnb  bor 
d^riftlid^en  Sieligion.  3^ne  ift  bie  Sieligion,  bie  S^riftuS  felbft  al§ 
ajlenfd^  übte,  bie  Sieligion  ber  ^römmigfeit  nnb  ber  S}ienfd^enliebe ;  bicfe 
bie  Sieligion,  raetd§e  S^riftnS  al§  übermenfd)lid;e§  SSefen  üerel)rt.  I^ene 
ift  üoUfommen  flar  nnb  für  alle  SJlenfd^en;  biefe  ift  fo  nngeroi^  nnb 
graeibentig,  ba^  feine  ^roei  9}lenf($en  barüber  einig  finb.  ^n  iljrem 
l)öd)ften  ©lange  tritt  ober  bicfe  ©efinnung  an§  bem  Slatlian,  biefem 
poetifd^en  @lanben§befenntni§  Seffing'S,  fieroor.  2öie  ^ier  ber  S)id)ter 
33efenner  oerfd^iebener  Sieligionen,  bie  fid^  anfangt  mit  bem  i^nen  an^ 
erlogenen  SSorurt^eil  gegenüberftanben ,  fid^  am  6nbe  als  3Jlitglieber 
©iner  gamilie  er!ennen  lä§t,  fo  liegt  ber  leitenbe  ©ebanfe  be§  gangen 
6tüdS  in  bem  @a^e,  ba§  bie  bnrd;  i\)x  SefenntniB  getrennten  in  bem 
©efü^l  if)rer  a^erroanbtfd;aft  als  SJlenfd^en  fid^  jufammenfinben ;  ba§ 
jeber  (gingelne  auf  imfere  2ld^tung,  jebe  befonbere  Sieligion  anf  nnfere 
3lnerfennung  nur  in  bem  3)laB  Stnfprnd^  l^aU,  in  raeld^em  fid;  ber 
©lanbe  burd^  jenes  rein  menfd;lidje  @efül)l  nnb  bnrd^  baS  i§m  entfpre- 
d^enbe  58erl)atten,  burd^  ©rgebenlieit  in  @ott  nnb  nnbeftod^ene,  aufopfernbe 
3Jlenfc^enliebe  beraälirt.  3)er  9latl)an  ift  bie  bid^terifd^e  SSerberrlic^ung 
einer  ^Denfraeife,  raetc^e  baS  gemeinfam  menf(^tidje  für  rai(^tigcr  fiält, 
als  baS  pofitioe,  bie  ©ittlid^feit  für  wichtiger,  als  baS  S)ogma,  mel<3^e 

3 eilet,  (Sefc^i^te  öet  beutfc^en  «JJfjilofortie.  20 


306  Seffing. 

ben  3J?cni($en  nid^t  nac^  bem  beurtJ)ei(t ,  raal  er  glaubt,  fonbern  na^ 
bem,  1000  er  ift  unb  wa§  er  t^ut  S)ie  eigenttid;e  Sebeutung  ber  die- 
ligion,  ber  bleibenbe  @ef)alt  ifirer  mannigfaltigen  unb  raed^felnben  ^^ormen, 
liegt  nadj  ßeffing  ganj  unb  gar  in  il)rer  praftifd;en  SSirfung,  in  ber 
Siebe  gur  @ottf)eit  unb  gu  ben  3}iitmenfd;en,  bie  fie  l^eroorbringt.  S)er 
üottftänbige  Inbegriff  ber  natürlidjen  9teligion,  ju  ber  jeber  3)ienfd^  rer^ 
bunben  ift,  beftet)t,  raie  er  fagt  (XI,  b,  247),  barin,  ba^  man  einen 
©Ott  erfennt,  fid;  bie  roürbigften  Segriffe  üon  i^m  gu  madien  fud;t,  unb 
auf  biefe  Segriffe  bei  aEen  ©ebanfen  unb  .^anbtungen  Sflüdfid^t  nimmt. 
®iefe  natürlid^e  Sietigion  mürbe  nun  an  fic^  bei  einem  jeben  bie 
©eftatt  annet)men,  meldte  bem  3Jla§  feiner  ©eiftegfräfte  entfpröd)e;  e§> 
märe  alfo  eine  allgemeine  9ie(igion  in  hen  üerfc^iebenften  inbioibuetten 
3)tobififationen.  SBenn  mir  ftatt  beffen  eine  Slnjat)!  bcfonberer  Steligio^ 
neu  in  ber  2öelt  finben,  fo  erflärt  bie§  Seffing  au§>  bem  SebürfniB  be0 
menfc^lic^en  ©emein(eben§ :  um  ben  S^ac^t^eiton  oorjubeugen,  roeld;e  bie 
$8erf(i)iebent)eit  ber  Sieligionen  in  bem  ©tanbe  ber  bürgerlid;en  Sereiui= 
gung  l)ert)orbringen  fonnte,  mu^te  man  fid;  über  gemiffe  Singe  unb 
Segriffe  üerftänbigen ,  unb  biefen  conoentiouellen  S)ingen  unb  Segriffen 
bie  gleiche  2öid;tigfeit  unb  9lotl)TOenbigleit  beilegen,  mie  ben  natürlid^ 
erfannten  9teligion0n)al)rl)eiten ;  man  mufite  au§  ber  Diaturreligion  eine 
pofitiüe  3fleligiou  bauen,  wie  man  au0  bem  Skturret^t  ein  pofi= 
tm§>  9le(|t  gebaut  l)atte,  unb  biefe  pofitire  ^Religion  mu^te  fid^  ben 
Sebürfniffen  unb  ©itten  jebeg  ^^olfS  anbequemen  (XI,  b,  244.  X,  262). 
5E)ie  pofitioe  S^teligion  erl)ält  nun  il)re  ©anftion  burc^  ben  Offenbar 
rungSglauben.  ^n  ber  näl)eren  ßrflärung  biefeg  @lauben§  bleibt 
fi^  aber  Seffing  nic^t  glei($.  6inerfeit§  fagt  er,  2Bal)rl)eiten ,  bie  je^t 
bem  gemeinften  3Jiann  einleuchten,  muffen  einmal  fel)t  unbegreiftid;  unb 
baf)er  unmittelbare  (Eingebung  -ber  ®ottl)eit  gefallenen  l)aben  (X,  30  t)gl. 
321);  er  leitet  alfo  ben  ©tauben  an  ben  übernatürlichen  Urfprung  ge= 
roiffer  Seiiren,  im  ©eift  unferer  Ijeutigen  9leligion§p^lofopt)ie ,  barau0 
ab,  baB  man  fid^  if)re0  natürlichen  IXrfprungS  au0  ber  Sernunft  nic|t 
berou^t  mar.  Slnbererfeitä  fteUt  er  aber  bie  6a(f)c  aud;  wieber  fo  bar, 
al0  ob  bie  ©tifter  ber  pofitioen  9leligionen  bag  neue,  wa§>  fie  3U  ber 
natürlichen  Steligion  hinzufügten,  mit  beraubter  2lbfid^t  für  eine  gött= 
lid^e  Offenbarung  ausgegeben  l)ätten,  um  il)m  burd^  biefeS  Sorgeben 
Slnerfennung  ju  oerfd^affcn  (XI,  b,  247  u.  a.  ©t.) ;  unb  er  fd^eint  fid^ 
fogar  ju  biefer  2lnnal)me  übermiegenb  hinzuneigen,  rote  fie  ja  aud^  bei 


^^orttitoe  3fien9ton.  307 

ber  Slufflärung  be§  18.  ^al^r^unbert^  gan^  allgemein  raar;  mo^te  man 
nun  jene»  33orge6en  ber  9ieItgion§ftifter  mit  ben  franäöfifd^en  unb  ein- 
zelnen englif^en  greibenfern  aug  ber  eigeunü|tgen  oc^laul)eit  ber  Pfaf- 
fen unb  2)e[poten,  ober  mochte  man  e^  mit  ben  beutf(^en  3(ufflärern 
unb  ber  SJle^rjalil  ber  Gugtänber  au§  ben  moliliüollcnben  Slbfid^ten  oon 
9Jiänuern  lierleiten,  meldte  fic^  i^rer  ^öl)eren  2tuEtorität  ^ur  Segrünbung 
ber  ©ittli(^feit  unb  ber  bürgerlid;en  Drbnung  bebienten. 

2ßie  bem  aber  fein  mag:  ha§>  mefentüc^e  unb  allein  roertl^üolle  in 
ben  pofttiüen  Sfleligionen  fann  immer  nur  ba§  fein,  mag  fie  au0  ber 
9ftatur=  unb  3>ernunftreligion  in  fic^  aufgenommen  liaben.  2llle§  anbere 
finb  3utl)aten,  burc^  loelc^e  bie  SSernunftreligion  immer  nur  üerlieren, 
nie  geroinnen  fann;  :^iiti)aten,  roeldje  nur  in  ber  UnüoEfommenl)eit  ber 
3)ienf(|en,  in  ber  (Sc^roäd;e  i^rer  SrlenntiBi,  in  ben  Sebürfniffen  be§ 
bürgerlid;en  Seben^  il)ren  @ruub  ^aben.  3fiun  roar  allerbiugS,  biefe 
llnoottfommeul)eit  einmal  uoraue>gefc§t,  jenes  pofitioe  notl)roenbig,  unb 
e§  toar  für  jebeS  ^olf  ba»  feinem  ^ebürfniB  entfpredjcnbe  notliroenbig; 
unb  infofern  tann  Seffing  a.  a.  D.  fagen:  alle  pofitioen  unb  geoffen= 
Barten  Sfleligionen  feien  gleich  roal)r.  ©benfo  ober  anö)  umgefelirt: 
alle  feien  gteid;  falfd;;  raeil  nämlid^  in  Tillen  ba§  raefentlid;e  hnxä)  baS 
conuentionette  ge)(^roäd;t  unb  oerbrängt  roerbe.  S)a§  pofitire  in  ber 
SReligion  er[d;eint  il)m,  roie  ber  gangen  Slufflänmg,  als  ein  notliroenbis 
geS  Hebel;  roer  eS  entbehren  fann,  ftef)t  l)öl)cr,  als  roer  feiner  bebarf, 
unb  TOO  es  nid^t  ju  entbel)ren  ift,  ta  foU  eS  roenigftenS  mögtid^ft  un= 
f(^äbli(5  gemacht  roerben:  „®ie  befte  geoffenbarte  ober  pofitiüe  S^etigion 
ift  bie,  mel(i^e  bie  roenigften  conoentioneüen  ^n']ä^e  gur  natürl;d;en  die^ 
Itgion  enthält,  bie  guten  Sßirfuugen  ber  natürlid;en  9leligion  am  wenige 
jlen  einfd;ränft."  Slic^tS  anbereS  fpric^t  aud;  ber  9?atf)an  aus,  in  ber 
befannten  ßrjä^lung  uon  ben  brei  Stingen.  5Denn  ben  ftreitenben 
trübem  roirb  l)ier  gefagt,  ba§  feiner  von  il)nen  tm  ächten  9ling  l^ahe, 
fo  lange  fie  fi^  felbft  am  meiften  lieben ;  ober  eS  roirb,  oljm  Sitb,  ben 
ftreitenben  Sieligionen  gefagt,  bo^  feine  üon  il^nen  bie  roalire  Sieligion 
fei,  fo  lange  fie  auf  il)re  ^efonberf)eit,  auf  baS  pofitioe  in  il)r,  ben 
^auptnac^brucf  legt,  fonbern  jebe  nur  in  bem  3}ia§e,  roie  fie  in  @ott- 
ergeben^eit  unb  3)ienfd;enliebe  baS  gemeinfame  Sßefen  aller  Sieligion 
pflegt.  2öir  fef)en  be^^alb  auc^  bie  ©infic^t  unb  bie  fittlid^e  ^öi)e  ber 
l^anbelnben  ^erfonen  in  bemfelben  @rabe  §une§men,  in  bem  fie  fid^  üon 
bem  pofitiuen  il)rer  Sieligion  ju  jenem  gemeinfamen  ergeben,  unb  in  ber 

20  * 


308  ^effing- 

^aitptperfon  fetne§  ©tü(f§  füfjrt  itn§  ber  ®id^ter  einen  Mann  vor,  ber 
giüor  au§  2Inf)änglid^!eit  gegen  SSoIf  unb  ^^^amiüe  an  feiner  väterlichen 
^Religion  fcftf)ä(t,  ber  fid;  aber  t)on  allen  SSornrtfieifen  nnb  f)eininenben 
ßinftüffen  berfelben  üottfommen  frei  gemad;t  ^at.  ©erabe  oon  if)m  aber 
f)at  Seffing  (XI,  b,  163)  fe(bft  bezeugt,  D^atfian'g  ©efinnung  gegen  aEe 
pofitiüe  9le(igion  fei  t)on  jefier  bie  feinige  geraefen;  nnb  wenn  fein  ganje^ 
©tücf,  loie  er  fagt,  leieren  foll,  ba§  e§  nic^t  erft  t)on  geftern  f)ex  nnter 
allerlei  3?oIfe  :2ente  gegeben  ^dbe,  bie  fid)  über  aUe  pofitiüe  9?eIigion 
f)inroegfe|ten ,  nnb  bod;  gnte  Sente  waren,  fo  f)at  er  ba§  3)tnfterbilb 
eines  fo(d;en  9}ianne§  in  9fJatf)an  mit  einer  Siebe  gefdEiilbert,  bie  un§ 
Seigt,  ba^  er  in  i§m  fein  eigenfteS  ^beal  borftellt,  ba^  er  if)m  ba§  befte, 
ma§>  er  l^at  unb  raei^,  in  ben  3Jlnnb  gelegt  f)at. 

3Jiit  biefen  ©runbfä^en  fonnte  fi(^  nun  Seffing  felbftüerftänbtid;  in 
ben  tbeotogifdjen  Seioegungcn  unb  ©treitigfeiten  feiner  3^^^  nur  auf 
bie  (Seite  be»  entfdjiebenen  gortfdjrittS ,  ber  unumrounbenen  unb  xM- 
fi(^t§lofen  .^riti!  ftellen.  ®a^er  bie  greube,  mit  ber  er  ba§  2Ber!  eincS 
9?eimaru§  begrüßte,  ber  (Sifer,  mit  beut  er  e§  befanut  mad;te  unb  rer* 
tf)eibigte.  ^inbet  er  aud^  an  mand;en  t)on  feinen  Sel^auptungen  etroaS 
5U  mitbern  ober  gn  berid^tigen,  urtf)eilt  er  aud;  über  bie  bibtifd^en 
2J?änuer  unb  ©^riftftetter  weniger  f(^roff  unb  einfeitig  al§  jener:  in 
ber  §auptfad^e  ift  er  mit  feiner  2lufid)t  über  bie  ©(aubwürbigfeit  ber 
©r^ä^tungen,  bie  ^altbarfeit  ber  Sefiren  unb  ben  moratifd^en  ©fiaraftcr 
ber  ^anblnngen,  an  benen  9ieimaru§  2Iufto§  genommen  Ijatte,  einuer^ 
ftanben,  unb  ba  unb  bort  nerftärft  er  uod;  feine  ©iuroürfe.  Sr  felbft 
nennt  in  einem  ©riefe  an  3)cenbeI§fDf)n  ba§  ortfjoboye  ©yftem  „ba§  aiy- 
fd)culid^fte  ©eböube  üon  Unfinn."  3lber  trot^bem  fann  Seffing  bie  2Irt, 
mie  biefeS  ©pftem  oon  ben  2lufge!(ärten  bejubelt  5n  werben  pflegte, 
nid^t  unbebingt  gutf)eiBen.  "3)ie  ©id;erf)eit,  mit  ber  bie  2Iuff(äruug 
barüber  abfprad^,  forberte  feine  ^riti!  ^erauS;  bie  {)iftorifd;e  ©ered^tig* 
feit  fd^ien  ifjm  §u  nerlangen,  \>a^  man  feinen  9Jfotiucn  genauer  nad;; 
forfdje,  boB  man  in  biefer,  wie  in  jeber  gefd;id)t(ic^  bebentenben  @r= 
fd^eiuung  ha§>  wafire  unb  bered^tigte  auffuc^e;  unb  wenn  er  aud^  bie 
überlieferten  ©(aubenSfä^e  mit  feinen  eigenen  Segriffen  nid^t  mc^r  3U 
Dereinigen  wu^te,  war  er  bod)  übcr3eugt,  baB  irgcnb  etwa§  in  if)nen 
liegen  muffe,  ma§>  it)nen  für  i^re  3e^t  if)rcn  Sßert^  gab,  irgenb  eine 
5lßaf)rf)eit,  wcldje,  „obfdjon  mcf)r  bunfcl  empfunben,  al§>  tiav  erfannt" 
(IX,  170),  barauf  bringen  fonnte.    ^n  biefer  IXebcr^eugung  l)aben  wir 


S^eologtfc^e  Äritif.  309 

{f)n  Bereite  Dogmen  in  ©c^u^  iiefimen  f)ören,  an  meinen  bie  gteidj^eitige 
2(ufflänutg  ben  äuBerften  2Infto§  nat)m,  tüie  bie  Sef)ven  uon  ber  S)rei= 
einigfeit  unb  ben  eiüigen  ©trafen;  bie  er  aber  freiüd^  beibe  umbeuten 
mu^te,  um  fie  mit  feiner  eigenen  SCnfid^t  in  ©inflang  gU  bringen  ^). 
2le{)nüd^  nimmt  er  fic^  in  ber  (gräiet)ung  be§  3)^enfd)engefc^Ie^t§  (§  74  f.) 
aud;  ber  Sefiren  üon  ber  ©rbfünbe  nnb  ber  fteUüertretenben  ©enug^ 
t^unng  an.  ^ene  foll  befagen,  ba^  ber  3Jienfd)  auf  ber  erften  unb 
niebrigften  ©tufe  feiner  3}tenfdj|eit  nic^t  fo]  §err  feiner  ^anblungen 
fei,  um  moralifd^en  ©cfe^en  folgen  gu  fönnen;  biefe,  ba^  ©ott  tro^bcm 
bem  3}?enfd)en  in  9iüdfid)t  auf  feinen  ©o^n  (b.  i).  auf  bie  3.^onfommen= 
{)eit  be§  SBettgauäen;  ügl.  ©.  297  f.)  lieber  moraIifd)e  ©efe^e  geben  unb 
feine  Uebertretungeu  oerseifien,  at§  iljm  jene  ©efe^e  üerfagen  mofite. 
2lber  Seffing'iS  eigene  Stellung  gum  fird;Iid)en  S)ogma  wirb  bur^  bie 
3Iner!ennung,  bie  er  it)m  vom  gefd)i(^tli(^en  ©tanbpunft  au§  5ottt,  ni(^t 
reränbert.  @r  giebt  ^u,  baB  e§  in  einer  beftimmten  !^dt  feinen  Sßertf) 
t)atte,  baB  and;  eine  bteibenbe  2öaf)rf)eit  in  i{)m  einen,  allerbingS  un= 
t)ottfommenen  2lugbrud  gefunben  Iiabe.  Slbcr  er  ift  be&fialb  nid}t  blinb 
gegen  ben  Slbftanb  5mifd;en  feiner  eigenen  S^enfmeife  unb  berjenigen, 
ou§  ber  bie  fird)ti($en  Dogmen  l;erüorgiengen.  ©r  für  feine  5perfon 
!onn  biefelben  entbel^reii,  unb  fo,  wie  fie  finb,  fann  er  fie  fic^  nic^t  an= 
eignen,  ©eine  3tnerfennung  be§  ortf)oboyen  ©pftem?,  al§  einer  gefdjid;t= 
Ii(^en  ©rfdjcinung,  barf  nid;t  mit  einem  Sefcnntuife  gu  biefem  ©pftem  üer= 
rce^felt,  bie  eigene  pf)i(ofopf)ifd;e  lleber^eugung  mit  bem,  n)a§  3ur  I;iftori= 
f(^en  ®rfenntniB  frember  Ueberäeugungen  get)ört,  nidjt  uermifdjt  rcerbe«. 
(^Wn  biefer  3Sermifd;ung  mod;ten  fid)  aber,  mit  2tu§naljme  t)on 
JReimaru^,  faft  ade  bie  fd;ulbig,  meldte  feit  SBotff  bie  ^i)i[ofop!){e  auf 
bie  5tf)eoIogie  angeroanbt  Ratten,  ©ie  tiefen  roeber  ben  fir($lid^cn  £ef)r= 
Beftimmungen  nod^  ben  p{)iIofop^ifd;en  ßrgebniffen  i^v  Siecht  tüiber= 
fal)ren:  jene  mürben  fo  lange  umgeänbert  unb  gebeutet,  bi§  fie  fid;  mit 
ber  ^f)Uofop{)ie  be§  2;^eoIogen,  biefe  mürben  fo  lange  abgefd;iüäd;t  unb 
befd^ränft,  big  fie  fid^  mit  ber  ©ogmatif  be§  Jp{)i(ofop{)en  oertntgen. 
©elbft  bie  ort^oboyeften  unter  ben  S£f)eologen  feiner  3eit  mad;ten  f)ieüon, 
mie  Seffing  glaubte,  feine  2tu§nal^me.  ^^m  nun  mar  eine  foldje  3Ser= 
mengung  be§  ungteidjartigcn  feiner  innerften  ^Jcatur  naö)  juroiber.  ©ie 
miberfprai^  yon  §aufe  au§  ber  i?larl)eit  unb  ©ntfdjiebenl^eit  feinet 
2ißefen§,  ber  ©d;ärfe  unb  ©auberfeit  feinet  S)enfen!§,  bie  i^n  überall 

1)  »gl.  <B.  288.  296  f. 


310  M'^n- 

auf  IXnterf^eibmig ,  auf  genaue  Segren^ung  imb  9?eint)allung  ber  t)er= 
f($iebenen  ©ebietc  bringen  f)ie§.  ©r  fanb  biefe  „fd^ielenbe,  l^infenbe,  fid^ 
fellier  ungleiche  Drtf)oboyie  fo  edfel,  fo  roiberftelienb ,  fo  aufftoBenb'' 
(X,  28).  ©r  „oerac^tete"  (XII,  469)  bie  Drt{)oboyen,  ober  er  tierad^tete 
„bie  ncumobi[d^eu  ©eiftlid^en  no(^  metir,  bie  Stfieotogen  (fagt  er)  tjiel 
gu  wenig  nnb  ^f)i[o[opt)en  lange  ni(^t  genng  ftnb."  ®r  wollte  bie 
natürliche  ^Religion  für  fid^  'i)aben  nnb  bie  pofitioe  für  fid;,  jebe  in  ifirer 
5Reinf)eit ;  von  bent  ,,t)ernünftigen  Sfiriftcntfinm''  bagegen,  rcetd^e^  beibeS 
§uglei(^  fein  wollte,  nrtfieilt  er,  c§  fei  nnr  fdiabc,  baB  man  fo  eigentlich 
ni^t  raiffe,  weber  wo  ifim  bie  SSernunft,  nod;  wo  il^nt  ha^  61^rtftentf)um 
fi^e  (IX,  409).  llnb  ni($t  BIo§  nngenie^Barer  erfc^ien  ifim  biefe  neu« 
mobifc|e  Stfieologie  im  SSergleic^  mit  ber  altortfioboyen ,  fonbern  and^ 
gefäf)r(id)er.  ®ie  Drt^oboyen,  fagt  er,  waren  Ieid;t  ju  wiberlegen.  „Sie 
6rad)ten  aUe§>  gegen  ftc^  auf,  wa§  S?ernunft  fiaden  woHte  unb  fiatte/' 
©inen  weit  f (flimmeren  <Stanb  fiat  man  benen  gegenüber,  „weld^e  bie 
5ßernunft  erl^eben  nnb  einfd^läfern,  inbem  fie  bie  Sßiberfad^er  ber  Dffen; 
barung  al§  Söiberfad^er  be§  gefunben  9J?enfd^enoerftanbe§  üerfdjreien. 
©ie  befted^en  alleS,  ma§>  35ernunft  ^aben  wifl  unb  nid;t  f)at,  unb  unter 
bem  SSorwanb,  un§  ju  üernünftigen  Sf)riften  3U  madjen,  mad^en  fie  unS 
gu  pd^ft  unüernünftigen  ^s!)itofopf)en."  (X,  18.  XII,  485).  Seffing 
feincrfeitg  will  gerabe  ben  umgefefjvtcn  5E?eg  einfd^Iagen.  Statt  bie 
^t)i(ofopf)ie  unb  bie  pof^ti^3e  ^f)eoIogie  3U  üermengen,  witt  er  fie  mög= 
lii^ft  ftreng  auSeinanberIjaUen ;  ftatt  biefe  burdj  jene  ju  ntitbern  unb 
ju  uerbeffern,  wiU  er  fie  in  ifirer  ®igcntf)üm(id;feit  fo  lange  bewafirt 
wiffen,  bi§  alle  2öelt  if)rer  überbrüffig  geworben  ift,  nnb  eine  wirflid^ 
rernunftmäBige  ©laubenSform  an  il)re  ©teile  treten  fann.  @r  will,  wie 
er  fagt  (X,  294),  bie  Sidjter  fortbrennen  taffen,  bi§  bie  ©onne  auf= 
gef)t;  ober  wie  er  feinem  ©ruber  berb  genug  fd^reibt  (XII,  485):  er 
will  ba§  unreine  SBaffer  ber  alten  DrtI;oboj-ie  nid;t  weggief3en,  um  ba3 
^inb  bafür  in  ber  SJJiftjaudjc  ber  neuen  3U  baben.  Sluf  eine  ^Reform 
ber  3:^eo(ogie  f)at  aud)  er  e§  abgefe^en;  aber  auf  eine  üiel  burd^gret= 
fenbere,  al§>  bie  2luff(ärer  geTOt)f)nlid;en  ©d;Iage§;  unb  fo  lange  biefe 
bur^grcifenbe  llmgcftartuug  ber  t^cologifd^en  33egriffe  nod^  nidjt  mög; 
li(^  ift,  will  er  lieber  ba§  alte  ©yftem  unueränbert  ftel)cn  laffcn, 
o(§  e§>  hnxä)  ein  fotdjcS  erfcfjcn,  ba§  non  feinen  wefentlidjen  9}Mngeln 
feinen  oerbeffert,  wol)I  aber  ben  weiteren,  nnb  in  :?effing'§  2lugcn  un= 
rer3eil)lidjen,  ber  §a[bl)cit  unb  ^'^confcquenä  l)iu5Ufügt. 


Cvtf)obDjtc  unb  ^afborf^obofif.  311 

(Statt  biefer  falfd^en  ^Sernitttlung  jtüifc^en  ber  ^f)i(ofopf)ic  unb  ber 
Migion  fud^t  Seffing  eine  fold^e,   bte  jeber  ron  beiben  i^r  9?ed)t  lä^t. 
Sie  9?erigion  foH  raeber  mit  rciffenfc^aftfid^en  Sä^en  ücrmifd^t,  nod;  jur 
Sefd^ränfung  be§  wiffenfrfiaftlid^en  S^enfenS  gemipranc^t,  fonbern  auf 
baSjenige  ©ebiet  ^urxirfgefü^rt  werben,  auf  bem  fte  in  feine  (EoIIifion  mit 
ber  5pf)i(ofop^ie  fommen  wirb.    2öir  foHen  üom  ShiBenroerf  ber  9?eligion 
auf  if)r  inneres  SBefen,  vom   2:^eoretifd^en  auf's  ^raftifd^e,   von  ber 
S)ogmatif  ouf  bie  Floxal  jurücfgefien.    5«id^t  bloS  bie  fird^lid^e  Sil^eo^ 
logie,  fonbern  aud^  bie  biblifd^en  Schriften  follen  unb  fönnen  ber  Äritif 
rücf^attSfoS  preisgegeben  merben:    „ber   Snd^ftaBe  ift  nic^t  ber   @eift, 
unb  bie  ^öibel  ift  nid^t  bie  Sf^eHgion."     S)aS   S^riftent^um   war,   e^e 
©oangeliften  unb  Slpoftel  gefd^rieben  f)atten;   eS  l^at  fi^   urfprünglicf; 
nid^t  burd^  6cf)rifteu,  fonbern   burc^   münblid^e  9Jiittf)ei(ung   nerbreitet 
unb  e§   })at  ;3af)rf)unberte  fang   feine  bogmatifd;e  S^^orm  nid;t  in  ber 
©d^rift,   fonbern   in   bem  münbüd;  fortgepflanzten  ©tauBenSbefcnntniB 
gcfunben.    S)ie  ©d^rift  ift  ja  aber  aud),  wie  Seffing   feinem  gragmen^ 
tiften  unbebingt  sugiebt,  gar  nic^t  fo  befd^affen,  mie  fie  aU  bie  aDeinige 
unb   unfef)[bare  Onetle  unfereS  ©(aubenS  befc^affen  fein   mü^te;    unb 
fetbft  roenn  fie  eS  märe,  fönute  ifir  Söertf)  unb  il)re  ©eltung  bod;  immei^ 
nur  nad;  i^rer  inneren  25>af)rf)eit  bei:rtf)ci(t  werben:   „Sie  9?e(igion  ift 
nid^t  loa^r,  raeii  bie  Goangeliften  unb  2lpofte(  fie  leFirten,   fonbern  fie 
lefirten  fie,  weit  fie  wa\)v  ift;   afle  fd^riftlid;en  Ueberlieferungen  fönnen 
if)r  feine  innere  Sl^afirfieit  geben,  menn  fie  feine  ^at."    Sie  gefdjid^tlid^en 
^eroeife  geraäfircn  immer  nur  SBa^rfdjeinlid^feit,  nid^t  jene  abfohlte  @e= 
roi^fieit,  bereu  ber  religiöfe  Glaube:  bebarf.    Sie  gefd;i($tlid;en  ^eugniffe 
bejiefien   fid^  nur  auf  Si^atfad^en;   in  ber  Otefigion  bagegeu  ^anbelt 
es  fic^  um  uufere  tfieologifc^en  unb  moraüfcfien  Segriffe.    S3on  biefer 
inneren  2Bof)rf)eit    ber  9te(igion   foll   fid^    ber  3:f)eo(og    burd;   ScweiS- 
füf)rung  überzeugen,  bem  einfadjen  (i^riften  genügt  ^iefür  bie  ©rfafjrung 
non  if)ren  fittlic^en  5Kirfungen:   jenem  mirb  fie  burc^   feine  SSernunft 
rerbürgt,  biefem  burd;  fein  @efüi)l;  aber  roeber   ber  eine  nod^  ber  an* 
bere  f(^öpft  feinen  ©tauben  ouS  ber  ©efc^idjte.    „Zufällige  @efd^td^tS= 
mal^rfietten  fönnen  ber  SeioeiS   oon   notf)wenbigen  3SenTunftiüaI)rf)eiten 
nie  werben"  ^).    ^n  ber  3.^ernunftwaf)rf)eit  aüein  liegt  ber  wefentlid^e 
3nf)a(t  jeber  9^eIigion;  ade  pofitiuen  9teligioneu  finb  nur  bie  ^^orm,  in 


1)  Die  93elege  ju  bem  cbigcii  gicbt  meine  fdpn  evroä^nte  Stöfiaublung.    ®.  368  ff. 


312  Scffing. 

ber  biefer  ;3n^alt  geroiffen  3eiten  unb  SSöIfern  pm  ^Setüu^tfein  fommt ; 
ebeiibeBf)aIb  aber  ift  er  felbft  an  feine  von  ifinen  fd;Ie(^tf)in  gebunben, 
ba^  Ie|te  Qkl  ber  religiöfen  ©utraicftung  ift  oieImef)r  biefeS,  ba^ 
tiian  fid;  jene^  ;3J^^;^It§  in  feiner  9tein^eit,  unb  unabpngig  üon  allem 
pofitiyen,  beraubt  werbe. 

Unter  biefem  ©efic^t^punft  wirb  bie  ^ReligionSgefd^idjte  in  ber  „^v- 
äiet)ung  be§  3Jlenf(^engefc[;(edjt§"  betrad;tet.  ®a§  2:t)cma  biefer  2lb= 
t)anb(ung  bilbet  bie  (55e[c^id;te  ber  göttli^en  Offenbarung ;  ober  eigentlid^ 
gefpro(^cn:  bie  @e[c^id;te  ber  religiöfen  ©ntiuidlung,  fo  weit  fic^  bie[e 
in  ber  gorm  be0  jübifc^en  unb  ^rifttii^en  Dffenbarung§glauben§  üoff- 
gogen  l;at.  Seffing  erfennt  in  biefer  ©nttuidtung  einen  ftufenroeifen 
gortgang  nad;  einem  beftimmten  Qkl  J)in;  er  fül;rt  fie,  nie  adeS,  auf 
bie  pdjfte  SSernunft  al§  if)re  Ie|te  Urfac^e  gurüd;  unb  er  betradjtet 
bemnadj  bie  Offenbarung,  ober  ba§,  roa»  er  Offenbarung  nennt,  ai§> 
eine  SSeranftaltung  ber  ©ottfieit  ^ur  fittUd^en  unb  reiigiöfen  Sluäbilbung 
ber  3)lenfd;en,  als  eine  götttid;e  ©rjieljung  be§  3}ien[djcngef(3^(e(^t§.  2Xu§ 
bem  S3egriff  ber  ©räie^ung  wirb  i^r  ©ang  unb  ßf)ara!ter  erflävt.  60  lange 
ber  3}tenfd;  unmünbig  ift,  bebarf  er  ber  (Sr^ietjung ;  fo  lange  e§>  bie  3}^enfd^; 
t)eit  ift,  bebarf  fie  ber  Offenbarung  (b.  f).  beg  Offenbarung^ glaubend). 
2)ie  ®räief)ung  giebt  bem  3}tenf(^en  nidjtic,  wa§  er  ni(^t  aud;  au§  fid)  felbft 
t)aben  fönnte;  fie  giebt  i§m  bie^eS  nur  gefd^ioinber  unb  leichter.  <Bo  giebt 
aud^  bie  Offenbarung  bem  ü)^cnfd;engefd;(cd;t  nid;t§,  auf  wa§>  feine  5ser== 
nunft  fi^  felbft  überlaffen  ni^t  aud;  fommcn  mürbe ;  fie  giebt  if)m  bie^  nur 
früher.  ®a§  I)eif3t  in  Seffing'S  ©inn :  bie  Offenbarung  ift  nichts  anbereS, 
üi§>  bie  erfte  ©eftalt,  roe[d;e  bie  religiöfe  (Sutiüidlung  ber  3)lenid;^eit  an= 
nimmt,  ber  ©laubc,  raelc|er  bie  ©rgebniffe  ber  fpäteren  (Sinfid;t  uorroeg; 
nimmt,  i^ebe  Gntmidlung  ift,  aber  eine  allmät)li(^e.  2(ud;  bie  religiöfe 
Gntroidlung  fann  fic^  bie[em  ®efe^  nidjt  ent3ie{)en ;  ober  in  ber  ©prad^e 
unferer  2(bt)aub(ung :  bie  Offenbarung  muB,  wie  jebe  ©rgiefiung,  einen 
beftimmten  ©tufengang  einhalten  unb  fic^  auf  jeber  ©tufe  ber  ^af[uug§-- 
!raft  be§  3ög^i«g^  aufd;[ic§en.  ®ie[e  ftanb  nun  bei  bem  ifraelitifd;en 
3Solf  anfangt  fel)r  niebrig:  e§  mar  ein  roI)e§,  Dermitbertel  S^olf;  feine 
3teligion  fonnte  ba^er  äunäc^ft  nur  eine  unuoHfommcne  fein.  (E§>  Ijatie 
urfprüug[i(^  meber  ben  rid;tigen  Segriff  üon  ber  ©infieit  @otte§  nod; 
hen  ©tauben  an  eine  ^^ortbauer  uad;  bem  SCobe.  Grft  naä)  bem  (Syil 
erhielt  cS  üon  ben  ^erlern  ben  ftrengeren  3}Zonott)eifmu5,  bem  fein  ©ott 
nic^t  b(o§  ber  mäd;tigfte  neben   anbcrn,   fonbcrn  ber  einzige  ©Ott   ift; 


er^ief^ung  bc§  2}Jenic^cngffd}(ec^t§.       •  313 

noc^  fpätei*  oon  ben  ®rie(^eu  in  Stegijpten  ben  llnftert)lid;fcit§glaiiben. 
©ine  groeite,  £)öf)ere  Stufe  ber  religiöfen  (Sntraicüung  bilbet  ba§  g£)riften= 
tt)um.  S(I§  feinen  eigentümlichen  ^or^ug  be3cid;net  ßeffing  btefe§,  ba^ 
6f)riftul  ber  erfte  juoerläffige  praftifd^e  Sefirer  ber  Unfterbiicfjfeit  ber 
©eele  geworben  fei;  fu($t  aber  and;  in  ben  anberen  ßef)ren,  mit  bcnen, 
wie  er  fagt,  biefe  eine  gro§e  Seigre  ef)rifti  oon  feinen  Jüngern  werfest 
TOurbe,  2Ba{)r!)eiten  nadjjuroeifen,  ju  beren  2Iuffud;ung  fie  ber  3Sernnnft 
einen  STnftoB  geben  [odten  (ogl.  @.  288.  309).  fieffing  fc^UeBt  fid^ 
mit  biefen  ©ä^en  tt)eiln)eife  an  Seibni^  an  (f.  o.  ©.  150  f.).  2lud^  ber 
53egriff  ber  ©ntroidlung  tuar  i{)m  3unäd;ft  burd^  bie  leibni^ifd^e  ^Ijilo; 
fopf)ie  naf)e  gelegt;  ba§  fieben  jeber  einjelnen  (Seele  mirb  ja  ^ier  al§ 
eine  fortiuä^renbe  (Sntroidlung  ju  immer  f)öl)erer  SSottfommenlieit  betrad;tet. 
2lber  roa0  Seibnij  nur  oon  bem  ^nbioibuum  au^gefagt  l)at,  ba»  menbet 
er,  gunäc^ft  im  religiöfen  ©ebiet,  auf  ben  gefd;i^tlid;cn  ©efammtoerlauf 
an,  unb  er  fprid^t  bamit  einen  ©ebaufen  au§,  mel(|er  loeit  über  ben 
(S)efid;tg!rei§  ber  geraöfinlidjen  3Iuffläruug  jener  3^^^  l)inauSgel)t,  unb 
weld^er  fid^  in  ber  golge  namentlid^  für  bie  l)egcl'fd^e  9^cligion§;  unb 
®efd^id)t^pl)ilofop^ie  l)öd;ft  frud;tbar  enoiefen  I)at. 

3ft  aber  bie  «Stufe,  TOeld;e  ba§  religiöfe  Seben  im  (J^riftentlium 
erreidl)t  ^at,  bie  le^te  unb  ^'6ä)\te,  ober  wirb  aud;  fie  nod)  überfd;ritten 
werben?  Seffing  fann  nur  taS:  Ic^tere  annel^men.  Sind;  ba§  Sl)riften= 
t{)um  fann  al§  pofitioe  ^Religion  oon  ben  3)cängeln  aller  pofitioen 
DJeligion  nid;t  frei  fein;  aud^  bie  neuteftamentlid;en  Sdjriften  finb  nur 
eineg  oon  ben  Glementarbüc^ern,  menn  aud)  im  5?ergleid;  mit  ben  alt= 
teftamentlidlien  ba§  jmeite  beffere  ©lementarbud;  be§  3Jlenfdjengefdjlcdjt§. 
Sebe^  ©lementarbuc^  ift  aber  nur  für  ein  geraiffe»  Sllter :  e§  foll  bem 
5Berftanb  be§  Sd;ülerl  jur  Selbftänbigleit  oerl)elfen  unb  baburd^  fid^ 
felbft  entbel)rlid;  mad^en.  S:;ie  6r3iel;ung  l)at  il)r  Qkl:  bei  bem  ©e^ 
fd)lcc^te  nid^t  weniger,  al§  bei  bem  (ginjelnen;  raa^  erlogen  mirb,  wirb 
gu  etroa§  ergogen.  2)aB  bie  2)Zenid;l)eit  biefe§  ^id  nie  erreiche,  bie^ 
§n  benfen,  nennt  Seffing  eine  Säfterung,  S)ie  religiöfe  ©ntwidlung  ber 
9Jienf(^l)eit  mu§  am  ßnbe  gu  einer  Stufe  f)infül)ren,  auf  meld^er  fie  bie 
gioeifeüjaften  Stufen  eines  DffenbarungSglaubenS  entbeliren,  il)re  2luf= 
gäbe  rein  unb  felbftänbig  tiefen  fann.  Unb  worin  anberS  fann  biefe 
f)öd^fte  ®ntwidlung§ftufe  beftelien,  als  barin,  baB  hk  fittlid^e  SBirfung, 
in  welcher  ha§i  Söefen  ber  Sfleligion  liegt,  rein  f)erau§tritt ,  ba§  nid;ts 
auBer  i^r  oon  ber  Steligion  erwartet,  baS  ©ute  oline  alle  ?iebenrüdfid^; 


314  ^effing. 

ten  geroollt  wirb  ?  Äein  aitbere§  ift  benn  au^  Seffing'S  :SbeaT.  SBenn  ber 
3J?eu[cf;  fic^  üon  einer  Befferen  ^ii^w^f*  ä^^^^  üorifommcn  überzeugt  fü^tt, 
aber  üon  biefer  Su'^ii^ft  ^Beraeggrünbe  für  fein  ^anbetn  ju  erborgen  nic^t 
mef)r  nötl^ig  f)ot ;  wenn  er  ba§  @ute  t|nt,  weit  e§  ba§  ®ute  ift,  nic^t  raeit 
TOtI(füf)rlic^e  Belohnungen  barauf  gefe|t  finb :  bonn,  erftärt  er,  ift  fie  ha, 
bie  3eit  ber  SSoIIenbung,  bie  3eit  be§  „eroigen  ©oangetiumg/'  5Dic 
©fementarbüdjer  be§  neuen  58unbe§  f)aben  il)ren  S)ienft  getl^an,  ha^ 
9Jlcnfdjengefrfj(edjt  ift  in  ba§  3eitalter  ber  männli^en  Steife  eingetreten,  ber 
Dffenbarunggglaube  mu^  ber  reinen  SSernunftreligion  ben  ^ia^  räumen. 

^n  biefem  2lu§bli5  auf  bie  3ufunft  '^at  ßeffing  ni(^t  attein  feiner 
religiöfen  Ueberjeugung ,  fonbern  oud|  feinem  5ßerf)ältniB  ju  ber  2luf= 
flörung  feiner  ß^it  einen  f)öd)ft  bejei^nenben  2Iu§brucf  gegeben.  2Bir 
er!ennen  ben  «So^n  be§  2lufflärung§jaf)r^unbert0  in  ber  ©el^nfud^t,  mit 
ber  er  ftd;  uon  jebem  pofitiüen  gum  reinen  SSernunftgtauben  ^inmenbet. 
2ötr  er!ennen  aber  aud^  bie  Steinigung  unb  SSertiefung  ber  ^been,  üon 
roetd^en  bie  2luff(ärung  bef)errf($t  mar,  in  bem  ^nfiatt,  ben  er  feiner 
93ernunftre(igion  giebt.  ©ie  foll  mit  ber  Oittlii^feit  f($[e(^t^in  3ufam= 
menfaUen,  mie  ja  bie  2luff(ätung  über^upt  barauf  oulget)t,  bie  9}Zoral 
an  bie  6tel(e  be§  S)ogma'§,  ba§  §anbeln  an  bie  ©teile  be§  ©tauben^ 
gu  fe^en.  Slber  biefe  SJtoral  ift  bei  Seffing  fo  rein  unb  ftreng,  mie  bei 
feinem  anbern  t)on  ben  S3ertretern  ber  beutfc^en  Slufftärung.  S)a  ift 
nid;t§  ron  jener  eubämoniftifdien  Begrünbung  ber  6itten(ef)re ,  t)on  ber 
felbft  ein  9Jienbetgfo{)n  ft(^  nid^t  ganj  frei  mad^t;  nid^tl  von  jener 
©ubjeftiüität,  ber  mit  ber  3Iu§fic^t  auf  eine  unenblidf;e  ^ortbauer  iE)r 
Sltteg  geraubt  märe.  ®egen  biefe  „ßigennü^igfeit  be§  menfc^Iidfjen  ^erjenS'^ 
fträubt  fidj  Seffing'g  reine,  fittlid^  gefunbe  ^atux.  (gr  graeifelt  ja  nic^t  im 
geringften  an  einem  j^^ortleben  ngc^  bem  Xobe.  Slber  er  roiH  nic^t,  baB  biefer 
©taube  3um  fittlidjcn  Seroeggrunb  oiemai^t,  ba§  bie  uneigcnnü^ige  greube 
om  ©Uten  burd;  bie  9iüdfid^t  auf  Soi)n  unb  ©träfe  entmeil^t  werbe.  S)ic 
3eit  ber  3}olfenbung  ift  für  if)n  bann  erft  erfd^ienen,  ba§  3yjenfd^engefd^led^t 
f)at  bann  erft  feine  „uöflige  2tufEIärung"  erlangt,  wenn  e§  bie  „Sleinigfeit 
be§  §er5en§"  gewonnen  t)at,  bie  ^ugenb  um-  ifirer  felbft  willen  ju  lieben. 
Seffing  ragt  fo  aud;  t)ier,  wie  überall,  über  fein  Zeitalter  f)inau§,  wät)renb 
er  jugteidj  mitten  barin  ftet)t :  er  ift  ber  ^ero§  ber  2lufttärung  unb  er  ift 
cbenbef3t)a[b  weit  mef)r,  at§  nur  biefe§. 

3enc§  Goangelium  ber  reinen  93tora(,  beffen  SSorläufer  Seffing  war, 
f)at  5lant  ycrtunbigt. 


^on  ^ani  ßt$  auf  bte  ^e^enwaxt. 

C^inlcitunc». 

2Bäf)renb  bie  pf)ito[opf)ifd^e  ßntroicfdmg  in  S^eutfdjtonb  ben  bi§f)er 
befproc^enen  5>ertauf  naf)m,  mav  fie  ouc^  in  ©nglanb  unb  granfreid^ 
nic^t  ftill  geftonben  ^).  ^n  bie  gleid^en  So^^e,  in  benen  Seibnij  ber 
S3egrünber  einer  beutfd^en  ?]]f)iIo[op^ie  raurbe/  fäHt  i^o^"  Sorfe'S 
(1632—1704)  folgenreid^e  n)iffen[d;aftnd^e  5:ljötigfeit.  Qm  @egen[o| 
gum  ^(atonifniu§  nnb  ßartefianiftnuS  fe^rte  Socfe  ^u  ^aco'S  empiriftis 
fd^en  ©ntnbföl^en  jurüd.  %üv  bie  einjige  CueHe  unferer  S^orftellnngen 
erflörte  er  bie  SBal^rnefimnng,  tfieifS  bie  ber  öu^eren  (Sinne,  bie  „©enfa- 
tion",  tf)ei(§  bie  be§  inneren  €inn§,  bc^  (£e(bft6en)n§tiein§,  bie  „9lef(eyion". 
©r  begrünbete  biefe  Sel^auptung  burd^  eine  einge^enbe  unb  in  ber  §anpt= 
fad^e  entfdf;eibenbe  5ESiberregung  ber  Se^re  von  ben  angeborenen  ^been. 
(Bx  fud^te  äu  geigen,  wie  au§  ben  einfad^en,  burd^  bie  2öa§rnef)mung  ge^ 
lieferten  SSorfteUungen  bie  üerfdfjiebenen  Slrten  ^ufornmengefefeter  9>or= 
ftellungen  entfte^en.  ©r  unterfuc^te  enbli^  bie  grage  nadf)  ber  SBafir^ 
I)eit  unferer  SSorftellungen,  unb  er  fam  I)iebei  gu  bem  ©rgebniB  :  bie  pcf;fte 
©eioi^leit  fomnte  bem  intuitiüen  ©rfennen,  ober  ben  2lu»fageu  unfereS 
®eIbftbeiou§tfeing  gu,  welche  un§  unmittelbar  pon  unferem  eigenen  '^a- 
fein,  bem  ^^fialt  unb  ber  Uebereinftimmung  ober  5Rid;tübereinftimmnng 
unferer  ^been  9^ad^rid;t  geben;  eine  ©emi^fieit  smeiten  ©rabeS  bem 
mittelbaren  ober  bemonftratioen ,  bie  geringfte  bem  fenfitiren  ©rfennen. 


1)  @§  tft  ]^te4>on  fd^on  ®.  249  f.  gefprodfien  tüorben ;  wir  muffen  aber  tag,  tva§ 
bort  nur  fiirj  angebeutet  »erben  fonnte,  je^t  ürcaS  genauer  tn'§  5Iuge  faffen. 


316  Qm'üix  3t6[c^nitt.     ©intettung. 

S^uvd;  SDemonftration  foiinnen  rair,  wie  er  glaubt,  nic^t  attein  ^ur  ^enntni^ 
ber  moroUfdjen  iinb  inatfiemotifc^en  2ßat)rf)eiten ,  fonbern  auf  bemfelben 
SBege  überjeugeu  wir  uu§  aud^  üou  bem  SDafein  uub  beu  @igen[(^aften 
©ottc§,  iubem  roir  üou  un§  uub  uuferem  ®a[ein  auf  bie  Urfad^e  beSfelben 
prücf[cf;Iie^eu.  S)ie  feufttbe  ®rfeuutui§  ift  biejeuige,  U)eld;e  uu§  üou  bem 
5Da)eiu  uub  ber  33e[d;affeu!)eit  ber  Slu^euuielt  uuterric^tet.  Slud;  fie  ift,  roie 
Sode  bcmerft,  immer  uoc^  mit  eiuer  uuiuiberleglid^en  geftigfeit  ber  Ueber= 
geuguug  uerbuubeu,  aud^  fie  l;at  uod;  miffeufdjaftlic^e  ©id;er{)cit ;  mogegeu 
alle  aubermeitigeu,  auf  feiuem  ber  augegeigteu  brei  SBege  eutftaubcueu 
Sluua^mcu  eiue  <Baä)e  be§  ©(aubeu§  ober  ber  2Jieiuuug  fiub  uub  {)öd;fteu§ 
auf  2Ba{;rfc^eiuüd;feit  Slufprud;  f)abeu.  S)o(^  fiubet  Sode  auc^  i)ier  eiue 
Uuterfd^eibuug  uot^roeubig,  meldte  iu  ber  gotge  fef)r  mid^tig  geroorbeu 
ift.  @r  bemerft  uämüd;,  bofi  uur  eiu  5lt)eit  ber  2}orfteIIuugcu,  meiere 
uu§  bie  Senfatiou  liefert,  uu-o  ein  S3ilb  uou  ber  objeftioeu  S3ef(^affeut)cit 
ber  S)iuge  gebe,  aubere  bagegeu  uur  eiue  beftimmte  Sßirhiug  ber  S)iuge 
auf  uufere  ©iuue  be3eid;ueu.  S)ie  SSorftettuugen  ber  erfteu  Ätaffe  ueuut 
er  primäre,  bie  ber  gmeiten  fecuubäre  :^beeu;  3U  jenen  rechnet  er  3.  S. 
bie  ^bee  ber  2lu§bet)uuug ,  gu  biefen  bie  ber  j^arbe.  —  Sieben  biefen 
er!euntui§tf)eoretif(^en  Unterfud;uugeu  fiub  e§  befonberä  £ode'§  politif(^e 
©runbfätje,  auf  beneu  feine  gefcE)id;tIid;e  (Stellung  uub  fein  großer,  bi§ 
l^eute  nod)  fortroirfenber  @inf(u§  berut)t.  Sode  t)at  ni(^t  bloS  ben  politi= 
fd^en  ©taubpunft  feiner  5portf)ei,  bie  ©runbfät3e  be§  euglifd^en  ßon= 
ftitutioualifmug ,  ^uerft  in  ber  gorm  einer  allgemeinen  %\)eox\e  au§ge= 
fprodien,  fonbern  er  ert)ffuet  überfiaupt  bie  9tei{)e  berjenigen  ©toat§- 
lel^rer,  u)eld;e  ben  Staat  auSfc^Iic^nd^  unter  ben  ©efid^tSpunft  eines 
SSertragg  ftetten,  mh  ben  Qxo^d  biefen  ^ertragg  in  bem  ©d;u^  ber 
jebem  ßinäelnen  uon  3^atur  guftefieuben  Siedete  finben. 

2ln  Sode  fd^IoB  fid;  nun  "in  ber  euglifc^en  unb  in  ber  fran^öfifd^en 
5p]f)i(ofopt)ie  eine  boppelte  91eif)C  üou  bebeutenben  miffenfd^aftlid^en  (Bx- 
fdjeinuugeu  an.  ^n  ©uglanb  mürben  Sode'ö  erfenntni^tfieoretifd^e  Untere 
fud^uugen  in  eigeutt)ümUd;er  SBeife  weiter  gefüt)rt  unb  g(eid;3eitig  burd^ 
eine  eifrige  53efd;äftiguug  mit  ber  3)Jora(pf)i(ofop{)ie  ergänzt.  Söenn  Sode 
bie  ©inneSempfiubuugcn  uubebenfiid;  bon  ber  (Sinroirfung  förperüd;er 
©cgcnftänbe  aufser  uu§  f)ergelcitet,  unb  menigftenS  einen  %'i)e\l  jener 
ßmpfinbungen  für  ein  treueä  Sibbilb  ber  ©inge  gef)alten  f)atte,  fanb 
53erfelei;  (1684—1753),  ba§  mir  jn  biefer  2lnnaf)me  fein  91ed^t  l)aben. 
2öaS  uns  in  ber  ßrfaljrung  gegeben  ift,  bag  fiub,  roie  er  auSfüfirt, 


Sode,  IBerlele^  unb  §ume.  317 

nid^t  bie  Singe  feI6ft,  fonbcrn  nur  unfere  5>ürfteIIungen  uon  ben  S^ingen. 
S)iefe  SSorfteHungen  muffen  nun  allerbingS  eine  ücn  un§  felbft  vev^ 
fi^iebene  llrfa(^e  fiaben ;  fonft  raürben  fie  nid;t  fo  Iebf)aft,  unwiberfteljlid^ 
unb  regelmäßig  auftreten.  Slber  baß  biefe  llrfodje  eine  förperlid^e  fei, 
fann  ^evMex)  nic^t  glauben.  Sitte  unfere  95orfteIIungen  über  bie  (Sigen^ 
fc^aften  ber  Körper  brüden  in  SBa^rljeit ,  mie  er  bemerft,  md)i§>  a\i§,  aU 
©mpfinbungen,  bie  mir  fiaben ;  ma§  ja  l^infic^tlid)  ber  meiften  aud;  fd^on 
Sode  anerfannt  ^atte.  Unb  wie  follte  benn  au($,  fügt  er  mit  3JIalebrandje 
bei,  ein  Körper  auf  ben  ©eift  miifen?  9iur  ein  ©eift,  unb  nur  ber 
unenblic^e,  aHnmdjtige  ©eift,  fann  eg  fein,  metdjer  bie  SSorftcttungen  in 
un§  fierüorbringt,  bie  mir  üou  SDingen  oußer  un§  l^erleiten.  SBenn 
aber  biefe§,  fo  l^aben  mir  übertjaupt  feinen  ©ruub,  eine  5?örpermelt  an= 
3unet)men:  bie  Körper  finb  btoße  ©rfdjeinungen,  if)r  ©ein  befte{)t  barin, 
baB  fie  üorgeftefft  merben,  unb  ben  ©igenfdjaften,  bie  man  i^nen  beilegt, 
entfpridjt  in  ber  SBirflid^feit  nidjt^^,  at§  geraiffe  ©mpfinbungen  be^^  uor- 
ftellenben  ©ubjeftg.  3^ur  bie  geiftigen  SBefen  bilben  bie  mirflidje  Sßelt; 
aUeS  anbere  ej;iftirt  bto§  at§  i^bee  in  jenen,  unb  ba§,  roaS^  mir  mirfüd;e 
Singe  nennen,  unterfdjcibet  fid;  von  bloßen  ^f)antafiebilbern  nur  ba= 
burc^,  baß  biefe  üon  un§  felbft  ^croorgebrad;t ,  jene  üon  bem  Urfieber 
ber  5Jiatur  ben  ©innen  eingeprägt  merben,  unb  baß  beßfjalb  bie  le^tercu 
ungleid^  regelmäßiger,  lebliafter  unb  beftänbiger  finb,  al§>  bie  anbern. 

2lef)nlid;e  2lnfi(^ten  trug  um  biefelbe  ^^i^  2lrtl)ur  ßollier  üor. 
2ln  58erfe(ci)'§  S3ebenfen  gegen  bie  3flealität  ber  J?örperroelt  fd)(oß  fidj 
bann  meiter  ber  ©fepticifmu§  Saüib  §ume'§  (1711 — 1776)  an. 
3n  ber  ßrfaljrung  finb  un§,  mie  ^ume  ausführt,  urfprünglid;  nur  bie 
einzelnen  ©mpfinbungen  ber  ©enfation  unb  S^efteyion,  bie  finnlidjen 
©inbrüde,  bie  „i^mpreffionen"  gegeben.  Sßenn  mir  au§>  btefen  unferen 
©mpfinbungen  ©egenftänbe,  au§  unferen  S3orfteIIungen  Singe  mad;en, 
meiere  unabhängig  üon  unferer  ^orftettung  eyiftiren  fotten,  fo  gefdjie^t 
bieß  nur  in  go(ge  etne§  ©c^luffe^  üon  ber  2Bir!ung  auf  bie  Urfad^e. 
2Bir  empfangen  gemiffe  ßinbrüde  regelmäßig  in  einer  beftimmten  Drb= 
nung;  mir  bemerfen,  baß  fi(^  eine  Slnfd^auung  nad^  einiger  3^it  un- 
üeränbert  ober  mit  folc^en  SSeränberungen  mieberf)oIt,  mie  mir  fie  fonft 
ftetig  erfolgen  fel)en;  mir  finben  in  xm§>  felbft  eine  S^tei^e  üon  5?or= 
ftettungen  in  ber  2lrt  üerbuuben,  baß  mir  fel^r  leidet  üon  ber  einen  pr 
anbern  übergelien  lönnen;  unb  mir  fd;ließen  au§  bem  allem,  ha^  ben 
ßinbrüden,  bie  mir  erl)alten,  bel)arrli(^e  ©ubftrate  §u  ©runbe  liegen^ 


318  Smhn  5t6[cf)itiit.     einlcitunc,. 

unb  ha^  eBenfo  wir  felbft,  a\§  eine  unb  biefelk  mit  fid^  ibentifd^e  ^er= 
fönlic^feit,  ha§>  fortiaucriibe  Buhidt  im)erer  loed^ielnben  9?orftettnngen 
bilben.  S^a3U  Ijoben  mix  abcx,  roie  §ume  glaubt,  fein  Ütei^t.  S)ie  ^x- 
fafirung  jeigt  un§  immer  nur  bie  Stufeinanberfolge  geroiffer  ßinbrücJe, 
aber  nid^t  i§ren  3wiQW"iett'^o«9  •  fi^  f^^^t  un§  roof)!,  ba|  biefe  ©in: 
brücfe  fi(^  bislier  immer  gefolgt  finb,  aber  fte  verbürgt  un§  nic^t,  ba^ 
fie  fic^  immer  folgen  raerben.  9^ur  mir  fetbft  finb  e§,  bie  jenen  Qu- 
fommeuf)ang  fierftellen,  unb  wa§>  un§  ha^u  beftimmt,  ift  nid^t  unfere 
S3ernunft,  fonbern  unfere  @inbi(buug2>fraft.  Sßcnn  mir  geroijfe  ßin= 
brücfe  empfongen,  erwarten  mir  ouc§  alle  biejenigen,  meldte  ln§f)er  auf 
biefelben  gefolgt  finb,  unb  mir  fe|en  be^lialb  einen  realen  ^wfa^wen^ 
^ang  äroifdjen  beiben  üorau§.  SBenn  fpätere  ©inbrütfe  ben  früf)eren 
ununterfd^eibbar  ä^nlid^  finb,  fialten  mir  beibe  für  ibentifd^,  mir  nef)men 
an,  fie  rühren  oon  einem  unb  bemfelbeu  Dbjeft  f)er.  ©benfo  f)alten 
mir  unfere  SSorfteÜungen  für  DJIobififationen  eines  unb  beSfelben  ©ub= 
jeft§  lebiglic^  be§f)a(b,  meil  mir  hen  llebergang  üon  ber  einen  p  ber 
onbern  fef)r  leicht  ma^en;  unb  mir  fe|en  mof)l  auä)  biefe§  ©ubjeft  als 
einfadje  Subftanj  ben  förperlidjcn  Singen  entgegen,  fo  menig  fid;  aud§ 
bie  SWannigfaltigfeit  ber  ©ebanfen  mit  biefer  @iufad;f)eit  oertragen  mill. 
SBir  Ijaben  fo  allerbingS  eine  natürlid;e  Steigung,  bie  ßyiftenj  üon 
S)ingen  au§er  unS  unb  bie  i^^entität  unferer  eigenen  ^erfon  oorauS; 
pfe^en ;  aber  bie  S]ernunft  giebt  un§  ba^u  feine  ^öefugni^ :  jene  5>orauS- 
fe^ung  ift  für  unS  eine  Bad)c  beS  ©laubenS,  nid^t  be§  SBiffenS,  unb 
fo  menig  mir  unS  aud^  biefeS  ©laubenS  ermetiren  fönnen,  fo  menig 
laffen  fid;  anbererfeitS  bie  ä^^ifß'^  unterbrüden,  bie  immer  mieber  gegen 
feine  91idjtigfett  anftaudien. 

S)ie  miffenfd;aftüd;e  SBiberlegung  biefer  ©fepfiS  ift  ben  englifc^en 
^(iiIofopf)en  beS  18.  ^afirfjunbcrtiS  ntd;t  gehingen.  S)iejenigen,  meldte 
fie  üerfud;tcn,  ein  ^f)omaS  9t eib  (1710  — 1796)  unb  feine  9kd^fo(ger, 
bie  3Jiänner  ber  fog.  fd;ottiid)en  ©d^ule,  ^ogen  fic^  einfad;  auf  ben  (Stanb= 
punft  äurüd,  raeld;en  audj  |)ume  für'S  praftifd^e  Seben  übrig  geiaffen, 
bem  er  ober  feine  miffenfd^aftlid^e  ©eltung  juerfannt  f)atte,  ben  Stanb^: 
punft  beS  unmittelbaren  Seiuu§tfein§,  beS  ©laubenS.  S)er  5prüfftein 
für  alie  unfere  2{nnal)men  foll  in  gcroiffen  unS  ongeborenen  ©runbfä^en 
liegen,  üon  beren  2Bal)rf)eit  ber  „gemeine"  ober  „gefunbc  3Jtenfd)enüer= 
ftanb"  uns  überzeugt.  2(uf  biefe  2(rt  fonnle  man  bann  mit  bem  !^\Mi^ 
fet  fd;neU  fertig  roerben :  menn  man  für  einen  ©a^  feinen  auSreic^enben 


§ume  itnb  Seb.    SDie  SJiovaüftcn.  319 

S3etüei§  511  finben  rouBte,  brauchte  man  i^n  blo^  für  eine  SluSfagc  be» 
geiunben  3}ienfd^enoerftanbg  5U  ertBren.  ©in  Rani  ift  aber  freilid^ 
ber  3}ieinung :  e§  fei  grcar  eine  gro^e  ©abe  he§>  §immel§,  einen  geraben 
9Kenfc^enüerftanb  ju  befi|eTt.  3tber  man  muffe  tf)n  burd;  ^Ijaten  be= 
weifen,  burd;  ba§  überlegte  unb  üernünftige,  uia§  man  benfc  unb  fage, 
tlid)t  aber  babnrc^,  ba^  man  fid;  auf  if)n  at»  ein  Crafel  berufe,  raenn 
man  ntd^tS  flugeg  gu  feiner  9ied;tfertigung  üorjubringen  raifie;  anbcrn= 
falls  fönne  e§>  ber  f($aalfte  3djroä|er  mit  bem  grünblid)ften  ^opf  auf= 
nefimen.  §ume,  fügt  er  bei,  \)ahc  auf  einen  gefunben  5l?erftanb  ol^ne 
3roeife(  ebenforoot)t  2(nfprud)  madjeu  fönnen,  aUi  ©eattie  (ein  (Sd^üter 
t)on  9leib),  „unb  nod^  überbem  auf  bas,  maS  bicfer  geiui^  nic^t  befa^, 
nämlid^  eine  fritifd^e  i^ernunft,  bie  ben  gemeinen  S^erftanb  in  Sd^ran-- 
!en  f)ält"  '). 

dlebcn  ben  Unterfud^ungen,  rae(d;e  fid^  an  Sodfe'S  ©rfenntni^tfieorie 
onfd^Io^en,   treten  in   ber  eng(ifd;en  ^|.^t)ilofop^ic  be»  18.  :öat)rt)unbert§ 
befonberS  bie  moralif($=pfi)d)ologi)c^en  Erörterungen  fierüor,   uon  beren 
ßinflu^  auf  bie  gleichzeitige  beutfd^e  ^^f)ilofop§ie  un§  aud;  im  bisherigen 
fd^on  3af)(reicE)e  53eroeife  oorgefommcn  finb ;  wogegen  bie  „5p^i;fifütl;coIogie" 
eines  S)ert)am  unb  Glarte'S^^natürüdie  2i)eo(ogie,   fo  uiel  fie  aud^ 
gclefen  unb  nad^gealjmt  mürben,  bod;  in   ber  Sadjc  nid;tS   neue»  unb 
eigentt)üm(id;eS  brad;ten.     S)ie  ^-»auptfrage  ift  babei  bie  nad;  ber  allge= 
meinften  iltorm  unfereS  ^anbelnS,  hem  oberften  3)tora[princip ;  unb  um 
biefeS  gu  finben,  f)ä(t  man   fid;  t^eilS   an  bie  DZatur  ber  G)cgcnftänbe, 
auf  bie  ge^anbelt  mirb,  tfieilS  unb  fiauptfäd^Iid;  an  bie  3^atur  beS  Wen-- 
fd^en  als  beS  f)anbe(nben  SubjeftS.     S)aS  erftere  tl^ut  ber  ebengenannte 
©amuel  ßlarfe  (1675—1729)  unb  ä^nlid;  SBilliam  23oIlafton 
(1659 — 1724),  menn  jener  baS  3)toralprincip  in  ber  „3lngemeffenl)eit" 
unferer  ipanblungen  finbet,  biefer  in  il)rer  „©al)rl)eit" ;  benn  beibe  rooUen 
bamit  nid;tS  anbereS  bejeid^nen,  als  bie  Uebereinftimmung  berfelben  mit 
ber  5Jiatnr  ber  S)inge,  auf  bie  fie  fid;  bejie^en.    ©c^on  SöoUafton  üer^ 
binbet  aber  bamit  bie  gorberung,   baß  mir  aud;  unferer  eigenen  9iatur 
gemäB,  b.  f).  uernunflgemöB,  l)anbeln;  unb   ba  unS  nun  baS  glüdlid^ 
mac^t,  maS  unferer  9iatur  gemäB  ift,  fann  er  aud)  hk  ©lüdfeligfeit  als 
3TOed  unferer  ^anblungen  be^eid^nen.    2luSfd;neBlid;er  unb  cntfdiiebener 
gellen  anbere  für  bie   Seftimmung   ber    praftifd;en  2lufgaben  üon  ber 
^Beobachtung  ber  menfd;Iic§en  Dcatiir  üuS;  äijnlid;  mie  Sode  für  bie  Se^ 
1)  '^rolegomeiien  ju  jeber  fünft.  äJietap^.  SBorr. 


320  3»^"tcr  2(bfc^nitt.     ©inleituu^. 

ftimmung  bcr  t§eoretii'(^en  Sfufgaben  oon  berfetben  ausgegangen  maw 
^n  erfter  Sinie  ift  ^ier  2lnton  2Iff)tep  Sooper,  ®raf  v.  (Sf)aftc§5 
burt)  (1671 — 1713)  ül§>  ber  3?knn  ju  nennen,  rael(^er  ber  engüfd^en 
9Jioralpf)itofop^ie  bis  ouf  unfere  3eit  ^erab  if)ren  2ßeg  üorgejeidinet  i)at. 
tiefer  geiftretd^e  unb  feinfinnige,  Don  ben  2Inf(^auungen  beS  ffaffifd^en 
3ntertf)untS  genährte,  in  üielfeitigem  SSeltoerfefir  gebilbete  3J^ann  get)t 
in  feiner  gan3en  SebenSanfc^auung  barauf  au§>,  ber  ©ittüd^feit  if)re  felb^ 
ftänbige  Söebeutung,  nnb  namentli(^  tf)re  Unabijöngigfeit  oon  ber  Z^eo- 
(ogie,  baburd^  gu  fid^ern,  ba§  er  fie  anf  bie  realen  Gigenfc^aften  unb 
Scbürfniffe  ber  mcnfditid^en  DIatur  grünbet.  ©ein  Teitenber  ©ebanfe  ift 
bie  Ginl^eit  ber  fittlirficn  ^f(icf)t  unb  be»  natürtid^en  StriebS.  2BaS  unfern 
natürlichen  Steigungen  entfpric^t,  ba§  bient  ^u  unferem  ©lue!,  ift  ein 
©ut;  rcaS  ilinen  roiberfprid^t,  ift  ein  Hebel.  S)iefe  $Reigungen  finb  nun 
boppelter  2lrt:  fie  gel)en  tl)eil§  auf  ba§  allgemeine,  tfieils  auf  unfer 
eigenes  SSo^l,  finb  tf)eilS  genteinnü|ige,  it)ol)ln)OiIenbe  unb  gefeHige, 
tl)eil»  felbftifc^e.  Seibe  finb  berechtigt,  unb  nur  in  il)rem  l)armonif(^en 
SSerl)ältni§  beftel)t  bie  ©lücffeligfeit ;  aber  bie  genteinnü|igen  3?eigungen 
f)aben  größeren  2Sertt)  unb  geraäliren  f)öl)eren  ©enu^.  S;ie  2(ufgabe 
beS  SKcnfc^en  ift  eS,  unter  angemeffener  Serüc!ficf)tigung  beS  eigenen 
2Bol)[S  für  baS  ©anje  5U  leben ;  baS  oorifommenfte  Sßerf  feiner  fittlicl;en 
2l)ätigfeit  ift  ein  fiarmonifc^eS  ©emeinleben,  bie  ebelfte  ^^ruc^t  berfelben 
ift  ber  Sinn  für  ^reunbfcfiaft  unb  bie  Siebe  gum  S?aterlanb,  ^^ragen 
roir  aber,  raie  rair  ba»  richtige  S?erl)ältni§  5n}if($en  unferen  5?eigungen 
finben  foHen,  fo  uerraeift  unS  SliafteSburij  auf  ben  allen  33Zenic5^en  an^ 
geborenen  moratifcben  Sinn,  ber  jeboc^  burc^  Silbung  jur  Äunft,  gum 
moralifrfien  ©efdjmad  crl)oben  roerben  foll.  S)iefe  ©ebanfen  fülirte  bann 
§utcf)efon  (1694 — 1747)  weiter  auS.  3?on  (El)afteSburi)  unterfc^eibet 
er  fic^  liauptföc^lid^  boburcfi,  ba^  er  uon  ben  blinben  unb  üorüberge^en^ 
ben  2;rieben,  ober  ben  Seibenfc^often,  bie  bauernben  unb  ruliigen,  burd^ 
bie  SSorftetlung  beS  ©uten  cermitteltcn  Steigungen  unterfc^eibet ;  beibe 
tl)eilt  er  mit  jenem  in  bie  felbftifc^en  unb  bie  TOol)ln)otlenben ,  unb  he- 
geid^net  eS  nun  als  eine  ^orberung  beS  unS  angeborenen  moralifd;cn 
@efül)lS,  nur  ben  Steigungen,  nidjt  ben  Seibenfcfiaften,  unb  nur  ben 
it)ol)lroollenben,  nidjt  ben  felbftifdjcn  Steigungen  gu  folgen.  Sluf  baS 
moralifc^e  ©efü^l  gel)t  auc^^ume  gurüd;  auc^  er  fuc^t  bie  Xriebfebern 
alles  ^anbelnS  in  ben  natürlichen  Steigungen  ober  ben  Seibenfdiaftcn, 
unb  bie  33en)cggrünbe  beS  fittlidien  .^anbelnS  in  bem  2Sol)lgef allen  ober 


J^unie.     €c^Dttifd^e  Schule.  321 

3Ri§fa(Icn,  melö)es>  bei  ber  Betrachtung  einer  ^onblung  entftefit. 
Sal  unferen  D^ieigungen  S3efriebigung  geraäfirt,  ba§  betrad^ten  rair  al§ 
ein  @ut,  ba§  erfd^eint  un§  a(§  nü^üi^;  wer  ba§  ©emeinnü^ige  tf)ut, 
Den  nennen  wir  tugenbf;aft.  S)a§  aber  ba§  ©emeinnü^ige  unfer  2öot)l= 
gefatten  fieroorruft,  bie^  beruht,  wie  §ume  bemerft,  auf  ber  ©gmpatfiie, 
auf  ber  Seid^tigfeit,  mit  ber  rair  un§  in  frembe  ßwftötibe  oerfe^en.  2(n 
biefe  2:§eorie  f^tie^t  fic^  bann  Slbam  Smitf)  (1723—1790),  ber  he-- 
rüFintte  S^ationalöfonom ,  an,  roenn  er  bie  Ie|te  Quelle  ber  ©ittlid^feit 
in  ber  SpmpatEiie  finbet,  unb  ni(^t  allein  bie  gefedigen  2:ugenben,  fon= 
bern  and^  ba§  9)iaBf)alten  in  ber  33efriebigung  ber  fetbftif(^en  Steigungen 
aü§>  i^r  ableitet:  roir  t)erfe|en  un§,  luie  er  glaubt,  hei  ber  moralifc^en 
Beurt§ei(ung  unferer  ^anblungcn  auf  ben  Stanbpunft,  aus  bem  anbere, 
unb  t)or  attem  bie  ©ott^eit,  fie  beurtijeifen  würben,  unb  eben  barin  be= 
fte^t  ba§:  ©ewiffen.  ©infad^er  oerfai)ren  bie  ^{)iIofop^en  ber  fd^ottifd^en 
Schule  aud^  f)ier :  ber  gefunbe  nJienfdjenoerftanb  unb  ber  angeborene 
liioralifcfie  ©inn  befe!)rt,  raie  fie  fagen,  einen  jeben  über  ba§,  raag  er  gu 
tt)un  ^at  2Bien)of)(  aber  biefe  ©ä^e  t)on  i^nen  im  au§briidflid^en  2Biber= 
fpruc^  gegen  2oäe  unb  |)ume  aufgefteilt  werben,  liegen  fie  boc^  gfeidj- 
falls  innerfialb  ber  Stic^tung,  t)on  ber  fic^  bie  engtif^e  ^F)i(ofopf)ie  feit 
i^ocEe  beiierrfc^t  ^eigt.  ®»  ift  bie  innere  ©rfa^rung,  bie  6e(bftbcobad;tung, 
üon  ber  fie  ausgebt ;  mag  man  nun  bei  ben  Slusfagen  be§  unmittelbaren 
6elbftbemuf5tfein§  al§>  einem  legten  ftefien  bleiben,  wie  bie  ©(Rotten,  ober 
?itag  man  fie  felbft  raieber  in  ber  grünbtid^eren  Söeife  eines  fiodfe  unb 
."pume,  6{)afte§burr)  unb  ©mitF),  gergliebern  unb  fie  auS  i|ren  ©tementen 
ju  erklären  t)erfu($en. 

©inen  anberen  2Beg  na{)m  bie  franjöfifc^e  g^^ilofop^ie  beS  18.  i^a^r- 
tiunbertS;  aber  aud^  fie  gieng  oon  Socfe  au§.  S^^ad^bem  ^uerft  9?ottaire 
bie  Stufmcrffamreit  feiner  fianbsleute  auf  biefen  ^f;i[ofopf)en  gefenft 
tiatte  ^),  unternahm  e»  Gonbillac  (1715—1780),  feine  S:^eorie  ^u  üer= 
beffern  unb  it)r  bie,  mie  er  glaubte,  il)ren  allgemeinften  ©runbfä^en 
allein  entfpred^enbe  ©eftalt  gu  geben.  2öenn  £ode  in  ber  ©enfation  unb 
9leflej;ion  groei  gleid;  urfprüngtid^e  Cuellen  »on  ^Ibeen  erfannt  f)atte,  fo 
miü  ßonbiüac  nur  bie  erftere  berfelben  als  fold^e  gelten  laffen,  ba  roir 


1)  2)a§  nähere  über  S^oltaire'l  p^ilofopl^ifd^e  ainftd^ten  uiib  fein  Ser^ättniß  ju 
ÜDcfe  unb  9?ett>tcn  finbet  man  jefet  in  ber  lic^ttjoflfien  Sufammenfteaung  bei  Strang 
SSoItaire  @.  223  ff.  ögl.  47.  94. 

3  t  l  T  e  V,  ®ei(fiicfete  ba  beutf(^en  ^öitofoPfeie.  21 


322  3*>'fiter  3t6f(^nitt.    (äinteitung. 

ja  foiift  hoä)  loieber  gu  einem  m\^  angeborenen  SSorftettung^infiatt ,  ju 
angeborenen  i^been  fönten.  (Jr  fud^t  ju  seigen,  wie  alle  unfere  ©eifteS-- 
tfiättgfeiten,  nid^t  blo»  bie  2öaf)rnef)mnng  unb  Erinnerung,  fonbern  auc^ 
ba§  ©elbftberouBtfein  mtb  ba§  'J^enfen,  bie  @efü^(e  unb  bie  SSit(en§afte, 
au»  ber  finnlid^en  ©mpfinbitng  {)eroorge^en ;  unb  er  ^at  buri^  biefe  Un= 
teriud;ungcn  bie  ^si'ijrfiülogie  mit  üielen  treffenben  S3eobad)tungen  unb 
S3emcrhingen  bereii^ert.  2((§  ba§  fid^erfte  2Bif)'en  unb  al§  ber  3)laBftab 
für  jebe§  anbere  ©rfennen  erf($eint  ba^er  l^ier  bie  äußere  S3eoba(^tung, 
unb  at§  ber  einzige  naturgemäße  Seftimmung^grunb  ba§  @efüf)l  ber 
Suft  unb  ber  IXnluft.  Iber  fo  menig  Gonbitfac  befe^atb  eine  Moxai  ber 
©elbftfud^t  Iel)rt,  ebenforacnig  ti)ut  er  and;  fd^ou  ben  @(^ritt  com 
©enfualifmuS  gum  3)kterialifmu§ ,  unb  felbft  tt)eoIogifd;e  Sefiren,  bie 
fid;  mit  einem  confequenten  Gmpirii'mu§  f($(cd;terbing§  nidjt  »ertragen, 
läßt  er  ftetien.  ©ine  ät)nlid)e  ©teKung  na^m  $8onnet  (f.  o.  ©.  250) 
ein.  aßeiter  gieng  §elt)etiu§  (1715—1771),  n)eld;er  ßonbillac'^ 
©tanbpunft  ^auptfäc^Iid^  nac^  ber  pra!tij'd;en  Seite  J)in  au§füf)rte.  Sei 
it)m  l^at  ber  (Sen[ualifmu§,  in  bcm  er  fid^  an  dionbiüac  anfdjließt,  fd^on 
eine  uuüerfennbare  Steigung  gum  9)lateria(ifmu§ ;  unb  menn  er  ben 
eigenlüdjen  @runb  aller  @eifte§tl)ätigfeit  in  unfern  Seibenfc^aften  unb 
unfern  natürl;d;en  Sebürfniffen  finbet,  fo  ift  \i)m  bie  SSur^el  aller  £eiben= 
fc^aften,  ber  ©runbtrieb  ber  menfdjlidjen  9Zatur,  bie  «Selbftliebe  ober  ba§ 
^ntereffe.  ®ie  ©elbftliebe  ift  ber  einzige  wirflid;e  unb  naturgemäße, 
unb  balier  aud;  ber  eingige  berechtigte  Seraeggrunb  unfereS  §anbeln§; 
bie  Slufgabe  ber  3Jioral  ift  ni($t  bie  Sefämpfung,  fonbern  bie  rid;tigr 
Seitung  be§  3"tereffe'§ :  e§  fanu  nid^t  »erlangt  werben ,  ha^  ber  9}tenfd; 
intereffelo»  ^anble,  benn  bieß  ift  unmöglid;,  fonbern  nur,  baß  er  fein 
i^ntereffe  in  ber  2lrt  »erfolge,  burd;  meld;e  ha§>  @emeinraoljl  am  meiften 
geförbert  mirb.  ^iefür  ift  alber  bie  ©runbbcbingung  eine  fold^e  @e= 
ftattung  be§  öffentlichen  SebenS,  bie  jeber  gemeinnü^igen  5tl)ätigfeit  iliren 
Sof)n  fidjert.  ^e  weniger  ^eloetiuS  biefe  S3ebingung  in  bem  bamaligen 
granfreid^  erfüllt  fanb,  um  fo  nad;brüdlid;er  raenbet  er  fid^  gegen  ben 
politifd^en  unb  ben  mit  il)m  »erbünbeten  geiftlidjen  S^efpotiC^muS,  um  fo 
fd;ärfer  lauten  aber  aud^  feine  IXrtlieile  über  bie  9?elic(ion,  ber  er  bie 
9]erantn)ortlic^feit  für  biefe  Hebel  grcßentl)ei(^  3ufd)icbt. 

9ioc^  ftärfer  tritt  biefe  SDenfmeife  bei  einem  Samettrie,  einem 
'I)iberot  unb  .^olbad;  lieruor.  S)er  crfte  »on  biefen  9)Zännern  (1709 — 
1751)  ift  einer  »on  ben  fedften,   aber   and)  einer  »on  ben  obcrffädjtid;; 


^ransöfifc^er  ®cnfuali)mu§  unb  2)latcrtaftfmu§.  333 

flen  S^ertretern  be^  3JtatenaUfmu§ ,  ben  er  mit  üerte^enber  Dftentation 
vortrug  unb  jur  9led^tfertigung  ber  ^ef)auptung  üertüattbte,  ba^  ber 
©innengenu^  ber  einjige  Sebcn^STued  fei.  S)iberot  (1713 — 1784),  ber 
berühmte  ^erou§geber  ber  ©nct)f(opäbie,  tarn  vom  Socfe  unb  ©iiafteg-- 
burp  au§  mef^x  unb  mel^r  ju  einem  ]^t)lo3oiftif($en  ^antfieifmug,  ber  alfe 
©rfd^einungen  rein  p!)i;fifalif($  au0  ber  SSerbinbung  unb  5£rennung  ber 
lebenbigen  Wlokcüien,  ber  attein  uvfprünglic^en  Söefen,  erüört,  unb  eine§ 
@otte§  baju  nidjt  bebarf ;  aber  in  ber  3)ioraI  miberipri^t  er  nid^t  attein 
Samettrie,  fonbern  anä)  ^ebetiu^,  fo  rielfac^  er  au^  mit  bem  le^teren 
t()eil§  in  ben  ©runbgebanfen  t{)eil§  in  i^rer  Slnmenbung  auf  (Staat  unb 
Äir(^e  übereinftimmt :  er  roitt  gwar  5Cugenben  unb  g-el^Icr  auf  natürlid^e 
©ifpofitionen  gurücffüfiren  unb  bie  Seibenfd^aften  al§  unentbe^r(id;e  ^rieb; 
febern  be§  §anbe(n§  betrachtet  miffen,  aber  gugleid;  erflört  er,  ber  ©ute 
fei  at§  fol^er,  unb  ganj  abgefef)en  üon  53elo!)nungen  unb  ©trafen, 
g(üd(idj,  ber  ^öfe  unglüdüc^,  unb  er  läBt  fi($  in  biefer  Ueberjeugung 
auci^  burc^  bie  Ungleit^^eit  ber  äußeren  @($idfale  nid;t  ftören.  S)ie  voU- 
ftänbigfte  S)arftcHung  ber  franjöfifd^en  Slufflörung  unb  ifireS  3Jtaterialif= 
mu§  ift  aber  ba§  „©pftem  ber  9catur"  (1770).  Ser  SSerfaffer  biefeö 
Söerfeg,  unb  nod;  «teter  anbcrer  ©(^riften  ift,  raie  man  je^t  mei^, 
ber  S^eutfdifranjofe  ©ietrid;  ü.  $oIba($  (1723—1789),  meldjer  in 
enger  SSerbinbung  mit  S)ibcrot  ftanb  unb  einen  üon  ben  3Jiittelpunften 
ber  greibenfer  in  bem  bamaligen  ^ariy  bilbete.  S)er  ^weä  atter  ^f)tIo; 
fop{)ie  ift  feiner  2)arfteüung  pfolge  ha§>  &iüä  ber  3)ienfc^en.  S)iefe§ 
©lud  tiat  aber  feinen  gefä^rliciieren  geinb,  al§  bie  9]orurtf)eiIe ;  unb 
ha^i  eingreifenbfte  t)on  atten  3Sorurtf)ei(en  ift  bie  3)Zeinung,  ba^  e§  in 
ber  Söelt  no($  etraaS  onbereS  gebe,  al§>  bie  3Jtaterie  unb  bie  S3emegung. 
Qn  Sßa^rtieit  befteJ)t  alle§  üu§>  ben  Sltomen,  "oie  nad^  inneren  @efe|en  fid^ 
bewegen;  au§  if)rer  SBec^felmirfung  cntftel;t  jener  ^ufammenl^ang  ber 
$Dinge,  ber  mit  unabänbcrlid^er  9^iott)U)enbig!eit  atte»  beftimmt.  2lud^ 
ber  3Renfc^  ift  nur  ein  2:f)eil  biefe§  3"fö^i^ßW^ong§ ;  ein  SBafingraube 
ift  e§,  rocnn  er  einer  Seele  gufi^reibt,  raa§  Uo§>  ein  Gr^eugni^  feiner 
@ef)irnt^ätigfeit  ift,  wenn  er  biefer  Seele  greiEieit  unb  llnfterblid^feit 
beilegt,  loenn  er  über  bie  9?atur,  bie  einzige  reale  Urfadje  ber  ®inge, 
eine  ®ottl)eit  ftettt.  2lu§  biefem  SBa^n  finb  bann  weiter  atte  jene  oer= 
berbtic^en  ^rrtf)ümer  entsprungen,  meldte  guerft  in  guter  Slbfid^t  von 
©taatSmännern ,  in  ber  ^olge  für  bie  fdiled^teften  S^eäe  t)on  ^rieftern 
unb  S)efpoten  ausgebeutet  unb  genäbrt  mürben,    befreien  mir  un§  ron 

21  * 


324  3"'^'*^'^  flbfd^nttt.    (Stnlettung.    Siouffeau. 

benfelben,  fo  lüerben  wir  bie  eiitäige  naturgemäße  ^^riebfeber  unferer 
^anblungen  in  unferem  :Snterefye  erfennen.  Unferem  rcafiren  i^ntereffe 
cntfprid^t  aber  nur  bie  Slugenb:  nid^t  bloS,  roeil  fie  allein  un§  bic 
Sichtung,  bie  Siebe  unb  bie  IXnterftü^ung  anberer  3}Jenfd^en  oerbürgt, 
fonbern  nod^  unmittelbarer  beßfialb,  weil  mir  felbft  nur  bann  glüdEIic^ 
finb,  wenn  mir  anbere  glüdlid^  machen,  meil  unfere  innere  ^ufriebenl^eit 
mit  ber  Sefierrfd^ung  unferer  Seibenfc^aften ,  ber  Erfüllung  unferer 
^Pflid^ten  gleichen  ©d^ritt  {)ält.  S)er  SDkterialifmuS  nimmt  bal^er  f)ier 
burd^au§  bie  SBenbung  auf'0  praftifc^e  SSerfialten,  unb  nur  f)ierin  liegt 
au(^  fein  urfprünglid^cS  Wlotiv.  Um  naturmiffenfc^aftlid^e  gorfd^ung  ift 
e§  feinen  SSertretern  nur  gum  fieinftcn  SEI^eile  gu  t{)un;  bie  materialiftifc^e 
2Beltanfi(^t  ift  für  fie  nur  ba§  Mittd,  um  fid^  t)on  ben  3>orurtf)eiIen 
5U  befreien,  roe(df;e  bem  ©lücfe  beS  ©injelnen  unb  ber  ©efettfd^aft  im 
SBeg  flefien. 

ign  biefem  2luft'lärung§ftreben  berüt)rt  fid^  nun  aud^  3.  ig-  ^^i  o  u  f  = 
feau  (1712 — 1778)  mit  ben  bi^ber  befprod^enen  ^b^iof^pben,  bie  er 
an  meitreii^enbem  ®infIuB  mobi  nod)  übertrifft.  ®ie  ©runbftimmung, 
TOetd^e  fic^  burd;  bie  ©(^riften  biefeS  merfroürbigen  3Jianne§  b"^^ui"<^3i^bt/ 
ift  bie  ^iage  über  bie  Unnatürlic^feit  aller  fittlid;en  unb  gefeUigen  ^lu 
ftänbe,  ber  leitenbe  ©ebanfe  berfelben  ift  bie  ^^orberung  ber  diMUf)x 
iux  Statur.  2öir  foEen  un§  in  unferem  ©rfennen  von  ber  Vermittlung 
äur  llnmittelbarfeit,  von  ber  9ftef(eyion  jum  ®efü§l,  üon  ben  abftraften 
Qbeen  gur  ©in^elempfinbung  b^wüenben;  in  unferem  Seben  üon  ber 
33ilbung,  meldte  ben  Streit  ber  9ieigungen  unb  bie  Ungleic^b^it  unter 
ben  9}lenfc^en  erzeugt  l^at,  ju  bem  ©taube  ber  llnfd;ulb,  in  metd^em  ber 
6elbfterf)altungltrieb  unb  bie  ©ijmpatbie  noc^  in  natürlid^er  Harmonie 
waren;  in  ber  ©rgiebung  üom  päbagogifd^en  ,3^oang  gur  ungeftörten 
natürlid^en  ©ntraicfhing;  im  Staate  üon  ben  a>orrec^tcn  gu  ber  ange= 
borenen  grcibeit  unb  @Ieid;beit,  von  ber  ^errfd;aft  ßinjetncr  gur  ©elbft^ 
regierung  be§  fouueränen  5BoIfe§;  in  ber  ^Religion  oon  ber  pofitiüen  ju 
ber  3^aturreligion,  meldte  fid^  in  bem  beiftifc^en  ©lanben  an  (Sott,  ^^rei; 
l^eit  unb  Unfterblid^feit  äufammenfaßt.  ®ie  tbeoretifd;e  SBeltanfid^t 
a^ouffeau'ö  ftebt  allcrbingg  mit  ber  eines  S)iberot  unb  ^olbad^  im  auS; 
gefprocbenen  ©egenfa^  ;  aber  in  feinen  praftifd^en  3^^^^»^  trifft  er  mit 
ibnen  jufammen,  unb  menn  bie  gange  Slufflärung  jener  3^^^  ^o"  ^^^ 
.^erfommen  auf  bie  S^tatur,  üüu  ber  Ueberlieferung  auf  bie  3Sernunft 
jurüdgeben  loill,  fo  f)at  fein  anberer  biefe  g-orbevung  tanter  erboben  unb 


(grgebntffe  bet  ttufflärungSpl^ifofop^te.  325 

folgerichtiger  burc^gefü^rt.  ®ie  übrigen  roenben  ft(3^  mit  ber  S3itbung 
it)reä  ^o^rJ)unbert§  gegen  bie  ^rabitionen  ber  ^Sorjeit;  9louffeau  fel^nt 
fid^  au(^  au§:  biefer  Sifbung  jum  reinen  SZatur^nftanb  guriid  ©oB 
freiüd^  biefe  <Set)n[ud;t  felbft  nur  ein  ©r^eugniB  ber  Heberbitbung,  ber 
oermeinttid^e  S^atur^nftanb  nur  eine  giftion  roar,  boüon  ^atte  roebcr 
Sioufyeau  no(^  feine  3ß^tgenoffen  ein  S3en)uBtfein. 

2Bir  ^Qben  nun  fd;on  früher  gefeiten,  roie  oielfai^  biefe  engtifd^c 
unb  franjöfifd^e  2luf!(ärung  auf  bie  beutfd;e  eingeroirft  ^at.  2Uier  bo^ 
tiatte  biefe  ©inioirhmg  bi§  baf)in  §u  feiner  grunbfö^li($en  2lu§einanber= 
fe^ung  groiid^en  ben  üerfc^iebenen  n)iffenfd)oftiid;en  ©tanbpunften  geführt. 
5Da§  ©rgebni^  raar  t)iehnef)r  nur  biefeS  geraefen,  bo§  bie  fierrfd^enbe 
leibni^^roolffifc^e  ^^ilofop^ie  mit  mand;er(ei  ©tementen  ücrfe|t  lourbe 
bie  i^r  graar  urfprüng(i(^  fremb  raaren,  aber  bo(^  in  i^r  felbft  2ln- 
hiüpfungSpunfte  fanbcn;  bo^  bie  pfi)d;o(ogifd^e  Seobadjtung,  ber  fd^ou 
2Bo(ff'§  empirifd^e  ^fi)d;oIogie  ein  geräumige^  gelb  eröffnet  ^tte,  nod; 
weiter  ou§gcbei)nt,  bie  3<^i-'glie^ci^uttg  ber  geiftigen  5?orgänge  mit  größerer 
6(^ärfe  unb  geinl^eit  üorgenommen ,  bie  metapl^i;fifd^en  Unterfud^ungen 
bogegen  rerna^(ä§tgt  unb  bie  miffenfdjaft[id;e  ßonfequenj  einem  @ffefti= 
cifmuä  geopfert  mürbe,  ber  balb  genug  mit  ber  bequemen  S3erufung  auf 
ben  gefunben  33tenfc^enüerftanb  ober  ba§  unmittelbare  ©efü^l  jeber 
grünblid^en  Unterfui^ung  au§  bem  SBege  ju  gelten  wu^te;  ba^  enblid^ 
bie  Wloxai,  auf  TOeId;e  ba§  p^iIofopt)ifd;e  ^^tereffe  fid^  immer  auSfd^IieB- 
lid^er  coucentrirte,  faft  allgemein  aU  eine  @(üdfeligfeit§(ef)re  o^ne  ftren^ 
gere  miffenfd^aftlid^c  .Spaltung  belianbelt,  unb  anä)  bie  ^^eologie  gou§ 
in  hm  ©ienft  biefeS  @(üdfeligfeit§ftreben§  gebogen  rourbe.  ©iefer  Qu- 
ftanb  ber  pl^i(ofop^if(^en  58eftrebungcn  tie§  nun  alferbingg  ba§  33ebürfniB 
ernennen,  über  bie  TOo(ffifd;e  ^l)iIofopl)ie  liinaug^ufommen  unb  fic  burd^ 
bie  ©rgebniffc  ber  augläubifd;en  2öiffenfd;aft  gu  ergänzen,  ^nbem  ferner 
ba§  i^ntereffe  fid;  oon  ber  ^Murforfc^ung  unb  ber  9J?etapl^vfif  jur 
^ft)d^o(ogie  unb  Wtoxal  l)inroanbte,  inbem  bie  ^^t)iIofopf)ie  t)on  ber  <Bdh\U 
beobad^tung  au^gefjen  unb  jur  ©lüdfeligfeit  f)infü^ren  woüte,  war  ber 
3Jienfc^  ai§>  ber  ©egeuftanb,  ba§  menf^lid^e  ©elbftbemu^tfein  a(g  ber 
Drt  be^eid^net,  mit  beffen  Unterfu^ung  fid^  bie  ^^Kofop^ie  üor  allem 
anbern  gu  befd^äftigen  ^abc.  Slber  feiner  t)on  ten  Wiänmvn,  bie  mir 
bigJier  fennen  gelernt  liaben,  f)atte  eine  tiefere  ©urc^forfd^ung  biefe^ 
©ebietg  unternommen,  unb  feiner  t)on  i^nen  f)atte  erfannt,  ba§  alle 
SSerfud^e  gur  gortbilbung  unb  ©rgänjung  ber  leibnia=moIffifd^en  ^^ilo= 


326  Stt'^tf'^  2(bfd^nitt.    ©iiileitung. 

fopf){e  einer  f)a(tbaren.  @nmb(age  entbelirten ,   fo  lange  ni^t  bie  ent= 
fd^eibenben  fragen  m^  bem  Urfprung  unferer  SSorfteffungen  grünb- 
ttd^er  al0  biSl^er  unterfud^t  toareu,  unb  ber  ^Beitrag  feftgefteEt  war, 
wetd^en  einerfeit§  bie  objeftiüen  ©inbrüdfe,  anbererfeit^  bie  @elbfttt)ätig= 
!eit  be§  üorftellenben  ©ubjefts  für  i{)re  Silbung  leiften.     @6en  biefe 
^rage  ift  e0  nun,  bur($  beren  Seantroortung  ^ant  eine  neue  ®po(^e  in 
ber  @ef(j^id^te  ber  ^l^ilofopf)ie  eröffnete.    ®r  roiberlegte  bie  bisfierigen 
©tanbpunfte,  inbem  er  jeben  burd^  bie  anbern  ergänzte  unb  fie  ju  einem 
neuen  fortbUbete.    SBenn  ber  leibrnj-wolffifc^e  9flationalifmu0  aUe  unfere 
Uebergeugungen  auf  bie  SSernunft  grünben  raoHte,  fo  gab  if)m  Äant  gu 
bebenfen,  baB  bie  SSernunft  ifiren  Stoff  nur  ber  ©rfa^rung  entnefimen 
fönne,  ba^  aller  SSernunftgebraud^  nur  Bearbeitung  biefeS  erfai)rung§= 
mäßigen  ©toffeS,   unb  baf)er  auf  ba§  @ebiet  beffen  befd^ränft  fei,  raaS 
©egenftanb  ber  ©rfafirung  werben  fann.    2Benn  ber  @mpirifmu§  bie 
©rfafirung  für  bie  eingige  Üuette  unferer  SSorfteHungen  unb  für  ben 
gjlaBftab  i^rer  2Baf)rf)eit  erflärte,  wieS  if)m  Äant  nad^,  bafe  bie  ©r= 
fat)rung  fetbft  nur  burd^  unfere  geiftige  ^f)ätigfeit  unb  nad;  ben  ©efe^en 
biefer  ^f)ätigfeit  ju  ©taube  !omme,  ba^  fie  un0  bafier  bie  ®inge  nie 
fo  jcige,  wie  fie  an  fid^  fetbft  befd^affen  finb,  fonbcrn  immer  nur  fo, 
n)ie  fie  un§,  nadC)  ben  fubjeftiüen  S3ebingungen  unfereS  ^ßorftcttenS,   er= 
fd^einen.     ^e  üoHftänbiger  er  aber  ^iemit    ben    menfd^lid^en  @eift   in 
feinem  ©rfennen  auf  bie  ©rfd^einung^raelt  befd^rän!te,  um  fo  au§fd^lie§= 
lid^er  fnüpfte  er  feine  5>erbinbung  mit  ber  überfinnlid^en  SBett  an  ba§ 
fittlid^e  2öo(Ien.    S)er  3}^enfd^  beftimmt  bei  i^m  burd^  bie  ©efe^e  feinet 
SBorfteKenS  bie  gorm  ber  ©rfd^einung,  wie  fie  un§  al§  ©egenftanb  ber 
©rfafirung  gegeben  ift,  unb  er  finbet  in  ben  ®efe|en  feine§  ^anbetng 
bie  ©pur  beffen,  roaä  ber  ©rfcfieinung  al§  ba§  ibeale  SBefen  ber  S)inge 
ju  ©runbe  liegt.    2Benn  bie  beiitf^e  ^fiitofoptiie  bei  Seibnij  ©piritualif= 
mu§  geraefcn  mar,   aber  fdjon  in  SBolff  biefen  ßfiarafter  roieber  ner= 
loren  t)atte,  fo  wirb  fie  burd^  Äant  jum  ^bcalifmuS:  er  täugnet  sroar 
toeber  bie  ©inge  au^er  un§  nod^   bie  ©ottl^eit  über  un§,  aber  er  be= 
Rauptet,  ba^  mir  unmittelbar  nur  non  un§  felbft  etroaS  miffen  tonnen, 
t)on  jenen  bagegen  nur  in  ben  formen  unfere§  SSorfteUenS  unb   nur 
foroeit,  al§  ber  :3nt)alt  unfere§  ©elbftberouBtfeinS  auf  fie  l)inn)eift. 

S)iefer  QbealifmuS  entmidfelt  fid^  nun  nad^  ^ant  in  einer  Steige 
bebeutenber,  raf^  aufeinanberfolgcnber  ©yfteme.  5:rat  i^m  aud^  üon 
Anfang    an   bie   @taubengpl)ilofopl)ie   i^acobi'S   unb   feiner   greunbe 


Äant  itnb  feine  9?od§foIger.  327 

entgegen,  fo  fonnte  fie  tf)m  boc^  fd;on  beB^alb  ntd^t   m'ixtiiä)  Gin{)aft 
tfiun,  raeit  fie  bie  Söa^r^eiten,  weldje  if)r  Äant  in  einen   fubjeftioen 
6djein  aufjulöfen  fd^ien,  nid;t  begriffüd^,  burc^  allgemein  gültige  ©rünbe, 
SU  kroeifen,  fonbern  nuu  auf  bag  ®efüf)t  unb  ha§  unmitteibare  Se^ 
TOuBtfein,  alfo  loieber  nur  auf  bie  fubjeftiüe  Uebeväeugung ,  ju  grünben 
wuBte.     2Bä^renb   t)ie(me^r  J?ant   uoc^,   im  legten  .^afirjel^enb   feines 
£eben§,  mit  ber  SCnroenbung  feiner  ©runbfä^e  auf  bie  einzelnen  3:F)eiIe 
be§  pf)i(ofopf)ifd^en  (Si)ftem§   befd^äftigt  mar,  50g  bereite  Sid^te  an§ 
benfeiben  bie   j^ofgerung    eines  unbefi^ränften   fubjeftiuen   ^bcaltfmuS, 
loeld^cr  bie  ganse  objeftiüe  SBelt  für  ein  ©r3engniB  beS  unenbiidjen  ^dj, 
einen  bloßen  SBiberidjein  beS  ^Beimt^tfeinS  erflärte.     ^ei   (Sd;et(ing 
würbe  biefer  fubje!tiue  ^bealifmuS  jum  objeftiücn:  an  bie   ©teile   bc§ 
abfofuten  ^d;  trat  ha§>  3(bfoIute  fd;led^tmeg,  ober  bie  abfolute  ^bentität, 
ba§  unenblidje  SBefen,  roeld^eS  an  fid;  felbft  roeber  ©ubjeft  nod;  Dbjeft, 
lüeber  ©eift  nod;  S^latur  ift,  aber  in  feiner  Gr)d;einung   beibe,   ai§>  bie 
wefentlic^en,  fid;  gegenfeitig  ergän^enben  formen  feiner  Offenbarung,  ]^er= 
oorbringt.    §egel  unterna()m  el,   bicfe  Offenbarung  be§  3rb[oluten  in 
i^rer  3?oUftänbigfeit  logifd^  ju  begreifen,  baS  Uniuerfum  a(S  ©rfd^einung 
ber  ^bee  von  Gincm  ^punft  auS  bialeftifd;  ju  conftruiren.    Slnbere,  gum 
Xfieit  ^eruorragenbe  3Jfänner,   bie  roir  aber  bod;   als  ^-]3t)itofopl)en   bcn 
eben  ©enanuten   lueber   an  f9ftematifd;er  §o(gerid;tigfeit  nod^  an  miU 
greifenbem   ©inftuB    gfeid^ftellen   tonnen,    nahmen  neben   unb  jioifd^en 
il)nen  il;re  Stellung,  o^ne  fid;  inbeffen  oon  ber  allgemeinen  ©runblage 
beS  bentfc^en  ;3bealifmuS  ju  entfernen.    S)agcgen  erl)ob  ^erbart  ntc^t 
allein  gegen  bie  ganje  nad;fanti[dje  ^sl)iloiopl)ie  @infprad;e,   fonbern  er 
gieng  auc^  ü6er  taut  felbft  ju  ber   älteren  aTietap^tifif  ,3urücf,    roeld^e 
allerbingS  in  feinen  Rauben  eine  fel;r  mejentlic^e  Umgeftaltung  erfulir 
Slber  fo  wenig  eS  einem  ber  ibeoliftifc^en  <Bi)\kme  gelungen  mar,   feine 
>5errf($aft  auf  bie  S)auer  ju  behaupten,  fo  menig  gelang  eS  ber  f)crbarti; 
fd^en  ^§ilofopl)ie,  fid^  an  i^re  ©teile  3U  fe|en;  unb  fo  zeigen  bie  legten 
^alrge^enbe  im  ganzen  eine  Unfidierlieit  unb  einen  ©treit  ber  p^ilofop^i= 
fd^en  Seftrebungen  in  S)eutfd^lanb,  weld^e  ju  bem  übermäßigen  @elbft= 
oertrauen  ber  unmittelbar  üorangelienben   3eit  einen    ftarfen   ßontraft 
bilbet.    ^d)  wenbe  mic^  junäd^ft  ju  bem  Tlanne,   oon  weld^em   bie[e 
ganje  @ntn)idlungSreil)e  ausgebt. 


328  Äant. 


I.    Immanud  %mI 

1.  Äattt'd  £c6cn  uttb  Sänften;  feine  p^i(ofovl)tfc^c  ©ittwitflunfl  unb 

fein  Stani^junft 

Immanuel  Äont  würbe  ben  22.  Slpril  1724  in  Königsberg  geboren, 
©ein  SSater  roar  ein  ©attier,  beffen  SSorfafiren  au§  6rf;ottIattb  einge= 
raanbert  raaren ;  er  ftarb,  aU  ber  ©o^n  eben  am  ©nbe  [einer  llniüerfitätg- 
jcit  angelangt  war.  Äant'S  Altern  hielten  fi(^  gn  ber  ^^artf)ei  ber  ^ieti= 
ften,  unb  fo  lag  benn  aud^  feine  ©rgietiung  in  ber  9ti(^tnng  einer 
offenbarnngSglaubigen,  bogntatifd^  be[(^ränf ten ,  aber  bod^  üorgugSraeife 
bem  praftif d;en  (E^riftentJium  gugewanbien  grijmmigfeit;  in  bem[elben 
6inn  lonrbe  bie  Setiranftalt ,  auf  ber  er  jugleid^  mit  bem  berühmten 
5pf)ilo(ogen  Saoib  3ftuf)nfen  feine  @i;mnafialftubien  mai^te,  üon  ifirem 
TOÜrbigen  unb  nm  Kant  f)od;t)erbienten  SSorftanb,  bem  ^rofeffor  @c^ul|, 
einem  ortfioboyen  SBolffianer,  geleitet.  @r  felbft  ^at  au§  ber  ©d^ule 
be§  ^ictifmuS  ben  fittUc^eu  ©rnft  nnb  bie  ftrenge  ©eraiffen^ftigfeit^ 
t)on  ber  biefe  ©enfroeife  erfüllt  raar,  in  baS  fpätere  Seben  mit  Eierüber^ 
genommen,  t)on  ifirer  ©ngl^crgigfeit  bagegen  nnb  ifiren  bogmatif^eu 
5Sorau0fe^ungen  fi(^,  mie  e§  fd)cint,  ol^ne  tiefergcfienbe  innere  Kämpfe 
befreit.  9kd)  bem  2öunf(^e  feiner  ©Item  ftubirte  er  (1740 — 1746)  in 
feiner  SSaterftabt  2i)eologle;  f)at  er  aber  au^  biefe§  %aä)  ni(^t  üemac^= 
(ä|igt,  fo  sog  if)n  boc^  bie  9}?atf)cmatif  unb  ^f)iIofop^ie  ungleid^  mel^r  an. 
©einSefirer  in  biefen 2öiffenfd)aften  mar  3)iartin  Knuten  (geft.  1751), 
ein  ac^tung§mertf)er  @clef)rter  au§>  ber  Sßolffifdjen  @d;ule,  n)eld;er  fid) 
burd)  einige  pf)i(ofopf)ifd^e  @d)riften  befannt  gemadjt  f)at;  aud)  in  ^Rem- 
ton'ä  SRaturlel^re  ift  er  bur(^  \t}n  eingeführt  worben.  '^aä)  Seenbigung 
feiner  UniüerfitätSftubien  lebte  Kant  neun  S^al^re  lang  al§  ^^an^k^xev, 
erft  bei  einem  ^rebiger,  bann  in  jraei  abetigen  Familien;  unb  man 
TOirb  anne'fimen  bürfen,  baf3  er  mäl^renb  biefcS  ^^itraumS  nid^t  btoS 
TOiffeuf(^aft(idf)  fortgearbeitet,  fonbern  fid^  aud^  jene  gefeUige  S3ilbung 
angeeignet  ^at,  bie  if)n  fpäter  au§3eid^ncte.  6rft  1755,  in  feinem 
32.  £ebengjat)r,  l^abilitirtc  er  fic^  a(§  ^riüatboccnt  ber  ^^ilofopf)ie  in 
KönigCberg.  ©eine  SSorlefungen  mad^ten  einen  ungemöt)nlid^en  ßinbrudf, 
feine  ©c^riften  oerfd^afften  il)m  ba(b  in  fteigenbem  3Jio§e  bie  SInerfennung 
ber  ©ele^rtcn;   aber  bie  Umftänbe  waren  i§m,  tt)eihöeife  in  ^olge  beö 


Äant'S  ?e6en.  329 

fiebeniä^rigeu  Äriegg,  ]o  ungünftig,  ba^  er  über  jefin  ^af)re  luarten 
mu^te,  bis  er  eS  311  einer  erften,  fiöc^ft  befd^eibenen ,  Stnfteßung  de 
Sibliot^efar ,  unb  weitere  üier  ^oiire,  big  er  e§  (im  aJlärj  1770)  gur 
orbentlic^en  ^rofeffur  brad^te  ^).  @r  toar  eben  im  begriff  geroefen, 
einem  9?uf  nac^  ©riongen  gu  folgen ;  üon  ie|t  an  blieb  er  aber  ilönigö= 
berg  treu,  fo  cerlotfenb  aucf;  bie  SluSfid^ten  fein  mod^ten,  bie  fi^  il^m 
anberlrao  eröffneten,  ^ier  fd^uf  er  in  ber  ftitten  3urürfge3ogenf)eit  be^ 
@elel;rten  jene  SBerfe,  welche  in  bem  ^uftanb  ber  ^f)i(ofopl;ie  eine 
9leoolution  ^erbeifüliren  unb  ber  Söiffenfd^aft  eines  ^al)r^unbert§  if)re 
93a{)n  üor^eic^nen  folften.  ^n  ber  ftrcngften  Oflegelmä^igfeit  feiner  ^ageS= 
orbnung  lebte  er  feinem  Se^rberuf  unb  feiner  raiffenfc^aftüc^en  SIrbeit; 
megen  ber  fc^tic^ten  S3ieberfeit,  ber  anfprud^Slofen  ©ebicgen^eit  feine« 
S^arafterS,  ber  SiebenSroürbigfeit  unb  geintieit  feincS  Senef)menS  altge- 
mein  üeref)rt  unb  geliebt.  Unoer^eiratfiet,  mie  Seibnij,  fud^te  er  feine 
@r{)o(ung  im  gemütf)Iid^en  ^erfefir  mit  greunben,  bie  er  fic^  me^r  au§ 
bem  ©tanb  ber  ©ef^äftstcnte  als  ber  ©etefirten  auSroäl^ite.  ®ie  legten 
^al^re  feines  SebenS  würben  erft  burd^  bie  SSerbrieBüd^feiten  getrübt, 
mit  meldten  ber  ©laubenSeifer  beS  9)iinifterS  SBöffner  unb  feiner  ®e^ 
noffen  aud^  i^n  nic^t  üerfd;onte;  in  ber  golge  burc^  eine  fühlbare  Ib^ 
nafime  feiner  äörpex--  unb  ©eifteSfräfte ,  bie  am  ©nbe  in  röUigen 
©tumpffinn  übergieng.  Ä3ebcnSmübe  entfd^lief  er  ben  12.  gebruar  1804; 
feine  a!abemifd^e  3:t)ätig!eit  fiatte  er  fd^on  feit  1797  aufgegeben. 

SltS  ^f)iIofopl^  gieng  Äant  gunäd^ft  üon  Seibnij  unb  Söolff  aus, 
an  bie  feine  Seigrer,  ein  @d^u(^  unb  j?nu|en,  fid^  hielten,  (gr  felbft 
galt  ^affv^e^enh^  lang  für  einen  2ßoIffianer,  unb  er  legte  aud^  feinen 
Siorlefungen  felbft  fpäter  nod^  geraume  geit  bie  Se^rbü(^er  eines  2ßolff, 
@berf)arb,  53aumeifter,  3)ieier  unb  S3aumgarten  ju  @runbe.  Slber  ber 
®eift  ber  tritü,  baS  ^ebürfni^  felbftänbiger  g>rüfung,  fprid^t  fid^  von 
Einfang  an  in  ber  ©teHung  auS,  bie  er  gu  feinen  SSorgängern  einnahm ; 
unb  menn  if)m  bie  engUfd^e  ^Iiilofopl^ic  erft  im  Saufe  ber  ^eit  gur 
Befreiung  ron  SöoIff'S  ©ogmatifmuS  \i)xe  Unterftü^ung  geliehen  ^at, 
tiug  er  bod^  aud^  vov^et  fdbon  in  feinem  tebbaften  noturroiffenfd^aft- 
Ud^en  ^ntereffe,  feiner  umfaffenben  D^aturfenntniB ,  feinem  ©tubium 
9tewton'S,  nad^  gif(|erS   treffenber   SBa^rnefimung  ^),    baS   (Clement 

1)  ©ein  (Se^oU  betrug  400  Xijix.  unb  TOurbe  i^m  unter  ber  9tegtevnng  grtebric^ 
mt'ijüms  II,  als  er  fc^on  ein  ^lann  bon  europäij^em  Stufe  «or,  auf  620  I^Ir.  erl^öl^t. 

2)  ®efc^.  b.  neuern  ^^it.  m,  126. 


330  Äaut. 

in  ^iä),  beffen  pl^ifofo;if){f(^er  3lu§brucf  2oäe'§>  ©mpirifmuS  gewefen  max. 
er  toor  fo  von  ^aufe  au§  ni^t  blo§  pm  ©cf;ü(er,  fonbern  sutn  ^ritifer 
be§  Ieibni3=toolffi[c^en  ©tjftemS  angelcöt.  Slber  feine  ganjc  (Sntroicftung 
oofl^og  fi(^  mir  allmä^lid^.  @r  ergriff  bie  ©ebanfen,  bnrd^  raeld^e  er 
in  ber  ©efd^id^te  ber  ^f)i(ofop^ie  ©poc^e  gemacht  i)at,  nid^t  in  bem 
rofd^en  2(uffcf;iDung  einer  füfinen,  ber  inctf)obif(^en  (Srfcnntni^  ftürmifd^ 
t>oraneirenben  ©enialität;  fonbern  in  langfanier  unb  gebulbiger  Slrbeit, 
©d^ritt  für  ©d^ritt  üorbringenb,  eroberte  fein  tiefgrünbiger  (Seift  fid^ 
ben  Soben,  ouf  bem  er  feinen  3f?eubon  erric[;ten  raollte.  ©rft  nad)bem 
er  fid^  bnrd^  bie  bisherige  ^{)i(ofop^ie  bnrd^gearbeitet  fiatte,  fonnte  er 
e§>  unterneljmen,  etraa^  neue§  an  i^re  ©tette  gu  feljen. 

%nx  ben  ©rnft  nnb  für  ba§  S;alent,  mit  bem  fic^  ^ant  biefer  2luf= 
gäbe  nnterjng,  legt  fd^on  bie  erfte  Schrift,  burd^  bie  er  fid^,  nnmittclbor 
nad^  bem  ©d;luffe  feinet  UnioerfitätSftnbiumS,  in  bie  gelefirte  SBelt 
einfütirte  ^),  ein  glän^enbeS  B^^Ö^i'B  tt^-  S)cr  näd^fte  ^med  biefer 
©d^rift  ift  bie  Unterfnc^nng  ber  Streitfrage,  meldte  bamal§  eben  fel^r 
lebhaft  oeriianbelt  mürbe,  ob  bie  ©rij^e  ber  bemegenben  i?raft  mit  Selcarteg 
bem  ^robnft  an§  ber  3}taffe  in  bie  ©ef(^minbigleit,  ober  mit  Seibnij  (f.  o. 
©.  103  f.)  bem  ^robuft  an§  ber  3Jiaffe  in  ba§  Öuabrat  ber  ©efc^minbigfeit 
gteid^^nfe^en  fei.  i^ant  !ommt  nad^  einer  eingeljenben  Prüfung  ber 
motl^ematifc^en,  pl^ijfifalifd^en  nnb  metap^ijfifd^en  ©rünbe,  bie  oon  ber 
einen  nnb  ber  onberen  ©eite  in'^  gelb  gefütirt  worben  maren,  3U  bem 
GrgebniB/  ba^  feiner  oon  beiben  ^leiten  nnbebingt  3^cd;t  l^obe,  fonbern 
jeber  nnr  unter  geroijfen  SBebingungen  nnb  für  geraiffe  2lrten  ber  ^c- 
raegung.  2ßenn  bie  gortbaner  ber  S3eu)egnng  eine§  Körpers  auf  ber 
©egenmart  ber  äußeren  llrfac^e  bernf)t,  bie  fie  f)erüovgebrad^t  {)at,  raenn 
m.  a.  SB.  bie  Äraft  beSfelben  eine  tobte  Äraft  ift,  fo  gi(t,  wie  er  glaubt, 
für  bie  S3eftimmung  ifirer  ©rö^e  ber  cartcfianifd;e  3Jiafeftab;  bagegen 
gilt  ber  leibnijifd^e,  rocnn  bie  33emcgung  be§  it'örperS  au§  einer  lebenbi= 
gen  Äraft  entfpringt,  b.  1^.  wenn  fid)  bie  gortbauer  berfelben,  roie  beim 
freien  gall,  au§  ber  inneren  Seftrebung  be§  frei  beioegten  Körpers  er= 
tlärt ;  menn  enbtid^  eine  SSeroegung  t^eitraeife  au§  einer  tobten  unb  t^eit= 
roeife  au§  einer  Icbenbigen  Ä'raft  ab3uleiten  ift,  fo  wirb  je  nad^  bem 
©rabe,  in  bem  biefcS  ober  jene§  ftattfinbet,  ber  eine  ober  ber  onbere 
auf  fic  an^uroenben  fein.  S)iefe  Untcrfd;cibung  lä§t  fid^  nun  aEerbingS 
fd^merlid)  burdf)fül)ren ,  ^ant'S  fiöfungSoerfud;  erfd^eint  bal)er  nid^t  ge= 

1)  ©eböiiten  con  ber  rea^reu  ©djätjung  ber  lebeiibigen  Äväfte  u.  f.  ».  1747. 


^aM  als  SBoIffianer.    drfte  ©d^rift.  33 1 

nügenb.  3(U(^  im  einselnen  (ä^t  fid^  gegen  feine  2tulfüf)rnngeii  ha 
unb  bort  etroaS  einraenben.  2l6er  er  geigt  in  ber  ^e^anblung  feine§ 
©egenftanbeS  eine  fold^e  9fieife  beS  S^en!en§,  nnb  er  tritt  beu  großen 
n)iffenfc^aftli(^en  2lnf toritäten ,  bei  atter  ^efd^eibenfieit  be§  2Infänger§, 
mit  einem  fo  nnabf)ängtgen  Hrt^eit  unb  einem  fo  gebiegenen,  rein  auf 
bie  «Sad^e  gerid^teten  @inn  entgegen,  bQ§  un»  biefe  Seiftung  eines  brei= 
unbämanjigiä^rigen  jungen  3JJanne§  mit  ber  ^öi^ften  53erounberung  er= 
füHen  mu§.  Unb  maS  befonberS  bead^ten^mertf)  ift:  er  fpric^t  fd^on 
je^t  nid^t  affein  jene§  3}iiBtrauen  gegen  bie  3}cetap§ijfif  feiner  ,3eit,  jenen 
%aM  über  i^re  Ungrünb(id;feit  au§,  roeld^er  un§  ben  fünftigen  Äritifer 
berfelben  in  i^m  al^nen  lä^t,  fonbern  and)  boS  ^'erfafiren,  beffen  er  fid^ 
in  ber  go(ge  bebient  l^at,  um  gmifd^cn  hen  pf)ilofopf)ifd^en  ©egenfä|en 
feine  eigene  ©tettung  gu  finben,  ift  in  biefer  ^ugenbfd^rift  frf;on  ror^ 
gebilbet.  Senn  nie  er  in  feiner  Äritif  ber  reinen  SSernunft  barauf 
QU§gef)t,  ben  SBiberftreit  be§  englifd^en  (SmpirifmuS  unb  be§  beutfd^en 
9lationalifmu§  burdf;  gegenfeitige  ©rensbeftimmung  in  einem  f)öf)eren 
^rincip  onfsulöfen,  fo  madfjt  er  fd^on  f)ier  ben  SSerfud;,  ben  Streit 
Sraifd^en  Seibnij  unb  S)e§carte§  baburd^  ju  fcf;(id;ten,  bafi  er  bie  ©rengen 
feftfteHt,  in  benen,  unb  bie  Sebingungen,  unter  benen  jeber  üon  beiben 
SRed^t  ober  llnred^t  I)ot:  benn  „e§  ^ei^t",  wie  er  fagt  (a.  a.  D.  §  125), 
„gemiff ermaßen  bie  @|re  ber  menfc^üd^en  Vernunft  üert^eibigen,  raenn 
man  fie  in  hen  »erfc^iebenen  ^^serfonen  fcijarf finniger  9)tänner  mit  fid) 
felber  vereinigt,  unb  bie  2Ba^rI)eit,  roetd^e  ron  ber  @rünb(id^feit  foic^er 
ajfjänner  niemals  gän^Iid^  uerfe^lt  rairb,  aud)  alsbenn  tierauSfinbet,  menn 
fie  fid^  gerabe  raiberfpred^en."  ^m  gangen  fte^t  er  aber  ^ier  bod;  uoc^  auf 
bem  33oben  ber  leibnigif^en  ^f)iIofopf)ie.  3Hit  Seibnig  fe|t  er  ba§ 
SBefen  be§  Körpers  in  bie  roirfenbe  ^raft ;  au§  biefer  leitet  er  mit  ber 
3Serbinbung  ber  ©ubftangen  auc^  ben  3iaum  ab,  ber  nichts  anbereS  fei, 
als  bie  Drbnnng  biefer  3?erbinbung.  9^ur  bie  präftabilirte  Harmonie 
ber  ©eele  unb  be§  SeibeS  beftreitet  er,  inbem  er  gerabe  in  jener  ^e= 
ftimmung  über  baS  Söefen  be§  Körpers  ba§  Wütd  gur  ©rllörung  i^rer 
realen  Söed^felmirfung  gu  befi^en  glaubt. 

S)en  ©eift  ber  leibnigifc^en  ^l)ilofopl)ie  erfennen  wir  aud^  in  bem 
2ßerfe,  roeld^eS  fd^on  1755  ben  ©runbgebanfen  t)on  Soplace'S  berühmter 
|»immel§mec^anif  üorroeggenommen  l)at,  ber  „affgemeinen  S^aturgefc^id^te 
unb  Sl^eorie  be§  ^immelS/'  Äant  fud^t  !)ier  ben  33au  unb  bie  Silbung 
unfereS  <Sonnenft)ftem§  burd^   bie  ^ßorauSfe^ung  gu  erflciren:  bie  ge= 


332  Äant. 

fammtc  3Jtoterie  beSfelBen  fei  urfprünglid^  in  ^aoix'i6)et  3Jlifc^ung  al3 
eine  äuBerft  bünne  unb  feintf)ei(ige  9Jlaffc  üBer  ben  öonjen  9tQum,  ben 
eS  einnimmt,  glei(^mäBi9  oert^eilt  gemefen;  au§  biefem  Urftoffe  tiaben 
n^  bie  ein3elnen  ^immetsförper  auf  rein  me(^ani[^em  Söege,  unter  bem 
@influ§  bec  beiben  ber  aJiaterie  ur[prüngli(|  inrool^nenben  Gräfte,  bcr 
Sluäiel^ungS  =  unb  2lbfto§ung0fraft,  gebilbet;  gteii^^eitig  unb  burd^  bie 
gleiten  Urfod^en  ^aben  fic  aber  au(^  bie  i^nen  eigentpmlid;cn  SBe= 
roegungen  ermatten,  ^n  feiner  fc^arf finnigen  2lu§füf)rung  biefer  i^bee 
fprid^t  ßant  unter  anberem  aud;  bie  SSermutl^ung  au§,  fenfeits  be§ 
©aturn  (ber  bomatS  no(^  ber  äu^erfte  befannte  ^pianet  löar)  liege  noc^ 
eine  9ftei|e  weiterer  5]3Ianeten,  njeld^e  fd^lieBtic^  burc^  bie  mit  ber  @nt= 
fernung  ron  ber  ©onne  gunefimenbe  ßycentricität  ii)vcx  So'^ncn  in  ^o= 
meten  übergeben,  ©o  entfd^ieben  er  fic^  aber  burd^  biefe  med;anif(^e 
©rfiärung  be§  2ßeltgebäube6  ber  2lnfid;t  cntgegenftettt,  raelcS^e  bie  (Snt- 
fte{)ung  be^felben  nur  au3  bem  unmittelbaren  Eingreifen  ber  göttlid;eu 
@{J^öpfertI)ätigfeit  absuleiten  mußte,  unb  fo  meit  er  in  biefer  Söegiefiung 
nid;t  allein  üon  SBoIff  unb  beffen  ©d^ule,  fonbent  auc^  von  S^emton 
ah\M\ä)t,  auf  beffen  große  ©ntbedungen  fid^  feine  gan3e  5l§eorie  grünbet, 
fo  tft  e§  boc^  nic^t  feine  Slbfid^t,  bie  teleologifd^e  3'?aturbetrad^tung  über:: 
^aupt  av,§>  ber  SBiffenfc^aft  gu  verbannen.  ®r  ift  üie(me^r  mit  Seibnij 
überzeugt,  baß  bie  teleologifc^e  unb  bie  mec^anifc^e  Skturerfrörung  fi(^ 
mit  einanber  roHfommcn  t)ertragen;  er  finbet,  baß  man  einen  bünbi= 
geren  S3en)ei§  für  bo§  SDafein  (Sottet  unb  eine  f)ö|ere  3SorfteHung  oon 
ber  göttli($cn  2Bir!fam!eit  erf)a(te,  menn  man  bie  Statur  als  ein  gcorb* 
nete§  ©anjeS  betroc^te,  ba§  fraft  feiner  eigenen  ©efe^e  baS  f(^öne  unb 
groedmäßige  lierüorbringe,  aU  menn  man  meine,  bie  allgemeinen  9Zatur= 
gefe^e  bringen  an  unb  für  fid^  felber  nid^ts  all  Unorbnung  jumcge,  unb 
atte  S^f^wößigfeit  ber  5Ratureinrid^tung  fönne  nur  üon  einem  munber= 
baren  Eingreifen  ber  ©ottlieit  l^errü^ren.  SBenn  er  baneben  ber  9Ieigung 
nid^t  n)iberftcl)en  fann,  mit  feinen  fofmologif($en  2lnfid;ten  fül)ne  58er; 
mutl)ungen  über  bie  58emo^ner  ber  Planeten  unb  über  bie  fünftigeu 
2lufentf)alt§orte  unb  ©c^idfale  ber  menf^lic^cn  «Seelen  ju  tierbinben,  fo 
roirb  man  barin  gmar  immerl)in  eine  ©pur  baoon  finben  bürfen,  ita^ 
er  no(^  nid;t  gur  uoffen  raiffenfd^Qftli(^en  Sfteife  gelangt  ift;  aber  man  mirb 
i§m  biefen  aJlanget  um  fo  lieber  jugutelialten,  ba  er  fclbft  fid^  bc§ 
Unterfc^iebl  gmifc^en  feinen  3Jiut^maßungen  unb  roiffenfd^aftlid^  crmie- 
fenen  ©ä^en  rao^t  bewußt  ift. 


©d^riften  bon  1754—1759.  333 

©etnfelbcn  ^eitpunft  gepren  einige  weitere  ©d^riften  an,  beren 
©tanbpunft  gTe{(|faII§  nod^  ber  eineö  fel6ftänbigen  S)enfer§  aus  ber 
©d^ute  üon  fieibnis  unb  SBoIff  ift,  2ln  bie  ^^eorie  be§  |)immel§  fd^lie^t 
fid^  bie  2ll»l^anblung  an,  in  ber  ^ant  fd^on  ein  ^ai)t  frilfier  (1754)  bie 
^rage,  oB  bie  @rbe  üeralte,  im  ©eift  umfid^tiger  Prüfung  erörtert  f)atte ; 
an  biefe  jraei  !(eine  Slrbeiten  über  baö  ^euer  (1755)  unb  über  bie 
SQSinbe  (1756),  unb  bie  ©d^rift  über  baS  ©rbbeben  ju  ßijfabon  (1756). 
Sn  ber  le^teren  bemüfit  fid^  Äant,  bie  natürlichen  ©rünbe  ber  ©ibbeben 
aufgu^eigcn,  bie[e  üerf)eerenben  S^aturerfdjeinungen  al§>  einen  5£^eil  ber 
gefammten  5Raturorbnung  begreiflid^  gu  ntad^en ;  unb  er  tritt  babei  jener 
befd^ränften  5£eteologie,  rceld^e  berartige  SSorgänge  tf)eil§  gar  nid;t  ju 
fttf[en,  tf)eil0  nur  aU  göttlid^e  ©trafgerid^te  gu  erüären  roei§,  mit  ber 
Semerhing  entgegen:  ber  3Jienfd;  bürfe  fic^  nidjt  für  ben  ^'^^c^  ^^^ 
ganjen  SBett  ^Iten,  er  bürfe  nic^t  ba§  ©ange  fein  wollen,  wä^renb  er 
bod)  nur  ein  Silieil  fei.  3"9tsi<^  unterlö^t  er  e§  aber  nid^t,  barauf 
llinäuroeifen,  ba§  aud^  biefe  Hebel  mit  raol)ltl)ätigen  unb  uncntbel)rlid^en 
5Ratureinrid;tungen  gufammenliängen  unb  l)öljeren  fittlid;en  ^wcden  bienen. 
®r  entfernt  fid^  balier  groar  üon  ber  Sleu§erli($feit  ber  roolffifd^en  ^atux- 
betrad;tung,  aber  er  bleibt  bem  @eifte  be§  leibnijifc^en  DptimifmuS 
üoHfommen  treu,  ben  er  aud^  nod^  etroa^  fpäter  (1759)  eigene  t)er= 
t^eibigt  l)at.  ^n  ber  Slblianblung  über  ba§>  geuer  fpric^t  Äant  bie 
Slnfid^t  au§,  ha^  forooljl  bie  garten  als  bie  flüffigen  ilörper  aus  feften 
Sl^eilen  befielen,  raeld^e  burd^  eine  elaftifd^e  3Jiaterie  üerbunben  feien; 
bie  fd^roingenbe  Bewegung  biefer  3)?aterie  fei  bie  SBärme.  (gingel;enber 
belianbelt  er  bie  j^rage  über  bie  Urbeftanbtl^eile  ber  Körper  in  feiner 
„pl)Vfifd;ett  3Jionabologie"  (1756).  @r  finbet  biefelben  mit  Seibnig  in 
einfad^en  ©ubflanjen  ober  SJionaben,  bie  aber  bod^  einen  9?aum  ein: 
nef)men,  foferne  jebe  oon  ifinen  eine  SBirfungSfpl)äre  l^abe,  in  bie  fic 
feine  anberen  einbringen  lä^t.  2IuS  biefer  2lnnal)me  leitet  er  bann  eine 
eigentl)ümlid^e  ©rfiärung  ber  Bewegung  unb  Slui^e  ber  Körper  ab, 
TOä^renb  er  gugleid^  bie  gcraöfinlid^e  i^affung  ber  SLräglieitSfraft  unb  baS 
leibnijifc^e  @efe^  ber  Kontinuität  fd;arffinnig  beftreitet  ^).  ©d^on  l)ier 
berül)rt  fid^  nun  bie  ^piitifi!  mit  ber  3Ketapl);)fif.  SluSbrüdlic^  mar  ber 
le|tern  bie  |)abititationSfd^rift  geroibmet,  in  ber  ^ant  üiele  t)on  ben 
©runbbeftimmungen   beS   leibni3=n)olffifd^en   ©pftemS   prüfte  ^).     Sluc^ 

1)  9Zcuer  Sel^rbegtiff  ber  SScrocgung  unb  Stulpe,  1758. 

2)  Priiicipiorum  primorum  cognitionis  metaphysicae  nova  dilucidatio,  1755. 


334  ^ant. 

btefe  @(f;rift  ift  ein  ^eweiä  für  bic  Jlraft  unb  ©elbftänbigfeit  feineS 
5i)en!en§;  ober  pglei(^  aud^  für  bie  3Jtad^t,  raeld^e  Seibniä  bamatä  nod^ 
über  \^n  ausübte.  @r  läugiiet,  ba^  c§  ©in  obcrfteS  wiffenfc^aftlid^eä 
^rincip  geben  föune,  unb  fe^t  bem  (£a^e  be§  3öiberfpru(|§ ,  roelc^en 
Sßolff  aU  folc^es  betrad^tet  t)atte,  beu  ber  3i>entität  al§  erften  unb  ur= 
fprünglidjften  gur  «Seite.  2lu§  bem  ©a^  be§  2öiberfpru(S^g  fu(|t  er, 
nid^t  oI)ne  Äünftelci,  ben  be§  „beftimntenben  @runbe§"  obäuletten,  beffen 
unbebingte  ©eltung  mit  ©eroonbtljeit,  im  ©inne  be§  äcf;ten  leibnijifc^en 
S)eterminifmu§,  gegen  ßruftuS  Derttieibigt  mirb;  gugleic^  bemerft  aber 
."^ant  anä),  bicfeS  @efe^  fei  nur  auf  folc^e  S)inge  anioenbbar,  benen 
fein  not^raenbigeS  ©ein  pfommt,  bie  ©ottl^eit  bagegen  fiabe  aU  ha§ 
not{)n)enbige  SBefen  übertiaupt  feinen  @runb  i^xe§>  S)afein§;  unb  im 
3ufammenf)ang  bamit  beftreitet  er  fd^on  f)ier  ben  ontologifc^en  SeroeiS  für 
bas  S)afein  ©otte§,  unb  fe|t  an  bie  ©teile  begfelben  ben©a|  (f.  o.  ©.  125): 
raenn  e§  fein  abfolut  not^roenbigeS  3Bcfen  gäbe,  liefee  fi(^  aud)  ni^U 
als  möglid;  benfen.  2lu§  bem  @a|e  be§  beftimmenben  @runbe§  leitet 
er  bann  weiter  ben  @runbfa|  ab,  'oa^  ni(^t§  in  tem  S^erurfac^ten  fein 
fönne,  maS  nic^t  in  ber  Urfac^e  ift,  unb  ^ierau§,  im  2lnfd^lu^  an  bie 
leibnijifd^e  £ef)re  t)on  ber  ©rtjaltung  ber  Äraft,  bie  S3eftimmung,  ba^ 
fid^  bie  ©rö^e  ber  abfoluten  3teaUtät  in  ber  Sßelt  natürlid^ermeife  raeber 
üermef)ren  nod;  ücrminbern  fönne;  ba^  biejg  nämlid^  burd;  übernatür= 
lid^e  3Seranftaltungen  mögli^  fei,  raitt  er  nid^t  läugncn.  S)ie  leibnigifd^e 
^efiauptung,  nichts  in  ber  SBelt  fei  ofine  folgen,  beftreitet  er;  ebenfo 
aud^  ba§  ^rincip  be§  9tid^t5uunterfd;eibenben.  ©agegen  fteßt  er  feiner^ 
feit§  bie  sraei  eingrcifcnbcn  ©runbfä^e  auf,  ba^  jebe  ä>eränbei-ung  einer 
©ubftan^  burd^  i^re  SSerbinbung  unb  aBed;felwirfung  |mit  anbern  he- 
bingt  fei,  unb  ba§;  biefe  $föedjfelmirfung  fid^  nur  au§  bent  göttlid^en 
SSerftanb  al§  ifirer  gemeinfd^afttid^en  Urfad^e  erflären  taffe.  5Durd^  biefe 
2Bed;fe(n)ivfung  ergeugt  fi(^  ber  9taum,  i^re  erfte  ©rfc^einung  ift  bie 
Slngieljung  ber  i?örper.  S)er  präftabiürten  Harmonie  tinberfprid;t  Äant 
au(^  f)ier. 

@ine  oon  ben  fragen,  meldte  in  biefcr  2lbf)anb(ung  3ufammenge= 
brängt  finb,  bie  nad;  ber  Seroei§fül;rung  für  ba§  2)afein  @otte§,  ^at 
Äant  fpäter  in  einer  eigenen  ©d^rift  eingefienber  befprod;en  ^).  @r  greift 
au^  l)ier  ben  ontologifdjen  ^Beroei^  in  feiner  bi^fierigcn  @efta(t  an,  mit 

1)  3)er  chijig  mögliche  ®eit)ei?grunb  ju  einer  üDcmonjlratioii  be8  ®Qfein§  ®ot 
te§,  1763. 


§abilitation§i'(f)rift.    ^etneiS  b.  3)afein§  @otte§.  335 

bem  gleichen  @runbe,  wie  fpäter  in  ber  Äriti!  ber  reinen  a^enmnft,  ha^ 
rtämlit^  au§>  ben  3JJerfniQlen  eine§  ^egriffel  nientoü  auf  beffen  S)a= 
fein  gefc^toffen  werben  fönne,  ha  ba§  S^afein  nid^t  ein  ^rabifat  eines 
S)ing§,  eine  nöfiere  S5cftimnxung  feines  33egriffS,  fonbern  nur  bie  abfo= 
Inte  ^ofition  biefeS  S3egrip  fei.  @r  roitt  ferner  ben  fofmologifd^cn  unb 
teleologifc^en  beweis  gfeic^faffs  nic^t  aU  ©eweife  im  ftrengen  ©inn 
gelten  foffen,  weil  man  qu§  bem  S}Qfein  5ufäIIiger,  empirif(^  gegebener 
2)inge  nie  ouf  eine  fdjfec^tfiin  notf)n)cnbige  llrfad;e  berfelben,  noc^  Toeni= 
ger  auf  bie  Gintjeit  unb  ^oKfornmenfieit  biefer  Urfad^e  fdjHeBen  fönne. 
Stber  hoä)  glaubt  er  an  bie  3}iög(id^feit  eines  33eroeifeS  für  baS  S^afein 
©otteS,  unb  er  fiofft  ilju  als  apriorif^en,  ober  wie  er  fagt,  als  ontologi:: 
fc^en  ^BemeiS  auf  bemfelben  2Beg  fier^ufteüen ,  ben  er  f^on  in  feiner 
§abi(itationS)i^rift  eingefd^tagcn  f)at,  inbem  er  ausführt:  jebe  ajlijglic^^ 
!eit  fe^e  atS  ifiren  9tealgrunb  etwaS  fd^tedjterbingS  not^roenbigeS  üorauS ; 
ba§  es  ober  and)  feine  3)Jöglid)feit  gebe,  fei  unbenfbar,  benn  eine  Stn- 
nafime,  bie  ade  aJlögli^feit  auffiebe,  fei  unmögüd;.  Siefe  83en)eiS= 
füfirung  ift  nun  frcilid^  noc^  ganj  im  @efd;mad  ber  molffifd^en  2)ieta^ 
pf)t)fif.  Äant  bemerft  nidjt,  bo^  fein  S3emeiS  fid^  in  einem  ä^nlid^en 
3irfel  bewegt,  wie  ber  ontologifd^e,  unb  ebenfo  t)on  einem  empirifd;en 
SDatum  auSgeljt,  wie  ber  fofmologifc^e  unb  pf)ijfifo=tf)eoIogifc^e ;  benn  wie 
ber  onto(ogifd;e  93cwciS  bie  :ISa^rt)eit  unfereS  ©oiteSbegrip  rorauSgefe|t 
fiatte,  fo  fe^t  ber  fantifd;e  üorauS,  ba^  eS  überfiaupt  ein  2Jtögad^eS, 
b.  f).  ein  3:)enfbareS,  geben  muffe;  biefe  ^orauSfe^ung  fann  fid^  aber 
fc^IieBlid^  bod^  auf  nidjtS  anbereS  grünben,  atS  auf  bie  2:f)atfad;e  unfereS 
3)en!enS.  2Bir  fef)en  unfern  ^t)iloiop!)en  alfo  aud;  f)icr  im  ganzen  nod^ 
ouf  bem  58oben  ber  bisfierigen  aJZetapfipfif  ftcl^en,  wö^renb  er  fid^  mit 
einem  ^u§e  allerbingS  bereits  onfc^idt,  barüber  fiinauS^ufc^reitcn. 

Dieben  biefen  metapl)ijfifd^en  Huterfud^ungen  ge^en  eingreifenbe 
metf)obotogifc^e  Erörterungen  fier.  Mawt  bestreitet  (1762)  „bie  fatfd^e 
©pilfinbigfeit  ber  vlex  fyllogiftifd^en  g-iguren",  inbem  er  ju  geigen  fuc^t, 
boB  bie  äweite,  britte  unb  eierte  ©d^lu^figur  auS  gwei  ober  mehreren 
©c^lüffen  ber  erften  gufammengefe^t,  biefe  felbft  ober  Slfte  ber  rirt^eits^ 
fraft  feien,  burd;  welche  wir  unfere  Segriffe  üerücQftönbigen.  S)ie  Uv- 
ttieilsfraft  füf)rt  er  fd;on  f)ier  ouf  boS  ^sermögen  beS  inneren  ©inneS, 
feine  eigenen  SSorfteltungen  pim  Objette  feiner  ©ebanfen  gu  mod^en, 
ober  m.  0.  2B.  ouf  boS  ©elbftbewuBtfein  gurüd,  baS  oud;  nad^  feinem 
fpateren  (Softem  bie  einfieitlic^e  Cluel[e  affer  33orfteaungSt|ätigfeit  ift. 


336  Äant. 

3n  einer  gweiten  Slbfianblung  ^)  unterfud^t  ilant  bie  ^atux  be§  ©egeu: 
fo^eS;  er  unterfd^eibet  ben  logifd^en  unb  hen  realen  ©egenfa^  nnb  fe^t 
bie  ©tgentpmlid^feit  bc§  le^teren  barein,  baB  er  nid^t  3n)if(^en  einer 
Seftintmung  unb  ifirer  einfad^en  9]erneinung,  fonbeni  äroifc^en  gwei 
pofüioen  S3eftimmungen  ftattfinbe,  ba§  bie  ©ntgegengefe^ten  fic^  nic^t 
oerl^alten,  wie  A  nnb  non  —  A,  fonbern  raie  bie  pofitioen  nnb  bie 
negatioen  ©rö^en  ber  3Jiat^ematifer.  2t(l  ein  Seifpiet  biefeS  5ßerp(t= 
niffe'3  bienen  ilint  an^er  anberem  bie  jTOei  ©runbfräfte  ber  l?örper,  bie 
2tn3ief)nng§  =  nnb  2Biberftanb§!raft  (t)gl.  6.  832).  Wi\i  er  ober  and) 
^ier  einen  niat^ematifd^en  begriff  in  bie  ^{)i(ofop{)ie  einfnfiren,  fo  ift 
er  bod^  fein  grennb  ber  motf)ematifd;en  3)tet{)obe,  raeld^e  ber  raolffifdjen 
@(^nle  für  bie  einzige  ftreng  roiffenfd^aftlic^e  galt;  er  geigt  üielmel^r  in 
feiner  ^rei§fd;rift  „über  bie  S)entlid;feit  ber  @runbfä|e  ber  natürlid^en 
^lieologie  nnb  SWoral"  (1764),  ba^  bie  5Ratnr  il)re§  ©egenftonbe^ 
ber  ^l)itoiop^ie  eine  ganj  anbere  33el)anblnng§art  oorfd^reibe,  al§  ber 
9)iatl)emati!.  S)enn  bie  3Jiatl^emati!  cerfolire  fi)ntl)etifd^ ,  bie  ^l)ilofopl)ie 
analijtifd;;  jene  Ijabe  eg  mit  ben  ©rö^en  gn  tl)nn,  bie  etroag  einfai^e^ 
nnb  jebem  üerftönblidje^  feien,  fie  fönne  bo^er  mit  ^Definitionen  onfan= 
gen  unb  an§  biefen  alle^  anbere  auf  bemonftratiüem  2Beg  ableiten; 
mälirenb  bie  ^l)ilofopl)ie  gu  ilirem  eigenttid^en  Dbjeft  bie  Clnalitäten 
l)abe,  bie  riel  »erraidelterer  3f?atur  feien  unb  nur  burc^  3ßr9^iebernng 
ber  un§  gegebenen  ©egenftänbe  gefnnben  merben  fönnen.  S)ie  le^tere 
muffe  baljcr  ba§  gleid^e  SSerfal^ren  einl^alten,  ba§  einem  Sheraton  in  ber 
^fiatnrraiffenfc^aft  fo  gro^e  S^ienftc  geleiftet  l^abe:  fie  muffe  mit  fid;eren 
(ärfalirnngen,  unb  graar  im  Hnterfd^ieb  oon  ber  9latnrTOiffenfd;aft  mit  inncrn 
©rfalirnngen ,  anfangen,  nnb  üon  liier  an§  bie  einzelnen  3Jierfmale  ber 
2)inge  anffnd;en,  ol)ne  baB  fie  bamit  fofort  jene  nottftänbige  Äenntni^ 
berfelben  gn  ^aben  glaubte,  .bereu  SluSbrnd  bie  S)efinition  märe;  erft 
burd^  eine  noUftänbige  Slnroenbung  biefe§  5>erfabrcn§  fönne  man  gu 
ben  ^Definitionen  fommen,  meldte  batjer  nic^t  ber  Slnfang,  fonbern  ba§ 
©übe  ber  pl)ilofopl)ifd^en  llnterfnd;ung  feien.  2luf  biefem  SBege  glaubt 
aber  and^  Äant  bamals  nod^  bie  wefentlid;en  Grgebniffe  ber  leibnig^ 
iöolffifd;cn  SOietapljpfif,  raie  3.  ©.  bie  ^uff^n^tt^^^ifc^iiiiö  ^^^  Körper  aug 
einfadlien  ©nbftangen,  ba§  S)afein  unb  bie  ©igcnfdiaften  ©otte§,  enoeifen 
gu  fönnen;  bagegcn  oermifu  er  an  ben  erften  ©rünbeu  ber  Movai  jur 
3eit  nod;    bie  rotte  ßüibenj,  bcnn  ha§  leibnijifdje  ^rincip   ber  SSoU; 

1)  Serfud^  ben  Segviff  btv  iicgatiten  Cä^rögcu  tu  bie  2ÖcIttt>ei§t)ctt  ein3ufüf)ren,  1763. 


^ume'S  einflufe.  337 

tomnteu!)eit  fei  nur  formal,  ben  materiafen  ©runbfä^en  bogeöen,  roeld^e 
fämmtlid;  auf  ba§  ©efüf)l  bc§  ©uten,  ba§  ©efü^l  t)on  ber  ©d;ön§eit 
unb  Sßürbe  ber  menfd^lidjen  Statur  ^)  äurücffommen,  fel;fe  c§>  an  ber 
ftreni}  wif)cnfd;aftHd^en  (Frraei^IJarfeit.  Äant  geigt  fid^  fo  groar  immer 
als  ben  raftlol  prüfenbcn  i\opf,  a(§  ben  3J?onn,  rae(d;er  bie  n)iffenfc^aft:= 
lidjen  Probleme  auffpürt  unb  bie  (S(5^iöierigfeiten  entbedt,  an  benen  bie 
meiften  adjtlo»  tjorbe'gcfien;  ober  mie  er  felbft  fic^  in  ber  2l6f)ttnblmtg 
über  bie  ncgatiüen  ©-c§cn  mit  fofratifd^cr  Ironie  auebrüdt:  er  geigt 
fid^  a(§  einen  3}ienfdjen,  ber  wegen  ber  Sd^iüäc^e  feiner  ©infid^t  ge» 
meiniglid;  ba^jcnige  am  menigften  begreift,  wa§>  alle  k[ä)t  gu  rerftel^en 
glauben.  SIber  fo  eingreifenb  anä)  fd;on  bie  3^^^ifcl  fiub,  bie  er  ber 
Oi§t)erigen  3)ietop£)i)fif  foroof)(  ^infi(^t(id)  i^rcä  3>erfat)ren§  aU  |infi(^tltdi 
mandjer  tyid;tiger  (frgcbuiffe  entgcgenptt ,  ein  grunb)ä^lid;er  Sruc^ 
graifd^en  it)m  uub  if)r  ift  aud;  je^t  nod)  nid;t  eingetreten. 

S)en  entidjeibenben  Slnftofe  ju  biefem  weiteren  6d)ritt  erl^ielt  Äant 
burd)  bie  englifdje  ^f)iloiopt)ie.  ®at)ib  .^ume  mar  e§,  roie  er  in 
ber  ^oircbe  gu  ben  ^rolegomenen  felbft  begcugt,  ber  guerft,  „feinen 
bogmaiifd^en  6d;(ummer  unterbrad;  unb  feinen  Uuterfuc^ungen  im  gelbe 
ber  fpefulotiüen  ^^l)i(ofop^ie  eine  gan^  anbere  9Ii(^tung  gab."  2)iefcr 
fi^arffinuige  5)enfer  üeran(a§te  Äaut  hmä)  feine  ©inmürfe  gegen  bie 
SJiöglidjfeit  eine§  miffenfdjaftlid^  gefid;erten,  über  bie  b(o^e  äöa^rfd^ein- 
feit  t)inau§,]e()enben  ©rfenueuS,  unb  vov  allem  burc^  feine  Seftreitung 
be§  Sdjluffe^  üon  ber  SSirfung  auf  bie  Urfac^e  (ogf.  ©.  317  f.),  von 
ben  ^i^ß^fel«  ein  beftimmten  ©rgebniffen,  53eraeifen  unb  3Jietf)oben  guv 
airgemeinen  Segroeiflung  ber  bi§l)erigen  3}ktapl)i;fif  fortzugeben;  unb 
tonnte  er  aud;  ber  aPicinung,  bafi  überljoupt  feine  9Jcetapl)i)fiE  möglid) 
fei,  nid;t  unbebingt  beitreten,  fo  fanb  er  bod;,  bafj  fie  nur  in  einem 
gang  anberen  ©inn  unb  üon  einem  gang  anberen  <2tanbpun!t  aue 
möglid;  fei,  al§  man  bisher  geglaubt  ^tte.  ^ume  brachte,  mie  er  fagt, 
!ein  Sid;t  in  biefe  Slrt  oon  ßrtenntniB,  aber  er  fc^lug  boc^  einen  ?)-un!en, 
bei  meld;cm  man  tooI)1  ein  ßid;t  ^ätte  angünben  tonnen,  ^ume'y  eigene 
IMub^leute  nun,  bie  ^l)itofop^en  ber  fc^ottifc^en  Sdjule,  l)otten  biefi 
unterlaffen ;  um  fo  tebl)after  ergriff  er  feinerfeitS  bie  Stufgabe,  feine 
Untermd;ungen  neu  aufguneljmen,  unb  bem  ^i^le  einer  gänglii^en  Siefonii 
ber  SSiffenf^aft  gugufütiren. 

1)   @o  bcftimntt  Äant    baS   murolifd^e   ®efü^l    in   ber   3lb^anblmig    ii&er    ia& 
©lijöne  unb  erhabene  (1764).   2.  3l&{c^n.    SB.  Sß.  b.  ^artenft-   1.  21.  VII,  391. 
3 eilet,  ©cfi^i^t«  bet  beut[4en  $^Uo(ov^ie.  22 


338  ^fa"- 

Wix  finb   ^roar^  n'd)t  bariiber  unterrichtet,   in   welkem  3^^^puntt 

Äant  juerft  mit  ^itinc'l   ®d;rift  über  bie  menfc^lid^e  9fatur  befannt 

tüurbe;  aber  einjelue  Spuren  if)re§  ©inffuffeS  seigen  \iä)  fc^on  in  eini= 

gen  t)on  ben  bisher  befproi^euen  3lrbeiteu.    ^n  ber  Slb^aubluug  über 

bie  negatiüeu  ©rö^en  wirft  ^ont  bie  ^-rage  auf,  raie  man  e§  gu  mv- 

fielen  f)abc,  ba^  ein  3)iug  ber  3tea(grunb  eines  anbern  fei,  „ba^,  meil 

etroa§  ift,  etiüa§  oubereS  fei  ?"   er   finbet  alfo   in  bem  begriff  ber  Ur^ 

fac^e,  meldten  .§ume  ^unädjft  non  Seiten  feinet  llrfprungS,  al§  eine 

bloBe  ^t)antaficyorfterfung,  in  SInfprud;  genommen  fiatte,  eine  metapfipfifd^e 

@d;n)icrig!eit,  eine  3)unfel^eit,  bie  er  nid;t  aufjulöfcn  rnei^.    9?od;  weiter 

ge^t  er  in  ber  ^^reiSfdjrift  com  ^^bi^  1764,  wenn  er  erlTärt:  bie  3}letai 

pf)i)fi!  fei  ot)ne  3weifel  bie  fd)werfte  unter   ben   menfdyttd;cn  @infid;ten, 

aUein  e§  fei  noä)  niemals  eine  gefc^rieben  wovben.    SIber  bod^  ift  bamit 

nod)  ni(^t  gefagt,  ha^  biefe  3Biffenfd;aft  im  bi§(;erigen  Sinne  be§  2Borte§ 

überf)aupt  unmöglid^  fei,  fonbern  nur  bie  bilf)crige  2lrt  i^rer  58ef)anblung 

wirb  üerworfcn ;  il^re  ®rgebniffe  bagegen  glaubt  ilant,  wie  wir  gefe^en 

IjalKU,  in  ber  ^auptfad;e  nod;  aufred;tf;atten  gu  fönnen.    (Srft  in  hm 

„träumen  eine§  ©eifterfe{)er§  erläutert  burd;  träume  ber  3}ietapi)9fit" 

(1766)  fd^reibt  er  ber  ganzen  bi§()erigen  ©peMation  einen  entfd;iebenen 

2lbfagebrief.     'J)er    näc^fte  ©egcnftanb  biefer  ©d^vift    finb   bie   Offen= 

barungen  Swebenborg'S,  bie  fie  mit  foftIid;em  ^umor  aU  ©rseugniffe 

eine»  franfen  i?opfe§  befianbelt;   aber  Äant  bcnü^t  bicfe  Gelegenheit, 

um  ber   bogmotifdjen  ^fiitofop^ie  feiner  ßeit  5U  fagen,  baf3  il;rc  ver= 

meintli^e  5Bei§l;eit  auf  einer  ä^nli($en  Säufd^ung  berut)e.    S)ie  ?Oteta- 

pf)i}fi!,  evfidrt  er  je^t,  fei  nid;t§  anbercS  aH  eine  aSiffenfd^aft  t)on  bcu 

©renken  ber  menf($lid^en  Vernunft;  bie  apofteriovifd)e  5öiffen[d;aft  fü^re 

balb  ju  einem  SSavum,   worauf  feine  SIntwort  gegeben  werben  fönne, 

bie  apriorifi^e  fange  an,  man  wiffe  nid)t,  wo,  unb  fomme,  man  wiffe 

nidjt  wo(}in,  unb  it)re  i^cwci§füf)ruugen  treffen  mit  ber  @rfal)rung  nidjt 

äufammen;  wie   etwaS  eine  Urfadje  fein  ober  eine  5lraft  t}aben  fönne, 

taffc  fic^  nid;t  burc^  5l^ernunft   ein\ci)cn,  fonbern   nur   ber   @rfat)rung 

cntne()men,  benn  bie  3.^ernunft  fönne  bie  5)inge  nur  nad;  ber  ^bentität 

unb  bem  aiUberfprud;  yerglcid^en,  bie  ßaufalität  bagegen  befiele  barin, 

bafj  burd)  etwa0  ein  aiibereS,  im  55egr;ff  beSfelben  nid)t  entljaftene'S, 

nic^t   au3   i^m    absufcitenbe^^ ,    gefeiü  werbe;    fo  weit    baf)er   b:e  öe= 

griffe  üon  IXv^'ad^cn,  .Gräften  unb  ^anbluugen  nid;t  au§  ber  Srfatirung 

ftammen,    fe^en  fic   burd;au§    willfüt^rlid).     3)lit    bieien    Sä^eu    mad;t 


lU'öergang  ju  feinem  fpciteren  ^'.inbpunft.  339 

Äaitf  nc^rlmr  ben  Ucbergaug  üon  ber  früheren  tfieilweifen  ilritif  ber 
3}letap{)9[if  ju  ber  burd^greifenben  feinet  fpöteren  ©i)ftem§.  Tü§>  le|tcre 
fünbigt  fic^  auä)  in  ber  ©ntfc^iebeni)eit  an,  mit  ber  ^ant  |e|t  (a.  o.  D. 
2.  %\).  3.  .^ptft.)  bie  llna^ängigfeit  be§  fitt{i($en  3>erl^alten§  uon  allen 
t^eoretifc^en  Ueberjcngungen,  unb  fo  namentlid^  uon  bcni  Unfterbtid^- 
feitSglauben,  bef)auptet;  er  finbet  e§  nämlid^  natnrgemä§er  unb  fittlid;er, 
bie  ßrroortung  ber  fünftigen  2Be(t  auf  bie  ©ntpfinbungen  einer  xoo\}U 
gearteten  <8ee(e,  a{§  untgefe!^rt  i^x  2Bot)bert)alten  auf  bie  Hoffnung  ber 
anberen  2Belt  ju  grünben.  216er  boc^  rerbirgt  e§  fid)  nidjt,  ba^  er 
ben  ©tanbpunft  ber  ^ßernunftfritif  aud;  je|t  noc^  nid^t  rairfüc^  erreid^t 
l^at.  ©r  ftü|t  bie  ©ittlic^feit  auf  einen  „moralifd^en  ©tauben",  nid;t 
auf  ben  fategorifd)en  ^i^^peratit);  er  leitet  ben  begriff  ber  IXrfod^e  unb 
Söirfung  an§>  ber  ©rfo^rung  ab,  nid^t  au§  ber  atte  (grfalirung  bebing^ 
enben  Sll)ätigfcit  be§  S.^erftanbe§ ;  unb  roä^renb  er  in  ber  ^olge  5Raum 
unb  3^^t  f^^  fubjeltiue  2lnlc^auung§formen  erflärte,  fnd^t  er  in  ber 
2lbl)anblung  „uon  bem  erften  @runbe  beS  Unterjd^icbeS  ber  ©egenben 
int  Sftaume"  (1768)  nod;  gu  bcroeifen,  „boB  ber  abfotute  ^taum  unab= 
pngig  uon  bem  ©afein  oUer  9}iaterie  unb  felbft  al§  ber  erfte  ©runb 
ber  9Jiög[i(^feit  i^rer  3wfammenfe|ung  eine  eigene  9tealität  l)abe,"  unb 
gerabe  auf  biefe  objcftiue  9lcalilät  bc§  9launie§  wirb  bie  58e^auptung 
geftü^t,  lueld^e  an  fic^  felbft  freiließ  i?ant'§  fpätere  Slnfid^t  auba!^nen 
l)ilft,  bafe  ber  abfohlte  9?aum  lein  ©egenftanb  einer  äußeren  ©mpfinbung, 
fonbcrn  ein  ©runbbegriff  fei,  ber  jebe  äußere  ©mpfinbung  3uerft  möglid^ 
mad^e.  ©rft  groei  ^al)re  fpäler  fünbigte  er  ber  3ßett  in  feiner  ^itaugural^ 
öiffertation  ^)  burc^  bie  Sel)re  uon  ber  ^bealifät  be§  9?aumc§  unb  ber 
3eit  fein  neue§  ©ijftem  on,  uon  roeld^em  er  aber  bomalS  bod^  nur 
biefen  ©inen  ^auptpunft  entbedt  {}atte ;  unb  erft  \xa^  lueiteren  1 1  ^ti^i^P" 
legte  er  il)r  in  ber  Äritif  ber  reinen  ä^ernunft  (1781)  ba§>  2öerf  uor, 
roeld^eS  burd)  bie  f(^arfe,  tiefbringenbe,  nad^  aUcn  Seiten  forgfältig  anS'- 
gefüljvte  unb  umfid;tig  abgewogene  S)ar(cgung  feiner  fübuen  ^been  eine 
uoüftänbige  Umwäljurtg  in  bem  3iifta"b  ber  ^liilofopl^ie  l^erbeiäufü^ren 
beftimmt  war. 

3?on  biefem  3eitpunft  an  fe^en  mix  tant  in  einer  raftlofcn  fd^rift^ 
fteüerifc^en  2:l)ötigfeit  begriffen,  ^n  einem  Lebensalter,  in  roeld^em  hü 
ben  meiften  bie  3(rbeit§fraft  na^lä^t,  folgen  \i<^   bei  il;m  Sd^lag   auf 


1)  De  mundi  sensibilis  atque  iutelligibilis  form»  et  prircipiis.  1770. 

22* 


340  ,  Äant. 

Qö)\aQ  bie  SBcrfe,  nxX^e  ttieilS  ber  Segrünbung  tf)eilä  bcr  S(u§fü!f)nitin 
feinet  6t)ftcm§  geroibmet  finb:  1783  bie  „^rolcgomencn  ju  einer  jeben 
fünftigen  3Jietapf)t)fit" ,  eine  ®rläutcrung§fd;rift  §n  ber  Äritif  b.  r.  SS.; 
1785  bie  „©rnnblegnng  5ur  3JictapI;i)fif  ber  Sitten";  1786  bie  nieta= 
pf)t)fifd^en  SlnfangSgrünbe  bcr  5Ratnnüiffcnfdjaft" ;  1787  bie  gracite  2Iuf= 
läge  ber  ^xiüt  bcr  reinen  $8ernun[t;  1788  bie  „Äritif  ber  praftifc()en 
23ernun[t";  1790  bie  „tritif  ber  UrtljeilSEraft" ;  1793  bie  „^Religion 
innerljalb  ber  ©rcnjcn  ber  blofjcn  SSerniinft";  1795  bie  €d;rift:  „smu 
eroigen  ^-rieben" ;  1797  bie  „9Ketapf)i)fif  ber  Sitten",  beren  erften  5tt)ei( 
bie  „9ied;t§(cl)re" ,  ben  grocitcn  bie  „Xugenb(e{)re"  bilbet;  1798  ber 
„©trcit  ber  gocultöten"  unb  bie  „2lntl^ropoIogie" ;  1800  bie  t)on  ^ä\ä)t 
()erau§gcgcbcncn  SSortefnngen  überSogif;  1802  nnb  1803  bie  t)on  Stint 
ijerauägegclieucn  über  pt)t)fifd;e  ©eograptjie  nnb  über  ^äbagogif;  üieler 
fleinerer  Sibfjanbhingcn  nid;t  gn  erroafincn. 

S)ie  niciften  unb  bcbeutenbftcn  ron  biefen  ©(^riften  bilben  nun 
eine  gufammcnge^örige  9lcif)e;  fie  finb,  rote  Äant  fagt  ^),  t{)eil§ 
ber  fritifd^cn  Sßegrünbung  tl)ci[§>  ber  boctrinalen  ©arftedung  fcine?> 
@t;ftem§  geiüibmet.  ^n  ber  erfteren  ^cgiefiung  ergiebt  fic^  if)m  fobann 
lüieber  eine  brcifad;e  Slufgabe.  ^ant  felbft  be^eii^net  feinen  Stanbpunft 
als  ^riticif mu§ ,  q(§  bie  vid)tige  33Utte  groifdjen  2SoIff'§  S)ogmatifmu§ 
unb  ^ume'§  ©fcpfiS  ^).  Sie  roolffifdje  ^t)ilüfopt)ie  war  bogntatifc^  oerj 
faljren,  benn  fie  Ijatte  rermittelft  bcr  SScgriffe  bie  S^inge  crfennen  rootlen, 
09ue  ben  Urfprung  unb  bie  ^woerlä^igfcit  bicfer  33cgriffe  t)orf)er  untere 
fud^t  3U  I)abcn.  gür  ^ant  bagegen  ift,  nod;  Sode'ö  unb  |)unie'0  5ßor= 
gang,  baS  roidjtigfte  eben  biefe  Unterfud;ung ,  bie  ^^rage  nad;  bei'  ent= 
ftel)nng  unb  ber  2öa{)rl)cit  unferer  SSorfteilungen,  bie  ^riti!  be§  (Sr. 
fenntniBüermögenS.  ©tatt  nun  aber  bicfe  j^rage  mit  Sode  felbft  roieber 
bogmatifd;,  bur^  bie  unberoiefene  5Borau§fe^ung  ber  2öat)r^cit  ber  (Sr^ 
faf)rung  äu  beantworten,  unterroirft  Jlant  mit  §ume,  unb  noc^  weit 
grünblidjer  unb  umfaffenbcr,  al§  bicfer,  bie  ©rfaf^rung  unb  bie  gciftigcii 
58orgäuge,  burd^  roel^e  fie  bcbingt  ift,  gtcid;faa§  ber  llnterfud;ung ; 
roäl)rcnb  anbcrcrfeitS  bicfe  Unterfud;utig  bei  ^ume  ein  ffeptifd;eö  ©1  = 
gcbni§  gct)abt  l)atte,  ^at  fie  bei  i(;m  ein  fritifd;eS:  er  untcrfd;eibet  bie 
uerfdjiebenen  Slrten  bcS  ®r!cnnen§,  bcftimmt  iljre  33cbingungcn  unb  if)re 
©rensen.    @r  bef)auptet,  unfercm  ßrfenntni^oermögen  feien  bie  5)inge 

n  .tiit.  b.  Urt^eilgfr.  «orr.  (£cf)I. 

2)  «tit.  b.  r.  UJetn.  iO^et^obcuI.  IV.  ^jouptil-   !JJr.  3.  (Sbb.  (giiiU  9?r.  VI.  u.  a.  ©t- 


©(Triften  feit  1781.    (S5runb3üge  bc§  ©Jjjlctn«,  341 

immer  nur  tn  bcn  opriorifd^cn  formen  utifercS  Sfnfd^auenS  unb 
<Denfen§,  unb  bcB^oIb  nur  a(§  erfdjcinunöen  gegeben,  wir  feien  ba^cr 
mit  unferem  SBiffen  auf  bie  erfo^ruiig  riefd;räu!t;  bte  Grfa^rung  fel6ft 
aber  entfpringe  ifjrer  ^orm  nodf;  au5  tm  ©elbftben)uf3tfcin,  üU  i^rer 
„tranfcenbentatcn",  aller  ©rfa^rung  üorau^öe^enben  unb  fie  bebingenben 
OueHe.  er  glaubt  aber  sugfeid)  auä),  \>nx6)  unfer  SBotten  bringen  roir 
in  bie  überfinnlid;e  SBeft  ein,  bie  unferem  Söiffen  t)erfd;(offen  fei,  unb 
er  [teilt  bef^,^a(b  ber  Setrad;tung  bc3  (SrFcnntniBüermögeU'^,  mit  ber  bie 
.^ritif  ber  reinen  S5crnunft  fid;  befd;äftigt,  in  ber  5!ritif  ber  praftifd;en 
Vernunft  jene  llnterfud;ung  ber  fittlidjen  Einlagen  unb  Slnforberungcn 
äur  (Seite,  meiere  bie  ©runblage  feiner  ©ittenk^re  bilbct.  er  fügt 
cnblid^  bciben  in  ber  Äritif  ber  Urtr;ci[öfraft  eine  Untevfudjung  über 
M§  &e\ü\)i  ber  2nft  unb  Unluft  unb  bie  au§>  ber  UrttjeüSfraft  l;ert)or. 
getienben  apriorifd;en  ©efelje  bcSfelben  bei,  unb  geigt  cbenbamit  einen 
)^mU  auf,  in  mld)em  bie  t^eoretifc^e  unb  bie  praftifdje  SBeltanfic^t 
^ufammcntrcffen  ^).  S)a  aber  burd;  bicfe  Unterfui^ungcn  ber  t^eoreti= 
fc^en  SSernunftroiffcnfdjaft,  ober  ber  3J?ctaprjt)fif,  ber  S3obcn  entoogen  ift, 
iüäf;renb  anbererfeit^  brof3e  Grfar;rung^iuiffenfd;aften  nad;  ^ant  im 
©gftem  ber  gJ^ifofop^ie  ühetl)anvt  feinen  9taum  finben,  fo  bleibt  für 
ben  boctrinalen  %i)cil  beSfeibcn,  neben  ber  pra!tifd)en  ^Ijifofopljic,  raeld;e 
bie  91cd;t§re^re,  ^ugenblel^re  unb  5Herigtou§pl)i(ofopI;!e  in  fid;  befaßt, 
nur  bie  SarfteHung  ber  S3eftimmungcn  übrig,  bie  fid;  ai§>  affgemeine 
§Bebingungcn  ber  förperlidjen  (grfd;einung  auä  ber  9iatur  unfcreä  2ln^ 
f(^auen§  unb  SDenfenS  ergeben,  unb  mit  b'cfen  befdjäftigt  fid;  bie  „2JJcta= 
p^pfif  ber  Tiatnv",  meldte  in  hcn  „metapfj^fifdjen  Stufang^grünbcn  ber 
3f?aturiüiffenfd^aft"  niebergelegt  ift. 

2.    2)ng   fttntifc^e  ©i)ftcm.     2)ic  Äritif  ber  reinen   JÖcrnunft:    a;  tue 
aKöfllit^fctt  uub  t>k  Scbtngungcu  bcö  crfa^ru«g§mä^iOcn  ß-rfcnncnö. 

Unter  ben  STufgaben,  bereu  Söfung  ^ont  in  bcm  fritiid;en  STl^eile 
feiner  5pt)tfofopf)ie  unternimmt,  ift  bie  raidjtigfte  unb  cingreifcnbfte  jene 
llnterfud;ung  be§  ßrfenntniBoermögenS,  me[d;e  er  in  ber  Ärilif  ber 
reinen  SSemunft  niebergelegt    unb    bur^   bie  ^rolegomena  bcm  allge^ 

1)  ®o  flcirt  ^am  fcrbn  ba§  3Ser^ä:tniü  ber  brei  ^xiütcn  bar:  Ufbec  <P^tlD[cp^it 
überhaupt.  (SBerfe  o.  ^avtenjl.  1.  8lu§g.  I.)  ÜB  ff.  167  ff.  Ätit.  b.  Uit^eilSfr.  55orr. 
®inf.  III.  lA.  u.  5. 


342  ÄQiu. 

meinen  SSerftäubnife  jiät^er  ju  bringen  nerfud^t  t)at.  ®en  ©egenftanb 
biefer  Unterjud^ung  bilbet  im  allgemeinen  bie  ^^^rage  na6)  ber  9)tögli(^= 
feit  eines  apriorifc^en,  von  ber  ©rfafirung  unabljängigen  äöiffenS; 
ober,  raie  er  aud)  fagt,  bie  ?^rage  naä)  ber  9Jtöglid;feit  einer  3)lctapl)ij[if. 
Äant  oerftel)t  nämli^  nnter  ber  3)ieta|.-)l)i)fi!  im  weiteren  ©inn  bie  reine 
S^ernnnftraiffenfd^aft  libcrtianpt,  ba§  ®an^e  berjenigen  Sel)r[ä|e,  roeli^e 
fid^  meber  blo§  anf  bie  formen  unfereS  ®en!en§  bejielien,  roic  bie  Sogif, 
nod^  an§  ber  @rfal)rnng  gefd^öpft  finb,  mie  bie  empirifdje  ^l)i;[i!  unb 
bie  empirif($e  $fi)d)ologie,  meldje  rielmelir  au§  apriorifd^en  53egriffen 
eine  reale  (auf  beftimmte  ©egenftänbe  bejüglid^ej  (SrfenntniB  ableiten; 
im  engeren  ©inn  nnterfc^eibet  er  bie  a)letapl)i)fif  als  bie  TOi[fenid;aft= 
ti(^e  ©rfeuntni^  beS  lleberfinnlid^eu  uou  gmei  anbern  apriorifd^en 
3ßiffenf(^aften,  ber  reinen  9Jlatl)ematil  unb  ber  reinen  ^lnjfif,  unb  ftettt 
bemna(^  an  bie  ^riti!  ber  reinen  SSernnnft  bie  breifad^e  ?5^rage  nad;  ber 
9Jlögli($!eit  ber  reinen  3}Zat^cmatif ,  ber  reinen  9taturn)iffenfd)aft  unb 
ber  3Jtetapf)t)fif. 

©eine  2lntiüort  lautet  5unäd;ft  ^i)potl)etifd^ :  bie[e  2öi[fenjd;aften 
finb  möglid),  roenn  in  SSe^ug  auf  bie  ©egcnftänbe,  mit  benen  fie  e»  ju 
tl)un  ^ahen,  ft)ntl)etifd;e  llrtl)eite  a  priori  möglid;  finb;  b.  t).  menn  eS 
unferer  SSernunft  möglid^  ift,  oou  fid;  aus  unb  ol)ne  58eil)ülfe  ber  @r= 
fal^rung  über  biefe  ©egenftänbe  ©ä^e  auf^uftellen ,  meldte  nid)t  bloS  in 
ber  ©ntiüidlung  gegebener  begriffe  beftel)ert,  fonbern  in  ber  äluffinbung 
neuer,  meldte  unfer  Sßiffeu  nid^t  btoS  erläutern,  fonbern  aud^  erroeitern. 
3Son  unfern  llrtljeilen  finb  nämlid)  biejenigen,  bei  benen  baS  ^räbifat 
i;i  bem  ©ubjeft  als  ein  3)icr!mal  feines  53egriffS  entl^alteu  ift,  unb  fid^ 
bal)er  auS  bem  ©ubjcftsbegriff  auf  rein  logifc^cm  äöegc,  burd^  Qet- 
glieberung  beSfelbeu,  nad^  bem  ©a^  beS  2öiberfprud;S  ableiten  lö§t, 
anali)tif(^c ;  fyut^ctifd^c  bagegen- biejenigen,  bei  benen  bie{3  nid;t  möglid^ 
ift,  meil  baS  ^mbifat  gum  ©ubjeftSbegriff  etmaS  ueueS,  in  il)m  felbft 
nidl)t  entljatteneS,  l^in^ubringt.  ©a^  5.  S.  alle  Körper  anSgebctint  finb, 
ift  naä)  i^aiit  ein  anati)tifdE)eS ,  baf?  gcroiffe  Körper  fd^ioer  finb,  ift  ein 
fi)Uil)etifd;eS  lXrtl)ei(,  meil  bie  ©c^rocre  nic^t,  raie  bie  StuSöelinung ,  im 
3?cgriff  beS  ÄörperS  als  fotd^em  entl;alten  ift,  ein  törper  o^ne  ©d^raere 
n;.-^t  berfctbe  logifc^e  SBibcrfprud^  ift,  loie  ein  Äörper  o^ne  äluSbe^nung. 
©0  lange  baticr  bie  SBif)enfd;aft  nur  analptifd^  oerfölirt,  geroinnt  fie 
feinen  l^nl^alt,  ten  fie  nid^t  in  bpn  analpfirten  ^Begriffen  fd^on  f)ätte; 
nur  burd)   ein  f^ntlietifd^eS  3^erfal)rcn   rann  fie   einen  foldjen  erlialten, 


Ärhif  ber  vetncu  Sßctnunft.  343 

nnb  nur  wenn  fie  ii)n  burd^  eine  opriorifd^e  ©ijntfiefc  ert)ä(t ,  luirb  fie 
eine  apriorifdje  2öiffen;d;aft  fein.  SBenn  mitfiin  bie  Äriti!  b.  r.  $ß.  bie 
Möglid^feit  eine§  apriorifd^en  SSiffen»  unterfud^en  foß,  fo  i)anbelt  e§  fid^ 
l^iebei  nm  bie  2)iögti($fcit  fpntfietif d;ei-  Urt^eite  a  priori,  um  bie 
9}iögüd;feit  eineS  @rfennen§,  raeldieS  feinen  3nf)a(t  urfprünglid;  au§ 
uns  feibft  fdjöpft  unb  if)n  nid^t  erft  burd)  bie  ©rfafirung  erf)ä(t. 

2Ba§  ift  es  nun,  ba§  fid;  in  biefer  äöeife  erfennen  lä^t?  9iid)t 
baS  ©egenftönblid^e  a(S  foId^eS,  —  benu  t)on  feiner  ^efdjaffenfieit  fann 
uns,  wie  ilant  gfoubt,  immer  nur  bie  ©rfafirung  untcrridjten, —  fon= 
bern  einzig  unb  allein  mx  fetbft  als  baS  erfeunenbe  @ub|e!t;  nid^t  ber 
objeftiüe  i^u^alt,  fonbern  nur  bie  fubjeütoen  formen  unb  33cbingungen 
unfereS  ^^orftettenS.  Siefe  3^orftel(ungSformen  erfüllen  fid;  aber  mit 
einem  ^u{)a(t  nur  bur(^  bie  ©rfa^vung;  aw]  fold^cS  bagegen,  maS  über 
bie  ©rfafjrung  f)inauS  liegt,  kffen  fie  fiel)  überfiaupt  nid)t  anmcnben, 
unb  raenn  mir  biefe  2(muenbung  bennod)  uerfud;en,  gcratfien  mir  un= 
ücrmeibüc^  in  2:äu[djungen  unb  äßibevfprüd^e.  llnfei  apriorifdjeS  SÖiffen 
beriet)!  \\6:)  auf  bie  formen  beS  SSorftellenS  als  ^ebinguugcn  ber  6r= 
faficung;  nid;t  auf  bie  S)inge,  wie  fie  an  fic^  feibft  finb,  unb  auf  bie 
legten  ©rünbe  berfelbcn,  bie  nie  ©egenftanb  ber  (Jrfaljrung  werben 
fönnen.  3)tit  ber  SBegrüubung  biefer  Sä^e  be)d;äftigt  fid;  bie  i^ritif  ber 
reinen  ißernunft.  ®er  i^nljalt  biefer  gd^rift  jerföüt  ba{)er  ber  ^aö)t 
nad^  in  groei  §ö(ften:  bie  llntcrfudjung  über  bie  3)löglidjfeit  unb  bie 
über  bie  ©renken  unfereS  SöiffenS;  ben  ^ac^roeiS  ber  53ebingungen  beS 
erfatirungSmäBigen  unb  ben  Scac^meis  ber  llnmöglidjfeit  eines  bie  för^ 
fal)rung  überfdjreitenben  förfennenS.  S)ie  erfte  oon  biefen  tlnterfuc§un= 
gen  umfaßt  unter  ben  Slbfd^nitten,  in  bie  ^ant  feibft  fein  SSerf  ^erlegt 
t)at,  bie  tranfcenbentate  2teftl)cti!  unb  Slnaltjtif,  bie  jmeite  bie  tranfcen^ 
bentale  S)ialeftiE  \). 

1)  S)ie  eintlöeiruiig  ber  Ärttif  b.  r.  33.  ift  siemlid^  »enindtelt.  .Rant  nnterf(^etbet 
amiäc^ft  bie  tranfcenbentale  eiementarle^rc  unb  bie  tran[ceabentale  SDiet^oben- 
Iet)ve;  („tranfcenbeiital"  Ijei^cn  bicje,  tueil  fie  bie  oprionjc^en  53ebingun,]rn  ber 
©rfal^rung  unterfudjen;  m.  »gl.  über  bicfe  Sebeutung  be§  2lu:§bru(f^  bie  Einleitung 
aur  tranicenbentaten  ?ogit.  9fr.  2;)  innerhalb  bor  erflercn  fobann  iwieber  bie  2Uft^ettf, 
meiere  e§  mit  bem  fumlit^en,  unb  bie  ?ogif,  loeldje  e§  mit  bem  benfenben  grfennen 
ju  t^nn  l^at,  unb  in  ber  ÜogiE  bie  ^(nal^tif,  n^elc^e  bie  Elemente  ber  reinen  3>er'- 
ftonbeSerfenntniß  bavfteßt,  unb  bie  S)iareftif,  Weld)e  ben  burd)  eine  falfi^e  SCntuenbung 
ber  reinen  SBerftanbe^begriffe  entftaubenen  biateftifc^en  edjein  onflöft.  einfacher 
orbneu  bie  ^'lolegomena  iljren  Q'ntiQlt  unter  bie  brei  J^ragcn:  njie  ift  reine  ^lat^t^ 
matit,  roie  iji  reine  5Jatuvroiffcnf  t)aft,  mie  ift  2)tetapb^fit  möglid)? 


344  '^«"f- 

S3ci  ber  ^rage«  naä)  bcn  Söebiiujunöcn  ber  (grratjrungeerfentitnife 
l;anbelt  e§  fic^  loieber  um  brei  fünfte.  S)ie  5?orftelIunö§tf)ättgfcit, 
bereu  ?^ormctt  uub  ©efeüe  ben  i^t^^^^t  üile§>  apriorifdjcu  SBiffenä  au§^ 
mad;en,  ift  boppeltcr  Strt:  ftuufic^eS  S?orftelIcu  uub  S)cuieu.  ^urd^  bie 
■Ätuulic&feit  werbeu  uu§,  roie  Äaut  fagt,  ©cgeufloube  gegebeu,  burd^ 
öeu  5Serftaub  roerbeu  fie  geDai^t;  ieue  ift  ba§  3>enuögen,  5>oi|lc[luugeu 
ju  enipfaugeu,  9leceptiuität,  biefer  ba§  33ermögeu,  burd;  jeue  SSorftcHuu^ 
geu  eiueu  ©egeuftaub  .^u  erfeuueu,  ©poutaueität;  jene  liefert  un§  2lfu= 
fd^auuugeu,  biefer  Segriffe.  2lu§  ber  ^>er(nubung  Oeiber  eutfpriugt  bie 
@rfaf)ruug.  SBeun  baf)cr  bie  apriorifdjeu  93ebiuguugen  ber  6rfal)ruug, 
bie  ©ruubformen  bev  ^orftetleu^o  aufgefud^t  uierbeu  follen,  fo  fragt  cg 
fid)  uä^er:  giebt  c§>  1)  apriorifd;c  2tnfc§auungen?  giebt  e§  2)  opriorif^e 
S3egriffe?  unb  giebt  e§  3)  apriorlfd^e  (Sefe^e  für  bie  2Iuiüenbuug  ber 
S3egriffe  ouf  bie  SJufdjauungeuV 

S)aB  uuu  bie  erfte  uon  biefcu  fragen  ,3u  bejalien  fei,  glaubt  .^aut 
5unädjft  f(^ou  burc^  eiue  affgemeine  ©rraöguug  barf^uu  gu  föuucn. 
3Benn  mir  bcu  ©egcuftanb  einer  empirif(^eu  3(ufd;auung  eine  Grfdjcinung 
uenuen,  fo  ift  in  jeber  Grfd^eiuuug,  mie  er  au§füf)rt,  ein  boppette§  ju 
uuterf(^eiben,  it)re  3)taterie  uub  \i)xe  ^orm.  S)ie  äRatcrie  ift  ba§  on 
ber  @rf($eiuuug,  ma§  ber  ßmpfinbnng  eutfprid;t;  beuu  bie  ßmpfinbuug 
ift  nichts  aubereS,  als  bie  Sßirtuug  eiuc§  ©egenftanbcS  auf  uufcr  ^ov- 
ftettungäocrmögen.  S)ie  ^orm  bagcgcn  ift  baöjeuige,  ma§  mad;t,  ba^ 
ba§  3)knuigfa(tige  ber  ©rfc^einung  in  gcraiffeu  S3crl;äftuiffen  gcorbnet 
merben  fauu.  S^a  nun  ba^jcuige,  moriu  fid)  bie  (^mpfmbungcn  allein 
orbuen  fönnen,  nii^t  fclbft  mieber  ©mpfinbung  fein  fann,  fo  muB  bie 
^orm  3U  aUen  (Srfc^einuugen,  ober  waS  baSfefbe  ift,  e§  mufi  bie  reine 
^orm  ber  fiuulid^cn  3tufd;auung,  mie  .f!ant  fagt,  „im  ©emütfje  a  priori 
bereit  liegen."  i?ant  nennt  bi^fe  apriorifd;eu  ?^ormeu  ber  (?rfdjeinung 
geroöf)nli(^  „reine  2lufd;auuugcn",  unb  er  fpridit  uon  i^nen  uid;t  feiten 
fo,  baB  efj  fd;cineu  föunte,  al§  ben!e  er  bei  biefem  Slu^^rud  an  lüir^ 
lid)e,  fertige  SSorftelluugen ,  bie  aflem  erfal)ruug§mäf3igcn  SSorfteffcn 
oorangcl)en.  ^nbeffen  l)at  er  fid^  fd^on  in  feiner  ^nauguralbiffcrtation 
aulrci(^enb  barübcr  erffärt,  ba^  bie^  nid;t  feine  2)kiuung  ift,  unb  baB 
mir  unter  ben  reinen  3lnf(^auungen  uid;t3  anbereS  gu  uerftclien  l)abcn^ 
als  bie  apriorifc^en  formen  ober  ©efe^e  uufercS  2lnfd;auenS.  9?ad;tcm 
er  nämli^  bort  (§  15,  Coroll.)  Dlaum  uub  3cit  a!§  reine  3lnfdjauungcn 
aufgezeigt  ^at,  roirft  er  bie  ?^rage  auf,  ob  uns  biefe  Segriffe  ongeborcn 


aieine  anfianungen.    jRaum  unb  ^eit  345 

feien,  ober  erft  im  Saitf  imfere^  ScbenS  gebilbet  werben,  unb  er  anU 
roortet:  bie  Segriffe  be§  9iaume§  unb  ber  ^eit  werben  unftreitiö  uon 
un§  felbft  gcbilbet:  rair  abftrotiiren  fie  oon  ben  'Jtiätiöfeiten  unferea 
©eiftcg,  ber  feine  ©mpfinbungen  nod^  fcftcn  ©efe^en  orbne,  angeboren 
fei  un§  nid^tS,  alö  eben  biefe  ©cfc^e.  :Sn  bem  gleidjen  (Sinn  äufiert 
er  fid^  au6)  fpäter.  Stngeborene  SSorfteKungen,  fagt  er  '),  fönnc 
bie  Äritif  nid^t  zugeben;  aber  bod^  muffe  ein  ©runb  im  ©ubjeüe  fein, 
ber  e0  möglid^  madje,  baß  unfcre  55orfteIIungcn  fo  unb  nidjt  onbcr§ 
entftefjen,  unb  biefer  ©runb  n)cnigften§  fei  angeboren.  S}aB  aber  ebcnfo 
a\i<i)  nad;  apriorifdjen  ©efel^cn  be§  ©mpfinbcnS  felbft  gefragt  merben 
mü^te,  bafe  aud^  fd;on  unfere  ©mpfinbungcn  nur  $!orgöngc  in  unterem 
5Berou^tfein  finb,  n)e(d;e  üermöge  ber  ßinrid^tung  unfercr  9iatur  burd; 
-geroiffe  äußere  ßinbrüde  tjeroorgerufen  werben,  bie§  r;at  ^ant  smur 
nic^t  gauj  überfef)en  2);  ober  bod;  ^at  er  bicfen  ¥>unft  n:d;t  weiter  i)cv= 
folgt,  unb  fo  ftorf  er  auä)  bie  eubjcftioität  ottcr  unfcrer  21>a^rncbm= 
ungen  I)erüor^ebt,  fo  bcgrünbct  er  fie  bod;  immer  nur  bamit,  bofj  bie 
gorm cn,  unter  benen  bie  ©mpfinbungcn  üou  un§  aufammengcfatU 
werben,  nid^t  bamit,  baf3  aud;  fd;on  bie  ©mpfinbungen  atä  fo[d;e  buid; 
apriorifd;e  2?orftetIung?gefe^e  bcftimmt  werben. 

M^ex  finb  e§  jener  formen  nad;  i?ant  ^wei,  ber  dlanm  unb  bie 
3eit.  Sitte  ©egenftönbe  auf3er  un§  werben  üon  un§  aU^  im  9^anm 
befinblid;,  alle  unfere  iuneren  ^uftönbe  werben  uon  unS  ai§>  %^me 
eine§  geitlid^cn  ^SerlaufcS  angefd;aut:  ber  5Raum  ift  bie  apriorifd;e  gorm 
ber  äußeren  3lnfdjauung  ober  be§  äufjeren  6inne3,  bie  3eit  bie  ber 
inneren  3lnfc^auung  ober  be§  inneren  €inne§;  weil  aber  aud^  bie  3;^or= 
fteüungen  äuBerer  ®inge,  atg  unfere  «orftettungen,  gleid;faaö  ju  unfcrem 
inneren  ^uftanb  gcfiören,  ift  bie  3eit  eine  apriorifdje  ^öcbingung  aller  ©r^ 
fd^einung  übert)aupt,  unmittelbar  ber  inneren,  mittelbor  and;  beräujseren. 
S)en  33cwei§  für  biefe  tiefgrcifenben  $Bcftimmungen  füf)rti?ant  t^ei[§ 
bireft,  t^eitö  inbireft.  :3ene5,  inbem  er  fie  an  ber  9^aum=  unb  3eitüor'- 
fteUung  felbft  nad;weift;  biefeS,  inbem  er  eine  ^f)atfad;e  aufzeigt,  werd;e 
fid)  unter  feiner  anbcren^"orau§fct5ung  erklären  lä^t.  ©eine  bircfte  Seweig= 
fü^rung  ^at  wieber  gweierlci  feft^uftetten :  ba^  bie  SSorfteffung  be§  9iaumc§ 

1)  Ueber  eine  eatbccfung  u.  f.  ».    SBerfc  0.  §artenfl.  III,  359  f. 

2)  §.  4  ber  ^naiiguralöiffevtütton  bemcift  et:  bie  (Jinpfiubuntj,  roetc^e  ben  ©foff 
ber  finnlld^en  Sorfteüung  aufmache,  ^ange  ^inftc^tli!^  i^rer  Dualität  öon  ber  ^la.iit 
bCiS  empfiiibenben  ©ubiefts  ah. 


346  ^^^''^' 

uiib    ber  3eit  nii^t   cmpiriidjen ,   fonbern    apriorifdien   Urfprung«   ift, 

unb  bafe  fie  nid)t  begriff,  fonbem  Stnfd;auung  ift.    3)a§  erftece  ergiebt 

\iö)  nuH,  toie  J?ant  bcmerft,  t(ieit§  au§  bem  Hmftanb,  bafs  toir  §roar 

ron  aikm,  ma§>  in  Sf^aum  unb  3cit  ift,  abftrai)iren,  aber  ben  dlaum  nnb 

bie  3ett  felbft  nn^  nic^t  megbenfen  fönnen ;  tt)ei(§  nnb  befonbeu^  au§  ber 

(Snuägung,  baB  nnr  bie  Sianniuorftellnng  nn§  in  ben  Stanb  fe|t,  irgenb 

n)e(d;e  ©egenftönbe  aig  im  9kum  befinblic^  an5ufd)auen,  nur  bie  3eitt)or= 

fteünng  nnl  in  ben  ©tanb  fe|t,  Singe  a(§  gleidjjcitig  ober  anfeinanber= 

fotgonb  Qn,5u[d)anen,  ba^  bie  ailgenieinen  3?orfte(Iungen  be§  9laume§  nnb 

ber  3eit  SBobingnngen  aller  beftimmtcn  9launi=  unb  3eitan]d)aungen  finb, 

unb  fom:t  nidjt  i{)rerfeit§  erft  an0  biefen  abftra^irt  fein  fönnen.    ®afe 

anbererfeitö  9kum  unb  3cit  nic^t  S3egriffe,  fonbern  2(nidjanungeu  finb, 

ertieHt  nad)  Äant  au§  einem  entfdjeibenben  9Jier!ma(.    ^eber  begriff  ift 

ein  atilgcmeineg ,  ba§  in  uielen  ©in^elnorftcttungen  ai§  3Jierfmal   ber^ 

feiten  entf)alten  ift,  unb  mitbin  biefe  ai§>  bie  ©ubjeftc,  beren  ^räöifat 

e§  ift,  unter  fid^  befaßt;    9taum   unb  Qdt   bagcgen  finb  ©injeloors 

fte Jungen,  meli^e  bie  befonberen  Siänme  unb  ^dtcn  al§  Sl[)eile  in  fi(j^ 

befaffen:  e§  glebt  nur  (^incn  9iaum,  ber   alle  einzelnen  9täume,  nur 

ßine  3eit,  bie  alle  einzelnen  3eiten  umfd^lieBt.    S)ie  SL^orftellung  aber, 

bie  nur  burd^  einen  eineiigen  ©egenftanb  gegeben  werben  fann,  ift  2ln= 

fdiauung.    9kum  unb  3eit  finb  mitf)in  apriorifdje  ober  reine  2(nfc^auun-- 

gen;   fie  finb  bie  formen,  in  meldie   vermöge  ber  ©efege  nnfere^  2lm 

fd)auung§üermögen§  alte  ©mpfinbungen  üon  uuiS  gefaßt  werben  muffen, 

luenu  fi(^  2tnfd)anungeu  au!c  ifinen  bilben  fotten.    9Zuc  weil  fie  apriorifc^e 

'Isürftellung^formcn  finb,  ift  e§  mögn(^,  über  Diaum  unb   Qeit   @ä^e 

auf^ufteüen,  bie  ben  ßt)arafter  ber  unbebingten  2l(Igcmeint)eit  nnb  9ioti)- 

menbigfcit  tragen,  ber  bloßen  (grfat)rung§fä^en  nie  jnfommt,  nnr  be§= 

\)aib  ift  reine  93iat§ematit  mögüd; ;  unb  nur  weit  fie  Slnfdjaunngcn  finb, 

nid)t  S3egriffe,  bebient  fid)  bie  9}lati)emati!  be§  conftnictioeii  i^erfa^ren^ : 

fie  bemeift  it)re   ©ät3C  nic^t  anahjtifd^,   burc^   3^r9^i<^öerung   oon  336- 

griffen,  fonbern  ftjnt^etifd^,  inbem  fie  bie  reine  2(nfd)anuug  beffen,  maS 

fie  barttiun  will,  t)crüorbringt.     Wie  ber  birefte  Söemei'o   für  bie  fanti- 

ic^en  53eftimmungen  über  9taum  unb  3eit  iii  '^'^^  @igent^üni(id)feit  ber 

:)laum;  unb  3citoorftcUung  lag,   fo  liegt  ber  inbircttc  33eroeiio  für  bie- 

''elbeu  in  ber  Sil)atfadje,  ba|3  e§  eine  reine  3JJatl)cmatif  giebt. 

Tie  reinen  2lnfdjaunngcn  entlialten  aber  erft  eine  Don  ben  apriori^ 
fd)en  ^öcbingungen  bei  (irfabrung.     3)ie  Grfalirung  umfaßt  nid^r   blo^ 


3?aum  unb  ^dt.    5tpricrif(f)e  S^enfformcn.  347 

bie  fmnli^e  Slnfi^auuitcj,  fouberu  aud)  Un  Segriff  ber  ©oßeiiftäuDe,  hie 
in  ber  Stnf^auung  gegeben  werben;  nid^t  Uo§>  ©rfd^einungen ,  bie  im 
9iauin  neben  einanber  liegen  unb  in  ber  3eit  auf  einonber  folgen, 
fonbern  anä)  eine  gefe§mäf,i:^e  S3erfnüpfung  biefer  ©rfd^einungen.  dlux 
burc^  biefe  ^öerfnüpfung  ift  bie  SSorfteanng  ber  S)inge  an^er  un§  unb 
be§  3ufammenf)ang§  biefer  Singe,  ber  9ktur,  niögtic^;  nur  auf  i^r 
berul)t  ber  Unterfc^ieb  ^raifd^en  einem  Unheil,  einem  objeftit)  gültigen 
Ikv^äitwi^  üon  a^orfteUungen,  unb  einer  b(og  fubjeftiren  ^beenaffocta^ 
tion;  nur  an§:  i^x  erflärt  e§  fid),  haf,  wir  atte  Grfdjeinungen  al§>  8e^ 
ftimmungen  m)cvc§>  Sclbfi  in  un§  finben.  S)er  @runb  biefer  9}er= 
fniipfung  faun  aber  nid^t  in  ben  S)ingen  aU  folc^en  liegen,  benn  in 
btefem  gaü  fönnte  un§>  nur  bie  ©rfal)rung  von  ifiv  unterrichten;  in  ber 
©rfa^rung  ift  un§  aber,  mk  §umc  rid;tig  erfannt  ^t,  immer  blo§  eine 
tt)atfäd)li($e,  uid^t  eine  notfimenbige  ^verfnüpfung  ber  ©rfd;einnngen  ge= 
geben.  ©^  bleibt  mithin  nur  übrig,  baB  mir  felbft  e§  finö,  bie  »er- 
möge  ber  ©inlieit  unfere^  ©elbftbemuBtfeinS  (ober  mie  ^ant  gen)öl;nlid^ 
mit  leibnigifd^er  5;erminologie  fagt:  Dermöge  ber  Giul)eit  ber  älppcrcep= 
tion)  bie  @rfc|einungen  in  eine  notfimenbige  unb  bauernbe  ^Iserfnüpfung 
bringen,  ^n  ber  $ßorfteüung  biefer  ^erfuüpfung  beftel)t  aber  atter  58er= 
ftanbesgebrand^ ,  alle^  S)cnfen.  S)ie  urfprünglidje  (Einheit  be§  eelbft= 
bcrou^tfeinS  ift  bal)er  ha^i  oberfte  «ßrincip  allc§  9.H'rftanbe§gebrauc^5 : 
unfere  S)enf formen  finb  ni($t§  anbereg,  al§  bie  g-ormen,  in  bencn  ba§ 
Mannigfaltige  ber  Stnfd^auung  pr  ©inlieit  unfere§  gelbftberouBtfcinS 
gufammengcfa^t  mirb  ^). 

Um  nun  biefe  gormen  p  finben,  gel)t  tant  t)on  ber  SSemerfung 
aus:  eö  fei  eine  unb  biefelbe  ©eifteätbätigfeit,  meldte  fidj  analptifd;  in 
ber  ©ubfumtion  gegebener  ©egenftänbe  unter  53egriffe  unb  fr)ntl)ctifd^ 
in  ber  uriprünglid;en  53egripbitbung  äußere,  iuetd;e  bort  bie  llrtl)eil3= 
formen,  oon  benen  bie  formale  fiogif  Rauheit,  ^icr  bie  reinen  a^er^ 
ftanbe^begriffe,  bie  Äategorieen  erzeuge;  mie  er  ja  fd^on  längft  ba§ 
a^ermögen  gu  urtlieilen  al^  bie  unierfdjeibenbe  ©runbeigenfd;aft  be§ 
33erftanbe^  be^eid^net  Iiatte.  §ierau§  fd^lie&t  er  fofort,  ba^  aud^  bie 
??ormen  ber  urfprünglidien  Segripbilbung  ben  logifd;en  formen  be§ 
llrtl)eit§  entfpred^en  muffen.     3}er  Ic|teren   finb  ee   aber,   ro.e   er  an= 

1)  Änt.  b.  r.  3?.  Xranfc.  Sinai.  2.  ^auptft.  1.  Slbjt^n.  §.13.  2.  2lbi£^.  §.  15  ff., 
ipoju  bie  Raffung  ber  letzteren  Siarftettung  iii  ber  1.  au3g.  jii  »ergleid^en  x%  ^ro- 
legoincim  §.  27  f.  3G. 


348  Ä«"t- 

nimmt,  5TOölf,  meldte  fic^  unter  t)ier  |)auptoeficf)t§pun!te  certtieilcn ; 
cbcnfooiele  werben  e3  Qud;  ber  formen,  unter  benen  ha^  3)?annigfa(tigr 
ber  2lnid;auung  urfprünglid;  jur  Ginl)eit  pfammcngefaBt  mirb,  bev 
^ategorieen,  fein  muffen.  ®i^  Urtfjcile  finb  ii)rer  Quantität  nad;  aHge^ 
meine,  befonbere  unb  einjelne;  itjrer  Dualität  nad^  be|af)enbe,  oer 
neincnbe  unb  unenblid;c;  i()rer  9^clation  na^  fatcgorifc^e,  f)t)potf)etifd;e 
unb  biSjunftiüe;  i()rer  3Jioba(ität  nad;  proti(ematifd;e,  affertorifd;e  unb 
apobiftifd;e.  ©cl^cn  mir  üon  biefcn  Urtf;ei(en,  in  benen  mir  unfere 
33e(]riffe  sertegen,  auf  bie  erfte  93ilbung  berfelbcn  unb  it)re  ©runb formen 
jurüd,  fo  erl;altcn  mir  ben  ^mölf  SIrten  ber  Urtljeile  cntfpredjcnb  gmölf 
i^ategoricen :  1)  ^ategorieen  ber  Üuantität:  Ginfieit,  SSielfieit,  2lßl;cit; 
2)  i?at.  ber  Oualität :  9icalität,  3^cgation,  Simitation;  3)  Äat.  ber 
^Relation:  ^n^jörenj  unb  Subfiftenj  (Subftanj  unb  2kciben§)/  ßaufalität 
unb  S)cpenben5  (Urfad;e  unb  SBirhuig),  ©emcinfdjaft  ober  2öedjfel= 
mirfung;  4)  £at.  ber  SJlobalität:  3)töglid;feit  unb  Humögtid^feit,  ©ofein 
unb  5rcid;tfein,  9totI;roenbigfeit  unb  ^iiföüigfeit.  SJian  fann  aUerbingS 
gegen  biefe  3l6{eitung  manches  einmenben:  man  fann  nid;t  b(o§  bic 
!antifd)e  S^afel  ber  Urtl^eilSformen  an  bem  einen  unb  onberen  ^un!t 
in  SInfprud)  nefimen,  fonbern  man  ifann  oud;  be^roeifeln,  ob  bie  Äate= 
goriccn  ber  9?atur  ber  Sac^e  nad^  jenen  fo  genau  entfpred;en  muffen 
unb  cutfprcc^en  fönnen,  mie  ^ant  annimmt.  Unfer  ^f)i(ofopf)  felbft 
jebod)  I;egt  gegen  bie  53ünbigfeit  feiner  S^cbuftion  feinen  3^cifct,  unb 
namentUd)  bie  üier  ^auptfategoricen  ber  Quantität,  Dua(itöt,  Stetation 
unb  3)loba[ität  bilbcn  für  üjxi  bei  ben  t)erfd;iebenarttgften  llnterfud;ungen 
ein  ftcf)cnbc§  (Sd;ema. 

S)amit  aber  jmei  fo  unglci(^artige  SSermögen,  rote  ©iunlid^feit  unb 
SSerftanb,  cercinigt,  baö  aiJannigfaltige  ber  2lnfd;auung  unter  bie  6in= 
f)eit  bc§  SScgriff»  sufammengcfajit  mcrbe,  muf,  sroifdjen  beibe  ein  S5inbe' 
güeb  in  bie  Wlitte  treten:  e§  mn^  eine  ©eifte§t()ätig!eit  geben,  roeld^r 
fi(^  cincrfeit§  auf  bic  ©inn(id;feit  be^ic^t,  unb  meiere  anbererfeit§  bie- 
fclbe  fä()ig  mad;t,  üom  53cgriff  umfaßt  unb  bcftimmt  ju  merben,  esi 
mufi  eine  SSorfteüung  geben,  meld;e  sugtcid;  bie  finnlidjen  Srnfd^ouungcn 
5ur  Gintjeit  üerfnüpft,  unb  ben  ^'erftanb  an  ber  3SieI^eit  be§  ©inn 
li(ä^cn  tf)citnef)men  lä^t,  ^cne  @eiftc§t()ätig!cit  ift  nun  bic  probuftioe  ©in 
bilbung§f'raft,  biefe  Ssorftetlung  ift  bie  au§  iljr  cntfpringenbe  Slnfd^auung 
ber  3eit.  5Dic  ßinbi[bung§Eraft  ift  nämtid;  baö  S?ermögen,  einen  ®e= 
gcnftanb   aud;  of)ne  beffeti  ©cgenroart  in  ber  2ln)djauung  ror^uftellen. 


Äategorieen.     ©d^cmo.  349 

S)a  nun  aüe  Slnf^auung  finnlid;  ift,  gcf)ört  fie  5ur  6innlid)feit ;  fofern 
[ie  aber  bo(^  nid^t  bIo§,  wie  ber  Sinn,  ©egebene^  aufnimmt,  foubern 
neue  Stufd^auungen  erzeugt,  ift  fie  ein  SSermögen,  bie  ©innlid;feit  felbft-- 
iptig  ju  beftimmen,  fie  ift  nid^t  b(o5  beftimmbar,  fonbern  beftimmenb, 
befigt  nid^t  b(o§  S^eceptiüität,  fonbern  Spontaneität.  211^  2(nfd;auung§^ 
oermögen  ift  fie^ber  ©inn(id;feit,  aU  ein  5>ermögen  fclbfttljätigcr  ßr* 
geuguiig  üon  SSorfteHungcn  ift  fie  bem  S3erftanbe  reriuanbt.  ©ie  ift 
alfo  ba§  gefud^te  3Jiitte(g(ieb  groifc^eii  beiben.  diejenige  a^orftedung 
aber,  burc^  rae((^e  beibe  oerfnüpft  werben,  ift  bie  SSorftcüung  bcr  ^eit. 
Sa  bie  3ßit  bie  opriorifd^e  gorm  be§  inneren  Sinnes  ift,  fällt  alle 
33erfnüpfung  von  SSorftellungcn  unter  bie  ^eitbcftimmung.  S)iefe  33e= 
ftimmung  ift  mitf)in  eine  allgemeine  unb  apriorifd^e,  unb  infofern  ber 
.^'atcgorie  g'eid^artig;  fie  ift  aber  anbererfeitS  and;  ber  ßrfdjeinnng 
g(eid;artig,  roeil  bie  ^dt  in  jeber  empirif djen  SSorftellung  mit  entt)alten 
ift.  Sie  bitbet  baf;er  bie  natür(id;e  ^Vermittlung  für  bie  Inroeubung 
ber  Kategorie  auf  bie  erfd^einung,  ober  roie  ilant  hic^  au§j5ubrüden 
pftegt :  fie  ift  baS  S  d;  e  m  a  ber  reinen  SjerftanbcSbcgriffc.  2lu§  unfercm 
Sierftanb  entfpvingen  bie  Äatcgorieen,  at^  bie  allgemeinen  gormen  ber 
Pjufammenfaffung  eines  gjiannigfattigen.  Gin  foId^cS  ift  un0  nun  juerfi 
in  ber  ^eit,  al§>  ber  üon  aUer  @rfa{)rung  unabfjängigcn  unb  auc^  nidjt 
auf  bie  Öcgenftänbe  ber  äußeren  2lnfd;auung  befc^ränften  gorm  jeber 
Slnfc^auung,  gegeben.  Sie  ift  e§  bafier,  auf  meiere  bie  i?ategorieen  it;rc 
erfte  unb  atigemeinfte  2(nroenbung  finbcn.  igeber  i^ategorie  entfpridu 
eine  beftimmte  3}Zobifit'ation  ber  ^citanfc^auung,  mcldje  fid^  gu  if)r  ä^u-- 
lid)  üerijäft,  mie  auf  bcr  Seite  beS  äußeren  Sinn§  3.  23.  bie  allgemeine 
Slnfc^auung  beS  SreiedS  3U  bem  23egriff  bcSfelben.  ©iefe  2(nfdjaunng 
ift  etmaS  anbereS,  a(S  baS  finn(id;e  23ilb,  raeid^eS  ber  ©eometer  auf  bie 
^afel  geic^net;  benn  ha§>  ki^tcxe  geigt  unS  immer  ein  beftimmteS  S)reied, 
ein  fpi^^',  ftumpf;  ober  red;troinf(ige§,  ein  gieid^feitigeS,  gteid^fd;enteligcS 
ober  ungleid^feitigeS  u.  f.  ro.,  jene  2lnfc^auung  bagegen  enthält  nur  ha5= 
ienige,  roa§>  in  alten  Slrten  üon  ^reieden  g(eid;erroeife  uortommt,  eben- 
DeB^alb  aber  in  feinem  etUgelnen  S)re;ed  für  fid;  bargefteHt  merben 
lann,  nur  bie  allgemeine  9^egel,  nad^  meld^er  bie  ©inbilbungSfraft  vev- 
fä^rt,  menn  fie  bicfe  ?>-igur  entroirft,  nid^t  eine  beftimmte  i^r  entfpre= 
d;enbe  gigur:  fie  ift  nic^t  baS  Sitb,  fonbern  baS  Schema  eines  ©reiedS. 
StnbererfeitS  aber  ift  biefe  allgemeine  2(nfd;auung  beS  S)reiedS,  eben  als 
2lnfd^auung,  oon  bem  23egriff  beSfelben  gu  unterfd^eiben.     S)iefen  bilbet 


350  **nt. 

ber  $!er)'tQuö,  jene  bie  ©inbilbungSfraft.  9iid)t  aiiber»  vex^ait  e§  fid^ 
md)  .j?aut  and)  mit  ber  3eit  a(§  bcm  allgcnteinen  ©d^ema  ber  3?er^ 
ftanbesbcgriffe.  3)er  begriff  ber  @röBe,  bie  .Kategorie  ber  Üuantität, 
ift  Ott  [td;  felbft  eine  unfinnlid^e  5ßorfteIInng;  bie  erfte  finnlid^e  i^or-- 
ftellung,  in  weld^er  biefer  S3egriff  snr  ©arftettung  iommt,  ba§  reine 
©(^ema  ber  ©rö^c,  ift  bie  3at)l;  bie  3at)l  ift  aber  ni^f^tS  anbercg  al§ 
bie  einfieitlic^e  ßufammenfaffung  ber  aufeinanberfolgcnben  9tfte,  burd; 
roetdje  eine  3eitreif)e  erjeugt  wirb.  ^M)vl\d)  entfpridjt  unter  ben  Äate= 
gorieen  ber  Qudiiöt  beni  Segriff  ber  9ftcalität  ba§  ©ein  in  ber  3^5^*/ 
bem  ber  Slegation  ba§  Dticbtfein  in  ber  3eit,  nnb  ben  ©rab  ber  Realität 
bcurtl}ei[en  loir  nad)  ber  ^ntenfüät  ber  in  berfelben  3eit  fic^  er^eugen^ 
ben  ©mpfinbung.  S}o§  ©^cma  ber  (Subftanj  ift  bie  Sel)arrlid;!eit  be0 
9tealen  in  ber  3eit,  ba§  ber  Saufalität  bie  regelwäBige  2lufeinanber= 
folge  ber  ©rfi^einnngen,  ba§  ber  2öed)fehüir!ung  ba§  regelmäßige  3n^ 
gleic^fein  ber  Scftimmungen  t)erfd)iebcner  (grfc^einungcn.  3)a§  @d)ema 
ber  3Jlöglid^!eit  ift  bie  S^orftellung  be§  (£ein§  5U  irgenb  einer  3eit,  ta§> 
ber  2Birfüd;feit  ha^  Safein  in  einer  beftimmten  3eit,  ba§  ber  9^oti)= 
TOcnbigfeit  bag  ®afein  §u  atter  3^'*-  Sitte  biefe  ©^emata  briiden  nur 
bie  2lrt  au§,  wie  mir  ba§  ä)^anigfaltige  ber  3Xnf(^auung  im  inneren 
@inn  gufommenfaffcn ,  um  baburc^  feine  3ufammenfaffuug  im  ^Begriff, 
in  ber  (Sinl)eit  be§  ©elbftbemuBtfein§,  mögli(^  3U  mad^en. 

^uxd)  bie  Slnraenbung  ber  i?ategoriecn  auf  biefeS  «Schema  entftcijen 
bie  allgemeinen  ©rnubfäfee,  meldte  bie  ©efe^e  aller  2?erfnüpfung  ber 
2lnf($auungen  burd;  Segriffe  ausbrüden,  unb  melci^e  bal)er,  —  ba  jebe 
(?rfat)rung  auf  einer  fold^cn  Serfnüpfung  bcrul)t,  —  bie  apriorifd;cn 
Sebinguugen  atter  @rfal)rung  finb.  Qnbem  mir  bie  drfdjeinungen  unter 
ben  Segriff  ber  üuantität  ftetten,  erl)attcn  mir  ben  @runbfa|:  alle  2ln= 
fd^auungen  finb  crtenfiüe  ©rößen;  iubcm  mir  fie  unter  ben  ber  Üua= 
lität  ftetten,  ben  (^runbfa^:  in  atten  ©rfd^einungen  l^at  ba§  Sfleale,  ma^ 
ein  ©egenftanb  ber  ©mpfiubuug  ift,  intenfiue  ©röße,  einen  @rab.  Sie 
^ategorieen  ber  9ielation,  auf  bie  (Segenftänbe  einer  mögiid^cn  (Srfa^ruug 
belogen,  fülireu  im  attgcmeiuen  ju  bem  ©ruubfa|5,  baf3  @rfal)rung  nur 
burc^  bie  ^i^orftcttung  einer  not^mcnbigcn  Scrfnüpfuug  ber  3Bal)rnel)muiu 
gen  möglich  fei;  benn  nur  biefe  notbmeubige  Serfnüpfung  ift  eine  ob; 
jeftiue,  ber  (Glaube  an  ha^  Safeiu  ber  Dbjcftc  ift  balier  burc^  fie  hc-- 
bingt.  3m  bcfonbcren  ergeben  fi($  barau«  bie  breiSäbe:  baB  bei  aücm 
SBed^iel  ber  ßric^einungen   bie  ©ubftanj  bebarrc    unb   ba^  öuantuiu 


Schema.    ®nii.biät-c  bc§  vtiurn  ißerilanbeS.  351 

berfeI6en  fic^  loebcr  ycnnc^rc  urd^  üerminbcre;  baji  alle  ^cräuberuntjcu 
naä)  bem  @efe|e  ber  i^erfnüpfimg  ooii  Urfac^e  uiib  SBirfung  ge[d;ef)eu; 
ha^  ade  ©ubfian^fit,  fofern  fie  al§  räuintid^  coeyiftirenb  waf)rgenomiucn 
toerbcn  tonnen,  in  bunfjöängiger  2Bed)feln)ir!ung  ftefien.  Seftimmen  wir 
enblic^  bie  ©egenftänbe  bcr  ©rfafjrung  uacl)  ben  Äatcgorieen  ber  3JiobaIüät, 
[o  erhalten  w\v  bie  brei  ©runb)ö§e :  roo§  mit  ben  formalen  ^öebingungeu 
ber  ©rfa^rung  überetnfommt ,  ift  möglid;;  wa§  mit  ifiren  materiafen 
Sebingungen  (mit  ber  ©mpfinbung)  jufammcnfiängt,  ift  mirflidj;  ma§ 
mit  bem  Söirtüc^en  nad)  allgemeinen  33ebingungcn  ber  ©rfa^rung  ^n- 
fammen{)ängt,  ift  notf)n)enbig. 

a(u»  biefen  Unterfudjungen  ergiebt  fic^  nun,  raie  kbeutenb  ber 
2lnt^cil  ift,  ber  unferer  eigenen  3:l)ättgfeit  on  allen  unfern  ^'orftellungen 
o§ne  2tn§nal)me  jnfommt.  ©egeben  finb  nn§  nur  bie  ©mpfinbungcn 
aU  ber  ©toff  unferer  ^ßorftetlungnt.  äl'enn  mir  au§  biefem  ©toff  2ln; 
fd;auungen  bilbcn,  unfere  ©mpfinbungen  ju  9?aumgcftalten  unb  3cit= 
reiben  Derfnüpfcn,  fo  gcf)en  mir  über  ha§>  begebene  al^  fold;e§  f)inau§, 
mir  bringen  eS  in  eine  ^orm,  bie  au§  un§>  felbft,  au§  ben  apriorifdjen 
@efe|en  unferer  2tnfd;anung  flammt.  Sßcnn  fid)  un§  bie  ©egenftänbe 
unferer  Stnfdjauung  burd;  allgemein  gültige  Sejiel)ungen,  burd;  einen 
objcftiüen  (Eaufal,5ufammenljang  üerbunben  geigen,  unb  wenn  unä  in 
gotge  beffen  bie  3?aumbilber  ^n  raumerfüffenbcn  S)ingen  au^er  un3 
werben,  unfere  inneren  ^^flänbe  ftd^  jum  ^c^  al§  ilireni  bleibenben 
gemeinfamen  ©ubjeft  sufammcnfaffen,  fo  finb  e^  lebiglic^  unfere  eigenen 
@eiftc§tl)ät!g!eiten,  unfer  ä^erftanb  unb  unfere  ^^l)antafie,  meldje  biefen 
3ufammenl)ang  Ijerftellen:  jener,  inbem  er  bie  g-ormen  erzeugt,  unter 
benen  überliaupt  ein  3)?onnigfaltige§  oon  uu§  in  eine  notl)wcnbige  ^^er- 
binbung  gcbrad;t,  ^nr  ©inljeit  be§  eelbftberou§tfein§  äufammcngefoBt 
mirb;  biefe,  inbem  ]k  bie  Slnfdjauungcn  in  ber  ^eit  fo  orbnet,  ba^  fte 
üon  ben  S?evftanbe§begriffen  umfaßt  werben  fönnen.  ^\t  un§  bofier  and) 
ütter  3SorfteEung§ftoff  gegeben,  fo  flammt  boc^  alle  ä^orftettunggform 
au§  un§  felbft:  maS  Üant  gleid^  beim  ^Beginn  feiner  Unterfud;ung  über 
bie  sraei  Üuellen  unferer  3>orftellungen  bemerft  ^atte,  ba§  ^at  fic^  i^m 
burd;  bie  genaue  ^erglieberung  unfere§  gefammten  a>orftelIuug§üer= 
mögend  beftätigt. 

2Bie  ftel)t  e§  nun  aber  mit  ber  2Ba^rl)eit  ber  3?orfteCungen ,  bie 
mir  auf  biefe  STrt  bilben?  ©egeben  ift  un§  nur  ber  ©toff  berfelben 
in  ber  ©mpfinbung.    2öir  muffen  mm  afferbina^S  annehmen,  ba^  unfern 


352  '^'''n*- 

(iinpfinbungen  ein  oon  un6  felt)fl  oerfd^iebenee  9leale§  entfpred^e.   ^aiit 
flicht  bief3  in  bcr  jiDeiten  Sluffaöc  feiner  ^ritif  b.  r.  SS.  Qegen  ©egcartcS' 
,,pi-ob(entatifrf;en"  nnb  S3erfclctj'§  „bogmatif djen"  iSbcalifmuö  auSbrüdEHc^ 
barjutl^nn,  inbem  er  anSfü^rt :  ba§  enipirifdj  beftimmte  23erouBtfein  un[ere§ 
eißenen  S^afeinS  beroeife  ta§>  STafein  üon  ©egenftänben  aufier  un§,  benn^ 
ber  5cit(id)e  2Bed;fel  unferer  ^uftönbe  fönne  un§  nur  au  einem  ^Bel^arrlic^cn 
gum  53eiuu^tfein  fommcn,  unb  ha  unfcr  SDa[eiu  in  ber  3eit  bie[e§  Se= 
^arrlid^e  fd;on  üovau§)e^e,  fo  fönne  ba§  le^tere  nid;t  etroad  in  un0, 
fonbern  nur  ein  Sing  an^er  un§  fein.    S)ie  Sünbigfeit  biefc§  33eiüeife3 
unterliegt  nun  groar  erijctilid;en  Ginwenbungen;  aber  ba^  bie  ©mpfinbun^ 
gen  nic^t  Uo§>  ßräeugniffe  bcä  rorftelienbeu  ©ubjeftö  feien,  fonbern  fi(^ 
auf  geraiffe  unabhängig  von  unferem  isorfteUen  t)orf)anbene  S)tnge  U- 
sieben,  l)at  ^ant  ftetö  bcljauptet.    6d;on  in  feiner  ignauguralbiffertation 
(§  4.   11)  bemerft  er  gegen   ben  i^bcatifmuS :  unfere  finnlid;en  SSor- 
ftcßuugen  beioeifen  bie  ©egcnraart  ber  Dbjefte,  burd)  bie  fie  {)en)orge= 
rufen  werben ;  ^raei  3af)re  nad)  bcm  erften  ©rfc^cinen  ber  triti!  b.  r.  SS. 
ttuterfd;eibet  er  in  ben  ^rolegomenen  ^)  feine  Slufid^t  uon  bem  3öcalif= 
mu^   bcr   ebeugcuannteu   beiben  ^(lilofopfien,   inbem  er  üerfid^ert:    bie 
@;ciftenä  ber  <Baä)cn  5U   bejiüeifeln,  fei  il^m  niemals  in  ben  ©inn  ge- 
fommen,   fonbern   b(o§  t)on  ber  finnlid;cn  SSorfteffung  ber  Qa^cn  f)abe 
er  gezeigt,  baf,  fie  !eine  ben  ©ad; cn  an  fid;  angef)örigc  Seftimmung  fei; 
unb  a{§>  in  ber  ^^-otgc  gid^te  ben  ^Berfud;  mad)te,  feinem  ©gftem  burd; 
'Sefeitigung  bc§  ®ing§  mvfidj   größere  (gin^eit  ju  geben,  oeriüal;rte  er 
fidj  bagcgen  auf'§  nad)biüdlid;fte,  unb  erflärte,  bie  ^riti!  fei  nic^t  nacb 
bem  S3cd'fd;en   ober  gid;te'id;en  ©tanbpunft,   fonbern  nad;  bem  ^uä)- 
ftabcn  3U  üerfteljcn  ^').    Slber  aud^  in  ber  erften  Sluffage  ber  ilritif,  üon 
ber  man  bet)auptet  f)at,   ba§  S)ing  au  fi^  aU  etroaS  rea(e§,  ber  ®r= 
fd)einung   oU  ©runbe   liegeubeö,  fei  if)r  nod^  fremb  —  aud;  in  biefer 
augeblid^  reineren  i4)arftellung  feinet  ©i;ftem§  fpridjt  er  fic^,  mie  mir 
bie^   nac^   ber    eben    angefüf)rtcn    ßrflärung    ber   ^rolcgomenen   nic^t 
nuberä  erwarten  föuncn,  in  bem  g(eid)cu  ©inn  au§.    @r  fe^t  oorau0, 
bafe  CS  eine  unS  unbefannte  „nic^tfinntid)e  Urfad^e"  unferer  finnlidjcn 
SSorfteUungen ,   ein  „IranfccnbentaleS  Dbielt"  gebe,  roetd^eS  un§  in  ben 


1)  §  13,  aim.  3   Dgl.  a«elap^,  anfaiigögr.   b.  il^aturrcincnfd).   (1786)  2.  $ptft. 
4  Wpri.  ^inm.  2  u.  a.  ^t. 

2)  evftävunci  D.  3    1799;  SO.  SB.  t>.  ^artcnfl.  X,  565. 


StpriottfcfjeS  u.  Smpirifc^e«.     ^Realität  b.  StuBeniücU.  353 

formen  unferer  @innl{d;feit  erf($eine,    baB   „ba§  roo^re  ßorrelatum" 
unferer  Slnfd^auungen  ba§  xin§  unerfennbore  ^^^itig  an  fid^  felbft"   fei 
ha^  e§  bie  Singe  feien,  bie  un§  burd;  unfcre  ^orftellungen  afficiren  ^) ; 
unb  raäfirenb  er  in  ber  ^roeiten  Slu^gabe  ben    reilini3i[d)en   ©ebanfen^ 
,,©eift  nnb  3J^aterie  bürften  in  bem,  iüa§  ifinen  al§  S)ing  an  fi(^  felbft 
gn  ©runbe  liege,  üieüeidjt  ni(^t  fo  ungteic^ortig  fein,"  nur  leidet  ^in= 
wirft  2)^  füfjrt  er  benfclben  in  ber  erften  ^)  nod^  raeit  eingefienber  au§, 
nnb  er  rebet  babei  üon  bem  (2twa§,  ha§  ben  äußeren  @rfrf;einnngen  ^u 
©rnnbe   liege   unb   unfern  ©inn   officire,   oon   ben  un§  unbefannten 
©rünben  ber  äußeren  unb  ber  inneren  ©rfd)einungen,  welche  beibe  an 
fid^   felbft  raeber  SO^aterie  nod;   ein  benfcnbe^  Sßefen  feien,  ntit  fold^er 
S3eftinimt^eit,   er  unterfd^eibet  aud^   t)ier  fd^on  feinen  tranfcenbentalen 
^beaUfniuS  t)on  hevx  „empirifc^en  ^bea(ifmu§"  fo  fd^arf,  baB  fid^  nid;t 
annel^men  (äBt,  er  i^ahe  in  jenem  3eitpunft  ba^  S^afein  t)on  S^ingen, 
tt)e(d;e  burd;  iljre  (gtnrairfung   auf  unfern  @eift  bie  Gmpfinbungen  f)er= 
oorrufen,   geläugnet    ober  bc^roetfett.    ^at   er   bod^    auc^   ta§  ®afetn 
©otteS,  TOie  aügemein  angegeben  wirb,  bamalS  fo  raenig,  a\§  früher 
unb  fpöter,  besroeifelt;   unb  bodj  ftü^t  fic^  fein  beweis  für  baSfelbe 
burc^auS  auf  ha§>  Safein  einer  oon  ung  unabhängigen  9^aturorbnung 
unb  muB  fofort  aufammenfalien ,  luenn  man  mit  gid;te  bie  SluBenraeit 
gu  einem  bioBen  (Sr3eugniB   unfereg  @e(bftbenmBtfein§  mac^t.    S]erfte^t 
man  baf)er  unter  ber  SruBenioelt  ober  bem  Dbjeft  nic^t  raumerfüflenbe 
unb   räumlid)    auBer  un§  befinb(id)e  ©egenftänbe,  fonbern  nur  über= 
^aupt  bie  @efammtf)eit  beffen,  raa§  in  feinem  Safein   üon  unl  t)er= 
fc^ieben,   maS   locber   ein   3:t)ei(   nod;    ein   ©r^eugniB   unferel   eigenen 
2öefen§  ift,  fo  fann  e§  feinem  ^meifel   unter  Hegen,   baB  Äant  ein  Dh-^ 
\ett  in  biefem  ©inn  jeberseit  behauptet  unb  bie  ©inneäempfinbung  üon 
bemfelben  liergeleitet  ^at  *). 

1)  ^ranfc.  Stcft^.  §.  3.  8.  Sranfc.  %mt  2  S.  2.  §ptfl.  3.  2I6f(^n.  9?r.  3,  2. 
2lna(ogie,  SeiueiS.  Zxan]c.  ®iat.  2.  33.  2.  $ptjl.  6.  m\i)n.  <B.  39  f.  50  f.  162  f. 
390  f.   9f{ofenfr. 

2)  Sranfc.  ©ial.  2.  53.  1.  ^ptft.  9.  (S. 

3)  ^n  bem  2(bfcf)nitt  über  bie  ^aratogtlmen  ber  reinen  SJernunft.  ®.  287  f. 
293.  295  f.  298.  303.  5Rofen!r.  55gt.  ma§  ®.  331  angeführt  ift. 

4)  Unb  biefeg  (Srgebniß  ift  fclbftüerftänblid^  bamtt  md)t  umgcfto§cn ,  bag  bei 
Äant  S3efiimmungen  aufgeseigt  werben,  bie  fi4  mit  bemfelben  ftrenggenommen  nic^t 
»ertragen  »ürben.  ©olc^e  S3eftimmungen  finben  fic^  fieilid) ,  unb  ha^  fic^  i^ant  \ia' 
burc^  in  einen  SBiberlpruc^  öernjicfelt,   ift  gteidjfaüä  unüerfcnnbar.    3lber  ein  Ijiftori- 

Silitx  ,  @cfcf)id^te  ber  beutfd^en  «P^ilofo^Jtiie.  93 


354  ^ai't 

216er  biefe^  Db\ett  fann  von  un»  freiüc^  nur  unter  ben  formen 
u  n  f  e  r  e  §  3(nf(^auen§  nnb  ^eufenS  üorgeftellt  werben.  Sßenn  fic^  unfere 
®m;ifinbuntjen  5U  ber  Stnfd^auung  üon  fingen  im  Sf^aunie  unb  ^ox- 
gangen  in  ber  ^eit  uerfnüpfen,  wenn  rair  bie  wedjfefnben  ©rfdjeinungcn 
auf  be^arrlid^e  ©ubftvate  ^urücffüljren ,  wenn  wir  ba§  eine  al§  Ur[ad;e 
baS»  anbere  ol§  Söirfung  betracf;ten,  wenn  wir  irgenb  einen  ^ufcinmien; 
l^ang  unter  ben  S)ingen  annetjuien,  fo  übertragen  wir  bie  Sfnfdjanungen, 
wetd;e  unfere  ©innlidjfeit,  bie  ^Begriffe,  welche  un[er  S)enfen  erzeugt 
I}at,  bie  .Q3cftimmungen,  unter  benen  wir  ba^  ©egeBene  gur  Gin^eit 
unfere§  ©etbftbeiüu^tfeinä  sufammenf äffen,  ouf  bie  S^inge.  2Seld)eS 
9ie(^t  f)aben  wir  nun  p  biefer  llebertragung,  unb  weldje  3ßaf)rf)eit 
fönnen  S^orftellungen  für  fid;  in  äfnfprudj  nehmen,  bie  gwar  ifirem  ©toff 
naä)  uuiS  gegeben,  aber  i§rer  ^orm  nad^  ganj  unb  gar  unfer  eigene^ 
SBerif  finb?  Üönnen  bie  j^^ormen  unfere§  SSorfteHen^  mit  ben  formen 
ber  üorgeftefften  ©egenftänbe  3ufammenfaKen,  fönnen  bie  fubjeftiuen 
S3eftinnnungen  unfereS  ^ewu^tfein§  gugleid)  objeftiüe  33eftiminungen  ber 
S)inge  fein?  Äant  f)ä(t  biefe  3lnna()me  für  fo  un^nlöBig,  ba^  er  e§> 
gar  nid^t  ni)tF)ig  finbet,  i§re  9Jiöglid;feit  einer  genaueren  Unterfud;ung 
§u  unterstellen.  9le^men  wir  unfere  begriffe  vom  Dbjeft  fier,  fagt  er, 
fo  finb  fie  entpirifd^;  '„nef)inen  wir  fie  au§  un§  felbft,  fo  fann  ba§/ 
wa§  b(o§  in  un§  ift,  fein  @runb  fein,  warum  e0  ein  S)ing  geben  foUe, 
bem  fo  etwa§,  ai§>  wir  in  ^ebanfen  ^alnn,  pfomme  ^)."  SBären  unfere 
^eftimmungen  über  9iaum  unb  3eit,  über  llrfad^e  unb  Sßirfung  u.  f.  w. 
empirifdjen  Hrf^rung-S,  fo  fönnten  fie  feine  9Zotf)wenbtgFeit  unb  feine 
ttbfolute  Sldgemeinfieit  fiaben;  finb  fie  anbererfeitS  apriorifd;,  ftammen 
fie  au§  un^  felbft,  fo  fönnen  fie,  wie  J?ant  glaubt,  immer  nur  über 
bie  2(rt  etwa§  au^fagen,  wie-  wir  un§  bie  S)inge  üorjuftellen  genöt^igt 
finb,  aber  ni(^t  über  bie  ©igenfdjaften,  \veid)c  ben  S)ingen  an  \iä)  felbft 
jnfommen.  ^nbem  bafier  i?ant  ben  apriorifd;en  S()arafter  ber  reinen 
3(nfd}auungy=  unb  S)enfformen  nadjgcwiefen  f)at,  glaubt  er  and;  erwiefen 
ju  f)aben,  ba^  unfere  ^^orfteHungen  un§  bie  S)inge  nid;t  fo  geigen,  wie 
fie  an  fic^  finb,  fonbern  nur  fo,  wie  fie  fic^  un^  unter  ben  eigentfiüm^ 


j£^e§  SScrfal^ven  ift  e§  nidjt,  bie[en  S5?ibevfpvud^  babuvd^  ju  fcefeitifleii ,   bap   mon  öon 
ben  tuibcvfpvec^euben  ®ä(jcn  bie  eine  .^älfte  icjUDvivt  ober  iimbcutet. 

1)  Äritif  b.  r.  9}.  1.  %ü\U  Zxa\\\c.  %nal  1.  53.  e(i}ruf^a6frf}mtt  ®.  115. 
SRofenfr.  Sßeiter  togt.  m.  beu  8d)(iif}nbid;nitt  bev  tvanfc.  5(eft^et.  «.  a.  @t.  3.  93. 
@  123  §artenft. 


^fjäuomencu  uiib  9fDumenen.  355 

tid^en  Sebingiiitgen  unfereS  3Sorftellen§,  in  bem  ©piegel  beS  inenf(^= 
tid^en  ©elftes  barftellen;  bo^  ftcf;  m.  a.  SB.  alle  unfere  S^orfteßumjeu 
nur  auf  bie  ©rfdjeinung,  nic^t  auf  "Oa^  ©ing- anlief}/  iiur  auf 
^f)änüinena,  ni^t  auf  9?üumena  be^iefien.  2öir  föuuen  bie  Singe  auBer 
m\§  nur  al§>  raumerfüUenbe  ©egenftänbe,  unb  fotnit  a(§  üörper,  bie 
Hergänge  au§er  uuio  unb  in  un§  nur  aU  ^egeben()eiten  in  ber  ^dt 
an)i^amn;  wiv  fiub  genötfjigt,  uufer  eigene^  S^afein  wie  ha§i  aller  an= 
bereu  Söe[en  uu§  aU  ein  ©ein  in  ber  3eit/  alle»,  n)a§  ift  unb  gcfd)ief)t, 
tfieifS  oI§  gleichzeitig  t^eill  al0  anfeiuanberfoigenb  DorjufteÜcn.  2lber 
wir  föunen  nid;t  kl^aupten,  ba^  bie  Singe  and;  an  fic^  felbft  in  Staunt 
unb  3eit  feien,  ober  baB  unfer  eigene^  Seben  an  ft(^  felbft  eine  3^^*= 
rei^e  bilbe,  benn  9Iouni  unb  ^cit  fiub  nur  bie  gönnen  unferer  @inn= 
lic^feit.  2öa§  ©egenftanb  ber  öuBeren  2(n[d;auung  für  \m§>  fein  foll, 
niu^  freiließ  im  9taum,  raaS  überfiaupt  von  uu§  ange[d;aut  werben 
foII,  mn^  in  ber  3^^^  fei^;  9^aum  unb  ^dt  fiub  in  fofern  bie  nner= 
lä§lid;en  S3cbingungen  ber  ®rfd;einung,  unb  alle  bie  SluSfagen  über 
9taum=  unb  ^eitoertjäüuiffe,  auf  roeldjen  bie  ©eometrie  unb  bie  3Jied;anif 
berufjt,  fiaben  in  ^e^ietinng  auf  bie  ©rfdjeinungcn  iJire  t)oIIfominene 
SBaliri^eit  unb  gelten  von  it)nen  in  au§nal;ni§loj'er  SUIgemeinfieit.  Slber 
fie  gelten  von  if)nen  eben  nur  als  t)on  @rfd;einungen,  nur  loicfern  fie 
t)on  uns  üorgeftettt  werben;  baB  bagegen  bie  Singe,  auf  bie  unl'ere 
Slnfdjauungen  fi(^  be^ielien,  auc^  an  fid;  in  9tauni  unb  ^dt  feien  unb 
Don  einem  an  bie  33ebingungen  beS  menfd;lidjen  2ln[djauung§uermi3gen§ 
nic^t  gebuubenen  ©eifte  gleidjfallS  unter  biefen  formen  üorgcftefft  werben 
müßten,  lä^t  fid;  ni(^t  annelimen.  9iaum  unb  ^di  t)aben  bemnadj, 
wie  Äant  fi»^  auSbrüdt,  5war  empirifd^e  9lealität;  fragen  wir  bagegen 
nad;  ifirem  tran[cenbenta(en  ßl)aralter,  na<3i)  il^rem  IXrfprung  unb  il)rer 
unOebingten,  oon  hm  formen  unfereS  33orfteHenS  unabl)ängigen  ©eltung, 
fo  muffen  wir  il)re  ^bealität,  wir  muffen  in  ^e^ieliung  auf  fie  ein 
©pftem  beS  tranfcenbentaten  ^i^eaüfmuS  beliaupten.  SaS  g(ei(|e  gilt 
aber  auc^  von  unfern  Segriffen,  unfern  Senfformen.  2Sir  finb  allere 
bingS  genötl)igt,  un§  bie  Singe  in  einem  notljwenbigen  3iifömmenl)ang, 
in  ben  S}erl)ältniffen  t)on  ©ubftanj  unb  2lcciben§,  Xlrfadje  unb  3öirf= 
ung  u.  f.  w.  ju  beulen,  unb  weil  biefe  S3eftimmungen  aus  ber  9iatnr 
unfereS  S}erftanbc§  mit  Sftotliwenbi gleit  ^eroorgel^en,  ift  eS  unmögli(|, 
ha^  uns  etwas  als  ©egenftaub  unferer  5?orftettung  gegeben  werbe,  baS 
ni($t  unter  fie  fiele:   fie  finb  bie  apriorift^en  unb  beBl)al6  bnrd^auS 

23* 


356  tant. 

allgemehten  Sebmgimgcn  jeber  ©vfatirung;  fofern  e§  fi(^  bal)er  um  bie 
S)mge  a(§  ©cgenftäube  ber  ®rfaf)rung,  um  bie  @rfcf)einungen  fianbelt, 
f)aBen  fie  objeftiue  ©ültigfeit,  benu  uur  burd;  fie  fanu  etroa§  übertjaupt 
Dbjeft  für  un§  roeiben.  2lber  abgefef)en  üou  biefer  ^ebingung  fönneu 
wir  fie  nid^t  auraenben,  uub  auf  ba»  3lnficf;  ber  S)inge,  ober  bie  5Dinge; 
ou=fic^,  aul  i^nen  nid^t  fd^lie^en.  S)enn  einmal  finb  aud;  fie  gerabe  fo 
gut,  üi§>  bie  reinen  2lnfd)auuugen,  blo^e  formen  uuferc»  3>orfteI{en§ ; 
uub  fobanu  fe^en  biefe  g^ormcn,  raenn  mir  fie  auf  ©egeuftänbe  an- 
mcubeu  unb  eine  reale  ©rlenntuiB  bur(^  fie  geroiuneu  motten,  irgeub 
einen  ^n^att  oorau»,  ber  in  fie  gefaxt  mirb;  ein  ^n^ait  fann  un§ 
aber  nur  burd^  bie  Stufc^auung  geben  mcrben,  unb  jebe  Slufdjauung  ift, 
bei  uu§  3)]enfc^cn  an  9kum  unb  Qdt,  an  bie  ^^^ormen  unferer  ©inn= 
lic^feit,  gebunben,  einer  unfinnlidjeu,  tntellcftuetteu  2ln[d;auuug  finb  mir 
ttid;t  fät)ig.  kleine  einzige  t)on  ben  ^atcgorieen  unfere§  5Denfen§  brüdt 
etroaö  anbereS  all  bie  2lrt  au§,  mie  mir  in  unfcrem  SSovftellen  bie  ©r= 
fdjeinungen,  bai3  un§  in  Staum  unb  3^^^  gegebene,  üeil'nüpfen,  il)re 
gan^e  ^ebeutung  gel)t  barin  auf,  ba^  fie  ^cbingungen  ber  ©ifalirung 
finb;  il)re  Geltung  ift  bal)er  auf  bal  ©ebiet  ber  für  un§  möglidjen 
©rfoljrung  befd^ränft;  fobalb  mir  bagcgen  biefel  ©ebiet  überfdjreiten 
unb  burdl)  fie  über  bie  intcffigible  2ßelt  unb  ba§  unfinnlidje  SBefeu  ber 
2)inge  etmal  ausmachen  motten,  finb  fie  leer  unb  nid;tig,  uub  mir  ge^ 
ratlien  in  atte  jene  äöiberfprüdje,  meldte  fi(^  gar  uid)t  ocrmeibcn  laffen, 
menn  man  bie  „Slmpliibolie  ber  9tef(cyion§begriffe"  überfielet,  ba§,  maS 
üon  ben  ©egenftänben  einer  möglichen  (Srfa^rung  gilt,  auf  atte  @cgen- 
ftänbe  überljaupt  au§bel)nt,  unb  bie  ^Bebingungen  unferel  Sorftetteul 
mit  S3eftimmungcn  ber  Singe  üermed^felt.  3Bir  fönnen  immer  uur 
miffcn,  mie  bie  2)iuge  unl  -erf  (feinen,  nie  unb  in  feiner  i^e§iel)ung 
mie  fie  an  fid;  finb.  3)er  ^Begriff  be§  ©ing^'-an^fid;  i^at  baljer  feinerlei 
pofitiuen  ^nt)alt:  er  ift  ein  bloS  problcmatifd;er  ober  ©reujbegriff,  er 
be^eic^net  nid;tg  meiter,  all  ba§  Unbefannte,  ha§i  X,  meldiel  ben  (Sr= 
fd^einungen  ^u  ^ruube  liegt,  oon  beffen  S3efd;affenl)eit  mir  aber  fd;lcde= 
terbingS  nid^tS  miffen  fönnen. 

■Run  ift  e§  aber  gerabe  biefeS  Unbefannte  unb  llnerfenubare,  mit 
bem  atte  3)ietapl)ijfif  fid;  bcfd^äftigt.  ^nbem  bal)er  Jlant  unfer  ©rfennen 
auf  bie  ©rfaljrung  befd;ränft,  erflärt  er  bie  33ietapl)i)fif  für  unmögltd). 
SDie  S3ered)tigung  biefeS  llrt^eiB  im  einzelnen  nad;,utmcifcn,  ben  meta^ 
plnjfifdien  (Sdjein  burd^  eine  forgfäftige  ^-Prüfung  ber  Seljrfä^e  unb  ber 


^^änotnenen  «nb  9?oitmcnen.    S5ernunftcv!enntntj3.  357 

SBeroeife  auf^iilöfen ,  bie  ©riinbe  be§i'e(Iicn  auf3U5eigen,  et)enbamit  aber 
and)  bie  5Ridjtigfeit  ber  bi^fierigen  Unterüidjung  mitteldni'  311  IJeftätigen 
«nb  i^re  ßrgebniffe  einer  burd^greifenben  9^edjnung§probe  p  unterwerfen, 
ift  bie  2lnfgabe  ber  tranfcenbentalen  S^ialettif. 

3.  ^ortfc^uuß;  b)   bie  Uumöglid^fcit  einc§  SßiffcnS,  hicIt^cS  ühn  bie 

©rfatjrung  f)iuauygcl)t. 

Ten  ©egeuftanb  alfer  3)Zetapf)t)fif'  bifbet  im  affgemeinen  ba§>  XLn- 
bebingte.  S^a§  ©eifteSuermögen,  mcl($e§  ben  33egriff  be§  Unbebingten 
erzeugt,  ift  bie  S5ernnnft.  2Senn  nnfer  ^erftanb  bie  3lnfdjauungen  jnr 
@in!)eit  be^  Scgrip  jnfammenfa^t,  fo  fu^t  nnfere  5>ernunft  bie  Se= 
griffe  felbft  auf  eine  pljere  Gin^eit  jurüdjufütircn.  S)ie  ©igeutfiüm'- 
lidjfe't  ber  SSernunft/ raorin  btefe§  Seftreben  begrünbet  ift,  fprid;t  fid; 
fdjon  in  i§rcm  Iogifd;en  (Bebraud;  au§.  dtad)  bieder  Seite  l)in  ift 
näm(i(^  bie  3?crnuuft  nid;t§  anbcre§,  al§  ba§  ®d;(u^t)ermögen.  ^'^ber 
©djfuB  beftc()t  aber  in  ber  ©ubfumtion  eine§  33ebingten  unter  feine 
S3ebingung.  ^\t  un§  itun  Riebet  bie  ^ebingung  gegeben,  fo  fönnen 
wir  in  ber  Stbfeitung  be§  Sebingten  au»  berfelben  in'§  uncnbtidje  fort- 
get)en,  ot)ne  ba^  mir  bie  91eit)e  be§  Slbjuleitenben  jemals  üollenbet  §u 
fe^en  genött)igt  mären ;  benn  ba§  S)afein  unb  ber  93egriff  be§  53ebingen= 
ben  ift  üon  bem  be§  Scbingten  unabtiängig.  ^ft  un§  bagegen  ein  ^e= 
bingteS  gegeben,  beffen  33ebingungcn  ermittelt  werben  foUen,  fo  entftet)t 
bie  ^orberung,  bie  gange  9tei§e  biefer  ^ebingungen  §u  fud;en;  benn 
ba  bo§  Scbingte  ba§  Grjeugni^  afler  feiner  einanber  über=  unb  untere 
gcorbneten  53ebingungen  ift,  fo  ift  e§  crft  bann  üoUftänbig  erfannt, 
menn  bie  Totalität  feiner  53ebingungen  erfannt  ift;  unb  biefe  t)at  nic!§t§ 
metjr  au^er  fid;,  von  bem  fie  felbft  bcbiugt  märe,  fie  ift  al§  Totalität 
not{)meubig  ein  HnbebingteS.  StlleS  Stuffudjen  ber  Sebingungert  fei^t 
mit()in  ben  S3egriff,  ober  wie  i?ant  (jur  Unterfd^eibung  ber  3Sernunft= 
begriffe  t)on  ben  ^BerftanbcSbegriffen)  lieber  fagt,  bie  ;^bee  be§  Unbe- 
bingten, bie  ^hce  ber  ßinfieit  aller  Sebingungen  oorau§.  S}orau§  folgt 
jcbod),  wie  unfer  ^f)ilofopl;  glaubt,  burd;aug  nid;t,  bafj  mir  biefe  S^ee 
nun  oud;  in  einer  pofitiuen  SSorftellung  üottgieljen  fönnen,  ha^  un§ 
irgenb  eine  erleniitnifs  be«  Unbebingten  mi3glid;  ift.  S)a  mir  üielmc^r 
nur  ba§jentge  3U  erfennen  üermögen,  mouon  un§  eine  2lnfd;auung  ge= 
geben  ift,  unfere  2(nfd;auung  aber,  wie  oben  gegeigt  mürbe,  uuio  immer 


358  iiaiit. 

nur  ©rfdjcinunoen,  immer  nur  ein  93ebingtc§  liefert,  fo  liegt  am  ^age, 
boB  bal  llnbebiugte  niemals  ©egenftanb  unfere§  ©rfennenS  fein  fann. 
S)ie  ;3bee  beSfelben  foU  nnl  raol^t  in  unferer  SSerftanbe§tf)ätig!eit  leiten, 
fie  foll  un§  antreiben,  uon  jebem  ^Bebingten  gu  feinen  ^ebingnngen, 
unb  von  allen  niebrigeren  53ebingungen  ju  ben  {)ö^eren  fort^ugefien, 
aber  fie  barf  tin§  nie  gu  ber  3}ieinung  üerfül;ren,  al§  ob  wir  in  biefem 
Fortgang  bei  einem  testen  angekommen  feien,  als  ob  wir  bie  9teif)e  ber 
33ebingungen  uoKftänbig  burd^Iaufen,  eine  mirflidje  3}orfteIInng  üon  bem 
IXnbebingten  gemonnen  l^ätten:  biefe  ^bce  fann  unb  foII  für  un§  (mie 
^ant  fid;  auS^ubrücfen  pflegt)  nur  ein  regufatioeS,  fein  conftitutioeS 
^rincip  fein.  2tber  gerabe  für  bo§  (entere  lf)alten  mir  fie  nnmillfn^rlid^. 
@ine  natürliche  unb  unt)ermeiblicl;e  5läufcl;ung  üerleitet  nnS,  ba§  Hnbe^ 
bingte,  welches  nn§  aufgegeben  ift,  fo  3U  be^anbeln,  als  ob  e§  uns 
gegeben  wäre,  bie  ©ebanfenbeftimmungen,  wetclie  fic!^  nur  auf  bie 
GrfcIjcinungSroelt  bejicljen,  auf  bie  überfinnliclje  äöelt  anjuraenben,  bie 
53egriffe,  meiere  nur  bie  formen  einer  möglicl;en  ©rfalirung  fiub,  auf 
baS,  maS  über  alle  ßrfalirung  ^inauSliegt,  bie  SluSfagen,  n)eld;e  nur 
t)om  ^ebingten  gelten,  auf  baS  Unbebingte  3U  übertragen.  SluS  biefem 
„trauScenbentatcn  ©djein"  ift  bie  SJietap^yfif  als  reine  3>ernunftn}iffenfd)aft 
entfprungcn;  bie  ^crftörung  beSfelbeu  liegt  ber  j?ritif  ber  reinen  ^ev- 
nnnft  ob. 

Skalier  fiub  eS  brei  ^been,  um  bie  eS  fi(^  ^ier  fianbelt :  bie  pfyi^o; 
logifdje,  bie  fofmologifd;e  unb  bie  ll)eotogifd;e.  Sie  erfte  enthält  bie 
abfolute  Ginljeit  beS  benfenben  ©ubjeftS,  bie  smcite  bie  abfolute  (Sinl)eit 
ber  Sebiiigungen  ber  ©rfdjeinung,  bie  britte  bie  abfolute  Ginlieit  ber 
S3ebingung  aüeS  S)enfenS  überhaupt,  ^ebe  tion  i^nen  l)at  einer  oon 
ben  brei  metap^i)fifd;en  Sßiffenfdjaften,  ber  rationalen  ^^fij(^ologie,  ^of^ 
mologie  unb  Zi)coloQk  (f.  0.  ©.  178),  gur  ©runblagc  gebient;  bajg 
jeber  il)rerfeitS  eine  beftimmte  @d;luBform  gu  ©runbe  liege,  auS  ber  fie 
burd;  Siermet^Slung  beS  logifdjen  33crnunftgebraud}S  mit  bem  traufccns 
bentalen  cutftanbeu  fei,  ber  erften  bie  beS  fatcgorifd;en,  ber  äraeitcn  bie 
bcS  f)i)potl)cti]djen,  ber  britteu  bie  beS  bisjunftioen  ©d;luffcS,  ift  eine 
$8et)auptung,  bie  jmar  mit  frül)er  angcfüljrtem  (©.  357)  übereinftinuut, 
bie  aber  an  \iä)  felbft  fd;ief  ift  unb  and;  oou  5?ünt  nur  gcäioungen  unb 
erfünftelt  burd;gefüt)rt  wirb. 

S^ic  rationale  ^fi)d)ologie  fudjt  auS  bem  33cgriff  bcS  ^DenfeuS 
bie    aKgemciueu    ßigenfdjafton   jebeS   benfenben  SBefenS   ju  beftimmen. 


®a§  lUibebingte,  bie  ^been.    2)ie  ^i^c^otogie.  359 

®a§  S)enfen  ift  3u[ammcnfaffung  eine§  ©egeBencn  pr  einfieit  be§ 
©e(bftbeii)uBtfe{n§ ,  atteS  S^enfen  fetjt  alg.Subjeft  be§  S^eu!a!tc§  ba§ 
benfenbe  ^ä)  üorau»,  unb  wirb  üon  bemfelben  mit  feinem  ©elbftbeiouBt; 
fein,  mit  bei-  33orfteaimg :  „i^  benfe",  begleitet.  S)iefe§  ©uBjeft  ift 
ferner  immer  ein  einzelnes  nnb  infofern  ein  (ogifdi  einfadje»  ©nbieft, 
benn  gerabe  in  ber  ®inf)eit  be§  Selbfiberanfetfein^  beftetjt  ja  ha§>  S)enfen ; 
unb  an§  bemfelben  ©runbe  erfdjeint  e§  fid;  felbft  in  allen  feinen  3:enf= 
a!ten  aU  ©in  nnb  ba^felbe,  e§  f)at  ba§  ^emuBtfein  feiner  ^bentität. 
ßbenbamit  nnterfc^eibet  e§  fic^  enblid;  t)on  allen  anbcrn  S)ingen.  SDie 
rationale  ^fijd;ologie  nimmt  nun  biefe  Seftimmungen,  meldje  in  2Ba|r= 
{)eit  nur  bie  togifdje  gorm  be§  S^enfafteS  barftellen,  für  2lu§fagen  über 
bie  Statur  be§  benfenben  @eifte§.  2lu§  bem  ©ubjeft  ber  Senfalte  mad)t 
fie  ein  für  fid;  befte^enbeS  benfenbeS  Söefen,  eine  benfenbe  ©ubfian^, 
au§  ber  logifd^en  ßinfadjlicit  jene§  Subjefta  eine  mctap^ijfif($e  ßinfad): 
{)eit  biefer  ©nbftanj,  burd;  meldte  fie  t)on  allem  ^ufammengefe^ten  il)rer 
3^atur  nad;  üerfdjteben  fein  fotl;  raeit  ba§  ^d;  in  allen  feinen  S.^or= 
ftellungen  fic^  ol§  ba^felbe  erfd;eint,  nimmt  fie  an,  bie  benfenbe  Sub- 
ftanj  fei  and^  an  fic^  felbft  immer  biefetbe,  fie  legt  ifir  eine  fid;  gleid;= 
bleibenbe  ^erfönlic^feit  bei;  fie  ertlärt  fomit  ba§  benfenbe  SSefen  für 
ein  unförperlidjeg,  unocrgänglid;e§,  geiftige§  3Befen;  meil  enblid;  ba§ 
^6)  fid)  als  benfenb  uon  allen  anbern  2:ingen  unterfdjeibet,  fo  glaubt 
fie,  e§  fönne  aud;  ol)ne  fie  ej:iftiren,  unb  ergeljt  fid;  in  ben  oerfd^ieben- 
artigften  ^Ifieoricen  über  \)a§:  3>erl)ältniB,  in  bem  e§  aU  ©eele  3U  feinem 
Selbe  ftel)e.  ^ant  finbet  in  allen  biefen  ©djlüffen  ben  ^aralogifmuS, 
ba^  baSjenige,  ma§>  nur  üon  bem  S!:enfen  ober  bem  benfenben  ^ä)  gelte, 
auf  ba§  ^ä)  fd;fed)t^in  übertragen,  'aa^  bie  (ginfad;l)cit  ber  SSorftellung 
beg  i^d)  mit  ber  ©infadjljeit  feinet  2öefen§  perroedpfelt  werbe;  unb  er 
greift  üon  l)ier  auS  aud;  9JienbeR-fol}n'S  33eraei!5  für  bie  Unfterblidjfeit 
(oben  ©.  283)  an,  inbcm  er  bemerft:  'jdh^t  menn  man  bie  @infad;l)eit 
ber  ©eele  jugeben  mollte,  müBte  man  il)r  bod^  immer  nod;  eine  intenfire 
©rö^e,  einen  beftimmten  @rab  ber  3iealttät  beilegen,  buvd;  beffen  aU- 
mäl)lid;e  2lbnal)me  fie  am  (Bn'oc  üeruid;tct  werben  fönnte. 

2Bie  ber  ^fiji^ologie  ber  Segriff  be§  benfenben  SöefenS  ju  @runbe 
liegt,  fo  ift  bie  @runblage  ber  ^ofmologie  ber  ^Begriff  ber  2Selt. 
S)ie  Söelt  ift  ha§>  ©anje  ber  ©rfdjeinungen.  S^ie  SSernunft  nötl)igt  un§, 
nad)  iljrcn  Sebingungen  3U  fragen,  unb  "oie  9ieil)e  biefer  Sebingungen 
üotlenbet  3U  fe|en  (ogl.  ©.  357  f.).    So  erhalten  wir  (nad;  bem  ®d;ema 


360  Äant. 

bei'  üier  .^oiiptfotegorleen)  bie  ^bee  einer  aBfoIuten  SSoHftänbigfeit  bcr 
^ebingungen,  unter  benen  bal  ©ange  aller  ©rfd;einun(jen  i)infid;t(i(i^ 
feiner  ^iifa^^weiifßpns  /  f^iiiß^  ^^eilung,  feiner  ßntftel^ung  nnb  ber 
2l6f)ängigfeit  feinet  S)afein§  fte^t.  Sin  bie  nn§  gegebenen  3<^i^'  it^^^ 
DkumgröBen  fnüpft  ftd^  bie  SSorftettung  aller  Siönme  unb  feilen;  an 
ba§  un§  im  Staunte  gegebene  9teale,  ober  bie  3)?aterie,  bie  S>orfteHung 
aller  ber  %f)C\le,  au§>  benen  c§>  befteljt;  an  bie  nn§  gegebenen  Söirhingen 
bie  SSorfteHung  ber  fömmtlid;en  fie  bebingenben  Urfai^cn;  an  ba§  nn§ 
gegebene  ^^tfällige  bie  ^orfteüung  be§  ^Rotljwenbigen,  oon  bem  e§  ah- 
{)ängt.  2l(Iein  biefe  35orftelInngen  finb  famwit  nnb  fonberS  mit  einer 
t)er{)ängni§üot(en  ^i^^^^cutigfeit  ,^be|aftet.  Söenn  wir  t)on  bem  llnbe= 
bingten  reben,  fo  fönnen  wir  entweber  an  etwa§:  ©in^elnc^  benfen, 
welc^e§  Don  feinem  anbern  bebingt  ift,  wä^renb  alle§  anbere  üon  ilim 
abklängt,  ober  an  eine  3Jief)rf)eit  ^ufammengeljöriger  S)inge,  bie  in  il;rcr 
©efammtfieit  üon  nidjt§  au^er  il)uen  tiegenbem  abhängen,  oon  benen 
aber  jebeg  einjelne  wieber  burd)  anbere^  ©in^elne^  bebingt  ift;  ent  = 
web  er  an  ba§  erfte  ©lieb  in  ber  dleilje  ber  $8ebingungen,  ober  an 
bie^e  3fteif)e  aU  ©anjeS.  ^n  jenem  %a{l  er{;alten  mir  bie  SSorftellung 
eineg  3lnfang§  ber  2)inge  in  ber  3^it  unb  im  9^aume,  eine§  liteinften, 
au§  bem  alle§  anbere  gufammengefe^t  ift,  einer  lXr[ad;e,  bie  t)on  feiner 
anbercn  abf)ängig  ift,  fonbern  frei  fid;  fetbft  beftimmt,  eine§  SBefenS, 
ha§>  ber  ©riinb  allcö  ßwfädigen,  unb  fomit  felbft  fdjled;tf)in  notf)wenbig 
ift;  in  bie  fem  bie  ^orftellung  einer  SBelt  of)ne  QeiU  unb  Sflanmgrenje, 
einer  unenb(id;en  3:f)ei(barfeit  ber  SKaterie,  einer  in'^  unenbHd;e  jurüd^ 
get)enben  Steige  von  9iatururfadjen,  einer  2lb[;ängigfeit  aUcr  SBefen  ron 
anbern,  weld;e  bie  2tnaf)me  eineä  fd;led;tf;in  notljwenbigeu  2Sefeu§  au^^ 
f(^(ieJ3t.  SBeber  bie  eine  noc^  bie  anbere  üou  biefen  SorftelIung§reit)en 
lä^t  fid;  wirtiid;  üolljielen,  weil  jebe  oon  beiben  ju  iljrer  SSolIäieljbarfeit 
eine  2lnfd)auung  be§  Unbebingten  erforbern  würbe,  weld)c^  bodj  über 
jebe  Slnfdjauung  l)inau!§licgt.  ®benbe^wegen  fann  aber  jcbe  üon  bei= 
ben  bie  Unmöglidjt'cit  ber  anbern  ebcufo  unwiberlcglid;  bartliim,  wie 
biefe  bie  il)rige;  glaubt  man  ba^er  einmal  überl)aupt,  man  löitne  über 
ba§  Unbcbiugte  etwa»  auSfagcn  ,  fo  laffen  fid;  beibe  2lnnal)men  wenig; 
ften-3  auf  inbircftem  SBege,  burd)  Söiberlegung  ber  entgegengefe|3ten,  mit 
gleid;  ftarl'en  ©rünben  beweifen.  S)ie  3.^ernunft  tterwidelt  fid;  fomit 
^ier  unoermeiblii^  in  Stntinomieen ,  in  einen  SSibevfprud;  mit  fid; 
felbft,  bcr  nur  bann  aufl;ört,  un»  gu  beuurul;igen,  wenn  wir  einfel)cn, 


Äofmologifd^e  SCntinomteen.  361 

ha^  bie  gon^e  grage  falfi^  gcftelft  ift,  boB  ein  'Renten,  beffen  Äategorieen 
nur  owf  bo§  Sebiitgte  aniüenbBar  [inb,  über  ba§>  Itnbebittgte  roeber  naä) 
ber  einen  nod^  na^  ber  anberen  «Seite  l^in  etwa^  be!)Qupten  fann,  TOenn 
e§  nid^t  in  unouflö^bare  6d;roierigfeiten  geratfien  will. 

Äant  TOeift  bie^  an  ben  obenbc3eirf;neten  fünften  bei  notieren  m^. 
Sie  erfte  t)on  feinen  vier  berüEimten  3üttinomieen  fudjt  ju  geigen,  baB 
man  ber  2Be{t  einen  Slnfang  in  ber  ^eit  unb  ©renjen  im  Sfiaume  mit 
gleichem  die^t  3u)d;reiben  unb  obi>red;en  fönne.  Sie  muB  einen  3lu= 
fang  tjaben,  fagt  er,  benn  mcnn  fie  feinen  §ätte,  fo  märe  bis  ju  jebem 
^eitpunft  eine  uncnbiicfje  Steige  aufeinonberfolgcnber  3uftänbe  abge. 
laufen;  bie§  ift  aber  unmöglich,  benn  eine  uuenb(id;e  9iei^e  fann  nie 
üoUenbet  fein.  2(u§  bem  gleichen  ©runb  mu^  fie  aud^  eine  9kum= 
grenje  fiaben,  benn  wenn  fie  räumlid;  unbegrenzt  wäre,  raürbe  man  bei 
ber  S:urdj5ä{)(ung  oEer  coeyiftirenben  Singe  glcic^fattl  ben  Sßiberfprud^ 
einer  üoKenbeten  unenblid;cn  dlcii)e  erfialten.  (£ie  fann  aber  anbcrer^ 
feit§  feinen  Sliifang  fjahen,  benn  btefem  Slnfang  müfetc  eine  leere  ^eit 
t)orau§gcgangen  fein,  in  einer  leeren  3eit  fönnte  aber  fein  ©runb  ber 
©ntfteliung  eines  S)ing§  liegen;  unb  fie  fann  feine  Skumgren^e  ^aben, 
benn  in  biefem  gott  mü§te  fie  burd)  ben  leeren  9{aum  begrenst  fein, 
alfo  äu  etiöal,  wa§  gar  fein  ©egenftaub  ift,  in  einem  beftimmten  'ikv- 
l)ä(tniB  ftefien.  2le^n(id;  uerplt  e§  fid;,  mie  bie  ^meite  Slntiuomie 
geigt,  mit  ber  grage  nad;  ber  Sljeilbarfeit  ber  ^liatcrie.  ^enn  bie  ^u- 
fammengefe^ten  ©ubftanjen  nid^t  au§  einfad;en  2l)ei(en  befteljen,  bie 
felbft  ntd^t  weiter  tljcilbar  finb,  fo  mürbe  nad^  ber  2lufl)ebung  aller 
3ufammenfe|uug  gor  nidjtl  me^r  übrig  bleiben,  au§  bem  e§  befteljen 
fönnte.  ©efet  man  anbererfeits,  fie  befteljen  an§  einfadjen  ^l)ei(en,  fo 
müßten  biefe  einen  9kum  einnehmen,  wenn  etmaS  au§gebcl)ntc§  au§ 
ifinen  merbcn  foll;  nelimen  fie  aber  einen  9kum  ein,  fo  finb  fie  nidjt 
einfac^.  @cl)en  mir  weiter  mit  ber  brüten  Slntinomie  gu  ber  Untere 
fud^ung  über  grei^eit  unb  9lotf)roenbigfeit  fort,  fo  fte^t  ber  ^liefe,  ba^ 
§ur  ßrflärung  ber  ©rf^einungen  neben  ber  9kturnotbmenbigfeit  and) 
^reifieit  angenommen  werben  muffe,  bie  Slntit^efe  gegenüber:  e§  gebe 
feine  grei^eit,  fonbern  alle§  ge[d;el)e  lebiglid)  nad;  9]atiirgefe6en.  Sie 
Xliefe  wirb  t)on  J^ant  burd;  ben  @a^  bewiefen:  nad^  D^aturgefet^cn  muffe 
jebeS  @efdjel)eu  au§  einem  früljeren  erfiävt  werben;  wäre  balier  bie 
ßaufalität  nad;  9]aturgefet^en  bie  einzige,  göbe  e§  neben  ilir  nid^t  eine 
abjolute  ©pontaneität,  bie  eine  9tei^e  üon  9catururfad;en  von  felbft  an= 


362  ^ant. 

fattge,  fo  fätne  man  nie  gn  einem  erften  Slnfang,  alfo  and;  nie  gn  einer 
an§veid;enben  ©rfiävnng  be§  S?ernrjad;ten.  S)ie  Stntitl)efe  huxä)  bie 
S3einerfnng :  eine  freie  (Sanfolität  wäre  eine  foli^e,  beren  X^ätigfeit  au§> 
i^ren  früljeren  ^iiftönben  anf  feine  9Beife  folgte;  eine  foldje  ßanfalität 
n)ürbe  aber  mit  bem  ßanfafgefe^  ftreiten  nnb  bie  ßint^eit  ber  ®rfal)vnng 
nnmöglic^  mad^en,  fie  fönne  alfo  auä)  in  feiner  @rfaf)rnng-  angetroffen 
werben,  ©benfo  tritt  enblid;  in  ber  vierten  STntinomie  bem  ©at^e, 
bafe  bie  SBelt  ein  fd)Ied;tt)in  not^raenbiges  SBefen,  fei  e§  al§>  i^rcn 
%i)üi  ober  aU  ifire  llrfad;e,  üorau3fe|e,  bie  53ef)anptnng  entgegen,  e§ 
eyiftire  überall  fein  fd)led;tt)in  notl)roenbige§  SBefen,  weber  in  ber  äßelt 
no(^  an^er  bcrfelben.  ®ie  Stliefi^  ftüt^t  fic^  anf  ben  ©runbfatj,  ba|3 
jebeg  33cbingte  bie  ganje  9fteil)e  feiner  ^ebingnngen  ln§  §n  einem  fd}led;t= 
f)in  Unbebtngten  üoran^fet^e,  \x>d^e§>  ben  Slnfang  biefer  Sleilie  Inlbe; 
bie  Slntitl^efiS  anf  bie  ©rraägnng:  man  föitne  meber  ein  einzelnes  nn^ 
bebingt  not^menbigejo  SBefen  an  ben  2lnfang  ber  Sßeltentraidlung  fteüen, 
nod)  bie  9ieil)e  berfelben  anfang§lo§  fe|en  nnb  tro^  ber  ^ufädigfeit  nnb 
93ebingtl)eit  aller  il^rer  einzelnen  S:§eile  ha^  ©an^e  berfelben  für  fd)(ed)t; 
f)in  not^menbig  nnb  nnbebingt  Italien :  jeneg  nid;t,  weil  ba§  erfte  ©lieb 
in  ber  SfJeilie  ber  tlvfad;en  mit  in  bie  ^^it  fi<^tC/  wnb  balier,  wie  alle 
ßrfdjetnungen  in  ber  ^ext,  etumS  bebingteS  fein  mü^tc;  bicfcS  nidjt, 
weil  ba§  S)a^ein  einer  SJienge  nid)t  notl)n)enbig  fein  fönne,  wenn  eö 
fein  einziger  üon  il)ren  Sl)eilen  ift. 

®a§  @nbergebni§  ift  ba^er  bei  allen  üier  Slntinomieen  ha§>  gletd;e : 
bie  llnmöglidjfeit  einer  Slntmort  anf  bie  gvage  nac^  bem  Unbebingten, 
auf  meldjeä  bie  un»  gegebenen  @rfd;einnngen  ^nrüd^nfn^ren  finb.  ®od; 
finbet,  wie  lant  glaubt,  in  biefer  33e5iel)uug  ein  bemerfen§roertl)er 
Hnterfdjieb  ftatt.  S)ie  gmei  erften  Slntinouiieen,  meldje  Rani  bie  matl)c= 
matifdjen  nennt,  begießen  fi(^  auf  ein  llnbebingtcS,  meldjeg  bem  ^c= 
bingtcn,  gn  bem  e§  gefuc^t  wirb,  gleidjartig  ift ;  fie  fragen,  ob  ein  erfter 
3eit|ninft,  ein  äu^erfter  9knm,  untt;eilbare  ^^eile,  ober  eine  nnenblidjc 
3eitrcil)e,  eine  uncubtidje  ^iaumgcöBe,  eine  uncublid;e  9)ienge  non  Steilen 
an5unel)men  feien.  §ier  entl)ält  bie  gvage  felbft  ben  SBtberfprnd;,  baf?  ein 
UnbebingteS  gefud^t  luirb,  metd^eö  5ugleid^  bie  (Sigeufd;aften  eines  ^e= 
bingten  ^abcn,  unter  ben  allgemeinen  23ebingnngen  ber  ßrfd;einnng 
ftel)cn  foll;  ftöfjt  man  bei  il)rer  53eantioortung  auf  2lutinomicen,  fo  be- 
meift  bie^  fdj(ed;t^in,  bafe  ber  ©egenftanb,  uadj  bem  gefragt  wirb,  un= 
möglid)  ift.    ^n  ber  brüten  nnb  uiertcn  Slntinomie  bagcgcn,  bie  ^ant 


^ofmologifd^e  Süitinomiecn.  363 

al§  bi)naTni[d;e  bejeidjuet,  fjonbelt  e§  fi(^  itni  fotdje  ©üinbe  ber  ©r-- 
fd;einungen,  roelc^e  bie[eu  ni(^t  gleidjarttcf  ju  fein  brauchen,  ni(^t  blo§ 
finnltc^er,  fonbern  oiic§  intelligibicr  3RQtur  fein  fönnen.  §ier  ift  bie 
9}^ögUc^feit  nid)t  an^gefc^toffen ,  ba^  bag  Xlnbebingte,  lueldjeS  in  bcv 
9ieif)c  be§  ^Bcbingten  nirgenb§  ju  finben  ift,  au^er  berfclben,  aU  t^re 
intelligib(e  Urfadje,  t)orf)anben  fei.  S3ei  ben  nmtfieinatifdjcn  Stntinoinieen 
lie§  fic^  ber  ©treit  nur  mit  einem  ^Öeber;9io(^  fd;lid)ten,  e§  (icB  fi(^ 
bei  i^nen  nur  facjen,  bie  3Be(t  fei  meber  begrenzt  nod;  unbcgrenst  u.  f.  m., 
benn  atte  biefe  Scftimmungen  be5ie^en  fic^  auf  9iaum=  unb  3eityer!)ä(t= 
niffe,  unb  fomit  auf  etma§  ni(^t  bie  9ße(t  al^  foId;e,  fonbern  nur  unfere 
SSorftedung  t)on  if)r  betreffenbeS ;  f)ier  finb  bafjer  2:f)efi§  unb  2lntitf)cfi§ 
gleid)  fa(fd;.  S3ei  ben  bi)namifd;en  bagegen  ift  e§  benfbar,  baf]  beibe 
g(eid)  fef)r  matir  feien,  aber  in  «erfi^iebencr  S3e3ief)ung:  bie  eine  fofern 
nac^  ber  Sefd)affeuf)eit  ber  @rfd;einung§melt,  bie  anbere,  fofern  nad) 
ben  unfinnlidjen  ^ebingungen  berfelben  gefragt  wirb.  S)ie  @älje:  ba§ 
aUe^,  was  gefdjieljt,  al§  (Srfdjcinung  betradjtct,  an  anbern  ßrfdjeinungen 
feine  Urfac^e  fiabe,  unb  baj3  biefe  natürlidicn  lXrfad;cn  felbft  bie  9Birfun= 
gen  einer  ni(^tempirif(^en,  unb  batier  nidjt  tintcr  9Jaturgefe|3en  fte^enben 
©aufaütät  feien;  ba^  e§>  in  ber  9teif)e  ber  ©rfc^einungen  fein  llnbebing- 
te§,  fd)Iedjtf)in  9iotf)menbige§  gebe,  aber  bie  gau^e  dielte  t)ou  einem 
unbebingt  nott)iüenbigen  2öefen  al§>  i^rer  intelligibehi  ^ebingung  ah- 
f)änge  —  biefe  6ä^e  fd;(ie|3cn  fid)  nidit  au§>.  SBeun  fid^  basier  für  bie 
2lnnat)me  einer  freien  IXrfadje  unb  einer  ©ottfjeit  anbenueitige  ©rünbe 
geigen  foHten,  fo  bürften  m\§  bie  Slntinomieen,  in  meldje  bie  3]ernunft 
mit  biefen  Gegriffen  gcratf)en  ift,  in  bem  ©fauben  an  biefetbcn  nid;t  irre 
ma(^en;  unb  töir  werben  wirfiii^  fo(d;en  ©rüiiben  bei  üant  nod;  be= 
gegneu.  Stber  im  ^ereid;  ber  fpefulatiüen  S^^ernunft  föunen  fie  feiner 
2lnfi(^t  na($  nic^t  liegen,  ©en  notieren  DfcadjweiS  Ijiefür  giebt,  ben 
©ottcSbegriff  betreffenb,  bie  Äritif  ber  natürlidjcn  ^^eologte. 

Sßar  bie  il'ofmologie  üon  ber  @efammtf)eit  ber  ©rfdjeinungcn  auS^- 
gegangen,  fo  gel^t  bie  Sl^eologie  at§  metapl)v)fifdje  SÖiffenfdjaft  üom 
begriff  be§  ©eienben  überhaupt  au§,  um  c§>  auf  feinen  letzten  ©runb 
3urüdjufüt)reu.  i^ebeS  Sing,  fagt  Äant,  ift  ein  burd^gängig  beftimmteS, 
e§  muB  it)m  |ebe§  von  allen  möglid;en  ^röbifaten  cnttoeber  beigelegt 
ober  abgefprodjen  werben.  igebeS  S)ing  fe^t  mitljin  bie  i^bee  üon  bem 
Inbegriff  aO'er  3Jiöglid)t'eit  uoran§.  S)iefe  9Jtöglid;leit  ber  S)inge  be= 
trachtet  bie  Stjeologie  aU  abgeleitet  von  einer  i^r  ju  ©runbe  tiegenben 


364 


Äant. 


^,ten  9^eo(ität,  imb  fie  erptt  fo  bie  ^bee  eme§  2öe[cn§,  ba§  alle 
S^ealität  in  firf;  t)creintgt,  be§  allerrealftcn  9Be[en§  ober  bet  ©ott^eit. 
2iaein  wenn  au^  alleg,  waS  ©egenftanb  unfere§  ®enfen§  fein  foll,  ben 
Inbegriff  aller  empirifc^en  9tealität  al§  SScbingnng  feiner  SOtöglic^feit 
üoranSfe^t,  fo  bürfen  wir  boc^  btefen  nic^t  in  einen  S^^tiegiiff  atfer 
Stealität  liberljanpt,  nnb  ben  te|3teren  bann  wieber  in  ein  ©in^elwefen, 
ein  allerrealfteg  Söefen,  uerwanbeln.  ©den  bieB  t^int  aber  bie  rationale 
S:^eologie,  nnb  baranf  beruht  bie  @rfd)Iei(^iing,  weldje  Rani  ben  brei 
fpefniatiüen  S^eweifen  für  ba§  ©afein  @otte§,  bem  ontologifdjcn,  fof= 
moIogifd)en  nnb  p^i)fifot()eoIogifcf)en,  in  feiner  berühmten  J?riti!  berfelben 
nac^juiüeifen  fid;  bemüf)t.  ®ie  (eitenben  @eban!en  biefer  J?riti!  t)at  er 
grö^tentfjeilS  anc^  fd}on  weit  früf)er  anggefprodjen  (ogl.  @.  334f.);  aber 
wäfirenb  er  baina(§  nod;  bie  nngenügenben  ^ewei^füljrnngcn  feiner 
SSorgängcr  fcinerfeit^  burd)  eine  beffere  erfe^en  p  tonnen  glaubte,  Ijat 
er  je^t  auf  biefen  Stnfprud;  yer.3id;tet,  nnb  er  erflärt  bemnad;  jebe  folc^e 
SeroeiSfüfirung  überljaupt  für  uumöglid^. 

S^er  ontotogifd)e  S3ewei§  fdjlie^t  au§  bem  ^Begriff  @ottc§,  al§ 
be§  aUeruealften  ober  atlerüonionitnenften  2öefen§,  auf  fein  ©afein  (ugl. 
©.  204 ).  ilant  weift  i^m  nad;,  baB  er  eine  2lu§fage  über  bie  9lcalität 
eines  Begriffs  mit  einer  StuSfage  über  feinen  ^ntialt  t)erwed;f[e,  wäf)renb 
boc^  jene  not^wenbig  ein  fijntf)etifd)er,  biefc  ein  analijtifdjer  ©at^  fei, 
unb  ber  ^n^alt  unferer  33egriffe  gan^  bcr  gleidje  bleibe,  ob  i{)uen  nun 
in  ber  2öirfad)!eit  etwas  entfprid)t  ober  nid;t;  er  erüärt  eS  für  hiixä)'- 
ans  t)er!ebrt,  „anS  einer  wiüfübrlid)  entworfenen  i^bee  ba§  ©afein  beS 
\i)x  entfprcdienben  ©egenftanbeS  auSflauben  ju  woaen."  ©en  gleichen 
%e't)kx  begebt  aber,  wie  er  glaubt,  and;  ber  fofmologifcbe  53ewciS, 
wenn  er  oon  unferem  eigenen  ©afciti,  ober  überhaupt  von  bem  ©afein 
eines  Zufälligen,  auf  baS  ©afein  eines  abfo(utnott)wcubigen  SöefenS 
fd)UeBt,  unb  bann  ju  jeigen  fudjt,  baf3  biefeS  baS  atterrealfte  2Befen 
fein  muffe;  benn  and;  er  fc^t  üorauS,  baJ3  ber  S3egriff  bcS  abfolutnotf); 
wcnbigen  unb  ber  beS  allerrcalften  äöefenS  2ßed)j elbegriffe  feien,  ^n-- 
beffen  ift  biefer  Einwurf  nid;t  feljr  ftid)l;altig ;  benn  ber  %c\)kx  bcS 
ontologifdien  ScweifeS  lag  uid)t  barin,  bafj  er  baS  atterrealfte  SÖefen 
§uglei(^  als  baS  abfolutuotl)wenbige  bcbanbclt,  fonbern  bavin,  bafs  er 
aus  unferem  S3egriff  dou  biefem  Sßefen  auf  fein  ©afein  gefdjloffen, 
unb  fomit  gerabe  bie^auptfadjc,  bie  Söa^rbeit  jeucS  33egriffS,  bie 
Uebereinftimmung   beSfelben   mit  ber  äöirt'lidjf'eit,  uubewiefcn   üorauS= 


58etücife  f.  b.  3)afein  ©otteS,  365 

gefegt  ^atte.  2(u(^  in  Äant§  weiteren  ©inraenbungen:  ba^  ber  ©d)(u§ 
üom  Zufälligen  ouf  eine  Urfad^e  be^felfien  nur  in  ber  ©inncntuelt  gelte, 
baB  TOir  ni(^t  ba§  3^ed}t  fiaBen,  eng  ber  Unmög(i(^fcit  einer  nncnblic^en 
$Reit)e  t)on  Urfac^en  auf  eine  erfte  Urfatfje  ju  fd^liefeen,  haf^  mit  ber 
2luff)c{)ung  jeber  Sebingung  in  ber  3^ec  beg  IXnbcbingten  ber  Segriff 
ber  ?Jotf)iuenbigfeit  fclbft  aufge{)oben  würbe,  ba^  qu§  ber  (ogifi^en 
2)lög(i(^feit  eine§  Inbegriffs  oller  9lea(ität  feine  reale  SRöglidjfeit  nod^ 
nic^t  folge,  —  aud)  in  biefen  S3enierf'ungen  ift  n)al)re§  unb  falfdjeS  ge- 
mifdjt,  fo  richtig  e§  aud;  im  übrigen  ift,  bafe  ba§  fofmologifd^e  Slrgiu 
ment  nid;t  au§reid;t,  um  ha^,  u)a§  mit  bemfelben  beraiefen  mcrben 
foflte,  eine  auBcrroeltlidjc  perfönli($e  Urfac^e  ber  3Selt,  bar^ut^un.  9)iit 
me^r  Örunb  l)ätt  Äant  bem  pl;i)fitott)eologiid;en  SemeiS,  ben  er 
übrigens  als  ben  ad;tungSn)ertt)cftcn  unb  ein(eud)tenbften  von  atten  be= 
geidinet,  entgegen:  fein  Sdjlufj  üon  ber  ^roedmäBigen  Einrichtung  ber 
2Selt  auf  eine  n)ettf<$öpferi)c^e  ^ntclligcnj  get)e  tf)eilS  ron  ber  Slnalogie 
mit  menfd;li($en  i^'unftraerfen  au§,  bie  aber  nur  gu  einem  SSeltbilbner, 
nidjt  3U  einem  2Beltfd)öpfer  füf;ren  würbe;  tbei(vH|kn  mir  ni(^t  he- 
rcd;tigt,  au§  ber  befdjränften  ©rö^e,  ^ollfommenlieit  unb  (Sinl^eit  ber 
SBelt,  von  ber  mir  burd;  unfere  Grfa(;rung  allein  wiffen,  eine  abfolute 
5iJiad;t,  2BeiSl)eit  unb  (£inl)eit  ii)xe§>  llrt)eber§  abzuleiten,  deiner  üon 
biefen  ^öemeifen  leiftet  batier,  raaS  er  foH:  bie  ^bee  ber  ©ottfieit  ift 
nid^t  ein  Segriff,  beffen  2öirflid;feit  unfere  Vernunft  bartl)un  fann, 
fonbcrn  ein  ^beat,  baS  fie  fid^  bilbet,  baS  aber  über  aUe^  ^inauSgel)t, 
rvü§>  in  ber  ©rfatirung  gegeben  ober  au§  i^r  erfdjtoffen  werben  fann. 
^iefe  Sbee  eignet  fid;  bal)er  nid)t  baju,  etwas  auS  \\)x  abzuleiten, 
benn  baju  ift  fie  felbft  üiel  3U  unfidjer,  fonbern  nur  basu,  baS  ©egebene 
rerfuc^Sweife  auf  fie  gu  begleiten:  fie  geftattet,  wie  alle  Sernunftibeen, 
nur  einen  l)t)potl)etifd)en ,  feinen  apobiftifc^en  ßJebraud^,  ift  nur  ein 
regulatiüeS,  fein  conftitutiues  ^rincip.  2öir  foCen  bie  SSelt  fo  anfe^en, 
als  ob  fie  baS  SSerl  einer  pc^ften  Vernunft  wäre,  unb  wir  follen  von 
biefem  ©efti^tSpunft  aus  eine  fijftcmatifdje  Sertnüpfung  alles  ©cgebenen 
5U  gewinnen  fudjen,  inbem  wir  ebenfo  auf  bie  3)iannigfalti gleit  ber 
(£rfd;einungen,  wie  auf  bie  @inl)eit  beS  3Beltgan3en  unb  bie  Serwanbt^ 
fd)aft  alles  6einS  adjten;  ober  wir  fotten  nid^t  glauben,  baS  S)afein 
jener  l)öd)ften  Vernunft  crweifen,  üon  bem  SBefen  bcrfelben  unS  einen 
Segviff  bilben  unb  ouS  biefem  Segriff  über  bk  Scfdjaffenl^eit  ber  S)inge 
etwas  folgern  gn  lönnen.    @S  muB  freilid^  etwas  oon  ber  ^Mt  untere 


366  Äant. 

fdf;'ebene§  geben,  ma§>  ben  ©runb  ber  9Be(torbnmig  enthält;  bemi  bie 
2Belt  ift  eine  ©unime  von  ©rfdjeinnncjon ,  unb  eine  fo(d;e  mnB  immer 
if)ren  tranfcenbentafen,  nur  bem  reinen  SSerftanb  benfbaren  @runb  fiaben. 
aiber  wie  biefer  Urgrnnb  ber  SBelteinfieit  bcfrfjQffen  fei,  fönnen  wir 
nii^t  lüijfen:  bie  ^bee  beSfelden  bient  nn§  nicljt  jnr  ÄenntniB  eineg 
^öd;ften  2Be[en§,  fonbern  nur  3ur  ^etrac^tnncj  ber  SÖelt. 

2lu§  allen  biefen  Unterfuc^ungen  ergtebt  ftd;  mitljin  baefelbe:  bie 
abfotute  Uumögtic^feit  eines  2öi[[en§,  wM)e§>  über  ha§!  ©ebiet  ber  @r= 
fal^rung  f)inau»fit^rte,  ber  noüftänbige  nnb  notljroenbige  Sanfrott  ber 
fpefuiatiüen  ä^ernunft,  fobatb  biefe  über  ba§  Heberfinn(id)e  nnb  Unbe-- 
bingte  ct\m§>  auSfagen  mill.  äöir  tragen  af[erbi)ig§  bie  formen  ber 
2(nid;aunng  unb  be§  3^enfen§  t)on  §aufe  au§  in  un§;  aber  eine§t^eil§ 
finb  bie^  bloBe  formen,  benen  ibr  ^nl^alt  nur  burd^  bie  ©rfafirung 
gegeben  werben  fann,  unb  onbernt^eiB  fann  un§  in  biefen  formen,  an 
hk  loir  in  allem  unferem  ^sorftellen  gebunben  finb,  ba§  SInfid)  ber 
3)inge  nie  gum  53eiüuBtfein  fommen.  Me§^  apriorifdje  SSiffen  ift  baf)er 
auf  bie  ^eftimmyjig  ber  S3ebingnngen  befc^ränft,  unter  benen  un§  eine 
(£rfa|rung  mög(id)  ift;  unb  fo  wenig  un§  bie  ßrfalfirung  über  etwaS^ 
anbereS  unterrid;ten  fann,  al§  über  ©rfdjeinungen,  fo  wenig  fönnen  wir 
unabfiängig  von  ber  ©rfaf^rung  etma§  anberS  erfennen,  a\§>  bie  ?^ormen 
ber  ©rfd;einung.  Söenn  bie  Äritif  b.  r.  SS.  bie  2)tögnd)feit  einer  reinen 
^Jiatijematif,  einer  reinen  9caturwiffenf($aft  unb  einer  9J^etap^i)fif  unter= 
fndjcn  wollte,  fo  ift  bie  ber  beiben  crften  ^u^ugeben,  bie  ber  leisten,  in 
hem  bisherigen  ©inn  beS  SöorteS,  ju  verneinen  ^). 

(SoHen  wir  eS  aber  barum  aufgeben,  nad;  bem  lleberfinnlid^en  gu 
fragen?  f ollen  wir  uns  mit  unferem  ^ntereffe  unb  unferem  S)enfcn  auf 
bie  ®rfd;einungSweU  befdjränfen?  Äant  ift  nidjt  biefer  3}ieinnng.  äl^aS 
ber  fpcfniattuen  SSernunft  üerfagt  ift,  baS  ift  ber  praftifd;en  mögüd;; 
bie  Pforte  ber  überfinnüdjen  SÖelt,  bereu  ©d;lüffel  unfer  ©enfen  um= 
fonft  fudjt,  öffnet  fid^  unferem  fittüd;en  Sßiflen.  S}aS  pofitioe  @egen- 
ftüd  p  ben  ^Verneinungen,  mit  we(d;en  bie  J?ritif  ber  reinen  Vernunft 
abfdjüef^t,  bringt  bie  Äritif  ber  praftifdjen  3scrnnnft. 


1)  Äaiit  feifcft  »erfangt  jmar  and)  eine  2)?etap'^prif  f  o^^^^  ^^  bevf^e'^t  bovnntcv 
ctira^  anbcveg,  aU  bie  biStjeiicic,  näntlic^  iijdls  bie  Mriti!  ber  reinen  SJernnuft,  tljcilS 
bie  SD?etap^5fif  ber  diatnx  unb  bie  iOietaptj^fif  ber  bitten;  togt.  ©.  340  f. 


!J)er  !atfgpi-iid}e  ^inpaatiü.  367 

4.    ^ic  prnfttfc^e  SBcnmuft  miD  ha§  Sittengefel?  ^). 

©(^on  im^  bi§J)erigen  ^at  e§  fic^  ocjeigt,  ba§  i?ant  ben  iuenfd;ü($ert 
©eift  unb  bie  ©efefee  feiner  ^fiätigfcit  al§  ben  einzigen  eigentUdjen 
©egenftonb  ber  ^f)i[o[opf)ie  betrachtet.  ®iefe  Söiffenfc^aft  fott  e§  ja 
nur  mit  bem  3U  ti)un  fiaben,  lua^  ficTj  unabljängig  üon  ber  ©rfa^rung 
ernennen  tä^t.  ©in  foli^eS  fann  aber,  wie  Äant  glaubt,  nie  ba§  Dbjeft, 
fonbern  immer  nur  ba§  (Subjeft,  nur  ber  3)^enfd;  fein;  benn  über  bie 
S3efc!^affenl^eit  ber  S^inge  vermag  un§,  fo  meit  mir  überfiaupt  etma§>  von 
i^r  miffen,  nur  bie  ©rfa^rung  gu  unterridjten.  ©ofern  nun  ber  3}?enfc^ 
in  feinem  ©rfenneu  betrai^tet  mirb,  bcfdfjränft  fid;  aile?,  mal  fic^  a  priori 
über  ifm  au^fagen  löf3t,  auf  bie  fubjeftiüen  S3ebingungen  ber  @rfa!)rung, 
auf  bie  geftftellung  ber  2lnf(^auung§=  unb  ^^enfformen.  2öa§  ung  aber 
in  biefen  formen  gegeben  mirb,  ift  immer  ein  bebingte»,  eine  ßrfc^einung. 
S)a0  Unbebingte  fann  m\§>  überfiaupt  ni($t  gegeben,  fonbern  nur 
aufgegeben  merben;  unb  aufgegeben  mirb  el  nid)t  unferem  S)enfcn, 
fonbern  unferem  SßiUen.  3^em  S:enfen  muB  fein  ^nljalt  burd^  bie 
2(nfc^anung  geliefert  merben,  alle  2tnfd;auung  aber  ift  finniid^e,  auf 
(Srfc^einung  be5ügüd;e;  ba§  UnOebingte,  ma§  hinter  ber  ©rfdjeinung 
liegt,  fann  baf)er  nie  oon  un§  gebälgt  merben.  2Senn  c§  vielmehr  über= 
t)aupt  eine  @eifte§t§ätigfeit  giebt,  burd;  bie  mir  un§  feiner  gu  bemöc^ti= 
gen  uermijgen,  fo  mirb  biefj  nur  eine  folc^e  fein  fönnen,  in  ber  mir 
un§  nic§t  a(§  ©innenmefen  üeri^alten,  unb  nidjt  üon  einem  begebenen 
bcftimmt  merben,  fonbern  aul  unferem  unfinn(id;en  Söefen  ^eraug  \m§> 
felbft  beftimmen.  ©ine  apriorifdje  ^eftimmung  über  ba§,  \m§>  ift,  über 
ta^  Dbjeft,  ift  xtn§  unmögtid^;  möglich  ift  un§  eine  fold^e  ^eftimmung 
nur  f)infid)t(id;  beffen,  maS^  fein  foll,  unfercr  felbft  al§>  f)anbe(nben 
©ubjeftg.  ®a§  3Sermi3gen  btefer  intettigibeln  ©elbftbeftimmuug  ift  nun 
ber  freie  Söitte,  unb  bie  Settjätigung  be§  freien  SßiüenS  ift  bie  @itt:= 
Iid;feit.  9^ur  in  unferem  freien  2Öollen  unb  unferem  fittlid;en  |)anbeln 
liegt  für  un§  bie  Sürgfdjoft,  ba^  mir  einer  pliereu  9Be(t  augeijören; 
auf  fie  muB  fid;  alle§  grünben,  wa§>  mir  über  biefe  SBeft  auS^ufagen 
im  ©taube  finb. 

SSon  unferer  SBitteuSfreifieit  felbft  aber  unb  uon  ber  33Zöglidjfeit, 
fittlid)  ju  Ijanbeln,  unterrid;tet  un0  ha^  ©ittengefeij  in  unferem  Innern. 


1)  S)te  §aupt)d)nft  hierüber   ift  bie  fiiitit  b.  pvaft.  «evmmft  (1788)  ncbft  ber 
©runblegiing  jur  9)?dapt)^iit  ber  ©itten  (1785). 


368  fiant. 

S)ie  ftttli(^e  2lttforberung  ift  in  allen  ?Wcn[($en  al§>  ein  aHgeinein  gülttgeg 
©efe^  ber  33enmnft.  ©iefeS  ®e[e^  ift  nic^t  ein  fold^eei,  ha§>  \x^  aU 
9Murge[e^  won  felbft  ooHsie^t,  fonbern  ein  foIdje§,  ba§  üon  nn§  oott-- 
gogen  fein  will,  ein  ©offen,  ein  Qmperatiy.  ©§  grünbet  fid^  ferner 
nid)t  b[o§  baranf,  ba§  bie  ^anblung^raeife,  bie  e§  üon  nn§  »erlangt, 
a(^  ein  Wittd  für  irgcnb  lueli^e  anberiueittge  ^^ecfe  nötljig  fei ;  fonbern 
e§  !6clf)anptet,  fie  fei  an  nnb  für  fid)  notf)n)enbig,  e§  miü  ol^ne  jebe 
loeitere  Sebingnng  rein  bnrd^  fid)  felBft  gelten,  e§  ift  ein  unbebingteg 
Süllen,  ein  fategorif(^er  ^mp  erat  in.  (S§  lann  ebenbe^ljalb  fein 
materialeS,  fonbern  nnr  ein  formale^  @efe§  fein,  b.  l).  ber  53eftimnuing§= 
grnnb  eines  2Bit[en§,  ber  il)m  entfpredjeu  foll,  barf  nid^t  in  beu  ©egen* 
ftäuben  liegen,  auf  n)eld;e  nnfer  ^anbeln  fic^  begielit,  fonbern  nur  in 
ber  Unbebingtlieit  ber  fittlid^en  Slnforberung  als  fold;er,  in  ber  gefe^- 
gebcnben  gorm  beS  ©ittengefetjeS.  ®enn  ber  ©egenftanb  unferS  |)anbeln§ 
fann  uns  immer  nnr  empirifd;  gegeben  fein,  bie  ©eltung  beS  Sitten^ 
gefc^eS  bagegen  ift  unabljängig  uon  empirifc^en  33cbingungen ;  ber  @fr=. 
gcnftanb  beftimmt  unfern  9Biftcn  burc^  bie  33orftellung  ber  Suft  ober 
Unluft,  bie  mir  oon  i^m  ermarten,  unb  biefe  ift  bei  oerfdjiebenen  ^er; 
fönen  fel)r  oerfc^icben,  ba§  ©ittengefe^  bagegen  üerlangt  von  allen  ba§= 
feibe;  bie  materialen  praftifdjen  ^srincipien  mad)en  bie  ©elbftliebe  unb 
bie  ©lüdfeligfeit,  ba§  ©ittenge[e^  mod)t  bie  ^pflidjt  jum  entfdjeibenben 
53eroeggvunb.  tann  aber  bie  3}(atcrie  beS  ©ittengefe^eS  nid;t  bcn  ^e- 
ftimmungSgrunb  beS  SSillenS  abgeben,  fo  bleibt  als  foldjer  nur  feine 
gefc^gebenbc  ^orm  übrig:  eS  mlrb  üon  uns  geforbert,  baf3  mir  unS  in 
unferem  ^anbeln  tebiglii^  burd;  bie  allgemein  uerbinbenbe  ilraft  beS 
©ittengefe^eS  bcftimmen  laffen.  S)aS  ©runbgefe^  ber  reinen  praftifdjen 
SSernunft  mirb  bal)er  von  Äant  in  bem  Bai^  auSgebrüdt:  „.§anble  fo, 
baB  bie  3Jiaj:ime  (ber  53emeggrunb)  beineS  SöiKenS  jeber^eit  gugleic^  als 
^rincip  einer  allgemeinen  @efe|gebung  gelten  fönne/'  Sir  follen  uns 
bei  allen  unfern  ^anblungen  bie  ?^rage  »orlegen,  mie  eS  raöre,  menn 
alle  5IRenfdjen  benfelben  ©runbfäljcn  folgten  mie  mir :  nur  maS  bie  ^robe 
ber  Slllgemetii gültigfeit  auSljält,  mirb  ben  aUgemeiuen  ©efet5en  unfereS 
SBefenS  gemä§  fein. 

Qft  aber  baS  ©ittengefe|  ein  allgemeines,  fo  muffen  auc^  alle  im 
(Staube  fein,  biefem  ©efet^  5U  entfprcdjcn,  ber  Söille  barf  oon  feiner 
natürlid;en  (Saufalität  abljängig,  er  muy  frei  fein.  ®aS  ©itteugefe^ 
ücrtangt  oon  uuS,  baf^  mir  uuS  nidjt  burd;  irgcnb  mcldje  unS  empirifd^ 


.S)a§  ©ittengejetj.    Sie  SBiKenSfret^ctt.  369 

gegeBene  SlntricBe  Beftimmen  laffen,  fonbern  unoB{)ängtg  t)on  allem 
©cgeBenen  un§  felbft  beftimmen:  ^eteronotnte  ift  ber  ß^arafter  be§ 
finnlid^en  93ege{)ren§,  Slutonomie  ber  be§  fittlid^en  SBoIIen^.  %xiü  bie[e 
2(nforbening  aU  ein  iinbebingt  gebietenbe^  58ernunftgefc^  an  un§,  fo 
fe^t  bieB  voran§,  ba§  nnfer  2BilIe  bem  3^fi"9  53er  ??aturgefe^e  m6)t 
nnterliege,  ba^  er  ba§  33ermögen  einer  bnrd^auS  unaBf)ängigen  (SeII)ft= 
beftimmnng  befi^e,  ba^  er  frei  fei:  bie  Unbebingtfieit  beS  ©ittengefe^e^ 
ift  ber  S3en)ei§  unb  bie  33ürgfd^aft  unferer  SBillenSfreil^eit;  ober  raie 
6d;iner  e§  auSbrücft:   „bn  fannft,  benn  bu  foUft." 

Slnf  bie  tlnbebingtt)eit  be§  ©ittcTigefe^e§  grünbet  fid^  aud^  .ftant'S 
S3eftimmnng  über  bie  ^Beroeggrünbe  unfereS  ^anbe(n§,  bie  mora(i|($en 
SCriebfebern.  2luf  eine  9^eignng  gnr  ^f(id;terfü(Iung  ift  bei  bem  9Jten= 
fd^en,  wie  er  glaubt,  nid^t  gu  red^nen,  weil  er  eben  nid;t  Uo§>  ein  vex= 
nünfttge§,  fonbern  ein  finnlid^^oernnnftigeS  äBefen  ift;  ein  fo(d^e§  SBefen 
foftet  bie  ftrenge  ^ftic^terfülfung  immer  ein  gcmiffeg  Opfer,  e§  mu^ 
fid^  burd;  'einen  freien  ©elbftsraang  ju  ii)v  nötl^igen.  ©ine  ^f(id)ter= 
füllung  au§  bloßer  Steigung  l^ätte  aber  ou^  feinen  fittlic^en  Söert^; 
benn  unfere  Steigung  ju  einem  ©egenftanbe  grünbet  fid;  auf  ba§  3Ser= 
gnügen,  ha§>  er  m\§>  geroäfirt,  raa§  roir  baf)er  au§  3^eigung  t|un,  ba§ 
t{)un  mir  um  unferer  felbft,  nid^t  um  unferer  ^ftid^t  millen.  S)em 
©ittengefe^  gegenüber  §iemt  un§  nur  ©in  ©efü^t :  ha§>  ber  2(d^tung  oor 
feiner  aJiajeftät ;  unb  in  biefem  ©efü^l  allein  liegt  aud^  bie  rid;tige  fitt; 
(id^e  S:riebfeber.  @ine  ^anblung  ift  fittltd;,  menn  fic  au^  ber  Std^tung 
oor  bem  ©ittengefe^  f)eroorget)t ;  mogegen  in  jebem  anberen  %a\i  gwar 
oieHeid^t  @efe|mä§ig!cit  ber  ^anbtung,  aber  nic^t  ©efelmä^igfeit  ber 
©efinnung,  gmar  Scgalität,  aber  nid)t  9}Zoralität,  möglich  ift. 

^ier  ertieben  fic^  nun  aber  üerfc^iebene  ©d^raierigfeiten.  ®ie  erfte 
berfelben,  meldte  Äant  fd)on  in  ber  ^riti!  b.  r.  3S.  unter  ben  fofmotogi- 
fd^en  2lntinomieen  befprod^en  l^at,  betrifft  ba§  SSert)ältniB  ber  grei^eit 
5ur  9^aturnot^iüenbigfeit.  6ofern  unfere  |)anblungen  unter  ben  moraIi= 
fd^en  @efid;t§punft  falten,  muffen  fie  frei  fein;  fofern  fie  ©rfd^einungen 
in  ber  3eit  finb,  muffen  fie  bem  @efe|,  ba^  jebe  @rfd;einung  in  anbern 
®rfd;einungen  i^re  auSreic^enbe  Urfad^e  ^abe  unb  fid;  au^  i^nen  er= 
tlärcn  iaffe,  unterliegen,  fie  muffen  burd^  ben  Sf^aturäufammeuliang 
bebingt  fein,  ^ant  glaubt  in  feiner  Unterfd^eibung  ber  ^l)änomenen 
unb  9^oumenen  ba§  glittet  ju  befi^en,  um  biefe  ©d^wierigfeit  §u 
löfen  unb  ben  betben  fid^  fd)einbar  miberftreitenben  Slnforberungen  ge= 

3  eil  er,  ®efd)iJ)te  bev  öeutid^en  ^IJfjilofcnj^ie.  04 


370  Äant. 

xeö)t  311  werben.  2ltte  unfere  .^anbrunßcu,  fogt  er,  finb  aU  ©rfi^einun- 
gen,  üI§  SBirfnngen  in  ber  ©innenroelt,  t(;eil§  burd^  nnfere  frnl;eren 
^anblungen  unb  ^wftänbe,  tt)eil§  burd^  äußere  ©inbrücfc  uollftänbig  he- 
ff']!!mt,  unb  wenn  wir  fie  aUe  U§>  auf  ben  ©runb  erforfd;en 
füunten,  würbe  e§  feine  einzige  menja)li(^c  ^anblung  geben,  bie  wir 
nid^t  mit  ©ewiB^eit  t)ori)eräufagen  unb  au§  ifiren  Sebingungen  al0 
notfiwenbig  gn  erfennen  im  6tanbe  wören.  ©0  muB  bafjer  aud;  ha^ 
©an^e,  wq§  fid;  an§>  allen  unfern  .^anblungen  ^ufammenfelt,  ber  gleid;en 
^flotfiwenbigfeit  unterliegen :  „in  Slnfeliung  unfereS  empirifdjen  ß(;arafter5 
giebt  eg  feine  ^reifieit."  3)ieB  fd;ltcBt  aber,  wie  ^ant  glaubt,  bie  2ln= 
nafime  nid^t  au§,  ba^  biefelben  ^anbtungen,  weld;e  a(§  Birfnugen  be= 
trad^tet  burd;au§  nott;wenbig  finb,  ^ugteic^  i^rer  Urfadjc  nad;  üollfommen 
frei  feien,  ba§  bie  gan^e  9lei^e  unferer  ^anblungen,  unfcr  ganzer 
empirifd;er  ßfiarafter,  nid)t§  anbereS  fei,  al§  bie  @r)d;einung  ber  freien, 
t)on  aller  Dlaturcaufalität  unabt)ängigen  ©elbftbefümmung ,  in  weld^er 
unfer  „intettigiblcr  ©^arafter"  beftef)t.  SOkn  f)at  biefc  '^fieorie,  fo  wie 
fie  fpäter  burd;  ©d;eUing  gefaxt  würbe,  ben  ^räbeterminifmuS  genannt; 
£ant'g  3lnfid;t  wirb  aber  bamit  fet)r  ungenau  be^eic^net;  bcun  feine 
3}ieinung  ift  nid^t  bie,  ba&  ade  unfere  SBiUenSofte  bie  goigcn  eine^ 
ein5elnen  i§nen  geitüd^  t)orangef)enben  2öitlen§afte0  feien,  fonbern  ba^ 
fie  au0  unferem  unfinnli(^cn  2Sefen,  al§  bem  jeitlofen  ©runbe  aller 
unfcrer  in  ber  Qüt  erfd^eincnben  S:f)ätigfeiten,  entfpringen.  ©ine  anbere 
grage  ift  eä  aUerbingä,  ob  fid^  biefe  2Innaf)me  ofine  SBiberfpruc^  burd^= 
führen  tä§t;  ob  e§  möglid^  ift,  ba^  ©ine  unb  biefetbe  ^anblung,  ©in 
unb  berfelbe  2BiIIen§aft,  al§  ©rfd^einungen  burd;au§  oon  frül;eren  ah 
i)ängig,  il;rem  unfinnlid^en  ©runbe  nad;  burd;auä  unabljängig  feien; 
wät)renb  bod^  bie  ©rfd^einung  oon  bem,  beffcn  ©rfdjeinnng  fie  ift,  notf)- 
wenbig  beftimmt  ober  bod^  mitbeftimmt  fein  muB,  unb  berfelbe  ©rfolg 
unmögtid)  oon  gwei  oerfd^iebenen,  ja  entgegengcfe^tcn  Urfad;en  jugleid^ 
in  ber  2trt  bebingt  fein  fann,  ba{3  er  üon  jeber  oon  beiben  feinem 
ganzen  Umfang  nad^  abliängt. 

2Senn  fid^  bie  eben  erörterte  ®d;wierigfcit  auf  bie  3)iöglic^feit  ber 
^rcif)cit  bejog,  fo  bejieljeu  fid^  gwei  anbere  auf  bie  ber  ©ittlid;feit. 
5)a§  (jöc^fte  ®ut,  beffen  SSewirfung  ber  noUjwenbige  ©cgenftaub  jcbeS 
fittlidjen  SitienS  ift,  l)at,  wieilant  fagt,  gwei  33eftanbtl)ei(e:  bie  STugenb 
unb  bie  il)r  entfpred^cnbe  ©lüdfcHgfeit.  9^ur  in  ber  SSerbinbung  beibcr 
beftel)t  eg:   na^  ber  :3bee  be^   ^öd;ftcn  ©ute0   ift  bie  ©ittlid^feit  bie 


3)er  moraliic^e  SJenmnftglaube.  371 

uncrföBIic^e  S3ebingung  ber  ©Iü(ffeligfcit,  bie  ©lücffeltgfcit  bie  notf)- 
toenbige  golge  ber  (giüli(f;feit.  SlBer  rccber  bie  eine  noc^  bie  anberc 
lö^t  ficf;  imter  ben  empirifc^en  33ebiuguugen  uitjCreS  2)ayein§  in  einer 
jener  :3bee  entfpre($enben  SBeife  erreid^eii.  S)a§  ©'ttengej'els  verlangt 
von  un§  üoltfornmene  Siugenb,  §cilig!eit.  M^■:  a(g  finnlid;  =  üer= 
nünftige  2Be[en  Bnncn  wir  eg  nie  [o  lueit  bringen.  ©1  üerlangi  feiner 
t)on  nn§,  bo§  p^fte  @ut  ju  Beförbern,  c-o  fe^t  mWly.n  voxan§>,  baf^ 
ba§  f)öd^fte  @ut,  nnb  atfo  an(^  eine  genaue  Uebereinftintniung  ber  ©(ücf= 
feligfeit  mit  ber  ©ittüd^feit  möglid;  [ei.  Sldein  bie^  wirb  nur  bann  ber 
^aU  fein,  wenn  bie  Statur  mit  unfern  ^me^cn,  mit  ben  33eftimniung§- 
grünbcn  unfcre»  SBittenS  übe  einftimmt;  bie  (Srfuffnng  biefer  S3ebingung 
liegt  aber  ni(^t  in  nnferer  ©croatt,  meii  luir  über  bie  5Ratur  uub  ben 
SBeltlauf  nid;t  ^err  finb.  2Bä{)venb  bcmnaJ;  unfere  pvaftifd;e  2>crnunft 
eine  üoüfommene  ^ugenb  nnb  eine  ber  3Bürbigfeit  Doüfornmen  ent; 
fprcdjenbe  ©(ü(fielig!eit  forbert,  feljtt  e0  in  nnferer  ©rfaljrung  an  ben 
SBebingungcn  für  bie  ©rfüilung  biefer  ^orberungen.  2öie  lä§t  fid;  biefer 
©djiüierigfeit  begegnen?  ^ant  glaubt,  nur  burd;  bie  2tnnat)me,  mal 
bie  @rfa(;rung  un§  i^erraeigert,  ba§  fei  un§  in  einer  über  unfere  @r; 
fafirung  ^inaulgef)enben  SKeife  gcfid;crt.  SSenn  fid^  bie  fittüdje  ^olI= 
fommenfjeit  in  feinem  ^^^i^^pu^^^t  unfere^  S"afein§  mirftic^  erreichen  lä^t, 
fo  folgt  baran§  nur,  ba^  unfer  S)afein  feine  ©renje  in  ber  3cit  i>at, 
ba§  mir  gu  einem  enblofen  ^ortfd;ritt  in  ber  SSoUfommenlicit  nnb  eben^ 
bamit  aud^  gn  einem  enblofen  S)afein  beftimmt  finb.  SBenn  mcbcr  ba§ 
moratifd;e  ©efe|  noc^  ba§  9tatnrgefe^  bie  ßrreidjbarfeit  bei  l;öd)ftcn 
@ute§  t)erbürgt,  fo  muJ3  e§>  nur  um  fo  gemiffer  eine  üou  ber  9catur 
üerfdjiebene  IXrfac^e  ber  gefammtcn  9^atur  geben,  meldte  ben  ©runb  be§ 
Sufammenl)ang§  non  «Sittlidj!eit  nnb  ©lüdfeligfeit  entljält,  e§  mu^  einen 
©Ott  geben.  2Bie  bie  greiljeit  be§  menfdjlidjen  Söittenl,  fo  ift  oud;  bie 
llnfterbtid;feit  unb  ba§  3)afein  ©otte§  ein  ^softnlot  ber  praftifc^cn  SSer- 
uunft,  unb  biefer  praftifd^e  S[sernunftglanbe  tritt  I)ier  an  bie  ©teile  ber 
alten  a)Zetapl)i)fif. 

©0  fnd;t  Äaut  ha^,  mal  er  im  ©trelt  mit  ber  bi§l)erigen  ^^ilo= 
fopl)ie  niebergeriffen  f)at,  auf  einem  neuen  unb  l^attbarercn  ©runbe 
mieber  ouf^ubauen:  unfere  fittlid;e  ^atnv ,  unfere  praftifd^e  SSernunft 
allein  foll  un§  über  bie  ©innenraelt  l)inau§fül)ren,  auf  bie  mir  in  unferem 
©rlennen  ai§  fold^em  befd^ränlt  finb.  ^e  f(^ärfer  aber  liiemit  ba§ 
©rleuuen  unb  ba§  SBollen,   bie  t^eoretifd;e   unb  bie  praftifd;e  Vernunft 

24^ 


372  ^ant. 

fi(j^  cntgegengeftettt  werben,  um  fo  bringenber  erl^ebt  fic^  bie  ^^roge,  6b 
e§  nid^t  oietteid^t  neben  beiben  nod)  eine  britte  S(rt  geiftiger  S^i^ätigfeit 
giebt,  bie  giüifd^en  ifinen  üermittctt  unb  fie  in  einer  gemeinfamen  2Bir= 
fung  üerfnüpft.  ©^  lie^  fid^  nun  freilid;  nid^t  erwarten,  ta^  e§  ^ant 
gelingen  werbe,  ein  berartigeS  ^Binbeglieb  anf^ufinben,  welches  bie^  für 
fein  gau3c§  ©ijftem  au§rei(^enb  teiftete;  aber  wenigfteng  für  ein  be- 
ftinimteä  ©ebiet  f)at  er  e^  tierfu($t.  S^aS  2Ber!,  worin  er  biefen  SSer^ 
fud^  mad;t,  ift  bie  ^riti!  ber  llrt{)eil§fraft.    (3Sgl  ©.  341.) 

5.  ^ic  Urt^ctl§!raft;  bie  öft^etift^c  unb  btc  telcologift^c  S5ctrac^tmtg 

ber  2>ingc. 

^n  unferem  ©rfennen  fiaben  wir  e§  mit  3^aturbegriffen  §u  tf)un, 
unfer  ^anbeln  fott  t)on  greil^eit§begriffen  geleitet  werben ;  in  jenem  finb 
wir  auf  bie  Si^ätigfeit  be§  SSerftanbel  befd^ränlft,  welcher  ber  ©rfalirung 
il^re  (Sefe^e  giebt,  biefeS  erhält  bie  feinigen  t)on  ber  SSernunft.  5Die 
Urtl)eil§fraft  füf)rt  un§  gu  einer  2lnfd;auung  ber  Statur,  worin  un§ 
biefelbe  nad)  ©efe^en  ber  grei^eit  beftimmt  erfd;eint.  5Die  Urtl^eilSfraft 
ift  nämlic^,  wie  Äant  fagt,  ha§>  5ßermögen,  ba§  ^efonbere  all  entlialten 
unter  bem  Stllgemeinen  gu  benfen.  ^\t  nun  l^iebei  ha^  Slttgemeine,  unter 
wel(^e§  ein  SefonbereS  fubfumirt  werben  foll,  gegeben,  fo  t)erl)ält  fid^ 
bie  lXrtl)eil§fraft,  inbem  fie  biefe  ©ubfumtion  vornimmt,  beftimmenb; 
ift  bagegen  nur  ba§  ^efonbere  gegeben,  unb  ba§  2lIIgemeine  gu  beni^ 
fetben  fott  erft  gefunben  werben,  fo  t)erl)ält  fie  fid^  refleftirenb.  S)ie 
beftimmenbe  Urt^eilSfraft  bebarf  nun  für  i^re  Stljätigfeit  !eine§  eigen= 
tpmlic^en  ®efe^e§ :  il)r  3Serfal;ren  ift  il)r  burd^  bie  allgemeinen  SDenfge^ 
fe|e  üorgefd^rieben.  5Die  refle!tirenbe  bagegen  bebarf  eines  eigent^ümlic^en 
^rincipS,  um  ju  bem  S3efonberen  ber  5Ratur  baS  2lllgemeine  gu  finben; 
unb  biefeS  ^rincip  fann,  wie  Äant  glaubt,  nur  in  ber  35orau§fe|ung 
liegen,  baB  ebenfo,  wie  bie  allgemeinen  3iaturgefe^e  il^ren  ©runb  in 
unferem  ^erftanb  l)aben,  ber  fie  ber  9?atur  üorfd^reibt,  aud^  bie  befon= 
bereu  empirifd^en  ©efc^e  in  2lnfel)ung  beffen,  wa0  burd^  jene  unbeftimmt 
gelaffen  ift,  fo  betrad;tet  werben  muffen,  aU  ob  gteid;fall§  ein  SSerftanb 
fie  gegeben  l)ätte,  um  ein  ©i;ftem  ber  ©rfa^rung  mt)glic^  ju  mai^en. 
@g  ift  mit  (ginem  SBort  bie  ^m^dmix^ic^teit  ber  S^iatur,  bereu 
^Begriff  baS  ^rincip  ber  refleftirenben  llrtl)eil§!raft  bilbet. 

S)iefe§  ^rincip  be^eid^net  nun  an  fid^  felbft  attevbingS  nur  einen 
©efic^tSpunlt,  au§  bem  wir  bie  Statur  betrad;ten,  nid;t  ein  @efe^   ber 


®tc  reffeWrcttbe  Urt:^eU§!raft.  373 

9latur  a\§  fold^er;  e§  tft  ein  |)ülf§niitter,  um  un§  in  ber  unenblic^en 
^JJlaimigfatticifcit  ber  ©rfd^etnungen  ju  orientiren,  nid^t  eine  2tu§[age 
über  ha§^  n)a§  roir  an  ifir  erfcnnen.  „3)ie  9?atur  wirb  buri^  biefen 
Segriff  fo  oorgeftettt,  aU  ob  ein  SSerftanb  ben  ©runb  ber  (Sinf)eit  be§ 
9Kannigfartigen  ifirer  empirifd^en  ©efcfje  enthalte;"  ben  Dftaturprobuften 
felbft  bagegen  ,,fann  man  fo  etiuag,  o(§  SSe^ie^ung  ber  ^atnx  an  if)nen 
auf  3ioe(fe,  nid;t  beilegen"  ^).  2l6cr  m;en)o§[  immer  nur  mir  felbft  e^  finb, 
roeldje  bie  D^atur  unter  bem  3rocdbegviff  auffaffen,  fo  "fann  bie^  bod^ 
ouf  eine  boppelte  Seife  ge[d;eljen:  ber  3roed  ber  D^aturprobufte  fann 
entiüeber  in  if)rer  Söirfung  auf  unfer  ©r!enntni§üermögen,  ober  in  if)nen 
felbft  gefuc^t  werben,  ^n  bem  einen  roie  in  bem  anberen  %aUe  ift  e§ 
bie  gorm  berfetben,  in  ber  ifire  ^mecfbejie^ung  fid;  un§  cnfünbigt; 
benn  bie  gcfe^mä^ige  SSerbiubung  eines  2Jcannigfa(tigen,  ouf  ber  feine 
3medmä§igfeit  beruht,  ift  eine  ^ormbeftimmung.  Slber  biefe  SSerbinbung 
wirb  entroebeu  aU  Uebereinftimmung  jener  gorm  mit  unferem  Grfennt^ 
m§t)ermögen,  ober  at§  Uebereinftimmung  berfetben  mit  ber  3)tögrid;fett 
beS  S)inge§  felbft  aufgefaßt.  (Sefd;ie^t  baS  erfte,  fo  erfd;eint  un§  ber 
©egenftanb  al§  ein  fotd^er,  ber  hnv^  feine  ^Jorm  fiuft  erroedt,  inbem 
er  bie  ßinbitbungSfraft,  meldte  i^n  anfd;aut,  mit  bem  SSerftanb,  ber  i^n 
ben!t,  nnroiCfü^rad)  in  (Sinftimmung  rerfe^t;  unb  einen  ford;en  @egen= 
flanb  nennen  mir  fd^ön.  ©efd;ie^t  ba0  anbere,  fo  erfdjeint  er  ai§>  ein 
folc^er,  befien  ^ufammenfe^ung  unferen  ^toedbegriffen  entfprid;t,  er  er^ 
fd^eint  als  jmedmäBig.  S)ort  ertialten  loir  ben  33egriff  ber  9^atur= 
fd^önfieit,  f)ier  ben  ber  Sf^aturjmcde ;  bort  ^ahen  roir  e§  mit  ber  äftf)e= 
tifd^en,  {)ier  mit  ber  teleologif^en  tlrtf)eiflfraft  jn  t^un.  @oroof)(  über 
jene  a(§  über  biefe  r;at  ^ant  llnterfud;ungen  angefteat,  roeldje  tfieifs  für 
bie  Slefttietif,  tfieilg  für  bie  ^JJaturpfiiroiopfjie  fefjr  roid^tig  geroorben  finb. 
®en  ©egenftanb  ber  äftfjetifdjen  IXrt^eitSfraft  bitbet  ba§  ©djöne. 
aber  roa§  ift  fc^ön?  S)a§  (2d;öne,  antwortet  Äant,  ift  ein  foIdjeS,  ba§ 
roeber  um  ber  finnlid^en  ©mpfinbung  miacn  gefällt,  roie  ba§  Slngene^me, 
nod^  um  feiner  SSernunftmöBigfeit  roilten,  roie  ha^  @ute,  ha§  vidmel)v 
gans  unabfiängig  üon  feinem  S)afein,  burd^  feine  blo^e  SSorftettung, 
Suft  erroedt;  e§  ift  mit  (ginem  2Sort  ©egenftanb  eine§  intereffelofen 
aBo^lgefattenS.  @§  mac^t  au§  biefem  ©runbe  ben  STnfprud;,  aßen  p 
gefatten  unb  not^roenbig  gu  gefatten,  unb  ^roar  nid^t  oermöge  eines  air= 

1)  ^rit.  b.  Uvt^etrf>fr.  eint.  IV. 


374  ■ßant. 

tjenicingiKtigen  ^egrip,  fonbern  ücrmöge  einer  allgemeingültigen  @m= 
pfinbung,  ntd;t  bur(^  ein  (oglfc^eS,  fonbern  bnrd^  ein  ©efd^macf^urt^eit. 
Ser  ®rnnb  biefe»  SBo^rgefaffenS  fann  aber  naä)  allem  6i§l^erigen  nur 
in  ber  ^^^orm  be§  @egenftanbe.§  nnb  näfier  barin  liegen,  "üa^  mi§  biefe 
f^orm  a(§  gmecfmöBig  evfd;eint,  of)ne  boc^  auf  einen  beftimmten  ^u^ed 
be3ogcn  gu  werben ;  benn  in  bem  lel^teren  ^all  mürbe  unfer  Söo^fgefallen 
nic^t  ber  ©diönFjeit,  fonbern  entraeber  ber  9^üt^tid;feit  ober  ber  35olI= 
fomminf)eit  bes  ©egenftanbe^  gelten,  e§  märe  fein  äftf)etifd^e§ ,  fonbern 
ein  te(eo(ogif(^eÄ,  inteUeftuetteg.  ©in  ©egenftanb  ift  atfo  überhaupt 
bann  fd;ön  gu  nennen,  menn  er  fo  befc^affen  ift,  ba§  er  burd^  feine 
b(o|3e  gorm  affgemein  unb  not|roenbig  ein  intereffe(ofe§  23of)lgefaIIen 
fjeruorruft. 

'^oä)  muffen  mir  f)ier  ^roei  gäffe  unterfd;eiben.  ^er  ©egenftanb, 
ben  mir  betrad;ten,  f)at  biefe  SBirfung  entmeber  unmittelbar  burd^  fi(^ 
felbft,  unb  bann  nennen  mir  i^n  im  engeren  Sinn  fd^ön;  ober  er  l)at 
fie  mittelbar,  er  §eigt  in  feiner  gorm  etma»  für  un§  unermeBlic^el, 
ftefft  unferer  ©inbilbungefraft  bie  für  fie  uuüoffjielibare  Slnfgabe,  ein 
abfohlt  ©ro^e§  barjufteffen,  unb  ermecft  fo  gunädjft  ba§  ©efüljt  ber  lln= 
luft,  rceld;e§  aul  ber  Unangemeffenlieit  unfereS  SSermögenS  §ur  ©rrei^ 
d^ung  ber  Sbee  entfpringt;  bringt  un§  aber  ebcnbaburc^  bie  @rl)abenl^eit 
ber  ^ernunftibee  in  un§  über  affe§,  ma§  un§  in  ber  Sfiatur  gegeben  merben 
fann,  gum  33erou^tfeiu,  unb  bewirft  fo  bnrd^  ein  ©efüf)l  finntid;er  Unluft 
ba§  ©efül)l  unferer  inneren  ©rö§e.  ©inen  fold;en  ©egenftanb  nennen 
mir  erl)aben.  ©rfiaben  ift,  nad;  ^ant§  S)cfinition,  „wa^l  auä)  nur 
benfen  3U  fönnen  ein  SSermögen  be§  @emüt§§  bemeift,  ba§  jeben  2RaB= 
ftab  ber  ©iune  übertrifft."  3ft  e§  feine  ©rijfie,  burc^  weidje  ein  ©egen^ 
ftanb  biefe  SBirfung  ausübt,  fo  ergiebt  fid;  bag  SKatliematifd^-er^abene ; 
ift  e§  feine  J^raft,  fo  erljalten  mir  ba§  S}i;namif(|  evfiabene.  S)er  eigent- 
lid^e  ©egenftanb  unferer  3lc^tung  unb  ber  le^te  @runb  unferer  äftl)e= 
tifd;en  ai'cl)tgefa[len§  ift  aber  in  bem  einen  mie  in  bem  anberen  gaff 
unfer  eigene^  überfinnüd;e§  Sßefen:  unb  e§  fann  be^fialb  ond^  einem 
i^beal  ber  @d)önl)eit,  nac^  Baut'S  tieffenber  SBemerfung  (§.  17),  nur 
ber  aJtenfd^  ju  ©runbe  gelegt  merben,  meil  er  affein  ben  3'üccf  feines 
S)aiein§  in  fid^  fetbft  l)at,  unb  feine  geiftige  (^antfagt:  filtlid^e)  dlatux 
in  feiner  ©eftatt  jum  Sluöbrucf  bringen  fann. 

2tn  biefe  grunblcgcnben  Scftimmungen  fd;lie^en  fid;  bei  ^ant  bie 
frudjtbarften  ©rörteiungen  über  bie  gcifligen  33orgänge,   auf  benen  bie 


®a§  ®(t)ßne  nub  baS  ®r:^abene.  375 

äftfiettfc^e  S3etra($tung  ber  5Dmge  unb  bie  !ünftferifd^e  ^eroorBringimg 
Beruht,  über  bie  Äunft  uiib  bie  rerfd^iebenen  ^unftgattungen  an;  burc^ 
bie  einen  wie  burc^  bie  anbern  tft  er  ber  Spater  ber  gefammten  neueren 
Sleft^etif  geraorben.  2(f§  Be3ei($nenb  für  feinen  gonjen  ©tanbpunü  n)ill 
iä)  {)ier  nur  ben  ®a|  (§.  59)  f)erüorf)eBen :  ba§  Sd^öne  fei  ba§  ©ijmBot 
be0  ©ittlid^gnten,  unb  biefeS  fei  ba§  ^ntetfigiBIe ,  auf  raeli^eS  ber  ©e= 
fd^macf  f)iuau!cfe^e.  2Iuf  biefem  SSerf)äftni§  Berufie  jene  SSerebfung  be§ 
©emütfjS,  jene  ©rfieBung  über  bie  finnlid^e  Suft,  raeic^e  bie  SSetrac^tung 
be0  €ä)ÖMn  mit  fid;  fü^re ;  ba^felBe  raeife  aBer  jugleid^  auc^  auf  ctraaS 
im  ©uBjeft  feiBft  unb  au^er  ifim  \)'m,  raorin  ba§  tfieoretifd^e  SSermögen 
mit  beut  praftifdjen  auf  gemeinfd^aft(i(^e  unb  unBefannte  2(rt  ^ur  Ginfieit 
»erBunben  werbe,  .^ant  E)ä{t  jroar  aud^  l^ierin  baran  feft,  ba^  nur  in 
unferer  fittüc^en  3(ri(age  bie  SBürgfdjaft  unferer  I)öf;eren  Df^atur  liege  unb 
burd^  fie  un§  ber  Süd  in  bie  üBerfinnlid^e  Söeit  eröffnet  werbe;  aBcr 
bod)  gieBt  er  gu,  ba^  bie  Urtf)eil§!raft  in  Setreff  be§  (Sd^önen  in  ä(m* 
li(|er  SSeife  fic^  felBft  ii)X  @efe|  geBe,  mie  bie  Scruunft  in  Setreff  be§ 
©Uten,  buB  nid^t  Uo§>  in  biefem,  fonbern  au^  in  jenem,  unfcr  üBer- 
finnlid^eS  Sßefen  fid;  offenBare,  unb  er  üBerfc^reitet  bamit  tl)atfäd^tid^ 
menigfteng  an  biefem  Sinen  fünfte  jene  f(^roffe  ©d;eibung  5n)if(^en  ber 
tl^eoretifd^en  unb  ber  praftifc^en  (Seite  be§  menfd^lic^en  @eifte§(eBen§, 
bie  er  grunbfä^lid^  allerbing§  fortmäfirenb  Bef)auptet. 

2lt^  biefeä  gefe^gcBeube  Sermijgen  Betf)ätigt  fic^  bie  HrtJieilSfraft 
aud^  in  if)rem  teieologif  d;en  @eBraud;e,  in  i^ren  Seftimmuugen  üBer 
bie  S'^aturjroede.  Surd;  bie  SeoBad;tung  (ä^t  fid^  bie  ^toedmäfugfeit 
ber  5Raturprobufte  nid^t  Beiücifen;  benn  ein  Qmed  !onn  üBerfiaupt  nid^t 
n)af)rgenommen ,  fonberu  immer  nur  ju  bem,  maS  mir  n)af)rne()men, 
^^injugebac^t  raerben.  ©Bcnforaenig  geBen  uns  apriorifd;e  ©rünbe  ein 
Sfiec^t  5U  ber  Sel)auptuug,  ba^  geroiffe  ®inge  in  ber  3^atur,  ober  aud^ 
bie  gefammte  Dktur,  nur  burd;  eine  nad^  ^n^edBcgriffen  f)anbelnbe  Ux-- 
fad^e  erzeugt  werben  fonnten.  S)enn  biefe  Se^auptung  fe|t  t)orau§,  ba^ 
bie  gorm  ber  3Zoturprobutte  an  fi^  felBft  ^ufättig  fei,  unb  fid;  be^fialb 
nur  au§  einer  pon  ben  mec^anifd;en  Dktururfa^en  cerfd^iebenen  ßau= 
falität,  nur  au§  einer  3raedbe3ief)ung  erfiären  laffe.  Slllein  al§  äufälltg 
erfc^einen  un§  gewiffe  S)inge  nur  bcB^alB,  roeil  mir  fie  in  il^rer  Se= 
fonberljcit  au§  unfern  angemctnen  Segriffen  nid^t  aBfeiten  fönnen;  unb 
bieB  fönnen  mir  bcBroegeu  nic^t,  weit  in  unferem  ©rfennen  Serftanb 
unb  Slnfd^auung  augeinanberfallcn.   2öenn  mir  üon  ctroaS  einen  Segriff, 


376  ^ant. 

aber  feine  2tn[c§auuiig  ^ahcn,  fo  erf(^eint  e§  un§  al^  ein  6to0  mögUd;el, 
bem  feine  SBirfIid;feit  entfprid;t;  ben!en  wir  un^  bagegen  einen  an- 
fd^auenben  SSerftanb,  fo  giebt  e§  für  benfelben  ni(i^t§,  ha^  er  benfen 
fönnte,  ül;ne  ba§  e§  i|im  in  ber  Slnfc^auung  gegeben  wäre,  nnb  ni(^t§, 
ba0  if)m  gegeben  fein  könnte,  of)ne  ba§  er  einen  53egriff  baüon  fiätte; 
b.  f).  eä  giebt  für  i{)n  fein  3JiögUc^e§,  ba§  nic^t  roirfUc^,  nnb  fein 
2öirf(ic^e§,  benfen  3}iögUd;feit  ii)m  nic^t  erflärbar  wäre,  ^^m  luürbe 
fic^  mithin  and;  bie  SSerbinbnng  geraiffer  ©toffe  jn  einem  beftimmten 
3kturer5eugnif3  ni(^t  at§  etroa^  biefen  ©toffen  felbft  anfälliges ,  ber  SBe= 
griff  biefer  S^erbiubung  nii^t  aU  ein  fold^er  barftetten,  ber  an  fid;  felbft 
blo§  mögtii^  wäre,  nnb  erft  bnrd;  eine  befonbere,  anf  feine  SSeriüirftidjnng 
gerid;tete  2:fjätigfeit  wirfüd^  werben  fönnte;  fonbern  mit  ber  3Jlög(ic^feit 
jebe0  3^atnrprobnft§  wäre  für  if)n  anc^  feine  2Birf(id;feit  gegeben;  eS 
würbe  if)m  baf)er  at§  etwaS  notf)wenbige§  er[d;einen,  nnb  bie  Sec^nif 
ber  Statur,  bie  3ii3ecfttiöBigfeit  if)rer  ^eroorbringungen,  würbe  für  if)n 
mit  bem  9Zatnrmed;aniimnS  gufammenfallen.  Slber  mit  bem  menfd;li(j^eii 
©rfennen  t)crf)ä(t  eS  fic§  anberS.  Sßir  l)aUn  allgemeine  begriffe  von 
9taturgefe|en,  an§  benen  wir  ba§  befonbere,  weld;cg  bie  @rfa(;rung  nn§ 
geigt,  in  feiner  (gigcntpmlid;feit  nic^t  erflären  fönncn;  wenn  wir  eS 
nn§  Derftänblic^  mad)en  wollen,  warnm  oon  ben  üerfd)iebenen  ©tofföer= 
binbnngen,  wel^e  nai^  ben  nn§  befannten  allgemeinen  3^atnrge)e^en 
möglii^  wären,  gerabe  biefe  nnb  feine  anberen  wirflid;  geworben  finb, 
fo  bleibt  nn§  nnr  bie  Slnnalime  übrig,  bie  SSorftellung  be§  ©an^en, 
weldjeä  burc^  jebe  berfelben  gebilbet  wirb,  entlialte  ben  ©rnnb  für  bie 
äJeifnüpfung  feiner  Xlieile,  biefe§  ©anje  fei  ber  S^veä,  wetd;cm  biefe 
beftimmtc  a^erbinbung  üon  ©toffen  bienen  follte.  2Bir  fönnen  biefe  2ln= 
nat)me  allerbingS  nid)t  aU  conftitutioeS  ^rincip  für  bie  ^J^aturforfd^nng 
gebrand;cn:  wir  fönnen  nid;t  behaupten,  ba^  gewiffe  ^f^aturprobnfte 
nac^  3wc(!begriffen  gebilbet  feien,  nnb  no(^  weniger  biefe  an  fid^  felbft 
unerweiSlidje  Xl)atiad;e  von  einem  intettigenten  Urlieber  ber  3ktnr,  b.  ^. 
üon  einem  SBefen  f)erleiten,  beffengteid;en  unä  gar  nic^t  in  ber  Qv- 
faljvung  gegeben  werben  fann.  2Bir  ^aben  aber  and;  ju  ber  entgegen^ 
gefegten  a3e^anptnng,  ba^  fic^  ade  ^f^atnrprobnfte  au§  med;anifd^en 
tlrfad)en  uollftänbig  erflären  laffen,  fein  31ed;t,  ba  unS  bie  ©rünbe  ber 
Singe  Ijiefür  viel  jn  wenig  befannt  finb.  SBoUten  wir  enblid^  beibe 
^ßrincipien  al0  bogmatifd;e  ©rnnbfä^e  mit  einanber  oerfnüpfen,  fo 
würben  wir  unä  in  einen  unliJSbaren  SBiberfprnd;  verwideln;  benn  für 


2)ie  tcleologt[c^e  9?atuvbetca^tung.  377 

uttS  fd^üe^t  jebe  ron  beiben  ©rffärungSarten  bie  anbere  au§:  n)a§  lüir 
au0  med^anifd^en  Urfa^en  al^  notljiuenbig  erfannt  ^ahcn,  bei  bem 
fönnen  wir  m($t  me^r  noc^  einem  Qmeä  fragen,  unb  waS  wir  nn§ 
nur  au0  feinem  ^n^ed  oollftänbig  ju  erflären  roiffen,  ba0  erfdjeint  un§, 
fo  weit  bie§  ber  gatt  ift,  nic^t  a(§  mec^anifc^  notfiTOenbig.  2ßenn  wir 
bof)er  aud^  jugeben  muffen,  ba^  bie  dlainx  einen  ©runb  liabcn  rönne, 
auf  bem  foroo^t  ber  ^fZoturmec^anifmug  a(§  bie  ^roedmä^igfeit  ber  ^a- 
tureinric^tung  beruhe,  fo  fönnen  wir  un§  boc§  uon  biefcm  inteUigibeln 
@runbe  ber  Dfiatur  feinen  S3egriff  ma^en  unb  un^  feiner  basier  and; 
nic^t  3ur  @rE(ärung  ber  @rfd;einungen  bebienen.  2lber  fo  meuig  mir 
bcn  einen  ober  ben  anbern  oon  beiben  ©runbfä^cn,  ben  ber  medjauif(|ett 
ober  ben  ber  teleotogifd^en  ^laturerflärung,  al0  conftitntiüe§  ^rincip  ge= 
braudjen  fönnen,  fo  unentbef)rli(^  ftnb  un§  beibe  al§  regutatiüe  ^rin^ 
cipien.  2Bir  raiffcn  nid)t,  ob  fic^  aDe§  me^anifd^  erflären  lä^t,  aber 
n)ir  foden  ben  natürlid;en  llrfad;en  ber  3)inge  fo  raeit  al^  mögiid^  nod^= 
ge^en.  SBir  miffen  ebenforoenig,  ob  bie  ^caturer^eugniffe  ober  ein  X^eit 
berfelben  lüirffic^  nad^  ^roedfbcgriffen  gebilbet  finb;  aber  mo  bie  Wöq- 
lid^feit  if)rer  mcc^anifc^en  ©rflärung  für  un§  aufhört,  ba  finb  mir  be= 
red;tigt  unb  fogar  genötf)igt,  fie  fo  ju  befianbefn,  al§>  ob  bie^  ber  ^aß 
fei.  S)ie  grage  roirb  baf)er  nur  bie  fein,  ob  eä  ©rfd^einungen  in  ber 
Statur  giebt,  rae(c^e  unter  ben  ^ßebingungen  unferel  ©rfennenS  bie 
3Jtöglid)foit  einer  med^anifd;en  ©rfiärung  roirfüd^  au^id^Oe^en  0. 

pr  bie  33eiaf)ung  biefer  grage  pflegte  fid^  nun  bie  ^lji;fifot^eorogie 
3BoIff'§  unb  feiner  D^Jad^foIger  auf  ba§  gegenfeitige  Serl^ältni^  ber  oer- 
fd^iebencn  5Raturbinge  unb  SRaturgebiete  ^u  berufen:  jebeg  berfelben, 
fogte  fie,  bient  bem  anbern,  unb  atte  äufammen  bienen  in  ber  um* 
faffenbften  unb  monnigfaltigften  2Beife  bem  2Bof)t  be§  3Jienfd^en;  unb 
fie  glaubte  f)ierin  ben  beutlic^ften  Seroei^  für  bie  @üte  unb  Sßeigl^eit 
be§  (Schöpfers  gu  erfennen.  (3Sgl.  ©.  207  f.  252.  f.  254  f.)  @§  mar 
alfo  mit  ©inem  Söort  bie  äußere  ^loedmä^igfeit  ber  Sfiaturer^eugniffe, 
auf  meiere  bie  teleologifc^e  Sikturerffärung  geftü^t  rourbe.  taut  finbet 
biefe  ^eroei§fü§rung  bnrd^auä  unjureidjenb.  2öenn  ein  S)ing  nur  als 
ajlittet  für  anbere  ®inge  not^menbig  fein  fott,  fo  ift  feine  ^medmä^ig^ 
feit,  mie  er  bemerft  (§.  63.  67),  immer  nur  eine  relatiDe  unb  bebingtc: 
eg  ift  notf)raenbig,   roenn  baSjenige  not^roenbig  ift,   um  beffentraitten  eS 

1)  «rit.  b.  Urt^eilgfr.  §.  69  —  78. 


378  ^ant« 

ba  ift;  aber  roarum  ift  biefcS  ttot^raenbig  ?  SBoIIen  wir  g.  33.  ait^  gugeBen, 
ba^  of)ne  bie  9flenntf)tcve  imb  ba§  Slreibl^ofs  feine  9)ienf(^eu  in  hen  ^o-- 
largegenben  lekn  fönnten:  muBten  benn  überhaupt  9}ten[($en  in  biefen 
nnrairtl)li(^en  ©egcnben  (eben?  2Benn  rair  nid)t  9^aturprobn!te  aufzeigen 
!önnen,  beren  3we(fmäBigfeit  fic^  an  il^nen  felbft  naii^roeifen  Iä§t,  fo 
!ommen  iinr  nie  gu  einem  unbebingten  Qimd,  fonbern  immer  nur  ju 
foldjen  Qmätn,  beren  (e^te  Sebingung  ganj  au§erf)a(b  ber  3Ratur  läge, 
©old^e  S^aturprobufte  giebt  e§  aber  allerbingS.  ^ehe§  organifd;e  SBefen 
ift  fo  befdjaffen,  baB  feine  X^dk  fid^  gegenfeitig  bebingen  nnb  f)erüor= 
bringen,  med^felfeitig  Urfai^e  nnb  2öir!ung  von  einanber  finb ;  baB  fie 
aber  ebenbef3{)alb  nur  burd^  if)re  Se^iefjung  auf  ba§  ®an5e  mögli(|  finb, 
nur  au§  biefer  58e3ie!^ung  f)erau§  ücrftanben  werben  fönnen.  ©ofern 
nun  haS:  (entere  ber  ^all  ift,  muffen  mir  fie  als  S^latursraecfe  betrachten; 
benn  alle§  ©iuäclne  in  i^nen  ift  in  biefer  feiner  ^Beftimmtlieit  nur  beB- 
Bialb  üorljanben,  meil  biefeS  ©anje  barau§  werben  foll.  ®a  aber  an= 
bererfeit§  bie  2:i^eile  5uglei(^  bie  Drgane  finb,  meldte  einanber  ^erüor= 
bringen,  finb  fie  nic^t  ^unftmerfe,  fonbern  S^aturer^eugniffe :  i^re  Urfad^e 
liegt  nid^t  auBer  ifinen,  in  einem  2Befen,  ba§  bie  SSorftedung  il)reS 
^weä§  l)at,  fonbern  in  il)nen.  ®ie  ^"f^wwtenfeljung  fold^er  Söefen 
berul)t  bemnad^  auf  einer  inneren^wedfmäBigl'eit;  alles  in  il)nen 
ift  gugleid)  Qmed  nnb  9Jiittel;  fie  l)aben  nid^t  blo§,  wie  3Jtafd^inen, 
eine  beroegenbe,  fonbern  gugleidl)  auc^  eine  bilbenbe  Äraft.  ^aben  wir 
aber  einmal  in  ben  organifd^en  SBefen  bie  3wecftl)ätig!eit  ber  9^atur 
feftgefleHt,  fo  werben  wir  allerbingS  geneigt  fein,  t)on  il)r  unb  il)ren 
©efcl^en  überljoupt  nur  gwedfmäBigeS  gu  erwarten.  S)aB  biefe  ^meä- 
tl)ätigfeit  freilid;  eine  abfid^tlid^e  fei,  folgt  barauS  nod^  nid^t;  unb  fo 
natürlich  unb  notl)wcubig  biefe  teleologifd^e  S3etrad^tung  ber  S^iaturpro^ 
buftc  übcvljaupt  für  nnS  ift,  fo  bürfen  wir  bo(^,  wie  ^ant  immer  wieber 
erinnert,  nie  cergeffen,  baB  baS  ^rtncip  berfelben  auS  unferem  eigenen 
©eift  ftammt,  unb  beBlialb  ftetS  nur  ein  regulaticeS,  nid;t  ein  conftitu* 
tioeS  ^rincip  fein  fann. 

©0  bereitwittig  aber  unfer  ^fiilofopl)  ben  fubjeftiüen  ß^arafter 
biefer  9f?aturer!lärung  anerfennt,  fo  widf;tig  ift  fie  bocf;  nid^t  allein  für 
bie  9f?atuvpl)ilofop^ie,  fonbern  aucf;  für  bie  S^aturforfc^ung  ber  ^^^olge^eit 
geworben;  unb  e§  ift  inSbefonbere  feine  Sluffaffung  beS  Drgauifmuä 
unb  ber  oon  il)m  feit  SlriftoteleS  juerft  wieber  entbedfte  ^Begriff  ber 
neueren  3"JcdfmäBigfctt,  auf  weld;em  bie  ^Bebeutung  feinec  lXnterfud;ungen 


®ic  tcleofogifcf^c  9?atiirbetracf)tung.  379 

üUv  bie  teleotogifdje  Urtl^eirsfraft  I)eruf)t.  ©r  feI6ft  roagt  okr  no(^ 
nic^t,  btefe  ^Begriffe  gum  2titff)aii  einer  naturroiffcnfd^aftticf^en  ^tl^eorie 
§u  t)crn)enben ;  bie  „Wetap^v)\it  ber  5Ratur"  ^)  ift  oon  i^m  ntd;t  üBer 
bie  Erörterung  einiger  allgemeinen  ®runb[ä<3e  unb  ®cfid;tgpun!te  ^inau§= 
geführt  worben. 

6.  2)er   boctrinrtle   Xf}di   bcr   fantifc^cn   pilofop^tc:   bie    matnv^ 

®eu  ©egenftanb  biefer  Söiffenfc^aft,  fo  toie  fie  .^ont  in  ben  „meto= 
p!)rjfi[d;cn  2rnfang§griinben  ber  9taturraif[en)d^aft"  borgeftellt  ^at,  bilben 
biejenigen  SSeftimmungen ,  wd^e.  \i^  au§  ber  5rniüenbung  ber  reinen 
SSerftonbe^begriffe  auf  bie  ßörperraelt  ergeben.  ®er  33egriff  ber  SJtaterie 
ift  ba§  einzige  empirifd^e  S)atum,  \)a§>  fie  oorauSfel^t ;  inbem  biefer  Se= 
griff  unter  bie  rier  |»auptfategorieen  gcftetft  wirb,  erfiatten  mir  bie  rier 
%i)e\k  ber  9)letap{)ijfif  ber  D^atur,  raeld^e  Äant  ^.Ujoronomie,  ©pnamif, 
gjJec^anif  unb  ^f)änomenotogie  nennt.  Unter  ber  3)toterie  üerftet)en  roir 
aber  im  attgcmeinen  ein  @tioa§,  ha§>  ©egenftanb  äußerer  Sinne  ift; 
unb  ba  nun  bie  äuBeren  ©inne  nur  burd;  53eroegung  officirt  werben 
fönnen,  ift  bie  ^öeraegung  bie  ©runbbeftimmung  ber  a)kterie. 

®ie  ^t)oronomie  betrad)tet  nun,  miei^ant  bemerft,  bie  Bewegung 
al§  reine§  Üuontum  ofjue  alle  Dtüdfid^t  auf  bie  Dualität  be§  SSeroeglic^en. 
Äant  befinirt  |ier  bie  SOiaterie  al§  „ba§  SSeroeglid^e  im  9taume" ;  er  untere 
fc^eibet,  im  2lnf($hiB  an  eine  frühere  Slb^anblung  2)  ^  ben  materiellen 
ober  rctatioen  Scannt,  b.  f).  benjentgen,  roeldjer  fetbft  bemeglic^  ift,  üon 
bem  abfoluten,  b.  1^.  bem,  in  raeld^em  alle  SSeruegung  5ute|t  gebadet 
werben  mu^,  unb  er  behauptet:  jebe  gegebene  ^Bemegung  fönne  nod^ 
S3elieben  al§  Bewegung  be§  ÄörperS  in  einem  rul^enben  9?aume  ober 
al§  9tut)e  beS  ^örper§  unb  ^Bemegung  be^3  9f?aume§  in  entgegengefe^ter 
0lid;tung  betrad^tet  werben;  jebe  ^ufammenfe^ung  gweier  ^Bewegungen 
aber  fönne  nur  baburd)  gebac^t  werben,  ba^  bie  eine  berfelben  im  abfo^ 
tuten  9kume,  ftatt  ber  anbern  eine  33ewegung  be§  relatioen  9?aume§ 
in  entgegengefeiter  9lid^tung  oorgeftelft  werbe. 

SBeit  wid^tiger  ift  jebod^  ber  gweite  Slbfc^nitt  ber  fantifdjen  ©c^rift, 
bie  S}t)nami!.  @r  ift  e§,  auf  wetc^em  bie  S3ebeutung  unb  2Birfung 
biefer  ©c^rift  f)auptfädjtid^  berutit.    §ier  wirb  nämlid^  bie  Quatität  ber 

1)  Uebev  bereit  S3egriff  itnb  ©teHmig  im  ©Aftern  ®.  341  ju  »evgreid)en  ift. 

2)  SSoit  bent  Uitterfd^ieb  ber  ©egenbeit  ittt  SRaumc;  f.  0.  <B.  339. 


380  ^«nt- 

ajlaterie  unterfudjt.   ^^v  auatität  mä)  ift  bie  Materie  ba§  S3etüeg(t(3^c, 
m{d)c§>  einen  Sflaum  erfiittt.    ©inen  Slanm  erfüllen  Reifet   akr:    allem, 
TOa§  in  ben[eIBcn  einbringen  roiU,  raiberftetien,  feine  Seroegung  burdi 
eine  cntgegengefe^te  53en3egung  auf{)e!)en;  unb  ba  nun  jeber  2öiberftanb 
eine  SiberftanbSfraft,  jebe  S3eraegung  eine  Bewegenbe  ^roft  üorauSfe^t, 
fo  fann  bie  3Jlaterie  ben  3flauni  nicf;t  buri^  i{)re  Uo^e  Sfiftenj,  fonbern 
nur  bur($  eine  beroegenbe  £raft  erfüllen,  raeld^e  nä^er  in  einer  ^uxüä'- 
ftoBung§=  ober  2lu§bef)nung§fraft  (9flcpuIfio --  ober  (gypanfiüfraft)    aller 
i^rer  S:l)eile,  einer  urfprünglii^en  ßlafticität  ber  ^Katerie  fceftelien  muB. 
3Serniöi}e  biefcr  il)rer  ©runbfvaft  fann  bie  3Jtaterie  groar  in'0  unenbli^e 
jufammengebrü(!t,  aber  t)on  leiner  anbern  Wlatevk,  raie  groB  auc^  il)re 
^raft  fei,  buri^brungen  werben;   e§  lann  mit  anbern  SBorten  bie  2Iug= 
bel)nung   eineä   gegebenen  Körpers   burc^   ben  ^xuä  einel  anbern  gwar 
itt'§  unbeftimmbare  uerminbert,   aber  niemals  ganj  aufgel)oben  werben. 
3n  berfelben  ^raft  ift  eS  begrünbet,  baB  jeber  5:^eil  ber  3}Iaterie  fi(^ 
fo  lange  auSbel^nt,  bi§  ber  Sßibeiftanb  eine§  anbern  il)n  baran  l)inbert; 
baB  e§  balier  nie  gwifc^en  swei  %i)dkn  ber  WaUvk  einen  dlaxm  geben 
fanu,  in  ben  fi(S^  nid^t  ajktcrie  auSgebefint  l)ätte,  baB  e0  feinen  teeren 
staunt  giebt,  unb  bafe  bie  9Jlaterie  nie  in  i^re  lleinften  Steile  gerlegt  werben 
fann,  fonbern  in'§  unenblicl;e  tlieilbar  ift.  —  2ßenn  aber  bie  repulfioe  ^raft 
in  ber  gjtaterie  allein  wirftc,  fo  würbe  fi^  biefe  m'§>  unenblid;e  gerftreuen. 
^ie  9}iögUcl;feit  ber  3Jlaterie  erforbert  balier  al§  bie  gweite  wefentli^e  ©runb= 
fraft  berfelben  eine  Äraft,  welcl;c  ber  abftoBenben  entgegenwirlt,  eine  ur^ 
fprünglicl)e  2ln3{e^img§  =  (2lttractio=)l'raft;  biefe  fönnte  aber  für  fid;  attein 
bie  5materie  aud;  nid;t  erllären,  ba  fie  o^ne  bie  ©egenwirfung  ber  3fiepul= 
fiüfraft  alle  %^dk  ber  SJtaterie  fc^lieBlid;  in  einen  matl)emati)d;en  ^unft 
oereiuigen  würbe.  ®ie  9lepulfit)!raft  fann  nur  burc^  33erül)rung  ber  ftd^ 
äurüdftoBenben  J?örper  unb  nur  in  ber  Serü^rung§fläd;e  berfelben,  alfo 
mit  (Sinem  SBort  nur  al§  „g-lädjenlraft"  wirfen;  bie  SlnsieljungSfraft  ba= 
gegen  wirft  in  bie  gerne,  fie  ift  eine  „burd^bringenbe  ilraft",  bereu  2Bir 
tung  fid;  burd^  alle  Släume  erftredt.  ®enn  in  ber  33erü^rung  i\t  bie  die- 
pulfiofraft  jebeä  ilörper^  burd^  bie  ber  anbern  begrenzt,   i^re  2ßir!ung 
fann  baljer  nur  bi§  jur  Secü§rung§flä($e  ge^en;  bie  2ln3iet)ung  bagegen 
wirft  umgefelirt  nur  auf  ba§,   wa^S  au^er^alb  be§  ansie^enbeu  ilörperg 
ifl,  unb  bie  größere  Entfernung  fann  wollt  eine  äunelimenbe  2lbfd)wäc^ung, 
aber  feine  2lufl)ebung  blefer  2ßirfung  begrünben.   2luf  biefe  jwei  Prüfte 
fü^rt  nun  .ßant  eine  9fleilie  oon  (Srf(^cinungen  jurüd:  bie  ©o^äfion,  ben 


Tlüapijtjfü  ber  Statur.  381 

Uttterfi^ieb  be§  glüffigen  unb  Starren,  bie  (gfafticität,  bie  c^emifc^e  S^ur(^= 
bringung  unb  ©(Reibung,  namentdd^  aber  bie  fpecifi[($e  SSerfd^ieben^eit 
ber  ©toffe;  unb  er  fe|t  in  ollen  biefen  ©e3ief)ungcn  feine  bynamifd^e 
^Raturerllärung  ber  mec^anifc^en  ber  Sltomifti!  entgegen,  beren  ©runb- 
irrt^um  er  in  ber  SSorauSfe^ung  ftef)t,  ba^  ber  fpecififd^e  llnterfd^ieb 
ber  ©toffe  l^infid^tlid^  i^rer  S)i(^ttgfeit  fid;  nur  burd^  bie  3lnnalf)me  leerer 
9läume  erflären  laffe.  ®iefe  ^Sorauäfe^ung  wirb  f)infä(Iig,  wenn  bie 
3Katerie  nid^t  burd^  aBfoIute  Unburd^bringlidjfeit,  fonbern  burd;  ilire 
9lepulfiüfraft  ben  9laum  erfüllt;  benn  biefe  ^raft  lä^t  uerfc^iebene  @rabc 
ju,  welche  in  rerfc^iebenen  ©toffen  urfprünglid;  üerfc^ieben  fein  föunen; 
roenn  aber  biefeS,  fo  fönnen  bie  DMume,  lueld^e  ron  üerfd;icbenen  ©toffen 
erfüllt  finb,  con  jebem  berfelben  üoUftänbig,  ofine  S)a3ioifd;eufunft  eine^ 
Seeren,  aufgefüllt  fein,  wenn  aud^  bie  ©i^tigfeit  biefer  ©toffe  nod^  fo 
oerfd^ieben  fein  mag.  i^m  übrigen  oerftefit  e§  fid^  auf  i^ant'S  ©tanb= 
punft  t)on  felbft,  ba^  biefe  gan5e  S^ebuftion  immer  nur  üon  ber  3)loterie 
al0  finntid^er  ©rfi^einung  gilt,  unb  über  ba§  SBefen  beffen,  ma§  fid^ 
un0  a\§>  raumerfüllenbe  9Jlaffe  barftetit,  nid^ts  au^^ufagen  bcabfid^tigt. 

SBeniger  eigentfjümlic^eS  fiaben  Äant'S  2(u^fül)rungen  über  bie 
@runbfä|e  ber  3Jted^anif:  ba^  bie  Üuontität  ber  9Jtatene  nur  na(| 
ber  Quantität  ber  ^Bewegung  bei  gfeid^er  ©cfd^rainbigfeit  gefd;öt^t  roerben 
fönne;  ba§  bei  allen  SSeränberungen  ber  förperlii^cn  5Ratur  bie  Üuantität 
ber  3)kterie  meber  rerminbert  no($  üermeljrt  werbe;  baB  jebe  3>erän= 
berung  ber  3Jiaterie  eine  äußere  Urfad;c  t)abe,  unb  be§f)alb,  nad^  bem 
©efe^  ber  ^rägfieit,  jeber  J^örpcr  in  feinem  ^iif^öub  ber  9hif)e  ober 
^Bewegung  befiarre,  fo  lange  nid;t  eine  äußere  Urf ad^e  i^n  nötf)igt,  ben-- 
felben  §u  rerloffen;  ba^  bei  jeber  3Jlittt)eilung  ber  53eroegung  äBirfung 
unb  @egenn3irfung  fid^  gleid^  feien.  3)oc^  beroeift  Äant  ba§  (entere 
©efeg  aud;  ganj  allgemein  au§  feiner  bijnamifd^en  ^öetrod^tung  ber  3Jta= 
terie  burd)  bie  ßrraägung,  ba^  jeber  Körper,  ber  auf  einen  anbern  ein= 
tt)ir!t,  üon  biefem  not^raenbig  eben  fo  riet  3Siberftanb,  mithin  ehen  fo 
üiel  ©cgenmirfung ,  erfafire,  a(§  er  in  i{)m  überminbet ;  unb  an§>  bem, 
voa§>  \iä)  \i)m  früher  über  bie  2lbftof3ung§=  unb  Sln^ie^ung^fraft  ergeben 
^at,  leitet  er  in  einer  tiefbringenbcn  Stuieinanberfepng  am  ©d)(uB  ber 
„^^f)oronomie"  ba§  me(^anifd;e  @efe|  ber  ©tetigfeit  ah,  bem^ufotge  ber 
3uftanb  ber  9iuf)e  ober  ber  ^Beiuegung  an  einem  Körper  nid^t  momentan, 
fonbern  nur  in  einer  gemiffen  3^^^  wnb  burd^  eine  unenb(id;e  9^ei|e 
oon  3iöi[(i;enäuftänben  oeränbert  werben  fann. 


382  ^a«t. 

^m  bem  vkxten  Slbfd^nitt  feiner  3Jtetapl^i)fif  ber  9Zatur,  in  ber 
^^änomenologie,  unler[nd;t  JTant  bie  SBebingnngen,  unter  benen 
bie  S3eiüe(3ung,  roeld;e  itng  unmittelbar  nur  a(§  @r[(^einung  gegeben  ift, 
©egcnftanb  ber  ©rfafirung  für  un§  werben  fann;  ober  mit  anbern 
SBorten  bie  53ebingungen,  nad;  benen  fidj  unfere  3?orfteIIung  üon  bem 
3uftanb  unb  bem  gegenfeitigen  5?er(;ä(tniB  ber  S)tnge  rii^tet,  an  raeld^ett 
bie  Seroegnng  fid;  oofljiefit.  2Bir  fefien  gmei  Singe  it)re  Sage  gegen 
einanber  üeränbern;  nad;  lueldjem  @efid;t§pnn!t  beftimmen  wir  nun, 
rt)a§>  f)kv  an  ben  S)ingcn  felbft  üorgefjt?  ob  baS  erfte  fid;  bewegt  unb 
ba§  3wcite  ruJit,  ober  ba0  gweite  fidj  bewegt  unb  ha?»  erfte  xnljt,  ober 
ob  beibe  fid;  bewegen  unb  wie  biefe  ^Bewegung  nöf)er  befd)affen  ift? 
Sluf  biefe  grage  antwortet  nun  ßant  (ogl.  ©.  339.  379):  ©ine  gerab^ 
linige  Bewegung  fönne  immer  nur  baburd^,  ha^  bo§  SSer!)äItni'3  eine§ 
Körper»  äu  einem  anberen  fid^  änbert,  alfo  immer  nur  in  einem  em= 
pirifd;  gegebenen  9iaum  wat;rgenommen  werben;  in  bicfem  ^all  bleibe 
e§  aber  unbeftimmt,  ob  ber  Jvörper  fic^  bewege  unb  ber  3'laum  rnl^e, 
ober  ob  ber  J?örpcr  rn^e  unb  ber  ifin  umgebcnbe  S^aum  fid;  bewege, 
dagegen  laffe  fi(^  bei  jeber  frummlinigen  Bewegung  ber  bewegte 
Körper  al§>  foId;er  er!ennen.  äöenn  enblid;  ein  Jlörper  einen  anberen 
bewege,  fei  eine  entgegengefe^te  g(eid;e  ^Bewegung  be§  legieren  notfiwenbig. 
3ugleid;  bewerft  er  aber  and;,  ha§>,  voa§i  allen  biefen  ^cftimmungen  gu 
©runbe  gelegt  werbe,  ber  Segriff  be§  abfoluten  3flaume§,  fönne  niemals 
ein  ©egenftanb  ber  @rfaf)rung  fein-  ber  abfolute  d\amn  fei  fein  realeS 
Dbieft,  fonbern  nur  eine  ^hee,  an  ber  e§  un§  gur  2lnf($aunng  foiume, 
baf3  ein  Körper  immer  nur  im  S5erf)ä(tni§  gu  onberen  Körpern  bewegt- 
ober  rufienb  genannt  werben  fönne.  (Sbenfowcnig  Iäf3t  er,  wie  wir  he- 
reitS  gef)ört  Ijaben,  bie  2lnnaf)me  eine§  leeren  9laume§  gelten;  aud;  feine 
Unmöglidjfeit  ift  aber  allerbingg,  wie  kant  glaubt,  nid;t  gu  crmeifen, 
weil  bie  erften  ©rünbe  ber  S)inge  überl)aupt  für  un§  unbegreiflid;  finb, 
unb  bie  S]ernunft  ftatt  ber  letzten  ©reuje  ber  2)inge  im.mer  nnr  bie 
le^te  ©renje  i^re§  eigenen  i^ermögenS  erforfdjen  fann.  g^ür  il)n  Ijaben 
alle  biefe  ^^ragen  fd;on  be§f)a(b  feine  S3ebcutung,  weil  er  ben  DIaum  für 
eine  blo^e  2(nfd;annng§form  l)ä(t;  bie  3Jtetapl)i;fif  ber  9ktur  fann  nnS- 
\a  aber  überliaupt  feiner  2lnfi(^t  nad^  nid;t  über  bie  wirf(id;e  Seidjaffen= 
l^eit  ber  S)inge  außer  un3,  fonbern  nur  über  bie  53ebingungeu  unb 
5ßerl)ältniffe  unterrid^ten,  unter  benen  biefetben,  nad^  ber  9?atnr  niifere^ 
2lnfd;auen§  unb  S)enfen§,  fic^  un§  barfteUen.    5Rur  unfer  fittlid;er  Sßillc 


bringt  iml  mit  ber  ii6erfinTtlid;en  äöelt  in  S^cvüiubnng ;  bie  einzige 
2BiHcn[d;aft,  bie  eS  mit  etroal  anberem  al§  @rfd;einungen  ^u  t^un  f)at, 
ift  bie  ©t^if,  ober  raie  fie  Äant  nennt:  bie  3)ietapfji;fif  ber  ©itten. 

1.  2)ic  9JZcta^^i)fif  ber  Sitten:  9Jcf^t§Ic^rc  uuD  (^c[rf)tc^törtufid)t. 

S)en  ©egenftonb  biefer  2öi[[en[d;aft  Mlbet  ini  allgemeinen  bal 
^onbeln  be§  3JJen[^en  a(§  SIeuBcrung  feines  freien,  unter  einer  fitt* 
liefen  ©efc^gebung  fte^enben  SßiffenS;  fie  fott  geigen,  ma§  für  ein  SSer« 
galten  bnrd;  bie  oprior if d;en  ^lincipien  unferer  praftifd^en  SSernunft 
üon  bem  3Jfenf(^en  all  fold^em,  unb  ba^er  von  jebem  3)ienfdjen  gcforbert 
tt)irb,  fie  foll  bie  opnorif($en  unb  allgemeingüttigcn  ©efe|3e  be§  fittlid^en 
Seknö  iinb  bie  ifinen  entfpred^enbe  ^anbinngilmeife  barfteKen.  2)iefeS 
gefc^ie^t  aber  auf  groeierlei  S(rt,  unb  bie  9}ietap(;9fif  ber  ©itten  'i)at  be|s 
l^aib  graei  ^aupttf)cile.  SBenn  uämti^  bie  fittlid^e  ©efeljgebung  über= 
§aupt  einen  boppeiten  ©egonftaub  ^at,  bie  ^anblung,  n)c(d;e  gur  ^lii^t 
gemad;t  wirb,  unb  bie  Slriebfeber  biefer  ^anbtung,  fo  toirb  biefelbe 
einen  üerfd;iebcnen  St)ara!ter  anneijmen,  je  nadjbem  fie  fic^  nur  auf  haä 
crfte  t)ou  jenen  ^mei  ©tüden  bejiefit,  ober  auf  beibe.  ^n  hcm  erften 
'^atl  mirb  nur  bie  Uebereinftimmnng  ber  ^anblung  mit  bem  ©efe^e 
»erlangt;  in  bem  aubern  wirb  nid;t  Uo§>  bie  ^anblung  gur  ^ftic^t, 
fonbern  auc^  bie  ^ftic^t  jur  S^riebfeber  gemad)t,  eS  wirb  nic^t  allein 
»erlangt,  ba^  man  ba§  t^ue,  roa§  mit  bem  @efeg  übereinftimmt,  unb 
ha§>  unterlaffe,  rüa§>  i^m  miberftreitet,  fonbern  auc^,  baji  biefcS  Z^un 
unb  Saffen  au§  Sichtung  oor  bem  ©efe^,  au§  pflidjtmäfjiger  ©efinnung 
l^erüorge^e.  ©ine  @efe^ gebung  ber  erfteren  2lrt  ift  eine  juribifd;e,  eine 
fotdje  ber  sraeiten  2lrt  eine  moralifdjc.  ^ene  forbert  blo§  Legalität,  biefe 
Moralität;  jene  ergiebt,  fofern  fie  fid)  auf  allgemeine  3?ernnnftbegiiffe 
grünbet,  bie  p§itofopl)ifdje  3^ed;tele^re,  biefe  bie  Stugenbleljre. 

Sie  3flec^t§lel)re  ift  „ber  Inbegriff  ber  ©efe^e,  für  n)eld;e  eine 
äußere  ©efe^gebung  möglid^  ift" ;  alfo  berjenigen,  meiere  fid^  auf  äu&ere 
^anblungen  als  folc^e  begießen,  ©ie  betrachtet  aber  biefe  ^anblungen 
nid;t  i^rer  Xriebfeber  unb  il)rem  Qmäe,  fonbern  nur  il)rer  gorm  nac^, 
TOiefern  fid;  bie  menfd^lic^e  2Biafü^r  in  i^ncn  betl)ätigt.  2Benn  ba^er  ha^ 
©ittengefe^  im  aagemeinen  üon  un§  forbert,  fo  3U  l)anbcln,  baB  bie 
ajlajime  unfereS  ^anbelnö  fid;  gum  gJrincip  einer  allgemeinen  @efe|= 
gebung  eignet  (ogl.  @.  368),  fo  »erlangt  i)a§>  3fie($t§gefe^  ehcn  biefeS 
»on  uns  ^infic^tlic^  ber  gorm  unferer  äußeren  ^anblungen,  l)infid^tli(^ 


384  Äant. 

ber  Slrt,  auf  ml6)e,  unb  be§  ©rabeB,  in  weld^etn  unfere  2BiIIfüf)r  ft^ 
in  benfetben  betfiötigt.  2).  f).  e§  oertangt  oon  un§:  fo  gu  f)anbeln,  bofe 
bie  grei^eit,  mit  ber  wir  unfere  2Bi(Ifüf)r  in  unfern  ^anblungeu  be= 
tf)ätigen,  aud^  atten  anbern  in  ber  gleichen  Sßeife  üerftattet  werben  fann; 
ober  wie  ^ant  bicB  au§brü(ft:  fo,  ba^  „nac^  ber  ajtafime  unferer§anb= 
tung  bie  ^reifieit  ber  2Sinfüf)r  cineS  jeben  mit  jebermannS  ^reifieit  nad^ 
einem  alfgcmeinen  ©efe|e  3ufQmmenbefte§en  fann."  Söenn  eine  §anb= 
(ung  biefer  Slnforberung  entiprtd;t,  ift  fie  red^t;  unb  wenn  wir  aCfcS 
ba§  gufammenfaffen,  mag  l^iefür  nöt{)ig  ift,  fo  erhalten  mir  b  a  §  9t  e  d^  t, 
„3)a§  9?ed^t  ift  alfo  ber  Inbegriff  ber  S3ebingungen,  unter  benen  bie 
SBiUfü^r  be§  ©inen  mit  ber  SSiüfüfir  be§  Slnbern  nac^  einem  allgemetnen 
©efelje  ber  grcifieit  gufammen  vereinigt  merben  fann";  unb  roeit  eS 
bie§  ift,  raeil  eg  bie  allgemeinen  ^ebingungen  alle§  ^reil)eit§gebraud^3 
entfiäft,  ift  e§  au($  mit  ber  S3efugni§  üerbunben,  bie  Slnbern  3U  feiner 
@int)a(tung  ju  gmingen:  ber  re(^t(irf;e  ^manq  ift  nur  bie  Sefeitigung 
ber  .^inberniffe,  raeld)e  bie  2öillful)r  ©injelner  ber  affgemeinen  greil)eit 
cntgegenftellt.  ^iwe  ^Bebingungen  finb  aber  tlieill  folc^e,  bie  fid^  auS 
ber  Dktur  eines  freien  2öefen§  unmittelbar  ergeben,  unb  bal)er  für  alle 
folc^e  23efen  in  ilirem  gegenfeitigen  SSer!el)r  gelten;  tl)eil§  fold^e,  bie  fi(^ 
erft  au§  ber  ^Bereinigung  oieler  3Jlenfd^en  gu  einem  ©emeinraefcn  ergeben. 
;3ene  bilben  ba§  natürliclie  ober  ^riüatred;t,  biefe  ha§>  bürgerlidlie  ober 
öffentliche  Stecht. 

S)ie  ©runbbeftimmung  be§  natürtid^en  $Red^tl,  ha§)  angeborene 
©runbrerf)t  jebe»  3Jtenfc^en  ift  bie  %xei^^it,  fofern  fie  mit  ber  jebeö 
anbern  na^  einem  allgemeinen  @efe^  3ufammenbcftel)en  fann;  in  biefem 
^rincip  ift  aud^  bie  angeborene  ©lei($l)eit  unb  Unab^ängigfeit  aller  SJien^ 
fd^en,  bie  ^öefugnife  ju  allen  ^anblungen,  bie  fein  frembeS  9iedl;t  »erleben, 
rote  j.  S.  bie  ungel)inberte  @ebanfenmittl)eilung  unb  äl)nli(|e!5,  enthalten. 
S)a  eg  fid^  aber  im  3tec^t  nic^t  um  bie  innere  grei^eit  be§  2ötllen§, 
fonbern  um  il)re  äußere  ^etl)ätigung ,  ben  äußeren  greil)eit§gebraud^ 
l)anbelt,  fo  fefet  jebe  rec^tlic^e  S3eftimmung  ein  öu^ere§  S)afein  beS 
2ßiUen§  oorauS,  unb  fie  felbft  fann  nur  barin  beftel)en,  baB  biefe  äu§ere 
@pl)äre  ber  ^reil)eit  gegen  Eingriffe  gefc^ü^t  rairb.  Äant  ftellt  nun 
atle§  3(euf?ere,  in  beiu  unfer  freier  äßille  ein  S)afein  geroiunt,  unter  ben 
^iefür  aUerbingS  ni(^t  au§reicl;enben  begriff  be§  58efi^e§,  be§  9}lein 
unb  S^ein ;  er  bemerft  ferner,  ber  ©egenftanb  biefeS  53efi|e§  fei  entioeber 
eine  förperlid^e  «Sad^e,  ober  bie  Seiftung  eineS  Slnbern,  ober  bie  anbere 


XaS  natürltd;e  SRec^t  335 

^ser[on   felbfl;   unb   er  tl^eiit   bemgemä^   aUe§>  natürtid^e  ^c^t  in  ba? 
€acf):nrecf)t,  ba»  peri'önfid^e  3^ec^t  unb  ba§  binglicfiperfönnrfie  O^ec^t. 

22a»  nun  junäc^ft  bal  Sad^enred^t  Betrifft,  10  bemerft  .^ant 
fe^r  rid^tig,  ba§  bal  ßigent^UT.Srcc^t  aur  eine  8ac^e  nic^t  ein  'tReä)!^- 
oer^äftniB  jroiic^cn  bem  Gigentfiümer  unb  ber  Sad^e,  bie  er  beufet,  fon= 
bern  ein  iRed^t§Dcrf)ä'tni§  3n)if(^en  i^m  unb  anbern  ^erionen  ift ;  roeld^ec 
nä^er  barin  befielen  fott,  ba§  ibm  ber  au§fd^Iie§(i(^e  Seu^  einer  2ad6c- 
geftattet  toirb,  bie  if)m  uriprünglic^  mit  äffen  anbern  gemeinid^aftUd} 
gefiörte.  .^ie3U  fc^eint  min  aber  bie  ^^ftimmung  atter  anbern  nöt^ig 
ju  fein ;  unb  biefe  lä^t  fid^  tf)atfä(^(ic^  nid^t  nacfjroeifen,  aLfe«  ßigentfium 
rourbe  üietmefir  urfprüng[ic^  burc^  ben  einfeitigen  2tft  ber  Sen|ergreifung 
erworben,  unb  roo  e-3  fid§  um  l^errenloi'e»  @ut  banbelt,  roirb  e?  nod^ 
[0  ermorben.  .^ant  antroortet  auf  biei'en  (rinmurf  mit  einer  Unter- 
ic^eibung,  roetc^e  ibm  burcb  fein  ganje^  Softem  an  bie  .öanb  gegeben 
loar.  S^er  urfprüngticfie  ©eiammtbefife  aller  SJ^enfd^en,  fagt  er,  be.eid^ne 
ni^t  einen  l!)atfäd^[ic^en  3iiftanb,  fonbern  einen  praftifc^en  S?ernuntt: 
begriff,  ein  apriorif d^c§  ^rincip ,  na(^  TOcId^em  fidö  ber  ^efi|  ber  (rrbe 
burc^  bie  2)ienfc^en  ju  rid^ten  babe;  ba»  gleid^e  ^rincip  nerlange  aber 
aud^,  baB  ber  23iffe  bcffcn,  mefcfier  fid^  einer  Sadje  5U  feinem  ^prioat; 
befi|  juerft  bemäd^tigt,  oon  allen  anbern  anerfannt  roerbe.  ^n  ber 
21>irf[irf)feit  erfolge  jebod^  biefe  3(nerfennung  erft  im  bürgerlid;en  3«i'tcinb, 
unb  e§  fei  bcts^aib  jebe  (?igentf)um§erroerbung  im  Dtaturiuftanb  afe  eine 
bloe  proDiforifc^e,  nur  bie  in  ber  bürgerlichen  ©eieüid^aft  al§  eine  pe^ 
remtorifd^e  ju  betraditen. 

5n  ähnlicher  Steife  löft  i!ant  aud^  in  bem  5roeiten  3(bfd^nitt  feine? 
•^riratred^t?,  ber  Sebre  oom  perfönfic^en  -Red^t,  eine  Sdfiraierigfeit, 
bie  t^m  gleid)  ;um  Otnfang  entgegentritt;  bie  ftd^  übrigen«,  ebenfo  wie 
bie  t)orf)in  befpro($cne,  aud)  auf  anbere  3(rt  bätte  befeitigcn  laffen.  Slffe? 
perfönlid^e  cRedbt  ift,  wie  er  auS''ü{)rt,  3>ertraglrec^t ;  benu  e§  beftefit  in 
bem  9^ec^te,  bie  SSitIfübr  eine?  3(ubern  nad^  ^jrei^eitegeieeen  3U  einer 
geroiffen  %i)at  ju  beftimmcn,  in  bem  Slnfprud^  auf  geroiife  Seinungen 
be?  3(ubern;  ein  fo!^er  2Iniprud;  ann  aber  nic^t  burc^  einen  einfeitigen, 
fonbern  nur  burd)  einen  gemeinfamen  22iIIen§aft,  einen  5?ertrag,  er^ 
roorben  werben.  2tber  wie  ift  —  fragt  .^ant  f)ier  —  bie  ^Bereinigung 
sroeier  SBiUen  m.iig[i^?  2)er  3eit  nad;  folgen  bie  beiben  2öilIen§erElär= 
ungen,  ba?  5?eripred^en  be?  einen  unb  bie  ^Tnnabme  be?  anbern  "J^eile, 
auf  einanber;  mie  fann  man  fid^  oerfidieim,   ta^   btv  Tüitfe  bc?   erften 

3« Her,  ©ciAidiie  tet  teutiicii  $6ileirp^ie.  2b 


386  ^ant. 

fid;  ni^t  geänbert  §at,  6i§  ber  jtoeite  bcn  feinigen  er!(ärt?  Äant  ep 
tebigt  biefeä  Sebenfen  buxö)  bie  ■llnter[d)eibung  be§  2öe[en§  unb  ber 
©r[d;einung.  ©einem  empirifd;en  5Da)ein  nad;,  fagt  ex,  befielt  ber  SSers 
trag  an§  ^roei  aufeinanberfoigenben  Slften;  aber  aU  ein  red;tli(^e§  SSer« 
l)ältni§  ift  er  rein  intelleftneller  Sftatur,  haK-'  Sollen  ber  bciben  ^acif= 
ceuten  ift  an  feine  3ßi^^<^^i"9W«Ö  gefnüpft,  ift  gemeinfam. 

^ant'^  ßint^eiiung  ber  Verträge  in  einfcitige,  TOcdjfelfeitige  unb 
3nfid;erung0üerträge  nebft  ben  ga^lreldjen  Unterarten  biefer  §auptüerträgc 
fann  f)ier  nur  ftüd^tig  berüf)rt,  unb  au§  feinen  weiteren  Erörterungen 
über  bie  SSerträge  follen  nur  brei  fünfte  l^eruorgefioben  raerben:  feine 
Söemerfuugen  über  ben  9'^ad;brud,  über  Seerbuug,  unb  über  ben  ©ib. 
—  S)ie  llnred;tinä^igfeit  be§  9Jac^brud§  begrünbet  er  bamit,  ba^  ber 
SSerleger  nur  im  9^amen  unb  2luftrag  beS  5ßerfaffer§  gum  ^ublifum 
fpred^e,  ber  9Za(^bruder  bal;er  nid;t  ba^  '^eä)t  ^ahe,  in  feinem  5Rcmen 
5U  fpred^en,  ot)ne  von  if)m  beoollmäd^tigt  gu  fein;  wobei  groar  richtig 
erfannt  ift,  bajg  e0  fic^  bei  ber  j^rage  über  ben  9^ad;brud  nid;t  einfach 
um  ein  ßigentt)um§rec^t,  fonberu  um  ein  3)ertrag§oer^ältni^  Ijanbelt, 
aber  bie  eigentlid;e  Si^atur  biefe§  3Sert)ä(tniffe§  fd;merlic^  gan^  3utreffenb 
beftimmt  ift.  —  3)a^  ßrbred;t  anbelaugonb,  glaubt  er:  eine  ^eerbung 
o§ne  3?ermäc^tniB  fei  im  Sf^atursuftanbe  nid;t  möglid;;  aber  and;  gegen 
bie  teftamentarifd;e  Erbfolge  brängt  fid^  it)m  ha§>  ^ebenfen  auf,  bafe 
ba§  33erfpredjen  bei  ©rblafferl  feinem  Siobe  rorange^e,  bie  Slnna^me 
be0felben  üon  ©eiten  bei  Erben  it)m  erft  nad;fo(ge,  unb  baf3  c§  fo  ^ier 
ftrenggenommen  an  bem  gleid;3eittgen  SBitten  ber  contralt)irenben  %i)dk 
fe^Ie,  ber  gu  einem  S^ertrag  nöttiig  fei.  ^nbeffen  bcrut)igt  er  fic^  hierüber 
mit  ber  33emertung:  bur(^  ba§  3sermäd;tni§  be§  ©rblafferä  erroerbe  ber 
Erbe  loenigftenS  bal  au§fd;lie§lid;e  9ted;t,  bie  Erbfd^aft  3U  acceptiren; 
giebt  aber  babei  ^u,  ba^  ber  53cfi^  ber  (enteren  wäljrenb  ber  3<^it/  w 
ber  fie  gmifc^en  ber  2lnnat)me  unb  ber  SSerioerfung  fdjraebe  unb  eigent= 
li(i^  feinem  anget)öre,  nur  üon  ber  bürgerlid;en  ©efellfd;aft  bewahrt 
werben  fönne.  —  Söal  enblid;  hcn  Eib  betrifft,  fo  oerbirgt  ber  ^^ilofop^ 
nid)t,  baB  er  biefe  „geiftige  2;ortur"  am  tiebften  gan^  befeitigt  fät)e: 
t^eit0  weil  i§re  2öirfung  bod^  weit  metir  auf  Stbergtauben,  al0  auf 
wirt[[d)cr  Sletigion  beruhe,  tfieill  unb  befonbcrl,  weil  e0  ber  unüerlier= 
baren  menfd)(id;en  grei^eit  wiberftreite,  wenn  jcmanb  gezwungen  werbe, 
einen  Gib  3U  tciften,  ober  bie  Erlangung  fcincS  i)iecl)teä  üon  bem  (Sib 
eines  ^itnbern  abhängig  su  madjcn. 


S)a'3  natiitlidie  Slet^t.  "  387 

Unter  bem  b  i n g  ( i  d)  =  p  e r  f  ö  u ( i  d;  en  9ied){  uerftctit  J?aut  ba^jcnltje 
9fied;t§üevl)ältnt§  einer  ^erfon  gn  anbern  ^erfonen,  in  TOelc^em  biefelden, 
wie  er  fagt,  gwar  a(§  «Socken  befeffcn,  aber  al§  ^er[oncn  gebrandet 
werben;  bie§  foH  nämfid;  im  S5erf)ä[tni^  ber  ©atten,  bcr  Gltern  nnb 
ber  Äinber,  ber  §err[djaft  nnb  be§  @efinbc5,  atfo  n6erf)anpt  in  ber 
g^amilie  unb  im  ^anSraefen  ber  galt  fein,  unb  ber  eiocnt^üniUdjc  ßfia^ 
rafter  biefer  ©emeinfdjaftcn  foll  in  red)tlid;er  ^e^ieljnng  eben  (jicrin 
beftel)en.  ©oB  aber  md)t  allein  biefer,  mit  einem  inneren  Söiberfprud) 
Bef)aftete  53egriff,  fonbern  ber  rein  re(^t[i($e  ©efic^tSpnnft  ü(iei'f}anpt, 
für  bie  richtige  äßürbignng  jener  fittlidjen  Seben^bejiefiungen  nid;t  au§= 
reid)t,  räumt  J^ant  felbft  mittelbar  ein,  menn  er  fagt,  ba§  binglidj^per^ 
fönlic^e  9ted;t  beruhe  rocber  auf  einer  eigeumäd;tigen  2:()at,  nod;  auf 
einem  SSertrag,  fonbern  auf  einem  über  alle§  fad;[idje  unb  perfönlidie 
l^inausliegcnben  d}cd)t,  bem  dtcäjt  ber  3}ienfd;l)eit  in  unferer  ^crfon 
unb  bem  barauS  abjuteitcnben  ©efe^.  9Rod;  beutlid;er  fommt  e§  aber 
an  ben  S3eftimmungen  jum  3.>orfd;ein,  raeid^e  i^ant  über  bie  gamilie, 
unb  namcntlid;  über  bie  ©runblage  berfelben,  bie  G()e,  auffteHt.  ^ene 
befannte,  unb  faft  famt  man  fagen:  berüd;ttgte  S)efinitiün  ber  ßfie,  nac^ 
ber  fie  nid)t§  aubereö  fein  folt,  al0  „bie  SSerbinbung  gmeier  ^serfonen 
t)erf(^iebenen  ©efd;(ed;t§  gum  lebenSmierigen  mec^fetfeitigen  53efilj  it;rer 
@efc^icd;t§eigeufd}aften"  —  biefe  uniüürbige  unb  gugieid;  waijrfjaft  i)öU 
gerne  SJuffaffung  ber  ©t)e  rüt)rt  fd;(ieBlid;  bod;  nur  ba^er,  ha^  fie  a(5 
ein  bloßes  9lecf;t§oerf)ä(tui§  befianbelt  wirb;  unb  wenn  Äant  bie  9totf)* 
wenbigteit  ber  (S^e  mit  ber  Semerfung  begcünbet:  im  @efd}ted;t§prüce^ 
würbe  jeber  ^^eil  fidj  bem  anbern  gegenüber  jur  <Bad)e  mad)en,  fall* 
er  nic^t  feinerfeit»  biefen,  unb  jwar  feiner  ganzen  ^erfönlid)fcit  nad;, 
g(eid;fall§  in  feinen  ^efi^  bväd;te,  fo  fann  er  bod;  aud;  uon  biefem  an 
fid;  nid^t  unfrud)tbaren  @eban!cn  befj^nlb  nid;t  ben  redeten  ©ebran(^ 
madjen,  weil  er  ba§  ©efc^fedjtSfeben  unb  ben  @efd;(ed;t§uuter)d;ieb  (mic 
bie§  freilid)  faft  allgemein  gefd^iel)t)  eUn  nur  von  ber  pl)i)fifd;en  ©eite 
betrad^tet,  feine  geiftige  unb  fittlid;e  53ebeutung  bagegen  überfiel)t.  S)er 
gleidje  3}tangel  einer  adju  äuBerli^en  unb  bto§  formell  rcd^tlidjen  Se= 
tra(^tung§weife  ftöBt  un§  in  bem  ©alj  auf,  mit  bem  ^ant  bie  ^sex- 
pflid^tungen  ber  ©Item  gegen  {l)re  Äinber  beweift:  ba  fie  biefelben  ol)ne 
i^re  ©iuroiHigung  eigenmächtig  in  bie  Söett  gebrad;t  ^abcn,  fo  feien  fte 
au(^  üerbunben,  fie  mit  biefem  i^rcm  ^uftanb  möglid;ft  jufrieben  ju 
machen. 

25* 


388  *a"t. 

®a§  3^Qturred^t  a[§  fold;e§  ift  inbeffen  immer,  luie  mir  Bereite  ö^- 
|ört  f)aben,  ein  bIo§  prooi[ori[c^er  ^^ftanb ;  ein  roirüic^er  91edjt§3uftanb 
ifl  nur  im  ©taat  mögüd^.  Senn  niemanb  ift  oerbunbcn,  fid)  be§  ©in; 
grip  in  bcn  Sefi^  eines  2lnbern  gu  entfjatten,  wenn  if)m  biefcr  nid^t 
bie  @!($erf)eit  giebt,  baB  er  feinen  S3efi§  eknfo  ad^ten  werbe;  eine  folc^e 
<5i(^er§eit  tjiebt  ei3  aber  im  S^atur^uftanb  nid;t,  fie  finbct  fid;  nur  im 
bürgerlii^en  3iifiß^i^/  ^^  Staate,  ©benbe^fialb  aber  fann  jeber  ver- 
langen, baB  biejenigen,  mit  benen  er  sufammenäulebcn  genötf)igt  ift,  in 
ben  bürgerüd^en  ^i^ft^^'^  eintreten:  au§  ber  9le(^t§unfid;ert)eit  be§ 
Tiatur^uftanbeS  folgt  bie  red^tlii^e  3Rot^menbig!eit  be§  bürgeriid^en 
©emeinmefenS,  roeil  erft  mit  biefem  ein  red;tlid^er  3wftanb  beginnt. 
Ser  :3n^e9i^iff  ^^^  ©efe^e,  bie  biefen  ^^f^^^^^  l^eroorbringen,  bilbet  ba« 
öffentlid;e  9te(^t,  meld^eS  näfjer  in  ba§  6taat§re(^t,  ba§  ^ötferred^t 
uub  ba§  2öeltbürgerred;t  gerfättt. 

^n  biefer  Segrünbung  bc§  ©taat§Ieben§  ift  bereits  audj  ber  leitenbe 
®efi(^tSpun!t  für  bie  ganje  ©taat Sle{)re  auSgefprodjen.  ^ant  fd^tie^t 
fld^  in  berfelben  tf)ei(§  an  Sode  unb  SKontefquieu,  tfieils  an  Slouffeau 
an,  bcffen  Schriften  fc^on  früfie  feine  2lufmerffam!eit  erregt  Ratten,  unb 
if)tt  foTOof)t  burd^  if)ren  fac^lic^en  ^n^alt  als  burc^  bie  in  il^nen  fi^ 
auSfpvcd;enbe  ©efinnung  anzogen ;  benn  fo  mand;eS  if)m  aud;  in  9?ouffeau'S 
^erfönlid)feit  miberftrcben  mu§te,  fo  I)od;  fd;ä|te  er  bod^  feine  marme 
Segeifterung  für  atleS  (Sble,  unb  fo  entfc^ieben  mar  er  mit  bem  58e= 
ftreben  einnerftanben,  baS  ^erfomnten  unb  bie  bürgerlid;en  @inrid)tungen 
auf  bie  urfprünglid;e  3J?enfd^ennatur  unb  bie  gemeinfame  SSernunft  prüd^ 
äufüfjren  unb  an  i^nen  ju  mcffen.  ©eine  Sluffaffung  beS  ©taatSlebenS 
gef)t  auSfd;(ieB(id;  t)om  ©tanbpunft  bcS  9kd;tS  aus.  5Der  ©taat  fott 
fid;  feinem  Urfprung  nad;  auf  einen  SSertrag  grünben,  unb  in  feinen 
3roeden  fidj  auf  ben  ©d;u^  ber  natür(id;en  ^ed;te  befd;ränfcn.  ®od) 
bieibt  fi(^  .^iant  in  ber  erftercn  S3e3ie{)ung  nid;t  gauj  gleid^,  unb  menn 
er  bie  £el)re  com  ©taatSoertrag  un^meifetfiaft  vertieft  unb  oerbcffert  t)at, 
fo  f)at  er  fid;  bod;  in  betreff  ber  praftifd^en  Folgerungen,  bie  fic^  auS 
it)r  ergeben,  üon  einem  füt)Ibarcn  ©d;manfen  nid;t  freigefialten.  ®ic 
obcrfte  ©cmalt  im  ©taate  befinbet  fid),  roie  er  fagt,  urfprünglid;  im 
3So(fe ;  ber  ©taat  fann  nur  auS  bem  vereinigten  SSolfSroiUen  entfpringen, 
er  beruf)t  auf  einem  „urfprüngüd^en  SSertrag",  burd^  ben  alle  im  SSoIt 
it)re  natürlid^e  greif)eit  ouf geben,  um  fie  in  einem  rcditlid^en  3iifto"^ 
unocränbcrt  micber^ufinben.     S^iefer   SSertrag   ift  jcbod;  nidjt   eine  ge^^ 


3)cr  ©taat.  389 

f(!^i($tli^e  Sfjatfoc^e,  fonbern  „eine  Ho^e  3^ee  ber  SSernunft" ;  er  ift 
ein  2lu§bru(f  für  bie  im  SBe[en  be§  ®taot§  liegcnbe  ^orbennig,  baf, 
jeber  ©efe^geber  feine  @efe|e  fo  gek,  wie  fie  axi§>  bem  oereinigtcn  SBillen 
beS  SSoIfeS  enifpringen  !onnten,  unb  bie  Bürger  fo  onfefie,  a\§>  ob  fie 
ju  einem  foI(f;en  SBillen  mitjngcftimmt  f)Qkn.  5Dur(^  biefe  innere  S^otJ^- 
lücnbtgfeit  nntcrfd;eibet  fi(5  ber  StaatSüertrag  t)on  allen  anbern  SSer^ 
trögen:  e§  ift  nid;t  bem  ^Belieben  ber  ßinjelnen  anfieimgegeben,  ob  fie 
fic^  5U  einem  ©emeinmefen  üereinigcn  moHen,  fonbern  bie  ^Bereinigung 
ift  ein  Qmcä,  ben  olle  ^aben  f ollen,  unb  c§  ftef)t  einem  S?olfe  mä)t 
frei,  üon  bem  33ertrage,  auf  bem  fein  «Staat^raefen  berufit,  mieber  ^mM-- 
jutreten.  2Bä^renb  3ftouffeau  bemfelben  ba§  9]ed;t  gnfprad;,  in  jebem 
^tugcnblid  feine  3]erfaffung  3n  änbern  nnb  feine  Siegierung  ab3ubernfen, 
erftärt  ^ant:  'oa§>  SSolf  bürfe  über  \)en  Urfprnng  ber  oberften  ©eroalt, 
unter  ber  e§  fte!f)e,  nicf)t  roerftljätig  üeruünfteln,  i^re  Berechtigung  praftifd^ 
nic^t  bezweifeln;  bie  göttlid;e  ßinfe^ung  ber  Dbrigfeit  laffe  fid;  groar 
als  gefd;i^tli($er  @runb  ber  bürgerlichen  S3erfaffung  nid;t  beroeifen, 
aber  fie  fage  ba§  praftifd;e  SSernunftprincip  au§,  ber  befteljenbcn  gefe^= 
gebenbcn  ©eroalt  ju  gel)ord;en,  il)r  Urfprung  fei,  welcher  er  rooHe;  gegen 
ba§  gefe^gcbenbe  Dberliaupt  be0  ©taateS  gebe  eS  feinen  red; [mäßigen 
Söiberftanb  be§  SSolfel,  ba  nur  burc^  tlnterroerfung  unter  ein  (Staat0= 
oberl)anpt  ein  red;tlidjer  3uftanb  überljaupt  möglich  fei,  unb  ber,  roeld;er 
ben  SB.bcrftanb  gegen  ben  oberften  Befel)l§t)aber  ansnorbuen  befugt 
wäre,  felbft  biefer  oberfte  58efel)l!cl)aber  fein  mü§te.  3rtögen  bie  öffent^^ 
li(5^en  3iifiänbe  aud;  nod;  fo  mangelljaft  fein:  man  foH  il)nen  bod;  immer 
nur  auf  bem  SBege  ber  Sleform,  nidjt  auf  bem  ber  91eoolution  abhelfen. 
3Bierool)l  bal;er  ber  ^l)ilofopl;  anerfennt,  baB  aud;  ba§  S?oll  feine  un= 
t»erlierbaren  3tec^te  unb  bie  gefc^gebcnbe  ©eroalt  il)re  'Bdy:anten  ifobt, 
unb  ba^  ber  ©efe^geber  nid;t§  über  ba§  ^soll"  befd^lie^en  Unne,  roaS  e§ 
über  fic^  felbft  gu  bef(^lie§en  nid;t  ba§  ^c^t  l)ätte;  roieroo^  er  bie 
fran3Öfifd;e  S^eoolutiott  mit  ber  Icbliafteften  S£t)eilnal)me  verfolgte,  unb 
tro|  atter  il)rer  2lit§fd^reitungen  unb  ©räuel  fortroäl)renb  (nod;  1798) 
in  biefer  S3egebenl)eit ,  unb  nod;  melir  in  bem  6ntl)ufia§mu6 ,  mit  bem 
fie  t)on  ben  unbet^eiligten  3iifclj<^wern  aufgenommen  roorben  mar,  einen 
glanjenben  33eroei§  für  ben  gefd^i(^tlid;en  j^ortfi^ritt  ber  3)cenfdjl;eit  er= 
blidte:  roiE  er  boc^  bie  S^ec^te  be§  SSolfeS  (in  unt^erlennbarem  SBiber- 
fprud;  mit  feinen  allgemeinen  SSeftimmuugen  über  ba§  9fled;t)  nic^t  a\§ 
^toangsred^te  betrad;tet  roiffen,  unb  il)m   neben  ber  freien  treffe  gum 


390  Ä^"t- 

©d;u^  feiner  9'lecf;tc  f)ö(^flen§  nod)  bie  parlamentarifd^e  6teuert)ertt)eigers 
ung  §ugeftcl^en.  2öie  e§>  aber  gef)alteti  werben  foll,  luenn  fid;  eine 
9legiernng  aud;  an  biefen  9fle(^ten  vergreift,  bavnber  giebt  er  m\§>  feine 
2ln§hinft  '). 

©trenger  f)ä(t  ^ani  in  feinen  Seftimmungen  über  bie  Slnfgabc 
ba§  6taat§  am  S3egriff  einer  D^ec^tSanftalt  feft,  wenn  er  ben  ©taat  atS 
,,bie  SScreintgnng  einer  9Jienge  t)on  3Jtenfd;en  unter  3f!ed)t§gefe^en" 
befinirt,  nnb  foI($e  S;]()ätigfeiten  ber  StaatSgeraalt,  welche  fid)  nid;t  un- 
mittelbar auf  bie  @rf)attung  be§  9le(^t§3uftanbe§  rid;ten,  menigftenS  tn= 
bire!t  gieidjfaHä  auf  biefen  ^«^^'(^  äurüdfüf)ren  miti;  fo  5.  S.  bie  ©itten= 
poligei  mit  ber  ©rroägung,  ta'^  bie  @rf)altung  be§  moratifd;en  ©inneS 
ber  9^egterung  it)r  @ef(^öft,  baS  ^olt  huxä)  ©efe^e  ju  (enfen,  gar  fe{)r 
erleidjtere.  2ln§  bemfelben  ©tanbpunft  mirb  ba§  33erf)ä(tniB  be§  ©taatS 
unb  ber  Äird;e  beurtl^eilt.  (SdEiarfe  Slbgrenpng  beiber  ©ebiete  ift  t)ier 
^anV§>  2Saf)ffprud; :  ber  ©taat  foll  in  bie  S^erfaffung,  ben  ©tauben  nnb 
bie  ©ebräudje  ber  ^ird^en  fic^  ni(^t  einmifdjen,  er  foII  am  aderroenigften 
feine  ©eroalt  baju  mi^braut^en,  einer  Äirdje  ben  religiöfen  gortid;ritt 
ju  verbieten,  meldten  fte  felbft  fi(^  ju  »erbieten  nid^t  bered;tigt  ift ;  aber 
er  foII  ba§  negative  iRecöt  I)anbf)aben,  einen  ßlnftuB  ber  Äird;e  auf  ha^ 
bürgcrlid;e  ©cmciuroefen,  roeldjer  ber  öffentlidjen  9lu^e  nad;t^eilig  fein 
fönntc,  burd)  feine  Sluffid^t  ^u  cerl^inbern  ^).  S)a  enblid^  ber  ©taat  bie 
natüilid;e  9{ed)tsgleid)f)eit  §u  fd^ü|en  berufen  ift,  fo  üerroirft  J?ant  alle 
SSorred;te,  unb  basier  aud^  ben  erblid;en  Slbel ;  gur  Slbfdjaffung  beSfelben 
ift  ber  Staat,  roie  er  bemcrft,  üoüfommen  bcved;tigt,  ba  ja  ber  Slbel 
übert)aupt  nur  eine  ftaattid^e  ^nftitution,  „eine  temporäre,  com  ©taat 
autorifirte  ^wnftgenoffenfdjaft"  ift. 

2lud^  bie  ©taat  §yerf  äff  ung  fott  burd;au§  nad^  9iec^t§grunb: 
fö^en  beftimmt  werben.  5Dür(^  ben  ©taatSuertrag  entfielt  ba§  ißer- 
()ä(tniB  eine§  allgemeinen  Dberl)aupt§  5U  ben  Ginjclncn  als  feinen  Unter: 
tt)ancn.  ©iefel  Cberl)aupt  fann  nun,  wie  j?ant  fagt,  „nad;  ^^reilieitS: 
gefe^en  betradjtet,  fein  anberer  al§  ba§  uereinigte  33olf  felbft  fein"; 
if)m  ftel)t  bie  ^errfdjergeroalt,  bie  ©ouueränetät  3U,  bereu  SluSflu^  bie 
©efeggcbung  ift.    Senn  ba  atteS  9led;t  von  ber  gefe|3gcbenben  ©eroatt 

1)  55crgl.  hierüber  SRec^tSl.  1.  21).  eijhi^.  2.  Xij.  §  47.  49.  51  f.  mq.  3lnm.  A. 
3um  ercigen  griffen  5(n^.  I.  II.  lieber  b.  ©emeiiifpvud; :  ba§  mag  in  ber  Sbeorie 
rtdjtig  |eiu  u.  f.  w.  mt.  11.  ÜBerfe  ton  ^avtcnfteiit  (alt.  ?(iifl.)  V,  382  ff.  ©trcit  b- 
fjacu(t.  2.  2tbfcf)n.  6  f. 

2)  3flec^tSl.  §.  45.  §.  49.  ^^ttg.  ?lnni.  B.  V. 


©er  gtaat.  391 

au§ge!f)en  fott,  muB  biefe  fo  6ef($affen  fein,  ba^  fte  nietnanb  unrecht 
ti)un  fann.  S)ieB  toirb  aber  nur  bann  ber  %aU  fein,  wenn  fie  aEeS, 
roaS  fie  befd^üe^t,  über  fid^  feibft  befd^Iie^t.  Tev  ^nfiaber  ber  gefe|- 
gebenben  ©eraalt  ntu^  mithin  mit  ber  ©efammtfieit  berer,  benen  er 
®efe|e  giebt,  jnfammenfallen ,  biefe  ©eroolt  fonn  nur  bem  rereinigten 
ißotfgroiden  juftcfien,  an  beffen  ^-eftftellung  jebod^  nur  biejenigen  al§ 
aftioe  Staatsbürger  tfieilne^men  foHen,  welche  burd^  il^re  bürgerlid^e 
©etbftänbigfeit  ba^u  befö{)igt  finb.  3?on  ber  gefc^gebenben  ©cmatt  will 
aber  Äant  mit  Sxontefquieu  bie  üoIl3ief)enbe  imb  bie  rii^terlid^c 
fd;arf  nnterfd)ieben  miffen.  i^^be  t)on  biefen  (Seraalten  mu§  il)ren  eigenen 
Präger  'i)ahcn:  rcäfirenb  bie  ©efe^gebung  ber  ©efammtfieit  ber  felbftänbi- 
gen  Staatsbürger  3uftef)t,  ift  ber  9legent  ber  Beauftragte  biefer  ©e= 
fammtf)eit,  „ber  2tgent  be»  ©taateS/'  biejenige  moralifdie  nnb  pi)i)fifd^e 
^Ißerfon,  »on  n)e(d;er  bie  gefefeli(^e  Leitung  ber  ©taatSreriöaltung  a\i^- 
ge^t.  S)ie  9lid)ter  enblid;  finb  biejenigen  53ürgcr,  burd^  raetd^e  ba§  SSol! 
\iä)  fe(bft  ridjtet,  weld^e  olS  ^Rcpräfentanten  beSfelbcn  burd^  fieie  Sa§[ 
ernannt  mcrben,  um  jebcm  Untertfian  ba§  Seine  ^u^uerfennen.  Stuf 
ber  Strennung  biefer  ©eraalten  beruf)t,  wie  ^ant  fagt,  alle  bürgerlid^e 
(^rei^eit :  eine  9^egierung,  bie  jugleid;  gefe^gebenb  raäre,  würbe  befpotifd^ 
3U  nennen  fein,  raeil  fie  nid^t  unter  bem  ©efe|  ftänbe,  nnb  ein  ©erid^t, 
rae(d;e§  ron  bem  ©efe^gebcr  ober  Siegenten  ausgeübt  raürbe,  ftänbe  in 
©efo{)r,  bem  Untertan  Unrecfit  3U  tf)un,  raeit  eS  nid^t  baS  S^otf  felbft 
raäre,  TOe(d)eS  baS  ©d;ulbig  ober  9ifid;tfdjulbig  über  feine  9Jiitbürger  anS-^ 
fpräd^e.  3tnbererfeitS  finb  aber  bod^  bie  brei  ©eraalten  nur  ebcnfoüiele 
SleuBerungen  beS  rereinigten  S^oIfSroiCfenS,  ber  f)öc^ften  StaatSgeraalt 
ober  ber  Souoeränetät.  ^c  nad)bem  biefe  oberfte  ©eraalt  fid)  in  ßinem 
ober  ©inigen  ober  SlHen  barfteüt,  je  nad)bem,  m.  a.  SB.,  bie  ^erfon 
beS  StaatSoberf)aupteS  beftimmt  rairb,  ergiebt  fic^  bie  autofratifdje, 
ariftofratifd^e  ober  bemofratifdie  ©taatsform.  2(ber  alle  biefe  Staats^ 
formen  finb  nur  ber  Sudjftabe  ber  bürgertid;en  ©efe|gebung,  etraaS 
gefdjid)t(id^  geraorbeneS,  raaS  immer!)in  bleiben  mag,  fo  lange  eS  in 
gotge  ber  ©eraol}ul)eit  für  nottjraenbig  gefialten  rairb;  ber  ©eift  be§ 
urfprüngli(^en  StaatSrertragS  bagegen  rerlangt,  baf3  rcenigftenS  bie 
StegierungSart  ber  ^bee  beS  3fted;tSftaatS  angemeffen  gemad^t  unb 
fo  lange  umgebilbet  raerbe,  bis  fie  „mit  ber  einzig  red)tmäBigen  SSer= 
faffung,  nämüd)  ber  einer  reinen  9iepub(if,  ii)rer  2Birfung  nad^  gu* 
fammenftimme,  unb  jene  alten  cmpirifdjen  formen  fi(^  in  bie  urfprüng^ 


393  Äont. 

lid;e,  rotionare,  auflöfen",  bicjenige,  „mo  ha^  @e[e^  fe[Bftl^errfcf;enb  ift, 
unb  an  feiner  kfonberen  5ßcr[on  f)ängt/'  S)ie§  ift  bie  einzige  bleibenbe 
otaat^üerfaffung ,  alle  anbern  bagcgen  [inb  al0  bloS  prooiforifd^e  ju 
bctrad;ten.  ,,2llle  wa^xe  S^epublilf  akr  ift  unb  fann  nid;t0  anbere^  fein, 
aU  ein  repräfcntatiueS  6t)ftem  bc§  SSot!§" ;  wo  bie  Slcpräfentation  fef)lt, 
lüo  bat)er  ber  ©cfe^gcbev  sugfcid;  SSoHftreder  feines  2BiIIen§  ift^  ba  ift 
immer  S)efpotifmu§ ,  unb  biefcr  S)efpotifmu§  ift  in  ber  S)emofratie  unb 
atriftofratie  fogar  nod;  unerträglicher,  al§  in  ber  SJionari^ie.  Stellt  baS 
(5laat§ot)ert;aupt  ber  SSolfSoertretung  nod;  a(§  eine  oon  if)r  üerfc^iebene 
^erfon  gegenüber,  fo  I)aben  mir  eine  conftitutionelle  SJionari^ie,  mie  bie 
engtifd;e;  überträgt  e§  bagegcn  bie  ®efd;äfte  ber  ooüäieljenben  ©emalt 
gleid;falB  hm  SSoÜSoertretern,  wie  bie^  nad;  Jvant'S  3Jieinung  in  %xant' 
reid;  ber  ^Jiationalüerfammlung  gegenüber  gefd;cf)en  mar,  „fo  repräfen= 
tirt  ba0  vereinigte  SSol!  nid;t  blo»  ben  ©ouücröu,  fonbcrn  e§>  ift  biefer 
felbft:"  bie  9^epubtif  ift  tfjatiäd^tic^  errid;tet,  unb  man  fann  nidjt  üer- 
(angen,  ha^  bie  SSoIfSücrtretung  bie  QüQei  ber  3legierung  bcnen  raieber 
übcrtaffe,  bie  bann  fofort  aKe  neuen  ^Inorbnungen  raieber  oernid^ten 
könnten  ^). 

®iefe  2lu0füt;rungen  l^abcn  nun  oHerbingS  viel  unfid;ere§  unb 
f(i^manfenbeg,  unb  baS  ^o()e  2l(ter,  in  bem  Äant  feine  9iedjt§(et)re  ge- 
fd)rieben  ^at,  üerlängnet  fid;  barin  ni($t.  Äant  fctbft  be^cid^net  feine 
SBeftimmungen  über  bie  brei  ©eroalten  al§>  hen  ^ern  feiner  Set;re  von 
ber  ©taatSoerfaffung.  Slber  bicfe  ^cftimmungcn  laffen  ni($t  blo§  J)in- 
fid;tlid;  it)rcr  n)iffenfd;aftlid;cn  S3egrünbung  »iel  ju  iüünfd;en  übrig, 
fonbern  c§>  fet)(t  au(^  an  jcber  genaueren  ■llnterfud;ung  über  bal  gegen= 
feitige  SScrf)ä(tni^  ber  brei  ©eraalten,  über  bie  ©renken  ber  5rf)ätig!eit, 
welche  jeber  von  if)nen  gufte^t,  unb  über  bie  (ginrid;tungen,  burc^  bie 
fie  ju  einem  einfieitli d;en  ©an^en  üerbunben  werben.  Slm  fü{)Ibarften 
öufiert  \iä)  biefer  3JtangeI  in  ber  ©tcttung,  bie  i^ant  ber  t)oIIäiel;enben 
©eiuatt  anmeift.  ©inerfeitS  foH  ber  9legent  ein  blofser  Beamter  beö 
(Staats  fein,  als  ber  Scl)crrid;cr  beS  SSollS  wirb  bagegen  ber  ©efe|= 
geber  be^eid^net,  n)cld;er  im  Sted^tSftaat ,  wie  ^ant  glaubt,  eben  baS 
?ßolt  felbft  ift;  unb  eS  roirb  auSbrüdtid;  gefagt,  biefer  53el)errf($er  uer^ 
pfti^te  ben  Siegenten,  er  fönnc  i^n  auc^  abfegen  unb  feine  SSerraaltung 
reformiren,  nur  bürfe  er  ii)n  nid;t  ftrafen,  meil  bie^  ein  2lft  ber  auS'- 
übenben  ©eroalt  wäre,  bie  il)m  nic^t  pftel^e  (§.  49).    2lnbererfcitS  aber 


1)  5Ke(^t§I.  §  45  —  49.  51  f.    3iim  emigen  ^rieben,  Itcv  ©efiiiitiöavt. 


S)er  ©toat.  -  393 

roirb,  wie  früher  gegeigt  würbe  ^),  jener  „Slgent  ber  gefe^gebenben  3}la(J^t'' 
and)  wieber  al3  ba§  ©taat0ober{)aupt  Bel;anbelt,  gegen  ba§  nidjt  eir= 
mal  bann  ein  SBiberftonb  erlaubt  fein  fott,  wenn  c§  felbft  bcn  ui  = 
[prünglid^en  ©taatSüertrag  »erlebt  Ijat;  b.  ^.  e0  wirb  ha§,  wa§>  nur 
Don  bem  oberften  ©efe^geber,  bem  ©ouoerän  gilt,  auf  ben  jcweitigeu 
3nt)aber  ber  9legierung§gewalt  übertragen.  S)ie  gleiche  S5erwedj^^(ung 
ift  e§,  wenn  Äant  au§fül;rt  ^) :  ber  53e{)errfc^er  fei  ber  Dberetgentijümer 
beg  Sanbe§,  weld;er  al§  folci^er  n:d;t  allein  bie  ^riiiateigentljümcr  gu 
befieuern,  fonbern  auä)  bie  ©üter  ber  Slitlerorben  unb  ber  Äirdjcn  ein= 
jugie^en  ba§  S^led^t  I)abe,  fobatb  ber  ©runb  \^vc§>  bi§I;erigcn  93cfi|e§ 
nid^t  md)x  beftef)e,  b.  f).  fobalb  man  nid;t  mef)r  meine,  baB  jene  Drben 
Den  ©taat  t)or  feinen  geinben,  unb  bie  Äird;e  bie  ©taatSangcIjorigen 
oor  bem  ewigen  gener  311  fd;ü|en  im  ©tanb  feien;  unb  wenn  er  au§ 
öiefem  oberften  6igentf)um§re(^t  bc§  ^errfd;er§  bie  (and;  an  fic^ 
felbft  übereilte)  Folgerung  ableitet,  ba^  ber  DberbefefilS^aber,  ber 
iHegcnt,  feine  Sänbereten  ju  feiner  ^rioatbenu|3ung  laben  bürfe.  S)ie 
anererbte  SSereljrung  be§  beutfc^en  53ürger0  gegen  feinen  g-ürftcn,  hk 
@ewof)n!)eit,  in  i^m  ba0  wirf(idje  (Staatsoberhaupt,  ben  ©ouucrän  felbft 
5U  fel}en,  freuji  fid^  bei  unferem  ^^f)i(ofop§eu  fortwä^renb  mit  bem, 
roaS  biird;  feine  i^bee  be§  9fled;t§ftaat§  geforbert  war,  unb  biefeS  (2djwan= 
fen  würbe  ofine  B^^if^^  baburc^  nod;  uerftärft,  ba§  er  uon  ben  2(u§^ 
f($reitungen  ber  frangöfifc^en  Sleüolution,  beren  allgemeine  ©runbfä^c 
er  tl;ci(te,  feiner  ganzen  ©efinnung  nad^  fid^  nur  mit  2lbfd;eu  weg- 
wenben  fonnte.  S)er  attgemeinere  3)iangel  ol;uebem,  ba{3  er  in  feiner 
@taat§(el)re  eine  allein  red;tmä^ige  SSerfaffung  naturrcd;tnc^  bcbucirt, 
öie  befonberen  S3ebingungen  bagegen,  von  weld;en  bie  2lngemeffcnl;eit 
ber  üerfdjiebenen  SSerfaffungSformen  abl;ängt,  ununterfud^t,  bie  gro&e 
2Ba{)rf)cit,  „@ine§  fd^idt  \iä)  ni(^t  für  alle",  unbead;tet  läfjt  —  biefer 
§el)(er  ift  mit  bem  ganzen  ®l)ara!ter  feinet  politifd;en  9iationa(ifmn§ 
5U  tief  üerwad;fen,  al§  ba^  er  it)n  f)atte  oermeiben  fönnen. 

2lu§  bem  fonftigen  ;3;i^|alt  ber  fantifd;en  6taat§[ef)re  mag  |ter 
tto^  bie  Erörterung  über  ha^  ©trafrei^t  ^)  berüfirt  werben.  Äant 
giünbet  bie  ?^ot|wenbig!eit  unb  ^wläffigfeit  ber  ©träfe  auf  baS  SBieber; 

1)  ü«.  09t.  bie  ©teßen,  welche  ©.  390,  l  angefüllt  ftub,  }.  53.  3Berfc  (ö.  ^artenft. 
l.  %.)  V,  394. 

2)  SRed)t§l.  §  49.  m^.  mm.  B. 

3)  9ie(^t§I.  §  49.  SlCg.  2lnm.  e. 


394  ^'«"t- 

ücrgeltungSrca^t,  unb  er  oerttjeibtgt  au§  biefcm  ©rutib  au^  bie  2obe§- 
ftrafe  ocgcn  58cccaria'§  „tf)ei{nef)tnenbe  ©mpflnbelei  einer  affcctirten 
»Qiimanität"  mit  treffcnben  S3emer!ungen;  ben  ©runbfa^  ber  2Bieber= 
oergettung  fetbft  aber  bet)onbeIt  er  qI§  eine  unbebingte  gorbevung  ber 
©trafgcred;tigf eit ,  o{)ne  feinen  ^^l^i^t^^w^ö^Ö  '"^^^  ^^"^  allgemeinen 
3fled)t§princip  genauer  na(^3un)eifen. 

^ür  ^ant'S  ^Be^anblung  be§   ^'öUexxeä)U  ift  ber  mo^gebenbc 

®efid^t§punft  bie  Qbee  beg  griebenS  äroifd^en  ben  SSölfern,  ber  er  fc^on 

1795,  im  ^a\)xe  be§  Safe(er  ^rieben^fd^luffeg,  eine  eigene  ©d;rift  ge- 

roibmet  {)at  (rgl.  ©.  340).    S)er  S^Jatur^uftanb  ber  Staaten  ift  feiner 

lleber3eugung  nad^  ebenfo,  rote  ber  ber  ßinjetnen,   ein  3iift(i«^  immer= 

roäf)renber  gegcnfcitiger  Sebro!f)ung,   ebenbe^fialb   aber  in  2Baf)r{)eit  ein 

Ärieg§3uftanb ,  nnb  biefer  roiberfprid;t  allen  Sled^tSgninbfä^en :  bie  fitt= 

tid^e  Scftimmung  ber  S[Renfd;{)eit  ift  ber  die6)t^u'\tan'ü,  ber  griebe.   S^er 

^-ricbe  fonn  aber  nur  burd^  einen  griebcnSbunb  aller  33ölter,  einen  aU-- 

gemeinen  Staatennerein  ober  58öl!erftaat,  in  bem  e§  für  bie  <Streitig= 

feiten  unter  ben  ©taatcn  eine  ri(j^terlic^e  ©ntfc^eibung   giebt,  enbgültig 

gefidiert,  nur  baburd^  ein  roirf(id;er  j^rieben^pftanb ,  ein  eroiger  triebe 

herbeigeführt  werben ;  fo  lange  e§  bagegen  jebem  ein5elnen  6taat  über; 

taffen  bleibt,  fid;  nad)  eigenem  ©rraeffen,  roenn  er  fid^  nerle^t  glaubt, 

fein  9^ed)t  mit  ©eroatt  ^u  t)erfd;affen,  ift  aHe^  9ied)t  ber  58ölfer  unb 

aller  ^-riebc  blo§  proüiforifd).    SfJun  entgel)t  e§>  ilant  freilid^  nid^t,  baf[ 

in  einem  foId;en  bie  gan^e  9J^enfd)|eit  umfaffenben  SSöIferftaat  wegen 

feiner  übermäßigen  2lu^bef)nung   eine  wir!(id^e  9?egierung,   unb  ba^er 

and;  ber  @d;ul5  feiner  einzelnen  ©lieber,   am  ßnbe  unmöglid;   werben 

müßte;  unb  er  nennt  beßl)alb  ('3icä)t§>L  §  61)  ben  ewigen  ^rieben  au§; 

brüdlid;  eine  unausführbare  ^bee.    Slber  roenigftenS  eine  fortwäl)renbe 

3lnnäl)erung  an  bcnfelbcn  bcilt  er  für  au§fül)rbar,  unb  in  biefer  3]ürau§= 

fetjung   unterfud;t  er  bie  Sebiuguugen,   an  weld^e  bie  SSenuirflid^ung 

jene§  ^heal§>  gefnüpft  ift.    ©r  «erlangt  in  biefer  S3c5iel)ung  gunäd^ft, 

baf3  je^t  fdjon  al(c§   gefdjcl)e,  wa§   boju  bient,  bie  Kriege  feiteuer  §u 

madicn,  iljie  uerljeerenben  Söirfuugen  ju  milbern  unb  einen  ollgemeinen 

^rieben   an^ubaljnen;    unb    roeuu   allerbingS  mand;e  feiner  i8orfd;läge 

fid^   tl)eit§  gar  nid^t,  tl)eil§  bod)  nur  mit  geroiffen  33Zobififatioueu  unb 

unter  geroiffen  näljcr  ju  beftimmenbcn  Umftänben  au§fül)ren  laffen,  fo 

finb  bod;  anberc  Ijcutjutage  fd)on  allgemein  alö  wid;tige  üi3ll'erred)tlidl)e 

(Scuubfä^e  auerfannt.    6o  bie  {^orberung,  baß  fein  grieben§fd;luß  mit 


Süöltcrrcdit.  395 

bem  gcl^eitiien  SSorbefjalt  be§  ©toffeS  gU  einem  füuftigen  ^rieg  gemalt 
weibe;  ba§  fein  ©taat  fid^  in  bie  33erfafynng  unb  9icgicrung  eines 
anbern  gen)altt{)ätig  einmifd^e;  ba§  im  Kriege  fold^e  ^einbfetigEetten 
oermieben  werben,  meldje  ha§  S?ertrauen  3U  einem  fnnftigen  ^rieben 
unmögfid;  machen  müßten;  ba^  bie  33ürger  ^i§>  feinbti($en  <Btaat§>  nid^t 
geplünbert  werben,  meil  nic^t  ba§  ^oit  be^felben,  fonbern  ber  'Staat 
burd)  ba»  5?oK  Ärieg  füF)re.  <Bo\i  e§  aber  roirüid;  jnm  ewigen  ^rieben 
fommen,  fo  muffen  biefen  „^räliminarartifeln"  nod;  einige  „Sefinitit)= 
artifel"  beigefügt  werben.  ©§  mnB  1)  bie  SSerfaffnng  aOer  Staaten 
eine  repnblifanifc^e  (in  ^ant'g  ©inn),  b.  \).  eine  9tcpräfentatioüerfaffung 
fein,  weld;e  bie  ©ntfc^eibnng  über  ben  J?rieg  üon  ber  S3eiftimmnng  ber 
6taat§bürger  abhängig  mod^t.  S)iefe  freien  ©taaten  muffen  2),  wie 
wir  fd;on  gehört  ^abcn,  wenn  fie  fic^  gnr  Sßilbnng  eines  wirflid^en 
SSölferftaatS ,  einer  Söeltrepnblif ,  nid^t  entfd;lieBen  fönncn,  wenigftcn« 
einen  S3unb  jnm  eä)n^  be§  griebenS  nnb  be§  58ö(ferred;tS  fdjIicBen. 
9Ba§  enblid^  bie  S^ölfer  betrifft,  wetd^e  biefem  53nnbe  nod^  nid;t  ange- 
hören, fo  barf  von  ifinen  nid^t  mefir  verlangt  werben,  o(§  baf3  fie  bie 
3)iög(id^!eit  be§  SSer!ef)rS  mit  il)nen  gewät)ren,  biejenigen,  we(d;e  fid^ 
it)nen  ^nm  33erfe^r  anbieten,  nid^t  a(S  geinbe  befianbeln.  3n  ber  leideren 
gorbcrung  befielt  baS  äöeltbürgerredjt,  ba§  tant  als  bie  britte 
nnb  nmfaffenbfte  ^^orm  beS  öffentlid^en  9led;tS  bem  ©taotSred^t  unb 
bem  S3ölferred^t  gur  ©eite  fteHt.  ©(oubt  man  aber,  bie^  af(eS  fei  bod^ 
nur  ein  fd;öner  ^raum,  in  ber  2öirf(id)feit  werben  bie  33ienfd)en  immer 
fo  bleiben,  wie  fie  finb,  fo  antwortet  ber  ^-Pliilofop^  ^):  ®a  in  ber 
menfd;[id;en  Statur  bod^  immer  nod;  bie  2lc^tung  für  dltd)t  nnb  ^sfüc^t 
lebenbig  fei,  fo  fönne  unb  motte  er  fie  nic^t  für  fo  üerfunfcn  im  58öfen 
galten,  bafe  nid;t  bie  moralifd^^praftifc^e  SSernunft  nad;  üielen  mi^- 
(ungenen  5>erfud;en  enbtid^  über  baSfelbe  fiegen  follte;  eS  fomme  nur 
barauf  on,  baB  man  fie  l^öre.  6r  glaubt  aüerbingS  nid;t,  baB  fid^ 
biefer  ^-ortfc^ritt  bloS  bnrc^  ^ugenbunterrid^t  nnb  SSoIfSbilbung  be- 
wirken laffe;  er  erwartet  i^n  nic^t  üon  unten  t)erauf,  fonbern  con  oben 
{)erab.  (gr  verlangt  and^  nid;t  mit  ^^lato,  baB  bie  itönige  p^i(ofopf)iren 
ober  bie  ^f)ilofop{)en  Könige  werben;  ja  er  erÜört  mit  ftotjer  9tefigna= 
tion:  biefe  fei  nic^t  ju  erwarten,  aber  aud^  nid)t  gu  wünfd;en,  weit  ber 

1)  U.  m.  ^v.  3uf.  1.  2.  ugl.  3lnt).  2.  Ueb.  b.  ©emetnfprud^  u.  ].  tv.  III.  ©treit 
b.  fjaciitt.  2.  2tbfc^n.  8  ff.  SWut^mafel.  Einfang  b.  SJienfd^engefdjic^tc  ©c^Iuganm. 
(IV,  354  f.  §arten[t.  1.  StuSg.) 


396  Äant. 

S3efi^  bcr  ©cttiolt  bie  SSermmft  iinücrmeiblid^  üerbert^e»  SCBcr  er  f)offt, 
aud;  oline  bte[e  Scbingung  roerbe  ba^  ^beat  bei*  ^f)Uofopf)en  fid^  in 
ber  aSclt  biircf;i"c^en,  wenn  man  fie  nur  fprcd^cn  taffe,  rceit  c§  eben 
nid)t§  anbcrc»  fei,  al§  eine  apriorii'dje  gorberung  ber  SSernnnft.  Qu- 
glcid;  aber  oerbinbet  [id;  Üant  mit  bie[em  ©(auben  an  bo§  ^beal,  ber 
i§n  au(j^  im  I)öd;ftcn  Sliter  nid^t  ücrla[)cn  ^at,  —  einem  öon  ben  fd^ön^ 
ften  nnb  größten  3ügen  fcine§  6f)arafter§  —  ba§  SSertrauen  auf  bie 
Statur  (ober  wie  er  lieber  jagen  raill:  auf  bie  3]orfei)uug) ,  „bie  gro^e 
^üiiftfcrin",  bie  e§>  fo  eingeridjtet  f)abe,  ba§  felbft  bie  S'teigungen  ber 
3Jicnfd;cn,  me(d;e  fid;  einem  allgemeinen  9tec^t§3uftanb  entgcgcnfteHen, 
if)n  am  ©nbe  l^erbeifül^ren  l^clfen.  S)ie  ©eraalttfiätigfeit  bcr  9."licnfd^en 
füljrt  3um  Kriege;  aber  bie  gleid;e  ß)emaltl!)ätig!eit  nöt^igt  auc^  gur 
©rünbung  be§  bürgcrlid;cn  ©emeinroefenS.  Ser  ^rieg  tft  eine  ©ei^el 
ber  SSölfer,  "oa^  ©cgentl^eil  jebeS  9^cd)t§3uftanbl ;  aber  bie  Kriege  i)aBen 
bie  9}icnfdjcn  beroogen,  fic^  über  bie  ganje  Grbe,  bi§  in  bie  untüirtf)li(| 
ften  ©cgeuben,  gu  oerbreiten,  bie  gurd^t  üor  bem  Kriege  3roingt  bie 
•üJiadjt^aber,  bie  aTienfd^en  nnb  iF)re  grcil^eit  lüenigften»  einigermaßen 
ju  adjten.  S)ie  Seiben  ber  Kriege,  bie  Saften,  n)eld;e  fie  ben  S^ölfem 
auflegen,  bie  «Sdjulben,  TOeId;e  fie  it;nen  au6)  für  ben  ^^^rieben  aufbürben, 
werben  fie  fd;lie[3ii(^  baju  bringen,  fid;  burd^  freie  5>erfaffungcn  gegen 
bie  £rieg§luft  ber  dürften  3U  fid;ern  unb  bal  33ölferred;t  unter  ben 
@c^u^  eine§  95ö(ferbunbe§  3U  ftellcn.  Sie  3ftatur  trennt  ba§  3)ienfd;en= 
gejd;[cd}t  burd;  bie  (ipfad;en  unb  bie  9icligioncn,  unb  fie  legt  baburd^ 
ben  ©runb  3U  mcd;felfeitigem  .^affe;  aber  fie  mad;t  burd^  biefe  S:rennung 
ben  S)efpoti!mu§  einer  2Seltf)crrfd;oft  unmöglich,  unb  fie  vereinigt  bie 
58ölfer,  bie  ba§  9^cd;t  allein  gegen  Ärieg  unb  ©eroalttljat  nidjt  fidlem 
mürbe,  burd^  ben  mcd^felfeitigen  Gigennu^;  ber  ^anbcUgcift  wirb  am 
@nbc  bie  Kriege  nerljinbern,  roeil  mit  bem  fteigenben  3Serfef)r  ber  SSölfer 
ein  jcbeS  in  feinem  ^anbel  burd^  fie  geftört  mirb.  ©0  „oerfd^afft  eben 
Die  Gntgegenroirfung  ber  Dteigungcn,  au§  raeld^en  ha§>  ^öfe  entfpringt, 
unter  einanber,  ber  3>ernunft  ein  freies  6piel,  fie  inSgefammt  ju  unter- 
iod;cn,  unb  ftatt  be§  53öfen,  wa§>  fid^  fetbft  gerftört,  ba§  ©ute,  n)eld;e§, 
lucnn  eS  einmal  ba  ift,  fid^  fernerl;in  oon  fetbft  er^ätt,  t)errfd;cnb  ju 
mad;cn." 

3n   biefen   ©ä^cn   ift   bereite    aud;  Äant'3  3lnfid^t   von   ber  ®e= 
i  d^  i  d;  t  c  au§gefprod;en.    S)er  (eitcnbe  ©ebonfe  berfelben,  ben  er  nament- 


5BöIfer=  unb  SSertbürgcrrcc^t.     ©efc^id^tganfid^t.  397 

Ii(^  gegen  3J?enber§fo]^n  (ügl.  6.  274)  ausgeführt  f)at  ^),  tft  ber  ftetige 
ge[d^ic^tnd;e  ^ortfd^ritt  ber  9}?enfd)^eit.  S)ie  SReinung,  baB  nur  ber 
ein3eine  3J?en[(^  im  @uten  weiter  foniTue,  ba§  wenfrfjHc^e  ©efc^lcd^t  ha-- 
gegen  ^roifd^en  gortfc^ritt  unb  9^ücfid;ritt  beftäiibig  {)inunbf)cridjroQnfe, 
unb  im  gangen  genommen  in  allen  ^eitperioben  ungefähr  biefelbe  Stufe 
ber  6ittli(^feit  unb  ©(üdfetigfeit  he^aite  —  biefe  3?et)auptung  93Zenbet§^ 
fo^nS  roiberfprid^t  gunäd^ft  f(^on  feinem  fittlicfjen  S3ebüifm^.  Sßcnn  e§ 
il($  fo  oerf)ie(te,  fo  märe  bie  ©ef^ic^te,  mie  er  fagt,  ba§  unrourbigfte 
unb  ermübenbfte  Sd^aufpiel,  unb  ha§>  2Rcni^engefd;fedjt  ein  ©cgenftanb, 
bert  man  mit  UnroiUen  öetrad^ten  mügte.  :3ene  3Jteinung  miberfprid^t 
aber  auc^  ben  Slnforberungen  ber  praftifd;en  S^ernunft:  meun  c«  ^pflid^f 
ift,  auf  bie  S^ac^fommenfd^aft  fo  §u  rairfcn,  ha^  fie  immer  beffer  merbe, 
fo  mu§  man  aud;  bie  ^loffnung  liegen  bürfen,  ba{3  biefe  SBirffamfeit 
einen  Grfotg  liaben  raerbe;  „biefe  Hoffnung  befferer  Reiten,  oline  meldte 
eine  ernftüdje  ^Begierbe,  etma§  bem  aUgcmeinen  2Sol)[  erfpriefslic^eö  gu 
t^un,  nie  ba§  menfd^lid^e  ^erj  erraärmt  Ijätte."  S^er  ©faubc  an  ben 
gortfc^ritt  ber  9Jtenfd;f)eit  ift  alfo  mit  ßinem  2öort  für  ^ant  ein  ^oftulat 
feinet  fittlid^en  ^Bemu^tfeinS.  9}?enbe(§fol)n§  53et)auptung  miberfprid^t 
ferner  ber  Grfafirung:  t)a§  3J?enfdjengefd;(ed;t  ift  in  ber  neueren  ^eit 
t^atfäc^üc^  rorroärtS  gefommen,  unb  menn  man  über  feine  gunetimenbe 
Entartung  fiagt,  fo  rüfirt  bie^,  nac^  Baut'S  feiner  S3emerfung,  gerabe 
balier,  bafi  mit  ber  raad;fenbcn  3}ioralität  aud^  bie  fittlid)e  Slufgate 
Rotier  gerüdt  rairb,  unfer  Urt^eil  über  un§  felbft  ftrenger  rcirb.  Ta 
enblid^,  wie  f^on  gegeigt  mürbe,  bie  Statur  fetbft  bie  3J?enfd;en  gur 
fortraälirenben  3Serbefferung  be§  9led;ti3uftanbe§  ttötl)igt,  fo  miberfprid^t 
jene  S3e^auptung  aud^  ben  53ebingungen  ber  menfd;lid^en  Gntraidlung: 
bie  Sffiirfüd^feit  geroälirt  un§ ,  ma§  mir  al§>  SSernunftroefen  anftreben 
unb  oertangen  muffen,  ma§>  mir  aber  auc^  a(§  enblidje,  finnlid;  =  üer= 
nünftige  Söefen  aüein  ^offen  fönnen,  eine  fortfdjreitenbe  Slnnätierung 
an  baS  ^iet,  beffen  mirflid^e  ßrreid^ung  atlerbingS  un§  yerfagt  ift. 

8.  5ortfet?ung:  bie  JTugenblc^re  iinb  bie  OieUgion^p^ilofop^ie. 

S)ie  eittlid^Eeit  t)erl)ätt  fid^  gum  9ted^t,  bie  2:ugenb(e^re  jur  9^ec^tg- 
ret)re,   mie  ha^  innere  ^um  aieu^ent,   raie  bie  ©efinnung  gur  %^at^) 

1)  lieber  b.  ©emetnfpruc^  u.  f.  n.  ilir.  iil.  etieit  b.  ^acult.  2.  -äb']äjn.  :a>citere 
Jfac^treifungen  bei  Ä.  gifc^cr  @efd).  b.  n.  ^'£)tl.  IV,  321  ff.  340  ff. 

2)  Sie  ^Sercge  ju  ber  nac^folgenbeu  S)avfleaunj    laffen  fid)   in  tant'g  2ugenb= 
le^re  unb  bei  gifc^er  ®efc^.  b.  n.  ^s^il.  IV,  241  ff.  u.  anbern  leidjt  finben. 


398  ■  ^ant. 

®aa  9ie(fjt^3ge[e^  forbert,  ha^  unfere  äußeren  ^anbtuugcn  bem  entfprc($en, 
roa§>  üon  allen  in  Se^iefjung  an^  \i)x  äu^ereä  ^onbelii  üerlangt  luerben 
muB;  ba§  ©ittengefe^  forbert  ba§  gtetd;e  ^infic^tUd)  ber  SJiayime  un= 
fereS  .^anbelni,  imferer  3^U6<^<^  iti^^  93etueggrünbe.  i^eneg  üerlattgt 
Uebereinftimmung  un[ere§  S8erf)atten§ ,  biefe  Uebercinftimmuiig  unserer 
©efinnung  mit  ben  ©eboten  ber  SSernunft,  jencS  Segalität,  biefeS  3Jto= 
ralität  ober  ^ugenb.  (3Sgl.  ©.  383  f.)  S)ie  fittli^en  S[serpf(id)iungen 
fiiib  ba^er  S;ugenbpftic^ten,  unb  fie  unterfd;eiben  fid)  al§  foldje  von  ben 
redjt(id;en  forooI)l  burd;  if)ren  ©cgenftanb  a[§>  burc^  if)rcu  S3eracggriinb. 
2)ie  9ted)t§pflid;tcn  be^ieljeu  [i(|  auf  beftimmte  ^anblungen  ober  Untere 
taffungen,  ü6er  bte  ©efinnung  be§  ^anbelnben  beftiiumen  fie  nid;t0; 
bie  ^ugenbpflid;ten  forbern  eine  beftimmte  ©efinnuug,  in  toelc^er  2lrt 
aber  unb  in  raeli^em  3JiaBe  fid^  biefe  jn  betätigen  f)at,  muffen  fie  mefir 
ober  weniger  bem  eigenen  Urt^eil  be§  §anbelnben  iibcrlaffen;  fie  tonnen 
TOot)l  geroiffe  §anb(ungen,  al§  f(^led;tt)in  unüerträgtid)  mit  einer  fitt« 
lid;cn  ©efinnung,  nnbebingt  verbieten,  aber  fie  tonnen  feine  beftimmte 
pofitiüe  Seiftung  nnbebingt  forbern.  S)a5  9fled;t  üerpflic^tet  midj  5.  S8. 
frembeS  @igentf)um  gn  ad^ten,  meine  SSerbinblic^feiten  gegen  Slnbere  gu 
erfüllen  n.  f.  m.,  unb  e§  üerpflid)tet  mi(^  baju  unter  allen  Umftänben; 
ba§  ©ittengefe^  bagegen  ücriangt  jmar  bie  moijltüoüenbe  ©efinuung  gegen 
anbere  3Jtenfd;en,  loeld^e  fic^  unter  anberem  and;  burc^  2ßo^lti)ätigfeit 
äuf3ern  rairb,  nnb  c§>  üerfangt  biefe  gteid)fall§  ganj  nnbebingt ;  in  welcher 
3Beife  aber  unb  in  meldjem  Umfang  id)  ätnbern  SBoljlt^aten  5U  erzeigen 
l)abe,  fc^reibt  ba§  ©ittengefe^  nid;t  üor,  fonbern  bief5  mn^  ic^  felbft 
mit  3Iüdfi(^t  auf  bie  Umftänbe  nnb  auf  meine  anberroeitigen  9serpf(ic^= 
tungcn  befiimmen.  S)ie  3^edjt§pflid;ten  certangen  alfo  üoUtomnien  be= 
ftimmte  Seiftungen,  bie  ^ug£nbpf(ic^ten  beftimmen,  fo  weit  fie  über  ge; 
miffe  SSerbote  l;inau§gef)en,  bie  2trt  unb  ba§  9)taB  ber  ßciftungcn,  p 
benen  fie  un§  oerbinbon,  nur  uuüotlfommen:  jene  finb,  wie  ^ant  fagt, 
üollfommene,  biefe  uuüollfommene  ^flid;tcn.  ©benbcB^alb  aber  finb  bie 
erfteren  3roang§pf(id;ten  (t)gl.  ©.  384);  ja  Äant  bef)auptct  (9icd)t§I. 
eini.  §  E),  bie  Slriebfeber  3U  it)rer  Erfüllung  beruhe  barauf,  baf3  ein 
äußerer  3^öng  ba3U  möglid;  fei.  S3ei  ben  ^tugenbpftic^ten  bagegen 
t)erE)ä(t  e§  fid;  anberä,  benn  ju  einer  ©cfinnung,  einer  3)iaf:ime,  fann 
man  oon  niemanb  gezwungen  werben:  i)ier  bleibt  ba^er  al§  53ewcggrunb 
unfercS  ^anbeln^  nur  jener  freie  ©etbftjwang  übrig,  auf  ben  fiel)  nad^ 
Ä'ant'g  Slnfic^t  im  3Jicnf^en  jcbe  wat)re  ©ittlic^feit  grünbet  (t)gl.  ©.  3G9  f.). 


M^et  gerfallen  alle  ^ugettbpf(id;ten  in  äroei  i^(a))cn:  bie  ^fü^tcn 
gegen  un§  felbft  unb  gegen  anbere  2)?en[d^en.  S)ie[e  jiuei  Slrtcn  üon 
^fltd;ten  unterfc^eibm  fid^  aber  nid;t  blo^  burcl;  iljrcn  ©egenftonb, 
[onbern  auc^  bnrc^  i^ren  Qmcä,  t^reii  Onf;a^t.  aßeun  fid;  nämiic^  atte 
un!3  mög(tc^en  3'"^d^eftitttwungen  überl^anpt  auf  giuei  6tüde  ^üxüä-- 
füf)ren  (äffen,  bie  S^oüfommenfieit  nnb  bie  ©(üdfetigfeit,  fo  tann  unfere 
eigene  ©lüdfeligfeit  nie  ber  3raed  unferer  pfli^tmä^igen  ^^ätigfeit  fein: 
t^eilä  weil  biefe  3;f)ätigfeit  baburc^  üerunreinigt,  einem  ii)r  fremben  ^n* 
tereffe  untergeorbnet  würbe  (ogl.  6.  368),  t^eilg  lueit  atte  2}^cnfd;en 
fd^on  üon  3Zatur  naä)  ©lüdfeügfeit  ftrcben,  ha^i  aber,  wa§>  jeber  un= 
»ermeibiid)  fd;on  üon  felbft  roill,  nid^t  ofine  SBiberfprud;  \i)m  jur  ^fll^t 
gemacht,  aU  „eine  9^ötf)igung  gu  einem  ungern  genommenen  Qwzd" 
bef)anbelt  raerben  fann.  2Ba§  umgefe^rt  anbere  D}icnfd;en  betrifft,  fo 
!ann  il;re  S^oCfommen^eit  nid;t  unfcr  ^roed  nnb  mit{)in  and)  nid)t  un= 
fere  ^flic^t  fein;  benn  bie  asoafommen()eit  eine§  2Jtcnfd;en  befteljt  eben 
barin,  ba§  er  felbft  imStanbe  ift,  fic^  feinen 3rocd  nad;  feineu  eigenen 
Segriffen  ron  ^ftid^t  3U  fe|en,  unb  e§  raäre  eine  n)iberfpred;enbe  gor- 
berung,  baB  wir  für  ben  Slnbern  t^un  foüen,  wa§>  niemanb,  alä  er 
fetbft,  tfinn  fann.  S)ie  58eförberuug  frember  ^^ollfommentjeit  fann  ba^er 
ebenfomenig  unfere  ^f(i(^t  fein,  al^  bie  unferer  eigenen  ©iüdferigfeit ; 
Slnberen  fönnen  mir  nur  jur  33eförberung  iljrer  ©lüdfetigfeit  oerpftid^tet 
fein,  unb  menn  bie  Seförberung  ber  ©lüdfeligfeit  ''13flid;t  für  un^  ift, 
fo  fann  bie§  nur  frembe,  nid;t  unfer  eigene  fein. 

^nbem  Äant  bie  allgemeinen  ©runbfä^e  feiner  ©itten(el;re  nac^ 
biefen  beiben  3fti^tungen  au§füt;rt,  ert)ö(t  er  bie  fi)ftematifd;e  Sarftettung 
aSer  unferer  ^flid^ten,  roeld^e  ben  §auptförper  feiner  Sugenbleljre  au§* 
mad^t.  ®a§  Schema,  nad;  roetd^em  biefe  SDarftettung  georbnet  i)t,  bie 
Unterabtl^eilungen,  in  roeld;e  er  bie  beiben  ^anptfiaffen  Don  ^fad;ten 
weiter  gerlegt,  Jönnen  t)ier  übergangen  werben.  2lt§  be^eic^nenb  für 
Äant'g  S)enfn)eife  tritt  in  feinen  2(ugfüt)rungen  befonberS  ßin  3ug 
^eroor:  bie  Strenge,  mit  welcher  barüber  geroad^t  wirb,  ba^  raeber  hai 
^flid^tgebot  felbft  in  feiner  tlnbebingtfieit  befc^rönff,  nod;  bie  pflic^t« 
mäßige  2:f)ätigfeit  auf  anbere  ^Beraeggrünbe ,  al^  bie  2ld;tung  oor  bem 
@efe^,  geftü^t  werbe.  m§>  33ei)piel  bafür  !önnen  feine  Steu&erungen 
über  bie  gJfli^ten  ber  Sßa^rfiaftigfeit  unb  ber  3)ienfc^enliebe  bienen. 
3ene  wirb  oon  i§m  fo  unerbittlid;  feftget)alten ,  baf?  er  and;  nid^t  bie 
geringfte  Unroa^rfjeit  bulben  witt,  unb  bie  9?ot^tüge  felbft  in  bem  gaüe 


400  ^ö"t* 

oertüirft,  wenn  bnrd^  biefetbe  ba^  SeBen  elne§  Unf($utbigen  gerettet 
werben  fönnte.  2ßa§  bie  aJJenfc^enüebe  betrifft,  fo  will  ^ant  gioif^en 
ber  ,,Siebe  be§  2ßof)tgefaIIen§"  unb  bem  tl^ättgen  2ßof)tn)oiren  ftreng 
unterfrfiieben  wiffen.  ^ut  baS  le^tere  fann  ^flid^t  fein,  «nb  nur  i^ni 
liegt  eine  moratifd^e  Xriebfeber  gu  ©runbe;  bie  ,,patf)oIogifd^e"  Siebe 
bagegcn  ift  nn§  ni(i^t  geboten,  „benn  @efüf)(e  gu  f)aben,  ba3U  fann  e§ 
feine  SserpfUd^tnng  bnrd^  Slnbere  geben";  eben  be^fiatb  aber  l^ot  biefe 
Siebe  al§  foldje  auä)  feine  moralifd^e  S3cbeutung,  fie  ift  fein  fittlid^eS 
3Jlotit).  ^n  ber  gleid^en  SBeife  erfiärt  fid^  ^ant  and^  über  bie  ^reunb= 
fd^aft,  für  bie  er  felbft  fo  üiel  ©inn  fiatte :  fie  foH  eine  moralifcfje  fein, 
Siebe  nnb  Sichtung  foKen  fi(^  in  if)r  ba§>  ©leid^geroid^t  Italien,  fie  folt 
nid^t  b(o§  auf  ^fetgung  unb  nod)  weniger  auf  Sered^nung  be§  SSortl^eiB 
beruf)en.  Muä)  bie  ^flic^ten  be§  9Jienfd^en  gegen  fidf;  fetbft  füf)rt  ber 
5pf)iIofopf)  üor  allem  auf  ba§  @efüf)I  ber  ©clbftad^tung,  ber  fittlid^en 
SBürbe  ^urücf,  unb  eben  bie^  ift  ber  ©runb,  wefifialb  er  bie  Sügc  fo 
unbebingt  üerurtfieilt :  fie  ift  in  feinen  Singen  bie  größte  5ßer(e|ung  un^ 
ferer  fittlii^en  9Jatur,  eine  „SBegwerfnng  unb  gleid^fam  3Sernidf;tung  ber 
9Jlenfd;enroürbe" ,  unb  bie  innere  Süge  ift  biefj  in  no(^  f)öf)erem  ©rabe 
aU  bie  äußere,  bie  2öal^rf)aftigEeit  gegen  fid;  felbft  nod^  weniger  gu  ent= 
beeren,  a(§  bie  gegen  2lnbere.  ©egen  anbere  SBefen,  al§  SJ^enfd^en, 
•giebt  c§,  wie  ^ant  au§fül)rt  (^ugenbl.  §  17),  feine  ^flid^ten;  benn  bie 
^flid^t  gegen  irgenb  ein  ©ubjeft  ift  bie  moralifd^e  9ftötf)igung  burd^ 
beffen  SöiUen;  eine  fofd^e  fann  ober  auf  un§  nur  von  einem  fotd^en 
©ubjeft  ausgeübt  werben,  weld;e0  1)  eine  ^erfon  ift,  unb  2)  un3  a!§ 
©egenftanb  ber  @rfal)rung  gegeben  ift.  2ln  ber  erften  üon  biefen  Se-- 
bingnngen  fe^It  e§  nun  in  unferem  SSerl)ältni§  gu  ben  ^liieren,  an  ber 
^weiten  in  unferem  5^erI}ä(tniB  ju  ber  ®ottf)eit  unb  ju  l)öf)eren  ©eiftern. 
2öir  l)aben  baf)cr  gegen  biefe  SBefen  feine  58erpflid;tung.  S)ie§  fdjlie^t 
aber  nic^t  au§,  ba^  wir  eine  fold^e  in  2lnfel)ung  bcrfelben  l)aben.  2Ba§ 
man  gewö^ulid)  unfere  ^flic^ten  gegen  bie  %ii'me  nennt,  ift  in  2öaf)r- 
lieit  eine  ^flic^t  be§  gjienfd^en  gegen  fid^  fetbft,  bie  ^flid^t,  ba§  3Kit-' 
gefüfil  in  fid^  nid^t  abjuftumpfen.  ©benfo  finb  aber  and)  unfere  foge^ 
nannten  ^f[id;ten  gegen  bie  ©ottl)eit  oielmelir  ^flid^ten  gegen  un§  fetbft. 
©Ott  ift  unl  ja  nid)t  in  ber  ©rfa^rung  gegeben,  fonbern  bie  ^bee  @otte§ 
gel)t  aus  unferer  eigenen  3Sernunft  ^eroor.  Sßenn  wir  jur  Slnerfennung 
berfelben  rerpflid^tet  finb,  fo  fann  bie^  nur  eine  SSerpflid^tung  gegen 
uns  felbft  fein:  ber  (Glaube  an  @ott  fann  nur  als  53ebingung  ober  olS 


3)te  ^Religion.  401 

.<Oü[f§mitte(  unferer  ©ittHd^Feit,  nur  roctjett  feiner  :prafti)($en  ©rgctmiffe 
t)on  un§  geforbert  werben. 

.^n  biefent  praftifc^en  ©lauben  an  bte  ©ottlfieit  'btfte^t  nun  bie  9^e  = 
Hg  ton.  2)ie  Sfteügton  ift,  naä)  einer  unferem  ^]^i(o[opf)en  gefäufiijen 
S^efinition,  ,,bie  ßr!enntniB  aller  unferer  ^pflid^ten  a{§>  göttlicher  ©ebote." 
S)ie  aJiorat  fann  nid)t  auf  bie  S^teligion  gegrünbet  werben,  ha  fid^  vkU 
me!)r  biefe  auf  fie  grünbet;  aber  fie  fü^rt  gur  9te(igion  unb  bebarf 
if)rer.  S)enn  ber  SJienfc^,  roeld^er  fic^  üerpfüd^tet  füf)(t,  ba§  ®ute  ju 
tE)un,  fann  nic^t  fo  gleidjgütttg  gegen  ben  (Srfoig  feiner  .^anbhingcn 
fein,  ba§  er  fid^  nidjt  ba§  f)öd^fte  in  ber  SSelt  nii)gUd;e  Out  5um  (?nb; 
äraed  fe|te,  unb  er  fann  bie§  nidjt,  o^ne  ein  aUotTmögenbeS  nioraltfc^e^ 
^cfen  al§  2Be(tf)errfdjcr  an5unef)men,  weil  nur  burc^  ein  fofdjc?  ba§ 
f)ö(^fte  @ut  üeriüirflidjt,  ba§  ©ittcngefe^  mit  bem  9?aturgefe^,  ber  fitt- 
lt(j^e  Qmcd  mit  ben  S^otursracden  in  Hebereinftimmung  gcbradjt  werben 
fann.  Gbcnbcfj^alb  ift  aber  and;  bie  S3ebeutung  ber  S^eltgion  ganj  unb 
gar  auf  if)re  fittiid^e  SBirfnug  bef(^ränft.  S)er  58ewei§  für  bal  ©afein 
@otte§  lä^t  fi(^  nur  üon  ber  moralifd^en  «Seite  f)cr  führen,  unb  bie 
S3egriffe,  bie  er  un§  liefert,  loffen  fid^  weber  ju  einer  fpefulatiüen  %^eO' 
logie  nod^  jur  (Erweiterung  unb  Serid^tigung  unferer  9fiaturfcnntni§, 
fonbern  lebiglid^  für  unfer  praftifd^eS  5^erf)aften,  unb  näf)er  für  unfer 
fittiid^eS  2ehen  uerroenben;  wenn  wir  über  ba§  SBefen  @otte§  fpefuliren, 
wirb  unfere  ^f)eoIogie  gur  2:^eofopf)ie,  wenn  wir  un§  beut  pdjften 
S^efen  huxä)  anhexe  9[Rittef,  al§>  burd^  eine  moralifd^e  ©cfinnung,  wof)I= 
gefällig  mai^en  wollen,  wirb  unfere  3fte(igion  gur  ^bolotatrie  ^). 

2lu§  biefem  ©efid)t§punft  f)at  ^ant  in  feiner  „9tetigion  iunerfialb 
ber  @ren3en  ber  bIo§en  SSernunft"  ba§  Gf)viftcnt^um  befprod;cn.  Gr  un= 
terfud^t  ba§  SSer^ä(tni§  beSfelben  ju  feinem  moralifd^en  9.^ernunftg(auben, 
unb  er  finbet,  baB  be;be  im  wefentlid^en  übereinftimmen ,  unb  ba^  fid^ 
aud^  jene  pofitiü  d^riftü^en  Sefiren,  an  weCd^en  bie  2(uff(ärung  ber^eit 
fo  großen  StnftoB  3U  nef)men  pflegte,  if)rem  eigentlid;en  ©inne  nad^  mit 
ber  ^Religion  be§  ^^ilofopf)en  wo{)(  oertragen.  ^a§>  ßf)riftent^um  Ief)rt 
eine  ©rbfünbe;  aber  aud^  bie  ^f)i(ofopf)ie  nötf)igt  un§,  ai§>  ©runb  be§ 
tfiatiädjlic^  t}orf)anbenen  5ßöfen  einen  aEer  5:f)at  oor^ergefienben ,  unb 
infofern  angeborenen,   ^ang  jum  SBöfen,   ein   rabifaleS  ^öfe§    in    ber 

1)  »gl.  @.  370  f.  $Rer.  innev^.  b  @r.  b.  bl.  3?ern.  93orr.  j.  1.  Stufl.  Ärttif  b. 
Urt^eilStr.  §  89  (ib)i.  2.  2ibt^.  3mg.  3{iim.  jur  Jetcologie,,  S3b.  VII,  371  ^artenft. 
(1.  2tup.)  u.  a.  ©t. 

Seit tt,  @efd)i(f|tt  ber  bciitfc^en  «ß^irofop^ie.  '  26 


4:02  ^<^"t- 

mcnfcS^lid^en  DZatiir  ju  bef)aupten,  rüdä)e§>  nur  in  einer  nt(^t  weiter  gn 
erftärenben  intelliöiBeln  5Lf)at  ber  greificit  kfteJien  fann;  unb  wenn  wir 
un§  üon  ber  erften  ©utiuid^(ung  ber  9)ien[djf)eit  9tcd;cnfdjaft  geben  raoHen  ^), 
müi'i'en  wir  anue!)men,  ba^  in  il^vem  gort)cC;ritt  com  ©(^(ed^tern  jum 
SBefferu  ben  ^^^^iwii^uen  ber  S^urdjtjancj  hnvä)  haS^  Sö[e  nidjt  er)"part 
Blieb,  ba§  ba§  ©noadjen  ber  2?crnunft  nnb  bie  SoSrei^ung  t)on  ber 
§ei'rfdjaft  be§  ^nftinft»  Hebel  unb  Softer  ()crbcifü£)rte ,  bie  bem  ©taube 
ber  Hmuiffenljcit  nod^  fremb  roarcu.  S^a§  ßf)rifteutl)uin  forbert  eine 
SBicbergcburt;  aud;  bie  ^t)iIoiopl;ie  belefirt  uu§,  bafj  ber  Uuterid^ieb 
bc-5  ©Uten  unb  Q3öfeu  ui(^t  blü§  unfere  ein^eluen  ^aubfungen,  foubern 
bie  gauöe  3}ioj:ime  unfereS  SSiffeuS  betrifft;  ha^  ba§  53ö!e  iu  einer 
gruubiät^lidjcn  SSerfe£)rung  uuferer  2:riebfeberu ,  ber  Unterorbuuug  beS 
©itteugefeljc»  unter  bie  ©elbftliebe  befte£)t,  unb  mithin  avL<^  bie  2Bieber= 
fierftedung  uuferer  uvfprüug(id;en  3(u{age  5um  ©Uten  nur  in  einer  Um; 
äubenmg  uuferer  SDZayime,  einer  9leuoIutiou  iu  uuferer  ganjcn  @efiu= 
nung,  beftefien  fanu.  ^a§>  Gt;riftentf)um  uerfünbigt  eine  9'led;tfertigung 
be§  füubigeu  SDlenfdjen  burd;  ben  ©tauben,  uiieiuotil  e»  jugteid;  he- 
tiauptet,  ba§  berfelbe  iu  ber  2öirfiid;feit  üon  ber  (Bünhe  nie  gan^  frei 
rcerbe.  3(uf  "oaS:  gteidje  GrgebniB  fü^rt  bie  pt)ifofopt)ifdje  3JioraI,  lucun 
fie  eiuerfeit^  äioar  bie  unuermeibIid;eltnüo(Ifomiueut)cit  unfere»  fittüd^en 
^uftaubeS  zugeben  muB,  bie  ben  3}?eufd)cn  im  beften  ^^att  nur  3U  einem 
ftetigen  f^^ortfdjritt  im  ©uten,  abex  nie  3um  üoHeu  Sieg  über  ba§  ^öfe, 
§ur  ^eitigfeit  fommen  läjit;  menn  fie  aber  nid;t§bcftou)euiger  bcuen,  in 
welchen  bie  red;te  ©efiuuuug  ift,  bie  Slnna^me  erlaubt,  baf5  ein  §er3cu§= 
fünbiger  fie  nid;t  nad;  itireu  eiujclucn,  immer  mangeUjafteu,  Seiftnugen, 
foubern  nac^  it)rem  fitttidjen  ^riucip,  nac^  it)rer  ©efinuuug,  nad;  tt)rem 
intelligibeln  ßt)arafter  beurt^eileu  werbe,  ba^  ba^cr  anä)  fie  in  it)rer 
©etbftbeurtfieiiung  ben  g(eid)en  DJiafiftab  au3ulegen  beredjtigt  feien. 
5?nüpft  bann  ferner  ba§  ßt;rifteutf)um  ba§  §eil  beg  93teufd)eu  an  bie 
^crfou  unb  bie  ©efdjic^te  G^rifti,  fo  fauu  fid)  bie  ^f)i[ü)opI;ie  (wie 
Äant  geiftreid;,  aber  aUerbiugS  uidjt  ot)ne  Jvüuftctci  au§füt)rt)  and;  bie- 
fe§,  ridjtig  oerftanbeu,  gefallen  laffen.  S)a§  ^bea(  ber  moralifi^en  33oII= 
fommeuljeit,  ber  ©Ott  lüoljlgefälligcn  93?eufdjf)cit,  Iäf5t  fid;  al§  ber  eiuige, 
eingeborene  ©ot;u  ©otteä  barfteUeu,  burd;  ben  alle  auberen  S)inge  ge= 


1)  hierüber   «i^t.  nt.  bie  Stb^anbUing  ß.  ^.  1786:    2)iut^maj3ltd^er  Einfang    ber 
iDienjdjengejdjidjte,  IV,  339  ff.  §avt.uft. 


3?a§  efjrtftent^um.  403 

maä)t  finb,  raei(  e§  eben  nur  bie  3}tenfd;t)eit  in  ifirer  ntoratifdjen  3?o(I- 
fontmenfjeit  ift,  waS  eine  25>ert  3uni  ©egenftanb  be§  göttüdjen  9^at§' 
f($(u[fe§  unb  5um  ^meä  ber  (Scfjöpfun^  madjen  faun.  ߧ  fann  von 
biefem  Urbifb,  raetd)c§  nn§  auf  eine  un§  undegreiflidje  SSeife  inneraol^nt, 
gefogt  werben,  ba^  e§  Dom  ^immel  gu  un§  I)eratigefontmen  fei  unb  bie 
SRenfdj^eit  angenommen  fiabe.  5^a  enbOc^  ber  llebergong  üom  S3öfen 
jum  ©Uten,  ober  bie  SinneSänberung ,  yon  ©djmer^en  begleitet  ift  unb 
Dpfer  auferlegt,  mclij^e  hex  neue  9}ienfdj  um  hcS  &uUn  miffen,  unb 
fomit  in  ber  ©efinnung  be§  ^oijmS-  @otte§  übernimmt,  mäfirenb  fie 
bod;  eigentlich  einem  anberen,  nämtid^  bem  alten  33ienfdjen,  al§  Strafe 
gebührten,  fo  lö^t  fidj,  tüenn  mir  jene  ©efinnuug  perfonificiren ,  ber 
So^n  ©otteS  alic  ber  be3ei($nen,  rceldjer  für  alle,  bie  praftifd;  an  if)n 
glauben,  bie  ®ünbenfd;u(b  trage,  meldjcr  für  fie  ber  f)ödjfteu  @ered;tig= 
feit  aU  ©rtöfer  genugtfjue  unb  fie  als  @ad;iüalter  uor  bem  pc^ften 
9flid;ter  vertrete. 

S)ie  ^bee  ber  moralifi^en  SSoIIfommenijcit  ^at  nun  aflerbingS  if)re 
9iea[ität  nofiftänbig  in  fid;  felbft.  S^enn  fie  liegt  in  unferer  mora(if($ 
gefet^gebenben  Siernunft.  SSir  f ollen  if)r  gemä^  fein,  unb  mir  muffen 
e§  ba^er  ouc^  fönnen.  Ser  ©lanbe  an  biefe  unfere  3>erpflidjtung 
fann  ntd;t  bauon  abljängig  gemad;t  merbcn,  balß  ein  unferem  ^hcal  cnt- 
fprec^enber  9}Zenfc^  in  ber  Grfal)rung  aufgezeigt  roirb;  er  fann  e§  f($on 
beBt)alb  nidjt,  rceil  nic^t  allein  bie  äußere  ©rfafirung  bie  ©efinnung 
auf  bie  e§  bod;  l)ier  adein  anfommt,  nidjt  aufbedt,  fonbern  aud;  bie 
innere  Grfa^rung  eineS  jeben  il)n  bie  ^tiefen  feine»  ^erjenS  nid;t  mit 
üoller  @id)erf)eit  burdjfdjauen  läBt.  ^all§  aber  ein  Ginjelner  ba§  35ei= 
fpiel  eineg  ®ott  moljlgefälligcn  9}^enfc^en  in  Sel)re,  Seben^manbel  unb 
Seiben  menigfteng  fo  meit  gegeben  pt,  al§  man  bie^  oon  äuf3erer  Qv- 
fal)rung  überl)aupt  uerlaugen  fann,  fo  mirb  man  jroar  auc^  in  einem 
fotdjen  nur  einen  eigcntlid;en  unb  natürüd^  gezeugten  9]^cnfd;en  feigen 
bürfen;  aber  er  mirb  bodj  t)on  fid^  fo  reben  fönnen,  al§  ob  haS»  ^beal 
be§  ©Uten  in  il)m  leibl)aftig  bargeftettt  mürbe,  er  mirb  ben  moralifc^en 
SSernunftglauben  an  jeneg  ^heal  mit  bem  ©efd;idjt§glauben  an  feine 
^erfon  unmittelbar  üerfnüpfen  fönnen.  Gben  bie§  ift  aber  für  bie  3Jief)r= 
ga^t  ber  SD^enfd^en,  mie  i?ant  glaubt,  be^l)alb  S3ebürfniB,  meil  fid;  nur 
auf  ben  ©efd;ic^t§gCauben  eine^ird;e  grünben  lä^t.  Um  nämlic^  bem 
58öfen,  meli^el  fic^  üorjugSmeife  in  ber  ©efet[fd;aft  unb  burd;  bie  ©e= 
feUfdjaft  fortpflanzt,  mit  ©rfolg  entgcgenjuroirfen,   ift  eine  Sverbinbung 

26* 


404  Äant. 

ber  ©in^elnen  jur  g-örbcning  be§  ©uten,  eine  3Seveinigung  berfetben  ju 
einem  „etf)i[($en  gemeinen  SBefen",  einem  „SSoI!  (Botte§>  unter  5twgenb= 
gefe^en"  notfiraenbig;  man  !ann  biefe  SSereinigung  bie  allgemeine  un- 
fid^tbare  Äird;e  nennen.  S)iefe  allgemeine  ^ir($e  !ann  fic^  nnn  allerbing§ 
nur  auf  ben  reinen  9leIigion§gIauBen  grünben;  benn  er  allein  ift  ein 
'Sernunftglanbe,  ron  be[[en  2Ba§vf)eit  fic^  iebevmann  überzeugen  fann, 
ieber  @ef^id;t§g(aube  bogegen  ift  auf  biejenigen  befi^ränft,  meli^e  bie 
betreffenben  3:^atfa(^en  fennen  gelernt  fiaben.  Mein  „e§>  ift  eine  be= 
fonbere  <Bd)mää)t  ber  menfd)lid;en  3fJatur  baran  fdjulb",  ba§  jener  reine 
©laube  in  ber  2Bir!(idjteit  nid;t  bie  Äraft  f)at,  einer  Äirc^e  gur  Orunb^ 
löge  gu  bleuen.  Sie  9Jlenfd;en  finb  fd;roer  gu  überzeugen,  ba§  ein  guter 
SebenSroanbel  atteS  ift,  ma^  ©Ott  von  il)uen  forbert;  fie  fönnen  fic§ 
il^re  55erpflid;tung  gegen  i§n  nur  al^  SL^erpfli(^tung  gu  irgenb  einem 
S)ienft  benfen,  ben  fie  @ott  gu  leifteu  laben.  2Ba§  für  ©ienfte  aber 
@ott  X)on  un§i  »erlangt,  mie  er  oou  un§  rere^rt  fein  mitt,  können  mir 
—  fofern  biefe  33eref)rung  über  uufere  allgemeine  fittlid^e  3Serbinbti(^!eit 
l)inau§gel)t  —  nur  burd^  eine  au§brüdli($e  2BilIen§er!lärung  erfaljren; 
uub  voaS>  nn§  auf  biefem  SBege  mitgetlieilt  mirb,  ba§  finb  ftatutarif($e 
®efe|e.  ©o  tritt  an  bie  ©teile  be§  reinen  SSernunftglaubenS  ber  ^ir^ 
c^englaube,  an  bie  ©teEe  ber  ©inen  moralifd;en  ©efc^gebung  eine  S3iel|eit 
ftatutarifd^er  9tetigion§gefe|e ;  uub  in  ber  gefd;i(^ttid;en  ©ntmicflung  ber 
'^enfc^l)eit  ge^t  biefer  Äiri^englaube  bem  reinen  9leligion§gIauben  t)oran, 
S)ie  Sleligion  mirb  t)on  einer  Offenbarung  fiergeleitet ;  b.  l).  t)on  einer 
göttlid;eu  Slnorbnung,  bereu  3Jiögli(^feit  fid;  gmar  nid;t  unbebingt  läugneu 
lä^t,  bereu  9Birflid;feit  aber  in  einem  gegebenen  %aU  ju  belianpteu, 
3ierme[fen|eit  ober  mol)t  gar  abfid;tli(^e  IXfurpatiou  ciue§  liöljereu  3Iu= 
feljenä  ift.  i^lire  Stiftung  fall  von  SBunbern  begleitet  geraefen  fein,  e§ 
foUen  burd;  btefelbe  ältere  SBeiffaguugen  in  ©rfüllnng  gegangen  fein, 
if)re  @efd;i(^te  felbft  foU  buri^  ba§  SBunber  einer  übernatürtidjen  @in= 
gebung  mitgetlieilt  fein;  fo  wenig  mir  ung  auc^  von  einem  2Bunber 
einen  Segriff  mad^en  fönnen,  unb  fo  wenig  vernünftige  3Jteufd;en  ba0 
2öuubcr  jemals  praftif(^,  in  i^reu  ©efd^äften,  gelten  laffen,  wenn  fie 
if)m  aud;  oie[leicl)t  in  ber  Si^eorie  nid;t  entfagt  |aben.  S)er  ©laube 
mirb  ju  einer  öffcnttid;en  SSerpflid^tuug ,  bie  ©laiibenSgefc^e  werben  in 
beitigen  «Sdiriften  niebergelegt;  eS  bilbet  fid;  ein  ©tanb  von  ^ricftern, 
als  ben  geiüeil)teu  SSerwaltern  frommer  ©ebräu($e;  bie  £el)rer  unb 
^äupter  ber  ÄHrc^e  madjen  il)ren  ©lauben  zum  alleingültigen,  allgemeiu 


3)ic  pofititoe  Steligiou.  405 

üerbinbiid^en,  pr  Drt^oboyie,  raer  üon  i^m  a6raei(^t,  wirb  al§>  Hngläu^ 
biger  gefia^t,  ober  a(0  ."flcler  t)erf(ud;t  nnb  »erfolgt  ^). 

Slud^  ba§  6E)riftent()um  fiat  ein  [o(d;e§  ftotutarifd^eS  Äird^enrocfen 
Uttb  eine  ftatutarif(^e  Se^re,  nnr  baB  in  ber  letzteren,  raie  fdjon  gezeigt 
würbe,  nod^  Äant'^3  Ueber^eugung,  ber  3?ernunftglaube  reiner  nnb  oollftän- 
biger,  als  in  irgenb  einer  anbern,  entl^atten  ift.  SlenBerlid^  ift  el  an§  bem 
Subent^um  fieroorgegangen ;  aber  feinem  ß^arafter  nad;  ftel)t  c§>  in  feiner 
raefentlic^en  SSerbinbnng  mit  biefer  ©(anbenSform,  ron  ber  Ännt  fagt, 
fie  fei  mit  ifircm  bfo§  ftatutarifd;en ,  gegen  bie  moralifdje  ©efinnung 
g(eid)gültigen,  ben  ©tauben  an  ein  fünftigel  Seben  abfidjtlid)  ignoriren; 
ben,  auf  biefeS  einzige  SSol!  befd;ränften  ©efe^  eigentUd;  gar  feine  9le= 
tigion,  fonbern  ein  bIo§  poIitifd)e§  ^nftitut.  e§  entftanb  baburd;,  baf, 
fein  ©tifter  fid^  aU  einen  üom  §immel  gefanbten  anfünbigte,  ba^  er 
ben  ?5rof)ngIauben  an  gotte§bienftUd;e  ^efenntniffe  nnb  ©ebrändje  für 
niii^tig,  unb  ben  moralifd;en  für  atteinfeligmad^enb  erflärte,  ba^  er  enb= 
Uc|  an  feiner  ^ßerfon  burd^  Sefircn  nnb  Seiben  bi§  jum  3:obe  ein  bem 
3ibca(  ber  3J?cnfd;[)eit  entfpredjenbeg  ^eifpiel  gab.  SBa§  bagegen  t)on 
feiner  2luferftef)ung  nnb  ^immclfafirt  er^äfilt  mirb,  ^at  fo  menig,  al§> 
ber  3luferftef)nng§glaube  überl^aupt,  eine  mefentlid;e  ^ebcntung;  biefer 
©taube  ift  oiehne^r  burd;  bie  33ef)ouptung,  ba^  bie  Seele  nur  in  ifjrem 
Äörpcr  fortbauern  unb  ifir  SDafein  in  einer  SSelt  nur  ein  röumfi(^e§ 
fein  fönue,  ber  SSernunft  fef)r  läftig:  fie  f)at  meber  ein  ^"tereffe  babei, 
einen  Körper,  ben  fie  felbft  im  2chen  nie  red)t  lieb  gewonnen  f)at,  in 
©roigfeit  mitjufdjieppen,  noc^  fann  fie  e§  begreiflid;  mad;en,  n)a§  biefe 
Äatferbe  im  ^immel  foH;  nnb  menn  ein  ^au(n§  unfer  fortleben  nad) 
bem  S;obe  aul  ber  aiuferfte^ung  e^rtfti  bemeift,  fo  muffen  mir  oielmefir 
annel)men,  ha^  nur  ber  moro(ifd)e  ©lanbe  an  ein  fünftigeS  Seben  i^n 
beftimmte,  ber  ©age  t)on  ber  Sruferfte^ung  (Sfirifti  ©fauben  bei3umeffen  ^). 
S)te  weitere  ©efd;id;te  beS  (s;f)riftentl;um§  ift  längere  3eit  bunfel;  unb 
oon  bem  3eitpunft  an,  wo  biefeS  SDunfel  fid^  anffiettt,  gercid^t  fie  if)m, 
wie  ^ant  au§füf)rt,  wa§  bie  wof)ttf)citige  SBirfung  betrifft,  bie  mau  oon 
einer  moralif(|en  Sleligion  erwarten  fann,   !eine§weg§  gur  ©mpfe^Iung. 

1)  SRel,  tnnei^.  b-  ®v.  b.  bl.  «evn.  3.  @t.  1.  mti).  9?r.  5.  2.  @t.  g.  (£. 
(5iag.  ^4nm.)  ©treit  b.  gacultäten  1.  2lbfd^n.  g.  (S. 

2)  Tl.  »gl.  I^tevü&er  unb  sunt  forgenben  auger  ber  3iel.  iniier^.  b.  ®v.  b.  bu 
5öeru.  (öon  reetc^er  sunäc^ft  ba§  3.  &tM,  2.  MÜ).  ^ie^er  gehört)  aud)  ben  „@trcit 
ber  gacuUäten"  1.  Slbjd^n.  Sliil^. 


406  ^'^^^' 

©r  felbft  fiält  feine  ^ät  für  bie  Befte  ber  ganjen  ^\x^enQe^ä)i^te,  tüeit 
in  if)r  ber  ^eim  be§  wahren  9teI{gton§glau6en§  bo(^  raentgfteng  gelegt 
fei  nnb  ftd;  nnr  nngel^inbert  gn  entraiiieln  Brandje,  nm  bent  moralif(^en 
9^eicfj  @otte§  immer  näl^er  ju  führen.  S)o^  ränmt  er  ein,  ba§  bie  erfte 
2lbfi($t  Bei  ber  ©tiftnng  be§  ß^riftent^nmS  feine  anbere  al§  bie  @in= 
fü!)rnng  jenes  reinen  9?e(igion§g(auBen0  gewefen  fei;  er  meift  m^,  ba^ 
bie  £ef)re  (Sf)rifti  i^rem  mefentlid^en  i^nfialt  nad)  mit  biefem  ©tauBen 
biirc^auS  üBereinftimme ;  er  gtanBt  enb(i(^,  baB  atte  weiteren  S^\ä^e  gu 
bemfelBen  Bei  if)m  nnb  feinen  erften  ^Rac^fotgern  nnr  ben  Qwed  gefiaBt 
IfiaBen,  bie  i^nbcn  bnr($  i|re  eigenen  S5ornrt§ei(e  für  bie  neue  9ßelt=: 
religion  gu  geminnen,  nur  von  einer  SluBcqnemnng  an  hen  ©tanbpunft 
einer  Beftimmten  3«^^^  ^^"5  ^^^^^^  Beftimmten  33olfe§  ^erjuteiten  feien. 
2lu($  bieSefire,  n)eld;e  x)on  jefier  at§  ba§  tieffte  @e!f)eimni§  be§  S^riftens 
t|um§  Betradjtet  worben  ift,  bie  ^rinitätslei^re ,  brücft  m^  ^ant  nur 
ba§  moralifdje  SScrf)atten  ©ottcS  ^um  menfcf;lid;en  ©efd)(ec^t  au§;  if)r 
eigcntlidjer  ©inn  ift  biefer:  @ott  1)  at§  ben  f)eiligen  ©efe^geBer,  2)  al§ 
ben  gütigen  ©r^alter  nnb  9^egierer,  unb  3)  aU  ben  geredeten  Wid)kt 
ber  9!}lenfd)en  barsuftellen.  Se^fiatB  entl)(ilt  aBer  anc^  biefe  Seigre  eigent= 
Uc^  fein  ©efieimniB-  2öo  e§  fid)  anbererfeits  um  n)ir!lid;e  ©el^eimniffe 
l^anbelt,  wo  fragen  vorliegen,  bie  mir  gn  Beantworten  nic§t  im  ©taube 
finb,  ba  fönnen  wir  überzeugt  fein,  ba^  biefelBen  unfer  93erl^alten  unb 
mitf)in  aud;  unfere  9leIigion,  nidjt  Berühren:  wa§  wir  in  pra!tifd;er 
Sc5ie()ung  Brauchen,  ift  un§  f)inreid;enb  geoffenBart,  unb  biefe  Dffen= 
Barung  ift  für  jeben  2)cenfd;en  «erftänblid;. 

Sft  aBer  in  ber  pofitiüen  Sleligion  ber  moralifd;e  SSernunftglauBe 
ba§  einzige,  worauf  i^r  Söert^  unb  if)re  ^Bebeutung  Bern^^t,  ba§  einzige, 
wa§  in  if)r  wirfüc^  ^Religion  ift,  fo  folgt  unmittelBar,  baB  jebe  relis 
giöfe  ITeBergengung  unb  jebe  ^anblung  nur  in  bem^Rafje  Berei^tigt  ift, 
in  bem  fie  biefem  einzigen  ^wiä  aller  9ieligion  bient,  ein  ^ülfSmittet 
ber  ©itttid)feit  ift;  fofcrn  fie  bagegen  bie§  nid;t  ift,  wirb  fie  für  bie 
waf)re  ^ri3mmigfeit  nic^t  etwa  nur  gteid;gültig  fein  unb  feinen  3w- 
fammenBong  mit  if)r  I)aBen,  fonbern  fie  wirb  it)r  pofitio  im  2Seg  ftcl^en, 
weil  fie  auS  einem  falfdjen  9)iotiü  BeruovgeBt  unb  auf  einen  verfefirten 
Sßeg  fül^rt.  ^ant  ftcHt  baljer  ben  ©runbfa^  auf,  ber,  wie  er  fagt,  gar 
fcine§  93cwcifc§  Bebarf:  „2(tte§,  wa§  auf3er  bem  guten  £eBen§wanbel 
ber  3}tenfd;  nod;  tf)un  gu  fönnen  vermeint,  um  ©ott  woBIgefättig  3U 
werben,  ift  Blofscr  9Ictigion§waBn  unb  Slftcrbienft  ©ottcS."    2lu§  biefem 


®a§  Sfirijient^mn  atl  pofitioc  9icügion.  407 

©eftdjtSpunft  üeiitrtrieitt  er  ni^t  16Io§  foI(f)e3)leii.imGett  imb  @ebräiicf)e, 
über  beren  SSerwerflirfjfeit  loentgftenS  in  ber  proteftantifcf)cn  ÜM)^  bie 
meiften   einnerftanben  luaren;    fonbern  er  fpridjt  fi(^  ourf;  über  ©inge, 
auf  weldje  ber  ortf)oboj-e  ^roteftauti[inu§  ben  f)ödjften  Söertf)  legte,  mit 
einer  Dffeu^eit  au§,  bie  bei  allen  grcnnben  be^felben  ben  gröBten  3ln= 
ftoB  erregen  mn|3te.    @tanbt  man  einmal,  fitf)  bie  @nabe  ber  ©ottljeit 
auf  einem  anberen  2Bege  verfdjaffen  3n  fönnen,    al§>   bnrd;  moralifc^e 
©efinnnng  nnb  ^anblnngSroeife,   fo  ma(^t  e§,   rote  J!ant  fagt,   feinen 
roefentlid;en  tlnterf($ieb,   ob   biefer   mcdjanifd;e  @otte§bienft  in  feinerer 
ober  in  gröberer  SBeife  betrieben  roirb.    £)b  ber  2Inbädjtfer  einen  @ang 
jnr  Äird;e  ober  eine  SSaKfa^rt  anfteHt,   ob   er  feine  ©ebetSformel  mit 
ben  Sippen,  ober  roie  ber  Tibetaner  „hux^  ein  ©ebetrab  an  bie  f)imm* 
tif(^e  ^c^örbe   bringt,   ober   roa§   für   ein  ©nrrogat   beS   moralifd;en 
®ienfte§  ®otte§  e§  an($  immer  fein  mag,   ba»  ift   af(e§  einerlei  nnb 
t)on  gleidjem  Sert^".  SSom  tnngnfifdjen  ©djamanen  h\§  jum  enropäifdjen 
^Prälaten,  uom  getifdjbiener  bi§  5um  ^nritaner,  „ift  groar  ein  mädjtiger 
Slbftanb  in  ber  3}ianier,  aber  nidjt  im  ^rincip,  5n  glanbcn."  2öer  nber= 
f)anpt  ^anblnngen,  bie  roeber  an  fid;  felbft  moralifdjen  SBertl^   l)abm 
nod)  ^BeförbernngS^mittel  ber  SJioralität  finb,  sn  53ebingnngen  be§  gött= 
liefen  Sßof)lgefalIen§  madjt,  ber  ftef)t  in  bem  SSal^ne,  er  fönne  ben  Sei= 
ftanb  ber  @ottf)eit  l^erbei^anbern ;  er  madjt  an§  bem  ©otteSbienft  einen 
getifdjbienft,  an§  ber  Sleligion  eine  i^bololatrie.    ®ie  35erfaffnng   einer 
J^ird)e,    in   roeld;er   ber  getifd;bienft  regiert,   ift   „^faffent^nm."    ©er 
(BlanU  an  SSnnber,   an  @ef)eimniffe,   an  ©nabenmittel,  ift  ein  2Ba!f)n= 
gtanbe.    Sind;  „ba§  33eten,  aU  ein  innerer  förmlid)er  @otte§bienft,  nnb 
barnm  aB  ©nabenmittet  gebad;t,  ift  ein  oberg(änbifd;er  2öa^n";   benn 
e§  ift  bie  blo^e  ®rf(ärnng  cine§  2öunfd§e§  gegen  ein  Söefen,  ba^  biefer 
©rftörnng  nidjt  bebarf,   eine  ^anblnng,   buri^  bie  nichts  getfian,   feine 
i)on  nnfern  ^fli(^len  erfüllt  roirb.    5Der  „©eift  be§  ©ebet§",   ba§   am 
©ebet,  roa§  allein  SBertf)  ^at,  ift  bie  ©efinnnng,  alle  nnfere  ^anblnngen 
fo  §n  betreiben,   al§  ob  fie  im  S)ienft  ©otte§  gefd)ef)en;   biefen  2Bnnfc§ 
aber  in  SS^orte  nnb  gormetn  einsnfleiben,  fann  pd)ften§  nnr  ein  2Jlittet 
gnr  S3elebnng  jener  ©efinnnng  für  foId)e,  bie  biefeS  9}iittcl0  bebürfen, 
aber  nid;t  eine  ^ftic^t  für  ^eberniann   fein.    ^ant'§  6teIInng  gn  bem 
^ofitiüen  in  ber  ^Religion  ift  bemnac^  im  roefent(id;en   blefelbe,   roelc^e 
roir  fdjon  bei  Seffing  getroffen  f)aben. 

2(nc^  barin  ftimmt  er  mit  Seffing  überein,  ba^  er  au§>  feiner  2ln= 


408  Äont. 

ficl)t  Über  baS  2ße[en  unb  bie  SSebeutung  ber  Steligion  bie  ^orberung 
eines  allmäf)lid;en  j^orlgangS  t)on  ber  pofitiüen  pr  reinen  SSernunftre= 
ligion  ableitet.  Ma%  ein  ^irdjengfau'be  and;  noc^  fo  i)o^  fteijen:  er 
l)at  hoä)  innner  giücierlei  53eftanbti)eite,  ftatutarifd;e  unb  moraiifc^-religiöfe. 
©eine  33ercd;tigung  nnb  feine  n)ol;ltt)ätige  SBirfuug  beruf)t  barauf,  ba^ 
bie  erften  von  biefen  nid;t^  weiter  fein  rooHen,  als  ein  ^ütfgiuittel  für 
bie  äweiten,  ba^  if)nen  fein  felbftänbiger  SBertt)  beigelegt,  ba§,  v)a§>  nur 
ber  nxoralifc^e  33ernunftglaube  leiften  !ann,  in  feiner  ^e^ie^ung  t)on 
it)nen  erwartet  rairb.  Samit  bie§  gefdje(;e,  mu^  bie  pofitioe  Sieligion, 
fofern  eS  fic^  um  if)re  praftifd;e  Sluiüenbung  im  ä^olfSunterrid;t  f)anbelt, 
im  ©cift  ber  reinen  SSernunftreligion  aufgelegt,  bie  un§  5U  Rauben  ge- 
fommene  Dffenbarung  bur^gängig  gu  einem  ©inn  gebeutet  merben,  ber 
mit  if)ren  praftifdien  Stegein  übereinftimmt.  Db  biefä  an^  il)r  eigent^ 
lieber  ©inn  ift,  barauf  fommt  e;S,  mk  ^ant  glaubt,  nid)t  an ;  lücnn  jene 
moralifdie  Stu^legung  nur  irgenb  luöglid;  ift,  mu§  fie  einer  buc^ftäblid;en 
üorge^ogen  werben,  bie  für  bie  3Jioralität  nid;t§  entl)ält,  ober  ii)r  gar 
entgegenroirft.  Sticht  bie  ©d;riftgelcf)r)amfeit  unb  n)a§  man  üermittelft 
if)rer  au§  ber  ^ibel  f)erau§5iel)t,  fonbern  roaS  man  mit  moralifd^er 
S)enfuug§art  in  fie  l)ineinträgt,  mu^  bem  S^ortrag  an'S  SSolf  bie  Seitimg 
geben ;  raa§  bie  fieitigen  ©d;riftfteller  felbft  babei  im  ©inn  gehabt  l)aben 
mödjten,  f)at  man  bei  biefer  ©elegenl^eit  nid;t  ^u  unterfuc^en.  3Bol)i; 
bentenbe  33ülfgle§rer  fiaben  e§>  immer  unb  in  allen  Steligionen  fo  ge= 
f)alten;  ba^  fic^  bie^  aber  tl)un  lä^t,  of)ne  eben  immer  roiber  ben  bud;- 
ftäblid;en  ©inn  be§  SSolfiSglaubenS  fel^r  ^u  üerfto^en,  fommt  baf)er,  meil 
laage  vox  biefem  le^teren  bie  Einlage  jur  moralifd^cn  Slctigion  in  ber 
menfc^lid^en  ä^ernunft  üevborgen  lag,  unb  and;  fc^on  bie  erften  ro^en 
SIeuBerungen  berfelben  in  ii)xe  S)id;tungen  etraaS  oon  bem  St)arafter 
i^reS  überfinnlidien  UrfprungS,  wenn  aud;  uuüorfä^lid; ,  gelegt  f)aben. 
S)er  £ird;englaube  f)at  mitf)in  ^u  feinem  pc^ften  SluSleger  ben  reinen 
9lcligion§glauben,  in  bem  fein  eigentlid;er  ^wed  liegt;  er  fott  nid^tS 
anbereä  fein,  atä  ein  ^el)ifet  für  jenen,  unb  nur  al§  fold;e§  fott  er 
aud;  bel)anbclt  werben,  ^e  entfd;icbener  bie^  aber  gefd;ief)t,  um  fo  meljr 
werben  feine  2(nl)änger  über  i^n  §inau§wad;fcn,  um  fo  weniger  werben 
fie  feiner  ©tü^en  ferner  bebürfen.  ij^eber  Äird;englaubc  f)at  ba^er,  wie 
Äant  auSbrüdlic^    erflärt^),   bie  ^eftimmung,   fic§  felbft  mit  ber  3eit 


1)  SRcl   innev^.  u.  f   m.  4.  ®t.  2.  Xij.  §  2  @(^r. 


©tcttung  ju  feinen  Vorgängern.  409 

cntbef)iiid;  gu  machen.  S)a§  Seitbanb  ber  .^eiligen  Uekrlteferung,  — 
fagt  er  mit  Seffing  —  tüe(dje§  ju  feiner  3ßtt  gute  S)ienfte  tl)at,  töirb 
nad;  unb  nad^  entbef)rli($ ,  ja  enblic^  pr  f^effel,  wenn  ber  3)tenid;  in 
ba§  Jünglingsalter  eintritt.  Unfere  pfnjfifc^e  unb  moralifd^e  Stnlage 
bringt  e§  mit  fic^,  ba^  bie  Sleligion  oon  allen  empiri)d;cn  58eftimmung§= 
grünben,  üon  allen  ©tatuten,  meldte  auf  @efd;idjte  berulien  unb  üer= 
mittelft  eines  Äird^englaubenS  bie  2Jlenfd;en  proüiforifd;  3ur  53eförbei'ung 
beS  ©Uten  vereinigen,  allmäf)(i(^  lo§gemad;t  werbe,  ba^  bie  reine  SSer- 
nunftreiigion  gule^t  über  aUe  f)errfd;e,  bamit  @ott  fei  alleS  in  allem. 
3Jtit  biefem  6ieg  beS  SSernunftgtaubenS  mirb  bann  aud;  ber  ©cgenfa^ 
unb  ©treit  ber  Staaten  auff)ören,  unb  jeneS  9f^eid;  beS  eraigen  griebens 
beginnen,  in  meld^ein  haSi  fittUd;=reIigiöfe  Jbcal  unfereS  ^t)ilüfopt)cn  mit 
bem  recE)tIi(^;politifd;en  äufammenfällt. 

9.   2)er  6:^oraftcr   unb  bie  gcft^it^tlic^e  SBcbcutuug   ber  fantift^cn 

^I)iIofüVf)ic. 

S)ie  2Ingetpun!te  be§  fantifdjen  ©yftemS  liegen  in  gmei  fragen: 
ber  erfenntni^tf)coretif($cn  unb  ber  et|iifd;en.  3«  ^ei"  Beantwortung 
biefer  fragen  faffen  fic^  bie  meiftcn  unb  mid^tigften  von  ben  S3cftimmun= 
gen  äufammen,  auf  benen  feine  epod;emad;eube  äöirfung  beruht.  SDurd; 
feine  (SrfenntniBtfjeorie  tritt  ^ant  (wie  fd^on  ©.  326.  341  bemer!t 
rourbe)  nid;t  allein  bem  moiffifd^en  3)ogmatifmu§  entgegen,  fonbern  er 
ge^t  überljaitpt  über  atte  feine  SSorgänger  t)inauS,  um  ii)re  2lnfid;ten 
über  bie  @utftef)ung  unb  bie  2A5atjrf)eit  unforer  S3orftelIungen  gu  U- 
rid^tigen  unb  bur(^  einanber  gu  ergänzen,  jeber  üou  if)nen  bie  ©renjen  il;rer 
©eltung  unb  bie  33ebingungen  i^rer  Slnweubbarfeit  p  beftimmen,  fie 
inSgefammt  in  einem  neuen  ^rincip  ju  uerfnüpfen,  gugieid^  aber  and; 
burd;  baSfelbe  gu  mtberlegen.  2Benn  ber  ©mpiriSmuS  alle  SSorftellungen 
aus  ber  2Baf)rnef)mung,  ber  leibni^ifd^e  StationalifmuS  fie  alle  aus 
unferem  eigenen  ©eift  abgeleitet  f)atte,  fo  giebt  Äant  jebem  üon  beiben 
in  einer  beftimmten  SSejieJiung,  eben  beBt)alb  aber  feinem  üou  t^nen 
ganj  9icd^t.  Unfere  SSorftettungen  nel)men,  wie  er  glaubt,  itiren  Jn^alt 
auSfd)tie^lic^  auS  ber  (gmpfinbung,  if)re  gorm  erJialten  fie  ganj  unb 
gar  burd)  unfere  eigene,  tjon  apriorifd;en  ©efe^en  beftimmte  @eifteS= 
t^ötigfeit.  ©ofern  nun  baS  le^tere  ber  galt  ift,  ftimmt  er  §ume'S  Be= 
^auptung  gu,  baB  bie  S)inge  unb  if)r  gegenfeitiger  3ufammen^ang  unS 
nid^t  in  ber  ©rfa^rung  gegeben  feien,  fonbern  uon  unS  fclbft  auS  ben 


410  ^'int. 

ßtnpflnbuttgen,  bem  einstgen,  waS  im§  unmittelbar  gegekn  ift,  gebitbet 
werben;  ja  er  füftrt  biefe  SBe^auptung  nod;  üiet  wmfaffenber  buri$,  aU 
jener,  inbcm  er  nidjt  allein  bie  apriorifd;en  S)enfforiuen  t)olIftänbig  ju 
i)er-iei(5ncn  unternimmt,  fonbcrn  cBenfo  auä)  bie  2Baf)rne!^mnng  bur($ 
apriorif($e  2rn[d)aimnö§formen  kbingt  finbet,    unb    bemna(^   bie  ©r= 
fafirnng  üBer^aupt  auf  bie  aller  @rfaf)rung  ooranöefjenben  ©efe^e  unfereg 
SSorfteHeng  al0  ifire  aprior'fc^e  Sebingung  jurüdfüfirt.    SBeit  er  aber 
boc^  a^iglcid^  neben  bie[er  fubjeftiüen  ^ebingnng  ber  ©rfa^rung  in  hen 
@egenftänben,  meltfje  unfere  ©mpfinbungen  tierüorrufen,  oud;  eine  oh= 
jefttoe  anerfennt,  unb  meit  er  unfere  SSorftettungen  au§  biefen  ifiren 
^ebingnngen  nad;  feften  ©efel^en  l^erüorge^en  läBt,  ift  fein  @rgebni§ 
ni($t  ein  ffeptifd^e§,  fonbcrn  ein  fritifd;e§ :  er  bel^auptet  nid;t,  wir  miffen 
nid;t§  von  ben  2)ingen,  fonbern  rair  miffen  ron  i^nen,  aber  nur  at§ 
@rfd;einungen ,  nur  rciefcrn  fie  fii^  un§  unter  unfern  menfd^lidjen  3ln= 
fd)nuung§-  unb  S)enfformen  barfteHen,  nid;t  obgefe^en  uon  biefen,  nad^ 
if)rem  ^nfid;;  unb  au§  bem  gleid^cn  @runbe  barf  fein  ^bealifmuS  au<^ 
ni($t  mit  bem  eines  SerMet)  ;)errae($felt  merben,  n)erd;er  ba§  Dbjeft 
ber  finnlidjen  SBa^rnel^mung  at§  foId;e§   ganj  getäugnet  unb  fie  ftatt 
beffen  oon  ber  göttlichen  2öir!famfeit  fiergeleitet  fiatte.    3(ber  auc^  Sode 
unb  Scibnij  ftettt  fi($  J?ant  mit  biefer  2lnfid;t  ebenfo  entgegen,  toie  er 
anbererfeitS  an  fie  anfnüpft  unb  fie  mit  einanber  üerf'nüpft.    ©r  giebt 
webcr  bem  erften  bie  2öaf)rl^eit  ber  ©rfafirung,  noc^  bem  anbern  bie 
ber  apriorifd;en  53egriffe  fd;fed;tpn  gu ;  er  befc^ränft  üietmel^r  bie  9Ba!^r- 
l^eit  ber  ©rfa^rung  ouf  bie  @rfd;einungen  unb  bie  SBal^rfieit  ber  53egriffe 
auf  ba§  ©cbiet  einer  mögli(^cn  ©rfal^rung:  jene§  weit  un§  bie  ©r^ 
faf)rung  bie  3)inge  nur  in  unfern  S3orfteIIung§formen  geigt,  biefeS, 
meil  unfere  S3cgriffe  nid^tS  anbereS  finb,  al§  eine  ^wfammenftcllung 
be§  empirif(j^  begebenen  3ur  ©in^eit  he§>  S3emuBtfein§ ,  unb  ba^er  nur 
auf  bie  Grfal)rung  Slnmcnbung  finben  unb  il^ren  ^nl^alt  nur  au§  ifir 
fdjöpfen  tonnen.    2Ba§  fobann  bie  ©rfdjeinung  felbft  betrifft,  fo  erfennt 
er  fomot)!  hen  lode'fc^en  (Sa§  an,  ba^  bie  ©rfal^rung,  al§  iien  (cibni3i= 
fd^en,  baf3  bie  33cgriffe  ber  9JJaf3ftab  ber  2Ba|r^eit  feien;  er  erfennt  fie 
fdjon  bcf3f)alb  bcibe  o^iöletd;  an,  meil  er  fi($  lueber  eine  (Srfal^rung  ol^ne 
^Begriffe,  nod;  einen  55cgriff  ot)ne  bie  (Srfal^rung  gu  benfen  mei^,   auf 
bie  er  fid;  bestellt.    2Bir  feigen  fo  ^ant  burdjauS  bcmüf)t,  ben  6treit 
ber  entgegengefeljtcn  plf)iIofopf)ifd;en  «Stanbpurfte,  hc§>  ©mpirifmuS  unb 
9ktionaiiimu§,  bc§  ^IcalifmuS  unb  ^bealifmuS,  beg  S)ogmatifmu§  unb 


©teffung  ju  feinen  SBorijängern.  411 

ber  ®fep)l§,  baburcf;  511  fdjlidjten,  ba§  er  jeben  ber  ftrettenbeu  %^eik 
mit  feinen  2rnfprücf;en  auf  ba§  i^m  sufommenbe  ©ebiet  einfdjränft,  nnb 
in  ben  ^vincipten,  rceldje  nnbebinat  liefjauptet  fid)  au§fc6lie§en ,  nur 
ben  einfeitigen  2lu§brud  ber  58ebingunngen  erfennt,  bie  in  i^rem  3^^= 
fantmentreffeu  unfere  SSorftettungen  l^eruorbrinrjen. 

®iefe  fd;ieb§ri(^terlidje  (Stellung  fann  aber  nur  ber  einnehmen,  nnb 

nur  ber  roirb  in  iJ)r  Slu^fic^t  auf  ©rfolg  ^akn ,  raeldjer  felbft  über  ben 

^art^eien  fte^t,  jraifc^en  benen  er  üermitteht  will;  nur  ein  f)ö^ere§  unb 

umfaffenbereS  ^rincip  fe|t  ben  ^^itofo^en  in  ben  ©tanb,  bie  engeren 

unb  einfeitigeren  a(§  fold^e  gu  erfenncn.    SBorin  liegt  nun  biefeS  l^öljere 

^rincip,  rae[d;e§  J!aut'§  @rfenutni^tf)eorie  cor  ben  frül^eren  üorauS  l^at? 

G§  liegt  barin,  ha^  ^ant  von  ber  ^l^atfadje  unferer  SSorfteltungen  auf 

if)ren  allgemeinften  ©runb  jurüdgefit,  ba§  er  in  bem  mcnfdj(ic^en  ©eift, 

ober  bem  menfd;(id;en  (2e(6ftbcuniBtfein,   bie  CueHe,  au§  ber  fie  fjerju- 

leiten  finb,  auffud;t.    @§  genügt  if)m  nid^t,  ba^  un§  bie  Singe  in  be= 

ftimmten  SScrljältniffen  be§  räumtidjen  3^iföwtmenfcin§  unb  ber  geitlid^en 

2lufeinauberfo(ge  erfdjeinen,  foubern  er  fragt,  roie  fie  un§  fo  erfc^einen 

fönnen.    @r  beru!)igt  fidj  nii^t  bei  ber  ©rfal^rung,  ba^  gcraiffe  ^Begriffe, 

wie   bie  beS  Singet  unb   feiner   ©igenfd;aften,   ber  Hrfodje  unb   ber 

SBirfung  u.  f.  m.,  geraiffe  ©runbfä^e,   wk  ber  (Sa§   be§  2Biberfprud)0 

ober  be§  §urei(^enben  ©runbeS,  in  unferem  Sen!en  üorfommen,  foubern 

er  rcill  raiffen,  wie  fie  un§  entfielen,  er  will  bie  $8ebingungen  fennen 

lernen,  -öon  benen  e§  abJ)ängt,  ba^  wix  baS  ©cgebeue  unter  S3egriffe 

f äffen  unb  na^  ©runbfä^en  beurtfieilen',  bie  un§  raeber  unmittelbar  in 

ber  ©rfafirung,  nod;  au($  vox  ber  ©rfal^rung,  at§  angeborene  ^been,  ge= 

geben  finb.     Sie  aUgemeinfte  i)on  biefen  Sßebingungcn  finbet  er  nun 

in  unferer  geiftigen  ©elbfttf)ötigfeit.    ©ie  ift  bie  tieffte  Üuelle,  ber  Te^te 

I  @rftärung§grunb  unferer  33orfteIIungen.    Sie  Singe  finb  nid;t  an  fid^ 

I  felbft  in  diamn  unb  ^e%  foubern  mir  finb  e§,  bie  fie  unter  ber  ^orm 

!  be§  9laume§  unb  ber  ^eit  gur  ©inl^eit  ber  2lnf($auung  jufammenfaffen ; 

I  unfere  53egriffe  üon  ben  Singen  unb  if)rem  ^iif^'^ii^euljang  finb  un§ 

I  ni(^t  gegeben  unb  nidjt  an§>  bem  ©egebenen  aU  foI($em  abftra^irt,  fon= 

1  bern  von  un§  felbft  gebilbet,  in  ba§  ©egebene  liineingetragcn,  um  e§ 

'  gur  ®inf)eit  be§  ©ebanfenS  gn  oer!nüpfen.    Sßag  fid;  bem  gemö^nlid;en 

©tanbpunft  al§  eine  33efc^affenl)eit  ber  Singe  barfteUt,  bie  mir  bur($ 

unfere  2Bal)rnel)mung  ober  unfer  Senfen  erfennen,  unb  ma§  fid;  an^ 

ber  ^^t)i(ofop{)ie  bi§l)er  fo  bargeftellt  l^atte,  ^a§^  ftellt  fic^  J!ant  aB  eine 


412  ^^nt. 

^■orm  bar,  unter  ber  ra  t  r  in  unferent  2ln[(^auen  unb  S)en!en  bte  S)mge 
betradjtcn,  bie  wir  ober  anf  bie  S)inge  aU  foId)c,  bie  S)inge  an  '\iä), 
5U  übertragen  fein  S^ted^t  f)atien.  @§  liegt  am  %aQ,e,  raie  tief  bie  SSerän= 
bcrung  unferer  ganzen  3SeItanfid)t  gef)t,  wetdje  ^ieniit  geforbert  wirb; 
unb  anä)  ^ant  ift  fi(^  ber  S^ragtueite  feiner  ©ebanfen  üoHfonnncn  be- 
wußt. 3m  SSorraort  gur  graeiten  2j[uflage  ber  ^riti!  b.  r.  5ß.  t)erg(ei(^t 
er  feine  eigene  Seiftung  mit  ber  be§  ßopernicu§.  ^i§^er,  fagt  er,  nabm 
man  an^  unfere  ®r!enntniö  muffe  fi(^  naä)  ben  ©egcnftänben  ridjten; 
aber  alte  SSerfu(^e  über  fie  a  priori  etroaS  auszumachen,  füf)rten  unter 
biefer  35orau§fe|ung  ju  nit^tS.  „5D^an  t)erfud;e  e§  bafier  einmal,  ob 
mir  ni(^t  in  ben  Slufgaben  ber  3}ietopf):)fif  bamit  beffer  fort!ommen, 
baf3  mir  annef)men,  bie  ©cgenftänbe  muffen  fid;  na^  unferem  ©rfenntni^ 
ridjten."  „@§  ift  Ibiemit  eben  fo,  al§  mit  ben  erften  ©ebanfen  bei 
(s;operntcu§  beraanbt,  ber,  nadjbem  e§  mit  ber  ©rttärung  ber  ^immell- 
bemegungen  nic^t  gut  fort  wollte,  menn  er  annat)m,  ba§  ganje  Sternen= 
§eer  bre§e  fi(^  um  ben  3uf(^auer,  üerfud)te,  ob  e§  nidjt  beffer  gelingen 
m'öi)te,  menn  er  ben  ^ufd^aner  fid;  brc^en  unb  bagegen  bie  ©terne  in 
9hil)e  tieB."  J?ant'§  6tettung  ^u  ber  bisherigen  ^f)itofopl)ie  Iä§t  fi($ 
mirflid;  nic|t  treffenber  be,3eic^nen.  @S  ift  eine  ^Reform,  ebenfo  bur(^= 
greifeub,  wie  bie  beS  SopernicuS,  an  ber  er  arbeitet;  unb  ba§  Mttel 
baju  ift  baS  gleiche,  mie  bort:  roie  ber  S^eformator  ber  Slftronomie  bie 
©rfdjeinungen,  meldte  man  bis  bai)'m  auS  ber  Bewegung  beS  ^immelS 
um  bie  ©rbe  erflärt  f)atte,  ftatt  beffen  auS  ber  eigenen  SBemegung 
ber  ßrbe  erflärte,  fo  erflärt  ^ant  ha§>,  maS  man  bis  baf)in  üon 
ber  ©inroirfung  ber  ^inge  auf  unfern  @eift  fiergelcitet  f)atte,  auS  ber 
eigenen  Xf)ätigfeit  unfercS  ©eifteS :  menn  ber  ©d^merpunft  ber  ^f)itofopf)ie 
biSljer  in  ber  ^rage  nad)  ber  33ef(^affenf)eit  bcS  üorgeftellten  DbjeftS 
lag,  fo  yerlegt  er  il^n  in  bie  grage  nad^  ben  ©efet^en  unb  53ebingunöen 
beS  ^orftellenS,  nad;  ber  S3efd;affenf)eit  beS  corfteUenben  ©ubjeftS. 

Gben  biefe  ift  nun  auc^  ber  ^un!t,  in  TOeld;em  ber  innere  3"' 
fammenl)ang  graifd^en  ben  graei  §aupttl)eilen  beS  fantifd;en  ©pftemS, 
ber  Grfenntni^tl^eorie  unb  ber  praftif(^en  ^l^ilofop^ie,  liegt,  ©o  mie 
^ant  bie  Qadje  gemö^nlid^  barftellt,  fönnte  man  glauben,  baS  93erf)ältni^ 
beiber  fei  tebiglic^  baS  beS  ©egenfa^eS.  ^n  unferem  ©rfennen  ^aben 
mir  eS  nur  mit  ber  finnlid;en  ®rfd)einung  gu  tl)un;  in  eine  Sejieliung 
jur  überfinnlic^en  Söelt  treten  mir  erft  burd^  unfer  fittlid^eS  Sßollen, 
unb  il)m  allein  l)aben  mir  auc^  ^u  oerbanfen,  maS  uuS  ron  ben  mid^= 


iJbealtfmuS.  413 

tigften  ©cgeuftänben  ber  frül^eren  9)?etapf)i)fif,  von  @ott,  f^^reil^eit  imb 
Unfterblidjfeit,  irenigftenS  burd^  einen  n)of)IBcre(^tigten  ©lauben  bcfonnt 
roirb.  2l6er  fo  geroi^  biefer  @egen[a|  3rai)'djcn  ^ant'S  tfjcoretifdjer  unb 
praftifdjer  ^f)iIofopf)ie  üorliegt,  fo  barf  man  bocf;  nic^t  überfe^en,  ba^ 
fid^  berfelbe  in  fester  S3e5ief)ung  aud;  roieber  aufljebt.  S^er  angenfälligfle 
tlnterfd;ieb  ber  fantifdjen  3JJoraI  ron  jeber  früfieren,  Bi§  f)inauf  3U  ben 
©toifern,  liegt  in  ber  Strenge,  mit  weldjer  ber  ^^fli(|tbegriff  {)ier  burd)- 
geführt  ift,  in  ber  Unbebingtf)eit  unb  Unabf)QnI)igfeit  ber  fittlid;en  2ln= 
forberung.  ®iefe  felbft  aber  f)at  5U  if)rer  SSorauSfe^ung  bie  ^^reifieit, 
als  eine  ©igenfd;aft  unfereS  überfinnlidjcn  2öe[eng,  bie  Slutononüe  ber 
praftifc^en  SSernunft,  üermöge  beren  fie  bie  @e)'c|e  if)rer  St^ätigfeit  in 
fid)  felbft  trägt,  unb  burd)  feine  au^er  if)r  liegenben  ©rünbe,  feine 
finntidjen  Slriebfebern,  beftinimt  wirb.  S)iefe  freie  6elbftbeftininiung  ift 
ba§  gleiche  auf  bem  ©ebiete  beS  ^anbetn§,  ma§>  bie  fetbfttF)ätige  Qv- 
äeugung  öon  3SorftelIungen  auf  bem  be§  (Srfennen§  ift;  unb  aud;  barin 
treffen  beibe  jufammen,  ba§  bie  eine  mie  bie  aubere  fid^  auf  eine  fot; 
male  ^Bearbeitung  be§  (begebenen  bejd;ränft;  benn  roie  bie  apriorifdien 
@efe|e  unfereS  SSorfteUenS  nur  bie  formen  beftimmen,  in  meldte  loir 
ben  gegebenen  SSorftcIIungSftoff  faffen,  fo  be^iefjt  fid;  audj  ba§  apriorifd^e 
@efe^  unfereS  ^anbelnS  nur  auf  bie  gorm,  nid;t  auf  bie  SDcatcrie  be§ 
2ßiIIen§.  6§  ift  affo  über{)aupt  bie  fd;öpferifc^e  Äraft  be§  menfd^Udfien 
®etfte§,  raeldic  bei  J?ant  nad)  inneren  ©efe^en  au§  ben  gegebenen  (Stoffen 
bie  ©rfc^einungSwelt  bilbet  unb  fie  an§>  if)rem  überfinnlid^en  äöefen 
{)erau§  in  oernunftmö^tgem  §anbeln  beftinunt.  Äant  felbft  f)at  fein 
©tjftem,  3unöd)ft  au§  2Inta§  feiner  Stnfic^t  über  9^oum  unb  ^^'it/  ^aS 
©gftem  bc§  tranfcenbentaten  ^'^^öfif'««^  genannt  (ogf.  <S.  355);  all 
^bealiSmuS  ift  e§  aber  aud;  ganj  allgemein  unb  in  atten  feinen  S;f)ei(en 
ju  beäei(^nen,  meil  e§>  foroot)!  ben  ©runb  ber  ßrfd^einungen  a(§  bie 
?iorm  be§  ^anbelnS  in  bem  menid^Iidjen  ©eifte  unb  feinen  angeborenen, 
oon  ber  @rfaf)rung  unabhängigen  ©efefeen  fuc^t. 

S)iefer  ^bea(ifmu§  gef)t  nun  allerbingS  bei  i?ant  nod;  nidjt  fo  raeit, 
baB  er  ben  menfc^Ud^en  ©eift  ober  ha§  ^d;  für  ha§>  einzige  urfprünglid^ 
SBirfUdie  erflärte.  @r  bemeift  au§brüd(id^,  baB  unfern  äußeren  2tn- 
fdjauungen  reale  uon  un§  fe(bft  oerfd^iebene  S)inge  entfpred^en,  hie  mix 
aber  frciüd^,  fofern  e§  fid^  um  ba§  t)anbe(t,  mal  fie  an  fic^  finb,  für 
raumcrfüffenbe  ©egenftänbe,  für  l^örper  gu  erfiären,  fein  9iec^t  f)aben 
(ogl.  6.  352  f.);  er  geigt  ebenfo,  ba^  mir  in  ber  ©ottfieit  eine  üon  unS 


414  ^ant. 

üerfd)iebcue  imenb(icf;e  Urfadje  unfereS  unb  alle^  ©ein^  annel^men  muffen 
(ügl  ©.  370  f.).  S)er  9Jienfcf;  ^at,  raie  er  nid;t  be^roeifett,  eine  Uhi'^en- 
toelt  neben  fid;  nnb  eine  ©ottfjeit  über  fid^.  ^nvä)  beibe  ift  fein  eigene^ 
©ein  bebingt;  aber  beibe  finb  für  il^n  nnr  ein  S}ing:an=fidj ,  etwa§, 
beffen  S)afein  wir  ni(^t  läugnen  fönnen,  beffen  Söefen  nn§  aber  bnrd^- 
au§>  unbefannt  ift. 

<Bo  anerfenncniraertf)  aber  and;  bie  S?orfid)t  ift,  mit  ber  .^ont  e§> 
»ermieb,  bie  än§erften  ©onfeqnenjen   feines   ^bealifmnS  jn  äieiien,  fo 
läßt  fid;  bod;  nid;t  üerfennen,  baf3   er   gerabe  babnri^  fi(^  in  erl;eb(id;e 
(S($roierigfeiten  yerroidclte.     9tid;t  allein  wenn    man   ben   attgeineinen 
3Sorau£M'cl3nngcn  feines  <B\)'\km§>  miberfprad;,  fonbern  and)  menn  man 
fie  äugab,    founte    man   in  bemfelbcn  mand;e  tief  eingreifenbe  grage 
unbeantmortet,   mand;e§  Sebenfen   nngelöft  finben.     @S  gilt  bie^  vor 
allem   yon    ^ant'»    33eftimmungen   über   ba§  S)ing=an-'fid;.     ©inerfeitS 
nämli(^  fonnte  man  fragen,  ob  ber  SBeroeiS  mirftid;  gefütirt  fei,  bafs  bie 
SDinge  iJirem  SBefen   nad;   bnrdjanS  unerfennbar  für  un§   ein   muffen, 
wenn  bie  unmittelbare  Grfafirung  biefetben  nur  in  ben  g^ormen  unfereS 
StnfdjauenS  unb  S^enfenS,    nur    al§   Grft^einungen    barftefit,    ob    wix 
feine  93Zittel  befi^en,  um   burd;   bie  ^Beobachtung  unb  9}ergleid;ung   ber 
©rfdjeinungen  ba§  Sßefen  ber  SDinge  gu  beftimmen.    &ab  man  anberer: 
feitS  bem  ^t;i(ofopt)en  bie  ijöllige  IXncrfennbarfeit  be§  S)ing§;an=fid;  5U, 
fo  erl)ob  fid;  bie  ^rage,  mofier  mir  benn  audj  nur  üon  feinem  S^afein 
etmaS  miffen  fönucn?    SBenn  idj  üon  einem  ©egenftanb  fd)[ed)terbing§ 
nid;t  meiB,  maS  er  ift,  fo  fann  id;  a\i^  nid;t  miffen,  ob  er  ift  unb 
baB  er  ift;  beim  jebe  2lu§fage  über  ba§  S)afein  eines  S)ingS  feljt  bod^ 
irgenb  einen,  rcenn  aud;  nod;  fo  uiiuollftänbigen  Segriff  uon  bem  yorauS, 
beffen  S^afein  bet)auptet  mirb.    SBenn  JTant  ha§  Safein  oon  S)ingen 
aufser  unS  bar5utt)uu  fud;te,  fo  uerftanb  er  unter  benfetben  bod;  jeben; 
faüS  ein  t)on  uns  felbft  üerfd^iebeneS  9teateS,  baS  unfere  ßmpfinbungen 
ueranlaffe;  wenn  er  ben  ©laubcn  an  eine  ©ott^eit  verlangte,  fo   uer^ 
ftanb  er  unter  ber  @ottf)eit  bie  oon  unS  felbft  üerfdjiebene  Urfadje  ber 
Sßeit.    SBenn  er  anbererfeitS   beljauptete,  oon  bem  ®ing=an=fid;  fönnen 
mir  abfolut  nid;tS  miffen,  eS  fei  ein  unbefannteS  X,  ein  btoS  proble- 
matifd^er  ober  ©reuäbegriff,  fo  tjätte  er  eS  üöllig  bat)ingefte[It  fein  laffen 
muffen,  ob  eS  überhaupt  ein  oon  unS  felbft  t)erfd;icbcneS  9kaleS  gebe; 
wenn  er  ben  Segriff  ber  'Urfad;e  für  eine  i^atcgorie  unfereS  SerftaubeS 
erflärte,  bie  als  fold;e  nur  auf  Grfdjeinungen  anmenbbar  fei,  fo   l)ätte 


Äanttfc^c  ©d^ule.  415 

er  fie  auf  ba§  S)tng-^an=fi($  tti<^t  anroenbett,  bte[e§  S^ing  aB  Urfadjc  ber 
SSorfteUungen  nirf;t  t)orau§fegen  bürfcn;  ja  er  f)ätte  nod;  lüciter  ge§en 
itnb  gerabef)tn  fagen  muffen,  ba^  wir  5ur  2lnnaf)ine  besfedien  feinen 
©rnnb  f)alien,  ba  eg  für  bie  Grflärung  ber  ßrfcf;einungen  bod;  nid^t^^ 
leifte,  fonbern  nur  bie  ©ren^e  unferer  2§ätigfeit  6e3eidjne,  bie  an  fii^ 
'  benfogut  in  un§  a(§  au^er  un§  liegen  fann.  2>iefe  Folgerung  ift  auc^ 
tuirfüd;  in  ber  fantifd;en  <Bä)n[e  haib  genug  ge3ogcn  luorbcn,  unb  fie 
lag  i)ier  um  fo  näf)er,  je  untäugdarer  e§>  ift,  ha^  RanV§>  SSiberlegung 
Des  ^bealijmu»  unb  fein  moranfd;er  beweis  für  ha§  S^afein  ©otte» 
üon  ber  S3ünbigfeit  einer  ftrengcn  ^eiueiSfü^ruug  lueit  entfernt  finb. 
Gf)e  mir  aber  biefe  neue,  für  ben  gan3en  meitern  SScrIauf  ber  beutfd;cn 
5p§i(ofüpf)ie  entfdjeibenbe  SSenbung  be§  fantifd;en  ^beatifmuS  in'§>  Singe 
faffen,  ift  e§  nötl)ig,  bie  2lufnal)me,  tt)eld;e  er  in  feiner  urfprünglid;en 
©eftalt  fanb,  ben  SSiberfprud;,  ben  er  erful;r,  unb  bie  Sd;ulc,  bie  feine 
bebeutenbfte  ©egnerin  in  jener  3eit  roav,  etraaS  nä^er  fennen  5U  lernen. 


n.  ^lant'ö  ^nl)än9er  uuti  CStgucr.     pic  ^Uubcnspljilofopljic. 

1.  ^ic  fautift^e  Schule,  if)re  3(u§tircitung  unb  35cftreitung. 

üant'§>  tiefgelienbe  Unter fudjungen  fanben  anfangs  nidjt  bie  S3ead^* 
lung,  auf  bie  fie  Slnfprudj  madjen  fonnten.  S^a^  feine  3"QWÖwral= 
biffertation  üon  ben  menigften  gelefen  unb  non  nod;  luenigeren  in  i^rer 
^ebeutung  erfannt  rourbe  ^),  !ann  nid;t  fo  fel)r  auffallen;  aber  and;  bie 
Äritif  ber  reinen  3Sernunft  braud;te  fec^»  ^alire,  bis  fie  eS  ^ur  smeiten 
Sluflage  gebraut  l)atte;  unb  bie  llrti)ei(e,  n)eld;e  bie  SBortfülirer  ber 
SluffläningSpljilofopljie,  ein  ©aroe,  geber  u.  f.  u).  über  biefe  (Sd;rift 
fällten,  liefen  bie  ©rünblic^feit  unb  S^enffdjärfe,  meiere  gur  SBürbigung 
eines  fold;en  SBerfeS  erforberlid^  raaren,  in  ^ol)em  ©rabe  oermiffen, 
unb  begrünbeten  bie  3^ii^ct3^ltt)eifung  nur  §u  fel)r,  iüeld;e  Ä'ant  ilinen  im 
SJonuort  äU  ben  ^rotegomenen  angebeil)en  lie^.  Slber  na($  einigen 
^al)ren  änberte  fid;  bie§  allmäl)tic^.  Xm^  Äant'S  ^rotegomenen,  burd^ 
bie  „Erläuterungen",  raelc^e  ber  ^önigSberger  ^ofprebiger  ^o^ann 


1)  (Sine  StuSna^mc  mad^t  Xittn§;  t»gl.  @.  262.  D^oc^  früher  fiatte  [\ä)  tant'S 
Cppoucitt,  ber  auSgeseic^nete  jübifc^e  Strjt  SDlarcuä  ^erj,  in  feinen  „Setvad^timgcn 
anä  ber  [peculatiüen  SBeltroeiS^eit"  (1771)  ju  bcm  ©tanbpunft  ber  fantifc^en  ®iffer« 
tatton  befannt. 


416  ^'»nt« 

©c^ulse  (ober  ©c^itt^;  1739—1805)  i  i^-  1784,  bie  ,,Srtefe  über 
bie  ^antifd^e  ^f)Uofop!)ie" ,  welche  9leinf)olb  1786  f.  erfd;einen  tiefe, 
rourbe  bie  neue  Seigre  bem  allgemeinen  SSerftäubnife  näf)er  gebra(^t;  feit 
1785  ^atte  fie  an  ber  neugegrünbeten  ^cnaev  2lff gemeinen  Siteratur^ 
jeitnng  ein  Drgan,  in  bem  if)re  6ac^e  fe^r  eifrig  nnb  mit  großem  ©r^ 
folge  gefüfirt  rourbe.  ®ie  erften  Herausgeber  biefer  ge(ef)rten  3eitfi$rift, 
ber  q3f)i(oIog  S.  @.  ©(^ü|  (1747—1832)  nnb  ber  ^urift  @.  ^ufe^ 
lanb  (1760—1817),  ber  SSerfaffer  eines  gefd)ä|ten  5Raturre(^t§,  maren 
anSgefprodjene  Kantianer;  noc^  eifriger  roibmete  fic^  ber  fruchtbare 
pf)i[ofopljifdje  @(^riftftel(er  ©rfiarb  ©d^mib  (1761-1812)  in  Sena 
öer  ©arfteüung  unb  ©rlänterung  be§  fantifd^en  ©ijftemS,  unb  auf  ber^ 
felben  IXnioerfität  fiatte  biefeS  feit  1787  an  9tcinf)oIb  (auf  ben  id^ 
fpötcr  nod^  anSfü^rüdjer  ^urüdfontmen  merbe)  feinen  gcfeiertften  unb  ein- 
fluf3veid^ften  afabcmifc^cn  SSertreter.  i^n  §aUe  trug  ^afob  (1759— 
1827),  in  ber  ^olge  auc^  ©.  S8ed  (f.  u.)  unb  Xieftrun!  (1759— 
1837),  uncntfd^iebener  ^offbauer  (1766—1827),  in  33orlefungcn  nnb 
©djriften  fantifd^e  g5f)i(ofopf)ie  üor.  ^m  Ie|ten  ^al)X^e^nh  beS  18.  ^ai)X' 
IjunbertS  fanb  bie  neue  Schule  allmöt)(i(^  auf  aßen  beutfd^en  Uni- 
uerfitätcn  ©ingang,  mä^renb  fie  gleichzeitig  au($  burd^  eine  ausgebreitete 
fc^riftftellerifd^e  ^^ätigfeit  immer  mef)r  ^oben  gemonn.  2luS  ber  großen 
3af)t  if)rer  2Inpnger  nenne  t($,  neben  ben  fo  then  erroälinten  unb  eini= 
gen  tiefer  unten  nod;  gu  berü^renben  2}^ännern  (mie  ©af.  SJcaimon, 
gierte  unb  ©djiller):  ^.  ©ottfr.  Äart  (5t)r.  ^ieferoetter  (1766— 
1819)  unb  ßaj.  S3enbaoib  (1764—1832)  in  Serlin  (ber  re|terc  auc^ 
in  SBien);  t.  §.  ^egbenreid^  (1764—1801)  in  fieip^ig ;  @.  6.  91. 
gji  eil  in  (1755— 1825),  ben  fleißigen  ©rtduterer  ^ant'S,  in  aJiagbe» 
bürg;  ©eb.  3]fJutf ereile  (1749—1800)  in  3Jlünd^en;  §.  S.  5pörfd;!e 
in  Königsberg;  @ottl.  ^Benj.  i^äfd^e,  ber  fic^  aber  fpäter  ^acobi  unb 
j^rieS  nälierte,  in  S)orpat;  bie  beiben  ©efd^id;tf(^reiber  ber  ^l)ilofopl)ie: 
2ö.  ©ottl.  ^ennemann  (1761—1819)  in  ;3ena  unb  3«arburg,  unbj 
3.  ©ottl.  S3ul)le  in  ©öttingen.  2ln^  2Bill).  2:raug.  Krug  ii 
Seipjig  (1770—1842)  gel)t  bei  feinem  „tranfcenbentalen  ©yntl;etifmuS"| 
im  roefentlic^en  üon  J?ant  auS,  nur  bafe  er  oon  2lnfang  an,  melir  inj 
bie  breite  als  in  bie  2;iefe  arbeitenb,  üorfantifdje  ^opularpF)ilofopl)ie 
mit  bem  KriticifmuS  oermifdjte.  2lbic^t  in  ©riaugen,  löngcve  3cit| 
g(eic^fa((S  erllärter  Kantianer,  gieng  fpäter  in  tl;eilraeifem  Slnfdjfufe  an] 
?)iciul)o(b  auf  eine   ^'erbeffcrurig   beS   6i)ftemS  auS,    mit  ber  er  aber! 


tantifd^e  ©d^ule.  417 

feinen  großen  ©rfolg  l^atte.  ^rau§  in  Königsberg  (1753 — 1807), 
mit  Kant  per[önltd^  kfreunbet,  imb  mit  ben  ©rnnbfagen  feiner  Sefire 
einüerftanben ,  neigte  ^iä)  bo{^  mefir,  al§  jener,  gum  ®feptici[mn§;  tn= 
beffen  traten  feine  Slrbeiten  erft  nad;  feinem  ^Tobe  an  bie  Deffcntlid^feit. 
2luf  bem  Soben  ber  fantifc^en  fiefire  ftef)t  and^  Soljano  in  ^^rag 
(1781 — 1848),  nur  ba^  er  biefelbe,  äijuliä)  wie  Krng,  ber  ^{)i(ofopf)ie 
be§  gefunben  9)?enfd)enoerftanb§  näfier  gu  bringen  fu($t;  bie  2>eränberun= 
gen,  bie  er  mit  iljr  üornimmt,  be5iel^en  fid^  namentlid)  auf  bie  Sogif 
unb  bie  ßr!cnntnif^tf)eorie;  feine  rotionaliftifc^c  58ef)anblung  ber  fatf)oIi= 
fd^en  ©ogmatif  foftcte  Sol^ano  fein  Se^ramt,  wieraobt  er  biefelbe  i^vcm 
übcrnatürli($en  Urfprnng  wie  i^rcm  ^nf^ait  nad)  vor  ber  ^ßernuuft  ju 
rechtfertigen  fid^  bemü^ite. 

SSon  befonbcrer  2öid;tigfeit  für  bie  S3erbreitnng  ber  fantifd;en  ^ijiio' 
fopl^ie  mar  bie  2Infnaf)me,  meldte  fie  bei  ben  S]ertretern  ber  übrigen 
Söiffenfd^aften  fanb;  unb  biefe  mar  im  ganjen  eine  fefir  günftige.  S)ie 
9^aturmiffenfdjaft  unb  bie  9Jiebicin  mußten  allerbing§  üon  Kaut'S  Untere 
fud;ungcn  für  if)re  ^mcde  juuädjft  feinen  großen  (Mnaudi  gu  mad^cn; 
erft  fpäter  unb  mcljv  nur  mittethar  gcroanuen  fie  aud^  für  biefe  SBiffcn^^ 
fd^aften  ifire  S3ebeutung;  unb  e§  mar  nid^t  hlc§>  bie  fantifdje  ßonftruction 
ber  DJiaterie  unb  bie  ;^bee  ber  inneren  Qwcäil)äÜQtc\t,  meldte  bei  liefen 
$Jiaturforfd)ern,  ^auptfädjUd^  burd;  SScrmittluug  ber  fc^eüingifd^en  $Jiatur= 
pf)i(ofop{)ie,  ©ingang  fanb,  fonbern  nod^  mid;tiger  mar  of)ne  ^meifel  ber 
@inffuB,  meldten  ber  KriticifmuS  burd^  fein  ganzes  SSerfaf)rcH,  burd^  bie 
©enauigfeit  ber  pfyd^ologifd^en  Söeobadjtung ,  bie  fd^arfe  Unterfd^eibung 
gmifd^en  ben  fubjeftiüen  unb  ben  objeftiüen  ^Beftanbtfieilen  unfcrer  3.^or= 
ftellungen,  aud^  auf  bie  ^fiaturforfd^ung  ausgeübt  l^at.  Seit  eingreifcuber 
rairfte  aber  biefe  5pf)itofopf)ie  immerhin  auf  bie  3fted^t§=  unb  Staatslehre, 
bie  ©efd^id^te,  bie  ^fieologie  unb  bie  3left§etif.  Kant'S  unb  gid;te'S 
3flec^tSte{)re  mor  bie  ©ruublage,  von  ber  ^.  ^.  3Infelni  geuerbac^ 
(1775 — 1833)  bei  feinen  naturredjtlidjen  unb  ftrafrcd;t{id^en  Strbciten 
auSgieug;  an  fie  fiielten  fid^^ufelanb  (f.  o.),  ©d^malj,  @roS  unb 
anbere  augefe^ene  Bearbeiter  beS  iRaturred^tS ;  baS  gleid^e  gilt  üou 
21.  2B.  9lef)berg  (1757—1836),  ber  fic^  als  ©taatSmann  unb  ^ublicift 
einen  gead;teten  Tiainen  gemad^t  ^at,  tro^  ber  9lnerfennung ,  bie  er 
©pino^a  gottte;  auä)  bei  Karl  ©alomo  3ad^ariä  (1769—1843) 
ift  es  gunäd^ft  bie  fantif(^e  9!ec^tS=  unb  ©taatSanfid^t ,  meldte  er  burdj 
eine  umfaffenbe  i8etrad)tuug  ber  t)erfd;iebencn  ©taatsformen  unb  «Staats^ 

3ener,  ©efcfjtdbte  ber  beiitfcf)en  ^^irojop^ie.  27 


418  fiantif(^c  ©c^ule. 

etnridjtungen,  i^rer  realen  33ebin9ungen  uiib  i^rer  SBirhmgen  ergänzen 
will,  o^ne  hoä)  hen  ©ranbpunft  ber[eI6en  im  Qaw^zn  511  rertaffen.  Sen 
!anti[($en  ©runbiä^en  fo(gt  J?.  ^.  S.  ^pöli^  (1772—1838)  in  ber 
<^taat§mi'|[en[cf;aft  raie  in  ber  ©efd^id^te;  ebenfo  f)at  Äarl  v.  dlotted 
(1775—1840),  ber  befannte  SSertreter  he§  brnnaligen  fübbcutfd^cn  Sibera^ 
lil'muB,  bie  leitenben  @efidjt§|.mnfte  feiner  f)iftori[(^en ,  ftaat§red)t(i(^en 
unb  politi)cf;en  SSerfe  üor^ugSraeife  üon  Üant,  neben  ti)m  allerbingf^  auä) 
üon  Sflouffeau  entlehnt.  SBeniger  eng  nnb  nnmittctbar  ift  {^riebr. 
eijrtftop^  ©(^loffer'g  (1776—1861),  be^S  treff(!d[;en  beutfdjen  (Be^ 
fd;idjt[d)veiber§,  3^tfQ"^"^<^^t^^QitÖ  ^^^it  ^er  fantifdjen  ^l;i(ofopl)ie.  3Bar 
fie  i^m  aud;  ol^ne  B^i^^if^^  «'<i;t  fi-'^wib  geblieben,  fo  war  hoä)  feine 
©eifteSart  überhaupt  üon  ber  ©pefnlation  nnb  Spfteniatif  abgeraenbet. 
Slber  ber  ©eift  ber  fantifd;en  3)iora(,  n)eld;er  fid;  feit  ber  Witte  ber 
ad;täiger  ^ai)xe  in  immer  breiterer  ®tri3mnng  bnr(^  bie  gan^e  bentfd;e 
S3i(bnng  ergoB,  unb  meld;em  felbft  an  ber  politifi^en  SBiebergeburt 
S)eutfd)tanb§  ein  fo  bebeutenber  2(nt(;eil  gnfommt,  fprid;t  fid;  in  ©d;(o[[er§ 
®efd;id;t§tt)erfen  fo  cntfd;iebcn  an§,  ha'^  mir  fein  Sebenfen  tragen  bürfen, 
and;  fie  unter  ben  Urfunben  aufjufübren,  metdje  t)on  ber  Wiad)t  biefeg 
@eifte§  luenigfienS  mittelbar  gengen.  %vlv  bie  2left§etif  mu^te  ®  (^  i It e r 
(rote  fpäter  ge5eigt  loerben  mirb)  .^ant'^  ©ebanfen  in  ber  frudjtbarften 
SSeife  3U  benül^en,  iüäl)renb  er  pgteid;  für  bie  freie  ©ntroidlung  beS 
tnbiyibuellen  Sebenä  meljr  9kum  gu  gewinnen  fud;te,  o^ne  boi^  barum 
ber  (Strenge  be§  ^[lidjtbegrip  etn)a§  ju  üergcben. 

^eine  anbere  5Biffenfd)aft  erfufir  aber  ben  ©inftuB  ber  fantif($en 
^§itofop{)ie  in  i)öt;erem  ©rabe,  alä  bie  ^^eologie.  ^ier  gerabe  fanb 
^ant  ben  Soben  für  feine  ©runbfä^e  auf'g  befte  oorbereitet;  babei 
brad;te  er  aber  ber  bi^i^erigen  2)enf:oeife  eine  ^^ertiefung  unb  SSerbefferung 
ju,  bereu  fie  in  f)of)em  ©rabe  beburfte.  3Senn  er  bie  Steligiou  oon  ber 
5Dogmati!  auf  bie  3JioraI  gurüdfü^rte,  menn  er  bem  ©tauben  on  eine 
übernatürtidie  Dffenborung,  mit  if)ren  SBunbcrn  unb  ©el)eimniffen,  jeben 
2Bert!^  abiprad;,  meuu  er  bie  pofitioe  9U'(igion  nur  alio  5?e^iEel  beg  reinen 
SSernunftglaubenS  gelten  laffen  mottte  unb  üou  if)r  »erlangte,  baB  fie 
fic^  in  fortgefe^ter  SSerooHfommuung  immer  me^r  in  jenen  aufCöfe,  fo 
fprac^  er  bamit  nur  au§;  ma§  bie  2luff(ärung  unb  ber  tf)eotogifd;e  9la= 
tiona(ifmu§  feit  ^afirge^enben  befiauptct  unb  uerlangt  iiatten.  2öenn  er 
anbererfeit^  bem  f)errfd;enbcn  (SubämonifmuS  mit  ber  unerbittli($en 
©trenge  feiner  ©itten(et)re  entgegentrat,   menn   er   bem  §anbe(n   unb 


©inffuß  auf  bie  S^eolcgte.  419 

©treten  be§  3)icnf($ett  \tatt  ber  ©(ücfieligfeit  bie  ^^fl':d;terfüriung  311111 
3iel  fe|te,  unb  auä)  in  ber  9?eIigion  bie  ^ebeutung  ber  ©fouknSöor; 
ftettungen  unb  gotte§bienftIi($en  Hebunc^en  nur  nad;  iJ)rem  33er{)äItntB 
ju  biefer  allein  unBebingtcn  Stuf  gäbe  beurtf)ei(te,  fo  gab  er  ber  SSernunft^ 
religion  einen  S'^^alt,  bem  SSernunttgfaubcn  einen  ©ruft,  ben  er  biS 
baf)in  bei  feinem  von  bcn  2Bortfüf)rern  ber  Dlufflörung,  au^er  Se[)ing, 
gel^abt  fiatte.  ^ant'§>  9tetigion§anfi(^t  Um  bafier  bem  fittli($en  unb  bem 
intefleftuellen  53cbürfni§  ber  3eit  g(eid))ef)r  entgegen;  fie  empfaljl  fid^ 
hen  2tufgef(ärtcn  burc^  if)re  SScrnunftmäBigfeit,  ii)xe  Unab()ängigfcit  üom 
^pofitiuen,  if)re  rein  prafti[d;e  Sftic^tung,  ben  'Dkligiöfen  burd;  ii)U  [itttid;e 
Strenge  unb  if)re  raürbigen  9.sorfteUungen  über  ba§  ß^riftentf)uin  unb 
feinen  ©tifter.  SSie  fic^  bie  beutfdje  S^cologie  t)or^er  auf  ben  Soben 
ber  teibm5=n)o(ff!idjen  ^f)i(ofopf)ic  geftellt  fjatte,  fo  [teilte  fie  fid;  jc^t  auf 
ben  ber  fantifc^cn;  unb  menn  and)  bie  le^tere  mit  {{)ren  erfcnntni§= 
t^eoretifc^en  IXnterfudjungen  für  bie  We^x^ja^i  ber  2f)eofogen  ju  tief 
gieng,  fo  erfiielt  boc^  hk  ^iftorifd;e  unb  bogmatifd^e  Äritif  ber  t^eolo^ 
gifdjen  lleberliefcrungcn  burd;  bie  ©eiftcSridjtung,  metdje  Äant  in  bie 
5pf)i(ofop{)ie  eingefüf)rt  l^atte,  einen  na($f)a(tigen  Stnftofs,  feine  9}Jorat' 
Ideologie  uoKenbS  mürbe  nad;  menigen  ^a^ren  bie  ©runbtage,  auf  roel- 
ä)ev  bie  proteftantifd;e  ^fieologie  in  Seut]d;Ianb  faft  o^ne  3lu§nat)me, 
fetbft  bie  fatf)o(ifc^e  gro§cntf)ei[§  fid^  beroegte,  unb  auf  raelc^er  bie  giuei 
feinbn($en  Srüber,  ber  (SupranaturatifmuS  unb  ber  9iationalifmu§,  if)re 
kämpfe  au§fo($ten.  ®er  le^tere  mar  aber  I)iebei  gegen  ben  erftcren 
f(^on  be§f)alb  entfd;ieben  im  S5ortf)eiI,  weit  er  uid;t  allein  ben  SSorgang, 
be§  3}teifter!§,  fonbern  and;  bie  ^otgeridjtigfeit  feines  Staubpunft»  für 
fi(^  f)atte.  2öer  alle  Ueberlieferungen  unb  SJieiuungen  mit  ben  2lugen 
ber  ^ritif  bctrad;tcn  gelernt  f)atte,  mer  fid;  burd;  Üant  üon  ber  Qn- 
lönglid^feit  be§  reinen  SBernunftglaubenS,  ber  SBert^tofigfeit  atte§  blo§ 
ftatutarifc^en  in  ber  Sletigion  f)atte  überzeugen  laffen,  auf  hen  fonnte 
e§  feinen  großen  Ginbrud  ma^en,  menn  ©üsfinb  (1767—1829)  in 
Tübingen  auSeinanberfe^te,  baB  bem  9Jienf($en  überoernünftige  SBafir' 
l^eiten  geoffenbart  werben  fönnen,  meil  and)  fie  unter  Umftänben  ein 
^ütfSmittel  5ur  Seförberung  ber  3Jiora(ität  feien;  ober  rcenn  SImmon 
(1766  — 1749)  bie  fantifd;e  llnterfd;eibung  ber  finnlid;cn  unb  überfinn= 
lid^en  2ßelt  für  feinen  fc^inanfenben  „rationalen  ©upranoturalifmuS" 
5U  üerroertfien  fuc^te;  ober  roenn  5£ieftrunf,  im  übrigen  an  ^ant'^ 
mora(ifd;e  S>eutung  ber  c^riftlic^en  S)ogmen  fic^  anid;aeBenb,  nid;t  bfoä 

27* 


420  v^anttfdje  ©d^ule. 

bie  3}iöglt($feit,  fonbcrn  anä)  bie  f)ot)e  2Baf)r[(^einli($feit  einer  übcrna- 
türltdjcn  Dffenbarung  Mjauvkie,  ahev  ben  ©fauben  baran  fdiüe^lid^ 
ho6)  nui*  auf  boS  praftif($e  ^BebürfniB  gu  gninben  raagte.  Sie  confe- 
quenteren  Kantianer  waren  jebenfallS  bicjenioen,  TOefd^e  üon  bie[er  2ln= 
nof)Tne  ganj  abfa^en,  unb  ba§  ßf)riftentf)um  nebft  [einem  ©ttfter,  Bei 
aller  Stncrfennung  \f)xe§>  fitttid^^religiöfen  9Bertf)e§,  ho^  al0  rein  natura 
l\ä)e,  Qc\d)iä)tM)  erfförbare  ©rfdjeinnngen  be^aubelten;  rael($e  bal^er 
roeber  in  ber  ©efc^id^te  biefer  D^cUgion  übevnatürlidje  ^fiatfad^en,  no(i^ 
in  bem  ©fauben  berfelben  nbernatürtidje  Sef)rcn  bulben  rooHten,  unb 
nur  burd^  bie  SluSmerjung  biefer  frembartigen  ^ut^aten  ben  SSernunft- 
glauben,  fo  rale  ^ant  e§  verlangt  f)atte,  in  feiner  S^einfieit  l^erftetten 
3U  !önnen  überzeugt  waren.  S)iefe  fantifdjcn  D^ationaliften,  ein  ^ol^. 
SBilf).  ©d;mib  unb  ßl;r.  ©rf).  6($mib,  ein  i^acob,  .^rug,  S^ijl^r 
(1777_1848),  aSegfd^eiber  (1771  —  1849),  ©efeniuS  (1785 
—  1842),  Paulus  (1761  —  1851),  S)ao.  eä)uU  (1779  —  1854) 
unb  riefe  anbere,  bleiben  graar  fammt  unb  fonberä  f)inter  ^ant'g  geift= 
reicher  SBef)anblung  ber  (^riftticfjen  Se^ren  gurüc!;  fie  niadf;en  ferner  bem 
3)ogmatifmu§  ber  älteren  natürlidien  3:i^eoIogie  in  ber  Sieget  größere 
3ugeftänbniffe,  al§>  jener,  of)ne  bo($  bie  ©infeitigfeit  ber  bloßen  Woxah 
religion  burd;  einen  tieferen  SleligionSbcgriff  ju  rerbeffern;  fie  erlauben 
fid^  enblid^  faft  burc^auS,  bie  bibtifdjen,  namentlid;  bie  neuteftamentli(^en 
(?r3äf)Iungen  unb  Seljren,  unter  5>erfcnnung  ifirer  gefdjidjtfidjcn  ©igen= 
tf)üm(i(^!eit,  bur(^  jene  natürlidjcn  SBunbcrerftärungen,  bereu  fiaffifd^er 
9f{epräfentant  ^aulu§  ift,  unb  burd;  anbere  fün[tlid;e  3}^ittet,  ber  f)eutigen 
^iibung  geredet  ju  madjen.  3Iber  tro^  biefer  9JiängeI  ^aben  fie  fid^  um 
bie  tl)eo(ogifd;e  SBiffenfdjaft,  bie  fittUd^e  ©rjie^ung  unb  bie  rcligiöfe 
2luff(ärung  unfereS  3Solfe§  .bie  größten  ^?erbienfte  eriuorben;  unb  bie 
fantifd;e  ^()i(o)opf)ie  l^at  baburd^,  bafs  bie  Wle^x'^al)l  ber  beutfc^en  ^^eo? 
logen  faft  ein  ^lbe§  ^^^W^^^^^t  '^^"9  ^on  i^x  auSgieng,  einen  f)öd§ft 
nac^fiattigen  unb  weitgreifenben  Ginftuf,  auf  bie  allgemeine  Siibung 
ausgeübt. 

®iefe  be'^errfi^enbe  Stellung  errang  fie  fid;  nun  aUerbingS,  wie  fid^ 
bieß  äum  vorauf  nidjt  anberS  erwarten  ließ,  nur  nad;  lebl^aftem  ^ampf 
mit  ben  ©c^ulen  unb  ^^art{)cien,  wcld;e  bi^§er  in  ber  bcutfd^en  ^^ito= 
fopf)ie  ben  S£on  anzugeben  gewot)nt  waren.  Unter  ben  ftrengeren  2ßoIf= 
fianern  waren  e§  befcnber§  ßberfiarb  in  §alle  (vgl.  ©.  242)  unb 
^.  ©.  ©djwab  in  Stuttgart,  wcld^c  bie  <Ba^c  it)rcr  @d;ule  gegen Äant'8 


(Sinffu^  auf  bte  S^eologte.  421 

fntif($e  S^leuerung  führten.  S)er  erftere  grünbete  l^iefür  eine  eigene 
3eit)d;rift,  3U  beren  eifrigsten  2}Jitarbeitern  axi^ev  <Bd)mab  bamats  aud) 
^.  ©.  @.  3Jtaa§  in  |)aae  (1766  —  1823)  ge{)örte;  ©($roab  kit)ie§  in 
einer  t)on  ber  berliner  2lfabemie  gefrönten  ^rei§fd;rift,  15  ^ai)xe  nac^ 
bem  erften  ©rfc^einen  ber  ^ritif  b.  r.  SS,,  ba^  bie  3}Zetap{)i)fif  feit  2öolff 
weber  einen  gortfc^ritt  gemod;t  f)obe,  noc^  in  i^rer  ©eltnng  irgenbrote 
erfc^üttert  worben  fei.  Jlid^t  anberS  nrtfieiften  aber  auc^  bie  3)iänner 
ber  enc!ttfd;en  2luff(ärnng§ptji(ofopt)ie  über  Äont.  S^iebemann  fanb 
il^tt  3U  bogntatifd;,  2RenbeI§fof)n  nnb  ^.  21.  ^eimavu§^)  gn  ffep-- 
ttfd;;  feine  ."^auptgegner  auf  biefer  6eite  luarcn  aber  3Jleiner3  nnb 
^eber,  raeld^e  if)m  g(eic^foII§  eine  eigene  3citfd;rift  entgegenfteHten 
(ogL  ©.  266).  Stn  ^eber  fd;IoB  ftc^  2Ibam  SßeiSfianpt  (1748  — 
1830),  ber  befannte  Stifter  hc§>  ^^^u^iiitatenorben» ,  in  ber  S3eftveitung 
^ant'»  an.  3)lit  großem  ©ifer  würbe  ferner  ber  ©tonbpunft  be§  ge- 
meinen 3Jtenfd)enuerftanbe§  in  9?icolai'§  Sltlg.  2)eutfd;er  ^ibtiotl^ef, 
unb  t)on  if)m  felbft  aud;  in  platten  fati;rif(^en  Slomanen,  gegen  ^ant'S- 
uttb  fpäter  gegen  gi(^te'5  ^beatifmuS  oerfod;ten;  iüa§  bem  täppifd;en 
SJlanne  von  beiben  (wie  fd;on  ©.  269  erraäfint  ift)  eine  berbe  3üdjtigung 
eintrug.  SBeniger  unbebingt  ift  ber  3öiberfprud^,  n)eld;er  von  Ulrich 
in  ;3^i^tt  (1746  — 1813),  üon  \)en  jroei  fc^roäbifi^en  ^f)i(ofop!)en  2lbel 
(1751  —  1829)  unb  ^öroftberger  (1754  —  1813),  unb  üon  SSorn-- 
träger  gegen  Äant  erfioben  lüirb;  aUe  bicfe  3Jiänner  eignen  fid;  balb 
in  f)öf)erem  balb  in  geringerem  3)Zaiie  S3eftimmungen  feine»  ©i;ftem;5  an, 
ol^ne  ba§  fie  fid;  bod^  entfd;lie§cn  fönnten,  ganj  gu  ifjm  überzutreten. 
SSiele  SSerl^anblungen  würben  befonberS  bur^  bie  t^eotogi|d;en  unb  re- 
tigion§pt;i(ofop^ifd^en  2lnfid;ten  be§  fönigSberger  ^f)i(ofopf)cn  f)eroorge= 
rufen.  ®ie  greunbe  ber  moIffifd;en  9}?etapf)i)fif  rert^eibigten  gegen  if)n 
iJ)re  fpefutatioe  S;f)eologie,  unb  namentlich  i^re  Seraeife  für  ba§  S)afein 
@otte§,  wie  bie^  in  Setreff  he§>  ontologifc^en  fc^on  3JJenbeI§fof)n  in 
ben  „3}torgenftunben''  getrau  l^at;  ^ant'§  2reuBerungen  über  ba§  Qt)vU 
ftent^um  üoIIenbS  erfc^ienen  ben  einen  gu  freigcifterifd; ,  ben  anbern  ju 
mt)ftifd^.  @upranatura(iftifd;e  ^fieotogcn,  mie  ©torr  unb  S.  g.  gtatt 
in  Tübingen,  dieinliavb  in  ^re^ben,  Äleufer  in  Äiet,  l^atten  gegen 
feinen  9ftationalifmu§  oon  i^rem  ©tanbpunft  au§  nid^t  mit  llnredjt  üiele 
Sebenfen;  einoetne  ganatifer  unter  ^atl;oIit"en  unb  gJroteftanten  forberten 


1)  2)er  @o]§n  be§  ©.  243  ff-  &ei>ro(^cnen  aBoIffiaucrS. 


422  Äant'5  (Segner. 

fetbft  bie  S^iegierungen  3U  3JiaBregeln  gegen  bie  neue  antt($riftlic^e  ^{)i= 
tofop{)ie  auf;  unb  biefe  ^e^ereien  Ratten  nic^t  bIo§  in  einigen  kleineren 
beutfd^en  ©taaten  einen  uorübergefienben  ©rfotg,  fonbern  aud^  Äant  felbfts 
äog  feine  ,,9leligion  innerfjalb  ber  @ren3en  ber  reinen  SSernunft"  von 
bem  Sf^adfifolger  gnebrid;§  b.  @r.  eiuen  pi^ft  ungnäbigen  ©rtaB  gu. 
(3SgI.  ©.  329.)  ®ie  Stufgeflärten  bagegen  TOU^ten  fid;  nid;t  barein  gu 
finben,  ba^  ben  Dogmen,  loeld^e  fie  längft  aligetfian  glaubten,  oon  bem 
^f)iIo[opf)en  ein  vernünftiger  6inn  unterlegt  würbe.  ©§  gieng  ^ant 
in  biefer  Se3ie!)ung  nic^t  anber§,  al0  el  Seffing  vov  {{)m  gegangen  wax, 
2lber  ber  fiegrei($en  Stu^brcitung  feiner  Set)re  t)ermod;te  ber  SBiberftanb 
ber  älteren  (Sd;ulen  auf  tem  tt)eo[ogifd;en  fo  wenig,  raie  auf  bem  pfiito^ 
fop^ifd;en  ©ebiet,  ©in^alt  gu  tl)un;  unb  bie  SSerf)anbIungen,  gu  benen 
e§  3n)if(^en  if)nen  unb  ben  2Int)ängern  .^ant'^  fam,  f)aben  aud^  nur  eine 
mäßige  roiffenfd^aftlic^e  Sebeutung,  ba  in  benfelben,  ber  3^atur  ber 
6a($e  nac^,  n)ot)t  biefe  ober  jene  ©d;n)äd;e  ber  !antifc^en  S3eir)ei§fü{)rungen, 
biefe  ober  jene  Sude  be§  @9ftem§  aufgebedt,  aber  ber  !antifd;en  ilriti! 
TOcber  neue  ©efidjt§pun!te  entgegengehalten,  nod;  gur  gortbilbung  tl^rer 
ßrgebniffe  ein  evf)cb(ic^er  Slnfto^  gegeben  werben  founte. 

©in  tieferes  ^i^tereffe  fnüpft  fic^  an  ben  Söiberfpruc^,  meld^er  uon 
Seiten  ber  ©(auben§pl)itofopJ)ie  gegen  ^ant  erf)oben  würbe. 

2.  2)ie  (^Inwbcn^p^ilofopfjic:  Hamann  unb  ^crbcr. 

SDie  ©enfweife,  ber  man  nac^  i{)rem  eigenen  SSorgang  biefen  '?flaimn 
gegeben  {)at,  ift  einerfeitS  bem  Äriticifmu§,  anbererfeitä  ber  2tuff(ärung§; 
p^iIofopf)ie  oerwanbt.  3Jiit  jenem  tlieilt  fie  bie  Stbneigung  gegen  bie 
wolffifdje  3)ietapl)vfif  unb  atte  ^cgripp{)i(ofopI;ie  überfiaupt;  mit  biefer 
get)t  fie  von  hQxn  »ermittetten  ßrfennen,  oon  ber  ©emonftration ,  auf 
ein  unmittelbare»  SBiffen  gurü'd.  Slber  biefe»  unmittelbare  Söiffen  l)at 
in  if)r  nid;t  ben  ßf)arafter  be§  „gefunben  3)Zenfd;enoerftanbe0":  e§>  foll 
nid;t  ber  ^erftanb,  fonbern  eine  l)öl)ere  2lrt  ber  Heber^eugung  fein,  burdj 
weldje  bie  widitigften  2öaf)rl)eiten  un§  funb  werben;  fie  fotten  fic^  un§ 
im  ©efül)(,  in  ber  inneren  2lnfd;auung  offenbaren;  unb  im  3ufammen= 
l)ang  bamit  fotten  fie  aud;  nic^t  atten  gleid;fe^r  äugängüt^  fein  unb  oon 
jebem,  ben  leine  5ßorurtl)eite  üerbtenben,  oline  3}lül)e  gefunben  werben, 
fonbern  e§  ift  fd^tiefslic^  bod;  nur  eine  Heine  ©emeinbe  oon  2lu0erwä]^lten, 
eine  Slriftofratie  oon  fd;önen  ©eelen  unb  feinfinnigen  ©eiftern,  weld;e 
bie  ootte  ßmpfäng[id;leit  für  fie  befi^t.    S)ie  2Bal)rl)eit  fott  nii^t  auf 


2)ie  ©taufcenappDfopI|ie.  423 

ber  Dberfläd^e  be0  tnenfd^ücfien  33erauBtfeing  liegen,  fonbern  mir  burd^ 
eine  SSertiefung  be§  @eifte§,  ein  3wTÜ(Jget)en  in  fein  innere^  Söefen, 
entbeut  werben;  wir  folfen  un§  iljrer  nic^t  in  ^Begriffen,  bei  benen  fi(^ 
alle  baSfelbe  benfen,  fonbern  nur  in  fubjeftioen  ©efü^ten  unb  ^n- 
fd^auungen  beniö($tigen;  unb  fie  foU  ebenbe^fialb  in  jebem  ©injetnen 
eine  eigentI)ÜTntid)e  inbiüibueHe  ©eftatt  annefimen:  ber  Slufffärung,  bie 
allen  3}ienfd)en  @ine  SSerftanbe§form  aufbrühen  roiH,  wirb  ebenfo  Iebf)aft 
TOiberfprod^en,  wie  ber  fantifd^en  ^oxal,  welä)^  allen  biefelbe  fittlid;e 
Slufgabe  fteHt,  unb  benfelben  3JJa^ftab  ber  S3eurt]^ei[ung  an  fie  anlegt. 

S)ie  namfiafteften  SSertreter  biefeS  6tanbpun!t§  finb  brei  geiftuode 
3Jtänner,  bie  unter  einanber  in  nolier  periönfidjer  SSerbinbung  ftanben: 
Hamann,  |)erber  unb  i^^icobi.  ©eine  pf)ilofop{)if(^e  STarfleUung  unb  S3e= 
grünbung  f)aben  mx  aber  oor^ug^TOeife  bei  ^acoU  ju  fu(^cn.  i^oliann 
©eorg  Hamann  (1730 — 1788)  in  Äijnig^berg  ^)  raar  graar  ein  un= 
geroö^nlid;  bebeutcnber  3J^enfc^;  fo  übertrieben  aud;  bie  ^eraunberung 
ift,  bie  man  bem  „3}tagu§  im  3fiorben"  (mie  er  felbft  fid;  genannt  l^at) 
ni($t  feiten  um  fo  bereitroiUtger  entgegenbrachte,  je  weniger  man  feine 
Drafel  rerftanb.  ßinc  fräftige  ©innlid;feit,  ein  berber  9^ealifmu§,  ein 
leibenfdjaftlic^  erregbare^  ©emüt^,  eine  äuf3erft  bciuegtid^e  ^l)antafie, 
eine  einbringenbe  Beobachtung  feiner  felbft  unb  anberer  3Jienfd^en,  ein 
fc^arfeS  2Iuge  für  frembe  3Jtängel  rerbanb  fic^  in  feiner  originellen 
Statur  mit  einem  eittfdjiebenen ,  buri^au^  pofitioen,  ©lauben^bebürfni^^ 
mit  einem  feften  ©ottuertrauen,  mit  einem  marmen  ©efül)l  für  ^^rcuub^ 
fc^aft,  mit  einer  lebl)aften  ©mpfängli(^!eit  für  alle§  ßble,  aber  au<^  mit 
einer  anfprudjSootten  ©elbftüberfd;ä^ung ,  einer  !ranfl)aften  @mpfinbli(^= 
feit,  einem  rüdfid)t§lofen  ©goifmuS,  mit  ^t}pod;onbrifc|er  ©elbftquälerei, 
meibifi^er  Saunenljafti gleit,  n)eid;li($er  9?ad)giebigfeit  gegen  fid;  felbft, 
mit  milllul)rlic^en  ©infätlen  unb  2öunberlid)!eiten  jeber  2Irt  äu  einem 
l)öc^ft  eigentpmlidjen  ©aujen.  ©ine  fol($e  ^erfönlid;feit  lonnte  auf 
bie  t)erf(^iebenartigften  3)lenf(^en  eine  ftarle  2In5iel)ung§fraft  ausüben, 
leud;tenbe  ©eifteSfuufen  ouSfprü^en,  üiele  rereinjelte  Slnregungen  geben, 
lim  jebod^  eine  nadjl)attige  miffenfd^aftlidje  SSirfung  au^^uüben,  toar 
^amann'S  Söefen  ju  unftet,  fein  ©enfen  mie  feine  6d^reibart  ^u  5ud;tlo0. 
aSo  !lare  Begriffe  notl)tl)äten ,  rebet  er  in  ^ierogtijplien ,  bie  il)m  felbft 


1)  SBo  er  ba§  untergeorbnete  unb  siemUc^  gefd)äft§lDfe  2(nit   cineä  ^acf^ofücr» 
njaUerS  betleibete. 


424  Hamann. 

oft  eBenfo  unoerftäubOc^  finb,  wie  bem  ßefer;  roo  nur  eine  mct^obifd^e 
Unteufud^ung   gum  Qkl  füfircn  fönnte,  reil)t  feine  ^fiantafie  au§  bem 
(St)aoS  ber  Stoffe,  welche  eine  unbaubige  Sefetnft  i^m  geliefert  f)at,  in 
feltfamen,  unberechenbaren  «Sprüngen  bie  enttegenften  S)inge  an  einan^ 
ber.    @r  ^at  feiner  innerften  91atur  no(^  einen  tiefen  ^XiUbenüillen  gegen 
alle»  abftrafte  S}enfcn;   er   fträubt  fid^  nid;t  blo5  gegen  bie  Trennung 
ber  ©(erneute,   bie  in  ber  (grfal;rung  unb  ßmpfinbung  veufnüpft  finb, 
fouberu   au^    gegen   bie  Untcrfd;eibung   berfelbeu,   oline  wdä)e  feine 
n}iffcuf(^aftlid;£   ©rllärung  ber   erfd;einungen  niöglid^  ift.    Sein  Sieb^ 
lingÄgebanfe  ift  ber  Sa^  Sruno'ä  t)om  ^ufammcnfaücn  aller  ©egenfä^e, 
wogegen  er  ben  ^rincipien  be0  cerftänbigen  S)eufen§,  hem  ©a^  be» 
2öiberfprud;0  mib  bem  be§  änreid;enben  ©ruube^,  raie  i^acobi  fagt, 
oon  3ugenb  auf  t)on  fersen  gram  mar  ^);  mie  aber  freiließ  jener  Sa| 
eigeutlid)  gu  ijerfte^cn  fei,   barüber  fiat  er  fid;  nid;t  allein  nirgeub^  er- 
fldrt,   fonbern  er  benennt  au(^  gerabesu,  ba&   er  felbft  eg  nid;t  miffe. 
S)ie  gsljilofop^cn,  finbet  er  (IV,  45),  iiaben  pou  je^er  ber  SBa^r^eit  ba^ 
burd;  einen  Sd;eibebrief  gegeben,  ba^  fie  baljenige  fd;ieben,   ma»  bie 
3^atur  äufammcngefügt  't)aU.    6r  ^at  basier    üon  .^aufe  au§  ein  un= 
überroinblid;e»  Sorurtlieit  gegen    allel   met^obifd^e  ^l)ilofopl)ireu;    aEe 
^l)ilofopt)cn  finb,  mie  er  fagt,  Sd;roävmer,  alle»  plji[oiopl)i)d;e  5Dii§oer= 
ftdubnife   ift   bloßer  SSortftreit,   unb  bie  grüubltdjften  Uuterfud;ungen, 
eine»  ilant,  ßeibniä,  Spinoza,  mcrben  ^oc^mütl^ig  unb  megmerfeub  al§ 
„fd;olaftifd;eg  @efd;roä^",   „©d;ulfüd;ferei  uub  leerer  SBortfram"  abge^ 
tljan  ^).    Statt  ber  Segriffe  l)ä(t   er  fic^   lieber  an  bie  2lnfd;auungen, 
ftatt  ber  SSeraeife   an  bie  ßrfal)rung,   bie  Ueberlieferunq ,  ben  Spra(^= 
gebraudj  unb  ba^,  roa§  cßen  biefcn  SIrten  ber  Ueber^eugung  gemein  ift, 
ben  ©lauben.    Hnfere  S)en!ung§art  grüubet  fic^  auf  finnlic^e  ßinbrücfe 
unb  ßmpfinbungcn   (II,  124);  nid^t^  ift  in  unferem  SSerftanbe,  o|ne 
voxi)a  in  unfern  Sinnen  geroefen  gu  fein ;  bie  ©runbbeftanbtljeile  unferer 
ä>ernunft  befielen  bal)er  in  Offenbarungen  unb  Ueberlieferungen  (IV,  44). 
2luä  biefer  Üuette  entfpringt  pnäd^ft  bie  Sprad;e,  meld;e  Hamann,  in 
tl)eilroeifem  2Biberfprud;  gegen  ^erber,  feiner  empiriftifd^en  S}orau§fe^ung 


1)  3Ji.  toül.  hierüber:  §amauu'3  SBerlc  ^erau§g.  D.  IRoti)  VI,  183.  301.  TV, 
146.  VII,  414.  ^acobi'ä  SEBertc  III,  503  f.  2Iuf  bie  genannte  ^inägabe  toon  §amann'3 
SBertcn  bcjic^en  fii}  im  folgcnbcn  bie  (Sitate  im  Ste^t. 

2)  2Ö.  SB.  VI,  228.  VII,  360.  VI,  183.  VII,  6  f.  243.  314  f.  m,  324  f.  I, 
438.  491. 


Otoube  unb  Srfa^rung.  425 

getreu,  für  etroa§  oon  ben3}?enfc^en  auf  natürli($em  2Beg  erlerutcS  erffärt  ^) ; 
unb  mit  i§rer  ßntroitflung  fäüt,  wie  er  glaubt,  aud;  bie  ber  5]ernunft  un^ 
mittelbar  ^ufammen.  ,,2I(Ie§  ©ef^raö^  über  35ernuuft  (fdjreibt  er  YI,  365 
an  Berber)  ift  reiner  SBinb;  ©prad;e  i^rDrganon  unb  ßriterion!  Hebern 
lieferung  ha§>  sroeite  eiement."  „S:a§  gauje  2>ermögen  3U  benfen  berufjt  auf 
©pradje''  (VII,  9).  S)ie  SBörter,  fagt  er  (VII,  13),  gehören  ber  ©uinlid^ 
feit  unb  bem  SSerftanb  jugleic^  an,  fie  feien  forooi)(  reine  unb  empirifd^c 
Slnfdjauungen,  aU  reine  unb  empirifd;e  ^Begriffe ;  aud^  ^ant'l  reine  2rn= 
fd^auungen,  9taum  unb  3eit,  üerfud;t  er  (VII,  9  f.)  ron  ber  Saut^  unb 
3eidjenfprad^el)er3ureiten;  biefe  Slbleitung  felbft  freiüd;  ift  nid;t  hlo§  an 
fid^  üöUig  üerfefjtt,  fonbern  fie  seigt  auc^,  ba^  er  für  bie  ©runbfrage  ber 
fantifd;en  tranfcenbentafen  Sleft^etif  gar  fein  Drgan  f)at.  fragen  rair  aber, 
rcorauf  bie  ©eraiB^eit  ber  ßrfa^rung  felbft  fid^  grünbet,  anä  ber  affe^  unfer 
©enfen  f)erftammen  foll,  fo  rerroeift  nn§  |)amann  auf  ben  ©fauben 
ober  bie  ©mpfinbung.  S)ie  Unroiffenfieit  be§  ©ofratcg,  n)cld;e  bem  üer= 
meintli^cn  äöiffen  ber  ^p^ilofopfien  ai§>  ba§  f)ö§ere  gegcnübergeftedt  wirb, 
TOar,  rate  er  meint  (11,35),  „empfinbuug",  febenbigeS  ©efüt)t  beffen^ 
mvon  bie  £ef)rfö^e  nur  ha§>  tobte  ©erippe  entfialten.  S)a§  gfeidje  be' 
^eid^net  er  aber  aud^  al§  ©laube,  menn  er  beifügt:  „Unfer  eigen  STafein 
unb  bie  ßfifteuä  atter  ®inge  au^er  un^  mu^  geglaubt,  unb  fann  auf 
feine  anbere  2lrt  au^gemad^t  werben/'  „2öa§  man  glaubt,  ^at  ba^er 
nic^t  nötijig,  beioiefen  gu  werben,  unb  ein  @a|  fann  nod;  fo  unum^ 
ftö^tid;  beroiefen  fein,  ol^ne  be^roegen  geglaubt  gu  merben."  S^aB  er 
ben  ©(auben  mteber  ju  e^ren  gebrad^t  i)aU,  maä)t,  raie  er  meint,  aud^ 
ba§  ^auptuerbienft  S^aoib  ^nme'ä  aug,  ben  er  be§^a(b  ^nt  weit  vox^ 
3ief)t  (I,  405.  VI,  187).  S)a§  entfd^eibenbe  3JierfmaI  ber  2Ba^rf)eit  foH 
bemnac^  ni(^t  in  ben  fad^lid^  nad;roei§baren  ©rünben,  fonbern  in  ber 
Sebenbigfeit  unb  geftigfeit  ber  fubjeftiüen  Heberaeuguug  liegen.  STiefe 
fann  aber  bei  lleberaengungen  jeber  2lrt  unb  jebeS  ^n^alt^  gfeid;  fef)r 
öort)anbcn  fein;  unb  fo  ftellt  benn  audj  |)amann  nid;t  allein  metap^i;fifc^e 
@ä|e  mit  ber  finnlid^en  (grfa^rung  auf  ©ine  Sinie,  menn  er  5.  33.  oon 
ber  Unfterblid^feit  erflärt  (VII,  419  f.),  er  braud;e  bafür  feine  meit 
{)ergef)oIten  Seroeife,  fie  fei  i^m  res  facti;  fonbern  bie  gleidje  unmittel^ 
bare  ©eioiBfjeit  nimmt  er  anc^  für  bk  pofiticen  5)ogmen  in  STnfprud^, 
bie  fein  realiftifd^eS,  überatt  auf  ha§,  greifbare  unb  aniä)ai\M)e  geric^te^- 

1)  IV,  47  f.  88  f.  VI,    143.  IT,  f.    Qn  gan^  flarcn  Sefitmmungcn   fommt   e3 
aber  auc^  ^icr  lü^t. 


426  §antann. 

te§>  ©enfen  um  fo  weniger  gu  entbel^ren  mei^,  je  mefir  er  bei  ber  meU 
fachen  S3ebrängniB,  in  ber  er  fid)  fein  ßeben  lang,  nid^t  olfine  eigene 
SSerfcfjutbung ,  befanb,  biefe»  9iü(i§altg  aud^  für  fein  @emütf)§Ieben  be= 
burfte  ^).  ®ie  Offenbarung  ©otteg  in  ber  ©c^rift  ftef)t  i^m  gerabc 
ebenfo  feft,  wie  bie  in  ber  3^atur,  unb  bie  SSernnnft  borf  gegen  jene  fo 
raenig  etwa»  einiüenben,  wie  gegen  biefe.  ®a§  pd^fte  9Befen  ift,  xok 
er  fagt,  im  eigent(id;ften  3>erftanbe  ein  ^nbioibuum,  ba§  nad;  feinem 
anbern  3}ia§ftabe,  al§>  ben  e§  fid;  felbft  giebt,  unb  nid^t  na^  n)ittfüf)r= 
lid^en  S3orau§fe^ungen  unfereS  SSorrai|e§  unb  unferer  naferoeifen  lln= 
rciffenfieit  gebadet  werben  fann.  ®ie  SSernunft  ift  un§  nid^t  gegeben, 
un§  roeife  gu  mad^en,  fonbern  un§  :)on  unferer  Unüernunft  gu  übers 
füfiren,  unfere  i^rrt^ümer  gu  üermel^ren.  ©§  ift  bafier  ganj  natürlich, 
ba^  bie  geoffenbarte  9Sof)rf)eit  ber  SSernunft  fauer  eingetjt.  „Sügen  unb 
^Romane,  meint  Hamann,  muffen  mafirfd^einlid^  fein,  §ypot{)efen  unb 
gabe(n ;  aber  nii^t  bie  2öa{)rJ)eiten  unb  @runb(ef)rcn  unfere§  @fauben§"  ^). 
60  pofitio  bieB  aber  aud;  lautet,  unb  fo  aufrichtig  §amann'S  SBiber? 
mille  gegen  bie  Slufflärung  unb  ifiren  St^ieifmuS  ift  ^),  fo  fann  e§>  bod^ 
einem  fo  fubjcftiüen,  fo  gang  auf  fein  @efüf)r,  feine  inbioibuellen  ©in= 
gebungen  unb  Einfälle  geftellten  3]ftenfd^en  mit  ben  SDogmen,  meldte 
gerabe  bagu  bienen  foUten,  ba§  inbioibuelle  ^Belieben  in  ber  9teligion 
au^gufc^IieBen,  unmöglid^  ein  red^ter  ©ruft  fein;  unb  mirflid^  fagt  er 
aud;  (VII,  58):  5E)ogmatif  unb  Äird;enred^t  gef)ören  lebiglid^  gu  hen 
öffentlidjen  @rgief)ung§=  unb  SScrrcattung^anftalten;  biefe  fid^tbaren  2ln; 
ftalten  feien  aber  meber  Dieligion  nod^  SBei^fieit,  bie  i^on  oben  f)erab= 
fommt,  fonbern  (nad^  ^at  3,  15)  irbifd^,  menfd^Iid^  unb  teuflifd^;  unb 
Sacobi  begeugt  üon  if)m  (2ß.  2ö.  III,  505):  ber  malere  ©taube  fei  if)m 
§t;poftafi§,  alle§  anbere  nenne  er  „l^eiligcn  Äot^  be§  großen  Sama"; 
jeber  33crfud^,  anbern  bie  2Baf)rf)eit  eingutrid^tern,  fd^eine  il^m  eitel,  unb 
bef3f)a(b  fei  it)m  aud^  Saoater'g  Surft  nad;  SBunbern  ein  bitteres  2rergerniB. 


1)  2(f3  er  bei  feinem  Stufcntljalt  in  Sonbon  (1757  f.)  burcf)  feine  unorbentlid^c 
SebenSweife  unb  burd}  feine  nntocTantiDortIid}e  S>erna(I)Iäffigung  ber  gefd^äftUdien  Sin« 
gelegenljeiten,  bie  feine  greunbe  il^m  anvertraut  Ijatten,  in  bie  äufjerfle  Dlotl)  geratl^en 
rcar,  würbe  (wie  er  fetbft  in  ben  merhüürbigen  „©ebanfen  über  meinen  Seben^Iauf" 
I,  149  ff.  erjä^It)  bie  58ibef  fein  Sroft,  unb  üon  ba  an  ilammcrte  er  ftd^  an  bie 
pofaiöe  Sicligion   an,    oljne  bod)   bcfil^alb  feinen  lannenl^aften  Steigungen  S'^^^^S  ^t^" 

2)  VII,  418.  43.  I,  55.  405.  425.  II,  101. 

3)  SJgl.  VII,  191.  IV,  283  f.  VI,  143  u.  a.  ©t. 


Sogmenglaube.    Scjirettung  Äant'S.  427 

2lu(^  in  ber  Steügion  foll  ba{)er  bo(|  atteg  inbiüibuell  fein,  bie  SBafir^eit 
foll  fid^  nid^t  beroeifen,  fonbern  mir  entpfinben  laffen. 

S)aB  nun  ein  fo  gearteter  3Jlann  einer  fo  ftreng  metfiobifd^en ,  bie 
fdf)ärffte  Segripaerglieberung  forbernben  tlnterfud;ung,  mie  Äant'ö  Äritif 
b.  r.  35.,  feinen  ©efc^mad  abgewinnen  fonnte,  ift  leidet  3U  begreifen. 
3n  feinen  SleuBerungen  über  biefeS  SEer!^)  tritt  aU  ber  bebeutenbfte 
fa(^lid;e  ©inrourf  gegen  ba^fetbe  bie  Semerfuug  (jeruor :  wenn  Sinnlid^- 
feit  unb  SSerftanb  al§>  groei  (Stämme  ber  mcnf(^(id;cu  ßrfenntni^  an§ 
einer  gemeinfc^aftlic^en  SBurjel  entfpringen,  fo  fei  bie  fautifdje  2:rennnng 
berfelben  geroaüfam  nnb  nnnatüriid^.  S)iefe  Semerfung  trifft  rotrftid^ 
einen  ^unft,  an  roeti^em  and;  mefirere  von  ^anV§>  (Schülern  eine  we= 
fentlidfie  ©rgänjung  feiner  Scftimmungen  nötf)ig  gefunben  fjahm.  9^ur 
überfielt  ^amamx,  baB  für  bie  raiffenfd^aftlid^e  Unterfuc^ung  be§  ®r= 
fenntni^DermögcnS  simäc^ft  jebenfaüS  bie  fi^arfe  Unterfd;eibung  nnb  ge= 
fonberte  Betrachtung  ber  2Ba{)rnef)mung§ ;  nnb  S^euft§ätigfeit  geboten 
toar,  unb  ba§  man  in  berfelben  immerf)in  ju  pd^ft  wichtigen  Grgebniffen 
fommen  fonnte,  roenn  e§  aud;  nic^t  gelang,  bie  gemeinfame  2Bur5e[  ber 
©innUc^feit  unb  be§  S?erftanbe§  genauer  gu  bcftimmen;  er  felbft  o^ne= 
bem  t)at  ju  biefer  Beftimmung  feinen  Serfud;  gemadit. 

2(ef)ntid)  gef)t  el  it)m  mit  feinen  Ginmürfen  gegen  SIRenbelSfol^n, 
roelc^er  in  feinem  „^erufalem"  bie  ^^rennung  ber  J?ir($e  oom  6taot 
unb  bie  Unab^ängigfeit  ber  bürgerlid^en  Sfiec^te  com  retigiöfen  Befenntni§ 
oertaugt  unb  fic^  f)iefür  auf  naturrec^tüd^e  Erörterungen  geftü^t  l^atte, 
in  benen  er  fic^  im  roefentlid^en  an  Söolff  anfd;fo^.  Hamann  beftreitet  ^) 
bie  2lbtrennung  ber  ^anblung  t)on  ber  ©efinnung,  be§  Staate  oon  ber 
^ird^e;  er  beftreitet  aber  aud^  bie  mofilbegrünbcte  Unterfc^eibung  beS 
9fied^t§  unb  ber  3)lorat,  be§  bürgerlid;en  unb  retigiijfen  Sebeng,  bie  %o= 
leranj  beg  2tuff(ärung§jaf)rf)unbert§  unb  feines  großen  Äönig«,  ©r 
ftrdubt  fid^  nic^t  bIo§  gegen  ba§  oberftäc^(id)e  unb  übereilte,  fonbern 
au(^  gegen  ba§  TOat)re  unb  bered;tigte  in  ber  l^errfd;enben  ©enfart,  er 
oerroirft  nid^t  bloS  bie  SSerftanbeSabftraftionen ,  fonbern  mit  ifinen  nur 
gu  oft  aud^  bie  oerftänbige  S3etrad^tung  ber  5Dinge  überfiaupt. 

©in  weit  georbneterer  Äopf  unb  ein  t)iel  gebiegenerer  Senfer  roav 
Sotiann  ©ottfrieb  Berber  (1744—1803).    @r  n)ar  nid^t  umfonft 


1)  VI,  45  ff.  VII,  1  ff.;  roeitere  i^ad^mcifungen  giebt  9fiot^  VHI,  a,  330.  b,  259. 

2)  ^n  feinem  „(Solgat^  nnb  ©t^ebümmi"   (VII,  19  ff.),    lieber  ben   rounber- 
Uc^en  Sitel  biefer  ©c^rift  f.  m.  vn,  94.  125  ff.  Ym,  a,  350.  353. 


11 


428  4)et:ber. 

5U  ^ant'§  %ü^en  gefeffen  ^) ,  er  wax  von  if)m  ni(J^t  allem  in  bie  (eibrnj- 
tüolff  f(^e  ^^i(o[opf)ie,  fonbern  auc^  in  bie  Seigren  einel  Kepler  unb 
9^en)ton,  eine§  §ume  nnb  9lou[[eau  eingefü{)rt  werben;  nnb  er  I;otte 
an  i^m  bo§  unerreid;te  SJiufter  eine§  fd;arfen,  metfiobifc^en,  nnabf)ängigen 
5Denfcr§  vor  2lugen  geijabt.  2lber  fo  wenig  fid^  au(^  bie  ©(^ule,  bie 
er  f)ier  burd;(anfen  ^atte,  in  feinen  Slr&eiten  üerläugnet,  fo  war  boc^ 
bcr  <Sinn  nnb  bie  2lnlage  gur  ^f)iIofop^ie  bei  ii)m  nicf;t  fo  rein  unb 
fo  kräftig,  ba^  gerabe  auf  biefem  ©ebiete  eine  fieroorragenbe  Seiftung 
von  if)m  §u  erwarten  gewefen  wäre,  .^erber  war  ein  ungemein  rei(^er 
unb  ülelfeitig  gebilbeter  ©eift;  fein  ^heai  ift  bie  Humanität,  bie 
^armouifd;e  ©ntiuidfung  unb  53et|ötigung  aller  Gräfte,  bie  in  ber  menf($= 
Iid;en  SRatur  liegen;  toaS  immer  für  ben  SJienfc^en  ein  S^tereffe  befi^t 
unb  auf  fein  3ßol;l  S3e5iel;ung  I)at,  ba§  erroedt  feine  tebenbige  ^fieil^ 
nafime,  regt  feine  SSi^begierbe ,  fein  3^ad;ben!en,  feine  fc^riftfteHerifc^e 
unb  bic^terifd;e  5l§ätigMt  an.  Slbcr  inbem  er  ju  üieleS  gugleid^  fein 
will,  ^t)ilofopl)  imb  S)i(J^ter,  3:f)eo(og  unb  @ef(|id)t§forf(^er,  ^rebiger 
unb  Siterat,  ift  er  feines  üon  atlem  fo,  wie  er  eS  an  fid;  fein  fönnte* 
©r  f)at  auf  ben  t)erfd;iebenften  ©ebieten  bebeutenbeS  geleiftet,  nad;  allen 
(Seiten  Ijin  2tnrcgungen  gegeben,  frud;tbare  ©ebanfen  auSgeftreut;  aber 
er  i)at  nid;t  allein  auf  feinem  ©ebiete  ein  ^öd^ftcS  erreicht,  fonbern  er 
l^at  aud;  faft  !eine§  rein  geilten,  unb  burd;  biefe  3?ermifd;ung  vex- 
fc^icbcnartigcr  2lufgaben  bem  Sßertl)  unb  bcr  SBirfung  feiner  (5d;riften 
nid^t  wenig  gefd;abet.  Unb  babei  ift  er  fic^  biefeS  3Jianget§  fo  wenig 
bewufit,  bafs  er  t)ielmel)r  gerabe  be^l^alb  fi(^  über  anbere  ergeben  ju 
bürfeu  meint,  weil  fie  ganj  finb,  wa§  er  nur  ^Ib  ift.  (£r  fielet  auf 
©öttje  f)erab,  weil  er  blo§  S)id)tcr,  unb  auf  ^ant,.weil  er  bto§  ^l^i= 
lofopl)  fein  will;  ber  eine  ift  i^m  gu  abftra!t,  ber  anbere  jn  leiditfertig ; 
ba|  fie  weniger  wären,  wenn  fie  mefir  fein  woEten,  f)at  er  fid;  nic^t 
!tar  gemadjt.  ^n  il)m  fetbft  lä^t  fic^  allerbingS  neben  feinen  fonftigen 
SInlagen  auc^  eine  pl)ilofüpl)ifd;e  2lber  ni(^t  üerfennen.  ©r  will  nid^t 
bei  ber  Oberfläche  ber  S)inge  fielen  bleiben,  er  l)at  ba§  ^Bebürfni^,  bie 
erfd;einungen  au§  il)ren  tlrfac^en  ju  erklären,   unb   er   ift  in  feinem 


1)  (Sc  i^öi-te  tant  in  ben  ;3a^rcn  1762  —  65,  unb  er  ^at  ben  aufjerovbeutltdjen 
(gtnbrud,  ben  feine  anaiel^enben  nnb  belei}renben,  md)  allen  ©eiten  junt  ©elbftbenlen 
auffocbcrnben  Vorträge  auf  i'^n  macbten,  no£^  nad^  breifjig  unb  mtijt  ^a^ren  (in  ben 
SBciefen  3.  S3ef.  b.  §umanität  49,  93v.  unb  ber  35orrebe  jur  Äaütgone;  2Ö.  3Ö.  j. 
^^U.  u.  ®ef(^.  XT,  189.  XV,  XIX)  mit  le&^aften  garbcn  gefc^itbert. 


§etDcr.  429 

©enfen  [etbfiänbig  genug,  um  fi(^  ni(^t  Bei  <Sd;ulforTnetn  gu  kruf)igeu, 
fic^  nid^t  mit  SBorten  abfpeifen  gu  laffen,  betten  feine  Beftimtnte  ^ox- 
fteHung,  mit  Segriffen,  benen  feine  2ln[djauung  entfprid^t.  60  au^ge^ 
breitet  fein  Sßiffcn  ift,  fo  üietfeitig  ift  and)  ba§3ntere[[e  feinet  ^enfenS; 
feine  Sd^riften  finb  roH  t)on  treffcuben  2öaf)rnef)mungen  unb  anrcgcnben 
Semerfungen,  unb  bei  fold^en  ©egenftänben ,  bie  feiner  ©eiftc^art  ^u 
fagen,  mie  bie  ^f)ilofop^ie  ber  @efc^id;te  unb  bie  Xlnterfud^mtg  über 
ben  Urfprung  ber  ©prad^e,  rairb  man  if)m  baS  33erbienft  nid;t  ftreitig 
mad^en  fönnen,  ba^  if)m  bie  Grforfd^ung  tcrfetben  eine  mefentlidje  ^öx- 
berung  3U  verbanfen  l^at.  2tber  jum  ^(;iIofop^cn  aU  foidjcm  fcf)(te  e§ 
it)ni  äu  fef)r  an  «strenge  ber  3J?ct(;obe  unb  an  ®rünblid;feit  ber  ^^ox- 
fd^ung.  ®r  rcei^  jebe  j^^rage  üon  t)erfd;iebenen  ©eiten  5U  beleud;ten ;  er 
ift  frud;tbar  an  Kombinationen,  für  bie  fein  reid^e»  SBiffen  unb  feine 
lebhafte  ^^antafie  ifim  bie  STiittel  barbietet,  unb  e§  gelingt  if)m  baburdi) 
nid)t  feiten,  feinem  ©egcnftanb  neue,  oft  überrafdjcnbe  ©cfidjtSpunfte 
abäugcroinnen.  Slber  er  f)at  nic^t  bie  ©ebulb,  eine  Untcrfud;ung  fd^vitt= 
tüeife  äu  füfiren,  eine  58en)ei§füf)rung  nnuerbroffen  burc^  alle  it)re  SDiittel- 
gtieber  ju  rerfolgen  unb  in  i^ren  ©in3e(^eiten  genau  3U  prüfen;  nid^t 
bie  ©elbftüerläugnung ,  fid)  auf  bie  fünfte,  bereu  Grörternng  i(;m  äu= 
näd)ft  obliegt,  gu  befd;rttnfen  unb  bie  anbertweitigen  üon  allen  Seiten 
f)erbeiftrömenben  ©ebanfen  fern3ul^alten.  (Sr  f)at  «Sinn  unb  33erftänbnit 
für  bie  fonfreten  (Srfd^cinungen  unb  bie  gcfc^idjtlidjen  3?orgänge;  allein 
bie  ^raft  ber  Slbftraftion  ^ält  bei  if)m  mit  ber  Sebenbigfeit  ber  2ln= 
f(^auung  nidjt  gleichen  Sd;ritt:  bie  ^crgüeberung  be§  ©egcbencn,  burd) 
bie  jebe  luiffenf^aftlic^e  ßrfenntni^  bc^fclben  bebingt  ift,  bie  Sluflöfung 
be§  3i^^^^'"^cngefc^ten  in  feine  Elemente  ift  nid;t  feine  Sa^c,  unb 
wenn  anbere  fie  üorncfimen,  befdiraert  er  fic^,  ba§  fie  metapl)i;fifd^e 
S)id;tungen  an  bie  Stelle  ber  SBirflid^feit  fe^en.  Gr  gicbt  un§  auf  fpe- 
cieHeren  ©ebieten  manche  einbringenbe  unb  geifttjolle  2(u§e!nanberfe§ung; 
aber  bei  ben  pf)i(ofopl)if(^en  ^rincipienfragen  fto§en  mir  fofort  auf  bie 
Sd^ranfe  feiner  geiftigen  S3egabnng,  unb  um  bie  Seftimmungcn,  meldte 
fic^  il)m  üon  üerfd^iebenen  fünften  au0  ergeben  ^almi,  in  burdjgängige 
Uebereinftimmung  mit  einanber  ju  fe^en,  ift  er  gu  tüenig  ftjftematifd^er 
2)enfer.  SSir  finben  fo  bei  if)m  allerbingä  pf)ilofopifd^e§  Sebürfni^  unb 
pl)ilofopf)ifd;e  Slnfi^tcn;  aber  mir  finben  feine  ^fiilofopliie  ou§  ©inem 
@uffe,   feinen  flar  unb  beftimmt  burd;gefüf)rten  Stanbpunft.    ^n  biefer 


430  Berber. 

Sc3{ef)un9  ftefjt  .^erber  nic^t  aUeiit  {)inter  einem  ^ant  ober  ^{d;te,  fon* 
bent  oud)  i)inler  ^acotn,  ben  er  an  S^ielfeiticjfeit  allcrbing§  übertrifft, 
unüerfeunbar  jurüd. 

^erbcr  fiatte  feine  erfte  p^i(ofopf)if(^e  53ilbnng,  wie  bemerft,  in  ber 
leibnijifdjen  <Bä)nle  erhalten,  ber  fein  Scfirer  J?ant  bamals  nod)  ange= 
t)örte ;  er  fiatte  fid)  aber  fc^on  frü!)e  auä)  mit  ben  engUfd;en  ^J)i(ofopf)en, 
namentlich  93aco  nnb  @t)afte§bury ,  mit  §ume  nnb  Otonffeau  bcfannt 
c\cmad)t;  in  ber  golge  (aber  boc^  erft  feit  1783)  fam  er  in  na^e  33er= 
binbunc3  mit  ^acobi,  unb  ftubirte  au(^  ha§^  ©tjftem  ©pino^a'^,  auf 
n)e(d;e§  biefer  bie  2lufmer!famfeit  wieber  gelenft  ^atte,  mit  lebliafter 
5tt)ci(nal;me,  mä^renb  er  fi($  t)on  bem  fantifd;en  J?riticifmu§  burdjan? 
abgeftof3en  fanb,  nnb  bemfelben  no(^  in  feinen  nnb  ^ant'S  legten  Se= 
ben§iol)ren,  mit  einer  bnrd;  perfönli($e  @mpfinblid;feit  gefteigertcn  ©e= 
rei^t^eit,  in  einem  nid;t  feiten  l)od;mntf)ig  raegmcrfenben  nnb  gerabejn 
t)ämifd;en  2:;one  entgegentrat,  gür  feinen  eigenen  ©tanbpunft  ift  3unäd)ft 
bie  2lnfid;t  über  bie  3^atnr  nnb  bie  58ebingungcn  bc§  @rfennen§  16e= 
geidjneub,  wdd)e  er  and;  frülier  f($on  auäfprad),  nnb  bann  in  feiner 
,,3Jietafriti!"  (1799)  gegen  Äant  eingeljcnb  uertlieibigte.  ©ine  in  fi(j^ 
einftimmige  nnb  auf  feften  ^rincipien  ru^enbe  @rfenntni^tl)eorie  bürfen 
mir  freilidj  von  il)m  ni(^t  ermorten.  3^^^^^^ft  ^efennt  er  fid;  jnm  pffi- 
lofopljifdjen  ©mpirifmuS.  ©r  fagt,  bie  S^ernnnft  fei  bem  3}tcnfd)en  nid;t 
angeboren,  fonbern  muffe  üon  if)m  gelernt  werben,  fie  fei  „nid;t§  als 
etwas  vernommenes,  eine  gelernte  Proportion  unb  Sftic^tung  ber  3^cen 
unb  Gräfte,  gu  weldjer  ber  SJienfd;  nad;  feiner  Drganifation  nnb  SebenS= 
weife  gebilbet  worben";  bie  33ernunftwiffenfd;aft,  bie  3)Zetapl)t;fif,  fei 
nur  „ein  3f?amenregifter  l^inter  Seobad;tungen  ber  ©rfa^rung".  ®r  he- 
Rauptet  gegen  Äant,  eS  gebe  feine  apriorifd;en,  üon  ber  ©rfalirung  un^ 
abljängigen  ^Begriffe;  bie  gunftion  beS  SSerftanbeS  fei  nur:  anerfcnnen, 
wü§:  ha  ift.  Gr  l)ält  ade  jene  SSorfteHnngen,  bereu  apriorifd;en  Urfprung 
^ani  gu  erweifen  üerfnd;t  liatte,  bie  3]orftellnngen  beS  3kumeS,  ber 
3cit,  ber  Urfai^e  unb  SBirlung,  für  ©rfalirungSbegriffe.  ©r  nimmt 
2lnftof3  baran,  ba§  üant  bie  Sieceptiyitöt  unb  bie  ©pontaneität,  bie 
Slnfd;auung  unb  bie  53egriffe,  olS  jwei  ©tämme  ber  mcnfd;Iid;en  (^x- 
fenntnifi  neben  einanber  ftelle,  o^ne  fie  auf  il)re  genteinfdjaftlid;e  SKsurjet 
äurüd^ufütiren ;  unb  er  berüijrt  bamit  eine  uuläugüare  Sude  in  Äant'l 


1)  3been  3.  ^^U.  b.  ®efc^.  23.  S.  3.  ^fyit.  u.  ©efc^.  (itarfSr.  1820)    HI,  171. 
IV,  199. 


©rfcnntni^tl^eorie;  bte  ©prad^c.  43 1 

©pftem  (ogl.  <B.  427).  STber  iüa§  er  felbft  getfian  f)at,  um  bic[em 
3Jlanget  ab^nl^elfen,  ift  fefir  ungenügenb.  Unfere  dlatnv,  fagt  er^),  fo 
»tele  Gräfte  wir  i^r  auä)  mit  died)t  3ufd;reiben,  feune  bod;  nur  ©ine 
§cuplfraft  be§  ^nneroerben,  unter  bem  grof3en  ©efe^:  „®in§  tn33;elem." 
Sebe§  ©mpfinben  fei  Empfangen,  2Ineignen  eines  ©inen  au§  Siictem. 
9^id;t  anberS  rer^olte  e§  fic^  and;  mit  bem  S^enfcn:  benfenb  erfc^affe 
fid;  bie  ©eele  fortgefe^t  ein  ßin§  üu§  SSielem,  mie  ber  innere  ©inn 
foldjcs  in  ber  ©mpfinbung  erfaßte;  e§  fei  biefelbe  Dcoturfraft,  bie  fic§ 
l^ier  bnnf(er,  bort  geller  unb  tf)ätiger,  je^t  in  einselner  je^t  in  3ufammen= 
pngenber  SBirffamfeit  geige.  S)amit  erfahren  mir  hoä)  gar  nid;t§  ge= 
nanereS  über  bie  ©ntftefiung  unferer  SSorftettungcn.  ^n  ber.  gleid;en 
Unbeftimmt^eit  bewegen  fid;  ober  i^^rberS  erfenntni|3ti;eoretifd;e  2(u§= 
anbcrfe|3ungen  burc^iueg.  Äont'S  tiefbringenbe  Unterfudjungcn  über  bie 
©runbformen  be§  35erftQnbe§gcbraud;§  nennt  er  (a.  a.  D.  166)  ,,öbe 
Söüften  üoll  leerer  ^irngeburten  im  anmaBenbftcn  SBortnebel";  aber 
feiner  eigenen  S)arfteffung  ber  „©runbbegriffe  unb  ©funbfä^e  be§  an= 
erfenneuben  SSerftanbe§"  fe^lt  e§>  an  jeber  ftreugeren  mif)en[c^aft(id;en 
«Qaltung,  unb  al§>  i^r  allgemeinfteS  5)3rincip  ftellt  er  ben  nid;txM'agenben 
Bai}  ^in:  „ber  menfd;Ud^e  S^erftanb  erfennet,  wa^i  lljm  erfennbar,  in 
ber  SBeife,  mie  e§  i{)m,  feiner  D^atur  unb  feinen  Organen  nac^,  er* 
fennbar  ift".  2ll§  fein  ©runbgebanfe  tritt  bie  33cl;auptnng  auf,  in  ber 
er  fic^  auSbrüdüd;  an  ^acobi  anfd;ae§t'):  ber  ^luecf  unferer  ©ebanfen 
bürfe  nur  ber  fein,  S)afein  gu  entpllen;  mie  mir  e§  aber  anzufangen 
l^aben,  um  biefen  Qmeä  ^u  erreichen,  barüber  meiB  er  un§  f)auptfäd;li(^ 
be§t)alb  ni($t§  befriebigenbeS  p  fagcn,  meil  er  jeber  fd;ärferen  2lnah;fe 
ber  ©eifteStljätigfeiten  au§>  bem  2Bege  gcl;t,  unb  fid;  von  berfelben  immer 
roieber  auf  bie  unbeftimmten  S3egriffe  ber  ©mpfinbung,  be§  ^nneroerbenä 
u.  f.  m.  äurüdgiefit.  6tatt  ber  inneren  S^orgänge,  burd;  bie  unfere 
SSorftellungen  fic^  bilben,  fiält  er  fi($  mit  Vorliebe  an  ben  änfjeren  StuS-- 
brud  berfelben  in  ber  ©pradje;  unb  ber  SSerfud;,  bie  entftet;ung  ber 
©prad;e  oJ)ne  ^erbeijiefinng  f)ö^erer  3Jiä($te  .auf  natürlid;cat  SBege  p 
erftören,  mie  er  if)n  fd;on  in  feiner  ^reisfd^rift  0.  3.  1770  3)  ongeftettt 
^t,  ift  reic^  an  fruchtbaren  58emer!ungen,  unb  üerbient  um  fo  l^öfjere 
Stnerfcnnung ,  roenn  mir  ben  bamaligen  3uftanb  ber  ©prod;iöiffenfd;aft 

1)  aWetahitif  (2Ö.  SB.  3.  $^.  u.  ®.  XIV)  97  ff.  u.  a.  ©t. 

2)  ^Ql  „®ott"  (2ö.  SB.  ä.  ^i).  u.  &.  VIII)  ®.  215. 

3)  SB.  SB.  3.  Wi'  u-  ®efc^.  S3b.  2. 


432  ^frber. 

unb  ble  S3cf($ränft^eit  beS  ifim  fetbft  gugäitgtic^en  ©prad;gebiet§  in 
33etrad;t  äief)cn.  Sl&er  t)on  ber  p{)i(o[opf)ifd;en  tluterfud;img  ber  3Sor= 
ftettuuc3§=  unb  ®cnftf)ätigfeit  roirb  er  baburc^  ef)er  abgelenft,  al§  barin 
geförbert.  fragen  mv  ferner  nad;  ber  2Bo^rf)eit  unferer  SSorftellungen, 
l"o  fommt  er  aud^  f)ier  gu  feinem  befrtebigenben  ®rgebni§.  ©inerfeitg 
6el)auptct  ^erber:  ba  bie  ©prad^e  nid^t  ©ad^en  au§brücfe,  [onbern  nur 
Dflamen,  fo  crfcnne  audf)  bie  men[d^lidf;e  SSernuuft  feine  ©acfjen,  fonbern 
fie  f)abe  nur  geroiffe  3}ierfmale  non  ifinen,  unb  biefe  fetbft  werben  wieber 
in  n)iUfüf)rlid[;c  Saute  gefaxt,  mit  benen  mir  rcdjuen;  wir  roiffen  baf)cr 
nichts  üon  bem  l^nnern  ber  ®inge,  bcm  SBefen  ber  Gräfte,  bem  Qvl^ 
famment)ang  äroifdjen  Xlrfad;e  unb  2öirfung  u.  f.  m.  ^)  STnbererfeits 
f treibt  er  bem  SSerftanb  bie  33efugniB  gu,  burd^  fein  fur^eS  3JJad;troort 
3ft  ba§  S: afein,  bie  ßigenfd;aften,  ben  3"ffi"^"tenf)ang  ber  Singe  anju: 
erfenncn;  unb  unmittelbar  mit  bem  S^afein,  glaubt  er,  fei  auc^  bag 
Urfein,  ber  IXrgrunb,  bie  Urfraft,  ha^  Urma^,  mit  Sinem  Söort  atjo 
bie  G)ottf)eit  gegeben  2);  fo  ba^  bemnad^  bie  @fepfi§,  bereu  fid^  and)  fein 
(Smpirifmug  nid;t  ganj  exme^vcn  fann,  fd^lieBIic^  bod;  mieber  in  einen 
unmittetbaren  S?ernunftgrauben  umfd^lägt. 

9^tod^  weiter  gcfjt  ^ erber  in  feinen  t^eologifdjen  unb  metap^ijfifd^en 
2lnfid)ten  über  ben  ©tanbpunft  beio  ©mpirifmuS  f)inaug.  Sie  ©cfpräd^e 
über  Spiuo3a^)  finb  ber  Slu^brucf  einer  2öe(tanfid;t,  bereu  §auptquette 
unuerfennbar  in  bem  leibnijifd^en  6i)ftem  liegt;  nur  baB  .^erber  einer> 
feitS  bie  präftabilirte  Harmonie  atter  SBefen  mit  einsr  realen  2ßec^fe(= 
lüirfuug  berfelben  üertaufd;t  f)at,  wie  bie§  ja  aud^  anbere  Seibni^ianer, 
unb  namentnd^  fein  Sef)rer  ^ant  (f.  0.  ©.  332.  334),  get^n  l^atten; 
unb  ba§  er  anbererjeitS  au§  ber  teibniäifd^eu  3Jletapf)r)fif  t)or3ugC^n)eifc 
bie  S3cftimmungen  fefttjält,  in  benen  fie  bem  ©pino^ifmu»  nät)er  tritt,  i 
Sie  ©ottljeit  ift  nad^  biefer  Sarftellung  bie  (Sine  eroige  IXrfraft,  welche 
uad)  ben  eroigen  ©efe^en  if)re§  Sßefenl  ha§^  SSoüfommenfte  benft,  roirft 
unb  ift.    Siefe  Urfraft,   in  ber  9)tad^t,  2öeiSf)eit  unb  @üte  ijereinigt 


1)  Qbecn  g.  ^;^^il.  b.  ÖJefd).  IV,  199  f.  „QJott"  224. 

2)  äJittah-itit  194  ff.  312  f.  55g(.  „®ott"  (SB.  2ß.  VIII,  219),  too  baS  ©afetn 
(öotteS  mit  bctn  ©(^luffe  bcwtefen  »rirb:  „e3  gtebt  eine  SJernunft,  eine  ^ev!nüpfung 
be§  jDcntbaren  in  bev  fflelt  nadj  unroanbolbaven  Siegeln,  mithin  muß  e§  einen  tot' 
fcntlic^en  ©runb  biefer  ^erfnüpfung  geben". 

3)  ®ott.  einige  ©cfpräc^e  übev  ®vinoaa'8  ©Aftern.  (1.  5luf(.  1787).  SB.  SB.  j. 
$lji(.  u.  (SJcfc^.  VIII,  93  ff. 


2:f)eolD9te  unb  2)^etap'^^ftf.  433 

finb,  ift  nid^t  auger  ber  2BeIt  unb  war  nid^t  vov  ber  SBcrt,  ha  bie  eroig 
roirfenbe  üraft  nie  ntügig  fein  fonnte.  Sie  offenbart  fic^  in  unenblidjen 
Gräften  auf  luunhli^e  Seife;  roaS  fie  ^eryorbringt,  ift  if)r  lebenbiger 
Slbbrucf,  bie  ganae  D^atur  ift  ein  ^ciä)  Icbenbiger  Gräfte,  in  bem  uid;t§ 
atteinftefit,  nid^tä  ofine  llrfa($e,  ntd)t§  of)ne  SBirfung,  nid;t§  o^nc  Dr^ 
ganifation  ift;  el  ift  in  ii)v  fein  2:ob,  fonbern  nur  ^Serroanbhing,  feine 
dln^e,  fein  ©tillftanb,  fein  58öfe§;  aud^  bie  ©d;ranfen  unb  ge§(er  ber 
©ef($öpfe  bleuen  ber  3So[Ifomntenf)eit  be0  ©anjen  unb  bem  gortfdjritt 
affer  i?räfte.  S)iefe  ©egenroart  ©otte0  in  ber  SSelt  foll  aber  feinem 
felbftberougten  3)eufen  unb  Söirfen  feinen  ©intrag  tl;un;  ^erber  fiubet 
roof)!  ben  53egriff  ber  ^erföuHd^feit  für  ©Ott  unangemeffen ,  aber  bag 
er  ba§  ^ödjfte  ©elbft,  bie  f)öd^fte  2Sei§()eit,  ©üte  unb  Siebe  fei,  fagt  er 
auf'g  beftimmtefte ;  unb  wenn  er  biejenigen  tabelt,  bie  nad;  ben  einzelnen 
2lbfid;ten  ©otte§  bei  ber  ©djöpfung  fragen,  ftatt  bie  innere  Statur  ber 
<Baä)^  uad;  uuroaubelbar  eroigen  ©efe^en  gu  erforfdjen,  fo  tritt  er  boc^ 
ber  teleologifdjen  3^aturaufi(^t  felbft  fo  wenig  entgegen,  baf3  bie  3roccf= 
fe^enbe  göttliche  2Sei§i)cit  uielme^r  eine  üon  ben  ©ruublagen  feiner 
ganjen  9'?atur=  unb  ©efd;id;t§betradjtung  bilbet  ^).  ßbenforoeit  entfernt 
er  fid;  oon  (Spiuo3a,  fo  wenig  er  bieg  aud;  9Sort  fiabeu  roitt,  burd^  bie 
58ebeutung,  roe[d;e  er  ber  i^nbioibualität  beilegt.  ©^  ift  einer  feiner 
SieblingSi'ä^e,  bag  jebeS  ©efd;öpf  feine  eigene  3Bett  fiabe,  unb  nur  fid^ 
felbft  gleid^  fei,  baB  biefe»  ^princip  ber  Qnbioibuation  jwar  nidjt  bei 
allen  SBefen  in  gleid^em  ©rab  wirffam  fei,  baB  aber  jebeg  um  fo  mel)r 
Snbiüibuum  fei,  je  mef)r  Seben  unb  2öirf(id;feit  e§  ^aW;  bag  bnl)cr 
gerabe  beim  3}lcnfc^cn  ber  tieffte  ©runb  be§  S)afeing  inbioibuell  fei, 
er  gerabe  am  wcnigften  al§  leere  ^afet  jur  2öett  fomme,  fonbern  üiet' 
met)r  aüc§,  wa§  er  wirb,  fd^on  al§  5?inb  im  Mm  in  fid^  trage  ^). 
S)iefe  53ebeutuug  be§  ©inaelbafeinS  fpri^t  fid;  aud^  in  bem  SCcrt^  au§, 
meldten  ^erber  neben  hem  gortwirfen  jebeS  3J?eufd;en  in  ber  ©efdjid;te 
auc^  ber  perfönlic^en  gortbauer  mö.)  hem  ^obe  beilegt.  S)en  ©lauben 
an  biefelbe  erflärt  er  einmal  für  etroaä,  wag  fic^  nid^t  bemonftriren 
laffe;  an  anberen  ©teilen  jebod^  beroeift  er  if)n  tl)eil§  metap^pftfd;  au§ 
bem  @a|e,  bag  feine  ^raft  nntergcfie,  tf)eil§  teleologifd^  au§  ber  3?ot^= 

1)  m.  togt.  hierüber  eincrfeitS:  @ott  184  f.,  anberetfeitS  ^been  3.  $I)iI.  b.  ®e|c& 
ni,  51.  77.  230.  IV,  188  f.  254  u.  a.  ®t. 

2)  aJom  (Srfennen  unb  empfinben  (S.  2Ö.  3.  ^tjU.  VIII)   54.  80.    ®ott  277  ff 
Sbcen  3.  ^^il.  b.  ®.  III,  95  f. 

3eIIer,  ®efc§i^te  ber  bcutft^cn  «JJ^itofop^te.  28 


434  §erbcr- 

raenbicjfett  einer  bercinftigen  33ol(eubuug  ber  mcu[dj(id}cn  ©eifte^entroirf; 
lung.  SDa  aber  jebe  ^raft  if)r  Drgaii  I;at,  foll  and)  bie  menj'd;li(j^e 
©eete  na^  bem  Slobe  eine  9ieif)e  neuer  Seibcr  unb  9Bof)nfi^e  bur^= 
raanbern  ^).  ^erber  fd;lie§t  fid;  I)ierin,  wie  in  feinem  ©otteSbcgriff  unb 
feiner  9taturanfid;t,  am  unmittotbavfteu  an  fieffing  unb  feine  Sluffaffung 
ber  teibnijifc^eu  ^^f)iIofop§ie  an. 

3n  bem  gleid;en  ©eifte  befjanbett  er  bie  ^f)iIofopf)ie  ber  ©e^ 
f(^id;te,  mit  ber  fein  n)iffenfd;aftUd;  bebeutenbfte»  SBerf  ^)  ftdj  befd;äftigt. 
^ie  leiteuben  ©ebaufen  feiner  ©efc^id;t§betradjtung  liegen  in  feinen 
3lu§einauberfe|ungen  über  bie  ©efel^mä^igfeit,  bie  ©igcnortigfeit  unb 
ben  gortfd^ritt  ber  gefd;id;t(id;en  (Sntroidlung.  ^m  @egenfa|  gu  benen, 
n)eld;e  in  ber  @efd}id;te  nur  iüiüfüfjrlid;e  .^anblungen  ber  3)ienfdjen,  unb 
baneben  oiedeic^t  noc^  eine  ebenfo  n)illfüf)rlid;e  Seitung  berfelbcn  burc^ 
bie  @ottt)eit  ju  fef)en  roiffen,  5eigt  .gerber,  bafi  fie  fid;,  wie  alie^,  au§ 
geraiffcn  natnrlid;en  $8ebingungen  nad;  unraanbelbaren  ©efe^en  ergebe; 
er  ücrfotgt  biefe  53ebingungen  h\§  3U  ben  fofmifd;en  SSerijältniffen  unb 
ben  geologifdjen  53ilbungen  unfereS  ^(aneten;  er  finbet  einen  §anpt= 
grunb  für  ben  i^or^ug  bcio  3Jienfd;en  vov  hen  3:{)ieren  in  ber  93efd;affen- 
^eit  feinet  Drganifmu§  unb  cor  adem  in  feiner  aufrcd;ten  ©tellung,  ben 
ftärfften  unb  unent6e(;r(id;ftcn  i^ebel  aller  ^ernunftentiuidlnug  unb 
Kultur  in  ber  Sprache,  bie  iJ)rerfeit^  gteid;faU§  in  erfter  9teii)e  üon  bem 
Sau  ber  ©prac^iüerf^euge  abfjänge.  ^n  feineu  3lnnaf)men  über  bie 
(Sntftel)ung  unb  bie  erfte  ©ntraidtung  unfereS  ©efdjled;i§  fc^lie^t  er  fid; 
an  bie  (Srää£)lung  ber  ©enefiS  an,  bie  er  für  bie  ältefte  Urfunbe  htS> 
3Jieufc§engefd;(ed;t§  ^ä(t,  bie  er  aber  natürlich  fefir  willfül^rdd;  umbeuten 
muß,  um  au5  bem  33h;tf)u§,  mcldjen  er  felbft  alio  fold;en  anerfennt,  bie 
©runb^üge  einer,  wie  er  meint,  gefdjidjtlidjen  tleberticfcrung  f)erau§äu= 
fetalen.  —  ©erabe  be^fjalb  aber,  roett  bie  ßntiuidiung  ber  a)ienfd;§eit 
eine  burd^auS  natürliche  ift,  ift  fie  aud;  eine  burdjauio  inbiüibucUe.  (S§ 
ift,  wie  ^erber  fagt-''),  ba§  ^auptgefel^  ber  ©efd;idjte,  „baf3  atteutljalben 


1)  SBom  ©rf.  u.  (Smpf.  91.  i^been  III,  203  ff.  196  f.  210.  J29.  12  f.  (Sott 
244.  252.     „lieber  bie  menfc^I.  Uufterbai^foit"  2Ö.  SB.  5.  ^t)tt.  VII,  79  ff. 

2)  ®te  20  söiic^et  ber  „^been  jur  '•:pt}t(oiop:^ie  ber  (Sefc^ic^te  ber  SUeufd^l^eit" 
(SB.  20.  5.  *?§.  u.  (SJ.  m.  III— VI)  ügl.  bie  ^Äbf)aHbru:ig :  „%ai)  eine  ^^I}ilofopt)te  b. 
®ejd)."  a.  a.  D.  II,  219  ff.  u.  bie  „mdt  tu  bie  .^utiinft  fui-  bie  2)ienfd)^cit"  ebb. 
Til,   Wb  ff. 

3)  3-been  12.  «.  6  Aap.  (V,  111). 


^^tfofop^te  bei-  (3t\djiäjie,  435 

auf  unferer  ©rbe  roerbe,  n)a§  auf  iftr  werbeu  fann,  t^ei(§  uad;  Sage 
unb  33ebürfniB  be§  Drt§,  tf)eil§  uac^  llmftänbm  unb  @e(egcu!)eiten  ber 
3eit,  tfieil»  uad;  bem  augeboruen  ober  ftd)  evseugeuben  (Ef)arafter  ber 
SSölfer";  uub  feiuen  aubeni  @a|  fd;ärft  er  fetneu  Seferu  einbringlic^er 
ein,  at§  beu,  ba^  jebe§  SSolf  uub  jebeS  3<^ita(ter  iu  feiner  Gißeutfiüm^ 
Ii(^!eit  ucrftauben  fein  wolle,  jebeS  in  feiner  2lrt  gut  fei  unb  ben  •^mcd 
feines  SafeinS  iu  fid;  fe(bft  trage.  Wit  biefem  Sat3c  tritt  er  jeuer 
©(eid^mac^erei  ber  Stufffärung,  bie  an  alle  gefdjidjttidjen  @rfd;einuugett 
nur  ben  9)taBftab  i()rer  eigenen  ^ilbung  au3u{egcu  roufjte,  im  ©eift 
eines  ßeibuij  uub  Seffing  entgegen.  —  ^u  i^rem  testen  ©rgebuiB  ftreBt 
jeboc^,  u)ie  bic§  ^erber  gcrabe  mit  beioubercm  9?ad;brud  f)err)orf)ebt,  bie 
gau3C  SJlanuigfaltigfeit  menfd;iid)er  ©ciftcSenttüicflung  Ginciu  unb  bem= 
felben  3ie(  ju.  S)ie  Silbuug  gur  Humanität  ift  bie  gro^c  2lufgabe 
jebeS  meufc^üdjeu  SebenS,  bie  genieiufanie  uatürüd^e  33eftinimung  uufereS 
©eid)(ec^tS.  2luf  biefeu  ^mcd  ift  uufere  gauje  9latur,  bie  leib(id;e,  raie 
bie  geiftige,  angelegt;  gu  feiner  @rreid;ung  finb  unS  alte  ^ülfs mittel 
gegeben;  bie  5IReufd;l)cit  burdjiuanbert  ba^er  uid;t  blo»  t)erfd;icbene  ^ul= 
turftufeu  iu  :uaud;crlei  SSeräuberungen,  foubern  fie  !ommt  aud;,  al§ 
^an^cä  betrad;tet,  tro^  aller  tljeiüüeifen  9tücffd;ritte  uub  Umraege,  auf 
ifirem  @ange  üoruiörtS,  uub  raie  aller  3uiammenl)ang  ber  Gräfte  unb 
formen  tu  ber  Söelt  gortfd;ritt  ift,  fo  muB  auc^  unter  ben  3)ienfd;eu  nad^ 
inneren  @efe|en  if)rer  9flatur  mit  ber  Zeitenfolge  bie  SSeruuuft  uub 
iöiHigfeit  me^r  ^lal^  gerainucn  unb  eine  bauerube  .^umauität  beförbem. 
©elbft  ber  SBiberftreit  unferer  Gräfte,  felbft  uufere  gel)ler  muffen  baju 
beitragen,  bie  5uuel)meube  §errfd;aft  ber  Humanität  l)erbei5ufü^ren,  unb 
^erber  tann  '\iä)  fo  raeuig,  als  Seffiug  unh  ^ant,  ber  Hoffnung  ent= 
fd)lagen,  ba^  bie  3JJenfdjl)eit  in  irgeub  einem  3eitpunft  biefeS  3^^^  ^^^^ 
erreidjen,  bie  3Jtaguetuabel  unferer  Scftrebuugeu  nad)  allen  Errungen 
uub  <S(^roaufungeu  ifireu  ^ol  fiubcu  raerbe. 

3Jtit  ber  .^umauitöt  fällt  für  ^erber  bie  ^Religion  ifirem  Sßefeu 
nad)  gufammeu.  S)ie  9ietigion  ift  bie  I)öd;fte  Humanität,  fie  ift  eS  aber 
aud^,  bie  ben  SSölfern  bie  erfte  Kultur  unb  Sßiffenfc^aft  bradjte;  baS 
religiöfe  ©efüljl  uufidjtbarer  Gräfte  ift  bie  Sebingung  jebeS  l)ö^eren 
SSernunftgebraud^S.  Sllle  9leligion  pflanzt  fid^  aber  urfprüuglid;  burd^ 
/Irabitiou,  uub  ba'^er  burd;  Symbole  fort;  raenu  bie  ^riefter  ben  ©inn 
ber  ©i;mbole  oerloreu,  raurben  fie  bie  S)iener  beS  SIberglaubenS.  gür 
bie  erfte  ®utftel)ung   ber  9ieligion  oerraeift  uuS  ^erber  neben  ber  ur» 

28* 


436  §erbcr. 

fprünglic^en  Slnlage  be§  SJZeufcfjen  auf  eine  göttlidje  Grjiefiung,  von  ber 
er  mx§>  abcv  freilid)  nic^t  fagt,  wie  wir  [ie  m\§>  näljer  ju  benfen  fjaben. 
^e  f)öf)er  eine  9leligion  ftef)t,  um  fo  au?^f(f;(ie^(irfjer  ge§t  fie  in  ber 
Humanität  auf:  bie  Sicligion  6§rifti  war  nad;  §evber,  welc^^er  fid;  Ijierin 
ganj  an  Scffing  anic^Ue^t,  nid;t§  anberei3  uub  wollte  nidjts  anbereS 
fein,  al§  bie  äd;tefte  Humanität;  wenn  fie  and;  im  Sauf  ber  3^^^ 
gri)&tent§eil!o  gu  einer  „9ieligion  an  (5f;riftu§",  einer  „gebanfeniofen 
Slnbetung  feiner  ^erfou  unb  feine»  JlreujeS'',  geworben  ift.  STiefe  auf 
jene  äurüd^ufü^ren,  Don  ber  pofitiuen  9ie(igion  auf  bie  9leligion,  üon 
bem  53efonberen  auf  ba§  aflgemein  9}lenfd;(ic^e,  yon  beni  S)ogma  auf 
bie  (£ittiid;feit  jurüd^ugelien,  ift  bie  Stufgabe,  weld)e  ^erber  aud)  in 
feinen  tt)eofogifdjen  Strbeiten  mit  allen  ilräften  üerfoigt  ^at  ^).  3Benn 
er  aber  i)icbei  ber  d;rift(id)en  Siorjeit  nid;t  immer  gerecht  wirb,  unb 
bem  @runbfa|,  jebe  ©rfd;cinung  in  iJjrer  Gigent{)ümlid)feit  gu  würbigen, 
6ei  it)r  nic^t  treu  bleibt,  wenn  er  ba»  bibiifdje  (Ef)riftent^um  burc^  Um-- 
beutung  mobernifirt  unb  für  ba§  mitteialterlidje  fein  red;te§  SSerftänbni§ 
^at,  fo  fann  un§  bieB  um  fo  weniger  überrafdjcn,  ba  er  f)ierin  tfieilS 
nur  ber  allgemeinen  S^enl'weife  feiner  ^eit  folgt,  t^eilS  audj  al§  2l)eolog 
boc^  nid^t  frei  genug  ift,  um  gU  einer  burd;au:3  unbefangenen  2tuf= 
faffung  ber  pofitioen  Sf^eligion  3U  gelangen. 

©ine  eigene  au§fü!l)rlid;e  llnterfudjung  ^at  §erber  in  feiner  „^aUU 
gone"  (1800)  ber  53etrad;tung  bc§  ©i^öncn  gewibmet.  Gr  tritt  in 
biefer  ©c^rift  i^ant'S  Äritif  ber  IXrt^eil^fraft  in  äl;nli(^er  SSeife  ent= 
gegen,  wie  in  feiner  „9}Ietafriti!"  ber  Jlritif  ber  reinen  SSernunft.  ^d; 
fann  jebod^  f)ier  auf  biefe  Erörterungen  um  fo  weniger  eingeben,  ba 
ber  ©runbmangel  be§  §erber'fd;cn  ^t)ilofopl)ircn§,  ba^  bie  ©rgebniffe 
burd^  fein  ftrenge§  wiffenfd;aftlid;e§  Serfal)ren  gewonnen,  bie  einjelnen, 
oft  gauä  treffenben  ^eobad;tungen  unb  ©cbanfen  burd;  feine  feften 
^rincipien  üerfnüpft  gu  fein  pffegen,  in  if)nen  befonber»  ftörenb  ^er= 
oortritt. 

3.  iJortfcijung,     ^acobt, 

SBö^renb  in  §erber'§  üielfeitiger  Xljötigfeit  bie  pl)ilofopl)if(j^e  %ox- 
f($ung  nur  bie  jweite  ober  britte  ©teile  einnimmt,  bilbet  fie  für  griebric^ 


1)  2«.  ügl.  ^ieju:  ^bcen  -4.  «.  6.  ^ap.    9.  33.  5.  Aap.    10.  33.  6.  Aap.  g.  <S. 
17.  53.  ehil.  u.  oben   :.  305  ff. 


I. 


Sacobt.  437 

^einrid^  i^acobi  ben  3}?ltte(punft,  um  ben  fein  ganseS  S)en!en  fi(| 
beraegt.  dm  ©djulpfiilofop^  ift  freitid)  ou(^  er  nicf;t,  iinb  fdjon  fein 
SilbungSgang  niib  feine  SebenSfteHung  roaren  ganj  baju  angetfjcm,  il^n 
an  eine  freiere  Scljanblung  ber  n)iffenfd;aftltc^en  ^-ragcn  5U  gcmöfjnen. 
^n  ®üffe(borf  geboren  (25.  ^an.  1743),  ber  @of)n  eines  5laufmann§, 
^atte  er  ficf;  gletdjfallg  bem  ^onblungÄftanb  geraibmet;  feine  pf}i(ofoplji= 
fd^en  ©tnbien  mad)te  er  raäfirenb  eineS  me^rjäl)rigcn  S(nfent()a(t§  in 
©enf,  übernahm  bann  ba»  ©efdjäft  feine§  SSaterS,  nnb  I)ierauf  eine 
9?ati)0ftette  in  ber  |)offaniiner.  ©rft  in  feinen  fpätercn  3fil)^-"en  trat  er 
in  eine  geteljrte  ^Korporation  ein,  inbcm  er  1804  nac^  33iündjen  gieng 
unb  5ßräfibent  ber  Slfabemie  würbe;  f)kx  ftarb  er  ben  10.  Wiär^  1819. 
S)ie  ^efdjäftigung  mit  ber  SBiffenfdjaft  mar  für  if)n  Sa($e  ber  freien 
9^eigung,  unb  in  biefem  Sinn  ()at  er  fie  auc^  burdjauS  befjanbclt.  ©r 
fud;t  eine  IXeber^eugung,  bie  feinen  pcrfönlidjen  53ebürfniffcn  33efriebigung 
gemäf)rt,  eine  Sßeltanfidjt ,  bie  ber  angemeffene  SluSbrud  feiner  3n= 
bit)ibua(ität  ift.  ©r  p{)iIofop^irt  sunädjft  für  fid;  unb  feine  g-reunbe, 
bie  SBirffamfeit  be§  £eJ)rer§  unb  bc§  €d;riftfteller§  bleibt  babci  an§er 
9fted;nung;  er  fann  c§>  fic^  bafier  anä)  erfparen,  jn  ber  3eitp()ilofopif)ic 
t)on  2lnfang  an  eine  beftimmte  Stellung  gu  nel^men,  gu  einer  i^rer 
<S(^n(en  in  ha§>  S3erf)ältni§  eines  an§gefprod;cnen  2ln(;änger§  ober  @eg= 
ner§  3U  treten.  2lber  bod;  nennt  er  fclbft  fid;  (35>.  SB.  III,  312)  einen 
5p^i(ofopf)en  bergeftalt  t)on  ^rofeffion,  ba^  er  im  ©ruube  nie  eine  anbere 
roeber  red^t  getrieben  nod;  vcrftanbcn  fiabe.  £er  S;rieb  nad;  p^ifofopljifdjer 
®r!enntniB  mar  in  il^m  fd;ün  früf)e  fcl;r  enti'd;ieben  nnb  (cbenbig.  Sdjon 
al§>  ünabe  f)atte  er  über  bie  Strogen,  meiere  i!)m  and;  in  ber  gofge  uor 
allem  am  ^erjen  lagen,  mit  angeftrcngtem  9iad;bcnfen  unb  tiefer  innere 
ti(^er  ©rregnng  gegrübelt;  namentlid;  boS  Problem  ber  XInftcrblid;feit 
t)atte  il)n  bejdjäftigt,  unb  er  fiatte  meber  ben  ©ebanfen  ber  2>ernid;tung, 
noc^  ben  ber  ©migfeit  unb  ber  enblofen  ^ortbaner  ertragen  fönnen. 
^n  ©enf  lernte  er  ben  fran3Öfifc^cn  ©enfualifmuS  unb  SJlatcriaüfmuS, 
ben  erfteren  befonberS  burc^  93onnet  (f.  0.  ©.  250),  näfier  fenncn;  unb 
fo  entfdjieben  biefe  2lnfid;ten  feinem  innerften  SBefen  miberftredtcn  ,  fo 
fd;eint  er  fid;  bod;  fd;on  hamal§>  übcrjeugt  3U  l^aben,  ha^  fie  fic^  auf 
bem  2Sege  ber  n)iffenfdjaftnd;en  ^emcisfülirung  nid;t  miberlegcn  laffen. 
^n  groei  fantifdjen  Sd;riften  ^),    bie  einen   großen  ©inbrud   auf  ilm 

1)  S)te  ©.  334  u.  336  befprod^cnon:    „über  bie  SiMbenj"   luib   „eingtg  moglid^er 
^öetDeilgrunb". 


438  ^acobt. 

ma6)icn,  fanb  er  tüeltcre  2luf[d;Iü)fe  barüber,  roc^fjalb  bie  tü{($ttgften 
9Baf)rf)eiten  [id;  ftrenggenommen  nidjt  erraeifen  (äffen;  unb  ba§  «Stubium 
6pino3a'g  üollcnbete  feine  2Infid;t  t)on  bem  nnan§6leiblid)en  ®rgcbniB 
aUa  Segriff§p()iIofopl^ie.  ©r  felbft  ift  bei  feinem  ^{)ilofopf)irett  burc^ang 
üon  bem  ^ntereffe  geleitet,  bie  Hekr^engnngcn  gn  retten,  bie  ein  ^erjenSs 
bebürfnil  für  it)n  finb.  (Sine§  rein  logifdjen  ©ntf)ufiafmn§ ,  erflävt  er, 
fei  er  nid^t  fä!)ig;  alle§  fein  ®id)ten  unb  ^rad;ten  fei  üon  2lnfang  an 
baf)in  gegangen,  bie  ()öl^ere  Siebe  gu  redjtfertigen ,  bie  er  in  fid)  trug, 
über  bie  iljm  eingeborene  Stnbadjt  gu  einem  nnbefannten  ©Ott  gn  SSer^ 
ftanbe  gu  fommen,  f)infi(^tlid;  ber  befferen  ©rroartungen  be§  9}ienfdjen, 
jur  ©ewi|3^eit  gu  gelangen.  S)iefe§  3«^ercffe  mu{3te  fid;  fomol^t  burd^ 
ben  ©pino5ifmn§  al§  bnrc^  ben  9}kteriatifmn§  auf'g  tieffte  rerle^t 
finben;  aber  and^  bie  beutfd;e  ^ptjilofopfiie  jener  3eit  gemäf)rte  i^m  feine 
SBefriebignng:  ni($t  bIo§  meil  er  in  if)ren  33en}eifen  bebenfüdje  ßüden 
n)af)rnal^m,  fonbcrn  and^  weil  if)r  gangem  SSerfa(;ren  feiner  ^atux  wiber^ 
ftrebte.  ©ie  operirte  mit  abftraften  S3egriffcn,  er  verlangte  lebenbige 
Slnfd^anung;  er  fonnte  fid;,  toie  er  fclbft  fagt,  mit  feinem  53egviff  be- 
(jctfen,  beffen  ©egenftanb  if)m  nid;t  onfd;au(id;  mürbe  burd;  ©mpfinbnng 
ober  burd;  @cfüf)I.  ©o  fe^r  if)m  baf)er  and;  bie  ©rgebniffe  ber  2luf= 
f(ärung§pf)iIofopf)ie  im  ganzen  gufagten,  fo  menig  mu^te  er  fid;  bod; 
mit  ber  Strt  gu  befrcunben,  mie  fic  gemonnen  maren  unb  behauptet 
würben.  2Ba§  bie  2luff(ärung  unroiberleglidj  beroiefen  gu  fiaben  meinte, 
ba§  f)ält  er  für  unbcroei§bar;  voa§'  fie  burd;  ©eutlid^feit  ber  ^Begriffe 
erreidjen  raoilte,  ba0  war  if)m  eine  ^aä)e  be0  unmittelbaren  ©efüf)l!o, 
ber  inneren  ßrfaljrung;  wenn  fte  bie  gcfunbe  SSernunft  für  fic^  allein 
in  Stnfprud;  naf)m,  alle§  S^enfen  unb  ^anbeln  ber  3}tcnfd;en  in  (Sine 
unb  biefelbe  gorm  bringen  woHte,  fo  f)ielt  er  biefem  S^efpotifmuS  ba§ 
Stecht  ber  eigenen  Ueberjeugung ,  ber  inbiuibucHen  j^reif)eit  entgegen  ^). 
©clbft  einem  fieffing  ftanb  er  lange  nid;t  fo  nal^e,  al§  e§  naä)  mand;cn 
Serüf)rung§punften  fd;cinen  fönute;  unb  ber  tieffte  @egenfat5  gwifdjen 
beiben  (ag  weniger  in  bem,  worauf  S^cobi  fclbft  ha§>  gröjjte  Oewic^t 
legte,  in  Seffing'5  „©pino^ifmuß"  (f.  o.  ©.  298  f.),  aB  in  ber  ganzen 
©eiflegart  unb  53i(bung§form  ber  beiben  3}tänner.    Seffing  ift  e§  burc^- 


1)  2«.  »gl.  ju  bem  üDvfle{)ciii)cn  :  ^acotrs  Sßevfe  I,  XI.  II,  178  ff.  III,  14. 
IV,  a,  XVI.  48  f.  1),  G7.  H,  491.  V,  90  f.  I,  73.  güv  ^acobi'ä  S^erljättni^  jn 
i'effing  ift  ba§  betanir.e  (55cfpväci;  SB.  'S.  IV,  a,  50  fj.,  namentlich  ©.  71,  fc^v  bi- 
getc^nenb. 


aStttelbareS  unb  unmUtcIbarcS  Siffen.  439 

ou§  lim  fdjarfe  unb  Iieftimmte  Scgriffe  ju  t{)un,  er  fjat  no($  ba§  roHe 
S3ertrauen  ^um  Senfen,  itub  er  ift  barin  ber  äd;te  2öortfüf)rer  ber 
beutfdjcn  2luff(ärunct;  ^acoU  oppellirt  üom  S^^enFen  on  ba§  @efü{)I, 
er  üerfid^t  ha§>  ?fieä)t  be§  .^erjenS  gegen  ben  SSerftanb,  bie  @elbftf)err- 
lid^feit  be§  ^^^'^^^^i'^uiiw^  Ö^gen  ba§  ."perFontmen  unb  bie  l^err^djcnben 
fitttidjen  ^Begriffe ;  rcaS  i^n  über  bie  S)urd;f(^nitt§bilbung  ber  Stuf- 
flörung  unb  bie  „%lad)))e\t  be§  gefunben  äJienfc^enüerftanbeS"  F)inQU§= 
füf)ren  fott,  ift  nidjt  eine  tiefere  rciffenfdjaftlii^e  gorfd;ung,  foubern  ber 
Slbet  ber  f(^önen  ©eete,  bie  urfprüngttt^e  Begabung  ber  ibcalen,  gu 
einem  f)öf)eren  @eifte§(cben  beftinnuteu  D^aturen.  ;^acobi  fann  in[ofern 
als  ber  pf)ifofopf)if(^e  SSertreter  ber  ©turm=  unb  S)rangperiobe  unb  al§ 
ein  SSorläufer  ber  romantifd)en  Sdiule  betrad^tet  rcerbcn;  r)on  bicfer 
unterfd;cibet  i§n  aUerbing?  [d;on  feine  nta^fialtenbe  ^efonnenfieit,  fein 
SBiberroide  gegen  alle  pantljeiftifc^en  3Infdjauungen  unb  bie  91einf)eit 
feiner  fittlidjen  ©rnubfä^e  jur  ©enüge. 

S)er  SOlittcIpunÜ,  um  ben  fic^  ^acobi'§  gan^e  $f)i(ofop^ie  bvc^t/ 
liegt  in  bem  ®egenfa|  bc§  mittelbaren  unb  be§  unmittelbaren  2Kif)en§. 
S)a§  rermittctte  SSiffen,  ba§  Gr!cnnen  burd;  S3cgriff  unb  S3emciÄfüf)rung, 
ift,  mie  er  glaubt,  nur  auf  einem  bcftimmten  unb  befd;ränftcn  ©ebiet 
juläffig;  fobatb  e§  bagcgen  weiter  au§gebct)nt  wirb,  fü^rt  e§  jur  33er* 
Nennung  ber  mid^tigften  unb  unentbetjrlidjften  2Bat)rf)eiten ,  ^um  2ltl)eif= 
mu§,  gum  3Jtateria(i)mu§,  jum  6pino-iifmu§,  jum  ^beatifmuS.  Sßir 
begreifen  eine  ^a<5.)c,  mcun  mir  il)re  unmittelbaren  58cbiuguugcn  ber 
9fletf)e  nad;  eiufefieu;  mir  bemei[en  ctmaS,  menn  mir  e§  au§  feinen  Se= 
bingungen  ableiten,  begreifen  fönnen  mir  batier  nur  baSjenige,  wa§> 
mir  gu  couftruiren,  rüa§>  mir  in  unfern  ©ebanfen  unb  unter  Hmftänben 
au(^  in  ber  2öir!(idj!eit  J^eroor^ubringen  im  ©taube  finb;  beroeifcn  nur 
bagjenige,  ma§  fid;  au§  feinen  ^Bcbingungcn  ableiten  (ä^t;  ha§>  Ihibe- 
bingte  bagegen  unb  basijenige,  beffcn  S3cbinguugen  m\§  unbcfaunt 
finb,  tonnen  mir  meber  begreifen  no(^  beroeifen.  ©obatb  man  haijct 
ben  SSerfud^  mad^t,  aUeS  gu  begreifen  unb  ju  beroeifen,  fo  mu^  man 
atteg  §n  einem  bebingten,  au§  gemiffen  Ur [adieu  mit  3^ot{)roeubigfeit 
§eroorget)enben  madjen;  man  muB  bie  ganje  SSelt  in  einen  9^atur= 
med^auifmuS  rerroanbetn,  jebeS  llnbebingte  über  unb  in  ber  2öe(t,  @ott 
unb  bie  greiljeit  läuguen;  unb  menn  man  unter  ber  SBiffenfdjaft  eine 
tjollftänbige  ©rüärung  ber  S)inge  au§  itireu  Urfad^en  üerftet)t,  fo  ift 
nad^  Socobi  ju  fagen:    e§  fei  ha§  :3iiterefje  ber  aSiffeuid;aft ,   baB   fein 


440  3aco6t. 

©Ott  fei.  —  S)en  augenfdjeinlid^ften  33einei§  für  bicfen  ©adjuerfialt 
tjlaiibte  ^acobi  in  ber  Seljre  ©pino3a'§  gu  finbcu,  wefrfje  er  feiner  3cit 
nad;  langer  33evnad;{äf3igung  gnerft  tuieber  in'^  @ebäd;tnif3  äurücfcjernfen, 
unb  xodd)c  tro^  niand;er  erf)ebli(^en  3Jii§griffe,  an  bencn  and^  feine 
Stnffaffung  (eibct,  bod;  unter  ben  bamaligen  @e(e()rten  feiner,  anfeer 
Seffing,  fo  genau  unb  fo  ridjtig  uerftanben  I;at  ^).  ©pino^a'S  S>e(tanfic^t 
war  if)m  ba§  SJtufterbilb  einer  folgerid;tigen  9Serftanbe§pIjilofopI)ie;  beim 
Spinojifmuö  langt,  luie  er  glaubt,  alle  SDemonftration  an,  fobalb  fie 
auf  il)reni  2Bege  unbeirrt  fortgcl)t,  beun  erft  in  il)m  l)at  man  ein  au§ 
ßincni  ^rincip  abgeleitete^ ,  in  fid;  üollenbete§,  aUc§>  ßrfennbare  um; 
faffcnbeg  (Sijftcm;  and;  bie  leibni5ifd;e  ^l)ilofopl)ie  mit  il;rem  Seter- 
minifmuS  füljrt  am  (Snbe  gum  Spino^ifmuS  jurüd.  S^er  ©pino^ifmuS 
ift  aber,  tro^  ber  perföuli(^en  griimmigfeit  tuib  ber  pl)ifofopl)ifdjen  ©rö^e 
feines  Url)cber§,  2ltl^ei]mu§;  bcnn  er  läugnet  bie  perfönlidje  au^erraelt^ 
Iid;e  ©ott^eit,  fein  ©ott  ift  bie  (Subftanj  ber  Söelt  felbft,  unb  fonft  nic^tg. 
SDer  <2pino3ifmu§  ift  3}iateriaUfmug ;  baS  au§gebel)nte  SBefcn  ift  i^m 
ba§  eigentUdj  9ieale,  ha§>  benlenbe  SSefen  bagegen  Ijat  tro|  feiner  an=: 
geblidjcn  Uuab^ängigleit  x)on  bem  auSgebelmten  nur  an  il)m  ben  @e; 
genftanb  feinet  93orfteIlen§;  unb  infofern  bc^eid^net  ^acoU  and;  mol)l 
ftatt  bcS  (Spino3ifmu§  ben  äRaterialifmuS  al§  ha^  le|te  @rgebnif3  ber 
3Serftaube§p(jilofopl)ie.  ^lim  erfdjeint  ber  Itnterfdjieb  biefer  ©ijfteme 
ganj  nnerljebUd):  gel)t  man  einmal  überljaupt  barauf  au§,  bie  le|ten 
©rünbe  ber  S)inge  gu  begreifen  unb  ju  beioeifen,  fo  lann  man,  mie  er 
glaubt,  nie  über  ha§>  ^ebingte,  über  einen  bltnben  Sftaturmedjanifmu^, 
eine  fataliftifd;e  Df^otliiocnbigfeit  l)inau§fommen,  unb  nur  ^nconfequenj 
ift  e§,  menn  man  yor  bem  unüermcibtid;en  3lbfd;luB  bicfeS  (Si)ftem§, 
vox  bem  33taterialifmu§  unb  2ltl)eifmui§  ftel^en  bleibt  ^). 

^]t  aber  biefeS  ba§  (ETgebnif3  aüer  SBegripp^ilofopl)ie,  fo  ift  eben; 
bamit,  nad;  i^QCobi,  unroiberfpred;lid;  beroiefen,  ba^  e§>  neben  bem  ©enfen  ; 
uod;  eine  anbcre  urfprünglid;cre  3trt  ber  Heberseugung  geben  mufj,  ha^ 
allem  vermittelten  Söifien  haS^  unmittelbare  al§  feine  9Iorm  unb  Se? 
bingung  uorangcl)t.  Ser  ^wed  aller  gorfdjuiig  ift  ©rfcnntniB  be§ 
2öirftidjen,  fie  füll  „S;afein  eutl)ütlen  unb  offenbaren."  Xa§>  SSirf'lidje 
evfenncn  mir  aber  nur   inbem  mir  e§>  aU  ein  t^atfädjlid;  oorljanbeneS 


i;  iügl.  I^terübci-  auc^  ©.  298.  282. 

2)  SÖerte  11,  19  f.   III,  20  f.    351.  384.  11.  45  f.    431.    IT,    a,    216-    69.    b, 
148  f.  225.  245  u.  a.  St. 


SKittelborcS  unb  unmittelbares  SBtffen.  441 

t)orfinben  unb  in  urnl  oufne^men,  nur  burd;  9Ieceptbität ,  nidjt  burd) 
(Spontaneität,    ^n  unferer  geiftigen  Spontaneität,  unferer  3]erftanbe§= 
tf)ätitjfeit,  nnferem  mittelbaren  ©rfennen,  fommen  wir  nie  über  bie  3^^"- 
gliebcrung  unb  S^erfnüpfung  eine§  gegebenen  SiorfteüungSin^alt»  ^inau§; 
fein  f)ödjfte§  @efe^  ift  ber  ©a|  ber  ^bentität,  fein  33erfa{)ren  bie  (gr= 
ilärung  eine§  Begriffs  burd;  anbere  gleic^bcbeutenbe ;  in  ben  erften  53efi^ 
icneS  3i^f)^t^^   f<^^ß^i  ^^i  ^^-^  "W^  ^iii"^^   ß"^  unmittelbares  ©rfenncu. 
i^acobi  bebient   fid;   für   biefeiS    unmittelbare  SSiffen  rerfdjiebener  ^e^ 
geidjnungen:  er  nennt  e0  ©laube,  ©inn,  2lnfc§auung,  @efüt)(,  Sl^nung, 
©mpfinbung,  aud;  roofil  Eingebung;  unb  er  Behauptet  bemgcmä^,  ba^ 
man  nie  met)r  ^Serftanb  aU  Sinn  ^abc,  ba^  uu»  nii^t  allein  über  aüe 
eroige  Sßa^rlieiten,  über  ba§  ©afein  @ottc»,  bie  ^^rei^eit,  bie  Unfterb= 
lid;!eit,  fonbern  and;  über  unferen  eigenen  lörper  unb  über  bie  Gyifteuj 
anberer  J?örper  unb  benfenber  Söefen  au§er  un§  nur  ber  ©laube  uuter= 
ri(^te.    ^M  ber  ^^olge  nalim  er  bie  fantifc^e  Unterfdjeibung   beS  2?er= 
ftanbeS  unb  ber  ^ßernunft  an,  meldje  er  in  feinen  frül)eren  Sd;riften 
at»  gleid;bcbeiitenb   belianbelt  i)atu,  cerftaub  unter  ber  5>ernunft  ha^^ 
©laubeuioyerinögcn,  miefern  e§  fic^  auf  geiftige  unb  gi3ttlid;e  5)inge  he- 
jie^t,  ha^i  5?ermögen  einer  unmittelbaren  ßr!enntni{3  beS  Unbebingteu, 
unb  madjte  nun  feinerfeitS  Jlant  ben  S^ortuurf,   ba{3   er  bie  SSernunft 
mit  bem  33erftanb  üerraed)felt  fiabe.    liefet  fa^t  er  bal)er  feine  Slufidjt 
in  bem  Sa|e  gufammen:   Sinn  unb  ^^ernunft  feien  bie  ^roei  eiuoigen 
eigentlidjcn  @r!enntni§quellen;  feine  üon  i^nen  laffe  fid;  an§:  ber  anberen 
ableiten ;  aber  beibe  ftefien  ju  bem  33erftanbe  in  bem  gleidjen  Sierljältni^. 
S)er  finnlidjen  Slnfdjanung  entgegen  gelte  feine  S)emonftration,  ba  jebeS 
S^emonftriren  nur  ein  3unidfül)ren  be§  Scgrip  auf  bie  i^n  ben}äl)renbe 
SInfdjauung  fei;  unb   ebenfo   gelte  anä)  feine  S)emonftration  miber  bie 
SSernunftanfdjauung,  meldte  unS  bie  SSirflic^feit  unb  2ßal)rl;eit  be§  tleber= 
natürlidjen  geroi^   mad;e.    S)ie  Sßirfung   beS  @egenftanbe§  auf  unfere 
2lnfd;auung,  burd;  bie  er  un§  fein  Safein  3U  erfennen  giebt,  nennt  er 
Dffeubarung;   er  benft  aber  l^iebei  nid^t  bloS  an  feine  pofitiue  Offen- 
barung Don   ©laubenSfä^en,  fonbern  er  befd;ränft  biefen  Segriff  aud; 
überl)aupt  nid;t   auf   bie  3Jlittf)eitung  f)öljerer   S©af)r§eiten:   wenn    wir 
glauben,  ba§  wir  einen  Körper  i^aben  unb  ba^  eS  Körper  au^er  unä 
giebt,   fo  ift  bie§  nac^  ^acobi  gleid;fall§  „eine  waf)rl)afte,  wunberbare 
Offenbarung/'    2(lle§  reale  2öiffen  erl^alten  wir,  wie  er  glaubt,  nur  ta- 
burd;,  bafä  wir  ein  Sein  als  foId^eS  anerfennen,  e§  als  2:§atfac^e  auf 


442  ^acobl 

uns  lüirfen  loffen;  unfer  Serftanb  fann  n)o!)t  ben  ^u^alt,  ben  wir  fo 
gcTOonuen  fialien,  in  eine  anbere  ?^orm  gießen,  aber  er  fann  un§  für 
fid;  allein  feinen  neuen  S3orftet[nng§inf)alt  nerf (Raffen  ^). 

93tit  biefcn  SInndjten  trat  nun  ^acobi  nic^t  allein  bem  n)oIffif(^en 
S)ogntatifniu§  unb  ber  auf  if)nr  Iierufienben  2luffIärung§pf)iIofopl^ie  ent^ 
gegen,  ranfjrenb  er  bo(^  gugleic^  hnvä)  ben  ©runbfa^  be§  unntittellmren 
SBiffen§  mit  bor  (elfteren  unb  ifirem  „gefunben  3Jlenfd;ennerftanb"  fid^ 
Berülirte;  fonbcrn  er  naf)m  aud^  ^ant  gegenüber  eine  eigentljümlii^e 
©telfnng  ein.  ©§  war  ganj  nad^  feinem  ©inn,  wenn  l?ant  bie  2Biffen= 
fd;aft  auf  bie  ©rfafirung  befd^ränfte,  menn  er  geigte,  ba§  unfer  S)en!en 
allen  feinen  ^n^alt  ber  2Qaf)rueI)mung  rerbanfe  unb  über  ba§,  ma§ 
bie  @rfa!)rnng  überfc^reitet,  fc^ted)terbing§  nid^tS  ou§fagen  fönne;  er 
rüljmt  if)n  aU  einen  ^erhileS  unter  ben  5Denfern,  ai§>  ben  grofsen  ^e- 
formator  ber  ^f)itofopr)ie,  meld^er  ben  SCraum  be§  9tationa(ifmu§  ger^ 
ftört  unb  auf  ba§  bünbigfte  beraiefen  ifiabe,  ba^  ber  SScrftanb,  a(§  ein 
nur  ^Begriffe  bilbenbeS,  nur  über  bie  ©innenroelt  unb  fid^  felbft  ref(efti= 
renbeS  Vermögen,  raenn  er  über  ba§  ©ebiet  ber  ©innlid)feit  ]^inau§= 
greife,  bIo§  in'§  Seere,  nad;  feinem  eigenen  6djatten  greifen  fijnne.  (Sr 
felbft  f)at  bie  lTeber3eugung  von  bem  "Uuäureidjenbcn  aller  bloßen  Se^ 
grippl)ilofopl)ie,  bie  er  im  allgemeinen  and;  fd;on  cor  J^ant'S  epod^e= 
madjcnbent  2luftrcten  gewonnen  fiatte,  bod;  unoerfennbar  erft  unter 
feinem  @inf[uf3  3U  feiner  fpäteren  Sl^eorie  entraidelt.  ^uä)  in  Baut'S 
SSernunftglaubcn  erfcnnt  er  bie  33ermonbtfd;aft  mit  feiner  eigenen  S^en!= 
weife:  er  fiubet  bcnfelben  ebenfo  wal^r  aU  ergaben,  unb  redjuet  c§>  Üant 
jum  größten  SSerbienft  an,  baB  er  burd^  2tufl)ebung  be§  SöiffenS  im 
gelbe  be§  IXcberf^nnlidjcn  einem  unantaftbaren  ©lauben  5ptal^  gemad^t 
"i^abe.  SIber  mit  bem  fantifd;en  i?riticifmu§  al§  folt^em  fonnte  er  fid^ 
tro^bem  bod;  unmögtid;  befreunben.  2Benn  ^ant  bre  Slufscnwelt  gu 
einem  bloßen  S^iug^an^id^  mad^tc,  fo  erfannte  ^acobi  l)ierin  fdjon  frül)e 
bie  Gonfcqucnj  bc§  ^bcalifmuS,  unb  er  rülimte  beB^alb  in  ber  golge 
gid;te  al§  ben  SSoKenber  ber  fantifdjen  5pi)itofopf)te,  ber  un§  üon  ber 
tlnwiffenl)eit  unb  SlnmaBung  ber  3Jietapl)i)fiE   erft  uon  ©runb   au§^  be= 


1)  ^acobi  feftt  biefc  ?(n[ic^ten,  tüetdje  ben  ^ern  feiner  pljilofopl^ifd^cn  lleberjeu« 
gungen  enthalten,  an  üielcn  ©teßcn  auScinauber,  fo  namentlich  in  ber  (Jinteitung  ju 
„SbealifnmS  unb  gicalifmuS"  2B.  2B.  II,  1  ff.  3.  33.  ©.  11  f.  19  f.  55.  58  f.  105. 
SBeiter  ügl.  m.  II,  226.  270.  283  f.  485.  III,  32.  220  f.  294.  316  f.  411.  453.  IV, 
a,  72.  210  f.  b,  155. 


©teüung  gu  .^ant.  443 

freit  ^abe ;  itnb  ha  nun  t)on  ben  mögtidjen  ^raei  formen  ber  58egrip= 
pf)iIo[opI;te,  3Jiaterialifmit§  unb  3^^Qti[ntn§ ,  ber  (entere  überl^anpt  bie 
confequentere  nnb  btejenige  fei,  in  raeMje  ber  3}lateria(ifmu§  fd;lie^li(^ 
übergebe,  fo  erflärte  er:  eine  reine,  burd;au§  immanente  ^fiilofopl^ie,  eine 
5pf)i(ofopt)ie  an§  ©inem  ©tüd  fei  onf  bie  ficijtefdje  SBeife  allein  möglich ; 
mocjegen  er  in  @d;etting§  „^beal=9J?ateria[ifmu§"  nur  einen  S^üdfall  in 
@pino3a'0  pantt)eiftifd;en  9^aturalifmn§  gu  fcfien  tüu^te.  3lber  gerabe 
in  biefer  ßonfequen^  be§  fantifd;en  Äriticifmu^  fommt,  n)ie  er  glaubt, 
fein  ®runbirrt!^um  jum  SSorfdjein.  S)er  :3'5eatifmu§  ift  S^i^ilifmnS;  er 
oerffüdjtigt  jebe  obje!tiüe  9?ea(ität  in  einen  fubjcftiüen  ©djein,  jeben 
3nf)alt  in  leere  35orfter(ung§formen,  er  jerftört  alle  25al)rljeit  unb  vex= 
lüanbelt  aUeS  unfer  ©rfennen  in  ein  giellofcg  Spiel  be§  ^ä)  mit  fid^ 
feI6ft.  %üv  biefeS  negatiüe  SrgeBni^,  in  meiere»  bie  J?rittf  ber  reinen 
SSernunft  ausläuft,  foüen  nn§  nun  bie  praftifdjen  S[>crnunftibeen,  — 
©Ott,  ^reifieit  unb  llnfterblid;feit  —  einen  ©rfal^  Meten.  3lkr  wie  ift 
e§  mi^glic^,  fragt  Qacobi,  an  bie  Steatität  biefer  ^been  gu  glauben, 
wenn  wir  un§  erft  üom  .^riticifmu§  f)aben  überjcngen  laffen,  ha^  bie^ 
felben  üon  un§  felbft  gebilbet  finb,  bap  wir  fie  uu§  nur  wei^mad;en, 
ja  baB  fie  gerabe5u  unbeufbar  finb?  Söie  ift  felbft  bie  ©runblage  aller 
praftifdjen'^^t)itofopl)ie,  bie  9Jtora(ität,  mövgtid;  ol^ne  bie  greil)eit,  t)on 
meldjer  bod^  Äant  g(eid;fa(l§  beliauptet,  ba^  nid;t  einmal  il)re  3}?i3gli(^= 
feit  beroiefen  werben  fönne?  2Iu(^  J?ant'§  praftifd^e  $t)i(ofopl)ie  ift 
9^il)ilifmu§,  „eine  unmöglid^e  ^:;potl)efe,  ein  unbenlbareS,  d;imärifd)e§, 
lebiglid^  fubjeftiüeS  Dbjeft" ;  unb  ^acobi  Ijat  gegen  fie  eine  fo  tiefe  2tb= 
neigung  unb  rebet  fic^  in  einen  fo  teibenfdjaftlid;en  ©ifer  gegen  fie 
l)inein,  ba^  er  fie  fogar  t)on  ©eiten  ilirer  moralifdjen  Söirhingen  auf's 
bitterfte  angreift,  unb  fie  ein  ©ift  nennt,  ba§  ben  tlnüerftänbigen  be= 
raufd)e,  ben  SSerftänbigen  §um  .Raffer  ber  SSa^rljelt  mad^e,  ha§>  bem 
3Jienfd)en  in  ba§  2;ieffte  unb  53efte  feiner  geiftigen  Statur  ^ob  unb 
SSermefung  bringe,  ba§  ilin  auSbörre  gu  einer  falten  3J?umie  ol)ne  Suft 
unb  2ehen  ^).  ©r  felbft  ftel)t  freilid;  tro^bem,  wie  wir  finben  werben, 
bem  ilönigSberger  ^l)ilofopl)en  riel  näl)er,  al§>  man  bie^  nad;  foldjen 
2leu§erungen  erwarten  foHte. 


1)  SB.  SS.  III,  1  ff,  (58rtef  an  ^^ic^te).  III,  59  ff.  (über  iaS  llnterncl^men  be8 
ÄriticifmuS,  bie  SSernunft  ju  SBerjlanbe  ju  bringen)  »9I.  namentUd)  @.  102.  111  f. 
125.  175.  179  ff.  gerner  III,  229  f.  350  ff.  H,  U  f.  21.  29  f.  44.  216.  299  ff. 
IV,  b,  259. 


444  ^acobt. 

©einem  ^n^att  nad;  get;t  ber  ©faiibe,  weld^en  ^acobi  ber  S5er^ 
ftQnbe§pf)iIo[opl)ie  entgegcnfteilt,  auf  brei  Oegeuftänbe:  bie  9]atur,  bie 
©ottljeit,  uub  ben  menfd)(icf;en  @eift,  unb  ben  (e|teren  betreffenb  im 
be[onbent  auf  feine  greif)eit,  feine  Hnfterblicf^feit  unb  feine  fittUi^e 
5öerpf(id;tung. 

Ilant  f)atte  bie  2{uBenroeit  aU  foId;e  für  eine  btoBe  @rfd;einung, 
ha§'  dlcak,  auf  meld;e»  unfere  iginneC-wafirnel^mungen  fid;  Be^ic^en,  für 
t)oll!ommen  uncrfennBar  erf(ärt.  ^acobi  befiauptet  gegen  if)n  mit  großer 
ßntidjiebeufjeit,  ba^  bie  SBal;rt;eit  unb  2öir!lid;feit  ber  SBaljrnefininng, 
„obgleid;  ein  unkgreif(id;eg  äönnber",  bennod;  fd^(edjtf)in  angenommen 
tüerben  muffe,  baf3  n)ir  burdj  nnfere  ©inne  ni(^t  Uo§  9]orftel[ungen  er= 
{jaltcn,  me(d;e  bie  rairfüd^e  S3cfdjaffcu!;eit  ber  ©egenftänbe  nid;t  mieber^ 
geben,  ha^  in  ber  Söaljrnelimuiig  etma^  fei,  wa§>  in  ben  bloßen  35or: 
ftellungen  nid;t  ift,  bie  2Birf(id;feit;  unb  er  beruft  fic^  für  biefe  Ueber- 
geugung  auf  ben  ©a^,  e§  fei  für  un§  of)ne  Sleu^ereS  fein  ^nnereS,  -j 
otine  S)u  fein  3^  nwglid^  ").  (Sr  fu(^t  ferner  gegen  Ä'ant  in  einer 
^en)ei§fü!)rung,  mit  meldjer  er  e§>  fidj  ^iemlid^  lei^t  gemacht  l)at,  bie  diea- 
lität  be§  9iaume§  unb  ber  3eit  bar^utfiun  (II,  208  ff.).  Slber  bamit  ift 
aud;  fein  ^iitereffe  an  ber  SluBenrocIt  erfd;öpft.  S)ie  Statur,  fagt  er  (III, 
325.  424),  verberge  (Sott,  nur  ba§  Uebernatürli(^e  im  SJlenfd^en  offem 
bare  ilßi.  2Bä{)renb  ^ant  bie  .l!örperraett  ^roar  für  blo^e  ©rfd^einung  f)ält,  | 
aber  if)re  ©efclje  mit  naturmiffenfdjaftlidjem  ©inn  unterfudjt,  ift  c»  ^a- 
cobi  au^fd;ücf3ticf)  um  ha§>  menfd;(id;e  ©eifteSleben  5U  tl^un:  bie  D^aturfor^^ 
i(^ung  a(§  fold;e  l^at  feinen  SBertf)  für  ifin,  menn  nur  ber  3Jtenf(^  ba= 
gegen  gcfid;ert  ift,  burc^  3^^if<^J^  ^"  ö^^'  Söal^rl^eit  feiner  2öaf)rnel)mungen 
beunruf;igt  gU  werben,  ©ein  ©tanbpunft  ift  in  biefer  ^e^ie^ung  berfelbe, 
roeldjcn  mir  fd;on  bei  9Jlenbe(§fof)n  unb  anbern  SSertretern  ber  2luf= 
f(ätung§pf)i(ofopf)ie  getroffen  l^aben. 

3^0(^  roid;tiger  ift  unfercm  ^^()ifofopf)ett  ber  ©taube  an  bie  ©ottfieit. 
2tud;  biefer  @(anbe  ift  für  ben  3JJenfd;en,  wie  er  bie^  an  unjäljligen 
©teUcn  augfüt)rt,  eine  unmittetbare  3^otf)menbigfeit  feiner  Statur.  „S)a§ 
©ein  be§  vernünftigen  enbli(^en  2Sefen§  ift  bebingt  burd;  ein  boppettel 
2luf3er4(;m:  eine  3^atur  unter  unb  einen  @ott  über  i^m."  „®er 
W.miä)  finbet  @ott,  weil  er  fid;  felbft  nur  gugleid^  mit  ©ott  finben 
fann."  ©iefer  ©taube  ift  hcm  33lenfd)en  angeboren,  er  ift  in  unb  mit 
feinem  eigenen  geiftigen  2Befcn,  feiner  SSernunft  unb  greifjeit,  unmittel= 


1)  II,  34.  175  f.  208.  231  f.  III,  235.  274.  292.  IV,  a,  211. 


I 


!J)ie  5iatur.  445 

bar  gegeben,  er  ift  ein  ^nftinft  feiner  Tiatux.  ©r  \ä^t  fidj  and;  voU-- 
ftänbig  red;tfertigen :  benn  einer[eit§  nöt^igt  nn§  unfere  3?ernunft  nnb 
nnfer  Seben,  eine  tlrqueHe  ber  5>ernunft  nnb  be§  Seben§  noranÄ5nfe§en, 
anbcrcrfeitio  bringt  un§  ba§  SeiunBtfein  nnferer  (?nbttd;feit  nnb  llnoon= 
fommenfieit  bie  tleberjengnng  anf,  bag  rotr  biefe  felbftänbige  5>ernnnft, 
biefc  giide  be§  3Saf)ren  nnb  ©ntcn  nicl^t  finb,  ba§  ba^er  ein  f)öf)ere^ 
2öe[en  ift,  in  bem  wir  nnfern  IXrfprnng  Ijaben.  Sind;  bie  ^etradjtnng 
ber  2öe(t  lägt  nn§  nnr  bie  2Sat)[ :  aUe^  an§  ßinem,  ober  alfeS  anl 
nid;t5  I^er5nteiten ,  nnb  ba  fönnen  wir  nic|t  im  ^^^eifet  fein,  wie  roir 
nn§  jn  entfdjeiben  I)aben.  3(ber  troljbem  behauptet  ^acobi,  \)a§  S^afein 
©otte»  taffe  fic^  nidjt  berocifen;  benn  für  einen  ^me\§>  im  ftrengen 
6inn  foll,  roie  mir  bereits  gehört  fjabcn,  nnr  ber  gelten,  meld;er  ben 
©egcnftanb  an§  feinen  S3ebingnngcn  ab(eitct,  nnb  bieg  ift  bei  bem  lXn= 
bebingtcn  fe(bftüerftänb(id;  nnmögfid;.  ©benfo  nnmöglic^  ift  e§  aber, 
roie  er  fagt,  mit  ©id;er^e;t  bar3ntü)nn,  bau  bie  5Ratnr  nid;t  if)r  eigener 
(2d;öpfer  nnb  ba§  alleinige  Söefen  fei,  benn  „ber  €d;(nB  au§  ber  llner= 
gvnnbltc^feit  ber  S^Jatnr  onf  eine  lXrfad;c  anger  i^r,  roeldje  fie  l^eroor^ 
gebrad;t  nnb  angefangen  ^aben  miiffe,  roar,  ift  nnb  bleibt  ein  fe[)ter= 
Htei^/  pf)itofopt)ifc^  nic^t  jn  redjtfertigenber  ed;(ng'';  fo  bag  bemnad^ 
ber  fofmotogifdie  Seroei§,  bem  ^acobi  fetbft  naf)e  genng  fommt,  fd^lie^Iid^ 
bo($  gteic^faCg  üerroorfen  wirb.  S)er  @(aube  an  bie  ©ott^eit  ift  für 
i^n  ein  perfönlid;e§  33ebürfnig,  nid;t  ba§  ©rgebni|3  feinet  53eroeife0; 
„i^  bin  nic^t,  fagt  er,  nnb  ic^  mag  nid;t  fein,  roenn  er  ni^t  ift/' 

2öie  ©Ott  nnberoeisbar  ift,  fo  ift  er  nac^  ;3acobi  ond^  nnbegreiflid^. 
^enn  begreifen  lägt  fi($  ja,  wie  er  glanbt,  nur  ba§  33ebingte.  „(Sin 
©Ott,  ber  gcronfst  roerben  fönnte,  fagt  er,  wäre  gar  fein  ©Ott";  ja  er 
nennt  bie  ©otttieit  nid)t  blo»  unbegreiftid; ,  fonbern  fogar  „im  33egriff 
unmögU(^" ;  er  behauptet,  ber  (2d;öpfcr  mnffe  bem  ©efdjöpf  al§  ein  nn^ 
mögiid;e3  Söefen  erfd^eineu.  ©ott  ift  nnferem  ©eift,  niiferem  |)er3en, 
unferem  ©erotffen  unmittelbar  gegenwärtig,  aber  mir  fönnen  nidjt§  über 
if)n  au§fagen;  er  ift  ©egenftanb  unfereS  ©efüfils,  nid;t  nnfereS  S^enfeng; 
mir  finb  feiner  fd;Ie(^tf)in  geroiB,  wir  finb  ron  t^m  erfüUt,  üon  einer 
unTOiberftet)Ud;en  natürlidjen  Siebe  gu  if)m  Ijingejogen;  aber  mir  fiaben 
feinen  Segriff,  ber  {)inter  bem  unenblid;en  ^nljalt  nnferer  ©efü§Ie  nid^t 
nnenblid)  weit  prüdbliebe;  nnfer  3> er ftanb  t)at  üon  ii)m  nnr  ein  „md)U 
miffenbeS  SBiffen."  g^inr  ©ine  33eftimmnng  beg  ©otte§begriff§  f)ot 
Sacobi  üon  Stnfang  an  nid^t  allein  fel)r  bcftimmt  feftgel)alten,   fonbern 


446  ^acobi. 

auc§  mit  einer  wahren  SeiTieufi^aftlic^feit  t)erfo(^ten:  bie  ^erföitli(5; 
feit  ®otte§.  ®enn  fo  loeuig  er  beftreiten  will,  baB  vxan  nnferen 
SSerftanb  imb  Söiflett  ber  ©ott^eit  nicf;t  beilegen  fönne,  fo  töenig  lüeijs 
er  fie  fid;  bod;  o^ne  bie  ©igcnfd^aften  §u  benfen,  beren  wir  bebürfen, 
wenn  fie  ber  ©cgenftanb  nnferer  Siebe  fein  fott,  wenn  wir  in  ein  per= 
fönlidje^J  @efüt;Uyerl)ä[tniJ3  jn  it)r  treten  foHen.  S)ie  SSernunft,  fagt  er, 
fönne  nur  in  einer  ^erfon  fein;  ®ott  wäre  ni(^t,  wäre  ha§>  ^Ridjtfeienbe 
im  f)ödjften  ©inne,  wenn  er  nid;t  ein  (Seift  wäre;  nnb  er  wäre  fein 
@eift,  wenn  i^m  bie  ©runbeicjenfdjaft  be§  ®eifte§,  ba§  ©elbftbewuBtfein 
unb  bie  ^erft)n[id;feit  mangelte.  (Sr  be3etd;net  baf)er  bie  ©ottfieit  au§- 
brüdlid;  a(§  ein  libcrnatürlid^e^,  anBer=  nnb  überwelt(id;e§  Söefen;  er 
finbet  in  betreff  i(;rer  ben  3tnt^ropomorpf)ifmn§  burdjau§  notfjwenbig/ 
wenn  man  ni(^t  in  2lt§eifmn§  ober  getifd;tfmu^  öerfallen  woUe;  er  ^at 
tro^  bem  ^ugeftänbni^  (I,  134.  II,  37),  ba^  alle§  Seben  mih  Safein 
eine  9Irt  be§  2cbm§>  nnb  5DoJein§  be§  ^ödjften  3Befen§  felbft  fei,  bod) 
einen  fo  tiefen  SBiberwitlen  gegen  allen  ^ant^eifmnS,  ba^  er  ifjn  bem 
Slt^cifmnS  einfad;  gleid;fe|t;  er  beljauptet,  ©ott  fönne  nur  SBnnber  tl;un 
unb  bie  Dtatnr  f)übe  auil  il)m  nur  auf  übernatürlid;e  äöeife  fieroorge^en 
fönnen.  ®benbe§l)alb  nnterlä|3t  er  e§  bnrd;au§,  über  ba§  SBirfen  nnb 
©ein  @ottc§  irgenb  eine  genauere  Seftimmung  auf^nfteKen :  wo  wir  fo 
gan^  au!?fdjlic{3tid;  auf  ben  ©lauben  befd;ränft  finb,  ift  jeber  5>erfudj 
einer  wiffenfd;aft(ii^cn  ©rtcnntni§  ^nm  t)orau§  abgefd;nitten  ^). 

®em  ©lauben  an  eine  pofitioe  Offenbarung  fte^t  aber  unfer  ^f)iIo= 
fopf)  troljbem  fef)r  frei  gegenüber.    5Der  ©taube,  ben  er  verlangt,  ift 
ber  93ernnnftglanbe,  ba§  UcbernatürUd;e,  t)on  bem  er  rebet,  ift  ber  ©eift, 
bie  Offenbarung  ber  ©ottl)eit,  auf  bie  er  un§  »erweift,  ift  nur  bie  innere 
unb   allgemeine    in   ber  SSernunft  unb  im  ©eifte  beg  3}lenfd^en.    ©ine 
äußere  Offenbarung  bagcgen  fönnte  fid;  ju  btefer  inneren  unb  urfprüng= ; 
Iid;cn,  wie  er  fagt,  pd;ften!3  nur  »erhalten,   wie  fid;  ©prad;e  gur  SSer= 
nunft  yerl)ält;   benn  wir   befit^en   üon   f)ö|erer  @rfenntni{3  immer   nur' 
foüiel,  als  unfer  ©eift   lebenbig  erzeugt;  äuf3ere  3)iittcl  unb   Qc[ä)cn,' 
weld;er  2lrt  fie  aud;  feien,  fönnen  an  biefe  gciftigc  @elbfttf)ätigfcit  äwarl 
erinnern,  aber  fie  nid;t  erfe^en;  „©Ott  mufs  im  3Jienfd;en  felbft  geboren 


1)  ;5aeobi'§  §auptf(i)rtft  :^terü£»ev  ip  bie  „5Jon  ben  göttUd}cit  S)in3en  unb  i^ver' 
Offenbarung"  (1811)   2ß.  SB.  III,  245  ff.;   togl.   befonbevS   @.  274.  325.   400.   403. 
418.  422.   425.  458.     gerner  HI,   7.  35.  194.  203.  217.  224  ff.   II,    45.  94.  121. 
274.  IV,  b,  155  f. 


Sie  ißeltäicn.  ^_^j 

werben,  luenn  ber  Slienfc^  einen  lebenbigen  ©oti,  nid^t  blo»  einen  ©ößcn, 
^aben  fott."  (rine  äußere  Offenbarung  ber  @ott§eit  erfd^eint  ba^er 
unferem  ^^>§irofop^en  gerabeju  qI§  ein  Sßiberfprud^ :  „fo  wenig  ein  fal: 
fc^er  ©Ott  auBer  ber  menfd^lid^en  eeefe  für  fic^  öafein  fann,  fo  wenig 
fann  ber  wa^re  au§er  i§r  erf(^einen/'  S^on  biefem  ea|  mad;t  aud^ 
bie  d^riftlid^e  Cffenbarung  feine  2Iux-na§me.  3(uc^  am  G§riftentt)um  tft 
ba§  roefentlid^e  unb  göttlid^e  aucfd^IieBüd^  bie  ©efinnung,  bie  e»  J^eroor^ 
ruft.  S^iefe  ^ängt  aber  fo  wenig  Don  einer  gef^i^tlid^en  Cffenborung 
ab,  ba^  oierme^r  jebe  ßrfd^einung,  in  ber  eine  fold^e  gefuc^t  wirb,  i^re 
53ebeutung  nur  ber  frommen  ©eünnung  5U  rerbanfcn  f^at,  weld^e  if)t 
eigencx-  ^beai  in  fte  hineinlegt.  G^rifruÄ  a:s>  ©oitmenfd^  ifi  nad^  ^acobi 
ni^t  ber  Urheber,  fonbern  bal  (rrjeugnife  bee  c^rifilid^en  ©laubeug; 
unb  er  fetbft  ^ai  unoerfennbor  im  wefentfid^en  feine  eigene  Sieinung 
au?gefprod^en,  wenn  er  feinem  greunb  ßlauDiuS  fagen  läßt:  „Qs>  lenktet 
un5  ein,  rebltd^er  a^iann,  wie  fid^  Sir  alleS,  roaä  rom  2iienfd^en  ©ött= 
lid^e§  fann  ongefd^aut  werben,  unter  bem  Silbe  unb  mit  bem  Dtamen 
(»i^rifru»  barftettt.  S^a-S  allein  in  i^m  nerei^renb,  wai>  göttlid^  ift  an 
fid^,  erfjält  fic^  Seine  Seele  aufgerid^tet,  emiebrigeft  Su  nid^t  ^^ernunft 
unb  cittlid^feit  in  Sir  burd^  ©ö^enbienft.  SSas  ß^riftul  außer  Sir, 
für  jic§  gewefen,  ja  ob  nur  in  ber  ©irflid^feit  je  oortjanben,  ift  in 
3Ibnd^t  ber  wefentlic^en  SSa^r^eit  Seiner  5>orfteUung  unb  ber  Gigen-- 
fc^aft  ber  baraul  entfpringenben  ©efinnungen  gleid;güiiig.  £}al  er  in 
Sir  ift,  barauf  aUein  fömmt  e»  an;  unb  in  Sir  ift  er  ein  wal)rf)aft 
gbttlid^ee  SDefen;  Su  erne^fi  burc§  i§n  bie  ©ott^eit,  fo  weit  Su  fie 
erfe^en  fannft;  inbem  Su  Sid^  5U  ben  ^öc^fien  ^Deen  mit  i§m  empor= 
fc^wingft,  unb,  unfc^äblid^  irrenb,  wö^neft,  Si(^  nur  an  i^m  ba^u 
emporsuid^wingen  ')."  ^acobi  ^at  bie  33ebeutung  biefer  Sßorte  jwor 
in  ber  golge  wieber  absufc^iräd^en  rerfud^t;  aber  als  feine  eigemli^e 
3)teinung  ergiebt  fid^  aus  allen  feinen  (rrfiärungen  bod^  immer  nur 
tiefen,  baß  ber  ©laube  an  bie  5perfon  ß^rifti  jwar  freilid^  feine  bloße 
Sid^tung,  baß  aber  ber  cigentlid^e  ©egenftanb  biefeg  ©laubeng  bod^ 
nur  hai^  in  jener  5perfon  angefd^aute  fittlidi^reiigiöfe  ^beal  fei ;  bafe  ha^ 
6§riftentl)um  feinem  reinen  2i>efen  nad^  nid^te  anDeres  fei,  al»  ber 
©laube  an  ben  im  ©eifte  beS  älienid^en  fxd^  offenbarenben  ©ott.  Sein 
SSer^älmiß    pr  poüiioen   9?eIigion  ift  ba^er  grunbfä^lic^   baB  gleiche, 

1)  3J.  b.  göttt  Sinäen  III,  285.  03I.  229  f.    Xai   »eitere  ebb.   276  f.    306  f. 
424  ff.  ^gl.  auc^  V,  101. 


448  QacoVu 

rate  ba§  eiiie§  Äant  ober  Seffing,  raenn  er  ouc^  bie  tiafieltegenben 
Folgerungen  au§>  biefen  ©runbfä^en  nic^t  eBenfo  beftinimt,  raie  fie,  ge- 
jogen,  nnb  über  ba§  SSer^ältni§  be§  ge[dji(^tüd;en  ei)riftu§  ju  bem 
g^riftu^  be§  @Iauben§  nic^t  b(o§  feinen  Se[ern,  fonbern  raa|)rf(^einli(i^ 
oud;  fti^  felbft,  !etne  genauere  9?e($enf($aft  abgelegt  fjat 

Wit  bem  @(auben  an  bie  ©ottf)eit  ftei)t  für  i^ocoln  ber  ©laube 
be§  9}Zenfd;cn  an  feine  eigene  t)öf)ere  $Ratur  im  engften  3ufft^i^"icnf)ang. 
'^ux  in  feinem  eigenen  ©elfte  foH  if)m  ja  bie  @ottf)eit  firf;  offenbaren, 
nur  ber  @eift  in  if)m  non  @ott  (^eugen,  nur  feine  grei^eitit)n  über  bie  Statur 
unb  bie  ^Raturnotljiocnbigt'eit  5U  bem  ©djöpfer  ert)eBen.  i^ene  f)öf)ere 
Sf^atur  be§  3)Zenfd)cn,  ba§,  wa§>  itju  allein  gum  2)^cnfdjen  maiJ^t,  finbet 
er  nur  in  feiner  3Sernnnft  unb  feiner  Freiheit.  SSon  ber  einen  raie  t)on 
ber  anberen  fagt  er,  fie  fei  ber  ©eift  felbft  be§  SJtenfc^eu;  er  betrachtet 
fie  i§rem  SBefen  nad)  a(§  ©in  unb  ba§felbe.  S)ie  3?ernunft  befielt  ja 
il^m  sufofge  in  ber  ?^äl)igfeit  be§  ©eifte§,  fic^  oon  bem  S3ebingten  jum 
Unbebingten ,  üon  bem  9?otur5ufammen{)ang  unb  feiner  5cotf)raenbtgfeit 
§u  bem  f(^öpferifdjen  llrfjeber  ber  Statur  ju  erf)eben.  ©iefelbe  gäf)igfeit, 
praftifd;  geraenbet ,  m.ac^t  ba§  SBefen  ber  ^reifieit  au§ ;  ber  3Jienf(| 
nennt  fic^  frei,  inforaeit  er  ft(^,  ben  ©eift  unb  nid;t  bie  S^^atur,  al§  ben 
«Schöpfer  feines  intelleftuellen  unb  moralifdjen  ßt)ara!ter§  anfief)t.  S^a^ 
er  fid)  f)ierin  ni($t  täuji^e,  beraeift  i^acobi,  ä^Uiid^  raie  Äant,  au§  ber 
5lf)atfa($e  be§  fittlidjcn  S3erau|3tfein§ :  of)ne  greif)eit,  erflärt  er,  raäre 
feine  raatire  2Id)tung,  53eraunberung,  SDantbarfeit  unb  i3iebe  mög[i(^, 
raäre  alfe§,  raaS  ben  SJienfdjen  abelt  unb  erf)ebt,  ha§>  SBaiire,  6djöne 
unb  ©Ute,  nur  ^äufdjung,  ^Betrug  unb  Süge.  S)te  grei^eit  fei  bie 
SBurgel  unb  bie  ^ruc^t  ber  2:ugenb.  Unb  aud;  fd;on  metapljijfifdj  ge- 
nommen fc^eint  e§  if)m  unbenfbar,  ha^  rair  in  unferem  ©ein  unb 
^anbetn  bIo§  t)on  anberem  nb^ängig,  bto§  paffio  fein  follten,  raeil  ba§, 
ma§>  uid)t  fd;on  etraaS  fei,  and;  nici^t  beftimmt  raerben  fönne,  jebe 
^affirität  eine  reine  ©elbftänbigfeit  üorau§fe|e,  Slber  eine  genauere 
llnterfu($ung  über  ba§  äßefen  ber  greiljcit  fudjen  rair  nid^t  allein  bei 
if)m  felbft  oergeblid;,  fonbern  fie  erfd;eint  if)m  aud;  übertiaupt  unttjunlid^, 
raeil  nur  haS:  53ermitte(t3  fid)  beutlic^  erfennen  laffe,  bie  abfolute  (5clbft= 
tficttigfeit  aber  jebe  SSermitthmg  auSfd^lieBe.  ^a  er  nennt  bie  greif)eit 
gerabe^u  „ein  SSermögen,  ba§  auf  feine  begreiftid^  mög(id;e,  fonbern  auf 
eine  begreiflich,  b.  i.  natürlid^,  unmögliche  SBeife  rairte."  6r  felbft  ^at 
fiel)  bie  grage,  um  bie  e§>   fid;   bei  ber  Unterfudjung  über  bie  greilieit 


^xtiijdt,  Un[tetbU(^feit,  @tttlid;feit.  449 

tianbeft,  ni(f;t  fe^r  Uax  gemacht,  raenn  er  fagt,  fie  beftefie  tiid;t  in  ber 
unfeltgen  pfiigfeit,  bag  Söfe  wie  ba§  @ute  311  wollen,  jonbern  in  ber 
llnttbf)äugtgfeit  beS  2Bitlen§  üon  ber  iöegierbe:  benn  bie  groi^eit  in 
biefem  (Sinn  f)at  raeber  ©pino^a  noc^  Seibnij,  bie  er  boä)  kibe  wegen 
if)reg  S)etermini[mu§  fo  fd^arf  angreift,  jemals  gelöugnet  ^). 

3n  xiub  mit  ber  greilieit  finb  wir  nn§  nad^  ^acobi  (III,  194  u.  ö.) 
au(^  ber  tlnfterblid^leit  unmittelbar  berou^t:  „roir  fül)len  fie  in  nnferem 
freien  §anbefn  nnb  SSirfen";  an§>  ber^reilieit  gel)t  nad^  feiner  Slnfid^t, 
n)cl($e  hierin  mit  ber  fantifc^en  3ufammentrifft,  bie  ©ittlid^feit  unmittelbar 
lieroor.  SBälirenb  aber  J!ant  bie  fittlic^e  Slnforbcrung  burcl;ansi  al§ 
©efe^  gefaxt,  unb  ben  unterfc^cibenben  d^arafter  biefe§  @efe|e§  in 
feiner  Slllgcmcingültigfeit,  feiner  au§nal)m§Iofen  ©leid^lieit  für  alle,  ge^ 
fud^t  f)otte,  fteat  fie  ^acobi,  im  Slnfc^luB  an  hk  englif d;en  3Jloraliften, 
unter  ben  ©efidjtSpnnft  eineio  natürlid^en  3:riebe§,  unb  er  oerlangt  im 
3ufamment)ang  bamit,  ba^  fid;  ba§  fittlic^e  Seben  in  jebem  ©injelnen 
eigentl)ümlid;  geftalte,  unb  ba^  biefe  g-reilieit  ber  inbiüibueHen  ©nt- 
töidlung  unb  SebenSauffaffung  in  ilircr  üoflen  S3crcdjtigung  anerfonnt 
werbe.  ®ie  2:ugenb,  fagt  er,  fei  ber  eigeutl)ümlid^e  befonbere  Qnftinft 
bc§  9Jienfd;en,  ber  ©runbtrieb  feiner  9^atur;  ade  S:ugenben  feien  eine 
freie  ®abe  be§  ©djöpfer»:  unmittelbare  ^triebe,  urfprünglidie  @igen= 
fd^aften  ber  menfc^lidjen  Statur,  nur  uerfd^ieben  geftaltet  nad)  ben  üer= 
fdjiebcnen  formen  unb  3wflönben  ber  ©efellfc^aft.  Dber  wie  er  bie^ 
etmaS  näl)cr  au§fül)rt:  ®§  giebt  unmittelbar  geroiffe,  pofitiue  äöa^rlieiten, 
bie  fid)  ol)ne  Seroeife  im  @emütl)  al§  bie  l)öc^ften  gcltenb  mad^en.  ©ine 
folc^e  pofitiüe  2Bal)rl)eit  entbedt  fid;  un§  in  unb  mit  bem  ©efü^l  eine§ 
über  alles  finnlid^e  unb  raanbelbare  ^"tereffe  fid^  erljebenben  SriebeS, 
n)eld;er  fid)  als  ber  ©runbtrieb  ber  mcnfd^ltd^cn  ?catur  unroiberftel)tid^ 
anfünbigt.  S)er  ©egcnftanb  biefeS  5lricbeS  finb  bie  göttlid^en  S)inge, 
baS  2Bal)re,  ©ute  unb  ©d)öne;  feine  erften  Söirfungen  finb  tugenbl)afte 
©mpfinbungen,  9kigungen,  ©efinnungen  unb  ^anblungen.  Slls  bie 
^aupt=  unb  ©runbtugenbeu  gel)cn  auS  il)m  tie  2BeiSl)eit,  ©üte  unb 
SöiÜenSfraft,  unb  auS  biefen  bann  weiter  alle  bie  (gigenfd^aften  ^exvov, 
bereu  SSereinigung  ben  tugcubl)aften  ß^aralter  ausmacht.  SDiefe  ©igem 
fd^aften  finb  um  ilirer  felbft  wiil^n  wünfc^enSwürbig,  unb  fie  finb  in 
il)rem  llrfprung  eben  fo  unabl)ängig  t)on  bem  ^Begriffe  ber  ^flid^t,  als 

1)  20.  S,  II,  311  ff.  III,  273.  324.  IV,  a,  25  f.  V,  343.  447. 
Beirer,  ©efrfjidjte  ber  beulfc^en  ^^ilofop^ie.  29 


450  ^acobt. 

uon  bev  Seg'icrbe  nac^  ©(üdfcligfeit.    ^cneS,  raeil  ber  ^flicf;tlicgriff  bal 

©efüf)l    be§  unbebingt  9(tfjtunö^5unirbigen    al§    feine   ©runblage    fd;on 

roraulfelU;  biefeS,  iuei(  bie  ©lüiffeügfeit  nid;!  ein  anderer  3uftanb,  fon= 

bcrn  eine  Se[d;affent)eit  be§  ©cmüt{)§,    eine  Gigenfdjaft  ber  ^pcrfon  ift; 

raeil  bafjcr  mir  ber  feiig  genannt  lucrbcn  fann,    tyeld;cr   gnt  ift,   nnb 

roeil  and;  bie  ©ottlieit  bic  ^ngenb  nidjt  beIoI;nen  fönnte,  w^nn  fie  ntc^t 

an  fid;  gnt  unb  roünfc^enSroürbtg  wäre  ^).    ^acoln  tritt  bal^er  bem  ©U; 

bämonifniuS   ber  2luff(ärung§periobe,   raie   er  namentlid;   in  ber  Sc^re 

be§  §elnetin§  feinen  SluSbrnc!  gefnnben  l^atte   (ngl.  <B.  322),    Iefcl;aft 

enigegen,  unb  er  rn()mt  i\anl'§  3)JoraI,  inbem  er  fie  mit  feinen  eigenen 

©rnnbfäljen   ganj  nbereinftimmcnb   finbct  ^).     3lkr  fo  ftarf  i^n   biefe 

9}loraI  bnrd;  if)re  3fleinf)eit  unb  llneigennütjigfeit  an^ie^t,  fo  entfd;icben 

fül)It   er  fid;   boc^   nad;   einer  anberen  Seite  üon  if)v  abgefto^en.    @ie 

ift  ilfim  gu  fatt,  ju  abftraft,  fie  gef)t  auf  bie  inbinibueden  33ebürfniffe 

gn  TOcnig  ein,   wenbet  fid;  '^u  au§fd;(ie{3(id;   an  bie  5]ernunft  unb  ju 

raenig  an  bie  9^eignng.  @r  erftört,  ba{3  er  ba»  an  fic^  @ute  nid;t  fenne, 

ha^  e§  if)n  empöre,  menn  man  i(jm  ben  Söiffen,  ber  nidjt§  molle,  biefe 

'i)of)U  9^uB  ber  6elbftänbig!eit  nnb  ^vel^cit  im  Unbcftimmten,   bafür 

aufbringen  raoHe.  3Jlan  mü^te  bumpf  unb  erftorbcn  fein,  fagt  er,  wenn 

man  fid;  feine  Steigungen  au§  (auter  3)torat  Iniben  raollte;  ba  bie  reine 

SSernunft  be§  3Jienfd)en  in  atten  ©ine  unb  biefelbe  fei,  tonne  fie  nid;t 

bie  ©runbtage   eines   befonbern  SebenS   au0mad;en  unb  ber  mirtlid;cn 

'^erfon  i§ren  eigentl)ümlid;en  inbiDibuellcn  2öert§  ert^eilen.  S)er  2)ienfc^ 

fönne  fid^  ni(|t  rceife,  nid;t  tugenbl;aft,  nid;t  gotte»fürd;tig  üernünfteln : 

er  muffe  ba  l^inauf  beiüegt  merbcn  unb  fid;  beiucgen,  organifirt  fein  unb 

fid;  organifiren.    ®ie  5ßernunff  foUe  bie  Seibenfd;aftcn  bel;errfd;en,  aber 

Gmpfinbnngen,  S3egierben  unb  Seibenfd;aften  muffen  ba  fein,  wenn  fi(^ 

menfd)ti(^e  SSernunft  l)crnörtl;un  folle.    3^em  ©efe^,  blo§  als  @efe^, 

gef)orc^e  man  niemals,    fonbern  immer  nur  bem  9iad;brnd,   ben  it;m 

Xricb,  Steigung  unb  @en)ol;nl;eit  geben.  5)ie  greil)cit  fei  bie  reine  Siebe 

beS   ©Uten   unb    bie  21llmad;t   biefer  Siebe.    S)aS  ©efe^   fei   um    beS 

2)ienf(^en  roillen  gemad;t,  nic^t  ber  3)ienfd;  um  bcS  ©efe^eS  mitten,  unb 

eS  gebe  g-älle  genug,   in   bcnen  ber   reine  S3ud;ftabe  beS  abfolut  atlge= 

meinen  ^ernunftgefe^eS  oerle^t  merben  bürfe  unb  muffe,   unb  baS  33e= 

QuabigungSrec^t  für  fold;e  ^erbred;en  fei  baS  eigentlid;e  3}?aicftätyrcd;t 

1)  V,  79.  81.  182.  I,  XIV.  71.  II,  352.  III,  31ß  ff. 

2)  V,  yj.  178  ff.  IV,  b,  245.  1,  8Ü  f.  297  ff. 


SQioralprincip.  451 

be§  3Jlenf($en,  ba§  Stgcl  feiner  5K>ürbe,  feiner  göttHc^en  9Zatur  0-  S:ie 
moratifc^e  SuBjeftiuität  Iel)nt  fid;  in  ^acoM  gegen  bie  3iaein^crrfd)aft 
eines  affgemeinen  ©efe^el,  ba§  inbiuibuelle  @efnf)(  unb  Scbürfni^  gegen 
ben  S^efpotifmn»  ber  S^ernimft  auf.  S^ie  raa^re  ^ugenb,  erflärt  er 
(V,  432  u.  ö.),  entfpringe  au§  Siede,  nnb  biefe  fönne  bie  SSernnnft 
(ober  nad)  feinem  fpäteren  ©pracf;geliran(5 :  ber  ^Serftanb)  nid;t  fdjaffen. 
SaB  aber  freiüd;  mit  biefen  9lnfidjten  ber  SßiHfüijr  nnb  ber  (£elbfttäu= 
fd;ung  ein  gefäljrlid^er  ©pielranm  eröffnet  ift,  nnb  bie  fittlidjen  @runb= 
fä|e  in  ein  f)öd)ft  bebenf[id)c§  Sdjraanfen  gu  gerat^en  bro^cn,  fann  er 
felbft  fid;  nidjt  yerbergen.  Seine  kiben  pf)i(ofopt)ifdjen  Slomane  ^)  bre^en 
fi(^  if)rcm  §auptinljalt  nad;  um  biefe§  2;(jema:  um  bie  ^-rage  nad;  ber 
Sered;tigung  unö  ben  (Brenjcn  ber  inbioibucllen  greifieit  in  fitttid;ert 
S)ingcn,  um  ben  ^onftift  ber  moralifd^cn  Genialität,  mctd;c  it)r  @efc| 
in  ftd;  fe(6ft  ju  tragen  fid;  berouf3t  ift,  mit  bem  ^erfommen  unb  ber 
allgemeinen  Spiegel;  ben  gteid;en  ilonflüt  auf  bem  rein  fittlid;en  ©ediete, 
roie  er  in  ber  crften  Gntfte^nng^jeit  jener  2öerfe  auf  "iiem  moralifd;= 
äftfietifc^cn  bie  neu  aufftrebenbe  bcutfd;e  S?id;tung  beiuegte  ^).  216er  ju 
einer  befriebigenben  Gntfd;eibung  fommt  e§  bei  i^m  nid;t,  nnb  fann  e§ 
n'.d;t  fommen.  „^er  fid;  auf  fein  ^erj  verlädt,  ift  ein  2:l;or".  S)ennoc5 
aber  „vertrauet  ber  Siebe,  ©ie  nimmt  allc§ ;  aber  fie  giebt  atlcic".  Ueber 
biefe  unbeftimmte  unb  fd;uianfenbc  6ntfd;cibung ,  mit  iücld;er  ber  SBol^ 
bemar  abfd}lit'|3t,  ift  ^acoU  überhaupt  nid;t  f)inan§gcfommen.  Hub  mie 
e§  feiner  SRorat  an  n)iffenfd;aftlid;er  <2d;ärfe  unb  53eftimmtf)eit  fe^It,  fo 
fcf)lt  e§  if)r  aud;,  trol^  ber  9teinf)eit  il;rer  ®ruubiä|e,  an  jener  männ= 
lid;en  J?raft,  meldte  bie  fantifd;e  in  fo  l)ol;cm  @rob  aU§3eid;nct.  ^n 
^acobi'S  §au§  unb  greunbe§!rei§  ftanb  ber  ^ultu§  ber  f(^önen  Seele 
mit  allen  feinen  SSor5Ügon  unb  Sd;u)äd;en  in  ber  lf)öd;ften  33IütI;e.  ©ine 
feine  @eifte§bilbung,  eine  ebte  Humanität,  eine  warme  33egeifterung  für 
altes  ©Ute  unb  (Sd;öne  lag  l^ier  fo  l;art  neben  ber  2Beid;lic^t"eit  eincS 
einfeitig  entmidelten,  an  feinen  großen  iüiffenfd;aftlid;en  ober  praftifd;en 


1)  I,  69.  73.  236.  IT,  a,  232.  b,   163  f.  III,  37.  V,  193.  115.  447. 

2)  aßroitl'ä  ißriefiamtntuug  unb  SBoIbemar.  ^tm  er[d)ien  6ruc^ftücfroci[e  fett  1775, 
biefer  fett  1777;  bolfenbet  uub  itcu  bearbeitet  tarn  %UmU  1792,  Solbeiimr  1794 
^erau§.  2)ei-  erfteve  bilbet  ben  erften,  ber  äroeite  ben  fünften  i8anb  ber  gefantmclten 
SBerfe. 

3)  2)er  SBoIbtmar  ift  aui)  iinvüic^  unter  (Söt^e'§  uiunittelbarein  @inf(uB  ent= 
[lanben. 

29* 


452  Oacobt. 

Slufgabeu  geftä^lten  ©efü^l^IebeuS ;  bie  felbftgefädtge  ©rljebung  über 
bte  3Jia[)e  ber  3Jten[d;cn,  bie  gcgcnfeitigc  ^Vergötterung  unb  ^^erl^ätf(^e' 
lung,  raie  fie  einer  fold;cn  @e[e(Ifd;aft  uon  Slu^eriuä^tten  eigen  ^u  fein 
pflegt,  unb  all  unoermeibIid;e  9iüd|eite  baoon  forttuäfirenbe  ©lupfinblid^: 
feiten  unb  3}Jit3üerftöi^niffe  unter  ben  ^reunben,  treten  in  ben  Briefen 
unb  Ueberlicferungen  be3  ;3'icobifd;en  ^reife^  fo  ftar!  f)ert)or,  ba^  ujir 
üon  benifetben  bod^  nie  einen  ganj  befriebigenben  Ginbrud  erlialten.  ^en 
gteid;en  (Ef)ara!ter  tragen  anä)  bie  9lomane,  in  benen  ber  ^t)ito[opI) 
feine  fittlid;en  unb  gefellfd;aftlid;en  i^beale  barfteilt.  ^i)xe  gelben  unb 
^elbinnen  finb  lauter  ungemein  eble  unb  uortreffIid;e  3Jienfd;en;  aber 
it;r  Seben  unb  treiben  J)at  feinen  red;ten  fadjtid;en  3«§Glt;  fie  befd;äf:= 
tigen  fic^  inuner  nur  mit  fid;  feibft,  fie  finb  S^irtuofen  in  ber  S3eo- 
bad;tung  unb  3ergtieberung  if)rer  ©efüt)Ie,  aber  fie  treiben  biefe  J?unft 
gur  ©elbftbefpiegclung  unb  Selbftquäterei,  fie  berounbern  unb  entjineien 
fii$  über  Äleinigfeiten,  finb  ba(b  unglüdüd;  baib  ent3üdt,  man  fief)t 
ni($t  rcd;t,  marum;  man  ftö^t  meber  auf  Mftige  Seibenfd^aften  nod) 
auf  gro^e  6(;araftere.  S}a»  ganje  i^ntereffe  ber  Moral,  ja  faft  fann 
man  fagen,  ber  ^(;i(o|op!)ie,  5ie()t  fic^  t)ier  auf  ba^  innere  be§  @emütf)§= 
lebend  gurüd. 

'  Siiefer  inbiüibua(iftifd;en  9lid)tung  entfprid;t  c§,  menn  für  ^acobi 
von  ben  maud;erlei  formen  be§  meufd;Ii(^en  ©emetnieben»  nur  biejeuige 
eine  f)ö^ere  Sebeutung  geiuann,  uield;e  gang  bem  perfönlid;en  ^elDürfnife 
bient  unb  auf  ber  freien  perfön(id;en  ^f^eigung  ruf)t,  bie  greunbfd^aft. 
©ie  bitbet  einen  Slngetpunft  feiner  Siomane,  roie  feinet  33riefn)ed;fel§, 
of)ne  baB  er  fid;  boc^  gu  einer  miffenfdiaftlic^en  Unterfudjung  biefe^ 
©egenftaube»  üeraula^t  gefunben  f)ätte.  Xoä)  l^at  er  bei  @e(cgenf)eit 
aud;  feine  2(nfid;t  com  ©taat§(eben  au§gefprod;en  ^).  S)ie  oolle  ^^-reifieit 
be§  3"^'"i^iiit"i^  ift  ^'^'^  ¥^^  f^^ii  32af)Ifprud^.  ®ie  @taat!§gefeUfd;aft 
erfc^ciut  if)m  at^  ein  3Jiedjanifmu!3,  eine  ^i^ang^^anftalt,  meid^e  nur  bem 
5>erbredjen  gegenüber  bereditigt  ift,  nur  bie  ©id^erung  ber  ©taatsobürger 
fid;  gum  ^^roed  fe^en  barf;  bie  ^ugeub  unb  ©tüdfeligfeit  fonncn  nid;t 
burd;  ©efe^e  ergmungen  werben,  fonbern  fie  muffen  a\\§  ii)rer  eigenen 
Cuclte,  bem  Icbeubigcn  2BiÜen  be§  ^.^olfe^  ftammen;  eine  ®taat-5Der= 
faifung  foll  auf  Sugenb  uno  9lcligion  weber  gcgrüubet  fein,  noc^  biefclben 


1)  ^n  ber  Schrift  to.  ^.  1783:    (StreaS,   ba3   l'en'ing    geiagt   Ijat.    233.   2ß.   V, 
3-25  ff.     il^3I.  bcfonbcrS  ®.  346.  367.  373.  377  f.  387.  (£bb.  @.  427.  434. 


?eben§aiiric^t.  453 

3um  ^kl  fe|en.  3)ie  i^aupt[ad;e  ift  halber  für  ^acobi  bie  ^reiJ)eit 
ber  ©injelnen.  gegen  ben  5De[poti§mu§  ber  ©taatSgeraalt;  wie  bie[e  fellift 
geWrbet  niirb,  tueld^e  3?erfaf[ung  ber  ©laat  f)ai,  gilt  if;m  für  eine  unter= 
georbnete  ?^rage;  er  ie(6ft  3ief)t  |ebo(^  bie  republifanifcf;e  jeber  anbern 
üor,  loeil  in  if)r,  raie  er  gfaubt,  bie  ^reifieit  unb  SSotjlfafirt  ber  @iii= 
seinen  am  hebten  ge[djü|t  ift,  unb  bie  ftörfften  3tntriek  gnr  3lu§bilbung 
be§  ©eifte§  unb  be§  Cfiaraftcrg  gegeben  finb. 

S)ie  ntetf)obif(f)e  2(u§fü^rung  feiner  ®runbfä|e  ju  einem  uollftän; 
btgen  Si;ftem  Tag  nid;t  in  i^^cobi'g  Slbfidjt  nnb  ticB  fii^  von  if)m  nid^t 
erwarten:  gerabe  ba§,  xvaS>  allein  ein  ^öf)ere§  i^ntereffe  für  itm  ^at, 
fotl  ja  über  alle  53egriffe  unb  33en)ei§fü^rungen  I)inau§(iegen.  Slber 
feinen  ®inf(u§  auf  bie  ^^i(ofopf)ie  feiner  ^elt  bürfen  mir  barum  boc^ 
nid;t  gu  gering  anfc^tagen.  @^3  maren  beren  ni(^t  wenige,  bie  fic^  von 
,^ant,  ^i(^te  unb  (£d)e(Iing  ju  feinem  @efüi)I§gtauben  ffüdjtctcn,  ober 
fid^  burc^  benfetben  über  bie  trodene  SSerftänbigfeit  ber  Slufflärnng  er^ 
\)eben  tiefen;  unb  auf  bem  ©ebiete  ber  praftifdjcn  ^f)iIo[opt)ie  'i^at 
i^ocobi,  bei  alter  lXnfid;crt)eit  unb  IXnbcftimmt^eit  feinc§  eigenen  @tanb= 
punft§,  inbem  er  gegen  J?ant  ha^i  3f?cd;t  ber  ^nbiüibuatität  geltenb 
mad^te,  eine  SBal^rtieit  au§gefprod;en,  bie  aud^  für  bie  ^ott3e3eit  nic^t 
üertoren  war.  Slber  bie  (Subjeftiüität  be§  fanttfd^en  Si^colifmuS  ift  burd) 
if)n  nic^t  bto§  nid^t  wiberlegt,  fonbern  in  mandjer  ^e^ictiung  fogar  gc= 
fteigert  worben.  SBenn  ^nnt  ha§>  äußere  Dbjeft  wenigftcn§  at§  S)ing= 
an-fid;  fiatte  ftel^en  taffen,  fo  wie§  if)m  ^'^cobi  nad;,  ba§  er  ba^u  auf 
feinem  Stanbpunft  fein  9lcd;t  'i)ahe;  aber  ^ur  wtffenfd) af titele n 
Seridjtigung  biefe»  6tanbpunfte§  t)ot  er  nidjt§,  wa§  irgeub  in'jo  ©ewicEit 
fiele,  getf;an;  wenn  fid;  bat)er  bie  einen  burd^  i^n  bei  bcn  SSoranS^ 
fe^ungen  be§  gewöfmfidjen  S3ewu^tfein§  feft^atten  liefien,  fonnten  anbere 
mit  größerem  wiffenfd;aft(id;em  '^cä)t  au§  feinen  Ginwürfen  gegen  ^ar.t 
ben  6d;(uB  3iet)en,  man  muffe  wirftic^  t)om  ^riticifmuS  gum  reinen 
^bea(ifmu§  fortgefien.  9'?id;t  anber§  wertiölt  e§  fid^  mit  ber  onberen 
Seite  uon  ^acobi'S  35ernunftgfauben.  J^ant  tiatte  @ott,  greitieit  unb 
Unfterbtic^feit  jwar  3U  praftifd;en  ?PoftuIaten  gemad;t,  aber  er  l^atte 
biefe  ^oftutate  bod^  wenigften§  §u  beweifen  cerfudjt.  Qacobi  fanb  feine 
5i8eweife  mit  Stecht  ungenügenb;  aber  war  biefem  SDJanget  bamit  ge; 
fiolfen,  baß  er  nun  jeben  Sewei§  jener  2öat)rt)eiten  überhaupt  für  un= 
möglid;  erÜärte  unb  fie  auSfd^ließli^  auf  bie  unmittelbare  lleberjeugung, 
auf  ba§  @efüf)l  jebe§  Sinselnen  grünbcn  wollte?    S^amit  würben  fie  ja 


454  Stnl^änger  Sacobt'a. 

etiuaS  nod;  üiet  fiibjeftiuereS.  3Benn  lüir  enblid;  in  ^acofii'S  @ittenlef)re 
eine  wivf(icf;e  ßrc3än3ung  ber  fantif^en  fefien  mußten,  fo  Befielt  bod^ 
and;  bie[e  nidjt  barin,  ba^  bie  objeftiuen  SSebin^nngen  be§  fittlic|en 
^anbe(n§,  ba«  2>er^ältni^  be»  3}ten[d;en  §nr  ^atnv  nnb  §ur  men[d)Iii$en 
®e[e[I|d;afl-,  üoKftänbiger  gewnrbigt  werben,  jonbern  oietme!)r  barin,  ba^ 
ber  freien  ©eldftbcftiminnng  unb  bem  pcrfönlidjeii  S3ebnrfniB  ber  ©in* 
5etnen  ein  größerer  Spicivanm  geraäfirt  wirb.  ©S-  begreift  fi(^,  wenn 
biefe  5]3f)ilofopf)ie  bem  fantifd;en  ^bealifmuS  nidjt  ©infialt  tfjun  !onnte; 
wie  c§>  fid)  anbererfeitS  au§  ber  inneren  S?erraanbtfd;aft  beiber  Stanb^ 
pnnfte  erflärt,  ba^  üon  me^ir  at§  Einer  @eite  fier  ber  SSerfuc^  gema(^t 
lünrbe,  fie  mit  einanber  ^n  oerfnüpfen  nnb  ^^^cobi'^  33ernunftglanben 
mit  fantifd;em  ^riticifmn§  jn  nnterbanen. 

4.  3tttr)äugcr  3ficotir§:   ül^cröinbnng  jacofii^fdjcr  unb  fanttf(i^er  ^^ilo- 

fopf)ie;  ^.  5'.  fjrtc§. 

S^er  erfte,  raeldjer  öffcntU($,  nod;  wäfirenb  be§  ©treit§  mil  3}len= 
bet§lo!)n,  für  ^acoU  ^art!)ei  naljm,  mar  fein  jnnger,  batb  nad;f)er  g^- 
ftorbcner  grennb  X£)oma§  SSiäemann  (1759  —  1787).  ©iefer  ta- 
tentnoHc  9Jlann  ftef)t  jebod^  Hamann  nod;  näf)cr  als  S^cobi,  ha  ber  S3er= 
nnnfiglaube  be6  (enteren  bei  \i)m  fofort  in  ben  ©lanben  an  eine  pofi= 
tiüe  Offenbarung  umfdjlägt.  SBeit  ftrenger  plt  fid;  griebri(^  Poppen 
(1775  — 1858;  ^rofeffor  in  Sanb§f)ut,  bann  in  Erlangen)  an  i^acobi, 
bem  er  fid;,  von  Slant'§>  moratifd;er  9^eHgion  nid;t  befriebigt,  fd;on  frilfie 
jugewanbt  f)atte.  ßr  fann  al§  ber  treuefte  5>ertreter  ber  jacobi'fd;en 
©d;ute  betrachtet  werben;  neben  i|m  finb  al§  3(npnger  berfelben  bie 
jiuei  frud;tbaren  ©d;riftfteaer  (Eajetan  v.  SSeiüer  (1762  —  1826) 
unb  ^atob  ©alat  ju  nennen;  jener  mar  ©ecretär  ber  3)?ünd;cner 
2lfabemie,  bicfcr  ^rofeffor  in  3}iünd;en,  bann  in  Sanb§f)nt.  2lud;  ber 
befannte  preuBifd;e  3)Zinifter  g  rieb  ri($  Sinei  Hon  (1767  —  1837)  gefit 
in  feinen  p(;itofop^ifd;en  unb  pülitifd;en  arbeiten  von  ben  @runbia|en 
ber  ©lauben§p{;i(ofop!f)ie  au§.  SDemfelben  (2i;ftem  warf  fid^  ber  göttinger 
^profcffor  griebrid^  SBouterraef  (1766  —  1828)  in  feiner  fpätcren 
3eit  mit  ännel;menbcr  Gntfd;ieben^eit  in  bie  2Irme,  nad;bem  er  snerft 
Kantianer  geroefen  mar  nnb  bann  eine  3eitta^9  (i^  feiner  Slpobüti! 
V.  S-  1799;  eine  mittlere  ©teßung  ämifd;en  iTant  nnb  ^ocobi,  hoä) 
biefem  nä(;cr  a(3  jenem,  ein3nnel;men  t)erfnd;t  I)attc.  9tad;bem  er  näm= 
tic^  l;ier  juerft  an§gefüf)rt  l;at,   ba^   fid;   auf  bem   (ogifd;en  Söege  ber 


55outerwef.    9Zee6.  455 

SDemonftrat'oi!  feine  npobiftifc^e  ©eun^fieit  gera innen  laffe,  erfennt  er 
eine  folc^e  junärfjft  in  ber  i^bee  bcr  abfointen  9tca(ität  ober  be§  2lb= 
fotuten,  bie  t)on  allem  S^enfen  nnb  allem  @efüf)t  t)orau§gefe|t,  unb 
burc^  ba§  beiben  ju  @runbe  licgenbe  „abfohlte  ©rfenntnif^oermöcjen" 
opobiftifc^  gefnnben  werbe;  nnb  er  fuc^t  im  Slnfd^In^  an  ^ant  nnb 
9ieinf)olb  in  einer  nottftänbtgen  ^^eorie  be»  3]orftel[nng§oermögen§  nai^^ 
guioeifen,  wie  fid)  nn^5  biefc§  9teale  tf)eil§  in  nnferer  (5inntid;feit,  ti^cils 
in  nnferer  :3ntel{igen3  barftede.  2ßa§  wir  aber  in  if)m  {)aben,  ift  nnr 
ba§  Gine  Sein  be§  (2pino3iimn§  (.^ant'l  S^ing^an^fid^  nod^  ganj  nnbe= 
ftimmt,  nnb  bafier  a(0  einfieitiid^e^  Dbjeft  gebad;t);  erft  nnfer  25>ille 
jeigt  nn§,  gnnäi^ft  in  nn§  felbft,  eine  lebenbige  ^raft  nnb  mit  if)r  bie 
^nbiüibnotität ,  o^ne  bie  !eine  @etbfttf)ätig!eit  möglid^  ift;  er  nöt^igt 
un§  ebenbamit,  ben  SSiberftanb,  beu  nn§  bie  Stufeenroelt  leiftet,  gteic^= 
fal(0  anf  (ebcnbige  Gräfte  surücf^nf üf)ren ,  nnb  ba{)er  and^  bie  abfolute 
9ieatität  al§  abfotnte  ^^irtnatität ,  a(§  Inbegriff  aller  Gräfte  gn  faffen, 
nnb  nn§  fe(bft  jn  it)r  in  ein  pra!tifc[)c§,  auf  nnferer  ^rei^eit  ruf)enbe§, 
in  ber  9JtoraIität  gipfe(nbe§  5?ert)ä(tni^  5n  fe^en.  lieber  alle  SBiffenfcIjaft 
aber,  alle  tfieoretifdje  nnb  praftifd;e  Xleberjeugung,  foU  bie  ibealifdje,  ober 
ber  ©faube,  f)inau§gef)cn,  me(($er  ba§  IXncnblid^e,  bie  ©infjeit  bc§  ;Sbca(= 
unb  9flea(princip§ ,  bie  geiftig=abfo(ute  ^Reatität  ober  bie  ©ott^eit,  nnb 
raeiter^in  aud)  ben  ©(auben  an  bie  eraige  ^eftimmnng  be§  3JZenfdjen 
unb  an  bie  befte  Söett  3nm  ^nfjolt  i)at  ^n  ber  golge  trat. ber  ©lanbe 
bei  53outern}ef  immer  mef)r  in  ben  S^orbergrnnb ;  er  betrai^tete  mit 
3acobi  bie  ^lealität  ber  2ln§cnn)ett  mie  ba§  S^afein  ©otteS  unb  bie 
58ernunftibeen  übertiaupt  a\§>  ©adje  beS  ©ianbcnS,  nnb  grünbete  alle 
S;f)ei(e  feines  ©i)ftem§,  bie  93letapf)i)fif,  bie  9teIigion§p{)ilofopf)ie  unb  bie 
praftifd;e  ^f)iIofopt;ie,  auf  ha?»  unmittelbare  53crouBtfein.  Stuf  baSfelbe 
gel)t  er  audj  in  ber  Sleftljeti!  juvüd,  burc^  bereu  S3earbeitung  er  fi(^ 
t)or3ug§roeife  begannt  gemad;t  l)at. 

©ine  äl)nlic^e  SSerbinbung  be§  ^riti<:ifmn§  mit  ber  ©fanbenSpl^ilo^ 
fopl)ie  finben  mir  bei  i^oliann  5Reeb  in  ^onn  (1767  —  1843),  wenn 
er  einerfeit§  mit  Steinl^otb  auf  ben  „(2a|  be§  93eiünBtfein§",  b.  1^.  auf 
bie  5l^atfac^e  be§  S3eranf3tfein§,  ein  ^,69ftem  ber  fritifc^en  ^pfiifofop^ie" 
grünben  unll,  für  ba§  er  neben  9ieinf)olb  auc^  bie  non  if)m  fel)r  l^od; 
geftellten  lluterfuc^ungen  uon  S^eteng  benü^t  l)at ;  anbererfeit§  mit  ^acobi 
beliauptet,  ba§  objeftioe  ©afein  fönne  ui(^t  erraiefen,  fonbern  nur  un= 
mittelbar  gemußt  werben.    S^en  gleichen  ßliarafter  trägt  aber  auc|  ha§ 


456  Srie^- 

(£i)fteiit  eine§  Wan\KS>,  iüclcf;er  alle  !6i§I)er  befprod;enen  ^^iIoj'op!)en  aii§ 
i?ant'§  unb  i^i^cobi'S  Sdjule  an  iuiffen[d;aft(icf;er  ^Bebeutung  unb  qc- 
]d)[d){M)m  (i-infaiB  übertrifft:  ^atoh  griebrtt^  grie§.  m§>  3}iit= 
glieb  ber  ^rübergemcinbe  geboren  (23.  Slug.  1773)  fiatte  ^vte§  feine 
53ilbung  in  ifircn  Stnftalten  gu  iBarbi;  nnb  Sflie^fi)  er{)alten;  er  war 
aber  fd;on  banialg  neben  ber  SRatfiematif  au(^  mit  ber  ?pt)i[ofopf)ie, 
mit  ben  ©Triften  nnb  2Inftc|ten  Äant'§,  9kint)otb'§,  i^acobi'S,  nnb  mit 
gid^te'^  erften  SBerfen  befannt  geworben;  nnb  nnter  bem  ©infCn^  biefer 
©tnbien,  meldjer  bnrd;  ben  ber  g(eid;3eitigen  fd;önen  Siteratnr  oerftärft 
lonrbe,  fiatte  er  fid;  nid;t  allein  ber  f)errn()ntifd)en  ®Ianben§raeife ,  fon- 
bem  ber  pofitioen  Sogmati!  übcr^anpt,  innerlid^  fo  entfrembet,  nnb 
war  gn  einem  fo  entfd;icbenen  9tationalifmn§  gefommen,  baf3  fein  SScr= 
fjältniB  gur  Svübergemeinbe  fid;  naturgemäß  (öfte.  '?flaä)  gmeijäl^rigem 
6tnbinm  in  Seipgig  nnb  i^ena  brad;te  er  erft  bret  i^al^re  a(§  ^an§lel;rer 
in  3ofiJ^9cn  in  ber  ©djiocig  gn,  l^abiUtirte  fid;  bann  (1801)  in  ^ena, 
nnb  ua^m  1805  eine  ^rofeffur  ber  ^^ilofop(;ie  in  ^eibelberg  an,  §n 
ber  fpäter  nod;  bie  ber  ^^yfi!  I;in3nfam.  1816  fe^rte  er  a(§  Sefircr 
ber  ^i)i(ofop^ie  nac^  ^cna  gnrüd;  aber  fdjon  1819  gab  feine,  immer= 
t;in  nnüorfid;tige ,  aber  fd;(ießUd;  bod;  fet;r  fiarmlofe  S:^ei(na^me  am 
2Bartburgfcft  2lnla{3,  baß  er  anf  ba0  Stnbringen  ber  öfterreidjifdjcn  nnb 
preuf3ifd;cn  S^legiernng  einige  ^afire  fnfpenbirt,  nnb  and;  nad)(;er  mit 
feiner  i)ffentlid;en  Se^rtljätigfeit  anf  93kt^einatit  nnb  ^^i;fif  bcfd;ränft 
mürbe,  ©r  ftarb  ben  10.  2tnguft  1843 ;  feine  fd;riftftellerifd;en  arbeiten, 
beren  3aI)I  fe^r  grof3  ift,  l)atte  er  unermüblic^  bi§  in  feine  le^.te  ^^it 
fortgefe^t '). 

^n  feiner  ^I)iIofop^ie  fd;ließt  fid;  grie§  gnnäci^ft  an  ^ant  an.  @r 
ift  mit  ^ant  übergengt,  baß  alle  wai)xc  ^f)i(ofop!^ie  ÄriticifmuS,  baß  bie 
Untcrfud;nng  be§  GrfenntnißuermögcnS  bie  einzige  (ölbore  STnfgabe  ber 
menfd;lic^en  ©pcfutation  fei;  er  rül;mt  e§  an  i^m,  baß  er  ben  em= 
pirifd;en  mie  ben  rationatiftif(^en  2)ogmatifmn§  burc^  bie  ^xitit  ber 
^ernnnft  miberlegt  ^abe;  er  erfennt  bie  ©rgebniffe  ber  Ie|tern  faft 
burd)au§  an.  2(ber  er  »ermißt  an  i^r  gmeierlei.  ^^ür'S  erfte  nämlid; 
f)at  ^ant,  wie  er  glaubt,  fein  wiffenfdjaftlid;e§  ^^erfafiren  nid;t  folgen 
ridjtig  genug  burd;gcfüf)rt.  Gr  verwirft  bie  3}Zetapf)i;fi!  aU  ein  aprio= 
rifd;eg  ßrfennen  ber  2)inge,  um  fid;   ftatt  beffen  auf  bie  Unterfnd^ung 


1)  ÜJgl.  öruft  .§cn!c,  3-  ^t.  Jrieä.  18G7. 


S5evfiäftni§  ju  Äant  unb  ^accbi.  457 

bei-  opr!orif($en  ^ebingungen  ber  ©rfaLjrung  ju  beitfjvänfen;  alm  er 
6e!)aitbelt  bie  le^tere  roieber  al»  eine  ©rfenntniB  a  priori,  er  ^)erf'em^l, 
bafe  fie  in  2öa^rf)eit  nnr  ein  empir{fd;e§  ©rfennen  ift  unb  fein  fann, 
nur  ba§  t^atfäc^üi^e  SSorfianbenfetn  geroiffer  Uekr^cugutigen  unb  @r= 
fenntniBgefe^e  in  unferem  @eifte  feft^uftelTen  'i)at,  baB  bie  p§iiofopf)if($en 
©runbfä^e  fi^  ireber  beiueifen,  b.  j).  an§  {)öf)erem  ableiten,  nod;  wie 
matfjematif^e  Söa^r^eiten  bemonftriren,  b.  ^.  auf  2Infd;auungen  surüd^ 
führen,  fonbern  nur  bebucircn,  b.  f).  a(§  gegeben  in  unferer  35crnunft 
nadjiueifen  laffen.  Um  feinerfeitS  _biefen  %ei)Uv  5U  uermciben,  will  grie^ 
bie  ^ritif  be§  ©rfenntniBuerntögenS  ganj  auf  bie  pfi)(^ifd;e  3lut{jropoIogie, 
auf  bie  6eI6ftbeobac^tung,  grünben  unb  ftreng  auf  fie  befd;vänfen;  unb 
er  fief)t  ^b^r^  f)ierin,  in  biefer  rein  pfi)d;o(ogifd^en  ^^affung  feiner  Slufgabe, 
bie  n)id;tigfte  unb  notl^roenbigfte  33erbefferung  be§  fantifd;en  J?riticifmu§. 
3luf  biefem  9Sege  fommt  un§  aber,  raie  er  bemerft,  nur  fold;e5  51^"^ 
^eron^tfein,  n)a»  t)orf)er  fdjon  in  unferer  3>ernunft  liegt,  fei  e§  al§ 
2lnfd)auung»=  unb  ^enfform,  fei  e§  al§  ^"occ.  2BieiD0^(  baljer  bie 
@elbftbeobad)tung,  ober  bie  Stefteyion,  bie  einjige  %onn  bc§  pl)i(ü|op£)ifi^eu 
©rfennenS  ift,  fe|t  bod;  fie  felbft  ein  unmittelbare^  S3ürf)anbcnfein  ber 
©rfenntniffe  in  unferem  ©eifte  rorauS,  unb  baß  fic^  ^ant  bicfe^  nid^t 
flar  genug  gemacht  t)at,  ift  fein  jioeiter  ©runbfeljler.  |)ier  fd;lie§t 
ftd^  mitl)in  %xk§'  ganj  an  ^acobi  an;  nur  ba^  er  eine  mctijobifdjere 
Xlnterfud)ung  biefer  ©egenftönbe  unb  eine  fd;ärfere  S3eftimmung  ber 
begriffe  üerlangt,  aU  fie  hd  jenem  gu  finben  ift.  (Sein  ©ijftcm  ift 
feinen  ©runbjügen  nad^  eine  SSerbinbung  ber  fantifd;en  33cftimmungen 
über  bie  S3ebingungen  be»  erfa^rungSmäüigen  ©rfennenS  unb  ber  £et)re 
^acobi'S  t)om  unmittelbaren  2öiffen;  ba§  eigentpmüc^fte  in  bemfelben 
finb  bie  pfijd;o(ogifc^en  Unterfud;ungen,  burd;  meiere  grieS  bie  Slnnal^men 
feiner  SSorgänger  genauer  ju  begrünben  unb  it)r  ^erI)oltni§  nä^er  ju 
beftimmen  t)erfud)t  f)at  ^).  .Sgatte  aber  fd;on  M  Äant  ber  praftifd;e  33er= 
nunftglaube  mit  ber  35efc^ränfung  unfereS  @rfennen§  auf  bie  ©rfaljrung, 
unb  bei  i^acobi  ba§  unmittelbare  Söiffen  mit  bem  nermittelten  fic^  nid)t 
red;t  uertragen  wollen,  fo  rairb  hierin  baburc^,  bajs  beibe  ©ijfteme  Der- 
fnüpft  werben,  natürlid;  ni($t§  geänbert.  S)er  ©egenfa^  be§  5>erftanbe§ 


1)  Qd)  ^atte  mi^  im  folgenben  »oväugStüeii'e  an  grieg'  §auptit)erf ,  bie  )jhui 
ßritif  .bev  35ernunft  (3  Sbe.  1.  luft.  1807;  2.  1828  —  31).  dtäi^nt  9iarf)tt3etfuuge!i, 
aud^  aug  feinen  übrigen  Sc^viftcn,  giebt  ©rbmann  ®efc^.  b.  n.  ''^3(;tl.  III,  a,  382  ff 


458  ^rieg. 

imb  ber  3?erninift,  bc§  2ßi[feu§  unb  be§  ©laittien^,  ber  empiri[cfjen  unb 
ber  ibcolen  2(nfid;t  ber  Singe  sielet  fic^  uuüerföfint  üon  Slnfang  bi§  äu 
ßnbc  biirc^  ^ric§'  5pf)t[ofop!)ie ;  ouf  ber  einen  ©eite  fte^t  bie  erf(^ei= 
nnnQSracIt,  in  ber  roir  aHeiS  nied;ani[cT;  an§  feinen  S3ebingnngen  erflären 
fotlcn,  bie  aUv  als  btoBe  ©rfcljeinung  baS  SBefen  ber  S)inge  nid;t  bar^ 
ftettt,  auf  ber  anbern  bie  ibcale  SKelt,  an  bie  wir  gtanBen,  uon  ber 
rair  aber  fcf;tecT;terbing§  nid)t§  lüiffen  fönnen,  unb  üon  ber  einen  gur 
anbern  \ül)xt  feine  ^vMc,  al§  fd;tDan!cnbe  2lf)nungen  unb  ©efüljte,  bie 
fi(^  jeber  f($ärferen  ^eftimmung  ent^ieljen. 

SBa§  nun  gunäd^ft  bie  (grfd;einung§iuelt  unb  i^ve  ©rfenntni^  6e= 
trifft,  fo'  f)ält  fi(^  ^rie§  l;ier  in  ber  .^auptfad^e  ganj  an  ^ant.  ®r  will 
^war  mit  9ieinf)o(b  unb  anberen  feine  „gtüei  ©tämme  ber  menfc^Iidjen 
©rfenntnilV  auf  eine  genieinfame  SBur^el  jiurüdfüfiren :  bie  Siernunft 
beftef)t  if)m  ^ufofge  in  ber  ©elbfttfjätigfeit,  ber  6inn  in  ber  ßmpfäng= 
lic^Mt  be§  ©rfenntni&oermögeng.  (Sr  gtau'6t  ferner,  mir  kommen  gur 
SBa^rne'^mung  be§  DbjeftS  nii^t  erft  burd;  einen  ©(^luB  üon  unferer 
©mpfinbung  auf  ifire  llrfadje,  fonbern  e§  fd  un§  balb  al§  etraal  au^er 
un§,,  16a(b  aU  eine  ^f)ätigfeit  in  un§  in  ber  ©mpfinbung  unmittelbar 
gegeben.  6onft  {)at  er  aber  alle  mefentli($en  33eftimmungen  ber  fanti^ 
f(|en  ^f)eorie  beibefiatten.  2öir  faffen  ba§  3JJannigfattige,  voa§>  un§  in 
ben  ©mpfinbungen  be§  äufscren  unb  be§  inneren  6inne§  gegeben  mirb, 
burd;  unfere  probuftioe  @inbi(bung§!raft  unter  ben  apriorifd;en  formen 
bc§  9^aume§  unb  ber  ^eit  in  oereinigenber  2(nfd;auung  §ufammen. 
2Bir  oerfnüpfen  nac^  bcm  ©djema  ber  fantifdjen  Äategoriecn  bie  2ln= 
f(^auungen  unter  ber  S3eftimmung  ber  ©inf)eit  unb  9]otf)iüenbigfeit, 
rocld;e  al§  ©ruubüorfteHung  unmittelbar  in  unferer  3Sernunft  liegt,  beren 
voiv  un§  aber  nur  in  hen  formen  be§  SSerftanbeS,  be§  logif d)cn,  bi^= 
curfiüen,  refteftirenbcn  ®enfcn§  beraubt  merben.  SBir  erfenncn  ba'^er 
5tt)ar  jeben  einzelnen  ©egenftanb  nur  burd;  bie  finntit^  ijeranlafjte  2ln= 
fi^anung  an§  ber  ©mpfinbung,  aber  bie  allgemeine  gönn  unfereS  @r= 
fennen§,  auf  ber  alle  3^ot^n)enbigfeit  be^felben  berul)t,  muB  a  priori 
in  unferem  @eift  liegen,  mag  fie  un§  auc^  immerl)in  nur  an  ben  ein:= 
seinen  Grfenntniffen  5um  33erauJ3tfein  kommen  unb  üon  ifinen  abftra^U* 
werben.  ^ierauS  folgt  nun,  ba^  unfere  finntidje  GrfenntniB  unb  bie 
mit  il)r  gegebene  SBeltanfidjt  un§  nur  eine  menfd;lidje  2lnfid;t  von  ben 
wringen  gewnt)rt;  fie  ift  eine  fubjeftiu  bebingte  örfcnntni^meife,  fie  geigt 
bie  un&  Singe  nic^t  wie  fie  an  fid;  finb,  fonbern  nur  in  il)rer  @r= 


SaS  empirifd^e  (gvfenitcn.  459 

fd^einung.  2l6er  fie  ^cigt  iin§  bod;  eine  ®rfcf;emiing  ber  Singe,  nicf;t 
einen  leeren  <Sd)ein;  benn  voo  ©rfrfjeiming  ift,  mu^  qu(^  chva§>  fein, 
ba§>  erfc^eint,  unb  wenn  wir  auc^  nid^t  erfennen,  10 a§  e§  ift,  crfennen 
rair  bod;,  ba§  e§  ift;  wollten  wir  bogegen  nnferer  finnli(|en  ©rfenntniB 
alle  SBalir^eit  aBfpred;en,  fo  fiätten  wir  nberljanpt  feine  25>al)rf)cit  nnb 
©eiui^lieit  in  m\§>,  ba  wir  feine  anbere  ©rfenntni^  ^Ben,  aU  bie  ax- 
fal)rung,  nnb  über  fie  l)inau§  nichts  befiljen,  ai§  bie  ^orm  ber  9^otl)^ 
wenbigfeit  nnb  Ginlieit,  weld^e  o^ne  ben  erfa^rnng§inä§igen  ^"Ijalt  leer 
unb  f)ebentung§lo§  wäre.  grie§  l^ot  biefe  ©älje  in  cigeutlinmlidjer 
Seife  au§gefül;rt  nnb  bcgrünbct;  nnb  fo  wcitfd;weifig  nnb  nnbnrd;: 
fid;tig  feine  ©arftelinng  oft  ift,  fo  fel^lt  e§  il)r  bodj  nic|t  an  treffenben 
pfijdjologifdjen  S3eo(mdjtnngen  unb  anregcnben  ©ebanfen.  Slber  in  feinem 
©efammtergctini^  fommt  er,  fo  weit  wir  Bi§  je^t  finb,  nid)t  über  ilant'S 
©tanbpunft  f)inan§.  2Beiter  entfernt  er  fid^  üon  bemfclben  in  tcm, 
wa§i  er  über  bie  ibeale  3tnfid)t  ber  S)inge  fagt;  um  fo  enger  ^ält  er 
fi($  bagegen  §ier  an  i^acobi,  beffen  Sälje  er  aber  allerbingS  burd)  genauere 
58eftiinmung  unb  fdjärfere  IXnterfdjeibnng  ber  ^Begriffe  in  il)rer  wiffen^ 
fdjaftlid;en  Raffung  erl)eb(ic^  üerbeffert  Ijat. 

£en  SJtittelpunlt  aller  feiner  llcber^eugungen  bilbet  ^acobi'3  Unters 
f(^eibung  3wifd;en  bcm  3öiffen  unb  bem  ©lauben,  bem  mittelbaren  unb 
bem  unmittelbaren  ßrfennen.  2llle§  Söiffen  ift  ein  üermittctteS  @r= 
fennen;  jebe§  »ermittelte  ©rfennen  fet^t  aber  ein  unmittelbares  t)orau§, 
unb  haS'  Unmittelbare,  auf  weld^eS  haS^  SBiffen  fid;  be5ie^t,  ift  bie  finn= 
lidje  2tnfd;auung;  biefe  ift  aber  ifirer  Statur  nad;  immer  unooüenbet, 
bie  einzelnen  Slnfdjaunugen  treffen  sufättig  sufammen,  ilire  SSerfuüpfuug 
ift  nur  bie  mat^ematifc^e  in  9iaum  unb  ^eit;  unb  ba^  auf  bicfem  2Bege 
fi(^  feine  uollenbete  9teil)e  l^crftellen  täf3t,  beiueifen  fd;on  i?ant'§  2lnti= 
nomiecn  (f.  0.  ©.  359  ff.).  Unb  and;  abgefcl)cn  baoon  jcigt  un§  ja 
bie  ©innlid;feit,  wie  wir  fo  eben  gehört  l)aben,  bie  5)inge  nic^t,  wie  fie 
an  fic^  finb,  fonbern  nur,  wie  fie  \m§>  3Jienfd;en  erfd;einen.  93iit  bem 
UnooHenbeten  unfereS  SBiffenS  ift  un§  aber  unmittelbar  bie  ^bee  be§ 
^ollenbeten,  mit  ber  3uföttigfcit  beSfelben  bie  eine§  unbcbingt  9iotl^= 
wenbi^..i  gegeben:  unfer  oermittelteS  ©rfennen  weift  un§  buvd;  feine 
eigene  tlnt)oEfommenf)eit  auf  ba§  unmittelbare,  unfer  SBiffen  auf  ben 
©tauben. 

S)ett  ^n^ait  biefeS  ©laubenS  bilbet  im  allgemeinen  \>a§  ©wige, 
Unbebingte,  SSoHenbete,  „bie  9^ealität  fd^lec^tfiin".    S)a  wir  unS  aber 


460  ?5"e5. 

bicfeS  .^nljaltö  nur  bur($  bie  9fief(efion  tieiuuBt  werben  fönnen,  fo  ift 
er  un§  nid;t  nnmittelbar,  fonbern  nur  in  ben  Gegriffen  gegeben,  bie 
roir  erf)a(ten,  wenn  wir  bie  ©darauf en  imfereg  finnlid>-t)erftänbigen  ©r= 
fennenS  uernetnen.  'Siefe  53egriffe  finb  bie  ^been;  bie  9fieif)e  berfelben 
entipri(f;t,  tf)vem  Itrfprung  gcniäB,  hcn  9serftanbe§fategoricen  (f.  o. 
6.  348),  burc^  bereu  (gntf($ränfung  fie  nn§  entftetien.  W^emx  wir  bie 
Kategorie  ber  Dualität  üon  jeber  53efcl)ränfung  Befreien,  Bcfontmcn  wir 
bie  3bee  bc§  IXubefcfjrnuften  ober  2lBfoIutcn ;  ebenfo  au§  ben  ilntcgorieen 
ber  Quantität  bie  ber  G'infadjfieit,  ber  llnerme§üd)feit,  ber  SSo[Iftäubig= 
feit  ober  ^lotalität;  au§  ben  ^ategorieeu  ber  9U'(ation  bie  Qbeen  ber 
Unabfjängigfeit;,  ber  greif)eit,  iuel($e  näljer  ben  Segriff  ber  ©eele  aU 
be§  unbcbingten  ©ub|eft§,  ber  Sßelt  at§  be§  üoffeubcten  @au3cn,  ber 
®ottE)eit  alö  ber  einigen  2öelturfad;e  entf)alten ;  au§  beu  ^ategorieen  ber 
33tobaIität  bie  ^bee  be§  fc^[ed;t^in  not^toeubigen  3Sefen§.  2Iu§  biefen 
^been,  gunäd^ft  au§  beuen  ber  britten  klaffe,  ergeben  fi(^  bie  brei 
©[aubeuefäl^e :  ber  ©runbfa^  be§  eiuigeu  SebenS,  ober  ber  tlnüergäng= 
(id;feit  ber  6eele;  ber  ©runbfal^  ber  llnabfiängigfeit  be§  @eiftc§,  ober 
ber  j^rei^eit  be§  ntenfd;tid)en  SBißenS,  ber  @ruubfa|  bc§  @(aubcn§  an 
einen  lebenbtgen  ©ott.  ߧ  finb  alfo  im  it)efentlid;en  bie  brei  fantifc^en 
@Iaubcn?>artifeI,  auf  bie  fi($  oud;  bei  grie§  ber  58ernunftglaube  be3ief)t; 
nur  in  Setreff  be§  erftcren  weicht  er  foiuol^l  üon  ^ant  a(§  üon  S^cobi 
ah,  inbem  er  bie  Se^arrüc^feit  un)ere§  ©eifteg  in  ber  3ett,  ober  bie 
Unfterb(id;feit ,  aufgiebt,  unb  [tatt  berfelben  nur  bie  an  feine  5eitlid;e 
@rfd)eiuung§form  gebunbene  ©raigfeit  unfereS  2öefen§  feftf)a(ten  m\\[ 
(9L  ^rit.  §  136  f.).  ©agegen  fnüpft  er  an  eine  2tnbeutung  ßant'§ 
(f.  0.  6.  353)  an,  wenn  er  ba§  Serf)ä[tniB  ber  ©eele  unb  bc§  Seibe§, 
unter  au§brüd[i(^er  Seriuerfung  be§  pi)ijfifd;en  ©tnf(uffe§  wie  ber  prä= 
ftabilirten  <Qarmonie,  bo^in  beftinintt,  ba§  beibe  ein§  unb  ba§felbe, 
(gine  unb  biefclbe  ^erfon  feien,  roeldje  ba(b  innerlid)  al§  ©eift,  bolb 
äuBcrlic^  als  llörper  erfd^eine  (ebb.  §  137  f.);  unb  äf)nlid;  beantwortet 
er  (§  144)  bie  ^^rage  über  bie  2öiilen»freif)eit  mit  bem  fautifd;en  ©a^e 
(oben  ®.  369  f.) :  unfer  empirifd;cr  6l)arafter  fei  nur  bie  Grfdjeinung  be§ 
intcKigibehi,  alle  unfere  einjelnen  |)anbtungen  feien  burd;  ba§  ©runb^ 
gefe^  unfereS  SBidenS  beftimmt,  aber  biefeS  felbft  fei  ba§  frei  angenom= 
meue  ^^riucip  unferc§  6;t)arafter§  unb  ebenbamit  ber  gauje  3ufammen= 
()ang  unferer"§anb(uugeu  ein  SSerf  ber  greiTE)eit. 

®iefe  fpcfulntiucn  ^bcen  finb  inbeffen  für  fic^  genommen,  wie  ^rieS 


2)a§  "ijötine  örfeimen;  bie  ^tsidi.  461 

fagt,  nur  SSertteimmgen  bec  in  ben  Df^aturBegrificn  entf)altcnen  Se^ 
ld;ränfungen,  unb  nur  burd;  biefe  SSerneinung  weifen  fie  auf  bie  ewige 
2öaf)rl)eit  t)in ;  einen  pofitiüen  3«{)alt  ermatten  fie  erft  baburcE),  baf3  wir 
fie  auf  ba§  empirifd;  gegebene  anroenben,  ba§  ßublidje  al§  ©rfc^einung 
be§  Graigcn  anfd;auen.  Siefe  ©ubfumtion  be0  begebenen  unter  bie 
i^bee  foll  uns  nun  nid;t  in  Segriffen  unb  in  togifd;  entiüideften  llr= 
t^eilen  mögtii^  fein,  fonbern  nur  in  ber  äftljetifdjcn  Seurt^eilnng  ber 
Xinge,  bem  unmittelbaren  Urt^eil  bc§  @efüf)l§;  ba§  6efüf)t  ift  nämlic^ 
nad;  grIeS  nidjtS  anbereS,  a(§  bie  unmittelbar  lüirfeube  Urtfjeilsfraft, 
„bie  miüfü()r(id;e  ^leflcyion  in  if)rer  bem  t)ermittelten  Sc^IieBcn  entgegen^ 
gefegten  unmittelbaren  2f)ätig!eit/'  S)iefe  Slrt  bc§  ßrfeunen»  nennt  er 
3ll)nung,  unb  er  fagt  be^f^alb:  t)ün  ben  ßrfd;cinungen  miffen  mir, 
an  ha§>  ma^re  2Sefen  ber  S)inge  glaubeu  mir,  bie  2l^nuug  taffe  nnl 
biefeS  in  jenen  erfennen. 

9töl)er  ift  e§  unfere  fittlid;e  $Ratur,  me(d;e  un§  biefe  2lnmcnbung 
be§  SScrnunftglaubenS  auf  bie  ßrfdjeinung  mögüd;  mac^t.  „SoKen  un§ 
bie  fpefulatiüen  ^been  lebenbige  53cbeutuug  geminuen,  fagt  ?^rie»  (3Jieta= 
pl^ijfif  §  96),  fo  mu^  un§  5U  i(;ncn  Ijin^u  ein  notfjroenbigcS  ©efel^  von 
eroiger  2Saf)rf)eit  gegeben  fein,  nad;  bem  mir  bie  ©rfdjcinung  ber  Singe 
felbft  §u  beurt£)ei(en  vermögen.  S)ie^  ert)alten  wir  nad;  bem  fiitlic^en 
©c^ematifmuS  ober  ber  praftifc^eu  25eftimmung  biefer  ^been."  S)ie  geiftige 
äöelt  ift  bie  2öe(t  ber  SBec^fetmirfung  ber  ^erfonen  burd;  ben  äöitlen. 
Sie  ©efel^e  biefer  2ße(t  finb  alfo  bie  ber  mi[(fü§r(id;en  2:f)ätigfeit,  bie, 
roetc^e  ben  3Sert^  unb  S^vcd  ber  Singe  beftimmeu.  „Surc^  ba§  notf)^ 
menbige  Söcrtf);  unb  ^raedgefeg,  b.  i).  burd^  ba§  5pfüd;tgebüt  ober  6itten^ 
gefe|  wirb  un§  bie  Slnmenbung  ber  :3^e.en  gegeben."  ^n  hcm  ©lauben 
an  bie  perfönlic^e  SBürbe,  biefem  ©runbgcbanfen  unferer  fitt(i($en  Ueber- 
geugung,  roirb  bie  3^ee  eines  nottjroeubigen  SBertlieS  auf  unfer  eigenes 
Seben  angemenbet,  unb  e»  entftef)t  unS  §unäd)ft  bie  ©rfenntniB  ber 
menfd;üd)en  (Sefe(Ifc|aft  unter  bem  ©efii^tSpunft  uon  Steigt  unb  33er- 
binbüdf)!eit ,  bie  ©t^i!  al§  3wed(eJ)re  für  bie  ^enfdjen.  'S)el)nm  mir 
biefetbe  S3etrad)tungSroeife  meiter  auS,  faffen  mir  aüe»  23ir!(id;e  unter 
praftif(^en  ^been  sufammen,  fo  ertjatten  mir  eine  2Be(t3roed[et)re ,  eine 
objeftioe  2;eIeoIogie,  bie  religiöS-'äftljetifdje  2tnfid)t  ber  Singe.  Sit  ©runb^ 
güge  aüer  9teligion  finb  in  ben  Sefiren  von  ber  ewigen  53eftimmung  be§ 
3)^enfs^eu,  i)om  ©uten  unb  Söfen,  unb  t)on  ber  gött(i(^en  2öe(tregierung 
enthalten;    ii;nen  entfprec^en   bie  brei  religiöfen  ©ruuböcfüt)(e,  bie  @ei 


462  5rte§. 

fü^Ie  ber  S3egeiftcrung,  ber  S)etiiut^  unb  9tefignation,  nnb  ber  2lnbac[;t. 
S)ie  gleicijcu  Sthiniuingen  fiub  e§  aber  nad;  %xk^  aud),  yon  bencn  ba§ 
©djönljcitvtjcfüljl  bc!^errfd;t  wirb.  ®ie  im  engeren  @inn  fo  gn  nennenbc 
äftfjctifdje  53etrad;tnng  ber  SDinge  ift  if)m  zufolge  nidjts  anbereS,  oI§  bie 
SKjunng  Don  ber  eraigen  ^Bebentung  ber  ©r jd^einiingen ,  meldjc  \m§  ent- 
ftef)t,  wenn  wir  fie  Dom  rellgiöfcn  ©tanbpunft  au§  benrtf)ei(en,  ,,bie 
Itntcrorbnung  ber  ^aUn  nnter  bie  religiöfen  ^been";  nnb  e§  tljeilen 
fiel  bc^fjall)  alle  äftl;eti[djen  Si^^'"^"/  i^te  er  fagt,  in  bie  epi[d}en  ber  ^e= 
gcifterung,  bie  brainati)'d;en  ber  Siefignation  nnb  bie  Ii)rifd;en  ber  3lnba(^t. 
(£eine  äfti)etifd;cn  2Iu§füf)rnngen  finb  aber  mager  nnb  3eigen  fein  tiefet 
unb  lebenbigeg  ^nnftüerftänbnifs. 

S)ie  gefammte  ^I}iIofop{)ie  gerfällt  fo  für  gricg  in  gwei  3:rjei(e: 
bie  33etrad)tnng  ber  @rfd;einnng§n3elt  nnb  bie  ^etradjtnng  ber  ibealcn 
SBcIt.  S3eibe  nnterfd;eibcn  fid;  tl)eil§  bnrc|  il;ren  ©egenftanb,  Ifjeilä 
bnrd;  nnfer  33er!f)alten  gn  bemfelben.  S)en  ©egenftanb  ber  erften  bilbet 
bie  ^Katur,  foroot)!  bie  äußere  a\§>  bie  innere,  ben  ber  giöeiten  ba§  @e- 
6iet  ber  grei!)eit:  jene  ift  9laturpf)ilofopI)ie  nnb  pfijdjifdje  3lnt(jropoIogie, 
atfo  überijanpt  tf)eoretifd)e  ^sf)iIofopf)ie,  biefe  ift  etf)i!,  9le(igion§pI)i(o:= 
fopf)ie,  nnb  2left(jetif,  alfo  pra!tifd;e  $|iIofopf)ie.  ^ene  gcraäf)rt  nn§ 
ein  SSiffen,  biefe  ift  Bad)e  hc§>  @(anben§  nnb  ber  Sl^nnng;  n)a§  ber 
©lauOe  nnb  bie  2tl)nnug  un§  Dcrfünben,  fann  bie  SBiffenfdjaft  n)of)(  aU 
2lu§fage  nnferer  SSernnnft  nad;iücifen,  aber  fie  fann  feine  ©ifenntni^ 
be§  ©egenftanbeS  barauf  grünben,  fie  fann  e0  gmar  bebnciren,  aber 
nidjt  beroeifen  nnb  nidjt  bcmonftriren.  (E§>  finb  bafier  ^mei  bnr($aug 
entgcgengcfe^te  Sßetradjtungvweifen,  smifd^en  benen  nnfer  S)enfen  fi(^ 
bewegen  foU.  ^n  ber  5Jiatnrpi)i(ofoprjie  oertangt  grie§  ein  ftreng  matl)c= 
matifd)e§  2Ser[af)ven  (auf  ba§  er  aber  freilid)  in  ifirem  pfydjologifdjen 
S:i)cil  felbft  ver5id;ten  muB),  er  mid  bie  ©rfdjeinnngen  rein  medjanifc^ 
erflären;  unb  er  wcnbet  biefe  Grfiärung  and;  auf  bie  organifdje  9latur 
an,  inbem  er  ber  ^eieologie  ^ant'§,  an  ben  er  fic|  fonft  andj  in  ber 
3'tatnrpf)i(ofopf)ic  meiftenS  anfd;(ie&t,  eine  unbefugte  eimuifdjnng  von 
^been  in  bie  ^Ratnrwiffenfdjaft  rormirft.  ^n  ber  praftifdjen  ^t)ilofopf)ie 
bagcgen  wirb,  wie  wir  bereits  wiffen,  alle§  auf  unmittelbare,  ber  SBiffen^ 
fd;aft  nnanf(ü§(id;e  ©efüljie  unb  ©(aubenSüberäcnguugen  gegrünbct. 
äBie  aber  %vk§>  beibe  ©tanbpnnfte  im  eingelnen  burd;gefüf)rt  l^at,  fann 
f)ier  nic^t  anSeinanbergefelU  werben. 

®a  e§>  in  ber  |)anptfad)c  bod;  nur  bie  Se^re  ^acobi'S  war,  bie 


^Jrtefxfc^c  (Schure.    SlBeiß.    §evme§.  463 

grie§  genauer  fceftlmnite  unb  fi)ftematifd;er  Qu§füt)rte,  mib  ba  er  au^ 
in  bem,  was  er  ju  if)r  ^{n5ufüote,  ftc^   im  roefentUcTjen  an  Rani  an-- 
fd^(oB,  fonnte  feine  ^p^itofopfiie  siuar  nidjt  bie  2rn3ier;ung§fra[t  ou^^üben, 
wclclje  eingreifenbe  neue  ©ntbetfuugcn  uub   2Iu§[id;tcn  Derleifjen;  ober 
bafür  fanb  fie  bei  oielen  unter  ben  3eitgcnoi)en  einen  n)of)(uorIicreiteten 
^oben,  unb   i^re  93titte(fteIIung  siuiidjen  i?ont  unb  ;3aeobi  mnjjte  fie 
atten  benen  empfehlen,  bei  weldjen  t)a§:  ©fauben§bebürfuif3  ftärfer  wor, 
a(§  bei  beni   erften,  unb  ber  ©inn  für  nietf)obiid;c  llnterfud;ung   unb 
TOiffcnfc^aftlidje   ©enauigfeit    ausgebilbeter,    aUi    bei    beut   jroeiteu    oon 
biefen  ^{)i(ofop{)en.    einer  ber  erften  unb  bebeutenbften  :)on  ben  aTiänncrn, 
bie  fic^  an   %xic§>  anfdjtoffeu,  war  be  SBette  (1780—1849),  biefer 
niilbe  unb  freifinnige  3:f)eoIog,   bcffcn  bleibenbftc?>  ißerbienft  äwar  ofine 
Zweifel  auf  bem  ©cbiet  ber  bib(i)d;cn  ©yegefe  unb  ©efd;id;t§h-ttif  liegt, 
ber  aber  aud^  aU  S)ogniatifer  in  Slnfeljen  ftanb.     S:urd;   if;n  würbe 
grieg'  5Religion§pl;irofopt)ie  in  bie  pofitiüe  2:^eo(ogie  cingefüljrt  unb  gur 
©runblage   einer   S)ogmati!   gemadjt.     mit   il;m   ift   ilart   ^afe   in 
Sena  (geb.  1800),  ber  gelehrte  unb  geiftreidje  53earbeiter  ber  ^iftorifd;en 
unb  bogmatifd;en  2r;eologie,  feinem  gan3en  ©tanbpunft  nac^  üerroanbt. 
^n  grie§'  ®d;ute  gefjört   ferner  ber  t)ieijäf)rige  Seigrer  ber  g^fiitofopfiie 
in  S3onn,  griebr.  tjan  ßalfer  (1790—1870)  unb  unter  ben  3ün= 
geren   STpelt    (1812—1859),    Stirbt,    ber   auSgejeidjuete    S3otani!er 
©d;[eiben  (geb.   1804)   unb   aubere.    2tud;   (Ef;riftian  äöei^  fte^t 
grieS  nafie:    mit  bem  ©tauben  ^acobi'S  yer!nüpft   er  g(eidjfalf§  ben 
fantifd;en  5lritieifmu§,  unb  er  will  biefen,  wie  g-rieg,  auf  bie  ^ii;d;oIogie 
äurüdfütiren.    ^n  ber  ^pfyd^otogie  Hegt  aud;  feine  pt)itofüpf)ifd;e  §aupt= 
leiftung  ^).    SBie  Jlant  uub  ©djeHing  bie  3}iaterie  au§  ber  ^In^ieljung^^ 
unb  2ln§be^nung§fraft  conftruirt  Ijatten,    fo  betrad;tet  SßeiB    a(§    bie 
©runbfräfte  ber  Seele  ben  ©inn  unb  ben  2;rieb;  au§  ben  yerfc^iebenen 
mög{id;en  S^erbinbungen  biefer  jwei  ©temente  leitet  er  bie  brei  Seelen^ 
t)ermögen  ab;   unb  inbem  er   bamit  hcn  Hnterfd;ieb   ber  brei  (£ntwid= 
InngÄftufen:  6innnd;feit,  S5erftanb  unb  5>ernunft,  üerbinbet,  ert)ä(t  er 
ba§  ©d;ema,  in  ha§:  fid^  if)m  atte  @eiftegt|ötigfeiten  einorbnen.    Tiehen 
biefen  gjlänuern  mog  f)ier  noc^  ber  befannte  !att)üUfd;e  S:^cotog  ©eorg 
^ermeS  (1775—1831)  in  Sonn  genannt  werben.    2tud;    er  imü   fid^ 

1)  ©eine  „Unteijudiungcn   über  ba§  Sefeit  uub  2Bir!eu  ber  nieufc^üd^en  ©eete", 
benen  bevjc^iebene  onbere  «Schriften  Dovauätengcn  unb  nachfolgten,  eif(^ienen  1812. 


464  Üieinl^olb. 

bem  SSerftanb  gegenüber  auf  einen  tl^eoretifc^en  unb  praftt[($en  SSer^ 
nunftgfauben  ftül^en  unb  baburd^  bic  t)on  ^ant  Derroorfene  9)tetap^t)fif 
auf  neuer  Orunblage  TOieberl^erfteffen.  Slber  in  ber  näf)cren  gaffung 
biefe§  SSerminftglaubenS  mifd;t  ficf)  if)m  bie  wolffifd^e  3J^etapI;t)f{f  mit 
j?ant'§  prafttfd;en  ^oftulaten,  unb  für  bie  ^fieologie  rourbe  er  §ur  Se- 
grünbung  eiue§  rationalen  SupranaturaüfmuS  üermenbet,  n)eld)er  bie 
fattjolifdje  S^ogmatif  graar  mit  ber  Vernunft  in  Hebereinftimmung  bringen 
wollte,  aber  feinen  if)rer  ©ä^e  bireft  angriff.  S)er  u(tramontanen  ^ar- 
tf)ei  gieng  freiließ  fd)on  biefer  befc^eibene  3]ernunftgebrauc^  Diet  §u  weit, 
unb  auf  if)ren  Setrieb  mürbe  bie  f)ermefianifd;e  Sef)re  balb  nad;  bem 
2:ob  it)rc§  Stifters  üon  9iom  au§  oerbammt  unb  bie  2lnl)änger  ber= 
fetben  au§  ben  tf)coIo  gif  dien  Setirämtcrn  üerbrängt. 


IIL  ^\t  .Tortlnllmng  ber  hdutifdjcn  pi)ilofopl)t(  }\m  fubjfhtiocn 

^calirmuö.     3»  %.  ^tdjtc. 

1.  aieiu^olb,  'Bäjiü^c,  SJZatmon,  Setf. 

Sßenn  bie  bi§J)er  befpro($enen  ^f)i(ofopf)en  bem  fantifi^en  Äriticif= 
mu§  ben  ©runbfa^  be§  unmittelbaren  2Siffeng  tf)ei(§  entgcgenfteUten, 
ttjeilS  if)n  burd)  bcnfelben  ergänzen  wollten,  fo  unternafimen  e§>  anbere, 
bie  gortbilbung  ber  fantifd;en  Set)re,  bie  and;  if)nen  notfmienbig  gu  fein 
fc^ien,  innerhalb  if)re§  eigenen  6tanbpunft§  ju  bewirfen,  fie  in  unb 
burd^  fid;  fetbft  gu  fo(gerid;tigerer  ©ntmidhtng  unb  ptierer  33oIIenbung 
gu  bringen.  §iebei  Ratten  c§>  aber  bie  einen  nur  auf  eine  S]cruoÜ= 
ftänbigung  it)rer  wi|fenfdjaft(id;en  33egrünbung  abgefefien,  wäfirenb  anDere 
ber  2lufi($t  waren,  ba§  aud;  i^re  Srgebniffe  einer  mel)r  ober  weniger 
burc^greifenben  3}erbefferung  unterzogen  werben  muffen.  ^ene§>  gilt  Don 
9ieinl)otb,  biefeS  üon  3)iaimou,  53ed,  ü^id)te,  unb  für  gewiffe  Seiten  be^ 
©i;ftem§  aud;  yon  ©(filier  unb  §umbolbt. 

Äart  ßeonl)arb  9Uinl)otb  auS  Sien  (geb.  1758)  war  in  bem 
bortigen  S3arnabitencol(egium  gum  f"atl)olifdjen  Slieologen  auSgcbilbet 
worben,  uni)  war  aud;  bereite  an  biefer  3tnftolt  al§>  fielirer  ber  ^^^§ilO' 
fop()ie  tljätig  gewefen,  al§>  er  fein  S^aterlanb  oerlie^,  in  Seip^ig  bei 
^tatner  feine  Stubien  fortfc^te,  bann  in  Söcimar  mit  Söielanb  in  3>er; 
binbung  trat  unb  3Jiitarbeiter  feine»  bcutfd;en  9}ierfur  (fpäter  aud)  fein 
6d;wiegerfol)nj  würbe.    SDie  Äritif  ber  reinen  SSernunft  gewann  ilju  für 


ÄantiantfmuS.  465 

Äant'S  Se^re,  aU  beren  Stpoftel  er  fofort  auftrat  (vqI.  ©.  416).  (Seit 
1787  leierte  er  al§>  ^profeffor  ber  ^^iIofopf)ie  mit  gfänjettbcm  Grfolge 
in  ^ena,  gieng  jeboc^  fd^ott  1794  na^  ^iel,  wo  er  1823  gcftortien  ift. 
33ei  einem  lebhaften  pfiitofopfiifc^en  ^rieb  nnb  5ßebürfniB  mn^U  er  ftd^ 
mit  feltener  Seid^tigfeit  in  frembe  3rnfi(5^ten  f)inein3ubenfen ,  fie  folge^ 
rid^tig  auszuführen  unb  f far  bar^uftellen ;  unb  er  mar  boburd^  in  f)of)em 
©rabe  geeignet,  feinen  ^eitgenoffen  ba»  SSerftönbni§  eines  fo  f(^roierigen 
©pftemS,  wie  ba§  fantifrf;e,  gu  oermitteln.  2(6er  im  ganzen  war  er  bod^ 
ein  übermicgenb  formales  latent;  feine  (Smpfängfid^feit  mar  größer,  als 
feine  fcfjöpferif(^e  ^raft,  ber  Semegtic^feit  fcineS  S^enfenS  fam  bie  @rünb= 
tid^feit  bcSfelben  nic^t  gleid^;  unb  menn  hk  llnpartfieilid^feit  ju  (oben 
ift,  mit  ber  er  abroeic^enbe  ©tanbpunfte  beurtf)eilte  unb  jebem  feinen 
2lnlf)eil  an  ber  Sßaljrl^eit  jugeftanb,  fo  mar  er  bafür  feineS  eigenen  fo 
menig  fidler,  ba^  er  in  rafd^em  SBed^fel  eine  ganje  5Reif)e  pfiitofopljifc^er 
©d^ulen  burd^lief,  ofme  bei  einer  berfclben  auf  bie  ^Tauer  gu  beFiarren. 
^n  bie  ©efd;i(^te  ber  ^f)iIofopf)ie  f)at  er  faft  auSfd^Iie^lid^  nur  burd^ 
bie  2lrbeiten  feiner  ^enenfer  3^^^  eingegriffen,  mit  benen  er  eine  S5er= 
befferung  unb  S[?ert)oIIftänbigung  beS  fantifc^en  i?riticifmuS  beabfidjtigte. 
Steinl^olb  mar  Baut'S  entfd^icbenfter  2lnf)önger  unb  S3enntnberer. 
®r  mar  äu  i^m  in  erfter  Sinie  burd^  fein  fittlic^eS  unb  religiöfcS  Se= 
bürfniB  f)ingefüf)ct  morben;  er  fanb  biefeS  i^^^^ereffe  am  beften  gemalert, 
menn  ber  ©faube  unb  bie  9Jtoral  üon  ber  3J?etap^t)fif  unabfiängig  ge= 
mad;t  mürben.  2Iber  er  mar  ju  fel^r  ^^^iIofopf),  um  fid^  bamit  5U  be= 
gnügen.  6r  rerlangte  raiffenfd^afttid^e  (Sidjerf)eit  ber  Ueberzeugung ; 
unb  aud^  biefe  gemährte  il^m  Äant,  mie  fein  anberer.  i^n  feinem  ©tiftem 
faf)  er  bie  roa^ire  ^f)itofopf)ie,  meldte  alle  ^^^eifel  ge(öft,  auS  alten  anbern 
©tanbpunften ,  bcm  ©mpirifmuS,  bem  3}lateria[ifmuS,  bem  9?ationa(if= 
muS  unb  (SfepticifmuS ,  baS  bered^tigte  in  fi(^  aufgenommen,  aber  ^u- 
gtei(^  aud^  fie  alle  burd^  bie  S^acfjroeifung  ifirer  i^i^rtpmer,  bie  ©r^ 
gduäung  ifirer  @infeitig!eit  miberlegt  ^ahe.  ®r  mar  überzeugt,  ba§  feine 
(Srgebniffe  für  immer  feftfte^en.  Slber  bie  Segrünbung  biefer  ©rgebntffe 
{)at,  mie  er  glaubt,  eine  Sude,  beren  SluSfüIIung  er  felbft  unternimmt, 
^ant  l^atte  biefelben  burd^  eine  üoUftönbige  ^^rglieberung  beS  ©r!enntni§= 
oermögenS,  ber  ©innlid^fcit,  beS  SSerftanbeS  unb  ber  SSernunft,  ge^ 
monnen;  er  fiatte  bie  SJiögüd^feit  ber  ©rEenntniB,  bie  3}li)g(ic§feit  ber 
3Jletap!)ijfif  unterfud^t,  unb  bie  aprtorifd^en  formen  unb  S3ebinöungen 
beS  GrfennenS  nad^gemiefen.    Stber  er  fiatte  eS,  mie  91.  bemerft,  unter= 

3«  Her,  Q5e((^i(^te  ber  btut(4en  ^^ilolop^ie.  30 


466  SRctnl^ofb.         1 

laffeu,  bie  g-onneii  be§  S?orftclIcn§  für  fi(f;  imb  o^ne  9lü(Jfi(^t  auf  bie 
©rfeuntniB  bei*  Dbjefte  gu  betvad^teit,  ben  (5f;arafter  bcr  33orfteIIung  al§ 
foId;cr  fcftjuftetten,  unb  in  i^m  ben  legten  ©runb  für  bie  Unerfemtbar^ 
feit  be§  S)ing§=an=ficf;  aufzuzeigen.  (Sben  bieB  ift  nun  il;tn  gufotge  ba§ 
näd;fte  nnb  bringenbfte  ^ebürfuiJ3 :  bie  2ßiffenid;aft  bc^  (Srfenutnlü^ 
Vermögens  mu(3  auf  eine  2Bif[enfd;aft  be§  SSorfte(Iung§üermögcn§  aB 
fold;eu  geftü^t,  e§  mu§  ber  fanti[d;cn  ^^iIofop!)ie  ba§  gunbament,  ba0 
if)v  nod)  fef)(t,  unterbaut,  fie  muf3  burc^  eine  „@(emeutarp^ilo[opt)ie" 
ergänzt  werben.  £er  Söfung  biefer  2lufgabe  unterzieht  fic^  9lein^otb 
in  feiner  ,/Jleuen  S^eorie  be^  SSorfteHungSuennögenä"  v.  3.  1789  unb 
einigen  rjcitercn  Sdjriftcn. 

Um  il;r  nun  gn  genügen,  fott  üor  allem  ein  ©runbfol^  aufgefud^t 
werben,  ber  einerfeit§  allgemein  anertanut  ift,  unb  au§>  bem  fid;  anberer« 
feit§  alle  ®igenfd;aften  unfereS  3iorftelIen§  ableiten  taffen.  3)ie[er  ©runb- 
fa^  wirb  aber  fein  onberer  fein  tonnen,  al§  ber  ©a^,  TOeld;er  bie  S;{)at= 
fa(^e  unfereS  $8orftelIen§  au^brüdt,  ber  „©a|  be§  53en)uBtfein§."  S)aB 
mv  35orftelIungen  'i)abm,  ift  unbeftreitbar  unb  wirb  von  icbem  einge; 
räumt,  ©benfo  unbeftreitbar  ift  aber  and;,  baf5  in  jeber  SSorftellung 
breierlei  enttjalten  ift:  ba§  SSorftellenbe,  ba§  SSorgeftettle  unb  bie  SSor* 
ftcllung,  unb  eben  biefeS  ift  bie  ©runbtfiatfadje,  von  ber  wir  au§= 
ge^en  muffen:  ber  ©a|  be§  SSewu^tfeinä  Ijel^t:  „bie  ^orftettung  wirb 
im  SewuBtfein  com  SSorgefteUten  unb  SSorfteHeuben  imterfdjieben  unb 
auf  beibe  bezogen."  ®a§  SSorftellenbe  ift  ba§  ©nbjeft,  ba§  SiorgeftelÜe 
ba§  Dbjeft  ber  ^'orfteUung ;  baSjenige  in  ber  33orfteIIung,  ix)a§>  bem  £)h- 
jeft  entfprid;t  unb  woburd;  fie  fid;  auf  ba§  Dbjett  bezief)t,  ift  it)r  ©toff, 
baiienige,  woburd;  fie  fid^  auf  ba§  ©nbjeft  beziet)t,  it)re  ^^orm.  S)ie 
gorm  mu§  bai;er  bem  S^orftettenben  angeijören,  wiefern  e§  fid;  al§  t)or= 
fteUenb,  als  bie  Urfa(^e  ber  SSorfteHung  vcx^ait,  fie  mu^  von  i^m  t)er= 
t)orgebrad;t  fein;  ber  ©toff  bagegen  fann  bie^  nidjt  [ein,  er  mu^  i§m 
gegeben  fein.  S)amit  e§  ben  ©toff  empfangen  föune,  muB  bem  ^ox- 
ftellungSoermögen  Dleccptinität ,  bamit  c§>  bie  gorm  tieryorbringe,  muB 
iE)m  ©pontaneität  zutommen.  2)a  ferner  baS  ©ubjeft  fid^  im  S3ewuBt= 
fein  als  baS  burd;  bie  33orftettung  unteifd;eibenbe  vex\)äit,  baS  Dbjeft 
aU  ha§>  zu  unterfd;eibcnbe,  fo  muB  ber  ©toff  etwas  ^u  unterfd;eibcnbeS, 
ein  mannigfaltiges  fein,  bie  g-orm  ber  Siorftetlung  bagegen  ©inlieit  beS 
3Jtannigjaltigen.  ®ie  gorm  ber  Stcceptiuität  beftel)t  bal)cr  in  ber  hnx^ 
bie  )}latnx  beS  3]orftettungSüermögenS  bcftimmten  3}lannigfaltigfeit   beS 


2;!^eorte- be§  5?Dr!!effung§t)ertnögcn§.  467 

©toffeS,  bie  ber  ^paiitaiicität  in  ber  hmä)  bie[eI6e  Befliittmten  2lrt 
unh  2Bei[e  ber  SSerBtnbung  be§  3)tanmgfa(tigen.  Selbe  muffen  vox 
jeber  ratrflidjen  3.^orftcIIung  in  bem  üorfteflenben  ©ubjeft  uorfianben  fein: 
etnerfeits  in  Scannt  iinb  ^fit,  ol§>  ben  formen  bei  änderen  nnb  inneren 
©inne§,  bcn  apriorifdjen  3Infdjannng§fornien,  anbererfeitS  in  ben  ^ate^ 
gorteen,  ben  apriorifc^en  formen  bc§  3Sevftanbe§.  2l6cr  üon  biefen 
apriorifc^en  ^^^ormen  be§  SSorftellenl  muffen  mir  bie  ^orftellung  biefer 
formen  unterfd;eiben.  i^ene  gelten  aller  empirifc^en  SSorflettung  al§  58e= 
bingitng  berfelben  woran,  biefe  finb  erft  au§  hcn  empirifc^en  3SorftefInngen 
aBftratjirt;  eine  IXnterfd^eibnng ,  bie  jmar  ganj  in  ^ant'»  ©inn  ift  (ügl. 
©.  344  f.)/  burd^  bie  aber  boc^  ein  ^li^üerftänbniB  befeitigt  mirb,  meld)el 
nid^t  ofjne  c^ant'S  ©c^nlb  ber  rid^tigen  2luffaffnng  feiner  Slnfii^t  bil  auf 
ben  heutigen  ^Tag  t)ielfa(^  gef(!^abet  Ijat.  S^afs  jeboc^  ber  ^n^alt  nnferer 
^SorftcÜnngen  au§  biefen  3>orftei(ung§formen  allein  fid;  nid;t  erffören 
laffe,  baB  ütelmef)r  jur  2öirflid)feit  ber  Ssovftellung  ein  oon  i^nen  vex- 
fd^icbener,  bem  ©ubjcft  nidjt  im  ^orftelfungSüermögen,  fonbcrn  von 
an^en  i^er  gegebener  Stoff  gef)öre,  nimmt  and)  9^einf)oIb  an,  menn  er 
fd^on  feinen  33emei§  biefel  6alje§  fpäter  mieber  aufgeben  mu^te.  ®a 
aber  ber  «Stoff  aU  SSorftcIIungSftoff  nur  in  hen  SSorftellungSformen  ge^ 
geben  fein  !anu,  bctradjtct  aud;  er  e§  als  felbfioerftänbüd; ,  bajs  fein 
©egenftanb  a(§  Sing  an  fi(^  üorftefibar  fei. 

ign  ber  weiteren  3Tu§fü^rung  biefer  ©ebanfen  l^ält  fi($  ^Rein^otb 
in  allen  roefentli($en  33e3ier;ungen  an  iiant.  ©r  bemüf)t  fid^  moI)I,  ben 
einen  unb  ben  anberen  ^unft  fd;ärfer  ju  beftimmen  unb  ju  begrünben. 
<So  Derfudjt  er  namentli(^  eine  ftrengere  SIbfeitung  ber  .^ategorieen  unb 
ber  ifinen  3U  ©runbe  liegenben  Urt^eifSformcn.  ©r  unterfdjeibet  gegen 
ba§  ßnbe  feiner  fantifd^en  ^eriobe  jmifdjen  bem  S)ing;an=fic^,  bemjcnigen, 
mal  ber  finnlidjen  ©rfd;einung  cntfprid)t,  unb  bem  S^tonmenon,  bem 
t)on  ber  S?ernunft  uorauSgefe^ten,  menn  an^  nie  mirfUd;  ju  erfennenbcu, 
Unbebingten.  ©r  fa^t  in  ber  „^fieorie  bei  Segel)rung§üermögcn§", 
bereu  ©runblinien  er  gleichfalls,  ober  nur  fclir  flüd^tig,  entraorfen  l^at, 
ben  fantifd^en  ©egenfa|  t)on  SSernunft  unb  6innlic^feit  als  ©egenfa^ 
Smeier  triebe,  t)on  benen  ber  eine  auS  ber  Spontaneität,  ber  anbere 
aus  ber  Sfleceptioität  entfpriuge,  ber  eine  fic§  auf  bie  ^orm,  ber  anbere 
auf  ben  Stoff  richte,  beS  rein^oernünftigen  unb  beS  empirifd;en,  beS 
uneigennü|igen  unb  beS  eigennü^igen  Triebs,  unb  befinirt  bie  Sittlid^= 
feit  als  bie  um  i^rer  felbft  miHeu  beabfid^tigte  9tealifirung  ber  ^anb= 

30* 


468  JRein^olb. 

Iung§rocife  ber  reinen  S3ernnnft.  ;^n  ber  ©ad^e  ftimmt  er  aber  fafi 
burdjau§  mit  Äant  überein,  unb  auc^  bie  formalen  Slbroeid^ungen  t)on 
ber  ©arftedung  be§  te|tern  l^aben  nid^t  fel^r  üiet  anf  fid^. 

Sieinfiolb  tarn  fpäter  von  biefer  2:f)eorie  wieber  ab,  nnb  warf  fi(| 
guerft  g-idjte  in  bie  SIrme,  in  beffen  2Biffenfd;aft§(ef)re  er  nid^t  ol^ne 
©runb  bie  folgeridjtige  33oIIenbnng  be§  fantifc^en  :[jbea(ifmu§  erfanntc. 
9?od^bem  er  fic^  fobann  erft  ^acobi  genähert  fiatte,  fd^foB  er  ftd^  für 
ein  :3o§r3el^enb  an  ^arbili  in  Stuttgart  (1761—1808)  an,  welcher 
feit  bem  Slnfang  bc§  gegenwärtigen  ^af)r|nnbert§  Üant  nnb  feinen  3^ad^^ 
folgern  nnter  bem  tarnen  he§>  ,,rationalen  3flealifmu§"  ein  ©i;ftem  ent^ 
gegenftettte,  ba§  fic^  in  feinem  SlusgongSpnnft  mit  ber  fid^te'fc^en  2Biffen- 
fd;aft§Ief)re,  in  feinem  weiteren  SSerlaufe  mit  ber  gleici^^eitigen  fd)ellingt= 
fdjcn  9taturpf)ilofopf)ie  berüljrt.  ©r  miH  nämlid;  au§  ber  logifdjen 
2lnah;fe  .be§  5Denfen§  eine  3JtetapIjijfif  ableiten,  beren  pd)fter  53egriff 
bie  abfohlte  ^bentität  ift;  fie  ift  ha§>  fci^led)tl)in  ©rfte,  ba§  SBefen  ber 
SBefen;  ifire  immer  beutlid;ere  3}Janifeftation  am  (Stoffe  beftimmt  bie 
©tufenreil^e  ber  9]aturbinge.  $8arbili  trug  biefeS  ©vftem,  3U  bem  i^m 
toä)  ol}ne  ^^^'f^^  ©($eHing'§  erfte  ©c^riften  ben  cntfc^eibenben  Sfnftofe 
gegeben  l^otten,  in  einer  '^öä)'\t  abftrufen  unb  ungenießbaren  ©arftellung 
üor,  n3e(d;e  burc^  bie  matfiematifdjen  Formeln  noc^  unuerftänblid^er 
mürbe,  beren  er  fid^,  felbft  ©djetting  no(^  überbietenb,  ftatt  iflarer  pfiilo^ 
fopt)if(^er  ^Begriffe  bebiente.  Sfleinfiolb  mußte  feine  ©ebanfen,  fo  raeit 
bieß  bie  S)nn!elt)eit  unb  33ermorren{)eit  berfelben  überfiaupt  guließ,  unter 
58enül^ung  feiner  frü{)eren  S;f)eorie  be§  6rfennen§,  mit  bem  ifim  eigene 
t{)ümlid^en  ©efd^id  ber  Sßett  5U  boEmetfd^en,  unb  er  mar  audj  je^t 
mieber,  roie  in  ben  früheren  ^fjafen  feiner  miffenfd;afttid;en  £aufbal;n, 
überzeugt,  baß  er  nun  enblid^  bie  malere  5p{)i(ofop()ie,  „bie  ^f)itofopI)ie 
o{)ne  55einamen"  gefunben  t)abe.  i^nbeffen  blieb  er  mit  biefer  Ueber= 
geugung  faft  allein,  unb  fdjließUd^  fam  auc^  er  felbft  mieber  uon  il^r 
ab  unb  üerfud;te  in  feiner  „©i;nont)mif''  burc^  IXntcrfd^eibung  ber  Se^ 
griffe  unb  Slu^brüde  einen  neuen  fefteren  ©runb  für  bie  ^l)irofopf)ie 
gu  geminnen.  2(nd;  mit  biefcm  SSerfud^  mad;te  er  aber  fein  @lüdf. 
©ine  nenuen§roertf)c  görberung  ^at  bie  beutfd;e  ^f)iIofop]^ie  burd^  i^n 
überl)aupt  nur  bamaiS  erfafiren,  ati  er  fid;  bie  ©rtduterung  unb  3Ser= 
uoüfommnung  be§  fautifdjen  ©i)ftem§  jur  2tufgabe  mad^te.  2)ie  erftere 
gelang  iljm  mit  folcfiem  Gvfolge,  baß  ba§  5>erftänbniß  Ä'ant'f^  ber  beut= 
fd)en  2Siffenid;aft  einige  ^alire  lang  burd^  il)n  üorjugSraeife  oermittelt 


(jätete  ©tanbpunite.    SSatbtlt.  469 

lüorbcn  ift,  unb  fowol^l  bie  Sfnfiänger  al§  bie  ©egner  be§  ^viticifmuS 
benfelben  faft  burc^au§  in  ber  ©eftalt  auffaßten,  bie  er  bwrd^  Stein^olb 
crl^alten  l^atte.  2lber  au(|  in  ber  siueiten  ^ejiefinng  bürfen  wir  fein 
JBerbicnft  nic^t  511  gering  anfdjtogen.  @o  epodjcmad^cnb  raar  feine 
@{ementarpf)irofopf)ie  allerbingg  nid;t,  luie  ber  fonft  fo  be[cf;e{bene  3Jtann 
auf  hcm  ^öfiepunft  feines  9luf)me§  felbft  wo'f)!  geglanl)!  i)at.  2Iber  eine 
ev^eUid)e  pf)ilofopr;ifdf;e  Seiftung  war  e§  botf;  immer,  baB  fie  in  einem 
3eitpuuft,  rao  e§  nod;  ben  meiften  felbft  an  bem  einfa(f;en  ^erftänbni^ 
be§  fantifcf;en  ©yftemS  felilte,  t)on  ben  sraei  l^eroortretcnbften  SJiängetn 
begfelben  bem  einen  bire!t  abjul^erfen  nnternor^m,  bie  ©rfcnntni^  be§ 
anbern  n)enigftcn§  mittelbar  vorbereitete.  S)er  erfte  ift  ber  formale,  ba^ 
Äant  bei  ber  ©inntid^feit  unb  bem  35crftanbe,  al§>  ben  ^mei  ©tämmen 
unferer  ©rfenntniB,  fte^en  bleibt,  o^ne  fie  felbft  auf  il^re  einl^eitlid^e 
SBurjel  gurüdäufü^ren  unb  il)rc  gemeinfamen  eigentl)ümlid;feitcn  au§ 
berfelben  gu  erflärcn.  ©iefen  9Hangel  miU  9lein!^olb  burc^  bie  3:^eorie 
be§  SSorfteffungSoermögenS  ergangen,  unb  ber  lantif($en  ^'l)ilofopl)ie  ha- 
burd^  i^ren  fi;ftemotifd;en  3Ibfd;lu{5  üerfcl;affen  (t)gl.  ©.  465  f.);  unb  eö 
lä^t  fid;  n{d;t  üerfennen,  ba§  er  bamit  eine  auf  bem  ©tanbpuuft  be3 
ÄriticifmuS  nidjt  gu  umge^enbe  llnterfud;ung  gucrft  in  Singriff  genommen 
fiat.  Snbem  fid)  nun  aber  bei  biefcr  Unterfuc^ung  IjcrauSfteate,  ha^ 
bie  33ejiel)ung  unferer  SSorfteUungcn  auf  ein  Dbjel't  fd;on  in  ber  0iatur 
beS  SSorftettenS  al§  fold^er  begrünbet  fei  unb  fid^  au§  il)r  erffäre,  mürbe 
bie  grage  nur  um  fo  bringenber,  in  beren  ungcnügcubcr  23eantmortung 
mir  fd;on  früher  ((S.  414')  bie  fd;mäd;fte  ©eite  ber  fantif($en  ©rfenntniB^ 
tl)eorie  finben  mußten :  hie  ^rage,  ob  nad^  ben  ©rgebniffcn  be§  ^riticif; 
mu§  überl;aupt  eine  gegenftänbli(^e  3öelt  au^er  unferer  S^orfteffung  an= 
genommen  merben  fönne,  ob  ba§  S)ing=an-fid)  etroaS  anbcreß  fein  lönne/ 
at§  bie  von  un§  felbft  gefegte  <B^xank  unferer  3>orfteIIung§ti)ätig!eit. 
^n  ber  SSeantmortung  biefer  ^rage  mar  9?einl;olb  üon  JTant  md)t  ab-- 
geiötd^en;  er  felbft  liat  jebod^  fpäterl)in  anerfannt,  baB  er  bagu  !etn 
9led^t  geliabt  Ijabe,  ba^  ?^i(^te  gerabe  au§  feiner  gaffung  unb  gort- 
bitbung  ber  fantifd^en  ^^ilofop^ie  bie  richtige  eonfeqneng  gebogen  l^abe. 
3ur  beutlid^eren  unb  allgemeineren  ©rlenntni^  biefeS  ©a^oerlialtg  l)abeu 
aber  namentlich  gmei  3Jiänner  beigetragen,  meldte  ^ritifc^  unb  polemifd; 
gegen  ^ant  unh  9?einl)otb  auftraten:  ©d^nlge  unb  3JJaimon. 

SDer  erfte  berfelben,   ©ottlob   ©ruft  ©djulge  (1761—1833), 
TOar  ^profeffor  in  ^elmftäbt,  fpäter  in  ©öttingen.    ^n  bie  @efd;id^te  ber 


470  ®«  ®-  ®d)«l5e. 

beut[($en  ^f)i(o[üpf){e  griff  er  l)auptfä(^(id;  hux^  ein  Sßerf  ein,  ben  im 
^ai)x  1792  anonym  erfd;ieneuen  „SlenefibemuS."  ®cr  S^cd  biefer 
©d;rift  ift  bie  Prüfung,  ober  genauer:  bie  Seftreitung  Don  9?einf)olbS 
ß(ementarpf)i(ofop(;ie.  S)er  ©tanbpunft  aber,  üon  bem  ©(^ulje  f)iebei 
au^gefjt,  ift  ber  be§  ©fepttcifmu^.  ©r  will  ben  S3en)eig  führen,  ba§  eS 
bem  fantifd;en  i?riticifmu§  in  ber  it)m  üon  9fleinJ)olb  gegebenen  fo  wenig, 
aiä  in  feiner  urfprünglii^en  Raffung,  gelungen  fei,  §ume'0  gmc[\d  gu 
raibericgen,  „bafe  in  ber  ^^i(ofopf)ie  roeber  über  ba§  S)afein  unb  D^id^t^ 
fein  ber  S)inge  an  fid;  unb  i^rer  ©igenfd;aften,  nod;  aud^  über  bie 
©renken  ber  menfc^lid;en  @rfenntni|3!räfte  etraaS  na^  unbeftreitbar  ge= 
raiffen  unb  allgemein  gültigen  ©runbfä^en  au§gema(^t  tüorben  fei." 
2)iefe  feine  näd;fte  2lbfid;t  ift  i£)m  nun  ani^  luirfüd;  in  ber  §auptfa(^e 
gelungen.  (Bv  raeift  9tein^olb  nid;t  Uo§>  in  untergeorbneteren  fünften 
mand;e  Xlngenauigfeit  in  feinen  S3eftimmungen  unb  mand^e  fiüde  in 
feiner  $8eii)ei§füt)rung  nad;,  fonbern  er  geigt  auä)  bei  ber  entfdjeibenben 
grage  nad;  ber  3flealität  be§  S)ing§'an=fi<^  nid;t  of)ne  ©djärfe,  ha^  fic^ 
^ant  unb  9ieinI)olb  bnrd^  feine  2lnnaf)me  in  Sßiberfprü($e  uenuideln. 
S)a§  $Cing^au=fid; ,  fagt  er,  folt  eine  unerIäBlid;e  S3ebingung  ber  (Bx- 
fatirung,  aber  e§  foU  un»  gugleid;  völlig  unbekannt  fein.  StIIein  luenn 
e^  bicfs  ift,  fo  fönnen  rair  and;  nid;t  n)iffen,  ob  £)inge=an=fid;  wirftid^ 
ejiftiren  unb  llrfadjen  t)on  etraaS  fein  fönnen,  wir  f)aben  mitfiin  fein 
SRedjt,  fie  für  Sebingungen  ber  ©rfat)rung  gu  l^atten.  9Benn  man  ferner 
mit  Äant  annimmt,  bafs  bie  Äategorieen  ber  Xlrfad;e  unb  Sßirfung  nur 
auf  ©rfa{)rung§gcgenftänbe  angcroanbt  werben  bürfen,  fo  fann  man 
nid)t  bc{)aupten,  ha^  bie  SBirfung  üon  Singen,  bie  au^er  nnferer  33or= 
fteltung  ej;iftiren,  ben  ^n1)ait  ber  SSorftcIIungen  l;erüorbringe.  SöoHen 
wir  enblid;  aud;  gugeben,  ha'^  wir  un§  einen  beftimmten  ©runb  nnferer 
(Srfai)rung§fenntniffe  beuten  muffen,  fo  wäre  bod;  immer  erft  gu  er= 
weifen,  ba{3  biefer  ©runb  au^er  m\§>  felbft  liege,  bafs  uufer  ©emütf) 
nid;t  bie  alleinige  llrfadje  nnferer  SSorftellungen  fein  tonne;  ein  S3ewei0, 
hen  weber  Jlant  nod;  9leinl)olb  in  irgenb  gcnügcnber  SBeife  geliefert  '^at 
9Zid;t  beffer  ftel)t  c§>  aber  aud)  uiit  bem  S^ernuuftglauben,  ben  Äant  auS 
ben  Slnforbcrungen  unferc§  fittlidjeu  ^ewu^tfcin^  ableitet.  (Bx  beweift 
bie  Unftcrblidjt'eit  barauS,  ba^  ha^»  ©ittengefe^  eine  moralifd;e  33011= 
fommenljeit  uon  un§  forbere,  bie  wir  in  feinem  3citpunft  unfere§  £cben3 
wirflid^  erreid;en,  ber  wir  un§>  mitl;in  nur  in  unenblidjcm  gortgang 
annäl)ern  fijnnen;  baS  S)aiein  ©otteS  barauS,  baB  c^  eine  Xleberein= 


2leneftt)emuS.  471 

ftimmung  ber  Sürbigfeit  unb  ©tiidfcligfeit  forbere,  bie  mir  unter  ber 
SSebingimg,  bo§  e§  einen  ©Ott  gebe/  möglich  fei.  Slllein  ob  ba§  ©itten= 
ge[e|  bieB  roirf(i(^  forbert,  Bemerft  <Bä)uh^e,  ba?  fönncn  mx  nidjt  loiffen, 
fo  lange  wir  ni(^t  wiffen,  ob  nn§  bie  Sebingnngen  gur  (grfnllnng  feiner 
angeblidjen  gorberungen  gegeben  finb.  9^ur  roenn  mir  etioae  3n  teiften 
möglich  ift,  !ann  id^  anncfimen,  ba^  e§  bie  S?ernunft  mir  befefile :  gu 
iinmögtic^em  ift  niemanb  verpflichtet.  S)a§  S)afein  ©otteS  nnb  bie  Un- 
fterblid^feit  (offen  fi($  fomit  an§  bem  ©ittengefe^  ni(^t  ableiten;  menn 
fie  t)ietmef)r  mirfüd^  ^ebingnngen  finb,  ofine  bie  bem  ©ittengefe^  nit^t 
entfprod^en  werben  !ann,  fo  mü§tc  biefeS  au»  if)nen  mit  abgeleitet  werben. 
Db  er  felbft  fie  für  fold^e  Sebingungen  l^ölt,  fagt  ber  ©feptifer  ni(^t; 
nad^  ber  ßonfequenj  ber  fantifc^en  6tt)i!  finb  fie  bie^  nid^t,  unb  fo  ^at 
benn  gii^te  gugleid;  mit  bem  5r)ing=an=fid^  Qud^  biefe  gwei  ©laubenS; 
artifel  bcfeitigt. 

60  treffenb  aber  biefe  ßinroürfe  gegen  ^ant  unb  S^etntjolb  finb, 
fo  t)iel  lä^t  bei  <Bd)u^e  bie  altgemeine  Segrünbung  unb  Raffung  feineä 
©fepticifmuS  jn  münfc^en  übrig.  6^^  fe()[t  biefer  S^enfraeife  bei  i^m  an 
jeber  feften  .^altung.  @r  will  nid)t  befianpten,  ha^  überfiaupt  fein 
SOBiffen  möglidj  fei,  fonbern  nur,  baf3  ber  3wfßi^wenf)ang  unferer  5Bor= 
fteUungen  mit  S)ingen  aufeer  un§  bi§  je^t  nic^t  erwiefen  fei.  S)a= 
gegen  fo((en  nid^t  allein  bie  ^Cfiatfad^en  ;tnfere§  SSewn^tfeinS  a(§  fotd^e 
fo  wenig,  wie  bie  ©efe|e  ber  Sogif,  beftritten  werben,  fonbern  aud^  bie 
fittlid^en  SSerpf[id^tuugen  werben  für  etwa§  erflärt,  beffen  55eftrcitung 
bem  ©feptifer  ni(^t  in  ben  Sinn  fomme,  weil  bie  ©efc^e  ber  praftifd^cn 
Sßernunft,  auf  benen  fie  berufen,  fo  feft  ftefien,  al§  irgenb  eine  anbere 
SCfiatfadje  in  nnferem  ©emüt!).  6§  ift  atfo  fein  fef)r  folgerii^tiger 
Zweifel,  um  ben  e§>  fid;  l^ier  fianbelt.  Unb  mit  ber  53egrünbnng  biefeS 
3weifel§  t)at  e§  fid;  ©d^ulje  gar  ju  Ieid;t  gemad^t.  (Sein  ^auptgrunb 
ift  bie  immer  wieberfetirenbe,  bi§  3um  llcberbru§  wieberl^olte  58ef)auptung, 
ba^  man  oon  unferen  Segriffen  nid;t  auf  bie  Singe  fd^üe^en  fönne, 
ba§  man  ni^it  fagen  !önne,  weit  etwa?  fo  ober  fo  gebadet  werben  muffe, 
10  muffe  e0  and^  fo  ober  fo  fein.  «Sdjulje  witt  un§>  be^^alb  fogor  üer^ 
bieten,  au§  bem  $Dafein  ber  3>orfte(Iungen  bie  ©jiftenj  eine»  SSorftel(ung§= 
Vermögens  unb  eineä  üorftellenben  S5?efen§  ju  folgern,  ©ine  folc^e  ^Be« 
wei^füt)rung  für  ben  S^^eifel  ift  nid^t  blog  fefir  ungrünblic^,  fonbern 
fie  ift  aud^  ber  unmittelbare  Sßiberfprud^ :  wenn  man  bezweifelt,  ob 
ctwa^-  fo  fei,  wie  wir  e§  unl,  nid^t  etwa  bIo§  finnüd^  oorguftellen,  fonbern 


472  SKaimon. 

äu  beulen  genöt^igt  finb,  fo  i^ei^t  bie^  mit  anbern  SBortcn:  mau 
äiüeifelt,  ob  mir  e§  uuS  fo  benfen  muffen,  wie  wir  eä  nn§  benfen  muffen. 
©I  gicbt  ja  fein  anbereä  3Jierfmal  ber  3Str!lid^feit,  al§  bie  S^otl^roenbtg» 
feit,  nng  bie  ©ad;e  alö  roirflid;  gu  benfen.  ©iner  ^^eorte,  wdä)e  biefe^ 
3)Zerfmal  nid^t  anerfennt,  lief3  fid;  fein  großer  Erfolg  üerfpred;cn,  unb 
i^r  Urf)cbei-  felbft  oermücfjte  fie  auf  bie  Sauer  nid;t  feft^u'^alten.  @r 
trug  fie  jiuar  in  feiner  „-flritif  ber  t^eoreti|d;en  ^l;üofop§ie"  (1801)  nod; 
einmal  in  aller  2lu!3fül)rlid;feit  t)or;  in  ber  j^^olge  fam  er  aber  mel)r  unb 
mcf)r  üon  i§r  ab  unb  neigte  fi(^  ju  ^acobi  unb  33outern)ef  f)in.  ^nbeffen 
j^at  t)on  feinen  fpäleren  ©d;riften  feine  me^r  eine  SBirfuug  geliabt,  weldje 
ber  be^  SleuefibemuS  äu  oergleid;en  wäre.  Sc^ul^e'^  SBebeutuug  beftef)t 
barin,  ba|  er  ben  reinen  ^bealifmu^  aU  bie  eonfequenj  be§  fantifi^en 
^riticifmuS  nad;mie§ ;  unb  er  f)at  baburc^  namentlit^  auf  gid;te,  raie  unS 
biefer  felbft  fagt  ^) ,  fe^r  bcbeutenb  eingemirft.  3'?ad;bem  gierte  biefe 
eonfcqueuä  gebogen,  unb  ber  äöiffenfd;aft  ebenbamit  eine  neue  Slufgabe 
geftedt  f)atte,  war  bie  9toIIe  einer  ©fepfiä,  bie  nur  in  ber  Seftreitung 
be»  inconfequenten  fantifd;n-einf)olb if d;en  ;3^ealifmu3  ilire  ©tärfe  gefiabt 
fiatte,  gu  ©übe. 

©lei(^äeitig  mit  ©d^ul^e  füfirte  ©alomo  ällaimon  (1754-1800) 
bie  ©ac^e  ber  ©fepfi^  gegen  Äant'^  Ätiticifmu^;  ein  ^uhe  aus  Sit- 
trauen,  ber  fid;  burd;  eine  feltene  S3egabung  unb  eine  eiferne  2i)illen§= 
fraft  unter  ben  ungünftigften  33erf)ältniffcn  oom  polnifd;en  SCalmubiften 
§nm  beutfd;cn  ^l)ilüfopf)en  emporgeai'beitet  ^atte;  ber  fic^  .^afire  lang 
als  3Sagabunb  in  $Korbbentfd;lanb  l;eruiutrieb  unb  namentlid;  in  Berlin 
lebte,  bis  i^m  enblid;  ©raf  ^alfrcutl^  auf  feinen  ©ütern  eine  ^nfluc^t 
geroäl)rte ;  ber  aber  tro|  ber  3erfaf)ren^eit  unb  äeitweifen  SSerlommenfieit 
feines  £ebenS  burc^  eine  dielte  geiftooller  unb  fd;arffinniger  ©d;riften 
in  bie  p^ilofopl)ifcl)e  ^Bewegung  eingriff  unb  t)on  i?ant  felbft  als  ber 
bebeutenbfte  unb  oerftänbniBoottfte  unter  allen  feinen  ©egnern  anerfannt 
würbe.  2BaS  il)n  bap  mad;te,  baS  war  einerfeitS  allerbingS  ein  un- 
gen)öl;nlid;cS  pl)itofopl)ifd;cS  Sialent,  bem  eS  nur  an  ber  ruf)igen  ©amm-- 
lung  unb  metl)obifd;cn  2luSbilbung  fehlte;  anbererfeitS  aber  wefentlid^ 
ber  Umftanb,  ba^  er  eben  nid;t  bloS  ber  ©egner,  fonbern  weit  melir 
noc^  ber  ©c^üler  beS  grofscn  ilönigSberger  ^^ilofop^en  war.  SBälirenb 
©djul^e  ben  ÄriticifmuS  uon  au^en^er  angegriffen  unb  i§m  nur  jum 


1)  Oti  bem  «tief  au  Bttp^am,  Q,  ®.  Jid^te'iS  Cc6eti  ü.  Q.  §.  gierte  II,  393  (511). 


3n)e(!e  ber  SBiberlegung  feine  eigenen  gotgefä^e  oorgcf)atlen  l^atte,  fefien 
mix  biefe  6ä^e  bei  3Jlaimott  fid^  oon  innen,  au^  ben  t)on  i^m  felbft 
getl^eilten  3Soran§[e^ungen  be§  !antiid;en  ©tanbpunft§,  entwitfeln;  nnb 
wenn  er  aud;  eine  gu  ffeptif(^e  ^f^atur  war,  um  pofitiüe  3>orfdjIäge  gur 
Umbilbung  beSfelBen  §u  nia($en,  wenn  er  mit  feiner  3erfe|enbcn  SSer^ 
flanbe§fd;ärfe  jraar  einen  auSgeseid^neten  ^ritifer,  aber  feinen  ^ißemati-- 
Ut,  mit  feiner  nngelenfen  unb  fi^iuerüerftänblid^cn  S)arfteIInng  §tüar 
einen  burd;  9teid;tf)um  nnb  6elbftänbigfeit  ber  ©ebanfen  fe^r  anregen^ 
ben  ©c^riftfteller,  aber  nid^t  ben  SBegrünber  einer  p^i[o[opr;lf($en  ©d^ule 
abgab,  fo  ^at  er  bod^  ber  weiteren  ©ntroidtung  b-^^  tranfcenbcntalen 
^bealifmug  üiel  unmittelbarer  vorgearbeitet,  aU  bie^  burd;  Singriffe  ge-- 
fd^etien  !onnte,  meldte  biefem  ©pftem  alä  ©anjem  jebe  ©eltnng  ab-- 
fprod;en,  mäE)renb  fie  felbft  boc^  nid;t§  faltbares  bafür  jn  bieten  f)atten. 
2öa§  nun  3JJaimon  an  Äant  tabelt,  ift  3unäd;ft  fd^on  ber  formale 
3Jiangct,  auf  beffen  SSerbefferung  e§  bereits  9^einf)olb  bei  feiner  elementar^ 
P^ilofop^ie  abgefeiert  §atte:  baB  ^ant  x)on  ^mei  ©täiumen  ber  menfd;= 
lid^en  @r!enntni§  au§gel)t,  ftatt  biefe  felbft  aus  i^rer  gcmeinfdjaftlic^en 
SBuräel  ^eräuleiten.  @r  feinerfeitS  erfennt  biefe  mit  9tcin^o(b  in  \)m 
SSemu^tfein  aB  fold^em;  aber  menn  ber  le^tere  bag  SeiouBtiein  fofort 
a(S  DorftcIIenbeS  Semu^tfein  gefaBt,  unb  ben  Slft  be3  58orfteaen0  für 
feine  ©runbttiatfad^e  gefialten  fiatte,  fo  ift  bie§,  raie  3JJaimon  glaubt, 
oerfelilt.  Sie  S}orfteEung  ift  nur  eine  beftimmte  2lrt  hc8  ^eioujitfeinS ; 
ba§  gcmeinfame,  unter  ha§>  aEe  STrten  beSfelben  fallen,  fann  nur  haä 
»erouBtfein  überhaupt,  ober  ba§  S)ert!en  in  ber  meiteften  53ebeutung  be§ 
SGBortel  fein,  unb  biefeS  befielt  in  ber  ^Berbinbung  eine§  a}tannigfalttgen 
jur  obicmoen  ©in^eit.  S)a§  ^Semufetfein  be§  3)iannigfüaigen  auf3er  ber 
SSerbinbung  burd^'g  Senfen  ift  2ln)(^aunng;  ha^  ^öemufetfein  feiner  ein-- 
jelnen  Seftanbtlieile  al§>  ber  Sßeftanbt^eile  biefeS  gu  »erbinbenben  3Jlannig= 
faltigen  ift  SSorftettung  be§  le^tern;  ba§  «emu^tfein  eines  jcben  S3c:= 
ftanbtl)eil§  nid;t  nur  biefeS,  fonbern  mehrerer  ju  rerbinbenben  3}Jannig- 
faltigen,  ift  Segriff  biefeS  3)?annigfaltigen  0;  fo  baB  bemnad;  in  bem 
35emuBtfein  als  fold^em  äffe  bie  üerfd^iebenen  Slrten  beSfelben  als  feine 
Elemente  entl)alten  finb. 

1)  5«cue  eogil  2.  Stbfc^n.  II.  III.   Sie  weiteren  gjac^weife  au§  2)?aimou'§  ©c^riften 
flnbet  man  bei  ©rb mann  ®cfc^.  b.  n.  «P^.  III,  a,  515  ff.    J?.  gifcfier  ©efcfi.  b 
n.  ^^.  V,  135  ff. 


474  2Jtatmon. 

(?5  ift  aber  nt(f;t  BfoS  bie  '^otm  unferer  SSorftellungen,  bie  wir 
aus  bem  33erou|3t[em  fierguleitcn  t)aben,  fonbern  au^  für  hcn  Stoff 
berfelbcn  finb  wir,  lüie  SJiainiou  glaubt,  nid^t  bere($tigt  eine  anbete 
Quelle  rorau§3ufel^en.  SBenn  i?ant  unb  9tein^olb  S)inge  au^er  unö 
annafimcn,  auf  mdä)e  bie  ®mpfinbungen  fid^  Be^iefien  follten,  fo  finbet 
SiJiaimon  mit  ^djulje,  folc^e  ®inge  (äffen  fid^  nid^t  b(o§  nid^t  Ben3eifen, 
fonbern  man  !önne  fi(^  au^  üon  ifinen  feinen  Segriff  machen.  S)a§ 
5i)ing  on^er  unferem  ^Bewn^tfein,  ba§  S)ing  an  fi(^,  märe  etroaS  fd^ted^t=^ 
f)in  uncrfennbare§,  ein  ©egenftanb,  ber  burd^  gar  fein  Wlextmal  gebadet 
raerben  mü^te;  eine  imaginäre  ©rö^e,  ein  IXnbing.  ßineä  ©toffeS  be^ 
bürfen  wir  freiließ  für  unfer  S)enfen,  benn  ba§  Senfen  ift  Sejie^ung 
einer  ^orm  auf  eine  3)^aterie ;  unb  biefer  6toff  mu^  un^,  a(§  ba§  allem 
beraubten  S)cn!en  tjorangel^enbe,  gegeben  fein.  ®amit  ift  aber  nid;t  ge^ 
fagt,  ba^  er  üon  S);ngen  au^er  un§  I)errüf)ren  muffe;  bieB  ift  üielmefir 
eine  miberfinnige  2lnnaf)me,  benn  mie  fann  baS,  n)a§  au^er  un§  ift, 
als  ©toff  unferer  SSorftellungen  in  unS  fein?  ©onbern  ein  gegebene^ 
ift  ba§,  beffen  Urfprung  ung  unbefannt  ift,  ba§,  maS  mir  nid^t  in  @e= 
banfen  auflöfen  fönnen,  ba§  irrationale:  ba§  S^oumenon  be3ei(^net  nur 
bie  ©renje  unfcrcS  ©rfennen§, 

S)a§  begebene  in  biefem  ©inn  ift  nun  ein  boppelteS.  A  posteriori 
finb  uns  bie  ©mpfinbungen,  als  ein  SOknnigfaltigeS  oline  üerfnüpfenbe 
ßinlieit,  gegeben;  a  priori  bie  Sebingungen ,  unter  benen  unS  jeneS 
9Jiannigfoltige  allein  gegeben  werben  fann,  9laum  unb  ^eit,  als  bie 
beftimmten  3lrten,  baS  3Jiannigfaltige  5ur  ©infieit  beS  53emuf3tfeinS  ^n- 
fammenjufaffen.  S}aS  SSermögen,  biefe  gegebenen  ©rfenntniffe  gü  |aben, 
ift  bie  ©innlic^feit.  ©ie  liefert  unS  bie  Dbjefte  als  fold^e,  bereu  dnU 
ftel)ungSart  unS  unbefannt  ift,  als  ^robufte  unfereS  S)enfenS;  werben 
mir  uns  bcr  Siegeln  berou^t,  nad^  benen  mir  biefelben  lierüorbringen, 
fo  wirb  bie  Slnfcliauung  gum  ^Begriff,  bie  ©innlid)feit  gum  SSerftanb. 
SSerftanb  unb  ©innlidjfeit  rerlialten  fid^  ba|er  3U  einanber  nid;t  mie 
jraei  ganj  t)erfdj!cbene  i?räfte,  fonbern  nur  rote  gmei  oerfd^iebene  (^nt= 
midlungSftufen  einer  unb  berfelbcn  Äraft:  bie  ©innlic^feit  ift  nid^tS 
anbereS,  als  untjoffftönbiger  SSerftanb. 

S^aS  ©runbgefe^  alles  realen  S)enfenS  ift  nad;  3Jlaimon  ber  „6a| 
ber  Sßcftimmbarfeit"  ober  ber  ©a^:  ba§  gmei  ©lieber  bcS  SDlannigfaltigen 
burd)'S  S^enfen  nerbunben  werben  fönnen,  menn  baS  eine  berfelbcn  ein 
beftimmteS,  baS  anbere  ein  t)on  biefem  beftimmbarcS,  unb  balier  als 


(Srfenntni^tl^eone.  475 

S)enfobieft  t)on  ifim  abhängig  ift;   (ber  <Ba^e  m^  nur  ein  anberer 
Slu^brudf  xittb  eine  beftimmte  Slnroenbung  be§  @efe|e§,    raeldjeS  in  ber 
Sogt!  a(g  „6a§  be§  ©runbeS"  aufgeführt  äu  werben  pflegt,  unb  welches 
befagt,   boB  jeber  ^^ortgang   unb  jebe   5?er!nüpfung    unferer   ©ebanfen 
bur^  ben  3ufommen^ang  üon  @runb  unb  golge  beftimmt  wirb).    S)ie 
5]erbinbung  eine§  3J?annigfaÜ{gen  naä)  bem  ©runbfa|  ber  Seftimnibar= 
feit  ift  ein  llrtfieil;  ha§>  beftimmte,  von  tuelcfjem  ein  53eftimmbare§  be= 
ftinimt  wirb,  ift  ha§>  ©ubjeft,  ba§  Seftimnibare,  raeld;e§  üon  jenem  be- 
ftimmt  wirb,   ba§   ^räbifat   be§  Unt)dU.    3ft   f)iel)ei   ba0  Seftimmte 
gegeben  xmb  ha§>  Seftimmbare  wirb  gefud^t  unb  qu§  il)m  f)erau§geroic!ett, 
fo  ift  bQ§  Urt^eit  ein  anali;tifd;e§,   ift  ha§>  53eftim)iibare  gegeben  unb 
feine  ^Beftimmung  wirb  gefuc^t,   fo  ift  e§   ein  fi;nt^etifd;e§.    ^n^  bie 
Urtfieile  füfirt  3Jtaimon,  mä)  5?ant'§  'Vorgang  (ogl.  <B.  335.  347),  alle 
S)euf Operationen  ^urücE;  bie  oerf^iebcnen  Slrten  ber  Urtfieile  leitet  er, 
unter  einer  raeitgel^enben  S>ereinfad^ung  ber  geioö^nlid^en  SogiE,    au« 
feinen  ebenbefprod;enen  grunblegenben  53eftimmungen  ab.    2luf  biefelben 
ge^t  er  auc^  für  bie  SIbleitung  ber  ^ategorieen  ^)  gnrüd:    fie  atte  finb 
wie  er  fagt,    nur  näfiere  Seftimmungen  be§  Sa^eS  ber  ^Beftimmbarfeit' 
fie  brüden  bie  aprioriid;en  Sebingungen  au^,  unter  benen  reelle  Dbjefte 
Qehaä)t   werben  tonnen,   ba§    on   fid;  unbeftimmte  im  SSerf^ättnife  3um 
S3ewuj3tfein  beftimmt  werben  fann.    ^n  feiner  ^ategorieentafet  ftimmt 
3Jiaimon  mit  Äant  überein,  nur  ba^  er  unter  ben  ^ategorieen  ber  9te= 
lation  bie  ber  ßaufalität  wegläßt,   weil  fie  üon  bto§   empirifd^em  @e= 
brauch  fei;   unb  eben  biefe  Kategorie  ift  eg  aud^,   f)infid;tac^  bereu  er 
bei  ber  grage  nod^  ber  Slnwenbbarfeit  ber  Äategorieen  am  entfd;iebenften 
von  ^ant  abweidet.   Senn  wenn  er  fie  aud;  auf  benfbare  Dbjefte  über= 
Iiaupt,  unb  baber  auc^  auf  bie  finnnd;en  aber  nid^t  empirifd;en  Dbjefte 
ber  aJiatl)emati!  anwenbbar  finbet,   fo   beftreitet  er  bod;  nid;t  b(o§  mit 
^ant  ibre  STnwenbbarfeit  auf  bie  S)inge  an  fid;,   weil   biefe  überl)aupt 
unerfennbar  finb,  fonbern  and;  mit  §ume,   aber  gegen  Äant,  if)re  Sln^ 
wenbbarfeit  auf  (lrfd;einungeu.    S)enn   um   ^wei  ßrf($einungen  in  ba§ 
SSerl)öltniB  ber  Urfac^e  unb  SBirfung  fe|en  gu  tonnen,   fagt  er,   mü^te 
man  wiffen,  wal  man  nie  wiffen  fann:  ba^  biefelben  nid^t  bto§  bi§^  er 
immer  in  einer  beftimmten  Drbnung  aufeinanbergefolgt  finb,   fonbern 
ha^  fie  überhaupt  immer  in  biefer  Drbnung  anfeinanberfolgen;   fo 

1)  2«aittton  [elbft,  bcS  ©rtcc^tfc^en  unfunbtg,  fc^reibt  be^arrlic^:  Äatt)egorteen; 
ebenfo  SDiet^apl^irif,  etnp^rifd^  u.  bgl. 


476  SKatmon. 

lange  man  biefi  nid;t  raci§,  övünben  fi(^  iinfere  ßau[alität§fd;lü[fe  nur 
auf  ©croöfinung,  fie  l^akn  bloS  [ubjeftbe  ©eiuifsfieit,  bIo§e  Söa^rfc^ein^ 
Uä)Mt  SBenn  wir  if;nen  objeftbe  2ßaf)rl)ett  gufdjreiben,  fo  üerracd^feln 
wir  bie  SSerfnüpfung  unferer  ^been  mit  einem  realen  ^u[ammcnfiang, 
wir  l^alten  für  eine  %^ai'iad)e  ber  ©rfatirung,  \m§>  nur  ein  (Sr^eugnil 
unferer  @inlnlbung§fraft  ift. 

Stuf  bie  @inbilbung§!raft  füfirt  3)taimon  auc^  bicjenigen  SSorftel^: 
(ungen  gurüd,  meld;e  ^ant  t)on  ber  S^ernunft  t)erge(eitet  ^atte,  bie 
(^been.  ©ine  ^bee  ift  nai^  Äant  ber  begriff  t)on  einem  Unbebingten. 
2lttein  bie  5]ernunft,  entgegnet  il^m  3)iaimon,  verlangt  t)on  un§  gwar 
Stuffteigen  üom  33ebinglen  gu  feiner  ^ebingung  unb  von  jebcr  Scbingung 
gu  einer  t)öf)eren;  aber  gu  einer  legten  Sebingung  wirb  fie  \m§>  nur 
banu  füf)rcn,  wenn  bie  S^ieifie  ber  SBebingungen  enölit^  ift.  ©ine  un= 
enb(id;e  SReitie  bagegen  t)at  ai§>  foId;e  fein  le^teS  ©lieb ;  benfen  wir  un§ 
baf)er  bod;  ein  foI(^e§,  fo  fann  btefe  ^Sorftellung  nur  in  ber  Sftatur  ber 
ßinbilbungSfraft  gegrünbet  fein.  ^Run  ift  aber  ba§  Unbebingte  ni(^t§ 
anbeve§,  al0  ba§  fe^te  ©lieb  einer  unenblic^en  9teil)e;  benn  eine  enb= 
Ii(^e  ift  al§  ©an^eä  unb  bal^er  aud;  in  ifirem  legten  ©lieb  bebingt. 
Unfere  SSernunft  fann  un§  bal^er  bie  ^orfteHung  eines  IXnbcbingten 
nid^t  liefern,  unb  wenn  wir  un§  mit  biefer  SSorftellung  in  SBiberfprüd^e 
»erwideln,  fo  ift  bie^  (wie  3Jtaimon  be0  nälieren  nad^weift)  nid^t  ein 
SBiberftreit  ber  5ßernunft  mit  fid;  felbft,  fonbern  ein  ©treit  berfelben 
mit  ber  @inbilbung§!raft. 

S>iefe  ©ifferena  l)ätte  inbeffen  am  ©nbe  bod;  nic^t  fo  t)iel  auf 
fi($;  mag  man  bie  i^been  ber  SSernunft  ober  ber  ^liantafie  auf 
9fied;n.ung  fd^reiben:  in  bem  ©rgebnife,  ba§  ilire  Slnnalime  auf  einer 
Stäufd;ung  beru^ie,  ftimmt  ^ant  mit  feinem  ^ritifer  überein.  ®er  te^= 
tere  beliauptet  nun  aber  ba§  gleid;e  aud^  üon  benjenigen  Iteber^eu^ 
gungen,  in  benen  Jlant'S  praftifc^er  3>ernunftglaube  bcftanb.  ®ie 
3bee  eines  rolüommenften  2ßefen§  |at,  wie  er  glaubt,  aud^  al§  praf= 
tifd;e  ^bee  nur  fubjeltiüe  S3ebeutung.  ©ie  forbert  un§  auf,  nid;t  bloS  für 
bebingte  ^wede,  fonbern  auc^  für  ben  l)öd;ften  Qmcä,  ben  einer  f)öd^= 
ften  Urfa($e,  bie  WiM  gu  fu^en ;  b.  ^.  fie  befiel)lt  un§  baS  ©treben  nac^ 
ber  l)öd)ften  SSoHfommenl^eit.  ^n  biefem  ©treben  beftclit  bie  allge= 
meine,  für  jebeS  SSernunftwefen  gültige  Steligion.  3Serfud;en  wir  eS 
bagegen,  ber  ^bee  beS  atterüollfommenftett  2ßefen§  ein  bcftimmtcS  Objeft 
ju  unterlegen,  un§  ein  folc^eS  Söefen  olS  wirflid;  üoräuftetten,  fo  ge- 


©rfenntnigtl^corie:  Äategorieen,  ^bccn.  477 

ratfien  mix  nmexmeihli^  in  ben  SBiberfprui^ ,  un§  ba§[el6e  nad)  ber 
2lnologte  eineS  empiri[df;cn  DbjeftS  benfen  ju  muffen,  weil  e0  fein  an- 
bere§  Dbjeft  für  itn§  giebt.  2öir  legen  tf)m  SBilTen  nnb  SScrftanb  bei, 
rcä^renb  bo(^  ein  SBitte  nur  ba  fein  fann,  wo  ba§  ©treben  ift,  ein 
Objeft  I^eroor^ubringen,  tüelc^eS  beni  SBoIIenben  fel)lt,  nnb  ein  35erftanb 
nur  ba,  wo  2tnfd;auungcn  nod;  apriorifd;en  Siegeln  beftinimt  werben, 
unb  2lnf(^ouungen  ifirerfeits  nur  unter  ber  enbticf;en  53eftim)nung  ber 
^eit  mögli{^  finb:  unfere  ©otteSibee  wirb  antf)roponiorpf)iftifcf; ,  fie  xoU 
berfprid;t  fid)  felbft,  bie  5>ernunftreligion  wirb  5U  einer  befonberen  fÜe- 
ligion,  bie  al§>  folc^e  feinen  Slnfprnc^  auf  SlHgemeingüftigfeit  f)at  ^). 
gi(^te  f)at  in  ber  golge  biefe  33ebenfen  wieber  aufgenommen.  2Benn 
aber  3J?aimon  tro^bcm  bie  2lnnaf)me  einer  SBeltfeele  »ert^eibigt  (a.  a- 
D.  179  ff.),  bie  bod^  aud^  nur  eine  befoubere  bogmatifd;e  SSorftellung 
über  bie  te^te  lXrfad;e  ift,  unb  wenn  er  im  ^«fammcn^ang  bamit  be= 
fiauptet  (ebb.  63),  bie  t)öf)eren  6eelenfräfte  feien  bei  oCcn  i^ernunft^ 
wefen  biefelben,  alle  SScrfdjiebenljeit  unter  ifjuen  '^abe  i^ren  <Bi^  nur 
in  ber  !örperli(^en  Drganifation  unb  ben  nieberen  ©eelenfräftcn,  fo  gel;t 
bte§  über  ba§,  wo§  ifim  fein  fritifd;er  ©tanbpunft  ertaubte,  weit 
tjinauS. 

Sind;  mit  bem  fantif($en  9JJorarprincip  ift  SJJaimon  nid^t  einoer- 
ftanben,  weil  bie  Stcalität  ber  Stutonomic  be§  2BiIIen§  fid;  nii^t  beweifen 
(äffe,  unb  fomit  bie  auf  fie  gegrünbete  gorberung  eine§  .^anbelnS, 
weld;e»  burd;  bie  allgemeiuc  SSeruunftform  ber  ^bealität  beftimmt  werbe, 
eine  gegenftanbslofe  ^hce  fei.  ®r  felbft  finbet  bo§  3JJotit)  be0  fitttid^en 
^anbeln§  in  bem  angcnct)men  ©efül^t  ber  eigenen  2Sürbe,  ben  wefent- 
lid^ftcn  53eftanbtf)eil  beSfelben  (mit  WriftoteleS)  in  bem  ©rfennen.  ^n- 
beffen  t)at  er  fid;  aud;  l^ier  im  wefentlid^en  auf  bie  Äritif  befd;rän!t, 
o{)ne  bie  pofitiüe  Umbilbung  be§  fantifd;cn  ©i;ftem§  gu  üerfud^en. 

Um  fo  entfc^iebener  unternaf)m  bie§  fein  ^eitgenoffe  :3afob  ©i; 
giSmunb  S3ecf  (1761  — 1842),  ein  perfönlid;er  ©d;üler  üon  .^ant, 
ber  erft  in  ^olle  ^f)iIofopt;ie  lehrte  unb  feit  1799  gJrofeffor  in  9toftod 
war.  ^er  britte  ^anb  feines  „erläuternben  2lu§3ugl  au§  ben  fritifd^en 
©d^riften  be§  |)errn  gJrof.  .^ant"  (1793  —  1796)  füEirt  ben  be^eii^nen^ 
ben  3:itet:  „einjig^mögUc^er  ©tanbpunft,  au§  weld;em  bie  fritifd;e  ^f)t= 
lofop^ie  beurtlieilt  werben  mu|".  S)iefer  einzig ''mög(id;e  ©tanbpunft 
befielt  aber  feiner  Ueberjeugung  nad^  barin,  ba^  t)on  bem  Sing  an  fid^ 


1)  ^^itof.  SÜßörterb.  ©.  97  ff.  10  ff. 


478  3-  @-  *«<J- 

ganj  aBftraf)irt  wirb,  imb  bie  (grf (Meinungen  nic^t  au§  bem  3)ing  unb 
ben  S?orfte(Iung^?gefcijen,  fonbern  aul  biegen  allein  evfiärt  toerbctt.  2?on 
©egcnftäubeu  au^cv  iin§  fönnen  toir  n{($t§  wiffen,  au(^  nic^t  einmal 
üon  bei*  @j*iften3  foltfjer  ©cgeuftnnbe  fönncn  wir  lüiffen;  benn  toie  un§ 
33e(!  unermüblid;  einfcfjärft:  wir  [inb  niemals  in  ber  Sage,  unfere  ^oXi 
ftettung  mit  ifirem  angebli($en  ©egenftanb  uergleid^en  nnb  baburd;  ba§ 
2)afein  be»  (entern  conftatiren  jn  fönnen.  Sei  bem  S)ing=an=ftd;,  mel(^e§ 
bem  (Stoff  nnfcrer  SSorftetInngcn  entfpred^en  foH,  fann  man  fic^  fd)(cc^= 
terbingS  nidjts  benfen:  wenn  man  t)on  nnferen  SSorfiellungen  atleS  ba§> 
abfonbert,  iua§  unferer  ©innli(^feit  nnb  iikrfjaupt  bei*  fnbjeftiüen  SSot= 
jleHnngSform  angeprt,  fo  bleibt  gar  nichts  pofitiücS  übrig;  eine  SSor^ 
fteUnng  aber,  bie  if)r  Dbjeft  mir  hnv^  9Zegationen  beftimmt,  fte[(t  nid;t§ 
t)or,  e§  fef)(t  bei  i^v  an  allem  nnb  jebem,  maS  fie  mit  if)rem  ©egenftanb 
rerbinben  fönnte.  SBenn  bafier  S^leinfiolb  nnb  bie  gro^e  ^i^efirja'fil 
ber  .Kantianer  nnter  ben  5Dingen  an  fid)  ©egenftänbe  üerftef)t,  mefi^e 
bem  ©toff^  nnfercr  SSorftettnngen  entfpredjen ,  fo  ift  bie^  nad)  Sed'§ 
2Infi(^t  ein  ^Kidfall  in  ben  baren  ®ogmatifmu§.  Qn  SBa^rfieit  ift  ta^, 
ma§  unfere  Gmpfinbungen  jnr  ßinl^eit  üerfnüpft,  nid^t  ber  ©egcnftanb 
anf3er  un§,  fonbern  unfere  SSorfteI(ung§tf)ätig!eit  felbft.  2Ba§  mir  aber 
burc^  unfer  S5orfte[[en  :^eroorbi*ingen,  ift  ©rfdjeinung.  S}er  llntcrfc^ieb 
ron  Xing^an^fi*^  unb  ©rfc^einung  ift  fomit  unhaltbar:  e§  ift  nid^tS  in 
unfern  33orftenungen,  maS  mir  nid)t  ganj  unb  au§fd;IieBlid;  felbft  crjeugt 
ptten,  unb  menn  bie  ^p^itofopl^ie  unfere  SSorftellungcn  erflären  mill, 
barf  fie  f)tefür  nur  auf  bie  urfprünglic^en  ©efe^e  unfere^  9>orftcIIen§, 
ober  raa§  baSfctbe,  auf  ba§  „urfprnngli(^e  SSorftetlcn"  äurüdgeljen^ 
meld;e§  bie  ©rnnbtfiatfad^e  unfere§  Sewu^tfcinS,  eine  üon  jebem  jn  üer- 
langenbe  ©rfatirung,  ein  allgemeines  ?poftulat,  unb  al§  foic^eS  ber 
l^ödjfte  ©rnnbfa^  unb  ber  einjige  ridjtige  Slnfang  ber  ^{)ilofopt)ie  ift. 

S)aS  urfprünglid;e  ^^orftellen  ift  ber  9lft,  burc^  ben  unfer  3Serftanb, 
wie  Sed  fagt,  bie  nrfprünglid^^gnt^etifc^e  objeftioe  ßint)eit  erjeugt,  ein 
üerbunbeneS  3)Zannigfa(tige§  fe^t.  Sind;  ba§  5IRannigfaitige  felbft  er= 
l^alten  voit  aber  nur  in  biefer  SSerbinbung :  roeber  3laum  unb  3cit  no(^ 
baS  ^eak  ber  S)inge  finb  uns  üor  ber  urfprünglidjcn  Synt^efiS  gegeben, 
fonbern  erft  in  il)r  entfielet  un§  ber  Stoff,  mie  bie  ^orm,  unter  ber 
mir  il)n  anfdjauen.  ^n  biefer  urfprünglic^en  @r3eugung  beS  üerbunbenen 
SPtaunigf altigen  mnf3  jebod;  ein  smeiter  2lft  Ijinjufommen,  burd;  ben  mir 
baS  in  jenem  l)erüorgebrad;te  unS  als  ©cgenftanb  gegenüberftellen,  eS 


^.  ©.  «ed.  479 

als  Dbjeft  fiyiren.  ^ed  nennt  bie;en  äioeiten  2Ift  bie  urfprünglid;e  Sln^ 
erfennung.  S)urc^  bie  nrfprüng(i($e  ©yntliefiS  foffen  bie  lategoricen, 
burd^  ha§>  nrfprünglic^e  Stnerfennen  ber  Sc^emati[niu§  ber  i?ategorieen 
(vqI  o.  348  f.),  burd;  jene  ber  ffiaum  nnb  ba§  S^aumerfüflenbe,  burc^ 
btefeS  hk  Seit  erzeugt  tcerben;  toobei  e§  aber  freiüd^  begreiflid;ern)ei[e 
fefir  unftar  bleibt,  wie  fid;  Sed  biefen  .^ergang  eigentlid;  benft.  ^n  beiben 
jufammen,  ber  St)nt]^e[e  nnb  ber  Stnerfennung,  befteJit  ba§  uriprünglic^e 
SSorftedw;  unb  erft  burc^  btefeS  erf)a(ten  loir  ben  urfprüng(id)en  Se^ 
griff  üon  einem  ©cgenftanbe,  bie  SSorftelInng  eines  aiealcn :  „2Sirfli(^feit 
ift  baS  nriprüngtic^e  S^orftetten  felbft,  worauf  ber  begriff  vom  Dbjefte 
aü'ererft  folgt''  ^).  Sed  fü^rt  bafier  auc^  atte  naturn)ii)enid;aftiid;en  SSe- 
griffe  auf  baS  urfprünglic^e  S^oritetlen  ^nrüd;  er  5eigt  3.  ^.,  baB  fi($  bie 
Sflaumerfüdung  als  bie  SSirfung  einer  beroegenben  £raft  barftellen  niüffe, 
raeil  uns  bie  ©mpfinbung  beS  SßiberftanbeS,  ben  rair  bei  beni  ^>erfud;,  in 
einen  9iaum  einzubringen,  erfahren,  nur  hnx^  baS  urfprünglidje  @e^en 
eines  GtioaS,  rooranf  biefe  (Smpfinbung  folgen  muf3te,  einer  bewegenben 
Äraft,  entfielen  fönne  (a.  a.  D.  212  l),  u.  f.  w.  ^uv  GineS  läBt  fi($ 
aus  bem  urfprüngli($en  S3orftelIen  nic^t  herleiten:  baS  fittüdje  aBoKen. 
S)aS  ©ittüc^e  befte^t  nämtid^,  raie  Sed  fagt  (a.  a.  D.  281  ff.),  in  ^tm 
urfprünglic^en  @e|en  einer  burc^  einen  bloßen  Segriff  üorgefteEten 
^anbhing,  welcher  Segriff  felbft  auf  baS  urfprüngUd;e  Q^orfteUen  nid^t 
5urüdgefül;rt  werben  fann,  in  einem  nrfprünglid;en  Sotten;  eS  berul^t 
auf  einer  eaufolität,  bie  oon  atter  ^eitbebingung  unb  attem  D^atur^u^ 
fammenfiang  unabl)ängig  ift,  bereu  Segrtff  aber  ebenbeBlialb  nie  t)er= 
ftänblid;  gemad;t  werben  !ann.  Ser  S^^cd,  auf  ben  biefeS  ©offen  fid^ 
beäiel)t,  !ann  nur  bie  3Jienf(^l)eit,  iiberliaupt  baS  ber  3wede  fähige  SBefeti 
fein.  S)er  ;3n!^att  beS  ©ittengefe^eS  beftel)t  bemnad;  in  ber  gorberung, 
bie  3JJenfd)f)eit  als  3wed,  nie  als  bloBeS  SJlittel  5U  betrad;tcn.  ^n  ber 
SSerwir!lid)ung  biefer  gorberung  beftel)t  bie  ^eroorbringung  beS  pd^ften 
@utS.  SaS  ^Kittel,  um  fid^  bie  ßrreid^barfeit  beS  ^'6ä)\kn  @utS  3U 
benfen,  ift  ber  ©laube  an  hk  IXnfterblidjfeit  unb  an  ©ott;  aber  biefe 
nac^  9]aturanalogieen  gebilbeten  StefleyionSbegriffe  gewähren  feine  @r= 
fenntniB  unb  laffen  fid^  nid^t  jur  tlieoretifd^en  Ueberjeugung  erlieben. 

Sed  f)at  felbft  fpäter  biefen  ©tanbpunft  wieber  uerlaffen,  nad^bem 
er   il)n   noc^   eine  3eit  lang  in  ©d^riften  oertreten  l)atte.    2lber   aud^ 

1)  einä.  mögl.  ©tanbp.  166.    Seitere  SBctegc  geben  erbmann  unb  ^ifc^er. 


48Ö  dWt. 

fd^on  Bei  feinem  erften  2luftrcten  fanb  er  bamit  ni(^t  bie  ^eac^tung, 
n)eld;e  if)m  ber  ©efialt  unb  bie  S3ebeutung  feiner  ©ebanfen  nnter  anberen 
Umflänben  tüof)I  t)crf($afft  fiaben  würbe,  S)enn  bereite  groei  ^a^xe  ror 
bem  „ßinjig  möglichen  ©tanbpunft"  war  %x6)te'^  ©runblage  ber 
2Siffenfd^aftS(ct;re  erfc^ienen,  in  roeld^er  ba0,  rcaS  33e(f  raoHte,  weit 
fd^ärfer,  !(arer  unb  bur($greifenber  ausgeführt  roav.  ©o  richtig  aud^ 
jener  bie  ibediftifd^en  ^ofgcfä^e  bei  fontifd^en  ÄriticifmuS  erfannt  l^atte, 
fo  war  bodf;  feine  ©arftellung  berfelben  nod^  unooUftänbig :  er  fiatte  jwor 
alle  SSorftellungen  nad^  iS^^t^ft  unb  gorm  auf  ba§  urfprüngtid^e  SSor- 
fteHen  jurüdfgefüfirt,  akr  nadf;  ber  Üuette  biefeS  urfprünglic^en  Sßor= 
ftellenS  fiatte  er  nid^t  raeitcr  gefrogt,  er  l^atte  eS  nid^t,  raie  g^id^te,  au§ 
bem  :3d)  unb  feiner  unenbti(^en  S^ätigfeit  abgeleitet;  fiatte  aber  eben- 
be§f)alb  auc^  fein  SJJiittel,  ben  fantifd^en  ©egenfa^  ber  tl^eoretifd^en  unb 
ber  praftifc^en  ^Bernunft  gu  befeitigen,  unb  in  beiben  bie  fidf;  gegenfeitig 
bebingenben  formen  jener  unenbfii^en  S^^ätigfeit  be§  ^^  gu  erfennen. 
^m  3wf«wmenF)ang  bamit  fcf;Iug  ^eä  feine  2lbtt)eid;ung  ron  Äant  p 
gering  an:  er  befiauptete  fortraäfjrenb,  ba^  fein  ©yftem  nidi;t  allein  bie 
Sonfequenj,  fonbern  aud;  bie  eigentlid^e  SJieinung  ber  !antifd^en 
^riti!  fei,  unb  baB  biefe  nur  im  StuSbrucf  fid^  ber  f)errfd^enben  '^ot- 
ftellungSraeife  anbequemt  fiabe;  unb  er  erfd;n)erte  e§  fid^  baburd^,  feinen 
©tanbpunft  mit  »oller  greifieit,  unablictngig  dou  Äant'l  Seftimmungen, 
au^äufüfjren.  ^J^efimen  mir  bogu  bie  ©djraerfälligfeit  feiner  5DarftelIung, 
fo  werben  mir  e§  gang  begreiflich  finben,  ba§  feine  fd^arffinnigen  lXnter= 
fud^ungen,  fo  fcf)r  fie  au(^  feiner  pl)ilofopl)ifd^en  (Sinfid^t  ßlire  mad^en, 
boc^  nic^t  ben  ©rfotg  !)aben  fonnten,  meldten  ^^id^te  mit  feiner  !ül)nen 
2lu§fül)rung  unb  SSolIenbung  be§  tranfcenbentaten  ^bealifmuS  gefiabt  fiat. 

2.  2)ic  2Öiffcnf(^aft§Ic^re,    ^iä^tt'»  ficbcu  uttb  ^crfönlit^fcit  unb  bie 

^rinciptcn  fetue§  SijftemS. 

^ol)ann  ©ottlieb  gid^te  mar  ben  19.  Wlai  1762  ju  9flamenau 
in  ber  Dbertaufi^  geboren,  ©ein  SSater,  ein  fieinemeber,  lebte  in  fel)r 
befd^ränften  SSerljältniffcn.  grember  Unterftü^ung  l^atte  e§  ber  Änabe 
ju  üerbanfen,  ba^  er  eine  gelelirte  S3ilbung  erhielt;  unter  großen  ®nt= 
be^rungen,  nid;t  feiten  mit  bitterer  S^iotl)  Mmpfenb,  ftubirte  er  (1780 
— 1784)  in  S^na  unb  Seipsig  ^l^eologie,  unb  nad)bem  il)n  feine  2lr= 
mutf)  gcnötljigt  l)atte,  bie  Unioerfität  ju  oerlaffen,  mu^te  er  neun  ^a^ve 
lang   in   bem   mül;feligen   S3eruf   eines   §auSlel)rerS   an    oerfd;iebenen 


©ein  Scücn.  4g  j 

Orten  fein  Srob  [ndfjen,  efie  er  jn  einer  felöftänbigen  ©tellnng  unb 
2Birffamfeit  getongte.  2l6er  gerabe  biefe  3eit  ber  Sebrängnifi  fotlte 
für  fein  innere^  unb  fein  äuBercS  Scben  ron  entfd^eibenber  SBid^tigfeit 
werben,  ßine  §au§(ef)rerftelle  füf)rte  ifin  1788  nad;  ^üv'i^,  mo  er  feine 
nad^maHge  ©attin,  eine  ?Riä)k  Ä(opftocf§,  fenncn  lernte.  S)er  IXnterrid^t, 
ben  er  (1790)  in  Seipjig  einem  ©tubenten  ertf)ei(te,  tjeranlQ^tc  ifin 
5um  ©tubium  ber  fantifd^en  ^^ifofop^ie,  n)äf)renb  er  bi0  bof)in  einer 
betermintftifd;en  2BeftQnfid;t  ge^ulbigt  Ijotte  ^) ;  unb  er  fanb  in  berfelben 
ni{$t  allein  für  fein  S)enfen,  fonbern  aud^  für  fein  fittli(|e§  Sebürfni^ 
eine  fo  üolle  SBefriebigung,  baB  er  fid^  l^x  rüc!f)a(t0fo§  in  bie  2(rme 
warf.  3luf  ber  9flücfreife  oon  3Barfd;an,  n)of)in  er  gteid^faltg  aU  ^au^- 
teurer  gegangen  war,  fu($te  er  1791  Äant  in  Äönig^berg  ouf;  um  fid^ 
bei  bem  3)teifter  raürbig  einzuführen,  fd;rteb  er  feine  „tritif  aller  Dffen= 
barung",  worin  er  ben  ©tanbpunft  be§  Äriticifmuä  mit  fold^er  ©d^ärfe 
unb  fo  ganj  in  ^ant'S  ©eift  auf  bie  grage  über  bie  9Köglid;feit ,  bie 
©rfennbarfeit  unb  bie  93ebeutung  einer  ü6ernatürlid;en  Dffenborung  an= 
roanbte,  ba^  bie  ©d^rift  bei  il^rem  erften,  gegen  feine  2lbfid;t  anonijmen^ 
©rf^cinen  (1792)  allgemein  für  ein  SBerf  be§  ÄönigSbcrgcr  ^^i(ofop^en 
gefiaften  mürbe.  ®o  mar  er  mit  ©incm  Wale  berühmt  geworben;  unb 
nad;bcm  eg  if)m  fd^on  1793  eine  günftige  SBenbung  in  ben  35ermögen0- 
t)eri)ä(tnlf)on  feiner  Sraut  mögUd^  gemad^t  ^atte,  fic^  mit  if)r  in  3ürid^ 
ju  t)erf)eiratF)en ,  würbe  er  1794  an  9leinf)oIb'5  ©teile  nac^  ^ena  be= 
rufen.  ®ie  3eit  feiner  bortigen  Sßirffamfeit  war  bie  glänjeubfie  ^eriobe 
biefer  llniüerfität ;  aber  ein  unerwarteter  ©d;Iag  machte  i§r  ptö^Ud^  ein 
©übe.  eine  2l6f)anblung  in  gid^te'§  unb  9^ietf)ammer'l  i^ouinal,  in 
ber  man  3ltf)eifmu§  fanb,  t)eranta§te  bie  !urfäd;fifd^e  ^Regierung  ju  einer 
Mage  gegen  ben  ^f)itofopf)en,  ber  ofinebem,  noc^  uon  feinen  erften  po= 
atifd^en  Schriften  au0  hem  Qa^r  1793  i)er,  im  ©erud^e  he§>  dtevolw- 
tionörS  ftanb;  unb  er  felbft  üerbarb  burd^  feine  Unf(ug{)eit  unb  fein 
fd^roffcg  3luftreten  feine  <Bad)e  bei  ber  weimarifc^en  Stegierung  fo  grünb= 
(td^,  baB  fie  fd^IieBHc^,  ftatt  bie  gveifjeit  ber  3öiffenfd;aft  in  i(;m  gu 
fc^ül^en,  fein  angebroiiteS  ©ntlaffungSgefud^  al§  ein  wirftid^  eingereid^teS 
betianbclte  unb   if)n  üon  feiner  £ei)rftelle  entfernte  (1799).     ©r   gieng 

1)  Sie  cinjige  aut^eiittfc^e,  aber  je^r  unöoHrtönbige  Urfunbe  biefe§  fiü^eren 
®tanbpuutt§  finb  bie  2tp:^orifmen  in  gic^te'ä  SBerfcn,  V,  1  f.,  welche  merüid}  an 
?effiii(]  anfangen;  bei  ber  93Ubung  beSfelben  l^at  ©pinoja  o^ne  Sroeifel  nicfit  bro§ 
burd^  Seffing,  fonbern  aud^  biieft  eingemirft. 

3  e  11 1  r,  ®efcf)i(^te  ber  beutfc^en  ^^ilofop^ie.  qi 


482  iJi'^te. 

nad;  Seriiu,  trat  ^ier  mit  %v.  (S(^IcgeI,  ©d;leienuocf;er  unb  anbeni 
©e{e:^rten  in  3.^erlnnbung,  unb  bccjann  halb  aud;  S3or(cfungen  ju  Iialten; 
baneben  übcrnaf)m  er  1805  eine  ^srofcffur  in  ßrfangen,  wo  er  aber 
nur  im  Sommer  lefen  fottte.  Tia^  ber  9Zieberfaije  oon  i^ena  unb  bem 
^rieben  uon  S^itfit  mar  er  einer  ber  crften  oon  ben  SDMnnern,  raeldjc 
hen  ilampf  für  bie  2ßieberI)erftc(Iung  ^reu^enS  unb  S^eutfd;lanb0  3U= 
nädjft  mit  ben  SBaffcn  be§  äBorteS  unb  bc§  @eifte§  ungebeugt  auf= 
naljmen.  9Jütten  unter  bem  Sörm  ber  feinblid^en  S^rnppen  l;ielt  er  in 
^Berlin,  feiner  perföntic^en  ©efa^r  ad)tenb,  im  2Binter  1807/8  jene  be= 
geifterung^SuoIIen  ,,9vcben  an  bie  beut)'d;e  Dilation",  bie  al§  ein  erfter 
tüf)mv  Slufruf  gur  ßrijebung  au»  tiefer  ©vniebrigung  überall  eine  ^ixn- 
benbe  SBirfung  l^erüorbrad;ten.  2öa§  er  t)ier  üerlangte,  mar  bie  3Öieoer= 
geburt  ®eutfd;ianb§  burd;  eine  fitttidje  unb  miffen)d;aftlid;e  ©c^ieljung 
be»  95olfe§.  2llg  einen  üietüerfpredjcnbcn  ed;ritt  gu  biefem  3^^^^  ^^' 
grüßte  unb  förberte  er  bie  Stiftung  ber  53erlincr  Uniocrfität ,  bereu 
groeiter  3le!tor  er  mar.  @r  follte  jebod;  nur  mcnige  ^af)re  an  it;r  mirfen. 
TiO<^  in  bem  SBefreiung§fricge  erfranfte  feine  grau  an  bem  3:i)pt)U§, 
roe(d;en  fie  fid)  bei  ber  pflege  ^ermunbcter  3uge3ogeu  §atte;  g-ic^te  erbte 
üon  i^r  bie  J?ran!t)eit,  unb  mä^renb  fie  wieber  gena§,  erlag  er  berfelben 
am  27.  i^anuar  1814. 

gierte  äeid;net  fid;  cor  allen  anbern  bcutfd;cn  ?pi)ilofopl;en  baburd^ 
au§,  baB  bie  J!raft  unb  ©djärfe  feinet  S)eufen§  mit  einer  ebenfo  fet= 
tenen  ©rö^e  be§  gljarafter»  in  ber  innigften  ^ßerbinbung  ftaub,  unb  jebe 
Don  biefen  ßigenfd;aften  in  il)rer  näl)cren  33cftimmtl)eit  burc^  bie  anbere 
bebingt  mar;  nur  ©c|leiermad;er  läf3t  fid;  it)m,  bei  allen  fonftigen  ^ex'- 
f d)iebenl)eiten ,  in  biefer  Se^ieljung  uergleid;en.  ©ein  ftarfer,  in  ber 
6^ule  ber  9Jotl)  geftäl)lter  äBille  ftetlte  fid;  unbcbingt  unb  uneigennü^ig 
in  ben  ©ienft  ber  ^bee;  fein  reiner,  auf's  ©ro^e  gerid;teter  ©inn  lic^ 
fid;  burc^  feine  3tüd|ic^t  auf  bie  3Jleinungcn  unb  Uit^eile  ber  3)tenfd;en, 
auf  Steigungen  unb  ^ntereffen,  in  feinem  (Saug  aufhalten.  S)ie  loglfd^c 
Strenge  feine§  S)enfen§  würbe  burd;  fein  ftärfer  l)eruortretenbeS  ge= 
müt^tid)e§  ober  äftl)etlfd;e§  33ebürfni^  pon  il)rem  3öege  abgclenl't;  hen 
©ragien  l)at  er  nie  geopfert,  unb  bem  ©efül;l  ein  Ginfprud;!3rcd;t  gegen 
bie  (Sutfc^eibungen  ber  55ernunft  niemals  eingeräumt ;  wenn  il)m  einmal 
eine  2lnual;me  bcgrünbet  erfd;ien,  fo  gog  er  auä  berfeibcn,  unbefümmert, 
roaS  barauä  werbe,  alle  bie  Folgerungen,  bie  fein  flarer  unerbittlicher 
SSerftaub  als  notl;wenbig  crfannte.    (Sr  war  fo  gang  ber  3Jiann,  um  in 


Se6en  unb  S^arafter.  483 

bie  p!E)irofop'E)if($e  Semcgung  be§  S'tfl^'^itnbertS  mit  überlegener  ^raft 
eittjugreifen ;  er  war,  roie  lucnige,  befäi^igt,  in  einer  3eit  ber  öffcnt(icf)en 
9(0tt)  unb  ber  ©rnicbrigung  burcT;  niäiin(i(f;ellneri'd)rocfen{)cit,  xM]iä)t§' 
lofe  @Tit[d;Io[|en^eit,  feurige  Eingebung  an  bie  uater(änbi)d)e  Sac^e, 
burd^  hen  Slbel  feiner  ©efiunung,  bie  ©rofiartigfeit  feiner  ^kk,  bie 
fittUc^e  §öf)e  feiner  3lnforbcrungen,  ein  größte»  3U  leiftcn,  feine  3»f)örer 
nnb  feine  Sefer  über  fid^  fclbft  unb  i^re  ©egeunmrt  f)iuau§jut)eben. 
2lber  er  ^atte  a\id)  alle  bie  %el)Ux,  üon  luclrfjcn  fo  gro^  angelegte  unb 
bnrdjgreifenbe  $Jtatuvcn  festen  ganj  frei  finb:  bie  ©croaltfamfeit  be§ 
.^bealiftcn,  bcn  Gigenfinn  be§  ©octriuär^,  bie  Ucberljebung  eine»  SJtauneS, 
weldjer  bem  eigenen  llrt[jei(  unb  hcn  eigenen  ©ebanfen  unerfdjütterüt^ 
gu  uertraucn,  oon  frcmbcn  3tnfid)tcn  unb  t^atfäd;H(^en  ^ert)ä(tniffen 
fi(^  nid;t  ftören  gu  laffen  gerao^nt  ift.  @r  fannte  nic^t  bIo§  feine  35ors 
fidjt  unb  feine  Sflüdfidjtcn,  foubcrn  e§  fef)Ite  ifim  auc^  in  l^ol^em  ©rabe 
an  ber  raiffcnfdjaftlidjen  llmfidjt.  $rie  ^^araboyie  einer  S3c!^auptung  luar 
tf)m  fein  2(nla§,  an  if)r  5U  5iüeifetn,  bie  Unau§füf)rbarfeit  eine»  3]or=. 
fc^iagg  fein  ©runb,  itjxi  snrüdjuncfjmen.  2Dae^  er  für  lua^r  anfa^,  ba- 
ran  f)ielt  er  feft,  ntodjte  bie  ©rfaijrung  unb  haB  natürlidje  53eiüuf3tfein 
fic^  no(^  fo  faut  bagogen  auflehnen;  roaS  er  al§i  fittiid^  notf)U)enbig  er= 
fannt  3U  ^ahcn  glaubte,  ba§  forberte  er,  wk  e»  aud;  immer  mit  feiner 
9}iöglid)feit  beftettt  fein  modjte.  (Sr  mar  mit  ©inem  SBort  ber  geborene 
^bealift;  aber  biefer  QL'ealifmuS  rul)te  burd^au§  auf  p!)ilofopl)ifdjer 
^orfd^ung:  ba§,  iva§>  il)n  befeeltc,  mar  neben  ber  fittlid;m  Segcifteruug 
für  praftifd^e  Slufgaben  jugfeid;  jener  „logifd^e  ^anatifmu»",  ber  aui^ 
für  ba§  .^anbeln  oon  ber  miffenfdjaftlic^en  ©rfcnntni^  alle§  ^eit  er= 
märtet,  ber  aber  freiiid;  nur  aUp  geneigt  ift,  feine  fubjeftiuen  S?orau§; 
fel^nngen  ber  SSirfiic^leit  aufjubröngen,  nac^  unootiftänbiger  ^eobad;tung 
ooreilig  ab^ufdilieBen,  unb  menn  bie  ©rfafirung  mit  ber  2lnfid;t  be» 
^l)ilofopl)en  ntd;t  ftimmt,  ber  logifd;en  ©onfcquenj  üor  hen  %i)atiad)en 
ben  SSor^ug  p  geben.  5>ott  einem  foldjen  ^^ilofoplien  lie§  fid;  aller= 
biugS  uic^t  trroarten,  ba^  i^m  bie  SluffteÜung  eineS  faltbaren,  aüen 
bered;tigten  Sluforberungen  9ted;nung  tragenben  ©ijftem^  gelingen  werbe ; 
um  fo  me^r  aber,  baB  er  einen  gegebenen  ©taubpunft  mit  ocllcnbeter 
golgerid;ti gleit,  nidjt  red;t»  nod;  linfg  blidenb,  3U  feinen  äufjerften  Gon- 
feqneujen  entmideln,  baB  er  ebenbaburd;  feine  principieße  2Bürbigung 
in  l)ol)em  @rab  förbern,  ba^  er  überfeljene  3lufgaben  ergreifen  unb  i^re 
SGBid;tigfeit  an'^  Sid)t  ftelteu,   ba^  er  felbft  buvd;   feine  i^jrrtljümer  für 

31* 


484  mit- 

tle Slitffinbung  ber  richtigen  Sofungen  mel^r  leiften  twerbe,  al§  anbere 
burd^  bie  äßafirl^eiten ,  v)dä)e  fie  au§[predjen,  oI;ne  fic^  bcr  ©djiöieng^^ 
feiten,  bie  barin  liegen,  jemafs  beutlid;  beiun^t  gu  werben. 

SaS  ©i;ftem,  Don  bem  %\d)te  au^gieug,  war  ha^  fantifi$e.  ;^^m 
t)atte  er  fic^  beim  beginn  feines  3)tanncSaIterg  mit  ber  ganzen  ©nt* 
fd^icbeul;eit  feine§  SBefenS  an ge[d;( offen,  nnb  er  I)at  fid;  nie  fi)rmli(^  von 
il^m  getrennt.  @r  l^at  ftet§  be()anptet,  feine  eigene  ^f)iIofop^ie  fei  nic^t§ 
anbereS,  ai§  ber  rid;tig  werftanbene  J?i'iticifmn§,  nnb  nod;  in  feinem 
testen  £ebcn§ia{)re  f)ören  rair  il)n  bie  SBeiffagnng  üon  bem  ©eifte,  n)e(= 
(ä^er  bie  ©(jriftcn  in  atte  2Ba^rf)eit  leiten  foE,  anf  ben  fönigSberger  ^l)i- 
(ofopljen  beuten,  mit  tem  biefe  ©pod;e  erft  angebrod;en  fei  ^).  216er 
ber  eigentlid;e  ©inn  ber  fantifc^en  Seigre  mirb,  mie  er  glaubt,  nur  bann 
rid;tig  gefaxt,  menn  man  ha§>  S)ing=an=fic^  ganj  aufgiebt  unb  aUe 
unfere  SSorftednugen,  ben  ganjcn  3i^^)^It  unfereS  ^ßemu^tfeinS ,  allein 
unb  au§fd;lie^lic^  au§  bem  oorftetteuben  ^d)  ableitet.  9^äl)er  fe^t  er 
bieB  in  ben  <Sd;riften,  in  welchen  er  feit  1794  fein  eigene^  ©i;ftem 
barlegte,  fo  auSeinanber. 

gid;te  ift  äuuäd;ft  mit  Sf^eintjolb,  n)eld;er  fii^  in  biefer  $8e3iel)ung 
ein  b(eibcnbe§  SSerbienft  erworben  l)abe,  barüber  einig,  ba§  bie  ^l;iIo= 
fopl)ie  al§  folc^e  t)on  einem  einzigen  ©runbfa^  au§3ugcl)en  unb  il)ren 
ganzen  ^n^alt  au§  biefem  il)rem  ^rincip  ftreng  fvftematifc^  abzuleiten 
labe.  5Den  ©egenftanb  ber  ^l)iIofop^ie  bilbet,  mie  fd;on  ßeibnij  unb 
SBolff  geleiert  liatten,  nur  ba§  SJotljwenbige,  ober  genauer,  nad;  "^läji^, 
nur  bie  notfiraenbigen  5ll)at§anblungen  be§  ©eifteS;  wogegen  bie  be- 
fonberen  SBiffenfd;aften  bie  freien  ober  nnllfül)r(i($en  ^anblungen  unb 
ba§  hnx6)  fie  gefegte  gu  il)rem  eigcntpmtid;en  3«l)alt  l)aben.  ^nbem 
bie  ^sl)ilofop^ie  biefe  nott)raenbigen  ^anblungen  unterfu(^t,  legt  fie  ben 
©runb  für  atte  befonberen  2öiffenfd;aften,  mad;t  biefe  al§>  2Biffenfd;aften 
erft  möglich;  unb  fie  wirb  be^^alb  oon  ?^id;te,  tl)eiU  ükrl)aupt,  tl)eilS 
namentlich  in  feiner  eigenen  gaffung,  a(§  9Biff enfd;aft§tel;re  be= 
jeic^net.  2Ba§  aber  notl)wenbig  ift,  ba§  muB  fid;  al§  folc^eS  bur(| 
feinen  3ufamment)ang  mit  anberem  gteid^fatlS  notl)weubigem  nad;weifen, 


1)  3-  ®.  5i(^tc'S  fämmtl.  Scvte  ^erauSg.  ö.  ^.  !q.  gierte  (8  Sbe.)  IV,  570. 
■jltuf  bieje  SluSgabe  besieljeu  \\<ij  im  folgeubeii  alle  JöctiDeifungeu  ol)ite  nähere  SSe» 
jctc^iuuig.  eine  (£vgän3uiig  bevfelbeu  bilbcn  bie  fluider  crfd^ieiicucu  „9Jad]gclQffencn 
aßerte"  (3  «be.). 


^^:^t(Dfop!^t[(^er  @tanbputi!t.  485 

unb  aüe  notfuncnbtgen  Sätje  muffen  fid)  fcf;tie§n($  auf  ßincn  <Sa^,  üon 
bem  fie  äffe  abhängen,  ©in  otierftcS  ^rinjip  änrücffü^ren  laffcn. 

S)ie[e§  ^rincip  fann  nun  an  fid;  auf  groei  Seiten  gcfudit  werben: 
im  S)enfcn  ober  im  Sein,  in  bent  ^d)  ober  in  bem  S^ing.  S)ie  ^sIj{to= 
[opl^ie  fott  ben  ©runb  aller  Grfa^rung  ange&en;  ifir  Dbjeft  liegt  fomit 
notfiioenbig  au^er  aller  ©rfaljvung.  Slkr  bo(^  entl)ält  für  ba§  enbttd^e 
SSernunftmcfcn  bie  (Srfal)rung  ben  ganjen  Stoff  feinet  S;enfen§.  SB  ollen 
mir  un§  über  bie  ©rfalirnng  erljeben,  fo  ift  bieJB  nur  baburd;  möglich 
ba^  mir  abftra^iren,  baf3  mir  im  S^enfcn  trennen,  ma§  in  bcr  ®r= 
fal)rung  oeilnmben  ift.  ®icfe  2lIiftifl!tion  'b^k\)t  fid^  nun  cntmeber  auf 
bo§  5)ing  ober  auf  bie  i^nteHigen^ ;  benn  biefe  beiben  in  if)rer  SSer^ 
binbung  bilben  bie  (Srfal)rung,  2lbftral)iren  mir  non  bem  SDinge,  fo 
beljatten  mir  ba§  :^clj:an4tcl;  unb  unfer  Stjftem  ift  :3^califmu§;  ah- 
ftrat)ircn  mir  üon  ber  ^"lelligenj,  fo  bcljolten  mir  ba§  S)ing=au=f{(^, 
unb  unfer  'Bij'itcm  ift  ®ogmatifmu§;  jeber  folgerid;tige  S)ogmatifmn§ 
ift  aber  (roie  bie^  nad;  ^acobi  jebc  S5erftanbe§pl)ilofop[)ie  übevljaupt  ift) 
^atalifmu§.  S)iefe  beiben  Sijfteme  fd;lieBcn  fid^  an§;  e§  giebt  bal^er 
jraifd;cn  i^ncn  fein  drittes,  feine  ^Vermittlung:  mir  fönnen  nur  ^roifdjen 
biefen  jmei  mäl)len.  3fiun  fonn  freiließ,  raie  gidjte  fagt,  fciucS  oon 
if)nen  baS  anbere  bireft  miberlcgen,  meit  jcbc0  ba§  ^rincip  be§  anbern 
läugnet;  unb  e§  finb  bef]ljalb  in  le^ter  Se^icl^ung  nidjt  miffenfdjaftUdie 
^rünbe,  foubcrn  Sljoraftereigeufdjaften,  meldte  über  ba§  Syftcm  eine^ 
jeben  entfdjeiben.  ,,3um  ?pl)ilofopl)en  mu^  man  geboren  fein,  baju  er-- 
,iOgcn  mevben  unb  fid;  felbft  ba3n  erjicljen:  aber  man  fann  buid)  feine 
menfdjlic^e  üunft  baju  gemad;t  merben."  „2Ba§  für  eine  ^sl)i(ofop|ie 
man  mäl)le,  f)ängt  baoon  ab,  ma§  man  für  ein  gjlenfd^  ift:  benn  ein 
p^ilofopl;ifd^e§  ©ijftem  ift  nid)t  ein  tobter  .f)an§ratf),  fonbern  c§  ift  be- 
feelt  hux6)  bie  Seele  be§  gjienfc^en,  ber  e§  ^at."  2Ber  fid;  no($  nid^t 
5um  üoKcn  ©cfül)t  feiner  f^reifjeit  erl)obon  l^at,  ber  fann  bie  ®inge  uid^t 
entbel;ren,  meil  er  fid;  felbft  nur  im  S?orfteIlen  ber  ®inge  finbet,  er  ift 
^ogmatifer.  SBer  bagegen  feiner  11  n ab l;äugtg!eit  ron  allem  Sleu^cren 
fid;  berouBt  mirb,  ber  bebarf  ber  S)inge  nid^t  gur  Stü^e  fetnc§  Selbf[ 
unb  fonn  fie  nid;t  brandneu,  er  ift  Sbcalift.  Slber  boc^  ift,  mie  unfer 
^^ilofopf)  glaubt,  bie  miffenfd^aftlid;e  SBiberlegung  be§  ®ogmatifmu§ 
barum  nid;t  unmöglich,  nur  muB  fie  auf  inbireftem  SSege  gefül;rt  merben. 
!Der  S)ogmatifmu§  ift  gänslid;  unfäl)ig,  bie  ©ifalirung  3U  erflärcn.  @r 
roitt  bie  SSorftettungen  üou  ben  Singen,  ba§  ^emu^tfein  dou  bem  Sein 


486  i5W^' 

Iierleiten.    9Iber  von  biefem  §u  jenem  gieBt  e§  feine  S3rücfe.    SBenn  bie 
intelligent  fic^  felbft  erfdjeint,  fid;  felbft  5ufief)t,  lo   ift  in  bie[em  3us 
fef)en  ii)r  Sein  fdjon  entfialten;  ein  Sein  bacjegen  fann  immer  nur  ein 
©ein,   aber   niemals  eine  i^ntefligenj  |eroorliringcn.    ßrÜärt  man  voh 
lenbS   ba§  Dbjeft  mit  ben  Kantianern  für  ein  S)ing=an=fi(f; ,   fo   vcx-- 
wicfeit  man  fii)  in  ben  boppeitcn  2ötberfpruc^,  baB  man  bie  ei-[d;einun= 
gen  auf  ba§  S)ing=an4id;  aU  if)ve  llrfad;e  bejic^t,  unb  fomit  bie  Kategorie 
ber  eaufalität,  weldje  bod;  nur  auf  (Srfdjeinungon  anroenbbar  fein  folf, 
auf  ba^3  2Iufid)feienbe  anmenbet;  unb   ba§  man  ba§  S)ing^an=fid; ,  ba§ 
Dcoumenon,  bag  von  un§  gur  (?rfd;einung  fiiujugcbadjte ,  a(g  ein  unab:^ 
f)ängig  von  unferem  S^enfen  für  fid;  befte^eube§  SBefen  be^anbelt,  ba§, 
wa§>  nur  burc^   unfere  ©mpfiubung  begrünbct  wirb,  gum  ©rüdrungl- 
giunb  ber  empfinbung  mac|t.    S)iefe  2Biberfprüd;e  finb  na^   gtdjte'3 
Stnfidjt  fo  fc^reienb,   ba§  er  gerabeju  erüärt:   biefe  abenteuerliche  3u= 
fammenfeljung  be§  gvöbften  STogmatiimuS  unb  bc§  entfd;iebenften  3beaiif= 
mu§  tonne  er  Kant  unmög(i($  gutrauen,  unb  mcnn  er  fie  it)m  gutrauen 
müfjte,  fo  würbe  er  bie  Kritif  b.  r.  SS.  djex  für  ha§  2Ber!  be§  fonber= 
barften  Qn\a\i§>  i)alten,  al§  für  ba§  eine§  Köpfet  ').    ^em  ^ßorfteHungS^ 
weife  muB  ba^er  uubebingt  aufgegeben,  bie  (Sint)eit  hc§>  pt)i(ofopt)ifdjen 
(£i)ftem§  mu^  baburc^  ficrgcfteüt  werben,  ba^  ba§  S}ing=an=fid;  befeitigt 
unb  ba§  3d;  atö  bag  alleinige  ^^rincip  bor  ^st)ilüfopt)ie,  ber   alleinige 
er!lärung§gruub  aller  erfd;einungen  feftge^alten  wirb. 

©ofern  nun  ba§  ^c^  au§  biefem  @efidjt§punft  betrachtet  wirb,  ift 
e§  ^a§>  reine  ober  ba§  abfotute  3d;:  bag  ^dj,  mclc^eg  nod;  fein  Dbjcft 
auf3er  fic^,  unb  fid;  feibft  nidjt  im  @egcnfal3  ju  einem  Dbjeft  ()at,  fon= 
bern  bem  ©egenfatj  üon  Subieft  unb  Dbjeft  a\§>  ber  einfieitlid^e  ©runb 
beiber  rorangctjt,  „«Subjeft  unb  Dbjeft  gugleid;  ift."  S:iefc§  reine  ^^ 
ift,  mie  gidjte  auSbrüdlid;  erfiärt  ^),  fein  ^nbiüibunm,  nid;t  eine  ^erfon 
neben  anbern,  nid)t  „ba§  ^d)  be§  wirflidjen  93erauJ3tfein§" ;  benn  eben 
barin,  in  bem  ©id;felbftbenfen,  in  bem  SufainmcnfaHen  be§  S^eiifenben 
unb  ©ebad;ten,  beftef)t  nad;  gierte  ber  wefentUdje  Gi)arafter  be§  ^ä). 

©oH  aber  ba§  ^d;  biefc§  abfolute,  biefe  i^bentität  t)on  ©ubjeft 
unb  Dbjeft  fein,  fo  barf  eg  nid;t  felbft  wieber  unter  ber  gorm  beä 
DbjeftS,  als  ein  ©ein,  ein  STing,  gcbadjt  werben;  e5  barf  nid;t  als 
ein  gegebenes,  fonbern  nur  als  ein  fid;  felbft  fe^enbeS,  nid;t  als  eine 

1)  I,  424  ff.  482  ff.  ögt.  119  f. 

2)  I,  502  f.  515  f.  528  f.  H,  382  u.  ö. 


2)a§  ^cf)  uiib  ba§  9^t(^ticl^.  487 

%^at\aä)e,  fonbern  al§  eine  „^fiatfianbluTtg"  gefaxt  werben.  @§ 
fann  ebcnbe^^alb  anä)  nidjt  in  ber  SBeife  be§  gegcnftänblidjcn  S)en!en§, 
in  S3cgriffen,  fonbern  nur  babnrd^,  bafs  wir  nn§  nnfercS  inneren  2öefen5 
in  feiner  j^^reilieit  unb  ©elbfttfiätiöfeit  Beraubt  werben,  nur  m  einer  iu- 
telleftuellen  Slnfc^auung  erfannt  werben. 

S}ie  obfolute  S:f)ätigfeit  be§  ^6)  ift  bemna(^  ber  ^untt,  von  bem 
wir  für  jebe  ßrftcirung  be§  ©egcbcnen  au§3uge^en  f)aben;  in  il)r  liegt 
ba§  ^riucip  be§  pt)i(ofopf);fc^en  (£i)ftem§.  ,,®a§  S^  fe|t  urfprüugti^ 
f(^fed)tf)in  fein  eigene^  Sein",  bicfs  ift  ber  erfte,  naä)  gorm  unb  3nf)alt 
unbcbingte  ©runbfa^  ber  2öiffenfdjaft5lef)re.  i^n  ber  erften  S)arfteIIung 
berfelben  (1794)  !^at  eg  %\ä)tc  unternonnnen,  biefen  ©runbfa^  au§  einer 
allgemein  anerfannten  %f)at'\aä)e  ju  bebuciren.  @r  wäljlt  ba3u  bie  '^^aU 
fadje  be§  Teufend,  roie  biefelbe  in  bem  @a|  ber  ^bentität,  A  =  A, 
auSgebrüdt  werbe.  S5>q§  btefer  6a^  auäfage,  bemerft  er,  fei  nid;t  ba§ 
Sein  von  A,  fonbern  nur  bie^,  ba^  A  ift,  wenn  e§  ift,  nur  ber  3u= 
fmumenfiang  ^wifdjen  beut  3?orberfa§:  wenn  e§  ift,  unb  bem  5Jia($fa^: 
fo  ift  e§;  biefer  ^iif^'timenbang  fei  aber  fdj(ed)tt)in,  oljnc  jebcu  weiteren 
©runb,  gewiB,  er  werbe  fd;(cdjtf)in  gefegt;  ba§  ^ä)  fdjreibe  fid;  mithin 
ba§  S?ermögen  ju,  ehva^  fd)(e(^t()in  5U  fetten;  unb  ba  nun  (id;  ^iefie 
feine  Tarftellung  etwa§  ^ufammen)  bicfeS  fd)(fdjt^in  ©cfc^te  nur  im  3^ 
unb  burd^  'oaä'  ^^  gefegt  fei,  fo  fe^e  e§  ebenbamit  fid)  fcibft  fdjfed}tf)in, 
unb  eben  nur  barin,  baB  e§  fic^  fe(bft  fe|e,  beftef)e  fein  ©ein :  „i^  bin 
f(j^fed;t{)tn,  weil  \ä)  bin,  unb  bin  fdjtcdjtf)in,  was  \ä)  bin,  beibc^  für  ba§ 
;3c^."  ©§  beburfte  inbcffcn  bicfer  ^Tcbuftion  faum,  unb  no(^  weniger  ber 
Iogifd)=a(gcbraifdjcn  gormctn,  mit  benen  fie  %\^te  a.  a.  D.  mefir  verbunfelt 
al§>  erläutert  ^ai,  um  ba§,  wa§  er  wollte,  bar^utfiun.  9öenn  man  Itant'g 
3)ing^an=fid;  befeitigt,  bleibt  ja  überliaupt  nur  ba§  ^d)  ober  ba§  (ie(bft= 
bewu^tfcin  al§  ©runb  ber  Grfd^einungon  übrig,  unb  ba  ba§  ^d;  biefe  afle 
of)ne  2lu§na^me  fieroorbringen  fofi,  fann  e§  fetbftocrftänblid;  nur  bie  un= 
bebingte  ^robuftioität,  bie  abfolute  ^ttjätigfeit  fein  —  ein  3u|ammenl)ang, 
wetd^er  in  einigen  anberen  fid}te'fd;en  S:avfteaungen  beutlid^er,  al0  in 
ber  obenerwäf)nten,  l^eroortritt. 

©0  gewiB  aber  atteS,  wa§  un§  a(§  ^n^att  unfereS  S3ewuf3tfein§ 
gegeben  ift,  nur  au§  bem^^c^  entfpringen  fann,  fo  unentbel)rnc^  ift 
biefem,  aB  SSebingung  feinet  SSorfteUen^,  (wenn  anä)  natürlid^  af§  eine 
t)on  i^m  felbft  gefegte  S3ebingung)  ba§  3^ic^tic^.  Sie  2Biffenfd;aft§ref)re 
ftettt  bal)er  i^rem  fo  ehm  befprod;enen  erften  ©runbfa^  ben  ^weiten  gur 


488  '  gierte. 

©eite:  „bem  ^d;  n)irb  fd;le($t{)in  cntgcgcnge[e|t  ein  Wiä)t\ä).''  S)ie[er 
ätöeite  @i-uut.fQ^  läfit  fid;,  wie  gid;te  in  ber  erften  ©arftcHung  feines  ©^= 
ftemg  fagt,  au§  bem  erften  nid;t  ableiten;  er  bcbncirt  i^n  botjer  glei(^= 
falls  aus  einem  enipirifd;en  Saturn,  barauS,  ba^  unter  ben  S:f)atiad;en  beS 
33en)u^tfeinS  ber  (Sa|  beS  2ßiberfprud;S,  • —  non-A  ift  ntd;t  A,  —  unb 
mitf)in  unter  ben  .^anblnngen  beS  ^ä)  ein  ©ntgcgenfc^en  üorfomme; 
welches  le^tere,  ba  aufser  bem  ^d)  urfprünglid;  nid)tS  gefetzt  ift,  nur  in 
einem  ©e|en  bcS  5rtid;t=id;  bcftcf)en  fonne.  StnberSroo  (im  9ktnrrcd;t  unb 
ber  ©ittenlet)re)  geigt  er,  baB  baS  ^ä)  als  felbflkrou^teS  unb  looÜenbeS 
fic^  nid;t  fe|en  föune,  ol)ne  fid;  baS  Dbjeft  ober  bie  9iatur  üorauSgu^ 
fe^en.  Slber  fo  rid;tig  biefeS  aud;  ift,  fo  wenig  ift  eS  hoä)  eine  Slbleitung 
beS  9]id)tid;  auS  bem  reinen  ober  abfoluten  ^c^;  wir  fto^en  üielme^r 
gleid;  l)ier  am  Gingang  beS  SijftemS  auf  einen  5punft,  rao  felbft  %id)k 
bie  Don  iljm  fo  nad;brüdlid)  gcforberte  Ginlieit  feines  ^rincipS  nid;t  gang 
feftljalten,  nid;t  alles  ftreng  Icgifd;  auS  biefem  ©inen  ^rincip  ableiten  fann. 

2lu(^  baS  Diid;tid;  ift  fcbod;  im  ^d),  benn  au^er  il)m  ift  überl;aupt 
nid)t§> ;  eS  finb  fid^  mit[)in  im'  ^d)  ^d)  unb  9iid;tid;  entgegengefe|t. 
S^iefeS  feinerfeitS  ift  nur  mögli^,  wenn  beibe  fic^  gegenfeitig  einidirän-' 
fen,  b.  l).  fid;  tlieilweife  anfl;eben,  unb  bie|3  nur,  wenn  fowol)l  baS  ^d) 
als  baS  3tid;tid)  tl)eilbor  gefegt  werben.  SIuS  ber  ©ntgegcnfe^ung  beS 
Qd;  unb  9iid;tid)  ergicbt  fid;  fo  ein  britter  ©rnnbfa^ ,  ber  ilirc  S]creinigung 
auSbrüdt:  „^d)  fe^t  im  ^d)  bem  tl;eilbaren  ^^  ein  tlieilbareS  D^idjtid^ 
entgegen."  £er  5:l)efe  beS  erften  ©runbfa^eS  tritt  im  gweiten  il)re 
Slutitl)efe  gur  «Seite,  unb  auS  bciben  gel)t  im  britten  eine  (Sijutliefe  lieroor. 

StuS  biefen  ©runbfä^en  entwidelt  fid;  nun  mittelft  berfelben  3}Zetl;obe, 
weld;e  aud^  bei  il;rer  Slbleitung  felbft  fd;on  beobad;tet  worben  ift,  burd^ 
logiid;e  2tnati)fe  unb  Si;ntl)cfe,  bie  gange  SBiffenfd^aftSlel^re.  S)ie  erfte 
©i;ntl;efiS,  bie  beS  ^d)  unb  beS  9^id;tic^,  wirb  anali;firt;  eS  werben 
neue  ©ntgegengefe|te  in  il)r  gcfunben  unb  burd;  einen  neuen  58egiel;ungS= 
grunb  ccrbunben,  unb  biefeS  33erfal)ren  wirb  fo  lange  fortgefe^t,  bis 
man  auf  Gntgcgengefe^te  !ommt,  bie  fic^  nid;t  me^r  DoÜfommcn  vex- 
binben  laffen,  beren  annäl)erungSwcife  S3erbinbung  ba^er  nur  praftifd^e 
Siufgabe  fein  fann.  ^iS  gu  biefem  ^unft  erftredt  fid;  baS  ©ebiet  ber 
tl;eoretifd;en,  mit  il)m  beginnt  baS  ber  pra!tifd;en  ^l)ilofopl)ie.  ^ene 
anali;firt  oon  ben  gwei  Sä^en,  weld;e  in  bem  britten  ©runbfa^  (ber 
6yntl)efe  bcS  ^d;  unb  9tid;tid;)  üerbunben  finb,  ben  erften:  „baS  !^d^ 
fe|jt  fi(^  felbft  als  bcfd;ränft  (ober  beftimmt)   burd^  baS  3^id;tid^";  biefe 


S^l^eoretifd^c  '!p:^ilojop;§ie.  489 

ben  anberen:   „®a§  ^^  fe|t  ba§  Tääjü^  al§>  tef($ränft  burc^  ba§  ^(3^", 
unb  mitf)in  fi($  felbft  a(g  kfthinneub  ba§  ?lid;ti(^. 

3.  2)er  tr)corcti|(^c  S^eil  bcr  2Öificnfc^aft§IcT)re. 

;3n  bcm  tf)coretif(^cn  ^ficil  feitieS  «StjftemS  fragt  j^^idjte  sucrft,  -roaS 
für  angemeine  SSeftimmungen  in  bem  ©a^e:  „S)a§  3^  fctjt  [id;  at§ 
beftimmt  hux^  ba^)  Tdä)My'  enthalten  finb,  unter  TOc(d;en  Scbingungen 
e§  fic^  überfiaupt  fo  fe^en  fann.  (Sofern  ba§  ^(^  fi(^  al§  beftirnmt 
fe|t,  a[]o  fid;  felbft  beftimmt,  tft  e§  tf)ätig;  unb  roenn  bie  Gintjclt  be§ 
33en}u&tfein^  nic^t  aufgegeben  werben  foll,  barf  biefeS  beibe§  fid;  nii^t 
auft)eben,  fonbern  e0  mu§  a(§  ßineS  unb  ba§felbe  gebadjt  werben:  in 
berfelben  91üdfid;t,  in  n3e(d;cr  ha§  ^ä)  beftnnmt  wirb,  in  iüeld;er  9lealitöt 
in  if)nt  aufgehoben  wirb,  mu§  c§>  fid;  felbft  beftimmen,  Slealitöt  in  fi^ 
fe^en,  unb  umgefel^rt.  (E§>  ninfs  mit  Ginem  2öort  nur  eine  tl;  eil  weife 
3flealität  in  fid;  fe|en,  unb  ebenbamit  alle  bie  9kalität,  weldje  e§  nidjt 
in  fid)  fe^t,  in  ba§  9iid;tid;,  unb  fid;  felbft  unb  ba§  9Iid;tid;  gcgenfcittg 
burd;  einanber  beftinimt  fe^cn.  Sie  2Se(^fetbeftintmung  bc§  3<^ 
unb  bc0  S^ic^tic^  ift  bie  erfte  üon  ben  Sebingungen,  unter  bencn  ba? 
^ä)  fid;  al§  beftinimt  hnxä)  ha§>  3^id;tid;  fe^en  fann. 

«Sofern  nun  ba§  ^6)  beftinimt  wirb,  ober  leibet,  fommt  bem  3'lid;tid) 
SC^ätigfeit,  Sßirffamfeit,  Dkolität  3u,  b.  f).  e0  wirb  fold;e  in  il;m  gefegt; 
fie  wirb  bieB  aber  eben  nur  hnxä)  ba§  Seiben  be§  ^d; :  ba§  9tid;ti(^  er= 
fd^eint  als  bie  lXrfa(|e  biefeS  £eiben§,  unb  wir  erfialten  fo  bie  Kategorie 
ber  (Sau falität.  ©ofern  anbererfciti  ba§  Seiben  be§  ^ä)  nur  bur(5^ 
bie  ©elbftbef(^ränfung  feiner' 5:l)ätigfeit  mögtid;  ift,  fe^t  e§  üorau§,  ba^ 
im  ^d)  unb  feiner  5:l)ätigfeit  alle  Dlealität  entl)alten  fei ;  unb  al§  biefer 
Inbegriff  aller  Sflealitöt  ift  ba§  3d;  ©ubfiauj;  wiefern  e§  bagcgen  in 
eine  befonbere  ©p^äre  biefeS  UmfreifeS  gefegt  wirb  (wiefern  e0  fic^  auf 
eine  tl)eilweife  9lealität  ober  ^^ätigfeit  einfd;ränft)  ift  e§  accibenteH, 
ober  eS  ift  in  il^m  ein  SlccibenS. 

2ßte  laffen  fic^  nun  aber  biefe  beiben  33eftimmungett  Bereinigen? 
5öie  ift  e§  möglich,  ba^  baä  Seibeu  be§  ^ä)  üon  ber  Gaufalität  bei 
M\ä)iid)  l;errüf)rt,  wenn  bo(^  ba§  ^d)  all  ©ubftanj  bie  DneHe  aller 
Xf)ätigfeit  ift,  unb  fomit  aud;  bie  Stliätigfeit  bei  3'^id;tid;  unb  ba§  Seiben 
be§  ^d;  burd^  bie  eigene  S:l)ätigfeit  beg  ^d)  gefegt  wirb?  2(uf  biefe 
j^rage-  gewinnt  gid^te  mittelft  einer  unni)tl)ig  rerwidelten  unb  l)öd)ft 
uuburd;fid;tigen  SluSeinanberfe^ung  bie  Slntwort :  hie  2öed;felbeftimmuug 


490  gidjt?. 

be§  Reiben?  im  ^ä)  imb  bcr  3:f)ätigfeit  im  ^\ä)M),  bie  gegenfeitige 
öcbingtf)cit  I)cibei-  burclj  e^nanbcr,  fel;,e  eine  „itnab^äng'ge  ^^ntigfeit" 
im  ^ä)  ^)  üoraul,  beren  3Be[en  eben  barin  befte()e,  jenen  SBed;[el  l^er? 
üor^ubringen,  bte  an  fid;  unenblid^e  2:;f)ätig!eit  be§  ^d^  bnrd;  ben  äußeren 
2lnftof3,  ha§>  9^id;tic^,  baS  Objeft,  gn  Befdirönfen,  fic^  einel  %f)e\{§>  biefer 
S:ljätigfeit  gn  entön^ern  unb  fie  anf  baS  S^id^tid^  ju  übertragen.  S)iefe 
nnobI;ängige,  fc!^öpferif($e  S^ätigfeit  be§  i^i^  ift  bie  probuftiüe  ©in^ 
bilbungSfraft.  Sie  ift  e§,  meiere  in  il^rem  berau^tlofen  SBirfen  ba§ 
DBjcft  (ober  genauer:  bie  ^Borfteltung  be§  Dbje!t§)  lierüorbringt, 
unb  nn§  ba§[cI6e,  eben  weil  fie  e§  beran^tto^  ergeugt  {)at,  al§  ein  S)ing 
au^er  nn§  erf(^einen  lä^t;  raeldje  aber  cbenbaburd;  ba§  ©elbftberou|3t= 
fein,  bie  IXnterfdjeibnng  be:o  @ubjcft§  t)om  Dbjeft,  erft  möglid;  niac^t. 

S)ie  ©ren3e,  weld^e  fic^  ha§>  ^ä)  am  Dbjeft  fe|t,  ift  nun  aber  nid)t 
eine  fefte,  fonbern  eine  „unenblic^e  ©ren^e",  nidjt  eine  fold^e,  bnvd^ 
n)eld;e  fid;  bie  unenbüdie  2;f)ätigfeit  be0  ^ä)  ein  für  aUemal  befd;ränft, 
fonbern  eine  ©renge,  bie  uon  berfelben  immer  wicber  aufge{)obcn  unb 
in  t)eränberter  ©eftalt  auf'§  neue  gefegt  mirb.  S)a§  ^ä)  begreujt  feine 
in'g  unenblidje  ge!^enbe  5r£)ättgfeit;  in  bemfclben  Stugenblid,  in  bem  e§> 
au§  fic^  I)crau§gef)t,  nimmt  eg  biefelbe  ,^in  einer  unb  ebenberfelben  un= 
getfieilten  unb  unguunterfdjeibenben  §anb(ung"  ouc^  rateber  in  fic^  auf; 
tä  go^t  üon  einem  beftimmten  ^uuft  feiner  ^i)ätigfeit  in  fid;  gurüd, 
refleftirt  fie  in  fid^  felbft,  t)erfud;t  fie  fid^  gu^ufd^reiben.  2lber  t{)äte  e0 
bieB  mirflic^  in  abfd^Ue^enber  SBetfe,  fo  märe  feine  2:^ätigfeit  nic^t 
nui}x  unenbüc^.  ©§  fann  ba!)er  nic^t  in  ber  Segren^ung  bef)arrcn:  bie 
Ginbi(bung§fraft  wirb  nad;  jcber  9tef[eyion  micber  in'^  unenblidje  3U= 
rüdgetrieben;  e§>  mirb  eine  neue  ^Begrenjung  t)erfud)t,  aber  in  bemfelben 
3Jfoment  auc^  mieber  über  biefelbe  !)inau§gcgangen  luib  fo  fort  (II,  2 14  f.). 
i^n  biefcm  S[ßed;fel  t)on  ^egren3ung,  §inau§ftreben  über  bie  ©renje, 
neuer  S3egren3ung,  neuem  .§inau5gei)en  u.  f.  w.  beftcf)t  bie  ©nttoidlung 
ber  3Sorfte(Iung'otl)ätigfeit.  ^cbe  neue  ^robuftion  unb  9?ef(ej-ion  liefert 
ein  neues  Gr^eugni^,  eine  neue  illaffe  üon  S^orfteHungen ;  fommt  bie 
f(^öpferifc^e  Xl)ätigfeit  be0  ^^  fd;licBlid)  an  einen  ^unft,  auf  bcm  fie 
in  feinem  Dbjeft  mcl)r  gur  Stnfc^aunng  gebradit  werben  fann,  mo  il)re 
S^arftellung  als  unenblid^e  2lufgabe  ecfannt  rcirb,  fo  tritt  an  bie  ©teile 

1)  5.  r:bet  ^roar  anfangs  feüfamcr  SBeife  Don  einer  nnabljängtgen  Sl^ätigfcit 
im  3^^  "ni>  9iic^tid^;  in  ber  J-oIge  äeigt  e3  fic^  aber,  bau  cä  fid)  nur  um  eine 
folc^e  2:l}ätigtcit  im  ^ä)  l^anbelu  fann. 


©u6ie!t  unb  Objeft.   ®te  g-ovm  be€  S^orfteCenl.  49 1 

be§  Seins  ta§  SoITen,  bie  tf)eoreti[c[;e  ^>f)Uofop!)te  gefit  in  bie  praf* 
tifc^e  über. 

S}o§  erfte  ©r^euptB  biefcl  ^proceffeS  ift  bie  ©mpfinbiing.  S^aS 
^c^  begrenjt  feine  an  fid^  unenb(icf;e  Sfjätigfeit,  lueubet  [ie  üon  bem 
«egrenäung^Spunfte  gegen  fid^  fetbft  prüd,  nnb  finbet  fid;  in  gotge 
bayon  leibenb,  bnrd^  etiuaS  in  fic^  üorgefnnbeneS  frembartigeS  kid;rän!t 
unb  beftinimt.  i^nbem  e§  auf  feine  Gnipfinbniig  rcf(eftirt,  firf;  aiä  be= 
grenzt  fc|t,  fe|t  e§  fid;  ebenbamit  ein  53egren3enbe§  entgegen,  eg  pro= 
bucirt  baSfelbe,  f($aut  e§  q(§  ein  üon  i^m  felbft  nntei-fdjiebeneS,  jenfeit^ 
ber  ©rcnje  feiner  eigenen  5t{)ätigfeit  liegenbeS  an :  an§  ber  ßmpfinbnng 
gef)t  al§>  ber  näd;fte  @d;ritt  in  ber  ßntioidiung  be§  üorfteflenben  53e= 
wnBtfeinS  hk  2(nfd;anung  fierüor.  Slöirb  anf  bie  Slnfdjannng  luieber 
refteftirt,  unb  baä  STngefd^aute  aV%  ^robnft  bcS  ^d)  erfannt,  fo  ftellt 
fid^  ba§felbe  als  58ilb  bar.  ^ebeS  58itb  tft  aber  Silb  eines  S)inge§, 
mit  beut  es  übereinftimmt.  ©ofern  baffer  baS  Stiigefd^aute  als  S3itb  ge= 
fe^t  TOirb,  wirb  gugleid;  üon  biefcm  ^i(b  baS  TOirflidje  STing  unterfdjicben, 
unb  bie  IXebereinftinimung  beS  Si(beS  mit  bem  S^inge  t)oranSgefe|t. 
SC'ie  SD^^rfmale  beS  Si(beS  werben  bem  STing  afS  feine  eigenfdjaften 
Beigelegt:  eS  er|d;eint  a(S  bie  eubftan^,  ber  fie  als  Slccibentien  gn^ 
fommen;  baS  S:afein  beS  33itbeS  mirb  auf  bie  $ß}irtfamfeit  beS  SingcS, 
auf  bie  Ganfalität  bcSfelben,  jnrüdgefüfirt ;  unb  eS  5eigt  fid;  fo  bie 
einbilbungSfroft  als  bie  eigentlid;e  Cuette  ber  Äategorieen,  n)eld;e 
^ant  ouS  bem  S:enfen  abgeleitet  l)otte.  2luS  berfelbeu  Duelle  entfpringcn 
bie  2lnfd;auungen  beS  SiaumeS  unb  ber^eit,  bereu  Slbleitung  (II,  391ff.) 
aber  freilid;  etraaS  felir  geäroungeneS  ^at  unb  fid;  von  Süden  unb  un^ 
beroiefenen  33orauSfe|ungen  feineSmegS  frei  l)ält.  S^amit  aber  baS  2ln= 
gefc^ante  ein  realer  ©cgenftanb  für  unS  werbe,  mu^  unfere  anfdjauenbe 
S:l)ät;gfeit  burd;  eine  weitere  SReflcyton  in  bem  fünfte,  wol)in  wir  baS 
Dbjeft  Dcrlegen,  gum  @tcl)cn  gebrad;t,  unb  eS  mu^  baburdj  i^r  ^swhutt 
als  bie  nrfac^e,  bereu  SBirfung  unfere  2rn)d;auung  ift,  fiyirt  werben, 
unb  barin  beftefit  bie  eigentl)ümlid;e  2§ätigfeit  beS  «ßerftanbeS. 
S)iefe  fetbft  fe|t  il)rerfeitS  üorauS,  ha^  wir  burd^  ©elbftbeftimmnng  unS 
ein  beftimmteS  Dbjeft  geben  ober  baoon  abfegen  fönnen;  b.  l).  fie  fe|t 
eine  2:l)ätig!eit  »orauS,  bereu  9ktur  in  bem  ^ßermögen  befielt,  auf 
einen  ©egenftanb  frei  gu  refleftiren  ober  üon  i^m  5U  abftraliiren:  bie 
HrtfieilSfraft;  unb  biefe  ^inwieberum  fann  nur  in  einem  abfoluten 
aibftraftionSüermögen,  in  ber  ?5äl)igfeit,  t)on  jebem  Dbjeft  überhaupt  3U 


492  Sitzte. 

a'Bftrafjiren,  bcgrünbct  fein.  S)ie)e»  abiotute  2l6ftraftion§ücrmögen  ift 
bie  SSernunft.  ^urc^  fie  üolljiefjt  \idi)  bie  Unter[djcibung  jwifc^en 
bem,  wovon  abftrafjirt  werben  fnnn,  unb  bent,  roa§  nad;  jcber  nod;  fo 
weit  cje^cnben  2l6ftm!tion  nod;  übrig  bleibt,  wovon  nidjt  ab[tra|irt 
TOerben  fann,  jraifdjen  bem  Dbjcft  unb  bem  ^ä):  buv($  fie  fommeu  mir 
jum  reinen  ©elbftbenniBtfein.  ^m  reinen  ©elbftberou^tfein  ergreift  ba§ 
3d)  fid)  felbft  al§  ben  ©rnnb  alk§>  objeftiüen  @ein§;  roenu  cy  fid;  bi§; 
^cr  al§  beftimmt  burd;  haS^  gfJidjtid;  gefegt  l^atte,  fo  erfennt  e§  je|t, 
boB  bicfe§  fein  SScftimmtraerben  qu0  if)m  felbft  f)eroorgel)t,  e§  ,,fc^t  fid^ 
felbft  al§  beftimmenb  ba§  5JJid)tidj" :  bo^  tF)eoretifd;e  3ier{)Qlten  gci)t  in'l 
praftifc^e,  bie  t{)coretifdje  ^^i(ofop{);e  in  bie  praftifdje  über. 

^iefe   gan5e  STarftcHung   leibet  nun   freilid;  an  einer  6infeitig!eit, 

bie  in  ber  ^^olge,  wie  rair  finben  werben,    nid^t  Uo§  anbere,   fonbern 

aud^  il^ren  Uvljeber  felbft,  über  ben  ©tanbpunft   ber  2öiffcn)djaftc^Ie^re 

^inau§füf)rte.     ?^id)te  madjt  J)ier   hen  S^erfnc^,    an§>  bem  ^d;  allein  p 

erftären,  maS  fid;  nur   au§  feiuem  Sßedjfeiüerfefir  mit  einer  it)m  gege? 

benen  unb  uon  feinem  SSorfteflen  unabf)ängigen  2öelt  ertlären  lä§t.  S)ie 

3SovfteIIung§tf)ätigfeit,  meldte  in  2ßirf(id)fett  nur  burd^  bie  äufscren  ©itt- 

brüde  I)ert)orgerufen  mirb,   foH   ol^ne  53eiplfe  berfelben   begriffen,    el 

foHen  nid)t  b(o§  bie  ^^ormen   unb  ©cfe|e  be§  SSorftelfeul ,   foubcm  e§ 

foH  aud;  ber  ^n^att  unfcrer  SSorftedungen  au§fd;iie§lid)   au§  bem  vor-- 

fteHenben  ©eifte  abgeleitet,  unb  ebeiibamit  bie  gan3e  2luBeniüett  gu  einer 

bloßen  2Ibfpiegetung  unfereS  ^nnern,   einem  bioBcn  ßrjeugnif3  unfere§ 

93enni§tfeiu§  gemadjt  mcrbcn.     tiefer  3Serfu(j^    fonnte    ber  9?qtur  ber 

<Bad)e  na^  nid)t  gelingen,  er  fonnte  uid;t  ofine  oieIfod;e  ©emoltfamfeit, 

.^iluftetei  unb  IXnffarfjeit  unternommen  unb  burd;gefüf)rt  merbcu.    2lber 

tro|bcm  mar  e§  üom  (jöd^ften  SSertfie,   ha^   er  überf)aupt  einmal  ge; 

ma^t  lüurbe.   S^enn  für'§  erfte  nötf)igte  er  gerabe  burd;  feine  Ginfeitig= 

feit  gur  fd;ärfften  Scobadjtung  unb  ^cvgticberung  aller  ber  2:f;ätigfeiten, 

bur(^  bie  unfer  S?orfteI(en  ron  ber  fubjeftiren  Seite   bebiugt   ift;   unb 

in  biefer  33e3ie(jung  wirb  man  rairfüd;  %\ä)U'§>  gejroungcneu  S^ebuftiouen 

fortmäfirenb  mandje  treffenbe  SBaljrue^mung ,   namentlid;   über  bie  iBe- 

beutung  ber  ^(jantafie  unb  bc§  SSerftanbe§  für  bie  58i(bung  ber  finn= 

(id;en  Stnfc^auungen,  entnefimen  fönnen.    ©obonn  ober  —  unb  bieß  ift 

in  p{)i(ofopl}if(^cr  SSe^ie^ung  nod;   midjtiger  —  mürbe  burd)  gidjte  bie 

tf)atfäd)(id)e  ^robc  über  bie  ^altbarfeit  einer  §Borau§fc|5ung   gemadjt, 

meiere   burdfi   ben   gan3cn   bi§f)erigcn  @ang   ber   erfenntniBt()eorctifd^en 


^rattifcfje  "^J^itofcptiie.  493 

Unterfudjungen  feit  Ser!elep  unb  ^Mime,  itamentüdj  aber  burd;  ^ant'§> 
^ritici[mu§  im^e  QeicQt  raar.  Me  biefe  llntcr)ud;ungen  fjottcn  in  ^u^ 
nef)titeubem  3JtaBe  3U  ber  %xaQe  fiinöcbräugt,  oh  tuir  überijaupt  jur 
2lTinaf;me  einer  Slu^enraett,  jur  'annähme  üon  5::ingen,  bie  nic^t  b(o§ 
in  un[erer  33orfteIIung  eyiftiren,  ein  '3icd)t  Ijaben.  ^ant  f)atte  biefe  ^rage 
beiaf)t;  aber  fd;on  ein  i^^cobi,  Sdjut3e  nnb  3)Zaimon  l^atten  iißu  bie 
Sefugnifä  ba3U  abgesprochen;  nnb  wenn  man  einmal  mit  i{)m  bie  Singe- 
an'\\ä)  für  fd;Ied)ti)in  unerkennbar  f)ieit,  fo  lic§  fid;  allerbtng§  für  ba§ 
S)afein  biefer  Singe  nnb  if)re  6inn)ir!ung  auf  ba»  üorfteLlenbe  SBefen 
fein  S3eroei§  führen  (ügl.  <B.  414  f.).  Qiiöem  g-id;te  bag,  ma§>  .^ant 
U\a^t  f)atte,  entfd;[offen  üerneinte,  nnb  ba§  üorftellcnbe  SSemu^tfein  oI;ne 
bie  ä>oraux>fct^ung  einer  objeftiuen  SBcit  äu  erüären  bcn  3]erfu(j^  madjte, 
muBte  e§  fic^  3eigen,  ob  ber  tranfccnbentate  ^bcaüfmnS,  nic^t  allein  in 
feiner  fid;te'fdjen,  fonbern  anä)  \ä)on  in  feiner  fautifd;en  ©eftatt,  fid^ 
burd^fütjrcn  laffe;  un\)  raenn  er  fid;  bei  jenem  SSerfuc^  in  unlösbare 
©c^raierigfeiten  üermidelte,  fo  mar  ebeubamit  ber  pl)i(ofopt)ifdjen  gor; 
f(|ung  bie  3tufgabe  geftettt,  ben  (Srunb  biefe^  3}Zi§(ingen§  auf3ufudjen 
unb  bie  Grgcbuiffe  luie  bie  ©runblagcn  be§  <Sijftem§,  burd;  raeld^e^ 
Äant  ©pod;e  gcmad;t  f)atte,  auf'g  neue  ju  prüfen. 

4,  2)ic  prnftifi^c  ^fjilofopfjie. 

Um  üiefeS  geringer  finb  bie  SSeränbcrungen,  TOe(d;e  gid;te  in  bem 
pra!tifd;en  ^tijeile  feine»  ©gftemä  mit  ber  fantifd;en  Set)re  üorgenommen 
]^at;  fo  menig  er  immer  aud^  {)ier  bie  Setbftänbigfeit  feinet  Senfeng 
unb  bie  9Iüdfid;t§Ioftg!eit  feinet  Si^eatifmu»  oerläugnet.  @r  felbft  fanb  fid^ 
jmar  burc^  bie  ^etrad;tung  be0  9ted;t§  unb  be»  fitt(id;en  Seben»  mv- 
oerfcnnbar  meit  melir  angesogen,  er  mar  mefir  für  fie  gema(^t  unb  ^at 
fie  au§fü()r(id;er  bef)anbe(t,  als  bie  rein  tt)eoretifd^en  j^ragen;  er  fprac^ 
e§  felbft  au»,  baB  ba§  eigcntlid;e  ^id  feiner  ^l)ilofopl)ie  f)ier  liege, 
unb  er  l)at  mirflid;  auf  biefem  ©ebiete,  fo  unau0fül)rbar  feine  3>or- 
fdjlöge  aud;  oft  waren,  boc^  im  gansen  bauernbereS  gefc^affen,  als  auf 
bem  fpel'ulatioen.  2lber  für  bie  ©efammtridjtung  ber  pt)ilofopl)ifd;en 
©ntraidlung  maren  bie  grunblegenben  tlnterfud;ungen,  meldje  unS  im 
bisherigen  befdjäftigt  l)aben,  boc^  Don  größerer  SBic^tigfeit,  unb  fie  finb 
es,    an  welche  biefelbe  in  ©djeUing  unb  §egct  3unäd^ft  angefnüpft  ^at. 

(2cl)en  mir  üorerft,  mie  gid;te  baS  praftifd^e  ^rincip  im  afl= 
gemeinen  beftimmt. 


494  d'^^if' 

6ofcrrt  ba§  ^^  Dorftellenb  ober  ^nteHiöenj  ift,  fagt  er  (II,  246  ff.), 
f)at  e§  ba§  9^icf;ticT;  aiif3er  fic^  unb  e»  feift  ratrb  burc^  ha<:  yiiä)üä) 
teftimmt;  bicfe§  erf(^etnt  iljm  al0  ctroal  i^m  fcf)(ecf;t^in ,  ofjne  fein 
eigenes  ^i^^^i^n,  gegebene^,  von  bcm  e»  in  feinem  3>orftctten  abf)ängig 
ift.  €ofern  anbererfeit^baS  ^^  'oaS'  aIifo(nte,  fid;  felbft  fefecnbe  ift, 
ntn§  biefe  9rbf)ängigfeit  anfgef)otien,  ba§  9Ud)ti(f;  burc^  ba§  ^i)  beftimmt 
werben,  ^n  ber  erfteren  ©igenfdjaft  fe|t  ba§  ^d;  fic^  felbft  €d)ran!en, 
unb  er3eugt  bnrd;  biefe  SSefdjränfnng  feiner  eigenen  3:f)ätigfeit  ba§  üh-- 
jeft;  in  ber  graeiten  jeigt  eS  fid;  nnenblic^,  e»  fe|t  nur  fi(^  feUift,  feine 
^f)ätigfeit  gef)t  in  fid;  felbft  jurüd:  biefe  2:f)ätigfeit  ift  bort  bie  ob- 
jeftioe,  t)ier  bie  reine.  3}a§  ^<^  ift  bemna(^  5ugfei(j^  ab!)ängtg  unb  un^ 
Qb(;ängig,  3ug(eid;  enblid;  unb  uncnblid;,  5ug(eic^  ron  bem  Dbjeft  be- 
ftimmt unb  ba§  S3cftimmenbe  be§  Dbjeftg.  2Sie  taffen  fid;  biefe  bciben 
Seftimmungen  pereinigen,  wie  lä^t  fid;  it)r  SBiberfprud;  löfen?  D^iid^t 
baburd^,  antwortet  unfer  ^^itofop"^,  bo^  ba§  Dbjeft  ganj  befeitigt  wirb ; 
benn  al§  i^ntelligen^  ift  bo§  ^ä)  nottimenbig  bef(^ränft,  e§  bebarf  be^ 
äuBeren  Slnfto^eS,  mit  roe(d;em  haS'  Dbjeft  gefegt  ift.  G§  bleibt  bo^er 
nur,  baB  bo§  ^d;  3mar  immer  eine  <Sd;ranfe,  ein  Dbjeft  au§er  fid;  ^at, 
ba§  e§  ober  burd;  fein  Dbjeft  fd;Ied)tf)in  bcfd;ränft  ift,  fonbern  über 
jebe^  f)inau»3ugef;en,  jebe  gegebene  @d;ranfe  weiter  (;inau§3urüden  fäf)ig 
ift.  (Sofern  nun  ba§  Dbjeft  nie  gan3  oerfdiwinbet,  unb  baf)er  bie  reine 
S:t;ätigfeit  be§  S^  fortwäf)renb  einen  SSiberftaub  finbet,  ift  biefe  3:f)ci= 
tigfeit  ein  b(o^e§  ©treben;  unb  eben  f;ierauf,  auf  bem  ©cfü^t  be§ 
SSiberftüubS,  mit  bem  unfer  Streben  3U  fämpfin  l^at,  beruht  ber  ©laube 
an  bie  DieaUtät  be§  DbjeftS;  biefer  ©iaube  wäre  ni($t  mögtid;,  wenn 
ni(^t  unfer  (Streben,  inbem  e§  über  ben  äußeren  SlnftoB  fiinauf^ge^t, 
un§  benfelben  a(»  (Sd;ronfe  erfd;einen  Ue^e.  SBeif  aber  biefer  SBiber; 
ftanb  auf  feinem  ^unft  ein  obfohiter  ift,  weit  er  unfere  2:f)ätigfeit  nie 
fc^(ed^tf)in  fiemmt,  fo  ift  jeneS  Streben  ein  unenbfid;ei§,  nad;  jeberc'pem; 
mung  fic^  neu  er3eugenbeg,  ein  S^rieb.  S)er  ©egenftanb  biefcS  ^riebeä 
ift  im  a(f gemeinen  bie  Uebereinftimmung  beg  DbjeftS  mit  bem  ^ä),  bie 
2(uft)cbung  be§  SöiberftaubS,  hcn  c§  ber  reinen  2f;ätigfeit  hc§  ^d) 
leiftet,  unb  ebenbamit  bie  SßoIIeiibung  be§  ^d;  in  fid;  felbft.  ^a  biefe 
aber  in  ber  S[Birflid;feit  nie  fd;led;tf;in  3U  erreid;en  ift,  gel;t  e^i  uid;t 
auf  bie  wirflid;e,  oon  einer  2:l)ätigfeit  be§  9iid;tid;  abl;ängenbe  25>elt, 
fonbern  auf  eine  SKett,  wie  fie  fein  würbe,  wenn  burd^  bo'o  ^ä)  fd;led;t=: 
l^in  alle  9iealitöt  gefetzt  wäre,  eine  ibeale  'S^leit,  auf  ba§  ^beal  unb  ba;! 


S)a§  prafttfc^e  ^'vtnaii?.    9?atinrcd^t.  495 

^anbellt  md)  ^bcalen.  i^'^^em  fic^  ha§  ^clj  tu  biefem  feinem  Streben 
bcgreujt  fiU;ft,  entftcf)t  if)m  ein  @ef)neu;  luenn  fein  .^mibeln  feinem 
©etinen  entfpnd)t,  er5eugt  fic^  ein  ©cfüf)[  be§  33eifaff^,  bei*  3nfrieben= 
l^eit,  anbernfoll^  ein  ©efü^l  be§  9)iif3far(cn§,  ber  XInjufricbcnljeit,  ber 
©ntjiüeiuutj  be§  SubjeftS  mit  fid;  fetbft.  S)a  aber  jene  ^ufriebcnljeit 
nid;t  von  ber  ^cruorbriugung  einc§  bcftimmten  DbjeftS,  fonbern  nnr 
von  ber  Uebereinftimmung  be«  ^d)  mit  fid;  felbft  abljängt,  l)at  ber  ibeale 
^rieb  feinen  ^raed  in  fid;  felbft,  er  ift  ein  abfolutev  ^ricb,  ein  ^rieb 
um  be§  3: riebet  raincn,  ober  lueuu  luir  i(;n  a{ß>  @efe^  f äffen,  ein  obfo^ 
lute§  ©efeij,  ein  ©efel^  nm  be»  ©efe^e^  mitten,  ein  fategorifd;er  ^nu 
peratio. 

^n  ber  meiteren  2iu§füf;rnng  feiner  praftifc^en  ^Nf;i[ofop!;ie  untere 
fd;eibet  gid;te  mit  Äant  bie  3{cd;tv(ei;re  nub  bie  ©ittenlebre;  ben  Itn- 
terfc^ieb  betber  (;at  er,  wie  mir  fiiiben  werben,  nod;  fd;ärfer  nub  be- 
ffimmter  feftgeftettt,  a(§  jener.  3n  btefen  graei  ^auptt(;ei(en  ber  praftifd;en 
^^ilofopt;ie  fommen  bann  af§  britte«  and;  bei  i^m  bie  S3eftimmungen 
über  bie  9leIigion,  TOe(d;e  er  ouf  hem  nrfprüng(id;en  ©tanbpunft  feinet 
€i;ftem^  greid;fal(§  nod;  au§fd;(ie^lid;er,  a(g  felbft  ^ant,  auf  bie  Wloxal 
äurüdfn^rt. 

gid;te'^  „©runblage  be§  9^aturred;t^"  (1G9G),  ber  3eit  nad;  frül;er 
aU  ^aut'g  3led;t§lel)re,  aber  fpäter,  al§  einige  anbere  €d;riften  uer- 
Toaubten  3nl)alt§  (»gl.  <B.  340),  fuüpft  unmittelbar  an  bie  bislier  be- 
fprod;enen  llnterfud;ungen  an.  SKenn  g-id;te  in  biefen  ba0  fittlid^e  ^an-- 
beln  übcrl;aupt  bebucirt  l)atte,  fo  bebucirt  er  in  ben  erften  2lbf(^nitten 
beg  9^aturred;t^  haS^  red;tlid;e  ^anbeln  nub  feine  ©efc^e.  @r  fül;rt  l)ier 
gnerft  ben  für  un§  l)öd;ft  überflüffigen,  für  il)n  ^öc^ft  be5e;d;nenben 
Verneig,  baB  ein  enb[id;e§  oernünftigeä  2Befen  fid;  felbft  nid;t  fe^en 
föune,  ol;ne  fid;  eine  freie  Sßirlfamfeit  3U3ufd;reiben,  bal;er  aud;  nid;t 
ol)ne  eine  ©innenmelt  au|er  fid^  ju  fe|en,  unb  ol;ne  anbere  eubtid;e 
SSernunftiuefen  au^er  fid;  anjunel;men;  unb  nad;bem  er  ba§  SSerl;ältniB 
biefer  SSernunftmefen  aB  9tcd;t§ücrl)ältni§  beftiuimt  ^at,  jeigt  er  mittelft 
einer  anwerft  er^mungenen  Sebuftion,  ba^  ha§^  2>ernunftmefen  üä)  nid;t 
aU  mirffame^  ;3"'3ioi'5ii»i'i  fi^feen  fönne,  ol;ne  fid;  einen  materiellen 
Selb  P3ufd;reiben ,  baB  e§  einen  gleid;artigen  Selb  aud;  allen  anbern 
SSernunftmefen  äufd;reiben  muffe,  ba^  biefer  Seib  ein  organifd;er  fein 
muffe,  ba§  er  au§  einer  ^ät)m  l;altbarctt  3)kterie  beftel;eu,  ben)eglid;e 
^l)eile  laben,  mit  «Sinn  unb  ©mpfinbung  begabt  fein  muffe  n.  f.  ra.; 


496  S'f^tf- 

ba^  alfo  mit  ©incm  2ßort  ber  tnenfd)(id)e  Drgan{[mu§  bie  wnerlöBtid^e 
iöcbinguncj  ber  2lnraenbbar!eit  be§  9fled^t§6cgrip  fei.  ©in  re(^t§pt)ito= 
fopI;i[cIjc§  ^ntcreffe  f)abcn  aber  üon  allen  bie[en  Erörterungen  nur  bie= 
jenigcn,  luetd^e  bie  2tb(eitung  unb  Seftimmung  be§  ^Red^tSbcgrip  aU 
fold;cn  betreffen.  S)a3  33ernunftn)efen,  fagt  ^td)te  in  biefer  ^e5ief)ung 
faun  ron  anbern  nidjt  üerlangcn,  a(§  t)ernünftige§  SBe'en  anerfannt 
ju  werben,  wenn  e§  fie  nid)t  gleid;fallg  al§  folc^e  bc^anbelt;  e§  mu^ 
bie^  aber  oertaugen,  weil  e§  nur  im  SSerf)ä{tni§  §u  anbern  SSernunft= 
Toefen  fid^  al§  Snbiyibuum  fe|en  !ann;  c§  ift  mitf)in  üerbunben,  bie 
freien  SBcfen  au^er  fic^  in  allen  %äüen  at§  folc^e  auäuerfcnnen  unb  ju 
beljaubcln,  b.  f).  feine  greif;eit  burd)  bcn  S3egriff  ber  3Jlög(id^feit  ber 
iJirigcn  gu  befc^ränfen.  ^n  biefem  Sertjältni^  befiehlt  nun  ba§  9le(^t§ 
üerpitniB,  in  biefer  formet  ber  9flec^t§fat^,  baS  aKgemeinfte  9led;t§gefet.. 
S)iefe§  ®efe|  gilt  batier  nur  in  Se^iefjung  auf  58crnunftracfen ,  itnb 
graar  nur  auf  fotd^e,  mit  benen  n)ir  in  einem  n)irflid;en  SSerf)ö{tniB 
fte!)en:  meber  ju  Qa^ea,  noc^  ju  foI($cn  ^erfonen,  bereu  2ßirhuig§= 
fpi)äre  von  ber  unfrigen  gän^tid^  gefc^icben  ift,  (wie  etwa  gu  SSerftorbenen) 
ift  ein  9kd;t§t)erIjä(tniB  möglid).  (g§  gilt  ferner  nur  für  bie  .ganb  = 
lungen  ber  SSernunftraefen,  für  bie  2leuBerungen  il^rer  ^reil;eit  in  ber 
6innenu3clt,  benn  nur  burd^  biefe  fommen  fie  in  SBcc^felwirfung :  auf 
ben  Sßillen  a(§  fold^en  (äjjt  fic^  ba§  ^cd;t§gefe|  nid^t  ein,  e§  f)at,  mie 
gid;te  au^brüdUd)  erflärt,  mit  bem  6ittengefe^  nic^tl  ^u  tt)un,  unb 
lä^t  fid^  nid;t  au^  if)m  ableiten.  @0  gilt  enbtid;  nur  unter  ber  ^6= 
bingung  ber  ©cgenfeitigfeit,  unb  giebt  be^^alb  bem  gegenüber,  ber  e§ 
nic^t  eintjält,  rate  gierte  fd;ief  fagt  (III,  90),  baS  ^e^t,  il)n  n)iafüt;r= 
Ii(^  äu  be{)anbehi,  b.  1^.  ba§  3?ec^t,  feine  ©inljaltung  ju  er^TOingcn. 

2)Cu§  ber  genaueren  ©utTOidlung  be§  allgemeinen  9le($t?^gcfe|e§  er- 
geben fic^  bie  „Urrei^te",  üon  benen  übrigen^  gidite  auSbrüdtic^  bemerft^ 
fie  feien  niemals  beftcl)enbe§  Stecht  geroefen,  fonbern  feien  eine  „giftion", 
aber  eine  raiffenfc^aftlic§  notljroenbige  giftion.  Siefe  tlrred;te  führen  fid; 
nun  alle  auf  groei  jurüd :  bie  Unantaftbarfeit  unb  greil)eit  unfereS  SeibcS, 
unb  bie  Unüerle^lidifeit  unfercS  Gigent^um§.  2ßa§  bie  (entere  im  be^ 
fonberen  betrifft,  fo  beftreitet  ^ic^te  fc^on  in  einer  feiner  erften  ©d;riften 
(VI,  121)  bie  3Jleinung,  atg  ob  atte  3}?enfd^en  ein  nrfprüngtic^eg  eigen= 
tt)um§red)t  auf  hen  ganzen  ©rbboben  l)ätten,  unb  bie  mit  il)r  jufammem 
l)ängenbe  gorberung  einer  gleid;en  (gigentl)um§üert^eilung  mit  ber  S3e= 
mcrfung:    eä   gebe  !ein  natürlid)cg  ßigent^um^rec^t,   fonbern  nur  ein 


9^aturre(f)t.  497 

notürIi(^e§  3ueiömmö§re(^t ;  ber  9)lenf(^  mad^e  eine  @Q^e  erft  biirc^ 
feine  Slrbeit  3U  feinem  @igentf)nm,  wer  bafier  me^x  arkite,  bürfe  and) 
me^x  Befi^en,  unb  wer  ni(^t  arbeile,  Befi^e  re(^tlic^  gar  ni(^t§. 

®ag  IXrrec^t  al§>  foli^eS  !ann  inbeffen  ni(f)t  genügen.  Senn  ein= 
mal  Beftimmt  e§  gmar,  ba^  ha§^  @igent{)nm§re(^t  gead^tet  werben  muffe; 
aber  raie  raeit  biefe^  Siedet  gef)e,  maS  als  ba§  @igentf)nm  eine»  jcbcn 
311  betrad^ten  fei,  ma§>  nnb  unter  raeli^en  Sebingnngen  e§  al5  I)erren= 
Iofe§  ®ut  in  Sefi|  genommen  raerben  bürfe,  lä^t  ba§  Urred^t  al§>  fol= 
^^§>  unentfd)ieben ;  bie^  (ä§t  fid^  nur  burc^  5?ertrag  feftftellen.  ©obonn 
ift  aber  and^  ber  Üicd^t^jnftanb ,  fo  lange  er  fid^  nur  auf  bie  Xlrrc(^te 
ftü|t,  buri^auS  unfid^er,  ba  jeber  ba§  dtcä)t  be§  anbern  nur  bann  3U 
a(^ten  »erbunben  ift,  menn  biefer  ba§  feinige  ad;tet;  ob  bie§  aber  ber 
%da  fein  mirb,  bafür  f)at  er  feine  Sürgfd^aft,  unb  auc^  ba§  3^^^i^3^- 
red^t,  meld^eS  bem  SScrtel^ten  3uftcl)t,  nül^t  menig,  fo  lange  ni^t  bafür 
geforgt  ift,  bo^  biefer  3^^^^^9  eine§t{)ei(ic  mirflid)  eintritt,  unb  anbcrer= 
feitä  bie  ©rensen  be§  S^ted^tS  nid^t  überfd^reitet ;  b.  f).  fo  fange  ni(^t 
eine  9Jladf;t  ba  ift,  meldte  jebe  S^tcd^tSoerletiung  burd^  ^^^o^^Ö  üert)inbert, 
of)ne  baB  bod^  ^iebci  von  ifir  felbft  eine  neue  9ted^t£^t)evte^ung  3U  hc- 
fürd^ten  märe,  ^m  Sefi^  biefer  ^la<S)t  ift  ah^x  ni(^t  ber  ©injelne, 
fonbern  nur  bie  ©efammtl^eit ,  unb  fie  allein  gemöl)rt  aud^  bie  Sürg= 
fd^aft  für  bie  rid^tige  Stninenbung  berfelben:  bie  ©id^erung  raie  bie  näliere 
Seftimmung  ber  9led;te  fann  in  feine  anbere  §anb,  al§>  in  bie  be^  @e= 
meinmefeng,  beg  6taote§,  gelegt  raerben. 

Ser  ©taat  entftefit  burd^  ben  übereinftimmenben  ^iUcn  aUei*  feiner 
SJiitglieber ,  fid^  giir  (Sid;erung  if)rer  9?ed^te  gu  üereinigen,  burd^  ben 
„©taatsbürgerüertrag" ;  feine  entftel)ung  fe^t  balier  ©inftimmigfeit  aller 
Setlieiligten  voraus :  wer  fid;  jenem  SSertrag  nid^t  unterrairft,  ber  hkiht 
oom  (Staat  au§gefd^loffen.  Sie  Duelle  alter  öffentlid^cn  ©eroalt  liegt 
fomit  in  ber  ©efammtfieit  ber  Staatsbürger,  im  53otfe:  ber  ©runbfa^ 
ber  33olfSfout)eränetät  rairb  ron  ^id^te  auf's  entfd^iebenfte  feftge^alten. 
©erabe  befs^alb  bavf  aber,  raie  er  glaubt,  biefe  ©eraalt  nid;t  unmittelbar 
00m  3Solf  ausgeübt  raerben;  bie  unmittelbare  Semofratie  ift  t)ielmel)r 
nid^t  aEein  bie  un^raedmäBigfie,  fonbern  eine  f($led^tf)in  red^tSraibrige 
33erfaffung.  Senn  jebe  mit  ber  5ßoIl§ie^ung  ber  ©efe^e  beauftragte 
33ef)örbe,  aud^  bie  gange  ©emeinbe,  fann  bie  ©efe^e  verleben  ober  il)re 
2luraenbung  unterlaffen,  fie  fann  bem  urfprünglic^en  äöillen  beS  SiolfeS, 
wie  biefer  in  bem  ©runbgefel^   beS  ©taatS  auSgebrüdt  ift,  guraiberlian- 

3  e  H  ev  ,  öefcl)id)tc  ber  beutf(i)en  iP^iIofcpt)ie.  32 


498  dWt. 

beln.  ©egen  biefe  ©efatir  tann  fic^  ba§  @ememiüe[eu  nur  burd)  bie 
SSeraiitraorttidjfeit  ber  ©taat^geroalt  fidjem;  bie  5per[onen,  benen  fie 
ancertraut  ift,  muffen  einen  9tid;ter  über  fid;  traben.  9hir  nnter  biefer 
^ebingung  ift  ein  9ied;t§ftaat  mi3glld;:  „eine  58erfaffung,  wo  bie  9^er= 
lüalter  ber  öffcntlidjen  Wlaä)t  feine  SSerantiDortlid)!eit  {;aben,  ift  eine 
S)efpotie".  ©ie  ©efammtgenieinbe  f)at  aber  feinen  9iid;ter  über  fi(|: 
fie  wäre,  raenn  fie  bie  ©taat^geiualt  felbft  ausübte,  guglcid;  9iid;ter  uub 
^-Partljei.  ©ie  barf  bemnad;  biefe  ©emalt  nid^t  in  Rauben  beljalten,  fie 
mu&  biefelbe  burd;  9lepräfentauten  ausüben  laffen.  S)iefe  3ftcpräfen= 
tauten  jeboc^  burd;  bie  ^t)ei(uug  ber  brei  ©eraatten,  ober  aud;  nur  burd^ 
bie  3:reuuung  ber  gefe^gebeuben  ©eiualt  uon  ber  üotl^ietienben  §u  he- 
fi^räufen,  f)ölt  ^•id;te  (i)  erin  mit  Dlouffeau  uub  ben  3Jiäuncrn  beS  Son= 
oentS  eiuüerftanben)  für  untt;untid;.  S)aS  einzige  luirffame  ©egenmittel 
gegen  ben  S)efpotijmu§  fott  üie[me()r  in  ber  ©rrid;tung  eineS  „ßp^oratS" 
liegen,  einer  Set)örbe,  bie  ot)ue  alle  eigene  ©efe^gebuug§=  ober  SSott^ 
5ief)uug§gen)alt  bie  ^serroalter  ber  le^teren  überiuadjen  unb  fie,  faüS  fie 
fi(^  eine  ©efc^ioibrigfeit  ertauben,  unter  fofortiger  ©ufpenfion  aller  it)rer 
SlmtSbefngniffe  üor  ben  9lid;terftut;l  ber  ©emeiube  gietieu  fott;  ein  fo 
eminent  unpraftifd;cr  3?or|d;lag,  ba|3  ^^ic^te  felbft  fpäter^)  auf  feine 
2luSfüt)rbarfeit  t)er5id;tete.  S)a  er  aber  von  ber  3:t)eitung  ber  ©eroalten 
fortroä^renb  nid^ts  pren  rooUte,  nal;m  er  je^t  feine  3iifJ^"d[;t  p  ber 
i^offnung,  e§  roeibe  ja  einmal  eine  3^^^  lommen,  roo  bie  9iegierung 
feiner  Ueberroad;ung  bebürfe,  weil  fie  in  bie  ^änbe  ber  heften  gelegt  fei. 

®ie  Slufgabe  be§  ©taatS  fe^t  ^•id;te  im  allgemeinen  in  bie  ©id;erung 
be§  Siei^tS;  nur  l)icrauf  follte  ja  feine  9ioll)roeubigfeit  berul;en.  SDa^u 
bient  nun  tljcilS  bie  ©trafred;t§pflege,  tl)eitS  bie  ^oli^ei,  unb  fo  roeiben 
benn  beibe  einge^enb  befprod;en.  S)er  ^oU^ei  räumt  gid;te,  feinen 
abfolutiftifd;en  ^Jieiguugen  entf pred;enb ,  eine  rocit  gel;enbe  ^efuguifj  gur 
Seauffid)tigung  ber  einzelnen  ein..  S)a§  ©trafred;t  beS  ©taatS  roitt  er 
auf  einen  „Slbbü^ungSoertrag''  grünben,  burd;  meldten  ber  ©taatcbürger 
ba§  9led)t  erl;alte,  ftatt  ber  2luSfd;lieBung  vom  ©taate,  bie  ii)n  fonft 
für  jebe  @efe^eSoerlel}ung  treffen  müfjte,  bie  il;n  aber  oogelfrei  mai^en 
mürbe,  fid;  einem  auberen,  fleineren  Hebel  5U  unterroerfen ;  ba§  Qntereffe 
beS  ©taatS  bei  biefcm  Vertrage  liegt  in  ber  ©id;eruug  gegen  9Ied^t^= 
Deiletjungen ,  unb  für  bicfen  ^roecf  follen  bie  ©trafen  t^eils  auf  bie 
Söefferung  be§  ikrbred;er§,  tt)eilS  auf  2lbfd;redung  com  9]evbred;en  U-- 

1)  ^n  bem  ©i)ftcin  ber  aicdjtMc^vc  ö.  1812.  9Jad}g.  SB.  m.  II,  632. 


®er  «Staat.  499 

red;net  fein;  nur  bei  üorDeöacl;tem  Morb  foä  Der  ^erbrec^cr  unbcbingt 
üom  Staat  au§gefd;Iofieu  unb  in  golge  beffen,  §ur  ^efciticjnng  einer 
öffcntlidjen  @efat)r,  von  ber  ^polijei  gctöbtet  werben.  Slber  neben  bem 
3flcd;te[d)u^  wirb  beni  ©taate  t)on  ^^-it^te  fd;on  in  feinem  9laturredjt 
t).  ^.  1796  noä)  eine  gwcite,  tfiatfäc^Iid;  üder  ben  Segriff  einer  b(of5en 
9fted)t§anftaft  weit  IjinauÄgeljenbe  2lufgabe  gcftellt.  S)er  ©taat^^bürger^ 
ücrtrag  fott  neben  bem  ©d)uljüertrag  an^  einen  Gigentfinmlücrtrog  (nnb 
aU  britten  ^anptbeftanbtljeit,  gur  (Sidjcrnng  jener  beiben^  einen  SSer; 
einigung^Jyertrag)  in  fid;  fd;lic§en;  nnb  biefer  ©igcntf)nm§t)ertrag  fott 
nid;t  bloä  bie  Serlcl>ung  freinber  ©igentfinmörcc^te  verbieten,  fonbern 
er  foll  and;  jebem  für  fid;  felbft  bo§  dlcd)t  gciüäfjren,  ben  ^'^cd  atle§ 
föigentf)uni§  errcidjcn,  von  feiner  2lrbeit  leben  ju  fönnen;  er  fod  mitfjin 
ben  Staat  ycrpflidjten,  bafür  gn  forgen,  ba§  bief3  icbeni  feiner  33nrger 
o!)ne  2luS^nal)me  ntög(id)  fei.  ^-ür  biefen  !^\vcd  »erlangt  nun  ^idjte 
fdjon  l)ier  eine  Drganifation  ber  Slrbeit  bnrd^  ben  Staat,  raeldje  l)alb 
an  bie  ältere  ^unftuerfaffnng,  l)alb  an  neuere  focialiftifdje  Syftcme  cr= 
innert.  9^od;  viel  weiter  gel)t  er  aber  in  feinem  „gefd;loffenen  ^anbclg; 
ftaat"  t).  3.  1800.  ^ier  forbert  er,  ba^  ber  Staat  allen  bie  gleid;e 
©elcgent)eit  jur  ©igentt)nniÄcnüerbnng ,  bie  glei(^e  9)lög(id;feit  gcraöl)re, 
fid^  bnrd)  Slrbeit  Seben^güter  3U  üerfdjaffen;  nnb  um  bic^  ju  errcid^en, 
foll  berfelbe,  wie  er  üorfdjlägt,  nad;  anf^en  fid^  üollftänbig  abfdjlie^en 
nnb  ben  ganzen  auswärtigen  ^anbel  au'cfd;lie{3lid;  in  feine  eigene  ."ganb 
neljmen,  im  3"^crn  nic^t  allein  bie  greife  aller  lanbiuirtljfd;aftlid;en 
unb  gewerblidjen  ©rjengniffe,  fonbern  auc^  bie  Qa1)l  berer,  wcldje  fi(^ 
jebem  ßrwerbSjweig  wibmen  bürfen,  t)on  fic^  au§>  bcftimmen.  ^-id^te 
l^at  biefe  focialiftifdje  Slljeorie  nodj  in  feinen  legten  Sebenyjal)rcn  wieber- 
f)olt;  at§  bie  Hauptaufgabe  beS  Staat§leben§  tritt  aber  bei  il)m  jct^t, 
^uerft  in  ben  Sieben  an  bie  bentfdje  9cation,  bie  ibeale  ber  33olf§cr5iel)un9 
iieroor,  nnb  gleidjjeitig  getoinnt  aud;  bie  D^ationalität  für  iljn  einen 
3Bertl),  ben  fie  bi§  bal)in  in  feinen  Singen  nii^t  gel)abt  f)tttte.  S3eibeö 
ftel)t  im  engften  ^uftii^i^^enliang :  benn  fo  lange  man  bie  polieren  ^n- 
tereffen  be§  geiftigen  2chen§>  üon  ber  Slufgabe  be§  Staate  auSfd^lie^t, 
fann  and;  ber  Sftatioualität,  bie  fid;  im  Staat  üerförpert ,  nur  eine  un= 
tergeorbnete  Sebentung  beigelegt  werben,  unb  umgefel;rt;  unb  b^ibe 
SSeränberungen  in  feiner  politifd;en  2lnfid^t  ergaben  fid;  g{d;te  3unäd;ft 
ttU0  ben  ©rfalirungen ,  weld;e  ^reu^en  unb  S)eutfc^lanb  in  bem  Un- 
glüdiSjalir  ber  Sc^lad;t  üon  3^«^  gemaij^t  fiatten.    SÖälirenb  er  fic^  nod) 

32* 


500  dW^' 

unmittelbar  äuoor  in  ber  SBeife  beS  boma(igeu  beutfdjen  ^ofmopoütif= 
mu§  töegwerfenb  genug  ükr  bie  „©rbgeborenen"  geäußert  f)atte,  bie 
'\i^  üon  ber  ©d^olle  eine§  gefunfeuen  ©taatgroefen^  nic^t  ju  trennen 
roiffen,  gieng  if)m  je^t  über  betn  lIng(ü(J  unb  ber  ©rniebrigung  beS 
eigenen  Sanbe§  ba§  t)olIe  33erftänbni^  für  bie  33ebeutung  eine»  3Sater= 
lanbg  auf.  SBä^renb  er  U§>  baf)in  behauptet  f)atte,  mit  ber  ©ittlidjfeit 
unb  Silbung  ^ahe  fid^  ber  Staat,  al§>  blo^e  9?e(J^t§anftatt,  gar  nid^t  ^u 
befaffen,  betrad)tete  er  je^t  al0  ben  mii^tigften  dou  aßen  ©taat^sroecfen 
bie  fittüd^e  ©r^ietiung  beS  33oIfe§  auf  bem  ©runbe  ber  roaliren  SBiffen^ 
fc^aft,  bei  roeldjer  le^teren  er  natürlich  junäd^ft  an  feine  eigene  ^p^ilo- 
fopf)ie  bad;te ;  unb  er  üerfotgte  biefen  ©ebanfen  nad;  feiner  2lrt  fo  rüd= 
fidjt§(o§  unb  fo  einfeitig,  ba^  er  bie  ©taat^Ieitung  mit  ^laio  in  bie 
^anb  be§  £ef)rftanbe§  gelegt  raiffen  raollte.  ^eibe  @efic|t^punfte  uer= 
fnüpften  fi^  il)m  aber  in  ber  Heber^eugung,  ba^  S)eutfd;(anb  nid^t 
untergeljen  fönne,  weil  bie  5[)eutfd;en  haS^  einzige  raa^re  ^ultur^ol!  feien, 
unb  be§f)atb  bie  ©rfialtung  ber  menfdjtid^en  ©eifteSbilbung  an  bie  (Bt- 
l)altung  be§  beutf(^en  ^o(fe§  gefnüpft  fei.  2öir  fe^en  fo  ^^id^te  oon 
ben  brei  Stuf  gaben,  loelc^e  bem  ©taat^leben  gefteüt  finb:  ber  9led;t^= 
fc^u^,  bie  ©orge  für  ba§  SSolf!oTOof)t,  unb  bie  ^oif^bilbung,  anfangt  bie 
erfte  ganj  überraiegenb  t)erüorf)eben ;  mit  il)r  uerbinbet  fid;  bann  bie 
jTOeite  in  äunel)menber  Sebeutung,  unb  f(^lie§üd^  mirb  in  ber  britten 
ber  Qmcd  erfannt,  bem  ade  anbern  ju  bienen  t)aben  ^). 

^n  einem  Slnfjang  ju  feinem  9iaturred;t  befpridjt  '^'\d)te  ba§  gami(ien= 
red;t,  ba0  SSötferred^t  unb  ba§  SBeltbürgerredjt.  ^infid;ttid)  ber  beiben 
le^tern  f(^Iie&t  er  fic^  burd;roeg  an  J?ant  an;  bagegen  unterfd^eibct  er 
fic^  oon  if)m  in  fel)r  oort^ei(i)after  SBeife  burc^  feine  S3el)anbiung  be§ 
gamilienred^tS  unb  namentlid)  burd;  feine  2Iu§füf)rungen  über  bie  (Sl)e, 
meiere  jraar  aud^  an  manchen  (Sd;iefl)eiten  unb  ©iufeitigfeiten  leiben, 
unb  foldje»,  waä  nur  au^  ber  ^erfönlid;feit  unb  ber  perföntid^en  @r= 
fal)rung  be§  ^l)ilofopl)cn  Ijerüorgieng,  mit  Unrcd;t  5ur  allgemeinen  DJegel 
ert)eben,  raeldje  aber  nidjt  blo»  J!ant'§  äuBerlidjer  3luffaffung,  fonbern 
ber  ganjcn  bi§l)erigen  S)arftel(ung  biefe!§  ^erl)ä(tniffe!§  gegenüber  einen 
bebeutenben  gortfc^ritt  be3eid}nen. 

3u  ber  dhä)t§k^xe  fteüt  nun  gid;te  bie  ©ittenlelire  im  u)efent= 
lid;en  in  ba^felbe  ^erl)äüni^,  mie  Äant.    Söenn  fid;  jene  auf  bie  §aub= 


1)  ?(u§füf)rlicf)er  ^abe  ic^  „'i^'idjti  al§  'ißolitifev"  im   7.  Stücf  meiner  „SSovträge 
unb  ■^Ibt}anblmigcu"  befpvodjen. 


©ittenle'^re.  501 

hingen  Be^og,  bejtel^t  fid)  biefe  onf  ben  Söillen;  tocnn  jene  bie  ©efe^e 
für  boS  äußere  35erf)Qlten  ber  Wten\^en  gegen  einanber  feftftellte,  Be= 
ftintmt  biefe  bie  ©efe^e  für  ifir  innere?  SSerl^alten  ju  fi(^  fetbft.  S)a§ 
^rincip  biefer  ©efet^gebnng  (non  raelcfjem  ber  fantifd;e  (Sa|,  bie  9)kj:iine 
unfereS  2öitten§  ntüffe  ^rincip  einer  allgemeinen  ©efe^gelmng  fein 
fönnen,  nnr  eine  f^^olgernng  Qn5ifpt:i(^t  IV,  234),  ergießt  fid^  ou§  ber 
5Betra($tnng  ber  ntenfd;(id)ett  Slatnr.  ^a§  SBefen  be§  ^d;  Beftc{)t  in 
feiner  abfotuten  ©elbftt^Qtigfeit,  feiner  grei!f)eit.  ^n'oem  e§  fic^  in  biefem 
feinem  Söefen  ergreift,  entftef)t  iljm  ber  5£rie6  unb  bie  gorberung  bnrd;- 
an§  freier  ©elbftbeftimmnng ,  ber  „reine  Xrieti",  metci^er  bie  Sßnrjel 
aller  @ittli(^feit  ift.  2l6er  biefer  felbft  fönnte  fid^  nic^t  üern)irf(i(^en, 
\)a§>  ^ä)  fi(^  ni(^t  al§  felbftBerou^te?  fe^en,  wenn  e§  ni(^t  am  Dbjeft 
einen  ©toff  ptte,  ber  feiner  5rf)ötig!eit  SBiberftanb  leiftet,  nnb  wenn  e§ 
biefen  Sßiberftanb  nid;t  in  fi(^  felbft  aU  feine  eigene  Seftimmtljeit, 
feinen  natürlid;en  5Crieb  üorfänbe.  @§  finb  fo  in  i^m  jmei  ^triebe: 
ber  reine  nnb  ber  finnli($e  ober  ^flatnrtrieb.  3Iber  beibe  finb  in  if)m, 
fie  finb  nnr  bie  jmei  Seiten  feiner  9?atnr,  bitben  nnr  jnfammen  il^ren 
„Urtrieb".  ©ie  muffen  balfier  in  Uebereinftimmnng  gebracht  merben, 
ha§>  S<J)  ^wB  f^tf)  ^W'^*^  i^i'ß  33ereinignng  al§  ba§  ©anje  betätigen, 
n)eld;e§  fie  beibe  nmfaf,t.  S)iefe  SSereinigung  fann  aber  nnr  barin  be= 
fteljen,  ba§  ber  finnlid;e  S^rieb  fd;(e(^tf)in  bnrd^  ben  reinen  beftimmt 
wirb;  benn  bie  ©elbftbeftimmnng ,  bie  abfotnte  ©etbftt{)ätigfett ,  bi(bet 
ba§  Befen  be§  ^ä),  unb  nnr  al§  eine  Sebingnng  biefer  feiner  6etbft= 
tptigfeit  {)at  e§>  ha§>  Dbjeft  nnb  mit  i^m  bie  finnlid^e  (Seite  feiner 
9?atur  gefegt,  ©ben  fiierin  befielet  nnn  bie  ©ittlid^feit.  5Der  reine 
S^rieb  gel^t  auf  vöUi^e  llnabf)(ingig!eit  beim  ^anbeln,  auf  völlige  ^e- 
freiung  t)on  ber  9?atur,  bie  §anblung  ift  i^m  angemeffen,  ift  fittlic^, 
toenn  fie  gleid;fall§  baranf  au§ge^t;  weil  aber  ba§  Dbjeft  nnb  ber 
0Jaturtrieb  fortmälirenb  üorlianben  ift,  fann  biefe§  3^cl  nie  mtrflid;  er= 
reicht  werben,  fonbern  e§  ift  eine  nnenblid;e  Slufgabe,  bie  fid;  immer 
nur  annäl)erung§roeife  löfen  lä^t.  3Bir  muffen  un§  für  jebe  einzelne 
§anblung  ein  beftimmteg  Qkl  fteden;  aber  mir  foUen  biefe?  fo  beftimmen, 
baB  bie  ^anblung  „in  einer  9teil)e  liegt,  burc^  beren  ^ortfe^ung  ba§ 
^ä)  unabl)ängig  werben  müBte."  S)er  moralifc^e  @nb3wed  jebe?  üer= 
nünftigen  3Befen§  ift  (Selbftänbigfeit  ber  SSernunft  überl^anpt;  in  ber 
©efammtl^eit  ber  ^anblungen,  burd^  weld;e  unfere  ftetige  Slnnä^erung 
an  bie  roüfommen  freie  ©elbftbeftimmung  bewirft  wirb,  beftelit  unfere 


502  dW^' 

fittlidje  SeftimTTtung;  xmb  g-tc^te  briicft  beB^oIb  fein  3Jtora(prtnc{p  in 
bem  ©a^  an§:  „©rfütle  jcbc^mal  beine  ^cftimmutig."  S)a§  ©efüi)I 
beffeu,  n)a§  unferer  ^cftimmung  gemä^  i\t,  ift  ba§  ©eraiffen:  tüir  finb 
im  ©eroifieu  befriebigt,  unferer  fittlid^en  lleberocugung  gcrai^,  wenn 
un[er  jetueiligeS  53erou§tfein  mit  unferem  urfprünglirfjen  ^ä),  unfer 
empirifd;e§  ^ä)  mit  bem  reinen  nbereinftimmt. 

S)iefe  UeBercinftimmung  ift  jebod;  in  bem  33^enfdjen  nid)t  von  2In- 
fang  an  ooriionben;  fie  ift  in  feiner  9ktur  angelegt  unb  huxä)  biefelbe 
geforbert,  aber  raa§  in  feinem  nrfprünglid;en  SBefen  entölten  ift,  mu^ 
von  bem  ßinselnen  at§  empirifd;em  36itK'<^fen  erft  in  fein  Seraufetfein 
er{)oben  unb  mit  greifieit  rerrairfüdjt  werben.  ®ie§  fann  aber  nur 
allmä{)(id)  gefd)et)en.  ^nex\i  wirb  ber  9}ienfd^  fidj  blo§  be§  9^aturtrieb§ 
bennifst  nnb  üon  if)m  betjerrfdjt.  @r  rei^t  fid;  fobann  üom  9kturtrieb 
lo0  unb  fommt  pm  S3erouBtfein  feiner  greil^eit;  aber  biefe  ^reifjeit  ift 
erft  bie  formale,  gmifd^cn  oerfc^iebenen  Sf^aturtrieben  ju  n3äf)Ien;  feine 
3JJafimc  ift  bie  ber  eigenen  ©lüdfeligfeit,  er  mä^tt,  voa§>  il^m  bie  größte 
ßuft  t)erfprid;t.  (Sine  britte,  pfiere  ©tufe  ift  e§,  wenn  ber  Sirieb  §ur 
roirllidjen  ©elbftänbigfeit,  ^ur  tlnabt)ängtgfcit  oon  allem  (gegebenen,  im 
^enidjen  gur  |)errfdjaft  gelangt.  Slber  fo  lange  er  liiebei  nur  bem 
blinben  S)rang  folgt,  feinen  2öif(en  §ur  unbefdjvänften  ©eltung  3U  brin- 
gen, unb  fid)  baburd;  ba§  ®efül)l  feines  2Bertl)e§  §u  geben,  bleibt  er 
f)inter  ber  fittlid;en  SInfovberung  boc^  felbft  bann  weit  jurüd,  wenn  er 
feine  Qmcde  mit  ber  größten  2Iufopferung  finnlid;er  ©enüffe  verfolgt: 
feine  Senfart  ift  oielleid)t  l)eroifd;,  aber  nid;t  moralifd;.  ®ie§  wirb  fie 
erft  bann,  wenn  ber  2;rieb  nad;  abfoluter  (Sclbftänbigfeit  in  il)m  jum 
gebictenben  @efe^  wirb,  wenn  er  fid^  §ur  9Jtapme  mac^t,  in  jebem 
gaffe  gu  tl)un,  maS  bie  ^flidjt  forbert,  barum,  weil  fie  e§  forbert. 
^eil  aber  bie  ilraft  ber  S^rägl^eit,  meldte  bem  9)Jcnf($en,  at§  enblid^em 
SBefen,  natürtid^  ift,  jcben  länger  ober  für^er  auf  einer  ber  niebrigeren 
(Stufen  feftl)ält,  unb  nur  eine  au§  natürlid)cn  IXrfac^en  nid^t  ju  cr:= 
flärenbe  2;]^at  ber  greiljcit  bie  ©ntwidlung  bc§  moralifd;en  ©inneS  be= 
wirfen  fann,  bleibt  bie  (grfal)rung  be§  Söfen  feinem  erfpart,  unb  bie^ 
ift  haS»  rabifale  Söfe,  non  bem  Äant  gerebet  f)at  (ügl.  ©.  401  f.) 

3n  ber  weiteren  2lUüfül)rung  feiner  ©ittcnlcl)re,  bereu  wiffenfd^aft:: 
(ic^e  (^lieberung  l)ier  nid;t  genauer  üerfolgt  werben  fann,  tritt  bei  gidjte 
oor  allem  ba§  ^Beftrebcn  ^croor,  fein  ©cbiet  be§  menfdjlid;en  ßebenS 
unb  ber  menfd;lic^en  Xljätigfeit  übrig  ju  laffen,  roeld^e§  nid^t  t)on  ber 


®ottc§6egrift.  503 

nttlid^en  ^bee  bur($brungen,  üon  bem  ©ebanfcn  ber  ^flid^t  erfüllt  unb 
beftimmt  wäre,  nichts  fittlid^  gleichgültiges,  feinen  ©pielranm  für  bie 
2öi{Ifüf)r  unb  bie  S^eignng  bc§  ßin3elnen;  ebenbe§E)aIb  aber  and^  für 
jebel  ntenf(^(id;e  Mcn§t)erf)ä(tni§  hen  in  if)m  tiegenben  fittlid^en  ©efialt 
au§3umittein  unb  fiienad;  feine  eigentfiümfi^eSrufgabe  ju  bcftinunen.  @r 
oertangt,  ba§  ber  ganje  finnüd^e,  empirifd^  beftimmte  3J?enfd^  SBerfäeug 
unb  3Sef)ifel  be0  6ittcngefe§cg  fei  (IV,  231);  unb  er  fe|t  bonitt  nid^t 
allein  bie  beiben  ©eitcn  ber  menf($tic^en  Statur,  bie  6innli($feit  unb 
bie  33ernunft,  in  ein  ciet  pofitiücreS  3Serf)ä(tniB,  aU  bie^  Äant  gelungen 
roar,  fonbern  er  gerainnt  auc^  in  bie  fitilid;e  Sebeutung  ber  men\ä)ü6)cn 
©enieinfd^aft  eine  tiefere  ßinfirfjt,  al§  jener.  S^enn  wenn  fi^  ber  3}?enfd^ 
bie  @elbftänbigfeit  ber  5ßernunft  gum  ^roec!  fe^t,  biefe  aber  nur  in  ben 
^nbioibuen  unb  burd^  fie  bargcftettt  werben  fann,  fo  niuB,  wie  ^ic^te 
(a.  a.  D.)  au§füf)rt,  jeber  raoüen,  ba§  atte  fittlic^  l^anbeln,  er  muß 
bafier  aud^  bie  Söed^fctiüirhmg  aller  mit  allen  jur  §ert)orbringung  ge^ 
Tneinid;aftlid;er  pra!tiid;cr  lleber3cugungen,  bie  fittrid;e  ©emeinfd^aft  aller 
3Jtenfd;en  rcoflen. 

S)iefe§  etl)ifd;e  ©emeinroefen  nennt  nun  gid^te  nad;  Äant'g  Sßor-- 
gang  eine  Äirdje,  unb  er  giebt  fd^on  baburd;  gu  rerfte^en,  ba^  bie 
9^eligion  aud^  für  il)n  il)rem  SSefen  nad^  mit  ber  ©ittlid^feit  ^\u 
fammenfäat.  ^a  eS  ift  bie^  bei  il)m  in  nod;  l)ö^erem  ©rabe  ber  %aU, 
al§  bei  jenem,  ^n  bem  fantifd^en  Stjftem  mar  ber  ©laube  an  einen 
moralifd^en  SBeltregentcn  bie  uncrläBlid;e  S3ebingung  be§  ©laubenS  an 
eine  moralifd^e  Söeltorbnung ,  ba  ba§  ^d^  f)ier  eine  9?atur  au^er  fid^ 
f)atte,  beren  @efe|e  bie  Sürgfdjaft  ifirer  Uebereinftimmung  mit  ben  @e= 
fe^en  feines  eigenen  9Bcfen§  nid^t  in  fid;  felbft  trugen,  ^n  bem  (Sa;ftem 
ber  SBiffenfd^aftSle^re  bagegen  ift  eS  baS  ^^  felbft,  aus  beffen  unenb. 
(idiem  SBefen  bie  ©efc^e  ber  9^atur,  mie  bie  ber  fittlid^en  Sßelt,  l^eroor^ 
gel)en.  ^ier  ift  ba^er  bie  Uebereinftimmung  biefer  beiben,  bie  fittlid^e 
SBeltorbnung,  an  feine  weitere  58ebingung  gefnüpft,  al§>  an  bie  Ueber- 
einftimmung beS  ^ä)  mit  fid;  felbft,  unb  baS  elftem  giebt  meber  ein 
9ted^t,  nod^  lä^t  eS  bie  3Jt(3glid^feit  offen,  von  ber  fittlidjcn  Sßeltorbnung 
auf  eine  über  bem  ^ä)  ftel)enbe  Urfad^e  berfelben  jinrüd^uge^en.  ^id^tc 
t^at  bal)er  nur,  waS  er  auf  feinem  (Stanbpunft  t^un  muBte,  wenn  er 
in  feiner  3lbl)anblung  „über  ben  ©runb  uufereS  ©laubenS  an  eine 
götta^e^Itregierung"  ^)  ben  ^Begriff  ber  ©ottlieit  auf  hen  ber  morali= 

1)  SB.  aß.  V,  175  ff.    «gl.  o6en  @.  481. 


504  S^te. 

fcf;en  Söeltorbnung  äurMfüf)rte.  2ln  bie  te^tere  muffen  tüir  an^  feiner 
Slufidjt  nad)  glauben,  benn  mit  ber  ©efinnung,  metd;e  f{(^  ben  3^^*^ 
ber  3)^ora(ität  nnbebingt  üorfe^t,  tft  notf)TOenbig  bie  tleber5eugung  vex- 
bnnbcn,  ha^  uermöge  eine§  t)öl)eren  @cfc^e§  bie  fittlid;e  %i)at  nnfeiilbar 
gelinge  nnb  bie  unfittlidje  mißlinge.  Sie  2BeIt  ift  ja  „nid^t^  meiter, 
al§  bie  na(^  3]ernnnftgefc|en  Derfinnlid^te  Slnfid^t  nnfereS  eigenen  in= 
neren  §anbetn§",  „ba§  üerfinnlid;te  3JlateriaIe  nnferer  ^ftid;t";  mie 
fönnten  i!)re  ©efe^e  mit  ben  ^sflidjtgeOoten  irgenbraie  im  2ßiberfpru(^ 
fteljen?  9tur  barauf  ge^t  aber  ber  raafire  ©laube;  ,,biefe  moralifdje 
Drbnung  ift  ba§  ©i3ttlidje,  ha§  mir  annefimen."  ©ie  ift  fetbft  ©ott; 
eines  anberen  ©otteS  bebürfen  mir  nid;t  nnb  !önnen  feinen  faffen.  3^nr 
menn  jene  Drbnung  etmaS  sufättigeS  märe,  Iiätten  mir  einen  ©runb, 
fie  an§  einer  von  it)r  felbft  oerfd^iebenen  llrfad;e  altjuleiten;  ba  fie  bie§ 
nid^t  ift,  ba  fie  ba§  abfolut  erfte  aller  objeftinen  ©rfenntniB,  abfolut 
burd;  fid)  geroi^  ift,  bebarf  fie  feinet  ©ritten  gu  ilirer  ^cgrünbung. 
„3)iefe§  ift  ba!)er  ba§  eingig  möglid;e  @lauben§befenntniB :  fröf)Iid;  unb 
unbefangen  vollbringen,  ma§  jebeSmal  bie  ^f[t(^t  gebeut."  ®er  mal)re 
2(tl)eifmu§  bagegen  liegt  in  bem  9}^angel  an  einer  lauteren  fittlid^en 
©efinnung,  in  bem  moralifd^en  ©mpirifmuS,  bem  ©ubämonifmu§.  @r 
befielt  barin,  ba^  man  über  bie  folgen  feiner  ^anblungcn  !tügelt,  baB 
man  ber  Stimme  be§  ©emiffenS  nid;t  elier  gel)or(^en  miß,  bi§  man 
ben  guten  ©rfolg  üorlier^ufclien  glaubt,  ober  ba^  man  gar  bie  ^flid^t 
bem  ©enuffe,  bie  Sugenb  ber  @lüdfclig!eit  unterorbnet.  Q;hen  bie^  tl^ut 
aber,  mie  il)m  gid;te  nid;t  ol)ne  ©runb  üorrüdt,  ber  geroöl)nlid;e  %^e\\' 
mu»,  fo  roie  biefer  befonberS  t)on  ber  bent[d)en  Slufflärung  gefaxt  TOor= 
ben  mar.  Sein  ©Ott  ift  ber  „©eber  ber  ©lüdfeligleit'',  bie  ^erfonififa= 
tion  be§  (£d;idfal§,  be§  Unbefannten,  von  bem  ber  ©enufs  abpngt; 
unb  ber  ^l)ilofop^  erflärt  beBoalb  (V,  217  f.)  feinen  ©egnern  gerabeju, 
fie  feien  bie  eigentlidjcn  2ltl)eiften,  il^r  Stiftern  fei  ein  ©i}ftem  ber 
Slbgötterei  unb  be§  ©ö^enbienfteS ;  benn  biefer  fei  überall,  mo  von 
einem  übcrmäd;tigen  SBefen  ©lüdfeligfeit  erwartet  merbe,  unb  ob 
b;efe§  SSefen  eine  SSogetfeber  ober  ein  allmäd^tiger  (2d;öpfcr  ^immelS 
unb  ber  Grben  fei:  meun  ©lüdfeligfeit  ron  il)m  ermartet  merbe,  fei  e^ 
ein  ©ö^c.  ®oc^  ift  e§  nid;t  bloS  biefe  Unreinl^eit  feiner  3Jiotiüe,  fon= 
bem  auc^  bie  Unl)altbarfeit  feiner  S3egriffe,  gegen  bie  gid^te'g  Slngriffe 
auf  hcn  Zi)dimu§>  fid)  richten,  ^enc  ©inroenbungen  gegen  bie  ^perfönlid^^ 
feit  ©otteS,  me(d;e  ©pino^a  feiner  3cit  erhoben  unb  äli'aimon  (o.  ©.  476  f.) 


I 


®otte§6egnff;    ^Religion.  5O5 

unlöngft  toieber^olt  fiatte,  raerben  üoit  %\ä)te,  ber  ja  auc^  mit  ©pino3a 
tüo!E)I  Mannt  mav,  tüteber  aufgenommen.  ©0  unbeftreitbar  feiner  2lnfi(^t 
nacf;  ba§  S)afein  einer  morolifc^en  SSeltorbnnng  ift,  fo  unmöglid;  unb 
miberfpre^enb  erfd^eint  i^m  ber  33egriff  t)on  ©ott  aU  einer  befonbern 
(SnOftanj.  „2öa§  nennt  if)r  benn,  fragt  er,  ^erfönlidjfeit  unb  ^emn^U 
fein?  S^od^  rao^t  baljenige,  mo^  i^r  in  eu(^  felbft  gefunben  l^abt.  S)a§ 
i^r  aber  biefeg  o^ne  Sefd^ränfung  unb  @nbrid;feit  fdjled;terbing§  ni(^t 
benft  uo(^  benfen  fönnt,  fann  enä)  bie  geringfte  Shifmerrfamfeit  auf 
eure  Gonftruction  biefe§  S3egrip  lehren,  ^fir  mad;t  fona(^  biefe§  Sßefen 
burd^  bie  33eiregung  jenes  $röbifat§  ju  einem  enblic^en,  5U  einem  SBefen 
euresgleichen,  unb  if)r  ^aU  nid;t,  mie  if)r  moEtet,  @ott  gcbac^t,  fonbern 
nur  euc^  feibft  im  S^enfen  üeroietföltigt/'  ^a  er  behauptet,  raenn  man 
©Ott  als  eine  befonbere  eubftanj  benfe,  fo  muffe  man  if)n  fid;  förper= 
Ii($  benfen,  benn  bie  ©ubftanj  bebeute  not^menbig  ein  in  9taum  unb 
3eit  finnlid^  eyiftirenbeS  SBefen  ^).  ®aS  urfprünglid;e  ift  nad^  ^id^te 
nur  baS  ^ä)  in  feiner  reinen  Stfiätigfeit ;  mit  bem  abfoluten  ^ä)  fällt 
bie  ©ottfieit  ber  <Bad)e  nad^  sufommen ;  fie  ift  ba^er  fo  wenig,  mie  jene«, 
ein  ®ing,  ein  6ein,  ein  ©efe^teS,  fonbern  nur  „ein  reines  .^anbeln." 

^ft  nun  ^ienad^  bie  Sleligion  nichts  anbereS,  als  ber  pra!tifd;e 
©taube  an  eine  moralifd^e  SBeltorbnung ,  bie  auf  fid^  felbft  üertrauenbe 
©ittlid;!eit,  fo  fann  au d^  bie  pofitioe  DUligion  unter  feinen  anberen 
©efid^tSpunft  geftettt  merben.  5DaB  bie  eieligion  überfianpt  jur  pofiticen 
wirb,  bieB  l^atte  gid^te  fd^on  in  feiner  ^ritif  aller  Dffenborung  (oben 
6.  481)  t)on  ber  menfc^ti(^en  Unfa^igfeit  fiergeleitet,  menn  er  ^ier  bie 
3«öglid^feit  einer  Offenbarung  für  ben  galt,  aber  aud;  nur  für  ben 
%aa  einräumt,  baB  ein  2t)eil  ber  3)tenfd^§eit  in  einen  ju  tiefen  morati= 
fd^en  3?erfaE  gerat^en  fei,  um  anberS,  atS  burd;  hk  9ietigion,  jur 
2Jtoralität,  unb  anberS,  als  burd^  hie  Sinne,  gur  9^etigion  gebrad^t 
merben  ju  fönnen.  @e|en  mir  für  „Offenbarung"  baS,  maS  gid^te 
auf  bem  @tanbpunft  ber  SBiffenfd^aftSte^re  bafür  fe|en  mu^te:  „Dffen^ 
barungSglaube",  fo  ertiatten  mir  bie  Stuftest,  me\^e  er  in  ber  Sitten^ 
te£)re  (IV,  204  f.)  auSfpric^t.  ®ie  pofitioe  S^etigion  ift  nad^  biefer 
S)arfteltung  nid^ts  anbereS,  atS  eine  5Hei^e  „üon  3?eranftattungen,  bie 
üor^ügtic^e  3Jtenfd^en  getroffen  ^ahm,  um  auf  anbere  jur  ©ntroidfung 
beS  moratifd^en   ©inneS  gu  mirfen."     ©otdje  «eranftaltungen  fönnen 

1)  V,  186  f.  216  f.  258  ff.  unb  fc^on  I,  253. 


506  5i*te. 

no($  mit  einer  befonberen  Sfiiftorittät  nevfefien  fein;  e§  fönnen  biejenigcn 
felbft,  on§  beren  ^•^"'^'^e^t  Pf^  ^w'^'J)  ßi«  SBunber  ber  ffretfjeit  jener 
moraUfd;e  ©inn  gnerft  entroicfe'te,  biefe§  SBunber  [ic^  fo  gebeutet  f)akn, 
ba§  e§  burd;  ein  geiftige^  2öefen  au^er  if)nen  Bewirft  fei:  ba§  SBefen 
ber  9^e(igion  wirb  baburd;  nid;t  berührt.  S)!e  Siciigion  ift  ©ittüd^feit, 
bie  ^ir^e  ift  ein  et!)ifc^ci§  ©emeinraefen,  hk  ©pmbole  finb  bie  ^n- 
fanimenfaffung  ber  Ueljer^cugungen,  in  beneu  äffe  SJlitgtieber  jenes  @e= 
meinwcfenS  übereinftiimnen.  Stuf  biefen  ©runb  f)at  fid^  ber  ©eiftUi^e 
aU  „moratifdjer  S3o(f§le^rer"  3U  [teilen,  aber  gugleid^  an  ber  ©r^ebung 
aller,  ber  ^ortbilbung  ber  gemeinfamen  Ueber^eugungen,  unb  balier 
aud)  an  ber  gortbitbung  ber  ©ymbole,  5U  arbeiten.  S)ie^  fann  er 
aber  nur,  tuenn  er  ^ugteid^  ©ele^rter,  2:l)eotog  ift;  unb  wenn  er  al§ 
SSolfSle^rer  bie  ^flid;t  ijat,  beut  gemeinfamen  ©lauben  nid;t  ,3U  rciber= 
fprcdjen,  fo  baif  il)m  als  @elef)rten  unb  ©c^riftftetler  baS  ^T?ec^t  ber 
üofffommen  freien  gorfdjung  nid)t  üerfümmert  merbcn  (IV,  236.  348  f.). 

5.  S)te  fpätcrc  ÜJcftnIt  bcv  ftd^te*frf|en  ^^Uofo;)^ie. 

Sa§  ©t;ftem,  beffen  ©runb^üge  ic^  U^ex  bargeftefft  liabe,  raurbe 
X)on  ^ic^te  bi§  um  ben  Slnfang  beS  gegenrcärtigen  i^al^rliuubertg  in 
SSorlefungen  unb  @d;riften  uorgetragen.  ^i)m  l)at  er  feine  58ebeutung 
für  bie  (i5efd;id;te  ber  5pi)ilofopl)ie  oor^ugSraeife  3U  rerbanfen,  raenn  auc^ 
in  ben  au^crp]^ilofopl)if(^cn  ilreifen  bie  politifc^en,  moralifc^en  unb 
religion§pl)ilofopl)ifc^en  Sßerfe  ber  folgenben  i^alire  burd^  ilire  populärere 
Haltung,  unb  ^um  Xlieil  aud;  burc^  i^re  ^e^iel^ung  auf  bie  brcnnenb; 
ften  3eitfragen,  eine  größere  SBirfung  l)eroorbrad;ten.  i^nbeffen  üoffsog 
fi<3^  uid;t  lange  naä)  gid;tc'S  Slbgang  t)on  ^^na  ein  allmät)lid;er  Ums 
f(^n)ung  in  feinen  3lnfid)ten,  ioeld;er  fd^lie^lid^  3U  einer  fel)r  er^eblid;en 
Slenberung  feines  ganzen  ©tanbpunt'tS  l)infüt)rte.  S)aS  ©i;ftem  ber 
2CBiffenfd;aftSlef)re  litt  fd^on  in  feiner  erften  ©runblage  an  einer  miber= 
fprudjSöoffen  IXnflarliett.  S)iefeS  öi;ftem  TOoffte  ben  gefommten  ^nljalt 
unfereS  Serou^tfeins  au»  bem  ^c^  ableiten,  bie  gange  objeftiye  ^elt 
nur  als  ©(^öpfung  unb  ©rfc^cinung  beS  ^ä)  betrachtet  miffen.  S)er 
©inmurf  lag  nalie:  roie  benn  baS  ^d^,  ber  einzelne  2Jienfc^,  ber  nid)t 
bloS  anbcre!.3)knfd;en,  fonbcrn  au^  eine  9Zatur  neben  fid;  Ijat,  unb  ber 
nac^  ?^id)te  felbft  nur  unter  biefer  ^ebingung  als  Ginjelner  bafein  fann, 
jugleid;  bie  fd;ijpfcrifd^e  llrfadje  affer  biefer  3)ienfdjen  unb  SDinge  fein 
fönne;   unb  biefer  ßinmurf  trat  auc^  fd^on  gidjte,   nidjt   feiten  rcd;t 


Stenbcrung  feines  gtanbpunft?.  5O7 

plump  imb  mit  wenig  SSerftönbni^,  entgegen.  Hm  if)n  gu  entfräften, 
unterfd^ieb  ^id^te  mit  gune^menber  58eftimmtf)eit  graifdjen  betn  empiri- 
fd^en  unh  bem  reinen  ober  obfotuten  Qcl;.  ^encg  ift  bie  fel6ftben)n§te 
ßinjetperfönlid^feit,  ba§  ©ubjeft,  meWjeS  bie  DOjefte,  unb  unter  i^nen 
oud^  roicber  felbftberauBte  gJerfönlidjfeiten ,  aufser  fid^  ^ot,  unb  raeldfje^ 
eben  burd^  feinen  ©egen[a|  §u  if)nen  \id)  a(§  Subjeft  beftimmt;  bie[eg 
ift  boö  gemeinfame  SBefen  affer  felbftberouBten  5perfönlid)feitcn,  bal 
©ubjeft^Dbjeft,  meld^el  mit  ben  ©ubjeften  aud^  bie  Dbjefte,  aU  ^e^ 
bingung  if)re§  ©elbftberouBtfeing,  erseugt  ^).  ^Iffein  mit  mld)em  dlcd/t 
fonnte  ha^  le^tere,  raenn  fein  S3egriff  fo  beftimmt  mar,  no(^  ^c^  ge^ 
nannt  werben?  ^ä)  ift  eben  nur  ba§  felbftbcroufite  SBefen,  boS  ©ub= 
jeft,  TOe[cf;e§  anbere  S^inge  a(§  Dbjefte  von  fid;  unter) d;eibet;  ha^  unenb- 
tid;e  SSefen  bogcgen,  ber  eint)eitlidje  ©runb  be§  €ubjett§  unb  DbjcftS, 
ift  weber  biefeg  noc^  jeneg,  e§  ift  nidjt  ^ä),  fonbern  bo§,  wa^$  übet 
bem  ^ä)  unb  ?iid^tid)  fte^t.  Ser  ^Begriff  be-3  abfoluten  ^c^  brid;t  fo 
in  ber  33^itte  entjraei:  auf  bie  eine  6eite  tritt  ba§  ^c^  ober  ha§  Sub^ 
jeft,  unb  neben  ifim  ba§  Dbjeft,  ouf  bie  anbere  ba§  Slbfofute  ober  bie 
obfofute  ;3bentität  oll  ber  @runb,  au§  bem  mir  bac>  Subjeft  unb  \)a^ 
Dbjeft  {ler^uleiten  ^aben.  SDiefe  gofgerung  fiat  3uerft  ©d^elling  au§ 
ben  3]oraulfel^ungen  ber  2öiffenfd;aft§re^re  ge3ogen;  aber  aud;  gid^te 
fann  fid^  if)r  nid^t  entjie^en,  unb  eine  ^sergltidjung  ber  beibeifeitigen 
£e{)ren  mad;t  e0  ma^rfdieintid^ ,  ba§  er  I)iebei  üon  bem  ßinffuß  feinet 
©(|ü(er§  boc^  nid;t  fo  unobt)ängig  mar,  mie  er  felbft  bie§  geglaubt  unb 
behauptet  fiat.  3)ie  ^auptfad^e  ift  aber  afferbing^  bie  innere  Gonfequens 
be§  epftem§;  unter  ben  äußeren  33eranraffungen,  roerd;e  bem  5pi;i[o|op^en 
biefe  ßonfequenj  nö^er  fegten,  ift  namentfid;  ber  2tt^eifmuC^ftreit  gu  be^ 
adjten,  fofern  er  burd^  biefen  genöt{)igt  mürbe,  bie  grage  nadj  bem  ge= 
meinfamen,  über  bie  einjelperfönlidjfeit  Übergreifenben  ©runb  affe§ 
©injelbafeina  eingel^enber  ju  erörtern.  @r  fonnte  benfelben,  mie  mir 
gefe^en  fiaben,  junäd^ft  nur  in  bem  abfoluten  ^ä)  unb  ber  inneren 
©efe^mäBigfeit  feinet  2öefen0  fud;en,  hie  fid^  in  ber  moralifd^en  SBett^- 
orbnung  offenbart.  Slber  je  beftimmter  er  e§  au^fprad;,  ba§  biefe 
moraafd;e  SBeltorbnung   ba§  raa^r^aft  ©öttlid^e  unb  ber  ©runb  aller 

1)  ön  ben  ©(griffen  üon  1794  unb  1795  ((Svnnblage  ber  SBiffenfc^-aftSle^re  u.  f.  w.) 
nnb  felbft  im  5«aturrec^t  (1796)  njivb  biefe  Unterfc^eibung  nod)  nic^t  anSbrüdlic^  ge= 
madjt,  Koiji  aber  in  ben  @(f)riften  feit  1797,  benen  bie  Sitate  ®.  486,  2  entnom= 
men  finb.    SD^b'glic^,  bag  ^iebei  oud^  ©d^eßing's  erfie  ©d^riften  mitoirtten. 


508  Sif^fe. 

fRealität,  ber  ©insetne  bagegen  nur  aU  ©lieb  in  ifir  begriffen  fei,  um 
fo  entfd;iebener  würbe  fie  if)m,  me  fe!f)r  er  fid;  and;  gunäd^ft  nod; 
gegen  bie  ©ubftanj  ©pinoja'S  ftrnuben  mod^te,  bod;  tl^atfä^Iid^  ba§  ur= 
fprüngli(^  2Birfnd;e  unb  ©ubftantielle,  ba§  urfprüngtid;e  ©ein,  um  fo 
unt)ermcibli(^er  üeriuanbette  fie  fi(^  mit  ber  ^eit  au§  einer  bloßen 
SBeltorbnung  in  bie  Urf Qd;e  unb  bo§  2öefen  ber  9ßelt. 

S^er  2lnfang  biefer  IXmraanblung  begegnet  un§  fd;on  in  einer 
B^xi^t  vom  ^at)r  1800  ^).  ^i(^te  bejetc^net  ^ier  (II,  294  f.)  ba§ 
©efe^,  unter  bem  ber  Söille  aller  enblid)en  SBefen  ftef)t,  alfo  ba?^= 
felbe,  iüa§  er  fonft  bie  moralifdje  SBeltorbnung  nennt,  aU  einen  eraigen 
unb  unüeränberlid;en  SBiffen,  aU  ba§  geiftige  S3anb  ber  3Sernunftn)e(t, 
bQ§  einige  £eben§princip  ber  geiftigen  SBett,  ben  Urquell  t)on  il^r 
unb  t3on  un§,  al§  ba§  einzige  SBal^re  unb  lluüergänglidje ,  nad;  mel^ 
ä)em  ()in  unfere  ©eele  au§>  tfirer  innerften  ^iefe  fi(^  bewege,  alle§ 
anbere  bagegen  erüärt  er  für  blo^e  @rfd)einung;  wäl^renb  er  gugleid^ 
faft  mit  3acobi'§  Sßorten  befiauptet  (II,  248  ff.) ,  ber  ©laube  allein  fei 
e§,  hnxä)  ben  mir  ni(^t  aHein  biefe^  ©migen,  fonbern  oller  Slealität 
über!)aupt  gemi^  werben.  S^enft  er  aud;  M  biefem  ©fauben  3unä(^ft 
nod;  in  ^ant'§  ©inn  on  ben  moraIifd)en  ©lauben,  ber  mit  bem  ©e= 
raiffen  unb  ber  ©efinnung  äufammenfällt,  fo  beburfte  eg  bot^  nur  eines 
üeinen  @d;ritteg,  um  liju  in  ben  religiöfen  ©tauben,  unb  ebenbamit 
jenen  „ewigen  SBiUen",  ber  l^ier  noc^  unüar  jwifd^en  bem  abfoluten 
^^  unb  einem  üom  ^ä)  tjerfc^iebenen  2lbfoIuten  in  ber  3Jtitte  fc^webt, 
in  ^a§i  (entere,  in  ben  Sßiffen  ber  ©ott^ieit  ju  üerwanbeln. 

^oä)  weiter  gef)t  bie  S)arfteIInng  ber  2Biffenf(^aft§tef)re  vom  ^a^v  1801 
mit  ber  SSefiauptung  (II,  63):  ber  Hrfprung  beS  Söiffena  muffe  in  bem 
g^i(^twiffen  liegen,  in  ber  ©renge  unb  bem  S'tic^tfein  beS  2ßiffen§,  alfo 
in  bem  ©ein,  unb  nälier  in  bem  abfoluten  ©ein,  weil  ba§  Sßiffen  ab= 
folut  fei.  §ier  ^aben  wir  bereits  baS,  wa^  ber  ^^ilofop^  früher  für 
burd^auS  unbenfbar  unb  für  ba§  eigentltd;e  ^rincip  be§  SogmatifmuS 
erftärt  l)atte  (ügl.  ©.  485),  'üa§'  ©ein  al§  ©runb  beS  Sewu^tfeinS, 
baS  2l6folute  in  ber  ^orm  beS  ©eins,  nid;t  in  ber  beS  ßrfennenS. 
Wit  roller  @ntfd)iebenl)eit  l§at  aber  gid;te  biefen  ©tanbpunlt  erft  etwas 


1)  -jOcr  „58e[timmun9  beä  93ienf(^en".  (SeiiaucreS  6et  ^^ifd^er  (Sefd^.  b.  n. 
•^f)«.  V,  851  f.  838  f.,  auf  beffen  forgfättige  Stnarpfe  ber  ©c^riftcn  aaS  Jid^te'« 
jpätever  ^eriobc  id)  I^icr  übcrl^aupt  ein  für  atlemat  öerreeifen  »itt. 


spätere  Se^te.  509 

fpäter,  fett  1805,  in  einer  9^eif)e  von  (S(^riften  entraicfelt,  unter  benen 
bie  „Slnroeifung  jum  fetigen  Seben"  (1806)  unb  ber  2(h-i§  ber  SBtffen^ 
f($aftglef)re  uon  1810  für  nn§  bie  roid^tigften  finb. 

me§>  SBiffen,  fagt  er  je|t  (II,  696  f.  V,  438  f.  n.  a.  ©t.),  ift 
nur  ein  S3itb  (ein  <Bä)cma)  be§  <Sein§.  Xa§>  eigentlid^e  unb  iuaf)rc 
6ein  aber  rairb  nid^t,  entfielt  ni($t,  ge^t  nidjt  I)ert)or  au§  bem  9^ic^t= 
fein,  benn  allem  Söerben  mu^  man  ein  ©ein,  unb  fd)lieBIi(^  ein  fold^eg 
©ein  üorauSfe^en,  'oa§'  nidjt  geworben  unb  fomit  fdj(ed;tf)in  burdj  fic^ 
felbft  ift.  ^\i  e§  aber  fd;te(^tf)in  burd;  fi($  felbft,  fo  ift  e0  aud^  atte^, 
mag  e0  fein  fann,  üon  2Infang  an  ganj  unb  ungetfieilt;  e§  fann  bafjet 
niä)t§i  in  i^m  raerben  ober  fid;  veränbem,  e§  fann  nur  aU  eine  in  fic^ 
üoffenbete  abfolut  unoeränberlidje  @iner(eif)eit  gebac^t  werben,  unb  chen 
biefe  ift  ba§,  roaS  mir  @ott  nennen.  2lu^er  biefem  abfotuten  ©ein  ift 
fein  inneres  auf  fid^  beruf)enbe§  ©ein,  benn  bie&  ift  e§  allein;  maS 
au^er  i^m  fein  fod,  fann  nur  fein  S3ilb,  fein  Safein  ober  toie  gierte 
au^  fagt  (V,  509  ff.),  feine  gorm  fein.  3)Jit  biefer  muB  fein  SBefen 
bur(^  fi(^  fetbft  unabtrennlid^  uerbunben,  fie  mu^  in  ber  inneren  Se- 
ftimmtfieit  be§  göttlid;en  SBefenS  gegrünbet  fein.  Sa0  ^ilb  bcio  ©ein§ 
ift  aber  ba§  SBiffen;  ba§  Safein  ift  nur  im  Semu^tfein,  im  SBiffen, 
in  ber  SSorfteHung  beä  ©ein§  gegeben,  biefe  ift  bie  einzige  mögliche 
gorm  unb  SOßeife  be§  SafeinS.  2Sa§  ba{)er  au^er  @ott  ba  ift,  eyiftirt 
nur  im  SBiffen  aU  ^ilb  be§  gött(id;en  ©cin§.  ^n  biefem  33itbe  er= 
fc^eint  ba§  an  fid;  ein^eittid^e  ©ein  al§  ein  mannigfattigeS ;  baS  Sßiffen 
wirb  in  feiner  ©elbftanfd^auung  jum  ^ä),  ebenbamit  verfällt  e§>  aber  in 
eine  SBelt  t)on  ^ä)cn,  bie  eine  für  fie  atle  g(ei(^e  unb  gemeinfame 
©innenroelt  au§er  fidj  liaben.  SSon  biefer  3Jiannigfaitigfcit  3ur  Ginfieit, 
uon  ber  ©rfd;einnng  3um  ©ein  gurüd^uge^en ,  ift  bie  Slufgabe  unb  bie 
©etigfeit  be§  Wenigen.  S)ie  Ijö^ere  ©ittüd;!eit  befte!)t  barin,  ha^  man 
bie  9)Ienf(^{)eit,  in  fid^  unb  in  onbern,  jur  Offenbarung  be§  göttlid;en 
SBefenS  mad;t,  baS  ^eilige,  @ute  imb  ©d§öne  in  it)r  barftedt;  hu 
Sleligion  barin,  ba§  man  @ott  attein  aU  roirfüd^,  atteg  anbere  al§ 
nid^tfeienb  erfennt,  ba§  man  nur  ba§  S,ehcn  ber  @ottf)eit  lebt  uuD  leben 
will;  bie  SBiffenfd^aft  barin,  ba^  man  alle»  3Jiannigfattige  auf  bie 
©inlieit  ^urüd^ufüliren  unb  au§  ber  @inl)eit  georbnet  abzuleiten  vermag 
(V,  468  f.  u.  a.).  ^ein  anberer  ift  nadj  gidjte  au(^  ber  ©tanb^ 
punft  be§  ߧriftentl)iim§,  wie  biefeS  im  i^olianneSeuangelium ,  unb 
uamentlid^  im  ^rolog  biefeS  @oangelium§,  am  reinften  bargefteüt  fein 


510  i^'t^tf. 

foK.  Qu  feinen  gefdjic[;ttid)en  58eftanbtf)eifeTt  rerl^ält  \i^  jebod;  bev 
^(jilo[opf)  aud;  je|3t  nod;  nidjt  anbcr^,  af§  früher.  Gr  giebt  jn,  baJ3 
bie  (rvfcnnlniB  fon  ber  abfotuten  i^bentität  ber  9)ienfd^f)eit  mit  ber 
©otti)eit  beul  ©tifter  unserer  Sleltgion  guerft,  unb  gtuar  in  ur)"pvüng= 
lid^er  3£?eife,  al§  eine  SluSfage  feinet  ©elBftberou§tfein§,  aU  etina§  in 
feiner  ^^crfönlid;feit,  in  feiner  2Beife,  ha  gu  fein,  nnmittelbar  gegebene^, 
aufgegangen  fei;  aber  er  befjauptet  bennodj,  anf  'i)cn  ©lanbcn  an  biefe 
^erfon  foinni'  e§  nid;t  an,  nur  ha^  9JZetapf)i;fifd;e,  nidjt  ba§  ^iftorifi^e, 
madie  feiig  (V,  482  f.  567  f.) ;  unb  in  feiner  ©d;rift  über  bie  53ertiner 
Uniüerfität  (VIII,  130.  136  f.)  erfiärt  er:  ber  SßiÜe  ©otteS  fönne  oI}ne 
alle  befonbere  Offenbarung  erfannt  werben,  bie  ^eiligen  ^üdjer  feien 
burd;.iU§  nid^t  ß^rfenntni^quelle,  fonbcrn  nur  9^et)ifel  be§  S^olfSuritcrridjtS, 
unb  muffen  bei  bie[cm,  ganj  unabf)ängig  uon  bem,  wa§  bie  ^^erfaffer 
etma  rotrflid;  gefagt  f)aben,  fo  crilärt  werben,  raie  fie  f)ältcn  fagen 
f ollen.  —  S)ie  ©tabien,  roeldje  ber  Gin^elne  unb  bie  2)cen)dj(;cit  auf 
bem  SBege  gu  i^rem  Qkk  burd;(äuft,  i)at  gid;te  mieberljolt  in  einer 
SBeife  befproi^en,  meldie  fid;  burd;  bie  geiftüotle  6l)arafteriftif  ber  üer; 
fd)iebenen  ©taubpunfte,  burd;  bie  pl)ilofopl)ifd;e  STebuftion  ber  gcfd;i(i^t= 
lid)en  Grfdjetnungen,  unb  burd;  bie  ^iM'aiumenfaffung  berfelben  §u  einer 
ftufeuraeifen  ßntiuidümg,  mit  ber  Ijcgel'fdjen  ^>^änomenologie  unb  @e= 
fd;id)tSpl)ilofopI;ie  nalje  bcrül)rt.  2Senn  er  aber  freilid;  biefe  ßntn)id= 
lung  von  einem  3flormalt)olE  au§gcl)en  lä{3t,  meldje»  burd;  feinen  33er; 
nunftinftinft  ber  Srägcr  aller  53i(bnng  unb  ber  ßr^ieljer  ber  übrigen, 
roilben  unb  fulturlofen  SSölfer  geworben  fei  (VII,  132  f.),  fo  fDmmt  in 
biefem  feltfamen,  ron  '^i^U  nod)  in  feinem  legten  Sebcn^jal^r  (IV,  469  f.) 
raieber^olten  Einfall  äuglcic^  ber  gan3e  l'lnlerfd;ieb  feinet  SSerfal)ren§ 
üon  bem  feinet  9^ac^fo[ger§  jum  SSorfdjein. 

gid)te  felbft  l^at  nun  allerbingS  nienial?  eingeräumt,  baB  er  ben 
urfprünglidjen  ©tanbpnnft  ber  SBiffenfdjaft^leljre  fpäter  uerlaffcn  I)abe. 
2tllein  wenn  er  feibft  fid;  and;  biefer  Stenbcrung  feinet  ©taubpunftCiS 
nid;t  beiou^t  mar,  fo  tl;nt  bie^  bem  ^l)atbcftaub ,  roeld;cr  offen  genug 
oorliegt,  feinen  ©intiag.  2ßäl)renb  er  frül;er  haS^  ©ein  au§  bem  S3e- 
mu|tfein  abgeleitet  l)atte,  leitet  er  je^t  ba§  33eiünfufein  an^j  bem  ©ein 
ah ;  TOäl;renb  it;m  frül;er  ba§  ^^  al§  folc^eS  ba§  2lbfolute  geioefcn  luar, 
ift  e§  il)m  je^t  nur  bä§  53ilb  be§  SIbfoluten;  mäl;renb  er  auf  bem 
©tanbpunft  ber  2Bii)enid;aft^3lel;re  bie  moralifd;e  Söeltorbnnng  für  bie 
einzige  ©ottl)eit  erklärt  t)atte,   bereu  mir  bebürfen  unb    bie  wir  unS 


Spätcrc  Sc^rc.  511 

benfen  fönneu,  fcnnt  er  jc^t  einen  ©ott,  rceldjer  nidjt  Mo§  ba§  @e[e| 
unb  bie  Drbnung,  foubern  ba§  2i>e[en  ber  Sßelt,  bie  ein5ige  iirfprüngs 
lid)e  2ßirf[i(^feit,  ba§  ein^icje  Sein  in  ber  3}tann  ig  faltig  feit  unb  bem 
SEcd^fel  ber  ßr[d;eiuung  ift.  .§at  fic^  bie  2Seite  biefc§  ©cgen[Q|eS 
feinem  eigenen  53eiüu^tfein  üerbor^en,  fo  tonnen  rcir  un§  bie§  barauä 
erflären,  ha^  feine  fpätercn  2lnnaf)inen  fid)  au§  bett  früljeren  allmäfjlid^ 
entiüidcltcn,  of)ne  an  einem  beftimmtcn  ^sunft  ab5ubred;en,  unb  ba§ 
bieie  Gnlii)id(ung  au§  ben  S^ürauSfe^ungcn  ber  SBiffenfdjaftiSle^re  fi(^ 
folgeridjtig  ergab.  ^Ttur  bürfen  lüir  baruni  bie  SSeräubevung,  wcld^e  in 
feinen  2ln[id;ten  üorgieng,  uid;t  unteridjät5en.  S)ie  ©ntwidluitg,  bie  fie 
ei"fu{)ren,  raar  feine  gcrablinige,  foubern  fie  würben  burdj  blefeibe  in 
roefentlidjen  Sejiefjungeu  in  ii)r  ©cgcnttieit  umgebogen;  fie  loar  eine 
fülgeridjtige,  aber  buvd;  bie  Folgerungen  lüurben  bie  ^^orauSfetjungen 
raibcrlegt.  SBeil  aber  ber  ^Ijilofopl;  fetbft  fid;  bie§  nid;f  flor  mad;te, 
fonnte  er  feineu  neuen  ©tanbpuuft  nidjt  nte^r  rein  auff äffen  unb  burc^; 
fübreu.  ©r  luar  oon  bem  ^ä)  auf  bie  ©ott^dt,  oI§  bo»  Ijötjere  unb 
urfprüngtic^ere,  gurüdgcgaugen.  21ber  um  bie  (E-rfdjeinungcn  au§  biefem 
^^rincip  abzuleiten,  bebiente  er  fid;  be§  gteid;eu  SDtittetio,  beffen  er  fid^ 
ju  ifirer  Slbleituug  auy  bem  ^d)  bcbient  fiattc.  Xk  $föelt  unb  bie 
menfd;(id;e  ^erjönlid;feit  foUteu  burd;  ben  ^roce|3  be§  SSiffenS,  bie 
©utiüidlung  be§  ^eiuu|3tfein§,  entftelien.  Stber  ba§  ©ubjeft  biefer  ©nt= 
TOidtung  btieb  uoüftänbig  im  SDunfeln,  bie  grage  nad;  bem  Sein,  an 
bem  fie  \iä)  üoll3iel;e,  unbcautraortet.  S:ie  ©ottbeit  tonnte  biefcS  ©ubjeft 
nic^t  fein,  benn  fie  fotite  ba§  ßiuige,  llnoeiäubcrlid;e,  in  fid;  33otIeubete 
fein,  ba§  feiner  ©ntroidlung  untermorfen  fein  fonnte;  unb  gid;te  er- 
flärte  au(^  au^biüdlid;  (II,  696;,  ba§  äöiffeu  fei  „©Ott  felbft,  aber 
au^er  if)m  felber,  ©otte^  iSein  au^cr  feinem  Sein,"  „nid;t  er  felbft, 
foubern  fein  (Sd;ema"  (fein  ^ilb).  Gbeuforaenig  fonnte  aber  ber  9Jlenf(^, 
ober  ba§  ^d)  überhaupt,  atl  ha§>  ©ubjeft  betrad;tet  werben,  u}eld;eg  fid; 
burd;  ben  ^rocefe  be»  2Biffeu§  jum  ©clbftberaufstfeiu  eutiuideit,  benn 
'i)a§'  ^d}  entftel;t  erft  burd)  biefe  ©ntiuidluug  unb  fann  if)r  nic^t  aU 
ii)v  Subftrat  üorange^en.  3Ba§  enblic^  aüein  nod^  übrig  bliebe,  bie 
SfJatur  fic^  gum  ©elbftbeiüuBtfeiu  entroideln  ju  laffcn,  ba§  mufite  gierte 
am  entfd;iebenften  üon  fid;  weifen,  wie  er  biefe  ja  aud;  in  feiner  bitteren 
S3eftreitung  ber  f(^ellingifd;en  £ef)re  get()an  'i)ai.  ®eun  bie  9Iatur  bleibt 
für  it)n- nac^  luie  vov  nur  bie  Sd;raul:e  bc;*  i^eiüui3tfeini3,  nur  eine  an 
fid^  felbft  ni^tige  unb   wcfenlofc  ©rfd;einung,  bereu  gaujeg  S)afein  in 


512  Si<^te. 

unferem  SSorftellen,  unferem  ®fau6en  an  i^re  9lealität  Beftetit  unb  mit 
biei'em  ©tauben  uerfdjTOinben  roürbe.  ®a§  ^rincip  be§  enblid;en  S)a= 
fein§  fd^roebt  bafier  unfaßbar  graifc^en  bem  abfoluten  ©ein  unb  bem 
Seiüu^tfein,  ber  ©ottf)eit  unb  bem  ^ä),  unb  ha§>  ganje  @t;ftem  beroegt 
fi(^  in  einer  miberfpcud^SooHen  Unflarfieit ,  bereu  legten  ©runb  mir 
gerabe  barin  5U  fud;en  l^aben,  ba^  ^-ii^te  feineu  früheren  «Stanbpuuft 
nid;t  grunbfätjlidj  fort§ubilben  raupte,  fonbern  innerhalb  begfelbcn  einen 
f^ortfd^ritt  matten  moHte,  ber  nur  über  ifm  t)inau§  gcmai^t  merben 
fonnte,  ba§  er  auf  bem  $8oben  unb  mit  ben  3JlitteIn  ber  SBiffenfd^aft^s 
Iel)re  bie  Slufgabe  löfen  mollte,  bnrd^  meiere  fi(^  <S(^etting  genötf)igt  ge= 
fet)en  ()atte,  biefen  ©oben  gu  rerlaffen.  ®eBt)alb  Ue§  ^iä)  aber  aud^ 
uid)t  ermarten,  ba^  biefer  33erfu(^  einen  bebeutenben  ©rfolg  l^aben  merbe. 
gidjte  blieb  mit  feinem  umgebilbeten  ©yftem  faft  ganj  x)ereinäelt,  fo 
bebeutenb  and)  ber  ©inbrnd  ber  moralifc^eu  unb  politifc^en  2(u§füf)ruu= 
gen  mar,  bie  er  mit  bemfelben  miffenfd^aftlid^  gu  üerfnüpfen  fid)  be= 
mütite,  bie  aber  if)re  SBirfung  anberen,  dou  bem  pf)i(ofopf)ifd;eu  ©ijftem 
uuabt)ängigen  ©igenfdjafteu  3U  ban!en  f)atteu.  S^lur  ©d;elliug  gelang 
e§,  bie  Sßiffenfd^aftSlefjre  grunbfä^U(^  ju  einem  neuen  ©ijftem  fortju; 
bilben,  ba§  für  längere  ßeit  eine  belierrfc^enbe  ©tettung  in  ber  beut= 
fd^en  5|3l)ilofop^ie  einnahm. 

6.  S^ißcr  uttb  SBß.  ö.  ^umfiolbt. 

©lei(|äeitig  mit  gid;te  mar  ©dritter  uon  ber  fantifd^en  5pi)ilofopl)ie 
ergriffen  morben,  unb  er  liatte  fid^  mel)rere  ^a1)ve  ernftlidj  nnb  eiu= 
ge^enb  mit  il)r  befdjäftigt.  2tber  fo  bebeutenb  ber  ßinbrud  mar,  hm 
Äant'§  moralifd;e  unb  äftl)etifd^e  2(nfid)ten  auf  iljn  mad;tert,  unb  fo 
entfd;ieben  er  il)nen  von  Stufang  an  äuftimmte,  fo  faub  er  fie  bod^  mit 
ber  3^it  ber  ©rgäuäuug  bebürftig.  yinv  liatte  er  e§>  babei  nidjt,  mie 
gid;te,  auf  ba§  ©anje  beg  ©i;ftem§  abgcfel)en.  S)ie  erfenutniBt^eoreti^ 
fc^en  Untevf ud;uugen ,  bie  feinen  miffenfd;aftli($en  3Jlittelpunlt  bilben, 
lagen  il)m  ferne;  er  roanbte  fid;  an  bie  ^l)ilofop^ie,  um  fid^  mit  il)rer 
^ciljülfc  tt)cil§  über  bie  fittlid;eu  2lufgaben  be§  2)tenfd)en,  tl)eil§  unb 
l)auptfäd; Ud;  über  bie  !ünftterifd;en  beä  S)id;terS  ftar  gn  merben;  unb 
eben  biefe  fragen  finb  e§  aud^,  auf  bie  feine  eigenen  pl;ilofopl)ifdjen 
Slrbeitcn  fid;  au§fd;tieBlid;  bcjietjen.  ©r  miß  fid;  über  ba§  ai>efen  be§ 
©djönen,  über  bie  ^ieU  unb  ba§  3Serfal)ren  ber  5?unft  9ted;enfdjaft  ah- 
legen;    er   gel)t   l)iebei   gunädift   uon   bem  ©taubpuufte   ber   fantifd;en 


2)a§  erhabene.  513 

3(eft!)ettf  au§;  aber  feine  IXnlerfitcfjung  felbft  fil^rt  if)n  bei  tne{)reren 
iiid)t  unroi(^tigen  ?^ragen  ü6er  biefen  ^mau§>  unb  nöttiigt  if)n  raeiterfiin 
aud^  mit  Äant'g  9J{ora(  bie  glei(^e  33cränberung  ror^unefimen,  wie  mit 
feiner  3left§eti!.  ^n  benifelben  9JlaB  aber,  wie  er  \\ä)  t)on  5?ant  ent= 
fernt,  nö^ert  er  fidfi  ber  romantifdjen  ScEinle  nnb  ©d^etting,  nnb  er 
oermittelt  fo  gleichfalls  in  feinem  Xfieile,  wenn  aud^  anf  anberem 
SBege  unb  in  befd;ränfterer  ©pfiäre,  a(§  f^id^te,  ben  Uebcrgang  üon 
jenem  ju  biefen  ^). 

2ln  ^ant  (oben  ©.  374  f.)  fc^lie^t  fid[;  ©(Ritter  ^nnä^ft  in  feinen 
für  if)n  al§  S)ramatifer  fo  mistigen  53eftimmungen  über  ba§  ©rl^abene 
unb  über  bie  Slufgabe  ber  tragifc^en  ^oefie  an.  S)er  ©inbrudf  be§ 
erfteren  bernl^t  aui^  na^  feiner  3(nfi(^t  im  mefentlid^en  baranf,  ha^  e§ 
un0  unfere  eigene  fittli($e  ^lotur  jum  ^eron^tfein  bringt,  ^n  feiner 
©rörternng  „über  baS  ^at^etifdje"  (XI,  412  f.)  erflärt  er  ganj  in 
.^ant'g  ©inn  bie  SBivfung  be§  ©rl^abenen  barau§,  baJ3  ha§>  ©emütf), 
inbem  e§  bnrd^  einen  überroäitigenben  nnb  furd;tbaren  äußeren  (ginbrudf 
na^  auBen  ©renken  finbe,  fid^  nur  befto  mel)r  nad;  innen  erroeitere, 
ba^  wir  un§  uon  allem,  wa^i  bem  6innenwefen  @^n^  yerfd;affen  fann, 
in  bie  unbe^winglid^e  ^urg  unferer  moralifc^en  ^reif)eit  jnrüdfgeworfen 
finben,  ebenbaburd^  aber  eine  abfohlte  ©idjcrbeit  gewinnen.  S)er  @egcn= 
ftanb  be§  @rt)abenen  ift  „bie  ©elbftänbigfeit  beS  ©eifte^S  im  ^uftanb 
be§  ßeibenS",  mag  fid^  nun  biefe  6e(bftänbigfeit  negatio,  burc^  ?3^affung 
im  Ungtücf,  ober  pofitit),  burd;  .^anbhing,  bewähren.  Dber  wie  er 
anberjcwo  (XI,  434)  fagt:  ba§  @efü()I  bc§  ©rljabenen  beftef)t  einerfeitS 
au§  bem  ©efü^t  unferer  llnmac^t,  einen  ©egenftanb  ju  umfaffen,  an= 
bererfeitS  an^  bem  ®efü£)l  unferer  Uebennac^t,  wcldje  baSjenige  fi(^ 
geiftig  unterwirft,  bem  unfere  ftnnnd)en  Gräfte  untertiegen.  ^eneS  ge= 
wäJirt  Suft,  biefeS  IXnluft.  „©in  erJiabener  ©egenftanb  ift  alfo  ehm 
baburdj,  baB  er  ber  ©innli(f;fcit  miberftreitet,  swocfmä^ig  für  bie  ^er= 
nunft,  unb  ergoßt  burd^  ba§  p^ere  SSermögen,  inbem  er  burc^  ba§ 
niebrige  fc^mer^t".  ^n  biefer  gemifc^ten  ©mpfinbung  befteljt  bie  DJüfjrung. 
S)ie  tragifd^e  9{ü£)rung  im  befonbern  berul)t  auf  bem  9)titleib,  unb  bie 
ft)mpat|etifrf;e  Suft,  bie  fie  erzeugt,  beruf)t  barauf,  bafe  ba§  finnlidf;e 
Seiben   bie    Äraft   ber    Vernunft,   bie    fitt(id;e  @el6fttt)ätigfeit   aufregt 


1)  3um   folgenben   tgf.  m.  Ä.  gif (^ er,    ©cf)iüer   al§    ^^Uofopf).    1858.    ®ie 
Sitate  au§  @d^itlev§  SBerfen  be-jiel^en  ftc^  auf  bie  SuobeaauSgabe  ton  1838. 
Seiler,  ©eidji^te  ber  beut)cf)cn  ^^J^ilojcp^ie.  oo 


514  @cf)iaer. 

(XI,  452  f.),  iinb  ekn  ^ierau§  fuc^t  (Schiffer  in  her  3lbf)anbhing  ,,ükr 
bie  tragifd^e  J?imft"  bie  @e[e|e  ber  Ie|teren  abpleiten. 

Slber  tote  er  felbft  fid;  ai§>  ©idjter  burd^  biefe,  boc^  immer  no(^ 
ein[eitigen  SBeftimmuttgen  nic^t  Mnben  Iie§,  fo  feigen  mir  if)n  auc^  in 
ber  gleichen  ^eit,  in  ber  er  fie  aufftellte,  bereite  über  fie  l^inau^gel^en. 
Söenn  er  in  ber  2luffaffnng  be§  ©rl^abenen  mit  Äant  übereinftimmt, 
fo  meidet  er  bagegen  in  ber  be§  @(^önen  ni(f;t  uner{)eblicl)  von  if)m  ab. 
^n  ber  berüfimten  2lbJ)anblnng  „über  Stnmnt^  nnb  Sßürbe"  fü£)rt  er 
an§:  ba  meber  bie  über  bie  @innti(^!eit  l^errfd^enbe  S^ernunft,  nod;  bie 
über  bie  $8ernunft  l)errj(^enbe  ©innlid^feit  fid^  mit  (Scf)önf)eit  be§  Sing; 
hxiid§>  »ertrage,  fo  fei  berjenige  ^i^f^«^  "^^^  @emütt)§,  mo  3>ernunft 
nnb  @innlid;fett,  ^ftic^t  nnb  9Zeignng  pfammenftimmen,  bie  S3ebingnng 
berfelben;  bie  ©c^önfieit  ftel)e  in  ber  3Kitte  jroifd^en  ber  SBürbe,  al§> 
bem  Sluicbrnd  be§  lierrfd^enben  @eifte§,  nnb  ber  SBottnft,  al§  bem  2Iu§= 
brud  be§  t)errf(^enben  S;riebe§  (XI,  362). 

@§  mirb  ^ier  alfo  gnnäd^ft  im  äftf)etifd;en  S^^tereffe  »erlangt,  ma§ 
Äant  üon  feinem  moralif($en  ©tanbpnnft  au§>  für  nn3nräffig  erfiärt 
fiatte,  eine  ^etfjeiUgung  ber  3ceigung  an  ber  ^f(id;terfü([nng,  eine  lieber; 
einftimmung  berfelben  mit  ber  33ernunft.  aßa§  aber  ba§  fc^önere  ift, 
mu^  notl)raenbig  and^  ba§  beffere  fein,  nnb  fo  mirb  @d;iller  bur(^  bie 
äftlietifd^e  S3etrad;tnng  ber  ®inge  genötliigt,  J!ant'§  moralifd;e  ©rnnb; 
fä|e  gleid^fallg  gn  prüfen  nnb  il)ren  9tigorifmn§  bnr(^  ben  ©ebanfen 
ber  fittli(^en  ©c^önl^eit  jn  milbern.  S)ie  ^^flid^tmöBigMt  einer  ^anb; 
hing,  finbet  er  (a.  a.  D.  363  f.),  fei  atlerbingg  oon  bem  Slnt^eil  ber 
9Jeignng  baran  nnabljängig;  aber  bie  fittlid;e  SSolllommenljeit  be§3)len= 
f(^en  tonne  nur  an§  biefem  Slntlieit  erlielicn.  S)ie  ^ngenb  fei  ja  nid^tS 
anbereä,  al§  eine  ^JJetgnng  gnr  ^flid;t;  ber  9)ienfd^  foHe  feiner  3?ernnnft 
mit  greuben  gel)ord)en.  ßr  fotte  nid;t  trennen,  roa§  bie  Siatnr  in 
i^m  üerbnnben  ^abe,  bie  3?erminft  nnb  bie  ©innlid^feit ,  bie  finnli(^e 
9Zatur  nidjt  blo§  nnterbrüden,  fonbern  fie  gnr  9Jlitmirfung  lierbeijielien. 
S)ie  fittlic^e  ©enlart  fei  bann  erft  geborgen,  menn  fie  auS  feiner  ge^ 
fammten  93Zenfd^l)eit  als  bie  üereinigte  SBirfung  beiber  ^Unncipien  l^er= 
üorqueUc,  wenn  fie  il)m  gnr  ^Jiatnr  geworben  fei;  fo  lange  ber  fittlid^e 
@eift  noc^  ©emalt  auraenbe,  muffe  ber  9catnrtrieb  il)m  nod;  9}tad;t  ent= 
gegenpfcfecn  Ijaben.  Sa§  t)öl)ere  gegen  ben  blofjen  pflidjtm(if3igen  Söillen 
ift  il)m  bal)cr  bie  fc^öne  ©eele,  berjenige  innere  ^uftanb,  in  wcld^em 
ba§  fittlid)e  (i)cfül)l  fid)  aller  ©mpfinbnngen  beg  3)ienfd;en  fo  üottftänbig 


S)a§  (Scf)öne;   bic  fittüd^c  ©c^ön'^eit.  51 5 

»erfic^ert  ^at,  bo§  eg  bem  2rpt  bie  Settung  be§  mikn§  o^ne  @d;eu 
überladen  borf,  wo  man  nic^t  rm^x  nötfiig  f)at,  bie  ©timme  be§  2:riek§ 
eift  üor  bem  @runb[a^  ber  Wlovai  abju^ören,   too   nid;t   bie   einzelnen 
^anblungen  fittlid;  finb,  fonbern  ber  gonje  ^axatUx,  mo  jebe  fittli(|e 
Seiftung  fici^  al§  eine  freimillige  Söirfung  be§  Srieb^  barftellt,  unb  ber 
aJlenfd^^eit  peinlid;fte  ^flid;ten  mit   ber  Seid^tigfeit  beg  ^nftinÜ^  geübt 
werben.    9^od;  einge{)enber  J)at  ©(filier  biefen  ©tanbpunft  etiüoS  fpäter 
in  ben  53riefen  über  bie  äft^etifd^e  ©rjie^nng  he§>  3)Zen[d;en  an^^gefü^rt. 
SBenn  bie  aöaljr^eit  ben  @ieg  erfiatten  foUe,   fagt  er  (XII,  29),  fo 
muffe  fie  erft  aur  i^raft  werben  nnb  ^n  ifirem  ©ac^füfirer  einen  %xkh 
anfftellen,  benn  triebe  feien  bie  einjigen  beroegenben  Jlräfte  in  ber  em- 
pfinbenben  3Beft.    m^ex  unterfd^eibet  er  (43  ff.),   wie  9tcin§olb   unb 
gid^te  (f.  0.  ©.  467.  501),  jwei  triebe,  ben  finnlid;en  unb  ben  gorm- 
trieb,    ^ener  ge^t   barauf  qu§,   ben  5menfd;en   in   bie  ©d^ranfen   ber 
Seit  p  fe|en  unb  gur  a)iaterie  3U  machen;   biefer  ift  beftrebt,   i^n  in 
greifieit  5U  fe^en,  bei  allem  Siöed;fel  be§  3uftanbe§  feine  ^erfon  5U  be= 
Raupten,  in  bem  3eitleben  ein  ©raige?,  in  ber  2)iannigfaltigfeit  ber  ein= 
seinen  ptte   ein  allgemeine^  unb  notl)roenbige§  @efe^    burdj5ufü§ren. 
Sener  'i)at  feine  9?orm  an  ber  @mpfinbung,  biefer  an  ber  $ßernunft,  an 
hcm  S)enfen;    auf  jenem  beruf)t  uufere  ®mpfängad;feit,   auf  biefem  un= 
fere  ©elbftänbigfeit.    3lber  beibe  finb   bie  ©runbtriebe  einer  unb  ber= 
felben  9?atur,   beibe   muffen  ba^er  miteinanber  vereinigt  werben.    S)er 
3)ienfd)  foH  aUel  ^ur  SBelt  mad;en,  wa§  Uo§>  gorm  ift,   alle  feine  2ln^ 
lagen  gur  @rfd;cinuug  bringen;  unb  er  foll  atteg  in  fic^  certilgen,  wa§ 
hM  Söelt  ift,  unb  Uebereinftimmung  in  alle  feine  SSeränberungen  brin= 
gen.  @r  foll  alleg  innere  üeräuBern  unb  alle§  2leuBere  formen,  ba§  9^ot£)= 
wenbige  in  un§  ^ur  2öirflid;feit  bringen  unb  ha$  2öirf[id;e  au§er  un§ 
bem  ©efe^  ber  9f?ot^wcnbigfeit  unterwerfen.    Sie  Slufgabe  ber  Kultur 
ift  e§,  beibeS  gu  teiften,  unb  nid;t  blo§  ben  oernünftigeu  Srieb  gegen 
ben  finnlid^en,  fonbern  aud;  biefen  gegen  jenen  5U  beliaupten.  ^u  biefer 
STufgabe  liegt  bie  ^bee  ber  5menfd^l)cit,  ber  Humanität;    wo   bem  9Jten= 
fd;en  eine  Söfung  berfelben  gegeben  ift,  wo  er  fi^  ^ugleid;  aUi  Wiatexie 
füt)lt  unb  als  (Seift  fennen  lernt,  ba   erhält  er  eine  coüftänbige  ^In-- 
fc^auung  feiner  3Jienfd^l)eit,  ein  ©ijmbol  feiner  au?.gefü§rten  «eftimmung. 
eben  biefeg  nun  ift  e§,  ma^  bie  Äunft  leiflet.    Qu  bem  ©piel  mit  ber 
©d;önl)eit  üerfc^winbet  fowop  ber  3wang   ber  ©mpfinbung,    aU   ber 
^TOang  ber  3?ernunft,  Uihe  fommen  in  ©inflang,  ber  3JJenfd;  ift  gan^ 

33* 


516  ©c^iöer. 

9Jlen[($,  imb  erlangt  bie  ^vei^eit  ber  öft^etifd^en  Stimmung,  in  meld^er 
(Sinnlid;feit  nnb  S^ermmft  jugteid)  tt)ät{g  finb,  eBenbeBt)aI6  aber  it)re 
Beftimmenbe  ©emalt  gegenseitig  aufhieben,  fo  ba^  wir  in  ber  reinen  ^e-- 
ftimmbarfeit  jugteic^  bie  IXnabiiän gigfeit  ron  jebem  gegebenen  ^i^ftanb 
nnb  bie  ^-ö^igfeit  ju  jeber  X^ätigfeit  geroinnen,  hierauf  beruht  bie 
erjiefienbe,  bilbenbe  2Sirfnng  ber  i^unft:  bnrc^  fie  erft  roirb  ber  3Jtenfd; 
ganj,  roaS  er  nid^t  hlo§>  im  finntid^en  Sege^ren,  fonbern  and;  im  fitt= 
lidfien  SBoIIen  nur  f)olb  ift,  bnri^  fie  erft  wirb  ber  SBiberftreit  feiner 
triebe,  ber  Äompf  ber  ^pftid^t  mit  ber  Steigung  gelöft. 

©0  fnd^t  ©c^iHer  bie  ©d^rofffieit  ber  fantifc^en  Moral  bur^  eine 
äft^etifd^e  2BeItanfid^t  ju  überroinben;  er  f)at  atg  ^f)ilofopf)  mit  Äant 
angefangen,  aber  er  tritt  t)on  ^ant  mef)r  nnb  me^r  3U  @ötf)e  nnb  §u 
ben  SJiännern  f)inüber,  bereu  SBiffenfdjaft  ber  2Bettanfd;auung  biefe§ 
®id;ter§  nät)er  fam. 

QJtit  ©(Ritter  lä^t  ftd^  in  biefer  33e3iel^ung  fein  ?^reunb  2BtI{)eIm 
t).  ^umbolbt^)  (1767  — 1835)  gufammenfteden.  Slud^  er  mar  burc^ 
^ant  §u  einer  grünblii^eren  ^f)itofopf)ie  unb  einer  ftrengeren  9Jiorat 
^ingefü^rt  roorben,  ai§>  fie  if)m  ein  ©ngel  unb  bie  übrigen  berliner 
2luffIärung§pt)iIofop{)en,  bie  erfteu  Seigrer  feiner  3«Ößi^^/  geboten  l^atten, 
xmb  er  l^at  biefe  ©rnublage  feiner  Seben§anfid)t  unb  feinet  roiffenfc^aft^ 
li(^en  5Denfen^3  nie  oerläugnet.  2lber  mit  it)r  ;)erbanb  fid;  M  i^m  üon 
Slnfang  an  ber  au§gefprod;enfte  ^nbiüibualifmuS,  ber  Srieb  nad^  eigen= 
artiger  Silbung,  nad^  Seben^genuB  unb  nad;  freier,  bem  perfönlid^en 
Sebürfnife  ent)"pred;enber ,  üou  allen  äußeren  ©inftüffen  unabljöngiger 
Seben§gefta(tung ;  bie  Ueberjeugung,  baB  ber  ^voed  aUe§  S)afein§  in  ber 
^{)ätigfeit  unb  bem  2ßoI)(fein  ber  ©ingeinen  liege,  bie  Sereitroittigfeit, 
jeben  ä)tenfd;en  unb  jebe  gefd^i(^tlic^e  @rfd;einung  in  il^rer  eigentt)üm= 
ticken  3Beife  anjuerfennen  unb  geraä^ren  ^n  taffen.  2lud^  biefer  3^9 
lag  ja  im  ©eift  jener  3eit,  unb  er  fonnte  bei  §umbolbt,  aug  beffeu 
eigenfter  9iatur  er  entfprungen  roar,  burd^  feine  SSerbinbung  mit  einem 
g.  §.  ^acobi  unb  ®.  gorfter  nur  genäf)rt  roerben.  ^n  feiner  ^wgenb; 
fd^rift  üom  ^of)r  1792,  ben  „i^been  §u  einem  3?erfud^,  bie  ©renken  ber 
2Bir!famfeit  be§  ©taatä  ju  beftimmen",  ftreitet  ^umbolbt  gletdjgeitig 
für  \)a§>  Stecht  ber  ;3nbiuibuatität  unb  für  ben  fantifd;en  9ied;t§ftaat. 
®r  fa^t  t)ier  ben  ©taat    al^3  blo§e  6ic§erf)eitlanftalt,    befd)ränft   feine 


1)  2)a§  nähere  über  i^n  bei  5H.  .'papm,  S.  t».  .^Jum&olbt;  1856. 


2B.  to.  §umboIbt.  5iy 

Slufgabe   auf   bie  SSertfieibigung  ber  grei^eit  gegen  tüiberred^tlic^e  ©tö* 
rungen,  unb  tritt  bem  bomaligen  abfolutiftifd^en  ^oli^eiftaat  unb  feiner 
9?eigung,  atte^  ju  leiten  unb  5U  koormunben,  mit  ber  S3e^auptung  ent= 
gegen :  ber  Staat  fiabe  tüeber  für  bie  2ßof)Ifa§rt  nod^  für  bie  ©ittlic^feit 
ober  bie  grömmigfeit  ber  33ürger  ju  forgen;    er  foUe  if)re  felbftänbige 
X^ätigfeit  fd^ü^en,  aber  fid^  jeber  pofitioen  einiuirfung  auf  biefelbe  ent= 
f)often.    @el6ft  in  ben  fällen,  wo  gemeinfante  ^roecfe  ba§  ^ufammen-- 
roirfen  ntefirerer  forbern,  ,3iei)t  er  bie  freien  33ereine  bem  Eingreifen  be§ 
@taat§  cor.    ^fire  tiefere  2(u^.g(eid;ung  finben  ober  bie  beiben  (Sfemente, 
welche  ft^   ^ier  gur  Söfung   einer  beftimmten  STufgabe  üereinigt  Ijaben, 
in   bem   äftfietif^en  §umanifmu§,   ber   in  §umbo(bt    burd^    ba§ 
©tubium  be§  grierfjifc^en  2tltertt)unb5  genö^rt,  burc^  ©dritter  unb  ©ötl^e 
befeftigt,   mö^renb   eineg  fed^gjä^rigen,   me^r  von  ber  Äunft,   aU  von 
ben  biptomatifd^en  ©efdfjäften  auggefüttten  Slufeut^altä  in  diom  üottenbg 
ausreifte.    S)ie  fiarmonifdje  gntroidiung   alter  triebe   unb   i^räfte,  bie 
in  ber  menfd;lid;en  yjatur  angelegt  finb,    ift  fein  ^beal,   bie  Harmonie 
a\ie§,  ©eins,  bie  Uebereinftimmung  be§  ©eifteS  unb  ber  9catur,    ift  bie 
attgemeinfte  ©runblage  feiner  2Bertanfcf;auung.  ©r  »erfangt  mit  ©dritter 
33erföf)nung  beS  Triebes  unb  be§  ©efe^eS,  §errfd^oft  be§  2Bi(IenS  nid^t 
über  eine  mibevftrebenbe,   fonbern  über  eine  mit  it^m  übereinftimmenbc 
9latur,  eine  ©emüt^Sftimmung,  in  roe(d;er  bo§  @ebot  ber  SSernunft  als 
ber   freie  Söunfd^    ber  9]eigung   unb    bie  ©timme    beS  SlffeftS   als   ber 
2luSbrud  beS  vernünftigen  SBiacnS  erfdjeine.    ßr    erfennt   eS   mit  if)m 
als  bie  Slufgabe  ber  i!unft,  bie  SBirllid^feit  im  ©inn  biefeS  ^bealS  um= 
gubilben,  bie  9tatur  gu  ibealifiren.    @r  l)at  aud^  in  ber  poIitifd;en  S;t;ä^ 
tigfeit  unb   ben  politifd^en  Slrbeiten  feiner  reiferen  aJianneSja^re  biefen 
©tanbpunft  nid;t  rerlaffen,  unb  wenn  er  mand;e  (Sinfeitigleit  feiner  an= 
fänglid;en  Hrtl;eite  über  baS  ©taatSleben  üerbefferte,  unb  bemfelben  jel^t 
pofitiüere  Slufgaben  ftellte,  als  früher,  fo  er)d;ien  i^m  bod^,   rate  einem 
©dritter  unb  gid^te,    als  bie  roid;tigfte  oon  biefen  Slufgaben,   ba^   baS 
S3olf  burd^  ©r^ie^ung  unb  S3ilbung  pr  ©elbftregierung  befähigt  raerbe. 
^n  biefem   ©ebanfen  oerfnüpfte   er   \e^t   bie  ibeale  ©taatSanfid;t  ber 
2ltten  mit  bem  liberalen  ;c5nbiüibualifmuS  ber  9^eu3eit;  in  biefem  ©inne 
leitete  unb  betrieb  er  bie  ©tiftung  ber  ^Berliner  Unioerfität,  beS  raertl)= 
ooaften  SDenfmalS  feiner  ftaatSmännifd;en  Sßirf famfeit ;    aus  biefem  @e= 
fid^tSpunft  arbeitete  er  in  ben  Reiten  ber  beginncnbcn  9leaftion  an  ber 
erringung  einer  lanbftänbifc^en  3>erfaffung  für  ^reuBen ;  er  raoüte  bem 


518  SB.  ö.  §um6D(bt. 

Btaat  in  her  fittlid^en  Äraft  ber  ^Ration  utib  i^rem  leBenbigen  2lntf)e{[ 
an  bert  öffentlichen  Slngelegenfieiten  eine  58ürgfc^aft  feiner  ©rfioltung 
unb  ©ntTOitflnng  oerfd^affen.  ®ie  äft^etifc^e  ^ic^tnng  feinet  ®en!en§ 
vevväii)  fi(^  and^  in  feinen  Unterführungen  über  bie  ©prad^e,  mit  beren 
Söefen  unb  Sterben  feine  raiffenfd^afttirf;  bebeutenbften  Strbeiten  fid^  be= 
fc^äftigen.  @r  erflärte  fie'  nad^  2lna(ogie  ber  Äunft  au^  ber  Strbeit  be§ 
@eifte§,  ben  ortifulirten  Saut  gum  Stu^brucf  be§  @ebanfen§  fä§ig  ju 
mad^en;  er  analyfirte  im  ©eift  ber  fantifd^en  ©rfenntni^t^eorie  bie  ^e= 
bingungen,  unter  welchen,  unb  bie  SSorgänge,  burd^  raetd^e  fie  fic^  bilhct ; 
er  füfirte  bie  SDlannigfaltigfeit  ber  t^atfäd^Iid^  üorfianbenen  ©prad^en 
auf  gemiffe  einfache  ©rmibformen  gurüd^,  unb  bemüfite  fid^,  jebe  einzelne 
©prac^e  al§  ein  organifc^e^  ©anjeg  gu  begreifen;  er  rerfolgte  bie  ge; 
fd^id^tlid^e  ©ntraicflung  ber  ©prad^e  unb  erfannte  in  i^r,  roie  in  ber 
©efc^ic^te  überl^aupt,  bie  Offenbarung  ber  in  ber  aJtenfd^tieit  tiegenben 
Gräfte,  mie  fidj  biefe  im  ^ufammenmirfen  ber  ^Raturnot^roenbigfeit  mit 
ber  greilieit  üoKjie^t.  Slber  felbft  auf  bem  ©ebiete  ber  ©prac^roiffen^ 
fd^aft  ^at  er  bie  gütte  feiner  @eban!en  ni(^t  in  bie  ftrengere  (Si;ftem§= 
form  gebrad^t.  ^oä)  ferner  tag  i^m  ber  ^ex\u^,  bie  pf)iIofopf)ifd;en 
©t)fteme  feiner  3^it  bnxö)  ein  neue§  gu  rermel^ren  ober  au^  nur  ben 
@runb  für  ein  folc^es  3U  legen.  SBenn  er  \^n  aber  aud^  gemadf;t  l^ätte, 
mürbe  er  bamit  fc^raertidr  eine  burc^fi^lagenbe  SSirfung  erreidjt  l^aben. 
©erabe  jene§  @tei(^geroi(^t  ber  geiftigen  i?räfte,  meines  bei  i§m  nid^t 
allein  (Sa(^e  ber  SZaturanlage ,  fonbern  aud^  bemufsteä  3^^^  ^^^  SebenS^ 
fünft  mar,  lieB  ba§  pl)ilofopl)ifcl;e  ®en!en  nicl;t  gu  ber  @ntfd[;iebenl)eit 
unb  ber  Sldeinl^errfcljaft  fommen,  beren  e§  bebarf,  um  einen  neuen  2Beg 
ju  eröffnen,  unb  bie  ^eit  auf  i^m  mit  fid^  fortjureiBen.  ©in  reid^er, 
feinfinniger,  in  fettener  93ielfeitig!eit  l)armonif(^  gebilbeter  ©eift  mar  er 
aud^  t)on  ber  pl)i(ofopl)ifcf;en  53eroegung  feiner  ^eit  auf's  tieffte  berührt 
morben;  ifire  gü§rung  5U  übernehmen,  fiatte  er  nid^t  ben  Seruf  unb 
betrad;tete  er  felbft  nic^t  als  feine  Stufgabe. 

IV.   5d)cUin9. 

1.  St^clling*§  soeben  uub  pf)iIofop^if(^c  @ntö)irflu«g. 

©0  groB  aud;  ba§  2lnffel;en  mar,  meld^eS  ber  ^bealifmuS  ber 
SOBiffenfd^aftSlefire  erregte,  unb  fo  üiele  Qxi^öxev  %\ä)te  in  ^ena  um  fid^ 
»erfammelte,  fo  flein  mar  bod;  bie  ^a^i  berer,  meldte  fid^  feinem  ©:;= 


5tc^te'0  Bahnte.  51 9 

ftem  xoixtM)  onfd^loffen,  wk  fid^  bie^  aitd^  Bei  bem  gonjen  ei)araEter 
be§[e(ben  taum  anber^  erwarten  lie^.  Sie  Kantianer  ex^oben  \iä)  batb 
faft  einmüti)ig  gegen  eine  Slnfid^t,  roeld^e  \iä)  mit  if)rer  Stnffaffung 
Äant'§  fo  wenig  vertrug;  biefer  '^f)i(ofop^  felbft  lel^nte  bie  ßonfe^ 
quen^en,  bie  ^nc^te  au§  feiner  £e{)re  gebogen  i)atte,  ouSbrücflid^  ab; 
Äant'§  ©egner  o^nebem  waren  fetbftoerftänblicf;  aud^  bie  feinet  fn§nen 
@($üler§,  nnb  wenn  fic^  ^acohi  eine  3eit  lang  üon  bem  le^teren  (ebfiaft 
angezogen  fanb,  fo  lag  ber  ©runb  biefer  Slnerfennnng  hoä)  fiauptfäd^tic^ 
nur  baiin,  baB  er  in  gid^te'ö  rücffi($t§(ofem  Si^ealifmul  bie  <2cI5ftwiber= 
legung  be§  t)ef)Utfameren  fantif d^en  faf)  (vqL  ©.  442).  Slufeer  DUin^ 
1)0 Ib,  we(($er  in  feiner  wed;fctnbcn  p{)i(ofop^if($en  ßntwidlung  au^ 
hmä)  gi($te'0  (Sd;u(e  f)inbur(^gieng  (f.  @.  468),  traten  gorberg 
(1770  —  1848)  unb  9tietf)ammer  (1766—1848),  bamatö  beibe  neben 
gi(^te  in  ^cna,  üon  ^ant  ju  if)m  über;  nod^  entjd;iebener  befannte 
fi(^  Qof).  Sapt.  @($ab  (^rofeffor  in  6f)arfow,  früher  unb  fpäter 
gleid)fall§  in  ^ena)  gu  feinen  Stnfidjten,  in  ber  golge  näherte  er  fid; 
jebo(^  ber  ^bentttät§p!)iIofopf)ie.  5)er  erfte  unb  weit  ber  bebeutenbfte 
2lnf)änger  ber  Sßiffenfc^aftsle^re  war  jebod^  Sd;etting;  er  war  eS  aber 
au(^,  weldjer  guerft  mit  yoiter  Ä(arf)eit  erfannte,  ba§  g-id^te'g  fubjeftioer 
^bealifmu^  burd)  fid;  felbft  gu  einem  anbern  unb  umfaffenberen  Staub; 
punit  forttreibe. 

griebrid)  2öilt)elm  i^ofepf)  ©(^eUing  würbe  ben  27. Januar 
1775  3U  Seonberg  in  SBürtemberg  geboren.  Sc^on  al»  i?nabe  crwedte 
er  huxä)  feine  feltene  ^Begabung  unb  burd^  bie  frü^e,  allen  2((tcregenoffen 
weit  uoraneifenbe  9teife  feines  ©eifteö  bie  gröfjten  .^Öffnungen,  (sr 
^atte  ba§  ^^ä)^^f)nt^  ^a\)X  uoc^  nidjt  üoKenbet,  al§  er  im  |)erbft  1790 
bie  Uninerfität  Tübingen  bejog;  unb  al§  er  fie  1795  wieber  verlief, 
'f)atte  er  fid)  bereit^o  burd;  mefjrere  t^eologifdje  unb  plii(ofopf)ifd;e  2tr; 
beiten  yort()eilf)aft  befannt  gema(^t.  2tle  2:t)eolog  folgte  er  ber  freien 
fritifc^en  5)en!weife  eine?^  ©emier,  bie  er  aber  fdjou  bamalS  in  Seffing'S, 
^erber'S  unb  J?ant'§  ©inn  burd;  eine  (ebenbigere  3(uffaffung  be§  menf(^= 
liefen  ©eifteS  unb  feiner  ©efdjic^te  vertiefte,  ^ubeffen  30g  ifm  feine 
91eigung  unb  fein  latent  bod;  balb  ganj  entfd;ieben  gur  ^{)i(ofop^ie 
l^in.  @r  üerfenfte  fid;  in  £ant'5  Seljre,  bereu  eigeut(id;e  3)ieinung  er 
von  ainfaug  an  in  einem  viel  ibealiftifdjcren  ©inn  fa^te,  ai§>  bie  gro^e 
9}te{)r5ai)t  ber  Kantianer.  %l§>  fobann  gidjte'Ä  erfte  ©dirtften  erfdjienen, 
fd;Io6  er  fidj  i^m  fofort  begeiftert  unb  uerftänbuifeüod  an;   erf)ielt  aber 


520  ©döeßing. 

gleichseitig  üu6)  t)on  ©pino^a'S  p^i(ofopt)ifd;er  @röBe  ben  Bebeutenbften 
@inbni(f,  unb  toiiBte  feine  ©runbgebanfen  in  ben  ficC;te'f^en  3bea= 
lifmu»  felbft,  weld^er  bagu  SlnlaB  genug  bot,  anfäunelimen.  2l(§  Be- 
gleiter t)on  graei  jungen  Stbligen  gieng  ©c^etting  im  grüliial^r  1796 
nacä^  Seipäig.  @r  lebte  ^ier  über  jroei^alire,  mit  ©tubien  iinb  fd^rift= 
ftellerifc^en  2lrbeiten  befc^äftigt,  raeld^e  fic^  je^t  mit  S^orliebe  ber  3^atur; 
raiffenfd^aft  guraanbten;  gieng  bann  aber  im  ^erbft  1798  naä)  ^ma, 
TOO  itim  buri^  @ötl)e'§  ä^ermittlnng  eine  ^rofeffur  (freiließ  oljne  ©e^alt) 
angeboten  roorben  raar.  ®ie  fünf  ^a^xe,  bie  er  l)ier  §ubrad;te,  maren 
für  il;n  eine  3^^^  ber  frn(|tbarften  afabemifc^en  unb  literarifrf;en  2Birf= 
famfeit  unb  ber  anregenbften  perfijnlic^en  Be^ieliungen.  SluBer  gierte 
unb  ©(^iller  fam  er  auä)  ju  ©öt^e  in  ein  nä^ere^  3]erl)ältni§ :  in  bie 
engfte  SSerbinbung  trat  er  aber  mit  ben  SJiännern  ber  romantifdjen 
©(|ule,  namentlid^  21.  SB.  ©c^legel;  er  felbft  mar  9tomantifer  genug, 
um  o^ne  Bebenfen  ©d;leger§  @atttn,  bie  gelftüoHe  (Caroline  Bölimer, 
meiere  fic^  beB^alb  oon  ilirem  3Jtann  trennte,  gu  ber  feinigen  ju  mad;en. 
1803  fiebelte  ©d^elling  alö  orbentlic^^er  ^rofeffor  nad^  SSürjburg  über; 
als  biefe  ©tabt  an  ben  ©roB^erjog  von  ^ofcana  !am,  t)ertaufd;te  er  fie 
(1806)  mit  Mmä)tn,  mo  er  3)Utglieb  ber  Slfabemie  unb  ©ireftor  ber 
Äunftafabemie  mürbe.  9^ac^bem  er  fobanu  feit  1821  in  ©rlangen  bocirt 
l^atte,  l'elirte  er  1827  al§  ^profeffor  an  ber  bort  gegrünbeten  Uniüerfität 
gum  groeitenmal  nad)  Mündjen  gurüd.  ^nbeffen  mar  ber  früher  fo 
frudjtbare  @d;riftftetter  attmäl)lic^  immer  f(|iüeigfamer  geworben  unb  feit 
1813  fo  gut  mie  rollftänbig  werftummt;  unb  e§>  mar  offenbar  nid;t 
blo0  feine  f^manfenbe  @efunbl)eit  unb  fonftige  äußere  ©törung  baran 
fc^ulb,  ba^  bie  ©rraartung  eines  mieberliolt  augelünbigten  umfaffenben 
SßerfeS  immer  mieber  getäufd^t  raurbe,  fonbern  ©c^elling  felbft  mar  mit 
feiner  ^l)ilofopl;ie  in  eine  ©adgaffe  geratlien,  aus  ber  er  fid;  nid;t  me^r 
red^t  ^erauS^ufinben  rouf3te.  gür  bie  9tid;tung,  meld;e  er  je^t  nalim, 
ift  es  be^eii^nenb,  ba|3  fc^on  1816  ein  9iuf  nad;  ,Qena  namentlid;  aud^ 
befefialb  oiel  ^erlodenbeS  für  il)n  ^atte,  rceil  er  bort  in  bie  tl)eologifd;e 
gacultät  überzutreten  unb  in  biefer  ein  mol^ltl)ätigeS  Sic^t  anjuftedeu 
lioffte,  gegen  roeld^eS  bie  Erfolge  feiner  ^ugenb  nur  ein  unlauteres 
§euer  fein  foUtcn  ^).  günfunbämangig  ^a^xe  fpäter  tarn  ein  äl)nlid;er 
Slntrag  an  it)n,  ber  il)n  auf  einen  ungleich  größeren  Sdjaupla^  berief. 


1)  ©c^etliitg'S  Seben  in  33viefen  II,  36G. 


Men  unb  pl^ilofop^ifc^e  ©nttüicEIung.  521 

Äönig  ?^riebri(^  SBilfielm  IV.  lie^  if)tt  burd^  ^unfen'S  ^Vermittlung  nac^ 
^Berlin  einkben,  wo  man  [idj  üon  i^m  bie  raiffettfd^oftUd^e  Uebertümbung 
be§  ^egelianifmng ,  bie  S3egrünbung  einer  d^riftlic^en  ^f)i(ofopl^ie,  bie 
^eranbilbnng  einer  neuen  ©enerotion  in  bem  beutfc^en  SSoIfe  üer[pra($. 
Slber  bie  großen  ©rroartungen  unb  bie  fioc^tönenben  SSer^ei^ungen,  an 
benen  ber  9^euberufene  [elbft  eS  nid;t  feilten  lie§,  giengen  nic^t  in  dv- 
füffung.  Dkc^bem  bie  erfte  D^eugicrbe  geftittt  mar,  na^m  bie  n)iffen= 
fc^aftli^e  SBelt  auf  bo§  neue  ©ijftem,  beffen  aut§entifrf;e  3}Httf)ei(ung 
©d^elling  felbft  groar  üerfogte,  oon  bem  man  aber  burd;  anbere  au§= 
reid^enbe  5?unbe  er{)te(t,  feine  weitere  ^üä)iä)t,  unb  aud^  ber  ^f)i(o[opl^ 
war  com  Äatfieber  fc^on  längft  mieber  gurüdgetreten ,  üi§>  er  ben  20. 
2tuguft  1854  in  ^Ragaj  ftarb. 

<Bo  unglüdlid;  aber  aud^  biefer  SSerfud^  auffiel,  eine  im  h'äftigften 
3)tanne§a(ter  verlorene  ©teflung  als  @rei:§  jurüd^uerobern ,  fo  wenig 
werben  wir  un§  baburd)  üon  ber  3(ner£ennung  ber  auBerorbcntUd^en 
S3ebeutung  abfialten  laffen  bürfen,  mit  weld^er  ©d^elling  um  ben  2ln- 
fang  be§  gegenwärtigen  ^af)rf)unbertä  in  ben  @ang  ber  beutfc^cn  ^f)is 
(ofop^ie  eingegriffen  l^at. 

@S  ift  inbeffen  nic^t  ganj  leicht,  t)on  ber  fd;effing'f(^en  ^§i(ofopf)ie 
ein  ftareS  58i(b  ju  geben,  i^^r  UrFieber  ^at  feine  2lnfid;ten  nid^t  ai§> 
©in  äufammenf)ängenbe0  @an3e,§  bargeftettt,  fonbern  er  gieng  in  immer 
neuen  2(n(äufen  jebe^mat  wieber  auf  bie  @runb(agen  berfelben  gurüd, 
um  fie  um^ugeftalten  unb  fie  burd^  eine  ceränberte  ?5^affung  feinen  Sefern 
unb  \iö)  felbft  t)erftänblidjer  3U  mad^en.  S]on  Rani  unb  gid^te  au-cgeljenb^ 
fefien  wir  i§n  juerft  über  bie  eigentlid;e  3Jleinung  be§  tronfcenbentalen 
^bealifmug  fid^  S^ei^enfdjaft  ablegen,  fofort  aber  aud^  biefen  i^bealifmuä 
burd)  eingreifenbe  naturpl)ilofopl)ifd^e  llnterfu(^ungen  ergänzen  unb  beibe 
Elemente  nod;  auf  bem  ^oben  be§felben  in  einer  SBeife  üerlniipfen, 
burd^  weld;e  ber  Uebergang  gu  einem  neuen  «Stanbpunft,  bem  ber:Sben= 
tität§p|i(ofopf)ie,  unmittelbar  üorbereitet  wirb.  S)ie  S)arftettung  unb 
wiffenfdjaftlid;e  2lu^fül)rung  biefe»  ©tanbpun!t§  füllt  ben  jweiten 
^auptabfd;nitt  t)on  ©d^etting'g  pf)i(ofopt)ifd;er  S;f)ätigfeit  au§.  i^nbem 
er  aber  t)iebei  auf  ein  Problem  ftö^t,  gu  beffen  Söfung  ilim  berfelbe  bie 
3Jiittel  verweigert,  fiet)t  er  fi(^  genötf)igt,  in  einer  britten  ^fiafe  feiner 
pl)i(ofopf)ifd;en  ©ntwidtung  bie  ^bentitätlle^re  burd;  bie  Stnnalime  eines 
urfpvünglic^en  ©egenfa|e§  im  Slbfotuten  in  tt)eofopt)iidjer  Slidjtung  unu 
jubilben.    2tn  biefe  britte  gefdjic^tü^  bebeutenbe  f^^orm  ber  fd;el(ingif(^en 


522  Sc^eÜmg. 

^f)ilofop^{e  fc^üeBt  fid;  bann  liiert en§  bie  ber  fpäteren  3eit  an,  TOel($e 
aber,  wie  hemextt,  o^ne  alle  in'S  gro^e  ge^enbe  Söirfimg  geblieben  ift. 
gür  bie  @eifte§art  ©djelling'^  nnb  bie  innere  (SntftefiungSgefd^ic^te 
feiner  ^^itofop^ie  ift  e§  begeidjnenb,  ba^  er  in  allen  ^ertoben  berfelben 
ba§  33ebürfniB  empfanb,  fid^  in  feinem  S)enfen  nnb  feiner  ©arftelinng 
an  ältere  ober  jüngere  S^orgäuger  anjuletinen.  S^cv^t  entie'^nt  er  von 
%\ä)te  mit  ben  ©rnnbfä^en  be§  tranfcenbentaten  ^bealifmu^  auc^  bie 
3JJetf)obe  ber  apriorifd;en  ©ebnftion  in  if)rer  gangen  (Strenge  nnb  i!)rem 
gangen  gormalifmug,  raä^renb  er  gugleid;  alic  ©(^riftfteHer  auc^  wofit 
§u  ber  bamalö  beliebten,  in  ber  ^t)i(ofopt)ie  befonber^  bnrd^  9teinE)o(b, 
^acobi  nnb  ©djnige  angemenbeten,  Briefform  greift.  2l(§  fic^  i^m  gidjte'S 
abfotnte^  ^(^  in  bie  abfotnte  ^bentität  umfe^te,  mit  ber  er  anf  ©pi= 
noga'^  @runbanfd)aunng  gurüdgteng,  üerfu(^te  er  fid^  fofort  aud^  in 
ber  matf)emattf(^  =  bemonftratir)en  9Jfetf)obe  biefeS  ^fiifofopfien ;  bie  gor? 
bernng  felbft  freiließ,  ba^  fid;  alle  äöiffenfd^aften  enblid;  in  eine  uni; 
verfette  3Jlatt)ematif  anftöfen,  f)atte  er  and;  fc^on  frütier  (2Ö.  2ö.  1.  Slbtf). 
I,  463)  au^gefproc^en.  Um  ben  begriff  ber  abfoluten  i^bentität  bar- 
§n(egen  nnb  ben  Uebergang  üon  i^v  gum  ©nbüc^en  jn  finben,  rief  er 
^lato  nnb  ©iorbano  53rnno  §n  ^ülfe;  nnb  nad;  if) rem  Vorgang  n)äf)Ite 
er  nun  and;  bie  bialogif($e  S)arfteIIung§form.  S)ie  glei(^e  ^ebentung 
erfiiett  für  if)n  in  ber  gotge  ^afob  ^ö§me  nnb  bie  bentfd^e  Sfieofopfiie, 
an  raeldje  feine  ©cbanfen  nnb  feine  ^Terminologie  je^t  anfnüpften. 
SBoHte  man  enbüc^  in  ben  ^orfefungen  nnb  ^d;riften  ber  legten  ^eriobe 
eine  neue  @d)o(afti!  erbliden,  fo  mürbe  man  fd;roer(id;  fe^(gef)en.  @d;e(= 
ling  f)at  fo  mit  einer  SBemeg(id)!eit ,  wie  mir  fie  bei  einem  fo  bebeuten= 
ben  $f)i(ofop{)en  nid^t  Ieid;t  finben,  eine  9?ei^e  oerfd^tebener  ©tanb^ 
punfte,  formen  nnb  2Retf)oben  für  fid^  benü^t  nnb  fid;  ifincn  anbe- 
quemt; unb  e§  ift  if)m  be§t)alb  nidjt  feiten  ber  Q^onunrf  gemadjt 
morben,  baB  er  bod^  im  ©rnnbe  ein  blo0  formelles  S^alent,  ol)ne  felb^^ 
ftänbige  llrfprünglid;feit  be§  Sen!en§,  gemefen  fei.  StÜein  biefer  ^or= 
murf  geljt  ju  weit.  2lnc^  ^lato  l)at  nic^t  nur  bie  ©ebanfen  feiner 
3]orgänger  im  meiteften  Umfang  i)ermenbet,  fonbern  ebenfo  in  ber  ^av-- 
ftellung  berfelben  fid§  Dielfad;  balb  an  bie  ©leaten  balb  an  bie  ^ytlia^ 
goreer,  an  @o!rate§  ol)nebem  »on  Slnfang  bi§  jn  Gnbe  angefd^loffen ; 
unb  fönnen  mir  freilid^  hen  beutfd)en  ^f)ilofopfjen  bem  griedjifdjcn  raeber 
an  geiftiger  ©röBe  nod^  an  gefc^idjtlic^er  53cbeutnng  gleidjftellen ,  fo  ift 
er  il)m  boc^  oermanbt  genug,  um  einer  analogen  ^eurtl)eilung  gu  untere 


Sßiffenfcfiaftlidier  Sl^arafter.  533 

liegen.  @§  ift  rodt  weniger  ber  9JtangeI  an  Driginalität,  roeld^er  in 
ber  eben  befproc^enen  (gigentfinmlid^feit  Od^etting'»  jnm  S^orfc^ein  fommt, 
aU  ber  9)?ange(  an  9leife :  bie  Ungebntb  unb  llebereitung  eines  ingenb= 
li^  fenrigen  ©eifteS,  jebe  neue  (gntbecfung  ber  2öett  a(^5BaIb  anjnfnn^ 
bigen,  mit  jebem  neuen  Sc^riti  für  einige  ^eit  abjufd^lieBen ,  jebe  neu= 
gewonnene  atuäfid^t  aU  eine  unbegrenjte  unb  aEumfaffenbe  3U  be^anbefn. 
33ei  einer  fold^en  ©emiit^sftimmung  naf)m  fid)  ed^efling  nitf;t  bie  ^eit, 
unb  feine  3^atur  war  nic^t  barauf  angelegt,  feine  ^been  in  fc^rittweifem 
3}orge{)en  jum  (Softem  au^^ufüfiren  unb  eine  f)iefür  geeignete  3)Zet^obe 
auSjubilben;  fonbern  entf;ufiaftiic^  unb  oon  bem  unbebingten  Söertf) 
feiner  ©ebonfen  erfüfft,  wie  er  war,  üertünbete  er  fie  l^alb  wie  wiffen= 
fc^aftlid^e  ©ä^e,  ^alb  wie  Offenbarungen,  oft  mit  un^nreii^enber  ^e- 
grünbung  unb  in  gewaitfomer  S:ur(^fü§rung ;  unb  ha  er  bod^  augieid^ 
bie  9^otf)wenbigfeit  einer  wiffenfdjaft(id;en  ^orm  ernannte,  fud;te  er  biefe 
bei  ben  fierüorragenbften  unter  benen,  weld)e  nor  if)m  uerwanbte  lieber^ 
geugungen  ber  SSelt  mitget^eilt  fiatten.  m§>  fid;  aber  bie  IXumögtid^feit, 
t)Ott  feinen  5ßoraus4e|nngen  axi§>  bie  ai^irfiic^feit  ju  erflären,  immer 
beutli^er  ^eranSftettte,  geriet^  feine  ^robuftiüität,  wie  wir  gefet)en  f)aben, 
in'0  ©toden,  um  erft  im  2Itter  in  ber  ©eftalt  einer  trüben  ©d^olaftif 
wieberoufjuleben. 

2.  ^cr  tranfccnbentrtle  ^bcnlifmu^  unb  bie  9Zaturpf)UofopI)tc. 

€($eUing'§  erfte  pb^tofop^ifdje  Slrbciten  jeigen  un^  in  i^m  einen 
entfd^iebenen  3(n^änger  Äant'ä  unb  gic^te'S;  baf5  nömtid;  biefe  beiben 
g^{)i(ofop§en  baSfetbe  woffen,  bafe  bie  2öiffenfd;aft§ref)re  nichts  anbereä 
fei,  als  ber  confequente  J?riticifmu§,  f)at  er  uon  2(nfang  an  nid;t  minber 
beftimmt  bef)auptet,  ai§>  ^iä)U.  ^n  einer  2rb§anblung  üoni  ^a^r  1794 
fü^rt  er  im  2(nfdj(uB  an  gnd^te'S  @d;rift  über  hen  Segriff  ber  2ßiffeu= 
f(^aftMef)re  an§,  ba^  bie  ^^ilofopfiie  ©in  oberftee  abfolnteS  ^v'mdp 
^aben  muffe,  burc^  weld^eS  mit  if;rem  Qnfiait  a\id)  i^re  gorm  gegeben 
werbe,  unb  baB  biefeS  ^rincip  al§  ein  unbebingteS  nur  in  bem  burd^ 
fid^  feibft  gefegten,  im  ^ä),  liegen  fönne;  er  fnüpft  femer  hieran  bie 
Ütbreitung  ber  jwei  weiteren  fid)te'f($en  ©runbfä^e  (oben  @.  487  f.)  an, 
unb  fu($t  nad^juweifen,  wie  fid^  au§  tfmen  auc^  bie  fantifc^en  totegorieen 
unb  bie  ijauptfä^e  üon  9iein§oib'g  @(ementarpbitofop!)ie  ergeben.    Qm 

1)  ©ämmtlic^e  Serfe  1.  2t5t^.  I,   85  ff.    2luf  biefe  StuSgabe  besiegen  fic^  im 
folgenben  aüe  Gitate. 


524  ©liiening. 

folgenbett  ^af)x  fianbelt  ber  ^^ön^^igjäiirige  bereits  mit  größerer  @el6= 
ftäubigfeit  ,,t)om  ^c^  al§>  ^rincip  ber  ^!)ilofop{)ie,  ober  über  ba§  Un^ 
bebittgte  im  menfd)li(^en  Söiffen"  (I,  149  ff.).  @r  geigt,  baB  ber  Ie|te 
Sflealgrunb  dü.e§  3öiffen§  nur  im  Unbebingten,  itnb  ba§  ttnbebingte  nur 
im  abfoluten  ^^  gefunben  werben  fönne,  ba  biefe§  bo§  einzige  fei, 
roaS  burd)  fid;  felbft  gefegt,  hnxä)  feine  eigene  greit;eit  wirflic^  fei, 
©r  ernennt  bie  Urform  beS  ^ä)  in  ber  reinen  ^bentität,  bie  gorm  feines 
@egebenfein§  in  ber  inteEeftueUen  2lnfd)auung;  benn  im  begriff  fei 
nur  33ebingteS,  in  ber  finnlic^en  Slnfd^auung  nur  ba§>  Dbjeft  gegeben. 
@r  erflärt,  ba§  ^^  entl)alte  atte  S^tealität  unb  fei  infofern  bie  einzige 
Subflanj,  baS  reine  eraige  ©ein;  au(J^  ber  ©otteSbegriff  bejeic^ne  in 
3Bat)r(;eit  nid^ts  anbereS,  olS  baS  abfolute  ^d).  S)iefe§  abfolute  ^ä) 
unterfd)eibet  er  aber  fc^on  {)ier  weit  beftimmter,  als  bie§  gid^te  bamals 
nod;  tl)at,  von  bem  enblid;en.  3)lit  bem  abfoluten  ^<S)  befc^äftigen  fi(^ 
au(^  bie  „Briefe  über  ©ogmatifmuS  unb  ÄriticifmuS"  (I,  280  ff.), 
wenn  fie  gegen  Äant'S  moralifdjcn  ^eroeis  für  baS  ©afein  ©otteS  ben 
©al^  auSfüfiren,  baS  Slbfolute  bürfe  nid;t  als  Dbjeft  gebac^t  werben, 
weil  neben  einem  abfoluten  Dbjeft  bie  g^rei^eit  beS  ©ubjefts  nidjt  be= 
ftel;cn  fönnte.  SSom  Slbfoluten  fott  aber  boc^  ade  ^^ilofopliie  anSgelien, 
unb  il)re  3lufgabe  foll  nid)t  bie  fein,  baS  ©ein  beS  Slbfotuten  gu  be= 
weifen.  Denn  nur  baS  53ebingte  laffe  fic^  beweifen,  fonbern  t)ielmel)r  baS 
S)afein  beS  ©üblichen  ju  erllären,  ju  erklären  wie  baS  Slbfolute  aus  fi(^ 
felbft  f)erauSgel)en  unb  eine  3öelt  fi($  entgegenfe|en  fönne ;  unb  auf  biefe 
^rage  foll  fi(^  (I,  294)  aui^  bie  fantifd;e  ©runbfrage  nad)  ber  3Jiög= 
lidjfeit  fijntljettfc^er  IXrtbeite  gurüdfüliren.  2öir  werben  fpäter  finben, 
weldje  Sebeutung  biefelbe  in  ber  ?^olge  für  ©d;elling  gewann;  Dorerft 
genügte  il)m  bie  fid;te'f(^e  Slntwort,  baB  baS  2lbfolute  eben  olS  ab= 
foluteS  ^6)  bur($  feine  unenblid;e  Slliätigfeit  baS  Dbjeft  ergenge.  S(u(^ 
für  bie  ^eftimmung  ber  praftlfd;en  Slnfgaben  gel)t  er  mit  gid;te  von 
biefer  Sptigfeit  auS:  bie  Seftimmung  beS  3)ienfd;en,  fagt  er,  fei  ©treben 
naä)  unueränberlidjer  ©elbftl)eit,  unbebingter  grcilieit,  uneingefdjränfter 
X^ätigfeit;  „fei  im  l)öd;ftcn  ©inne  beS  SßortS,  liöre  auf,  felbft  ©r^ 
fd;einung  ju  fein,  ftrebe  ein  SBefen  an  fi(^  ju  werben",  bie^  fei  bie 
ljöd)fte  gorberung  aller  praftifd;en  ^^^ilofopliie.  2tuS  bicfem  ©runbfa^ 
baS  Siedet,  in  feinem  llnterfd;ieb  oon  ber  SJioral,  boS  oberfte  9ied)tS= 
princip  unb  bie  urfprünglidjcn  9led;te  abzuleiten,  unternal)m  ©d^elling, 
gleid;fatiS  1795,  in  ber  „9teueu  S)cbuttion  beS  9taturred;tS"  (1,245  ff.); 


@d£)einng  im  3(nf(!)Iitß  an  ^ic^te.  525 

je  tnel^r  er  fid;  aber  l^ier,  narf;  ^id^te'g  3]orgQitg,  um  eine  ftveng  Iogif($e 
Slbleitung  bemüht,  um  fo  auffallenber  brängt  [icfi  bem  aufmer![amen 
Sefer  bie  ^emerfung  ouf,  wie  fefir  e§  bod^  biefen  formaliftifd^en  (Eou^ 
ftructionen  an  mirf(i(^er  ^ünbigfeit  fel)(t. 

Sluf  bem  ©tanbpuuft  be§  fic^te'fd^en  ^bealifmu^  treffen  rair  <Bä)eh 
ling  aud)  uoc^  in  ben  „Stbfianblungen  ^ur  ©rläuterung  be§  i^bealifmuS 
ber  2Biffenfd^aft§(ef)re"  au§  ben  ^at)ren  1796  unb  1797.  ©r  befämpft 
l^ter  bie  2lnnaf)me  üon  Siugen=an=ficf;,  inbem  er  bef)auptet,  nai^  J^ant'g 
eigentlicher  Slbftc^t  fei  haS»  S^ing=an'fi<$  nur  ein  fi;mbolifd;er  2lu§brucf 
für  ben  überfinnlid;en  ©runb  ber  S^orfteflungen ;  in  SBa^r^eit  liege 
biefer  @runb  oud;  nad;  5l~ant  in  unferer  geiftigen  ©e(bfttf)ätigfeit : 
unfere  ©inbilbungSfraft  fei  e§>,  meldte  ba§  Dbjeft  unb  mit  bem  Dbjeft 
aud;  bie  formen  ber  Slnfd^auung  ergeuge,  in  if)rer  pofitiüen  5lf)ätigfeit 
ben  9^aum  aU  bie  33ebingung  afler  2lu§bef)nung ,  in  ber  negatioen  bie 
3eit,  burd)  mcldje  ber  9kum  begrenzt  werbe;  bie  ^f^atur  fei  nur  eine 
fortgcfienbe  §anb(ung  be§  unenblidjen  ©eifteS,  in  welcher  er  jum  (Selbft- 
berouBtfein  tomme,  unb  burd;  luetdje  er  biefem  @e{bft6en)uBtfein  2lu§; 
bel^nung,  ^^ortbauer,  Kontinuität  unb  Siotfimenbigfeit  gebe.  3hir  ber 
©eift  fei  ba§,  mag  fein  eigenes  Dbjeft  ift,  nur  in  if)m  fei  ^bentität 
üon  SSorfteltung  unb  Oegenftanb;  er  fei  ba§  llnenblidje,  ba§  jngleii^ 
enbli(^  fei,  benn  raenn  er  fic^  Dbjeft  merbe,  werbe  er  enblii^,  unb  nur 
in  biefer  urfprünglic^en  SSereinigung  ber  (^nblid;feit  unb  Unenbli(^feit 
liege  ba§  2Befen  einer  inbiuibueUen  9ktur,  eines  ^d^.  S)er  ©eift  fei 
5l{)ätigfeit  unb  Seiben  (ober  ^efc^ränfung) ,  bcibe  als  gleichzeitig  ge- 
bac^t;  nad^  biefen  beiben  Seiten  fd)auc  er  fic^  im  Dbjeft  an;  um  fid) 
aber  feiner  aud)  berou^t  ju  werben,  muffe  er  oom  Dbjeft  abftra^iren, 
fid^  t)on  i^m  unterfd;eiben,  unb  bie^  fönne  er  nur,  inbem  er  frei  fianbfe. 
©rft  hmä)  biefe  Slbftraftion  entfiele  baS  Dbjeft  als  fold;eS,  als  etwas 
t)on  uns  felbft  fd^einbar  unabl)ängigeS.  ;^n  ber  weiteren  SluSfülirung 
biefer  ©ebanfen  tritt  liauptfäc^lid;  baS  $8eftreben  ^eroor,  in  ber  ge= 
fammten  förperlid^en  unb  geiftigen  Sßelt  bie  ftetige  ©ntwidflung  beS 
©eifteS  jum  (Selbftbewu§tfein  nad^juweifen ;  wobei  fid^  ©d^elling  jwar 
im  ganzen  an  gierte  anfd^lie^t,  aber  bod^  fd^on  burd^  mand^e  eigene 
tl)ümlid^e  Seftimmung  feinen  eigenen  fpäteren  ßonftructionen  oorarbeitet. 
@r  leitet  bie  3Katerie  barauS  ab,  ba§  ber  @eift,  um  fid;  felbft  anp:^ 
fd^auen,"  feine  Xl)ätigfeiten  in  einem  gemetufd^aftlid^en  g^robuft  bar= 
[teilen  muffe;    er  betrad;tet  hen  dlaum  als  baS,  worin  er  bie  6pf)äve 


526  ©c^eütnq. 

feines  ^robitciren§  anfd^aue,  bie  ^dt  aU  bo§,  tüorin  er  bie  ©renje 
beifelben  enipfinbe,  ebenbeBfialb  aber  üon  jeber  3:E)(ittg!eit  ^u  einer 
neuen,  üom  ©cgcnraärtigen  gum  künftigen  fortge!)e;  er  finbet,  balä  er, 
um  fic^  felbft  al§  tptig  in  biefer  ©ucceffion  anjufc^auen,  fit^  al§  ein 
Dbjeft,  n)el(^e§  feine  eigene  Urfad;e  unb  3Sir!ung  ift,  al§>  eine  fic^  felbft 
organifirenbe  Statur  anfci^auen,  ha§>  Dbjeft  mit  probuftioer  ^raft  er= 
fütten,  fic^  al§>  organifirte,  belebte  aJiaterie  erfdjeinen  muffe,  ba^  er 
aber  ebenfo  anbererfeits  fic^  in  feiner  2:{)ätig!eit  üon  feinem  ^robuft 
unterfdjeiben  muffe;  bie^  aber  fei  nur  burd)  bie  ©elbftbeftimmung,  mit 
welcher  er  fid^  vom  Dbjeft  loSreifet,  burd;  ba§  SBoIIen  möglid) :  ber  2t!t 
beä  SßoIIenS  fei  bal^er  bie  t)öd;fte  Sebingung  be§  @elbftberauBtfein§. 
®aB  man  \i^  in  feinem  abfoluten  ^anbetn,  burc^  meli^eS  ba§  igc^ 
felbft  erft  entfielt,  auäufd;auen  miffe,  erflärt  ©d;elling  für  bie  ©runb^ 
forberung,  an  bereu  ©rfülliing  alle  ^efäfiigung  gur  ^l)itofopf|ie  gefnüpft 
fei.  Sitte  5p^ilofopl)ie  beruf)t  ba^er,  mie  er  bemerft,  auf  einem  ^oftulat, 
fie  ift  ©adje  urfprüngli(^er  genialer  53egabung.  2öer  biefer  Begabung 
ermangelt,  raer  biefem  ^oftulat  nidjt  entfpric^t,  ber  ift  für  bie  ^plo= 
fopl)ie  üon  .§au§  aug  uerborben ;  unb  auf  fol(^e  unpl)ilofopl)if(^e  Skturen 
glaubt  ber  ^^ilofopl^  fi(^  berei^tigt  mit  bemfelbeu  ariftofratifd^en  ©tolge 
lierabäufe^en ,  mit  bem  feine  greunbe,  bie  Sftomantiler,  im  ^emu^tfein 
il)rer  ©enialitöt,  auf  bie  „platten"  unb  ,,©emeinen"  l^erabfa^en,  unb 
fie  mit  jener  „göttlid;en  ©rob^eit"  p  belianbeln,  in  ber  e§  il)m  wenige 
glei(^gett)an  |iaben. 

5?on  j^id^te  mitt  fic^  ©djetting  nid;t  einmal  in  ben  naturpf)ilo- 
fopl)if(^en  Unter fu(^ungen  loSfagen,  meldte  ilin  fd;lieBlid)  bod) 
über  benfelben  l)inau§gefül)rt  l)aben;  raie  fie  benn  aud^  uon  Stnfang  an 
burd;  9}tänner  unb  ©(^riften  angeregt  mürben,  bie  fid^  an  taut  an= 
fc^loffen,  ol)ne  boc^  ber  ibcaliftifd;en  ©ntmidlung  beg  fantifd^en  triticif= 
muS  3U  folgen  ^).    ^n  ben  „^been  gu  einer  ^l)ilofopl)ie  ber  9?atur" 


1)  3ii  etfter  9iei^e  ift  l^iec  Ätelme^cr  (in  (Stuttgart  unb  SüBingcn)  jn  nennen, 
beffcn  9iebe  „über  bie  Ser^äüniffe  ber  organifd^en  Gräfte"  (17i>3)  ©d^clling  fo  bc* 
ttjunberte,  ba§  er  II,  565  faqt,  ba§  fünftige  3'^'italter  luerbe  üon  it)r  an  bie  (Spod^e 
einer  gang  neuen  D^oturgejc^icl^te  redjnen.  tiefer  geiftüoKe,  burdj  Äant  unb  Berber 
angeregte  yfatnrforjc^er,  ber  aber  ungemein  «»cnig  »croffeutlid^t  l^at,  fnd^t  bier  an  ber 
Sntroidtung  unb  bem  iBer^ältniß  ber  organijc^en  ©runbträfte,  ©enfibilität,  3^rrita= 
bilität  unb  Steprobuttion,  nad)3Urt)cifen,  bag  bie  organifd^e  9?otur  eine  tjon  ben  @äuge= 
t^ieren  an  ftetig  abfteigenbe  SJci^e  btibe:  bie  ®mprtnbung§fäl)igfcit  roerbe  in  berfelben 
aümäijWd)   intd)   3teiäbarfcit  unb  Steprobultiongfraft  üerbrängt,    unb   cnbttc^   weiche 


(1797)  fteHt  er  ber  ^^ilofop^ie  bie  SlufgaBe  (II,  35),  au§  ber  9?atur 
be§  enbüc^en  ©elftem  bie  9lotF)iüenbigfeit  einer  ©ucceffion  feiner  SSor= 
fteiinngen  abjnteiten,  unb  bamit  biefe  roa^rfiaft  ohjetüv  fei,  gugleid; 
mit  i§r  bie  ®inge  fe(6ft  werben  unb  entfielen  §u  taffen.  ©emgemäi 
TOtrb  ^ier  (II,  213  ff.)  glei^  bie  9JZaterie  felbft,  in  ibealiftifd^er  Slng^ 
füJirung  ber  fantifd^en  ßonftruction  (oben  @.  380),  qu§  ber  D^otur 
ber  2lnf(^aming  erflört.  2l(Iem  S)enfen  unb  ^ßorftellen,  fagt  @cf;elling, 
ge£)e  eine  urfprüngli^e  2:f)ätig!eit  üorau,  bie  aU  fold^e  fd^led)tE)in  un= 
beftimmt  unb  unbefd^räuft  fei.  Sluf  biefe  rairfe  eine  if)r  entgegengefe^te, 
unb  biefe  jraei  einanber  roiberfpredjenben  S;|ätigfeiten  feien  not^roenbige 
^ebingungen  ber  a)iöglid;fett  einer  Slnf^auung.  Sie  erfte  berfclben  fei 
pofitiüer,  bie  anbere  negatioer  Strt;  jene  getie  m'§>  Unenblid;e,  biefe, 
aU  bie  befd^ränfenbe  unb  begrenjenbe,  auf  ein  ©nblid^e^,  jene  fei  (wie 
oben  @.  525)  3:f)ötigfeit,  biefe  Seiben.  2ßenn  ba§  ©etnüt^  beibe 
in  ©inem  a)bment  jufammenfaffe ,  fönne  ba§  ^robuft  biefer  ^anblung 
nur  ein  @nblic^e§  fein,  ba?^  au§  entgegengefeöten  fid)  ioed)felfeitig  he- 
fd;ränfenben  2:f)ätigfeiten  ^eruorgef)e.  ^nbem  ber  ©eift  au§  ber  2ln= 
fd;auung  frei  in   fid;  gurüdfe^re,   trete   if)m  fein  ^robuft  aU  etraa§ 

biefer  an6)  bie  Irritabilität;  je  mcljr  bie  eine  erl^ö^t  fei,  befto  roenigcr  fei  e§  bie 
anbere,  unb  am  h?enigften  »ertragen  ftd^  (Senfibilität  unb  9flcprcbuttiDU§!raft  jufant' 
men ;  je  me'^r  ferner  eine  biefer  Äräfte  auf  einer  "Seite  au§gebilbet  würbe,  befto  mel^r 
fei  fie  auf  einer  anbeut  bernaci^Iäffigt.  '^(ud^  bie  ©urnme  jener  Äräfte  ue^me  in  un= 
befaunten  S^erl^ältniffen  ab.  2)ie  gleichen  ©efe^e,  ttJte  für  bie  ^ertl^eiluug  au  bie 
»erfc^iebeuen  Organifattouen ,  gelten  enblic^  aud)  für  iljre  58ert^eihing  an  bie  öer= 
fc^iebenen  ^nbibibuen  (Siner  ©attnug  unb  bie  ent»icfUtng§perioben  (Sine§  ^nbiüi= 
buurn?.  Siefc§  33er^Ituiß  felbft  aber  weife  barauf  tjin,  baß  e§  eine  gemeinfc^aftli(f)e 
Urfac^e  fei,  tüeld^e  in  aüen  jenen  Gräften  gur  SSirfnug  fomme,  »on  weldier  ber  (Sang 
unb  33eftanb  ber  belebten  9?atur  unb  ba§  nie(^felnbe  SJer^ciltni^  i^rer  Steile  abl^äugc ; 
eine  traft,  welche  bießeid^t  üom  ixijt  urfprüngüd)  gewccft,  no(^  je^t  beffeu  täglid^e 
Unterftül^ung  genieße.  —  Sin  ©c^üIer  Äie(mei}er'§  war  @f  c^enmaJjer,  anä  beffeu 
©iffertatiou  to.  ^y.  1796  ©djeKing  in  beu  „:^)>m\"  (II,  313)  eine  JRei^e  üon  ©ä^en 
lobenb  anfüfirt,  roeld^e  bereits  alle  ©ruubgebanfen  feiner  eigenen  S^eorie  ber  ©^emie 
entölen:  baß  bie  Dualität  ber  SRaterie  auf  bem  55er:^ältniß  ber  Siepulfiö^  uub 
?tttraftitofraft ,  bie  Unterfc^iebe  berfelben  mithin  als  bloße  ®rabunterfd)iebe  auf  beu 
öerfd^iebeuen  53eftimmungen  biefeä  S3erpltniffe§  berufen,  baß  »on  bem  Uebergewicbt 
ber  einen  ober  ber  anbcrn  traft  bie  d^emifd^e  ^Bewegung,  bon  il^rem  ©(eid^gewidtit 
bie  d^emifd^e  ?Ru^e  ^errü^re,  baß  bie  9fJepuIfibfraft  pofititer,  bie  2tttra!tiü!raft  negativer 
2trt  fei  u.  f.  tu.  §rud^  Saaber'S  erften  Sdirifteu  ^atte  ad^etting  naturpl^ilofop^ift^e 
?tnregungcn  ju  berbanfen.  (gr  fottio!)!,  al§  (Sfdbenmaper ,  werben  un§  fpäter  unter 
©c^elling'S  Stn^ängern  unb  greunben  trieber  begegnen. 


528  ©d^eHing. 

felBftänbigeS,  ü\§>  Dbjeft,  gegenüber,  unb  bie  3:f)ötig!eiten ,  toelr^e  bie 
Stnfd^auung  im  Objeft  vereinigt  l^abe,  erfc^einen  al§  J^räfte,  bie  if)m 
giifommen,  weil  fie  au§  ber  9?atiir  be§  @eifte§  notfiraenbig  t)eroorget)en 
unb  biefer  ifir  Urfpnmg  jenfeitS  be§  Serou^tfein^  liege:  bie  pofitioe 
X^ttgfeit  al§>  eine  pofitiue,  jeber  S3e^c^rönfung  ein  nnenbli(^e§  ^eftreben 
entgegenfei^enbe  Äraft,  aU  Stepulfiofraft,  bie  negatioe  al.§  ba§  ®egen= 
tl)eil  ber[elben,  al§  Slnäie^nngSfraft ;  bie  in'§  Unenblic^e  gelienbe  9^e= 
pulfichaft,  burc^  bie  2(n3iel)ung§!raft  befd;rönft,  ergebe  einen  begrenzten 
unb  erfüllten  diamn,  eine  3)iaterie,  nnb  be^lialb  fei  aUeg  Dbjeft  ber 
äußeren  ©inne  not^roenbig  Materie,  ^n  ben  weiteren  2tu§einanber= 
fe|nngen  über  bie  allgemeinen  ©igenfc^aften  ber  9)laterie,  wel(^e  fid^  an 
biefe  Slbleitung  berfelben  anfcl;lieBen,  folgt  ©d^elling  ^ant'^o  bi;namifd^er 
^l)i)fif.  2lu§  bem  gleidjen  ©tanbpnnft  oerfud^t  er  aber  aud^  folc^e  @r= 
fd;einnngen  abjuteiten,  auf  bercn  apriorifd^e  ©onftruction  Äant  x)er= 
§i(|tet  Ijatte:  bie  qualitatiüen  Unterfd^iebe  ber  Stoffe  unb  bie  d^emifd^en 
^rojeffe.  ^m  ©egenfa^  §u  ber  med)anifd;en  ^l)i)fif  unb  il)rer  Sltomiftif 
(beren  Sißertl)  für  bie  empirifc^e  5Raturforfd^ung  er  übrigen^^  nid^t  »er-- 
fennen  will)  fül)rt  er  nic^t  bloS  bie  S)id^ttgteit§unterfc^iebe  ber  J?örper 
mit  ^ant  auf  ha§  t)erfd^iebene  ^erliältniB  ber  ©runbfräfte  ^urüd,  fon^ 
bem  er  glaubt  aud^,  ha^  ii)re  qualitatioe  Se)d;affenl)eit  unb  2ßedl)fel= 
mirfung  in  bem  glcid)en  SSer^ältni^  unb  weiterhin  in  ben  e§  bebingen= 
ben  geiftigen  SSorgängen  begrünbet  fei.  S)a§  Dbjeft,  fagt  er  (II,  268  ff.), 
unb  mit  il)m  \)a§:  Serouf3tfein,  erhält  nur  baburd;  ^tealität,  baB  wir 
bie  allgemeine  ^Sorftellung  be§  9)lateriellen,  ba§  ©emeinbilb  eine§  Dbje!t§, 
näfier  beftimmcn.  3tealität  aber  wirb  nur  gefül)lt,  ift  nur  in  ber  @m- 
pfinbung  üorlianben,  unb  wa§  empfunben  wirb,  J^ei^t  Dualität.  ®a§ 
Dbjeft  erl)ält  mitljin  feine  nähere  93eftimmung,  feine  Dualität,  erft  ba^ 
burc^,  baB  e§  üon  ber  SlUgemein^eit  be^  S3cgrip  abweidet;  biefe  S5e^ 
ftimmung  erfd)eint  ba^er  alä  gufällig,  ba§  9teale  ber  @mpfinbung  f)at 
einen  ©rab,  ber  in'^^  unenblid;e  wad;fen  unb  abnefimen  fann,  unb  biefer 
@rab  läfit  fid^  nid^t  a  priori  ableiten.  2ßa§  un§  aber  afficirt,  ift  bie 
.^raft.  3Benn  un^3  alfo  bie  aJiaterie  afficirt,  wenn  wir  beftimmte  Dua= 
litäten  berfelben  empfinbcn,  fo  muffen  if)re  ©runbl'räfte  einen  beftimmten 
@rab  l)aben,  in  einem  beftimmten  ^^crl)ältml3  ber  ©tärfe  gu  einanber 
ftel)en:  ,,aEe  Dualität  ber  3}iaterie  berul)t  einzig  unb  allein  auf  ber 
^ntenfität  i^rer  ©runbfräfte",  unb  m6)hi  anbere^  ift  el  aud^,  wa§  ber 
^Begriff    einc^    (^runbftop    eigentlid^    au^5brüdt:     ein    ©runbftoff    ift 


^becn;  ijon  ber  Seltfeele.  529 

(II,  293)  „bie  itiikfannte  Urfacfje  einer  Beftimniten  üuolität  ber  ^a- 
terie",  biefer  ©runb  liegt  akr  in  2SQf)rf)eit  in  bem  quontitatiüen  S3er; 
t)ä(tmB  ber  ©rnnbfröfte,  ber  9^epul[iü=  nnb  Slttroctiüfraft.  Sabnrc^  ift 
nnn,  wie  bie^  ©d;e(Iing  (II,  317  ff.)  näf)er  na($3un)cifen  fnc^t,  bie  §0- 
mogeneitat  unb  §eterogeneität  ber  ©toffe,  ha§>  ©intreten  nnb  bic  D^atnr 
ber  (^emifc^en  ^ro^effe  kftimmt.  ^n  ha^  einzelne  biefcr  SlnSfül^rnng 
fann  aber  bie  gegenraärtige  S^arftetlnng  nicf;t  eingef)en,  nnb  nod;  weniger 
bie  fonftigen  ©rörterungen  ber  „^been"  über  S^erbrennnng,  ßirfjt,  SBärnte, 
©teftricität,  3)lagnetifmn§  n.  f.  f.  luiebcrgeben.  ®d;eUing  enthält  fitf; 
in  benfelben  nodj  lueit  ntef)r,  aU  in  feinen  fpöteren  nQtnrp^i(ofopI)ifd;en 
©djriften,  ber  apriorifc^en  ßonftructionen ,  bemiifit  fid^  aber  bnrdjani, 
ba§  eigentlid;e  Söefen  ber  9]aturerfdjeinungen  anf^nfndjcn  unb  baburd; 
jiüifi^en  ben  entgegenfte^enben  2tnfid)ten  ber  ^^ijfifer  gn  üermitteln;  nnb 
werben  and;  feine  2lnna{)men  ai§>  foI($e  ber  f)cutigen  D'^atnriöiffenfd^aft 
it)of)(  nur  gum  !(einften  %^z\i  nod)  l^attbar  erfdjctnen,  fo  wirb  man 
bod;  inimerf)in  in  benfelben,  wenn  nton  ben  bamaligen  ©tanb  ber  gor= 
fdjung  in  Söetradjt  §ie{)t,  niandjen  finnreidjen  nnb  frnd;tbaren  ©ebanfen 
finben. 

.^atte  ber  ^^f)ilofopf)  I)icr  feine  natnrp^ifofop^ifd;en  Unterfndjungen 
nod^  ausbrndüd)  an  ben  tranfccnbcnta(cn  ^bealifmu?  ongefnnpft,  fo 
füi)rt  r:  fie  bagegen  in  ber  ©djrift  „von  ber  2BeltfecIe"  (1798)  nnab^ 
fjängig  Don  if)m.  ©r  wiH  in  berfclben  ba§  gemeinfd;aft(id;e  ^rincip 
ber  anorgifd;en  unb  organifd;en  9Zatnr  auf)ud;en,  benn  er  ift  überzeugt, 
ba^  beibe  ©ine  unb  biefclbe  llrfa($e  ^aben,  ha^  gwifdjen  9JZed;ani§mng^ 
unb  DrganifmnC^  fein  nnnberwinbtidjer  ©egenfal^  ftattfinbe,  ba§  ^ofitiüe 
in  ber  Söe(t  üielme^r  abfotut  Gine§  fei,  ba  fidj  nur  ^ierana  bie  ßon= 
tinnität  aller  Dcatnrnrfadjen,  ber  bnrc^greifenbe  3u|Q"nncn[;ang  begreifen 
(äffe,  in  welchem  bie  ^nnftionen  bec^  Scbeng  nnb  ber  5i5egetation  mit 
ben  oHgemeinen  ^laturueränbcrnngen  ftefien.  @r  will  aber  pgfeid;  anä) 
bie  2)^annigfa(tigfeit  ber  SSirfungen  jenef^  ^rincips  begrciflid;  madjen 
unb  e§  erflären,  bajs  bie  Statur  nur  in  bem  größten  9feid;tf;um  ber 
gormen  fid)  gcfättt  (11,  347  f.  408.  568  f.).  3u  bem  Qnhe  betrad;tet 
er  nun  gnerft  bie  widjtigften  Vorgänge  in  ber  nnorganifdjen  aöelt,  nnb 
er  finbet  fdjon  bei  i^nen,  ba^  einerfeitc^  eine  ailgemeine  S^uplicität  an= 
genommen  nierben  muffe,  ba  überaU,  wo  ©rfd;einungen  finb,  and;  ent= 
gegengefetite  träfte  feien,  unb  o^ue  biefe  feine  lebenbigc  Bewegung 
möglidj  fei,   baf,   baljer  eine  pf)i(ofopf)ifdje  ^laturle^re  in   ber  ganzen 

3c Her,  ®efd)idife  ber  beutf^cn  ^i^ircfüfr^ic.  3zj. 


530  '  ©d^emng. 

5Ratur  auf  5ßoIarität  unb  ®ualifmu§  au§3ugef)en  f)ak;   ba^  aber  an-- 
bererfeitg,  um  jene  ©uplicität  begreifen  ju  fönnen,   eine  aHgemeine  ^o-- 
mogeneitdt  bev  9}taterie  anöenommen  wahm  muffe,  unb  ade  befonberett 
5Dtaterien  üon  einanber  nur  burd^  ©roboeri^ältniffe  üerfc^ieben  fein  fönnen 
(II,  390.  406  ff.  459  u.  ö.).     (Sd;on  ba§  Sid^t  ift,   wie  er  gtaiibt,  5U= 
fammengefe^t   au§  einer  ponberabeln  unb  eiuer  !)öf)ern  9)^aterie;   jene 
ift  ber  ©Querftoff,  biefe  ein  frei  circulireube0,  t)ö(^ft  elaftifd;e§  gluibunt, 
ber  2let!)er  (II,  398).    S)tefe(be  SJlaterie  bilbet  bei  einem  anbern  @rabe 
ber  Üualitöt  2Bärmematerie  (410).    '^uvä)  ba§  umgefe^rte  quantitative 
5ßer{)äÜni^  biefeS  imponberabeln  (Stoffel  jum  ponbevab(cn  unterfd;eiben 
fic^  bie  beiben  9)taterien,  in  meiere  bie  SebenSluft  beim  (SIeftrifiren  ger- 
legt  löirb ;   ^erabe  in  biefer  ßertegung  befte{)t  nämli^  bag  ©leftriftren 
(439).    21(0   ein  ^robuft  ber  entgegengefe|ten  e(e!trifd;en  9Jiaterien  ift 
©^eUing   geneigt  bie  atmofp!)ärifc^e  Suft  §u  bctrad^ten  (459  f.).    D^oc^ 
urfprünglidjer,  al0  bie  ele!trifc^e  ^raft,  ift  aber,  wie  er  glaubt  (484  ff.), 
bie  magnetifc^e.    ®a§  pofitiue  ©(erneut  be§  SOkgnetifmuS  ift  ba^felbe, 
wa§>  \id)  im  Sic^t  offenbart,  unb  bie  magnetifdje  ^o(arität  ber  ©rbe  ift 
bie  urfpi-üng(id)e  ©rfc^einung  be§  aüfgemeinen  S)ua(ifmu§,   ber  in  ber 
^()9fif  nid;t  weiter  aböe(eitet,   fonbern   fd)(ec^t()in  üorauSgefe^t  werbsn 
^XL^.  —  2(u§  ben  unorganifd^en  ©toffen  bi(bet  fid;  nun  bie  t()ierifc^e 
3Jiaterie,   au§>  ben  c^emifd;en  ^rcceffen  fe^t  fic^  ber  Sebengprocejs  §u= 
fammcn.    Me  biefe  ©toffe  unb  SSorgänge  bi(ben  aber  (II,  496  ff.)  erft 
bie  uogatiüen  a3ebingungen  be§  Sebenä;  feine  pofittoe  unb  abfo(ute  lXr= 
fad;e  mufe  in  einem  ()ö()eren  ^rinctp  gefud^t  werben,  ba§  auBer()a(b  ber 
@p!)äre   be§  Seben§proceffe§   felbft    (iegt.    S)iefe§   ^^priucip    be^  SebenS 
wirft  bem  (^emifi^eu  ^roce^  ber  Dyijbatiou  entgegen,  e§>  ruft  ben  S)eg= 
Ofpbatiougproce^  ()eroor,  in  we((^em  bie  Irritabilität  beftel^t;  e§>  bewirft 
bie  Snbiüibuatifiruug  ber  9Jiaterie,    auf  ber  jebe  @ntftef)ung  eine§  Dr= 
ganifmuS  beruf)t,  bie  SSitbung  in  fi(^  felbft  bef($(offener  (SJan^en,  welche 
(naä)  taut'S  befannter  53eftimmung)  ^UQUiä)  Urfadje  unb  3Birfung  üon 
fic^  felbft  fiub.    pr   bie  ^eftimmung   beSfelben   finbet  ©d^efling  uid)t 
allein  ben  begriff  ber  ßeben§fraft,  wcldjen  er  burc^au§  verwirft,  fonbern 
aud)  S3lumenbad^'§  93ilbuug§tricb  ungenügeub;    er   felbft   befc^reibt   e§ 
(564  f.)  als  biejenige  j?raft,  bereu  einselue  Bweige  unb  ©rfc^einungen 
bie   im   (ebenben  Söefen   üorfommcubcn  gunftionen,   ber    „animatifc^e 
^roceB",  bie  Irritabilität  unb  ©enfibilität  feien,  fommt   aber  bei  bem 
'Bixiwö)  feiner  näheren  33e5eid;nung   uicl)t  über  bie  unbeftimmte  Semer= 


Scltfcele;   gpft^m  ber  D^aturpfitlofop^ie.  531 

fung  f)mau§:  e§  fei  jene§  2Seien,  ba§  bie  ättefte  ^fiilofopfiie  aU  bte 
gemeinfc^aftttd^e  (Seele  ber  SRatur  afinenb  begrüßte  unb  ba§  einige  ^^i;= 
fifet  jener  3«t  mit  bem  formcnben  unb  bilbenben  Slet^er  für  Gine^ 
fiielten. 

Sin  bie  bi§f)er  6efpro($enen  Unterfnc^ungen  fc^lo^  ftc^  1799  in  bem 
,,@rften  ßntraurf  eines  ©pftem?  ber  9tatnrpf)ilofopf)ie"  unb  ber  i^m  Bei= 
gefügten  „Anleitung"  ber  58erfu(^  an,  ha§>  @t)ftem  ber  fpeMotiöen 
^^t)ft!  in  feiner  opriorif^en  9iot^n)enbig!eit  bar^uftetten ;  benn  nur  auf 
biefem  SSege  !ann,  wie  ©c^eHing  erftärt  (in,  275  ff.  13),  bie  9?atur= 
foricijung  jn  bem  5Hange  einer  Söiffenfd^aft  erl^oben  werben :  ftammt  au($ 
oÜc§  unfer  SBiffen  urfprünglic^  au§  ber  6rfcl)rung,  fo  ift  bod^  ein 
SBiffen  im  ftrengen  ©tun  nur  bo§  rein  apriorif($e,  voe{d)c§  bie  ßrfd^ei^ 
mmgen  noc^  notfiraenbigen  ©efe^en  au§  Giner  aBfoIuten  9>oraugfetjung 
ableitet:  „über  bie  9Zatur  pf)i(oiopf)iren  fiei^t  bie  9?atur  fc^offen".  Sal 
^rincip,  Don  meld^em  fiiebei  auSjugefien  ift,  liegt  in  ber  abfotuten  ^^ro= 
buftiüität  ber  9tatur,  in  hem  ©a^e,  bo§  ba§  ©ein,  moüon  alle  il^re 
^robufte  nur  ein  befonberer  SluSbruiJ  finb,  ni(^t§  anbere§  fei,  aU  bie 
f)ödjfte  2:f)ätigfeit  ^).  9^ur  bie  felbftgefeljte  ©d^ranfe  biefer  S^ptigfeit, 
nur  eine  .^emmnng  berfelben,  bereu  ©runb  in  i£)r  felbft  liegt,  fann  eS 
fein,  bitrd;  mziäje  bie  S^taturbinge  entftefien:  febe»  t)on  ifinen  be3eic^net 
einen  ^unft,  in  iüel($em  jene  2;f)ätigfcit  gef)emmt  morben  ift.  SBeit  fic 
aber  an  fic^  felbft  unenblii^  ift,  fann  fie  nie  fd^Iec^tfiin  gehemmt  werben, 
nie  in  itirem  ^robuft  fid)  erf($öpfen,  unb  bnfier  nie  ein  le^teS,  abfoluteS 
^srobuft  erjengen;  fonbern  in  jebem  ifirer  ^robufte  liegt  ber  STrieb 
einer  unenblicf;cn  Gntraidlung,  fie  gel)t  über  jebeS  gu  anbern  ^inau0 
unb  bringt  fici^  nur  in  einer  unenblid;en  9iei^e  jur  Grf($einung,  bie 
immer  mirb,  unb  nie  ift.  S)ie  erften  .^emmungSpunfte  biefer  allge= 
meinen  9^atnrtl)ätigleit  liegen  in  ben  urfprünglic^en  Dualitäten,  hen 
Gtemcntaraftionen,  auf  bereu  t)erfd;iebenem  35er^ältniB  bie  SSerfdjiebeit^eit 
ber  SD^aterie  berul^t.  2lu§  bem  ©leii^gcmic^t  aller  biefer  Slftionen  ergiebt 
fid)  ha^  Slbfolutflüfftgc,  iöeld;e§  als  foic^eS  ba§  ©ecomponibelfte,  aber 
gar  ni(^t  componibel  märe,  au§  bem  llebergeroid;t  einer  einzigen  baä 
abfolut  Starre,  ^nbecomponible  unb  Somponible.  Slber  bie  ^fatur  fann 
meber  biefeS  noc^  jencic  bulben;  e§  erfd^einen  balier  in  il^r  permanente 
gJro^effe,  burd^  meiere  ba§  ^«componible  beftänbig  becomponirt  unb  ba^ 


1)  III,  11  ff.  283  f. 

34 


532  ©d^cüing. 

Qnbecomponible  beftänbig  compontrt  wirb;  unb  bie[e  iinenbtid;e  Sfiatur- 
l^ätigfeit  mu^  fic^  in  einer  ^eii)e  üon  ©eftdten  barfteHen,  raeld^e  ha- 
bur(^  entfielen,  baB  ba§  an  fid^  unenb(ic|e  ^robnft  jener  ^ro3effe  auf 
jeber  ©tufe  be^  Sßerben^  fiyirt  wirb.  (SJüt  bem  S3eraei§  biefer  9?otf); 
lücnbigfeit  f)at  e^  fidf)  aber  ©(^elling  III,  42  fefir  Ieid;t  gemacht).  S)a§ 
TlitUl,  um  biefe  ^ij-irung  f)erbei3utü§ren,  ift  bie  ©utwldlung  be§  @e= 
fc!^Ie(^t§unterfc^ieb§  —  ein  Sa^,  mit  bem  wir  ^ö^ft  unvermittelt  au?> 
ber  aligemeinen  58etra(^tung  ber  Dktur  in  bie  ber  onjanifi^en  Statur 
verfemt  werben.  ®urd;  ben  @ei"d;(e(j^t§unterfd;ieb  wirb  ber  33Ubung§trieb 
auf  beftimmten  Stufen  geciemmt,  benn  bie  SSereinigung  ber  ©efd^lec^ter 
erzeugt  raieber  nur  ^nbioibuen  berfelben  2lrt,  fie  ift  nur  ba§  3Jiittel 
gur  ßrlialtung  ber  ©attung;  auf  bie  SSerfdjiebenf)eit  biefer  ©tufen  foH 
fi(^  (III,  53)  bie  9?erfd;iebenf)eit  ber  Drganifationen  3ulc|t  rebuciren. 
£)ie  3Jlöglic^feit  einer  fo(c^en  giyirung  beftimmter  ^robufte,  bie  Wöq- 
{\ä)U\t,  hafi  inbiüibuette  Staturen  fi(^  gegen  ben  aügemeinen  Drganifmu§ 
beljaupten,  ift  bebingt  burc^  ben  ©egenfa^  ber  organifdjen  2:f)ätigfeit 
gegen  äußere  Sieige,  atfo  burd;  ben  ©egenfa^  bcS^  Drganifd;en  unb 
2lnorgif(^cn  (69  ff.);  unb  ba  fomit  bie  unorganifdje  Diotur  (nod^  wie 
bei  S-id;te)  nur  ai§>  bie  gegenfä^üdje  53ebingung  ber  organifd;en  geforbert 
ift,  werben  alte  if)re  unterfd;eibenben  3)ierfma(e  au§  biefem  ©egenfa^ 
abgeleitet  (93  ff.).  2(uf  bie  3^ermut{)ungen  über  bie  ©ntftef)ung  bc^ 
(BonnenipftcmS  bur(^  Grpiofionen  feinet  ßentralförper^,  über  bie  ©djroere, 
als  eine  burd;  ©onneneiuftuB  in  atlen  ^Fieilen  ber  6rbe  f)erüorgcbrad;tc 
Senbeuj  3ur  raed^felfeitigen  Sutu^fufception,  über  ha§>  Sic^t  al^  ^^ä- 
uümen  einer  (^emifd^en  Slftion  ber  6onne  auf  bie  ©rbe,  über  bie  9iatur 
unb  bie  i^erlüanbtfd;aft  bes  eleftrifi^en  unb  be»  djemifd;en  ^Nerbrenuung»- 
proccffeÄ,  lueidje  ©c^etting  bei  biefer  ©elegentieit  nad;  feiner  33cife  f)öd;ft 
äuüerfidjtlic^  au^fpridjt,  faun  ic^  f)ier  nic^t  nä^er  eingeben.  2luS  allem 
bistierigeu  fdjiie^t  er  nun  (144),  ba^  smifi^en  ber  orgauifdjeu  unb  ber 
unorganifd;en  9]atur  eine  präftabilirte  Harmonie  ftattfinbe,  baB  fid^ 
bcibe  lücdjfclfeitig  erflären  unb  beftimmcn.  9tät)er  mirb  biefe»  33crt)ättuife 
fo  crflärt.  2(Uer  3"fanimcnl)ang  heä  Organifmu^  mit  einer  unor^ 
ganifc^cn  äi?e(t  berut)t  auf  einer  Erregbarkeit.  2)ie  llrfad^e  ber 
le^teren,  unb  ebcnbamit  alleS  Sebcn§,  fann  meber  blo»  in  djemifd;en 
^roceffen  noc^  in  einer  eigenen  Seben^^fraft  ge|ud;t  tuerbcn;  ber  Üued 
unb  llrfprung  be^?  :2ebene  liegt  i)ielme(;r  in  ber  ©enfibilität;  it)re 
Urfad)o  ift  bie  llriad)e  alleS  £eben!?\     3)iefer  bijnamifd;c  3:(;ätigteitequel( 


^■^llem  bcr  9?Qtuvp]^itofopl^te.  533 

wirb  erfenn&ar  in  ber  STfiätigfeit ,  bie  er  ^eiüorruft,  in  ber  ^rrita  = 
ötlität  (für  rcelc^e  @($e(Iing  III,  161  ff.  eine  )ef)r  erfünftelte  ßon= 
ftrnction  giebt).  ^n  bemfetben  ^la^e,  mk  biefe  in  if)rcm  ^^^robuft  er- 
üf(^t,  tritt  ber  33ilbung§trieb  ober  bie  ^robufttonSf raft  mit  ifiren 
3n)ei9en,  ber  Grnäfirung,  bem  2Bad^»tf)um,  ber  3fW9Utt9/  5)em  tfiierifc^en 
^unfttricb,  ber  9)letaniorpf)ofe  ber  ^nfeften,  ber  9ieprobuftton»froft  ber 
3oop{)i)ten  unb  ^flanjen,  ijevvov.  ߧ  ift  fo  @ine  Drganifation,  bie 
burc^  alle  Stufen  be§  organifc^en  STafeinS  fierab  allmäf)(i(^  big  in  bie 
^ffonge  fid^  oerliert,  unb  ©ine  ummterbrocfjen  rairfenbe  Urfac^e,  bie 
t)on  ber  6enfibilität  be»  erften  Zf)\ex§>  an  big  in  bie  9teprobuftion§fraft 
ber  legten  ^ffan3e  fic^  üerliert  (206).  S)ie  gleiche  ©tuftnfofge  ^errfd;t 
aber  aud;  in  ber  affgemeinen  unb  ber  anorgifd;en  ^latur.  S^er  €enft- 
bitität  entfpri($t  ber  93lagnetifmu!o,  ber  i^rritabiütät  bie  Steftricität,  bem 
^ilbung^trieb  ba§  ßidjt  unb  ber  d;emif(^e  ^sro5c§;  unb  ba§  affgemeinfte 
@efe|  für  biefe  Stufenfolge  ift  aud^  f)ier  ba§fe(be:  ,,bie  f)öf)ere  ^^unftion 
üerliert  fid;  in  bie  untergeorbnete  babur(^,  bafe  i^r  f)ö^erer  gaftor  t)er= 
fc^rainbet,  unb  ber  nieberere  i)ö^^xcx:  %attov  ber  untergeorbneten  Äraft 
TOirb''  (255).  2Bie  bie  «Senfibiütät  für  bie  organif^e,  fo  ift  ber  9}kg= 
nelifmu§  für  bie  unorganifd;e  Slatur  bie  affgemeinfte  Äraftqueffe:  jener 
finb  äffe  organifc^cn,  biefem  äffe  bynamifd^en  Gräfte  untergeorbnet.  S^ie 
gemeinfc^aftlic^e  Urfadje  Beiber  rairb  cv  ba^er  fein,  welche  ber  affgemeine 
^lätigfeit^queff  in  ber  9iatur  ift,  meiere  juerft  in  bie  affgemeine  3ben= 
tität  Xuplicität,  in  bie  öomogeneität  ber  9latur  i^etcrogcneität  gebrad;t, 
tüe((^e  jenen  affgemeinen  S^ualilmuS  fieroorgcrufcn  f)at,  ber  üon  ber 
magnetifc^cn  Polarität  an  buvc^  bie  ele!trifd)en  Srfd^einungcn  in  bie 
c^emif^en  öeterogeneitäten  fid)  oerliert  unb  jute^t  in  ber  organifc^en 
9iatur  raieber  3um  2Sorfd;ein  fommt  (220.  257  ff.).  S^amit  aber  biefe 
Organisation  bc§  Uniücrfum^,  biefe  @ntmid(ung  behielten  au§  Qincm 
urfprüngüi^en  ^unft  mög(i(^  fei,  mu§  einerfeitS  eine  unenblid;e  S'enbens 
jur  (Sntroidfung,  anbererfeit?  eine  ebenfo  uncnblic^e  retarbirenbe  i!raft 
angenommen  roerben.  ^ene  mürbe  uneingefc^ränft  gcbadjt  für  bie  2ln- 
fd)auurg  einen  unenbtidjen  9kum,  biefe  ein  abfofute»  ^i^einanber,  bcn 
^unft,  ba»  Spmbol  ber  ^ät,  entftefien  taffen;  jene  ftefft  fid;  al§  Qr- 
panfiüfraft,  biefe  ai§>  Stttraftinfraft  bar.  Qnbcm  fie  fic^  in  wcd;fe[nbem 
3}erf)a(tniB  üerbinben,  mivb  ber  $Haum  in  t)erfd;iebenen  ^i(^tigfeit§grabcn 
erfüfft.  "  S^amit  cnblid;  bie  ©üotution  an  beftimmten  fünften  geficmmt 
werbe,  mufe  ju  biefcn  beiben  noc^  eine  brttte  J^raft  f)in3ufommen,  burd) 


534  6d)eÜtng. 

meiere  eine  urfpninglic^e  ©renje  in  hen  9laum  gefetit  roirb,  bie  6d;it)er; 
!taft  (261  f.);  raie  man  fiefit,  bie  fantifc^e  ßonftruction  ber  Materie, 
bie  aber  f)ier  nic^t  auf  anatx;tiicf;em,  fonbern  auf  fijnt^etifc^em  SBege  ge^ 
funben  toerben  foH.  2Bir  ermatten  fomit  im  ganzen  (rote  ©d^eHing  in 
ber  „ßinteitung"  III,  306  ff.  ausführt)  eine  breifadje  (^onftruction : 
ber  3Katerie  im  Sittgemeinen,  ber  fpecififd^en  ©ifferen^  ber  3Jiaterie  (beS 
bynamifd;en  giroceffeS),  nnb  be§  Drganifmn§.  i^ebe  üon  biefen  ßon^ 
ftructionen  f)at  brei  ©tnfen,  raeldje  in  ber  folgenbcn  in  p^erer  ^o- 
tenj  mieberfeiiren,  weldje  fic^  aber  anc^  gu  einanber  fo  r»er^alten,  ba^ 
bie  folgenbe  immer  bie  i)ö^cxe  5potenä  ber  üorange!)euben  ift.  S)ieB  ift 
jebo($  bereits  eine  Slbänberung  ber  früheren  ©arftellnng :  in  biefer  mar 
bie  3^atur  nid;t  aU  auffteigenbe,  fonbern  aB  abfteigenbe  ©tnfenreifie 
conftruirt,  nnb  als  ifire  ^mei  ^anptformen  waren  nur  bie  organifc^e 
xmb  bie  unorganifc^e  9^atur  bejetc^net  worben. 

6o  weit  aber  biefe  9iatnrp^itofopi)ie  von  fi)ftematifd)er  SSottenbung 
nod)  entfernt  ift,  fo  erzwungen  if)re  ß^onftructionen,  fo  übereilt  ifirec^i;- 
potljefen  gro^entlieiB  finb,  fo  mirb  man  il)r  boc^  bie  Slnerlennung  nid;t 
«erfagen  bürfen,  baB  fie  ein  fei^r  geiftreid;er  nnb  großartiger  ^erfud^ 
ift,  bie  3^atnr  al§>  ©an^eä  ber  pl)ilofopl)if($en  ^etrad;tung  ^n  unterraerfen 
nnb  in  atten  ifiren  SLlieilen  ©ine  nnb  biefelbe  nad)  bnrd;greifenben  ©e= 
fe^en  mirfenbe  traft,  ©in  uub  baSfelbe  in  regelmäßiger  2l6ftufung  fic^ 
cntwidelnbe  Seben  nac^3uroeifen ;  ein  ^erfud;,  bem  mir  feine  bidjterifc^e 
Äül)nl)eit  um  fo  e^er  «erteilen,  nnb  t)on  ber  geiftigen  S3egabung  feineg 
Xlrl)eber0  um  fo  l)ö^er  beulen  werben,  toenu  mir  erwögen,  baß  ©(^elling 
bag  25fte  3al)r  noc^  ni(^t  äurüdgelcgt  l)atte,  als  aEe  bie  biSl^er  be= 
fprodjenen  ©i^riften  bereite  erfc^ienen  waren,  ^nbeffen  fott  bie  9Zatur= 
p^ilofopl)ie  bod)  nur  ein  %^^^l  be§  (Si)ftem§  fein,  nnb  ©djelling  felbfl 
bemerlt  auSbrüdtid;  (III,  11.  271  ff.),  baß  nur  bie  Sranfcenbental= 
pl)ilofopl)ie  fic^  jum  dbfolut  Unbebingten  erijcbe,  unb  bie  9ktur  au§ 
bem  ©elbftbewnfytfein  erlläre.  S)a§  ©anje  ber  5pi)ilofopl)ie  ans  biefem 
ibealiftifdjen  ©efidjtSpunft  barsufteHeu,  ift  bie  3lufgabe,  weld;e  er  fid^ 
im  „©ijftcm  be§  tranfcenbentalen  i^bealifmuä"  (1800)  gefegt  i)at 

g^etting  witt  t)ier  „alles  äßiffen  gleid;fam  von  Dorne  eutftclien 
(äffen",  „alle  %^cik  ber  ^()i(ofopf)ie  in  einer  ©outinuität,  unb  bie  ge= 
fammte  ^l)i(ofopl)ie  als  fortgel)cnbe  @efd;id;te  beS  6eIbftbewußtfeinS 
üortragcn"  (III,  330  f.).  %üv  biefen  S^ved  gel)t  er  mit  gidjte  rom 
©ubjclt  als  bem  (Srften  unb  2lbfoluten  auS;  er  verlangt,  baß  wir  boS 


(Seilern  be§  tranfccnbentalen  ^bealifmul.  535 

gefc^mäBtoe  ^anbeln  ber  3nteH{gen5  in  intetteftuetter  Slnfc^auuug  er= 
greifen  unb  fie  nnn  auf  it;rcin  gan^jen  Sege  verfolgen,  bafs  wir  erfonnen, 
wie  fie  3uerft  o^ne  S3eiünBtfein  bie  9^atnr,  bonn  mit  S3cuiuBtfein  bie 
freien  §anblnngen  probucirt,  raie  wegen  ber  luefentlidjcn  ^bentität  biefer 
Beiben  3:^ätigfelten  bie  9ioturprobu!te  at^  3roe(fmäf3ig  crfdjeinen,  o^ne 
hod)  sroecEmä^ig  erflärbar  3U  fein,  wie  ober  aud;  ba§  ^d)  felbft  in  ber 
^nnft  eine  fotdje  jngleid;  beiuufste  unb  beraufitrofe  5:i)Qtigfeit  ausübt 
unb  fid;  in  i^r  üoHcnbet.  Sie  2lu^^füf)rung  biefeS  ^Ione§  f)at  im  „Sr)= 
flem  be§  tranfcenbentalen  ^bcalifmu^",  gerabe  weil  fid;  ()icr  «Sd^elling 
an  ein  in  ben  ©runb^ügen  fd;on  gegebenes  (Sijftem  anlehnen  fonnte,  eine 
fijftematifdje  33oIIenbung  unh  formelle  Slbrunbung  gefunben,  wie  fie  i§m 
fpöter  in  biefem  3)Zaf3e  nid;t  wieber  geglüdt  ift.  2lug  bemfelben  @runb 
ift  aber  bicfe  3)arftellung  niit  SluSnaijine  iljxev  te|3ten  2(5fdjnitte  an  ei^ 
gentljümlidjom  ^n^^^t  weniger  reid^,  al^  bie  2lrbciten,  in  weld;en  bie 
Unrufie  einer  immer  neuen  @ebauEener5eugung  ben  ^fiiiofopl^cn  nid;t 
§ur  abfd;lie§enben  ^"[aiinnt'nfaffuug  feiner  i^been  fomnten  liefj. 

3)em  ©tanbpunft  beS  tranfcenbentalen  ^bealifmuS  eutfpredjenb  be- 
ginnt Sdjetliug  mit  bem  ^c^  als  bem  ©nbieft^Dbjef't,  bcm  abfoluten 
^d),  ha^'  burdj  feine  intelleftuelle  ©elbftanfd;auung ,  burd;  ben  2Wt  beS 
reinen  @e(bftbewu|3tfein§ ,  fid;  felbft  probucirt.  @r  geigt  in  ber  t^co  = 
retifd^en  g^^ilofopl)ie :  um  fid;  felbft  anfd;aueu,  hm  2tft  be§  ©elbft= 
bewu^tfein»  uottsielien  ju  tonnen,  muffe  baS  ^d;  äuuädjft  in  ber  erften 
@püd;e  feiner  ßntwidlung  feine  an  fic^  unenbtidje  3:l;ätigfeit  begrenzen, 
unb  ba  eS  in  bem  %tt  ber  Segren,^uug  ai§>  foldjem  nidjt  gugleid^  auf 
biefen  Slft  refleftiren  fönne,  fid;  aU  begrenzt  i?orfinben,  feine  33e- 
grenjt^cit  als  eine  il)m  felbft  zufällige,  burdj  ein  SiealeS  au^er  i§m  be= 
wiii'te  empfinben;  wenn  eS  fofort  üermöge  feiner  unenblid;cn  ^ro= 
bnftiüität  über  biefe  ©renge  wieber  l;inauSge^e,  erfd;eine  ii)m  biefe  feine 
weitergetjeube  2:l)ätigfeit  als  etwaS  jenfeitS  ber  ßmpfinbung  liegenbeS, 
als  S)iug''an=fi(^,  ebenbamit  uuterfdjcibe  fid^  ber  burd;  bie  ©mpfinbung 
begrenzte  3:l;eil  feiner  3:l)ätigfeit  als  ^d>'an=fid;  üou  jenem,  unb  eS 
fomme  fo  ba3U,  fid;  felbft  als  empfinbenb  anpfdjauen;  eS  faffe  eublic^ 
feine  beiben  3:i)ätigfeiten,  bie  unbegrenjbare  ober  ibcetle,  unb  bie  be= 
grenzte  ober  reelle,  in  ber  2lnfd;auuug  ber  3}taterie  sufammen,  in  weld^er 
jene  als  (Sypaufiüfraft,  biefe  als  Stttraftiul raft ,  i^re  Sgut^efe  aber  als 
bie  ©c^iuere  erfdjeine.  SluS  bem  ^erl;ältniB  biefer  ilräfte  fud;t  6c^etting 
in  einer  S^ebuftton,  bie  wir  freiließ  nid;t  fel^r  bünbig  finben  föimen,  bie 


536  ©c^eüing. 

brei  ^imenfionen  ber  3J?aterie  unb  mit  i^nen  ben  ajf agnetifniug ,  bie 
©leftricität,  iinb  ben  ©alüanifmuä  ober  ß^emifmu§  abzuleiten,  ©r  vti- 
folgt  bie  probuftiue  2;i)ätigfeit  be§  ^d;  raeiter  bur(^  eine  ^toeite  ®potf;e 
üon  ber  probuftiüen  Slnfdjauung  bi^  jur  9tefleyion.  ^nbem  ba0  ^d; 
ftd^  felbft  anfc^out,  fagt  er,  fo  wirb  i^m  biefe  2(n[($auung,  fo  loeit  fie 
über  bie  ©renje  (bei  ^ä)§>  gegen  ha^  ©ing^an-fid;)  ^inaulgefit,  äuBere, 
fo  weit  fie  bielfeiti  biefer  ©renje  unb  fomit  innerfialb  bei  ^d)§>  bleibt, 
innere  Slnfc^auimg ;  ba§  S^O  gewinnt  ba§  ©efü^l  feiner  felbft  im  tln= 
terfd;ieb  üom  Dbjeft,  unb  mälirenb  il)m  fein  eigene!  Seben  in  bie  3^^^ 
fällt,  fd;aut  eg  haS>  Dbje!t  al»  ein  äußere!  im  9iaum  an.  3(u§  biefer 
2(nfc^auung  folgt  bann  weiter  (wie  ©d^elling  aulfülirlid; ,  aber  unflar 
unb  fünftlid^,  au^einanberfe^t),  ha'^  fid;  bie  Singe  in  ben  S^er^ättniffen 
ber  «Subftanä  unb  bei  Slccibenl,  ber  ßaufalität  unb  ber  Sße^felwirfung 
barftelten.  Söirb  enblid^  ber  2Bed;feI  ber  SSeränberungen  im  ^^,  bie 
©ucceffion  ber  SSorfteHungen ,  raieber  in  einenx  ^robuft  angefdjaut,  fo 
wirb  biefel  (ber  ^eweil  bafür  l)at  natürlidj  wieber  feine  Süden)  all 
ein  in  fid;  jurüdfelirenber  Üxeiä,  all  bal  ©r^eugni^  einer  2:l)ätigfeit 
erfdjeinen,  weld)e  unaufliörlid^  ongteid;  Xlrfad;e  unb  Söirfung  oon  fid) 
felbft  ift.  S)iefel  ^robult  ift  mit  ßinem  9Bort  bie  organif  d;e  9Utur, 
bereu  nähere  33eftimmungen  —  bie  Stufenfolge  ber  Drganifationen,  bie 
brei  llräfte  ber  ©enfibilität,  Irritabilität  unb  ^robultion  —  überein^^ 
ftimmenb  mit  ben  friil)eren  Stuleinanberfeliungen,  aber  nur  furj,  he- 
fprod;en  werben,  ^lire  (Spille  erreid;t  jene  Stufenfolge  in  berjenigen 
Drganifation,  weld;c  bie  3iit^Ü^Ö<^i^ä  ^^^  ibentifdj  mit  fidj  felbft  an3U= 
fd^auen  genötl)igt  ift,  in  weld;cr  fie  fid;  felbft  lebenb,  geboren  werbenb 
unb  fterbenb  erfd^eint.  lieber  biefe  ©rfdjeinung  erljebt  fie  fid;  in  ber 
brüten  ßpod;e  burd;  bie  Stbftraftion ,  burdj  welche  \i)v  nun  erft  bie 
reine  Slnfc^auung  he§>  Staumel,  bie  2lnfd;auung  ber  gdt  all  bei  tranf- 
cenbentalen  ©djema'l  (f.  o.  6.  348  f.),  bie  begriffe  ber  ©ubftantialität, 
(Saufalität  u.  f.  w.,  überliaupt  bie  llatcgorieen  all  fold;e  entfielen.  9Jiit 
ber  gorberung  ber  abfoluten  Slbftraftion  gefjt  bie  tl)eoretifd;e  ^^l)ilofopl;te, 
wie  bei  gid;te  (oben  6.  492),  in  bie  prattifdje  über. 

2)al  ^princip  ber  praltifdjen  ^4^l)ilofopl)ie  ift  ber  2öille,  ober  bie 
©elbftbeftimmung  ber  .intelligent,  i)ermi)ge  bereu  bal  ^d;  uid;t  me|r 
blol  bewufitlol,  wie  in  feiner  erften  .^eroorbringung ,  fonbern  mit  ^e- 
wufstfein  probucirt.  Sin  fid)  ift  biefe  ©elbftbefiimmung  l)ier  bie  gleidje, 
wie  Dort,  el  ift  biefelbe  Slutouomie  he^i  ^d),  wcldje  all  an)d;auenb  bie 


(gijflem  be«  tranfccnbentafen  ^beatifmus.  537 

DfZatur,   aU  ^anbänh  bte  fittlid^e  Söett  erjeugt;    aber   ba  bie  pro!tif($e 
©elbpeftiinmung  ben  empirifd^en  Srnfancj  be^  SeiüuBtfeiitvj  marf;t,   fdlft 
fie  itt  einen  beftimmten  ^eitpnnft  unb   ift  an  eine  äußere  33ebinguna 
gefnüpft.    S)ie[e  «ebingung  für  ba3  freie  ^mMn  ber  ^ntettigenj  auf 
fid)  fetbft  liegt  (wie  @d;e(Iing  mit  gtd^te  6ef)ouptet  unb   umftänblic^  3U 
beiöeifen  fnd;t)  in  bem  .^anbeln  von  ;Snteaigen5en  ou^er  \i)v,  in  beren 
(ginrairfung  fie  bie  urfprüngüdjen  ©d;ranfen  i§rer  eigenen  ^nbiuibualität 
erbüdt;   unb  nur  baburd;   rairb   i^r  a\i<i)  bie  SBett  überhaupt  objeftiu. 
ebenfo  bebarf  fie  aber  aud;  eine^  Dbjeft^,  in  beni  i^r  eigene^  ^anbelu 
i^r  objeftiü  rairb.    Slber  bamit  biefeS  bie  j^rei^eit  unb  Unenb(id;feit  be^3 
^c^  in  fic^  barftelle,  mu§  el  felbft  ein  unenbüc^eS,   ibealeg,   bantit  e^ 
©egenftanb  ber  3(nfd;auung  fei,   mu§  e^  ein  begren3te§,   in  jener  ^e-- 
3ief)ung  muB  eö  ba^  2öerf  einer  freien  %^at,   in  biefer  niu^  e§,  raie 
jebeg  äuBere  Dbjeft,   nad;  not^roenbigen  ©efefeen  erzeugt   fein,     ^tad) 
jener  «Seite  ergiebt  fid^  bem  ^c^  bie  gorberung,   ha^  e§  fic^  nadj  &€- 
fe^en  ber  grei^eit  beftimme,  baB  feine  3;§ätigfeit  nur  auf  bie  reine  Selbfi^ 
beftimmung,  bie  reine  ©efet^möBigfeit,  gerid;tet  fei;  nad;  biefer  ha§>  ©tre= 
ben,   bie  S3ebingungen  feiner  Subiüibualität  3U  erfüllen;   unb   raegeu 
biefea  @egenfa^e!3  wirb  ber  Söille,  in  wetc^em  feinem  abfohlten  Söefen 
nad;  ^rei^eit  unb  9?otf)n)enbtgfeit  eins  finb,  in  feiner  @rfd;einnng  jur 
SBittfüfir.    ^aä  SDZittel,  um  in  ber  3Bed;fe[mirfung  ber  ^nbioibuen  bie 
^reifieit  3U  fiebern,  ift  bie  9lec^tlorbnung;  bie  grf;a(lung  ber9ted^t«= 
orbnung  ift  bie  Stnfgabe  be§  Staate^;  bie  Diealifirung  berfeiben,  luetdje 
©c^elling  mit  Äant  von  einem  33unb  aller  il'ölfer  erwartet,   ift   ta§> 
SBer!  ber  @efd;id;te.    ^n  ber  @efd;id;te  üerfdjlingen  fid)  ^rei§eit  unb 
9Zotf)n)enbigfeit :   au§  bem  bemuBten  unb  n)iütut;rlid;en  2§un  ber  ^Un- 
fc^en  get)t  ben)u§t(oS  ^erüor,  iua§  fie  nid;t  beabfid;tigten ;  in  bem  gefelj^ 
lofen  ^anbeln  ber  93knfd;en   fierrfc^t    eine  unberaufste   ©efe^mci^igfeit, 
oermöge  ber  alle  an  bem,  ma§  nur  burd)  bie  gau5e  ©attung  realifirbar 
ift,    an   ber  3?ern)irf(id)ung   ber  mora(ifd;en  äöeltorbnung   mitarbeiten 
muffen.    ®iefe§  felbft  fe|t   eine   präftabilirte  .soarmonie   gmifd^en   hem 
©efel^mäBigen  xmb  bem  ^^reien,   bem  Dbjefti^en  unb  bem  ©ubjeftiueu 
oorauS,  unb  biefe  Harmonie  fann  i^ren  @runb  nur  in  einem  i^ö^eren, 
in  ber  ab fo tuten  ^^bentität  ^aben,  in  meldjer  gar  feine  S)up[icität 
ift,   unb  me(d;e  ebenbeBroegen  nie  jum  33erauBtfein  gefangen  fann.    S)ie 
@efd;idjte  ift  eine  fortgel;enbe  Dffenbarung  biefeS  3lbfofuten.    Qben  beB= 
l^alb  aber  tann  el  felbft  nie  fic^tbar  in  bie  @efd^id;te  eintreten:   „@ott 


538  ©c^eHing. 

ift  nie,  wenn  ©ein  ba§  ift,  waS  in  ber  objeftioen  SBelt  ft(^  barftettt; 
TOttre  er,  fo  wären  wir  nic^t:  aber  er  offenbart  fid^  fortiuäfirenb".  2)a§ 
Ebfolnte  trennt  \iä)  gnni  58e[juf  feiner  ©rfdjeinnng  im  Seron^tfein  in 
ha§  SerauBte  nnb  ^eiuu^tlofe;  eS  felbft  aber  ift  nnr  bte  eroige  igbentität 
unh  ber  eroige  ©vunb  ber  Harmonie  jtuifdjen  beiben  ^). 

S)iefelbe  Harmonie  ift  e§,  weli^e  nn§  bie  Sftatnr  im  ganjen  unb 
bie  organifdje  9tatnr  im  befonbern  bnrc^*  bie  3wßc!Tnä^ig!eit  ifirer 
^robnfte  jiir  2lnfrfjaung  bringt;  benn  biefe  ^robnfte  laffen  fid^  gerabe 
anf  hem  ©tanbpnnft  be§  tronfcenbeutalen  ^bealifmns  nur  al§  ba§ 
2Ber!  einer  beron^tlog  fdjaffenben  intelligent  betrad^tcn.  SBirb  biefeS 
^robuciren  3U  einem  foldjen,  beffen  ^Princip  im  ^c^  liegt,  f(|ant  fid^ 
ba§  ^ä)  in  feiner  eigenen  S:f)ätig!eit  aB  beroußt  unb  berou^tlo^  gugleid) 
an,  fo  tritt  an  hk  ©teile  ber  9tatur  bie  ^nnft,  an  bie  ©teile  be§ 
^Raturprobuft^  haS'  ^nnftroerf.  (Sben  bie^  ift  nämlid;  nad;  ©d^etting 
ba§  nntcvfdjeibenbe  3)terEmal  alleS  fünftierifc^en  ©d)affen§,  baJ3  in  ii)m 
bie  berouBte  nnb  berou^ttofe  S:f)ätigfeit  fdjted;tt)in  5Ufammenfa(Ien,  ha^ 
mit  ^reifjeit  etroa§  erzeugt  roirb,  \m§>  in  feiner  SSoIIeubung  bie  5Rotf)= 
njenbigfeit  eine^  SkturprobuftS  i)at.  ^n  ber  ^Bereinigung  biefcr  beiben 
©temente  tommt  bem  ^dj  feine  eigene  Xlnenblid^feit,  ha^  Slbfolute,  au§ 
bem  aEe  feine  5tptigfeit  urfprüngtid;  ^eruorgieng,  gur  2lnfi^auung. 
S)ie  geiftige  SJtadjt,  meldte  über  ba-S  eigene  ^erou^tfein  f)inau§  ha§>  Un= 
enblid^e  in  ifir  ÜBer!  legt,  ift  ha§ ,  \m§>  mir  ©enie  nennen;  auf  ber 
©arftelfung  biefeS  Unenbtidjen  in  bem  enblidjen  ^robuft  bernfit  alle 
©d;ön{)e't.  ®ie  äft^etifd^e  STnfc^auung  ift  bie  objeftiu  gcroorbene  intet- 
leftueHe;  burc^  ba§  Sunber  ber  ilunft  mirb  bag  obfofut  ^bentifd^e, 
n)e(d;e§  an  fid;  rocber  fubjcftio  nod;  obje!tiD  ift,  au§>  itjren  ^robut'ten 
surüdgcflraljlt.  i^n  ifjr  fommt  batjer  bie  fdjöpferifc^e  S:f)ätigfeit  ber  ^n- 
teHigeuä  jum  StbfdjluB;  fie  leiftet,  roaS  für  bie  2Btffeu)d;aft  immer  eine 
unenblic^e  Stnfgabe  bleibt;  ba§  bid)terifd)e  l^ermi3gen,  metdjeS  in  feinem 
unberou^ten  ©djaffen  bie  Statur  ^eroorbrad^te ,  fdjaut  f)ier  in  feinem 
f)öd^ften  ^robufte  fic^  felbft  an,  baiS  ©yftem  f'etirt  in  feinen  3(nfang§:^ 
punft  äurüd,  unb  bie  ^s()i(ofopt)ie  felbft  erfennt,  baf?  alle  ^l>iffenfd;aften 
nac^  it)rer  ^ottenbung  in  bcn  allgemeinen  Dcean  ber  ^oefic  jurüdflie^en, 


1)  ''Mijn  untcrf^cibet  ©djctling  in  ber  Dffenbanmg  be3  2l6fo(utcn  bret  ^crioben : 
bie  be§  ®i)\d\al§,  ber  9tQtur  unb  ber  SJorfel^ung;  n?ir  foßcu  un§  ixod)  in  ber  äracitcn, 
nüd-jt  mit  ber  ®rünbnng  beg  römifd)en  3ße(trcic[)5  begonnen  \)abc,  befinbcu. 


S)ie  Sb«ntttät§pt)t{Dfo;?^te.  539 

von  weitem  fte  ausgegangen  waren.  @o  raeist  f)ier  bie  SBiffenfc^aft 
über  firf;  felbft  i)inau§  auf  bie  J!unft,  a(§  eine  ^öfiere  gorm  be§  geiftigen 
Meng;  ein  ^ug,  raeld^er  un§  nicf;t  bloS  ben  ©influB  ber  roniantif(|en 
©djule,  mit  bereit  Häuptern  ©djeüing  e&en  bamals  im  lebfiafteften  ^er= 
fe^r  ftanb,  fonbern  auc^  ben  STnt^eil  oerrätE),  ben  feine  eigene  bidjterifd;e 
Slnlage  an  feiner  «SpcMation  i)atie. 

3.  2)te  3bcntität§p^trofop^tc. 

B^on  in  ben  bisher  befprodjcnen  ecf;riften  ^aüe  fic^  bei  ©d^eaing 
nuüerfennbar  ein  neuer,  t)on  %id)k'ä  tranfcenbentalem  ^bea(ifmu§  n)e= 
fentUd)  abroeid;enber  ©tanbpunft  in  june^menbem  3Jia§e  üorbereitet. .  @r 
war  allerbingS  von  biefem  QbeaUfmuS  ausgegangen;  er  l^atte  il^n  nid^t 
3U  raiberlegen,  fonbern  nur  §u  ergänzen  unb  in  fidj  gu  üottenben  unter= 
nommen;  er  f)atte  and;  feine  3taturpf)ilofopf)ie  urfprünglid;  nur  in  bie= 
fem  ©inn  entworfen  unb  fie  in  feinem  „©ijftem  b.  tr.  ^b."  in  bie 
ibealiftifd^e  ßonftruction  [elbft  aufgenommen:  bie  3^atur  foffte  nur  ein 
©r^eugniB  bei  ^d;,  eine  gorm  feiner  (Srfc^einung,  „eine  mit  allen  i^ren 
©mpfinbungen  unb  2(nfd;auungen  greid;fam  erftarrte  ^nteUigeng"  (2Ö2Ö. 
IV,  77)  fein.  STber  ©djetting  Jiatte  nid^t  affetn  t)on  Stnfang  an  ba§ 
abfolute  ^dj  von  bem  empirifdjeu,  meldjeS  in  Söafir^eit  aUein  ^c^  ge= 
nannt  werben  fann,  fdjärfer  ai§>  gid;te  unterfd;ieben ,  fonbern  er  mar 
auc^  immer  beftimmter  baju  f)ingcbrängt  morben,  btefeö  abfolute  ^c^, 
a(§  ba§  allem  ©egenfa^  von  ©ubjeft  unb  Dbjeft  tjorangeljenbe,  a(ä  ben 
Ijöfieren  @rnnb  bc§,  SerouBten  wie  bei  ©ewuBtIofen,  nxit  (Sinem  2i3ort 
all  bie  abfofutc  ^bentität  ober  bie  ©ott^eit  ^u  faffen  (ogl.  @.  537). 
@l  bebnrfte  nur  nod;  eine!  Sdjrittel,  unb  biefe  abfolute  ^bentität 
()ob  fid;  au?^  bem  ^d^,  in  bem  fie  ber  g^tjitofop^  bil  bat)in  nod^  gefd^aut 
f)atte,  all  ein  felbftänbigel,  jenem  üorangetjenbel  unb  von  i^m  ju  un= 
terfd;eibenbel  ^rinctp  ^eraul,  ber  tranfcenbentale  ^beatifmul  gieng  in 
bie  ;3bentitätlp{)itofopf)ie  über. 

S)iefen  ©c^ritt  fe^en  wirSd^etling  ^nerft  1801  in  ber  „S)arftel(ung 
meinel  ©i;fteml"  tf)un ').  ®ie  S(nfid;t,  loeld^e  er  ie|t  vorträgt,  üou  ber 
er  aber  nur  nid;t  j)ätte  behaupten  fotten,  ha^  er  fie  fd;on  längft  gefiabt 
t)aU,  fd^aeBt  fidj  in  bem  ©runbgebanfen  wie  in  ber  mat(jematifd^=bemon- 

1)  S2B.  1  2I6t]^.   IV,   105  ff.;   bgl.  bie  ctwn§   frühere   Kb^anbdmg   aii§   bem 
gleichen  ^a^r  eii.  79  ff. 


540  ©d^eötng. 

ftrotiueu  ^orni  an  Spinoja  an.    Xie  ^Ijilofopfiie,  fagt  er,  ift  eine  (gr= 
feuntnlB  ber  S)tnge,  raie  fie  an  ftc^,   b.  {).  in  ber  S^ernunft  finb.    S)ie 
33ernunft  ift  akr  als  bie  abfolute  Vernunft  bie  totale  Qnbifferenj  be^ 
©ubjeftiüen  unb  Dbjeftioen.    Slu^er  ber  3?ernnnft  ift  nii^ts  unb  in  i^r 
ift  aUe^.    (Sie  ift  fc^fecJ^t^in  (Sine  unb  fc^tec^ttiitt  fid^  felbft  gfeid^.     ©ie 
ift  mit  einem  2öort  ha^  3lbfoIute  ober  nä^er  bie  abfotnte  ^bentität. 
®enn  ba§  f)ö($fte  @efe|  für  ifir  ©ein,   unb  fomit  für  aUe^  Sein,   ift 
bal  ber  ^bentität,   baa  A  =  A.    tiefer  ©a|  ift  bie  einjige  eroige 
3Bat)rf)eit,  bie  ©rtenntni^  ber  abfoluten  ^bcntität  bie  einzige  unbebingte 
©rfenntniB.    ®ie  abfolute  S^^entität  ift  fc^Ie^tt)in,  if)r  ©ein  folgt  au§ 
i^rem  2Befen,  i§rem  Segriff.    (Sing  mit  if)r  unb  ebenfo  unbebingt,  wie 
fie,  ift  bie  3?ernunft.    Sie  ift  unenblid^  unb  e§  fann  bat)er  nid;t§  fein, 
roa0  nic^t  bie  abfolute  ^bentität  felbft  roäre.    me§>  ift  mithin   an  fic^ 
fing,  nii^tS  ift  bcm  ©ein  an  ^iä)  md)  cntftanben,  nid;t§  an  fid)  enblid;. 
2tae  3SieIt)eit   unb   ©nblic^feit   gel)ört   nur   ju  ber  gorm  ifireä  ©ein?, 
nid^t  SU  i!)rem  SBefen.    2tu§  jener  ^-orm  aber  folgt  fie  atterbing?  not|= 
roenbig.    S^enn  bie  abfolute  ^bentität  ift,   wie   unfer  ^^tiilofop^  fagt, 
nur  unter  ber  ?^orm  be§  ©rfennen?  ifirer  Qbentität  mit  ft(^  felbft,  be§ 
©at^e»  A  =  A,  unb  biefe?  \t)x  ©elbfterfennen  ift  fo  unenbtic^,  wie  fie 
felbft.    Hm  nun  unenblid;  fid^  felbft  ju  erfennen,  muB  fie  fic^  al§  ©ub= 
jeft  unb  Dbjeft  unenblid;  fe^en.  S)a  e§  aber  ©ine  unb  biefelbe  abfolute 
^bentität  ift,  roelc^e  fid;  unter  biefen  beiben  formen  fe|t,  finbet  jroifd^en 
beiben  fein  qualitatiüer  ©egenfa^,    fonbern  nur  eine  quantitative  ©if* 
ferenj  ftatt;  b.  I).  c§  ift  in  beiben  ba§felbe  balb  mit  einem  Xlebergeroic^t 
ber  ©ubjeftioität  ober  be§  ©rfennenS,  balb  mit  einem  Uebergeroid^t  ber 
Dbjeftiyität   ober  be§  ©ein?   gefetjt.    2tuc^  biefe  quantitatiüe  SDifferenj 
ift  aber  nur  auBertjalb  ber  abfoluten  ^bentität  unb   bafier  nur  in  2tn= 
fef)uug  ber  Grfc^einung,  beS  einjelnen  ©ein?,  möglid;;  fofern  wir  ba= 
gegen  bie  Singe  nad)  \i)xem  Stufid;  unb  aB  Totalität  betrachten,  fönnen 
mir  in  i^nen  nur  bie  abfolute  ^bcntität   felbft   felien.    S)iefe  ift  baf)er 
nic^t  llrfad;e  be?  aBeltgan^cu,   fonbern  ba?  SSettganse  felbft,  unb  fie 
!ann  unter  feiner  anbern  gorm,  al?  ber  ber  SBelt  fein,  roeld;e  he^aih 
gleich  eroig  mit  il)r  ift.    Stud)   jebel  (Sinjelroefen  ift  nur  eine  beftimmte 
'^orm   it)re?   ©ein?;    jebc?  ift    baf)er   in   feiner  Strt   unenblid;,    jebe? 
eine  relative  Sotaliiät;  e?  ftellt  bie  abfolute  ^bentitöt  in  einer  beftimm= 
ten  gornt  unb  auf  einer  beftimmten  ©tufe,   ober  roie  ©d;elling  bie^ 
au?3ubrücfen  pflegt,  in  einer  beftimmten  ^jiOtenj  bar;  bie  algcbraifc^en 


„©arfiellung  metneS  ©^ftem§."  5^j 

gormern  jebo^  ni't  benen  ber  ^p^üofop  bieM  5]erf)ä(tniB  ?u  erläutmi 
»erfüllt,   muffen  loir  f)tec  um  fo  me^r  übergefien,   ba  feine  3)?einung 
burd^  biefelben  efier  uerbunfelt  a\§>  aufgehellt  wirb.   —   S)ie   abfolute 
Öbentität  ej-iftirt  nun  gunädjft  qI§  ^atux ,   mit  bem  Hebergeraid^t  ber 
Dbje!tiüitcit ;  bie  erfte  ©rfdjeinnng  berfelben  unter  biefer  gönn,  bie  erfte 
relative  ^Totalität,  ift  bie  3)taterie;    ©djcffing  conftruirt  biefelbe  ^ier  in 
ber  gleid^en  2Beife,   raie  früher,    au§  ber  Slttractiü^  unb  @j-panfiüfraft, 
unb  füfirt  beibc  auf  bie  @d;tüerfraft  gurüd,  lueldje  i^rerfeitS  nid;t^^  anbereS 
fein  fott,  al§  bie  abfohlte  ^bentität,  fofern  fte  ber  unmittelbare  ©runb 
ber  9lealität  jener  J^röfte  in  ber  matmc  ift.    S)ie  nädjftpfiere  ^otenj, 
ba§  A\  ift  ba§  £i(^t.    ^n  ifim  ift  bie  abfointe  ^bcntität  felbft  ba§ 
Sieefle  unb  nidjt  bto^er  ©runb  ber  9?ea(ität,  unb  ebeubefitialb,  meit  ba§ 
2xd)t  bie  abfointe  ^bentität  felbft  i\t,  ift   e§   uot^iuenbig  feinem  SBefen 
nad^  ibentifdj,  unb  e§  ift  fomit,  fd;Iie§t  ©d^elCing,  ©ijt^e  im  9ied;t  gegen 
9?eroton.    ^n  bcmfelben  ©eifte  fprid)t  er  über  ©otjäfion,   9Jfagnettfmu5, 
eieftricität,  2öärme,  6ljeinifmu§  u.  f.  m.    (gr  mac^t  fobann  ben  lieber^ 
gang  gur  organifd;en  Dtatur  mit   bem  @o|e  (§.  140):   bie  ©d^mcrfraft 
tcinne  a(§   blo^e  ^:poten5   ober  a(§  gsol  ntd)t  anbcrS  oIS  naä)  entgegen= 
gefeiten  91id;tungcn  gefeilt  werben;  bicfe  entgegcngefe^ten  ^ole  feien  in 
3lnfe^ung  be§  (55an3en  ^sflan^e  unb  ^^ier,  in  ainfe^ung  be^  einzelnen 
bie  beiben  ©efdjledjter.    Gr  be^eidjiiet  ben  DrgauifmuS^  al§  eine  Sotalitöt 
iä)M)ti)[]\,   wdd)e  hc^ijalh   il;r  eigener  ^med  fei;    er  fielet  in  il)m  bie 
^^erbinbung  be§  Sic^tS  (A^).  mit  ber  @d;roere  (A^),  alfo  A^,  bie  britte 
^otenj  ber  mit   bem  llcbergeraidjt   be§   Dbjeftiüen    gefetzten    abfohlten 
Sbentität;    er  geigt,   ba^  er  bie  9iatur  au^er  fidj  al§  bag  i^n  betermi= 
nirenbe  unb  erregenbe  DoranS^fe^e;   er  bel)auptet,  jebe  Drganifation  ent= 
ftetie  burd;  3)Zetamorpl)ofe,   bie  Drganifation  jebeS  SSehförperS  fei  ha§ 
l)eran§gefel)rte  innere  be^felben   unb  bnrdj   innere  ^Kermanbhtng  (5.  53. 
ber  erbe)  gebilbet,  mie  biefj  and;  bei  ber  inneren  ^bentität  aller  S)inge 
unb  ber  potentiellen  ©egenraart  üon   allem  in  allem  ganj  benfbar  fei. 
5)ie  ©tufenreilie  ber  organifd^en  9iatur  felbft  folhe  jebod;  erft  in  einer 
gortfe^uug  feiner  SDarftellung ,   bie  niemals   erfdjienen  ift,   t)orgefül)rt, 
unb  ebeubafelbft  foate  and)  bie  eonftruction  ber  ibeetten  dUi^e  gegeben 
unb   burd;   bie  brci  ^otenaen  berfelben  big  gu  bem  abfohlten  ©djiuer. 
punft  fortgelegt  werben,   in  meldjcn,  aU  bie  beiben  pdjften  2(u§brüde 
ber  Snb'iffereuj,   Söalirljeit  unb   ©c^ön^eit  fallen,     ©eine  2tbfid;t   mar 
alfo  allerbingS  bie:    von  ber  ^bee  ber  abfohlten  Sbcntität  au§  ba§  ge= 


542  ©c^etfing. 

fammte  Unberfum  im  ftufentoeifen  Fortgang  ooit  ber  untevften  f^orm 
be§  förperlid;eu  ®a[ein§  bis  gum  l^öd;ften  geiftigen  Seben  §u  conftmiren. 
2(6er  wa§  er  TOirfüd;  gegeben  f)at,  bleibt  nid;t  bloS  in  feinem  Umfang, 
fonbern  auä)  in  feiner  3Jietfjobe  nnb  58cf($affent)eit  l^inter  biefer  Stufgabe 
TOeit  gurüd.  ^e  me!)r  ber  ^t;i(ofoplj.fic§  bemüht,  feine  Sel^auptungen 
in  ber  ftrengften  mat^ematifd^en  gorm  ju  beroeifen,  um  fo  ftärfer  fällt 
e§  bem  Sefer  m'§  2Xuge,  mie  fefir  e§  feinen  ©ä|en  an  ^(ar^eit,  feinen 
Slbleitungen  on  33ünbigfeit  fe|It,  mie  oft  I)ier  ein  93tadjtfpru(f;  an  bie 
6te(Ie  eines  ^eroeifeS,  eine  unüerftänb(i(^e  gormel  ober  eine  rage  2(na= 
(ogie  an  bie  ©tette  eines  fc^^arfen  unb  beftimmten  ^egrip  tritt.  3SaS 
!,ä§t  fi(^  5.  ^.  it)iffenfd;aft(i(^  mit  2luSfprü($en  anfangen,  mie  ber 
(§  151  ff.),  "oalß  bie  Drgantfation  im  ©an^en  fomo{)ta(S  im  ©in^elnen 
als  9Jiagnet  betrachtet  werben  fönne;  baB  in  5lnfel)ung  beS  ©anjen  bie 
^flanje  ben  i^ol;len  =  ,  baS  St^ier  ben  ©tidftoffpol  repräfentire,  baS 
Xl)ier  atfo  füblii^  fei,  bie  ^ftange  nörblid;,  in  Slnfeliung  beS  ©injelnen 
biefer  ^ol  burd)  baS  männliche,  jener  burd^  baS  meibtid^e  @efdjled)t  be^ 
geidjuet  fei;  ba^  ber  ©tidftoff  bie  reelle  ^orm  beS  ©eins  ber  abfoluten 
^bentität  fei  u.  f.  m.?  Sin  treffenben  Söa^ruefimungen  unb  finnreid^en 
ßombinationen  fel)tt  eS  natürlich  anä)  f)kv  nid;t;  aber  je  melir  ber  ^^t;i= 
lofop^  3um  befonbern  unb  einzelnen  lierabfteigt,  um  fo  melir  gewinnt 
bei  xi)m  bie  ^liantafti!  baS  Uebergeroidjt  über  bie  p^ilofopl)ifd;e  Unter; 
fud;ung,  unb  ber  gormalifmuS,  meldjer  mit  hem  Schein  eincS  miffen- 
f(^aftlid)cn  S]erfal)renS  täufd;t,  baS  tlebergemidit  über  bie  mirl'lid;e  ^e- 
griffSentroidtung.  S)ie  33ebeutung  biefer  mie  ber  meiften  fd;ellingifd;en 
©d^riften  liegt  weit  mel)r  in  ber  2;iefe  unb  ©ro^artigfeit  ber  leitenben 
©ebaufen,  als  in  ilirer  befonnenen  SluSfülirung  3um  ©riftem. 

2ln  bie  eben  befproc^ene  Slblianblung ,  meli^e  il)r  ^erfaffer  an^ 
nod;  fpöter  für  bie  ur!unblid;fte  S)arfteIIung  feiner  Slnfic^ten  erflärt  l)at, 
fd;lief3en  fid)  graei  ©djriften  ouS  bem  ^ai)x  1802  an  ^).  ®en  2lnfang 
ma^t  aud^  l)ier  bie  ^het  beS  Slbfoluten  als  ber  abfoluten  ^bentität, 
mit  ber  ©d^eHing  je^t  auSbrüdlid^  (5.  f8.  IV,  353  ff.  372  f.)  uon 
gierte  auf  ©pino^a  3urüdgel)t:  baS  ßine  unb  ®mige,  in  meld^em  ber 
Unterfd)ieb  beS  befonbern  unb  SlUgemeinen,  beS  @nblid;en  unb  Unenb= 


1)  35runo  ober  über  ba§  giJttUc^e  unb  natürliche  '•:ßrincip  ber  ®inge.  (5tn  ®e= 
Ipxäii.  SDBSB.  1.  2(btf).  IV,  213  ff.  fernere  ©arftettungen  au§  bem  ©^jlem  ber 
'^^ilofop^te;  ebb.  333  ff. 


„SarrtcHung  meines  e^ftemS."  543 

Od^cTt,  be§  ^ealm  unb  ;SbeQten,  be§  STnfdjaueng  unb  3)enfen§,  fd;fc(^t= 
^in  aufgehoben  ift,  welches   nid;!  6[o§  ai§>  bie  ©in^eit  atter  ©egenfä^e, 
fonbern  auc^,   überfdjiüänglic^  genug,    qI^  bie  ©tn^eit  ber  ©tn^eit  unb 
be0  @egen[a^e§  Befd^rieben  wirb  (IV,  235  ff.).    S)iefe§  Stbfofute  fann 
nid^t  mit  ber  3teffe;Lion  unb  i^ren  enblid^en  ^ategorieen,  fonbern  nur  in 
ber  inteMtuetten  2lni($auung  ergriffen  werben,  weld^e  noc^  ©djeffing  (IV, 
361  ff.)  nic^t  nur  üorükrgeljenb,  fonbern  breibenb,  al§  unüeränberli^eS 
Drgon,    bie  33ebingung  aUer  äd)Un  SBiffenfd;aft  ift;    in  jenem  SBiffen 
be0  2lblo[uten,   iüe(dje  bie  gleidje  obfolnte   ßin^cit  ber  ^bealität  unb 
9iealität,  wk  im  9l(i fohlten  felbft,  unb  ba^er  mit  biefem  fc^Icdjt^iu  ©ing 
ift;  unb  um  bie  S)inge  au§  unb  in  ifim  ju  erfennen,  giebt  e§  (391  ff.) 
gleid^faflg  nur  (Sinen  Jöeg:  nid^t  bie  einfeitige  analytifd^e  ober  fpnt^etifc^e 
fonbern  bie  abiotute  Wctl)ohe,  bie  p^jitofopfiifd^e  eonftructton,  ober  raa§ 
bo=S]elbe,  bie  STemonftration.    Slüe  Singe  foüen  in  ifiren  ^heen  gebod;t 
werben,  e§  folf  in  affem  bie  ©iu^eit  be§  ^beeren  unb  diealen  angcfd^aut, 
e§   foE   jebe§   a[§>   ein  2lu§brud  ber  ungetfieilten  «oafommen^eit  beg 
Slbfoluten  unb   befjfjalb   felbft  aU  abfohit  unb  eraig  betrQd;tet,    e§  foll 
erfannt  werben,  ha^  jebeS  befonbere  im  äibfoluteii  ift  unb  umgefetjrt,  unb 
Weber  jenes  ot)ne  biefeS  nod^  biefeS  ofine  jene§  fic^  begreifen  läfjt,  fo  baB 
bemna(^  bie  ^fiitofopljie  überljaupt  nid;t  au§>  bem  9IbfoIuten  ^erauSge^t. 
©einem  SBefen  nad;  ift  nun  haä  Slbfoiute,   wie  ber  Söruno  (246) 
fagt,   weber  ibcot  nod;  real,   weber  SDenfen   nod;  Sein,    „^n  ber  Se^ 
gie^ung  aber  auf  bie  S)inge  ift  c§  notfiwenbig  ha§>  eine  unb  anbere  mit 
gteid;er  Unenblii^feit."    „2Sir  werben  atfo  in  bem  SBefen  jeneS  (ginen, 
wel($eö  üon  allen  Gntgegengefe^ten  weber  ba§  eine  nod;  ha§>  anbere  ift,' 
ben  ewigen  unb  unfii^tbaren  ä^ater  otter  S){nge  erfennen,  ber,  inbem  er 
felbft  nie  au§   feiner  Gwigfeit  t)erau§tritt,   Unenb(id;e§  unb  enblid^eS 
legreift  in  einem  unb  bemfelben  2(ft  göttlid^en   GrfcnncnS:   unh   ha§> 
Hnenblic^e  gwar  ift  ber  ©eift,  welcher  bie  ©in^eit  aller  Singe  ift,  ba§ 
©nblidje  aber  an  fid;  gwar  gleid;  bem  llnenblidjen,  burc^  feinen  eigenen 
Söitten  aber  ein  leibenber  unb  ben  53ebingungen  ber  3eit  unterworfener 
©Ott''  (a.  a.  D.  252).    Ober  wie  bie^  anberSwo  (IV,  374  ff.)  augge= 
fülirt  wirb:  ha?^  9Sefen  be§  Slbfoluten  fann  nur  aU  abfolute,  burc^ouS 
reine   unb  ungetrübte  ^bentität  gebadet  werben.    Slber  bem  Slbfoluten 
felbft  gleich  ift  feine  uotl)wenbige  unb   ewige  gorm,   ha§  abfolute  {gr= 
!ennen   (wag  au§  ber  Slbfolut^eit  ber  inteHeltueaen  STnid^auung  erhellen 
foU),   unb  biefes  vereinigt  in  fid;  Senfen  unb  6ein  in  ber  2lrt,  ba^ 


544  ©d^cüing. 

fie  fi(^  §raar  ibeell  eutöegenge[c^t ,  aber  reeH  fd^fed^t^in  ein§  finb.  S)a§ 
5)enfen  ift  an  imb  für  fic^  iinenblicfj,  ha§>  ©ein  an  unb  für  fid^  enblic^. 
2öir  l^aBen  alfo  auä)  f)ier  jene  brei  ^rincipien,  toeldje  fc^on  in  ber 
frü|)eren  ©arfteHnng  a(ö  bie  ©rnnbbeftimmungen  be§  ©pftemS  l)erüor= 
traten:  ba§  StOfohite,  \)a§>  Hnenblid^e  ober  3^eeIIe,  nnb  ba§  ©nblid^e 
ober  Sleelle;  nnb  bie  Olnfgabe  ift  eben  bie,  au§  biefen  gaftoren  bie  ©e- 
fammtf)eit  ber  ©inge  gn  conftruiren. 

^n  ber  abfohlten  ©in^eit  nnn,  fagt  @($elling  im  $8runo  (IV, 
258.  282),  fei  nicf;t§  üon  bem  anbern  nnterfd)eibbar,  ba  in  i^r  aKeS 
Doüfornmen  nnb  felbft  abfoint,  nnb  ba§  @nblid;e  in  x^x  nidjt  aU  enb= 
Ii(^,  fonbern  ot§  nnenblic^,  eutf)alten  fei.  3Bei(  aber  bag  ©nblicS^e,  ob; 
fd)on  reeller  Sßcife  bem  llnenblid;en  völlig  gleid),  bod;  ibecH  (feinem 
Segriff  nadj)  nid;t  anfpre,  enblic^  gn  fein,  fo  fei  in  jener  ©infieit 
glei(^n)0l)t  and)  mieber  bie  ©iffereng  aller  formen  fo  enthalten,  baB 
fidj  jebe§  an§  if)r  für  fid;  felbft  ein  eigenes  ßeben  nefimen  nnb  in  ein 
nnterfd;iebene§  ©afein  überge{)en  fönne;  mieroof)!  anc^  in  biefem  %a\l 
bie  einzelnen  S)inge  nic^t  mirfiid;  fo  getrennt  feien,  mie  mir  fie  erbliden, 
fonbern  jebem  3Sefcn  nnr  in  bem  Ma^e  an§  ber  ©in{)eit  I)eran§getreten 
crfdjeinen,  in  bem  c§>  felbft  fid;  von  if)r  abgefonbert  fiahe.  ®ie  3}Zög  = 
lidjfeit,  für  fid;  gu  fein,  fei  jebem  äßefen  Dorfier  beftimmt,  bieäßirf- 
lidjfeit  be§  abgefonberten  S)afein§  liege  nnr  in  i§m  felbft.  ©§  ift 
bieB  allerbing§  eine  fel)r  nufid;cre  Slbleitnng,  bei  ber  eS  meber  über  bie 
9^ot{)wcnbigteit,  nod;  über  bie  Sebentnng  be§  ©in^clbafeinS  gn  einer 
üaren  nnb  feften  S9eftimmnug  fommt.  i^nbeffen  fä^rt  ber  ^^ilofop^ 
fort,  als  ob  er  baSfelbe  bamit  mirflid),  nnb  nid;t  bloS  für  nnfere  S3or= 
ftetlnng,  gewonnen  ptte.  ©nrdj  bie  Trennung  ber  ®inge  yon  ipem 
Urquell  entfteljen  gmei  SBetten,  beren  tlnterfd;ieb  aber  bod;  immer  (mie 
ld)on  ©.  540  benierft  mnrbe)  nur  al§  ein  quantitatioer  betradjtet  mcr; 
ben  barf:  bie  reale  nnb  bie  ibeale,  bie  natürlid;c  nnb  bie  geiftige  ^). 
^ene  entftep   burc^  bie  2lufnaf)me  ber  llnenblid;feit  in  bie  ©ublid;feit, 


1)  2)ie  le^teve  nennt  Sd}.  in  beit  „^^evncren  Sarftcttiingcn"  (IV,  41G  f.)  and) 
bie  göttUd)e  SBelt,  ja  er  fagt  gevabe^u,  mie  bie  9?Qtnv  an  fid)  bctvad^tct  nid}ti3  anbcrcS 
fei,  al§  bie  ©inbilbung  be§  SefenS  in  bie  gi^r'".  i''  f"  ■^•'^  ©inbilbnng  bev  abfoluten 
;yorm  in  ba§  5öcfen  ba?^,  waS  anr  at§  ©ott  benfcn,  nnb  bie  '.'(Obilbcr  biefcr  ©in» 
bilbnng  jeien  in  ber  ibeeüen  SBett;  im  5(6fohiten  aber  [toben  biefe  bcibc  SBuigeln 
beSfelben,  ®ott  nnb  Dtatnr ,  in  ciiMger  ®nvd}bvingmig.  3'"  ^vnuo  {B.  3Ü7)  fielet 
bafür  nur:  (Sott  nnb  S'^atiiv  Jeien  nic^t  aujicr  eiuanbev. 


(Schriften  ü.  ^.  1802.  545 

beg  2öe[en§  in  bie  gönn,  biefe  bnrd;  Slnfna^me  ber  enblic^feit  in  bie 
rinenbli($feit,  ber  gorm  in  ba§  2Befen.  SBeil  aber  beibe  an  fid^  ba§= 
felbe,  bie  (Srfdjeinnng  begfelben  Slbfoluten  finb,  fo  finb  in  jeber  oEe 
brei  ^oten^en  enthalten,  nur  in  jeber  unter  einer  eigent^nmtic^en  S3e= 
ftimmung;  unb  ebenfo  ift  jebe  ^poten^  für  fid;  raieber  obfohtt,  [0  ba^ 
in  jeber  ade  fid)  raieberfiolen,  unb  in  jeber  hie  ganse  ^nbifferenj  be§ 
Söefeng  unb  ber  g-orm  onSgebrüdt  ift.  S)ie  ©inbilbung  be^  SBefenS 
in  bie  gorm,  bie  ©inbilbung  ber  gorm  in  bo§  2Befen,  unb  bie  ^neing= 
bitbung  beiber,  bie^  finb  bie  brei  SJbmente,  wel^e  in  jebem  ber  beiben 
©ebiete  fid^  abtöfen  unb  in  immer  neuer  Sßieber^orung  bie  entroidlung 
berfelben  beftimmen  (IV,  412  ff.). 

^n  ber  9tatur  ftellt  fid^  bie  ©inbilbung  beg  llnenbrid^en  in  ha§> 
@nblid;e  auf  ber  erften  ^otenj  al§>  ber  9iaum  bar,  roetc^er  raieber  in 
feinen  brei  S)imenfionen  bie  brei  ^oten5en  au^briidt;  bie  be§  ©üblichen 
in  ha§>  UnenbUc^e  al§  bie  ^eit;  ba§  2(bbi(b  be§  giuigen  im  enblid;en 
bagegen  ift  nur  bie  Diealität  felbft,  in  iE)rer  erften  Grfd^einung  bie 
e^raere^).  S)ie  jraeite  ^otenj  in  ber  realen  Sßelt  ift  bag  2i^t,  bie 
britte  ber  Drganifmu§  ^).  2Ba§  aber  ber  ^^ifofop^  bei  biefer  @efegen= 
fieit  wieber^ott  unb  auSfü^rtid^  über  ba§  ©onnenfyftem  unb  feine  @e= 
fe^e  bemerft,  fann  f)ier  um  fo  weniger  wiebergegeben  raerben,  je  gemalt^ 
famer  feine  Sebuftionen,  unb  je  mefir  i^nen  —  jum  S^eit,  me  e§ 
fd^eint,  in  abfid;tad;er  91ad;a^mung  platonifc^er  S)arfteIIungen  —  p§an= 
taftifd^e  ©temente  beigemifdjt  finb.  2Sir  mad;en  auc^  l^ier,  tüie  ge= 
TOö^nlic^  bei  iF)m,  bie  ©rfa^rung,  baß  er  um  fo  unffarer  unb  uuüer^ 
ftönblid^er  mirb,  je  me^r  er  üon  ben  allgemeinen  ^rtncipien  pm 
befonberen  fortge^it;  unb  aHe  bie  9iätt)fel,  raeldje  er  feinen  Sefcrn  aufgiebt, 
5U  löfen,  alle  Üueffen  ber  Untlar^eit  bei  i^m  auf5ufud;en,  mürbe  fid; 
t'aum  »erlognen,  felbft  menn  ber  dlaum  e§  üerftattete. 

Ser  gleidje  (2d;ematifmu§  mieberliolt  fid^  in  ber  geifttgen  SBelt. 
S)ie  ©eele  ift  an  fid;  unenblid;e§  (grfennen;  aber  fofern  fie  (ginaerfeele 
ift,  eyiftirt  biefeg  unenblid^e  (Srfennen  in  i^r  nur  als  enblid;e§,  fie  ift 
in  biefer  9iüdfid;t  mit  i^rem  Mb  ein§,  ber  ^Begriff  biefeS  beftimmten 
Seibes,  ja  biefer  fieib  felbft.    m  finb  ba^er  in  i§r  ^mei  ©lemente  t)er= 

1)  ©0  im  mefentlic^cit  im  Sruno  (IV,  263),  »omit  aUx  bie  fpätevc  ©arftetfuno 
(IV,  421.  426  ff.)  ni(^t  unmittelbar  fiimmt.  ^ 

2)  IV,  420  ff.  ögt.  VII,  184. 

SeHer,  ©cfc^i(^te  ber  beutf(f)en  513^irofot)|ie.  35 


546  ©c^eOing. 

einigt,  wel^e  fi(^  felOft  mieber  tote  Seib  unb  ©eele  oerfialten,  uitb  nur 
bie  ©inl^eit  biefer  ©femente  ift  ba§  ^^.  Sofern  nun  baS  ©rfennen 
enbli(|e§,  burd^  ben  Seib  bebingteg  ift,  erfc^eint  el  aU  2lnf(^auung,  fo* 
fern  e§  unenblic^  ift,  al§  S)en!en  ober  SBiffen.  l^ii  j^ber  von  beiben 
f^ormen  finb  roieber  brei  WlormnU  gu  unterfd^eibcn ;  bort  ©mpfinbung, 
^eTOuBtfein,  2lnfd;auung;  f)ier  begriff,  UrtJieil  unb  ©c^lu^.  Sluc^  biefe 
gtiebern  ft(^  bann  gleid;fall§  naä)  ber  ^rei3a{)(  in  breimat  brei  ^atc= 
gorieen,  ebcnfooiele  Slrten  beS  UrttieilS,  breiertei  ©(^(üffe.  Heber  biefe 
blo^e  SSerftanbeSerfenntni^  '^eU  fi(^  aber  biejenige  Slrt  be0  ©rfennenS, 
n)eld;e  ollein  bem  ©wigen  ül§>  fold^em  fic3^  guiöenbet,  jene  SSernunfts 
erfenntni§,  bie  atteö  in  feiner  SßefenSein^eit,  unter  ber  ?5^orm  unb  au§ 
ber  ^bee  be§  Slbfoluten  gu  begreifen  unternimmt,  jene  abfolute  5pf)ito; 
fop^ie,  ot§  bereu  ^auptformen  !f)ier  ©djeüing  hen  3Raterialifmu0 ,  ^n- 
teEeftualifmug,  9tealifmu§  unb  ^^C'^'^^f^^wS  be5ei(i^net. 

^^ac^  benfelben  ©efic^t^punften ,  roel(^e  (5d;etting  bei  feiner  6on= 
flruction  be§  UniüerfumS  feiten,  conftruirt  er  in  feinen  „SSorlefungen 
über  bie  3}Jetf)obe  be0  afabemifc^en  ©tubiumS"  (1803),  einer  uon  feinen 
angie^enbften,  ftarften  unb  in  ber  ?5^orm  roHenbetften  ©d^riften,  ben  Dr^ 
ganifmuS  ber  2Biffenfd;aften,  inbem  er  äunöd;ft  bie  ^f)ilofopl)ie  al§  bie 
ibeole  (Sinlieit,  ben  inneren  Drganifmu0  alleS  2Biffen§,  au§  ben  übrigen 
j^'äc^ern  f)erau§^ebt  unb  bann  innerhalb  ber  te^teren  nai^  bem  ©d^ema 
be§  Steafen,  ^bealeu  unb  ©roigen  bie  Sfiatnrroiffenfd^aft,  ®ef($id;te  unb 
S:f)coIogie  unterfd;eibet.  ^ur  3iaturiüiffenfdjaft  gef)ört  bie  3)lebicin,  jur 
©efd;ic^te  bie  9ted;t§n)iffenfd;aft ;  ber  9kturn)iffenfd;aft  entfpric^t  unter 
ben  reinen  ^ernunftroiffenfd^aften  bie  3)tat§ematif,  wä^rcnb  biefelbe  ju^ 
glei(^  in  il)xcx  gorm  ba§  in  jeber  53e3ie^ung  abfolute  ©rfennen,  baS 
pl)ilofopljifdje,  nad;bilbet.  3Son  ©d^elling'g  Erörterungen  über  biefe  t)er= 
fc^iebenen  SBiffenfd^aften  ^iel^en  namentlid)  bie  über  bie  ^lieologie  (o.  a. 
D.  286  ff.)  unfere  Slufmerlfamleit  auf  fid^,  raeil  fie  il)m  @clegenl)eit 
geben,  feine  2lnfid)t  über  bie  9leligion  unb  ba§  ß^riftentl)um  bargulegen. 
Slti  er  guerft  burc^  feine  t^eologifd;en  ©tubien  auf  biefe  ©egcnftänbc 
gefülirt  morben  mar,  ^atte  er  fid^  mit  benfelben  yorgugSmeife  nad^  ber 
|iftorifd;=fritifd^en  ©eite  befd^äftigt,  unb  er  ^atte  nod^  auf  ber  Uniyerfität 
namentlid)  bie  grage  nad;  ben  mi)tl)ifdjen  ©[erneuten  im  alten  unb  neuen 
Steftament  unb  nad;  ber  (Sntftebung  unb  bem  Q,^axatUx  ber  religiöfen 
9Jlvtl)en  überl)aupt  in  einigen  fleinereu  2lrbeiten  im  ©inne  be^  bamaligen 
9flatioualifmu§  geiftreid)  bct)onbelt.    (SSgl.  ©.  519.)    2l(§   er  fid^   bann 


SWct^obe  be§  ofab.  ©tubiutn«.  547 

bem  fid^te'fc^cn  ^bealifmug  juroanbte,   fiatte  fic^  ifim  ber  S3egriff  ber 
©ottl^eit  ä^nüc^,   wie  ^ic^te,    in  ben   ber  fittlid^en  Söeltorbnung  itnb 
i^ve§>  üerborgenen,  in  SBa^rfieit  nur  im  absoluten  ^ä)  liegcnben  @run; 
bei  aufgelöft  (f.  0.  ©.  537  f.);  bie  pofitiüe  9lcIigion  üon  bie[er  SSorau§s 
fe|nng  au§  ju  befpred^en,  too^u  ii)m  feine  @e[(^id)t§an[id^t  immerhin  hie 
"Mittel  gen3äf)rt  ^ätte,  faf)  er  fi(^  nid;t  üeranla§t.    Sagegen  glaubte  er 
auf  bem  <Stanbpun!t  ber  3^ent{tät§pf)itofopf)ie  5roif(^en  ber  fird^ti(j^en 
Seigre  ron  ber  S)re{einigfeit  unb  feinen  eigenen  Seftimntungen  über  ba§ 
Slbfolute  unb  bie  Offenbarung  belfelben  im  :3beafen   unb  Sflealen  eine 
fo  na^e  S?ern)anbtf($aft  gu  entbe(fen,  ba^  er  beibe  fd^on  im  ^runo  fi($ 
glei(^fe^t  (f.  0.  <B.  543);   noc^  beftimmter  gefd^ief)t  bie§  in  ben  „^ox- 
lefungcn",  raenn  er  J^tcr  (V,  294)  fagt:  SSerfö^nung  be§  von  ©Ott  ab^ 
gefattenen  enblid;en  burd^  feine  eigene  ©eburt  in  bie  ©nblic^feit  fei  ber 
©runbgebanfc  bei  ßfiriftent^nmg ,   unb   bie  33ottenbung  feiner  gongen 
2öeltanfid;t  liege  in  ber  ^bee  ber  S)reieinigf eit ;  ber  eroige  ©ol^n  ©otteä 
fei  ba§  ©übliche  felbft,  roie  e§  in  ber  eroigen  Slnfd^auung  @ottel  fei; 
biefe0  erfd^eine  aU  ein  leibenber  unb  ben  3Serl)ängniffen  ber  ^eit  unter- 
georbneter  ©Ott,  ber  in  bem  ©ipfel  feiner  ©rfc^einung,  in  ©^rifto,  hie 
Söelt  ber  ©nblic^feit  fd^lieBe  unb  bie  ber  Unenblid^leit  ober  ber  ^err- 
fd^aft  bei  ©eiftel  eröffne.  92eben  feinem  fpefulatioen  ^n^alt  roirb  ferner, 
roie  biefe  liierin  fc^on  angebeutet  ift,  au($  ber  gefc^id;trid;en  ^ebeutung 
bei  (S^riftentljuml  bie  pc^fte  Slnerfennung   gesollt,    ^on  hm  brei  5pe= 
rioben  ber  ©efd^id^te,  bie  je^t  etroal  anbcrl  geftellt  werben,  all  früher 
(oben  ©.  538),  foff  bie  le^te,  bie  ber  Sßorfe^ung,   burd^  bal  S^riften- 
tl)um  eingeleitet  roerben;   mit  i^m,   fagt  ©d^elling,   fei  ber  @d^lu§  ber 
alten  3eit  unb  bie  ©renje  einer  neuen,  bereu  ^errfd^enbel  ^rincip  ha^ 
Unenblid^e  roar,  baburd^  gemacht  roorben,  ha^  bal  roal^re  Unenblid^e  in 
bal  ©übliche  fam,  um  el  in  feiner  eigenen  ^erfon  ©ott  gu  opfern  unb 
babur^  pi  üerfölinen.  ©eine  erfte  ^bee  fei  bo^er  notliroenbig  ber  men^ä) 
geroorbene  ©Ott,   (5l)riftul  all  ©ipfel  unb  ©nbe  ber  alten  ©ötterroelt 
(V,  290  f.).    ©elbft  bem  firc^tid^en  Dffenbarungiglauben  nähert  er  fid^ 
burd^  bie  58el)auptung  (V,  286) :  ber  erfte  Urfprung  ber  9tetigion,  roie  je= 
ber  anbern  ©rfenntniB  unb  Äultur,  fei  aEein  aul  bem  Unterrid^t  p^erer 
Siaturen  begreiflid^.    Slber  fo   bead^tenlroert§   biefe  S3erüpunglpunfte 
mit  ber  pofitioen  S^eologie  finb,   fo  ift  bod^  ©d^etting'l  Stellung  ju 
berfelbjen  in  ber  ^auptfad^e  nod^  bie  einel  p^ilofop^ifd;ett  Slationalifmul, 
welcher  äroifd^en  ben  gefd^id^tlid^en   unb  hen  ibealen  ^eftanbt^eilcn  ber 

35* 


548  ©c^eßing. 

gteligion  f(3^arf  imterfd;eibet :  bie  religiöfe  Hekrliefening  al§  folc^e  ()at 
für  i^n  noc^  feine  wefentU^  p^ere  §8ebeututtg,  al§>  fte  für  einett  Rani 
ober  Seffing  Qe^aU  tiatte.    ®ie  ^emüf)ungen  ber  ^^eologen,  bie  ®ött= 
lid^feit  be§  (S^riftent^umS  auf  gefc§id;tlidjem  äöege,   auB  ben  Söunbern 
u.  f.  f.   gu  betoeifen,   erfc^eineu  if)m  üI§>  ein  raafirer  SSerrat^  an  ber  , 
^Religion;  ^a§>  eigentliche  Drgan  ber  ^fieologie  ift  i£)m  bie  ^f)ilofopI)ie, 
bie  wafire  S3ebeutung  if)rer  SeJiren  liegt  in  ben  fpefulatiüen  ^been,   bie 
fic  enttialten.    ®ie  SO^enft^roerbung  ©otteS,  erüärt  er,   fei  eine  3Jtenfd> 
Werbung  t)on  ©raigfeit,  ßfiriftuS  al§>  einzelner  bagegen  eine  üöHig  be= 
greiftic^e  ^erfon;  unb  wenn  er  if)m  jngeftefit,  ba^  feiner  üor  if)m  ba§ 
Unenbli(^e  auf  fotd^e  Sßeife  geoffenbart  f)abe,  fo  befiauptet  er  to^  3U= 
glci^,  im  ef)riftentf)um  fiabe  nur  berfelbe  religiöfe  S^ealifmu^,  tuelc^er 
t)on  ^nbien  au§  burd;  ben  gangen  Drient  geftoffen  fei,   fein  b(eibenbe§ 
S3ett  gefunben.    ®a§  ef)riftentf)um  war   aber  überbieB,  wie  er  glaubt, 
anfangs  nodj  lange  ni(^t  ba§,  raa§  e§  in  ber  golge  geworben  ift.  ©d^on 
im  ©eifte  beg  gJauluS  würbe  e§  etwa§  anbereS ,   al§  e§  in  bem  feineg 
erften  ©tifterS  war ;  unb  über  bie  biblifdjen  ©d^riften  urtlieilt  ber  ^^v- 
lofop^:   man  !önne  fid;  beS  @eban!cn§  ni^t  erwehren,   welc^  ein  ^in- 
berni§  ber  5ßollenbung  biefe  «üd^er  für  ba§  ©liriftentljum  gewefen  feien, 
bie  an  ää)t  religiöfem  ©eplt  feine  S^ergleidjung  mit  fo  üielen  anbern, 
t)orne^mlt(^  hen  inbif($en,   auc^  nur  t)on  ferne  au§l)alten.    @r  lobt  ba:= 
t)er  bie  römifd^e  ^ierarc^ie,  ha^  fie  biefelben  bem  3Solf  entjogen  l)abe, 
unb  bewunbert  bie  ßir(^enlel)rer ,  welche  au§  i^rem  bürftigen  i^nplt 
fo  t)iel  fpefulatiüen  ©toff  ju  gielien  wuBten.    ^e^t  aber,  fagt  er,  feien 
bie  Bi§l)erigen  formen  beS  ei)riftentl)um§  verfallen,  e§  fei  bie  offenbare 
tlnmögli(^feit,  eS  in  ber  eyoterifd^en  ©eftalt  3U  bepnpten;  ha§>  ©foterifc^e 
muffe  alfo  l)eroortreten  unb   t)on  feiner  §ütte  befreit  für  fid;  leud;ten, 
bi§  eS  wieber  in  neue  unb  bauernbere  formen  gefleibet  werbe ;  e§  muffe 
ba§  abfolute  ©oangelinm,  wel(^e§  bie  gil)ilofopl)ie  vorbereitet  l;abe,  üer= 
fünbigt  werben  ^). 

@o  fc^tie^t  ©(beding  feine  Setrad^tung  ber  Sfteligion  l)ier  nod^, 
äfinlic^  wie  fieffing  unb  ^ant  (oben  ©.  313  f.  408  f.),  mit  ber  ^or= 
bcrung  il)rer  geiftigen  «ollenbung.  ©rft  eine  SSeränberung  feines  eigenen 
e^ftemS  brad)te  i^n  ber  pofitioen  9teligion  fo  nal)e,   baB  er  biefe  als 


1)  2t.  a.  D.  296  ff-  »gl.  bie  2tb^anblung  „über  baS  53ev^ä(tntß  ber  S>faturp^ilc= 
fop^ie  jur  ^^ilofop^ie  überhaupt"  V,  117  ff. 


Uefcergang  jur  'X'i)to\op'i)\t.  549 

ein   n)e[erttli($e§  ©fement  in  feine  p^ifofop^ifi^e  ßonftruction  mit  Quf= 
june^men  rerfudjte. 

4.  St^etttug^g  UeBcrgong  jur  ^f)cofop^ic. 

S)a§  (Softem,  beffen  ©runb^üge  im  üorftefienben  borgefteHt  mürben, 
l^Qtte  feine  ©törfe  ni(^t  Mo§  in  ber  golgerid^tigfeit,  mit  ber  e§>  fi(^  anl 
bem  fid)te'f($en  ^i^eatifmn^  entroiiielt  l^atte,  fonbern  auä)  in  ber  ©ro^: 
artigfeit  feinet  ganzen  6tanbpnn!t§,  in  ber  Siefe  nnb  Sebenbigfeit  feiner 
SSeltanfc^anung,  in  ber  ©nergie,  mit  ber  ^ier  otte  formen  be§  ©ein§ 
auf  if)ren  abfoluten  ©runb  jnrütfgefü^rt,  al0  S^eite  ßineS  ©anjen,  aU 
©rgengniffe  berfelben  unenbtid^en  ^raft  erfannt  mürben.  2l6er  menn 
man  aud^  oon  allem  bem  abfiei)t,  maS  biefem  (St)ftem  von  Seiten  ber 
©rfafirungSmiffenfc^aft  ober  anberer  pf)iIofop|if(f;er  2lnfi(^tett  entgegen^ 
gefialten  werben  !onnte,  nm  e§  nur  na(5^  bem  3)^oBftab  gu  beurtl^eifen, 
ben  e§  felbft  un§  an  bie  ^anb  giebt,  fo  tö^t  fid^  bod^  ein  ticfge^enber 
9}iangel  fo  menig  überfe^en,  ha^  er  fid^  audf;  feinem  Urheber  felbft  nid^t 
lange  oerbergen  fonnte.  ©d^eHing  mar  üon  bem  ©nblid^en  auf  ba§ 
Slbfolute  gurücfgegangen ;  er  fiatte  atfe  Sefonberfieit  unb  alle  @egen[ä|e 
in'g  Slbfolute  üerfenft,  er  ^atte  alleg,  nadi;  ©pino^a'ä  Slnraeifung,  unter 
ber  gorm  ber  ©roigfeit  betradt;tet.  Slber  er  l^atte  e§  nic^t  »ermod^t, 
ja  er  {)atte  e§  faum  ernftlid^  üerfudi;t,  ba§  ©nblid^e  alg  fold^es  au0 
jenem  unenblidf;en  ^rincip  absuleiten.  ©r  ^atte  fidf;  bei  bem  (Sa|e  he- 
rufiigt,  ha^  alle»  feinem  SBefen  nadf;  au§  bem  Slbfoluten  gar  nid^t 
{)erau§getreten,  ba^  e§>  an  ficf;  bie  obfolute  ^bentität  fetbft  fei.  S)ag 
2IbfoIute  mar  bie  ^aä)t',  in  ber  aEe  Unterfc^iebe  ber  S)inge  auSgetöfc^t 
mürben,  aber  e§  fiatte  nid§t  bie  Äraft,  fie  au§  feinem  «Sd^o^e  roieber 
f)ert)orge^en  gu  taffen.  3n  feinem  ^Begriffe  lag  nid^t0,  voa§^  bie  befrem^ 
benbe  S:f)atfad^e  erflärte,  ba^  ha^,  raa§  an  fid^  @in§  ift,  fid^  ung  al§ 
ein  get{)eilte§,  ha^,  roa§  an  fidf;  ba^felbe  ifl,  all  ein  üerfd^iebenel  bar= 
ftettt.  Sludf)  ber  ^runo  (oben  ©.  544)  fiatte  biefel  in  feiner  2Beife 
begreif üd^  gu  mad^en  üermod;t.  S)a§  ©nblid^e,  fagt  er,  fönne  fid^  au^ 
ber  abfotuten  ßinfieit  fein  eigenes  geben  nehmen.  2l(§  ob  e§  fi^  bei 
ber  ^rage  nad^  bem  IXrfprung  ber  SBelt  um  eine  blo^e  3)lögrid[;feit, 
etmaS  gufättigeS  unb  mittfüfirlid^eg,  fianbelte;  unb  al§  ob  ha§>  ©nblid^e 
nidi;t  fd^on  al§  @nblid^e§,  in  feinem  Hnterfd^ieb  t)om  Slbfoluten,  gefegt 
fein  müBte,  menn  e§  im  Qianhe  fein  fott,  ficf;  au§  bemfelben  fein  eigenes 
M^en  gu  nefimen.    Unb  bod^  giebt  ©d^elling  felbft  ju,   eS  fei  bie  erfte 


550      •  ©c^eßing. 

unb  ttot^raenbige  2lbfi(^t  ber  ^{)Uof op^ie ,  bie  ©eBurt  atter  S)in9C  aus 
©Ott  unb  bem  Slbfoluten  ju  begreifen  0.    S)ie[er  Slufgabe  ^attc  er  bis 
ba^in  ni(^t  entfprod^en.  2luc^  in  ben  SSorlefungen  über  baS  afabemifd)e  . 
©tubium  ma6)t  er  nur  einen  fd^road^en  SSerfuc^  baju.    S)ie  ®inge,  jagt 
er  (V,  317  f.  324),   feien  in  @ott  burd^  ifire  ^been;   ba  aber  biefe 
nid^t  tobt  feien,  fonbern  lebenbig,   bie  erften  Drganifmen  ber  göttlid^en 
©elbftanfc^auung,  bie  an  allen  ©igenfd^aften  feines  SBefenS  tiieilne^men, 
feien  fie,  gleich  @ott,  probuüit),  fie  bilben  ifire  SBefenfjeit  in  baS  Se. 
fonbere  unb  machen  fie  bur^  einzelne  Singe  erfennbar;   fie  vev^iaiten 
fid^  als  bie  ©eelen  biefer  Singe,   unb  wenn  ein  ©nblid^eS  als  fold^eS 
baS  ganje  lXnenbli($e  in  fid^  gebilbet  trage,   roie  ber  üoafommcnfte  Dr= 
ganifmuS,   fo  trete  baS  Söefen  beSfelben  aud^  rairftid)  als  ©eele,   als 
3bee,  gu  il)m  ^inju,   unb  bie  gtealität  löfe  fi^  in  ber  Vernunft  lieber 
in  :3beaUtät  auf.    ®er  Uebergang  üom  2Ibfoluten  gum   ©nblic^en  ift 
bamit  nid^t  erklärt.    2öill   man  aud^  mit  bem  513l)ilofopl)en  über  feine 
fonftigen  a>orauSfe^ungen  nid^t  redeten,  roitt  man  eS  fid^  aud^  gefallen 
laffen,   ba§  baS  Slbfotute  feinen  ^nlialt  in  einer  ^beenroelt  ausbreitet, 
fo  bleiben  bod^  biefe  ^^been  burd^auS  im  Slbfotuten  unb  felbft  bie  weitere 
Slnnalime,  baB  fie  gleidfifatlS  probuftio  feien,  füljrt  nidjt  weiter:   ba  in 
il)ren  erseugniffen  nicl)tS  fein  fann,   maS  nid^t  burd^  bie  ©d^öpferfraft 
ber  Sbeen  in  i^nen  gefe|t  wäre,  fo  finb  biefelben  ebenfo,  wie  jene,  ron 
ber  @inl)cit  beS  Slbfoluten  umfd^loffen,  unb  eS  bleibt  burd^auS  rät^fel- 
f)aft,   roie  fie  auS  i§r  lierauStreten ,    ober  aud^  nur  fid^  felbft  auS  i^x 
l)erauSgetreten   erfd^einen   fönnen.    Senn   aud^   baS   le^tere   mürbe  ja 
f(^on  eine  SoSreifeung  ber  Singe  vom  Slbfoluten  oorauSfe^en;   an  fid^ 
finb  fie  ja  ßinS  mit  il)m,  nur  roenn  fie  fid^  in  ilirem  eigenen  S3erou^t^ 
fein  von  il)m  getrennt  l)aben,   fann  it)nen  ber  ©d^ein,   als  ob  fie  von 
it)m  getrennt  feien,  entftelien. 

2lud^  bem  ^l)ilofopl)en  felbft  machte  fid^  biefe  fiüdfe  in  feinem  ©r- 
ftem  balb  genug  fülilbar.  ©dl)on  1804  felien  wir  if)n  in  ber  meifwür^ 
bigen  Keinen  ©d^rift  „gifiilofopliie  unb  Sfleligion"  33eränberungcn  mit 
bemfelben  oornel)men,  bie  er  gwar,  wie  gewölmtid^,  nid^t  als  fold^e  an= 
erfannt  l)at,  bereu  S3ebeutung  fid^  aber  tro^bem  nid^t  uerfennen  läBt. 
2(n  fid^  felbft,  fagt  er  l^ier  (VI,  29  ff.),  fei  baS  3Ibfolute  nur  ibeal. 
Slber  gleicl)  eroig  mit  bem  fd^(ec^tl)in  i^bealen  fei  bie  ewige  ?form;  ba« 

1)  Wlttl).  b.  afab.  ©tub.  V,  324. 


Ucbergong  jur  2;f)C0j0p^ic.  551 

Slbfolute  fönne  nid^t  of)ne  bie  2lb[otut^eit,  @ott  nid^t  o^ne  fein  6elbft= 
erfennen  gebadet  tüerben;  iitib  fraft  biefer  gorm  roerbe  bog  ^beale  im 
Realen  a(§  feinem  ©egenMIbe  objeftio.  Sag  2lbfo(ute  fönne  aber  nid^t 
©runb  üon  Qtma§>  fein,  ba§i  nidf;t  gleich  i^m  abfolut  märe;  ha§  dleaU 
fei  bafier  al§  ein  anbereS  Slbfotuteö  5U  betrad^ten,  unb  e§  mnffe  be^- 
f)a(b  aud^  bie  3Jiad^t  i)aben,  feine  i^^^^^^tät  g(eid;fatt§  in  Stealität  um= 
jnroanbeln  unb  in  bcfonberen  ^^ormen  ju  objeftiuiren.  S)iefe§  jroeite 
^robuciren  fei  nun  ba§  ber  ^been,  roetc^e  if)rerfeit§  noti)ioenbig  raieber 
auf  gieidf;e  SBeife  probuftio  feien.  2(ber  raie  bie  i^been  il^r  ©ein  nur 
in  berlXrein^eit  f)aben,  fo  probuciren  fie  au(^  nur  2lbfolute§;  bie  gange 
abfolute  SBeit  rebucire  fic^  bal^er  mit  aEen  Slbftufungen  ber  SBefen  auf 
hie  abfolute  6inf)eit  ©otteä,  fo  ba§  nid^t§  ma(;r^aft  befonbereS,  nid^tS 
in  ifir  fei,  ba§  nic^t  abfolut,  ibeal,  reine  natura  naturans  märe.  3Son 
biefem  Slbfoluten  gum  2Birt(icf;en  gebe  e§  feinen  ftetigen  Uebergang,  ber 
IXrfprung  ber  ©innenraeit  fei  nur  burc§  einen  ©prung,  eine  Entfernung, 
einen  Slbfatt  üom  Slbfoluteu  benfbar.  Sie  3Jiögfic^feit  biefeg  Slbfall^ 
liegt  nad;  ©(^elling  in  ber  j^^reifjeit,  roeld;e  bem  ©egenbilb  be§  2lbfo= 
luten  a(0  fold^em  gufommen  mußte ;  ber  ©runb  feiner  2ßirflid;feit  einzig 
in  bem  SlbgefaUenen  felbft,  roel^el  bafier  nur  burd;  unb  für  fid)  felbft 
ha^  9iidjt§  ber  finniid^en  Singe  probucirt.  2Ba0  urfprüngüdj  in  ber 
©eele  als  i^^ee  mar,  ha§'  erzeugt  fie  je^t  ala  ein  9?ea(eS  unb  bemnad; 
als  Sf^egation  ber  ^öee;  fie  fc^afft  bie  natura  naturata  alS  baS  Stbbilb 
ber  i^bee  im  9iid^tfeienbcn,  bie  ^^it  unb  ben  9iaum  unb  bie  3Jtaterie, 
biefeS  ©c^einbilb  ber  maf)rcn  Steaütät;  fie  fd;aut  im  Sid^te  fid^  felbft 
raiebcr  hinein  in  bie  D^Jatur  unb  erbtidt  bie  :3öeen  in  it)rcn  unmitte(= 
baren  Slbbilbern,  ben  ©eftirnen.  ©eine  äu^erfte  ©pi^e  erreid;t  i^r  ^^ür^ 
fid^fein  in  ber^c^fieit;  in  berfeiben  erfolgt  aber  aud;  bie  Umfeijr,  inbem 
bie  llreinfieit  als  ^'ernunft  in  bie  abgebitbete  2öe(t  fiereinfäüt.  Sie 
9ftüdfef)r  in  bie  ^beairaelt  »oU^iefit  fic^  für  bie  einzelnen  burc|  i^r  in= 
biüibuelleS  Seben,  beffen  festes  Qkl  aber  nic^t  eine  enbfofe  perfönlid^e 
gortbauer,  fonbern  baS  ^urücfge^en  ber  ©eeten  in  if)ren  Urfprung,  bie 
Befreiung  üon  ben  Sanben  ber  ©innlid;feit  ift;  für  baS  Uniuerfum 
burc^  bie  ©ef^id^je,  biefeS  „(SpoS  im  ©eifte  ©otteS  gebid^tet",  beffen 
smei  |)auptpartf)ieen  bie  Entfernung  ber  3JJenfc^§eit  üon  ifirem  Zentrum 
unb  bie  9tüdfef)r  5u  if)m  finb,  jene  bie  ^(iaS,  biefe  bie  Dbyffee  ber 
©efd^id^te.  2In  hcn  Stnfang  ber  ©efd^id^te  ftettt  ©c^eüing  aud^  l)ier 
mieber,  fognr  nodi  beftimmter,  als  früf)er,   bie  Er^ie^ung  ber  3J?cnf(|eu 


552  ©d^eüing. 

hvLxä)  pfiere  9^Qturen,  ein  golbenes  3eitatter,  in  bem  an(^  bie  @rbe  noc^ 
üottfommener  geraefen  fein  fott ;  at§  i^re  @nbab[id^t  k^eii^net  er  bie  SSer= 
fö^nung  be§  Stbfallg,  welcher  fid)  bann  aB  Mittel  ber  üoHenbeten  Dffen^ 
barung  ©otteg,  ber  felbfterworbenen  2lbfoIntf)eit  ber  ^been,  erweifen  foll. 
3}tit  ber  ^Mh^x  ber  ©eeten  in  ©ott  foE  bie  ©innenraelt  in  ber  ©elfter- 
roelt  Derf(^rainben.  ©(^elling  f(^lieBt  fi^  mit  biefen  2lnfic^ten  t^eil§  an 
^lato,  tf)eil§  nnb  befonberS  an  bie  $nenpIatoni!er  nnb  ©cotnS  @rigena 
an.  ^Un  biefeS  fott  an^  ber  eigentliche  ^nlialt  ber  Steligion  fein;  ber 
aber,  wie  ©(^etting  n)itt,  nur  efoterifd^,  in  SOiijfterien,  überliefert  werben 
foKte;  benn  eine  raalire  Deffentlict;!eit  fönne  eine  ^Religion  bod^  ni(^t 
liaben,  ber  e§>  an  einer  auf  ^laturfgutbolif  gegrünbeten  2}lt)tl)ologie  fel)le. 

©0  f(^tt)ungt)ott  aber  ber  ^p^ilofopl)  biefe  ©ebanfen  auSgefütirt  ^at, 
auf  bie  ^auer  wu^te  er  \iä)  boc^  bei  benfelben  nic^t  ju  berul)igen.  Sie 
enbli(^e  2öelt  au0  einem  2lbfall  ber  ^been  ober  ber  Seelen  erflären, 
liei^t  in  SOßalirl^eit  fie  gar  ni(^t  erflären;  benn  bie  3)Zögli(^!eit  biefe§ 
2lbfaa§  mü^te  boc^  wieber  erflctrt  werben,  unb  fie  fann  bie§  (wie  fc^on 
©.  549  bemerlt  würbe)  nur  unter  ber  SSorau^fe^ung ,  baB  bie  2lbge= 
fallenen  auc^  vov  ilirem  Slbfatl  fc^on  enbli(^  waren.  @§  wieber^olt  fi(^ 
balier  bie  ^rage,  wie  au§  bem  Slbfoluten  ein  ©nbliii^eg  ^ert)orgel)en 
konnte,  unb  man  fiel)t  fic^  immer  wieber  in  bie  3^otl)wenbigfeit  t)erfe|t, 
entweber  ha§>  ©afein  be§  @nbli(^en  überhaupt  für  einen  bloßen  ©c^ein 
äu  lialten,  t)on  bem  aber  fd)wer  gu  fagen  wäre,  wie  unb  für  wen  er 
entftelien  !ann,  ober  ba§  ^princip  be§  enblic^en  S)afein§  in  baS  2lbfo= 
lute  felbft  SU  verlegen,  welches  bann  aber  ni(^t  me^r  in  bem  gleid^en 
(Sinne,  wie  bialier,  ala  bie  abfolute  ^bentität  gefaxt  werben  fann. 

2Bir  feilen  nun  ©c^elling  wirllid;  noc^  längere  3ett  unfid^er  bar= 
über,  welchen  t)on  biefen  gwei  Sßegen  er  einfd;lagen  foHe.  ^n  bem= 
felben  ^a^xe,  in  bem  „^l)ilofopl)ie  unb  9leligion"  erf^ien,  fagt  er^) 
au(^  wieber  (wie  oben  ©.  540),  atte  SSefonberljeit  fei  rektio  auf  ha^ 
m  blo|e§  ^nic^tfein,  bag  Seben  beg  53efonberen  in  fid;  felbft  fei  ge= 
trennt  tjon  bem  £eben  in  ©ott  ein  blofeeS  ©(^einleben,  unb  bie  ^^ilo= 

1)  S«  i>«»n  „®pftcm  ber  gefammtcn  ^^^itofop^ie  unb  ber  9Jaturpl)itofop^tc  mS'- 
befonbere",  tcelc^eä  1804  gejc^rieben,  aber  evft  1860  (2B.  2B.  1.  5lbt^.  VI)  gebtucft 
tDurbe,  @.  187  f.  S^iä^et  glaube  ic^  in  ben  ©renscn  ber  gegenwärtigen  ©arfteCung 
Weber  auf  biefe  noc^  auf  anbere  erft  nac^  ©c^eüing'S  Sob  befannt  geworbene  ®c^rtf= 
ten  eingeben  ju  fotten,  ba  biefetbeu  auf  ben  Fortgang  ber  beutfdjen  ^^ilofop'^ie  feiner- 
lei  einf(uß  gehabt  ^aben. 


Uebergang  jur  S^eofopl^ie.  553 

fop^ie  Urne  bie  ©rfd^einung  a\§  pofitioe  'Siealität  nid)t  ableiten,  loeit 
fie  eben  nur  bag  Sfiid^tfein  ober  ba§>  md)t''Wa^xe  ©ein  ber  S)inge  fei. 
©elbft  nod^  1806  erflärt  er  M  in  öl^nlic^er  2Beife  ^).  S)a§  allein  S^eale 
im  M  finb  nad^  biefer  S)arftellung  bie  „^ßoftttonen"  (baSfelbe,  n)a§ 
@(^.  fonft  3been  nennt),  welche  mit  ©otteg  ^ofition  feiner  felbft  gefegt 
nnb  in  if)m  begriffen  finb;  otter  Hnterfc^ieb  unter  hen  Singen  unb  alle 
©nblid^feit  befielt  nur  in  ben  Dielationen  biefer  Sßefen^eiten  gu  einanber, 
ift  aber  ebenbe^fiatb  etraaa  an  fi(^  felbft  nichtiges,  etwa^,  ba§  überaff 
feine  ©yiftenj  ^at.  Mi  biefen  (2ä|en  befinben  wir  ung  nod^  ganj  auf 
bem  ©tanbpunÜ  ber  iSbentität^p^ilofopfiie.  Sagegen  fagt  ©tf^etting  in 
bem  gleichen  ^afir  in  ber  ©treitfd^rift  gegen  gid^te  (VII,  54  ff.)  faft 
mit  ben  SBorten  be0  alten  S^eofop^en  (f.  0.  ©.  16),  auf  ben  er  fd^on 
feit  einigen  ^afiren  burd^  ^r.  Saaber  aufmerffam  gemad^t  raorben  war : 
ein  Sßefen,  bag  blog  e§  felbft  märe,  aU  ein  reinem  @in§,  märe  not^:= 
raenbig  o{)ne  Offenbarung  in  i^m  felbft;  folle  eg  alg  (ging  fein,  fo 
muffe  eg  fic^  offenbaren  in  il)m  felbft;  e§  offenbare  fic^  aber  nid^t,  roenn 
e§  blo§  el  felbft,  menn  e§>  nid^t  in  i^m  felbft  ein  anbere§  unb  in  biefem 
anberen  fid^  felbft  baS  @ine,  alfo  menn  e0  nic^t  überhaupt  bag  lebenbige 
S3anb  üon  fic§  felbft  unb  einem  anberen  fei.  Sie  göttlidf;e  ßin^eit  fei 
t)on  ©migfeit  eine  lebenbige,  mirflidl;  eyiftirenbe;  bief3  fei  fie  aber 
nur  in  unb  mit  ber  gorm.  Sag  2Befen  gebäre  fi^  alfo  emig  in  bie 
gorm,  eg  offenbare  fid^  alg  bie  ©in^eit  im  ©egentfieil,  momit  benn 
aud^  bag  93iele  fei,  aber  nur  fei  burc^  bagjenige,  moburc^  eg  nidl;t  baä 
33iele  ift,  fonbern  üielme^r  bag  @ine  in  bem  SSielen,  uämlid^  burc^  bag 
S3anb  ber  fid^  offenbarenben,  b.  |.  eyiftirenben  ©inlieit  mit  ilim  felbft. 
@g  eyiftire  alfo  ma^rliaft  meber  ha§>  ©ine  alg  haä  ©ine,  nodfj  bag  Stiele 
alg  bag  SSiele,  fonbern  eben  nur  bie  lebenbige  ßopnla  beiber;  @ott  fei 
roefentlidf;  ha^»  S3anb  beg  emigen  SSefeng  alg  ©ineg  unb  begfelbigen 
eraigen  SBefeng  alg  SSielen,  unb  er  fei  nid^tg  wie  biefeg  SSanb.  Sag 
SBefen  l)abe  ben  ©egenfa^  emig  unb  urfprungglog  in  fiel;;  aber  nur 
bie  urfprünglid^e  @intra(^t  feiner  ©elbftgleidjlieit  in  i^m  offenbarenb, 
trete  eg  aug  i^m  alg  Slll^eit  ober  abfolute  Totalität  ^eroor.  Siefeg 
cmige  ^neinanberfd^einen  beg  SBefeng  unb  ber  gorm  fei  ha§^  dieiä)  ber 
Statur  ober  ber  eroigen  ©eburt  ©otteg  in  ben  Singen  unb  ber  gleid^ 

1)  3Ip^orijmen  3.  @tnL  in  bie  i^aturpl^irofop^ie.    SB.  2S.  l.  mih.  VII,  159  ff. 
180.  189  f. 


554  ©d)eQtng. 

eraigen  SBieberaufnoIitne  biefer  S)inge  in  @ott.  ^n  btefen  2leu^erungen 
roefit  uttüerfennbar  ein  anberer  ©eift,  aU  in  benen,  raetd^en  rair  einige 
3at)re  oor^er  begegnen.  2öenn  ber  5ß{)i(ofop{)  bantat§  jeben  inneren 
©egenfa^  üon  bem  2(b[olnten  onf'§  angetegentlidfifte  abroef)rte,  fo  erilärt 
er  ie§t,  ©Ott  fönne  ol^ne  einen  fold^en  nid^t  aU  raa^rfiaft  rairflid^  ge= 
bac^t  werben,  nnb  er  finbet  eben  iiierin  and)  ben  ©runb  feiner  Offen: 
barung  in  ber  SBelt. 

Seftimmter  iiat  ©c^efling  biefen  ©ebanfen,  an  ber  ^anb  3-  ^öf)me'§, 
in  ben  „Hnterfndjungen  über  baS  äßefen  ber  menfc^tid^en  greil^eit" 
(1809.  2B2B.  VII,  331  ff.)  nnb  an  einigen  onbern  Drten  ^)  anigefüfirt. 
k)u^  gerobe  fott  eS  fein,  it)ie  @d)elling  jegt  fagt,  wa§'  nnl  über  bie  Seb^ 
lofigfeit  nnb  ©tarrfieit  be§  ©pinojifmu^,  über  feine  mec^anifd^e  Df^aturon- 
fid)t,  über  feinen  gangen  einfeitigen  9lealifmng  f)inanlfüf)rt,  raai  nn§  einen 
lebeubigen  @ott  nnb  einen  lXnterfd;ieb  ber  ^inge  uon  @ott  anjnnefimen 
möglid^  niad;t,  bafe  graifc^en  ©olt  felbft  im  abfohlten  ©inn  nnb  beni= 
jenigen  in  ©Ott  nnterfc^ieben  rairb,  loaS  nid^t  er  felbft,  f onbern  ©rnnb 
feiner  ©yiftenj  ift.  S)a§  göttliche  SKefen,  wie  eS  aUen  ©egenfä^en  oor^ 
angef)t,  ni(^t  al§>  bie  abfolnte  ^^entität,  fonbern  aU  bie  abfolute  ^n= 
bifferenj,  ba§  reine  SOSeber^^Iod;  berfelben,  ift  ber  Urgrunb  ober  t)ielmel^r 
ber  Ungrnnb.  $Diefer  Ungrunb  mn^  aber  notfiraenbig  in  groei  gleich 
eroige  2lnfänge  an^einanberge^en.  S)enn  wie  überaß  ba§  3]ottfommene 
au§  bem  UnüoHfommenen  f)ert)orgef)t ,  ta^  Sid^t  au§  ber  ginfternife, 
bag  Sebenbige  au§  bem,  ma§>  üor  nnb  unter  ii)m  ift,  fo  muB  eä  auö) 
bei  ©Ott  fein.  2(ud)  er  muB  eine  ©runblage  feiner  ©yifteng  ^aben, 
roenn  aud^  freilid;  feine  oon  i!)m  nnabf)öngige  nnb  verfdjiebene,  fonbern 
eine  fold^e,  bie  oon  i^m  feibft,  nad;  bem  einen  ©eftanbt|)eil  feinet  Söe^ 
fen§,  nid^t  oerfc^ieben,  nid;t  über,  fonbern  unter  it)m  ift;  nnb  wenn  er 
felbft  in  feiner  3]oIIfomment)eit  ber  ^öä)\k  SSerftanb  ift,  fo  roirb  biefer 
©runb  nur  all  bunfei,  ■öerftanb;  unb  ben)U§tIo§,  rocnu  er  ber  ©eift  ift, 
fo  TOirb  jener  nur  mit  58i3t)me  (f.  o.  ©.  17)  a(§  bie  3Jatur  in  ©Ott 
begeid^net  werben  fönnen.  S)a§  gleiche  ergiebt  fid)  aber  aud)  au§  ber 
S3etrad)tung  ber  2BeIt.  ®enn  alle  5Dinge  finb  im  Sterben;  merben 
fönnen  fie  aber  nid^t  in  ©ott,  abfolut  betrad^tet,  ba  fie  unenblid) 
oon  if)m  oerf^ieben  finb,   fonbern  nur  in  einem  oon  il)m  rerfd^iebenen 


1)  ©enfraal   ber   ©c^vift   ^afobi'S   öon   ben   göttlichen  Singen   (1812)   SB.  S33. 
1.  2l6t^.  VIIT,  54  ff.  ?(i'fn?crt  on  (gfc^enmatjet  (b'ö.  164  ff. 


2)ie  ©d^rift  über  bie  ^tei^cit.  555 

©runbe;  ba  aber  bod^  nid^tS  auBer  ©Ott  fein  tann,  fo  Bleibt  nur  übrig, 
baB  fie  ibren  @runb  in  bem  f)aben,  n)a§  in  ®ott  nid^t  er  felbft  ift. 

S)ie[er  @runb  ber  ©yiftens  @otte§,  fagt  nun  ©d^elling,  fei  bic 
6ef)nfud^t,  bie  ba§  eroig  ©ine  empfinbe,  fid^  felbft  ju  gebären.  3)iefe 
©e^nfud^t  fei  nid^t  baS  ©ine  felbft,  aber  bod;  mit  if)m  gleid^  eroig.  ©o= 
fern  fie  @ott,  b.  i).  bie  unergrünbli(^e  ©inf)eit,  gebären  rootte,  fei  fie 
äwar  SBille;  aber  nocf;  ein  foldjer,  in  bein  fein  SSerftonb  fei,  bal^er  oud^ 
ni(^t  felbftänbiger  unb  üoUfommener  äöiUe ,  aber  bod^  ein  SBillen  be§ 
S^erftanbeS,  nic^t  ein  berou^ter,  fonbern  ein  af)nenber,  beffen  Stauung 
ber  SSerftanb  fei.  S)ieB  fei  jene^  9^egeIIofe,  haä  immer  nodf;  im  ©runb 
aller  Drbnung  in  ber  SBelt  liege,  jene  unbegreiftid^e  S3afig  ber  S^ealität 
in  ben  2)ingen,  jener  nie  aufgelienbe  '^e^i,  ber  fid^  nic^t  in  hen  SSerftanb 
auflöfen  taffe.  2lu§  biefer  ©el)nfud^t,  biefer  erften  bunfeln  S^tegung  be!§ 
göttlichen  S)afein§,  erzeuge  fi(^  in  @ott  felbft  eine  innere  refleyioe  SSor- 
fteHung,  burc^  roeli^e  er  fid^  felbft  in  einem  ©benbilb  erblide.  ^n  biefer 
S3orftettung  guerft  fei  @ott,  abfolut  betradjtet,  oerroirflid^t,  fie  fei  im 
Slnfange  bei  @ott  unb  ber  in  ©ott  gezeugte  ©Ott  felbft.  ©ie  fei  äu= 
gleid^  ber  S3erftanb,  ba§  2Bort  jener  ©el)nfud^t,  unb  ber  eroige  @eift, 
von  ber  Siebe  beroogen,  bie  er  felbft  fei,  fprei^e  ba§  SS^ort  au§,  ha'^ 
nun  ber  $ßerftanb  mit  ber  (Selmfud^t  jufammen  freifd^affenber  unb  all- 
mäd;tiger  2Bille  werbe. 

^§>  wäre  vergebliche  3)iül)e,  biefe  S)arftellung ,  roeld^e  ehen  nur  im 
|>ettbun!el  einer  bid^terifdjen  ©pefulation  i^re  eigentt)ümlid;e  ^-arbe  be- 
roal^rt,  auf  beutlic^e  unb  roiberfprud^^lofe  Segriffe  jurüdfüliren  §u 
rooUen.  2Bir  werben  e§  ebenforoenig  auf  un§  nehmen  fönnen,  fie  gu 
ber  fird)lid^en  Seiire  t)on  ben  brei  göttlichen  ^erfonen,  mit  roeldjer  (Sd^el= 
ling  felbft  fie  ju  oerl'nüpfen  üerfu($t,  in  ein  llareS  SSerl)ättniB  ber  lieber^ 
einftimmung  §u  fe|en.  Söenn  enblid^  bie  Slbfolutlieit  bc§>  göttlid^en 
Sßefen^  mit  einer  @ntroidlung  be§felben  au§>  bem  ©runbe  fid^  nid^t 
»ertragen  will,  fo  erlaubt  un^  bod^  ber  ^^ilofopl)  felbft  fo  wenig,  bie 
le^tere  §u  befeitigen,  ha^  er  aud;  nod^  fpäter  (VHI,  170)  auSbrüdlic^ 
erllärt,  @ott  fei  nic^t  t)on  ©roigl'eit  im  ^uftanb  ber  2lltualität  unb  ber 
geoffenbarten  (g^-ifteng  geroefen,  fonbern  er  liabe  im  @egentt)eil  einen 
Slnfang  feiner  Offenbarung  gemacht. 

3^ad^bem  nun  ber  33erftanb  fd;öpferifd^er  Sßille  geworben  ift,  hc- 
wirlt  er,  —  um  in  unferem  S3eric^t  fort^ufal^ren  —  in  ber  anfänglid^ 
regellofen  Statur  bie  ©d^eibung  ber  Gräfte,  l^ebt  aber  ebenbaburd^  bie 


556  ©c^emng. 

im  ©e[($iebenen  üerfd;(offene  ©in^eit,  bett  üerBorgenen  ßid^tblicf,  f)ert)or. 
3)ie  in  biefer  ©dieibung  getrennten  Gräfte  finb  ber  ©toff,  au§  welc^etii 
na(^t)er  ber  Seib  gebilbet  wirb,  baS  all  3JiitteIpnn!t  ber  Gräfte  ent^ 
fte!)enbe  lebenbige  S3anb  ift  bie  Seele.  S)iefer  gange  ^roce^  t)oIl5iel)t 
fid^  aber  nnr  attmä!)Ii(^:  bei  hem  SBiberftreben  ber  ©el^nfnc^t  wirb  ba§ 
innerfte  ^anb  ber  5?räfte  nnr  ftufenraeife  gelöft,  nnb  jebe  @tnfe  ift  bnrd^ 
ein  nene§  9^atnrprobn!t  begeid^net,  bi§  in  ber  pi^ften  ©(Reibung  ber 
Gräfte  ba§  innerfte  ßientrum  berfetben  in'§  ßi($t  ertioben  roirb,  raa§ 
unter  ben  un§  fid^tbaren  ßreaturen  nnr  im  3Jlenf^en  gefd^iefit.  Sßeit 
nun  atte  Söefen  au§  bem  ©runbe  ftammen,  fiaben  alle  ben  (gigenmillen 
in  fi($,  weil  au§  bem  SSerftanbe,  ben  Unioerfalwiffen.  ^m  3Jtenfd;en 
aber  finb  beibe  in  ber  pdfiften  ^raft;  baburd^,  ba^  er  creatürtid^  ift, 
I)at  er  ein  relatiu  auf  @ott  unabhängiges  ^rincip  in  fic^,  baburd^,  bajs 
biefeS  ^rincip  im  Si(^t  t)er!(ärt  ift,  ge^t  gugleic^  ein  ^öf)ere§  in  ifim 
auf,  ber  ©eift,  nnb  in  itim  offenbart  fid^  ©ott  all  @eift,  all  actu  eyi= 
ftirenb.  2Beil  aber  bie  ^bentitöt  belber  ^rincipien  in  it)m  nid^t  ebenfo 
unauflöllid^  ift,  mie  in  @ott,  ift  el  möglid^,  ba^  i^r  rid^tigel  SSerl^ält= 
niB  fid^  üerfe^rt,  bie  ©elbft^eit  fi(^  üon  bem  Sid^te  trennt  unb  ber 
(Sigenmille  ha^,  mal  er  nur  in  ber  ^^entität  mit  bem  Unioerfatroillen 
x%  all  ^articularwille  ju  fein  ftrebt,  unb  l)ierin,  nid^t  in  einem  bloßem 
DJiangel,  einer  bloßen  Hnoottfommenlieit,  beftel)t  bal  ^öfe. 

^n  ber  3Ratur  fann  nun  biefe  58er!el)rung  ber  ^rincipien  nod^ 
nid^t  eintreten,   n)iett)ol)l  unl  auc^  in  i^r  fd^on,   wie  ©(^elling  glaubt 
unb  pl^antaftifd^  genug  aulfü^rt,  in  mand^en  @rfdf;einungen  unvextemX' 
bare  ^orgeii^en  bei  SSöfen  begegnen,    ©rft  am  3iel  ber  Statur,   im 
3Jienfd§en,   bridl;t  bal  ^öfe  all  fold^el  !^ert)or.    ©er  2Inla§  bagu  liegt 
in  ber  ©rregnug  bei  ©igenmillenl,  meldte  t)om  ©runb  aulge^t.    Slber  , 
jur  2Birf(idt;feit  !ommt  el  immer  nnr  bur(^  bie  eigene  Sliat  bei  2Jlen-  i 
fd^en.    S)ie  ©oüicitation  bei  ©runbel  erroedt  ben  eigenen  SBillen  nur, 
bamit    ein  unabhängiger  ©runb   he^  @uten  ba   fei  unb   oom  @nten 
übermältigt  werbe.    S3öfe  rairb  bie  ©elbftl^eit  erft  bann,   menn   fie  fid^ 
t)on  bem  ©uten,  bem  Unioerfalroitten,  lolreijät,  unb  bieB  lä^t  fidf)  nur  [ 
auf  bie  eigene  Söal)t  bei  3}Zenfd^en ,  auf  feine  grei^eit ,  prücffül^ren. ' 
S)iefe  greilieit  barf  aber  freilid^  nad^  ©d^elling  nidl;t  all  ein  3Sermögen 
ber   midfülirlidjen   @ntfdf;eibung   o^ne    beftimmenbe   ©rünbe    aufgefaßt 
merben,  benn  ein  3itM  ift  überliaupt  unmöglidl;;  gegen  biefen  Snbe= 
terminiimul  ift  ber  S)eterminifmul  in  feinem  91ed;te.    '^a^  rid^tige  ift 


®ie  ©d^rtft  über  bie  ^reil^ett.  557 

üielmel^r  bie  Sefire  beg  :3bealifmu§  (J?ant;  f.  0.  6.  369  f.),  na($  mtU 
d;er  einerfeitS  jtoar  bie  ^anbtungen  jebeg  3Jienfc^en  au§>  feinem  au§er 
ber  3eit  unb  hm  ßaufatsufammen^ang  ftefienben  inteHigibeln  SBefen 
mit  abfoluter  D^oti^wenbigfeit  folgen,  anbererfeitS  ober  biefe  9^otf)iüenbig:= 
feit  felbft  bie  abfolnte  §rei^eit,  ha§>  Sßefen  be0  Menfd^en  feine  eigene 
%1)at  ift.  S)iefe  S^at  gef)ört,  raie  ed^elling  fagt,  nid^t  ber  Seit,  fon= 
bern  ber  ©migfeit  an;  fie  gef)t  bem  Seben  au^  nic^t  ber  ^eit  mä) 
voran,  fonbern  bnrd^  bie  ^eit,  nnergriffen  von  i\)v,  l^inburdf;;  bev 
3}ienfrf;,  ber  fiier  entfd^ieben  unb  beftimmt  erfd^eint,  i)at  fid^  in  ber 
erften  (Sd;öpfung  in  beftimmter  ©eftalt  ergriffen  unb  wirb  aU  folc^er, 
ber  er  t)on  ©toigfeit  ift,  geboren,  inbem  burc^  jene  'il^at  fogar  feine 
^örperbefd^affen^eit  beftimmt  ift.  Xa^  aber  biefeS  auBeräeitlid^e  bamit 
bocf;  mieber  3U  einem  üor3eit(id;en  unb  alfo  auc^  ju  einem  ^eitlic^en 
loirb,  läBt  \iä)  fo  menig,  wie  bie  übrigen  ©d^roierigfeiten  unb  Söiber^ 
fprüd^e  biefeg  eigent^üm(id;en  ^f)i[ofopf)em%  überfe^en. 

aSie  im  ©inselnen,  fo  liegen  aud;  in  ber  a)Zenfd;^eit  bie  beiben 
^rincipien  atter  ®inge  im  Streite,  unb  ber  <Bd)anplai^  biefe^  Kampfes 
ift  bie  ©efdjic^te,  biefe  groeite  unb  f)ö^ere  Offenbarung  ber  ©ott^eit, 
ha§>  @egenbi(b  i^rer  erften  Offenbarung  in  ber  9^atur.  S)er  ganje  SSer' 
lauf  ber  ®efc^id;te  jerfäat  aber  in  jroei  gro^e  gJerioben.  ^uerft  läBt 
©Ott  ben  ©runb  aUein  rairfen,  unb  e§  matten  bef3^al5  in  biefer  3eit 
nur  einzelne  gött(id;e  Sßefen,  nid;t  ba§  @öttlid;e  in  feiner  ©in^eit.  2luf 
ha§>  golbcne  SBeltalter  mit  feiner  feiigen  Unentfdjiebenfieit  unb  mora= 
lif(^en  ^Bewu^tfofigfeit  folgt  eine  3eit  maltenber  ©ötter  unb  §eroen, 
einer  mmaä)t  ber  9^atur,  in  raeld^er  ber  ©runb  geigte,  raa§  er  für  fid^' 
oermöge.  @g  erfc^ien  bie  pd;fte  ^^er^errlid^ung  ber  9iatur  in  ber  grie= 
djifd^en  Sfteligion,  Jlunft  unb  2Biffenfd;aft,  U^  ha§>  im  ©runbe  rairfenbe 
^rincip  enblid;  im  römifd;en  9teid;  al§  melterobernbeS  ^eroortrat.  ^n 
bemfelben  MaB  aber  nöt;erte  fic^  auc^  ber  ^eitpunft,  m  ha§>  sroeite 
^rincip,  ba^  be§  ßid^teS,  fic^  offenbaren  foffte.  ^m  2Biberftreit  mit 
i|)m  treten  nun  erft  bie  Gräfte  be§  ©runbeg  at^  ba§  ^öfe  ^eroor.  Um 
bem  perfönlic^en  unb  geiftigen  S3öfen  entgegenzutreten  unb  hm  3ufam= 
men^ang  ber  6d)öpfung  mit  @ott  roiebert)er5ufteaen,  erfd;eint  ha§>  I;öf)ere 
Sic^t  als  matia  in  perfönlid^er  ©eftalt.  ®§  beginnt  eine  Seit  ber 
Seid^en  unb  Bunber,  ein  Äampf  ber  göttli^en  unb  ber  bömonifd^en 
mä^U.  Sie  ^errtid^feit  ber  alten  SBelt  lö§t  fic^  auf,  ii)X  fd;öner  Seib 
Serfäat,  unb  bie  gtutlien  ber  S^ölferroanberung  überftrömen  iliren  ©runb. 


558  ^ci^eOiug. 

um  eine  jtüeite  ©cfiöpfung  mögtic^  jii  machen,  ein  neueS  9lei^,  in  mU 
(|em  im  offenen  ©treite  beg  @uten  gegen  ba§  Söfe  @ott  ot§  ©eift  fi(^ 
offenbart.  S)a§  Ie|te  3iel  ber  @e[(^ic^te  ift  aber  bie  üollftänbige  (£r= 
{)ebung  be§  ©runbeg  in  ha§>  Sic^t.  ,,S)ann  mirb  alles  bem@eift  nnter^ 
roorfen:  in  bem  ©eift  ift  ba§  ©fiftirenbe  mit  bem  ©runbe  gnr  ©yiftenj 
eins;  in  it)m  finb  mirflid^  beibe  ängleic^,  ober  er  ift  bie  abfolute  Ö^en= 
tität  beiber.  Slber  über  bem  ©eift  ift  ber  anfängliche  Ungrnnb,  ber 
nid^t  melir  ^nbifferenj  ift,  unb  hoä)  nic^t  ^bentität  beiber  ^rincipien, 
fonbern  bie  attgemeine,  gegen  aUeS  gleii^e  unb  bod;  üon  nichts  ergriffene 
ein^eit,  ba§  ron  allem  freie  unb  bod;  aUeS  bur(^n)irfenbe  2ßol)lt^un, 
mit  einem  2Bort  bie  Siebe,  bie  atteS  in  allem  ift"  (VII,  408). 

5.  2)ic  ^jofitiüe  ^^^iIofopl)ie. 

S)teB  ift  bie  te^te  gorm  ber  fc^eEingifd^en  ^^ilofop^ie,  bie  eine 
©pur  in  ber  ©efd^id^te  gurüdgelaffen  ^at.  ©er  ^l)ilofopl)  felbft  fretlid^ 
^örte  auc^  fpäter  nic^t  auf,  an  feinem  ©i)ftem  umsuformen  unb  fort-- 
zuarbeiten.  2lber  t)on  bem  ©rgebnife  biefer  Slrbeit  fam  ber  Söelt  kum 
bie  eine  ober  bie  anbere  ipärlid;e  .^unbe  gn,  wie  i.  ^.  1834  burd^  jene 
SSorrebe  (2Ö.  2Ö.  1.  2lbt^.  X,  201  ff.),  in  ber  ©d^eUing,  unter  gel)äffigen 
3luSfäaen  gegen  ben  t)or  brei  iga^ren  oerftorbenen  ^egel,  erflärte:  bie 
rein  apriorifd;e  unb  rationale  ^l)ilofop^ie,  meiere  üon  bem  not^menbig 
ju  S)enfenben,  b.  l).  eigenttid;  nur  üon  bem  nid;t  ni(|t  ju  S)en!enbett 
anfange,  fc^lie^e  nur  baS  negatiüe  in  aUer  ©rfenntniB  in  fid),  nic^t 
aber  baS  pofitioe;  e§  ftel)e  bal)er  ber  ^l)ilofopl)ie  nod^  eine  ^ro^e,  aber 
in  ber  ^auptfac^e  Ic^te  Umänberung  beoor,  welche  einerfeitS  bie  pofitioe 
(grllärung  ber  SBirtlic^leit  gen)äl)ren  werbe,  oljne  ta^  anbererfeitS  ber 
5«ernunft  ba§  9tec^t  entzogen  raerbe,  im  Sefi^  beS  abfoluten  ^riu§, 
felbft  be§  ^viu§  ber  ©otttieit,  gu  fein,  unb  üou  biefer  neuen  ^liilofop^ie 
fei  au(^  eift  bie  SSereinigung  be§  SlationalifmuS  mit  bem  magren  ©m-- 
pirifmuS  ju  enuarten.  2ßa§  l)ier  in  StuSfid^t  gefteHt  war,  ba§  follte 
in  ten  berliner  ^orlefungen  gegeben  werben,  weld^e  unS  ie|t  in  ben 
nadigelaffenen  äBcrfen,  namentlid;  im  3ten  unb  4ten  53anbe  berfelben, 
ur!unbli(i  üorliegen;  bereu  ^ulialt  aber  auc^  fd)on  bamalS,  gegen  ©d^el= 
ling'S  SBitten,  in  ber  ^auptfad;e  rid^tig  belannt  gemacht  würbe. 

S)ie  5Kernunft,  fagt  l)ier  ©^etting  (2Ö.  2B.  2.  3lbt^.,  III,  57),  finbc 
in  fic^  ba§  ^riuS  alles  ©einS,  nnb  an  bemfelben  ta§>  ^^rincip  einer 
apriorifd)en  ©rfenntniB  alleS  ©eienben.   Slber  was  fic^  auf  biefem  SBegc 


S)ie  ))ofutDc  ':)>^iIofop^ic.  559 

erfennen  laffe,   fei  nur  ta^  2Sa§,  nic^t  ha§  3)aB  ber  ©Inge.    2Ba5 
eyiftiren  werbe,  laffe  fi($  a  priori  einfe^en,   ba§   e§  eyiftire,   fönne  bie 
5ßernunft  nie  o^ne  bie  ©rfa^rung  Behaupten.    @r  unterf($eibet  bemnad^ 
an^  {)ier  aroei  5tf)eile  be§  pf) ilofopfiif d^en  ©t)ftem§:  bie  reine  opriorifd^e 
3Sernnnftn)if[en[d^aft,   ober  bie  negatiue   ^iiilofop^ie,   unb   bie  pofitioe 
^^ilofop^ie  ober  biejenige,  n)ef(^e  bnrd^  ,,freie§  Senfen"   auf   hem  Söeg 
eines   ,,nietapf)9fifd;en  @mpirifmu§"   (III,  114)   baS  SBirfiid^e  erfenne. 
3^ur  Witt  er  (5.  S.  III,  81)  quc^  je^t,   wie  immer,   nid^t  einräumen, 
ba^  bamit  fein  früherer  ©tonbpunft  geänbert,   fonbern  {)ö($ften§,    boB 
er  ergänzt  raerbe.  9M|er  ^anbelt  e§  ftc^  in  ber  n  e  g  a  t  i  u  e  n  ^f)itofopf)ie, 
mä)  biefer  SDarftellung,   um  brei  ^auptbeftimmungen.    S)ie  Vernunft 
ift  bie  unenblid^e  ^oten^  beS  (grfennenS.    ©ie  mirb  ba^er  nur  bie  un^ 
enbli($e  gsotenj  be§  ©ein§,   nur  ba§  unenblid^e  ©einfönnen,   ober  boS 
unmittelbar  ©einfönuenbe,  roc(d)c5  fid;  aber  ebenfogut  aud;  atg  bie  @in^ 
^eit  t)on  ©eintonnen  unb  D^iid^tieinfönnen  be3eid;ncn  tä&t,  ju  ifirem  ur= 
fprüngli($en  ^n^alt  tjaben.    S)ie§  ift  bie  erfte  ^otenj,   \)a§>  ^riu§   be§ 
©eins,  ba§,  ma§  it)m,  nic^t  ber  ^eit,  aber  bem  Segriff  nad^  üorange^t. 
2lu§  bem  ©einfönnenben  ge^t  a(§  gmeitcS  baS  l^eroor,   raaS  nid^t  bloS 
fein  fann,  fonbern  ift,  ha^^  nidjt  me^r  nid;t  fein  fönnenbe,   baS  rein 
©eienbe  ober  not^roenbig  ©eienbe,   ba§  „unt)orbenf(id§e  ©ein".    Seibc 
finb  an  fid^   baSfetbe,    S3eftimmungen  beS  ©inen  Hebertüirftid;en ,   unb 
bctbe   üertialten   fid;   gegen  baä   fünftige  ©eienbe  gtcid^fe^r  als  nid^tS. 
®aS  ©einfönnenbe  ift  ber  nidjtmollenbe  SBille,   baS  rein  ©eienbe  baS 
unenblid^  unb  gleid^fam  mtaentoS  moUenbe,  boS  „blinb  eriftirenbe,  nur 
pfättig  not^menbige".    ®aS  eine  ift  reine  ^oten^,  bie  reine  S3orauS= 
fe|ung,  baS  ©ubjeft  ober  ber  @runb  beS  ©einS,  baS  anbere  ift  reiner 
StctuS,  jenes  baS  Unbegrenzte,  biefcS  baS  53egren5enbe,   aber  beibe  finb 
ibentifdj,   nic^t  ^^eite  beSfetben  ©an.^en,   fonbern   biefeS  ©anje  felbft. 
®aS  2ßirftid;e  ift  alfo  nur  baS  ©ine,  metd^cS  fid^  als  baS  ©einfönnenbe 
jum  ©ubjeft  feiner  felbft,   unb  fid)  als  baS  rein  ©eienbe  jum  Dhlett 
|at,  baS  00m  einfeitigen  können  unb  oom  einfeitigen  ©ein  greie,  baS 
äu  fein  unb  nidjt  gu  fein  greie,   baS  ©ubieft=Dbjeft ,   baS,   roaS  als 
SlftuS  ^otenj   bleibt   unb   als  ^otcn^   jugleid^  SlttuS   ift,   mit  ©inem 
SBort  alfo  bie  (Sinlieit  ber  urfprünglid^fteu  @egenfö|c,    in  meld^er   mir 
©d^etting'S  frül)ereS  l)öd)fteS  ^rincip,  bie  abfolute  i^bentität,   unfd;roer 
tüiebererfennen  werben  0. 

1)  SB.  SS.  2.  %it^.  m,  62  f.  204  ff.  IV,  335  ff.  u.  a.  @t. 


560  ©c^etfing. 

Me  biefe  begriffe  Be^eid^nen  aber  erft  bie  ^rincipien  ober  5ßo= 
tensen  bc§  fünftigen  ©ein§.  S)a§  ©anje  felbft,  in  bem  fie  finb,  !ann 
nur  ber  rollenbete  f(^lec^tf)in  freie  unb  fi(^  felbft  Befi^enbe,  an  !eine 
Strt  be§  ©eins  gebunbene,  abfolute  ©eift  fein.  S)ie[en  fönnen  rair  aber 
ni(^t  burc^  bie  blo^e  Vernunft,  bnrd^  ein  opriortfd^eS,  ebenbe^^alb  aber 
blo§  ^i;potf)etifc^e§  ^I)i(ofopf)iren  finben,  fonbern  er  felbft  muB  ft<^  un§ 
burd^  feine  2öir!ti(^feit  beroeifen.  3Jlit  iE)m  rerlaffen  wir  bal^er  bie  ne= 
gatiüe  ^sf)i(ofop{)ie  unb  treten  in  bie  pofitiüe  über. 

©d^etting   befd;reibt   (III,  256  ff.)   ben  ooHfommenen  ©eift   nad^ 

§eger§  SSorgang  al§  ben  3ngtei(^  an  fid^  nnb   für  fi(^   feienben  unb 

bejeic^net  al§  bie  3)tomente  ber  ^eroegung,  in  ber  er  fid^  rottenbe,  ba§ 

an  fi^  fein,  au^er  fid;  fein  unb  in  fidj  felbft  äurücffefiren.    Siefe  brei 

3Jlontente  finb  in  i^m  in  ungetrennter  9Birf(idjfeit,  bie  ^otensen  finb 

in  bem  abfoluten  ©cift  nid;t  a\§>  ^sotensen,  fonbern  al§  er  felbft.  9ti(|t§ 

»erliinbert  aber,  baB  nad;  ber  §anb,   nac^bem  jener  ©eift  ba  ift,   il)m 

an  feinem  eigenen  ©ein  fid;  bie  D}iöglic^!eit  eine^  anberen,   alfo  nid;t 

emigen   ©ein§,   geige  (III,  263  rgl.  IV,  338).    ^n  biefer   Se^ie^ung 

auf  baS  Stnbere  moblficirt  fic^  nun  bie  ^ebeutung  ber  brei  ^otenjen: 

bie  erfte  ift  ba§  ©einlönnenbe,  bie  jmeite  haS^  ©cinmüffenbe ,  bie  britte 

ba§  ©einfoKenbe.    Slber  ber  üoHfommene  ©eift  l)at  bie  röaige  grei^eit, 

ba§  il)m  gejeigte  ©ein  anjunelimen  ober  nid^t  anjunetimen,   e§  ift  für 

it)n  felbft  (aud;  nad^  IV,  340)  „üöllig  gletd;gültig''",  wa§>  er  tl)Ut,   e0 

t)ängt  biefe  blo§  ron  feinem  SBillen  ab,  unb  erft  in  biefer  greilieit  ftettt 

er  fid^  at§  Öott  bar.  SBenn  er  e§  wixtiiä)  annimmt,  fo  liegt  ba§  9Jiotiü 

baju  eben  nur  in  ber  ©d^öpfung  felbft  (©.  277  f.);   bod;  unterläßt  e§ 

©djelling  nidjt,  sugleid^  aud;  ben  ©ebanfen,  bafe  ©ott  o^ne  ©d;öpfung 

unfelig  unb   fid;  felbft  unfaBlid;  märe,   freilid)  in  l)öd;ft  raunberlid^er 

^orm,   au§3ufü^ren    (©.  273  f.).    S)ie  ©d^öpfung   felbft   befd;reibt   er 

im  2tnfd)luB  an  frül)ere  Sarftettungen  al§  einen  auf  bem  2lu§einanber= 

gel)en  unb  ber  ©pannung  ber  ^otensen  berul)enben,  in  ber  ftufenweifen 

Ueberminbung  biefer  ©pannung  beftelienben  ^rocefe,  beffen  3iel  erreid^t 

ift,  menn  jenes  ^rincip,  baS  mäl)renb  beS  ganzen  ^roceffeS  baS  aufeer 

fid^  feienbe  ift,  mieber  in  fid;  3urücfgcbrad;t  ift,  olS  ein  fucceffireS  Qu-- 

fi^lommen  beffen,  raaS  im  SOienfdjen  baS  feiner  felbft  bennifete  ift.  2Iu§ 

bem  gleid)en  H^rocefe  leitet  er  eS  aud^   ab,   bafe  bie   brei  ^otensen  ju 

brei  ^erfonen  in  @ott  mcrbcn.    3)iit  ber  ©^öpfung  foH  nämlid^   bie 

jmeite  ^oteuj  in  ©pannung   gefetzt,   §u  einer  aufeergöttlid^en  gemad^t. 


3)ie  pcftttte  'ß^Uofopl^te.  561 

ber  Sof)tt  öCoeiigt  werben;  bie'Cr  foH  eknbatnit  in  bie  ^f^otl^itienbigfeit 
t)erfe|t  werben,  fic^  felbft  5n  üerroirflid^en ;  erft  wenn  bie^  gef(^el^en  ift^ 
am  ßnbe  ber  ^(^öpfung,  fe!)rt  er  al§  eigene  ^serfönlid^feit  in  @ott 
jurüd  nnb  nnn  wirb  auc^  bie  britte  ^^^oten3  in  ha§>  «Sein  wiebcreinge^ 
fe|t  nnb  g(eid)fall§  $erfönlid;feit  (III,  310  ff.).  S)iefe  ganje  2(n§e{n= 
anber'ie|nng  ift  aber  Becjreiflidierweife  Iiödjft  nnburdjfidjlig.  2ßenn  man 
ni(^t  allein  bie  SBeltentftefjmig ,  fonbern  audj  ben  tr{nitari|d)en  ^roce^ 
in  ©Ott  ju  etroal  frei,  b.  f).  t)ier  roi(Ifü{)r(id;,  geroolltem  niac^t,  wenn 
man  üon  SSorau^feljungen  an§gef)t,  wie  bie,  ba§  @ott  an  nid^t§,  auc^ 
nic^t  an  fein  eigenel  ©ein  gebunben  fei  (HI,  305),  bo^  er  fein  notf)= 
raenbigeg  ©j:iftiren  in  ein  jufädige^  üerwanbehi  fönne  (IV,  344)  u.  bgl, 
fo  lä^t  fid^  5um  oorau§  nidjt§  anbere^  erwarten,  aU  wag  wir  hei 
©d^etting  in  biefer  legten  S^arftefhtng  feinet  (SijftemS  überhaupt  finben: 
eine  wortreid^e,  verworrene,  abftrnfe  @d;otaftif,  ein  unerquidtidjeg  ©e- 
menge  au^  fpefnlatiuen,  tfjren  <§auptbeftanbt(;eilen  nad^  feiner  früheren 
^f)iIofopf)ie  entnommenen  ^been,  trüber  2t;eofop^ie,  wiflfü^rlid^  geben- 
teten  33ibelfteUen  nnb  firdjlidjer  SCogmatif. 

©c^etting  er3äf)lt  nnn  weiter  (III,  348  ff.  368  ff.  IV,  35  f.) 
wie  ber  3}ienid;  burc^  ben  ©ünbenfatt  bie  ^otengen  auf§  nene  in 
©pannung  gefegt,  fie  ebenbamit  ä«  anBergöttad;en  ^äd)ten  gema(|t, 
ben  @o^n  oom  S3ater  getrennt,  in  ein  i^m  nid;t  von  ©ott,  fonbern  uon 
ben  3Jienic^en  gegebene^  ©ein  üerfetit,  nnb  hk  3^otf)  wen  bigfeit  einc§ 
^weiten  ^roceffes  fierbeigefü^rt  ^aU,  bnrd;  wefd;en  ber  @o^n  biefc» 
©Ott  entfrembete  ©ein  überwinbe.  S^iefer  ^roce^,  weldjer  im  58ewn§t- 
fein  üerlöuft,  ift  ber  tf;eogonif($e  ober  mijTt)oIogifd;e,  nnb  ha§^  re|te  ©r= 
gcbniB  bc^felben  ift  ba§,  baf5  ber  ©oljn  ber  unabhängige  ^err  |ene§ 
©eins  wirb,  fo  ba^  er  ev  für  fic^  Uralten  ober  bem  ^Pater  wieber  nu- 
terwerfen,  überfjanpt  alfo  mit  t§m  anfangen  fann,  wa;!  er  wiü.  ^nbem 
er  nid^t  Uo§>  biefeS,  fonbern  and;  fein  eigene^  an§ergöttlid^e§  ©ein  auf= 
tiebt  nnb  ^um  SSater  3urüdfüf)rt,  ift  er  ber  ^erfö^ner.  ©ein  ^ob  ift 
ber  2l!t,  in  welchem  er  bieB  coabringt,  bie  gött(id;e  ©intjeit  wieber!)er= 
fteUt,  nnb  aiic^  ba^  ^eroortreten  bcg  ©eifteg  erft  mögfi^  mad;t.  ^n 
ber  weitfd;weifigen  2ai§füt)rnng  biefer  ©ä^e  verliert  fic^  ©djctting  in 
©pefutationen ,  wcldje  lebfjaft  an  bie  ©nofig  be§  5wcitcn  ^afir^unbertS 
erinnern;  mit  anbern  ^eftanbtt)ei(en  ber  fird)(ic^en  3^ogmatif  wei^  er 
fid^  au^  ben  ©lanben  an  ßnget  nnb  ^enfel  in  feiner  Beife  3urec^tp= 
machen.    SSir  fönnen  i§m  fiter  anf  biefem  SDege  nm  fo  weniger  folgen, 

Seiler,  ©ctaiditc  ber  beutfcficn  ■:i3^i(Dfopt)ie.  3f, 


5()2  2)ie  romanti|(^e  Sd^uTe. 

ba  bie[e  Ie|te  j^orm  feine§  ©i)ftem§  auf  ben  g-ortgaug  ber  beutf(^en 
5p{)ilofop{){e  tl^atfädjlid;  feinen  (SinfluB  mc^r  gel}abt  i)at  9Zur  an  feine 
früfiere  Sefire  f)at  eine  pt)i(ofopt)ifdjc  ©rf)nle  fid)  angefdjtoffen ,  unb  nur 
mit  xi)x  fönnen  luir  aud;  äufammenfteUen,  ma§>  fonft  nod;  in  ben  erftcn 
^al^rjeljenben  biefe§  :3af)rf)unbert§  auf  bem  pl^i(ofopi)i[d;en  Gebiete  be- 
ad)ten^roertf)e§  f)evuortritt. 


Y.  53tc   fd)cllin0i|'d)c  5d)ulc   uu^  Vu  x\)X  «cnuauMcn  ^^l)ilo|"opl)cn. 

5d)lctcrmad)cr. 

1.  ^ic  Dtomautifcr;   ©olger;  l>.  JÖergcr. 

Unter  ben  9)iännern,  weldjc  gleidj^eittg  mit  (5d;el{ing  ober  balb 
nad)  i^m  in  einer  ber  feinigen  oenuanbten  9lid^tung  in  bie  bentfi^e 
^f)i(ofop()ie  eingriffen,  unb  von  benen  bie  meiften  al§  ©d)üler  ober  al§ 
greunbe  mit  if)m  in  ,3ufammenf)nng  fte^ien,  sielten  gunädjft  bie  SSertreter 
ber  fogenannten  romantifc^en  €>d)uk  unfere  Slufmerffamfeit  auf  fid^. 
^ft  and;  biefe  ©djule  meit  me^^r  au§  hem  äftl)etifd>'literarifd;en  ^ntereffe 
unb  ben  allgemeinen  ^itbung^^uftänben,  al§  au§  miffenfd)aft(id;em  ©tre^ 
ben  ficrüorgegangeu,  unb  t)at  fie  auc^  auf  jenem  ©ebiete  üiel  bebeutcnber 
geiuirft,  a(§  auf  biefem,  fo  l)at  fie  fid;  bodj  immerl)in  au  ber  ^i)i(o- 
fopljie  t{)rer  ^äi  §u  lebfiaft  betf)ei(igt,  aU  ba§  fie  yon  ber  @efd;i(^te 
berfelben  übergangen  werben  bürfte.  SJtit  iljren  äftljetifdjen  2lnfid;ten 
unb  if)ren  bid^terifdjen  S3eftrebnngen  fnüpft  bie  Sloniantif  junädjft  an 
bie  3}länuer  be§  toeimarifi^en  j!reife§,  an  ^erber  unb  ©dritter,  üor 
allem  aber  an  &öti)e  an,  üon  bem  namentlich  ber  SBil^elm  93kifter  für 
iljre  gan3e  £ebeu§-  unb  ilunftauffaffuug  bie  entfd;eibenbfte  ^ebeutung 
gemonuen  !)at.  ^n  ifirem  iserf)ä(tniB  äur  ^'-'üP^i^of'^P^iß  nimmt  fie 
eine  eigent()ümlid)e  (Stellung  siuifd^en  ^id)te,  ^ncobi  unb  ©d^elUng  ein. 
3unäd)ft  nämlid;  ift  e§  allerbingl  ba§  ^d),  meld^e^  fid;  ^ier,  wk  bei 
gidjte,  al§  bie  Wadjt  über  at(e§  unb  ba^  9}Jaf3  oHer  SDinge  gcltenb 
madjt,  meldjeS  ber  2.'ßelt  mit  bem  2lnfprud)  entgegentritt,  ha^  fie  ii)m 
aug  allen  Grfdjcinungeu  feine  ©timmungen,  feine  ©efütile,  feinen  unenb- 
ticken  Söertf)  lüiberipiegte;  ber  menfd;tid;en  ©efeUfd;aft  mit  bem  Slus 
fprud),  baf5  fie  feinen  ikbürfnificn  eine  üolle  S3efrtebigung,  feinen  3^ei; 
gungcn  einen  unoertümmerten  ©pielraum,  feinen  Seiftungeu  eine  unbc- 


9?oMtt§.  563 

bingte  Slnerfennung  g.ema^xe.  SIber  biefe§  ^ä)  bleibt  emerfeit§|f)ittter 
bem  iiioralif(^eu  ©rnft,  ber  männlid;en  ^raft,  ber  Iogif(^en  ©trenge  be§ 
fid^te'f(^en  ®eifte§  loeit  gurücf:  e§  ift  nid;t  ba§  obtolute,  fonbern  ba§ 
empirifd^e  3«^)/  i^i<f;t  ^o?^  2Befen  ber  ©attung,  fonbern  ba§  ©injelwefen 
mit  ollen  feinen  ^nfäüigen  9?erf)ältniffen ,  @rfa{)rnngen ,  ©tinnnungen, 
©infäüen  Saunen,  ba§  geniale  ^nbioibmun,  unb  für  ba§  jene  fd;ranfen= 
lofen  2(nfprn(f;e  erhoben  werben ;  unb  infofern  ftel^t  bie  roniontif(^e  6ub' 
jeftiüität  ber  eineS  ^öcobi,  fo  fd;arf  biefer  aud^  üon  ^riebrid;  ©(^leget 
bcurtf)ei(t  würbe,  namenttid;  aber  ber  be§  jacobi'fd;en  SBolbemar  unb  W- 
mU,  nod)  näi)er,  ai§>  ber  eines  ^idjte.  2lnbererfeit§  aber  ift  ba§  ^ä)  f)ter 
ebcnbe^fialb  nid^t  fo  in  fic^  abgcfd^Ioffcn  unb  befriebigt,  e§  trägt  feine  Un= 
enblid^feit  ni^t  fo  unmittelbar  unb  unoerlierbar  in  fid^  felbft,  mie  bal 
ber  3öiffenfdjaftslel)re ;  fonbern  e§  erpit  ba§  @efüt)t  berfelben  erft  ba- 
burd),  ba§  e§  fid)  in  ein  Hnenblid^ey  auf5er  unb  über  if)m,  in  bie  9latur 
unb  bie  ®ott£)eit  üerfenft;  unb  hierauf  berut)t  bie  Q^^ermanbfd^aft  ber 
9tomantif  mit  ©(^eHing,  t)on  bem  auc^  bie  pf)ilofopt)ifd;en  SEortfüfirer 
berfelben  tljcilS  unmittelbare  ©inmirfungen  erfatiren,  tbci(§  mit  ifim  an§ 
ben  gteidjen  üuellen  —  6pino3o  unb  gid^te  —  gefdjöpft  ^aben.  Sitte 
bicfe  ©(emente  liegen  nun  in  bem  einen  dou  ben  j^roei  9J?ännern,  meldte 
toir  al§  bie  ^^Ijilofop^en  ber  romantifdjen  (2d)u(e  betradjten  fönnen,  in 
9fioüali§,  ungetrennter  in  einanber,  mä^renb  fie  bei  bem  anbern,  bei 
griebridj  ©d)(egel,  gmar  aud^  fämmttidj  oon  Slnfang  an  ba  finb,  aber 
gn  üerfd;iebenen  ^dten  in  ungleid;er  ©tärfe  Ijeruortreten. 

griebrid;  Seopolb  v.  ^arbenberg,  mit  feinem  ©d;riftfteller= 
uamen  9fiot)ali§  (1772 — 1801),  üereintgt  in  feiner  ebeln,  gartbefaiteten, 
begeifterungSuottcn  ^serföiilic^feit  nielfad^e  53i(bung§ftoffe,  bie  aber  alle 
jur  ©rjeugung  eines  ^od^gefteigerten ,  poctifdjen  unb  nidjt  feiten  aud^ 
pl^antaftifdjen  i^bealifmuS  jufammenmirfen.  ßr  verehrt  ©dritter  unb  be= 
TOunbert  @ötf)e;  er  fommt  mit  ten  beiben  ©d^legel  unb  mit  3::ied,  mit 
©d)Ieiermac^er  unb  ©djeüing  in  na^c  $i?erbinbung ;  er  lä^t  fid;  erft 
burd;  9teinl)oIb  in  bie  fantifdje  ^f)iiofop^ie  einfüljren,  um  fid;  bann 
^•id^te  mit  ßntfdjieben^eit  an^ufdjlieBen,  er  vertieft  fid;  gleid^^eitig  auc^ 
in  ©pinoja,  bann  in  umfaffenbe  naturmiffenfd^aftlid^e  ©tubien  unb 
fd)UeBIidj  nod^  in  Söf)me  unb  bie  religiöfe  3Jli;ftif.  S)iefe  werfdjieben; 
ortigen  ©(emente  werben  ober  oon  if)m  nid;t  auf  tüiffenfd;aft(id^en 
ai^ege  uertnüpft  unb  «ermittelt,  fonbern  fie  fliegen  melir  nur  in  eine 
allgemeine  Stimmung,   in  ein  SJteer  uon  ©efü^len,  Slnfd^auungen  unb 

36* 


5G4  2)i«  romantifdje  Bä)üU. 

©ebanfen  äufamtnen,  au§  toeld^em  eine  9Jtaffe  üon  geiftreic^en,  akr 
burd^au§  fragmentartfc^en,  ^emerfungen,  eine  j^üHe  uon  leud^tenben, 
aber  meift  unflaren  nnb  in  einanber  i)cr[(^n3immenben  Sitbern  ooriibers 
gel^enb  auftoud;!  i).  (gr  ift  ^bealift,  nnb  fnbieftit):r  S^eatift,  wie  nur 
ein  ^ä)\üex:  ^id)te'§  eS  fein  fann.  @§  ift  gan^  im  ©eift  ber  2öiffen= 
fcf;aft§(ef)re  gcfproc^en,  wenn  er  erklärt:  bie  pc^fte  3lufgabe  bec^ilbnng 
fei  e§,  fic^  feinet  tranfcenbentolen  ©elbft  3U  bemäii^tigen,  ba^  ^ä)  feines 
^ä)  3ug(ei(^  §u  fein ;  alle  g^f)i(ofopfjie  I)ebe  ba  an,  wo  ber  ^^iIofopf)irenbe 
fic^  felbft  pf)i(ofopf)ire,  fie  fei  bie  Ännft,  ein  2öe(tft)ftem  a  priori  ou§ 
ben  liefen  unfereS  ©eifteS  ^erauS  gu  benfen,  bie  ©etbftburd;briugung 
be§  @eifte§,  eine  3)iet!)obe,  ba§  O^nere  ju  beobadjten,  gu  orbnen  n.  f.  in. 
(II,  108.  114  ff.  206  f.).  9]ot)aa§  erfennt  e0  auSbrüdfid^  an,  bafe 
^i^te'S  ©ijftcm  ber  befte  33en)ei§  beS  i^bealifmuS,  ber  erftc  a^erfud) 
einer  IXniüeriahmffenfc^aft  fei  (ebb.  117.  205).  @r  nennt  ntd^t  BloS 
bie  3Jiat()ematif  einen  reatifirten  nnb  objeftiuirten  5Berftanb,  fonbern 
auc^  bie  2Beft  eine  finnlic^  roal^rne^mbare,  jur  3Jtafd)ine  geworbene  @in= 
6ilbung§fraft,  bie  5Ratnr  einen  enci)f(opäbild;en  ^nbey  unfere«  ©eifteS 
(II,  205  f.  142).  @r  fu(^t  mit  ^idjte  bie  eigcntlid^e  SBur^el  ber  2Bif= 
fenfd;aft  nnb  be§  geiftigen  SebenS  iiberljanpt  in  ber  greifieit,  ber  ©elbft= 
beftimmuug,  ber  ©ittiic^feit.  ©r  verlangt  eine  ©ebuftion  bc?^  IXnioer^ 
fum§  auS^  ber  3Jloral.  „Dfine  ^f)ilofopf)ie,"  fagt  er,  „feine  äd;te  3Jiorolitöt^ 
unb  oi)ne  3)iora(ität  feine  ^f)!lofopf)ie."  „S)ie  9}hira(  ift,  raof)I  nerftan^ 
ben,  ba§  eigent(id;e  ßeben^etement  be§  a)^enfd^en.  @ie  ift  innig  eins 
mit  ber  @otte§fur(^t.  Unfer  eigener  fittUi^er  Bitte  ift  ©otteS  2BilIe." 
„2öa§  id)  roitt,  baS  fann  ic^.  ^ei  bem  9}Zenfd^en  ift  fein  3)ing  mv 
möglid)"  (H,  254.  123.  258.  117).  5Die§  lautet  in  ber  %^at  fid^tifd; 
genug,  unb  3Rüt)a(i§  uerraeift  \m§>  a\\^  auSbrüdlic^  auf  biefe  Quelle, 
menn  er  fagt  (251),   in  i^id^tejs  9JtoraI  feien  bie  TOid;tigften  3tnfic^ten 

ber  Wloxai. 

^nbeffen  bcmerfeu  roir  hoö)  batb,  ba^  f)ier  ein  anbcrer  ©eift  rael^t, 
als  in  ber  5ßiffenf(^aftS(ef)re  unb  in  ^ic^te'S  ©t^if.  g-idjte  würbe  bie 
3Jloral  unb  baS  ©eroiffcn  nid^t,  wie  9f?oüaliS  0.  a.  D.,  „eine  9^id;terin 
of)ne  ®cW  genannt  f)aben.    Seine  3)loral  ift   nid^t  „woüüftig,  ödster 


1)  (£§  getjören  ^ie^er  unter  ben  Schriften  tton  9fJo»>aIiS  bcfonber^  btc  Fragmente, 
9Jott.  Sd)nften  ^crau^g.  to.  T\id,  3.  «ufl.  IT,  105  ff.  ^^(nf  biefe  %n^aU  get)en  bie 
5Bertt?cifungen  im  Xejt.    Ä'eitcrejJ  bei  >t>ap»"-  1»'^  romantifiije  BdjnU  325  ff. 


TZoöalts.  565 

eubäinonifmuS",  er  ift  n\ö)t  her  gjieinung,  bo^  ein  ^en]ä),  wmn  er 
vVö^ü^  tüofir^aft  glaubte,  er  fei  morafifd^,  e§  au^  fein  würbe  (II,  252). 
9n  feinem  ©inn  ift  e§  nid^t,  wenn  dlomli^  bie  ^§ilofop^ie,  tro|  aller 
beiläufigen  Slnertennung  ber  Sogif,  tro|  affer  Sobpreifung  ber  3)Zat|e= 
matif,  affeg  fetroa§  mt)ftif^e§  be^anbelt;  wenn  er  rerlangt,  baB  ber 
Wlen\d),  wie  er  mit  ^nftinft  (ober  ©enie)  angefangen  ^ah,  fo  auc^  ba= 
ttt^t^enbige;  wenn  ;ii)m  gi(^te'l  intedeftueffe  Slnfd^auung  3U  einem  eh 
jlcTtlfd^en  3wto^  ^irb,  in  meld^em  „bie  ©ebanfen  fic^  in  @efe|e,  bie 
2ßünf(S^e  in  ©rfüflungen  üeriüanbeht" ;  wenn  bie  3)iat^ematif  felbft  gu 
etroag  fo  überfdjioänglidjem  gemacht  wirb,  bafe  fie  am  (Snbe  nid;t  blo^ 
alfe  2öiffenfd)aft,  fonbern  aud;  bie  SfteHgion  unb  ha§:  fiö^ere  2eUn  ühev- 
Ijaupt  in  f{(^  fc^Iie|3en,  ha^  fie  burd^  eine  ^^eop^anie  entfielen,  ha§ 
ödjte  gfement  bei  3JJagier§  fein  foff  u.  f.  w.  ^)  gid^te  lä^t  bie  Statur 
aug  bem  ©eifte  mit  innerer  SJIotfiroenbigfeit,  nad;  feftcn  ©efe^en,  ^ev- 
üorgcfien.  58ei  Dloüatig  mirb  biefel  5>erf)ä(tniB  ein  irrationales,  pr;an= 
taftif(^e§.  hinter  bem  natürlid;cn  ^ufammcnljang  ber  Singe  liegt,  mie 
er  glaubt,  ein  gaubcrliafter  oerborgen.  ^n  ber  ^atuv  raic  in  ber  @e^ 
fd^id^te  fpielt  eine  wunberbare  3a^lenmi)ftif;  mit  bcn  natürlid;en  SSor= 
gangen  fielen  SBunber  in  2Bed;|elrairl'ung.  Sllle  ßrfafirung  ift  a)Zag{e; 
unter  benfelOen  Segriff  rairb  aber  and;  bie  ^l)ilofopf)ie  geftellt:  mer  in 
allem  bie  Offenbarung  beS  ©eifteS  ju  erfennen,  bie  SDinge  in  ©ebanfen 
ju  üerwanbeln  raciB,  ber  ift  „magifd;er  :jbealift".  2«agifd^  ift  feinem 
Söefen  nad^  haS'  5ßer^ättniB  beg  3Jienfd;cn  jur  SluBcnmelt  unb  p  feinem 
eigenen  Seibe.  S)er  &ehva\[^  unierer  Drgane  ift  raunbert^ätigeS  teu- 
fen, ber  SSitle  magifd^eS  S)cnlüermögen.  Sßarum  fodte  bann  aber  biefer 
2Bille  nid^t  aud^  wirflid^  Sßunber  t^un  tonnen?  Unfer  Setb,  meint 
^f^oüalig,  gid^te  mi^brandjeub ,  fei  nur  eine  2Sed;feltöir!ung  unferer 
©inne,  unb  wenn  mir  ^errfd;aft  über  bie  Sinne  l^abcn,  fo  l)änge  e§ 
nur  oon  un§  ab,  un§  einen  J?örper  ju  geben,  raeld^en  rair  mollen.  @5 
mü^te  möglich  fein,  bclfelben  fo  ooUftänbig  §err  3U  raerben,  ba^  man 
fid^  beliebig  t)on  il)m  trennen,  fid^  burd^  he\i  blo§en  Sßitten  tobten,  üer^ 
lorene  ©lieber  wieberl^erftellen  fönnte  u.  f.  ra.  (II,  135  ff.  143  ff. 
148.  151).  SBer  fi^  in  ber  9laturbetrad)tung  folgen  Träumereien  über= 
lä^t,  t)on  bem  werben  wir  aud^  feine  fd;arfe  unb  reine  6clbftbeobac^tung 

1)  m.  ögt.  II,  110.  122.  133.  142.  148  f. ;  anä)  bie  befannten  5Serfe  im  2.  S^eil 
bei  §einvid)  ü.  Ofterbingcn  II,  248. 


566  2:ie  iomQUtif(i|e  @c^u(e. 

erroorten  bürfett.    2Bo  un§  eine  nüchternere  $fi;(^ologie  bie  üerfc^iebenen 

Seiten  nnb  ©rfdjeinungen  ßineg  geiftigen  Sebenä  erfennen  tä^t,  gfoubt 

ber  ?0lr)ftifer  eine  3Jie^rf)eit  üon  geiftigen  2ßefen  gn  fefien,   bie  mit  ein= 

anber  in  einer  gefieimniBüoHen  SSerbinbnng  ftefien.    @r  rebet  oon  einer 

(s^e  be§  3Jlenfd;en  mit  ft(^   felbft;   ba§  ©enie   erfd;eint   if)m   at0   eine 

graeite  ^erfön(ic^feit  neben  ber  empirifd^en,   bie  geiftige  g^robnftion  al§> 

3n)ie[pradje  mit  einem  flöteten  SBefen,  Offenbarung  be§  ibeafen  ^c^  in 

bem  TOirflidjen  (II,  122  ff.  133.  142  f.  161);   nnb   bie^  ift  bei  ifim 

nid;t  nur  UMiä)  ju  t)erfte!^en.    5?on  (;ier  au§  ift  nur  ein  Schritt  ju 

ber  2Innaf)me,  ba^  biefe  2:^ätig!eit  eine  Offenbarung  ber  @ottf)eit  fei; 

9tot)aIi§  lag  biefe  Slnnafime  um  fo  nä!)er,   ba  er  oon  §aufe  aug  eine 

retigiöfe  glauben§bebürftige  9^atur  mar.    ©eine  gri)mmigfeit  fiat  aber, 

mie  bie  eines  ©c^leiermadjer  nnb  Sd^etting,  eine  entfdiieben  pantfieiftifd^e 

gärbung.    (Spinoja  ift  ii)m  ein  @ott=trunfener  3Jlenfd^,  ber  ©pinogifmuS 

eine  Ueberfättigung  mit  ©ottlieit;    „bie  luafire  ^t)ilo)op§ie  ift  burd;au§ 

reatiftifdjer  ;3bealifmug  ober  ©pinojifmuS,  fie  beruht  auf  {)öf)erem  @Iau= 

ben" ;  „nur  im  ^kntf)eifmu§  ift  @ott  ganj,  überall  in  jebem  ©in^elnen" ; 

uttb  fo  oerlangt  benn  and)  9^oüaIi§  uic^t  blol  bie  fromme  ©efinnung, 

für  mel^e   baS   ganje  Seben  ©in  @otte§bienft   nnb  ©ebet  ift,   er   be= 

liauptet  nic^t  blo§,   ba^  äd^te  @otte§furd;t  alle  ©mpfinbungen  unb  ^J^ei^ 

gungen  umfaffe,  fonbern  er  magt  aud^  bie  2{euBerung  über  bie  ©ottfieit, 

meldte  in  ber  S)erbl)eit  if)re§  ^ant|eifmu§  nid;t  einmal   bei  ©pino^a, 

fonbern  nur  bei  33öl)me  (f.  ©.  15)  ilir  ©egenftüd   finbet:    „biefer  9ia= 

turgott  ifet  ün§,  gebiert  unS,  fprid^t  mit  un§,  erstellt  un§,  läBt  fid^  oon 

uns  effen,   non  uns  geugen  unb  gebären,   unb  ift  ber  unenblid;e  ©toff 

unferer  2:l)ätigfeit  unb  unfereS  SeibenS"  (II,  120.  240.  265  f.  271). 

®aS  freilid;  l)eiBt  ©pinoja  grünblid)  uerfennen,  feine  großartige  ©elbft= 

tofigfeit  in  romantifd^e  ©enußfuc^t  nerfeliren,  unb  ben  fd;arfen  Sapibar* 

fti)l  feiner  ©ebanfen  in  mi;ftifd;eu  9'iebet  üerl)üllen,  raenn  ilim  bie  ^hee 

„eines  alles  übrige  Sßiffen  annil)ilirenben  unb  ben  SBiffenStrieb  ange= 

net)m  aufliebenben  SBiffenS,  furj  eines  mottüftigen  SBiffenS"  gugefd^rieben 

roirb  (II,  252);   unb  ebenfo  ^at  ber  pantl)eiftifd;e  9kturent^ufiafmuS, 

meldten  9?ot)aliS  fo  l)änfig,   namentlid^   in  ben  „fiel^rlingen  ju  ©aiS" 

auSfprid^t,   ungleid^   größere  3;<ern)anbtfc^aft  mit  ber  gleid^3eitigen  fd)el= 

lingifd^en  3Raturpl)ilofopl)ie,  als  mit  ber  matl)ematifd^en  unb  mec^anifd^en 

'^i)X)\il  beS  l)ollänbifdjen  ^l)ilofopl)en.    Sind)  in  feinem  S^erliältniß  jur 

^Religion  jeigt  er  fid^  gauj  unb  gar  als  StomantiFer.    @S  ift  il)m  nic^t 


9?oüalt§.  567 

Blo§  mit  ber  ^Religion,  fonbern  an^  mit  bem  Sf)riftentf)um  ernft;  er 
f)ai  geiftfid^e  Sieber  gebi(^tet,  bie  neben  mond^em  fünftti($  gema(^ten 
boc^  ber  ^nnigfeit  roafirer  ©mpfinbung  ni(^t  entbef)ren ;  er  ift  überjeugt, 
nur  bie  Sieligion  fönne  ©uropo  raieber  aufrid^ten  unb  fe§nt  fi(^,  bei 
unoerfennbarer  33orliebe  für  einen  ibeaüfirten  J?atf)oIicifmu§,  nad^  einer 
Sßerföfinung  ber  ftreitenben  Äird^en  (11,  290  f.).  216er  fein  Sf)riften= 
tfinm  ift  freiüc^  (fo  wie  er  e§  II,  268  f.  fd^itbert)  ein  fe(tfam  un!lare0 
Oemifd^  von  firc^üdiem  ©(ouben  unb  romantif d^en.  ©efüljten;  unb  an- 
bererfeitS  ftimmt  er  mit  ®c^(eiermad^er  in  bem  raeitriersigen  ©a^e 
überein,  ba^  ber  Tlen)^  jmar  immer  eine§  3)ütterg(ieb§  bebürfe,  ba» 
ifin  mit  ber  @ottf)eit  oerbinbe,  ba§  er  aber  in  ber  2öaf)I  biefeS  Witid- 
gliebS  burd;aug  frei  fein  muffe  ^).  SSenn  enblid^  ^Gmi\§,  (um  nur 
biefe§  noä)  aujufüfiren)  fid^  für  bie  Ärant^eit  begeiftert  unb  bie  ©elbft- 
töbtung,  über  ^:|3(ato'§  p^i(ofop{)if^eB  Sterben  f)inau§ge()enb ,  für  ben 
Slnfang  ader  ^^i(ofop{)ie  erftärt  (II,  168  f.  117),  fo  i)at  er  bie^  raeber 
von  gidf)te  nod^  oon  Spino3a  gelernt,  roogegen  er  in  bem  fd^önen 
SBorte  (260):  bie  ßroigfeit  fei  in  un3  ober  nirgenb,  mit  if)nen,  n)ie 
mit  allen  ödsten  ^N^ilofopl)en ,  am  unmittelbar ften  mit  €c§leiermad^er  ^) 
übereinftimmt. 

2öa§  9]or)ali^,  ber  bic^terif^e,  frü^gefdljiebene  Jüngling  in  finniger 
Jöetrad^tung  ol)ne  bie  ftrengere  gorm  ber  3öiffenf(^aft  au^fprad),  ba§ 
raotlte  griebri(^  ©cl;legel  (1772—1829)  jur  pl)ilofopl)if.Ijen  2:i)eorie 
erfieben.  ^n  ber  SBirftid^feit  brad;te  freiließ  aud^  er  e§  nid^t  über  frag; 
mentarifdfje  ©ebanfen  ^inauS,  meiere  bie  S^erfd^iebenartigfeit  ifirer  ur^ 
fprünglidjen  ^erfunft  nidjt  oevläugnen  föunen  unb  fid^  §u  feinem  in 
fid^  einftimmigen  ©anjen  gufammenfinben  motlen.  gr.  ©djcgel  mar  ein 
feuriger,  reidibegabter  ©eift,  uon  ber  rielfeitigften  ©rregbarfeit,  ber  Ieb= 
{)aftcften  ©mpfängtid^feit  für  aüeS  große  unb  begeifternbe.  Slber  feine 
Slnfid^ten  wie  feine  SSerfe  l)aben  etroa§  unfertige^  unb  unreife^.  S)ie 
leibenfdjaftlid^e  Unrul)e  feinet  2Befen§,  bie  SOda^lofigfeit  feiner  2lnfprüd^e 
auf  Slnerfennung  unb  ©enuB,  bie  ©c^eu  vox  ftetiger  Slnftrengung ,  bie 
©elbftüber^ebung ,  meldte  ein  gtüdtid^e^  Talent  mit  fd^öpferifd^er  @enia= 


1)  3n  ber  2(u§etnanbcrfetning  II,  i'61  f.,  öon  ber  jwar  titelt  angegeben  ift,  tt>el» 
(i)em  :^a^re  [ie  angetjört,  bte  aber  toä)  »ot)I  auf  bie  fünfte  »on  S  t^  leicrmadjer' § 
Sieben  über  bie  3teUgion  (4.  ^21uf(.  @.  291  ff.)  surücfsufü^ieu  ifi. 

2)  31,  0.  O.  @d)Iui3  ber  2.  Siebe.  @.  121. 


568  ®i2  romantiftfie  @c^ule. 

litttt  t)erroed)[elte,  einzelne  gelungene  Söürfe  unb  raeitgelEienbe  ©ntraürfe 
fi($  a(§  epod;emadjeube  Seiftungen  gutfdfirieb,  bie  (Selbft[ud)t,  welche  e§ 
il)m  unmöglid^  ma^te,  fic^  jemals  einer  (Sac^e  rein  unb  rüd^alt^toS 
j^injugckn,  fi(^  in  feiner  Slrbeit  ju  üergeffen  —  biefe  in  Bd)UQeVä 
9Zatur  fo  tief  eingeiuuräelten  gef)Ier  machten  i^m  eine  burd;greifenbe 
wiffenfdjaftlic^e  ßeiftung  gum  t)oran§  unntögtid^.  Unter  ben  ^^ifofopI;eri 
ber  3^it  war  e§  guerft  ?^id;te,  ber  il^n  mit  fid;  fortriß ;  bod)  treuste  fi(^ 
mit  biefem  (Sinflu^  in  feinem  ©eifte,  ber  für  Jlunftfritii^  unb  ^unftge= 
f(j^td;te  weit  günftiger,  al§  für  pl^i(ofop!)if^e  tlnterfud)ungcn,  organifirt 
mar,  t)on  Slnfang  on  bie  ©inmirfung  ©c^iller'S  nnb  ®ötf)c'§  unb  be§ 
!(affifdjen  2l(tertf)um§ ,  unb  anbererfeit§  trieb  er  bie  romantifdje  Unter^ 
f(^ieliung  be§  empirifd^en  ^(i)  an  bie  6telle  bc§  abfohlten  (worüber 
©.  563)  weiter,  al§  irgenb  ein  anberer  unb  30g  barauS  bie  auffallenb= 
ften  Folgerungen  0.  gic^te'0  ©tanbpunft  entfprac^  ca,  menn  er  fd;on 
1796  Sacobi'g  Sßolbemar  utd;t  blo§  aU  poetifd;e§  ^unftmer!  für  vex-- 
fe^lt  erflärte,  fonbern  il)m  aud;  feine  „Sn^i^oi^a^ität",  feine  2Beid;lid;!eit, 
feine  „©eelenfc^melgerei" ,  feinen  3)Zi}fticifmu§  jum  3]onüurf  mad;te; 
mie  er  aud;  fc^on  etroa0  früher  gegen  Q.  &.  ©(^loffer'g  pietiftifd;en 
®ogmatifmu§  ^ant'g  Qad)e  gefütirt  liatte.  gid;te'g  ^bealifmuS  unb 
©ötl;e'§  ^oefie  nennt  er  bie  beibeu  ßentra  ber  bcut[d;en  Silbuug,  bie 
fraugöfifd^e  9leüolution,  ben  SBitlielm  9Jleifter  unb  bie  2Biffenfd;aft^3lel)re 
bie  brei  größten  2:enbenäen  be^  ^al)rl)unbert§.  2luf  ?^id;te  raeift  mä) 
(giner  Seite  auc^  ber  begriff  ber  romantifd;cn  ^oefie,  hm  er  fic^  gu- 
ttädjft  aUerbingg  üon  bem  göt^e'fc^en  Sfloman  unb  bcm  mobernen  9io= 
man  übcrliaupt  abftral^irt  l)at:  ber  ^idjter  foU  fein  SBerf  frei  au§ 
feinem  Innern  Ijeraug  erzeugen,  feine  ^ubioibualität,  feine  ©timmung 
barin  barftellen.  Slber  ba§  freilid^  liegt  meber  in  ©ötlie'g  ©inn,  tt0(^ 
ergab  e^  fic^  au0  ben  ®runbfä|en  ber  2ßiffen[(^aft§lel)re,  ba§  biefeä 
bid;terifd;e  ©(Raffen,  fo  mie  @d;legel  unb  feine  greunbe  c0  faxten,  eincr= 
feit^  burc^  feine  3f?egel  gebunben  fein  fott,  bie  ^^reilieit  um  fo  größer, 
je  gefe^lofer,  bie  ^oefie  um  fo  reiner,  je  p^antcftifdjer  unb  üon  fad;- 
lid;em  ^nl)alt  entleerter  fie  ift;  unb  ha^  bie  Xl)ätigfeit  beä  S)id;terä 
anberecfeits  üon  ben  SDianncrn,  meld;e  fie  bod;  eigentlid)  nur  auS 
groeiter  .^aub  kannten,  unb  ungleich  me^r  üenner,  al§  J^ünftler  raaren, 


1)   2>ic   nä^ecen   S3cfege   jum   fotgeuben   piiben   fic^   bei   ^^^^inr    ^'f   romant. 
©djule  212  ff.  479  ff.  690  f. 


5r.  ©c^tegcl;  frühere  ^ertobe.  559 

bur(i^roeg  a[§  eine  felbftbeiuuBte,  dg  ein  SBerf  bei*  3iefteyton  unb  ber 
2l6fid^t  bef)anbelt,  baB  oon  ber  „STranfcenbentalpoefie"  gcrabe^u  „fd;öne 
«Selbftbefpiegfung"  geforbert,  baB  faft  auSna^mSfol  töi^ige  Äünftelei 
unb  froftige  2iaegorie  mit  g^oefie  ocrroec^feft  rairb;  ba^  ebenbcBf)aIb  ber 
9i£omantifer  (in  übelangebradjter  ^aä)af)munQ  be§  enbfo)en  ^rogreffeg, 
in  bem  ^\ä)te'^  unenbüc^e§  i^c^  über  jebe  Sc[d;rän!ung  immer  raieber 
l^inauSgieng),  um  fid;  ja  nic^t  in  feinem  SBerfe  ju  verlieren  unb  feiner 
greil^eit  nic^t^  ju  üergebcn,  bie  poetifd;e  STäufc^ung  fofort  felbft  raieber 
jerftört  unb  in  felbftucrnic^tenber  „Ironie",  ftatt  ben  «S^öpfungen 
feiner  ^p^antafie  bie  eigene  ©eele  einju^auc^en,  fi($  mit  feinem  ©elbft= 
berou^tfein  fortn}ä[;renb  qu§  benfelben  gurüdjie^t  unb  über  fie  ftefft. 

S)ie  gleiche  ©ubjeftiöität  übertrug  aber  Bä)UQel,  unh  er  in  noc^ 
t)ö^erem  ©robe,  als  bie  übrigen  9]omantifer,  anii  in  bie  SR  oral. 
SBenn  gidjte  ha^  ©ittengefe^  al^  ba§  innere  ©efcg  ber  greifjeit,  unb 
infofern  smar  al§  Srieb,  aber  a[§>  ben  „reinen  S:ricb"  gcfafit  \)atk,  fo 
t)er!el)rt  ]iä)  if)m  biefer  ©cbanfe  in  bie  S3e^auptung,  baj^  ba§  ^ä)  in 
feiner  Unenblidjfeit  überfiaupt  fein  ©efe^  fenne,  ai§>  fein  jeiueiiigeS 
SBoßen ;  ba^  biejenigen,  meldte  biefer  Unenblic^feit  ]iä)  hmn^t  geworben 
finb,  ba§  göttliche  ©efdjlci^t  ber  ©enialen,  ber  ©ebilbeten,  im  Unterfd^ieb 
t)on  ben  „statten"  unb  „©emeinen",  jeber  Steigung  p  folgen,  über 
jebe  fittlic^e  ©(^ranfe  fi(^  fiinraegjufelen  befugt  feien,  ^n  biefer  j^rei= 
l)eit  unb  Ungebunben^cit ,  in  biefer  ©rfiaben^eit  über  bie  „©rammatif 
ber  Stugenb",  über  bie  2ü\t  ber  2lrbeit  unb  bie  ^^effeln  ber  ^f(id^t,  he- 
ftef)t  ber  ,,ßi)nifmu§" ,  meldten  6(^fegel  je^t  aB  ta§^  eigentüd;c  SSa^r^ 
äei(^en  ber  f)öf)cren  (SittUd;fcit  preift.  ©in  3)knifeft  ber  neuen  Seben0= 
fünft  fottte  bie  „Sucinbe"  (1799)  fein;  in  SBa^r^eit  ift  fie  ba5 
fi^Ummfte  3cfit)i(b  berfelben,  meldjeS  gefd;rieben  werben  fonnte :  in  il^rer 
gorm  eine  SSerf)öfjnung  aller  Siegel  unb  alle§  reinen  ©e)d;mad§,  in 
il)rem  i^nlialt  ein  mibrigcä  ©emenge  tjon  raffinirter  (Sinn(id;feit  unb 
gef(?^raubter  ©eiftreid^igleit;  lüftern  unb  frec^,  aber  oline  bie  ^raft  unb 
©efunblieit  mirllic^er  £eibenfd;aft,  pat^etifd;  oline  äd;te§  ©efül;!,  pd^tlog, 
eingebilbet  bi§  gur  €elbftoergötterung,  unb  über  ©ebül)r  langraeilig. 
ßiner  b(o§  conüentioneHen  3Jioralität  rcirb  aUerbing?  ha§>  dlcä)t  be0 
^ergenS  unb  bie  ^flid;t  ber  freien  ©elbftbeftimmung,  ber  3)?einung  ber 
3}lenf(^cn  mivb  bie  ©timme  ber  S^iatur,  ber  moralifdjcn  @(ei($ma($erei 
ber  2luff(ärung  wirb  bie  ©tgenartiglcit  beg  inbioibuellen  SebenS,  hem 
SSorurtl)cil  öon  ber  geiftigcn  unb   gefe(Ifd;aft(id;cn  Unterorbnung   ber 


570  2)ic  romanttfdje  Sd^ule. 

grauen  luirb  bie  ©leid^berec^tigung  ber  beiben  ©ef^fec^ter  na^hxüäM) 
entgegenge!)alten ;  aber  rüü§>  ber  S)ic^ter  in  biefer  Se3ief)ung  wat)re§ 
fagt,  ha§>  wirb  tl)ei(§  fofort  rcieber  §u  folc^en  ^araboyieen  gefteigert, 
t^ei(§  ift  e§  t)on  §aufe  aw§  mit  fo  t)ie(em  fatfd^en  unb  x)erfe!)rten  t)er= 
fe|t,  baB  nur  feiten  ein  €a|,  fo  wie  er  il)n  f)inge[tefft  ^at,  ^öiKigung 
oerbient. 

^on  ber  Wloxai  f)atte  @d)leget  anfangt,  nac^  gi(^te'^  SSorgang, 
bieSteügion  nic^t  unterfdjieben ;  imb  rate  if)m  nun  jene  in  ber  frei= 
ften  Slu^bilbung  unb  ^ett)ätigung  ber  inbioibuellen  ©igentfiümüd^feit 
beftanb,  fo  fiel  il;m  ouc^  bie  ^Religion  mit  ber  greifieit  be§  geiftigen 
Seben»,  bem  ,,6i)nifmu§",  ber  33egeifterung ,  bem  ©inn  für  bie  ^or= 
monie  bea  llnioerfumS,  furj  mit  altem  bem,  morin  er  bie  ma^re  Silbung 
fa§,  bat)er  auc^  mit  ber  5poefie,  ^ufammen.  2ßie  raenig  er  üon  bem 
TOirf(id)en  Sßefen  ber  9teIigion  einen  begriff  t^atte,  fie^t  mon  fd;on  an 
hem  äk)t  romantif(^en  ßinfaU,  ba§,  raa§  an  fid;  fetbft  nur  ba§  unmittel= 
barfte  unb  naturraüdjfigfte  fein  fann,  fünft(id)  ju  madjen,  nad;  einetn 
oort)er  entworfenen  ^(an  unb  mit  feinen  Mitteln  eine  3teligion  §u 
ftiften.  ^nbcffen  fam  er  allmäljlid^,  unter  bem  ©influB  ber  f($Ieier= 
mai^erlfd^en  „hieben"  unb  ©pinoja'S,  auf  einen  oerönberten  ©tanbpunft. 
©0  üerfd^roommen  aud^  feine  ^eftimmungen  über  bie  9ieltgion  fort^ 
wä^renb  bleiben,  fo  befiauptet  er  bod)  je^t,  baB  fie  al§  bie  allbeiebenbe 
Sßeltfeete  ber  58itbung  jur  ^t)i(ofop^ie,  ^:poefie  unb  3Jloral  o(§  t)ierte§ 
{linjutrete,  ba^  in  if)r  ber  eigentliche  3}littelpunft  beS  geiftigen  £eben§ 
gefunben  werbe;  unb  im  3ufammenf)ang  bomit  finbet  er  je^t  ben  ^ö^- 
ften  ^u^alt  ber  ^oefte,  ftatt  be§  unenbtid^en  ^d),  melir  unb  mefir  in 
ber  ^bee  beg  UnirerfumS.  ^alb  gef)t  er  nod;  weiter.  (Sd;on  in  bem 
@efpräc^  über  bie  ^oefie  (1800)  erflört  er,  ber  :3beatifmu§  muffe  einen 
neuen,  ebenfo  grenjenlofen  9kalifmu§  fieroorbringen,  ber  aud)  im  we= 
fentlid^en  bereits  bei  ©pinosa  unb  33ö^me  unb  in  ber  9flaturpl)ilofopf)ic 
©(^eUiug'a  oorl)anben  fein  foH.  Stieget  witt  fid^  otfo  ber  Söenbung 
üom  fubjeftioen  ^bealifmuS  3um  ^antfieifmuS ,  weld^e  fid)  in  ber  beut= 
fc^en  g^f)itofopl)ie  eben  bamalS  bur^  ©d^eüing  oott^og,  gleidjfaüS  an= 
fditieBen,  wenn  er  auc^  ba§  ©ijftem  ber  abfoluten  ßinfieit  für  ebenfo 
einfeitig  erflärt,  wie  ben  titanifd;en  IXebcrmutf),  ber  ba§  ©öttlid^c  nur 
in'S  eigene  ^c^  lege,  unb  eine  ßrfiebung  ber  3f?aturp^ilofopl;ie  3um 
©piritualifmug  verlangt;  unb  fo  erptt  benn  je^t  aud;  bie  Ironie  bie 
SScbeutung,  bafs  ba§  6piel  be§  Sebeni  wirflid;  nur  al§  ©piet  genommen 


5v.  S(^(ege(;  fpätere  ''^eriobe.  57]^ 

werbe,  boB  ba§  ^d^,  mit  anbcren  SBorten,  au($  [einer  eigenen  il?id^tig= 
feit  fi(^  beraubt  werbe,  unb  ber  ^poefie  al§>  i^re  inid^ticjfte  2(nfgabe  bie 
gefteHt  werbe,  ung  von  allem  ©nbiidjen  ü6erf)aupt  anf  bo§  UnenbUdje 
linjumeifen.  Um  biefes  i^re§  ^roecf^  roiden  fott  bie  ^^oefie  bnrd;au^  ftjm^ 
bolifc^,  aUegorifcf;  unb  bibaftifc|  fein;  für  bie  ©rrei^nng  be^fclben  er= 
wartet  Sd^tegel ,  wie  ©d^eHing  (f.  0.  ®.  548,  552),  ba§  meifte  t)on 
einer  neuen  3JJijt^ologie,  bie  er  fic§  aber,  nad^  fetner  2lrt,  wieber  bur(^= 
au0  al§>  ein  ^robuft  ber  ^unft  unb  Stefleyion  bcnft. 

|>iemit  war  nun  bereite  bie  S3af)n  eingefrf;(agen,  we(rf;e  Sd^Ieget 
balh  genug  immer  tiefer  in  ben  3Jii;fticifmug  unb  fd;on  nac^  wenigen 
^ai)xen  (1808)  in  ben  <Bä)o^  ber  fatf)o(ifc^en  Äird^e  füf)ren  follte.  Sie 
„^f)i(ofop^if(^en  51orIefungen  au§  ben  i^a^ren  1803—1806"  unterf($ei= 
ben  fid;  in  gorm  unb  ^nf)a(t  auffatlenb  von  Sd^Iegel'»  älteren  ©df^riften. 
Sin  bie  ©teile  feinet  früheren  fragmentarifdjen  ^N^ifofop()iren.§  foU  je^t 
ein  ftreng  metf)obif(f;e§  3Serfaf)ren  treten,  allen  anberen  llnterfurfjungen 
wirb  bie  Sogif,  aliS  bie  Sel)re  con  ber  wiffenf($oft(idjen  ^-orm,  üoran^ 
gefd;idt,  bie  Sarftetlung  ift  im  ^crgleid;  mit  ber  früfieren  troden, 
fdjulmöBig  unb  fi^wungto^,  nic^t  feiten  gerabe^u  matt  unb  weitfc^weifig. 
3(u(^  ber  p^ilofop^if(^e  ©tanbpunft  t)at  fid^  aber  crl)eblid;  peränbert. 
SBirb  aud^  ber  ^bealifmuS  fortwä^reub  für  bie  einzige  eigentlidje  '^^U 
Iofopf)ie,  ba§  einjige  mit  ber  9teligion  unb  3}?oralität  t)ollfommen  übereim 
ftimmenbe  ©ijftem  erflärt,  unb  bcm  realiftifd;en  ^^^antl)eifmu§  ©pinoäa'g 
ber  SSorwurf  ber  ^nl)alt§lofigfeit,  ber  ^nconfequcnj,  be§  gotatifmu^, 
eines  bIo§  negatioen  S3egriff§  vom  llnenblid;en  u.  f.  w.  gemad;t,  fo  ift 
hoä)  ©djlegel,  wie  er  fid^  je^t  auSfpridjt,  weber  mit  bem  „intelleftuellen 
S)ualifmu§"  eines  ^lato  unb  S^eScarteS,  noc^  mit  bem  reinen  igbealif^ 
muS  einuerftanben.  2ßaS  namentlid^  ben  ber  9Biffenfd;aftSlel)re  betrifft, 
fo  bemerft  er  nid^t  ol)ne  ©runb:  wenn  bie  Stu^enwelt  au^  nur  ein 
(Sd^ein  fein  folle,  fo  werbe  ha§>  ^^  bod^  burd;  fie  befd^ränft,  unb  ber 
©runb  biefer  58efd^ränfung  fönne  nid^t  in  i{)m  felbft  liegen;  um  bie  be= 
bingte  ^c^lieit  nic^t  auS  einer  unbebingten  abzuleiten,  unb  ebenbamit 
in  ben  SftealifmuS  unb  ^antljeifinuS  ju  geratlien,  muffe  man  bie  bebingte 
^c^fieit  3ur  f)öd^ften  3ftealität,  bie  unbebingte  gu  etwaS  unwirflic^em 
ma^en  ^).  58ei  il)m  felbft  lautet  eS  jwar  fel)r  ibeoliftifd^,  wenn  er  fagt 
(a.  a.  p.  I,  106.  II,  118):  eS  gebe  fein  3^i^tid^,  fein  ®ing  auBer  ttm 


%.  a.  O.  I,  107.  194  ff.  243.  262  ff.  II,  25. 


572  ®^^  romantifd^c  ©djitlc. 

3(f; ;  ftefit  man  aber  nä^er  ^u,  fo  jelgt  fid^,  ba^  er  unter  bem  ^ä)  t)ier 
ba§  „Sßeltid^"  t)erftef)t,  raetd^eS  bal  ibealfte  2ßefen  mtb  aii^er  bem 
ni(^t§  real  fei.  S)amit  roürbe  ber  :3bealifmu§,  tüenn  lotr  ben  ^f)ilo= 
fopl^en  beim  2Bort  nefimen  bürften,  in  eben  ta^  umfi^Iagen,  \üa§>  er 
üorfier  abgele!)nt  ^at,  in  ben  reinen  ^anl^eifmu».  ©eine  eigentlii^e 
nnb  foIgered;t  burd;gefüf)rte  SJleinung  ift  bie^  aber  allerbing§  and^nii^t; 
was  TOir  rairflli^  bei  t^m  finben,  ift  »ielmelir  eine  unflare  S^erbinbnng 
t)on  fubjeftioem  ^bealifinng  unb  g?antf)eifmn§,  d^riftUi^om  ^^eifmu§  unb 
tt)eofopr;ifd;er  9Jtt)ftif,  bie  er  felbft  m^i  aU  @piritualifmu§,  ober  noc^ 
lieber  al§  ,,^l)ilofopl)ie  be§  £eben§"  be^eic^net  ^). 

3)ie  Duelle  alle§  plieren  Seben^  in  un§  bitbet  nad;  ©d^legel  (3Sort. 
V.  1804.  I,  72  f.)  bie  unl  angeborene  Sbee  be§  Unenblic^en,  toelc^e 
nä^er  bie  graei  ^been  ber  unenbU(^en  ©in^eit  unb  ber  unenblid;en 
SKannigfaltigfeit  unb  güHe  in  fid^  fd)aeBt.  2lu§  biefen  ^been  wirb  ber 
organifdje  3ufam]nenl)ang  ber  S)inge  abgeleitet,  -dou  bem  ©djlegel  bei 
feiner,  einer  ftrengeren  Haltung  freitid^  entbel)renben  Äategorieenlelire 
(I,  100  f.)  au?i]el)t.  dagegen  fott  ber  begriff  ber  ©otttieit,  bem  man 
im  ^ufammenljang  mit  ber  ^bee  be§  Unenblidjen  gunäc^ft  ju  begegnen 
erraarten  müBte,  bem  3}Ienfd;en  burd;  Offenbarung  mitget^eitt  fein,  ha 
il)n  meber  bie  SSemunft  no^  bie  ©innenraelt  ju  erzeugen  im  ©taube 
fei,  unb  e§  foff  be^lialb  bie  ^öd;fte  ^l)iloiopt)ie  5ll)eofopl)ie  unb  atte§ 
^öljere  2ßiffen  innere  @rfal)rung§roiffenfd;aft  fein  2).  ®ie  g-rage  nad^ 
bem  3Scr{)ältniB  be§  @nblid;en  unb  tlnenblid;en  beantwortet  @d)legel 
(a.  a.  D.  I,  108  ff.)  bal)in:  ämifd^en  einem  unenblid^en  unb  einem  enb= 
lid^en  ©ein  fei  feine  SSerbinbung  unb  fein  Hebergang  t)on  bem  einen 
gu  bem  anberen  benfbar;  fe^e  mau  bagegen  an  bie  ©teile  be§  ©ein§ 
ben  begriff  be§  Sebeng  unb  2Berben§,  fo  geige  fic^,  baJ3  beibe  eigcntlid^ 
ein0  unb  ba^felbe  unb  nur  bem  @rab  nad)  oerfc^icben  feien:  ein  mer- 
bcnbeS  Unenblid;e  fei  al0  unuollenbet  guglcid;  enblid^,  ba§  merbenbe 
enblid;e  entl)alte,  foroeit  eine  eroig  beroeglid^e  ^Ijätigleit  in  ifim  roirffam 
fei,  eine  unenblid;e  innere  (^iille.  (S)ie  letzteren  ©ä|5e  erinnern  an.§egel, 
mit  bem  fid;  ©dlilegcl  aud;  fonft  in  bem  einen  unb  anbern,  roie  3.  33. 
in  feinen  (äinroenbungen  gegen  ben  ©a|  bc§  2ßiberfprudj§,  I,  90  f., 
berül)rt.)    ©r  mad;t  bcmnac^  ben  ^erfud^,   forooljl  @ott   ol^   bie  SBelt 


1)  ©ämmtl.  Serfe  XII,  71  («orkiungcu  0.  ^.  1827). 

2)  21.  a.  D.  l,  209   426.  ©ämmtl.  2B.  XII,  71.  74.  113. 


^x.  @(f)Iegcl;   fpäterc  ^ertobe.  573 

al§>  lücrbenb  5U  begreifen.  Stber  ift  bie§  fd)on  an  fid;  [d^ief,  fo  üerirrt 
er  [i($  nun  t)oIIenb§  in  ber  Slu^fü^rung  biefeg  ©ebanfenS  in  feltfanie 
Siräuntereien ,  au§  benen  wir  53ö^me  nnb  anbere  S()eofopf)en  beutüd^ 
^erau^fiören.  3)a§  ^elu:^d),  er^ö^lt  er  un§  (II,  136  ff.),  auf  feiner 
erften  ©tufe  nur  bie  unenblid^e  ßin^eit  ofine  äffe  3Jtonnigfaftigfeit, 
raurbe  burc^  ba§  @efüf)l  biefer  urfprünglicfjen  Seerl^eit  ^u  einer  unenblid^en 
®ef)nfudjt  erregt,  wetd^e  nad^  äffen  Seiten  fid;  auvbe^nenb  nid;t§  an-- 
bere§  ai§>  ber  ^aum  ift;  biefe  @e^ufu(^t,  mit  ber  STuSbe^nung  felbft 
onn)ad;feub,  t)erraanbelte  fid;  in  ein  unru^igeg,  f)eftige§  Streben,  ein 
überirbifd^eS  geuer;  in  beut  quaboffen  Streit  biefer  ^egierbe  erinnerte 
fid^  ba§  3ße[t=3<^  i«  Sd^merj  unb  ^em  feiner  üertorenen  @inf)eit,  unb 
au§  biefer  Erinnerung  eutftanb  bie  Qcit;  in  if)r  liegt  aber  auc^  bie 
auftöfenbe  ^raft,  burc^  wc(d;c  ba§  geuer  ber  Segierbe  gelöfd;t  wirb, 
unb  fo  ift  fie  al^  ßtement  'oa§  Sßoffer.  ^n  biefem  Stril  gef)t  e§  fort; 
f)ier  wirb  e0  an  ber  ©inen  ^robe  genügen.  Gbenfo  oerioorren  ift 
Sd^IegcCfg  „%^eoxk  ber  @ottI;eit"  (a.  a.  D.  22G  ff.),  mo  er  unter  an^ 
bereni  ben  ©o^n  ©ottei  mit  bem  ©rbgeift  ibentificirt,  unb  „bie  f)imm= 
tifd^e  Suft  ober  ba§  Std;t"  (äljulid^  raie  feiner  3eit  bie  3Jianid;öer),  ah% 
ba§  Drgan  be§  f)ei(igen  ©elftem  betrachtet  tuiffen  miff.  gür  feine 
ganje  SöeUaufdjauung  ift  fdjon  ber  ©ine  Sol^  be^eidjueub,  ,,,baJ3  ber 
erfte  91ing  affer  ©efe^e  in  einer  abfohlten  götttid^en  SBifffütjr  ju  fitd;en 
fei"  (II,  122).  2Ser  bicfel  g(aubt,  für  ben  giebt  e§  ftreng  genommen 
uberl)aupt  feine  3^aturgefe^e,  unb  fo  fann  e§  un§  nic^t  überrafd^en, 
raenn  it)m  bie  ouBeror6ent(idjften  SBuuber,  5,  ^.  ber  Stiffftanb  ber 
Erbe,  gan3  in  ber  Drbnung  3U  fein  fd;einen,  menn  er  un§  über  bie 
©eifter  in  ber  Suft,  i^re  fiberifdjcn  Selber  unb  il^r  boppelteg  ^emu^tfein 
Sluffc^tu^  giebt,  unb  ma§  ber  Slrt  mefir  ift  0-  2(uc^  Sc^fegel'l  @e^ 
fc^id^t§betrad}tnng  ift  üon  tfieologifdjen  unb  t^eofopl;if($en  @eftd;t§punftin 
be^errfd;t  '■^).  ®ie  Sßeltgcfc^idjte  bcmegt  fid^  if)m  ^roifc^en  bem  Sünben= 
fall  unb  ber  ©rlöfung;  unb  biefe  beiben  ^ßorgänge  foffen  nid^t  bloS 
\)en  ©eift  be§  SJtenfdjen,  fonbern  auc^  feinen  Seib  unb  bie  gan^e  irbifd)e 
Statur  mit  betreffen,  ©inen  sraeiten  Sünbenfaff  fiet)t  ber  Diomantifer, 
welcher  bem  ^-^roteftantifmug  ben  3lüden  ge!ef)rt  f)at,  in  ber  9ieformation. 


1)  e..  2Ö.  S.  XII,  9G.  135.  25.  «ort.  ü.  1804  II,  132  f. 

2)  Sliijier  ber  „^^UoJDpt)ie  ber  ®efc^."    (@.  3B.  Xni  f.)    »g(.    m.   B.  2B.  XII, 
111.  119.  144.  383  f. 


574  ®oIger. 

SBeit  nü(^terner  ift  im  ganjen  bie  @tf)if  biefer  fpätereit  ^ertobe;  a\i^ 
l^infic^tlic^  ber  61)e  feigen  mix  ©(Riegel  je^t  t)on  ben  S^erirrungen  ber 
iucinbe  311  ber  geroöimlic^en  Slnfidjt  jurücff eieren;  unb  lüenn  feine  ^0-- 
(itif  fid)  auf  bie  ©eite  ber  2:fieofratie  unb  bei  mittelaltev(id;en  ®tänbe= 
wefenS  fteHt,  giebt  fie  bo(^  biefem  (Stanbpunft  im  S3erglei(^  mit  anberen 
S:f)eorieen  jener  3^it  einen  gemäßigten  2Iugbruc!  ^).  ^nbeffen  fogt  er 
felbft,  bie  3)loraI  fönne  im  ftrengen  ©inn  feine  SBiffenfd^aft  fein,  benn 
if)r  ^princip  liege  barin,  ha'^  ha§>  ©ittengefe^  all  ber  SBiEe  ©ottel  att= 
erfannt  werbe,  nnb  biefel  ^rincip  berulje  auf  bem  ©lauben.  (Sd;leget 
l)at  jeboc^  burd;  feine  fpäteren  ©d^riften  auf  bie  beutfdje  IHteratur  über= 
^aupt  nur  eine  befd^ränfte,  auf  bie  beutfdje  ^l)ilofopl^ie  feine  irgenb  er= 
l^ebli($e  9Birfung  aulgeübt. 

ajtit  ber  romantifdjen  ©d;ule  unb  namentli(^  mit  (Sd;(eget  fielen 
bie  übrigen  3]ertreter  ber  tl)eofratifd;  =  legitimiftifc^en  ©taatllelire  in  in= 
nerem  unb  äußerem  3ii[(^itt"tenl)ang ;  unb  gerabe  bie  beiben,  raeld;e  fid^ 
am  meiften  um  ben  Unterbau  einer  miffenfd;aftlidjen  ^lieorie  für  biefen 
©tanbpunft  bemül)t  ^aben,  Subioig  v.  |)aner  (7  768—1854)  unb 
2lbam  9}lüller  (17C9— 1829),  berühren  fid;  mit  il)m  and;  barin,  ha^ 
fie  ebenfo,  mie  er,  oon  ber  proteftantifd;en  ilirdje  -jur  römiid)=fatl)olifd^en 
übergiengen,  um  bann  in  biefer  all  SSorfämpfer  ber  politifd;en  unb 
fird^lid;en  9fteftauration  aufzutreten.  9Iber  menn  aui^  biefe  9)Mnner  in 
geroiffen  Greifen  Beifall  unb  Selo^nuiig  gefunben  l)oben,  fo  maren  fie 
bod;  felbft  f)ier  nur  ^^erf^euge,  bie  man  für  beftiiiunte  politifd;e  ,3mede 
bcnüföte,  nidjt  geiftige  güt)rer;  bie  ©efdjidjte  ber  ^s^ilofopt)te  üodenbl 
wirb  biefe  S)octrinäre  bei  Dlüdfd^rittl,  menn  aud;  Müller  feiner  üer^ 
TOorrenen  ^lieorie  einzelne  fdjeüingifdje  begriffe  unb  ©ä^e  einoerleibt 
^at,  füglid)  ber  ©efc^ic^te  ber  ^otitif  überlaffen  tonnen  -).  einige  if)rer 
politifd;en  ©cfinnungigenoffen  werben  unl  unter  ben  2lnl)ängcrn  ©d;el: 
Ung'l  nod)  üorfommen. 

3ur  romantifc^cn  ©djule  pflegt  man  aud^  ben  ^Berliner  ^U}ilofopl^en 
unb  2loftl)etifcr  Äarl  ©olger  (1780 — 1819)  3U  red^nen.  Unb  feine 
SSerroanbtfc^aft  mit  berfetben,  auf  bie  and;  feine  fpittcre  greunbid^aft 
mit  Slied  meift,   läfst  fidj  ni(^t  rerfennen,  fo  meit  er  immert)in  einem 

1)  lieber  ©d)Icget'«  moxa\,    «Red)t5=  unb  ©taat§Iet;ve  bgl.  m.  SBorIcf.  i\  1804, 
n,  254  ff.  ®.  SS.  2ö.  XII,  310  ff. 

2)  mtitxi^   über   fic   bei    3.  .&.   ?^t(^te    etljif   I,    424  ff.    SDJobl   ®'\A).   b. 
©taatsiuiffcuic^.  II,  529  ff.    Stuutfc^It  (Sefc^.  b,  ©taat§r.  405  ff. 


©ofgcr.  575 

«Sd^tegel  unb  ^arbenBerg  an  Äraft  ber  2l6ftraftion  iinb  ©inn  für  tne; 
tt)obifc^e§  ©enfen  überlegen  wax.  SBir  finben  bei  ©olger,  toie  bei  hm 
Siomantifern ,  eine  SSerbinbung  ber  beiben  ©(emente,  für  beren  ^ex'- 
fnüpfnng  bie  ^sljilofop^ie  eben  bomaI§  hk  richtige  gormel  5U  finben 
fuc^te,  be§  fubjeftiüen  Sbeaüfmu^J,  nielrf;en  gidjte  in  ber  2ßif[enf(^aft§= 
k^xc  anf  bie  Spi|e  getrieben  ^atte,  unb  be§  fd^eHingifd;=fpino5iftif($en, 
bur(^  p[atoni[d;e  ^öeen  belebten  unb  gemilberten  ^antiieifmuiS.  SBir 
finben  aber  audj  bei  if)m,  wie  bei  jenen,  ein  2lneinanber^aften  biefer 
beiben  Elemente,  roetc^e^  feinet  berfetben  ^ur  üoflen  ©ntroicftung  tommen 
läBt  unb  baf)er  andj  i^re  roifienfdjaftUd^e  ^Vermittlung  unmöglid^  mod;t. 
S)a§  abfolute  ^d;  %i<S)te'§  ycnuanbelt  fid;  itjin  aKerbingS  in  bie  abfolute 
;3bentität,  aber  bie  Offenbarung  biefeg  Slbfoluten  bro§t  fid^  fortiuö^renb 
in  einen  fubic!tit)en  ©djein,  bie  enblidje  SSelt  in  ein  9?id)t§,  in  bie 
bioBe  ©c^ranfe  unfereC^  53eiuuf5tfcin§  auf^ulöfen.  SoIger'S  pflilofop^ifd^er 
6tanbpun!t  läfjt  fid;  bafjer  am  meiften  mit  ber  fpäteren  Sefjre  gid^te'f^ 
üergfeidjen,  beffcu  33or(efungcn  ilju  (1804)  in  33erlin  bcgeifterten,  na^- 
bem  er  fd;on  früf)er  in  ^cna  6djel(ing  jum  Sefirer  gel;abt  ^otte.  Sind; 
^(ato  unb  Spinoza  ftubirte  er  eifrig  unb  Sc^teiermadjer'g  hieben  fanben 
feine  üotte  3wftii»i«iti^9-  ?vid;te  unb  Sdiefting  nennt  er  (9^ad)g.  ©c^r. 
1,  134)  bie  beiben  größten  ^s^iiofop^en  feiner  3eit;  von  ^lato  entlefjnte 
er  für  feine  ©arftedungen  bie  @efpräd;§form,  ba  fie  fid^  für  eine  k- 
benbige  ^^i(ofop{)ie  am  hc)kn  eigne  (a.  a.  D.  I,  510.  II,  194  u.  ö.); 
inbeffen  üerbirgt  e§  fic^  auä)  bei  if)m  nid;t,  baf,  biefe  gorm  un§  nid^t 
mef)r  natürtid;  ift  unb  für  ftrengere  raiffenfdjaftlidje  Unterfud;ungen 
nid;t  pa^t. 

©otger  cerlangt  pnäd^ft  mit  gidjte,  baf5  bie  ^I;itofopf)ie  nom  <Belhfb 
berouBtfein  aulgef)e,  in  bcm  mir  ^ugleid;  aud^  bag  Semu^tfein  überhaupt 
nac^  feinem  in  alten  ibentifd;en  2Sefcn  erfennen;  fo  baf3  unS  mit  ber 
©infieit  be§  ßinfadjen  unb  beg  9Jknnigfaltigen  in  m\§>  felbft  gugleid; 
and)  bie  ßin!)eit  fd;(edjt()in  gegeben  fei,  bie  üon  Urfprung  an  mit  aller 
SDtannigfaltigfeit  ein§  fei  (a.  a.  D.  II,  CO  f.).  @r  gtaubt,  wenn  mir 
im  ©taub  mären,  jeben  9Jtoment  ber  ©ntmidfung  unfcreg  Semu|3tfein§ 
mit  unferer  Slnfdjauung  üotiftänbig  ju  burd^bringen ,  fo  mürben  mir 
barin  ba§  gefammte  SBefen  ber  SDinge  a(§  gegenmärtig  mat)rne§men; 
benn  mag  in  unferem  ^öerou^tfein  in  einanber  liegt,  ba§  ftelle  fid^  in 
ber  9iatur  auf  üerfd^iebenen  Stufen  gefonbert,  in  ber  ©efd)id;te  al§ 
gefe^mä^ige  (sutmidtung  nac^  einonber  bar  (p^itof.  @efpr.  113).    Slber 


576  eolger. 

biefe  53cbeutitnG  foH  bem  @eI6ftbcn)U^t[ein  nur  be^^alb  äufommen,  toeil 

\iö)  in  i{)m  unmittelbar  ein  ^ö{)ere§   abfpiegelt,   weil  ba§  roHfommenc 

3Bi[fen  oon  [ic^  [clbft  äugtei^  ein  SBi[fen  oon  bem  roHfommenen  Söefen 

ift,  it)e(d;e§  nid)t  Uo§>  ben  inneren  ©runb  ber  2ßelt  bilbet,  fonbern  anä) 

als  9Ött(id)e§  ©elbfibemufetfein  frei  über  if)r  fd^roebt.    3)a§  Snbiuibunm 

wirb  nur  baburi^  wat)re§  ^nbiuibnum,   ba§   e§  fic^  al§  33e[onberl)eit 

fd;(e($tl)in  erfennt,   b.  f).  fidj  a(§  ßineS  unb  2lfföemeine§  bnrd;au§  t)er= 

nid;tct  unb  fid;  bIo§  n)af)rnimmt  al§>  ©renje  unb  2luf!)ebung  bc§  mal)rt)aft 

©inen,  ©otteS.    ®ie  inbiüibucUe  ©yiftenj  ift  ba§  eiöentüd^e  3l\d)t§'  felbft, 

au^er  insofern  fie  3)tomcnt  be§  S^afeinS  @otte§  ift;   wiK   bie[e§  9Rid)t§ 

au^er  @ott  fein  unb  ein  pofitioes  9iic^t§  werben,   fo   ift  e§  ba§  SSöfe 

(a.  a.  D.  'Jl.  ©^r.  I,  377  f.    600.  II,   83  f.   247.  283  f.  u.  ö.)     ^n 

bem  2luföcl)en  ber  @otte^4bee  in  ber  ©eete,  in  jener  ©elbftanfc^auunß, 

bie  fic^  felbft  auffjebt  unb  ba§  2Ibfo(ute  an  ifire  ©teile  treten  (ö^t,   be= 

ftet)t  bie  Offenbarung,   welche  nad^  ©olger  bie  gemeinfame  Duelle 

ber  ^{)i(ofop^ie  unb  ber  9teUgion  ift.    S)enn  bie  ^^i(o[op{)ie,   fagt  er, 

ift  nid;t§  anbcreS  als  bag  S^enfen  über  bie  gött(id;e  Dffcnbavttng,    bie 

©egenmart  beS  3Befen§  in  unferer  (grfenntuiB  unb  ©yiften^;    ebenfo  ift 

aber  aud;  bie  9ie(igion  nidf)t§  anbereS  a(§  ber,  ©laube,   burc^  it)e(d;en 

unfer  ^nnereS  fid)  felbft  ergreift  unb  feine  S^erraanblung  in  Offenbarung 

be§  ©roigen   erfälirt,   unb   bie  9ie[igionen  ber  üerfdjiebenen  5>öl!er  be= 

geid^nen  bie  ©tufen,  hutä)  meld;e  bieie  Offenbarung  fid^  entmidelt.  ^i)\'' 

lofopf)ie  unb  9fleligion  finb  ba{)er  an  fid^  ein§:    bie  ^(jilofopl^ie  ift  ber 

©laube  ala  @infid)t,  ba§  @r!enueu  ber  Offenbarung,  in  bereu  ©rfaijrung 

bie  Söaljrfjcit  unfereS  gan3en  Mm\§>  befte{)t,   unb    cbenbef3f)a(b   ift   bie 

^f)i(o)opf)ie   uotf)menbig    unb   unentbei^rlid^  ^).    2lbcr   biefe   erfenntni§ 

ift  nur  bcmjenigen  möglich,  in  metd^em  bie  ^bee  als  unmittelbare  innere 

@rfa{)rung  gegenmärtig  ift.    Df^ur  ein  foldjer  ift  im  ©taube,   fid^  t)ou 

ben  befonbercn  53e3ief)ungen  unb  5icrfiiüpfungen  ber  S)inge  ju  bem  cin= 

l)cit(idjen  (^Jrunb  unb  3ufammcnl)ang  aüeä  ©ein§  gu  ergeben,   nur  er 

ift  bei  {)i3f)eren  ©rfennenS  fä^ig;  mo  bagegen  biefe  $8ebingung  fel^It,  ba 

bleibt  man  bei  bem  rclatiüen  ^cnfen,  ber  „gemeinen",  ber  bloßen  33er= 

ftanbeSerfenntniB  ftel)en,  bie  mit  jenem  freiließ  in  le^ter  23e3iel)ung  ©in 

©anseS  auSmad^t  unb  ^u  feiner  Grgän^ung  unentbcf)rlid^  ift,    bie  aber 

oon  ©otger  boc^  in   ber  Spiegel   fo  tief  Ijcrabgefe^t  roirb,   ba^   mir   in 


1)  9?ad^g.  ©c^r.  H,  52.  115  f.  169  ff.  195-  283.  I,  600.    ^^ilof.  ®efpr.  162  f. 


eolger.  577 

biefer  IXnterfc^eibung  ber  beiben  ßrfenntni^arten  bie  romantifd^e  ©r- 
l^ebung  beu  ©entalen  über  bie  ^(atten  unb  @c^etting'§  oornefime  Stel- 
lung gegen  ha§  geraöfinli^e  S^enfen  (f.  o.  @.  526.  569)  ol^ne  3}lü^e 
rotebererfennen  (5«.  @d;r.  II,  82  f.  88  ff.  100  ff.  I,  701). 

S^em  ©egenfa^  ber  f)öf)eren  unb  gemeinen  ©rfenutnlB  entfprid^t  ber 
@egenfa|  be^  Unenbü^en  unb  be§  ©üblichen,  ber  ©ottfieit  unb  ber 
23elt.  ^ef)tt  e§  aber  fd^on  bei  jenem  erfteren  3Ser{)ältni^  Solger'g  ^c= 
ftimmungen  an  ber  üollen  £!eutli(^!eit,  fo  gerätf)  er  bei  bem  ^roeiten, 
metapf)i)[tf(^en,  üollenbs  in  eine  un!(are  unb  miberfpruc^loode  SJtgftif. 
©inerfeitö  er[d;eint  il^m  ba5  GnbUd^e,  ber  @ott!)eit  gegenüber,  qI§  ein 
n)efen(ofe§  unb  nicf;tigel;  anbererfeit»  erfennt  er  bod^,  bafe  if)m  ein  ge- 
miffeg  6ein  gufomme,  unb  ha^  ©öttlic^e  felbft  in  i^m  auf  eine  geroiffe 
2lrt  Safein  geroinne.  ®r  mill  bie  3iatur  meber  mit  gid^te  al§  eine 
blo^e  od;ranfe  bc»  ^erou^tfeinS  betrad^tcn,  nod;  mit  Sdjeding'»  fpäterer 
2ef)re  @ott  felbft  einem  Serben  in  ber  2Se(t  unterwerfen.  Stbcr  er 
fommt  bem  einen  wie  bem  anberen  na^e  genug,  wenn  er  bie  SSelt  aU 
haS'  9iid)t§  barftellt,  in  n)e(d^c»  ba»  SSefen  fi^  aufgelöft  fiabe,  um  in 
ber  3Sernid;tung  biefeS  feinet  D^ic^tfein^  fi(^  al§>  Söefen  gu  offenbaren, 
i^n  ber  D^atur,  fagt  er,  fd;affe  ba§  göttliche  ^erou^tfein  fein  eigenes 
äußeres  S)afein  burc^  ha§'  STenfen  ber  in  i^m  liegcnben  ©cgenfäöe,  in 
ber  fittlii^en  ^t^ätigfeit  vereinige  e§  biefe  @cgenfä|e  roiebcr  gu  feiner 
eigenen  (Sinfieit,  f)ebe  fie  ebenbaburd;  al§  blofse  ©fiftenj  auf,  unb  offen= 
bare  fii^  als  SBefcn  burd^  biefe  SSernic^tung  beS  S^einS;  bie  ©yifteuo 
fei  an  unb  für  fid;  nur  ba»  Tdä)i^5  beS  SBefenS,  ha§>  Söefcn  merbe  rairf^ 
lid^eS  SSefen  nur  babur«^,  ba§  eS  biefeS  9iid;tS  aufgebt;  bie  -Ratur  fei 
eS,  meldte  ba§  5Jiid;tS,  ober  baS  btofie  Sßerben,  in  ein  S^afein  nerraanble, 
unb  ba§  ^nbiüibueHe  in  ber  ©yiftenj  erljalte;  nur  in  ber  n)efentli(^cn 
©egenraart  ber  göttlidjen  £raft  feien  wir  etroa»,  an  unb  für  un§  feld ft 
aber,  aud^  als  baS  S'afein  @otteS  gebadjt,  ein  reintS  ^Rid^tS,  unb  eben 
bie§  fei  bie  l)öd^fte  Siebe,  ba§  ©ott  fid;  felbft  in  baS  S^id^tS  begeben, 
bamit  mir  fein  möchten,  unb  ba^  er  fid;  fogar  felbft  geopfert  unb  fein 
3fiic^tS  oernidjtet,  feinen  ^ob  getöbtet  l)abe,  bamit  mir  nii^t  ein  bloßes 
SJ^id^tS  bleiben;  baS  @ute  würbe  unS  niä)t  fein,  wenn  cS  nid^t  einen 
Sd;ein  ptte,  ben  eS  tobte,  benn  bie  l)öl)ere  2lrt,  ba3ufein,  fei,  fid;  gu 
offenbaren,  unb  fid^  offenbaren,  lieiße  fein  9fiid;lS  üernid;ten.  Stuf  biefer 
GrlenntniB  ru^t  nad^  ©olger  bie  Sieligion,  bie  6ittl!d;!eit  unb  bie 
^unft,  meiere  ba^er,  wie  er  fagt,  nid;tS  finb,  als  bie  in  ber  SBiiflic^feit 

Seiler,  ©cfc^ic^te  ber  bciititfien  ^l?^iIofop[jie.  37 


578  ©olgcr. 

»erfc^iebentlic^  loiberfd^einenbe  %^at  ber  ®elbftüerni($timg  unb  ©etbft= 
offenbanmö  be3  göttlicf^en  93efen§  ').  ©ben  bie^  ift  auc^  ber  ©runb, 
luefefialb  eolger  in  ber  Steftiietif,  bem  %'i)e\i  ber  5p^ilofopf)ie,  um  ben 
er  fid)  bay  bteibcnbfte  3?erbtcnft  erraorBen  fiat,  biefeS  gro^e  @en)i(^t  auf 
bie  füuftferifdje  fronte  legt.  @r  t)erftet)t  uämtid^  unter  ber  i^rouie, 
im  9lnl'd)lu^  nn  ^r.  ©d^legers  fpäteren  6prad;gebrau(^ ,  biejenige  ßJe= 
mütf)§üerfa[fung ,  mel(^e  un§  in  allem  bie  Offenbarung  ber  i^bce  an* 
fc^auen,  ebenbef3J)aIb  aber  in  hem  Untergang  be0  @nblid;en  auc^  beu  ^r 
Qbee  betrauern  lä^t,  iüäf)renb  fie  un»  gugleic^  über  biefe  Trauer  burd; 
ben  ©ebanfen  ergebt,  ba^  bie  3bee,  eben  inbem  fie  al§  ©j-iften^  untere 
ge^t,  fid)  al§  Qbee  offenbare. 

©olger  ftarb,  ef)e  er  feine  ©ebanfen  3U  einem  üottftänbigeu  ©t)ftem 
entiuidelt  unb  3ufammeugefa§t  f)atte^);  aber  menn  er  aud;  länger  ge= 
lebt  Ijätte,  wäre  ii)m  bie^,  wofern  uid;t  fein  ganger  ©tanbpunft  fi^ 
änberte,  fd)roerlid;  gelungen.  @r  fetbft  begcid^net  feine  ^f)i(ofopt)ie  mit 
Siorliebe  aU  SJiijftif;  unb  bief^  ift  fie  au(^  mirftic^  ifirem  i^uljalt  wie 
if)rer  gorm  naä).  ©erabe  ber  2lngelpunft  be§  ©angen,  ba§  i^erl^ättni^ 
bc§  @nbU($en  unb  be§  2lbfoIuten,  bleibt  bei  il^m  (wie  fc^on  gegeigt 
lüurbe)  burd;au»  unflar.  S)er  3Biberfpru(^,  ha^  ba§  @nblid;e,  unb  ba^ 
aud;  bie  menfdjlic^e  ^ubiüibualität  an  fid;  felbft  ein  reinem  Td^t§>  unb 
bod)  gugleid)  ein  SJtomcnt  be§  göttlichen  £eben§,  bie  unerläßliche  gorm 
feiner  Offenbarung  fein  fott  —  biefer  SBiberfprud;  wirb  l)ier  nid;t  auf 
toifienfd;aftlidjem  SBege,  burd;  allgemeingültige  53egriffe  unb^eraeife,  gelöft, 
fonbern  bie  ^Bereinigung  ber  beiben,  fo  wie  fie  oorliegen  unuereinbaren, 
^eftimmuugen  bleibt  bem  fubjeftiuen  @efül)l  unb  ber  fubjeftiüen  2ln= 
f(^auung  überlaffen;  e§  wirb  n)ol)t  geforbert,  baß  man  beibe§  aner^ 
fenue,  aber  eg  mirb  nid;t  gegeigt,  wie  bteß  möglid^  ift.  6§  fel)lt 
©otger  mit  Ginem  Söort  bei  aller  güffe  ber  2lnfd;auungen  unb  @e= 
bauten  an  ber  5^unft  einer  ftreng  metl;obifd;en  llnterfnt^ung ;  unb  ge= 
rabe  beßl)alb  mußte  il)m  ber  p^ilofop^ifd;e  Sialog  fo  befonberS  gufagen, 
weil  in  biefem  bie  yerfd;iebenen  33etrad;tung§weifen  burd^  oerfd;ieb6ue 
^erfonen  ocrtreten  finb,  unb  iljre  ^ertnüpfung  bem  Sefer  antieimgeftellt 

1)  9Ja(^c3.  @d;v.  II,  114.  168  ff.  -^69.  247  ff.  I,  511.  601  f.  701  ff.  %^i)ilol 

©efpr.  315  ff. 

2)  lieber  bie  Snic!)jlücfc  eineS  fot(f)en,  mdd]t  in  feinen  ©rf)rtften  allein  üorüegen, 
f>fvid)tct  grbmann  &i\d].  b.  n.  t^^.  HI,  b,  440  ff.  auSfü^rlicfjer,  aUi  bieg  t)tec 
iHü^jltd)  wax- 


«erger.  579 

werben  Um.  ^e^etc^nenb  ift  in  btefer  SSejie^ung  fein  Hrtfieit  ü6er 
graei  VOM  feinen  ©odegen,  raetd^e  gerabe  burd^  met^obif^eS  S)enfen  ^er= 
üorragen:  über  (Sd^reiermac^er,  ben  3Jleifter  ber  bialeüifd^en  g^eflejion, 
unb  §eger,  ben  2)leifter  ber  bialeftifd^en  Sonftruction.  ^ener  betreibt, 
wie  er  fagt  (9L  @d^r.  I,  702),  eigentlich  eine  nur  confequentere  unb 
fc^arffinnigere  2luff(ärung;  biefem  wirft  er  nid^t  ol^ne  @runb  oor,  boB 
er  ber  erfafirung  im  SSergteid^  mit  bem  fpefulatioen  ©enfen  allen  SSert^ 
Qbfprecf;e ;  er  felbft  aber  mei^  fie  tfieils  mir  al§>  ba§  „unrootire  erfennen" 
gu  be^eid^nen,  tljeitg  wirb  ifim  aud^  ba§  2Ba^re  unb  ©wige  ^u  etwa§ 
empirifd^em,  einer  ,,Stf)atfad^e".  ©otger  ^at  fo  jwar  bie  gorberung 
einer  ^^itofopfiie  au§gefprod^en,  werd;e  jroifd^en  hcn  fubjeftiüen  ;Sbearif^ 
mu§  unb  ben  ^sant{)eifmn§  in  bie  mitte  trete;  aber  er  felbft  fte^t 
nidjt  affein  unucrfennbar  biefem  weit  nö^er,  a(§  jenem,  fonbern  er  giebt 
un§  audf)  für  bie  ©rfüHung  jener  gorberung  wof)l  manclje  Slnregnng 
unb  Slnbcutung,  aber  feine  braucf;bare  Stnleitung. 

Dieben  ©olger  ift  ber  Vieler  ^rofeffor  ^oJiann  ©rid^  y.  «erger 
(1772—1833),  feiner  ^erhmft  nadfj  ein  S)öne,  all  einer  ber  hcheiu 
tenbften  t)on  ben  ^^itofop^en  ju  nennen,  bie  e§  fid^  jur  STufgabe 
mad)ten,  jwifdjen  gid^te  unb  ©djeHing  (bie  beibe  feine  Se^rer  wcven 
unb  beibe  gleid^fcl^r  üon  il)m  bewunbcrt  würben)  §u  uermitteln.  ^n-- 
beffen  war  feine  einwirfung  ouf  bie  beutfd;e  g^^iIofopf)ie  nur  eine 
befdjrönfte;  unb  e§  ift  bieB  um  fo  begreiflid;cr,  ba  ^egel'l  ©d^rifteu 
ben  feinigeu  tf)ei(§  pr  ©eite  t()eil§  uorangiengen,  unb  ba  fein  Oi;ftem 
i^rcn  ©inftn^  aud^  nid^t  oerläugnen  fonn.  ^ier  mu§  id;  mid^  auf 
bie  58emerfung  befd^ränfen,  baB  er  fid;  in  feiner  et^if,  feiner  ^e^t^-- 
unb  Staatslehre  unb  feiner  9teligion§pf){lojopf)ie  ebenfo  mit  £ant 
unb  gid^te  berüfirt,  wie  in  feiner  9taturp()i[ofopf)ie  mit  ©djetting  unb 
ben  gdjeaingianern;  wogegen  e§>  beuttid)  an  ^egel  anfangt,  wenn 
er  bie  brei  ^aupttf)eile  feine§  ©gftemS:  Sogif,  ^lujfif,  (Stfiif,  mit 
ber  S3emerfung  ableitet:  ber  ©eift  fei  perft  benfenb  nur  in  fi(^,  finbe 
fid;  bann  a(§  S'Jaturwefen  wie  entfrembet,  unb  fefire  brütend,  bie 
9iatur  in  fid^  beftimmcnb,  in  fid)  jurüdf.  ©benfo  fdjeint  i^m  für  feine 
Sogif,  in  ber  er  bie  ©rfenntniB  in  ifirer  allmäf)lid;en  ©ntwidfung 
3ur  SSernunft  betrad^tet,  §egel'§  ^fiänomenologie  af§  ^iorbifb  gebient 
gu  ^aben.  S)ie  ^atm  fa^t  «erger  etwas  ibealiftifdjer,  a(§  (SdjeHing, 
er  §ebf  e§  ouSbrüdfid;  ^eroor,  ba^  fie  nur  bie  @rfd;einung  beS  @ei= 
fteS  fei,  unb  in  ber  9ieIigion§p^iIofopf)ie  »erlangt  er,   ba^   ber  ^an- 

37* 


580  ©d^elliugianer. 

tfieifmul  3um  reinen  ^^eifmuS  oerÜärt,  aber  bie  ^mnianens  @otte§  in 
ber  SBelt  feftgef)alten  werbe  ^). 

2.  5ln^änger  unb  löcrbefferer  bcr  fc^cßiitgift^en  "ißljilofop^tc. 

Wit  ©olger  unb  ^erger   finb  rair  bereite  in  bie  ^dt  lierabgefom^ 
men,    in  tüel^er  bie  fc^ellingi)d;e  5pf)iIo[op^ie  bie  güfirung  ber  ptitto- 
fop!)if($en  Seroegung  an  bie  fiegePfc^e  gu  verlieren  beginnt.  S^re  Slütl^e 
fättt  STOifdjen  biefen  ßeitpunft  nnb  ba§  erfte  Sluftreten  ber  9^onianti!er, 
in  bie  jraei  erften  Saf)r5el^cnbe  nnfereS  ;Sö^r^"i^^ßi*t^-    ®iß  golgeric^tig^ 
feit,  mit  ber  Srfielling  ben  fic^te'fdjen  ^bealifmnS  ebenfo  über  fic^  felbfi 
{)inan§gefül)rt  t)atte,   roie  ^idjte  ben  fantifc^en,  bie  leben^ooKe  3^atur^ 
anfcf;aiiung ,   mit  ber  er  gic^te'g  naturlofe  Wmal  unb  3)Zetapr;i)fif  er-- 
gäuäte,  feine  energifd;e  SSertiefung  in  bie  ^bee  be^  2lbfo(uten,  bie  gro^-- 
artige  2Iu§[i($t  auf  eine  ßonftruction  he§>  llniüerfum^  au§  bem  2lbfo(uten, 
bie  f djtöungüoHe ,   von  einer   (ebenbigen  ^egeiftcrung   getragene,   nid^t 
feiten  ber  ^oefie  nnb  ber  33lt)ftif  fid^  annäfjernbe  S}arfteIIung  be§  ^^i= 
lofop^en  —  aHe  biefe  3üge  waren  in  l)ol)em  ©rabe  geeignet,  ber  fd^el= 
lingifdjen  Seigre  unter  allen  benen  Slnljänger  3U  gerainnen,  welchen  nid;t 
aHein  bie  2luff(ärung  ber  öorfantifdjcn  ^criobe  3U  fc^aal,  fonbern  aud) 
^ant  3U  troden  unb  gi($te  gu  einfeitig  erf^ien ;  eine  Stimmung,  \u1^q 
feit  bem  Slnfang  be§  :[jaljrl)unbert§,  uon  ben  Söerlen  ber  großen  S)ic^ter 
unb  ber  romantifd^vn  @d)u(e  genö^rt,  namentlich  in  ber  jüngeren  ©e= 
neration  fe^r  verbreitet  mar.    @o  fanb  fie  benn  aud^  balb  galilreidjc 
2lnl)änger,  befonberS  unter  ben  9ktuvforfdjern  unb  ben  Slerjten.    S)ie 
3Jtel)r3al)(  berfeiben  fdjloB  fidj  an  biejenige  gorm  be§  ©ijftemS  an,  meldte 
e§  bei  feinem  erften  felbftänbigen  Sluftreten  |atte,   bie  ^bentität»lel)re 
unb  bie  mit  it)r  üerbunbeue  ?taturpl)i(ofopl)ie;  hoä)  fel)lte  e§  aud;  nid;t 
an  folc^en,  rael^e  Sd^etling  bei  feinem  Fortgang  gur  2:f)eofop^ie  folgten, 
ober  fiel  aud^  überf)aupt  erft   in  biefem  fpätercn  6tabium  feiner  ©in- 
lüirhing  Ijingaben. 

3ܧ  ber  treuefte  2lnl)änger  ber  3bentitäte^pl)ilofopl)ie  lann  ber  2Bürä= 
burger  ^rofeffor  ©eorg  3)Ud;ael  Älein  (1776  —  1820)  betrachtet 
werben,  ^n  feinem  ^auptroerl  t)om  ^a^v  1805  („Seiträge  jum  ©tub. 
b.  ^f)i(of."j  gcl)t  er  burd;aug  uon  biefem  ©tanbpunft  aug.  SSon  ber 
abfoluten  ^bcntitäf,   ober  ber  @ottl;eit,    ift  ba§  Unioerfum  nid^t  vix-- 

1)  9?ä^ere§  über  ©erger  bei  erbmann  a.  a.  C  421  ff. 


Mkxn.    (Sfc^enmapcr.  581 

fd;ieben ;  c§  ift  nt(|t§  anbereg,  at§  ©ott  in  feiner  Slealität,  feiner  (5el6ft= 
äff irntation ,  onöefd^ont.  9^ur  fofern  fie  onf  einanber,  nidjt  auf  bie 
^bentität,  belogen  werben,  erfd^einen  bie  unenblic^en  ^ofitionen  aU 
befonbere  S)inge;  n)o§  in  ber  abfotuten  9?atnr  mit  ©inem  <Bä)\a^  ift, 
(egt  fi($  in  ber  erfd^einenben  in  eine  9leil^e  üon  ^otenjen  an^einanber, 
roeld^e  ^(ein  in  feiner  9?Qturpl^i(ofopt)ie  nac^  ben  von  ©d^elling  unb 
feinen  älteften  Schülern  üorge3eic^neten  ©runb3ngen  barftellt.  ßine  ent; 
fpred^enbe  ©tufenrei^e  fud^t  er  auf  bem  geiftigen  ©ebiet  nad^juraeifen. 
S)er  pantl^eiftifd^e  ß^arafter  feine§  bamoligen  ©c^ettingianifmuä  geigt 
ii6)  anä)  f)ier  in  niancf;en  Sel^auptungen ,  bie  fo  noturaIiftif(^  unb  fo 
ftreng  beterntinifttfcf;  lauten,  ba^  wir  fofort  an  il^re  Duelle,  bie  Sel;re 
©pinoja'^,  erinnert  werben;  wogegen  feine  2leu^crungen  über  bie  Äunft 
unb  feine  3(uffaffung  bei  ©taatS  aU  eines  organifc^en  i^unfttoerfS 
tEieitS  auf  ©d^elling'S  tranfccnbentaten  ^bealifniu§  tfieilS  auf  bie  xo- 
mantif(^e  <Bä)üh  l^inweifen.  Später  folgte  aber  au(^  er  berjenigen  ^orm 
ber  fd;ellingtfcf;en  ^f)ifofopf)ie,  weld^e  ©.  552  f.  befproc^en  ift,  unb  in 
ber  @tt)if  ror^ugSweife  ©d;Ieiermadjer,  wäfirenb  er  üon  bem  6p{no3if:= 
mu§  be§  legieren  bei  entfc^eibenben  fünften,  wie  bie  ^erföntidjfeit 
@otte§,  bie  greifieit  unb  Hnfterblidjfeit,  abiint^. 

SBeniger  unbebingt  fd)(o§  fid;  ßfd^enmarier  (1770  —  1852;  feit 
1811  in  ^Lübingen)  an  Sdjelling  an,  §u  beffen  9?aturpf)iIofop^ie  er 
gteic^  anfangs  einen  nid^t  unertieblid^en  S3eitrag  geliefert  ^atte  (f.  o. 
6.  527).  ©djon  in  einer  ©c^rift  vom  ^a^v  1803,  we(d;e  bie  näd^fte 
^Beranlaffung  für  ©(^eüing'S  „^f)ifofopt)ie  unb  Steligion"  mürbe,  machte 
er  bie  rid;tige  Semerfung,  ba§  eS  biefem  ^^ilofopfien  nid^t  gelungen 
fei,  bie  ©ntfte'^ung  be§  @egenfa^e§  au§  ber  abfoluten  ^bentität  gu  er= 
!lären.  ©tatt  nun  aber  fic^  fetbft  in  miffenfd;aftlidjer  SBeife  an  biefem 
Problem  ju  tjerfud^en,  verlangt  er,  ha^  über  ba§  SBiffen  pm  ©lauben, 
über  bie  ^l)ilofopl)ie  gur  „9li^tpf)ilofopl)ie"  l)inau§gegangen  werbe,  lieber 
bem  ©wigen,  ober  bem  Slbfoluten  liegt,  wie  er  fagt,  ba§'  (Selige  unb 
über  biefem  liegt  @ott;  für  bie  GrfenntniB  ©otteS  tritt  on  bie  (Stette 
ber  (£pc!ulation  bie  Offenbarung,  an  bie  ©teile  beS  abfoluten  SBiffenS 
bie  2lnba(^t,  an  bie  ©teile  ber  intelleftuetten  Slnfc^auimg  \)a§>  ©ewiffen. 
S>en  gleid;en  ©tanbpunft  t)ielt  ©fc^enmaper  in  ber  weiteren  SluSfüfirung 
be§  ©x;ftem3  feft.  ©r  tlieilt  biefeS  na^  ben  ^bcen  be§  SBal^ren,  @uten 
unb  ©di)önen  in  5Raturp^ilofopl)ie ,  @tl)if  unb  Sleftlietif,  l)ot  aber  anä) 
bie  ^fpc^otogie  unb  bie  $Religion§pl)ilofopl^ie  ausführlich  bearbeitet,    ^n 


582  ©d^eEingianer. 

feinen  ©c^riften  wirb  cinerfeits  einem  TOijfenfd^aftUc^  ganj  n)ertf)Iofen 
@piel  mit  Slnalogieen  nnb  matf)ematif(^en  gormein,  in  ber  SBeife  ber 
meiften  ©c^eHingianer,  eine  übermöBige  ^ebeutnng  beigelegt;  anberer- 
feit§  tarn  ber  Äeim  be§  irrationalen,  ber  in  feiner  2lnfi(^t  com  SSer^ 
f)ältni§  ber  9leligion  gur  ^l)ilofopl)ie  nnb  in  feinem  ©otte^begriff  lag, 
mit  ben  ^a^ren  jn  immer  üppigerer  @ntroic!tnng,  fo  baB  feine  oon  Ein- 
fang an  unreine  nnb  unfic^ere  ^l)ilofopl)ie  fc^lie^lid^  in  ein  trübet  @e= 
tuenge  oon  t^eologifd;em  <Supranatnralifmu§,  natnrpl)ilofopl)ifd^en  ^l)rafen, 
©eifter^  nnb  S;eufel§glauben  nbergieng. 

2(n  bie  f(f;ettingifc^e  9^atnrpl)ilofop^ie  ^ieit  fic^  anä)  @ottl)ilf 
.^einridj  ©djubert  (1780  — 1860;  ^rof.  in  ©rlangen  nnb  äRüni^en) 
in  feinen  pfp($ologifd;en  nnb  naturroiffenfd^aftlid^en  Od^riften,  nnb  mit 
berfelben  verbanb  er,  raie  @f(^enmat)er,  aber  in  einfacherer  nnb  gefnnberer 
Seife,  ha§>  ^ntereffe  ber  religiöfen  ©rbannng  auf  bem  ©runbe  beg  djrift^^ 
liefen  Dffenbarutig^glaubeng.  ©eine  n)iffenfd;aftlid;en  SBerbienfte  liaben 
aber  toä)  nur  ben  fleinften  2lntl)eil  an  ber  Slnerfennung,  meldte  biefem 
gemntl)üotlen  DJlanne  in  weiten  Jlreifen  gesollt  mürbe ;  bie  ©eft^id^te  ber 
^l)ilofop^ie  l)at  bal)er  leine  SSeranlaffung,  bei  il)m  gu  oermeilen. 

3}iit  ben  genannten  fönnen  mir  ben  Dfiormeger  ^einrid;  (Steffen^ 
(1773  — 1845)  raegen  ber  SBerbinbung  gnfammenftellen,  TOeld;e  bie  ^l^i= 
lofopl)ie  (Sd;elling§  and)  bei  il)m  einerfeitS  mit  ber  9tatur«)iffeufd^aft 
anbererfeitS  mit  ber  pofttiuen  Steligion  eingeigt;  ben  beutf(^en  ^l)\io- 
foplien  barf  er  nid;t  blo§  be§l)alb  juge^ä^lt  werben,  weil  feine  SBirf; 
famfeit  beutf(|en  Unioerfitäten ,  ^alle,  Breslau  nnb  33erlin  angel^örtc, 
fonbern  aud;  wegen  feiner  äd^t  beutf(^en  ^ilbung  unb  ©efiunnug.  ©d;el= 
ling  unb  feiner  Sel)re  l^atte  er  fid;  feit  bem  ßrfd^einen  feiner  erften 
natnrpl)ilofopl)ifd;en  Sßerle  mit  ftürmifc^er  S3egeifterung  in  bie  2lrme  ge= 
worfeu,  unb  war  balb  in  bie  engfte  perfönlid;e  3]erbtubung  mit  il)m 
getreten.  2ln  geiftiger  Begabung,  an  llrfprünglid;feit  unb  ©elbftäubig: 
feit  beS  SDenlenS  ift  er  fowoljl  (Sfdjenmayer  al§  Schubert  weit  überlegen. 
Sc^on  feine  erften  ©c^rifteu^),  bie  gemeinfame  grud;t  feiner  geologifd;en 
nnb  pl)ilofopf)if(^en  «Stubien,  Ratten  folc^en  (Srfofg,  ha^  er  fofort  für 
einen  üon  ben  bebentenbften  33ertretern  ber  9^atnrpl)ilofopl;ie  galt.  ©0 
ift  ganj  in  ©d;etting'§  ©eift,  wenn  er  bie  ßrben  unb  bie  3}?etalle  an  je 
5wei  9leit)en  üertl)cilt,  in  benen  ber  5lol)lenftoff  ben  negativen,  ber  ©tid= 

1)  Beiträge  juv  innern  9?atuvgefd^idjte  ber  (Svbe  1801.  ®runb5Üge  ber  p^ilof. 
iJfatuvtDifjcnicIjQften.  1806. 


©c^ukrt.    ©teffen«.  583 

ftoff  'ocn  pofüben  ^ot  barftelle,  jener  bie  größte  ßontractton,  bieier  bie 
größte  ©ypanfion  repräfentire ;  raenn  er  ben  aJJagnetifmuS  als  ha§>  ^rincip 
ber  ©rbbilbimg  bejeidjnet;  wenn  er  bie  -^flan^en  auf  bie  ©eite  ber 
^iefelreitje  unb  be§  ^oI)Ienftop,  bie  ^^iere  auf  bie  ber  ^alfrei{)e  unb 
beg  ©tidftop  [teilt;  roenn  er  in  ber  Stfiierraett  waä)  üielmeijevS  5^or- 
gang  eine  bur(^  ba§  3Serf)ä(tni^  ber  ©enfibilität,  Irritabilität  unb  Sie-- 
probuftion  beftimmte  Stufenfolge  erfennt;  loenn  er  aUeS  in  ber  9iatur 
auf  üicrgtiebrige  9iei^en  3urü(Jfüf)rt,  unb  fo  (mit  Saaber)  bie  nuobru= 
plicität  als  tl)r  @runbf($ema  betradjtet.  ©ro^e  33ebcutung  l)at  für  i^n 
ber  (Sa^,  ba^  e§  ber  9ktur  in  ber  Drganifation  wefentlit^  um  bie  ^n- 
biyibuatität  gu  tl)un  fei,  bie  rotlftänbig  erft  im  3)lenf($en  erreid^t  werbe. 
S)er  3Jlenfc^  ift  nad§  ©teffenS  ber  9}^i!rofofmuS ,  unb  alle  anberen  Dr= 
ganifationen  finb  nur  Srudjftücfe  ber  menfd^lic^en.  3tuS  bemfelben  ®e> 
fic^tSpunft  mitl  er  in  feiner  Stutliropologie  (1822)  bie  menfdjlid^e  9^atur, 
il)re  @nt[tel)ung  unb  il)re  ©cfdjic^te  in  il)rem  ^i'fönxmen^ang  mit  bem 
©rborganifmuS  unb  ber  Sitbung  beS  ©onncnfyftem»  barfteüeu.  SIber 
mit  ben  fpefulatiüen  53etrad)tungen  unb  ben  naturpl)ilofüp^ild;en  2lna= 
logieen,  üon  benen  aud)  ©teffenS  einen  auSfc^iueifenben  ©ebraud;  mac^t, 
Derbinbet  fic^  je^t  unb  t^eilroeife  fd;on  frülier  bei  bem  pl)antafieüolIen 
unb  glaubenSbebürfttgen,  ber  fritifdjen  Umfid;t  unb  flaren  Seftimmt^eit 
p  fel)r  entbel^renben  3}fanne  jencS  tl)eologif(^e  ©lement,  buri^  beffen 
©inmifc^ung  fein  je^iger  ©tanbpunft  (mie  er  ifm  namentlid)  in  feiner 
^HeIigion§pl)ilofopf)ie  bargelegt  l^at)  ber  fpäteren  gorm  ber  fdici'lingifdjen 
^-|il)ilofopl)ie  (oben  ©.  552  ff.)  in  bemfelben  3}laB  näl)er  fommt,  in  h^m 
er  fi(^  üon  bem  ^bentitätsfyftem  entfernt.  ®a§  ^^^^crfte  ber  mcnfc^lid^en 
^erfönlid;feit,  baS,  n)a§  «Steffens  baS  'Xalent  nennt,  ift  ber  urfprünglic^e 
Drt  für  bie  Offenbarung  ber  göttlid;en.  S)ie  ^l)ilo|op^ie  raie  bie  9^e= 
ligion  beftel)t  barin,  ba^  man  baS  ©öttlic^e  ^ier  erfennt  unb  fid;  il)m 
liebenb  t)ingiebt.  S)iefe  §erüorl)ebung  ber  ^erföntidjfeit  erinnert  tlieilS 
gleic^fattS  an  ben  fpäteren  Sd;elling,  tlieilS  an  Sd;leiermadjcr,  ber  fid; 
f(^on  in  .*palle  mit  Steffens  nal^e  befrennbet  l)atte,  unb  an  bie  9toiuan- 
tifer.  3Jtit  ben  le^teren  trifft  Steffens  auc^  in  feiner  StaatS(el)re  ^u- 
fammen,  bei  bereu  33eurt^eilung  man  allerbingS  ben  weiten  Stbftanb 
jmifdjen  ber  bamaligen  unb  ber  fieutigen  politif(^en  Sage  unb  33ilbung 
S)eutfd)lanbS  nidjt  üergeffen  barf,  bie  aber  bod;  immer  mit  il)rer  apri- 
oriftifd;en  2tbleitung  ber  uier  Stäube,  mit  if)rer  ^bcalifirung  beS  SlbelS, 
mit  il)rer  3?crtl)eibigung  beS  3iitiflw>'M"ßnS  unb  üljnlit^cn  3^0^"  5"^  ®2' 


534  ©dieöingianer. 

«üge  krocift,  ba^  fie  atleS  anbere  efiev,   aB  ba§  2öer!  eine?  volitif*^ 
ben!enben  ^opfc§  ift. 

©leic[;3eittg  mit  ©teffeng  fdjtoB  ft«^  ber  S3aben[er  Sorenj  Dten 
(1779  —  1851),  töeld^er  fpdter  in  ^ena,  bann  in  3üric^  Ief)rte,  an 
©d^elling  an.  2ln(^  er  tarn  gunäi^ft  t)on  ber  g^iaturiüiffenfi^aft  an§  äur 
^f)i(ofopt)ie;  nur  ba^  e0  t)or3ng§n)eife  bie  organi[($e  ^f^atnr  raar,  mit 
ber  er,  ur[prüngli(^  3)lebiciner,  fi^  befdjäftigte,  nnb  bercn  ^enntni^  er 
burd^  TOertiiooHe  ©ntbedungen  auf  bem  ©eBiete  ber  aj^orpfiologie  unb 
ber  entraidtunggöefc^ic^te  bereidjerte.  2l6er  ba§  ttieologifc^e  ©(ement, 
TOetcf;e0  für  Steffens  eine  fo  gro§e  nnb  mit  ben  Sahiren  immer  gnnel)' 
menbe  S3ebeutung  erlangte,  mar  Dfen,  ber  fi($  Hrrf;Uc^  mie  politifc^ 
immer  mögtid;ft  meit  linfS  f)ielt,  mä)t  allein  fremb,  fonbern  gerabeäu 
mibenuärtig.  Sie  eingige  gorm  ber  f(^ellingif(^en  ^^ilofop^ie,  mit  ber 
er  fic^  5U  befreunben  meiB,  ift  ber  ^antlieifmnS  be§  ^bentitätSfpftemS ; 
fobalb  bagegen  ©(^etting  gu  feiner  fpäteren  ^^eofüpl)ie  fortgieng,  fagte 
er  fi(^  oon  ilim  nnb  üon  allen  benen  (o§,  meiere  i^m  in  biefer  SSer- 
miff^ung  ber  ^sl)itofopl)ie  mit  ber  S)ogmati!  folgten  ober  üorangegangen 
maren.  2lui$  ron  hem  Qbentitätlfijftem  ^at  er  fi(^  aber,  menn  mir 
nälier  jnfeljen,  nur  bie  eine  Seite  angeeignet.  ®ie  ganse  ^p^itofopl^ie 
gel)t  il)m  tl)atfädjlt(i^  in  ber  9la{urpl)ilofopl)ie  auf.  ©Ott  ift  baS  ©anse, 
bie  3}iona§,  wcl^e  bie  Söett  fd;afft,  inbcm  fie  fi(^  felbft  fe|t;  aber  ba§ 
©e|enbe  nnb  ba§  ©efe^te,  ^a§>  ©tuige  nnb  haS»  @nblic|e,  ba§  S^eale 
unb  ba§  9fteale  ift  @in  unb  baSfelbe;  bie  Söelt  ift,  wie  Dfen  fagt,  ber 
©elbftbewuBtfein^alt  ber  ©ottlieit,  bie  S)inge  finb  SSorftettungen  @otte§, 
mobei  e§  freiließ  gmeifelliaft  erfc^eint,  mit  welchem  9ted;t  er  ©ott  bie 
emige  ^^erfönlic^felt  nennen,  t3on  einem  ©elbftbetyu^tfein  unb  einem 
5ßorftellen  @otte§  rebeu  fann.  @ott  als  bie  Urfraft  erzeugte  in  feiner 
SSeroegung  (wie  bieB  Dien  in  feiner  9]aturpl)ilofopl)ie  auSfül)rt),  ober  er 
mürbe  t)ielmcl)r  3eit  unb  9iaum;  ber  9taum  erfüllt  fid;  burc^  bie 
©c^roere  mit  ber  llrmaterie  ober  bem  Sletlier,  biefer  „unmittelbaren 
^ofition  ©ottcS",  unb  aus  biefer  erften  Grfdjeinnng  ©otteS  geljen  als 
gmeite  unb  britte  baS  £id;t  unb  bie  Söärme  Ijcroor,  bie  llrmaterie  be= 
fonbert  fic^  ju  ©onnenfpftemcn ;  in  golge  havon  entfielen  bie  irbifd;en 
3}Zaterien,  bie  Grbbilbung  erfolgt ;  in  ben  ovganifd;en  ai^efen  fteigt  enblid^ 
bie  fd)affenbe  Straft  ftufenrocife  ju  immer  p^eren  ^^robulten  auf,  um 
fd^lie^tid)  im  9)^enf(^en  baS  üoaiommene  ^^ier,  baSjenige  ©efd)öpf  f)cr- 
coraubringen ,  beffen  ^erftaub  SSoltocrftanb  ift,  in  bm  ©Ott  fic^  gans 


Ofen.  585 

DBjeft  wirb,  ba§  in  feiner  ^unft,  feiner  2Siffenfc§aft,  feinem  ©taatsteben 
(Dkn  fa§t  bie§  alle§  unter  bem  tarnen  ber  ^unft  gufamtnen)  ben 
SSillen  ber  9?atnr  »oHfoinmen  barftellt.  @»  fe^lt  biefer  Setrad^tung 
be§  llniüerfumg,  mk  fid^  ron  bem  fenntniBreic^cn  nnb  tolentoollen 
5^aturforfd^er  erraarten  lie§,  nid^t  an  iiberra|"d;enben  ^{iden  unb  frud;t- 
baren  2Saf)rne§mungen ;  gugleic^  ober  fe^en  mir,  mie  ft(^  g(eid;fall^  er= 
warten  Iie§,  ben  9klurpf)Uofopf)en  in  ber  Se^anblung  ber  unlölBaren 
StufgaBe  feinen  ©(^ematifmuä  rüdfic^tsloS  burd^ führen,  mit  rafc^  ^u- 
greifenber  ^fiantafie  nad^  unfid^eren  unb  oBerflädjüd^en  Sfnalogieen  bag 
rerfc^icbenartigfte  rerfnüpfen,  ja  ibentificiren,  geiftreid^e  ßinfätte  mit 
TOiffenfc§aft(id;en  2Öaf)r{)eiten,  glän^enbe  5]3arabofieen  mit  p^i(ofopf)ifd^en 
©ä|en  t)ern)ed;feln.  Dfen  ift  oieffeicfit  ber  bebeutenbfte  unter  ben  9Jiännern, 
meldte  ber  urfprünglid;en  9lid§tung  ber  fi^ettingifd^en  3'taturp{)ilofopf)ie 
treu  geMieBeu  finb;  er  ift  aber  aud^  einer  üon  benen,  bei  meldjen  bie 
5IRängeI  berfelben  am  beutlicfiften  gum  SSorfd^ein  fommen. 

3u  ben  ent)(^iebenften  Stnpngern  ber  urfprünglid^en  f Delling ifd;ett 
5]3f)iIofop^ie  gef)örte  ferner  ber  raürjburger  ^rofeffor  ^ofiann  ^afob 
Söagner  (1775  —  1841).  2ir§  fid;  aber  in  ,,^§i(ofopf)ie  unb  Steligion" 
Sd^elling'l  Hinneigung  gur  5:§eofopf){e  anfünbigte,  fagte  er  fid^  fofort 
auf'g  entfdjiebenfte  von  if)m  to§^).  ßr  erttärt  je^t  feine  intcMtuelTe 
Slnfc^auung  unb  fein  abfoIuteS  Söiffen  für  leere  ^pjirafen :  eine  STnfc^auung 
unb  überpupt  eine  ßrfenntni§  be§  3lbfoIuten  fei  burd;au§  unmöglid^, 
e§  fönne  nur  burd^  freie  Sfnerfennung  oorauggefe^t,  aber  ni(^t  in  bie 
SBiffenfdjoft  fiereinge^ogen  werben ;  er  finbet,  bie  Slbteitung  be§  @nbli($en 
aus  bem  Slbfoluten  fei  ©d^ctting  gänjlid^  mißlungen,  ja  biefe§  ganje 
^Problem  fei  unlösbar;  er  mirft  i^m  üor,  bo§  feiner  ©pefufation  ba§ 
^rincip  ber  9leIigion  xmb  ber  (2ittlid^feit  fet)Ie.  (^x  felbft  befennt  fid^ 
gu  einem  etmaS  unfiaren  ^antlf)eifmu§ :  ba§  Slbfolute,  fagt  er,  ftefie  aU 
bie  (Seele  ber  SBelt  in  unb  über  9ktur  unb  @eifi,  bie  Sfietigion  falle 
mit  ber  fitttid^en  SBeltanfd^auung ,  bie  (geligfeit  mit  ber  ©ittlid^feit  ju^ 
fammen,  bie  Seefe  fei,  roeil  fie  in  ber  ©ottpit  ift,  feinem  3eitüerf)ältni§ 
unb  batier  aud^  feinem  Untergang  unterroorfen.  Qu  bem  (Spftem,  mit 
beffen  2Iu§füf)rung  er  fid;  üon  ba  an  befd;äftigte^),  ift  ba§>  eigent^üm= 
lic^fte  unb  ba§,   worauf  Sßagner  feibft  baS   größte  ©ewi^t  legte,   ber 

1)  ^n  bem  augfü^rüdien  55ortt?ort  jum  „©Aftern  ber  ^beatp'^tlofop'fiie"  (1804). 

2)  ^auptfdirift:   ba3   „Organon   ber  menfc^I.  (gc!enntnii3"   1830.    g^rner   „ber 
@taat"  1815  unb  anbere  SBerte,  aorüber  ©rbutann  III,  b,  236  ff. 


586  SBognev. 

attgemeine  ©(^ematifmuS ,  raeti^er  bie  ©Iteberung  be3  ©onjen  beftimmt. 
S)ie  ©runblage  atter  3)inge,  fagt  er,  äunärfjft  im  SlnfdjtuB  an  ©d;ettmg, 
ift  ba§  Seben,  raelc^eä  @ott  ifinen  üerlie^en  fiat.  S)ieCe§  Seften  ift  if)r 
Söefen,  fte  felbft  finb  biefeg  2öefen§  unenblic^^enblid^e  gorm.  2Be[en 
unb  gorm  finb  bai)er  bie  ©runbbeftimmungen  ber  enbli(^en  ®inge; 
jenes  ift  (gineS  unb  aUcn  fingen  gemeinfc^aftü(^ ,  biefe  ift  jebem  ®ing 
eigcnt{)ümli(^  unb  tlrfac^e  ber  a^iel^eit.  93eibe  finb  fid;  entgegengefe^t, 
werben  aber  burd;  ba§  Sebeu  uermittelt,  beffen  erfte  ^räbifate  fie  finb. 
S)aburc^  entftefieu  giüifd^eu  ben  beiben  Hrbegriffeu  groei  neue,  bie  unter 
fi(^  roieber  einen  ©egenfa^  bilben:  ber  ©egenfa^  unb  bie  ^ßermittlung, 
ober  roa§>  baSfelbe,  ber  unüerntittelte  unb  ber  t)ermittc(te  ©egenfa|.  ®a§ 
©runbfc^ema  atte§  @ein§  liegt  bemnad^  in  ben  t)ier  S3egriffen:  äßefen, 
©egenfa^,  SSermitthing ,  gorm,  unb  ba§  allgemeinfte  2:Öe(tgefe|  in  bem 
©a^e :  ha§>  Söefen  ber  enb(id;en  S)inge  gef)t  bnr(^  vermittelte  ©egenfä^e 
in  §orm  über;  ebenfo  gef)t  aber  aud^  if)re  gorm  burd^  Söfung  aller 
SSermitttung  unb  ßrlöfc^en  aller  ©egenfä^e  in  ba§  einfache  SBefen  äurüd. 
S)emgemäB  betrad)tet  nun  3Bagner  bie  ©tufcrtfolge  oon  Slnfang,  gort= 
gang,  ßriüeiterung  unb  SSottenbung,  ^^efi§,  2lnalx)fi§,  2lntit^efi§  unb 
(gpntliefis,  ben  gortfc^ritt  üon  ber  ©inljeit  burdj  bie  3roei  unb  bie  3)rei 
(ba§  ©erabc  unb  Hngerabe)  5ur  SSier,  al§  bie  ©runbform  aller  (gnt= 
wicflung,  aUeS  SßerbenS  unb  @rfennen§.  S)iefe§  ©djema  ift  e0,  nac^ 
bem  fic^  fein  @i;ftem  im  großen  mie  im  üeinen  gliebert,  ba§  er  mit 
peinlidjer  ©enauigfeit  burc^  aUe  ©ebiete  be§  2ßiffen§  unb  @ein§  burd^- 
fül)rt.  ©r  entiüirft  im  erften  ^l)eit  feinc§  Drganon  unter  bem  ^titel: 
„ba§  Sßeltgefe^"  in  vier  STafeln,  jcbe  au§  üier  üiergtiebrigen  9iet^en 
befteljenb ,  ein  Stiftern  ber  ^ategorieen  nebft  ben  it)nen  eutfprec^enben 
„^räbifamenten"  (formale  ©igenf c^aft§begriffe ,  wie:  unbeftimmt,  be= 
ftimmbar,  beftimmenb,  beftimnit)  unb  ©runbia^cn.  @r  betrad;tet  fobann 
in  bem  „Grf enntniBfyftem"  bie  „?fac^bi(bung  objcftioer  Sßeltform 
im  ©ubjefte",  bie  GrfenntniB  in  il)ren  oier  (Stufen :  ^^ürftellung,  äBa^r-- 
nel)mung,  Urtlieil,  ^bee.  Sie  S^orftcllung  übcrljaupt  rairb  au»  ^mei 
Quellen  abgeleitet:  bem  freien  «Streben  beS  (SubjcftS  unb  ber  ^itrüd^ 
brängung  be§felben  burd;  ha§>  Dbjeft,  meldte  bie  Gmpfinbung  bcioirtt. 
^n  ber  Sel)re  oom  Urtlicil  finb  et  bie  ganje  formale  2oQ\t  il)re  (Stelle, 
bie  fid^  aber  natürlid;  bod;  nid^t  o^ne  3wi^»9  ^^^  3Baguer§  SdjematifmuS 
unterbringen  läf3t.  S)ie  ^hcc  mirb  ilirer  gorm  uad;  al0  @d;auen,  il)rem 
Snl)alt  nac§  alä  ein  Grfenncn  beS  ßinselncn  in  bor  Totalität  hc§  Uni- 


rerfumg  befd^riekn.  Qm  britten  %f)di  feinel  Organon,  bem  ",,@prad^= 
fpftem",  TOirb  neben  ber  3:arfteilun9  burd^  iöilber  unb  ^öne  befonberS 
ausfü^rHc^  bte  fd^on  früher  in  feineu  „mat^emaü^djm  ^f)i(oiop^ie" 
(181  Ij  bef)Qnbelte  SDarfteanng  burc^  ,3a^(  nnb  ^Iqux  befprodjen;  nnter 
biefen  ©efidjt^punft  [teilt  er  nämtii^  bie  ganje  3Jiat^eniatif.  erfjließlid^ 
fott  eine  ,,2öerttafel"  in  einer  überfid}tad;en  «etradjtnng  ber  l>Jatnr, 
be§  SJienfd^en  nnb  feiner  ©efd^idjte  ha§>  23e(tgefe|  in  feiner  33erförperung 
geigen.  ;3nbeffen  ift  nid^t  allein  biefer  2lbfd;nitt  be§  Drganon  feinem 
^niialt  nad)  jefir  nnbebeutenb,  fonbern  ber  ©efialt  ber  raagner'fc^en 
Schriften  fte^t  überhaupt  in  feinem  3>er^ältni§  jn  bem  forgfam  on^ge- 
arbeiteten  logifc^en  ©erüfte,  in  ba§  fiier  alfe§  unb  jebeS  mit  formaliftifdjer 
^pebanterie  eingefpannt  rairb.  Sind;  in  2i>agrter§  fritfierer  (Schrift:  „ber 
©taat"  (1815),  ift  bie  ^auptfac^e  bie  S^urd;fü§rung  feinem  üiergliebrigen 
@d^ematifmu§ ;  in  poUtifdjer  nnb  re($t§pf)i(ofopf)tfd^er  53e3ie§nng  leiftet 
biefe  ©arfteünng,  tro^  ein3elner  guten  unb  frud^tbaren  ©ebanfen,  im 
gangen  bod;  wenig ;  unb  in  feiner  „S)id;terid;u(e"  d^arafterifirt  fd^on  ber 
©ine  ©rnnbfa^,  baB  bie  Äunft  au§  einem  3Ser!  be^  ©enie'g  gu  einem 
SBed  ber  befonnenen  9ief(eyion,  ber  Sieget  unb  ber  Serec^nung  werben 
muffe,  ben  3)iann,  ber,  wenn  er  fid^  biefe§  ©ebiet  gur  Lebensaufgabe 
ern)ät)(te,  alle  Stnfage  gu  einem  graeiten  ©ottfd^eb  gehabt  Fiätte. 

Söenn  Sßagner  ba§  fdjcllingifd^e  ©ijftem  fiauptfädjüd;  nad)  ber 
(Seite  beg  miffenfd;aftlidjen  33erfaf)ren»  gu  üerbeffern  fud^te,  fo  ^offte 
2:roj:ler  (1780 — 1866)  eine  3?erbeffcrung  be»fe(ben  von  ber  Slnt^ro^ 
pologie.  @r  ^atte  in  ^ma  (Sd^etting  unb  ^eget  get)ört  unb  neben  feinem 
ärgtlid^en  53erufe  fid^  fortn)ät)renb  mit  ber  ^t)i(ofop^ie  befdjäftigt,  bie 
er  fpäter  al§  ^rofeffor  in  Sujern,  S3afet  unb  ^ern  Iet;rte.  ^nbeffen 
fam  er  met)r  unb  met)r  oon  ber  fc^eEingifd;en  ^^itaturp^itofopljie  al\ 
bereu  2lnt)ängcr  er  längere  3^^*  gemefeu  raar,  unb  uerfud^te  i^r  fd^lie^^ 
lid^  ein  eigene^  ©gftem  gegeuübcrgufteden.  S)er  @runbfet)fer  oder  bi5= 
I)erigen  ^^iIofopf)ie  liegt,  wie  er  glaubt,  barin,  ba§  fie  ©pefulation  ift, 
ba^  fie  ba§  ^eraufetfein  nur  al§  ein  refleftirteS ,  in  feinen  abgeleiteten 
unb  befonberen  formen  betrad;tet,  ftatt  t)on  bem  Urben)u§tfein,  bem 
SJtenfd^en  in  ber  ungetrennten  @inl)eit  feines  2öefen§  auskugelten.  SDie 
ipf)ilofopl)ie  muB  mit  (Einem  SSort  „2lntl)ropofop^ie"  merben.  „Sitte 
^i)ilofopi)ie  ift  im  ©runbe  nur  2lntl)ropologie" ;  „bie  2(ntl)ropologie  ift 
eine  fubjeftiüirte  ^§ilofopf)ie,  unb  alle  ^^ilofopbie  eine  objeftiuirte  2ln= 
tfiropologie."     „S)er  3)ienfd^  ftettt  nid^tS  onberes  cor,   als  fid^  felbft, 


588  ^rofter. 

Hrtb  nimmt  nichts  anbere§,  aU  fx^  fetbft,  toal^r;  all  feine  SBiffenfc^oft 
I)Qt  nur  Ginen  ©egenftanb,  fein  ©elbft";  fle  tfi  „ni(^t§  anberel  aU 
ba§  ^nneroerben  unb  bie  DffenBarung  be§  @eifte§  in  feinem  eigenen 
^enjuBtfein  (Sogif  I,  26  f.  97.  263).  %xo^kt  raitt  bemnac^  bie  5pf)i. 
lofopfiie,  ä^nlid^  tüie  ^rie^,  auf  Slnt^ropofogie  jurücffüfiren ,  unb  er 
Toill  ^ieBei  mit  ^acobi  t)on  allem  abgeleiteten  auf  ba§  urfprüngti^e 
unb  unmittelbare  3urü(fge§en,  fo  fefir  er  biefen  au^  barüber  tabelt, 
ha'^  er  bie  S3ebeutung  be§  bi^curfioen  unb  bemonftratioen  2öiffen§  vev- 
fannt  l^abe.  SJie  nähere  8egrünbung  unb  SfuSfü^rung  biefeg  ©tanb; 
punft»  f)at  aber  fein  gro^el  ^ntereffe.  2l(Ie§  ßrfennen,  fa^t  Sroyler, 
fei  entroeber  ein  mittelbare^  ober  ein  rermittelteS ,  enttüeber  i^ntuition 
ober  Steflejion,  unb  bie  unmittelbare  ßrfenntnijs  entroeber  finnli(^e 
2Saf)rnef)mung  ober  geiftige  2lnf($auung,  bie  »ermittelte  entmeber  ©r= 
fal^rung§=  ober  SSernunftroiffenfc^aft.  2öie  alle  @r!enntni§  mit  bem  un- 
mittelbaren ber  23a!)rnel)mung  anfange,  fo  muffe  auä)  alle  in  ifirer 
Sßollenbung  über  bal  buri^  bie  SSernunft  vermittelte  SBiffen  f)inauä  unb 
ju  bem  geiftigen  ©c^auen  f)infü^ren,  melc^el  bie  l^öd^fte  unb  lefete, 
burc^  bie  gleicfimä^ige  ©ntroicflung  ber  übrigen  bebingte  SSereinigung 
aller  @eelen!räfte ,  ha^  Drgan  aller  religiöfen,  pl)ilofopl)if(^en  unb  po= 
Utifc^en  Offenbarungen  unb  ber  üuell  alter  ©emütpibeen  fei.  Slber 
^rofler  ^at  roeber  für  bie  n)iffen](^aftli(^e  SRec^tfertigung  biefer  '^lx))tit, 
bei  welcher  er  felbft  an  ^piotin'l  SSorgang  erinnert  (Sog.  1,  320),  etraaS 
get^an,  no(^  bie  mic^tigen  bur($  ^ant  angeregten  B^ragen  ber  ©r!enntniB= 
t^eorie  auf  irgenb  einem  5|3un!te  geförbert;  unb  nic^t  anber^  üerl)alt 
e§  fi(^  au^  mit  ben  eigcntl)ümli(^en  33eftimmungen  feiner  Slnt^ropologie. 
®r  unterf (Reibet  l)ier  oon  bem  @emüt^  ober  bem  Urbemu^tfein,  ai§> 
bem  3Jlittetpunft  ber  ^erfönlic^feit ,  oier  Seftanbtfieite  bei  menf(^li(^en 
SBefen»:  ben  ©eift,  ben  Körper,  unb  groif^en  beiben  ©eele  unb  Seib, 
ober  mie  er  fpäter  lieber  fagt,  eine  boppelte  ^fgc^e,  eine  bem,  @eift  unb 
eine  bem  Körper  ^ugefelirte;  bie  gleid^e  SSiert§eilung  wirb  bann  no^ 
TOeiter  in'ä  eiujelne  au§gefül)rt.  SCber  für  bie  mirllii^e  ©rfenntni^  bei 
geiftigen  Seben§  lä§t  fid^  mit  fo  unflaren  unb  feltfamen  SSorfteEungen 
nic§t§  anfangen.  2tu(^  auf  hem  ©ebiete  ber  proftifi^en  5]ߧitofopl)ie  Igat 
Xrofler,  ber  fid^  auc^  mit  ilir  al§  ©c^riftfteller  befc^äftigte  unb  roegen 
feines  politifc^en  Siberalifmus  mieber^olten  Verfolgungen  aulgefe^t  war, 
nichts  bebeutenbe»  geleiftet. 


I?üa:fr. 


589 


3.  jjfran^  ^aaöcr. 

Seniler    ein    Sd^üler,    ali    ein    (?t.  ...   S^Omg'l    ifi 

^ranj  Saaber  (ipöter:  3imer  v.  Saaiier)  \v.  ^:iv.*':v.  '176-5 — 1S41) 
5U   nennen,    ^o^  fann  man  l|m  auc^    bii  :    nur  urttn 

ttiefentlid^en  (rin'"iiränfungcn  beifegen,  Saaber  war  eir.  .:!Ier,  ticf= 
finniger  3?iann;  ein  SKann  ber  aui)  an  .^ron  be^  ^enfenc-,  an  roiffen^ 
fd^aftlic^em  Tlmh  unb  lebcnbigem  Sebünniß  b^-'  (rrftnnene  vot  ben 
meifien  bcrr»orragie,  unb  in  ber  natunrüÄngen  ..t  fcütce  ^e= 

fcn»  gegen  bie  Cberfläd^Iid^fcit  eine-5  :    .  .  j   mit 

remid^tenber  lleberlegen^it  auftrat,     ^i-er  um  aiie  Die  ^  5U 

cerbienen,    bic  feine  gt^üler   unb  Serebrer   •  '      ^ 

einem  Sc^eliing  unb  ^»egel  greiigeüelii  rber  gai  i-:  Mi, 

ba3u  feblt  e^  ibm  \u  iebr  an  ber  "  "   '    "  ..:  ^^:• 

p^üüiorbiid^en  3treben-5,   an  ber  .H.-.  :   :      «unn 

ber  met^obiic^en  ^orfi^ung.    Saobc:  ■       .i.^:  v...-   y.  :    ■ 

oon  Einfang  an  c^rinli^cr  ^^l?^--^  .  - .  o   fein,    ^ai  ^. 
aber  für  ibn   mit   Dem  v^at^oli'c^eü  "'""ümen:  ba?^  'r':..  _y.   Z~:,...\ 
bilbct  bie  Soraueie^nng  unb  bac  l..:  ...   feiner  S....        •-.   bie  un^ 
überfdbreiibare  ec^ranfe   feiner  ©•>"-•  f--.     ?r-   r*-  -    •«  alfo 

mit  (Einem  ST-ort  berjenige  ber  m;: :      e*-. 

laftif;    nnb   wenn  er  ficb  bie  fir(filiÄen  :^'e.  r^-n 'aüerbinge  in 

cinn  umgebeutet,    roenn  er  fenter  ber  ...-  n  ^ifr-itür" 

Die  Dimbuieubigfeit   unb    bac  Seiit   ber   ntiffen»:. 

mulmig  uenbcibigt  bat,  fo  gebt  er  an*  bamit  über  jene*  i>r:nciv  felbü 

uid^t  binan'5:  onc^  im  ä^iinc".  :  bol  eine  unb  ba§  anbere 

getban  unb  ift  bobei  bodEi  ein  giuer  jiiaibclif  unb  e:  :  fer 

geblieben,    äud^  unter  feinen  iuirgängem  ftettt  er  bie  £ 

bie  3?iüfri!er,  einen  1:;  :         ;.  einen  ^-cfban,  e.r.en  x-        .   .iä, 

unb  vox  aÜen  3-  Sbbu.e,  «ui  üvö^ücu;  bie  „^^reuming  ber  v 

iion  ber  religiösen  Irabition",  i"     '     "     b:g^5  :    '  "      .    .:    .:  : 

^e-5cane>5,   gilt  ibm  einfacb  al-:-  :v:i;n;;;ng,   bie  ;..         .:u:ai  uu^  ikn 

?iatij?naIifmu-5  ba§t  er  i>on  (?runb  fein»  ^encn?,  .    ^        '    :\^n  ^^U 

^ng  fanb  er  \\d)  erft  feit  beiTen  ^innienbung  ;nriJ:  .    ...  .      -  ':   .:n: 

gejpgem    (rine  rein  p^ofophifd^e  g-or»(^nug  lioe  '":-:    :      :  ^- 

jum  ooraii-?  niAr  erwarten.  3Cber  auc^  in  ber  ^.r.':       .j  >.;.;.  i.;jv.u.i 

Slnüd^tcn   iHn'fäljr:  er  febr  i:n:nftb.>bifi^    uuD    fc:;;...:.     ^fine   geifHge 


590  «aaber. 

^raft  tft  ni(^t  gering,  abet  fein  ©enfen  ift  fe^r  itnbifctptinirt ,  e§>  he- 
roegt  fic^  an  bet  §anb  ber  ^fiantafie  oft  in  ben  löunberUc^ften  ©prün= 
gen,  c3  äußert  [tc^  am  Uebften  in  bunfeln  ap^ oriftifc^en  Drafelfprud;en, 
e§  giebt  un§  SBortfpiele  für  ©rünbe,  jiüeifelfiafte  @ti)mologieen  für 
35eraeife.  ®ine  bünbige  Ueberfid^t  feines  SijftemS  ifl  be§f)a(b  fe^r  fd^iuierig, 
nnb  mancf)e»  in  bemfelben  lä^t  fic^  einfad;  beBraegen  ni(^t  uerftctnblid^ 
nta^en,  weil  fein  SSerftanb  barin  ift. 

33aaber'§  ©pefulation  E)at  i^ren  9)Iittelpun!t  an  feiner  ?^affung  be§ 
©otteSbegriff» ,  nnb  biefe  felbft  ^at  fid)  i{;m  au§  einer  S5erf(^met3nng 
üon  @Ianben§üorfteUnngen  nnb  pf)itofop!)ifdjen  ^been  gebilbet,  lued^e 
o{)ne  eine  ftrengere  luiffenfc^aftlidje  ^egrünbnng  angenommen,  nnb  ot)ne 
ein  !(are§  Seion^tfein  i§re»  lXnterfd;ieb»  burd;  einen  unfritif(^en  SJlad^t^ 
fprut^  fic^  gteidjgefeljt  merben.  S)er  eubtid;e  @eift  fann  nad^  ^aaber 
t)on  fid)  feiber  nnr  miffen,  fofern  er  fi(^  üon  bem  i§n  fierworbringenben 
abfoluten  ©eifte  gerankt  mei^.  S)iefe§  SBiffen  ift  aber  üerfc^iebener  SIrt, 
je  na(^bem  ba§  SSerfiältni^  be§  ©in^efnen  ^nr  @ottf)eit  befc^affen  ift. 
Sßirb  er  üon  i^r  bIo§  „bnr($iüof)nt",  bloS  nnterroorfen ,  fo  ergiebt  fiij^ 
eine  ©otteSerfenntniB,  wie  fie  an^  bie  Xenfel  ^aben,  o'^ne  ^ettieilignng 
hcSi  2öttten§,  of)ne  ©laiiben.  freier  wirb  biefe  (SrfenntniB,  wenn  ©ott 
bem  @efc§öpfe  „beiraoljnt",  i£)m  al§>  Dbjeft  ber  93etrac^tnng  gegenüber^ 
tritt.  2tm  freieften  nnb  t)oIIftänbigften  ift  fie  aber  erft  bann,  wenn 
©Ott  bem  3Jlenf(|en  „innewohnt",  ber  menfdjlid^e  SBille  in  ben  gött- 
lichen einge{)t  nnb  fid^  ii)m  einoerteibt,  nnb  eben  barin  beftefit  einerfeit§ 
ber  ©(anbe,  anbererfeit§  bie  gött(id;e  Grleni^tnng,  loeld^e  be^alb  bie 
^ebingung  aller  matten  ©otteSerfenntniB  finb  ^).  ^aaber  felbft  wirb 
in  feiner  S:^eologie  üon  bem  boppelten  ^ntereffe  geleitet:  eine§ti^ei(§ 
bem  geraöf)nlid;en  2:^eifmu§  gegenüber  tro^  ber  ©inlieit  beS  göttlid;en 
SöefenS  eine  3Jtel)rt)eit ,  einen  inneren  Unterfd^ieb  in  bemfelben  ju  he- 
f)anpten;  anbererfeitS  aber  feber  pantl)eiftifd;en  3>ermifd)nng  ©otteS  nnb 
ber  2Sett  ijoränbeugen.  ^n  beiben  Sejie^nngen  fdjtie^t  er  fi(^  an  bie 
!irc^lid;e  ©ogmatif,  nod)  weit  mel)r  aber  an  ^afob  ^Bijfime  an.  S)a§ 
©ein,  fagt  er  (I,  189.  195.  II,  21.  n.  o.)  mit  ^eget,  fei  niemals  ein 
nnr  nnmittelbarcS,  fonbern  ein  bnrd^  2tufljebnng  ber  IXnmittclbarfeit 
geu)orbcne§  ober  merbcnbeS;  nidjt  bie  unmittelbare  ßin^eit  nnb  Slbfo^ 
lutlieit  fei  bie  raatire,   fonbern  nnr  bie  an0  (5d;cibnng  nnb  beren  2luf= 

1)  ®ej.  ©c^riften  I,  191  f.  202  f.  u.  a.  @t.     SBettcte  Selege,   oud^  sum  folgeii^ 
ben,  bei  (St b mann  III,  b,  593  ff.  ?u tter bed  in  53aabcr'3  öief.  ©c^r.  XVI,  28  ff. 


S^eologte.  591 

l^eBung  üermtttette;  bie  ßinJieit  ber  ©eifte^fuBftonj  fei  nic^t  eine  form; 
lofe,  unmittelbare,  ru^eube,  fonbern  eine  fic^  formirenbe,  burd)  i^re 
innere  Unterfd;eibung  fid;  bnrd;füi)renbe  unb  ^iemit  in  fi(j^  feI6er  immer 
n)ieberfef)renbe,  aftnofe  nnb  pu(firenbe;  ©ott  fei  al§  eraige?^  SeBen  ©ein 
unb  Söerben  äugleid^,  ein  einig  fortgef)enber  ^roce^,  melc^er  freilii^  ni^t 
alg  geitüc^e  ©ntroicflung  gebad;t  werben  bürfe.  @r  fu(^t  bie^  ^unäd^ft 
fd^on  an  bem  immanenten  ^roce§  bc§  göttli($en  Sekng  na(^3Uii)eifen. 
^m  göttlidjen  SSefen  liegt,  mie  er  glaubt,  uon  Slnfang  an  ein  brei= 
fadjcS:  ber  Hriüillc,  bie  2öei»f)eit  unb  bie  9Mur;  ©Ott  ift  äugteic^ 
5)>rlncip,  Drgan  unb  9Ser!3eug,  unb  l^ierauS  crgiebt  fi(^  bann  weiter 
eine  boppelte  ©otteSoffenbarung.  S^er  einige  @ott,  b.  t;.  ber  ungrünb^ 
lic^e  Sßitte,  gebiert,  fid^  felber  finbenb,  ben  faBticfjen  Söillen,  ben  6of)n, 
unb  gewinnt  baburc^  bie  ^raft,  al§  ©eift  aus^ugelien.  ©iefer  göttlid;e 
„Xernar"  erweitert  )iä)  5um  „Cuaternar",  wenn  wir  ju  bemfe(ben  bie 
SöeiS^eit  ober  Qbea,  ba§  unperföntid^e  G(ement  ber  (Se(bfterfd;einung 
©ottegi,  bie  (Stätte,  weld;er  ber  ^ernar  inwofmt,  {)!n5une^men.  ^nbeffen 
fommt  e»  in  biefcr  erften  S)iffercu5irung  be§  gött(id^en  9Sefen§  nod^ 
m6)t  3um  Uuterfd^ieb  ber  brei  ^erfonen,  fonbern  erft  jur  3}iög(id^!eit 
realer  Unterfd^iebe ;  bamit  biefe  9}iöglid)feit  fi(^  üerwirf (i($e ,  mu§  ber 
immanente  ^roce^  jum  „emancnten"'  nnb  realen  werben,  unb  biefe^ 
rermittelt  fic^  burd;  bie  eraige  9latur  in  ©Ott,  ober  bie  Segierbe,  we{d;e 
S3aaber  äf)n(id),  wie  Söf)me,  befdjreibt.  6rft  inbem  ©Ott  au§  if)r  ge= 
boren  wirb,  wirb  er  breiperfijnlid;.  Wit  bicfer  inneren  unb  äußeren 
Dffcnbarung  ©otte»  barf  aber  bie  Sdjöpfung  nic^t  uerwe^fclt  werben, 
wenn  man  nidjt  bem  ^antfieifmuS  anfjeimfaden  will,  ^ene  ift  burc^ 
bie  Statur  ©otteS  geforbert,  fie  berul)t  auf  einer  abfolutcn  9Zotl)wenbig= 
feit;  biefe  ift  ein  freier  Slft  ber  gött[id;en  Siebe.  Söenn  allerbingS 
©ef(^öpfe  entftelien  follten,  fo  bunten  fie,  um  nidjt  mit  bem  (£d;öpfer 
3u[ammen5ufanen,  nur  au§  bem  nid;tfeicnbcn  ©runbe,  ber  ewigen  3ta; 
tur,  burd;  eine  ©rregung  berfelben  pr  Se(bftl)eit  entfielien,  unb  infofern 
richtete  fid;  bie  Slrt  unb  Söeife  be§  göttlid;en  ©djaffenS  nad^  einem  in^ 
neren  ©efelse.  2lber  ba^  ©efd)öpfe  entftauben  finb,  ba^  e§  überl)aupt 
eine  2Selt  giebt,  bie§  ift,  wie  ^aaber  glaubt,  in  feiner  9^otl)ir)enbigfeit 
begrünbet  unb  lä|3t  fid^  be^lialb  nid)t  fpehilatiu  bebuciren,  fonbern  nur 
al§  ^^atfac^e  annel)men.  ^n  nod)  l)öl)erem  Wia^e  gilt  bie^  natürlid^ 
von  bem,  wa§  un§  33aaber,  §alb  au»  ber  biblifd;en  unb  firc^üd^en 
Ueberlieferung,  l)a(b  au5  eigener  unb  frember  3:f)eofopl)ie  f)erau§,   über 


592  «aaber. 

ben  gaff  Sucifer^  unb  bet  Wfen  @nge(,   ükr  ben  Uräuftanb,   ble  ur= 

fprünglid)   monmueibUc^e   9f?atur   imb   ben   boppelten   ©ünbenfaff   be§ 

SOfletifd^en  imb   über   bie  gerftörenbe  Sß^irfung   biefer  ©retgniffe  auf  bie 

gan^e  ©c^öpfung  erjäljlt.    Hm  hcn  SJfenfc^en  in  feinem  ©turj    in   ben 

2lbgrunb  anf^nl^atten  unb  if)m  bie  SJtöglid^feit  einer  affmöf)Ii(^en  2öieber= 

ertiebung  ju  eröffnen,   foff  bie  Sßelt  räumlirf;  nnb  geitlid^,   unb   fomit 

materieff  geraorben  fein.    S)cr  gegenmärtige  ß^f^^^^^  ^^^  3^atur  ift  ba- 

]^er  nac^  ^aaber  in  äßafirfieit  ein  unnatürlid;er:  itjr  unfi(^tbare§  SBefen 

verbirgt  fic^  unter  ber  matcrieffen  §üffe,  i^re  bpnamifc^en  ©efe^e  unter 

bem  3}^e(^antfmu§;  fie  ift  au§  bcm  Zentrum  gerücft,  in  einen  inneren 

3n)iefpalt  unb  eine  fortn)äI)renbe  Unruhe  werfest,  unb  auc^  ber  9)lenf(^ 

f)ot  ii^n  ^M  in  ba§  SSefen  ber  ®inge  unb  bie  urfprünglidje  magifd^e 

Wlaä)t  feine§  SBiffen^  über  bie  3^atur  Derloren  :inb  fief)t  fi(|  ftatt  beffen 

i()r  gegenüber  auf  ein  med;anifc^e§  ©rfennen  unb  ©inmirfen  befd;rän!t. 

9?ur  t)on  ber  2öieber!)erfteffung  be§  urfprüngtid;en  33erp(tniffe§  §n)if($en 

ber  3Jlcnfd;f)eit  xinb  ©Ott  Iä§t  fic§  aud^  jene  3ßieber!)erfteffung  ber  Tia= 

tur   unb   it)reg   3Ser!)ältniffe§   §um  3}lenfd)en   fioffen,   bereu  3?orIäufer 

^aaber  in  ben  Söunbern  fief)t.    2öer  ba§  ^Ratürlid^e  fo  §um  Unnatür= 

(id^en  unb  ba§  Hebernatürlii^e  gum  9^atür(id)en  mad;t,   von  beut  (ä|t 

fi(^   feibftoerftänblid^    für   eine   miffenfdjaftlic^e   ßrfenntni^   ber   9^atur 

ni(^t  uiel  erraarten,  unb  fo  mirb  man  an^  bei  Saaber  au^er  einjelnen 

anregenben,   aber  in  ifirer  näfieren  gaffung  in  ber  Siegel  fd;iefen  unb 

f(j^il(ernben  ©ebanfen,   in   benen  er  fic^  t^eilioeife  mit  @(^effing  ober 

^egel  berüf)vt,   i^aum  etioag  finben,   lootion  bie  9iaturiüiffenfc§aft  &c- 

braud;  madjen  fönnte.    ?iidjt   anberS   x^erljält   e§  fid;  aud;  mit  feiner 

2(nfid;t  über  bie   menfdj![i($e  -Ratur.    2Ba§  {)ier  no(^  ant  e^eften  einen 

pfjilofopI)ifd;en  ©f)orafter  trägt,  ift  bie  IXnterfd^eibung  üon  brei  Seftanb- 

tf)ei(en,  ober  beffer,  brei  Organen  be§  menfd^Iidjen  2Befen§:   Seib,  (Seele 

unb  ©eift.    3lbcr  fo  großen  SBertl;  SBaaber  auf  biefen  ^un!t  legt,  fo 

fommt  e§  bod;  auc^   t)iebei  p  feiner  J?[ar(;eit;   im  übrigen  brel^t  fid; 

feine  2Intt)ropo(ogie   ganj  um  bie  fi^on  berüf)rten  plfiantaft if djen  SSor- 

fteffungen  über  ben  IXr^uftaiib,   bie  6ünbe  unb  it;re  äßirfungen.    ®ie 

gleid;en  SSorfteffungen  biibcn  aud;  bie  ©runbfage  feiner  ©efd;id;t§anfid;t. 

®ie  2öeltgefd)id;te  wirb  oon  i{)m  ganj  unter  ben  tfieotogifdjen  @efid;t§= 

pun!t  ber  ©üube  uno  ber  ©rtöfung   geftellt;  aber  mie  er  bie  @ünbe 

jugteic^    alö    'Jiatuimadjt    ifjre    üerbevblid;en   Söirfungen    auf    bie    ge= 

fanunte  Scböpiung  ausüben   läBt,  fo  fa^t  er  aud;  bie  ©rlöfung  nic^t 


Kosmologie,  Stnt^roporogte,  (Stl)tf.  593 

Ho§  aU  fütlid^en  5]3roce§  auf,  fonbent  bte  p^9f([cf;e,  tnagifd^e  SBirfung 
bcg  Sluteg  e^riftt,  ber  ©acramente  u.  f.  f.  fptelt  barin  eine  bebcutenbe 
9?oire,  ber  ^lob  ßfirifti  fott  auf  bie  SReufd^^eit  burd^  eine  3lrt  üon  2ln= 
ftedfuug  ober  ntaguetifc^em  9?apport  rairfen,  bur(^  bie  SBiebergcburt  foH 
fidf;  im  3}Zeufc^en  eine  f)öf;ere  Seiblid^feit  bübcn,  welche  mit  ber  2lufer= 
fteljung  an  bie  ©teile  ber  nieberen  tritt,  unb  mit  bem  3Jtenfd;en  foll 
aud;  bie  äußere  9^otur  in  ben  SSoaenbung^^uftanb  surüdfefjrcn. 

STudj  33Qaber'.§   (Bt^ii  Fiat  ein  burd)au§  religiöfeS  ©epräge.    S){e 
6ünbe   fann   nur   burd;    bie   SSiebergelmrt   übcriuunben   werben,    ber 
(3iauU  ift  ba^er  bie  Sebingung  aller  raa|ren  ©ittlidjfoit.    S^urd;  bie 
magifdje,   p^9fifd;=morali[($e  SSirfung  bc§,  mauhcns>  mu^  bie  i^iaft  be3 
ayjcufd^en  TOieberljergefteat  werben,   roenn   er   ba§  @e[e§   fott   erfüllen 
fönnen.    @ine  SJtorat,   meldte   fid;   nur  auf  bag   ©ittcngefe^  grünben 
raitt,  mie  bie  fantifd;e,  nennt  ^Baaber  eine  Tloval  für  S:eufcL   S)ie  gtei= 
c^en  ©runbfä^e  gelten  natürüd;  and;  für  ba^3  menfd;(idje  ©emeinleben. 
^ebe  ^Bereinigung  Bcbarf  eineg  i^r  übergeorbncten,   burd;    haS^  fie  3U- 
fammengcFjalten  mirb.    i^ebe  ©emcinfd;aft  6eruf)t  auf  ber  llnterroci-fung 
unter   ein   ^öi)m§,   auf  Sluftorität.    llnfcr   etgcntad^e§  Dber(;aupt   ift 
akr  nur  @ott,   bie  red;te  STuftorität  ift  nur  bie  göttlidje  Offenbarung, 
unb   bie  5irägerin   unb  3lu§(egcrin   biefcr  Offenbarung   ift  bie  i?ird^e! 
2l(§  ber  n)al;re  ©taat  wirb  ba^cr  von  93aaber  nur  ber  djriftiid^e,   b.  \). 
ber  fat^otifd^e,  anerfannt;  ber  eouueränetät  ber  gürften,   mie  ber  *be§ 
5BoIfe§,  fe^t  er  bie  ©ouücränetät  @otte§   entgegen,   von  beffen  ©naben 
3flegent   unb  SSolf  fei,   unb  fein  politifdjeg  i^beat  ift  (II,  201  f.)  ba§ 
Slufgctjen  ber  befonberen  <BtaaUn  in  ©inem  aifgemciuen  fird;(id;=ftaQtIid;en 
©emeimuefen.    ©elbft  auf'g  roirt!)fd;aftl;d;e  ©cbiet  werben  biefe  ©ninb= 
fä|e   angeroenbet:    „e§    giebt   feinen   (Srebit   mct^r   oI;ne   ßrebo,"    fagt 
Sßaaber  (II,  181),  gleii^  beseid^uenb  für  bie  Sefd;ränftfjeit  feine/®tanb= 
punftS  unb  bie  @efd;iitad(ofigfcit  feiner  3lu§brud^iueife.     S}amit  Iiängt 
aud;  bie  gorberung  einer  ftänbifc^en  ©iiebecung  be§  ^olU§>  äufanimen, 
an  ber  Söaaber  troij  ber  @infid;t  in  bie  llnmöglid;feit,    ba§  oite  ^unft' 
wefen  wieber  ^er^ufteßen,  feftfiött:  bie  ©inaehien  folfen  in  jeber  Se^ie^ung 
einem  gefellfd;aftlic^en  OrganifmuS  eiuüerleibt  unb  von  feiner  Sluftorität 
be^errfd)t  fein.    2lber  fo   mitteralterrid;  fid)  ^aahev'ä  6ocia[pf)i(ofop^ie 
nac^  biefer  Seite  f)in  aufnimmt,  fo  ift  er  bod^,  tro|  alfe^  ^ortern§  Qcacn 
SiberalifmuS  unb  ^roteftantifmu§,   viel  freifinniger,  al^  man  nad^  hm 
angefü(;rten  glauben  möd;te.  ©eine  gefunbe,  oolfgtc)ümrid;e  9latur  empört 


594  Äraufe. 

[x^  gegen  bureaufratifd^en  ®efpotifmu§,  fein  it)if[en[c^aftlid;e§  S3ebürfm^ 
unb  fein  männlid^eS  @elbftgefül;l  gegen  römifd^en  ©lanbenS^roang ;  er 
oerlangt  einen  fetbfttljätigen  2lntf)eil  be§  SSolfe^  an  ber  ©taatSoerraal- 
tnng,  eine  corporatiue  SSerfaffnng  ber  Äird;e,  eine  ^efrennbung  ber 
5i!E)coIogie  mit  ber  ©pe!nIation.  ^n  bem  ©treit  ^wif djen  2ltt=  nnb 
9fieufatt)oUcifmu§  würbe  [id;  ^aaber  of)ne  ^weifet  mit  aller  (Snt[c^ieben= 
t)eit  anf  bie  ©eite  be§  erfteren  geftellt  J)aben.  @r  ift  ba^er  bei  ben 
Ultramontanen  l)ente  no^  fd;Iec^t  angefd;rieben  nnb  mar  iljnen,  unter 
anberem  and;  megen  feiner  anerfennenben  2IeuBernngen  über  bie  orten= 
talifd)e  ^ird;e,  f(^on  bei  Seb^eiten  Derbädjtig;  nod;  bem  ©terbenben  ift 
ein  Söiberrnf  feiner  „i^rrtpmer"  oon  einem  jnngen  ©iferer  geroö^n: 
tid;ften  ©d^lageS  abgepreßt  raorben  ^). 

Unter  ben  ©d;ütern,  beren  S3aaber  in  ber  fatl^oItfd;en  Rix^e  nid^t 
roenige  3ä§U,  ^at  fid;  befonberS  granj  §offmann  in  SBür^bnrg, 
nädjft  i()m  Sutterbed  in  ©ieffen  unb  .^amberger  in  9rtünd;en  um 
bie  £->eran§gabe  feiner  2ßer!e,  bie  Sarftelinng  unb  ©rläuteiung  feiner 
Se^re  SSerbienfte  erworben. 

4.  ^röufe. 

Wit  SSaaber  ftimmt  Äarl  ßfiriftian  j^riebrid;  i?raufc 
(1781—1832)  barin  überein,  ta^  er  g(eid;fall§  ben  ^ant^eifmu^  mit 
bem  ^fieifmuS  ju  vermitteln  unb  burc^  benfeiben  ju  ergangen  bemül^t 
ift,  unb  baB  biefeS  $8eftreben  bei  i^m,  wie  bei  jenem,  auf  einer  gleid^^ 
mäßigen  ©tärt'e  be§  reUgiöfen  nnb  be^  miffenfd;oftlidjen  ^ntereffe'^, 
auf  bem  S3ebürfniB  einer  gegenfeitigen  SDurdjbringung  von  ^f)i(ofopf)ic 
unb  Religion  ruf)t.  Sind)  feine  $f)i(ofopl)ie  foE  „©ottcSmeiS^eit", 
S:{)eofop{)ie,  fein,  unb  er  felbft  nennt  fein  ©ijftem  am  licbften  bie  „2öe^ 
fenle{)re",  weil  e§  Dom  Segriff  be§  2öefen§  ober  ber  ©ottl^eit  an^ge^t. 
2Iber  fein  S)enfen  ift  ungleich  metf)obifd;cr ,  feine  grömmigfeit  ungleid) 
freier,  als  33aaber'§.  tiefer  roill  nic^t  bloS  ein  d;riftlidjer,  fonbern 
anSbrüdlid;  ein  fatl;olifd;er  ^l)ilüfopl)  fein;  Traufe  ift  bei  ber  roörmften 
reügiöfen  Segeifternng  gegen  bie  pofitioe  9tetigion  als  fold;e  glei(^- 
gültig,  burdjauS  9tationa(ift.  :^ener  oerfäl)rt  in  ber  S)avftcllung  feiner 
2(nfid;ten  unfi;ftematif(^,  formlos,  apljoriftifd; ;  biefer  legt  einen  fo  ^ol^cn 
äßertt)  auf  bie  fi)ftcmatifd;e  gorm,  auf  genaue  logifd;e  ^Beftimmung 
©onberung  unb  S^ertnüpfung  ber  Segriffe,  baJ3  er  baburd;  nid;t  feiten 

1)  Saaber'ä  n^f.   5<^v.  XV,  131  ff. 


©tanbpunft  unb  d^avatm.  595 

Qtt  §eget,  m^  f)äuftger  freiließ  an  ßfirifttan  Söolff  unb  ^afoB  SSapcr  cr^ 
innert;  unb  fo  f)at  er  au($  bie  Sogt!  mit  ©in[(j^tu^  ber  3)Ietf)obotogie 
n)ieberf)olt  au^fü^rlic^  unb  forgfältig  bearbeitet,  unb  biefe  S)arfteIInngen 
finb  fo  geljalten,  baB  man  i^nen  oft  fogar  unnötl;ige  ©pi|finbig!eit 
unb  gormatifmn§  üorroerfen  fann.  53aaber  wirb  untrer ftänblid^  burd^ 
bie  Unreinheit  feiner  'B^xa^e,  ifire  Ucbeiiabung  mit  ^^rembmörtern,  ben 
Mangel  an  einer  feften  ^Terminologie;  Traufe  mirb  e§  in  nod;  Isolierern 
©rabe  bnrd;  übertriebene,  beutfd;tl)ümlerifd^e  (Sprad;rcinignng ,  burt^ 
felbftgemadjte,  bcm  Spradjgebraud;  unb  ber  ©prad;analogie  miberftrebenbe 
SBortbilbungen ,  burd;  ben  geliäuften  ©ebrauc^  t)on  2ln§brüden,  bie 
nac^  eigener  X'ijeovie  oft  au§>  üerlorenen  ober  gar  nie  mirllic^  üorl^an- 
benen  SBur^eln  abgeleitet  finb,  jebem  anbern  aber  um  fo  t)erfd;loffener 
bleiben,  je  angeftrengter  ber  ^l)ilofopl)  fi($  bemül^t,  in  ber  3iM'ctmmen= 
fe|ung  ber  Sßörter  jebem  einjelnen  Clement  unb  jeber  einzelnen  9Jlobi:= 
fifation  ber  SSegriffe  gerecht  ju  werben.  Traufe  i^at  burd^  biefe  ©igen; 
tlümlic^feit  feinen  ©djriften  eine  unmittelbare  in'§  gro§e  gel^cnbe  SBir^ 
fung  3um  üorau§  unmöglid^  gemad;t;  erft  nai^bem  feine  2tnfid;ten  üon 
anbern  nerboUmetfdjt  raaren,  fanben  fie  allgemeinere  ^ead;tung.  ^n 
2Bal)rl)eit  lann  man  fid;  aber  barüber  ni(^t  rounbern,  unb  bem  pl^ilo^ 
fopt)ifc^en  ^-Publifum  faum  einen  Vorwurf  baraug  madjen.  SBer  gelefen 
fein  will,  ber  fdjreibe  fo,  ba^  man  ilin  iierftelit;  e§  lieiBt  bem  Sefer  gar 
ju  t)iel  3umntl;en,  menn  man  üon  il)m  verlangt,  er  folle  erft  eine  neue 
©prad;e  erlernen,  um  fid)  burd;  ein  paar  Südjer  burd^juarbeiten ,  üon 
benen  er  benn  bod;  nic^t  gum  roran§  miffen  lann,  ob  in  ber  garten 
unb  ftac^ligen  ©cj^ale  ein  J^ern  liegt,  megen  beffen  e§  fid;  üerlolmt,  fie 
ju  öffnen,  ^ehe  2Biffenf($aft  braud;t  ja'ilire  ^Terminologie ,  unb  mer 
neue  Segriffe  entbedt,  ber  ift  and^  genötl)igt  unb  bered;tigt,  beftimmte 
S3e3eid;nungen  bafür  gu  fd;affen.  Slber  aHe§  l^at  fein  'SRa^.  SBenn  ein 
©d^riftfietfer  gar  nie  t)on  ben  Steigen  feiner  ^Terminologie  l^erabfteigt, 
menn  er  au§  lauter  ^urifmuS  ein  Seutfd^  fd^reibt,  mel($e§  hem  S)eut- 
fd^en  fo  unüerftänblid^  ift,  al§  ob  e§>  <San§lrit  märe;  menn  man  hei 
i!)m  auf  iebem  ©d^ritte,  unb  oft  gu  S)u|enben  in  ©iner  ^eriobe  SluS- 
brüden  begegnet,  mie  (Sa|l)eit,  Urfa^i^eit  unb  SSereinfa^l^eit,  9lidjt§eit, 
gapeit  unb  ßrfenn^eit,  ©einlieiturein^eit  unb  (2einl)eitoereinlSeit ,  S3er; 
l^altfeinlieit  unb  ©el^altfeinl^eit ;  wenn  man  nid;t  ^offen  fann,  feine 
3Keinung  gu  faffen,  el)e  man  fid;  ben  Unterfd^ieb  t)on  Urraefeninncfein 
©elbraefeninnefcin,   ©angmefeninnefein   unb   SSereinfelbgangmefeninnefein 

38* 


596  Ärai'le- 

ober  ©(^auoereittfü'firen  gemerft,  bie  SSebeututtg  von  Drroefeu,  2Introcfen, 
■'jiJ?älTt)e[en  itnb  Dmroefen,  2öe[en'al§=tlrroe[en  imb  @eift=üercirt=Seibroc[en, 
t)ou  Dr=om=SBe[enlel)oerf)altl^eit  unb  Drenb;eigen;2Sefena|mIebf)eit,  ba§ 
3ScrI)ä(tniB  von  ,,2ße[enS  Dr-om=ScI)[e(bftf($aueii"  ju  feinem  Uv--  unb 
@roig:©elbftfd;auen  fic^  Uav  gemacht  fiat,  fo  ift  c§  am  ©nbe  Begreiflid;, 
ha^  nidjt  feber  fi(3^  entfdjliefet,  fi(^  burc^  fotd^e  ^ierogti)pf)en  bur($3n= 
arbeiten.  ®§  ift  bie^  um  fo  bcgreiftid^er,  ba  eine  fo  übermäßige  SS ertö= 
fd}ä|ung  unb  eine  fo  eigenfinnige,  biä  auf  bie  Orthographie  fid;  er= 
ftredenbe  5i)urd)fü^rung  griUenljafter  fprac^üd^er  @igenf)eiten  hen  $ßer= 
bad;t  nalje  legt,  man  'tiaU  e«  mit  einem  gicbanten  gu  t^un,  meld^em 
'oaä  unroefentlid;e  ebenfo  midjtig  fei,  raie  ba§  n)efent(id;e,  meldjem  an 
ber  äußeren  gorm  ebenfoüiel  liege,  wie  an  ber  (Sa($e,  unb  ha§>  neue, 
loaS  er  un§  bietet,  beftelje  mef)r  in  bem  müt)fam  unb  forgfäitig  aufge= 
bauten  äußeren  ©erüfte,  a(§  in  bem  ©riftem,  gu  beffen  Stuffü^rung  c§ 
bienen  foßte.  ©iefer  33erbad;t  ift  nun  aud;  mirfiid;  nic^t  gang  unge^ 
grünbet.  -Traufe  mar  immerl;in  ein  odjtung^iüertfieS  pf)itofopf)ifd;e0 
S:alent,  eine  ibeale,  begeifterungSooIfe  9latur.  ®r  l^at  fein  2eUn  unter 
3urüdfe|ung,  ^Rotf)  unb  Gntbefjrung  erft  alg  ^rioatbocent  in  ^ena, 
bann  ai§>  ^rioatgetei)rter  in  ®re§ben,  unb  fd;[ieß(id)  mieber  alg  ^rioat- 
bocent  in  ©öttingen  ber  miffenfd;aftlid;en  Slrbeit  geraibmet,  -oon  ber  er 
fic^  nid;t  blo§  für  bie  ^f)l(ofopf)ie,  fonbern  für  ben  gangen  fitt(id;en 
3uftanb  ber  3Jienfd;f)eit  bie  fegenSreic^ften  SBirfungen  oerfprad;.  Stdein 
fo  bebeutenb  mar  feine  geiftige  ^raft  bod;  nid;t,  raie  fein  eigener  ©ifer 
unb  bie  SSereljrung  feiner  ©djülcr  fie  if)m  felbft  n)oi)(  erfd^einen  ließ, 
©eine  2lbfic^t  ift  e§  atterbingg,  bie  ©efammtfieit  ber  Singe  a(l  ©in 
organifd)cS  ©angeS  au§  ©inem  ^rincip  gu  begreifen.  Slber  ftatt  ber 
lluterfud;ung  if)re§  inneren  3«fai"i"<^^^^ö"9^  begnügt  er  fid^  nur  gu 
fct)r  mit  einem  äußerlichen  logifd^cn  (gc^ematifmuS ;  mo  wir  33eroeife 
oeriangen  muffen,  ftoßen  mir  nid;t  feiten  auf  unberaiefene  33c!)auptungen, 
auf  35orau§]e{jungen,  bie  fic^  aU  geiftige  Slnfc^auungen  geben,  felbft 
auf  bloße  ^f)antaficen;  unb  wenn  man  feine  ©ebanfen  ber  eigentfjüm^ 
tilgen  gorm  entfieibet,  in  bie  er  fie  gefaßt  t)at,  fo  geigt  fid;,  ha^  bic= 
fc (ben  mit  bem  frembartigen  2(nfef)en,  ba§  feine  feltf ame  ©prad^e  ifineu 
ücr(eii)t,  and;  oon  il)rer  fd;einbaren  5Reut)eit  unb  Ur)prünglid;feit  oieleä 
ocrtieren. 

3t)rer   Slbftammung    nad)    ift  ^raufe'3   ^f)i[ofopl;ie   gunäd^ft   auf 
gidjte  unb  ©d^eiling,   gang  überroiegenb  jebod;  auf  ben  le^tern  gurüd= 


@taitbpun!t.     3)a§  ^dj.  597 

aufü{)ren.  SBenn  ^ant  ber  Urheber  ber  l^eutigen  ?pf)irofop!)te  ift,  fo 
^at  gierte,  rote  er  Qlaiiht,  im  ^^  ben  fu&jeftiüen  Slnfang,  ©d^etting 
in  ber  unkbingten  ®otte§erfenntni§  ba§  oBjeftioe  ^rincip  ber  SBiffen^ 
fc^aft  richtig  Iieftimmt.  Traufe  felCft  roitt  beibeä  tierbinbcn;  er  will  mm 
<£elbftberou§t[ein,  als  bem  ersten  fubjettiü  geroiffen,  ber  SBefenf^eit  ber 
©a(J;e  na^  fortfcf;reitenb  giir  2Inerfenntni§  be§  ^rincipS  auffteigen,  er 
will  aber  ^uglcid^  auä)  bie[c§  felbft  fo  beftimmen,  tafi  ber  geiler  be§ 
^ant(;eifmu§  ücrmicbcn,  @ott  al§  lebcnbiger  unb  periönUd;er  erfannt 
unb  bie  Söelt  al^  bie  Offenbarung  bicfeS  lebenbigen  @otte§  begriffen, 
baB  2:^eifmu§  «nb  5|?ant^eifmn§  in  einem  Spftcnt  be§  „^ancntl;eifmuä", 
einer 2IlI4tt=@ott=£ef)re  rerfö^nt  werben;  unb  er  roiH  babei,  im  ©egenfa|  gu 
^acobi,  burd;au§  roiffcnfd;aft(icf;  rerfafjrcn  unb  fid^  nid;t  auf  ba§  blofje 
©efüf)t  ftüljcn.  2Bag  er  anftrcbt,  ift  bemnad)  im  allgemeineu  ba§  gtcidie, 
roa§  anä}  ©djeHing  in  ber  Slbfjanblung  über  bie  greifjeit  unb  ben  it)r 
oerroanbtcn  ©d;riftcn  oerfudjte,  roeld;e  j^raufe  be§f)alb  and^  feinen  al- 
tercn  ©arftcHungen  cntfd;icben  uor^iefit;  nur  ha^i  er  ben  ©tanbpunft 
be§  Slbfolutcn  von  ber  fubjeftiüen  ©eite  f)er  burd;  bie  53etrad;tuug  be^ 
6elbftberou{3tfein§  gu  begrünben  unb  benfelben  üoHflänbiger  nnb  me= 
tljobifc^er,  aU  ©djetting,  gum  ©yftem  auszuführen  bcabfidjtigt. 

SDer  Slnfang  ber  ^^i(ofopl;ie  ift  nad;  Ä'raufe  ba§  ©clbftberou^tfein, 
bie  ©elbftanfd;auung  be§  ^d;.  ®a§  ^d)  finbet  fid;  nun  al§>  beftclicnb 
au§  ©eift  nnb  Mb,  al§  mmfd;;  c§  finbet  fid)  gugtetc^  aU  bleibenb 
nnb  fid^  änbcrnb,  a(§  nuäettlic^  unb  gcittid^,  mit  ßincm  2öort  aU  U- 
benb;  e§  finbet  in  fid;  S^ermögcn,  Sijätigfciten,  i?räfte  unb  triebe, 
roelcfie  fid^  näl;cr  auf  bie  brei  formen  be§  ®cnfen3,  empfinbcng  nnb 
2SolIcn§  3urüdfüf)rcn ;  nnb  in  allen  biefen  Beziehungen  finbet  e§  fi(^ 
aU  ein  organifc^eS,  in  ber  innigftcn  33erbinbung  aller  feiner  St^eile  nnb 
Gräfte  fid;  erl)attenbeS  ®an]c^.  ©g  finbet  au§er  fid^  anbere  geiftige, 
förperlidje  unb  geiftig=leiblid;e  SBefen,  unb  e§  erholt  baburc^  bie  33e^ 
griffe  ber  SSernuuft,  ber  Statur  unb  ber  3Jtenfdjl)cit.  Sitte  jene  Sßefcn 
finb  aber  ebenfo,  roie  ha§>  ^d)  felbft,  enblid;,  nnb  aud;  bie  |öl;ercn 
©anjen,  bie  fie  nmfaffen,  SSernunft,  Statur  unb  2)Zenid;ljeit,  finb  enblid; ; 
fie  finb  eg  fd;on,  roeit  fie  üon  einanber  oerfdjicben  finb,  unb  fomit  |e= 
be§  Don  ilmen  ba§,  roa§  bie  anbern  finb,  nid;t  ift.  ßbenbamit  weifen 
fie  aber  auf  ein  IXnenblidje»  ai§>  i^ren  ©runb  f)in:  wenn  aud;  uufer 
erfenncn  mit  ber  ©elbftcrfenntni§  beginnt,  fo  werben  wir  bod;  t)on 
biefer  fofort  a"r  (grfcnntnijs   beg   unbcbingten  ^rincipg    gefüt)rt,   von 


598 


jtraufe. 


welkem  mix  felbfl  unb  alle  anberen  ©ingc  abtjärtgcn,  ©otteS,  ober  roie 

^rauje  geraö^nlic^  fagt:  „^tUn^"- 

%üt  bie  2luffaf[ung  biefe^  ^rincipS  ifl  bei  Äroufe  ©(^eHinö'S  ©m^ 
fluB  maBgeBenb.    (Sr  mt  fici)  suttäd^ft  f<fion  barin,  ba^  bie  ©otte§= 
erfenntniB  it)m  sufotge  in  einem  unmittelbaren  unb  unbebiugten  geiftigen 
©(^auen  beftelien  foll:   wir  fommcn  gu  ifir  burd^  bie  „2ße[enfd;auung", 
toeld^e,  wie  ©(^eUing'ä  intetteftuette  Slnfc^auung,  at§  eine  Offenbarung 
ber  ©ottlieit,  eine  unmittelbare  SBirfung  berfclben  auf  ben  menfdf) ticken 
©eift  befdjrieben  mirb,   unb  alleg,  rcaS  mir  von  ber  @ottf)eit  auSfagen 
fönnen,  fülirt  fid)  auf  bie  „^f)eilroefenf($auungen"  ober  bie  ^been  jurüd, 
bie   fi(i  uns   burd)  bie  ßergtieberung   ber  @runbanfd;auung   ergeben, 
©benfornenig  oertäugnet  fid;   aber  jener  SinffuB  aud^  in  ber  näl)eren 
«öeftimmung  ber  ©otteSibee.    ©ott  ift  nad^   Traufe  nid;t   ein  SBefen 
neben  anbern,  fonbern  „SBefen"  fd)Icd)tl)in,   bag  Sßcfcn,   n)eld;e0  alleä 
raefen^afte  ©ein  nid;t  bloS  f)eroorbringt,  fonbern  fubftansiett  in  fic^  be= 
fa^t.    ©r    ift   an  fi(^  „Drwefcn",    ba§   „ungegenf)eitii(^e„  Söefen,   bie 
gegenfa^lofe  (ginl)eit  atteS  @eing,   bie  abfohlte  ^bentität.    ©r  ift  aber 
anbererfeitS   at§  Urroefen  (ober  „2ßefen=ar§=Urroefen'0  au^er  unb  über 
ber  SBelt,  wä^renb  er  gngleid^  at0  Söefen  bie  SBelt  in  fid;  |at:  jenes, 
Toeil  er  unbebingt  ift,  bie  2Belt  ber  Inbegriff  be§  ^ebingten,   biefeS, 
toeit  ©Ott  nid^t  als  unenbli^  gebadjt  mürbe,  wenn  irgcnb  etroaS  auBer 
it)m  märe,    ©o  menig  bal)er  ©Ott  bie  Söelt,  ober  bie  SBelt  ©ott  ift, 
fo  unterfd;eiben  fie  fic^  boc^  nur  fo,  baB  bie  2Sefcnl)eit  ©otteS  bie  gange 
2öefenf)eit  ift,  bie  ber  2Belt  nid;t  bie  ganje.    Dber  mie  bie^  aud)  auS= 
gebrüdt  mirb  (2lbr.  b.  Sog.   143.  148):    mäl)renb  ©ott  an  fid^  üor, 
über  unb  ol)ne  jeben  inneren  ©egenfa^  ift,  fo  ift  er  in  fid;  ©egenmefen 
unb  SSereinmefen ,  Vernunft  unb  9^atur,    als  sroei  i^m  felbft  unterge-- 
orbnete  unb  in  il)m  felbft  untcrfd^iebene  Sßefen,  meldte  (mie  bei  ©d;elling) 
an  fid^   gleid^mefeuttid) ,   aber  an  ber  ©lei(^mefenl)eit  gegenfieitlid^  be= 
ftimmt  finb,  ebenfo   aber  aud^   baS  auS  beiben  aufammengefe^te ,   bie 
5menfd)l)eit.    ilraufe  leitet  bemnad),  älmlid^  mie  33aaber  unb  ©d^etting, 
baS  ©afein  ber  Sßelt  auS  einer  „inneren  ©ntgegenfe^ung  ber  2öefenf)eit 
in  ©Ott"   ab  ^).    Unb  mie  er  l)ier  smifc^en  ber  StuBermelttid^feit  unb 
^nnerroeltli^feit  ©ottcS  ju  rermittetn  fud^t,   fo   mitt   er  aud^  gmifd^en 
bem  XfieifmuS,  melc^cr  fid^  ©ott  als  perfönli^eS  ©inäelroefeu  benft,  unb 

1)  ^^ilof.  t).  ®ef(^.  40  ff.  u.  0. 


©Ott  unb  Bclt.  599 

bem  ^antl^eifmuS ,  rocld^er  i^n  al§>  ba§  unperfönl{(|e  attgemeine  SQBefen 
benft,  üermitte(n.  ^n  feiner  S)arftellitng  ber  göttUd;en  ©runbraefenfieiten 
ober  ber  J?ategorieen  ^)  rerbinben  fid;  mit  ben  allgemeinften  ontologifd^en 
8eftimmungen  bie  geroöfinlid^en  Segriffe  üon  perfönlid;en  ©igenf^aften 
ber  @ott§eit,  i^rem  SelbftbeiuuBtfein,  SSiffen,  %ü^Un  u.  f.  ra.  S)tefe 
©arfteHung  ift  aber  freiließ  in  if)rem  raetap^i)fifd;en  5;^eil  fo  unbnr(^= 
fid^tig  unb  in  ifirer  8d;i[bernng  ber  göttüdjen  gjerfönlic^feit  fo  umüiffen= 
fdjaftlid^,  e§  fef)ft  ifjr  fofe^r  an  einem  Seran^tfein  über  bie  Sd^raierig^ 
feiten  nnb  Probleme,  bie  fiier  liegen,  ba0  23erf)ä(tnife  jener  beiben  (gle= 
mente  bleibt  ferner  fo  nnffar,  nnb  mit  ber  Segrnnbnng  feiner  ©ä^e 
^at  e§  fid;  ber  ^fiilofop^  fo  leidet  gemacht,  ba§  fie  gerabe  für  ba§  oben 
(ß.  596)  an§gefprod)eite  Urt^eil  einen  f(^iagenben  33efeg  bietet. 

®er  Drganifmu§,  in  weld^em  ba§  göttüd^e  Seben  fid^  barfteflt  unb 
raeld^er  üon  i^m  umfdjioffen  ift,  ber  „Sßefengliebbau",  ift  bie  SBelt. 
Sitte  SBefen  ber  SBett  finb  i^rer  reinen  2Befent;eit  nad^  mit  ©otteS  2Be- 
fen^eit  gleid^,  fie  nnterfd;eiben  fic^  aber  üon  i^r  bnrd^  i^re  Sefd;ränft; 
^eit,  baburd),  ba^  feinet  von  ifinen  bie  göttiid^e  SBefen^eit  gan5  ift; 
b.  l}.  bie  Sßelt  unb  afle  SBefen  ber  SSelt  finb  an  fic^  gottäfinüd^.  S)iefe 
2lel^nli(^feit  geigt  fidj  3unäd;ft  f($on  barin,  ba^  ebenfo,  wie  in  @ottc3 
SBefen^eit  ©elb^eit  nnb  ©an^fieit , oereint  finb,  fo  and^  in  ber  9BeIt, 
mie  bemerft,  graei  oberfte  2öefen  finb,  ba§  ©eiftraefeu  ober  bie  SSernunft, 
unb  ha§>  Seibroefen  ober  bie  9tatnr,  wdd)e  beibe  in  ber  3}ten[d^f)eit  al^ 
bem  SSereinmefen  oerfnüpft  finb.  S)ie  SSernunft  ftellt  bie  göttlid;e  <Bdh= 
tt)efen!)eit  ober  (Selbftänbigfeit  bar,  bie  Dtatur  bie  göttüdjc  @an5it)efen= 
fieit;  unb  ba  @ott  bicfe  beiben  in  fic^  vereinigt,  fo  finb  auc^  in  ber 
3BeIt  @eift  unb  DZatnr  gur  SJlenfd^l^eit  vereint.  :^n  biefen  brei  Gebieten 
bie  2lcf)nlid)feit  mit  bem  göttlidjeii  2[öefen,  bag  58Ub  be§  göttlid^en  Se^ 
ben§  nad^juroeifen  unb  i§re  ©efe^e  bemgemöB  gu  beftimmen,  ift  ber  Iei= 
tenbe  @efid;t§pun!t  für  J!raufe'§  SBeltbetra^tung. 

®er  eigentfjümtidje  ßt;arafter  ber  3^atur  liegt  barin,  ba§  fie  atteS 
(gingetne  in  if)r  oI§  ©in  ©anjeS,  in  ©iner  unenblid^en  ftetigen  ^anb^ 
(ung  geftattet,  ba^  äffe  if)re  ©ebilbe  au§  bem  ©anjen,  in  bem  ©angen 
unb  üon  innen  J)eran§,  aU  ©an^e,  leben  unb  fid;  geftatten.  ®iefe  ©e- 
ftaltung  erfolgt  aber,   loie  Traufe  fagt^),   in  reiner  ©elbftbeftimmung, 

1)  3)Dr(.  üb.  b.  S^ft.  b.  ^^^ilof.  363—554.     2el)re  toom  (Srfemieu  414  ff.    Sl&r. 
b.  ?og".  143  ff.    ^^Uof.  b.  ®ej(^.  37  f. 
i)  ^i)xU\.  b.  (Scfc^.  133. 


mit  eigentpmli(^cr  ^reif)eit:  man  barf  in  ber  ^atm  ni(f;t  nur  ben  6e= 
n)uf3tlo[en  Sabkuf  einer  Hinben,  ibeenlofen  S^lottiiuenbigfeit  erblitfen, 
fonbcrn  fie  ift  bie  unenblid;e,  in  jebem  3)^oment  üoflfommcne  Offen- 
barung (gincS  inneren  ßebenS,  auf  bem  in  jebem  Slugenblid  unenblid; 
üiele  ©eliitbe  üergef)en,  aber  ebenfoüiele  rein  unb  frei  nad;  eroigen 
3been  erscugt  werben.  S)ie  9^atur  entfaltet  i^r  Seben  am  ©toffe,  b.  f). 
an  \^v  fdbft  aU  bem  S3(ciBcnben,  im  unenblid;en  9taum  unb  ber  un- 
enblidjcn  Seit;  aber  bie  6toff^eit  (Selblid;!eit ,  3}laterialität)  ift  ni(^t 
bie  gange  Söefentjeit  ber  Statur,  fonbern  nur  biefe  beftimmte  2Befen!)eit, 
\\ä)  ba§  bleibenbe  ©eftaltbare  gu  fein,  ber  91aum  nidjt  bie  gorm  ber 
gangen  3fcatur,  fonbern  nur  bie  gorm  berfetben  nad;  i^rer  2eM\^Mt 
®ie  roat)re  3^aturanfid;t  ift  ba{)er  nid;t  bie  medjanifd^e,  atomiftifd^e, 
fonbern  bie  bpnamifdje,  n)eld;e  üom  Segriff  ber  roirfenbcn  SfJaturfraft, 
bc§  burdjgängigen  Seben§  ber  S^latur  auSgel^t.  S)ie  ftufenroeife  ©ntfal* 
tung  biefeS  SebenS  ergiebt  bie  adgemeinften  ^^laturproceffe,  in  beren 
2luffaffung  fic^  Äraufe,  roie  in  feiner  gangen  Sf^aturpfidofopfiie,  im  roe- 
fentüc^en  an  (Sd;eIIing  anfd;lieBt.  ^nbeffen  {)at  für  i^n  feit  ber  felb* 
ftänbigen  2(u§bi(bung  feinet  ©pftemS  bie  3^aturroiffenfd^aft  al§  foId;e 
fein  großes  ^ntereffe,  fonbern  bie  ^auptfad;e  ift  il^m  bei  ber  S3etrad;- 
tung  ber  Statur  iijr  3Sert)äItni§  gum  ©eift  unb  gur  @ottI)eit.  @r  er- 
Jennt  im  menfd;(idjcn  Seibe  ba§  tJoHfommenfte  organifd;e  ©ebilbe,  roet^ 
(^e§  aber  bod;  auf  unferem  ^(aneten  nod^  gu  üiel  tf)ierifd;e§  an  fid; 
f)abe,  unb  feine  f)ödjfte  SSoIIcnbung  mo^l  nur  in  ipimmelstörpern  ber 
t)ödjften  6tufe,  in  Sonnen,  erreidje  (a.  a.  D.  140  f.).  @r  fielet  in  ber 
^ahiv  ein  göttlid;e§  J?unftroerf,  in  bem  ©ott  auf  ba§  ßingelfte  roie 
auf  ba§  ©ange  gur  2lulfül)rung  feiner  Slbfidjten  eigenleblid;  (inbioibueH), 
aber  burd;au§  ben  Sfiaturgcfeljcn  gemäB,  einroirfe.  (Sr  leitet  au5  biefer 
göttti^en  ßinroirfung  eincrfcit§  ben  felbftänbigen  Sßert^  unb  bie  felb= 
ftänbige  SScbeutung  beß  9ftaturlcben§,  anbererfeit^  bie  c^armonie  ber 
5Ratur  mit  bem  ©eift  ab,  oermöge  bereu  beibe  für  einanber  roed;felfeitig 
beftimmt  finb,  unb  bie  @eifter  ba3  5Raturlebcn  nidjt  b(o§  erfenncn  unb 
cmpfinben,  fonbern  c§>  and;  burd^  il^re  tünftlerifd;e  (Sinroirfung  t)olIenbcn 
f ollen,  fo  ba§  bemnac^  bie  ?Jaturpl)ilofopt)ie  für  ilm  gang  überroicgcnb 
nur  alg  bie  ©runblage  ber  @eifte§=  unb  ©cfd;id;t§pl;itofopl)ie  in  S3e= 
trad;t  t'omnit. 

®iefe  felbft  ^at  5?raufe,  feinem  oben  (©.  599)  angegebenen  6($e' 
matifmuS  guliebe,  t^eil5  alä  SSernunft^  ober  ©eiftroiffenfd;aft  tlieil^  alä 


35ic  9?atur  unb  ber  SKcnfd^.  601 

^enl^^zitUlixe  (,,SSeremtt)efenrel^re")  Be^onbelt.    ®a  ung  ober  ber  ©eift 
eben  nur  aU  tnenf($Hcf;cr  befonnt  ift,   f)at   bie[e  llnterfd^eibmig   ni($t 
t)tel  auf  fi(^.    S)ie  33ernunft  ober  ber  @eift  ift  bo§  ber  9^atur  gegen^ 
ükrftefienbe,   tu  feiner  2lrt  unbebingte  unb  unenbri($e  ©runbraefen  in 
©Ott,  in  bem  alle  ©injergeifter  entf)alten  finb;  au§  ben  einjelnen  9Jten= 
fcf;en,  an  mi^e  fi(^  biefe  „gliebbauig"  (organifd;)  »ert^eifcn,   fe|t   fid^ 
ba0  ©eifterreirf)   gufammen,   con   hcm   ber  gefelTfc^aftlic^e  S^erein   ber 
ntenfd;lid;en  ©eifter  ein  S^eil  ift.    dinn   ift   ber  ©eift  atterbingS  nid^t 
blog  in  ber  3)lenfd;l;eit  t)orf)anben:    9?atur  unb  ^ßernunft  burd;bringett 
[i^  roüftänbig  unb  and;  t)a§>  2t)ierreid;  ift  eine  SSereinigung  beiber,  bie 
ober  für  bie  ©inäetioefen  auf  untergeorbneten  Seben^ftufen  uniuanbelbar 
fiyirt   ift.    Slber  bie  33lenfd;§eit   ift   bo§   innerfte   oofiroefentlid^e  ©lieb 
biefer  SSereinigung,    baljenige,   in   iüerd;em   bie   l)'6d)\kn   inbioibueHen 
©eifter  mit  ben  pdjften  orgonifc^en  Seibern  üerbunben  finb.    2tu§  ber 
©efammtljeit  biefer  ^ereinioefcn  bcftcfit  bie  9}ienfdji;eit  be§  2Be(taIl0  in 
itirent  eint)eitlid;en ,   bie  uncnbtid;e  ^cit  unb  ben  unenblid;cn  dlaum  ev- 
füllenbcn  Sebcn.    S)ie  ein3elfcclen,  lücldje  in  i^rer  3]erbinbung  mit  or= 
ganif($en  Seibern  biefe  3}ienfd;t)eit  bilbcn,   finb    eraig,   ungeboren   unb 
unfterblid),  if)re  Saf)l  fann  (raie  fd;on  Drigene^  annafim)  mcbcr  üermel;rt 
nod;  üerminbert  raerbcn,  unb  jcbe  üon  i^neu  mirb    (rote  Drigcneä  ebcn= 
falls  fagt)  im  S^erlauf  il)xc§>  3eit[eben§  i^re  SSernunftbeftimmung  voU= 
ftänbig  erreid^en.    S)ie  ©ine  3JJenfd;(;cit  (cgt  ba^er   in    jebem  3i)ioment 
gleid;  üollfommen,  aber  in  jebem  auf  inbioibuelle  SBeife  i^re  gan^e  2Be= 
fenficit  bar,  unb  aud;  jeber  ein3elne  9}icnfd;  ift,  al§  eine  eigcnt()ümlid;e 
S)arftcIIung  ber  i^bee  be§  2)^cn[djen,   jebem  anberen  gleich;    aber  jeber 
üoffjiefjt  biefe  ^bce,  unter  bem  inbioibuellen  äßalten  ber  göttU($en  ^or= 
fef)ung,  in  uncnblid)maliger  äöieber^olung  uon  ^eriobe  gu  ^eriobe  oom 
erften  Mm  ber  ©ntroidlung  an  bis  jur  eigenleblid;en  ^oHenbung. 

©iefer  2lnfid;t  gemöB  rcirb  nun  bie  2lufgabe  beS  3}ienfdjen  nur 
barin  gefunben  werben  tonnen,  ha^  er  in  feinem  ©in3eneben  wie  in 
ber  ©cfettfdjaft  ha§^  göttlidje  Seben  nad;bilbet.  S)aS  menfc^Udje  Söefen 
ift  ein  Xt)eil,  unb  ein  bem  ©an^en  gieidjartiger  %^e[l  be§  göttlid;en; 
nur  fo  roeit  ber  aPtenfd;  biefer  feiner  t)öt;eren  Statur  fid;  bemüht  ift  :tnb 
fie  in  feinem  Scben  barftettt,  roirb  eS  einen  SBert^  ^ben.  ©ott  ift  ha^ 
©Ute;  ein  3:f)ei(  biefeS  ©uten  ift  ha§,  roa§  ber  SJJenfd;  „barteben"  foll; 
bie  2öif|enfd;aft  oon  biefem  ©uten  ift  bie  ©t|i!.  ©ott  ift  bie  abfolute 
^erfon,   baS  abfolute  9led;tSroefcn;   von  it)m  ftammt  alleS  ^cd)t  ber 


602  ^^'^"^«• 

^erfott,  ber  einjetperf on ,  wie  ber  ©e[elIf(^aft§per[on.    ®aS  gattje  Se= 
ben  bea  SJlenfd^en  ift  basier  an  ba§  göttlid^e  Seben  gehüpft.  S)ie  innere 
SSereinigiing  mit  ber  ©ottfieit,  ba§  „©ottüereinteben"  ober  ,,2Be[enüerein: 
leben",  bie  „©ottinnigfeit",  bie  ^Religion  ift  bie  @runb(age  aller  wahren 
2öiffenfcf;aft   unb   aller  wahren  ©ittlid;!eit.    ®a   ferner  jeber  einzelne 
ein  eigentfjüntlid;er,  allen  anberen  wefenttirf;  gteid^n)ertf)iger  Seftanbtfieil 
be§  Söeltgan^en   ift,   fo   fott  jeber  t^aS^  Qehen  be§fel6en   in  eigentptn^ 
lieber  SBeife  in  fic^   barftellen,   bie  ©ottfieit   inbiüibueti   barteben,    nnb 
ba  jeber  enblic^e  @cift  einer  fortraäl;renben  ©ntraidümg  unterliegt,   fo 
foll  er  bieB  in  nnabläffigem  ^ortfc^ritt,  in  beftänbiger  ^erüottl'ommnnng 
tl)nn.    Sßeil  aber  ber  ©ingetne  nur  al§  ^§ei[  be§  ©anjen  ba§  ift,  raaS 
er  ift,  fo  lann  er  aud^  nur  als  fotd^cr  ba§  werben,  roa§  er  fein  fott, 
unb  baljer  bie  S3cbeutung,  weld^e  i^raufe  bem  menfd;lic§en  ©emeinleben, 
ben  t)erfd)iebenen  formen  ber  ©efeHfc^aft  beilegt.    2lua  biefen  ©efid^tS^ 
pun!ten   l)at   er   bie  praftifdje   g^l)ilofopliie    als   HleligionSle^re, 
6ittenlel)re  unb  9^ed;t§lel)re  bearbeitet ;  ben  X^eil  feines  6t)ftemS,  burc^ 
ben  er  oline  Broeifel  am  meiften  geroirft  ^at,   unb   in   bem  fid^   feine 
eigene,  ■üon  fittlidjer  33egeifterung  erfüllte,  aber  allerbingS  auc^,  wie  fic^ 
ni(^t  t)er!ennen   lä^t,   ibealiftifd;  -  boftrinäre  9^atur  am  unmittelbarften 
anSfprid;t. 

Unter  ben  eben  genannten  pliilofop'^ifc^en  ^^äd^ern  ifl  eS  l^aupt; 
fäd^lid^  bie  9U(^tSpl)ilofopl)ie,  in  ber  J!raufe  einen  eigentpmlid^en 
äßeg  einfi^lägt.  @r  will  nömtid;  baS  9Ied;t  nid^t  auf  bie  Sebingungen 
beS  äuBeren  greil)eitSgebraud;S  befd^ränlt  miffen,  wie  bie§  feit  Äant 
unb  gid)te  (ügl.  ©.  384.  496)  übli^  ift;  fonbern  er  üerftel)t  unter 
bemfelbcn  baS  organifd^e  ©anje  aller  :)on  ber  greilieit  abhängigen  in-- 
neren  unb  äußeren  S3ebingungen  ber  SSottenbung  beSSebenS;  unb  als  baS 
urfprünglidje  6ubje!t  beS  9lec^tS  betrad;tet  er  nid;t  bie  einzelnen,  fon^ 
bem  bie  gjienfd;l;eit,  baS  alle  menfd^Iidje  ^nbioibucn  umfoffenbe  ©anje, 
üon  weichem  bie  gjlenfc^l)eit  ber  drbe  nur  ein  STlieil  ift  (ogl.  ©.  601). 
3)aS  3flecE)t  bejietjt  fic^  uad)  feiner  Slnfidjt  junäd^ft  unb  urfprünglid^ 
nidfit  auf  bie  Stnfprüc^e,  wetd;e  jebe  ^^erfon  als  fold;e  an  afle  anberu 
ju  madjcn  l)at,  fonbern  eS  ift  baS  allgemeine,  von  ©ott  als  ber  abfo= 
lutcn  ^erfönlidjleit  auSgeljcnbe,  in  ber  göttlid;en  ©ered^tigleit  begrünbete 
©efe^  beS  perfönlidjen  ©afeinS  überl)aupt,  eS  umfaßt  alles,  was  burd^ 
freies  ^anbeln  geleiftet  werben  muB,  bamit  ber  uuenblid^e  SebenS^wedf 
©otteS  unb  bie  ßebenS^wede  bev  cnblid;en  SSernunftwefcn  erreid;t  werben. 


2)a§  ^eä)t  ber  3Jlenfd^f)eit  begreift  ba^er  allea  bo0  in  ftd^,  na§>  für  bte  (Bx-- 
reid^ung  i^rerMenl6eftitnmung  get^an  werben  mu§;  nnb  ba  nnn  bal 
ßeben  affer  einlernen  unb  oder  befonberen  @efellfd;aften  in  bem  bera}?enfc^= 
fieit  befaßt  tft,  fo  ifi  i^r  9ied^t  nur  aU  organifc^  untergeorbneter  STl^eit  besS 
©inen  9^ed;t§  ber  9}?enfcf;§eit  gn  erfennen.  SDie  3)lenfd^^eit  gliebert  fid; 
aber  in  eine  9leif)e  gefeafdjaftlid^er  Drgonifmen  big  ^erab  ju  ben  (gin= 
seinen;  bie  2)Zenfd^§ett  be^  2BeItaH§  t(;eilt  fid;  in  bie  3Jten[d;^citen  ber 
einlernen  fofmifc^en  ©i;fteme  unb  weiter  ber  einjetnen  ^immelsförper ; 
jebe  üon  biefen  in  größere  unb  fteinere  SSöIferocreine ,  einzelne  Golfer, 
Stämme,  Drtfd;aft§üereine,  gamilien  unb  greunbfd;aften.  «Sielet  man 
ferner  auf  bie  „©runbroerfe"  ber  3Jlen[d^f)eit ,  fo  begegnen  wir  hm 
„2Biffenfd;aft§bunb'',  bem  „Äunftbunb"  unb  bem  ,,3serein  für  bie  5Ber= 
einigung  üon  2öiffenfd;aft  unb  i?unft";  fielet  man  auf  bie  ©runbformen 
beg  Seben§,  fo  finbet  fic^  neben  bem  9Iec^toerein  ober  hm  ©taate  noc^ 
ein  ©ittlid^feitoerein ,  ©d;ön^eitüeroin  unb  SBefeninnigfeitoerein  (9ieli^ 
gionggefcafd;aft).  $Rid;t  bIo§  ber  einzelne  f)at  feine  9ied^te,  beren  Um= 
fang  bei  Jlraufe,  roeil  fie  aud^  ba§  innere  2ehm  ber  ^erfon  mitumfaffen 
fotten,  fe^r  raeit  auC^gebel^nt  wirb,  fonbcrn  and;  jebe  ber  fo  chen  auf= 
ge^älitten  gefellfc^aftad;en  SSereinigungen  f)at  i^r  beftimmteS  @efellfd;aftg^ 
red;t;  unb  fie  alle  finb  oerbuuben,  vereint  ba§  ganje  Sftec^t  ber  3JJenfc^= 
^eit  ]^armonif(^  tjeraufteKen  unb  ju  erhalten.  Serfte^en  wir  ba^er  unter 
bem  ©taat  ober  bem  '^eiiit^ftaat  ,,ba§  gefellfd;aftnd;e  2ehcn  für  bie 
^erfteHung  unb  ®r^altung  be0  9le($te§",  fo  bitbet  bie  gan^e  3Kenfd;f)eit 
©inen  unenblid>m  ©taat  in  ©ott,  ebenfo  bie  3}ieufd;f)eit  biefer  ©rbe  ben 
@rbmenfd;{)eitftaat  ober  Söeltftaot,  beffen  ^Bürger  jeber  einzelne  menfd^ 
ift.  ©iefer  \)ätU  fid;  wieber  nad)  ben  §aupterbränbern  in  SSöIEeroerein^ 
ftaaten  unb  fo  fort  bi§  ^erab  ju  ben  Staaten  einzelner  SSöIfer  gu  glie^ 
bem;  aud^  oon  biefen  ift  aber  jeber  eigentlich  ein  Staat  oon  Staaten, 
weld;er  hm  9led;t§ftaat  ber  Stämme,  ber  Drtfd;aften,  ber  gamilien^ 
unb  fdjIieBlid^  ben  eigentpmlid^en  9ied;t§3uftanb  iebeS  ein^etnen  $8ürger§, 
ben  „grunbperfönlid^en  Staat"  in  fid;  befaßt. 

Sin  fid)  nun  ift,  wie  Traufe  fagt,  @ott  felbft  ber  ©ine  unbebingte 
9ted^t§t)erwalter ,  Skgent  unb  3)touard^.  2Iuf  ©rben  aber  ift  e§  bie 
3Jlenfc^|eit,  in  jebem  einjeluen  Staate  ba§  ^oit,  unb  überhaupt  in 
jeber  ©efettfc^aft  bie  betreffenbe  gefeUfd^aftlic^e  ^perfon  felbft  alg  @e= 
meinbe,  itur  ba^  bie  untergeorbneten  S^le^t^perfonen ,  ilirer  organifd^en 
Selbftänbigleit  unbefd;abet,   con  ben  I)öl)eren  mitbeftimmt  werben,    ^n 


604  Äraufe. 

ber  üoHenbelcn  2Jlcnf(5^t)eit  iflbalier  bte  repuHifanifdjc  ober  @eineinbe= 
oerfaffung  bie  einäige  ber  igbec  be§  ^eä)t§>  uoüftänbig  entfpredjcnbe. 
©agcgen  tann,  raieilraufe  nid;t  läugnen  wiU,  wä^renb  ber  ftufcnraeifcn 
(gnttoiddmg  ber  3RcTtf(${)cit  eine  üormunbfc^aftlid^e  Segrüubung  unb 
9legierung  ber  ©taaten,  eä  fönnen  boljer  anä)  unfreiere  33erfaffung§- 
formen  angemeffen  itnb  redjtmä^ig  fein.  2ln§  bcmfetben  @cfid;t§pun!t 
ber  oormunbfdjaftlidjen  gnrforge  be^anbelt  Jlroufe  baS  ©trafre^t,  wenn 
er  bie  ©träfe,  unter  entf($iebener  S^erwerfung  aUcr  anbercn  2lnfidjtcn, 
auSfc^lieBtid;  a\§>  ®r3ic{)ung§=  nnb  Scfferung§mittel  aufgefaf3t,  nnb  be^^ 
l)alb  bie  Xobe^ftrafe  als  rec^tSiuibrig  nnbebingt  befeitigt  raiffen  will. 

mit  ^raufe'!3  ©tp  ftc^t  bie  ^[;iIofopf)ie  ber  ©efd;idjte  in 
ber  näc^ften  S3erlnnbung,  lueldje  aU  ber  eigentlidje  2Ibfd)luB  feines  ©t)= 
ftem§  äu  Betrauten  ift.  SBenn  er  in  jener  fein  fittlid;c§  ^bcal  aufftellt, 
fo  geigt  er  in  bicfer,  rate  fid)  baSfelbe  in  ber  geitUd^en  ©ntiuidhing  ber 
3)ienf(${)eit  üerioirflidjt.  S}a§  n)id;tii][te  ift  f)iebei  bie  ^eftimmung  ber 
©tufcn,  bur(^  loeldje  biefe  ßntioidhmg  f)iuburdjgef)t.  ^ebeS  ScOen  eine§ 
enblid^en  2Befen§  entfaltet  fid;  nun  in  einer  boppelten  Sflid^tung,  einer 
auffteigenben  unb  einer  abftcigcnben ;  wie  bie^  nii^t  anbcrS  fein  fann, 
roenn  e§  (nac^  ©.  601)  feine  2ßefen{)eit  unenblid)  rielniat  in  nnciibü^ 
Dielen  £ekn§periobcn  barftellen  foU.  9iäl;er  fiat  jebe  biefer  giuci  3ieiljen 
brei  ©tufen.  ^ad)  ben  Sertjältniffen  ber  ©anj^eit,  ©eibfieit  unb  (Bany- 
üerein^elb^eit  lebt  jebeS  2Sefen  guerft  feiinorlig  in  beni  f)ö^eren  @an5en, 
bem  e0  angeprt;  e§  tritt  fobann  in  freier  ßntgcgenfe^ung  gegen  ba§ 
^ö£)ere  unb  bie  g!eidjartigcn  ©ingelracfen  gu  felbftänbiger  2lu§bilbung 
I)erau§,  unb  !)ier  gcfdjicljt  c§>  bann  aud),  bafi  c§>  fid;  oon  ber  .^armonie 
beS  (fangen  losreißt,  ba^  Hebel  aller  2lrt  eintreten;  e§  errcid;t  enblic^ 
in  feinem  britten  SebcnSalter  in  ber  liebenbcn  ^Bereinigung  mit  anbern 
SÖefen  (ber  33ienfd;  in  ber  ^Bereinigung  mit  ber  Dcatur,  ber  S>ernunft, 
ber  2}ienfc^f)cit  unb  ©ott-alS^llrmefcn)  feine  l)ödjfte  Slcife,  ben  l)ormo= 
nifd^en  ^uftanb,  in  bem  alleS  Uebel  unb  offe§  Unglüd  ftufenracife  mie- 
ber  ocrneint  wirb.  SSon  biefem  ^öljcpunft  au§>  fteigt  eS  aber  burd; 
brei  ben  angefü(;rten  in  umgelel)rter  Drbnung  entfpredjcube  ©tufen 
raieber  l)erab  bi§  gu  ber  i^noolution,  mcldje  (raie  bei  Seibnij)  äugleid^ 
baä  ©nbe  beS  biäljerigcn  unb  bie  ©eburt  gu  einem  neuen  Scben  ift. 
^a^  berfelben  ©lieberung  tljeitt  fid;  jebeS  üon  ben  brei  .§aupt[eben§= 
altern  bann  raicber  in  brei  untcrgeorbnete  ^erioben  ober  „^(jciUeben; 
alter",  ©er  Uebergang  t)on  hcm  einen  biefer  Lebensalter  p  bem  anbern 


gefdf;ie§t  aUmä^ii^,  unb  ber  ^eit  nod)  geljt  ba§  Slfte  oft  nod^  Tange 
neben  bem  Dienen  ^er;  aber  boc^  ift  jeber  2(nfang  eine§  neuen  Sebenl= 
altera,  wie  Traufe  fagt,  ein  ab|o(uter,  etma§  urneuc§,  au§>  bem  frnfieren 
nid;t  erflärbare^,  auä  ber  einem  jeben  eigent§ümlicf;en  erüic^m  ^bce  ent= 
fprungeneS;  unb  barauf  bernf)t  ha§>  3led;t,  neue  ^i^een,  wenn  fie  an 
ber  3ßit  fiii''/  unter  SSerbrängung  beä  SSerattetcn  burc^^ufü^ren;  rate 
anbererfeits  ba§  ?lcd^t  be§  gcfd}id)tlidj  befte^enben  auf  gortbauer,  fo  raeit 
e§  üorfjanben  ift,  barauf  hcxu^t,  ba^  e^  t)on  ber  ^hee  ber  jeraeitigen 
©egenraart  nod;  al§  raefenttid^  gcforbert  rairb.  ^ad}  biefen  ©runb^ügen, 
beren  affgemeinc^  ۊ)cma  an  bie  brei  SDlomente  im  ^rocejs  ber  ^bee 
bei  ^egel,  noc^  mef)r  aber  an  gid;te'^  3:^efe,  Slntitfiefe  unb  6ynt|efe 
erinnert,  befd;rcibt  ilranfe  §unädjft  ba0  2ehen  be0  ©in^elmenfdjen.  2lu§ 
ber  3:iefe  ber  (Sraigfeit  tritt  er  mit  einer  i^m  angeborenen  ^nbioibuatität, 
ber  grudjt  feinc§  Vorlebens,  in  biefe  23elt  ein;  er  füf;rt  jnerft  im 
3rtutter(eibe  ein  ^eimteben  aU  Zljcii  cine0  if)n  umfd;[ieBenben  ©an^en; 
er  entraideit  fid;  fobann  bnrd;  bic  brei  nntergeorbnetcn  ^erioben  ber 
ßinbt)eit,  be3  reiferen  ÄnabenatterS  unb  be§  3ungling§a(ter§  gu  ftei= 
genber  ©etbftänbigfcit;  er  fommt  enblid)  im  3}iannc5alter  gnr  Steife, 
um  oon  t)ier  bann  raieber  bnrd;  bie  brei  Lebensalter  ber  ©egenreife, 
©egenjugenb  unb  ©egenfinbljeit  ^erab^ufteigen.  Sen  gteid;en  ©ang 
nimmt  aber  auc^  ^a§>  2eUn  jeber  2:J)ei(menfd;f)eit;  benn  hk  ^öeroo^ner 
jebeS  2öe(tförper§  bilben  nad;  i^ranfe  einen  für  fi^  befte^enben  ^ö^eren 
DrganifmuS,  raelc^er  fic^  nad;  ben  alTgemeinen  ©efegen  be§  organifd;en 
£eben§  entraidelt.  S)aa  erfte  Scben§alter  ber  2)lenidjf)eit  ift  ber  ©tanb 
ber  Unfdjutb,  ba§  J?eimalter,  in  bem  fie  oon©ütt=al-34Ivraefen,  oon  ber 
SSernunft,  ber  9catur  unb  f)öf)eren  3J?enfd}E)eit§gan3en  im  Söeltall  ge= 
fdjirmt  unb  geleitet,  mit  allen  biefen  3)täd;ten  in  einem  innigen  unraitt= 
fülirlidjcn  33crein,  einer  2lrt  non  magnetifd;em  9?apport  fte^t.  SluS  bie= 
fem  Ur3nftanb  tritt  bie  3)lcnfd;f)eit  in  il;rem  graeiten  Lebensalter,  bem 
„2Bad;§alter",  ber  ^eit  ber  fid;  entgegenfe|enben  ©elb^eit,  ^eranS.  SSon 
ben  brei  ^-Perioben,  in  raeld;e  btefeä  SebenSalter  gerfädt,  wirb  bie  erfie 
bur^  ben  llebergang  gum  ^ori;tl)eifmu§,  ben  i^riegS^nftanb  ber  Wolter, 
bie  Sflaoerei,  ba§  Äaftenrocfen,  bie  befpotifd;en  6taotleinrid)tungen  be= 
3eid;net;  bie  groeite,  ba§  3JJittelalter,  burd^  bie  3lnerfennung  unb  öffent= 
Ii($e  SSerel)rnng  ber  ©ott^eit  al§  be§  ®inen  unenblic^en,  über  allem 
©nblidien  fte^enben  2öefenl,  ben  3}lonotl)eifmu§,  ber  aber  wegen  ber 
nod^  adäu  änBerlid;en  Sluffaffung  biefen  «erljäitnijfeä  p  äBeltoerac^tung, 


606  ©d^Ietermac^cr. 

^attotifmuS,  ^rieflertierrfd^aft  unb  aibtiängigfeit  ber  j^unft  uub  SSlffen^ 
fc^aft  Dorn  gieligionloerein  fü^rt;  bte  brttte  burdj  bie  gunetimenbe  S5e= 
freiunö  oon  ge[d;id;tü(^en  Stuftovitäten,  ba§  aHinöfilidje  3Jlimbigit)erben 
ber  Mcn\^f)dt,  bie  roefen^afte  Se^iefiung  be§  (änblid^en  sum  IXnenblic^en, 
ba§  2Iuffommen  be§  rationalen  X^eifmu§,  be§  2Be(tbürgertljum§,  ber 
^:ßt)iIantt)ropie,  ber  ®nlbung,  bie  Stu^breitung  ber  Kultur;  jugleid^  akr 
aud^  bnrd;  ben  ^antpf  biefe§  9!euen  mit  bem  Sitten,  ber  fic^  in  ber 
SBilbnng  gefieimer  @e[ellfd^aften,  t^eilS  fortfd)rittlid;er  (Freimaurer  unb 
^Uuminaten)  t^ei(§  reaktionärer  (i^efuiten)  a6[piegelt.  S)en  Ucbergang 
jum  britten  ^auptleben»alter  ber  3)Zenfd)f)eit,  bem  Sllter  ber  9ieife,  uer^ 
mittelt  bie  miffenfd^aftlid^e  ©rfenntniB  burd;  bie  aTuSMIbung  ber  9Sefen= 
lefire,  mic  fie  in  ber  @efd;idjte  ber  erbmcn[d;§eit  burd;  ©pino^a  juerft 
entbedt,  in  unferer  3eit  natürlid)  burd;  Traufe  gur  ^ollenbung  ge^ 
bracht  ift.  ^n  ber  (S($ilberung  biejeS  ^ötjepunftey  ber  3)lenfc^f)eit  breitet 
Traufe  fein  fittüc^eg  unb  miffenfc^aftlidjeg  Sbeal,  ba§>  Sitb  einer  ov- 
ganifd;en  3]ottenbung  unfereS  @e[d;[ec^t§  üor  un§  au§.  @o  anjiefjenb 
aber  bie[e§  ^ilb  unb  fo  fd§ön  bie  ©efinuung  ift,  raeldie  fid;  in  it)m 
ausprägt,  fo  finbet  l^ier  bod;  natürUd;  bie  ftrengere  n)iffenfdjaftli(^e  53e^ 
tianblung  in  ber  3fZatur  be§  ©egenftanbeS  nod;  me^r,  al§>  bi§§er  fd;on, 
il^re  ©renge;  unb  mit  feinen  Ausführungen  über  ben  offe  Scmofiner 
eines  ^immelSförperS  umfaffenben  3J?enfd}ljeit§bunb ,  über  ha^^  SSerein^ 
leben  ber  2:f)eilmenfd;t)citen  verfc^iebener  2öelt!örper,  über  haS^  ©reifen^ 
alter  unb  ba§  attmä{)lid;e  Slbfterben  jeber  2;f)ei(menf(^^eit  geratfien 
w'ix  md)x  unb  me^r  in  ba§  ©ebiet,  wo  an  bie  ©teile  beS  p:^ilofopf)ifd;en 
5)en!enS  bie  ^l^antafie  tritt. 

5.  Srf)Ieiermarf)cr. 

Sitte  bie  biSl^er  befpro(^cnen  SJiänner  überragt  ^ricbric^  ®a nie I 
trnft  ©djleiermad^er,  ber  gro^e  9leformator  ber  beutfd;=proteftan= 
tifd;en  ^f)eologie,  an  geiftiger  58ebeutung  raie  an  tief  unb  weit  greifen^ 
bem  Ginfluf3.  Sen  21.  ^f^ouember  17G8  in  33re§lau  geboren,  batte  er 
fd)on  1796  in  S3erUn  feine  cigent(id)e  .^eimatf)  gefunben,  unb  mäf)renb 
eines  fc(^S)äf)rigcn  2(ufcntt)a(tS  in  Dicfer  ©tobt  bie  nadj^altigftcn  Sin-- 
regungen  empfangen;  als  er  1807,  nad;  fur^er  £el)rtl)ätigfeit  in  §alle, 
für  immer  bortl)in  gurüdfelirte,  geraann  er  als  ^rebiger,  UnioerfitätS^ 
leerer  unb  ©d;riftfteUer  eine  Söirffamfeit ,  bie  bis  gu  feinem  %obe 
(12.  gebr.    1834)   unb   über   feinen  2;ob    f)inauS   in   immer   weiteren 


Streiken  ^iä)  augbreitenb,  ^eute  nod^  faft  fo  weit  retd^t,   al0  ba§>  ©ebiet 
ber  beutfd^en  2öiffen[(|aft  unb  58i(bung.    mev  beu  ^^ilofop^en   erften 
diawQe^  tarn  er  tro^bem  nid^t  kige^äfilt  werben ;  er  fann  e§  fd;on  be^^ 
^db  nid^t,   weil  i^m  felbft  bie  ^fjilofop^ie  nid^t  l)öä)\te  Lebensaufgabe, 
fonbern  nur  ein  mittel  für   aubere  Broede,   3unäcf;ft   für    feine   eigene 
@eifte0=  unb  S^arafterbitbung,  weiterhin  für  bu  S3egrünbung  unb  S)ar= 
ftettung  feineS  t^eorogifcf;en  @i;ftem0  war.   einer  geiftlid^en  gamilie  an^ 
gel^örig,  in  ber  ^rübergemeinbe  geboren  unb  erlogen,   ron  .^aufe  au§ 
äum  S:^eoIogen  beftimmt,    Jiatte   er   ]ä)on   frü^e   in    ber  9te(igion   ben 
©d^raerpunft  feinet  £eben§  gefunben;  unb  mit  ber  ^nnigfeit  ber  frommen 
©mpfinbung  mar  burd)  feine  Umgebung  nnh  feine  ßr^ieljung  jene  m^U 
fierfd[;aft  in  ber  Seobadfjtung  unb  3erglieberung  ber  inneren  ^uftänbe 
genäfjrt   morben,   ju  ber   if)n  eine   in  fettenem  @(eid;maB  abgewogene 
SSerbinbung  beS  fc^ärfften  3>erftanbe§  mit  einem  tiefen  @cfüf)lsleben  t)or 
anbern  befähigte.    3»9fei(^   war  aber  auc^  htm  fclbftänbig  forfcijcnben, 
von   ber   unbefted)(td;ften   2Bal)rl;cit§[iebe    erfüffteu    Jüngling    bie    Se= 
fd;ränft^eit  ber  ^crrn^utifd;en  unb  jeber  b^og  pofitiuen  grömmigfeit  kh 
^aft  äum  33en)uBtfein  gefommen;  er  ^atte  von  ber  greif)eit  unb  <Bd)ön^ 
l^eit  bei  f(affifd;en  2i(tertt;um§  einen  tiefen  ßinbrud  erhalten;    er  mar 
üon  ben  ©ebanfen  ber  beutfd;en  Slufftärung  ergriffen   unb  gu  3meifeln 
an  ben  !ird;lidjen  Set)rbeftimmungen  angeregt  morben,   bie  feinen  2lu§^' 
tritt  aus  ber  53rübergemeinbe  entfd}ieben.    ^n  ^aUe,  roo  er  ST^eoIogic 
ftubirte  (1787—89),  führte  ii)n  Gberfiarb  in  baS  retbni5-'raoIffi)d;e  ©9^ 
ftem  ein;    aber   fo  crnftlid^  fii^   biefer  ^^ilofop^  bie  äöiberlegung  ber 
fantifd;en  Se|re  angelegen  fein  lieB,  fo  mürbe  boc^  ©dj(eiermadjer  im= 
mer  me^r  üon  if)r  geroonnen,   unb  namentüd;  Äant'S  et^if  unb  ^dU 
9ion§rer;re  befdjäftigte  i^n  fo  nad;[ja[tig,  ha^  mir  itire  Verarbeitung  unb 
Prüfung    lange   ^eit   im  9)lttte(punft   feiueS    miffenfdjaftadjen  SenfeuS 
ftef)cn  fet)en.  Jleine  geringere  .^ebeutung  erf)ielt  für  itju  in  ben  näd;ften 
Sauren  ©pino3a;   aber  aud)   (£pino5a'S  2tuSteger  unb  @egner,   %.  ^. 
Sacobi,  30g  i^n  an;  ^ic^te'S  ©influB  Ijat  in  feinem  ©pftem'ticfe  ©puren 
flinterlaffen ;  burd;  feinen  me^rjätirigen  oertrauten  Verfe^r  mit  gr.  ©c^te-- 
gel   mürbe   feine  3]erbinbung   mit   ber  romantifdjen  ©d;ufe  oermittelt; 
mit  ber  Sefire   ©d^eEing'S   rourbe   er  juerft   burd;  bie  ©d^riften  biefeS 
5pf)itofopf)en,  in  ber  golge  befonberS  burd;  ©teffenS  befaunt;   raäf)renb 
er  gleid^jeitig  auc^  bie  @ried;eu  nid;t  üernadjlä§igte  unb  vov  allem  burd^ 
bie  eingelienbfte  33efd^äftigung  mit  ^tato  feinem  fittlic^en  unb  pf)i(ofo= 


603  &^limmaä)n. 

pr)i[d^en  :3bcQlifmu§  eine  retij^Iid^e  ?la^rung  gufül^rte.  ©d^teiermad^er 
iie§  biefe  üerfd^iebenen  ©tanbpunfte  mit  ber  oielfeitigften  (Smpfängli(^= 
!eit  auf  fic^  rairfen;  er  üer'Oanb  bamit  alles,  wa§>  bie  fonftige  ^itbiing 
ber  3eit,  \va§  eine  forgfältige  53eobad)tung  feiner  feI6ft  unb  anberer 
3)Zenfcf;en  i^m  an  bie  .^anb  gab;  unb  inbem  er  alle  biefe  Elemente 
mit  ber  i()m  eigenen  lXnabl)ängigfeit  be§  Urtl^eilS  innerlid;  verarbeitete 
unb  in  feiner  fd)arf  ausgeprägten,  c^arafterooHen  5perfönlid;feit  ju^ 
fammcnfa§te,  bilbete  fic^  i()m  ein  ©i)ftem,  in  weldjem  bie  raidjtigften 
©ebanfen  ber  36itpt)ifofop^ic  itt  umfaffcnbcr  SSeife,  aber  burdjauS  eigen= 
artig  unb  fclbftänbig  rerfnüpft  fiub.  Slttein  bie  Tlotm  unb  bie  gormel 
biefer  SSerfnüpfung  liegen  nur  abgeleiteter  SBeife  in  miffenfd^aftlii^en 
©efid^tSpunften,  junädjft  bagegen  in  ber  ^erfönlid^feit  beS  5p^i(ofop{)en. 
Sdjlciermadjec  eignet  fid;  auS  bem  ©ebanfcnfreife  feiner  SSorgänger  baS 
an,  unb  er  mac^t  barauS  ba§,  wa§>  feinem  perfönlic^en  Sebürfni^  ent= 
fprid)t.  3tun  ift  feine  g^erfönlidjfeit  freilid)  bie  eiiieS  ®en!erS,  n)etd;er 
auf  Uebereinftimmung  unb  3"f<i^5t"^STif)^^^9  feiner  Stnfic^ten  au§gef)t; 
aber  fie  ift  nod;  uorljer  bie  eines  etijifd;  unb  religiös  geftimmtcn  &e- 
mütfiS,  unb  nod;  urfprünglidjer,  als  bie  burdjgängigc  tl)eoretifd;e  Ueber= 
einftimmung  feiner  2[nnal;men,  liegt  il^m  bie  l)armonifd;e  ©eftaltung 
feines  inneren  ScbenS,  unb  baljer  and)  bie  liarmonifdje  ^e^ie^ung  feiner 
miffenfdjaftlidjen  Slnfidjtcn  ju  biefem  feinem  inneren  Seben,  am  ^erjen. 
@c^leiermad;er'S  5pi)ilofopl)ie  trägt  infofern  bis  ju  einem  geroiffen  @rabe 
ben  6l)ara!tei'  beS  ©llel'ticifmnS,  unb  man  fönnte  t)erfu($t  fein,  il^n 
beim  2Bort  ju  nelimen,  wenn  er  fidj  —  feinerfeitS  atlerbingS  mit  be= 
red;neter  ^i-'onie  —  einen  ^Dilettanten  in  ber  ^l)iIofopljie  nennt  ^).  S)enn 
fo  l)od)  er  aud;  über  ber  Dberftäd;lid;fcit  geraöl)nlid;er  ©flef'tüer  fielet, 
fo  ift  bod)  fein  pl)iIofopl)ifd;eS  ^^tereffe  nidit  fo  rein  unb  felbftänbig, 
bo§  il)m  bie  ooUftänbige  roiffcnfdjaftlid;e  SSermittlung  aller  feiner  2ln- 
na^mcn,  bie  StuSfülirung  eines  burd;auS  einl)eitlid;en,  auS  ©inem  @uffe 
geformten  ©yftcmS  ein  unabiüeiStid;eS  Söebürfni^  märe,  unb  menn  mir 
baS  ©anje  feiner  3(nfid;ten  übcrbtiden,  fto^en  mir  on  entfd;eibenbcn 
^punften  auf  Unflarl)eiten,  ja  auf  Sßiberfprüdje,  bie  ein  fo  fd^arfer  S)en= 
!er  ol)ne  3^^ßifct  ^ur  be^fialb  nic^t  bemerkt  ober  nic^t  gu  löfen  cerfu($t 
J)at,  meil  eS  il)m  ehcn  übcrliaupt  in  le(3ter  53ejic^ung  um  etroaS  anbereS, 
als  um  ein  miffenfd;aftlid)cS  ©pftem,  -^u  tl)un  ift. 


1)  1.  u.  2.  ©ciibjc^v.  S.  ©.  1,  2,  591.  625.  650. 


!Da§  knttf(i)e  ®tement  l  '$!()tlDfop^te.  609 

SBoHen  it)tr  nun  auf  B^Ukxma^ex'S>  ^IjKofopl^ie  etroaS  nä^er 
eintreten,  fo  ^eigt  fid^  eine  nat)e  ^^erroanbtfdjaft  mit  ^ant  fd;on  in  fei= 
nem  gan5en  SSerfaI;ren  unb  in  feinen  met^obo(ogifcf;en  @runbfä|en. 
©djleiermad^cr'^  n)iffenf($aft(id;e  S3cgabung  ift  uon  §aufe  au§  niefir  bie 
beg  ^ritiferg,  aU  beS  fpefutatiucn  5)3t)i(ofopf)en.  2)ie  ^unft  ber  die-- 
ffeyion,  bie  Silbung  be0  SSerftonbe§,  ift  in  if)m  ungteid;  gröBer,  aU 
bie  Äraft  ber  Slnfd^aunng;  er  fjat  feine  Stärfe  mel^r  in  ber  reinlichen 
©onberung,  ber  forgfättigen  2lbgren5ung,  ber  bialeftifdjen  @egenükr= 
fteHung  unb  SSerfnüpfung  ber  ^Begriffe,  aU  in  ber  3ii[ß^'^ß^fö)Tu^^g 
be0  ©in5e(nen  gum  ©ansen  unb  ber  organifdjen  Gntioidfuug  ber  i^bee 
in  tt)ve  3Jiomente.  ©r  liebt  e§,  von  einem  ©egebcneu  au'-3ugef)cn,  feine 
t)erfd;i ebenen  ßtemente  ju  unterfd;eiben,  e§  au§  ben  entgcgengefe^ten 
©efid;t§punften,  unter  bie  e§  geftcilt  merben  fann,  gu  Bctradjten,  mit 
bem  einen  gegen  ben  anbern  gu  operiren,  biefen  burdj  jenen  unb  jenen 
burd;  biefen  naiver  gu  beftimmen,  unb  fo  allmöljlic^,  nad;  grünbtid^er 
Prüfung  aller  %üx  unb  SBiber,  gu  einer  abfdjlic^enbcn  @ntfd;eibung 
üorjubringen.  ©eine  9)teifterfd;aft  in  biefem  33erfaf)ren  l)at  er  l^aupt= 
fäd)lid;  in  feinen  tl)eologifd;en  ©djriften,  unb  am  g(än3enbften  in  feiner 
Sogmati!  ben)äl)rt.  Slbcr  aiiä)  bie  9}iängel  beffelben  lommen  barin 
jum  SSorfdjein.  ®a§  religiöfe  Serou^tfein,  üon  bem  er  l;ier  au^ge^t, 
mirb  nid)t  weiter  abgeleitet,  e§  ift  eine  abfolute  S^orau^fetjung ;  unb 
nadjbcm  er  ben  i^tt^^^ft  beffelben  auf'io  feinfte  gerglicbert,  auf'g  genauefte 
üon  alten  Seiten  betradjtet,  feine  begriff (id;e  ^ormulirung  mit  ber  !unft= 
üoUften  S)ia(eftif  vorbereitet,  atteS,  wa§>  für  bie  Söfung  ber  Slufgabe  in 
Söetradjt  fommt,  auf's  umfid;tigfte  abgeinogen  l)at,  bleibt  uns  fd;IieJ3Ü(|, 
als  baS  SBort  beS  9^ät^fel§,  nur  baSfelbe,  tjon  hcn  oerfc^iebenften  (Seiten 
l)er  bcgrifflid;  umfc^riebene ,  abcv  felbft  in  feinem  Segriff  aufge^enbe 
fromme  @efüf)l,  mit  bem  wir  begonnen  liattcn.  Ginem  fo  gearteten 
S)enfen  mu^te  fic^  aud^  für  bie  pliilofop^^ifd^e  llnterfuc^ung  lant'S  SSer= 
faliren  t)or  aUem  empfel)len:  bie  ©fcmente  unferer  SSorftettungen  gu 
unterfd;eiben,  ben  2lntl)eit  eines  jeben  an  ber  Silbung  berfelben  gu  be- 
ftimmen,  feine  2(nfprü(^e  gu  prüfen,  um  auf  biefem  SScge  gu  einer 
©ntfdjcibung  über  bie  SBalir^eit  unb  bie  ©renken  unfereS  2BiffenS  gu 
gelangen;  unb  fo  fdjtieBt  er  fid;  benn  aud;  mirfOdj  in  hem  erfenutni§= 
tl)eoretiid;en  ^Ijeit  feiner  „^ialeftif"  überroiegenb  an  £ant  an.  5)enn 
fo  entfdiieben  er  {)ier  ©djeHing'S  abfofuteS  SBiffen  als  ^bee  anerfennt, 
jenes  SSiffen,  baS  nid^t  burd;  ©egenfä^e  beftimmt,   fonbern  ber  einfache 


610  ©d^Ieicrmac^er. 

2lxi§bru(i  be§  mit  il^m  felbft  ibentifdjen  abfotuten  (Sein§,  ber  gegenfa|; 
tofen  obfoluten  S^entität  rcäre,  fo  lueuig  traut  er  bo(^  bcm  SJienfd^ett 
bie  ^raft  311,  e§  §u  geroinnen,  ^t'ne^  ab)oIute  SBiffen  ift  feiner  3Jiei= 
nnng  nad^  etroa§,  ba§  rair  fudjen,  aber  nie  erreid;en",  e§  ift  für  unl 
jTOar  ein  regntatiocS,  aber  fein  conftitutiüeS  ^rincip.  2Sir  finb  at§ 
enblidje  Söefen  ^roifi^en  ©egenfätje  geftellt,  nnb  ber  ©runbgcgenfa^  in 
nnfcrer  eigenen  3^atur  ift,  äljnlid;  roie  bei  ilant,  ber  ber  (Sinnlid;!eit 
unb  be§  53erftanbe§,  ober  wie  ©d;(eiermad;er  fi($  au^brüdt:  bc§  Dr= 
ganifc^cn  nnb  be§  ^ntelfeftnettcn ,  ber  organifd;en  ^nnftion  unb  ber 
3>ernunfttfjätigfeit.  ^n  jebem  TOir!(id;en  S)enfen  finb  biefe  beiben  %nnt= 
tionen:  bie  organifd;e  liefert  i|nt  (wie  oben,  6.  344,  bei  Jlant)  hzn 
©toff,  bie  inteHeftuene  bie  gorm;  jene  bringt  (S)ial.  495.  57)  bie  üer= 
roorrene  9)tannigfaltigfeit,  biefe  bie  ^eftimmung,  ©onberung,  alfo  @in= 
§eitfeiuing,  sngleic^  aber  and;  @egenfe|img;  je  nai^bem.aber  bie  eine 
ober  bie  anbere  im  Uebergeroid;t  ift,  ober  beibe  im  @Ieidjgeroid;t  finb, 
entfteljt  ba§  3)enfen  im  engeren  ©inn,  ober  bie  2Sal^rnct)mung,  ober 
^aSi  äroifd;en  unb  über  biefen  beiben  ftet)enbe,  bie  2Infd;annug.  :3nbeffcn 
ift  biefe  le^tcre,  wie  ©d)(eiermod)er  onSbrüdüd;  bemerft,  nie  aU  fertig 
gu  fiyiren,  fonbern  fie  ift  nur  a(§  roerbenb  in  ber  Dfcidation  ber  2ßa§r- 
nef)mnng  unb  beg  S)enfen§;  fo  baf3  bemnadj  uufer  mirflidjeS  ©rfennen 
auf  biefe  beiben  befdjränft  ift. 

S)ie  3Sorau§fe|ung  alle§  SBiffenS  ift  nad)  ©(^leiermac^cr  bie  ©in- 
l^eit  be§  S)en!en§  unb  ©ein»,  roc(d;e  un§  in  unferem  ©elbftberou^tfein 
für  un§  felbft  atS  roirflid;  gegeben  ift;  baSjenige  im  ©ein,  vermöge 
beffen  e§  ^rincip  ber  3?ernnnfttf)ätigfeit  ift,  nennen  mir  ha§>  ^beote, 
baSjenige,  moburc^  e§  ^rincip  ber  organi)d;en  S;^ätigfeit  ift,  ba§  dlcaU. 
W\t  ber  einfieit  be»  ®en!en§  unb  ©cin§  ift  bafier  and;  bie  ßintieit  be§ 
^beaten  unb  9ieaten  gefegt.  2Iber  fo  geroiB  aud;  unfer  ©enfen  biefe 
eint)eit  yoran§fe|jt,  fo  wenig  ti3nnen  wir  fie  jemals  in  einem  roirftid^en 
Renten  ooHäie^en.  2(lle§  unfer  SBiffen  I;at  entroeber  bie  gorm  be§  S3e- 
griffS  ober  bie  be0  UrttjeilS.  Ser  ^Begriff  ift  Slu^fonberung  einer  eitt= 
()eit  be§  ©ein0  au3  ber  unbeftimmtcn  2)iannigfaltigfeit;  ba5  XIrtfjeit  ift 
3]er!nüpfung  üerfd;icbenartiger  S3cgriffe,  atfo  Fortgang  ron  ber  ©in^eit 
jur  S]ielf)eit;  jener  ift  bem  intedeftueUen,  biefeS  bem  organifd^cn  f^aftor 
be§  2)enfen5  näf)er  üerroanbt ;  jener  eignet  überroiegenb  bem  fpcfulatiüen, 
biefeS  bem  empirifc^en  SBiffcn;  jener  repräfentirt  ba3  53et)arrlid;e,  biefer 
"ozn  2öed;fe(.    Stber  ben  legten  ©runb  alle§  ©ein§   fönnen  wir  weber 


§.tint  bc3  (Svrenntnigoennögen§,  611 

unter  ber  einen  nodf;  nnter  ber  anbeten  ^orm  erfennen.  ©efien  wir  in 
ber  Segriptnlbnng  fo  weit  alß  möglief;  aufiüärt-3,  fo  crljalten  luir  bie 
^bee  ber  alifolnten  Gin^eit  be§  (Sein0,  in  weldjer  ber  @cgenfo|  von 
©ebanfe  nnb  ©egenftanb  aufgeriokn  ift ;  aber  bie[e  ^bee  ift  fein  Segriff 
mel;r,  benn  fie  brü(Jt  nichts  beftinimteS  au§,  fonbcrn  nnr  ba§  nn&e= 
ftimrnte  Subjeft  unenblid^  piefer  Urt(}cile,  baSjenige,  von  bem  alle  @e= 
genfä^e  ^u  oerneinen  finb.  Steigen  rair  in  ber  Segripb Übung  fo  weit 
als  niöglid;  f)erab,  fo  fommen  wir  fdjliefjlicf;  gu  ber  unerfdjöpfndjen 
9Jiannigfaltigfeit  be§  SBaljrnel^mbaren ,  3U  ben  (Sinjelroefcn;  aber  üon 
biefen  giebt  e§>  gleid^faHS  feinen  uollfommenen  33egriff:  jcbe3  ift  unenb= 
lic^  üieler  SO^obififationen  fä§ig,  baa  ©ubjeft  3af;(Iofer  möglidjer  llrtfieife, 
aber  ebenbe^^alb  bnrd;  feinen  Segriff  üoflftänbig  gu  erfdjöpfen.  S^a§ 
©ebict  be§  SegriffS  enbet  mitfiin  nadj  unten  wie  nad;  oben  in  ber 
3JiögIidjfeit  einer  unenblic^en  DJiannigfattigfeit  oon  Urtfjei(en.  SDa»  @e= 
biet  be§  tlrttjeüS  feinerfeitS  ift  nac!^  oben  begren3t  burd;  ha§>  ©ef^en 
eines  abfoluten  SubjeftS,  t)on  bem  nid)tS  präbicirt  werben  fann,  na^ 
unten  burd;  ba§  einer  lXnenb(i(^fcit  üon  5|3räbifaten,  für  wetdje  c§>  feine 
beftimmten  ©ubjefte  giebt,  b.  f).  einer  abfohlten  ©emcinfdjaftiidjfeit  be§ 
6ein§.  SBir  fommen  mitfjin  burd;  feine  üon  beiben  (Srfenntni^arten 
gnm  wirflidjen  Grfennen  eines  legten  nnb  t)orauSfcl3ungS[ofen,  weber 
nad;  oben  nod)  nad;  unten;  wir  finb  genotfiigt,  einerfcits  eine  abfohlte 
©in^eit  beS  ©einS,  anbererfeitS  eine  abfofnte  33lannigfaUigfeit  beS  ©r= 
f(^eincnS  gu  fe^en ;  aber  feine  üon  biefen  (Setzungen  ift  ein  S^enfen, 
fonbern  beibe  finb  nur  „bie  tranfcenbentalen  3Bnr3eIn  afleS  S)enfenS" 
($Dia(.  92).  Sen  gleichen  ©ebanfen  fü^rt  Sdjleiermadjer  fpätcr  (Sial. 
112  ff.  415  ff.)  etwas  fonf reter  nnb  oerftänbhdjer  fo  auS.  S)en  ©at^ 
tungS=  nnb  Shlbegriffen,  fagt  er,  entfpredjen  im  Sein  bie  lebenbigen 
Gräfte,  ben  nnter  jenen  befaßten  ein3elnen  SorfteHungcu  bie  @rfd;ei= 
nungen;  bem  Urtljeit  entfprid;t  bie  @emeinfd)aftnd;feit  beS  Seins,  ober 
bie  gegcnfeitige  ©inwirfung  ber  S^inge,  bie  (ianfaütät.  Slber  ber  Ie|te 
(Srunb  aHeS  SeinS  föllt  unter  feinen  oon  biefen  ©efidjtSpimften.  Xen-- 
fen  wir  unS  bie  f)öd;fte  ^raft,  fo  erfialten  wir  entweber  ben  abftrafteren 
Segriff  ber  ©ottfieit  atS  beS  f)öd;ften  SBefenS  ober  ben  fonfreteren  ber 
f(^öpferif(^en  ?J?aturfraft,  ber  natura  naturans.  Stber  um  baS  f)öd;fte 
3Befen  als  llrfad^e  ber  SBeh  3U  benfen,  muffen  wir  ifim  bie  3)iaterie, 
wäre  es  anc^  nnr  als  ^f^egatioeS,  als  baS  9]ic^tS,  3ur  Seite  ftelTen, 
woburd;   eS  felbft  wieber  bebingt,   unb  ein  @egenfa§  in  bie  oberften 

39* 


612  ©d)tetermac^ev. 

©rünbe  hereingetragen  wirb;  ebenfo  ift  abeu  aucf;  ber  begriff  her  na- 
tura naturalis  nngenügenb,  benn  bie  ^raft  ift  nicf;t  anberS  al§>  in  ber 
Totalität  if)rer  Gr[djeinungcn ,  imb  alfo  burd^  biefe  bcbingt.  S)enfen 
Tüir  uns  anbererfeitg  bie  abfohlte  daufatität,  fo  fann  bie^  g[eid;fall§ 
auf  graeierlei  2trt  geWje^en:  itntet  bem  Segriff  ber  burdjgängigen  3^ot^= 
loenbigfcit,  be§  Bd)\ä\al§,  ober  «nter  bem  ber  abfohlten  greitieit,  ber 
3SorfeI;iing.  2l6er  aud;  t)on  biefen  S3egriffcn  entlprid;t  feiner  ber  '^ox- 
berung,  benn  fie  bejCidjnen  nur  ein  ©ejdjefien,  nid;t  ein  ©ein.  SßoHten 
loir  enbUd^  t>on  ben  t)ier  Segriffen  bie  groei  üor^ügüdjeren,  @ott  unb 
SSorfeljung,  mit  cinanber  verbinben,  fo  !ämen  wir  aud;  bamit  nidjt  §um 
3iele.  „Tenn  wenn  ©ott  ber  Sorfeljung  gubringt  bie  Se^ictjuug  auf 
ha§>  ftcf)enbe  Sein,  unb  bie  SSorfefiung  ber  ©ottfieit  anbringt  it^re  toal^re 
Unbcbingt^eit" ,  fo  bringt  bafür  „©ott  aud;  ber  Soricl;nng  ba§  burc^ 
bie  9)tateric  bebingte  mit  §u,  unb  baburd)  Derhert  nun  bie  Sorfe^ung 
von  ilirer  tlnbcbingtf;eit/'  ©o  entfdjiebcn  luir  batjer  genötf)igt  finb, 
einen  tranfcenbenten  (SJrunb  a)lc§>  S^enfenS  unb  ©eiu§  oorauS^ufe^en, 
fo  unmögtid;  ift  e»  un§,  mit  unferem  S^cnfen  ben  abäquatcn  Segriff 
beSfelben  3U  finben.  Sßie  nad^  ^ant  ha^^  2lnfid;  ber  S^inge  unferem  6r= 
!cnnen  üerfd)Ioffen  ift,  raeil  alle  unfere  Segriffe  i|ren  QnfjaÜ  ber  2ln= 
fd^auung  üerbanfen  unb  biefe  nur  ©rfdjeiuungcn  hefert,  fo  ift  ii)m  nac^ 
©c^leiermad;er  ber  le^te  ©runb  aüer  S)inge  un3ugänghd;,  loeil  unfer 
©enfen,  an  bie  ^ßafjrncljmung  gebunben,  fid;  immer  in  ©egenfä^en 
bemegt,  unb  ba§  ©egenfa^lofe  nie  erreidjt. 

^ant  t)atte  nun  bie  2lbbülfe  für  biefen  S^knget  im  fitthdjen  HöoIIen 
gefudjt:  unfere  praftifd;e  Sernunft  follte  uu5  in  bie  überfinnhdje  2BeU 
einführen,  ju  mctd^er  bie  tt)eoretif(^e  niematx^  uorbringt.  ©d;feierma(^er 
giebt  bie^  nidjt  3U.  ßr  räumt  ein,  baf;  alleS  2öoIIen  auf  ba§  ©itteu^ 
gefe^  a(§  feinen  in  alten  ibcntifdjen  ©runb  I;inu)eife;  ba§  ferner  ba§ 
©ittengefeli  felbft  in  bem  abfoluten  ©ubjeh,  in  ber  fittüc^en  25>ehorb^ 
nung  ober  ©ott  at§  ©efe^geber  gcgrünbet  fein  muffe,  menn  eine  lXeber= 
einftimmuug  ber  D^atur  mit  bem  ©ittengefe^  ftattfinben,  eine  ©iumirfung 
unfere§  2öitten§  auf  bie  Singe  möghd;  fein  foUe;  er  nimmt  alfo  ben 
fantifd;cn  SeroeiS  für  haS^  Safein  ©otte§,  nur  verallgemeinert  unb  von 
feiner  eubämoniftif(f)en  c<galtung  gereinigt,  mieber  ouf;  aber  er  bemerft 
anä):  ber  Segriff  ber  SBehorbnuug  füf)rc  uu§  uid;t  meitcr,  aU  ber  ber 
Sorfef)nng,  unb  ber  Segriff  be§  ©efe^geberS  nid;t  weiter,  aU  ber  be§ 
I)ö(^ften  3^efen§;   wir  fommen  bafjer  mit  bem  SoUeii  nidjt  weiter,  a(S 


Ävtti!  bc§  ©rfenntnißbcrmogenS.    ©ptncgUmul.  613 

mit  bem  Renten-,  in  beiben  fei  bie  S^otl^iücnbigfcit  hcS^  tvanfccnbenten 
©runbe»  gegedeit,  oder  in  bem  einen  fo  raenii],  roie  in  bem  anbern, 
gelinge  e§,  i(;n  gnr  ßin^eit  be§  lüirflid^en  ^ciuii^tfcinS  3«  bringen. 
(3)iar.  150  f.  426  f.) 

©djeiut   ahcv   ©djlciermadjcr   bie   fontii'dje   ilritif   bei*    rationalen 
2:^eologic  ^iemit  snnädjft  nnr  auf  ilirem  eigenen  Sßege  raeiter  gu  fül;ren, 
fo  geigt  fid;  bod;,  wenn  mir  nä^er  gnfefien,   klb  genug,   ha^  hen  §in= 
tergrunb  biefer  ^ritif  ki  t^m  ein  <Stanbpun!t  Intbct,  meldjer  t)on  bem 
beS  fantifd;en  ^riticifmUiS  meit  aMiegt.    S)er  le^tere   fäugnet  bie   @r= 
lennl)arfeit  ©ottcS,   weil   unfer  JOiffen   auf  bie  ßridjeinung  kfd;rän!t 
fei,  weil  unfere  SSevnunft  nid;t  bie  93Zittel  l;aBe,  um  fid;  üon  bem  Hebern 
finnlidjcn  einen  begriff  gu  bilben.    (Sd;leiermadjer  läugnet  fie,  weil  alle 
S3egriffe,  wcld;e  mir  un0  ükr  bie  ©ott^eit  bilbcn  fönnen,  ber  maleren 
©otteSibce,   ber  ^bce  bc§   abfoluten  SBefen^,   nid;t  entfprcdjcn.    ^ener 
l)ält  fii^  bal)er  mit  feiner  J^ritif  burd;au^  innerljalb   be§   menfd;lid;eu 
53ewuBtfcin^ ;  er  begnügt  ftdj  mit  ber  53e^auptung,   ba^  unter  hen  33e^ 
griffen,   bie  wir  bilbcn  fönnen,    ber  ber  ©ottlieit  fid;   nid)t  finbe;    er 
begcf)t  nidjt  bcn  23;ber)prud;,  inbem  er  un§  bie  DJcöglidjfeit  ber  ©ottel^ 
erfenntniB    abfprtd^t,   gugleid;  eine  bcftimmte  2lufid;t  über  bie  ©ott^eit 
t)orau§5ufe(^cn.    ©d)teiermad;er   begebt   il;n:    er   yergleid;t   bie   ^M)fkn 
33egriffe,  bie  wir  un§  bilben  fönnen,  mit  hm  S3egriff  ber  ©ottljeit  unb 
finbet,  ba&  fie  nidjt  an  beufelben  l)inanreid;en ;  er  mu^  alfo  biefen  53e= 
griff  bod;  beiitjen,  er  muf3  wiffen,  wie  wir  un§  bie  ©ott^eit  gu  benfen 
^aben,  bamit  wir  fie  un§  richtig  benfen:  fein  J?riticifmu§  ^at  eine  gang 
beftimmte  bogmatifdje  llebergeugung  §ur  ©runblage. 

mti  man  biefe  näfjer  fennen  lernen,  fo  l^at  man  ntd;t  weit  gu 
ge^en.  ©§  ift  bie  Seiire  ©pinoga'g,  con  ber  ©djleiermac|er'§  2ln= 
fid^t  über  bie  ©ottl;cit  unb  i^r  SSer^ältni^  §ur  Söelt  be^errfdjt  wirb ; 
aber  atlerbinge  nid)t  ber  reine  ©pinogifmug,  fonbcrn  ein  ibealiftifd;  mu 
gebilbeter  unb  belebter,  ber  Spinogifmug  eines  3JianncS,  wcld;er  üon 
^^lato  unb  oon  Seibntj,  von  ^ant,  g-id;te  unb  ©d;eaing  bie  hehmtenb-- 
ften  ©inwirfungen  erfahren  fiat  ^).  Siefer  ©tanbpunft  fprid;t  fid^  gu-- 
näc^ft  fd)on  in  ben  S3eftimmungen  über  ha§>  äBefen  ber  &ottf)ät  au§, 
auf  bie  @d)Ieierma(^er  felbft,  wie  mir  foeben  gehört  ^aben,  feine  ^e' 
l;auptung  über  bie  llnerfennbarfeit  ©otteS  grünbct.   @ott  ift  i^m  niä)t§> 

1)  ®te  näheren  93etege  jum  folgenbeu  finbet  man  in  meiner  üTW^anbrung  ü&er 
©djkiermac^er'ä  Se^re  üon  ber  ^:|3erfön(ic]^feit  GJotteS,   X^eor.  3a^rb.  1842,  263  ff. 


614  ©d^Icievnmd^er. 

anbereS,  aU  bte  abfolute  ^i^entität,  ha§>  3Befen,  wercf;c§  ou^er  imb 
ükr  jcbcm  ©egenfa^  fielet,  bie  Gin!)eit  be§  i^bealeu  wtib  Scalen,  be§ 
©enfen»  wnb  ©eins,  fo  ba§  fi^  [eine  @otte§Ief)re  in  biefer  S3e3ief)ung 
t)on  ber  <gd;eIIingS  in  feinet  erften  ^eriobe  (oben  ©.  540.  542  f.)  fanm 
unterfcfjeibet.  Sdjfeiennac^er  Bcftreitet  baf)er  in  feiner  Sogmati!  bie 
Stnna'^ine  irgcnb  weldjer  inneren  ^eftimmtl^eiten  in  (Sott;  er  geigt,  ba§ 
in  i^m  ba§  SBiffen  mit  hmi  SBoHen,  ba§  ^i^nnen  mit  bem  SSoHbringen, 
ba§  3JiögIicI)e  mit  hem  Söirflidjen,  ha^  SBoIIen  feiner  felBft  mit  bem 
SOßoIIen  ber  SBelt,  ba§  ©elbfibenm^tfein  mit  bem  gegenftänbfid;en  ^e= 
mufatfein  gnfammenfalle ;  er  füfjrt  alle  ®igenfcf;aften  ©otteg  in  te^ter 
S3e3ief)nng  anf  eine  einzige,  bie  al)foInte^ßanfalität,  nnb  alle  Unterfd^iebe 
biefer  ßigcufd;aften  auf  bie  Slrt  gurüd,  wie  biefe  nnbebingte  llrfäd;Iic^= 
feit  anfgefaf3t  rairb:  fie  begeii^nen  ifim  nid;t  üerfd;iebene  leiten  be§ 
göttlidjen  SBcfcnS  ober  feiner  auf  bie  2ße(t  gerid;teten  2öir!iamfeit,  fon= 
bem  nur  bie  Derfd;iebenen  2lbfpiegelungen  biefer  S^öirffamfeit  im  reli* 
giöfen  S3cuiuf]t[ein,  unb  er  erHärt  auSbrüdtid),  fie  ifönnen  fd;on  bcj3f)at6 
nidjt§  anbcreS  be5eid;nen,  weil  fie  mehrere  feien,  nnb  fomit  jebe  von 
i^nen  etma§  au§brüde,  ma§  bie  anbere  nid^t  au^brüdt,  @ott  aber  in 
feinem  SBefen  fo  menig,  mie  in  feinem  2öirfen,  in  ha§>  @cBict  bc§  ©e- 
genfa^eS  geftcHt  werben  fönne.  3iCu§  bcmfefben  ©runbe  mcifj  fid;  Sd;leier* 
mad;er  mit  ber  3]orfteIlung  einer  g5erfönlic^feit  ®ottc§  ni<i^t  an  befreun= 
ben;  nnb  wenn  er  fic^  in  einigen  feiner  6d;riften  (wie  bie  9teben  unb 
bie  S)ogmatif)  bamit  begnügt,  bie  ganae  grage  für  nnerljeblid)  gu  er= 
Hären,  nnb  bie  gofgeruug,  als  ob  er  für  fid)  „bie  unperfönlid;e  3lrt, 
ba§  (jödjfte  Sßefcn  gu  ben!en,  tjorgöge,"  mofil  gar  auäbrücHid;  ahUi)nt, 
fo  ^at  er  bod;  anbcrSmo  feine  9)Zeinung  mit  unabweisbarer  S)eut(id;!eit 
auSgefprodjen.  ©r  fagt  gerabegu,  ha^  ©Ott,  inbem  er  al§  ein  pcrfön^ 
lidj  bcnfcnbeS  unb  woKenbeS  gebadjt  wirb,  in  haS^  ©ebiet  beS  ©egett- 
faljeS  tjerabgeaogen  werbe;  er  erftärt  in  ber  S)ialefti!  (©.  158.  529.  533): 
wenn  man  fid;  ©Ott  als  bewufjteS,  abfolnteS  ^d)  \)cnU,  lomme  man 
wieber  in  baS  ©ebiet  beS  (Snblid;en,  ben  tranfcenbenten  ©runb  als 
freies  Ginjelwefen  su  fe|5en,  fei  eine  SSerfälfd^ung ;  er  fagt  in  ber  p^ilo= 
fopliifc^cn  ©iitenlel)re  (165):  bie  ^erfönlid;feit,  weil  coorbinirtcS  forbcrnb, 
!önne  ©ott  nii^t  gugcfc^ricbcn  werben;  er  fe|t  S^cobi  im  Slnfd;(uB  an 
©pinoja  auScinanber:  eine  ^erfon  werbe  notljwcnbig  ein  enblid;eS,  wenn 
man  fie  beleben  wolle;  ein  uncnblid^er  SSerftanb  unb  ein  uneublid;er 
mUc  feien  leere  Sorte,  "öa  S^erftanb  unb  SBillc,  inbem  fie  fid^  unter= 


(UotteSibee.     (Sott  iinb  Seft.  615 

fdjeiben,  fi($  oitd^  notfiraenbig  öegrenjen;  raolfe  mon  anbererfeitg  tl^re 
Hnterfdjcibung  oufgeBen,  fo  falle  and;  ber  Segriff  ber  ^erfon  in  \i^ 
fetbft  gufamnien  ^).  ©c^fciermadjer  behauptet  bafjer,  nic^t  auf,  bie  ^er= 
fönlidjfctt,  foTibern  nur  auf  bie  Sebenbigfeit  ©oltc§  fomme  e§  an,  unb 
nur  biefer  Segriff  fei  e§,  ber  vom  materialiftifdjen  ^ant(jcifmu3  unb 
ber  atf)eiftifd;en  blinben  9^otI)n)enbig!eit  fd;eibe.  ©§  ift  bteB  rairfüd; 
ber  einjige  erfjeBtid;e  Unterfdjieb  äroifd^en  feinem  @otte§begriff  unb  bctn 
(Spino,3a'5,  berfelbe  Itnterfdjieb ,  raetd;er  tin§  Bei  ber  Scrgleidjung  ber 
fc^eüingifdjen  Sefjre  mit  bem  ©pino^ifmuS  entgegentrat. 

3Jtit  (Spinoza  gef)t  (Sdj(eiermad;er  and;  in  feiner  2rnfi($t  üBer  ha^ 
Serljältni^  ©otteS  unb  ber  2Se(t  im  n)efentüd;en  §anb  in  ^anb.  <So 
weit  er  bie  ©ottfieit  ifirem  SBefen  nad;  über  aileS  enblic^e  unb  gegen- 
fä^üdje  f)tnan5rüdt,  fo  raenig  fann  er  fie  fid;  boc^  in  ifirem  2) a fein 
t)on  ber  ©efammt^eit  be§  Gnbnd;en  getrennt  bonfcn.  2lm  unumraun^ 
henften  fiat  er  fid;  in  biefer  53e3{c^nng  in  ben  Sieben  über  bie  Üteligion 
(1799)  ou^=gefprod;en.  S)ie  ©otttjeit  fällt  i()m  f;ier  mit  ber  2Se(t  ober 
bem  SSeltgeift  einfad;  5ufammen;  luenn  roir  ba§  6ein  a(§  ©in§  unb 
Mc§>  aunef;men,  fo  ift  un0  @ott  gegenrcärtig.  Seere  2)?i;tf;o(ogie  ha-- 
gegen  ift  e§,  menn  man  in  ber  2Siffenfd;aft  von  einem  ©ein  ©otteS 
cor  ber  95>e(t  unb  au|er  ber  3Selt  rebet.  2(ber  aud;  fpäter  l^at  er  biefen 
©tanbpunft  ber  ^ad)e  nad;  nid;t  üertaffeti.  ßr  l;ebt  raof)t  hen  Untere 
fd;icb  ber  Segriffe  „@ott"  unb  „2Be(t"  beftimmter  fienior;  aber  biefer 
lXnterfd;icb  befd;räuft  fid^  auf  ba§,  roa§  and;  ©pino^a  nid;t  geläugnet 
l^at :  bafj  bie  ©efammt^eit  be§  ©ein§  in  ber  i^bee  ber  2Se(t  al§>  Siet^eit 
gefeilt  ift,  in  ber  ^bee  @otte§  aU  ßin^eit,  bort  raum=  unb  ^eiterfüKenb, 
l^ier  raunp  unb  geitloS,  bort  afö  bie  Slotalität,  f)ier  a(§  bie  S^egation 
aller  ©egenfä^e.  ^m  übrigen  bteibt  er  babei,  ha^  mir  nur  um  ein 
©ein  ©otteS  in  un§  unb  ben  S^ingen  miffen,  nid;t  um  ein  ©ein  beg= 
felben  außer  ber  Söett;  er  geigt,  baB  ein  ©ein  @otte§,  merd;e§  über 
ba§  ber  SBett  l^inauSragte,  einen  llnterfd;ieb  be§  rae[tfd;öpferifd;en  unb 
be§  nid;t  wcttfd;öpferi]($en  in  ©ott  yorauSfe^en,  ir;nt  bie  Statur  be§  ge= 
genfä^lid;en  ©eim5  beilegen  würbe;  er  erflärt:  ©ott  unb  ^sdt  feien 
nur  äiuei  SBert^e  für  biefeibe  gorberung.  (Sr  fiütet  \i^  allerbingS,  ©ott 
mit  ©pino^a  bie  ©ubftauj  ber  2Belt  gu  nennen;  er  raiß  fid;  befd;eiben, 
nid;t   t)on  bem  Sßefen,   fonbern  nur  üon  ber  tlrfäd^lid;feit  ©otte^  gu 


1)  2lu§  @cf)Ietevmad)£r'g  ?e5en  in  Briefen  II,  344, 


QIQ  ©djlciermac^er. 

reben,  -rate  bic^  &ei  einem  foIcf)cn;  bei*  jencS  SBefen  für  burdjauS  imer= 
fennbar  !f)ält,  ganj  in  ber  Drbnung  ift.  2lber  er  be[(^reibt  biefe  Urs 
fä(^nd;feit  fo^  wie  fie  feiner  !6e[d;reil)en  fonnte,  ber  nid;t  mit  aller 
©trenge  an  ber  ^mmonenj  @ottc§  in  ber  Sßelt  feftl^ielt.  ©r  Beftreitet 
bie  SInna!)me,  ba^  ©Ott  jemals  of)ne  bie  2öelt  gerae[en  fei,  ober  o|ne 
fie  ptte  fein  fönnen;  er  fü{)rt  an§,  ha^  bie  Stbfjängigfeit  ber  ©inge 
Don  @ott  mit  if;rer  55ebingt!)eit  bnrd;  ben  ^ftainr^nfammenfiang  bnrd;anl 
gnfammcnfalle ,  nnb  er  längnet  be§f)alb  bie  3Jtögtid)feit ,  ba|3  bie  ©ott= 
l^eit  in  ben  D^catnrlanf  immittelbar  eingreife,  bie  3)iöglid)feit  be§  SBunberS ; 
er  wiberlcgt  mit  ben  gleidjen  ©rnnben,  wie  ©pinoja,  bie  93ieinung,  aly 
ob  bie  göttlidjc  ßanfalität  im  S^atur^nfammenljang  nidjt  oollftänbig  anf= 
gienge,  aB  ob  ©ott  aufier  bem,  wa§>  er  mirfüc^  fd;afft  nnb  beroirft, 
nod;  irgenb  etiüa§  fdjaffcn  nnb  mirfen  fönnte.  ®ie  SBelt  ift  ba^er  if)m 
äufolge  in  allen  i^ren  3:fjcilen  bnrdjan§  bie  ®rfd)einnng  ber  göttlichen 
ßaufaUtät,  nnb  ber  Söettlanf  ift  im  Jteinen  wie  im  grofscn  von  ber 
9Zotf;racnbig!eit  be§  göttlid;en  2Sir!enl  befierrfd^t.  Slnd^  ber  menfd;lid^e 
SBille  fann  fic^  biefer  ^Rotljmenbigfeit  nid;t  entgiefien;  nnb  mürbe  t^n 
©d;reiermad)er  alleibing^,  bei  ber  S3ebentung,  meldte  er  ber  felbftänbigen 
©ntmidlnng  ber  (Sin^elnen  beilegt,  nid;t  mit  ©pinoja  alg  eine  gesroungene 
Urfadje  be^eid^nen,  fo  fd^(ie§t  er  fid;  bafür  nm  fo  enger  an  ben  leibni^ 
§ifd;en  ©eterminifmnS  an,  für  meld;en  bie  greifieit  nidjtS  anbereä  ift,  al^ 
bie  innerlidj  notI}n)*enbige  6elbftbeftimmnng,  bie  natnrgemä^e  ©ntfaltnng 
ber  @igentf)üntlid;!eit  eines  jeben.  ßbenfowenig  ranmt  ©d;(eierma(^er, 
l^ierin  mit  ©pinoja  gegen  Seibnij  einocrftanben ,  bem  3Jtcnfc^en  eine 
2lu§na!f)m§ftennng  in  ber  2Belt  ein,  mobnrd^  er  \iä)  bem  ©djidfal  aller 
©injelmef en ,  aB  ein  3Jtoment  im  2zUn  beg  ©anjen  nidjt  b(o§  gn  ent= 
ftet)en,  fonbern  and)  sn  »ergeben,  ent^iefien  fönnte;  nnb  c§>  finb  nid)t 
blo§  bie  Sieben,  meli^e  er!(ären :  „mitten  in  ber  (gnblid;feit  ©inS  werben 
mit  bem  llnenbUd;en,  nnb  ewig  fein  in  jebem  Slngenblid,  bag  fei  bie 
IXnfterblii^feit  ber  9teligion" ;  fonbern  auc^  bie  ©ogmatif  (§  158)  räumt 
ein,  baB  bie  pf)iIofopf)ifd^cn  SSeweife  für  bie  llnfterblid^feit  nid;t  au0= 
reidjen;  nnb  wenn  fie  biefelben  bnr^  einen  pofitiü  tf)eoIogifdjen  ju  er= 
fe|cn  fudjt,  fo  ift  biefer  bod;  tljeilg  an  fi(^  fo  unfid^er,  t^ei(§  füfirt  auc^ 
©cilteierma^er  felbft  fo  eingefienb  nnb  fd;arffinnig  ou§,  wie  wir  ung 
mit  aüen  3Scrfud;en,  ein  Seben  nad;  bem  2:obe  jn  benfen,  in  SBiber- 
fprüdje  »erwidetn,  ba^  wir  jener  tf)eologifd;en  2Iu§funft  wenigftenS  bo, 
wo  eS  fi^  um  feine  ^t)ilofopl;ie  ^anbeit,   fein  großes  ©ewid;t  beilegen 


©Ott  unb  iß?eU.    S)te  $ei1önn(^fett.  617 

fönnen.  Um  fo  fotgerii^tiger  ge'fit  au§>  feinen  S?oranÄfe|unc]en  bie 
Uekrjeugung  Ijerüor,  für  bie  fid;  ber  leibni^ifd^e  Dptimifiuu»  mit  bem 
S)eterminifmu§ ,  bie  reformirte  ^räbeftinatton§(eI;re  mit  bem  l^errnlin- 
tifd;en  SSorfe§ung§gIauben  oerbünbet :  baB  bie  SBcIt  aUi  ©anjeg  fo  voU- 
fommen  fei,  als  eine  SBelt  üderfiaupt  fein  fann,  ba{3  aik§>  in  if)r  gnt 
fei,  meil  aUeS  fo  ift,  mie  eS  im  3^M'ai^^^itenf)ang  be§  ©anjen  an  feinem 
Ort  fein  mu§,  unb  bQf3  auä)  ba§  Hebet  nnr  bie  91üclfette  be»  @nten, 
nur  bie  »on  ber  9Zatur  ber  ©in^elmefen  un^ertrcnntidje  ^ä)xanU  il^re» 
5Dafein§  fei;  bo^  e3  bal^er  audj  in  ber  3Jtenfdjeniüctt,  nnb  anf  bem  re= 
ligiöfen  ©ebiete  im  bcfonbern,  feine  SSenoorfcnen  gebe,  fonberii  nur 
©rmätyüe;  ha^,  mit  anberen  Sßorten,  aud;  bie  roeiteften  ©egenfä|3e  beS 
fittlidjcn  Seben§  fd^liefeüd;  boc^  nur  auf  ba§  üerfd;iebene  Wa^  bcr3SoII= 
fommenljeit  gurüdjufü^ren  feien,  bie  ein  jeber  nad;  feiner  inbioibueHen 
^Begabung,  feiner  ©teHung  in  ber  2Belt  unb  feinem  baburc^  bebingten 
SebenSgang  gu  erreidjcn  vermag. 

2)iefe  2(nfid;ten  ge^en  über  bcn  6tanbpnnft  be§  tantifd;cn  Üriticif^ 
mu§,  auf  bem  mir  (Sd;leiermad;er  guerft,  menigftcnS  feiner  allgemeinen 
9tid;tung  nad^,  trafen,  weit  l)inau»;  e»  üerbinbet  fid;  Ijier  mit  bemfelben 
eine  mefentlid)  anbere  S)enfmeife,  bereu  Quellen  ja  offen  genug  liegen. 
2Bir  muffen  fragen,  burd;  welches  Sinbeglieb  fid;  fo  üerfdjiebcnartige 
(Stemente  rerfnüpfen,  fo  meit  anSeinanberftrebcnbe  Slnid^niungen  üer^ 
mittein  laffen.  S)ie  Slntmort  auf  biefe  grage  liegt  in  ©d;leicrmad;er'§ 
Slnfidjt  über  bie  33ebeutung  ber  ^erfönlic^feit.  ®r  fclBft  mar,  mie  hc- 
merft,  ein  9JJann  von  fd^arf  au§geprögtcr,  eigenartig  angelegter  unb 
felbftänbig  auggebilbeter  i^nbiüibnatitäi;;  er  ^atte  nid;t  blo§  ron  Seibnij 
unb  Seffing  jebeS  ßin^etraefen  in  feiner  eigentl)ümlid;en  Sebeutung  achten 
gelernt,  fonbern  anä)  uon  gic^te'S  ^^^ß^if^^^t^/  meld^er  baS  ^^  jur 
2lbfolut^eit  er^ob,  einen  tiefen  ©inbrud  empfangen,  bie  ©ubjeftiüität 
ber  romantifc^en  'Bö)uk  in  fi(^  aufgenommen  unb  in  ^acobi  hen  2(n= 
malt  ber  freien  inbioibueHen  ©ntroidlung  gefd;ä^t.  2lud;  feine  ^^ito^ 
fopl)ie  Ijat  ilireu  innerften  ßinl)eit§pimft  nid;t  an  einem  miffenfi^aftli^en 
^rincip,  fonbern  an  ber  ^erfönlid;feit  be§  ^liilofop^en.  ®»  ift  bal)er 
ganj  begreiflich,  roenn  er  in  ber  ^erfönlid^feit  überl^aupt  hm  Drt,  im 
unmittelbaren  ©etbftbemuBtfein  ha§  Drgan  für  jene  Dffenboruug  beS 
@öttlic§en  fud;t,  bie  unferem  raiffenfd^aftlic^en  S)enlen  üerfagt  fein  foH. 
2)ie  ^erfon  ift,  mie  er  ausführt,  „ba§  ©efe^tfein  ber  fid;  felbft  gleichen 
unb  felbigeu  SSernunft  gu  einer  S3efonber^eit  beS  S)afein§",  ber  2l!t  be§ 


6X8  ©d}teterma(f)er. 

* 
(2elbfll6erau§t[ein§  ift  ,^oS)  erfte  ^^ifammcntreten  be§  affgemeinen  Sekn§ 

mit  einem  Iicfonbern",   „bie  unmittelbare  SSermöIjIung  bc§  Hniuerfum 

mit   bcr   ffeifdjgeiüorbcnen   SSernnnft".    S^be  i^nbioibnalität   ift   bal^er 

eine  eigcntfjümlidje  nnb  urfprünoIid;c  S!)arfteIIung  ber  SBelt,   ein  notf)- 

menbiöcS  ßrgän^ungSftüd  gnr  t)oIIfommenen  2tn[($auung  ber  S)lenfd)l)cit, 

eBenbe^ljalb   akr   aud;   ein  (Eompcnbium  ber  3Jtenfd){)eit,  meli^eä   bie 

ganje  menfdjtidje  5Jtatur  nmfofit  nnb  in  allen  ben  gafiUofen  menfd;lidjen 

i^nbiüibucn   nur   fcftgeljaltene   3Jlomente   feines    eigenen   Seben§ ,    fein 

eigenes  üeroielfältigteS,   bcutlid;er  auSgejeidjueteS  uub  in  allen  feinen 

S^eränbcrungcn  gleid;fam  :)ereraigte§  '^i)  anfd^aut  ^).    S)ie[er  tleber3eu=: 

gung  t)on  ber  53ebcutung  ber  ^erfönlidjfeit  Ijat  ©(^(eiermadjer  nament- 

lid;   in  ben  Monologen  (1800)  einen  2lu§brud  geliehen,  beffen  lieber^ 

fi^Tuänglidjfeit  er  felbft  in  ber  S^olge  burd;  bie  Hntecfc^eibung  beS  ibealen 

uub   bi'§    empirifdjen  '^^),   im  SBiberfprud^   mit   feiner   urfprüngtidjen 

3)ieinung,  gu  milbcrn  nöt^ig  fanb.  S)er  @eift,  erÜart  er  f)ier  mit  g^idjte, 

fei  ba§   erfte  nnb   einzige,   bie    gauje  SBelt  nur  fein  felbftgefi^affener 

(Spiegel,  nur  ber  gro^e  gemeinfc^aftüdje  Seib  ber  DJicnfdjIjeit.    grei^eit 

ift  bem  ^sljifofopljcn  in  allem  baS  uvfpvüng(id;e  nnb  innerftc  uub  nid)t§ 

äußeres  üermag  in  biefe»  ©ebiet  eingubredjen.  ^n  ber  ©elbftanfdjauung 

üerfdjiuinbeu  bem  ©etft  alle  ©egenfät^e  ber  ©nblid;feit,   er  ift  im  S^leid^ 

ber  ©luigfeit.   3n  biefem  feinem  abfoluten  ©elbfibeuni^tfein  befielt  auc^ 

bie  maf)re  ©itttid;Feit;   beim   nur  ein  einziger  freier  ©ntfdjhife  geljört 

baju,   ein  maljrer  SD^eufd;  ju  fein;   mer  biefen  einmal  gefaxt  l;at,   ber 

rairb  e§  immer  bleiben;  er  f)at  feine  8d)ran!e,  als  bie  er  fid;  burd;  bie 

erfte  %\^qX  feiner  ^^reiljeit  felbft  gefegt  I)at,   nnb  feinen  anbern  53eruf, 

als  immer  mef;r  gu  werben,   maS  er  fd;on  ift.    2fu(^  raaS  baS  äußere 

Seben  bringt,  ift  für  ifju  nur  beS  inneren  Scftätigung  uub  ^robe;   bie 

3eit   fann  \\)vx   feinen  3iii^ß'l^  \t\\\tx  ©eligfeit  bringen  uub  ifin  mit 

feinem  SSerluft  berfelben  bebroI;en:   baS  2f(ter  ift  nur  ein  leereS  SSor= 

urtfieil,  ber  freie  ©eift  fdjroört  fid^  emige  i^ugeub,  nnb  felbft  ber  S;ob 

mirb  il^m  ein  2ßerf  ber  grei^eit,  ebenfo  aber  and;  bie  ©elbftanfdjauung 

beS  ©eifteS  Uufterblidjfeit  xc((^  eiüigeS  '>L^^^\\.    :3ft  au(^  biefeS  fdjteier= 

madjcr'i'djc  3cf)  ^ii^Jt  unmittelbar  o.v.  fid;  felbft  baS  Slbfolute,   mie   bei 

gid;te,   fo  ift  eS  bod;  baS  einzige  reine  nnb  üoUftrtnbige  Silb  bcS  Slb- 

folutcn,   bie  fleifd;geiöorbene  SSernnnft,   ber  9JiifrofofmuS,   weldjcr  baS 


1)  JReben  4.  Sfufl.  @.  51.  86  ff.  ^^il.  ©tttent-  164  u.  a.  ©t. 


t 

Sßertgan^e  unmitteUiar  in  ft($  a^fpiegelt.  SBenn  fid;  ba§  Hnenblid)e  bem 
3Jlen[d^en  iiberfiaupt  offenbart,  wirb  e§>  fid^  if)m  nur  in  feinem  <Bdb\U 
Beraußtfein  offenbaren  fönnen.  ©Ben  bieB  ift  nun  anä)  gdjIeierniadjer'S 
^e^auptung.  SSir  föunen  bie  ^bee  ber  pd^fteu  ßinfieit,  roie  er  fagt  "■), 
raeber  im  S:enfcn,  nod;  im  SBoffcn,  fonbern  nur  im  G)efül;t,  al§  ber 
relatiüen  etn()cit  beiber,  üoll^ieficn ;  nur  im  unmitteibaren  gelbftbcmu^t^ 
fein  ober  im  ©efü^t  ergreift  fid;  ber  9J?enfd;  in  ber  nrfprünglidjen 
ein^eit  feinet  2öefen§,  nur  in  if)m  fommt  il)m  ha§,  abfolute,  gcgcufa|= 
lofe  SBefen,  bie  Gin^eit  be§  ^bcalcn  nnb  9tea(en,  gur  2(]ifd;auung. 

Siefe  ©cgeuroart  he§>  IXnenblidjen  im  ©efüfir  ift  nun  hie  dleli-- 
gton,  unb  fo  bi(bet  bie  SleligionSpIjtiofop^ie  ben  9)iitte[punft,  in  bem 
aUe  gäben  beg  ©i;fteui§  sufammenraufcti.  9iä^er  berufet  Sdjleiermadjer'g 
Sluffaffung  ber  9kIigion  auf  brci  ©runbbefttmmungen.  S;ie  Skligion 
ift  für'g  erfte,  wie  wir  fo  eben  gcfjört  baben,  ©efübt;  unb  biefe  ©e= 
ftimmung  wirb  üou  ed;feiermadjer  fo  ftreng  feftge^alteu,  ha^  er  t)on 
bem  religiöfen  Scbcn  aU  foldjeui,  um  nur  feine  9ieinbeit  3U  loa^rcn  unb 
jeber  5Berwcd;5(uug  ber  9teIigion  mit  bor  Wloxai  unb  ber  g.?()i(oiop^ie 
3U  begegnen,  ba§  SBiffen  unb  SSoflen  roHftänbig  au§fd;(icf3t,  bie  reü-- 
giöfen  S^orftettuugcn  unb  ^anblungcn  alä  etwa§  ^nr  grömmtgfeit  nur 
f)in3ufommenbe§,  nid;t  au§  ifirem  eigenen  Söefen  entfpringcubeg  ober 
fie  felbft  bebingenbeS  bc^anbelt,  unb  baburd^  bie  üer)d;tebencn  SIcuBe^ 
rungen  be§  menfd;adjen  ©eifte^IebenS  in  einer  SBeife  von  einanber 
fdjeibet,  weldje  cbenfo  feinen  eigenen  fpäteren  S3eftimmuugen,  wie  ber 
3ftatur  ber  eadje  wiberftreitet.  STber  wenn  er  aud;  ben  33egriff  ber 
Steligion  hierin  nod;  gu  eng  gefaf3t  i)at,  fo  berufet  bod;  anbercrfeitg 
feine  Sebeutung  für  bie  9^etigionawiffenfd;aft  unb  bie  5lird;e  ganj  we-- 
fentlid^  barauf,  bafj  er  biefelbe,  at§  ein  „^errnfiuter  t)ö()erer  Drbnuug" 
(wie  er  fid;  felbft  nannte),  in  bag  @emüt^  aU  i§re  ^eimatf;  jurüdge^ 
fü^rt,  unb  in  hen  Sogmen  wie  im  5?uttu§  etwa^  abgeleitete^  erfannt 
lf)at,  beffen  Sßert^  unb  33ebeutung  burd;au§  an  feiner  SBirfung  auf  ba§ 
innere  be§  perfönlicben  Seben§  gu  meffen  ift.  —  fragen  wir  weiter 
nad^  bem  eigentpmiid^en  S^arafter,  burc^  welchen  fid;  ba§  religiöfe 
@efü§t  uon  jebem  anbern  unterfd;eibet,  fo  liegt  biefer  nad;  ed;feiennad^er 
barin,  ba^  e§  ©cfüf)l  einer  ab  fo  Inten  (oberwieer  jagt:  „fd;fed;tf)inigen") 
SIbpngigfeit  ift.  ©0  entftefit  ung  baburd^,  ba§  wir  alle^  ©ein  in  m§> 

1)  ®tar.   151  ff.  428  ff.   ^^irof.   eittcnf.   16  ff.   138.  254.     Dieben,    2.   «Rebe, 
©laubcnsr.  §  3  f. 


ß20  ©c^Ieiermac^cr. 

unb  au^er  un§  auf  feinen  legten  ©runb  bc^ieljen,  c§  aU  bie  SBirhmg 
©iner  nnb  berfelbcn  Uvfad^e  anffaffen.  S)iefe  Urfadjc  nennen  wir  bie 
©ottljeit.  SBir  bejeidjnen  bafier  mit  biefem  5Ramen  nid;t  einen  irgenbraie 
beftimmten  S5eöriff,  nidjt3,  rüa§>  ©egcnftanb  nnfcreS  2Biffcn§  wäre,  nur 
ben  Dvt,  woljer  m\§  ba^  SlbpngiöfeitSgefü^l  fommt;  wie  bie^  allere 
bing§  nic^t  onberS  fein  !ann,  roenn  ©ott  einerfcit§  nnfercm  Söiffen 
f(^led;t{)in  imäugänglid; ,  ein  non  un§  üorau§gefc^te§  Sing^an^id;  ift, 
nnb  luenn  man  anbcrerfeitö  mit  @d;Ieiermad;ei:  iikr^eugt  ift,  ba^  alle» 
©nblid^e  fc^(edjtljin  nnb  üollftänbig  al§  eine  Söirfung  ber  65ott^cit  be= 
tradjtet  werben  muffe.  S)iefe§  beibeS  uoraulgefeljt,  bleibt  für  bie  ^öe- 
ftimmnng  ber  ©ottc^3ibee  nur  ba§  9Jlerhnal  ber  abfolntcn  (Sanfalität, 
ber  nnenblidjcn  Iraft  ober  3}la(^t  übrig;  nnb  mmx  fid;  @ott  a\§  fold^e 
bem  ©efüljl  gn  erfenncn  giebt,  fo  wirb  bic^  nnr  ein  ©efül)I  be§  abfo= 
Inten  33eftimmtiuerbeu^3,  ber  abfoluten  2r6^ängig!eit  fein  tönmn.  —  @ben= 
beB^alb  fann  aber  bicfe§  @efüf)l  nnr  an  ber  @cfammtf)eit  nnferer  nie= 
bern  ®efüf)le,  ba§  @otte§bemuBtfein  nnr  an  bem  ©anjen  nnferes 
2öeU=  unb  ©elbfibemu^tfetn^  jur  ©rfc^einnng  fommcn;  benn 
bie  göttliche  llrfäd;Iid;!eit  fteHt  fi(^,  wie  mir  bereits  miffen,  üollftänbig 
nur  in  bem  SBettgan^cn,  bie  ^erfönlid;feit,  in  ber  un§  bie  ©ottfieit 
urfprüngtid;  gegeben  ift,  [teilt  fid^  nur  in  bem  ©efammtüerlanf  unfereS 
Seben§  bar,  fie  bleibt  im  §intergrnnbe  beffelben  al§  bie  llrfad;e  aller 
einzelnen  Seben§tl)ätig!eiten,  unb  fann,  ^h^\l  meil  fie  bag  ©anje  ift, 
nic^t  für  fid;  in  einem  einzelnen  9)loment  beS  33cmnf3tfein§  l)eran§treten. 
2lud^  bie^  ift  eine  für  ©c^leiermad;cr  Ijöd^ft  wefentlic^e  Seftimmung 
feines  9leligion§bcgriffS.  2Bie  er  fid^  bnrd;  bie  ^efd;rän!ung  ber  9le= 
ligion  auf  ba§  ©efnljt  bie  3Jtögtid;!eit  t)erfd)afft  ^t,  fie  üon  allen  üxi'- 
bern  ©ebieten  §n  nntcrfd^eiben,  fo  gemälirt  i^m  bie  ie|5t  uorliegenbe  $8c^ 
ftimmnng  bie  3Jiöglidj!eit ,  fie  mit  benfelben  im  3ufammenl)ang  gn 
erliatten.  ®ie  grömniigleit  ift  i§m  nid;t  ©ine  Seite  beS  ©cmüt^SlebenS 
neben  anbern,  fonbcrn  bie  Sßurgel,  au§  ber  jebeS  ä^)\t  ©efüljl  cmporfeimt. 
„es  giebt  feine  gefunbe  ©mpfinbung,  bie  nid;t  fromm  märe;"  biefer 
Ueberäengnng  ift  ©d;lciermac^er  fein  Seben  lang  treu  geblieben,  unb  er 
f)at  in  if)r  bie  33cred;tigung  gcfnnben,  baS  märmfte  religiöfe  ^ntereffe 
mit  bem  offenftcn  Söcltfinn,  bie  Stellung  beS  ^rebigerS  mit  ber  üielfeitig^^ 
ften  33ilbnng  auf  bie  gro^artigfte  unb  eigentl)ümlid;ftc  Seife  ju  üereinigen. 
@S  fann  nun  ^ier  nid;t  näl)er  gegeigt  werben,  wie  ©djleiermoc^er 
bie  t)erid;iebenen  9ieligionSformen  auf  @runb   feines  bisljer  bargeftellten 


9{eligtou  imb  G^riftentfjum.  ß21 

9?ettgton§Begrip  einttjeilt  iinb  beitrtfieilt ;  e§  tann  eüenforaenig  auf  feine 
Sluffaffuiig  her  d;riftnd)en  S^eligton,  ben  ^nljalt  feinet  t^eotogifd;en  ©t;- 
ftemg,  nä^er  eingetreten  raerben.  ^ie  ©runbrnge  biefeS  ©pftemS  liegt 
in  ber  boppelten  ^oran^fe^ung:  ba^  ba§  Gf;riftcnt^nm  bie  fd;led;t{)in 
t)oIIfointnene  9tetigion  fei,  uub  ha^  e§  biefen  ^^ovjug  nur  ber  religiöfen 
SSottfominenfiett  feines  6tifter§,  ber  ltrbi(b(id)!eit  uub  Uufünblid;feit  be§= 
felben  ju  t)erbanfen  f;abc.  3Son  biefen  jinei  SSoranSfcljungcn  ift  nun 
atterbingS  bie  giueite  für  <Sd)[eierniac^er  natürtid;  genug,  luenn  man 
bie  erfte  einmal  gugicbt.  Senn  menn  bie  S^cligion  il)reu  @i^  au^- 
fc^tie^tid;  im  ©efü^C  f)at,  fo  ift  fie  etmaS  burd;au§  inbiüibueHeS,  eine 
Slbfpicgclung  bc3  SlDfofutcn  in  einem  perföniidjen  ©elbftbemufitfein ;  e§> 
mu§  fid^  bafjer  bie  uutcrfdjeibenbe  ©igentf)nm(id;feit  jeber  9te(igion  \\a^ 
ber  5)3erfünlidjfeit  il)rc§  ©tifter§  rid;ten;  uub  edeu  (jierauf,  auf  bie  ©el6ft= 
barfteHung  einer  fdjöpferifd;en  religiöfen  ^crfönlidjfeit,  füfjrt  unfer  Xljeo= 
log,  in  feinem  SSerijäftiiifi  jn  bem  fupranaturaliftifd;cn  Offenbarung^; 
glauBeu  eutfd;iebener  9ktionalift,  ben  33egriff  ber  Offenbarung  5urüd. 
Sßenn  c§>  bal;cr  eine  üolllommene  Sffeligion  giebt,  fo  mu§  ber  (Stifter 
berfelbcn  ein  in  religiöfer  33e3ie^ung  uoüfommeucr  9}tcnfd;  geiuefcn  fein. 
2lbcr  ob  e§  eine  fold;e  9tcligion  giebt  tmb  geben  f'ann,  biefe  grage  liat 
6d;leiermad)er  nidjt  genauer  unterfnd;t;  ifire  33ejal;uug  ift  für  il^n  ein= 
fad;  ein  ^oftulat  feine?  djriftlidjen  ^emu^tfcinS;  uub  mäfireub  bie  @e= 
fammtvid;tuug  feincS  ©eifteS  entf($ieben  baljin  geljt,  bie  9teligion  mit 
ber  3eitbilbung  gU  uerföfjuen  unb  burd;  fie  3U  löutern,  Ijat  er  ba^ 
burd;  eine  Sude  offengelaffen ,  burd;  welche  mit  ber  ^eit  mieber  alle§ 
befd;räufte  unb  uernuuftiuibrige  be»  älteren  ©upranatnratifmufv  in  fein 
eigenes  ©i;ftem  allcrbingS  noc^  nid;t,  um  fo  me^r  aber  in  yicle  non  ben 
^lieorieen,  bie  fid^  an  il)n  anleimten,  feinen  @in3ug  galten  fonnte. 

9läd;ft  ber  9ieligion§pl;ilofopl)ie  ift  eS  unter  ben  befonberen  pl)ilo= 
fop^ifd;eu  2öiffenfd;aften  bie  @tl)if,  in  meld;er  @d;leiermad;er  boS  be= 
beuteubfte  geleiftet  l;at.  ©r  ääl)lt  jroar  an§er  ben  beiben  auf  ba§  Söiffen 
als  @inl;cit  be5üglid;eu  Sifciplinen  ber  3)ialelti!  unb  3}iatl)ematil  noc^ 
üier  ^auptmiffenfd;aftcn,  bereu  Unterfd;eibung  tl)ci(S  auf  ben  ©egenfa^ 
beS  9lealen  unb  ^bealen  t^eitS  auf  ben  beS  empirifc^eu  uub  fpefulatiöen 
grfennenS  gegrünbet  mirb:  bie  9?aturlel)re  unb  9?atunuiffeufd;aft,  bie 
©efd;id;ts!unbe  unb  bie  @tl)il.  2lber  er  felbft  l;at  fid;  nur  mit  bem 
Slieile  ber  5p^ilofopl;ie  befdjäftigt,  TOeld;er  fid;  auf  baS  menfc^lid;e  @ei= 
fteSleben   be5iel)t,   uub  and;  nou  biefem  faun   ^ier  nur  bie   @tl;if  im 


622  ®(i)Uiermad}ef. 

engeren  ©inn  nod;  befproc^en  werben,  wogegett  id)  e§  mir  verfagen 
mnl,  anf  feine  ^ßorleiungen  über  ^[yd^ologie,  @taat^lel;re,  @r5ie|nngS= 
letire  nnb  2(e[t^eti!  nä^cr  einäugcfjen. 

(S(^leiermad;er'§  (Stf)i!  f)at  nun  foraol^l  in  formaler  aU  in  materialer 
^e3icf)mig  r»iel  eigcntl)nmlid;e§.  i^it  feiner  p^ilofopljifdjen  ©ittcnlef)re 
be^anbelt  er  feinen  ©toff  nnter  ben  bret  @efidjt§punften  be§  @ut§,  ber 
Slugcnb  nnb  ber  ^flic^t.  6r  nnterfc^eibet  fobann  micber  einerfeits  ba§ 
organifirenbe  ober  anbilbenbe  nnb  ba§  fijmbolifirenbe  ober  Be^eii^nenbe 
.^anbetn,  anbererfeit§  ba§  ibentifd;e  ober  gemeinfame  nnb  ba§  inbit)i= 
buelle  ober  eigcntl;nmli(^e  in  nnferem  ."panbeln;  nnb  burd;  bie  SSerbin^ 
bnng  biefer  fid;  frenjenben  @eftd;t§pnnfte  gewinnt  er  5nnäd;ft  für  bie 
@üter(e!)re  eine  9fleif)e  üon  ®inti)eilnngen,  bie  t)ier  nidjt  weiter  in'§  ein= 
gelne  »erfolgt  werben  fönnen.  ©r  betradjtet  bie  5tugeub  t^eitS  aU  ©e^ 
finnnng,  tl^eifs  al§  gertigfeit,  nnb  in  beiben  ©eftalten  tf)eil§  aU  aner= 
fenncnb,  tl;cii§  a{§  barfteHenb,  nnb  leitet  f)ieran§  bie  üier  ©runbtu= 
genben  ber  2Bei§l)eit,  Siebe,  SSefonnenljeit  nub  93e^arrlid;feit  ah.  @r 
fütjrt  bie  ^ftidjten  auf  ^fiid^ten  be§  nniyerfeKen  @emeinfd)aft§bi(ben§ 
ober  5Hedjt§pf(id)ten,  ^ftidjten  be§  nnioerfeffen  2(neigncn§  ober  Sernf^s 
pflidjtcn,  ^^f(idJtcn  be§  inbiüibuellen  @emeinfd;aft§bilben§  ober  SiebeS- 
pflidjten,  nnb  ^ftiditen  be§  inbiuibnellen  StneignenS  ober  @croiffen§= 
pflidjten  ^nvüd.  2lnf  biefcn  nic^t  o^ne  Äünftelei  nnb  j^ormaüfmnS 
burdjgefüf)rtcn  Gintfieiinngen  berul^t  bie  fymmetrifc^e  2ird;iteftoni!  ber 
fc§(eiermad;er'[d;cit  Gt^if.  5Sid;tiger  ift  aber  ber  ©eift,  in  meldjcm  bie 
fitttidjen  Sltjäticjfeiten  nnb  2Infgabcn  i^ier  bel;anbett  werben.  2tl»  be- 
geidjuenb  treten  nun  in  biefer  Sc^ieljung  vov  allem  gwei  QixQe  fierüor. 
@inerfeit§  näiuUd;  ftellt  ©d;leiermad;er  al§  confequenter  S)eterminift  ba§ 
fitttid;e  Scben  mit  bem  3^atnrleben  in  ©ine  3Iei()e.  ©r  fütjrt  an§,  ba^ 
gwif djen  D^aturgcfct^  nnb  ©ittengcfct^  fein  wefentlidjer  Unterfd;ieb  fei, 
unb  bafi  aud;  ber  6f)arafter  be§  ©oUenS,  wetd;cr  bem  letzteren  jnfommt, 
einen  fo(djen  nidjt  bcgrünbe;  benn  wie  alle  3}iiBbilbnng  unb  ilranf^eit 
bei  ^ftan^cn  nub  3;t)iercn  bal)er  fomme,  bafj  bie  neuen,  einem  jcben  üon 
biefeu  ©ebietcn  eigentt)üm[id)en  ^rincipien  ber  SSegetation  nnb  ber  ani^ 
malifdjen  53cfee(ung  über  bie  it)nen  t)oraugcl;cnben  niebrigeren  9?atur= 
proccffe  nic^t  uoUftänbig  §err  werben,  fo  bernf)e  a\lc§>  93öfe  nnb  Unfitts 
lic^e,  nnb  ebenfo  and;  ber  2öaf)nfinn,  nur  auf  ber  nnuollftänbigen  Se- 
^errfc^ung  ber  niebern  i^räfte  bnrd;  bie  ^ntedigenj  al§  SBiOen  nnb 
bnrd)  ba§  if)r  e{gcntt;ümUd;e  Sebcn§gefe(j,   ba3  ©ittengefe^.    3)iefc§  ift 


ett]if.  623 

bemnacT),  ifim  gufofge,  an  fid;  felOft  ein  Sf^aturgefelj  nnb  nnr  wegen  ber 
t)on  anbern  %i)äkn  be§  5Ratur(eben§  f)errü[)renben  ©törungen  [teilt  e§ 
f{(^  al§  ein  nnuollfommen  üerwirfüdjteS  ©efetj,  ein  ©ollen,  bar  (2ß.  SB. 
III,  2,  397  ff.)-  2}on  beniKlben  ©tanbpnnü  geljt  ©djleiennac^er'^ 
SDogmatif  (§67  f.)  an§,  wenn  fie  im  Stnfdjtn^  an  %id)te  (oben  ©.  502  f.) 
bie  ©nnbe  im  allgemeinen  baran§  ableitet,  bau  ber  @eift  ober  ha§> 
@otte§6erouBtfein  ben  SSiberftanb  be»  gdeifdjeS  ober  ber  ©inulic^feit 
nnr  attTnä{)nd;  überrainben  fönne.  Stnbcrerfeit^  aber  läfjt  fic^  ©djfeier= 
madjer,  wie  bie^  oon  if)m  nid;t  anberS  jn  erwarten  war,  bnrd;  feinen 
®eterminifmn§  nidjt  abliatten,  bie  ^ered;tignng  ber  ^ii^i^i'^^f^^ität  nnb 
il^rer  freien  ©ntwidtung  im  üodften  3)la{3  an^nerfcnnen.  3ßäf;renb  feiner 
$ßerbinbung  mit  gr.  ©d;legel  nnb  ben  übrigen  9iomantifern  gieng  biefeS 
Seftrebcn  fogar  bi§  gur  ©infeitigfeit  fort;  nnb  fo  wenig  ©dj(eiermad;cr 
and)  jemals  jener  ©trenge  ber  fittlic^en  ©i-nnbfä^e  untren  wnrbe,  in 
ber  fein  eigener  Gljarafter  fid;  mit  Äant'g  Ginflufi  begegnete,  fo  war  er 
bod;  in  jener  3eit,  wie  bie  Briefe  über  ©d^legel'S  Sucinbe  (1800)  be= 
weifen,  gegen  bie  ©d;wäd}en  ber  9^omanti!  gn  nadjfidjtig,  nnb  felbft  üon 
if)x  fo  weit  berütjrt,  baB  er  bie  S3ebeutnng  ber  ©d)ran!en  imteric^ä^te, 
weld;e  bem  ©injehten  burd;  bie  bcftelienbe  ©itte  gebogen  finb.  ^\i  ber 
golge  l)at  er  fid;  von  biefer  Ginfeitigfeit  befreit  nnb  bie  9lufgabe,  jebem 
@in3elnen  feine  ©igenartigfeit  jn  wal)ren,  ol;ne  ber  IXnbebingtfieit  ber 
fittlid^en  Slnforbernng  etwaS  3U  vergeben,  bie  ©innlidjfeit  mit  ber  SSer= 
nnnft,  ba§  3led;t  ber  ^nbiüibualität  mit  ber  ^flidjt  gegen  bie  menf(^= 
lidje  ©attung  in  ©inftang  3U  bringen,  mit  bem  giüdlidjften  ^al'te  gelöft. 
©d;leiermac^er  nimmt  baburd)  nid)t  altein  in  ber  ©efd;ifl^te  ber  etl)ifc^en 
2ßiffenf(^aften  eine  ber  erften  ©tetten  ein,  fonbern  er  f)at  feine  ©runb^ 
fd^e  aud^  in  feinem  eigenen  Seben,  wie  in  feinem  rei(J^en  gefeHigen  35er; 
!e{)r  unb  in  feiner  amtlid;cn  Sliätigfeit  a,l§>  ^rebiger,  mit  einem  ©rnft, 
einer  ©c^ärfe  unb  einem  feinfinnig  einbrlngenben  SSerftänbni^  ber  fitt= 
liefen  2lnfgaben  bnrdjgefülirt,  bie  im  wciteften  Umfang  befrud;tenb  nnb 
täuternb  gewirft  1)aben. 

VI.  Hegel. 

1,  ^egcrs  Seticn,  ©ntöiitflung  unb  uiiffcnfi^aftn^cr  ©tanb|jun!t. 

Söenn  bei  ©c^feiermad^er  ber  fubjeftioe  ^bealifmuS  mit  bem  ^an^ 
tl^eifmuS,  -flaut  unb  gierte  mit  ©pino5a  unb  ©c^elling  nur  eine  umoU= 


624  §^9^1. 

fomtncne  S5er&inbung  eingiettöen,  fo  'i)at  e§  ^e^el  auf  xf)ve  üoHifommene 
5Serfd;mer3Utig  aBöcfc^en.  ®ie  ©egenfä^e  ber  3ettpf)ilo[opf)ie,  iiub  ju^ 
näc^ft  ber  be§  fic^tc'fd^en  unb  fc^eHingif^en  ^bealifmu«,  follcn  inncrlii^ 
üermiüelt,  ber  eine  bur($  ben  anbern  ergänat,  bie  ^bcntität§p!)ilofop{)ie 
mit  bem  ©eift  ber  2Bif[enfdjaft§Ier;re  fo  grünblid)  gefättigt,  burd;  bie 
9Jletf)obe  berfctku  fo  burdjgreifenb  in  g(u^  gebradjt  racrben,  ba§  fie 
nun  erft  ba§  §u  leiften  im  ©taube  ift,  maä  fie  in  ber  §anb  i^reg 
erften  lXrf)c6er§  unb  in  ber  if)r  oon  btcfem  gcgeBcnen  ©eftalt  uidjt  leiften 
fonnte:  bie  ©cfammt^eit  be§  2Bir!(idjen  au§  bent  StOfoIuten  unb  com 
©tanbpunft  be»  SIbfotuten  miffeufd^afttid;  3U  Begreifen.  §egel  f)at  an 
ber  Söfung  biefer  2lufgaBe  mit  einer  krounberungSroürbigen  ^raft  unb 
Stnftrcngung  be§  5^cn!en§  gearbeitet  unb  er  ift  baburdj  ber  Sdjöpfer 
eiue§  SijftcmS  geraorbcn,  racldjc^  atS  bie  roüfomnienfte  gorm  bc§  beut= 
f($en  ^i^c^^if'"!^^/  ^^-  ^'^^  reiffte  grud;t  ber  ©ntroidlung  gu  16etrad;ten 
ift,  bie  bcvfelbe  feit  ^ant  burd;Iaufen  tiatte.  S)iefe  ßntioidlung  fommt 
in  Riegel  auf  äf)nnd;e  Söeife  pm  Slbfc^iuB,  wie  bie  ber  fofrati;c^en 
6d^ulen  in  2U-iftotc(c§  ^um  Slbfdjlu^  gefommen  mar.  Saffen  fic^  tro|= 
bem  bei  fdjärfercr  Prüfung  bie  <Bd)xoää)m  unb  2Bibcrfpiüd;e  feinet 
6i;ftem§  uidjt  üevfcnncn,  {)at  fid)  tro|bem  bie  llumögnd;feit,  bei  bem= 
felben  gu  rerfjarren,  fd;on  in  ben  näc^ften  :3a]^r3el)enben  uad;  .^eget'S 
Xobe  flar  f)erau§geftcr(t,  fo  !ann  bie^  nur  beraeifen,  baB  fd;on  ber 
©runb  ber  ©cbäubc?v  beffen  le^ter  Stufbau  §ege['§  SBerf  ift,  nid;t  tief 
unb  fidjer  geuug  gelegt  mar,  ha^  bie  ^ritif  t)on  if)m  auf  feine  33or= 
ganger,  bi§  auf  itant  unb  weiter  f)inanf,  äurüdjugetien  Ijat. 

§eget  mar  ein  engerer  SanbSmann  dou  ©d;clling,  einige  ^a'^re 
älter,  at§  biefer.  S)en  27.  2luguft  1770  in  Stuttgart  geboren,  ftubirte 
er  in  Tübingen  Stfieologie  (1788 — 93)  unb  raar  in  hem  bortigeu  tfieo^ 
logifd)en  ©emiuar  uod;  brei  ^a^re  mit  6d;ettiug  ^ufammen,  mit  bem 
er  fid;  fd;on  bamaB  befreunbete.  ?floä)  ftärfer  30g  if)n  .§i3(berlin'§  ibeate 
Sfiatur  an;  ein  bcfonbereS  Sanb  bilbcte  f)ier  bie  gomeinfame  ^Bcgeifterung 
für  ba§  {)ellenifd)e  2Utertf)um.  ®r  felbft  galt  unter  feinen  greunben 
für  einen  tüdjtigcn  SJfcnfdjen  unb  einen  üerftäubigen  i?opf,  beffen  fünf; 
tige  58ebeutung  aber  niemanb  in  bem  nüdjternen,  ungelcnfen,  mit  ruf)iger 
3r[(mäf)üd;feit  arbciteuben  unb  fid^  entmidctuben  ;^üng(ing  geaf;nt  ^ätte. 
^n  feinen  tf)cotogifd)cn  6tubien  lä^t  er  fid;  im  gan5cn  uon  bem  fHa- 
tionatifmuS  ber  Qe'it  leiten,  rcenn  er  fid;  aud;  immer{)in  fd^on  je^t  über 
bie  Sd;al^eit  ber  (anb(äufigen  9luff(örung,  über  if)r   „moralifd;e§  unb 


?eben  unb  p!)iIofop'^tlcf)c  (Sittwidlung.  625 

religiöfe^  ßineal"  auffjätt.  ,,2)er  5pf)irofopr;ie/'  l^ei^t  e§  in  feinem  S((i- 
ganö§3eugni§,  „fiat  er  feinen  gfeiB  3ngeraenbet."  S^od;  gilt  bie^  rool;! 
ntel^r  nur  von  berjenigen  5|3f)i(ofopf)ie,  racld^e  bamal^  in  S:übingen  gc= 
le|)rt  würbe;  mit  ^ant  nnb  iRou[[eau,  mit  ^lato,  :3acobi  nnb  Spinoza 
{)at  fic^  ^eget  f(^on  at§  ©tubent  be[(i^äftigt.  SSiet  raid;tiger  würben 
aber  für  if)n  in  biefer  ^e^ie^ung  bie  fiekn  ;Sar;re,  iüelcf;e  er  nac^  feinem 
SlBgong  t)on  ber  Hnioerfität  tljeiB  in  S3ern  t^ei(S  in  ^ranffurt  a.  3Ji. 
ai§  .•pau^Iefirer  gubrai^te.  6ine§tf)eit5  t}ertiefte  er  fiel;  in  tl^eologifc^e, 
retigion§gef(f;icf;tüd;e  unb  religion§pf)i{ofopf)ifdje  Xlnterfu($ungen ;  unb 
roäfirenb  ber  fierrf^enbe  ©upranaturalifmuS  feinerfeits  ntd;t  allein  bie 
freifte  i^ritif,  fonbern  and;  eine  tiefe  moralifdje  ©ntrüftung  f)eraug:= 
forberte,  genügte  it;m  bod;  aud;  bie  Sluf!(ärung  nod;  racniger,  qIS  früher; 
unb  im  ©egenfa^  gegen  beibe  Bemühte  er  fid;,  junädift  für  fid;  felbft, 
ben  6tifter  bei  ßt)riftentf)umg  al§>  eine  rein  menfd;(id;e  Grfdjeiuung  ju 
oerflefien,  ha^  Gf)riftcntf;um  felbft  ai[§>  bem  i{)nt  üorangcf)cnben  SBeltjU; 
ftanb  gu  erffären,  unb  bie  Skligion  ü6erf)aupt  aB  bie  ßrfjcbung  be3 
3}lenfdjen  :00m  enbli(^en  Sekn  gum  unenbüdjen  Sebcn,  ba§  pofitiye  in 
ber  9xe(igion  al§>  bie  für  geroiffe  Reiten  naturgcmäf3e  ^orm  biefer  @r= 
l^ebung  gu  begreifen.  Stubererfeitl  arbeitete  er  fid;  immer  grünbtic^er 
in  bie  fantifd;e,  unb  burd;  (Sd}el(ing'§  erfte  ©djriften  untcrftü^t,  in  bie 
fi(^te'fd;e  ^t)itofop]^ie  ein,  marf  fic^  gkidjjeitig  auf  f)ftorifd;e  unb  po= 
litifdie  ©tubien,  unb  fa^te  bereits  feine  Xlebcr3eugungen  in  bem  au§? 
fü{)rlid;cn  ©ntmurf  einel  t)oKftänbigen  pt)i(ofop[)ifd;en  SxjftemS  äufammen, 
üon  welchem  bie  brei  erften  3:^eite  (bie  Sogif,  bie  3JJetap^ijfif  unb  bie 
unoonenbete  9f?aturpf)itofopIjie)  nod;  in  ^^^ranffurt  niebergefd^rieben  mürben, 
ber  t)ierte  (ha^  „6r)ftem  ber  6ittü(^feit")  in  ^ena;  gum  ©rud  ift  er 
nid^t  gefommen.  S^iefer  ©ntrourf  bleibt  atlerbingS  l^inter  ben  fpäteren 
5Darfte[Iungen  beS  fiegeCfd^en  ©yftemS  an  Steife  unb  ^farfieit  nod^  weit 
äurüd,  aber  bod;  entt)ä(t  er  fd^on  feine  leitenben  ©ebanfen,  feine  bia= 
leftif(^e  9}ietI;obe  unb  feine  ©üeberung,  menn  aud;  erft  fialbfertig.  ^m 
^af)r  1801  :^abi(itirte  fid^  .^egel  in  ^eno  unb  trat  f)ier  fofort  in  bie 
engfte  SSerbinbung  mit  Sc^eUing.  (Seine  Sd;riften  au»  biefen  ^al^ren, 
bie  erften,  meldte  er  überf)aupt  ücröffentUi^t  fjat,  3etgen  im§  in  ifjm 
einen  eutfd^iebenen  Stnljänger  be3  bamaiigen  fd^ettingifc^en  Si;ftemg;  fo 
felbftänbig  er  immerf)in  bicfeS  ©gftem  auffaßt  unb  auf  ba^j  üon  feinem 
llrfiebcr  nur  menig  berüdfid^tigte  ©ebiet  be§  Df^aturred^tS  auSbe^nt,  unb 
fo  entfd^ieben  er  fid;  in  ber  SarfteHung  ber  gemeinfamen  Ueberjeugungen 


626  ^eflef. 

burd;  fein  bialchifcT^cS  SScrfal^ren  aii(^  f($on  bamals  von  ©c^cUing  un-- 
terfdjcibet.  ©eine  eigene  ^f)i(ofo|.i!)ie  fam  erft  baburd;  511m  Stbfdjlu^, 
unb  fie  fonnte  erft  baburd;  an  ber  ridjtiöen  (Stelle  in  bie  gefc^id;tnd;e 
Bewegung  eingreifen,  bo^  er  bnrc^  bie  (gd;nle  ber  fd;cttingifd)cn  t)in= 
burd;gicng.  Slber  fie  fonnte  fid;  in  i^rer  (gigentl;ümlid;feit  nur  babnrd; 
be'^Qupten  nnb  üoHenben,  bajs  er  nBcr  biefe,  nadjbem  er  fic^  mit  ifjrem 
tiefften  (Behalt  erfüllt  Ifiatte,  wieber  lf)inau§gieng.  ©iefer  Srud;  mit 
oc^etting  fjatte  fic^  fd;on  feit  ©d;elling'^  2lbgong  t)on  ^ena  allmat)li(^ 
Dorbereitet;  im  ^af)X  1806  fünbigte  ifjn  ^egel  in  feiner  „^f)äuomcno= 
logie"  bei'  SBelt  an.  3lber  biefe§  2Bcr!  lüar  fanm  i)oIIeubet,  aU  fein 
3?erfaffer  in  ^^^olge  ber  «Sdjiadjt  Bei  ^cna  fi(^  genöt^igt  faf;,  biefe  Unis 
r)erfität  gu  ;)erlaffen.  ©r  übernaljm  ^uerft  (1807)  in  SSamkrg  bie  ^Tage^ 
löljncvarbeit  einer  ^^^ti^ngSrebaftion,  fanb  bann  aber  (Dioübr.  1808) 
einen  loürbtgcren  2ßir!ung§frei§  aB  Sef)ver  ber  ^^ilofopljie  nnb  9tcftor 
be§  ©ijmnafiumg  in  D^ürnberg.  ^ier  war  e§  and;,  mo  er  burd;  feine 
3Serf)eirotf)nng  mit  ber  ^oii^ter  eine§  nürnberger  ^atri^ier^  (1811)  fein 
Familienleben  begrünbete.  3iiÖ^ßi<^  arbeitete  er  aber  fortwö(;renb  an 
ber  SSoHenbung  feincS  ©yftemS,  beffen  leljte  unb  reiffte  ©eftalt  in  feiner 
Sogif  (1812  ff.)  i^ren  granitenen  Unterbau  erf)ielt.  ^m  ^al)X  1816 
lüurbe  §egel  an  grieS'  ©teile  nad;  ^cibelbcrg,  üon  f)ier  au§  fd)on  nadj 
groei  Sat)ren  (1818)  auf  gidjte'g  nod;  cricbigten  Sefirftnljl  nad;  53erlin 
berufen,  i^el^t  erft  mar  er  an  ben  Drt  gcftellt,  mo  er  ha§  bebeutenbfte 
gu  rairl'en  t)ermod;te;  unb  fo  geräufd;Io§  and;  fein  2lnftretcn,  fo  unyoü= 
fommcn  bie  äußere  ?^orm  feiner  Vorträge  mar,  fo  erreidjten  fie  bod; 
burd;  il;re  innere  @cbicgen!)eit  einen  fo  bur(^fd;Iagenben  ©rfolg,  ha^ 
.^egel  nad;  menigen  ;3at;ren  nid;t  bIo§  al»  eine  uon  ben  crftcn  ©rö^en 
ber  S3erliner  IXniuerfität  anerfannt  mar,  fonbern  in  ber  beutfd;en  ^l;i= 
Iüfopt)ie  übevljaupt  eine  bcf)errfd;cnbe  ©teHung  einnaf)m.  Q§>  lö^t  fid; 
nun  atterbingS  nic^t  mvtcnnm,  baB  gn  biefem  Erfolge,  ma§>  ^reuffen 
betrifft,  auä)  bie  ©unft  bc§  3Jlinifterium§  Slltenftein  mcfentlic^  beitrug; 
unb  §eget  felbft  gcroöt;nte  fic^  nur  §u  fc^r,  fein  ©i;ftem  mit  bcm  ber 
bamatigen  prcnfiifd;cn  Stegicvung  gn  ibentificircu,  unb  er  lieB  fid;  ba= 
burd;  uid;t  ganj  feiten  in  ber  5lf)eoIogie  mie  in  ber  ^olitif  gu  einer 
conferoatiüeren  .^altung  verleiten,  al§  er  vov  bem  ©eift  feiner  ^^ito= 
fopt)ie  üerantmorten  fonnte.  2((ier  ber  mcfcntlid;e  ^i^^^^t  feineS  ©i;ftem§ 
mirb  baburd;  nid;t  berü(;rt  unb  Iäf3t  fid;  au§  biefer  äuBerlid;en  9tüdfid;t 
nid;t  ableiten.    §cget  lelirte  brei3el;n  3^!)^^  lang  an  ber  bertiner  Uni= 


^^^Uciop:^tfd^cr  ©taubpuiift.  627 

Derfität;  er  ftonb  auf  ber  §ö^e  feiner  SS>irffam!eit  itnb  feines  ^u^]m§>, 
als  i§n  beu  14.  Tioxihv.  1831  bie  ^(jolera  wegraffte,  ^n  ber  nac^ 
feinem  2!ob  erfdjienenen  «Saininhing  fetner  SSerfe  kfinbcn  fidj  aujser 
Den  früher  fd;ou  oebrucftcu  Sd;riften  (3U  benen  in  ^cibeldcrg  bie  Qn- 
ct)!(opäbie,  in  53cr(in  bie  9{ccrjt§pf)i(ofopfjie  f)in3ngefommcn  war)  aucf; 
bie  S3or(efungen  nbcr  SleltgionSpfjiiofopIjie,  Sleftfjetif,  5p()i(ofopf)ie  ber 
©efdjidjte  nub  @cfdjid;tc  ber  ^{)ilofopf;ie,  rac(d;e  für  bie  i^enntni^  be^ 
(jegcrfdjen  ©ijfteinS  üon  2Sid;tigfeit  finb,  nnb  gn  feiner  ^crf)rcitung 
ungemein  ytel  beitrugen. 

3n  feiner  5p(ji(ofop^ie  fnüpft  ^egel  nnmitlelbar  an  (Sdjetting  an. 
©r  min  mit  if)m  oom  ©tanbpunft  bc3  2lbfoIutcn  au^gcljen  nnb  ein  ab= 
foIuteS  SBiffen  gciuinnen;  er  glanBt,  e»  fei  mit  biefem  ©tanbpunft  eine 
neue  3'-'^^  aiifö>-'Ö^"9^i^ ;  ^^  beftrcitet  bie  „9lef[eyionc^pf)i(ofopI;ie"  eine§ 
Rani,  ^acobi  nnb  gid;te  in  ber  legten  2(u§gabe  ber  ©ncyflopäbie  noc^ 
ebenfo  entfd;iebcn,  wie  er  fie  ant  Slnfang  be»  3fl^Ji"'^ii^tbert» ,  in  ben 
erften  Sd;riftcn  feiner  jenenfer  Qcit,  beftritten  Ijatte.  3l6er  er  erfiört 
auc^  fdjon  in  ber  3?orrebe  5nr  ^ijänomenologie,  bie  ^f)i(ofop!jie  <Bd)d'- 
ling'g  fei  eben  nur  ber  3lnfang,  nod;  nid;t  bie  üoHenbete  3Sirflid;feit 
ber  neuen  SSiffenfdjaft ;  nnb  cS  ift  näf;er  ein  boppelteS,  wa§  er  an  \l)X 
»ermißt  nnb  worin  er  fie  einer  ©rgänsung  bebürftig  finbet:  bie  58e= 
grünbuug  nnb  bie  SluSfüfirung  i^re§  ^rincipS.  ©r  tabelt  einerfeitS  bie 
Segeifterung,  bie  wie  anS>  ber  ^iftole  mit  bem  abfoüiten  SBiffen  un= 
mittelbar  anfange  nnb  üon  anberen  ©taubpunften  feine  9toti5  ne!)me, 
bie  e§  unterlaffe,  ba§  ^nbiuibnnm  von  feinem  ungebilbcten  ©tanbpunft 
au§  äum  SBiffen  gu  füf;ren;  nnb  anbererfeitS  ben  einfarbigen  gorma= 
lifmu§,  ber,  ftatt  ber  eigenen  Gntwidlnng  ber  ^bce  gu  folgen,  fidj  be^ 
gnüge,  eine  nnb  biefelbe  formet  an  bem  SSorfjanbenen  (jcrumjufütjren, 
i)a§  3J?aterial  in  bie§  ruijenbe  ©lemcnt  uon  au^euljer  einjutandjcn;  ber 
nadj  obcrfläd;lid;cn  Inafogiecn  ^ba§  entfegenfte  gufammenwerfe,  finnlidje 
2(nfd;auungen  nnb  S3egriffe  üermenge  nnb  bie  S)inge  conftruirt  §u  f)aben 
meine,  wenn  er  ifinen  bie  paar  ^eftimmungen  be§  allgemeinen  ©djema'S 
wie  ßtifetten  aufflebe.  S)a§  2lbfo(ute,  fagt  er,  werbe  ^ier  für  bie  ^a^t 
ausgegeben,  in  ber  alle  Rü^e  fc^war^  feien;  irgenb  ein  S^afein,  wie  eS 
im  2lbfoluten  ift,  betrad;ten,  beftefie  ^ier  in  nid^tS  anberem,  aU  ha^ 
bat)on  gefagt  werbe,  e§  fei  jwar  je|t  üon  ifim  gcfprod;en  worben,  al§ 
r)on  einem  (StwaS ,  im  Slbfolnten  jeboc^ ,  bem  A  =  A ,  gebe  eS  bers 
gleichen  gar  uldjt,  fonbern  barin  fei  aili§>  ©inS.    Um  ben  erften  üon 

40* 


628  ^egel. 

biefett  SJtäncjetu  3U  üerkf^ern,  verlangt  er,  ba&  ber  ©tanbpunft  bf§ 
ttlifotuteu  2ßi[[euy  gleidjfallS  loiffenfi^aftlid^  kgrünbet  werbe;  unb  biefe 
fauTt,  TOie  er  glaubt,  nur  baburd;  gcfd^c^en,  ba^  ber  ^ortgaug  be0  586= 
iöu^t[e{u§  üon  ber  finnlidjen  ©inpfinbuug  gmn  reiuen  2Siffen  in  feiner 
9Zotf)iueubigfeit  bargefteKt,  ba^  alle  @ri(^einungcn  beSfe'.bcn  uuterfndjt 
unb  als  eine  änfamnicnljängenbe  Gntn)icf(ung§reif)e  begriffen  werben. 
Unb  in  ä^iuUcfjer  SBeife  lüiH  §eget  auc^  bem  jn) exten  3}tangcl  ab= 
fjelfen.  Sa§  3(6fohite  foll  nicf}t,  wie  bei  @tf;elling,  al§  ein  in  fid^  i3er= 
]f)arrenbc§,  fonbcvn  e§  foH  aU  ein  fi($  entroicfcIubcS ,  ha§^  ©nblirf;e  unb 
SBcfonbere  au»  fid^  erjeugenbeS  unb  fid^  in  if)m  uenüirf(icf;enbe§,  c§>  foll 
nid)t  ahj  bic  abfohlte  ^beutität,  fonbern  ol§  ber  abfotnte  ©eift  ge= 
fa§t  werben;  ober  wie  ^egct  aud)  fagt  (^^än.  14):  e§  fommt  a{k§> 
barauf  an,  ba§  SSaljre  nid^t  a(§  öubftanj,  fonbern  ebcnfofcI;r  al§  @ub= 
jeft  auf3ufaffen  unb  auSjubrüden.  S)a^  'oa§>  Slbfolute  ber  ©eift  fei, 
bie^,  erflärt  ^cgel  ((Snc.  III,  29),  fei  bie  f)öd;fte  S^efinition  be^^fclben; 
biefe,S)cfinition  gu  finben  unb  ^n  begreifen,  fei  bie  S^enbenj  aficr  S Übung 
unb  $()ilofüpI;ie,  ber  ^unft,  auf  bcn  alle  S^leltgion  unb  2öiffenfd;aft  fic^ 
gebrängt  |abß,  au§  biefem  Strang  allein  fei  bie  2Be(tgcfd;id;tc  ju  begreifen. 
23ä(;rcnb  bafjer  6(^cIIing  bie  tlnterfd;iebe  be§  (gnblid;en  im  2Uil'oluten 
auSgelöfdjt  (jatte,  •oerlangt  er  feincrfeitS,  ba^  fie  au§  bemfetdeu  abgeleitet 
werben;  unb  biejs  fann  feiner  2rnfid;t  nad^  nur  unter  ber  55ebi!igung  ge= 
leiflct  werben,  ba§  ba§  Ibfohite  ein  fid;  entwideInbeS  ift  unb  at'o  foId^cS 
begriffen  wirb,  ^ie^u  ift  aber  erforbertid;,  ba§  ba§  S:enfen  bie  vev- 
fd)icbencn  «Stabien  feiner  ©ntwidlung  erfennenb  nadjbilbe:  wie  ba~^^ 
©ine  abfofutc  ^rincip  alle  S^^inge  mit  innerer  3fiotl;u)enbig!eit  in  be=^ 
ftimmtcr  Drbnung  ^leröorbringt,  fo  mu§  bie  SBiffenfdjaft  bie  gau^e  3Jlan= 
nigfaltigfeit  bc§  ©ein§  in  einem  innerlid^  not^wenbigcn  j^ortgang  von 
Ginem  ^un!t  au§  entftefien  kffen.  3^ur  in  einer  apriorifc^en  C^^onftruc- 
tion  be§  tlniücri'umS  lä^t  fid^  ba§  abfolute  5Biffen  oerwirftidjen,  unb 
biefe  Gonftruction  lä§t  fid;  nur  burd;  einen  mit  immanenter  9^ot!§wen-^ 
bigfeit  fid)  üo[(3ie!)enbcn  S)enFproceB,  nur  burd;  bie  bialeftifd^e  3}h- 
ttjobe  erreid;cn,  in  wcfdjer  fid;  un[er  ßrfennen  ber  objeftiüen  ^Bewegung 
bcg  23cgriff5  rüdf)a(t§to»  überlädt.  5Der  eine  ©runbmangcl  ber  fd^ef- 
(ingifd^en  ^fjilofop^ie  fott  mitt)in  burd^  bie  metf)obifd;e  58egrünbung 
i(}re§  (2tanbpun!t§  i)erbeffcrt  werben,  ber  anbere  burd;  feine  met|)c- 
bifd^e  2lu-:füt)rung ;  ba§  wif|cn)d;aft(id;e  3ScrfaI)ren  ift  aber  in  beibcn 
gäKcn   ba5,  g(eid;e:   bort  bie  bialeftifd;e  Gntwidlnng  beS  ^ewuJ3tfein-o, 


Siareftifd^e  äTcet^obc.  629 

^ier    bie   bialeftifc^e   ©ntraicflung   be5   ©ein§   in   ber  Totalität   feiner 
formen. 

Tiä^a  umfaßt  biefeS  SSerfol^ren  ein  breifad^e^.  S)er  S5cgr:ff  (ober 
bie  i^bee),  wctcf;cr  ba0  2Be[en  alle§  3Birf(ic^en  bilbet,  ift  3unäd;ft  etronS 
unmittelbare»,  einfad^  mit  fic^  ibentifd;e§ ;  er  wirb  uom  33eiftanb  als- 
foI($e§  aufgcfaf^t  unb  unter  bie  entfprec^enbe  arigemelne  53cftimmung 
öcfteltt.  ^n  bicfem  geftftellen  ber  begriffe,  fo  wie  fie  [id;  unmittelbar 
geben,  befielt  ba§  erfte  3Jioment  be§  mi[)eni'd;aftlid;en  SSer[aIjrcn5,  bat- 
abftraft  oerftänbige.  2lIIein  bag  Sßirf(id;e  ift  nidjt  bto3  ein  unmittcl^ 
bare§,  fonbern  ebcnfofel^r  ein  üermitteitcv,  nid;t  blo^  Sein,  fonbcrn  anä) 
SSeroegung,  ©ctbftuntcrfc^eibung;  eg  i\t  hafjcv  unmögtid;,  bei  ber  erften 
Sluffaffung  be§  ©egenftanbe^  fielen  3U  bleiben,  je  genauer  man  if)n  uiel^ 
mel^r  betrad;tet,  um  fo  mel^r  fommen  an  ifim  üerfd;iebcne  Seiten  unb 
3Jiomente  3um  5I>orf(^ein,  bie  fid;  nid;t  unmittelbar  üercinigcn  laffen: 
ha§>  ruf)cnbe  Sein  beS  53egrip  !ommt  in  g(n^,  feine  unmittelbare  ^ben- 
tität  mit  fid;  felbft  ^cbt  fid;  auf,  fd;[ägt  in  ©egenfat^  unb  fd;[ic§Iid;  in 
SBiberi'pruc^  um.  ^nhcm  unfer  S^enfen  biefer  Selbftbemcgung  be^  S3c' 
grip  folgt,  it;n  in  feine  23iomente  gerlcgt,  ber  in  if)m  verborgenen 
3Biberfprüd;e  fid;  bemüht  wirb,  ge(;t  ha§>  abftraft  ijerftänbige  SSerfal^ren 
in  ba^3  bialeftifd;e  (im  engern  Sinn),  meld;e5  ^egel  and;  n)oI;(  ba§  ne- 
gatiü  vernünftige  nennt,  über.  Slud;  bicfe^  ift  jebod;  nic^t  ba§  Ie|te: 
bei  ber  blofien  3^egation,  bem  bloßen  SBiberfprud;  fann  baS  S)en!en 
nid;t  ftcfien  bleiben,  unb  raenn  fic^  bie  erfte,  unmittelbare  Gin!)cit  beS 
^öegrip  in  biefem  SBiberfprud;  aufgelöft  f)at,  fo  folgt  barau§  nic^t, 
"i^a^  er  überfiaupt  unroal^r  ift,  fonbern  nur,  ba^  er  e§  in  biefer  feiner 
Seftimmtfieit  ift,  ba^  er  al§  ber  in  fid^  jurüdfefirenbe,  fid;  burc^  ben 
©egenfa^  mit  fi($  oermittelnbe,  in  ber  ^^otalität  feiner  3)tomente  gu  er^ 
fcnnen  ift.  Sßcnn  ein  33cgriff  in  feiner  Unmittelbarkeit  bnrc^  ben  av. 
ii)m  fieroortretenben  SOBiberfprud;  aufgehoben  wirb,  fo  })at  bie^  ängleid) 
bie  pofitive  Scbeutung,  ba§  er  feiner  3Sal)rl)eit  nad;  in  einem  plieren, 
bie  fid;  raiberftreitenben  3)iomente  beiSfelben  gur  ©inlieit  3urüdfül;renbcn, 
aufbcraa^rt  werbe,  ^n  biefer  33erföl)nung  ber  bialeftifd;en  Sßiberfprüd^e, 
biefem  umfaffenben,  alle  Seiten  bei  @cgenftanbe§  gur  fonfreten  Gin^eit  t)er= 
f iiüpfenben,  im  glu§  aller  einzelnen  5Seftimmu)igen  bie  mit  fid^  ibentifd^e 
3bee  feftl)alteuben  S)enfen  fommt  ba§  miffenfd^aftlid^e  5Serfal)ren  gu  feiner 
S^oUenbung.  ^egel  be^eic^net  biefem  britte  3)Zoment  ber  biale!ti)cl)en  3}let^obe 
als  ba§  pofitit)  vernünftige  ober  fpefulative  (Sog.  III,  329  ff.  u.  0.  St.). 


630  §^3^^' 

GS  tft  tum  (eicfjt  311  üenierfen,  itub  ."gegel  fcflift  Ijat  e§  au§ge[pro; 
(^en,  baB  er  I;temit  ^ic^te'S  conftructiueS  S3erfalf)ren  mit  feinen  brei 
aJlomcnten  (f.  ©.  488)  lüieber  anfgcnonnnen  unb  in  bie  f(^ellingif(^e 
^f)iIo[üp()ie  eingcfüfjrt  f)at,  um  bie[er  baburcf;  bie  fijftematifd;e  ^orm 
imb  ©ntraicftung,  bie  er  an  il)t  üerniiBte,  311  üerfcTjaffcn.  (Sbenfo  tlav 
liegt  at)er  aud;  bie  Umlnlbung  vox  3lngen,  bie  jeueS  ^crfal;ren  unter 
feinen  ^änben  erfuhr.  53ei  gicf;te  ift  e§  taS»  ^d),  TOe(d;e§  vermöge 
feiner  nnenblic^en  ^{)ätig!eit  über  feine  fetbftgefe^ten  ©djranfen  immer 
mieber  !)inau§ftrebt,  nub  babitrcf;  bie  ©ntwiclhing  ber  SCelt  nnb  be§ 
SeiDuf3tfein§  fievbeifü^rt;  nad;  §egcl  bagegen  liegt  ber  ©runb  biefer 
©ntiüicfümg  in  bem  Dbjeft,  in  ber  Selbftberocgung  bc§  53egriffe§  ober 
be§  2lbfolutcn,  nnb  ba§  ©nbjeft  tft  nur  ber  ^i^fc^J^"^^'/  mcldjer  btefe 
S3eu3egting  betrad;tet  tittb  if)r  mit  feinem  S)cn!en  folgt.  2öäl)renb  ferner 
bei  gi(^te  ba§  fid;  cittraidelube  ^ä)  in  ber  Unruhe  feincS  StrebenS  mit 
feiner  Gntmidtung  nie  gn  ®ube  fommt,  fangt  bei  §egel  bie  bc§  3lbfo= 
tuten  in  betn  abfohlten  Sßiffen  bei  einem  testen  ^nn!t  an,  über  ben 
fie  nid;t  mel^r  tiinauS  faim:  bort  gef)t  hie  Gtttwidlnng  gerabtinig  tn'§ 
uneublidje,  f)ier  bcfdjrcibt  fie  einen  in  fic^  gefd;toffenen  ^reis  uitb  felirt 
in  i^rem  IcMen  ergebnif3  3U  ifirom  Anfang  surüd.  3Bcnn  etiblid;  gid;te 
au?brüd(id;  erftärt  f)atte,  ber  Hrgcgenfali  be§  ^^  tmb  3^iidjtid;,  bie 
5]oraulfe^ung  feinet  ganzen  SKerfaljveuS ,  laffe  ftc^  nid;t  ableiten,  utib 
luenu  er  aud;  febcn  lueiteren  ^ortfd}ritt  be§  SyftemS  ttid;t  burd;  eine 
logifd;e  Slnalijfe  ber  uädjftyorljergctienben  Stufe,  aU  it)re  unmittelbare 
Gonfequenj,  gcmonnen  ^atte,  fonbcrn  für  benfclbcn  jebeSmal  loieber  auf 
ha§i  unenblidje  ^d;,  haS^  in  feinem  feiner  ^robiilte  jur  S^iul^c  fomitten 
fann,  surüdäugeljcn  gcnötljigt  gcroefcn  lüar,  fo  ift  ^egel'g  Slbfelien  auf 
eine  ftrcug  tmmancitte  bialcltifd;e  Gittioidlnng  gerichtet,  in  ber  jebe 
6lufe  bie  näd;ftl)öf)ere  mit  iitnerer  9Rotl)tüenbigfeit  au§  fid;  Ijcruortrciben, 
burd;  fid;  feibft  in  biefelbe  übergeben  foll.  gid;te'S  Gonftruction  beftel)t 
au§  einer  91eif)e  tion  2lufgaben,  bie  auSeinanber  l)erüonoad;fen,  unb 
f(^lief3li(^  fid;  a\ic  auf  bie  G3ruubaufgabe  3urüdfüljvcn,  ba^  ba§  ^d)  fic^ 
felbft  in  ber  Uncnblid^lcit  feinet  SBefenS  anfdjatie,  bie  f)cgerfd;e  in  ber 
33etradjtung  eine§  .^ergangS,  n}e(d;er  burd;  feine  ittuerc  ©cfctuiuifjigfeit 
von  fc(bft  §um  ßiele  füfirt,  unb  cbcubc^liatb  um  fo  reiner  crlannt  toirb, 
je  lücniger  fid;  ba§  ©ubjeft  mit  feiner  Stcfleyion  einmifd;t. 

3^iefc§  S?crfal;rcn  l;at  min  .^cgcl,  lüie  bereits  angebeutet  mürbe, 
in  boppeiter  9tid)tung  angemenbet.    ^n  ber  ^>l)äuomeuülogie  betrad^tet 


^x>- 


^l^änomenologte:  ba§  iBeicu^tfein.  631 

er  bie  ©ntiüicffung  be§  Scrou^tfeing,  burd^  tueld^c  ber  pfiirofopljifc^e 
©tanbpunft,  ber  be§  abfoluteu  @rfennen§,  erreidjt  tuirb;  in  ben  brei 
ohidt'mn  2Bi[feufcf;aften,  iüe[cf;e  er  in  ber  ©ucijftopäbie  äufammeitgefa^t, 
t^eifroeife  anä)  in  eigenen  Sßeifcn  eingerjenb  Iief)onbett  ^at,  in  ber  Socjif, 
ber  3^aturpr;ifo[opf)ie  unb  ber  ^^^ifo[opf;ie  be§  ©eifteS,  betradjtet  er  ha§, 
2I6[o(ute,  löte  e§  fic^  t)on  feiner  bürftigften  (Bc\talt,  ber  be§  reinen  ©ein§ 
au§,  3U  immer  reicheren  ^tftimmungen,  nnb  fdj[ieBücf;  im  abfoluten 
-;^;ffen  an  ber  Dotfenbeten  gorm  be0  feiner  felbft  bnrdjanS  geroiffen  nnb 
fid;  bnrdjfidjtigen  abfoüiten  ©eifte»  cntroidett. 

2,   ^ic  ^fjäitomcuologtc. 

Sie  ^pfjänomenologie   i\i   oieffeid^t    ba§    geniatfte,   raaS  ^eget   ge= 
fdjrieBen  ^ot,   aber  bod;  geigt  fie  nn§  feine  ^[ji(ofopf)ie  nod^  nid;t  üott^ 
ftänbig    ausgereift,    ^egel  mili  f)ier   ,,ben  ©cift  in  feiner  erfd;einun9 
alg  S3erouf3tfein  unb  bie  3^otf;iücubigfeit  feines  gortgangS  bis  gum  ab= 
foluten  etanbpunft  betrod;tcn";    er  mitt  ben  Icljteren  burd;   eine  voU= 
ftänbige  2lna(ijfe   atter   formen   beS   53cn)u|3tfeinS   von   ber   fubjeftiüen 
6eite  ^er  begrünben;    er  will  biefe  formen,  ron  ber  unterften  bis  jur 
lf)ödjften,   in  ftetiger  gntraidlung  vox   unS  entfte(;en  [äffen,   inbem   er 
nad;iüetft,   mie  jcbe  von  iljncn  bie  fofgcnbc,   als  iljr  ßr^cugni^  unb  311= 
gleid;  iljre  Jöiberkgnng,   auS  fic^  Jieruortreibe  ^).    (Sr  Ijat  jebod;  biefen 
©efic^tSpunft  in   ber  2luSfüf)rung  nidjt  ftreng  genug  feftgeljatten.    mit 
ber  bialeftifdjen  ©ntmidtung  bcS  S3ewu{3tfeinS  ücrmifd;t   fid;   if)m   fort= 
lüöfjrenb   bie   gefdjidjtlidje    Gutwidfung    ber  2)ienidjljeit;    fo    uerfd;ieben 
and)  jene  von  biefer  fd;on  befifjalb  ift,  meit  mir  eS  bort  mit  einem  nad^ 
Iogifd;er   9totf)mcnbig!eit   rein   unb    gerablinig    fortfdjreitenben   girocejä, 
{)ier  mit  einer  in'S  breite  gefjeubcn,   burd;  bie  mannigfaltigften  pfiijfifa- 
afd^en,   pfijdjologifdjen  unb  f)iftorifdjcn  S3ebingungcn  beftimmten  53erae= 
gung  gu  tt)un  §aben,  unb  mei(  in  golge  bauon  bort  jebe  ®ntmid(ungS= 
ftufe  nur  burc^  ßine  gorm  bcS  Sen)uf3tieinS  be^cidjuet  ift,  mäf;renb  t)ier 
bie  üerfd;icbenften  ^itbnngSformcn  gleidj^eiiig  ncbcnciuanberaegen.  Surd^ 
biefe  SSermifd;ung   f)at   nun   bie  ^Darfteünng   ber  g3i)änomenoIogie   eine 
eigent^ümlid)  fdjillernbe  Färbung   erljaitcn:   bie  abftraften  formen  bcS 
33emuBtfeinS  mad;cn  benSlnfprud;,   jugfeid;   gcroiffe  ^erioben  ber  @e= 
\ä)\ä)k jn  djarafterifiren,  bie  gcfd)i($tlid;cn  ©rfdjeinungen,  unb  mitunter 

1)  ^^änom.  22.  ?og.  I,  33.  61.  9?cl.  =  ^(ji(.  I.  109. 


632 


§egel. 


fogar  (Sinjclfieiten  von  (janj  üorükrgc^enber  S3ebeutung,  treten  üI§> 
öleidjderedjtiöt  in  bie  bia(e!ti[d)e  (Sonftruction  ein,  foHen  akr  eBenbeB- 
raegen  nidjt  Ho§  in  if)rer  ge[d;ic[}tlid;en  ©igentpmlic^feit  nnbScftimmt= 
f)eit,  fonbern  3uglet(^  al§  atcpräfentanten  aUgenteinerer  ©tanbpunfte 
gelten.  §cgcl  Ijat  fid;  allerbingy  and;  in  ber  gotge  tjon  biefer  Steigung, 
ha§>  gc[d;!djtl;d;  gegekne  5U  couftrniren  nnb  ebenbamit  an  t)erallge= 
meinem,  nidjt  gan]  frei  gemad;t;  aber  in  ber  ^fiänomeuologie  tritt  fie 
nodj  am  ftärfften  t;erüor.  S)er  ^f)ito[opf)  ftanb  eben  hamaU  ber  fdi/J.- 
lingil d;en  ©d;ule  nod;  näfier,  nnb  fo  fd^arf  er  and;  bie  3Jiöngcl  if;rer 
naturpl;iIo[opt)i[d;ert  ßonftructionen  erfannt  l^atte,  fo  wenig  lä^t  fi(^ 
hoä)  eine  ^Jcadjiuirhmg  biefeS  SSerfal;ren§  in  feiner  eigenen  S)arftcIInng 
»erfennen. 

§egct  beginnt  feine  @ntwidlung§gefdjid;te  be§  S3enm^tfein§  tnit  ber 
erften  nnb  nnmittclbarfteu  ©eftalt  beSfelben,  ber  „finnlic^en  ©eraiBf)cit", 
bem  Söiffen  be§  ©injelnen  nm  ein  ©inselneg.  ©r  geigt,  mk  nn§  biefe 
@eroi{3t;eit  im  2Bed;fet  ber  Seiten  nnb  ber  S)inge,  be§  ^e^t  nnb  be§ 
§ier,  nnter  ber  ^anb  gerrinne,  nnb  ftatt  be§  (gingeinen,  n)etd;e§  wir 
für  bog  n)ir!lid;e  na!)men,  immer  nur  ein  allgemeines,  ein  bto§  ge= 
bad;tc§,  ein  au§  fielen  ^e^t  nnb  ^ier  gnfammengefe^teS  übrig  bleibe. 
®r  unterfndjt  weiter  bie  „2Bal)rnel)mung" ,  ober  biejenige  SSorftellnng§= 
toeife,  n)eld;e  fic^  an  ba§  eUn  gcmonnene  ©rgebni^  l^ätt,  nnb  ba§  ©ei- 
enbe,  nm  e§  in  feiner  2Bal)rf)eit  gn  nelimen,  aU  allgemeines  nimmt, 
aU  ba§  Sing  üon  Dielen  @igcnfd;aften ;  er  raeift  nad^,  wie  au^  biefe 
SSorftettnng  bnrc^  il)re  eigene  ©ialclti!  fic^  auflöfe,  wie  fic^  baS  S)ing 
balb  als  ©inl)eit,  balb  als  SSiel^eit  barftelle,  bie SSerfnüpfnng  bergigen^ 
fc^aften  balb  in  baS  ®ing,  balb  in  bie  2öal)rnel)mnng  falle,  ber  llnter= 
f(^ieb  berfelben  balb  als  wefentli^,  balb  als  nnwefentlid; ,  balb  als 
etwas  bem  ®ing  an  fi(^  felbft  angel)örigeS ,  balb  als  etwas  bemfclben 
nur  im  SSerl)ältuiB  gu  anberem  gnfommenbeS  erfd;eine;  nnb  er  gvünbet 
l;ierauf  beu  gortgang  gum  „SSerftanb",  welcher  fi^  auf  ^«^  nnbebingt 
allgemeine  rid;tet,  auf  bie  ilraft  nnb  baS  ©piel  ber  Gräfte,  auf  baS 
innere  ber  ®inge,  i^r  SÖefen  nnb  @efe^,  auf  bie  überfinnlic^e  2öelt, 
i§re  5Rotl)wenbigfeit  nnb  Xlncnblid;feit.  .^egel  prüft  biefe  35eftim^ 
mnugen  mit  tiefbringenber,  aber  abftra!ter  nnb  nnburd;fid;tiger  ©ialeftil; 
er  erörtert  baS  SSerl)ältniB  ber  J^raft  gu  il)rer  Sleu^erung,  beS  SßefenS 
gur  ®rfd;einung,  ber  überfinnlid;en  gnr  ©innenweit;  er  fu(^t  nac^gu^ 
weifen,   wie  aUe  biefe  53egriffe,   wenn  wir  fie  genauer  gergliebern,   in 


^^^äitomenologie:  ©el&flfeeiüujjtfetn;  2?enmnft.  633 

i^r  ©egentfieil  umfc^Iogcn,  bie  überfinntidje  9Belt  §ur  „t)crfe^rten  Sßelt" 
loerbe,  nub  wie  e§  fdjlie^tic^  nur  ha?»  SSerouBlfein  felbft  fei,  weld^eS 
i^ren  feftert  ^intergrunb  bitbe  unb  in  ifirem  ^tuffe  oly  ber  ©cf;rüerpun!t 
biefer  ganzen  SBerocgung  fid;  erl^atte.  ^ubent  e§  fitf;  in  bie[er  feiner 
■üebeutun^]  ergreift  nub  in  bem  üenneinttid;  gegenftänbtidjcn  fein  eigenee; 
Befen  erfennt,  gef^t  ba§  „Seiunjitfein",  bie  erfte  ©eftalt  bci3  ©cifte», 
roeld;e  bie  finnti($e  @eii)i§f)ctt/  bie  2BQr)rncI;mnng  unb  hen  SSerftanb  in 
fi(^  f($neBt,  in  bie  stocite,  ha§>  „©efbftöeranBtf ein"  über. 

Unter  biefer  S3c3eid;nung  faf5t  ."pcgel  mit  geraiffen  allgemeinen  %0X' 
Uten  be§  pra!tif($en  SSerljaltenS  auä)  einige  gefd;id;tlid;e  Grfd;einungen 
jufammen,  u)eld;e  er  an  biefer  Stelle  in  feine  ßJntraidhing  einreif)t. 
^a§  (SelbftbeuniBtfein,  fagt  er,  ift  gunädjft  einfa($e  unb  au§fdjlic§enbc 
.^öeäiel)ung  auf  fid)  felbft,  e3  {)at  fid;  felbft  gum  ©egeuftaub.  Slber  biefe 
Segieljung  auf  fid;  fclbft  ift  iF;m  vermittelt  burd^  bie  2Infl)cbung  be§ 
3lttbern,  nub  inbem  e§  barauf  au^^gel^t,  ift  eS  Segterbe.  ^n  2Saf;rr;eit 
jebodj  erreid;t  e§  feine  ^efriebigung  nur  in  einem  anbern  <2elbftbciüuBt= 
fein.  G0  finb  atfo  gmei  ©elbftbcmuBtfcin,  von  benen  jebeS  ha§'  anbere 
aufjuficben  fud^t,  um  baburd;  fidj  felbft  gu  finben;  e§  entftcljt  siuif^en 
beiben  ein  üampf  auf  2chcn  unb  ^ob,  unb  ha^  Diefultat  bcSfcIbeu  ift 
bie  IXuterroerfnng  beS  einen  unter  ba§  anbere,  ba^  S^erljältni^  be§ 
§errn  unb  be§  Äned;t§.  Slber  in  ber  Slrbeit  be§  ÄnedjtSbienftcS  bilbet 
fi^  bie  grei{)eit  be§  benfenben  ©elbftbemu^tfeinS,  ber  (Stoicifmu§ ;  biefer 
f(^lägt  feinerfeitS  in  ©fepticifmnS,  nub  ber  te^tere  in  baa  „ung(nd(id;e 
S3en)uBtfein",  in  bie  mitteralterlidje  grömmigfeit  um,  bie  aber  freilid; 
ebenfo,  wie  ber  ©toicifmuS  unb  ©EcpticifmuS,  fo  geiftreid^  fie  ouc^  ge^ 
f (Gilbert  mirb,  bod;  t)iel  gu  früf)  in  bie  pI;änomenoIogifc^e  (Sonftruction 
eintritt,  llnglüdtid)  ift  biefe§  S3en)uBtfein,  meil  c0  äffe  2BaI;r^eit  au§ 
fid^  f)erau§  in  ein  jenfeitige§  2Befen  üertegt  f)at;  aber  inbem  e^  fic^  in 
ben  S)icnft  biefeS  2Befen0  ftefft  unb  il)m  in  Slfcefe  unb  ©cfiorfam  feine 
(Sigen^eit  opfert,  f(^Iie§t  eg  fid^  mieber  mit  i§m  §ufammen;  e§  erpit 
bie  ©emi^fieit,  äffe  9fiea(ität  gu  fein,  eS  mirb  gur  35ernnnft. 

S)er  ^t)i(ofopl^  fc^ilbert  nun  bie  5ßernunft  gunädjft  ai§>  „beobad;; 
tenbe  SSernunft".  2l(§  fotd^e  burd;forfd;t  fie  bie  organifd^e  wie  bie  un= 
organifc^e  9Zatur,  um  @efe^  unb  SSernunft  in  ifir  gn  finben;  fie  menbet 
t^re  Slnfmerffamfeit  fic^  felbft,  al§  bem  3iel  ber  9^atur  gu,  unb  fragt 
nad;  if)ren  logifd^en  unb  pft)(^ologifd^en  ©efe^en;  fie  fuc^t  in  ber  ^^r)-- 
fiognomi'f  unb  ©c^äbelte^re  (meldte  inbeffen  a\§  3)Zomente  ber  pliänomc- 


634  §«9«^- 

noIogl[d;cn  S^ebiiftion  eine  fcftfame  S^lotfe  fpieten)  bie  ^ejiefiung  be§ 
Innern  auf  ba§  SIeuBere  gu  erfunben.  3Iu§  biefer  33ef($äftiguitg  mit 
ben  S^ingcn  öc!)t  bem  Selbftberaii^tfein  bie  @rfenntni§  {)erüor,  baB  nur 
e0  fetbft  ber  ©ccsenftanb  fei,  auf  ben  e§  fic^  pofitiü  Bejicfit;  e§  ücrf)ält 
fid^  3U  bem  Slnbevn  al§>  gu  firf;  felBft,  e§>  toirb  eknbamit  praftiftf;,  unb 
an  bie  ©teile  ber  BcokcTjtenbcu  SSerniinft  tritt  „bie  S3eru)irflid)ung  be§ 
t)ernünftiöcn  ©elbftlicrauBtfein^  burd;  fi^  felbft."  S)iefe  SSerroirflidjuttg 
fud^t  c§>  gunädjft  in  unmittelbarer  SBeife,  in  ber  ^^orm  ber  Segierbe,  in 
fauftifdjem  ©euie^eu;  ater  e§  madjt  bie  ©rfafirung  von  ber  Scerljeit 
aller  ©cnüffe  unb  ber  Tla^t  beg  ©djidfalS,  an  racldjer  bie  ^nbiiiibua= 
lität  gerfdjmettert  wirb.  ©§  3ie{)t  fid;  au§  biefer  2teuf3erlid;feit  in  fid^ 
felbft,  in  ba§  eigene  ^erj  3urüd,  uub  üerfud;t  \)a§  ©efc|  be§  ^cr^enS 
in  ber  SBelt  burd^aufciien;  allein  eg  jeigt  \\ä),  bafs  biefe§  ©efelj  nur 
ber  eigenmille  ift,  meldjcr  fid;  ber  allgemeinen  Drbnung  eutgcgenftemmt. 
©g  untermirft  ben  eigenen  Söillen  biefer  Drbnung,  fo  baB  er  gum  tu= 
genbl)aften  SSiilen  mirb,  unb  unternimmt  e§  nun,  t)on  fic^  au§  ben 
SSelttauf  gu  Beftimuicn,  bem  ©Uten,  meldjeS  e§  al^  feinen  ^med  unb 
fein  ^^cal  in  fid^  trögt,  gur  Sßirflidjfeit  5U  ner^elfen.  2l6er  bie  ©djuiädje 
biefer  2:ugenb  liegt  in  ber  Meinung,  ai§>  ob  baä  ©ute  nod;  feine  Wixh 
lid^feit  Ijabc,  unb  fie  erft  burd^  bie  Sliötigfeit  bc0  eubjettS  crljalten 
muffe;  in  2[«aljrf)eit  ift  ber  SBeltlauf  vernünftiger,  unb  ba^er  aud;  möd^^ 
tiger,  al§  ba§  ^nbiuibuum,  ba§  ilin  ücrbeffern  mitl.  :3nbem  ba^3  S3e= 
mu^tfein  bie^  erfcnnt,  wirb  i^m  bal  5:l)un  unb  treiben  ber  3nbit)i= 
bualität,  \ia^  freie  ©piel  il)rer  Gräfte,  Qmd  an  fid;  felbft :  bie  L^ernunft 
nimmt  bie  ©eftalt  ber  „^nbiüibualität"  an,  „meldte  fid;  an  unb  für 
fid^  felbft  reell  ift";  bie  Gin3eluen  mollen  in  i^rem  Xl)un  i^re  Gigen= 
tl)ümlid)leit,  il)re  DRatur  gum  SluSbrud  bringen,  il)rem  Slalent  unb  ^n= 
tereffe  gemä{3  Ijanbeln,  unb  fiub  überjcugt,  eben  bie^  fei  ba§  redjte  unb 
gute.  Slber  and;  jc^t  erfäl;rt  ba§  33emuf3tfein  eine  Säufdjung :  mäfjvenb 
e§  meint,  e§  fei  iljm  nur  um  bie  ^aä)e  3U  tl)un,  ift  e§  iljm  üiclmeljr 
um  fic^  felbft  3U  tl)un;  feine  üermeint(id;e  Gljrlidjfeit  crmeift  fidj  als 
ein  uncl)radje§  Stclienbleibcn  bei  guten  SSorfä|5en,  bie  fittlidjcn  @efe|e, 
bie  e§  in  fid;  i)orfiubet,  rcidjcn  für  bie  befoubercn  ^äde  nidjt  au§,  feine 
moralifdje  llebcr5eugung  ift  eine  gorm  of)ne  ^nljalt.  S^urd)  biefe  neue 
Grfal)rung  mirb  e§  benn  gcnötl)igt,  •üon  feiner  ©ubjeftiyttät  abjulaffen, 
feine  inbiuibueUe  SSeruunft  ber  allgemeinen  sn  untermerfen:  bie  Vernunft 
mirb  jum  „©elfte". 


1?fianomenologie:  ber  ©eiji.  go 


OD 


©er  „mff'  Bcjcicljuet  ba§  gletd^e,  wag  ^egel  fonft  bie  (Sittlidjfeit 
nennt:  hie  SSernnnft,  raefd^e  in  einer  fittlid^en  SSelt,  in  bem  Seben  ber 
Familie  nnb  bc§  55oIfe§  gegenwärtig  ift,  ba5  fittüd^e  53ciunBtfein,   mU 
($e§  nidjt  B(o§  in  ber  ©efinnnng  ein3e(ner,   fonbern  ancTj  in  ber  ©e= 
fettfc^aft  S)a)ein  fiat.    2(ncf;    biefe  ©eftaft   be§  SeronjjtieinS   unterliegt 
aber  einer  ftufenroeifcn  eutraicftung.    S)er  ©eift  mu§   ^im  Scrcu^tfein 
iikr  ba§,  raaS  er  unmittelbar  ift,  fortgeben,   ha§  fd;önc  fitt(id;e  Seben 
auf^eBen   nnb  burd;   eine  9Iei^e  von  ©eftalten  jnm  Söiffcn  feiner  fe(6ft 
gelangen.    „®ie  tcbeubtge  fittlic^e  Söelt  ift   ber  ©eift  in  feiner  2ßa^r= 
^eit;  wie  er  gunädjft  sum  abftraften  Sßiffen  feines  2Bef:nS  fommt,  getjt 
bie  6itt(idjfeit  in  ber  foniia(en  2iageniein^eit  hc§  9icd^t§   unter.    S^er 
in  fid^  felbft  nunnietir  entjiüeite  @eift  Befd^reidt  in  feinem  gegenftänb^- 
(id^en  etemcnte   al§  in  einer  fiarten  3Sirf(i(^feit  bie  eine  feiner  SSeltcn, 
'oa§>  9teid;  ber  ^Ubung,  unb  i^r  gegenülicr  im  etemente  be§  ©ebaufenS 
hk  Söelt  be§  ©(aubcnS,  ba§>  3lcid;   beS  Söefen«.    S3eibe  SBetten  aBcr, 
üott  bcm  ©elfte,    ber  au§  bem  SSertufte  feiner  fefdft  in  fid;   ge^t,   von 
hem  begriffe  erfaßt,   werben  bnrd^   bie  ©infidjt  unb  i^re  5ßer6reitung, 
bie  2Iuff(ärung,   ücrroirrt  unb  reootutionirt,   unb  ba§  in  bo§  S:ieSfeit§ 
unb  ^cnfeit§  üertficilte  unb   ausgebreitete  dicid)  feljrt  in  ha§>  ©elbftbc^ 
lOuBtfein  jurüd,   baS  nun  in  ber  3J?oraatät  fi(^  a(§  bie  Söefen^eit  unb 
ba§  SSefen  als  wirftidjeS  Setbft  erfaßt,  .  .  .  unb  als  ©eroifien  ber  feiner 
felbft    geroiiie  ©eift   ift."    S^iefen    ©runbjügen    gcma^   Bcfpridjt   ^egel 
juerft  „ben  wahren  (^ ei ft,  bie  (Sittfidjfeit".  ©r  fdjilbert  an  ber.^anb 
ber  Slntigone,  (bie  fid;  ober  f)iebei  freiiic^  manche  Umbeutung  unb  mand^e 
überfünftlidje  gonftruction  gefallen  laffen  mu^)  geiftüoll  unb  tiefbringenb 
bie  rufiige  STuSbreitung  beS  fittlidjen  ©elftes  im  ©taat  unb  in  ber  ^a-- 
mitie ;  er  fülirt  unS  roeiter  ben  ilonflift  biefer  beibcn  3}cäd;te,  bie  ©runb= 
ibee  ber  fop^ofleiidjen  Siragöbie,   vov  Singen;    er  lä^t  enblid;  oiiS  bem 
Untergang  ber  tebenblgen  SSolfSgelfter,   ber  ^olge  i^rer  S3cfdjränft^eit, 
„baS  allgemeine  ©emelnraefcn,  beffen  einfadje  SllTgemein^eit  gelftloS  unb 
tobt  unb  beffen  Sebenbigfeit  baS  ein3e(ne  ^nbioibnum  als  eln3elneS  ift," 
ober  mit  anbern  Söorten:   er   lä^t   aus   hcm  llntergong   beS   fd;önett 
griedjifc^en  SSolfSlcbenS  bie  Slömerraelt  ^ercorgel^eu,  in  meld;er  bie  5per= 
fon  einerfeitS  burd;  bie  SrnSbilDung  beS  ^rloatred;tS  in  il^rer  formalen 
©elbftänbiglelt  als  gleidjberedjtlgt  mit  äffen  anbern   anerFannt   ift,   in 
weld^er"  fie  aBer  anbererfeitS  unter  bem  S)rudf  beS  falferlidjen  S^efpotif- 
muS  ilire  ©ubftanaloflgleit  erfäl;rt.    ^nbem  baS  «ewu^tfein  biefe  feine 


636  ^egd. 

Unraefenfieit  ben!t,  nimmt  e§  bie  ©eftatt  be§  Ji^  cntfrembeten 
@ elftem"  an,  mit  bcr  wir  nnn  im  ©prunge  qu§  bem  Sllteitljum  in 
bie  Dkuäcit,  in  ba§  ^a^r^nnbcrt  SnbmigS  XIV.,  ber  fransöfifdjen  2Inf=^ 
flärung  unb  ber  Dieüolution  ücrfe^t  werben.  S)ie  2BcIt  ber  Silbuntj 
nnb  bie  be§  ©lan&en^,  bie  2Bir!üd;feit,  in  ber  jene,  bQ§  ^cn[eit§,  in 
bem  biefer  ein!)eimi[c^  ift,  treten  fidj  gegenüber;  bie  Stuftlärnng  nnb 
ber  &lünU  geratl)en  in  Äampf,  nnb  nnter  ben  5Crümmern  ber  ©(an= 
benStuelt  Heibt  nnr  bQ§  anf  fid;  fclbft  belogene,  feine  Qwiäc  nnb  feinen 
DZn^cn  üerfo(genbe  ©elbft  fteficn;  bi^  fd^Ue^lic^  and;  bicfeö,  inbem  e§ 
fid;  aU  allgemeiner  Sßitte  jn  üerroirflidjen  fnd^t,  in  bem  Sdjreden  ber 
3?eyo(ution  untergefit.  2lber  gcrabe  in  biefem  Untergong  \dM§>  äußeren 
S)afein0  finbct  e^  fid^  felbft;  bie  abfointe  grei^eit  gcljt  an§  ifirer  fid; 
fclbft  gerftörenben  2ßir!(id;feit  in  ba§  Sanb  be§  fctbftbeumBten  ©eifteS 
über  nnb  gilt  at§  @ebanfe,  in  il;rem  in  ba§  ©elbftbcmu^tfein  einge^ 
ji^Ioffenen  ©ein,  al0  ba5  2Baf)re:  e§  ift  bie  nene@eftalt  be§  moraUfd;en, 
„feiner  felbft  geroiffen  ©eifteS"  entftanben.  ©icfer  ©tanbpnn!t, 
bei  beffcn  ©d;ilberung  bem  ^^ilo)opI)en  gnnädjft  bie  fantifd;e  3Jloral 
nnb  n3eiter!)in  ^acobi'^  £eben§pl)i(ofopl)ie  üorfdjraebt,  wirb  von  if)m  feljr 
eingcljenb  befprodjen.  ®r  verfolgt  bie  bialeftif($e  Semegnng  bc§  moratifc^en 
§8eran§tfein§  in  alle  ifire  SBenbungcn;  er  finbet  feinen  ©runbmangel 
barin,  ba^  if)m  einerfeitS  bie  ^fr.d;t  ober  bo§  ©ute  ai§>  hü§>  allein  n)c= 
fentlid;e  gelte,  raälirenb  bod;  anbercrfeitS  mit  ber  DoUftänbigen  S^erroirf- 
tid;nng  be§  ©nten  bie  a3Zoralität  felbft  al§  ein  Äampf  gegen  bie  2lnBen= 
luelt  nnb  bie  eigene  ©innlid;!eit  anfl)ören  mü^te;  er  leitet  l)ieran§  alle 
jene  2lntinomieen  ab,  roel(^e  bei  Äant  nnr  eine  fdjeinbare  Söfnng  ge= 
funben  Italien :  ben  2Biberftreit  graifc^en  ber  ^ngenb  nnb  ber  @lüdfelig= 
feit,  ber  SSernnnft  nnb  ber  ©innlid;!eit ,  ber  fittlid^en  2lnforberung  nnb 
ber  tl)atföc^lid;en  58ef(^affenl)eit  ber  9Jienfd;en;  er  geigt,  wie  ba§  mora^ 
iifc^e  93emn^tfein  babnrd^  genötl)igt  werbe,  fid;  felbft  fortwäljrenb  gn 
wiberfprcd;en,  fidj  yor  fid;  nnb  t)or  anbern  gn  üerftellen;  er  gergtiebert 
enblid^  mit  ber  fdjonnngSlofeften  £ritif  bie  §orm  beSfelben,  in  wel($er 
eä  fi(^  (wie  bei  ^acobi  nnb  feinen  grennbcn)  anf  bie  Unmittelbarfeit 
be§  ©ewiffeng,  bie  ©elbftgenügfamfeit  ber  fd;önen  ©ecle  gnrndgielit,  nm 
and;  il)r,  nnb  i^r  gang  bcfonberS,  if)re  £eerl)eit  nnb  Unreblid^feit  nadj:^ 
guweifen.  Stnbcrerfeit^  aber  erfennt  er  gcrabe  in  biefer  l)öd;ften  ^u^^ 
Ipi^nng  ber  moralifd;en  ©nbjcftioität  and^  ben  2Bcg,  ber  über  fie 
t)inan§fül)re:    inbem  fie  bie   ©rfaljrung   mad)t,   ba^  il)re  ücrmeintlid^c 


SSortrep($feit  in  bag  33öfe  unifdjlägt,  fie^t  fie  fid;  genötfiigt,  auf  i{)re 
@{9en!)eit  SSer^idjt  gu  [elften,  unb  in  biefer  ©el&ftentäuf3erung  nub  Gegen, 
feittgen  2Inerfennnng  ber  ©inselnen  tritt  ber  aBfoIute  ©eift,  ober 
wa^  l^ier  ba^^felbe  ift:  baS  ^erauf3tfein  be§  aBfotnten  ©elftem,  bie  9t e  = 
Iigion,  in'i  S)afein. 

§egct  befpridjt  biefe  au§fü^rlt(^  in  brei  2tbfd;nitten :  bie  natür[i($e 
atetigion,  bie  lunftreligion,  bie  offenbare  3teligion;  unter  ber  erfteri  ücr= 
fte^t  er  bie  oricntalifdjen  ^ieHgionen,  bie  aber  ^ier  freitid;  noc^  o^ne 
genauere  Äenntni§  unb  llnterfd;eibnng  ^ufammeugefaßt  werben,  unter 
ber  groeiten  bie  gried;if^e,  unter  ber  brittcn  bie  d;riftlic^e  9^eligion. 
Sie  ollgemeine  ©igentpmtid;feit  ber  9lc(igion  fie^t  ^cgel  fdjon  ^ier 
(@.  572  f.  592  u.  ö.)  barin,  bafi  ba§  Serou^tfein  bc§  SIbfotutcn  in 
berfetbcn  nod;  nid;t  bie  gorm  be§  Begriffs,  fonbern  bie  ber  ^ßorfteffung, 
bef  finntidjcn  unb  ein3etnen  S)afcin5  l;abe,  mh  er  finbet  bef3rjalb  and; 
on  ber  „offenbaren  3?ettgton"  nod^  ben  aJkngel,  ha^  bag  geiftige  SBefen 
mit  einer  unuerfö^nten  ent^raeiung  in  ein  S)ie^feit^  unb  ^cnfetts  be= 
haftet  fei;  ber  ^nfialt,  fagt  er,  fei  ^ier  ber  raa^re,  aber  alle  feine  mo-- 
mente  Fiaben,  in  bem  ©femente  be§  SSorfteHen^  gefegt,  ben  ß^orafter, 
nic^t  begriffen  gu  fein,  fonbern  al§  i^oafommen  felbftäubige  (Seiten  jn 
erfd;einen,  bie  fid;  äu^erlid;  auf  einanber  besiefien.  Sie  ©cmeinbe 
f)abc  bie  SSerföfinung  groar  in  i^rem  .^er^en,  aber  mit  i^rem  ^öeronfitfein 
fei  fie  nod)  entsrocit,  unb  i§re  2Sirf(id;feit  nod)  gebrod;en.  ©rft  im  ah-^ 
fotuten,  begreifenben  SBiffen,  beffen  ^orm  bie  SBiffenfdjaft  ift, 
mirb  biefe  le^te  ©nt^raeiung  unb  eelbftentfrembung  be§  @eifte§  über= 
rounben;  erft  in  if)m  ift  bie  ^orm  bem  ^nfialt  gteid;  geworben,  bie 
SBafir^eit  Ijat  bie  ©eftalt  ber  ©elbftgcraifi^eit,  unb  ber  ©eift  ernennt  a(§ 
fein  eigene^  2f)un,  wa§>  i^m  t)ort)er  alg  ba0  ^^un  eine§  Slnbcrn  er= 
fc^ienen  luar. 

Sie  S)arfteEung  biefeS  abfolnten  SBiffenS  ift  baS  <B\ßm  ber  ^^U 
lofopf)ie. 

3.  2)ic  Sogif. 

„®a§  ©anje  ber  SBiffenfd;aft  ift  bie  S^arfteltung  ber  ^hce''.  „S)ie 
Sbee  aber  erroeift  fic^  ai§>  haS^  fd;led;tf)in  mit  fid;  ibentifd;e  ©enfcn  unb 
bie^  gugreid;  als  bie  3:f)ätigfeit,  fic^  felbft,  um  für  fid;  3U  fein,  fic^ 
gegenüber^ufteffen  unb  in  biefem  STnbcrn  nur  M  fid;  felbft  gu  fein. 
@o  serfäUt  bie  2Biffenfc§aft  in  bie  breiXlieile:  1.  bie  Sogif,  bie  2Biffen= 


638  §^9^'^. 

f^aft  her  ^bce  an  itnb  für  ficf; ;  2.  bie  9latnrp!)iro[op!^ie  ai§>  bie  2öiffen= 
fc^aft  bcr  ^bce  in  Kjrem  2tnber§fein;  3.  bie  5p()i(ofopljte  bc§  (Seiftet 
ai§i  ber  ^bce,  bie  au§  ifircm  2lnber§[eitt  in  fic^  guvüdfefjrt".  9Jtit  biefen 
SBortcn  bcgvünbct  ^egel  (@nci)!l.  I,  26)  bie  ^aupteiut^eilung  feinet 
@ijftcm§.  S)ie  ©int^cilung  felBft  war  i^m  burd;  6(^cIIing'§  llnterfc^ei= 
buug  be§  2lb)oluten,  be§  9fiealen  unb  be§  ^bealcn,  ja  fdjou  biivd;  ©pl- 
ito^a  na^e  ö^^^egt;  aBer  fein  Hnterfdjicb  t)on  bie[cn  ^ßorgängern  liegt 
bariit,  baB  er  bie[elbe  in  glnB  bringt,  bie  9tatnr  nnb  ben  ©eift,  luelc^e 
jenen  bie  beibcn  nckncinanberliegenben  @r[(^cinung§formen  be^  2lbfo= 
Inten  gerae[en  waren,  in  haS^  33ert)ältniB  be§  frnl)crcn  nnb  fpäteren  fe^t, 
bie  9ktnr  al§  ben  ©nrdjgangSpnnft  in  ber  ©ntroidlnng  be§  Slbfolnten 
pr  @eiftig!eit  fa^t.  2ln  eine  äeittidje  ©ntiuidhiug  barf  aber  f)iebei 
nid;t  gebadjt  werben:  ^egel'g  SOieinnng  ift  nidjt  bie,  ba^  ba§  2l6[oIute 
irgenb  einmal  l)(o§  in  ber  %oxm  be§  logiid;en  begriff»  eyiftirt  l)a!6e, 
fpäter  9]atnr  nnb  ^nlc^t  @eift  geworben  fei,  fonbern  baS  grül;cr  nnb 
©päter  ift  im  metapl)i)fi)djen  ©inn  gn  üerfte^en,  eB  fott  bamit  nnr  ba§ 
^crl)ältnif3  be§  S3ebingenbcn  nnb  ^cbingten  bejeidjnet,  bie  ©ntwidlung 
foll  als  eine  gcittofe,  aU  ein  in  fi($  gurüdfelircnber  ilreiS  anfgefa^t 
werben,  fo  baj3  ba§  2lbfolnte  ba§,  wo^n  e§  fic^  entmidelt,  ebenfo  üon 
©wigfeit  l)er  ift.  2Bir  werben  aber  atterbing^  in  ber  golge  bei  §egel 
einer  2lnnal)me  begegnen,  weld^e  biefer  im  ©eift  feinet  ©ijftemS  liegen^ 
ben  nnb  feiner  eigentlid)en  SJleinnng  entfprci^enben  Sluffaffnng  wieber 
in  ben  3Beg  lommt  nnb  in  feiner  ©arftellung  eine  nid;t  nnbebenl(i(^e 
Unfidjerl^eit  üeran(af,t  l;at. 

Unter  ber  So  gif  liatte  man  nun  feif  SlriftoteleS  faft  au§nal)m§= 
log  bie  Seigre  oon  ben  ©efe|en  nnb  formen  be§  S:)cnfen§  oI§  folc^en 
üerftanben,  nnb  owi  il)r  bie  3Jletapl)yfi!  aU  btejenige  2ßiffenfd;aft  nnter= 
fc^ieben,  we(d;e  e§  mit  bem  wefentiidjen  S^^^ß^t  nnferc§  ®enfen§  gu 
tljun  liabe.  §egel  finbet  biefe  Trennung  üon  gorm  nnb  ^nljalt  un= 
ftattljaft;  eine  ^orm  o^ne  ^H^alt,  bemerft  er,  wäre  unwal)r  nnb  gc= 
l;altto§;  in  2öa()rf)eit  fei  aber  ber  ©ebanle  cbcniofel)r  bie  ©ac^e  an  fid; 
felbft,  unb  bie  <Bad)c  an  fid;  felbft  ber  reine  6)ebanle,  ber  Segriff  at§ 
fold;er  baS  an  unb  für  fid;  feieube.  ©r  verlangt  baljer,  ha^  bie  Sogil 
mit  ber  9Jietap(ji)fif,  ober  genauer:  mit  bem  ontologifc^cn  Stieite  ber 
3)ietapl)9fil  (].  o.  6.  183)  äufammenfalle,  unb  ebenbaburd;  foH  fid;  feine 
Sogif  als  fpefuiatioe  uon  ber  gewöl)nlid)cn,  blo»  foruialen,  unterfdjeibeu. 
6ie  foll,  wie  er  fagt,  ba^  ©vftem  ber  reinen  SSernunft,   baS  9leid;  beö 


2oQit:  ba^  ©ein.  gog 

reinen  @ebanfen§  fein.  Sie  foll  bie  SBa^r^eit  barfteUen,  wie  fie  ol^ne 
^ülle  an  unb  für  fid;  feibft  ift,  ben  gonsen  Dröauifmu^  ber  S)enfbe-' 
ftimnmngen,  wcldje,  fo  gn  fagen,  ben  innern  JTcrn,  baS  logifcf^e  ©erippc 
ber  2Be(t  bilben ;  ober  wk  bie^  populärer  on§oebrüc!t  loirb :  fie  foE 
bie  S^orftettung  @otte^  fein,  rcie  er  in  feinem  eioigcn  3Sefen  üor  ber 
erfd;affung  ber  9^atur  unb  eiue§  enblid^en  ©eifte^  ift. 

S)iefe  SDarftettung  foII  aber  eine  niet^obi)cf;e  fein:  bie  reinen  (Se= 
banfenbeftimmungen  foHen  al§  2;otaIität,  in  il^rer  entraicffung  yon 
©inem  ^rincip  au^^  Gegriffen  werben.  Sßeldjeg  rairb  nun  biefc§  ^rin= 
cip,  biefer  Slnfang  be§  ©pftemS  fein?  ©ie  Sogif,  antwortet  ber  ^^U 
rofopf)  (Sog.  I,  62),  ift  bie  reine  2Biffenfcf;nft,  if;re  5>orau§fe^ung  ift 
ha^,  roa§  9iefuftat  ber  ^ijänomenologie  war,  baS  reine  SSiffen.  S:a§ 
reine  SSiffen  fann  aber  nicf;tg  anbercg  fein,  al§  ha§>  Sötffen  vom  reinen 
©ein;  ober  wie  bicB  ^egcl  etwas  fd;icf  auÄbrüdt:  in  if;m  finb  atte 
Unteridjiebe  aufgef)oben,  c§>  ift  einfod;e  llnmittcKiorfeit,  unb  biefe  ift  ba§ 
reine  ©ein.  9)tit  biefem  Segriff  Ijat  bemnad;  bie  Sogif  anjufangen,  um 
allen  iJiren  weiteren  ^n^alt  a\bi  ifim  3n  entwideht.  S^iefe  (Sutwidfung 
felbft  ^erfäfft  in  brei  S^eite:  bie  ßefire  t)om  ©ein,  üom  SBefen  unb 
Dom  33egriff;  bie  beiben  elften  be3eid;nct  ^egel  a\§>  bie  objeFtioe,  hen 
legten  aU  bie  fubjeftioe  Sogif. 

SBaS  nun  3unäd;ft  ba§  ©ein  betrifft,  fo  fe|t  fid;  bicfeS  nad^  ^egel 
1)  a\§>  S3eftimmtf)eit,  al§  Üualität,  2)  al§>  oufgef;obeue  S3cftimmt^eit, 
alä  Quantität,  3)  olg  qualitativ  beftimmte  Cuoutität,  aB  Tla^;  unb 
feine  Dualität  ift  guerft  bie  be§  ©eins  nbert;aupt,  fobann  bie  beS  S)a= 
feinS  unb  enblid;  bie  beS  gürfidjfeinS. 

S)en  STnfang  mad;t  ba§  reine  ©ein.  STber  als  reines  l^at  boS 
©ein  feinen  ^nfialt,  eS  ift  bie  reine  Hnbeftimmtf^eit  unb  Seere,  eS  ift 
ba§>  reine  9^i^tS.  ßbenfo  ift  ober  ha§  reine  9lid;tS  baS  reine  ©ein; 
benn  fofern  eS  gebad;t  wirb,  ift  eS  boc^  als  ©egcnftanb  beS  Scnfensi 
nur  al§>  ber  üoUfommen  beftimmungSlofe  unb  leere;  rva^  aber  @egen= 
jtanh  beS  ©enfenS  ift,  baS  ift  ©ein,  unb  wenn  eS  gar  feine  weitere 
SBeftimmung  ^at,  reineS  ©ein.  S)aS  reine  ^cin  unb  baS  reine  Td^U^ 
iftalfobaSfetbe;  ober  :)ielme^r:  fie  finb  nid;t  baSfelbe,  aber  fie  fd;fagen 
beftänbig  in  einanber  um,  jebeS  üerfdjwinbet  in  feinem  ©egent^eii. 
S)iefe  Bewegung  ift  baS  SB  erben;  ber  ITebergang  oom  Diid^tS  auni 
©ein  ift  entfielen,  ber  Hebergang  üom  ©ein  gum  9iid;tS  ift  SBerge^en; 
@ntftef)en  nnb  3?erge^en  finb  ober  bie  beiben  Momente  beS  SBeibenS. 


640  §«9^^- 

S)ieB  ber  üietbefprodjeue  ainfattg  ber  ^cQeV\ä)cn  Sogi^,  in  bem  fi^on 
ba§  Gß"5e  SSerfal^ren  ber[elkn,  bie[e  gauje  bialeftifc^e  SSewegung  be§ 
^egrip,  toie  fie  okn  kfcfjrieben  rauvbe,  rorgeöeidjnet  ift.  ^l^rem  ^n= 
^alt  na(^  erinnert  biefe  SorfteHung  am  meiften  an  ben  <Bü^  SSöIjme'S 
(oben  6.  16),  ben  fpäter  ©d;el[ing  inicberI;ott  f)at,  ba§  ©Ott,  in  feiner 
reinen  ßin^eit  betradf;tet,  ha^  ewige  3fJi($t§  fei,  eöenbe^fjalb  aber  ein 
anbcrcS  au§  fid;  erzeugen  (ficf;  ait§  bem  reinen  ©ein  in'§  25erbcn  Be= 
wegen)  muffe;  nnr  ha^  ba§,  ma§  bort  tf)cotogifcfj  gefaxt  ift,  l^ier  bie 
^orni  bcS  aliftrafteften  metapfiyfiftfjen  @eban!en§  ert)alten  Ijat. 

2ru§  bem  SBerben  geljt  aber  ba§  S) afein  ^croor,  nnb  jebeS  ®a^ 
fein  ift  beftimmtc§  ©ein:  ba§  S^afeieube  f)ot  feine  Ünalität,  eS  ift 
(gtma§.  :3ebe§  ©traa§  weift  aber  auf  ein  STnbcrcS,  e0  t)at  au  biefem 
feine  ©rense,  c§  ift  eublic^.  S^em  Gnbtidjen  ftet)t  ba§  Unenbli^e  gcgen^ 
über,  nnb  e§  er[d;cint  in  biefem  ©cgcnfa|  suuöd^ft  af3  bie  einfädle 
9?cgation  be3  Gubtidjen.  ©ictjt  man  jeboc^  näf)er  gn,  fo  ^cigt  fid), 
baB  beibe  t)ie(met)r  ©in  nnb  baSfelbe  fiub.  ®a§  llncnbtid;e,  welc^e§ 
ba§  Gublidje  au^cr  fic^  f)at  (ba§  ^^fdjlce^te"  ober  „abftrafte"  Uueubtidje) 
ift  felbft  ein  eub(idje§,  ein  begren5te§,  nnb  bag  Gnblidje,  werd;e0  bnrd; 
feine  53egren3nng  in'§  nnenblidje  über  fic^  f)inau§weift,  t)at  ebnibamit 
ben  Sortgang  sunt  llnenblid;cn,  bie  llnenblidjfeit  an  fid;.  S);e  waf)r= 
I)afte  llnenbüdjfeit  ift  nur  ba,  wo  ba§  Uneublii^e  im  ßnblid;en  aU 
baS  2öefen  ober  ba§  Slnfid^  be^felbcn  crfannt  wirb. 

©oferu  ba§  SDafein  biefe  innere  llueublidjfeit  nnb  SSerticfung  ge^ 
Wonnen  Ijat,  ift  e§  ^ürfidjfein.  S^aS  prfid;feienbe  ift  ba§  ßin?, 
bie  3Jlonabe;  nnb  (SinS  ift  biefcS  nur  baburd;,  baB  eg  aUe  anbern  non 
fi(^  an^3fd^lief3t  nnb  non  i^ncn  au§gefd;Ioffen  wirb.  23eil  aber  jebeS 
uon  biefen  nielen  (Sin§  boc^  (Bim  ift,  finb  and;  alle  wieber  baSfelbe, 
ifire  eiepulfion  ift  jugleid;  if)re  2ittra!tion.  ®a§  ©ein  ift  alfo  ebenfo^ 
wo^t  3Sielt)eit,  al§  2Iuf§ebuug  biefer  SSieU;eit  burd;  ben  fortwäf)renben 
Uebergang  t)on  bem  einen  5um  anbern,  ei  ift  ebenfo  biSfretei  aU  con- 
tinuirlid;e0.    Siefei  ©ein  ift  bie  Üuantität. 

S)ie  iwrftcf)cnben  gjLitffieitnngen  werben  üon  ^egel'i  Scl;aubtung 
ber  Sogi!  einen  au§reid;euben  33egriff  geben,  ©er  weitere  ©ang  ber^ 
fetbcn  tarnt  f)ier  nur  im^  angebeutet  werben.  Sie  Üuantität  ift  gn^ 
\\ää)]t  bie  reine  Dnantität,  bereu  3Jiomente  bie  Gontinuität  unb  S)i§^ 
!retion  finb;  fie  wirb  2)  beftimmte  Quantität  ober  Üuantum  {^a^i, 
eytenfiwe  unb  intenfiüe  ©rö^c);   jebeS  Üuantum  t)at  aber  anbere  au^er 


Sogtf:  ba§  ©ein;  ba§  Sefen.  ß^\ 

\iä),  bie  Üuantität  oerfällt  fo  einem  unenblid^en  ^rogrei,  einem  §inan§- 
ge^en  in'ö  unenblic^  ©ro§e  nnb  unenblii^  i^teine;  ebenbamit  entfiel;! 
bann  3)  eine  9ieif)e  von  ©rö^en,  ein  quantitatioeS  9Ser^ä(tni§.  ©a§ 
qnantitatioe  SSerEiältniB  ift  1)  ba»  birefte,  2)  ba§  inbirefte,  nnb  3)  ba§ 
5ßotenäcnt»er{)ä(tniB.  i^n  bem  legieren  he^k^t  fid)  ba§  Üuantnm  auf 
fic^  felbft,  fein  §inau§gef)en  über  fic^  in  ein  anbereS  Üuantnm  wirb 
burd^  e§  felbft  beftimmt,  e§  l^at  an  feiner  ©rö^e  jugleid;  feine  S3e= 
ftinnntfieit,  feine  Dualität.  ®ie[e  53eftimmung  ber  Quantität  burd;  bie 
Dualität  ift  ba§  3JiaB. 

Sa§  9Jta§  ift  baS  quatitatioe  Üuantum,  eine  Üuantität,  bie  qua= 
litatiüe  ^ebcutung  ^at,  unb  e§  ift  fo  fpecififdje  Üuantität;  e»  wirb 
2)  reateS  Tla^,  S?erljältniB  fpecififc^er  ©röfien;  ebenbamit  aber  geigt 
fic^  bie  Dualität  von  ber  üuantität  abhängig,  mit  ber  3]cränberung 
ber  le^teren  änbcrt  fi($  and)  bie  erftere,  ba§  Wla^  gef)t  im  ajia^tofen 
ju  ©runbe,  ebenfofefir  aber,  ha  \i^  huv^  jcbe  5>eränberung  ber  Üuan= 
tität  raicber  ein  neue§  3JiaB  fierftellt,  mit  fid^  jufammen,  unb  in  bem 
SBed^fel  aller  33eftimmungen  erfc^cint  nur  ba§  3lnfid;  ober  bie  i^nbiffereuä 
berfeiben  al§  ba§  bleibcnbe:  jene  finb  ba»  gefegte,  bicfe  ba§,  rva§>  fid^ 
burd;  fie  mit  fid^  oermittett:  ha§>  „©ein"  wirb  gum  „SBefeu"  ^). 

^a§>  2Befen  ift  ba§-  in  fid;  rcfleftirte,  au§  feiner  Hnmittelbarfeit 
in  fid;  3urüdtje!el;rte  Sein,  ba3  ©ein,  in  bem  ;3"«ere0  nnb  2leu§ere§, 
3)afein  unb  ©ninb  be§  S)afein§  fid;  unterfd;eiben ;  c§  tritt  balier  ^ier 
ber  @cgenfa|  be§  SBefenS  unb  ber  ©rfc^einung  ein,  rocld^er  fic^  erft  am 
(Sd;luB  ber  ©ntmidhing  be§  2Befen§  im  S3cgriff  ber  2Birflid;feit  au\^eht 

SDal  SBefen  al§>  foId;e§  ift  nun  guerft  einfache  ^egicfmug  auf  fid^ 
felbft,  ;3bentität  mit  fid;,  unb  aU  fold;e§  fprid;t  e§  ber  ©a^  ber  3ben= 
tität,  A=A,  aus.  ©oH  jcbod;  biefe  i^bentität  nid;t  bie  üoüfommene 
£eerl)eit  unb  ^n^attslofigfeit  fein,  fo  mu^  fid^  ba§  2ßefen  auf  fid;  \elb\t 
al§  auf  ein  anbereS  bejielien,  e§  mu^  bie  3}erfd^iebenf)eit  unb  näl)er  ben 
llnterfd;ieb  in  fid;  fiaben,  n)eld;er  meiter,  aU  mefentlii^er  llnter!d;ieb, 
äum  ©egeni'a^  unb  SBiberfprnd^  mirb.  SBälirenb  nun  aber  bie  Sogif  hi§> 
bafiin  ben  äßiberfprud^   al§  ein  3}ierhnal  ber  Xlnmal)rl;eit  unb  tlnmög= 

1)  ®er  im  folgenben  311  6e[prec^eube  jitteite  unb  brittc  Xiji'xt  ber  ?ogi!  ipuvbe 
bon  $egel  für  bie  neue  Stuflage  feiner  ?ogit,  bereu  erfter  2^e;l  1831  erl'rtien,  nic^t 
me^r  bearbeitet,  dagegen  giebt  bie  ©nc^ftopäbie  (3.  SlufT.  1830)  in  i^rer  überftdit- 
«d^en  ©arfielTung  ber  l'ogit  auäj  öon  i^nen  eine  neue  Bearbeitung,  ber  xä)  folge,  m 
jte  tion  ber  früt)eren  abrceidjt. 

3erier,  ©efc^idjte  ber  beutfd^en  ^p^ilofop^ie.  ^-i 


643  §fgel. 

lid^feit  ktrad^tet  unb  bicfc§  in  bcm  fog.  ©a^  beg  2Biber[prudj§  (A  ift 
nic^t  non — A)  au^gefprod^en  I;otte,  beljQuptet  ^cgel  vkhndjx  iimgefcljrt: 
ber  Söiberfpruc^  fei  notfiraciibig,  er  fei  eine  ebenfo  luefenfiafte  itnb  imino= 
nente  Seftimmung,  wie  bte  öbentität,  er  fei  bie  SButäel  aller  Seraegung 
utxb  Sebcnbigfcit,  bie  33eraegimg  fei  ber  bafeienbe  23iberfpru(^  felbft,  bo^ 
Seben  fei  bie  ^raft,  ben  2öiberfpni(^  Qii§3uf)alten  unb  anf^nlöfen,  unb 
ba§  fpefulatiüe  S)enfcn  bcftefie  nur  barin,  ba§  ha?»  S)enfen  bcu  2Biber= 
fprud;  unb  in  ii)m  fid^  felbft  feftfjalte.  ©r  l;at  aber  freilid;  biefe  ^e- 
l^anptung,  mit  ber  er  über  bie  £cl)re  eincS  9^ifoIan§  uon  6ufa  unb 
©iorbano  ^Bruno  vom  Qu\ümmcn'\a\kn  bor  ©egenfä^e  noä)  f)inau§gef)t, 
nid;t  aEein  oiel  3U  unbeftimnit  nnb  aUgcniein  IjingcftcKt,  unb  baburd^ 
ber  ©ebanfenlofigfeit,  fic^  burd^  SBiberfprüdje  überhaupt  nid;t  mel^r  ftören 
5U  taffen,  unb  auc^  ha^  TOiberfinnigftc,  gerabe  weil  e§  bie§  ift,  für  tiefe 
©pefulation  ou§3ngeben,  eine  fd;einbare  Sftcdjtfertigung  geroäl)rt,  fonbern 
er  f)at  aud;  bei  berfelben  bcn  SSiberfprud;  mit  bcm  ©egenfa^  ücrmedjfelt, 
nnb  bo§,  mag  nur  ron  btefem  gefagt  merben  fonnte,  auf  jenen  über; 
tragen,  ©er  3}ieinnng  ift  inbcffen  and;  er  nid;t,  ba^  man  nun  beim 
2Bibcrfprud;  al§>  einem  legten  fteljen  bleiben  bürfe;  er  mid  uielme^r,  ba^ 
bie  entgegengefegten  ^eftimmnngen,  inbem  fie  im  2öiberfprud;e  3U  ©runbe 
geljen,  öUgleic^  in  il;rcn  ©runb  surüdgcfjen,  ba^  ba§  SBefen,  beffen  un= 
mittelbare  ^bentität  mit  fid^  felbft  fic^  im  SBiberfprnd;  anfgclöft  F)at,  at§ 
ba§  fi(^  mit  fic^  üermittclnbe,  cl§  ber  ©rnnb  erfannt  werbe.  2öa§  on§ 
bem  ©runbe  l^erüorgelit,  ift  bie  ©yiftenj,  unb  ba§  %iftirenbe,  n)eld;e§ 
feine  Derfdjiebenen  5Bc3iel)ungen  in  fid;  felbft  al§>  üjxcm  ©rnnbe  refleftirt, 
ift  ba§  S)ing,  jene  Seäieljungen  aber  finb  feine  ßigenfd^aften.  S)iefe 
©igcnfdjaften,  ot§  felbfiöubige  gcbadjt,  finb  bie  SOlaterien,  au§  bencn  ba§ 
S)ing  3uf ammengefegt  ift;  alle  bicfe  5IRaterien  gel)en  aber  in  bie  ©ine 
3Jtatcrie  jufammcn,  raeldje  ba§  nnterfd;ieb5lofe  SBefen  be§  S)inge;§  an§; 
mad)t,  TOÖl)renb  bie  unterfd;iebcncn  53cftimmnngen  berfelben  feine  gorm 
bilben.  Stilein  ^orm  unb  3)?aterie  finb  an  fid;  baSfelbe:  wenn  bie 
9)Zaterie  bie  Einheit  ift,  ber  alle  55eftimmnngen  anfjaften,  ift  fie  felbft 
bie  Totalität  ber  ^orm,  nnb  wenn  bie  ^^orm  alle  jene  ^Beftimmungcn 
umfaf5t,  ift  fie  felbft  ba§,  worin  bie  33kterie  befielen  foH.  ®a§  SMng 
ift  fo  ber  Söiberfprnd^,  baf]  e§  jngleid;  bie  ^orm  fein  foll,  in  ber  bie 
3)laterien  jn  blo{3cn  Gigcnfdjaften  l)erabgcfcgt  finb,  unb  onS  fetbftänbigen 
3Jlatericn  befleißen  foII:  e§  ift  bie  wefentlid;e  ©yiflen^  aU  eine  fid^  felbft 
aufljebenbe,  ift  ©rfdjcinung. 


Sogit:  ba§  SBefen.  643 

Sie  @rf  (^einung  ift  ßrfc^emiing  bc§  2Befen§.  3)a3  2ßefen 
jeinerlcitS  tnii§  crfdjeineu:  bie  ©r[d;ciimng  ift  ba§  S^afein  be§  2Be[eng 
als  ein  üoii  x\)m  felbft  öefcgte§,  bie  ?5orin,  in  bev  ba§  SBefen  [id;  mit 
Ü^  ücrmittelt.  Slus  biefem  ©egeni'a^  ber  ßrjdjeinung  nnb  \\)xc§>  @rnnbc§ 
entfpringt  bie  Unteifdjeibung  be§  ^n^alt;*  nnb  ber  gorm  (be§  @efc^e§) 
ber  @r[(|einnng,  baS  $^er§ä(tniB  be§  ©anjen  nnb  ber  ^^eite,  ber  i?raft 
nnb  ifjter  2(enf3crnng,  be0  i^nnern  nnb  bc;?  Slcu^crn.  Sitte  biefe  ^e- 
[tininumgen  uerfiaftcn  ficl^  akr  bioleftifd;:  fie  tiaften  an  einanber  nnb 
]d^[agen  in  einanber  nm,  nnb  [ie  erracifen  \iä)  fo  üi§>  an  nnb  für  fi(^ 
ibentifdj,  aB  bie  jraei  ©citcn  ©ineio  ©anäen,  TOe[d;e  nnr  in  it)rer  SSer= 
einignng  bie  SSirtlidjl'eit  barftellen. 

Unter  ber  SBirHidifeit  rerfteFit  ^co,d  bie  Ginf)eit  beS  Innern 
nnb  bc§  Slen^ern,  ba»  in  bie  @rfd;einnng  getretene,  ^ur  Syiften^  gefom= 
mene  SBefen.  Gr  bejeid^net  fie  be^fjalB  in  ber  Sogif  (1.  Stnft.  1813) 
gerabe^n  aU  ba§>  Sldfolnte,  beffen  begriff  nnb  be[)'cn  „2ln§[egnng"  im 
Stttribnt  nnb  3Jiobu§  er  eingcl;enb  Be)prid;t.  Qn  ber  ßncijtiopäbie  (I, 
281  ff.)  t)at  er  biefe  Erörterungen  tiier  nnterbriidt.  S^agcgcn  Ijäit  er 
fortiüätjrenb  an  bcm  Sa|  feft,  bnrdj  ben  er  juerft  in  ber  ^'orrebe  jnr 
9kd;tlpf)i(ofopt)ie  (1820)  Stnffctjen  erregt  tiatte:  ba»  ^Vernünftige  fei 
rairftid;  nnb  ba§  SBirfÜdje  üernünjtig.  2(ur  feinem  ©tanbpnnft  nid;t  mit 
Unrcd^t,  wenn  fid;  anc^  nid;t  jebe  2(mücnbung  red;tfettigen  täf3t,  bie  er 
felbft  nnb  anbcre  oon  jenem  <Ba^e  gemad;t  {)aben;  benn  ein  n)irf(i(^e0 
ift  i!)m,  mie  er  anSbrüdtidj  f;eroort)e6t,  nidjt  jcbc  beliebige  (Sr[d;einung, 
ionbein  nnr  bie  Grf($einnng  ber  ^bec,  nnb  biefe  mn^  ja  mofil  üernuuft= 
gemäf3  fein;  unh  anbererfeitS  !anu  er  bie  ^bce  nnmöglid;  für  etiuaS  fo 
nnmädjtigcS  l)alten,  ha^  fie  fic^  nic^t  jur  2Sirttid;feit  gu  bringen  vcx- 
mödjtc.  9täf)er  entptt  bie  2Sirf[id;feit  bie  brei  3)comente  ber  5Diöglid;feit, 
SBirftidjfeit  nnb  9iotljii)eubigfeit  in  fid;,  nnb  fie  vermittelt  fid;  in  ben 
brei  2>erf)öltniffcn  ber  ©ubftantialität,  ©aufalität  nnb  3Sed;[elmirfnng. 
Sic  3iif^^^^^^"ft^^i^"9  ^''ß[cr  Segriffe  roeift  anf  iiant  (ob.  ©.  348) 
jnrüd;  üon  eigentl)ümlid;em  ^nterefj'e  finb  l^ier  ^cgel'»  53cmerhingen 
über  formale  nnb  reale  3)^öglid;feit  nnb  bie  tief  in  ba§  (£i;ftem  ein= 
greifenbe  2lnnal;me  .einer  ^^^föUigfeit,  bie  in  ber  9tatnr  mie  in  ber 
3Jlenfc^cnraelt  neben  ber  9lot^raenbigfeit  l^eripiele,  nnb  bie  e§  bei  vielen 
@rfd;einnngen,  wie  ^egel  felbft  fagt  (@nc.  I,  290),  nnmöglid;  mad;e,  fie 
a  priori  ju  conftrniren. 

3n  ber  S5?ed;felmir!nng  ber  Singe  fommt  e§  ^um  3]orfd;cin,  bo^ 

41* 


644  $egef. 

eöenfo  atteS  ©inselrte  ©rfcf^einung  be§  SlUgetneinen  ift,  wie  anbererfeit§ 
haS'  MQcmcim  fidj  a(§  ®tit3elne§  fe|t:  bie  abfolute  ©uBftanj  erraeift 
fi($  qI§  ba§  fid;  ron  fid^  iinteifc^eibenbenbe  unb  in  biefei'  ©elbftunter= 
fd)eibung  mit  fid^  ibcHti[($e  SBefen^  al§  in  fid;  burdjfidjtige  ^Totalität, 
al§>  ber  Segriff. 

9}Zit  ber  Sefire  oom  begriff  Befd;öftigt  fid;  ber  britte  ^"^eil  ber 
l^egePfdjen  Sogif,  bie  ,,futiieftiue  Sogü".  SBenn  man  aber  foiift  unter 
bem  Segriff  nur  eine  ^orm  ober  ein  ®r3cugni^  be§  ntenfdjlidjcn  ®enfen§ 
t)erftef)t,  fo  fiat  berfelbe  bei  ^eget  eine  nmfaffenbere  Sebeutung.  S)er 
Segriff  bejeiij^net  in  feinem  «Spradjgebraud;  bie  ©ubftanj,  fofern  fie  [lä) 
jum  bcftimmten  Sein  oufgefdjloffen  fiat,  ba§  2I(Igemeine,  mcIdjeS  im 
©inselucn  3um  ©afein  gefangt  ift,  meldjcS  feine  2)Zomeute  frei  au§  fic^ 
entmidelt,  ober  gugleii^  in  ber  ©infjeit  bc§  ©nnjen  3ufammenf)ä(t,  ober 
wie  er  bie^  auc^  au^brüdt:  ba§  „Sdmnbfürfidifein"  überf)aupt.  ®r 
unterfdjeibet  bal^er  in  ber  ©pf)äre  bc§  Segr'ffeS  mieber  verfd)iebene 
formen,  bie  berfelbe  annimmt:  bie  Snbjeftiuität,  bie  Dbjeftiuität  unb 
bie  ^hce.  ^n  bem  erften  non  hen  brei  2lbf(^nitten,  in  roefd;e  I)icrnad; 
bie  fubjeftioe  Sogif  verfällt,  werben  bie  ©cgcnftänbe  bcl;anbclt,  bie  fonft 
ben  ^n{)alt  ber  fogenannten  togifdjcn  ©femcntarlcfjre  ju  bilben  pftegen : 
Segriff,  llrtf)eil  unb  <Sd;hi§.  2tuc^  fie  foHen  aber  nid;t  b(o§  ah^  formen 
u uferet  ©enfen»  betradjtet  werben,  fonbern  al§>  formen  ber  Qad)e 
felbft:  ba§  SBirftidje  l^at  nad;  ^egel  an  fid;  felbft  bie  Scftimmtf)eit, 
1)  unmittelbare  ©in^eit  mit  fid^  ^u  fein,  2)  fid;  in  feine  9)tomcute  ju 
birimiren,  fie  a\§>  felbftönbtge  §u  feigen,  unb  enblid^  3)  fie  in  fi($  jur 
Totalität  3ufammen3ufdjIieBen,  fie  burd;  ben  Unterfdjicb  mit  ftd;  ju  uer= 
mittein;  nur  bie  benfeube  Sßieberl^olung  biefe§  ^roceffel  ift  unfere  Se= 
griffsbilbung,  nnfer  llrtf)ei(en  unb  ©(^lie^en.  SS^urc^  biefe  Semegung 
liebt  nun  ber  Segriff,  wie  §ege(  fagt  (Sog.  III,  170),  bie  Sermittlung 
auf,  unb  ba§  9iefu(tat  ift  ein  burc^  bie  2Iuf!)cbung  ber  Serniittinng 
entftanbeneS  unmittelbares  6ein:  ber  Segriff  nimmt  bie  ©eftaft  ber 
Dbjettiiutät  an.  3n§  bie  brei  j^ormen  ber  Dbjeftioitöt  befpric^t 
^eget  ben  5IRcc^anifmu§,  ben  6f)emifmu§  unb  bie  ^Teleologie,  bringt  aber 
bamit,  fo  wenig  er  bic^  aud)  SBort  'i)abcn  wid,  naturpf)ilofopI;ifd;e  Se^ 
ftimmungen  f)ercin,  wcldje  über  bie  2Iufgabe  ber  Sogif,  ond;  wenn  mau 
biefe  fo  fa^t,  wie  §ege(,  unuerfennbar  fiinan^-^gcfien.  ^I;rem  ^nljalt  \\a^ 
ift  unter  biefen  Erörterungen  bie  über  bie  ^cteologie  bie  widjtigfte,  fos 
fern  §eget  f)ier  ber  öuBerlidien  B^y^^ß^äi^^Ji^^O/   ^^c  i"on  \im  Singen 


?ogtf:   ber  begriff.  645 

geraöl^ulic^  ju  gekn  pflegt,  im  2tnfd;[uf3  an  ^ant  unb  2lriftotere§,  ben 
33egriff  ber  inneren  3metfmä{3iöf'eit  mit  atfem  9tad;brnc!  entgeöcnfteHt. 
^[t  aber  i^re  3iüed6c3icf)ung  ben  S:ingen  immanent,  fo  ermeift  fid;  bie 
3tüedtf)ätigFeit  ebenbomit  oI§  bie  S3en)cgung,  burd^  n)eld;e  fid;  ber  be- 
griff mit  fid;  felbft  »ermittelt,  im  Dbjeft  fid;  felbft  bcftimmt.  ©ofern 
ber  begriff  in  biefer  SBeife  fid;  feibft  üerrairflid;t  unb  in  feiner  35er; 
rairf(id;ung  ibentifi^  mit  fic^  bleibt,  ift  er  bie  ^bee.  ^eget  nnter^ 
fc^eibet  nun  au^  ^ier  —  freitid;  luieber  gu  frü^  für  bie  Sogif  —  ha§> 
unmittelbare  S^afein  ber  ^bee,  ha§^  Seben;  fobann  ben  Fortgang  5um 
geiftigcn  Ergreifen  be0  Dbjelt^,  bie  ^bee  beg  SBa^ren  unb  ©Uten  al§ 
©rtennen  unb  Bollen;  unb  enblid;  bie  abfolute  ^bee,  n)eld;e  bie  2tu§= 
gleid;nng  bei  ßrfenuenö  unb  5il;nn§  unb  ba«  abfolute  SSiffen  il;rer 
felbft  ift.  ^n  bem  testen  oon  biefen  2tbfd;nitten  giebt  er  bie  oben  be= 
rül;rten  Scftimmungcn  über  bie  miffinfd;afilid;e  33lctl;obe. 

SBaS  l)ier  gegeben  racrben  fonnte,  ift  nur  ha§^  ©erippe  eine§  2Serfe§, 
bem  man  bei  unbefangener  SBüibigung,  —  ob  man  nun  feinen  ©tanb= 
punft  tl;eile  unb  bie  2(ufgabe,  bie  e§  fi^  geftellt  l;at,  für  lösbar  l)alte, 
ober  nid^t  —  hoä)  bje  Slnerfennung  nid;t  mirb  üerfagen  bürfen,  ba|3  e5 
eine  uon  ben  l;erxiorragcnbften  Seiftnngen  be§  metap^ i;fif d;en  S^entenl 
ift,  ba{3  bie  ^l;ilofop^ie  feiner  3eit  in  i§m  einen  in  feiner  2(rt  claiiiid;en, 
abfd;lie§enben  3lu§brud  gefunben  f)at.  ß»  ift  nid;t  blo0  ber  grof3artige, 
in  angcftrengtcr  geiftiger  Slrbeit  met^obifc^  burd;gefü§rte  ©ruubgcbanfe 
bei  ©an^en,  bem  §eger§  Sogif  i^re  S3.beutung  ju  oerbanfen  l;at;  fonbern 
fie  ift  au(^  im  einzelnen  fo  reid;  an  anregenben  unb  frud;tbaren  llnter= 
fud^ungen,  bie  abftraften  metap^i;fifc^en  Segriffe  rul)en  auf  einem  fo 
breiten  IXntergrunb  ber  mannigfaltigften,  in  benfenber  Setrad;tung  vcx- 
tieften  ©rfa^ruug,  ba^  man  auä)  bann  nod;  ungemein  uiel  üon  i§r 
wirb  lernen  !önnen,  mcnn  mon  meber  mit  ber  l)ier  yerfud;ten  ^Bereinigung 
ber  Sogif  mit  ber  3)^etapl)i;fif,  nod^  mit  ber  apriorifd;en  ßionftruction 
ber  metapl):;fifd;en  33egriffe  einuerftanben  ift.  Sioc^  ftärferen  2lnlaB  gu 
Sebenfen  gegen  biefe§  3Serfal^ren  giebt  aber  allerbingg  feine  Slnmenbung 
auf  bie  !onfrete  2Birflid;!eit,  wie  fic^  bief3  gleid;  beim  Uebcrgang  üon  ber 
Sogt!  gur  3iaturpl;ilofopf)ie  geigt. 

4.  9ioturp^tlofop^ie. 

„Snbem  bie  ^bee  fic^  al0  abfolute  ßin^eit  be§  reinen  Begriffs  unb 
feiner  91  ealität  fet^t,    fomit  in  bie  Unmittelbarfeit  bc§  ©einl  äufammen 


646  §egel. 

nimmt,  fo  ift  fic  al§  bic  Totalität  in  biefec  ^orm  9?atuv."  3Jiit  biefen 
SBoctcn  menbet  ficf;  ^egel  am  @($tu§e  ber  Sogif  bem  jraeiten  STEieit 
feines  6i)ftem§  511.  3(6er  fdjon  §ier  fügt  er  bei:  „btefer  ßntfdjlit{3  beu 
reinen  ^bee,  fi(|  aU  äu^exMyi  i^jbee  gu  lieftimmen,  fe^e  ficf;  bamit  nur 
bie  3]ermitt(ung,  au»  meldjer  fid;  ber  ^Begriff  (im  ©cifte)  aU  freie,  au§ 
ber  2lcuBer[id;f'eit  in  fid;  gegangene  Gfiften3  emporfiefie'' ;  unb  äf)nlid} 
fül^rt  er  anberSrao  (@nc.  II,  23  ff.)  au§:  bie  ^bee  fei  eBen  bieB,  fi(^  ju 
ent[d^(ie§cu,  ba§  2Inbcre  au§  fid;  fierauf^jufc^en  unb  micber  in  fid;  §u= 
riic!3nnet)men,  um  (gubjeftiuität  unb  ©eift  3U  fein;  fie  ge|e  üon  ber 
^orm  ber  2I(Igemcin!)eit,  bie  fie  al§  Iogif(^e  ^bee  f)at,  burd;  bie  S3e= 
fouber{)cit,  bie  91atur,  im  enblic^cn  ©eift  gur  ©injct^eit  fort.  Mit  anberen 
SBorten:  bie  ^hte  rein  a(§  folc^e,  a(§  ba§  ©anjc  ber  togi[d;eu  ^eftim= 
niungen  gcbadjt,  wäre  nod;  nid;t  üollfommen  uermirftidjt;  bamit  fie  Mc^ 
fei,  mu§  fie  erfdjeinen,  unb  erfdjeinen  fann  fie  nur  an  bem,  wa§  uic^t 
fie  felbft  ift;  wie  fie  anbercrfeit»  fid;  felbft  erfdjeinen,  aB  fetl-ftbcwu^ter 
©eift  au§  if)rer  Gntäu^erung  wieber  3n  fi($  surüdfef^ren  mu^.  '^a^ 
bie  Statur  freiiid;  mit  biefem  6a|e  nur  im  3Ii[gemeinen,  aber  nic^t  in 
i^rer  näfieren  S3eftimmtf)eit,  aU  motericlfe  S^eit  abgeleitet  ift,  wirb  man 
felbft  bann  !aum  beftreiten  fönnen,  wenn  man  feine  Slidjtigfcit  einräumt; 
unb  ebenfowenig  wirb  man  bie  j^rage  umgetien  fönnen,  ob  er  felbft  ein 
apriorifdjer  <Ba^  unb  nid;t  üietmefir  üon  ber  un§  empiriidj  betannten 
23ir!(idjicit  abftraf)irt  ift.  llebrigenS  ift  fdjon  bemerft  worbcn,  ba^  biefer 
Fortgang  uon  ber  reinen  ^hce  ^ur  -Ratur  nac^  ben  S?orau§tet^ungcn  be§ 
@ijftcm§  nidjt  at§  eine  3eitlid;e  ßntwidhtng  aufgefaßt  werben  barf.  SSenn 
ba§  äufscre  S^afein  ber  ^ht&  in  ber  3^atur  eine  wefentlidje  Sebingung 
i{)rer  SSirtlidjfeit  ift,  fo  fann  fie  ot)ne  baSfelbe  nidjt  gebad;t  werben,  alfo 
aud^  nie  gewefen  fein:  bie  2Belt,  wenn  aud}  if)rer  -J^atur  nad;  cnblidj  unb 
infoferne  nid)t  ewig,  ift  boc^  ot)ne  2lnfang  in  ber  3eit.  .^eget  felbft 
bringt  aber  biefe  ^-rage  nidjt  5ur  !(aren  ©ntfdjeibung,  fonbcrn  begnügt 
iid),  fie  aU  etwas  nur  ber  enbiic^eu,  abftraftcn  ^luffaffung  angct)örige§ 
abjuweifen.  ^) 

2(u§  ^egel'l  31bleitung  ber  9?atur  folgt  aU  bie  ©runbbeftimmung 
feiner  9tatnrbetrad}tung  biefj,  baf5  bie  9?atur  bie  „^bee  in  ber  ^yorm  be§ 
2Inbersfeln§"  ift.  <Sie  ift,  wie  er  auSfütjrt,  aUerbingS  baS  S)afein  ber 
;3bee;  aber  bie  9}tomeute  berfelben  ftel^en  fid;   f)icr  äuficrlid;   al§>  gegen 


1)  a«.  »gt.  ^ierü6rr  Gucofl.  TI,  ?.^)  f.  433.  'Stil=W^L  II,  253. 


Sic  9?atur.  647 

einanber  gleidjgüftige  S)inge  gegenüber,  in  benen  bei*  S3egnff  ^mat  aU 
innere^  @e[e^  rairft,  aber  nod^  uicf;t  3U  fid)  feI6ft  unb  feiner  beraubten 
Gr[d;einung  gefommen  ift.  ®ie  Statur  ift  bai^er  ba§  didä)  ber  äußeren 
O^ot^iücnbigfeit  unb  ber  3ufäEigfeit:  jeneg,  weil  ifire  ©einibe  unfrei  von 
aufien  beftimmt  werben,  biefeB,  we'X  ebenbef3it)egen  tjielel  an  il^ncn  nid^t 
oon  bem  eigentpmüdjcn  SBefen  unb  S3egriff  if)rer  6pf)äre,  fonbern  von 
änderen  Sebingnngen  abfiängt,  unb  ba^cr  bie  ©puren  ber  33egripbe= 
ftinimnng  fid;  giüar  bi§  u\'§>  einseifte  f)inein  oerfofgen  laffen,  aber  biefe^ 
fid;  nid)t  burd;  fie  erfdjöpfen  lä^t. 

^nbem  nun  fo  bie  igbee  in  ber  Statur  eine  i^r  unangemeffene  gorm 
i)at,  ergiebt  fid;  bie  D^ot^roenbigfeit,  ba§  fie  bicfe  Unangemeffenfieit  in 
fortfc^reitenber  ©ntroidlung  autf;cbe,  au§  ifirer  Unmittelbaifeit  unb 
2leu§cr(id;feit  in  fid;  gef)e  unb  fid;  aU  ba§  fe^e,  ma§  fie  an  fid;  ift, 
als  Seben  unb  weiterljin  al§  ©eift.  Sie  -Jtatur  bilbet  ba^er  „ein  ©i;ftem 
oon  ©tufcn,  bcren  eine  an§>  ber  aubern  notl^raenbig  fieruorge^t  unb  bie 
nöd;fte  2Ba^rf;e{t  berjenigen  ift,  an§>  meldet  fie  refultirt:  aber  nid;t  fo,^ 
ba|3  bie  eine  au§  ber  anbern  natürlich  ergengt  würbe,  fonbern  in  ber 
innern,  ben  ©runb  ber  D^atur  auymad;enben  ^hec'\  nur  ü{§>  2)teta= 
morpI;ofe  be§  Segrip.  5Jcät;er  5ä[;[t  ^egel  brei  ^auptftufen.  ©ie  ;^bee 
ai§>  5catur  ift  1)  in  ber  33eftimmnng  be5  2tu§ereinanbcr,  ber  SSereingelung, 
raetd;e  bie  Ginf;eit  ber  ^^orm  au^er  fid;  f)at :  bie  3}iaterie  unb  \l)x  ibeelleS 
(it}ftem,  bie  9Jie d; an if;  2)  in  ber  ^eftimmung  ber  ^efonberfieit,  al§> 
eine  3Sief(;cit  natürlid;er  Stoffe,  benen  if)re  gormbeftimmt^eit  unb  t^r 
tlntcrfd;ieb  von  einanber  immanent  ift:  bie  ^^i;fif;  3)  in  ber  SSe- 
ftimmung  ber  Subjeftioität,  in  welcher  bie  realen  llnterfd;iebe  ber  ^orm 
ebenfo  gur  ibeeKeu  ßint)eit  3urndgebrad;t  finb:  bie  Drganif  (@nc. 
II,  32  ff.) 

ߧ  ift  nun  f)ier  nid;t  mi^glid;,  auf  biefe  brei  ^l^eife  ber  J^egcPfi^en 
?^aturpI;i(ofopr;ie  im  einzelnen  mit  einiger  3Sottftänbigfeit  einjugel^en;  unb 
e§  wirb  bicfä  aud^  um  fo  ef)er  unterbleiben  fönuen,  ba  bie  ^aturpf)iIo= 
fopf)ie  übert)aupt  unüerfennbar  bie  fd;raäd^fte  (Seite  be§  (SpftemS  unb 
biejenige  ift,  in  ber  §egel  nad;  feinem  $8i(bung§gang  unb  feiner  ©eifteg= 
roeife  am  menigften  5U  bebeutenben  eigenttiümlic^en  £eiftungen  befäfiigt 
wax  unb  fid;  oon  bem  Ginf(u§  ber  fi^ettingifi^en  9?aturpt;i[ofopt;ie  am 
raenigften  befreit  f)at.  Sc^on  feine  einfeitige  g?artf)cinaf)me  für  ©ötfie 
unb  gegen  5Reraton,  in  ber  er  fic^  gteic^fatlS  mit  ©($elling  begegnet,  tä^t 
erfenncn,  ba^  er  bie  3Iufgabe  unb  Sßebeutung  ber  ejraften  5Jcaturforfd;ung 


648  $^9«^- 

unterf(^ä|te  itnb  feiner  fpefulatiüen  Gonftruction  ein  SSertrouen  fc^enfte, 
auf  ba§  fie  in  biefem  @et)ict  nod^  raeniger,  al§  in  jcbcin  anbern,  SCnfpruc^ 
mad^en  fonnte. 

^n  bcr  Wle^anit  befpridjt  .^egel  guerft  unter  bcm  STitel:  „ntotl^e- 
matifc^e  Mcäjamt"  ben  diaum  unb   bie  3^^^.    ®r  ^atta  fid^  mit  ben- 
felbcn  ebenfo,  mk  mit  ber  ^a^\,  fc^on  in  ber  Sogif,   in  bem  3lb[c^nitt 
über  bie  Duantitöt,  luetd^cr  bie  ©runblagen  einer  ^f)itofop!)ie  ber  9[Ratl;e= 
matif  entf)ält,  anSfüfjrlid;  befc^äftigt;   inbeffen  finb  biefe  j^^ragen  bnrc^ 
tfin  namentlid;  be§f)alb  wenig  geförbert  worben,  raeil   er  fid^  ha^»,  ma^ 
l£)ier  uor  allem  notfjt^at,   eine  grünbtid^e   Prüfung  ber  fantifd;cn  Sef)re 
über  9kum  unb  ^di,  erfpart  I)at.    2ltg  bie  S^entität  be§  9laume§  unb 
ber  S'^it  wirb  ber  Drt,   aU  ba§  SSerge^cn  unb  ©id^iuieberer^eugen   be^ 
9flaumc§  in  ber  3eit  unb  ber  3eit  i^^  9^aum  wirb  bie  ^Bewegung  befinirt 
unb  ou»  beiben  bie  9Jlaterie,  al§   ifire  unmittelbar  ibentifc^e  bafeienbe, 
(ginfieit,  abgeleitet.    S)ic  9Jiomente,  au§  benen  ber  begriff  ber  3)iaterie 
fi(^  3ufammenfe|t,  finb,  wie  bei  ^ant  unb  Sc^eHing,  bie  9iepnIfion  unb 
Slttraftion,  unb  ba^,  worin  beibe  ®in§  finb,  bie  ©c^roere.    §cgcl  be= 
fianbelt  nun  weiter  in  ber  ,,enbli(^en  Melanit"  bie  S^rägfieit  bcr  SJiaterie, 
ben  @toB  unb  ben  %aU,  unb  fd^(ie^(i(^  in  ber  ,,ab)otuten  3Jicd^aniE"  bie 
9>erTOirf(i(^ung  ber  (Sd;roere  in  einem  ©t;ftem  gegen  cinanber  grauitirenber 
unb  fic^  frei  bemegenber  Söeltförpcr.    2lber  fo  wenig  er  ficf)  and^  ^iebei 
natürlich  ben  ©ntbedungen  ber  neueren  3lftronomie  nerfd^Iiefeen  fann,  fo 
tä^t  er  fi(^  bodj  —  weniger  oline  ^lüßif«^^  ^wrc^  feine  SSorliebe  für  bie 
2lnfd;auungen  be§  f(affifd;en  2l(tert{)um§,  aU  burd^  baS  Sebürfni^,  feine 
eigene  (Eonftruction  ber  2BeIt  unb  i^rer  ©efd;id;te  auf  ein  abgefdj(offene§ 
unb  überfet)bare§  gelb  gu  befd^ränfen  —  ju  ber  ^cl^auptung  :)erleiten, 
nur  ba§  ©onnenfi;ftem  fei  ba§  Softem  realer  SSernünftigfeit  am  |)immel, 
bie  übrigen  (Sterne  bagegen  feien  ein  ,,Si(^tau;cfd;lag",  „abftrafte  Sid;t; 
punfte",  bie  wir  jenem  an  SBebeutung  burd;au§  nid;t  gleid^ftellen  bürfen 
(ßnc.  II,  92.  461);  unb  inbem  er  nun  wieber  im  @onnenft)ftem  bie 
planetarifd;en  Körper,  al0  bie  fonfreten,  für  bie  rollfommenften  erflärt, 
unb  unter  ben  ^Planeten   bie  ©rbc  (ebb.  98.  123.  134.  154),  eröffnet 
er  fid^  freilid^  bie  äRöglic^feit,  biefe  al^  ben  einzigen  von  vernünftigen 
2Befen  bewol)nten  SBeltförper,  unb  bemgemäB  ben  ©eift  ber  3J?enfd;§eit 
als  ben  „SBeltgeift",  il)re  @efd;id;te   d§>  bie  ©efd^ic^te  be§  Uniocrfumg 
ju  belianbeln;   er  gerätl)  aber  baburd^  nid^t  allein  ber  9^aturwiffenfd^aft 
gegenüber  in  eine  bebenflid^e  Sage,  unb  rechtfertigt  ^a^  Wi^txamw,  ^u 


9?aturp;^t{Dfop]^ie.  649 

betn  feine  kgriffUt^e  SIbteitung  be§  6onnenfr)ftem§  ol^nebcm  3InloB 
genug  bietet,  fonbern  er  vexmMt  fid;  and;  in  ben  SSibcrfprud;,  ba^ 
ber  abfotute  ©eift  felbft  al§  2öe(tgeift  einer  ge[d;td;tUd;en  ©ntiuidfung 
unterworfen  wirb,  ha^  er  wafjreub  be§  unenblidjen  ^eitvaumS:,  n)e(d;er 
ber  6ntftef)ung  be§  3Jtenfdjengcfd;(cdjt§  üorangicng,  in  feinem  enblid;en 
S3erou^tfein  ba§  S)afein  gcraonnen  Ijätte,  beffen  er  bod;  nidjt  entbefjren 
fann,  unb  gunt  roUen  S3ctüu^tfein  uon  fid^  felbft  erft  gelangt  wäre,  feit 
ber  ©tanbpunü  be^  abfohlten  SöiffcnS  entbedt  ift. 

®ie  ^l)i)fi!  tf)ci(t  ^egel  gtcid;fall§  in  brei  ^fieile.  S)er  erfte 
rcirb  bie  „^f)i)fiE  ber  attgemeinen  :[ynbiuibualität"  genannt  unb  umfaßt 
bie  Set)re  t)om  £td)t  unb  ben  Ieud;tenbcn  §imniel§förpern,  von  ben 
Elementen  (bie  von  ben  einfadjen  Stoffen  ber  neueren  ß^eniic  untere 
fd^ieben  unb  in  ber  alten  ä>ier3al}(  aufgeführt  werben)  unb  üom  elcmen= 
tarifdjen  ^roce^  (3Jictcorologie).  S)er  groeite,  bie  „5]3f)t;fif  ber  bcfonberett 
^nbiinbualität'',  fianbelt  Don  ber  fpccififdjen  Sd;roere,  ber  ßoI)äfion,  bem 
£fang  unb  ber  SBärme;  ber  britte,  bie  „^f)ijfif  ber  totalen  :3nbiui= 
bualität",  üon  ber  ©eftalt  (93iagnetifmu§,  iTryftaÜifation),  ben  befonbcren 
©igenfdjaften  ber  Körper  (Sid;t  unb  garben,  ©erud;  unb  ©efdjntad, 
@le!tricitöt)  unb  bem  (^cmild;cn  ^roce^.  ^nbem  ber  djemifc^e  ^rocef3 
bie  ©igenfc^aften  ber  Körper  üeränbert,  bie  9^elatit)ität  ber  unmittelbaren 
©ubftan^en  unb  ßigeufc^aften  5um  SSorfd;ein  bringt,  mirb  ba0  Unor= 
ganifd^e  in  il)m  al§  bIoBe§  3)Zoment  ber  ^nbioibualität  gefegt,  biefe  ift 
ha§,  maS  allein  be^arrt  unb  an§>  ben  bcfonberen  lörpern  fid;  ^croor^ 
bringt.  S)iefer  unenbli($e,  fid^  felbft  anfad;enbe  unb  unter^altenbe  ^^roce§ 
ift  ber  Drganifmuä. 

S)er  Drganifmu§  ober  ba§  Sebenbige  ift,  wie  fd^on  ^ant  gefagt 
^at,  baSjenige,  ma§  3med  für  fid^  felbft  ift.  ®r  ift  eine  fic^  felbft  pro:= 
bucirenbe  5lotalität,  ein  ©an^eS,  beffen  Seben  burc^  ben  ITnterfd^ieb,  ja 
ben  SBiberfprud^  feiner  S;f)eile  unb  bie  fortn)äl)renbe  Sluflöfnng  biefe§ 
Sßiberfprud;0  bebingt  ift,  in  roeld^em  bie  ^nbioibualität  fid^  ber  änderen 
©toffe  bemädjtigt,  fie  für  fid;  nerraenbet  unb  mieber  abflögt,  unb  ebenfo 
xt)re  eigenen  ©lieber  gu  il^ren  SJlitteln  mad^t,  fo  ba^  jebeS  an§  ben 
anbern  unb  gegen  fie  fi(^  erhält,  um  burd)  biefe  Bewegung  fid;  .felbft 
in  ilirer  Sebenbigfeit  3U  belianpten,  fid^  mit  fic^  gu  vermitteln.  Sind; 
|)ier  finbet  aber  eine  ©ntmidlung  ftatt,  meldte  burd^  brei  Stufen,  baS 
3Jiinerolreid^,  ^flan^enreid^  unb  Stliierreid)  (ben  ®rborganifmu§)  l^inburd^= 
gel)t.    ^egel  tianbeltüber  atte  brei  äicmlid)  au§fül)rlid^;  über  bie^flanjen 


650  ^^-S^'- 

unb  X^kxe  gtcicfjinäBtg  unter  bcn  bvei  2ite(n:  @efta(tun9§procef3,  2lffi= 
tnUation§proce§,  ©attunö^proccB.  S)en  it)al)vl)aftcn  DrcjatiijmuS  crfeimt 
er  akr  bod)  erft  im  %\)kxe,  weit  ^ier  erft  bie  onjanifc^e  ^nbiyibiiadtät 
gur  ©iibjcftioität  wirb,  al§  enipfinbetibe  ©eele  in  fid;  ift  unb  ba^3  ^l)ier 
aut^  bef3f)a(b  nid;t  ntci)r  am  ^obcu  !)aftet,  fonbem  in  freier  Drt§i)er= 
änbcrunö  bie  ©djraerc  übenuinbet.  2(6er  bo(^  ift  ba§  i^nbloibiium  nud; 
{)ier  nid;t  in  ber  Strt  frei,  ba^  e§  a(§  Qnbiüibuum  mit  feinem  aüoemeinen 
2Befcn  Gin§  märe:  au(^  in  bem  tjödjften  organifdjcn  ^roce^  bcm  ©e= 
fc^ledjtgproceB ,  ergänzt  e3  fic^  nur  üorübergcl^cnb  mit  einem  anbern 
Snbiüibunm,  gur  Fortpflanzung  ber  ©att'iug;  attein  ba§  ^srobutt  biefeS 
^roceffeS  ift  mieber  nur  ein  einzelnes  ;Snbiüibuum,  meiere»  ebenfo,  mie 
feine  (S(tern,  bem  Untergänge  geroeifit  ift,  fo  baf3  im  Xobe  ber  3nbi= 
üibuen  nur  bie  ©attung  fid;  ert)ä(t.  ßrft  im  ©eifte  geiuinnt  ber  S3e= 
griff  als  foldier  im  ßinäelnen  ©afein;  ba§  ^nbiuibmnn  empfinbet 
nid)t  b(o5  (tnie  ba§  5:f)icr  im  ©efdjledjtstrieb)  bie  ©attung,  fonbern  e§ 
meiB  non  if)r;  ba§  3TlIgemeine  ift  nid;t  mcf)x  nur  als  ba-3  Slnfic^  hc^-- 
felben  uorijanben,  fonbern  in  feiner  eubjcftiüität,  feinem  eigenen  Se^ 
rou^tfein  gefegt. 

5.  3)ic  P)ilcfo;)f)ic  bc§  @ctftc§;  a)  ber  fufcjeftitic  ^cift. 

'^k  5p{)i(ofopt)ie  be5  ©eifteS  ift  ber  %i)di  bc§  tjegel'fdjen  ©ijftemS, 
bem  e§  feine  SSerbreitung  unb  feinen  raeitgreifenben  einfluf3  üoraugS^ 
weife  3U  banfen  fiatte;  unb  eg  finb  namentlid;  bie  praftifd;en  SBiffem 
fdjaftcn,  bie  9icd)t§p!)itofopt)ie  unb  9ieUgion§pI)i(ofopf)ie,  meldje  biefe 
gßirfnng  gcljabt  baben.  ^icr  tagen  bie  fragen,  we(d}e  §egcl  juerft  äu 
felbftänbigcr  ^^orfdjung  anregten;  unb  auc^  fein  ganzes  Sijftcm  finbet 
|ier  ba§  3iel,  bem  e§  pftrebt.  Gr  fiatte  von  2(nfang  an  feine  eigen= 
tt)ümad)c  Vufgabe  barin  gefe^cn,  ba§  Slbfolute  als  @eift  5U  begreifen 
unb  baräufteüen;  unb  biefs  foCte  nur  baburd)  möglid;  fein,  bafi  ber 
menfd)lidje  ©eift  ai§>  feine  tiödjfte  Grfdjcinung  erfannt  mürbe,  äßenn 
bie  Sogif  ben  ^Begriff  bc§  Slbfolnten  in  abstracto  betrad)tet  unb  in  feine 
3Jlomente  anSeinanbertegt,  fo  ift  bie  ^(}i(ofopf)ie  be§  ©eifteS  bie  Sar= 
fteKung  be§fetben  in  feinem  fonfreten  S^afcin. 

Ser  ©eift  ift  feinem  allgemeinen  ^Begriff  nad)  (®nc.  III,  13  ff.  u. 
0.  ®t.)  bie  aus  i^rer  (gntäuf3erung  in  ftd;  ^urüdgefcljrte  ^bee,  ber  mit 
fic^  uermittettc,  in  fic^  reffeftirte  Segriff,  ba§  allgemeine  Befen,  roetdjeS 
bie  Sreußerlidjfcit  feiner  (grfd;einung  aufgc(}oben,  an?>  ber  9iatur,  bie  eS 


Slnf^ropologte.  65  j 

fel6ft  aU  feine  eigene  53oran§ie^ung  l^eroorgebrodjt  f)at,  fid;  in  feine 
reine  ^bealität  snrücfgcnoinmen  f)at.  ®a§  2ßefen  be§  ©elftem  ift  be^- 
wegen  bie  ^^rei^eit,  bie  Uuabfiäugigfeit  von  oHem  2ten§eren,  bie  e§  ifim 
tnöglid;  mac^t,  ron  affem,  felbft  uon  feinem  eigenen  ©afein  jn  aKtra^ 
^iren,  ben  ©d^merj  gn  ertragen,  fein  Seben  ju  oerni^tcn.  3l6er  loaS 
er  feinem  ^Begriffe  nac^  ober  an  fid;  ift,  ba3  ift  er  nid;t  fofort  au^ 
für  fic^,  für  fein  eigenes  ^erauJ3tfein ;  fonbern  er  mn^  fid;  bajn  erft 
entroidetn,  fid^  erft  gn  bcm  madjcn,  rco^n  er  snnädjft  nur  bie  Slnfage  in 
fid^  trägt,  ^n  feinem  erften  i^erauStreten  an§  bcr  9]atur  l^at  er  bie 
^^^orm  bcr  SSejiefmng  anf  fid;  felBft,  er  arbeitet  fid;  für  fid^  felbft  jum 
^öeiDu^tfein  feiner  greifieit  burd;,  ift  ber  ^Jubjcftiue  ©eift/'  ®r  realifirt 
fobann  bicfe  feine  j^rei^eit  in  einer  üon  i^m  ^eroor3ubringenben  unb 
^ert)orgcbrad;ten  Seit,  ber  be§  9tcd;tg  nnb  ber  ©ittiidjfeit :  ber  „obie!= 
tiöe  ©cift."  ßr  erfafst  fid;  eiib(id;  in  ber  Ginfieit  fciue§  S^afeinS  nnb 
feine§  53egrip,  in  feiner  abfoiutcn  23a^rt)cit :  ber  „abfolute  ©cift". 

S)ie  Set)re  com  fubjeftioen  ©eift  gerfätlt  raieber  in  brei  ^Tfieile : 
bie  2(ntt)ropo(ogie,  bie  ^f;änomcno(ogie  unb  bie  ^fijd^ologie.  ^n  ber 
Slntl^ropologie  betrad;tet  .§eget  ben  @eift,  rote  er  unmittelbor  au§ 
ber  Statur  f;erüorgef)t,  nnb  fo  guerft  nur  bie  ibeeffe  (Sinfieit  be»  natür= 
M)c\i  £eben§  felbft,  bie  (£ee(e  bea  organifdjcn  SeibcS  ift.  ©ben  bie^ 
nämlid)  unb  nidjtS  anbcreg  ift,  mie  er  fagt,  bie  «Seele:  fie  ift  bie  ;3bea= 
lität  ober  (ariftotelifd^)  bie  entcfed^ie  if)re§  Körpers;  fie  ift  nidjt  eine 
befonbere  Subftanj,  bie  man  fid;  auä)  ofme  ilörper  benfen  Umite,  fonbern 
nur  bie  inimaterieffe  @in(;eit  be§  !örperlii^en  Seben§  felbft,  unb  man 
braudjt  bef3t)alb  nad;  ber  SDtögtidjfcit  bcr  SScrbinbung  bcr  @ce(e  mit  bem 
Seibe  fo  wenig  3U  fragen,  a[§>  überfiaupt  nac^  ber  ber  S^erbinbung 
3n)ifd;em  bem  Sldgemeinen  unb  hem  33efonberen,  bem  SSefcn  unb  feiner 
erfc^einung;  jenem  S:)ualifinu§  gegegenüber  ^at  oielmefjr  felbft  ber 
3}iaterialifmu§  eine  gemiffe  9?ered;tigung,  fo  ungenngenb  and;  feine  @r- 
fiärung  bc§  S)enfen§  au§  ber  3Jiatevie,  be§  (ginfadjcn  au§  bem  SSiel^ 
fadjen  ift,  unb  fo  verfe^rt  e§  überfiaupt  ift,  bie  makxie  alg  basS  ur= 
fprünglidjcre  gegen  ben  ©eift  gu  betianbeln,  bem  gegenüber  fie  t)ielmef)r 
ha§>  burd;au§  unfclbftänbige,  ba§  bto^e  SJcittet  feiner  ©elbftoern)irf= 
tid;ung  ift. 

2l(§  bie  ibeeüe  ©infieit  i^re§  Seibel  ift  bie  (Seele  junäd^ft  ben  förper= 
Iid;en-  2(ffeftionen  unterroorfcn,  fie  lebt  ba§  aKgemcine  S^aturleben  be§ 
^Planeten  mit,  ift  !(imatifd;en  unb  meteorologifc^en  ßinflüffen  au§gefe|t; 


652  ^^Sct- 

fie  bilbet  bic  Se[onberf)eit  ber  erbttieUe  aT§  9tacenkftimmt^cit  in  ftd^ 
nac§;  fie  f)at  tnbiüibucae  (gigent(}ümlid)feiten  be§  S^^atureHS,  S;cmpera= 
meut§  unb  ß^arafterg.  ©ie  wirb  ferner  üon  bem  IXnterfdjicb  ber  Scbeng- 
altcr,  bem  ©egenfa^  ber  ©efdjledjter ,  bem  2Bed;fet  von  ed;(af  unb 
SBadjen  berührt,  ©ie  finbet  enblid;  in  ben  Gmpfinbunoen  ber  äußeren 
6inne  nnb  be§  inneren  ©inneS  eine  Sfiaturbeftimmt^eit  at§  gegebenen 
^nl;a(t  in  fid^  vov.  —  ^m  @efüf)l  unterfd;eibct  fid;  bie  ©eele  in  i^rem 
prfidjfein,  a(§  ba§  einfieitlidje  Subjeft  aller  i^rer  ein5elnen  ^uftänbe, 
Von  bem,  ma§  if)r  in  ber  ©mpfinbnng  gegeben  ift;  innerf)alb  bc§fe(ben 
finbet  ein  ^^ortgang  üon  ben  bunfeln  unb  verworrenen,  rein  paffiven 
@efüf)(§3uftänbcn  §um  ©elbftgefüt)!  unb  weiter  jur  ©erooljnfieit  ftatt; 
au§>  2lnIaB  ber  erfteren  fpridjt  §egel  (in  ben  ^ufa^en  au^  feinem  f)anb: 
fc^rifta($en  9?ad;raf3)  eingciienb  über  ben  tf)ierifdjen  3)kgnetifmn§  unb  in 
bem  2lbfd;nitt  über  ba§  ©elbftgefüljl  giebt  er  bie  ©runb^üge  einer  ^fieorie 
ber  @eiftc6franft)eiten.  —  S^urc^  bie  ©eraofinl^eit  fiat  fic^  bie  ©ecle  i§rer 
Seibtidjfeit  bemäd^tigt  unb  benü^t  nun  biefe  mit  grei^eit  in  ber  @cberben= 
unb  5:onfprad)e  jum  SluSbrnd  x^xc^  ^nnern ;  unterfdjeibet  fid;  aber  eben= 
bamit  von  ii)rem  äußeren  ©ofein  unb  wirb  al^3  Semu^tfein  fic^  fetbft 
objeftiü. 

SDie  Stnatijfe  be§  S3emnBtfei«^/  ^^^  „^pfj^nomenologie",  geigt 
nun  äfmtid;,  wie  früf)er  (©.  632  f.),  wie  ber  ©eift  bie  brei  ©tufen 
be§  $8en)u|3tfein§,  be§  eelbftben)uf3t[ein§  unb  ber  SSernunft  bnrdjlaufe, 
um  bie  ©ewi^fieit  feiner  felbft,  bie  er  im  SSewuBtfein  gewonnen  f)at, 
3ur  2öaf)rf)eit  §u  erf)eben.  ^n  ber  ^'öä)\ien  von  biefen  ©tufen,  in  ber 
$8ernunft,  ertangt  ber  3}ienf^  bie  ©ewi^Ijeit,  ba^  bie  ^eftimmungen 
feines  3)enfen§  ebenfofef)r  53e[timmungen  be§  3Befen§  ber  Singe  finb: 
ba§  S3ewn^tfein  wirb  gum  ©eift. 

Sie  wiffenfdjaftüdie  33etrac^tung  be§  @eifte§  ift  bie  ^pfydjologie. 
®er  ©eift  aU  fold^er  ift  nun  bie  3?ernunft  als  bie  @inf)eit  be§  ©ub= 
jeftiven  unb  Dbjcftiven,  bie  gegenfa^Iofe  ©ewi^fieit  ii)rer  fetbft,  bieSSer= 
nunft,  weld;e  ii)reu  eigenen  ^n^alt  in  ber  2ßelt  wieber^ufinben  fidler 
ift.  2)er  @eift  ift  infofern  feinem  Sffiefen  m^  ewig  unb  unenblid^. 
Slber  fofern  er  bieB  erft  feinem  Söefen  nad)  ober  an  fid;  ift,  ift  er  in 
feinem  ©afein  unb  SßewuBtfein  no(^  enbUd;,  er  {)at  feinen  ^nljalt  nod^ 
aufeer  \iä)  unb  muj3  fid;  erft  3U  bem  mad;en,  wa§  er  an  fic^  ift.  ®a§ 
erfte  ift  nun  t)iefür,  ba^  er  fidj  mit  jenem  ^nljalt  erfütte,  bem  Dbjeft 
ben  ©d;ein  ber  grcmbijeit  ne^me  unb  e§  in  fein  Sßiffen  aufnehme,  unb 


^f^c^ologie.  653 

in  btefem  3?erF)alteu  ift  er  ber  t^eorettfc^e  ©etft.  2n§  bie  brci  ©tiifen 
beg  t|eoretifc^en  ©eifte^  fü^;rt  ^egel  bie  SlnfdjQUung,  bie  Siorftoaung 
unb  ba§  3^cnfen  auf;  in  ber  erften  fobann  unterfdjeibet  er  luieber  ha^ 
@efü^[  ober  bie  ©mpfinbiing  {henn  biefe  beiben  werben  al§>  g(eid)t)e= 
beutenb  bef)anbelt),  bie  Slufmerffanifeit  unb  bie  eigcntlii^e  2In)d;auunij ; 
in  ber  groeiten  bie  Erinnerung,  bie  Ginbilbung§fraft  unb  ba§  ©ebädjtniB ; 
in  ber  britten  ben  3>erftanb,  ba§  llrtfieil  unb  bie  S?ernunft.  S)ie  3:f)ä= 
tigfeit  be§  35erftanbe§  hc\te^t  in  ber  Slbftraftion,  bie  bc§  lTrtf)ei[g  in 
ber  Sejiel^nng  beg  @egenftanbe§  auf  bie  abftraften  5)enfbeftimmuugen, 
bie  ber  SSerunnft  in  ber  ^ufammcnfaffung  ber  festeren  jum  begriff. 
Snbem  nun  fo  bie  ^ntefligcuj  fid^  if)re§  3rif)a(t§  benuid^tigt  f)at,  ift  fie 
bie  Äraft,  ifin  burd^  fic^  ,3n  bcftnnmen:  bag  S^cnfen  wirb  inm  Sßoaen, 
ber  tf)eoretifd;e  @eift  jum  proftifrfjen. 

S^er  Söide  ift  mä)  öcgcf  ((fnc.  III,  358  f.  ^cä)t§])l)\l  34  ff. 
184  f.  n.  a.  ©t.)  feinem  SBefen  nad;  üom  'ö^enfen  nid;t  uerfdjieben, 
fonbern  nur  eine  befonbere  SBeife  bc§  Senfenö:  ba§  S^enfen  a(^  fid^ 
überfe^enb  in'3  3)aiein,  ba§  praftifd;  geraorbene  S)cnfen;  bie  ^^iere 
fiabcn  feinen  SBiaen,  weil  fie  nid^t  benfeu.  SBie  ba{)er  ber  (Seift  in 
feinem  5Dcnfen  feine  Unabfjängigfeit  von  aflem  ©egebenen  beiuäf)rt,  fo 
ift  aud^  bie  ©runbbeftimmuug  te§  Sföitlen»  feine  €elbftbcftimmung,  feine 
greifieit.  ©ie  ift  nid;t  b(o5  eine  ©igeufdjnft  bc,§fclben  neben  anbcrn, 
fonbern  feine  ©ubftanj:  luie  bie  9Jfaterie  bie  edjioere  felbft  ift,  fo  ift 
ber  2öiae  bal  greie.  5iäf)er  Ucgt^aber  f)ierin  ein  boppcItc§.  ®cr  3BilIe 
enthält  eincrfeitS  ba§  ©fement  ber  reinen  tlnbcftimmtf)eit ,  ber  reinen 
^Reftej-ion  be§  ^d^  in  fid;,  vermöge  ber  e§>  von  jcber  33cftimmtljeit  ab^ 
ftraf)iren  fann,  um  fic^  fc^fedjt^in  au§  fid;  felbft,  au§  bem  Slflg. meinen 
be§  SerouBtieing  jn  beftimmen.  ©r  ift  aber  onbererfeit§  bo§  IXebergefien 
au§  ber  llnbeftimmtf)eit  gur  llnterfdjeibung,  5ur  S3efouber!)eit  be^3  be= 
ftimmten  SBoIIeng;  unb  er  ift  ha§,  raa§  er  ift,  nur  a(§  bie  Einheit  bie= 
fer  bciben  3}Zomente.  S)iefe  ^reitieit  be§  SKiffeng  ift  nun  perft  nur 
bie  formale,  ba§  SSermiDgen,  unter  ben  gegebenen  eintrieben  5U  mäl)len, 
üon  ben  natürad;en  trieben,  33egierben  unb  Steigungen  fic^  für  bie 
einen  ober  bie  anbern  ju  entfd;eiben.  <Bo  lange  ber  SBtae  nur  in  biefer 
2lrt  frei  ift,  ift  er  ber  unmittelbare,  natürlid/e  Sßtae,  bie  9Siafüf)r  (bei 
ber  aber  au§  ^egel'S  mieber^olten  Slu^einanbeife^ungen  nic^t  flar  ^er:= 
rorgelit,  ob  er  fie  fic^  a(§  eine  rairftidje,  ober  eine  nur  fdjeinbare  Sßsat)l= 
freilieit  beult),    ©benbe^^alb  aber  ift  er  auf  biefem  Stanbpunlt  feinem 


654  ^^S^t- 

Segriff  imb  feiner  a3cftimmung  noc^  unangcmeffen,  unb  fofern  auf  iJ)m 
t)er{)arrt  wirb,  ift  er  böfe.  2ßaf)rf)aft  frei  wirb  ber  2BiIIe  erft  babur(^, 
ba§  er  and)  feinen  ^nljalt  au§  fid;  fclbft  ft^öpft,  ha§>  ücrnünftiöe,  fitt= 
Vi^  nottjiüenbige,  fid;  sunt  ^raed  fc^t.  S)iefe  te^tere  ©eftatt  be§  2BiIIen§ 
ift  nun  ha§>,  voa§>  §egel  ben  objeftioen  (Seift  nennt.  ^\x  bie  Seiire  com 
fubjeftiuen  ©eift  fäUt  nur  bie  ©ntwidtung  ju  berfelben.  S)er  g5f)ilofopl^ 
betrad;tet  ben  SBiflen  gncrft  in  ber  gorui  ber  Umnittelbarfeit  al0  ba§ 
pra!tifd;e  ©efüf)l  be§  STngenefimcn  unb  Unangcneljmen.  ©r  geigt  weiter, 
wie  er  otä  S;rieb  bagu  fortgebe,  bie  im  @efüf)t  nur  gegebene  llcbcrein^ 
ftiniinung  feiner  inncrlidjen  S3cftinuntljeit  mit  ber  Dbjeftiüität  ju  einer 
fotdjeii  äu  mad)en,  bie  eift  buvd;  it)n  gefetzt  werben  foHe.  dx  füf)rt  enb= 
i\^  au§,  wie  aüe  befoubercn  triebe,  Steigungen  unb  £eibenfd)aften 
einem  3iagemcinen,  ber  ©lüdfeligfeit  uutergeorbnet  werben,  unb  babur(^ 
ber llcbergang  3U  bem  wir!(id;  freien  SSitten  ober  bem  „freien  ©eifte" 
»ermittelt  wirb,  ber  q10  bie  (;öd;fte  ©tufe  in  ber  (Sntiindtung  be§  fub= 
jeftiücn  @eifte§  ju  bem  „tt)eoretifd;en"  unb  bem  „praftifd;en  ©eift" 
^linjufommt. 

2)ie  SSerwirflidjung  biefer  greifjcit  ift  ber  objeftiye  ©eift. 

6.  güttfe^ung:    b)  bct  otjcftiöc  aJcift;  bie  9icd)t§p(jiIofo^^ic  unD  Mc 

p)tIüfopI)ie  ber  (^cfdjidjte. 

Unter  bem  objeftiocn  ©eift  uerftct)t  ^egct  0  im  allgemeinen  ben 
freien  2Bi((cn,  ber  fid;  fctbft  ju  feinem  ^n^^f  ©cgcnftanb  unb  3wed 
t)at,  ber  nid;t  bIo§  innerlid;  im  3Jtenfd;en  t)or(;anben  ift,  fonbern  fidb 
aud;  au^er  iißn  in  einer  fittad;en  Sßelt  gum  S^afein  bringt,  ober  wie 
er  bicB  and;  au^^brüdt:  ber  nid)t  b(o§  an  fid;,  fonbern  aud;  für  fic^ 
frei  ift.  S)ieie§  S)afcin  be§  freien  WiM\§  ift  ha§:  dled)t  S)a§  9fled;t 
umfaßt  bat)er  im  weiteren  ©inn  ba§  ganje  ©ebiet  be§  fittlid;en  Scben§, 
be§  „objeftiucn  ©eifte§".  2(bcr  wie  ba§  STafein  bc§  ©eiftc§  überl;aupt 
entwidlung  ift,  fo  üerwirfad;t  fid;  aud;  ba§  9led;t  in  brei  ©tufen, 
bereu  S(ufcinanberfo(ge  übrigen^  (9ted;t§p(;il.  §  32)  nur  a(§  eine  be= 
griff (id;e,  nid;t  al§  eine  äeittid;e  ju  Derftcl;en  ift.  ©er  Sßille  ift  1)  uw- 
mittelbar  a(§  Gin5elperfijn(id;feit  gefeilt  unb  fein  ©afein  eine  äuBere 
@Q(j^e  —  ba§  abftrafte  ober  formelle  9ied)t.  @r  ift  2)  au§  bem 
äußeren  ^^afein  in  fid;  refleftirt,  alä  ber  partifuläre,  fubjettiue  Söitte, 


1)  ®q8  folcjcnbe  md)  ber  9lecI;t§p^itofopr)ic  iiub  ber  {Sucpfloyäbte  III,  376  ff. 


2)a§  9iec^t.  655 

ber  fein  S)o[ein  innerhalb  feiner  Ijat  unb  fi(^  mit  bcm  3tIIgcmeinen, 
etnerfeitS  ber  ^bee  be§  ©nten  anbercrfeitS  ber  t)orf)anbenen  äSeit,  ju 
vermitteln  fud;t  —  bie  3)ioraIität.  6r  wirb  enbiid;  ^um  fnbftan- 
tieHen  Söillcn,  geminnt  ebcnfo  im  Subjeft,  alö  in  ber  SBcIt,  in 
ber  j^-Qmi(ie,  ber  bürgerlid;en  @efellfd;aft  unb  bcm  ©taote,  ba§  feinem 
Segriff  entfpredjenbe  S^afein  —  bie  (Sittlichkeit. 

5Da»  abftrafte  dlcä)t  umfaßt  biejenigen  Seftimmnngen,  meldte 
bem  SBittcn  in  feinem  unmittelbaren  JDafein  ^ufommen.  S}er  SSilTe 
f)at  f}ier  feine  Stdgemeinljeit  an  ber  fetbftbeiün^ten  einfa^en  33e3icl;unt3 
auf  fid;  in  feiner  ©in3elt)eit,  er  ift  ^erfon  unb  beljauptet  fid;  Iebig= 
tic^  be&f)a(b,  meil  er  bie  ^yorm  ber  ^Nerfönlidjfeit  ^at,  ot)ne  9tndfid;t 
auf  feinen  befonberen  ^utialt,  a\§  beredjtigt,  al§  ba§  tlncnb(id;e,  2ia^ 
gemeine  unb  ^^reie.  ®a§  9ied;t§gebot  ift  baijer:  „fei  eine  ^erfon  unb 
refpettire  bie  anbern  a(§  ^erfonen''.  Sa  aber  Ijiebei  ber  weitere  ^n- 
f)ait  beg  ^^anbe[n£  bem  Ginjelnen  anljeimgcgeben  ift,  fo  be^eidjuct  jebe 
Seftimmung  beg  abftraften  dU6.)i§>  nur  eine  er(aubnif3  ober  .^efugui^; 
feine  §Kotf)iüenbigfeit  bcfd;ränft  fic^  auf  ba§  ucgatiue,  bie  5ßerfönlid;feit 
unb  baS:  barau§  foigenbe  nidjt  5U  üerle^en.  ߧ  giebt  baljer  im  9ied;t 
urfprünglid)  nur  3>erbüte  unb  jebem  ©ebot  liegt  ein  SSerbot  ju  ©runbe. 

Sa§  9led)t,  fagt  nun  C^egcl,  fei  ^uerft  ba^  unmittelbare  S^afein, 
meldjcS  fid;  bie  grei(;eit  im  ßigentl;um  gebe;  e§  merbe  2)  §um  ^Ser- 
t)ä[tni^  einer  ^erfon  5U  einer  anbern  im  5>ertrog;  c§>  fd;(age  enbiid;, 
inbem  ber  2Si((e  alä  befonberer  fid;  von  \iä)  als  a((gemeinem  unter- 
fd^eibe,  in  llnredjt  unb  ä^erbredjcn  um.  S)iefe  @inll;ei(uug  fjat  aber  nid;t 
allein  bie  Sude,  ba^  gerabe  bie  urfprüngüd;ften  9^ed;te  ber  ^erfou,  ba§ 
9fled;t  auf  llnautaftbarfcit  be§  ScibeS,  ber  grei^eit  unb  ber  ©tjre,  in 
if)r  feinen  9?aum  finben,  unb  baljer  von  ^egel  uuüoüftäubig  unb  am 
unred;ten  Drte,  iui  Gigent^umSrcdjt  untergebrad;t  merben  muffen;  fon= 
bern  fte  leibet  auc^  an  bem  togifd;en  geljter,  ba^  baS  llnrid;t  ben  ^mei 
Seftanbt^eilen  be§  dtcdji^i  —  ßigentljumS^  unb  9]!ertragaredjt  —  coor= 
binirt  mlrb. 

S)a§  @igentt)um  überJiaupt  mirb  uon  ^egel  (an§>  beffen  Sar= 
ftellung  tyex  natürüd;  nur  bie  be3eid;nenbften  3üge  I)erau§get)obcn  mer= 
ben  fönnen)  olläu  abftraft  nid;t  mit  ben  Sebürfniffcn  be§  menfd;(id;en 
Sebens,  fonbcrn  mit  bem  @a^e  begrünbet:  bie  ^erfon  muffe  fid;  eine 
äußere  <5pf)äre  if)rer  ^rei^eit  geben ;  unb  im  3iifamment)ang  bamit  vex= 
langt  er  nidjt  Uo§,  ha^  jeber  ba§  natürliche  dleä)t  f)ahc,  fid;  ©igent^um 


656  §«SeI- 

5U  exmexhen,   fonbcrn  ba^  jeber  ©igent^um  befi^e,   raenn  er  anä) 
ba§  25a§  unb  3öiet)iel  für  eine  re(^tad;e  ^ufättigfeit  erftärt,   imb   bic 
^orbening  einer  ©leidjfjeit  beffelöcn  ganj  treffenb  al§  eBenfo  nnbegrünbet 
n)ie  unburdjfüfirBar  surücfiüeift.    STe^nlid;,   wie   ba§  eigcntljum,   wirb 
aud^  ber  Sßertrag  al§>  etroaS  burc^  ben  SSegviff  be§  SöittenS  geforberteS 
bebucirt,   weil   bie  grcif)eit  erft  in  biefer  Se^iefiung  üon  Sßiden  auf 
SBillcn  lüafirljaft  S)o[cin  Ijabe;  bann  aber  barauS,  baB  aud;  im  SSertrag 
bie  Se[onber()eit  be§  2öiaen§  fic§  aU  fold;e  ev^äit,   bie  ©ntgegenfe^ung 
be§  befonberen  SSiUenS  gegen  ba§  9^ed;t,  ober  ba§  Unrecht  abgeleitet, 
n)el(^e§   fcinerfeit^  burd;   feine  innere  S)iateftif  üom  unbefangenen  Un^: 
rcc^t  sunt  betrug  unb  weiter  ^nm  ,,3roang  unb  3Serbred;en"  fortgebe. 
®ie  2BieberI)erfteirnng  be§  9tedjt§  gegen  bie  3ftec^tsoerIel3ung ,   bie  t|at= 
fddjtic^e  gjJanifeftation  if)rer  ^Fcidjtigfeit  ift  bie  ©träfe.  §egel  betrad;tet 
unb  bcgvünbet  biefetbe  im  wefeullicben  au§  bem  @efid}t§vnnft  ber  3öie= 
beruergcftung ;  aber  üon   allen  SSertljeibigungen  ber  2öieberoergeltung§= 
tlieorie  ift  bie  feinige  bie   grünblidjfte  unb   geiftnoEfte.    S)ie  ©träfe  ift 
i^m  infolge  bie  an  bem  SSerbredjer  \iä)  nodsie^enbe  ©onfcquens  feinet 
SSerbredjenS,  bie  Slnmenbung  be§  von  ii)m  burd;  feine  %l)at  anfgeftettten 
®efe|e§  auf  i^n  felbft;  unb  fie  ift  infofern  nid^t  blog  ein  9lcd)t  gegen 
ben  3>erbred;er,   fonbcrn  aiiä)  ba§  eigene  Sfledjt  be§  SSerbred)cr§ ,   ber 
eben   burd^   feine  33eftrafung    aU   ein  vernünftiger  geef)rt  wirb.    S)a§ 
affirmatine  gu  biefer  ^legation  be§  redjtgraibrigcn  mUcn^  ift   bie  gor= 
berung  eine§  3BifIen§,  ber  aU  befonberer  unb  fubjeftiüer  ba§  Slttgemeine 
a(§  io(d)c§  woHe,  b.  ^.  bie  gorberung  ber  3)iorülität. 

®ie  SJloralität  wirb  aber  oon  ^egel  aud^  f)ier,  wie  früf)er  in 
ber  ^sf)änomenorogie  (oben  ©.  63G),  bnr^au§  nur  im  ©inn  jeneg  bua= 
tiftifd)cn,  unbcfriebigt  unb  ruf)eIo§  über  bie  mirfüd^e  2öe(t  t)inan§ftre- 
benben  moratif^en  ^bealifmu§  gefaxt,  beffen  %\m§  er  in  ^ant  unb 
feinen  näd^ften  S^adjfolgern  ju  er!ennen  glaubte.  S)er  2öille  ift  in  il)r, 
roie  er  auSfüljrt,  einerfeitS  groar  an  fid)  allgemeiner,  er  ift  auf  ba§ 
$Red)te  unb  @ute  gerid^tct;  aber  biefer  ^nlialt  ift  mit  bem  inbioibuellen 
ffioüeu  nodj  nidjt  nermitlelt,  biefe§  ift  nod)  finnüd;  unb  felbftifd;,  über= 
^aupt  a(fo  enbüdj;  jener  ^nljalt  ift  il)m  baljer  erft  al§  eine  moralifd)e 
3lnforberung ,  ein  ©öden,  eine  unenbtidje  3lufgabe  gegenwärtig.  2tuS 
biefcm  inneren  Söiberfprud) ,  über  welchen  ber  SBiüe  auf  biefer  ©tufe 
nidjt  Ijinanefommt,  entmidett  fid)  bie  ;4)ia(efti!  be§  moralifd;cn  S3eiüuBt= 
fein§,   wctd;e  un§  and;  l)ier  mieber  t)or  Singen  gefteüt  wirb.    ©§  jcigt 


iWovalität.    eittlif^feit.  657 

fi(^  pnäd^ft,  ha^  ble  innere  Seftimmtfiett  be§  2BiIIen§  unb  feine  äußere 
©rf(^eiming,  ber  3>or[ag  iinb  bie  %'i)at,  fid^  nid;t  entfprcd^en,  ba^  oft 
bie  llniftänbe  au§  nnfern  .^onbhingcn  etroa»  ganj  anberc»  mad^en,  aU 
in  nnferer  SHific^t  tag.  Söeiter  ift  aber  anc^  im  Sßillen  felbft  ber  3ßi= 
berfprnd^  be»  Sldgemeinen  unb  Sefonbern :  auf  ber  einen  Seite  fann 
verlangt  werben,  bafe  bie  §anb(ungen  nad)  i^rer  n)efent(i(^en  Seftiin= 
mung  bcurtf)eilt  werben,  auf  weld^e  bie  3(bft(^t  be^  |)anbe(nben  fid^  be= 
3iet)t;  anbcrerfeits  f)at  ba^5  ©ubjeft  ebenfo  ha§>  Siedet,  in  benfelben  feine 
^ntereffen  ju  befriebigen,  fein  SBo^t  ju  üerfolgen.  SBerben  enblicf;  beibe 
3)iomeiite  burd^einanber  integrirt,  fo  baf,  ha^  SlUgemeine  ai§>  ha^  ©ute 
ober  bie  ^f(icf;t  beftimmt  luirb,  bie  nioraIifd;e  Oubjeftiüität  a(5  ba-5 
biefen  3n()a(t  roiffenbe  nnb  in  fid^  bcftimmenbe  ®elbftben)uBtfein,  ba§ 
©eroiffen,  fo  entftef)t  bie  «Sd^roierigfeit,  ba^  jroar  haS'  @ute  al§>  ^ftid)t 
um  feiner  felbft  loillen  getf)an  werben  foU,  ba§  fid^  aber  a^§  bem  all= 
gemeinen  S3egriffe  ber  ^flid;t  t)erau§  nidjt  beftimmen  lä^t,  wa§  im 
gegebenen  ^all  ^flic^t  ift;  wä^rcnb  anbererfeit§  ba§  ©e(bftbewu§tfein, 
ba§  ai§>  ©ewiffen  bie  (Sntfd^eibnng  für  fic^  in  Slnfprnd^  nimmt,  eben-- 
fowof)l  böfe  also  gut  fein  fann,  unb  chen  in  biefer  feiner  ©nbjeftiüität 
unoermeiblid)  in  bie  Ueber^ebung  über  baS  objeftiue  ©efe^  unb  in  bie 
mandjertei  formen  ber  ^eud;elei  gerätf),  weld;e  ^egel  in  ber  9lec^tg= 
p^i(ofopf)ie  (191  ff.)  au§fü^r(id)  befprid;t  '). 

3nbem  aber  fo  ha§>  abftrafte,  nur  fein  follenbe  ©ute  fic^  al»  un; 
rairflid;,  bie  abftrafte,  nur  gut  fein  follenbe  Subjeftioität  atg  gef)a(t(og 
nnb  böfe  erweift,  ift  cbenbamit  bie  ßrgänsung  biefe§  boppetten  9Jiangel§ 
gcforbert;  unb  biefe  fann  nur  barin  beftef)en,  baB  einerfeitS  ba§  ©ute 
feinem  ^^ifialte  nad)  näf)er  beftimmt,  anbercrfeit»  ba§  ©elbfibewu^tfein 
mit  biefem  ^n\)ait  ah%  bem  feinigen  erfüllt  wirb.  ®iefe  tonfrete  3ben= 
tität  be§  ©Uten  unb  be^  fubjeftiuen  SBiUenS,  in  weld^er  jugleid^  auc^ 
ba§  Dted^t  unb  bie  33iora(,  ba§  äußere  unb  ba§  innere  5Dafein  ber  3^rei= 
l^eit  rerfnüpft  werben,  ift  bie  ©ittlid^feit. 

2Ba§  ^egel  mit  biefem  9tamen  be3eid;net,  bem  er  erft  biefe  engere 
58ebeutung  gegeben  f)at,  ift  im  allgemeinen  bie  3ierwirflid;ung  ber 
fittlid^en  ^bee  in  einem  ©emeinwefcn.  Ober  wie  er  fid^  au»brüdt 
(9ied;t§pf)it.  210):    „bie  ©ittlic^feit  ift   ber  jur  üorfiaubt-nen  2öe(t  unb 

1)  ^v.  bem  Stbfdjuitt  über  ta^  ®ute  unb  i8ö[e  finben  fic^  übiie-jenS  jirifdien  ber 

©ncpflopäbie  uiib  ber  9ied^t0pl)ilofopl}ie,   ber  unfere  Savftcümig  folgte,    einige,    tod) 
me^r  nnr  formeüe  Stbiüeid^ungen. 

Seiler,  Oefdjidjte  bcv  beutfc^en  ip^Uofop^ie.  ^2 


658  ^egel. 

jur  '^atnv  be§  6eI6ftl)ewuf5tfcin§  geworbene  33egriff  ber  ^reifieit".  @§ 
finb  f)ier  bcftimmte  ©efe^e  unb  @mrid;tungen  al§  bie  fittlii^en  3}iö(^te, 
welche  ba§  Seben  ber  ^nbiuibuen  regieren;  bie  ©injelnen  finb  aber  mit 
benfelben  einverftanben ,  fie  glauben  an  biefe  Mää)tc,  f)aben  an  ifinen 
{f)re  fittlid^e  ©ubftanj  unb  fügten  fid)  if)nen  uerpfliditet ;  unb  eben  barin, 
baf5  fie  fo  unmittelbar  im  ©eift  unb  in  ber  6itte  ber  ©emeinftfjaft 
(eben,  beftef)t  ifire  Stugenb,  me(d)e  befifialb  l)icr  ben  einfad^en  ßiiarafter 
ber  unrefleftirten,  nid;t§  befonbereS  woHenben  unb  au§  fid;  felbft  ma= 
d;enben  9le(^tfd;affenl^eit  (jat. 

i^m  befonbern  finb  e§  brei  SIrten  ber  ©emeinf (|aft ,  in  benen  bie 
fittU(^e  SBelt  ®afein  gewinnt :  bie  j^^ainilie,  bie  bürgerlid;e  @efeEfd;aft, 
unb  ber  Staat. 

^n  ber  2e^xe  dou  ber  ^amilie  befprid;t  ,^egel  brei  .^auptpunfte : 
bie  @^e,  ba§  gamitienüermögen  unb  bie  Äinbererjieliung.  ©ein  leiten^ 
ber  @efid)t§pun!t  ift  babei  burd^auS  ber  fittlidje  ßfiarafter  be§  gami= 
lienlebeng.  (Sr  fiet)t  ha§>  eigent(id;e  SBejen  bcSfetben  in  ber  gamiüenliebe. 
(gr  betrad;tet  bie  @()e  al§  ba§  fittlid;e  ^er()ältni{3 ,  burd)  TOe(d;e§  bie 
natürli(^e  ©inl^eit  ber  beiben  (Sef(^(ed;ter  in  eine  geiftige,  in  fclbfibe^ 
Tou^te  Siebe,  umgeraanbelt  wirb;  unb  er  tritt  t)on  f)ier  au§>  ebenfo 
i()rer  formal  re(^tli(^en  Slnffaffung,  al§  eine§  bloßen  S^ertragg,  wie  bem 
romantifdjen  ^orurtlieil  »on  ber  abfoluten  Seved;tigung  ber  Steigung 
mit  tiefem  fittUd;em  SSerftänbnifi  entgegen,  i^n  bemfelben  ©inne  be= 
fpric^t  er  bie  3)lonogamie,  bie  ©^efd;eibung,  bo§  ©lieljinberniB  ber  S3(ut§= 
üerwanbtfd;aft  in  ben  ©runbgebanfcn  fel)r  rid^ttg,  wenn  biefelben  aud; 
ba  unb  bort  no(^  einer  fd;ärferen  ?^affung  fällig  wären.  @r  leitet  bie 
SSermögen^gemeinfdjaft  in  ber  gamilie  unb  ba§  ^nteftaterbred;t  au§  ber 
fittlidjeu  S]erbinbung  ber  gamilienglieber  ab.  @r  ftcllt  and;  über  bie 
(gr^ieljung  ©runbfä^e  auf,  bie  burd;  i^re  @efunbl)eit  unb  pfi)djologifd;e 
9tid)tigfeit  bem  cl)emaügen  ^äbagogen  alle  ßlire  mac!^cn.  S)er  ^mcä 
ber  Gr§ie^ung  ift  bie  .^eranbilbung  ber  Xvinber  gur  fittlid;en  ©elbftänbig= 
feit,  ^nbem  fie  aU  felbftänbige  au§  ber  gamilie  l)erau§treten  unb 
neue  j^amilien  begrünben,  löft  fii^  bie  ^amilic  auf,  uuö  gel)t  in  eine 
SSiellieit  uon  einanber  unabljängiger  Familien,  in  bie  bürgerlid;e 
©efellfd;aft,  über. 

@g  ift  eines  üon  ^egel'S  wiffeufdjaftlidjcn  5>erbicnftcn,  bof?  er  bie 
fielire  oon  ber  bürgertidien  0efcllid;aft  in  abgefonberter  $l^e§anblung  in 
bie  91e(^t§pl)ilofopl)ie  etngefül)rt  l)at;   unb  man  wirb  e§  i§m,   biefem 


t^amitte,  ©efellfc^aft,  Staat.  659 

SSerbtenft  gegenüber,  nidfit  aHjufetir  §iir  Saft  legen  bürfen,  wenn  feine 
©arfteHitng  in  mancher  SSe^te^ung,  foroo^I  ^infid;tli(^  i^rer  ^oUftänbig^ 
feit  aU  ifirer  ®rgebnif[e,  hinter  ben  2lnforberungen  ^müdhUiU,  welche 
an  bie  fientige  ©efedfd^aftSiöiffenfd^aft ,  na^  ber  reichen  ©ntroidhing 
eine§  weiteren  'i^alUn  ;3af)rl)unbcrt§,  mit  'Sie^t  gefteE  werben.  —  ®er 
eigent^ümtid;e  (Ef)ara!ter  ber  bürgerlichen  @e[ellf(^aft  wirb  t)on  §egel 
barin  gefunben,  baB  ^ier  bie  (Sin§elnen  fi($  aU  SSefonbere  ^roed  feien, 
ifire  S^ttereffen  nnb  ^ebürfniffe  gu  befriebigen  fnc^en,  ba^  aber  bie 
^ern)irf(ic^ung  biefer  bej'onberen  3w)e(!e  burc^  bie  2l(Igemcinf)eit  bebingt, 
bie  ©iibfiftenj,  ba§  2öof)(  nnb  ha^  Diec^t  ber  ©injelnen  in  ba§  aller 
t)erfIod;ten  nnb  nnr  in  biefem  3iif'itt^"^en^ang  gefidjert  fei.  ^m  befon^ 
bern  fiebt  er  in  berfelben  brei  3}lomente  tieruor:  ba§  @t)ftem  ber  33e= 
bürfniffe,  bie  9ted;t§pf(ege,  bie  ^eforgnng  ber  befonberen  ^ntereffen  bur(5^ 
bie  ^olijei  nnb  bie  Korporation.  Unter  bem  erften  uon  biefen  brei 
Titeln  giebt  er  bie  ©runb^üge  ber  ©taat^ötonomie,  biefer  „SBiffenfdjaft, 
bie  bem  ©ebanfen  @J)re  mac^t,  weil  fie  jn  einer  3Jiaffe  üon  3ufäÄi9= 
feiten  bie  ©efe^e  finbet":  er  fpridjt  über  bie  33ebürfniffe  nnb  if)re  ^e- 
friebigung,  bie  Slrbeit,  ba§  SSermögen  nnb  bie  ©tänbe.  $Der  zweite 
l^anbelt  oon  ber  ©efe^gebnng  nnb  @eri(^t§üerfaffnng,  ©egenftänbe,  meldte 
mefentUd^  in  ba§  @ebiet  be§  ©taate§,  nid)t  in  i>a§>  ber  @efellfd;aft  aU 
folc^er  gefrören;  ha^  §egel  bei  biefer  ©elegenl^eit  für  bie  Deffentlid;feit 
ber  9ted;t§pf(ege  nnb  bie  @efd;raorenengerid;te  entfdjieben  nnb  mit  fefir 
bea(^ten§rüertf)cn  ©rünben  eintrat,  mar  nad)  bem  bamaligen  ©tanb  ber 
2lnfid;tcn  nnb  ©inrid^tnngen  in  ©entfd^Ianb  ein  bebentenber  gortfd;ritt. 
S)ie  ^oligei  nimmt  er  in  bem  bamal^  übtid;en  ©inne  nnb  gie^t  be§= 
f)alb  in  biefen  Slbfdjnitt  t)iele  t)on  ben  pofitioen  Slufgaben  be§  Staate, 
rate  bie  2lrmenpftege,  bie  ©orge  für  bie  SSolfSerjiefmng ,  für  2ßol^Ifaf)rt 
nnb  bewerbe ;  jeigt  aber  bamit  nur  nm  fo  me^r,  baf3  biefer  ©egenftanb 
f)ier  am  linridjtigen  Drt  ftef)t.  S3ei  ber  Korporation  benft  er  pnäd^ft 
an  bie  3u"fteiiirid;tungen ,  bie  er,  oon  i^rer  Slbfdjlie^nng  nnb  3Serfnö=: 
(^erung  befreit,  anfred^terfialten  roünfd;t,  raeit  ha§>  bewerbe  burd;  fie 
t)erfittlid)t  nnb  in  einen  Krei§  ^inaufgenommen  werbe,  in  bem  e§  ©tärfe 
nnb  ©f)re  gewinne. 

3ttte  bie  befonberen  ^wede  ber  gefellfc^aftti(^en  (ginrt($tungen  faffen 
fi(^  aber  im  Staate  jnr  2lllgemein{)eit  jufammen. 

330"n  ber  ^ebeutung  nnb  Slufgabe  be§  ©taatiS  f)at  -^egel  ben  aller= 
f)öd)ften  S3egriff.    @r  ift  if)m  fdjtec^tf)in  „bie  äBirftid;feit  ber  fitttid;en 

42* 


660  ^fgff- 

Qbee/'  ,,ba§  on  imb  für  fid^  pernüufttge/'  „ha§>  fittlt^e  ©an^e",  „bie 
^senüirflidjung  ber  greiFieit" ;  er  ift  „abfohiter  unbeiuegter  (Selbft3H)e(!", 
unb  bicfer  ©nb^iüed  f)at  ba§  ^ö(^fte  9ted;t  gegen  bje  ßin^etnen,  bereu 
pdjfte  ^:pfli(f;t  e§  ift,  93tttg(ieber  beg  ©taate§  ^u  fein.  (£§  ift  bie^  eine 
2(nfirf;t,  roeli^e  fi($  bem  ^f)t(ofopf)en  roefentli(^  au^5  ben  poUtifd)en  3ln= 
fdjauuugen  unb  ;3bealen  be§  griei^ifc^en  2((tertf)nm!§  ergeben  ^at;  unb 
iu  feinen  jüngeren  ^afiren,  ai§>  er  noc^  au§fd;Iie^(i(^er  dou  biefen  3ln= 
fd)aunngen  be§errfd;t  war,  gieng  er  barin  fo  raeit,  ba^  et  ba§  @taatl= 
(eben  al^o  bie  abfolut  pc^fte  ©rfd^einung  be§  @eifte§  überhaupt  be= 
^anbelle,  o{)ne  bem,  roa§  er  fpäter  ben  „abfohlten  ©eift"  nennt,  eine 
eigene  ©pfiäre  neben  unb  über  i§m  üorjubefialten  ^).  3lber  aud;  fpäter 
mad;te  er  ben  ©taat  in  einer  äöeife  jum  ©elbft^roed  unb  3ur  S?o!Icu; 
bung  bev  ganzen  fittli^en  Seben§,  unb  jer  nerfangte  bemgcmä^  ein 
2(ufgel;en  be^  ©injelnen,  feiner  ^wede  unb  ^i^tereffen  im  ©taat,  wie 
bie|3  mit  bem  ©taubpunft  unferer  ^^it  uic^t  mef)r  übereinftimmt,  bcffcn 
@igentf)üm(id)feit  unb  53eredjtigung  ber  ^^itofop^  felbft  boc^  im  ^Uiucip 
ftety  anerkannt  i)at  \spat  er  fic^  aber  and^  fiierin  üon  ©infeitigfeit  uid;t 
frei  gefialteu,  fo  fanu  bod;  anberntf)ei(§  ba§  SSerbienft  nid;t  t)od;  genug 
augefd;(ageu  werben,  raeld;e^  er  fid^  baburd;  erworben  ^ai,  ba^  er  einer 
3eit,  in  welcher  ber  ©inn  für  ba§  ©taat^Ieben  bei  ben  meiften  fid; 
tief  üerbuufelt,  unb  eine  formeE  juriftifd^e,  prit)atred^tlid;e  Sluffaffung 
be^felben  andj  in  ber  2öiffeufd;aft  um  fic^  gegriffen  fiatte,  bie  ^ebeutung 
be§  ©taateS  unb  bie  ^ftid;ten  gegen  ben  ©taat  mit  bicfem  9cad)brud 
unb  biefer  ©ebiegen^eit  ber  ©efinnung  unb  be§  ©ebaufeuy  in  ßrin- 
nerung  brod)te. 

§egel  uuterfc^eibct  nun  ba0  innere  ©taat§red;t,  ba§  äußere  ©taat§- 
red)t  unb  bie  S.^erTOir!lid;uug  be§  affgemeinen  @eifte§  in  ber  2ßelt= 
gefd^ic^te. 

S)en  ©egenftanb  be§  inneren  ©taat§red;tg  bilbet  ber  ©taat§orga= 
nifmug,  bie  ©taatSucrfaffuug.  @6en  bieB  nämlid;  ift  e§>,  morin  bie 
eigeutpmtidje  9catur  unb  53ebeutuug  be§  ©taatS  liegt,  baB  bie  3>er= 
uuuft  unb  bie  ?^reif)cit  fic^  t)ier  ju  beftimmten  ^nftitutionen  f)erau§ge= 
bilbet  unb  iu  i()nen  oerroirftidjt  t)at.  ©einer  inneren  ©runbtage  nad; 
ruf)t  er  auf  ber  po(itifd)cu  ©efinnung  ber  ©taat^bürger,  bem  ^atrio= 
tifmuio,   roe(d;er  in  bem  äj'ertrauen  jum  ©taote,   qI§  bem  ^üter  ber 

1)  ®o  in  fetitem  ®.  G25  krü^vteii  „»2i)ftein  ber  ©ittlidjtcit",  luovüber  9Jofen  = 
trauä  .&egerä  i'eben  124  ff.    .§ai)m  iQcc\d  luxb  feine  3eit  159  ff.  baS  uä^vc  geben. 


S)er  ©taat.  661 

eigenen  ^nterefien,  unb  in  bem  jur  ©eraolin^eit  geworbenen  SBoIfen 
be§  ©taat^^raedS  a(g  be§  p(^ften  ^wecfeS  beftel)t.  Stber  biefe  @efin- 
nnng  nimmt  i^ren  ^nfiatt  an?  ben  uerfdjiebenen  ©eiten  be§  ©taat^or: 
ganifmuS;  fie  ift  roefentlid^  politifdjer  2lrt,  nnb  e0  ift  bejs^alb  eine 
S.^erfe§rt§eit,  ben  Staat  auf  bie  SteUgion  grünben  ober  gar  ber  Steligion, 
b.  §.  ber  Äirdje,  unterorbnen  ju  wollen  ^).  S)er  Staat  mu^  allerbing^v 
wie  §egel  jugiebt,  in  ber  ^Religion  ba§  if)n  für  bal  tieffte  ber  @efin= 
nung  integrirenbe  9Jioment  ancrfennen,  unb  if)r  be^fialb  feinen  <Sc^u^ 
unb  feine  Unterftn^ung  geraäf)ren  unb  üon  feinen  Slngetjörigen  uerfangen, 
ba^  fie  fid^  ju  einer  tirc^engemeinbe  fialten ;  ber  ©taat  unb  bie  J?irc^e, 
ba§  fittUd^e  unb  ba§  religiöfe  ©eroiffen,  (äffen  fid)  nic^t  trennen,  unb 
eine  9teIigion  ber  Unfreiheit  fann  unmöglid;  mit  einem  freien  unb  üer= 
nünftigen  Staat'Smefen  frieblicfj  jufammenfein.  3lber  bodj  barf  man 
anbererfeit^  aud^  ben  llnterfc^ieb  ber  beiben  ©ebiete  nid^t  überfefien. 
3n  ber  9teitgion  ift  in  ber  ^^orm  ber  Unmittelbarkeit  unb  be§  ©efü§I§, 
maS  im  ©taat  aU  !(arc§  5öiffen,  alv  ?)?edjt  uub  Wefetj,  af§  uernünftigo 
^nftitution  ift.  Ter  ©taat  ift  baber  in  icincm  (^n-bict  burdjauc-  felb= 
ftäiibig,  uuD  a{Wx\  lua-ö  auv  bcm  ^uncni  bor  Wefininiiig  in  bicfc  ©pbäre 
be§  äußeren  Tafein^o  l)cran?tritt,  bat  ficb  jcinor  3üiftorität  nnbcbingt 
,iU  initovwcrfcu. 

5Der  ©taat-M.irganifni.no  fclbft  bcftcbt  in  bn-  ^n'ftimmnng  ber 
ucrfd;iebenen  ©eiuaüen,  meld;e  ber  ©taat  feinem  53egriffe  gemä§  ()erüor= 
bringt,  iifxev  @ef(^äfte  unb  iE)re§  $!er§ä(tniffe§.  9iät)er  f)anbe(t  e§  fid^ 
l)tebei  t^eitS  um  bie  innere  5ßerfaffung,  tf)ei(§  um  bie  ©ounerönetät 
gegen  aufjen.  S)ie  erftere  umfaßt  bie  gefe^gebenbe  ©eroalt,  bie  9tegie= 
rungSgeroalt  unb  bie  fürftlii^e  ©eroatt.  ^n  feinen  Slu^füfirungen  über 
bie  S3i(bung  unb  ba^^  Ser()ä(tniB  biefer  brei  ©eroatten  befennt  fi^  §egel 
im  allgemeinen  gur  conftitutionellen  3Jionar^ie.  Slber  fo  entfd^ieben  er 
eö  au^fpri^t  (©.  360),  ba§  bie  a^erfaffung  eineg  3Sotfe§  oon  ber  SBeife 
unb  ^ilbung  feines  ©elbftberoufetfeinS  abhänge  unb  it)m  ba^er  nid^t 
a  priori  gegeben  werben  fönne,  fo  ift  bod^  fein  eigene^  SSerfol^ren  ein 
burdjauS  apriorifd;e§.  @r  fragt  nid^t  nad^  ben  33ebingungen,  unter 
benen  jebe  2?erfaffung§form  angemeffen  erfd;eint,  fonbern  er  conftruirt 
bie  conftitutioneHe  3Jtonard;ie  au§  bem  33egriff.  @r  ftü^t  fid;  aber  eben= 
bef5t)atb  weniger  auf  eigentlid;  politifd^e  Erwägungen,  als  ouf  allgemeine 

1)  3um  folgenben  »gl.  m.   5Rec^tl-'^^ir.  332  ff,     (Suc^ft.  III,   428  ff.  ^^il.  b. 
®ef(^.  62  ff.  91el.=^$^il.  I,  240  ff. 


662  ^fflfl- 

unb  in  bic[er  Slttgemein'^eit  fe{)r  angreifbare  ©riinbe.  S)ie  ©rbmonari^ie 
rairb  5.  S.  mit  ber  ^Bemerfung  begrünbet,  baB  bie  ^erföulid^feit  be§ 
©toateB  nur  a\§>  eine  ^erfon  wixtM)  fei,  ba^  man  jemanb  i)aben  muffe, 
ber  ben  ^unft  auf  ba§  ^  fe|e;  bie  3^oIf§t3ertretung  mit  bem  formetten 
9te(^t  be§  3JJitit)iffenl  unb  3}iitbef(^IieBen§,  meldjeg  bem  ^olt  aufteile, 
au§  meld^em  '\id)  aber  bo(^  nur  eine  fefir  bef(^eibene  ^()ei(nat)me  an  ber 
©taatsleitung  ergeben  mürbe;  bie  ftetienben  §eere  mit  ber  begrifflichen 
3'lotf)raenbigfeit,  bafe  bie  Seftimmung  für  bie  SSertJieibigung  be§  ©taats 
§u  einem  befonberen  ©taub  merbe.  —  Sie  ©ouüeränetät  gegen 
au^en  betrifft  ba§  SSerf)äItniB  jebeS  ©taateS  gegen  anbere  Staaten, 
ben  gleii^en  ©egenftanb,  auf  ben  fi(^  naä)  einer  anbern  «Seite  aud^  ba3 
äuBere  ©taatSred^t  be§ief)t.  S(u§  biefen  2lbfcf)nitten  finb  befonberS 
bie  geiftüoKen  Semerhmgen  über  bie  fittlic^e  unb  potitifd;e  Sebeutung 
be§  ^riegg  f)erooräuf)eben,  mit  benen  §egel  bem  fantif(^en  S^eal  eine^ 
eroigen  griebenS  (f.  0.  ©.  394  f.)  gegenübertritt,  oljne  übrigen^  bamit 
unnöt^ig  unb  mutfiroittig  f)erbeigefüi)rten  Kriegen  ba§  Söort  reben  ju 
TOOÜen. 

Stile  Staaten  aber  unb  atte  SSolf^geifter  finb  um  ilfirer  Sefonberfieit 
roillen  befdjränfte,  „unb  i^re  ©c^idfale  unb  5:^aten  in  ifirem  S3er()ält= 
niffe  5U  einanber  finb  bie  erfdEieinenbe  S)iale!ti!  ber  @nb(i(^!eit  biefer 
©eifter,  au§  roeldjer  ber  allgemeine  ©eift,  ber  ©eift  ber  SSelt,  aU  unbe= 
fdiränft  ebenfo  fic^  ^eroorbringt,  al§  er  e§  ift,  ber  fein  ^c^t  —  unb 
fein  3ted;t  ift  ba§  allerl)öd;fte  —  an  i^nen  in  ber  SBeltgefdjidjte,  a{§>  bem 
SOBeltgeric^te,  ausübt."  3n  biefem  Sa§  {dhä)t§vW-  430)  ift  ber  ©runb= 
gebanfe  dou  ^egel'S  ^t)ilofopl)ie  ber  ©efd^ic^te  au§gefprod;en. 
3n  ber  roeitercn  2lu§fül)rung  biefe»  @ebanfen§  gel)t  §egel  ron  ber 
SSorau§fe^ung  au§,  baB  in  ber  ©ntroidtung  beg  SßeltgeiftcS  iebe^  3Jtoment 
beffelben  al§  ba§  ^rincip  einer  beftimmten  ©pod^e  auftrete;  baB  ferner 
jebe§  biefer  ^rincipien  feinen  Slräger  an  einem  ^^ot!  'ijabe,  welches  fraft 
biefe§  feinet  ^rincipä  in  ber  entfpredienben  ßpod^e  ba§  Ijerrfd^enbe,  allen 
anbern  gegenüber  fd^(e<^tl)in  beredjtigte  fei;  baB  aber  fein  S3olf  biefe  S^loHe 
mel)r  all  einmal  übernel)mcn  fönne;  ba§  ebenfo  bie  ^nbiütbuen,  roeld;e 
in  TOeltgefd;ic^tli(^er  S3ebeutung  auftreten,  roenn  aud;  gunäd^ft  il)re  he-- 
fonberen  ^roede  unb  ^ntereffen  »erfolgenb,  bod;  jugteid^  unberouBt  im 
©ienfte  bc§  2ßeltgeifte0  unb  feiner  fubftantiellen  Stliat  arbeiten.  S)ie 
aiölfergeifter  wie  bie  ©inselnen  l^aben  baf)er  i^re  2Bn^rl)eit  in  bem 
SÖeltgeift,  „um  beffen  2:t)ron  fie  all  bie  58ollbringer  feiner  SSerroirflic^ung 


©taatStoevfaffung.    ^^Uofop^ie  ber  ©efd^ic^te.  663 

itnb  als  3^W9^^  ^^'^  2kxvatl}en  feiner  ^exxli^teit  ftefien/'  SSon  biefem 
6tanbpunft  au^  belrad^tet  §egel,  in  ber  9ie(f;t§p^i(olop^ie  nur  in  fürjefter 
Ueberftdjt,  au§füf)r(i(^er  in  ben  SSorlefungen  über  ^^f)i(ofop^ie  ber  @e= 
fd^td^te,  bie  ßntroicflung  ber  5DZenfd^l^eit  in  Dier  ©pod^en:  ber  orientaU= 
f(^en,  grie(^if^en,  römifd^en  unb  germanif(^en  SBelt.  ^a^  benfelben 
@runbfö|en  ^at  er  bie  @e[d[;i(^te  ber  ^^itofop^ie  in  ben  33orIefungen, 
bie  nad^  feinem  2;obe  gebrudt  würben,  !6ef)anbelt;  i^ren  allgemeinen 
@ang  betreffenb,  nimmt  er  an  (I,  43),  bie  Slufeinanberfolge  ber  pl^ito= 
fopf)if(^en  ©ijfteme  in  ber  ©efd;i^te  fei  biefelbe,  raie  bie  ber  logifd^en 
33egriff§beftimmungen.  33eiben  S^arfteiiungen  ift  ber  3>orrourf  gemad^t 
lüorben,  ba^  ^egel  in  benfelben  ben  gefi^id^tlic^en  SSerlauf,  im  2öiber= 
fprudj  mit  ber  D^atur  ber  @ac^e  unb  ben  33ebingungen  unfereS  (Srfennen§, 
auf  apriorifd^em  SBege  conftruire,  ober  roenigften^  hcn  Slnfprud;  einer 
folc^en  Gonftruction  maä)i ;  ba^  er  im  3nfammenf)ang  bamit  oerroidette 
©rfc^einungen  nidjt  feiten  auf  üiel  3U  einfadje  unb  ollgemeine  gormein 
3urüdfüf)re;  ba^  er  bie  ^nbiüibuen  unb  bie  33ölfer  5U  auSfdjüe^üd;  al§> 
felbfttofe  SBerf^euge  ber  ^bee  ober  be§  3Be(tgeift§  bet)anble,  ii)rer  gefd^id^t= 
lid^en  (gigentf)ümlic^ieit  unb  ben  33ebingungen  berfelben  nid^t  geredet 
merbe.  2(ber  fo  raenig  biefer  ^^abel  oI)ne  ©runb  ift,  fo  entf(^ieben  mu^ 
anbererfeitg  bo§  SSerbienft  anerfannt  werben,  meld^eS  fi($  §eget  um  bie 
©efdjic^t^forfdjung  t^eiU  burd;  bie  geiftootte  unb  treffenbe  SBürbigung 
wichtiger  ßrfc^einungen,  t^eil^j  unb  befonber^S  burd;  bie  SSertiefung  be§ 
^iftorifd;en  ^ntereffe';!  ermorben  Ijat.  2Benn  unfere  f)eutige  @efd;ic^t= 
fc^reibung  fid;  ni(^t  me^r  mit  ber  gelehrten  2lu»mitt(ung  unb  fritifd^en 
®id)tung  ber  Ueberlieferungen,  mit  bec  ^i^fammenftefiung  unb  prag= 
matifdjen  @rf(ärung  ber  %i)at]a^en  begnügt,  fonbern  cor  allem  barauf 
au§gef)t,  ben  burc^greifenben  3iM'ainmen§ang  ber  ßreigniffe  ju  werftefien, 
bie  gefc^id;ttid^e  ©ntmidlnng  unb  bie  fie  befierrfc^enben  geiftigen  3}läc^te 
im  großen  3U  begreifen,  fo  ift  biefer  gortfdjritt  nidjt  am  menigften  auf 
ben  ®infIuB  jurüd^ufüfiren,  ben  §egel'§  5pf)i(ofop§ie  ber  @efdjid)te  auc^ 
auf  foldje  ausgeübt  l;at,  meldte  ber  ^egel'fc^en  <2(^u(e  niemals  ange^ 
prt  l^aben. 

Slud^  §eger§  (Stellung  ju  ben  poütifd^en  ©reigniffen  unb  fragen 
ber  3ßit  ^w^^'b  man  nur  bann  rid^tig  beurtfieiten,  raenn  man  feinen  oan^en 
gefd;idjt§pI)iIo)opf)ifc^en  ©tanbpunft  in  9iedjnung  nimmt.  Wan  l)at  hem 
^f)iloföpf)en  befanntlic^  batb  SJfangel  an  SiberalifmuS  balb  3J?angeI  on 
5patriotifmu§  fd^ulbgegeben :  jene^  befonber^  wegen  feiner  einfdineibenben 


664  §^9et- 

Hrtfieile  über  ba§  58erf)alten  ber  TOÜrttemkrgifi^en  Sanbftänbe  in  betn 
3Serfaffimg§ftreit  (1815  f.);  biefeS  wegen  feiner  33eumiibcnino  für  9?Qpo= 
leon  nnb  feiner  angebli(|en  ©leid^gültigfeit  gegen  bie  @rf)ebung  ^eutfd;^ 
lanbS  in  ben  SefreinngSfriegen.    IXnb  e§  ift  n)ai)r :  ber  SöiberraiCe  gegen 
bie  Dberfläd^li(^feit  be§  geraöiinlic^en  fiiberalifmuS,  gegen  bie  eeid;tig!eit 
feines  ^abelnS  nnb  ScfferraiffenS,  lieB  if)n  bie  ^sernünftigfeit   be§  58e^ 
ftefienben,   bie  überlegene   ©inficS^t   ber   ^Regiernngen   nid^t   feiten   über 
®ebüf)r  betonen;  bie  ©rfenntni^  ber  ©rünbe,  anf  benen  bie  Unma^t 
®eutf(^(anb§  nnb  bie  IXebermad^t  be§  gaUifc^en  ©robereiä  beruf)te,  ftunipfte 
feinen  33Iid  für  bie  fittlid;e  <Bä)W&ä)e  ber  napoIeünifd;en  ^olitif  ab,  nnb 
Iät)mte  bie  Hoffnung  auf  i^xe  erfolgreid^e  ^efämpfung.    ©r  roar  über= 
l)oupt,  bei  bem  tiefften  unb  ernfteften  politifc^en  ^ntereffe,  hoä)  im  ganzen 
nur  ein  3Jlann  be§  ©ebanfenS,  nic^t  ber  ^J)at ;  er  t)atte  and;  grunbfä^^ 
lic^  bie  Ueber^eugung,   welche   immert)in   nur   f)atb  raatir  ift,  ba^   bie 
^p^ilofop^ie  für  politifd;e  Sctefirnng  immer  ju  fpät  fomme.    S)enn   ba 
fie  nichts  anbereS  fei,  at§  „i^re  ßeit,  im  @cban!en  erfaf3t",  fo  trete  fie 
immer  erft  auf,  na(5^bem  bie  3Birf(id)feit  it)ren  Si(bung^?procef^  noUenbet 
\)ahz:   „bie  (£ule  ber  a)finerua  beginne  erft  mit  ber  cinbrcdjciibcn  Täm= 
mermig  i^ren  ging."     (Sr  moi^te  enblid^,  im  3ufnmment)aug  mit  feinen 
allgemeinen  ^^;oran§fe|nngen  (oben  6.  662),  mobl  glauben,  ba^  3:eutfd)= 
lanb  feine  politifc^e  3loUe   fc^on  anS^gefpielt   l)abe,  nnb  granfreid;  nun 
einmal  für  nnfere  3eit  bie  fü^renbe  a}Zad;t    geworben  fei.     3lber   eä 
märe  ein  Itnred^t  gegen  ben  53^i(ofopl)en,  menn  mau  \i)n  bej3(;alb  einer 
unpatriotif^en  ober  ittiberaten  ©efinunng  befd;nlbigen  mottle,  weil  fein 
potitifd;e§  Urtt)eit  nid^t  uon  atter  ßinfeitigfeit  frei  war,   unb  weil  er  in 
einer  trofttofen  3eit  ber  3ufunft  mH  geringerem  ä^ertrauen  entgcgenfal), 
aU  bie^  ber  fpätere  ©ang  ber  ©reigniffe  red^tfertigte.    SBer  feine  @taat§:= 
le^re  unbefangen  bcurtl)eilt,   ber   wirb   tro^   atten  il)ren  3Jiängeln  nid;t 
blo§  t)on  politifc^er  ©infid^t,  fonberu  auc^  oon  ^üd;tigfeit  ber  politifd^en 
©efinunng,  unb  bal)er  and;  oon  achter  greifinuig!eit  ol)ne  iJ^ergleic^  mef)r 
barin  finben,  als  in  maud;em  uon  ben  SBerfen,  weld;e  fid^  bamalS  burd^ 
il)ren  laut  l)erüortrctcnbeu  ^^atriotifmuS  unb  SiberalifmuS  einen  5)]amen 
gemad)t  t)aben;   unb  wer  an  ^legel'S  potitifdjeS  ilserljalteu  ben  gjiafsftab 
feiner  3eit,  nid;t  ben  uuferer  l)eutigeu  Senfweife  unb  bor  un§  burd) 
bie  (greigniffe   ertl)citten  «elelirnngen  anlegt,  wer  fid)  5.  33.    erinnert, 
wie  einfeitig  tofmopolitifd;   felbft   ein  gi<$te  fi(5^   feiner  ßeit  geäußert 
t)atte  (ogl.  6.  499  f.),  ber  wirb  üietteid;t  immer  uod;  ha§>  eine  unb  baS 


Sleftl^ettf.  665 

anbere  ati  ii)m  ,su  tabetn  finbeu,  aber  er  toirb  fid^  töoljl  pten,  im 
ganzen  über  i^n  fo  3U  urtl;ei(en,  luie  mau  ftd;  bie^  iiid^t  fetten  erlaubt 
tiat  '). 

7)  ^ortfc^uug:  c)  bcr  abfolutc  65eift;  9lcftf)ctif  uub  9{cIigtou§pt)üüfo^jf)ic. 

2ßa§  fid)  in  ber  3ße(tge[d;td^te  tf)atiäd;lid;  uoUsicbt,  bie  9JIac^t  beö 
3lb[o(nteu  über  jebe  53cfonbev§eit  uub  @ub(id;feit ,  ba§  ergiebt ,  in'§ 
Serou^tfeiu  erf)oben,  bie  ©eftalt  be§  „abfohlten  ©eifteS".  i^eget 
be^eidinet  biefe  6p^äve  im  adgemeiuen  al§  Oteligion;  im  befonbern 
unterfd^eibet  er  iunert)a(b  berfelben  bie  ilunft,  bie  9leIigion  uub  bie 
^f)ilofop^ie. 

Sie  ilunft  befpridjt  er  in  ber  ©ncyflopäbie,  mie  früher  in  ber 
^f)änomeno(ogie,  au§fd)(ie§(i(^  unter  bem  ©efid^tSpunft  beri?unftrcligion; 
einget)enber  unb  grünblid;er  f)at  er  in  feinen  (üon  §ot^o  uortrefflid^ 
rebigirten)  33orIefungen  über  9leftf)etif  bie  93fetapf)i)fif  be§  (Sd)önen,  bie 
üerfd;icbcnen  üunftformen  in  i^vex  gefd;i(^t(id)cn  (Sutwidhing,  unb  ba§ 
Sijftem  ber  ein,^e(nen  A^üuftc  bcbanbclt.  ®a3  6djöne  über()nupt  fa^t  er 
als  bie  finnUd)c  (STidieinung  bcr  ,^\bce,  bie  unmittelbare  (rinlu'it  bec^ 
^k'griff!o  uub  feiner  ^Hcalität,  bci-i  geiftigon  (^jebaltes  uub  bcr  äuf^creu 
@cfta(t.  (5-r  uutcriud)!  uou  liier  au»  bie  5i^ebiuguugcu,  uou  beuen  bie 
6d;önf)eit  abljäugt,  uub  t)ie  üerfd)iebeueu  2lrten  boo  ©c^öuen.  ©r  leitet 
ben  Uuterfd;icb  ber  oricntalifdjcn,  if)rem  mefeutlid^eu  (S^arafter  nad;  fi)m= 
bolifd;en,  ber  flaffifdjen  unb  ber  romantifc^en  £unftform  auS  bem  ^ev- 
t)ältni§  ah,  in  metd^em  bie  beiben  SJlomente  be§  ©d^önen  in  jeber  von 
it)nen  fteben.  ßr  tt)eilt  nac^  bemfelben  (5kfid;t§pun!t  bie  tünfte  in  brei 
i^auptf laffen :  bie  2lrd;iteftur ,  bie  fijmbolifd^e  Äunft,  meldte  auf  ben 
geiftigen  ®ef)alt  erft  t)inbeutet,  ha§>  Ungeiftige  3U  einem  bloS  äußeren 
9tefley  be§  ©eifteS  mad^t;  bie  ©futptur,  bie  ftaffifd;e  S)arftellung  ber 
geiftigen  ^nbiüibnatität,  in  n)eld)er  ba§  innere  unb  ©eiftige  feinen  3(uS= 
brud  in  ber  bem  ©eift  immanenten,  uou  bem  geiftigen  ©ehalte  voU- 
ftäubig  gefättigten  teibtid^en  ®rfd;einung  finbet;  bie  romantifd;en  Mufte, 
3)klerei,  Slhifi!  unb  g^oefie,  bereu  SCufgabe  e§  ift,  bie  ^nnerlid;feit  beg 
6ubjeftiiien  p  geftalten.  S)iefe  3)arftettung  fanu  aüerbiugS,  mie  aud^ 
bie  legten  ^a^r^eljenbe   fdjon   gezeigt  f)aben,  fo  menig,  mie   bo§  ganje 


1)  9)J.  bgl.  3U  ben  obigen  S3cmcrfiuigeii  bie  unifid)liöe  ßvcttentng  i-ion  Ä.  Ä'öfl  = 
üu:  §egel  in  pt)iIof.,  poüt  unb  nationaler  ißcäiel^ung  ^.  15U  ff. 


666  §cger. 

©ijftetn,  üon  bem  fie  einen  'Xt)ei(  bilbet,  für  ba§  (e^te  SBort  ber  2Btffen= 
fd;aft  auf  biefem  Gebiete  gcfialten  loerben.  2lber  fie  ift  oon  einem  fo 
tiefbringenben  Äunftüerftänbut^  getragen,  e§  ift  eine  foli^e  %üUe  üon 
treffenben  9So^nief)mungen  unb  frutf;tbaren  ©ebanfen  in  ii)r  niebergelegt, 
bie  2luffaffung  be^5  ©cljönen,  mn  ber  fie  an§ge^t,  wenn  anä)  o^m  ^^wd^el 
ber  genaueren  53cftimmuug  nod^  bebürftig,  ift  i^rem  n)efentlid;en  ©inue 
nad;  fo  xiä)ÜQ  unb  an  allen  S:{)ei(en  ber  äftt)etifc^en  ^fieorie  fo  üott= 
ftänbig  unb  fo(gerid;tig  burdjgefü^rt,  baB  vxan  i^r  tro|  allem,  u)a§  an 
i'i)X  au^jufe^en  unb  §n  oerbeffern  fein  mag,  bie  epo(^emad;enbe  ^^ebeu^ 
tung  nid;t  rairb  beftretten  fönnen,  für  meiere  and)  bie  gau^e  feit^erige 
©ntiüidfung  ber  beutfdjen  Stcft^etif  3e"9"iB  ablegt. 

©0  t)od;  aber  §egel  bie  ^unft  ftettt,  fo  ift  fie  if)m  bod^  nur  bie 
unterfte  non  ben  ©tufen,  rael^e  ber  abfolute  @eift  §u  burd)(aufen  f)at. 
Sie  gef)ört  ber  ©pt)äre  beSfelben  allerbingS  an,  benn  e§  ift  in  if)r  id;on 
eine  ^erföf)uung  ber  ^öc^ften  ©egenfä^e,  e§  fommt  in  ifir  f(^on  bem 
3Jtenf(^en  „bie  ©ine  fonfrete  2;otalität  (ba§  ©ine  abfolute  SBefen)  al§ 
fein  eigene^  SBefen  unb  al§>  bal  ber  9f?atur  gum  S3en)uBtfein",  e§  erroeift 
fid)  i!)m  biefe  ®ine  wahrhaftige  2Birf(i(^feit  a(§  bie  f)öd}fte  3)iac^t  über 
ba§  Sefonbeie  unb  ©übliche.  Slber  fie  t)at  nod;  bie  gorm  ber  2leuBer- 
tidjfeit,  ber  finnlic^en  2lnfdjauung,  fie  bringt  ba§  Stllgemeine  nur  in  ber 
gorm  ber  inbioibueflen  ©rfd;einung  §um  ^ewn^tfein.  SBirb  biefe  gorm 
aufgef)oben,  mirb  ba§  2lbfolute  in  ber  gorm  ber  aufgei)obenen  Slufd^au^ 
ung,  ber  S^orftettung,  ergriffen,  fein  S)afein  in  ba§  ^i^itere  be§  ®emüt^§ 
unb  33ewuBtfein§  »erlegt,  fo  entftet)t  bie  9ie  ligion  ^). 

Sind;  auf  biefe§  ©ebiet  be§  geiftigen  SebenS  ift  ^eget  in  feinen 
SSorlefungen  ungleich  umfaffenber  eingegangen,  a(§  in  ber  ©ncijflopäbie. 
S)iefe  lö^t  ebenfo,  wie  früfier  bie  ^fiänomenologie,  auf  bie  ilunftreligion 
fofort  bie  „offenbare  Sleligion",  ba§  ß[jriftentf)um  folgen;  unb  bamit 
^ängt  unuerfennbav  and;  bie  ganje  ©tetlung  ber  J?unft  unb  ber  9te(igion 
bei  .^cgcl  äufamtucn,  benn  feine  fo  eben  angefüf)rte  33cftimmung  t)ierüber 
pafet  nur  auf  ba§  ^BerfjättuiB  ber  d;riftüd;en  9leligion  jur  gried;if(^en, 
aber  nid;t  auf  ha^  iHn-f)ältniB  ber  9{e(igion  5U  ber  J?unft  überhaupt,  ba 
bie  Huterfdjeibung  §roiid;en  ber  finnUd;en  ©rfdjcinung  unb  bem  geiftigen 

1)  @o  2ie[t^.  I,  128  ff.  u.  0.  SBcmt  ^^U.  b.  ®t\ä).  61  bie  atcligion  aU  bie 
erftc,  bie  Äitnft  alö  bie  5  weite  ^oi'"  ^fv  iBcvciiügimg  beg  öubjcftitocu  unb  Ob« 
ieftiüeu  begeidjnet  »üirb,  ifl  c§  boc^  frfjwcvtid)  ^egel'S  2lbfid;t,  bie  foiift  immer  cingel^al» 
tene  ©tufcnfotge  §u  änbent. 


2)ie  gfleltvjton.  667 

@ef)alte  in  ben  niebrigeren  5Re[igton§formen  in  ungleich  geringerem  @rabe 
üor^anben  ift,  ai§>  in  ber  i?nnft,  für  raelc^e  bie  ändere  ©rfdjeinung  sroar 
im  allgemeinen  unentbc^rlidj  ift,  meldte  aber  in  allen  il)ren  3roßi9en 
anf  ber  Umbilbnng  unb  ^bealifirnng  be§  (begebenen,  ber  ßrl)ebnng  über 
bie  unmittelbare  2ßirflid;feit  bernf)t,  unb  in  ber  geiftigften  J^nnft,  ber 
S)i(^tfunft,  (mie  «pegel  a.  a.  D.  felbft  bemerft)  fi^  ebenfalls  imßlement 
ber  bloßen  5>orftellung  bemegt. 

^eger§  9ieligionvp^itofopf)ie  verfällt  nun  in  brei  Steife,  gegen 
beren  S^ebeneinanberfteHung  fic^  freilidj  mandjcS^  einmenben  lieBe :  1)  ber 
SSegriff  ber  3fleligion;  2)  bie  beftimmte  9ieligion;  3)  bie  abfolute  Sieligion. 
®er  erfte  von  biefen  2lbfc^nitten  bef^äftigt  fic^  mit  bem  allgemeinen 
3Be]'en  ber  Sleligion;  ber  jroeite  mitl  seigen,  roie  [ic^  ba^fetbe  in  ben  enb= 
ti(i^en  5Retigion§formen  unöollfommen,  wenn  auc^  in  ftufenraeifem  gort- 
fc^ritt  5um  f)öf)eren  rermirflid^t ;  ber  britte,  mie  e§  im  6^riftentf)um  ju 
feiner  ooQfommenen  S)arftettnng  gelangt. 

3l)rem  oltgemeinen  2Befen  nad;  ift  bie  9teligion  S)enfen  be§ 
Slbfolnten,  benfenbe^  ©otteSbemufjtfein ;  aber  ein  3)enfen  nid^t  in  ber 
gorm  bey  S:enfen§,  fonbern  in  ber  be§  ©efüljtS  nnb  ber  SSorftcllnng. 
©ie  ift  S^enfen,  benn  nur  bnrc^  fein  S^enfen  erl)ebt  fid;  ber  Menfc^  über 
bie  %\:)kxe,  mir  bem  benfenben  ©eift  fann  bie  ©ottfieit  fid;  offenbaren; 
unb  üon  f)ier  au§>  tritt  ^egel  namentli(^  Sc^leiermadjer'g  S3el)auptung, 
baB  bie  3ieligion  im  ®efül)l,  nnb  in  il)m  allein  i^ren  @i^  'i)abe,  mit 
einer  bi§  5ur  llngeredjtigfeit  Iierben  ^olemif  entgegen.  2lber  biefeS 
55)enfen  l)at  in  ber  Sieligion,  wie  auä)  er  3ugiebt,  ni($t  bie  reine,  begriff; 
lic^e  ©eftalt  be§  @ebanfen§,  fonbern  bie  be§  @efül)l§  unb  ber  ^ov- 
ftellung,  ober  raie  er  aud^  fagt:  be§  @efüf)l§,  ber  2(nfd)anung  unb 
ber  SSorftellung.  SBie  aber  biefe  jraei  ober  brei  formen  fic^  3U  einanber 
unb  3um  religiöfen  S^enfen  üerlialten,  unb  in  metdjer  uon  iijnm  ber 
unterfdjeibenbe  ©^arafter  ber  Steligion  eigentlidj  befielt,  barüber  l)at  er 
fid)  graar  ni^t  fo  genau,  aB  man  luünfc^en  mödjte,  erllärt;  inbeffen 
gef)t  au§  feiner  ganzen  SSe^anblnng  ber  Steligion,  nnb  namcntlid;  an§> 
ber  2trt,  wie  er  bie  (^riftlic^e  Steligion  auf  p^ilofopl)ifc^e  ©ä^e  jurüd; 
fül)rt,  beutlic^  ^eruor,  ba^  er  bie  Steligion,  tro^  einzelner  anber^  lautcnber 
Sleu^erungen ,  im  n)efentli($en  aU  ein  tl)eoretif($e§  S^erl^atten  auffaßt, 
baB  i^m  il)re  ^ebeutung  l)auptfäc^li(^  barin  befielt,  ein  SSiffen  über 
bie  ©ottlieit  unb  ha§>  3Serl)ättniB  bes  3}ienfc^en  jur  ©ott^eit  ju  gen)äl)ren, 
unb  bamit  ftimmt  e^  gauj  überein,  roenn  felir  l)äufig  nur  bie  ^orm  ber 


668  ^egel. 

SSorfteHung  aU  ba§jenige  genannt  roirb,  raoburd)  fie  fid^  oon  ber  ^^i(o= 
fopf)ie  unterfd;eibc.  S)ie  3sorfteIIung  ift  aber,  lüieraol)!  fie  über  bie  un^ 
mittelbare  2ln[d)anung  ^inau§gef)t,  hoä)  immer  noc^  eine  finn(i(^e  SBeife 
be§  53emnBtfein§ :  an  bie  ©teile  ber  53egriffe  treten  53tlber,  bie  3)iomente, 
meldte  im  ©enfen  in  itirer  ©inf)eit  unb  if)rem  ^wfammenfiang  erfannt 
werben,  erf)a(ten  ben  ©djein  ber  ©elbftänbigfeit,  legen  [id;  in  eine  3?iel= 
l^eit  neben  einanber  fte{)enber  ©eftalten  unb  gefc^id^tlic^er  SSorgänge 
auSeinanber.  3wstci<^  ^'^^  ^^^^  biefe§  einzelne  unb  finnlidje  eine  aHge= 
meine  Sebeutung:  feine  eigentlidje  3)ieinung  liegt  im  ©ebanfen.  Sie 
gorm  ift  bafier  I)ier  bem  3nf)alt  nod^  unangemeffen :  ber  3n!)alt  ift  ber 
f)öd)fte  unb  fpefulatinfte,  bie  gorm  bie  be3  empirifdjen  SafeinS.  Dber 
wie  .^egel  aud;  fagt  {^eU^l  I,  200):  bie  9teligion  ift  ba§  ©elbft^ 
beiDU^tfein  be§  abfoluten  @eifte§ ;  aber  um  fid^  feiner  beraubt  gu  werben, 
muB  er  fid^  in  fi(^  unterfdjeiben,  b.  t).  fid^  ul§  enbUd)e§  Sen3uf3tfein 
fcljen;  bie  Steligion  ift  bo|er  „SBiffen  be§  göttlidjen  ©eifte^  üon  fid^ 
burd;  ■  ^Vermittlung  be§  enblidjen  @eifte§".  2Bir  werben  fpöter  feigen, 
lüio  fid)  f)ierau!J  bie  iHotljweubigfeit  ergiebt,  baf,  ba?  33cu)uf3tfein  bic)'e 
feine  Gubtidjt'eit  aufgebe  unb  beu  ©ebanfeu  aud)  in  ber  'J-orm  be»  ®e^ 
Danfeuv,  ber  gorm  be§  5^egriffc>  faffe.  ^uiuidjft  aber  erwäd)c^t  ibni  ba^c^ 
!^ü'bnrfui^,  ]\ä)  mit  bem  ©öttiidjcn,  ba^o  ibm  in  ber  (^k^ftatt  bor  ®cgen= 
ftäub[id;feit  erfdjciut,  burd)  eine  ^)ieif)c  befoubercr  .öanblungen  3U  uer= 
mittein,  unb  eben  bie^  ift  bie  a3ebeutung  be§£ultu§,  ^aB  bie  ©ottI)eit 
in  ba§  innere  ilirer  ^exe^xex  einjiel^t  unb  bem  ©elbfibewu^tfein  gegen= 
wärtig  wirb. 

®er  Segriff  ber  9teIigion  gelangt  aber  nur  allmäl)lid;  ju  bem  il)m 
entfpred^enben  S^afein;  ba§  religiöfe  53ewuBtfein  ergebt  fid;  ftufenweife 
von  ber  Unmittelbarfeit  unb  9tatürlid;feit  5ur  ©eiftigfeit:  ber  abfoluten 
9leIigion  ge{)t  bal)er  eine  9fteil)e  uon  unuollfommenen  Steligionsiformen 
voran,  weld^e  in  i^rer  ©efammt^eit  bie  „beftimmte  DUtigion" 
bilben.  Unter  benfelben  unterf($eibet  §egel  ^wei  §auptflaffen:  bie  ^ainv- 
religion  unb  bie  9kIigion  ber  geiftigen  ^i^^'^ibnaiität.  ^n  bie  erfte 
ftefft  er  au^er  jenen  niebrigften  2lrten  ber  ®ötteriierel)rung,  welche  er 
bie  unmittelbare  9te[igion  ober  bie  Bleligion  ber  ^öw^ßi*^^  nennt,  aud; 
bie  orientalifc^en  9teIigionen:  bie  „9letigion  be§  2)laBe§"  ober  bie  d;ine; 
fifd;e,  bie  „Steligion  ber  ^Ijantafie"  ober  bie  bral)manifdje,  bie  be§  ^n-- 
fid;feing  ober  bie  bubbl^iftifd;e  CiJIauben^weife;  ferner  al§>  zweite,  bie 
Dcaturreligion  im  Uebergang  jur  9kIigion  ber  grei^eit  barftellenbe  ©ruppe 


Sie  aieHgion,  bie  ^Heltgionen,  bie  abfolute  9ieUgion.  669 

orientalifd^er  ^loligtonen :  bie  „9?etigion  bc§  ©iiten  ober  be§  Sid;t§'' 
(bie  5oroaftrif($e),  ,,bie  Steügion  be§  ©c^tner^eg"  (bie  fijril^e),  „bie 
9^e(igion  be»  9iätt)fe[y"  (bie  ägyptifrf^e).  ^k  9ieIigion  ber  geiftigcn 
:3nbit)ibitantöt  umfaßt  brei  formen:  „bie  9!eIigion  ber  ©rt)abenf)eit", 
bie  jübifcfjc;  bie  ber  ©djönf)eit,  bie  griedjifdje;  bie  ber  ^racdmäBigfeit 
ober  bc§  $!erftanbe§,  bie  römifdje.  :3nbe[Kn  faim  \ä)  §ier  an\  ^eget'g 
2luffaii'ung  biefer  9teIigionen  nic^t  nä(jer  cingefien. 

3(u^  ber  beftinimten  9te(igion  ge{)t  bie  a&fo(ute  ober  offenbare 
afieügion,  ba§  Gfiriftent^um,  ^eruor,  raenn  ba§  religiöfe  ^crou^tfein 
fic^  3ur  ©eiftigfeit  unb  inneren  llnenb(id;feit  ergebt.  ®efd^id;tlid;  ift 
biefer  ^eruorgang,  wie  ^egef  öfters  anSfiif)rt,  bnrd;  bie  3nftänbe  beg 
römiidjcn  2[öe(treid;§  bebingt:  benn  mieioof)!  ha§'  G^riftont^nni  nnr  nnf 
bcm  53obcn  be§  iiibifdjen  a.lionot^cifnnt'3  cntftel)on  tonnte,  fo  war  bod; 
eine  Ü'öeitretigion  üon  fo  geiftigeni  6f)arafter  nid)t  niögtid),  efie  bie  ^^ö(fer 
burd;  ifjre  potitifc^e  3]ereinignng  and;  für  if)r  S3eran§tfein  ^nfanimcnge^ 
füt)rt  marcn,  nnb  ba§  genicinfame  Hngliid  ber  ^eit  ben  (^eift  in  fid) 
3nrndgctrieben  unb  ba§  Hnenblidje  in  fic^  felbft  fnd^eu  gefeiert  ^atte, 
(5rft  im  (if)riftentf)nm  ift  nun  ba§  religiöfe  3>er^ä(tm^  5um  abfointen 
geroorben:  e^  rairb  a(§  baS  SBefen  ®otte§  gcion^t,  fid;  bem  enbtic^en 
©eift  nollftänbig  mit^ut^eiten,  3)tenf(^  3U  werben  unb  a\§>  ©eift  ber  ©e= 
nieinbe  einsnraotjncn,  nn^  al§  ba§  2Sefcn  hc§>  3)tenfd;en,  fid;  au§^  feiner 
natür(id;cn  ©ottentfrembnng  jnr  @in|eit  mit  ©ott  gu  erfieben;  ©ott 
imb  Wkn)^  racrben  al§  ©eift,  nnb  fomit  auä)  ii)v  5ßerf)ä(tnif3  aU  ein 
geiftigeS  angefd^aut.  S^ie  9leIigion  ift  ba^er  ^ier  felbft  ein  TOefentlic^er 
58eftanbtt)ei(  ber  Offenbarung  be§  3tbfolnten,  nnb  fie  fiat  infofern  fid; 
felbft  3um  ^nlialt,  benn  fie  ift  53e5icl)ung  be§  3}ienf(^en  auf  bie  ©ott^eit 
als  ba§  im  menfd;(id;cn  ©elbfiberon^tfein,  in  ber  Oieligion  fic^  offene 
barenbe  SSefen;  eS  ift  nid;t  nur  baS  göttliche  SBefen  offenbar,  mie  e§ 
an  fid^  ift,  fonbern  e§  mirb  and)  je^t  erft  offenbar,  roaS  bie  9teligiou 
if)rem  S3cgriffe  nac^  ift,  it)r  <Dafein  ift  i^rem  Segriff  gteid;,  fie  ift  bie 
offenbare,  bie  abfointe  9teligion. 

Mcä,  maS  .^egel  über  baS  ß^riftent^um  fagt,  i)t  von  biefem  ©e^ 
fid^tSpunft  be^errfd)t.  (S§  foll  als  bie  abfointe  gteligion  begriffen  raerben, 
inbem  bie  53ebentnng  unb  bie  2öaf)rt)eit  ber  53eftimmungen  anfge3eigt 
mirb,  TOeld;e  ben  ^n^alt  beS  ^riftlid;en  ©taubenS  bilben.  S3ei  hem 
d^riftlid;en  ©lanben  benft  aber  i^^egel  junädjft  unb  faft  anSfd;lie^[id;  an 
bie  alttird;li($e  SDogmatit,   in   meldjer  bie   d;riftlid;e  91eligion  hen  xidy- 


670  ^ffltl- 

tigften  2(u§bnic!  für  ba§  üorfteHenbe  ^erau^tfetn  gefunben  f)ahm  fott; 
unb  bie  ^ebeutung  biefer  3)ogmcn   fii^t   er   nad)  6d)eIHng'§  58organg 
in  benfclben  fpefulatben  @ä|en,   tüd^e  beit  lern   feinet  eigenen  ©9> 
ftem§  bilben.    2)ie  Srinität§Iet)re  fpridjt  e§  an§,   baB  ®ott  ©eift  fei, 
baB  eg  in  feinem  Söefen  liege,   fi(^  in  einem  anbern,   einer  ®e(t  p 
offenboren,   nnb  barin  bei  fid;  jn  bleiben.    3)ie  ßetire  t)om  Urjuftanb 
nnb  üon  ber  ©ünbe  brüdt  in  ber  ^^orm  ber  SSorftellnng  ben  ©ebanfen 
an§,   bafe   bie  menfd;lid;e  9^atnr  graar  dg  geiftige  an  fid^  gnt  unb  in 
@ini)eit  mit  ®ott  fei,    aber  in  iJirer  5Ratürlid)feit  unb  ©nblidifeit  böfe 
unb  gottentfrembet.    2(n  ber  ^erfon  be§  @ottmenfd;en  fommt  ber  2öelt 
bie  anfidjfeienbe  ©in^eit  @otte§  nnb  be§  3)tenfd;en,  bie  mefentlid^e  S^er^ 
manbtfdjaft  be§  abfolnten  nnb  be§  enblid^en  @eifte§  jur  2tnfd;auung; 
an  feinem  3Serfö^nung§tobe  ber  ©a^,  baf]  biefe  im  SBefcn  be§  3)tenfc^en 
Uegenbe  ßin^eit  in  bem  ^fmuBtfein  be§  ©injelncn,  feinem  realen  Seben, 
nur  burd)  einen  fittlic^en  ^proceB,   burd^  2lbti3btung   feiner   natürlichen 
©etbftfud^t  unb  ©inniidjfeit  nerroirftic^t  werben  fann  n.  f.  m.    SBie  eg 
fid;  jcbüd)  mit  bem  urfprüngtidjen  ©inn  biefer  ©ogmen  nnb  mit  ben 
if)nen  3U  ©runbe  liegenben  ©efd^id^tSer^ä^tnngen  t)er|ält,  barüber  mad;t 
fic^  ber  ^t)ilofopt)  menig  Sorgen.    @r  füt)rt  n)ol;l  oft  genug  au§,   ba^ 
äußere  ^eugniffe,  Söunbererjäfilungen  u.  f.  f.  gmar  ber  2Beg  fein  !önnen, 
auf  bem  ber  ©taube  an  uu§  tomine,   ba§  aber  ber   eigentliche  ^nfialt 
be^fclbcn   mit   biefer  gefd;id;tli($en  Ueberliefernng  nid^tg  ju  tt)un  ^ahe 
unb  nidjt  auf  biefe  äu|erlid)e  2ßeife,   fonbern  nur  burcJ^   bie  SBa^rtie^it 
feiue§  ^nljaltg,  burd;  ba§  ^eugni^  be§  ©eifte§  yom  ©eift,   beglaubigt 
werben  fönuc.    ßr  l)at  and;  feine  eigene  Stellung  gum  SBuuberglauben 
beutlid)  genug  auSgefprodjen,   wenn  er  5.  S8.  fagt  (9iel.=^()il.  I,  213): 
biefer   äuBerlic^e  ©laube  muffe  ron  bem  n)al)rf)aften  untcrfd;icbcn  wer- 
ben;  gefd)el)e  bicfj  nid;t,   fo  mutl)e  man  bem  Meufc^en  ju,   ®inge  gu 
glauben,    au  bie  er  auf  einem  gewiffeu  ©tanbpunft  ber  S3ilbung  nic^t 
mel)r  glauben  föune;  über  biefen  Glauben  fei  bie  Stufflärnng  mit  9tedjt 
gjieifter  geworben,  benn  ba§  Hngeiftige  fei  feiner  9iatur  mä)  fein  ^n= 
^alt  beS  ©laubenS.     Slber   er   mad;t   leinen  Sicrfuc^,   ba§  SSerl)ältni|3 
feiner   eigenen  2tnfid)t  3U  ber  religiöfen  Ueberliefernng  genauer  ^u  he- 
ftimmen  unb  jene  mit  biefer  fritifd;  ^n  uermitteln ;  nnb  in  golge  bauon 
tä^t  er  un§  bei  üielen,   in  tlieologifd^er  unb  pl)ilofopl)ifd)er  Siejiefmng 
fel^r  widjtigcn  ^^ragcn  in  einem  ^albbunlcl,   in   bem   wir   un§   faum 
gnred)tfinbcn  fönnten,   wenn  uid;t  bie  C^ionfequeuj  be§  ganzen  ©ijftemS 


®te  afefofiite  fReUgton.  671 

bett  gaben  ^iefür  an  bte  §anb  gäbe,  ^egel  pretft  bie  fpefulatiüe  SSo^r- 
^eit  unb  2:iefe  ber  %xmüät§U^ve ;  aber  roa§  er  au§^  bie[er  Se^re  ^erau§-- 
(ieft,  ge^t  über  ifiren  luiprüngtid^en  ©inn  weit  Zittaus,  unb  gerabe  ber 
g^nnft,  in  bem  i^re  ©djiöierigfeit  äunäd;ft  liegt,  auf  ben  fie  aber  nie 
5U  rer^icfjten  raupte,  bie  Sreifieit  ber  ^erfonen  in  bem  ©inen  göttlichen 
SBefen,  wirb  üon  x^m  t!)eil§  bei  (Seite  geiaifen,  tf)ei(§  nmgcbeutet.  9^i(^t 
t)iel  anberS  üer^ött  e§  fic^  aber  audj  mit  ber  allgemeinen  5>orau§fet^ung 
biefer  Se!)re,  ber  gemeinfamen  ©runblage  be§  jübifd^en  unb  d;rifttid;cn 
3)Zonoti)ei)"mu§.  ^egePS  2leuf5erungen  über  bie  ^er[ön(id;feit  @olte0 
tanlen  fo  nnbeftimmt,  baB  e§  fc^roer  ift,  feine  eigenttid^e  3}letnung  au§ 
benfetben  jn  entnehmen ;  jiefit  man  jebod;  ba§  ©ange  feiner  ^f)i(ofop^ie 
gu  9?otf)e,  fo  ergiebt  fid;  atterbing^  al§  bie  mefentltc^e  ^gebentung  biefeö 
©(aubeng  für  il)n  nur  ha§  ^erfönlid^roerben  ©ottel  in  ber  menfd;[id;en 
^erfön(i(|feit.  äöenn  'er  ferner  bie  ©rjä^hingcn  uom  Urjuftanb  unb 
ber  ©ünbe  beutlic^  genug  aU  9)tijt^en  bef)anbe(t,  fo  fdjeint  er  bagcgen 
ben  ©(anben  an  ben  ©ottmenfdjen  junäc^ft  in  feinem  eigenttidjen  ©inn 
gutäu^ei^en;  fiel)t  man  aber  freilid;  näf)er  311,  fo  geigt  fid;,  ba§  e§>  i^m 
nur  um  bie  roefentlidje  ©infieit  be§  göttlidjen  unb  be§  menfd;(id;en 
©eifteg  überi)aupt  gu  t^un  ift,  roefc^e  ber  3Jtonfd;§eit  in  ber  gorm  be§ 
©(anbeut  an  eine  gottmenfd;(id;e  @in3e(perfönüc^feit  ^aW  gum  ^eiüu{3t= 
fein  tommen  muffen;  unb  gerabe  beB()alb  muf3te,  roie  er  fagt,  biefer 
©in^eine  fterbcn,  um  im  ©eift  ber  ©emeinbe  (a(fo  nid;t  (eiblii^)  auf^^ 
guerftefien.  ^m  übrigen  mirb  jmar  bie  gefc^id;l(i(^e  Sebentung  be§ 
%ohe§>  ©tirifti  unb  bie  Ummäljung,  bie  er  im  S3emuBtfein  ber  3Jienfdj= 
t)eit  f)erbeifüf)rte ,  mit  tiefem  58erftänbniB  anerfannt;  aber  bag  S)ogma 
über  feine  erlöfenben  SBirfungcn  rcirb  fd^tie^Iid;  bod^  auf  bie  aUgemeiue 
SSafir^eit  (oben  ©.  670)  jurüdgcfüfirt,  ber  jener  gefd^ic^tlidje  3Sorgang 
al§  ©vmbot  bient.  2öenn  enbUd;  bie  i^ird^e  ilire  S]olIenbung  oon  einem 
jenfeitigen  Seben  erwartet,  beffen  Slnbrni^  nad;  aitd^riftlid^em  ©tauben 
burd;  bie  rounberbarfte  SBeltf ata ftropt)e  f)erbeigefüE)rt  werben  fott,  fo 
liegt  biefe  ©vmartung  uid;t  attein  in  biefer  legieren  gorm  felbftüerftctnb= 
lid;  gang  au^er  bem  ©ebanfenfreife  be§  ^t)i(ofopf)en,  fonbern  and;  für 
ben  platonifirenben  llnfterbüd;feit§glauben,  ber  in  ber  neueren  ^eit  an 
i^re  ©tette  getreten  ift,  i)at  er  in  feinem  ©yftem  feinen  9{aum.  offen- 
gelaffen,  unb  au§  eingetnen  2(euBerungen  ge{)t  bcut(id;  fieroor,  ba^  er 
bieB  ntd;t  bIo§  au§  3>crfe{)en  gett)an  t)at.  ©0  ernftüc^  e§>  mitf)in  §egel 
nm  bie  5Serföf)nung  beS  @(auben§  mit  bem  SBiffen  ju  t^un  mar,   fo 


672  $er6art. 

laut  er  ben  burd^  i^n  311  ©tanbe  gcbradfiten  3l6fd;Iu^  beS  ^^riebeng 
Siüifd^en  ber  ^sf)iIofopf)ie  iinb  ber  Steligton  üerfünbigt  f)at,  fo  jeigt  \i^ 
bod;  halh,  ba^  bie  S3cbingungeu,  unter  beucn  berfelbe  gu  ©tonbe  fommen 
follte,  von  kibeu  ^fieilen  uid)t  in  bemfclben  ©iun  aufgefaf3t  rourben; 
unb  aud^  er  felbft  fann  fidj  bie^  nidjt  gauj  ycrbergen,  raeun  er  am 
(5c^tu§  ber  9^cIigiongpf)itofüp^ie  offen  befennt:  ber  ^f)ilü[opf)te  fei  e§> 
groar  gelungen,  bie  i^ernunft  mit  ber  9ieligion  3U  t)erföl)nen,  aber  biefe 
3Serföf)nung  fei  nur  eine  partieHe  of)ne  äußere  2lllgemeint)cit ,  fie  fei  in 
biefer  ^ejiefiung  ein  abgefonberteS  i^ei(igt()um  unb  itire  Wiener  bilben 
einen  ifolirten  ^riefterftanb,  ber  ba§  ^eftl5tf)mn  ber  2öaf)r^eit  3U  ^üten 
f)abe.  2öie  aber  bie  jeitlidje  ©egeniuart  fidj  au§  biefem  3wiefpalt 
^crau^finbe,  fei  i{)r  3n  überlaffen.  3.1iag  baf)er  and;  bie  „abfohlte  9fe= 
tigion"  i^rem  3n^)«it  nac^  nod)  fo  f)od;  geftellt  werben,  fo  fe^(t  e^3  boc^ 
aud;  i^r  notf)iüenbig  nod;  an  ber  abäqnaten  ^-orni  für  biefen  Snt)alt, 
unb  fo  fann  ^cgel  and;  in  ber  ©ncijHopäbie,  loie  früher  in  ber  Slßljä- 
nomenologie,  feine  S3etrad;tnng  ber  9ieligion  nur  mit  ber  gorberung 
be§  ^ortgangö  3ur  ^f)i(ofopf)ie  fd)üeBen.  Sie  aber  bie  Stufgabe 
unb  ba§  3>erfat)ren  ber  ^tjilofop^ie  t)on  t§m  beftimmt  wirb,  ift  fd)on 
oben  ge3eigt  worben.  ' 


VII.  Hcrbart;  pauhc;  5d) 0|)cul)aucr. 

1.  ;^crljart:    ber  (it)axaHcx  uuD  t»ic  attgemciiteu  ^ruublagcu  feinet 

Si)ftcut§. 

2öenn  fi(^  nnS^  in  ber  f)egel'fdjen  ^(;i(ofopf)ie  bie  fi)ftematifd)e  '^SoU- 
enbung  besS  nad)fantifd;en  ^beatifmuS  barftellte,  fo  begegnet  nn§>  g(eid;= 
3eitig  bei  ^erbart  ber  ^serfud;,  bie  S^erirrungen  biefeS  ^bcalifmuS  ha- 
hnxä)  3U  befömpfen,  baf^  ba^jenige,  wa§  Äant  üon  ber  früliereu  beutfd;en 
^f)i(ofop!)ie  nod;  fjerübergenommen  f)atte,  meiter  verfolgt,  bie  (eibni3= 
TOolffifd;e  3}ietap{)i;fif  bem  ueränberten  n)iffenfd;aftlid;en  ©tanbpunft  unb 
33ebürfni^  entfpred^cnb  umgebilbet  loerbe.  ^o^ann  j^^riebrid;  ^er^ 
bart  würbe  3U  Dlbenburg  ben  4.  3Jlai  1776  geboren.  (Sr  mar  alfo 
nur  ein  ^ai)X  jünger  al§  ©d^eUing;  unb  wie  biefer  üon  gid;te  anS'  ju 
feinem  fpätercu  ©pftcm  fam,  fo  burd;(ief  and;  §erbart  bie  Qd)nk  biefe§ 
^^i(ofopf;eu,    ben   er  (17*J4  f.)   in  ^cna  I)C)rte.    Slber  fd;on  fcl)r  frül;c 


2)te  «pi^tMopl^te  unb  il^re  X^eile.  673 

fef)en  roir  i^n  %\d)U  unb  ©d^efling  mit  fritifd^en  ßintoürfen  entgegen^ 
treten;  unb  aU  er  fid^  1802  in  ©öttingen  fiabiütirte,  l^atte  er  in  ber 
§auptfad;e  ben  ©tonbpunft  bereite  gefunben,  beffen  S)arfteIIung  unb 
^egrünbung  er  h\§>  jn  feinem  Stöbe  (14.  2luguft  1841)  in  Königsberg 
(1809  ff.)  unb  in  ©ötttngen  (1833  ff.)  feine  afabemifd;e  unb  f(^rift= 
ftellerif($e  St^ätigfeit  geroibmet  i)at.  (Seine  ^£)ifofopi)ie  erljält  i^re  eigen= 
tf)ümlid;e  9ii($tung  in  erfter  dleif)c  burd^  ben  ©cgenfa^  gegen  ben  3bea= 
lifmuS  ber  2öiffenfd;aft§(e§re  unb  ben  ^antl^eifmuS  ber  Sbentität§pl^iIo= 
fopf)ie.  3Benn  gid^te  Kant'§  2)ing=an=fid;  befeitigt  fiatte,  um  bie  ©r- 
fd;einungen  au§fdjücf3lid;  au3  bem  oorftellenben  ^c^  ju  crflören,  fo 
befeitigt  ^erbart  J?ant'S  Sefire  ron  ben  reinen  2Infc^auungen  unb  ben 
Äategoriecn,  um  ba§  S?ing;an=fid^  nid)t  jn  üeriieren;  unb  er  gel^t  bem= 
nod)  für  bie  ©rflctrung  ber  ßrfd;einnngen  unb  be§  oorftetfenben  ^^ 
felbft  auf  bie  metapt)ijfifd;e  Unterfuc^ung  über  bo»  3lnfid;  ber  S)inge, 
ber  Dtealen,  ^urücf.  3)tefe  S)inge  aber  fa^t  er,  im  ©egenfa^  ju  ^ä)eU 
ling  unb  ©pinoja,  mit  2öo(ff  unb  Seibnij  aU  bnrd^anS  inbiüibuelle,  fd;(ec^t= 
i)\n  einfalle  unb  burc^  feine  reale  SBei^felmirfung  mitcinanber  üerbunbene 
SSefen.  ©ein  ©ijftem  ift  baljcr  im  Untcrfd^ieb  von  ber  t)ort)errfd;cnben 
9iid^tung  beS  uad;fantifd;en  3bea(ifmu§  a(§  realiftifd;,  im  Unterfd^ieb 
üon  ber  pant§eiftifd^en  Söenbung  beSfelben  als  inbiuibuoHftifdj  ju  be- 
seidenen,  ^n  feiner  weiteren  ßntroidhtng  jeigt  e§  fid)  bann  aber  freilid^, 
boB  eS  bennod^  üon  jenem  ^bcatifmuö  mc(;r  in  fid;  aufgenommen  t)at, 
als  fein  llrficber  fe(bft  fid^  geftanb  ^). 

5Die  ^i)Uofopf)ie  ift  nad^  |)erbart'5  Definition  im  allgemeinen  „Be- 
arbeitung ber  Segriffe",  unb  fie  unterfd;cibet  fic^  be^fiatb  t)on  ben 
übrigen  Söiffcnfc^aften  nidjt  bnrd^  i^rcn  ©egenftanb,  fonbern  burd;  ba§ 
SSerfa^ren,  beffen  fie  fid^  bebient,  um  bie  ©runbbegriffe  atter  Sßiffen^^ 
fc^aften  in  if)rem  ^iifßi^ti^'^^^attG  feftsufteden  unb  gu  ertäutern;  biefeS 
SSerfafircn  ift  aber  für  bie  Derfd;tebenen  ^^Ijeite  ber  ^f)i(ofopf)ie  ein  vex= 
fd^iebeneS,  unb  man  fonn  be^fialb  nid^t  üon  ber  p§ilofopf)ifd^en  Meti)o'oc 
als  ©infieit,  fonbern  nur  uon  ben  p()i(ofopt)ifc^en  3)Ict()obcn  reben. 

Der  erfte  ©rfofg  ber  auf  bie  53egriffc  gemenbeten  Slnfmerffamfeit 
beftet;t  nun  barin,  ha^  fie  fiar  unb  beuttid^  (in  bem  leibniäifd^en  Sinn; 


1)  ^11  bev  fofgenbcn  Sarfteüung  bejie^en  fic^  bie  SJevwetfiingen  auf  ^avtenftein'3 

5(u§9abe"  öon  §crbart'§   SBevfen  (^pj.  1850  ff.).  Setteve  9fac^iDeifungen  bei  @rb' 
mann  ®efd).  b.  n.  ff).  III,  b,  313  ff. 

Bell  er,  ©ej^ic^te  ber  beutfc^en  *|5f)ilofopl)ie.  ^o 


674  ^"i'ai^t. 

f.  0.  ©.  92)  raerben.  S)eittli(f)e  Segriffe  Unnen  bte  ^orm  oon  llr= 
tf)eilen  annehmen,  unb  bie  ^Bereinigung  ber  tlrt!)ei(e  ergiebt  ©d;lüffe. 
Sie  SBiffenfdjaft  aber,  raeld^e  bie  33egriffe,  tlrtf)ci(e  unb  ©ci)(üf[e,  ober 
genauer  bie  S)eutlid;!eit  in  Segriffen  unb  bie  barau»  entfpringenbe  ^u-- 
fammenfteHung  berfelben  betrai^tet,  ift  Sogt!;  fte  Inibet  bal^er  ben 
erften  %i}di  ber  ^i)ilofopl)ie.  3lIIein  bie  Sluffaffung  Der  2ßelt  unb  uu; 
ferer  felbft  füJirt  man(^e  Segriffe  fierbei,  in  benen  fid^,  je  beutlii^er  fte 
gemadjt  werben  um  fo  mel^r,  2öiberfprü($e  geigen.  S){efe  Segriffe  fo 
§u  oeränbern  unb  gu  ergänzen,  ba§  bie  2Siberfprü(^e  üerfc^rainben ,  ift 
bie  Slufgabe  ber  3)tetap^i)fi!.  ®§  giebt  enblid;  au($  nod;  eine  .klaffe 
ron  Segriffen,  bie  beni  ©enfen  gleid;fall§  ni(^t  erlauben,  bei  iljrer 
bloßen  Serbeutlid;ung  fielen  ju  bleiben;  bie  jebod^  ni(^t,  wie  bie  nie- 
tap{)i;fifd)en ,  eine  Serönberung  nötfiig  maä)en ,  rao^l  aber  einen  Sn'iai^ 
in  unferem  Sorftellen  fierbeifüfiren ,  ber  in  einem  Urtfieil  be§  Seifa(I§ 
ober  3JiiBfaffen^  beftel)t.  Sie  2Biffcnf(i^aft  üon  fol(^en  Segriffen  ift  bie 
Sleft^etit;  in  if)rer  Slnmenbung  auf  ba§  begebene  ge!)t  biefe  in  eine 
3ieii)e  üon  ^unftleiiren ,  üon  praftifd^en  SBiffenfd^aften  über,  derjenige 
2:^eit  ber  allgemeinen  unb  angeroanbten  2leftt)eti!,  raeld;er  fid)  auf  bie 
Seftimmungcn  be§  Söblidjen  unb  ©djänbUdjen  fammt  ben  barauS  ent= 
fpringenben  Sorfc^riften  bejiefit,  ift  bie  praftif(5^e  5p^ilofopl)ie,  bie 
^ugenb^  unb  ^flidjtenlelire  (I,  43  ff.). 

Son  biefen  brei  §auptt{)eilen  ber  ^()iIofopf){e  f)at  bie  Sogif  in 
^erbart'S  ©arftettung  gmar  immerfiin  man($e§  eigentümliche;  bod;  ift 
biefeS  für  ba§  gan§e  ©ijftem  nid^t  üon  fol(^er  Sebeutung,  ba^  mir  fiie- 
bei  gu  üermeilen  2{n(a§  ptten. 

Um  fo  midjtiger  ift  bie  QJletap^ijf  i!  nebft  ben  uon  if)r  ab^öngigen 
2ßiffenfd;aften ,  unter  benen  bie  ^ft)d;oIogie  bei  ^erbart  bie  erfte  ©teUe 
einnimmt.  6ie  ift  bie  ^auptquelle  be§  ©inftuffeS,  ben  biefer  ^t)i(ofop^ 
geübt,  unb  ber  g-örbevung,  bie  er  ber  ptjilo[üpt)ijd;en  ^^orfc^ung  gebrod;t 
i)at  ^n  if)r  felbft  luirb  ba0  erfte  bie  ^^rage  nac^  bem  Serfaf)ren  fein 
muffen,  beffen  fie  fi(^  §u  bebienen  ^at;  biegrage  ber  3Jietf)oboIogie, 
iuc(d)e  ben  erften  2;f)eil  ber  3)letapt)yfi!  bilbet.  3^un  bcftef)t  bie  2lufgabe 
ber  3)^etapt)ijfif  nad;  ^erbart,  mie  bemerft,  im  allgemeinen  in  bem  Se^ 
greifen  he§>  ©egebenen;  unb  gegeben  finb  un5,  wie  bie^  i?ant  gur  S(n= 
erfennimg  gebradjt  t)at,  btog  ßrfd;cinungeit.  2lber  mäJ)renb  m\§>  ilant 
nur  bie  Gmpfinbuugen ,  al§>  ben  formfofen  ©toff  ber  SorftcIIungen,  ge^ 
geben  fein   liefj,    bcftct)t  ba§  ©egebcne  nad;  §erbart  in  (5mpfinbung§= 


2)?et^Dbe  bcr  SSegie^ungen.  675 

compleyen,  (Srfafinmggliegriffen.  ®ie[e  33egnffe  entfiatten  aber  huxä)- 
gveifenbe  2Biber[prüd;e.  SDennod^  bürfen  fie  nid)t  einfad;  befeitigt  werben, 
benn  fie  ftnb  nun  einmal  gegeben   unb   muffen  al§   gegebene,   aU  (^x- 
fd^einungen  erflärt  werben.    2lnbererfeit§   oerlangt    aber   ber  @a^    be§ 
SBiberfpruc^S ,    ta^   bie  2Biberfpru(^e   al§   fo(c^e  befeittgt  merbeu.    ©^ 
fragt  fid^  bemna(^,  mie  biefelben  entfernt,  anf  meiere  Slrt  bie  ©rfalirung^^ 
begriffe  benfbar  gemad;t  merben  fönnen.    9iun  entfpringt  jeber  Sßibers 
fprud;  barauS,  bafe  un§  fold;eS  ai§>  @inf)eit  gegeben  mirb,  beffen  @egen= 
fa^  feine  3wf(i^"i^^ß^tfßffii"9  i^^  (Sinfieit  unmöglich  mai^t.    ginbet   fid; 
baf)er  ein  SÖiberfpruc^,  fo  wirb  ba§  erfte  fein  muffen,  ba§  bie  @ntgegen= 
gefetzten  getrennt  merben.    SlUein  il)re  ©inf)eit   ift  bod^  einmal  gegeben. 
@§  bleibt  mithin  mir  übrig,   ba§   fie   in  einer  anbern  33e^ief)ung  ©inö 
fiub,  al§  biejenige,   in  roe(d;er  fie  fic^  miberfprcdjen.    9inn  lag  ber  2öi= 
berfpruc^  barin,   ha^  jmei  3Serfd)iebenc  —  fie  mögen  M  nnb  N  t)ei§en 
—  baSfeibe  fein  foUten.    S)ie^  ift  unmögüd^.    2ßir  muffen  bafier  eine§ 
ron  beiben  —  eS  fei  M  —  in  mef)rere  ^erlegen.   Slber  aud^  t)on  biefen 
fann  nid)t  ha§>  eine  mit  N  ein§  fein,  ba§  anbere  nid^t;   benn  jebe^  M 
ift  üerfd;ieben  non  N,  unb  anbererfeitS  mar  un§  ba§  gange  M  al§  ©inS 
mit  if)m  gegeben,  dagegen  f)inbert  nid^t§,  ha^  eben  au§  bem  ^ufammen^ 
fein  ber  M  ba§  N  entfpringe,  meld;e§  mit  feinem  einjelnen  uon  it)nen 
ibentifd;  ift;    baB  bie  ^erbinbung  ber  M  ber  ©runb  fei,    au§  bem  N 
aU  golge  t)erüorget)t.    3lur  burd;  biefe  2lnnat)me   lä^t  fid;  bem  SBiber- 
fprud;  entget)en.    äöo  un^  ba^er  ein  folc^er  gegeben  ift,  ba  muffen  mir 
in  biefer  SBeife  oerfaf)ren.    2Senn  fid;   bei  ber  Slnatgfe   be§  ©egebeneu 
ein  Söiberfprud;   gmifdjeu  ©ubjeft   unb   ^räbifat   §erau§ftefft,    fo    muB 
ba§  ©ubje!t  in  met)rere  ©ubjefte  jerlegt,  in  bem  g^räbifat  ber  Slu^brucE 
für  ein  beftimmte^  33ert)ä[tnif3  biefer  ©ubjefte  gefunben,  unb  mit  biefem  ^ex- 
faljren  fo  lange  fortgefat)ren  werben,  bi§  alle  SBiberfprüd^e  entfernt  finb 
(IV,  17  ff.  V,  302  f.).  S)ieB  ift  bie  uon  ^erbart  fo  genannte  3Wet^obe 
ber  33e5iet)ungen,  biefeS  merfumrbige  ©egenftüd  ber  ^egel'fc^en  S)ia= 
leftü,   n)e(d;e§  ebenfo,  roie  biefe,   au§  gid;te'^^  conftructiüem  iserfafireu 
entfprungen,  fid;  äugleid;  mit  it)r  berüt)rt,  unb  ii)x  biametral  entgegen^ 
gefegt  ift.    ^ene§,  fofern  e§  in  beiben  ber  Söiberfprud;  ift,  me(d;er  hen 
gortfd;ritt  be§  ©ebanfenS  beftimmt;    biefe^,    weil  ^erbart  ben  äBtber= 
fprud)   für  etma§  anfief)t,   baS   nur  au§  ber  Unuollfommenfieit  unferer 
Segriffe  entfpringe  unb  burd;  beffen  Entfernung  erft  bie  S)inge  i|)rem 
mafiren  äöefcn  no^  erfannt  werben,   wäf)renD   er  nad^  §egel   in   ben 

43* 


G76  ^erbavt. 

fingen  fclBft  feinen  @i^  ^at,  unb  nur  fo  anfgefiokn  werben  foH,  bo^ 
er  pgleid;  erhalten  itnb  in  feiner  ^RotJ^wenbigfeit  begriffen  rairb. 

;[ynbem  nnn  biefe  9Jtetf)obe  auf  ba§  ©egcbenc  angenienbet  wirb, 
entftefien  bie  brei  weiteren  %'i)eik  ber  9JJetapf)i)fif ,  bie  Dntofogie,  @t)n= 
ecI;o(ügie  unb  (gibolologie;  bie  weitere  2lu§füf)rung  ber  ©x)ned;o[ogic 
ift  bie  ^laturptiilofopfiie,  bie  ber  ©ibolologie  bie  ^fijd^ologie. 

Sen  ©egenftanb  ber  Dntologie  bilbet  biegrage  nad;  ber  5J?atur 
be§  ©eienben  al§  foI(^en.  ®a§  ©eienbe  ift  un§  aber  nid;t  gegeben, 
foubern  gegeben  ift  un§  nur  bie  ©rfdjcinung.  2Sir  fe|en  ein  ©eienbeS 
ober  5Rea(e§,  weil  wir  e§  gur  ©rflärung  ber  ©rfd^eiming  üorauSfe^en 
muffen;  unb  wir  fe^cu  ein  beftimmteS  MeaU§>,  weit  biefer  beftimmtc 
©d^ein  fonft  unerflörlic^  wäre.  3^^  ®^'^^  fommen  wir  nur  Dom  @d;ein 
au§,  aber  jeber  @(^ein  weift  auf  ein  ©ein:  ^^wieüiel  ©djein,  fouiel  ^im 
beutung  auf's  ©ein''.  2ßa§  un§  aber  nötfiigt,  über  bie  ©rfd^eiuung 
§inau§äugef)en ,  ba§  finb  nur  bie  3Biberfprüd;e ,  mit  benen  fie  behaftet 
ift;  wäre  fie  wiberfpru(^§lo§ ,  fo  f)ätten  tüir  feine  3]eran(affung ,  nad; 
einem  uon  if)r  tjerfc^iebenen  ©ein  gu  fragen,  ^ni  befoubern  finb  e§ 
gwei  ©runbwiberfprüc^e,  bie  fid^  nad;  .^evbart  burc^  alle  (Srfdjeinungen, 
alle  unfere  ©rfa^rungSbegriffe,  gauj  abgefcfien  üon  i^rem  nätjeren  ^u- 
i)ali,  fiinburc^giefien,  biefelben,  wel(3^e  f(^on  ben  alten  ©(eaten  gum  Sln^^ 
fto§  gerei(^ten:  ber  Sßiberfprud^  beS  2)ing§  mit  meiireren  SJlerfmalen, 
unb  ber  SBiberfprud;  ber  SSerönberung.  Sßeber  bie  eine  no($  bie  anbere 
t)on  biefen  SSorfteHuugeu  üerträgt  fi(^,  wie  er  glaubt,  fo  wie  fie  ge^ 
wöfjntic^  gefönt  werben,  mit  rid;tigen  23egriffen  über  ha§>  ©eienbe.  $Da§ 
©eieube  ift  abfolute  ^ofition,  ha§>  f(^tec^tl)in  gefegte,  ni(^t  aufgui^ebeube. 
3ebe  9^egatiou  ift  aber  Slufliebung  einer  ©e|ung;  unb  jebe  ift  eben= 
be^l)alb  etwa§  retatiucS,  nur  buvd;  feine  ^e^ieljung  auf  ha§>  üon  if)m 
aufgehobene  gebad;te§.  Sie  Üualität  be§  ©eieuben  ift  mithin  gän^tic^ 
pofitiu  ober  affirniatio,  o^ne  jebe  ®iumifd;ung  von  '}iegationen.  Söürben 
aber  mehrere,  oon  einauber  Derfd;iobeue  33eftimmuugen  pfammen  bie 
Qualität  eines  ©eieuben  bilben,  fo  wäre  feine  uon  beiben  für  fid;  ge= 
uommen  biefe  Üuatität,  unb  jebe  wäre  nur  mit  33e5ie^ung  auf  bie 
anbere  gefegt;  bie  fragliche  Qualität  l)ätte  ba^er  fowo^I  9icgation  als 
9Mation  in  fic^.  S)a  biefj  nid;t  3uläffig  ift,  fo  folgt,  baf?  bie  Qua= 
(ität  beS  ©eieuben  fd;ted)tl)in  eiufat^  ift.  SBenn  aber  biefcS, 
fo  fann  ein  ©cieiibcS  als  fotd^eS  nic^t  bloS  nid;t  mefirere  9}ierfmale, 
fonberu  nid;t  einmal  Gin   uon  iljm  felbft  nerfd^iebmeS  30terfmat  in 


Ontologie:  ba§  ©eienbe.  677 

^ahm;    benn   frf;ou   in   bem  te|tei-eu  %aU   f)ätten   mir  (IV,  loo)  ^wei 
5^eifcf;iebene,  bie  fid;  nä^er  wie  2(b)'o(i!te§  unb  Sii^ti^ii^eii^ß^  üef|ielten/ 
nnb  biefe  ^^er)djiebenen  müBteii  ^ugleid;   6in  =  unb  =  ba§felbe,    alfo  ni(^t 
yerfdjieben  fein.    Gbenfoiuenitj  fann  ba§  «Seienbe  fi(^  üeräiibeni.    S)emt 
iuai§  fidj  änbert,   ba§  nimmt  eine  anbere  Ünalität  an;   ma§>  aber  eine 
anbere  Dualität  f)at,   bal  ift  ein  anbere^  S)ing;    wenn  fid;  fomit  ein 
S)ing  änberte,  märe  e§  als  bie[e§  ®ing  gar  nici^t  mef)r  uor^anben,  man 
fönnte  ba|er  audj  nidjt  fatjen,  maS  man  boc^  mit  ber  2lnnaf)me  feiner 
S^eränberung  fagen  miH,   baf3  e§   felbft  fic^  erfialten  ^abe,   aber  feine 
Dnalität  eine  anbere  geworben  fei.    SBill  man  ferner  bie  3seränbernng 
Don  änderen  llrfad^en  f)erleiten,  fo  entftefit  ber  äBiberfprudj ,   baB  ba§ 
Sirfenbe  nur  in  einem  anbern  roirfen,   ba§  Seibenbe  burd^  ein  anbere§ 
leiben  foü,  baf3  alfo  jebe^  von  beiben  hk  Üualität,  bie  e§  l^at,  jugleid^ 
nid)t  l)aben,    fonbern  erft  üon  einem  anbern  erl^alten  foH:    ebenbamit 
aber  ber  ^tücfgang  in'§  unenblid;e,   ba^   jebe  Xlrfad;e  von  einer  anbern 
gum  SKirfen  beftimmt  werben  nullte,    biefe  raieber  üon  einer  anbern 
u.  f.  f.,   ba§  mitl)in   feine  mirflid;  in  5ll)ätigfeit  treten  fönnte.    güf)rt 
man  bie  ^cränberung  auf  ©elbftbeftimmung  gurüd,  fo  mürbe  jebe  fol^e, 
ha  fie  ja  gleid)fall§  eine  S^eränbernng  ift,  mieber  eine   anbere   al§  ifire 
llrfad;e  uorau§fe|en,  unb  fo  in'§  unenblid^e.  9iimmt  man  ein  abfoluteS 
SBerben  an,   fo  mü§te  (abgefe^en  von  allem  anbern)  bie  Ünalität  beS 
äöerbenben  im  SBerbeu  felbft,  in  bem  2Bed;fel  unenblid;  üieler  entgegen^ 
gefegter  ^efd;affen^eiten  befte^en,    b.  f).  fie  mürbe  barin  befleißen,   ha^ 
jebe  S3efd;affen^eit,   bie  e§   ^t,   fic^  felbft  aufgebt  unb  i^r  ©egent^eil 
erzeugt,  e§  mü^te  A,   meil  e^  A  ift,  ba§  ©egent^eil  von  A  merben; 
e§>  mü^te  ferner  in  bem  Stngenblid  biefeS  XXebergangä  bie  frühere  53e^ 
fd;affen^eit  entmeber  ganj  anfliören,    ebenbamit  aber  bie  ßontinnität 
be§  SBerbenS  3errei§en,   ober  fie  mü^te  nid;t  gan^  aufl)ören,   mä^renb 
bie   cntgegeugefe|te   eintritt,   unb    fomit  miberfpred^enbeS  in  bemfelben 
gleid;5eitig  beif ammenfein.    S)ie  33eränberung  ift  bemnad^  mit  ber  Un-- 
bebingtljeit  beg  (Sein§  ebenfo  unoereinbar  raie  bie  SSiel^eit  ber  3Jierf- 
male,   meber  ber  eine  uoc^  ber  anbere  oon  biefen  Gegriffen  brüdt  bie 
reale  ^efd;affen^eit  be§  ©eienbeu  an§,   fonbern  beibe  he^^u^tn  fid^  nur 
auf  feine  ©rfc^einung.   (I,  173—210.  IV,  64—125  u.  a.  ©t.) 

2öie  ift  aber  biefe  felbft  möglid;?  9Bie  l)aben  mir  uu§  ben  (Schein 
beS  einfieittidjen  3)inge§,  bem  mehrere  3)terfmale  äuFommen,  ben  ©c^ein 
ber  5?eränberuug  unb  ber  ©aufalität  gu  erflären?    S)ie  Stntmort  auf 


678  §erbatt. 

biefe  %xaQe  ift  un§  huxä)  bie  früfieren  Erörterungen  über  ^erltart'^ 
3)letf)obe  an  bie  §anb  gegeben,  ^n  ben  un§  gegebenen  53egrtffen  finb 
jene  Seftimmungen  entf)olten;  bem  ©etenben  felbft  laffen  fie  fi(^  nid)t 
beilegen,  e§>  bleibt  nnr  übrig,  fi(^  nad;  ber  „3Jietf)obe  ber  SSejietiungen" 
für  etroa§>  ju  l^alten,  waS  fie  au§  geiuiffen  SSert)ältniffen  be§  @ei= 
enben  ergiebt.  5Die§  aber  ift  nur  unter  ber  SSorau§fe|ung  möglid^,  ba§ 
ba§  ©eienbe  au§  einer  SSiel^eit  t)on  realen  Sßcfen  (ober  tuie  .^erbart 
gen)öt)nli(^  hirgraeg  fagt:  ,,5ReaIen")  beftel^e,  bie  an  fic^  felbft  einfach  unb 
unüeränberli(^  erft  in  i!)rem  3wfammenfeiu  ba§  erzeugen,  ma§>  fid^  ben 
einzelnen  9lea(en  al§  foli^en  nic^t  beilegen  lä^t  ot)ne  un§  in  2Siberfprü(|e 
atter  2lrt  ju  tjerroidetn.  (^oc^  foll  biefe  35ielf)eit,  fo  gro§  fie  auc^  ift, 
nid^t  unenbli(^  fein,  weil  ba§  tlnenb(i($e  feine  abfohlte  ^ofition  »ertrage ; 
IV,  260  ff.)  ®ie  ^ßorftellung  be§  S)ing§  mit  fielen  3)ierfma(en  (ober 
ber  Subftan^)  entftef)t,  wenn  üerfd)! ebene  9teif)en  üon  Dtealen  gegeben 
finb,  bie  ©in  unb  baäfelbe  ju  ifirem  gemeinfd^aftUdjen  2tu0gang0punft 
'ifahen.  ^n  biefem  %aU  wirb  ber  gemeinfame  3(nfang3punt"t  al§  ba§ 
®ing,  unb  jebe  uon  jenen  dlei^en  al§>  eine  ©igenfc^aft  be^felben  erfc^einen. 
2lef)nli(^  entfielt  bie  3SorfteIInng  ber  SSeränberung,  roenn  in  bem  3"- 
fammenfein  jener  2öefen  ein  2öed;fel  eintritt,  an  bie  Stelle  ber  einen 
anbere  treten.  ^ehe§>  einjelne  t)on  ben  9lealen  ift  in  biefem  ^^^alle  ge= 
blieben,  wa§>  e§  mar,  aber  bie  «Summe  berfelben  unb  ebenbamit  bie  (Sr= 
fc^einung,  liat  fic^  üeränbert.  $£)iefe  unb  bie  reriuanbteu  Segriffe  be^eid^nen 
mit  Einem  2Bort  nur  eine  „zufällige  3lnfi($t''  be§  Seienben.  3Bie 
eine  unb  biefelbe  Sinie,  o^ne  fid^  ju  änbern,  ba§  einemal  Olabiu^,  ba§ 
anberemal  STangente  fein  fann,  ein  S;on,  ol)ne  baB  feine  Sd^iuingunggs 
^ai)[  eine  anbere  würbe,  ©runbton  ober  Dftaoe,  fo  tritt  auc^  ba§  Steale 
in  t)erfd)icbeue  unb  rae^felnbe  S.^erl)ältniffe  ju  anbern  Sflealen,  ol)ne  be^- 
l)alb,  feiner  eigenen  Dualität  nad)  betrad^tet,  eine  3Jiel)r§eit  üon  33eftim= 
mungen  an  fid^  ju  f)aben  ober  eine  SSeränberung  ju  erleiben.  (IV,  57  f. 
92  ff.  132  ff.) 

2(lleiu  bie^  bebarf  mieber  einer  neuen  ©rflärung.  SBorin  beftel)t 
bie  Söejieliung  ber  Sieaten,  meiere  bie  eben  befprodjenen  ©rfdjeinuugen 
erzeugt,  unb  wie  fönnen  biefe  au§  berfelben  l)erüorgel)en?  i^erbart'l 
Stntroort  (IV,  133  ff.)  ift  biefe.  ©efe^t  e§  t)erl)alten  fid^  ^roei  reale 
SBefen  fo  ju  einanber,  baB  if)re  beiberfeitigen  Dualitäten  fic^  tl^eilraeife 
miberfpred^en,  fo  müfjte  in  ifirem  3wf^"^"^cnfeiu  ba§,  morin  fie  fid) 
entgegengefe^t  finb,  fid^  aufl)eben.    Slber  ba  il)re  Dualität  einfad^  ift, 


S)tc  3ieatcn,  xi)tt  (gtöviuigeu  uub  8elbi"ter!^aüungen.  679 

unb  biefeS  @ntgcgengefe|te  nur  in  einer  jnfättigen  Slnfic^t  oon  bem 
üOritjen  getrennt  werben  fann,  fo  ift  bie^  nnntöglic^,  ba§  @ntgcgenge[el5te 
f)elit  fid;  lüd^t  auf.  ©ie  beftcfien  alfo  tro^  be§  ©egenfafee^^  in  ber  Sage, 
roorin  [ie  fid;  befinben,  roiber  einanber,  if)r  3uftanb  ift  Sßiberftanb,  jebeS 
üon  beibcn  er^ött  [i(^  gegen  bie  ©törnngen,  bie  il^m  üon  bem  anbern 
bro()en,  unb  biefe  ©elbfter^oltung  ber  realen  SBefen  ift  allein  ba§  TOirf= 
lid;e  @efd;ef)en.  S)ieB  ift  ber  allgemeine  ^nl^alt  ber  %i)eoxu  üon  ben 
(Störungen  unb  ©elbftertialtungen,  üon  ber|)erbart  namentlid^ 
in  ber  ^fijdjologie  eine  fo  nmfaffenbe  Slnroenbung  gemacht  l^at,  ba^  fie 
als  ein  ©runbpfeiler  feinet  ganjen  ©tjftemS  gu  betrad;ten  ift.  Unb  man 
mirb  zugeben  muffen:  roenn  man  einmal  t)on  feinen  3>orau^-fe^ungen 
auC-gelit,  fo  ift  fie  ein  fd^arffinniger  unb  im  racfentlic^en  folgeridjtiger 
5?erfu(^,  unter  ^eft^altung  berfelben  fid;  bie  3}iög(ic^feit  jur  erf(ärung 
ber  6rfd;cinungen  offen  3U  galten.  Söenn  ben  realen  2Befen  ai§>  fold;en 
TOcber  eine  2)iel)rl)eit  uon  ©igenfd^aftcn  nod;  eine  3>eränberung  jutommt, 
menn  anbererfeitS  biefe  2Befen  fi(^  un§  nur  unter  biefen  Seftimmuugen 
barftellen,  loenn  man  fi(^  enblic^  nid;t  entfd;lie§en  fann,  biefe  xijve  @r= 
fd;einung  für  einen  blo§  fubjeftioen  ©c^ein  5U  crflären,  fo  bleibt  aHer- 
bing^o  nichts  übrig,  äU  fie  auf  ein  beftimmteS  3]ert)ältnif3  ber  einfad^en 
SBefen,  ber  ^tealen,  surüdäufü^ren,  unb  ba  bie  33Zögü(^feit  il^rer  realen 
©iumirfung  auf  einanber  jum  t)orau§  aufgegeben  ift,  fo  wirb  biefeS 
3^erl^ältnif5  faum  in  ctroa'5  onberem  beftelien  fönnen,  aliS  barin,  bo§  jebeS 
oon  ifinen  ben  anberen  gegenüber  ba§  bleibt,  raa§  e§  ift,  fid^  in  feinem 
Sein  burc^  fie  ni(^t  ftören  lä^t,  fic^  gegen  fie  erl)ält.  i^ft  man  aber 
freiließ  üon  jenen  SSorau§fe^ungen  nid^t  ebenfo  unbebingt  überzeugt,  raie 
^erbart,  fo  brängt  fic^  gleid;  l)ier  eine  9iei^e  oon  fragen  auf,  bereu 
befriebigeube  S3eantmortung  ber  ^^l)ilofopf)  un§>  fd^ulbtg  geblieben  ift. 
Söorin  beftefit  für'g  erfte  ba§  ^ufammenfein  ber  3tealen,  in  bem  fie 
6elbfter{)altungen  gegen  einanber  au^Süben?  ^n  einem  räumlid^en  ^u- 
fammenfein  offenbar  nidjt,  benn  bie  9tealen  finb  als  einfad;e  SSefen 
nid;t  im  9laume  unb  baS  9toumoerl)ältui§  überliaupt  ift  bloßer  @d;ein, 
ber  9iaum  „ein  ©efi^öpf  beS  sufammenfaffenben  S^enfenS"  (IV,  211. 
249  u.  0.);  e§  beftefit  oielmefir,  mie^erbart  fagt  (IV,  132.  157.  166), 
nur  barin,  ba^  bie  Stealen  uermöge  eines  für  fie  felbft  ganj  gufäHigen 
S^erl)ältnif)'eS,  einer  zufälligen  Stnfii^t,  fid;  gegen  einanber  erf)alten.  2lber 
bannt  gerot^eu  mir  ni(^t  allein  in  ben  S^xM,  baB  bie  ©elbfter^altung 
ber  9ieaten  eine  ^olge  il)reS  ßiif^mmenfeinS  fein  foU,  unb  i§r  3wfammen= 


680  ^"^'"-■t- 

fein    eine  golge   if)ret  ©etbftectialtung ,   fonbern   btefeS  ^ufammenfein 
oevUert  aud^  jebe  reote  58ebentnng:  bie  9leaten  raerben  rao^l  anf  ©nmb 
ber  ©rfa^i'ung  t)on  nn§  änfanimenöefaBt,  aber  an  fic^  fetbft  finb  fie 
ganj  nnabf)ängig  von  einanber  unb  au^er  atter  SSegieliung  gu  einanber. 
9Ba0  fönnte  be^fialb  it)t  3nf ammenfein  beroirfen?    ^n  ben  ^Realen  felbft 
offenbar  nid)t  ba0  geringfte,  meber  eine  ©törnng  nod;  eine  ©elbfter^al^ 
tung.    S)enn  wenn  fein  ^eak§>  in  bem  anbern  eine  3Seränbernng  gu 
rernrfad^en  üermag,  fo  fann  and;  feinem  von  bem  anbern  eine  ©törnng 
brotien;  unb  wenn  feine?  eine  äußere  ©inmirfiing  erfährt,  fo  fann  anc^ 
feine?   ber   i^m   brof)enben  ©törnng  innewerben   nnb   \i^  babnrd;   ju 
einer  ©elbfterf)altnng  anregen  laffen  (benn  biefe?  ^nnemerben  wäre  ja 
felbft  fd;on  eine  ©inioirfung,  bie  ^§>  erfüf)re) ;  wirb   e§>  aber  if)rer  nt(^t 
inne,  fo  fann  anä)  nid^t  gefagt  merben,  baB  e§  feine  Qualität  gegen 
bo§   anbere   erfialte,   gegen   baSfelbe   einen  SBiberftanb    ausübe.     S)ie 
©törungen  unb  6elbfter^a(tungen  finb  baf)er  tro^beni,  ba^  ba§  „mirftic^e 
@efc^ef)en"  auf  fie  äurüdgefüfirt  wirb,  gleidifaü?  ntd;t§,  wa§>  in  ben 
gieaten  felbft  rorge^t,  fonbern  and)  nur  in  einer  „^ufättigen  Stnfici^t" 
öor^anben,  ,,5ufäaige   Buftänbe   ber   realen  Sßefen"  (IV,  222).    S)a? 
gleite  gilt  enblid^  natürlich  auc^  uon  bem  SBec^fel  im  ^ufammenfein 
ber  9lealen,  bem  ,,i?ommen  unb  ©ef)en  ber  ©ubfian^en''  (IV,  158),  au? 
bem  bie  @rfd;einung  ber  aSeränberung  fiergeleitet    wirb.     3lu(^  biefer 
5ßorgang  fönnte  ni^t  bie  dteakn  felbft  betreffen,  fonbern  nur  bie  2lrt, 
raie  fie  fid^  un?  barftellen,  benn  in  il)neu  felbft  foll  fid)  nic^t?  anbern, 
unb  in  il)rer  Sage  gegen  einanber  fann  fid^  nid;t?  anbern:   t^eil?  weil 
fie  nid;t  im  9ftaum   finb,   bie   Sage   aber  nur  im  9taume  mögtid)   ift, 
t^eit?  weit  auc^  biefe  58eränberung  f(^on  einen  in  i^nen  tiegenben  ©runb, 
alfo  eine  innere  S^eränberung  ber  Skalen  oorau?fe^en  mürbe.    S)ie  eon= 
fequeuä  biefer  ^fieorie  märe  baf)er  biefe,  baB  bie  gorm,  unter  ber  un? 
bie  Sleatcn  erfc^einen,  i^re  SSerbinbungcn  unb   bie  33eränberung   biefer 
3?erbinbungen,  nid;t  in  il)nen  felbft  unb   il)rem   objeftioen  ^erljältni^, 
fonbern  nur  in  unferer  fubjeftiüen   Sluffaffung  begrüubet  fei.    Db  fid; 
aber  freiließ  biefe  eonfequenj  unter  ben  ä^oraugfe^ungen  be?  6ijftem? 
burc^fül)ren  lä^t,  unb  ob  e?  un?  bie  3}iittel  gemäl)rt,  ba?  SBemufstfein  felbft 
gu  erflären,  in  meldie?  fein  ©d)roerpunft  burd;   fie  »erlegt  mürbe,  bie§ 
mirb  fic^  erft   entfd^eibcn  laffen,  nad;bcm  mir  aud;   bie  jraei  meiteren 
^l)eile  ber  l)crbart')d)en  9)letapf)i)fif  unb   bie  3U  if)nen  gcl)örigen  llnter= 
fud;uugen  tonnen  gelernt  ijahen. 


©^nec^otogie :  bev  iiite((tgtb(e  9taum.  681 

2.  ^ortfe^ung:  ^crfiarf§  9laturpf)iIofo))f)ic  uub  ^fi)(t)oIogtc. 

Sßenn  e§  bie  Dntotogte  mit  bcu  Skalen  al§  [o(d)cu  unb  ber  all(je=^ 
meinen  3Jlög(ic^!eit  it)ie§  3ufQi>"'i^^iit'^»^  wi^^  feiner  Sievänbeinnöen  ju 
t{)un  I)atte,  fo  6ejiief)t  fid;  bie  ©i)ne(^ologie  nnb  bie  an  fie  anfnnpfenbe 
^Katnrp^itofop^ie  anf  ba§  räumli($  S^ifommcngefe^te,  auf  bie  ilörper= 
weit.  S)en  Hebergang  uon  jenem  ju  biefem  gewinnt  ."perbart  (IV, 
159  ff.)  bnrd;  folgenbe  58etrad;tnng.  @efe|t,  fagt  er,  jraei  reale  SBefen, 
bie  jnfammcnfein  tonnten,  feien  nid^t  ^ufammen,  fo  ift  in  jebem  oon 
beiben  bie  9)löglid;feit  be§  ^ufammenfeinS  mit  bem  anbern,  jebem  fe^tt 
ha§>  anbere,  jebeö  ift  mit  bem  leeren  ©ebanfen  ober  bem  S3ilbe  be^ 
anbern  üerbnnben,  unb  in  ilirem  med^felnben  3wf(iii^"i^»f^'iH  ii'i^  '?flx^U 
jnfammenfein  uermelirt  fid;  (mie  ^.  be0  nähern  nad^^umeifen  fnd;t)  bie 
3a^l  biefer  leeren  33ilber  fortioälirenb.  @ie  üermel)rt  fid;  aber  in  einer 
beftimmten  Drbnung ;  unb  e§  entftet)t  fo  burd)  ben  9Bed)fel  be^  3"fottimen= 
fein§  unb  ^Zid^tsufammenfeinS  ber  beiben  3^ealen  eine  9leil)e.  2)ie  ©nb; 
punfte  biefer  9lei^e  finb  bie  beiben  SIealen  felbft;  3mifd;en  il)nen  liegen 
aber  alle  bie  leeren  53ilber,  n:)eld;e  bei  jenem  SBec^fel  burd;lanfen  murbeu/ 
in  einer  beftimmten  golge  an  einanber.  @o  erl)alten  mir  3uuäd;ft  bie 
Sinie,  unb  ^mar,  mie  .^erbart  fagt,  bie  „ftarre",  b.  l).  eine  foldje  £inie, 
raeli^e  auS^  einer  beftimmten  ^^^^^  bi§treter,  ot)ne  ^i^'if^Jßi'^*'^"^!^  ^^i 
einanber  liegenber  fünfte  beftel)t,  unb  meiere  fid)  un§  erft  in  ber  ?^olge, 
bnrd;  eine  Slrt  unt)ermeiblid;er  pfi)d;ologifdjer  2;äufd;ung  (bie  mieber 
fe§r  fünftlid)  erflärt  mirb),  in  eine  fliefsenbe  ober  ftetige  uermanbelt.  ^n 
äl)nlid;er  Steife  merben  bann  weiter  au§>  ben  Sinien  bie  g-löd;cn  unb  au§> 
biefen  bie  l'örperlidjen  giguren  abgeleitet.  Sßa§  aber  l^iemit  gebad;t 
wirb,  ba§  ift  nod^  nid^t  bie  3JJaterie  ober  and)  nur  ber  uon  if)r  ein^u^ 
nelimenbe  finnlid)e  9laum,  fonbern  nur  eine  S3ebingung,  bie  mir  ju  bem 
Ä'ommen  unb  ©e^en  ber  ©ubftanjen  unoermeiblic^  ^inäubenfen,  erft  ber 
„intelligible  9taum",  beffeu  33ebeutung  nid;t  barin  anfgel)t,  ber 
Drt  für  bie  Äörper  gu  fein,  wie  beun  j.  ^.  (IV,  171)  and;  bie  3eit, 
bie  j^olge  ber  S(^^^^^^  w«^  ^^^  ©rabe  unter  ber  gorm  einer  Sinie  ge= 
bac^t  wirb. 

@§  foH  nun  l)ier  nid;t  weiter  unterfuc^t  werben,  wie  e§  fid;  mit 
ber  S3ünbigfeit  biefer  ©ebnftion  üer^ält:  ob  eS  nid;t  eine  greifbare  ©rfdjlei- 
c^ung  ift,  wenn  |)erbart  bie  3Jlöglid)l'eit  be§  ^ufammeufeinS  ber  9tealen 
in  33ilber  beifelben  üeriuanbelt   unb  biefe  Silber  wie  reale  (i5egcHftänbe 


682  §erbai-t. 

in  ben  dianm  (wenn  awä)  nur  ben  intettiöibeln)  üerfegt ;  ob  enblid^  nicfjt 
biefer  ganje  ^^organg  g(eid;fa(l§  nad;  bem  oben  bemerkten  au§fd;lieBlic^ 
in  ba§  S3en)uf3tfein  foUen  mü^te;  benn  wenn  an^  §erbart  (IV,  206 
u.  ö.)  ntdjt  b(o§  ber  SBirfüdjfeit  be§  9lanme§,  fonbern  and;  ber  fantifc^en 
Se^re  über  benfelben  wiberfprid^t,  fo  unterf (Reibet  [id;  hoä)  feine  eigene 
Slnftd^t  t)on  ber  le^teren  nur  baburd^,  ba^  ber  9taum,  wie  er  toill,  nic^t 
aVi  eine  apriorifdje  Slnfdjaunng  im  menf(^lid)en  ©eiftc  gegeben  ift, 
fonbern  a\§>  eine  für  jeben  3wf<Jja^ißi^  nnentbe^rli(^e  gorm  ber  ^n- 
fatnmenfaffung  ber  Singe  erzeugt  wirb,  ©eiien  wir,  raie  fidj  an  bie 
2lb(eitung  be§  inteHigibeln  9iaume§  bie  ber  3Jlaterie  unb  be§  finnlic^en 
9kume§  (IV,  209  ff.)  onfd;lieBt. 

®a§  Wütel  3U  ber  le^tercn  liegt  für  ^erbart  in  bem  Segriff  ber 
unDoUfommenen  S)urd;bringung  ber  9tealen.  S)a§  voU-- 
fomniene  3ii[ö«"ne]ifein  ber  Slealen  ift  einfalle  S)nrc^bringung,  b.  I>  fie 
befinben  fid^  gegcneinanber  in  ^)oIlfommener  ©törung  unb  @elbfterf)attung. 
SBenn  jebod^  mel)rere  9?ealen  ^ugleic^  in  ba^felbe  einzubringen  ftreben, 
fo  fann  biefe§  unmöglid;  gegen  jebeS  üon  i^nen  eine  üoUEommene  ©elbft^ 
ertialtung  ausüben,  e§  entfielt  bal^er  ein  nnDoüfoiuineneä  ^iiföuttnenfein 
ber  Stealen,  fie  finb ,  obwol)!  an  fid)  felbft  untl)eilbar,  bod;  in  if)rem 
gegenfeitigen  3Serf)äÜni^  betrad;tet,  t{)eit§  in  einanber,  t^eilS  auBer  ein= 
anber,  fie  ncl)nten  ine^r  al§  einen  matt)ematifc^en  ^unft  ein,  e§  bilbet 
fic^  au§  i^nen  ein  Ä(ümpd;en,  ein  931olefuIe,  welches  burd)  bie  weiteren 
SSerraidlungen  biefe§  5^ert)ö(tniffc§  gn  einer  !örperlid;en  3)Mffe  anrüää)U, 
wir  ertjatten  bie  ©rfc^einung  ber  3}iaterie.  ©ofern  Riebet  bie  9tealen 
an  fid;  eine  üoUfomniene  ©törnng  unb  ©elbfterl)a(tung  in  einanber  f)er= 
üorrufen,  alfo  ganj  in  einanber  einbringen  fottten,  fc^reibcn  wir  allen 
Sf)ei(en  ber  9JJaterie  Slttraftion  jn;  weil  aber  ba§felbe  9icale  fic^  nic^t 
gegen  mei)rere  gugteid^  in  üoUtommener  ©elbfterfialtung  befinben  fann, 
fc^eint  e§  eine  jurüdftoBeube  ©ewatt  gegen  fie  auszuüben,  unb  biefe 
nennen  wir  9kpu(fion.  ^ugleid)  mit  ber  3)iaterie  entftef)t  ba§  ©ontinnum, 
ber  finnlid^e  3laum.  2öei(  aber  ber  Siaum  unb  ba§  ©ein  im  9iaume 
fein  ben  S)ingen  feibft  äufommenbeS  ^räbifat  ift,  fonbern  nur  bie  gorm 
it)rer  ^ufammenfaffung ,  bie  2lrt,  wie  bie  3Jlöglid;feit  berfelben  fid^  im 
3ufd;auer  abfpiegelt,  fo  entjict^en  fic^  bie  Singe  biefer  3ufammcnfaffung 
aud)  wieber,  fie  änbern  ifire  ©teile  im  9taume,  fie  bewegen  fic^.  Sie 
53ewegung  ift  bal)er  uid;t§,  wa§  in  ben  Singen  felbft  t)orgel)t  —  aB 
ein  fülc^cr  i^organg  gebad)t,  ift  fie  gerabe  fo  unmöglid),   wie  bie  SSer= 


®ie  2}Zaterte.    9ZaturerfIärung.  683 

önberung  überhaupt,  unb  bie  (gimoürfe  ^eno'g  gegen  bie  Semegung 
finb  infofern  ^ente  nod^  in  if)rem  Died^te  (IV,  233  ff.  T,  226  f.)  — 
fonbern  fie  ift  etiuaS,  roa§  ben  ^ufd^auern  n)iberföf)rt ,  „ein  natürüd^eS 
a)iiB(ingen  ber  üerfud^ten  ränmUd^en  3ufammenfaffnng",  ein  entweichen 
ber  Dbjefte  au§>  ber  ©emeinfc^aft ,  in  bie  man  fie  anfnefimen  roiU,  fie 
ift  !ein  roirflid^eä  @ef(^e^en,  fonbern  ein  <Bä)em.  2(6er  biefer  ©d^ein 
ift  !ein  fubjeftioer,  fonbern  ein  objeftioer,  b.  t).  er  gef)t  an§>  ben  aii-- 
gemeinen,  nid^t  blog  au§  ben  in  ber  menfd;(idf;en  9^atnr  liegenben 
^ebingnngen  ber  ränmlic^en  ^nfammenfaffung ,  au§  bent  Bufammen^ 
treffen  ber  a3ilber  im  3ufd;aner  a(§  fotd^em  ^eroor.  2)ie  ^öcroegung 
erfolgt  infofern  aud^  menn  fie  nid^t  6eobadf;tct  wirb,  bcnn  bie  Siegel 
beg  Seobad;teng,  bie  a}Jög(id^feit  be§  ^ufammcntreffen^  ber  33ilber  in 
einem  etmaigen  ^ufdjaner  bleibt  biefelbe,  ob  ein  folc^er  ha  ift,  ober 
nid^t;  aber  boc^  würbe  fie  alle  33ebeutnng  üerliercn,  wenn  gar  feine 
Seobadjtung  ftattfänbe  (IV,  225  ff.  248  ff.). 

2tuf  ©runb  biefer  Stfieorie  unternimmt  e§  nun  ^erbart  in  feinen 
„nmriffen  ber  5«aturpl)ilofopt)ie"  (einem  3ln^ang  jur  a)ietapf)i)fif)  unb 
einigen  fleineren  3lb^anölungcn  bie  wtd^tigften  Diaturerfc^einungen  ju 
ertlären.  @S  ift  biefs  ein  l)öc^ft  fd;arffinniger  iserfud;,  ein  naturwiffen^ 
fd^attlidjeg  Stjftem  einer  3)ietapt)i;fif  ab3ugewinnen,  weld^e  bie  ®runb= 
bebingung  allc§  natürlid;en  @efd;cf)en§,  bie  S^eränberung,  bie  ^Bewegung, 
bie  SBed^felwirfung  ber  S)inge,  für  einen  bloßen  @d)ein  erflärt.  ©r 
entt)ält  aud^  im  einzelnen  viel  intereffanteg ,  wie  bie§  t)on  einem  fo 
bebeutenben,  unb  in  ben  matt)ematifd;cn  unb  pt)i;fifa(ifd^en  2ßiffenfd;aften 
fo  bewanberten  SDenfer  nid^t  anber§  ju  erwarten  war.  Stber  ber  innere 
SBiberfpruc^  unb  bie  Unlö^barfeit  ber  2lufgabe,  welche  ber  5ßf)i(ofopt) 
fi^  gcftellt  f)at,  mac^t  fid^  bod;  allentt)alben  fühlbar;  wir  finben  un^ 
in  feiner  ganzen  2(u^3fü^rung  fortwät)renb  in  ber  ©djwebe  jwifd^en  ob= 
jeftiüem  unb  bto§  fubjeftiüem  @efd;et)en,  unb  eä  fommt  ^ier  fo  wenig, 
wie  frül^er,  jur  J?iarl)eit  barübcr,  ob  bie  ^roceffe,  auS  benen  er  bie 
9iaturerfd^einungcn  ableitet,  in  ben  S)ingen  au§er  un§,  ober  nur  in 
unferer  ä^oiftcUung  oor  fid^  ge^en.  @r  fteüt  ben  @runbfa|5  auf,  ber 
äußere  ^uftanb  ber  Skalen  muffe  ftet^  bem  Innern  (il)ren  @elbfterl)a(= 
tungen)  entfprcdjen  unb  bemgemä^  mit  jenem  fid;  oeränbern  (IV,  346); 
unb  boc^  ift  eg  cineS  uon  ben  Slyiomen  feiner  3)Zetapl)i)fit,  ba^  in 
it)rem  innern  ^nftanb  fid^  nic^t^3  ücränbern  fönnc,  bafe  alle  3.^eränberung 
nur  il)r  aSerpltnife  äu  einanber,  nur  eine  äufdUige  2infic^t,   alfo  nur 


684  ^eibait. 

i^ren  äuBereu  ^"ft'^"^  betreffe.  @r  {)anbelt  au^fül^rlic^ ,  wie  er  nid)t 
auberS  tami,  uou  beii  ^eiueoutujeu  ber  Jlörper,  il)i*en  ®e[e^eti  imb  Ur= 
fQ(^en;  aber  ^ugleirf;  luiterläBt  er  nid^t,  un§>  §u  erinnern  (386  f.),  bo^ 
bie  33enießun(3  nic^t  ein  ^wft^i^tb  be§  Stealen,  [onbern  lebiijlid^  ein  oh 
jeftiuer  ©cfjein  fei,  Don  bem  fi(^  überbie^,  raie  wir  gefeiien  I;aben,  gar 
nid;t  angeben  lä^t,  rao  er  eigentlid^  feinen  ©il^  \)at.  @r  mad;t  feine 
Sel;re  üon  ber  5Dnr(J;bringung  ber  9iealen  jnr  ©runbtage  feiner  ganjen 
9^atnrerflärnng ;  nnb  wie  er  it)rer  „Dollfomnienen  S)nrd)bringnng"  gnliebe 
bie  llnburd;bringli(^feit  ber  3Jiaterie  gan^  nnb  gar  für  einen  2Baf)n 
erflärt  (^.  ^.  VI,  391),  fo  fiil)rt  er  anbererfeit§  weit  bie  nieiften  ^la- 
üuerfd)einnngen  anf  i^re  unuüllfüminene  S)nrd;bringnng  gnrüd;  aber 
bem,  luaS  biefer  33egriff  allein  bebeuten  !ann,  ber  2(n§nbnng  unuoU= 
fommeuer  ©törnngen  nnb  ©e[bfterf)altungen,  nntcrfd)ieben  fid;  je|t  wo^ 
ntef)r  al§  fiiiljer  9fiannianfd)aunngen,  nnb  wien)of)l  er  felbft  bie^  (IV,  347) 
an^brüdlid;  al§  eine  giftion  anerfennt,  bef)anbelt  er  bod;  bie  üielen  mit 
©inem  nnb  bemfelben  nnüottfontnten  oerbnnbenen  Slealen  wie  förperlid;e 
2ltome,  bie  ttieilweife  in  i^in  ftecfen,  t^eiiweife  an§  it)nt  t)eryorragen. 
S)ie  priniitiuften  llnterfd;iebe  ber  3)iaterie  werben  baranS  hergeleitet, 
ba^  5wifd;en  il)ren  Elementen  entiueber  1)  ein  ftarfer  nnb  gleidjer,  ober 
2)  ein  [tarier  aber  fel)r  ungleid;er,  ober  3)  ein  fd;wad;er  nnb  gleid;er, 
ober  4)  ein  f(^wad)er  unb  fel)r  nngteidjer  @egenfa|  ftattfinbe;  ber  erfte 
üon  biefen  vier  niöglidjen  ^-ätten  foll  bie  ftarre  ober  fefte  9Jlaterie  er- 
geben, ber  äweite  hen  SBärnieftoff,  ber  britte  ba§  ©lectricum,  ber  vierte 
ben  2lett)er.  S)en  te^teren  l)ält  ^erbart  (445  ff.  348)  nid;t  allein  für 
ben  2:räger  be§  Sic^t§,  fonbern  and;  ber  ©d^were;  inbem  er  nämlid^ 
bie  2öirfung  in  bie  gerne  beftreitet,  wiH  er  bie  ©d;were  baranS  lier^ 
leiten,  baB  jeber  Äörper  ben  Slet^er  jn  einem  befonbern  Oijftem  Don 
©djwingnngen  üeranlaffe,  beren  9lüdwir!nng  bie  entfernten  f  örper  gegen 
il)ren  gemeinfd;aftlid;en  ©d^werpnnlt  l)intreibe.  äöeiter  fann  ic^  l)ier 
anf  §erbart'§  $Scl)anblnng  ber  nnorganifdjen  nnb  ber  organifdjen  ^l)i;fiE 
um  fo  weniger  eintreten,  ba  biefelbe  ebenfowenig,  al§  bie  l)egerfd;e  9ca- 
turpl)i(ofopl)ie,  einen  erl)eblid;eren  6influ|  auf  bie  9Zatnrwiffenfd;aft 
gel)abt  l)at. 

SBeit  widjtiger  ift  feine  ^fpd^ologie,  beren  metapl)r)fifc^e  ®runb= 
lagen  ber  uierte  /tlieil  ber  3)letap^r)fif ,  bie  ©ibolologie,  cntl)ött. 
®ie  leitenben  ©ebanfen  für  .^erbart'^  Seljanblung  biefer  2ßiffenfd;aft 
ergeben  fid^  au0  ber  Ontotogie.    3)ie  geioöl)nlic^e  Siorftellnng   über  bie 


2)tc  ©eete  unb  il^rc  95orpeffungen.  685 

©eete,  nad^  ber  fie  jraor  unförperlic^ ,  aBer  üon  §Qufe  au§  mit  t)er= 
f(^iebenen  SBermögen  unb  ^l^ättgfeiten  auSgeftattet  fein  fori  —  biefe 
3?orfteffung  erfd^eint  if)m  gerabe  fo  roiberfprei^enb ,  wie  überl^axipt  bie 
be§  S)inge§  mit  oielen  9)lcrfma(en ;  unb  er  n)irb  nirf;t  mübe,  an§  biefem 
@cfi(f;t§punft  namentlicf)  bie  Sefire  üon  ben  ©eelenüermögen  mit  ber 
l^erbften  Äriti!  p  verfolgen.  ®a§  uorftellenbe  Subjeft  ober  bie  @ee(e 
!ann  feiner  2lnfid;t  nad^  nur  eine  burd;au§  einfädle  (Subftanj  fein,  un= 
jerftörbar  mie  ade  9tealen.  ^i)xe  üuatität  ift  un§  unbefannt;  ifire 
^f)ätigfeit  beftefit,  mie  bie  jebeS  dlcakn,  in  i^rer  ©elbfterfialtung.  3)iefe 
5tf)ätigfeit  ift  an  fic^  felbft  eine  burc^au^  einfad;e;  eine  93ie(f)eit  !ann 
—  nid;t  in  fie  felbft,  fonbern  in  if)re  ©rfd^einung  —  nur  babur($ 
fommen,  ba§  fie  mit  anbern  realen  Sßefen  in  einem  beftimmten  3^er= 
f)ältni^  fte^t.  S)ie  ©efammt^eit  biefer  Sßefen  bitbet  ben  Seib,  eine  Qu-- 
fammenfe^ung  yon  9tea(en,  meldte  burd;  bie  üietfadjften  ßompticationen 
if)rer  ©elbfterJ)a(tungen  mit  einanber  üerfnüpft  finb;  bie  ä^erbinbung 
ber  ©ce(e  mit  bem  Seibe  folgt  benfelben  ©efe^en,  mie  jebe  S3erbinbung 
t)on  Dieafen  überfiaupt.  S^er  @i|  ber  ©eele  ift  im  @ef)irn,  mo  fie  fid), 
mie  ^erbart  annimmt,  in  einem  beftimmten  ^aume  bemegt.  2lu§  ifirem 
3ufammenfein  mit  ben  SBefcn,  bie  i^ren  Seib  bilben,  unb  5unäd;ft  mit 
ben  centralen  ^fteruenenben,  ergeben  fidj  einerfeitä  für  fie  felbft,  anberer^ 
feit§  für  bie  mit  il^r  oerbunbenen  Skalen  Störungen,  gegen  meldte  hie 
eine  wie  bie  anbern  (2elbfterl)altungen  ausüben.  Sie  @elbftert)aUungen 
ber  letzteren  manifeftiren  fic^  in  ben  förperlid^en  gunftionen;  bie 
©elbfterlialtungen  ber  «Seele  finb  Slorftellungen.  S)ie  Seele 
ift  bal)er  nid^t  an  fid^  felbft  eine  uorftellenbe  J?raft,  fonbern  fie  wirb 
e§  unter  llmftänben;  aber  für  unl  ift  ha§:  SSorftellen  ba§  einjige  rnirf^ 
ti(^e  @efd;el)en,  moüon  mir  ein  unmittelbare^  SemuBtfein  i)ahen.  (V, 
289  ff.  VI,  390  ff.  u.  a.  ©t.) 

2lu0  bem  gegenfeitigen  ^erl)ältni§  ber  ^orftellungen  finb  nun  nad; 
^erbart  alle  ©rfd^einungen  be§  geiftigen  £eben§  ju  erflären.  ^e  na(^= 
bem  bie  ^^orftellungen  einanber  entgegengefebt  ober  vereinbar  finb, 
werben  fie  fid;  ^emmen  ober  uerbinben,  unb  im  let3teren  %a{l  werben 
fid;  tl)eil§  ßomplicationen ,  tf)eil§  i^erfc^meljungen  ergeben,  bie  beibe 
wieber  balb  ootlfommen,  balb  unoollfommen  finb :  Somplicationen,  wenn 
fi(^  33orftellungen  nerbinben,  bie  üerfc^iebenen  ßontinuen  angel)ören  unb 
wegen  biefer  it)rer  tlngleid;artigfeit  fid;  ni^t  l;emmen  fönnen  (wie  etwa 
bie  i^orftellnngen  grün  unb  fauer,  weld;e  im  33itb  einer  ©urfe  compli= 


686  ^erbart. 

cirt  finb);  SSer[($me(§iingen ,  wenn  3SorfteIIungen  jufammentreffen ,  bie 
ju  ©inem  Sonttnuum  get)ören.  ^uvä)  bie  |)emmimg  entfte^t  eine  @pan= 
nung  ber  3?orftelIimgen  gegen  einanber;  ein  %l)e\i  berfelben  wirb  unter 
bie  ,,@d;n)ette  be§  35en)uBtfein§"  (roobei  ^erbart  raieber  5n)i[d;en  ber 
ftatifdjen  unb  ber  mec^anifc^en  <Bä)meUe  unterfrfieibet)  ^erobgebrücft,  ein 
anberer  %ijeil  er{)ält  fid^,  in  t)erfd;tebcnen  3Serf)äItni[ien ,  über  ber 
©c^ioette;  bie  niebergebrildten  25orftettungen  ftreben  auf,  benn  jebe  ^ox- 
ftettung  ift  oI§  ©elbfterf)a(tung  ber  @ee(e  2Biberftanb  gegen  eine  §em= 
mung;  bie  complicirten  unb  üerfi^motjenen  erfahren  burc^  einanber 
uerfd;iebenartige  i^emmungen  unb  ^^örberungen  (,,Somp(ication§;  unb 
$8er[d;mcl3ung§!)ütfen'0 ,  unb  eg  ergiebt  ^iä)  fo  ein  cerraidelteS  ©an^eS 
üon  2Birfungen  unb  ©egenroirfungen ,  raelc^eS  aber  in  atten  X^eikn 
burd;  bie  allgemeinen  med^anifdjen  unb  ftatifd;en  ©efe^e  betierrfd^t  ift. 
S)ie  ^fijdjologic,  al§  bie  „©tatif  unb  33^ed;anif  be§  ©eifteS",  foU  biefe 
©efe^e  beftimmen,  unb  bie  ©rfolge  bered;nen,  weldje  unter  ben  ücrfd^ie^ 
benen,  in  ben  mögüd^en  ^'erf)ättniffen  ber  ^orfteUungen  (iegenben  33e= 
bingungen  fi(^  ergeben.  S)a§  25erfaf)ren,  beffen  fie  fic^  ^iebei  ju  be^ 
bienen  f)at,  ift  von  bem  ber  allgenteinen  3)ted^anif  iiid^t  uerfc^ieben:  bie 
5pfr)($ologie  foH  matfiematifd^  be^anbelt  werben,  unb  .<perbart  felbft 
fteHt  in  einge{)enber  Hnterfudjung  bie  gormein  auf,  naä)  benen  bie  oer- 
f(^iebenen  pfijc^ifd^en  SSorgänge  gu  berechnen  finb. 

^ud)  biejenigen  ©eetentliätigfeiten,  meldte  man  gemö^nlid;  non  ber 
SSorftelIung§tl^ätig!ett  unterfd^eibet,  !ann  .^erbart,  feinem  ganzen  @tanb= 
punft  gemäf3,  nur  für  ©rfc^einungen  fialten,  bie  fic^  au§>  bem  3Jie(^antf= 
mü§>  ber  SSorftellungen  ergeben.  S)a§  ©efü^I  entfte^t,  wenn  fic^  eine 
SSorfteHung  burd;  ba§  ©leidigen) ic^t  emportreibcnber  unb  i)cmmenber 
Gräfte  im  SerouBtfein  ert)ält.  5[)a§  S3egel)ren  ift  bag  ^erüortreten 
einer  ^orftellung,  bie  fid^  gegen  .^inberniffe  aufarbeitet  unb  babei  bie 
anbern  a^orftellungen  nad;  fid;  bcftimmt;  in  bemfelben  a}ia{3e,  roie  biefcr 
^rocefi  uom  Semuf3tfein  be|errfd;t  wirb,  ift  ba§>  S3ege^rcn  ein  yernünf= 
tige§;  aber  and)  in  biefem  galt  ift  e§  nur  ba§  mcdjanifdje  i^erf)ä(tniB 
ber  ^ovftcUungen  unb  SSorftellungSmaffen,  weldjeö  ben  3lugfd;(ag  giebt; 
an  eine  SBat)lfreil)eit  in  i^ant'^  ©inn  fann  nid^t  gcbad;t  werben,  ba  fie 
bem  ßaufalitätSgefe^  wiberfprcdjen  unb  jebe  ß^arafterbilbung  unmög^ 
lid)  mad)cu  würbe  (VI,  75  f.  347  ff.  385  ff.  V,  319).  Sie  ganje 
(iompteyion  ber  SSorfteÜungen,  bie  mit  ber  ©eele  in  ikvbinbung  fielen, 
bilbet  ba§,   wa§  man  ba^  3d;  nennt.    Stuf  biefe  (elftere  33cftimmnng 


(Srflärung  be§  ©eelenleben§.  537 

legt  .<perbart  um  fo  größeren  2Bert{),  ha  ber  geraöfmüd^e  begriff  be§ 
^d)  feiner  2Infid)t  nad^  an  [0  auffallenben  2öiberfprüd;en  leibet,  boB 
btefelben  nirgenbS  im  begebenen  fo  gebrängt,  wie  ijkx ,  Hegen.  2)a§ 
^ä)  foH  ba§  fic^  felbft  Sßiffenbe,  fid;  33orftelIenbe  fein,  unb  eben  f)ierin, 
im  ©elbftbemuBtfein,  fott  fein  SBefen  beftefien.  3lber,  fragt  unfer  g>^i= 
lofopf),  roa§  foll  bieB  ^ei^en:  M^  ^d)  ftettt  fid;  oor?"  Sag  ^d)  ift 
eben  ba§  6id;üorfteaenbe ;  fagt  man  bafier,  ha§>  ^^  ftelle  fid^  t)or,  fo 
fagt  man:  ba§  ©ic^oorfteUenbe  [teile  ba§  ©idjüorfteUenbe  üor.  2Iber  in 
biefem  ®a§e  fommt  forool;[  im  ©ubjcft  aU  im  Dbjeft  roieber  ba§  ^ä) 
(als  ®id;)  üor;  biefe§  müfste  ba^er  mieber  erffärt  mcrben  unb  !önnte 
mieber  nnr  al§>  bo§  6id;oorftellenbe  ert'(ävt  werben,  fo  ba^  mir  eine 
in'g  unenblid^e  get)enbe  SSieberljoIung  bc^fetben  ^egrip,  ein  enblofeS 
idem  per  idem  erl^ielten  unb  ber  mirÜid^e  Segriff  beg  ^d;  gar  nie 
roHjogen  werben  fönnte.  ©oü  ferner  ba§  ©ubjett  jeneg  Q^orfteffenS  mit 
bem  Dbjeft  ibentifc^  fein,  fo  fönnen  beibe  nid;t  a(§  ©ubjeft  unb  Dbjeft 
unterfc^ieben  werben ;  werben  fie  umgefeljrt  unterfd;ieben,  fo  müßten  bie 
entgcgengefel^ten  eben  a(§  entgegengefe^te  einerlei  fein,  unb  aud;  biefer 
Unfinn  würbe  fid^  in'^  unenbüd^e  wieberf)o(en  (V,  274  ff.  IV,  304  ff.). 
S)iefcn  2Biberfprüdjen  lä^t  fid;  nur  baburd)  entgegen,  ba^  ber  ^Begriff 
be§  ^c^  nadj  ber  3JJet^obe  ber  Se^ie^ungen  bef)anbe(t,  ba§  eg  oua  ber 
einfad^en  ©ubftanj,  we(d)e  ba§  ©ubjeft  unb  ber  ©runb  aller  unferer 
SSorftellungen  fein  foR,  in  ha§>  jufammengefe^te  g^robuft  berfelben  mv- 
wanbclt  wirb.  2Bie  ha§>  S)ing  nur  ben  ^unft  be^eid^net,  in  bem  vex-- 
fd;iebcne  Otei^en  üon  9tealen  ^ufammcntreffen  (f.  0.  ©.  G78),  fo  be= 
geidinet  ba§  ^d)  ben  ^unft,  in  wetd^em  alle  unfere  5ßorftelIung§reil)en 
gufammentreffen ,  unb  bie  33orfteUung  be§  ^d;  ober  ha§>  ©elbftbe- 
wuj3tfein  entfielet  un§  nur  baburdj,  baf3  wir  biefen  g^unft  üon  ben  ein= 
seinen  9teif)en,  bie  fid^  in  if)m  fc^neiben,  unter)c^eiben.  S)iefer  ^unft 
ift  aber  fein  fcfter,  fonbern  er  wed;fe(t  fortwäl)renb  pgteid;  mit  ben 
dleii)m,  burd)  bereu  Bufammentreffen  er  entfielt,  unb  e^  ift  nid;t  din 
SBefen,  weldjeg  im  ©elbftbewuBtfcin  fid)  felbft  oorftellt,  fonbem  bie  av- 
percipirenben  S^orftellungämaffcn  fiub  anbere  al§  bie  appercipirten ; 
weit  aber  üon  jeber  einjelnen  ber  le|tei-n  obftral)irt  werben  faun,  ent- 
ftet)t  bie  5täuf(^uug,  al§  ob  aud;  oon  allen  ^ufammen  abftral)irt  werben 
fönute,  bie  SSorftettung  be§  ^ä)  aU  be§  nur  fic^  felbft  wiffcnbcn, 
mit  fidj-  ibcutifdjen  2öefen§.  (VI,  188  ff.  228  ff.  ogt.  3G0  u.  a.  ©t.) 
§erbart  l)a{  biefe  pfi;d;ologifd)e  3:^eoric,  weld;e  f)ier  nur  nad;  i^ren 


688  §evbart. 

^eiyovtvetenbften  Bügen  (lejeidjttet  raerben  fonnte,  mit  großer  Sorgfalt 
in'§  eingetne  au§gefüt)rt,  unb  er  nimmt  mit  bcrfetkn  nnftreitig  in  ber 
@ef(^i(f)te  ber  ^fi)d^ologie  eine  bebeutenbe  nnb  eI)rent)olIe  ©teile  ein. 
S)urc^  ben  9^ad)brucf,  mit  bem  ()ier  anf  eine  ftreng  naturmiffenfc^aftlid^e 
©rflärnng  be§  geiftigen  SebenS  gebrnngen,  ben  ©ruft,  mit  bem  fie  ver= 
fnd;t  wirb,  bur^  bie  ©(^ärfe  ber  p[ij(^oIogifd)en  Seoba(^tung,  bie  ein- 
fd;neibenbe  ^xiüt  ber  t)erfömm(id;en  2(nnaf)men  nnb  begriffe  (jaben 
^erbart'g  pfijd^ologifc^e  Strbciten  einen  fef)r  eingreifcnben  nnb  über  bie 
©renken  feiner  @d;n(e  meit  ^inan^gefienben  ©inftuB  gel^abt,  nnb  fie 
werben  nod;  fange  an($  foId;en,  bie  fid;  im  ^rincip  von  ber  9üd;tigfeit 
feiner  SSoran^fe^ungen  nnb  feinet  SSerfal^renS  nid^t  gn  nberjengen  wiffen, 
bie  üie(fad)ften  Selefirnngen  nnb  Slnregnngen  barbieten.  SIber  je  folge- 
richtiger nnb  nollenbeter  biefe  ^^corie  üon  itirem  llr()eber  entmidelt  ift, 
nm  fo  bentlid;er  treten  and;  i^re  Süden  unb  ©djmäc^en  fieruor,  um  fo 
weniger  laffen  fi(^  bie  fragen  äurüdbrängen ,  auf  wc((^e  fie  nn§  bie 
Slntwoi't  f($n(big  bleibt.  @§  ift  fci^on  oben  (@.  679  f.)  barauf  I;inge= 
wiefen  worben,  ba^  §erbart'§  Setire  Don  ben  Störungen  unb  (Selbfter= 
Haltungen,  biefer  3Jiittelpunft  feiner  3Jletapf)yfif ,  ^u  feinem  wirfüt^en 
3]erpltni§  ber  realen  Sßefen  unb  feiner  wirf(id;en  SSeränberung  biefeS 
5ßer^ö(tniffe§ ,  fonbern  nur  ju  bem  «Schein  berfelben  f)infü^ren,  atte§ 
objcftiue  @efd;e!f)en  in  eine  fubjeftiye  (Srfd;einnng  üerwanbetn  würbe. 
S)a§  g(eid;e  muB  natürlii^  von  biefer  Sefire  au^  in  ifirer  Stnwenbung 
auf  bie  ^fi)d)oIogie  gelten.  S(u(^  f)ier  muffen  wir  fragen,  wie  benn  bie 
(See(e  burd;  biejenigen  9tea(en,  weld^e  it)ren  ^eih  bübcn,  mit  Störungen 
bebrot)t  unb  ^u  Selbftertialtungen  angeregt  werben  fönnte;  wa§  bafier 
alle  jene  uon  ^erbart  mit  biefem  großen  3lufwanb  t)on  Sd^arffinn  he-- 
fdiriebenen  unb  erflärten  pfi)(^o(ogifd;eu  ^sorgänge  anbereS  fein  fönnten, 
ü[§>  (£rfd;einungen,  bie  nur  in  unferer  SSorftettung,  unferer  Sluffaffnng 
be§  Seelenlebens  eyiftiren,  bie  Seele  felbft  aber  al§  biefeS  einfad;e  nnb 
unüeränberlid;e  91ea(e  gän^Iic^  unberüfirt  taffen?  Slber  möchte  man  fid^ 
and;  t)iel(eid;t  in  ber  Ontotogie  ju  biefer  ibealiftifd^en  Gonfeqncnj  ent= 
fd^tie^en,  felbft  auf  bie  ©efa^r  ^in,  .^crbart'g  eigentlid;er  DJieinung  ju 
wiberfpred;en  unb  eine  für  fein  Sijftem  unentbel)rlid;e  B^ei^eutigfeit 
gu  gerftören,  fo  ift  ber  ^fvd;ologie  and;  biefer  SluSweg  abgefd^nitten. 
5)enn  gefegt  and;,  bie  S^^iel^cit  unb  ber  2,Öed;fel  ber  S^orftellungen  falle 
nur  in  bie  ©rfdjeinnng,  fo  fe^t  bod)  biefe  felbft  ein  vorftellenbeS  äßefen 
noranS,    bem   fie  erfdjeint,   fie  ift  nnr  in  ber  üorftellcnbcn  Seele  Dor 


©eine  ^f^c^otogte.  689 

fianben.  ^ft  ober  in  ber  ©eete  bte  ^orftellimg  eme§  9)lanniöfaltigen 
unb  einer  Sserbinbnng  biefeS  9JiannigfaItigcn,  fo  ift  in  i^r,  nnb  3n)ar 
in  i^r  felbft,  nid;t  6(o§  in  einer  „jnfäfligen  2lnficl;t"  uon  if)r,  nnc^  eine 
SJiannigfaltigfeit  nnb  eine  33er5inbnng  yon  33orfteIIuncj§often,  benn  nur 
baburd)  !ann  jene  SSorftettnng  entftefien ;  ift  in  ber  <See(e  bie  35orfteIIung 
ber  SSeränbernng,  fo  ift  in  if)r  an^  eine  9]eränberung  ber  9>orftettungen, 
benn  nur  boburd^,  ba^  ifire  3>orfteIIungcn  fi(^  änbern,  fann  if)r  ber 
©(f;ein  entftefien,  üI§>  ob  fid)  in  ben  ©ingen  etma§  gcänbert  l^abe. 
©oKcn  fid)  enbüd;  jene  6rf(^cinungen  au§  bem  ßiiföwwenfein  ber  ©celc 
mit  anbern  3tea(en  ergeben,  fo  müf[en  biefe  auf  fie  einiuirfen;  nnb  audj 
biefe  (Sintuirfung  fann  nton  ni(^t  in  ba^  ©ebiet  ber  sufälligeu  2(nfid;ten 
verraeifen,  fonbcrn  ba§  9{eale,  ha§  rair  6ee(e  nennen,  mu^  felbft  üon 
i^r  getroffen  werben,  bo  fie  fonft  feine  5ßorfteIIimgen  in  i^m  f)ert)or- 
rufen  fi^nnte,  biefe  3.^orftef(ungcn  aber  allein  e§>  finb,  in  benen  bie  @r= 
fd^einung  a(»  pfijdjologifdjer  @d;ein  ifiren  ©i^  f)at.  $Damit  atfo  bie 
©rfdjeinung  möglid;  fei,  müfl'cn  rair  ber  ©ee(e  alle§  ba§  gufd^reiben, 
wa§  nad)  ^erbart'§  mctapf)i)fifd;en  3?orau§fe{jungen  feinem  9katen  gu; 
gefdjrieben  werben  barf:  eine  ^iel^eit  uon  93eftimmungen  neben  ber 
(Sinf)cit  bey  3öefen§,  einen  2öed;fcl  biefer  33eftimmungcn,  ein  33eftimmt= 
werben  burd)  anbere§.  S)aB  ^crbart  ha§  eine  jugiebt,  unb  ha§>  anbcre 
läugnet,  ba^  er  bie  5>orftetIung§proceffe  erftären  witt  unb  bod)  fein 
©ubjeft  übrig  (öfjt,  in  bem  fie  fid;  üodjiefien  fönnten,  biej?  ift  —  ganj 
abgcfefien  von  altem  anbern,  wag  man  gegen  fie  einwenben  fönnte  — 
ber  ©runbwiberfprud;  feiner  ^fijc^ologie. 

9iur  eine  ^olge  biefc§  9Biberfprud;§  unb  ber  SSertcgenl^eit ,  in  bie 
er  burd;  benfelben  gerätt),  ift  bie  eigcnt()ümlid;c  llnftar^eit,  in  weld^er 
ber  ©runbbegriff  feiner  gangen  ^fyd^ologie,  ber  ^Begriff  ber  SSorftellung, 
von  .<perbart  gct)alten  wirb.  2Bä()renb  bie  SSorftellungen  urfprüngüi^ 
nidjt'c  anbcrcS  fein  fönncn  unb  fein  follen,  ol§  bie  6etbfterl)altungen 
ber  ©eele,  bie  formen,  wetdje  if)re  an  fid;  einartige  (Se(bfterf)attung  in 
ifirem  3Ser!^ältni^  §u  anberen  Sfßefen  annimmt,  werben  fie  §erbart  im 
weiteren  3>erlaufe  gn  ilräften,  bie  mit  einanber  in  3Sed;fe(wirfung  fielen, 
unb  fie  werben  oud;  als  Gräfte  begeid^net  (3.  S.  V,  289.  389);  e§ 
wirb  i^ncn  felbft  wieber  ein  ^orftetlen  beigelegt,  wenn  üon  bcobadjteten 
unb  beobadjtenben,  appercipirten  unb  appercipirenben  ^orftcllung§maffen 
gefprod;en  wirb  (VI,  190.  3G0u.  0.  ugl.©.  687);  ja  in  bem,  wa§|ierbart 
über  if)r  Slufftreben,  il)r  ©mporfteigen  unbSinfen,  i^re  ^^erfd^meläungen  unb 


690  ,  §evbart. 

ßompUcationen  [agt,  werben  fie  toie  reale  SBefen,  ajiolecüten  ober  gas- 
förmige Körper  befianbelt,  bte  fid^  in  einem  gegebenen  9taume  brängen 
itnb  ftofsen,  uerbinben  nnb  trennen.  S)a§  Ie|tere  fann  nun  freiließ  nirf;t 
eigentlidj  genommen  werben;  aber  anbererfeitS  fönnen  mir  and;  von 
bem  ^ilbe  nid;t  abftraf)iren  unb  e§  in  feine  begriffliche,  olmcbem  fd^wer 
an^ugebenbe  $8ebeutnng  nberfe^en,  wenn  .^erbart'S  S)arftetlung  ber  pft)= 
d;ifd;en  SSorgänge  ifiren  eigentfiümlidjen  SJ)arafter  bel^atten,  wenn  jene 
©tatif  nnb  9Jled;anif  be§  @eifte§  mögli(^  fein  fott,  in  beren  ©ntbednng 
er  felbft  ba§  |)anptüerbienft  feiner  ^sft)d;o(ogie  fief)t.  3lu§  ben  SSorau§= 
fe|nngen  feiner  ^^eorie  laffen  fid;  bie  SSorftellungen  nid;t  bIo§  nid;t  al§ 
reale  ^^orgänge  in  ber  Seele,  fonbern  nid;t  einmal  al§  S3ewu^tfein§erf  d;ei  = 
nungen  benfbar  ma($en;  gerabe  baburd^  fie^t  er  fid;  aber  genötl^igt, 
ilinen  eine  9tealität  unb  ©elbftänbigfeit  beizulegen,  welche  ilinen  in  biefer 
SBeife  ni(^t  gufommt  nnb  nid)t  äufommen  fann. 

SSon  f)ier  an§  gewinnt  nun  au^  ^crbart'S  93erl)ättni^  jur  3eit= 
pljitofopljie  ein  ueräitbcrteS  SluSfelien.  ©einer  urfprüngUd;en  Slbfidjt 
na^  wollte  ^erbart  bem  nac^fantifi^en  ^bcalifmuS  mit  einer  realifti= 
fd;en  3)ietapl)i)fi! ,  feinen  apriorifd^en  ßonftructionen  mit  einem  natura 
wiffenfi^aftlidjen  3]erfal)ren  entgegentreten,  i^n  2öol)rl()eit  löft  fid^  tl)m 
ba§  wirfli(^e  ©ef^e^en  nod)  in  ganj  anberer  SBeife,  als  jenem,  in  einen 
fubjeftiüen  (Schein  auf.  ^m  .^intcrgrunb  ber  ©rfdjeinung  rulien  bie 
^Realen  al§  S)inge=an=fi(^/  fon  beren  wirflic^er  Üualität  wir  fd)lcdjter= 
bing§  nid;t§  wiffen,  bagegen  fäHt  alle§,  voa§>  ben  wir!ltd;en  ^nliatt  un= 
ferer  SSorftellungen  au§mad;t,  ganj  nnb  gar  in  ba§  ©ebtet  beS  @d;eine§, 
e§>  entftel)t  un§  nur  burd^  eine  äufätlige  Slnfic^t  eine§  ^iif^^^^^^iU^i^^ 
ber  realen  SBefen,  weldjeS  feinerfeitS  gleid^fatt;?  in  feinem  realen  SSer= 
l)ältniB  berfelbcn,  fonbern  wieber  nur  in  einer  zufälligen  2lnfid;t  be= 
ftcl)en  fönnte;  unb  biefer  ©djein  felbft  f)at,  wenn  wir  nä()er  ^nfelien, 
feinen  Drt,  in  bem  er  fid)  btlben,  fein  ©ubjeft,  bem  er  entfielen  fönnte. 
©benfowenig  gelingt  e§  {f)m  mit  ber  3}ictl)obe,  burd;  bie  er  ben  oprio= 
rifd;en  ßouftructionen  ein  ©übe  mad^en  will.  Stile  jene  ©inwcnbungen 
gegen  bie  gegebenen  begriffe,  auf  bie  ^erbart  feine  eigene  3J?etap§i)fif 
grünbet,  berul)en  fd)liei3li(^  bod;  nur  auf  feinen  Söeftimmungen  über 
ba§  (Seienbe;  biefe  SSeftlmmuugen  f)at  er  aber  nidjt  auf  ©runb  ber 
(Srfaljrung,  burd;  wiffenfd)aftlid;e  Slnalijfe  bcrfelbeu,  gewonnen,  fonbern 
fie  finb  eine  apriorifd;e  ^sorau§fe|3ung ,  für  bie  er  feinen  weiteren  ^e- 
weis  nötl)''g  finbct.    <Bo  will   er  benn  freilid;  ba?  begebene  crffären. 


aber  bie  ^Ricf^tung  biefer  ©rfförung  tft  gutn  t)orau§  bitrd^  ^rincipten 
üorgeseid^net ,  bie  raeber  aii§>  ber  ©rfa^ntng  cjefdjöpft,  nod^  an  tf)r  be= 
lüäfirt  finb.  3lu(^  §ertart  !ann  mithin  bie  ibealiftifc^e  unb  aprioriftifc^e 
Steigung  ber  nad^fantifdjen  ^^ifo[opf)te  iiic^t  yerläugnen,  unb  gerabe 
roeil  er  ifir  entgefien  möchte,  fommt  fie  bei  i^m  nur  um  fo  beutlidjer 
5Utn  33orfd;ein. 

3.  ^ortfc^uitg:    ^ttUxV^  2lcft^ctif,  prafttfrfjc  P)Uofop^ie  unb 

9ieIigton§Ie^rc. 

mit  ber  3)Zetap^ijfif  unb  felbft  mit  ber  gjfijd^ologie  foH  nocf;  §er= 
bart,  bem  ja  fdjon  J?ant  in  ber  Trennung  be§  3:i^coretifd;en  unb  bc§ 
^raftifd;en  üorongegangen  mar,  bie  2lcft^etif  (in  bem  ©.  674  angege^ 
benen  umfaffenberen  ©inu)  in  feiner  [olc^en  SSerbinbung  fte!)en,  ba§  fie 
if)rem  allgemeinen  ^nf)alt  nac^  irgenbmie  burc^  jene  bebingt  märe;  benn 
bie  3)ietapi)i;[if  f)at  e§>  mit  bem  ©egebencn  ju  tfjun,  bie  IXrttieile  be§  2Bof)li 
gefallend  unb  2Jiif,fa(Icn§  bagegen  finb,  mie  er  glaubt,  von  ber  i?ennt: 
ni^  beS  begebenen  in  ifirem  Urfprung  ganj  unabf)ängig,  unb  erft  bei 
ifirer  Slnmenbung  unb  i{)rem  IXebergang  in  einzelne  Äunft(ef)ren,  mie 
^olitif  unb  ^^^äbagogif,  roirb  bie  ^erbeijie^ung  ber  ^fyc^otogie  nötl;ig. 
Snbeffen  finbet  gmifdjcn  beiben  bod^  awd)  bei  ."pcrbart  ein  engerer  ^u* 
fammenf)ang  ftatt,  a(§  er  felbft  einräumt,  äöenn  er  bie  (ätf)i!  auf 
2lcft^eti!  äurüdfü^rt,  fo  liegt  biefs  gan^  in  ber  9li(^tung  eines  Steter; 
minifmug,  für  ben  e§  foIgerid;tig  mo^t  ein  Urtfieil  über  bie  ^^oIHom- 
menfieit  ober  llnooUfonimen^eit  be§  ©eicnben  geben  fann,  ober  feine 
^orbcrung  eines  foId;en,  baS  fein  foU,  aud;  menn  e§  nid;t  ift;  unb 
raenn  fic^  bie  fitttic^en  mie  bie  äftljetifdjen  Urtf)eile,  of)ne  alle  9tüdfid^t 
auf  ben  ;[jnf)alt  beS  Seurtf)eilten,  auSfd^lic^lid;  auf  feine  formalen  SSer- 
f)ä(tniffe  be^iel^en  follen,  fo  erinnert  un§  bie§  baran,  baB  an^  bie  3Jte- 
tapf)i)fit  fid;  nid;t  mit  ber  S3efd^affen^eit,  fonbern  nur  mit  ben  3Ser^ä(t= 
niffen  ber  realen  SBefen,  nur  mit  ben  formen  befd;äftigt,  unter  benen 
fid;  i^r  ^nfammenfciu  barfteHt  ^). 

Sen  ©egenftaub  ber  2leftl)etif  bilbet  im  allgemeinen  ba§  ©d;öne, 
ober  mie  auc^  gefagt  rairb,  ba§,  worauf  bie  ©efc^madSurt^eile  fic^  be= 
gießen.    ©d;ön  ift   aber,    im  lXnterfd;ieb  üon  bem  ^ege^rten  unb  bem 

1)  3iim  folgenben  ügl.  man  neben  (Srbmann  (III,  b,  318  ff.)    anäj  Srenbe^ 
leubnrg  ^iftor.  33eUv.  IH,  122  ff. 

44* 


692  §erbavt. 

2tngenef)men ,  ha§,  raag  an  ben  Dbjeften  untoiEfüfirltcf;  gefällt.  9^un 
tä^t  f{(^  aber  aUeS,  ma^  un§  gefättt  ober  mißfällt,  and)  of)ne  Beifall 
ober  3}ti§fallen  rein  t^eoretifd^  oorftellen;  nnb  ba  nnn  baSfelk  niä)t 
in  berfeiben  S^ejie^nng,  in  ber  e§  gleichgültig  ift,  gefaEen  ober  mißfallen 
fann,  fo  fd;lieBt  ^erbart,  bie  3Jfaterie  ber  S)inge  fei  gleid;gültig,  nuc 
il)re  gorm,  nnr  bie  SSer^ältniffe  geioiffer  cinfad^en  ©lemente  feien  ber 
äft^etifc^en  Senrtlieilung  nnterioorfen.  @r  oerlangt  balier  ron  ber 
2teftl)eti!,  bo^  fie  un§  in  bie  Slnffaffung  ber  gefammten  einfachen  9?er^ 
l)ältniffe  t)erfe^e,  bie  beitn  üoHenbeten  S^orfteHen  SeifaH  nnb  501  i^f allen 
er3engen  (VIII,  11  ff.  I,  124  ff.).  2Iu§  biefem  @eficl)t§pnn!t  ift  fpäter 
in  feiner  @(^nle  bie  2(eftl)eti!  im  engeren  @inn  bearbeitet  loorben.  @r 
felbft  i)at  fiij^  in  biefer  3?e5ie]^ung  auf  fnr^e  Slnbentungen  (I,  146  ff. 
159  ff.  II,  106  ff.  u.  a.  et)  befdjränft  nnb  fid)  an§  bem  ©ebiete, 
ha§>  er  im  allgemeinen  al§  ba§  äftlietifdje  be5ei($net,  gn  eingeljenberer 
S)arftellnng  ben  5;i^eit  au^getüä^lt,  ber  fid;  mit  h^m  fittlid;  Qd)'öncn 
befd;äftigt,  bie  praftifc^e  ^liilofopliie. 

SSon  ben  übrigen  Slieilen  ber  3leftl)ctil'  nnterfd;eibet  biefe  fic^  ha- 
burd;,  bafj  fie  e§  mit  2öillen§beftimmungen  ju  t!^nn  f)ot;  im  übrigen 
gilt  and;  oon  il)r,  raa§  t)on  ber  Sleft^ctif  übcrlianpt  gilt,  ©ie  l^ot  3U 
fragen,  n)a§  in  unferem  SBoHcn  an  fid;  felbft  gefällt  ober  mifsfätlt,  nnb 
fie  fann  biefeS  nur  in  gemiffen  ^erl;ältuiffen  ber  2öillen§tl)ätigfeiten 
fud;en.  „S)ie  [ittlid;en  (Elemente  finb  gefallenbe  nnb  miBfalteube  2öit- 
len^oerliältniffe"  (I,  137).  ^ßeld;e0  biefe  finb,  lä^t  fic^  in  burc^auS 
allgemeingültiger  SÖeife  angeben:  „ooHeubete  SSorftettung  be§glcid;cn 
33er§ältniffe§  fül;rt  haS^  glei(^e  lXrtl)eil  mit  fid;";  aber  biefe  Urtlieile 
taffen  fid;,  wie  ^crbart  glaubt  ,jtid;t  auf  ©in  l;ö^ere§  gemeinfd;aftlid;e§ 
g>rincip  3urüdfül;ren.  äßoüen  mir  ba^er  bie  ^orftellnng  ber  einfad;ften 
abfolut  gefatlenben  SBiHenSücr^ältniffe  mit  bem  9tamen  ber  fittlid;en 
a)iufterbegriffe  ober  ^i^cen  be5eid;nen,  fo  wirb  uon  benfelbcn  nnr  in 
ber  aJJelir^a^l  gefprod;en  merben  bürfen.   (I,  137.  VIII,  25  ff.) 

3Räl)er  finb  e§  ber  urfprüng(id;en  fittlid;en  ^been  nad;  ^crbart 
fünf,  ©ie^t  man  äunäd;ft  auf  bcu  einjclneu  nnb  ba§  SierliältniB  feinc^^ 
2öiaen0  ju  fid;  felbft,  fo  gefällt  tl)eil§  bie  ©inftimmung  be§  SBiEenS 
mit  bem  eigenen  llrtl;eil,  bie  innere  ^rei^eit,  t^eiU  ha^»  rid;tige 
@röf3eni)crl;ältnif5  ber  ©trebungen,  bie  S^oIHommenlieit,  nnb  fo  cr= 
galten  wir  an  biefen  53cgriffcn  bie  ^mei  erften  fittlic^en  ^h^en.  ga^t 
man  anbererfeit^  ba§  5?er^ättnifj  bc§  ßinjetnen  5U  3tnbern  in'§  9lugc, 


SDie  fittlid^en  ^bcen.  693 

unb  betrad^tet  man  biefeS  junäd^ft  al§>  ein  Blo^  üorgeftelüe^,  fo 
wirb  man  berjenigen  Seftimmnng  biefe§  SSerl^äftniffeS  Beifall  geben/ 
bcrgufolge  ber  3SiIIe  bie  ^efriebigung  be§  fremben  2öillen§  nnmittelbar 
jn  feinem  ©egcnftanb  mad;t,  unb  barin  befte{)t  ba§  2öo^  Im  ollen, 
bie  britte  von  ben  fitt(i($en  ^beeu.  S3etradjtet  man  enblid;  ba§  gteii^e 
^erl;ä(tniB  al§  ein  mirfUc^eö,  ein  SSerf)ä[tni§  mehrerer  in  bie  ©in= 
nenroelt  eingreifenber  unb  fic^  barin  gegenfeitig  fiemmenber  SBillen,  fo 
geigt  \iä)  eine^ttieilS  ein  SKi^ fallen  am  ©treite,  e§>  rairb  verlangt, 
i)a^  er  oermieben  werbe,  ba§  jeber  3SiIIe  ben  tt)n  (jemmenben  Sßillen 
ber  Slnbern  gufaffe,  if)m  etwas  überlaffe,  unb  ba^  bie^  afle  g(eid;mä§ig 
tf)un;  unb  i)ierau§  ergiebt  fic^  bie  ^bee  beg  9ted;t§,  b.  f).  ber  @in= 
ftimmung  mehrerer  Söillen,  o(§  Sieget  gebad;t,  bie  bem  ©trcit  oorbeuge. 
2lnberntt)eil§  mi^fäflt  nid;t  minber  bie  ©törung,  weld;e  entfielt,  wenn 
bie  abfi(^t(ic|e  2Sof)[tI)at  ober  Ucbeltfiat  unerwiebert  bleibt,  unb  fo  er= 
f)alten  wir  bie  ^bee  ber  53inigfeit  ober  ber  S^crgeltung.  2lug 
ber  Slnwenbung  biefer  fünf  urfprünglid;en  ^been  auf  bie  ©efeUfdjaft 
entftefien  bann  weiter  üier  abgeleitete  ober  gefellfd^aft(id;e  ^been.  S)er 
i^bee  be§  Sted^tC^  cntfprid^t  bie  ^hcc  ber  9ted;tSgefeIIfdjaft ,  ber  S>ergel= 
tung  ba§  :^o^ufi)ftem ,  bem  2So()(woUen  ba§  ^^erroaUungSfijftem ,  ber 
ä5olIfommenf)eit  ba§  ßutturfyftem.  2(ffe  biefe  ©ijfteme  üereinigen  unb 
burd;bringen  fic^  in  ber  „befeelten  ©efeüfc^aft"  (VIII,  101  ff.),  bem 
©an5en,  ba§  üon  einem  gemeinfc^aftHd;en  auf  if)re  S)arfteIIung  gerid^= 
teten  SBillen  erfüflt  ift,  ha§>  aber  wieber  t)erf(^iebene,  ooUfommenere  unb 
unooHfommenere,  engere  unb  umfaffenbere,  fid^  unter=  unb  übergeorbnete 
formen  l^at.  „S)ie  ©igenfieit  eines  33ernunftwefen§,  oermöge  beren  e§ 
ben  pra!tifd;en  i^been  gemäB  ©egeuftanb  be§  ^öeifattS  wirb",  ift  bie 
2;ugenb;  in  einer  ^u»einanberfe|ung  beffen,  V3a§>  in  ben  oerft^iebenen 
gälten  gu  tf)un  unb  3U  laffen  ift,  unb  ber  ©efinnung,  mit  weicher  bar= 
über  gu  befd^tie^en  ift,  befte!)t  hi^  ^fli(^tentel)re;  wiewot)t  aber 
.sperbart  felbft  bie  ©runbjüge  einer  fold;en  entwirft,  finbet  er  bo(^,  fie 
fei  immer  un^utönglid),  ha  fie  nur  einzelne  3}lomente  t)eroorf)eben  fönne, 
aber  bie  genaue  Slbmeffung  be§  riditigen  §anbe(n§  einem  jeben  für 
jeben  fonfreten  gati  überfaffen  muffe.  (VIII,  107  ff.  150  ff.)  S)ie 
^ilbung  5ur  Xugenb  bilbet  ben  3)littelpunft  ber  ©rgie^ung.  3)iit  ber 
ßrjiefiungStcfire,  ber  ^äbagogif,  f)at  fi(^  |)crbart  als  ©d^riftftetler  fort- 
wät)renb"  eifrig  unb  forgföltig  befd;äftigt,  unb  aud)  in  feiner  ©d^ute  ift 
biefe»  %aä)    im  3it1't"iwcnt)ang   mit   ber  ^fi;d;ologie   fleißig   angebaut 


694  §eibart. 

lüorben;  bie   gegenioärtige  SDarfteHuiig  fami  icbücf;  auf  feine  Seiftuuöeu 
in  bciufelben  nid;t  nä^er  emgef)en. 

3luS  bem  33ebürfni^  ber  ©efellfdjaft  entfpriugt  ber  ©taat.  ©oH 
bie  @efellfd;aft  53eftanb  tiaben,  fo  bebarf  c§>  einc§  äußeren  ^aiibe», 
einer  5Dlad^t,  bie  fie  §ufammen|ä(t ;  nnb  biefe  3Jiac^t  muB  bcn  öanjen 
S3oben,  auf  welchem  bie  einanber  burd^freujenben  gefeUfdjaftli(^en  ©pf)ä= 
ren  fid;  begegnen,  allein  bei)errf($en,  nm  fie  alle  ju  befdiüt^en  nnb  jebem 
^ufammenftoB  äroif(^en  it)nen  üorsiibeugen.  S)er  Staat  ift  ba^er  nid)tö 
anbereS,  al§>  „©efellfc^aft  biird;  3)lad)t  gefc^ü^t",  unb  fein  Qw^ä  ift  bie 
Summe  ber  ^meäe  aller  auf  feinem  SOiac^tgebiet  gebilbeten  ©efeUfdjaften, 
ber  SU'c^tSgefeUfc^aft,  be§  SoI)nfi)ftem§ ,  bei§  ^enüa(tung§=  unb  J?ultur= 
fijftem^.  S)er  Sefc^ränfung  be§  ©taat^gtüed^  auf  ben  9ledjt^f(^u^  mi- 
berfprid;t  .^erbart,  unb  ber  ^^eorie,  lüelc^e  bie  ©taat§(ei)re  auf  bie 
9kd;t§ibee  aüein  grünben  raitt,  pit  er  entgegen,  bie  ä^erbinbung  ber 
9Jlenf(^cn  gum  Staate  fei  über!)aupt  nidjt  StuSflu^  irgenb  einer  ^bee, 
füubern  ba§>  2öer!  einer  pf9C^ologifd;en  9iotf)roenbigfeit,  unb  wenn  bie 
in  ben  @emütf)ern  lebenbig  geworbenen  ^been  l^ieju  mitiuirfen,  fo  gelte 
bieB  bo(^  nic^t  blo§  üon  ber  9tec^t§ibee,  fonbern  üon  allen  praftifd;en 
3been.  ^w^^^^^jf^  beruf)t  ber  Staat,  wie  er  fagt,  barauf,  baB  fic^ 
unter  ben  3}ienfc^en  ber  Unterfd^ieb  ber  Stäube,  ber  2)ienenben,  freien, 
2lngefef)enen  unb  ,^errf($enben  btlbet.  2Bag  aber  bie  3)tenfc^en  in  biefe§ 
^erl)ältni§  äufammenfül)rt,  ift  ein  breifad;e§:  ber  ^riuatioille  ber  6in= 
seinen,  burd^  ben  fie  fi(^  ju  einem  allgemeinen  SBillen  Bereinigen,  bie 
„g^orm"  ober  bie  politifc^en  ©inrid^tungen ,  unb  bie  Tlaäjt  ^erbart 
feiner  Seit§  legt  unter  biefen  brei  Stüden,  im  au!§gefprod^enen  @egen= 
fa|  gu  ber  üorfierrfd^enben  9ieigung  ber  Qdt,  ben  3?erfaffung§formen 
einen  fo  geringen  2öert(;  bei,  ba^  er  uon  bem  ^abel,  bie  53ebeutung 
guter  politifd;er  ^nftitutionen  unterfd;ä^t  5U  ^ahcn,  nid;t  freiäufpred;en 
ift.  S)ie  g'ormeu  folgen,  mie  er  glaubt  (VIII,  130.  II,  134),  an§> 
bem  ©emeinwillen  unb  ben  natürlid;en  53ebingungen  feiner  3,?eriöirf= 
Ud^ung  oon  felbft,  unb  bie  eigentlid^e  58ürgfd;aft  für  ben  ^eftanb  ber 
StaotSorbnung  unb  ben  f)eilfamen  ©ebraud;  ber  Staatiomad;t  liegt  mcit 
mel;r  in  ben  Sitten  be§  3Solf§  unb  bem  guten  äöillen  ber  Slcgierung, 
ai§>  in  irgenb  einer  xierfaffungymöjjigen  ©arantie.  „(Sine  eble  9Jation," 
ruft  er  aus,  „faüa  fie  ba§  ©lücf  l)at,  eine  eble  9tegicrung  3U  befi^^en, 
rid;te  gerabe^u  auf  biefe  it)r  33ertrauen,  unb  blide  baufbar  gen  .^immel ! 
Sie  l)üte  fid)  3U  füufteln!"  (II,  144.)     Seiner  2ln[id;t  nadj   baubelt  c§> 


3)ei-  Staat.  695 

fid)  bei  ber  @taat§!unft  weniger  um  bte  Erfüllung  re(^tlicf;er  Slnforbe- 
rungen,  al§>  um  bie  Sered;nung  einer  pfi)d;oIogif(^en  9?otf)n)enbigfeit. 
Sie  folf  bie  @efeHfd;aften,  wel^e  ber  ©taat  üorfinbet,  unb  unter  benen 
^erbart  au^er  ben  obengenannten  namentlich  anc^  bie  @f)en  unb  bie 
^irdjen  f;erüori)ebt ,  in  bo3  vid;tige  S3erf)ältniB  bringen,  ba§  @(eid;ge= 
Tüid;t  ber  focialen  Gräfte  ^erfteHen.  ©ie  leiftet  bie^  burd;  eine  breifai^e 
^Ijätigfeit:  bie  mieber^evftellenbe,  bie  er^altenbe  unb  bie  oerbeffernbe. 
5j)ie  ©efe^e  aber,  benen  fie  ^iebei  gu  folgen  f)at,  ergeben  fid;  auS  ber 
^[ijc^ologie :  ber  6tatif  unb  3)Jec^anif  be§  ©eiftcS  ent[pri(^t  bie  ©tatif 
unb  3}iedjanif  be§  ©taate§,  bereu  ©runblinien  ."gerbart,  roenn  and;  nur 
in  apf)oriftifd;en  2lnbentungen,  entroorfen  !jat  ^).  lieber  ben  3^ift^"iwßtt= 
Ijang  ber  Urfadjen  unb  SÖirfnugen  im  ©taatSleben  finbct  man  bei  ii;m 
manche  trcffenbe  Sauerfung,  ben  ©($iüäd;en  be§  baniatigen  £ibero(i[mu^, 
feiner  Ueberfd^ä^ung  ber  po[itifd;en  ^^ormen,  feiner  ^eruac^läf^igung  ber 
realen,  in  hen  gefeUf(^a[tlid;en  ^iiftänben  liegeuben  33ebingnngen  ilirer 
Sßirffamfeit  tritt  er  mit  ridjtiger  @infi($t  entgegen;  aber  il)m  felbft 
fel)tt  e^  bod;  gu  feljr  an  hem  fpecififd;  politifdjen  ©inn  unb  53lid,  feiner 
%i)eoxk  ju  fef)r  an  einem  flaren,  mit  fefter  ^anb  bnrd;gefül)rten  ^rin^^ 
cip,  feine  ganje  potitifc^e  i^altung  ift  eine  gu  paffioe  unb  im  befd;ränf= 
ten  ©inn  conferuatiüe ,  5U  fel)r  blofjeiS  @el)enlaffcn  unb  3w[^§ß«/  ßt^ 
baB  fic^  auf  biefem  ©ebiete  eine  bebeutenbe  unb  ein  greif  enbe  Seiftung 
t)on  il)m  l)ätte  erwarten  laffeu. 

Sßie  fid;  nun  in  ber  ^olitif  unb  ^öbagogif"  bie  ^fyd^ologie  mit 
ber  praftifd^en  ^l)ilofopl)ie  jur  ßöfung  einer  proftifdjen  2(ufgabe  üer= 
binbet,  fo  berul)t  aud;  bk  Steligion  unb  bie  9kligion!olel)re  auf  einer 
ilkrbinbung  tljeoretifdjer  unb  praftif ($  =  öfllietifd^er  Elemente.  3)a§  ^Be^ 
bürfnil,  roeldjem  bie  9leügion  entgegenfommt,  ift  ein  etl)if(^e§:  fie  foE 
ben  Seibenben  tröften,  ben  ä^erirrten  gured^tmeifen ,  ben  ©ünber  beffern 
unb  bann  beruljigen.  ©ic  bilbet  infofern  eine  ©rgänsung  3U  ben  ße^ren 
t)on  ©ütern,  Slugenben  unb  ^flic^ten.  2llle  bebürfen  biefer  ©rgönjung, 
weil  niemanb  moralifd;  DoUfommen  gefunb  ift,  raeil  jeber  biSioeiten 
mit  feinen  fittli(^en  SDiotiüen  tn'§  ©d^manfen  gerätl);  aud^  bem  ©taat 
ift  fie  uueutbel)rlid;,  benn  bie  Äird^e  ift  ha§>  Sanb,  iüeld;e^  bie  3)ienfd;en 
aud)  ha  noc^  5ufammenl)ält,  mo  feine  ^^ugen  anfangen  gu  flaffen,  unb 
er  l)at  be§l)alb  ben  ilird^en  ben  ©c^utj  §u  gewäliren,   beffen   fie  ilirer^ 


1)  VIII,  127  ff.  II,  132  ff.  ög(.  80  ff.  VJ,  17—48.  IX,  221  ff.  405  ff. 


696  S3enele. 

feitS  ut(^t  eutratl^en  fönneu,  ha  fie  fii^  auf  betn  SSoben  be§  ©taate§  bewegen, 
auf  bem  er  allein  gu  regieren  unb  Drbnuug  gu  f)a(teu  f)at.  Siegt  aber 
aud;  ba»  ^ebürfniB  be§  religiijfeu  @(aubeu§  5uuädjft  auf  biefer 
©eite,  fo  grünbct  fid;  bod;  feine  Sered^tigung  in  ber  .^auptfac^e 
auf  teieologifc^e  ßrraägungen,  gu  benen  un§  bie  9taturbetrac^tung  fjm 
füf)rt;  Grroägungen,  roeld^e  fid;  ^erbart  au§  ä^nltd;en  ©rünben  auf= 
brängeu,  wie  (naä)  ©.  125  f.)  Seibnij.  Senn  raenn  aud^  alle  natür-- 
Ud;en  SSorgänge  aB  fol(|e  med;anif(^  5U  erflären  finb,  fo  ift  bod;  jebe 
fo(d;e  ©rflärung  nur  unter  gegebenen  nieift  fef)r  mannigfaltigen  unb 
3ufanimengefe^ten  S3ebingungen  mijglid; ;  biefe  ^ebingungcn  fönnten  aber 
alle  an  fid^  felbft  aud^  anber§  beftimmt  fein  unb  ba^  fie  buvd^  hen 
b(o§en  3iif^^r  ol^ne  eine  5n)edfe|enbe  ^ntetügenj,  fo  wie  fie  finb  3U-' 
faimnengefüfirt  feien,  ift  fo  au^erorbentü^  unn)a{)rf d;cinlid^ ,  bafe  ber 
@(aube  an  biefe  ^nteüigenj,  wenn  and;  nid^t  mit  DoUer  n)iffenfd;aftUd;er 
©trenge  ermiefen,  bod;  augreid;enb  begrünbet  erf^eint.  SlnbererfeitS 
begreift  e§  fid^  aber  au§  biefem  Urfprung  ber  9ie(igion,  ba|  bie  ©ottf)eit 
fein  ©egenftanb  be§  3Biffen§,  nii^tä  in  fc^arfen  Segriffen  aufjufaffenbe^ 
ift,  ba^  fi^  jeber  feinen  @otte§begriff  nadj  feinem  ©emütf)  bilbet;  fo 
gewife  auc^  bie  metapf)i)fifd;e  ©pefutation  bajn  benü|3t  werben  fann,  in 
iserbinbung  mit  ben  praftif(^en  ^been  üon  bem  rortreffüd^ften  ber 
S[ßefen  unangemeffene  3>orfteIIungen  ab3uwe!)ren  ^).  ©enaner  unb  in 
fe(bftänbiger  Unterfud;ung  ift  §erbart  weber  auf  ben  ©otte^^begriff  (ber 
auc^  feiner  9)?etapl;i)fif  gang  befonbere  ©(^wierigfeiten  bargeboten  ^ahen 
würbe),  no(^  auf  baä  SBefen  unb  bie  §auptformen  ber  9ieIigion  ein^ 
gegangen;  unb  fo  crf(ärt  e^  fid^  um  fo  ef)er,  ba^  in  feiner  ©djule  uer- 
fd;iebene  2(nfid;ten  über  biefe  fragen  fiercortreten ,  unb  neben  ber  vox- 
]^errfd;enben,  mit  .s^erbart'g  eigener  S)enfweife  übereinftimmenben  9lid;tung 
auf  einen  nüd;ternen  moraUfd;cn  9iationa(ifmu§  auc^  ein  h'affer  2Bun= 
bergtaube  in  berfelben  feine  Vertretung  gefunben  ^at. 

4.  SBcnefe. 

HJiit  ^erbart  berüt)rt  fid)  ber  53eraner  ^riebric^  ©buarb  Se= 
nefe  (1798—1854)  nid^t  blog  burd^  feine  g>fi)d;ologie,  fonbern  auc^ 
burd;  feine  praftifd^e  ^-Ptjilofopliie  unb  feine  ^äbagogit;  unb  in  ber  fpä= 
teren  2(u5füt)rung  feinet  ©ijftemS  (feit  1822)  läBt  fid;  aud^  ^erbart'g 

1)  I,  158.  275  ff.  II,  56  ff.  IV,  328  ff.  611  ff.  ücjl.  III,  132  ff. 


©tanbpiinft.     ^^^f^c^ologie.  697 

(Shifhi§  nic^t  oerfennen,  twogegen  er  311  ber  erften  Stu^bilbuttö  feiner 
Stnnd;tcn  fiauptfäd^Hdj  burd;  Äant,  ^acoU  imb  (2d;(eiennad;er  angeregt 
worben  wax.  2ßä{)renb  aber  ^erbart  feine  ^^Nfyd;ü(ogie  auf  bie  3}ieta= 
ptjijfif  grünbet,  roiU  S3enefe  bie  3Jietapf)i)fif,  foroeit  er  fie  überl^aupt  ^u- 
Idfjt,  auf  bie  ^fijc^ofogie  grünben;  unb  in  biefer  felbft  fd;Uef5t  er  fic^ 
gwar  mit  bem  SSerfu(^e,  ba§  6eelenteben  au§  feinen  erften  Elementen 
genetifc^  ju  erflären,  an  ^erbart  an,  aber  in  feinen  aügemeinen  i^orau§= 
fel^ungen  unb  feinem  S^erfa^ren  unterfd;eibet  er  fic^  Don  jenem  fef)r  er- 
()ebt{d;.  33ei  .<r)erbart  beruijt  bie  ßrf(ärung  be§  ©egebenen,  roe(d;e  er 
von  ber  ^Nf)i(ofopf)ie  verfangt,  auf  33egriffen,  bie  if)m  uor  alter  ßr- 
fafirung  feftftefien.  33enefe  bagegen  fief)t  ben  örunbfef)(er  ber  neueren 
bentfdjen  ^tiUofop^ie  barin,  ba^  fie  überhaupt  etwa»  anbereS  a(§  ßr- 
fat)rungyiüiffenfd;aft  fein  raid.  ©einer  3(nfidjt  nad;  fann  bie  ^4>()i(ofop^ie 
nur  uon  bem  auSgetjen,  roaS  unl  unmittelbar  gegeben  ift,  unb  ein 
folc^eg  ift  nur  baö  im  33eiuuf3tfein  gegebene,  ©ie  t)at  fid;  baf)er  hnx^- 
auio  auf  bie  innere  @rfat)rung  3U  grünben:  bie  ^^sfijdjologie  foH,  wie 
bei  grieg,  menn  anä)  in  anberer  53c^anb(ung,  bie  pl)ifofopl)ifd)e  @runb= 
miifenfd^aft  fein,  ©ie  fann  unb  mu^  bie§  um  fo  meljr,  ba  unfere 
©eele,  luie  53enefe  glaubt,  ha§i  einzige  ift,  ba§  töir  erfennen,  wie  e§  an 
fid;  ift ;  eine  93oraU'3fe|3ung,  mit  bereu  n)iffenfd;aftlid;er  53egrünbniuj  unb 
53eftimmung  e§  ber  ^^Nl)itofopf)  freilid;  üiet  gu  Ieid)t  geno.nmen  ^at. 

3n  ben  pfi;djologifdjen  Unterfud;ungen,  welchen  Seuefe  ben  gröf3ten 
Xt)eil  feiner  ©c^riften  geiuibmet  l)at,  ift  e§  fein  burd;gängige§  ^eftreben, 
,  bie  53en)uBtfein!oerfdjeinungcn  auf  if)re  einfad)ften  unb  urfprünglidjften 
©temente  jurüdjufüliren,  unb  bax^  abgeleitete  unb  jufammengefct5te  aus 
biefen  feinen  ©runbbeftanbtl)eilen  ai§  ba§  natürlid;e  ©rgcbnife  il)rer 
l^erbinbung  unb  Umbilbung  begreiflich  3U  mad;en.  9^un  jeigt  un»  unfer 
^öemu^tfein  bie  ©eele  al§  ein  unräumlidje»  unb  fomit  immaterielles 
Söefen,  unb  mir  fiaben  feinen  ©runb,  fie  für  etroaS  anbereS  ju  galten, 
ba  mir  fie  ja  nid;t,  roie  bie  räumlidjen  Singe,  burd;  bie  äußeren  ©inne 
maf)rne^men.  3lber  bod;  fann  fie,  nad;  SSenefe'»  2tnfid;t,  nid;t  in  bem 
©inn  einfadj  fein,  mie  bieB  ^erbart  befianptet  fiatte.  ©0  fel)r  biefer 
lüelme^r  mit  ber  Seftreitung  ber  gett)öl)nti($  angenommenen,  üiel  ju 
abgeleiteten  unb  äufammengefe^tai  ©eeleuüermögen  in  feinem  dUä)t  ift, 
fo  mufj  bod;  notl)mcnbig  olTcm,  maS  in  ber  ©eele  gef^ief)t,  aud;  bem 
2tufuetj-nicn  unb  Slneignen  gegebener  Dlei^e,  eine  i^raft  ober  ein  3]er= 
mögen  5U  ©runbe  liegen,   unb   ba  nun  i)erfd;iebenartige  ^tei^e  üou  if)r 


698  53enefe. 

aufgenommen  merben,  muffen  von  2lnfang  an  me{)rere  elementare  3?er- 
mögen,  ober  „llroermögen"  in  if)r  liegen;  fie  mujs  au§  gemiffen  mit 
einanber  auf's  innigfte  oerbunbencn  ,,@runbfijftemen"  beftef)en.  5Durd^ 
biefe  SSermögen,  bereu  fogar  jeber  einzelne  «Sinn  mef)rere  umfaffen  foU, 
merbeu  guerft  in  golge  ber  äußeren  ©inbrüde  finnüd^e  ©mpfiubungen 
gebilbet.  G§  follen  fid§  fobann  2),  wie  bte  ©mpfänglidjfeit  für  neue 
Steige  beroeife,  aud)  neue  Uroermögen  ber  ©eele  anbilben.  ^n  ben  aug 
ben  Uroermögen  unb  ben  Steigen  fierüorgegangenen  ©ebilben  (ober  2l!ten) 
finb  nun  ferner  3)  biefe  beiben  (Elemente  berfelbeu  balb  feft,  balb  be= 
tt)egli(f^  mit  einanber  tjerbunben;  unb  in  bem  le^tereu  galle  ftreben  bie 
©eelengebitbe  iJire  bemeglid^en  ©(emente  gegen  einanber  au§3ugleid;eu, 
biefetben  fliegen  dou  ben  einen  in  bie  anberen  über.  S)ieienigen,  weld;e 
einen  S^^eil  ii)rer  ©lemente  abgegeben  t)aben,  fönnen  in  ^otge  bayon 
unbewußt  werben;  ba  aber  ber  Dteft  boc^  fortbauert,  bleiben  fie  aU 
©puren  in  ber  ©eele  unb  fönnen  be^f)alb  fpäter  wieber  in'§  S5ewuBt= 
fein  erhoben,  reprobucirt  werben.  ®et)en  wir  enblid)  4)  auf  ba§  33ers 
I)äItniB  ber  pfi)c^ifd;en  ©ebilbe,  fo  geigt  fic^,  bafe  fie  einanber  nad; 
9)kBgabe  it)rer  @ieid;avtigfeit  angieiien  unb  baburd;  S^erbinbungen  ein^ 
ge^en,  welche  burc^  f)inäutretenbe  2lu§gteid;ung  gu  ^'erfc^melgungen 
werben. 

55ermittelft  biefer  t)ier  „©runbproceffe"  foll  fic^  nun  ba§  gange 
Seelenleben  auä  ben  Uryernwgen  unb  ben  Steigen  entiuideln.  ©d;on 
in  il)uen  Urüermögen  ftei)cn  bie  3)tenfd;en  an  i?rdftigfeit,  Sebenbigfeit 
unb  Steigempfänglic^feit  fid;  nid)t  gleid^,  unb  e§  ift  baburd^,  je  nad;bem 
e§>  mit  jeber  oon  biefen  @igenfd;aften  in  biefem  ober  jenem  pfi;d)ifc^en 
@i;ftem,  biefem  ober  jenem  Sinn  beftettt  ift,  bie  allgemeine  Stid)tung 
beS  geiftigen  SebenS  präbeterminirt.  2lber  aEe  J?räfte  ber  auSgebilbeten 
©ecle,  unb  bal)er  auc^  bie  beftimmteren  Unterfdjiebe  ber  geiftigen  ^e- 
gabung  unter  ben  ©ingeinen,  entfielen  erft  im  Saufe  be§  SebenS  unter 
bem  ©iufluB  ber  äußeren  Steige,  fie  beftel)en  in  nichts  anberem,  aU  in 
ben  Spuren  ber  frül)er  erregten  ©ebilbe,  unb  finb  au§  biefem  ©ruube 
ebenfo  mannigfaltig,  wie  biefe  Spuren,  fo  ba^  ber  3)ieufd;  nid;t  blo§ 
©inen  a^erftanb,  (Sine  llrtl)eilgfraft  u.  f.  f.  i)at,  fonbern  ungäf)lige  S^er^ 
ftanbcSfräfte,  UrtlieilSuermögen,  SBiaenSfräftc  u.  f.  w.  ^enefe  täugnet 
be§f)alb  aud),  bafj  bie  finnlid;cn  iträfte  unb  Xt)ätigfeiten  ber  Seele  von 
ben  geiftigen  ber  Slrt  nad;  ücrfdjieben  feien;  benn  ba  ba§  ©eiftige  au§ 
bem  Siunlid;cn  flamme,  fo  muffen  bcibe  benfelbcii  Xlrfpruug  t)aben,  unb 


«ßfijt^ologte.    2«ctap^^fif.  699 

au6)  ba§  6inulid^e  muffe  feiner  ©runbnatiir  na(^  öeiftig  fein.  2luf  bie 
t{)ierif^en  ®ce(en  unb  if)re  empfinbungen  foll  bie^  h^mv  nidjt  anStje- 
bet)nt  werben;  boc^  follen  fid)  bie  nicnf^tidjen  yon  jenen  urfpriuujlic^ 
nnr  bnrd;  bie  größere  Äräftigfeit  nnterfdieiben,  uennöge  beren  il)re  Slfte 
in  itincn  üoüfommener  bei)arren  unb  erft  in  ber  golge  foH  biefer  @rab; 
nnterfd;ieb  ^^u  einem  Slrtunterf^ieb  merben.  (^ragmat.  ^fydjoll,  23  ff.)  Sei 
biefer  2lnfic^t  mar  e§,  raie  ©rbmann  richtig  bemerft  0,  fe^r  natürfid;, 
baB  33enefe  für  bie  mcnfd;i;id)e  ©ntraidlung  t)on  ber  funftmäBigen  ^u-- 
fü{)rung  äußerer  Steige,  uon  ber  ©r^ieijung  unb  bem  Unterricht,  atleg 
erwartete,  unb  baß  anbererfeitS  feine  ^t)ilofop(;ie  gerabe  bei  ^äbagogen 
befonbcren  2lnf(ang  fonb. 

Sie  abgeleiteten  53ilbung§formen  ber  (Seele,  bereu  S3enefe  im  gansen 
fünf  3äf)lt,  füfiren  fid;  auf  jTOei  ^auptfiaffen  jurüd:  i^orftellungSgebilbe 
unb  ©timmungSgebilbe.  3)ie  erftcren  betreffeub  ^anbeit  e§  fid;  bann 
wicber  tl)ei(§  um  bie  Sicprobuttiou  ttjeilS  um  bie  (iombination  ber  S^or- 
ftelluugen.  5Die  9kprobut"tion  (auf  meldte  aud;  bie  probuftiüe  ^ijantafie; 
tt)ätigfeit  jurüdgefüljrt  luirb)  leitet  53cuefe,  äf)nlid;  mie  .^erbart,  au§> 
einem  jebcr  einzelnen  ^orftedung  inmotjucnben  Streben  gu  it)rer  aiUeber= 
er^eugung  I)er.  ^n  ber  (Eombination  ber  3>orftelluugen  befiehlt  ba§ 
©enfen.  ®iefe  (Sombination  betrifft  aber  ti)eitg  gteidjartige  t()eil§  un= 
gteidiartige  ^ßorfteüungen.  2(uf  bie  Gombination  gleidjartiger  23orfteI= 
hingen  be^iefien  fid^  biejenigeu  S)cut'tt)ätigfeiten,  u)c(dje  bie  Sogif  unter= 
fudjt;  au§  ber  a^erbiubnug  ungleidjartiger  3SorfteÜungen  äu  ganzen 
©ruppeu  unb  Steigen  ergeben  fid^  bie  metapljijfifdjen,  auf  ba§  ©ein  unb 
bie  33efdjaffen{)eit  be^5felben  be^üglid^en,  Ucberseugungen.  ©omotil  bie 
Sogi!  (auf  bie  id)  f)icr  nid;t  nä^er  eingetjen  fann)  al§  bie  9)tetapt)ijfiJ 
ftüljt  fid;  bei  Senefe  burd;au§  auf  bie  ^fi;d;o(ogie.  S)a§  ©ein  unb  bie 
aUgemeinften  3^'ert)ä(tuiffe  beSfelben,  bie  ^u^ärenä  unb  bie  (Eaufalität, 
finb  uu§  ai&  urfprünglid;e  2lnfd;aunngen  in  unferem  ©elbftbemuBtfein 
gegeben;  mir  finb  uu§  unfereS  eigenen  ©ein§  bemüht,  mir  finben  in 
unferem  ©elbft  uiele  S.^ermögen  unb  Slntagen  bcifammeu,  mir  finben 
un§  in  ber  ©räeugung  von  3>orftetIungen  al§  Urfad;en  einer  Söirfung. 
©rft  t)on  un§  felbft  (unferer  „ßigcngruppe")  übertragen  mir  biefe  S3e= 
ftimmungen  auf  ®iuge  außer  un§  („©a^gruppeu")  unb  auf  aubere 
aJleufd;en  („Stnbergruppen").    SBir  felbft  finb  un§  in  ber  eiul)eit  aller 


1)  ©ninörtß  bev  ®efd).  b.  ^^il.  H,  645. 


«eftanbt^eile  imfereS  SBefett«,  in  bem  ^ufammeii  imfereS  eigenen  ©ein§, 
nnmittelbar  innerlid)  öcöeben,   ba§  ^BorgefteÜte  ift  bo§er  f)ier  mit  bem 
SSorftellenben  ibentifc^.    53ei  ben  materiellen  ^Dingen  finb  nn§  nnr  bie 
©mpfinbungen  änfammen  gfQet'en,   nnb    wenn   wir  biefem  fnbjeftiuen 
3u[ammen  ein  objeftiueä  nnterlegen,  fo  tt)un  mir  bie^  immer  mit  einer 
gemiffen  llnfid)erf)eit,  ba  mir  ja  bafür  feine  anbere  ©ernähr  ()aben,   aU 
bie   üielfadje   SBieberfioIung   be§   3nfammenraa^rne^men§.    Sie  ©eelen 
anberer  2)len[djen   faffen  mir  burd)  if)re  StenBcrnngen  als  bie  3eid;en 
beffen  anf,  wa§>  in  il)nen  üorgeljt;    aber  bie  2ln§tegung  biefer  3eid)en 
ift  glcid;fall5  un[i(^er,  nnb  bie  58erbinbnng  be§  einjelnen  in  ben  2lnber= 
grnppen  weniger  innig,  als  in  nnferer  ©igengruppe.    SBenn  \m§>  aber 
l)iebei  pnäd^ft  nnr  bie  anberen  3}lenfdjen  aU  2Befen,   wie  wir  felbft, 
erfd)einen,   bie   übrigen  S)inge   bagegen,   im  Untcrfd;ieb   üon   nnferer 
©eele,  fid;  als  ränmlid^  au§gebel)nte  barfteHen,  fo  beftel)en  bod;  aud^  fie, 
wie  33ene!e   glanbt   nnb   an§>   ber  SBe^felwirfnng   ber  (Seele   mit  bem 
Seibe  beweift,   in  JÖa^rlieit  ans  nnrönmlidjen  Gräften,   wel(^e  nnferer 
©eele  ilirem  ©rnnbwefen  nai^  «erwanbt  finb,   nnb  fid;  nnr  bnrd^  if)re 
geringere  Jlräftigfeit,  nnr  baburc^  x)on  il)r  nnterf Reiben,  baB  bie  @eele 
fd;on  nnter    hm  gewöl)nlid;en  Hmftänben  ^ewu^tfein   entwidelt,   baS 
Seiblid;e  nnr  unter  ungewöl)nlid;en  0.    SlnbererfeitS  fd;lie§t  aber  ^cnefe 
aus  ber  3Jiannigfaltigfeit  beffen,   waS  ben  3nl)alt  unfereS  Sewn^tfeinS 
auSmad)t,   ba^  baS  ^c^  ein  auS  ben  fämmtlidjen  im  Sauf  unfereS  £e= 
benS  cntftanbenen  ©eelengebilben  §ufammengefet3ter  ßomplej;   fei;   eine 
33el)anptung ,  mit  ber  er  fid;,  wie  in  fo  mand;em  anbern,  trot^  feines 
aöiberfprud;S  gegen  ^erbart,  boc^  au(^  wieber  an  biefen  anfc^lie^t. 

2ßie  bie  Sogi!  unb  bie  2Jlctap§i)fi!  auf  ben  a^orftettungSgebilben 
berufen,  fo  beruht  bie  pra!tifd;e  ^l)ilofopl)ie  auf  ben  ©timmungS= 
gebilben,  ben  @efül)len:  bie  ajioral  auf  ben  @efül)len  beS  ©ittlid;en  nnb 
llnfittlid;en,  bie  9^ed;tSle^re  auf  benen  beS  9te($tS  unb  beS  XInred;tS, 
bie  Slcft^etif  auf  benen  beS  ©d^önen,  beS  erhabenen  u.  f.  f.  SBaS  inS= 
befonbere  bie  SJiorat  betrifft,  fo  meffen  wir  ben  SBertl)  ber  Singe,  mä) 
S3enefe,  an  ben  ©teigerungen  unb  ^erabftimmungen,  bie  unfere  @efül){e, 
a>orftelIungen  unb  53egel)rungen  burc^  fie  erfal)ren;  je  f)öl}er  biefelben 
burd)  etwas  gefteigect  weibcn,  um  fo  l)öf)eren  2Sertl)  legen  wir  il)m  bei. 


1)  2)J.  ügl.  Imn,    maS  ©.  331.  353  au§  Äant,    @.  243.   259.   204  au§  9tet= 
mavul,  '|>(atnec  unb  XctenS  angefüljvt  ift. 


Slud;  toenn  wir  un§  um  frembeS  2öof)l  unb  2Be!^e  befümrnern,  tft  bie^ 
nur  bttbuv($  mötjlic^,  ba^  wir  bie  in  ben  Stnbern  uorgeljcnben  @tei= 
gerungen  \uih  ^erabftintmuugeu  in  un§  na($(n(ben,  e§  beruht  mit 
Ginem  2Qürt  auf  ©ijmpat^ie.  9Ba§  aber  unfern  3"fiQ^^'5  fteigert  ober 
lerabftimmt,  bieB  f)ängt  ganj  von  unferer  bi§f)ertgen  ©ntraicfhtng  unb 
if)ren  58ebiugungen  (ygl  6.  698  f.)  ab:  md)t  einmal  ba§  @efüf)[§= 
unb  33ege!)rung§t)ermögen  ift  un§  angeboren,  uoc^  meniger  fönnen  bie^ 
unfcrc  fittUd^en  begriffe  unb  ©runbfä^c  fein,  fonberu  au§  unfern  Uv- 
vermögen  unb  Stngelegt^eiten  ge^eu  unter  bem  ®infhiB  ber  gegebenen 
Steige  unfere  ©efüljle,  au§  i^rer  Steprobuftion  gefien  bie  2Bert^oorftel= 
lungen  unb  Sege{)rungen ,  unb  au§  biefen  bie  fittüd;en  53egriffe  unb 
bt>3  ©yftem  berfelben,  ba§  ©ittengefe^,  ^erüor.  9äd;tvbeftoraeniger  un= 
torfd;eibet  and;  Senefe  äiuifc^cn  ber  btoiS  fnbjeftiuen  unb  ber  objeftiuen 
äßertf)fd;ä(5uug.  ©inen  objeftiuen  2Bert^  ^at  nur  ba§,  ma^  vermöge 
ber  alfgemein  menfc^lid;en  ©ntiuidlung  eine  Steigerung  ber  ©timmnug 
l)crbeifü^rt,  unb  je  größer  biefe  ift,  um  fo  i)öf)er  ift  jener  2öert§.  ^ier= 
ouf  grünbet  fid;  bie  aUgemein  gültige  praftifd;e  9iorm,  bie  fittlidje 
^fiot^juenbigfeit,  bie  ^f(id;t.  ^e  f)ö§er  unfer  teufen  unb  Sßotteu  fid; 
entiutde(t,  um  fo  tebfiafter  fügten,  um  fo  beutlid;er  erfeunen  mir  biefe 
3fJotf)n)enbigfeit,  unb  infofern  ift  ha§  ©ittengefe^  eine  gorberung  ber 
ä^ernunft;  aber  angeboren  ift  un§  meber  biefe  uo(^  jenes. 

S)a§  gemeinfame  ©rjeugni^  t^eoretif($er  unb  praftifd;er  9}Zotit)e  ift 
bie  9leligion.  i^nbeffen  erf(ört  fid;  33encfe  über  fie  ebenfo  betiutfam 
unb  3urüdt)o(tenb ,  raie  §erbart.  @r  üertt)eibigt  ben  llnfterbHd;feit§= 
glauben  gegen  ben  9Jiateriatifmu§,  aber  fo,  al§  ob  er  felbft  feiner  Qaä)e 
nid;t  red;t  fid;er  märe,  ©r  füt)rt  au§,  ba^  ba§  ©egebene  at§  ein  frog- 
mentarifd;e!§  unb  bebingteS  un§  nötf)ige,  feine  ©rgänjung  in  einem 
Unbebingten,  in  ber  @ottf)eit  gu  fud^en,  bie  mir  unS  nur  t^eiftifd)  beu= 
fen  bürfen;  aber  er  t)er{)ef)It  ui(^t,  ba^  mir  über  fie  fe^r  menig  miffen 
unb  ganj  übermicgeub  auf  einen  ©tauben  befdjräuft  feien,  ber  mef)r 
auf  ©efü^ten,  als  auf  S3egriffen,  auf  bem  Sebürfui^  uac^  einem  fiö^ereu 
§a(te  unter  ben  Hebeln  unb  SBec^felfällen  be§  SebenS,  unb  uamentlid; 
and;  auf  bem  eines  moralifd;en  ^alteS  berufie.  SBenu  man  ni(^tSbefto= 
meuiger  an^  bei  i^m  Unterftü^ung  für  einen  fupranaturatiftifd;en 
Sogmenglauben  gefud;t  f)at,  fo  mi§fannte  man  feine  auSgefproc^en  ra^ 
tionaliftifdie  S)enfmeife.  58euefe'§  ^öebeutuug  liegt  aber  überfianpt  nid;t 
auf  biefer  ©eite.    @r  ift  mefentlid;   ^sfi)(^o(og  unb  ^äbagog,   er   f)ot 


702  ©d^Dpen'^auer. 

feine  @tär!e  in  ber  S3eotia(^tung  nnb  ^ß^S^^ebernng  be§  Seelenlebens ; 
unh  anf  biefem  ©ebiete  f)at  er  fi($  wirflic^  SSerbienfte  erworben  unb 
auf  ba§  Sob  eines  geiuiffentiaften  nnb  fd^arf finnigen  gorfi^erS  Infprud) 
gu  nta(^en.  ^m  ganzen  ift  aber  bod;  fein  ©tanbpnnft  wie  feine  Se= 
gabung  3U  befd;ränft,  a(§  baB  fid;  eine  burd;greifenbere  (ginroirfnng  auf 
ben  @ang  ber  bentfd;en  ^f)iIofop^ie  von  if)m  I)ätte  erwarten  laffen. 


5.  'Bä^optnljantv, 

ein  weit  reid;erc§  unb  glän^ettbereS  Talent  ift  2Irtf)ur  (5d)o  = 
peniiauer  au§  ©an^ig  (1788—1860),  ber  ©o^n  ber  be!annten  @r= 
5äf)(crin.  ©d^openf)aner  war  ein  3Kann  t)on  ungewö^nlid^er  S3egabung 
unb  üietfeitiger  S3ilbung;  unb  wenn  er  als  ©d;riftftelfer  eine  l)eroor= 
ragenbe  6tene  in  ber  p^ilofopl)if(^en  Literatur  einnimmt,  fo  war  er  aud^ 
gur  pl)ilofop^ifd;en  gorfd^ung  burc^  bie  Schärfe  feines  ©enfenS  wie 
burd)  bie  Jlraft  feiner  2lnf($aunng  entfd)ieben  befäl)igt.  3Benn  er  ni(^tS= 
beftoweniger  mit  S3enefe  baS  ©c^icffal  getl)eilt  'i)at,  ba§  er  lange  3eit 
faft  unbead;tct  blieb,  unb  baB  fi<^  tl)m  bie  2lufmerffamfeit  crft  gegen 
baS  @nbe  unb  na^  bem  @nbe  feines  SebenS  allgemeiner  unb  eingel)en= 
ber  äuwanbte,  fo  liegt  ber  @runb  bauon  tlieilweife  allerbingS  in  bem 
eigentljümlid;en  (El)arafter  feiner  ^^ilofopl)ie  unb  iljrem  ©egenfa^  gegen 
bie  l)errf(^enbe  ^enfweife,  nid^t  jum  lleinften  ^l)eil  aber  and^  in  feiner 
^erfönlid^feit  nnb  feinem  perfönlic^en  ^^erl^alten.  So  tief  fein  wiffen= 
fd;aftlid;eS  ©treben,  fo  lebl)aft  fein  ©efü^l  für  baS  ©d;öne,  fo  anSge= 
bilbet  fein  @efd;ma(f,  fo  ftar!  ber  ibeale  3«9  fß'i^cr  9ktur  ift,  fo  um 
bänbig  ift  anbererfeitS  feine  ©innlic^feit ,  fo  maBloS  feine  ©elbftüber- 
fd;ä^nng  unb  ©elbftanpreifnng,  fo  fleinlid^  feine  ©itelfeit,  fo  brennenb 
fein  @l)rgcij,  fo  rüdfid;tStoS  feine  @elbftfud;t.  llnfäl)ig,  ■uon  fid;  felbft 
äu  abftral)iren,  nnb  fid)  burd^  bie  2Biffenfd;aft  über  bie  eigenen  ©c^wä- 
d^en  ergeben  ju  laffen,  überträgt  er  alle  2ßiberfprüd)e  unb  ©rillen  feiner 
lannenl)aften  Statur  in  fein  6t)ftem;  jcbc  wiffeufdjaftlid^e  Ginrebe  unb 
jeber  Erfolg  eines  gleid^^eitigen  ^^l)ilofop^en  erfd;eint  il)m  als  ein  2ltten= 
tat  auf  feinen  eigenen  9hil)m,  erregt  feinen  nnoerfölinlid^en ,  in  leiben= 
fd;aftlid;en  ©d;mäl;ungen  fid;  ergie^euben  §aB;  unb  ftatt  bie  ©tellung, 
ju  ber  er  fid;  beredjtigt  ^jlaubt,  in  gcbulbiger  Slrbeit  jn  erringen,  jie^t 
er  fid^,  nad)  t)orübergel)enbcn  unfteten  2lnläufcn  ju  einer  afabemifd;en 
Xl)ätig!cii  in  ^Berlin,  feit  1831  nad;  ^ranffurt  a.  W.  in  bcn  <Sdjmoll= 


^crfönltc^!ctt  unb  ©tonbpunft.  703 

roinfel  gurütf.  53ei  einem  fotcf;en  3?erf)atten  ift  e§  nic^t  5:1  üerraunbern, 
boB  er  bie  2lnerfenniing ,  weld^e  er  fanb,  nidjt  früher  gefunben  l^at. 
Slber  rate  rtel  er  immer  gefefilt  ^aben  mag,  bie  @efd;id^te  ber  ^f)i(o= 
fopf)ie  barf  if)n  nid^t  übergeben,  unb  follte  [ie  oud^  be§  einfeitigen,  un= 
gefnnben  nnb  raiberfprec^enben  noc^  fo  oiel  bei  i^m  aufpjeigen  §aben, 
für  nnbebeutenb  mirb  fie  il)n  nic^t  erftären  fönnen. 

©d;openf)auer§  ^fiitofop^ie  ift  ba§  ibealiftifd^e  ©egenftücf  ju  §er= 
bort'S  SiealifmuS.  S3eibe  gc^en  junäd^ft  üon  J!ant  an^5;  beibe  finb 
burd^  gid;te'§  ©d^ute  l^inburdfjgegangen,  ber  eine  in  ^ena,  ber  anbere 
in  Berlin;  beibe  finb  oon  ifim  fo  wenig  roie  ron  ©c^etting  nnb  §egel 
befriebigt,  unb  moden  auf  fontifdjer  ©runbtoge  ein  neneS  ©yftem  auf= 
füfiren,  bie  ßonfequenj  be§  fantifd;en  triticifmuS  rid^tiger  jiefien.  Slber 
in  if)rer  2tuffaffung  J?ant'§  unb  in  iE)rer  2lnfid;t  über  ba§,  roa§  jn 
feiner  ^Berbefferung  ju  t^un  fei,  gef)en  fie  nad^  entgcgengefel^ten  (Seiten 
auSeinanber:  raa§  ber  eine  aU  fein  f)öd^fte§  5>erbienft  preift,  erfd^eint 
bem  anbern  a(§  feine  größte  <Bd)mää)e;  unb  wenn  fid^  ^erbart,  um 
bem  fic^te'fd;en  ^bealifniuS  gu  entget)en,  ju  Seibnia  unb  SBolff  jurüdf^ 
menbet,  fo  roill  ©d^openl;auer,  fo  mcntg  er  felbft  bieg  aud^  SBort  ^at, 
fo  ge^äffig  unb  geringfd^ä|ig  er  über  gierte  urtf)ei(t,  biefen  ^beaüfmuS 
bod^  nur  üerbeffcrn  unb  ergönsen.  2öie  aber  ^erbart'S  9tealifmu§  in 
^beatifmuS  timfdjlug,  fo  fd;lägt  @d;open§auerg  ^bcolifmu^,  roie  roir 
finben  werben,  in  einen  faxten  9iealifmu§,  einen  moterittliftifd;en  ^an^ 
t§etfmn§  um,  über  beffen  ^rofttofigfett  fid;  ber  ^fiifofop^  nur  burd^ 
bie  9lefignation  ber  SBeltoeradjtung  ju  ert)ebcn  roeig. 

%{§>  bie  ©runblage  feinet  <Si)ftem§  bejeic^net  ©d^openfianer  felbft 
ben  fantifd^en  i!riticifmu§,  beffen  epod;emadjenbe  Sebeutung  auf's  ^öd;fte 
t)on  i^m  gecübmt  wirb.  Üaut'S  größtes  33erbienft  ift  aber,  roie  er 
fagt^),  bie  Unterfd^eibung  ber  (grfd;cinung  com  S)ing  an  fid;.  2BoS 
fd;on  ^(oto  unb  ©eScarteS,  Sode  unb  33erfe(ei)  in  unuoüfommener  2öeife 
erfannt  Ratten,  ha^  bie  ganje  objeftiüe  SÖelt  nid;ts  anbereS  fei,  als 
©rfdjeinung  ober  SSorfteEung,  baS  l)at  er  erft  mit  uoffer  Älarlieit  unb 
©id^er^eit  für  immer  feftgefteüt.    ©d;openl)auer  feinerfeitS  finbet  biefe 

1)  2)ie  SOBelt  a\8  Siüe  unb  SDvfieQung  3.  Shift,  I,  494  u.  0.  STuf  biefe§  ^aupt 
mxt  ©d)open^aiier§  besiefien  fic^  im  folgenbcn  bie  oljne  ireitere  «eseidjniing  gege-- 
bencn  Sttotc,  bereit  mir  aber  md)  (Srbmann'g  eiiige^enbeit  9?ad)tüeifuu9en  (@efd;. 
b.  n.  fifil  III,  b,  884  ff.)  ntc^t  inelc  iiöt^ig  311  fein  fc^ieucn. 


yQ4  ©d^openl^Quer. 

llekräeugung  fo  fcl6ftt)crftänbri(^ ,  ba^  fie  faum  eine§  S3enieife§  kbarf: 
aUc§,  v)a§>  uns  iimgicbt,  ift  m§>  mir  al§  SSorftellung  gegeben;  ha§> 
SSorftellenbe,  ober  ba§  ©ubjeft,  ift  bafier  ber  Kroger  ber  SBelt.  2l6er 
^ant'S  ^Begriinbnng  nnb  SluSfnfirung  biefeS  6tanbpnnft§  fiebarf,  wie 
unfer  ^f)itofopf;  QianU,  atigefef)en  üon  aUm,  roaS  im  einzelnen  gegen 
fie  einjniuenben  ift,  einer  boppelten  SBerbefferung.  S)ie  üerfd;iebenen 
apriorifd;en  Ünellen  unferer  ä5orftettungen ,  bie  wir  bei  ^ant  finben, 
muffen  auf  ©ine  jurücfgefüJirt ,  unb  ba§  Dbieft=an=ficf; ,  n)eld;e§  er  in 
ber  fpäteren,  adgemein  angenommenen  S)arftettung  feine§  ©ijftemS  raieber 
cinfc^märat,  mu^  üonftänbig  befeitigt  raerben.  2l(§  apriorifd^e  etemente 
unferer  SSorftelhmgen  nennt  ^ant  neben  ben  reinen  2tnfd)auungen  nic^t 
weniger  al§  groölf  tategorieen,  üon  benen  eine,  bie  ber  SBec^felwirfung, 
ofmebie^  „ein  wahres  3Jionftrnm  ift",  unb  bann  nod;  bie  tranfcenben^ 
tale  ©i;ntt)efiS  ber  @inbitbung§fraft,  ben  ©djematifmuS  ber  reinen  SSer-- 
ftanbcSbegriffe  u.  f.  w.  ©c^opent^auer  fud;t  gu  jeigen,  ha^  alle  biefc 
SorfteaungSformen  auf  eine  einzige,  unb  aUe  3SorfteIInng§gefe^c  auf 
©ineS,  ben  ©a^  üom  ©runbe,  surüdtommen.  S)iefer  ©al^  nämlii^, 
beffen  Xlnterfud;ung  ©d;open^auer  fd)on  feine  erfte  ©djrift  ^)  geroibmet 
()at,  brüdt  if)m  äufolge  (II,  IG)  „bie  mefentlid;e  gorm  allcS  DbieftS, 
b.  i  bie  allgemeine  2lrt  unb  SBeife  aHeS  DbieftfeinS"  au§.  ©einem 
attgemeinften  ^nlialt  nad)  fpric^t  er  au§,  baB  atte  SSorfteaungen  in  einer 
gefe|mäf3igen,  ber^^orm  nad)  a  priori  beftimmbaren  ^'erbinbung  fte:§en; 
im  befonberen  fteHt  er  fid;  unter  einer  üierfad^en  gorm  bar :  al§  @runb 
be§  ©eins,  beS  SBerbenS,  beS  ©rfennenS,  beS  ^^anbelnS.  SBir  erlialten 
ben  @runb  beS  SBerbenS,  inbem  mir  gu  jeber  3?eränberung  eines  3u= 
ftanbeS  eine  anbere  als  il)ren  (55runb  ^in^ubenfeu.  ©in  foldjer  ©runb 
ift  eine  IXrfadje,  baS  ^erl)ältni^  ämifdjen  i^m  unb  feiner  golge  ift  baS 
ber  ßaufalität.  ®aS  @cfcl3  ber  eaufalität  gilt  ba^er  üon  allen  SSer-- 
änberungcn  oljue  SluSnalime,  oon  allen  @rf($eimtngen;  eS  gilt  aber  auc^ 
nur  t)on  i^nen  unb  läf3t  fic^  über  fie  l)inauS  nid;t  anroenben.  S)urd; 
feine  3tnTOenbung  auf  bie  ©mpfinbungen  er^lten  mir  bie  SSorftettung 
ber  Dbjefte ;  biefe  Slnracnbung  erfolgt  aber  in  unmittelbarer  2i>eife,  nid;t 
burd;  ©d;lüffe,  fonbern  burd;  2Infd;auungen.  S)aS  5>ermögen  biefer  an^ 
fdjauenben  ©rfenntniB/   bie   fubjcftioe  Duelle  ber   (Saufalität  unb  ber 


1)  llc&ev   bie   üievfadje    SBiirscl   be§    @a^e§    toom   äuvcirfjeubcn   ©ntnbe    1813; 
2.  Sdifl.  1847.  3.  ?Iuf(    18(U. 


S)te  SBert  al§  5?orfter(ung.  705 

DB|eftit)ität ,  ift  ber  3Serftonb,  wcld^er  be^^Ift  axiä)  ben  %i)\excn  511= 

gcfcf;rief)en  werben  ntit^,  ba  aud;  fie  bie  3Infc^QUung  ber  DbjeÜe  fiaben. 

S)a§  unyeränberfi(^c  ©ubftrat,  raeldjeS  jebe  ^Seränberung  bc§  3uftonbe§ 

t)oraii0fe|t,  ift  bie  SJiaterie.    S)tc  9)iaterie  ift  ba^cr   angefd;aute  ßaii^ 

falität  imb  fonft  nidjtS;    ber  3J^ater  olifmu§,  uield)er  bo§  ©rfennen  unb 

SBoHen  au§  ber  3Jtaterie  ableitet,    begebt  ben  Söiberfprud) ,   bay  erfcn= 

nenbe  ©ubjeft  jum  ^robuft  beffcn  ju  mad)en,   ioa§  fetbft  nur  burd; 

fein  ©rfennen  eriftirt.    2lnbererfcit§  aber  ift  alle§  25>irf(ic^e  not^wenbig 

materieft  nnb  eine  immaterielle  ©ubftanj  ift  nnbenfbar,  ba  bie  3)iaterie 

bie  ein.^ige  ^orm  ift,  unter  ber  fic^  ein  rairfenbeS,   unb  fomit  and)  ein 

mirftid^e^  barftellt. —  SBenbcn  mir  un§  meiter  üom  ^Serben  junr  ©ein, 

fo  entfpringen   ou»  bem  Sa^  be§  ©runbeS  bie  3(nfdjauungen  be§  9iau= 

me§   unb    ber  3eit,    be^  $ßegiünbetfein§  iebe§   9taumtt)eil^   burc^   bie 

übrigen,    ober   ber  Sage,   be§  ^ebingtfeing   jcbcS^  3eitt]^eil§    burd;    bie 

übrigen,   ober  ber  golge.    2(u§  ber  3citanfd;auung  leitet  6d)open^uer 

mit  i?ant  and;   bie  ^aijl  ah.    —    ©ine   weitere  ^ebeutnng   erplt  ber 

@at^  be§  ®runöe§  brittenS  für  baa  ßrfennen,   ba»   üermittelte, 

abftrafte,  mit  Segriffen  operirenbe  S)enfen.    S)al  3Sermögen  biefeS  S)en= 

fen§  ift  bie  9^  er  nun  ft,  unb  fie  ift,  mie  6($openf)auer  roill,  nur  biefe§; 

fie  fann  bie  r)om  ^erftanb   gelieferten  Stnfdjauungen  oerarbeiten,    aber 

fie  fann  feinen  neuen  ^ntialt  uerfdjaffen,   unb  e§  ift  be^^alb  üerfet)(t, 

wenn  ilant  in  ber  praftifd;en  3Sernunft  eine  felbftdnbige  Duelle  ber  fitt= 

tidjen  33egriffe  fnd)t.    S)ie  Hauptaufgabe  ber  2?ernunft  ift  bie  3Serfnü= 

pfung  ber  Segriffe,  bie  Sifbung  uon  Urt^eilen.    ©ofern  bie[e  nac^  bem 

©ei'etj  hc§>  ©runbeS  erfolgt,  finb  bie  Urt^eite  ma|r,   nnb  ber  @runb  ift 

©rfcnntnif^grunb  ^).     @e^en    enblid;   au§   unferem   Sorfteffen   §  a  n  b ; 

tun  gen    l)eroor,   fo  geigt  fid;  ba§  ©efelj   be§  ©runbe§  al§  @efe^  ber 

9Jlotiyation.    ©in  Wloüv  ift  nämli^  nichts  anbereS  aiä^  eine  burd;'§ 

©rfennen  wirfenbe  Urfadje:    3)totiüation  ift  bie  ßanfatität  yon  innen 

gefel)cn.    Gbenbe§l)alb  mufs   aber  aud)   haS^  @efe|  ber  ßaufalität,   bie 

9^otl)raenbigt'cit   alles  @efd;eljen§,   t)om  |)anbeln  eben[ogut  gelten,   wie 

oon  jeber  Seränberung,   unb   an   eine  2Bitlengfrcil)eit   fann   nid^t   ge. 

bad^t  werben. 

2Bie  nun  ©(^openl)aner  l)iemit  ber  fantif(^en  @rfenntnif3tl;eorie  eine 


l;-2Ba§  bei  biefer  ©elegeiil^cit  mciter  über  bie  toerfd^iebenen  Wirten  be§  (Si-feiiucnS 
itnb  bie  58e^aiibrnufj  ber  eiitseliien  äßi[fenfd)aften  gesagt  luirb,  nmjj  \ä)  übergeljen- 
Reifer,  @effi)i(^te  bet  beutfdien  ^^ilojop{)ie.  4.5 


706  ©c^open'^aner. 

ein^eitüd^e  ©eftalt  geben,  aUe  Slrten  he§>  3?orfteIIen§  auf  ©in  ^rincip 
3urü(Jfü{)rcn  raill,  fo  lüid  er  biefetbe  3ngrei(;^  auä)  con  bem  2Biberfpru(^e 
befreien,  in  ben  ^ant  fic^  feiner  931einung  nac^  baburcf;  oerraitfelt  t)at, 
ba§  er  bie  ßonfequenj  be§  3^ealifmu§  nid^t  tjoöftänbig  3U  gießen,  ba§ 
®ing-an4id^  all  tlrfad;e  ber  ©mpfinbung  nic^t  ju  befeitigen  n3agte; 
TOobei  e§>  für  (5d)open^aner§  eigene  3tnfid)t  gleichgültig  ift,  bo^  i^ant 
biefen  Söiberfpruc^  erft  in  ber  ^raeiten  3lnf(age  feiner  J?riti!  b.  r.  93. 
begangen  laben  foH.  (hierüber  ogl.  tn.  ©.  352  f.)  ®iefe  2lnna|nte 
einer  üon  un§  fclbft  uerfcfiiebenen  Urfad)e  nnferer  ©mpfinbnugen  er= 
f($eint  @d;openl)auer  (I,  516  n.  a.  @t.),  roeld^er  l)iebei  felbft  an  ben 
„2lenefibemu§"  feines  £el)rer§  @,  @.  ©djulge  (oben  ©.  469  f.)  erinnert, 
fd^on  beB^alb  burdjauS  nnftatt^aft,  weil  fon)ol)l  bie  ©mpfinbnng  felbft, 
aU  ba§  6aufalität§gefe|,  nad)  bem  wir  üon  i^r  anf  ha§  ®ing  fdjtie^en, 
blo§  fnbieltiyen  UrfprungS  feien,  unb  nn§  mitl)in  über  ben  UmlreiS 
unferer  3SorfteIInngen  nid;t  |inau§fü{)ren.  S)ie  ganje  objeftioe  SBelt  ift 
alfo  in  biefen  ^rei§  eingefc^loffen,  fie  ift  ©rfd^einung,  ift  SSorftettung 
unb  fonft  nid;t0. 

2Bol)er  nun  aber  biefe  (grf($einung?  roo^er  ^ben  wir  bie  Söelt 
als  eine  in  unferer  3SorftcIlung  gegebene,  ober  raa§  baSfelbe,  roo^er  liaben 
roir  unfere  3Sorftettung  ber  Söelt  abzuleiten  ?  2lu§  bem  ^ä),  liatte  gierte 
geantwortet,  unb  e§  ift  fdjwer  gu  fagen,  ma§  fid;  anber§  antworten 
laffen  foll,  wenn  ber  <B^lu^  t)on  ber  @inne§empfinbung  auf  eine  üon 
un§  felbft  üerfd^iebene  llrfad;e  berfelben  fo  unftattliaft  ift,  wie  ©d^open^ 
liauer  betiauptet.  S)iefer  felbft  jebod^  räumt  bieB  nic^t  ein.  2Benn  and; 
J?ant'§  Slbleitung  beS  3:ing=an=fid;  üerfel)lt  fei,  fo  fei  boc^  bie  Slnerfen-- 
nung  eine§  folc^en  §ur  gegebenen  ©rfd^einung  notl)wenbig;  unb  ftatt 
beffen  mit  gid;te  ba§  ^ä)  jum  @runb  ber  ßrfd;einung  3U  mad;en,  ba§ 
Dbjeft  aus  bem  ©ubjeft.  lier^uleiten,  fei  ganj  unzuläfsig.  ?^id^te  fomme 
5U  biefer  2lnnaf)me  nur  baburd;,  ha^  er  ben  @a|  üom  @runbe  auf 
baS  3Ser|ältni§  bcS  DbjeftS  jum  ©ubjeft  anwenbe,  wä^rcnb  biefer  ©a^ 
bod;  adein  in  ber  Grfd;einung  gelte,  unb  baS  innere  SBefen  ber  Söelt, 
baS  S)ing-an4idj,  nimmermehr  an  feinem  Seitfaben  gefunben  werben  !önne 
(I,  517.  38  f.).  ®aS  le^tere  ift  nun  freilid;  eine  feltfame  S3e|auptung: 
foll  überl)aupt  von  ber  (Srfd^einung  ju  il)rem  ©runbe,  il)rem  Söefen  unb 
il)vcn  llrfad;en  yorgebrungeu  werben,  fo  fann  biefj  nid^t  anberS  als  nad; 
bem  ©efe^e  beS  ©runbeS,  biefem  ailgemeinften  5Dcufgefc^e  gefc^c^en,  auf 
bem  jcber  ©d)luf3  von  ber  aöirfung  auf  bie  llrfad;e  beruht,    ^e  fd^wäc^er 


S)a§  Slnftc^  ber  ®ingc:  ber  Sitte.  707 

inbeffett  biefer  ©inwurf  ift,  um  fo  weniger  unterläBt  e§  ber  ^^ilofopf), 
fein  ©eraid^t  burd;  bie  fieftigften  SlnSfätte  onf  bie  ^^erfon  feines  SSor- 
gängerS  gu  »erftörfen ;  jo  er  fd^ämt  fid^  nid^t,  gerabe^in  ju  bef)anpten, 
gid^te  fiabe  Äant  bto§  be§§a(b  mi§uerftanben,  weil  e§  if)m  nid^t  um  bie 
SBa^rfieit,  fonbern  nur  um  STuffefien,  jur  S3eförbcrung  feiner  perfönlid;en 
^mecfe,  ju  tf)un  geroefen  fei,  t)on  ©ebanfentofigfeit,  ^o!u§pofu§,  un-- 
finnigem  SBifi^iwafdji  u.  bgl.  gu  reben.  216er  gerobe  meil  er  jebe  ©elegen^ 
f)eit  benü^t,  um  feinem  SBiberraiflen  gegen  ben  Urfieber  ber  2Biffenfd;oft§= 
Iet)re  in  fold;en  ungeredjten  unb  tprid^ten  ed^mö^ungen  fiuft  511  mad^en, 
liegt  bie  35ermutt)ung  nur  um  fo  näfier,  biefe  [eibenfd^aftlid;e  ©erei^t^eit 
ftamme  neben  anberem  mefentüd^  aud^  au§  ber  SSerlegeufieit,  in  ber  er 
fid^  befinbet,  fid;  ber  Gonfequen^  be§  fidjte'fc^en  i^beoliimuS  ju  ent^iefien, 
nac^bem  er  bie  gJrömiffen  beSfelOen  eingeräumt  f)ot. 

©0  entf(^ieben  fid;  aber  unfer  ^(;i(ofopf)  bagegen  fträubt,  im  ^ä) 
ol§  folc^em  bag  Slnfid^  ber  Singe  ju  fe§cn,  fo  unbebingt  räumt  er  ein, 
baB  nur  unfer  ©etbftberau^tfcin  über  baSfelbe  Stuffd^Iufi  geben  fönne. 
Unter  ben  Singen,  roeldje  in  ifirer  ©efammtfieit  bie  SBelt  bitben,  ift 
eines,  ha§>  für  unS  eine  gonj  eigentf)üm(idpe  33ebeutung  ^at.  Unfer 
fieib  ift  uns  nid^t  btoS  ats  SSorfteUung  gegeben,  mie  aüe  onbern  Dbjefte, 
fonbern  ^ugleid)  auf  eine  ganj  anbere  SBeife,  „nämlid^  als  jenes  jebem 
unmittelbar  befannte,  melc^eS  baS  SBort  aöille  be5eid^net."  Unfer  Seib 
bewegt  fid;  auf  9)?otiüe,  in  golge  uufereS  SßiEenS,  unb  umgefe^rt  ift 
jeber  SöiUenSaft  jugleic^  eine  leibtidje  Bewegung,  unb  jebe  ©inmirfung 
auf  ben  Seib  unmittelbar  aud^  Ginmirfuug  auf  ben  SBitten:  menn  fie 
it)m  surciber  ift,  @d;mer3,  wenn  fie  i§m  angemeffen  ift,  2^ottuft;  bie 
(grlenntni^,  bie  mir  oon  unferem  Söillen  l)aben,  läBt  fid)  üon  ber  unfereS 
SeibeS  nic^t  trennen,  mir  fönnen  unS  jenen  oline  biefen  „eigentlid^  nid^t 
üorftcEen."  Ser  Selb  ift  ber  objeftiüirte,  in  hie  2rnfd;auung  getretene 
3Biae,  ober  rate  @d;open^auer  fagt,  bie  „Dbjeftität"  beS  SBillenS.  ^n 
unferem  Seibe  ift  unS  baf)er  jugleic^  unfer  Söitte,  unb  im  Söitten  ift 
uns  §unäd)ft  für  unfer  eigenes  SBefen  baS  gegeben,  roaS  ber  ©rfc^einung 
als  ii)x  2lnfic^  ju  ©runbe  liegt.  Sa^  alles  bieB  freilid;  mel)r  behauptet 
als  bemiefen  ift,  fann  @d^openl)aner  felbft  fid^  nid^t  verbergen;  unb  fo 
l)ilft  er  fic^  benn  (I,  122)  mit  ber  SluSfnnft,  bie  bei  einem  ^acobi  gan^ 
in  ber  Drbnung  märe,  bie  e  r  aber  einem  anbern  fd^merlid^  b^nö^^en  lie^e : 
bie  Sbentität  beS  SßillenS  unb  beS  SeibeS  fönne  nur  nac^gemiefen, 
b.  f).  aus  bem  unmittetliaren  ^erou^tfein  ^nm  SBiffen  erhoben,  aber  niemals 

45* 


708  @c^opent}auer. 

6  e  tote  fett,  b.  If).  ait§  eitter  attbertt  iitititittetbarerett  ©rfetttitttt^  abge« 
leitet  tüerbeit,  toeit  fie  felbft  bte  tttttttittel&arfte  fei.  5öetttt  biefe  9ttt§fuitft 
geltett  foüte,  ntüf5te  [ie  uttferer  3üiffafftmg  ber  3ln§etttt)elt  ebettfo  ?iugtttc= 
fotttiitett,  tüie  ber  uitfereS  eigettett  Seibe§,  bctttt  jette  erfd)eittt  tm§  fo  gttt 
tt3ie  biefer  aU  etiuaS  tttttitittelbar  gegebette§.  Slder  toal  Iiere(^tigt  beti 
^^f)tlofopf)ett  überl^attpt,  qu§  beut  ^u^'aiTttiteitftattg  be§  Seilie§  mit  bettt 
91U.IIett  eitte  ^betttität  beiber  311  tnadjen?  unb  luanitit  foH  e§  ttur  berSBille 
feitt,  ber  itiit  beut  Seib  ibentifd)  ift,  uttb  ttic^t  ebett^ogtit  atid}  ba§  oorftetlcnbe 
Söeiüu^tfeitt  ?  Uitfer  5Deitfen  ift  ttttS  bocf;  ebcttfo  uttntittelbar  befattttt,  ebcttfo 
eitte  Stf)atfad)e  be§  ©elbftbetou^tfeittS,  toie  uttfer  SBolIett;  bie  förperlic^ett 
Slffeftiotteti  tt)erbett  iitt§  ebettfo  gu  ©ititteSeittpfiitbitttgctt,  wie  311  <Bä)mexy' 
tittb  ßitftgefüf)(eit,  ba§  SBeniu^tfeitt  ift  ebettfo,  toie  ber  Söilfe,  att  bett  Seib 
gebuttbeit,  uttb  e§  tüirb  ttitS  gleid^  fd)tt)er,  itn§  uttfer  benfeubeS  löie 
unfer  toolleubeg  ^ä)  of)ne  ben  ßeib  üorjuftetten.  3öeun  utt§  enblid;  ber 
^f)i(ofopf)  uerb'etet,  an§>  unfent  ©tttpfiubungeu  auf  bie  5Dinge  ju  fc^Iie^eu, 
unb  toeun  er  biefe§  Verbot  au^brüdlid^  au(^  auf  ttuferu  eigenen  Seib 
ttu§bet)ttt,  au(^  biefen  für  blo^e  ©rfdjeinung,  blo^e  SSorfteffung  erflört: 
giebt  un§  unfer  SBilfe  uttb  unfer  ©efü^I  ein  beffereS  9tedit,  an  feine 
9^eatität  gu  glauben  ?  ©inb  benn  unfere  ®efü{)(e  unb  2Bi(Ien§afte  nid^t 
gerabe  fo  gut,  wie  ttufere  2öaf)rnef)uttiugen  ttnb  ©ntpfinbttngen,  für  fic^ 
genontnteu,  bto§  fubjctoe  ^Sorgänge,  blo^e  53ett)uBtfein§erfc^einungen  ? 
bräugen  ftd;  un§  anbererfeit§  biefe  nid)t  ebenfo  unn)i(Ifübrli(^  auf,  weifen 
fie  nic^t  ebenfo  beftiinmt  auf  äußere  Dbjefte,  unb  junädjft  auf  uuferen 
ßeib,  ben  S3erntitt(er  aller  (gntpfinbting  l^in,  tüie  jene?  5Bo  foH  ba  ber 
Unterfd;ieb  liegen,  ber  nad^  @(^openl)auer  fo  ^iinntelweit  ift,  ha^  ber 
£eib,  TOiefern  er  n)af)rgenontnten  wirb,  un§  nic^t  über  bie  (Jrfdjeinttng  l)in= 
au§fül)rt,  TOiefern  er  beraegt  unb  gefüllt  wirb,  m\§>  im  SBillen  unfer 
innerfteS  SBefen  offenbart? 

SBie  e§  fic^  aber  bamit  t)erl)alten  mag:  ber  ^l)ilofop!^  glaubt  ttitu 
einmal  im  SBiflen  ba§  Stnfid^  be§  3Jlenfd;en  entbedt  3tt  f)aben,  ttnb  er 
beeilt  fid;,  auf  biefem  fünfte  feften  %u^  ju  faffen,  um  t)on  l^ier  au§ 
auc^  ba§  2ßefen  ber  9Bett  ju  bcftimmen.  S)a§  erfennenbc  ©ubjeft,  fagt 
Cr  (I,  123  f.),  ift  bnri^  bie  ^e^ieliting  atif  ben  ®inen  mit  feinem  9Bi(Ien 
ibentifc^en  Seib  ^nbit^ibunm.  3)a  aber  abgefe^en  t)on  biefer  ^eaiclittng 
jener  Seib  eine  S[^orftellung  ift  gleich  allen  anbern,  fo  muB  ba§  crfcnncnbe 
^ubiuibuttm  entmeber  annel)mcn,  baf^  biefer  fein  fieib  allen  anbern  Dbjeften 
gteicbortig,  tmb  itttr  fein  inbiüibtielle§  3L^erl)ältnif3  3U  betnfelben  t)on  bem 


S)er  iffitöe.  709 

p  jenen  oerfd^ieben  fei;  ober  bafe  et  oon  allen  anbeni  iüefent(i(^  t)ei-= 
fd;ieben,  ha^  er  aüein  augleid;  SBille  unb  S^orftellnng  fei,  bie  anbeni 
bagegen  blofee  ^orftellung,  b.  i).  blo^e  ^^t)antome  feien,  ba§,  mit  onbei'en 
2Borten,  nacf;  ber  Slnnatinie  be§  „tl)eoretifd;en  ©goifnmS"  fein  Seib  ba§ 
einzige  roivflid;e  ^'^biüibmun,  feine  ^erfon  ba§  einzige  reale  ä^efen  m 
ber  3Belt  fei.  Sä^t  fic^  nun  aber  auc^  biefe  legiere  Slnna^ine  burd^ 
^eiueife  nimmernie{}r  wiberlegen,  fo  förtnte  fie  bod;  „ai^  ernftlid;e  lleber= 
jeugung  allein  im  3:oUl)aufe  gefunben  werben".  SBir  finb  batjer  bered;iigt, 
aud;  alle  anbern  Dbjefte  nad;  2(nalogie  unfereS  ^eihe§>  ju  beurt^eilen  unb 
an^unetjmen,  ba§  fie  alle,  raie  biefer,  il;rem  innern  SBefen  nad;  gleidjfall^ 
äBilie  feien,  ha^  fomit  alles  feinem  äöefen  nac^  äöille,  ba^  ber  2Bille, 
unb  er  allein,  ha§>  Slufid;  ber  ©rfc^eiuuug,  bie  SBirflic^feit  ber  SÖelt  fei. 
S)ie  53ünbigfeit  biefer  ©ebuftion  foU  nun  {)ier  nid;t  eingel)enber  ge^ 
prüft  werben.  @§  foU  nid;t  unterfud)t  werben,  ob  bie  23iffenf(^aft  fic^ 
nid)t  ein  Slrmut^i^^eugni^  au^ftettt,  wenn  fie  erflärt,  eine  S(nnat)me  fönnte 
gwar  nur  im  2olll)au§  üorfommcn,  aber  fie  laffe  fid;  nic^t  wiberlegen ; 
ob  anbererfeitö  biefe  tolll)äuglerifd^e  2(nnat)me  nid)t  au§  beu  ^el)aup= 
tungen,  roeld)e  unfer  ^liilofopl)  felbft  aufgeftellt  l)at,  fid)  mit  logifc^er 
9{otl)iuenbigt'eit  ergeben  mürbe.  9iur  auf  beu  bebentlid;eu  ©prung  will 
iä)  aufmertfam  mad^en,  ben  er  fid;  erlaubt,  wenn  er  barauS,  bafe  unfer 
i^eib  nid^t  baS  einzige  oon  einem  SBillen  befeelte  Objeft  ift,  nun  fofort 
fc^lie^t,  alle  Dbjefte  muffen  oon  einem  SSiilen  befeelt  fein.  @§  ift  ein 
bur^auS  falfd;eg  ©ilemma,  baS  er  aufftellt:  entiueber  finb  mir  allein 
SBille,  ober  aüeS  ift  SBiUe.  e§  ift  ja  auc^  ber  britte  %a{l  bentbar,  ba^ 
e0  au^er  un§  ^roav  uod;  weitere  wolleube  Söefen  in  ber  Sßelt  giebt,  neben 
biefeu  aber  aud^  fold;e,  bie  be§  äöollenS  unföl)ig,  burd)  i?räfte  anberer 
Slrt  beftimmt  werben;  unb  gerabe  biefe  britte  2innat)me  ift  e§,  ju  ber 
fidj  bis  auf  ©d;opeul)auer  jebermanu  ol)ne  2luSnal)me  befannt  l)atte.  S)ie 
Seidjtigfeit,  mit  ber  biefer  an  berfelben  uorbeiget)t\),  wirft  ein  eigenttiüm' 
lid;e»  iiic^t  auf  bie  wiffenfd^aftü(^e  Urnfid;t  unb  @rünblid;teit  beS  ^^i- 
lofopl)en. 


1)  Siujiev  bem  SBißeu  unb  ber  il^orfteEuuij ,  fa^t  er  (1,128),  fei  uitsJ  gar  uic|tä 
befannt,  nod)  benf&ar,  wir  fönnen  ba^er  eine  anbenueitige  Steaütät,  nm  fie  ber  ^  örper= 
irelt  beijutej-jen,  nirgenbS  finben.  'S)aö  l}ei§t  aber  bod)  nnr:  anr  muffen  bie  @rfd)et-- 
nnni]en  aufier  um  anf  eine  Urfad)e  beifetben  Hvt  snriicEfiUiren,  \vk  (naä)  ©d)üpent)aner) 
bie  nnfereö  eiijenen  (eibUd)en  XiafeinS,  auf  beu  9Bificu;  luomit  baß,  \va?i  itnterfud^t 
unb  beiüiefen  werben  mü^te,  eiufad)  bel^anptet  mxb. 


710  ©d^opeu^auer. 

5Do(^  f)ören  roir  iJ)n  weiter.  S)er  SBitle  fott  ba§  2(nfi($  aüer  S)inge, 
ba§  innerfte  SSefen  ber  ganjen  Sßett  fein.  2l6er  ber  ©injehüitte,  ber  he- 
lüu^te  uiib  perfönlic^e  SBille,  fatm  bie^  nidjt  fein.  Unter  bem  Sßilten 
foU  üietmel^r  in  biefem  3ufammen§ang  etroa;!  aligemeinereg ,  bie  gan^e 
(S^attnng  uerftanben  werben,  oon  TOeld;er  ber  menfdjtidje  Söille  nnr  bie 
un§  befanntefte  (Srf($einung  fei.  2l6er  bod^  üerroafirt  iid)  Schopenhauer 
bogegen,  ba^  bem  53egriff  be§  SBiUenl  ein  anberer,  etroa  ber  ber  Ä'raft, 
fubftituirt  roerbe;  er  erftärt  oietmefir  auiSbrüdlic^,  biefe  muffe  üielmet^r 
auf  jenen  ^urüdgefü^rt,  jebe  £raft  in  ber  SZatur  muffe  a(§  SBiUe  gebadet 
werben,  äßenn  bal)er  Schopenhauer  ben  SBillen  gum  äßeitprincip  mad^t, 
fo  ^at  biefer  S3egriff  bei  ii)m  unoerfennbar,  mie  bie^  anä)  nic^t  anberä 
fein  fonnte,  etroaio  smeibeutigeö  nnb  fd^raan!enbe§.  (SinerfeitS  mu§  er 
t)on  bem,  xoa§>  mir  au§  unferer  Selbftanfd^aunng  als  SBiUe  fenneu,  fo 
üiel  abjiet)en,  baB  eS  fid^  fragt,  mit  iüeld;em  9ie(^t  ba§,  ma§  übrig 
bleibt,  nod^  fo  genannt  wirb ;  anbererfeitS  behält  er  aber  oon  ben  @igen= 
fd^aften  be§  menfd^lid^en  2ä>iHen§  no(^  genug  übrig ,  um  ben  3ii^eifel 
äu  red^tfertigen,  ob  ber  3^atur  bamit  nii^t  mcnfdjlid;e  Slbfidjten  unb  53e= 
meggrünbe  unterfc^oben  werben.  9tad^  jener  ^egiefiung  wirb  un§  gefagt, 
berSBiÜe  fei  alä  S)ing^an:^fid^  üon  feiner  ßrfdjeinung  gän^lid^  üerfd;ieben; 
er  ftetie  nid^t,  wie  biefe,  unter  bem  ©a^  be§  @runbe§  unb  bem  ®efe| 
ber  ßaufa(ität,  er  fiabe  ba^er  aud)  weber  Qweä  nod^  SJZotiu;  e§  fei  in 
i^m  feine  SSiel^eit,  fo  un3ät)(ig  aud)  feine  ©rfd^einungen  feien,  unb  feine 
^nbiüibuaütät,  benn  nur  im  9iaum  unb  in  ber  3^^^  entftefie  bie  ;3nbi= 
uibualität  unb  ebenbamit  aui^  bie  SSielfieit;  er  allein  fei  has^  ©wige  in 
un§,  weld^eS  ben  Untergang  bei  ^ewu^tfeinl  überbaure,  wäl)renb  ber 
igntelleft  fo  üergänglid^  fei,  wie  ba§  @el)irn,  au§>  bem  er  entfpringe ; 
er  wirfe  nid^t  blol  bewußt,  wie  im  3)Zenfd;en,  fonbern  aud)  inftinftiy, 
wie  in  ben  Äunfttrieben  ber  Siliere,  unb  blinb,  wie  in  ben  leblofen 
Äörpern,  unb  feine  einzelnen  SleuBernngen  werben  nid;t  allein  burd) 
3Kotiüe,  fonbern  aud)  burd)  steige,  unb  bei  ben  unorganifd)en  SBefeu 
burd)  bloBe  Urf ad)en  in  93ewegung  gefegt;  er  bürfe  nid)t  bloS  nid^t  als 
©ottl)eit,  fonbern  aud)  niä)t  aU  äBeltfeele  gebad)t  werben,  benn  bie  ©cele 
bejeid^ne  nur  bie  inbioibuetle  (Einl)eit  beS  53eu)ui3tfeiU'3,  bie  i^m  nid^t 
gufomme,  ber  33egriff  ber  @ottl)cit  aber  eyiftire  für  bie  ^l)ilofopf)ie  über== 
^aupt  nid)t,  unb  fie  fönne  infofern  aud^  nid)t  ^autlieifmuS  fein  wollen: 
benn  nur  ber  2ltl}eifmu§  gilt  gd)opeu^auer  für  confequente  ^^§ilofopf)ie, 
im  ''|santl)eifuiu!3  ftedt  i^m  immer  nod)  ju  yiel  uom  3:l)eifmuS.    2;ro^bem 


Xet  2Biae.  711 

luerben  aber  bod^  ade  2leu§erungeu  ber  3fiaturfräfte,  tnl  ouf  bie  <Bd)wexe 
f)era6,  al§>  ein  rairfüc^eg  SBoffen  bet)anbelt;  ber  3)rang,  tüeldjcr  bie  @e= 
lüäffer  in  bie  S:iefe,  beu  5IRagnet  md)  bem  S^orbpot  fiiuaie^t,  wirb  in 
bic^ter lieber  ed^ilberung  (5.  S.  I,  140)  mä)  ber  Slnalogie  bei  menfd^^ 
liefen  ^anbelnS  gebeutet,  bie  Qualität  ber  ©toffe,  bie  @igcntf)üm(idjfeit 
ber  ^ftanjen  unb  X'^kxe,  wirb  ebenfogut,  wie  ber  ©^arafter  be§  33tenf^en, 
nad;  2In(eitnng  bei  fantif^en  5]3räbetcrminifmu§  (oben  ©.  369  f.),  \nx 
bie  unmittelbare,  urfprüngüc^e  unb  burd^  feine  anbenyeitige  Ur[ad)e 
bebingte  ßrfc^einung  eine§  ^ntedigibetn,  einel  au^er^eitüd^en  uutf)ei(baren 
2Öiaen§afte§,  unb  ebenbe^fiatb  für  eUva§>  unbegreifUd^el  unb  grunblofe«, 
eine  qualitas  occulta,  erflärt  (I,  154  f.  185  f.  u  ö.);  unb  fo  wenig 
bie[er  JÖiÜe  in  ber  3^atur  nad^  ^wed begriffen  wirft,  fo  wirb  t^m 
hoä)  eine  3wedtf)ätigf  eit  beigelegt,  unb  el  fo(I  nid;t  aKein  im  Drga= 
uifmuö  (wie  bie^  ©d^open^auer  nad^  ^ant  fd;ön  unb  tieffinnig  au§füf)rt) 
buid;  bie  notf)wenbige  gcgenfeitige  53e5ief)ung  unb  2(bf)äugigfeit  aüer  feiner 
2:f)ßile  bie  @inf)eit  bei  f^öpferifdjeu  äÖiUenl  ]id)  in  innerer  3«5^''ii"öfeig= 
feit  offenbaren,  fonbern  anä)  im  ^Ner^ltniB  ber  üerfd;: ebenen  9laturge= 
biete  eine  äußere  ^^üedbc^iefiung  bei  einen  auf  t)a§>  aubere  ftattfinben, 
fo  ba^  //Uidit  nur  jebe  €peciel.fid;  nad;  bcn  üorgcfunbenen  Umftänben 
bequemte,  fonbern  biefe  in  ber  3^it  uortjergegangenen  Umftänbe  fclbft 
ebenfo  9tüdfid;t  nafimen  auf  bie  bereinft  noc^  fommeuben  2Befen."  (1, 182 
ff.  II,  373  ff.)  SBirb  bod^  ber  :^iatur  (wie  in  ber  wiberwärtigen 
unb  üerfd;robeuen  2lu§einanberfetuing  II,  641  ff.)  fclbft  ein  3.öäf)ten 
bei  fleineren  üon  §wei  Uebeln  unb  eine  für  biefen  ^wcd  vorgenommene 
Irreleitung  bei  ^^ftinftl  jugefi^rieben.  SBo  irgenb  bie  3Raturfor|d;ung 
ober  ber  ©laube  ber  SSölfer  bie  ^taturfräfte  perfonificirt,  bem  Seblofen 
3^eigungen  unb  2(bneigungen,  Segierbe  unb  ©treben  beilegt,  ba  fiel;t 
unfer  ^^Nl)iloiopf)  eine  SSoraf)nung  feiner  3}Ietapf)ijfif  unb  eine  Seftätigung 
il)rer  3Ba(;r^eit.  ^a  wäfirenb  bem  menf(^lic^en  Söillen  f)infid;tlid;  feiner 
einzelnen  §anblungen  jebe  grei^eit  abgefprodjen  wirb,  fott  ber  Sßille 
all  fofmifdjel  ^rincip,  unb  infofern  audj  ber  bei  3)ienfd^en,  im  tf)ieri= 
fd^en  aJiagnetifmul,  in  fi;mpatl)etifd^en  .Teilungen  unb  magifc^eu  2ßir= 
fungen  unmittelbar  in  bie  ©ufc^einnnglwelt  f)ereingreifen  unb  unabl)ängig 
00m  ®efe|  ber  (Eaufalität  Grfolge  fierüorbringen,  bie  feine  ©rflärung 
aul  natürlidjen  llrfad^en  ä^itaffen^);  all   ob  ©c^opcnf)auer   nid^t  felbft 


1)  Ueber  ben  SSiUeu  in  ber  ^Jcatur  (1835).  3.  2tufl.  ©.  99  ff- 


712  ®c^Dpen:^auev. 

imääf)liöemate  gefagt  Ijätte,  ba^  alle  ©rfd^eimuKj  bem  @efe|  ber  6au= 
falität  folge,  unb  a(§  ob  nidjt,  biefe^  uomii^gefe^t,  ieueS  irrationale 
Eingreifen  be§  2öi[[en^3  in  ben  Dtatniianf  ber  nacEte  äöibei'fprud)  wäre. 

S)ie  üerfdjiebenen  ©tufen  ber  Dbjeftiüation  be§  2BilIen§,  bie  ewigen, 
nniuanbelbaren,  geit^  nnb  raumtofen  j^ormen  be§  iüec^fe(nben  inbiuibueKen 
S)afein§  finb  ba?,  ma§>  ^lato  bie  ^'i)^^n  genannt  f)at.  S)ie  ®efammt= 
t)eit  biefer  ?5-ornien  bilbet,  wie  bie^  ®cf;elling  rid;tig  erfannt  Ijat  (1,170  f.), 
eine  @tuf enreiiie ,  bie  mit  ben  allgemeinften  Äräften  ber  unorganifd;en 
3Diaterie  beginnt  unb  ju  immer  pl)cren  53  Übungen  auffteigt.  S)a  jebeio 
@(ieb  biefer  9tei(;e  eine  eigentt)ümtid;e  (Erfd;einung  be§  9SiIIen§  ift,  (;at 
jebe§  feine  befonberen  i^räfte ;  fie  mirfen  be^Jialb  gegeneinanber,  iljr  3Ser= 
iiältniB  ift  eine  forttoä^renbe  9leibung,  ein  unauSgefe^ter  J?ampf;  unb 
baljer  bie  Unrul^e  be§  9Zatur(eben§,  bie  gcinbfd^aft  ber  D^aturwefen,  bie 
fi(^  nur  babnr($  erijalten,  ba^  fie  einanber  auf^efiren.  ^^xe  6pi|e  erreid)t 
biefe  ©ntiüidlung  im  menfdjlid^en  Drganifmu^,  ober  genauer,  im  menfd^^ 
lidjcn  ©el)irn.  „9Jlit  biefem  ^ülf^mittel  ftel)t  mm  mit  ©inem  ©d)(age  bie 
Söett  als  SSorfteHung  ba,  mit  allen  if)ren  formen,  Dbjeft  unb  ©nbjeft, 
3eit,  9laum,  ^ielfieit  unb  gaufalität".  S)er  SBiüe  ^at  fi(^  ein  £id)t 
ange^ünbet,  bie  Ueberlegnng  tritt  an  bie  ©teile  beS  ^nftinltS,  3}lotii)c 
an  bie  ber  Wv^e  unb  ber  bloßen  tlrfad;en,  e§  tritt  ebenbamit  bie  Mög= 
tidjl'cit  be§  ;3rrtl)um§  ein.  Slber  and;  bie  ©rfenntnife  ift  urfprünglid) 
nur  ein  Med^anifmu«  gur  Dbjettioation  be§  2öillen§,  unb  faft  in  allen 
a)lenfd;en  bleibt  fie  il)m  fortiüäl)renb  bienftbar.  2ln  eine  empirifd;e 
2Billeu§freil)eit  olmebem  ift,  wie  mir  bereite  miffen,  nid^t  ju  benfeit,  unb 
ber  33cgriff  einer  ©eele,  biefer  „tranfcenbenten  ^ijpoftafe",  „ift  ben 
beutfdjen  3Jlebicinern  unb  ^liyfiologen  ju  überlaffen,  meldte,  uac^bem  fie 
©falpel  unb  ©patel  weggelegt  liaben,  mit  il)ren  bei  ber  Konfirmation 
überfommenen  33egriffen  §u  p|ilofopl)iren  unternel)men"  (II,  223).  ^n 
2Bal)rl)cit  ift  ber  ^ntetlelt  lebiglic^  eine  gunftion  beg  ®el)trn§. 

ßrinnern  wir  unS  nun  t)ier  an  ba§,  wa§>  un§  ber  ^l)ilofop^  im  evften 
%^e\[  feines  ©ijftemS  gclefirt  ^at,  fo  fommen  wir  freilid;  ju  einem  l)i)d;ft 
übcrrafdjenben  (^rgebni^.  SDort  fonute  er  unS  nic^t  briugenb  genug 
einfd)ärfen,  in  ber  ganzen  objeltiüen  SBelt,  unb  yor  allem  in  ber  3)taterie, 
nid;t§  anbereS  ^u  felien,  als  unfere  SSorftclluug.  ^e^t  ermafint  er  unS 
ebenfo  bringcnb,  unfere  ^I^orfteüung  für  nidjtS  anberS  jn  galten,  als 
für  ein  (Srgeugni^  unfereS  @cl)irnS;  nnb  l)ieran  wirb  baburdj  nid^tS  gc^ 
äubcrt,  baf3  bicfeS  fclbft  loeitertjiu  eine  beftimmte  '^-orm  ber  Dbjeftiüatiou 


Sie  Sßelt  al§  SBiÜe.  713 

beg  äöiaeiig  fein  [oU,  beim  lüemi  ber  Mik  biefeö  Organ  nid)t  tieroor^ 
brodele,  fömiten  auc^  feine  ^ovftellnncjen  entftef)en.  Unfer  @ef)irn  ift  aber 
biefe  beftimmte  3Jcaterte,  atfo  nac^  @d;openf)auer :  biefe  beftimnite  ^oi-= 
fteliung.  2ßir  befinben  un§  bemnac^  in  bem  greifbaren  Qixkl,  ba§  bie 
58orfteUnng  ein  gJrobnft  be§  @ef)irn§  unb  ba§  @e{)irn  ein  ^robnft  ber 
ißorfteüung  fein  foU ;  unb  baB  ba§  (entere  biefe  nii^t  nad^  feinem  2lnfid) 
fei,  fonbern  nur  fofern  e§>  uorgefteUt  wirb  (11,294),  ift  eine  leere  2luö^ 
ftud;t:  benn  gerabe  nur  ai§>  3Jtaterie,  alfo  nur  „fofern  eö  uorgefteUt 
luirb,"  fann  t§>  ha§>  förderliche  Drgan  fein,  raeldieS  bie  a>orfteUungen 
erzeugt.  §ier  liegt  baf)er  ein  SBiberfprud;,  für  bcffen  fiöfung  ber  ^f)i= 
lofopl)  auc^  nid^t  ha§>  geringfte  getf)an  f)at. 

e§  erroaiten  un§  aber  noc^  lueitere  lleberrafd^ungen.    S)er  2öille, 

fiaben  n)ir  gef)ört,  ift  ha^^  SBefen  ber  äöelt.    SClfo  wirb  aud;  ber  «knfd; 

fic^,  lollte  man  .meinen,   nur  burd;   reine§  unb  fräftige§  äßoUcn,  nur 

bur^  feine  fittüd^e  Xfiätigfeit,  uon  ber  (Srfd;einung  gum  äßefen  ert)eben. 

Hub  wntliä)  t)atten  \a  Äant  unb  gid;te  biefe  gotgernug  au^  ben  ©ä^en 

gebogen,   in   beiu'u  fid;    ©d;openf)auer   an  fie  anfd)(iefet.     Slber  feinen 

Steigungen  unb   Seben§geiuoI;nf)eiten  ^ätte  bie  männliche  Strenge   unb 

Äräftigfeit  biefer  Moval,   feinem    äftf)etifc^en  33ebürfuiB    t)ätte   bie  53e- 

fd;ränfung  auf  bie  älioral  nid;t  entfprod;en.    Hub  aud^  in  feinem  ©ijftem 

liegt  mandje§,  luaS  fie  if)m   uerbietet.    3fJcnnt  er   aud^  bag  Stnfid;   ber 

S^seit  2ßiUe,  fo  fann  er  fid;  bod^  nii^t  verbergen,  bafe  biefe  Söeseidjuung 

nic^t  gan,i  paffe.    ®er  2BiUe  feibft,  bemerft  er  (II,  221),  fei  nur   bie 

näd)fte  unb  beuili(^fte  ©rfc^eiuung   be§  S)inge§  an  fid; ;  aber  boc§ 

bleibe  biefer  barin  immer  noi^   @rfd;einung,  ein   üorgeftellte^,  mit   ber 

erfenntniBform  ber  ^eit  be^aftete^;  ba§  S)ing  an  fi^  felbft,  abgefe^cn 

bauon,  bafe  e§  fid^  als  äöille   barftellt,   ober   überhaupt   erfannt  wirb, 

möge  33eftimmungen,  ©igenfd^aften,  SafeinSroeifen  f)aben,  bie   für  unS 

fd^ledjterbingS  uuerfennbar  feien,  unb  eben  bann   als    ba§  äßefen  beS 

©ingeS  an  fid^  übrig   bleiben,   menn  biefeS   fid;   als  SBiUe  aufgel)oben 

tiabe,  ba^er  gan^   aus  ber  ©rfc^einung  t)erauSgetreten  unb   für   unfere 

(^rfenntnife  in'S  leere  9tid;tS  übergegangen  fei.    S)aS  l)eifet  alfo:  er  l)at 

baS  Slnficf)  ber  S)iuge  äiuar  Söille   genannt,  aber  er  meint  bamit  nur 

ha§>,  maS  prüdbleibt,  wenn  man   üon  allem,   moburd;  ber  ÜÖille  jum 

Jßilieu  mirb,  abfielt,  nur  baS  unbefanute,  beftimmungSlofe  äßefen,  meldjeS 

in  aßat)rl)eit  ^lotin'S  Urmefen  ober  ©d^eUing'S  abfoluter  ^bentität  uiel 

ntiljer  fte^t,  als  jenem  „jebem  unmittelbar  ^efannteu",  baS  fonft  als  äÖiEe 


714  ©c^opcnl^auer. 

be^eic^net  wirb.  Siegt  aber  ba§  Sßefen  ber  Söelt  fiinter  unb  über  bem 
SBillen,  [o  löirb  e§  fid;  aud;  nur  in  einer  über  bie  2Biffen§fpt)äre  {)inau§== 
getienben  2:f)ätigfeit  ergreifen  taffen.  Tioä)  entfi^eibenber  war  aber  für 
@cf)opeuf)auer  o^ne  ^'"'^if^^  ^^^  gweitcS  3)Zoment.  ®a§  SBolten  ift  ein 
Streben,  gu  rairfen;  e^  f)at  eine  wefentUd^e  iöe^ic^ung  ju  ber  2ße(t,  in 
n)etd;er  ber  SBille  oerroirÜid^t  werben  foll.  Slber  biefe  ganje  2BeIt  ift 
ja  nod;  @d;open{)auer  blo^e  ©rfc^cinung,  blo^e  SSorfteUung ;  fie  ift,  roie 
er  fie  fo  oft  nennt,  nur  ber  ©d^Ieier  ber  täufc^enben  Tta\a;  unb  biefe 
©rfc^eiuung  !ommt  nur  baburd^  gU  "©taube,  ha^  bie  gapofen  ^nbiuibuen, 
in  benen  ber  Urroiüe  fid)  objeftiüirt,  in  bem  f(^ouung^5lofcften  Kampfe 
i^ie  ©teile  im  ©an^en  erobern  unb  behaupten,  um  nadj  fnr^em  flüd;= 
tigern  S:raumfeben  loieber  gu  oerfd;minben.  S)er  SBille  ift  Streben,  bie 
Hemmung  bicfe§  ©trebenS  ift  Seibeu,  unb  nur  unter  fortwätirenber  .Hem- 
mung unb  3ieibung  bringt  fid)  ber  SBiüe  in  ber  Sßelt  gur  (grfc^einung 
(II,  365).  ©0  ift  bie  2Bett  gmar  freiiid^  ber  ©d;aupla|  für  bie  ©rfdiei^^ 
nuug  be§  2BiIIen§:  aber  fie  ift  auc^  ber  Drt  aUe^  Hebeln,  al(e§  Seibeu^/ 
alter  ©d;ted)tigfeit,  atter  9Zid^tig!eit,  atte§  ^ammerS.  ©erabe  für  biefe 
©eite  ber  SöirfUd^feit  l^at  ber  ^t)i(ofopt),  ber  oon  §aufe  au§  uu^ufriebcn 
unb  l^ijpod)onbrifc^  bie  3Jiad;t  unb  Dual  ber  Seibenfd;aften  in  ftc^  felbft 
erfaljreu  Ijatte,  unb  ber  in  feinen  {)0(^gefpannten  Hoffnungen  auf  9hit)m 
unb  (grfolg  fid^  fo  graufam  getäufd;t  fat;,  ba§  fc^ärffte  Singe :  baö  (Slenb 
be»  &cb^n§,  bie  ©d^roäc^e,  bie  3)umml)eit,  bie  ®emeiul)eit,  bie  @rbärm= 
lid;leit  ber  9JJenfd;en  finb  ein  S:l)ema/  ba§  er  in  immer  neuen  Söenbungen, 
unb  oft  red;t  geiftreid^,  au^fü^rt;  unb  fo  unangenehm  man  in  biefen 
2lu§fü^rungen  oon  feinen  Uebertreibungen,  feinem  i^od^mutl),  feiner 
SJienfc^euoerac^mng  berül)rt  wirb,  fo  fann  man  bod^  il)ren  bitteren  ©ruft 
nic^t  oerlennen.  S)a§  SBefen  ber  erfcnntniBlofen  9iatur,  fagt  er  (I,  367), 
fei  ein  beftänbige^  ©treben  o|ne  3ißl  wub  9iaft,  bie  58afi§  alles  menf(^= 
lid;en  unb  tl)ierifd;en  SöoUenS  fei  3)langel  unb  .^ebürftigfeit ;  ©d^merj 
unb  Sangeraeile  feien  bie  gmei  legten  S3eftanbt^eite  be§  menfdjlid^eu 
Sebeng,  gwifc^en  benen  e§  mie  ein  ^enbel  l)in;  unb  ^erfd^minge;  ber 
DptimifmuS  fei  bal)er  (I,  385)  nic^t  blo§  eine  abfurbe,  fonbern  eine 
iüal)rl)aft  ruc^lofe  S?enfung§art,  ein  bitterer  ^otin  über  bie  namenlofen 
Seiben  ber  9Jienfd;f)eit.  2lud^  von  bem  gefd;id^tlid;en  gortfc^ritt  unfereS 
©ef^lec^tg  erwartet  er  leine  33efferung,  benn  ein  fold^er  fiubet  feiner 
Slnfid^t  md)  nid;t  ftatt :  wie  ber  ßljarafter  be§  ©in^etnen  im  Sauf  feines 
SebenS  fid;  nid;t  änbere,   fonbern   nur   bie   2lit  feiner  (5rfd;einuug,   fo 


^effimifmuS.  715 

bleibe  and)  bie  moiaHfc^e  ^efd^affenbeit  ber  3Jienfc^§eit  immer  bie  gleid^e, 
wie  )e^v  anä)  bie  ^uftäube  ber  @efeUfd)aft  [id;  äuberu  mögen.  S3ei 
biefer  Sebeu^anfid;t  ift  nic^tg  natürUd^er  al^  ber  a^erfud;,  fi($  au§  Dem 
©lenb  be§  S)afeing  in  eine  ibeale  SBelt  5n  retten,  ^u  ber  freilid;  waä) 
©d^open^aner  nur  einzelne  93eöor5ugte  ben  Zugang  ju  finben  wif[en. 
S)er  2^i'eg  ober,  mcldjer  bal)in  fiif)rt,  befielt  im  allgemeinen  in  einer 
l)ö^eren  2lrt  ber  ©rfenntni^ ;  ift  biefe  frei  von  allen  ^lueden  bc§  2.öoUen§ 
rein  für  fid),  fo  gef)t  an§>  if)r  bie  Äunft  ^eroor,  wirft  fie  auf  ben  Jöillcn 
äurüd,  fo  tritt  bie  ©elbftauffiebung  be^felben,  bie  9tefignation  ein,  raetdje 
baö  innerfte  Sßefen  atter  Xugenb  unb  ^eiligfeit  unb  bie  ©rlöfnng  uon 
ber  SBelt  ift  (I,  181  f.). 

S)ie  ©rfcnntnifj,  ^aUn  mir  gel^ört  (©.  712),  gel^t  urfprünglid)  sugfeid) 
mit  bem  Drgan,  ha§>  fie  probucirt,  a{§>  ein  3)iittet  feiner  Dbjettiyatiou 
aus  bem  Söiücn  t)erüor;  fie  be^ietit  fid^  bal;er  5unäd;ft  nur  auf  bie 
©rfd^einung,  ift  bem  <Ba^  üom  ©runbe  untermorfen  unb  ftel)t  burc^= 
weg  im  ©ienfte  be§  Wiiienä.  ä^on  biefer  Slbtjängigfeit  fann  fie  fidj 
nur  baburd;  befreien,  ba^  fie  fic^  uon  ben  ©tuäelbingen  gu  ben  ^beeu, 
bem  unoeränberlidjen,  einf)eitlid^en,  räum-  unb  ^eitlofen  SBefen  ber 
S)inge  ergebt.  2(ber  ai§>  ^nbioibuen  traben  mir  feine  er!enntni§,  bie 
nid;t  bem  @a|  be»  (^runbe§  unterworfen  wäre,  ^ene  örl;ebung  ift 
ba^er  (I,  207  ff.)  nur  unter  ber  5>orau!ofeljung  möglid;,  ha^  im  ©ub= 
jeft  eine  Sieräuberung  öorget)t,  oermijge  ber  e§  in  feinem  ßrfenncu 
nidjt  mef)r  ^nbiyibuum  ift,  baB  e§  fic^  com  S)ienfte  be§  äÖif= 
ten§  losreißt,  reineg,  wittenlofeS  ©ubjeft  ber  (SrfenutniB  wirb,  im 
angel'djauten  ©egenftaub  aufget)t.  ©aburd;  erft  tritt  bie  SBelt  atg  SSor= 
ftellung  gän^iicl  unb  rein  fieruor  unb  ber  Söitle  erf)ä(t  feine  uollfümmene 
Dbjeftiuation  in  ber  ;3bee.  (Sin  fo(d;eS  erfennen  ift  alle  wal;re  g5l)ilo- 
foptiie ;  berfelben  2lrt  ift  bie  fünftleri[d;e,  äft{)etifd;e  Setrad;tung ;  benn 
il)ren  eigentlidjen  ©egenftanb  bilbet  bie  Qbee,  bereu  bloßer  9{epräfentaut 
\l)v  ha^  eingelne  Sjing  ift;  uub  nur  au§>  biefer  intereffelofeu,  feinem 
'Moüm  unb  feinem  ^ebüifni§  bienenben  erfenntniB  entfpringt  (na^ 
Kant;  f.  o.  ©.  373)  ha^  äßof)(gefaaen  am  @d;önen.  Sei  ber  g3t)i(o^ 
fop^ie,  wie  hei  ber  Üunft,  fianbelt  e§  fic^  (I,  323)  um  eine  53etrad)tung§^ 
weife,  welche  nid)t  nac^  bem  ^of)cr- unb  3öof)in  unb  aöarum,  fonbern 
nur  nad)  bem  3Ba§  ber  SSelt  fragt,  weld;e  bie  S)inge  uid^t  naä)  irgenb 
einer  9te(ation,  einer  ber  uier  ©eftalten  beS  6atieS  uom  (Urunbe  in'S 
^uge  fa^t,  fonbern   ba»   in   atten   3ielationen   erfd^eineube,   felbft  aber 


716  ®dE|opcut)auer. 

iiimn  nid)t  untenöorfcue  2Scfen  ber  2Belt  gum  ©egenftmib  ^at.  ^n  beu 
üb.nuiegenbcn  gol;igfeit  gU  [old;er  Kontemplation  beftefit  ba§  3Befen 
be§  ©eninS;  „Genialität  ift  nichts  anbereä  al§  bie  üollfommenfte  Db- 
jeftiyität,  b.  t),  objcftiue  9ii(^)tung  beS  @eifte§,  entgegengefe^t  ber  fubje!- 
tiven,  auf  bie  eigene  ^-Perfon  ge^enben".  ^n  ber  3lu§fü^rnng  biefe§ 
©a^eiS  [ogt  ©djopenfiauer  üiet  wa{)re§  nnb  üu§>  n)irflic^em  SSerftänbniB 
großer  ©eifter  (wir  werben  in  erfter  9leii)e  an  fein  5^crt)ö(tniB  gu  @öt|e 
erinnert)  gefdjöpfteg.  9iur  mifd;t  fid;  auc^  f)ier  olybalb  jene  ©elbft^ 
befpiegeinng  ein,  oon  ber  er  nun  einmal  nid;t  laffen  fann,  unb  e§ 
lüirb  be^ljalb  mand^eg,  ma§>  lebiglid^  gU  ben  ©diraäc^en  unb  Saunen 
feiner  eigenen  9Zatur  geliörte,  in  bie  ©djilberung  be§  @enin§  mit  lier^ 
übergenommen.  5ßor  allem  aber  erinnert  bie  fc^roffe  ©(Reibung  jmijc^en 
ben  Genialen  unb  ben  ©emeinen,  ha§>  l;oi^mütl)ige  ^erabfe^en  auf  bie 
gen)öl)nlic^en  3}lenfdjen,  ,,biefe  gabriliuaare  ber  9ktur"  (I,  220),  an 
bie  unangeneljmften  Qiiqe  ber  romantifd;en  <Bä)nk,  ber  fid;  unfer  ^l)i= 
lofopl),  raie  burc^  feinen  ganzen,  5roifd;en  fubjeftiuem  S^ealifmu;*  unb 
eytremem  ^antljeifmnö  miberfprnc^ioüoll  fc^webenben  ©tanbpunft,  fo  auc^ 
burc^  feinen  @enialität§bünfel  unb  feine  bem  ©enie  ^ngeftanbenen  ?^rei= 
f)eiten  nal)e  »erwaubt  §eigt. 

©d;openl)auer  l)at  nun  oon  l)ier  au§  bie  gan^e  2leftl)etif  in  i^ren 
Grunbjügen  ff ij^irt ;  unb  mag  man  im  ganzen  mit  i^m  einoerftanben  fein 
ober  nic^t,  fo  rairb  man  boc^  immer,  neben  mand;em  einfeitigen  Urtl)eil, 
bei  bem  geiftreid^en  unb  gerabe  in  äft(jetifd;er  53eäiel)ung  reid^  gebilbeten 
3JJanne  »iele  gute  ©ebanlen  unb  treffenbe  2Bal)rnel)mungen  finben.  ^n 
ber  ©efammlieit  ber  i?ünfte  fiel)t  er  bie  üodftänbige  ©rfenntni^  ber 
©tufen,  rocld;e  bie  Dbjeftiü trung  be§  äBiUeni?  burc^läuft.  lieber  allen 
anbern  ftel)t  il)m  aber  bie  3}lufif;  bcnn  fie  alle  objeftiüiren  ben  SBillen 
nur  mittelft  ber  ^been,  meldte  bereits  ha§>  ^rincip  ber  ^^"»^iuibuation 
entlialten ;  bie  aJiufif  bagegen  ift,  mie  er  fagt,  „2Ibbilb  be§  aöillenS 
felbft",  unb  barum  fo  t)iel  mädjtiger,  als  bie  anberen  Jlünfte:  biefe 
reben  nur  com  ©djatten,  fie  aber  üom  SBefen  (I,  304). 

S)er  gen)ö§nlid;en  3iJeltanfid;t  entfprid^t  nun  auf  bem  fittlid;en  ©ebiete 
baSjenige  3^erl)alten,  welches  unfer  ^Ijilofopl)  als  Seja^ung,  ber  pl)e= 
ren  baS,  welches  er  als  3?erneinung  beS  SBillenS  jum  Sebcn  be^eid^net. 
©ofern  ber  2öille  fid^  in  ber  ©rfc^einungSroelt  objeltiuirt,  ift  er  nid^tS 
anbereS,  als  ber  S)rang,  biefe  9ßelt,  baS  Seben,  fo  mie  eS  baftet)t,  ^er:= 
üorjubrinjeu,   er   ift  „SBiUe   ^um  2chen."    (Bben  biefen  SBillen  bejalit 


e 


Sernetmmg  bc3  SBiffenS.  yiy 

nun  hie  gro^e  9)?c^r3af)l  ber  9}tenfc{;en:  i^r  (jon^e^  Streben  gef)t  ba^in, 
^i^  a\§'  ^nbiüibunm,  in  ber  ©egeniuart,  ^u  befrtebigen  nnb  ^u  erl^alten ; 
ein  58eftrekn,  beffen  ftärffter  SluSbruiJ  nad;  ©d^openfiauer  ber  ®efd;Ied)t§' 
trieb  ift.  2ln§  bem  SBiden  gum  Seben  entfpringt  ber  natürliche  ©goif^ 
mu§  ber  3}?cnfd;en,  nnb  au?>  biefem  bte  ^serle^ung  2rnbercr,  ha?^  lln= 
Te(^t ;  berfelbe  egoifmn§  treibt  ober  anc^  ^ur  SSerl^inberung  be§  llnredjtS, 
3nm  dlc^t;  eine  bnrc^  S^ertracj  gegrünbete  2lnfta(t  5nr  ©rfialtnng  be§ 
9iec^t^5,  b.  ^.  3nr  STbiuc^r  be§  XInred;t§,  ift  ber  Staat  (ugf.  ^ie^n  rao§ 
©.  45  über  §obbe§  angeführt  ift),  ha^  ^anptmittel,  beft'en  ber  ©taat 
fid;  fiiefür  bebient,  ift  bie  5Ibfc^rec!ung  burd;  ©trofe. 

2lber  biefe  gan,3e  SÖelt  ber  ©rfdjeinnng  fmin,  wie  fc^on  oben 
(©.  714)  beinerft  mnrbe,  feine  33efriebigung  geiuä[)ren :  i§r  ©d;idfal 
ift  9Jtangef,  ©fenb,  Jammer,  Unat  nnb  Xoh.  ma§  bleibt  alfo  übrig, 
d§  fic^  gänjHd;  an§  if)r  gurüd^n^ier^en,  fid;  von  ber  ^äufd;nng,  bie 
nn§  in  i^r  feft^äft,  3U  befreien,  bcn  2öiaen  jum  «eben  ^n  uerneinen? 
Siefe  9tott)iüenbig!eit  bvängt  fid;  bem  2)Zenfd;cn,  raie  ©d^openljaner 
an§fü{)rt,  snnäci^ft  fd;on  in  jenem  notürlic^en  @efüf)l  be«  SJ^itleibS  anf, 
weli^el  bie  3öur3el  alter  3Jlen[d;enriebe,  atter  9}ioraatät  ift:  benn  ma§> 
nn§  barin  gum  Seron^tfein  fommt,  ift  eben  biefe§,  ha^  ber  Unterfdjieb 
Sroifd^en  un§  nnb  3tnbern  nnr  einer  t)ergängad;en  täufd;enben  ©rfdjeinnng 
angeprt,  ba§  Slnfid;  nnfercr  eigenen  ®r|d;einung  and;  ta^$  ber  freniben 
ift  (I,  440).  S)er  SBille  jnm  2chm  überhaupt  wirb  afferbingg  {)iebei 
nod;  nid;t  aufge{)oben;  aber  er  wirb  fo  ueraKgemeinert,  ha^  ha^  frembc 
^nbimbnnm  nnb  fein  <Bä)\ä\al  bem  eigenen  üöQig  glcic^gefelt  wirb; 
nnb  bie  böd^fte  S^oHenbnng  biefer  ©efinnnng  mad^t  ben  ©inselnen  fogar 
fä^ig,  für  ba§  25?op  üieleu  Slnbern  fein  eigenes  S)afein  gu  opfern.  3ft 
aber  ber  3}lenfc^  erft  fo  weit  gefommen,  in  atten  Sßefen  fid;  felbft  3U 
erfennen,  fo  wirb  er  and;  itjre  enblofen  Seiben  aU  bie  feinigen  füljfen ; 
ebenbamit  aber  wirb  el  i()m  nnmöglid),  biefe§  Seben  gu  bejatjen  nnb 
fic^  i^m  immer  fefter  3U  tierfnüpfen:  wäfirenb  if)m  bie  ßrfenntni§  be§ 
ein3elnen  immer  neue  9Jtotiue  feines  SBittenS  lieferte,  wirb  itim  bie 
bcS  ©angen  3um  Duietio  werben,  er  wirb  fic^  üom  2eWn  nnb  feinen 
©enüffen  abwenben,  gur  freiwilligen  ©ntfagung,  3nr  9tefignation,  jnr  ooff- 
fommenen  ©elaffenfieit  unb  SBitlenlofigfeit  gelangen,  ©djopenfianer  fd)ilbert 
uns  biefen  ^nftanb  atS  baS  ^beal  aÜeS  pt)i(ofopl:)ifd;en,  religiöfen  nnb 
fittlid;en-  ©trebenS,  als  bie  (Srlöfnng  t)on  allen  Seiben  beS  enblic^en 
S>afeinS,  bie  roHenbete  ^eiligfeit  unb  eeligfeit.    ©r  erfennt  ben  2Beg 


718  @d^openf)auer. 

ju  btefer  SScrneimtitg  be§  SBtHeng  f(|on  b\  her  2Ifcefe;  iinb  e§  gieftt 
faum  eine  S?erirntng  orientalifd^er  ober  mittctdtcrlii^er  (Selbftquäleret, 
bie  er  ntd^t  ait§  biefcm  @eficf;t§pun!te  beumnberte.  @r  finbct,  ba^  ber 
SBtlle  cvft  in  biefer  6eI6ftuerneinnng  tütrflt;^  frei  raerbe:  benn  fo  lange 
er  2öiIIe  jnm  Se6en  fei,  werbe  er  immer  bnrrf)  feine  SJiotioe  mit  nn= 
it)iberftef)(ic^er  ©eraalt  beftimmt,  nnb  bie  reine  ^änfc^nng  fei  c§,  raenn 
rair  it)m  eine  empirifc^e  ^^rei^eit  beitegen,  fo  ba'^  berfelbe  SBiUe  nnter  ben= 
fclben  Umftänben  fid^  anc^  anber§  beftimmen  fönnte,  aU  er  in  bcr  5Bir!Hd^= 
feit  t^nt,  ba  bie  in  ber  ®rfc(;einnng  befangene  @rfenntni§  bem  <Ba^  t)om 
©rnnbe  f(j^tei^t!)in  nac^getie;  raenn  bagegen  biefe  ©rfenntni^roeife  oon 
einer  f)ö£)eren  Derbrängt  fei,  raerben  bie  einjelnen  9!}lotiüf  nnrairffam, 
itnb  muffe  and^  ber  ß{)ara!ter  im  einzelnen  immer  ben  ^Bitten  an^füfiren, 
beffen  @rfcf;einnng  er  im  gansen  fei,  fo  !önne  bod^  biefeS  ©anje,  ber 
g^arafter  felbft,  bnrrf;  bie  3?eränbernng  ber  ßrfenntni^  völlig  anfge^oben 
raerben,  nnb  biefeS  grunblofe  ^eroortreten  ber  greifieit  be§  inteHigibeln 
6^arafter§  fei  ba§,  raaS  man  balb  ©nabenrairl'ung,  balb  Söiebergebnrt 
nenne,  ^n  hem  ©runbfal^  ber  SSerneinnng  be§  SBillenS  jnm  Sebcn  fielet 
@rf;openl)aiier  aud^  bie  eigentliche  S3ebentung  ber  c^riftlirf;en  Sf^eligion; 
nnr  ba^  biefcr  ©rnnbfa^  in  i^r  mit  ben  entgegengefe^ten  jübifrf^en  9In= 
fd^anungen  norf;  ftarf  t)erfe|t  fei,  nnb  bloS  bei  3)ii)fti!ern  nnb  9lfceten 
in  voUev  Sieinfieit  jnm  9_^orfrfjein  fomme.  S)ie  »oHenbetfte  ©arftellnng 
biefeä  @tanbpnnfte§  ift  aber  il)m  infolge  bie  Seigre  ber  Soeben  nnb  be0 
^nbbl)ifmn§  oon  ber  3kforption  in  ba§  Sra^m  ober  baS  Sftirraona. 
3)üt  ber  ä^ereinignng  be§  äöiffenS  ift  aurf;  feine  ganje  (grfrf;cinnng, 
Sflanm,  3cit  unb  3)iaterie,  SSorftellung,  ©nbjeft  nnb  Oh\eft  in  ba§  9Jic^t§ 
aufgcl)oben,  raelrf^eS  al^  ba§  9^irfjt§  ber  @rfc^einnng  ba§  allein  roal;p 
l)aft  ©eienbe  ift. 

©0  fd^lie^t  biefeS  @i;ftem  mit  ber  gorbernng  eine?  ©emntli^pftanbeg, 
ben  fein  Hrljeber  felbft  nnr  al§  ©fftafe,  al^  etraaS  über  alle  ©rfenntniB 
nnb  öefd^reibung  l)inan§ge^enbeg  jn  begeid^nen  raei§.  S)abei  fann  er 
al(erbing§  baS  (SeftänbniB  nirf;t  oöHig  nnterbrüclen,  ba&  er  felbft  üon 
biefer  33erneinung  be§  2öillen§  ^nm  fieben  weit  genug   entfernt  mar^. 


1)  ®§  lautet  wemgftenS  ganj  wie  eine  iubirefte  ©elOfttocit^eibigung,  ttjenu  er 
(11,  453)  bcmerft:  e§  fei  nid^t  nöt^ig,  bajj  bev  ^]3t)ilofDp^  ein  §ei{iger  fei,  nnb  e§  fei 
eine  feltfame  ^ilnforbcrung  an  einen  3Wovaliften,  bo^  er  feine  anbere  Sngenb  empfctjfen 
fo((e,  a\^  bie  er  felbft   beftl3e.     2)iefe  ©elbflüerttjeibignng    ift   aber  nir^t  fe'^r  gliicfüd} 


2(6fc^Iu§  feines  ®»)fteni0.  719 

^nbeffen  raiirbe  feine  ^'f)i(ofopt){e  al§  folc^e  ron  biefem  Söiberftreit  ^wi- 
fd^en  feinem  SSer^alten  unb  feinen  ©runbfä^en  nic^t  berührt  werben 
t)ötte  er  mir  in  hen  te^teren  felbft  bie  Söiberfprüd^e  gn  oermeiben  gewuJBt, 
bie  and)  in  biefem  SCI^eil  feiner  Sefire  nid^t  weniger  al§>  in  ben  frnfjeren 
gu  %aQe  liegen.  2l6er  nid;t  allein  bie  ©d;raierigfeiten  feines  ^räbeter- 
minifmu§  gu  befeitigen,  l^at  er  ni(^t  ben  geringften  S^erfnc^  gentad;t^ 
fonbcrn  er  fi^eint  anc^  gar  nidjt  benterü  gu  tiaüen,  wie  wenig  fid;  biefer 
9(bfd;(n^  feines  ©yftetnS  mit  bem  fonftigen  ^nfialt  beSfelben  »erträgt. 
®er  SöiHe,  war  nnS  früfier  gefagt  worben,  fei  ha^  Slnfid;  atter  S)inge, 
bie  Söelt  nnr  bie  Dbjeftiüation  bicfeS  SBiUenS.  Unb  je^t  pren  wir, 
nid)t  Uo§>  biefe  Sßelt,  fonbern  anä)  ber  SSitle,  ber  fie  fierüorbringt,  folle 
nic^t  fein,  ber  SBitte  foIIe  „fid^  felbft  auffiekn".  Siefe  gorbernng  ift 
nnn  freiüd^  nidjt  ofine  @rnnb,  wenn  bie  Söclt  wirf(i(^  fo  bnrdjauS 
nid;tSwnrbig  nnb  fd;(cd;t  ift,  wie  ®d;openl^aner  fie  fdjilbert;  benn  biefe 
Söelt  lö^t  fi(^  t)on  htm  SBillcn  nidjt  trennen,  beffen  ©rfd^einnng  fie  ift, 
unb  ber  eben  a(§  SSitte  unmöglid)  nic^t  erf^einen,  alfo  nidjts  wotten 
fann;  fie  mufj,  wie  nnfer  ^f)iIofop^  fetbft  fagt  (I,  324),  „ben  SBillen 
fo  unzertrennlich  begleiten,  wie  ben  i^örper  fein  6d;atten,  unb  wenn 
SBitte  ba  ift,  wirb  au^  Seben,  SBelt  bafein."  Slber  mag  jene  ^orberung 
and;  nad;  biefer  ©eite  confequent  fein,  fo  ift  fie  iebenfallS  eine  üon  ben= 
jenigen  ßonfequensen,  bie  ii)xe  eigenen  ^oran§fc|ungen  gerftören.  Tiad) 
(Sd;openpuer  wäre  ber  äöide,  ben  er  §um  Sßefen  ber  äBett  mad^t,  nichts 
anbereS,  als  ber  Söiberfprud;,  fortwäpenb  eine  2Belt  ju  ergengen,  bie 
nidjt  ift  unb  nid;t  fein  barf,  burd)  fein  ^robuft  fid;  felbft  ju  wiberlegen, 
bie  5Rot^wenbigfeit  feiner  <Selbftaufl)ebung  gu  beweifen ;  cbenfo  wäre  aber 
and)  ber  Sßille,  weld^cr  fid)  felbft  verneint,  ber  SBiberfpruc^,  ha§>  fein  ju 
wollen,  was  er  nid;t  fein  fann,  eine  rupnbe  J!raft,  ein  nid;ts  wollenber 
SßiHe.  ©in  ©yftem,  baS  in  fo  grobe  unb  l^anbgreiflid;e  SSiberfprüd^e 
ausläuft,  fann  intmerl)in  üiele  frud;tbare  ©ebanfeit,  uiele  wertl)üolIe 
SÖat)rnel)mungen  entl)alten,  —  unb  hal^  eS  bem  fd;openl)auer'fd;en  baran 
nid)t  fel)le,  mögen  wir  bereitwittig  pgeben  —  aber  als  ©angeS,  als 
©i;ftem,  ift  eS  im  beften  %aU  eine  geiftreid;e  ^araboyie. 


auSgefaöen,  benn  fte  enf^ält  chie  fopfii^ifc^e  SJerfc'^nntg  be§  @trettpunfte§.  ®a§  l^at 
noc^  nie  jemanb  einem  2}Joraliftcn  sugennif^et,  ba^  er  feine  ISngenb  empfetjlen  foüe, 
bie  er  nidjt  beft^t;  wo'^t  aber  »erlangt  man  »on  i^m,  nnb  mit  9ied^t,  ba^  er  \id) 
bemü()e,  bie  S:ngenb  ju  bcfil^en,  bie  er  empftct){t. 


720  ®i^  'Öegeffc^e  @(^u{e. 


IXnfere  ©arfteihmg  tft  an  bem^unft  angefommen,  t)on  bcm  on  bie 
@ef(^id)te  ber  ^tiilofop^ie  m  bie  immittelbare  ©egcnraart  !^ereinreicf)t. 
2öa§  bieffeit§  biefe§  ^imfteS  liegt,  ent^ielit  fid)  einer  rein  gefd^id^tlic^eu 
,  Selianbinng :  tl^eils  TOeil  e§  an  fi(^  felbft  ju  nnfertig,  ^u  fel)r  nod)  im 
Sßerben  begriffen  ift,  tlieilS  weil  e§  no(^  ni(|t  bie  ^^it  gehabt  fiat,  fic^ 
in  feiner  Sßirlung  nnb  ©aner  an§reid)enb  jn  erproben,  ©er  angenblid-- 
lid^e  ©rfotg  ober  9Jli^erfolg  fann  aber  nic^t  ent[d;eibcn,  nnb  ha§  eigene 
llrtt)eit  be§  @efc^id;tf(^reiber§  über  bie  2Ba^rl)eit  nnb  ben  inneren  SBertl) 
eine§  iüiffenfd;aftli(^en  @tanbpun!t§  barf  bem  2ln§fprnc^  ber  (S5efd)id;te 
über  feine  t)ifiorifdje  33ebentnng  nid^t  Dorgreifen;  mag  fid;  biefe  enblid^ 
t)ie(feid;t  and;  bei  einzelnen  ®rfd}eittnngen  fd)on  flar  gemig  f)eran?^gcftellt 
f)aben,  fo  liegt  nn§  bod;  im  gangen  nod^  fein  abgefd;loffener  nnb  nad) 
allen  ©eiten  in  ba§  Sid^t  ber  gef(i^i(^tlid;en  Setradjtnng  gerücfter  SSerlanf 
tior.  3<^  begnüge  mi(^  baber  l^ier  mit  einer  übcrfid;tlid;en  3lnbentnng 
be§  @ange§,  welchen  bie  ®ntn)idlnng  unferer  Söiffenfd^aft  feit  §eger§ 
nnb  §erbart'g  %oh  genommen  bat. 

2ll§  ^egel  t)om  @d;anp(a|  abtrat,  mar  feine  ©c^nle  bereit?  allen 
anbern  an  SScrbreitnng  nnb  Slnfe^en  entfc^ieben  überlegen,  nnb  mäbrenb 
ber  näc^ften  12 — 15  galire  war  ber  ©influf?  feiner  ^l)ilofopl)ie  nod^ 
fortwälirenb  im  3iniel)men;  mojn  neben  ber  fc^riftftellerifd;en  nnb  afabe^ 
mifdien  2ßir!fam!eit  feiner  @(^üler  namentltd;  and^  bie  .§eran§gabe 
feiner  SSorlefnngen  t)iel  beitrng.  5Inf  einem  großen  ^l)eil  ber  bentfd}en 
nnb  befonber§  ber  prenffifd;en  llniuerfitöten  l)atte  fie  ilire  33ertreter. 
©0  cor  allem  in  Berlin  an  ©abier  (1786— 1853),  ^egel'S  9k(^folger, 
an  .^enning  (gft.  1866),  bem  9lebafteur  ber  ^al^rbüc^er  für  miffen- 
fd)aftlid)e  ,f?ritif,  meli^e  feit  il)rer  Stiftung  (1827),  nnter  ^egel'S  eigener 
lebl)after  ^etl)eilignng,  ba§  §anptorgan  ber  ©c^nle  maren;  an  9)Md)etet 
(geb.  1801),  2Berber  (geb.  1806),  ben  2leftl)etifern  ^ot^o  (1802— 
1873)  nnb  3tötfd;er  (1803—1871),  ben  St^eologen  Mar^einefe 
(1780—1846;  er  l)atte  fid^  frülier  an  ©d^etting,  fpäter  an  feinen  ©ollegen 
§egel  angefc^lofi'en),  ä^atfe  (geb.  1806)  nnb  Sßruno  ^aner  (geb. 
1809),  hem  Quriften  (gbuarb  ©anS  (1798—1839)  u.  21.  ^n  §alle 
an  §inrtd)§  (1794—1861),  ßrbmann  (geb.  1805),  ©d;  aller 
(1810—1868),  Slrnolb  S^lnge  (geb.  1802);  in  Königsberg  on  ^t o f e n^ 


S)ie  l^cgd'fcfie  ©d^ufc  721 

frong  (geb.  1808);  in  ^iel  an  %'^aniom;  in  ©rtangen  an  finbroig 
%enex1)aä)  (1804  —  1872);  in  <peibcI6erg  an  S)an6  (1765^1836), 
bem  tieffinnigen  3:f)eorogen,  loeld^er  äf)nlid; ,  rote  3)Zarf)eincfe,  erft  in 
reiferen  Sofn*^"  ^^^  6d;eUing  gu  bem  if)m  befrcnnbeten  ^egel  übergieng, 
beffen  raiffenfd^oftlidje  SBirffamfeit  ober  wegen  ber  gnoftifc^en  IXnflarfieit 
unb  ber  abftraften  ©djiuerfättigfeit  feiner  SDarfteHnng  auf  einen  Diel 
engeren  Ärei§  befdjränft  blieb,  als^  man  üon  feinem  ©eiftc  unb  feiner 
gebiegenen  fpef ulatiuen  Äraft  fiötte  erroarten  mögen ;  in  S^übingen  einige 
Sa^re  an  S)aüib  griebric^  Strauß  (geb.  27.  ^an.  1808,  geft. 
8.  ^ebr.  1874),  längere  3^il  ^^^  j^riebr.  33ifdjer  (geb.  1807),  bem 
geiftüotten  2left()etifer,  weiter,  neben  bem  S]erfaffer  biefer  ©(^rift  (geb. 
1814),  an  ©d^megler  (1819  —  1857),  bem  ;3uriften  9leinf)oIb 
Äöftlin  (1813  — 185G),  bem  ^tieologen  unb  2Ieftf)ctifer  tarl  J?öft  = 
tin  (geb.  1819).  Sind;  ber  berüfimte  Stifter  ber  „Slübinger  ©(^ule", 
gerbinanb  ^aur  (1792— 18G0),  urfprünglid;  ein  2Inf)änger  ber 
fd){eiermad)er'f($en  5t{)coIogie,  mar  x)on  ber  f)egel'fd;en  ^f)Uofopf)ie  unb 
namentlid^  non  ^egel'^  9lcligion§=  unb  @efdjidjt§pf)iIofopf)ie  tief  ergriffen 
worben  unb  lefinte  fid;  in  feiner  @ef(^tc^t§auffaffung  wie  in  feiner 
i)iftorif(^en  Jlritif  an  fie  an.  ^n  ^üvi^  l^ot  21.  6.  $8iebermann 
neuerbing§  no(^  (1869)  bie  S)ogmatif  auf  ber  ©runblage  be§  lE)ege('fd;en 
©ijftemS  mit  fritifi^er  ?3^reif)eit  bearbeitet;  ebenfo  gehört  J?uno  ^ifd;er 
(geb.  1824,  feit  1857  ^profeffor  in  ^ena,  feit  1872  in  ^cibelberg)  ju 
bencn,  welche  burd^  bie  ©d;ule  ber  fiegel'fd^en  ^{)i(ofopl;ie  nid;t  blo§ 
f)inburdjgcgangen,  fonbern  ifir  aiiä),  bei  aller  ©elbftänbigfeit  ber  eigenen 
3^orfd;ung,  im  mefentlid;en  treu  geblieben  finb. 

^on  biefen  9)Zänncrn,  bencn  fid^  no(^  man(^ie  anbere  beifügen 
liefen,  l)telten  fid;  nun  bie  älteren,  bie  aud;  faft  alle  nod;  -^egel'S  per= 
fönlic^e  Sdjütcr  geroefen  waren,  junäd;ft  faft  ol)ne  2{u§nal)me  an  btt§ 
3Serfal)ren,  beffen  er  felbft  fi(^  bebient,  bie  @ä^e,  bie  er  aufgefteUt  fiatte ; 
nur  baB  ba§,  wa§>  bei  il)m  ein  urfprüngli(^e§  geroefen  mar,  unb  auä)  in 
ber  abftrafteften  ^egriffsform  bie  gu  ©rnnbe  liegenben  Slnfdjaunngen  nod; 
^atte  ernennen  taffen,  l)ier  bei  fielen  §u  einem  S3efi^  au^  gmeiter  §anb, 
einer  unlebenbigen  unb  be^^alb  weit  melir,  als  bei  ilirem  3)^eifter,  bem 
9)^iprau(^  au§gefe|ten  gormel  geworben  war.  (B§>  ^eigt  fidj  bie§  nament^ 
lid^  on  ber  $8el)anblnng  ber  religiöfen  unb  tlieotogtfdjen  fragen,  ^ene 
5ßerföl)nung  beS  ©laubenS  mit  bem  SSiffen,  bie  §egel  felbft  uiel  §u 
lei(^tl)in  unb  md  §u  unbebingt  proflamirt  liatte,   war  ben  meiften  ein 

gelter,  ®e{<^ic^te  bet  beutjc^en  Sß^itolop^ie.  4g 


722  ®^c  l^eget'fd^e  <Bä)uU. 

Toitt!ontmene§  ©d^tagraort,  fihiter  betn  fid;  bie  Unflarfieit  be0  ®enf"en§, 
ber  bogmatifc^e  ober  romantifd^e  Söiberratlle  gegen  bie  Ätitif,  ber 
ÜJianget  an  n)lf[enfc^aft(i^em  aJint^  um  fo  leidster  oerftetfen  fonnte,  je 
geringfc^ä^iger  man  t)on  ber  ^ö!)e  ber  ©pefulation  auf  bie  ^iftorifd;e 
unb  f)iftortf(^=fritif(^e  5:t)eoIogie,  auf  bie  übermunbenen  ©tanbpunfte  be^ 
9lationalifmu0,  beä  ©npranaturalifmu§  unb  be§  f(^Ieiermad;er'fd;en  2lb= 
{)ängigfeit§gefüf)(§,  auf  alle  bie  mü^famen  2lrbeiten  unb  ^tefteyionen  be§ 
MoBen  „S^erftanbe^"  f)erabfa{),  ber  noc^  nid;t  gelernt  iiatte,  „ben^raeifel 
felbft  mieber  gu  bejraeifeln"  unb  auf  biefem  2öege  bie  alten  S)ogmen 
einfa^  raieberfier^uftellett,  ber  befc^ränft  genug  mar,  um  bie  biblifc^en 
©c^riften  unb  bie  firc^Iic^en  ^efenntniffe  beim  2ßort  gu  netimen,  ftatt 
fie  in  bie  ^been  ber  neueften  ^{)iIofop{)ie  umäubeuten,  unb  über  2öiber= 
fprü($e  5U  ftraud;eln,  ftatt  in  iJinen  ein  5IRer!mal  {)öf)erer  3Bai)rf)eit  gu 
ernennen.  Sßenn  man  fief)t,  toüS  felbft  ein  ®aub  unb  3Jiar^eine!e 
in  biefer  ^egiefiung  geleiftet  f)aben,  fo  fann  man  fic^  nidjt  munbern, 
bei  Senfern  britten  unb  oierten  StangS,  raie  9tuft  (,,^^iIofopf)ie  unb 
e^riftentfium"  1825),  ßonrabi  unb  @öf(^el  (1781  —  1861),  beffen 
erfte  ©c^rift  freiließ  §egel  felbft  nod;  ^ödjliä)  belobt  l)atte,  bie  unfrud^t^ 
barfte,  mit  bem  ©d^ein  unb  2lnfpru(^  fpehilatiüer  S)iale!til  über  bie 
3Jorau§fc|ungen  be§  fir(^lid;en  S)ogma'§  nic^t  ]^inau§fül)renbe  ©djolaftif 
gu  finben. 

2Bie  wenig  aber  bie  ^ter  üorau^gefe^te  i^^ß^tilöt  be§  ^egel'fd^en 
(St)ftem§  mit  ber  (^riftli($en  Sogmatif  in  2Bal)rl)eit  oorlianben  mar, 
geigte  fi(^  fd^on  in  bem  Singriff,  ben  griebrid^  9tid^ter  (1833)  unb 
nod)  etroag  früher  (1831)  ein  anonymes,  bamaB  faum  bead;tete§ 
@d^rift(^en  oon  Submig  ^euerbad^  auf  ben  ©lauben  an  eine  per= 
fönlid^e  gortbauer  nac^  hem  2:obe  mad^te;  fo  einftimmig  and;  bie  @nt= 
rüftung  mar,  mit  ber  Siid^ter  üon  ber  liegel'fdjen  ©d^ule  ücrläugnet 
TOurbe,  welche  fid^  burd^  il)n  nii^t  wenig  bloSgefteHt  fal).  5Dod^  mar 
bieB  nur  ein  fdf)road;e§  SSorfpiel  ber  58eroegung,  meld;e  feit  1835  burd^ 
©trauB'  ^ntif  ber  eoangelifd^en  @efd;i^te  unb  ber  d;riftlid;en  Sog; 
matil  l)eroorgerufen  würbe.  S)iefe  Ä'ritif  war  nad;  gorm  unb  ^nlialt 
mit  einer  fo  überlegenen  SO^eifterfc^aft  burd;gefü^rt ,  fie  war  eine  fo 
glöngenbe  wiffenfc^aftücöe  Seiftung  unb  fclinitt  in  bie  lierrfdjenben  Wlü-- 
nungen  fo  tief  ein,  baB  ba§  unglaublid;e  3tuffe^en,  ba§  fie  erregte,  üolI= 
fommen  gered;tfertigt  erfd^cint.  3"ötcid^  ftanb  fie  aber  fo  eutfd;ieben 
auf  bem  ^oben  ber  l)egel'f d^en  ^l)ilofopl)ie,    fie  fonnte  bie  Soufequeuä 


©trau§  unb  geucvbad^.  733 

be§  @t)ftem§  unb  felBft  bie  eigenen  ©rftärungen  feine§  ©tifterg  mit 
.fold^em  9?ac^bru(i  für  fic^  geltenb  ntad^en,  ba^  fie  nid;t  attein  üon  ben 
S)rau^enfte^enben  faft  oJine  2lu§naf)me  aU  bie  äd^te  Stoc^ter  ber  l^egel'= 
fc^en  (Spefulation  anerfannt  raurbe,  fonbern  au^  innerl^alb  ber  ©c^ute 
nic^t  wenige,  unb  oon  benen,  nie(($e  fi(^  je|t  erft  an  fie  anfc^loffen,  bie 
weiften,  in  bie  t)on  ©tranfe  eröffnete  S3af)n  einfenften.    S)iefe  SBirfung 
trat  vot  allem  in  ber  engeren  ^eimat^  be§  fü^nen  fd^mäbifd^en  ^ritiferS 
fierüor,   mo  „Hegelianer''  unb  ^reunb  ber  ftran^if^en  ^riti!  längere 
3eit  für  gleid^bebeutenb  gölten,  unb  wo  aud^  ©trauB'  Selirer  %.  Söaur, 
f($on  feit  ^a^ren  mit  fetbftänbigen  Unterfud^ungen  über  bie  Slnfänge  ber 
(^riftti(^en  lird^e  Befd^äftigt,  nun  erft  bie  voüe  greif)eit  für  jene  burd^^ 
greifenbe   f)iftoiifd^=fritifd^e  9ieconftruction   ifirer   urfprüngHd^en   ©eftatt 
unb  @efd^id;te  erhielt,   bereu  Sebeutung   nä)  feitbem  immer  beutlid^er 
f)erau§gefteat  ^at.    SSeniger  Slnflang  fanb  bie  ftrauBifcf;e  i?ritif  anfangs 
bei  ben  norbbeutfd;en  .^egelianeru ,   oon  benen  nur  rcenige  fic^  für  fie 
au§fprad§en,   bie  meiften  if)r  in  ben  ^auptpunften  balb  mit  gröfjerer 
balb  mit  geringerer  (gntfc^iebenfieit,  balb  in  erregterem,   balb  in  rul)i= 
gerem  2:one  entgegentraten.    §atte  man  aber  einmal  an  biefem  gJunft 
angefangen,  ^egel'S  ©rgebniffe  5U  prüfen,  foIc^e§,  mal  bei  i^m  unfiar 
unb  unentfd^ieben  geblieben  mar,  jur  ßntfd^eibung  ju  bringen,  in  ber 
ßoufequeuj  feinet  @i;ftemg  über  ifm  felbft  t)inau§3ugeF)en,  fo  fonnte  e0 
nid^t  ausbleiben,   baB   biefeS  «Softem   auct;  in   allgemeinerer  Sejiefiung 
auf  bie  9^ic^tigfeit  feiner  SSorauSfe|ungen  unb  feineS  33erfal^renS  unter- 
fud^t  mürbe.    SBenn  ba^er  baS  Sluftreten  üon  (Strauß  5unäcf;ft  aud;  nur 
für  bie  tfieotogifc^e  ^ortfieiftettung  ber  fiegeffd^en  ©d^ule  bie  ©d^eibung 
in  eine  redete  unb  eine  linfe  ©eite  jur  gofge  ^atte,  fo  befd^ränfte  fid^  bod^ 
feine  SSirfung  um  fo  weniger  auf  biefeS  @ebiet,  ba  balb  auä)  no(^  t)on 
anbcrer  ©eite  f)er  in  bie  SSer^anblungen  eingegriffen  mürbe,  bie  er  an= 
geregt  ^atte.    SBenige  ^afire  nad;  bem  ©rfd^einen  oon  ©trauB'  „Seben 
3efu",   unb   glei^jeitig  mit   feinem   jraeiten  fritifd^en  .gauptwerf  (ber 
„@rauben§Ief)re"),  ftellte  Submig  ^euerbad^,  beffen  antitlieorogifd^e 
©d^ärfe  nad^  feiner  oben  ermäi)nten  i^ugenbfd^rift  fi^   nod;  üietfad^  ge= 
äuBert  t)atte,  in  feinem  „Sßefen  be§  6t)riftentf)umS"  (1841)  eine  Slnfic^t 
über  bie  9ieIigion   auf,   meldte  ju  ber  fiegeffd^en  9teligion§p^i(ofopf)ie 
unb  if)rem  2Bat)(fprud^,  ber  SSerföf)nung  oon  ©tauben  unb  Sßiffen,  in 
grettem-  @egenfa|  ftef)t.    S)ie  9letigion  ift,  wie  er  glaubt,  ein  ©r^eugniB 
be§  felbftfüc^tigen  menfd^lid^en  ®emütl)S,  baS  fein  eigenes  SBefen,  in'S 

46* 


724  2)ie  J^cgcffd^e  ©ci^ule. 

unenbli($e  gefteigert  unb  mit  fd^ranfenlofer  3Jia($t  auSgeftattet ,  aU 
©ottfieit  fi(^  gegenüBerftettt,  um  burd^  bie  SSere^rung  biefer  ©ottficit 
allen  feinen  Steigungen  unb  SBünfd^en  bie  S3efnebigung  ju  üerfc^affen, 
welche  bie  2Birf(id^!eit  ifinen  üerfagt.  <Sie  ift  bafier  ni(^t  bIo§  eine 
5C(tufc^ung,  fonbern  auä)  eine  grunbüerberblidje  ^äufd^ung ;  fie  entfrembet 
ben  9}^enf(f;en  ber  n)irEi($en  9öelt  unb  i^rer  oernünftigen  S3etrac6tung,  ber 
2Biffenfd;aft  unb  ber  Stlbung,  fie  opfert  bie  Siebe  beut  ©lauben,  bie  3Jienf($en 
ber  ©ottfieit  auf,  fie  fangt  ber  3JioraI  i^re  beften  Gräfte  au§>,  gerftört  bie 
2öa!^rl^eit§liebe  unb  ben  9te(^t§finn,  ift  bie  unfieilfd^roangere  Sonette  be§ 
SlbergkubenS ,  be§  ^anatifmuS,  ber  3SerfoIgung.  2Ber  ben  ©runbbe- 
ftintmungen  ber  ^egel'fd^en  9ieIigion§pf)itofop]^ie  mit  fo  fc^neibenbem 
SBiberfprurf;  entgegentrat,  ber  fonnte  nid;t  mof)!  in  allem  anbern  an 
einem  (Softem  feftl^aften,  mit  bem  biefe  9leIigion§pl;iIofopl^ie  boc^  nid;t 
Bios  SufäHig  oerfnüpft  mar;  unb  fo  er!(örte  benn  aud;  geuerba($  un- 
ummunben,  §ege(  gepre  in  ba§  alte  Seftament  ber  neuen  ^fiilofop^ie, 
ber  begriff  beg  2lBfoluten  muffe  aufgegeben,  bie  S^iatnr  muffe  rcieber  in 
il^re  Siechte  eingefe^t,  ^egel'S  fpefulatioe  3)tetI^obe  mit  einem  gefunben 
©mpirifmuS  oertaufd^t  werben,  ^n  ber  ^^otge  tarn  er  auf  bem  SBege, 
ben  er  {)iemit  eingefc^lagen  ^atte,  3U  immer  rabifaleren  ©rgebniffen, 
unb  fc^lte^Uc^  gu  bem  (Sa|e,  ha^  nid)t  ber  3)Zenf(^  af§  3Sernunftraefen, 
fonbern  ber  leibliche  3)lenfd^  baS  Ma^  aller  S)inge  fei,  ja  ha^  ber 
3Jlenf(^  eben  nur  fei,  ma§  er  i§t;  gab  aber  in  bemfelben  @rab  auc|, 
na^  feiner  eigenen  @rf(ärung,  nic^t  bIo§  ber  fiegePfc^en  ^fiilofopl^ie, 
fonbern  ber  ^f)ilofop{)ie  überl^aupt  aU  foldjer  ben  Slbfd^ieb.  ^nbeffen 
üerloren  feine  frül^er  fo  geiftfprü^enben  Slrbeiten  feit  biefem  ^eitpunft 
me^r  unb  mef)r  ben  ©influ^,  beffen  fie  fid^  um  ben  Slnfang  ber  üier^iger 
Satire  erfreut  fiatten.  ^0^  weniger  fonnte  S3runo  33  au  er,  ber  in 
raf(^er  SBanblung  oom  ©ytrem  ber  fpefulatioen  Drtf)oboyie  ^um  äu^er^ 
ften  t^eologif(^en  unb  poUtifd^en  91abifalifmu§  fortgieng,  aber  immer 
ber  gleiche,  bie  SBirfiic^feit  nad^  abftraften  Äategorieen  balb  conftruirenbe 
balb  mcifternbe  ©octrinär  blieb,  unb  bie  mit  il^m  oerbunbene  ©c^aar 
mar!tf(^reierif(^er  Siteraten  für  bit  p^itofopfiifc^e  SBiffenfdjaft  als  folc^e 
eine  33ebeutung  gewinnen,  wä^renb  bie  ©oangelienfritif  allerbingS  feinen 
2lrbeiten,  tro^  aller  ilirer  ©infeitigfeit  unb  SBillfülir,  mand;e  Slnregung 
ju  banlen  liatte. 

^a§  ^auptorgan  biefeS  inng^egePfd^en  SlabifalifmuS   woren   bie 
^aÜifc^en  (fpäter:  2)eutfd;en)  :3al)rbüd^er ,  WGld;e  oon  Singe  unb  @d§  = 


I 


2)ic  linte  Seite.  725 

termeger  (geft.  1842)  ge[(^i(ft  unb  mut^ig  geleitet,  bei  it)xev  @vün= 
bung  (1838)  tiod^  conferüatio  genug  aufgetreten  raaren,  balb  aber  fo 
weit  nac^  iinU  geführt  rourben,  baB  if)nen  ©trau^  unb  feine  greunbe 
a[§>  3urnrfgebliebene  erfc^ienen,  um  fd^IieBUc^  1843  einem  SSerbot  ber 
föd;fif(i)eu  9tegierung  ju  erliegen.  Unglei^  gemäßigter  f)ietten  fid;  bie 
tübinger  ^egefianer  unb  if)re  ^eitfc^riften.  Stber  auä)  fie  unb  if)re  @e- 
finnungSgenoffen  fonntcn  fic^  nid;t  üerbergen,  bafs  bal  iiegel'fd^e  6t)ftem 
oielfac^er  33erbefferung  fä§ig  fei.  Qe  umfaffenber  biefe»  ©ijftem  in  ber 
2:()cologie,  ber  9lengion§|)i)ilofopf)ie,  ber  2leftt)etif,  ber  9icc^t§p^iIofopf)ie, 
ber  @efd)id;te  ber  ^{)itofopl)ie  mit  ben  ßrfaf)rung5n)iffenf(^aften  unb 
mit  anberen  Stanbpunftcn  in  33erüf)rung  gebrad^t,  je  ernftüd;er  unter 
SSorauSfe^ung  be»felben  bie  ßrflärung  be§  (begebenen  oerfud;t  raurbe, 
um  fo  weniger  fonnte  man  fi(^  ber  Ueberseugung  üerfd)ließen,  baß  e§ 
fid^  nid;t  bto»  um  eine  ©rgänjung  unb  Serid;tigung  feiner  einjetuen 
©rgcbniffe,  fonbern  aud^  um  eine  Sßerbefferung  feinet  ganzen  SSerfaf)ren3 
tianble;  unb  oon  i)kx  au;3  mar  nur  nod^  ein  fleiner  ©d;ritt  gu  ber 
weiteren  ^rage :  ob  benn  bie  ^rincipien  beg  ©r)ftem§  felbft  fidjcrgefteUt 
feien,  ob  nid^t  am  ßnbe  bie  Diot^irocnbigEeit  cine^  Sf^eubauä  auf  anberer 
unb  fefterer  SafiS  vorliege.  2)er  3>erfud^  eineiS  fold^en  mürbe  fd^on 
um  ben  Stnfang  ber  oier^iger  ^at)re  von  9teiff,  geJin  ^a^xc  fpäter 
unb  big  auf  bie  neuefte  ^^^t  ¥^<^^  ^^^  ad^tung§merti)er  Slu^bauer  von 
Ä.  ^(ancf  gemad^t,  roctd^e  beibe  junäd^ft  ou0  ber  fieget'fd^en  ©d^ute 
l^eruorgegangen  waren,  unb  bei  allem  Sßiberfprud^  gegen  .i^egcl  baS  feit 
gierte  üblid^  geworbene  apriorifd^e  ßonftruiren  boc^  im  wefentlid^en  bei> 
behielten,  ^it^ßll^^i  blieben  bcibe  fel)r  »erein^elt;  it)rer  SJlel^rjal^l  naä) 
folgten  biejenigen  3Jiitglieber  ber  liegeffd^en  ©d^ule,  weld;e  eine  SSer= 
befferung  be§  6ijftem0  für  nötl;ig  fanben,  einer  anbern  Sftid^tung. 
lieber  ben  UmfreiS  ber  ©d^ule  würben  aber  and^  oon  if)nen  bie  meiften 
tl)atfäd;lid^  l)inau§gcfü^rt,  unb  wenigften^  einzelne  l)aben  aud;  bie  grunb= 
fä^tid;c  Heber^eugung  auSgefprod^en,  baß  bie  ^^ilofopl)ie  einer  neuen 
©rnnblegung  bebürfe,  unb  ha'^  fie  biefe  in  erfter  9leil)e  oon  einer  ein= 
gel)enben  2Bieberaufnal)me  ber  Unterfud^ung  über  ben  Urfprung  unferer 
SSorftellungen,  bie  Sebingungen  unb  bie  3)Ietl)obe  be^  wiffcnf^aftlic^en 
ßrfennenä  ju  erwarten  i)aU. 

SBie  nun  bei  ber  (infen  (Seite  ber  fiegePfd^en  ©c^ule  bie  ^ritif, 
bie  fid^  3uerft  im  Flamen  beS  l)egerfd^en  @i;ftem§  gegen  ba§  pofitice 
2)ogma  gerid^tet  l)atte,  fid;  immer  mel)r  gegen  biefe^  6i)ftem  felbft  fel)rte. 


72G  ®^^  Vofitiüe  ^l}ilofopI^te. 

fo  tarn  eg  uniöefefirt  at§  ein  9tit(ff($tag  gegen  biefe  ^ritif  t)etrad;tet 
werben,  wenn  fid^  an§  ber  «Schule  eine  ©ruppe  üon  3)Zännern  abjTOeigte, 
meiä)e  ba§  @i;ftem  if)re§  ©tifterS,  nm  feinen  (Sonfequengen  für  bag 
S)ogma  jn  entgef)en,  im  ©inn  einer  „pofitiüen  ^f)llofopt)ie"  unibilben, 
unb  babnrd;  erft  jene  33erföf)nung  be^  ©kuben^  mit  bem  SBiffen,  bie 
|)eget  mißlungen  roav,  f)erbeifüf)ren  mottten.  S)ie  Slnfänge  biefer  nenen 
graftion  reidjen  bi§  über  ^eget'ä  %oh  f)inanf;  entfc^iebener  unb  felb= 
ftänbiger  trat  [ie  aber  hoä)  erft  nac^  biefem  ßeitpunft,  unb  namentlid; 
feit  ben  burd;  9lidjter  nnb  ©trau^  uerania^ten  SSerl) anbiungen  i)erDor. 
3tl§  il)re  ©tifter  unb  |)auptn)ortfü^rer  finb  ß^r.  §  ermann  SB  eiffe 
in  Seipäig  (1801  —  1866)  unb  ^.  §.  gid^te  (geb.  1797,  5profeffor  in 
SSonn,  bann  in  Tübingen)  gu  betrai^ten;  s^ei  frud;tbare  pf)ilofüp^if(^e 
6djriftfteIIer ,  üon  benen  ber  erfte  fid^  nid^t  b(o§  mit  ber  fpefulatiüen, 
fonbern  and;  mit  ber  pofitiüen  2;{)eologie  befd^äftigt,  bie  2leftt)etif,  unter 
früt)äeitigem  SBiberfprud^  gegen  §egel,  bearbeitet,  unb  fid^  um  bie  (^van- 
gelienfritif,  bei  mand;en  roiafüiirlid^en  unb  üerfe^lten  2lnnat)men,  3Ser= 
bienfte  erraorben  f)at;  wätirenb  ^^ii^te  über  @r!enntniBtf)eorie,  3)ietapf)t)fi!, 
fpefutatitje  3:^eologie,  ©t^ü,  2(ntl)ropologie  unb  g^fi)d;ologie  fd;rieb.  Mt 
ifinen  tonnen  IXtrici  in  Statte  (geb.  1806),  6f)ati;bäug  in  ^iet 
(1796—1862),  Karriere  in  3Jlünd^en  (geb.  1817),  ber  mürtember^ 
gifd^e  ^prebiger  3.  U.  Söirtf)  unb  anbere  aufammengeftellt  merben. 
^\ä)t  al§  ob  biefe  3}iänner  eine  ©d;u(e  im  ftrengen  @inn  bilbeten,  ober, 
in  allen  i^ren  Slnfi^ten  übereinftimmten ;  biefelben  famen  üietmel)r  »on 
uerfd^iebcnen  fünften  au§  §u  ifirem  Söiberfprud)  gegen  §egel  unb  rid^= 
teten  benfelben  gegen  t)erf(^iebene  ^eftimmungen  feines  @i;ftem§;  unb 
fie  riefen  l)iebei  üon  iliren  Vorgängern  balb  ben  einen  balb  ben  anbern 
p  |)ülfe:  gid)te  5.  S.  l)ielt  fic^  mel)r  an  feines  SSaterS,  Sßeiffe  an 
©d^elling'S  fpätere  Sel)re,  mäl)renb  ßlialybäuS  giüifdjen  ^egel  unb  §er= 
bart  bie  rid;tige  3Jiitte  ^u  treffen  fud;te;  aud^  bei  Äraufe  unb  2:royler, 
bei  58aaber  unb  ben  älteren  3)ti)ftifern ,  bei  ^piato  unb  ben  9Zeuplatoni= 
fern  fuc^te  man  SlnfnüpfungSpunfte.  2(ber  bod;  ge^t  ein  gemcinfamer 
©runbäug  burd;  bie  <S($riften  ber  obengenannten  unb  ber  ilinen  oer- 
raanbten  ^^l)ilofopl)en  l)inburd),  fofern  fie  alle  in  erfter  9teil)e  üon  bem 
S3eftreben  geleitet  finb,  geroiffe  religiöfe  unb  et^ifcfie  Heberjeugungen  ju 
retten,  meiere  burd^  bie  l)cgel'fd^e  ^l)itofopt)ie  bcbrol)t  fd;icnen.  ®S  ift 
im  allgemeinen  bie  unenblid;c  53cbcutung  ber  ^erföulid^feit,  für  bie  fie 
eintreten;    im   befonbcru   tommen   brei  ^Hauptfragen  in  33etrad;t:    bie 


ffleiffc  unb  3.  §.  gierte,    ©üntl^er.  727 

tf)eo(ogi)cf)e,  bie  antE)ropo(ogifc^e  unb  bei  einem  Xfieif  jener  3}^änner 
aud;  bie  djriftotogif^e.  ^n  ber  2;£)eo(ogie  foK  bie  ^erfön(i(|feit  ©otte§ 
geraafjrt,  ba6ei  aber  feiner  .^nnerroeitü^feit,  roie  fie  Sc^eding  unb  ^ege( 
ge(e^rt  fiatten,  ni(^t5  oergeben,  ^^^^i^ß'^^^j  i^"^  Xranfcenbenj,,  2:f)eii'mug 
unb  ^antf)eifntu§  fotten  oerfnüpit  werben.  3^ie  Söfung  biefer  2(ufgabe 
geigte  fic^  aber  freilii^  um  fo  fc^roieriger,  je  ernfter  man  e»  bomit  nafim; 
unb  burd;  biei'e  Sc^roierigfeiten  liefe  fic^  namentiic^  Sßeiffe  (me{)r  ober 
meniger  aber  alle,  meiere  mit  if)m  bie  g^erfönlidifcit  ©ottes  mittelft  ber 
SrinitätSlelre  gu  conftruiren  vevimijtcn)  ju  felir  feltfamen,  an  bie  fpätefte 
gorm  ber  fc^ellingiic^en  Spefulation  anfnüpr'enben  S^orftedungen  üerleiten. 
^n  engem  ^itfa^wien^ang  bamit  fte()t  feine  eigent()üm(i($e  G§rifto(ogie. 
2Ba§  enblic^  bie  2(ntf)ropo(ogie  betrifft,  fo  iianbette  e§>  ]iä)  f)ier  oor 
allem  um  bie  Unfterblic^feit,  bie  aber  2Beiffe  unb  aud)  %\d)te  auf  einen 
%i)^i[  ber  23leni(^en  befc^ränfen  rooüte.  ^n  %iä)W§>  älZetap^yuE  fpielen, 
roenigftenS  in  ber  fpciteren  ^^it/  ^^^  „Hrpofitionen"  eine  grofee  dlolie, 
meiere  ber  <Bad)e  nac^  an  58öl)me  erinnern,  fofern  fie,  roie  feine  D^atur 
in  @ott  (oben  ©.  16j,  ba§  SBefen  ber  enbücEien  2)inge  in  eroiger  Sßeife 
entfialten  unb  ben  ibealen  Stoff  bilben  foden,  au§  bem  ©Ott  bie  Sßelt 
fdjuf. 

SKit  ber  fiegeFf^en  ^f)i(ofopf)ie,  ber  .^auptgrunblage  feiner  eigenen, 
uerbinbet  auc^  Sranife  in  Breslau  (1792 — 1874)  ^been  ber  fc^eüingi^ 
fc^en,  aber  ber  früf)eren,  für  bie  er  befonberl  burc^  Steffens  geroonnen 
raar;  er  geigt  )i^[  jeboc^  babei  al§>  einen  fef)r  fetbftänbigen  S)enfer. 
©eine  3)ietap^ijfif,  bie  fc^on  1834  erfc§ien,  ift  grofeent^eilS  fpefu(atioe 
Cifieologie;  an  ben  fpäteren  ^ßerfuc^en  gur  ^ort^  ober  Stüdbilbung  beS 
i)egerfc§en  SxjftemS  t)at  er  fii^  nic^t  betf)ei(igt. 

Um  bie  gleiche  ^eit  mit  Sßeiffe  unb  ^.  §.  gid^te  traten  ferner  in 
Sßien  2(nton  ©untrer  (1783  —  1862)  unb  3of)ann  §einr.  ^abft 
(1785 — 1838)  gegen  ben  fiegeffc^en  unb  jeben  i§m  oerroanbten  ^an= 
t^eifmuS  in  bie  6c|ranfen,  roäf)renb  fie  bo^  g(eid)fall§  auf  eine  fpefu^ 
latioe  Ifieologie  auSgiengen;  unb  fo  fef)r  ©üntfier'S  gef($mad(o§  ^umo^ 
riftii(^e  S)arfteKung  com  Stubium  feiner  S^riflen  f)ötte  abfc^recfen 
Eönnen,  geroann  er  boc^,  {)auptfädj(i(^  burc^  ^abft,  giemlic^  üiele  greunbe. 
Siber  bie  proteftantifi^e  2Siffenfc|aft  roufete  mit  biefer  fdjotaftifc^en  @pe= 
futation  roenig  anäufangen,  unb  anbererfeitS  rourbe  in  9iom  bie  Se= 
l^auptung,  ha^  ba§  6§riftenti)um  oernunftgemäB  fei,  unb  ber  S^erfud^, 
biefe   burc§   eine   pf)itofop§ifc^e  3^ed;tfertigung  unb  S3egrünbung    feiner 


728  2(n]^änger  ©d^etling'ä  mib  33aabcc'3. 

Sefiren  ^u  beroeifeu,  attju  BebenfUd^  befimben:  ©ünt^er'l  Schriften  tarnen 
auf  ben  i^nbey,  feine  @d;üler  würben,  fo  tüeit  fie  fi(^  nicf;t  nnterroarfen, 
an§  ifiren  Sefirämtern  oerbrängt,  unb  ifim  felbft  ein  Sßiberruf  abge= 
nötfiigt  (1857). 

S)en  eben,  befproc^dnen  ^f)i(ofopf)en  fönnen  ratr  biejenigen  anreif)en, 
welche  von  ©(^elling  in  93lünc^en  nnb  in  ber  3flegel  3ug(eid;  von  33aaber 
in  bie  ^§iIofopf)ie  eingeführt  TOorben  waren  unb  üon  biefem  ©tanbpunft 
an§>  gegen  ^egel  Dppofition  mad;ten,  roie  Hubert  ^eiJerS  in  3)lün= 
(5^en,  (Sengler  (geb.  1799)  in  greiburg,  ßeopolb  (S($mib  in 
©ieffen,  ^.  5p f).  gifc^er  unb  ber  früf)  geftorbene  (g.  3t.  ü.  ©c^aben 
in  ©riangen,  tmb  bie  @.  594  genannten  Sd^üler  ^rang  ^aaber'S.  3^1= 
beffen  fiat  biefe  Stidfitung,  wenn  e§  i§r  and;  namentli^  in  ber  fat§oli= 
fc^en  Äirc^e  ni($t  an  Sln^ängern  fel)Ite,  bod§  auf  ben  ©taub  ber  heutigen 
^f)i(ofop|ie  im  gauäen  feinen  erfiebtic^en  @infIuB  gehabt.  2Benn  anberer= 
feit§  @taf)l  (1802  —  1862)  in  feiner  3ted;t§pf)ilofopl)ie  an  ©j^elling 
anfnüpft,  ift  biefer  3ufamiuenf)artg  bo(^  ein  fei)r  lofer;  er  befd;ränft 
fid^  in  ber  ^auptfad^e,  wie  er  felbft  fagt,  auf  ben  2ßiberfpru($  gegen 
ben  „  3fiationatifmu§ "  eineä  taut  unb  ^egel,  auf  bie  gorberung  eine§ 
„gefd;i(^ta(^en"  ober  „pofitioen"  ^rincipS,  unb  (fönnen  wir  beifügen) 
auf  bie  ^ebeutung,  raeli^e  f)ier  ber  ^erfönlid^feit  unb  namentlich  ber 
göttüd^en  ^erfönlid^feit  unb  il)rem  grunblofen  SBillen  gegeben  wirb; 
überhaupt  aber  ift  ba0  p^i(ofopt)ifd^e,  wa§>  ©tal)l  feinen  ©d^riften  bei= 
gemifdjt  l)at,  bie  fc^mädjfte  Seite  berfelben  unb  mel)r  nur  eine  äuBer= 
lid^e  SSerbrämung  für  bie  t^eologift^en  unb  politifd^en  ^enben^en  biefeg 
talenttjollen  unb  geroanbten  Sturoaltg  ber  9leaftion. 

3Son  ben  übrigen  pl)ilofopl)ifd^en  (Sd;ulen  biefeS  ^al)rl)unbert§  er- 
l)ielt  fidj  bie  friefifc^e  (ügl.  <S.  463)  gwar  in  befd;ränftem  Umfang, 
aber  im  raefentUi^en  rein,  big  ^eute.  —  ^n  einer  nod^  größeren,  faft 
feftenarttg  gu  nennenben  @ef(^toffenl)eit  unb  ©olibarität  rourbe  unb 
wirb  J?raufe'§  Sef)re  t)on  ben  3Jlänuern,  raeld^e  fic^  il)m  anfc^loffen, 
S(l)reng  (1808  —  1874),  9löber,  v.  Seon^arbi,  Sinbemann 
(geft.  1855)  u.  21.  gepflegt.  S)od;  finb  e0  bereu  in  ®eutfd;lanb  nid;t 
üiete;  bagegen  liat  bie  fraufe'fd;e  ^l)ilofopl)ie  bei  ben  romanifd;en  3Söl= 
fern  üieten  Slnflang  gefunben,  benen  fie  haih  nad)  hem  ^ob  il)re§ 
©tifterg  "onxä)  einige  franjöfifd;  gcfc^riebene  2Berfe  üon  21  ^  r  e  n  §  befannt 
würbe,  ©ie  fonnte  fid^  bei  il)nen  um  fo  leichter  einbürgern,  ba  biefe 
3Berfe  fc^on  alg  fran3öfifd;e  bem  S^erftänbniB  feine  folc^e  ©d;wierigfeiten 


©c^üter  üon  fjrteä  mib  tiauje.    Sfiitter,  ©eorge,  mottjt.  729 

entcjegenftellten,  lüie  Äraufe'S  eigene  ©c^riften;  ba  ferner  bie  au§erbeut= 
[($en  Sefer  wegen  i^rer  Unkfanntfd^aft  mit  ber  beutfd^en  ^f)i(ofopf)ie 
l!rau[e  raof)(  man^e^,  n)a§  er  üon  anbern  ent(ef)nt  ^atte,  at§  fein  ur- 
fprnng(id;e§  ®igentf)uni  gutfc^rieben ;  ba  enblic^  J^ranfe'l  feciale  nnb 
fjutnaniläre  ^been  einen  günftigen  Soben  bei  iljuen  fanben,  nnb  gerabe 
bie  3tec^t§p^i(ofopf)ie  von  2l§ren§  oor^nglroeife  jum  ©egenftanb  feiner 
.ednng  geroäf)(t  mar.  —  ©d^leiermai^er  f)at  aB  ^^iiofopf)  nic^t 
oenifelben  ©inn,  raie  man  biefe  oon  if)m  als  2l)cotogen  fagen  fann, 
■  me  Sdjnle  ^interloffen.  2t6er  bod;  ^aben  fid^  einzelne  in  ilirer  ^tfHo- 
fop^ie  überroiegenb  an  il)n  angefd^loffen,  anbere  für  bie  irrige  raenigftenS 
fel)r  nad;f)altige  3tnregnngen  uon  i^m  erhalten.  Sa§  erfte  gilt  üon 
§einri(^  3^itter  (1791  —  1869),  bem  oerbienten  @efd;id;tfd;reiber 
ber  ^^ilofop^ie,  welcher  aber  auc^  ber  fijftematifc^en  2öiffenfd;aft,  nament- 
lid^  ber  Sogif  nnb  3JJetapf)i;fif,  mel)rere  2öerfe  geiuibmet  l)at,  nnb  einigen 
anbern;  ha§>  äroeite  yon  Seop.  ©eorge  (1811  —  1873),  ber  bei  feinem 
llnternel)men,  @d;(eiermad;er  mit  .^egel  in  einem  neuen  (forgfam  ennea^ 
bif(^  geglieberten)  @i;ftem  jn  vermitteln,  m  t  jenem  bod;  nod;  me§r 
SerülirnngSpunfte  geigt,  al§  mit  biefem,  nnb  uon  9Ud;arb  9flotl)e 
(1799  —  1867),  bem  treff(id;en  ^lieologen,  welcher  ©d^leiermai^er  na^ 
©eift  nnb  ©inneSmeife  fo  nal)e  verraanbt  n)ar,  aber  an  fritifd;er  <Sd;ärfe 
unb  Älarlieit  atterbingS  merflid^  l)inter  il)m  jurndftanb,  nnb  in  ^^olge 
bauon  bei  bem  reblid^ften  S3eftreben,  ber  SBiffenfc^aft  geredet  gu  werben 
unb  ha^  e^riftentljum  mit  ber  3eitbilbnng  ju  nerfö^nen,  tro^  ber  güde 
unb  ®ebiegenl)eit  feiner  ©ebanfen,  ber  2:iefe  feiner  religiöfen,  ber  gein= 
^eit  unb  9teinl)eit  feiner  et^ifi^en  3(nfd;auungen ,  graifi^en  bem  ©upra- 
naturaliSmnS  ber  ftrd;lic^en  S)ogmatif  unb  ben  t)on  i^m  aufgenommenen 
f^(cierma(^er'fd;en  unb  l)eger)d;en  ©ä^en  in  ein  folc^eS  ©ebränge  gerietl), 
baB  er  fc^liefetidj  gu  einer  nic^t  feiten  an  DrigeneS  erinnernben  ©nofiS 
feine  ^wf^»«^*  nat)m.  2öie  nal)e  e§  überliaupt  bem  2;f)eotogen  gelegt 
mar,  §cgel  burd;  ®d^leiermad;er  ju  ergangen,  geigt  ba§  S3cifpiel  ber 
tübinger  ©d^ule,  bereu  3}Utglieber,  S3aur  unb  Strauß  uoran,  bei  bem 
einen  oon  biefen  9Jiännern  fo  gut  mie  bei  bem  anbern  in  bie  Se^re  ge^^ 
gangen  finb ;  unb  bajg  biefer  llmftanb  nid^t  blo§  für  il)re  2:l)eologie  nnb 
9teligion§pl)ilofopl)ie  oon  ^ebeutung  raar,  fonbern  auf  iljr  gangeS  33er= 
fal)ren  unb  \i)xe  gange  (Stellung  gum  t)egerfd;en  ®i;ftem  gnrüdioirfen 
mufete,- liegt  am  Xage. 


730  2)ie  i)evbavt'fd^e  (Schule. 

M^\i  ^egel  f)at  roä^renb  be§  testen  Men\ä)enalUv§>  hin  anberer 
beutfd;er  ^^itofop^  einen  bebentcnberen  ©influ^  geübt,  a(§  ^erbart. 
S^ac^bem  biefer  fdjarffinnige  nnb  unabt)ängtge  Genfer  lange  ^^it  nur 
geringe  ^ead^tung  gefunben  l^atte,  begann  fid^  um  bie  3ett  von  §eger§ 
^obe  bie  Slufmerffamfeit  if)m  allgemeiner  §U3uraenben ;  unb  in  bemfelben 
3JlaJBe,  wie  bie  tiegePfi^^e  ^f)iIofopf)ie  an§  il^rer  be^errfd^enben  Stellung 
»erbrängt  würbe,  geraann  bie  feinige  an  S3oben.  ®er  ^auptfi^  feiner 
©djule  rourbe  Seip^ig,  mo  ®robif(^  (geb.  1802),  ^artenftein 
(geb.  1808),  ©trümpell  (fpäter  in  ©orpat,  je^t  mieber  in  Seipjig), 
al§>  if)re  fierüorragenbften  9Sortfü§rer  gu  nennen  finb.  9Bar  bie  ^egel'fd^e 
^f)i[ofopf)ie  eine  3ßit  lang  in  ^reuffen  mit  befonberer  @unft  be^anbelt 
löorben,  fo  raurbe  e§  bie  ^erbart'fd^e  in  Defterrei(^,  befonberS  burd^ 
©yner'S  ©influB;  i^re  befannteften  SSertreter  finb  {)ier  jur  3ßit 
Zimmermann  in  SBien  unb  SSolfmann  in  ^rag,  üon  benen  fi(^ 
jener  befonberS  in  ber  2left(;etif,  biefer  in  ber  ^fijc^ologie  einen  Spanten 
gemacht  ^at.  Sßeiter  gepren  ju  ber  fierbart'fc^en  ©d^ule :  ber  Slefttietifer 
©riepenferl,  ©c^illtng  (geft.  1872),  9^af)Ion)l!i),  Si^ilo,  211  = 
W^n  unb  g  lüg  et,  bie  Herausgeber  ber  „3eitfc^rift  für  eyacte  ^f)iIo= 
fopE)ie",  unb  mefirere  anbere.  2lud^  SagaruS'  ^fijd^ologie  fielet  im 
allgemeinen  auf  il)rem  ^oben.  ®aB  e§  aber  an^  biefer  @d;ule  ni(^t 
gelingen  lonnte,  bie  ftrenge  ©efc^toffenlieit  ^u  bemafiren,  bie  fie  anfangs 
beliauptet  l)atte,  geigte  fid^  fd^on  frül)e  an  einem  ilirer  auSgegeid^netften 
Mitglieber,  Stlicobor  SSai|  (1821  —  1864)  in  aJiarburg;  benn  fd^on 
in  feiner  ^fpd^ologie  t).  ^.  1849  erl)ob  biefer  ^liitofopl)  nid^t  allein 
gegen  bie  Slnroenbung  ber  9}iat^emati!  auf  bie  5pfi)d^ologte  einen  wo^h 
begrünbeten  SBiberfprud^ ,  fonbern  er  mad^te  and;  t)on  ber  ^lieorie  ber 
©törungeu  unb  ©etbfterljaltungen  feinen  (ächtanä)  unb  bel)anbelte  bie 
^fijd^ologie  überhaupt,  mcnu  aud^  in  il)ren  näd;ften  SSorauSfe^ungen 
mit  ^erbart  einoerftanbcn,  bod^  raeiterl)in  fo,  mie  fie  and;  ein  fold;er 
ptte  bel)anbelu  lönnen,  ber  niemals  mit  ^erbart  bie  9iealität  ber  33er= 
önberung  unb  ber  SBec^felmirfung  von  Seib  unb  ©eele  bezweifelt  liatte; 
2tbroeid^ungen  oon  ber  urfprünglic^en  9iid^tung  ber  lierbart'fd^en  ^fi)= 
d^ologie,  worin  i§m  ingwifc^en  auc^  anbere  gefolgt  finb. 

^e  me^r  nun  fo  bie  metapl;i;fifd^e  ©runblage  ber  lierbart'fd^en 
^fi)d;olügie  bei  6eite  gefteHt  würbe,  um  fo  uäl)er  !am  mau  in  biefer 
2öiffcnfd;aft  bem  3Serfal)ren,  welches  $8enefe  »erlangt  unb  befolgt 
l)atte.    3)od)   ^at  ^enefc'S  eigenes  pfyd^ologifd;eS  ©yftem   bis  auf  ben 


<Bd)iiUx  53eitefe'§.    3:venbelent>urg.  73 1 

heutigen  SCag  faft  nur  in  päbagogifc^en  Greifen  Stnfiänoev  gefunben ;  aiä 
ber  eifrigfte  berfelbeu  ift  S)  realer  au  nennen.  Slber  einen  evf)eb(id;en 
(ginfhiB  auf  i^re  Slnfic^ten  geftotteten  i^m  an^  fotd^e,  bie  toir  nid;t 
eigentüd^  ä«  fßi«e«  2tn|ängern  äöJ)(en  fönnen,  rote  Ueberroeg  (1836  — 
1871),  ber  um  bie  @e)c^id;te  ber  ^f)iIofop§ie  ucrbiente  ed^üler  Stren^ 
be(en5urg'§,  unb  gort  läge  in  ^ena  (geb.  1806),  ber  für  feine  ^v- 
neuerung  unb  Umbilbung  ber  fid;te'fd^en  2Biffenfd^aft§Ief)re  neben  anbern 
in  erfter  Md^e  SBenefe'g  ^fi)($o(ogie  au  ^ülfe  genommen  t)ot. 

eine  eigent^ümüd^e  ©teUnng  nehmen  Irenbelenburg ,  ged;ner  unb 
So^e  ein,  fofern  fie  alie  brei  nie  einer  ber  älteren  Sd;u(en  angehört, 
fonbern  t)on  2lnfang  an  bie  üon  mehreren  berfelben  empfangenen  2ln^ 
regnngen  felbftänbig  oerarbeitct  (;aben.  Slud^  in  if)rem  n)iffenfd;aft= 
liefen  ©tanbpunft  i)aben  fie,  neben  erfieblid^en  Slbroeic^nngen ,  eine  ge= 
miffe  SSerroanbtfd;aft.  3tbo(f  Srenbetenburg  (1802—1872)  in 
S3erlin  aog  neben  feinen  grünblidjen  gelelirten  3trbeiten  auerft  1840  in 
ben  „Sogifd;en  llnterfuc^ungen "  burd;  feine  fd;arfc  unb  erfolgreid^e 
Äritif  ber  ^egel'fd^en  Sogif  unb  i^rer  3}ietf)obe  bie  2tufmerffamfeit  auf 
fic^.  ©r  feinerfeitö  miU  an  ber  Stu^bilbung  ber  üon  ^lato  unb  2lrifto= 
tele^  begrünbeten  organifc^en  SBeltanfd^auung  arbeiten;  unb  biefe  beruht 
feiner  Stnfic^t  nac^  auf  bem  ^roedbegriff ,  ber  Ideologie,  bie  an  ber 
mati;emati)d;en  unb  ber  p^ijfifaUfd;en  Setrad;tung  al§>  ba§  f)öf)ere  britte 
t)inaufommt.  Sie  ^tuedtfiätigfeit  unb  bie  ^Bewegung  finb  bie  bem 
teufen  unb  ©ein  gemeinfamen  :j^ätigfeiten;  weil  fie  in  beiben  ibentifd; 
finb,  ift  eine  ©rfenntniB  be§  aüirtüd^en  möglidj,  unb  au§  bemfetben 
@runb  finbet  aroifd;en  ben  formen  be§  ©ein§  unb  ben  logifc^en  ^mh 
formen  jene  burd^gängige  Uebereinftimmung  ftatt,  meldte  Xrenbelenburg, 
ä§n(id;  mie  (5ci^(eiermad;er,  aber  unter  SBiberfpruc^  gegen  §ege(,  be- 
l)auptet.  Surd;  bie  tf)eo(ogifdj  =  organifd;e  ai>e[tanfic^t  rairb  ha§>  3lea(e 
bem  ^bealen,  haS^  fid;  in  ifim  ocrruirflic^t,  untergeorbnct,  unb  ftatt  ber 
unt)altbaren  ^bentität  be§  Subjeftioen  unb  Dbiettiuen  eine  33erbinbung 
üon  9iealifmu§  unb  ^bealifmuS  gemonnen.  i^^ren  2Ibfd;(uB  finbet  biefe 
2Öe(tanfi^t  and;  bei  3:renbeleuburg  in  ber  ^bee  be§  Unbebingten,  be§ 
Slbfoluten.  3lur  foU  biefe  erft  oon  ber  miffenfdjaftüc^en  SBelterfenntniB 
aus  gefunben  unb  näi)er  beftimmt  roerben,  unb  wie  roeit  mir  f)iebei 
mit  unfern  für  ha§>  ^ebingte  geltenben  Segriffen  fommen,  bleibt  bal)in= 
gefteat.-  Srenbelenburg  mad;t  ba^er  feinen  Sierfud^  einer  fpehilatioen 
Il)eologie;   bagegen  t)at  er  fid)  mit  etl)ifd^en  gragen  befd;äftigt  unb  in 


732  gedinei-.    l'oljc. 

feinem  ^laturred^t  ba^  Ue^i  unb  ben  Staat  unter  bem  etl)ifd^en  ®e= 
fi(^t§pun!t  6ef)anbelt. 

(Statt  biefer  S^erbinbnng  üon  ^beatifmuS  unb  9ieaüfniu§  finben 
wir  bei  geebnet  (geb.  1801),  bem  leipziger  ^f)x)fifer,  neben  feinen 
eyaften  ,,pfi)(^op^i)fifd^en"  Unterfnd;ungen  eine  rein  ibealiftifc^e  unb  par- 
t^ieenmeife  fogar  pl)antaftif(^e  3}ietap^t)fi!.  2ßä{)renb  nämlid)  ^renbelen= 
bürg  bte  WiaUm  üi§>  ein  reate^  ©ubftrat  ber  ©rfc^einnngen  übrig  lä§t, 
füf)rt  ged^ner  bie  ganje  SluBenroett,  nac§  ^evUU\f§>  3Sorgang,  auf  einen 
gefe^mä^igen  3ufammen§ang  uon  @rf (Meinungen  ^urüd ;  unb  aud) 
bie  immaterietlen  SItome  ober  traftcentren ,  au0  benen  er  biefe  fjeruor- 
get)en  tä^t,  finb  gleic^fatt^  nur  einfadifte  ©rfc^einungen.  ^a§>  9ieale, 
in  TOeld;em  unb  für  welches  biefe  ßrfd^cinungen  eyiftiren,  finb  bie  (Seelen 
ober  bie  ©eifter,  bie  (raie  bei  Seibnig)  in  iiirer  ©efammtl^eit  eine  auf= 
fteigenbe  StufenrciJie  bilben.  (Sbenbe^{)alb  fann  aber  au^  ber  3ufam= 
menljang  ber  ©rfc^einungen,  wie  ged;ner  glaubt,  nur  burc^  ba§  ^emu^t^ 
fein  üermittett  fein,  unb  fo  fommt  er  fc^(ie§lid^  auf  bie  SInnalime,  ba§ 
jebe  ©ruppe  niebrigerer  ©elfter  in  einem  l)ö^eren  unb  bie  ©efammtlieit 
berfelben  in  ber  @ottl)eit  entl)atten  fei,  wobei  fid^  benn  natürlid^  eigen= 
tt)ümlid;e  Folgerungen  über  ba§  3Sert)äItniB  biefer  oerfc^iebenen  in  ein= 
anber  gefd; achtelten  ^erfönli(J^feiten  nid§t  üermeiben  taffen. 

3}ttt  ^ec^ner  ftimmt  nun  So|e  (geb.  1817,  feit  1844  in  ©öttingen) 
in  feinem  SpiritualifmuS,  mit  ^renbelenburg  in  feiner  ^eleologie  über= 
ein.  Seine  2tnfid;ten  greifen,  neben  ber  umfaffenbften  SSerroert^ung  ber 
fieutigen  3^aturn)iffenfd;aft  unb  ^l)i(ofopf)ie,  in  mefentlii^en  fünften  auf 
Seibni§  ^urüd.  SDa^  urfprünglid^  Sieaie  finb  einfädle,  immaterielle  äöefen, 
bie  aber  So|e,  im  Unterfc^ieb  yon  §erbart  unb  Seibnij,  in  ba§  ^erlialts 
nt^  gegenfeitiger  ©inmirfung  fe|t;  auS^  i^ren  inneren  ^itftänben  gel)en 
nacö  feften  ©efe^en  bie  mec^anifc^en  Semegungen  fieroor,  auf  bie  mir 
für  bie  ^Raturerftärung  junäd^ft  angemiefen  finb.  5Der  le^te  ©runb  für 
bag  2)afein  jebeS  2öefen§  liegt  aber  barin,  ba^  e§  al§  3?ern)irt(id;ung 
einer  ^bee  im  ©anjen  feine  notl)roenbige  Stelle  l)at ;  unb  e§  finb  be^= 
l)alb  an^  nur  biejenigen  unfterblid^,  meldte  in  ber  ©ntroidlung  i^reä 
SebenS  einen  ^n^alt  von  fo  l)o^em  2öertl)e  realifirt  l^aben,  baB  er  bem 
©an^en  erlialten  §u  werben  üerbient.  So^e'§  Sluffaffung  ber  SBelt  ift 
bal)er  mefentlid)  eine  teleologifd^=äftl)etifd^e,  unb  biefe  S^eleotogie  gipfelt 
in  ber  i^bee  @otte§:  ba§  2öirflid;e  ift  ber  perfönlid^e  ©cifl  ©otteS  unb 
bie  Söelt  perfönlid;er  ©eifter,  bie  er    gefdjaffen  §at,  benn   nur   für   fie 


®d^Dppn'^aucr'f(^e  @diule.    §artmaun.  733 

QieU  e§  Oiite^  unb  ©üter,  unb  für  fie  attein  Beftel^t  bie  ßrfdjemung 
ber  6toffrae(t,  burd;  beren  formen  unb  Seraepngen  fid)  ber  ©ebanfe 
be§  2öettgan3en  ber  2(nf(^ouitng  ber  enbltd;en  ©elfter  üerftonblid;  maä)t 
SSon  biefem  Stanbpunft  au§  fiat  So^e  mit  üielfeitigem  SSiffen  unb  ftnni= 
gern  ©enfen  unb  mit  einer  nic^t  feiten  an'l  ©feptifd^e  ftreifenben  53ef)ut; 
fatnfeit,  neben  ber  5ßf)i;fiologie  auä)  bie  9}Zetapf)t)fif,  bie  Sogif,  bie  ^f:;; 
d)o(ogie,  bie  2(eftf)eti!  bearbeitet,  unb  in  feinem  „9}?ifrofofmu§"  ha§>  @on3e 
feiner  Söeltanfic^t  5U  einem  reichen  unb  angiefienben  53ilbe  5ufammengefaBt. 
Später  ai§>  bie  meiften  üon  feinen  p^iIofopf)ifc^en  ^eitgenoffen  fonb 
©d;openf)auer  einen  ^rei§  üon  2lnf)ängern,  unter  benen  er  feinen 
eifrigeren  Slpoftel  unb  feinen  unbebingteren  S3emunberer  fiatte,  als  ben 
üon  ber  fiegePfd^en  ©djute  3U  if)m  übergetretenen  ^rauenftäbt.  ©rft 
nod;  feinem  ^ob  f)at  fid;  biefer  Üxci§>  aümä^lid)  erweitert;  bo(^  fd;eint 
er  auc^  jeljt  nod^  weniger  au§  ^f)ilofopt)en  00m  %aä)  a(§  an§>  fiiebfiabern 
3U  beftef)en,  meiere  fid;  ba§  ©ijftcm  i^re§  3}?eifter§  ni(^t  ai§>  n)iffenfd;aft= 
tidje0  ©an^eS  in  allen  feinen  Seftimmungen  angeeignet  f)oben,  fonbern 
fi(^  t^eilS  üon  feinen  fd;riftftellerifd^en  3]or5Ügen,  tt)eil§  üon  feiner  peffi; 
miftifd;en  unb  bod;  bem  @elbftgefü§(  berer,  bie  fid;  if)r  f)ingebcn,  in  fo 
^oI)em  @rabe  f(^meid;elnben  Sßeitanfdjauung  angezogen  finben.  Unter 
benen,  roeidie  mit  ernfterer  gorfc^ung  in  feine  ©ebanfen  eingiengen,  ift 
of)ne3meifel  ber  bebeutcnbfte  ber  33er(iner  (Sbuarb  oon  ^artmann 
(geb.  1842).  8eine  „^i)i(ofopl;ie  be§  UnbemuBten"  ift  afferbingS  me^r 
al§  eine  blo^e  3Bieberf)o(ung  ber  fc^open^auer'fdjcn  Seigre :  fie  raill  grai- 
fd;en  if)r  unb  ber  f)egei'fd;en  eine  oermittctnbc  Stcffung  cinnel^men,  unb 
f)iefür  and;  bie  oon  (Sd;etling  in  feiner  pofitioen  5ßl)i(ofopf)ie  gegebenen 
2lnbeutungen  benü^en.  ^i^^^ffci^  befielet  fein  tlnterfi^ieb  oon  ©c^open; 
flauer  bod;  fiauptfädjUd)  nur  barin,  ba^  fein  2lbfolute§,  ober  wie  er  e§ 
nennt:  ba§  IXnberou^te,  nid;t  Uo§>  unbenni^ter  2öi(Ie,  fonbern  jugleid; 
aud;  unbemuBte  intelligent  fein  fott,  unb  ba§  er  eben  f)ierau§  bie  Qxocä^ 
mäfsigfeit  ber  9iatureinri($tunö  unb  bie  Stufenfolge  ber  SBefen  fierleitet. 
^^re  ©pi^e  errei(^t  biefe  aml)  bei  ifim  in  ber  ßntftefiung  be§  ©cf)irn§ 
unb  beio  an  baSfelbe  gdnüpften  SSerou^tfein^ ;  bie  le^te  3Xufgabe  be§ 
berauf5ten  SebenS  fief)t  aber  aud^  er  in  jener  SSerneinung  be§  SßiEenS 
gum  Seben,  bur($  toetdjc  bie  SBelt  f(^(ie§It(^  loieber  oon  bem  ©tenb  be§ 
S)afein§  befreit  wirb,  unb  nur  eine  unterrirorbnete  S)ifferen3  ift  e§,  ba^ 
biefe  peffimiftifdjc  Seben^anfic^t  bei  ^artma^in  immerf)in  weniger  energifd; 
f)erüortritt,  al^  bei  feinem  SSorgänger. 


734  2)ic  ipl^Uofopl^te  unb  bte  (5vfat)rung§atffenJ^aften. 

©itter  ber  einflu^retd^ften  unter  beit  ^aftoren,  von  betten  ber  (E^a- 
rafter  uttb  ^nflmtb  ber  ^^ilofoptite  in  jebem  Zeitalter  ab!f)ängt,  liegt 
in  ifirem  SSert)ä(tni^  gu  ben  anbertüeitigen  biefe  3^^*  bctüegenben  3"te= 
reffen,  unb  nametttli(^  in  ifirem  3?erJ)ä(tniB  jn  ben  übrigen  2ßiffenfd^af= 
ten.  2(n  ber  beutfd^en  ^^itofop^ie  jetgt  fid)  bie§  felbft  in  ber  ^eriobe 
if)rer  felbftänbigften  ©nttüidinng ;  i<^  erinnere  nur  an  ben  3"föntinen= 
f)ang  be0  fantifc^en  5lriticifntu§  mit  bem  ttieologif^cn  9ktiona(ifntu§ 
unb  ben  poIitif(^en  Seftrebungen  ber  2luff(ärung§periobe,  an  ben  ©infhi^ 
ber  beutf($en  ^ic^tung  auf  ©c^elling  unb  §egel,  an  bie  ^ebeutung  ber 
9^aturroiffenfc^aften  für  ©d;eUing,  ber  9Jiat^etnatif  für  .^erbart,  an  bie 
©puren,  n3elc§e  |)eger§  tf)eoIogif(^e,  {)iftorif(^e  uttb  politifi^c  ©tubien  in 
feinem  ©i;ftetn  §urücE(ieBen.  ^oä)  ftörfer  mn^te  fid^  biefe  S5erfc^(ingting 
ber  ^f)i{ofop{)ie  mit  ben  auberen  2ßiffenfd;aften  ber  erfteren  fü{)lbor  mod^en, 
al§  fid^  bie  pt)iIofopt)ifd^e  ^robu!tit)ität  im  großen  in  ber  rafd)en  2luf= 
einanberfolge  umfaffettber  @t)ftetne  für  einige  3eit  erfd^öpft  l^atte,  bie 
3nt)erfid^tÜd)!eit  ber  ©pefulation  nad^tie^,  unb  bie  gorberung,  ben  SBertf) 
it)rer  ©rgebniffe  gu  prüfen,  fidj  me^r  unb  mefir  geltenb  madjte.  ©inerfeitS 
mar  ber  SBiberfprud;  ber  empirifc^en  2öiffenf($aften  gegen  biefe  ©rgebttiffe 
ba§  bnrd)fd;lagenbfte  t)on  ben  9)^omenten,  meldte  ben  ©tauben  an  bie 
pt)itofopt)ifd;en  @t;fteine  juerft  bei  SInbern  unb  in  ber  ^olge  and)  bei 
tt)ren  eigenen  Slnl^dngern  erfc^ütterten ;  anbererfeit?  mtirbc  ebenbaburc^ 
ba§  ^cftreben  t)ert)orgerufen,  bie  pf)itofopt)ifd^en  ©älje  tinb  3Jletl^oben, 
unter  Seitü^ting  alles  beffen,  ma^  bie  @rfa^rung§it)iffenfd^aft  barbot,  fo 
umjtibilben,  baf?  jener  SBiberfpruc^  üerftummen  muffe.  S)ie  ^§itofop{)ie 
erfuhr  biefe  ©inioirfung  gtierft  übern3iegenb  t)on  ber  @ef(^i(^t§tt)iffenfd^aft 
unb  ber  Sl^eologie;  benn  bie  Äritif  ber  l^iftorifd^en  uttb  bogmatif^en 
X^eologie  mar  e§,  tuelc^e  feit  ©trauB'  Sluftreten  jur  ^erfe^ung  ber  fie- 
get'fd^en  Schule  ben  entfd^eibenben  SlnftoB  gab.  ^oä)  mel  burd^greifen= 
ber  geigte  fic^  aber  feitbem  ber  (Sinfln^  ber  9^{aturn)iffenfd;aften.  ®er 
2luffd)ii)ting,  meldjen  bie  3^aturforfd^ung  in  ben  legten  ^atirgetienben  ge- 
nommen, bie  maffent)afte  Bereicherung,  bie  fie  tinferetn  2öiffen  gebrad;t, 
bie  glängenben  ©ntbedungen,  gu  benen  fie  geführt  t)at,  toaren  gatij  ge= 
eignet,  it)r  in  bem  öffentlid^en  i^ntereffe  über  alle  anberen  SBiffenfd^aften, 
unb  namentlid^  über  bie  ^t;ilofop{)ie,  ba§  Uebergetuid^t  gn  t)erfd^affen. 
Stird;  bie  §rud)tbarfeit  il)reö  ä>erfal^ren§,  bie  ©i^er^eit  unb  Stu^barfeit 
it)rer  ©rgebniffc  [teilte  fie  bie  ^|.sl)ilofop^ie  um  fo  me^r  in  ben  ©d^atten, 
je  loeniger  bie  meiften  einen  ftaren  ©itiblid  in  baS^  ^'eri)ältni^   beiber 


Site  9?atumiffenfd)aft.  735 

l^atten,  je  aii§f(^ne^lid;er  fie  bei  ber  ^f)ilo[oplf)ie,  roenn  biefelBe  mit  ber 
9^aturrai[[enf($aft  oerglid^en  tüerben  fottte,  nur  an  bie  f($eningif(^e  nnb 
etwa  auc^  an  bie  l^eöer[(^e  ?iaturp^ilofop^ie  5U  ben!en  pflegten,  je  un= 
befanntcr  e§  i^nen  war,  luie  oiel  bie  3^aturn)if[enf($aft  fetbft  ber  ^^i^ 
(ofopf)ie  ju  oerbanfen  ^at,  mit  roie  oielen  metapf)i)fi[c^en  33orau§[e^ungen 
nnb  Gegriffen  fie  arbeitet,  nnb  raie  mle§>  in  if)ren  eigenen  ©rgebniffen 
erft  §ijpot^efe,  oI;ne  bie  üolle  n)iffenfd;aftli($e  @id)erl)eit  ift;  je  leichter 
fie  fid^  enbli(^  über  bie  ^rage  hinwegfegten,  ob  nnb  mie  weit  bie  eigen= 
tpmüdjen  Slufgaben  nnb  ©egenftänbe  ber  5)]f)iIofopf)ie  ba§  natnrraiffen= 
fd^aftlidie  SSerfa§ren  ^ulaffen.  @o  §at  fid)  am  ©nbe  ha§>  3Sornrt^eil  ge= 
bitbet,  baB  bie  ^^ilofop^ie  in  xmferer  3eit  ifire  9toIIe  auSgefpielt  I)abe 
nnb  ni(^t§  beffereS  tf)un  !önnte,  al§  fid^  gänjlid;  in  ^fiyfif  nnb  ^f)i;fio= 
logie  auf^ntöfen.  S)er  ftärffte  2ln§binc!  biefer  3}ieinung  fann  in  bem 
3Jiaterialifmu§  gefunben  werben,  ben  ein  9}lolefd;ott,  ^Bnc^ner, 
t.  3Sogt  nnb  uieie  aubere,  meift  ^(jijfioiogen  ober  Sler^te,  oerfünbigt  §aben, 
raä^rcnb  ß^otbe  in  bem  feinigen  mit  ber  3eit  immer  unfid;erer  mnrbe. 
S)ie  (eitenben  (Sebanfen  biefe^  33iateria(ifmn§  finb  biefelben,  roeldje  fid; 
fd^on  bei  einem  Samettrie,  S)ibcrot  nnb  .^otbac^  finben.  S)ie  ilenntni^ 
ber  2:f)atfad^en,  bie  er  für  fid;  anführen  fonnte,  ift  aUcrbingS  bnrd;  bie 
^ortfc^ritte,  roetd^e  bie  mei^anifd^e  iJiatnrerflärung  in  ber  ^§ijfif  nnb 
ber  gJ^ijfiotogie  gemod;t  ^at,  anfserorbentüd^  erweitert,  unb  bie  3^eigung 
üerftärft  morbcn,  bie '  gleid;e  ©rflärung  and^  anf  ba§  geiftige  ©ebiet 
anäUTOcnben;  aber  bie  ©runbfrage,  ob  nnb  wie  fi^  ana  materiaUftifd^en 
3?orausfe|3ungen  bie  ©rfdjeinnngen  beä  ^eiou^tfeinS  unb  bie  (iinfieit  be§ 
Sßeltgan^cn  begreifen  laffcn,  ift  ifirer  ßntfc^eibnng  faum  naiver  gebradjt 
TOorben.  ^nbeffen  ift.'biefe§  erneuerte  SJCuftreten  be§  23kteriatifmu§  barnm 
boc^  nid;t  o^ne  Sebeutung.  S)enn  einerfeitS  liegt  in  if)m  eine  bringenbe 
Stufforberung  an  bie  ^f)ilofop^ie,  bie  p^yfiologifd^en  2:^atfac^en  mit 
it)ren  S^orau^fe^ungen  in  (Sinftang  ju  bringen;  unb  anbererfeit^  fpri($t 
fid)  in  il)m  menigfteng  mittelbar  bod;  aud;  mieber  ha^f  Sebürfni^  au§, 
bie  3^aturfor)c^nng  mit  einer  umfaffenberen  2ßeltanfid;t,  b.  l).  mit  ber 
^liilofop^ie,  in  3Serbinbnng  ju  fe^en.  Sind;  bie  3Jiaterialiften  felbft 
fönnen  ben  ©influ^  ber  ^l)ilofopl)ie  nid^t  burc^an^  oerläugnen.  ®ie 
9f{eüolution,  me(d;e  ^ant  in  bem  S)enfen  nnfere§  ^afir^nnbertö  l)eroorge= 
brad^t  \)at,  ift  an  i^nen  nid^t  fpur(o§  vorübergegangen,  nnb  gegen  bie 
unbefangene  ^uoerfic^tlid^feit  i^rer  S^orgänger  im  18.  3al)rl)unbcrt  ftid;t 
bie  33et)'utfamfeit  merflid;  genug  ab,  mit  ber  manä)e  oon  il)nen,  and;  bnrd; 


736  ®^s  ^{(Uofop'^ie  unb  bie  9?atumiffenfd^aft. 

9Raturforfd;er,  luie  S)u  ^o{§9flet)monb,  auf  bie  ^^Srenjen  be§  S^otur^ 
erfennetiS"  aufmerffam  gemadjt,  bie  ^rograeite  ifirer  ^el^aitptungcn  gu 
be[d;rän!cn  beginnen.  9^0(^  riel  ftärfer  tritt  biefe§  fritifdje  ©lement  bei 
bem  @e[d)id)tfd)reiber  be§  3)latenalifmu§,  Sllbert  Sänge,  fieroor, 
wenn  er  biefem  gnnäi^ft  gwar  für  bie  ©rüärung  ber  Statur  unb  be§ 
Seelenlebens  bcn  unbefd;ränfteften  ©pielranm  geftattet,  bann  aber  nad;; 
brüdtid)  baran  erinnert,  ba§  bie  3}taterie  fantmt  allem,  vcia§>  au§>  if)x 
er!lärt  werben  foH,  blo^e  ©rfdjeinung  fei,  nnb  burd;  biefe  ©rraägung 
fid)  ben  Uebergang  gu  einer  ibeeltcn  Slnfid^t  ber  ®inge  balint,  welche 
bie  SBelt  be§  ©eienben  mit  ber  SBelt  ber  SBertlie  üermitteln,  meiere 
aber  freilid;  fein  eigentlid;e§  2Biffen  gemäliren,  biefem  t)ielmel)r  in 
ber  „S3egripbi($tung"  ber  ©pelulation  !aum  nälier  lommen  foll,  aU 
in  ber  freieren  Sid;tung  ber  ^ßoefie  nnb  beS  religiöfen  ©lanbenS. 

(S§  ift  aber  ni(^t  blo§  ber  9)Zaterialifmu§ ,  ber  in  feiner '5lrt  um 
eine  S3egrünbung  unb  ©rgönjung  burd;  pl)ilofopl)if(^e  Unterführungen 
bemüht  ift;  fonbern  biefeS  Sebürfni§  fd^eint  überhaupt  auf  ©eiten  ber 
9f?aturn)iffcnf(^aften  raieber  in  pl)erem  Ma^c,  aU  noc^  oor  menigen 
;3al)ren,  empfunben  gu  werben,  ©erabe  berjenige  unter  ben  beutf(^en 
9ftaturforfd;ern,  roeld;er  mel)r  al§  jeber  anbere  einen  auf  ba§  ©ro^e  unb 
©ange  gerichteten  $8lid  mit  ber  üielfeitigften  unb  grünblid;ften  ^earbei^ 
tung  be§  ©injelnen  ücrbinbet,  $.  ^elml^ol^,  uerbanlt  feine  l)erüor= 
ragcnbe  Stellung  nic^t  §um  geringften  ^^eile  bem  p^ilofopljifd^en  ©eifte 
feiner  gorfcS^ung;  unb  fo  ift  er  ja  an^  mittag  üon  ber  ^liijfiologie 
au§  5U  erfenntnif5tireoretifd;en  Unterfui^ungen  unb  ©rgebniffen  gel'ommen, 
i>nxä)  bie  er  fic^  mit  ^ant  üielfad;  berülirt  unb  für  bie  gortbilbung 
feiner  ©rfcnntni^tlieorie  einen  liöc^ft  mertl^üotten  Seitrag  geliefert  f)at 
SlnbererfeitS  fann  fic^  aber  aud;  bie  ^l)ilofopl)ie  ber  ßinfid^t  nii^t  Der; 
fc^lie^en,  bafe  il)r  burd;  bie  grof3artige  ©ntraidlung  ber  Sf^aturraiffenfdjaf; 
ten  neue  Slufgaben  gefteKt  finb,  bereu  Söfung,  neue  ^ülfSmittel  geboten, 
bereu  Senü^ung  nur  burd;  eine  Grgänsung  unb  eine  tl^eilroeife  Slcnber-- 
ung  i^reS  bisherigen  SSerfalircnS  möglid;  ift.  2ßenn  f(|on  ein  Seibniä 
tu  ber  ßrl)a(tung  ber  jlraft  ein  allgemeines  ?caturgefe^  erlannte,  fo  l)at 
eS  boä)  erft  bie  me(^anifd;e  23ärmetl)eorie  möglid^  gemad;t,  biefeS  ©efe^, 
roeld^eS  für  bie  3JJetapl)i)fi!  unb  bie  ^fydjologie  ebenfo  mtdjtig  ift,  wie 
für  bie  ^l)i)fif,  genauer  gu  formuliren,  n)if)enfd;aftl;d;  fid^er^uftetlcn  unb 
onmeubbar  gu  mad;en.  Söenn  bie  ^^l)ilofop^ie  barauf  auSgel^t,  bie  ©e^ 
fammtlieit  ber  ®rfd;einungen  in  bem  S3eöriff  beS  SBeltganaen,  bie  ©c- 


2)ie  9?aturmffen|d)aften.  737 

fannutiieit  ber  lXrfad;eu  in  bem  einer  legten  Urfad^e  gu  t)erfnüpfen,  fo 
I)aben  bie  %f)at\ad)e.n,  lueldje  für  biefe  tluterfud;img  in  S3etrad;t  fomnien, 
burd^  bie  ©pectralanalijje  eine  fef)r  TOefentIid;e  ^eretd;erung  erfai)ren. 
SDie  ^oriüin'fdie  2(bftanunungett)eorie  eröffnet  bie  2lu§fic^t,  alle  formen 
be§  organifdjen  Mm\§>,  von  ben  niebrigften  bi§  gu  hen  pdjften,  al§  ba§ 
(ärseugniB  einer  ftetig  fortfd;reitenben  ©ntiuidlnng  §n  begreifen  ;  fteUt  aber 
eben  bamit  nur  um  fo  bringenber  bie  ^rage  nad)  ber  erften  (Sntftet)= 
nng  be§  £eben§  unb  be^5  SeiunjitfeinS.  ^n  äi)nli^er  2ßeife  f)aben  bie 
eingreifenben  neueren  gorfd;ungen  über  bie  ©inneSiuerfäenge  unb  ha§> 
©eljiru  eine  med;anifd;e  ©rfiärung  ber  förperlid;en  3>orgänge  in  3lu§fidjt 
genommen,  an  lueldje  ba§  (See(en(eben  gefnüpft  ift ;  unb  e§  luirb  baburd; 
eine§t{)eil§  bem  3}Jaterialifmu§  eine  it)m  pdjft  miUfommene  ^erftärfung 
5ugefüi)rt  unb  eine  erneuerte  Prüfung  ber  pfi;d;ologifd;en  unb  metap^i;= 
fifdjen  ©rnnblagen  beg  bi^^erigen  ©piritualifmu§  nijt^ig  gemadjt;  an= 
bcrntf)ei(§  ift  aber  bie  fd^on  von  £ant  befianptete  ©ubjeftiüität  ber  von 
ben  meifteu  für  unantaftbar  getialtenen  ^l^orftellungen  über  bie  9Jiaterie 
unb  bie  Stnfeenmelt  üon  einer  neuen  ©eite  in'§  £id;t  gefteHt,  unb  e§  ift 
ebenbamit  bie  oUgcmeinfte  ^oranSfe^ung  be^  3)taterialifmu§  nac^ijaltig 
erfc^üttert  worben.  Sieiimen  mir  ba^u  bie  Strenge  be§  inbuftiuen  ^er= 
fat)ren§  unb  ber  mat^ematifdjen  53ered;nung,  meldje  bie  S^aturmiffenfdjaft' 
fi(^  3ur  ^fUdjt  madjt,  mätirenb  bie  nad;fontifdje  ©pefulation  in  ber 
3}iet)räaljl  it)rer  SSertreter  von  berfelben  fo  meit  abgefommen  mar,  fo 
mirb  fid)  bie  2öirfung  erflären,  mel(^e  bie  naturmiffenfd;aft(id)e  gorfdjung 
unferer  3^it  auf  bie  Stuffaffung  unb  53eurtf)ei(ung  ber  ^!)i(ofop§ie  au§= 
üben  mufete.  ^^xe  53ebeutung  mirb  aud)  üon  pi;iIofop[)ifd;er  Seite  nidjt 
üerfannt,  unb  e§  ift  in  ben  legten  25  ^at}ren  auf  bem  ©ebiete  be]c  ^fy- 
d)o(ogie  unb  Metapljijfif  faum  ein  Söerf  üon  einiger  ©r|eblid;feit  er^ 
fd)ienen,  ba§  fid;  nidjt  bemüht  Ijätte,  fidj  mit  if)r  au^^einanber^nfe^en  unb 
it)re  ©rgebniffe  5ur  58erid;tigung  ober  ©rgäuäung  feiner  Sä|e  gu  Derroen^ 
ben.  einen  merfmürbigen  S3e(eg  l)iefür  bietet  ba§  te^teSBer!  üon  ©trau^, 
welches  fo  auBerorbentIid;e§  2luffet)en  gemad;t  unb  feinem  ^erfaffer  fo 
l^eftige  Stngriffe  von  allen  Seiten  3uge3ogen  l^at :  „ber  alte  unb  ber  neue 
©laube"  (1872).  SDenn  ba§  eigentljümlidjfte  in  biefem  SBerfe  ift  bie  ^er= 
binbung,  in  xoeldie  bie  9iaturmiffenfd;aft  ^ier  mit  ben  Stnfidjten  gebrad;t 
mirb,  §u  benen  fein  SSerfaffer  urfprünglid;  uon  anberer  Seite  I;er  gefom^ 
men  war.  SBenn  Strauß  in  ben  ^mei  erften  2(bfd;nitten  biefer  Sd;rift 
bie  einwenbungen,  bie  er  feit  einem  3Jienfd)enalter  nid;t  allein  ber  tird;= 


Jen  Sogmatif,  [onbern  au^  her  fog.  natiirltc^en  St^eologie  entgegeTtge= 
fialten  f)atte,   in   ber  biird)fi($tigften   ^i^f'^^^^^^^f^ff^'^Ö   toieberfiolt  iinb 
t)er[(^ärft,  raenn  er  f)ter  gu  ber  umtmTOunbenen  ©rflärung  fortgef)t,  bo^ 
haSi  ß^riftentf)UTii  für   bett  ©tmibpunft  ber  fieutigen  ^ilbung   ontiquirt 
fei,  bie  9ieltgton  fid;  auf  ba§  ©efü^I  für  ba§  tlnioerfum  iinb   für   bie 
3?ernünft{gfeit  be§  2öelttauf§  prüdfüfire,  fo  ergäTtjt  er  in  ben  ^wei  foU 
genben   btefe»   negative   ®rgebni§   burc^   eine  pofitiüe    ©arfteUung   ber 
2öelt=  iinb  Seben§anfid;t,  luefc^e   bem  ©tanbpunft  be§  fieutigen  SBiffen^ 
nnb  ®enfen§  entfprcdje.    .^ieki  get)t  er  mm  bnrd;it)eg  barauf  an§>,  ade 
©rfd^einungen  a(§  ba§  @r5eugniB  natürlid^er  Urfac^en  gu  begreifen,  atte 
menfd;lic^en  2;f)ätigfeiten  auf  i^re  natürüdjen  33eroeggrünbe  gnrüd^^ufüfiren ; 
nnb  in  ber  erfteren  SSejietiung  ruft  er  üor  aüem  jroei  naturraiffenfdjafts 
lic^e  S;f)eorieen  ju  §ülfe:  ^anV§>  unb  Saplace'S  2lnnaf)men  über   bie 
(gntftef)ung  unfere§  ©onnenfijftemg,  unb  S)arrain'^  £et)re  »on  ber  attmä^= 
liefen  ©ntraidlung  ber  fiöfieren  unb  gnfanunengefelteren  Drganifmen  üu§ 
einfa(^ften  ©runbformen.    :^e  me^r  er  aber  baburd^  bem  Materialifniug 
nal^etritt,  um  fo  bringenber  wirb  aud^  bie  g^ragc  nac^  ber  33ere(^tigung 
biefeS  6tanbpun!t§  unb  nad;  feiner  S]ereiubar!eit  mit  bem  ^bealifnmS, 
bem  ©trauB  in  ber  ©tl)i!  naä)  mie  cor  finlbigt,  fo  wenig  er  au^  an 
Dielen  fünften  mit  feiner  bi^^erigen,  auf  bie   (^riftüi^e  ©ittenle{)re  ge- 
grünbeten S^ffwng   einoerftanben  ift.     (Strang  f)at  biefe  ?^rage  in  ber 
©^rift,  meld;e  er  felbft  aU  ein  ^efenntni^,  nidjt  aH   eine  SJietaptn; fif, 
bejeid^nete,  nid^t  eingefienber  unterfuc^t ;  er  t)at  nur  loenige  SBinfe  barüber 
gegeben,  mie  fid;  bie  med)anifd;e  9^aturerf(ärung,   bie  er   üerlangt,   mit 
ber  SSernünftigf'eit  ber  SBelteinridjtung  nnb  be§  3Be(t(auf§,   bie  er  in 
vollem  Ma^   anerkennt,  miffenfd^aftlid^  »ermitteln  lä^t.    ^hev  er    l)at 
bur(^  bie  ?^ragen,  bie  er  anfwirft,  burd)  bie  ^ritif,  ber  er  ben  „alten 
©tauben"  untevgietit,  burd;  bie  Söfung§üerfu(^e,  bie  er  anbeutet,  ber  fi;- 
ftematifd)en  2Biffenfd)aft  2lufgaben  uon  ber  ()ö(^ften  S3ebentung  bejeic^net, 
bereu  grünblidjev  llnterfudjung  fie  fid;  nid^t  länger  mitb  ent^ielien  bürfen. 
Oerabe  l)iertn  fpiegelt  fi(^  aber  ber  gegenwärtige  3wft^^^  ^^^  ""^W 
lofopl)ie  ab.    £)iefe  2ßiffenfd)aft  ift  unuerfeunbar  in  bem  @nd;en  eineä 
gfjenen  begriffen,  aber  fie  f)at  e§  noc^  nid^t  gefunben ;  bie  Gegenwart  jeigt 
üielmelir  nod;  ein  foI(^e§  2lu§einanbergel;en  ber  wiffenfd)afttid;en  Stnfidjten 
unb  fo  viele  unfidjer  taftenbe  Sierfud;e,  bafe  fid)  auf  ©ruub  ber  gefd^idjt- 
ticken  Setrai^tung  nid;t  beftimmen  lä^t,  wie  balb  unb  in  weld;er  SBeife  e§ 
wieber  gu  einem  ©yftem  !ommen  wirb,  ba§  einen  Heineren  ober  größeren 
ßeitabfd^nitt  betierrfd^t.    Slber  wenigften^  im  allgemeinen  bürfte  fid;  bie 
9iid§tung,  welche  bie  ^l)ilofopl;ie  in  ber  uäd;ften  ^eit   einfdjlagen  wirb, 
au^3  il;rem  bisherigen  ©ange  erfc^lie^en  laffen. 


S)ie  beutfc^e  ^f)i(ofop^{e  war  ron  ßeibnis  bis  auf  ^eget,  im  ganscn 
öenommen,  ^ttcaüfinuy,  uub  wie  tief  biefei"  3«Ö  i«  i^r^^  innerftm  (Sigcm 
t()üin(ic^fcit  tu'grüiibet  mar,  fief)t  man  am  beften  barait§,  baß  au(^ 
folc^e  ^f)ilo]op^eTi,  bie  fid;  bem  ^bcalifmug  511  entjiehen  fud^ten,  mie 
^acobi  imb  .^erbart,  iiniüiül:ü{)r(id;  in  benfe(ben  jurücffielen.  ßr  ent= 
fprad^  aud;  unüerfcnnbar  fouiof)(  bem  ß^arafter  ai§>  beu  3uftänben  nnfereS 
S3oIfe§.  S^enn  in  ber  beutfd;en  2(rt  laQ  e§>  von  jef)er,  fi(^  mcl)r  nac^ 
innen  aU  na6)  au§en  ju  roenben,  fid;  in  bie  53ctrad;tnnij  be?^  eigenen 
@eifte§  nnb  ®emixti)e§>  ju  »ertiefen,  nnb  bem  eitjenen  Innern  aud;  bie 
©efic^tf^punfte  ju  entnefimen,  unter  meiere  bie  Sfu^enmelt  geftellt  mürbe ; 
nnb  e§  ift  befe^alb  nic^t  jufädig,  menn  un§>  fd^on  bie  ältere  ©pehilatiou 
feine  ®r)d)cinung  ^eigt,  bie  fo  fpecififd;  beutfd;  märe,  mie  bie  3)Zij[tit 
eiiiCiS  ödtiart  unb  S3öf)me.  2)ie)e  5ieigung  be»  beutid;en  @eiftei§,  fic^  in 
fic^  jiurüd^ujicfien  unb  auf  fic^  jn  bcfd;ränfen,  tonnte  bnrd;  bie  (^ntmid- 
lung  uniereS  ä^olfe-S  feit  bem  15.  unö  IG.  3at)rl;unbert  nur  gcnäf)rt 
merDen.  2tUeg,  ma§  fein  ^ntercffe  tiefer  in  iüifprud;  m'gm,  aUc»  maS 
il;m  großes  gelang,  liegt  auf  bem  ©ebiete  beS  geifligen  SebenS :  bie  die- 
formation  uub  ber  ^^umanifmn»  uub  bie  S3lütt)e  ber  beutfd;eu  :Didjtung 
im  18.  ;jal)il;unbert;  mät)rcnb  e»  gleid^jeitig  in  allem,  ma»  feine  reellen 
igntereffen  betraf,  in  feiner  nationalen  3)iad)t  unb  feinen  ftaatlid;en  @in= 
rid;tungen,  in  feiner  politift^en  33ilbung,  feiner  mirtl)f(^aftlid;en  unb  ge: 
merblidjen  Gntmidluu^  l)iuter  feinen  9iad;barn  unb  Stebenbuljlern  äurüc!= 
blieb,  ^a,  feine  geifttgen  Xriumpl)c  fclbft  bienten  ba^n,  fein  ^ntereffe 
für  bie  äiifjere  2öirflid)fcit  abjuftumpfen.  S)ie  9ieformation  führte  ju 
bor  nad)f)altigften  religiöfen  ßrregung  unb  ^scrtiefnug;  aber  bie  beutfc^e 
9tefonnation  uiiterfdjcibet  fid;  and;  üon  bor  fd)mci-ierifd;=frau5Öfifc^en,  wie 
von  ber  englifd^en,  in  erfter  9Mf)e  baburd;,  ba^  il)r  jeber  ^rieb  einer 
wad)  aufu'u  mirfenben  ^Ijatfraft  abgel)t,  baf3  fie  fid;  nur  mit  bem  eigenen 
|ier5en  unb  ©lauben  befd;äftigt,  ben  Grfolg  bagegen  in  felbfluer^id^teu^ 
ber  Ergebung  @ott  ant)cimftolIt.  ®a§  Stubium  be§  flaffifd;en  3llter= 
tt)um§  bleute  ben  SDeutfdien  nid)t  lange  aU  ein  9)Zittel,  ben  politifd;en 
©inn  unb  bie  nationale  ©efinnung  jn  pflegen,  fonbern  e§  würbe  il)nen 
nur  3U  balb  ein  3lnla^,  über  ber  bewunbernben  S3ctrad;tung  einer  oer- 
gaugcncn  Üöolt  beibeg^  t)i^itan3ufe^en.  S)ie  beutfd;e  Stuffläruug  l)atte  nur 
wenig  uon  ben  politifd;en  trieben  ber  fran5öfifd;en  in  fid;,  unb  wäl;renb 
in  unferer  3)ic|tung  bie  l)errlid;ften  ^lütlien  einer  fd;öneu  3Jienfd;lid;feit 
fid;  entfalteten,  würben  über  ber  fofmopolitifd;en  53egeifterung  für  ha^» 
©an^^e,  über  ber  fünftlerifdjen  2(u[d;auuug  ber  ^beale,  bie  näd;ften  53e; 
bürfniffe  ber  ©egenwart  unb  ber  eigenen  i-)eimatl;  faft  yergeffen.  J!öunen 
wir  uns  wunbern,  wenn  ein  fold;eS  ^olf  bei   fold^er  ©ntwirfUuig    and; 

47* 


.t  ]emv  ^!^itofopf)ie  hm  ibealiftifc^ett  3wö  f^i^^^  ^^^^^^^  folgte?  luetttt 
ein  Seibnis  bie  legten  ©nmbe  bet  2ßelt  in  ben  geiftigen  2Befen  fnd;te, 
beren  begriff  er  an§  bem 'men[d;üc^en  SelbftBeronBtfein  gefcfiöpft  t)atte? 
wenn  ein  ^ant  nnb  üoUftänbiger  ein  %\ä)ie  bie  gan^e  äußere  2ßelt  gn 
einer  6(o§en  2l6fpiegehing  ber  inneren  ntad^te?  ein  6c^eIIing  nnb  §egel 
ben  ©eift  aU  ben  ©d^öpfer  ber  9ktnr,  bie  DIatnr  at§  bie  .^itlle  nnb 
ha§>  Drgon  be§  ftufenmeife  jn  fid)  felbft  fommenben  ©eifteS  jn  begreifen 
fnc^ten  ?  S)ie  5:enben5  ift  immer  biefelbe :  bie  3UiBenuie(t  luirb  balb  nm 
mittelbar  ans  ber  inneren  hergeleitet,  balb  raenigftenS  nai^  ber  Sinologie 
beffen  erflört,  iua§  nnfer  eigene^  ^eron^tfein  nn§  geigt,  ber  @eift  ift 
ba§  erfte  nnb  le^te,  bie  Sflatwr  ift  ni(^t§  anbereS  al0  bie  ©rf^einnng 
be§  @eifte§. 

^n  §eger§  apriorif(^er  ßonftrnction  be§  UniüerfnmS  ^at  biefer 
^bealifmnS  feine  fijftematifc^e  3?olIenbung  gefeiert.  ®ie  6tocfnng  ber 
ptlilofop^ifc^en  ^robnftiDität,  meldje  na^  ^egel'S  ^ob  eintrat,  bie  all= 
mäf)Ud)e  ^evfefeung  ber  größeren  (Sd^nlen,  bie  3erfaf)ren^eit  nnb  llnfid)er= 
t)eit,  meldte  fid^  ber  pl)itofop^ifd)en  ^Beftrebnngen  bemäd;tigte,  lieB  er- 
!ennen,  ba^  ein  Sßenbepnnft  eingetreten  fei,  baB  fi(^  ba§  ^ebürfni|3 
einer  ueränberten  9ti(^tung  be§  3)en!en§  geltenb  mad^e;  nnb  wenn  mit 
bem  3nrüdtreten  ber  pt)iIofopf)ifdjen  3:f)ätigfeit  bie  nielfeitigfte  nnb  frnd)t= 
barfte  2lrbeit  anf  bem  ©ebiet  ber  @rfa^rung§it)iffenfd;aften  nnb  üor  allem 
anf  bem  ber  9?aturioiffenid)aft  .^anb  in  .^panb  gieng,  fo  mar  bamit  beut= 
lid)  angezeigt,  ba^  bie  neue  ^l)itofop^ie  mit  biefen  Söiffenfd^aften  in  ein 
engeres  Serl)ältni§  treten  miiffe,  al§  bie  biSfierige,  ba^  fie  il)re  @rgeb= 
nifl'e  nnb  il)r  ^serfafiren  für  fid;  nermenbeu,  il)ren  bisfierigen,  aUgn  an§: 
fd;lief3lid)en  ^bealifmnS  burc^  einen  gefunben  ^lealifmuS  ergänzen  miiffe. 
2öar  bod^  and)  ba§  gange  Seben  nnfereS  55otB  feit  bem  jmeiten  ®rit:= 
tl)eil  be§  3a^r^unbert§  in  eine  neue  ^l)afe  eingetreten,  in  meld^er  bie 
politifd)e  nnb  rairtl)i^aft(idje  2lrbeit  einen  nnernmrteten  Umfang  annalim, 
neuen  Slufgaben  gegenübertrat  nnb  ©rfolge  erreichte,  bie  man  früher 
!aum  gu  träumen  gewagt  ^ätte.  5lber  wie  auf  biefem  ©ebiete  aUc§>  barauf 
an!ommt,  haf,  ^eutfd)lanb  über  ben  öuBeren  (Erfolgen  ifirer  geiftigen  unb 
fittlid;en  Sebingungen,  über  ben  neuen  2luf gaben  feiner  bi§l)erigen  i^beale 
nid;t  uergeffe,  fo  mirb  bie  3uhinft  ber  beutfd;en  ^^ilofopl)te  in  erfter 
«Stelle  baoon  abl)ängen,  in  TOeId)em  ©rabe  e§  if)r  gelingt,  fid^  ba§  2luge 
für  bie  tf)atfäd)li(^e  33cfc^affenl)eit  nnb  ben  tiefer  liegenben  ^ufammen^ 
l)ang  ber  SDinge,  für  bie  fnbjeltinen  nnb  bie  objeftiuen  Elemente  ber 
3]orftellungen,  für  bie  natüriidjon  llrfad^en  unb  bie  ibealen  ©rünbe  ber 
ßrfdjeinungen  gleid;  offen  §u  erl)alten. 


(a5?o  auf  größere  Slbjdiiiitte  öcrluicfcu  ift,  ijiebt  baä  ^fn^attSocräeii^ntß  iaS  nähere.) 


©eite  I 

%bbt      ....    268.  1 
md       ....    421. 
5(Lüd)t    ....     416. 
%3vicüla     .     .     19.  21. 
5{i3vippa  0.  yjcttcg- 

^eim  ...  12.  21. 
?a}rcn§  ....  728. 
miKxt  b.  Öir.  .  .  2. 
5(ai()n  ....  730. 
^(minou  .  .  .  419. 
5(ncifrou  .  .  .  454. 
5(iibrcä,  %ob.  .  62. 
?rpclt  ....  463. 
5Iriftotc(c§  30f.81f.  116. 
Sa-itaulb      .     .     .     135. 


SBnabcr  589  ff.  527.  553. 

594  f. 
S3acD,  Svaitä   42   f.   54. 

60.  64.  81  f. 
S3at)rbt  ....  253. 
maxhili  ....  468. 
5ßafcbolü  .  .  271  f. 
S3aucr,  S3r.  720.  724. 
SSaitineiftcr  .  .  329. 
S3ainm3artcn,3(tej.  233ff. 

241.  118. 
S3aumqartciT,  @.  S.  241. 
S&anx\  721.  723.  729. 
SSatjte  .  57.  135.  152. 
SScattte  ....  319. 
SScccaria  .  .  .  394. 
SSecf,  S-  ®-  477  ff.  416. 
S5edcr§  ....     728. 


Seite 

SScnbabtb  .  .  .  416. 
93cncfe  696—702.  730. 
SSenjcr  ....  579. 
S3cr!c[el)  249. 315  f.  410. 
S3icbcriuann,  ?C.  (£.  721. 
5ß{cl,  &abx.  .  .  3. 
58icftcr  ....  268. 
S3ilfiiu3cr  231f.l73.  241. 
SSoccaccio  ...  4. 
mi)nK,  S-   12—19.  84. 

553. 
58ül)mcr,  Caroline 
58oinc[uivi3       .     . 
SSoljano      .     .    . 
Sonnet    250.  264 
58ornträt3cr 


SSonteiliic! 

S3rani^  .     .  . 

SSraftbergcr  . 

SQxodci^       .  . 

S3rucfcr      .  . 
Sßruno,  ©iorb.  5 

38.  642. 

SSubbcuä  .  224 

SSüd^ner      .  . 

S3n£)[e     .     .  . 

S3unfen       .  . 

6iifa(ptmi§ 

Saügtu»      .  . 

ßalfer    .     .  . 

®amerartu§  . 

ßampanetta  . 

ßan§      .    .  . 


520 
70 
417 
322 
421 

454  f 
727 
421 
252 
224 

6.  12 


f- 


280. 
735. 
416. 
.521. 

40. 

35. 
463. 

34. 
5.6. 
241. 


(SarpDü       .     . 
©lUTiere     .     . 

(Sartcfiu^  f.2)c§ 

©(jalljLuin^^ 

eijavlütte,  Slöni 

ßljairon 

(Jtjl)tväu§ 

etaifc    . 

ßtaubcrg 

(Slaubiu§ 

©oKicv   . 

Gonbillac 

föonrabi 

ßonring 

©opcrnicuä  20 

©ranier 

t).  ©rcuj 

bc  SrDufa§ 

Sruftu§  . 

ßiibiuorti)    . 

(Sufa,  mm.  D 

19    f.    642. 
(Sjolbe    . 


m 


34. 


Seite 
.     241. 
.     726. 
cavtcä. 
.     726. 
71. 
56. 
39. 
319. 
61  f. 
447. 
316. 
321. 
722. 
35. 
412. 
40. 
246  f. 
229. 
226  f. 
59. 
9. 


249. 


30. 


25ante    .    . 
5S)arie§   .     . 
®aiib  .    .    . 
SDcntofrit    . 
®crt)ant 
^c§carte§  46- 

82  f.  86.94. 

117.    160. 
be  SSette    . 
Siberot 


o. 


735. 


721. 


4. 

228. 

722. 
82. 

319. 
-49. 54.64! 
102  f.  105. 
184.  330. 
.  .  463. 
.     .    823. 


742 

«Seite 

2)toiU)ftuö  ^(reopagita  6. 
dreier  ....  35. 
®rcf?lcr  .  .  .  731. 
©robifd)  .  .  .  780. 
S)uS3Diö9teQmDiib    736. 

@berl)arb  .242.  268. 420. 

607. 
ec^tcrmci)La-  .  •  724. 
mijaxt  .  6  —  9.  14. 
(gugcl  .  .  268.  516. 
©pifur  ....  46. 
©rafmiiä  .  .  •  ^19- 
(grbiuanii  .  .  720. 
©rigena  ...  6. 
erncfti  .  .  .  241. 
eriift?(uquft,Slurfür[t71. 
efc^cnmcl)er  580.  527. 
©jncr    ....    730. 

g-abriciuä  ...  40. 
gc^iier  .  .  •  732. 
geber  265.  415.  421. 
geuerbad),  ?(nictm  417. 
gcitevbad),  Subiuig  721. 

722.  723  f. 
gidjte,  S-  ©•  480—512. 
269.  327.  352.  442. 
519  f.  562.  564.  568. 
575.  627.  630.  673. 
675.  703.  706  f. 
%\dp,  S-  §•  ■       726  f. 

Miltner   ....      45. 

gifdier,  ^.  m-    ■    728. 

%(\ä)cv,  ^uiiD       .     721. 

gUitt      ....     421. 

giubb     ....       12. 

gtügcl    ....     730. 

gorbcrq      .     .     •     519. 

gortlagc     .     .    •    781. 

j^rnuenftäbt     .     .     733. 

^rcigiuö     ...      40. 

gricbridj  $LMa)clm  I.  173, 

gricbiid)b.©r.  173.221. 

gric§     .     .     456—462 

gi-tfd)liu      ...        4 


9iamcnvcgiftcv. 


©avüc     .     . 
(^affcubi 

©ontiliy,  Sllb.  . 
©corg  I.  ö.  (Sugi. 
©corge  .... 
©erwarb  bc  ÖJroot 
(SJcjeniuä  .  .  • 
©eutincj  .  .  • 
©laitoia  .  .  . 
(^lijjou  .... 
@Dc(ciüu§       .    . 

@ötl)e  269 
568.  647. 
®ottfd)cb  . 
©riepcufert 
©roS  .  . 
©rotui» 
ßjüutljcr  . 
(SJuubling   .      225. 


©eite 
268.  415. 
45.  82. 


520. 
716. 


36. 

71. 

729. 

9. 

420. 

49  f. 

57. 

59. 

40. 
722. 
562. 

287. 
780. 
417. 
54  f. 

727. 
228. 


672. 
675, 


423  ff. 

594. 
563  ff. 
,  730. 
.  783. 
.  463. 
.       34. 

327. 

720. 


gr. 


©ablcr 


720. 

6. 

720. 


|>aaer,  Siiblo.    ö.     574 

Hamann 

l^ambcrgcr 

|)arbcnberg 

^artcnftciu 

|)artniaun 

|)afe       .     . 

|)at)curcuter 

^egel    623  — 

572.    579. 

734. 

I  9Ttcrc.  12.  59 
ü.  |)c(mLnit,  3-^- 
^clüctiu»  .  .  . 
4-)cmiuing  .  .  . 
|)cnning  .  .  ■ 
Öcrbart  672—696. 

697.    703.   730. 
i^crbcrt  o.  Gtjcrburi) 

f.  60. 
^erber  . 
ipcrmc» 

^ct)bourcid) 

|)inrid)§ 

^ivnt)ai)iu 


©eite 
43  ff.  60. 
416. 


40. 
594. 
323. 

35. 
665. 

56. 


736. 

84. 

12. 
321. 

36. 
720. 
327. 
734. 


427  ff. 
,  463. 
.  415. 
416. 
.  720. 
.       63. 


|)Dbbe5 

|)offbauer  .  , 
|)Liffmann,  ®an 
^offmann,  gr. 
6^Dlbac^  -  • 
|)Drnciu»  .  . 
<potl)D    .     .      720 

^uet 

^ufcranb  .  .  416  f. 
5iugü  0.  @t.  S3ictor  2. 
|umbo(bt,  9B.  .  516  f. 
§ume  249.  316  f.  320. 

337.  409.  425. 
^ntc^cfon    .     .     .     320. 
|)iit)gen§     ...      70. 

^rluiug  ....  260. 
f^acobi  436  —  454.  282. 
298  f.  326.  423.  424. 
519.  563.  627.  636. 
Säf^e  ....  416. 
Safob  .  .  416.  420. 
SerufaCcm  .  .  .  270. 
Qo^aim  gviebrid;)  ü. 

93raunfd)lueig      70    f. 

Suugiu§     .      63  ff.  20. 

^ant  328-415. 178. 222. 

1      269.    314.  319.    326. 

I      427.  428.  430  f.  442  f. 

I      450.  456  f.  465.  469  f. 

1      486.  519.  557.  609  f. 

627.    636.    673.    674. 

703  f.  705  f.  715.  734. 

Kempen  f.  2I)Dnm§ 

Zepter 


^ietmct)cr   .  . 
^icfclDcttcr 

^Iciu      .     .  . 

^'(cufcr  .     .  . 

Snut^eu  .     .  . 

Poppen  .     .  . 

m\tim,  ^. .  . 

Siöftttu,   9iciiü)üLb 

^ortlptt     .  . 

SrauS    .     .  . 
Traufe  594  —  606 
^rug     .     .      416 

Sambert     .  .      238  f 
Ißamettric   .      249.  321 


20. 
526. 
416. 
580. 
421. 
328. 
454. 
721. 
721. 

6Ö. 
416. 
728. 
420. 


Diamcnvegifter. 


74b 


Seite 

Sänge,  mh.  .  .  736. 
Sapiace  .  .  .  331. 
Saöatcr  .  .  .  273. 
Sn^aru^  .  .  .  730. 
Seibni§  69  —  158.   60. 

172.  174.  201  ff.  220  f. 

281.  330. 
SeonI)arbi   .     .     . 
Seffiug  284  —  314 

240.    282.   407. 

438. 
Seutren^De!     .     . 
Siiibcntann      .     . 
Sipftorp 
£oc!e  315    [ 

340.  388. 
So^e      .... 
SuIIuÄ,   9^al)inimb 
£utt)ov    . 
Siittcrbccf 


(Seite 

5ntcotai  .  268  f.  421 
9iiet§ammer  .  .  519. 
9Zoliali§  f.  |)arbcntierg. 


Dfen     . 
Dlbcnborp 


584  f. 
.  36. 


111. 


23 


728. 
142. 
434. 

107. 

728. 

61. 

249. 

732. 

78. 

ff.  9. 

594. 


maari  ....  421. 
aicaimou  .  .  472  ff. 
9[)?a[ctirand)e  50.  83.  95. 
9Jfart)cinefc  720.  722. 
SJcarfiliiis  P.  2^xo,i)m  2 
9J?artini,    doriiel      35 


81. 


-     ! 


maxtlm,  ^af. 


34. 


md(x,  (^.  g.  237.  241. 

254. 
^Timwx^      266  f.   421. 
9[)?c(andit(iDn  26—34. 19. 
mQiün   ....    416. 
9J(enbe(§fo^it272  — 284. 

254.   286.   289.    298. 

359.  397.  421.  427. 
m\d^ckt  .  .  .  720. 
^?:)fiilit  ....  463. 
«{olcfdjott  .  .  .  735. 
^ITioiitaitjm'  .  .  56. 
9JcDntofqmeu  388.  391. 
aiiorc  ....  59. 
mmcx,  Stbain  .  574. 
Wutfdjeae  .    .     .    416. 


SZeuiiiann 


.     730. 

.     455. 

.     175. 

72.  101. 


^ainuä 
3icgiüiuont 
9tcl)6crg 
9x^ctb      . 
9tdff      . 
üieimarii», 

252. 
9tcimaru§, 
Steinbed 
9teinl)arb 
9teinI}o(b 

458.  47 
9tcud)Un 
üieiifd)  . 
9?{)cgcn  . 
üitboü  . 
^)iid)tcv 
dtitkx  . 
mhcx  . 
9iüf)v      . 


38  f.  6. 
aiiu»  .  19. 
.  .  .  417. 
.  250.  318. 
.  .  .  725. 
^.  @.  243  ff. 


cv 


.9(. 


70. 


464   ff 


421. 

241. 

421. 

416. 
484.  519. 
19.  21. 
.  241. 
61. 
.  241. 
.  722. 
.  729. 
.  728. 
.  420. 
.      62. 


^abft  ....  727. 
i^aracelfu?  9— 12. 13. 84. 
$afca(  ....  58. 
i^aufua  ....  420. 
^^eter  b.  @r.  .  .  71. 
''^^etcrmaun  .  .  61. 
^ctrarca  ...  4. 
^^curbacl  ...  19. 
fiaaxt  ....  35.  j 
^iccolüinini  .  .  40. 
^icD  P.  "iOnranbufa  10. 
$[and  ....  725.  I 
i^latner .     .    .      258  f 

islotin    .  .     . 

^sioucquct  .     . 

^öliö     .  .     . 

^^övfdjfe  .     . 

$oiret    .  .     . 

^iifenborf  65  f. 


522.  i 
81. 

238. 

418. 

416. 
58. 

122. 


(Seite 

mt\ä)cx  .  .  .  720. 
S^ofcufrans  .  .  720. 
5RDt^e  ....  729. 
Ototted  ....  418. 
atouffcau  250.  324.  388. 
9iübigcr  .  .  225  f. 
9?ugc  .  .  720.  724. 
atu^nfen     .     .     .     328. 

9tuft 722. 

9Jup§()roc!      .     .        9. 

(5a£)inu§  ...  34. 
©acf  .  .  .  254.  270. 
(Salat  ....  454. 
(Sandjcg  .  .  .  56. 
<Bd^ab  ....  519. 
Schaben  .  .  .  728. 
@d)aacr  .  .  .  720. 
(Sc^cgf  .  .  .  34  f.  40. 
©d^cibcl  ...  34. 
©djcUing        519  —  562. 

327.    507.    575.    580. 

624  f.  627  f.  734. 
©d)crO   ....      35. 
©djiÜcr  512  ff.  269.  418. 

520. 
©djiriing  .  .  .  730. 
©erleget,  5t.  2B.  520. 
©djlcgel,  gricbr.  567  ff. 
@c^(etben  .  .  .  463. 
@d)(cicrmac^cr     606  — 

623.    138.    142.    567. 

575.  583.  729. 
©djfoffer,  eijriftop:^  418. 
©damals  .  .  .  417. 
@d;mib.  ©örf)-  416.  420. 
©c^mib,  3.  SB.  .  420. 
©djmib  Seop. .  .  728. 
©djmibt,  Sor.  .  241. 
©djöntiorn  ^§il.  P.  70. 
@c^opcid)auer       702  — 

719.  733. 
©d)ubcrt,  ber  SBotffiancr 

241. 
(Schubert,  &.  .?).       582. 
©djülj    .     .     .'    .    416. 
@djul§,  ^rof.  in^'önigSb. 

328. 
©d^iUS,  ^aP.  .     .     420. 


744 


gjamemegifter. 


Seite 

®d)ii(sc,     ÖJ.  ®.  468  ff. 

706. 
©djiUäc,  Sot).  in  tönig^ti. 

415  f. 
(Bä)mh      .    .    .    420. 
©djlücgler  .     .     .    721. 
(Sdjjpcliiig  .     .  •.      61. 
©cmlcr  ....     242. 
(5cm3(cr.     .    .     .    728. 
©cimert      ...      60. 
©(jafte&bur^    .    •    320. 
@imDniu§   ...      34. 
©leoogt.    ...      34. 
©miti),  S(bam      .    321. 
©D!ratc§    .    .    .    277. 
©olger  .     .     .     574  ff. 
©oncr,  ®rnft  .     .      35. 
©Dpt)ic,  Slurfürfttu    71. 
©palbing    .    .     .    270. 
©peiier  ....    148. 
©perictte    ...      61. 
©pmoga     51  —  54.    60. 
83  f.  119.    160.   184. 
282.  298  ff.  432.  440. 
566.  613  f. 
(5tat)(,  ®an.    .    .      34. 
©taljl,  S-   •     •     •     728. 
©teffeng     .     .      582  f. 
©tcintnu-t    268    f.   270. 
©tüfflcr      ...      20. 
©torr    ....    421. 
©trau^  721.  722.  f.  737. 

246.  321. 
©trigct       ...      34. 
©trümpea  .    .    .    730, 


Seite 

©tri)!  ....  165. 
©hirm,  Sot)-  34.  39. 
©türm,  3.  (£()rtftopl)  63. 
©ü&tinb  .  .  .  419. 
©ulger  ...  254  ff. 
©uio      ....        9. 


©Jüebenborg  . 

Spanier  .    .  . 

^aure(Iu§    .  . 

SEclcfiu§  .    .  . 

Xcüer    .     .  . 

Xcimcmann  . 
^eten§       262 

S;()avilott)     .  . 
^t)i(o 


.     338. 

9. 

40  f. 

5. 

.     270. 

.     416. 

f.    455. 

.     721. 

•     730. 
X()oma§  ö.  3tqumo      2. 
X^omnS  ö.  Slempen    9. 
Xf)pmaö  ö.  ©tra^burg  2. 
XliomaftuS,  eijriftian  162 
—  171.  174.223.249. 
^{)Dmafiua,  ^afob  34f.69. 
2;i)ümimg  .      231.  241. 
Xiebemaim     261.    421. 
2;ieftruu!     •    416.  419. 
%mncx  .     .     .     .     242. 
^renbctcuburg     .    731. 
^roj:(cr  ...      587  f. 
^fd)iritt)aufcu  158—162. 


ItcbcrJucg 
Ulrid)  . 
Utrici     . 

^öaiiini   . 


731. 
421. 
726. 

21. 
6. 


SSatfe     .  . 

Sc  SSat)er  . 

$8crmig(i,  ^. 

Sßifc^er  .  . 

SSogt      .  . 

^^olfmanu  . 
Sßoltaire 


m. 


Seite 
720. 

56. 

34. 
721. 
735. 
730. 
321. 


SBagncr,  @abr.     .    61. 

SöagncrSot).Sat585.ff. 

SBat^     ....    730. 

SBcgfdjcibcr     .    .    420. 

Sßeigel,  (£vl).   .     .      70. 

SBcigel,  ^al    .    .      12. 

SBcitter  ....    454. 

SBciSl^aupt      .    .    421. 

SßciB      ....    463. 

SSeiffc     .     .     .      726  f. 

Sßcrber  ....    720. 

SBeffeX    ....      19. 

SBiclanb      .     .      268  f. 

SBinHcr,  S3cncb.    .     36. 

SBirtl)     ....     726. 

äöiäenianii  .    .    .    454. 

SÖDiff    172  —  223.   286. 

377. 
SÖDllaftou   .     .     .     319. 

3ad)artä     .    .    .  417. 

3aud)i    ....  34. 

^eibler  ....  35. 

Better    .     .     .    '•  721. 
Bimincrmanu,  S-  ^-  268. 

3iminermanu,   9i.  730. 

ßlühigli  ....  25. 


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